Almanach 2011

Almanach 2011 Kultur | Geschichte | Wirtschaft | Politik | Natur | Sport | Freizeit Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises Almanach 2011 Schwarzwald-Baar-Kreis 35. Folge Mondaufgang – Eiche auf dem Magdalenenberg Fotografiert von Wilfried Dold

He­raus­ge­ber: Land­rats­amt Schwarz­wald-Baar-Kreis www.schwarz­wald-baar-kreis.de ­land­rats­amt@schwarz­wald-baar-kreis.de Re­dak­ti­on: ­Karl ­Heim, Land­rat ­ Julia Weiss, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Wil­fried ­Dold, Re­dak­teur Hans-Wer­ner Fi­scher, Dipl.-Bib­lio­the­kar Dr. Joa­chim ­Sturm, Kreis­ar­chi­var ­Wil­li ­Todt, Ge­schäfts­füh­rer i. R. Karl ­Volk, Re­al­schul­ober­leh­rer i. R. ­Für ­den In­halt ­der Bei­trä­ge ­sind ­die je­wei­li­gen Au­to­ren ver­ant­wort­lich. Nach­dru­cke ­und Ver­viel­fäl­ti­gun­gen ­je­der ­Art wer­den ­nur ­mit Ein­wil­li­gung ­der Re­dak­ti­on ­und un­ter An­ga­be ­der Fund­stel­le ge­stat­tet. Gestaltung: Wilfried Dold, doldverlag Verlag: dold­ver­lag, Vöh­ren­bach www.dold­ver­lag.de ­Druck: ­ Todt Druck + Medien ­ GmbH + Co. KG Vil­lin­gen-Schwen­nin­gen ISBN: 978-3-927677-58-6

AGVS Aluminium Werke GmbH, Villingen-Schwenningen ANUBA AG, Vöhrenbach BIW Burger Industriewerk GmbH & Co. KG, Präzisionstechnik, Schonach CONTINENTAL AUTOMOTIVE GMBH Villingen-Schwenningen ebm-papst St. Georgen GmbH & Co. KG, St. Georgen EGT Energievertrieb GmbH, Triberg EGT Gebäudetechnik GmbH, Triberg Emil Frei GmbH & Co. KG, Bräunlingen Fürstlich Fürstenbergische Brauerei GmbH & Co. KG, Donaueschingen Greiner Ingenieure GmbH, Donaueschingen Eh­ren­lis­te ­der Freun­de ­und För­de­rer ­des Al­ma­nach 2011 Prächtige Lindenallee bei Wolterdingen – mehr über diese Baumart und ihre Vertreter im Landkreis findet sich ab Seite 256.

Otto Heitzmann KG, Gabelstapler- Service, Donaueschingen Bauunternehmung Hermann GmbH, Furtwangen Hess AG Form + Licht, Villingen-Schwenningen Hinzsch Schaumstofftechnik GmbH & Co. KG, Mönchweiler i-punkt immobilien GmbH, Donaueschingen IMS GEAR GmbH, Donaueschingen KBS-Spritztechnik GmbH, Schonach Leopold und Poldi Messmer, freie Architekten, Furtwangen Günter Helmut Papst, St. Georgen Ernst Reiner GmbH & Co. KG, Furtwangen S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke OHG, Furtwangen SBS-Feintechnik GmbH & Co. KG, Schonach SCHMIDT Technology GmbH, St. Georgen Schwarzwaldhof Fleisch- und Wurstwaren GmbH, Blumberg Sparkasse Schwarzwald-Baar, Villingen-Schwenningen Spedition Julius Mayer GmbH, Bräunlingen Stadtwerke Villingen-Schwenningen GmbH, Villingen-Schwenningen STEIN Automation GmbH & Co. KG, Villingen-Schwenningen sternplastic Hellstern GmbH & Co. KG, Villingen-Schwenningen STRAUB-VERPACKUNGEN GmbH, Bräunlingen VERMESSUNGSBÜRO MANDOLLA + GILBERT, Villingen-Schwenningen Albin Vogt Transport GmbH, Donaueschingen Volksbank Triberg eG, Triberg F. K. Wiebelt, Villingen-Schwenningen Wilfried Hahn, Wiha Werkzeuge GmbH, Schonach JOHANN WINTERMANTEL, Verw. GmbH & Co. KG, Kies-, Schotter- u. Betonwerke Donaueschingen 11 weitere Freunde und Förderer des Almanach wünschen nicht namentlich genannt zu werden. Ringwald-Brunnen beim Villinger Münster. ­ ­ ­ ­ ­ 5

6 ­Zum Ge­leit In jeder Ausgabe des Almanach wird die Bevöl­ kerungsentwicklung in den einzelnen Gemein­ den und im Gesamtkreis aufgezeigt. Dem eif­ rigen Leser ist es bestimmt schon aufgefallen: Seit Jahren nimmt die Bevölkerung im Schwarz- wald-Baar-Kreis und in den meisten Gemein- den ab. Im Jahr 2003 hatten wir noch rund 212.000 Einwohner im Landkreis, zum Jahres- ende 2009 waren es noch rd. 208.000, im Jahr 2020 werden es voraussichtlich noch 203.000 sein und für 2030 gehen die Prognosen noch von 197.000 Einwohnern aus. Besonders pre- kär ist die Situation in den Schwarzwaldge- meinden. Dort haben wir eine stark überpropor- tionale Abnahme der Bevölkerung. Vor allem nehmen die jüngeren Jahrgänge ab – bei gleichzeitiger Zunahme der älteren Be- völkerung. Kein Zweifel, der demografische Wandel ist kein Zukunftsthema, sondern bereits konkrete Realität. Eine Entwicklung, die wir im ganzen Land feststellen, die bei uns im Schwarzwald- Baar-Kreis aber überdurchschnittlich stark aus­ geprägt ist, sowohl was die Abnahme als auch das Alter der Bevölkerung angeht. Ist der Schwarzwald-Baar-Kreis damit auch in Zukunft ein attraktiver Lebensraum? Oder müssen wir mit einer Verödung ganzer Land- striche rechnen, wie wir das heute bereits in ei- nigen Gegenden der neuen Bundesländer fest- stellen? Wie können wir auf diese Entwicklung reagieren, darauf Einfluss nehmen? Zunächst können wir feststellen, dass wir keine schlechte Ausgangsposition haben. Wir haben eine gesunde mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur mit vielen attraktiven Ar­ beitsplätzen, eine gut ausgebaute Bildungs- landschaft im allgemeinbildenden und beruf- lichen Bereich bis zur Hochschulausbildung, ein vielseitiges Kultur-, Sport- und Freizeitangebot und das in einer wunderschönen, intakten Landschaft. Das sind Pfunde mit denen wir wu- chern können und müssen. Gerade für junge Familien bietet unser Landkreis sehr viel. Dies müssen wir aber auch deutlich ma- chen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat deshalb ein Marketingkonzept entwickelt, mit dem wir unter dem Label „Quellenlandkreis“ aufzeigen, was unser Landkreis zu bieten hat (vgl. dazu auch den Beitrag in diesem Almanach und das Vorwort zum Almanach 2008). Darüber hinaus müssen wir unseren Land- kreis aber auch zukunftsorientiert weiterent­ wickeln, um die jungen Menschen, die bei uns leben, im Landkreis zu halten und neue Mitbür- gerinnen und Mitbürger zu gewinnen. Dazu gehört z. B. in unserem Medienzeit- alter eine gute Infrastruktur im IT-Bereich. Des- halb hat der Landkreis gemeinsam mit den Ge- meinden und der Hochschule Furtwangen eine Initiative „Datenautobahn Schwarzwald-Baar“ gestartet mit dem Ziel, möglichst flächende- ckend im Landkreis eine gute Breitbandversor- gung sicherzustellen. Dazu gehört auch jedem jungen Menschen unabhängig von der Herkunft eine seinen Fä- higkeiten und Neigungen angemessene Bil- dungsbiografie zu ermöglichen. Deshalb haben wir im Landkreis ein vom Land gefördertes Bil- dungsnetzwerk mit einem professionell besetz- ten Bildungsbüro eingerichtet. Dazu gehört auch, dass wir gerade junge Familien gezielt unterstützen und ihnen ermög- lichen Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Deshalb haben wir im Landratsamt die Stelle einer Familienbeauftragten geschaffen und ei­ nen Betriebskindergarten eingerichtet. Selbstverständlich gehören dazu viele wei­ tere öffentliche Leistungen, wie z. B. ein attrak­ ti­ ver öffentlicher Personennahverkehr, eine gu- Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar – Zukunftsraum/Lebensraum Dem Jahrbuch 2011 des Schwarzwald-Baar-Kreises zum Geleit

­ ­ ­ ­ ­ 7 Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar te Verkehrsinfrastruktur, modern ausgestattete Schulen mit einem breiten Bildungsangebot, usw. In allen diesen Aufgabenfeldern hat der Landkreis in den letzten Jahren viele zukunfts- weisende Projekte umgesetzt bzw. vorangetrie- ben. Wir nehmen die demografische Entwicklung in unserem Schwarzwald-Baar-Kreis also nicht fatalistisch hin, sondern versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten gegenzusteuern. Dabei müssen wir uns aber im Klaren sein, dass wir damit die Entwicklung zwar abschwä- chen, den Trend aber nicht umkehren können. Deshalb müssen wir den demografischen Wan- del, soweit wir ihn nicht aufhalten können, ak- tiv gestalten. So haben wir für jede Gemeinde im Landkreis auf der Grundlage der uns zur Ver- fügung stehenden Daten die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung und die Altersstruk- tur ermittelt, damit die Gemeinden entspre- chend ihrer speziellen Situation frühzeitig auf die Entwicklung reagieren können. Öffentliche Einrichtungen den Bedürfnissen älterer Menschen anpassen Die interkommunale Zusammenarbeit, die ge- meinsame Nutzung von öffentlichen Einrichtun- gen durch mehrere Gemeinden, die gemeinsa- me Erfüllung bestimmter Aufgaben bzw. eine Aufgabenteilung zwischen einzelnen Gemein- den wird bei abnehmender Bevölkerung einen neuen, besonderen Stellenwert bekommen. Bei einer zunehmend älter werdenden Be- völkerung wird es darauf ankommen, öffentli­ che Einrichtungen, aber auch das häusliche Umfeld den besonderen Bedürfnissen älterer Menschen anzupassen, damit sie möglichst lan­ ge in ihrer vertrauten Umgebung bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dazu haben wir im Landkreis einen Pflegestütz- punkt mit einer Fachkraft eingerichtet, die unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch deren Angehörige informiert und berät. Nicht zuletzt müssen wir versuchen das große Potenzial vitaler und aktiver Seniorinnen und Senioren für die Mitgestaltung des gesell- schaftlichen Lebens zu gewinnen und durch so- ziale Netzwerke eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung zu entwickeln. Natürlich gibt es noch viele weitere Berei- che, die man ansprechen könnte. Entscheidend ist, dass wir den Veränderungsbedarf erkennen und den Wandel aktiv gestalten. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, während die anderen Segel set- zen.“ Ich bin überzeugt, wenn wir rechtzeitig die Segel setzen, um den Wind der Veränderung zu nutzen, wird unser Schwarzwald-Baar-Kreis auch unter veränderten Bedingungen seinen Menschen ein attraktiver Lebensraum und eine liebenswürdige Heimat sein unter dem Mot­ to: „Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar – Zu- kunftsraum/Lebensraum.“ Dann wird der Almanach auch künftig, wie in dieser Ausgabe, jedes Jahr über vielfältige Aktivitäten in den verschiedensten Lebensbe- reichen berichten und die Vielfalt unseres Quel- lenlandkreises aufzeigen können. Voraussetzung dafür ist, dass – wie in die- ser Ausgabe – auch künftig viele Menschen bereit sind, daran mitzuwirken. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den vielen Autoren und Fotografen, die dazu beigetragen haben, auch 2011 wieder ein ansprechendes, informatives Heimatjahrbuch entstehen zu lassen. Herzlichen Dank auch in diesem Jahr den vielen Firmen und treuen Freunden des Alma- nach, ohne deren großzügige Förderung die Herausgabe dieses Jahrbuches nicht möglich wäre. Herzlichen Dank aber vor allem auch den treuen Lesern des Almanach. Ich würde mich freuen, wenn auch die 35. Ausgabe viele lese- freudige Freunde finden würde. Ihr Karl Heim Landrat

­­­­­8 Für die kommunalen Finanzen bedeutet dies noch keine Entspannung, da sich der wirt- schaftliche Aufschwung erst mit zeitlichem Ver- zug beim Steueraufkommen auswirkt. Während sich die Wirtschaftskrise sehr schnell und mas- siv auf die Gewerbesteuereinnahmen der Städ- te und Gemeinden auswirkte, konnte für die Kreisumlage im Kreishaushalt 2010 noch die gute Steuerkraft des Jahres 2008 zugrunde ge- Der Aufschwung ist auch im Schwarzwald-Baar-Kreis bemerkbar Der Anfang des Jahres 2010 war noch geprägt von der Wirtschafts- und ­ Finanz­­krise. Die Arbeitslosenquote im Schwarzwald-Baar-Kreis lag im Januar bei 6,7 %, wobei zu berücksichtigen ist, dass wir im Schwarzwald-Baar-Kreis bundesweit den höchsten Anteil an Kurzarbeit hatten. Bereits im Frühjahr machte sich der ­ konjunkturelle Aufschwung auch im Schwarzwald-Baar-Kreis bemerkbar. ­ Insbesondere die im Landkreis stark vertretenen Automobilzulieferer und der ­ Maschinenbau konnten sich nach starken Einbrüchen im Vorjahr über gute ­ Auftragseingänge freuen. Die Arbeitslosenzahlen gingen deutlich zurück. Mitte des Jahres betrug die Arbeitslosenquote noch 5,4 % (Juli). Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass in naher Zukunft ein Facharbeitermangel droht. Die Grundlagen der Kreispolitik – zumal im schwierigen Haushaltsjahr 2011 – bestimmt der Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises, der hier im Sitzungssaal des Landratsamtes auf dem Villin- ger Hoptbühl tagt. Das Gremium setzt sich aus 64 ehrenamtlich tätigen Abgeordneten zusammen, an seiner Spitze steht Landrat Karl Heim. Die Sitzver- teilung: CDU 26 Sitze, SPD 11, Freie Wähler 13, FDP 7, Die Grünen 6 und DLVH 1. 1. Kapitel Aus dem Kreisgeschehen

­­­­­9 Aus dem Kreisgeschehen legt werden. Aus Soli- darität mit den Städten und Gemeinden wurde im Kreishaushalt 2010 der Hebesatz für die Kreisumlage um 3,9 % Punkte und damit am stärksten in Baden- Württemberg gesenkt. Gleichwohl konnten auch im Jahr 2010 noch er- hebliche Investitionen in die Infrastruktur des Kreises geleistet werden. Unser Investitionsschwerpunkt war auch im Jahr 2010 das berufliche Schulwesen. Neben vielen Maßnah­ men zur Energieeinsparung im Rah­ men des Konjunkturprogrammes konnten große Baumaßnahmen wie die Erweiterung ­­ der David-Würth Schule in Schwenningen, die Er- weiterung der Albert-Schweitzer Schule in Vil- lingen und die Er­ weiterung der Kaufmännischen Schule in Villingen abgeschlossen werden. Der Landkreis hat damit innerhalb von 3 Jahren 25 Mio. Euro in seine beruflichen Schulen in- vestiert. Eine ­ gewaltige Bildungsoffensive. Nun steht noch eine Lösung des Raumproblems an der Hotelfachschule an. Startschuss für das Bildungsbüro Im September 2010 konnte auch der Start- schuss für das bereits im Jahr 2009 vom Kreis- tag beschlossene Bildungsbüro Schwarzwald- Baar gegeben werden. Leiter der Bildungsbü­ ros ist der frühere stellv. Leiter der Grund-, Haupt- und Werkrealschule in Obereschach, An­ dreas Meßmer. Aufgabe des Bildungsbüros ist es, die ver- schiedenen Bildungsträger im Landkreis zu vernetzen und damit z. B. die Übergänge von der Vorschule in die Schule, von den allgemein- bildenden Schulen in die beruflichen Schulen sowie von der Schule in den Beruf oder ins Studium zu verbessern bzw. zu erleichtern. Ein Schwerpunkt im ersten Jahr wird die Verbes- serung der Sprachförderung für Schüler und Kindergartenkinder mit sprachlichen Defiziten sein. Im nächsten Almanach kann dann über Landrat Karl Heim, Dr. Christine Seifert vom Regierungspräsidium Freiburg und Schulleiter Werner Weber (von rechts) vor dem Erweiterungsbau der David-Würth-Schule in VS-Schwenningen. Der Landkreis hat in drei Jahren ca. 25 Mio. Euro in seine beruflichen Schulen investiert, rund 1,9 Mio. in die David-Würth-Schule. Mit 3,9 % hat der Schwarzwald-Baar- Kreis für das Jahr 2010 die Kreisum- lage landesweit am stärksten gesenkt.

­­­­­10 Aus dem Kreisgeschehen die Arbeit des Bildungsbüros ausführlich be- richtet werden. Eine bedeutende, bildungspolitische, struk- turelle Neuordnung, die den Landkreis aller- dings nur mittelbar betrifft, sind die in einigen Städten und Gemeinden zum Schuljahresbe­ ginn neu eingerichteten Werkrealschulen. Die Werkrealschule, die einen mittleren Bildungs- abschluss (vergleichbar dem Realschulabschluss) ermöglicht, soll die in die Diskussion gekom- mene Hauptschule aufwerten ohne das drei- gliedrige Schulsystem aufzugeben. Die Einrich­ tung von zweizügigen Werkrealschulen be- dingte allerdings, dass einige Gemeinden ihre Hauptschule aufgeben und sich mit anderen Gemeinden zusammenschließen mussten. Dies hatte naturgemäß schwierige kommunalpoliti- sche Entscheidungsprozesse zur Folge. Aufgabe des Landkreises war es, den Schü- lerverkehr zu den neuen Werkrealschulen zu or- ganisieren, was mit einem hohen Verwaltungs- aufwand und erheblichen Kosten verbunden war. Mit geringerem Aufwand konnte der öf- fentliche Personennahverkehr zwischen Furt- wangen und Villingen deutlich verbessert wer- den. Ein Rufbussystem ermöglicht, dass nun bedarfs­ orientiert auch an den Tagesrandlagen und am Wochenende mehrfach von Furtwangen nach Villingen und umgekehrt gefahren werden kann. Dies ist vor allem für die Studierenden in Furtwangen ein interessantes Angebot, das gerne angenommen wird. Mehrkosten bei Sozialleistungen Die konjunkturelle Erholung und damit der Rückgang der Arbeitslosigkeit hat erfreulicher- weise auch zu geringeren Aufwendungen bei den Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeits- lose geführt. Leider wurde diese Einsparung durch Mehrkosten bei anderen Sozialleistun- gen wieder kompensiert. Ein bundespolitisches Thema mit erhebli- chen Auswirkungen für die Kreise war 2010 die Neuorganisation der Leistungsgewährungen für Langzeitarbeitslose (Hartz IV). Um auch künf- tig eine gemeinsame Aufgabenerfüllung mit der Agentur für Arbeit zu ermöglichen, wurde sogar das Grundgesetz geändert. Künftig sollen die Leistungen von den Agenturen für Arbeit und den Landkreisen gemeinsam in sogenannten Job-Centern erbracht werden. Alternativ kön- nen nach einem besonderen Auswahlverfahren einige wenige Landkreise auf Antrag alle Leis- tungen selbst erbringen (Optionslandkreise). In den Kreisgremien wurde das Thema intensiv diskutiert, eine Entscheidung aber vorläufig zu­­ rückgestellt bis die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Option und die Bedingungen für ein gemeinsames Job-Center abgeklärt sind. Im Almanach 2012 kann über die im Schwarzwald- Baar-Kreis vorgesehene Organisation berichtet werden. Klinikum kommt gut voran Die größte und bedeutendste Investitionsmaß- nahme war aber auch im Jahr 2010 der Kranken- hausneubau des Schwarzwald-Baar Klinikums in Villingen-Schwenningen. Nach dem Spaten- stich im Juli 2009 kamen die Bauarbeiten gut voran, wurden dann durch einen langen Winter etwas verzögert und sind nun wieder weitge- hend im Zeitplan. Am 7. Mai wurde symbolisch der Grundstein für das Jahrhundertbauwerk ge- legt. Besonders erfreulich ist, dass auch nach- dem nun rund 80 % der Baumaßnahmen verge­ ben sind, sich die Kosten im vorgesehenen Rah- men bewegen. Erfreulich ist auch, dass trotz engerem Fi- nanzspielraum im Jahr 2010 rd. 4 Mio. Euro in die Erneuerung und den Ausbau der Kreisstraßen investiert werden konnte, wobei die Fahrbahn- sanierung zwischen Hexenloch und Neukirch eine der schwierigsten und teuersten Maßnah- men war. Zwei wichtige Gebäude erworben Für die Unterbringung der Kreisverwaltung konnten im Jahr 2010 zwei wichtige Gebäude erworben werden. Nach der Verwaltungsreform im Jahr 2005 mit der Eingliederung vieler Be­ hör­

­­­­­11 Aus dem Kreisgeschehen Die gewaltigen Ausmaße des Schwarzwald-Baar-Klinikums verdeutlicht die Luftaufnahme oben vom September 2010. Unten die Baustelle im Oktober 2010. Auch nachts wird gearbeitet – die bedeutendste Investitionsmaßnahme in der Geschichte des Schwarzwald-Baar-Kreises liegt gut im Zeitplan.

Aus dem Kreisgeschehen ­­­­­12 den in das Landratsamt hat der Landkreis vom Land Baden-Württemberg einen großen Teil eines Bürogebäudes in unmittelbarer Nachbar- schaft des Amtsgebäudes in Villingen-Schwen- ningen sowie das Forstamtsgebäude in Triberg gemietet. Nach intensiven Verhandlungen mit dem Land, wurden beide Gebäude vom Land- kreis erworben. Damit ist sichergestellt, dass auch künftig am Standort Villingen die Verwal­ tung zentral an einem Ort und in Triberg die Außenstelle des Kreisforstamtes langfristig si- cher untergebracht ist. Pflegestützpunkt eröffnet Als erster Landkreis in Baden-Württemberg konnte der Schwarzwald-Baar-Kreis am 15. April 2010 im Landratsamt einen Pflegestützpunkt eröffnen. Pflegestützpunkte sollen den Pflege- bedürftigen und ihren Angehörigen unnötige Wege zu unterschiedlichen Ansprechpartnern ersparen, indem sie dort Informationen über erforderliche Hilfen und Unterstützungsleis- tungen möglichst aus einer Hand erhalten. Sie tragen dadurch auch zu einer besseren Ver- netzung von wohnortnahen Auskunfts-, Bera- tungs-, Koordinierungs- und Leistungsangebo- ten rund um die Pflege-, Versorgungs- und Be- treuungsbedürfnissen der Menschen bei. Um den Bedürfnissen einer zunehmend äl- teren Bevölkerung bei insgesamt abnehmender Bevölkerungszahl Rechnung tragen zu können, wurde in der Kreisverwaltung eine umfangrei- che Altenhilfeplanung in Angriff genommen, die über Aussagen über die erforderlichen Pflege- plätze weit hinausgeht. Eine erste Bestandsauf- nahme, wie sich der demografische Wandel auf die einzelnen Städte und Gemeinden auswirkt, liegt bereits vor. Es kommt nun darauf an, Wege aufzuzeigen, wie durch bauliche und technische Maßnahmen, aber auch zwischenmenschliche Der Ausbau der Kreisstraße zwischen Hexenloch und Neukirch war mit einem Gesamtvolumen von ca. vier Millionen Euro eines der großen Investi- tionsprojekte im Landkreis.

­­­­­13 Aus dem Kreisgeschehen Netzwerke, die älteren Menschen auch bei ge- wissen Beeinträchtigungen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Atomendlager: Alle Standorte werden mit gleicher Intensität untersucht Als Dauerthemen waren auch 2010 die Flug- lärmbelastung durch den Flughafen Zürich und das an der deutsch-schweizer Grenze geplante AtomendlagerBenken.ÜberdasgeplanteAtom- endlager in der Schweiz wurde im Almanach 2010 ausführlich berichtet. Der Ausschuss der Kantone, der das Verfahren als Vertreter der be- troffenen Kantone kritisch begleitet und in dem der Schwarzwald-Baar- Kreis als Gast vertreten ist, hat zwischenzeit- lich beschlossen, alle potentiell geeigneten Standorte mit gleicher Intensität wie den Standort Benken zu untersuchen und offe- ne Fragen abzuklären. Für die Gemeinden in einem Umkreis von 5 km um die geplanten Anlagen für das Atomend- lager und Gemeinden, die daran angrenzen, wird nun ein aufwändiges Beteiligungs- bzw. Partizi- pationsverfahren eingeleitet. Obwohl keine Ge- meinde im Schwarzwald-Baar-Kreis in diesem Bereich liegt, konnte erreicht werden, dass ein Ver­ treter aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis an den Partizipationsverfahren der Standorte „Ben- ken“ und „Südranden“ teilnehmen kann. Damit wurde unsere Forderung einer angemessenen Beteilung am Auswahlverfahren weitgehend er­ füllt. Dies hat aber natürlich noch keinen Ein- fluss auf die geplanten Standorte. Fluglärm: Urteil des EU-Gerichts ist ein wichtiger Etappensieg Bei den Fluglärmbelastungen durch den Flugha­ fen Zürich gab es einige politische Irritationen. So musste der Verkehrsminister persönlich klar- stellen, dass auch für den von der schweizer Flugsicherung kontrollierten deutschen Luft- raum deutsches Recht gilt, nachdem aus seinem Ministerium dazu widersprüchliche Aus­­ sagen kamen. Nachdem nun der Schlussbericht zum SIL- Verfahren in der Schweiz, in dem verschiede- ne Verfahren zur Entwicklung des Flughafens untersucht wurden, abgeschlossen ist und es um die Entscheidung geht, welche Variante weiterverfolgt werden soll, wird deutlich, dass die Schweiz in intensiven Gesprächen auf allen Ebenen versucht, die deutsche Verordnung zur Begrenzung des Flugverkehrs aufzuweichen, um die von ihnen bevorzugte Variante einer weitgehenden Nordausrichtung des Flugver- kehrs festschreiben zu können. Umso wichtiger ist die Klarstellung von Herrn Ministerpräsident Mappus, dass das Land Baden-Württemberg nach wie vor unsere Position vertritt und wir im Schulterschluss mit dem Land und hoffentlich auch dem Bund gegenüber der Schweiz deut- lich machen, welche Lasten wir bereit sind mit- zutragen und welche nicht. Ein wichtiger Etappensieg zu einer gerech- ten Lastenverteilung wurde durch ein Urteil des EU-Gerichts in Luxemburg erreicht. Das Gericht wies die Klage der Schweiz gegen die deutsche Verordnung ab und stellte klar, dass die Be- schränkung des Flugverkehrs in dieser Verord- nung zu keiner Diskriminierung des Flughafens Zürich führt. Damit ist klargestellt, dass diese Verordnung nicht nur deutschem, sondern auch europäischem Recht entspricht. Startschuss für das RADPARADIES Herausragende Ereignisse im Jahr 2010 waren der offizielle Startschuss für das RADPARADIES Schwarzwald und Alb und damit die Umsetzung unseres Radtourismus-Konzepts gemeinsam mit dem Landkreis Rottweil, sowie vor allem die Landesgartenschau in Villingen-Schwennin­ gen, an der sich der Landkreis mit einem viel be- achteten Beitrag beteiligte. Zu beiden The­­ men gibt es in diesem Almanach besondere Beiträ- ge, die Landesgartenschau ist ein Schwerpunkt (ab Seite 124). Karl Heim Fluglärm und Atomendlager Benken sind Dauerthemen der aktuellen Kreispolitik

­­­­­14 Aus dem Kreisgeschehen Lebhaft murmelnd plätschert frisches, klares Wasser über moosiggrünen Waldboden, Sonnenstrah­ len fallen durchs dichte Blätterdach des Waldes, brin­­­ gen die kühle Flut zum Leuchten: die Quelle der Schiltach, eine der vielen Quellen, die im Schwarzwald-Baar-Kreis ent­­ springen, hat sich ein stilles Plätzchen für ihren Weg ins Freie ausgesucht. Standesbewusst, elegant und selbstsicher hingegen präsentiert sich die historische Donauquelle im Schlosspark zu Donaueschingen. Spru­­ delt die eine zurückgezogen und bescheiden empor, so dringt die andere machtvoll und voller Lebenslust ans Licht. Diese beiden bilden gemeinsam mit den Quellen von Breg, Brigach, Elz, Gutach und Neckar das quirlige Septett, das ‚Inspirationsquelle’ für die neue Imagekampagne des Schwarzwald-Baar-Kreises war. Jede der sieben hat ihren ganz eigenen Charakter – al- le zusammen aber stehen für etwas Besonderes, Un- verwechselbares – für den Quellenlandkreis Schwarz- wald-Baar. Historische Donauquelle in Donaueschingen. ­­­­­14

­­­­­15 ­­­­­15 Vom Schwarzwald-Baar-Kreis zum Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar | von Julia Weiss Die Quelle der Schiltach entspringt in malerischer Idylle in einem Waldstück bei Langenschiltach. Innovations-, Wirtschafts-, Bildungs-, Wohlfühl- oder Glücks- quellen – der Landkreis braucht Strategien für seine Zukunft

Aus dem Kreisgeschehen ­­­­­16 Naturquellen – Frühlingswiese bei Neukirch. Bildungsquellen – Gewerbeschule VS-Schwenningen. Wozu braucht ein Landkreis überhaupt eine Imagekampagne, mag manch einer fragen. Müs- sen wir uns nicht um (vermeintlich) echte Proble- me kümmern? Um den Krankenhausneu­ bau, um die Ausstattung unserer Schulen und die Quali- tät unserer Straßen und unseres Nahverkehrs? Ohne Frage muss sich unser Landkreis heute und auch in Zukunft dieser Themen sehr intensiv annehmen – und dazu auch der Frage, wer denn in Zukunft bei uns in die Schule gehen wird, für wen noch Krankenhausbetten gebraucht werden und für wen Busse und Bahnen fahren sollen. Deutschland schrumpft – und was geschieht im Schwarzwald-Baar-Kreis? Deutschland schrumpft – auf diesen platten Nenner lässt sich das Thema „demographische Entwicklung“ bringen, aber was heißt das ei­ gent­ lich genau? Welche Auswirkungen hat die demographische Entwicklung auf den Schwarz- wald-Baar-Kreis? Eine differenzierte Auseinan- dersetzung mit diesem Themenkomplex ist an dieser Stelle nicht möglich, aber, vereinfacht gesagt: Die Einwohnerzahl geht schon seit Jah- ren, in einigen Städten und Gemeinden sogar sehr deutlich, zurück – und gleichzeitig steigt der Altersdurchschnitt bei der verbleibenden Bevölkerung weiter an. Es ist noch gar nicht lange her, da gingen die Statistiker noch davon aus, dass wir noch mehr Schulen und Wohngebiete brauchen, da die Bevölkerung weiter wachsen werde. Sehr deutlich wird das beim Vergleich einfacher Daten. Zum Jahresende 2009 lebten rd. 208.000 Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Im Jahr 2003 waren es immerhin noch rd. 212.000 Ein- wohner. Dabei prognostizierte das Statistische Landesamt Baden-Württemberg vor gerade ein- Kulturquellen – Donaueschinger Musiktage.

Innovationsquellen – Produktion von Solarzellen. mal zehn Jahren, dass unser Kreis im Jahr 2020 an die 219.000 Einwohner haben werde! Inzwi- schen ist diese Prognose auf 200.000 Menschen zu­ rückgenommen worden (bzw. 203.000 Men- schen, wenn man Wanderungsbewegungen ein­­ rechnet). Für das Jahr 2030 geht man sogar nur noch von 190.000 Personen (mit Wanderungs- bewegungen immerhin noch 197.000 Per­­ sonen) aus. Die Differenz erreicht je nach zugrundege- legter Prognose eine Höhe, die der Einwohner- zahl der Stadt Donaueschingen entspricht. Bevölkerungsrückgang heißt auch weniger engagierte Bürger In diesen dürren Zahlen steckt erheblicher kom­ mu­ nalpolitischer Sprengstoff, denn Bevöl­ ke­­­­­­­rungsrückgang heißt z.B. auch: weniger en­­­­ gagierte Bürger, sinkende Schülerzahlen, weni- ger Arbeitskräfte, vor allem weniger Fachkräfte. Es ist nicht utopisch anzunehmen, dass Betriebe schließen, Schulen zusammengelegt und Bus- linien ausgedünnt werden – weil die Men- schen fehlen. In einigen Landkreisen im Osten Deutschlands ist das heute schon Realität. Landkreise haben, so heißt es in der „Land- kreisordnung“, der gesetzlichen Basis für Land- kreise und Landratsämter in Baden-Württemberg, das Wohl ihrer Einwohner zu fördern. Zu den ge- setzlichen Aufgaben eines Landkreises gehört damit auch im weitesten Sinne die Daseinsvor- sorge, soweit sie nicht von den einzelnen Städ- ten und Gemeinden im Landkreis geleistet wird oder werden kann. Nach modernem Verständ- nis ist die aktive Vermarktung des Landkreises im bundesweiten Standort-Wettbewerb natür- licher Bestandteil seines Aufgabenspektrums. Selbstverständlich haben ein breit aufge­ stelltes Bildungswesen, ein hochmoder­ nes Kran­­ Erholungsquellen – Spa-Erlebnisse. Gesundheitsquellen – im Bad Dürrheimer Solemar. ­­­­­17

­­­­­18 Aus dem Kreisgeschehen Quellenland – Neckarursprung im Schwenninger Moos. Studienquellen – Hochschule Furtwangen University. kenhaus oder die reibungslos funk­­tio­nie­rende Abfallbeseitigung im Katalog der Kreisaufga- ben erste Priorität – aber auch bei Landkrei- sen gilt: „Klappern gehört zum Handwerk“! Der Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar ist in vielerlei Hinsicht ein ausgesprochen attraktiver Standort. Das aber bekanntzumachen, bei den eigenen Einwohnern und der heimischen Wirt- schaft – und darüber hinaus überregional das In­­ teresse für den Quellenlandkreis zu wecken, das ist eben auch Sache des Landkreises. Es ist nicht nur wichtig, dass gut ausgestattete Schul- gebäude, ein familienfreundliches Umfeld oder ein attraktives Nahverkehrsangebot von der eigenen Bevölkerung wahrgenommen und ge- schätzt werden – gleichzeitig sind das auch die Pfunde, mit denen wir als Landkreis um neue Mitbürgerinnen und Mitbürger werben können. Uns ist es auch ein Anliegen, jungen Menschen aus dem Kreisgebiet, die z.B. zum Studieren in große Universitätsstädte gezogen sind, aufzu- zeigen, dass ihr Heimatlandkreis für den Start ins Leben durchaus allerhand zu bieten hat: hochqualifizierte Arbeitsplätze, familienfreund- liche Rahmenbedingungen und dazu noch eine intakte Umwelt. Gute Gründe für eine eigene Imagekampagne nach innen und nach außen. Eine schöne Landschaft allein kann das wirtschaftliche Überleben nicht sichern Städte und Gemeinden, Landkreise und Re­ gi­ o­ nen stehen schon immer miteinander im Wett­­ bewerb – gesundes Klima und schöne Land­ schaft allein sind für das wirtschaftliche Überle- ben einer Region nicht genug. Schon im Mittel- alter zogen Menschen nach Möglichkeit in die Städte, um für sich und ihre Familien ein bes- seres Auskommen zu finden. „Stadtluft macht frei“, hieß es damals. Und heute ? Ein Landkreis braucht aktive Menschen, die sich in den Städ- ten und Gemeinden engagieren, Kinder, die hier die Schulen besuchen, Mütter und Väter, die in den ansässigen Betrieben qualifizierte und sichere Arbeitsplätze haben, eben einen ausge- wogenen Querschnitt durch alle Generationen. Der demographische Wandel der letzten Jahrzehnte hat aber vor unserem Landkreis – wie vor vielen anderen Kreisen – nicht Halt gemacht. Schon jetzt steht der Schwarzwald- Baar-Kreis in der Liste der „ältesten“ Kreise in Baden-Württemberg mit einem durchschnitt- lichen Lebensalter von 43,5 Jahren nach dem Stadtkreis Baden-Baden an zweiter Stelle. Uns fehlen zunehmend Menschen, die mitten im Berufsleben stehen, und es werden bald die Kinder in den Kindergärten und den Schulen fehlen. In Pflegeheimen, in der Feuerwehr und in den Vereinen wird der Mangel an Qualifizier- ten und Engagierten häufig schon jetzt beklagt. Der Landkreis und seine 20 Städte und Ge- meinden setzen sich seit geraumer Zeit mit dem demographischen Wandel, also mit dem allgemeinen Bevölkerungsrückgang, mit dem Anstieg des Durchschnittsalters und deren Fol- gen auseinander. Um Vorschläge, Kräfte und Initiativen zu bündeln, veranstaltete der Kreis- tag 2007 eine professionell angeleitete Klau- surtagung. Aus der Ideenfülle von vier Arbeits- gruppen entstanden ein Zukunftsprogramm und ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, um den Landkreis im Wettbewerb der Regionen und Krei­ se konkurrenzfähig zu machen. NachdemderKreistagimJuli2008beide Vor- lagen verabschiedet hatte, brachte die Kreis- ­­­­­18

Aus dem Kreisgeschehen ­­­­­19 Freizeitquellen – Tor zum Westweg bei Schonach. Familienquellen – Spielscheune in Unterkirnach. verwaltung im vergangenen Jahr als Teil des Maßnahmenkonzeptes eine Imagekampagne unter der Überschrift „Schwarzwald-Baar: Das Quellenland“ auf den Weg. Bisher war der Land- kreis mit seinem traditionellen Wappen und seinem bekannten Logo öffentlich aufgetre­ ten. Auf Briefbögen, Broschüren und dem Kreisjahr- buch, dem Almanach, ist traditionell dieses historische Wappen zu finden, meist ergänzt durch in abgestuftem Grün skizzierte Tannen und einen sonnengelben Bogen, Symbole für Schwarzwald und Baar. Die vielen und bedeutenden Quellflüsse sind ein Alleinstellungsmerkmal Der Name „Quellenland“ entstand aus der Tat- sache, dass die Vielzahl und Bedeutung der Quellen und Quellflüsse in unserem Landkreis ein Alleinstellungsmerkmal sind, das uns von anderen Quellregionen in Deutschland unter- scheidet. Im Quellenland­ kreis Schwarzwald-Baar entspringt die Donau, immerhin zweitlängster Strom Europas nach der Wolga. Der Neckar ist der bedeutendste Zufluss des Rheins. Für Was- serwirtschaftler und Touristiker bilden diese bei­­ den Flusssysteme dort, wo sie aufeinander­ treffen, ein spannendes „Highlight“ – die Zen­­­­ traleuropäische Wasserscheide. Hier, im Ur- sprungsland des bedeutendsten gesamteuro- päischen Flusssystems, hier in unserem Heimat- kreis erreicht die Wasserscheide die höchsten Höhen in ihrem gesamten Verlauf. Der Begriff „Quelle“ ist in unserer Sprache eindeutig positiv besetzt – wir verbinden mit diesem Wort günstige Eigenschaften wie Ur- sprünglichkeit, Reinheit, Frische. Und damit passt dieses Bild natürlich gut zum Schwarz- wald-Baar-Kreis, da hier nicht nur echte Quel- len und eine herrliche Landschaft zu Hause sind, sondern auch Quellen in übertragenem Sinne: Gesundheitsquellen, Innovations- und Bildungsquellen, aber auch Natur- und Glücks- quellen. Das „Quellenland“ stößt auf durchweg positive Resonanz Die ersten Schritte in die Öffentlichkeit – mit verschiedenen Printmedien und einem großen Fest in der Villinger Fußgängerzone – brachten eine recht gute Resonanz bei unserer heimi- schen Bevölkerung – denn die Imagekampag- ne soll Menschen innerhalb und außerhalb der Landkreisgrenzen ansprechen. Vor dem Schritt in die Vermarktung des Landkreises „außer- halb“ war es aber unumgänglich, die bisheri- gen Überlegungen zu überprüfen und die Maß- nahmen und die Strategie ggfs. anzupassen. Das Wappen (oben links) und die früheren Logos des Schwarzwald-Baar-Kreises.

­­­­­20 Aus dem Kreisgeschehen Beim Hirzbauernhof, wo die Brigach entspringt. An der Elzquelle bei Furtwangen. Wichtig dabei war die Überlegung, dass mehrere Logos und Marken nebeneinander in der Wahr- nehmung für Verwirrung sorgen können: Aus „Schwarzwald-Baar: Das Quellenland“ wurde so der „Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar“ entwickelt. Was sich einfach liest und anhört, ist aber aus Marketing-Sicht sinnvoll und wich- tig: Unser Name ist eine Marke – wie z. B. in der Automobil- und Kosmetikindustrie seit langem üblich. Der Name transportiert ein Bild, das sich im Kopf dessen, der den Namen hört oder liest, festsetzt. Deswegen müssen Marken ein- fach und klar sein. Gute Marken strahlen ein in sich geschlossenes, überzeugendes Bild aus. Damit entsteht Konditionierung bei Lesern und Betrachtern – und genau dadurch entwickelt die Marke ihre Kraft und es beginnt die Wert- schöpfung. Der Landkreis hat seine ersten Schritte zum „Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar“ in­­­­­­­­ zwischen getan – ein Markenbüchlein erläu- tert das neue Erscheinungsbild anhand eini- ger Beispiele. Die Kreisbroschüre, bisher „Der Schwarzwald-Baar-Kreis informiert“, wurde zum Magazin „Der Landkreis im Fokus“, weitere Me­­­­­­dien stehen kurz vor der Umstellung. Der neue Internet-Auftritt des Schwarzwald-Baar- Kreises unter www.quellenlandkreis.de zeigt jetzt neben dem Dienstleis­ tungsspektrum der Kreisverwaltung am Bei­­ spiel von sechs großen Themenbereichen die Stärken unserer Heimat: Wer Informationen zu Wirtschaft, Tourismus, Familie, Kultur, Bildung oder Gesundheit sucht, findet sie auf einen Blick – Seite für Seite the- matisch aufbereitet. Bei alledem ist wichtig, dass die Kreisverwal- tung in allen Bereichen einheitlich nach außen auftritt – nur so können alle ihre Aufgaben und Leistungen auch auf einen Blick dem Landkreis zugeordnet werden. Mit einem einheitlichen Er- scheinungsbild sind wir unverwechselbar der „Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar“. Bis Ende 2010 sollen alle werbewirksamen Me­ dien des Landkreises auf das neue Logo und das neue Erscheinungsbild umgestellt sein. Die Städte und Gemeinden im Kreisgebiet präsentieren ihre Vorzüge traditio­ nell selbst in vielfacher Weise auf den unterschiedlichsten Ebenen, vor allem in den Bereichen Tourismus, Kultur und Wirtschaft. Die Highlights unserer Der neue Internetauftritt ist unter der Adresse www.quellenlandkreis.de zu erreichen. Zum neuen Er­­scheinungsbild gehört auch der über- arbeitete Wappenschild – gute Marken strahlen ein in sich geschlos- senes, überzeugendes Bild aus.

­­­­­21 Aus dem Kreisgeschehen Gutachquelle – der Fluss im Triberger Granit. Bregquelle – längster Quellfluss der Donau. Gemeinden – mit den Stärken des Landkrei- ses zum Informationspaket geschnürt – stellen ein hervorragendes Werbepotential dar. Daher stellt der Landkreis seine Stärken überwiegend nicht direkt auf überregionalen Messen vor, sondern stellt seine Materialien den Gemein- den, aber auch Betrieben, die weit über unse- ren Kreis hinaus nach qualifizierten Fachleuten suchen, und bedeutenden Organisationen wie der IHK, der Handwerkskammer oder der Agen- tur für Arbeit für deren Tätigkeit ergänzend zur Verfügung. Im kommenden Jahr müssen weitere Schrit- te folgen, um die bisherigen Schritte zu verstär- ken: z. B. eine gezielte ganzjährige Kampagne zur Verfestigung des neuen Erscheinungsbildes in der Bevölkerung und der heimischen Wirt- schaft. Mit dem „Quellenlandkreis Schwarzwald- Baar“ befinden wir uns auf einem guten Weg in die Zukunft – in einer Zeit stetigen Wandels lassen sich Veränderungen nicht aufhalten. Der Quellenlandkreis hat aber eine realistische Chance, seine Zukunft aktiv mitzugestalten – das Bild der unerschöpflich sprudelnden Quel- len wird ihn auf diesem Weg begleiten. Schwarzwald-Baar-Kreis – Quellenlandkreis, eine Lebens- und Zukunftsquelle für mehr als 208.000 Menschen. Die „Kunst am Bau“ des Landratsamtes steht als ein Symbol dafür.

Städte und Gemeinden Dauchingen – das „soziale Dorf“ Das Integrationskonzept der Gemeinde hat für den ländlichen Raum Modellcharakter Dauchingen gestern und heute: Die Baukräne auf dem Bild oben zeigen, wie sehr die Gemeinde als Wohnort gefragt ist. Das beschauliche Dorf hat sich zu einer lebendigen Gemeinde entwickelt, die knapp 3.800 Einwohner zählt. 2. Kapitel Städte und Gemeinden

Städte und Gemeinden ­­­­­23 Dauchingen – gut 1.000 Hektar klein, 730 Meter über Meeresniveau in einer Baar- hochmulde gelegen, ist von der Kreisstadt Villingen-Schwenningen gerade vier, von Niedereschach fünf und von Trossingen nur sechs Kilometer entfernt. Der Ort liegt überaus zentral – vor allem direkt an der Autobahn 81. Die Hauptstraße führt an der Freiwilligen Feuerwehr vorbei zu Rathaus und Kirche; links und rechts kleine Läden, eine Bushaltestelle. Der öffentliche Nahverkehr ist wichtig für die Dauchinger. Viele nutzen ihn, um zur Arbeit in die nächst größere Stadt zu fahren und um abends zu- rückzukehren. Leben nämlich wollen sie hier unbedingt – in einem Ort, in dem jeder jeden kennt, in dem die Musikkapelle spielt, wann immer es etwas zu feiern gibt. Mit dem Ende der Landwirtschaft war in Dauchingen auch eine neue Flächennutzung möglich, hier ein Luftbild aus den 1930er-Jahren.

­­­­­24 Städte und Gemeinden Ein Dorf, dessen Entstehen niemals vollständig übermit- telt wurde und von dessen Geschichte kaum etwas er- halten ist, kann seine Iden- tität nicht auf Geschichte gründen: Es braucht Men- schen, die ihm ein Gesicht geben, die die Gemeinde zur Gemeinschaft machen und da- für sorgen, dass etwas entsteht, das für Jung und Alt gleichermaßen Heimat sein kann. Das Miteinander über Gene- rationsgrenzen hinweg macht Dauchingen be- sonders; die Integration betagter und hilfsbe- dürftiger Menschen hat Modellcharakter – vor allem für den ländlichen Raum. Die Industrie bringt Arbeit Die Zeiten, in denen die Männer und Frauen aufs Feld gingen und von der Böden Früchte lebten, sind lange vorüber. Obwohl Dauchin- gen noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg bäu- erlich geprägt war, zog es die Menschen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ins benachbar- te Schwenningen, um in den neu entstandenen Industriebetrieben Lohn und Brot zu verdienen. Die Bedeutung des Oberzentrums Villingen- Schwenningen, dessen Verwaltungsgemeinschaft die Gemeinde angehört, ist bis heute spürbar. Gleichwohl entwickelte sich ab den 1950er- Jahren – bedingt durch den wirtschaftlichen Aufschwung und das günstige Bauland – im Ort eine eigene Industrie. Handwerks- und Gewer- bebetriebe ließen sich nieder, Arbeitsplätze wur- den geschaffen. Aus dem einstigen Stra- ßendorf, das 1094 erstmals urkundlich erwähnt wurde, dessen Wurzeln – so lassen es Münzfunde im Gewann Riesenburg aus den Jahren 88 bis 138 n. Chr. vermuten – noch weiter zurückrei­chen, ist eine Kommune ent­­ standen, deren agrarische Vergangen- heit nur noch an einzelnen Höfen abzulesen ist. Wie überall im Land sind Handel und Dienstleistungen zum beherr- schenden Wirtschaftssektor geworden. Ein Trend, den man in Dauchingen rechtzei­ tig erkannt hat. Um Investoren anzulocken, wur­ den neue Flächen ausgewiesen, auf denen Produktionsstätten und Zulieferbetriebe ent- standen. Mit der Erschließung des Gewerbe- gebiets „Riesenburg“ in den Jahren 2002/2003 eröffnete unter anderem ein großer Lebensmit- teldiscounter, der die Versorgung der Bevölke- rung sichert. Die reizvolle Lage zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb und die kontinuierliche Verbesserung der Infrastruktur haben dazu bei- getragen, dass Dauchingen in den letzten vier Jahrzehnten erheblich gewachsen ist. Seit 1965 hat sich die Zahl der Einwohner von 1.387 auf knapp 3.800 erhöht. Rund 900 Personen arbei- ten in ortsansässigen Betrieben. Dank der guten Betreuungssituation in Dauchingen, haben auch Frauen die Möglich- keit, Beruf und Familie zu vereinen. Schon für die Kleinsten ab zwei Monaten stehen in zwei Gruppen 20 Plätze zur Verfügung. An der Basis wird konkret, was in der Politik ständig disku- tiert wird. Dauchinger-Bilderbogen – links: Das Pfarrhaus und Rathaus in den 1920er-Jahren. Der Speicher des eins- tigen Gasthaus „Löwen“ (Mitte) und das alte Vogtshaus erinnern an die bäuerliche Vergangenheit.

­­­­­25 Dauchingen – das „soziale Dorf“ Gestalten statt verwalten Erwerbsmöglichkeiten zu erhalten ist eine we- sentliche Voraussetzung, um die Landflucht, wie sie in anderen Regionen vielfach zu be- kla­ gen ist, zu verhindern. Doch das begrenzte lokale Stellenangebot reicht nicht, dass Dau- chingen für alle eine lebenswerte Gemeinde ist. Auch Sehenswürdigkeiten, wie die um 1290 entstandene Dauchinger Madonna – eine der bedeutendsten spätromanischen Madonnen des Landes – vermögen einem Dorf keinen Cha- rakter zu geben. Die Mariengestalt, die in der katholischen Kirche St. Cäcilia beheimatet ist, kann Besucher anlocken, aber keine Gemein- schaft bilden. Entscheidend sind die Bürger. Sie müssen Vorhandenes nutzen und Neues schaffen, um den Ort mit Leben zu füllen. Die Bereitschaft, zeitlich befristet an einem Pro- jekt mitzuwirken, so hat es der Präsident des Städtetages Baden-Württemberg und Ulmer Oberbürgermeister, Ivo Gönner, einmal festge­ stellt, sei weit verbreitet; sich über Jahre und Jahrzehnte zu engagieren, dagegen beinahe exotisch. Eben diese Beharrlichkeit ist es aber, die die Menschen in Dauchingen ausmacht. Anton Bruder ist seit 18 Jahren Bürgermeis- ter und folgt seither einem einfachen Grund- satz: gestalten statt verwalten. Mit dieser Ma- xime hat der 60-Jährige vieles bewegt. Bereits in den ersten Jahren seiner Amtszeit stellte er durch ein Konzept zur ökologischen Gemeinde- entwicklung die Weichen für die Zukunft. Für Bruder war klar, dass ein Ort, dessen Wurzeln die Landwirtschaft sind, der Erhaltung natür- licher Lebensgrundlagen und dem Schutz der Ressourcen Wasser, Boden und Luft in beson- derer Weise verpflichtet ist. Deshalb müssen Käufer eines Grundstücks im Neubaugebiet ei- nige Forderungen erfüllen – Regenwasser sam- meln, Sonnenenergie nutzen und Flachdächer von Nebengebäuden begrünen. Die Kommune In Rot ein linksgewendeter goldener Lö- we mit einer gestürzten silbernen Pflug- schar zwischen den Vorderpranken. Dauchingen gehörte zum Gebiet der Reichsstadt Rottweil und kam durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 an Württemberg, das die Gemeinde in dem Staats- vertrag am 2. Oktober 1810 an das Großherzog- tum Baden abtrat. Die Verordnung vom 15. No- vember 1810 unterstellte Dauchingen dem Amt Villingen. Das Huldigungsprotokoll vom 16. Au- gust 1811 ist mit einem ovalen Prägesiegel ver- sehen. Es zeigt das damals geltende badische Staatswappen: Im schräglinks geteilten Feld obeneinSchrägbalken,unteneinLöwe. Die Unterschrift lautet VOGTEI DAU- CHINGEN. Seit der Mitte des 19. Jahr- hunderts verwendete die Gemeinde einen ovalen Farbstempel. Er zeigt im Wappenschild einen linksgewendeten Löwen, der in den Vorderpranken den GroßbuchstabenDhält.DasBilddesLöwengeht vermutlich zurück auf das 1811 gebrauchte Prä- gesiegel, das einem Stempelschneider als Vor- bild diente, wie es wohl auch bei Dürrheim der Fall war. Für Dauchingen wurde als Unterschei- dungsmerkmal ein D (= Dauchingen) beigefügt. Das Wappen von Dauchingen Die Dauchinger Madonna, entstanden um das Jahr 1290, ist in der katholischen Kirche zu finden.

Städte und Gemeinden

­­­­­27 betreibt Renaturierungsmaßnahmen, fördert den öffentlichen Nahverkehr und informiert ihre Bürger regelmäßig mit Öko-Tipps im Ge- meindeblatt, um ein Bewusstsein für Umwelt- themen zu schaffen. Für diese auf Nachhal- tigkeit ausgelegte Grundausrichtung wurde Dau­­chingen 1996 zur ökologischen Modellge­ meinde des Landes Baden-Württemberg er- nannt und im Jahr 2000 mit dem Umweltpreis ausgezeichnet. Durch die Symbi­ ose aus historischer Bau­ sub­ stanz und neuen, mo­­dernen Gebäuden wur­­­­­de der Ort von in- nen heraus gestärkt. In Dauchingen herrscht seit einiger Zeit ein Flair, das bei aller Gewöhnlichkeit, bei aller Normalität des ländlichen Raumes die Verände- rung spürbar macht. Aus der Straßensiedlung war eine Kommune geworden, aus ihr wächst nun das, was Anton Bruder das „soziale Dorf“ nennt. Um die Menschen für ein solidarisches, ge- nerationenübergreifendes, bürgerschaftliches En­­ gagement zu gewinnen, wurde im Jahr 2008 der „Bürgerverein Lebenskreis Dauchingen“ gegründet. Dessen Ziel ist es, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich am sozialen Le- ben im Ort zu beteiligen und zugleich eine Brü- cke zwischen den Generationen zu schlagen, die integrative Kräfte entfaltet. Bürgerzentrum „Farrenstall“ Dieses Miteinander kann man im Bürgerzen- trum Farrenstall an der Vorderen Straße am besten beobachten. Unter dem Motto „Alt hilft Jung“ gibt der pensionierte Lehrer und erste Vorsitzende des Bürgervereins, Dr. Günther Reinelt, jeden Montag kostenlose Mathematik- Nachhilfe für Schüler aller Altersgruppen. Sei- ne Frau Elfrun bietet dienstags „Hilfe für Haupt- schüler“ aller Klassen in allen Fächern an. Zum Seniorennachmittag kommen allwöchentlich 20 bis 40 Personen. „Der Farrenstall ist zu einer festen Größe in unserer Gemeinde geworden. Er ist ein Bürgerzentrum im besten Sinne des Wortes“, sagt Bruder. Ob der großen Bedeu- tung wird das Angebot der Einrichtung regel- mäßig überarbeitet und erweitert. Seit 2010 be- findet sich in den Räumen auch ein Internetca- fé, in dem zweimal pro Woche Computerkurse zu verschiedenen Themen angeboten werden – ehrenamtlich organisiert von Dauchingern für Dauchinger. Das Bemühen, das Miteinander der Men- schen in einem Ort zu pflegen und zu fördern ist eine Sache, die Fähigkeit, sie in der Gemein- schaft zu halten, eine andere. Gerade kleine Kommunen in ländlichen Gegenden sind mit einem weitgehend ungelösten Problem kon- frontiert: Wenn ihre Einwohner älter werden und sich nicht mehr selbst versorgen können, fehlt es an Betreuungsmöglichkeiten, zumal Dauchingen – das „soziale Dorf“ Aus dem einstigen Gasthaus „Löwen“ hat die Gemeinde ein neuartiges Konzept des Betreuten Wohnens entwickelt und 3,4 Mio. Euro investiert. Rechts: Die erweiterte Rückseite des Farrenstalls. Oben: Das 1907 erbaute Dauchinger Rathaus mit Bürk-Uhr. Unten: Der Farrenstall ist ein Bürgerzen­ trum im besten Sinne des Wortes. Bürgermeister Anton Bruder

­­­­­28 Städte und Gemeinden

­­­­­29 Pflegeheime für kleine Kommunen meist nicht finanzierbar sind. Die Folgen sind weitreichend und tragisch: Allzu oft müssen Menschen, die Jahrzehnte lang in einer Gemeinde gelebt ha- ben, in der letzten Lebensphase von ihren An- gehörigen in eine Pflegeeinrichtung einer grö- ßeren Stadt gebracht werden, wo sie, fernab von Familie und Freunden, versorgt werden. Das wollte Anton Bruder nicht länger hin- nehmen. „Es ist doch bekannt, dass man Men- schen im hohen Alter nicht mehr verpflanzen soll. Deshalb haben wir 3,4 Millionen Euro in- vestiert und mit dem ‚Löwen’ ein völlig neues Konzept des Betreuten Wohnens geschaffen, das in dieser Form einmalig im Schwarzwald- Baar-Kreis ist. Die Anlage, die wir ohne jeden Zuschuss gebaut haben und die nun von der Gemeinde betrieben wird, ermöglicht es den Bewohnern, die auf Hilfe angewiesen sind, wei- terhin am kommunalen Leben teilzuhaben. Im Vordergrund steht nicht das Defizit der Men- schen, sondern das Bemühen, mit aller gebo- tenen Unterstützung, einen gelingenden Alltag herzustellen.“ Zwölf Appartements ambulant betreut In der Ortsmitte – in unmittelbarer Nähe zu Ge- schäften, Banken, Arztpraxen – sind 14 barrie- refreie Wohnungen mit 24-Stunden-Rufbereit- schaft für eigenständiges betreutes Wohnen entstanden. Die 48 bis 65 Quadratmeter großen Einheiten, jede mit Balkon, sind mit einer Kü- che ausgestattet, sodass sich die Mieter selbst versorgen können. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, bei Bedarf unterstützende Leistun- gen – wie beispielsweise ein Mittagessen oder die Hilfe im Haushalt – gegen Bezahlung in An- spruch zu nehmen. Für Personen, die auf eine umfassende Be- treuung angewiesen sind, stehen im selben Ge- bäude zwölf Appartements in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft zur Verfügung. Sie wird von der Katholischen Sozialstation und der Evangelischen Diakonie gemeinsam versorgt. Zusätzlich kümmern sich so genann- te Alltagsbegleiter um die Bewohner. Das sind Personen, die – anders als examinierte Alten- pfleger – nicht über eine mehrjährige Ausbil- dung verfügen, sondern in einem Intensivlehr- gang auf die Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen – etwa beim Verbandswechsel oder der Körperpflege – vorbereitet worden sind. Als Teil eines ganzheitlichen Versorgungskon- zeptes verbessern sie die Betreuungssituation der Senioren, ohne die Kosten exorbitant in die Höhe zu treiben. Die dritte Säule des beispielhaften Integra- tionsprojektes bilden Inge Ulrich und Christian Fett vom Caritasverband für den Schwarzwald- Baar-Kreis. Die beiden „Moderatoren“ stehen den Bewohnern als Ansprechpartner zur Ver- fügung und helfen ihnen, all das zu organisie- ren, was sie für einen selbstbestimmten Alltag benötigen. Der Bürgerverein schließlich berät die Senioren in sozialen Fragen, wirkt bei der Freizeitgestaltung im „Löwen“ mit und sorgt dafür, dass jeder nach seinen Möglichkeiten an den Aktivitäten in Dauchingen teilhaben kann – mitten im Ort, mitten im Leben. Philipp Jauch Dauchingen – das „soziale Dorf“ ­­­­­29 Dauchingen hat sich enorm entwickelt, heute leben hier rund 3.800 Menschen. Das Luftbild zeigt die große Zahl an Neubauten im Ortsbild. Unten: Zur Sicherung der Grundversorgung dient auch das Geschäftszentrum mit Seniorenwohnan- lage an der Schwenninger Straße. Ein wertvolles Stück Natur mitten im Ort ist die Streuobstwiese hinter dem Rathaus.

­­­­­30 Städte und Gemeinden Wer nach Tuningen kommt, sieht schon von weitem den hohen Schornstein mit seiner „Wet- terfahne“, einer Rauchsäule, die zuverlässig die Wind- richtung anzeigt. „Manchmal sprechen uns Besucher da­ rauf an und vermuten hier irrtümlich eine Müllverbren- nungsanlage“, so die Rat­­­­­haus- Mitarbeiterin Inge Bartmann. Da­­­­­bei zeigt der Schornstein des Liapor-Werkes nur an, dass hier ge- arbeitet wird – es werden Blähton-Kügelchen für Hydrokultur-Pflanzen oder zur Wärmedäm- mung aus dem Lehmboden gebrannt, auf dem Tuningen steht. Der Ton in den tieferen Erd- schichten ist rund 180 Millio- nen Jahre alt, der Ort bringt es nicht ganz auf so ein stolzes Alter, obwohl Spuren erster Besiedlung schon sehr lan- ge zurückreichen. Aus neun Höfen wurde die Siedlung gegründet, später schmieg- ten sich in dem Haufendorf viele kleinere Häuser dazwi- schen. Tuningen, am 30. Juli 797 in einer Urkunde als Dainingas erstmals erwähnt und zwischenzeitlich mit 32 ande- ren Namen bedacht, entwickelte sich rasch zu einer größeren Siedlung, die immer wieder von Schicksalsschlägen gebeutelt wurde. Während des 30-jährigen Krieges halbierte sich die Zahl der Einwohner auf rund 300, die meisten waren vor Truppen aus Villingen geflohen. Tuningen – der Ort mit der „höchsten Wetterfahne“ Die kleine Gemeinde am östlichen Rand des Schwarzwald-Baar-Kreises hat vieles zu bieten – viel mehr als „nur die Deponie“: Eine ­ Geschichte, die weit in die Zeit der Alemannen zurückreicht, modernste Architektur, eine gut funk- tionierende Dorfgemeinschaft, florierendes Vereinsleben, Arbeits- und Ausbil- dungsplätze sowie ein Familienzentrum, das mit seiner Krippe auch Müttern mit Babys die Erwerbstätigkeit ermöglicht. ­­­­­30 Blick auf Tuningen mit der „Wetterfahne“ des ­Lia­­por-Werkes im Hintergrund.

­­­­­31 Tuningen – Ort mit der höchsten Wetterfahne Gut 100 Jahre später lebten wieder rund 1.000 Menschen in Tuningen, aber mittlerweile standen die Gebäude so dicht, dass ein großer Brand 54 Häuser vernichtete. Eine Rinderpest Ende des 18. Jahrhunderts überlebten nur 100 von 900 Kühen und Ochsen, im Sommer 1805 zerstörte ein Hagelsturm die gesamte Ernte. Zwei weitere Feuer wüteten 1841 und 1846, doch sie waren nur ein leiser Vorbote auf den großen Brand von 1960, bei dem innerhalb einer guten Stunde bald jedes zweite Gebäude im Ort zerstört wurde. Beinahe 1.000 Menschen wurden obdachlos, sie verloren Haus und Hof, Ackergeräte und Vieh – ihre gesamte Lebens- grundlage. „Genau am 1. März war der Storch da“ Ereignisse wie diese – und noch viele andere – sind für jeden Besucher in der Ortsmitte vor dem Rathaus zu sehen. Eine Art Maibaum, der zur 1.200-Jahr-Feier errichtet wurde, ist mit Zeittafeln geschmückt, die auf die wichtigs- ten Daten der Ortsgeschichte eingehen. Links vom Rathaus steht die evangelische Micha- elskirche, neben der methodistischen und der katholischen eine von drei Kirchen Tuningens. Auf ihrem treppenförmigen Turm hat sich ein Storchenpaar niedergelassen, zum dritten Mal in Folge nach einer sehr langen Pause. In alten Chroniken gibt es Hinweise, dass schon 1811 in Tuningen Störche genistet ha- ben und dann wieder von 1901 bis etwa Anfang der 30er Jahre. Zur 1.200-Jahr-Feier wurde ein Nest auf den Kirchturm gesetzt, aber Adebar ließ sich elf Jahre Zeit, bevor er sich für dieses Sommerdomizil entschied. Das Nest sieht man allerdings nur, wenn man die Kirche umrundet. Hier, im Kirchgarten, steht die Pastorenfrau im Gemüsebeet unter der mächtigen Kastanie und jätet Unkraut. „Am 1. März war der Storch da“, sagt Marion Pipiorke, „genau 14 Tage später kam die Störchin.“ Auch sie selbst ist mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter erst Anfang des Jahres aus dem Allgäu hergezogen und wurde gleich sehr herzlich willkommen ge- Ein Storchenpaar mit Nachwuchs – der Tuninger Kirchturm trägt ein Storchennest auf seiner Spitze.

­­­­­32 Städte und Gemeinden heißen. „Unsere beiden Vorgänger hatten kein Interesse an dem Garten, so dass er in einem sehr verwilderten Zustand war“, erinnert sie sich lachend, während sie die Erde zwischen den Erdbeerreihen auflockert. „Die Gemeinde sagte: ‚Das schafft Ihr nie‘ und kam zwei, drei Mal, um hier anzupacken. Die haben richtig viel geholfen.“ Eine gute Dorfgemeinschaft So konnte sie schon bald erfahren, was Tunin- gens Bürgermeister Jürgen Roth meint, wenn er auf die Frage, was seinen Ort denn besonders auszeichnet, antwortet: „Die gute Dorfgemein- schaft.“ Auf die ist er stolz, genau wie auf die Bio Powerfarm, die Renaturierung des Sieble­ grabens, wie der Köthenbach im Ort heißt, und das Familienzentrum. „Mon Chérie“ wird der knallrote Bau neben der Schule von den Be- wohnern scherzhaft genannt. 13 fest angestell- te Erzieherinnen sowie zahlreiche Praktikan- tinnen kümmern sich im Familienzentrum um Kinder bereits vom Säuglingsalter an. Kurse, etwa für allein erziehende Mütter, runden das Angebot ab. Die Jugendlichen können drei Mal pro Wo- che und jeden zweiten Samstag im frisch reno- vierten Jugendtreff Kicker oder Dart spielen und Musik hören. Freitags kocht die Erzieherin mit ihnen, sie ist eigentlich bei Mutpol in Tuttlin- ­­­­­32 Tuninger Impressionen: im Pfarrhaus-Garten, Schrebergartenanlage und der renaturierte Köthenbach. Blick auf das Rathaus und die Kirche.

­­­­­33 gen beschäftigt, wird aber seit acht Jahren für den Jugendtreff von Tuningen „geleast“. An der Wand hängt ein Schild „Elternfreie Zone“, da- runter „Home Sweet Home“ – im Layout eines gelben Ortsschildes. Den Jugendtreff zwischen Kirche und Heimatmuseum haben die Jugend- lichen selbst renoviert, ein ortsansässiger Malerbetrieb hat Tipps gegeben und auch mal seine Auszubildenden kostenlos für ein paar Stunden mitarbeiten lassen. „Gut gefällt es mir“ sagt eine 16-Jährige. „Man könnte etwas mehr für Jugendliche machen“, meint ein zwei Jahre älterer junger Erwachsener, der sogar im Ort einen Ausbildungsplatz in einem der rund 100 Betriebe bekommen hat. Wer sich für Fuß- ball interessiere, könne nicht klagen, meint er und es klingt irgendwie so, als sei das nicht so ganz sein Ding. Tatsächlich: An einem son- nigen Nachmittag trainiert eine Gruppe Kinder auf dem Sportplatz das Spiel, bei dem das Run- de in das Eckige muss. „Tuningen hat viel zu bieten“ Viele Tuninger, die nicht hier geboren wurden, sind durch Zufall hier gelandet: Der eine, weil die Immobilie günstig war, die Dithmarscherin Traute Götz ist durch ihren Mann im Süden hän- gen geblieben. „Ich bin 1960 direkt nach der Schule nach Königsfeld gegangen“, erinnert sie sich. „Bei uns an der Küste gab es ja schon damals keine Arbeit, da wurden wir gleich von der Schulbank weg angeworben.“ Im Schwarz- wald lernte sie ihren Mann kennen, einen ge- bürtigen Tuninger, mit dem sie vor 47 Jahren ein Haus in seinem Heimatort kaufte. „Jetzt bin ich 73 und habe nicht mehr so viel Lust, mich überall zu engagieren, aber wenn man es wahr- nimmt, hat Tuningen viel zu bieten“, meint sie. Einen Nordic-Walking-Weg gibt es, einen ge­­ schichtlichen Wanderpfad, die Städtepart- nerschaft mit Camogli in der italienischen Pro- vinz Genua, und 26 Vereine. Zwar wurde der Yorkshire-Terrier-Club Tuningen schon nach fünf Jahren wieder aufgelöst. Aber der Musik- verein und der Schwäbische Albverein feiern im Jahr 2011 jeweils ihr 100-jähriges Jubiläum. Die Volkshochschule bietet Spanisch für Anfän- Eine Art Maibaum zur Ortsgeschichte wurde aus Anlass der 1.200-Jahr-Feier errichtet. Steinerne Hände als Brunnen. Tuningen – Ort mit der höchsten Wetterfahne

Städte und Gemeinden ger, türkische Küche und Kugeln aus Keramik und wer unbedingt will, ist in einer Stunde in Stuttgart. Roter und Schwarzer Milan Der geschichtliche Wanderpfad führt in zwei annähernd gleich langen Wegen in großen Krei- sen um den halben Ort herum – je nach Wet- ter kann man sich für den mit Fernsicht in die Baar oder für den durch den Wald entscheiden oder auch beide kombinieren. Beide Varianten führen den Wanderer durch 200 Millionen Jahre Natur- und Kulturgeschichte. Verschiedene Do- kumente wie Fossilien, Fundstücke oder Infor- mationstafeln am Wegesrand bieten Einblicke in verschiedene Epochen vom Jura über Stein- und Eisenzeit, die Römer, Alemannen bis hin zu den Rittern und Raubrittern des Mittelalters. Der Wanderpfad endet hier, die Geschich- te geht weiter. Eine wichtige Zäsur Tuningens war 1973, als die Gemeinde im Zuge der Ver- waltungsreform vom Landkreis Tuttlingen zum Schwarzwald-Baar-Kreis wechselte. Ein Jahr später beschloss der Kreis den Bau der Müll- deponie – was nicht ohne Proteste umgesetzt wurde. Die Deponie bietet heute dem Roten und dem Schwarzen Milan ungeahnten Lebens- raum und auch der Kolkrabe hat sich vermehrt in der Gegend angesiedelt, wie Dagmar Lode, die seit vielen Jahren Vogelwanderungen in Tu- ningen anbietet, feststellen konnte. Die stillge- legten Deponieflächen wurden genutzt, um vor zwei Jahren die damals größte Solaranlage der Region zu installieren. Direkt daneben produziert eine Powerfarm Biomethan, das über eine knapp zwei Kilome- ter lange Druckleitung in das Erdgasnetz der Stadtwerke Villingen-Schwenningen eingespeist wird. Umwelttechnologie und Umweltschutz ist also auf dem Vormarsch. Mitten im Ort fangen ein paar Jungs nach der Schule im renaturierten Sieblesgraben Frösche. Trotzdem hat sich vieles verändert, ein älte- res ehemaliges Landwirtepaar aus der Ortsmit- te konnte es selbst beobachten: „Saumäßig“ verändert habe es sich, sagt der Mann, der über 80 Jahre alt ist und seinen Hof vor zehn Jahren aufgegeben hat. „Früher hatte jedes Haus eine kleine Landwirtschaft“, erinnert er sich, „jetzt sind es die großen Aussiedlerhöfe, die die Fel- der bearbeiten, im Ort ist nichts mehr.“ Wie um das Gegenteil zu beweisen, tuckert gerade in diesem Augenblick ein alter roter Traktor um die Kurve und die aktuellen Zahlen der Gemeinde zeigen mit 20 landwirtschaftli- chen Betrieben doch immerhin drei mehr an als die letzte Kommunalstatistik drei Jahre zuvor. „Tuningen isch gut“, sagt das alte Landwirte­ paar, „s’ isch unsere Heimat“ und fährt von­­­­ – dannen. Stephanie Wetzig ­­­­­34 Links: Neubaugebiete haben die Einwohnerzahl in den vergangenen Jahren auf ca. 2.850 steigen lassen. Rechts: Die Fußballweltmeisterschaft 2010 macht es möglich – Tuningen hat sein improvisiertes „Freibad“.

­­­­­35 Tuningen und seine Gewerbegebiete: Die direkte Anbindung an die Autobahn 81 ist für die Vermarktung der Gewerbefläche ein enormer Vorteil. Tuningen bietet interessante Gegensätze: Links ein nachgestellter Grabhügel aus vorgeschichtlicher Zeit, rechts moderne Architektur an der Ortsdurchfahrt.

­­­­­36 Das Liaporwerk in Tuningen aus der Luft. Links der Ton, aus dem bei 1.200 Grad Hitze (Oben Mitte links) der Blähton gebrannt wird. Oben Mitte rechts: ungebrannter und gebrannter Ton. Unten rechts: Blick auf die Stahlröhre des Dreh- ofens, in dem der Rohton verarbeitet wird. Das Liaporwerk in Tuningen Tuningen hat eine weithin bekannte Besonderheit zu bieten: das Liaporwerk, in dem der bekannte Blähton hergestellt wird. Der bis zu 180 Millionen Jahre alte Ton, im Zeitalter des Lias entstanden, eignet sich nicht nur besonders gut zur Herstellung eines hervorra- genden Produktes, son- dern gab ihm auch seinen Namen: Liapor. Das natürli- che Rohmaterial wird land- schaftsschonend und flä- chensparend abgebaut. Die Natürlichkeit bleibt auch bei der Weiterver- arbeitung zu Liapor-Tonku- geln gewahrt. Denn das entscheidende Element im Herstellungsprozess bildet das Feuer. Nach sorgfälti- ger Aufbereitung wird der Rohton bei circa 1.200 °C im Drehrohrofen gebrannt. Dabei verbrennen die gleichmäßig und fein ver- teilten organischen Be- standteile des Tons. Die Kugeln blähen sich auf und es entsteht luftporendurch- setzter, keramischer Lia- por-Blähton. Auch bei einem Naturprodukt wie Liapor-Blähton lassen sich Gewicht, Größe und Festig- keit exakt steuern. Dank der natürlichen Bläh-Eigenschaften des Rohstoffs und eines opti- mierten Produktionsverfah- rens entstehen aus einem Kubikmeter Ton bis zu fünf Kubikmeter Liapor-Tonku- geln. In seinem Internetauf- tritt informiert das Unter- nehmen Liapor zudem: „Die Rekultivierung abge- bauter Flächen entspricht den neuesten Erkenntnis- sen und Vorschriften. Die Natur erhält ihre Leihgabe in ökologisch sinnvoller Form zurück. Wenig Rohton ergibt viel Baustoff – ist eine überzeugende Formel, die Abbauflächen schont. Mit aufwändigen Produk- tionsverfahren über Rauch- gasreinigungen bis hin zu problemlos recycelbaren fertigen Bauprodukten schließt sich der Kreis eines umweltbewussten und zukunftssicheren Bau- stoffes.“ www.liapor.com

Städte und Gemeinden ­­­­­37

Städte und Gemeinden Feriendorf für Familien „Wir sind Unterkirnach“ – ein Ort, der Dank des Engagements seiner Einwohner voller Vielfalt steckt ­­­­­38 Der kleine Junge will nicht nach Hause, er will weiter mit dem Floß ­fahren. „Nur noch einmal“, bettelt er. Szenen wie diese lassen sich bei der Spielscheune immer wieder in Unterkirnach beobachten: Glück­ liche Kinder wollen sich eben nicht aus ihrem Paradies vertreiben lassen. Diesen Eindruck ­ vermittelt die 2.700-Einwohner-­Gemeinde tatsächlich – schon beim ­ ersten Spaziergang durch’s Dorf. Durch eines der schönsten Dörfer ­ Baden-Württembergs, wie das ­Schwarzwälder Feriendorf auf seiner ­ Internetseite stolz betont.

­­­­­39 Blick auf Unterkirnach und Impressionen vom Dorffest 2010 – Hock auf dem Mühlenplatz.

­­­­­40 Städte und Gemeinden Natur, Idylle, Geborgenheit, Wärme – das sind die ersten Assoziationen, die sich nicht nur bei blauem Himmel einstellen. Unterkirnach strahlt bei jedem Wetter einen scheinbar unberührten Zauber von heiler Welt und Harmonie aus. Wer hier leben darf, ist zu beneiden, das hören die vielen Gastgeber häufig gerade von großstäd­ tischen Feriengästen. „Wohnen, wo andere Ur­­ laub machen“ – nicht umsonst hat sich die Ge- meinde diesen Slogan zugelegt. Der Schwarzwald zeigt sich sanft und heiter Egal von welcher Seite sich Besucher Unterkir- nach nähern, ob zu Fuß, mit dem Rad oder Auto: Schon der Weg ist ein Erlebnis. Das Dorf liegt ungefähr in der Mitte des Dreiecks Villingen, Vöhrenbach und St. Georgen und scheint doch weit im Abseits, umgeben von einem großzügi- gen, schützenden Gürtel aus malerisch gewell- ten Wiesen, Äckern und Wäldern, der Schwarz- wald zeigt sich hier von seiner sanften, heiteren Weise. Die freie Natur drumherum setzt sich im Dorf etwas gebändigter und nicht minder charmant Die historische Kirnachmühle ist viel bestaunter Blickfang auf dem Mühlenplatz. 1994 rekonstruiert, dient sie heute zum Brotbacken und Feste feiern. ­­­­­40

­­­­­41 fort. Sein Charakter wird von der munteren Kir- nach geprägt, die sich mitten durch das Dorf schlängelt. Sie plätschert vorbei am Mühlen- platz, der als Mittelpunkt zum geselligen Ver- weilen lockt. Neben dem Mühlenweiher steht die historische Kirnachmühle, die 1994 aus al- ten Teilen rekonstruiert wurde und seither die wenig ansehnliche Trafostation verdeckt, das Wasser aus der Kirnach wird trickreich auf die Mühlräder gepumpt. Man sieht’s nicht und die authentischen Mahlwerke funktionieren wunder­ bar, ebenso der große Backofen, in dem zu be- sonderen Anlässen köstliches Bauernbrot geba- cken wird, das im überdachten Mühlentreff bei Heimatabenden und anderen Gelegenheiten zur „Hockete“ an Ort und Stelle verzehrt wird. Vor der Mühle laden Kräuterbeete und ein Heilkräutergarten zum Kurzstudium der heimi- schen Pflanzenwelt ein. Im Bäuerinnenladen nebenan wird die jeweilige Ernte aus heimi- schen Gärten und Feldern verkauft, auch ver- arbeitete Produkte wie deftiges Brot, köstliche Fruchtaufstriche und herzhafte Nudeln, es gibt Fleisch und Wurstwaren, Imkerhonig, Kräuter- tees, selbst angesetzte Liköre und vieles mehr. Um den Mühlenplatz herum gruppieren sich locker und unaufdringlich weitere Geschäfte. Es gibt hier überhaupt alles, was der Mensch zum Leben braucht, aber alles im gemütlichen Mini- Format: ein kleiner Supermarkt, Kneipen, Gast- häuser, Cafés, Banken, Kindergarten, Schule, Apotheke. Auch mit Ärzten, Handwerkern und Dienstleistern ist Unterkirnach erstaunlich gut versorgt – die Infrastruktur hält kleinstädti- schem Vergleich stand. Neben der Kirnachmühle ist ein Kräutergarten angelegt. Auch der nahe Kirnbach dient als Spielwiese für Kinder. Freundlich bedient : Einkaufen im Bauernladen mit seinen heimischen Produkten. Blick auf Unterkirnach mit der St. Jakobuskirche im Mittelpunkt.

­­­­­42 Städte und Gemeinden Dorfgestaltung nach der Natur Das Wanderdorf Unterkirnach kann gut zu Fuß erobert werden – ein Auto ist eher hinderlich, zu- mal ohnehin überall Schritt-Tempo vorgeschrie- ben ist. Bei der liebevollen Gestaltung von Plät- zen, Wegen, Vorgärten, Einfahrten war stets die Natur wichtigste Ideengeberin. Die romanti- schen Bächlein, die parallel der Straßen auf die Kirnach zusteuern, sind von bunten Pflanzstrei- fen gesäumt, die nicht auf geometrisch angeord- netem Wechselflor basieren, sondern – dem Selbstverständnis der Gemeinde gemäß – auf naturnah gestalteten Stauden-Arrangements. Früher war Unterkirnach wie alle kleineren Gemeinden der Umgebung ein Bauerndorf. Heu- te gibt es nur noch drei Haupterwerbsbetriebe, aber viele Nebenerwerbslandwirte. Etliche kom- pensieren sinkende Einnahmen aus der Lebens- mittel-Produktion mit der Beherbergung von Fe- riengästen, bei Führungen und den beliebten Hofwanderungen vermitteln sie alte bäuerliche Techniken und Traditionen und werden so eng in den Tourismus integriert. Trotz einiger mittelständischer Betriebe (beim größten sind immerhin fast 200 Men- schen in Lohn und Brot) ist auch Unterkirnach zur Wohngemeinde geworden. Der Sommerberg wurde in den 1970er und 80er Jahren als Domizil vor allem für „Sabanesen“ aus Villingen entwi- ckelt und ist bis heute beliebter Wohnort für Pendler. Manche leben seit Generationen hier, arbeiten zwar auswärts, empfinden aber Unter- kirnach als ihre Heimat. Die Landwirtschaft ist nicht mehr dominierende Existenzgrundlage der Bevölkerung, geblieben aber sind das Bewusst- sein für die Wurzeln darin – und ein Bekenntnis zur Ländlichkeit, mit dem sich die Zugezogenen schnell anfreunden und identifizieren. Der Zugang zur Dorfgemeinschaft wird ihnen leicht gemacht, die 24 Vereine sind offen für neue Mitglieder jeden Alters. In Unterkirnach ist einer der ältesten Musikvereine des Landkreises beheimatet, der wie der Akkordeonspielring aus dem kulturellen und geselligen Leben nicht weg- zudenken ist. Sport wird groß geschrieben, etwa beim Lauftreff, Tischtennisverein und dem Fuß- Das Glockenspiel am Mühleplatz. Kleine Bächlein, gesäumt von Pflanzenstreifen, grenzen im Ortskern die Gehwege von der Straße ab.

Ein viel besuchter Ort ist der Mühlenplatz mit Weiher und Tretstelle. Unterkirnach hat viele schöne Winkel zu ­ bieten, unten: Talsee, bäuerliche Idylle beim Sägeweg, Burgruine Kirnach und Tannis Tierscheune.

­­­­­44 Städte und Gemeinden ballclub, der allein 120 Kinder und Jugendliche betreut. Und was wäre Unterkirnach ohne die Kieschstock- zunft! Sie ist nicht zur Fasnet, son- dern während des ganzen Jahres aktiv und stellt ihre prachtvoll-gru- seligen Figuren auf dem Kiesch- stockbrunnen vor, ein viel bewun- derter Blickpunkt in der Dorfmitte. Der Orchestrionbau Neuestes Mitglied in der Vereinsgemeinschaft ist der Verein für Heimat- und Orchestrionge- schichte, der ein für längere Zeit fast vergesse- nes Kapitel der Geschichte in Erinnerung ruft: Unterkirnach ist die Wiege des Schwarzwälder Orchestrionbaus. Das erste dieser wohl tönen- den mechanischen Wunderwerke hat 1820 Carl Blessing gebaut, aus dessen Werkstatt auch das ehrenamtlich restaurierte Orchestrion-Klavier stammt, das viele Jahre in Villinger Privatbesitz war, bis es seiner Herkunftsgemeinde vermacht wurde und heute den Bürgersaal ziert. Als vor fünf Jahren Kurt Blessing (ein Enkel des Orches­ trion-Pioniers) 99-jährig in Mainz starb und der Gemeinde seine Sammlung vermachte, kam ein Recherche- Sensibilisierungsprozess in Gang. In Unterkirnach schließlich hatte sich mit dem Mu- sikwerkbau eine neue Handwerkstradition eta­ bliert und ausgeweitet, die (etwa wegen des Holzbedarfs) von großer wirtschaftlicher und auch kultureller Bedeutung war. Die Lehrlinge wurden nicht nur hand- werklich in den Werkstätten aus- gebildet, sondern in neu gegrün- deten Musikschulen auch in Fä- chern wie Harmonielehre und In­ strumentation unterrichtet. Außer- dem mussten sie das Spielen eines Blasinstrumentes erlernen, was Hubert Blessing 1839 zur Gründung einer Kapelle ins- pirierte, die zur Keimzelle des heutigen Musik- vereins werden sollte. Die wiederbelebte Aus- einandersetzung mit dem Orchestrionbau in Unterkirnach bietet Identifikationspotenzial auch für jüngere Generationen, sorgt für neue Wert- schätzung der eigenen Vergangenheit. Die soll nun auch nach außen sichtbar werden – aktuell kümmert sich der Verein um einen Heimat- Raum, in dem die historischen Exponate gezeigt werden sollen. Das „Wir-Gefühl“ ist ausgeprägt „Die Menschen lieben ihren Ort“, stellt Bürger- meister Gerold Löffler fest, ein gebürtiger Frei- burger, der neben dem dortigen Münster aufge- wachsen ist und die Unterkirnacher Beschau- Der Verein für Heimat- und Orchestriongeschichte bewahrt liebevoll die einstigen Unterkirnacher Erzeugnisse, die in einem Heimat-Raum ausgestellt sind. In der Mitte Martin Blessing (1774 – 1847) und Gedenkstein für Karl Blessing, geschaffen 1845 durch den Vöhrenbacher Bildhauer Karl Heer, Onkel des bekannten Bildhauers Adolf Heer. Blessing-Orchestrion aus einem Produktkatalog vor 1900.

Städte und Gemeinden ­­­­­45 Der Kieschstockbrunnen an der Hauptstraße zeigt die traditionellen Narrenfiguren.

­­­­­46 Städte und Gemeinden lichkeit nicht mehr mit der Urbanität der Breis- gaumetropole tauschen möchte. „Hier bei uns kennen sich die Leute und schauen nacheinan- der“, sagt er. Auch gelegentliche Konflikte ver- schweigt er nicht („alles andere wäre unnatür- lich“); vor allem Jugendliche mit Migrationshin- tergrund tun sich gelegentlich schwer beim so- zialen Miteinander. Wertvoll sei da die offene Ju- gendarbeit durch flexible Streetworker, die sich auch um die Kids in Maria Tann kümmern. Das ehemalige Kloster ist nach wie vor ein bauliches Sorgenkind der Gemeinde; seit dem Auszug der Polizeifachhochschule vor mehr als 20 Jahren wird nach neuer Nutzung und einem Investor In Silber auf grünem Dreiberg drei rote Burg- türme. Jahrhunderte lang war Unterkirnach eine De- pendence von Villingen, musste Abgaben an die Zähringerstadt leisten und wurde von dort aus gesteuert. Die Abhängigkeit begann im 12. Jahrhundert, als Werner von Roggenbach seine Ländereien entlang der Kirnach dem Kloster Ten- nenbach und ein paar Jahre später den gleichen Besitz dem Kloster St. Georgen vermacht hatte. In den klöster- lichen Streit um die Eigentumsverhältnisse mischte sich sogar Papst Urban ein und be- stimmte 1187 in seinem Schiedsspruch, dass St. Georgen das obere Tal behielt, das Kloster Tennenbach das untere. 1506 verkaufte Abt Michael sämtlichen Rog- genbacher Besitz an Villingen, wohin die Zisterzienser-Brüder übersiedel- ten. Mit ihrer Zugehörigkeit zum vor- derösterreichischen Villingen wurde die Siedlung an der unteren Kirn­ ach von der mächtigen Nachbarstadt dirigiert, musste sich der dortigen Gerichtsbarkeit beugen, Abgaben leisten und gehörte zur Villinger Pfarrei. Erst 1803 kam Unterkirnach zum Großher- zogtum Baden. Es sollten noch drei Jahre ver- streichen, bis Unterkirnach aus der Villinger Gemarkung ausgegliedert wurde, sich damit endlich aus Bevormundung und Abhängigkeit befreit hatte und sich zur selbständigen Ge- meinde entwickeln konnte. Die Huldigungsliste vom 16. August 1811 ist mit einem Prägesiegel (Umschrift: VOGTEI KÜRNACH) versehen. Es zeigt in gekröntem Schild das damals geltende badische Staatswappen (Im schräglinks geteil- ten Schild oben ein Schrägbalken, unten ein Löwe). Die von der Gemein- de seit etwa 1860 verwendeten ova- len Farbstempel zeigen auf einem Dreiberg drei Türme, die Umschrift lau- tet: GEMEINDE U.KÜRNACH. Im Jahr 1902 empfahl das Generallandes- archiv der Gemeinde die Annahme des nach- folgend beschriebenen Wappens: In Silber auf grünem Dreiberg drei rote Burgtürme. Der Gemeinderat befasste sich erst 27 Jahre später, im Jahr 1929, wieder mit der Sache. Nach erneuter Beratung nahm der Gemeinderat am 12. Oktober 1930 den Vorschlag von 1902 an und bestimmte als Ortsfarben „Grün- Weiß-Rot“. Zur Wappengeschichte von Unterkirnach Unterkirnach im Jahr 1834.

­­­­­47 Unterkirnach – das Feriendorf gesucht. Vorläufig dienen die alten Gebäude außerhalb Un­­­­ter­ kirnachs an der Straße nach Vil- lingen gelegen als günstige Un­ terkunft für etwa 80 Menschen. Die Fluktuation ist hoch, ent- sprechend wenig ausgeprägt ist die Verbindung zur Gemeinde – sobald sich jemand eine Bleibe im Zentrum einer Siedlungsge- meinschaft leisten kann, zieht er fort. In Unterkirnach selbst sind Wir-Gefühl und bürgerschaftli- ches Engagement ausgeprägt, die ResonanzaufGemeinschafts- aktionen zuverlässig gut. Beim Anlegen der großen Streuobst- wiese hinter dem Rathaus wur- den mit wissenschaftlicher Be- gleitung der Uni Hohenheim 350 Obstbäume historischer Sorten gepflanzt und für die Pflege Baumpaten gewonnen. Mit von der Partie sind nebst Vereinen aus Unterkir- nach ein Verein aus St. Georgen, weil es in der Bergstadt zu wenig ebene Flächen für die Anlage eines solchen Kleinods gibt, Schul- und Kinder- gartenkinder wurden in das Projekt ebenso inte- griert wie Senioren – der Generationen verbin- dende Dialog spielt überhaupt eine wichtige Rolle in der Dorfgemeinschaft. Zu Veranstaltun- gen des Seniorenkreises kommen stets zwi- schen 50 und 80 ältere Mitbürger. Der Gemein- dehilfeverein ist aktiv, wo er gebraucht wird – ob im Kindergarten oder bei häuslicher Krankenpflege. Zur Zeit wird neben dem Rat- haus eine Seniorenwohnan- lage mit Generationentreff ge­­baut. Die St. Jakobus-Kirche Zu den Besonderheiten in Un­ terkirnach zählt die Katho- lische Kirche St. Jakobus, die in ihrer heutigen Form aus dem Jahr 1907 stammt. Der Name verrät es schon: Unter- kirnach ist Station am popu- lären Jakobswanderweg. Eine Jakobsstatue befindet sich an der Wand über dem Tauf- stein, besonders wertvoll ist die Jakobus­ figur im Gesprenge des Hochaltars aus der Werkstatt Marmon Sigmaringen-Gorheim. Spielscheune viel besucht Die Spielscheune ist ein absolutes Highlight bei Einheimischen und Gästen; jährlich strömen 50.000 Besucher in die ausgedehnte Spiele- landschaft, die auf 1.000 Quadratmeter Attrak- tionen für jedes Alter bereit hält. Spiel und Sport konzentrieren sich in dieser Ecke, die vor allem bei schönem Wetter zum Mekka für Familien Unterkirnach in den 1950er- und 1970er-Jahren, als man auf einer Ansichtskarte stolz das erste Neubau- gebiet am Sommerberg präsentierte. Jakobusstatue am Hochaltar.

­­­­­48 Unterkirnach – das Feriendorf wird. Vor der Spielscheune ist ein Minigolfplatz und der Streichelzoo gegenüber lässt nicht nur Kinderherzen hö- her schlagen. Wann haben Städter schon einmal Gele- genheit, Kühe, Ziegen und Schafe zu liebkosen und den fröhlich gescheckten Halle- schen Landschweinen beim ge- nüsslichen Sandbad zuzuschauen? Bei all ihren Angeboten für Einheimi- sche und Feriengäste hat die Gemeinde immer die ganze Familie im Blick und immer geht’s um aktives Erleben, das von Natur, Tradition und Schwarzwälder Lebensart bestimmt ist. Das gilt auch für’s beliebte Aqualino, ein kleines, feines Hallenbad mit Sauna und Well- nessbereich hinter der Spielscheune. Die Was- serhöhe richtet sich hier nach den Besuchern. Die Allerkleinsten können donnerstags bei einer Wassertiefe von 34 bis 102 Zentimeter gefahrlos plantschen, ansonsten wechselt die Tiefe stünd- lich von 180 auf 135 Zentimeter und ist für Schwimmer und Nicht-Schwimmer gleicherma- ßen geeignet. Die Jugendlichen toben sich nach dem Bad gern im Außenbereich auf dem Abenteuerspielplatz mit Stausee aus. Abenteuer pur verspricht auch das Kinder- land Schlossberg, das fast den Charakter eines Survival- Camps hat. Mutige Kids schwe- ben auf einer Seilbahn über Ab- gründe, sausen mit einer Rollrut- sche ins Tal, balancieren mit Flößen über’s Wasser und haben ihren Spaß beim Klet- tern. Hier vermisst niemand Computerspiele, Playstation und Fernseher, das fröhliche Lachen der ausgelassenen Buben und Mädchen verrät, dass die Natur Fantasie, Experimentierfreude und Gemeinschaftsgefühl viel mehr beflügelt als noch so ausgeklügelte Programme der Spielzeug- industrie. Mehr als 100.000 Übernachtungen Nebst Handwerk, ein wenig Industrie und Land- wirtschaft ist der Tourismus die wichtigste Ein- nahmequelle für Unterkirnach. Ein Hotel gibt es Blick auf Unterkirnach im Sommer 2010.

Städte und Gemeinden ­­­­­49 nicht, die 100.000 Übernachtungen pro Jahr rek- rutieren sich ausschließlich aus Ferienwohnun- gen und dem zunehmend beliebter werdenden Wohnmobilplatz am Rande der Dorfmitte. 50 Prozent der Urlauber belegen die Hapimag-Feri- enwohnungen, die vor 26 Jahren angelegt wur- den, zudem gibt es viele private Zimmervermieter. Die jahreszeitlichen Angebote für die Dorfge- meinschaft inklusive ihrer Gäste orientieren sich konsequent am eigentlichen Kapital der Gemein- de, an der schönen Landschaft, intakter Natur und ländlichen Bräuchen wie der Wahl der Hei- delbeerkönigin. In diesem Jahr wurde als Novum der Wasserweg eröffnet; nach dem Motto „Wie wohnt Wasser?“ führen Tanni und Quelline vom Wasserhochbehälter durch den Naturerlebnis- pfad, in dessen barrierefreier Gestaltung auch Sehbehinderte einbezogen werden. Immer wieder auch schlagen auswärtige Gruppen ihre Zelte für sportliche und kulturelle Wettkämpfe, Seminare und Festivals in Unterkir- nach auf. Bereits zum zweiten Mal trafen sich zum Beispiel Ende April 2010 rund 200 Tromm- ler und waschechte Indianer aus zehn Ländern zum Schwarzwald-Powwow in der Schlossberg- halle. Überhaupt wird in Unterkirnach gern ge- feiert, sommerliche Höhepunkte sind Dorf- und Stockwaldfest. Und im Winter? Dann locken ver- schneite Wälder und Hänge zum Ski- und Snow- boardfahren und zu ausgedehnten Loipenwan- derungen. So fasst der Bürgermeister das ge­ meinsame Lebensgefühl mit den Worten zusam- men: „Uns geht’s gut.“ Christina Nack Unterkirnacher Vielfalt, von links: Badefreuden im Aqualino, Floßfahren im Freigelände bei der Spiel- scheune und Blick auf die Streuobstwiese mit ihren 350 Obstbäumen.

­­­­­50 Im Zeichen der Linde: Heidenhofen – ein altes Dorf auf der Baar Städte und Gemeinden ­­­­­50

­­­­­51 Heidenhofen 2010 feierte Heidenhofen seine erste urkundliche Erwäh- nung vor 1.250 Jahren – das Dorf ist heute die Heimat von ca. 250 Einwohnern. Der kleinste Stadtteil von Donau- eschingen ist stets ein beschauliches Dorf geblieben, zu dessen großen Zukunftsaufgaben die weitere Sanierung des Ortskerns zählt. Ein kleines Neubaugebiet steht für die zeitgemäße Entwicklung der Baar-Ortschaft mit ihrer präch- tig ausgestatteten Pfarrkirche St. Hilarius. Die Kirche ist eine der geschichtsträchtigsten Urkirchen der Baar, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft steht die älteste Linde des Schwarzwald-Baar-Kreises – das Wahrzeichen des Ortes.

Städte und Gemeinden 1.250 Jahre ist es her, dass Heidenhofen zum ersten Male schriftlich erwähnt wurde. Spätes- tens an einem heißen Julisonntag im Jahre 760 nämlich überschrieb Wachar, Sohn des Theu- tar, bei der dortigen Kirche und vor dem als „Bezirksnotar“ amtierenden Priester-Mönch Wal- do einen Teil seiner Güter in Biesingen und Aasen dem alemannischen Hauskloster St. Gallen. Ein höheres Alter Heidenhofens als die in derselben Urmark liegenden Gemeinden ist nicht auszuschließen, da es später als eine wohl aus der Eigenkirche eines alemannischen Adligen herausgewachsene Hauptpfarrei erscheint. Hier könnte 760 bereits etwa seit einem Jahrzehnt und nach der Niederwerfung der auf- ständischen Alemannen ein fränkischer Kon- troll- und Verwaltungspunkt angedockt haben und die aus der Urmark nachweislich bereits 857 herausgelöste Heidenhofener Gemarkung scheint mit diesen Vorgängen in Verbindung zu stehen. Mit recht regelmäßiger, schmaler Form, an deren Ende das Dorf bis heute liegt, wirkt sie wie bewusst zugeschnitten. Herkömmliche ale- mannische Orte weisen im Allgemeinen eher eine zentrale Lage in einer organisch gewach- sene Gemarkung auf. Und auch der Ortsname „Heidenhofen“ könnte erst in jener Zeit aufge- kommen sein, handelt es sich doch um deutlich jüngere Namensform gegenüber den ringsum ge­­­­ bräuchlichen alemannischen Ortsbezeichnungen. Wachar war, wie unlängst in einer Untersu- chung zum spätmerowingischen Adel in Süd- alemannien vermerkt, Nachfahre einer fränki- schen, mit alemannischem Adel versippten ein- flussreichen Familie, die anfangs einen ihrer Lebensmittelpunkte bei Eschenz im Rheintal hatte. Vom König mit Überwachungsaufgaben und der Verwaltung konfiszierter alemanni- scher Güter beauftragt, begegnete man ihm und seinen Helfern auf der Ostbaar wohl nur mit Misstrauen. Auffällig ist die scheinbar (be- wusst?) gebremste Entfaltung des Ortes mit lan- ger Nachwirkung. Noch heute hat Heidenhofen nur rund 250 Einwohner gegenüber 1.259 in Aasen und 477 in Biesingen. Schon lange aber, d.h. seit dem Mittelalter hat sich die Bevölke- rung mit den Nachbargemeinden gemischt, hat man durchaus am Ende miteinander leben kön- nen. Das arme Heidenhofen hat es aber wirklich schwer gehabt, denn auch aus anderem Grund verlief die Entwicklung ab dem 9. Jh. gebremst. Die Furcht unter anderem der adeligen Besit- zer und Verwalter, dereinst vor Gottes Ange- sicht treten zu müssen und die Sorge um das Seelenheil haben eine Schenkungswelle an die großen Klöster des alemannischen Rau- mes und ihre Heiligen bewirkt, begleitet oder gefolgt von einer Tauschwelle Heidenhofener Güter und Rechte der Klöster untereinander. So schenkte Ende des 10. Jh. etwa der 999 mit Villinger Marktrecht ausgestattete und als Stadtgründer betrachtete Alaholfinger Bertold seinen gesamten Heidenhofener Besitz der Rei- chenau. Als weiterer Grundbesitzer kam bald auch das Kloster Salem hinzu. Es waren auch die Jahre, in denen sich nach und nach die ringsum ansässigen Adels- geschlechter fest etablierten. Rechte und Bo- den wurden erworben und zäh verteidigt. Für Heidenhofen bedeutete dies, als Teil der Graf- schaft Aaseheim in die Auseinandersetzung um die Landgrafschaftsrechte zwischen den Grafen von Sulz, ihren Wartenberger Verwandten und den aufkommenden Fürstenbergern gerissen zu werden, in der letztere Sieger blieben. 1283 erhielten die Burgherren auf dem Fürstenberg die von den Grafen von Wartenberg bisher ge- haltene ungeteilte, als Reichslehen angesehe- ne Landgrafschaft und mit ihr Heidenhofen. Viele hatten in Heidenhofen das Sagen Wer größere Rechtsgeschäfte vorzunehmen hat­­ te, begab sich nun auf den etwas weiteren Fürsten- berg, später, nach 1620, in die neue Residenz Hüfingen und auch den größeren Bösewich- tern, sofern es solche je in Heidenhofen gege- ben hat, winkte nun jeweils dort der Galgen. Die täglichen innerörtlichen Verhältnisse wur- den weitgehend von den Niedergerichtsherren, den Herren von Sunthausen geregelt, die sich nach ihrer bereits früh verfallenen kleinen Burg dort nannten. Allerdings war die von ihnen gehaltene Niedergerichtsbarkeit, „Gemeindeverwaltung“ würden wir heute sagen, so löchrig wie ein ­­­­­52

Städte und Gemeinden ­­­­­53 Schweizer Käse. Viele andere hatten in Hei- denhofen Besitz und dort auch das Sagen. Ob Heinrich von Triberg, der Villinger Ratschreiber Berthold von Spaichingen oder auch die Or- densschwester Mechthild aus Villingen: jeder oder jede erhob Gebühren und Abgaben, regel- te kleinere Streitigkeiten nach Herkommen und Temperament. Gegen Ende des Mittelalters änderte sich das Bild. Die grundbesitzenden Bürger der nahen Städte wie Villingen oder das politisch, sozial und finanziell dem Niedergang entgegen gehende kleine Rittertum hatten abgewirt- schaftet. Der Villinger „Hauptamtsleiter“ Bert- hold – seit einigen Jahren Pensionär – hatte inzwischen seinen mühsam zu verwaltenden Besitz den Johannitern verkauft, 1329 schon hatten die Benediktinerinnen von Amtenhau- sen ihr Geld in Ländereien angelegt, das Vil- linger Armenspital schon vor 1397 vier Güter gekauft, und auch das Villinger Bickenkloster hatte 1463 in Heidenhofen investiert. So war das Dorf zum Sparschwein für klei- nere geistliche Institutionen geworden, zum „ge­ schlossenen Immobilienfonds“ für gut betuchte Klerikerinnen und Kleriker, die ein wenig Bares unterm Kopfkissen hatten und daraus Gewinn in Form von Feldfrüchten zu er- zielen hofften. Diese Besitzverhältnisse blie- ben im Grossen und Ganzen auch bis zur Sä- kularisation 1803 bestehen, wenngleich viele Güter vor allem durch die Kriege und Seuchen in Mitleidenschaft gezogen wurden und teilwei- se zerfielen. Eine Phase der Unruhe Was für die Finanzen und den Besitz gilt, lässt sich auch von der Regierung, der Gerichtsbar- keit wie man es nennt, sagen. Auch hier wird das späte Mittelalter und die beginnende Neu- zeit zu einer Phase der Unruhe, bedingt durch das Ende des Rittertums und den Wirtschafts- und Finanzkrisen in den großen Klöstern der Region. Niedergerichtsherren waren noch immer die bereits genannten Herren von Sunthausen, Blick von Heidenhofen über die Baar in Richtung Donaueschingen und zu den Alpen. Landschaftlich reizvoll war Heidenhofen schon immer.

­­­­­54 die wie all die kleinen Niederadelsgeschlech- ter der Region versuchten zu eigenem Territo- rium zu gelangen. Wie die meisten, so verloren schließlich auch sie, finanziell geschwächt, ausgekauft, durch Krieg oder Krankheit dezi- miert, oft im Mannesstamm ausgestorben. Das Ende kam stufenweise und zog sich über rund 50 Jahre. Ursache war möglicherwei- se die 1411 ausgebrochene Fehde der Herren von Lupfen, in der sich die Sunthausener gegen Ansprüche wehren mussten, wo Einnahmeaus- fälle aufgrund von Ernteverlusten entstanden oder das eine oder andere Gebäude zerstört wurde. Und vielleicht spielte auch der aufwän- dige Bau einer neuen Kirche 1451 eine Rolle, bei dem sich die von Sunthausen, kaum wieder auf den Beinen, übernahmen. Durch Verkäufe ver- suchten sie zwar zu retten, was zu retten war, doch die Zeit spielte gegen sie. Nach der Veräußerung ihrer Besitzungen in Biesingen ging 1463 auch der Heidenhofener Kirchensatz an das Kloster Alpirsbach. 1469 überschrieb Caspar von Sunthausen den Fürs- tenbergern seine Eigenleute in Heidenhofen und sieben weiteren Orten, 1477 veräußerte er ihnen zähneknirschend das ganze Dorf. Die völ- lig verarmten Erben der Sunthausener mussten am Ende, 1548, auch noch die bereits verfallen- de Burg dem Hause Fürstenberg übergeben. Auch Alpirsbach hatte an den erworbenen Privilegia und dem weit vom Kloster liegen- den Besitz keine Freude. Kurz nach der Voll- endung des Chores der Kirche übertrugen die Mönche 1588 den Kirchensatz mit Zubehör an die Fürstenberger, das nun zusammengefasst für 218 Jahre alle Rechte hielt. Auch hier in Hei- denhofen zeigte sich wieder einmal, dass das aufstrebende Fürstenberg wie ein „territorial- politischer Staubsauger“ in der Region wirkte. Was schwach wurde oder zum Verkauf stand wurde systematisch eingesogen sprich erwor- ben. Kein Erbe eines im Mannesstamm ausge- storbenen Geschlechts, kein aus finanziellen Gründen zum Verkauf angebotenes Recht auf der Baar und damit auch in und um Heidenho- fen, auf das die Fürstenberger nicht die Hand gelegt hätten. Nur die Herzöge von Württem- berg geboten dem Treiben im 15 und 16 Jh. Ein- halt, indem sie z.B. 1444 die schwäbischen, Heidenhofen benachbarten Güter derer von Lupfen kauften oder sich im Zuge der Reforma- tion im Klostergebiet St. Georgen festsetzten. Aber es waren auch die Fürstenberger, die in einer ersten großen Etappe das Dorf wirt- schaftlich festigten und in einen größeren Rah- men einbanden. In jenen Tagen zählte Heiden- hofen etwa 100 Einwohner, 10 bis 12 Familien: sieben größere Bauern, acht Taglöhner und ein paar Bettler, dazu 43 Pferde, 51 Stiere und 119 Stück Herdenvieh. Eine Wirtschaftskrise im 16. Jahrhundert Für das Dörflein besaß die Eingliederung ins Fürstenbergische durchaus auch gute Seiten. Fürstenberg hatte nämlich mit dem „Wirt- schaftszentrum Region Villingen“ 1491 schrift- lich die Freizügigkeit für handwerkliche Dienst- leistungen vereinbart, die Heidenhofener Hand- werkern nun erlaubte, auch auf Villinger Gebiet tätig zu werden. Der dabei mit der Wirtschafts- krise zu Beginn des 16. Jahrhunderts vorüber- gehend aufkommende Villlinger „Protektionis- mus“ hat das Abkommen nicht grundsätzlich in Frage gestellt und „Protektionismus“ gab es auch bei Fürstenberg wie beispielsweise der Mühlenzwang, der die Heidenhofener zur Ver- bringung des Getreides zur Wassermühle nach Pfohren verpflichtete, obwohl die Biesinger Mühle in Sichtweite, aber leider württember- gisch war. Der Verlaufs des Bauernkriegs wie des Drei- ßigjährigen Krieges und die mit ihnen in Ver- bindung stehenden Verstrickungen von Refor- mation und Gegenreformation auf der Ostbaar sind bisher nur wenig ausgeleuchtet worden. Von einem Rückgang des Steueraufkommens von 98% bis 1648 ist zu lesen, herrschaftliche Zähllisten zeigen kriegsbedingte Entvölkerung und die Kirchenbücher eine folgende Pestwel- le. Das Verhalten der über Heidenhofen her- gefallenen Parteien und ihre von einer starren Glaubenshaltung wie gleichzeitig von Geldgier und Niedertracht getriebenen Taten lassen sich durchaus bei der Lektüre der heutigen Presse erahnen, welche über Glaubenskriege islamis- tischer Gruppen vom Kaukasus bis Afghanistan Städte und Gemeinden

­­­­­55 Heidenhofen oder das Wüten von Milizen im Kongo oder Su- dan berichten, wo wie einst 1648 alle Ordnung zusammengebrochen ist. Ein Hexenverfolger endet als Hexer Dass in dieser Zeit der fürchterlichste Anklage- vertreter der fürstenbergischen Lande in He­ xensachen gerade in Heidenhofen seine trauri- ge Karriere begann, ist wohl eher Zufall. 1614 nämlich ließ sich aus ungeklärter Ursache der kaiserliche Notar Mathias Tinctorius in Heiden- hofen nieder, auf dessen Konto später unzäh- lige Hexenverurteilungen im Fürstenbergischen gingen. Er wurde schließlich von der eigenen Ehefrau als Hexer bezeichnet und am 16. Mai 1632 in Hüfingen enthauptet. Die 1680 in der Meldekartei der fürsten- bergischen Verwaltung vermerkten 80 Einwoh- ner deuten auf eine gewisse Erholung, waren es zu Beginn des Krieges doch auch nur 100. Viele fremde Namen sind darunter, Einwanderer, die der Krieg und die Zeitläufte ins Land spülte, Personen auf der Suche nach einer Heimat oder angezogen von Steuererleichterung. Es sind die Vorfahren der heutigen alteingesessenen Heidenhofener. Was auf den 30jährigen Krieg folgte, war eine kaum ein Viertel Jahrhundert währende zaghafte Erholungsphase. Dann forderten der Pfälzische Erbfolgekrieg und der Spanische Erbfolgekrieg ihren Tribut. Die Ausgaberech- nungen zeigen zum Beispiel für 1688 Zahlun- gen für Lebensmittel und Verpflegung in Höhe von 1.098 Gulden, 1690 für 1.112 Gulden – un- geheuere Summen, die einen erneuten Rück- schritt zur Folge hatten. Doch das kleine Heidenhofen war zäh und von einem bewundernswürdigen Überlebens- und Aufbauwillen. Mitten im Kriege, 1694, gründeten die an die Hilfe Gottes und den Hei- Mächtiges Wahrzeichen des Ortes ist die um 1670 – zur Zeit der Hexenverfolgung – gepflanzte Winter- linde am Eingang der Kirche, die älteste Linde im Schwarzwald-Baar-Kreis.

Städte und Gemeinden ligen Josef Glaubenden unter dem Impuls von Pfarrer Greysing die Josefsbruderschaft zum „Guten Tod“. Sie wird einige Jahrzehnte spä- ter rund 1.500 Mitglieder zählen, die sich auch aus den umliegenden Baar-Dörfern rekrutieren und von einem eisernen Glaubens- und Lebens- willen künden, der in den dunkelsten Stunden entstand. Und genau dieser Glaubens- und Le- benswille mag, psychologisch betrachtet, auch jene über 30 nachgewiesenen Wunderheilun- gen durch Anrufung des Heiligen Xaver bewirkt haben, die von 1714 ab verzeichnet sind. Aufbau einer neuen Infrastruktur Das Gottvertrauen der Josefsbrüder war durch- aus berechtigt, denn das 18. Jahrhundert stand im Zeichen der wirtschaftlichen Erholung und des Aufbaues einer neuen Infrastruktur. Die Ernteerträge wuchsen, denn 1788 schon muss- te die 1742 begonnene Zehntscheuer vergrö- ßert werden. 1783 erwähnt das Grundbuch – Urbarium – ein Spritzenhäuschen, Hinweis mög­ licherweise auf eine bereits bestehende Lösch- mannschaft, die erst 1940 in eine organisato- risch feste Form fand. Dies wäre das beste An- zeichen für ein damals bereits bestehendes Gemeinschaftsleben und ein Leben mit insge- samt halbwegs ordentlichem Auskommen. Da- für spricht auch die im Gegensatz zu anderen fürstenbergischen Orten eher tröpfelnde Aus- wanderung zuerst nach Ungarn, dann, im 19. Jahrhundert, nach Amerika. Zugleich begann wie in anderen Dörfern und nahen Städten unter dem Einfluss auf- klärerischen Staatsverständnisses ein Abbau sozialer Spannungen zur Abmilderung des zu großen Unterschieds zwischen Arm und Reich. Die reichen, tonangebenden Großbauern ge- währten nun in einem von dem Hause Fürsten- berg moderierten Abstimmungsprozess den weniger Bemittelten bessere Chancen und Le- bensbedingungen. Ein Urteilsspruch erlaubte seit 1758 den vors Gericht gezogenen Taglöh- nern ebenfalls ein Zugtier auf die bisher von den größten Bauern beanspruchten Weide zu treiben und zugleich Ochsen anstatt teure Pferde als Gespanntiere für die Frohndgespanne zu halten. Mit dem Beginn des Kartoffelanbaues kurz nach 1760 und der Sicherung der Gemarkungsgrenzen in zwei Abschnitten 1766 und 1782 wurde die Ernährung witte- rungsunabhängiger und die Anbaufläche klarer bestimmt. Jetzt erst, mehr als 100 Jah- re nach Ende des Heidenhofen im Jahr 1783 nach einem Grundriss über das Dorf von Benjamin Langenbach, Hochfürstl. Fürstenbergischer Renovator: 1 Dorfkirche 2 Pfarrhaus 3 Totenhäusle 4 Wetzle-Baur (Schmied) 5 Elsäßer-Reich 6 F.F. Zehntscheune 7. Jacob Guth 8 Christian Bury 9 Karl Wiesendorfer 10 Johannes Bury 11 Anton Reichmann, Vogt 12 Gemeindewaschhäusle 13 Hans-Georg Schöndienst 14 Joseph Gäng, Weinschank 15 Joseph Höfler, Zehntknecht 16 Johannes Heitzmann, Ölmühle 17 Josef Müller, Bürgermeister 18 Joseph Engeser, Halbburger 19 Ignati Höfler, Stümpler 20 Anton Schwörer 21 Spritzenhäusle

Städte und Gemeinden ­­­­­57 30jährigen Krieges, konnte man von einem deutlichen Fortschritt sprechen, der bis in die Zeit des neuen Großherzogtums Baden führte. Kostbare Barockmonstranz und Orgel Nun bekam die Heidenhofener Kirche auch ei­ ne Ausstattung, die zu den bedeutenderen Kunst- schätzen der Baar zählt. Neben dem um 1700 entstandenen Bruderschaftsaltar sind dies zwei großartige Zeugnisse süddeutscher Kunst: Zum Einen die schon 1755 aus dem Donaueschinger Kirchenschatz abgegebene und 1713 durch den Augsburger Goldschmied Michael Maier gefer- tigte Barockmonstranz, zum anderen eine 1733 in einer bekannten Schaffhauser Werkstätte ge- fertigte Orgel, die 1749 von Franz Magnus Hops aus Sigmaringen mit einem außergewöhnlich schönen Barockgehäuse versehen, 1787 aus Do- naueschingen nach Heidenhofen gegeben wur- de (siehe Seite 55). Das Grossherzogtum Baden kam, nach dem letzten Trommelwirbel der Befreiungskriege 1814, auf eher leisen Sohlen. Kaum hatte Hei- denhofen laut dem Tagebuch des Ortsvorste- hers-Vogtes Reichmann in kürzester Zeit 200 Zwangstransporte für die Truppen überstan- den, da kehrte es zu einer über 100 Jahre dau- ernden qualitativ beachtenswerten Entwick- lung zurück, deren schätzenswerte Ergebnisse bis heute im Ort kenntlich sind. Von 1806 an erst zum Oberamt Hüfingen, dann von 1849 bis 1973 zum Oberamt und Landkreis Donaueschingen gehörend, entstand eine Gemeinde mit erneuerter und vorsichtig ausgebauter Infrastruktur, in der sich soziales und kulturelles Leben entfaltete. Das Pfarr- haus wurde auf den Grundmauern des alten von 1558 ab 1836 neu gebaut, nach 1842 der erste Blumenteppich zu Fronleichnam gelegt; das bereits 1680 genannte Gasthaus des Hans- jörg Zoller wurde, weil mehr Geld und vor allem auch mehr Lebenslust ins Spiel kam, zum be- liebten Treffpunkt. Kostbar ausgestattet präsentiert sich die Dorfkirche von Heidenhofen, neben der barocken Kanzel von 1689 findet sich in ihr auch die älteste noch spiel- bare Kirchenorgel der Baar.

­­­­­58 Städte und Gemeinden Es war keine Modernisierung, in der einem Hören und Sehen verging, die so schnell oder so tiefgreifend war, dass die Alten nicht mehr mitkamen und die Jungen erst ihr Gleichge- wicht finden mussten. Manches nur wurde maßvoll auf- und umgebaut, was die vorheri- gen Jahrhunderte bereits begonnen hatten. Die zu Beginn des 19 Jh. angelegten, erneuerten oder verbesserten 19 Brunnen beispielsweise taten noch lange ihren Dienst und wurden erst 1925 durch ein gemeinsames Leitungsnetz mit Aasen ersetzt. Auch die großen technischen Neuerungen der Infrastruktur wie die Elektrizität wurden erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg geplant und in der Weimarer Republik baulich vollendet. So lange noch, bis 1919, schien das warme Licht der Petroleumlampen in den Stuben. Anbindung an das Straßennetz Frühestes und stärkstes Bedürfnis dieser Epo- che war jedoch die Anbindung an das Straßen- netz und der Wunsch nach größerer Mobilität. Bereits 1830 ließ man die Landstraße Dürr- heim-Geisingen am Gemarkungsrand neu an- legen und führte sie zunächst bis ins Unterdorf. 1877 wurde sie bis Aasen weiter gebaut und als Landstrasse qualifiziert. Der Wunsch nach bes- serer Fortbewegung übertrug sich auch auf die Eisenbahn, das modernste Verkehrsmittel der Zeit. Leider ist die 1912 im Zuge des Randen- bahnprojekts vorgesehene Eisenbahnschleife von Geisingen über Biesingen, Sunthausen nach Trossingen an der erhofften Rentabilität ge- scheitert, sonst wäre Heidenhofen heute in das Ringzugnetz eingebunden. Auch die kurz dar- auf, 1913, als Ersatz ins Leben gerufene private Kraftpostlinie nach Donaueschingen wurde ein Jahr später aufgrund der Zeitumstände wieder eingestellt und erst 1921, jedoch dauerhaft, durch die Reichspost wiederbelebt. Am augenfälligsten vielleicht war der Fort- schritt bei der Schule. Sie fand sich in der Das Bettelhansenkreuz am Dorfrand von Heiden­ hofen, wo man 1905 Kaiser Wilhelm II. mit Max Egon zu Fürstenberg empfangen hatte.

­­­­­59 Heidenhofen Zehntscheuer wieder, die nach der Abgabenbe- freiung 1843-45 zum Schul- und Rathaus umge- baut wurde. Nun gab es einen Unterricht, wel- cher den Ausdruck „Bildung“ verdiente. Zwar hatte nachweislich bereits 1623 der gelehrte Pfarrer Merck Katechismusunterricht gehal- ten oder seit 1715 bereits ein Mesner und Rat- schreiber sich redlich um Unterricht bemüht. Doch muss man an den Früchten zweifeln. Oft war die Schule jahrelang unterbrochen, dann nur im Winter gehalten. Merck auch war es, der den Hexenverbrenner Tinctorius als Lehrer nach Aasen empfahl. Da sind Zweifel ange- bracht und wahrscheinlich lernten die wenigen Schüler außer ein paar frommen Sprüchen und bis auf drei Zählen nichts. Das wurde nun, 1845 anders, als das mit der Aufgabe betraute Mi- nisterium personelle und inhaltliche Vorgaben machte, durchsetzte und überwachte. Schul- unterricht und Schule kamen, und mit ihnen Chancen auf eine bessere Ausbildung und da- mit auch ein besseres Einkommen. War mit dem Lehrpersonal auch die poli- tische Unruhe eingekehrt? Dies ist möglich, wenn der auf der Verdächtigenliste des Kul- tusministeriums 1849 in Triberg erscheinende Unterlehrer Bausch mit einem 1838 aus Ess- lingen zugezogenen und 1848 in Heidenhofen nachweisbaren Jacob Bausch identisch ist. Wie kontinuierlich und solide die Entwick- lung im Großherzogtum schließlich war, zeigen die Daten: Die Einwohnerschaft wuchs um 60 % von 100 auf 180 Personen, die in 32 Gebäuden lebten. Die landwirtschaftlichen Einkommen stiegen durch die Verbesserung der Agrartech- nik; die Öschwege mussten 1864 verbreitert werden, die Neuvermessung der Gemarkung er­ folgte 1895. Gewerbe und Handel nahmen Aufschwung. Neben mindestens zwei Schmie- den und einer Zimmerei wurden nach 1870 zwei Kolonialwarengeschäfte eröffnet, eine Bäcke- rei, ein Schuhmacher. Nicht einmal die nahen Städte bieten heute in ihren Stadtvierteln eine solche Dichte an Dienstleistungen. Doch mit dem Großherzogtum und dem Deutschen Kaiserreich gingen 1918 auch die Fahne des Militärvereins, 1898 gegründet. Haus Gruber mit Pfarrkirche und Linde um 1910. ­­­­­59

Städte und Gemeinden ­­­­­60 Kaiserjagden und damit ein Stück der alten Zeit unter. Die Erinnerung daran blieb noch Jahr- zehnte und bis in die 1950er Jahre konnte man die Alten erzählen hören, wie das Dorf 1905 am Bettelhansenkreuz Kaiser Wilhelm II. zusam- men mit seinem Freund Max Egon zu Fürsten- berg empfangen hatte. Dieses Bild verband sich in der Erinnerung auch mit der noch wei- ter zurückliegenden Szene von der Einrichtung des fürstenbergischen Wildgartens in Bachzim- mern 1781. Damals waren viele Heidenhofener in der 7.000 Mann starken und 10 km breiten Treiberkette dabei, die das Wild in das neu er- richtete Gehege trieb. Der Erste Weltkrieg mit seinen 6 gefallenen Heidenhofenern allerdings mischte dann einige Grautöne in das Bild der „guten alten Zeit“. Alle Schrecken verdichten sich Die traurigen Jahre der nationalsozialistischen Diktatur können nur mit zwei Sätzen gestreift werden, weil eine genauere Untersuchung im Umfeld der Ostbaar noch aussteht. Das den landwirt­­schaft­lich gepräg- ten Ort aufwühlende Erbhofge- setz 1933 mit seinen 12 Jahre währen­den Konsequenzen, die durchmischte Gefühle vermittelnden Fotos serbi- scher Kriegsgefange­ner von Pfarrer Kastner oder die in den deutschen wie franzö- sischen Kriegstagebücher der Einheiten nur wenige Zeilen umfassenden Einträge zu einem 24-stündigen Kampf am 25./26. April 1945, der die Heidenhofener in die Keller zwang, sind schwache Blitzlichter, die kein richtiges Bild vermitteln. Nur das Tagebuch der Elise Enges- ser oder die Chronik von Herbert Weiß spre- chen hier schon eine deutlichere Sprache und lassen erkennen, dass sich in den Kämpfen im Dorf vom 23. bis 25. April 1945 auf kleinem Raum alle Schrecken verdichtet haben, welche Krieg und Diktatur hervorgebracht haben. Wie lange zuvor im Dreißigjährigen Krieg oder den nachfolgenden Konflikten wurde Heidenhofen auch diesmal nicht völlig zerstört, sondern nur insoweit angetastet, dass eine Zukunft vorstell- bar war. Mit der seit Jahrhundert erkennbaren Zähigkeit begann das Ausbessern der Schäden, welches in einen bis über die Eingemeindung 1973 hinausreichenden, zurückhaltend moder- nisierenden Aus- und Weiterbau überging. Marksteine hierbei waren beispielsweise nicht der 1946 wieder ernannte Waagemeister zur Viehwaage, der 1948/49 erstellten Dreschschuppen, die Einkaufsge- nossenschaft 1951 und die In- standsetzung der Feldwege: sie waren nur der Versuch an das Alte, Bewährte an- zuknüpfen und doch schon wissend, dass Mechanisie- rung und Rationalisierung der Landwirtschaft den Le- Vonblau-silbernemWolkenfeh-Schild­ rand umgeben, in Grün ein goldener Balken. Das Schildbild entspricht der obe- ren Schildhälfte des Wappens der Herren von Sunthausen, denen der Ort gehörte, bis sie ihn 1477 an Fürstenberg – daher der Fehrand – ver- kauften. Aus dem 19. Jahrhundert sind nur Schriftsiegel und –stempel bekannt. Das Generallandesarchiv schlug 1903 das obige Wappen vor, das die Gemeinde annahm. Heidenhofen, 1806 badisch geworden, gehörte zum F. F. Amtsbezirk Hüfingen (Amtssitz 1844 nach Donaueschingen verlegt), ab 1939 zum Landkreis Donaueschin- gen und wurde am 1. April 1972 in die Stadt Do- naueschingen eingemeindet. Das Wappen ist damit erloschen. Das Wappen von Heidenhofen

­­­­­61 Heidenhofen bensrythmus, die jahrhundertealten Sitten und Gebräuche bald auflösen würden. Markierungspunkt für die tiefgreifende so- ziale Umgestaltung war die Gründung der Land- frauen 1950. Sie stehen für die Modernisierung im ländlichen Raum begonnen, als die bisher ins Haus gebannte Bäuerin und Landfrau sich nicht zuletzt aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges emanzipiert, ihren Mitgestaltungs- willen offen zur Schau trägt und an dem neuen Heidenhofen gestaltend mitbauen will. Hätte Heidenhofen die durch Flüchtlinge und Evakuierte auf 320 Personen hochgeschraubte Einwohnerzahl behalten, wären soziale Verwer- fungen die Folge gewesen. Doch die Evakuier- ten kehrten in ihre Heimat zurück, die Einwoh- nerzahl pendelte sich 1960 bei 199 Personen ein. Das als Kirchengeläut dienende Schlagen alter Eisenbahnschienen im Turm wich dem Klang neuer Glocken. In diesem Rahmen mar- kierte das Jahr 1960 ganz besonders den Ab- schied vom alten Heidenhofen: die drei Tage währende 1.200-Jahrfeier vom 30. Juli bis 2. Au- gust war das größte Fest, das Heidenhofen bis dahin gesehen hatte und „Wallensteins Lager“, sonntagnachmittags von der Laienspielschar dargeboten, wurde zum Aufbruch in das media- le Zeitalter, da Zeitung und Rundfunk mehrfach und ausführlich darüber berichteten. Bis dahin aber war bereits kräftig in eine neue Infrastruktur investiert worden, die die Grund- lage für den Ausbau des Ortes bis heute bildet. 1950/52 entstanden Hochbehälter auch für die Löschwasserversorgung. 1955/56 kam die Kanalisation, 1959 erfolgte der Um- und Er­ wei­ terungsbau des Rathauses, danach, 1961 folgte der Ausbau der Oberdorfstraße mit Asphalt­decke. Und als 1967 die Flurbereini- gung begann, war es das endgültige Ende einer durch das Erbschaftsrecht der fürstenbergi- schen Baar geprägten Landwirtschaft. Zugleich schloss Mitte der 1960er Jahre die Schule für immer und die Grundschüler mussten nun nach Aasen, die Hauptschüler nach Donaueschingen. Diese Welle des Umbruchs und der Modernisie- rung mag allerdings zu rasch gekommen sein. Spannungen im Gemeinderat jener Jahre und Angriffe auf den Bürgermeister deuten darauf Getreideernte bei Heidenhofen, von einst 41 Land- wirten ist dem Dorf auf der Baar gerade noch ein Vollerwerbslandwirt geblieben. Heidenhofen in den 1950er-Jahren. Das beschau- liche Dorf auf der Baar war bis in die 1960er-Jahre hinein stark landwirtschaftlich geprägt.

­­­­­62 Städte und Gemeinden hin. Der Neubau der Leichenhalle 1971 vor der Eingemeindung dann war bereits Vorbote der neuen Lebensphase als Donaueschingens lie- benswerter Stadtteil, die nach jahrelangem Ringen in der größten Gemeindereform seit Kriegsende am 1. April 1972 begann. Dr. Joachim Sturm Ausblicke Ein rasanter Entwicklungsschritt wurde jüngst mit der Verlegung der Gasleitung genommen. Der gleichzeitige Einbau von Internet- und Fern- sehkabel hat die Heidenhofener an die moder- ne Informationswelt angeschlossen. Und der Per­sonennahverkehr, die Ost-Baar-Buslinien bie­­­­ ten an den Wochenenden auch ein Rufbusange- bot, erschließt die Region immer besser. Als allmählich sich abzeichnendes Problem sieht der neu gewählte Ortsvorsteher Reinhard Merkle anstehende Altbausanierungen im Orts- kern. Mit weiterem Generationenwechsel geht es um künftige Nutzung und Gestaltung der al- ten Bausubstanz und damit ganz konkret auch um das künftige Dorfbild von Heidenhofen. Im Zuge der baden-württembergischen Ver- waltungsreform von 1972 verlor die einst selb- ständige politische Gemeinde Heidenhofen ih­ re Eigenständigkeit und wurde mit heute 245 Einwohnern kleinste Teilortschaft von Donau- eschingen. Mit Blick auf die Infrastruktur auf der Ost- baar haben auch in Heidenhofen junge Fami- lien einen hohen Stellenwert. Das Neubauge- biet Alpenblick bietet eine ganze Reihe idealer Bauplätze. Seit der Aufgabe der beiden Lebens- mittelgeschäfte versorgen mobile Bäcker und Metzger die Einwohnerschaft mit frischen Le- bensmitteln. Das Kindergarten- und Grundschulangebot in Aasen ist praktikabel und beide Einrichtun- gen werden von den Eltern sehr geschätzt. Kin- dern und Jugendlichen bietet die KJG (katholi- sche Kinder- und Jugendarbeit) Abwechslung und Erlebnismöglichkeiten. Die tradi- tionsreiche Feuerwehrabteilung steht im Notfall für schnelle Hilfe, Landfrauen machen viele kreative und gesellschaft- Der gesellschaftliche Mittelpunkt des Dorfes ist das Backhiesli, wo auch das Heidenhofener Dorffest stattfindet. Wesentlicher Initator des dörflichen Le- bens sind die Landfrauen, rechts unten beim Thea- ter aus Anlass der 1.250-Jahr-Feier. Mit einem Neubaugebiet versucht Heidenhofen die Einwohnerzahl konstant zu halten, vor allem auch junge Familien zu gewinnen. ­­­­­62

Städte und Gemeinden ­­­­­63 liche Angebote in der Ortschaft, eine Gymnas- tikgruppe animiert zu gesunder Bewegung. Das Backhiesli Gesellschaftlicher Mittelpunkt von Heidenho- fen ist das sogenannte Backhie­ sli – früher das Waschhiesli. Hier backen die Landfrauen re- gelmäßig Brot, und einmal im Jahr findet dort das Heidenhofener Dorffest, das Backhiesli- fest statt. Eine gute alte Tradition haben die Heidenhofener Landfrauen gleichfalls neu auf- leben lassen: Bei Tee und Zopf treffen sie sich im Backhiesli zum z’ Liecht-Obed. Dabei geht es auch ums Jahresprogramm für das geselli- ge Miteinander im Dorf – von der Modenschau über Musicalbesuch und Herbstdekos bis hin zum Kürbis-Kochkurs reichen die Aktivitäten. Heidenhofen und das Westernreiten Pferdehöfe sind mit den Umstrukturierungen im ländlichen Raum in den Ort gekommen. Be- reits seit zwanzig Jahren züchtet die Englände- rin Anne Maier Pferde an der Kreuzstraße. Zwei weitere Bauernhöfe wurden inzwischen von Pferdehaltern umgenutzt. Anne Maier und ihre Pferdezucht stoßen in Heidenhofen auf besonderes Interesse, denn der Westernreitsport, der hier mit Leidenschaft gepflegt wird, ist im Landkreis eine Seltenheit. Inzwischen haben sich die Maiers ganz der Zucht von Quarter- und Painthorses verschrie- ben. In dem kleinen Zuchtstall wird jedes Pferd individuell betreut, geräumige Boxen, 350 m² Auslauf im befestigten Paddock und genügend Koppeln bieten für die Pferdehaltung optima- le Voraussetzungen. Pferde aus Reining- und Cowhorselinien sind nervenstark, leistungs- bereit und haben einen sehr guten Charakter. Die Züchter: „Unsere Reitpferde sind 100-pro- zentige Verlasspferde, egal, was wir mit ihnen machen: Turnier, Orientierungsritte, St. Mar­ tins- Umzug oder Skijöring im Winter.“ Wer mehr von Heidenhofen erfahren möch- te, für den bietet sich das Buch „Heidenhofen – Geschichte und Geschichten“ an. Weitere In- formationen gibt es unter www.heidenhofen.de. Elisabeth Winkelmann-Klingsporn Heidenhofen ist „Pferdeland“. Seit zwanzig Jahren züchtet Anne Maier (oben links und rechts unten) ­ Quarter- und Painthorses.

Dass jemand „de mente“ ist, vorübergehend oder dauerhaft „weg vom Geiste“, ist ihm oder ihr natürlich nicht bewusst. Oft aber auch nicht den Menschen im Alltag, die die vermeintlich schusseligen oder mehr und weniger verwirrten Senioren nicht näher kennen. Sie begegnen ih­ nen beim Einkaufen, auf der Bank, bei Behör­ den, im Gottesdienst – und wundern sich ob des absonderlichen Verhaltens, ärgern sich vielleicht, fühlen sich provoziert. Arbeitskreis Demenz bemüht sich seit zwölf Jahren um Aufklärung Seit zwölf Jahren kümmert sich der im Landrats­ amt (unter Obhut des Gesundheitsamts) ange­ siedelte Arbeitskreis Demenz um Aufklärung und bemüht sich, eine breite Öffentlichkeit für die besondere Befindlichkeit von Menschen zu sensibilisieren, deren vernünftiger Geist sich allmählich verabschiedet. Das Jahr 2010 war durch eine facettenreich angelegte Demenz- Kampagne geprägt, bei der mit Vorträgen, Ak­ tionen, Kino, Erste-Hilfe-Schulungen und einem eigens produzierten Theaterstück systematisch Zielgruppen aus allen Generationen und Berei­ chen der Gesellschaft angesprochen wurden. Sie sollen im Umgang mit dementen Menschen als Multiplikatoren fungieren und vor allem eine Botschaft weitertragen: „Der Zugang zum Ver­ stand ist versperrt, nicht aber der zum Herzen.“ So ermuntert Peter Graf zu Dohna, Sprecher des Demenz-Arbeitskreises, Angehörige und Unbe­ ­ teiligtedazu,dementenMenschenaufeineremo­­ tionalen Ebene zu begegnen und ihnen auch im Pflegeheim einen Platz mitten im Leben einzu­ räumen – und nicht im Abseits. Der große Wurf bei der ganzjährigen Kampa­ gne war zweifellos das Theaterstück, zu dem der Arbeitskreis das Brennpunkttheater Villingen- Schwenningen um Leiterin, Regisseurin und Schauspielerin Karin Pittner gewinnen konnte. Die 13 Akteure wurden via Zeitungsaufruf ge­ funden; alle sind schauspielerische Amateure, Inhalt und Texte von „Dementus & Dementine“ wurden gemeinsam in szenischer Improvisation erarbeitet. Ausgesprochen hilfreich waren be­ ruflicheundprivateErfahrungenetlicherEnsem­ blemitglieder in Pflege und Betreuung Demenz- Demenz – Sie sind nicht allein! Altersdemenz – Eine ungeheure gesellschaftliche Herausforderung Im Schwarzwald-Baar-Kreis leben gut 3.000 Menschen mit einer Demenzerkran- kung – sie ist eine gefürchtete Begleiterscheinung des Alterns, die zwar mit dem Abbau geistiger Fähigkeiten einhergeht, bei der jedoch die Gefühle und zwischenmenschliche Begegnungsfähigkeit erhalten bleiben. Die Alzheimer ­ Erkrankung als häufigste Form der Demenz macht es schwer, neue Informationen und Erfahrungen aufzunehmen, Erinnerungen abzurufen oder sich zu orientieren. Schon bald nach Auftreten der ersten Symptome werden Erkrankte von der Hilfe anderer Menschen abhängig. Die Krankheitsdauer liegt durchschnittlich bei acht Jahren. Die Krankheit ist bis heute nicht heilbar. Medikamente können das Fort- schreiten eine Weile verzögern. Ganz gleich, ob Menschen mit Demenz alleine, bei ihren Angehörigen oder im Heim leben: sie brauchen emotionale Zuwendung und Verständnis, dabei ist der Umgang mit ihnen oft schwierig. ­­­­­64 3. Kapitel Soziales

­­­­­65 Kranker. „Sie wissen, was sie da erzählen, das ist echtes, pralles Leben“, sagt Karin Pittner, die bis dahin wie auch andere, jüngere Akteure per­ sönlich noch nicht mit dem Thema konfrontiert worden war. Die Glaubwürdigkeit ihrer Rollen haben sie mit Straßentheater („walk-acts“) auf Wochenmärkten und in Fußgängerzonen er­ probt, das als szenisches Spiel nicht unbedingt erkennbar war. Sie haben Passanten angespro­ chen, deren Verunsicherung und Abwehr erlebt und so selbst eine Ahnung davon bekommen, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen und nicht akzeptiert zu sein. Authentisch durch Mundarten Die Inszenierung von „Dementus & Dementine“ wirkt auch deshalb so authentisch, weil die Pro­ tagonisten in den ihnen angestammten Mund­ arten sprechen, alemannisch in Varianten natür­ lich, hier und da verraten russische und andere Akzente die sprachliche Herkunft. Zudem haben junge Krankenschwestern einen anderen Jargon als die strenge Amtsdame vom Medizinischen Dienst, Verkäuferin, Busfahrer oder der Halb­ starke auf der Straße. Die Geschichte nimmt das Publikum in einen vertrauten Alltag mit. Da will an der Kasse im Supermarkt eine verwirrte Frau mit D-Mark statt mit Euro bezahlen und verursacht eine lange Schlange. Im Bus findet sie ihren Fahrschein nicht und verdächtigt einen Mitfahrer des Dieb­ stahls. Eine weitere Szene spielt sich in einer Küche ab, in der alles beschriftet und sorgsam, aber falsch geordnet ist – das Brot im Bücher­ regal, Zucker im Kühlschrank. In einer anderen Sequenz will ein alter Mann mit langen, weißen Haarenunbedingt„daslangegelbeDing“haben, an dessen Namen er sich nicht erinnern kann. Das macht ihn wütend, ebenso wie die Behaup­ tung des Fremden vor ihm, er sei sein Sohn. In subtiler Dramatik wird der schleichende Verlauf der Alzheimerschen oder einer anderen Demenz-Erkrankung geschildert von scheinbar harmloser Vergesslichkeit und geistigen Aus­ setzern bis zur völligen Orientierungslosigkeit. Begleitet ist der Prozess vom zähen Ringen mit dem medizinischen Dienst um Anerkennung einer Pflegestufe und von Konflikten vor allem mit Angehörigen, die hilf- und ratlos sind, weil sie mit Mutter, Vater, Großeltern nicht mehr klar kommen, mit ihnen vergeblich diskutieren, schimpfen, zanken und schließlich selbst ver­ zweifelt und am Ende ihrer Kräfte sind. Die Inszenierung wird ergänzt um sachliche InformationenundRatschläge,dieaufeinerLein­­ wand gezeigt werden. Am Ende wird das Publi­ kum in ein Pflegeheim geführt, wo verwirrte Frauen und Männer geborgen und fröhlich ein Demenztheater: Unter Leitung von Schauspielerin Karin Pittner brachten Laien ihre oft selbst ge- machten Erfahrungen mit Demenzkranken in das Stück ein. Auch „walk-acts“ gab es, Proben auf Wochenmärkten oder in der Fußgängerzone. ­­­­­65 Demenz – Sie sind nicht allein!

­­­­­66 Soziales Volkslied singen. Angehörige kommen vorbei und bringen dem glücklich strahlenden Vater das ersehnte gelbe Ding – eine Banane – oder gucken alte Bilder mit der Mutter an, die mittags noch im Nachthemd herumläuft – und niemand schimpft deshalb mehr mit ihr. „Diskutieren ist zwecklos“, das ist laut Graf zu Dohna eine zentrale Erkenntnis, die das Theaterstück hervorragend vermittele. Statt dessen sollten Angehörige versuchen, das ab­ wegige Verhalten ihrer Verwandten zu ergrün­ den, ihnen ihre Zuneigung zu zeigen und auf der Gefühlsebene Kontakte zu suchen. Konflikte entstünden durch gegenseitiges Unverständ­ nis: „Man kann von einem dementen Menschen keine Einsicht erwarten.“ Informationsdefizite sind gravierend Das gesellschaftliche Informationsdefizit bei Demenz ist nach Einschätzung des Mediziners nach wie vor gravierend, nicht nur in der All­ tagswelt, sondern auch in Familien und beim Fachpersonal in Akutkliniken, das häufig zu we­ nig geriatrisch geschult sei. Alzheimer-Pa­ tienten kommen mit Veränderungen und Hektik schlecht klar, Ärzte und Schwestern haben es aber meist eilig und interessieren sich eigent­ lich nur für den Beinbruch, wegen dessen der Patient auf Station ist, nicht aber für seine seeli­ sche Befindlichkeit. Ähnlich ergeht es Verkäufe­ rinnen, Polizisten, Bediensteten von Behörden und Menschen auf der Straße, denen vielleicht eine hilflos herumirrende Frau begegnet, die nach Hause will und nicht weiß, wo das ist. Darum sei die szenische Aufarbeitung eines Krankheitsbildes sehr wertvoll, dessen Brisanz sich in den kommenden Jah­ ren dramatisch zuspitzen werde. „Direkt oder indirekt wird auch die heutige Jugend davon betroffen sein.“ Es sei darum wichtig, möglichst früh um Toleranz und Ver­ ständnis für die besondere Befindlichkeit von Menschen zu werben, die allmählich ihr Gedächtnis und die zeitliche Orientierung verlieren, bis sie nicht einmal engste An­ gehörige erkennen und ihnen das eigene Spie­ gelbild fremd ist. „Wir wollen vermitteln, wie Demente ticken und nicht nur medizinische Aspekte betrach­ ten, sondern menschliche“, sagt Regina Bünt­ jen vom Gesundheitsamt, wo die organisato­ rischen Fäden zusammenlaufen. Dazu wurden und werden auch „Erste Hilfe Kurse Demenz“ 47 Jahre lang führte Michael R. ein ganz normales, zufrie- denes und ausgefüllltes Leben. „Niemals hätte ich mir zu dem Zeitpunkt vorstellen können, dass mein Mann an Demenz leidet“, erinnert sich Ehefrau Heidrun R. Inzwischen, vier Jahre später, hat ihr Mann Pflegestufe 3 – die höchste also. Michael R. muss betreut werden wie ein kleines Kind, das noch nicht richtig essen, laufen und sprechen kann, das noch nicht „trocken“ ist. Noch keine 50 Jahre alt wurde der ehemalige leitende Angestellte erwerbsunfähig, wurde Frührentner. Unwirkliche Gedanken, intensive Gefühle: Wie ­ Demenzkranke ihre Umwelt erleben, weiß man nicht.

­­­­­67 für Multiplikatoren angeboten, die nach dem Schneeballsystem ihrerseits Schulungen in ihrem jeweiligen Umfeld initiieren. Das hat bestens geklappt etwa bei der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen, die in sieben eigen­ ständigen Schulungen alle Streifenbeamten er­ reichte. Teams des Landratsamtes, ehrenamt­ liche Helferkreise, Mitarbeiter von ambulanten Pflegediensten, Kliniken, Kirchen oder Museen wurden und werden noch geschult, ebenso von Feuerwehr, Rotkreuz, Handel, Banken und Be­ hörden. In Kooperation mit dem Schwenninger Kino Capitol zeigte der Arbeitskreis die Filmrei­ he „Memories“. Um Demenzkranke, die allein in der eigenen Wohnung leben, ging es in einer Fortbildung mit der Alzheimer Gesellschaft, deren Ziel vernetz­ te Unterstützungsangebote sind. „Immer mehr Kinder leben weit weg von ihren Eltern und kön­ nen sich nicht täglich kümmern“, stellt Regina Büntjen fest, „wir brauchen darum neue Struk­ turen zur Betreuung.“ Die Idee von Vernetzung und Integration hat die Arbeitsgruppe „Gesundheit“ unter Fe­ derführung der Wirkstatt St. Georgen mit einer lokalen Demenz-Kampagne und einem eigenen Urlaubsprojekt aufgegriffen. Angehörigen wird die ersehnte und dringend benötigte Auszeit ermöglicht, ohne dass sie ihre zu pflegenden Anvertrauten allein zu Hause lassen müssen. Wer will, kann sie mitbringen und mit ihnen beispielsweise geführte Wanderungen mit dem Schwarzwaldverein durch das Ferienland Schwarzwald unternehmen. Die Pflegenden können sich aber auch allein erholen und wis­ sen ihre Anvertrauten zugleich gut versorgt. Das Betreuungspaket wurde gemeinsam von Wirk­ statt, Tourist-Info, Sozialstation, Tagespflege, Pflegeheim und weiteren Partnern geschnürt. Außerdem gibt es eine Betreuungsgruppe für Menschen mit Demenz, der DRK-Ortsverein bietet ein Gedächtnistraining an, es wurde ein Stammtisch für pflegende Angehörige initiiert, an dem sie sich austauschen „und auch mal ausheulen können“. In der Bergstadt wie flä­ chendeckend im Kreisgebiet wurden Vorträge mit internen und externen Experten angeboten – kurzum, die Sensibilisierungsoffensive war breit gefächert, die enorme Resonanz bestätigt den Bedarf. Die Konsequenz für Regina Büntjen lautet: „Wir machen weiter.“ Christina Nack Bei Demenz kann gerade auch die Tagespflege die Angehörigen entlasten. Durch die tägliche Zei- tungslektüre versucht man im Schwenninger Bür- gerheim das Interesse am Alltagsgeschehen wach zu halten. Demenz – Sie sind nicht allein!

­­­­­68 4. Kapitel Persönlichkeiten „Jugendliche“ 90 Jahre – doch immer hei- ter und immer noch vielfältig engagiert, vor ­ allem auch für die Feldner Mühle Lotti Späth, die „Grande Dame“ der CDU, ist im August 2010 „jugendliche“ 90 Jahre alt ge­ worden. Immer heiter und immer noch vielfältig engagiert, vor allem noch in dem von ihr mit­ begründeten Förderverein für das körperbehin­ derte Kind, Feldner Mühle. Dort organisiert sie heute noch jede Woche in der Sommersaison die Bewirtungen und ist auch selbst jeden Sonntag aktiv dabei. Und natürlich hat sie auch mit 90 Jahren als „junggeblie­ bener, altbewähr­ ter Polit-Profi“ immer noch ein waches Auge auf „ihre“ CDU, versäumt auch heute noch nur in Aus­­ nahmefällen eine CDU-Veranstaltung. Schließlich war Lotti Späth Jahrzehnte lang Re­ präsentantin der CDU-Frauen im Kreis und über­ regional vertrat sie als ­ Delegierte die CDU in so manchen Gremien. Noch heute erzählt sie lachend: „Ich erlebte schließlich noch den Heiner Geißler und den Norbert Blüm persönlich in ihren Ämtern“. 20 Jahre lang leitete Lotti Späth die Kreisfrauen­ union als Vorsitzende. Sechs Amtsperioden war sie als Kreisrätin aktiv und bei zahlreichen weg­ weisenden Entscheidungen dabei. In die CDU eingetreten war sie bereits 1956. Sie folgte damit dem Vorbild ihres Mannes Wal­ ter Späth, der in Villingen in den Technischen Ausschuss des Gemeinderates gewählt worden war, sich als CDU-Vorsitzender des Stadtver­ bandes Villingen und im CDU-Kreisverband en­ gagierte, dazu als Kreisabgeordneter in Be­ zirks-, Landes- oder Bundesausschüssen prä­ sent war. Lotti Späth stand als „starke Frau“ jedoch nicht nur hinter ihrem Mann – wie ein schönes Sprichwort so sagt, dass „hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht“ – sondern sie stand immer mit außergewöhnli­ chem Einsatz an seiner Seite. Und dazu enga­ gierte sie sich großartig und erfolgreich „auf eigene Faust“. Zusammen mit ihrem Ehemann hat Lotti Späth, seit die Beiden 1951 aus dem westfäli­ schen Münster nach Villingen gezogen waren, als gutes Team im Schwarzwald-Baar-Kreis vie­ le politsche, soziale und gesellschaftliche Wei­ chen gestellt. Auf politischer Ebene zum Bei­ spiel, dass der später als Staatssekretär in Bonn erfolgreiche Hansjörg Häfele vor 46 Jahren zum Start in seine Karriere zunächst als Kandi­ dat für den Bundestag aufgestellt wurde, oder auch dass Dr. Friedrich Bettecken vor 51 Jahren Chefarzt der Villinger Kinderklinik wurde. Ohne Lotti Späth wäre auch CDU-Bundestagsabge­ ordneter Siegfried Kauder nicht der so aktive ­­­­­68 Lotti Späth – „Grande Dame“ der CDU Ein Vorbild für außergewöhnliches Engagement im Ehrenamt Lotti Späth

­­­­­69 Lotti Späth – „Grande Dame“ der CDU Vorsitzende des Fördervereins Feldner Mühle geworden. Und schließlich wäre das Behinder­ tenprojekt nicht das, was es heute ist. Die Feld­ ner Mühle wurde mit Lotti Späth zu einer Er­ folgsgeschichte. „Doch Vorsitzende war ich nie“, lacht Lotti Späth, „ich war lieber immer dort, wo gearbeitet werden musste“ Sie stand auch nie gerne im Rampenlicht, verlor nie den Blick für die Sorgen anderer und stellte sich so auch für das „Sorgentelefon“ zur Verfügung. Gemeinsam bekamen Lotti und Walter Späth, unabhängig voneinander, für ihr parteipoliti­ sches Wirken in den lokalen und überregiona­ len Reihen der CDU und ihr soziales Engage­ ment das Bundesverdienstkreuz verliehen. Ehe­ mann Walter Späth starb 1994. Außer, dass Lotti Späth sich parteipolitisch und für den „Förderverein für Kinder, Jugendli­ che und Erwachsene mit Behinderungen“, wie das Projekt Feldner Mühle genau heißt, so stark engagierte, ist sie auch Mitbegründerin des Kin­ derschutzbundes und engagierte sich in der Museumsgesellschaft. Dazu gründete sie einen legendären Damen-Kegelclub, der Jahrzehnte zusammen blieb, reizte beim Skat wie ein Profi­ spieler, Bridge ist eine große Leidenschaft von ihr. Nicht zu vergessen: Lotti Späth war und ist auch mit 90 Jahren immer noch ein treuer Fan des FC 08 , fehlt bei kaum einem Heimspiel, hat einen Ehrenplatz auf der Tribüne. „Sieht so ein geruhsamer Lebensabend für eine 90-Jährige aus?“ Ein Phänomen. Und Lotti Späth lacht verschmitzt: „Ohne meine lästigen langjährigen Rückenschmerzen bin ich eigent­ lich topfit“. Sagt’s – und trinkt ihr geliebtes Gläschen Wein und zieht genüsslich an ihrer Zi­ garette. Sie sei einfach eine Genussraucherin, meint sie. „Das gönne ich mir, warum auch nicht“. Lotti Späth kocht auch noch gerne – natür­ lich nicht mehr 40 Essen auf ihrem eigenen Herd wie zu Anfangszeiten der Bewirtung der Feldner Mühle. Früher hat sie auch schon die Fußballer-Frauen bekocht, wenn ihre Männer im Training waren. Heute bewirtet sie in ihrer ge­ mütlichen Wohnung gerne Freunde im kleineren Kreis, die von ihren Kochkünsten immer begeis­ tert sind. Denn Lotti Späth schabt die Spätzle noch von Hand vom Spätzlebrett. Doch an Sonntagen, da wird erst nach dem „TV-Presse­ club“ gegessen. Das ist eisernes Gesetz und das müssen ihre Freunde akzeptieren. Die 90-Jährige ist auch heute noch eine quir­ lige und gefragte Gesprächspartnerin. Immer gepflegt, immer charmant. „Warum sie auch im hohen Alter noch so gut aussieht?“ Da lacht sie herzlich: „Ich kann gut malen“ Und sie meint damit, dass sie sich immer gerne dezent schminkt, auf ein gepflegtes Äußeres großen Wert legt. Das Ergebnis ist, wie man sieht: phä­ nomenal. „Das tut mir für die Politik leid“ Ihren 90. Geburtstag hat Lotti Späth zweimal gefeiert, einmal mit einem rustikalen Früh­ schoppen und einige Tage später mit einem festlichen Essen im Freundes- und Verwandten­ kreis. Selbstverständlich, wie seit Jahrzehnten, dass zu den Geburtstagsgratulanten Prominenz aus höchsten CDU- und Kirchenkreisen gehö­ ren, unter anderem Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel, Bundestagsabgeordneter Siegfried Kau­ der, Dekan Josef Fischer, Alt-Dekan Kurt Müller, Landtagsabgeordneter Karl Rombach, der ehe­ malige Staatssekretär Hansjörg Häfele, führen­ de Politiker aus Stadt und Land, altersgemäß natürlich viele aus der „alten CDU-Riege“, auch Ehrenbürger Ewald Merkle, und Friedrich Bett­ ecken, der ehemalige Landrat Rainer Gutknecht, dazu die Freunde aus ihrem sozialen Engage­ ment und aus den Reihen des FC 08. Bis zum 90. Geburtstag hat Lotti Späth auch immer noch mit Begeisterung den 19 Jahre al­ ten, gepflegten Mercedes 230 E gefahren, den ihr Mann noch erwarb. Doch „jetzt irgendwann“ will sie ihn doch abgeben und sich auf ihre Freunde als Fahrer verlassen. Worüber Lotti Späth sich ärgert? Das sei das heutige Desinteresse vieler Menschen an der Politik, die Bequemlichkeit, die Politikverdros­ senheit. „Das tut mir für die Politik leid“, und die „Grande Dame“ der CDU gibt den Menschen den Rat: „Gehen sie doch zu den politischen Veranstaltungen. Denn nur dann wissen sie Be­ scheid und können auch mitreden und mitge­ stalten“. Sie selbst gibt dafür seit Jahrzehnten das beste Beispiel. Marga Schubert ­­­­­69

­­­­­70 Persönlichkeiten Er trägt den Vornamen römischer Kaiser und deutscher Könige: Otto. Die einen huldigen „Ot­ to, dem Starken“, die anderen sprechen von „König Otto“. Die Rede ist von Otto Sieber. Tau­ send Gäste fanden sich am 29. April 2010 in Niedereschach ein, als der zu diesem Zeitpunkt dienstälteste Bürgermeister Baden-Württembergs nach 40 Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde. So außergewöhnlich erfolgreich wie Siebers Arbeit in seiner Gemeinde, verlief auch dieser Festakt. Man amüsierte sich königlich. Das hat seinen besonderen Grund, denn Kabarettist Christoph Sieber, einer von vier Kindern des Ehepaares Theresia und Otto Sieber, moderier­ te den Abend. Das hat Otto Siebers Amtszeit zweifellos gekrönt. Otto Sieber hört den Titel König und den Beinamen „der Starke“, die sein Wirken schnell und einprägsam beschreiben sollen, „zwar nicht ungern“, reagiert darauf durchaus geschmeichelt, aber auch mit abgeklärter Gelassenheit. „Da wirdman aufeinen Sockel gehoben, von dem man auch ganz schnell wieder herunter geholt wird“, sagt er besonnen. Und ergänzt verschmitzt: “Zu viel Weihrauch schwärzt den Heiligen“. Dass dies auch für hochgelobte Bürgermeister gilt, hat er im Kollegenkreis beobachten können. Ihm selbst blieb diese Erfahrung erspart. Der am 1. August 1944 in Binsdorf (Zollern­ albkreis) geborene Otto Sieber spricht gerne von „Wir“, wenn er über sein Berufsleben spricht. Von majestätischem Gehabe ist das weit ent­ fernt. Es zeigt vielmehr, wie sehr ihm Nieder­ eschach ans Herz gewachsen ist. Über seine 40 Jahre als Bürgermeister sagt er: „Das war ich ja nicht alleine“. Der Gemeinderat habe ihm ge­ wisse Freiheiten gelassen, so dass er „nicht je­ den Hafekäs´“ habe absegnen lassen müssen. Der Mitarbeiterstab habe „unheimlich zu ihm gehalten“ und sich auch für die sozial Schwa­ chen eingesetzt. Deshalb seien die Mitarbeiter der Verwaltung, die er mit „das Rathaus“ unter ein Dach bringt, so angesehen und er damit auch. Doch das sei nicht nur sein Verdienst. Die Vereine in Niedereschach und deren großartige Leistung nennt er im nächsten Atem­ zug. „Eigenleistung“ heißt in Niedereschach das Zauberwort. Das fördert die Gemeinschaft und verhindert kleinliches Aufrechnen. Er kön­ Otto Sieber 40 Jahre lang Bürgermeister in Niedereschach und damit dienstältester Bürgermeister von Baden-Württemberg Otto Sieber „Ich habe meine Arbeit gern gemacht“, und ein weiteres Zauberwort des Erfolgs als Bürgermeister heißt „Eigenleistung“

­­­­­71 Otto Sieber ne Hunderte aufzählen, die sich Tag und Nacht für etwas eingesetzt haben. Die Mischung aus Bescheidenheit, selbst­ verständlichem Zusammenwirken und dazu Konzentration auf das Machbare passt genau zu dem Bild, das sich bei der Suche nach den von Otto Sieber hinterlassenen Spuren zusam­ menfügt. Er versteht es, die Leute mit ins Boot zu holen. Tag und Nacht im Einsatz, ein „schwä­ bischer Schultes“, der oft unterschätzt wird und dabei mit Weitblick seine Gemeinde voran­ bringt. Immerhin von 1.600 Einwohnern, als Scha­ ­ benhausen, Kappel und Fischbach noch selbst­ ständig waren, auf 3.000 nach der Eingemein­ dung bis auf heute 6.000. Niedereschacher Branchenmix hat 1.400 Arbeitsplätze zu bieten Legendär sein Zettelblock in der Brusttasche, auf dem er noch so kleinste Anliegen notiert. Da er bei Dämmerschoppen, Frauengesprächen und in den Vereinen häufig in Kontakt mit der Bevölkerung kommt, erfährt er viel. Er pflegt ein gutes Netzwerk. Regelmäßiger Kontakt mit den Firmen ist Chefsache. Er hat auch einen prima „Riecher“, wenn es um die Ansiedlung von Ein- Mann-Betrieben geht, die später groß heraus kommen. Aus 1.000 Arbeitsplätzen zu Beginn seiner Amtszeit, im wesentlichen in der inzwi­ schen niedergegangenen Uhrenindustrie, wer­ den aktuell 1.400, verteilt auf einen guten Bran­ chen-Mix: Solar-Energie, Freizeit, Ernährung. Nicht immer stößt Otto Sieber auf volle Zu­ stimmung. Eine seiner Stärken kommt aber ge­ rade hier zum Tragen. Er gilt als nicht nachtra­ gend und sucht immer wieder einen Weg bei Konflikten, ohne sich dabei selbst zu verraten. Heute zeigt er sich froh darüber, dass die Ge­ meinderäte auf einem großen neuen Baugebiet am Vorderen Herrenberg bestanden haben. So hat man eine Entwicklungsmöglichkeit mit 120 Plätzen, die in Bauabschnitten erschlossen werden und nicht die von Sieber alleine favori­ sierte Erweiterung am Hang Richtung Schaben­ hausen mit bescheidenen 20 Bauplätzen. Politisch Andersdenkende bezeichnen ihn als „rabenschwarz“, schätzen den CDU-Mann dennoch, unabhängig von der eigenen Einstel­ lung. Schließlich fällt die Liste seiner Erfolgsge­ schichten aus vier Jahrzehnten sehr lang aus. Niedereschach verzichtet weitsichtig auf eige­ ne Ortsverwaltungen und spart damit viel Per­ sonalkosten. Eine Entwicklung, die andernorts noch mühsam erkämpft werden muss. Trotz al­ lem haben Schabenhausen, Kappel und Fisch­ bach ihren eigenen Kindergarten, ihre Hallen und Probelokale für die Vereine und damit ein Eigenleben. Ein großer Wurf für Niedereschach ist die Ortsmitte mit betreutem Wohnen und Pflegehaus. Zu den von Otto Sieber verschenkten 650 Urlaubstagen gibt es zwei Varianten. Die eige­ ne: Ich habe meine Arbeit gerne gemacht. Die fremde: Er hat gearbeitet bis zur Selbstaufgabe und konnte schlecht „Nein“ sagen. So kommt ein Ergebnis nicht ohne Grund zustande. Wer im Juni 2010, gute sechs Wochen nach Otto Siebers Verabschiedung aus dem Amt, in der Google Suchmaschine „Otto Sieber Niedereschach“ eingibt, erhält die Rückmel­ dung: 15.900 Treffer in 15 Sekunden. Ein Spit­ zenwert im Vergleich mit anderen Rathaus­ chefs. Mit ein paar Klicks landet man auf einer Seite, in der Sieber noch als Bürgermeister der Gemeinde Niedereschach erscheint. Was ein­ mal im Netz steht, lässt sich so schnell nicht löschen. Das passt gut, denn nach 40-jähriger Amtszeit ist Otto Siebers Verantwortungsge­ fühl für Niedereschach auch nicht einfach „aus und vorbei“. Zu diesem Zeitpunkt existiert zwar längst der offizielle Internetauftritt der Gemeinde mit seinem Nachfolger Martin Ragg als Bürgermeis­ ter. Doch die Spuren des Ehemaligen sind nicht einmal ansatzweise verwischt. „Ich will mich erst mal neu sortieren“ Je nach Zugangssuche stehen im weltweiten Netz jedoch zwei Bürgermeister zur Wahl. Und wie läuft es im richtigen Leben? Der Neue nimmt den Ehemaligen gerne mit. Information und Hintergründe und ein freundliches Hilfsange­ bot lassen sich so unverkrampft einbringen. Siebers Slogan zu seiner letzten Kandidatur im

­­­­­72 Jahre 2002, das berühmte „I dät no mol“, kommt in abgespeckter Form zum Tragen. Was Sieber sich selbst für das Jahr 2010 geschworen hat, frei nach dem Motto: „Ich will mich erst mal neu sortieren“, lässt sich nicht ganz durchhal­ ten. Er organisiert zusammen mit den Vereinen den Niedereschacher Part für den Auftritt des „Sechser-Clubs“, also der sechs Gemeinden die zur Verwaltungsgemeinschaft Villingen- Schwenningen gehören, während der Landes­ gartenschau. Und was ab 2011 kommt, wird man sehen. Dät´ er wirklich no mol? Nein, richtig noch mal einsteigen ins volle Geschäft als Bürger­ meister wolle er nicht mehr, sagt er ohne Zö­ gern. „Es war genau der richtige Zeitpunkt zum Aufhören“. Er wirkt zufrieden mit den neuen Möglichkeiten als Ruheständler. Das E-Bike sei­ ner Frau Theresia will er sich nicht länger aus­ leihen, sondern ein eigenes kaufen. Gemeinsa­ me Touren stehen auf dem Plan. Ohne Elektro- Unterstützung wäre die „Bergwertung“ zum Haus am Hardtweg eine zu große Hürde für einen, in dessen Terminkalender dem Sport kein Platz freigehalten wurde. Wenn Sieber im Nachhinein etwas anders machen könnte, so räumt er ein, dann würde er auf mehr Bewe­ gung achten. Das will er jetzt angehen. Er wolle jetzt nur noch der „Otto“ sein, hat Sieber seinen Mitbürgern zum Abschied aus dem Amt angeboten. Damit versucht er elegant der Anrede als Alt-Bürgermeister zu entgehen. Und so drängt sich als Fazit ein Werbespruch geradezu auf: „Otto – find´ ich gut“. Verena Wider Georg Lettner verstorben Der Bürgermeister von Brigachtal wirkte bereits in der dritten Amtsperiode Der plötzliche Tod des allseits beliebten und geachteten Bürgermeisters hinterlässt in Brigachtal eine schmerzliche Lücke Fassungslosigkeit, Betroffenheit und Trauer machte sich unter der Brigachtaler Bevölkerung breit, als bekannt wurde, dass Bürgermeister Georg Lettner in den Abendstunden des 26. September 2010 im Alter von 65 Jahren verstor­ ben ist. Etliche Bürger waren an diesem Sonn­ tag noch in Kontakt mit dem Gemeindeober­ haupt, Georg Lettner hatte noch am Vormittag eine Kunstausstellung im Rathaus eröffnet. Mit Georg Lettner verlor die Gemeinde einen Bür­ germeister, dessen Amtsjahre von der kontinu­ ierlichen Weiterentwicklung der Kommune be­ stimmt waren. Die beliebte und allseits geach­ tete Persönlichkeit hinterlässt über Brigachtal hinaus eine schmerzliche Lücke. Auch im Kreis­ Georg Lettner Persönlichkeiten

­­­­­73 tag war Georg Lettner vertreten. Georg Lettner hinterlässt seine Frau Beatrix, zwei Kinder und drei Enkelkinder. Bei seiner Arbeit im Rathaus von Brigachtal war es ihm stets wichtig, alle drei Ortsteile gleich zu behandeln. So wurden in Klengen, Kirchdorf und Überauchen Neubaugebiete erschlossen, die Kindergärten neu gestaltet, die Festhallen, Straßen und Wasserversorgung saniert, und so­ ­ weit es möglich war, Arbeitsplätze am Ort er­ halten oder neue geschaffen. Zu den großen Projekten in seiner Amtzeit zählte die Neuge­ staltung des Friedhofes, die Einführung der Ganztagsschule, verbunden mit dem Schulan­ bau, ebenso die Durchführung von drei Orts­ kernsanierungsprogrammen. Großer Förderer der Vereinsarbeit Neuestes Projekt, das Ende 2010 seinen Ab­ schluss fand, ist die Versorgung des Gewerbe­ gebietes Kirchdorf mit schnellen Internetan­ schlüssen. Sein besonders Augenmerk legte Georg Lettner stets darauf, dass die Schulden abgebaut und keine neuen Kredite aufgenom­ men wurden, was auch gelang. Das menschli­ che Miteinander hatte für ihn einen großen Stellenwert, weshalb er den Rahmen für die Ver­ einsförderung immer voll ausschöpfte. In den Vereinen sah er die ehrenamtlichen Orga­ nisationen vor Ort, die zum gesellschaftlichen Leben in der Gemeinde einen gewichtigen Bei­ trag leisten. Die Vereinsarbeit würdigte der Bür­ germeister zudem, indem er bei nahezu allen Generalversammlung der fast 50 Vereine im Verlauf eines Jahres anwesend war, um den Verantwortlichen seinen und den Dank der Ge­ meinde auszusprechen. Die Jugendarbeit profitierte von seiner Idee, einen Eisenbahnwaggon als Freizeiteinrichtung am Rande des Festplatzes zu platzieren. Georg Lettner führte vor 20 Jahren das Kinderferien­ programm ein, an dem alljährlich rund 900 Kin­ der teilnehmen. Auch den alljährlichen Alten­ nachmittag führte er vor zwei Jahrzehnten ein, wozu er sich den 19. März, den „Josefstag“, aussuchte. Stark machte er sich dafür, damit in der Ortsmitte das „Haus der Senioren“ gebaut werden konnte, woran sich die Gemeinde finan­ ziell beteiligte. Viel hatte der Bürgermeister noch in den letzten vier Jahren seiner dritten Amtsperiode vor. Sein größtes Anliegen war da­ bei die Umsetzung des „Entwicklungsprogram­ mes Brigachtal 2025“. Seit 1990 in Brigachtal aktiv Georg Lettner wurde am 10. Juni 1945 im ober­ bayrischen Penzberg geboren. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Lehre als Groß­ handelskaufmann. Zu Beginn der 1970er Jahren bestand er die Laufbahnprüfung zum gehobe­ nen Verwaltungsdienst. Von 1975 bis 1990 war er Leiter der Truppenverwaltung und Standort­ verwaltung der Bundeswehr Außenstelle in Mosbach. Der damals mit seiner Familie in Hardheim im Odenwald wohnhafte Diplom-Verwaltungs­ wirt gehörte dem Gemeinderat in Hardheim und dem Kreistag im Neckar-Odenwald-Kreis als CDU-Mitglied an. Im Oktober 1990 wurde Georg Lettner zum Bürgermeister der Gemeinde Brigachtal ge­ wählt und am 3. Januar 1991 offiziell verpflich­ tet. 1998 und 2006 wurde er, der auch dem Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises und dem Regionalverband angehörte, für die dritte Amtszeit gewählt. Auch dem „Sechserclub“, ei­n Zusammenschluss der Bürgermeister der Ge­ meinden Niedereschach, Brigachtal, Dauchin­ gen Tuningen, Unterkirnach und Mönchweiler gehörte er an. Ebenso nahm er seine Aufgaben als Kreisvorsitzender der kommunalpolitischen Ver­­ einigung (KPV) der CDU/CSU im Landesvor­ stand wahr. Keine Parteipolitik im Rathaus „Parteipolitik hat im Rathaus nichts zu suchen“, sagte CDU-Mitglied Georg Lettner bei seinen Auftritten im Wahlkampf 1990. Dieser Aussage blieb er auch in seiner 20-jährigen Amtszeit stets treu. Gleich, welche Parteien oder Opposi­ tionsregierungen in Bonn und später in Berlin am Ruder waren, er nahm kein Blatt vor den Georg Lettner verstorben

­­­­­74 Persönlichkeiten Mund, wenn ihm etwas nicht passte. Ganz be­ sonders dann, wenn etwas von oben verordnet wurde, das Auswirkungen finanzieller belasten­ der Art auf den Gemeindehaushalt hatte. Gerne gebrauchte er dann die Redewendung „Wer die Musik bestellt, der soll sie auch bezahlen.“ So zum Beispiel, als den Gemeinden verordnet wurde, dass sie Kindergartenplätze für Kleinkin­ der einrichten müssen. Lettner kritisierte hierzu die unzureichende zu Verfügung Stellung von finanziellen Mitteln und somit die Abwälzung eines großen Anteils der Kosten auf die Kom­ munen. Große Debatten über gefallene Entschei­ dungen auf Bundes -und Landesebene ließ er jedoch bei den Gemeinderatssitzungen nicht zu, da diese ohnehin keine Änderung der Gege­ benheiten herbeiführen werden, meinte er im­ mer bei dem Aufflammen von Diskussionen. Selbst machte er in der Kommunalpolitik nie von den Standpunkten seiner Partei Gebrauch und kehrte seine CDU-Mitgliedschaft nicht her­ vor. Diesem Beispiel eiferten auch die Vertreter der Parteien und Listen im Gemeinderat nach, sodass Entscheidungen nach den Sachverhal­ ten und nicht aus Fraktionszwängen getroffen wurden. Zukunftsorientiert – zum Wohl der Bürger Was Georg Lettner von seiner Wesensart her auszeichnete, war seine Aufrichtigkeit, Gradli­ nigkeit und hohe kommunalpolitische Sach­ kompetenz, von der die Gemeinde Brigachtal mit ihren etwas über 5.000 Einwohner in seiner 20-jährigen Amtszeit profitierte. Doch er war al­ les andere als ein Beamter, der eine Kommune zu verwalten hatte. Sein Blick war stets nach vorne gerichtet, zukunftsorientiert zum Wohl der Kommune und der Bürger. Der bei passen­ der Gelegenheit aufblitzende Humor des Ober­ bayern kam bei den Menschen an. An alle diese Eigenschaften erinnerten auch die Redner bei der Trauerfeier in der Allerheili­ genkirche, an der rund 650 Menschen teilnah­ men. Pfarrer Ernst Gicklhorn sprach von der Le­ bensfreunde und der Herzlichkeit des Verstor­ benen, dessen herzhaftes Lachen man nicht mehr hören werde. „Wir nehmen Abschied von einer außerordentlichen Persönlichkeit, deren Beruf auch Berufung war. Es schmerzt sehr, ihn nicht mehr unter uns zu haben, denn er war ein sehr wertvoller Wegbegleiter“, sagte der Finanz­ minister des Landes Willi Stächele. Der Bun­ ­ destagsabgeordnete Siegfried Kauder meinte, dass Georg Lettner immer voll Stolz von seinen Bürgern und Vereinen berichtet habe, und für seine Gemeinde da war. „Nun ist eine Lücke ent­ standen, die nicht zu füllen ist“. Hohes bürgerschaftliches Engagement Landrat Karl Heim schrieb dem Verstorbenen ein hohes bürgerschaftliches Engagement zu, von dem der Landkreis durch seine Zuverlässig­ keit und menschliche Wärme profitiert habe. Als ein Kollege, der nie das eigene, sondern das Wohl der anderen im Blickpunkt hatte, bezeich­ nete den Verschiedenen Tuningens Bürger­ meister Jürgen Roth, der für die Bürgermeister aus dem Kreisgebiet den Nachruf hielt. „Wir verlieren einen wahren Freund“, brach­ te Jean-Paul Monin, Bürgermeister aus der fran­ zösischen Partnergemeinde Essey-les-Nancy zum Ausdruck. „Er war ein Mann der klaren Worte, eine fairer Partner, wir haben ein Für­ sprecher der Vereine verloren und werden sei­ ne Präsenz schmerzlich vermissen“, sagt Ge­ rold Häßler, der für die Brigachtaler Vereinsge­ meinschaft sprach. „Was wir mit Georg Lettner verloren haben, das wird uns erst später so richtig bewusst werden“, sagte Gemeinderats­ mitglied und Bürgermeisterstellvertreter Theo Effinger. Georg Kaletta

Persönlichkeiten ­­­­­75 Es gibt in mancher Landschaft gewisse Plätze, die wie geschaffen scheinen als Standort für ein Gasthaus, die Martinskapelle gehört mit Si­ cherheit dazu. Und es gibt Erfolgsrezepte für Gasthäuser, die auf gewissen Grundregeln zu beruhen scheinen: man sorge für ein Alleinstel­ lungsmerkmal, man sichere sich gute Mitarbei­ ter, und vor allem bringe man Leidenschaft mit! All das verwirklichte bereits im 18. Jahrhundert die Kaltenbach-Dynastie auf dem Anwesen „bei Sankt Martins Capellen“. Franz Dold, derzeiti­ ger Wirt, tut das bis heute gleichfalls – und auch er mit großem Erfolg! Vor Zeiten war es der „Kappele-Käs“, der die Wirtschaft zum Blühen brachte, nachdem der Bauer Martin Kaltenbach des „Käs-Baschis Tochter“ aus Furtwangen zur Ehefrau erwählt hatte. Zwar wurde zur gleichen Zeit überall im Katzensteig und Farnberggebiet Käse produziert, besagter Martin und sein Bruder Mathias hat­ ten aber wohl das richtige „Marketing“ – ihr Käse fand reißenden Absatz. Sogar bis in die Schweiz und ins Elsass wurde geliefert, was Martin Kaltenbach sicher nicht alleine bewäl­ tigt hätte, wenn er nicht rechtzeitig seinen älte­ ren Bruder als gleichberechtigten Partner zuge­ lassen hätte. Diese Brüder heirateten dann obendrein noch zwei Stiefschwestern! Die Wirtschaft florierte, und zwar sicher auch deshalb, weil die Brüder noch eine Lei­ denschaft gemeinsam hatten: die Musik. Ei­ ner Auch was die Küche anbelangt, war Franz Dold in Sachen Umweltbewusstsein schon sehr früh an der vordersten Front zu finden Franz Dold – Wirt aus Leidenschaft Hüter der Furtwanger Donauquelle – ein Schwarzwälder Original von dem selbst Jacques Costeau begeistert war In Dutzenden von Film- und Fernsehbeiträgen ein beliebter Interviewpartner: der frühere Kolmenhof- und heutige Martinskapellenwirt Franz Dold, hier bei Drehaufnahmen mit dem SWR-Fernsehen.

­­­­­76 Persönlichkeiten spielte mit der Geige auf, der andere mit der Harfe, und so wurde die Kappele-Wirtschaft zu dem Anziehungspunkt für die Jugend der umlie­ genden Gehöfte. Leisten wir uns in Gedanken einen Zeitsprung: Franz Dold, Jahrgang 1954 vom Kolmenhof ne­ benan, wäre sicher dabei gewesen, sofern er überhaupt freie Stunden dafür gefunden hätte. Den trieb nämlich eine andere Leidenschaft um: die Automechanik. So begann er nach dem Be­ such der Schule, die er bis zum Alter von zwölf Jahren in der einklassigen Katzensteiger, dann in der Friedrichschule in Furtwangen absolvier­ te, eine Lehre als Automechaniker bei der Firma Siedle. Nach der Mechanikerlehre begann Franz Dold sofort mit der nächsten Lehrstelle, es folg­ te die Ausbildung zum Koch. Kurz vor dem Ge­ sellenbrief musste der Militärdienst eingescho­ ben werden, den er glücklicherweise vorwie­ gend in der Kasernenküche ableisten durfte. Er­ fahrung dafür hatte er bereits genügend ge­ sammelt, hatten doch die Eltern im Jahr 1957 unmittelbar unterhalb der Martinskapelle einen Gasthof gebaut und betrieben. Selbstverständ­ lichkeit war die Mithilfe der fünf Kinder in der Gastwirtschaft gewesen, genau so wie bei der Stall- und Feldarbeit auf dem Hof. Vater Dold hatte immer Höchstleistungen von seinen Söhnen erwartet, auch in Sachen Sport. Einer der Brüder gehörte sogar dem Na­ tionalkader der Langläuferjugend an. Franz hin­ gegen zog auf die Dauer dem Training im Schnee das Training am Kochherd vor, so volontierte er im Parkhotel Wehrle. Mit dem Nachweis von fünf Jahren Gastronomie-Praxis war dann der Zugang zur Hotelfachschule Villingen gesichert. Der erfolgreichen Abschluss­ prüfung schloss er gleich noch die Ausbildung zum Ausbilder an, Das Gasthaus Martinskapelle und Filmaufnahmen beim Kolmenhof, dem früheren Wirkungsort von Franz Dold, den heute Sohn Christoph mit Ehefrau Katharina umtreibt.

­­­­­77 Franz Dold – Wirt aus Leidenschaft war somit also befähigt, selbst Lehrlinge aus­ zubilden. Nun steuerte alles geradewegs auf Selbstständigkeit zu. Das Bodenwaldstüble am Furtwanger Sommerberg wurde zum idealen Betätigungsfeld, das die Autoleidenschaft auch nicht zu kurz kommen ließ: In dieser Studenten­ kneipe war der „Entenclub“ (2 CV) zu Hause, und der unermüdliche Schaffer und Bastler – inzwi­ schen in Gütenbach wohnhaft, verheiratet und Vater zweier Kinder, brachte es im Jahr 1979 zum stolzen Besitzer des ersten „Traction avant“, der legendären Limousine der Marke Citroën aus Vorkriegszeiten, die er natürlich alt gekauft und eigenhändig komplett restauriert hatte. 1981 konnte Franz Dold von seinen Eltern den Gasthof Kolmenhof bei der Martinskapelle im Furtwanger Katzensteig übernehmen. Auch der sollte sich dank seiner Technik-Leidenschaft und der vielseitigen Handwerkserfahrung zu etwas ganz Besonderem verwandeln. Schließlich wa­ ren ein Vierteljahrhundert nach der Gründung des Lokals die Anforderungen an die Gastrono­ mie im Schwarzwald gestiegen und dem Ge­ schmack der Gäste entsprach das Ambiente auch nicht mehr. Komplett zu sanieren waren sämtliche Zimmer; in der Gaststube musste das dunkle Holz der 1970er Jahre einer helleren Aus­ stattung weichen. All das war für einen Mann, der schweißen konnte und mit Elektroinstalla­ tion vertraut war, jedenfalls kostensparend zu bewältigen. Sich selbst zur Belohnung, sozusagen, er­ gänzte er das Anwesen um einen Anbau, der Platz bot für die mittlerweile stattlich angewachsene Sammlung von Oldtimer-Fahrzeugen, denn dass es nicht bei dem Citroën Star geblieben war, versteht jeder, der den umtriebigen Franz Dold je kennengelernt hat. Heute hat er in seinem „Stall“ übrigens 20 fahrbereite Nutzfahrzeuge stehen, die landwirtschaftlichen eingeschlos­ sen, die Zweiräder noch nicht einmal einge­ rechnet. Zu Recht bietet der neueste Hotelpros­ pekt auch die Besichtigung der Raritäten an. Von Anfang an mit der Donauquelle verbunden Von Anfang an war dem jungen Gastwirt auch die Betreuung und „Inszenierung“ der Donau­ quelle ein großes Anliegen. Was heute kaum noch jemandem bewusst ist: erst seit 1954 ist es amtlich, dass genau dort der längste der bei­ den Quellflüsse entspringt. Dank der Messun­ gen des Würzburger Arztes Dr. Ludwig Öhrlein und seiner Frau Irma wurde dieser Platz als ­Donauursprung bestätigt – was bekanntlich ge­ rade von Donaueschinger Seite bestritten wird. Was dem Senior Dold noch eher als lästige Komplikation bei der Bebauung des Grund­ stücks erschienen war, begriff der Sohn sofort als die große Chance: Er bezog den Zugangs­ steig zur Quelle harmonisch in die Außenan­ lage des Gasthofs mit ein, sorgte für ein Gäste­ buch, in das sich die zahlreichen Besucher aus aller Welt eintrugen – oft nicht ohne einen Be­ such im Lokal anzuschließen. In den Folgejahren setzte ein regelrechter Rummel um die Quelle ein. In den 1990er Jahren war z. B. ein Filmteam des Meeresforschers Jac­ ques Cousteau vor Ort. Eine ganze Woche lang startete das weltbekannte Team vom Kolmen­ hof aus zu seiner Expedition zu den Quellen der Donau. Schließlich kam Jacques Cos­ teau selbst auf die Martinskapelle, um dort Franz Dold und vor allem auch seine Nachbarin, das weithin be­ kannte „Hoch Marile“, kennenzulernen und na­ türlich für seine Dokumentation zu filmen. Bil­ der wurden aufgenommen, die weltweit ausge­ strahlt wurden – ein Film entstand, der um die Erde reiste. Beim Holzfahren mit der alten BMW – die Leiden- schaft von Franz Dold sind Oldtimer-Fahrzeuge ­­jeder Art.

­­­­­78 Persönlichkeiten Unzählige Fernsehteams aus aller Welt sind seit den 1950er-Jahren zur Furtwanger Donau­ quelle beim Kolmenhof gekommen, und auch fernöstliche Besucher sind durchaus an der Ta­ gesordnung. Vor allem auch aus Ungarn kom­ men Gäste, nicht wenige starten von der Mar­ tinskapelle aus zu einer Radtour in ihr Heimat­ land, dorthin, wo sich die Donau ins Schwarze Meer ergießt. Kaum eine große Zeitung oder Il­ lustrierte auf diesem Planeten, die nicht einmal über diese Quelle berichtet oder ein Foto von ihr gezeigt hätte, oft kommt darin Franz Dold vor – von der FAZ über SPIEGEL bis zur ZEIT – oder gar in der weltbekannten Biographie der Donau, die Claudio Magris verfasste. In der Zeitschrift des Meeres, „mare“ ge­ nannt, steht über Franz und Karin Dold und ihre Heimat zu lesen: „Eine nasse Wiese hoch über Furtwangen im Schwarzwald; das Gasthaus Kol­ menhof mit einem Kaffeemühlen sammeln­ den Wirt; ein hölzernes Portal, durch das ein paar Treppenstufen zu einem klaren Wässer­ chen namens Breg hinunterführen, das sich aus der nassen Wiese in einer winzigen Steinmulde zusammengefunden hat; eine in einen Stein­ brocken eingelassene Tafel, auf der steht: Do­ nau-Quelle. Das also ist der Anfang. Wer behauptet, die Donau beginne in Do­ naueschingen, wird hier oben ausgelacht. So ein Unsinn, weiß doch jedes Kind: Brigach und Breg bringen die Donau zuweg. Der Wanderer sagt’s, sticht in die Kirschtorte, wischt sich einen Schokoladenkrümel vom Mund und warnt vor den Rumänen da unten im Delta, das seien schon richtig wilde Araber. „I wo, die sind sehr nett“, meint die Wirtin. „Gänsehaut bekomme ich, wenn ich dran denke, wie weit die hochge­ fahren sind, die Rumänen, nur um ein Fläsch­ chen mit Donauwasser zu füllen und zu schau­ en, woher’s denn kommt, das viele Wasser. Die schlafen zu viert in einem kleinen Auto bei uns auf’m Parkplatz, die sind so arm, und trotzdem kommen s‘ her. Die fühlen sich mit uns verbun­ den und ich mich auch mit denen, irgendwie.“ Treffend beschrieben ist hier der Geist der Wirtsleute Franz und Karin Dold, die weltoffen in ständigem Kontakt mit vielen Freunden der Donau stehen. Dass die Furtwanger Donauquel­ le heute auf vielen Straßenhinweisschildern prangt, und die Internet-Adresse www.Donau­ quelle.de von Furtwangen besetzt ist, mag nicht zuletzt ein Stück weit Franz Dold zu verdanken sein. Er hat die Quelle gehegt und gepflegt, hat viel dazu beigetragen, dass das in Granitstei­ nen gefasste Quellbecken gut einhundert Meter unterhalb von Kolmenhof und Martinskapelle zu einem letztlich weltweit bekannten Ort wurde. In Sachen Umweltbewusstsein an vorderster Front zu finden Doch mit diesem Alleinstellungsmerkmal war es nicht genug: Auch was die Küche anbelangt, war Franz Dold in Sachen Umweltbewusstsein an der vordersten Front zu finden. In den 1990er Jacques Costeau (Mitte links) im Kreis seines Filmteams. Kolmenhofwirt Franz Dold (stehend) hatte das Team der Calypso eine Woche lang zu Gast, gedreht wurden Film- aufnahmen zum Ursprung der Donau. Einziges Thema der illustren Gesprächsrun- de: Wo entspringt die Donau? Bis heute war der Weltbürger Costeau der berühmteste Gast des Kolmenhofs.

­­­­­79 Jahren wurde seinem Betrieb durch das Land Baden-Württemberg der Umweltpreis verlie­ hen, denn in diesem Haus findet der Gast bei­ spielsweise keinerlei Plastiknäpfchen für Brot­ aufstriche, sondern nur selbstgemachte Konfi­ türen und hausgemachtes Brot. Auch die Spei­ sekarte bevorzugt bewusst Gerichte, die der Jah­ reszeit und heimischer Ernte entsprechen. Bei Dolds verzehrt man auch Fleisch, das die Vieh­ halter aus der Umgebung liefern. Und was oft nicht einmal Vier-Sterne-Hotels schaffen: hier gibt es Tee nur auf Blättern gebrüht, dabei ste­ hen allein für Grüntee sogar drei Sorten zur Aus­ wahl. Tee in Beuteln jedenfalls wird den Gästen nicht serviert. Was der Gast nicht sieht: geputzt wird nur mit biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln. Weichspüler, Rohrreiniger und andere Chemi­ kalien sind tabu. Dies würde sich auch negativ auf die Biologie der eigenen Kläranlage auswir­ ken. Energie wird gespart, wo immer das mög­ lich ist: das Haus wurde isoliert, Sonnenkollek­ toren erwärmen einen großen Teil des Brauch­ wassers, ein Teil der Beleuchtung funktioniert mit Solarstrom, der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist. Ein Holzherd mit integriertem Wärmetauscher hält in der Küche Speisen und Teller warm, überschüssige Wärme wird in die Zentralheizungsanlage abgegeben, ansonsten kocht Franz Dold mit Gas. Wie ist derartige Konsequenz in der Gas­ tronomie überhaupt durchzuhalten, fragt sich er­­ ­ staunt der „Normalverbraucher“. Fest steht: oh­ ne seine Frau Karin wäre diese Betriebsführung nicht denkbar. Sie steht genau so zu den Grund­ sätzen, die bewusst auf solide Traditionen ­ bauen, fernab aller Fast-Food- und Rationa­ lisie­ rungs­ tendenzen landauf, landab. Der Sohn als Nachfolger – der Vater mit ­ Ehefrau Karin als Wirt der Martinskapelle Vor zwei Jahren konnte sich das Ehepaar Dold einen langgehegten Wunsch erfüllen. Der „Berg­ gasthof Martinskapelle“, der gerade dreihun­ dert Meter vom „Kolmenhof“ entfernt liegt, stand zur Verpachtung frei und wurde sofort über­ nommen. Und auch an diesem Ort wird die Phi­ losophie der Dolds weitergeführt. Gleichzeitig war Sohn Christoph bereit, zusammen mit sei­ ner jungen Frau Katharina den Kolmenhof an der Donauquelle zu übernehmen. Auch Katha­ rina Dold stammt übrigens aus einer Familie von Gastronomen. Seither sichert die Dold-­ Dynastie die gastronomische Versorgung des Gebiets um die Martinskapelle sozusagen „rund um die Uhr“. In geradezu idea­ ler Weise ergänzen sich die beiden Häu­ ser nicht nur hin­ sichtlich der Betten­ kapazität: Das Hö­ hengasthaus Restau­ rant Kolmenhof bie­ tet Komfortzimmer in stilistisch variierter ori­gineller Ausstat­ tung, während der Berggasthof Martins­ kapelle, außen wie in­ nen dem Stil der 1930er-Jahre treu bleibt; mit einfachen Doppel- und Mehrbettzimmern. Entsprechend differenziert zeigen sich auch die Speisekarten; dabei liegen die beiden Wirts­ paare genau auf derselben Linie hinsicht­ lich Umwelt-und Traditionsbewusstsein. Selbst­­ re­ dend, dass man sich mit den Ruhetagen ablöst, so dass wirklich kein Wanderer oder Schiläufer je unversorgt „auf der Strecke“ bleiben muss. Franz Dold jedenfalls bleibt der Martinska­ pelle und der Donauquelle als weithin bekann­ ter Gastronom und ein Schwarzwälder Original im besten Sinne des Wortes erhalten. Er selbst ist es auch bereits, den die Menschen treffen wollen, der Zinken Martinskapelle hat schon immer Menschen beheimatet, die ein eigenes Gepräge besaßen. Wer hier in über 1.000 Me­ tern daheim ist, entwickelt wie die Landschaft Ecken und Kanten – Besonderheiten. Das „Käp­ pele“ wird bleiben, was es ist – und Franz Dold wird weiterhin seinen Hobbys nachgehen: Die Pflege der Donauquelle und der Kampf „gen ­ Donaueschingen“ in der Quellenfrage wird den „Kapelle-Franz“ noch lange begleiten, ebenso wie sein Oldtimer-Fuhrpark – man wünscht es ihm jedenfalls von Herzen! Elke Schön Karin und Franz Dold Franz Dold – Wirt aus Leidenschaft

­­­­­80 Persönlichkeiten Stararchitekt? Gunter P. J. Bürk schmunzelt. So recht scheint er mit dieser Bezeichnung nichts anfangen zu können. Der Typ, der seine Leis­ tungen in der Welt der Architektur an die große Glocke hängt, ist er nun mal nicht. Dabei hätte er allen Grund dazu. In der Architekturszene ist der Mann näm­ lich ein Begriff, eine ganz große Nummer. Man kennt ihn, weiß was er drauf hat. Und das ist jede Menge. Er hat Spuren hinterlassen. In den USA, in Deutschland und an vielen anderen Or­ ten der Welt. Bürk hat großartige Bauten errich­ tet. Milliarden wurden unter seiner Regie ver­ baut. Derzeit plant er beispielsweise den neuen internationalen Berliner Flughafen BBI. Einen der weltgrößten, nämlich den in Chikago, hat er bereits gebaut. Und auch die aufsehenerregen­ de Veranstaltungshalle O2, die im vergangenen Jahr in Berlin eröffnet wurde und die als schöns­ te Veranstaltungshalle Europas gefeiert wird, ist Werk seines Architekturbüros in Berlin, der JSK-Architekten, bei denen er geschäftsführen­ der Gesellschafter ist. In Polen entstehen unter seiner Regie Fuß­ ballstadien für die anstehenden Fußball-Euro­ pameisterschaften, Hochhäuser von ihm ragen in aller Welt in die Höhe. Zu welch überragen­ den Leistungen er fähig ist, zeigte sich auch 2009 wieder. Der von ihm geplante 200 Meter hohe „Tornado-Tower“ in Doha, Katar, erhielt vom Council on Tall Buildings and Urban Habi­ tat (CTBUH) in Chicago, USA, den Titel „Hoch­ haus des Jahres“ verliehen. Ein Titel, den Bürk und sein Team für den gesamten Bereich Afrika und den Mittleren Osten in Anspruch nehmen kann. Und da schießt bekanntlich ein Wolken­ kratzer nach dem anderen in die Höhe. Bürk ge­ hört einer der begehrtesten Architektenpreise der Welt. Ein sensationeller Erfolg. Doch wer Bauten von Bürk sehen will, der braucht nicht so weit zu fahren. Er sollte ein­ fach mal in Schwenningen in die Neckarstraße schauen. Dort steht seit kurzem der Neckar To­ wer. Zugegeben, mit seinen 48 Metern ist die­ ser Turm für einen Architekten wie Bürk wohl Gunter P. J. Bürk Ein weltweit renommierter Architekt – Der Neckar Tower gibt Schwenningen ein neues Gesicht Gunter P. J. Bürk – ein Schwenninger Architekt baut für die Welt. „Sowohl bei der Wohnungseinrichtung, als auch bei der Architektur müssen zwei Dinge zusammenpassen: Funktionalität und Schön- heit müssen eine Symbiose finden.“ Der Neckar Tower von P. J. Bürk prägt das Schwen- ninger Stadtbild als höchstes Wohn- und Büro- haus der Doppelstadt auf besondere Weise.

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­­­­­82 Persönlichkeiten eher ein „Türmchen.“ Und dennoch: Gerade an diesem Projekt hängt sein Herzblut, sagt er. Zum ersten Mal hat er ein größeres Projekt in der Stadt verwirklicht, in der er vor 67 Jahren geboren wurde. Er macht keinen Hehl daraus, dass er eine Riesenfreude hatte, als der damali­ ge Geschäftsführer der Wohnungsbaugesell­ schaft Villingen-Schwenningen, Walter K. Grim­ minger, sich bei ihm in Berlin meldete und ihn fragte, ob er nicht Lust hätte, den LGS-Turm für sein Unternehmen zu planen. Grimminger war in Fachbüchern auf den Namen des Schwennin­ gers gestoßen. Stolz hebt sich der faszinierende Turm zwi­ schenzeitlich in die Höhe. Bis auf das Innere ist er zur Eröffnung der Landesgartenschau fix und fertig geworden. Und so mancher nutzte die ­ Gelegenheit von hoch oben den Blick über Schwenningen und weit darüber hinaus zu ge­ nießen. Der Neckar Tower, ein markanter Bau in der Stadt, der in kürzester Zeit zu einem Wahr­ zeichen geworden ist. Vor allem, er steht auch wirtschaftlich auf gesunden Beinen. In der Zwi­ schenzeit sind sämtliche zwölf Stockwerke ver­ mietet. Die oberen hat die Fachhochschule be­ legt, darunter sind Studentenwohnungen und ganz unten dann unter anderem Gastronomie. Nein, es ist nicht das erste Mal, dass Bürk etwas in Schwenningen plant. Einige Reihen­ häuser auf Rinelen hat er hier einmal gebaut. Doch das ist Jahrzehnte her, war ganz am An­ fang seiner beruflichen Karriere. In die Wiege gelegt war ihm die Architektur auf den ersten Blick eigentlich nicht. Die Eltern Ludwig und Marie Bürk betrieben in der Lessingstraße in Schwenningen ein Möbelgeschäft, das um die Jahrhundertwende gegründet worden war. Der Name Bürk stand in der Stadt am Neckarur­ sprung in jenen Zeiten also nicht nur für Uhren, sondern auch für Wohnkultur. Aber: Wohnen und bauen haben irgendwo natürlich doch et­ was miteinander zu tun. Beim Prinz-Kari-zu-Fürstenberg-Turnier auf den dritten Platz gesprungen Die älteren Schwenninger werden sich auch noch daran erinnern, dass der Name Bürk in je­ nen Zeiten immer auch mit dem Eishockey in Verbindung gebracht wurde. Weniger wegen der persönlichen Künste des Architekten auf dem blanken Eis. Sicher, auch ihn fand man auf der alten Eisbahn an der Rottweiler Straße. Doch sein Talent hielt sich in Grenzen. Im Gegensatz zu dem seiner Brüder. Bürk schmun­ zelt: „Die hatten in diesem Sport wesentlich mehr drauf. Erich, Rolf und Kurt gehörten in je­ nen Zeiten zu den Stützen des Schwenninger ERC.“ Aber auch der Architekt sorgte für sport­ liche Schlagzeilen. Nicht auf dem Eis, sondern zu Pferde. 1958 in Donaueschingen: Beim gro­ ßen Preis des Prinz-Kari-zu-Fürstenberg-Tur­ niers reitet Bürk auf „Inka“ ein, wird in dem hervorragend besetzten Wettbewerb Dritter. Ein toller Erfolg und der Höhepunkt der Reitkar­ riere des jungen Mannes. Das Pferd gehörte üb­ rigens dem Schwenninger Otmar Jäckle. In Berlin, seinem jetzigen Tätigkeitsort, holt Bürk dann seine bescheidene „Eishockey­ vergangenheit“ doch wieder ein. Immer wieder schaute er sich die Spiele der Berliner Capitals an. Irgendwann saß er zusammen mit einem Kunden wieder einmal auf der Tribüne, als der ihm urplötzlich sagte: „Du könntest doch bei den Capitals einsteigen.“ Bürk sagte „Ja“, war plötzlich Miteigentümer der Capitals, damals ein Gegner der Schwenninger Wild Wings in der ersten Liga. Damals hat so gut wie keiner in Schwenningen gewusst, dass Bürk sozusagen ihr „Gegner“ war. Bürk: „Das war vielleicht ein Abenteuer.“ Eines mit allerdings recht wenig er­ freulichen Seiten. Die Capitals gerieten in die Krise, Bürk, der den früheren Schwenninger Trainer Billy Flynn an die Spree geholt hatte, stieg wieder aus und nicht viel später waren die Capitals dann ganz am Ende. Der Architekt auf ein mögliches Engagement bei seinem „Hei­ matclub“, den Schwenninger Wild Wings, ange­ sprochen, lächelnd: „Lassen wir es gut sein. Die Berliner Erfahrungen reichen mir.“ Doch zurück zum jungen Gunter Bürk, der am ­ Neckar­ ursprung zusammen mit seinen Brü­ dern und Schwester Annemarie aufwuchs und seine Kindheit verbrachte. Er besuchte das Schwenninger Gymnasium, machte dort sein Abitur, wobei er sich an einen Lehrer noch be­ sonders erinnert: an Dr. Erhard Eppler. Den

­­­­­83 Swiss Tower, Dubai Tornado Tower, Qatar In der Hauptstadt von Qatar, im Stadtteil Westbay, entsteht in den nächsten Jahren ein Hochhausviertel. Höhepunkt ist ein markanter, 200 m hoher Büroturm mit dem sprechenden ­ Namen Tornado Tower, dessen dynamische Form einem ­ Wirbelsturm in der Wüste gleicht. O2 World, Berlin Im Herzen eines neuen Viertels ist die modernste Multifunk- tionshalle Europas entstanden: die Arena am Ostbahnhof. Mit rund 16.500 Sitzplätzen und 89 exklusiven Business-­ Suiten eignet sich die Halle hervorragend für anspruchsvolle Großveranstaltungen oder Unterhaltung. An der Eingangs- front erinnert die Arena mit ihrem einladend gekurvten, teil- weise verglasten Mittelrisaliten an die Tradition der großen Festspielhäuser des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Der 40-geschossige Büroturm spielt thematisch auf den Charakter der Schweiz an. Auf die zweischalige Fassade werden Bilder von Schweizer Landschaften gedruckt: Von saftigen Wiesen geht die Fassade in eine Almlandschaft über und endet im mächtigen Massiv des Matterhorns unter blauem Himmel.

Persönlichkeiten ­­­­­84 Mann also, der später von Schwenningen auf­ brach, um eine große politische Karriere zu starten und bis heute noch als das moralische Gewissen der deutschen Sozialdemokraten gilt. Anschließend nahm er das Architekturstu­ dium in Stuttgart auf. Noch heute sind die Praktika unvergessen, die er in seiner Heimatstadt beim Architekten Maier absolviert hat. Und auch beim Bauge­ schäft Heinichen schnupperte er rein. Bürk: „Eine herrliche Zeit.“ Gehalten hat ihn das aber am Neckarursprung nicht. Bürk zog es, wie er sagt, „hinaus in die große weite Welt.“ Viel­ leicht fiel ihm der Abschied auch deshalb leich­ ter, weil seine Eltern während seines Studiums schon früh gestorben waren. Dass Bürk sich ausgerechnet die USA aussuchte, hatte einen einfachen Grund. Die Liebe zog ihn über den großen Teich. Seine damalige Freundin und ­ jetzige Frau Evelyn sagte: „Komm nach Amerika, wenn Du mich heiraten willst.“ Der damals 27-Jäh­ rige wagte 1969 den Sprung über den großen Teich. Mit 29 Jahren an der Spitze der besten Architekturbüros in den USA Ein Schritt, den er nie in seinem Leben bereuen sollte. Als Bürk in den USA das Flugzeug ver­ ließ, ahnte er wohl kaum, dass er dort so lange hängen bleiben würde. Der junge Mann aus Schwenningen erhielt eine großartige Chance, fing bei Perkins & Will in Chikago an, einem der renommiertesten Architekturbüros der USA. Die Chefs merkten wohl sehr rasch, dass sie da ein ganz besonderes Talent an Land gezogen hat­ ten. Der Aufstieg des Schwenningers begann. Und was für einer! Es war zwar nicht die in den USA so bekannte Nummer, die es vom Teller­ wäscher zum Millionär bringt, aber zumindest eine, die einen jungen Schwenninger, der gera­ de sein Architekturabschluss gemacht hatte, an die Spitze eines der besten Architekturbüros in den USA brachte. Mit 29 Jahren war er dabei, als Perkins & Will den damals dritthöchsten Wolkenkratzer der Welt baute. Bürk lachend: „Heute gibt es natürlich höhere Häuser.“ ­ Ähnlich wie die Bauten wuchs auch Bürks Ein­ fluss bei dem Architekturbüro in Chicago und Washington, D.C. Bürk wurde 1983 Seniorpart­ ner des Unternehmens. Bürk baute in aller Welt. In den USA, in Asien, im Mittleren und ­ Nahen Osten.Stadien,Bahnhöfe,Flugplätze,Hochhäu­ ser, Einkaufszentren. Bürk über seinen Erfolg in den USA: „Natürlich musst Du was drauf haben, was können. Aber es gehört auch eine Portion Glück dazu. Und das hatte ich.“ Die Stärke liegt im Entwurf Worin er seine Stärken als Architekt sieht? Die Antwort ist kurz und prägnant. „Im Entwurf. Da müssen Transparenz und Funktionalität stim­ men.“ Der Schwenninger ist kreativ, ein Mann City Quartier, Frankfurter Welle: Eine ausgewogen proportionierte, sechs- bis achtgeschossige Block- randbebauung übernimmt den Maßstab der vor- handenen Wohnbauten. 136.000 Quadratmeter, Bausumme: 175 Mio. Euro.

­­­­­85 Gunter P. J. Bürk mit faszinierenden Ideen. Einer der auch weiß, was am Bau in ist und der selbst neue Trends setzt. Und doch: Von der Arbeitsweise her ist er eher ein Architekt der alten Schule. Mit Compu­ tern hat er persönlich nicht viel am Hut. Bürk: „Das ist nicht unbedingt meine Welt.“ Reiß­ brett, Papier, Lineal und Bleistift sind seine Arbeitsutensilien. So entstehen seine Pläne. Umgesetzt werden sie dann am Computer von seinen Mitarbeitern. Dann das Jahr 1989. In Deutschland fällt die Mauer, werden die Weichen für die Wiederver­ einigung gestellt. Bürk zieht es plötzlich zurück in sein Heimatland. Nicht nach Schwenningen, sondern nach Berlin und Frankfurt. Die Bezie­ hungen in die USA gibt es bis heute. Doch sein neuer Arbeitsplatz ist seit 1991 die deutsche Hauptstadt. Eine neue Herausforderung wartet, Bürk ist geschäftsführender Gesellschafter der JSK-Architekten, einem der renommiertesten deutschen Architekturbüros mit über 200 Be­ schäftigten. Berliner Flughafen: Ein Milliarden-Auftrag Neue Objekte warten. Der Schwenninger und seine Mannschaft sind „in“. Er erhält Großauf­ träge und mit 65 Jahren zieht er eine ganz dicke Nummer an Land: den Bau des neuen Berliner Flughafens. Auch für einen Mann wie Bürk so etwas wie ein Höhepunkt seines beruflichen Le­ bens. Schließlich erhält auch ein Bürk nicht je­ den Tag einen Auftrag, bei dem eine Milliarde Euro verbaut werden. Bürk lacht: „Natürlich gibt es da jetzt auch noch den Turm in Schwen­ ningen…“ Mit dem Bau des Turms in Schwenningen häuften sich seine Besuche in seiner Heimat­ stadt. Fünf bis sechs Mal war er in der Vergan­ genheit pro Jahr im Schnitt ohnehin schon da. Schließlich hat er in der Stadt am Neckar noch immer Verwandte und Freunde. Und seine Frau Evelyn, mit der er zusammen die Kinder Alexan­ der und Nicola hat, kommt aus Hüfingen. Dort besitzt die Familie neben dem Domizil in Berlin ein weiteres Haus, in das man sich gerne immer wieder einmal zurückzieht. Im Moment sitzt der renommierte Architekt ­ allerdings auf einer Terrasse eines Lokals in ­ seiner alten Heimatstadt. Der Schwenninger Rechtsanwalt und ehemalige CDU-Kreisrat Kurt Haberer kommt zufällig vorbei und entdeckt Bürk. Jahrzehnte haben sich die beiden nicht mehr gesehen. Entprechend groß ist das Hallo beim Wiedersehen. Und in dem Gespräch wird rasch deutlich: Eines hat der Stararchitekt trotz seines langen Aufenthaltes in Washington DC und in Berlin nicht verlernt: schwenningerisch schwätza. Günther Baumann Modell zum Bau des neuen Berliner Flug- hafens BBI, mit dem Bürk im Augenblick beschäftigt ist. Der Auftrag für dieses Mil- liardenprojekt ist ein Höhepunkt im Schaf- fen des gebürtigen Schwenningers Gunter P. J. Bürk.

­­­­­86 Persönlichkeiten Der Neckar Tower ist 45 Meter hoch und besitzt 13 Etagen – das Gebäude entwickelte sich aus der Idee einer Aussichtsplattform für die Lan­ desgartenschau. Investiert wurden ca. 9,5 Mio. Euro. Architekt Gunter P. J. Bürk über sein Werk: „Der Turm bindet sich in den unteren Geschos­ sen städtebaulich durch das Aufnehmen der Straßenflucht ein. Seine sich nach oben hin ver­ drehende Form nimmt die Sichtachsen zum Landesgartenschaugelände, zur historischen Innenstadt und auf die Schwäbische Alb auf. Hierdurch ist der Turm ein Bezugspunkt in der ganzen Stadt. Die Konzeption sieht einen ge­ wundenen und sich nach oben verjüngenden Turm als weit sichtbares Landmark vor, das ­ Dy­ namik und Bewegung symbolisieren soll. Eine Lichtinstallation soll den Turm auch nachts weithin sichtbar machen.“ Das Hochhaus ist als architektonisch und ökologisch nachhaltiges Gebäude umgesetzt, neben einer „intelligenten Fassade“ wird auch regenerative Energie genutzt. Als Primärheiz­ system fungiert eine Geothermie-Anlage auf Wärmepumpenbasis. Somit dürften voraussicht­ lich ca. 90 Prozent der erforderlichen Heizlast aus regenerativen Energien abgedeckt werden. Im Erdgeschoss entstand eine Lounge mit Außenbereich sowie ein Bank-Service-Center. Sechs Stockwerke sind für studentisches Woh­ nen reserviert. 46 Apartments in verschiedenen Größen versprechen hohen Wohnkomfort und kurze Wege, denn die Fachhochschule und die Berufsakademie sind fußläufig in drei Minuten zu erreichen. Fünf Etagen nutzt die Hochschule Furtwangen als Büro- und Seminarräume. Die Wohnungsbaugesellschaft Villingen- Schwenningen (WBG) ist Bauherr des Turms. Hauptgesellschafter der GmbH ist zu 97,2 Pro­ zent die Stadt Villingen-Schwenningen, den Rest teilen sich Sparkasse, Volksbank und wei­ tere Anteilseigner. Die WBG hat 20 Mitarbeiter, die Gesellschaft gibt es seit 1927. Heute bewirt­ schaftet sie gut 1.400 Mietwohnungen, davon 145 Studentenwohnungen, ein Altenpflegeheim mit 120 Plätzen, sieben Gewerbe- und Gemein­ schaftseinrichtungen und rund 900 Auto-Stell­ plätze. Der Neckar Tower – Details zum Bau ­­­­­86 Der Neckar Tower, oben mit dem jungen Neckar, gesehen von der Landesgartenschau aus.

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­­­­­88 ­­­­­88 Firmengruppe METZ CONNECT Regional verwurzelt – international präsent Seit ihrer Gründung vor 34 Jahren hat die Firmengruppe METZ CONNECT weltweit 680 Arbeitsplätze geschaffen, davon 380 am Standort der Firmenzentrale in Blumberg. Da­ mit ist die Firmengruppe nach TRW der zweitgrößte Arbeitge­ ber in der Region Blumberg. Im Gespräch mit den geschäfts­ führenden Gesellschaftern Albert und Jochen Metz kommt zum Ausdruck, welche Dyna­ mik in dem Unternehmen steckt, das Fertigungsstand­ orte in Eu­­­­­ropa und Asien hat und auf 26 Märkten weltweit vertreten ist. METZ CONNECT versteht sich als ein „Netz­ werk starker Un­ ternehmen“, betont seine tiefe Verbundenheit mit dem Standort Blum­ berg. In der Welt der Datenübertragung gehört die Blum­ berger Gruppe vielfach zu den führenden Anbietern. So ist METZ CONNECT mit seiner BTR NETCOM GmbH in Deutsch­ land Marktführer für die Datentechnik im Kupferbereich. 5. Kapitel Aus dem Wirtschaftsleben Die Unternehmensphilosophie METZ CONNECT ist Spezialist für Verbindungs­ komponenten und Verkabelungssysteme zur Übertragung von Signalen und niederen Strö­ men in infrastrukturellen und industriellen An­ wendungen. Das fortschrittliche, international agierende ­ Familienunternehmen mit langjähriger Erfahrung orientiert sich an traditionellen Werten. Und die Blumberger unterstrei­ chen in ihren Unternehmens­ grundsätzen auch das Bemühen um Nachhaltigkeit. Diese Leitge­ danken beeinflussten auch maß­ geblich die neue Namensgebung der Firmengruppe: Der Name METZ steht für den Familiencharakter und die persönliche Verantwor­ tungskultur, die das Un­ ternehmen prägen und eine solide Vertrauensgrundlage schaffen. Mit dem Begriff CONNECT wird das Betätigungsfeld der Gruppe abgesteckt: Intakte Verbindungen und durchgängige Kommunikation. Die Pionier- und Aufbauphase Die heutige Dimension des Unter­ nehmens hat sich in mehreren Pha­ sen entwickelt. Motor und treiben­ de Kraft dieser Entwicklung waren die innovativen Fähigkeiten und der unternehmerische Instinkt von Al­ bert Metz, die heute noch maß­ geblich den Erfolgsweg der Firmen­ gruppe beeinflussen. Grundlagen dafür waren sein Ingenieurstudium Firmengründer und Ge- schäftsführer Albert Metz mit Sohn Jochen, der seit 12 Jah- ren im Unternehmen tätig ist. LON I/O-Module für die Gebäudeautomation.

­­­­­89 Firmengruppe METZ CONNECT an der Fachhochschule in Furtwangen mit be­ triebswirtschaftlicher Weiterbildung und die anschließend gesammelten Erfahrungen in namhaften Unternehmen. Er hat es verstanden, Marktimpulse aufzugreifen und kompetente Menschen einzubinden, wenn es darum ging, Chancen zu nutzen, neue Produkte zu generie­ ren und intakte Beziehungen aufzubauen. Durch die Übernahme der in Blumberg in Konkurs gegangenen Firma Siebert und Tietz begann das unternehmerische Engagement auf eigenen Füßen am 1. April 1976. Mit seiner Frau Gerdi und ein paar Mitar­ beitern wurde das be­ ste­ hende Lieferprogramm aus Einzelklinken, Lampenstreifen, Schauzeichenstreifen und an­ deren technischen Komponenten aktualisiert und die Produktion auf den neuesten techni­ schen Stand gebracht. Beliefert wurden die Post und Händler, die vorwiegend im Export ­ tätig waren. In dieser Phase war die Lohnferti­ gung für die Firma Siedle in Furtwangen eine wichtige Ergänzung und gleichzeitig der Start­ punkt für die Zusammenarbeit mit dem ersten großen Kunden, der auch heute noch als Ab­ nehmer von Verbindungskomponenten eine wichtige Rolle in der Gruppe spielt. Durchbruch mit Anschlussklemmen In dem Marktbedürfnis nach neuen elektri­ schen Verbindungstechniken sah Albert Metz die Chance, ein eigenes Sortiment an An­ schlussklemmen für Leiterplatten zu entwi­ ckeln und zu vertreiben. Das Besondere an den Klemmen waren gedrehte Anschluss-Klemm­ körper, durch die markt­ gängige Konzepte tech­ nisch wesentlich verbessert und auch preiswer­ ter wurden. Angetrieben von der positiven Re­ sonanz des Marktes wurden die neuen Produk­ te auf der internationalen Messe „electronica“ im November 1976 in München erstmals ausge­ stellt. Für die RIA electronic war dies ein ent­ scheidender Erfolg und Schritt in die Zukunft. Auf der Messe wurden wichtige Kundenbezie­ hungen geknüpft sowie Händler und Vertriebs­ partner gefunden, mit denen man noch heute erfolgreich zusammenarbeitet. Der Rufnummerngeber RN 63 Ein weiterer Meilenstein wurde zwei Jahre spä­ ter gesetzt: Durch den Impuls eines Studien­ freundes wurde Albert Metz auf den Bedarf an Rufnummerngebern aufmerksam gemacht. Mit großem Erfolg: Der Jahresbedarf eines großen Kunden veranlasste Albert Metz dazu, in diese Sparte auf eigenes Risiko einzusteigen und den Die drei Blumberger Werke von METZ CONNECT, hier arbeiten rund 380 Menschen. Mit dem Stand- ort Blumberg ist das Unternehmen tief verwurzelt. „Es gehört Mut dazu, stets neue Wege zu gehen. In unserer Entwicklung beweisen wir immer wieder auf’s Neue, dass es sich lohnt, diesen Weg zu ge- hen.“ Firmengründer Albert Metz zur Philosophie seines Unternehmens.

­­­­­90 Aus dem Wirtschaftsleben Rufnummerngeber RN 63 (Bild links) zu entwickeln. Das Herzstück des Geräts war ein Speicherchip, von dem 36 Stück in jedes Gerät eingebaut wurden. „Für uns war dieses Enga­ gement bei allem Risiko ein wertvoller Gewinn an Erfahrung und wich­ tiger Durchbruch in der Marktpositionierung“, betonte Albert Metz. Ähnlich erfolgreich war das Engagement bei der finnischen Post, wo es ­ darum ging, entlang der russischen Grenze ei­ nen Sicher­ heitszaun zu errichten und dafür spe­ ­ ziell entwickelte Klinken- und Lampenstreifen zu liefern. Das Auftragsvolumen von 2,5 Millio­ nen Mark hat dem Unternehmen Substanz für die Weiterentwicklung gegeben. Wachstums- und Profilierungsphase erweitert das Sortiment von METZ sprunghaft Mit Übernahme der in Konkurs gegangenen Fir­ ma „Badische Telefonbau Renchen“ im Jahr 1983 und der Umfirmierung in „Blumberger Tele­ fon- und Relaisbau“ unter Beibehaltung der Kurzform BTR bekam das unternehmerische En­ gagement eine ganz neue Dimension. Es muss­ ten nun zwei Firmen geführt und die Unterneh­ menskulturen unter einen Hut gebracht werden. Die anfänglich am bisherigen Standort Renchen bei Offenburg weitergeführte Produktion wurde Schritt für Schritt nach Blumberg übernommen und in die vorhandenen Strukturen integriert. Dadurch wurde das neu erbaute Werk mit 3.000 Quadratmetern Fläche schon zu klein. Mit der Übernahme von BTR erweiterte sich das Pro­ duktsortiment sprunghaft. Die un­terschied­li­chen Ausführungen von Relais brach­ ten neue kom­ plexe Anforderungen mit sich und mussten in der Entwicklung und Produktion umge­ setzt werden. Zur besseren Planung und Steue­ rung der beiden Unternehmen wur­ den die Aktivitäten, soweit sinnvoll und möglich, zentralisiert und unter dem Namen „Firmengruppe Albert Metz“ zusammengeführt. Neben der damit erreichten internen Effizienz­ steigerung wurde das Image der beiden Un­ ternehmen aufgewer­ tet und eine höhere Marktakzeptanz er­ reicht. Neben dieser selbst initiierten Weiterent­ wicklung der Unternehmen wurde das Wachs­ tum und die Profilierung der Gruppe Ende der 1980er-Jahre aber ganz maßgeblich durch meh­ rere äußere Einflüsse und Herausforderungen gefördert. So haben der Zusammenbruch des So­­ zialismus und die deutsche Wiedervereini­ gung ganz neue Möglichkeiten für das nationa­ le und internationale Marktengagement eröff­ net. Gleich­ zeitig machte sich immer mehr die Globalisierung bemerkbar, was sich zunehmend auf die technische Weiterentwicklung, die in­ ternationale Vernetzung und den Wettbewerb auswirkte. Aufstieg zum Marktführer in Deutschland Ein ganz entscheidender Einfluss für die Neu­ orientierung und Profilierung der Firmengruppe brachte die Liberalisierung der deutschen Post mit sich. Bisher staatlich gelenkte Organisatio­ nen wurden durch privates Management er­ setzt, was ganz neue Anforderungen und Bezie­ hungsgeflechte mit sich brachte. Neben die­ sem un­ ter­ nehmerischen Wandel bei der Post haben sich gleichzeitig die technischen Anfor­ derungen an die Telekommunikationsnetzwer­ ke sowohl national wie auch international ver­ ändert. Ein wichtiger Schritt dabei war die Um­ stellung der Telefonverbindungen von der ana­ logen auf die Digitaltechnik ISDN. In diesem Zusammenhang hat die BTR mit der neuen Produktreihe IAE die Ausschrei­ bung der Post gegen eine große Zahl nationaler und internationaler Anbieter gewonnen. Um diesen für das Unterneh­ Von oben links: Rufnummerngeber, lötbare Federkraftklemme (rechts oben), und Koppelbaustein (unten).

­­­­­91 Firmengruppe METZ CONNECT men sehr wichtigen Erfolg zu er­­­­ringen und konsequent auch für die sichere Da­­tenübertragung zu nutzen, hat Albert Metz mit einem klei­ nen Team von Bera­ tern und Entwicklern ein ganz neues Pro­ duktkonzept entwor­ fen, bei dem neuarti­ ge Schirmungstech­ nologien eine maß­ gebliche Rolle spiel­ ten. Die BTR hat als Erste am Markt eine Datendose mit einer Schir­ mung aus Zink­­­­­­­­­­­druckgussteilen positioniert und damit ganz neue Akzente gesetzt. Für dieses zu­ kunftsorientierte Projekt hat das Unternehmen drei Millionen Mark investiert und 43 neue Werkzeuge zum Einsatz gebracht. Auf diesen technischen und konzeptionellen Grundlagen baut heute noch das breite Sortiment an Netz­ werkkomponenten auf. Gleichzeitig konn­ te dadurch die Marktführerschaft im nationalen Markt erreicht werden. Dieser Erfolg wurde mit dem FAX- Umschalter FTU fortgesetzt, der in großen Stückzahlen hergestellt wur­ de und dem Unternehmen die wirt­ schaftliche Grundlage für weitere wichtige Innovationen gab. Engagement in Ungarn: METZ CONNECT Hungary Mit der Öffnung nach Osten haben sich für METZ CONNECT ganz neue Perspekti­ ven in Ungarn eröffnet. Über Bekannte erhielt Albert Metz den Hinweis, dass die ungarische Post ein neues Netz aufbaue. Auf die Anfrage eines nam­­­­haften deutschen Bieters hat sich die Firmengruppe bereit erklärt, den Part der An­ schlussdosen für dieses Projekt zu überneh­ men. Der Zuschlag ging zwar an einen anderen Anbieter. Doch konnte Albert Metz während seiner Anwesenheit in Ungarn den Kontakt zur Firma Konform knüpfen, die als Lieferant von Kunststoffwerkzeugen eine interessante Per­ spektive für die Gruppe bot. Im Rahmen der Gespräche wurde Albert Metz gefragt, ob er nicht einsteigen wolle. 1990 erfolgte der Einstieg bei Konform und im Laufe der nächsten Jahre die Übernahme einer Mehr­ heitsbeteiligung. Aus der Konform ging 2005 die METZ CONNECT Hungary hervor. Neben dem Werkzeugbau wurden nach und nach Kunst­ stoffspritzerei, Stanzerei und Klemmenbestü­ ckung aufgebaut. Da die Räum­ lichkeiten in Budapest keine Erweiterung der Produktion mehr zuließen, gründeten die Verantwortlichen 2008 in Kuns­ zentmiklòs südlich von Buda­ pest die MC Termelö. Es folgte der Kauf von Gebäuden für eine Kunststoffsprit­ zerei. Im Juni 2010 wurde die Produktion aufge­ nommen. Die Produktionsaufnahme in Kuns­ zentmiklòs zeigt auch, wie sehr die Familie Metz Blumberg verbunden ist. Die ungarische Gemeinde ist seit Mai 2000 Partnerstadt Blum­ bergs. Und Kunszentmiklòs liegt auch noch im Komitat Bàcs Kiskun, das mit dem Schwarz­ wald-Baar-KreisseitJahreneineGebietspartner­ schaft hat. METZ CONNECT auf der SPS/IPC/DRIVES 2009 in Nürnberg. Über Fachmessen ergeben sich Kontakte zu Kunden in aller Welt. Produkte von METZ CONNECT, von oben links: E-DATmodul und Auto­­­­­­­matischer Faxumschalter „AMS Faxstar“.

­­­­­92 Aus dem Wirtschaftsleben Die RIA electronic, Inc. gründet sich Ein weiterer wichtiger Markt für Albert und Jo­ chen Metz ist natürlich Amerika. Von 1978 bis 1991 hatte die Firma dort eine Partnerfirma, die das Produktsortiment an Anschlussklemmen unter eigenem Namen verkaufte. Im Septem­ ber 1990 zeichnete sich das Ende der Zusam­ menarbeit ab. Am 1. Ok­ tober 1991 gründete Albert Metz in New Jersey die RIA electronic Inc., um die nordamerikani­ schen Märkte für Steckverbinder zu erschlie­ ßen. Das Geschäft florierte so, dass die Toch­ tergesellschaft bereits nach vier Jahren in eige­ ne Räume mit 3.000 Quadratmetern umziehen konnte. Im Juli 2007 wurde das Tochterunter­ nehmen BTR NETCOM Inc. gegründet. Damit wurden die Aktivitäten auch auf das Gebiet von Verkabelungssystemen ausgeweitet, wobei auch hier die geschirmte Technik im Mittelpunkt steht. Wachstum in Blumberg Zwangsläufig wuchsen mit dem rasanten Wachstum auch die qualitativen und quantitati­ ven Anforderungen an die Unternehmensstruk­ turen und an die Führung. 1991 begann das Unternehmen mit dem Bau des Nordwerks (Werk 2) mit einer Fläche von 5.000 Quadratme­ tern. Das Werk wurde im Oktober 1992 einge­ weiht. 1996 erwarb Albert Metz auf der Ottilien­ höhe das Werk 3, ein Teilgebäude der ehemali­ gen Spielzeugfabrik Darda. „Damit konnten wir viele Prozesse zentralisieren und das Rauman­ gebot wesentlich erweitern“, erklärte Albert Metz. Die Betriebsvergrößerung ging im Jahr 1999 weiter. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Nordwerk (Werk 2) wurde Werk 4 erwor­ ben, in dem bisher die Firma Hagen ihr Domizil hatte. Mit der Zertifizierung der Firmengruppe nach DIN ISO 9001 im Jahr 1994 sowie der da­ mit verbundenen Einführung eines Qualitäts­ managementsystems wurden die Prozessab­ läufe in al­ len Unternehmensbereichen dem internationa­ len Standard angepasst. Durch jährliche Überprüfungsaudits wird sicher ge­ stellt, dass ein kontinuierlicher Verbesserungs­ prozess statt­fin­det und die Qualität der Produk­ te und Prozesse nachhaltig gewährleistet ist. Neuausrichtungs- und Internationalisierungsphase Durch die Beschleunigung der Globalisierung und die rasante Weiterentwicklung der Schwel­ METZ-CONNECT – die selbständig operierenden Firmen im Überblick Die RIA CONNECT GmbH bietet ein breites Sortiment an Leiterplatten-Steck­ verbindern in Schraub-, Feder- oder Schneid­ klemmtechnik an. Diese Anschlussklemmen sind in Standard-Ausführung verfügbar oder können kundenspezifisch angefertigt wer­ den. Sie sind für Anwendungen in verschie­ densten Bereichen entwickelt worden wie Indus­triesteuerungenoderGebäudeautoma­ tisierung. Die BTR NETCOM GmbH ist in den Marktbereichen Gebäudeverkabelung, Gebäudeautomation, Industrieverkabelung und Automatisierung mit ihren technisch an­ spruchsvollen Produktlinien und Syste­ men seit über 30 Jahren ein international er­ fahrener Marktpartner. In der MC TECHNOLOGY sind die unternehmensübergreifenden Bereiche Innovation, Logistik, Verwaltung, Material­ wirtschaft und Produktion der RIA- und BTR- Produktpalette angesiedelt, sie produziert in Blumberg und steuert die europäischen und asiatischen Fertigungsstätten der METZ CONNECT. Die Produktions­­­­­­- stätte der METZ CONNECT Hungary in Budapest

­­­­­93 Firmengruppe METZ CONNECT lenländer China, Indien, Brasilien u. a., sowohl auf dem Gebiet der Produktinnovation wie auch der Produktionstechnik, sind ganz neue Macht- und Wettbewerbsvoraussetzungen entstanden, auf die sich die Gruppe am Anfang dieses Jahr­ hunderts einstellen musste. Albert und Jochen Metz, zusammen mit dem Führungsteam, wur­ de bewusst, dass diesen Herausforderungen nur dann erfolgreich begegnet werden kann, wenn sich die Gruppe neu ausrichtet, und sich auf die Produkte und Märkte konzentriert, wo eine nachhaltige Wirkung erreicht werden kann. In dieser Hinsicht war sich das Führungs­ team dahingehend einig, dass die Neuausrich­ tung auf mehreren Gebieten erfolgen muss. Ziel der neuen Struktur ist die Stärkung von METZ CONNECT als weltweiter Lösungsanbieter und international orientierter Marktpartner für elektrische und elektronische Komponenten. METZ CONNECT bietet alle Verbindungskompo­ nenten sowie ganze Verkabelungssysteme für infrastrukturelle und industrielle Anwendungen damit aus einer Hand. Mit der Eingliederung der Produktsortimente von RIA CONNECT und BTR NETCOM in das Gesamtsortiment von METZ CONNECT wird die Position als Lösungsanbieter verdeutlicht. Neue und nachhaltige Firmenidentität So kam das Team zu dem Ergebnis, dass der zukünftige Marktauftritt der einzelnen Grup­ penfirmen unter einem einheitlichen institutio­ nellen Markenbegriff gebündelt werden muss. Aus diesen Überlegungen heraus ist die neue Bezeichnung der Gruppe „METZ CONNECT“ ent­ standen. Unter diesem Dach können die vor­ handenen Synergieeffekte im Liefersortiment und in den Prozessen viel besser ausgeschöpft und für das Unternehmen und die Kunden nutz­ bar gemacht werden. Gleichzeitig kommt da­ durch die Kompetenz und Leis­ tungsfähigkeit der Gruppe viel Rundgang zum 30-jährigen Firmenjubiläum (links). Die Ausbildung ist bei METZ CONNECT ein wichtiges Thema: Rechts ein BA-Student der Fachrichtung Elektrotechnik. Das dreijährige Studium wird im Verbund mit der Berufsakademie Lörrach angeboten. Tape-on-Reel: Anschlussklemmen und Stiftleisten in automatengerechter Ver­­­­packung, so dass die Montage problemos erfolgen kann.

Aus dem Wirtschaftsleben ­­­­­94 besser zur Geltung. Um diesem zentralen An­ spruch gerecht zu werden, war es erforderlich, die Führungsstrukturen innerhalb der Gruppe neu zu ordnen. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Unter­ nehmensbereich „Marketing und Vertrieb“. Um eine nachhaltige Neuordnung zu schaffen, wur­ de dieser Bereich zentralisiert und mit einem verantwortlichen Geschäftsführer besetzt. Mit Torsten Janwlecke konnte bereits 2005 eine er­ fahrene und profilierte Persönlichkeit gefunden werden, die nach Meinung von Albert und Jo­ chen Metz die Geschäftsführung positiv er­ gänzt und abrundet. Ein weiterer zentraler Punkt bei der Neuausrichtung war die kommunikative und logistische Vernetzung innerhalb des Gruppenverbandes. Über ein hoch-inte­ griertes und modernes Kommunikations- und Da­­tennetzwerk sind heu­ te alle Firmen, Tochtergesell­schaften, Un­­­ter­­­neh­ mensbereiche und Einzelarbeitsplätze in den Gesamtprozess eingebunden. Informationen und Daten können jederzeit erweitert, ergänzt oder eingesehen werden. Dadurch ist die Grup­ pe in der Lage, auf Veränderungen schnell zu reagieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Pro­­zess­­in­te­gra­tion ist soweit voran­ geschritten, dass auch Kunden jederzeit in der Lage sind, wichtige Informationen zu Produk­ ten und laufen­ den Aufträgen einzusehen und abzurufen. Albert Metz erklärte, dass bei der Neuaus­ richtung auch bewusst wurde, dass die Anfor­ derungen von Morgen alleine nicht mehr zu be­ wältigen sind. Deshalb seien, gerade im inno­ vativen Bereich, Kooperationen eingegangen worden, durch die das eigene Know-how er­ gänzt und erweitert wurde. Man wird auch in Zukunft verstärkt nach Partnern Ausschau halten, um fachliche und zeit­ liche Vorteile zu gewinnen, ohne die eigenen Stärken dabei zu vernachläs­ sigen. Ein wichtiger Bestandteil der Neu­ ausrichtung hat und muss sich nach Meinung von Albert und Jochen Metz auf dem Gebiet der Internationalisierung vollziehen. Mit dem Ausbau der Produktionskapazitäten in Ungarn und China seien in dieser Hinsicht zwar schon wichtige Schritte unternommen worden. Dies reicht jedoch noch nicht aus, um die Wett­ bewerbsfähigkeit der METZ CONNECT langfris­ tig und nachhaltig zu sichern. Bereits in der Umsetzung sind weitere Produktionskapazi­ täten in China und grundsätzliche Überlegun­ gen zur Stärkung des Standortes Blumberg auf­ gebaut worden. Schritte zum weiteren Ausbau der internationalen Vertriebsorganisation in den angestrebten Zielmärkten sind konzeptio­ nell entwickelt und werden nach und nach um­ gesetzt. So wurde in 2006 die METZ CONNECT Singapore gegründet und mittlerweile auch ein Vertriebsbüro in Shanghai eröffnet. Die strategischen Ziele der METZ CONNECT Im Rahmen der Neuausrichtung wurde auch der mittel- und langfristige Horizont für die METZ CONNECT abgesteckt. Der Schwerpunkt kon­ zentriert sich auf vier zentrale Produktlinien, die zukünftig als eigenständi­ ge Marken positioniert wer­ den sollen. Ein weiterer Ziel­ schwerpunkt ist die Vertie­ fung der innovativen und pro­ zessorientierten Kernkompe­ tenz rund um die Anschluss­ technik und das Applikations­ umfeld. Ein wichtiges Element ist dabei die Wettbewerbsorientierung und die Profilierung als Spezialist für die durchgängige Kommunikation. Systematische Positionierung in den Ziel­ märkten und Anwendungsgebieten: In dieser Hinsicht sind die zentralen Zielpositionen in den fünf Zielmärkten abgesteckt. Die dis­ tributive Vernetzung der Märkte und die Oben links: LON-Feldbus- modul mit Schutzklasse IP65, löt­­­­­­­bare Anschluss- klemme mit Schraubtech- nik, LWL-Spleißverteiler und RJ45-An­­­­­­schlusseinheiten für die Hut­­­­­schiene.

­­­­­95 Firmengruppe METZ CONNECT Anpassung der internen Vertriebsstrukturen sind planerisch festgelegt und werden entsprechend umgesetzt. DieGrößeunddasWachstum in den Märkten, in denen die METZ CONNECT in Zukunft tätig sein wird, setzt auch ein kontinuierliches Wachs­ tum in der Gruppe voraus, um als Marktpartner ernst genommen zu werden. Diese Erfordernis­ se kommen in der mittel- und langfristigen Ab­ satzplanung zum Ausdruck, wo mit jährlich zweistelligen Wachstumsraten gerechnet wird. Orientiert am derzeitigen Umsatzvolumen von 60 Millionen Euro und den Entwicklungen der letzten Jahre, ist diese Zielsetzung realistisch. Für Albert und Jochen Metz ist es sehr wich­ tig, die schon heute hohe wirtschaftliche Eigen­ ständigkeit der METZ CONNECT langfristig zu sichern und auszubauen. Dafür spielen nach ihrer Meinung die interne Wertschöpfung und der damit verbundene Ausbau der Unterneh­ mensstrukturen eine ganz wichtige Rolle. Die­ sem Anspruch wurde in den langfristigen Ziel­ setzungen Rechnung getragen. Albert und ­ Jochen Metz stellten auch heraus, dass der Standort Blumberg für sie weiterhin eine Schlüsselrolle in den Zukunftsüberlegungen spielt. Dabei steht der Ausbau der zentralen Führung der Gruppe und die Bündelung der Kernkompetenz an die­ sem Standort im Mittelpunkt. Das familiäre Rückgrat der METZ CONNECT Die METZ CONNECT ist ein dynamisches Fami­ lienunternehmen – und dieser familiäre Status soll auch in Zukunft erhalten werden und sich prägend auf die Firmengruppe auswirken. Al­ bert Metz, der mit 68 Jahren noch einen maß­ geblichen Einfluss auf das Unternehmen hat, möchte diesen nach und nach an seine beiden Söhne übertragen. Jochen Metz ist 41 Jahre alt und bereits seit zwölf Jahren im Unternehmen tätig. Nach seinem Abitur und der Lehre als Werkzeugmacher im Unternehmen hat er an der „Fachhochschule für Gestaltung, Technik und Wirtschaft“ in Pforzheim studiert und sein Stu­ dium mit der Diplomarbeit „Reengineering im Bereich Marketing und Vertrieb“ erfolgreich ab­ geschlossen. Auf dieser fachlichen und theore­ tischen Basis hat er 1998 die Geschäftsführung in der RIA CONNECT und ab 2009 die Geschäfts­ führung der METZ CONNECT Holding GmbH über­ nommen und ist Schritt für Schritt in die Kom­ plexität der Firmengruppe hineingewachsen. Im Frühjahr 2011 wird auch der jüngere Sohn Christian Metz (31) in das Unternehmen einsteigen. Christian Metz studierte an der Pri­ vatuniversität Oestrich-Winkel Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Consulting und Firmenfinan­ zierung, ergänzt durch zwei Auslandssemester in Sydney und Bangkok. Seine Diplomarbeit „Netzwerkkompetenz in deutschen mittelstän­ dischen Industrieunternehmen“ und die ge­ sammelten Berufserfahrungen bei renommier­ ten Consulting und Wirtschaftsprüfungsgesell­ schaften sind eine optimale Voraussetzung für den Einstieg. Auf Grund dieser positiven fami­ liären und fachlichen Konstellation, bestehen optimale Voraussetzungen, die METZ CONNECT erfolgreich in die Zukunft zu führen und nach­ haltig zu sichern. Bernhard Lutz Familie Metz von links nach rechts: Christian Metz mit Partnerin, Albert und Gerdi Metz, Jochen und Kerstin Metz mit ihren beiden Söhnen.

Aus dem Wirtschaftsleben So wie die Menschen im richtigen Leben gerne in ei­­ ne Fußgängerzone mit Ge­ schäften oder ein Einkaufszentrum gehen, um Angebote direkt und einfach verglei­ chen zu können, müsste es in der virtu­ ellen Welt Nachfrage nach einem Inter­ netkaufhaus geben. Das ist die zentrale Idee des Gründer-Trios. „Auslöser war der Versuch, Anfang 2003 im Internet ein Batterie-Ladegerät zu kaufen,“ erinnert sich Michael Ollmann. Zwar gab es eini­ ge Shops, die entsprechende Ware on­ line anboten, aber mal waren die Geräte zu teuer, mal zu ungenau beschrieben, in einem anderen Fall passten die Be­ zahlmodalitäten nicht oder es gab ge­ nerell Zweifel an der Seriosität des Händ­­­ lers. Nach langem Suchen war noch immer kein Batterieladegerät be­ stellt, aber eine klare Vision entstanden: Ein Internet-Kaufhaus müsste es geben, in dem sich der Kunde informieren, in dem er ganz bequem vergleichen und schließlich sicher und preisgünstig kaufen kann. Gab es aber nicht. Womit die Geschäftsidee geboren war. Das war 2003 zwar keine Idee, die man verwegen hätte nennen müssen, aber nach dem ganzen Internet-Hype am Neuen Markt war der Crash der Unternehmen mit internetbasier­ ten Ge­ schäfts­ mo­ dellen gerade in vollem Gange. Un­­ternehmen wie In­­tershop oder Open­shop, die On­ line-Shops programmierten, hatten zig Millio­ ­ nen verbrannt – und auch sonst waren Geschäfts­ ­­­­ ideen im virtuellen Raum nach dem beispielslo­ Yatego – shoppen rund um die Uhr Mehr als 9.000 Händler bieten über das Shopsystem des St. Georgener Unternehmens ­­­­ ca. drei Millionen Artikel an Die einfachen Geschäftsideen sind in den allermeisten Fällen die besten – Michael Ollmann, Stephan Peltzer und Patrick Kötter hatten so einen zündenden Einfall: das Internet-Kaufhaus Yatego. Es funktioniert genau wie eine reale Shopping-Mall – nur eben virtuell. Mittlerweile zählt das Unternehmen mehr als 100 ganz reale Mit- arbeiter und das Kaufhaus mehr als 9.000 virtuelle Shops. Pro Monat zählt das Angebot von www.Yatego.com etwa 10 Millionen Besucher…! ­­­­­96 Aus dem Wirtschaftsleben

­­­­­97 sen Hype nicht eben in Mode. E-commerce, eben noch das Zauberwort schlechthin, hatte auf ein­­­ ­ mal den Beigeschmack des schnellen Geschäf­ tes ohne Nachhaltigkeit. Allerbeste Zeit, zum Höhepunkt der Krise also, etwas Neues zu star­ ten. Yatego funktionierte von Beginn an wie das Einkaufszentrum auf der grünen Wiese: Ge­ werbliche Händler können gegen einen Miet­ preis virtuelle Ladenfläche anmieten und ihre Neuwaren dann über die Yatego Shopping Platt­­­­ ­ form verkaufen. Yatego ist dabei Betreiber der Plattform und technischer Dienstleister. Der Kaufvertrag kom­­­ mt zwischen Händler und Käu­ fer zustande. Das Ergebnis fällt deutlich positiv aus Das Konzept kommt bei Händlern wie Kunden gleichermaßen an, und als Ergebnis steht in den vergangenen sieben Jahren immenses Wachs­­­­­­tum. Für 2010 dürfte der Umsatz bei etwa 5 Mio. Euro liegen und die Zahl der Shops auf 10.000gestie­ gensein.DasErgebnisfalle„deutlichpositiv“aus, schon in den vergangenen Jahren, betont Peltzer, um anzumerken, dass nie Fremdkapital in der Firma benötigt wurde. Die drei Gründer, die sich bei anderen Projekten kennengelernt hatten, hatten seinerzeit für eine GmbH-Gründung zu­ sammengelegt und das Wachstum seitdem aus dem cash-flow bezahlt. Trotz des Wachstums ist Yatego bis heute eine GmbH geblieben. „Eine Aktien- gesellschaft zu gründen und zu betreiben ist ein unverhältnismäßig großer Auf- wand,“ winkt Peltzer ab, „und es würde für uns keinen Sinn machen.“ „Im Moment jedenfalls nicht“, schiebt er nach. Etwa 10 Mil­ lionen Besucher zählt Yatego pro Monat auf der Website, 900.000 aktive Newsletter-Abonnen­ ten, rund 9.000 Händler bieten über ­­­­­ 3 Millio­ nen Artikel an – wo soll das Wachstum noch hinführen? „Es gibt verschiedene Schätzungen, wie viele Online-Shops in Deutschland sinnvoll Im Technologiezentrum St. Georgen zu finden: Yatego – die Erfinder der Shoppingfreude, wie ein Slogan des erfolgreichen Unternehmens an der Fassade verkündet.

­­­­­98 Aus dem Wirtschaftsleben betrieben werden können. Optimistische Zah­ len reichen bis zu 100.000 Online-Shops,“ er­ läutert Peltzer. Das hält der Geschäftsführer für übertrieben, aber 20.000 Shops alleine auf der Yatego-Plattform seien ein realistisches Ziel. „Wir haben also noch ein gutes Stück des Wachs­ ­­­­ tums vor uns liegen,“ so Peltzer. Auf Yatego gibt es wenig, was es nicht gibt Eine Vertriebsmannschaft von mehr als 20 Be­ ratern, die von Mitgründer Patrick Kötter von München aus koordiniert werden, bearbeitet ständig den Markt. Der setzt sich aus den ver­ schiedensten Verkäufern zusammen. Da ist der Einzelhändler dabei, der auch ins Internet geht, der ebay-Händler, der lieber die feste Yatego-Shop-Pauschale zahlt statt einen prozentualen Anteil an jedem Verkauf oder der nebenbe­ rufliche Spezialist, der auch aus­ gefallene Waren zum Beispiel für Sammler anbietet. Auf Yatego gibt es wenig, was es nicht gibt. „Am besten laufen Mode und Schuhe, Sportartikel, Elektronikartikel und Bücher,“ berichtet Peltzer. Aber auch Süßwaren wie Gummibärchen finden reißenden Absatz. Selbst Feinkost wird über die Plattform erfolgreich an den Gourmet ge­ bracht. „Wir haben zum Beispiel Händler, die bieten Hummer an,“ so der Gründer. Als Yatego 2003 startete, hatten die Gründer die Vision, Online-Handel schnel- ler, einfacher und sicherer zu gestalten. Das Konzept überzeugt die Händler, denn ohne jede Vorkenntnis können Interessierte schnell einen stabilen Shop eröffnen: Die Angebote las­ sen sich über eine Benutzeroberfläche leicht ein­­­ ­ pflegen, und auch für Bezahlsysteme und den Versand gibt es Rahmenverträge, in die die Händler einsteigen können – zu Konditionen, die für den einzelnen Händler ansonsten uner­ ­ reichbar wären. E-Commerce-Beratung für die Händler zählt ebenso zum Angebot wie das Auf­ zeigen von Möglichkeiten, wie den Vorschriften der Verpack­ungs­ver­ord­nung Genüge getan wer­­­­ den kann. Den häufig genannten Vorbe­ halt gegen Online-Shopping, mit diesem Vertriebsweg blute der sta­ ­­­ tionäre Handel immer mehr aus, lässt Peltzer nicht gelten. Natürlich gebe es die Fälle, dass sich Kun­ den im Geschäft ausführlich bera­ ten lassen, um dann später güns­ tiger im In­ ternet einzukaufen. Sehr häufig sei aber auch der Fall, dass Nutzer sich im Internet und auf der Yatego-Seite informieren und einen Preisüberblick verschaffen, um dann im Geschäft zu kaufen. „Wir bieten dazu eine Suchfunk­ tion auf der Seite an, wo die Wa­ Von Null auf Zehntausend – die Zahl der Online-Shops bei Yatego ist sprunghaft gestiegen. XXL-Ansicht eines Produktes in einem der über 9.000 Yatego- Shops, die seit 2003 eröffnet worden sind. Aus dem Wirtschaftsleben

ren stationär zu finden sind,“ so Peltzer. Häufig bräuchten Kunden die Waren sofort, oft wollten die Käufer auch nicht die vier, fünf Tage warten, bis sie eine Ware erhalten. Die gesamte Technologie ist eigenentwickelt Die gesamte Technologie von Yatego ist eigen­ entwickelt. Alle Kernkompetenzen werden durch das eigene Personal abgedeckt. Dabei profitiert Yatego von den nahegelegenen Universitäten, mit denen es eine rege Kooperation gibt, was insbesondere für die Hochschule Furtwangen gilt. So wurde in einer Diplomarbeit ermittelt, dass Yatego alle Erfolgsfaktoren im E-Com­ merce erfüllt. Dadurch können Online-Händler immer aktuell und umfassend beraten werden, genau auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Re­ gelmäßig werden bei Yatego Thesisarbeiten und Praxissemesterplätze angeboten. Aktuell vergibt Yatego an der Hochschule Furt­­ ­ wangen Stipendien für begabte Studen­ ­ ten der Wirtschaftsinformatik. Auch in anderen Bereichen ist ­Yatego besonders innovativ: Neben der Patentanmeldung zur Performance-Stei­­­­ gerung von Internetseiten gibt es Neu­ ­ erungen wie Variantendarstellung, die durchsuchbaren Gutscheine mit Ver­ fügbarkeitsanzeige und Wunsch-Live­ shopping. Bereits 20 Ausbildungsplätze Bereits seit der Firmengründung ist die Yatego Zentrale im Technologie­ zentrum St. Georgen beheimatet. Ak­ tuell wurde auf insgesamt 1.600 Qua­ dratmeter erweitert. Um stets genügend qualifizierte Mitarbeiter gewinnen zu können, engagiert sich Yatego neben den Hochschul-Kooperationen auch im Bereich Ausbildung. Yatego bietet 20 Ausbildungsplät­ ze und weitere Praktikanten-Stellen. „Yatego sieht darin eine wichtige Investition in die Zu­ kunft und hat deshalb zuletzt acht Mitarbeitern die AEVO Ausbildung (Ausbildungsqualifizierung) finanziert,“ so Peltzer. Alle Mitarbeiter der Firma Yatego können regelmäßig an fachspezifischen Weiterbildungen und an übergeordneten Kom­ munikationsseminarenteilnehmen.Falls notwen­ dig erfolgen die Schulungen auch extern. Yatego pflegt in seiner Firmenpolitik die offene Kommunikation und hat sich flache Hierarchien erhalten. Die regelmäßi­ gen Kommunikationsseminare wirken sich po­ sitiv auf den Umgang der Mitarbeiter unterein­ ander aus. „Unsere Mitarbeiter sollen Familie und Beruf gut vereinbaren können. Deshalb bie­ ten wir verschiedene Teilzeitmodelle und flexi­ ble Arbeitszeiten an,“ betont Peltzer. Entspre­ chend gering sei die Fluktuation im Team. Die Gründer von Yatego, von links nach rechts: Michael Ollmann, Stephan Peltzer und Patrick Kötter. Yatego ­­­­­99

­­­­­100 Aus dem Wirtschaftsleben Sieben Jahre lang ist Yatego rasant gewach­ sen, und wenn auch die Shopzahl noch auf 20.000 erhöht werden kann, was in etwa der Verdoppelung des Umsatzes auf 10 Millionen Euro entsprechen würde – mittelfristig steht die Erweiterung des Geschäftsmodells an, denn irgendwann ist selbst das skalierbarste Ge­ schäftsmodell am Ende der Skalierung ange­ langt. Bei der Namensfindung haben die drei Gründer darauf geachtet, dass der Name über­ all in der Welt gut auszusprechen ist. Die Wort­ schöpfung als solche steht für keine Abkür­ zungw oder Bedeutung, sondern dient lediglich als attraktive Marke, die international verstan­ den wird. Doch ob in der Internationalisierung des Geschäftes die Zukunft liegt, steht dahin. Der Einsatz des technischen Know-hows im Be­ reich Business-to-Business oder eProcurement sei ei­­ne Alternative. Die strategische Leistung der Yatego-Gründer ist bemerkenswert – die Großen folgen … In Zukunft wird Yatego werbefrei bleiben. 95 Prozent der Yatego-Einahmen stammen aus der „Miete“, die die Shopbetreiber für ihren virtuellen Verkaufsraum bezahlen. Die Höhe der Miete richtet sich nach der Zahl der angebotenen Artikel und nicht nach Umsatz oder Transaktionszahl. „Das werde auch so bleiben“, so der Geschäftsführer. „Werbung macht die Seite langsamer und lenkt von der eigentlichen Zielsetzung, eine neutrale Plattform für bequemes und sicheres Einkaufen zu bieten, ab.“ Das klare Shopping-Plattform- Konzept solle nicht verwässert werden. Ohne­ hin ist die strategische Leistung der Yatego- Gründer bemerkenswert, denn nach und nach passen große Konkurrenten ihr Geschäftsmo­ dell dem von Yatego an. Sowohl ebay als auch Amazon bieten mittlerweile Händlern die Mög­ lichkeit, ihre Shops in die jeweiligen Seiten ein­ zubinden. Die Ziele für die Zukunft sind auch in die­ sem Punkt klar definiert: „Wir wollen die Händ­ ler nicht in ihrer Entscheidungsfreiheit eingren­ zen. Dazu gehört auch, dass sie selbst entschei­ den, welche Zahlungsarten oder Versandkos­ ten sie anbieten und auch zu welchem Preis sie ihre Artikel verkaufen“, erklärt Peltzer. „Zu vie­ le Vorschriften für die Händler verzerren den Wettbewerb und stärken nur die Großen der Branche. Wir wollen mit unserem Internetkauf­ haus den kleinen und mittelständischen On­ line-Händlern einen attraktiven Marktplatz bie­ ten. Daher kommt für uns eine Preisparität, wie Amazon sie vorschreibt, nicht in Frage. Wir ver­ folgen den Grundsatz: Die Preisgestaltung ge­ hört in Händlerhand.“ Stefan Preuß Informationsgrafik zum erfolgreichen Geschäfts­ modell von Yatego. St. Georgen mit Klosterweiher im Luftbild – die drittgrößte Stadt im Schwarzwald-Baar-Kreis ist die ­ Heimat etlicher innovativer Unternehmen, so auch des Internet-Kaufhauses Yatego. Aus dem Wirtschaftsleben

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­­­­­102 Das 1923 gegründete Unternehmen zählt nicht zu den größeren im Landkreis, wohl aber zu den bekanntesten. Überall auf der Welt versuchen Spieler das Run­ de ins Eckige zu bugsieren. Doch Halt: So wirklich rund ist der Ball nicht – eine von vielen Finessen des Spiels. Es ist jeden­ falls ein ganz be­ sonderer Reiz, der von den bunt be­ malten Zinkmänn­ chen ausgeht: Am knallroten Knopf drücken, damit das rechte Bein des Kickers vorschnellen lassen, um den zig-eckigen Ball ins geg­ nerische Tor zu wuchten. Hört sich über­ schaubar an, ist aber eine Wissenschaft für sich. Genau genommen aber noch viel mehr. Also mehr als eine Wissen­ schaft. Wie man den Knopf drückt; wie man dabei den Spieler hält; wie der Fuß des Spielers angefeilt ist; wie man den Ball zu treffen gedenkt; wie man den gegnerischen Tor­ wart täuscht. Das Spiel redu­ ziert zwar das Elf gegen Elf des Vorbilds auf die permanente Si­ tuation Mann gegen Mann, doch gerade das spitzt das Spiel zu und befördert den Kult. Was zählt ist auf’m Platz – nirgends gilt das mehr als beim TIPP-KICK. Hier kann sich niemand hinter einem Mitspieler verstecken. Mit einer Blechfigur hat es begonnen Die wunderbare Welt des TIPP-KICK begann 1923. Eigentlich hätte der Exportkaufmann Edwin Mieg Tipp-Kick – eine Idee geht um die Welt Beginn einer Erfolgsgeschichte: Der Schwenninger Edwin Mieg entwickelt 1923 das fast 90 Jahre alte Spiel zur Marktreife Was ist das: Zwei Spieler drücken mehr oder weniger abwechselnd einer Figur auf den Kopf, hadern mit der Seite, auf die der Ball gefallen ist, feilen ein wenig am Schussbein nach und freuen sich über jedes Tor? Ganz klar: Das ist der schiere Kult aus Villingen-Schwenningen. Der Kult heißt TIPP-KICK und die dazugehörige Firma Edwin Mieg OHG. Edwin Mieg – der Schwen- ninger entwickelte Tipp- Kick zur Marktreife. Frühe Tipp-Kick-Figuren im gelben Trikot wie sie bis 1938 im Handel waren. Die Spiel­ fi­ guren sind aus Blei hergestellt und von Hand bemalt. Aus dem Wirtschaftsleben

­­­­­103 Tipp-Kick für Junghans-Uhren nach Indien gehen sollen. Doch der versprochene Job wurde anderweitig vergeben – und Mieg orientierte sich um. Erfun­ den wurde das Tipp-Kick-Spiel von einem Stuttgarter Möbelfabrikanten namens Karl Mayer, der es 1921 zum Patent anmelde­ te (Reichspatent 387569 vom 15. Septem­ ber 1921 für ein „Fußballbrettspiel“). Der Schwenninger Exportkaufmann Edwin Mieg erwarb die Lizenz 1924, machte sich noch im selben Jahre selbstständig und entwickelte das Spiel zu einem marktgerechten Artikel, das sich bis in die Jahre 1934 bis 1938 zu einem echten Verkaufsschlager entwickelte. Er brachte eine geni­ ale Spielidee zur Marktreife und zeigte ab 1924 sein Verkaufsta­ lent statt in Indien eben hierzu­ lande. Ausgestattet mit ei­­­­ner gewis­ sen Por­­­­tion Mut wagte Edwin Mieg den ersten Schritt zur Um­ setzung der Spielidee und trieb die Produktion dieses Spiels tatkräftig voran. Schon mit dem Prototyp wurde wie heute ge­ spielt: Mit einer Blechfigur, deren Fuß sich auf K(n)opfdruck bewegen ließ, galt es einen zwei­ farbigen Korkwürfel in ein Tor zu schießen. We­ gen der geringen Masse des Blechspielers war dies nicht einfach. Die erste Verbesserung er­ fuhren die Kicker schon sehr bald: Ab 1925 ließ Edwin Mieg die Figuren aus Blei gießen. Eine ganze Fuhrladung an Tipp-Kick-Spielen: Die erste Auslieferung dokumentiert den großen Erfolg der Spielidee von Karl Mayer, die Edwin Mieg zu einem Verkaufserfolg entwickelte. Tipp-Kick-Korkball wie er bis 1951 benutzt wurde und Schachtel um 1943 (unten). Rechts: Ein historisches ­Werbebild.

Aus dem Wirtschaftsleben Auf der Leipziger Spielwarenmesse 1926 stellte die junge Firma das Spiel zum ersten Mal gewissermaßen „inoffiziell“ vor. Heute würde man sagen, die Liquidität hatte nicht ausge­ reicht, einen Messestand zu mieten. Deshalb wirbelte Mieg als fliegender Verkäufer vor dem Messegelände umher, immer auf der Flucht vor den Wachleuten, die den Outdoor-Stand natür­ lich verhindern wollten. Die Aktion in Leipzig war ein großer Erfolg, denn auf Anhieb verkauf­ te Mieg mehrere Hundert Spiele. Ein Fabrikgebäude entsteht Bereits 1938 baute Edwin Mieg ein eigenes Fa­ brikgebäude in der Hardtstraße 21 in Schwen­ ningen. Die stetig wachsende Nachfrage ließ diese Investition zu. Die Kicker aus Zink konn­ ten nun in der eigenen Fabrik gegossen wer­ den. Nach dem Tode Edwin Miegs 1948 übernah­ men seine Söhne Peter und Hansjörg die Firma. Das Spiel blieb bis in die 1950-er Jahre unver­ ändert. Im Weltmeisterschaftsjahr 1954 kam es Dank der Fußball-Euphorie zum großen Durch­ bruch von TIPP-KICK: 180.000 Spiele wurden im Jahr des ersten Titels verkauft – ein erstes Fuß­ ball-Sommermärchen sozusagen. Ins WM-Jahr 1954 fiel auch eine bedeutende Neuentwicklung: Peter Mieg ertüftelte zusam­ men mit seinem engagierten Betriebsleiter Franz Rusch den fallenden Torwart „Toni“. Dieser Tor­ wart – unverändert bis heute – ist aus Kunst­ stoff und kann auf Knopfdruck nach rechts oder links fallen. Gerd Müller als Werbeträger Im Jahre 1963, mit dem Start der Fußball-Bun­ desliga, bezog die Firma Mieg ihr neues Produk­ tionsgebäude im Industriegebiet Dicken­ hardt in Schwenningen. Seit diesem Zeitpunkt wurden die Mannschaften auch als TIPP-KICK Spieler pro­ duziert (Bundesliga Top-Kicker). Im Jahre 1967 Edwin Mieg – der Mann mit dem Fußballspiel „Tipp-Kick“ im Koffer. Eine neue Torwart-Welt tut sich bei Tipp-Kick im Weltmeisterschaftsjahr 1954 auf: der Bleitorwart wird durch den fallenden Torwart „Toni“ ersetzt (rechts), der für WM-Torhüter Toni Turek steht. ­­­­­104

­­­­­105 wurde ein bis dahin unbekannter junger Fußball­ spieler auf der neuen TIPP-KICK Verpackung abge­ bildet. Für nur 1.000 DM Honorar erhielt die Firma Mieg die Rechte am Namen und an der Abbildung des Kickers. Eine gelungene Investition, denn bei dem Kicker handelte es sich um Gerd Müller, der 1974 Deutschland mit ei­ nem unnachahmlichen Treffer zum Titel bei der WM schießen sollte. Rechtzeitig zu dieser WM in Deutschland konnten die Spiele mit TIPP-KICK Star-Ki­ ckern in den Farben der teilnehmenden Na­ tionalteams nachgespielt werden. Innovationen und ständige Verbesse­ rungen rund um das TIPP-KICK Spiel mit sei­ nem umfangreichen Zubehör gehören bis heute zur Tagesordnung. So wurden im Jahre 1978 textile Netztore eingeführt, be­ vor vier Jahre später der Star-Kee­ per – ein Torwart, der sich zusätzlich nach vor­ ne hechten kann – Einzug hielt. In den 1980-er und 1990-er Jahren kommen bis zu fünf ver­ schiedene Ausführungen des TIPP-KICK Spiels auf den Markt – für jede Zielgruppe bis hin zu den Profis, die Wettkämpfe bestreiten, eine. Der Frauenfußball hält Einzug Die meiste Aufmerksamkeit zog freilich die jüngste Neuerung auf sich: Seit Sep­ tember 2010 gibt es weibliche TIPP-KICK- Figuren (Bild links). Die Entscheidung darü­ ber, so Mathias Mieg, sei schon 2007 ge­ fallen. Doch die Umsetzung sei schwierig gewesen: „Wir hatten zum Beispiel Vor­ entwürfe mit viel zu großer Oberweite. Das geht natürlich nicht. Dann hatten wir eine Variante mit Zopf, auch das sah nicht wirklich gut aus.“ Insgesamt habe die Aus­ gestaltung wohl überlegt sein müssen, denn die Gussform kostet 50.000 Euro und ist nicht mehr veränderbar. Geeinigt haben sich Mathias und Jochen Mieg auf eine Spiele­ rin mit langen dunklen Haaren, ­ deren Körper etwas taillierter als bei den Männern ist. Der Einwand von Puristen, die Kickerin habe Hüft­ speck und sehe insgesamt ein wenig schwan­ ger aus, kontern die Geschäftsführer locker: Gerd Müller (links, im roten Trikot), der 1967 als noch unbekannter Fußballspieler als Werbeträger gewonnen werden konnte. Tipp-Kick war und ist fest in Familienhand. Unten links: Peter und Hans Mieg, die Söhne von Edwin Mieg, beim Tipp-Kick-Spiel. Rechts die heutigen Inhaber, die Cousins Matthias und Jochen Mieg, die das Unternehmen in dritter Generation führen. Mitte: Seit September 2010 gibt es bei Tipp-Kick Frauenfußball.

­­­­­106 „Den Platz in der Hüfte benötigen wir für die Mechanik, denn die ist bei Männern wie Frau­ en gleich.“ Zum Start gibt es die Kickerinnen in den Dresses der Bundesrepublik und von Brasilien, zur Frauen WM 2011 wird dann das Starterfeld der Meisterschaft verfügbar sein. Sportlicher Erfolg beflügelt den Verkauf Der wirtschaftliche Erfolg der Firma hängt häu­ fig an der fußballerischen Großwetterlage: In Jahren mit Europa- und Weltmeisterschaften schnellt der Umsatz auf mehrere Millionen Euro hoch, vor allem wenn die Nationalmannschaft ein gutes Turnier spielt. Bei Tiefpunkten, etwa 1994 nach dem Negativrummel um Stefan Ef­ fenberg während der WM in den USA oder spä­ ter dem frühen Ausscheiden unter Berti Vogts gegen Kroatien, stehen dem deutliche Umsatz­ einbußen ge­gen­über. Die unternehmerische Herausforderung besteht dann darin, nicht zu früh zu viel zu produzieren, aber bei hoher Nachfrage schnell lieferfähig zu sein. In den vergangenen Jahren entstand in der Wirtschaft ein neuer Trend und damit ein für die Firma neues, lukratives Geschäftsfeld: TIPP- KICK Spiele werden vermehrt von Firmen als Werbegeschenke eingesetzt. Hier ist Mieg in der Lage, Individualisierungswünschen weitge­ hend entsprechen zu können, denn nach wie vor werden die Figuren von Hand bemalt. Einige Mitarbeiterinnen in Schwenningen erledigen dies, in der Hauptsache erhalten die Figuren aber in Tunesien ihre farbliche Ausgestaltung. Die Marke TIPP-KICK besitzt einen sehr ho­ hen Bekanntheitsgrad in Deutschland, Öster­ reich und in der Schweiz. In der Bundesrepu­ blik dürfte sie sogar zu den bekanntesten Mar­ ken überhaupt zählen. Und dies, obwohl prak­ tisch keine Werbung geschaltet wird. Dafür berichten Zeitungen und Zeitschriften immer wieder über das Faszinosum TIPP-KICK. Dem „Stern“ war das Spiel schon einen Zwei­ seiter wert, die alternative „taz“ beleuchtete die Charaktere während eines Turnieres, der altehrwürdigen „ZEIT“ war die Einführung der Kickerinnen ein langes Interview wert, das FAZ-­ Magazin hat ebenfalls schon berichtet. In Do-it- yourself-Zeitschriften gibt es Anleitungen, ei­ nen eigenen TIPP-KICK-Tisch zu bauen. Und die Financial Times lobte die Strategie der Macher, die Ursprünglichkeit des Spiels zu erhalten: „Ein Lehrstück über die Versuchungen des re­ flektierten Nichstuns“, war der Artikel über­ schrieben. In der Traditionalität liegt die Stärke der Marke, die Figuren sind Vergangenheit und Zu­ kunft des Spiels zugleich. Einerseits wirkt TIPP- KICK in der real existierenden blinkenden, lau­ Bundesliga, Turniere, Meis­­­­­terschaften – der „organisierte“ TIPP-KICK-­ Spielbetrieb in Deutsch- land hat an den Wochenen- den Hochkonjunktur. Bereits 14 Jahre nach der Patentanmeldung wurde mit der TFG Hildesheim 1938 der erste Verein gegründet. Aktuell sind im Deutschen TIPP-KICK Verband (DTKV) knapp 100 Clubs registriert. Daneben gibt es schweizer Clubs im Schweizer TIPP-KICK Verband (STKV) und auch einige Clubs in Österreich. Als offizielles Verbandsorgan des DTKV berichtet die „Rundschau“ mehrmals jährlich über das lebendige Vereinsle- ben, die Turniere und Spieler sowie die TIPP-KICK-Szene allgemein. TIPP-KICK Liga Das „Hightech-TIPP-KICK“ der Gegenwart. Aus dem Wirtschaftsleben

­­­­­107 Aus dem Wirtschaftsleben ten, mikroverchipten Spielwarenwelt, in der die gute alte Miniatureisenbahn mittlerweile com­ putergesteuert über die Gleise rumpelt, wie ein Relikt aus vergangenen Tagen. Aber anderer­ seits ist genau diese kalkulierte Gestrigkeit die ganz große Stärke von TIPP-KICK. Und wie beim großen Original in den Stadien dieser Welt zieht beim „Fußball im Kleinen“ die Einheit von Zeit, Raum und Handlung, ganz wie im antiken griechischen Drama, die Menschen in den Bann: 2 x 5 Minuten, 123 x 80 Zentimeter, 5 : 3 Treffer. Alles andere würde nur stören. Deutsche Nationalelf verkauft sich am besten Mit Abstand am besten verkaufen sich die deut­ schen Nationalspieler, auf den weiteren Plät­ zen folgen Schweiz und Österreich. Am schlech­ testen gehen die osteuropäischen Nationen wie Rumänien, Russland, Tschechien und Kroatien. Firmen allerdings kaufen gerne die komplette Sammlung aller 16 Nationen. Optiker oder Schmuck­ händler dekorieren damit zu Fußball­ zeiten auch gerne ihre Schaufenster. Beson­ ders positiv: Die vielen Raubkopien und Nach­ ahmer kamen und gingen – TIPP-KICK blieb! Einer der Hauptkonkurrenten von TIPP-KICK war ein aus England stammendes Spiel, dessen Pro­ duktion mittlerweile jedoch eingestellt wurde. Derzeit wird der Großteil des Umsatzes im deutschsprachigen Raum gemacht. Im restli­ chen Europa ist die Verbreitung des Spiels noch ausbaufähig – auch weil es dort vereinzelt an­ dere Fußballspiele auf dem Markt gab, die „in“ waren. Vermehrte Anstrengungen, um in weite­ ren Ländern den Vertrieb des Spieles anzukur­ beln, haben sich Mathias und Jochen Mieg zum Ziel gesetzt. Das Spiel gibt es nun bereits fast 90 Jahre, und ein Ende der Erfolgsgeschichte ist nicht ­ abzusehen. Denn nach wie vor gilt der Spruch von Horst Hrubesch: „Wichtige Spiele werden mit dem Kopf entschieden.“ Nirgends trifft das mehr zu als beim TIPP-KICK. Stefan Preuß Unbemalte Bleifiguren, der Torwart erhält seine Führung, Star-Keeper bereit zum Verpacken und Blick in den Versand.

­­­­­108 Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie zum ersten Mal TIPP-KICK gespielt haben? Das ist schon sehr lange her… Ich war bestimmt noch ganz klein, als ich mich mit dem TIPP-KICK Fieberinfizierthatte.WarderVaterzuhause,war TIPP-KICK das bestimmende The­ ma beim Mittag- und beim Abend­ essen. Wenn Fototermine anstan­ den, dann waren es die eigenen Kinder und deren Freunde, die als Models eingesetzt wurden. Das hat sich im übrigen bis heute nicht geändert. Auch wenn sich die eigenen Kinder manchmal sträuben, sie müssen als Fotomo­ del herhalten. Ich habe als Kind mit Freunden natürlich immer am Samstag Nachmittag die Partien der Bundesliga vorgespielt. In der Pubertät hat das Interesse am TIPP-KICK spielen dann doch nachgelassen und andere Dinge waren wichti­ ger.Richtigentdeckt,alsernstzunehmendesSpiel, habe ich TIPP-KICK erst wieder als Student. In unserer WG haben wir stundenlang gespielt. Sie sind ja ein Familienbetrieb in der dritten Generation. Gibt es Dinge, die sie anders als Ihr Vater und Ihr Großvater machen oder bzw. machen müssen? Wir sind ein kleines Unternehmen und hatten schon immer ein überschaubares Werbebudget. In den 80er Jahren – bevor ich in die Firma ein­ getreten bin – wurden sehr viele kleine schwarz­ weiße Anzeigen in Illustrierten geschaltet und das Design der Verpackungen war altertümlich. Vor allem die breite Streuung der Anzeigen­ werbung war damals wichtig. Unsere Umsätze waren in diesen Jahren rückläufig und ich war mit der alten Strategie überhaupt nicht einver­ TIPP-KICK – ein Spiel mit Kultstatus :: Auszüge aus einem Interview mit Mathias Mieg standen. Das war für mich dann auch der Grund in die Firma 1989 einzutreten. Mein Vater hat fast 50 Jahre lang die Geschicke der Firma sehr erfolgreich gesteuert – und dann kam der eige­ ne Sohn und hatte ganz andere Ideen. Es war eine sehr schwierige Zeit für uns beide mit vie­ len kontroversen Diskussionen. Leider ist mein Vater dann 1991 zu früh ge­ storben und hat den Erfolg der neuen Strategie nicht mehr erlebt. Wir haben uns in die Kataloge der Einzelhandelsgruppen eingekauft. Ziel war es, die Fachhändler dazu zu bringen, unsere Arti­ kel wieder in ihr Sortiment aufzunehmen. Spie­ le, die im Weihnachtskatalog abgebildet waren, mussten dann auch im Verkaufsregal liegen – das hat dann doch gut funktioniert. Auch das komplette Erscheinungsbild der Firma wurde Anfang der 90er überarbeitet. Schon sehr früh haben wir die Möglichkeiten des Internets erkannt. Wir hatten als einer der ersten Spielzeughersteller Deutschlands schon 1997 eine eigene Homepage. Mittlerweile ist unsere Homepage unser zentrales Marketing­ instrument. Wir sprechen mit der Seite nicht nur die TIPP-KICK-Fans an, sondern bieten auch der Presse und dem Handel umfassende und aktu­ elle Informationen über TIPP-KICK an – weltweit. Fußball wird heute viel besser und intensiver vermarktet. … Durch die große Öffentlichkeit ist Fußball ein idealer Träger von Werbebotschaf­ ten und wir haben erkannt, dass TIPP-KICK dies im Kleinen auch kann. TIPP-KICK ist bei Firmen ein beliebtes Geschenk. Wir können die Spie­ ler nach Wunsch bemalen und die jeweiligen Firmenlogos lassen sich auf Brust oder Rücken aufdrucken. Die Spiele haben fast ausnahmslos eine Bande und deren Einsatz als Werbebande liegt sowieso nahe. Diese Doppelseite entstand mit freund­ licher Unterstützung des humboldt-Ver­ lages, der „Das große Tipp-Kick-Buch“ auflegte, in dem sich alles Wissenswerte rund um ­­ dieses Kultspiel findet. ISBN 978-3-89994-100-5 Weitere Infos: www.humboldt.de ­­­­­108 Mathias Mieg

­­­­­109 Die als „Sommermärchen“ in die Fußballge- schichte eingegangene Weltmeisterschaft 2006 hatte auch für das Traditionsunternehmen TIPP- KICK viele positive Begleiteffekte. Nicht nur, dassimWM-Jahrrund 200.000TIPP-KICK-Spiele über den Ladentisch wanderten – so viele, wie nie zuvor – das Land Baden-Württemberg ent­ wickelte 2005 zudem eine Kampagne zur WM 2006, in deren Mittelpunkt als „Botschafter“ des Landes TIPP-KICK-Spielfiguren standen. Neben den Original-Spielfiguren und den Spielen waren in 2005 und 2006 bis zur WM zwei riesige, rund 4 Meter (!) große TIPP-KICKer und mehr als 100 „kleinere“, immer noch 1,20 Meter große und voll funktionsfähige Display­ kicker europaweit im Einsatz. Eine gigantische Werbeaktion für das Traditionsunternehmen aus der Doppelstadt Villingen-Schwenningen. Das kostbarste Kapital Diese Figuren waren während der Endrunde als Dekoration im Baden-Württemberg Haus neben dem Daimlerstadion aufgebaut. Ein Anzeigen­ motiv mit einem TIPP- KICK-Spieler wurde in allen großen Tages- und Wochenzeitungen gedruckt. Das witzige und doppeldeutige Motto der Anzeige: „Das kostbarste Kapi­ tal eines Landes sind seine Köpfe.“ Die Sonder-Edition des TIPP-KICK-Spiels wurdevonMinisterprä­ sident Günther Oettin­ ger an Staatsgäste ver­ schenkt. Auch Bun­ deskanzlerin Angela Merkel, bekanntlich bekennender Fußballfan, nahm dankend ein Spiel an und interessierte sich sehr für die Funktionsweise des TIPP-KICK. Die kleinen TIPP-KICK-Boxen kamen bei nationa­ len und internationalen Pressekonferenzen als Werbegeschenke zum Einsatz. :: TIPP-KICK und die Fußballweltmeisterschaft 2006 Auch Kanzlerin Angela Merkel freute sich aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft 2006 über ein TIPP- KICK-Spiel als Geschenk des baden-württembergi- schen Ministerpräsidenten Günther Oettinger. Botschafter des Schwarzwald-Baar-Kreises „In Villingen-Schwenningen gibt es noch Fußballer mit eisenharten Füßen…,“ beginnt der Text zu einer Imageanzeige des Landes Baden-Württemberg zur Fußballweltmeisterschaft 2006. Jochen Mieg mit einem 1,20 Meter großen Tipp-Kick-Spieler im Hinter- grund, die zur Fußball-WM 2006 gefertigt wurden.

­­­­­110 Über den Wolken muss die Freiheit wohl gren­ zenlos sein: Der Liedtext von Reinhard Mey hat nichts von seiner Faszination verloren. Da kom­ men Träume vom Fliegen auf, Sehnsüchte, Fern­ weh und Pioniergeist stellen sich ein. Man denkt vielleicht an die tollkühnen Männer in ihren flie­ genden Kisten. Vor allem dann, wenn man weiß, dass der Flugplatz Donaueschingen/Villingen offiziell im Mai 1959 eröffnet wurde, also vor gut 50 Jahren. Aber die Anfänge der Fliegerei auf der Baar liegen noch weiter zu­ rück. Schon in den Jahren 1929 bis 1931, so sagt es die Chronik der Luftsport­ vereinigung Schwarz­ wald-Baar, wurde auf dem Wartenberg bei Geisingen die erste Segelflughalle gebaut. Und wenn man Michael Schlereth einen Vormittag lang im Tower des „Airport“ Donau­ eschingen beobachtet, bekommt man einen gu­ ten Eindruck davon, was am Fliegen so reizvoll sein muss. Da heben sich kleine Maschinen in den teil­ weise blauen, teilweise hinter Wolken versteck­ ten Himmel und verabschieden sich für einen Tag oder für länger von der Baar. Wenn eine Ma­ schine aus diesen Wolken herauskommt, erst ein kleiner Punkt, kaum erkennbar, der aber rasch größer wird und dann zum Landen ansetzt: Man wird ein bisschen nervös, wenn man den Flieger beobachtet, wie er sich der 1.290 Meter langen und 30 Me­ ter breiten Piste mit hohem Tempo nähert und zur Landung ansetzt aufdemPlatzmitdemKürzel „Echo Delta Tango Delta“ (EDTD). Von Donaueschingen aus werden Ziele in ziemlich abgelegenen Winkeln Europas ange­ steuert. Lodz in Polen zum Beispiel. Das be­ deutet eine Flugzeit von ziemlich genau einer Stunde und 50 Minuten, wenn man eine Ge­ schwindigkeit von 200 Knoten zugrunde legt, was etwa 370 Kilometern pro Stunde entspricht. Oder die Reise geht nach Korsika, nach Venedig, Flugplatz Donaueschingen Das große Ziel für die Zukunft: 30.000 Starts und Landungen – Unverzichtbares Drehkreuz für den regionalen Flugverkehr Ein Learjet auf Station in Donaueschingen, der Flugplatz verbucht jährlich ca. 23.000 Starts und Landungen. Unten: Blick zum Tower, rechts dane- ben das ­ Concorde-Hotel. Aus dem Wirtschaftsleben

­­­­­111 nach Kroatien, ins Havelland, in die Schweizer Alpen, nach Pressburg in Ungarn oder zweimal die Woche nach Kassel, ein Ziel das der Tuttlin­ ger Chirurgie-Gerätehersteller „Aesculap“ häu­ fig ansteuert, oder in die Eifel, nach Luxemburg und, und, und… Da kommt Sehnsucht auf, auch wenn sich die angesteuerten Zielorte doch eher geschäfts­ mäßig anhören: Beim Donaueschinger Flugplatz handelt es sich nun halt nicht um ein internatio­ nales Drehkreuz des Tourismus mit klangvollen Namen, sehr wohl aber um einen Platz, der sei­ nen Schwerpunkt im Geschäftsflugbetrieb sieht und im Zubringerverkehr von und nach Stutt­ gart oder Zürich. Donaueschingen ist Standort zweier Luftfahrerschulen und einer aktiven Luft­ sportvereinigung. Hier spielen Ultraleichtflug­ zeuge (UL), Motorsegler und Segelflieger vor allem an den Wochenenden eine Rolle für den Freizeitluftverkehr. Den Dienst im Tower absolvieren drei Flugleiter Die drei Flugleiter, die hier ihren Dienst im To­ wer versehen, haben nicht in Minutenfrequenz Flüge zu dirigieren. Aber Michael Schlereth, der Geschäftsführer der „Flugplatz Donaueschin­ gen-Villingen GmbH“, der sich mit seinen bei­ den Kollegen Harald Nikolaus und Wolfgang Schubert die Arbeit in der Flugleitung teilt, kann Der Flugplatz Donaueschingen aus Piloten-Per­ spektive, im Hintergrund oben die 1.290 Meter ­lange Landebahn. Michael Schlereth, Geschäftsführer der Flugplatz Donaueschingen-Villingen GmbH, im Tower.

­­­­­112 Aus dem Wirtschaftsleben nicht klagen, dass er zu wenig Arbeit hätte. Sie alle sind Piloten, verstehen eine Menge von Be­ triebswirtschaft und Technik und haben eine Qualifikation als Beauftragte für Luftaufsicht (BfL). „Wir üben in Donaueschingen die Luftauf­ sicht aus, im Auftrag des Regierungspräsidiums Freiburg“, sagt Schlereth und stellt klar: „Wir sind keine Fluglotsen, das heißt, wir dürfen keine Anweisungen an fliegende Flugzeuge ge­ ben“. Das macht der Flugplatz Zürich. Aber auch so hat die Tower-Besatzung in Do­ naueschingen genügend zu tun. Nach dem Auf­ gabenkatalog muss sie für einen verkehrssiche­ ren Zustand des Flugfeldes sorgen: Im Baaremer Winter bedeutet dies zum Beispiel jede Menge Schneeräumen, im Sommer Rasenpflege, die sich nach Hektar bemisst. Sie müssen darauf achten, dass Personen nicht das Rollfeld betre­ ten, die Luftsicherheit steht an oberster Stelle. Dazu gehören „Durchblick“ im Privat- und Ge­ schäftsflugbetrieb und im Instrumenten-An­ flugverfahren mit den zugehörigen Sicherheits­ einrichtungen. Hinzu kommt, dass Schlereth, Nikolaus und Schubert vom Deutschen Wetter­ dienst ausgebildete Wetterbeobachter sind und in halbstündlichem Abstand Wettermeldungen erstellen müssen, die den Piloten detailliert zur Verfügung stehen. Zum Beispiel „Wind mit drei Knoten“ signa­ lisiert dem Piloten, dass über Donaueschingen eher ein „schwaches Lüftchen“ weht. Die Infor­ mation über den Luftdruck mit 1013 Bar am Vor­ mittag ist ein Hinweis auf schönes Wetter, aber auch deswegen wichtig, weil die Höhenmesser der Flugzeuge auf Luftdruck reagieren und ein wichtiges Mittel der Orientierung sind. Im Notfall ist der Flugleiter auch „Feuerwehr und erste Hilfe“ vor Ort und muss entsprechend ausgebildet sein. Und er muss selbstverständ­ lich mit den Piloten auf Englisch kommunizieren können, in einem für den Luftverkehr festgeleg­ ten Sprachcode. An Bürokratie mangelt es auch nicht: Da müssen Landegebühren kassiert und ordentlich verbucht werden, da müssen Flugplä­ ne verwaltet und geführt werden, eine wichtige Aufgabe für die Sicherheit von Mensch und Ma­ schine. Ein „Flugvorhaben“ muss beim Fluglei­ ter angemeldet und dokumentiert werden, not­ falls lasse sich der Flug damit verfolgen. Flugleiter wie Michael Schlereth sind häufig aber auch eine Art „Blitzableiter“ für schlecht gelaunte Piloten. Zwar finde die Luftfahrt in der Regel sehr kollegial statt, verdeutlicht er, aber es gebe auch „problematische Kunden, die an den Bedingungen herumnörgeln“. Dass der Flugplatz Donaueschingen einen guten Ruf hat und dafür immer wieder lobende Worte zu hören bekommt, das baut Michael Schlereth al­ lerdings wieder auf. Treffpunkt für Flieger Wenn zum Beispiel ein oder zweimal im Jahr das große „Mooney-Treffen“ in Donaueschingen stattfindet, sieht sich Flugplatz-Gechäftsfüh­ rer Schlereth positiv bestätigt in seiner Arbeit. So um die 25 Piloten mit ihren „Mooneys“, das sind Maschinen des amerikanischen Herstellers Edward Mooney aus Texas, nutzen seit Jahren immer wieder den Donaueschinger Flugplatz Links: Im Landeanflug auf Donaueschingen. Mitte: im Cockpit eines Jets – bereit zum Start. Rechts: Einer von zwei in Donaueschingen stationierten Hubschrauber der Bundespolizei.

­­­­­113 Flugplatz Donaueschingen mit dem günstig gelegenen Hotel „Concorde“, um hier ein mehrtägiges Sicherheitstraining zu absolvieren. Die Piloten aus Deutschland, Bel­ gien, Niederlande, Frankreich oder Schweiz sind voll des Lobes über die Bedingungen am Platz „EDTD“. Sie loben, während sie ihre Gebühren und Tankkosten bei Michael Schlereth zahlen, die „sehr schöne Lage des Flugplatzes Donau­ eschingen“. Die Übungs-Flüge führen sie bei­ spielsweise nach Lahr, Baden-Baden oder Fried­ richshafen. Das aktuelle Besuchsprogramm in der Donaueschinger Fürstenberg-Brauerei hin­ terließ bei den Piloten erfreuliche und bleibende Eindrücke. Wirtschaftsbetrieb Der Donaueschinger Flugplatz kennt nicht nur die romantische Seite des Fliegens: Er ist auch ein Wirtschaftsbetrieb. Die Flugplatzbetriebs­ gesellschaft, erläutert Geschäftsführer Schle­ reth, ist unter anderem eine Agentur der Mine­ ralölfirma „Total“. Hier können Flugzeuge ihren Spezial-Sprit tanken, entweder „Avgas 100 LL“ oder das „Jet A 1“. Das ist ein wichtiges Feld für die Wirtschaftlichkeit des Flugplatzes, denn neben Flugzeugen mit Kolbentriebwerken kön­ nen auch Turboprop- und Düsenflugzeuge ihren jeweils benötigten Kraftstoff tanken. Kleinere technische Dienstleistungen wie Starthilfen oderFremdstromwerdenzurVerfügunggestellt. Insgesamt freilich macht der Kraftstoff-Verkauf nur zehn Prozent des Umsatzes aus. Da sind die Landeentgelte schon wichtiger. Je nach Flugzeugklasse und Abfluggewicht müs­ sen die Piloten bis zu 200 Euro für eine Landung zahlen. Kleine Flugzeuge kommen mit 15 Euro davon. Insgesamt machen die Landeentgelte 30 Prozent der Einnahmen aus. Hinzu kom­ men Hallenmieten, Nutzungsentgelte und Ein­ nahmen für das Abstellen von Flugzeugen. So wurde beispielsweise Anfang 2009 eine neue 800.000 Euro teure Halle in Betrieb genommen. Sie ist mit einem Drehteller ausgestattet, der 24 Meter Durchmesser hat und auf dem sieben Ma­ schinen stehen. Auf Knopfdruck dreht sich der Teller langsam, bis die vom Piloten gewünschte Maschine nach vorne kommt zum Eingangstor und für den Flug startklar gemacht werden kann. 80.000 Euro Mieteinnahmen im Jahr er­ zielt die Flugplatzgesellschaft durch die neue Halle, darunter allein 30.000 Euro von der Bun­ despolizei, die in einem abgetrennten Teil der Halle seit Mai 2005 zwei Hubschrauber statio­ niert hat. Von Donaueschingen aus werden die Start zum Rundflug von Donaueschingen aus – eine Robin DR.253B Regent nimmt ihre Passagiere auf.

­­­­­114 Aus dem Wirtschaftsleben Ämter der Bundespolizei in Weil am Rhein und Stuttgart unterstützt, zum Beispiel durch Flüge mit Wärmebildkameras oder durch weitere Auf­ klärungsaufgaben. Die Anflugzeit bis Stuttgart und Ulm beträgt rund 30 Minuten, so dass ef­ fektive und schnelle Arbeit aus der Luft geleistet werden kann. Landkreis ist auf den Flugplatz stolz Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist stolz auf die­ sen Flugplatz und Landrat Karl Heim oder Do­ naueschingens Oberbürgermeister Thorsten Frei und die anderen Gesellschafter erkennen und betonen immer wieder die wirtschaftliche Bedeutung, die der Flugplatz Donaueschin­ gen-Villingen für die Region hat. Die großen Gesellschafter, das heißt der Schwarzwald- Baar-Kreis, die Städte Donaueschingen und Vil­ lingen-Schwenningen, sowie die Industrie- und Handelskammer Schwarzwald Baar Heuberg und im kleineren Umfang die Stadt Tuttlingen und das Fürstenhaus Fürst zu Fürstenberg nut­ zen den Platz nicht nur als wirtschaftliches Aus­ hängeschild und als Werbefaktor für die viel zi­ tierte „Gewinnerregion“. Sie zahlen auch ein in den Zuschuss-Topf, den der Flugplatz braucht. Die „großen Mitglieder“ zahlen jeweils 15.000 Euro im Jahr, das Regierungspräsidium Freiburg 45.000 Euro im Jahr, weil Donaueschingen einen Auftrag in der Luftaufsicht hat. Michael Schlereth wünscht sich mehr Flug­ bewegungen im Jahr, um die wirtschaftliche Bilanz auszugleichen. Immerhin verfügt der Flugplatz über eine Betriebsgenehmigung für Flugzeuge bis zu zwölf Tonnen höchstzulässige Abflugmasse (MTOM). Aber: „Wir müssen uns Sor­ gen machen über einen Rückgang der Flü­ ge“, räumt Schlereth ein. Sein Ziel wären bis zu 30.000 Flugbewegungen im Jahr, gut 5.000 mehr als derzeit. Aber allein die gewerblichen Flüge gingen von 9.600 im Jahr 2007 auf 8.850 im Jahr 2008 zurück. Bei den nichtgewerblichen Flügen wurden 2007 noch rund 14.920 Flüge gezählt, ein Jahr später nur noch 14.060. Ins­ gesamt ist ein Rückgang von rund 24.520 auf 22.920 Flügen zu beklagen, die erwünschten 30.000 Flugbewegungen liegen damit noch in weiter Ferne. Schlereth macht wirtschaftliche Gründe dafür verantwortlich. In den Zahlen spiegle sich die Wirtschaftskrise. Firmen am Rollfeld Ob die Trendwende kommt oder nicht ist offen. Die Firmen am Flugplatz Donaueschingen legen dennoch Optimismus an den Tag. Einige von ihnen wie das Drei-Sterne-Hotel „Concorde“ profitieren vom Flugplatz. Mit 70 Zimmern, Res­ taurant und guter Küche ausgestattet, ist das Hotel häufig Dreh- und Angelpunkt von Gästen, die per Flieger oder über Bundesstraße und Autobahn nach Donaueschingen anreisen, um Geschäftspartner zu treffen und Verträge abzu­ schließen. Links: Wenn die Donaueschinger Drachentage statt­­­ finden, ist der Flugplatz gesperrt. Mitte: Grö- ßere Maschinen mit bis zu 12 Tonnen Abflugmasse wünscht sich Flughafen-Geschäftsführer Michael Schlereth öfters, sie verbessern die Wirtschaftlich- keit. Rechts: Gewissenhaft werden die Maschinen gewartet.

­­­­­115 Flugplatz Donaueschingen „Was uns fehlt, ist eine Flugzeugwerft“, gesteht Michael Schlereth ein. Dies würde die Bedeutung des Flugplatzes Donaueschingen aufwerten, ist der Geschäftsführer sicher. Aber die Firma „Binder Aviatik“, die sich zeitgleich mit der Gründung der Flugplatz-GmbH am Flug­ platz niederließ, hat inzwischen ihre Werft in Donaueschingen stillgelegt. Die vor wenigen Jahren noch bestehende Halle wurde an einen Schweizer Geschäftsmann verkauft. Seither ist Stillstand und keine Lösung in Sicht. Seit 1978 gibt es bereits die Flugschule Nikolaus. Sie will den künftigen Piloten mit „Schnupperflügen“ Appetit machen, sich richtig ausbilden zu lassen: Hier kann man den Motor­ flugschein und eine Privat-Piloten-Lizenz (PPL) oder eine Ausbildung auf Ultraleichtflugzeugen (UL) machen. Zum gemütlichen Plausch vor oder nach dem Flug steht das Flieger-Bistro zur Ver­ fügung. Die Firma Helicopter Training und Charter (HTC), von Kai Naujokat und Roland Funke gelei­ tet, bildet seit 1992 Piloten auf Hubschraubern aus. Die Privat-Piloten-Lizenz für Helicopter (PPL H) verlangt 45 Flugstunden in der Praxis und 100 Stunden in Theorie mit den Gebieten Aerodyna­ mik, Luftrecht, Hubschrauber-Technik und „Ver­ halten in besonderen Fällen“. Für die Berufspi­ loten-Lizenz, Commercial Pilot Lizenz Helicopter (CPL H), sind 185 Flugstunden im Hubschrauber Links: Seit 1978 gibt es die Flugschule Nikolaus, die auch „Schnupperflüge“ bietet. Mitte: Das Hotel „Concorde“ liegt unmittelbar beim Flugplatz und verfügt über 70 Zimmer. Rechts: Die Firma Heli- copter und Charter beim Unterricht, hier wird das Schweben geübt. Wer einen Helicopter fliegen will braucht viel Feingefühl und ein umfassendes technisches Grund- wissen.

­­­­­116 Aus dem Wirtschaftsleben und 300 Stunden Theorie vorgesehen. Die Kos­ ten beziffert der kaufmännische Geschäftsfüh­ rer Funke für die private Lizenz auf 25.000 Euro, für die Berufslizenz auf 80.000 Euro. „Wir sind in Donaueschingen zufrieden“, sagt Roland Funke. Allerdings spüre das Unter­ nehmen HTC inzwischen auch, dass es in Frei­ burg und Friedrichshafen Mitbewerber gebe, so dass die Geschäfte etwas schwieriger geworden sei­ en. Immerhin: Rund 350 Hubschrauberpiloten wur­ den in den zurückliegen­ denbald20JahrenvonHTC ausgebildet. Ein Höhepunkt steht für den Winter 2010/2011 mit einer Afrika Helicopter Safari an. Mit zwei Hubschraubern geht es von Donaueschingen aus in mehreren dreistündigen Flugetappen bis nach Namibia, eine etwa 10.000 Kilometer lange Strecke in rund 500 Metern Höhe. In Namibia können Kunden Safari-Touren vor Ort buchen. Die Rückreise ist dann im Februar, wenn selbst der Baaremer Winter im Wesentlichen vorbei ist. Die „Business Air GmbH“ ergänzt die Liste der Firmen. Das Unternehmen wird von dem Diplom-Ingenieur und Berufspiloten Bernhard E. Steinel geleitet. Die Reisenden können Char­ terflüge buchen und Flugziele in Deutschland, Schweiz, Österreich oder Frankreich ansteuern. Und schließlich gibt es auch die „Stuttgarter Flugdienst GmbH“ (SFD) die von Donaueschin­ gen aus bei Bedarf mit Jets und Turboprops 1800 Ziele in Europa ansteuern kann. Start eines Segelflugzeuges mit Hilfe der Winde, rechts eine Piper Cheyenne, ein zweimotoriges Turboprop-Flugzeug in Tiefdeckerauslegung des US-amerikanischen Flugzeugherstellers Piper Air- craft. Flieger-Romantik – das Segelflugzeug der Luft- sportgruppe Schwarzwald-Baar wird vor dem malerischen Hintergrund eines Regenbogens in Szene gesetzt.

­­­­­117 Flugplatz Donaueschingen Die Luftsportvereinigung Schwarzwald-Baar Mit der älteste Betrieb am Do­ naueschinger Flugplatz ist die Luftsportvereinigung Schwarz­ wald-Baar. Ihre Geburtsstunde schlug 1951, als nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland wieder geflogen werden durfte. Wie auf anderen kleinen Flug­ plätzenimLand,demKlippeneck,inSchwennin­ gen, Blumberg, dem Geisinger Wartenberg, dem Baldinger Hang oder eben in Donaueschingen begann in den 1930-er Jahren die Segelfliegerei: Die Nationalsozialisten hatten die Flugbegeiste­ rung als Propaganda-Instrument entdeckt, wie auch die Chronik der Luftsportvereinigung aus dem Jahr 2004 ausführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpfte die Luftsportvereinigung Schwarzwald-Baar mit den Ortsgruppen in Villingen, St. Georgen oder Donaueschingen und Blumberg um die baldige Zulassung des Luftsports. Im Mai 1951 schließ­ lich war es soweit, es durfte wieder geflogen werden. Allerdings fehlte damals noch ein Flug­ zeug,sodassmanaufdenEigenbaueines„Ibis“ setzte, schildert Rosemarie von Strombeck die Anfangsjahre der Luftsportvereinigung. Diese grauen Anfänge liegen weit zurück. Die Luftsportvereinigung kann inzwischen über ein Segelfluggelände verfügen und nennt sechs Segelflugzeuge, zwei Motorflugzeuge, einen Motorsegler und drei Ultraleichtflugzeuge ihr Eigen. Zwei Flugzeughallen, ein Startgerät, ein Vereinsheim und eine Werkstatt vervollständi­ gen das Vermögen. Rund 150 Mitglieder stehen auf der Liste. An der Spitze stehen Eugen Win­ termantel und Markus Bürker, der Zweite Vor­ sitzende. „Im Mittelpunkt steht das Segelfliegen“, erklärt Markus Bürker, stellt aber auch heraus, dass allein 60 Mitglieder auf Ultraleichtflugzeu­ gen (UL) unterwegs sind. „Das sind inzwischen keine Drahtkommoden mehr“, betont der Kon­ strukteur. Er weist auf das spezielle Rettungssys­ tem der leichten Flugzeuge hin. Bei Gefahr kann man notfalls eine Art Rakete abfeuern, die dann einen großen Fallschirm aus einem Behälter heraus schleudert: An diesem Schirm schwebt im Normalfall das ganze Fluggerät samt Pilot zu Boden. Aber rein fliegerisch, so Bürker, sei das Ul­ traleichtflugzeug ebenso anspruchsvoll wie ein normales Flugzeug. Mit einem sparsamen, 100 PS starken Motor und einer Reisegeschwindig­ keit von 180 Kilometern pro Stunde beträgt die Reichweite etwa 1.000 Kilometer. „Das reicht bis nach Kroatien“, sagt der begeisterte Flug- Fan. Er ist auch ein begeisterter Segelflieger. Die Segelflieger können je nach Wetterlage und je nach Erfahrung des Piloten quer über die Alpen fliegen. Freilich sei es nicht so ganz einfach, mit einem Segelflugzeug zurechtzukommen, räu­ men Markus Bürker und Jugendleiter Daniel Zu­ cker mit Blick auf die Praxis ein. Die Ausbildung dauert in der Regel zweieinhalb Jahre, eine lan­ ge Zeit als0, sie darf mit 14 Jahren beginnen, ab 16 Jahren kann man schon den Segelflugschein in der Tasche haben. Manfred Beathalter Bei der Luftsportvereinigung Schwarzwald-Baar steht die Ausbildung des Nachwuchses an erster Stelle. Mit 14 darf die Ausbildung beginnen, sie dauert zweieinhalb Jahre.

Aus dem Wirtschaftsleben Ein dicker Tankwagen mit russischem Nummernschild schiebt sich im Schneckentempo durch die schma­ le Hauptstraße von Aasen (bei Do­ naueschingen). Was die fremden kyrillischen Reklamelettern auf dem Lkw bedeuten, lässt die Zeichnung daneben erahnen. „Da naht Stark­ bier aus Moskau“, stellt Leo Weyers lächelnd fest, „sechshundert Hekto­ liter.“ Die wird er in den kommen­ den Wochen und Monaten zu einem herzhaft-kräftigen Essig verwandeln, Essigmanufaktur Leo Weyers Der in Tuningen produzierende Familienbetrieb ist die älteste Essigmanufaktur in Deutschland Der Familienbetrieb Carl Weyers ist Deutschlands älteste Manufaktur für erlesene Spezialitätenessige. In der vierten Generation führt Leo Weyers den Betrieb heute in Tuningen. Mitte der neunziger Jahre wurde das Tätigkeitsfeld mit der Speziali- sierung auf feine Frucht- und Balsamessige für die anspruchsvolle Küche erweitert. Bei der Her- stellung seiner Produkte setzt Leo Weyers auf Erfahrung und handwerkliche Tradition. Über- legter Einsatz moderner Produktions- und Labortechnik ist heute selbstverständ- lich. Das Vertrauen der Kunden in seine feinen Essige ist eine große Herausforde- rung. Deshalb legt er auf die Qualität seiner Produkte den größten Wert. Genießer schätzen diese Raritäten: ob Löwenzahnblüten-, Spargel- oder Himbeeressig und er- freuen sich gern an den Nuan- cen des feinen Geschmacks. ­­­­­118 Der Essig wird bei Leo Weyers auch di- rekt aus dem Eichenfass abgefüllt.

­­­­­119 Essigmanufaktur Leo Weyers an dem sich russische Spitzenköche und verwöhnte Feinschmecker delek­ tieren werden. Der 49jährige ist Essig­ meister und betreibt in vierter Genera­ tion Deutschlands älteste Essigmanu­ faktur. Seit dem Jahresende hat sie ein neues Domizil: In Aasen ist’s zu eng geworden, darum hat der Wahl- Baaremer in seinem Wohnort Tunin­ gen eine neue Produktionsstätte mit großzügigem Lager gemietet. Es blubbert und brodelt… Ein Parfumeur würde vermutlich die einzelnen Noten aus dem würzigen Duftgemisch heraus riechen können, das Besuchern in der Aasener Ein­ gangshalle in die Nasen steigt. Die Re­ gale im kleinen Verkaufs- und Probierraum sind dicht mit kleinen, dunklen Fläschchen gefüllt, in der Halle reihen sich Lagerbehälter und Ei­ chenfässer aneinander, in den Gärräumen ste­ hen bauchige Gefäße, in denen es blubbert und brodelt. Im so genannten Büro erinnert das Sze­ ­ nario endgültig an eine Hexenküche. Der Raum, den der Essigmeister zugleich als Laborato­ rium und „Schaltzen­ trale“ nutzt, wird op­ tisch von einem Aceta­ tor dominiert, eine mo­ derne Apparatur zur Essigherstellung. Auf dem langen Arbeits­ tisch hingegen stehen nostalgische Reagenz­ gläser und gläserne Ge­­­rätschaften mit seltsamen Ausbuchtungen und Windungen, wie sie im Chemieunterricht von anno dazumal verwendet worden sein könnten. „Die habe ich von meinem Großva­ ter“, beantwortet Leo Weyers den fragenden Blick einer Besucherin. An diesem Arbeitsplatz kon­ trolliert der Essigmacher den Alkoholgehalt von Zur Herstellung des Essigs braucht es ein „Laboratorium“ mit diversen Messinstru- menten. In Fässern, in denen es blubbert und brodelt, reift der Essig heran (unten).

­­­­­120 Aus dem Wirtschaftsleben weingeistiger Flüssigkeit oder Maische und be­ stimmt die Säurekonzentration im Essig. Feine Wein-, Frucht- und Balsamessige Das Gros der Essigproduktion machen feine Wein-, Frucht- und Balsamessige etwa aus Him­ beer-, Kirsch- und Pflaumensaft aus, Leo Wey­ ers gewinnt aber auch aus Gemüse und ande­ ren Lebensmitteln Essig, denen Uneingeweihte ein solches Potenzial gar nicht zugetraut hät­ ten. Mild-süßer Honigessig ist solch eine Spe­ zialität, der aus Blütenhonig hergestellt wird respektive aus dem daraus erzeugten Met. Ra­ ritäten sind ebenso Spargel-, Dattel-, Quitten- und Tomatenessige, die zu hundert Prozent aus den so genannten Muttersäften von Tomate und Co bestehen. Die werden weder konserviert noch gezuckert und sofort nach dem Abpressen alko­ holisch vergoren – „man muss dazu nur die rich­ tigen Hefekulturen haben und die trickreichen mikrobischen und enzymatischen Vorgänge ken­ nen“, sagt Leo Weyers grinsend. Der Spross einer Kölner Essig-Dynastie hat Essig nun nicht gerade mit der Muttermilch auf­ gesogen, ist aber mit ihm groß geworden. „Bei uns drehte sich alles um Essig,“ beschreibt er seine Kindheit im Kölner Stadtteil Bickendorf. 1893 hatte Urgroßvater Carl Weyers den Fami­ lienbetrieb hier gegründet. Er wuchs rasch, denn vor reichlich hundert Jahren hatte Essig einen elementareren Stellenwert in der Ernäh­ rung als heute. Damals gab es noch keine Kühl­ schränke, wichtiger als im Salat war Essig frü­ her zur Konservierung von Lebensmitteln und damit unverzichtbar zur häuslichen Vorratswirt­ schaft. In Regie von Großvater und Vater Carl Wey­ ers entwickelte sich die Manufaktur zur kleinen Essigfabrik, die feine Branntweinessige vornehm­ ­­­ lich für die Feinkostbranche herstellte. Der ­­ehrgeizige Versuch, sich mit handwerk­li­cher Qualität gegen industrielle Massenware der Branchenriesen zu behaupten, beanspruch­ te die gesamten Kräfte der Großfamilie. Leo Weyers wurde vom Vater in die Geheimnisse traditio­ Die Essigfabrik der Familie Weyers liefert feinsten Tafelessig. Gegründet wurde das Unternehmen 1893 durch Carl Weyers (Briefkopf oben).

Essigmanufaktur Leo Weyers ­­­­­121 neller Essigherstellung eingeweiht. „Dieses Wis­ sen ist mein Kapital“, stellt Leo Weyers fest, der sich in der Jugend vorgenommen hatte, „nie­ mals“ Essig zum Beruf zu machen. Doch nach dem Tod des Vaters übernahm er 1994 nolens volens den Betrieb – „sonst hätten wir ihn auf­ geben müssen, weil sich niemand auskannte.“ Undsofundiert,enthusiastisch,jaleidenschaft­ lich, wie Leo Weyers heute über Essig spricht, keimt die Vermutung auf, dass der Beruf letzt­ lich doch eine Berufung war. Bei allem Respekt vor dem Know-how als eigentlichem Erbe entschloss er sich zu einer anderen Strategie. „Ich wollte nicht weiterma­ chen wie bisher und als David gegen Goliath kämpfen.“ So besann er sich auf die Kernkom­ petenz des Familienunternehmens – die Pro­ duktion bodenständiger Frucht- und sortenrei­ ner Weinessige. Bald erweiterte er die Palette um erlesene Balsamessige, die nach dem Vor­ bild des Balsamico Tradizionale aus Modena monatelang in alten Eichenfässern lagern. Großen Wert wird auf die regionale Herkunft der Rohstoffe gelegt 2004 ließ sich der Rheinländer in den Schwarz­ wald locken – Ehefrau Annette ist gebürtige Do­ naueschingerin. Leo Weyers hat den Umzug nie bereut, im Gegenteil. Er liebt das Leben auf dem Land, die Nähe von Wiesen und Wäldern, Gärten und Feldern, deren duftende Ernten ihn zu immer wieder neuen Essig-Kreationen inspi­ rieren. Vor allem beim Aromatisieren hochwer­ tiger Frucht- und Weinessige lässt der Essig- Meister seiner Phantasie freien Lauf. Im Früh­ jahr werden kräftige Bärlauch-Essige ange­ setzt, im Lauf des Jahres folgen Kombinationen mit weiteren Wild- und Gartenkräutern, die von Bauern und Gärtnereien der Umgebung stam­ men. Überhaupt legt Leo Weyers Wert auf die möglichst regionale Herkunft seiner Rohstoffe. Eine „tolle Kooperation“ hat sich mit den Mön­ chen vom Kloster Beuron ergeben und im Herbst kauft er Säfte aus der bäuerlichen Bee­ ren- und Obsternte. „Ich will wissen, woher die Ausgangspro­ dukte stammen“, betont Leo Weyers, „denn von ihrer Güte hängt die Qualität der Essige Leo Weyers mit der sogenannten „Essigmutter“, die über die Qualität des Essigs entscheidet. Die Essigmutter entsteht durch die Essigbakterien, die sich im offenen Wein nach einiger Zeit bilden. Eine gute Essigmutter kann Jahrzehnte halten und wird unter Kennern wie eine Kostbarkeit gehandelt. Um eine Essigmutter zu erhalten, sollte der Wein in einem passenden offenen Gefäss aus Glas oder Ton bei ca. 20 bis 25 Grad aufbewahrt werden. Nach einigen Wochen bilden die Essigbakterien in Verbindung mit Schleimbakterien und der Luft die Essigmutter, die wie eine gallertartige Masse erscheint. Sie sieht zwar nicht toll aus, ist aber vollkommen harmlos. Je älter die Essigmutter wird, desto fester ist ihre Masse.

Aus dem Wirtschaftsleben ab.“ Die hat sich längst herumgesprochen bei anspruchsvollen Genießern der näheren und weiteren Umgebung. Mit seinen Essigen belie­ fert Leo Weyers Fachgeschäfte und Händler, in der Schweiz gibt’s ein eigenes Vertriebsnetz, für private Direktkunden bietet sich der Inter­ net-Shop an. Einen Teil der Produktion machen Auftragsessige für die gehobene Gastronomie aus, das sind oft Besonderheiten wie Champa­ gner-, Sherry- oder Starkbieressige wie der für Moskau. Etliche pfiffige Essig-Kompositionen sind in Kooperation mit dem Sterne-Koch Ingo Holland entstanden, Salzexperte und Inhaber des Alten Gewürzamts in Klingenberg am Main, der als deutscher Gewürzpapst gilt. Er setzt die edlen Weinessigbalsame mit echtem Espette Chili aus dem Baskenland oder eigenen Pfeffer- und Currymischungen raffiniert in Szene. Auch andere prominente Spitzenköche schwören auf Produkte von Leo Weyers, der einräumt, das sei­ ne Essige ein kleiner Luxus sind, aber einer, den sich jeder leisten könne: „Sie sind ein Stück Le­ bensqualität.“ Um den Geschmack eines feinen Himbeer- oder Kirschbalsams zu genießen, sei es keines­ wegs nötig, damit den gemischten Salat anzu­ richten, im Gegenteil: „Es genügen oft wenige Tropfen, um einen soliden Apfel- oder Weines­ sig zu verfeinern.“ Auch zum Würzen von Sau­ cen, als fruchtiger, alkoholfreier Aperitif, für Ma­­ rinaden und Dips seien die Essige hervorra­ gend geeignet „und wenige Spritzer eines Kirsch­ ­ balsams machen aus schlichtem Vanille-Eis ei­ ne Delikatesse.“ ­­­­­122 Einfach und pfiffig: Ansatzessig Ansatzessig ist die einfachste Methode, eigenen Essig herzustellen. Dabei wird ein fertiger Essig, etwa ein milder Apfel- oder Weißweinessig, mit Kräutern und an­ deren natürlichen Geschmacksträgern (Früchte, Zimtstangen, Nelken) aromatisiert. Farbe, Inhaltsstoffe und Geschmack der Aromageber gehen dabei fast vollständig in den Essig über, der somit eine völlig neue Identität erhält. Geeignete Basis sind alle Wein- und Obstessige. Wenn sie eher neu­ tral schmecken, werden sie mit Kräutern oder Beeren einen neuen Charakter bekom­ men. Wenn sie einen ausgeprägten Eigenge­ schmack haben, kann der raffiniert unterstri­ chen und verfeinert werden. So kann zum Bei­ spiel das Aroma von Pflaumenessig mit einge­ legten Pflaumen unterstrichen werden. Damit die Aromageber vollständig von Essig umgeben sind und nicht aus der Flüs­ sigkeit lugen können, müssen sie unter Um­ ständen beschwert werden, zum Beispiel mit einem Teller. Die Ansatzessige sollen an einem lichtgeschützten Ort bei idealerweise etwa 18 Grad reifen; nach zwei bis vier Wo­ chen sind sie fertig, können gefiltert und danach abgefüllt werden.

Essigmanufaktur Leo Weyers Computer überwacht Prozesse Während des Gesprächs kontrolliert Leo Wey­ ers ab und zu den Acetator, ln dem der werden­ de Essig nach dem modernen Submers-Verfah- ren durch die Luft geschleudert wird. Anders als bei früheren Methoden zur Esslggewlnnung schwimmen die Essigbakterien nicht auf der Oberfläche (Orléons-Verfahren) und haften auch nicht auf Trägersubstanzen (Fesselverfahren), sondern schweben frei ln der Gärflüssigkeit. In die wird ständig Luft geblasen, so dass die Es­ sigbakterien von Luft und Alkohol zugleich um­ geben sind. Der Prozess wird vom Computer überwacht und gesteuert, der Stand der Gärung – also der Proporz zwischen Alkohol und Säure – wird ständig analysiert und so der richtige Zeitpunkt für die „Essig-Ernte“ festgestellt. Essig gab es sozusagen schon immer, er entsteht quasi von selbst, wenn süßer Saft zu Alkohol wird und der zu Essig vergärt. Gleich­ wohl wussten die Menschen jahrtausendelang nicht, warum das so ist und darum war Essig­ produktion lange Zeit nicht nur Erfahrungs-, sondern auch Glücksache. Erst Louis Pasteur fand im späten 19. Jahrhundert heraus, dass und welche Mikroorganismen für die Gärprozesse verantwortlich sind und erst seither konnten systematische Verfahren zur Essigproduktion entwickelt werden. Leo Weyers Fachwissen ist auch beim Schreiben von Büchern sehr geschätzt „Angesetzt – Essig und Öl selbst ansetzen und aromatisieren“ heißt ein Buch von Christina Nack, das 2009 im österreichischen AV-Verlag erschienen ist (ISBN 978-3-7040-2352-0). Bei der Recherche war Essigmeister Leo Weyers eine wertvolle Hilfe, der die Autorin in die Ge­ heimnisse handwerklicher Essig-Herstellung einweihte. Herzstück des Ratgebers in der Rei­ he „Hausgemacht“ sind kreative Rezepturen zur eigenen Herstellung respektive zum indivi­ duellen Aromatisieren von Essig und Öl. Dass Essig und Öl seit Menschengedenken nicht nur als Allroundtalente in der Küche ge­ schätzt werden, macht ein Ausflug in die Ge- Gartenkräuteressig 1 l Apfelessig, je 10 g Schnittlauch, Petersi­ lie, Majoran, Pimpinelle, Thymian, 5 g Lieb­ stöckel. Die grob zerkleinerten Kräuter sol­ len drei bis vier Wochen im Essig ziehen. Das Rezept ist beliebig abwandelbar, es sollte jedoch auf geschmackliche Harmonie geachtet werden. Kräuter mit ausgeprägtem Eigengeschmack wie Waldmeister, Bärlauch oder Dill entfalten sich ebenso wie Knob­ lauch am besten solistisch. schichte und in die verschiedenen Hochkultu­ ren des Altertums deutlich. Die medizinische Anwendung von Essig und Öl ist seit dem anti­ ken Arzt Hippokrates überliefert, im Mittelalter vollbrachte Hildegard von Bingen wahre Wun­ dertaten mit ihren Kräuteressigen und in unse­ ren Tagen wird dieses überlieferte Wissen neu entdeckt und von immer mehr Menschen ge­ schätzt. Doch Essig und Öl sind nicht nur in Küche und Heilkunde von unschätzbarem Wert, sie haben sich seit Jahrhunderten auch als prakti­ sche Helfer im Haushalt und bei der Schön­ heitspflege bewährt. So werden die Rezepturen für Essige und Öle in Küche und Medizin um An­ regungen zur Verwendung als Kosmetika und im Wellnessbereich ergänzt. Trotz der modernen Apparaturen auch in der Manufaktur von Leo Weyers bleibt Essig ein reines Naturprodukt, dass das Ende einer Kette biochemischer Vorgänge darstellt. Nach Essig kommt nichts mehr, er ist – bis auf Verflüchti­ gungen an der Luft – unbegrenzt haltbar, was in der poetischen Formulierung des Essigmeis­ ters so klingt: „Essig ist die Sinngebung jeder weingeistigen Flüssigkeit.“ Christina Nack www.essigmanufaktur. de (der Weg zum Online-Shop) 123

6. Kapitel Landesgartenschau 2010 Ein Freizeit-Biotop mit vielen Attraktionen – Blumenpracht in Hülle und Fülle Über eine Million Besucher bei der Landesgartenschau 2010 von Dieter Frauenheim mit Fotografien von Wilfried Dold und Michael Kienzier Blütenpracht in Hülle und Fülle, Veranstaltungsmarathon und Deutschlands erste Gartenschau im Quellgebiet eines Flusses – das war das Jahrhundertereignis „Landesgartenschau 2010“ in Villingen-Schwenningen unter dem Motto „Die Natur verbindet“. Gleichzeitig wurde das Jubi­ läum 30 Jahre Landesgartenschauen in Baden-Württemberg gefeiert. Zur Jubiläumsschau nach Schwenningen kamen über eine Million Besucher. Die Gartenschau mit ihren vielfältigen Tipps zur Gestaltung der eigenen grünen Oasen zuhause konnte auf einem 3,2 Kilometer langen märchen führte. a Rundweg erkundet werden, der durch ein 24 Hektar großes, grandioses Garten- (S? $> Ò> víT 152 Tage war Villin­ gen-Schwenningen ein blühender Event für Garten­ freunde. In das Ausstellungsge­ lände mit seinen Bereichen Neckar­ park, Möglingshöhe und Land­ schaftsschutzgebiet Bauchenberg wurden rund 30 Millionen Euro investiert. Als „Flaggschiff der Stadtentwicklung“ sieht Ober­ bürgermeister Dr. Rupert Kubon die meisterhaf­ te Gestaltung des Gartenschauareals. Für Mi­ nisterpräsident Stefan Mappus sind Garten­ schauen wie in Villingen-Schwenningen eine gute Investition für eine bessere Lebensqualität in einer Stadt. Die lubiläumsschau war für ihn mit der „Quelle des Neckars als Herzstück ein imposantes und beeindruckendes Gartenschau­ areal“. 1581 hatte Herzog Ludwig von Württemberg den Standort der Quelle auf der Möglingshöhe per Dekret festgelegt, weil hier das meiste Was­ ser aus dem Boden sprudelte. 400 Jahre nach dieser Festlegung wandelte anlässlich der Gar­ tenschau mit SKH Carl Herzog von Württemberg erstmals wieder ein Mitglied des Hauses Würt- Die neue Neckarquelle bei der Möglingshöhe. Rechte Seite: „Symphonie der Rosen“ – mehr als 6.500 Blumen in phantasievollen Arrangements gab es zu sehen. Oben rechts: Im Lichtpavillon der Firmen Hess und Waldmann. Unten: Frühlings­ stimmung am Mögtingssee. 124

Rosenkönigin Sina I. tauft die eigens für die Lan­ desgartenschau gezüchtete „Black Forest Rose“. Im Gartenkabinett – kleine „Zimmer im Grünen“. temberg auf den Spuren seiner Vorfahren. Kö­ nigliche Hohheit war begeistert von der zur Gar­ tenschau erneuerten Neckarquelle. Zu seinem Abstecher meinte der Herzog: „ Es wurde end­ lich mal wieder Zeit“. Der Neckarpark wird Campus für Hochschulen und ein Baugebiet für Wohnungen 600 Hektar neue Grünflächen sind dank der Gar­ tenschauen in den letzten drei Jahrzehnten in Baden-Württemberg neu angelegt oder neu ge­ staltet worden. Der vollkommen neue, sieben Hektar große Neckarpark im Rahmen des Gar­ tenschaugeländes in Schwenningen war eine ehemalige Industriebrache beim Bahnhof (sie­ he Seite 140). „Wir hatten noch bei keiner Gar­ tenschau ein so schwieriges Gelände zu gestal­ ten“, sagt Professor Möhrle, Vorsitzender der Förderungsgesellschaft für die baden-württem­ bergischen Landesgartenschauen. Entstanden in der Doppelstadt ist ein neuerGrünzug, derdie Innenstadt von Schwenningen direkt mit dem Naturschutzgebiet Schwenninger Moos verbin­ det. Der Neckarpark wird in Zukunft als Campus für die Hochschulen und als Baugebiet für Woh­ nungen genutzt. Die Landesgartenschau war unumstritten das grüne Freizeit-Biotop der Region Schwarz- wald-Baar-Heuberg mitvielen Anregungen fürdie eigenen grünen Oasen zu Hause. Beeindruckend war die Blumenpracht mit über 250.000 Som­ merblumen im Freigelände und in elf Blumen­ schauen. Extra für die Gartenschau gezüchtet wurde die „Black Forest Rose“. Sie zeichnet sich durch eine besondere Robustheit aus. Das gärtnerische Herzstück der Landesgar­ tenschau waren die vielen Themen- und Schau­ gärten: Ein Hit darunter die „Wellnessgärten“ mit Außenküche, Biopool und sogar einer Sau­ na-Lounge. Im Themengarten „Energie“ kamen, an Wänden und in die Dachbegrünung inte­ griert, Solarenergieträger zum Einsatz. Der Lan­ desverband der Gartenfreunde hatte seinen Mustergarten unter das Motto „Exoten auf Schwarzwaldhöhen“ gestellt. Hinter einem Ga- bionenzaun als Windschutz und Wärmespeicher wurden Paprika, Auberginen und Honigmelonen angebaut. In weiteren Sondergärten wurden 80 Rosensorten (Neuheiten der letzten drei Jahre), winterharte Kakteen und Bambuspflanzen prä­ sentiert. Kleine „Zimmer im Grünen“ waren und sind (sie bleiben erhalten) acht Gartenkabinette auf der Möglingshöhe. Jedes drückt eine Stimmung Die Landesgartenschau im Luftbild: vorne der Möglingssee, rechts fließt derjunge Neckarin Richtung Neckar Tower. Hinten links der Schwen­ ninger Bahnhofmit dem „Alten Stellwerk“, davor der Pavillon von Stadt und Landkreis sowie die Showbühne. 126

Blumenfaszination – Rosen in der Hallenschau. Größter begehbarer Polter nördlich derAlpen. aus. Material und Bepflanzung lassen den Cha­ rakter erkennen. Ihre Namen: Der Opulente, der Solide, der Heitere, der Spröde, der Zarte, der Kühle, der Elegante und der Lauschige. Im lau­ schigen Garten gibt es eine „romantische“ Be­ pflanzung aus Rosen, Stauden und Buchs, eine filigrane Stahlkonstruktion und einen Kieselbe­ lag. Der heitere Garten ist mit kräftigen Farben gestaltet. Satinierte Glaswände bilden die Raumstruktur im kühlen Garten mit Wiesen-Iris, Rutenhirse und mannshohem Knöterich. In einem buddhistischen Heilgarten ging es um den Anbau und die Verwendung von Heil­ pflanzen zum Meditieren. Russische, französi­ sche und italienische Gärten, gestaltet von den Partnerstädten von Villingen-Schwenningen, er­ gänzten das Gartenangebot. Insgesamt führte ein drei Kilometer langer Rundweg an 66 Ausstellungsbereichen vorbei. Noch nie hatte eine Gartenschau ein derartig großes Angebot. lingen-Schwenningen und des Landesforstbe­ triebes ForstBW: Für den Bau des größten Pol­ ters nördlich der Alpen wurden 112 Stämme verwendet, insgesamt 351 Festmeter Holz. Auf den 46.500 Hektar Wald im Schwarzwald-Baar- Kreis wächst diese Menge Bauholz in knapp 7,5 Stunden nach. :: Deutschlands größte Murmelbahn: Auf einer Strecke von über 220 Metern konnten hier Kin­ der und Erwachsene verfolgen, wie zehn Zenti­ meter große Kugeln erst in Röhren und dann auf Schienen über die Strecke rollten. Mehr als 20.000 Kugeln wurden gekauft und auf die Rei­ se vom Startplatz Möglingshöhe bis zum Mög- lingssee geschickt. :: Die längste Holzbank in Baden-Württemberg: Die 120 Meter lange Bank aus harzfreiem Weiß­ tannenholz entlang des Beitrags der Stadt Vil­ lingen-Schwenningen und des Landkreises be­ stand aus 3.500 Einzelteilen. Stationen der Landesgartenschau 2010 im Überblick :: Der begehbare Holzpolter des Kreisforstam­ tes Schwarzwald-Baar, des Stadtforstamtes Vil- :: Lichtpavillon ULO der renommierten Leuch­ tenhersteller Waldmann und Hess: Unter dem Motto „Efficient Light“ wurden modernste Be­ leuchtungslösungen gezeigt, die wenig Strom verbrauchen, aber viel Licht bieten und gleich- Buddhistischer Heilgarten, Ort der Meditation. Gartenbahn der Gartenfreunde Brigachtal.

Lehmhäuser aus der Steinzeit. Deutschlands größte Murmelbahn. zeitig nachhaltig energetische Ressourcen scho­ nen. Wer das ULO (unbekanntes Lichtobjekt) betrat, erlebte die magische Kraft des Lichts. :: Eine Garteneisenbahn der Gartenbahnfreun­ de Brigachtal: Auf einer Strecke von rund 200 Metern fuhren acht Züge täglich rund 50 Kilo­ meter durch eine herrlich gestaltete Landschaft mit Bergen, Brücken, durch Tunnel und einen achtgleisigen Bahnhofsbereich. :: Der Barfußpfad des Schwäbischen Albvereins mit 17 Bodenbelägen und einer Fußwaschanla­ ge als absoluter „Renner“. :: Riesenkuckucksuhr der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Uhrenstraße aus Furtwangen an der Biwakschachtel beim Möglingssee. Den funk­ gesteuerten Biwak-Kuckuck schmückte ein Zif­ ferblatt mit 2,50 Meter Durchmesser. Der Kuckuck, der in einem Fenster des ehemaligen Bahnhwärterhäuschenssaß, wog 80 Kilogramm und ließ alle 15 Minuten seinen Ruf über den See erschallen. Ein Hingucker beim See war außer­ dem ein zehn Tonnen wiegender Wecker, der neben der Zeitanzeige auf Knopfdruck über Schwenningen als einst größte Uhrenstadt der Welt berichtete (siehe Foto S. 133 oben). :: Wellness-Oase der St. Georgener Firma Syog- ra und der Bad DürrheimerKurund Bäder GmbH. Besucher konnten sich hier zehn Minuten lang kostenlos den Rücken massieren lassen. In Lie­ gen eingebaute warme ladekugeln sorgten für Entspannung. :: Trinkwasserbrunnen der Stadtwerke Villin­ gen-Schwenningen. Durstige Gartenschaubesu­ cher zapften hier mehr als 70.000 Kubikmeter Wasser. :: Pavillon derVolkshochschule mit Töpferbank, Trockenmauer, Kräuterschnecke und Insekten­ hotel, der Pavillon der Imker mit Schauvölkern, der Ausstellungsbereich der Kleintierzüchter mit Tauben, Hasen und Enten, zwei große Frei­ gehege mit Schwarzwälder Füchsen und Hinter­ wälder Kühen und der BUND-Ausstellungsbe- reich mit Lehmhäusern aus der Steinzeit, Brot­ backofen, Schafen und Ziegen. :: Europas größtes mobiles Aquarium: Im 60.000 Liter fassenden Bassin tummelten sich 20 Arten von Neckarfischen. :: Die große Sparkassen-Spielarena, das Mario­ nettentheater, die kleinste Kletterschlucht des Barfußpfad des Schwäbischen Albvereins. Gärten mit Musik – die Saxophonfrau spielt.

Landes überden Moosbach und das Grüne Klas­ senzimmer. Die künstlerischen Beiträge – der Kunstwettbewerb hatte 88 Teilnehmer Zur Landesgartenschau wurden Künstlerinnen und Künstler aus Baden-Württemberg aufgefor­ dert, sich in ihrer Bildsprache zu den Themen­ bereichen ,Zelt‘, ,Uhren*, .Zeitmessung* oder .Passagen*, .Wegmarken* auseinander zu set­ zen und Vorschläge zur Fertigung einer Skulptur oder eines anderen künstlerischen Beitrags zu entwickeln. Der Kunstwettbewerb wurde von der LGS GmbH und dem Kunstverein Villingen-Schwen­ ningen e.V. ausgelobt. 88 Künstler reichten da­ für 103 Arbeiten ein. Von der Jury wurden elf Projekte ausgewählt. Zu den Kunstobjekten auf dem Gelände ge­ hörte eine zur Klimastation umgebaute Telefon­ zelle mit einem Mikroklima wie im russischen Tula (Partnerstadt von Villingen-Schwennin­ gen). Über den Deutschen Wetterdienst wurden die aktuellen Klimadaten aus Tula an verschie­ dene Klimageräte in der Telefonzelle weiterge­ leitet und damit in der Zelle ein Mikroklima auf­ gebaut, das dem aktuellen Klima in Tula ent­ Viel besucht – Spielplatz an der Möglingshöhe. sprach. Die meist erste Frage bei einem Telefon­ gespräch – „Wie ist bei euch das Wetter?“ – hat den Künstler Panse zu seiner Installation ange­ regt. Großen Anklang bei den Besuchern fand auch der Handlauf am „Roller Coaster“ von Va­ nessa Henn. Betrachter sollten mit der Hand Achterbahn fahren und dabei Kindheitserlnne- rungen nachhängen. Kinder nutzten das Kunst­ werk lieber, um daraufzu balancieren. Aus dem Inneren von zwei runden, roten Flä­ chen tickte es im Kunstbeitrag von Professor Andreas Mayer-Brennenstuhl. Die Arbeit „Zeit­ punkt“ griff den Tatbestand auf, dass die orts­ ansässige Uhren-Industrie kriegsbedingt Zeit- Rechte Seite: Die längste Holzbank in Baden- Württemberg war ein begehrter Ruheplatz. Oben rechts: das Kunstwerk„Flower Power“ von Stefan Rohrer. Begeistert waren die Besucher von der kleinsten Kletterschlucht des Landes (unten links). Die Landesgartenschau war das Ziel vieler Fami­ lien, denen überall Orte für eine gemütliche Pause zur Verfügung standen. Unten: Entspannen in einer der Wohlfühloasen. Rechts: Informationen waren gefragt, hier gab es sie zum Bepflanzen von Mauern und Steingärten.

Landesgartenschau 2010 An derAusgestaltung des Landesgartenschau­ geländes wirkten auch Schulen mit, von links: Holzfiguren der Warenbergschule, Blumenbank der Grundschule im Steppach und Metallköpfe der Grund- und Hauptschule Mönchweiler. zünder für Bomben produziert hatte und ver­ stand sich daher auch als ein Beitrag zur Erinne­ rung an die Schwenninger Ortsgeschichte. Die roten Flächen lagen dort im Boden, wo beim Erd­ aushub im Neckarpark zwei Bomben gefunden und entschärft werden mussten. Das Gartenschau-Kunstwerk „Flower Pow­ er“ von Stefan Rohrer hat einen neuen Platz vor den Donauhallen in Donaueschingen gefunden. Die Kunstmäzenin Margit Biedermann hat den blau lackierten VW-Käfer aus der Hippie-Zeit, aus dessen offenem Dach Lenkrad und Sitze herausfliegen, erworben und der Stadt gestiftet. Kunstbeiträge von Kindern und Jugendlichen, engagierte Schulen und Kindergärten Zehn Kunstbeiträge auf der Landesgartenschau wurden von acht Schulen, zwei Kindergärten und einer Kindertagesstätte gestaltet. Die Grund­ schule im Steppach fertigte eine Blumenbank, die Johanna-Schwer-Kindertagesstätte VS-Villin- gen diverse Mosaikfiguren für den Garten und die Georg Müller Realschule eine interaktive Sonnenuhr. Die Grund- und Hauptschule Mönch­ weiler war mit den Metallköpfen „Standhafte Be­ sucher“ vertreten, ein Projekt mit Künstler Jochen Winckler und Kunstschmied Ralph Kaltenbach. Die Janusz-Korczak-Schule gestaltete Ton- Sonnenblumen und Schmetterlinge auf Metall­ stäben, die Warenbergschule unter dem Motto „VS ernst genommen, alles unter einem Hut“ 68 große Holzfiguren. Die 68 Kunstwerke, farblich Tradition – Tanz der Bräunlinger Trachtenkinder. Über eine Million Besucher – Hochbetrieb imJuli.

Landesgartenschau 2010 Derzehn Tonnen schwere Schwenninger Wecker im Möglingspark ist ein „Monstrum“, sein Ziffer­ blatt hatzwei Meter Durchmesser. angepasst an das Gartenschau-Logo, haben Schüler der Klassen eins bis vier gefertigt, be­ malt und lackiert. Die Grundschule Weilersbach war mit in bunten Blättern eingewickelten Stei­ nen vertreten, die Heinrich-Feuerstein Schule hingegen mit einem Jahreszeitenprojekt. Die Albert-Schweitzer-Schule präsentierte 34 Blatt­ werke aus Stoff als Schmuck im deutsch-franzö­ sischen Garten. Die Blätter zeigten Lieblings­ plätze, Modetrends, Motive aus dem Hauswirt­ schaftsunterricht und aus vielen anderen Schul­ bereichen, aber auch Gesichter und Hände. Die Kindergärten aus Pfaffenweiler und Oberesch- ach hingegen starteten den Weltrekord-Versuch „Längster Banner der Welt“. Schon seit „ Adam und Eva“ gehören Garten und Glauben zusammen. Die Kirchen nutzten deshalb die Landesgartenschau gern zur Prä­ sentation ihrer Arbeit in einem Kirchenpavillon, den es in dieser Art erstmals auf einer Garten­ schau gab. „Alles hat seine Zeit“ hieß das Motto des Beitrags. Die Doppelstadt eignete sich aber auch bestens dafür, die gute Zusammenarbeit der christlichen Kirchen in Baden-Württemberg unter Beweis zu stellen. Hier treffen mit dem badischen Villingen und dem württembergi- schen Schwenningen gleich zwei evangelische Landeskirchen, zwei katholische Bistümer und die evangelisch-methodistische Kirche mit ihren Gemeinden aufeinander. Alle fünf Bischöfe hat­ ten die Schirmherrschaft für das bisher wohl größte Kirchenprojekt auf einer Landesgarten­ schau übernommen. Vier Jahre dauerten die Vorbereitungen, 125 feste und ehrenamtliche Aktion der Steinmetze – begehrtes Steineklopfen. Sich Orientierung im Gartenland verschaffen.

Landesgartenschau 2010 Besinnliche Momente: Am Kirchenpavillon wurden 40.000 Kerzen gekauft und mitguten Wünschen aufs Wassergesetzt. Rechts das Kunstwerk„End­ liche Säule“, das aus aufgelösten Grabmalen be­ steht. Mitarbeiter waren im Einsatz. Der Kirchenpavil­ lon ist einem Uhrwerk nachempfunden und er­ innert so an die Uhrentradition in Schwennin­ gen. Sechs runde Plateaus greifen wie Zahnrä­ der ineinander. Auf einer anderen Ebene konnte man Gebetskerzen in Wasserbassins schwim­ men lassen. 40.000 wurden mit vielen guten Wünschen auf kleinen Holzbrettern ausgesetzt. Zum Kirchenpavillon gehörten außerdem sieben Lebenszeitstationen. Insgesamtwurdezu 300 Veranstaltungen mit 3.500 Mitwirkenden im Kirchenpavillon eingeladen. Höhepunkte im Veranstaltungsprogramm waren die Gottes­ dienste mit den Bischöfen. Bilder aus dem All und 27 Ausstellungen im „Treffpunkt Baden-Württemberg“ „Unser Planet – Bilder aus dem All“, hieß die erste von zwei Ausstellungen des Umweltminis­ teriums. In Zusammenarbeit mit der Sternwarte Bochum wurden aktuell vom Umweltforschungs­ satelliten Meteosat aufgenommene Fotos von der Erde direkt in den Pavillon übertragen. Sie brachten den Besuchern die Faszination unse­ res „blauen Planeten“ nahe. Neben den aktuel­ len Satellitenaufnahmen zeigten großflächige Farbfotos, wie verheerend es schon in manchen Teilen der Erde aussieht. Die zweite Ausstellung „Inspiration Natur- Patentwerkstatt Bionik“ zeigte, was der Mensch von der Natur übernommen hat. Beispielsweise den Klettverschluss oder den Lotus-Effekt für Anstriche nach dem Vorbild von sich selbst rei­ nigenden Blattoberflächen der Lotuspflanze. Es ist eine Wanderausstellung, die zum ersten Ma­ le in Baden- Württemberg zu sehen war. Der „Treffpunkt Baden-Württemberg“ war die offizielle Vertretung des Landes Baden- Württemberg auf der Landesgartenschau. Hier fanden 27 Ausstellungen der baden-württem­ bergischen Ministerien statt. Der Landesjagd­ verband glänzte mit einer Ausstellung von prä­ parierten heimischen Wildtieren. Die Stadtwer­ ke Villingen-Schwenningen informierten über ihr Trinkwasser aus dem Bodensee, die Polizei­ direktion Villingen-Schwenningen und die Hoch­ schule der Polizei über ihre Arbeit. Zur Eröffnung des Ausstellungsreigens hatten die Museen der Region ihre floralen Kunstwerke präsentiert, ab­ schließend stand unter dem Motto „Schätze aus Stein“ die Geologie im Blickpunkt. 134

Landesgartenschau 2010 2.900 Veranstaltungen bereicherten die Jubiläumsgartenschau Zu den Veranstaltungshöhepunkten zählten ne­ ben der Eröffnungsveranstaltung – 1.500 Gäste mit Ministerpräsident Stefan Mappus an der Spitze waren geladen – ein Landesmusikfestival mit 3.500 Aktiven, das Landestrachtenfest mit 2.000 Trachtenträgern – aber auch ein interna­ tionales Treffen von Drehorgelspielern. Der SWR sorgte an 15 Radiotagen mit bekannten Stars wie den Geschwistern Hofmann, Gaby Albrecht, Graham Boney, Bata lllic („Michaela- a- ah“) und den „Schäfern“ für beste Unterhaltung. Über 100 Vereine und Schulen aus VS und der Umgebung waren mit 9.000 Aktiven in die Programmgestaltung eingebunden. In mehr als 40.000 Stunden hatten sich die Vereinsmitglie­ der und Schüler auf ihre Auftritte vorbereitet. Um einen Eintrag ins Guinness Buch der Re­ korde mit dem weltweit größten Maskottchen- Treffen zu erreichen, hatte der Schwäbische Albverein bundesweit mehr als 600 Firmen und Vereine mit Maskottchen angeschrieben und eingeladen. 78 Maskottchen waren gekommen. 120 hätten es sein sollen. LGS Maskottchen „Moo­ ses“ hatte beim traditionellen Journalistentag auf der Südwest-Messe 2009 seinen ersten offi­ ziellen Auftritt. Dort stellte die Landesgarten­ schau GmbH ihr lebensgroßes LGS-Maskott- chen der Öffentlichkeit vor. Das Maskottchen war Blickfang bei allen Messen und ein belieb­ tes Fotoobjekt. Beliebt waren Miniausführun­ gen von Mooses als Schlüsselanhänger und der Mooses im Spielzeugbärenkuschelformat. Während der Ferien war Dinozeit auf der Lan­ desgartenschau. 16 lebensgroße Nachbildun­ gen der einst schrecklichen Echsen waren für alle Dino-Fans der Hit. „Was haben die Giganten der Urzeit mit der Blumenschau zu tun“? fragten viele Besucher. Die Antwort wareinfach. Ganz in der Nähe von Villingen-Schwenningen wurden einst in Trossingen die meisten Skelette einer Saurier-Gattung gefunden – des Plateosaurus. Von oben links: Zur Eröffnung der Landesgarten­ schau am 12. Mai 2010 kam auch Ministerpräsi­ dentStefan Mappus, hier mit Landrat Karl Heim und Wirtschaftsminister Ernst Pfister, flankiert von Triberger Trachtenträgern. Präsentiert wurde da­ beizudem das Maskottchen Mooses. Unten links der„Treffpunkt Baden-Württemberg“ und rechts „Reiten aufDinos“, die zu Urzeiten auch aufdem Gartenschaugelände unterwegs waren.

Landesgartenschau 2010 Bei den Trossinger Plateosauriern handelt es sich um Tiere, die in der Umgebung (also sicher auch im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis und damit auf dem Gartenschaugelände) gelebt ha­ ben. Eine der Kunststoff-Nachbildungen war natürlich ein Plateosaurus-auch als „schwäbi­ scher Lindwurm“ ein Begriff. Hervorragende Öffentlichkeitsarbeit für mehr als 67 Millionen Leser, Radio und Fernsehen Die Landesgartenschau sorgte dafür, dass über Villingen-Schwenningen in vielen Publikationen berichtet wurde. Es war eine blumige Werbung in XXL für die Doppelstadt. Nach Worten von Oberbürgermeister Kubon ist die Landesgarten­ schau damit die größte Marketingaktion seit Jahrzehnten für die gemeinsame Stadt gewe­ sen. Das Image der Stadt blühte gewaltig auf. Berichte in Tageszeitungen, Fachzeitschriften, Vereinsblättern, Rundfunksendungen und Fern­ sehberichte erreichten ein Millionenpublikum. So haben 166 Fachzeitschriften und Kunden­ zeitungen mit einer Auflage von über 46,5 Mil­ lionen Exemplaren berichtet. Mit Berichten in Tageszeitungen wurden mehr als 67 Millionen Leser informiert. Über 1.000 Berichte im Radio und Fernsehen hatten über35 Millionen Zuhörer und Zuschauer. Sogar das französische Fernse­ hen sendete in France 3 einen Bericht über die Gartenschau. Selbst in China wurde in der englischspra­ chigen „Shanghai Daily“ mit einem großen Foto von der Kuckucksuhr über die „horticultural show in southern Germany“ berichtet. Bereits ab Juni 2008 gab es eine Homepage der Landes­ gartenschau. Der Internetauftritt war unter der Web-Adresse www.lgs-vs2010.de zu finden. Bis zum Gartenschauende wurde die Hompage rund 500.000 Mal angeklickt. ProTagwaren es durch­ schnittlich 3.300 Aufrufe. Landesgartenschau bescherte dem Landkreis eine unvergessliche Sommerzeit Die Blütenpracht am Neckar hat den Bürgerin­ nen und Bürgern im Schwarzwald-Baar-Kreis Scheppelträgerin des Trachtenvereins St. Georgen beim Landestrachtentreffen im Rahmen der Lan­ desgartenschau 2010. und weit darüber hinaus eine unvergessliche Sommerzeit beschert, Investitionen von über 20 Millionen für andere städtische Projekte ausge­ löst und für bleibende Werte von fast 28 Millio­ nen Euro gesorgt. Der Möglingspark ist mit sei­ ner rund 300 Meter langen Kastanienallee als Flaniermeile künftig das Zentrum für viele Aktivi­ täten. Die Voraussetzungen dafür bieten der neu gestaltete Festplatz mit dem neu erstellten Vereinsheim und dem Naturschutzzentrum im ehemaligen „Treffpunkt Baden-Württemberg“, die attraktive, 800 Quadratmeter große Spar- kassen-Spielarena, die neu gestaltete Quelle des Neckars, der Kirchenpavillon, die bewirt­ schaftete Biwakschachtel am Möglingssee und die kleinste Kletterschlucht des Landes über den Moosbach. Villingen-Schwenningen habe mit der Gar­ tenschau endlich den Ruf errungen, der dem Oberzentrum der Baden-WUrttemberg-Stadt entspreche, zieht Oberbürgermeister Dr. Rupert Kubon Bilanz. Mit ihrem gelungenen Gesamt­ konzept sei die Gartenschau das bisher größte und erfolgreichste Projekt in der Stadtgeschich­ te gewesen. 136

Oben: Die Landesgartenschau vom Neckar Toweraus, vorne rechts der gemeinsame Pavillon von Landkreis und Doppelstadt, in der Mitte rechts die große Showbühne. Unten: Frühjahrsblüte beim

Landesgartenschau 2010 :: Zahlen und Fakten zur Landesgartenschau 2010 Der Werbeaufwand wargewaltig 545.000 Briefaufkleber, 40.225 Autoaufkleber, 175.000 Vorprospekte, 51.500 Dauerkartenpro­ spekte, 6.250 Mach-mitl-Materialien, 500.000 Hauptprospekte, 13.983 Samentütchen, 3 Mil­ lionen Zuckertüten, 5 Millionen Tassenunterset­ zer für Restaurants, 400.000 Bierdeckel, 8 Mil­ lionen Bierflaschen mit LGS-Werbung, 90.000 Bundesbahn-Flyer mit der LGS-Werbung „Raus aus dem Alltag – rein ins Erlebnis“ und auch 100.000 Flyer und Plakate in Kirchen wurden verteilt. Gastronomie aufder Landesgartenschau Es gab acht Gastronomiestandorte mit über 2.100 Plätzen. 185 Mitarbeiter (alle aus der Region) wa­ ren beschäftigt. Für Familien gab es in der Haupt­ gastronomie ein Familienessen für 12,00 Euro. Insgesamt wurden von den Besuchern während der Gartenschau 350 Schweine, 15 Tonnen Pom­ mes frites und 16 Tonnen Kartoffelsalat verzehrt sowie 1.600 Hektoliter alkoholfreie Getränke und Bier getrunken. Behindertenfreundlich Ein mit den zuständigen Verbänden entwickel­ tes Konzept sorgte dafür, dass auch behinderte Menschen ihre Freude an der Landesgarten­ schau hatten. Zehn Rollstühle wurden übertau- send Malausgeliehen. Einzelreisende Rollstuhl­ fahrer erhielten auf Wunsch eine persönliche Betreuung. Für Sehbehinderte und Blinde gab es eine CD mit Besprechung des Rundweges. Ausgebildete Führer standen für Einzelperso­ nen und GruppenführungzurVerfügung. An den Kassen gab es auch Bollerwagen für Familien. Die Wagen waren ständig ausgebucht und über 1.500 Mal im Einsatz. Sanitätsdienst Sanitäter des DRK Kreisverbandes Villingen- Schwenningen und des DRK Kreisverbandes Do- naueschingen und der Malteser-Sanitätsdienst hatten in zwei Containern an der Möglingsstra- ße ihren Standort. Drei bis vier Mitarbeiter (an Sonn- und Feiertagen fünf bis sechs) waren im Dauereinsatz. Zu Fuß und mit dem Rad waren ständig Sanitrupps auf dem Gelände unter­ wegs. Die Sanitäter leisteten mehr als 2.600 Einsatzstunden und hatten über 2.000 Einsätze. Führungen Führungen für Gruppen konnten direkt bei der Landesgartenschau GmbH angemeldet werden und wurden von speziell ausgebildeten Grup­ penbegleitern durchgeführt. 48 Männer und Frauen hatten sich zwei Jahre lang auf ihre Tä­ tigkeit vorbereitet. An 800 Führungen nahmen rund 25.000 Personen teil. Fundsachen Für die Torkontrollen und Kassen, die nächtli­ che Bewachung und die Absicherung bei Groß­ veranstaltungen und Fundsachen war ein Si­ cherheitsdienst mit 65 Mitarbeitern zuständig. Verloren und gefunden wurde sehr viel auf der Landesgartenschau. Im Fundbüro wurden Uber 1.500 Fundsachen abgegeben: Hörgeräte, Bril­ len, Handys, Fotoapparate, Schlüssel, Taschen, Führerscheine, Autoschlüssel und Geldbeutel. 800 Führungen mit rund 25.000 Personen gab es aufder Landesgartenschau. Erklärungsbedürftig war oft auch die Kunst. Hier das Werk von Tae- Kyun Kim, der die Stadtpläne von Villingen und Schwenningen als Metallskulptur ausführte. 138

”v- i – 5- -■ ‚«W •• V«. : ’ * ‚ :. -■ .;%v-?*■* ^ ií i m . A> ititfliW 1 i ,¿ * m tí ti..I ítu14 . ; . , 1* ? ■ % ! ‚ * J f f! K Die Landesgartenschau bei Nacht – das Lichtermeer mit Tausenden von Kerzen, 500 Flammenschalen und übergroßen, leuchtenden Blumen lockte am 2. Oktober 22.000 Besucher an. Unten das „Alte Stellwerk“zur Blauen Stunde, Mitte rechts stimmungsvolle Gartenlandschaft.

Landesgartenschau 2010 Eine verseuchte Industriebrache in blühendes Gartenland verwandelt „Die Natur verbindet“ – die bleibenden Elemente der Landesgartenschau Um die positiven Effekte der Bundesgartenschauen auch für Mittel- und Kleinstädte nutzen zu können, „erfand“ man die Landesgartenschauen. Die erste Landesgarten­ schau fand 1980 in Ulm/Neu-Ulm gemeinsam statt. Jede Schau hat ein individuelles Konzept – zugeschnitten auf die Situation der jeweiligen Stadt. „Die Natur verbindet“ lautete das Motto der Landesgartenschau 2010 in Villingen-Schwenningen, die eine ehemalige, stark verseuchte Industriebrache in eine wunderbare Garten- und Park­ landschaft verwandelte. Speziell die Landesgartenschau 2010 machte Zusammen­ wachsen und Zusammenkommen erlebbar: menschlich, kulturell, wirtschaftlich und städtebaulich – auch zwischen Villingen und Schwenningen. Es entstand eine 24 Hektar große Parkanlage, die dauerhaft Akzente setzt und die die Menschen auch künftig zum Spazierengehen oder Verweilen einlädt. Die Grundidee dieser Landesgartenschau spie­ gelt sich in einer neuen grünen Achse entlang des gesamten Stadtbezirkes vom Naturschutz­ gebiet Schwenninger Moos bis fast direkt in die Innenstadt wieder. Bisher waren die Innenstadt von Schwenningen und der Neckarstadtteil durch eine stark verseuchte Industriebrache getrennt. Eine ordentliche Querverbindung gab es nicht. Nur durch eine schmale Röhre entlang eines hohen Industriegebäudes, mit stark verfallenen Komplexen, konnte man von einem Stadtteilbe­ reich in den anderen gelangen. Außerdem war das Gebiet stark mit Kampfmitteln verseucht (siehe Almanach 2008). Weil die Uhrenfabriken Aufschlags- und Zeitzünder für Bomben und Granaten fertigten, geriet Schwenningen in das Visier der alliierten Bombenangriffe, die Ende 19A4 einsetzten und insbesondere das Bahn­ gelände mit seinen Gleisen und Gebäuden zur Die Blumenpracht ist verblüht und kehrt so nicht wieder, die prachtvolle Parkanlage und die in je­ der Hinsicht tollen Kinderspielplätze aber bleiben – Familien mit Kindern samt Großeltern freut das sehr! 140

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Landesgartenschau 2010 Güterabfertigung und damit den Transport von kriegswichtigen Gütern zum Ziel hatten. Bei den Bombenangriffen im Januar und Februar 1945 wurden aber auch angrenzende Wohnge­ biete getroffen. Insgesamt 191 Menschen fielen den alliierten Bomben zum Opfer. Nach dem Kriege wurde das Bahngelände wieder aufgebaut und mit den Planungen zu einem neuen Bahnhofsgebäude seit 1955 und dessen Realisation i960 abgeschlossen. sprung befindet, der heutige Landschaftspark Bauchenberg mit seiner großen Wasserfläche. Durch Auslichtungsmaßnahmen und die Anla­ ge eines Rundweges wurde dieses ehemalige Rückhaltebecken aus seinem Dornröschenschlaf erweckt. Der Weiher ist jetzt von der großen Freitreppe vor dem umgebauten Eisstadion zu überblicken. Der Landschaftspark Bauchenberg stellte während der Landesgartenschau den ru­ henden Pol dar. Der Landschaftspark Bauchenberg Stadtpark Möglingshöhe Kernaufgabe für die Planer war es, drei sehr un­ terschiedliche Geländeteile zu einer Einheit zu­ sammenzuführen. Da ist direkt anschließend an das Hochmoor und Naturschutzgebiet Schwen- ninger Moos, in dem sich auch der Neckarur- Das Luftbild aus der Zeit vor der Sanierung (hinten rechts Helios Arena) zeigt die eklatanten städte­ baulichen Mängel und gibt zugleich einen Ein­ druck von der Umweltsituation. Zu sehen sind der heutige Landschaftspark Bauchenberg (oben) und Teile der Möglingshöhe. Über die Salinenstraße gelangte der Besucher in den Stadtpark Möglingshöhe mit der zur Lan­ desgartenschau völlig neu angelegten Neckar­ quelle als Besuchermagnet. Die Möglingshöhe entstand schon am Anfang des 20. Jahrhun­ derts als Bürgerpark. Dieser mit alten Bäumen bestandene Parkteil wurde teilweise komplett umgestaltet. Um dem Gelände eine Struktur zu geben sind alte, kranke Kastanien gefällt, eine Raum­ kante (Erdwall) entlang der Neckarstraße auf­ geschüttet und ein großer Festplatz und eine Festwiese neu angelegt worden. Dort befinden

Blick aufden Neckarpark mit Bahnhof(oben rechts) nach und vor der Sanierung (unten). Eindrucksvollzu sehen sind die positiven Effekte der Landesgartenschau 2010 für VS-Schwenningen. Z iz z ‚ * * t H B ^ y j |^ – – a > J j4^6K K 2* itfíf– _ ilííSSR • .T , – -* ** — > i l « H l – 4 u . > – j f c . / ,.4 i^áv

Der Spielplatz am Möglingssee vor und nach seiner gelungenen Sanierung. sich auch die beiden neuen Kopfbauten, das „Haus der Vereine“ und der „Treffpunkt Baden- Württemberg“, der nach der Landesgartenschau als Umweltzentrum „Schwarzwald-Baar-Neckar“ genutzt wird. An der Ostseite des Parks wurden entlang des neuen Erdwalls die verschieden­ artigen „Gartenkabinette“ angelegt. Höhepunkte dieses Parkteils stellen aber eindeutig der erheblich vergrößerte Möglings­ see mit der neu gestalteten Neckarquelle und die Sparkassen-Spielarena dar. Hier wurde die vorhandene Topographie genutzt und der See landschaftlich ansprechend modelliert. Der Möglingssee bildet „das Gelenk der Landesgar­ tenschau“, ist der erkennbare Übergang zur urwüchsigen Landschaft des Schwenninger Mooses. Das Südufer des Sees besitzt natürlich geschwungene Formen, geradlinig mit einla­ denden Sitzstufen ist das nördliche Seeufer ausgestaltet. Das Gelände steigt hier vom jun­ gen und schmalen Neckartal bis zur Möglings- straße hinauf sanft an. Der Möglingssee als Panoramafotografie, das nördliche Seeufer ist geradlinig und mit einladen­ den Sitzstufen ausgestaltet. Der Neckarpark Die Möglingsstraße war bis vor gut drei Jahren Haupterschließung eines heruntergekommenen Gewerbegebietes mit Gleisanlagen und einer Tankstelle. Wenn sich die Besucher des Parks die Bilder von 2003 ansehen, können sie nach­ vollziehen was hier geschehen ist: Da während der Industrialisierung das Neckartal bis zu sechs Metern aufgefüllt wurde, mussten zur Freilegung erhebliche Erdmassen in einer Grö­ ßenordnung von ca. 200.000 m3 bewegt und 25.000 LKW-Ladungen, zum Teil hochgradig belastetes Material, abgefahren werden. Üb­ rigens eine der schlimmsten Altlasten in ganz Baden-Württemberg. Allein die Deutsche Bahn hat hier über sieben Millionen Euro zur Altlas­ tenbeseitigung in die Hand genommen. Sieben Hektar neuer Stadtpark sind dadurch im Herzen von Schwenningen entstanden. Im Almanach 2009 findet der Leser dazu eine umfasssende Darstellung. Der Landschaftsarchitekt Stefan Fromm aus Dettenhausen bei Tübingen hat mit seiner klaren und gut ablesbaren Formensprache im Neckarpark eindeutig seine Handschrift hinter-

Am neu gestalteten Ufer der Brigach in VS-Villin- gen. Am Fluss führtzudem ein idyllischer Spazier­ weg entlang. lassen. Der völlig neu erstellte Neckarpark, zwi­ schen Bahn und Neckarstraße in einer Breite von maximal 200 Metern, gliedert sich im Os­ ten deutlich durch den Verlauf des Neckars, eine Mittelzone aus Gärten und Rasenflächen und die zukünftigen Wohnbauflächen im Wes­ ten, die zur Landesgartenschau gärtnerisch mit Themengärten und Beiträgen des Landschafts­ und Gartenbaus gegliedert und genutzt wur­ den. Aufgelockert durch senkrecht dazu ver­ laufende Quartiersplätze, die auch nach der Landesgartenschau erhalten bleiben, erhält das gesamte Gelände des Neckarparkes eine ein­ deutige Struktur. Zwischen den verbliebenen Bahngleisen und dem Neckar gibt es beim alten Stellwerk einen Geländesprung, der über großzügige Sitzstufen mit der Neckarebene verbunden ist. Markanter Endpunkt des Geländes ist der neu erbaute 12-geschossige Neckar-Tower im Nor­ den. Daueranlagen im Stadtbezirk Villingen Es warvon Anfang an klar, dass ein Teil der neu­ en Daueranlagen zur Landesgartenschau auch im Stadtbezirk Villingen entstehen, auch wenn das eingezäunte Hauptgelände im Stadtbezirk Schwenningen liegt. An der Brigach ist ein neuer Stadtplatz mit Bänken und Bäumen entstanden. Sitzstufen la­ den zum Verweilen am fließenden Wasser ein. Ein idyllischer Spazierweg führt am Ufer der Brigach entlang bis hin zur neuen Tonhalle. Di­ rekt am Fußgängerweg, zwischen alten Buchen,

Landesgartenschau 2010 befindet sich ein neuer Kletterspielplatz für Kin­ der. Die Ringanlagen umgeben den Kern der his­ torischen Zähringerstadt. Sonnendurchflutete und schattige Bereiche wechseln sich in dieser Parkanlage ab. Die bestehenden Grünanlagen wurden durch neue Stauden, Gehölze und Blu­ menbeete aufgewertet. Sitz- und Ruhezonen la­ den zum Ausruhen und Entspannen in dieser „grünen Lunge“ in der Innenstadt ein. Rosengarten auf dem Hubenloch Auf dem Hubenloch befindet sich einer der höchstgelegenen Rosengärten Deutschlands. Hier wurden neue Rosen- und Staudenflächen in Zusammenarbeit mit der Gruppe der „Rosen­ freunde“ angelegt. Mehr als 100 verschiedene Rosensorten erfreuen die Besucher. Von einem Aussichtsturm aus hat man einen herrlichen Blick auf die Rosenpracht und auf die Stadt. Neckarquelle und Neckar in Schwenningen Die Bürger rieben sich nach der Eröffnung der Landesgartenschau am 12. Mai verwundert ihre Augen: Sie erkannten das Gelände nicht wieder und sind begeistert, dass ein 1,5 km langer Spa­ zierweg, immer entlang des Neckars, vom neu erbauten zwölfgeschossigen „Neckar-Tower“ bis zur Neckarquelle und zum Schwenninger Moos angelegt wurde. An dem in diesem jahr zum ach- 146 Rosengarten aufdem Villinger Hubenloch. Rechte Seite: Die neue Neckarquelle. Unten: Der wieder freigelegtejunge Neckar. ten Mal der Kulturlauf – der NeckarMan – end­ lich entlang des Flusslaufes, stattfinden konn­ te. Der Neckar war an der Quelle in Villingen- Schwenningen seit dem Ende der i95oer-Jah- re unter die Erde verbannt. In einem Kraftakt in den letzten 10 Jahren wurde das Gewässer

errichtete Herzog Ludwig von W ürttemberg 1581 einen Stein mit der Inschrift „Da ist des Neccars Ursprung”.1733 erneuerte ihn Herzog Eberhard Ludwig m it diesem Wappen. 1822 trank W ürttembergs König Wilhelm I aus der Quelle. Sie versiegte 1895 und wurde zur Stadterhebung Schwenningens 1907 neu gefaßt. 1934 wurde willkürlich das Schwenninger Moos als Neckarursprung bestimm t, 1981 die Quelle aber wieder an ihrem historischen Ort züm Fließen gebracht. Tr- _ ————— Die neue Neckarquelle wurde anlässlich der Landesgartenschau 2010 an historischer Stelle neu errichtet, a ‚ V Ein Dank den Sponsoren Jauch Quartz GmbH (FamilieJauch, Haus Merkur) Tfln p i7 p itu n a DIE NECKARQUELLE (FamilieZieqier)

Das „Alte Stellwerk“ vorher und nachher, rechts davon dergleichfalls sanierte Bahnhofsbereich. Schritt für Schritt wieder naturnah sichtbar. Eine wichtige Stadtentwicklungsachse, ein öko­ logisches Highlight in der Quellstadt und eine entscheidende Hochwasserschutzmaßnahme. Der Neckar hat eine im wahrsten Sinne be­ wegte Vergangenheit hinter sich. Seine histo­ rische Quelle liegt im Schwenninger Stadtpark Möglingshöhe. Hier ließ der Herzog Ludwig von Württemberg 1581 einen Gedenkstein mit der Inschrift „Das ist des Neccars Ursprung…“ errichten. Der König von Württemberg, Wilhelm der I., trank 1822 aus dieser Quelle und soll je­ dem Untertan empfohlen haben, diese zu besu­ chen. Die Quelle versiegte 1895 infolge des Ei­ senbahnbaus und wurde zur Stadterhebung Schwenningens 1907 neu gefasst. Anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Neckarquelle wur­ de 1981 die steinerne Quellfassung an ihrem historisch bezeugten Ort im heutigen Stadtpark Möglingshöhe eingeweiht. In den 1960er jahren wurde der Neckar nach jahrzehntelanger Nutzung als offener Abwas­ serkanal auf einer Länge von 3,5 Kilometern bis zur Stadtgrenze vollständig verdolt, also unter der Erde in Kanalrohre gezwängt. Abwasser und Flusswasser liefen zusammen durch die Was von der Landesgartenschau bleibt…

Die alten Fabrikgebäude wurden abgerissen, durch das begrünte Areal fließt nun derjunge Neckar. Rohrleitungen. Durch die sehr stark ansteigen­ de Menge des Abwassers reichte die Neckardole bei starken Regengüssen nicht mehrzur Aufnah­ me der Wassermassen aus. Unter der Federführung des Grünflächen- und Umweltamtes wurde in Zusammenarbeit mit weiteren Ämtern, Behörden und Verbänden ein Gesamtkonzept zur Wiederherstellung des Neckars erstellt. Kosten: n Millionen Euro. Rechnet man die Kosten einer konventionel­ len Kanalbaumaßnahme mit ca. 25 bis 30 Mil­ lionen Euro dagegen, war dies eine kluge Ent­ scheidung. Damit wurde der Grundstein für ein Trennsystem von sauberem und schmutzigem Wasser gelegt. Im Juni 2002 wurden die Bau­ arbeiten zur Wiederherstellung des Neckars be­ gonnen, das neue Neckarbett ist jetzt in seinen Dimensionen für Hochwasserstände bemessen. Nur noch Wasser aus dem Quellzufluss und Drai­ nagewasser fließen in dem wieder entstandenen Flussbett. Oberbürgermeister Dr. Kubon konnte zwei Tage vor Eröffnung der Landesgartenschau am 10. Mai 2010 durch einen symbolischen Akt den Flusslauf wieder fließen lassen – „Wasser marsch“. © Brunnen © © © © © © Sparkassen-Spielarena Kirchenpavillion Kunstwerk „Endliche Säule“ Schwarzwald-Ba(a)rfußpfad Trockenmauer Klettergarten © Treppenplatz Hellos-Arena Steinzeitliche Häuser BUND © Bauchenbergweiher © Streetball © Rosengarten © Altes Stellwerk © Ausstellerfläche © Möglingssee © Historische Neckarquelle Schwenninger Wecker (Neckargarten) Schwenninger BKK-Gesundheitsgarten © Ruhegarten (Neckargarten) © Spielgarten (Neckargarten) © Spielinsel (Neckarinsel)

Landesgartenschau 2010 Die Landesgartenschau im Zeitraffer 2003 :: ImJuli erteilt das Land Baden-Württem­ berg der Stadt Villingen-Schwenningen den Zu­ schlag für die Landesgartenschau 2010. 2004 :: Ein „Landschaftsarchitektonischer Realisierungswettbewerb“ wird ausgeschrie­ ben. Der Preisträger ist die Arbeitsgemein­ schaft „Landschaftsarchitekt Stefan Fromm + die Architekten Hähnig & Kittelberger“. 2005 :: Die Mehrheit der Bürger (56,5%) ent­ scheidet sich für die Landesgartenschau 2010. 2006 :: Der Gemeinderat stimmt am 12. April 2006 dem Gesellschaftsvertrag zu, um die Lan­ desgartenschau Villingen-Schwenningen 2010 GmbH zu gründen. Außerdem beschließt der Gemeinderat das ca. 6 ha große Bahngelände von der DBAG zu erwerben. Am 23. Mai wird die Landesgartenschau Villin­ gen-Schwenningen 2010 GmbH gegründet. 2007 :: Auf der Möglingshöhe laufen die ersten Baumaßnahmen an. Ab Oktober wird der Ro­ sengarten im Hubenloch saniert und umgestal­ tet. Im November startet die Erweiterung und Umgestaltung des Möglingssees, auch wird die Neckarwiederherstellung in Angriff genommen. 2008 :: Noch imJanuar beginnen die Sanie­ rungsarbeiten des Bahnareals. Ab März erfolgt die Umgestaltung des Gebiets Bauchenberg, ebenso des Brigachufers und der Paradies­ gasse. Ab Mai wird das zukünftige Städtebau­ gebiet im Neckarpark erschlossen. Der Bau der Daueranlage im Neckarpark und der Aus- stellungsftäche beginnen (Blumenhalle, Grün­ flächen, Neckargärten etc.). 2009 :: Die Ausstellungsfläche für Glashäuser, Pavillons, Gastronomie und Wechselflor etc. wird gebaut. 2010 :: Die Landesgartenschau Villingen- Schwenningen öffnet am 12. Mai ihre Pforten. Hier hat neben dem Landesgartenschau­ planer Fromm, den Büros „faktorgrün“ aus Rottweil, „K3“ aus Villingen-Schwenningen und dem „Schmidt, Treiber & Partner“ aus Leonberg, auch kräftig das städtische Grünflächen- und Umweltamt mitgewirkt. Was bleibt – Nachhaltigkeit des Konzeptes Durch die zentrale Lage direkt am Stadtkern verfügt das Gelände über zwei Bahnhaltepunk­ te und große Parkplatzflächen, die nicht neu angelegt werden mussten, da sie ja für die Süd­ west Messe schon längst vorhanden waren. Bis zum Zentrum von Schwenningen sind es so nur fünf Fußminuten, bis zu den beiden Hochschu­ len nur zwei Gehminuten. Es entsteht eine Daueranlage, die bis auf ganz wenige Ausnahmen auch nach der Landes­ gartenschau erhalten bleibt. Nur zwei kleinere Gebäude müssen nach der Gartenschau auf dem ehemaligen Bahnareal noch beseitigt wer­ den. Während der Landesgartenschau wurden sie geschickt als Teil der Blumenhalle und als „Treffpunkt Grün“ mitgenutzt. Ansonsten wur­ den sämtliche, zum Teil erheblich verseuchte Industrie- und Gewerbebauten abgerissen und in Grünflächen und potenzielle Wohnbauflächen verwandelt. Die gesamte sonstige Parkfläche bleibt auch nach der Landesgartenschau als Grünfläche erhalten. Selten gab es eine Landesgartenschau auf der so wenig Flächen nach der eigentlichen Schau verändert werden. Der Landschaftspark Bauchenberg behält sein Gesicht. Nur die tem­ porären Gebäude, der Eingangsbereich und die Umzäunung werden hier wieder beseitigt. Das Landschaftsschutzgebiet und das Eisstadion werden wieder vollständig zugänglich. Bei der Möglingshöhe bestehen die Überle­ gungen, mit Hilfe eines Trägervereins den Fest­ platz auch in den zukünftigen Jahren durch Ver­ anstaltungen zu beleben. Hier soll die Umzäunung bleiben, um das Gelände in den Nachtstunden abzusichern. Am Tag wird es frei zugänglich sein. Die Vereine werden bewirten, das Umweltzen­ trum über Naturschutz und Umweltthemen in der Region informieren und der Alpenverein die 150

Landesgartenschau 2010 Die Landesgartenschau hat bewirkt, dass auf dem Gelände ansprechende Spielplätze zu finden sind, die dauerhaft bleiben. So ist das Areal in VS-Schwenningen sicherauch künftig ein großer Anziehungspunktfür Familien. Biwakschachtel an der Neckarquelle, zumindest an den Wochenenden, geöffnet halten. Die Neckarquelle wird zukünftig neben dem großen Spielplatz ein attraktiver Anziehungs­ punkt sein, auch wenn das eine oder andere Blumenarrangement nicht mehr in der üppigen Fülle des Gartenschaujahres zu sehen sein wird. Wohnen im Neckarpark Veränderungen werden selbstverständlich im Neckarpark vollzogen, da der ganze Bereich der gärtnerischen Ausstellungen, der Blumenhallen und des großen Festzeltes in drei Wohnbau­ blocks und eine Hochschulerweiterungsfläche umgewandelt werden sollen. Der Bedarf ist da, die ersten Gebäude sollen 2011 entstehen. Zwischen dem bestehenden Zentrum von Schwenningen und der neuen Parkanlage mit dem Neckarverlauf wird die moderne 4 bis 5-ge- schossige Wohnbebauung sicherlich genügend Abnehmer finden. Das Interesse ist groß, zwei der drei Quartiere sind schon vergeben, auch die örtlichen Wohnungsbaugesellschaften wer­ den sich hier engagieren. Die dazwischen liegenden Quartiersplätze sind durch die Gartenschau schon gebaut und überwiegend durch Sponsoren mitfinanziert. Somit können die Neubewohner des Neckar­ parks nach Fertigstellung der Häuser gleich in „ihren“ Garten gehen, denn dieser ist durch die Grünanlage der Gartenschau schon fertig ge­ stellt und kann sofort benutzt werden. Ein Blütenband entlang des zukünftigen Neckartalfuß- und -radweges bleibt erhalten Aber auch die übrigen Bürger der Doppelstadt und Einwohner unserer Region müssen nicht auf ihre lieb gewonnenen Stauden und Wech­ selflorflächen verzichten. Gerade im Neckarpark wird entlang des zukünftigen Neckartalfuß- und -radweges ein Blütenband erhalten bleiben, das dann bis in die Möglingshöhe zum Neckar­ wecker mit den Staudenflächen hochgezogen wird. Für die Neugestaltung des Parkgeländes wurden u.a. 68.000 neue Pflanzen, 400 neue Bäume, 450 Tonnen Naturstein, 45.000 Blumen­ zwiebeln, 18.000 Kubikmeter Oberboden und Humus sowie 5.000 Quadratmeter blühender Blumenflächen benötigt sprich angelegt. Durch die vielen großen und kleinen gärtne­ rischen und gestalterischen Highlights wurde diese Landesgartenschau in der Quellstadt des Neckars sicherlich zu einer herausragenden Veranstaltung und einer der besten in der ge­ samten, nunmehr30-jährigen Landesgartenschau­ geschichte. Zusammenfassend: Es bleibt den Bürgern der Doppelstadt und der Region sehr viel – fast alles. Armin Schott 151

Landesgartenschau 2010 Auf der Landesgartenschau in Villingen-Schwenningen Ein Blütenrausch und mehr – der Quellenlandkreis zeigt Flagge Die Landesgartenschau in Villingen-Schwenningen war ein Großereignis par excellence, wel­ ches das Geschehen im Landkreis über sechs Monate hinweg maßgeblich dominierte. Auch der Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar nutzte diese Plattform erfolgreich, um sich den Besu­ chern aus Nah und Fern unter verschiedenen Blickwinkeln zu präsentieren. So war der Land­ kreis gleich mit mehreren Beiträgen dauerhaft auf der Landesgartenschau vertreten: das ge­ meinsame Erlebnisfeld im Pavillon der Stadt Villingen-Schwenningen und des Quellenland­ kreises, das landwirtschaftliche Labyrinth, die WALDportraits mit begehbarem Holzpolter der Forstämter des Quellenlandkreises und der Stadt Villingen-Schenningen sowie eine Schau­ kompostanlage mit attraktivem Hochbeet des Maschinenringes und des Amtes für Abfallwirt­ schaft. Zudem leisteten die Forstämter, das Landwirtschaftsamt und das Amt für Abfallwirt­ schaft wichtige Lehrbeiträge für 123 Schulklassen mit insgesamt 2.700 Schülern innerhalb des „Grünen Klassenzimmers“. Unter dem Motto „Eine Region in Bewegung“ präsentierten sich die Stadt Villingen-Schwen­ ningen und der Landkreis Schwarzwald-Baar- Kreis in einem über 200 Quadratmeter großen Pavillon. Landrat Karl Heim zeigte sich bei der Eröffnungsveranstaltung am 13. Mai 2010 über­ zeugt: „Hätte die Stadt Villingen-Schwenningen die Chance, die sich über eine Gartenschau bie­ tet, nicht ergriffen – sie hätte aus Sicht der Stadt­ geschichte eine Jahrhundertchance vertan! Was wir Ihnen heute präsentieren, das ist der ge­ meinsame Beitrag von Stadt Villingen-Schwen­ ningen und Schwarzwald-Baar-Kreis – ein lufti­ ges Zelt, flankiert von Beiträgen der Landwirt­ schaft und der Landfrauen, optisch zusammen­ gehalten durch eine 120 Meter lange, sanft ge­ schwungene Holzbank.“ Der Blick hinter die Türchen: Den Quellenland­ kreis entdecken und erleben Im Zeltinneren war eine Dauerausstellung in­ stalliert, welche sich in folgende Themenberei­ che aufgliederte: „Stadt Villingen-Schwennin­ Gemeinsam präsentierten sich die Doppelstadt und der Schwarzwald-Baar-Kreis. gen“, „Quellenlandkreis“, „Wirtschaft und Inno­ vation“, „Bildung und Kultur“ und „Natur, Tourismus und Gesundheit“. Die interaktive Dauerausstellung war so konzipiert, dass sie für jeden Besucher ein abwechslungsreiches Ent- deckungs- und Erlebnisfeld bot: klappbare Holz­ wände bildeten zu jedem Themenbereich ein großflächiges Bild ab. In die Wände waren Tür­ chen integriert, hinter denen sich jeweils Über- 152

Der Pavillon des Quellenlandkreises Schwarzwald- Baar und der Doppelstadt Villingen-Schwenningen hatte eine ungeheure Vielfalt an Attraktionen und Informationen zu bieten. So präsentierte sich u.a. eine Folkloregruppe aus dem Komitat Bäcs-Kiskun, herzlich begrüßt von Landrat Karl Heim (fünfter v. I.). Auch für eine gemütliche Rast„mitten im Quellenland“ bot sich dergemeinsame Pavillon mitseinem abwechslungs­ reichen Entdeckungs- und Erlebnisfeld an.

Vielfältige Aufgaben hat der Schwarzwald-Baar-Kreis, links wird im Zusammenhang mit dem Naturschutz über die Rückkehr des Bibers informiert. Rechts: der gemeinsame Pavillon von Doppelstadt und Landkreis samt Sitzbank, Wasserscheiden-Spiel und geologischem Spielplatz am oberen Ende der Sitzbank. raschungen versteckten – angefangen bei einer modernen 3D-Brille bis hin zu einem duftenden Stückchen Moos – frisch aus dem Schwarzwald. Neugierig machten dabei witzige und nach­ denkliche Zitate und Sprüche großer und weni­ ger großer Persönlichkeiten auf den Türchen. Die Dauerausstellung verdeutlichte einerseits die Innovations- und Zukunftsfähigkeit des Landkreises mit seinen Städten und Gemein­ den, andererseits deren hochwertige Natur-, Landschafts- und Kulturgüter. Eine großflächige Reliefkarte im Themenbereich „Quellenland­ kreis“ machte den Landkreis für den Besucher aus der Vogelperspektive „begreifbar“. Die Dauerausstellung als flexible Kulisse für wöchentlich wechselnde Beiträge Die Dauerausstellung fungierte zugleich als fle­ xible Kulisse für die wöchentlich wechselnden Beiträge verschiedenster Akteure. Am 13. Mai 2010, dem Tage der offiziellen Eröffnung des Pa­ villons, konnte der Besucher einen Schwarzwäl­ der Uhrenträger aus Triberg in historischer Tracht bewundern. Auch alle anderen Gemein­ den des Landkreises stellten in ihrer jeweiligen „Gemeindewoche“ eindrucksvoll dar, welch vielfältiges und abwechslungsreiches Angebot der Landkreis gerade im Bereich Tourismus vor­ weisen kann. Zu nennen seien nur die „Sau- schwänzlebahn“ bei Blumberg, das Römerbad in Hüfingen, das Solemar in Bad Dürrheim, die Donauquelle in Donaueschingen, die Linachtal- sperre in Vöhrenbach, „Das Ferienland im Schwarzwald“ mit den Gemeinden Triberg, Schonach, Schönwald, Furtwangen und St. Ge­ orgen und vieles mehr. Weiteres Highlight war die Themenwoche „Gesundheit“, bei welcher sich das Gesund­ heitsnetzwerk des Schwarzwald-Baar-Kreises mit seinen Netzwerkpartnern, dem Pflegestütz­ punkt und der Selbsthilfekontaktstelle des Landratsamtes präsentierte. Das Angebot dieser Woche reichte vom Vi­ brations- und Elektrotraining über ein Promi- Der neue Pflegestützpunkt berät in allen Fragen des Alters, im Pavillon des Landkreises werden auf der Gartenschau die breit gesteckten Schwerpunk­ te aufgezeigt. Auch nahezu alle Städte und Gemeinden präsen­ tieren sich – hier Unterkirnach und Vöhrenbach. Im Bild die Bürgermeister Gerold Löffler (links) und RobertStrumberger (Vöhrenbach).

nenten-Basketballspiel bis hin zu verschiede­ nen Massageangeboten. Die Reiselust wurde geweckt, als das ungari­ sche Partnerkomitat des Landkreises – „Bäcs- Kiskun“ – eine Woche lang ungarische Köstlich­ keiten und stimmungsvolle Folkloremusik darbot. Randenkommission: Erfolgreiche Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg Alphornklänge der 14-jährigen Alphornbläserin Lisa Stoll aus dem Kanton Schaffhausen eröff- neten die Aktionswoche der sog. „Randenkom­ mission“. Dem Besucher wurde in dieser Woche die erfolgreiche Zusammenarbeit der Landkrei­ se Konstanz, Waldshut, Schwarzwald-Baar- Kreis und des Kantons Schaffhausen in den Be­ reichen Verkehr, Tourismus, Wirtschaft, Bildung und Kultur gezeigt. Zugleich wurde dadurch ver­ deutlicht, wie gut eine Kooperation über die Landkreis- und sogar Staatsgrenzen hinweg funktionieren kann. Während der Aktionswoche der „Regionalen Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar-Heu- berg“ konnten verschiedene Besonderheiten aus der „Gewinnerregion“ bewundert werden, insbesondere ein Custom Bike der Firma Hollis- ters und ein Porsche GT 3-3,8 Liter des Renn­ fahrers Thorsten Field aus Bad Dürrheim. Einen Schwerpunkt auf Naturprodukte setz­ te der Naturpark SUdschwarzwald während seines Präsentationszeitraumes: Der Besucher konnte aus nächster Nähe dem Seifensieder, Wollspinner, Strohschuhflechter und Bänder­ weber bei der Ausübung seines Handwerkes zuschauen – altes Handwerk erleben. Im Rah­ men der Regionalvermarktungstage wurde Käse und anderes Schmackhafte aus der Region zum Verkosten angeboten. Die Aktionswoche der Industrie- und Han­ delskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg stand ganz unter dem Thema „Fachkräfte“. Spannen­ de Berufe in der Industrie- und Handelsbranche wurden den Fachkräften von Morgen vorgestellt. Im „Haus der kleinen Forscher“ konnten kleine und große Forscher ihre Versuche und Experi­ mente im naturwissenschaftlichen und techni­ schen Bereich durchführen. Ein neugieriger Blick hinter viele Türchen – im Pavillon des Schwarzwald-Baar-Kreises gab es viele Besonderheiten des Quellenlandkreises zu entdecken. Der25. und 26. September 2010 stellten das Thema „Energie“ in den Mittelpunkt: Die „Ener­ gieagentur Landkreis Tuttlingen“ führte Bera­ tungsgespräche im Bereich regenerative Ener­ gien, Energiesparen sowie energieeffizientes Bauen und Sanieren durch. Der Außenbereich als Erlebnisfeld DerAußenbereich um den Pavillon war als Erleb­ nisfeld gestaltet und bot dem Besucher einen hohen Unterhaltungswert. So konnte an einem großen Farbspielrad mittels gläserner Farbdreh- scheiben das gesamte Farbenspektrum gemäß der Dreifarbentheorie von Hermann von Helm­ holtz ermischt werden. Der Geologische Sand­ kasten mit verschiedensten Gesteinsarten vom Schwarzwald, der Baar und bis zur Schwäbi­ schen Alb lud zu einer geologischen Zeitreise durch mehrere Millionen Jahre ein. Mit einem anderen Naturelement zog der sog. „Schwen- 155

Landesgartenschau 2010 Das Amtfür Abfallwirt­ schaftzeigte aufder Lan­ desgartenschau, wie man seinen Biomüll als Kom­ post im Garten verwertet – beispielsweise bei der Anlage eines Hochbeetes für Gemüse. Rechte Seite: Das Farbspielrad gestattete es, alle erdenklichen Farben zu mischen. Die Wasserschei­ de Rhein/Donau war als spielerisches Element erlebbar (oben rechts). Am Ende der 120 Meter langen Sitzbank stand den Kindern ein Geologi­ scher Sandkasten zur Verfügung. Unten rechts der Landkreis-Pavillon eingebettet ins spätherbstliche Blumenmeer. das Amt für Abfallwirtschaft mit einem eigenen Beitrag rund um das Thema „Eigenkompostie­ rung und Kompostprodukte“ auf dem Garten­ schaugeländevertreten: In Kooperation mit dem Maschinenring wurde in einer großen Rundhalle dargestellt, wie die Verwertung der im Landkreis gesammelten Grünabfälle zu hochwertigem Kompost abläuft. Vorratsboxen mit entsprechen­ den Info-Tafeln zeigten die Grünabfälle während den verschiedenen Bearbeitungsphasen. Außerhalb dieses Informationsstandes konnte der Besucher auf einem Lehrpfad Wis­ senswertes zur Eigenkompostierung von Kü­ chen- und Gartenabfällen erfahren. In Bera­ tungsgesprächen wurden wichtige Tipps zur effektiven Kompostierung ausgetauscht. Wozu der fertige Kompost genutzt werden kann, wurde anhand zweier Hochbeete an­ schaulich gezeigt. Gerade für Grundschüler stellte der Beitrag eine wichtige Informations­ quelle dar: Im Rahmen des „Grünen Klassen­ zimmers“ konnten Grundschüler aus ganz Ba­ den-Württemberg verschiedene Komposthau­ fen im wahrsten Sinne des Wortes selbst unter die Lupe nehmen GünterSchmidt ninger-Moos-Brunnen“ die Aufmerksamkeit – insbesondere von den jüngeren Besuchern – auf sich: DerWasserlauf des Brunnens symbolisierte die Europäische Wasserscheide, welche durch das Schwenninger Moos und auf einer Strecke von 107 Kilometern durch den Queltenlandkreis verläuft. Eine besondere Attraktion stellte die 120 Meter lange Holzbank aus reinem Weißtan­ nenholz dar, die in Wellenform die Längsseite des Stadt-/Landkreisbeitrages begrenzte und einen Ort zum Ausruhen bot. Den kreativen Ideen von Herrn Lothar Bracht, Architekt aus Karlsruhe, ist es zu verdanken, dass der Pavillon und das Erlebnisfeld mit sei­ nen Attraktionen ein Anziehungspunkt für viele Besucher wurde. Besonders hervorzuheben ist, dass Lothar Bracht den gesamten Ausstellungs­ bereich mit seinen Objekten und dem Pavillon nicht nur geplant, sondern eigenhändig mit gro­ ßer Hingabevor Ort installiert hat. SteffiSchmid Kompost und Kompostierung Schon beim Herrichten des Gartenschaugelän­ des unterstützte das Amt für Abfallwirtschaft das Projekt als Sponsoring- und Kooperations­ partner. So wurden bereits 2009 die in den bei­ den kreiseigenen Anlagen hergestellten Kom­ posterden bei der Umwandlung der früheren Industriebrache zur späteren Ausstellungsbüh­ ne für besonders hochwertige Blumenbeete ein­ gesetzt. Insgesamt wurden dafür 500 Tonnen Schwarzwald-Baar-Kompost verwendet und da­ mit mehr als 3.600 m2 Fläche aufgewertet. Auch während der Landesgartenschau war 156

Landesgartenschau 2010 Beitrag des Forstes war einer der Gartenschau-Höhepunkte: Die WALDportraits begeisterten Beiträge von Forstbetrieben und Forstbehörden sind seit vielen Jahren feste Bestandteile der baden-württembergischen Landesgartenschauen. Damit war klar: Wenn die Landesgarten­ schau in den Schwarzwald-Baar-Kreis kommt, ist der Forst mit einem großen Beitrag vertre­ ten! Sind doch Städte und Gemeinden im Kreis Besitzer großer Waldflächen und schauen auf eine jahrhundertealte Tradition nachhaltiger Waldbewirtschaf­ tung zurück. Der Forstbeitrag wurde somit als Gemeinschafts­ produkt des Städtischen Forst­ amtes Villingen-Schwenningen, des Forstamtes des Quellenland­ kreises und des neu gegründe­ ten Landesbetriebes „ForstBW“ geplant und umgesetzt. Reali­ siert wurde das größte Holz­ polter nördlich der Alpen (Foto links). Daneben war es Waldbesitzern und Förstern aber auch ganz wichtig, nachhaltige Forstwirt­ schaft und die Arbeit der im Wald tätigen Men­ schen darzustellen. Mit einer neuen Idee, den WALDportraits, wurden die Besucher der Landesgartenschau durch den Forstbeitrag geleitet. Dies waren übergroße Bilderrahmen auf Staffeleien, die auf die vier zentralen Kernbotschaften: „Holz ist gut fürs Klima“, „Wald entspannt“, „Wald steckt voller Leben“ und „Wald braucht Profis“ fokussiert. Im Zentrum des Forstbeitrages und damit auch des größten WALDportraits „Holz ist gut für’s Klima“ stand das über 20 Meter lange und bis zu sieben Meter hohe Riesen-Holzpolter. Es wurde von Mitarbeitern der beiden Forst­ ämter und einem Zimmereibetrieb erstellt. Das Polter war begehbar und als Veranstaltungs­ und Ausstellungsraum ausgebaut. Eine beson­ dere Attraktion war ein 12 Meter langes Diora­ ma, in dem im Miniaturformat kombiniert mit Inhalt des Forstbeitrags waren die klassischen Funktionen des Waldes als Rohstofflieferant und als Erholungs- und naturnaher Lebensraum. Ministerpräsident Stefan Mappus (rechts) und Oberbürgermeister Rupert Kubon zeigen sich über das Engagement des Forstes aufder Landesgar­ tenschau hoch erfreut. 158

Baumspiel für Kinder, eine Baumscheibe mit den- drologischen Angaben (gepflanzt 1780) und Blick ins 12 Meter lange Diorama – die WALDportraits des Forstes faszinierten in jeder Hinsicht. einer Modelleisenbahn umfangreiche Informa­ tionen zur nachhaltigen Produktion und zu den Eigenschaften des modernen Bau- und Roh­ stoffs Holz gezeigt wurde. In zwei weiteren WALDportraits „Wald ent­ spannt“ und „Wald steckt voller Leben“ wurde gezeigt, wie der Wald als idealer Freizeit- und Erholungsraum für Waldbesucher mit Holzpro­ dukten aufgewertet werden kann. Und dane­ ben konnte in einem „Urwaldgelände“ der Wald als letzter großräumiger intakter Naturraum unserer Heimat und damit Lebensraum für un­ zählige Tier- und Pflanzenarten durchwandert werden. Die Botschaft des vierten WALDpor­ traits „Wald braucht Profis“ zog sich wie ein roter Faden durch den gesamten Forstbeitrag. Die handwerkliche Leistung von Förstern und Waldarbeitern wurde in den vielen Holzproduk­ ten auf dem Gelände sichtbar. Durch die ständi­ ge Betreuung des Standes mit forstlichem Per­ sonal, insbesondere am Wochenende und an Feiertagen, konnten die Anliegen des Waldes in zahllosen Gesprächen, bei vielen Fachveran­ staltungen und Führungen vermittelt werden. Im Rahmen des „Grünen Klassenzimmers“ wurden 90 Schulklassen und damit rund 2.000 Schüler mit den Themen des Waldes und der Forstwirtschaft vertraut gemacht. Das rundum erfreuliche Fazit: Die Konzeption der WALDpor­ traits, der Blickfang Riesenpolter verbunden mit persönlicher Betreuung durch forstliches Fach­ personal, hat sich bewährt und wurde durch viele positive Rückmeldungen der Landesgarten­ schaubesucher bestätigt! Frieder Dinkelaker

Landesgartenschau 2010 Die Landwirtschaft auf der Landesgartenschau: Über 100 Getreidesorten und Pflanzen Direkt neben dem Pavillon der Stadt Villingen-Schwenningen und des Landkreises war das Labyrinth des Landwirtschaftsamtes angesiedelt. Das Labyrinth stellte eine Nachbildung des Labyrinthes in der berühmten Kathedrale Notre-Dame-de-Chartres in Frankreich dar. In den bepflanzten Beetflächen wurde die Vielfalt der heimischen Feldfrüchte präsentiert. Auf einem ca. 600 Meter langen Weg mit 28 Kehren konnten über 100 unterschiedliche Getreidesorten und Pflanzenarten in allen Entwicklungs- und Reifestadien bewundert werden. Insbesondere waren die Urgetreideformen Em­ mer, Einkorn und Dinkel, welche die Baar ge­ schichtlich als Kornkammer Badens prägten, zu sehen. Auch den heutzutage hauptsächlich an­ gebauten Sorten wie Weizen, Gerste, Triticale, Hafer, Raps, Mais und Kleegras konnte beim Wachsen zugeschaut werden. Erstaunlich war, dass die vielfältigen Kulturen mit ihren unter­ schiedlichen Ansprüchen trotz der sehr schwie­ rigen Bodenbedingungen dank aufwendiger Handarbeit und täglicher Pflege erstklassig ge­ diehen sind. Das Labyrinth war ständig gut be­ sucht, gerade die älteren Gartenschaubesucher nutzten die pflanzliche Vielfalt dazu, ihrWissen über die Getreideformen an Kinder und Enkel­ kinder weiterzugeben. Schaugehege zu Rinder- und Pferderassen Großer Beliebtheit erfreuten sich weiter die Schaugehege zu Rinder- und Pferderassen beim Haupteingang der Gartenschau. Aus nächster Nähe konnte man auf den Weideflächen das „Vorderwälder Rind“ und „Schwarzwälder Füch­ se“ betrachten, die beide zu den gefährdeten Nutztierrassen unserer Heimat zählen. Die Weiden und das Labyrinth boten zu­ gleich die ausgezeichnete Möglichkeit, Schul­ kindern fast aller Klassenstufen über Ernäh­ rung, Landbau, Tierhaltung und Bioenergie an­ schaulich und spielerisch Wissen zu vermitteln. Insgesamt 18 Schulklassen haben das „Grüne Klassenzimmer“ des Landwirtschaftsamtes be­ sucht. Überdies wurden vielen begeisterten Besu­ chern mit fünf Wochenendveranstaltungen The­ men der praktischen Landwirtschaft vor Augen geführt. Sie konnten einer Schaukäserei Zuse­ hen, selbst Butter herstellen, eine historische Getreideernte erleben oder alles rund um die Kartoffel erfahren. Weitere Höhepunkte waren der Bauernmarkt-Tag und die Ausstellung alter Lanz-Traktoren. Reinhold Mayer 160 Kontaktzu Tieren: Beim „Grünen Klassenzimmer“ lernten die Kinder das „ Vorderwälder Rind“ und den Schwarzwälder Fuchs kennen (rechts).

Das Labyrinth des Landwirtschaftsamtes im Spiel derJahreszeiten. Aufeinem ca. 600 Meter langen Weg wurden weit über 100 verschiedene Pflanzen und Getreidearten präsentiert.

Geschichte Albert Schweitzer é ■ ■ • « > / ■ I ‚ * In Königsfeld konnte ich ruhig arbeiten, hatte eine gehen, hatte viele Freunde“, schrieb Albert Schweitzer über den Ort, der von 1923 bis 1957 sein europäischer Hauptwohnsitz war und in dem er nach eigenem Bekunden die schönste Zeit seines Lebens verbracht hat. Der Friedensnobelpreis träger ist bis heute der mit großem Abstand bedeutendste Einwohner, den der Schwarzwald-Baar-Kreis vorzeigen kann. Das Foto entstand in Königsfeld, zeigt den Urwald-Doktor zusammen mit Tochter Rhena und Frau Helene im Garten des 1923 nach eigenen Plänen erstellten Wohnhauses an der Schramberger Straße.

­­­­­162 7. Kapitel Geschichte „In Königsfeld konnte ich ruhig arbeiten, hatte eine Orgel, konnte in den Wald ­ gehen, hatte viele Freunde“, schrieb Albert Schweitzer über den Ort, der von 1923 bis 1957 sein europäischer Hauptwohnsitz war und in dem er nach eigenem ­ Bekunden die schönste Zeit seines Lebens verbracht hat. Der Friedensnobelpreis- träger ist bis heute der mit großem Abstand bedeutendste Einwohner, den der Schwarzwald-Baar-Kreis vorzeigen kann. Das Foto entstand in Königsfeld, zeigt den Urwald-Doktor zusammen mit Tochter Rhena und Frau Helene im Garten des 1923 nach eigenen Plänen erstellten Wohnhauses an der Schramberger Straße. Albert Schweitzer und Königsfeld (1923 – 1957)

­­­­­164 Die Zeitzeugen werden selten Ältere Königsfelder können sich noch an Al- bert Schweitzer erinnern, sehen seine hoch gewachs­ ene Gestalt vor dem inneren Auge, wenn er bedächtigen, ausladenden Schrittes zum Kirchsaal der Brüdergemeine unterwegs war oder von dort nach Hause strebte, wo ihn Ehefrau Helene und Tochter Rhena mit dem Sonntagsessen erwarteten. Persönliche Refle- xionen an den einzigen Ehrenbürger des Kurorts sind freilich rar: Viele Zeitzeugen sind bereits verstorben, andere waren damals Kinder. Sie er- innern sich heute entsprechend verschwommen an Begegnungen mit dem bereits zu Lebzeiten prominenten Urwald-Doktor und Nobelpreisträ- ger, der mit Albert Einstein und weiteren großen Geistern jener Zeit befreundet war und einen re- gen, meist brieflichen Gedankenaustausch mit ihnen pflegte. Selten mischte er sich öffentlich ins politische Geschehen ein, aber dann hatte seine Stimme großes Gewicht. Insbesondere seine Warnung vor den Gefahren der Atombombe sorgte für Empörung und Aufruhr in den Medien. Dass ihm deswegen CIA-Agenten von den USA bis nach Gabun auf den Fersen waren, sei zwar korrekt, aber im biogra­ fischen Spielfilm „ein wenig zu spektakulär“ dargestellt, sagt Enkelin Monique Egli. „Vieles stimmt, manches ist über- trieben“, lautet ihr behutsam-kritischer Kom- mentar. Sie lernte ihren Großvater 1948 kennen, als sie ihn mit Eltern und Geschwistern vom Zü- richer Hauptbahnhof abholte. Doch richtig nahe kam sie ihm nicht, „die Stadtmusik spielte und er war ständig von Leuten umringt, das hat uns eingeschüchtert.“ Am intensivsten erlebte sie Albert Schweit- zer, als sie sich 1957 18-jährig mit ihm zusam- men nach Lambaréné aufmachte, wo sie ein halbes Jahr verbrachte. „Das Schönste“ sei die dreiwöchige Schiffsreise mit dem Großvater gewesen, die abendlichen Spaziergänge und Gespräche auf Deck. „Es konnte sein, dass ihm plötzlich ein Gedanke kam, den er aufschreiben musste, dann verschwand er in der Kabine.“ Ihr „grandpère“ (Monique Egli ist zweisprachig aufgewachsen, innerhalb der Familie wurde vorwiegend französisch gesprochen) sei warm- herzig und sehr kinderlieb gewesen, „aber er Geschichte Tochter Rhena mit Hund im Garten sitzend, rechts das Gartenhaus der Schweitzers. Der Garten war groß angelegt – heute kann man hier Kleidung und Schuhe für das Spangenberger Sozialwerk ablegen. Im Schweitzer-Museum – blättern in „Lebensbildern“. zer, als sie sich 195718-jährig mit ihm zusam-

hatte zu wenig Zeit“. Wo immer er auftauchte, sei er von Menschen umringt gewesen, „er wur- de mehr verehrt, als ihm lieb war.“ Viel später erst habe sie begriffen, „dass er Unglaubliches geleistet hat, fast zuviel für ein einziges Men- schenleben.“ Spenden sammeln für die Tropenklinik Albert Schweitzer war auch bei seinen Stippvi- siten in Europa ständig für eine Mission aktiv und meist unterwegs – um Spenden für seine Tropenklinik zu sammeln, in der er sein zen­ trales ethisches Postulat von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ Wirklichkeit werden lassen und selbst ein Vorbild sein wollte. „Das war er auch“, sagt Monique Egli, die in der Schweiz lebt und als Botschafterin des geistigen Erbes ihres Großvaters gern nach Königsfeld kommt und zusammen mit Ehemann Hanspeter die kol- lektive Spurensuche in der Gemeinde begleitet. In seinem Bemühen, wortwörtlich keiner Fliege etwas zuleide zu tun, sah sich Albert Schweitzer bisweilen der Lächerlichkeit seiner Umgebung ausgesetzt. „Er hob jede Schnecke behutsam vom Weg auf und trug sie in den Wald“, erzählt Enkelin Monique. Wie ihr Großvater mag sie bis heute keine Blumensträuße, sondern erfreut sich lieber an den unversehrten Pflanzen in Gärten und in der freien Natur. „Alles Lebendige spürt den Der in Königsfeld lebende Maler und Bildhauer ­ Otto Leiber (vorne) hat die nebenstehende Büste von Albert Schweitzer geschaffen. Helene Schweit- zer erzählt dazu im August 1927 in einem Brief: „Zweieinhalb Monate hat er ihm dazu oben im Studierzimmer beim Arbeiten ins Gesicht gestarrt. Mir ist es schleierhaft, wie man dabei noch arbei- ten kann…“ ­­­­­165 Albert Schweitzer und Königsfeld

­­­­­166 Schmerz genau wie Du“, habe er oft gesagt. Dass er wegen dieser Haltung Vegetarier gewor- densei,seifreilicheinGerücht.ErhabevielFisch und auch Fleisch gegessen und im Bewusstsein des ethischen Konflikts auf die Gepflogenheiten der Afrikaner verwiesen: „Sie jagen nicht mehr, als sie selbst zum Leben brauchen.“ Erst im Al- ter habe er auf Fleisch verzichtet, „das lag aber eher an seinen Zähnen.“ Flitterwochen in Unterkirnach Das Haus an der Schramberger Straße mit gro- ßem Nutzgarten ließen Schweitzer und seine Frau nach eigenen Plänen 1923 bauen, auf dass sich die tuberkulosekranke Helene hier erholen könnte. 1911 hatte sie den aufstrebenden Frem- denverkehrsort bei einer Kur kennengelernt, während der Schweitzer sie besuchte. Ihre Flit- terwochen verbrachten die beiden im damali- gen Genesungsheim Kirneck (bei Unterkirnach) und unternahmen von dort Ausflüge nach Kö- nigsfeld. Warum die Wahl bei der Suche nach einer dauerhaften Bleibe für Helene auf den jungen Ort fiel, ist laut Renate Siebörger nicht eindeutig geklärt. Sie gehört zum harten Kern des Albert- Schweitzer-Forums, in dessen ehrenamtlicher Regie das Schweitzer-Haus betrieben wird und die jährlichen Albert-Schweitzer-Tage mit wech- selnden Schwerpunkten organisiert werden. Schweitzer lebte und lehrte damals in Straß- burg, woher laut „Fremdenblatt“ viele Königs- felder Kurgäste stammten. Schräg gegenüber von Schweitzers Studienstiftung in Straßburg war eine Kirche der Herrnhuter Brüdergemeine. Möglicherweise kam so der Kontakt nach Kö- nigsfeld zustande, das bekanntlich eine Grün- dung der Brüdergemeine ist, möglicherweise hatte auch Helenes Vater Harry Bresslau den Ort empfohlen. Der jüdische Geschichtsprofessor war mit seiner Familie von Berlin nach Straßburg gezo- gen, wo sich Helene und Albert 1898 bei einer Hochzeitsfeier kennengelernt hatten. Erst 1912 heirateten die beiden, gründeten ein Jahr spä- ter das Urwaldkrankenhaus in der ehemaligen französischen Kolonie. 1919 wurde Tochter Rhe­ na nach der Internierung in den Vogesen und in Saint-Rémy in Straßburg geboren. 1922 er- krankte Helene an der lebensgefährlichen Tu- berkulose, die sie unfreiwillig aus Leben und Arbeit ihres Mannes hinauskatapultierte. Äußerlich lebte sie in Königsfeld, innerlich blieb sie ihrem Mann verbunden, dessen Be- suche stets Höhepunkte im recht eintönigen All­ tag waren. Das Ehepaar pflegte enge freund- schaftliche Kontakte zu den Königsfelder Ärzten August Heisler (mit dem Albert Schweitzer 1952 In jungen Jahren: Albert Schweitzer im Studierzim- mer mit Frau Helene. Geschichte Im Genesungsheim Kirneck (später Maria Tann, heute leerstehend), verbrachten die Schweitzers ihre Flitterwochen, lernten dabei auch Königsfeld kennen.

gleichzeitig die Paracelsus-Medaille verliehen bekam), Joachim Jancke und Hermann Schall, die beide Helenes Hausärzte gewesen waren, außerdem war sie mit der Schramberger Fami- lie Junghans befreundet. Am öffentlichen Leben hingegen nahm sie kaum teil und wurde von der Bevölkerung auch gemieden – ein Mittel gegen die hoch ansteckende TB wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Selbst ihr Arzt Her- mann Schall erlaubte seiner Tochter aus Frucht vor Ansteckung nicht, zum Kindergeburtstag ihrer Schulkameradin Rhena Schweitzer zu ge- hen. „Dauernd“ von Reportern „überfallen“ Wo Albert war, war jedoch Leben. Stets sei er von einem Pulk Menschen umgeben gewesen, so sieht ihn Feodora Heisler, die ihn 1948 kurz nach ihrer Heirat mit Wyldbore kennengelernt hatte. An der Decke seines Arbeitszimmers ha- be Schweitzer Schnüre befestigt, an die er sei- ne Manuskripte mit Wäscheklammern hängte. „Er wollte alles immer genau durchdenken.“ „Dauernd“ sei er von Reportern „überfallen“ worden, habe denen jedoch Mikroaufnahmen untersagt, weil er keine Spontaninterviews mit eigener Stimme zu geben wünschte. Einmal sei Schwiegervater August zu einem solchen Pres- segespräch gestoßen und habe ein unter dem Tisch verstecktes Mikro entdeckt: „Da gab’s Krach.“ Er sei nach dem Krieg als „Lichtgestalt“ in Königsfeld aufgetaucht, habe Vorträge für die Geistige Nothilfe gehalten, mit deren Einnah- men auch Kriegsflüchtlinge unterstützt worden seien: „Er hatte nicht nur Lambaréné im Sinn.“ Schwager Helge Heisler kann sich an ge- legentliche Besuche Albert Schweitzers in den Zinzendorfschulen erinnern, „er suchte Verbindung zur Jugend.“ Ende der 1940er Jah- re sei er einer Einladung in den „Olymp“ des damaligen Oberstufeninternats Knabenanstalt (KA) gefolgt, wie die Oberprimaner ihre „Stube“ Sehenswert und informativ – das Schweitzer-Mu- seum im ehemaligen Wohnhaus der Familie in Königsfeld. Betsaal der Herrnhuter Brüdergemeine, wo Albert Schweitzer bei seinen Besuchen in Königsfeld oft die Orgel spielte. Albert Schweitzer und Königsfeld

­­­­­168 zu nennen pflegten. Der lebhafte Gedanken- austausch mündete in einen Vortrag für die gesamte Schulgemeinschaft in den früheren Königsfelder „Kurlichtspielen“, die zugleich als Turnhalle und schulischer Festsaal fungierten. Er habe „Onkel Albert“ regelmäßig nach Lam- baréné geschrieben und ihm ein Stipendium für sein Theologiestudium im schwedischen Lund zu verdanken. In seinem Todesjahr 1965 schrieb ihm Schweitzer aus Lambaréné: „Ach, wie gern möchte ich noch einmal nach Königsfeld gehen. Aber die Arbeit hier erlaubt es nicht.“ Königsfeld als Ruhepol Zwar jeweils recht kurz, aber intensiv müssen Schweitzers Aufenthalte in Königsfeld gewesen sein. Hier pflegte er Vorträge vorzubereiten, viel spazieren zu gehen, saß oft allein an der Orgel und gestaltete Konzerte, predigte aber nie. Er saß auch während der Gottesdienste nicht in den Kirchenbänken, sondern oben auf der Em- pore neben der langjährigen Organistin Hilde Martin, die zudem im riesigen Nutzgarten der Familie Schweitzer half. Er assistierte ihr beim Registrieren und Umblättern der Noten und schob sie nach dem Gottesdienst gern sanft zur Seite, um das Nachspiel zu übernehmen. Schweitzer fühlte sich offenbar wohl in der beschaulichen Schwarzwald-Gemeinde mit ihrem besonderen geistlichen Profil, obwohl er nicht auf Tuchfühlung stand mit der Brüder- gemeine, die früher strenger und in manchem dogmatischer war als heute. In Königsfeld verfasste Schweitzer seine „Mystik des Apos- tels Paulus“, er war ein liberaler Theologe, der sich mehr am Neuen als am Alten Testament orientierte und das Christsein als praktische Nachfolge Jesu Christi verstand. In Europa tobte der Nationalso- zialismus, in Afrika wurde Schweit- zer mit anderen Grausamkeiten konfrontiert und im Pendel zwischen inneren und äußeren Extremen scheint Königsfeld ein Ruhepol für ihn gewesen zu sein. Rückblickend schrieb er: „Tief bewegt mich, dass meine Welt- anschauung der Ehrfurcht vor dem Leben ihren Weg in die Welt macht. Mit dieser habe ich mich schon in Königsfeld beschäftigt, im Walde von Königsfeld.“ Auf der Flucht vor den Nazis Anfang 1933 traf er sich hier mit Martin Buber (österreichisch-jüdischer Religionsphilosoph, der kurz darauf vor den Nazis fliehen musste), kam danach nicht mehr nach Deutschland, erst nach dem Krieg wieder, während dessen er in Lambaréné gewesen war. Vergeblich hat- te Reichspropagandaminister Joseph Goebbels versucht, den Urwald-Doktor „mit deutschem Gruß“ mit dem Angebot einer Professur in die Heimat zu locken; „mit afrikanischem Gruß“ lehnte Schweitzer dankend ab. Aus Furcht vor Repressalien wegen ihrer jüdischen Herkunft verließen Helene und Rhena Königsfeld im September 1933 nach Lausanne, reisten 1937 auf Einladung von Freunden in die USA und von dort 1938 nach Lambaréné, wo sie vom Kriegs- ausbruch erfuhren. 1940 machten sich Mutter und Tochter zu deren Verlobtem nach Paris auf; getrennt flohen sie von dort vor deutschen Truppen nach Südfrankreich. Über Umwege und mit Hilfe des englischen Roten Kreuzes gelang Geschichte Albert Schweitzer an der Orgel im Betsaal der Brüdergemeine.

Helene die Überfahrt nach Lambaréné, wo sie bis zu ihrer Rückkehr nach Königsfeld 1946 wie- der an der Seite des geliebten Mannes arbeiten konnte. Ein stilles Leben für Albert Schweitzer Während Schweitzer mit seinem Sendungsbe- wusstsein auf der ganzen Welt zu Hause war, mit seiner charismatischen Ausstrahlung über- all großen Eindruck hinterließ und wenig auf persönliche Bindung und Nähe angewiesen war, war Helene unglücklich, ständig krank, iso- liert, fühlte sich einsam. Sie war eine gebildete, emanzipierte, stolze Frau, die Lehrerin studiert, aber als Waisenpflegerin gearbeitet und ein selbstbestimmtes, ausgefülltes Leben geführt hatte, bis sie sich Lambaréné und ihrem Mann zuliebe zur Krankenschwester hatte ausbilden lassen. Die chronische Lungenkrankheit redu- zierte ihre Möglichkeiten und Aufgaben, „mein ganzes Leben geht jetzt weg“, klagte sie. Sie litt darunter, nicht an Alberts Seite sein zu können, nicht von ihm gebraucht zu wer- den und widmete ihm dennoch ihr Leben. Abends um 22 Uhr pflegte sie mit Tochter „Rhenele“ den Mond in Königsfeld zu be- trachten – so wie hoffentlich er auch im fernen Afrika – um eine geistig-emotionale Bin- dung herzustellen. Sie kümmerte sich um seine Korrespondenz, hielt in Königsfeld, Villingen und Freiburg Vor- träge über das Lepra-Zentrum in Gabun und ver- suchte im Haushalt Geld zu sparen, das sie nach Lambaréné schickte. Bei Boten und Bedienste- ten galt sie freilich als geizig, unnahbar und streng, ihr mitfühlendes, weiches und warm- herziges Wesen kam selten zum Vorschein. Wenn dann ihr geliebter Albert endlich wieder mit seinem hölzernen Leiterwagen voller Bücher und Manuskripte vom Bahnhof in Peterzell ab- geholt werden konnte, war auch Helenes Welt wenigstens für kurze Zeit wieder heil. Ehrenbürgerschaft und Friedensnobelpreis 1950 nahm Albert Schweitzer in Königsfeld die Ernennung zum Ehrenbürger entgegen. 75 Jahre war er da alt, worauf Bürgermeister Karl Krauss mit der Bemerkung anspielte: „Herr Doktor, Sie gehen jetzt Ihrem Feierabend entgegen.“ Schweitzer konterte schlagfertig: „Sie haben sich geirrt, Herr Bürgermeister, bei mir ist es erst dreiviertel zwei…“ Und in der Tat, eine welt- weite Sensation folgte 1952: die Verleihung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember in Oslo in Abwesenheit, denn Schweitzer hielt sich in Lambaréné auf. Er ist der erste Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg, dem diese hohe Aus- zeichnung zuteil wird. Am 4. November 1954 erhielt Albert Schweitzer den Nobelpreis rück- wirkend. Als Höhepunkt brachten am Abend dreißigtausend junge Norweger den Schweit- zers einen Fackelzug. Schweitzers Rede bei der Preisverleihung hatte das Thema: „Das Problem des Friedens in der heutigen Welt.“ 1955 feierten Helene und Albert seinen 80. Geburtstag in Lambaréné, wohin sie ihn trotz angeschlagener Gesundheit ein letztes Mal be- gleitet hatte. Zwei Jahre später flog sie verfrüht nach Europa zurück und starb in Zürich, er stirbt acht Jahre später in Lambaréné. Christina Nack ­­­­­169 Albert Schweitzer und Königsfeld Das Schweitzer-Haus von der Südseite – Eingang zum Museum. Helene Schweitzer

­­­­­170 Robert Von der Schwarzwaldbahn, Höllentalbahn samt Ravennabrücke, über die Rhein­ brücke bis zur Rheintalbahn. Als Leiter der Großherzoglich Badischen Uhrmacherschule in Furtwangen, Förderer der Uhrenindustrie und Begründer des Deutschen Uhrenmuseums. Als Erbauer der Straße von Simonswald nach Gütenbach oder der von Vöhrenbach nach Unterkirnach: Das einstige Großherzogtum Baden und unser Quellenlandkreis Schwarz- wald-Baar haben Robert Gerwig (1820 – 1885) Enormes zu verdanken. Der 125. Todestag Schwarzwaldbahn, Uhrmacherschule oder Straßenbau – ein genialer Ingenieur erschließt und fördert den Schwarzwald-Baar-Kreis 1. Seelenwald-Tunnel 48,73 m 2. Seelenwald-Tunnel 68,78 m 3. Seelenwald-Tunnel 195,03 m Bahnwärterhaus Seelenwald Gr. Triberger Kehrtunnel 835,01 m Gummambstunnel 339,68 m

des genialen Ingenieurs ist Anlass, sein Schaffen zu würdigen. Ein Schaffen, das uns mit Blick auf die verkehrsmäßige Erschließung großer Teile des Schwarzwald-Baar-Kreises noch heute Tag für Tag begleitet. Nach ihm benannte Plätze, Straßen, Schulen – aber auch Denkmäler – und in jüngster Zeit ein Musical erinnern an diesen außergewöhnlichen Mann. Foto: Blick auf Gremmelsbach und Triberg, auf Teile der berühmten Doppelschleife der Schwarzwaldbahn. Bahnhof Triberg Losbachtunnel 185,75 m Grosshaldetunnel 326,72 m Kl. Triberger Kehrtunnel 91,93 m

­­­­­172 Geschichte Robert Gerwig wurde 1820 in Karlsruhe gebo- ren. Sein Vater, Ministerialrevisor Christian Ger­ wig und seine Mutter Caroline, geb. Reichberg, schickten ihn auf das Lyzeum in seiner Heimat- stadt. Mit 14 Jahren (1834) konnte er die Groß- herzoglich-Badisch-Polytechnische Schule be- suchen, danach die Technische Hochschule „Fri­ ­ dericianum“. Als 19-jähriger legte Gerwig seine Abschlussprüfung mit besten Bewertungen ab, anschließend folgte das Studium in der Inge- nieurabteilung. Der junge Mann mit außerge- wöhnlichen Fähigkeiten erhielt eine universelle Ausbildung, wie sie so heute nicht mehr gege- ben ist und die ihn als Fachmann für die ver- schiedensten Bauaufgaben im Staatsdienst be- fähigte. Er legte sein Staatsexamen im Bauin- genieurwesen mit Auszeichnung ab. Robert Gerwig wurde als Ingenieur sofort der Oberdirektion des Wasser- und Straßen- baus empfohlen. In Bruchsal, Freiburg und ­ Rastatt sammelte er erste Erfahrungen – auch im beginnenden Eisenbahnbau. Gerwig wurde zum Ingenieur mit „Staatsdienereigenschaft“ ernannt. Damit war ein schneller Aufstieg in der badischen Beamtenlaufbahn gegeben. Einer Studienreise von 8 Wochen wurde vom ba­ di­ schen Staat stattgegeben, er genehmigte ihm dafür 300 fl. So konnte Robert Gerwig den ­ Ei­ senbahnbau im Ausland studieren. Wo genau er sich dazu befand, ist nicht bekannt, denn sein nahezu gesamter Nachlass ist bei einem Bombenangriff auf Karlsruhe im Jahr 1942 ver- nichtet worden, was die Gerwig-Forschung er- schwert. Als Direktor der Großherzoglich Badischen Uhrmacherschule in Furtwangen Seine erste berufliche Station war eine völlig unerwartete: Nach einem Erlass des Innenmi- nisteriums vom 26. Februar 1850 wurde ein ­ Direktor für die auf Initiative des Gewerbever- eins für den uhrenmachenden Schwarzwald zu grün­ dende Uhrma­ cherschule in Furtwangen ge- sucht. Eine Kommission mit einem Respizien- ten und Hofrat Pro­ fessor W. Eisenlohr begab sich nach Furtwangen, um die „Großherzoglich Badische Uhrmacherschule Furtwangen“ ih­ rer Bestimmung zu übergeben. Gerwig wurde am 15. März 1850 für „einige Wochen“ als proviso- rischer ­ Direktor eingesetzt – es sollten jedoch sieben Jahre werden. Furtwangen im Jahr 1854, die Uhrenstadt zu der Zeit, als Robert Gerwig die Großher­ zoglich Badi- schen Uhrmacherschule leitete. Lithographie von Dold & Hettich.

Robert Gerwigs Aufgabe war klar definiert: Er hatte die Uhrmacher und ihre Auszubilden- den zu qualifizieren, die Produktionsbedingun- gen der Schwarzwälder Uhrmacherei grundle- gend zu verbessern. Der Schwarzwald steckte seit 1846/47 in einer tiefen Wirtschaftskrise mit unvorstellbar großer Not. Ein Hauptgrund wa- ren die sogenannten Amerikaneruhren, die den heimischen Zeitmessern starke Konkurrenz mach- ten. Die „Yankee-Clocks“ waren nicht nur billi- ger, sondern qualitativ besser ausgeführt. Mit Robert Gerwig hatte der badische Staat eine hervorragende Wahl getroffen: Die Groß- herzogliche Uhrma­ cherschule, ursprünglich als eine „Musterwerkstätte für die Uhrenfabrika­ tion in Verbindung mit einer Gewerbeschule“ konzipiert, erfreute sich in den Jahren 1850 bis 1857 eines steten Wachstums. Parallel hierzu erfolgte durch Gerwig die Förderung der Schwarz­ wälder Heimindustrien wie Stroh-, Palmhut- und Korbflechterei durch Schulungs- kurse. Der dadurch erreichte Aufschwung wur- de von Prinz­­ regent Friedrich lobend aner­ kannt. Die badische Regierung war von Gerwigs Erfol- gen derart begeistert, dass schon 1856 erwo- gen wurde, die Schule zu schließen, weil die Wirt­­ schaft ja wieder floriere. Zu den Initiativen Gerwigs gehörte weiter ein Wettbewerb für „vaterländische Künstler“, die aufgefordert waren, für die Kuck­ ucksuhr ein neues Gehäuse zu entwerfen. Der Karlsruher Architekt Friedrich Eisenlohr gewann den Preis mit der Idee, das Bahnwärterhäuschen als Vor- bild zu nehmen. Daraus entwickelte sich die „Original Schwarzwälder Kuckucksuhr“ wie sie im Schwarzwald noch heute gebaut und vertrie- ben wird. Um Anschauungsmaterial für die Uhrma­ cherschüler zu haben, ließ Robert Gerwig zu- dem eine Lehrmittelsammlung anlegen. Damit war zugleich ein Spezialmuseum der Technik- geschichte geboren – das heute weltweit be- kannte „Deutsche Uhrenmuseum“. Dieser erfolgreiche Start in Sachen Berufs- ausbildung wirkte noch Jahrzehnte nach: Furt- wangen im Schwarzwald entwickelte sich vor diesem Hintergrund nicht nur zur Uhren-, son- dern auch zur Schulstadt. Der Uhrmacherschu- le angeschlossen wurde 1877 die Großherzog- lich Badische Schnitzereischule, die bis 1938 bestand. 1922 wurde die Fachschule und 1939 Robert Gerwig Auf Gerwigs Spuren in Furtwangen, links: Die alte Uhrmacherschule, die so von 1850 bis 1863 be- stand. Ihre Wiedereröffnung erfolgte 1877. Oben rechts: im Deutschen Uhrenmuseum. Unten: Die Robert-Gerwig-Schule, gemeinsames berufliches Schulzentrum des Landes und des Landkreises. ­­­­­173

­­­­­174 die Höhere Fachschule für Uhrmacherei, Fein- mechanik und Elektrotechnik gegründet. 1927 kam das Fach „Nachrichtentechnik“ hinzu, 1933 wurde eine staatliche Funkschule angegliedert. Auch die Fachhochschule Furtwangen ist als Nachfolgeinstitution der Großherzoglich Badi- schen Uhrmacherschule sowie der 1947 er­­­öf­f­ne­ ten Staatlichen Ingenieurschule für Feinwerk- technik in Gerwigs Tätigkeit mit begründet. 1963 wurde die Feinwerktechnik durch eine Ab- teilung „Elektronik“ ergänzt, bereits 1968 kam die Informatik als erste Studienrichtung dieser Art in Deutschland dazu. 1971 entstand aus die- ser renommierten „Ingenieurschmiede“ die Fachhochschule Furtwangen. Eine Entwicklung, die ohne den Erfolg in den Gründerjahren – das Wirken Gerwigs – nicht möglich gewesen wäre. Zumal die einstige Uhrmacherschule heute in Trägerschaft des Schwarzwald-Baar-Kreises als modernes und anerkanntes Berufschulzentrum immer noch im Sinne ihres ersten Direktors Ro- bert Gerwig wirkt. Wie könnte es anders sein: Sie ist nach Robert Gerwig benannt. Der Straßenbauer – Kilpenstraße Neben der wirtschaftlichen Entwicklung der Re- gion, befasste sich Robert Gerwig weiter mit dem Straßenbau. Die Landstraße von Ober­­­ simonswald nach Furtwangen, die L 173, wurde 1857 und deren Fortsetzung von Vöhrenbach nach Villingen 1861 - 1863 als völlig neue Stre- cke geplant und ausgeführt. Gerwig hatte sich schon beim Bau der Alb- talstraße (1855 - 1864) von Albbruck nach St. Bla­ ­ sien mit schwierigem Gelände vertraut gemacht. Bei der Albtalstraße wurde er mit härtestem Ge- Oben: Die Landstraße 173 von Obersimons- wald nach Gütenbach, die Gerwig 1857 baute – hier beim früheren „Sternen“. Die neue Straße löste die gefährli- che Kilpensteige ab, die über den Raben und die Ladstatt von Furtwangen nach Gütenbach führte (rechts).

stein und dem Tunnelbau konfrontiert, während der Bau der Verbindungsstraße zur Insel Rei- chenau (1857 – 1858) mit nachgiebigem Bau- grund andere Lösungen erforderte. So hat er dort, entgegen der örtlich vorgeschlagenen Stein- schüttung als Straßenkörper, eine Erdschüttung mit eingelegten Schilf­ rohrwurzeln und Baum- pflanzungen vorgeschlagen. Diese geschützten Böschungen ergaben eine widerstandsfähige- re, billigere und heute noch moderne Lösung, um dem Angriff des Wassers stand­ zuhalten. Diese Einzelheiten zeigen, wie souverän Gerwig mit Fachwissen und Einfühlungsvermögen – trotz ört­­­ licher Widerstände – Einzelaufgaben technisch, rechtlich und wirtschaftlich hervor- ragend zu lösen wusste. Auf diese Weise plante Gerwig auch die Neu­ trassierung der Landstraße von Ober­ simons­ wald nach Furtwangen, die im Bereich Furtwangen/Gütenbach die Kilpensteige abzu- lösen hat­­­ te. Diese Straße wird als gelungenste und landschaftlich wie technisch interessan- teste des ganzen Schwarzwaldes bewertet. Die Kilpen­ steige war den Menschen in der Region Furtwangen schon lange ein Dorn im Auge, sie galt als äußerst gefährlich. Die Steige führte von Furtwangen aus über den Raben zur auf 1.000 Meter Höhe liegenden Ladstatt und von dort hinunter nach Gütenbach. Hals­ brecherisch war diese Straße bisher, lebensgefährlich und steil, so dass man für Lasten je nach Gewicht 12 bis 16 Pferde Vorspann brauchte. Wegen ihrer Höhenlage war sie im Schnee oft überhaupt nicht befahrbar, für die Bevölkerung ein gewal- tiger Nachteil. Der großen Energie von Robert Gerwig war es zu verdanken, dass das Unternehmen schnell beendet werden konnte – allen Schwie- rigkeiten zum Trotz: Straßenbau in 1.000 m Meereshöhe, problematische Finanzierung, Maß­­ nahmen ge­ gen Schneeverwehungen, ohne dass Modelle zur Verfügung gestanden hätten, Pro­ bleme bei der Vergabe der Erdarbeiten, Kampf um Bachregulierungen und -verlegungen. Etwa gleichzeitig (1858) wurde mit der Pla- nung der Straße von Vöhrenbach nach Villin- gen über Kirnach begonnen. Aus der ursprüng- lichen Korrektur der Straße wurde eine völlig neue Straße, die Robert Gerwig ohne größere Widerstände umsetzen konnte. 1861 wurde sie gebaut und bereits 1863 fertiggestellt. Noch weitere Straßen im Quellenlandkreis wurden von Gerwig mitgeplant, wie z. B. Schönwald – Furtwangen und Hammereisenbach – Neustadt. Robert Gerwig Die Landstraße 173 plante Robert Gerwig bis Villin- gen – hervorragend umgesetzt ist der Anstieg auf die Fried­ richshöhe bei Vöhrenbach, gebaut wurde er ab 1861.

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Robert Gerwig ­­­­­177 Die Schwarzwaldbahn Das Eisenbahnzeitalter forderte auch im Badi- schen Großherzogtum seinen Tribut: 1838 war Robert Gerwig mit der Planung einer Haupt- bahn von Mannheim nach Basel und ihrer Wei- terführung nach Konstanz befasst. Mit dem Ent- wurf des ersten badischen Eisenbahngesetzes, das im März 1838 verabschiedet wurde, fand die Planung ihren Abschluss. 1846 kam die Absicht auf,eineEisenbahnverbindungüberdenSchwarz­ wald zu bauen, die Oberbaurat Sauerbeck kon- zipierte. Sein Entwurf wurde bestätigt, einen Nachteil allerdings hatte dieser Plan: Um die Schwarzwaldhöhen zu überwinden, waren zwei Spitzkehren vorgesehen, die einen flüssigen Eisenbahnverkehr erheblich gestört hätten. Die Baukosten waren mit 23 Millionen Gulden ver- anschlagt. Diese Summe verkraftete der Staats- haushalt angesichts der geplanten Rheintalstre- cke nicht. Hinzu kamen 1848 die Wirren der Badi- schen Revolution. Aus diesen Gründen wurde das Projekt zurückgestellt. Nachdem die Strecke Mannheim – Basel – Konstanz am 13. Juni 1863 in Betrieb ging, konnte das Projekt „Schwarzwaldbahn“ wieder aufgenommen werden. Unzählige Resolutionen aus Versammlungen in Triberg, St. Georgen, Vil­­­ lingen und Donaueschingen zeugten von der Notwendigkeit der Eisenbahnanbindung über den Schwarzwald, jeder Ort wollte möglichst einen direkten Anschluss „an den Weltverkehr“. Nachdem man Offenburg als Ausgangs- und Singen als Endpunkt festgelegt hatte, wur- den drei Varianten untersucht. Den Auftrag er- hielt Robert Gerwig. Es galt einen Höhenunter- schied von 471 m auf 11 km Luftlinie zu über- winden, einen Kurvenradius von 300 m und eine max. Steigung von 20 Promille (1:50) ein- zuhalten. Drei verschie­ dene Trassen wurden von Robert Gerwig untersucht und heftig disku- tiert. Die erste Variante, die „Bregtallinie“, führte ab Haslach durch das Mühlbach- und Ausschnitt aus einer Reliefkarte zum Verlauf der Schwarzwaldbahn, hier im Ausschnitt der Groß- raum Niederwasser/Triberg bis St. Georgen Die Drehscheibe auf der Sommerau bei St. Geor- gen. Oft war eine zusätzliche Lok fürs Schieben oder Ziehen erforderlich. Auf der 36 Kilometer langen Strecke von Hausach nach Sommerau wur- den 591 Meter überwunden. Für eine Schubfahrt schaufelte der Heizer 70 bis 80 Zentner Kohle. Pro Bergfahrt verdampften rund 20.000 Liter Wasser. Auf der Sommerau war der Schub beendet, hier wurde die Lok auf der Drehscheibe gewendet, be- vor es zurück nach Hausach ging.

­­­­­178 Geschichte ­­­­­178 Prechtal und mit einem 4.500 m langen Tunnel unter dem Rohrhardsberg hindurch nach Furt- wangen, Vöhrenbach und Donaueschingen. Die Industrie in Triberg, St. Georgen und Villingen wäre damit von der Schwarzwaldbahn ausge- schlossen gewesen. Die Bregtallinie geriet zum teuersten Entwurf und hatte kaum Aussicht auf Erfolg, auch weil Robert Gerwig die technische Durchführbarkeit bezweifelte. Die Entwicklung der Stadt Furtwangen hat diese Entscheidung bis heute maßgeblich behindert, ein Eisenbahn­ anschluss hätte der früheren Uhrenstadt wie im Fall St. Georgen einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung beschert. Die später gebaute Breg- talbahn als Nebenbahn war kein Ersatz. Die zweite Variante, die Schiltachlinie, von Hausach über das Kinzigtal nach Schiltach, Schramberg, Sulgen, Weiler und Königsfeld nach Villingen, mit einer 120 m tiefer liegenden Schei­ tellinie als die Sommeraulinie, war eine verführerische Lösung. Dennoch hatte sie einen Schönheitsfehler: Sie führte über württember- gisches Gebiet, was mit dem damals verbreite- ten kleinstaatlichen Denken nicht vereinbar war. Letzten Endes hat dieses kleinstaatliche Denken den Anschluss von Triberg und St. Geor- gen an die Schwarzwaldbahn ermöglicht. Dass die Schwarzwaldbahn als technische Meisterleistung und zudem als eine der schöns- ten Eisenbahnstrecken in Europa gilt, hängt mit der Idee von Robert Gerwig zusammen, die Strecke durch Kehren künstlich zu verlängern. Das Problem war die Überwindung des großen Höhenunterschieds (471 m auf 11 km Luftlinie). Zwei eng aufeinander folgende Spitzkehren in Gremmelsbach und Triberg wurden verworfen, eine Kreiskehre ebenfalls. Robert Gerwig präsentiert die heute weltberühmte Doppelschleife Gerwig hatte sich kurz vorher (1864) mit der Pla- nung der Gotthardbahn beschäftigt, angeregt durch den Direktionspräsidenten der Nordost- bahn in der Schweiz, Dr. Alfred Escher. Ergebnis: Gerwig legte eine Studie für den Bau des Gott- hardtunnels vor. So war er für die Planung im Schwarzwald nicht unvorbereitet. Am 23. De- zember 1865, der für den Schwarzwald eigent- lich ein historischer Tag ist, konnte er seine eigene geniale Lösung präsentieren: die Dop- pelschleife in Niederwasser und Gremmels- bach! So konnte er die Steigung un­ ter 20 Pro- mille halten. Wie oft schon ist das Vorbild der Doppelschleife für die danach gebauten Ge- birgsbahnen in der ganzen Welt hervorgehoben worden! Gerwig-Biograf Albert Kuntzemüller zählt eine lange Reihe auf: von der Albulabahn bis zu Bahnen in Peru und Neuseeland. Im Frühjahr 1864 begann der Bau der Teil- strecken Offenburg – Hausach und Singen – Engen. Villingen erreichte die in Richtung Nor- den vorrückende Bahn am 16. August 1869. Der Lückenschluss Hausach – Villingen wurde 1873 erreicht. Die Baukosten betrugen 23,7 Millio- nen Mark, das 29 km lange Teilstück Hornberg – St. Georgen war allein 19 Millionen Mark teu- er, denn hier mussten 39 Tunnelbauten erfol- gen. Doch einzig diese Tunnelbauten und ein Tunnel für die Brigach erlaubten eine wirtschaft- Robert Gerwig nach einem Wandgemälde im Schwarzwaldmuseum Triberg. Hier in Anlehnung an seine Beteiligung am Bau der Gotthardbahn vor den Schweizer Alpen.

Robert Gerwig ­­­­­179 liche Lösung für die Streckenführung. Der 1.698,5 m lange Sommerau-Tunnel schlug als aufwendigster Tunnelbau mit 2,7 Millionen Mark zu Buche. Außer der Brücke in Hornberg weist die Schwarzwaldbahn dennoch keine nennens- werten Kunstbauten auf. Insgesamt kostete die 149,13 km lange Stecke rund 50 Millionen Mark. In weiser ­ Voraussicht wurde die Strecke zweigleisig ausgeführt. Die Arbeiten am Herzstück der Schwarz- waldbahn, zwischen Hornberg (384 m ü. NN) und Sommerau (832 m ü. NN, Wasserscheide zwischen Rhein-Nordsee und Donau-Schwar- zes Meer), wurden durch die Kriege von 1866 und 1870/71 unterbrochen. Doch: Innerhalb von nur zwei Jahren nach Kriegsende konnte der Bau trotz erheblicher Schwierigkeiten voll- endet wer­ den. Zur offiziellen Einweihung der Schwarzwaldbahn war Gerwig übrigens nicht an- wesend, da er sich inzwischen in Schweizer Diensten befand: als leitender Ingenieur beim Bau der Gotthard-Bahn. Am 10. November 1873 fuhr der erste Zug durchgehend zwischen Offenburg und Singen. Das zweite Gleis konnte erst 1921 durch den Aufbau der letzten Strecke von Neudingen nach Gutmadingen vollendet werden. Robert Gerwig am Nivelliergerät, im Winter 1870/71 bei Vermessungsarbeiten am Eingang zu einem Triberger Tunnel.

­­­­­180 Was die Schwarzwaldbahn für die Men- schen in unserer Region bedeutete, ist schon Gegenstand unzähliger Betrachtungen gewe- sen. Die Bedeutung der Schwarzwaldbahn für die Städte Triberg, St. Georgen, VS-Villingen und Donaueschingen ist kaum hoch genug zu veranschlagen. Insbesondere die Schwarzwald­ städte Triberg und St. Georgen profitierten von ihren Bahnstationen enorm. Triberg hatte nach dem Brand von 1826 durch großzügige Straßenführung und den neuen Marktplatz eine klare Struktur erhalten. Die Schwarzwaldbahn half nun, Triberg zur Kur­ stadt zu machen. Fotos, um die Jahrhundertwen- de aufgenommen, zeigen in den Fassaden von Hotels und Geschäftshäusern den ganzen Stolz einer Kurstadt, ihren nie da gewesenen Wohl- stand. Selbstbewusst präsentierte das Bürger- tum seine Stadt der Welt. Kurgäste aus fernen Landen suchten in Triberg Erholung, eine inter- nationale Gesellschaft fand sich in der „kleinen Stadt im großen Wald“ avant la lettre. Und selbst wenn wir hier der genauen Zahl nicht nachzugehen brauchen: klein kann sie nicht gewesen sein. Diente die Schwarzwaldbahn in Triberg dem Tourismus und der heimischen Industrie (der Bahnhof hatte eine Güterhalle, selbst die- se ein Zeichen des Wohlstands), so überwog in St. Georgen ihre Bedeutung für die Industrie. Aus einem Bauerndorf wurde in wenigen Jahr- zehnten eine blühende Industriestadt mit neu- en Stadtteilen. Villingen hatte den Ruf einer „Eisenbahnerstadt“, von der Industrie ganz zu schweigen, und Donaueschingen wurde gar ein Eisenbahnknotenpunkt für Schwarzwald-, Höl- lental- und Bregtalbahn. Entlang der Bahnlinie änderten sich Leben und Bewusstsein der Menschen. Der Grem- melsbacher Karl Volk, der ein Leben lang die Geschichte seines Heimatdorfes erforscht hat, erinnert sich: „Vielen Familienvätern bot die Schwarzwaldbahn in einem armen, waldrei- chen, klimatisch benachteiligten Landstrich eine Existenzmöglichkeit, in Bahnwärterhäus- chen sogar eine günstige Wohnung, sicher kei- ne Reichtümer, aber das Wenige war sicher. Die Bahnbeamten vom Lokomotivführer bis zum Weichenwärter waren exakte Leute, ge- prägt von ihrem Beruf. Die Bahnwärterhäus- chen im tiefen Wald strahlten Idylle und Ro- mantik zugleich aus. Für Kinder waren sie ein kleines Paradies. Und wir beneideten sie um Geschichte Bahnhof in St. Georgen, 1920er-Jahre.

ihre Freikarten, mit denen sie mit ihren Eltern durch ganz Deutschland reisen konnten.“ Von der Gotthardbahn bis zur Wasserversorgung der Stadt Karlsruhe Seine Mitarbeit beim Bau der Gotthardbahn war die nächste große Aufgabe für Robert Gerwig – Glück brachte sie ihm nicht. Am 1. Mai 1872 er- folgte der Amtsantritt. Die „südliche Rampe“ be­ reitete große geologische Schwierigkeiten. Diese führten zu einer Baukostenüberschreitung von 200 %. Im dritten Jahr dann wurde plötzlich zudem ein zweigleisiger Unterbau gefordert, was zur Teuerung gleichfalls wesentlich beitrug. Ein Großteil der Kostensteigerung wurde nun Gerwig angelastet, sprich seiner soliden Bau- planung und Ausführung. Nach diesem Zerwürf­ nis trennte man sich von Robert Gerwig nach Zahlung der vertraglich festgelegten Abfindung. Gerwig ging wieder in seine Heimat zurück und wurde in der zwischenzeitlich neu geschaf- fenen Behörde „Generaldirektion des Eisen- bahnbetriebes“ zum Kollegialmitglied der Ge- neraldirektion ernannt, wie es „Seine Königli- che Hoheit der Großherzog“ benannt hatte. Für weitere Eisenbahnen zeichnete er sich gleichfalls verantwortlich, z. B. Hausach – Schiltach, spä- ter bis Neustadt und Eisenbahnbrücken für den Rheinübergang bei Hüningen (1878), Neuenburg (1878) und Breisach (1879) sowie über den Main bei Wertheim. Neben dem Bau von Verkehrswegen be- fasste sich Robert Gerwig mit Problemen der Wasserver- und -entsorgung. So wurde das Wassernetz von Karlsruhe nach seinen Erkennt- nissen neu gestaltet. Ein Bild dieser Anlage sandte die Stadt Karlsruhe zur Weltausstellung in die USA, wo es großes Aufsehen erregte. Weiter realisierte Gerwig in den Jahren 1868 bis 1871 den Friedrichstollen, ein 160 Meter langer Stollen zu den Thermalquellen in Baden-Baden. In Badenweiler fasste er die Heilquellen neu. Robert Gerwig war überaus vielseitig inte­ ressiert. So untersuchte er den Einfluss von ver- schiedenen Moosen auf das Quellwasser, worü- ber er mehrere Aufsätze schrieb. Als Mineralo- ge verfasste er ebenfalls Berichte, die dabei Stationen 1820 2. Mai, Geburt in Karlsruhe 1834 Eintritt in die Polytechnische Schule, Ausbildung zum Ingenieur 1840 Staatsprüfung und Anstellung im technischen Bureau der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues. 1841 Gerwig wird Beamten-Praktikant, später Ingenieur bei der Wasser- und Straßen- bauinspektion. Wasser- und Straßenbauinspektion Bruchsal 1842 in gleicher Eigenschaft in Freiburg 1843 in Rastatt zur Hilfsleistung beim Eisenbahnbau 1844 Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues 1846 Ingenieur beim Kollegium der Oberdirektion mit Staatsdienereigenschaft Verehelichung mit Lina Beger 1850 Direktor der Uhrmacherschule in Furtwangen. 1851 Assessor 1853 Baurat 1855 Abgeordneter der 2. Bad. Kammer für den Wahlkreis Hornberg-Wolfach-Triberg- Furtwangen. Wieder gewählt 1863 und 1871. 1856 Gerwig wird Oberamtmann beim Bau der badischen Hauptbahn und Bauingenieur bei der Schwarzwaldbahn. 1857 Zum Experten über die Frage der Juragewässer in der Schweiz für die Gewässer-Korrektion gewählt. 1863 Ernennung zum Oberbaurat 1864 Ersuchen des Verwaltungsrats der Vereinigten Schweizerbahnen um Abgabe eines Gutach- tens für die Lukmanierbahn. 1870 Angebot: Teilnahme an der Ausführung der türkischen Eisenbahnen. 1871 Titel und Rang eines Baudirektors und Angebot der Stelle eines Oberingenieurs der Schweizerischen Nordostbahn. 1872 Urlaub auf unbestimmte Zeit für angebotene Stelle eines Oberingenieurs der Gotthard-Bahn. 1875 Rückkehr nach Karlsruhe, Kollegialmitglied der Generaldirektion der Großh. bad. Staatseisen- bahnen. Nach dem Tod des Großh. Oberbaurats Sexauer: Vorstandsstelle in der technischen Abteilung. Gerwig arbeitet beim Bau der Höllentalbahn als Ingenieur mit. Reichstagsabgeordneter: Bemühungen um das neue Reichstagsgebäude. 1875/76 und 1877/78 Landtagsabgeordneter 1880 Mitglied der vom Deutschen Kaiser und König von Preußen neu errichteten Kgl. Preußischen Akademie des Bauwesens 1885 6. Dezember Blutsturz mit Todesfolge 1889 Enthüllung des Gerwigdenkmals in Triberg. 18202. Mai, Geburt in Karlsruhe 18856. Dezember Blutsturz mit Todesfolge

­­­­­182 gewonnenen Erkenntnisse waren ihm bei der Planung von Verkehrswegen hilfreich. Robert Gerwig als Abgeordneter im Landtag und Reichstag Robert Gerwig war in der Bevölkerung fest ver- wurzelt und beliebt. Er wurde von 1855 – 1878 in die 2. Kammer der Landstände als Abgeordne- ter des damaligen Wahlkreises Triberg-Horn- berg-Wolfach-Haslach gewählt. Für wenige Mona- te beorderte ihn der 42. Wahlkreis Pforzheim- Stadt 1878 erneut in die 2. Kammer der Land- stände. Er trat freiwillig zurück, um sein Mandat im Deutschen Reichstag in Berlin auszuüben, das er bis zu seinem Tod als Reichstagsabgeordneter des Ge­ bie­ tes Villingen-Bonndorf ausübte. Ein bis heute hoch geachteter Mann Robert Gerwig verstarb überraschend in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1885 um 3:15 Uhr in Karlsruhe. Die Grö- ße Gerwigs erkannten schon seine Zeit- genossen. Ein halbes Jahr nach sei- nem Tod wurde vom „Badischen Technikerverein“ in Karlsruhe ein Denkmal zu seinen Ehren ange- regt. Errichtet wurde es 1887 beim ehemaligen Bahnüber- gang in Triberg. Der Transport des schweren Granitblocks war eine tita­ nische Arbeit und eine ge- fährliche dazu, durchgeführt von Bau­­ unternehmer Castellazzi. Der Künst- ler, der sein Bildnis auf dem Medail- lon an seinem Denkmal gestaltete, hat, indem er die scharf geschnitte- nen Gesichtszüge herausar­ beitete, das Wesen Gerwigs zutiefst erfasst. Er war „eine markante stattliche Er- scheinung von hohem Wuchs, einem scharfen, durch hohe Stirne und Ad- lernase gezeichneten Profil, eine Herrschernatur, die keinen Widerspruch ertrug und die letzten Konsequenzen zog, voll Mut und Energie, aber auch voll kindlicher Heiter- keit und großer Güte.“ (Neue Zürcher Zeitung vom 1. April 1936). In geradezu hymnischen Worten rühmt ­ Baudirektor A. von Würthenau (Karlsruhe) „den mächtigen unbehauenen Granitblock, der ge- schmückt ist mit einigen Emblemen in Bronze, dem Brustbild Gerwigs in Medaillonform, um- rankt von einem Palm- und Lorbeerzweig, so- wie mit einem Adler, der mit erhobenen Schwin- gen zum Fluge bereit am Fuße des Denkmals angebracht ist, als ein Symbol des kühnen Flu- ges, welchen der schöpferische Geist Gerwigs bei Schaffung der Schwarzwaldbahn genom- men hat.“ (Badische Biographien, Herausgege- ben von Dr. Friedrich von Weech, Vierter Teil Karlsruhe 1891, S. 149ff) Karl Josef Fortwängler, der sog. „Schnitzer- sepp“, schuf eine Großplastik des Stein- transports durch die Hauptstraße in Tri- berg, ausgestellt im Schwarzwaldmuseum in Triberg. Straßen wurden zu seinem An- denken in mehreren Städten nach ihm be- nannt, auch Schulen. In Furtwangen und St. Georgen gibt es die Gerwig- schule und die Gerwigstraße, in Triberg existierte ein Gasthaus „Zum Gerwig“, die Gerwig­ stra­ ße gibt es heute noch. Im See- lenwald soll die „Gerwigsru- he“, ein Fels über dem Scho- nachbach, an sein Studium der Topografie um Triberg er- innern. Dass er diesen Felsen je bestiegen hätte, ist aktenmäßig jedoch nicht beweisbar. In Furt- wangen gibt es beim Deutschen Uhrenmuseum zudem einen Ger- wigplatz. Furtwangen und Triberg waren Gerwig besonders ans Herz gewach- sen. Er vermachte Furtwangen für ein neues Krankenhaus 5.000 Mark, Tri- berg erhielt die gleiche Summe mit der Maßgabe, mit den Zinsen ta­ lentierte junge Menschen, die sich für die äußere Gestaltung der Robert Gerwig – Werk der Badischen Schnitzereischule Furtwangen. Geschichte

Schwarzwälder Uhren ausbilden, zu fördern. Außerdem vererbte er dem Verschönerungsver- ein von Triberg 1.000 Mark. Ein bis heute hoch geachteter Mann Gerwig war ein hochintelligenter, pflichtbewuss- ter, ungewöhn­ lich fleißiger, willensstarker und genialer Mensch. Seine technische Begabung ließ ihn für schwierige Probleme großartige und einfache Lösungen finden, als noch nicht die Forschung sondern die Erfahrung, die Intu­ ition, das Einfühlungsvermögen und die Natur- beobachtung den Bautechnikern die Wege wie- sen. Er war ein vielseitiger ideenreicher Bauinge- nieur, Naturfreund und Geologe und erfolgreich als Straßen-, Eisenbahn-, Brücken- und Tunnel- bauer, Volkswirtschaftler, Wasserversorgungs- fachmann, Kulturbautechniker und Verkehrs- fachmann. Seine Beschäftigung mit dem Bau und der Wirtschaftlichkeit von Eisenbahnen, machten Gerwig zu einem einsichtsreichen Verkehrs- fachmann. Dies bezeugen die noch heute aktu- ellen Worte: „Man muss sich daran gewöhnen, die Eisenbahn nicht als gewerbliches Unter- nehmen zur Erzielung eines Geschäftsgewinns anzusehen, sondern als unentbehrliche Grund- lage des Volkswohlstandes unserer Zeit, als ein Mittel zum Zweck der menschlichen Gesell- schaft“. Wolfgang Arno Winkler/Karl Volk/wd ­­­­­183 Der Bau des Gerwig-Denkmals in Triberg war viel beachtet, der Transport des Gedenksteins, ein riesiger Triberger Granit, ein Ereignis (oben). Der Adler zum Denkmal wurde in einem Schaufenster ausgestellt. Das „Echo vom Wald“ legte einen ­ Sonderdruck auf (rechts). Robert Gerwig

­­­­­184 Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (5. Jh. v. Chr.) schildert im 33. Kapitel des 2. Bu- ches seiner Historien den Verlauf der Donau wie folgt: „Die Donau entspringt bei den Kelten und der Stadt Pyrene und fließt mitten durch Europa. Die Kelten wohnen außerhalb der Säu- len des Herakles und sind Nachbarn der Kyne- sier, die als letzte von den Völkern Europas gegen Westen wohnen. Die Donau aber mündet da, wo Istria liegt, eine Kolonie der Milesier, in das Schwarze Meer, nachdem sie ganz Europa durchquert hat.“ Dass sich im Quellenland Schwarzwald- Baar-Kreis in der Umgebung des Donauur­ sprun­ gs bereits zu Herodots Zeiten ein kel­­­­ tischer Siedlungsschwerpunkt befand, kann keinem Zwei­fel unterliegen. Der südlich von Vil- lingen liegende Magdalenenberg ist mit seinen 102 m Durchmesser und einer Höhe von ca. 7 m der größte keltische Grabhügel Mitteleuropas. Die Holzbalken seiner zentralen Grabkammer ließen sich dendrochronologisch auf das Jahr 616 v. Chr. datieren. Der römische Kastellort Brigobannis auf dem Galgenberg bei Hüfingen geht, worauf bereits sein Name hindeutet, auf eine keltische Vorgängersiedlung zurück. Bei der Burgruine Dellingen unweit von Waldhau- sen befand sich ein keltischer Brandopferplatz. Elf keltische eiserne Doppelspitzbarren wurden bei der Brugger Halde bei Donaueschingen ge- funden, einen weiteren keltischen Eisenbarren fand man auf der Gemarkung Pfohren. Und schließlich sei noch der berühmte keltorömi- sche sogenannte „Dreigötterstein“ von der Bri- gachquelle genannt. Das Hauptproblem bei der Lokalisierung des Ortes Pyrene besteht nun allerdings darin, dass die bisherige Forschung einhellig die Säu- len des Herakles, außerhalb derer nach Hero- dot die Kelten wohnen, mit der Straße von Gi­ braltar identifizierte. Daran anknüpfend suchte man den Ort Pyrene auch mehrheitlich auf der Iberischen Halbinsel. Und auf Grund der Na- mensverwandtschaft mit dem Gebirgszug der Pyrenäen vermutete man, dass Pyrene am Fuße dieses Gebirges liegen müsse. Und in der Tat meint Herodot an mehreren Stellen in seinem Geschichtswerk mit den Säulen des Herakles eindeutig die Straße von Gibraltar. Darüber hin- aus ließen sich auch in Spanien für die Zeit Herodots archäologische Zeugnisse der Kelten nachweisen. Der sprachliche Zusammenhang zwischen Pyrene und Pyrenäen ist evident. Und hinzu kommt noch, dass der römische Historiker Livius (1. Jh. v. Chr.) einen Ort Portus Pyrenaei erwähnt, welcher mit der heutigen an der fran- zösisch-spanischen Grenze liegenden Ortschaft Port Vendres zu identifizieren ist, und sich so- mit tatsächlich am Fuße der Pyrenäen befindet. Mosaiksteine falsch zusammengesetzt Man könnte es sich also bei dieser Lage der Dinge einfach machen und davon ausgehen, dass Herodot keine hinreichenden und präzi- sen Kenntnisse vom Ursprung der Donau hatte. Nach dieser Beurteilung würde nach Herodot die Donau in Spanien entspringen und seine geographischen Angaben wären völlig verwor- ren. Doch diese Sichtweise ist zu kurz gegriffen und wird dem griechischen Geschichtsschrei- ber nicht gerecht. Wie verhält es sich nun aber mit den archäologischen Funden der Kelten in Spanien, dem Gebirgszug der Pyrenäen und dem Ort Portus Pyrenaei zu Herodots Ortschaft Pyrene? Dies alles sind wichtige Mosaiksteine, die tatsächlich mit Pyrene am Ursprung der Do- nau zusammenhängen! Sie wurden bisher nur leider lediglich falsch zusammengesetzt, so Pfohren – der älteste schriftlich erwähnte Ort Deutschlands? Zur Lokalisierung der mysteriösen keltischen Siedlung Pyrene in Herodots Historien Geschichte

­­­­­185 Unterkirnach – das Feriendorf dass ein völlig verwirrendes Zerrbild entstand. Bei richtiger Anordnung wird sich zeigen, dass die sich scheinbar widersprechenden Angaben ein in sich völlig stimmiges Bild ergeben. Daß Herodot über genaue Kenntnisse über den exakten Verlauf des Donaustromes verfüg- te, erhellt allein aus seinem Werke selbst. Die Donauquelle und das Land der Kelten spielen an sich für die eigentliche Konzeption seines Geschichtswerkes überhaupt keine Rolle. Quel- le und Oberlauf der Donau erwähnt Herodot im 2. Buch seiner Historien, in welchem er sonst allein Ägypten behandelt, lediglich um aus sei- nen Kenntnissen über den Donauverlauf im Vergleich nähere Schlußfolgerungen zur Quelle und zum Oberlauf des Nils abzuleiten, worüber er über keine exakten Angaben verfügte. Ja er sagt explizit: „ich erschließe das Unbekannte [nämlich Quelle und Oberlauf des Nils] aus dem Bekannten [nämlich Quelle und Oberlauf der Donau]“. Abschließend hält er fest: „Nun ist der Lauf der Donau, weil sie durch bewohnte Län- der fließt, vielen Menschen bekannt. Über die Quellen des Nils aber weiß niemand etwas“. Darüber hinaus macht er im 4. Buch seiner His- torien für den Lebensraum des Reitervolkes der Skythen (im heutigen Rumänien und Bulgarien) überaus präzise Angaben zum Verlauf des Do- naustromes einschließlich seiner Nebenflüsse. Es ist also davon auszugehen, dass Herodot mit seinen Angaben wirklich den keltischen Blick auf Pfohren mit Donau, Entenburg und Kir- che – ist hier der älteste, schriftlich erwähnte Ort Deutschlands, die kel­ tische Siedlung Pyrene zu suchen?

­­­­­186 Siedlungsraum im Schwarzwald-Baar-Kreis im Umkreis der Donauquelle meinte. Die Säulen des Herakles Doch wie ist dies nun mit den Säulen des Hera- kles in Einklang zu bringen? Die Benennung der Straße von Gibraltar als Säulen des Herakles stammt nicht von Herodot selbst, sondern ist wesentlich älter. Im mythologischen Weltbild der alten Griechen vor Herodots Zeit, dessen zentraler Blickwinkel von Griechenland und dem Raum des Mittelmeeres ausging, stellte die Welt eine Scheibe dar. Die als Säulen des Herakles bezeichnete Straße von Gibraltar mar- kierte die westlichste Grenze der bewohnten Welt. Über die ältere Vorstellung der südlichs- ten Grenze der bekannten Welt berichtet Hero- dot selbst: „An diesen Salzhügel aber grenzt ein Gebirge, namens Atlas, das steil und kreis- förmig ist und so hoch sein soll, daß man seine Gipfel gar nicht sehen kann. Niemals würden sie frei von Wolken, nicht im Sommer und nicht im Winter. Die Bewohner des Landes sagen, dies Gebirge sei die Säule des Himmels.“ Hero- dot meint mit seiner Schilderung das Atlasge- birge in Afrika. Für die nördlichste Grenze dieses Weltbil- des finden wir keine Beschreibung. Betrachtet man einmal die Welt aus dieser mediterranen Perspektive, so muss der Blick unwillkürlich an den Alpen haften bleiben. Von der Mittelmeer- welt her gesehen bildet der Gebirgszug der Alpen einen ebensolchen geographischen Sperr­ riegel im Norden wie das Atlasgebirge im Sü- den. Aus dem Werk Germania des römischen Schriftstellers Tacitus (1. Jh. n. Chr.) erfahren wir, dass zu seiner Zeit tatsächlich die Bezeich- nung Säulen des Herakles nicht nur für die Straße von Gibraltar gebräuchlich war, sondern auch für die Nordseeinsel Helgoland Verwen- dung fand. In den Fällen, in denen Herodot in seinen Historien mit den Säulen des Herakles wirklich die Straße von Gibraltar meinte, wird dies durch weitere Angaben näher präzisiert: durch Nen- nung der nordafrikanischen Küste oder durch Erwähnung des Ortes Gades (Cádiz) bzw. der westlich davon gelegenen antiken Handelsnie- derlassung Tartessos. Bei der für uns relevan- ten Erwähnung der Säulen des Herakles im Zu- sammenhang mit der Donauquelle fehlen sol- che Angaben. Versteht man nun unter den Säu- len des Herakles an unserer Textstelle eben nicht die Straße von Gibraltar, sondern die Alpen, so sind Herodots geographische Angaben nicht mehr verworren, sondern absolut korrekt: Die Donau entspringt bei den Kelten und fließt mit- ten durch Europa. Die Kelten wohnen außer- halb der Säulen des Herakles, nämlich von der Mittelmeerwelt aus gesehen nördlich der Al­ pen. Und die Donau mündet, nachdem sie ganz Europa durchquert hat, bei Istria ins Schwarze Meer. Erwähnt sei auch, dass bereits vor Hero- dot die griechischen Autoren Hesiod, Pindar und Aischylos die Quellen der Donau im Norden und nicht im Westen, wie man Herodot bisher fälschlich unterstellte, gesucht hatten. Kelten wanderten von Norden her ein Vor der Beschäftigung mit der genauen Lokali- sierung der Ortschaft Pyrene im Schwarzwald- Baar-Kreis sind aber die beiden noch offenen Fragen bezüglich des Ortes Portus Pyrenaei, dem heutigen Porte Vendres, am Fuße der Pyre- näen und der Benennung dieses Gebirgszuges zu klären. Die Erklärung der Herkunft des Orts- namens Portus Pyrenaei bereitet nach dem ­ bisher Dargestellten nun keine allzu großen Schwie­ rigkeiten mehr. Die Forschung ist sich da­ rüber einig, dass die in Spanien ansässigen Kelten von Norden her dorthin eingewandert sind. Da Herodot die Lage der Donauquelle nach dem Ort Pyrene lokalisiert, ist diese Ortschaft als ­ bekanntes Zentrum der Kelten in unserem Raum anzusprechen. Die Benennung Pyrene ist eine griechische Fremdbezeichnung für die Ortschaft; der keltische Namen ist uns nicht bekannt. Py- rene geht auf den altgriechischen Wortstamm pyra, pyre‚ „Opferfeuer“, „Opferherd“ zurück. Pyrene ist somit eine griechische Funktionsbe- zeichnung, die eine keltische Kultstätte charak- terisiert. Die Kelten, welche von Norden her kom- mend sich in der als Portus Pyrenaei bezeich- Geschichte

neten Kolonialsiedlung an der heutigen franzö- sisch-spanischen Grenze niederließen, waren also genau jener keltische Teilstamm, der zur zentralen Kultgemeinschaft Pyrene am Donau- strom gehörte. Für die Beziehungen der Kelten im Schwarzwald-Baar-Kreis bis hinunter nach Spanien liegt ein früher archäologischer Beleg vor. In einem keltischen Grab vom Magdalenen- berg bei Villingen wurde ein iberischer Gürtel- haken aus der Zeit um 600 v. Chr. gefunden. Wie den Namen „Pyrenäen“ erklären? Doch wie lässt sich nun die Benennung des Ge- birgszuges der Pyrenäen erklären? Dass ein Zu- sammenhang zwischen den Ortsnamen Pyrene und Pyrenäen besteht, ist evident. Dass mar- kante geographische Punkte nach denen an sie angrenzenden Völkerschaften benannt wur- den, ist nichts besonderes. Noch heute heißt etwa der sich westlich von der italienischen Halbinsel befindliche Teil des Mittelmeeres Tyr- rhenisches Meer. Diese Benennung ist abgelei- tet von der griechischen Bezeichnung Tyrrenoi für die Etrusker, nach deren lateinischer Benen- nung Tusci – die Etrusker selbst nannten sich in ihrer eigenen Sprache Rasénna – wird heute die italienische Landschaft Toscana bezeich- net. Doch wäre nicht zu erwarten, dass, wenn ein Gebirge nach den zur Kultstätte Pyrene ge- hörigen Kelten benannt wird, hierfür eher die Alpen, mit denen Herodot sie schon in Zusam- menhang brachte, in Frage kämen als der spa- nische Gebirgszug, an dessen Fuße die Kolo- nialgründung Portus Pyrenaei lag? Zur Entstehung der Pyrenäen existiert ein griechischer Mythos. Nach diesem habe sich Herakles in Pyrene, die Tochter des Bebryx, ver- liebt und sie schließlich verführt. Bebryx er- zürnte sehr über das Liebesverhältnis seiner Tochter, woraufhin diese vor ihm floh und sich in einem Wald versteckte. Der Vater war in sei- ner Wut ganz von Sinnen und steckte schließ- lich den Wald in Brand. Herakles wurde durch den Schein des riesigen Feuers herbeigerufen. Als er jedoch bei Pyrene eintraf, lag diese be- reits im Sterben. Herakles errichtete seiner Ge- liebten ein Grabmal aus riesigen Felsblöcken. Und so erhielt das Gebirge nach ihr den Namen Pyrenäen. Betrachtet man alle bisher herausgearbei- teten Erkenntnisse zusammen, scheint auch dieser Mythos eher auf den heute als Alpen be- zeichneten Gebirgszug hinzudeuten. Herodot bezeichnete die Alpen als Säulen des Herakles. Die etymologische Bedeutung der keltischen Kultstätte Pyrene weist auf eine Brandopfer- stätte hin. Aus einem in der Berner Burger­­ bibliothek befindlichen Kommentar zum Werk des römischen Dichters Lukan (1. Jh. n. Chr.), den sogenannten „Berner Scholien“, wissen wir, dass die Kelten etwa den Gott Taranis/Ta- naris durch Verbrennung von Menschenopfern in hölzernen Wannen verehrten. Das im Mythos von der Entstehung des Ge- birgszuges der Pyrenäen Erzählte fügt sich zu den geographischen Gegebenheiten. Der Feuer­ tod des Mädchens Pyrene findet seine Entspre- chung in der keltischen Brandopferstätte Pyre- ne. Der räumliche Zusammenhang mit Herakles ­­­­­187 Das keltische Grab am Villinger Magdalenenberg aus der Vogelperspektive am Beginn der Ausgra- bungsarbeiten. Bis nach Spanien reichten die Be- ziehungen der hier einst ansässigen Kelten.

­­­­­188 ist durch den nach ihm als Säulen des Herakles benannten Gebirgszug der Alpen gegeben. Wenn diese Schlussfolgerungen wirklich richtig sind, dann bedeutet das in der Konse- quenz, dass mit der Benennung Pyrenäen ur- sprünglich die Alpen gemeint waren. Erst nach- dem ein Teil der Kelten, welche aus dem Gebiet um die Kultstätte Pyrene stammte, die Kolonie Portus Pyrenaei gegründet hatte, übertrug man gleichfalls die Bezeichnung Pyrenäen von den Alpen auf den spanischen Gebirgszug, an des- sen östlichstem Ende die neue Siedlung lag. Auf den ersten Blick mag die soeben gemachte Ableitung fast wie ein phantastisches Kon­ strukt wirken. Doch es gibt tatsächlich ein gewichti- ges Geschichtswerk, dessen geographische Be­­ nennungen nicht nur unsere Überlegungen be- kräftigen, sondern welche hierdurch erst recht verständlich werden! Der gelehrte Geschichts- schreiber Otto von Freising (12. Jh.) bezeichnet in seiner berühmten Chronik mit dem Begriff Pyreneus sowohl die Alpen als auch die Pyrenä- en. Die Bezeichnung der Alpen als Pyreneus hatte sich die bisherige Forschung nicht erklä- ren können. Wo genau lag die Kultstätte Pyrene? Die spannendste Frage ist nun noch zu beant- worten: Wo genau lag nun die keltische Kult- stätte Pyrene? Von archäologischer Seite her wurde des öfteren einfach einmal behauptet, es könnte sich dabei um die berühmte Heune- burg im heutigen Landkreis Sigmaringen han- deln. Zu dieser Behauptung kann eigentlich nur verleitet haben, dass es sich bei der Heuneburg um die größte bekannte keltische Siedlung an der Donau handelt. Mal ganz davon abgesehen, dass die Verfechter dieses willkürlichen Vor- schlags sich überhaupt keine Gedanken bezüg- lich der schwierigen Problematik um die Säulen des Herakles gemacht haben, ist die Heune- burg weder eine Kultstätte noch liegt sie in der Nähe des Donauursprungs. Die bevorzugten geographischen Lagen der Kelten für ihre Kultstätten waren Anhöhen, Quellen und Sümpfe. Schaut man sich diesbe- züglich einmal im Gebiet des Donauquells um, so findet man einen Ort, der sogar diese drei Charakteristika alle in sich vereint. Unweit des Donauursprungs erhebt sich der Kirchhügel von Pfohren über die Donausümpfe. Der ur- sprüngliche Schutzpatron der Pfohrener Urkir- che war der Erzengel Michael. Das klassische Heiligenpatrozinium für Kirchen, die anstelle von heidnischen Heiligtümern errichtet wurden. Das interessanteste Kriterium ist aber der Ortsname! Der heutige Name Pfohren leitet sich von der lateinischen Bezeichnung forum/“Ge- richtsstätte“ her. Die Römer, welche in nächs- ter Nähe von Pfohren ihren Kastellort Brigoban- nis (Hüfingen) errichtet hatten, gaben der ur­ alten keltischen Kultstätte gleich den Griechen wieder einen Namen, der ihre Funktion benann- te. Die griechische Benennung Pyrene stellte die Funktion der Kultstätte als Brandopferplatz in den Vordergrund. Die lateinische Bezeich- nung Forum charakterisiert die Kultstätte als Ort, an welchem Menschen zur göttlichen Ver- ehrung hingerichtet wurden. Die Alemannen übernahmen später den lateinischen Namen, der sich dann zum heutigen Ortsnamen Pfoh- ren weiter entwickelte. Die zunächst scheinbar widersprüchlichen Angaben des griechischen Geschichtsschrei- bers Herodot ergeben in ihrer hier aufgezeigten neuen Anordnung ein in sich völlig stimmiges Bild. Die von Herodot in seinen vor ca. 2.500 Jahren verfassten Historien erwähnte keltische Kultstätte Pyrene stellt die älteste schriftliche Nennung eines Ortes im heutigen Deutschland dar. Und es handelt sich um keinen anderen als Pfohren im Schwarzwald-Baar-Kreis. Thomas H. T. Wieners Der römische Kastellort Brigobannis (Hüfingen), hier eingezeichnet auf der Peutingerkarte, die nach dem Jahr 330 entstand. Pfohren – ältester, schriftlich erwähnter Ort Deutschlands?

Ambros Oschwald hatte, als er am 27. Februar 1873 starb, ein bewegtes Leben hinter sich. Am 14. März 1801 war er in der Lochmühle in Mun­ delfingen geboren und 1833, etwas verspätet, in Freiburg zum Priester geweiht worden. Nach- dem er sich als Vikar in Laufenburg und Saig bewährt hatte, wies man ihm 1838 die Kuratie Hammereisenbach in der Pfarrei Urach zu. Hier nun, wenn nicht schon zuvor, begann Oschwald sich als Wunderheiler zu betätigen und wollte sich von dieser seiner Sendung durchaus nicht abbringen lassen. Man versetzte ihn nach Stüh- lingen, Ballenberg, Herrenwies und Hofsgrund, aber keine Pfarrei konnte so abgelegen sein, dass ihn die Suchenden nicht gefunden hätten und ihm nicht in hellen Scharen zugelaufen wä- ren. Bei den Oberen, den weltlichen und geist- lichen, stapelten sich die Beschwerden seiner Gegner und Neider, seine eigenen Rechtferti- gungen, die Dankschriften aus seinen Gemein- den und aus seiner sonstigen, weit verstreuten Anhängerschaft. Die Zahl seiner Patienten betrage 3.160 In Hammereisenbach – nur zum Beispiel – er- klärte Oschwald dem Stadtpfarrer Steininger aus Neustadt, der ihn verhören musste, „frei und ganz bescheiden, daß er mit einer höheren Kraft ausgerüstet sei und mit ihr im Namen des allmächtigen Gottes (…) alle Krankheiten, chro- nische und akute, heilbare und unheilbare, ab- wenden könne. Die Zahl seiner Patienten betra- ge nach dem von ihm geführten Krankentage- buch 3.160, von welchen er die meisten geheilt zu haben bona fide vorgibt.“1 Als man ihn, trotz weiterer Erklärungen, dennoch versetzte, traten die Bürgermeister von Hammereisenbach und Bregenbach für ihn ein, da er, wie sie unter an- derem schrieben, „ein eifriger, in Lehre und Wandel musterhafter Seelsorger“ sei und „dar- über hinaus noch Freund und Wohltäter für je- den genannt zu werden verdient, dem er auf ir- gendeine Art nutzen kann, und er sich bisher äußerst wohltätig unserer armen Kirche ange- nommen hat“.2 Es nützte, wie immer, nichts. Das Maß war fast schon voll, als Oschwald 1849 ein umfangreiches Buch erscheinen ließ, namens: „Mystische Schriften oder Das große Weltgericht vor und nach der II. Ankunft Jesu Christi auf Erden, aus Schrift und Offenbarun- gen Gottes dargestellt.“ Sogar einen Plan der Ein sonderbarer Heiliger Leben und Nachleben des Ambros Oschwald aus Mundelfingen Ambros Oschwald Geschichte ­­­­­189

­­­­­190 künftigen Stadt Neujerusalem fügte er schon bei. Vor eben diesem Buch wurde, kaum dass es erschienen war, von allen Kanzeln herab ge- warnt, weil es „erdichtete Gesichte enthält, die voll von Irrtümern stecken, welche die Katholi- scheKircheschonlängst alsHäresien verdammt hat und welche voll von Träumereien künftiger Ereignisse sind, die nicht allein von der Kirche als verwerflich erachtet wurden, sondern auch schwache Gemüter verwirren können“.3 1854 erfolgte mit 113 Getreuen die Auswanderung nach Amerika Als Oschwald seine Anhänger 1850 auch noch in einem sogenannten „Geistig-magnetischen Ver- ein“ versammelte, war die Geduld der Oberen verboten, sein Gründer seines geistlichen Am- tes enthoben; Oschwald ging nach München, wo er von 1852 bis 1854 Medizin studierte. Aber am 4. April 1854 erklärte er dem Ordinariat in Freiburg, dass er noch im Laufe dieses Jahres nach Amerika abreisen wolle; es scheint, dass man ganz froh war, ihn auf diese Weise loszu- werden, denn schon am 15. desselben Monats erhielt er in Urach, wo er gerade wieder weilte, den Bescheid, dass nicht nur sein Gesuch an- genommen worden sei, sondern auch sein Ver- zicht auf das Benefizium in Hammereisenbach, das er bis jetzt noch innegehabt hatte. Am 2. Mai erschien Oschwald im Bezirksamt in Donaueschingen und erklärte, er beabsichti- ge, „sich auf unbestimmte Zeit nach Nordameri- ka zu begeben, weshalb ich um Auswande- rungserlaubniß und die Ausstellung eines Rei- sepasses dahier bitte“.4 Und am 15. Juni 1854 legten im Hafen von Le Havre zwei Schiffe ab; sie brachten ihn und 113 Männer, Frauen und Kinder nach Amerika. (Unter ihnen waren auch sechs Uracherinnen und Uracher im Alter von 15 bis zu 50 Jahren.) Die Auswanderer landeten am 7. bzw. 10. August in New York und zogen über Milwaukee und Manitowoc, Wisc. weiter in ein unberührtes Waldgebiet, wo sie die Kolonie St. Nazianz er- richteten. In dem hl. Gregor von Nazianz, dem Kirchenlehrer, hatten sie einen Kronzeugen gegen das gefunden, was sie am meisten ver- abscheuten und verachteten: das Privateigen- tum. Tatsächlich lebten sie selber in strikter Gütergemeinschaft. Alle ihre Arbeitstage be- gannen mit einer gemeinsamen heiligen Messe und endeten damit, dass sie den Rosenkranz beteten und ein Lied sangen. Auch die Mahlzei- ten nahmen sie gemeinsam ein. Der urchristlich-urkommunistische Gedan- ke lag gleichsam in der Luft, und viele versuch- ten, ihn auf amerikanischem Boden zu verwirk- lichen. Die Amischen, Hutterer, Dunker und Shaker gingen voran; Georg Rapp, der aus Schwaben kam, gründete am Anfang des Jahr- hunderts die Kolonien Harmony, New Harmony und Economy; es gab eine, die Equality, und eine andere, die Communia hieß und 1853/54 von dem bekannten Wilhelm Weitling geleitet wurde.5 Es war wohl so, wie ein Auswanderer schon viel früher schrieb: „Es hat hier so vill Re- ligionen, daß ich sie nicht alle sagen kan. Es ist hier alles erlaubt zu glauben was man nur will.“6 Wenn die Kolonisten in St. Nazianz ihre Mahlzeiten einnahmen, wurden Heiligenlegen- den vorgelesen. Heilige wollten sie ja selber sein, gleichsam die Heiligen der letzten Tage. Denn wie viele andere glaubte Oschwald, dass das Ende der Welt nahe sei, und er hatte es in seinen „Mystischen Schriften“ schon in allen Einzelheiten ausgemalt. In ihnen hatte er auch geschrieben, dass es besonders in den letzten Jahren viele Leute geben werde, „beiderlei Ge- schlechts, die sich nach klösterlichem Beisam- mensein sehnen, um so sich für das ewige Le- ben zweckmäßig zu bilden.“7 Also errichteten die Oschwaldianer ein Männer- und ein Frauen- kloster, deren Insassen sich dem Gebet und der Arbeit widmeten; im Jahre 1866 waren es immer- hin 40 Brüder und 60 Schwestern.8 Oschwald starb am 27. Februar 1873 nach einem letzten Segen für die Gemeinde Außer ihnen lebten noch 170 Menschen in der Kolonie, die aus diesen beiden Klöstern, einer Kirche, einer Schule, einem Seminar, einem Waisenhaus und 60 Blockhäusern bestand. Ein schöner Erfolg, dessen sich die Kolonisten herz- lich freuen durften – bis zum Jahr 1873, das für Geschichte

sie zum Trauerjahr wurde. „Ihr Leiter, den sie inzwischen ,unseren Vater’ oder einfach ,den Vater’ nannten, der sie um des Glaubens willen über das Meer geführt hatte, der sie mit Geduld und Beharrlichkeit erfüllt hatte, der sie in ihren Leiden getröstet hatte, der sich in geistlicher Hinsicht um sie gekümmert, ihre körperlichen Schmerzen gelindert und sie in der Krankheit umsorgt hatte, der sie dazu erweckt hatte, auf der höchsten Ebene des geistlichen Lebens zu leben – der, in Kürze, seine geistliche Sendung vollkommen erfüllt hatte – wurde nun, nach neunzehn Jahren der außergewöhnlichsten Tä- tigkeit in Amerika, zu seiner ewigen Belohnung abberufen.“9 Ambros Oschwald starb, wie gesagt, am 27. Februar 1873, morgens um 7.00 Uhr, nachdem er seine Gemeinde noch einmal gesegnet hatte, so die Chronik, „like a saint“10. Er hatte, als er starb, ein bewegtes Leben hinter sich; aber es kam noch manches nach. Nacheinander bahrte man ihn in den verschiedenen Kirchen und Ka- pellen von St. Nazianz auf, bis man ihn am 30. April im Kloster der Brüder endlich zu Grabe trug, obwohl er, wie ein Augenzeuge meinte, im- mer noch „nicht tot schien“11. Erst allmählich fand sich seine Gemeinde damit ab, dass er nicht mehr lebte. Danach ge- schah, was zu erwarten war; die Gemeinde zer- fiel, und sie wäre noch weiter zerfallen, wenn sich nicht die Sal­ vatorianer, ein von einem an- deren badischen Priester gegründeter Orden, ihrer angenommen hätte. Auch ließen sie den Leichnam im Oktober 1926 ausheben und in die nahegelegene Lorettokapelle übertragen – und siehe, er war, nach immerhin 53 Jahren, noch fast unverwest. Über einen solchen Befund hätten sich sei- ne Anhänger, wenn sie noch gelebt hätten, ge- wiss nicht gewundert. Unverweslichkeit war zwar, wie es schien, ein Wunder, kam aber bei Heiligen nicht selten vor; zwar nicht als Beweis, aber doch als Indiz für ihre Heiligkeit.12 (‚De Ca- daverum Incorruptione’ lautet der Titel eines Traktats, den Prosper Lambertini, der spätere Papst Benedikt XIV., in diesem Sinne schrieb.) Die Anhänger hätten nicht daran gezweifelt, dass Ambros Oschwald, der Müllerssohn13 aus Mundelfingen, ein Heiliger war, wenn auch viel- leicht ein sonderbarer. Und wenn nicht: ein be- sonderer, bedeutender Mensch, den man nicht vergessen sollte, war er allemal.14 Johannes Werner Literatur 1 Zit.n. Paul Priesner, Leben und Wirken des Priesters Am- bros Oschwald. (Privatdruck) O.O. 1984, S.10 (Bericht vom 20.10.1843). 2 Zit.n. ebd., S.14 (Brief vom 14.01.1844). 3 Zit.n. Hubert Treiber, ‚Wie man wird, was man ist’. Le- bensweg und Lebenswerk des badischen Landpfarrers Ambros Oschwald (1801-1873) im Erwartungshorizont chi- liastischer Prophezeiungen. In: Zeitschrift für die Ge- schichte des Oberrheins 136 (1988), S.293-348; hier S.311. 4 Auswanderungsbewilligungen Mundelfingen (Staatsar- chiv Freiburg B695/2 Nr.728). 5 Vgl. Friedrich Engels, Beschreibung der in neuerer Zeit entstandenen und noch bestehenden kommunistischen Ansiedlungen [1845]. In: MEW Bd.2. Berlin 1962, S.521-535. 6 Zit.n. Leo Schelbert/Hedwig Rappolt, Alles ist ganz an- ders hier. Auswandererschicksale in Briefen aus zwei Jahr- hunderten. 2.Aufl. Olten/Freiburg 1979, S.83. 7 Zit.n. Treiber, a.a.O. S.345. 8 Nach Oschwalds eigenen Angaben (vgl. Alfred B. Schne- ble, Historica S.D.S. 268 [05.10.1979], S.4); nach anderen Quellen sollen es sogar 80 Brüder und 150 Schwestern ge- wesen sein (Festschrift zum Diamantenen Jubiläum von St. Nazianz [1929], S.23). – Von einem Haslacher, der „anfangs der sechziger Jahre zu dem in Baden ehedem viel genann- ten Pfarrer Oschwald nach Amerika“ und dort in dessen Kloster ging, hat Heinrich Hansjakob erzählt (Wilde Kir- schen. Erzählungen aus dem Schwarzwald. 16.Aufl. Has- lach 1983, S.119). 9 Festschrift, a.a.O. S.27 (Übersetzung vom Verf.). 10 Ebd. 11 Zit.n. Priesner, a.a.O. S.108. – Die diesbezüglichen An- gaben gehen weit auseinander; sogar der 4. Oktober wird noch genannt (vgl. ebd. S.107). 12 Ein Beispiel von vielen ist Bernadette Soubirous, die heilige Seherin von Lourdes, die sechs Jahre nach Osch- wald starb und deren wohlerhaltenen Leichnam der Verf. im Kloster St. Gildard in Nevers eingehend betrachten konnte. 13 Vielleicht brach sogar von seiner Herkunft noch etwas in ihm durch; galten doch die Müller, aus mancherlei Grün- den, als Außenseiter, bei denen es nicht mit rechten Din- gen zuging (vgl. Johannes Werner, ‚Du Müller, du Mahler, du Mörder, du Dieb!’ Berufsbilder in der deutschen Litera- tur. München 1990, S.51-65). 14 Der Verf. hofft, in absehbarer Zeit eine Biographie von Ambros Oschwald vorlegen zu können. – Vgl. einstweilen Johannes Werner, „ … ganz regelmäßig und gleichheitlich harmonisch gebaut … “. Das Neujerusalem des badischen Propheten Ambros Oschwald. In: Badische Heimat 4/1997, S.603-612; ders., ‚Father Oschwald’ oder: Ein Hirt und sei- ne Herde ziehen in die Neue Welt. In: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar in Donau- eschingen 41 (1998), S.192-197; ders., Von Baden nach Amerika. Weg und Irrweg des Ordenspriesters Joseph Al­ brecht. In: Freiburger Diözesan-Archiv 123 (2003), S.109- 1­­ 23 (mit einem Anhang über Oschwald S.119-123). Ambros Oschwald ­­­­­191

­­­­­192 In der Zähringerstadt Bräunlingen schießt es inzwischen jedem Kind beim Ertönen des Weih- nachtsliedes „Kling, Glöckchen, klingelinge- ling…“ in den Kopf: es ist von dem Bräunlinger Benedikt Widmann. Das jedoch wäre zu kurz gedacht, denn auf das Schaffen des vor einhun- dert Jahren verstorbenen Musikpädagogen und Komponisten greifen namhafte, in der Musik Tätige heute noch zurück. Wie bei so vielen Persönlichkeiten ist die- sem Benedikt Widmann nicht an der Wiege ge- sungen worden wie hoch er in seiner Lebenslei- ter hinaufsteigen wird. Und diese Wiege stand am 5. März 1820 in einem Haus in der Kirchstra- ße, unmittelbar neben dem Mühlen- oder Stadt- tor. Die Bauernfamilie mit mehreren Kindern ermöglichte ihrem Benedikt den Besuch des Lehrerseminars in Ettlingen. Bis 1843 blieb er im badischen Ländle. Dann ging er nach Frankfurt am Main, obwohl ihm Mailand vorgeschwebt hatte. Schon 1848 besetzte er eine Lehrerstelle an der „Englischen Fräuleinschule“, einer höhe- ren Töchterschule. Danach übernahm Widmann die Rektorenstelle der Rosenbergerschule in Frankfurt. Dort blieb er bis zur Pensionierung im Jahre 1888. Hohes Ansehen als Musikschriftsteller Der strenggläubige Katholik, mit der Frankfurte- rin Josephine Großmann verheiratet und Vater von neun Kindern, genoss schon zu seinen Leb- zeiten hohes Ansehen als Musikschriftsteller. Auch habe er „längst Vergessenes“ wieder ans Licht gebracht und sei damit sogar „über den Ocean“ bekannt geworden, erinnern die Frank- furter Print-Medien im 19. Jahrhundert. Als Beispiel sei ein „Mährchen“ des Romantikers Clemens Brentano (1778 – 1842) in Erinnerung gebracht: „Gockel Hinkel und Gackeleia“. Für die Jugend im Auszuge bearbeitet wurde es von Benedict Widmann (das „c“ war damals noch üblich). Aus dem Jahre 1885 stammt Widmanns „Geschichtsbild des deutschen Volksliedes in Wort und Weise“. Auch die „Formenlehre der Instrumentalmusik“ hat er verfasst und hat „Über die Pflege des Gehörs und der Stimme“ eine Abhandlung geschrieben. Desweiteren „Duette für Pianofortebegleitung“, „Gesangs- übungen für Kinderstimmen“ und „Gesänge für Schule und Haus“. Auch einzelner Klassiker- werke nahm sich Widmann an. So erläuterte er die Symphonie in G-Dur (mit dem Paukenschlag) von Joseph Haydn sowie die Bach-Passion. Als sich Richard Wagners Kompositionen im Volk durchsetzten, gehörte Widmann zu den Grün- dern des „Wagner-Vereins“ in Frankfurt. Engen Kontakt pflegte Widmann zu Karl Ens- lin, einem gleichaltrigen Schullehrer und Dich- ter, der 1875 in seiner Heimatstadt Frankfurt verstarb. Friedrich Silcher wie auch Benedikt ­­­­­192 Komponist Benedikt Widmann „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ 8. Kapitel Musik Benedikt Widmann

Widmann vertonten dessen Zyklus „Lebensfrüh- ling“. Der Text des „Klingelingeling“ stammte ebenfalls aus Enslins Feder. Das Lied „Die Son- ne blinkt mit hellem Schein so freundlich in die Welt hinein“ ist in vielen Liederbüchern der ver- schiedensten Richtungen zu finden. 1929 sogar in einem kommunistischen Jugendliederbuch undzweiJahrespäterentdecktemanesineinem Gesangbuch für evangelische Vereine. Kompo- niert von Benedikt Widmann. Schenkt man nur einen Bruchteil der mit dem Pathos des 19. Jahrhunderts verfassten Frankfurter Zeitungsberichten Glauben, dann hat Benedikt Widmann seine Frömmigkeit auch gelebt, denn die sei vorbildlich gewesen: „Klar wie die Bäche seiner Schwarz- waldheimat“ schrieb ein Blatt. Als Präsident des Vinzenzver- eins kümmerte er sich fast 40 Jahre um Arme und Bedürftige und hielt bis ins Alter Kontakt zu seinen ehemaligen Schü- lern, die ihn sehr verehrten. Ein Spiegelbild Widmanns Beliebt- heit in Frankfurt dürfte das Fest seiner Goldenen Hochzeit 1896 sein. Viele waren gekommen und schon um acht Uhr wartete ein Damenchor unter Begleitung von Klavier und Violine musikalisch dem Jubel- paar auf. In der Liebfrauenkirche sangen alle das „Großer Gott wir loben dich“ und sogar „Seine Majestät der Kaiser“ sandte eine Ehe- Medaille. Von Widmanns großer Kin­­­­­­derschar starben zwei noch im Vorschulalter. Was man heute Kar- riere machen nennt, wurde der 1859 in Frankfurt geborenen Tochter Katharina Widmann zuteil, genannt Katha, die offensichtlich unverheiratet geblieben war. Sie starb 75 jährig als Pianistin und Musikpädagogin. Eine Schülerin von Klara Schumann, der Ehefrau des Komponisten Ro- bert Schumann, gewesen zu sein war sicherlich ein Privileg, das sie ihrem berühmten Vater ver- dankte. Sohn Bernhard wurde Theo­­­ loge. Von Enkel Benedikt Widmann, genannt Benno, ist bekannt, dass er im August 1944 als Festungs- kommandant von Toulon gefallen ist. Wie stark waren Widmanns Bindungen zu seiner Geburtsstadt nach der „Auswanderung“ ins Hessische? Eine Frage, die sich in der Nach- welt überkommenen Briefe seiner beiden, in Bräunlingen verbliebenen Brüder Wilhelm und K(C)arl Widmann darstellt. Wilhelm berichtet im März 1850 an „Neuikeite wissen wir nichts zu Schreiben als das man hier arm ist.“ Und im gleichen Jahr: „… wir hätten euch gerne eine Schachtel voll Eier geschickt aber wir befürch- teten, die Fracht koste mehr als es werth wäre.“ Im Revolutionsjahr 1848 scheint es auch Karl erwischt zu haben. Er landete für einige Wochen unschuldig in Festungshaft. Wilhelm bittet Benedikt, er möge „nach Rastatt schrei- ben, dass er doch frei wird“. Wie oft Benedikt Bräunlingen besucht hat ist ungewiss. Die Geburtstagsfeier zum 90. war schon vorbe- reitet, da starb einen Tag davor, am 4. März 1910 der „freundliche Greis mit sei- nen schneeweißen Haaren und Bart“ wie im Nachruf der „Kleinen Presse Frank- furt“ am 8. März zu lesen war. Die „Telegraphie des Deutschen Reiches“ funk- tionierte vorbildlich. Am 6. März um 11.15 Uhr gab der Bräunlinger Bürgermeister Joseph Bert- sche das Beileidstelegramm an Familie Rektor Widmann, Ffm. Öderweg auf. Es kam um 11.22 Uhr mit folgenden Text, hingekritzelt mit stump- fem Stift vom Frankfurter Beamten an: „zum her- ben verlust ihres herrn Vaters sendet innigste teilnahme die vaterstadt, bertsche.“ Christof Reiner, der Vorsitzende des Bräun- linger Kulturfördervereins hat kürzlich scherz- haft das „Kling Glöckchen“ als einen der wich- tigen Exportartikel der Zähringerstadt betitelt, missbraucht von einem Kommunikationskon- zern mit dem Refrain „Telefonieret fröhlich, macht alle Menschen selig.“ Er und sein Team dürften nach der 100. Wiederkehr von Wid- manns Todestag dafür Sorge tragen, dass an Benedikt Widmann mehr erinnert als nur eine Tafel an seinem Geburtshaus, ein Straßenname und ein magerer Hinweis im Kelnhofmuseum der Stadt. Engelbert Kropfreiter Komponist Benedikt Widmann ­­­­­193 Gedenktafel am Geburtshaus von Benedikt Widmann in Bräunlingen.

­­­­­194 Ein besonderer Brauch in Villingen ist das Kuh- reihenblasen an Weihnachten. Aber was ist ein (Kuh-)“Reihen“? In einem bekannten Kindervers hat sich das Wort erhalten, ohne dass man sei- ne Bedeutung auch nur ahnen könnte: „Ringel- ringelreihen, wir sind der Kinder dreien…“. Ein Reihen ist eine einfache Melodie oder Tonfolge – einfach für Kinder, um sie sich zu merken, ein- fach für den Hirten oder Herter zu spielen und für seine Tiere, sie wieder zu erkennen. Und was ist ein „Herter“? Ein Herter ist ein Hirte für Groß- vieh, also Rinder, im Gegensatz zu Schafen. Und was hat es nun mit dem Brauch auf sich, an Heiligabend das Herterhorn zu blasen? Die Musik der Hirten gehört zu Heiligabend wie die Engelsmusik. Die Hirten waren nämlich die ers- ten, denen die Geburt Christi verkündet wurde. Diese Szene ist sehr schön zu sehen auf einem gestickten Bildteppich mit der Geburt Christi im Franziskanermuseum, datiert um 1500. In der Tür des Stalles links, die den Blick frei gibt in eine hügelige Landschaft, sieht man zwei Hirten mit ihren Tieren, denen der Engel gerade die frohe Botschaft übermittelt „Gloria in excelsis deo“. Die Hirten stützen sich…, ja auf was? Es könnten Hirtenhörner sein – viel wahrscheinlicher sind es jedoch Hirtenstäbe mit einer schaufelartigen Verbreiterung am En- de: Sollte ein Schaf ausreißen, nimmt der Hirte damit schnell ein bisschen Erde auf und wirft sie dem Schaf nach, so dass dieses – vor Schreck – stehen bleibt. Dieselben Hirten sind in Form der Simultan- darstellung im Mittelfenster der Stallrückwand ­­­­­194 Der Villinger Kuhreihen Das Herterhorn der Familie Seemann im Franziskanermuseum Bildteppich mit Geburt Christi, um 1500, Franziskanermuseum. 9. Kapitel Brauchtum

zusehen.DerrechtehatbereitsseineKopfbede- ckung gezogen und schwenkt sie zur Begrüßung des Kindes in der Hand. Es gibt auch in anderen Gegenden der Welt den Brauch, an Weihnachten oder im Advent Hirtenhörner zu blasen, aber in Villingen hat es damit eine besondere Bewandt- nis. Der Brauch geht nämlich auf ein Gelübde im 18. Jahrhundert zurück. Bürger und zugleich Bauern Villingen war in früheren Zeiten eine Ackerbür- gerstadt. Dies bedeutet, dass die Bürger Vil­ lingens zugleich Bauern waren. Bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts gab es noch Mist- haufen innerhalb des Mauerrings. Ein typisches Bürgerhaus sieht man im Modell in der stadt- geschichtlichen Sammlung des Franziskaner- museums. Es ist gefertigt nach dem Haus Nr. 55 in der Gerberstraße, das 1989 abgebrochen wurde. Gut zu sehen ist der Durchblick von ­­­­ der Eingangstüre zum rückwärtigen Ausgang. Durch diesen geraden Flur gingen nicht nur die menschlichen Bewohner, sondern auch ihre Tie- re, denn der Stall lag im Hinterhof. Und zwar gingen sie jeweils morgens hinaus und abends zurück, weil die Tiere auf die Allmend – also den Weidegrund der Gemeinde – geführt wurden. Jedes Viertel hatte seinen Herter. Jeder Herter hatte seinen Lockruf, den er auf seinem Horn spielte, um den Viehbesitzern das Signal zu ge- ben, ihre Stalltüren zu öffnen und das Vieh zum Sammelplatz zu führen. Ein Gemeinwesen, das von der Viehzucht lebt, ist natürlich durch Viehseuchen in seiner Existenz gefährdet. Als eine solche Viehseuche 1765 drohte, gaben die Villinger ein Verspre- chen: Würde die Seuche Villingen verschonen, so sollte jedes Jahr an Heiligabend der Kuhrei- hen gespielt werden. Und so geschah es. Die Villinger Kühe blieben gesund, und ein neuer lokaler Weihnachtsbrauch war geboren. Gespielt wurde der Kuhreihen von einem Herter bis diese Berufsgruppe ausstarb und zwar der Reihen des Rietviertels, der angeblich ­­­­­195 Beim Kuhreihen in der Villinger Innenstadt.

­­­­­196 Brauchtum von den Franziskanermönchen „komponiert“ worden war. Nachdem der letzte Herter, Niko- laus Seemann (1793 - 1847), gestorben war, kam sein Instrument in die Städtische Sammlung. Ein „des Blasens kundiger Bürger“, später ein Mitglied der Stadtmusik, spielte das Horn, das bald in Metall kopiert wurde. Heute spielt man eine hölzerne Kopie. So einfach die zu spielende Melodie, so ein- fach sind die zu spielenden Instrumente, welche die Hirten in der Zeit des Hütens selbst fertigten. Dazu wurde ein krumm gewachsenes Baum- stämmchen ausgesucht, das innen ausgehöhlt und mit Pech oder Teer ausgegossen wurde. Zum Aushöhlen wurde das Baumstämmchen halbiert (weil man ja die Rundung nicht boh- ren konnte). Dann wurden die beiden Hälften wieder zusammengefügt, mit Rinde umwickelt und ebenfalls mit Teer abgedichtet. Das Hirten- horn hat keine Grifflöcher, daher kann man mit ihm nur Naturtöne spielen. Diese werden allein durch die Veränderung der Mundstellung beim Blasen erzeugt, ähnlich wie bei Blechblasinstru­ menten (daher ist das Hirtenhorn instrumen- tengeschichtlich eher diesen zuzurechnen). Je nach Länge des Horns sind dies 7 - 10 Töne. Um transportabel zu bleiben, waren Hirtenhörner ca. 0,90 - 1,30 m lang. Hirtenhörner sind längst nicht so bekannt wie ihre verlängerten Varian- ten, die Alphörner, mit denen mehr Töne erzeugt werden können. Gäbe es den Brauch an Weih- nachten nicht, wüsste man auch in Villingen wohl kaum etwas von Hirtenhörnern, Hertern und Kuhreihen. Dr. Anita Auer Was der Kuhreihen für Villingen bedeu- tet, kann man alljährlich an Heilig- abend zwischen 23 Uhr und Mitternacht in der Villinger Innenstadt erleben. Es sind Tau- sende unterwegs! In einer Festschrift der Stadt- und Bürger- wehrmusik heißt es zum Kuhreihen: „Nur die Herter trugen das Herterhorn, die Geißhirten ein halblanges Blechhorn, die Sauhirten ein “Kuhhorn” (Horn einer Kuh mit Mundstück), und die Herterbuben ein kurzes Blechhorn. Das Herterhorn unterschied sich schon durch seine Größe von den andern, gab dem Träger ein gewichtiges Ansehen und war we- sentlich modulationsfähiger. Meist wurde es von den Hertern selbst aus Birkenrinde in einer durchschnittlichen Länge von etwa 1 1/2 m hergestellt. Es verlief, hauptsächlich seinem Ende zu, in einer leichten Krümmung und verbreiterte sich fast bis zum zweifachen Umfang an seiner Schallmündung. Ein ein- ziges Stück aus der letzten Zeit des Weid- ganges ist uns aus der Familie des letzten Herters Seemann erhalten und befindet sich in der Städtischen Sammlung. Der Kuhreihen ist eine einfache, elemen- tare Hirtenmelodie, die sich innerhalb der Dreiklangtöne 1, 3, 5 auf- und niederbewegt, mitderQuintebeginnt,vom4/4zum6/8Takt wechselt und mit einer Kadenz in 4/4 endet. Der Schluß mit der Terz legt die Vermutung nahe, daß er Bruchstück ist. Heute ist uns nur noch eine einzige Weise bekannt, jene vom Rietviertel, die der Überlieferung nach von dort ansässigen Franziskanern, die lan- ge Zeit neben einem Gymnasium auch eine Musikschule unterhielten, am melodien­ reichsten gesetzt wurde. Die Bedienung des Horns macht keine be- sonderen Schwierigkeiten, bedeutet aber für den Bläser eine ziemliche Anstrengung, da es in der heiligen Nacht in verhältnismäßig kurzer Zeit beinahe fünfzigmal geblasen wer- den muß. Seit langer Zeit beginnt der Bläser mit seinem Hornruf am Friedhof zur Ehre der Toten, macht von dort aus die Runde durch die ganze Stadt um beim mitternächtlichen Glockenschlag auf dem Marktplatz die Weise erklingen zu lassen.“ wd Der Kuhreihen erklingt in der Heiligen Nacht bis zu 50-mal Rechte Seite: Weihnachtsstimmung auf dem Villinger Münsterplatz. 11/2 m hergestellt. Es verlief, hauptsächlich

Theater

­­­­­198 Weißnarren in der schwäbisch- alemannischen Fastnacht Die bekannte Narrenfigur ist vor allem im Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar daheim Die Figuren der schwäbisch-alemannischen Fastacht sind vielfältig – doch es lässt sich bei ­ ihnen eine lockere landschaftsbezogene Struktur erkennen. So finden sich am ­ Bodensee oft die Blätzlenarren mit Stoffmaske, im Schwarzwald ­ hingegen haben wir es vielfach mit Figuren zu tun, die sich an Vorbilder des ­ italienischen Volkstheaters, der commedia dell’ Arte, anlehnen. An Hochrhein, ­ Donau und Neckar wiederum laufen gerne von Sagen oder geschichtlichen Begebenheiten abgeleitete Ge- stalten, und in der Baar, es seien Bräunlingen, Hüfingen und Donau- eschingen hervorgehoben, am oberen Neckar in den Städten Villin- gen-Schwenningen und Rottweil, aber auch in Furtwangen, laufen die Weißnarren. Dabei handelt es sich um die traditionsreichste Fastnachts­ figur der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Gehen wir zunächst einmal der Frage nach, wo­­ rumessichbeimWeißnarreneigentlichhandelt. Der ehemalige Kulturreferent der ­Vereinigung Schwäbisch-Aleman- nischer Narrenzünfte, Wilhelm Kutter, Volkskundler und in den 1950er und 1960er Jahren SDR- Rundfunkredakteur,schlugwohl als erster eine Einteilung der südwestdeutschen Fast- nacht in Landschaften vor, die sich an unter- schiedlichen, charakte- ristischen Narrenfigur- grundtypen orientiert. So soll er zu Beginn der 1950er Jahre im Zu- ge dieser Aktion den „Weißnarren“ als vor- herrschenden Charak- tertyp der Fastnachts- region „Baar“ definiert haben. Vorher lief die Fi- gur als „Gschellnarr“. Die- ser Narrentypus zeigt sich natürlich nicht einheitlich, er gliedert sich in mehr oder min- der abweichende Un­­terarten, die je nach Ort und Tradition ver­ schiedenste Applikationen, Attribute und Details aufweisen können. Grundle- gend für die Narrengestalt ist ein helles, grobesLeinen-oderDrillichgewandmit Gugel, das mit mannigfaltigen Fi- guren und Symbolen bemalt ist, in der Regel mittels Ölfarbe auf- gebracht. Und die Figur trägt einen Fuchsschwanz sowie das Gschell, meist zwei über Oben: Hüfinger Hansele- Maske, links: Hüfinger Weißnarrenhäs von Franz- Sepp Moog, ein Gretle auf einer Hansele-Jacke. Rechte Seite: der Donau­ eschinger Hansel. Brauchtum

­­­­­200 der Brust gekreuzte lederne Riemen, auf denen Schellen befestigt sind. Das Gesicht wird dabei beim klassischen Typus von einer hölzernen, hellen barocken Glattlarve verdeckt, die, von einem blumengarnierten bunten Rosshaarkränz- chen umrahmt, oft hohe künstlerische Qualität zeigt. Weiße Handschuhe runden das Bild ab. Vom Ursprung des Weißnarren Die Weißnarrenfigur ist alt: Hochwahrschein- lich ist, der Tübinger Volkskundler Herbert Schwedt hat es jedenfalls plausibel hergelei- tet, dass die Weißnarren ihren Ursprung in der mittelalterlich-höfischen Welt haben. Schwedts Belege können sich sehen lassen. Für das 14. Jahrhundert finden sich, in Berichten über hö- fische Maskenspiele, auch Nachweise für reich verzierte und bemalte Kleider: vom englischen Hofe, von dem in Dresden, von anderen. Die Mode war, byzantinischer Herkunft, schon im 9. Jahrhundert nach Mittel- und Westeuropa gekommen und hatte sich rasch verbreitet. Die Bürger der aufblühenden Städte übernahmen die Kulturformen des Adels, und dazu gehörte auch die Kleidung. Schon im 14. Jahrhundert be- gegnen uns viele Belege für Maskierungen im städtisch-bürgerlichen Bereich, hundert Jahre später dann geradezu flächendeckend in Euro- pa, von Rom bis Amsterdam. Ein historischer Glücksfall sorgt dafür, dass wir uns solches gut Brauchtum Ein Weißnarrenhäs wie dieser Donaueschin- ger „Bären-Hansel“ (nach dem Besitzer be- nannt) ist kostbar: Es besteht aus Kapuze, Kittel, Hose und natürlich Gschell sowie Mas- ke. Der kunstvoll bemalte Hansel ist in freier Absprache zwischen dem späteren Besitzer und dem ausführenden Kunstmaler entstan- den. Die Jacke ziert ein Baaremer Bauernpaar (oben) umrankt von floralen Motiven. Eine eindeutige Anspielung ist der Nachwuchs auf der Hose. Die obige Kapuze zeigt einen Türken, gut möglich, dass er die Züge des Auftraggebers trägt. Eine Türkin ziert die andere Seite der Kappe. Das Häs ist in der sehenswerten Zunftstube der Narrenzunft Donaueschingen ausgestellt.

Weißnarren ­­­­­201 und bildhaft vorstellen können. In Nürnberg nämlich gab es den Schembartlauf, einen Masken- zug; der wurde in den Jahren von 1449 bis 1539 durch Handschriften dokumentiert. Sie zeigen in vielen Abbildungen Läufer, die den Weiß- narren unserer Tage verblüffend ähnlich sind – mit schönen Glatt- larven und Kleidern mit aufgemal- ten oder aufgenähten Bildern und Ornamenten. Wir wissen sogar, dass damals in Nürnberg Maler- meister diese Dekoration besorg- ten. Die Bemalung des Häses Ab dem 16. Jahrhundert sind vor al­­­ lem Verbote überliefert aus Rott- weil, Villingen und anderen Orten. Aus ihnen erfahren wir allerlei über Maskenfeste und -aufzüge und wer daran beteiligt war, sogar über verschiedene Bezeichnungen für Masken und Maskierungen. Nur bemalte Narrenkleider sind über lange Zeit hin nicht bezeugt. Das heißt nicht, dass es keine gab, und wenn 1770 in Vil- lingen vom „Narrenhäs“ die Rede ist und 1804 in Donaueschingen von „Hanselkleidern“, dann wird man sich derartiges vorstellen dürfen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts finden sich zunehmend Abbildungen, besonders häufig in Donaueschingen. Sie zeigen ge­­ malte Ornamente, das Hans-und-Gretel-Paar, den Bären und den Lö- wen.AusdergleichenZeit,dem19.Jahrhundert(in Einzelfällen vielleicht schon aus dem 18. Jahrhun- dert), stammen die ältesten bemalten Gewän- der, die bislang bekannt sind. Das Schmücken der Kleider mit Malerei und Zierrat, wie zum Beispiel Glöckchen, ist indes uralt. Schon früh und bis heute finden sich Klei- der im Alltag, aber besonders auch bei festli- chen Gelegenheiten, die teils kostbar verziert sind. Priester, Könige und sonstige Würdenträ­ ger wollten damit ihre besondere, als heilig empfundene Wertigkeit verdeutlichen. Was die Motive der Häsbemalungen anbe- langt, gibt es viele Vermutungen, etwa, dass es sich um heraldische Bilder handele oder um ­ Allegorien der Sündhaftigkeit, um Theatermoti- ve und -moden, um Darstellungen von Winter- austreibung und Frühlingsbegrüssung. Aber, da wir keine Überlieferung bis in uralte Zeiten fin- den können und da auch die neuere Zeit nichts Fass- und Beweisbares hergibt, sind dies bloße Vermutungen. Freuen wir uns also an den bunten Bildern der Narrenwelt. Und ziehen wir den Hut mit Res- pekt vor manch großem Häsmaler des 19. Jahr- hunderts. Damals kamen die Häsmaler übrigens meist aus dem gediegenen Handwerk, ausgebil- dete Kunstmaler waren selten. Und sie malten nicht nur Fastnächtliches. Bräunlinger Stadthansel – Gemälde des Kunstmalers Carl Hornung.

­­­­­202 Hier soll angefügt werden, dass vor Zeiten der Häsmaler meist seiner Fantasie freien Lauf lassen, seinen eigenen Stil herausstellen konn- te. Erst im Zuge einer etwas verzwungenen Her- stellung örtlicher, närrischer Identität und einer Ideologisierung der Narrenkleidung durch Em­ bleme, die ins Germanische deuten sollten, kam es in den 1920er- und 1930er-Jahren zu einer nicht unbedingt der Kreativität förderlichen Standardisierung, die man durchaus einmal überdenken könnte. Schon ab 1880 kam es in Villingen zu einer Vereinheitlichung der Motive. Das gleiche ge- schah in nahen Städten wie Bräunlingen, Do- naueschingen oder Immendingen. Das zweifel- los ältere gegenteilige Prinzip, die freie Motiv- wahl, fand sich in Rottweil und hielt sich dort auch; entsprechend war die Entwicklung in Schömberg, Hüfingen oder Möhringen. In der Folge freilich gewann die ortstypische Festle- gung der Gestaltungen mehr und mehr an Be- deutung. Damit wuchs das Bedürfnis nach der Unverwechselbarkeit der eigenen Narrentypen und -zünfte; nach der Abgrenzung zu anderen Narrenorten; nach eigenen Ortsbezügen. Die Geschichte der eigenen Stadt und ihrer Beson- derheiten spiegelte sich in den Malereien. In den 1920er Jahren wurden wie erwähnt Narrenzünfte in größerer Zahl gegründet und 1924danndieVereinigungSchwäbisch-Aleman- nischer Narrenzünfte, in der heute die meisten Weißnarren versammelt sind. Die Vereinigung hat sich um die Pflege und Erforschung dieser Narrenfigur besonders verdient gemacht. Es sei an dieser Stelle der Besuch des Fastnachtsmu- seums Narrenschopf in Bad Dürrheim empfohlen, wo man alle Weißnarrentypen im Original sehen kann. Beim Hanswurst tritt das Weiß deutlich hervor Der Fastnachtsnarr entpuppte sich langsam aber stetig. Die Mode der Vornehmen wandelte sich, ihre alte Kleidung aber hinterließ Spuren im Närrischen. Wir finden diese in Variationen durch die Zeiten, später kommt auch der All- tagskittel der arbeitenden Bauern mit ins Spiel, dann finden wir Elemente beim Nürnberger Schembartläufer des 15. und 16. Jahrhunderts, bei der Hanswurstgestalt des 18. und 19. Jahr- hunderts, hier tritt das Weiß schon recht deut- lich hervor. Der Einfluss der commedia dell’ Arte, des italienischen Volkstheaters, auf den Weißnarren ist dabei nicht zu übersehen. Weiße Kleidung, Gugel und Schwert finden sich dort bei Coviello, Zanni und Pagliaccio ganz selbst- verständlich. Und der Pierrot oder Gilles der Epoche trägt stolz seine Halskrause. Letztendlich kommen wir zum Weißnarren, wie wir ihn heute kennen. Sehen wir uns nun die hervorstechendsten Exemplare des Typs, wie sie sich im Schwarzwald-Baar-Kreis zeigen, genauer an. Wir beschränken uns dabei vorder- hand auf die Klassiker in Villingen, Bräunlin- gen, Donaueschingen und Hüfingen, nehmen aber die mittlerweile zum Teil auch schon ein gesetztes Alter aufweisenden Neuankömmlin- ge aus Bad Dürrheim, Brigachtal, Furtwangen, Schwenningen und Unterkirnach gerne mit. Villingen: Narro und Wuescht Die schöne, majestätisch-vornehme Narrenfigur vereinigt Elemente verschiedener Epochen, die sich im Lauf der Zeit zur jetzigen Ausprägung zusammengefunden haben. Gesicherte Quellen über das Auftreten des Narros sind im 18. Jahr- hundert zu finden. Gugel und Fuchsschwanz bil- den wohl die ältesten Bestandteile des Aufzugs. Die „Schemme“ (Glattlarve) und der Narrensä- bel sind Attribute des adligen 17. Jahrhunderts, die Glocken können ab dem 18. Jahrhundert nachgewiesen werden. Foulard (Seidentuch), Handschuhe sowie Botten (Schuhe) kamen im Laufe des bürgerlichen 19. Jahrhunderts dazu. Es spricht auch vieles dafür, dass die Hals- krause im 19. Jahrhundert zum Häs kam. Be- trachtet man ältere Bilder, so bemerkt man, dass die Krause deutlich flacher ist, höchstens bis zur Kopfmitte geht, also nicht so hoch den Kopf umhüllt wie heutzutage. Diese flache Hals- krause ähnelt aber frappant einem der in jener Epoche beliebten Bajass-Krägen. Die Bemalung des weißen Häses zeigt Stan- dardtypen. Auf den Vorderseiten der Hose findet man unter drei „Goldäpfeln“ auf grünen Blättern Brauchtum

­­­­­203 den Löwen, der das rechte Bein ziert. Das linke Bein schmückt ein Bär. Beide halten Weinglas und Tulpe. Auf den Beinrückseiten zeigt sich ein „Hansele“, das auffällig einem Tiroler gleicht. Da der Tiroler-Hansele in der einen Hand einen Stock hält, in der anderen aber eine Wurst, bei- des alte Narrensymbole, ist der „Hanswurst“ perfekt, und auch der weist ins 18. und 19. Jahr- hundert. Man beachte dabei recht genau seine flache Bajass-Halskrause, die auch das auf dem anderen Hinterbein aufscheinende „Gretele“ ziert. Dieses trägt ein Gewand, dessen rotes Schnürmieder jedenfalls im Alpenländischen nicht zu finden ist und etwas wie einen Kamm nebst Korbhandtäschchen. Wohlgemerkt, diese Figuren sagen viel über zeitbedingte Ziermoden aus, nichts aber über die geografische Herkunft des Villinger Narro. Österreichische Einflüsse, und hier ist die Gestalt des „Hanswurst“ inte­ ressant, könnten aber durchaus gewirkt haben. Und ganz sicher die commedia dell’ Arte. DieKittelvorderseiteschmücktrechtsein­Hase und links ein Fuchs. Die Ärmel zieren außen Blu- men, innen Würste und die Gugel trägt links und rechts ein männliches beziehungsweise ein weibliches Porträt, aber ohne Hut und Halskrau- se. Auf der Kittelrückseite finden wir nochmals den behüteten Tiroler, auf älteren Darstellungen mit einem Glas Rotwein aber auch mit Katze. Soweit der Narro, der von der Altvillingerin oder einem Morbili begleitet wird. Erwähnt sei auch ein weiterer Weißnarr, der Wuescht, die personifizierte Sünde. Er ist dick mit Stroh ausgestopft, die Kinder bewerfen ihn mit Schneebällen und Tannenzapfen, die Ziel- scheibe dafür ist klar ersichtlich: Auf dem Rü- cken trägt er ein Brett mit einer Stoffpuppe. Natürlich kann ein alter Narrenort wie Vil- lingen eine ganze Reihe von mit der Fastnacht verbundenen Häsmalern aufweisen. Hier seien vor allem genannt die Namen Faller, Fischer G. und H., Kaiser und Maus. Da eine schöne Maske den Narren erhöht, möge der Altmeister der Vil- Der Villinger Narro. Links eine colorierte Darstel- lung des Künstlers Curt Liebich um 1900, rechts der Narro mit Altvillingerin beim Maschgerelauf.

­­­­­204 linger Bildhauer und Maskenschnitzer Manfred Merz herausgehoben sein. Eine Merz-Maske ist etwas ganz besonderes, die Villinger Narrozunft vermerkt mit Stolz: Merz reiht sich nahtlos in die Tradition des „Ölmüller“ ein. Das künstlerische Schaffen des Schnitzers ist weit über die Gren- zen der Stadt hinaus bekannt. Bräunlingen: Der Stadthansel Der Narro in Bräunlingen, „Stadthansel“ ge- nannt, fällt ebenfalls unter die Gschell- oder Weißnarren mit Glattlarve. Früher gab es keine einheitliche Bemalung, erst anfangs des 20. Jahrhunderts setzte sich der heutige Stadthan- sel durch. Auf der Vorderseite des Kittels sind Fuchs und Hase, auf dem Rücken Genießer, Spieler, Sänger oder Gesellschafter zu finden. Beliebt ist auch die Sonderform mit dem Gam­ brinus, der an die drei Brauereien erinnert, die es früher in Bräunlingen gab. Die Außenseite der Ärmel zeigen Blumen und Früchtemotive, die Innenseiten Würste. Vorne ist die Hose mit Löwe und Bär, hin- ten mit Hans und Gretel bemalt. Über Brust und Rücken trägt der Hansel zwei Riemen mit je elf Bronzeglocken. In der Hand hält er sein Holzschwert oder den Korb, aus dem die Kin- der beschenkt werden. Früher waren noch Han- selhäser mit Apfelzweig-, Rosen-, Eichenlaub-, Sonnenblumen- oder anderen Blumenmotiven üblich, heißt es in der Zunftgeschichte weiter. An diese Tradition knüpft der neu geschaffene Blumennarr an. Denn ursprünglich waren in Bräunlingen mehrere Arten von Weißnarren üb- lich. So gab es neben dem Stadthansel auch den Blumenhansel. Der letzte Blumenhansel wurde noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg getragen. Der Häsmalerei in Bräunlingen wird durch die Namen Valentin, Hofacker und Wintermantel Ehre getan. Hüfingen: Freiheit bei den Motiven Der Hüfinger Hansel tritt zusammen mit dem Gretli oder als Einzelfigur mit Krug oder Schwert auf. In Hüfingen lebt die Freiheit der Fantasie. Den Weißnarr zieren Malereien, die je nach Gus- to des Trägers frei extemporiert und ad libitum gemalt werden. So, wie es früher in der Fast- nacht allerorten und in vielem gang und gäbe war. Ist dies so schlecht gewesen? Nur die oran- gefarbenen Saumeinfassungen sind einheitlich festgelegt und halten das Ganze in Form. Die Motive auf dem Häs spiegeln die Fauna und Flo- ra auf der Baar wieder. So gibt es z.B. Astern-, Hagebutten-, Klatschmohn-, Apfel- oder Feld- blumenhansel. Kein Häs gleicht dem anderen; es handelt sich ausschließlich um Unikate. Auf dem Kittelrücken steht es dem Maler frei, örtliche Persönlichkeiten und landwirt- schafts- oder landschaftsbezogene Motive zu verewigen. Je nach der auf dem Gewand vorherr- schenden Blume, bekommt der Hansel seinen Übernamen: „Veilchenhansele“ beispielsweise. Ansonsten schmückt er sich auch seinerseits mit den üblichen Weißnarrenattributen als da sind: Gschell, Glattlarve, blumengeschmücktes Rosshaarkränzlein, weiße Handschuhe, und beim Hüfinger findet sich wie beim Villinger der Foulard. Standards in der Häsmalerei setzten und setzen die Maler Moog, Pokorny und Labor. Donaueschingen: Wunderschöne Malereien Der Donaueschinger Hansel, 1783 erstmals er- wähnt, kommt mit Kavaliersbärtchen fein daher. Auch leistet er sich einen üppig bunten Blumen- kranz um die Glattlarve und ebenfalls den Fou- lard. Bunt ist er bemalt. Auf älteren Häsern herr- schen Trinkgefäße vor, jedoch es zeigten sich insgesamt Motive einer Vielfalt aller denkbaren Art. Besonders im 19. Jahrhundert, als die Maler auch hier ihrer Fantasie freien Lauf lassen konn- ten, entstanden hinreißende, wunderschöne Gewandbemalungen, denen der Einfluss einer feinsinnigen Residenzkultur anzusehen ist (sie- he Seite 200). Anfang der 1950er-Jahre schufen der Donaueschinger Maler Carl Stier und der akademische Maler Hans Röger den heutigen Zunfthansel. Heute finden sich auf dem Gewand des „Zunfthansels“ die bekannten Figuren Hase, Fuchs, Löwe, Bär, Frau und Mann. Auch Wurst, Kamm (alemannisch: „Strähl“) und Tiroler- Brauchtum

Weißnarren Von oben links: Hüfinger Hansele in Begleitung des Gretli. Rechts der Villinger Wuescht – auch er ist ein waschechter Weißnarr. Unten links ein Bräunlinger Stadthansel, rechts der Gambrinus auf der Rückseite eines Bräunlinger Kittels.

­­­­­206 hut fehlen nicht. Aber immer noch kann man auch Blumen sehen. Zum Hansel gehört schon immer das Gretle, es ist schon 1783 erwähnt. Das Gretle trägt die Donaueschin- ger Tracht aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine stattliche Reihe von Häsmalern kann sich sehen lassen: Baur, Stier, Grünin- ger, Merz, Scheu, Jäckle, Götz, Schlegel und Röger haben die Erscheinungsform dieser Nar- renfigur nachhaltig geprägt. Schwenningen: Hansel 1928 geschaffen Widmen wir uns nun Schwenningen am Neckar- ursprung. Der dortige, 1928 geschaffene „Han- sele“, beherrscht die örtliche Fastnacht und kehrt seine Herkunft aus der einst umtriebigen Uhrenstadt hervor, er zeigt die einschlägigen Attribute. Sein weißes ölfarbenbemaltes Lei- nenhäs trägt auf dem rechten Vorderbein einen Uhrenhändler mit Krätze. Links prangt eine Bäuerin, sicher Reminiszenz an die Ackerbauern eines der einstmals größten Dörfer in Württem- berg. Und beide zeigen sich in Schwenninger Tracht. Bekrönt werden die Gestalten von zwei roten Rosen. Die hintere Beinseite ziert links ein Tannenwald und rechts ragt der „Hölzlekönig“ auf, Erinnerung an eine anrührende Geschichte von Toleranz und Bosheit, ganz wie im richtigen Leben.Undnatürlichauchandieeinstenshöchs- te Tanne Deutschlands, bevor sie der Blitz traf. Zurück zum blauen Häskittel: seine Är- mel sind außen weiß, innen blau gefärbt und überdies rosengeschmückt. Zum Häs trägt der Schwenninger Hansel eine weiße, rosen- gezierte Kravatte, und zwar über den vom mit blau-weißer Halskrause und rot-blauem Schul- tertuch umfassten Kragen herunterhängenden Schmucktüchern (auch „Putztuch“ genannt). Die Glattlarve mit maschengeschmücktem Rosshaarkranz und Fuchswadel runden das Bild ab. Schuhe und Handschuhe des Hansele sind – schwarz. Und er trägt natürlich das Gschell sowie ein Uhrenpendel als Zepter oder Spazier- stock, je nach Umstand. Prangend lacht vorne die Sonne von der Pen- delscheibe, und hinten, auf der Uhr, ist die Zeit um 11.11 Uhr stehen ge- blieben. Was die Häsmaler anbelangt, so seien hier die Namen Gold, Eschle und Schlenker erwähnt. Bad Dürrheim: Greif und Löwe Der Dürrheimer Narro ist die älteste und vor- nehmste unter den Narrengestalten der Kur- und Bäderstadt. Die Motive des Häses stammen wie beim Schwenninger Hansele aus dem Be- reich der örtlichen Industrie, der Saline: Tret- rad, Brause, Bohrturm. Und es zeigen sich auch Greif und Löwe. Hier können wir sagen, woher sie stammen, sie sind nämlich des Badischen Staatswappens Schildhalter. Bedeuten möch- ten sie königlich-göttliche Kraft. Der Dürrheimer Narro hat es mit der Heraldik, so ziert ihn nicht nur das Stadtwappen, selbstverständlich, son- dern auch dasjenige der einstigen Ortsherren, der Esel von Dürrheim, und auch das der Zehnt- scheuer ist dargestellt. Die Tracht der Baar darf ebenfalls nicht fehlen, umrahmt wird das Ganze von Tannenzapfen und Silberdisteln. Anspie- lung auf Örtliches. Die weitere Ausstaffierung hält sich im Rah- men dessen, was Weißnarren üblicherweise tragen: Narrensäbel, Handschuhe, Glattlarve, Fuchsschwanz, Seidenkravatte, Halskrause und Gschell. An Häsmalern fehlte es Bad Dürrheim nie. Die Namen Maus (aus Villingen gekommen), Frings, Miessmer und Reiff mögen hier aufge- führt sein. Brauchtum Hansel und Gretle, kunstvolle Illustration zur Donaueschinger Narrenchronik.

Furtwangen: Nach historischer Vorlage Zwar ist das Furtwanger Hanseli neueren Da­ tums, 1996 wurde es geschaffen, aber es ist 1888 schriftlich erwähnt und zugleich zeichne- risch in Farbe auf einem colorierten Stich darge- stellt. Das Hanseli passt somit hervorragend in die Furtwanger Fastnacht. Das weiße Leinenhäs ist mit strahlender Sonne und grauer Fratze be- malt. Schwarze Handschuhe und Schuhe run- den die Erscheinung dieser Narrenfigur ab. Die Holzmaske weist schlaue aber doch freundliche Züge auf, der Fuchsschwanz ist obligat. Und das Furtwanger Hanseli schwingt eine Geißel – ist ein rechter Wälder. Auffallend sind zudem die feinen Pariser Glocken. In Brigachtal und Unterkirnach schließt sich der Kreis. Der Brigachtäler Strohansel ist ein waschechter Weißnarr, wenn auch neueren Datums. In Unterkirnach läuft der „Kieschtock“, der seinen Namen von früher einmal gebräuchli- chen Beleuchtungsmitteln ableitet. Er entstand in den 1960er-Jahren. G. C. Jerg Von links: Das Furtwanger Hanseli, Bad Dürrheimer Narro und Schwenninger Hansele.

Aber wo könnte das Museum stehen, und sollte es ein Neubau werden? Nein, entschied die Kunstsammlerin. Auch der Hauptstadt kehrte sie nach einigen Anläufen den Rücken. Im Schwarzwald wurde sie fündig, genauer gesagt, in Donaueschingen. Hier an diesem tradi- tionsreichen Ort, der im Sommer viel Flair ausströmt und viele Touristen an- zieht fand Margit Biedermann das ge- eignete Objekt: ein altes klassizisti- sches Gebäude, das direkt gegenüber der Donauquelle, an dem kleinen Flüss- chen Brigach und einem weitläufigen Park liegt. Gemeinsam mit ihrem Ehe- mann Lutz Biedermann, dem Inhaber der Firma Biedermann-Motech in Villin- gen-Schwenningen, erwarb sie das tra- ditionsreiche Haus und verwandelte es in ein attraktives Museum für zeitgenös- sische Kunst. Ein Haus mit Geschichte Der klassizistische Bau im fürstlichen Schlossgarten bot früher der Museums- gesellschaft ein Zuhause. 1841 wurde das Haus von der 120 Mitglieder umfas- senden Gesellschaft eingeweiht, die es Museum Biedermann in Donaueschingen gibt der Kunstwelt neue Impulse „Hier können die Menschen ihren Alltag vergessen und sich fernab jeglicher Hektik auf die Kunstwerke einlassen“, begründet Margit Biedermann die Stand- ortwahl ihres Museums. Lange schon hegte sie den Wunsch nach einem eige- nen Kunsthaus für ihre umfangreiche Privatsammlung, die zwar regelmäßig in Wechselausstellungen zu sehen war, aber im eigenen Haus lässt sich eben doch selbstbestimmter ausstellen und in anderen Dimensionen sammeln. 10. Kapitel Kunst und Künstler Sammlerin Margit Biedermann in einer Skulptur aus verkohltem Holz von Nunzio. ­­­­­208

Museum Biedermann Donaueschingen ­­­­­209 mit finanzieller Unterstützung des Fürsten Karl Egon II. für sich bauen ließ. Hier veranstaltete das Bildungsbürgertum Lesungen, Konzerte oder Bälle, spielte Bil- lard und diskutierte. Es handelte sich um eine offene Begegnungsstätte, in der man sich mit unterschiedlichen Künsten befassen konnte. Doch schon vier Jahre später wurde das Gebäude durch einen Brand zerstört. Fürst Karl Egon II. erwies sich erneut als edler Spender. Er kaufte die Brandruine und baute das „Museum“ auf eigene Kosten wieder auf, um es dann an die Museumsgesellschaft zu vermieten. Schon zwei Jahre später herrschte wieder reges und ge- selliges Clubleben. Zehn Jahre danach verlor die Museumsgesell- schaft mit dem Tod des Fürsten Karl Egon II. ihren wichtigsten Förderer. 1897 übernahm Fürst Max Egon II. als bisheriger Inhaber der böhmi- schen Linie des Hauses Fürstenberg auch die sogenannte schwäbische Linie und wählte Donaueschingen zu seinem Wohnsitz. Er ließ das Museum baulich verbessern. Während des 1. Weltkrieges diente das Gebäude als Unterkunft für Reser- visten und beherbergte später ein Infanteriebataillon. Nach dem Krieg gab die Museumsgesellschaft die Nutzung des Hauses auf. Die Stadtgemeinde mietete das Gebäude als Städtisches Kurhaus für den zunehmenden Fremden- und Kur- betrieb, doch die politischen Verhältnisse sowie der Zweite Weltkrieg unterbra- chen diese Bemühungen. 1937 wurde ein Kinosaal mit dem Namen „Museums- Lichtspiele“ eingebaut. Zwanzig Jahre später kam im „Gelben Saal“ ein zweites Kino dazu, die „Park-Lichtspiele“. Über ein halbes Jahrhundert wurde das Haus als Kino genutzt und als solches kannten es auch noch viele Donaueschinger Bürger. 2006 erwarb die Unternehmerfamilie Biedermann das Haus. Zwei Jahre später begannen die Renovierung und der Anbau durch die schweizer Architekten Lukas Gäbele und Tanja Raufer. Reminiszenz an die Kino-Zeit. Der Hinweis auf den Eingang in den Kinosaal ist im Foyer ­belassen. Das Museum Biedermann. Über ein halbes Jahr- hundert wurde das frühere Zuhause der Museumsge- sellschaft als Kino genützt. Der Umbau zum Kunstmu- seum begann 2008.

­­­­­210 Kunst und Künstler Sanierung und Anbau: moderne Architektur ergänzt historische Substanz In nur 13 Monaten wurde das zweistöckige Gebäude komplett saniert und um einen eleganten Anbau erweitert. „Wir wollten so vorsichtig wie möglich mit der historischen Substanz umgehen“, erklärt das Architekten-Team. In strenger Schlichtheit strahlt das Haus und überzeugt nicht nur durch die helle, freundliche Fassade, sondern vor allem durch zahlreiche durchdachte Details im Inneren. Die architektonischen Veränderungen und Anpassungen spannen einen Bogen von damals bis heute: Oberstes Ziel bei den Sanierungsarbeiten war es, so viel origi- nale Bausubstanz zu erhalten wie möglich. Der schwarze Neubau erhielt mono- lithische Wände aus Leichtbeton, die von den Eigenschaften her den alten Mauern ähneln. Alle Außenwände des massiven Bruchsteinmauerwerks wurden mit Heiz- leitungen versehen – auf diese Art wirken die Wände wie ein Kachelofen und stellen somit ein sparsames und effizientes Heizkonzept dar, das ohne störende Heizkörper auskommt. Zum Erhalt der historischen Deckenbalken wählten die Architekten ein Holzbetonverbundsystem. Viele alte Böden aus Fichte oder Tanne wurden heraus genommen, behandelt und wieder verwendet. Die neuen Böden sind aus Lärchenholz. Auch die Beleuchtung des Museums stellt eine Besonder- heit dar: ausschließlich Tageslicht-Leuchtstoffröhren erhellen die Kunstwerke, nur im Spiegelsaal und im oberen Foyer hängen wieder die alten Kronleuchter. Wer den 165 m² großen Spiegelsaal betritt, gerät ins Schwärmen: Der immense Kronleuchter füllt die Raummitte und das helle Parkett spiegelt das Muster der Kassettendecke. Gesimse mit floralen Ornamenten, Säulen, Pilaster, Galerie und natürlich jede Menge Spiegel sorgen für ein einzigartiges Ambiente. Die histori- sche Substanz wurde in minutiöser Kleinstarbeit erneuert, so dass der Spiegel- saal heute in hellem Anstrich mit feinen Vergoldungen glitzert und sich ideal eignet für Konzerte, Lesungen oder andere besondere Veranstaltungen. Blick in den Ausstellungs- raum 1 mit Werken von Gert Riel und Markus F. Strie- der © VBK- Wien, 2010 Der Spiegel­­­­­­­­­­­­­ saal mit prunkvollem Kronleuchter ist in präziser Kleinstarbeit restauriert worden. Der rückwär- tige schwarze Neubau erhielt monolithische Wände aus Leichtbeton.

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­­­­­212 Kunst und Künstler Kunst kommt ins Haus Am 20. September 2009 war es endlich soweit: mit einem Tag der offenen Tür wurde das Museum Biedermann eröffnet. Rund 5.000 Besucher strömten an die- sem Tag, um das renovierte Haus und die erste Ausstellung „Selection – Einblicke in die Sammlung Biedermann“ zu sehen. Wer dabei war, wird den Rundgang nicht so schnell vergessen: keine zugemauerten Fenster, dadurch hat jeder Raum Ta- geslicht und entfaltet eine eigene Poesie. Die ausgestellten Gemälde und Skulp- turen repräsentierten die Vielfalt und Eigenwilligkeit dieser Sammlung, die nach persönlichen Kriterien seit über 30 Jahren unter der sachkundigen Hand von Mar- git Biedermann gewachsen ist. Dabei fing alles ganz klein an: Ihr erstes Bild tauschte sie gegen eine Arm- banduhr und eine Schachtel Zigaretten und fuhr es auf dem Fahrrad nach Hause. Damals war Margit Biedermann gerade mal 18 Jahre alt, die Leidenschaft für die Kunst hat sie seither nicht mehr losgelassen. So sagt sie selbst: „Ich bin sehr neugierig. Andere gehen in ein Restaurant, ich schaue mir Kunst an, besuche Galerien, Ausstellungen, Kunstmessen und Museen. Das hat mich schon immer fasziniert. Ich finde es spannend, wenn etwas Neues entsteht und die Arbeiten eine anhaltende Tiefe besitzen.“ Später, Ende der 1970er-Jahre fing sie an, ihre eigene Sammlung aufzubauen. Damals lebte sie mit ihrem Mann in Berlin und entflammte für die „Neuen Wil- den“, d.h. für die figurative Kunst von Helmut Middendorf und Rainer Fetting. „Wir bekamen eine kleine Finanzspritze und konnten ein erstes Gemälde von Midden- dorf kaufen“, erinnert sich die Sammlerin. Auf das rote Nashorn von Helmut Middendorf, das in der Eröffnungsausstellung zu sehen war, musste sie jedoch noch viele Jahre warten. Was ist zu sehen? Gefragt, wie sie die Werke auswählt, erklärt Margit Biedermann: „Die Arbeit muss besonders sein. Es gibt in mir einen Mechanismus, der sagt: dieses Werk spricht mich an. Natürlich ist mir Qualität sehr wichtig, es muss handwerklich gut ge- macht sein und ich muss lange damit kommunizieren können. Früher musste ich manche Bilder sofort haben, heute lasse ich mir mehr Zeit. Ein Bild muss für mich spannend bleiben, anhaltende Tiefe besitzen und die Sammlung positiv berei- chern, auch neue Aspekte bringen.“ Dabei pflegt Frau Biedermann meist einen engen persönlichen Kontakt mit den Künstlern und nimmt sich viel Zeit für das Gespräch. „Mich interessiert deren Entwicklung. Manchmal ist das eine echte Zusammenarbeit, wie etwa mit dem koreanischen Künstler Jinmo Kang. Wir ken- nen uns schon über 20 Jahre, er hat vor Ort eine Skulptur für das Museum erarbei- tet: Das Porträt eines Kirschbaumes aus Stahlrohren, daneben ist ein massiver Stein als luftiger Umriss nachgebildet. Beide Skulpturen grenzen den Weg zum Park hin ab“, erzählt Margit Biedermann. Seit einigen Jahren sammelt sie auch Arbeiten von jungen Künstlern wie z.B. Stefan Rohrer, Sebastian Kuhn, der Britin May Cornet, Markus Willeke oder Mi- chael Müller. „Mir gefallen vor allem Künstler, die neue Wege gehen. Zu Beginn habe ich mehr Figuratives gesammelt, doch die Tendenz geht in Richtung abstrak- te Arbeiten und Materialbilder“, meint die Sammlerin, die hauptsächlich Gemälde oder Skulpturen erwirbt, oder hin und wieder auch Fotokunst. Blick in Aus- stellungs- raum 3, Werke von Gert Riel.

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­­­­­214 Kunst und Künstler Gesammelt wird Kunst nicht als Investment, sondern nach individuellen Kriterien Am spekulativen Sammeln liegt Margit Biedermann nichts, sie sieht Kunst nicht als Investment, meidet Wartelisten, giert nicht nach bekannten Namen, sondern hat im Laufe der Jahre ihren eigenen Kunstgeschmack kontinuierlich weiterver- folgt. Die gekauften Arbeiten spiegeln ein hohes Maß an Ästhetik, Qualität und geben neue Impulse. Manche großen Sammlungen ähneln einander. In der Sammlung Biedermann gibt es dagegen viel Neues, wie zum Beispiel ungewöhn- liche Skulpturen aus so alltäglichen Materialien wie Styropor, Tafelkreide, Plexi- glas oder Kabel, zu entdecken. Außerdem befinden sich in der Sammlung auch viele Werke von italienischen Künstlern. In Italien existiert eine sehr interessante, junge Kunstszene. Margit Biedermann lernte die römische Schule um Pizzi Can- nella, Nunzio oder den Maler Paolo Serra über einen Galeristen aus Basel kennen. Eine weitere Vorliebe hegt die Sammlerin für die Farbe Schwarz. So fühlt sie sich von Kasimir Malevitschs berühmtem Schwarzen Quadrat wie von einem Ma­ g­ net angezogen. „Danach kommt einfach lange nichts“, meint Margit Bieder- mann und ergänzt: „Schwarz hat eine starke Präsenz, denkt man an die Bilder des flämischen Malers Frans Hals mit den schwarzen Samtkleidern.“ Zu den „schwar- zen“ Kunstwerken der Sammlung gehören beispielsweise David Nash’ oder Nun- zio’s durch Feuer geschwärzte Holzskulpturen, Arbeiten von Gerhard Langenfeld oder Pierre Soulages sowie Fotografien von Martin d’Orgeval. In seiner Serie über die Osterinseln abstrahiert er Landschaft zu fluoreszierenden Flächen aus unter- schiedlichen Schwarzschichten. Eröffnungsausstellung „Selection“ gab Einblicke in die Privatsammlung Die Sammlerin Margit Biedermann sei „unterwegs auf Nebenwegen, gern auch gegen den Trend“, erklärte der Stuttgarter Kunsthistoriker Tobias Wall anlässlich der Eröffnung des Museums. Sie erwirbt Arbeiten, mit denen sie „kämpfen“ muss, die sie nicht mehr loslassen. Der Rundgang dieser ersten Ausstellung bestätigte den Eindruck. Er begann eigentlich schon am Bahnhof, denn die Lichtkünstlerin Chris Nägele hat den Irma Brunnen mit zartgliedrigen, kreisförmigen Gitterstäben umhüllt, die bei Nacht leuchten. Gleich an der Brücke, wenn man in den Museumsweg einbiegt, begeg- net einem ein weiteres Kunstwerk: das aus Spiegeln und Stahl gebaute Ast-Porträt des koreanischen Künstlers Jinmo Kang. Wer sich darunter stellt, tritt automatisch in Dialog mit der Natur. Ein paar Schritte noch und der Besucher betritt das Haus, über dessen Eingang schlicht und einfach das Wort „Museum“ prangt, das am Abend in die Dunkelheit leuchtet und im Foyer angekommen, wird man von wei- teren Lichtarbeiten der Stuttgarter Künstlerin Chris Nägele empfangen. Dann, in der eigentlichen Ausstellung, waren im ersten Raum unter dem Motto „Die Poesie des Materials“ italienische Künstler zu entdecken: die beinahe schwebend ge- malten Kleider samt haptischer Perlenkette von Pizzi Cannella oder die verschie- den großen Kugeln von Luigi Mainolfi, deren Oberflächenstruktur zum genauen Betrachten einladen. Insgesamt rund 50 Werke von 30 verschiedenen Künstlern waren ausgewählt. So war im zweiten Ausstellungsraum unter anderem eine im- mense, berstende Skulptur von Sebastian Kuhn aus entkernten Konzertflügeln­­­­ Blick in Ausstellungs- raum 5, im Vordergrund: „Rollercoaster“ von Stefan Rohrer. Eingangsbe- reich Museum Biedermann mit Lichtinstal- lation von Chris Nägele.

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­­­­­216 Kunst und Künstler zu sehen. Unter dem Motto „Transformationen des Materials“ wurden schwarze Arbeiten aus verkohltem Holz von Nunzio und David Nash sowie zarte Zeichnun- gen von Camill Leberer präsentiert. Daneben galt ein großer Bereich den „Neuen Wilden“. Hier leuchtete das expressive „Nashorn“ auf grellem Rot von Helmut Middendorf neben dessen tief dunkler, lyrisch anmutender Charlottenburger Brü- cke und dem „Van Gogh mit Taschenlampe“ von Rainer Fetting. Dem gegenüber- gestellt waren die „jungen Wilden von Heute“, darunter Stefan Rohrer mit seiner zu einem dynamischen Looping geformten Vespa oder Bodo Korsig mit seinen überdimensional großen Keulen aus Keramik mit dem Titel „Triumph & defeat“. Sehr gute Besucherresonanz Die Leiterin des Museums Simone Jung ist mit der bisherigen positiven Resonanz sehr zufrieden: „Die Besucher verweilen lange und kommen auch gerne zu unse- ren zusätzlichen Veranstaltungen, ob nun Vorträge, Konzerte, Lesungen oder auch Künstlergespräche. Der rege Austausch auf verschiedenen künstlerischen Ebenen ist uns sehr wichtig.“ Auch junge Besucher sind begeistert: „Das ist mal etwas ganz anderes, meistens sieht man nur Bilder im Museum. Hier merke ich, wie viele Möglichkeiten man hat, mit Kunst etwas zu machen“, urteilte die 10-jäh- rige Malena aus Freiburg nach ihrem Besuch der Ausstellung „Auf:bruch – 4 Positionen zeitgenössischer Kunst“, der zweiten Schau im Museum Biedermann. Auch der 7-jährige Jonas war begeistert, besonders von den Skulpturen des Nürn- berger Bildhauers Sebastian Kuhn: „Die haben so schön geleuchtet“. Kinder be- gegnen der modernen Kunst oft unvoreingenommen und sehen daher manchmal mehr als Erwachsene. Auch Matthieu, 10 Jahre alt, erkannte sofort in dem gelben Kreidebild von Reiner Seliger: „Das sieht aus wie eine Landschaft von oben.“ Da musste ihm seine Mutter spontan Recht geben und gemeinsam suchten sie Fluss- verlauf, Auen, Straßen und Häuser. Für die jungen Besucher bietet das Museum Biedermann daher auch ein besonderes und praxisorientiertes Kinderkunstpro- gramm in Zusammenarbeit mit der Kunstschule in Donaueschingen. Und was will die Sammlerin mit ihrem Museum erreichen? Auf diese Frage äußerte Margit Biedermann in einem Interview: „Die Menschen sollen gerne kommen und hier einen Ort der Ruhe und Besinnung finden, um sich auf zeitgenössische Kunst einzulassen. (…) Ich möchte mich nicht mit der Tate Modern oder dem Museum Brandhorst messen, aber es soll nicht provinziell zu- gehen, wir wollen mit neuen Impulsen einen Beitrag zur aktuellen Kunstbetrach- tung leisten.“ Jährlich werden zwischen zwei bis drei Wechselausstellungen zu sehen sein, die thematisch die Sammlung peu à peu in ihre Einzelteile „aufbrechen“ und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ein Museumsbesuch lässt sich wunderbar mit einem Familienausflug verknüpfen. Unweit des Hauses liegen attraktive Ausflugs- ziele wie die Donauquelle. Wanderwege beginnen gleich hinter dem großen Park und inmitten dieser schönen Natur bietet das Museum Biedermann anspruchs- volle Kunst für Herz und Verstand. Ute Bauermeister Blick in Aus- stellungs- raum 4, Werke von Ca- mill Leberer © VG Bild-Kunst, Bonn 2010 und Gert Riel. Jinmo Kang beim Bearbei- ten seiner Außenskulptur „Portrait eines Baumes“ im Juli 2009 neben dem Museum Biedermann. Friedemann Flöther, Schuss in den Himmel, 2005, Gewehrein- schuss auf C-Print auf Stahlblech 160 x 100 cm.

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­­­­­218 Da ist z.B. ein Paar silberner Ohrstecker in Form halber Kelche. Die Metallfläche erscheint nur matt, da sie mit ungleichmäßigen Längsrippen überzogen ist – sie könnte sich wie ein wehrhaftes Schutzschild ausnehmen. Oder stellt sie womög- lich halb geöffnete Fächer dar? Wie war das doch mit der „Fächersprache“ der verflossenen Jahrhunderte, als die Zahl der geöffneten Fächerstäbe dem Gegen- über die Stunde der Verabredung verraten sollte? Signalträchtig oder nicht – Blickfang sind die Schmuckstücke allemal Wohl einen ganz anderen weiblichen Typ könnte dieser Ohrstecker zieren: Gold- draht, der zu drei leicht geschweiften Blättern geformt ist. An einer Einkerbung verbreitert sich das Gold zu einem verkleinerten Spiegelbild der Blatt- form – oder ist es ein Vögelchen, das am Schnabel ein leuchtendes Türkis- dreieck balanciert? Genau unter die- ser streng geometrischen Form ver- birgt sich die Befestigung dieses zarten Gebildes. Wie weit kann ich gehen – welche Seiten eines Typs kann ich betonen? Das sind Entscheidungen, die Regina Rieber ständig zu treffen hat, wenn sie beispielsweise ein Auftragswerk für eine Kundin entwerfen soll. Leicht ­­­­­218 Schmuckdesignerin Regina Rieber Lehraufträge führten die freischaffende Künstlerin aus Furtwangen bis nach Indien Wenn Schönheitssinn und Körperbewusstsein einhergehen mit handwerklicher Perfektion beim Gestalten von Objekten, da versiegen nie die Ideen und wenn dazu noch psychologisches Gespür und Beobachtungsgabe entwickelt sind, kann die Anerkennung als Künstlerin nicht ausbleiben. Die Furtwan- gerin Regina Rieber lebt als freischaffende Schmuckdesignerin in Pforzheim, wo sie einst studiert hat. Prunk und Hochglanz sind ihre Sache nicht, vielmehr versteht sie, auch einfachen Materialien auf viel- fältgste Weise Ausdruck zu verleihen. Ohrschmuck, Eierschale, 2 Brillanten, Hämatit, 925er Silber, 75 x 70 mm Regina Rieber bei der Arbeit im Atelier. Kunst und Künstler

Regina Rieber ­­­­­219 einzusehen, dass sie sich im Gespräch an die Persönlichkeit herantasten muss, um den Charakter, die Vorlieben, die Stim- mungen zu erahnen. Immer lassen Riebers Schöpfungen As- soziationen verschiedenster Richtungen zu. Ein breiter Reif aus mattem, wie abgenutzt wirkendem Edelmetall, aus dem, wie ein Katzenauge, ein Halbedelstein „blickt“, könnte schon die Hand einer fränkischen Fürstin aus dem Mittelalter geziert haben. Ganz anders die Gefäßringe, wie Rieber sie nennt: aus matt gebürstetem oder sandig aufgerautem breiten Metall- reif ragen runde oder ovale Falze heraus, als Rahmen für verschieden farbige Kristalle – Flansch für eine zierliche Rohrleitung? So breit sie auch sind, die Ringe, kaum werden sie die Fingerbewegung ein- engen, denn die voluminösesten sind konisch geformt und geben so, mit der weiten Öffnung nach oben angesteckt, dem Fingergelenk Freiheit. Und wenn schon! Sollte man den Ring doch mal ablegen wollen, kann man sich kein hüb- scheres Schmuckstück am Tisch oder neben dem Computer denken, als so ein kleines „Gefäß“. Souverän spielt die Künstlerin mit klassischen Formen und Materialien, setzt sich hinweg über Traditionen, für die Schmuck in erster Linie teures Metall und kostbare Steine zu präsentieren hat. Im Gegenteil: Ein Acryluntergrund in geometrischer Form hebt die Wirkung einer Perlenbrosche um ein Vielfa- ches und kann den Zusammenklang mit modernen Stoffen und Mustern herstellen und – der Preis und das Gewicht für die Brosche oder das Collier kann viel niedriger bleiben, als bei einem Stück aus massivem Edelmetall. So gar nicht elitär abgehoben nehmen sich Regina Rie- bers Kreationen aus; es wundert nicht, wenn man erfährt, dass sie nicht in ständiger Abgeschiedenheit des Ateliers entstehen, sondern, dass diese Frau immer wieder auf Reisen geht, um Eindrücke aus fernen Kul- turen aufzunehmen, aber auch exotische Materialien zu sammeln. So zeu- gen etliche Objekte von ihrem Aufenthalt in Namibia: Broschen etwa aus silber- nen Kaffeebohnen, oder Straußeneierschalen. Während die in Afrika kultische Funktion haben und traditionell zu Ketten aufgereiht getragen werden, gruppiert Rieber sie zu fantasievollen Formen , die sie frech mit winzigen Federn versieht, damit also dem Betrachter eine Andeutung preisgibt über die Herkunft des Mate- rials. Raffinierte Verfremdungskunst Das Spiel mit Kontrasten war seit jeher bestim- mend für sie. Sie setzt auf den Gegensatz von edel/knallig, unecht/echt, flächig/durchbro- chen. Die Person Regina Rieber selbst wirkt gleichermaßensportlichwiekapriziösschick. Eine Frau ohne Alter, jugendlich in ihren Be- wegungen, für die regelmäßiges Tanzen zum Gefäßring, ­Lemoncitrin, 925er Silber, 23 x 25 mm Brosche, ­­Acryl, Ebenholz, Blattgold, Bril- lant, 750er Gold, 925er Silber, 60 x 40 mm Brosche, Acryl, Hämatit, Bergkristall, Goldcitrin, 925er Silber, 55 x 40 mm

Kunst und Künstler Leben gehört, hat sie doch langjährige Erfahrung und solide Lehrzeiten hinter sich, die sie ständig ergänzt. Wachsaus- schmelzverfahren, z.B., studierte sie intensiv in Nigeria. Fas- ziniert von einer Ausstellung von Bronze-Werken, die sie in Pforzheim gesehen hatte, beschloss sie, einige Monate dorthin zu reisen. Auch Indien war nicht nur ein touristisches Erlebnis für sie: Auf eine Anzeige hin hatte sie sich bei der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) bewor- ben und konnte in den Jahren 1996 bis 98 für jeweils drei Monate in New Delhi leben, wo sie an einer Fachschule für Schmuckdesigner und Goldschmiede unterrichtete. Immer schon hatten ihre Reisen mit Kunst zu tun: Als 16-Jährige trampte sie von Furtwangen nach Paris, wo sie unbedingt René Lalique, den „Papst“ der Schmuckdesigner erleben wollte. 100 DM, so ziem- lich ihre gesamte Barschaft, legte sie an, um dort ein Buch mit Abbildungen seiner Werke zu erwerben. Offensichtlich hat Regina Rieber bereits damals die Faszina- tion von Materialmischungen empfunden, denn Lalique war es, der auf der Welt- ausstellung von 1900 in Paris Aufsehen erregt hatte, indem er neben Edelmetallen und Perlen auch Elfenbein, Schildpatt und Horn für seine Schmuckschöpfungen verarbeitete. Organische Materialien also, die der Ge- staltung organischer Formen entgegen kamen, wie sie im Jugendstil aufkamen. Bemerkenswert übrigens, dass schon zu Laliques Zeiten nur wenige erkannten, dass der Wert eines Kunstwerks nicht allein am Materialwert zu messen ist. Geschätzt wurden damals die „neuen“ Materia- lien wegen ihres exotischen Charmes. Und heute? Ebenholzstückchen werden mit dünnem Goldabrieb aufgehellt, daran hängen, wie reife Waldbeeren, kleine rote Halbedelsteine. Ein Streifen Schlangenhaut wird zu einer Armspange geformt, die mit Kautschukschlingen und Silberkettchen zu schließen ist… Die Fantasie kennt keine Grenzen, erfordert aber auch ständige Erprobung: Wie kann welches Material worauf befestigt werden, wie verhält sich der Untergrund? Im Rieberschen Atelier liegt ständig etwas Verwertbares auf dem Fensterbrett, neben der Heizung oder im Dunkeln, damit ersichtlich wird, wie sich Farbton oder Konsistenz, beispielsweise von Eierschalen, unter Lichteinwirkung verändern. Ebenso unerlässlich wie solches Experimentieren bleibt immer das Zeichnen. Bei allen Anregungen, die sieausfremdenKulturformenschöpft, ist eine präzise Detailzeichnung für jedes Werk unabdingbar. Und Zeich- nen hat sie seit frühester Jugend ge- Halsschmuck, Koralle, Ame- thyst, Vogel- Strauß-Ei, 925er Silber, 45 x 50 mm Gefäßringe, Ebenholz, Elfenbein, Bril- lanten, Blauto- pas, Blattgold, 750er Gold, 20 x 30 mm Armspange, Schlangen- leder, Gold- citrin, Kaut- schuk, 925er Silber, 65 x 30 mm

­­­­­221 lernt. Geboren in Furtwangen als jüngstes der fünf Kinder des Bildhauers Karl Rieber, aufgewachsen in der Wilhelmstraße, war ihr bei- zeiten Kontakt zu künstle- risch tätigen Menschen ermöglicht, ebenso selbst- verständlich Mu­­­­seums- und Theaterbesuche. Damit nicht genug, wurde schon früh auch ihre musikali- sche Begabung gefördert: Bereits vor dem Schul­­­­­eintritt spielte sie Flöte, lernte dann Klavier und sang in Chören. Auch wenn Regina Rieber heute in Pforzheim lebt und arbeitet – zeitweise auch mit Lehrauftrag für Emailiertechnik an der Fachhochschule für Gestaltung, dort, wo sie selbst studiert hat, so ist sie doch zeitlebens in Furtwangen „ge- erdet“. Wer sie je in den Fastnachtstagen mit ihren Schwestern erlebt hat, begreift womöglich erst so richtig die Fantasie und Formenvielfalt, die das Besondere ihrer Werke ausmachen. Am Nachmittag kann sie als „Alte Jungfer“ mit Kapotthütchen und Ridikül zum „Strählen“ ausgehen, um dann am Abend ei­­ nen Lumpen darzustellen, der sich unter die traditionellen oder modischen Masken mischt. Überhaupt, das Verkleiden! Seit der Kindheit bediente sie sich aus der familieneigenen Fastnachtskiste und wurde nicht müde, sich – kostenfrei – aus Stoffen und Lederresten Gürtelchen und Applikationen auf alte Kleidungsstücke zu basteln. In Furtwangen daheim, in Pforzheim tätig – den Weg zwischen diesen Fixpunk- ten am Schwarzwälder „Westweg“, der für Wanderer sieben Tage beanspruchen würde, legt sie oft mit ihrem außergewöhnlichen Automobil zurück, einem silber- nen BMW Oldtimer. Jeder kennt sie in ihrer Heimatstadt, nicht zuletzt der Handtaschen wegen, die sie stets jenseits aller ModetrendsausFamilienschränken aufstöbert und im- mer mit einem winzigen Silber-Anhänger, einem Bollenhut-Püppchen versieht. Diese Portion Kitsch leistet sie sich einfach.Vielleicht, weil sie sich als moderne Botschafterin der Tradition versteht, aus der sie kommt. Elke Schön Ebenholz, 925er Silber, 80 x 10 mm Gefäßring, Lemoncitrin, 750er Gold, 925er Silber, 25 x 20 mm Armspange, Rauchquarz, Kautschuk, 925er Silber, 65 x 30 mm

­­­­­222 11. Kapitel Geologie Boten der Urzeit: Steine Die Gesteine und Böden des Schwarzwald-Baar- Kreises erzählen Ihnen, was in Jahrmillionen ab- wechslungsreichsterErdgeschichtegeschah:Ge­ ­­­­birge türmten sich auf und wurden wieder ab- getragen, Bäche und Flüsse gruben sich in die Landschaft und schlängelten sich durch weite Ebenen, andernorts stieg glühendheißes Mag- ma aus dem Erdinneren auf, Vulkane explodier- ten und spuckten Feuer und Lava, Aschewolken stiegen hoch in die Atmosphäre (wie im Frühjahr 2010 auf Island) und Glutwolken rasten zerstö- rerisch Vulkanhänge hinab. Das Klima veränder- te sich in grauer Vorzeit mehrfach, die Eiskap- pen der Pole schmolzen ab, daraufhin stieg der Meeresspiegel an und Wasser überflutete das tiefer liegende Festland. Saurier trieben ihr (Un-) Wesen, und in den Eiszeiten bevölkerten mäch- tige Mammuts die kalten Steppen. Das klingt wie ein Horrorszenario, dabei ist es – im wahrs- ten Sinne des Wortes – ganz natürlich zugegan- gen, nämlich mit tagtäglichem Fressen und Ge- fressenwerden, Wachsen und Vergehen. Außer- ordentliche Ereignisse (z.B. Einschläge von Ko- meten) haben sich ja nur selten, andere (z.B. Klimaveränderungen) stets sehr langsam, in Hunderten Millionen von Jahren Erdgeschichte abgespielt − ein für uns Menschen kaum zu überblickender Zeitraum. Die Ereignisse lassen sich durch Gesteine, Versteinerungen, Gebirge, Landschaftsformen und Bodenbeschaffenheit belegen und sind auch für den Laien (mit etwas fachlicher Unter- stützung) gut nachvollziehbar. Hitze, Druck und heißes Magma: Gneise und Granite entstehen Heißes Magma nahe unter der Oberfläche des westlichenKreisgebiets,etwaVillingen„onfire“? Nun, so dramatisch ist es heute nicht mehr in dieser Region! Eher müsste es heißen: Villingen „on the rocks“; die Stadt steht auf festem Unter- Mitteilungen aus dem Untergrund Erdgeschichten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis Natürlich geht es hier nicht um eine neue Badische Revolution, nicht um Nachrich- ten aus dem politischen Untergrund, sondern um das, was der Untergrund, also die Gesteine uns mitteilen! Auch wenn Sonne und Schnee, Hitze und Frost, Wasser und Wind lange und heftig daran „geschliffen“ haben, so bestimmt schließlich der geologische Unterbau zu einem ganz großen Teil die Landschaft und ihr heutiges Aussehen! :: Ausflugstipp Besuchen Sie doch einmal das Heimat- und Uhrenmuseum in Schwenningen, im alten Fachwerkhaus in der Kronenstraße 16 ist der Untergrund des Landkreises als Modell mit Ori- ginalgesteinen aufgebaut und kann eingehend studiert werden. Zu sehen sind auch Jura-Am- moniten sowie weitere Versteinerungen. ✆ 07720 / 82-2371 www.villingen-schwenningen.de

Aus dem Kreisgeschehen Der Untergrund, der VS-Villingen ein festes Fundament gibt, ist Hunderte von Millionen Jahre alt. Die Vil- linger Erdgeschichte und die des Schwarzwald-Baar-Kreises hat dramatische Kapitel durchlaufen – auch Vulkane und Ur-Meere gab es hier. Erdbewegungen und Vulkanismus sind längst zur Ruhe gekommen, das Meer hat sich zurückgezogen, die Region erlebt nun eine geologisch ruhige Phase. Und jedes Haus der Zähringerstadt, zumal die gewaltige Stadtmauer oder das Münster, profitieren noch heute von ihr: das Steinmaterial zu ihrer Erbauung stammt aus Steinbrüchen der Umgebung (wie zum Beispiel aus dem Groppertal) – mit dem „eigenen Untergrund“ haben die Villinger ihre Stadt geformt.

grund. Wir müssen keine Angst mehr haben vor vulkanischen Naturkatastrophen! Aber als hier vor über 300 Millionen Jahren Kontinentalplat- ten zusammenstießen, wurden monumentale Gebirge aufgefaltet, Gesteinspakete übereinan- der geschoben, in Teile zerlegt und zerrissen. Eine weitere Folge dieser „Plattenkollision“ war das Abtauchen und Aufschmelzen von Gestein im Untergrund. Dabei wurden zum einen bereits vorhandene Gesteinsmassen durch die dort herrschenden hohen Druck- und Temperaturver- hältnisse verändert, umgewandelt, sie wurden zu Gneisen. Zum anderen führten diese Vorgän- ge zum Aufschmelzen von Gestein: Es bildete sich Magma. Dieses Magma erkaltete sehr lang- sam unter der Erdoberfläche, kristallisierte aus und es entstanden die Granite. Von den hoch aufgetürmten Gebirgen sehen wir heutzutage nichts mehr, sie sind längst zer- brochen, abgeschliffen, abtransportiert in Rich- tung Meer. Bis heute geblieben sind uns Grani- te, Porphyre und Gneise. Sie stellen den „kris- tallinen Sockel“ des Schwarzwalds und der Baar dar, auf dem die zu späterer Zeit gebildeten Ab- lagerungen bzw. Schichten liegen. Die Granite stammen aus einem Erdzeitalter, das man als Karbon-Zeit bezeichnet. Sie haben ein Alter von ca. 330 Millionen Jahren. Die Gnei­ Die Geo-Uhr tickt anders: Hier wird in Millionen, ja sogar in Milliarden Jahren gerechnet! Erdgeschichtliche Zeittafel Erdneuzeit Erdmittelalter Erdaltertum Erdfrühzeit Quartär Tertiär Kreide Jura Trias Perm Karbon Devon Silur Ordovizium Kambrium Präkambrium 2,6 65 144 208 251 296 354 417 443 495 545 4600 Beginn vor Mio. Jahren Entstehung der Erde: vor ca. 4,6 Milliarden Jahren Wollsackverwitterung :: Typische Wollsackverwit- terung, wie man diese Art der Verwitterung nennt, hat auch zur Bildung des Uhufelsens im Groppertal geführt. Er besteht aus (Eisenbacher) Granit; Gra- nite erfahren bei ihrem Aufstieg aus der Tiefe eine Druckentlastung, dazu können weitere Spannun- gen im Gebirge zu einer Klüftung führen, die mehr oder weniger rechteckige Blöcke erzeugt. In diese (Mikro-)Risse und Spalten dringen Wässer ein, die zur Zerstörung führen, z.B. durch Auflösung von Mi- neralen und durch Frostsprengung. Es bilden sich im Laufe der Zeit sackartige Granitblöcke mit zuneh- mend gerundeten Kanten, die man als „Wollsäcke“ bezeichnet. Am Uhufelsen tritt außerdem Schwerspat auf. Die- ser kristallisierte aus mineralreichen Lösungen aus, die einst die Spalten der Felsen durchsickerten. Imposante Granitblöcke :: Wenn Sie imposante Granit- blöcke sehen möchten, die durch eine bestimmte Art der Verwitterung aus dem Gelände herausragen, sollten Sie sich die Schalensteine im Wald bei Schonach ansehen (Weg ist ab Ortsmitte gut beschildert). Gleichartige Ver- witterungsformen zeigen auch die Günterfelsen auf dem Brend bei Furtwangen (Bild). :: Ausflugstipps

­­­­­225 se sind ein wenig älter, tragen jedoch Spuren von alten Gebirgen in sich, die vor mehr als 400 Millionen entstanden, ja sogar bis über eine Mil- liarde von Jahren alt sind, also aus der Frühzeit der Erde stammen. Granitvorkommen sind im westlichen Kreis- gebiet beispielsweise auf dem Brend bei Furt- wangen, im Triberger Raum, Richtung Hammer­ eisenbach und im Groppertal verbreitet. Gneise sind im westlichen Kreisgebiet, be- sonders gut entlang der Straße von Gütenbach Richtung Simonswald und auch im Steinbruch Groppertal zu studieren. Ganz spezielle Gneise, weil hell und dunkel gebändert, stehen im Breg- tal im alten Steinbruch Zindelstein an. Es ist rot und liegt herum: das Rotliegende Ganz im Ernst: Die Bergleute und Geologen ga- ben den Gesteinen der frühen Perm-Zeit diesen Namen, zum einen aufgrund seiner Farbe, zum anderen bedeutet in der Bergmannssprache „das Liegende“, dass ein Gestein an der Basis eines Schichtenstapels liegt. Rotliegend-Abla- gerungen sind für die wirtschaftliche Nutzung eher uninteressant bis auf die vulkanischen Ge- steine jener Zeit, die man zu Schottermaterial Gneise stellen eine Gruppe von Gesteinen dar, die durch hohen Druck bzw. gerichtete Kräfte von einigen Kilobar bzw. Hektopascal und hohe Temperaturen, bis zu 650°C, Umbildungen und Umformungen erfuhren, die als Metamorphose bezeichnet wird. Gneise haben ein „gerichtetes Gefüge“, helle und dunkle Mineralbestandteile wechseln sich lagenweise ab. Noch höhere Temperaturen brachten diese Gneise zum Aufschmelzen und dort, wo das da- durch entstandene Magma langsam in der Erd- kruste abkühlte, entstanden die uns bekannten Granite (oder Granodiorite) des Schwarzwal- des. Einst in 20 oder mehr Kilometern Tiefe aus- kristallisiert, wurden sie von gebirgsbildenden Kräften herausgehoben und von der Ero­ sion in den folgenden Jahrmillionen freigelegt. Granite (von lat.: Granum: das Korn) zeich­­­ net ein rich- tungsloses, körniges Gefüge aus. Porphyre sind vulkanische Gesteine aus Magma, das in Spalten und Risse des Gebirges aus der Tiefe aufgestiegen und dort rasch erkal- tet ist. Ein solcher Gang mit Granitporphyr ist im Steinbruch Groppertal zu bewundern, es gibt solche Gänge mit Porphyren auch an weite- ren Plätzen im westlichen Kreisgebiet sowie recht häufig auch im restlichen Schwarzwald. Porphyre bestehen normalerweise aus einer dichten Grundmasse, in der vereinzelt helle oder dunkle Minerale „schwimmen“. Der Grop- pertäler Granitporphyr ist dagegen schon weiter auskristallisiert. Deshalb sieht er einem Granit sehr ähnlich. Ebenfalls vulkanischen Ursprungs ist der Basalt, aus dem die Vulkanruinen wie z. B. der Hohenstoffeln oder der Hohentwiel im Hegau bestehen. Links Gneis, rechts Granit Links Porphyr, rechts Basaltsäulen Über Gneis, Granit, Porphyr und Basalt Hell und dunkel gebänderte Gneise sind eine Beson- derheit, sie stehen im alten Steinbruch Zindelstein an.

­­­­­226 Geologie brechen konnte, wie z.B. in einem ehemaligen Steinbruch im Hirzwald bei Brigach (mehr dazu weiter hinten). Meist handelt es sich um oft kräf- tig violettrote, sandig-kiesige, z.T. krümelig zer- fallende Ablagerungen, die Bruchstücke vulka- nischer Gesteine und stark verwitterter Granite etc. enthalten können. Das Rotliegende ist eine Untereinheit des Perm-Zeitalters, das von etwa 300 bis 260 Mil- lionen Jahre vor heute dauerte. Dieses war ge- prägt durch weltweit sehr starke vulkanische Aktivität (beispielsweise in Indien, in Russland im Perm- bzw. Ural-Gebiet). Forscher haben Theorien entwickelt, nach denen das große Ar- tensterben am Ende des Perms vom Vulkanis- mus ausgelöst wurde: Von Vulkanen hoch in die Atmosphäre geschleuderte riesige Aschemen- gen sollen zu beträchtlichen Veränderungen, d.h. zu Verschlechterungen des Weltklimas ge- führt haben, sodass viele Tierarten sich nicht mehr ernähren konnten und ausstarben. Nach dieser dunklen Ära, als das Klima sich wieder auf „normal“ einpendelte, entwickelten sich langsam neue Arten. Rotliegend- Sedimente tre- ten im Hirzwald- Gebiet und z.B. auch im Triber- ger Raum auf, sie sind auch im Steinbruch Grop­ pertal unterhalb der Bunt­ sandstein-Schich­ten ­­­­„auf­­geschlossen“(wieGeo­­­­logensagen, d.h., dort treten die Schichten zu Tage, sie liegen an der Erdoberfläche). Wüsten und Wüstenströme: die Buntsandstein-Zeit Der Buntsandstein ist die älteste der drei Stufen der sogenannten Trias-Zeit, die beiden anderen nachfolgenden sind Muschelkalk und Keuper. Das Zeitalter des Buntsandsteins ist geprägt durch eine fast ebene Landschaft und ein meist trocken-heißes Klima, Mitteleuropa war Land- gebiet. Die „bunten“, ro­ ten Sandsteine der Buntsandstein-Zeit wurden vor ca. 250 Millio- nen Jahren von Flüssen abgelagert, die wegen des geringen Gefälles des Geländes oft ihren Lauf änderten und sich durch die Landschaft schlängelten, sie mäandrierten. Daraus resultie- ren die so­­­­genannten Schrägschichtungen, wie sie in vielen Werksteinblöcken am Villinger Münster und an weiteren Gebäuden in der Villin- ger Innenstadt zu erkennen sind. Wenn die Strö- mungen einmal stärker waren, dann brachten sie auch größere Kiesel mit. In Zeiten des Aus- bleibens von Regenfällen, es war schließlich Wüstenklima, begann das Wasser zu versickern, die Flußläufe trockneten aus, die Tontrübe setz- te sich als Lehm ab, es bildeten sich Trockenris- se. Erneute Regenfälle im bergigen Hinterland erweckten die Wüstenflüsse wieder zum Leben, diese rissen die Lehm-Schlammbrocken mit, rollten sie etwas ab und lagerten sie mit Mengen von neuem Sand ein. Dies ergibt die sogenann- tenTongallen,wiesieaufMauersteinenzusehen sind. Die rote Farbe des Sandsteins resultiert Die Burgruine Waldau, gebaut aus Buntsandstein- Quadern. Ein beliebtes Ausflugsziel mit Bauern- wirtschaft, die am Wochenende geöffnet ist. Trias-Zeit Keuper Muschelkalk Buntsandstein

Aus dem Kreisgeschehen aus eingelagerten, quasi „ver- rosteten“ Eisenpartikelchen. Dieser Rost (Eisenoxid) ist Folge des Kontakts des Eisens mit Sauerstoff in der damals oft tro- ckenen, heißen Wüstenluft. Der Buntsandstein war schon in früheren Zeiten ein beliebter Baustoff, weil er zum einen gut gewinnbar, zum anderen gut zu bearbeiten ist. Viele Burgen und Schlösser wurden damals mit diesem Werkstein gebaut (oft wurden auch Brunnentröge daraus gemeißelt), ebenso ist der Buntsandstein an den Stadttoren Villingens und vielen weiteren alten Gebäuden in der Stadt zu sehen. Früher wurden aus bestimmten, harten, verkieselten Schichtpartien Mühlsteine gefer- tigt. Der Schichtenabschnitt Buntsandstein lie- ferte nicht nur hervorragende Werk- und Mühl- steine, sondern auch Sand für verschiedenste Zwecke. Dies war der Grund, bei Sommerau eine Sandgrube anzulegen; man sieht die rötliche Farbe des Bruchs bereits von der Bundesstra- ße 33 aus durch die Bäume schimmern. Dort ist der untere Abschnitt der Buntsandsteinschich- ten anzutreffen, der so gering verfestigt ist, dass er als Sand leicht abzubauen ist. In bestimmten Lagen tauchen zentimeter- bis dezimeterdicke Einschaltungen von Tonsteinen auf, die als Schlammreste von Überflutungen gedeutet wer- den. Als hartes Gestein bildet der Buntsandstein oft lang gestreckte Höhenzüge und ist im Kreis- gebiet zwischen St. Georgen, Königsfeld, Wol- terdingen und bis westlich des Kirnbergsees (Oberbränd) flächenhaft anzutreffen. Viele alte, längst zugewachsene oder verfallene, verfüllte Steinbrüche zeugen vom Abbau und der Gewin- nung dieses Baustoffs in früheren Zeiten. Ab- bauplätze des Buntsandsteins sind z.B. der ehemalige Mühlstein-Steinbruch im Wiesels- bachtal und die Sandgrube Bantle bei Sommer­ au/St. Georgen, die jetzt als Deponie genutzt wird. ­­­­­227 Buntsandstein war schon in frü- heren Jahren als Baustein beliebt, sichtbar z. B. an den Stadttoren Villingens oder wie hier, am Münster in Villingen. Gewon- nen wurde auch Sand, so in der ­­­­Sandgrube ­­­­bei Sommerau. Links: Sogenannte Schrägschichtungen im Buntsandstein. Rechts: Aus Buntsandstein wurde auch die Kuckucksuhr, die Kunst am Bau beim ­Landratsamt geschaffen.

­­­­­228 Aus dem Kreisgeschehen Ein Meer flutete das Land: die Muschelkalk-Zeit Am Ende der Buntsandstein-Zeit veränderte sich dieKüstenlinie,natürlichauchhierimKreisgebiet: Das Land sank relativ ab, bzw. der Meeresspiegel stieg an. Große Teile Mitteleuropas wurden Mee- resgebiet. Solche Überflutungen von Festlandsberei- chen gehen oftmals einher mit einem hohen Nährstoffeintrag ins Wasser, was wiederum be- deutet: Das entsprechende Meeresgebiet wird „eutrophiert“ und kann „umkippen“. Es bilden sich Faulschlammablagerungen am Meeres- grund. Diese später verdichteten, zu Stein ge- wordenen Schlämme wurden z.B. in der Ziege- leigrube zwischen Villingen und Obereschach (Gewann Sommertshauser Halde westlich der ­­­­L 178) früher abgebaut; es sind (verwitterte) schwarzgraue Mergel und Mergelkalke des Unteren Muschelkalks. Das Muschelkalk-Meer war ein recht fla- ches Meer, Schelfmeer, wie z.B. die Nordsee. Ähnlich wie der Persische Golf oder das Wat- tenmeer in Norddeutschland und den Nieder- landen heute, war dieses Ablagerungsgebiet stark von den Gezeiten bestimmt. Das Klima je- ner Zeit war sehr heiß und niederschlagsarm. Da die Landfläche annähernd eingeebnet war, gab es keine Felsenküsten, sondern überwie- gend flache Gezeitenflächen, die sanft ins Meer abfielen. Schlamm- bzw. Schlickwatt- und Sand­ ­­­­­wattflächen wechselten einander ab. Stellenweise findet man an Muschelschalen reiche Schichten; deswegen hat diese Schich- tengruppe einst die Bezeichnung „Muschelkalk“ erhalten. Mit dem Begriff „Muschelkalk“ be- zeichnen Fachleute eine geologische Periode, eine Zeitspanne von 8 Millionen Jahren, die vor ca. 243 Mio. Jahren begann und vor 235 Mio. Jah- ren endete. Kalksteine mit ganzen oder zerbro- chenen Muschelschalen (und weiteren Fossilien) nennt man z.B. besser Schillkalk (oder z.B. ganz fachmännisch: Lumachellenkalk). Die Schichten der Muschelkalk-Zeit be- stehen aus einem ganzen Sortiment von Ge- steinen, z.B. aus Kalksteinen, Mergeln, Mer- gelkalken, Dolomitgesteinen, Gips und Anhy- drit und aus Steinsalzablagerungen. :: Ausflugstipps Steinbruch Riegger, Brigachtal :: Ein Platz oder „Geo- top“, wo man den Muschelkalk erkunden kann, ist der Steinbruch Riegger in Brigachtal. Wer sich hier um- schauen möchte, sollte einen Werktag wählen, sich ent- sprechend kleiden (Schutzhelm!) und sich anmelden an der Waage. Dann viel Spaß bei der Fossiliensuche! Wutachschlucht :: Auch in der Wutachschlucht durch- wandert man die Schichten des Muschelkalks, bereits vor Alt-Dietfurt (Gipsmühle) beginnend bis zum Abzweig in die Gauchachschlucht. Solemar, Bad Dürrheim :: Genießen Sie das Salz des Untergrundes bei einem Besuch des Solemars in Bad Dürrheim!

Aus dem Kreisgeschehen Oben:SteinbruchRieggerinBrigachtal,womandenMuschelkalkerkundenkann.Unten,v.linksoben:EinStück sogenannter „Alabaster-Gips“, weiß-rosa-farbener Gips, aus den Schichten des Mittleren Muschelkalks. Oben rechts: Über den violett-rötlichen Gesteinen der Buntsandstein-Zeit folgen die grau, ockerfarbenen bis weißen Schichten der Muschelkalk-Zeit. Unten: Muschelkalk-Gesteinsbrocken, voller Schalen über- und nebeneinander liegender Muscheln. ­­­­­229

Aus dem Kreisgeschehen ­­­­­230 Im triaszeitlichen Muschelkalk-Meer lebten viele verschiedene Tiere, jedoch haben die meisten keinerlei Spuren hinterlassen; nach ihrem Tod wurden sie „recycled“, also in den Nahrungskreislauf zurückgeführt. Nur Tiere, die Schalen ausbildeten oder im Schlamm ge- wühlt haben, sind in irgendeiner Form erhalten und geben uns einen kleinen Einblick in die ­ Lebenswelt der Muschelkalk-Zeit. Außer den Muscheln oder deren Bruchstü- cken sind noch viele weitere Versteinerungen („Fossilien“) im „Oberen Muschelkalk“ zu fin- den (siehe Abbildungen), vor allem Seelilien, Schnecken und muschel- ähnliche Schalentiere, sogenannte Armfüßer (Brachiopoden), und na- türlich auch die im Volks- mund gerne als „Schne- cken“ bezeichneten schalentragenden Kra­­­­­ kentiere, die man Ce- ratiten nennt. Diese sind dem heute noch leben- den als Perlboot oder Nautilus bezeichneten Tier verwandt, das ebenfalls in einer frühen Form bei uns zu finden ist. Raritäten sind dagegen Korallen, Krebse, Schlangensterne, Saurier- und Fischreste. Die Muschelkalk-Zeit hinterließ große Men- gen an Bau- und Rohstoffen: Tone und Mergel für Ziegeleiprodukte, harte Kalksteine wie der „Muschelkalk“, als Mauerstein oder Schotter (mehrere Steinbrüche im Kreisgebiet), dazu kommen die im nächsten Abschnitt erwähnten Salze. So viel sei verra- ten: Der Muschelkalk ist und bleibt ein span- nendes Forschungs- thema und beliebtes Objekt bei Fossilien- sammlern! Oben links: Seelilienstielglieder, auch Trochiten ge­­ nannt. Oben rechts: Eine der vielen Muschelarten im Muschelkalk: Plagiostoma. (Direkt unterhalb der Mu­­ schel ist ein Seelilienstielglied zu erkennen.). Rechts: Keine Schnecken, sondern Krakentiere: die Ceratiten, typisches Fossil im Muschelkalk. Von der Schale her den Muscheln ähnelnd, jedoch im Inneren anders organisiert: Armfüßer (Coenothyris)

Mitteilungen aus dem Untergrund Hitze und ausgetrocknetes Meer: Woher das Salz kommt Das Muschelkalkmeer bzw. der europäische Kontinent muss damals, vor etwa 235 Millionen Jahren, auf der geographischen Breite Nordafrikas gelegen ha- ben. Das trocken-heiße Kli- ma ließ das salzige Meerwasser verdunsten, eine – vor allem auf den flachen Gezeitenflächen – sehr gefährliche Umwelt für alle Lebewesen, denn wir sind ja bekanntlich auf Wasser angewiesen. Hier konnten nur wenige „Spezialisten“ (wie z.B. Cyanobakterien) überleben. Als nach einer gewissen Zeit der Zufluss vom offenen Meer durch Veränderungen des Meeresspiegels oder Hebungen der verbindenden Landenge annä- hernd lahmgelegt war, dampfte das Meer lang- sam bis zur Salzsole und immer weiter ein. Es bildeten sich zunächst Kalkablagerungen, dann Gips (Sulfate), später auch Steinsalz (mit einzelnen, kleinen Kalisalz-Schichten). Das Eindampfen des Meeres hat also für die Steinsalze gesorgt, die z.B. auch in Bad Dürr- heim zur Sole-Gewinnung aus dem Untergrund dienten. Derzeit wird noch aus zwei Tiefbrun- nen Sole gefördert. Da Steinsalz löslich ist, ist gar nichts mehr von dieser Schicht an der Ober- fläche vorhanden, nur noch teilweise im Unter- grund. Auch der Anhydrit, die wasserfreie Form des Gipses, die sich im Laufe der Gesteinswer- dung bildet, wird durch Wässer abgelaugt, an- dererseits nimmt Anhydrit Wasser auf und quillt, was viele Schäden verursachen kann (Bei- spiel Stadt Staufen im Breisgau oder Autobahn A8: Fahrbahnhebungen bei Deißlingen). Die Ablau- gung des Gipses nennt man Gipskarst, er ist ein Phänomen, das in der Gegend von Bad Dürrheim im Untergrund auftritt und bei Schwenningen z.B. für die Entstehung des Moores (Schwenninger Moos) ursächlich mit- verantwortlich ist. Ägypten im Schwarzwald und auf der Baar: die Keuper-Zeit Bedenken Sie: den Schwarzwald als Mittelge- birge und die Baar, die Schwäbische Alb gab es noch nicht zu jener Zeit, alles war eine große, weite (Fast-)Ebene. Ein großer Fluss, Oasen und Halbwüsten, Salzwatt und Salzseen – fast so wie Ägypten mit dem Nil könnte man sich die Landschaft zur Zeit des Keupers vorstellen (das war vor ca. 235 bis 208 Mio. Jahren). Von Nor- den und Osten strömten Flüsse von einer gro- ßen Landmasse im Norden bzw. Osten (Skandi- navien-Finnland und Böhmisches Festland), die periodisch Wasser, Sand, Schlamm und nähr- stoffhaltige Überschwemmungen brachten. In den überfluteten Gebieten gab es reichlich Pflanzenwuchs, was das „Schilf“, al- so Pflanzenteile als Abdrücke im Schilfsandstein belegen. Das Meer hatte sich inzwischen wieder weit nach Süden in den Raum der heuti- gen Alpen zurückgezo- gen. Aus den Sanden und ­­­­­231 Hier sind einige typische Gestei- ne aus dem Mittleren Muschel- kalk dargestellt: links ein Stück Steinsalz, unten Fasergips, darüber Gips (Anhydrit) aus helleren und dunkleren La- gen und oben ein Stück Ala- baster-Gips. Gut kristallisiertes Steinsalz (Natriumchlorid), das wir auch zum Salzen der Speisen benutzen!

­­­­­232 Geologie dem Schlamm wurden Gesteine wie der Schilf- sandstein und der Stubensandstein (Der brö- selige, leicht zerfallende Stubensandstein diente früher zum Schrubben der Holzdielen, daher sein Name!). Nur wenige Millionen Jahre in der langen Keuperzeit gab es ein Eindringen von Meerwasser in die flachen Becken dieser Landschaft, es bildeten sich Salzseen, die all- mählich eintrockneten und Salze bzw. Gips hin- terließen. Davon zeugen die Gipsvorkommen, wie sie u.a. oberhalb der Wutachmühle und zur Zeit noch bei Deißlingen (außerhalb des Kreis- gebiets) abgebaut und verarbeitet werden, z. B. zu Gipskartonplatten für den Bau. Die Gesteine der Keuper-Zeit sind außer den zwei o. g. Sandstein-Arten überwiegend weichere Gesteine: Gips, Tonsteine und (meist „bunte“, violettrote, leuchtend rote, graue bis bläulichgrüne) Mergel (eine Mischung aus Kalk- und Tonstein). Wer zwischen Bad Dürrheim und der Hirsch- halde oder auf dem Autobahnzubringer A 864/ E 531 zwischen Donaueschingen und Autobahn A 81 unterwegs ist und einmal etwas genauer auf die Böschungen der Straßeneinschnitte und die Bodenfarbe achtet, der kann diese bun- ten Keuper-Mergel entdecken. Auch auf der A 81 in Richtung Stuttgart fährt man immer wieder einmal an solchen „bunten“ Gesteinen vorbei. Im Süden des Kreisgebiets, auf der kleinen Landstraße von Mundelfingen hinunter (in den Nachbarlandkreis) zur Wutachmühle durchquert man ebenfalls die Keuper-Schichten. Gips der Keuper-Zeit wurde an zwei Stellen bei Döggingen abgebaut, zum einen an der Geishalde(aufgelassenerehemaligerSteinbruch), zweitens am offiziellen „Klopfplatz Keuper“ beim Gasthof „Alte Post“, an der alten Land- straße von Döggingen nach Unadingen gelegen. Geringe Erhebungen und meist flache Sen- ken und Ebenen (die Baar!) sind charakteris- tisch für das Verbreitungsgebiet der weichen Keuper-Mergelsteine, wie man sie in einem breiten Streifen etwa von Dauchingen bis Hü- fingen vorfindet. Eine härtere Schicht innerhalb der Keuper- Sedimente ist der „Knollenmergel“. Es ist ein knollig aussehendes Kalk- bzw. Dolomitgestein, das z.B. aufgrund seiner Härte, zu- sammen mit den harten Schwarz-Ju- ra-Kalken die prägnante Geländestu- fe u. a. bei Hochemmingen bildet. Die beiden Keuper-Sandsteine, der Schilfsandstein und der Stuben- sandstein kommen übrigens im Hö- henzug (süd)östlich von Bad Dürr- heim (Kapf und Kapfwald und kurz vor der Hirschhalde) vor. Schilfsand- stein wurde an einigen Stellen auch als Werkstein gebrochen. Klopfplatz Keuper :: Ein wunderschön ge- legener Platz ist der ehemalige Gipsbruch unterhalb von Döggingen, der „Klopfplatz Keuper“ am oberen Einstieg in die Gau- chachschlucht. Hier darf man auf Minera- liensuche gehen, danach kann man Was- sertreten und sich am Grill etwas Leckeres zubereiten. Wassertretbecken und Grill- stelle laden zum Freizeitvergnügen ein! Die Keuper-Schichtenfolge im Landschaftsmodell, zu sehen im Heimatmuseum Schwenningen.

Mitteilungen aus dem Untergrund Ammonitenfriedhof: das Jura-Meer Die Schichten des Unteren Jura, auch Lias oder Schwarzjura genannt, sind vor allem Tonsteine aber auch härtere Kalksteine zu Beginn der Ab- folge. Aus diesen harten, etwa 205 Mio. Jahren alten Kalksteinen stammen auch die in diesen Schichten sehr häufigen, radgroßen Ammoni- ten. Auch wenn im Gebiet von Sumpfohren, Hochemmingen bis Weigheim einmal ein Gra- ben gebaggert oder eine Baugrube ausgehoben wird: Fast immer sind dort Ammoniten­­­­ (-stücke) zu finden! Grund für das „Massensterben“: die schlech- te Belüftung des Meeres! Im oberen Bereich des Unterjura-Meeres existierte zwar reichlich Leben: z. B. schwam- men hier Fische, siedelten Seelilien, lebten Muscheln an Treibholz ange- heftet, schwammen die Ammoni- ten- und Belemniten-Krakentiere und nicht zuletzt waren hier die Fischsaurier auf Fut- tersuche! Dagegen wa- rendieWasserverhält­ ­ nisse am Meeresgrund sehr schlecht. Sauer- stoffarme und schwefel- wasserstoffhaltige Wässer im Bodenbereich des Meeres führten zur Faulschlammbildung und haben Ammoniten und andere Tiere kon- serviert. Diese lebensfeindlichen Bodenwässer waren aber auch der Auslöser für das Massen- sterben: Wenn Sturm- oder Strömungsereignis- se das giftige Wasser in die oberen Wasser- schichten brachten, kam es zu Massensterben, ähnlich wie wenn bei uns im Sommer ein Fluss oder See „umkippt“ und ein Fischster- ben einsetzt. Meeresströmungen sorgten spä- ter dafür, dass die Kadaver bzw. die Schalen zusammenge- schwemmt wurden. ­­­­­233 Das Tal des Aubächle: Von Mundelfingen herkom- mend stürzt das Wasser über eine harte Felskante herab. Diese wird von harten Kalksteinbänken des Schwarzjura gebildet. An diesem geschützten Na- turdenkmal waren vor wenigen Jahren noch gut ein Dutzend Ammoniten (Arietites) im Fels zu bewun- dern, die inzwischen wohl alle von Fossilienjägern „geraubt“ wurden. Einige Ammoniten aus dem Braunjura, mit schön skulpturier- ten Gehäusen.

­­­­­234 Aus dem Kreisgeschehen Solchen Ereignissen haben wir die vielen und vor allem gut erhaltenen Versteinerungen, in Fachsprache: Fossilien, des Schwarzjuras zu verdanken! Tropische Küsten und Meere: die Braunjura-Zeit Wir sprechen jetzt vom Mittleren Jura oder Dog- ger (vor ca. 180 bis 160 Mio. Jahren). In unserer Gegend war es ähnlich wie im nördlichen Ama- zonas-Gebiet in Südamerika, wo der Guyana- Fluss und der Orinoco große Mengen an Schwebstoffen ins Meer transportieren, damit das Wasser eintrüben und den Badespaß ver- derben (übrigens auch den Korallen das Leben unmöglich machen). Mit der Trübe gelangt(e) auch viel Eisen vom Festland ins Meer, das sich als braune Gesteinsfarbe in den Braunjura- Schichten dokumentiert. In bestimmten Schich- ten ist der Eisengehalt so hoch, dass man sie als Eisenerz abbauen kann; der Eisenerzberg- bau von Blumberg zeugt davon! Heutzutage lohnt sich dies jedoch nicht mehr, da die Ge- winnungskosten zu hoch und die Weltmarkt- preise für Eisen in Relation zu niedrig sind. Schwarzgraue Tone gehören auch ins In- ventar des Braunjuras, sie werden z.B. in der Grube bei Tuningen abgebaut und zu gebrann- tem Ton in Kugelform (Blähton) verarbeitet. Blick über die Felder zum Dorf und gleichnamigen Berg: Fürstenberg. Die Blähtonkugeln, als Liapor bekannt, werden aus Tonen (und organischer Substanz) in einem speziel­ len Verfahren gebrannt, z.B. in Tuningen im Liapor- Werk (siehe Seite 36).

Mitteilungen aus dem Untergrund Da die Tone des Schwarzjuras und vor allem des unteren Braunjuras nach langen Regenfäl- len sehr rutschig werden, kommt es immer wie- der zu Rutschungen am Albrand, wie z.B. bei Mössingen im April 1983. Acht Millionen Ton- nen Erde, Felsbrocken und Geröll wälzten sich zu Tal. Ähnlich kam es zum großen Rutsch (und vielen weiteren) im Krottenbachtal, vor allem zwischen Opferdingen und Achdorf. Größere Abbrüche sind schon von weitem am Scheffheu und Eichberg zu erkennen. Hier hat allerdings auch noch die Umlenkung der Wutach dazu beigetragen (siehe Artikel Flussgeschichte, Al- manach 2010). Braunjura-Gesteine sind im Kreisgebiet z.B. auf den Feldern bei Fürstenberg und am Fuße des Höhenzugs „Länge“, an den Abbrüchen im Krottenbachtal, jeweils an den Aufstiegen auf die Schwäbische Alb, z.B. östlich von Tuningen und Ober-/Unterbaldingen und am Fuß von Eichberg, Buchberg und Randen zu finden. Auch diese Schichten sind fossil- bzw. ammoni- tenreich, wie Fundstücke im Heimatmuseum Schwenningen belegen. Und, da sie härter sind als die meisten Unterjura-Gesteine, bewirken sie einen auffälligen Anstieg des Geländes. Typisch sind übrigens die kräftig roten Ackerböden! Urlaubs- oder Saurierparadies?: die Weißjura-Zeit Die Zeit des oberen Juras (vor ca. 160 bis 144 Mio. Jahren), Weißjura oder Malm genannt, spielte sich nur so ungefähr ab wie im Film „Ju- rassic Park“: Zudringliche, räuberische Saurier im Wasser und der Luft machten vielen Lebewe- sen das Leben schwer. Dabei hätte es ein wun- derbares tropisches Ferienziel sein können und hätte viele Touristen angelockt. Uns Menschen, die wir dieses Urlaubsparadies hätten genie- ßen können, gab es jedoch noch nicht auf der Erde. Das hatte einen Vorteil: die Umwelt blieb sauber! So sauber, dass hier Korallen und Schwämme im flachen Meer wuchsen, es gab seichte, warme Lagunen und eine vielfältige Tierwelt. Natürlich sind nur wenige Prozent der Über den bunten Keupergesteinen (links unten) fol- gen Schwarzer und Brauner Jura. Links: Auf diesen leicht zerfallenden Tonen rutschen nach längeren Regenfällen und hoher Durchfeuch- tung die überlagernden Schichten zu Tal. Rechts: Typisch für einen Schichtabschnitt des Braunjuras ist die kräftig rote Verwitterungsfarbe der Böden.

­­­­­236 Geologie damaligen Tierwelt überliefert, nämlich solche, die ein Gehäuse, Schalen oder Knochen hatten, die anderen sind längst in den Nährstoffhaus- halt zurückgeführt worden. Die Kalksteinschichten des Malm enthalten vieleVersteinerungen, angefangenvonSchwamm­ ­­resten, Muscheln und Korallen, bis hin zu Vor- läufern unserer heutigen Tintenfische, den so genannten Belemniten (im Volksmund gerne als „Donnerkeile“ bezeichnet). Vor allem be- geistern immer wieder die vielen verschiede- nen, schön gemusterten Ammoniten jenes Erd- zeitalters. Die harten Weißjura-Kalksteine bilden je- weils die Deckschicht bzw. höchsten Höhen von Fürstenberg, Länge, Eichberg, Buchberg und Randen etc. Völlig aufgelöst: keine Kreide da! Hiermit ist nicht die Schulkreide gemeint, son- dern die Schichten des Kreide-Zeitalters (ca. 140 bis 65 Millionen Jahre vor heute), die z.B. im Alpenraum große Gebirgsstöcke bilden und die auch am Rande des Münsterlandes oder im ­ Pariser Becken wieder als Gesteine des Berg- landes oder im Untergrund zu finden sind. Die „Auflösung“: Es gibt hier im Kreisgebiet keine Ablagerungen aus dieser erdgeschichtlichen Epoche, denn während dieser Zeit hingen Schwarzwald und Vogesen noch zusammen und bildeten eine große Festlandsmasse, die wäh- rend der Kreide- und Tertiär-Zeit der Verwitte- rung unterlag. Am meisten waren dabei die in der vorhergehenden Jura-Zeit abgelagerten Kal- ke und Mergel betroffen, sie wurden teilweise durch (Regen- und Sicker-)Wasser aufgelöst und weggespült und sind nun verkarstet. Übrig blieben bei diesem Prozess nur Lehm und ggf. kleine Eisenknöllchen, die man als Bohnerz im Mittelalter gewann und verhüttete. Es war ein wichtiger Rohstoff, speziell im Gebiet der Schwäbischen Alb, aber auch am Rheingraben- Rand, dem Schweizer Jura bis hin nach Blum- berg und dem Höhenzug Länge. Der Schwarzwald wird abgeräumt: die Tertiär-Zeit Vor etwa 60 Mio. Jahren begann der Rheingra- ben einzubrechen. Das einstmals zusammen- hängende Stück Kontinentalplatte zerriss, Schwarzwald und Vogesen trennten sich, kipp- ten allmählich ein wenig nach Osten bzw. Wes- ten und zwangen so die Bäche und Flüsse, ihren Lauf dieser neuen generellen Neigung an- zupassen. Das führte dazu, dass die damals noch auf den Schwarzwald-Gneisen und -Grani- ten liegenden Schichten nach und nach von diesen „abgeräumt“ wurden. Dieser Abtra- gungsschutt und Flussschotter wurde Richtung Ur-Donau transportiert und stellenweise wieder abgelagert, vor allem im Hegau. Auf den Fel- dern von Riedöschingen z.B. kann man diese Schotter finden, sie bestehen meist aus Jura- Geröllen und werden deshalb als Juranagelfluh bezeichnet. Höllenglut und heiße Quellen: Vulkane und Vulkanismus im Schwarzwald-Baar-Kreis Ebenfalls aus dem Tertiär-Zeitalter stammen die Basalte (und verwandte Vulkangesteine) des Hegaus (die zwischen 11 und 7 Millionen Jahre alt sind). Im südöstlichsten Zipfel des Kreisgebiets gelegen, hat der Schwarzwald- Eisenkonkretionen, ihrer Form wegen als Bohnerz bezeichnet, waren in damaliger Zeit wertvoller Erz- rohstoff, um Eisen zu gewinnen. Sie sind Verwitte- rungsbildungen aus Jura-Gesteinen.

Aus dem Kreisgeschehen :: Ausflugstipp Unternehmen Sie von Riedöschingen, ­ Randen oder Blumberg aus einmal eine Wanderung zum Blauen Stein und machen dort Picknick!

­­­­­238 Geologie Baar-Kreis somit ein Stück dieser vulkanischen Tätigkeit zu präsentieren: den Blauen Stein zwischen Randen und Blumberg. Malerisch und romantisch im Wald gelegen, steht plötz- lich ein mächtiger Basaltklotz vor einem, der Rest eines Lavaflusses, zu Säulen erstarrter, blauschwarzer Basalt. In der Nähe vermutet man den Schlot, aus dem die Lava einst ausfloss und weite Landstri- che bedeckte. Als Folge eines explosiven Vul- kanausbruchs wird von den Fachleuten das Kummenried angesehen, dessen bis zu 50 Me- tern eingesenkte, ovale, etwa 600 auf 400 Me- ter messende Form auf einen Explosionstrich- ter hindeutet, ähnlich dem des Laacher Sees in der Vulkaneifel. Heiße, mineralreiche Quellen traten an eini- gen Stellen im Hegau aus, eine davon bei Ried­ öschingen. Diese Quelle hinterließ einen wun- derschönen Travertin (Quellkalk), der früher einmal (im „Rotsteinbruch“) abgebaut wurde. Hochexplosive Vulkanausbrüche, wie sie 1991 am Pinatubo in Indonesien oder 1980 am Mount St. Helens passierten, haben im Schwarz­ ­­­wald-Vogesen-Gebiet vor knapp 300 Millionen Jahren ebenfalls zu hoch in den Himmel stei- genden Asche-Eruptionen und vom Vulkan- schlund abwärts rasenden Glutwolken geführt. Heutzutage zwar überbaut, beinahe zugewach- sen oder nur noch in Resten zu erkennen, aber es gibt sie auch im Schwarzwald-Baar-Kreis, diese Glutwolkenablagerungen (im Fachjargon als „Ignimbrite“ bezeichnet) und weitere vulka- nische Gesteine, und zwar am Ortsrand Unter- kirnachs und am Kesselberg im Hirzwald, west­­­­ lich von Brigach! Als gut zu Schotter verarbeitbares, hartes Material wurde hier früher ein „verkieselter Tuff“ gebrochen (der aus abgelagerter, durch die Hitze der Glutwolke zusammengebackener, versteinerter Vulkanasche entstanden ist, die durch Quarzlösungen nachträglich verkieselte). In Nachbarschaft des alten Steinbruches im Hirzwald steht ein eindrucksvoller, schroffer Felsrücken, der Lägerfelsen. Er besteht haupt- sächlich aus Quarz, auch etwas Schwerspat Im Riedöschinger Travertin-Bruch: gut geschichteter, oftmals rötlich gefärbter und schön gemaserter Kalk- stein, abgeschieden aus kalkreichen Wässern einer heißen Quelle. Links: Weißer Schwerspat, der in einer Kluft des Gra- nitgesteins von heißen Wässern abgesetzt wurde. Rechts: Vulkanische Gesteine aus dem Hirzwald.

Mitteilungen aus dem Untergrund (Baryt) ist dabei. Diese Mineralien waren gelöst in aufsteigenden Thermalwässern und wurden an den Wänden einer sich langsam, aber stetig weitenden Kluft abgeschieden. Auch diese Mi- neralbildung (Mineralisation) ist eine Folge des Vulkanismus und seiner Resthitze. Noch einige Sätze zum guten Schluss Die Folgen eiszeitlicher Vorgänge waren und sind für uns Menschen von enormer, auch wirt- schaftlicher Bedeutung. Und die Folgen der Kli- maveränderungen erleben wir derzeit selbst, sie reichen vom Abschmelzen der alpinen Glet- scher und arktischen Eismassen, Auftauen des Permafrosts bis zu immer häufiger auftreten- den Wirbelstürmen und anderen Unwettern. Die Auswirkungen von Klimawechseln auf die Lebewelt sind weitreichend, sie können bis zum Aussterben einzelner Arten, ja sogar zum Massensterben führen, wie man aus der Erdge- schichte lernen kann. Aber sie gehören zur Erde dazu, sind ein Teil davon − und das ist sozusa- gen „Geologie live“! Wie Sie nun erfahren haben, hat der Schwarz- wald-Baar-Kreis eine große Bandbreite an ver- schiedenen Gesteinen, Mineralen und Fossilien vorzuweisen. Sie haben gelernt, wie die Land- schaft und ihre Formen mit dem Untergrund verknüpft sind und wie sich die Landschaft in Millionen Jahren entwickelt und verändert hat. Wenn Sie nun im Landkreis unterwegs sind, werden Sie sich bestimmt an viele hier erwähn- te, interessante Details erinnern und bei Ihren Ausflügen und Wanderungen die Heimat mit anderen Augen sehen. Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei! Dr. Bernd Maul Links oben: Der Abdruck eines Am- moniten des Braunjura. Mitte oben: Gesteine aus dem Hirzwald und vom Lä­­­gerfelsen. Neben dem Hammer rechts ist weißer Schwerspat zu er- kennen, rechts unterhalb liegt Quarz, durch Eisen rot gefärbt. Am rechten Rand sieht man Gangbrekzie, links unten Granitporphyr. Rechts oben: Als heller Block gut zu erkennen: der Granitporphyr im Steinbruch Grop- pertal. Mitte: Eine Sammlung z. T. pyri­ tisierter Ammoniten aus dem Lias: Die kleinsten messen 4 Milli- meter im Durchmesser! Unten links: Ammoniten, es sind Stücke von „Pe- risphinctes“. Unten rechts: Der Lä- gerfelsen besteht überwiegend aus „derbem“, massigen, nicht kristalli- siertem Quarz.

­­­­­240 Aus dem Kreisgeschehen Die Triberger Wasserfälle werden mit 163 m Höhe über sieben Steil- stufen als die höchsten Wasserfälle in Deutschland bezeichnet. Dass diese im Schwarzwald und zwar in Triberg zu finden sind und nicht bei- spielsweise in den Alpen, wie man zunächst vermuten könnte, hat eine Reihe von Gründen. Das Werden die- ser Wasserfälle ist ein spannendes Kapitel unserer Erdgeschichte. Begibt man sich von Schönwald nach Tri- berg, so kann man zwei völlig unterschied­ liche Gesichter der Gutach wahrnehmen. Zunächst ist die Gutach ein Wiesenbach, der sich in einem breiten Muldental gemüt- lich dahinschlängelt. Doch dieser verwan- delt sich auf einer Strecke von nur einem ­ Kilometer – eindrucksvoll bezeichnet mit den Flurnamen „Höll“ und „Im Loch“ – zu einem rauschenden Gebirgsbach, eingebet- tet in ein steil abfallendes Kerbtal. Über mächtige Granitstufen stürzt die Gutach nun hinab in den Talkessel von Triberg, formiert sich zu den Triberger Wasserfällen. Einzugsgebiet von 20 Quadratkilometern Das Einzugsgebiet der Wasserfälle beträgt über 20 km². Es ist umkranzt von einem Hö- henzug, der fast durchweg über 1.000 m liegt. Die Höhenunterschiede zwischen der Talsohle und den Bergkämmen liegen kaum über 100 m – ungewöhnlich wenig im Ver- gleich mit anderen Schwarzwaldtälern. Die Gutach oberhalb der Wasserfälle ist ­ in Die Triberger Wasserfälle und deren Entstehung ­­­­­240

Aus dem Kreisgeschehen

­­­­­242 der Höhenlage zwischen 938 und 895 m ü. NN der größte Flusslauf im ganzen Schwarzwald und in ganz Baden-Württemberg. Mit anderen Worten: Das Gutachtal oberhalb der Wasserfälle zählt damit zu den ausgeprägtesten Hochtälern im Schwarzwald. Unterhalb von Triberg hat sich die Gutach tief in ein enges Tal mit über 400 m hohen Flan- ken eingeschnitten. Hierzu bekam sie Verstär- kung zunächst von der Schonach und dem Pri- senbach, und unterhalb von Triberg vom Nuß- bach und Gremmelsbach, um sich dann mit verstärkter Erosionskraft bis auf das Höhen- niveau des Rheins einzuschneiden. Die Lageenergie des Wassers wird auch wirt- schaftlich genutzt, jedoch nicht im Bereich der Wasserfälle selbst, welcher für ein Wasserkraft- werk sicherlich am interessantesten wäre, son- dern oberhalb und unterhalb des touristisch interessanten Teils der Wasserfälle. Dort wird jeweils ein Teil des Wassers der Gutach abge- zweigt, durch eine Druckleitung geleitet und, nachdem es eine Turbine zur Erzeugung von elektrischem Strom angetrieben hat, in das Bachbett zurückgeleitet. Besonders nach star- ken Niederschlägen oder während der Schnee- schmelze kann man an den Triberger Wasser- fällen einen Eindruck davon gewinnen, welche Erosionskraft Wasser entwickeln kann. In der Tat erfolgt der größte Teil der mechanischen Ein- tiefung von Flüssen an wenigen Tagen, und zwar bei extremen Hochwasserereignissen, welche seltener als alle 100 Jahre vorkommen. Während der mittlere Niedrigabfluss am Pegel oberhalb der Wasserfälle bei 138 Liter pro Sekunde liegt, liegt der Abfluss eines Extremhochwassers (HQ100) bei 30.000 l/s (Quelle: LUBW Abfluss- kennwerte Baden-Württemberg). Dennoch hätte ein Wildbach wie die Gutach alleine durch Wasserkraft wohl kaum solche eindrucksvollen Wasserfälle schaffen können. In vergletscherten Regionen tragen die langsam talwärts fließenden Eis- und Geröllmassen von Gletschern in viel größerem Ausmaß zur Erosion bei als die Flussläufe. In der letzten Eiszeit, der sogenannten Würm-Vereisung, welche vor ca. 70.000 Jahren begann, sank die klimatische Schneegrenze zum Höhepunkt der Eiszeit im Be- reich von Triberg auf ca. 900 m. Obwohl das Ein- zugsgebiet der Triberger Gutach lediglich bis 1084 m Meereshöhe reicht, war damit plötzlich ein sehr großes Einzugsgebiet für einen Glet- scher vorhanden, welcher sich in Richtung Tri- berg talwärts bewegte. Damit konnten sich ver- hältnismäßig große Eismassen bilden. Eben- falls vergletschert waren das Schonacher Tal, der Prisen und das Mosental. Hier befinden sich heute ebenfalls kleinere Wasserfälle. Durch die Vereinigung dieser Gletscher in Triberg konnten sich die Eismassen wahrscheinlich noch deut- lich weiter talabwärts bis nördlich von Triberg hinwegbewegen. Ob diese Vereinigung jedoch in der letzten Eiszeit noch stattgefunden hat oder nur in der vorletzten, stärkeren Eiszeit, der Riß-Eiszeit, ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt. Hohe Niederschlagsmengen Entscheidend für die Bildung von Gletschern ist nicht nur die Temperatur und damit die Höhen- lage, sondern auch die Niederschlagsmenge. Ein begünstigender Faktor für die Gletscherbil- dung in der letzten Eiszeit ist die relativ hohe Niederschlagsmenge im Bereich von Triberg. Geht man davon aus, dass während der letzten Die Triberger Wasserfälle im Luftbild – nur aus der Vogelperspektive und wegen der Waldlandschaft auch im Vorbeiflug lediglich für wenige Sekunden, kann man die Wasserfälle insgesamt sehen. Schema- tische Dar- stellung der Triberger Wasser- fälle, Klüftung quer zur Fallrichtung. Die Gesamthöhe beträgt 163 Meter. Triberger Wasserfälle

Aus dem Kreisgeschehen

­­­­­244 Aus dem Kreisgeschehen Eiszeit die Niederschlagsverteilung ähnlich wie heute war, so genügt ein Blick auf die Karte der statistischen Niederschlagshöhen von Baden- Württemberg und man erkennt im Schwarzwald sofort drei Niederschlagszentren, in welchen der mittlere Jahresniederschlag über 1.900 mm liegt. Eines davon liegt im Bereich Schonach/ Schönwald mit Zentrum am Rohrhardsberg, wo über 2.100 mm mittlerer Jahresniederschlag fal- len. Bemerkenswert ist zudem, dass im oberen Gutachtal derjenige Anteil des Jahresnieder- schlags, welcher im Winterhalbjahr gemessen wurde, mit über 56 % besonders hoch ist, höher als in allen anderen Tälern des mittleren Schwarzwaldes. Versucht man, sich die Berghänge beidseits der Wasserfälle ohne Vegetation und Bodenbe- deckung vorzustellen, so erinnern die plattigen Granitfelsen an die Landschaft zum Beispiel am Grimsel-Pass in der Schweiz, wo noch in we- sentlich jüngerer Zeit die Erosionskräfte der Gletscher den Aare-Granit geformt haben. Die Gutach hat sich im Bereich der Wasserfälle eine nur wenige Meter tiefe Kerbe in die Granitplat- ten gegraben. Die glatten Granitplatten lassen sich als Gletscherschliff interpretieren, auch wenn direkte Belege wie Striemung etc. fehlen. Dies spricht deutlich dafür, dass der Bereich des Triberger Wasserfalls in der letzten Eiszeit von einem Gletscher durchflossen war und nicht nur in der vorletzen Eiszeit. Nicht nur an den Was- serfällen selbst, sondern auch am östlich be- nachbarten Prisental oder am westlich benach- barten Wittenbachtal kann man sich einen über eine mit Gletscherspalten zerfurchte Serac-Zo- ne herabstürzenden Hängegletscher gut vor- stellen. Triberg war sozusagen das Grindelwald des Schwarzwaldes. Durch das starke Gefälle war die Fließge- schwindigkeit und Erosionskraft des Gletschers hier verhältnismäßig hoch, was sicherlich we- sentlich zur Vertiefung des Gutachtals bei Tri- berg während der Eiszeiten beitrug. Weitere eis- zeitliche Spuren finden sich im Raum von Tri- berg im Prisental und auf der Adelheid oberhalb der Triberger Wasserfälle. Die besonders steile, im Winter sehr schatti- ge Nordost-Exposition hat es sicherlich begün­ stigt, dass sich Gletschereis unterhalb der Was- serfälle auch weit unterhalb der klimatischen Schneegrenze verhältnismäßig lange halten konnte. Dies führte zur Bildung von Kar-Formen, welche am Bergsee nur unweit westlich der Wasserfälle noch schön zu erkennen sind. Letzter Schliff in Würm-Eiszeit Sicherlich wurde das gesamte Triberger Tal im Wesentlichen bereits in der vorletzten Eiszeit, der deutlich stärkeren Riß-Eiszeit geprägt und erhielt in der letzten Eiszeit, der Würm-Eiszeit, nur noch sozusagen den „letzten Schliff“. Typi- sche Talformen, welche auch im Bereich der oberen Gutach anzutreffen sind und welche auf Vergletscherung hinweisen, sind Trogtäler, Tä- ler mit Hängemündungen und getreppte Täler. Jedoch gibt es im Falle der Triberger Wasserfälle auch noch andere Erklärungsmöglichkeiten als die Entstehung durch Gletscher. Am Beginn des Wasserfalls – die Gutach hat sich im Bereich der Triberger Wasserfälle eine Kerbe in die Granitplatten gegraben.

Aus dem Kreisgeschehen Über lange Zeiträume betrachtet werden Landschaften jedoch nicht allein durch Flüsse und Gletscher, Wind und Wetter (sogenannte exogene Dynamik), geprägt, sondern auch durch Vorgänge unterhalb der Erdoberfläche (endoge- ne Dynamik). Neben der Zusammensetzung und Verteilung der Gesteinstypen spielen Bewegun- gen innerhalb der Erdkruste, die sogenannte Tektonik, eine wesentliche Rolle. Professor Dr. Paul aus Vöhrenbach (1907 – 1996) verglich das Zusammenspiel von Tektonik und Flusserosion bei der Landschaftsentwicklung einmal mit einem Rangierbahnhof. Der Weichensteller ist die Tektonik, nach welcher die Flüsse ihre An- schlussgleise selbst finden. Die gesamte Erd- kruste ist von unzähligen Störungszonen oder Verwerfungen durchzogen, an welchen sich Ge- steinsschollen in meist sehr langen Zeiträumen ge­ gen­ ein­ ander bewegen. Dass solche Bewe- gungen bis heute auch im Schwarzwald statt- finden, zeigt sich an Erdbeben, wie demjenigen, welches sich im Jahr 2004 mit Epizentrum in Waldkirch ereignete. Wasserfälle liegen sehr häufig an besonders harten Gesteinen in Ver- bindung mit Störungszonen. Dies ist auch bei den Triberger Wasserfällen der Fall. Das Gestein der Triberger Wasserfälle wie auch des obe- renGutachtalsbestehtausdem Triberger Granit. Dieses Ge- stein ist im mittleren Schwarz- Bei der oberen Brücke – Sommertag mit kühlem Fußbad in den Triberger Wasserfällen. Am Triberger Bergsee – durch Gletschereis entstanden. ­­­­­245

­­­­­246 wald weit verbreitet. Die guten Aufschlussver- hältnisse sowie die typische Ausprägung in Tri- berg haben dem Granit den Namen gegeben. So können wir Triberg als Typlokalität dieses Ge- steins bezeichnen. Es handelt sich um ein rela- tiv widerstandsfähiges, in unverwittertem Zu- stand hartes, quarzreiches Gestein mit wenig Klüften. Der Triberger Granit im Bereich der Was- serfälle besteht hauptsächlich aus Feldspäten (weiße Masse aus Plagioklasen und farblich un- auffällige, mehrere Zentimeter große, seiden- glänzende Orthoklas-Kristalle), Quarz (ca. 20 %, grau, fettglänzend), dunklem Glimmer (blättri- ge, schwarze Biotit-Kristalle mit Bronzeglanz) und wenig Amphibolen (schwarz, stängelig). Wenn dieser Granit lange der Verwitterung aus- gesetzt ist, bildet sich ein splittförmiger Granit- grus. Die schwarzen, eisenhaltigen Minerale (Biotit und Amphibole) färben das Gestein bei Verwitterung rostrot. Besonders widerstands- kräftige Gesteinspartien wittern ausgehend von vertikalen und horizontalen Klüften schalenför- mig als sogenannte Wollsäcke heraus. Ein eindrucksvolles Bei- spiel sind die Güntherfelsen beim Brend. Im Be- reich der Wasserfälle finden sich ebenfalls gro- ße, runde Gesteinsblöcke. Ein Block mit ein- drucksvoller Größe befindet sich im Bachbett direkt am Eingang der Wasserfälle. Mit ca. 6 m Durchmesser wiegt der Block ca. 100 Tonnen. Dieser Block ist sicherlich nicht als sogenannter Erratiker durch Gletscher entstanden, sondern ein Relikt der gesteinstypischen Wollsackverwitterung, indem die umgebenden, verwitterten Ge- steinsschalen vom Wasser weg- geschwemmt wurden. Kraftvoll stürzt das Wasser des Triberger Wasserfalls in die Tiefe, selbst mächtige Granitblöcke werden glattgeschliffen oder mitgerissen. Einer Windhose am 11. Juli 2008 ist zu verdanken, dass große Teile des Wasserfallgebietes nun wieder einsehbar sind (unten links). Unten: Der weit verbreitete Triberger Granit. Rechte Seite: Besucherplattform am Fuß der Triberger Wasserfälle.

Aus dem Kreisgeschehen

­­­­­248 Aus dem Kreisgeschehen Mächtige Steinblöcke Die wenigen, erkennbaren Klüfte im Fels des Tri- berger Granits verlaufen im Bereich der Wasser- fälle quer zur Fließrichtung der Gutach. Häufig sind sie mit besonders harten, sehr stark quarz- haltigen Ganggesteinen gefüllt. Beides begüns- tigt die Bildung von Wasserfällen. Die Gletscher waren in der Lage, solche Blö- cke als sogenannte Erratiker, unter Umständen weit zu transportieren, um sie dann in Moränen abzulagern. Das Bachbett unterhalb der Was- serfälle ist voll von solchen Blöcken, welche bei Hochwasserereignissen oder bereits während der Eiszeit durch die Gletscher bewegt wurden. Diese Blöcke in Verbindung mit den Einkerbun- gen und Erosionskolken im anstehenden Fels bewirken das eindrucksvolle Strudeln und die Vielgestalt der Wasserfälle, welche bei der Schneeschmelze oder nach längeren Regenfäl- len besonders gut zu beobachten ist. Die Auswirkungen tektonischer Gesteinsbe- wegungen lassen sich im Bereich von Triberg an markanten Störungszonen nachverfolgen. Man- che Störungszonen sind anhand der Gesteine im Gelände und entsprechend in der geologi- schen Karte daran erkennbar, dass jüngere Se- dimentgesteine direkt neben älteren, magmati- schen Gesteinen liegen. Andere lassen sich als Lineament im Landschaftsbild verfolgen, durch Abtreppungen im Gelände oder auffällig gradli- nige Täler oder Hangkanten. Unterhalb von Triberg quert die Kesselberg- Verwerfung das Gutachtal. Sie verläuft in einer Linie ca. Nordnordwest – Südsüdost vom Hirz- wald über den Triberger Bahnhof und weiter über den Haldenhof. Es handelt sich um eine uralte Störungszone, welche bereits vor über 240 Millionen Jahren aktiv war, und innerhalb der letzten wenigen Millionen Jahren wieder re- aktiviert wurde. An dieser Verwerfungszone hat sich die nordöstliche Gebirgsscholle um bis zu 100 m abgesenkt. Durch diese Störungszone ist Die mächtigen Steinblöcke in der Gutach sowie de- ren Einkerbungen und Erosionskolken stammen von gewaltigen Hochwassern und aus der Eiszeit.

Triberger Wasserfälle der Triberger Granit unterhalb von Triberg weni- ger widerstandsfähig und deshalb konnte sich die Gutach hier leichter eingraben und ein solch tiefes Tal bilden. Diese Schwächezone begüns- tigte die rückschreitende Erosion der Gutach von Hornberg bis hin zum Ortskern von Triberg. Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb sich das Gutach-Tal nicht stärker und weiter nach oben bis Schönwald eingetieft hat. Eine Erklärung hierfür ist eine Verwerfung Nordwest-Südost- verlaufend von Schonach über Triberg bis Ho- feck, an welcher die nordöstliche Scholle mög- licherweise bis zu 100 m abgesunken ist (Paul 1963,Paul&Schinke,1997).DiesüdöstlicheFort- setzung dieser Störung ist denkbar in der gera- den Linie des Oberkirnacher Tals. Auch Prisen- bach und Wittenbach sind von dieser Abschie- bung betroffen. Die konkreten Beweise für den VerlaufunddengroßenAbschiebungsbetragdie- ser Störung sind bislang allerdings dürftig. Eine gekippte Gebirgsscholle Prägend für das Landschaftsbild der Oberen ­ Gutach ist auch eine sehr markante Störung im Verlauf des Katzensteigtals und des Prechtals, an welcher die gesamte Gebirgsscholle, auf wel- cher Schonach und Schönwald liegen, gekippt ist, wobei sich der westliche Bereich gesenkt hat und der östliche Teil zu den Wasserfällen hin entsprechend weniger. Dadurch sind das gerin- ge Gefälle von Weissenbach und Schwarzbach und die auffallend sanften Landschaftsformen in diesem Bereich erklärbar. Paul (1963) geht davon aus, dass die pliozän-pleistozäne Tekto- nik der letzten ca. 5 Millionen Jahre für die Bil- dung der Triberger Wasserfälle eine wesentlich stärkere Rolle spielte als die Vergletscherung. Am wahrscheinlichsten ist das Zusammenwir- ken beider Prozesse. Bevor sich das tief eingeschnittene Tal der Gutach gebildet hatte, das war etwa vor 3-4 Mil- lionen Jahren, ist die Gutach nicht zum Rhein, sondern wie viele andere Schwarzwaldfüsse zur Donau geflossen. Vermutet wird ein Verlauf der Gutach in Gegenrichtung des Nußbachs weit oberhalb der heutigen Talsole über die Einsatte- lung der Sommerau zum Sommeraubach. Also war der Oberlauf der Gutach ein Quellfluss der Brigach, welche zu dieser Zeit nicht bei Donau- eschingen, sondern im Bereich von Geisingen in die Urdonau mündete. Ablagerungen dieser Ur- Brigach, über welche auch die Gutach entwäs- serte, finden sich heute noch in Form eines ver- backenen Kieses (Konglomerat, „jüngere Jura- nagelfluh“) südöstlich von Geisingen. Dieser Flussverlauf ist sehr alt und bildete sich bereits nach Rückzug des Jurameeres vor ca. 150 Millio- nen Jahren (Paul 1970). Die erste, wesentliche Eintiefung der Flusstäler erfolgte jedoch erst während der Hebung des Schwarzwaldes vor ­­­­­ca. 30 Millionen Jahren (Oligozän). Die Triberger Wasserfälle sind also das Er- gebnis einer Jahrmillionen alten, spannenden Erdgeschichte. Deren Entstehung lässt sich we- der ausschließlich durch die Eiszeiten erklären, noch ausschließlich durch tektonische Bewe- gungen in der Erdkruste, sondern nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Naturgewalten. Die Geschichte über die Entstehung der Land- schaft lässt demjenigen, der sie betritt und be- trachtet, deren Besonderheiten in neuem Licht erscheinen, und die Erforschung dieser Erdge- schichte lässt Raum für Fantasie. Martin Fetscher Quellenhinweise 1. Handke, René, Eiszeitalter, Bd. 1, 1978 2. Kienzler, Armin, Nahezu unberührte Landschaft, in Hei- matblätter des Heimat- und Gewerbeverein Triberg e.V Jah- resheft 7/2003 3. Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württem- berg/ Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württem- berg, Wasser- und Bodenatlas, Ausgabe 2007, Karte 2.2 A: Mittlere korrigierte Jahresniederschlagshöhe 1961 – 1990, Karte 2.2 B: Anteil des Sommerniederschlags am Jahres- niederschlag 1961 – 1990, 4. Müller, Wolfgang, Triberg, 1995 5. Paul, Willi, Zur Morphogenese des Schwarzwaldes in Jh. geol. Landesamt Baden-Württemberg, 1, 395-427, 1955 6. Paul, Willi, Zur Morphogenese des Schwarzwaldes (IIIa) in Jh. geol. Landesamt Baden-Württemberg, 6, 543-582, 1963 7. Paul, Willi, Zur Fluß- und Landschaftsgeschichte der obe- ren Donau und Baar, in Schriften des Vereins für Geschich- te und Naturgeschichte der Baar, XXVIII. Heft 1970 8. Paul, Willi, Schinke, Karin, Die glaziomorphologische Sonderstellung des Mittleren Schwarzwalds im Jungpleis- tozän, Jh. geol. Landesamt Baden-Württemberg, 36, S. 205- 213 9. Sauer, A., Geologische Karte 1:25000 Blatt Triberg mit Erläuterungen, 1899 ­­­­­249

­­­­­250 Vor zehn Jahren vollzog sich im Linachtal eine kleine Revolution: Martina und Ro- man Braun ­ beschlossen, ihren Betrieb, den Hinterbauernhof, auf biologische Bewirtschaftung umzustellen. Aus ihrer Sicht eine folgerichtige Entwicklung, für die ansonsten eher konservativ einge- stellten übrigen Landwirte der Region allerdings durchaus ein mutiger Schritt. Und dieser hatte Sogwirkung: heute pro- duzieren fast alle Landwirte des idylli- schen Tals Milch für die Bio-Linie der Breisgau-Milch. Angefangen hatte alles aber bereits Mitteder1970-er-Jahre,alsRomanBraun überlegte, ob er den elterlichen Betrieb übernehmen solle. Dieser verfügte da- mals über 17 Milchkühe, ferner wurden Kartoffeln und Getreide angebaut sowie Waldwirtschaft betrieben. Die Größe des Voll- erwerbsbetriebes war für einen Schwarzwald- hof durchschnittlich. Aber: Die Milch aus kon- ventioneller Landwirtschaft brachte damals noch über 80 Pfennig pro Liter ein, wie sich Ro- man Braun gut erinnert. Ein Ertrag, von dem man heute nur träumen kann – und das bei einem Dieselpreis von 30 oder 40 Pfennig. Es war auch deutlich mehr Personal beschäf- tigt, denn neben der Familie selbst gehörte noch eine Magd und deren Sohn zum Hinterbauern- Der Linacher Hinterbauernhof Die Familie Braun hat schon früh mit der Bio-Landwirtschaft begonnen – In den 1970er-Jahren wurde der Hof als Modellprojekt nach historischem Vorbild neu errichtet ­­­­­250 Die Familie Martina und Roman Braun vor zahlreichen Aus- zeichnungen für ihre Zuchterfolge. Mit Sohn Stefan Braun ist auf dem Öko-Bauernhof auch die Nachfolge geregelt. 12. Kapitel Landwirtschaft

­­­­­251 Der Hinterbauernhof hof dazu. Die Milch wurde an die Radolfzeller Molkerei geliefert. Das lag vor allem an der Breg- talbahn: täglich um 8 Uhr fuhr der Zug an der Station Kohlbrücke Richtung ­ Donaueschingen abundnahmdieMilchausLinach mit, die pünkt- lich angeliefert werden musste. Ohne Umbau war ein wirtschaftlicher Betrieb des Hofes nicht möglich 1978 übernahm Roman Braun dann tatsächlich die elterliche Landwirtschaft. Schon zuvor war ihm jedoch klar, dass der Hof umgebaut werden musste, um wirtschaftlich betrieben werden zu können. Das alte Gebäude stammte aus dem 18. Jahrhundert und war um 1740 erbaut worden, aufgrund eines späteren Silo-Anbaus war er aber nicht original erhalten. In diesem Gebäude war zum einen der Wohnteil als auch der Vieh- stall und der Bergeraum für das Winterfutter untergebracht. Eine Sanierung des Gebäudes wäre aber zu teuer gewesen, so dass bald klar war: Es musste ein Neubau gewagt werden. Der alte Hinterbauernhof mit Leibgeding (rechts) aus den 1930er-Jahren. Der traditionsreiche Schwarzwaldhof stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde in den 1970er-Jahren warm abgebro- chen. Der Vergleich mit dem großen Foto unten zeigt, dass der Hof in der Tat im gleichen Baustil neu erstellt wurde.

­­­­­252 Das Land hatte in dieser Zeit einiges in die Forschung zur richtigen Bauform von Schwarz- waldhöfen in Verbindung mit einer optimalen Bewirtschaftung investiert. Ziel war es, moder- ne Technik und eine in die Landschaft passende Hausform zu verbinden. Diese Forschung ist vor allem mit einem Namen verbunden: Ulrich Schnitzer. Der Architekt war überzeugt, dass die über Jahrhunderte gewachsene Form der Höfe auch heute noch ökonomisch sinnvoll sein kann. Er plante folglich auch das Neubauvorha- ben des Hinterbauernhofes. Angelehnt an seine Forsch­un­gen entstand so vor 30 Jahren ein hoch moderner Boxenlaufstall, der sich auch später, als die Umstellung auf eine biologische Produk- tion mit den entsprechenden Vorgaben kam, sehr bewährt hat. Im September 1979 wurde das neue Gebäu- de bezogen. Das alte Gebäude war „warm“ ab- gerissen worden, das heißt, es wurde im Rah- men einer Feuerwehrübung abgebrannt, die günstigste Variante eines Abbruchs, die heute allerdings schon auf Grund der damit verbunde- nen Emissionen verboten ist. „Das mit anzuse- hen, ist der Familie schon sehr schwer gefallen, vor allem all denen, die in dem alten Gebäu- de aufgewachsen sind“, erinnert sich Martina Braun. Der Boxenlaufstall war damals in Linach und weit darüber hinaus eine Sensation, etwas völ- lig Neues. Die Tiere können sich darin frei be- wegen. Heute sind die Brauns froh über diese Investition, denn der Hof ist abbezahlt. Gegen- wärtig wäre es schwierig, einen Neubau zu fi- nanzieren, meint Roman Braun. Denn die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben werde gera­ ­­ de in der Höhenlandwirtschaft immer größer, Geld für Investitionen bleibe kaum übrig, schon gar nicht in der Milchwirtschaft. Heute ist der Boxenlaufstall Standard bei biologischer Bewirtschaftung, er entspricht ei­ ner artgerechten Haltung von Kühen. Dass auch Bedürfnisse von Nutztieren überhaupt erforscht werden, ist übrigens noch nicht so lange her. Bei der Baumaßnahme wurde zudem großer Wert darauf gelegt, dass möglichst viel Holz, das der Landwirt als Eigenleistung in das Ver- fahren einbringen konnte, verwendet wurde. So wurde praktisch das gesamte Gebäude mit Aus- nahme der Fundamente und Böden sowie der Futtersilos als stabilisierender Faktor völlig aus Holz erstellt. Bei der gesamten Bauform wurde auf die einfache Hausgrund- form der alten Schwarzwaldhöfe zurückgegriffen. Die ur­sprüng­li­ che Ständer-Bohlen-Bauweise wurde in heutige Herstellungs- technik umgesetzt. Das fertig errichtete Holzskelett des neuen Wirtschaftsgebäudes, für das ausschließlich Holz aus dem eigenen Wald verwendet wurde. Längsschnitt durch das Wirt- schaftsgebäude mit integrierten Silos und deckenlastigem Heu- stock.

­­­­­253 Der Spiegel: „Ein überzeugendes Beispiel“ Damals jedenfalls war das Vorhaben der Brauns derart neu, dass sogar das Nachrichtenmagazin „DerSpiegel“ineinemBeitragüberlandschafts­ gerechtes Bauen das Linacher Projekt heraus- stellte: „Zweifellos gibt es auch jene Archi­ tek­ ten, die das Kunststück fertigbrachten, ohne geschriebene Gestaltungssatzungen landschafts­ gebunden und doch zeitgemäß zu bauen, sich an traditionelle Grundformen zu halten und gleichwohl einen modernen Ausdruck zu finden. Ihren Bauten haftet nichts Altväterisches an. Ein überzeugendes Beispiel entstand auf den Reiß- brettern der Universität Karlsruhe. Dort unter- suchte Professor Ulrich Schnitzer die Frage, ob das überkommene Steildach für landwirtschaft- liche Betriebsgebäude auch heute noch ange- bracht sei – oder ob seine Verwendung für Neu- bauten nur eine teure, gefühlsbeladene und unpraktikable Reminiszenz an die Vergangen- heit bedeute. Schnitzer errichtete den Hinterbauernhof Furtwangen-Linach, einen Milchviehbetrieb mit 50 Kühen und Jungvieh, in reiner Holzkonstruk- tion und gab für 1.000 Quadratmeter Nutzfläche 650.000 Mark aus. Resultat: Die geometrische Grundform des Schwarzwald­ ho­ fes ist nicht nur aus klimatischen Gründen geboten, sie ist wei- terhin durchaus modern. Die Form ist auch der Funktion in einem volltech­ nisierten Bauernhof dienlich und den flachen Hallenbauten wirt- schaftlich sogar überlegen“. 1992 vollzieht sich bei der landwirtschaftlichen Förderung eine Kehrtwende Über ein Jahrzehnt wurde der neue Hinterbau- ernhof freilich konventionell bewirtschaftet. 1992 vollzog die landwirtschaftliche Förderung Baden-Württembergs jedoch eine Kehrtwende, für die der Begriff „Mekka-Programm“ steht. Nun wurde die extensive Bewirtschaftung unter- stützt, im Schwarzwald war das vor allem die Grünlandbewirtschaftung und der Weidebetrieb. Für viele Betriebe war das nichts grundlegend Neues, markierte aber das Ende eines Intensi- vierungsprozesses gerade in der Milchwirt- schaft. Dieser habe seine Ursache in der Man- gelernährung der Nachkriegszeit gehabt, ist Martina Braun überzeugt. Letztlich gab das neue Förderprogramm für die Brauns den Anstoß, in die ökologische Be- wirtschaftung einzusteigen, die sie ja fast schon praktizierten. „Wir haben gedacht, wir produzie- ren ja eigentlich schon hochwertiges Fleisch und verramschen das auf einem anonymen Markt“, erinnert sich Martina Braun. Hinzu kam, dass der Markt, auch für Schlachtvieh, in dieser Zeit schlecht war. So erfolgte der Einstieg in die Ochsenmast im Weidebetrieb, erst einmal mit zwei Tieren. Heute ist das ein bedeutender Be- Martina und Roman Braun haben in ihrem Öko- Bauernhof erfolgreich auf Ochsenmast gesetzt.

­­­­­254 Landwirtschaft triebszweig des Hofes, zumal das Fleisch direkt vermarktet wird (siehe dazu auch Almanach 2010, Beitrag über Selbstvermarktung). Im Jahr 2000 erfolgte die Umstellung auf „öko“, die Molkerei Breisgau-Milch war damals im Bio-Bereich bereits seit drei Jahren aktiv und auf der Suche nach weiteren Betrieben, denn die Bio-Linie boomte. Bereits seit 1997 wurde die Milch des Hinterbauernhofes nach Freiburg geliefert, die Radolfzeller Molkerei war in Kon- kurs gegangen. „Im Linachtal war das etwas Neues“, meint Martina Braun zu dem Umstieg. Aus der Sicht der Familie selbst war das aber nur das Ende einer konsequenten Entwicklung, die mit dem Neubau des Hofes begonnen hatte und mit dem Schwenk auf extensive Bewirtschaf- tung weitergeführt wurde. Im Jahr 2003 wurde auf dem Dach des Wohn- hauses zudem eine Photovoltaik-Anlage instal- liert, ein Jahr später auf dem Dach des Hofes, wo eine 20-KW-Anlage gebaut wurde. „Das ist für uns ein gutes Zubrot“. Auch eine thermische Anlage gibt es, „das ist eher ein bisschen Luxus“, stellt Martina Braun fest. Denn als Waldbauern stünde dem Hof ge- nug Holz zur Warmwasserbereitung zur Verfü- gung. Doch am Abend nach getaner Arbeit ist es eben praktisch, sich gleich unter die warme ­Dusche stellen zu können, ohne das Wasser erst aufheizen zu müssen. 350 Legehennen liefern im mobilen Hüh­ nerstall begehrte Freilandeier Jüngstes Projekt der Brauns ist der mobile und überaus moderne Hühnerstall, der im Jahr 2009 angeschafft wurde. Die Anschaffung hänge da- mit zusammen, dass Sohn Stefan sich dazu ent- Der mobile Hühnerstall beherbergt ca. 350 Lege- hennen, die die begehrten Freilandeier liefern. Die Eier fallen auf ein Förderband und werden unter an- derem im Hofladen der Brauns veräußert.

­­­­­255 Der Hinterbauernhof schloss, in dem elterlichen Betrieb mitzuarbei- ten, erläutert Martina Braun. Nun galt es, die Grundlage für ein zusätzliches Einkommen zu legen. Stefan Braun hatte in seiner Meister-Arbeit auf der landwirtschaftlichen Schule in Donau- eschingen untersucht, welche Möglichkeiten Landwirte für ein Zusatzeinkommen haben. Die- se Kenntnisse konnte er nun in die Praxis um- setzen und entschied sich für die Legehennen. Vor allem, weil diese seine Arbeitskraft nicht zu- sätzlich lange Zeit beanspruchen. 350 Legehennen liefern die begehrten Frei- landeier, und neben der Direktvermarktung ab Hof werden die Eier auch an einen Bioladen in Villingen sowie den Bioladen in Furtwangen ge- liefert, ferner noch an ein Landgasthaus. Zu Be- ginn war das ein Experiment mit ungewissem Ausgang, mittlerweile ist die gesamte Tagespro- duktion an Eiern meist schon am kommenden Tag verkauft. Ansonsten verfügt der Hinterbauernhof heu- te über 33 Milchkühe, die übrigens in der Hälfte der Zeit gemolken werden wie vor 30 Jahren die 17 Kühe. Ferner gehören 26 Hektar Grünland plus 28 Hektar Pachtfläche zum Hof und schließ- lich noch 43 Hektar Wald, auch dieser ist ein wichtiges Standbein. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für einen Vollerwerbshof im Schwarzwald nicht außergewöhnlich. Was aber macht den Er- folg des Hofes aus? Neben den vielen Standbei- nen, da sind sich Martina und Roman Braun ei- nig, ist es vor allem das Prinzip des „gläsernen Bauernhofes“, den die Familie Braun bietet. Wer immer möchte, kann sich davon überzeugen, wo und wie die Lebensmittel hergestellt werden. Und viele Besucher tun das auch. Etwa, um ein- fach einmal die Ochsen auf der Weide sehen zu können oder einen Blick auf und in den Hühner- stall zu werfen. Dies müsse man ihnen auch er- möglichen, davon sind die Brauns überzeugt. „Die Leute wollen heute einfach einen durch- sichtigen Betrieb und sind dann begeistert, wenn sie alles anschauen können“. Die Verbrau- cher wollen einfach wissen, ob Eier, Fleisch oder Milch so hergestellt werden, wie sie sich das vorstellen und sich davon zu überzeugen, dass sie nicht hinters Licht geführt werden. Das zu ermöglichen, ist der große Vorteil der regiona- len Produktion. Und wer sich einmal davon überzeugt hat, dass alles mit rechten Dingen zugeht, der ist als Kunde gewonnen und bereit, auch etwas mehr für einwandfreie Lebensmittel zu bezahlen. Martina Braun nennt weitere Vorzüge: „Wir füt- tern kein konventionelles Kraftfutter, sondern Biogetreide und sorgen hiermit für mehr Her- kunfts- und Qualitätssicherheit“. Auch sonst verhält man sich sehr umweltbewusst: Die Schlepper der Familie Braun werden mit Biodie- sel betankt. Dieser Kraftstoff ist rußfrei, hat 78 Prozent weniger Schwefelgehalt und einen um drei bis vier Prozent geringeren Verbrauch im Vergleich zum normalen Kraftstoff. Im Landesvorstand des „Bioland“ aktiv Martina Braun hat ihr Engagement nach der Um- stellung auf biologische Bewirtschaftung bis in den Landesvorstand des Verbandes „Bioland“ geführt. Auslöser war ursprünglich ein Einfüh- rungskurs in den Biolandbau in Bad Boll. Aus diesem Engagement resultiert unter anderem auch ihr Einsatz gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft. „Wir als Biolandwirte müssen sicher stellen, dass da kein Tor geöffnet wird.“ Sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat sie auch im Arbeitskreis „Gentechnik – Biopatente“ der katholischen Landvolkbewegung. Unter an- derem hat der Arbeitskreis darauf hingewirkt, dass in Pachtverträge kirchlicher Stellen der Zu- satz aufgenommen wird, dass ein Gen­anbau auf den Flächen nicht gestattet ist. Sie hat sich aber auch vor Ort betätigt und war zehn Jahre lang Mitglied des Linacher Ort- schaftsrates, bevor sie sich 2009 für den Kreis- tag aufstellen ließ und auf Anhieb in das Gre- mium gewählt wurde. Der Hinterbauernhof hat jedenfalls Aussich- ten auf eine gute Zukunft und darauf, dass die Landwirtschaft mit Stefan Braun in der nächsten Generation fortgeführt wird. Dieser engagiert sich übrigens auch politisch: Er wurde mit 23 Jahren im Jahr 2009 in den Ortschaftsrat Linach gewählt und ist zur Zeit das jüngste Ortschafts- ratsmitglied in Furtwangen. Matthias Winter

­­­­­256 „Lindenwirtin, du junge…“, schwärmt indes das Volkslied, doch nicht vor jedem der sieben Gasthäuser haben die Wirtsleute beizeiten da­ für gesorgt, dass den Gästen noch eine Linde Schatten spendet. Wo schöne alte Bäume Man­ gelware sind, sinkt auch der Bekanntheitsgrad der Baumart. Auf Spezialitäten darf der Baum­ freund hier ohnehin nicht hoffen, etwa auf „Lin­ denlauben“ (wie sie etwa im württembergischen Unterland noch vorkommen), auf Bäume mit weit ausladender Krone, deren Astwerk auf ­ hölzernen oder steinernen Säulen ruht und ein weitgespanntes Blätterdach bildet (wie in Neu­ enstadt am Kocher, der Stadt, die einmal „Neu­ enstadt an der Linde“ hieß, ehe der uralte, sich auf siebenundvierzig Säulen ausbreitende Baum 1945 einem Luftangriff zum Opfer fiel). Auch „Tanzlinden“ lassen sich bei uns nicht finden, die in ihrer Krone einen veritablen Tanzboden trugen (wie etwa jene bei Schloss Stetten im Hohenloheschen); wahrscheinlich stand den Baaremern und Schwarzwäldern schon aus kli­ matischen Gründen nie der Sinn nach einem Tänzchen in luftiger Höhe. Nein, bei den wirklich spektakulären Lin­ ­­dengestalten herrscht Fehl­an­ zei­­ge im Landkreis: Weder Otto Feucht, der Ver­ fasser des Schwä­­­­bischen Baumbuchs (1911), noch Ludwig Klein, sein Großherzoglich Badi­ scher Konkurrent (1908), sind hier fündig ge­ worden bei ihrer Suche nach besonders bemer­ kenswerten Baumpersönlichkeiten; auch nicht der Verfasser des 1978 im Auftrag des Landwirt­ schafts- und Forstministers entstandenen ba­ den-württembergischen Baumbuchs . St. Georgener Klosterlinde nur noch virtuell zu bewundern Desto betrüblicher ist der Umstand, dass die einst prominenteste Linde des Landkreises heute nur noch virtuell zu bewundern ist: die St. Georgener Klosterlinde, die bis unlängst noch als ein Wahrzeichen der Bergstadt ge­ golten hat; der Almanach 2008 hat ihr einen Nachruf gewidmet. Noch um die zurücklie­ gende Jahrtausendwende hatte Zuversicht ge­ herrscht, dass das drei- bis vierhundertjährige Naturdenkmal, das einstmals innerhalb der Klostermauern gestanden hat, erhalten werden kann – trotz fortgeschrittener Versiegelung und Umbauung ihres Standorts. Im Jahr 2007 muss­ te der Baum auf Empfehlung eines Baumsach­ verständigen aus Sicherheitsgründen gefällt wer­ den. Die Fällaktion wurde von einem Fotografen festgehalten und ins weltweite Netz gestellt. Im Landschaftsbild des Schwarzwald-Baar-Kreises tritt dieser Baum nicht eben häufig in Er- scheinung. Auch mangelt es an besonders markanten Einzelexemplaren, erst recht an altehr- würdigen Naturdenkmälern. Herrgotts- und Madonnenschnitzer, die auf weiches Lindenholz, das „lignum sanctum“, angewiesen sind, dürften kaum dafür verantwortlich zu machen sein. Eher schon könnte den Linden die alemannische Fasnet nicht gut bekommen sein, der Holzbe- darf der Schemenschnitzer. Dass der Deutschen liebster Baum, der Baum des Gemüts und der deutschen Romantik, auf der Baar und im Baarschwarzwald unterrepräsentiert ist im Vergleich mit anderen Landesteilen, lässt sich auch an den Wirtshausschildern ablesen: Gerade mal sie- ben Lindenwirte lassen sich im regionalen Branchenverzeichnis noch ausfindig machen. Die Linden Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 5) Text und Fotografie: Wolf Hockenjos 13. Kapitel Umwelt und Natur

Baumoriginale – Die Linde ­­­­­257 Das Klosterleben, soviel ist sicher, hatte die Klosterlinde nicht mehr erlebt, waren die Bene­ diktinermönche doch bereits 1536 nach Rott­ weil, beziehungsweise nach Villingen umgezo­ gen, nachdem die Stadt württembergisch und damit evangelisch geworden war. Der Baum soll, so will es die Überlieferung, mehrere Vor­ gängerinnen gehabt haben, darunter auch eine Gerichtslinde, unter welcher der Abt einst noch die niedere, der jeweilige Schutzvogt sogar die hohe Gerichtsbarkeit ausgeübt haben – bis hin zur Verhängung der Todesstrafe. Exekutiert wurde wohl niemand an oder unter Gerichtslin­ den, die ansonsten gar nicht so selten sind im Land: Eine steht noch in Schönau im Wiesental, die uns nächste, die „Kaiserliche Hofgerichts­ linde“, war bis zum Jahr 1940 in Rottweil zu besichtigen. Linden halfen, so sahen es schon Kelten und Alemannen, bei der Wahrheitsfin­ dung. Die Linde als Symbol der Unsterblichkeit Oder handelte es sich bei der St. Georgener Klosterlinde und ihren Vorgängerinnen womög­ lich doch um ein und denselben Baum? Weil Linden besonders gern aus dem Stock austrei­ ben, mehr noch aus „knospensüchtigen“ Ma­­­ ­ serknollen und aus „schlafenden Augen“ im unteren Stammbereich, ist nicht auszuschlie­ ßen, dass die Nachfolgerinnen der ersten Klos­ terlinde nicht etwa gepflanzt worden sind, son­ dern nach dem Zerfall der altersschwachen Stammruine jeweils von unten wieder aus­ getrieben haben, genetisch also miteinander identisch waren. Weil hinter Klostermauern das Jenseits im Mittelpunkt steht, taugten Linden den Klosterinsassen aufgrund der Fähigkeit, im­ mer wieder neu auszutreiben, als Symbole der Unsterblichkeit, als Ewigkeitsverweis. Heißt es doch schon im alttestamentlichen Buch Hiob: „Ein Baum hat Hoffnung, wenn er schon abge­ hauen ist, dass er sich wieder erneue, und seine Schösslinge hören nicht auf. Ob seine Wurzel in der Erde veraltet, und sein Stamm in dem Staub erstirbt, so grünet er doch wieder vom Geruch des Wassers, und wächst daher, als wäre er erst ge­ pflanzt. Aber der Mensch stirbt und ist dahin…“ Am 21. Juni 2007 wurde in St. Georgen durch städti­ sche Waldarbeiter die 400 Jahre alte Klosterlinde gefällt. Fotos: Günther Unrath

Umwelt und Natur So mag es zwar für den Bürgersinn der St. Georgener sprechen, dass am alten Platz wieder eine neue Linde gepflanzt wurde; doch mit der „Unsterblichkeit“ war es damit vorbei. Wie sich auf den Internet-Fotos die Krone der alten Klosterlinde dem Betrachter präsentiert, wäre der Baum allemal noch in der Lage ge­ wesen, nach seiner Einkürzung auf eine die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht mehr gefährdende Höhe erneut auszutreiben. Wo immer man ihnen das Gnadenbrot ge­ währt, können Linden steinalt werden. Mit ih­­­ren dann zumeist zerklüfteten und hohlen Stäm­ men gehören sie (nebst den „tausendjährigen“ Eichen) zu den dickleibigsten und langlebigs­ ten Bäumen des Kontinents, auch wenn sich zur Altersermittlung im (hohlen) Stamminneren längst keine Jahrringe mehr ablesen lassen. Ba­­ den-Württembergs dickster Baum, mit seinem Umfang von über zehn (!) Metern, ist die Dorf­ linde von Hohenbodman im Bodensee-Hinter­ land. Hörnlishof- und Fürstenberglinde Im Innern hohler Lindenstämme finden sich nicht selten „Luft-“ oder „Adventivwurzeln“, die aus der Krone durch den mit Mulm gefüllten Hohl­ raum in den Boden wachsen. So auch ansatzwei­ se in der Hörnlishoflinde, der mit immerhin sie­ ben Metern Stammumfang stärksten Linde des Land­­­­­kreises. Das geschützte Naturdenkmal steht in Königsfeld, etwas abseits des Hörnlishofs, auf dessen Feld im Jahr 1804 – geduldet vom württembergischen König – die Herrnhuter ihre neue Brüdergemeine gründeten. Der gedrunge­ ne, un­­­­­ter dem Gewicht der Krone auseinander klaffende Stamm ist längst vom Baumchirurgen ver­­­­ klammert und vergittert worden. Auf der Bank im Schatten der ausladenden Baumkrone, in der es im Sommer summt und zwitschert, pflegen sich Anwohner und Baumfreunde aus­ zuruhen, und es bleibt zu hoffen, dass einst­ weilen niemand auf die Idee verfällt, die Verweil­ risiken dort als nicht mehr hinnehmbar zu be­ gutachten. Vom Baumchirurgen noch gänzlich unbe­­han­­­­­ delt zeigt sich nahe dem Ort Fürstenberg die mit 6,40 m Stammumfang nicht viel schmäch­ tigere, zweifellos formschönste Feldlinde des Land­ kreises. Der wohl kaum über 250-jährige, als Naturdenkmal geschützte Baum scheint noch kerngesund zu sein trotz seiner Dreistämmig­ keit, wo doch Gabelungen als besonders anfäl­ lig gelten für die Angriffe der Fäulepilze. Einzi­ ger Schönheitsfehler des prächtigen Baumes ist der Umstand, dass er nur knapp verfehlt wird von der Trasse zweier Hochspannungslei­ tungen. Als ob die der Planer nicht auch ein paar Schritte seitwärts hätte verschieben kön­ nen in der Weite der Baar, denkt sich der Baum­ freund! So aber mussten unlängst, im Beisein eines Vertreters der unteren Naturschutzbehör­ de, der Krone einige Äste entnommen werden, auf dass bei Nässe nur ja nicht der elektrische Funke überspringe. Man darf sicher sein, dass in der Wiedervorlage-Mappe des Netzbetreibers der nächste Operationstermin bereits vorge­ merkt ist. Woraus ersichtlich wird, dass Baum­ Hörnlishoflinde in Königsfeld.

Baumoriginale – Die Linde Im Spiel der Jahreszeiten – Feldlinde bei Fürstenberg. ­­­­­259

Umwelt und Natur originale auch in der freien Landschaft weniger durch Bös­ willigkeit als durch Unachtsam­ keit und fehlendes Gespür für landschaftsästhetische Reize ge­­­­­­­­ fährdet sind. Wer nach dem Nutzen einer Feldlinde fragt, der sei darauf verwiesen, dass das Weidevieh seit alters her unter ihr Schatten und Wetterschutz findet. Ob freilich das Verweilen dort dem „Turborind“ von heute noch gegönnt wird oder ob der Land­ wirt den Baum lieber heute als morgen beseiti­ gen würde, weil sein Vieh darunter nur döst und wiederkäut anstatt zu weiden und Milch zu produ­ zieren, das ist nicht ausgemacht. Als ob sich die „Wellness“ des Weideviehs am Ende nicht auch auszahlen könnte. Älteste Linde des Landkreises steht in Heidenhofen Eine Linde sogar im Wappen führt das 1250jäh­ rige Dorf Biesingen, jetzt ein Stadtteil von Bad Dürrheim. Was auch als besondere Verpflich­ tung gegenüber dieser Baumart verstanden werden könnte. Doch von wenigen Straßen­ randbäumen abgesehen, halten wir hier ver­ gebens nach Linden Ausschau, im Ortsetter wie auch in der Biesinger Feldflur. Vielleicht kommt ja jemand auf die Idee, aus Anlass der Jubiläumsfeierlichkeiten doch auch noch eine Linde zu pflanzen. Dafür werden wir auf den Nachbargemarkungen großzügig entschädigt: Die nach dem Abgang der Klosterlinde älteste Linde des Landkreises schmückt die Hilariuskirche in Heidenhofen. Stimmen die Angaben auf einer Hinweistafel neben dem mit einem Umfang von 4,35 m nicht einmal besonders starken Baum, so wurde er im Jahr 1670 gepflanzt. Zwei schwächere Feldlinden umrahmen westlich von Unterbaldingen inmitten einer aus­ geräumten Feldflur weithin sichtbar ein schlich­ tes Feldkreuz. Aus der Ferne hat es den An­ schein, als seien die Kronen der beiden Bäume mit ihrem filigranen Astwerk zu einem einzigen herzförmigen Gebilde verwachsen. Wie denn bei den Linden fast alles Herz­ form aufweist: die Krone (insbesondere jünge­ rer Bäume), das herzförmige Wurzelwerk, erst recht die Form des Lindenblattes. Vielleicht liegt es auch daran, dass uns die Linde, von der eher düsteren Gerichtstradition einmal ab­ gesehen, so zu Herzen geht: als Baum der In­ nerlichkeit, in heidnischer Zeit einst der wahr­ sagenden Göttin Freya geweiht, nachfolgend der Gottesmutter Maria. Unterm Lindenbaum – am Brunnen vor dem Tore – fanden sich die Verliebten, hier spielte die Musik auf, gedieh auch der Dorfklatsch. Doch Herz reimt sich nun mal auf Schmerz, und so steht die Lin­ de eben auch für Liebesschmerz und Heimweh, für die unstillbare Sehn­ sucht nach heiler ländlicher Idyl­ le, gar für Weltschmerz. Gegen Schmerzen aller Art aber, nicht etwa nur gegen Erkältungen, hilft Winterlinde vor der Hilariuskirche vonHeidenhofen(sieheauch S.50). Feldlinden bei Unterbaldingen

der krampflösende und entzündungshemmen­ de Lindenblütentee, so verspricht es jedenfalls die Volksheilkunde. Als Hofbäume besonders beliebt Vom Balsam für die Seele und von sonstigen Heilwirkungen abgesehen: als Bienenweide ver­ half die Lindenblüte der Baumart zum Ruf des „Brotbaumes“ der Zeidlerei. Noch unverzicht­ barer als der Lindenblütenhonig war der feinfa­ serige Lindenbast, der seit unvordenklicher Zeit zu Schnüren und Flechtwerk verarbeitet wurde. Und weil ihr leicht zersetzliches Laub not­­­­ falls auch verfüttert und als Stallstreu verwendet werden konnte, weil der Baum auch als Blitzab­ leiter fungierte, sind Linden besonders beliebt als Hofbäume: Wir finden sie vor allem längs des Schwarzwaldrands, so auf der Gemarkung Buchenberg. Ein Bauernhof, der etwas auf sich hält, schmückt sich hier mit einer Linde. Zu be­ sichtigen etwa auf der Passhöhe des Brogen, wo schon die Römer durchgezogen sein sollen: Immerhin knapp sechs Meter Brust­­­hö­hen­um­ fang umfasst eine Linde unmittelbar an der Hocheinfahrt, ein prächtiges Hofbaumensemb­ le mit Linde (sowie einer noch deutlich stärkeren Eiche und einer Esche) schmückt den Burgba­ cherhof. Weil Linden schon immer auch eine sakrale Bedeutung hatten, finden wir sie bevorzugt an Kirchen, an der Donaueschinger Stadtkirche St. Johann ebenso wie in Heidenhofen oder in Hau­ sen vor Wald, desgleichen auf Friedhöfen. Be­ sonders bemerkenswert ist die stattliche Bu­ chenberger Friedhofslinde knapp oberhalb des frühromanischen Nikolauskirchleins und neben dem einstigen Gasthaus zur Linde. Zwar ist der Buchenberger Friedhof längst verlegt worden, auf seinen vormaligen Standort verweist jedoch unübersehbar (mit einem Umfang von 5,70 Me­ tern) das geschützte Naturdenkmal der Fried­ hofslinde. Oben: Friedhofslinde am Buchenberger Nikolaus­ kirchlein. Unten: Lindenallee bei Wolterdingen.

Umwelt und Natur Weite Verbreitung erfuhren die Linden auch auf der ansonsten eher baumarmen Baar als Alleebäume, wenngleich reine Lindenalleen, so prächtig sie das Landschaftsbild zu bereichern und zu gliedern vermögen, inzwischen Selten­ heitswert haben. Weil die mobile Gesellschaft sie heute mehr fürchtet als achtet, existieren Alleen (oder Reste davon) meist nur noch längs nachrangigen Ortsverbindungs- und Kreissträß­ chen: So am Sträßchen von Wolterdingen ins Beckhofer Tal, ein Stück weit an der Kreisstraße von Wolterdingen gegen Hubertshofen hinauf oder auch von Neudingen nach Fürstenberg. Die im Landschaftsbild der Baar auffälligste aller Alleen führt bei Föhnwetterlagen vor dem gleißenden Hintergrund des Ber­­ ner Oberlan­ des über den freien Rücken hinweg von Hausen vor Wald nach Döggingen. Sie besteht zwar nur noch zu Teilen aus Linden, ansonsten aus Eschen, Spitzahorn und Eichen; doch im Zuge der Ersatzpflanzungen erinnerte man sich in jüngster Vergangenheit erfreulicherweise auch wieder der Linde. Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass an den Straßen zumeist auffallend klein­ blättrige Linden Verwendung gefunden haben. Was uns darauf hinweist, dass wir es in Wahr­ heit mit zweierlei Lindenarten zu tun haben: mit der kleinblättrigen Winterlinde (Tilia cordáta) und der deutlich größerblättrigen Sommerlinde (Tilia platyphýllos). Der Umstand, dass Schwarz­ wald und Baar zu den klimatisch rauen und wintrigen Gegenden Deutschlands gehören, darf freilich nicht zu dem Fehlschluss verleiten, es könnten hier nur Winterlinden gedeihen. Im Ge­ genteil: die Hoflinden bis hinauf in den monta­ nen Schwarzwald sind in aller Regel Sommer­ linden. Während die in ihrem Wuchs meist ge­ drungeneren bestes Schnitzholz liefernden Win­­­ terlinden eher in sommerwarmen Eichen-Hain­ buchen-Wäldern zuhause sind, be­­­­vorzugen die Sommerlinden bodenfrische Schluchtwälder: in Mischung mit Ahorn, Esche und Ulme finden wir sie in den Steilhängen der Wutachflühen, sehr vereinzelt auch in den Blockhalden des Schwarzwalds. Sommer- oder Winterlinde? In der Streitfrage, welcher der beiden Lindenar­ ten die mächtigeren und älteren Solitärbäume zuzuordnen sind, sind sich die Experten er­ staunlich uneinig. Schon der (oben zitierte) Bo­ tanikprofessor Ludwig Klein konnte sich kei­­­­nen rechten Reim daraus machen: „Auffällig, wenn auch wohl nur Zufall ist es, dass die stärksten Dorflinden im nördlichen Teile von Baden alle Winterlinden, im südlichen mit einer Ausnah­ me…alle Sommerlinden sind.“ Die allerstärkste Linde des Landes, jene von Hohenbodmann, ist eine Sommerlinde. Desgleichen die stärkste des Schwarzwald-Baar-Kreises, die Hörnlishoflin­ de. Wohingegen die Heidenhofener Linde eine Winterlinde ist, ebenso wie zu ihren Lebzeiten die St. Georgener Klosterlinde. Unstrittig ist, dass das natürliche Verbreitungsgebiet der Win­ ter­ linden sehr viel weiter nach Nordeuropa hinauf reicht als jenes der Sommerlinden, die es auf ihrer nacheiszeitlichen Wanderung nicht über die norddeutsche Tiefebene hinweg geschafft haben. Stockschlägige Sommerlinde im Schluchtwald der Wutachflühen.

Baumoriginale – Die Linde Die Blattgröße allein ist leider kein untrüg­ liches Unterscheidungsmerkmal. Zur eindeuti­ gen Bestimmung der beiden Arten müssen wir das herzförmige Lindenblatt nochmals genauer unter die Lupe nehmen: Am Stielansatz des klei­ neren, unterseits eher blaugrünen Winterlin­ denblattes findet sich zumeist ein gelbliches Bärtchen, dasjenige auf der Unterseite des grö­ ßeren, eher hellgrünen Sommerlindenblattes ist weißlich gefärbt. Verkompliziert wird die Un­ ­ terscheidung, weil auch Bastardisierungen nie ganz auszuschließen sind, obwohl Winter- und Sommerlinden zeitlich versetzt zu blühen be­ ginnen. Beide Lindenarten (dazu die aus Südost­ europa stammenden Krim- und Silberlinden) finden sich regelmäßig in Parks und städti­ schen Grünanlagen. Linden erweisen sich in ihrer Jugend als erstaunlich frosthart, überdies als Beschattung ertragend. Weshalb sie in der Forstwirtschaft zuweilen auch als „dienende Holzart“ den Nadelbaumkulturen beigemischt worden sind. Um die vorletzte Jahrhundertwen­ de, als in den forstlichen Hochschulen noch das Fach „Waldschönheitslehre“ auf dem Lehrplan stand, pflegte man aus „forstästhetischen“ Gründen vor allem in stadtnahen Erholungs­ wäldern längs der Spazierwege Winterlinden zu pflanzen. Reste solcher Alleen und Chausseen sind etwa noch im stadtnahen Erholungswald Buchberg der Stadt Donaueschingen zu entde­ cken. Innerstädtisch säumen kleinblättrige Win­ terlinden den Flusslauf der Brigach. Nach der letzten Eiszeit sind im Altsiedel­ land der Baar, zeitgleich mit den ersten Sied­ lern, nebst Eichen und Ulmen auch die Linden eingewandert. In jener Zeitspanne, um das Jahr achttausend bis sechstausend v. Chr., in der sogenannten Eichenmischwaldzeit (dem Atlan­ tikum), herrschten hierzulande auffallend mil­ de Klimaverhältnisse, Jahresdurchschnittstem­ peraturen, die um zumindest zwei Grad Celsius über der heutigen lagen. Um eben diese zwei Grad wird, wenn es nach den Vorstellungen der Klimapolitiker geht, die Welttemperatur bis zum Jahr 2050 noch ansteigen dürfen. Die Linden jedenfalls werden sich dann erst so richtig wohl bei uns fühlen. Baumensemble mit Linde, Eiche und Esche beim Burgbacherhof (Buchenberg).

­­­­­264 Umwelt und Natur Frühblüher unter den Orchideen Wenn im April in der Rheinebene und am Bo­ densee die Kirschbäume schon in voller Blü­ te stehen, überwiegen auf der Baar noch die trostlosen Farben abgefallener Blätter und abgestorbener Grä­ ser. Aber Anfang Mai setzen auch hier die Frühblüher unter den Pflanzen farbige Akzente in die Landschaft. Einige davon sind Orchideen. Violette Farbtupfer auf der Mühlhauser Halde oder am Tannhörnle bei Villingen erwei­ sen sich beim nä­ heren Hinschauen als Blüten des Klei­ nen Knabenkrauts. Eine systematische Zählung zu Beginn der 1990er Jahre ergab, dass 3.200 Exemplare dieser seltenen und bedrohten Orchideenart am Tannhörnle blühten. Darunter waren vier weiß blühend. In den letzten Jahren ist dieser beeindruckende Bestand leider etwas zurück­ gegangen. Die blassgelben Blüten, die man ebenfalls schon Anfang Mai im noch lichten Buchenwald am Südhang des Buchbergs bei Blumberg ent­ decken kann, gehören dem Blassen Knaben­ kraut. Die Pflanzen nutzen das Licht, das zu dieser Jahres­ zeit den Waldboden noch erreicht, für ihr Wachstum und ihre Ent­­­­­wicklung. Zur glei­­­­chen Zeit blüht dort am Waldrand und in den davor lie­ genden Wiesen auch das rot bis violett blühende Stattliche Knabenkraut. Rot und violett sind ver­ breitete Farben der Blüten unserer Or­ chideen. Die Farbe gelb ist selten. Beim Holunderknabenkraut, das Mitte Mai in voller Blüte steht, treten allerdings rot- und gelbblühende Exemplare nebeneinander auf. Diese Art gehört zu den wenigen Orchideenar­ Kleines Knabenkraut Orchideen im Schwarzwald-Baar-Kreis Aktuell sind im Schwarzwald und auf der Baar 34 Orchideenarten nachweisbar Man kennt Orchideen aus Gewächshäusern und aus Blumenläden und vermutet, dass diese „fremd-schönen“ Blumen in tropischen Ländern beheimatet sind. Aber fast über die ganze Er- de sind Orchideen verbreitet. Weit über 20.000 verschiedene Arten sind es weltweit, wobei die meisten Arten in den Tropen vorkommen. In Europa sind etwas mehr als 200 Arten zu finden. Rund 60 Arten beheimatet Deutschland. Im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden aktuell 34 Orchi- deenarten nachgewiesen, wobei diese etwas ungleich verteilt sind: Im Bereich des Schwarz- waldes sind Orchideen als eher selten einzustufen, die Böden auf Granit und Buntsandstein bieten nur wenigen Arten geeignete Lebensbedingungen. Ganz anders sieht es auf der Baar und der südwestlich gelegenen Baaralb aus: Die kalkreichen Böden auf Muschelkalk, Keuper und Jura bieten hier günstige Wachstumsbedingungen für eine Fülle von Orchideenarten. Blasses Knabenkraut

Orchideen im Schwarzwald-Baar-Kreis ten, die Silikatböden bevorzugen. Eine exten­ siv bewirtschaftete Bergwiese bei Furtwangen dient dem in Baden-Württemberg sehr stark gefährdeten Holunderknabenkraut als letztes Refugium. Kleinodien der Magerrasen Eine ganze Reihe der bei uns vorkommenden Orchideen hat ihren Ursprung im Mittelmeer­ raum, der für viele wärmeliebende Pflanzenar­ ten Überlebens- und Rückzugsgebiet während der Eiszeiten war. Nach der letzten Eiszeit sind sie von dort entlang der Donau aus Südost und der Rhone folgend über die Burgundische Pfor­ te aus Südwest bei uns eingewandert. In meist südexponierten Magerrasen finden diese Arten ihnen zusagende Lebensräume mit viel Wärme, viel Licht und kalkreichen Böden. Solche Stand­ orte sind meist auch trocken und nährstoffarm. Wir finden sie bei uns vor allem im Südosten des Landkreises im Bereich der Baaralb und im Wutachvorland. Die Gegend um Blumberg ist bekannt für ihre Magerrasenbiotope, ebenso einige Muschelkalkflächen um Villingen. Auch die Mühlhauser und die Öfinger Halde sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die Ragwurzarten sind zweifelsfrei die at­ traktivsten Vertreter unserer wärmeliebenden Orchideen. Neben ihrer Schönheit faszinieren sie durch ihre Bestäubungsökologie: Die Blüten der Ragwurzorchideen ahmen in Gestalt und Geruch Weibchen bestimmter Wildbienen und Hummeln nach. Wenn im zeitigen Frühjahr fort­ pflanzungswillige Männchen dieser Arten auf der Suche nach Weibchen sind, kann es zu Ver­ wechslungen kommen. Oft werden die Blüten der Ragwurzarten versehentlich für Weibchen Holunderknabenkraut – auf einer Bergwiese in Furt­ wangen hat die stark gefährdete Pflanze ihr letztes Refugium in Baden-Württemberg. Magerrasen bei Blumberg. Hier finden sich die ­ attraktivsten Vertreter unserer wärmeliebenden Orchideen.

­­­­­266 gehalten und es kommt zu Paarungsversuchen. Durch solche erfolglose „Liebesbemühungen“ werden die Blüten der Ragwurzarten bestäubt. Vier Arten dieser Gattung kommen im Schwarz­ wald-Baar-Kreis und seinen Randgebieten vor. Es sind nach der Häufigkeit geordnet die Flie­ genragwurz, die Bienenragwurz, die Hummel­ ragwurz und die in Mitteleuropa extrem seltene Kleine Spinnenragwurz. In Baden-Württemberg sind nur zwei Wuchsorte dieser Art bekannt. Aber auch andere Orchideen setzen mar­ kante Akzente in diese artenreichen Lebensräu­ me. Wer das kräftige Rot der Pyramidenorchis zwischen dem Weiß der Margeriten, dem Blau des Wiesensalbeis und dem Violett der Wiesen­ flockenblume je erlebt hat, wird wissen, wovon hier die Rede ist. An einem Südhang im südli­ chen Kreisgebiet sind bis weit über einhundert Exemplare dieser prächtigen Orchideenart En­ de Juni zu bewundern. Helmknabenkraut, Mückenhändelwurz und das Gefleckte Knabenkraut sind weitere Ver­ treter unserer wärme- und lichtliebenden Flora aus der Pflanzenfamilie der Orchideen. Farbtupfer in Feuchtwiesen Bisher wurden unsere heimischen Orchideen als kalkliebende Pflanzen nährstoffarmer, meist trockener Standorte dargestellt. Bei Königsfeld, im Übergangsbereich des Buntsandsteins zum Muschelkalk, liegt eine kleine Feuchtwiese, die Ende Mai einheitlich violett erscheint. Weit über tausend Blütenstände des Breitblättrigen Knabenkrauts sind der Grund dafür. Das Breit­ blättrige Knabenkraut ist der Hauptvertreter unserer Orchideen der Feuchtgebiete. Im ge­ samten Kreisgebiet ist die Art vertreten und ge­ hört wohl zu den verbreitetsten Orchideenarten unserer Heimat. Die Feuchtigkeit scheint für das Wachstum der Art wichtiger zu sein als der geologische Untergrund. Man muss schon genau hinschauen, um das Fleischfarbene Knabenkraut, das ebenfalls Vier Ragwurzarten kommen im Schwarzwald-Baar- Kreis vor, von links: Hummelragwurz, Bienenrag­ wurz, Fliegenragwurz und Kleine Spinnenragwurz. Eine prächtige Orchideenart ist der Pyramidenorchis.

Feuchtwiesen besiedelt, vom Breitblättrigen Knabenkraut zu unterscheiden. Es sind die un­ gefleckten lanzettförmigen Blätter, die für die­ se Art charakteristisch sind. Nur an wenigen Standorten im Schwarzwald-Baar-Kreis kommt die Art vor. Im Naturschutzgebiet Birken-Mit­ telmeß in der Riedbaar wachsen beide Arten nebeneinander und bilden sogar Bastarde. Zu­ sammen mit der Trollblume, der Bachkratzdis­ tel, der Sibirischen Schwertlilie und dem Spa­ telblättrigen Greiskraut bilden die beiden Orchi­ deenarten dort eine sehr bedrohte überregional bedeutende Pflanzengesellschaft. Die Sumpfstendelwurz ist eine weitere Art, die es feucht mag. Nur vereinzelt kommt sie in Quellsümpfen auf der Baar vor. Bei ihr beein­ druckt nicht die Farbenpracht des Blütenstan­ des sondern die faszinierende Ästhetik der Einzelblüte. Sie kommt dem Idealbild einer tro­ pischen Orchidee recht nahe, auch wenn die Einzelblüte nur etwa ein Zentimeter groß ist. Dass nördlich von Villingen die Sumpfstendel­ wurz auch einen trockenen Magerrasen besie­ delt, muss als besonders bemerkenswert hier angeführt werden. Orchideen lichter Wälder und Waldränder Die meisten der bisher behandelten Orchideen­ arten sind Bewohner der offenen, extensiv ge­ nutzten Kulturlandschaft. Durch Wiesen- und Weidenutzung entstanden die meisten Lebens­ räume, in denen wir heute Knabenkräuter und Ragwurzorchideen bestaunen können. Bevor der Mensch das Landschaftsbild Mitteleuropas veränderte und prägte, herrschten hier ausge­ dehnte Urwälder vor. Es waren überwiegend Mischwälder aus verschiedenen Laub- und Na­ delbaumarten. Diese natürlichen Wälder boten einer Reihe von „Waldorchideen“ Heimat. Auch heute noch finden wir „Waldorchideen“ dort, ­­­­­267 Von links: Geflecktes Knabenkraut, Breitblättriges Knabenkraut und die Sumpfstendelwurz, die ver­ einzelt in den Quellsümpfen der Baar vorkommt. Natürliche Wälder sind die Heimat einer ganzen Reihe sogenannter Waldorchideen.

­­­­­268 wo die naturnahe Waldwirtschaft monotonen Holzkulturen vorgezogen wird. Von Mitte Juni bis Mitte Juli kann man vor allem im Süden des Landkreises das Rote Waldvögelein an Waldrändern und auf Lichtun­ gen entdecken. Die relativ großen, leuchtend rot gefärbten Blüten dürften schon manchem Wanderer aufgefallen sein. Die Windbruchlich­ tungen der Sturmtiefs „Lothar“ und „Wiebke“ begünstigten mancherorts die Ausbreitung der Art. Zwei nahe Verwandte des Roten Wald­ vögeleins blühen weiß. Es sind das Weiße und das Schwertblättrige Waldvögelein. Die Lebens­ raumansprüche der drei Arten sind recht ähn­ lich, wobei das Weiße Waldvögelein bei uns am weitesten verbreitet ist. Die Gattung Stendelwurz ist ebenfalls mit mehreren Arten bei uns vertreten: Braunrote Stendelwurz, Breitblättrige Stendelwurz, Mül­ ler’s Stendelwurz, Sumpfstendelwurz und Vio­ lette Stendelwurz. Abgesehen von der Sumpf­ stendelwurz, können sie ebenfalls als „Wald­ orchideen“ betrachtet werden. Der häufigste Vertreter ist die Breitblättrige Stendelwurz, die noch weit verbreitet ist und vom Landesamt für Umweltschutz des Landes Baden-Württemberg als „nicht gefährdet“ eingestuft wird. Diese stattliche Pflanze erreicht bis zu 80 cm Höhe und tritt in einer Fülle von Erscheinungsformen auf, was die Bestimmung der Art nicht immer leicht macht. Dies gilt übrigens auch für die an­ deren Arten dieser Gattung. Meist eindeutig ist die Bestimmung der Braunroten Stendelwurz. Im südwestlichen Kreisgebiet verbreitet sie noch an mehreren Stellen ihren charakteristi­ schen intensiven Vanilleduft. Die wohl bekannteste Waldorchidee unse­ rer Heimat, der Frauenschuh, ist nachfolgend kurz beschrieben. Der Frauenschuh Anfang Juni, meist um Pfingsten, finden wahre Pilgerströme zu der attraktivsten unserer hei­ mischen Orchideen statt. Es blüht der Frauen­ schuh. Im Schwarzwald-Baar-Kreis ist der Hüfin­ ­ ger Orchideenwald das Pilgerziel. In der Nach­ barschaft gibt es Plätze mit vergleichbaren Vor­ kommen. Allen gemeinsam ist der Kalkboden. Der Frauenschuh ist an Kalkboden gebunden und tritt oft in lockeren Beständen in lichten Mischwäldern der mittleren und höheren Lagen auf. Ein Blütenblatt der inneren Blütenblätter bildet den namengebenden „Pantoffel“. Ehe die erste Blüte allerdings zum Vorschein kommt, vergehen bis zu 15 Jahre unauffälligen Wachstums. Bei erfolgreicher Bestäubung und Befruchtung können daraus dann bis zu 40.000 winzige Samen hervorgehen. Aber erst die Symbiose mit einem im Boden lebenden Pilz er­ möglicht die Keimung und Entwicklung zu einer selbständigen Pflanze. Da die heranwachsen­ Das Rote Waldvögelein findet sich an Waldrändern und auf Lichtungen. Der Frauenschuh ist die wohl bekannteste Waldorchidee. Unten: Breitblättriger Stendelwurz.

den Frauenschuhpflänzchen sehr empfindlich gegen Trittbeschädi­ gungen sind, dürfen im Übrigen die ausgewiesenen Pfade in unseren „Frauenschuhwäldern“ nicht ver­ lassen werden. Moderorchideen Das typischste Merkmal der Pflanzen ist das Grün ihrer Blätter. Mithilfe des grünen Blattfarb­ stoffs Chlorophyll sind sie in der Lage, die Ener­ gie des Sonnenlichts für den Aufbau lebens­ wichtiger Nährstoffe zu nutzen. Unter unseren heimischen Orchideen gibt es aber Arten, die kein oder kaum Chlorophyll besitzen und blass weißlich erscheinen. Oft finden wir diese Arten sogar im lichtarmen Nadelwald. Woher bezie­ hen diese „Sonderlinge“ der Pflanzenwelt ihre Nährstoffe? Das Geheimnis sind Wurzelpilze, mit denen die Orchideen in Symbiose leben. Die Wurzelpilze ermöglichen die Aufnahme von Nährstoffen, die aus dem verrottenden Material im Boden stammen. Die Vogelnestwurz und der Widerbart sind die Hauptvertreter dieser als Moderorchideen bezeichneten Arten bei uns. Die Vogelnestwurz ist weit verbreitet. Der Widerbart ist dagegen eine ausgesprochene Besonderheit unserer heimischen Flora. Wenn sich Fotografen aus Hessen, Holland und Bel­ gien um eine Gruppe von Widerbartorchideen im „Hüfinger Orchideenwald“ scharen, dann ist dies wohl ein Beleg hierfür. Ausblick Die meisten Orchideen unserer Heimat sind typische Vertreter einer traditionell extensiv genutzten Kulturlandschaft und kommen im Schwarzwald-Baar-Kreis weitgehend nur noch in speziell ausgewiesenen Schutzgebieten vor. Sowohl die Intensivierung als auch die Aufgabe der extensiven landwirtschaftlichen Nutzung sind für fast alle diese Arten lebensbe­ drohend. Für den Erhalt unserer Orchideenflora und damit verbunden einer reichhaltigen Tier- und Pflanzenwelt sind folglich Konzepte erfor­ derlich, welche die traditionelle Landnutzung der entsprechenden Standorte fördern oder durch sogenannte Biotoppflegemaßnahmen er­ setzen. Es gibt im Schwarzwald-Baar-Kreis viele Beispiele, wo mit Mitteln des Landes Baden- Württemberg, des Landkreises und der Ge­ meinden Landschaftspflegemaßnahmen zum Er­ halt artenreicher Landschaftselemente durch­ geführt werden. Zur Sicherung unserer heimi­ schen Artenvielfalt sind diese Maßnahmen sehr wichtig. Für unsere heimischen Waldorchideen gilt es, die naturnahe Waldbewirtschaftung zu fordern und zu unterstützen. Text und Fotografie: Dr. Helmut Gehring Literatur R. Möhring, S. Faller: Zauberwelt der Orchideen – Wild­ wachsende Orchideen unserer Heimat, Schillinger Ver­ lag, Freiburg 1987 G. Reichelt: Wo Donau und Neckar entspringen – Die Baar, Verlag ­ Otto Mory’s Hofbuchhandlung, Donau­ eschingen 1990 Eine besonders seltene Kostbarkeit ist die Widerbartorchidee (Hüfinger Orchideenwald). Rechts: die weit ver­ breitete Vogelnestwurz. ­­­­­269

­­­­­270 Theater Neuer Lebensraum für das Auerwild Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist eines der größten Auerhahngebiete in Deutschland mit Fotografien von Erich Marek In den Hochlagen des Schwarz- waldes leben heute zirka 600 Auerhühner – allein im Süd- schwarzwald wurden 150 Hähne gezählt, die vor allem im Schwarzwald-Baar-Kreis zu finden sind. Besondere Schutzmaßnahmen sollen die Lebensräume des vom Aussterben bedrohten Vo- gels erhalten. Damit die Lebensbedingungen des Auerhahns stimmen, braucht es strukturrei- che, lichte Wälder, die das Land Baden-Würt- temberg über den ­Aktionsplan „Auerhuhn“ schaffen will. In den Ak- tionsplan integriert sind die Belange der Wald- und Land- wirtschaft, des Naturschutzes, der Jagd und auch des Tourismus. Eine besondere Rolle spielen dabei der Rohrhardsberg bei Schonach und die Mar­ tinskapelle bei Furtwangen. Der Rohrhards­ berg ist mit 1.155 m die höchste Erhebung des Schwarzwald-Baar-Kreises. Er gilt mit seiner abge­ schiedenen und ­ ruhigen Lage und seinem Wechsel von Wäldern, Weiden, Wiesen und Mooren bei Naturliebha­ bern und Erholungssuchenden schon lange als Ge­ heimtipp. Für den Auerhahn bedeutend ist weiter das Gebiet Martinskapelle/Brend, das allerdings sowohl von Freizeitsportlern als auch Wanderern intensiv ge­ nutzt wird. ­­­­­270

Theater Wegen der hohen Schutzwürdigkeit des Ge­ biets um den Rohrhardsberg, wurden große Be­ reiche im Rahmen des europäischen Schutzge­ bietsnetzwerks Natura 2000 als FFH- und Vo­ gelschutzgebiete an die EU gemeldet. Als eines der ersten Gebiete wurde hier auch ein Pflege- und Entwicklungsplan (Natura 2000-PEPL) er­ stellt. Da es sich überwiegend um Privatflächen handelt, wurden die Bewirtschafter der Flächen (Land- und Forstwirte) in die Verfahren einge­ bunden. Für sie ist wichtig, ihre Leistungen für den Naturschutz angemessen vergütet zu be­ kommen. Die bisher größte „Finanzspritze“ für den Naturschutz am Rohrhardsberg ist das seit No­ vember 2006 laufende LIFE-Projekt, das der Förderung des europäischen Schutzgebietsnet­ zes Natura 2000 dient. Mit Unterstützung der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg stellte das Regierungspräsidium Freiburg (Refe­ rat Naturschutz und Landschaftspflege) bereits im Jahr 2005 einen Antrag, der von der EU posi­ tiv bewertet und schließlich bewilligt wurde. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf knapp zwei Millionen Euro. Die Hälfte wird durch die EU finanziert. Insgesamt sind 14 Partner ins LIFE-Projekt eingebunden. Ziele des Projekts sind unter an­ derem die Erhaltung gefährdeter Tier- und Pflanzenarten (z.B. Auerwild), Organisation und Finanzierung des Schutzgebietsnetzes Natura 2000, die nachhaltige Sicherung und Förde­ rung angepasster Landnutzungsformen sowie Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung. ­­­­­271 Balzender Auerhahn; der vom Aussterben be­ drohte Vogel ist auf dem Rohrhardsberg und der Martinskapelle zu finden. Es handelt sich dabei um die mit größten Auerhahnschutzgebiete in Deutschland.

­­­­­272 Die Chancen sind gering, im Schwarzwald auf einen Auerhahn zu stoßen. Das große, schwar­ ze Federvieh ist selten geworden und außer­ dem äußerst scheu. Wenn überhaupt bekom­ men ihn Menschen zu Gesicht, die häufig im Wald sind und sich ruhig verhalten. Der Auer­ hahn ist ein Symbol für den Schwarzwald – und er ist vom Aussterben bedroht. Zur Erhaltung der Art müssen Lebensräume geschaffen wer­ den. Dazu sind auch Privatwaldbesitzer aufge­ rufen. Auerhähne zu sehen, gelingt vor allem in der Balzzeit im März und April, wenn sie hor­ mondurchflutet, balztoll und völlig außer Rand und Band sind. Dann können sie auch gele­ gentlich aggressiv werden und auf alles los­ stürmen, was sich ihnen in den Weg stellt. Anfangs der 1990er-Jahre gab es im Schwarzwald 500 balzende Auerhähne Anfang der 1990er Jahre wurden im gesamten Schwarzwald um die 500 balzende Auerhähne gezählt. Dazu kommen eben so viele Hennen. 1999 waren es noch knapp 300, Tendenz fal­ lend. Die Gründe sind fehlende Lebensräume, zu viele Störungen durch Freizeitsportler und auch die Klimaerwärmung, denn der gro­ ße Vogel mag es kühl, deshalb be­ vorzugt er die Regionen über 1.000 Meter Höhe. Ein „Winterland“ wie der Rohrhardsberg bei Schonach – oder auch wie die Martinskapelle bei Furtwan­gen eines ist. 2008 hat das Land Baden-Würt­ temberg den Aktions­ plan „Auerhuhn“ gestartet – mit dem Ziel, eine überlebens­ fähige und ausreichend vernetzte Popu­ lation zu erhal­ ten. Dazu ge­ hören mindestens 500 Tiere. Voraussetzung zum Überleben ist der passende Lebensraum. Das Auerwild bevorzugt lichte Wälder mit dich­ tem Unterholz, das Deckung bietet. Und es braucht die Heidelbeere, denn davon ernährt sich der stattliche Vogel. In vielen Gebieten im Schwarzwald stehen jedoch die Fichten und Tannen dicht an dicht, die Folgen der Monokulturen. Es ist dunkel, Auerhuhn wie Heidelbeere haben keine Chan­ ce. Das soll sich in den nächsten zehn Jahren ändern: Über 50.000 Hektar Wald gelten im Schwarzwald als mögliche Lebensräume für das Federvieh. Allerdings muss dafür etwas ge­ tan werden. Damit Privatwaldbesitzer und Kom­ munen sich leichter entschließen, ihre Wälder zu durchforsten und für mehr Licht zu sorgen, gibt es Geld dafür. Die Naturparks Schwarz­ wald Mitte/Nord und Südschwarzwald fördern Auerhuhn-Projekte im Landkreis Rastatt und im Schwarzwald-Baar-Kreis. Der hat im Übrigen eine wichtige „Brückenfunktion“ für den gene­ tischen Austausch zwischen den Auerhühnern aus dem Nord- und Südschwarzwald. Außer­ dem hat die Sielmann-Stiftung für die nächsten zehn Jahre eine halbe Million Euro dafür in Aus­ sicht gestellt, dass Waldflächen für das Auer­ wild bewohnbar gemacht werden. Aus diesem Fördertopf können Privatwaldbesit­ zer Geld erhalten, die nicht in den Projektgebieten woh­nen. Umwelt und Natur Der Auerhahn liebt es kühl, wenn im März/April seine Balzzeit einsetzt, liegt auf dem Rohrhardsberg oder auf der Martinskapelle in einem normalen Winter mit Sicher­ heit noch Schnee. ­­­­­272

Theater Das Naturschutzgebiet Rohrhardsberg ist für den Auerhahn ideal: Hier finden sich lichte Wälder, naturbe­ lassene Wiesen mit Heidelbeerbeständen und auch klimatisch stimmt alles, denn der Rohrhardsberg ist Winterland. Unten: Der balzende Hahn hat eine Henne angelockt.

Umwelt und Natur Der Auerhahn erreicht eine Größe von bis zu ei­ nem Meter und ein Gewicht von rund fünf Kilo. Seine Flügelspannweite beträgt 90 cm. Sein Ge­ fieder ist dunkelgrau bis dunkelbraun gefärbt, auffallend das metallisch glänzende, grüne Brustschild. Die Auerhenne hingegen erreicht ein Gewicht von ca. 2,5 Kilo und eine Größe von 60 cm (Flügelspannweite ca. 70 cm). Ihr Gefieder ist auf der Oberseite braun gefärbt mit schwarzen und silbernen Querbändern, die untere Seite fällt etwas heller und gelblicher aus. Das Fliegen fällt den Auerhühnern schwer, besonders der Start ist oft „polternd“. Lieber bewegen sich die Auerhüh­ ner auf dem Boden fort. Die Balz kann bereits im März beginnen – aber sogar noch im Juni stattfinden. Sie erfolgt auf traditionellen Balzplätzen und Balzbäumen. Noch bei Finsternis singt der Hahn frühmorgens vom Schlafbaum aus seine Strophen und Gsetzln: Knappen, Triller, Hauptschlag und Wet­ zen – ein Gsetzl dauert etwa 6 Sekunden und wiederholt sich laufend. Nach Sonnenaufgang wechselt der Hahn zur ­Bodenbalz. Er balzt weiter und legt nun ab und an statt des Schleifens sei­ nen Flattersprung ein. Dabei schafft er es, sich mit einigen Flügelschlägen in etwa zwei Meter Höhe aufzuschwingen, um dann mit rüttelnden Flügelschlägen wieder polternd zu Boden „zu krachen“. Während der Bodenbalz werden auch die Hennen befruchtet. Sobald die Henne mit der Ei­ ablage beginnt, erscheint sie in der Regel nicht mehr am Balzplatz. Die Eier werden an einem ge­ schützten Ort in eine flach gescharrte Mulde ge­ legt und von der Henne knapp vier Wochen be­ brütet. In den ersten Lebenswochen ernähren sich die Kücken tierisch (Insekten, Kerfe) um sich dann allmählich auf pflanzliche Kost umzustel­ len. Die Kücken (Gesperre) bleiben etwa bis Ende August Anfang September bei der Henne und werden dann selbständig. Die Vögel ernähren sich im Winter fast aus­ schließlich von Nadeln, im Sommer aber von Blät­ ­­­­tern, Knospen, Blüten und Früchten verschiede­ ner Sträucher. Auerhuhnkücken sind auf wir­ bellose Tiere angewiesen, wie Raupen, die an den Heidelbeeren vorkommen. Zu den besten Au­­­­erwild-Lebensräumen zählt der Rohrhardsberg – eine Landschaft aus altem Holzbestand und Mooren. Hier konzentriert sich der Lebensbereich der Auerhähne auf das Umfeld eines Balzplatzes mit Stangenhölzern, die auch im Sommer gute Lebensbedingungen bieten, da sichhierauffrüherenSchnee­­­­bruchlückeneineüp­ pige Bodenvegetation mit entsprechender Insek­ tenfauna entwickeln konnte. Oft ist das Auerwild direkt auf Waldwegen, teils sogar auf Straßen unterwegs Sehr oft wird Auerwild direkt auf Waldwegen ge­ sehen, wo kleine Steine (Mahlsteine) zur Nah­ rungsverdauung aufgenommen werden. Das er­ höhte Risiko des „Gestörtwerdens“ auf diesen Linien wird von den Vögeln offensichtlich in Kauf genommen. Eine „ökologische“ Besonder­ heit stellt in einem besonderen Gebiet eine ­ Asphaltstraße dar. Nach der Schneeschmelze und nach Regenfällen trocknet der Belag sehr schnell ab, die Oberfläche erwärmt sich schon nach kurzer Son­­­nenscheindauer. Dadurch sind günstige Bedingungen für eine frühe Vegeta­ tionsentwicklung im Randbereich der Straße gegeben. Diese Asphaltstraße wird gerade im Frühjahr sehr gerne vom Auerwild aufgesucht. Da sich auf dieser Straße auch der Erholungs­ verkehr konzentriert, sind die Konflikte mit Menschen jedoch vorprogrammiert. Für die Gesamtpopulation des Auerhuhns im Schwarzwald nimmt der Rohrhardsberg eine zentrale Stellung ein. Insgesamt ist das Auer­ wildvorkommen im Bereich Rohrhardsberg/Brend seit mehreren Jahren konstant und bildet eine gute Ausgangsbasis für den Erhalt dieses uri­ gen Wildes in unserer Region Schwarzwald- Baar. Erich Marek/wd/Petra Walheim Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich unter www.rohrhardsberg-life.de ­­­­­274 Rechte Seite: Auerhahn-Impressionen – eine Hen­ ne im Schnee und unten angelockt durch die Balz. Mitte rechts: Das Auerhahnkücken wird flügge.

Theater

­­­­­276 Man muss schon ein wenig suchen, um eine der besten Feinschmeckeradressen am westlichen Rand des Landkreises ausfindig zu machen. Et- was versteckt im Ortskern von Schönwald liegt das Hotel Dorer. „Man muss schon zu uns wol- len, zufällig findet man uns nicht“, sagt Inha- berin Manuela Scherer-Cerasola. Sie leitet das Hotel zusammen mit ihrem Mann Salvatore Cerasola seit 2006 und führt damit in drit- ter Generation eine bislang 85-jährige Familientradition fort. Dass Gäste das Hotel Dorer finden, war noch nie ein Problem. 1925 eröffneten ihre Urgroßeltern Josef und Alber- tine Dorer eine kleine Familienpension. Der erste Eintrag im „Fremdenbuch“, das die Be- treiber als Nachweis für die Kurverwaltung der Gemeinde führen mussten, zeigt den Eintrag eines Gastes aus Shanghai. Und belegt damit, Das Hotel Dorer in Schönwald Eine badisch-sizilianische Liaison 14. Kapitel Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Salvatore Cerasola und Manu- ela Scherer-Cerasola leiten das Hotel Dorer in Schönwald in dritter Generation. Für das Hotel Dorer in Schönwald trifft die Bezeich- nung „Klein, aber fein“ voll und ganz zu. Hier werden regionale Spezialitäten aus Deutschland und Italien auf dem Teller zu einem völlig neuen Geschmacks- erlebnis ­kombiniert.

­­­­­277 Hotel Dorer dass das Haus praktisch vom ersten Tag inter- national geführt wurde. In den 1960er Jahren übernahmen die Eltern der heutigen Geschäfts- führerin, Rolf und Heidi Scherer, das renom- mierte Hotel. Tochter Manuela wuchs praktisch im Hotel auf. Fast schon überflüssig zu erwäh- nen, dass die Tochter des Hauses eine Ausbil- dung zunächst zur Hotelkauffrau und später zur Hotelbetriebswirtin absolvierte. Bei einem Aus- landsaufenthalt in einem Schweizer 5-Sterne- Hotel in Zermatt traf sie auf Salvatore Cerasola. Internationale Note Die internationale Note hat sich das Hotel Dorer bis heute nicht nur bewahrt, sondern kontinu- ierlich ausgebaut. So ist das 30-Betten-Hotel nach eigenen Angaben das einzige in ganz Baden-Württemberg, das seine Gäste in vier Fremdsprachen, englisch, französisch, italie- nisch und spanisch, empfängt. Diese In­­ter­­­­­ nationalität spiegelt sich auch in der Spei- sekarte wider. Die Küche ist das Reich von Salvatore Cerasola. Der Restaurantfachmann schloss eine Ausbildung als Koch an und sam- melte Erfahrung in sternegekrön- ten Restaurants. Zuletzt arbeitete er als Küchenchef im Parkhotel Wehrle in Triberg. Dank der Kreativität des Kochs und seiner Liebe sowohl zu seinen sizilianischen Wurzeln als auch zur badischen Heimat verschmelzen deutsche und italienische Produk- te zu völlig neuen Gaumenerleb- nissen. Im Hotel Dorer kann man nicht deutsch oder italienisch es- sen. Egal, was man auf dem Teller hat, es ist fast immer ein bisschen von beidem drauf. So gibt es im Frühjahr badischen Spar- gel mit italienischem Parmaschinken. Auch das Carpaccio von der Schwarzwaldforelle, die Bärlauch-Ricotta-Maultaschen oder die Lamm- kotelettchen auf sizilianischem Gemüse weisen stets auf die deutsch-italienische Verbunden- heit hin. Und natürlich wird alles frisch gekocht. Seine Zutaten besorgt Salvatore Cerasola überwiegend in der Region. „Das Fleisch bezie- hen wir vom Metzger aus der Region, das Wild liefert uns der heimische Jäger“, betont Ceraso- la. Die Kräuter werden im ei­ ­­­genen Kräu- tergarten ge­ Schoko-Cannelloni, ein perfekter Nachtisch. Ein gemütliches Ambiente bei bester Küche: das Restaurant des Hotel ­ Dorer in Schönwald.

­­­­­278 Hotel Dorer ­­ zogen. Den Fisch allerdings, mit Ausnahme der Schwarzwaldforelle, bezieht der Koch von weither. „Wir bekommen drei Mal pro Woche fri- schen Fisch direkt vom Pariser Großmarkt.“ Denn auf die Verarbei- tung von Hummer, Flusskrebsen, Riesengarnelen,Jakobsmuschelnund Edelfischen kann und möchte der Koch nicht verzichten. „Das ist der zusätzliche mediterrane Einschlag unserer Küche“, sagt Salvatore Ce- rasola, der, ebenso wie seine Frau Manuela, großen Wert auf eine gute Küche legt. „Wir kochen auf sehr hohem Niveau und sind immer mit ganzem Herzblut dabei.“ Wellness-Sauna, Dampfbad, Infrarotkabine und eine Liegefläche im Freien Bei allem Sinn für gutes Essen vergessen die Hoteliers nicht, dass die treuen Gäste, 80 Pro- zent sind Stammgäste, sich im Hotel Dorer auch erholen wollen. Deshalb wurde vor eini- gen Jahren an das vorhandene Schwimmbad eine kleine, aber feine Wellnessanlage ange- baut mit Wellness-Sauna, Dampfbad, Infrarot- kabine und einer Liegefläche im Freien. „Das verlangen die Gäste heute“, erklärt Manuela Scherer-Cerasola. Ein Großteil der Buchungen kommt heute über das Internet und da spielen solche Zusatzangebote eine wichtige Rolle. Roland Sprich Weitere Infos unter: www.hotel-dorer.de Gesamtansicht des Hotel Dorer in Schönwald. Gemütlich und modern: Blick in ein Zimmer.

­­­­­279 Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis DasAugeisstmit:dieseRedewendungbekommt im St. Georgener Restaurant Kippys eine ganz neue Dimension. Das Kippys ist das Restaurant der benachbarten Sammlung Grässlin und wird gerne auch als das erweiterte Wohnzimmer der Familie Grässlin bezeichnet. Der Name respek- tive die Sammlung Grässlin spielt nicht nur hier in der Region, sondern weltweit eine führende Rolle in Sachen zeitgenössischer Kunst. Einmal im Jahr gibt es im Jahr 2006 erstellten archi- tektonisch-puristischen Museumsbau und in den externen Kunsträumen im gesamten Stadt- gebiet eine neue thematische Ausstellung aus dem umfangreichen Sammlungsbestand und da­­­­­bei wird das zum Museumskomplex ge­ hö­rende Restaurant selbstverständlich als Ausstellungsstätte mit einbezogen. So speist man in dem Restaurant stets im Dialog mit Uni- katen international renommierter Künstler wie Martin Kippenberger, Tobias Rehberger, Franz West oder Albert Oehlen. Eine Tatsache, die für Sabine Grässlin, die zusammen mit Renato Sal- vador das Kippys betreibt, aufgrund ihres von Kindheit an gewohnten alltäglichen Umgangs mit Kunst – ihre Eltern haben schon seit den 1970er-Jahren angefangen, Spitzenpositionen Das Team (von links): Sabine Grässlin, Maria Hart- mann und Renato Salvador. Das Kippys von außen. Das Kippys – exzellente Küche Das Feinschmeckerrestaurant ist Teil der St. Georgener Sammlung Grässlin

­­­­­280 zeitgenössischer Kunst zu sammeln – ganz natürlich ist, aber die man so nicht einmal in den Restaurants großer Museen vorfindet. Die St. Georgener Sammler haben nichts zu verber- gen. Die private Kunst gehört für sie einfach in die Öffentlichkeit. Ein bemerkenswertes Selbstverständnis mit Alleinstellungsmerkmal, das die Betreiber des Kippys eben auch mit ihrer Kochkunst prakti- zieren. Offen, ohne Geheimnis­se vor den Gästen werden vor deren Augen in ihrer „Schauküche“, die aber im Gegensatz zu den vielen Kochsen- dungen im Fernsehen unter Realbedingungen funktionieren muss, die Speisen hergestellt. Den Besuchern, darunter viele Stamm­ gäste, gefällt es offenbar. Denn ohne Re­ servierung dürfte es schwierig sein, einen der 60 Plätze im Innenraum und im Sommer auch auf der Ter- rasse auf dem Museumsvorplatz zu ergattern. Offene Küche hin oder her, letztlich kommt es in einer Gaststätte darauf an, was auf dem Teller drauf ist und wie es schmeckt. Sonst bleibt über kurz oder lang die Klientel weg, da hilft auch das schönste Ambiente und die ausgefallenste Kunst nicht wirklich weiter. Was wird im Kippys nun im kulinarischen Bereich geboten? Sabine Grässlin: „Zur Auswahl stehen täglich wechselnde Gerichte, die die Jahreszeit und die persönlichen Vorlieben der Betreiber reflektie- ren.“ Was das auch für die vielen Geschäftsleu- te, die das Kippys als Mittagstisch gerne nutzen, in der Regel bedeutet, könnte man schlagwort- artig so zusammen fassen: saisonal-regionale Küche mit stets frischen Zutaten. So findet man auf der Saisonkarte neben einem Spargel- oder Pilzgericht in der kälteren Jahreszeit auch ein- mal ein bodenständiges Linsengericht. Aber Sabine Grässlins Speisen sind auch geprägt von ihrem beruflichen wie ganz persön- lichen kulinarischen Werdegang. Der heimische Herd ihrer Mutter Anna dürfte dabei mehr den regionalen Aspekt der Küche reflektieren. Ihre Ausbildung und Tätigkeit in der süddeutschen Spitzengastronomie haben sie in ihrer Koch- kunst zudem ebenso beeinflusst wie frische Strömungen der mediterranen und internatio- nalen Küche. Gelernt hat Sabine Grässlin im Konstanzer „Stefans Keller“ bei Sternekoch Bertold Sieber. Nach ihrer Ausbildung war sie bei dem berühmten Münchner Koch Eckhard Witzigmann beschäftigt. Nach einem Intermez- zo in der Werbebranche hat sich die Köchin vor neun Jahren selbständig gemacht. Zuerst mit Die Küche von Sabine Grässlin (links) ist exzellent, im stimmungsvoll eingerichteten Kippys ist ohne Vorbestellung selten ein Tisch zu bekommen. Das Kippys ist Teil der Sammlung Grässlin, gehört zum Museumskomplex.

­­­­­281 dem alten Kippys mit dem gleichen Konzept aber auf kleinerem Raum in einer ehemaligen St. Georgener Eisdiele und seit dem Museums- bau im Jahr 2006 am jetzigen Standort direkt neben dem Kunstraum Grässlin. Die Verbindung von Kunst und Kulinarischem ist nicht nur hier in der Region sicherlich einzigartig, aber das Kon- zept beschränkt sich dabei nicht auf die einmal im Jahr wechselnde Ausstellung mit Werken aus der Sammlung. „Kultur Happy Hour“ In Zusammenarbeit mit dem Kunstraum-Team findet einmal im Monat eine „Kultur Happy Hour“ statt. Bei diesen überaus beliebten Ver- anstaltungen gibt es eine thematische Kurzfüh- rung durch die jeweilige Ausstellung, die kann mal im benachbarten Kunstraum oder in einem der vielen externen Kunsträumen wie etwa im Plenarsaal des Rathauses oder in einem Privat- haus stattfinden. Anschließend trifft man sich im Kippys zum gemeinsamen Abendessen, um danach einen zur Ausstellung passenden Film anzuschauen oder wie bei der Ausstellung des Künstlers Martin Kippenberger im Jahr 2009 Mau-Mau zu spielen. Und zwar wurde damals nach den Regeln des Künstlers gespielt. Der 1997 verstorbene enge Freund der Sammler- familie ist übrigens postum Namensgeber des außergewöhnlichen Restaurants. Ein besonderes Event im Bereich „Specials“ zu denen auch regelmäßige Pizza- oder Burger- tage gehören, das wiederholt wird, war auch die Kochaktion von Karola Kraus, der Schwester der Wirtin. Die Direktorin des Museums Moderner Kunst Wien kochte im Kippys Wiener Schnitzel nach ihrem eigenen Rezept, das es in dem Kip- pys-Magazin, das alleine schon ein Kunstwerk ist, nachzulesen gibt. Das Kippys-Magazin mit der umfangreichen Getränke- und Frühstücks- karte entsteht in Zusammenarbeit mit dem international bekannten Schweizer Künstler Christian Philipp Müller und stellt in jeder Aus- gabe Rezepte und Vorlieben der Familie Gräss- lin vor. So kann man dort beispielsweise neben der fotografischen Dokumentation des Schnit- zel-Abends auch ein Kirschkuchen-Rezept von Anna Grässlin finden. „Feste Feiern“ Bei soviel Engagement und Individualität dürfen auch die Spezialangebote nicht fehlen. Unter dem Motto „Feste Feiern“ stellt das Kippys-­ Team für private Feiern zu den verschiedensten Anlässen wie Hochzeiten, Taufen, Geburtstagen oder Weihnachten und für Tagungen oder Schu- lungen individuelle Arrangements auch außer- halb der regulären Öffnungszeiten zusammen. Fazit: das Kippys ist aufgrund des modernen Ambientes und der Speisekarte ein Restaurant auf Großstadtniveau, aber das im Preis-Leis- tungsverhältnis sehr auf dem Boden bleibt und zudem, was es auch noch sympathisch macht, wegen der offenen, unkomplizierten Art der Be- treiber und ihren Angestellten dem Besucher einen gemütlichen Genuss von Kunst und Koch- kunst beschert. Stefan Simon Weitere Infos unter: www.kippys.net

­­­­­282 Soziales ­­­­­282 Vom Hexenfelsen zum Totenkopfstein Schalensteine: zauberhaft mystische Naturerscheinungen oder Opferschalen ? 15. Kapitel Freizeit

Soziales ­­­­­283 In der Gemeinde Schonach ist eine außergewöhnlich große Anzahl verschiedenster Schalen- und Näpfchensteine zu finden. Bekannt sind derlei Naturdenkmäler auf der ganzen Welt. Besonders häufig treten sie jedoch in Nord- und Westeuropa auf. Obwohl in jüngster Zeit vermehrt ins wissenschaftliche Interesse gerückt, konnte bis heute keine allgemein anerkannte Erklärung für die Entstehung und Nutzung der Schalen gefunden werden. Wenn von einem Schalenstein gesprochen wird, so versteht man darunter eine von der Natur geformte oder von Menschenhand veränderte schalenförmige Vertiefung in Steinen – je nach Betrachtungsweise. Augenstein | N 48° 08.782 O 08° 12.033 (GPS) Zwischen Jungtannen findet sich ein Felsblock mit zwei runden Scha- len – als hätte der Felsen seinen Blick gegen den Himmel gerichtet.

­­­­­284 In ihrer Erscheinung bieten sie vieler­ lei Formen und Größen. Man findet sie als Näpfchen mit wenigen Zentimetern Durchmesser, als kreisrunde Schalen mit bis zu 35 cm Durchmesser oder ovale Formen. Die größte davon misst 85 auf 65 cm. Neben unförmigen Scha­ len sind auch solche mit scharfen Rän­ dern und flachem Boden bekannt. Ne­ ben diesen einfachen Schalen sind auch einige Sonderformen zu beob­ achten. Bekannt sind: Augensteine – gemeint sind damit zwei nebeneinander liegende Schalen, die wie Augen in den Himmel starren. Sitzschalen – Schalen am Rand von großen Felsen, die zum Hineinsitzen einladen. Schalensteine sind oft auf erhaben ge­ ­ legenen Felsengruppen zu finden, auf Restlingen oder Härtlingen. Auf Fel­ senbiotopen also, die im Gegensatz zu Findlingen ihren Ursprungsort nicht ver­ lassen haben. Eine Folge von Verwitterung? Erklärungsversuche für ihre Entstehung gibt es viele. Für eine geologische Ent­ stehung als Gletschermühlen, wie sie im Triberger Heimatmuseum zu sehen sind, hält sie der Geologe Professor Dr. Dieter Ortlam. Daniele Gianola, ein schweizer Geologe, bezeichnet die Schalen als Folge von Verwitterungs­ prozessen, bei denen Wasser über lan­ ge Zeit die Gesteinsstrukturen an­ greift, Glimmer und Feldspat dabei ­ herauslöst. Die Oberflächenspannun­ gen, die bei Temperaturschwankun­ gen entstehen, können so selbst den harten Granit zersetzen. Je flacher und größer eine Schale, desto länger dau­ ert dieser Vorgang bereits. Es wird vermutet, dass einige von ihnen schon Kippstein | N 48° 09.075 O 08° 11.938 :: Beim neuen Wind- rad treffen wir auf einen nach oben spitz zulaufenden Restling, der von einigen Felsplatten unterlegt ist. Vor langer Zeit muss der Fels in Folge der Verwitterung am Nordhang abgerutscht sein. Heute könnte der Betrachter vermuten, dass der Stein mit seiner wunderschönen, kreisrunden Schale und der über den ganzen Fels führenden Längsrille absichtlich aufgestellt wurde. Geisterfelsen | N 48° 08.983 O 08° 11.719 :: Der kegelförmig stehende Felsen birgt einige größere und kleinere Schalen. Bei Dämmerung scheinen seine Schalen zu einem mystisch-magi- schen Geistergesicht zu verschmelzen. Freizeit

­­­­­285 vor der letzten Eiszeit existiert haben. Heraus­ gelöste, weichere Mineralschichten könnten ebenfalls zu schalenförmigen Vertiefungen ge­ führt haben. Im geologischen Landesamt Frei­ burg hält man Humussäure für den Auslöser der Schalenbildung. Aber auch Menschen könnten Schalen geformt haben. Dies wäre auch ohne Metall möglich. Mit einem Stock oder Baum­ stumpf kann mit Hilfe von Quarzsand, der in je­ dem Bach zu finden ist, eine Schale in den har­ ten Granit gerieben werden. Das so gewonnene Steinmehl galt in der Vorzeit als Heilmittel. So stellt sich zwangsläufig die Frage: Hat der Schwarzwald um Schonach eine Besied­ lungsgeschichte, die bis in das Neolitikum ­­­­ oder in die Bronzezeit zurückgeht? Haben mög­ li­ cherweise Kelten hier gelebt? Sicher ist ein Nachweis der Nutzung der Schalensteine durch frühe Bewohner nur sehr schwer zu erbringen. Und doch gibt es Fundstücke in der Raum­ schaft um Schonach, die eine Besiedlung in vorgeschichtlicher Zeit möglich erscheinen las­ sen. In Schönwald wurde eine Steinpfeilspitze gefunden, die allerdings verschollen ist. Beim Zusammenfluss von Gutach und Nuss­ bach in Triberg wurde ein Steinhammer sicher­ gestellt, der im Triberger Heimatmuseum zu sehen ist. Im Heimatmuseum Hornberg ist wei­ ter ein in Schonachbach gefundenes Lappenbeil zu sehen. In der Wüs­ tung Berghof fand man zwei Steinklingen aus dunklem Hornstein und Jaspis. Diese Fundstü­ cke sind ebenfalls im Heimatmuseum Horn­ berg zu bewundern. Der in diesem Zu­ sammenhang wichtigste Fund: Auf der Gemarkung Brunnholzer Höhe in Gremmelsbach weisen mehrere Grabhügel mit aufgeschütteten Stein­ haufen eindeutig auf eine frühgeschichtliche Be­ siedelung hin (siehe dazu Almanach 2009). Teufelstritt | N 48° 08.771 O 08° 12.037 Die größte bekannte ovale Schale hat eine Ausdeh- nung von etwa 85 auf 65 cm. Besonders markant sind ihr flacher Boden und die scharfen Außenkanten. Summstein | N 48° 08.915 O 08° 12.089 In diesen Felsblock wurde eine kopfgroße Bohrung eingearbeitet. Hält der Be- sucher den Kopf hinein und summt, oder macht andere Geräusche, so scheint der ganze Felsblock die Schwin- gung aufzunehmen. Am Summstein kann man mit überdimensionierten Hörrohren auch den Geräu- schen der Natur lauschen. Schonacher Schalensteine

­­­­­286 Soziales Die Entdeckung der Schalensteine Einer der schönsten und in der Bevölkerung als „Heidenstein“ oder „Lebendiger Stein“ be­ kannte Schalenstein wurde ohne seine Bedeu­ tung zu kennen von seinem Ursprungsstandort ins Dorf ge­­ holt und zum Dorfbrunnen gestaltet. Es gab verständli­ che Kritik von Schalenstein­ kennern. Das Interesse an Scha­lenstei­nen erwachte. Manche Bürger begriffen die Besonderheit dieser Steine als ein schützenswertes Kul­ turgut.DieInteressengemein­ schaft Schalensteine wurde gegründet und machte sich zur Aufgabe, die Schalensteine auf Schonacher Gemarkung aus­ findig zu machen und auf den kulturellen Wert dieser Naturdenkmale hinzuweisen. Sie legten in Ortsnähe einen 2,4 Kilometer langen Pfad an, der zu neun sehenswerten Scha­len­stei­nen führt. Dieser ausgeschilderte „Schonacher Scha­ lensteinpfad“ beginnt beim Haus des Gastes und führt hinauf in den Hochwald über Scho­ nach. Um im Wald die Orientierung zu erleich­ tern, wurden Holzpfosten mit eingelassenen Peilröhrchen aufgestellt. Das Peilen von Pfos­ ten zu Pfosten findet vor allem bei Kindern gro­ ßen Anklang. Die Begegnung mit den Schalensteinen löst mannigfaltige Empfindungen aus. Dr. Johannes Lehmann, Publizist und Bestseller-Autor, schreibt in seinem Buch „Teuta­ les und Konsorten – Rei­ se zu den Kelten in Süd­ deutschland“: „Seit Sommer 2005 gibt es eine Novität für Freunde von ‘Kelten und Anders­ welten’, den Schona­ cher Schalensteinpfad“. Er hinterfragt in seinem Trachtenbrunnen | N 48° 08.566 O 08° 11.976 Beim Mühlenweiher liegt ein großer Restling, auch als „Heidenstein“ oder „Lebendiger Stein“ bekannt. Er wurde zum „Trachtenbrunnen“ gemacht. Als dieser Stein in den Ort geholt wurde, fiel die aus- geprägte Schale auf. Dazu gab es offensichtlich eine Visur, also eine Peillinie. Und da der Stein in Nord-Südrichtung ausgerichtet war, ergaben sich Hin­ weise auf eine spezielle Nutzung. Das Interesse an Schalensteinen war schlagartig erwacht. Peilrohre dienen bei der Wanderung auf dem Schalensteinweg der Orientierung.

­­­­­287 Schonacher Schalensteine Schalensteine, Näpfchensteine aus: E. Hoffmann-Krayer, H. Bächtold-Stäubli, Hand- wörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin und Leipzig 1932 Die nachfolgenden Angaben sind einem länge­ ren Beitrag aus dem oben genannten Werk ent­ nommen: » In Schleswig-Holstein vergleicht der Volks­ mund diese Vertiefungen mit einem Uhrglas; in Dänemark nennt man die Steine nach den Ver­ tiefungen in einem Festgebäck „aebleskivestene“ (Apfelscheibensteine). » Die Schalensteine sind verbreitet durch ganz Europa und sind auch in Asien und Nordameri­ ka nachgewiesen. Zahlreich finden sie sich in Nord- und Westeuropa. » Noch heutigen Tages wird in Schweden auf den Eibensteinen geopfert, indem man die Schäl­ chen mit Fett salbt und irgendeine kleine Gabe (Nadel, Münze, Bändchen, Blumen) hineinlegt. Man tut das, um sich vor der Rache der unter den Steinen hausenden, sehr empfindlichen „Kleinen“ zu schützen, aber auch um bei Krank­ heiten (hauptsächlich Fieber, Hautkrankheiten) Heilung von ihnen zu erbitten. » An Orten, wo kein Schalenstein in der Nähe bekannt ist, schleift man an den Mauern von Kirchen kleine Höhlungen aus; in den so aus­ gegrabenen Näpfchen an der Marienkirche in Greifswald fanden sich Spuren, dass Fett in sie gerieben wurde; das Fieber wurde in sie von Kranken „hineingepustet“. » Die Näpfchen an einer Kapelle im Kanton Wal­­­­ ­ lis werden immer tiefer hineingeschliffen, weil das herausgeriebene Ziegelmehl Kranken als Medizin gereicht wird. Von dem Näpfchenstein bei Göhren, dem sog. Buskahm (slav. „Gottes­ stein“), geht die Sage, die Seejungfern hielten auf ihm in der Johannisnacht Reigentänze ab. » Einer der gewaltigsten und schönsten Scha­ lensteine ist der von St. Luc, in dem sich 360 kreisrunde Löcher befinden. Der Volksmund sagt, Feen hätten ihn aus Rache nachts auf St. Luc herabrollen wollen, sie hätten aber nicht ver­ mocht ihn von der Stelle zu bringen, sie hack­ ten ihre Absätze mit solcher Kraft hinein, daß die Abdrücke zurückblieben, und stemmten ih­ re Hüften so an, daß die Spuren davon an dem Steine haften blieben. Der Wildsaustein mit großer Schale und symbolischer Opfergabe vom Wiesenrand.

­­­­­288 Buch, wie und wann und warum in dieser Häu­ figkeit die Schonacher Schalensteine entstan­ den sein könnten. Für die Funktion als Opfer­ steine spräche, dass die meisten scha­ len­ förmigen Vertiefungen eine Art Abflussrinne haben wie antike Altäre. Die Rinne könnte aber über sehr lange Zeit hinweg auch durch abflie­ ßendes Wasser entstanden sein. Auf jeden Fall ist der Schonacher Schalensteinpfad eine herr­ liche Spielwiese für Spekulationen. Die Schonacher Schalensteinfreunde ha­ ben eine Vortragsreihe mit dem Titel „Den Ge­ heimnissen der Schalensteine auf der Spur“ sowie eine viel beachtete Begehung mit dem Titel „Vom Hexenfelsen zum Totenkopfstein, von Sonnenvisuren und Mondhörnern“ ange­ boten. Die große Besucherzahl bei allen Veran­ staltungen zeigte deutlich, dass sich die Scha­ lensteine einer immer größeren Be­liebtheit er­ freuen. Besonders markant für Schonach ist die un­ gewöhnliche Häufigkeit der bisher entdeckten Scha­ lensteine. Einige Kenner halten sie für weltweit einmalig. Etliche schlummern wohl noch verborgen in der Natur. Mit der Zeit kris­ tallisierte sich heraus, dass die Schalen nur auf der Sommerbergseite zu finden sind. Ziel der Begehung waren weniger die Scha­ lensteine selbst, sondern eher die zumeist in direkter Nähe befindlichen Anzeigesteine, die bestimmte Himmelsrichtungen bevorzugen: Winter- und Sommersonnenwende, Tag- und Nachtgleiche, für unsere Altvorderen waren das wichtige Daten, Wendepunkte im Jahr. Schalensteinkenner Karl Koch: „Die Steine, die uns solche Hinweise geben, befinden sich mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit in der Nä­ he eines Schalensteins; damit nährt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Schalen, auch wenn sie im Laufe vieler Jahrtausende natürlich entstanden sein mögen, für rituelle Handlun­ gen benutzt wurden“. Zur Bewahrung der Schalensteine, die bis vor wenigen Jahren nur wenigen bekannt wa­ ren, nahm sich eine Schülergruppe der Dom Clemente Schule in Schonach vor, möglichst alle auf der Gemarkung der Gemeinde vorkom­ menden Scha­ len zu erfassen. In einem mehr­ wöchigen Projekt wurden bekannte und bisher verborgene Schalen erfasst, mit GPS vermes­ sen und fotografiert. Im März dieses Jahres konnte dann eine Sammlung mit Daten von über 60 Schalen der Gemeinde übergeben wer­ den. Blick auf Schonach, im Hintergrund der Sommerberg, wo im Wald der Schalensteinwanderweg verläuft, unter anderem im Bereich des Windrades. Freizeit

Soziales ­­­­­289 Nutzung nicht nachweisbar Ein Nachweis der Nutzung der Schalen ist nur sehr schwer zu erbringen, sprich ist nicht nachweisbar. Ein indi­ rekter Beleg könnten die vor kurzem entdeckten Begleitsteine sein. Walter Knaus, ein elsässischer Schalenstein­ forscher, hat in unmittelbarer Umge­ bung einiger Schalen kleine, von Men­ schenhand bearbeitete „Peilsteine“ entdeckt. Mit ihrer Hilfe konnten bei Sonnwenden die Sonnenauf- und -un­ tergänge beobachtet und bestimmt werden. Die Art der Begleitsteine, die eine Datierung erlauben, wurden von Walter Knaus als Sonnenvisuren, ähn­ lich einer Visierlinie beim Gewehr, oder Steinsetzungen nachgewiesen. Die mysteriösen Schalensteine um Schonach hüten ihre Geheimnisse so­ mit weiterhin. Kein Wunder, sie stam­ men aus der Vorzeit: Die ältesten in der nahen Schweiz gefundenen Scha­ lensteine beispielsweise werden der Mittelsteinzeit (8000 bis 4500 v. Chr.) und der Jungsteinzeit (4500 bis 1500 v. Chr.) zugeschrieben. Standorte von Schalensteinen auf Hügeln wie in Schonach lassen vermuten, dass sie aus der Bronzezeit sind, als die Men­ schen von den Seeufern in Höhensied­ lungen zogen. Schließlich wurden ver­ schiedene Schalensteine in oder bei Grabanlagen aus der Bronze- und Ei­ senzeit gefunden, die darauf hinwei­ sen, dass der Kult bis in die Zeit der Kelten gepflegt wurde (siehe dazu auch: www.museums-gesellschaft. ch/schalen­stein). Der Beobachter muss sich letztlich ein eigenes Bild machen und entschei­ den, wo für ihn die Wahrheit liegt. Die Schonacher „Schalomanen“ empfeh­ len daher an einer Schalensteinführung teilzunehmen, die regelmäßig über die Tourist- Info Schonach angeboten wer­ den. Ulrich Gasche, Karl Koch Eulenstein | N 48° 08.921 O 08° 12.163 (GPS) :: Vom Summ- stein aus ist in nordöstlicher Richtung der dunkle Schatten einer etwa 25 cm großen Schale sichtbar. Der Blick von oben lässt den Stein mit beiden Schalen wie das Gesicht einer Eule aussehen.

­­­­­290 Freizeit „Muh“, „muh“, „muh“! Wer als Besucher an Donnerstagen nahe der Donau­esch­in­ger Donau­ hallenentlangläuft,dasneueblitzendeundblin­ kende Ensemble anschaut und bewundert, darf sich nicht irritieren lassen: An Donnerstagen ist die ehemalige B-Halle schon immer fest in Rind­ vieh-Hand gewesen, regelmäßig donnerstags finden dort seit rund 60 Jahren Viehversteige­ rungen statt. Und daran ändert sich auch nichts, soll sich auch nichts ändern, schon gar nicht deshalb, weil der gesamte Hallen-Komplex nun so futuristisch aussieht. Tatsächlich wären die neuen Donauhallen ohne Rindviecher überhaupt nicht denkbar – schließlich war es eine Markthalle zur Abhal­ tung von Viehmärkten, die, 1951 erbaut, vor nun­ mehr rund 60 Jahren den Beginn der Donauhal­ len-Geschichte markiert. Diese Geschichte hat jetzt im September 2010 mit dem Ende der 2006 beschlossenen und 2008 begonnenen grundle­ genden Umbau- und Sanierungsarbeiten ihren vorläufigen Abschluss gefunden. Angesichts des Umfangs, angesichts der Dimensionen der Mo­ dernisierung darf man sagen, dass das Ensem­ ble nun nicht nur in der Gegenwart, sondern schon in der Zukunft angelangt ist. Herz- und Prunkstück der Donauhallen ist der von außen als schwarzer Klotz daherkom­ mende und auch innendrin ganz in schwarz gehaltene neue Strawinsky-Saal, 390 Quadrat­ meter groß, Platz bietend für rund 400 Besucher Die Donauhallen sind in der Zukunft angelangt Nach mehr als einem Jahrzehnt der Überlegungen, der Diskussionen und des Ab- wägens und nach zweieinhalbjähriger Bauzeit sind Anfang September 2010 die von Grund auf sanierten Donauhallen in Donaueschingen eröffnet worden. ­ Entstanden ist auf altem Grund ein Ensemble, das als Veranstaltungsort höchsten Ansprüchen genügt und das aufgrund seiner Vielfältigkeit einzigartig ist im Schwarzwald-Baar-Kreis. 14,5 Millionen Euro wurden investiert, stolz präsentiert Oberbürgermeister Thorsten Frei das Bauwerk, das er als ein „Signal der ­ Zukunftszuversicht“ versteht. Die Investition wurde zu 50 Prozent vom Land ge- fördert, es war keinerlei Kreditaufnahme für das Vorhaben erforderlich. Oberbürgermeister Thorsten Frei freut sich über die zukunftsweisende Donauhallen-Sanierung. Rechts unten: Einzigartig ist der Strawinsky-Saal mit seiner fabelhaften Akustik.

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­­­­­292 und im ersten Obergeschoss gelegen. Wegen seiner aufwendigen Akustik ist der als Kam­ mermusik-Saal konzipierte Saal einzigartig in weitem Umkreis. Josef Welle, der Präsident der Gesellschaft der Donaueschinger Musikfreun­ de, spricht angesichts der Qualität von einer „Zeitenwende“ und sagt: „Damit geht ein Traum in Erfüllung.“ 16 Pianisten an acht Flügeln Seine Feuertaufe aus akustischer Sicht hat der Strawinsky-SaalamEröffnungswochenendemit dem Konzert des Baynov-Ensembles aus Tros- singen mit Bravour bestanden: An acht Flügeln spielten sich sechzehn Pianisten mit 32 Händen in die Ohren und Herzen der begeisterten Zu­ hörer. Wegen der hervorragenden Qualität des Strawinsky-Saales spricht Georg Riedmann, der Leiter des Donaueschinger Kulturamts, davon, dass dort künftig „Kultur in einer ganz neuen Dimension“ möglich sei. Und tatsächlich hat der Saal schon einige Strahlkraft bewiesen, wie das Programm der Musikfreunde beweist: Zahlrei­ che Künstler von hochkarätigem Format werden in nächster Zeit in Donaueschingen erwartet. Neben Top-Musikern werden künftig auch vermehrt Kleinkunst-Veranstaltungen im Stra­ winsky-Saal der Donauhallen gastieren – und auch hier gilt: Dank der neuen Möglichkeiten, die die Hallen insgesamt bieten, kommen nun Comedy- und Kabarett-Größen nach Donau­ eschingen. Derweil können im Strawinsky-Saal theoretisch nicht nur Freunde schöner Töne und witziger Pointen auf ihre Kosten kommen – dank einer ausgefeilten Technik kann die Bühne praktisch in jeder Ecke des Saales aufgestellt werden, außerdem kann sie wie die Stuhlrei­ hen dank eines Podestes angehoben werden. Denkbar wäre beispielsweise, die Bühne in der Mitte und auf der ganzen Länge des Saales zu erheben, so dass dort auch Modenschauen und sogar ein Boxkampf stattfinden könnten. Und auch um den Strawinsky-Saal herum bieten die Donauhallen nun das, was die Stadt mit dem griffigen Slogan „Raum für jeden An­ lass“ umschreibt. Die bisherige A-Halle, nun auf den Namen Mozart-Saal getauft, ist mit 600 Quadratmetern Grundfläche, der 160 Quadrat­ meter großen Bühne und der hochwertigen Beleuchtungs- und Beschallungsanlage der klassische Raum für Großveranstaltungen al­ ler Art – geeignet für Vereinsfeiern, Tagungen, Kongresse und Foren. Das neu gestaltete groß­ zügige und lichtdurchflutete Foyer bietet Platz für Begegnung. Ein robuster Alleskönner Die eingangs schon angesprochene ehemalige B-Halle, nunmehr Bartók-Saal, ist der robuste Alleskönner: kein Parkett, keine Fliesen, son­ dern ein schön geteerter Untergrund. Der Saal verfügt über keine eigene feste technische Aus­ stattung, kann dank einer an der Decke instal­ lierten Traverse aber problemlos und schnell mit Licht- und Tontechnik aufgemotzt werden. Der Bartók-Saal weist zudem einen enormen lo­ gistischen Vorteil vor: Die Einfahrt ist so groß, dass selbst Lastwagen locker rein- und wieder rausfahren können. Das macht den Saal attrak­ tiv für Messen; speziell mit Blick auf solche Ver­ anstaltungen wurde auf der ebenfalls neuen Empore im Saal-Innern auch ein eigener Büro­ Eröffnung der Kiess-Ausstelllung im Bartók-Saal Großflächig überdachte Eingangsbereiche.

Soziales ­­­­­293 raum eingerichtet, von dem aus verschiedenste Veranstaltungen gemanagt werden können. Ein­ geweiht wurde der Bartók-Saal als erster Hallen- Teil überhaupt mit der Ausstellung von Werken des Baaremer Künstlers Emil Kiess. Die Schau unter dem Titel „Gegenwart und Rückschau“ gab von Anfang September bis Anfang Oktober einen Überblick über das vielfältige Schaffen des gebürtigen Trossingers, der heute in Donau­ eschingen und Hüfingen lebt und arbeitet. Ganz neu hinzugekommen ist im Zuge der Modernisierung der Seminarbereich. Sechs Räume auf zwei Etagen in den verschiedensten Größen – von 43 bis 228 Quadratmeter – stehen zur Verfügung. Ganz der Donaueschinger Musiktage-Tra­ dition verpflichtet, erhielten die drei größeren Räume im ersten Obergeschoss, wie die Säle und Hallen, die Namen berühmter Komponisten – in diesem Fall Hindemith, Stockhausen und Schönberg. Auf Wunsch können die Räume in den beiden Etagen variabel miteinander kombi­ niert werden, auch die Technik ist je nach Anlass individuell anpassbar. So ist in den Seminar­ räumen von der privaten Feier über Produkt­ präsentationen bis hin zu Theateraufführungen und Konzerten alles möglich. Übrigens: Wer sich entspannen möchte, dem steht der Semi­ nargarten offen. Auch das Umfeld soll stärker als bislang ein Ort für Veranstaltungen sein Aber nicht nur die eigentlichen Donauhallen, auch das Umfeld soll sich noch stärker als bis­ her als ein Ort der Veranstaltungen und der Kul­ tur etablieren. Deutlich wurde das am Vorabend der offiziellen Halleneinweihung mit dem Mu­ sik-Festival „DonauRockt“, das auf dem großen Hallenvorplatz über die Bühne ging. Mehr als 1.000 Rockfans feierten mit – das Festival stellte damit die Fest-Tauglichkeit des großen Park­ platzes unter Beweis. Der Vorplatz ist im Übrigen mittlerweile auch als Standort für Kunst im öffentlichen Raum eta­ bliert. Unmittelbar nach dem Ende der Landes­ gartenschau in Villingen-Schwenningen Anfang Oktober wurde die Skulptur „Flower Power“ von Stefan Rohrer nach Donaueschingen weiterge­ reicht; die Familie Biedermann aus Schwennin­ gen, die in der Donaustadt vor Jahresfrist das Museum Biedermann an der Brigach eröffnet hat, stellt die Skulptur der Stadt als Dauerleih­ gabe zur Verfügung. Der Original-VW-Käfer, aus dessen aufgesprungenem Dach das Blech, Blumenblättern gleich, ebenso wie das Lenkrad und die Sitze in die Höhe schießen, wird auf dem Hallenvorplatz geparkt – als ein deutlich sicht­ bares Zeichen dafür, dass Besucher hier eben auch Kunst-Land betreten. Dass sich dieser Anspruch, Heimat für Kunst und vielfältige Kultur zu sein, mit der Geschich­ te und der Tradition der Hallen überhaupt nicht beißen muss, das hat beim Eröffnungs-Festakt der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus betont. Eine „gelungene, sehr, sehr schöne Halle“ sei da entstanden, würdigte er die Donaueschinger Initiative. Das Geld sei gut investiert, weil Städtebauförderung zusätz­ liche wirtschaftliche Effekte auslöse und eine gute Infrastruktur das zentrale Moment für die Entwicklung des ganzen Landes darstelle, so Mappus weiter. Die Stadt Donaueschingen be­ zeichnete er als eine „der Perlen des Landes“. Steffen Maier Führungen für Bürger durch die Donauhalle. Freude über die gelungene Generalsanierung.

­­­­­294 Im „RADPARADIES Schwarzwald und Alb“ haben die Landkreise Rott­ weil und Schwarz­ wald-Baar-Kreis im Jahr 2010 auf der Grundlage vor­­­­handener und stark frequentier­ ter Radfernwege wie dem Donauradweg oder dem Neckartalrad­ weg 30 Radrundtouren für Radwanderer ausge­ wiesen, die zum Verweilen in einer Raumschaft einladen, in der es außergewöhnlich viel zu er- fahren gibt. Im Interesse der Radwanderer (damit sind sowohl die einheimische Bevölkerung wie auch Touristen gemeint) galt es, die abwechslungs­ reichen Landschaften im Umfeld der Radfern­ wege – Schwarzwald und Baar, Obere Gäue und Schwäbische Alb – durch ein engmaschiges Routennetz zu erschließen. Die Beschilderung Die verwendete Beschilderung folgt den Emp­ fehlungen der Forschungsgesellschaft für Stra­ ­ ßen- und Verkehrswesen (FGSV), die zwischen­ zeitlich bundesweite Beachtung findet. Die Schilder erkennt man an der grünen Schrift auf weißem Grund. Auf den Hauptwegweisern, die an größeren Weggabelungen zum Einsatz kom­ men, sind die nächsten beiden größeren Orte mit den jeweiligen Entfernungen angegeben. Zwischenwegweiser sind erheblich kleiner und haben ein quadratisches Format. Sie zeigen dem Radfahrer lediglich die weitere Fahrtrich­ tung (links, rechts, geradeaus) an. Das Tourenbuch Um seine Radtouren optimal vorplanen zu kön­ nen, gibt es für die 30 bestens ausgeschilderten Rundtouren mit insgesamt 1.150 Streckenkilo­ metern das RADPARADIES-Tourenbuch. Mit Hilfe der Übersichtskarte kann man sich die Routen aussuchen, um dann gezielt die In­­­ ­ formationen zu den Rundtouren aus dem Ring­ buch herauszunehmen. Die Seiten sind wasser­ abweisend beschichtet und eignen sich für Fahr­ ­­­­radlenkertaschen mit Sichthüllen. Neben der Darstellung der einzelnen Routen auf einer Kar­ te, findet man auch Informationen zu Höhenpro­ fil, Gesamtlänge und Schwierigkeitsgrad. Ferner gibt es ausführliche Wegbeschreibungen sowie Beschreibungen und Bilder der wichtigsten ­ Sehenswürdigkeiten entlang der Strecken. Das Tourenbuch kostet 19,80 € und ist im Buchhan­ del und den Tourist-Informationen erhältlich. GPS-Navigation Wer gerne auf moderne Technik setzt, kann sich ergänzend per GPS-Navigation leiten las­ sen. Die Daten und weitere Informationen zum RADPARADIES, wie bspw. Übernachtungsmög­ lichkeiten, Pauschalen, Informationen zu Spon­ soren und Partnern sind auf der Internetseite www.rad-paradies.de zu finden. RADPARADIES-Pass Der RADPARADIES-Pass ist eine Übersichtskarte mit anhängenden Gutscheinen, mit denen der Inhaber bei den beteiligten Einrichtungen viele Vergünstigungen und attraktive Sonderleistun­ gen erhält. Das RADPARADIES Schwarzwald und Alb ist eröffnet Auf zwei Rädern den Schwarzwald, die Baar und die Alb erkunden Freizeit

­­­­­295 Den Pass erhält man bei den Zulassungs­ stellen des Landratsamtes, in allen Tourist-Infos und Verkehrsämtern der Stadt- und Gemeinde­ verwaltungen sowie bei den Partnern und Spon­ soren. Die Eröffnung „RADPARADIES Schwarzwald und Alb“ – ein Reisebericht Am 13. Juni 2010 wurde das RADPARADIES Schwarzwald und Alb mit einer Radtour von Königsfeld über Villingen auf die Landesgarten­ schau nach Schwenningen offiziell eröffnet. Die Eröffnungsradtour war eine Kombination aus vier der vorgeschlagenen „RADPARADIES“- Rundrouten: Tour Nr. 15, 19, 21 und 25. Bei nach­ lassendem Regen waren in Königsfeld über 300 Radler am Start. Dieca.6.200EinwohnerzählendeGemeinde Königsfeld im Schwarzwald ist weithin bekannt als heilklimatischer Kurort und Kneippkurort. Wir radelten aus Königsfeld in südwestlicher Richtung hinaus und überquerten die K 5723. Das RADPARADIES wird eröffnet, oben v.l.n.r.: ­ Bundestagsabgeordneter Ernst Burgbacher, Land- rat Dr. Wolf-Rüdiger Michel, Oberbürgermeister Dr. Rupert Kubon, Landrat Karl Heim, Radio 7-Mo- derator Marc Herrmann bei der Übergabe der Einstiegstafel. Unten links: Start der Eröffnungs- radtour in Königsfeld, unten rechts: Pause im Groppertal.

­­­­­296 Soziales Vorbei an tiefen Wäldern und weiten Wiesen gelangten wir nach Peterzell. Seit seiner Einge­ meindung im Jahre 1974 stellt das ca. 1.580 Ein­ wohner zählende Peterzell den größten Ortsteil von St. Georgen dar. Bei einer nicht zu flotten Abfahrt durch Peterzell ist auf der rechten Seite die mittelalterliche Peterskirche zu sehen, wel­ che sowohl romanische als auch spätgotische Bauelemente aufweist. Am südlichen Ortsende von Peterzell ge­ leitete uns die Unterführung sicher unter der Bundesstraße 33 hindurch, so dass wir unsere Tour auf dem von Schwarzwaldbahn und B 33 flankierten Radweg Richtung Stockburg und Groppertal fortsetzen konnten. Im Groppertal ist ein Nebeneinander ver­ schiedenster Zeitepochen zu bewundern: Die in den Jahren 1863 bis 1873 von Robert Ger­ wig erbaute Schwarzwaldbahn, welche täglich zahlreiche Reisende in modernen Doppelstock­ waggons in knapp 3 1/2 Stunden von Karlsruhe nach Kreuzlingen bringt, rauscht sowohl an al­ ten Schwarzwaldhöfen als auch modern geklei­ deten Radfahrern und Inlineskatern vorbei, die ihrem Hobby auf der Straße durch das schöne Groppertal nachgehen. Kurz vor der Überquerung der Bahngleise am Kirnacher Bahnhöfle ist auf der linken Seite der Uhufelsen zu sehen, von welchem der Blick auf die im Groppertal fließende Brigach gelenkt wird. Der parallel zur Brigach verlaufende Weg geleitete uns zur Feldner Mühle, einem Heim für körperbehinderte Kinder und Jugendliche. An ausgewählten Sonntagen bietet es sich für den hungrigen und durstigen Radler an, bei der Feldner Mühle eine Verschnaufpause einzule­ gen und die Köstlichkeiten zu genießen, welche die verschiedenen Vereine dort anbieten und deren Verkaufserlös dem Heim zugute kommt. Vorbei am Kurgarten und über die Sebas­ tian-Kneipp-Straße erreichten wir nach der Durchfahrt des Oberen Tores die historische In­ nenstadt von Villingen. Auf dem Osianderplatz wurden wir von flotter Musik empfangen und stärkten uns bei einem Imbiss, um anschlie­ ßend den Stadtkern von Villingen wieder über das Bickentor Richtung Landratsamt Schwarz­ wald-Baar-Kreis und hinauf zum „Kopsbühl“ zu verlassen. Kurz vor der Abfahrt in den VS-Orts­ teil Zollhaus wird der Radler mit einer wunder­ baren Aussicht belohnt: im Osten erhebt sich die Schwäbische Alb, im Westen sind die Höhen des Schwarzwaldes und im Süden das Hochpla­ teau der Baar zu sehen. Von Zollhaus aus bahnten sich die über 300 Radler der „RADPARADIES“-Eröffnungstour, wie an einer Perlenschnur aufgefädelt, durch die weiten Felder und Wiesen den Weg Richtung Schwenninger Moos. Kurz nachdem wir auf nunmehr schwäbi­ schem und nicht mehr badischem Boden die He­ lios-Arena (Eishockeystadion der „Schwennin­ ger Wild Wings“) passiert hatten, erreichten wir das Gelände der „Landesgartenschau Villingen- Schwenningen 2010“. Über den Eingang beim weithin sichtbaren Neckar Tower gelangten wir – nach einem Blick in den gemeinsamen Pavil­ lon der Stadt Villingen-Schwenningen und des Quellenlandkreises Schwarzwald-Baar – zu der Hauptbühne der Landesgartenschau. Dort klang die „RADPARADIES“-Eröffnungstour mit verschie­ denen Aktionen aus – gut geschützt unter dem Zeltdach vor dem wieder einsetzen­ den Regen. Steffi Schmid Links: Unterwegs zur Landesgartenschau. Rechts: Grüne Schrift auf weißem Grund – die Beschilde- rung zum Radparadies Schwarzwald und Alb. waggons in knapp 31/2 Stunden von Karlsruhe

16. Kapitel Sport Nach den perfekt verlaufenden Europameisterschaften reiste Matthias Schwierz im Oktober 2010 mit großen Hoffnungen zur WM – und hätte fast eine Medaille erreicht. Auf dem Straßenkurs fehlten ihm ganze drei Zentimeter zu Rang vier, nur sieben Hundertstel zur Bronze-Medaille und 18 hun- dertstel Sekunden zu Gold. So eng geht es beim Inline-Speed- skating her. Hervorragend je- doch auch das Abschneiden auf der 500-Meter-Strecke, wo Schwierz sich erst im Halbfina- le geschlagen geben musste. In Kolumbien ist Inline- Speedskating eine überaus populäre Sportart. „Da verfol- gen Tausende von Zuschau- ern die Wettkämpfe, mehrere Fernsehsender berichten live“, schwärmt der 26-Jährige von der Atmos­phäre bei dieser Welt- meisterschaft. Doch Schwierz bekam auch die andere Seite des 42,8 Millionen-Einwohner- Staates im Norden des südamerikanischen Kon- tinents zu sehen. „Wir wurden schon am Flugha- fen von Sicherheitsleuten abgeholt, die Straßen wurden extra für uns gesperrt. Da hatte man aufgrund der Sicherheitslage doch ein mul- miges Ge­­­­­fühl.“ Schwierz kennt die Statistik: Mit 74 Morden pro 100.000 Einwohner pro Jahr liegt Kolumbien weltweit an der Spitze. NatürlichfälltdieWM-Bi­­lanz des Weilersbachers rundum positiv aus, auch wenn er ger- ne eine Medaille mitgebracht hätte. Matthias Schwierz hält fest: „Für mich waren die Wett- kämpfe einfach ein großarti- ges Erlebnis. Man kommt mit anderen Athleten in Kontakt, lernt die Kultur des Gastge- berlandes etwas kennen. Das sind Eindrücke, die man nie vergisst“. Beim SERC in der Nachwuchsmannschaft China, Venezuela, Südkorea und Kolumbien waren nur einige Stationen in seiner rund zehn- jährigen Karriere. Dabei begann alles mit dem Eishockeyschläger in der Hand. Keine vier Jahre Matthias Schwierz auf Erfolgskurs Der Weilersbacher ist Junioren-Weltmeister, mehrfacher Deutscher Meister und nun auch Europameister im Inline-Speedskating – Fünfter bei der Weltmeisterschaft 2010 Matthias Schwierz aus Weilersbach hat Grund zur Freude: Bei der Inline-Speed- skating-EM 2010 im italienischen San Benedetto del Tronto sprintete er im Som- mer 2010 auf der 200-Meter-Strecke auf Platz eins und holte sich seinen ersten Europameistertitel und zudem die Bronzemedaille über 500 Meter Sprint. Bei den Weltmeisterschaften in Kolumbien schaffte er Ende Oktober 2010 auf dem Stra- ßenkurs den sensationellen fünften Platz und war damit bester Europäer. Beim 500-Meter-Lauf kam er bei der WM auf den herausragenden sechsten Platz. MatthiasSchwierz–frischgebacke- ner Europameister auf der 200-Me- ter-Strecke im Inline-Speedskating. ­­­­­297

­­­­­298 Sport alt war Matthias Schwierz, als er am Schwen- ninger Bauchenberg dem Puck hinterher jagte. „Ich habe beim Schwenninger ERC bis zum Alter von 14 Jahren die Nachwuchsmannschaften durchlaufen, auch in der baden-württembergi- schen Jugendauswahl gespielt. Übrigens – der heutige Kapitän der deutschen Nationalmann- schaft und NHL (National Hockey-League)-Star Marcel Goc war mein Teamkollege“, schmunzelt Schwierz, der auch mit Yannic Seidenberg zu- sammenspielte. Doch ganz das Niveau von Goc und Co. besaß der gebürtige Villinger nicht. „Ich hätte aber – wie es andere vor- und nachge- macht haben – mit 14 Jahren auf das Eishockey- Internat nach Mannheim wechseln können. Das wollte ich aber nicht. Deshalb habe ich mit der schnellsten Mannschaftssportart der Welt auf- gehört“, gibt der Dampfnudel-Liebhaber einen Einblick in seine damalige Lage. Vom Eishockey zu den Inlinern war es dann kein weiter Weg. „Ich wollte mich mit Skating einfach in Form halten, etwas für meine Fitness tun.“ Schnell war klar, dass Matthias Schwierz großes Talent besaß. „Mein damaligerTrai­­­­ner in Tuttlingen hat mich gleich für die DM gemeldet, bei der ich als Zweiter auf dem Treppchen stand.“ Der Weilersbacher hat­­­­te also „seine“ Sportart ge- funden. „Speedskating macht einfach sehr viel Spaß“, lacht Schwierz, der von nun an einen Er- folg nach dem anderen einfuhr, besonders im Sprintbereich eine Medaille nach der anderen überreicht bekam. Gold bei der Junioren-Weltmeisterschaft 2001 Ein Höhepunkt war dann die Junioren-Welt- meisterschaft im Jahr 2001, als der Speedskater nicht zu schlagen war. „Gold bei einer Junioren- WM, das war unglaublich! Diesen Tag werde ich nie vergessen“, freut sich der 26-Jährige, der im Aktivenbereich an seine Erfolge anknüpfen konnte, was sein großes Talent und Können unterstreicht. Mittlerweile elf Mal stand er bis heute bei den Europameisterschaften auf dem Treppchen. Matthias Schwierz verweist auf eine Gold-, auf sechs Silber- und vier Bronzemedail- len bei den kontinentalen Titelkämpfen. Matthias Schwierz ist äußerst erfolgreich, obwohlgeradeindieserSportartdasGlücknicht immer bei den Tüchtigen ist. Nicht nur, dass es im Speedskating auf jede Hundertstelsekunde ankommt, auch der Kampf Mann-gegen-Mann wird mit Haken und Ösen geführt. „Da bekommt man schon mal in der Kurve einenEllenbogenab, das gehört dazu“, betont er. Rückkehr zum Eisschnelllaufen Aufgrund der fehlenden olympischen Perspek- tive im Speedskating zog Matthias Schwierz, nun Maschinenbau an der Fachhochschule in Schwenningen studierend, vor vier Jahren im Winter wieder die Schlittschuhe an. Der Eishockey-Schläger blieb aber im Schrank. Ziel des Weilersbachers war es nun, sich im Eisschnelllaufen den olympischen Traum zu erfül- Mit Power beim Inline-Speedskating: Matthias Schwierz. ­­­­­298

Sport len. Und es begann gut für den Seiteneinsteiger. Schnell war klar, dass Schwierz über die 500 Meter mit den besten deutschen Läufern mit- halten kann. Doch es folgte der 28. Dezember 2007. Beim letzten Überprüfungswettkampf vor den deut- schen Meisterschaften im Sprint-Vierkampf stürzte Schwierz am Kurvenausgang und prall- te so hart auf die Bande, dass er die Körperbe- herrschung verlor, wobei er sich mit dem linken Schlittschuh schwer ins rechte Sprunggelenk schnitt. Dabei wurden zwei Sehnen und eine Arterie verletzt. Nach einer er­ sten Hilfe noch an der Bahn wurde Schwierz ins Krankenhaus ge- bracht und operiert. Somit war an einen Weltcup erst einmal nicht zu denken. „Der Sportwinter war für mich natürlich gelaufen“, erinnert sich der Weilersbacher. Aber Matthias Schwierz kämpfte sich, nun im Leistungszentrum in Berlin trainierend, zu- rück. Über die selten gelaufene Strecke 100 Meter holte er im Winter 2008/09 DM-Gold, ver- besserte sich zudem auf den olympischen 500 Metern. Der Lohn waren zahlreiche Weltcup- Starts und eine realistische Möglichkeit, sich ein Jahr später für die Winterspiele von Vancou- ver zu qualifizieren. „Dann habe ich unglücklich die Qualifikation für die erste Weltcup-Phase verpasst, konnte das Vancouver-Ticket nicht lö- sen, obwohl ich wenig später die Weltcup-Norm unterboten habe. Leider zu spät“, blickt der Eis- schnellläufer zurück. Die Zukunft gehört dem Inline-Speedskating Und nun? Matthias Schwierz hat sein Maschi- nenbau-Studium erfolgreich abgeschlossen, wird im Dezember bei Mercedes in Stuttgart als Ingenieur beginnen. „Damit ist meine Eis- schnelllaufkarriere beendet, weil ich mich auf meinen Job konzentrieren möchte“, stellt der Weilersbacher klar. Nicht beendet ist, zumal nach den Erfolgen in dieser Saison, die Karriere als Inline-Speed­ skater. Nun gilt es, sich auf die kommenden Meisterschaften vorzubereiten und wenn mög- lich, die Titel auf deutscher und europäischer Ebene zu verteidigen. Auch eine weitere WM- Teilnahme ist möglich. Gunter Wiedemann/wd Auch im Eisschnelllauf können sich die Erfolge ­ sehen lassen: 2008 wurde Matthias Schwierz Deutscher Meister über 100 Meter. Erfolge im Inline-Speedskating Europameistertitel 2010 in San Benedetto Italien über 200 Meter Sprint auf der Straße 6-facher Vize-Europameistertitel über 200 und 500 Meter Sprint Straße 3-facher Bronzemedaillengewinner EM über 200 und 500 Meter Sprint Straße Juniorenweltmeister 2001 über 300 Meter Sprint auf der Straße 14-facher Deutscher Meister über die verschie- densten Strecken TeilnahmeanallenDM’s,EM’sundWM’sseit2001 5. Platz bei der Weltmeisterschaft 2010 in Kolumbien im 200-Meter-Lauf 6. Platz bei der Weltmeisterschaft 2010 in Kolum- bien im 500-Meter-Lauf Erfolge im Eisschnelllauf seit 2006 3. Platz Deutsche Meisterschaft 2006 über 100 Meter Deutscher Vize-Meister 2007 über 100 Meter Deutscher Meister 2008 über 100 Meter 3. Platz Deutsche Meisterschaft 2008 über 500 Meter Teilnahme an der Universiade 2007 in Turin und 2009 in Harbin, China ­­­­­299

­­­­­300 Wann ist der richtige Zeitpunkt, um eine Karrie- re als Spitzensportler zu beenden? „Wenn’s am schönsten ist“, würde Simone Hauswald, geb. Denkinger, antworten, denn genau das hat die Schönwälderin im März 2010 getan. Nach 20 Jahren Biathlon-Spitzensport stellte Hauswald dasGewehrundihreLanglauf-LattenindieEcke. Für viele unverständlich, immerhin befand sich die 31-Jährige in der Form ihres Lebens. „Simone hätte noch einige Jahre an der Weltspitze mit- mischen können“, bedauerte Frauen-Bundes- trainer Uwe Müssiggang. Doch Hauswald ließ sich auch von zahlreichen Überredungskünst- lern nicht von ihrer Entscheidung abbringen und schloss einen Rücktritt vom Rücktritt mehrmals aus. „Ich habe nach 20 Jahren Leistungssport in meinem Leben nun andere Prioritäten. Ich hatte viele schöne Momente als Sportlerin. Aber jetzt freue ich mich darauf, die Dinge machen zu kön- nen, auf die ich Lust habe und will einfach das ­Leben ohne Stress genießen.“ Hauswald beton- te schon während ihrer Zeit als Spitzensportle- rin immer wieder, wie wichtig ihr Familie und Privatleben sind. Seit über 15 Jahren im Schwarzwald Dem Biathlon-Sport sagte Simone Hauswald zwar adieu, dem Schwarzwald bleibt sie aber weiterhin erhalten. Seit über 15 Jahren wohnt die gebürtige Schwäbin nun mittlerweile im Mit- telschwarzwald, zunächst in Furtwangen und seit rund einem Jahrzehnt in Schönwald. 1995 kam Hauswald von ihrem Heimatort Gosheim-Wehingen an das Ski-Internat nach Furtwangen (SKIF). Dort fand sie für die Kombi- nation aus Schule und Spitzensport hervorra- gende Voraussetzungen. Bester Beweis hierfür war das Jahr 1998. Innerhalb weniger Wochen wurde die SKIF-Schülerin, damals noch unter ihrem Mädchennamen Simone Denkinger, zwei- fache Junioren-Weltmeisterin und bestand das Abitur am Furtwanger Otto-Hahn-Gymnasium. Nach der Schulzeit folgte 1999 ein freiwilli- ges soziales Jahr am Furtwanger Krankenhaus und zudem eine weitere Goldmedaille bei der Junioren-WM. Danach ging Hauswald zur Sport- fördergruppe der Bundeswehr. Nach zwei weiteren Titeln bei den Europa­ meisterschaften (2001 und 2002) startete „Simmi“ 2002 erstmals im Weltcup. Auf Anhieb glänzte sie mit Spitzenresultaten, sorgte für fri- schen Wind in der Deutschen Mannschaft und gewann 2003 und 2004 mit Staffel-Bronze ihre ersten zwei WM-Medaillen bei den weltbesten Biathletinnen. DiekommendenJahregingesallerdingsnicht mehr nur bergauf. Es gab auch sportliche Rück- schläge. Die Olympischen Spiele 2006 in Turin wurden zum Tiefpunkt ihrer Karriere. Als Ersatz- läuferin kam Simone Hauswald in keinem Ren- Zweimal Bronze für Simone Hauswald Die Weltklasse-Biathletin aus Schönwald beendet auf dem sportlichen Höhepunkt ihre Karriere – Ein filmreifes Karriere-Ende Simone Hauswald Sport

Simone Hauswald mit ihren olympischen Bronze-Medaillen. Unten der Zieleinlauf bei der Weltmeisterschaft 2009 in Korea, Heimatland der Mutter, wo Simone Hauswald die Silbermedaille gewinnen konnte.

­­­­­302 Sport nen zum Einsatz und reiste schwer enttäuscht vorzeitig ab. Es schien so, als bliebe Simone Hauswald für den Rest ihrer Karriere im Schat- ten der erfolgreichen deutschen Biathletinnen wie Kati Wilhelm oder Magdalena Neuner. Doch unterkriegen ließ sich die „schwäbische Schwarzwälderin“ (Hauswald über Hauswald) nicht – getreu ihrem Motto „Das Leben ist viel zu kurz für ein langes Gesicht“. Durchbruch in die absolute Weltspitze Und die siebenfache Deutsche Meisterin wur- de für ihre Zielstrebigkeit belohnt: Im Win- ter 2008/09 begann ein steiler Aufstieg. Die Schönwälderin gewann danach in eineinhalb Jahren mehr, als sie sich für ihre gesamte Kar- riere erträumt hatte. Der Startschuss war ihr erster Weltcup-Sieg im Dezember 2008 im ös- terreichischen Hochfilzen. Es war zugleich der Durchbruch in die absolute Weltspitze. Im Feb- ruar 2009 folgte der erste große Höhepunkt: Bei den Weltmeisterschaften im Heimatland ihrer Mutter, in Südkorea, gewann Simone Hye Soon Hauswald Einzel-Silber und Staffel-Bronze. Es folgten kurz darauf noch die Weltcup-Siege zwei und drei. Im Gesamtweltcup kam sie als Neunte zum ersten Mal unter die Top Ten. Auf die Fra- ge nach dem Geheimnis ihres späten Erfolges meinte die Biathletin stets mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich habe geheiratet.“ Die Frank- furter Allgemeine Zeitung (FAZ) titelte danach: „Simone Hauswald: Mit neuem Namen zu neuer Stärke.“ Heirat auf den Seychellen Die Heirat war im Mai 2008. Auf den Seychellen gaben sich Simone und ihr langjähriger Freund und Heimtrainer Steffen Hauswald das Ja-Wort. Die Biathletin teilte danach auf ihrer Homepage süffisant mit: „Ich bin mit meinem Freund in den Urlaub geflogen und mit meinem Mann wieder zurückgekehrt“. Im Winter 2009/10 setzte sich die Erfolgs- geschichte weiter fort. Und dieses Mal gleich mit mehreren Highlights. Zuerst erfüllte sich Maßgeblichen Anteil am großen Erfolg von Simo- ne Hauswald hat das Skiinternat Furtwangen mit seinem einzigartigen Ansatz, Schulausbildung und Leistungssport zu kombinieren. Hier besucht Simone Hauswald ihre ehemalige Schule, das Furtwanger Otto-Hahn-Gymnasium, wo Martin Schartel als Koordinationslehrer wirkt und früher auch die Biathletin schulisch betreute.

Hauswald mit zwei Bronzemedaillen bei den Olympischen Spielen im kanadischen Whistler „einen Kindheitstraum“. Kurz darauf schrieb die 31-Jährige in Oslo Biathlon-Geschichte. Am Holmenkollen gewann Hauswald in überragen- der Manier innerhalb von vier Tagen drei Welt- cup-Rennen und wurde dadurch zum Dauergast beim norwegischen König Harald. Passend hierzu meinte Schönwalds Bürgermeister Hans- Georg Schmidt wenig später: „Simone, Du bist unsere Königin von Oslo.“ Mit Blick auf die Karriere seiner prominentesten Bürgerin sagte Schmidt euphorisch: „Du hast uns vor dem Fern- seher wunderschöne Stunden beschert“ Zweite im Gesamtweltcup Doch nicht nur Olympia und Oslo waren heraus- ragend. Hauswald wurde hinter Superstar Mag- dalena Neuner Zweite in der Weltcup-Gesamt- wertung, gewann den Sprint-Gesamtweltcup und gehört fortan zum kleinen Kreis der Biath- leten, die in allen fünf Disziplinen (Sprint, Ver- folgung, Massenstart, Einzel und Staffel) Welt- cup-Siege feierten. Sie gewann in einem Winter mehr als in den zehn Jahren zuvor zusammen. Und obwohl ihr letzter Biathlon-Winter ei­ gentlich schon genügend von Erfolg gekrönt war, setzte Simone Hauswald im letzten Monat ihrer Karriere noch einen drauf: Den Weltmeis- ter-Titel mit der Deutschen Mixed-Staffel. Über- legen gewann sie gemeinsam mit Magdalena Neuner, Simon Schempp und Arnd Peiffer im sibirischen Chanty-Mansijsk die Goldmedaille. Ein grandioser und emotionaler Abschied vom Spitzensport. Die letzten Wochen in der Karriere von Simo- ne Hauswald waren wahrlich filmreif. Sie wer- den nicht nur der Hauptdarstellerin noch lange in Erinnerung bleiben. Und mit Blick auf diese Zeit hat die sympathische Schönwälderin stets die Gewissheit: „Ich habe aufgehört, als es am schönsten war“. Der Terminkalender der belieb- ten Biathletin ist auch weiterhin voll. Sie ist eine gefragte Gesprächspartnerin bei den Medien oder beteiligt sich an Podiumsdiskussionen wie „Frauen auf der Zielgeraden“. Alles Aktuelle er- fährt man unter www.simone-hauswald.de Christof Kaltenbach Nach Einzel-Silber und Staffel-Bronze gab es für Simone Hauswald im Mai 2009 in ihrer Heimat- gemeinde Schönwald einen herzlichen Empfang. Links beim Eintrag ins Goldene Buch der Gemein- de und rechts zusammen mit Bürgermeister Hans- Georg Schmidt. ­­­­­303 Simone Hauswald mit ihrem Ehemann Steffen – er war zugleich der Heimtrainer der Biathletin.

­­­­­304 Theater Installationskunst und Straßentheater Kurt Heizmann: Mit Witz und Ironie gegen eine uniformierte Welt 17. Kapitel Theater und Kleinkunst Installationskunst „mit steuer- kritischen Anklängen“: Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung nimmt auch Kurt Heizmann, Friedrichstraße 16, in Vöhrenbach entgegen… CDs mit den ­ Namen von Steuersündern werden sogar kostenlos abgegeben… Großes Foto: Kurt Heizmann (rechts) in seiner Theaterwelt, Vöhrenbacher Stadtfest im Sommer 1992. ­­­­­304

Theater „Gestatten Nudler!“ – Enfant terrible! Oder: Die Welt ist (m)ein Theater! Kurt Heizmann ­ ist Pädadoge (Deutsch, Sport und Französisch), war Stadt- und Kreisrat der GRÜNEN sowie Mit-Initiator der Vöhrenbacher Ortsgruppe der GRÜNEN. Und er liebt seine zweite Heimat Frankreich – zu allererst die Menschen dort. Aber, der waschechte 68er ist auch Künstler, sorgt mit seinen satirisch-witzigen, teils provokanten, teils skurrilen Installationen rund ums Haus an der­Vöhrenbacher Friedrichstraße seit Jahrzehnten für Gesprächsstoff. Aber wo Kurt Heizmann drauf steht, ist noch mehr drin: Der „Nudler“ begeistert an Fastnacht durch Geist und Witz und er zählt mit seinem ­ Straßentheater seit 30 Jahren zu den Höhepunkten des Vöhren­ bacher Stadtfestes. Wortwitz, Installationskunst und Kurt Heizmanns Theaterwelten sind Programm gegen die „Mauern im Kopf“, er erreicht mit seiner originellen Art ­ Menschen aller Schichten. Denn wenn sich Passanten mal wieder über seine „Gehwegheizung“ echauf- fieren, dann wird zugleich in Erinnerung gerufen, was denn bei ihnen daheim tagtäglich so ­ alles aus dem Schornstein qualmt.

Theater und Kleinkunst ­­­­­306 Vöhrenbach besitzt im Mittelal­ ter rei­­ che Silbergruben – doch sie versiegen schlagartig, erzählt die Sage, als man beim Bruderkirch­ le sieben Jungfrauen verbrennt… Auch anderes Unheil bricht jetzt über die Stadt herein, denn jede der Jungfrauen stößt vor ihrem Tod eine unheilbringende Weissagung aus – bis zur Gegenwart hält das an: Vöhrenbach leidet in den 1980er- Jahren wie der gesamte Schwarz­ wald unterm Waldsterben, ausgelöst durch sauren Regen. Hubschrauber lassen über die Fichten-Monokulturen tonnenweise Kalk niederrieseln, weil er Besserung ­ verspricht. Kurt Heizmann als Ur- GRÜNEN treibt das um, für ihn hängt gleich in mehrfacher Hinsicht „Gift in der Luft“. Was liegt da näher, als an der geliebten Fas­ net auf die versiegten Silbergruben anzuspie­ len? Er zieht mit silbrig eingefärbtem Hinterteil – zu sehen durch eine Klappe am Hosenboden, die sich mit einer Schnur heben und senken lässt – durch die Straßen. Die spätmittelalter­ lichen Missetaten vermixt er mit einer „achten Weissagung“ (Eure Wälder werden an giftigem Regen sterben…) und schlägt so die Brücke zur (sauren) Gegenwart. Beim Fasnetmendigszug in Vöhrenbach klärt Kurt Heizmann mit viel Spiel­ witz hintersinnig auf, woher das Waldsterben wirklich kommt… Im Sommer dann „erstürmt“ er im Gewann Kosbach den steilen Winterberg in Richtung Waldrand, noch hängt Kalk über den Bäu- men, und zelebriert Gedichte gegen Seveso- Gif­ te, tritt als lebendes Mahnmal gegen Umweltverschmutz­ung an. So geschehen anno 1983. Zu dieser Selbstinszenierung ist auch die lokale Presse geladen – und natürlich: sie berichtet. Später ist die Bruderkirchle-Sa­ ge auch Ge­ genstand einer Installa­ tion: Ein Plastik­ fisch mit Schlüssel im Mund schwebt in Heizmanns guter Stube an einer Kette hän­ gend unter der Decke. Im Fisch­ rücken stecken von Papier-Flammen umloder­ te Puppen, Jungfrauen der Gegenwart. Der Schlüssel, das sollte man wissen, ist nicht ir­ gendein Schlüssel. Wer ihn in der Brunnenstube beim Bruderkirchle eines Nachts finden sollte, so erzählt es die Sage weiter, der würde damit Vöhrenbach von all seinen Flüchen befreien. Und dann gibt es diese Geschichte – ja, warum sollte man auch nicht… Der weltweit live im Fernsehen übertragenen Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana nämlich, eine „Vöhrenbacher Traumhochzeit“ mit „könig­ lichem Festzug“ durch die Straßen der Stadt entgegenhalten? Prinz „Nudler“ ehelicht Lady Regina – vier Musiker der Stadtkapelle schrei­ ten voraus, eine Pferdekutsche mit Cafe-Wirt Hans Holtkötter auf dem Bock rollt das „Brautpaar“ gemächlich durch die Stadt… So geschehen am 29. Juli 1981, am Tag der Märchenhochzeit in England, zeitgleich zur Ein Spaß der Schlagzeilen machte: Zeitgleich zur Märchenhochzeit von Lady Diana und Prinz Charles in der Saint Paul’s Cathedral in London „ehelichte“ Kurt Heizmann am 29. Juli 1981 in ­ Vöhrenbach seine Lady Regina! Die Vöhrenbacher Bruder- kirchle-Sage „in Plastik ver- packt“, zeitgeistige ­In­stallation von Kurt Heizmann.

Theater Trauung in der Saint Paul’s Cathedral in London versteht sich. Eine Gaudi par excellen­ ce. Vom Wandel einer vertrauten Welt Dieser Klamauk, diese Kunst oder dieser Unsinn – die Meinungen dazu gehen auseinander – ist seitJahrzehntenProgramm.Dahintersteht,dass Kurt Heizmann dem Wandel seiner Umwelt, und damit ist auch das gesellschaft­ liche Miteinander gemeint, nicht tatenlos gegenüberstehen mag. Weil er miterlebt, wie sich das Leben der Men­ schen in seiner Heimatstadt Vöhrenbach – und andernorts – immer rasanter verändert, sich die Menschen mehr und mehr in ihre eigene Welt zurückziehen. An einem Juli-Abend im Garten sitzend erinnert sich Kurt Heizmann, wie er einst auf dem Spei­ cher der Nudelfabrik seines Großvaters im nahen Kälbergässle eine Ritterrüstung fand, sie überstreifte und mit ihr spielend durch das Städtle tobte – zusammen mit anderen Kindern. Fußballspielen, Grop­ penfangen im Bach und Bandenkriege wie „Städtle gegen Zigeunerländle“ – er schildert Beispiele für seine glückliche Kind­ heit in einer kleinen Stadt, in einem leben­ digen Gemeinwesen mit noch vielen Geschäften und Gaststätten, mit Krankenhaus und Postamt, einer Stadt mit Eigen- und Besonderheiten – einer Welt in der Welt. Dieses vertraute Vöhrenbach der Kindheit gibt es so längst nicht mehr. Was über Jahr- hunderte hinweg gewachsen ist schwindet: Einzelhandels­strukturen und damit Möglichkei­ ten der Begegnung in der Mitte der Stadt sind weggebrochen oder brechen weg. Das Vereins­ wesen zeigt immer größere Lücken – die Indi­ vidualisierung schreitet voran. Kurt Heizmann hat diesen Wandel früh kommen sehen. So nutzt er seine Inszenierungen und Selbst-In- szenierungen, die teils skurrile Installations- kunst, um die Gemeinschaft zu beleben, um zum Dialog und Austausch anzuregen. Es ist sein Kampf gegen Desinteresse an der eigenen Umwelt, gegen Uniformiertheit im Denken und gegen die Mauern im Kopf– auch gegen die aus seiner Sicht überhand nehmende Technisierung der Welt und des ­ Miteinanders. Frankreich als zweite Heimat Pädagoge, Kommunalpolitiker und Künstler: Kurt Heizmann ist vielschichtig und vielseitig – ungeheuer engagiert; selbst über Grenzen hinweg. Frankreich ist ihm seit er mit 15 Jahren zu einer Fahrradtour via Bordeaux nach Biarritz aufbrach zur zweiten Heimat geworden. Er enga­ giert sich zudem vehement für die deutsch-fran­ zösische Freundschaft „im Kleinen“. Sicher hat die Liebe zu Frankreich auch damit zu tun, dass der Vater zehn Jahre lang in Paris lebte und dem Sohn später die französische Sprache „einfach zugeflogen ist“: Kurt Heizmann spricht franzö­ sisch so perfekt wie ein Franzose. Seinen Vater allerdings, auch er hieß Kurt, hat er nie kennen­ gelernt: er kehrte aus dem Russlandfeldzug nicht zurück, gilt als vermisst. Im Jahr 1945 geboren, ist Kurt Heizmann in Vöhrenbach aufgewachsen, mit 12 Jahren er­ folgte der Umzug nach Freiburg, wo er das Abitur ablegte. Er studierte von 1966 bis 1970 zunächst in Freiburg und Kiel Jura, um nach dem ersten Staatsexamen aufs Lehramt umzuschwenken. Kurt Heizmann wurde Lehrer für Deutsch, Sport und Geschichte, seine phänomenalen sprach­ lichen Fähigkeiten bescherten ihm 1975 ein Aus­ landsstipendium für die Hochschule in Orleans. Auf die erste Lehrerstelle im Ostalbkreis folgte der Wechsel an die Karl-Brachat-Real­ schule in VS-Villingen, der er ein Leben lang die Treue hielt. Lehrer war er aus Liebe zum Beruf und aus Überzeugung. Ein besonderes Augen­ merk legte Kurt Heizmann auf den Schüleraus­ tausch mit dem Collège de la Riviere d’Etel in der Bretagne, in 25 Jahren beteiligten sich daran ­­­­­307 „Nackt unter Fleisch-Wölfen“. Am Atlantikstrand gefundene Puppenkörper drappiert unter zwei Fleischwölfen.

­­­­­308 1.250 Schüler. Legendär ist die Geschichte des Villinger Schülers, der aus Liebe die 1.125 Ki­ lometer zwischen Villingen und Etel mit einem kleinen Moped überwand. Viel wichtiger aber sind Kurt Heizmann die vielen kleinen Brücken, die zwischen den Jugendlichen geschlagen wer­ den: Es entstehen Freundschaften fürs Leben. Auch die Städtepartnerschaft Morteau-Vöhren­ bach hat im Übrigen durch ihn wertvolle Impulse erfahren. Am Atlantik die Installationskunst entdeckt Bei seinen Spaziergängen an der französischen Atlantikküste hat Kurt Heizmann in den 1950er/ 1960er-Jahren als Jugendlicher die ersten Pup­ penarme und andere interessante Abfallpro­ dukte unserer modernen Welt als Strandgut ent­ deckt. Er begann sie fasziniert zu sammeln und zu Kunstwerken zu verarbeiten. Damit war die Installationskunst als ein Mittel des Ausdrucks gefunden – inspiriert durch Künstlerinnen wie Niki de Saint Phalle und ihren Nanas, Jean Tin­ guely und seinen maschinenähnlichen Skulp­ turen oder der surrealistischen Gedanken- und Schaffenswelt von Dalí. Wohl weit über hundert Kunstwerke sind seitdem entstanden. Kurt Heiz­ mann sagt von sich, er verstehe sich eigentlich nicht als Künstler, da ihm die handwerklichen Fähigkeiten fehlten. Deshalb habe er sich für ­Installationen entschieden, hier gehe es darum, bereits Vorhandenes in einen neuen Kontext zu setzen. Oft sind die Arbeiten politisch – Schlag- zeilen machte in den 1980er-Jahren die „Geh- wegheizung“: Vier Ofenrohre vor dem Haus symbolisierten den Kampf gegen Müllverbren- nungsanlagen, gegen Dioxin. Die Vöhrenbacher machten im Stadtjargon flugs eine „Gehweghei­ zung“ daraus. Der Furtwanger Stadtpfarrer Josef Beha, ein bekennender „Heizmann-Fan“, adelte diese Installation auf besondere Weise: Als in der Nachbarstadt 1986 das Stockacher Narren­ gericht zu der Frage tagte, ob die Donau in Furt­ wangen oder „Eschingen“ entspringe, reimte Josef Beha auch vier Strophen über „Vöhren­ bach an der jungen Donau“ und würdigte die Besonderheiten der Stadt wie folgt: „Aber’s glanzvollste Kunstwerk, des isch nach wie vor sel Gebild an de Stroß us’me uralte Rohr – vun ’me Herd oder Ofe und ich glaub jeder kennt’s! Ja, allmählich macht er mir verdammt Konkur­ renz.“ Damit waren natürlich die Ofenrohre von Kurt Heizmann gemeint. Doch sein Schaffen ist bei Weitem nicht nur umwelt- oder gesellschaftskritisch. Wenn da ein Fahrradreifen an der Hecke im Garten hängt, versehen mit dem Schild „Guter Rad ist teuer“, darf man auch einfach nur Schmunzeln! Gerne nützt er Stühle, um die Menschen zum Lachen zu bringen: Er schraubt sie beispielsweise zu einem turmartigen Gebilde zusammen, hängt ein Schild daran auf dem zu lesen steht: „Die GzVdE wünscht einen guten Stuhl.“ Mit „GzVdE“ ist nichts anderes als der bis heute „schrägste“ Vöhrenbacher Verein gemeint, der je gegründet wurde: die „Gesellschaft zur Verblüffung des Erdballs GmhB“, wohinter sich Kurt Heizmanns „Gesellschaft mit haftender Beschränkung“ ver­ birgt. Kurt Heizmann mit einer seiner Installationen – einer Sommerbeschwörungsfigur.

Theater Kurt Heizmann und die Politik Wer ein waschechter 68er ist, der hat nicht nur die Studentenbewegung mit ihrem allgemeinen gesellschaftlichen Aufbegehren erlebt, son­ dern auch vehement gegen den Viet­ namkrieg protestiert oder sich für die Dritte Welt enga­ giert. Das umweltpolitische Bewusstsein von Kurt Heizmann rüttelten endgültig die Seveso- Gifte auf. Dieses Chemie-Unglück, die allgemei­ ne Umweltproblematik bis hin zur Ölkrise, die Friedens- und Frauenbewegung aber auch die Demonstrationen gegen die Atomkraft sowie die Vorgänge um die Volkszählung führten ihn zu den GRÜNEN. Im Januar 1980 wurde die Bundes­ partei der GRÜNEN gegründet, in Vöhrenbach war Kurt Heizmann engagiert dabei, als es 1984 zur Gründung des Ortsvereins der ­GRÜNEN kam. Vor der eigenen Haustüre aufzuzeigen, was Umweltpolitik bedeutet, war Kurt Heizmann fortan ein besonderes Anliegen. Er kandidierte mit großem Erfolg für den Gemeinderat, konn­ te aber aus verwandtschaftlichen Gründen zu­ nächst nicht ins Gremium einziehen. So gehörte Kurt Heizmann von 1989 bis 1994 für die GRÜ­ NEN dem Kreistag an und saß dann von 1994 bis 1999 im Vöhrenbacher Gemeinderat. „Alles Theater“ – das Stadtfest Den Besuchern des Vöhrenbacher Stadtfestes ist Kurt Heizmann seit numehr 30 Jahren als einer bekannt, der das Straßen­ theater liebt. Legendär sind seine Watzmann-Aufführungen (Titelbild zu diesem Beitrag) oder die von ihm gleichfalls „modifizierte“ Geierwally. Kurt Heiz­ mann hat in Freiburg zu den Zeiten der Studen­ tenbewegung gelernt, mit politischem Straßen­ theater auf sich aufmerksam zu machen, als er mit Theaterspielen auf der Straße Spenden für Hilfsorganisationen in der Dritten Welt sam­ melte: „Laut muss Straßentheater sein, ja auch Rechts oben ein Badmosaik, in der Mitte ein Atlan- tik-Puppenfund, Sinnbild für Vergänglichkeit. Un- ten: der „Gefangene Weihnachtsmann“.

­­­­­310 ­skurril. Man muss auffallen, damit die Leute ste­ hen bleiben, einem beachten“, blickt er zurück. Und er liebt das Wortspiel, die Dadaisten. Kurt Heizmann schreibt selbst Lautgedichte in der Art wie sie Hugo Ball 1916 im Cabaret Vol­ taire vortrug. Carl Valentin ist ihm ein weiteres Vorbild. Die Theateraufführungen sind unnachahm­ lich. Wenn Kurt Heizmann wieder „auffi“ muss, weil der Berg ruft, wenn er den alternden Dra­ chentöter Siegfried mimt oder in der Werbe­ pause mit dem Schild „Ritter-Sport ist Mord“ über die Bühne hüpft, dann haben einige hun­ dert Zuschauer einen Riesenspaß. Vor allem Kinder und Jugendliche, was aufzeigt, wie breit und generationenübergreifend der Fankreis der Heizmann-Truppe ist, die mittlerweile aus einem zehnköpfigen Ensemble besteht. Wie stand doch wortwörtlich selbst in der überre­ gionalen Presse, den Stuttgarter Nachrichten nämlich, unlängst zu lesen: „Ob es nun jemals zur Verblüffung des gesamten Erdballs reichen wird, sei dahingestellt. Sicher ist, dass die von Kurt Heizmann unter diesem Namen gegründe­ te Gesellschaft ihre Mitmenschen weitaus mehr als nur ein Mal durch besondere Aktionen in Er­ staunen gesetzt hat – und das seit 30 Jahren. ‘Nonsens, aber nicht ohne Sinn‘ ist die Devise des ehemaligen Realschullehrers, für den schon früh klar war, dass er zum ‘Zweckrationalen’ des Alltags ein Gegengewicht schaffen wollte.“ Und auch die Lokalpresse findet Gefallen an „Nudlers-Welt“: „Nicht immer wird ein konkre­ tes Fettnäpfchen basis- oder hochpolitischer Art von der Truppe um „Nudler“ Kurt Heizmann kabarettistisch überhöht, manches ist gekonn­ tes absurdes Theater, eingedampft in pointiert arrangiertem Abfall. Der Lehrer Kurt Heizmann Kurt Heizmann in seinem Element – beim Stadtfest 2010 führte seine 10-köpfige Theatertruppe das „Nibelungenlied“ auf. Kurt Heizmann mimte Bur- gunder-König Gunter – ein Klamauk sehr zur Freu- de des Publikums, vor allem auch der Jugendli- chen und ­ Kinder.

Kurt Heizmann konnte manche Anregung aus dem wirklichen Leben „Schulalltag“ zapfen.“ Der „Nudler“ und die Fastnacht Politik, Kunst und Theater – damit wäre diese Geschichte bei der Fastnacht und beim Spitz­ namen „Nudler“ angelangt: Großvater Matthias Heizmann betrieb von 1886 bis 1960 im Vöh­ renbacher Kronengässle eine Nudelfabrik. Sein Sohn Kurt wurde folglich von Kindesbeinen an „Nudler“ gerufen und natürlich dessen Sohn, der wieder Kurt hieß – der gegenwärtige und wahrscheinlich letzte „Nudle-Kurt“. Der Spitz­ name „Nudle-Kurt“ ist zugleich das Bindeglied zur traditionsreichen Vöhrenbacher Fastnacht, die ohne Kurt Heizmann „undenkbar ist“. Groß geworden in der überschaubaren Welt des „Städles“ haben ihn Erlebnisse wie jene Fasnet, an der Fritz Hirt zusammen mit Bert Hug die „Besteigung der Jungfrau im Schnee“ spiel­ te, Begegnungen mit Hadwig Jehle oder dem Messerschlucker Eduärdle geprägt. Eine Erzäh­ lung über Konstantin Hirt hat ihn besonders be­ geistert: dieser legte ein rostiges Schloss in ein Zelt, stellte eine brennende Kerze dazu, verlangte einen Pfennig Eintritt und betitel­ te das Ganze mit „Heidelberger Schlossbe­ leuchtung“ – Kurt Heiz­ mann hatte sein erstes Comedy- Vorbild für sich entdeckt. Die Ideen zu seinen seit jeher erstklasigen Fastnachtsauftritten stammen zu Beginn oft noch von Mutter Aya. 1953 mimt der Bub „Je­ der hat seinen Vogel“, ein Narren­ stück für einen Darsteller. „Ganz wie der Vater“, erinnert sich Kurt Heizmann an die Kommentare der Umstehenden, wenn er in seiner Kindheit als Einzelmaske umher­ zog. An Fastnacht jedenfalls drängt es ihn seit jeher, Grenzen zu über­ schreiten, die Rollen zu tauschen. In früheren Jahren war Kurt Heiz­ mann als Büttenredner beim Kap­ penabend dabei, doch nicht um Städtle-Neuig­ keiten vor das Narrengericht zu bringen, son­ dern um freie Vorträge zu halten, sich kritisch mit Vorgängen in seiner Umwelt auseinanderzu­ setzen: Den Mund aufzutun, war und ist eine der vornehmsten Aufgaben des Narren. Mit grünem Herz und Hintersinn Jetzt im Ruhestand bewegen Kurt Heizmann mehr als je zuvor die gesellschaftlichen Ent­ wicklungen in seiner Heimatstadt Vöhrenbach und natürlich die Reaktionen auf seine Installa­ tionen. „Umschnurrt“ von Kater Carlo III. hat er im Garten freien Blick auf Puppenarme, Plakate und Kleininstallationen, die entlang von Fen­ stern und Türen die Fassade schmücken. Kurt Heizmann erzählt, wie schwer es manchen Zeit­ genossen fällt, hinter seinen Installationen die Kunst zu sehen – zu skurril, zu besonders sind die Arbeiten im privaten Skulpturenpark ums Haus an der Friedrichstraße herum. Vielleicht lernt er jetzt noch Schweißen, das hat er schon lange im Sinn, nimmt er die Unter­ haltung wieder auf. Kater Carlo III. ist längst wieder auf Mäusejagd. Ein neues Theaterstück entsteht gleichfalls. Provokant und poli­ tisch wird das Schaffen bleiben, vielleicht kommt dabei so etwas Ähnliches wie das „Denkmal des unbekannten Fernsehers“ her­ aus: Ein leeres Fernsehgehäuse in Anspielung auf die Qualität so vieler Beiträge, die tagtäglich über die Mattscheibe flimmern. Der ausgeräumte Fernseher stand lange am Gehsteig vor dem Haus und wurde dann doch versehent­ lich von der Sperrmüllabfuhr ent­ sorgt… Ein Schelm, wer Bö­ ses dabei denkt… Doch: Mit grünem Herz und Hintersinnwirdsich„Nudler“Kurt Heizmann auch weiter hervortun. Die Botschaft ist eindeutig: Anteil nehmen an meiner/deiner (klei­ nen) Welt! Wilfried Dold ­­­­­311 Die Fasnet kommt – Kurt Heizmann 1951 mit dem Ein- Mann-Stück „Jeder hat sei- nen Vogel“ und als Fasnet- ausrufer auf der Leiter.

Almanach- , Magazin · • : Notizen· ·· aüsl,fi’r ·. .· .·· ‚·.;i,i~fik 1tii4liit, i.,d,~~ LandratKarlHeimfeiert seinen60. Geburtstag ,,Dieser Landrat ist eine Institu- tion“, würdigte Regierungsprä- sident Julian Würtenberger den Jubilar, der seinen 60. Geburts- tag mit einem Empfang im Foyer des Landratsamtes feierte: ,,Karl Heim hat eine hohe Außenwir- kung, sein Rat ist gefragt, sein Wort hat Gewicht“. Mit den Kreisräten, den Bürgermeistern sowie einigen Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, Landrätin Dorothea Störr-Ritter (Brei sga u-Hoch schwa rzwa ld) und Landrat Tilman Bollacher (Waldshut) feierte Landrat Karl Heim mit Frau Ingrid und einer seiner beiden Töchter bei einem mehrgängigenMenü, das die Ho- telfachschule hervorragend ge- zaubert hatte, seinen Geburtstag, der eigentlich schon am 19. Sep- temberwar. Der Bundestagsabgeordnete Siegfried Kauder nannte Heim ,,einen Menschen mit Augen- maß“. Er spüre, so Kauder, dass die Menschen sich auf Karl Heim verlassen könnten. ,,Der Landrat hat sein Amt im Griff“, lobte er. Dererste LandesbeamteJoa- chim Gwinnerwürdigte dasSchaf- fen von Karl Heimauch im Namen der Mitarbeiter. Er betonte: In 14 Jahrenhaben Sie das Kreisschiff mit fester Hand und großem Ge- schick, mitunter auch in rauer See, zu erfolgreichen Gestaden 312 Landrat Karl Heim – in der Mitte mit Ehefrau Ingrid – im Kreis vieler Gratulanten, v. links: Josef Herdner, Bürgermeister von Furtwangen, Rupert Kubon, Oberbürgermeister von Villingen -Schwenningen, Walter Klumpp, Bürgermeister von Bad Dürrheim, CDU-Landtagsab – geordneter Karl Rombach sowie Gallus Strobel, Bürgermeister von Triberg. hin im Quellenland geführt. Ihre Leistungen, Ihre Erfolge, die in den vergangenen fast eineinhalb Jahrzehnten gewonnenen Erfah- rungen und eine verlässliche und motivierte Landratsamtsmann- schaft werden Ihnen das dazu nötige Vertrauenund den nötigen Rückhaltgeben.“ Im Namen des Kreistags sprach JürgenGuseein Grußwort und überreichte eine Aufmerk- samkeit. Der Jubilar selbst bat um Spenden für die Kinderkrebs- nachsorgekliniken im Kreis an- stelle von Geschenken. F.Schück Blumbergs Bürgermeister MarkusKellerheiratet Auf dem Standesamt in Blum- berg und mit einer ökumeni- schen Trauung schlossen Bür- germeister Markus Keller (34) und RuthJerger(27) am 24. Juli den Bund fürs Leben. Nach der kirchlichen Trauung erwiesen die Kindergartenkinder und die Sportvereine dem frisch vermählten Paar ihre Referenz. Markus Keller ist seit dem 1. Januar 2010 Bürgermeister von Blumberg. Von September 2002 bis September 2004 war er in Bad Dürrheim Wirtschafts- förderer, Pressesprecher und Referent des Bürgermeisters. Von Oktober 2004 bis Dezem- ber 2009 war er einer von zwei Geschäftsführern der Kur- und Bäder GmbH Bad Dürrheim. Ruth Jerger stammt aus Rott- weil. Als Diplom-Verwaltungs- wirtin an der Fachhochschule Kehl hat sie den gleichen Ab- schluss wie ihr Mann. Siearbei- tet auf dem Landratsamt im Schwarzwald-Saar-Kreis in der Schuldnerberatung. 8. Lutz Markus und Ruth Keller, geb. Jerger, nach ihrer Trauung in Blumberg. Markus Keller ist seit dem 1. Januar 2010 der Bürger – meister von Blumberg.

Evavon Lintignun Ehrenbürgerin Eva von Lintig, 1996 mit dem Bundesverdienstkreu z ausge- zeichnet,wurde am 29. Oktober 2010 zur Ehrenbürgerinvon Hü- fingen ernannt. Evavon Lintig hat sich nicht nur über dreißig Jah- re hinweg als Ge- meinderats- und zehn Jahre als Kreistagsmitglied verdient ge- macht, sondern sich auch sehr bei der Förderung des städti- schenMuseums und des städti- schen Kulturlebens engagiert. Im Almanach 2007 findet sich ein Porträt der 79-jährigen. Rupert Kubon und Petra Brenn – eisen -Kubon nach der Wahl. 54,7% für RupertKubon In Villingen -Schwenningen ist Rupert Kubon am 24. Oktober 2010 als Oberbürgermeister wiedergewählt worden. Die Wahlbeteiligung lag bei 44,9°/o . Der53-Jährige,der seit acht Jah- renOberbürgermeisterderStadt im Schwarzwald-Baar -Kreis ist, erhielt am Sonntag 54,7°/oder abgegebenen Stimmen und er- reichte damit gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehr- heit. SeinschärfsterKonkurrent, der CDU -Kandidat Siegfried Lo- rek (33), kamauf 35,9%. Hochzeit im Für stenhaus ErbprinzChristianzu Fürstenbergheiratet in RomErbprinzessin JeannetteCatherine Eine gute Woche nach der stan- desamtlichen Hochzeit in Donau- eschingen haben Erbprinz Chris- tian zu Fürstenbergund seine Frau, Erbprinzessin Jeannette Catherine zu Fürstenberg am 25. September 2010 in Romkirchlich geheiratet. Die Trauung des Paares nahm Magazin der frühere Donaueschinger Pfar- Erbprinz Christian zu Fürstenberg rer Hans-Peter Fischer vor, der und seine Frau, Erbprinzessin kürzlich zum Rektor am Campo Jeannette Catherine . Das Bild zeigt Santo Teutonico und dem dazuge- das Brautpaar zusammen mit dem hörigen Deutschen Kolleg ((olle – früheren Stadtpfarrer von Donau – gio Teutonico) im Vatikan berufen eschingen, Hans -Peter Fischer, worden war. Die Trauung fand in nach der Trauung am 25. Septem – der Kirche San Salvatore in Lauro ber 2010 in Rom. am Tiberufer gegenüber der En- gelsburg statt, die die verstorbene eingefunden. Thorsten Freisprach Großmutter des Erbprinzen stets zum Brautpaar gewandt : ,,Seien besuchte. Die Kirche wurde 2007 Sie sich bewusst, dass Sie jetzt von Papst Benedikt XVI. zur Titel- wirklich gemeinsam durchs Leben diakonie erhoben. gehen“. Die Feierfand im Kreis der Fa- Erbprinz Christian (32) und milie, Verwandtenund engenFreun- Jeannette Catherine (28) kennen de statt. Unter den Gästen waren sich seit Jahren. Erbesuchte Schu- die vollständige Familiedes Hoch- len in der Schweiz und in den USA, zeitspaares, ferner Albert Prinzvon studierte an der Georgetown Uni- Thurn und Taxis, Rolf und Maryam versity in Washington D.C., wo Sachs, Leopold Graf von Bismarck er seinen Abschluss in Kunstge- mit Frau Deborah, Prinz und Prin- schichte und Wirtschaft machte. zessin Erich von Lobkowicz, Prinz Sie stammt aus einer Duisburger und Prinzessin Ruffo di Calabria, Unternehmerfamilie, studierte an Albrecht Prinz zu Hohenzollern der Ludwig-Maximi lians-Universi- . oder auch Prinz Dushan Paul von tät München Kommunikationswis – Jugoslawien. senschaft und BWL, machte ihren Bei der standesamtlichen Trau- Master in European Business Ma- ung am 16. September in Donau- nagement an der ESCP-EAP Euro- eschingen, die Oberbürgermeister pean School of Management (Ber- Thorsten Freiim Schlossgartenvor- !in/ Paris) und promoviert derzeit nahm, hatten sich zahlreiche Gäste an der FreienUniversität Berlin.

Anhang Bevölkerungsentwicklung imSchwarzwald-Baar-Kreis Gemeinde Standder Wohnbevölkerung 31.12.2008 31.12.2009 Bad Dürrheim 12.932 12.960 Blumberg 10.266 10.216 Bräunlingen 6.102 6.076 Brigachtal 5.200 5.181 Dauchingen 3.610 3.573 Donauesch ingen 21.338 21.128 Furtwangen 9.375 9.289 Gütenbach 1.243 1.217 Hüfingen 7.760 7.667 Königsfeld 6.053 5.989 Mönchweile r 3.152 3.116 Niedereschach 6.028 5.962 St. Georgen 13.347 13.208 Schönwald 2.419 2.396 Schonach 4 .041 3.974 Triberg 5.049 4.889 Tuningen 2.875 2.865 Unterkirnach 2.766 2.750 Villingen-Schwe nningen 81.246 80 .941 Vöhrenbach 3.889 3.862 Kreisbevölkerung insgesamt 208.691 207.259 Schönwald 2.396 Furtwangen 9.289 Unterkirnach 2.750 Vöhrenbach 3.862 Mönchweiler 3.116 Villlngen- Schwennlngen 80.941 Brigachtal5.181 Bräunlingen 6.076 Veränderungen in Zahlen in Proze nt 28 -50 -26 -19 -37 -210 -86 -26 -93 -64 -36 -66 -139 -23 -67 -160 -10 -16 -305 -27 -1.432 0,22 -0,49 -0,43 -0,37 -1,02 -0,98 -0,92 -2,09 -1,20 -1,06 -1,14 -1,09 -1,04 -0,95 -1,66 -3,17 -0,35 -0,58 -0,38 -0,69 -0,69 BadDürrheim 12.960 Tuningen 2.865 Donaueschingen 21.128 Hüfingen7.667 314 Blumberg 10.216 31.12.200831.12.2009 Bad Dürrheim 12.93212.960 Blumberg 10.26610.216 Bräunlingen 6.1026.076 Brigachtal 5.2005.181 Dauchingen 3.6103.573 Donauesch ingen 21.33821.128 Furtwangen 9.3759.289 Gütenbach 1.2431.217 Hüfingen 7.7607.667 Königsfeld 6.0535.989 Mönchweile r 3.1523.116 Niedereschach 6.0285.962 St. Georgen 13.34713.208 Schönwald 2.4192.396 Schonach 4 .0413.974 Triberg 5.0494.889 Tuningen 2.8752.865 Unterkirnach 2.7662.750 Villingen-Schwe nningen 81.24680 .941 Vöhrenbach 3.8893.862 insgesamt 208.691207.259

DerLandkreisim SpiegelderStatistik Wie entwickelt sich die Be- völkerung des Schwarzwald- Baar -Kreises bis zum Jahr 2030 ? Die Prognose des Statis- tischen Landesamtes in Stutt- gart ist eindeutig: Wie überall steigt die Zahl der älteren Mit – bürger und die der jüngeren geht zurück . Die Zahl der unter so-jährigen sinkt insgesamt sogar um ca. 8,5 Prozent. Die Einwohner zahl des Schwarz- wald-Saar-Kreises reduziert sich entgegen der bisherigen Prognosen der Statistiker in den kommenden rund 20 Jah- ren um ca. 11.000 Personen. Alarmierend ist, dass von dieser Entwicklung die länd- lichen Regionen des Schwarz- wald-Baar-Kre ises besonders · 0,4% stark betroffen sein werden . Neben dem allgemeinen Be- völkerungsrückgang spielt da- bei auch die zunehmende Stadt- Arbeitslosigkeitin Prozentzahlen – 4,1% Anhang +6 ,5% unter 6 Jahren 6 bis 18 Jahre 18 bis 25 Jahre • 25 bis 50 Jahre • 50 bis 65 Jahre • 50 und mehr Jahre flucht eine Rolle. Ab der Seite 16 in diesem Almanach wird auf diese Problematik näher eingegangen. Stichtag Schwarzwald -Baar -Kreis Baden -Württemberg Bundesrepublik Deutschland 30.6.2008 3,6% 3,9% 30.6.2009 6,0% 5,2% 8,1% 30.6.2010 4,9% 4,7% 7,5% Beschäftigte insgesamt: 74.121, davon 33,181 imProduzierenden Gewerbe (44,7 % ),14.080 in Handel, Gastgewerbe undVerkehr (18,9 %)sowie 26,712 imBereich .Sonstige Dienstleistungen“ (36,0 %) .(Stand: Juni2009 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden -Württemberg) OrdenundEhrenzeichen Mit der LandesehrennadeldesLandesBaden-Württembergwurden 2010 ausgezeichnet: Peter Schmid, Villingen-Schwenningen, llona Krauss, Königsfeld, Eugen Amann, Königsfeld, Maria Huber, Triberg, Bernd Kienzler, Triberg, Bernd Steiner, Villingen- Schwenn ingen, Thomas Bührig, Donaueschingen, Marina Heide, Donaueschingen, Heidr un Noack, Donaueschi ngen, Marlies Urban, Villingen-Schwenningen Mit dem VerdienstordendesLandesBaden-Württemberg wurde 2010 ausgezeichnet: Gertrud Götz, Donaueschingen Das Bundesverdienstkreuzhaben 2010 erha lten : Reiner Uhlenbrock, Vill ingen -Schwen ningen, Ingrid Forys, Donaueschingen, Kurt Müller, Villingen-Schwenningen 315 30.6.20083,6% 3,9% 30.6.20096,0% 5,2% 8,1% 30.6.20104,9% 4,7% 7,5%

Anh ang Bildnachweis Almanach2011 MotivTitelseite: Impression vom Möglingssee mit Blick zur Riesen- kuckucksuhr der Landesgartenschau 2010. Die Aufnahme stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach. Motiv Rückseite: Mondaufgang – Eiche auf dem Magdalenenberg . Das Foto stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach. Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Fotogra- fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref- fenden Beitrages oder sind die Bildautoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach : 3, 4, 8, 12, 14/ 15, 16 ob., 17u., 18, 19 ob., 20, 21, großes Bild 22/ 23, 24 u. re., 25 u., 26, 27 u. li., 28 / 29, 30/31, 32 u. m., 33 ob., 34 – 45, 47 u., 48 /49 u., 49 ob. re., 50/ 51, 55, 57,58, 62/ 63 u., 62 ob. li., 63 ob. re., 66 / 67, 78, 81, 86 / 87, 101, 111ob., 124, 125 ob., 127, 128, 129 ob. re., 129 u. re., 130 ob. re., 130 u., 131ob. li., 131u. re., 132ob. li., 132ob. re., 132 u. re., 133u., 134,135 u. re., 138, 139 ob., 139 m. li., 141,143 ob., 144 ob. re., 144/ 145 u., 145 o., 146 u., 147, 151, 153ob., 157 ob. re., 157u., 159, 161 m. re., 163, 164 ob. re., 164 u., 165 ob. re., 166 u., 167, 169 ob. re., großes Bild 170/171, 173 ob. re., 173 u. re., 174/ 175, 178, 185, 197, 199, 201, 203 ob. re., 205, 207, 209, 210, 211 ob., 213, 215ob., 223, 229 ob., 240 – 249, 250/ 251 LI.,253, 254, 271Ob.,282 – 289, 302, 304 – 310, 311 u., 312 li. – Jochen Schwillo, VS-Schwenningen: 9 – Michael Kienzler, Brigachtal-Klengen : 11, 107, 109 u. li., 118- 120,122,125 u., 129 ob. li., 129 u. li., 130 ob. li., 131ob. re., 131u. li., 132 ob. m., 132 u. li., 133 ob., 135 ob., 135 u. li., 136/137, 139 m. re., 139 u., 140, 148 ob. re., 155,156,157 ob. li., 158, 161 ob., 228 u., 303 ob., 313 li. – Steffen Maier, Donau- eschingen : 16 u. – Archiv Landratsamt Schwarz- wald-Baar-Kreis: 22/ 23 u., 24 u. li., 47 ob. – Archiv Gemeinde Dauchingen: 24 u. m., 27 ob., 27 u. m., 27 u. re. – Stephanie Wetzig, Niedereschach : 32 ob., 32 u. li., 32 u. re., 33 u. – doldverlag (Archiv), Vöhrenbach: 46 u., 56, 61 ob., kleines Bild 170 li., 173 ob. li., 176, 177, 179, 180, 182/ 183, 203 ob. li. – Archiv Gemeinde Unterkirnach: 49 ob. li., 49 ob. m. – Hans-Peter Rolle, Aasen: 53 – Elisabeth Win- kelmann-Klingsporn, Donaueschingen: 59, 62 ob. re., 62 u. re. – Anne Maier, Heidenhofen : 63 ob. li., 63 u. re. – Christina Nack, Königsfeld: 65, 121 – Archiv Franz Dold: 75-77,79 – Archiv JSKDipl. Ing. Architekten, Frankfurt am Main: 80, 83 – 85, Bern- hard Lutz, Blumberg : 93 ob. li., 312 re., 313 ob. li. – Archiv Fa. Metz Connect, Blumberg: 88-95 – Archiv Fa.Yatego, St. Georgen: 96 -100 -Archiv Fa. Mieg OHG, Villingen-Schwenningen: 102 – 106, 108, 109 ob. re., 109 u. re. – Markus Bürker, Luft- sportvereinigung Schwarzwald-Baar, Villingen- Schwenningen: 112ob. li., 116ob. li., 116u.-Archiv Flugschule Nikolaus, Donaueschingen: 115ob. li. -Archiv Fa.HelicopterTraining und Charter: 115ob. re., 115u. – Archiv Landesgartenschau , Villingen- Schwenningen: 126 ob., 144 ob. li., 148 ob. -Armin Schott , Villingen-Schwenningen: 142, 143 u., 146 ob. – Lutz Hugl, Villingen-Schwenningen: 148 ob. li. – Hans-WernerFischer,VS-Villingen: 152,153 m., 153 u., 154, 161m. li., 161u. – Landwirtschaftsamt, Donaueschingen: 160 – Archiv Stadt Königsfeld: 162, 164 ob. li., 165 ob. li., 166 ob., 168, 169 u. li. – Archiv Gerd Bender, Furtwangen: 172 – Archiv Stadt Villingen-Schwenningen : 187 – Archiv Stadt Hüfingen: 188 – Archiv Franziskanermuseum, Vil- lingen-Schwenningen : 194 – Direvi Fotopress, VS- Villingen: 195- Roland Sigwart, Hüfingen: 198,291 u., 292 ob. re., 293 ob. re. – Archiv Narrenzunft Frohsinn Donaueschingen: 200, 206 – Archiv Mu- seum Biedermann, Donaueschingen: 208, 211 u., 215 u., 217- Archiv ReginaRieber, Pforzheim: 218 – 221- Bernd Maul, Freiburg: 222, 223 – 228, 229 m. li, 229 m. re., 229 u., 230 – 239 – Archiv Familie Braun, Linach: 251 ob., 252 – Günther Unrath, St. Georgen: 257 – Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 158 – 263 – Helmut Gehring, Villingen-Schwennin- gen: 264 – 269 – Erich Marek, VS-Schwenningen : 270, 271 u., 275 – Markus Dold, Buchenbach: 276 – 278 – Archiv Farn.Grässlin, St. Georgen: 279 ob., 280 / 281 – Stefan Simon, Marbach: 279 – Gerhard Schwierz, Villingen-Schwenningen: 297 – 299 – Jörg Michaelis, Donaueschingen: 300 – Sammy Minkoff, München : 301 ob. – Hans-Peter Stader- mann, Erfurt: 301 u.

DieAutorenundFotografenunsererBeiträge Auer, Dr. Anita, Rietgasse 2, 78050 Villingen-Schwenningen Bauermeister, Ute, Goethestr. 36, 76135 Karlsruhe Baumann, Günther, Bert-Brecht-Str . 15-19,78056 Villingen Schwenningen Beathalter, Manfred, Wiesenstraße 29, 78166 Donaueschingen-Pfohren Dinkelaker, Dr. Frieder, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Fetscher, Martin, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Frauenheim, Dieter, Karl-Marx-Str. 53, 78054 Villingen-Schwenningen Gasehe, Ulrich, Neue Bergstr. 4, 78136 Schonach Gehring, Dr. Helmut, Königsberger-Straße 30, 78052 Villingen-Schwenningen Heim, Karl, Landrat, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Jauch, Philipp, Arcisstraße 39, 80799 München Jerg, Günther Camill, Im Kurpark, 78073 Bad Dürrheim Kaletta, Georg Stefan, Rutentalstraße 12, 78052 Villingen-Schwenningen Kaltenbach, Christof, Hans-Thoma-Straße 7, 78136 Schonach Koch, Karl, Hauptstr. 16, 78136 Schonach Kropfreiter, Engelbert, Tuttinestr. 12, 78199 Bräunlingen Lutz, Bernhard, Seemühle 14c, 78183 Hüfingen Maier, Steffen, Wilhelmstraße 1, 78166 Donaueschingen Marek, Erich, Hans-Sachs-Straße 12, 78054 Villingen-Schwenningen Maul, Dr. Bernd, Büggenreuterstr. 2, 79106 Freiburg Mayer, Reinhold, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen -Schwenningen Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Preuß, Stefan, Hoher Rain 22, 78052 Villingen-Schwenningen Schmid, Steffi, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Schmidt, Günter, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Schott, Armin, Winkelstraße 9, 78054 Villingen-Schwenningen Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schubert, Marga , Bickenstraße 19, 78050 Villingen-Schwenningen Simon, Stefan, Haselweg 17,78052 VS-Marbach Sprich, Roland, Weidenbächlestraße 6, 78112 St. Georgen Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32, 78078 Niedereschach Trenkle, Andreas, Berliner Straße 38, 78120 Furtwangen Volk, Karl, Untertal 19, 78098 Triberg-Gremmelsbach Walheim, Petra, Frauenstraße 77, 89073 Ulm Weiss, Julia, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Werner, Dr. Johannes, Steinstraße 21, 76477 Elchesheim Wetzig, Stephanie, Niedereschacherstraße 31, 78078 Niedereschach Wider, Verena, St. Nepomukstraße 1/ 4, 78048 Villingen -Schwenningen Wiedemann, Gunter, Prinz-Eugen-Straße 1/2, 78048 VS-Villingen Wieners, Thomas H. T., Merzhauser Straße 147A, 79100 Freiburg Winkelmann-Klingsporn , Elisabeth, Kreidenweg 28, 78166 Donauesch.ingen Winkler, Wolfgang Arno, Urbanweg 69, 78112 St. Georgen Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Anhan g 317

1 nhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar – Zukunftsraum / Lebensraum Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel/ AusdemKreisgeschehen 2 3 6 Der Aufschwung ist auch im Schwarzwald-Baar-Kreis bemerkbar/ Karl Heim 8 Vom Schwarzwald -Baar-Kreis zum Quellenlandkreis Schwarzwald-Baar – Innovations-, Wirt – schafts-, Bildungs-, Wohlfühl- oder Glücksquellen – der Landkreis braucht Strategien für seine Zukunft/ Julia Weiss 14 2. Kapitel/ StädteundGemeinden Dauchingen – das „soziale Dorf“ – Das Integrationskonzept der Gemeinde hat für den ländlichen Raum Modellcharakter / Philipp Jauch 22 Tuningen – der Ort mit der „höchsten Wetterfahne“/ Stephanie Wetzig 30 Feriendorf für Familien – ,,Wir sind Unterkirnach“ – ein Ort, der Dank des Engagements seiner Einwohner voller Vielfalt steckt / Christina Nack 38 Im Zeichen der Linde : Heidenhofen – ein altes Dorf auf der Baar / Dr.Joachim Sturm / Elisabeth Winkelmann-Klingsporn 50 3. Kapitel/ Soziales Demenz – Sie sind nicht allein! – Altersdemenz – Eine ungeheure gesellschaftliche Heraus- forderung / Christina Nack 64 4. Kapitel/ Persönlichkeiten Lotti Späth – ,,Grande Dame“ der CDU- Ein Vorbild für außergewöhnliches Engagement im Ehrenamt / Marga Schubert 68 Otto Sieber – 40 Jahre lang Bürgermeister in Niedereschach und damit dienstältester Bürger- meister von Baden -Württemberg / Verena Wider 70 Georg Lettner verstorben – Der Bürgermeister von Brigachtal wirkte bereits in der dritten Amtsperiode / Georg Kaletta 72 Franz Dold – Wirt aus Leidenschaft – Hüter der Furtwanger Donauquelle – ein Schwarzwälder Original von dem selbst Jacques Costeau begeistert war / Elke Schön 75 Gunter P.J. Bürk – Ein weltweit renommierter Architekt – Der Neckar Tower gibt Schwen- ningen ein neues Gesicht / Günther Baumann 80 5. Kapitel/ AusdemWirtschaftsleben Firmengruppe METZCONNECT- Regional verwurzelt – international präsent / Bernhard Lutz 88 Yatego – shoppen rund um die Uhr – Mehr als 9.000 Händler bieten über das Shopsystem des St. Georgener Unternehmens ca. drei Millionen Artikel an / Stefan Preuß 96 Tipp-Kick – eine Idee geht um die Welt – Beginn einer Erfolgsgeschichte: Der Schwenninger Edwin Mieg entwickelt 1923 das fast 90 Jahre alte Spiel zur Marktreife / Stefan Preuß 102 Flugplatz Donaueschingen – Das große Ziel für die Zukunft: 30 .000 Starts und Landungen – Unverzichtbares Drehkreuz für den regionalen Flugverkehr / Manfred Beathalter 11 0 Essigmanufaktur Leo Weyers – Der in Tuningen produzierende Familienbetrieb ist die älteste Essigmanufaktur in Deutschland / Christina Nack 118 318 Unverzichtbares Drehkreuz für den regionalen Flugverkehr / Manfred Beathalter 110

lnhaltsverzeichnis 6. Kapitel/ Landesgartenschau 2010 Ein Freizeit-Biotop mit vielen Attraktionen – Blumenpracht in Hülle und Fülle – Über eine Million Besucher bei der Landesgartenschau 2010 / Dieter Frauenheim 124 Eineverseuchte Industriebrache in blühendes Gartenland verwandelt – ,,Die Natur verbindet “ – die bleibenden Elemente der Landesgartenschau / Armin Schott 140 Auf der Landesgartenschau in Villingen-Schwenningen – Ein Blütenrausch und mehr – der Quellenlandk reis zeigt Flagge / Günter Schmidt 152 Beitrag des Forstes war einer der Gartenschau-Höhepunkte: Die WALDportraits begeistern / Frieder Dinkelaker 158 Die Landwirtschaft auf der Landesgartenschau: Über 100 Getreidesorten und Pflanzen / Reinhold Mayer 160 7. Kapitel/ Geschichte Albert Schweitzer und Königsfeld (1923 – 1957) / Christina Nack 162 Robert Gerwig – Schwarzwaldbahn, Uhrmacherschule oder Straßenbau – ein genialer Ingenieur erschließt und fördert den Schwarzwald-Saar -Kreis / Wolfgang Arno Winkler / Karl Volk 170 Pfohren – der älteste schriftlich erwähnte Ort Deutschlands? – Zur Lokalisierung der mysteriösen keltischen Siedlung Pyrene in Herodots Historien / Thomas H. T. Wieners 184 Ein sonderbarer Heiliger – Leben und Nachleben des Ambras Oschwald aus Mundelfingen / Johannes Werner 189 8. Kapitel/ Musik Komponist Benedikt Widmann – ,,Kling, Glöckchen, klingelingeling“ / Engelbert Kropfreiter 192 9. Kapitel/ Brauchtum Der Villinger Kuhreihen – Das Herterhorn der Familie Seemann im Franziskanermuseum / Dr. Anita Auer 194 Weißnarren in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht – Die bekannte Narrenfigur ist vor allem im Quellenlandkreis Schwarzwald-Saar daheim / G. C.Jerg 198 10. Kapitel/ Kunst und Künstler Museum Biedermann in Donaueschingen gibt der Kunstwelt neue Impulse / Ute Bauermeister 208 Schmuckdesignerin Regina Rieber – Lehraufträge führten die freischaffende Künstlerin aus Furtwangen bis nach Indien / Elke Schön 218 · 11. Kapitel/ Geologie Mitteilungen aus dem Untergrund – Erdgeschichten aus dem Schwarzwald-Saa r-Kreis / Dr. Bernd Maul 222 Die Triberge r Wasserfälle und deren Entstehung / Martin Fetscher 240 12. Kapitel/ Landwirtschaft Der Linacher Hinterbauernhof- Die Familie Braun hat schon früh mit der Bio-Landwirtschaft begonnen – In den 197oer-Jahren wurde der Hof als Modellprojekt nach historischem Vorbild neu errichtet / Matthias Winter 250 319

1 nhaltsverzeichnis 13. Kapitel/ Umwelt und Natur Die Linden – Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 5) / Wolf Hockenjos 256 Orchideen im Schwarzwald-Baar-Kreis – Aktuell sind im Schwarzwald und auf der Baar 34 Orchideenarten nachweisbar / Dr. Helmut Gehring 264 Neuer Lebensraum für das Auerwild – Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist eines der größten Auerhahngebiete in Deutschland / Erich Marek / Petra Walheim 270 14. Kapitel/ Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Das Hotel Dorer in Schönwald – Eine badisch-s izilianische Liaison / Roland Sprich 276 Das Kippys – exzellente Küche – Das Feinschmeckerrestaurant ist Teil der St. Georgener Sammlung Grässlin / Stefan Simon 279 15. Kapitel/ Freizeit Vom Hexenfelsen zum Totenkopfstein – Schalensteine: zauberhaft mystische Naturerscheinungen oder Opferschalen? / Ulrich Gasehe / Karl Koch 282 Die Donauhallen sind in der Zukunft angelangt / Steffen Maier 290 Das RADPARADIES Schwarzwald und Alb ist eröffnet – Auf zwei Rädern den Schwarzwald, die Baar und die Alb erkunden / Steffi Schmid 294 16. Kapitel/ Sport Matthias Schwierz auf Erfolgskurs – Der Weilersbacher ist Junioren -Weltmeister , mehrfacher Deutscher Meister und nun auch Europameister im lnline-Speedskating – Fünfter bei der Weltmeisterschaft 2010 / Gunter Wiedemann 297 Zweimal Bronze für Simone Hauswald – Die Weltklasse-Biathletin aus Schönwaltl beendet auf dem sportlichen Höhepunkt ihre Karriere – Ein film reifes Karriere -Ende / Christof Kaltenbach 300 17. Kapitel/ Theater und Kleinkunst Installationskunst und Straßentheater – Kurt Heizmann : Mit Witz und Ironie gegen eine uniformierte Welt / Wilfried Dold 304 Anhang Almanach-Magazin 312 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald -Baar-Kreis 314 Der Landkreis im Spiegel der Statistik 315 Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen 315 Orden und Ehrenzeichen 315 Bildnachweis 316 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 317 Inhaltsverzeichnis 318 320