Almanach 2013

Almanach 2013 Kultur | Geschichte | Wirtschaft | Politik | Natur | Sport | Freizeit Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises

He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Re dak ti on: Sven Hinterseh, Land rat Julia Weiss, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Wil fried Dold, Re dak teur Hans-Wer ner Fi scher, Dipl.-Bib lio the kar Dr. Joa chim Sturm, Kreis ar chi var Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: Wilfried Dold, dold.verlag Verlag: dold .ver lag, Vöh ren bach www.dold ver lag.de Druck: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-927677-65-4

Eh ren lis te der Freun de und För de rer des Al ma nach 2013 S Sparkasse Schwarzwald-Baar Leopold Messmer, Furtwangen Neun weitere Freunde und Förderer des Almanachs wünschen nicht namentlich genannt zu werden. 3 3

Zum Geleit 40 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis Dem Almanach 2013 zum Geleit Liebe Leserinnen und Leser, unser Landkreis – der Schwarzwald-Baar-Kreis – entstand im Jahr 1973 im Zuge der Kreisre- form. Die ehemaligen Landkreise Villingen und Donaueschingen sowie Teilstücke der Landkreise Rottweil, Tuttlingen, Konstanz und Hochschwarzwald wurden zu einem der neu- en 35 Landkreise in Baden-Württemberg ver- schmolzen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis gehört mit ei ner Fläche von 1.025 km² und ca. 206.000 Einwohnern in 20 Städten und Gemeinden zu den mittelgroßen Landkreisen. Das 40-jährige Bestehen des Schwarzwald-Baar-Kreises neh- men wir in dieser Ausgabe des Almanachs zum Anlass, um einerseits zurück auf diese erfolg- reichen 40 Jahre zu blicken, andererseits aber auch unsere zukünftigen Herausforderungen zu betrachten. Eine Brücke zur Gegenwart Mein Vorvorgänger im Amt des Landrats des Schwarzwald-Baar-Kreises, Dr. Rainer Gut knecht, war es, der für das Jahr 1977 erstmals unser Hei- matjahrbuch, den Almanach des Schwarzwald- Baar-Kreises, vorlegen konnte. In seinem Vor- wort für den ersten Almanach führt er aus: „Der Almanach möchte die reiche geschichtliche Vergangenheit unseres heimi schen Lebens- raumes wachhalten und eine Brücke zur Gegen- wart schlagen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis, aus zwei gegensätzlichen Land schaf ten zusammen- gesetzt, soll dadurch seinen Einwohnern, aber auch seinen Freunden und Besuchern, als le- ben dige, kommunalpoli tische Einheit nahege- bracht werden.“ Mit sehr viel persönlichem 4 4 Engagement hat Dr. Gutknecht Sorge dafür ge- tragen, dass sich der Almanach gut entwickeln konnte und auch von Anfang an in der Bevölke- rung eine gute Aufnahme fand. Karl Heim, Nachfolger von Dr. Rainer Gut- knecht, hat seit der Ausgabe des Almanachs 1997 Verantwortung getragen und diesen kon- tinuierlich – ebenso mit erheblichem zeitlichen Einsatz – weiterentwickelt. Die (Druck-)Technik schritt immer mehr hin zur Digitalisierung vo- ran und es galt, auch die Vorbereitungsabläufe anzupassen. Der Almanach wuchs weiter und die Schwierigkeit war, diesen nicht zu sehr aus- zuweiten und ihn so auch lesbar zu halten.

Zweifelsohne wird das gedruckte Wort auch in Zeiten des „Smartphones“ und der „Ta- blet-PCs“ weiterhin eine große Rolle spielen und auch deswegen will ich diese gute Traditi- on unseres Heimatjahrbuchs gerne fortführen. Da neben werden wir uns aber mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir den Almanach auch in die digitale Zeit übersetzen können, um somit auch neue Leserinnen und Leser zu gewinnen. Heimat spielt eine sehr wichtige Rolle Heimat spielt auch in unserer globalisierten und digitalen Welt eine sehr wichtige Rolle. Hei- mat ist mehr als eine Worthülse – Heimat be- deutet eine gewachsene und starke kulturelle Identität, die einen prägt. Im Schwarzwald- Baar-Kreis treffen auf sehr sympathische Art und Weise Badisches und Württembergisches aufeinander. Hier sind Bürgerinnen und Bürger zu Hause, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen, solide mittelständische Unter- nehmen, mancher Weltmarktführer. Hier wird ge tüftelt, gemacht und geschafft. Diese Boden- ständigkeit und Schaffenskraft beeindruckt. Hier hat man – gerade auch in schwieriger Zeit – den Kopf noch nie hängenlassen. Und es gab in den vergangenen 40 Jahren wahrlich große Umbrüche. So wurde aus einem krisengeschüt- telten Gebiet eine Hightech-Region erster Klas- se, geprägt von Unternehmen der unterschied- lichsten Zukunftsbereiche. Hier entstand eine bundesweit bedeutsame Modellregion für er- folgreich bewältigten Strukturwandel. Der Schwarzwald-Baar-Kreis steht aber – bei allem Selbstbewusstsein – im Wettbewerb mit anderen Kreisen und mit anderen Regionen. Und gerade auch vor dem Hintergrund der de- mografischen Entwicklung ist das eine ganz zentrale Herausforderung. Letztlich geht es um den Erhalt der Daseinsvorsorge im Ländlichen Raum. Das ist die Herausforderung der Zukunft. Auch hier im Schwarzwald-Baar-Kreis werden die Bürgerinnen und Bürger glücklicherweise Zum Geleit immer älter. Allerdings sinkt zugleich auch die Geburtenrate. Wir wissen alle, dass dieser de- mografische Wandel sich auf dem Land noch stärker auswirkt als in den Ballungsräumen. Wir werden uns dieser Herausforderung stel- len und eine Demografiestrategie entwickeln, um nicht mehr nur von Punkt zu Punkt und von Einzelfall zu Einzelfall zu springen, sondern al- le verschiedenen Handlungsfelder analysieren. Diese Gesamtstrategie kann uns dabei helfen, den Schwarzwald-Baar-Kreis dauerhaft zu stär- ken, unsere Möglichkeiten besser auszuschöp- fen und mit neuen Ideen auf die Herausforde- rungen zu antworten. Ein „Dankeschön“ an alle Förderer und Freunde Der Almanach gibt auch in diesem Jahr in be- währter Art und Weise einen guten Überblick über die Vielfalt bei uns im Schwarzwald-Baar- Kreis und das breite Spektrum von Aktivitäten in Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport und Freizeit. Ich bedanke mich von Herzen bei den Auto- ren und Fotografen, die – manche bereits seit vielen Jahren – dazu beitragen, dass auch die- se Ausgabe des Almanachs wieder in gewohnt guter Qualität vorgelegt werden kann. Ebenso bedanke ich mich bei den vielen Förderern, Un- ternehmen und treuen Freunden unseres Hei- matjahrbuchs. Ich wünsche dem aktuellen Almanach 2013 viele interessierte Leserinnen und Leser und insgesamt eine gute Aufnahme. Ihr Sven Hinterseh Landrat 5 5

Aus dem Kreisgeschehen 1. Kapitel Aus dem Kreisgeschehen Ministerialdirektor Herbert Zinell: „Vor allem auch ein Landrat der Bürger“ Landrat Karl Heim mit stehenden Ovationen aus dem Amt verabschiedet 6 6

Aus dem Kreisgeschehen „Zukunftsraum – Lebensraum“, lautet der zentrale Slogan des Schwarzwald-Baar-Kreises, der Heimat von über 206.000 Menschen in 20 Städten und Gemeinden. Und dass es neben Meilensteinen wie Zentralklinikum und Ringzug auch gelingen konnte, das Quellenland Schwarzwald-Baar-Kreis stärker im Bewusstsein seiner Bürger zu verankern, freut einen Mann ganz besonders: Landrat Karl Heim. Über 500 Gäste verabschieden ihn am 24. Mai 2012 nach 16-jähriger Amtszeit in der Neuen Tonhalle in VS-Villin- gen mit stehenden Ovationen in den Ruhestand. Das gestiegene Kreis- bewusstsein kommt dabei mehrfach zum Ausdruck – vor allem die Grün- de hierfür. Bräunlingens Bürger- meister Jürgen Guse unterstreicht als stellvertretender Vorsitzender des Kreistages: „Karl Heim hat mit seiner offenen, ausgleichenden und sehr menschlichen Art der Kreis- politik und unserem Landkreis ein freundliches Gesicht gegeben.“ Ministerialdirektor Herbert Zinell sagt: „Es glückte ihm die Symbiose, Landrat, aber vor allem auch Land- rat der Bürger zu sein“. Und für die Oberbürgermeister und Bürger- meister im Schwarzwald-Baar-Kreis formuliert Jörg Frey: „Du warst ein wunderbarer Landrat!“ 7 7

Ministerialdirektor Herbert Zinell (links) und im Namen des Kreistages Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse (rechtes Bild, links) würdigen Karl Heim als einen bürgernahen, vorbildlichen Landrat, der in vielerlei Hinsicht Maßstäbe setzte. Karl Heim konnte für sein 16-jähriges Wirken die Goldene Verdienstmedaille des Schwarzwald-Baar-Kreises entgegennehmen (rechts). „Die Menschen sollen stolz sein auf ihre Hei- matgemeinde – aber auch auf den Schwarz- wald-Baar-Kreis“, formuliert Karl Heim 1996 beim Amtsantritt als Landrat eines seiner Ziele. Er verliert es nicht aus den Augen. Karl Heim gibt den entscheidenden Impuls dazu, dass sich der Schwarzwald-Baar-Kreis zum heutigen Quellen land wandelt, schafft damit die Grund- lage für mehr Identifikation mit einem Landkreis, der sich am 1. Januar 1973 aus den ehemaligen Krei sen Villingen und Donaueschingen bildet. Karl Heim: „Wir müssen die Quellen und Flüsse am Ursprungsort der Donau als Lebens- und Zu- kunftsquellen verstehen, als die Metapher für den Schwarzwald-Baar-Kreis schlechthin. Die Quellen, das Wasser – die Flüsse, sie sind unsere Lebens- ader.“ „Zukunftsraum – Lebensraum“ lautet fol- gerichtig der zentrale Slogan des Quellenlandes, formuliert unter seiner Regie. Man achtet und mag sich – die Nähe zu den Menschen im Schwarzwald und auf der Baar sucht Karl Heim von der ersten Stunde seiner Amtszeit an. Das bedeutet für ihn: zuhö- ren, Rat geben, sich einsetzen, gemeinsam Zu- kunft gestalten, werben für den gemeinsamen Lebens raum – aber auch gemeinsam feiern. Karl Heim glückt diese Symbiose. Das unter- streicht Ministerialdirektor Herbert Zinell bei der Verabschie dung aus dem Amt am 24. Mai ebenso wie im Namen des Kreistages Bräunlin- gens Bürgermeis ter Jürgen Guse. Beide würdigen sie Karl Heim als vorbildli- chen Landrat, der in vielerlei Hinsicht Maßstäbe setzt. Unisono loben sie den kooperativen Füh- rungsstil Heims, der die Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt und für den Landkreis ein vorbildliches Personalentwicklungskonzept auf den Weg bringt. Wie er sich überhaupt für den Landkreis mit Nachdruck stark macht. Herbert Zinell verleiht Karl Heim unter großem Beifall der Gäste das bereits eingangs erwähnte, besonde- re Prädikat, ein Landrat der Bürger zu sein. Karl Heim genießt große fachliche und menschliche Wertschätzung Für jeden Gast spürbar ist der außerordentliche Respekt für die fachlichen Leistungen von Karl Heim – aber auch welch großer Sympathie er sich erfreut. Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse betont als stellvertretender Kreistagsvor- sitzender die „offene, ausgleichende und sehr menschliche Art“. Aber, so fährt er fort, auch nach innen habe Heim auf der Klaviatur des Kreistags virtuos gespielt. Die Kreisräte hätten 8

Aus dem Kreisgeschehen Über eine Stunde dauerte das Defilee zu Beginn der Verabschiedung von Landrat Karl Heim in den Ruhestand am 24. Mai 2012 in der Neuen Tonhalle. Über 500 Ehrengäste übermittelten ihren Dank für die freundschaft- liche Zusammenarbeit und überbrachten gute Wünsche. So Furtwangens Bürgermeister Josef Herdner (links) oder die Landjugend, die für ihren Schirmherrn eine Erntekrone dabei hatte (rechts). Heim, der sich nach 16 Jahren als Landrat nicht mehr zur Wahl stellte, mehrfach gesagt, dass sie ihn nochmals wählen würden, auch wenn er keine volle Wahlperiode mehr amtieren kön- ne. Man verabschiede Heim mit „Wehmut und Dankbarkeit“. Die Wertschätzung zeigt sich besonders auch beim über einstündigen Defilee zu Beginn der Veranstaltung. Zusammen mit Ehefrau Ingrid be- grüßt Karl Heim jeden Gast persönlich, nimmt Dank und gute Wünsche entgegen – und dankt seinerseits. Man kennt und schätzt sich seit Langem. Über eine Stunde lang schütteln Ingrid und Karl Heim die Hände ihrer über 500 Gäste: Das Defilee für Landrat Karl Heim brachte ein Wie- dersehen mit vielen Weggefährten. Rechts dankt Königsfelds Bürgermeister Fritz Link für die gute Zusammenarbeit. hochrangige Persönlichkeiten des politischen und öffentlichen Lebens, Weggefährten, Mitar- beiter, Bekannte – viele Freunde. Die Fülle der Begegnungen ist beeindruckend, die Gesprä- che sind herzlich. Alles, was im Schwarzwald- Baar-Kreis Rang und Namen hat – und namhaf- te Gäste weit über die Grenzen des Landkreises hinaus – versammelt sich in der Neuen Tonhal- le zum Großen Zapfenstreich für Karl Heim. Goldene Verdienstmedaille des Landkreises für herausragende Leistungen Die Wertschätzung für den scheidenden Land- rat widerspiegelt sich auch in Ehrungen und Geschenken. Der Kreistag verleiht Karl Heim für seine herausragenden Leistungen die Golde- ne Verdienstmedaille des Schwarzwald-Baar- 9

Aus dem Kreisgeschehen Ein Dankeschön an Karl Heim: Aus der ungarischen Partnerregion Komitat Bács-Kiskun reiste Vizepräsi- dent Sandor Rausch an. Er übergab den Ehrenpreis des Komitats, eine Taschenuhr (links). Das Geschenk der Mitarbeiter am Landratsamt überreichte der Erste Landesbeamte Joachim Gwinner: eine Schwarzwald- uhr mit einem Schild des Schönenbacher Uhren- schildmalers Walter Hättich. Schonachs Bürgermeis- ter Jörg Frey hatte das Präsent der Bürgermeister und Oberbürgermeister im Landkreis dabei: ein Essen bei Gourmetkoch Harald Wohlfahrt. Kreises. Aus der ungarischen Partnerregion Komitat Bács-Kiskun reist Vizepräsident San- dor Rausch an. Er überreicht den Ehrenpreis des Komitats: eine handgefertigte Taschenuhr. Von den Kreis-Bürgermeistern erhält das Ehe- paar Ingrid und Karl Heim einen Gutschein für ein Essen bei Gourmetkoch Harald Wohlfahrt. Ihn überreichte Schonachs Bürgermeister Jörg Frey und er formu lierte in seiner Dankesrede im Namen aller Bürgermeister und Oberbürger- meister, was sicherlich die meisten Gäste in der Neuen Tonhalle im Sinn hatten: „Du warst ein wunderbarer Landrat.“ Die Mitarbeiter am Landratsamt schenken eine durch den renommierten Schönenbacher Uhrenschildmaler Walter Hättich gestaltete Schwarzwälder Schilderuhr mit historischem Holzuhrwerk. Das Schild zeigt im Bogen das Landratsamt und die vier Schildecken sind mit der Linachtalsperre, den Triberger Wasserfäl len, der historischen Donauquelle in Donauesch in- gen und der Sauschwänzlebahn geschmückt. Karl Heim – sein Werdegang 1950 in Bochingen, Kreis Rottweil, geboren, beginnt Karl Heim als 17-Jähriger seine Verwal- tungslaufbahn mit dem Vorbereitungsdienst für den gehobenen Dienst, den er als Diplom-Ver- waltungswirt (FH) abschließt. Es folgt das Stu- dium der Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz in den Jahren 1972 bis 1977. Karl Heim schließt mit dem akademischen Grad „Diplomverwaltungswissenschaftler“ ab. Der zwei ten Staatsprüfung mit Befähigung für den höheren allgemeinen Verwaltungsdienst geht ein Referendariat beim Landratsamt Böb- lingen, dem Regierungspräsidium Stuttgart, im Innenministerium Baden-Württemberg sowie an der Hochschule für Verwaltungswissenschaf ten in Speyer voraus. Am Beginn des beruflichen Werdegangs steht in den Jahren 1979 bis 1982 eine Tätigkeit als Regierungsassessor und im Anschluss als Regierungsrat beim Landratsamt Freudenstadt, wo Karl Heim als Dezernent für die Bereiche Verkehrswesen sowie Rechts- und Ordnungs- amt fungiert. Im Oktober 1982 wird er an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer berufen und wirkte als Assistent von 10

Verabschiedung von Landrat Karl Heim Landkreises, Vorsitzender des Kreistages und Chef der Landkreisverwaltung. Er sollte Vorstel- lungen beziehungsweise Visionen entwickeln, wie und wohin sich der Landkreis entwickeln könnte. Er muss andere überzeugen und unter- schiedliche Interessen zusammenführen und integrieren. Er muss seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so führen und motivieren, dass die- se gemeinsam mit ihm die kreispolitischen Vor- gaben und die gesetzlichen Aufgaben kompe- tent und bürgerfreundlich umsetzen.“ Der Weg dorthin ist nicht leicht. So steht am Anfang der Ära Karl Heim das stetige und behut- same Optimieren der Verwaltungsorganisation des Landratsamtes: Dezernate und Ämter wer- den neu strukturiert, eine Presse- und Stabs- stelle sowie eine Wirtschaftsförderungsstelle installiert, ein neues Verwaltungs-Steuerungs- modell eingeführt, Leitbilder und Qualitätszir- kel entwickelt und die Arbeitsplätze aller Mit- arbeiter(innen) mit neuester Computertechnik ausgestattet. Parallel dazu läuft die 2005 vom Land Ba- den-Württemberg initiierte Verwaltungsreform. Das bedeutet, die unterschiedlichsten bis dato selbstständigen, staatlichen Sonderbehörden in das Landratsamt einzugliedern. Neben der Aus- richtung auf Bürgerfreundlichkeit soll der so um 50 Prozent angewachsene Personalkörper innerhalb von sieben Jahren zudem eine Effi- zienzrendite von 20% erwirtschaften. Auch mit- hilfe des von Karl Heim eingeführten, koopera- ti ven Führungsstils können diese Ziele in der Tat erreicht werden. Einen optimierten, kreisweiten und bezahl- baren Öffentlichen Nahverkehr zu schaffen, ist in einem Flächenlandkreis wie dem Schwarz- wald-Baar-Kreis ein vorrangiges Ziel der Kreis- politik. Vor diesem Hintergrund zählt Karl Heim zu den Vätern des Ringzugs. Der 3er-Ringzug ist ein Schienen-Nahverkehrsprojekt der drei Landkreise Schwarzwald-Baar, Rottweil und Tutt lingen, das zum 31. August 2003 in Betrieb geht. Das Schienenprojekt erschließt den länd- lichen Raum mit meist durchgehenden Verbin- dungen, die von Bräunlingen über Villingen- Schwenningen bis Trossingen und Rottweil sowie nach Tuttlingen, ins Donautal sowie nach Leipferdingen und Blumberg-Zollhaus reichen. 11 Prof. Dr. Frido Wagner am Lehrstuhl für allge- meine Verwaltungswissenschaften. In den Jah- ren 1984 bis 1987 ist er im Regierungspräsidium Stuttgart zunächst als Referent für Immissions- schutz und danach als Leiter der Koordinations- stelle des Regierungspräsidenten tätig. Mit Wirkung zum 1. Mai 1987 wechselt Karl Heim als Erster Landesbeamter und Stellvertre- ter des Landrates zum Landratsamt Zollernalb- kreis in Balingen. Als Dezernent ist er für das Bau- und Umweltschutzamt, Rechts- und Ord- nungsamt, Abfallwirtschaftsamt, Schulverwal- tungsamt und auch für das Wasser- und Boden- schutzamt sowie das Veterinäramt zuständig. Zum Landrat des Schwarzwald-Baar-Krei- ses wird Karl Heim am 15. April 1996 im dritten Wahlgang und bei zwei Mitbewerbern mit 36 von 65 gültigen Stimmen gewählt. Er tritt sein Amt am 1. Juni 1996 an. Der Kreistag wählt den inzwischen 53-Jährigen am 29. März 2004 mit großer Mehrheit erneut zum Landrat. Der Landrat: Erster Repräsentant des Schwarzwald-Baar-Kreises Was bedeutet es, 16 Jahre lang Landrat und damit oberster Repräsentant des Schwarzwald- Baar-Kreises zu sein – Chef eines Dienstleis- tungsbetriebes mit 1.800 Mitarbeitern? Einer Journalistin antwortet Karl Heim auf diese Fra- ge: „Der Landrat ist der erste Repräsentant des

Verabschiedung von Landrat Karl Heim Wesentliches Element des Ringzugsystems ist die Verknüpfung des Schienenpersonen- nahverkehrs mit den Buslinien, durch die auch die abseits der Schiene liegenden Gemeinden und Ortsteile erschlossen werden. Sieben Jah- re lang verfolgte Karl Heim diese Idee beharr- lich – und der Erfolg gibt ihm recht: Die Zahl der Passagiere kletterte von monatlich 9.000 auf 13.000 – 100 Mio. Euro wurden investiert, aber der Ringzug schreibt schwarze Zahlen (siehe Seite 44). Ein Erfolgsmodell mit ganz anderer Vorge- schichte ist der Bau des Zentralklinikums im Oberzentrum Villingen-Schwenningen. Die Neu – ordnung des Krankenhauswesens im Schwarz- wald-Baar-Kreis bringt Karl Heim die mit Ab- stand größte Herausforderung seiner Amtszeit. Der Neubau erfordert ca. 260 Mio. Euro und soll im Juni 2013 in Betrieb gehen. Er ist das Ergeb- nis eines langwierigen Prozesses (siehe dazu auch den Beitrag ab Seite 36). Eine Fülle von Aktivitäten Die zwei Amtsperioden von Landrat Karl Heim sind gekennzeichnet durch eine wahre Fülle an Aktivitäten. So wird die Partnerschaft mit dem ungarischen Komitat Bács-Kiskun durch zahlreiche Besuche, Gegenbesuche und Be- teiligungen an Veranstaltungen in beiden Län- dern mit Leben erfüllt. Es kommt zur Stärkung der Familienfreundlichkeit: Der Landkreis stellt eine Familienbeauftragte ein und eröffnet eine kreiseigene Kindertagesstätte. Es werden eine Kreis-Behindertenbeauftragte eingestellt, eine Kreis-Energieberatungsstelle und ein „Jugend- fonds“ gegründet. Im kulturellen Bereich ruft der Landkreis den Kreis-Kulturpreis, Kreis-Kul- turpass und Kreis-Kunstausstellungen ins Le- ben. Aber auch ein Kreis-Pflegestützpunkt und ein Bildungsbüro entstehen – und vieles mehr. Um all dies zu realisieren, knüpft Landrat Karl Heim vielseitige Kontakte. Er geht Koope- rationen mit anderen Einrichtungen und Inter- essensgruppen ein, um Strukturverbesserun- gen zu erreichen, die mit den alleinigen Mitteln des Landkreises nicht möglich gewesen wären. Der zweite Landrat in der Geschichte des nun- 12 mehr 40 Jahre alten Schwarzwald-Baar-Kreises hat von seinem Vorgänger Übernommenes er- folgreich weiterentwickelt und etliche eigene Neuerungen angestoßen. Dazu gehört zweifelsohne auch das enga- gierte Mitwirken am Almanach, am Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises. Karl Heim leitet die Redaktion und berichtet Jahr für Jahr über die Höhepunkte der Kreispolitik. Bei seiner Ver- abschiedung aus dem Kreis des Redaktions- teams unterstreicht er die Bedeutung des durch seinen Vorgänger Dr. Rainer Gutknecht begrün- deten Jahrbuches. Es ist die einzige Publika- tion, die mit ihren Beiträgen zu Politik, Städte und Gemeinden, Persönlichkeiten, Wirtschaft, Kultur, Sport oder Geschichte das gesamte Kreisgebiet abzudecken vermag. Eine Talkrunde über einen „Heiligen“ und schwere Stunden Der Festakt zur Verabschiedung von Karl Heim in der Neuen Tonhalle bescherte den Gästen auch viel Kurzweil. So gefiel besonders die Talkrunde mit SWR3-Redakteurin und Modera- torin Sonja Faber-Schrecklein. An den langjäh- rigen Stellvertreter von Karl Heim, den Ersten Landesbeamten Joachim Gwinner, richtete die Moderatorin angesichts all der Lobeshymnen die Frage: „Wie schafft man mit einem Heili- gen zusammen?“ „Gar kein Problem“, antwor- tet Jo achim Gwinner, denn Karl Heim habe sich schnell zu einem Landrat mit einem vertrauens- vollen, kooperativen Führungsstil entwickelt. An der kurzweiligen Plauderrunde beteilig- ten sich auch der CDU-Bundestagsabgeordne- te Siegfried Kau der, Heims früherer Tuttlinger Kollege, und heutige Landtagspräsident Guido Wolf sowie der Sprecher der Bürgermeister im Landkreis, Jörg Frey aus Schonach. Und die schwerste Stunde? Die Schließung des Furtwanger Krankenhauses im Jahr 2003, ist sich die Runde einig. Landtagspräsident Guido Wolf widmete Karl Heim sogar ein kurzes Gedicht. Moderatorin Sonja Faber-Schrecklein resümierte danach mit einem Augenzwinkern: „Er ist nicht nur heilig, er wird mir langsam unheimlich.“

Aus dem Kreisgeschehen Am Schluss der Veranstaltung tritt Landrat Karl Heim ans Mikrofon und führt aus, dass für ihn das Amt des Landrates das schönste Amt sei, das man in der Verwaltung ausüben kön- ne. „Der Landrat gibt dem Kreis ein Gesicht“, fährt er fort. Er schließt mit den Worten: „Jeder Landrat sagt, dass sein Kreis der schönste sei.“ „Aber“, so Heim an die Adresse seines Nach- folgers Sven Hinterseh: „Wir im Schwarzwald- Baar-Kreis sind überzeugt – bei uns stimmt’s.“ Und er wünscht dem neuen Landrat das Quänt- chen Glück, das auch der Tüchtigste zum Erfolg braucht. Begegnungen sind große Bereicherung Gut 100 Tage nach der Verabschiedung aus dem Amt sitzt Karl Heim im Garten seines Wohnhau- ses in Obereschach und genießt das Gefühl, einfach mal Zeit zu haben. Das Gespräch über die kreispolitischen Hauptaufgaben der zurück- liegenden Jahre mündet in der Erkenntnis, dass ein Landrat durch seine vielfältigen Begegnun- gen mit den Bürgern noch unmittelbar erfährt, wo diese der Schuh drückt, zumal in seiner Bür- gersprechstunde. Bei der Überprüfung all der Eine Talkrunde mit Moderatorin Sonja Faber-Schreck- lein geriet kurzweilig. Zum Thema Karl Heim unter- hielten sich (v. links) Landtagspräsident Guido Wolf, Schonachs Bürgermeister Jörg Frey, der CDU-Bundes- tagsabgeordnete Siegfried Kauder und der Erste Lan- desbeamte Joachim Gwinner. Guido Wolf trug sogar schmunzelnd ein Gedicht vor (u. links). Von Ingrid Heim wollte Sonja Faber-Schrecklein wissen, ob ihr Mann wirklich so vorbildlich sei – was sie bejahte. Fälle, die dabei an ihn herangetragen wurden, stellte Karl Heim fest, dass unser Landkreis eine bürgerfreundliche Verwaltung habe, die sich um die Anliegen der Bürger bemühe und die in der Beurteilung der Vorgänge meist rich- tig liege. Noch empfindet der Landrat im Ruhestand Karl Heim seine „Auszeit“ als „längeren Ur laub“. Er genießt es, dass es ihm die Freiheit vom einst dicht gefüllten Termin ka len der nun gestattet, endlich auch private Freund schaften zu pfle- gen. Was wird er am meisten vermissen? Sicher den Kontakt mit den Menschen überall im Land- kreis. „Diese Begegnungen waren und sind mir immer eine große persönliche Bereicherung gewesen“, schließt Karl Heim. Wilfried Dold 13

Aus dem Kreisgeschehen „Ein faszinierendes Quellenland mit großen Chancen“ Sven Hinterseh neuer Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises Vom Ministerialdirigent zum Landrat – mit einer Mehrheit von drei Stimmen wählte der Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises am 26. März 2012 Sven Hinterseh zum Nachfol- ger von Landrat Karl Heim. Der parteilose Landrat Karl Heim wechselte nach 16 Amtsjah- ren in den Ruhestand (siehe Seite 6). Das 40 Jahre alte CDU-Mitglied Sven Hinterseh und der 54 Jahre alte Walter Klumpp, der den Freien Wählern angehört, waren die einzigen Kandidaten um das Amt. Im entscheidenden zweiten Wahlgang stimmten 33 Kreisräte für Sven Hinterseh, 30 für Walter Klumpp. „Was für ein schöner Montag!“, freute sich ein überwältigter Sven Hinterseh. Der neue Landrat, der dritte in der 40-jährigen Geschichte des Landkreises, war zuletzt Abteilungsleiter im Agrarministerium des Landes Baden- Württemberg. Bis zur Landtagswahl im März 2011 leitete er im Staatsministerium in Stutt- gart die Grundsatzabteilung. Zuvor war er persön licher Referent des CDU/CSU-Fraktions- vorsitzenden im Bundestag, Volker Kauder. „Die Entscheidung war knapp“, kommentierte Landrat Karl Heim am 26. März 2012 unmittel- bar nach der Wahl das Ergebnis, und sprach von zwei sehr guten Kandidaten. Und er zeigte sich überzeugt: „Sven Hinterseh wird ein sehr guter Landrat sein.“ Walter Klumpp, der knapp unterlag, gratulierte souverän, wünschte Sven Hinterseh alles erdenklich Gute und er klärte, er werde sich nun weiterhin um seine schöne Stadt Bad Dürrheim kümmern. Am 26. März 2012 erfolgte die Wahl zum Landrat, am 18. Juni leistete Sven Hinterseh im Sitzungssaal des Kreistages gegenüber der Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer seinen Amtseid. Hinterseh versprach, als Landrat das Wohl des Schwarzwald-Baar-Kreises und seiner Einwohner zu schützen und zu mehren. Freuen durften sich die rund 200 Gäste, darunter al- le Bürgermeister im Landkreis, aber auch die Vertreter von IHK, Handwerkskammer, Regio- nalverband, Polizei, Hochschulrektoren, Politi- ker, viele Schulleiter und Hin tersehs Vorgänger Dr. Rainer Gutknecht und Karl Heim, über ein Landrat Sven Hinterseh spricht gegenüber der Regie- rungspräsidentin Bärbel Schäfer seinen Amtseid. 14

Aus dem Kreisgeschehen Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat einen neuen Landrat: Sven Hinterseh wurde am 26. März 2012 gewählt. Das Foto zeigt den Vater von drei Kindern am Tag der Amts- einführung vor dem Landratsamt. Auf den Start im Schwarzwald-Baar-Kreis freuen sich Ehefrau Christine, die Töchter Hannah und Charlotte sowie Sohn Joshua. 15

Aus dem Kreisgeschehen :: Der Landrat und seine Aufgaben Neben dem Kreistag ist der Landrat das zweite Organ des Landkreises. Der Landrat wird vom Kreistag auf die Dauer von acht Jahren gewählt. Landrat seit dem 1. Juni 2012 ist Sven Hinterseh. Er bereitet die Sit- zungen der Gremien vor, leitet die Sitzun- gen des Kreistages und seiner Ausschüsse und ist dafür verantwortlich, dass die dabei gefassten Beschlüsse umgesetzt werden. Als Behördenleiter ist der Landrat „Chef“ des Landratsamtes. Zudem vertritt er bei einer Vielzahl von öffentlichen Anlässen den Landkreis nach außen, ist damit sein höchster Repräsentant. Für die Menschen im Kreis bietet er regelmäßig Abendsprech- stunden an. Wenn Sie sich mit einem Anlie- gen direkt an den Landrat wenden möchten, können Sie ihm eine E-Mail an folgende Ad- resse schicken: landrat@lrasbk.de Herzliche Glückwünsche zum Amtsantritt überbrachte der Landwirtschaftsminister Alexander Bonde, zu- gleich früherer Dienstherr von Sven Hinterseh. Kompliment von Bärbel Schäfer. Sie führte aus, Sven Hinterseh habe einen beson ders schönen Landkreis auf einem sehr hohen Niveau im Her- zen des Regierungspräsidiums übernommen. Der stellvertretende Vorsitzende des Kreis- tages, Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Gu- se, wünschte dem neuen Landrat, dass er im Quellenland die Kraft und die Spielräume finde, „um die notwendigen Duftmarken zu setzen“. Und, dass es ihm gelingen möge, das magi- sche Dreieck der Anforderungen für Landräte zu meistern: Politik, Verwaltung und Repräsen- tation. Bärbel Schäfer ergänzte Guses „magi- sches Dreieck“ mit Blick auf die enormen be- ruflichen Belastungen um das Familienleben, denn Sven Hinterseh ist Vater von drei Kindern. Als Sven Hinterseh seinen Amtseid leiste te, befand sich unter den 200 Gästen mit Lan d- wirtschaftsminister Alexander Bonde auch sein bis heriger Dienstherr. Die Erfah rungen aus sei- 16 ner leitenden Aufgabe am Schnittpunkt von Na turschutz, Tourismus, Landwirtschaft und För- derpolitik, so Bonde, seien Hinterseh jetzt sehr nützlich. „Ich gebe ihn ungern ab“, betonte der Lan d wirtschaftsminister. Der Wechsel sei ein „Verlust für das Ministerium, aber ein Gewinn für diesen Landkreis“. Sven Hinterseh bezeichnete er als einen „klugen Analytiker, konstruktiven Gesprächs partner und engagierten Schaffer“. Der grüne Minister plauderte über den Landrat mit schwarzem Parteibuch aus, dass sich dieser sein Jurastudium mit – allerdings legalem – Schnapsbrennen verdient habe. So erklärt sich auch das ehrenamtliche Engage- ment des gebürtigen Freiburgers im Verband Badischer Klein- und Obstbrenner e.V. Dass sich Sven Hinterseh auf Seiten der rot- grünen Landesregierung hoher Wertschätzung erfreut, zeigte sich schon am Tag seiner Wahl zum Landrat. Gerade hatte Noch-Amtsinhaber Karl Heim hervorgehoben: „Ich bin überzeugt, Sven Hinterseh wird den Landkreis in eine gu- te Zukunft führen“, konnte er auch schon die Glückwünsche von Ministerpräsident Winfried Kretschmann verlesen.

Sven Hinterseh – Neuer Landrat „Es ist wichtig, auf seine Heimat stolz und zugleich offen für Neues zu sein“ Der Tag der Amtseinführung war für Sven Hin- terseh ein großer Tag – in Begleitung seiner Frau Christine, der beiden Töchter und des Sohnes sowie der Eltern und weiterer Familienange- hö riger zeigte er sich überglücklich. Die Able- gung des Amtseides und der Empfang der Er – nennungsurkunde am Freitag sind wichtige Re gularien, denn: „Ohne Urkunde kein Beam- ter und ohne Beamtenstatus kein Landrat“, erläuter te der Erste Landesbeamte und Stell- vertreter des Landrates, Joachim Gwinner, die Bedeutung des Vorgangs. Landrat Sven Hinterseh betonte in seiner Antrittsrede, er freue sich sehr auf seine Auf- Bürgermeister Jürgen Guse begrüßte als stellver- tretender Vorsitzender des Kreistages die rund 200 Gäste zur Vereidigung von Landrat Sven Hinterseh. Im Namen der Oberbürgermeister und Bürgermeister übergab Schonachs Bürgermeister Jörg Frey nicht nur einen guten Tropfen (unten Mitte), sondern hatte auch eine Schwarzwälder-Kirschtorte dabei, die beim anschließenden Stehempfang durch den Landrat selbst serviert wurde. Die Mitarbeiter im Landratsamt begrüßten den neuen Chef mit einem Bildgeschenk, das Personalratsvorsitzende Monika Ziolek übergab. gabe in diesem faszinierenden Landkreis mit seinen großen Chancen. Es sei wichtig, auf sei- ne Heimat stolz und zugleich offen für Neues zu sein. Sven Hinterseh versprach dem Kreistag 17

Aus dem Kreisgeschehen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit über die Par tei grenzen hinweg. Auch was die Zusammen- arbeit mit den Mitarbeitern im Landratsamt an- belange, wolle er zuhören, die Abläufe kennen- lernen und versuchen, „gute Dinge noch besser zu machen und Schwachstellen aus zu merzen“. Sven Hinterseh dankte seinen Vorgängern Dr. Rainer Gutknecht und Karl Heim. Bei Rainer Gutknecht bedankte er sich, weil er dieses Kreis- haus gebaut habe – „ein offenes und tolles Haus“. Und Karl Heim dankte er für den wun- derbaren Übergang und einen sehr guten Start. Er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit mit allen – auf das gemeinsame Wirken für einen „starken, sozialen, gerech ten und chancen rei- chen Schwarzwald-Baar-Kreis“, schloss der neue Landrat seine Antrittsrede. Dann ging es ins Foyer des Kreishauses, wo Sven Hinterseh seinen Gästen neben einem reichhaltigen Büffet ein gutes Stück Schwarz- wälder Kirschtorte offerierte. Die Torte hatte ihm im Namen der Oberbürgermeister und Bürgermeister im Landkreis Schonachs Bürger- meister Jörg Frey überreicht – als Willkommens- gruß verbunden mit den besten Wünschen zum Start. Die Personalratsvorsitzende Monika Zio- lek im Landratsamt schenkte ihrem neuen Dienst- herrn ein Bild, das ausdrückt, wie vorteilhaft ein gemeinsames Vorgehen für alle Beteiligten ist. Der Werdegang Sven Hinterseh wurde am 21. Januar 1972 in Freiburg im Breisgau geboren. Auf den Besuch der Wirtschafts oberschule – eine Berufsaus- bildung zum Industriekaufmann war vorausge- gangen – folgten der Zivildienst im Freiburger Pflegeheim St. Marienhaus und das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz. 1999 hat Sven Hinterseh sein Studium mit der Ers- ten Juristischen Staatsprüfung abgeschlossen. Ein Postgraduiertenstudium der Verwal tungs- wissenschaften an der Hochschule in Speyer folgte, das er im Jahr 2001 mit dem Magister der Verwaltungswissenschaften been dete. Seine erste berufliche Station führte Sven Hinterseh nach der zweiten juristischen Staatsprü- fung an das Landratsamt des Schwarzwald-Baar- 18 Kreises, wo er als Landesbeamter die Lei tung des Dezernates II übernahm, das für Rechts-, Ord- nungs-, Verkehrs- und die Veterinärverwaltung zuständig ist und in dem über 100 Mitarbeiter beschäftigt sind. 2003 folgte der Wechsel in die Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund in Berlin. Hier war der neue Landrat als Referent in der Politischen Abteilung zuständig für die Themengebiete Vermittlungsausschuss, Föde ra- lismusreform und Bundesrat. Es folgte ab 2005 eine fünfjährige Tätigkeit als Ministerialrat und Persönlicher Referent des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Volker Kauder. 2010 kehrte Sven Hinterseh als Ministerial- dirigent und Leiter der Grundsatzabteilung im Staatsministerium in die Heimat Baden-Würt- temberg zurück. Nach der letzten Landtagswahl wechselte er ins Ministerium Ländlicher Raum und Verbraucherschutz. Dort war Sven Hinter- seh von Mai 2011 bis Mai 2012 Leiter der Abtei- lung Naturschutz und Tourismus. Vielfältig ist auch das ehrenamtliche En- gagement. So ist das CDU-Mitglied Sven Hin- terseh Gründungs- und Vorstandsmitglied des Bruno-Heck-Kreises in Berlin. Bruno Heck war von 1962 bis 1968 Bundesfamilienminister der Bundesrepublik Deutschland und von 1967 bis 1971 erster Generalsekretär der CDU. Der Land- rat gehört weiter zahlreichen Vereinen an, u. a. dem Badischen Landwirtschaftlichen Haupt ver- band und, wie schon erwähnt, dem Verband Badischer Klein- und Obstbrenner e.V. Landrat Hinterseh, der in seiner knapp be- messenen Freizeit den Laufsport, das Berg- wandern, Lesen und Geschichte als persön- liche Inte ressen pflegt, war zudem für kurze Zeit Lehrbeauftragter für Öffentliches Dienst- recht an der Hochschule für Polizei in Villingen- Schwenningen. Der Vollständigkeit halber sei zudem eine lange Liste von juristischen und geschichtli- chen Veröffentlichungen erwähnt – bis hin zu Beiträgen im Almanach des Schwarzwald-Baar- Kreises. Nun ist der neue Landrat der Vorsitzen- de der Redaktion des Jahrbuches, das bereits zum 37. Mal erscheinen konnte und dem er sehr verbunden ist.

Sven Hinterseh – Neuer Landrat mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen, solide, mittelständische Unternehmen, mancher Weltmarktführer. Hier wird getüftelt, gemacht und geschafft. Ich habe in meiner Zeit in Berlin auch eine andere Haltung beobachten können. Und gera- de deswegen beeindruckt mich diese Boden- ständigkeit und Schaffenskraft hier besonders. Hier hat man auch in schwieriger Zeit den Kopf noch nie hängen lassen. Es gab ja wahrlich gro- ße Umbrüche in den vergangenen Jahrzehnten. So wurde aus einem krisengeschüttelten Ge- biet eine Hightech-Region erster Klasse, geprägt von Unternehmen der unterschiedlichs ten Zu- kunfts-Bereiche. Hier entstand eine bundesweit bedeutsame Modellregion für erfolgreich be- wältigten Strukturwandel!“ „Mich treibt die Frage um, wie unser Landkreis in 20 Jahren aussehen soll?“ An anderer Stelle merkt Sven Hinterseh an: „Mich treibt die Frage um, wie unser Landkreis in 20 Jahren aussehen soll. Was für Chancen haben unsere Kinder dann und wie wollen wir dann hier leben? Das steht für mich im Mittel- punkt und das spornt mich an. … Sie hatten sich erst vor wenigen Wochen mit dem Kreistag in einer Klausurtagung intensiv mit den Fragen rund um die demografische Entwicklung be- schäftigt. Daran will ich anknüpfen und unser Handeln konsequent vor dem Hintergrund die- ser Entwicklung ausrichten.“ Schließlich umreißt Sven Hinterseh die Kern- punkte seiner Arbeit in naher Zukunft, nennt Aufgabenfelder, die für die Menschen im Land- kreis allesamt von besonderer Bedeutung sind: „Ich selbst weiß aufgrund meiner eigenen Le- benssituation, wie wichtig und wünschenswert es ist, gerade berufstätigen Paaren und Eltern eine Balance zwischen Berufs-, Privat- und Fa- milienleben zu ermöglichen. Auch für meine Frau Christine und mich – mit unseren drei Kin- dern – ist das tagtäglich eine Herausforderung. Daher ist es mir ein zentrales, persönliches An- liegen, für eine Verbesserung von Angeboten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen. 19 Landrat Sven Hinterseh am Rednerpult des Kreis- tages. In der 40-jährigen Geschichte des Schwarz- wald-Baar-Kreises ist er nach Dr. Rainer Gutknecht und Karl Heim der dritte Landrat. Mit großer Freude und Leidenschaft das Amt des Landrates übernommen Sven Hinterseh hatte im Rahmen seiner Kan- didatur jede einzelne Kommune im Landkreis und auch viele der Teilorte besucht. Was ihn bewogen hat, sich für das Amt als Landrat im Schwarzwald-Baar-Kreis zu bewerben, geht ein- drucksvoll aus seiner Bewerbungsrede hervor, die er vor seiner Wahl zum Landrat am 26. März vor dem Kreistag hielt. Sven Hinterseh unter- streicht darin: „Heimat ist für mich mehr als eine Worthülse – Heimat bedeutet für mich eine gewachsene und starke kulturelle Identität, die einen prägt. Für mich stand bei meinem Weg- gang im Jahr 2003 im Vordergrund, dass ich unbedingt einmal andere Perspektiven kennen- lernen wollte. Diese Erfahrung habe ich in Ber- lin und Stuttgart gemacht. Ich habe viel gelernt. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diesen Kreis zu schließen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis treffen Badisches und Württembergisches aufeinander. Hier sind Bürgerinnen und Bürger zu Hause, die

Sven Hinterseh – Neuer Landrat Zum Gesundheitswesen betont Sven Hin- terseh, insbesondere in der Krankenhausland- schaft habe man eine Herkulesaufgabe ge- schul tert. Aus ganz Baden-Württemberg blicke man zu Recht hierher und schaue, wie man die Neuorganisation zusammen mit dem beein- druckenden Neubau des Klinikums und der Er- weiterung in Donaueschingen geschafft habe. Hinterseh: „Dieses Projekt strahlt weit über den Kreis hinaus und ist ein Leuchtturm.“ Als einen weiteren Aufgabenschwerpunkt benennt er den Tourismus, der im Landkreis eine zentrale Rolle spiele . Sven Hinterseh: „Wir müssen uns aber noch stärker um ihn küm- mern, ansonsten werden wir von anderen abge- hängt. Profilschärfung und Abgrenzung sind im Tourismus notwendig! Dies erlebe ich bei mei- ner täglichen Arbeit als Abteilungsleiter, der auch für Tourismus zuständig ist. … Die aktu- ellen Zahlen von 2011 stimmen zwar insgesamt zuversichtlich, in den letzten 30 Jahren ist die Zahl der Übernachtungen aber zurückgegan- gen. Wir müssen unsere Stärken und Chancen, wie etwa beim Kur-, Natur- und Wandertouris- mus, gegenüber anderen Regionen weiter aus- bauen. “ „Mein Ziel ist es, uns alle Fördertöpfe fruchtbar zu machen“ Ein besonderes Gewicht legt Sven Hinterseh auf die Nutzung der zahlreichen Fördermög- lichkeiten – ein Spezialgebiet von ihm, wie ihm sein früherer Dienstherr, Landwirtschafts- minister Alexander Bonde, bei der Amtseinfüh- rung anerkennend bescheinigt. Hinterseh dazu vor dem Kreistag: „Wir alle sind auf Ideen und Innovationen angewiesen, die unseren mittel- ständischen Unternehmen Perspektiven geben. Ich möchte erreichen, dass wir als Schwarz- wald-Baar-Kreis zum Innovationsmotor Ba- den-Württembergs werden und damit letztlich zukunftsfähig bleiben. Dafür brauchen wir de- zentrale Strukturen, mit denen wir einen funk- tionierenden Wissens- und Technologietransfer in unsere Unternehmen hinein organisieren. Neues muss uns willkommen sein! Mein Ziel ist, zu diesem Zweck alle Fördertöpfe auf 20 europäischer, Bundes- und Landesebene für uns fruchtbar zu machen. Ich habe es in Berlin und jetzt auch in Stuttgart erlebt, dass so vieles machbar ist. Wir brauchen im Landratsamt einen Förder- ‚Lotsen‘, der als zentrale Anlaufstelle Auskunft und Hilfestellung geben kann. Für mich gilt: So viele ‚Förder-Euros‘ wie möglich müssen in den Kreis geholt werden!“ Vor dem Hintergrund der von der rot-grü- nen Landesregierung angedachten Regionalkrei- se, sogenannter Großkreise, formulierte Sven Hinterseh: „Baden-Württemberg ist das Land der kommunalen Selbstverwaltung, nirgendwo sonst in Deutschland finden wir eine so lange und lebendige Tradition vor. Von der kommuna- len Ebene gingen in unserem Land immer wie- der wichtige Impulse aus. Der materielle und auch der demokratische Wiederaufbau unseres Landes vollzog sich von unten, von den Gemein- den und Kreisen her. Und dabei wollen wir auch bleiben: Denn Verwaltung kann ihre Aufgaben immer noch dort am besten erfüllen, wo sie an- fallen: vor Ort, in den Gemeinden und Städten.“ „Mitmachen auf allen möglichen Feldern ist angesagt“ Zum Schluss seiner Rede spricht Landrat Sven Hinter seh das so wichtige gesellschaftliche En- gagement an: „Und für diese bürgerschaftliche Verantwortung braucht es ‚Mitmacher‘. Wenn man sich das vielfältige Engagement hier im Landkreis anschaut, dann erkennt man, dass hier ‚Mitmachen‘ auf allen möglichen Feldern angesagt ist: im Sozialen, im Kulturleben, in Vereinen und Vereinigungen. All den ‚Mitma- chern‘ gilt unser Respekt und unsere Anerken- nung und ich werde als Landrat dies auch im- mer wieder neu zum Ausdruck bringen.“ Im Augenblick ist Sven Hinterseh dabei, sein Netzwerk zu begründen – das Quellenland Schwarzwald-Baar-Kreis kennenzulernen und es für die Zukunft aufzustellen. Die Terminflut ist gewaltig, zumal die selbst verordnete. Auch privat ändert sich für die Familie Hinterseh sehr viel: sie ist bereits umgezogen und wohnt künf- tig in Pfaffenweiler. Wilfried Dold

Kreispolitik 2012 Den Wandel gestalten! Aus dem Kreisgeschehen „Weniger, älter, bunter“ – so lautet kurz und bündig die Formel des demografischen Wandels. Dieser Prozess wird nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die wirtschaftli- che Entwicklung in Deutschland, Baden-Württemberg und im Schwarzwald-Baar-Kreis nach- haltig beeinflussen. Allen ist bekannt, dass die ländlichen Räume von diesen Veränderun- gen stärker betroffen sind als Ballungsräume. Richtig ist aber auch, dass wir der demografi- schen Entwicklung nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern wir diese auch gestalten können. Bis zum Jahr 2002 hatten wir im Schwarzwald-Baar-Kreis noch Be- völkerungswachstum, und seit- her geht unsere Bevölkerung ste- tig zurück auf derzeit ca. 206.000 Einwohner. Für die Gesamtbevöl- kerung in Deutschland datiert das Jahr 2003 die Wende. Seither sinkt die Gesamtbevölkerung in Deutschland, der Altersdurchschnitt der Men- schen steigt weiter. Nach Vorausberechnungen des Statisti- schen Bundesamtes wird die Gesamtbevölke- rung in Deutschland in den nächsten 50 Jahren um 15 bis 21 Prozent abnehmen. Dazu kommt die erfreuliche Entwicklung, dass die Lebens- ist die erwartung seit über 150 Jahren um knapp drei Monate pro Jahr ansteigt. Ursache unseres Bevöl- kerungsrückgangs in Deutschland niedrige Geburten- rate – im europäischen Vergleich nehmen wir dabei den letzten Platz ein. Es ist zwar richtig, dass die Bevölkerungsentwicklung zusätzlich auch durch Zu- und Abwanderung beeinflusst wird, doch können die fehlenden Jahrgänge nicht mehr ausgeglichen werden. Die Zuwanderung hat aber bereits dazu geführt, dass wir als Gesellschaft „bunter“ geworden sind. Viele Landkreise und Kommunen in Deutsch- land müssen sich mit einem Rückgang der Be- Seit 2003 geht die Bevölkerung im Schwarzwald- Baar-Kreis zurück. Ländliche Regio- nen sind dabei stärker betroffen als die Städte, hier VS-Villingen. 21 21

Wer Hilfe braucht, kann sich kostenfrei an die Beratungsstelle „Alter und Technik“ wenden und sich umfassend informieren lassen. Aus dem Kreisgeschehen völkerungszahlen und der Alterung ihrer Bevöl- kerung infolge des demografischen Wandels auseinandersetzen. Hinzu kommen gegebenen- falls noch Abwanderungsbewegungen, die in manchen ländlichen Räumen besonders stark wirken. Mit der geringeren Bevölkerungszahl geht langfristig ein Rückgang der verfügbaren Haushaltsmit- tel einher. Dieser Herausforderung wer- den wir uns mit großem Engage- ment stellen und sie positiv an- nehmen. Unser Ziel ist es, eine Demografiestrategie vorzulegen, um nicht mehr nur von Punkt zu Punkt und von Einzelfall zu Einzelfall zu springen. Alle Hand- lungsfelder sollen hierfür analysiert werden und dann in eine Gesamtstrategie einfließen. Diese Gesamtstrategie kann uns dabei helfen, den Schwarzwald-Baar-Kreis dauerhaft zu stär- ken, unsere Möglichkeiten besser auszuschöp- fen und mit neuen Ideen auf die Herausforde- rungen zu antworten. „Alter und Technik“. Senioren, Pflegebedürftige und Angehörige können sich kostenfrei an die Beratungsstelle wenden und sich über techni- sche Unterstützungsmöglichkeiten informie- ren. Damit will der Landkreis dazu beitragen, dass die Betrof- fenen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben kön- nen. Darüber hinaus ist die Bera- tungsstelle auch eine zentrale Anlaufstelle zur Vernetzung al- ler in diesem Bereich tätigen Personen, Unternehmen und Einrichtungen. Auf diese Weise wird der seit 2010 bestehende Pflegestütz- punkt, der ebenso kostenfrei Beratungsleistun- gen zum Thema Pflege anbietet und bei der Su- che nach individuellen Pflegelösungen unter- stützt, sinnvoll ergänzt. Mit beiden Einrichtungen geht der Schwarz- wald-Baar-Kreis in einem Handlungsfeld voran, dem künftig und noch verstärkt durch den de- mografischen Wandel eine immer größere Be- deutung zukommt. Alter und Technik, Pflegestützpunkt Eine wertvolle, ganz konkrete Hilfestellung für die Bürgerinnen und Bürger gibt der Schwarz- wald-Baar-Kreis seit Ende 2011 mit dem Projekt Nicht zuletzt auch im Bewusstsein des demo- grafischen Wandels will der Schwarzwald-Baar- Weiterer Schuldenabbau geplant Konkrete Hilfen für Senioren, Pflegebedürftige und Angehörige gibt der Schwarzwald-Baar-Kreis mit dem Projekt „Alter und Technik“ (links). Eine Heraus- forderung wird in Zukunft die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung: Die Zahl der „klassischen“ Hausärzte – hier die Gemeinschaftspraxis Michalski in Pfaffenweiler – wird zurückgehen. Rechte Seite: Ein Meilenstein im Gesundheitswesen ist der Bau des Klinikums zwischen Villingen und Schwenningen. 22

Kreis weitere Schritte zur Konsolidierung des Kreishaushalts gehen. In guten Zeiten wollen wir weiter Schulden abbauen. Deshalb sieht der Haushaltsplan 2012 vor, die Schulden des Landkreises um 1,7 Millionen Euro zu verrin- gern, nachdem auch schon im Jahr 2011 knapp 2,4 Millionen Euro für die Tilgung der Schulden aufgewendet wurden. Bei aller Sparsamkeit nehmen wir aber notwendige Investitionen vor, insbesondere im Bereich der kreiseigenen Schulen und Straßen. Neubau des Klinikums – Landkreis bewilligt 20 Millionen Euro Eine besondere finanzielle Herausforderung für den Landkreis liegt in der Mitfinanzierung des Klinikneubaus in Villingen-Schwenningen. Ge- meinsam mit unseren Partnern errichten wir im Zentralbereich der Stadt ein modernes, leis- tungsstarkes Klinikum, von dem die medizini- sche und ärztliche Versorgung der Bevölkerung im ganzen Landkreis und auch darüber hinaus profitieren wird. Der Kreistag des Schwarzwald- Baar-Kreises hat dazu 2012 beschlossen, 20 Millionen Euro zur Finanzierung dieses Neu- baus bereitzustellen. Die Eröffnung des Klini- kums ist für Sommer 2013 vorgesehen. In der Einrichtung werden 750 Betten und über ein Dutzend Operationssäle zur Verfügung stehen. Kreispolitik 2012 Ärztliche Versorgung eine Herausforderung Das neue Klinikum kann allerdings die Ärzte in den Städten und Gemeinden des Landkreises nicht ersetzen. Immer mehr ländliche Gemein- den stehen jedoch vor dem Problem, dass sich keine Nachfolger für die altershalber oder aus anderen Gründen ausscheidenden Ärzte finden. Der demografische Wandel wird dieses Problem verstärken, da weniger Ärzte einem wachsen- den Bedarf an medizinischer Versorgung, ins- besondere der älteren Bevölkerung, gegenüber- stehen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat deshalb im Rahmen des bestehenden Gesundheitsnetz- werks Schwarzwald-Baar eine Arbeitsgruppe initiiert, die versucht, dieser Entwicklung zu be- gegnen. Dazu entwickelt die Arbeitsgruppe Konzepte und Maßnahmen, die im Zusammen- spiel mit den Instrumenten auf Landes- und Bundesebene Versorgungslücken schließen, eine Notfallversorgung sicherstellen und die Brennpunkte bei der ärztlichen Versorgung im Ländlichen Raum entschärfen sollen. Initiativen zur Gewinnung von Fachkräften Eine bereits heute besonders große Herausfor- derung, die sich durch den demografischen Wandel noch weiter verstärken wird, ist der 23 23

Kreispolitik 2012 Mangel an ausreichend qualifizierten Fach- arbeitskräften. Der Landkreis hat im Jahr 2012 sehr erfolgreiche Initiativen zur Gewinnung von Fachkräften für die Region unterstützt. An die- sen Erfolgen müssen wir anknüpfen und mit der Attraktivität unseres Landkreises weiter wer- ben. Infrastruktur weiter ausbauen In die kreiseigenen Schulen investiert der Schwarzwald-Baar-Kreis zugleich in erheblichem Umfang, damit junge Menschen die bestmögli- che berufliche Ausbildung erwerben können, die dann auch den heimischen Unternehmen zugutekommt. Im Jahr 2012 wird die Außensa- nierung der Gewerbeschule Villingen-Schwen- ningen am Standort Villingen abgeschlossen und eine mehrjährige Innensanierung wird sich anschließen. In der Albert-Schweitzer-Schule in Villingen-Schwenningen haben wir mit Sanie- rungsmaßnahmen in einem Gesamtvolumen von 5,4 Millionen Euro begonnen. Der demografische Wandel verdeutlicht uns die Notwendigkeit einer den Bedürfnissen an- gepassten, guten Infrastruktur. Zugleich müs- sen wir dafür Sorge tragen, dass wir die Attrak- tivität und Wettbewerbsfähigkeit unseres Land- kreises für seine Bewohner und die dort ansäs- sigen Unternehmen durch eine gute Infrastruk- tur erhalten und weiter ausbauen. Ohne schnelles Internet geht es nicht Ein schnelles Internet ist heute und zukünftig ein maßgebliches Standortkriterium. Die vielen Unternehmen unseres Landkreises mit ihren in- novativen Produkten und Dienstleistungen sind auf die Bereitstellung von Hochgeschwindig- keitsanschlüssen auf dem aktuellen Stand der Technik angewiesen. Neben der Breitband- versorgung von Gewerbegebieten macht ein schnelles Internet auch das Leben der Men- schen im Schwarzwald-Baar-Kreis attraktiv und zukunftsfähig. Dabei steht unser Landkreis an- gesichts seiner überwiegend ländlichen Struk- tur, in der Betriebe und Wohnorte zum Teil weit 24 verteilt sind, vor besonderen Herausforderun- gen. Andererseits schafft eine schnelle Internet- verbindung dort auch zusätzliche Gestaltungs- spielräume. Deshalb hat der Schwarzwald-Baar-Kreis im Jahr 2012 in Kooperation mit der Hochschule Furtwangen University das Breitbandkonzept „Daten au tobahn Schwarzwald-Baar“ auf den Weg gebracht. Damit haben wir in enger Ab- stimmung mit den Kommunen einen kreiswei- ten „Masterplan“ für den Aufbau einer Glasfa- serinfrastruktur aufgestellt. Darauf aufbauend treten wir nun in Planungen für die mögliche Verlegung der Glasfaserkabel ein, die flächen- deckend die Anschlüsse in Ortslagen einbe- zieht. Diese Planung möchten wir im Jahr 2013 zügig vorantreiben, damit Kommunen, Netzbe- treiber und andere Investoren so schnell wie möglich mit der Umsetzung beginnen können. Attraktiver Nahverkehr Ein besonderes Augenmerk der Kreispolitik muss darauf liegen, die Mobilität der Bewohner und der wirtschaftlichen Akteure lokal, regional und überregional sicherzustellen. Die verkehr- liche Anbindung ist für die wirtschaftliche Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe sowie für die Lebensqualität der Menschen von überragender Bedeutung. Deshalb müssen wir auch im Bereich des öffent-

Aus dem Kreisgeschehen lichen Personennahverkehrs ein attraktives An- gebot, insbesondere für junge und alte Men- schen, bereitstellen. Auf ein gutes Straßennetz als Lebensader angewiesen Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat im Jahr 2012 rund 2,2 Millionen Euro in die Erhaltung und den Ausbau der Kreisstraßen investiert und leistet damit einen erheblichen Beitrag für die Straßeninfrastruktur. Im Bereich des Straßenbaus müssen wir da- rüber hinaus bei Bund und Land mit allem Nach- druck weiter darauf drängen, dass die baureifen Bundes- und Landestraßen im Schwarzwald-Baar- Kreis so schnell wie möglich realisiert werden. Insbesondere im Hüfinger Stadtteil Behla ist die derzeitige Situation für die Bevölkerung nur schwer erträglich, und die Ortsumgehung der B 27 sowie der Ausbau des unfallträchtigen Abschnitts der B 27 zwischen Donaueschingen- Mitte und Hüfingen-Wasserturm besonders drin gend. Auch den weiteren geplanten Bau- maßnahmen im Bereich der Bundesstraßen muss höchste Priorität zukommen. Der ländliche Raum ist auf ein gutes und schnelles Straßennetz – quasi als Lebensadern – angewiesen. Deshalb hat der Lückenschluss der B 523 im Norden von Villingen-Schwennin- gen vor allem für die Wirtschaft in unserem Ein gut ausgebautes Straßen- und Schienennetz ist für den Schwarzwald-Baar-Kreis unabdingbar. Dazu gehört auch die dringende Ortsumgehung der B 27 bei Behla und die Elektrifizierung der Höllentalbahn, rechts eine Diesellok am Bahnhof Döggingen. Landkreis und die Ost-West-Verbindung eine überaus hohe Bedeutung. Daneben ist es wei- terhin eine zentrale Aufgabe der Landkreispo- litik, dafür einzutreten, dass die Ortsumgehun- gen der B 27 in Blumberg-Zollhaus und Blum- berg-Randen im Interesse unserer Bevölkerung möglichst rasch verwirklicht werden. Die Elektrifizierung der Höllentalbahn trägt der Landkreis gemeinsam mit seinen Partnern Im Bereich des Schienenverkehrs haben wir mit dem Ringzug eine sehr gut funktionierende Schienenpersonennahverkehrsversorgung ein- gerichtet. Von großer Bedeutung für den Schwarzwald-Baar-Kreis ist aber auch die über- regionale Schienenanbindung an den Groß- raum Stuttgart und den Raum Freiburg. Die Menschen und Unternehmen im Landkreis brauchen möglichst umsteigefreie und regel- mäßige Verbindungen in diese Richtungen. Die Elektrifizierung der östlichen Höllental- bahn von Donaueschingen nach Neustadt tra- 25

Aus dem Kreisgeschehen gen wir gemeinsam mit unseren Partnern. Nach- dem derzeit Vorplanungen durchgeführt wer- den, soll ab 2013 die Entwurfs- und Genehmi- gungsplanung beginnen. Im Rahmen der Ausbauplanungen zum Pro- jekt „Stuttgart 21“ müssen wir auch weiterhin darauf achten, dass die Streckenführung der Gäubahn über den Flughafen und die Messe an den geplanten Tiefbahnhof in Stuttgart nicht in Frage gestellt wird. Die direkte Anbindung unse- res Landkreises über Rottweil auf der Gäubahn an den Flughafen und die Messe in Stuttgart entspricht auch den Rahmenbedingungen, von denen die Bürgerinnen und Bürger beim Volks- entscheid zum Projekt „Stuttgart 21“ ausgegan- gen sind. Der Landkreis wird sich politisch wei- ter dafür einsetzen, dass ihre Interessen und Erwartungen nicht enttäuscht werden. Zahl der Anträge auf Asyl steigt Unser Landkreis ist keine Insel, und auch wir stellen fest, dass weltweit Konflikte zunehmen und daher immer mehr Menschen Asyl bei uns beantragen. Der starke Anstieg der Zugangs- zahlen im Schwarzwald-Baar-Kreis wird uns weiter fordern. Dabei verdeutlicht der demo- grafische Wandel zugleich, dass wir die zuwan- dernden Menschen für unseren Landkreis ge- winnen und ihr Potenzial nutzen können. Es liegt im Interesse des Landkreises, für eine bestmögliche Integration und Ausbildung aller Menschen Anstrengungen zu unterneh- men. Die gute Tradition der jährlichen Einbürge- rungsfeier im Landratsamt führt uns dies vor Augen. Sie zeigt auf schöne Weise, dass unser Landkreis ein attraktiver Lebensraum ist, in dem wir neue Mitbürger gerne willkommen hei- ßen. Immer mehr ältere, behinderte Menschen haben den Bedarf an zusätzlicher Hilfe Die Eingliederungshilfe für behinderte Men- schen ist nach wie vor ein bedeutender Aufga- benbereich der Sozialverwaltung des Landkrei- ses. Alleine die Ausgaben in diesem Bereich betragen jährlich rund 25 Millionen Euro. Der demografische Wandel führt dazu, dass die Kosten weiter steigen, da auch immer mehr äl- tere behinderte Menschen einen Bedarf an zu- sätzlicher Hilfe haben. Der Schwarzwald-Baar- Kreis sieht auch in Zukunft die Aufgabe, im Ein- zelfall bedarfsgerechte Hilfe anzubieten, ambu- lante Angebote zu stärken und innovative Lö- sungen zu suchen. Daneben muss der Landkreis aber auch den politischen Druck auf die Ent- scheidungsträger im Bund aufrechterhalten, um die Kostentragung auf eine breitere Basis zu stellen. Auch unabhängig vom demografischen Wandel steht der Landkreis immer wieder vor Herausforderungen, die sich aus veränderten Rahmenbedingungen ergeben, zum Beispiel „Sie gehören jetzt dazu. Wir gehören zusammen“, sagte Land- rat Sven Hinterseh im Juli 2012 zu 30 neuen deutschen Staats- bürgern bei der Einbürgerungs- feier im Landratsamt. Besonders ermutigte Sven Hinterseh die 30 Neubürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und sich in ihrer neuen Heimat zu engagie- ren. Insgesamt 211 ausländische Mitbürger wurden 2012 einge- bürgert. 26

weit reichende, politische Entscheidungen in Bund und Land, die uns direkt betreffen. Polizeistrukturreform – Hochschule in VS-Schwenningen wird gestärkt Das Innenministerium Baden-Württemberg ent- schied im März 2012, dass im Zuge der ange- strebten Polizeistrukturreform die Polizeidirek- tion in Villingen-Schwenningen aufgegeben werden soll. Der Schwarzwald-Baar-Kreis hatte sich sowohl im Vorfeld dieser Entscheidung als auch im Nachhinein engagiert und mit guten Sachargumenten für den Standort eingesetzt. Als Standort des künftigen regionalen Polizei- präsidiums hat das Innenministerium dennoch Tuttlingen favorisiert. Im Zuge der Reform wird die Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen für die ge- samte Aus- und Fortbildung der baden-württem- bergischen Polizei zuständig werden und damit gestärkt. Mit einem Zuwachs an Personal und Auszubildenden ist deshalb zu rechnen. Fluglärm: Deutliche Kritik am Staatsvertrag mit der Schweiz Intensiv haben wir uns auch mit den Staatsver- tragsverhandlungen zum Flughafen Zürich und mit den Auswirkungen auf den Schwarzwald- Baar-Kreis beschäftigt. Nach jahrelangen, er- folglosen Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland wurde am 2. Juli 2012 ein Staatsvertrag über die Auswirkungen des Flug- hafens ausgehandelt und paraphiert. Nachdem die deutsche und die Schweizer Regierung den Vertrag gebilligt haben, wurde dieser am 4. September 2012 von den zuständigen Ministern in Bern unterzeichnet. Der Vertrag muss, um Gültigkeit zu erlangen, vom Deutschen Bundes- tag und Bundesrat und vom Schweizer Natio- nalrat und Ständerat ratifiziert werden. Der Staatsvertrag wird von uns abgelehnt, da wir nicht bereit sind, Verschlechterungen für unsere Bevölkerung gegenüber der jetzt gelten- den Rechtslage hinzunehmen. Wir haben stets für die Umsetzung der sogenannten „Stuttgar- Kreispolitik 2012 ter Erklärung“ geworben und dabei insbesonde- re auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass der Warteraum „RILAX“ über unserem Landkreis aufgehoben und eine Begrenzung der Anflüge über deutschem Gebiet auf 80.000 Anflüge pro Jahr erreicht wird. Beides enthält der Staatsvertrag nicht. Stattdessen sollen sogar neue Belastungen durch zahlenmäßig auch nicht beschränkte An- und Abflüge sowie reduzierte Flughöhen bei An- und Abflügen hinzukommen. Der Kreistag und die Oberbürgermeister und Bürgermeister des Schwarzwald-Baar-Kreises haben die Kritik deutlich geäußert und die Politik aufgefordert, das Ratifizierungsverfahren auszusetzen. Modellprojekt „Bioenergieregion“ Im Schwarzwald-Baar-Kreis setzt sich die von Bund und Land vorangetriebene Energiewende Für das Auge weit entfernt – für die Ohren „nah dabei“. Die Auswirkungen des Flug hafens Zürich sind auf der Baar deutlich spür- sprich hörbar. Hier eine Passagiermaschine „über dem Rathausturm von Donaueschingen“. 27

Kreispolitik 2012 konsequent fort. Während wir in unseren Ge- bäuden auf der einen Seite ein eigenes Energie- management betreiben und dadurch beträcht- liche Einsparungen erzielen können, investie- ren wir auf der anderen Seite in erheblichem Umfang in die energetische Sanierung. Mit der unbefristeten Fortsetzung der Energieagentur macht der Landkreis gemeinsam mit zahlrei- chen Partnern deutlich, wie wichtig ihm die kos- tenfreie und umfassende Erstberatung der Bür- gerinnen und Bürger in Energiefragen auch in Zukunft ist. Darüber hinaus wird sich der Landkreis an dem Modellprojekt „Bioenergieregion“ beteili- gen und ist damit etwa auch bei landwirtschaft- lichen Betrieben und mit Blick auf die verschie- denartigen, wertvollen, heimischen Ressourcen auf einem guten Weg in Richtung regenerativer Energiewende. Vielfältige Kulturlandschaft bewahren Im Bereich der Landwirtschaft und des Natur- schutzes trägt die Landkreisverwaltung mit ver- schiedenen Maßnahmen dazu bei, die vielfälti- ge Kulturlandschaft des Schwarzwald-Baar- Kreises zu erhalten und zu bewahren. Aktuell werden beispielsweise auf Versuchsfeldern Pflanzen erprobt, die den Mais als derzeit noch vorrangige Energiepflanze perspektivisch teil- weise ersetzen können. Damit erhalten wir uns auf eine die Landschaft schonende Weise die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile der Biogasgewinnung. 28 Um die wertvolle Natur im Schwarzwald- Baar-Kreis dauerhaft zu erhalten, hat der Kreis- tag im Dezember 2011 der Beteiligung am Na- turschutzgroßprojekt „Baar“ zugestimmt. Die- ses Projekt deckt nahezu die Hälfte des Kreis- gebietes ab. In den Kerngebieten geht es dabei um die Wiederherstellung und Erhaltung der Moorgebiete und des Biotopverbundes auf der Baar. Die Bewilligung des Großprojekts seitens des Bundes und des Landes steht unmittelbar bevor und der Landkreis wird dieses Projekt dann in den kommenden Jahren gemeinsam mit zahlreichen Partnern umsetzen. Naturnaher und moderner Tourismus Die Herausforderungen, die auf den Landkreis infolge struktureller Veränderungen zukom- men, bieten auch die große Chance, sich für die Zukunft erfolgreich aufzustellen. Das gilt insbe- sondere im Bereich des Tourismus. Unser länd- lich geprägter Landkreis sollte sein Potenzial an einmaliger Natur- und Kulturlandschaft erhal- ten und nutzen. Zusätzliche Einkünfte aus tou- ristischen Angeboten können auch dazu beitra- gen, den Bestand landwirtschaftlicher Betriebe zu sichern. Naturnahe und zugleich moderne Touris- musangebote liegen dauerhaft im Trend. Des- halb werden wir an dem 2010 gestarteten, er- folgreichen Projekt „RadParadies Schwarzwald und Alb“ festhalten. Eine besondere Nachfrage nach hochwertigen Angeboten besteht auch im Bereich des Wandertourismus. Wandern ist die Freizeitaktivität schlechthin. Deshalb werden wir gemeinsam mit unserem Partner, dem Land- kreis Rottweil, unsere Region zu einem bekann- ten und attraktiven „WanderParadies“ ausbau- en. Sven Hinterseh Wandern zu Fuß oder mit dem Rad ist die Freizeit- aktivität schlechthin, attraktive Ziele hat der Landkreis in Hülle und Fülle zu bieten: Vom Triberger Wasserfall über die Hexenlochmühle in Furtwangen-Neukirch bis hin zum Jakobswanderweg. Unten: Radwanderer auf der Baar bei Donaueschingen (links) und Jakobswan- derer bei Unterkirnach.

Aus dem Kreisgeschehen 29

Aus dem Kreisgeschehen Bei der bislang größten Verwaltungsreform in Baden-Württemberg wurde die Zahl der Landkreise von 65 auf 35 reduziert 40 Jahre Kreisreform – der Weg zum Schwarzwald-Baar-Kreis von Kreisarchivar Dr. Joachim Sturm Die Geschichte der Entstehung des zum 1. Janu- ar 1973 ins Leben getretenen Schwarzwald-Baar- Kreises ist Teil der Geschichte der größten Kreis- reform in Baden-Württemberg. Sie erzählt von einem über vierzig Jahre währenden Ringen um die ideale Größe und Zahl der neu zu schaffen- den Landkreise, ihres Zuschnitts, ihres Verwal- tungsaufbaues, ihrer Aufgaben und ihrer neuen politischen Machtverteilung im Innern. Keines der nach 1945 unter amerikanischer oder französischer Besatzung entstandenen Län- der im Südwesten hat sich an einen neuen Zu- schnitt der Landkreise gewagt. Die durch die Vorgaben der Besatzungsregierung oder die administrativen Vorbilder der Besatzungsmäch- te beeinflussten wie auf unsicheren Füßen ste- henden neuen Länder wie Baden bremsten zu- nächst die Weiterentwicklung. In Baden tastete die Ver ordnung Nr. 60 des französischen Ober- kommandierenden Rechtsstatus und Stellung des Kreises als zugleich staatliche und kommu- nale Behörde kaum an. Sie verband sie nur mit Grundsätzen aus der Zeit vor 1933. Die Länder Württemberg und Württemberg-Hohenzollern erhielten 1946 und 1948 neue Kreisordnungen, die zu „alten Grundsätzen in …der Organisa- tion“ zurückkehrten. Auch hier wurde die Dop- pelstellung des Landrats, jedoch mit einer be- deutenden Änderung, aufrechterhalten. Dieser wurde nun durch die Kreisvertreter gewählt und zum Kommunalbeamten gemacht. Die Verwaltung kann mit der rasanten Entwick- lung in Gesellschaft und Staat nicht mithalten Diese Unterschiedlichkeit der Kreisverfassun- gen überdauerte zunächst die Gründung des Landes Baden-Württemberg. Als erster Schritt zur Vereinheitlichung trat 1953 ein „Gesetz zur vorläufigen Angleichung des Kommunalrechts“ in Kraft, dem 1955 die erste, für das ganze Bundesland geltende, Landkreisordnung folg- te. Neue, veränderte Landkreise waren damit nicht verbunden. Es waren andere Kräfte, die das Problem einer durchgreifenden Reform mit Neuzuschnitt der Landkreise bewirkten. Die rasante Entwick- lung in Staat und Gesellschaft sah sich in den Böllerschüsse für den neuen Großkreis titelt die Badische Zeitung am 2. Januar 1973 aus Anlass der Geburtsstunde des Schwarzwald-Baar- Kreises.

Aus dem Kreisgeschehen beginnenden 1960er Jahren einer Verwaltung in Kreisen, Städten und Gemeinden gegenüber, deren Strukturen zu einem guten Teil noch in das verflossene Jahrhundert wiesen. Eine durchweg weit über Grenzen hinausgehende wirtschaft- liche Verflechtung, die einsetzende Mobilität der Gesellschaft und die Notwendigkeit, Aufga- ben zu lösen, die an bestehenden Kreisgrenzen nicht Halt machten, ließen Reformen dringend notwen dig erscheinen. Die Liste der Aufgaben für die Kreispolitik im jungen Schwarzwald-Baar-Kreis war lang – die „Gründungs- themen“ aus den 1970er-Jahren beschäftigten den Kreistag unter Vorsitz von Landrat Dr. Rainer Gut- knecht auch noch in den 1980er-Jahren (unser Foto). Zu den Aufgaben gehören der Kreisstraßenbau, das Berufsschulwesen (oben rechts die Landeshotelfach- schule), die Landwirtschaft oder auch der Denkmal- schutz (unten rechts Sanierung der Entenburg in Pfohren). 31

Aus dem Kreisgeschehen Die Regierungserklärung 1967 von Minister- präsident Hans Filbinger war gewissermaßen der Startschuss zu dem großen Reformwerk, wobei die Konkretisierung und Umsetzung der im April 1968 nach der Landtagswahl gebildeten großen Koalition aus CDU und SPD zufiel. Als Grundlage zur Gebietsreform diente die vielfach als methodisch fragwürdig angesehene Untersuchung „Zentrale Orte und ihre Verflech- tungsbereiche in Baden-Württemberg“, die die Regierung bei Professor Constantin von Dietze vom Institut für Agrarwissenschaft der Univer- sität Freiburg in Auftrag gegeben hatte. Diese 1966 auf der Basis einer Befragung von Fünft- bis Achtklässlern und ihrer Lehrer erstellte Analyse war praktisch der Ausgangspunkt aller danach konzipierten Pläne. Herausragend war dabei das Denkmodell von Innenminister Krause, dessen Bekanntma- chung im Dezember 1969 eine heftige Diskus- sion um die Landkreisreform anstieß. Die Land- räte glaubten ihren Augen nicht zu trauen, denn das Papier sah eine Verringerung der Landkreise von 65 auf 25 vor. Am Schluss waren es jedoch 35. Die nun anhebende, bis zur Reform nicht mehr verebbende, leidenschaftliche Debatte um die Landkreise wurde zu einem großen Stück durch den Landkreistag, die öffentlich-rechtliche Interessenvertretung der Landkreise, geführt. Da bei erklang die traditionelle Forderung nach „Einheit der Verwaltung auf unterer Ebene“. Hier begann, was schließlich in mehreren Schritten mit der Eingliederung der Landwirtschaftsäm- ter, der Gesundheitsämter, Veterinärämter und Vermessungsämter, aber auch der Schulämter und Forstämter bis 2005 seinen Abschluss fin- den sollte. Die Rückgliederung des Schulamtes 2009 in die Staatsverwaltung allerdings und die Zusammenlegung mehrerer Ämter (Versor- gungsämter, Lastenausgleichsämter) der Land- kreise zeigen, dass die Landkreisreform zumin- dest inhaltlich noch 40 Jahre nach der Reform keinen endgültigen Abschluss gefunden hat, ja, wahrscheinlich aufgrund sich stets ändernder Ge samtentwicklungen auch prinzipiell keinen finden kann. Etwas anderes war es zunächst mit der Fra- ge nach dem Zuschnitt der neuen Landkreise. Die Landräte stellten ein wenig beleidigt immer 32 wieder die Frage, ob die „Landkreise sich nicht als leistungsfähig genug“ erwiesen hätten. Zu- dem sahen sie den Landkreis als Stück Heimat und Träger politischen Gestaltungswillens „völlig un terbewertet“. Dagegen erwiderte die Landes- regierung und einige Landtagsmitglieder unauf- hörlich, dass die Landkreise „nicht besonders schützenswert“ seien, „…auch wenn das einige Kollegen Landräte und andere moderne Klein- fürsten nicht gerne hören wollen“. Zuschnitt der Landkreise eine Herausforderung Besonderer Sprengstoff bot die Frage nach dem Zuschnitt der neuen Landkreise, da dies eine star- ke Konkurrenzsituation unter Landräten, wenn nicht Konfrontationen, hervorrief. Ein Festhalten am Fortbestand von 63 Landkreisen schien ab Februar 1970 von Seiten der Kreisvertretung poli- tisch nicht mehr vertretbar, wenn man weiterhin ernst genommen werden wollte. Resignation be- schlich die bisher geschlossenen Reihen. Jedoch kam eine von Seiten der Landkreise, unter Feder- führung des pensionierten Konstanzer Landrats Ludwig Seiterich, erarbeitete Stellungnahme zu spät. Das am 25. Februar 1970 veröffentlich- te und maßgeblich vom damaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, wie dem Spaichinger Bürgermeister und späte ren Mi- nisterpräsidenten Erwin Teufel, beeinfluss te „Alternativmodell“ der „CDU-Kommission Ver wal- tungsreform“ sah 40 Land- und acht Stadtkreise vor. Es war eine Gegenvorstellung gegen das aus dem Innenministerium lancierte, SPD-dominier- te Modell. Doch lag es nicht allzu weit entfernt von der Vorstellungen Seiterichs. So ging es lang sam voran. Auch wenn sich langsam die Erkenntnis Bahn schuf, dass es an der Zeit sei, ähnlich wie bei der Gemeindereform auf freiwilliger Basis zur Her- stellung größerer Landkreise untereinander zu kooperieren, waren zu viele, auch menschliche Aspekte, im Spiel, als dass es auf Anhieb eine harmonische Verständigung hätte geben kön- nen. Die monatelangen, nur allzu oft quälenden Anhörungsrunden im Parlament, der Streit um je- de Variante eines Kreiszuschnitts oder geringste territoriale Veränderung sind bis heute unver-

gessen und werden der Landes- und „Quellen- land“geschichte noch manches Rätsel zu lösen geben. Insbesondere die Frage nach der Abgabe der Gemeinden Tennenbronn und Weiler an den Kreis Rottweil, wie die Einbeziehung der Stadt Trossingen in den neuen Kreis Villingen, ließ die Wellen hochschlagen. Es wurden zuweilen Töne angeschlagen, die man bei den Landräten der Region, die ja alle gesetzte Verwaltungsjuristen waren, nicht erwartet hätte. Verwundert ist man über den dann trotz al- lem rasch zu Ende geführten Diskussionspro- zess. Das Kreisreformgesetz wurde vom Land- tag am 26. Juli 1971 verabschiedet und trat am 1.1.1973 in Kraft. Dr. Rainer Gutknecht wird erster Landrat des neuen Schwarzwald-Baar-Kreises Die Verschmelzung der beiden Landkreise Donaueschingen und Villingen (1972 ein Jahr lang als Landkreis Villingen-Schwenningen) und die Wahl eines neuen Land rats geschah umso leich ter, als die beiden Amtsinhaber Dr. Robert Lienhart (1908 – 2000) und Dr. Josef Astfäller (1907 – 1997) altershalber pensioniert wer den konnten und gegeneinander nicht mehr in den Ring steigen mussten. Erster neuer Landrat des Landkrei- ses Schwarzwald-Baar-Kreis wurde Dr. Rainer Gutknecht. In dieser größten Ver- waltungsreform Baden-Würt- tembergs wird das Wirken historischer Traditionen sicht- bar, die in keiner der Exper- tisen bewusst und deutlich formuliert wurden. Ohne ei ner historischen Bewer- tung vorzugreifen, die aufgrund der 40 Jahre zurückliegenden Ereignisse und der noch nicht greifbaren Archivunterlagen so schnell nicht wird vorgenommen werden können, bietet die Betrachtung des neu errichteten Schwarzwald- Baar-Kreises zwei As pekte, die Altbekanntes und Neues ver mischen. Landrat Dr. Rainer Gutknecht Die Auflösung des Landkreises Donau- eschingen und die damit einhergehende Schaf- Der Weg zum Schwarzwald-Baar-Kreis fung des Verwaltungsmittelpunktes in Villin- gen folg te der Verlagerung des wirtschaftlichen Schwer punktes in der Region. Gerade in dieser Entscheidung offenbart sich eine historische Kontinuität, die sich auf die im Großherzogtum Baden gegründete Tradition der Verwaltungsraumneu- und umgliede rung aus ökonomischen und sozialen Aspekten stützt, der politische Aspekte untergeordnet werden. Die Schaffung von Außenstellen der Kreisbehörde in Donaueschingen oder gar die Ansiedlung ganzer Ämter dort hat diese Verlagerung des Schwerpunktes von Süden nach Norden zwar gemildert, prinzipiell jedoch nicht aufgehoben. Ergänzt wird diese Tradition, wonach der Errichtungsort von Kreisbehörden der Heraus- bildung wirtschaftlicher und sozialer Zentren antwortet, durch Hinzunahme moderner wirt- schaftlicher Gesichtspunkte, die infrastruktu- relle Gegebenheiten miteinbeziehen. Die bereits zum Zeitpunkt der Kreisreform in Planung be- findliche Autobahn Stuttgart-Singen wurde größ ten teils zum Anhaltspunkt für die östliche Kreisgrenze. Weitere Verzahnung von Baden und Württemberg Im neuen Großkreis vollzog sich zudem auf staat licher Ebene und Verwaltungsebene wie- derum ein Stück Integration oder besser gesagt Verzahnung der historischen Staaten Baden und Württemberg mit Löschung vornationaler und nationaler politisch-territorialer Strukturen. Der aus der eher gelenkten Volksabstim- mung am 25. April 1952 hervorgegangene und am 7. Juni 1970 erneut bestätigte Bundesstaat Baden-Württemberg wurde auf Grundlage des Kreisreformgesetzes vom 26. Juli 1971 bis zum 1. Januar 1973 in der Gestaltung des Schwarz- wald-Baar-Kreises ein weiteres Stück Realität, indem er einst württembergische Orte wie das bereits 1972 mit Villingen fusionierte Schwen- ningen (mit Mühlhausen seit 1970, Lkr. Rottweil), Tuningen (zuvor Landkreis Tuttlingen) und Weig- heim (zuvor Landkreis Rottweil) einem rund 150 Jahre alten, badischen Landesteil hinzufügte. Nur das ebenfalls mitgekommene Deißlingen 33

Der Weg zum Schwarzwald-Baar-Kreis musste zum 1. Januar 1974 an den Landkreis Rottweil zurückgegeben werden. Tilgung alter politischer Strukturen parlamentarischen Vertretung der Kreisbevölkerung gegenüber dem Landrat mehr politisches Gewicht zu verleihen, wurde der Kreisrat, ein aus dem Kreistag bestimmtes enge- res, kreispolitisch richtungsweisen- des Gremium, abgeschafft. Dieser Wille zur Verzahnung gilt noch viel mehr für die Abgabe des Ostteils des Landkreises Donaueschingen an Tuttlingen, die eine weitere Tilgung alter, politischer Strukturen sichtbar werden lässt. Die Raumschaften Im- mendingen, Geisingen und das anschließende Aitrachtal waren nämlich alte, fürstenbergische Besitzungen. Hierzu passt auch die Abgabe Unadingens an den Landkreis Breisgau-Hoch- schwarzwald, der als eine verwaltungstech ni- sche Entfernung einstigen, fürstenbergischen Landes vom Herrschaftszentrum Donaueschin- gen begriffen werden könnte. Das Wappen des 1973 ins Leben gerufenen Schwarzwald-Baar- Kreises. Die verbleibenden Organe Kreis- tag und Landrat mussten nun um die Kreispolitik ringen, wobei die ursprünglich als hierbei den Kreis- tag aufteilenden, als schwächend empfunde nen, mitinstallierten bera- tenden und beschließenden Ausschüsse kom- petente Gremien wurden, die dem Landrat die Stirn bieten konnten. Dazu nahmen die Kreis- tagsfraktionen eine wichtige Rolle ein, weil nun bei ihnen, und nicht wie früher beim Kreisrat, die politische Macht zentriert war. Dass in dieser tiefgreifenden Modellie- rung des Kreises auch geografisch-kulturelle Gesichts punkte eine Rolle spielten, sei nur am Rande erwähnt. So wurde Urach, das kirchlich zum Dekanat Villingen und politisch bis 1806 zum fürstenbergischen Amt Vöhrenbach gehört hatte, nach Eingliederung in Vöhrenbach eben- falls zum Landkreis gezogen. Das durch Würt- temberg und die Reformation teilweise stark geprägte Tennenbronn hingegen ging schließ- lich an den Landkreis Rottweil als Nachfolger des württembergischen Oberamtes Rottweil. Vom Landkreis Konstanz hingegen kam Nord- halden zum Schwarzwald-Baar-Kreis, wie das lange schon beim Kreis befindliche Epfenhofen, ein einstiger, nördlicher Gebietsteil der Herr- schaft Blumenfeld. Auch wenn die gebietsmäßige Gliederung des Landkreises derzeit abgeschlossen ist, bedeutet dies keineswegs eine Garantie für künftige Zeiten. Wenn uns die Geschichte etwas lehrt, so dies, dass Landkreise lebendige Ge- bilde im Leben eines Landes sind. Auf künftige Entwicklungen darf man daher gespannt sein. Wie sehr sich der neue Schwarzwald-Baar-Kreis gegenüber seinen „geschluckten“ Vorgängern verändert hatte, zeigte sich auch im neuen Ver- hältnis zwischen Landrat und Kreistag. Um der Viele Aufgaben – harte Bewährungsprobe Der aus der Zusammenlegung der alten Land- kreise Donaueschingen und Villingen mit Ver- änderungen in den Randgebieten entstandene Schwarzwald-Baar-Kreis war durch die wach- sende Leistungsstärke und die erweiterte Auf- gabenkompetenz, verbunden mit einer stark in die Verantwortung drängenden Arbeit des Kreistags, einer harten Bewährungsprobe aus- gesetzt. Die Ausweitung und Intensivierung von herkömmlichen Kreisaufgaben wie Straßen- bau, Berufsschulwesen, Sozial- und Jugendhil- fe ließ den Kreis zu einem sozial- und bildungs- politischen Schwergewicht werden. Was zunächst nur als Übernahme gemeindli- cher Müllabladeplätze ausgesehen hatte, wurde durch eine vom Umweltschutzgedanken gepräg- ten Gesetzgebung zu einer technisch und orga- nisatorisch anspruchsvollen Abfallwirtschaft. Die sich gerade während der Reformzeit wandelnde soziale Perspektive mündete in ein weiteres und großes Betätigungsfeld des neuen Schwarzwald-Baar-Kreises: ein immer differen- zierter und baulich anspruchsvoller angegange- nes berufliches Schulwesen, ein Sonderschul- wesen für Bildungsschwache und Körperbe- hinderte, eine Reorganisation der stationären 34

Aus dem Kreisgeschehen Heute sind es Selbstverständlichkeiten, in den 1980er-Jahren waren es die großen Herausforderun- gen der aktuellen Kreispolitik: Die Müllberge auf den Deponien, der Naturschutz (oben rechts die damalige Situation am Blindensee) – aber auch das Kranken- hauswesen. Neu war eine Kreisbildstelle (unten links) die Dia- und Filmmaterial sowie Videokassetten für den Unterricht an Schulen und die Fort- und Erwach- senenbildung bereithielt. Krankenversorgung, der Einstieg in den öf- fentlichen Personennahverkehr auf Straße und Schiene oder die Tourismus- und Wirtschafts- förderung. Erweiterte Aufgaben der Sozialhilfe oder im Ausländerrecht sowie Betreuungs- und Beratungsstellen für unterschiedliche Perso- nenkreise folgten. Die Verwaltung wird immer stärker in die gesellschaftliche Entwicklung hineingezogen Die Aufzählung ist keinesfalls vollständig und soll nur einen Überblick geben, welchen Her- ausforderungen der neue Großkreis gegenüber- stand. Kurz, die Verwaltung wurde immer stärker in die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ent- wicklung der Gesellschaft hineingezogen. Aus der einstigen Hoheitsverwaltung, die den Kreis- einwohnern hauptsächlich als Genehmigungs- und Ablehnungsbehörde erschien, entstand ein behördliches Schwergewicht, das nun vor allem auf die Daseinsvorsorge ausgerichtet war. Überlebt hat das einstige Kreispflegeheim Geisingen des Landkreises Donaueschingen als ein mit dem neuen Landkreis Tuttlingen ge- gründeter Zweckverband. Die ebenfalls in Folge der Kreisreform 1977 geschaffene Kreisergän- zungsbücherei jedoch ist ein Opfer der Zeiten und Umstände geworden. Das 1991 eingeweihte, neue, architektonisch herausragende „Kreishaus“ schließlich wurde zum Leuchtturm, zum Symbol der gelunge- nen Integration, der Andockstelle für das neue Kreisbewusstsein und bester Beweis der Vita- lität des durch das „Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung und der Landkreisordnung“ vom 26. Juli 1971 „Schwarzwald-Baar-Kreis“ ge- tauften und am 7. Juni 1974 durch Verleihung des Wappens mit amtlichem Erkennungszei- chen versehenen Landkreises. 35

Aus dem Kreisgeschehen Der Schwarzwald- Baar-Kreis wurde zum 1. Januar 1973 aus den Landkreisen Donaueschingen und Villingen gebildet. Er feiert 2013 sein 40-jähriges Bestehen. In 20 Städten und Gemeinden leben in unserem Landkreis ca. 206.000 Menschen s i e r K – r a a B – d l a w z r a w h c S e r h a J 0 4 Drei Landräte vor dem Landrats- amt, sie repräsentieren 40 Jahre Kreisgeschichte. Von links: Land- rat Sven Hinterseh, in der Mitte Landrat Dr. Rainer Gutknecht, der erste Landrat des Schwarz- wald-Baar-Kreises. Rechts sein Nachfolger und Vorgänger von Sven Hinterseh, Karl Heim. 36

Aus dem Kreisgeschehen Im Gespräch mit drei Landräten: Dr. Rainer Gutknecht Landrat von 1973 – 1996 Karl Heim Landrat von 1996 – 2012 Sven Hinterseh Amtsantritt am 1. Juni 2012 37 37

Aus dem Kreisgeschehen Es ist eine Seltenheit, dass 40 Jahre Kreisgeschichte in einem Gespräch mit drei Landräten erfahrbar sind. So hat Landrat Sven Hinterseh aus Anlass des 40-jährigen Bestehens des Schwarzwald-Baar-Kreises am 19. September 2012 seine beiden Vorgänger im Amt ins „Oval Office“ des Schwarzwald-Baar-Kreises eingeladen – in sein Bü- ro im Landratsamt. Der erste Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises, Dr. Rainer Gutknecht, und sein Nachfolger, Karl Heim, folgten dieser Einladung gerne. Erst am 1. Juni des Jahres hatte Karl Heim das Amt in die Hände von Sven Hinterseh gelegt. Die Fragen formulierten die beiden Redakteure Klaus-Peter Karger vom Südwestrundfunk und Wilfried Dold. Das gut zweistündige Gespräch moderierte Klaus-Peter Karger. Herr Dr. Gutknecht, der Vorabend der Kreisre- form, das war ja Ende der 1960er- / Anfang der 1970er- Jahre – die Zeit der Großen Koalition aus CDU und SPD im Landtag in Stuttgart. 1972 war bereits die Fusion von Villingen und Schwenningen erfolgt. Und ein Jahr später, 1973, im Zuge der Kreisreform die Bildung des Schwarzwald-Baar-Kreises durch Zusammen- legung der Landkreise Donaueschingen und Villingen. Wie haben Sie das politische Klima dieser Kreisreform in Erinnerung? Dr. Rainer Gutknecht: Ich bin am 1. Oktober 1973 nach Villingen-Schwenningen gekommen. An diesem Tag habe ich mein Amt als Landrat an- getreten. Die parteipolitischen Gesichtspunk te spielten so gut wie keine Rolle. Ich habe das als angenehm empfunden. Wie groß waren die Widerstände, auch bei den Lokalfürsten, gegen diese Kreisreform? 38 Dr. Rainer Gutknecht: Das gefällt natürlich nie- mand, wenn man zu einem anderen Landkreis kommt. Da entdeckt man, dass die Bindung an den Kreis vielleicht doch enger ist, als allgemein angenommen. Aber man sieht eben auch: Die Kreisreform ist da und es müssen die Konse- quenzen gezogen werden.

Im Gespräch mit drei Landräten dergefunden hatten, wurde er zum ersten Landrat des neuen Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt. Auf den jungen Landrat, der zuletzt in einer mo- dernen Kreis-Verwaltung in Bergisch-Gladbach gearbeitet hatte, wirkte die ehemalige Residenz des Kreises Villingen, die er 1973 am Villinger Kai- serring bezog, einer modernen Verwaltung nicht angemessen. „Die bauliche Atmos phäre war be- drückend“, schildert er seinen Eindruck. Die Ver- waltung in Bergisch-Gladbach hatte schnell und effizient gearbeitet, in der heiteren Atmosphäre der Domstadt Köln hatte er sich wohlgefühlt. Zu seinen Verdiensten zählen neben der Be- gründung des Jahrbuches Almanach zahlreiche, grundlegende Verbesserungen bei der Infrastruk- tur im Landkreis, gerade auch im Schulwesen. Aber besonders auch der Bau des neuen Land- ratsamtes am Villinger Hoptbühl. Dr. Gutknecht war von 1973 bis 1996 und damit 23 Jahre lang im Amt (siehe auch Almanach 1997). von Schwenningen. Und da gab es ja auch die- se Geschichte mit dem Großkreis… Dr. Rainer Gutknecht: Dr. Gerhard Gebauer woll- te die gesamte Region Schwarzwald-Baar-Heu- berg zu ei nem Großkreis vereinen. Ich war nie ein Freund dieser großen Lösung. Ich bin der Meinung, der Schwarzwald-Baar-Kreis ist groß genug und verwaltungsmäßig noch überschau- 39 :: Zur Person Die beiden Landräte Karl Heim und sein Nachfol- ger Landrat Sven Hinterseh werden in diesem Al- manach ab den Seiten 6 und 14 aus dem Amt ver- abschiedet, sprich vorgestellt. Dr. Rainer Gutknecht, heute 81 Jahre alt, ist mit drei Geschwistern in Rottweil aufgewachsen, wo sein Vater Bürgermeister war. Als die beiden Altkreise Donaueschingen und Villingen zueinan- Wie reagierten die Menschen im Landkreis Donaueschingen? Es gab 15.000 Bürger, die in einer Unterschriftenaktion für den Fortbestand ihres Landkreises votierten. Dr. Rainer Gutknecht: Donaueschingen sah sich in der Tat als Verlierer. Mein verehrter Vorgän- ger, Dr. Lienhart, hat einiges getan, dass Donau- eschingen nicht untergeht. Er überreichte mir auch die Kreisbeschreibung des früheren Land- kreises Donaueschingen. Handschriftlich hat er darin festgehalten, dass er mich bittet, im neu- en Landkreis Gerechtigkeit gegenüber Donau- eschingen walten zu lassen. Donaueschingen ist ein wichtiger Teil des Schwarzwald-Baar-Kreises. Mein Bestreben war, so gut es ging, Donaueschingen einzubinden. Das hat an sich gut geklappt, aber beim ge- ringsten Anlass, Stichwort Krankenhaus, ich sage es mal etwas salopp, da hat die Bude lich- terloh gebrannt… 1973 hatten wir mit Dr. Gerhard Gebauer in Villingen-Schwenningen einen neuen Oberbür- germeister, zuvor war er Oberbürgermeister

Aus dem Kreisgeschehen bar. Ich war sehr froh, dass das nicht geklappt hat. Dr. Gerhard Gebauer wollte ja unbedingt auch den Namen unseres Schwarzwald-Baar- Kreises in „Kreis Villingen-Schwenningen“ ge- ändert wissen. Dr. Rainer Gutknecht: Sie hat ihn relativ schnell angenommen. Ich bin viel draußen gewesen, ganz bewusst auch im früheren Landkreis Donaueschingen. Man hat Sympathien für den neuen Kreis erringen können, wenn man drau- ßen war und mit den Leuten sprach. Ihre Wahl erfolgte am 13. Juli 1973, an einem Freitag den 13. Sie sind 23 Jahre lang hier Land- rat geblieben. Was waren die Aufgaben der ersten Stunden? Wenn Sie auf ihre 23-jährige Amtszeit zurück- schauen, was sehen Sie als größten persönli- chen Erfolg? Eine Hauptaufgabe war der Schul- be reich, ganz klar. Ich habe rasch be merkt, dass da einiges im Argen Dr. Rainer Gutknecht: Die Hauptaufgabe war neben dem Straßenbau und dem Sozialbereich ganz klar das Schulwesen. Und hier der beruf- liche Schul bereich und der Sonderschulbereich. Das war mir insofern recht, abgesehen von der Aufgabe, die einfach wichtig war, da der Schulbereich über alle Fraktionen hinweg unbe- stritten war. liegt. Man konnte also mit dem Schulbereich den Kreis praktisch vereinheitlichen und hat dezen- tral ganz bewusst die beruflichen Schulen ge- lassen, wo sie waren, sie ausgebaut – natürlich auch in Donaueschingen, Furtwangen oder in Schwenningen. Warum bestand im Schulbereich so ein enor- mer Nachholbedarf? Dr. Rainer Gutknecht: Die Schülerzahlen waren im Wachsen, die Schulräume zu klein, und es gab zu wenige davon. Die Gebäude waren zum Teil nicht modern genug. Ich erwähne auch ganz bewusst den Sonderschulbereich. Von einer Kör perbehindertenschule sprach damals kein Mensch. Das habe ich übrigens von meinem al- ten Kreis mitgebracht, dass man eine Körperbe- hindertenschule braucht, und ich habe auch bei uns entsprechend die Weichen gestellt. Wie hat denn die Bevölkerung auf diesen neuen Kreis reagiert? 40 Dr. Rainer Gutknecht: Das neue Landratsamt war mein schönstes Geschenk, wenn Sie so wol- len – praktisch am Ende meiner Amtszeit und nach einem unglaublich schweren Weg. Aber ich habe nie aufgegeben. Wir haben das Haus drin- gend gebraucht und her- vorragend finanziert. Die Einweihung des Land- ratsamtes war vermut- lich der schönste Tag meiner Amtszeit, noch heute freue ich mich an diesem Gebäude. Landrat Dr. Gutknecht In Ihre Amtszeit fällt ja auch die Geburtsstunde des Heimatjahrbuchs Almanach, das nun in 37 Ausgaben vorliegt. Sollte das Jahrbuch helfen, Identität zu stiften? Dr. Rainer Gutknecht: Natürlich! Es waren zwei Überlegungen, die ich hatte. Einmal wollte ich den neuen Landkreis in Wort und Schrift vor- stellen, und zwar auf allen Gebieten: Wirt- schaft, Kultur, Umwelt. Und ich wollte das Hei- matgefühl stärken oder auch für den neuen Land kreis begründen. Ich hatte engagierte Mit streiter, so den früheren Schulamtsdirektor Heinrich aus dem Kreis Villingen-Schwennin- gen und den Redakteur Dr. Honold von der Ba- dischen Zeitung in Donaueschingen, der übri- gens auch den Namen erfunden hat. Vor allem wollte ich in der Bevölkerung für den Landkreis werben und den Leuten sagen: „Wir sind der neue Schwarzwald-Baar-Kreis, und da gibt es viele schöne Gebiete, die interessant sind.“

Was ist eigentlich Ihr liebster Platz im Schwarz- wald-Baar-Kreis? Gibt es da einen Ort? Dr. Rainer Gutknecht: Ich wohne in Bad Dürr- heim. Diesen Ort habe ich mir mit Bedacht ge- wählt. Zwischen Villingen und Donaueschingen ist Bad Dürrheim die Mitte. Ich fühle mich über- all im Landkreis sehr wohl. Ich wohne jetzt in Bad Dürrheim, fühle mich als Bad-Dürrheimer, aber ich fühle mich auch als „Schwarzwald- Baarheimer“. Mir ist am liebsten der gesamte Schwarzwald-Baar-Kreis, ohne dass ich jetzt einen Ort herausheben möchte. Herr Landrat Karl Heim, Sie haben 1996 den Schwarzwald-Baar-Kreis sozusagen von Dr. Rai- ner Gut knecht übernommen. Was waren denn am Beginn Ihrer Amtszeit die großen Aufgaben- stellungen? Karl Heim: Der Abfallbereich war domi nierend. Herr Dr. Gutknecht hatte einen Abfallspezialis- ten aus dem Stuttgarter Raum hierhergeholt, um ein neues Abfallkonzept auf den Weg zu brin gen. Es herrschte die Vorstellung, dass man gemeinsam mit Rottweil und Tuttlingen ei ne Abfallverbrennungsanlage baut. Das war relativ weit gediehen. Ich kam vom Zollernalbkreis und hatte dort diese Diskussion zum Teil schon mit- Im Gespräch mit drei Landräten erlebt. Ich wusste, wie schwierig diese Thema- tik ist. Und just als ich kam, beschloss der Kreis Rottweil aus dem Projekt auszusteigen, um mit Stuttgart eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Damit war dieses Konzept tot. Und der Kreistag war – das weiß ich noch – ziemlich sauer auf die Rottweiler. Doch ich habe das mit einer gewissen Gelassenheit zur Kenntnis ge- nommen, weil ich dachte, da liegt auch eine Chance drin – jetzt kann man vielleicht andere Konzepte auf den Weg bringen. Heute muss man sagen: Gott sei Dank ha- ben wir diese Anlage nicht gebaut. Wir haben es dann geschafft, mit Göppingen eine Verein- barung zu schließen, sodass wir unsere Anfor- derungen, den Müll nicht mehr zu deponieren, erfüllen konnten. Wir haben ein fortschrittliches Abfallwirtschaftskonzept umgesetzt mit Bioton- ne, mehreren Grüngut-Anlagen, Wiederverwer- tung und allem Drum und Dran. Herr Dr. Gutknecht hat es gut auf den Weg gebracht, ich durfte es fortführen. Heute spricht kein Mensch mehr davon; das Thema Abfall ist nicht mehr relevant. Damals war es das große Thema in wirklich allen Landkreisen. Und ein weiteres großes Thema war das Kran- kenhauswesen? Karl Heim: Von meiner früheren Tätigkeit wusste ich, das Krankenhauswesen ist immer ein schwie- 41

Aus dem Kreisgeschehen werden wird. riges Thema. So habe ich schon bei meiner Kandidatur gezielt nach- gefragt: Wie sieht es im Krankenhauswesen aus? Und dann ist mir gesagt worden: Wir haben ein Kreiskrankenhaus, das hervorragend aufgestellt ist – und das ist überhaupt kein Thema. Und ich war schon gewählt, aber noch nicht im Amt, als mich der Kämmerer anrief und mir mitteilte, dass wir eine Sondersitzung des Krankenhaus- ausschusses einberufen müssen, um unbedingt ein Sanierungskonzept auf den Weg zu brin- gen, damit das Krankenhaus finanziell nicht aus dem Ruder läuft. Es zeigte sich dann rasch, dass die Krankenhaus-Problematik in allen Landkreisen das neue, große, zentrale Thema sein wird. In Ihre Amtszeit fällt die Schließung des Furt- wanger Krankenhauses. Welche Erinnerungen haben Sie daran? Karl Heim: Das war die mit Abstand schwierigs- te Phase meiner 16-jährigen Amtszeit. Es war deshalb so schwierig, weil solche Diskus sionen unglaublich emotionsgeladen geführt wer den. Ich war mehrfach in Furtwangen und habe mit den Bürgern geredet. Zu Beginn, als die Furt- wanger noch die Hoffnung hatten, dass das Haus erhaltenbleibt, haben sie auch zugehört, waren den Argumenten zugänglich. Als jedoch erkennbar wurde, dass man das Krankenhaus auf Dauer nicht halten kann, war die Bereitschaft zuzuhören, die Argumente aufzunehmen, prak- tisch nicht mehr da. Wir hatten das Krankenhaus von der Stadt übernommen, es hatte seit Jahren Defizite er- wirtschaftet. Die Stadt Furtwangen musste die- se Defizite ausgleichen und suchte nach einem Partner. Ich führte damals mit meinen Fachleu- ten aus dem Krankenhausbereich hierüber vie- le Gespräche. Die Frage lautete: Sollen wir uns als Partner anbieten? Da waren mehrere Über- legungen im Spiel. Natürlich zu allererst die Ver sorgung im Oberen Bregtal. Aber auch, dass 42 Es zeigte sich rasch, dass das Kran- kenhauswesen in allen Land kreisen zum neuen, großen, zentralen Thema man damit das ei ge – ne Haus wetterfester macht, da der Einzugs- bereich zunimmt. Landrat Karl Heim Die Kernfrage lau- tete natürlich: Kann man das Ganze wirt- schaftlich gestalten? Unser Krankenhaus- Geschäftsführer sagte „Ja“. Meine Ärzte beton- ten, sie wären gerne bereit, das Obere Bregtal mitzuversorgen. Und so sind wir diesen Weg ge- gangen – mit voller Überzeugung. Wir haben ver sucht, das Krankenhaus in Furtwangen als echtes Haus der Grundversorgung erneut zu etablieren. Das ging dann einige Zeit gut. Aber es war halt bald erkennbar: das Haus ist auf Dauer wirtschaftlich nicht zu führen! Vor allen Dingen: uns sind schlicht die Ärzte weggelaufen. Ir- gendwann war der Punkt erreicht, dass man das Krankenhaus nicht mehr fortführen konnte, weil die Ärzte gefehlt haben. Und dann war ich in der misslichen Situa- tion, dass ich den Furtwangern die Hiobsbot- schaft überbringen musste: „Wir müssen das Krankenhaus schließen.“ Das führte natürlich zu massivem Widerstand. Doch ich hatte – mit Ausnahme weniger Kreistagsmitglieder aus dem Furtwanger Raum verständlicherweise – den Kreistag hinter mir. Jetzt steht ja das Schwarzwald-Baar-Klinikum kurz vor der Eröffnung. Sie waren ein engagier- ter Wegbegleiter dieses zentralen Klinikneu- baus. Wie sehen Sie seine Zukunft? Karl Heim: Ja, wir können uns glücklich schät- zen, dass wir die Strukturen im Krankenhaus- wesen relativ früh neu geordnet haben. Wir ha- ben über die schwierige Schließung des Kran- kenhauses Furtwangen gesprochen. Nicht we- niger schwierig waren die Verhandlungen mit dem Oberzentrum Villingen-Schwenningen. Hier gab es mit dem Kreis-Klinikum und den deut- lich größeren Städtischen Kliniken zwei Kran- kenhausträger. Doch wir wurden uns einig, dass es Sinn macht, im Kreis eine gemeinsame Kli-

nik-GmbH zu gründen und ein neues, zentrales Klinikum zu bauen. Als die Idee aufkam – ich glaube, zum ersten Mal hat der damalige Geschäftsführer des Klinikums Villingen-Schwenningen, Horst Schlen ker, die Idee geäußert – haben wir das dann sorgfältig durchgerechnet und gesehen, es ist die vernünftigste, zukunftsträchtigste Ent- scheidung. Wir brachten die gemeinsame GmbH auf den Weg – verbunden mit einem klaren me- dizinischen Leistungskonzept, das beinhaltete, wo was gemacht werden soll. Das Ziel war klar, es galt, sechs Krankenhausstandorte auf zwei zu reduzieren. Das ist – glaube ich – bis jetzt in keinem zweiten Landkreis geschehen. Und das Im Gespräch mit drei Landräten ist so ein bisschen das Geheimnis, warum wir heute immer schwarze Zahlen schreiben, wäh- rend etliche andere Kliniken ja Defizite auswei- sen müssen. Mit dem Bau des neuen, zentralen Klinikums haben wir den letzten, großen Schritt gemacht, um dieses Gesamtkonzept umzusetzen. Ich freue mich sehr darüber, dass das gelingt. Das Schwierigste ist immer, so ein Konzept politisch durchzusetzen. Aber auch die Umsetzung eines solchen Großprojekts ist naturgemäß immer mit Überraschungen und Schwierigkeiten ver- bunden. Fakt ist: In einem Jahr wird unser Klinikum hoffentlich fertig sein. Dann sind wir im Schwarzwald-Baar-Kreis sehr gut aufgestellt. Wir können dann ein Haus der Zentralversor- gung vorweisen, das ne ben den Unikliniken Tü- bingen und Freiburg das Haus mit der höchsten medizinischen Qualität sein wird. Und wir sind auch wirtschaftlich gut aufge- stellt: Wir schreiben immer noch Überschüsse. Deshalb habe ich da wirklich ein sehr sehr gu- tes Gefühl, was das Krankenhauswesen anbe- langt. Der Standort Donaueschingen hat wie lange Zukunft? Karl Heim: Natürlich hätte man auch ein großes Krankenhaus für den ganzen Landkreis bauen 43

Aus dem Kreisgeschehen können. Ich wurde häufig gefragt, wie lange wird das Krankenhaus Donaueschingen noch Bestand haben? Ich antwortete immer: Das Haus wird solange bestehen, wie es einen posi- tiven Beitrag für die Gesamt-Klinik-GmbH leis- tet. Und das tut das Haus. Das Haus ist finan- ziell kein Klotz am Bein, es ist gut aufgestellt. So besteht aus meiner Sicht keine Veranlas- sung, über eine Stilllegung von Donaueschin- gen nachzudenken. Kommen wir zum öffentlichen Nahverkehr. Da ist ja ohne Frage der Ringzug eine der großen Errungenschaften, die mit Ihrer Beteiligung, auch der Beteiligung des Regionalverbandes natürlich, der da maßgeblich tätig war, zustan- de gekommen ist. Eine bahnpolitisch – sage ich mal – schwere Geburt. Welche Erinnerungen haben Sie noch an diese Kämpfe? Karl Heim: Das war in der Tat eine schwere Ge- burt. Es gab öfters Situationen, in denen ich be- fürchtet habe, dass das Projekt scheitert. Herr Dr. Gutknecht hat den Ringzug in seinen Anfän- gen noch mit auf den Weg gebracht. Zu Be- ginn stellte sich immer wieder die Frage: Wer soll denn Träger dieses Konzepts sein? Man musste die Interessen von drei Landkreisen unter einen Hut bringen und das Ganze dann noch mit dem Land Baden- Württemberg abstimmen. Es gab mehrere Sit- zungen, bei denen ich dachte: Jetzt ist das Pro- jekt am Ende… müssen. Man musste immer wieder neu Kompromis- se finden. Auch hier ist es wie im Krankenhaus- wesen: Nicht der Bau ist das Schwierige, son- dern die vorherige, politische Entscheidungs- findung. Wir haben das dann unter einen Hut gebracht und mit dem Land eine gute Vereinba- rung getroffen. Das muss man dem Land ge- genüber auch anerkennen: Wir haben eine her- vorragende Unterstützung erfahren. Wir sind sehr mutig gewesen, denn wir haben nicht, wie üblich, mit dem Land Baden-Württemberg eine 44 Der Ringzug ist ein Erfolgskonzept. Wir haben bis heute noch keinen einzigen Cent an Defizit aufbringen Vereinbarung getroffen, dass das Land so ein Konzept auf den Weg bringt und wir uns finan- ziell beteiligen, sondern, wir haben gesagt: Wir sind die Träger des Systems und das Land betei- ligt sich bei uns. Das ist völlig ungewöhnlich. Im Nachhinein betrachtet war das dann auch in jeder Hinsicht ein Erfolgsmodell, so- wohl was die Verkehrsanbindung als auch was die finanziellen Möglichkeiten anbelangt. Wir haben konservativ gerechnet, mal einige Über- legungen angestellt, was der Landkreis jedes Jahr an Defizit aufbringen muss, um dieses Sys- tem zu finanzieren. Wir hatten damals – das haben Sie noch entscheiden lassen, Herr Dr. Gutknecht – mit den Gemeinden an der Strecke vereinbart, dass die sich zu 30 Prozent an den Kosten beteiligen. Und sie haben es mitgetra- gen. Meine größte Sorge war, als wir das ent- schieden haben, dass wir viele Millionen ver- bauen und der Ringzug dann leer durch die Gegend fährt. Ich hatte da wirklich auch die Befürch tung: Da fährt der Ringzug ohne Passa- giere durch den Landkreis, die Reporter ste hen an den Schienen und fotografieren die leeren Züge. Landrat Karl Heim Deshalb habe ich auch durchgesetzt, dass wir in der ersten Woche kostenlos fahren, ein- fach um die Leute auf den Zug zu bringen, um ihnen das System zu zeigen. Und es ist von den Leuten auch sofort sehr gut angenommen wor- den. Heute können wir sagen, im Rückblick be- trachtet, es war ein Erfolgskonzept. Wir haben bislang noch keinen einzigen Cent an Defizit aufbringen müssen. Auch die Gemeinden damit natürlich nicht. Im Gegenteil: Wir haben sogar gelegentlich ein paar Euro über, was bei so ei- nem System nicht selbstverständlich ist. Wenn wir uns jetzt mal vom Ringzug entfernen. Der übrige Nahverkehr, deckt er den Bedarf? Karl Heim: Der Bedarf ist im Öffentlichen Nah- verkehr nahezu unendlich – und sie können ihn unmöglich zu 100 Prozent befriedigen. Im länd-

Aus dem Kreisgeschehen Der Bau des neuen zentralen Klinikums, hier die Baustelle im September 2012, und die Einführung des Ring- zugsystems waren zentrale Themen während der Amtszeit von Landrat Karl Heim. 45

Aus dem Kreisgeschehen Der Ring zug ist nicht ein reines Schienen-Nahverkehrskonzept. Es war von vornherein angedacht als ein Bus- lichen Raum müssen Sie immer eine Abwä- gung treffen zwischen dem, was wünschens- wert und was finanzier- bar ist. Ganz einfach, weil ländlichen Raum nicht so viele Menschen leben, die das System nutzen kön- nen, wie in einem Verdichtungsraum. Sie müs- sen also eine Abwägung treffen. Wenn man das in Betracht zieht – glaube ich – haben wir im Kreis einen sehr gut aufgestellten ÖPNV. Bahn-Konzept. im Landrat Karl Heim aus meiner Sicht voll bestätigt hat. Der Landkreis hat in der Tat eine optimale Grö- ße. Das zeigte sich ge- rade auch bei der Verwaltungs reform. Er ist so groß, dass er seine vielfältigen Aufgaben effizient wahrneh- men kann. Sie benötigen immer eine gewisse Mindestgröße, damit sie effizient arbeiten kön- nen. Die hat der Landkreis mit seinen 200.000 Einwohnern. Und wichtig war uns von Anfang an: Der Ring- zug ist nicht ein reines Schienen-Nahverkehrs- konzept. Es war von vornherein angedacht als ein Bus-Bahn-Konzept, das heißt, die Dinge sind aufeinander abgestimmt. Es gab ja vor der Kreisreform auch die Beden- ken, dass ein solch größeres Gebilde automa- tisch weniger Bürgernähe bedeuten würde. Wie sehen Sie das heute? Karl Heim: Ich kann nur sagen, dass sich das, was der Herr Dr. Gutknecht schon gesagt hat, Was nun die Bürgernähe anbelangt, kommt es darauf an, wie Sie so eine Verwaltung orga- nisieren. Uns war immer wichtig, dass wir auch in der Fläche präsent sind. Dann habe ich mich natürlich selber als Landrat sehr bemüht, dem Landkreis ein Gesicht zu geben, indem ich sehr viel draußen war und versucht habe, Kreisiden- tität durch persönliche Anwesenheit zu gestal- ten. Ich habe schon den Eindruck: Kein Mensch zweifelt heute mehr an unserem Schwarzwald- Baar-Kreis. Natürlich gibt es immer wieder ge- wisse Befindlichkeiten, was einzelne Raum- schaften anbelangt. Aber das ist selbstver- ständlich. Viel beachtete Kunst am Bau, der Hien-Kuckuck beim Landrats- amt am Villinger Hoptbühl. 46

Im Gespräch mit drei Landräten gute Bildungseinrichtungen, eine Gesundheits- versorgung – gerade auch mit unseren Kliniken – auf sehr hohem Niveau, die glücklicherweise auch noch in öffentlicher Hand ist. Mein Vor- gänger hat im Bereich der Neuordnung der Kli- nikstrukturen einen wichtigen Beitrag geleis- tet. Dafür bin ich dankbar, und ich glaube, das ist wirklich ein sehr gutes Fundament, auf dem man aufbauen kann. Deswegen ist mir vor der Zukunft überhaupt nicht bange. Sie bringt uns Herausforderungen, die wir anpacken und die wir erfolgreich meis- tern werden. Den Schwarzwald-Baar-Kreis – unser Quellenland – werden wir in eine gute Zukunft führen. 47 Herr Landrat Hinterseh: 100 Tage im Amt, das magische Jubiläum haben Sie ja vor wenigen Tagen begangen. Was ist gegenwärtig für Sie das wichtigste Projekt? Landrat Hinterseh: Ja, in der Tat die 100 Tage sind vorüber, und ich bin sehr dankbar, dass ich hier gut aufgenommen wurde und dass ich auch einen engen Kontakt – ich darf das auch so sagen – zu meinen beiden Vorgängern habe und die beiden Herren immer wieder mal treffe und mich mit ihnen austausche. Es gibt viele wichtige Themen, aber der de- mografische Wandel steht im ländlichen Raum über allem. Ich verstehe das nicht als Bedro- hung für uns, sondern als eine Herausforde- rung, der wir uns stellen. Welche Konzepte haben Sie da? Landrat Hinterseh: Wir entwickeln gerade eine sogenannte Demografie-Strategie, die aus vie- len Mosaiksteinen besteht, die dann ein Ge- samtkonzept ergeben. Was mir wichtig ist – und da habe ich mir den Blick von außen be- wahren können – wir leben hier in einer sehr starken und einer sehr vitalen Region. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist insgesamt ein gesunder und leistungsfähiger Landkreis, und wir können uns glücklich schätzen, dass wir hier gute Strukturen vorfinden. Insbeson- ders auch eine ordentliche Infrastruktur, sehr

Aus dem Kreisgeschehen Es gibt aber auch die ärztliche Versorgung vor Ort. Inwieweit kann der Landkreis da mitwir- ken, um diese sicherzustellen? Landrat Hinterseh: Mein Vorgänger hat ein Ge- sundheitsnetzwerk aufgebaut. Vernetzungen und Kooperationen sind sehr wichtig, weil wir im ärztlichen Bereich durch die Selbstverwal- tung der Ärzteschaft viele unter schied liche Ak- teure haben. Aber die Selbstverwaltung der Ärz- teschaft muss auch ihrer Aufgabe gerecht wer- den und für eine auskömmliche Versorgung auch der ländlichen Räume sorgen. Natürlich besteht kein Zweifel daran, dass sich der Landarzt klassischer Prägung wandeln wird. Wir werden mehr Gemeinschaftspraxen haben und auch Ärzte, die an mehreren Orten tätig sind. Eine gute und stabile Klinikstruktur – in öffentlicher Hand – hilft uns dabei. Wie sieht es mit der übrigen Infrastruktur aus? Landrat Hinterseh: Wir haben hier insgesamt eine ordentliche Infrastruktur – sind verkehr- lich gut mit der Schiene und mit Straßen ange- bunden. Natürlich ist es dennoch richtig, dass wir etwa im Straßenbereich noch Bedarf haben, denken sie an den Lückenschluss der B 523 und die B 27 ab Donaueschingen zur Schweizer Grenze, aber auch andere Projekte. Auch die Schieneninfrastruktur ist im Vergleich zu ande- 48 ren Landkreisen gut. Die Schwarzwaldbahn ist heute stabilisiert und wir sind mit dem dortigen Verkehrsangebot und der Qualität insgesamt sehr zufrieden. Ich weiß noch, als ich vor über zehn Jahren hier im Landkreis im Landratsamt tätig war, wie wir damals um eine gute Ausstat- tung der Schwarzwaldbahn gerungen haben. Wichtig für uns ist jetzt ein ordentlicher Anschluss über die Gäubahn und den Flugha- fen nach Stuttgart. Die Elektrifizierung der öst- lichen Höllentalbahn von Neustadt nach Do- naueschingen müssen wir hinbekommen, da- mit wir es schaffen, im Jahr 2020 umsteigefrei von Villingen über Donaueschingen nach Frei- burg zu fahren, entsprechend eng vertaktet. Wichtig für uns ist dann natürlich noch die Elek- trifizierung der Strecke nach Rottweil, um um- steigefrei von Villingen über Schwenningen nach Rottweil und dann weiter nach Stuttgart fahren zu können. Wird die Infrastruktur spürbar teurer werden? Landrat Hinterseh: Es wird natürlich Verände- rungen geben. Wir werden das auch im Schul- bereich merken. Aber ich warne jetzt davor, in Panik zu verfallen. Jede Zeit hat ihre spezifi- schen Herausforderungen, das haben wir vor- her bei Herrn Dr. Gutknecht gehört und auch bei Herrn Heim. Dr. Gutknecht war in einer Pha- se politisch aktiv, wo es um den Auf- und Aus- bau von Infrastruktur ging. Es gab Bevölkerungs- wachstum und einen enormen Bedarf. Die Poli- tik musste Infrastruktur zur Verfügung stellen. Heute müssen wir uns fragen: Was können wir bewahren, was können wir vielleicht auch an- ders definieren, wo können wir vielleicht das ei- ne oder das andere bündeln und anpassen? Aber davor muss uns nicht bange sein. Die Windkraft ist ja ein tragendes Element der Energiewende. Wie denken Sie über Windräder im Schwarzwald-Baar-Kreis, auch unter dem Aspekt des Landschaftsschutzes? Landrat Hinterseh: Die Atomkraft hat keine Zu- kunft, das ist in Deutschland ein gesellschaft-

licher Konsens. Als industriell stark geprägte Region Schwarzwald-Baar-Heuberg wissen wir, dass wir Energie für unsere Produktionsstand- orte brauchen. Wir sind dankbar für diese vie- len, produktionsabhängigen Arbeitsplätze. Bei uns lebt man nicht nur von der Dienstleistung. Auch wir müssen unseren Beitrag für die Ener- giewende leisten. Strom wird zukünftig auch immer mehr dezentral produziert. Hier liegt für uns eine riesige Chance. Wertschöpfung in der Fläche wird möglich und nicht nur an wenigen großen Kraftwerksstandorten. Ohne Zweifel braucht es die Windenergie für eine gelingende Energiewende. Wir müssen sie aber natürlich landschaftsverträglich, sprich naturraumverträglich, ausgestalten. Ich den ke schon, dass wir das hinbekommen werden. Im Schwarzwald-Baar-Kreis wird es keine flächen- deckende Verspargelung geben. Richtig ist aber trotzdem, dass wir über Windenergiean- lagen mit 140 Metern Höhe reden, teilweise sind sie sogar noch höher. Die Landschaft wird sich verändern. Wir müssen aber eine Konzen- tration er reichen. Wo wären solche Cluster denkbar? Wo weniger? Landrat Hinterseh: Lassen Sie mich jetzt nicht konkret über Standorte sprechen – wir haben die kommunale Planungshoheit und diese respektiere ich. Die Kommunen stecken mitten in dieser Arbeit und der Regionalverband hat eine wichtige Vorarbeit geleistet. Wir sind im Schwarz wald-Baar-Kreis – wenn ich es richtig überblicke – auf einem guten Weg. Welche Chancen bietet die intakte Natur für künftige Tourismusprojekte? Wo sehen Sie da Stärken, wo sehen Sie Optimierungsbedarf? Landrat Hinterseh: Wir haben im Schwarzwald- Baar-Kreis einen starken Kur- und Gesundheits- tourismus. Denken Sie an Bad Dürrheim mit über 600.000 Übernachtungen im Jahr, an Kö- nigsfeld, aber auch an unsere Schwarz wald- gemeinden und Baarstädte. Beim Tourismus hat sich in den vergangenen Jahren vieles ge- Im Gespräch mit drei Landräten tan. Wir haben einen wachsenden Trend hin zum Inlandstourismus. Wir haben einen Trend im Radtourismus. Auch hier hat sich der Schwarzwald-Baar-Kreis gemeinsam mit dem Landkreis Rottweil vor Jahren schon auf den Weg gemacht und ein RadParadies ausgewie- sen mit wirklich tollen Radtouren. Wir erleben momentan einen enormen Trend hin zum Wandern. Wandern ist wieder in. Gera- de auch junge Familien gehen wandern. Und da haben wir natürlich mit unseren Naturräumen im Schwarzwald-Baar-Kreis, nämlich mit dem Schwarzwald und der Baar, ein echtes Pfund, mit dem wir wuchern können. Deswegen wollen wir das RadParadies auch erweitern um das Thema Wandern. Aber ich sehe auch eine Mög- lichkeit, im Naturtourismus noch einiges zu machen. Wir haben beispielsweise am Rohr- hardsberg – lassen Sie mich dieses Beispiel nennen – eine enorme Naturvielfalt, wo wir mit 49

Im Gespräch mit drei Landräten einem sanften Tourismus, mit einem Naturtou- rismus, neu definiert und ausgestaltet, sicher ein spezielles Zielpublikum erreichen können. Wie würde das aussehen, dieser sanfte Natur- tourismus am Rohrhardsberg? Landrat Hinterseh: Wir bemerken, dass immer mehr Menschen ein Interesse daran haben, die Natur auch zu verstehen. Viele Menschen wis- sen gar nicht mehr, wie eine intakte Naturland- schaft eigentlich funktioniert. Und da kann man viel auch mit Führun- gen machen. Wir haben am Rohrhardsberg ein Life-Projekt gehabt, von der EU kofinan- ziert, bei dem Natur- führer ausgebildet wur- den, die erklären kön- nen, wie Natur funk- tioniert, wie Biotope funktionieren. Wir haben hier auf der Baar das zweitgrößte Vogelschutz- gebiet in Baden-Württemberg. Wir wollen auf der Baar ein Naturschutzgroßprojekt umsetzen, und ich bin ganz sicher, dass wir in diesem Be- reich des Tourismus insgesamt noch mehr ma- chen können. wir unterstützen! Der ländliche Raum ist nicht vorstellbar ohne die Landwirtschaft, ohne die Bauern, die auch die Landschaft offen halten. Auf welchen Fel- dern sehen Sie da Handlungsbedarf? Wie kann man Landwirtschaft und ländlichen Raum, auch Tourismus und Schönheit der Landschaft, wieder besser zusammenbringen? Landrat Hinterseh: Ja, die Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Tat enorm gewandelt. Früher hatten wir viele und überwie- gend kleinteilige Betriebe, um die 5.000 Betrie- be waren es. Etwa 1.500 bäuerliche Betriebe sind geblieben, gerade ein Drittel davon wird noch als Vollerwerbsbetrieb geführt. Das be- deu tet zugleich: die Betriebe werden immer größer. Diese allgemeine Entwicklung können sie nicht durchbrechen. 50 Wir haben hier eine kostbare Natur und die gilt es auch zu pflegen, zu hegen und offen zu halten. Das wollen Es gibt immer wieder auch Landwirte, die eine Nische suchen, die beispielsweise viel im Vertragsnaturschutz machen. Es gibt keinen zweiten Landkreis im Regierungsbezirk Südba- den, der so stark im Vertragsnaturschutz ist, der so viele Verträge in diesem Bereich ab- schließt wie wir, da über 50 Prozent unserer Kreisfläche hochwertige Natura 2000 Gebiete sind. Das heißt, wir haben hier eine kostbare Natur und die gilt es auch zu pflegen, zu hegen – offen zu halten. Und hier wollen wir auch als Landratsamt unterstützen. Wir überlegen, wie wir die Bau ern noch besser unterstützen kön- nen. Vor allen Dingen müssen wir mit diesem Schatz „Natur“ sorg- sam umgehen, weil er auch für den Touris- mus ein Mehrwert ist. Landrat Sven Hinterseh Der Schwarzwald-Baar- Kreis wirbt ja mit der Marke „Quellenland“, weil wir sowohl den Ursprung des Neckars als auch die Quellen der Donau vorweisen können. Wel- che kulturpoli tischen Impulse sind für Sie vor diesem Hintergrund neben der Partnerschaft mit Bács-Kiskun vorstellbar? Landrat Hinterseh: Wir sind stolz darauf, dass wir diese Partnerschaft mit Bács-Kiskun haben. Herr Dr. Gutknecht hat das wenige Tage, bevor er in den Ruhestand gegangen ist, noch auf den Weg gebracht und die Partnerschaftsurkunde un terzeichnet. Herr Heim hat diese Partnerschaft auch intensiv betrieben. Ich fand es eine schöne Geste, dass mich Herr Heim im Mai, als ich be- reits gewählt war, aber noch nicht im Amt, mit nach Ungarn zu unseren Freunden genommen hat. Unsere Freunde haben momentan spezifi- sche Herausforderungen zu meistern, weil in Un garn einiges im Fluss ist und die Komitate doch deutlich beschnitten wurden. Auch in den Zuständigkeiten, sodass wir jetzt schauen und prüfen, wie wir die Partnerschaft fortführen und wie wir Themenfelder identifizieren können – wo wir die Partnerschaft auch wirklich le ben können. Das lässt wenig Raum für neue Partnerschaf- ten. Ich will diese Partnerschaft, die wir haben,

Aus dem Kreisgeschehen Die Zukunft der Landwirtschaft sowie der Bevölke- rungsrückgang im dünn besiedelten ländlichen Raum sind zentrale Themen der künftigen Kreispo- litik. Hier der unter Naturschutz stehende Katzensteig bei Furtwangen. 50 Prozent der Fläche des Schwarz- wald-Baar-Kreises sind Natura 2000-Gebiet. Landrat Sven Hinterseh: „Das heißt, wir haben hier eine kost- bare Natur, die auch unter touristischen Aspekten ein Schatz ist.“ am Leben halten und neu ausgestalten. Das kostet sicher viel Kraft und viel Energie, sodass – glaube ich – kein Raum bleibt für weitere Partnerschaften. Ich will lieber diese Partner- schaft, die wir seit über 16 Jahren pflegen, auf gutem Wege wissen. Sie gelten als Teamplayer. Welche Teams stel- len Sie gerade auf und mit welchen Prioritäten- listen? Landrat Hinterseh: Als Einzelkämpfer kann man natürlich überhaupt nichts bewerkstelligen. Das ist klar. Das Landratsamt ist sehr gut auf- gestellt. Aber wir sehen natürlich auch inner- halb der Kreisverwaltung den demografischen Wandel. Wir haben viele Kolleginnen und Kolle- gen, die in den Ruhestand gehen und da muss man immer schauen und um die besten Köpfe werben. Und die öffentliche Verwaltung hat es da nicht leicht, weil wir natürlich nicht mit der Industrie konkurrieren können und weil es na- türlich immer weniger junge Menschen gibt, die auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. So müssen wir uns auch neue Strategien überle- gen, wie wir qualifiziertes Personal bekommen. Aber auch da bin ich zuversichtlich, dass uns das gelingt. Sie waren ja schon mal hier als Dezernent. Jetzt sind Sie Landrat. Im Moment habe ich gesehen, touren Sie, machen die ganzen Antrittsbesuche in den Gemeinden. Wie erleben Sie die Men- schen im Schwarzwald-Baar-Kreis? Landrat Hinterseh: Ich erlebe die Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis als sehr aufgeschlos- sen. Ich bin erstaunt, wie offen und sympathisch man mir gegenübertritt und begegnet. Ich lerne viel dieser Tage, bin viel unterwegs – jede Be- gegnung ist eine wichtige Begegnung. 51

Im Gespräch mit drei Landräten Wo hat man Sorgen und Ängste? Landrat Hinterseh: Natürlich dieser demografi- sche Wandel. Da haben viele auch Angst. Gerade im Schwarzwald, wo der demografische Wan del spürbarer ist als hier in Villingen-Schwenningen, in Bad Dürrheim oder auch bei den Kommunen auf der Baar. Da hat man schon Sorge: Wie kann man in der Zukunft auch noch attraktiv sein für Familien, wie kann man die Schu le im Dorf hal- ten, in der Kommune, wie kann man Strukturen aufrechterhalten? Und das wollen wir ja eben auch mit der Demografie-Strategie angehen, und überlegen, was sind da Konzepte, die auch zu- kunftsfest sind? Sie waren ja eine ganze Zeit in Stuttgart, wie be- urteilt man dort den Schwarzwald-Baar-Kreis len wirtschaftlichen Situation. Wenn Sie über- legen, noch vor Jahrzehnten, diese industriel- len Umbrüche, die es hier gab. Die sind ordent- lich und gut weggesteckt worden. Jetzt haben wir hier eine hochinnovative Wirtschaft, man- cher Weltmarktführer ist hier zu Hause. Darauf können wir durchaus stolz sein. Eine letzte Frage an Sie alle drei. Karl Heim hat gesagt, Landrat zu sein, das sei das schönste Amt überhaupt. Warum ist das so? Dr. Rainer Gutknecht: Weil die Vielfalt der Auf- gaben so reizvoll ist, und man kann auch seine Persönlichkeit einbringen. Es gibt selten ein Amt in der Verwaltung, im Bund, Land oder in der Kommune, das so interessant ist wie das des Landrates. Wir müssen unsere Stärken nach außen besser hervorkehren und auch darüber reden, was wir gut können. Landrat Hinterseh: Von außen wird die Region viel stärker wahrgenommen als die Region sich selbst hier manchmal fühlt. Das ist mein Ein- druck. Deswegen müs- sen wir auch mehr über unsere Stärken spre- chen und diese hervor- heben. Das ist wichtig. Die Menschen hier sind auf eine sehr sym- pathische Art und Wei- se bescheiden. Und das finde ich schön. Aber vor allen Dingen müssen wir auch gut über unsere Heimat sprechen, über unsere star- ke Heimat, und das auch gerne mit Dritten und nach außen. Das heißt nicht, dass wir nicht auch unsere Schwächen analysieren und schauen, dass wir da noch besser werden. Also Defizite im Marketing? Landrat Hinterseh: Vielleicht auch durchaus Defizite im Marketing, wenn Sie das so nennen wollen. Ich will aber keine Marketingstrategie, sondern mit den Menschen über unsere Heimat und deren Vorzüge sprechen. Wir haben hier schöne Naturräume, wir sind hier in einer stabi- 52 Karl Heim: Das kann ich nur unterstreichen. Was ich besonders spannend finde, ist diese Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung. Man hat eine unglaub- liche Breite an Aufga- ben. Und man hat auch dieses politische Ele- ment mit dem Kreistag. Man muss wissen, wie man Mehrheiten fin- det, wie man das auch schafft, dass der Kreis- tag mit einem mitgeht. Das hat mir Freude ge- macht, dieses Spiel im kommunalpolitischen Be reich. Und dann natürlich diese Vielfalt von Begegnungen. Der Landrat ist doch einer, der wirk lich mit den Menschen ins Gespräch kommt. Man hat eine gewisse Distanz, aber gleichzeitig doch auch Nähe. Ein wunderbares Amt! Landrat Sven Hinterseh Landrat Hinterseh: Die Themenvielfalt und die vielen Begegnungen mit Menschen … Das zeich- net sich schon ab, dass mir das besonders ge- fallen wird. Das Landratsamt Schwarzwald-Baar am Villinger Hoptbühl (im Vordergrund) wurde in der Amtszeit von Landrat Dr. Rainer Gutknecht erbaut.

Aus dem Kreisgeschehen 53

Städte und Gemeinden 2. Kapitel Städte und Gemeinden 40 Jahre Doppelstadt – die Fusion von Villingen-Schwenningen Das Oberzentrum fungiert als Haupt-Impulsgeber des Schwarzwald-Baar-Kreises von Dieter Wacker Die Temperaturen sind eisig an diesem 1. Januar 1972. Vom Himmel fallen immer wieder Schneeflocken. Am „Hölzlekönig“, der Nahtstelle zwischen Baden und Württemberg, ziehen Grenadiere in Uniformen auf. Schlagbäume versper- ren die Straße und markieren die einstige Landesgrenze. Das wuselige Treiben ganzer Heerscharen von Menschen und die hektische Geschäftigkeit mehrerer Fernsehteams wollen da nicht so ganz zum historischen Bild passen. Um 11.23 Uhr ist es dann soweit: Unter Kanonendonner öffnen sich die Schlagbäume, die beiden Oberbürgermeister, Severin Kern aus Villingen und Gerhard Gebauer aus Schwenningen, erhalten aus den Hän- den der Grenadiere eine Urkunde. Die Doppelstadt Villingen-Schwenningen ist geboren. Dem Volksschauspiel am „Hölzlekönig“ folgen die Enthüllung der neuen Ortschilder, viele gute Wor- te und Begegnungen mit den Bürgern – fast 30 Jahre später ein gemeinsames Wappen. 1. Januar 1972 – die gemeinsame Stadt ist Wirklich- keit: An der Nahtstelle zwischen Baden und Württem- berg heben sich Schlagbäume und die Oberbürger- meister Gerhard Gebauer (Schwenningen, links) und Severin Kern (Villingen, rechts) enthüllen das gemein- same Ortsschild. 54

Städte und Gemeinden Villingen (oben) und Schwenningen (unten, bei der Landesgartenschau 2010): auch 40 Jahre nach der Fusion ist die städtebauliche Verschmelzung noch nicht erfolgt. 55

Städte und Gemeinden Villinger Bilderbogen: Das Münster mit Münsterplatz, historische Altstadt und Alt-Villingerin sowie Sitzbän- ke an der Brigach. Die Bürger der beiden Städte hatten im März 1971 für den Zusammenschluss von Villingen und Schwenningen gestimmt. Vorausgegangen war eine kontroverse Debatte. Während sich be – reits 1968 die beiden Oberbürgermeister Kern und Gebauer auf die Fusion verständigt hatten und wichtige politische Entscheidungsträger den Zu sammenschluss unterstützten, regte sich vor al lem in Villingen zum Teil erheblicher Wider- stand. Genutzt hat er am Ende nichts. Die Bür- ger entschieden sich am 28. März 1971 an der Wahlurne mit Mehrheit für die neue Doppel- 56 stadt. In Villingen waren 64,2 Prozent für den Zusammenschluss, in Schwenningen gar 77,4 Prozent. Bereits am 15. Juli verabschiedet der Landtag von Baden-Württemberg das Sonder- gesetz zur Fusion von Schwenningen und Villin- gen und im November 1971 wählten die Bürger den Schwenninger Schultes, Dr. Gerhard Ge- bauer, mit 97 Prozent der Stimmen zum ersten Oberbürgermeister der neuen Stadt. Ein Synonym für die große Reform Der Zusammenschluss stand in engem Zusam- menhang mit einer tiefgreifenden Gebietsre- form in den 1970er Jahren in Baden-Württem- berg. Die Zahl der Landkreise wurde damals von 63 auf 35 und die der selbstständigen Ge-

Städte und Gemeinden meinden von 3.379 auf 1.111 reduziert. Die Fu- sion von Villingen und Schwenningen sollte so etwas wie das Synonym für die große Reform werden. Ziel war es, ein neues, starkes Ober- zentrum zu schaffen, das der ganzen Region wirtschaftlich, politisch und kulturell ein deut- lich stärkeres Gewicht innerhalb des Landes geben sollte. Entsprechend optimistisch, ehr- geizig und auch kühn waren die Planungen ausgelegt. Ein Beispiel dafür: VS wurde eine Einwohnerzahl von über 100.000 prognosti- ziert. Heute hat die Doppelstadt ca. 80.800 Ein- wohner, die Hoffnung auf die großstadtfähigen 100.000 sind längst begraben. Mit Villingen und Schwenningen schlossen sich vor 40 Jahren zwei Städte zusammen, die in ihrer historischen und ökonomischen Ent- wicklung unterschiedlicher nicht hätten sein Schwenninger Bilderbogen: „Kreisel“ beim Freizeit- und Kinocenter, Erinnerungen an die Bären-Brauerei, City-Rondell und Marktplatz. können. Villingens Stadtgeschichte reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Die Stadt ist ge- prägt durch das Fürstengeschlecht der Zährin- ger, durch seine rund 500-jährige Zugehörig- keit zu Vorderösterreich und sein über 1.000 Jahre altes Markt-, Münz- und Zollrecht. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts gehört Villingen zu Baden. Schwenningens Geschichte war über lan- ge Zeit eher die eines Dorfes, erst mit der zu- nehmenden Industrialisierung wurde es 1907 zur Stadt erhoben und stieg zur bedeutenden Uhren metropole auf. Schwenningen kam gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu Württemberg. 57

40 Jahre Doppelstadt Bis zum heutigen Tag wird in beiden Stadt- teilen die jeweils badische und württembergi- sche Herkunft zum Teil mit Vehemenz unterstri- chen. Zugleich haben Villingen und Schwennin- gen ihre Identität gewahrt, die sich stark im Ver- einsleben, vor allem aber auch an Fasnet doku- mentiert. Während die Narretei im katholischen Villingen mit ihren Wurzeln im 15. Jahrhundert im Jahresablauf von zentraler Bedeutung ist und die Stadt zu den Fasnethochburgen im Land zählt, geht es an den „Hohen Tagen“ im protestantisch geprägten Schwenningen doch bedeutend ruhiger zu. Immerhin pflegt aber seit Jahrzehnten die Historische Narrozunft Vil- lingen mit der Narrenzunft Schwenningen ein enges freundschaftliches Verhältnis. Das Proporzdenken hat wichtige Entwicklungen verhindert Zurück zum politischen Villingen-Schwennin- gen. Seit April 1971 gehören durch Eingliede- rung die bis dahin eigenständigen Gemeinden Herzogenweiler, Pfaffenweiler, Rietheim und Tannheim zur Doppelstadt, seit 1974 auch Mar- bach. Mühlhausen und Obereschach hatten sich bereits 1970 und 1971 Schwenningen bzw. Villingen angeschlossen, sodass die Gesamt- stadt heute aus neun sogenannten Stadtbezir- ken besteht. 2008 schaffte eine Gemeinderats- mehrheit die unechte Teilsortswahl ab, die den einzelnen Stadtbezirken jeweils feste Vertreter im Ratsgremium garantiert hatte. Der Nachteil der unechten Teilortswahl: Villingen-Schwen- ningens Gemeinderat hatte über 30 Jahre eine kaum mehr steuerbare Anzahl von Sitzen, die sogar den saarländischen Landtag in den Schatten stellte. Trotz der deutlichen Reduzierung der Man- date spielt bis heute, zumindest bei bestimm- ten brisanten Entscheidungen, das Proporz- denken bei Stadträten aus den beiden großen Stadtbezirken immer noch eine Rolle. Dass dadurch in den vergangenen 40 Jahren auch wichtige Entwicklungen in der Stadt verhindert wurden, wird niemand bestreiten. aus zu einem veritablen Oberzentrum und einem wichtigen Impulsgeber und Magneten für die ganze Region Schwarzwald-Baar-Heu- berg entwickelt. VS sind nicht nur die beiden ersten Buchstaben auf dem Autonummern- schild im Schwarzwald-Baar-Kreis, VS ist na- türlich auch Große Kreisstadt mit dem Sitz des Landratsamtes und damit der Kreisverwaltung. Villingen-Schwenningen ist mit dem Able- ger der Hochschule Furtwangen University, der Polizeifachhochschule, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (ehemals Berufsakade- mie), der Akademie für Gesundheits- und So- zialberufe oder dem Studienzentrum der Fern- universität Hagen, einer der Standorte für For- schung und Lehre im Land. Mehrere 1000 Stu- denten leben in der Doppelstadt. Das Institut für Mikro- und Informationstechnik der Hahn- Schickard-Gesellschaft e.V. zählt in Baden- Württemberg zu den führenden Forschungs- und Entwicklungsdienstleistern von mikrotech- nischen Komponenten und Systemen. Wichtige Behörden, Ämter und Institu ti- onen haben ihren Sitz im Oberzentrum. So die Industrie- und Handelskammer Schwarzwald- Baar-Heuberg, das Management-Zentrum der Handwerkskammer Konstanz, die Arbeitsagen- tur, das Staatliche Gesundheitsamt, eine Au- ßen kammer des Arbeitsgerichtes oder das Amts gericht. Villingen-Schwenningen ist die zentrale Schulstadt mit mehreren Gymnasien, Fachschulen und Berufsschulen, zu denen auch die Landesberufsschule für das Hotel- und Gast- stättengewerbe mit angeschlossenem Internat gehört. Kulturell wird VS ebenfalls seiner ober- zentralen Funktion gerecht. Bedeutende Mu- seen, städtische Galerie, Konzerthaus, Theater, mehrere Veranstaltungshallen, ein eigenes Sin- fonieorchester – alles in Verbindung mit unzäh- ligen kulturellen Events, Festivals und Kongres- sen – unterstreichen den Anspruch auf die kultu- relle Hoheit der Stadt in der Region. Auch wirtschaftlich spielt die Doppelstadt im Landkreis die erste Geige Dennoch hat sich Villingen-Schwenningen in den zurückliegenden vier Jahrzehnten durch- Die erste Geige spielt die Doppelstadt auch wirtschaftlich im Kreis. Nach schweren Schlä- 58

Städte und Gemeinden Villinger Narro und Schwenninger Narro, Villinger Altstadt und Schwenninger Altstadt: Auch nach 40 Jahren Doppelstadt haben sich Villingen und Schwenningen ihr Eigenleben bewahrt – zumal an der Fastnacht. gen in den 1970er und 1980er Jahren, in denen so bedeutende Unternehmen wie Saba in Villin- gen oder Kienzle Uhren, und mit dieser Firma fast die komplette Uhrenindustrie in Schwen- ningen, zusammenbrachen und Tausende von Arbeitsplätzen verlorengingen, hat sich Villin- gen-Schwenningen wieder gut erholt. Viele mittelständische Unternehmen liefern heute Hightech made in VS in die ganze Welt. Firmen wie Continental VDO Automotive (einst Kienzle) oder die Hess AG sind nicht nur Global Player, sondern auch große Arbeitgeber für die Stadt und die Region. Seit 62 Jahren ist die Südwestmesse ein Spiegelbild der heimischen Wirtschaft. Die po- puläre Verbraucher- und Verkaufsschau lockt Jahr für Jahr rund 100.000 Besucher auf das Schwenninger Messegelände und ist damit die wichtigste Veranstaltung in der Doppelstadt und eine große in Baden-Württemberg. 59

40 Jahre Doppelstadt Die Erfolgsgeschichten, die Villingen-Schwen- ningen in den vergangenen 40 Jahren geschrieben hat, dürfen allerdings nicht darüber hinweg- täuschen, dass die Stadt bis heute nicht die Einheit bildet, die sich die Gründungsväter ein- mal erhofft hatten. Nach wie vor gibt es kein gemeinsames Zentrum, durchaus vorhandene Chancen hierfür wurden immer wieder vertan. Über Jahrzehnte hinweg blieb der zentrale Entwicklungsbereich zwischen Villingen und Schwenningen ungenutzt. Neubaugebiete ent- standen an den Rändern der beiden Städte oder in den kleineren Stadtbezirken. Zentrale Einrichtungen wie Stadthalle, Eisstadion oder Messegelände wurden entweder in einem der beiden großen Stadtbezirke neu gebaut oder am bestehenden Standort ausgebaut – auch aus dem bereits erwähnten Proporzdenken heraus. Immer wieder fühlt sich eine der bei- den Städte beim Thema Entwicklung benachtei- ligt. Bis zum heutigen Tag werden gegenseitig Rechnungen aufgemacht und präsentiert, in welchem Stadtbezirk wie viele Millionen DM/ Euro investiert worden seien. Noch heute rech- nen Villinger den Schwenningern die in den 1980er Jahren erfolgte Muslensanierung vor, die Schwenningen ein neues innerstädtisches Gesicht gab. Und Schwenninger nennen gerne im Gegenzug zum Beispiel den Bau der neuen Tonhalle in Villingen. Visionen für einen neuen doppelstädtischen, zentralen Mittelpunkt wurden viele entworfen, keinem der drei bisherigen Oberbürgermeister (Gerhard Gebauer, Manfred Matusza, Rupert Kubon) gelang jedoch der große Wurf. Die Landesgartenschau 2010 auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände in Schwenningen war sicher ein bedeutender Meilenstein auf dem immer noch weiten Weg zu einer gemeinsamen Iden- tität. Widerständen gegen die Blumenschau aus einem bestimmten Teil der Bevölkerung erteilten die Wahlberechtigten bei einer Bür- gerbefragung eine deutliche Absage. Am Ende sonnten sich fast alle im Erfolg des Events mit über einer Million Besucher. Mit dem neuen Großklinikum für den Schwarzwald-Baar-Kreis entsteht erstmals ei- ne wirklich bedeutende Einrichtung im soge- nannten Zentralbereich zwischen Villingen und 60 Schwenningen. Ob der Wunsch von OB Kubon und einer Ratsmehrheit nach einem zentralen Rathaus tatsächlich realisiert werden kann, war beim Abfassen dieses Beitrags noch ungewiss. Vor allem die veranschlagten Gesamtkosten von 46 Millionen Euro sorgten für Verunsiche- rung und provozierten einen Bürgerentscheid. Derzeit existieren zwei aktive Rathäuser – der Oberbürgermeister sitzt in Villingen, sein Bür- germeisterkollege in Schwenningen. Der SERC als gesamtstädtische Klammer Auch nach 40 Jahren gibt es keine einheitliche Telefonvorwahl für die Stadt. Wer von Villingen nach Schwenningen und umgekehrt telefonie- ren will, muss jeweils eine gesonderte Vorwahl wählen. Institutionen, Vereine – hier sind vor allem die Sportverbände hervorzuheben – und die christlichen Kirchen gehören nach wie vor verschiedenen Landesverbänden, Bistümern und Landeskirchen an. Änderungen sind nicht in Sicht. Immerhin gibt es seit 2001 ein einheit- liches Stadtwappen, das Elemente aus dem Villinger und Schwenninger Wappen integriert. Unabhängig davon zeigen beide großen Stadt- bezirke zu diversen Anlässen immer noch auch ihre eigenen Fahnen. Wenn Villinger auch gerne durchaus gehäs- sige Witze über ihre Schwenninger Mitbewoh- ner erzählen und die Schwenninger mit gleicher Waffe zurückschlagen, rein menschlich haben beide eigentlich keine Probleme miteinander. Bei den jungen Leuten spielt das Thema eh kei- ne Rolle mehr, Globalität macht keinen Halt vor einer früheren badisch-württem bergischen Grenze. Und beim Eishockey im Schwenninger Stadion sind alle einig VSler. Hinter den „Wild Wings“ stehen sie wie eine Wand: Egal ob die Fans aus Schwenningen oder aus Villingen kom- men. Der Eishockeyclub, ursprünglich ein rein Schwenninger Verein, ist eine ganz wichtige und unstrittige gesamtstädtische Klammer. Fotos rechts: Der SERC fungiert als gesamtstädtische Klammer. Endlich prangt auf den Stadtfahnen ein gemeinsames Wappen. Mitte rechts: die neu gefasste Neckarquelle und unten beim Villinger Wochenmarkt.

Städte und Gemeinden 61

Städte und Gemeinden Weigheim – da geht die Sonne auf! Im Jahr 763 erstmals als „Wicaheim“ erwähnt – Älter als Villingen und Schwenningen von Stephanie Wetzig „Weigheim… da geht die Sonne auf!“ Diesen fröhlichen Slogan haben sich die Bewohner des östlichsten Stadtteils von Villingen-Schwenningen kurz vor ihrem 1250. Geburtstag gegönnt, der im Jahr 2013 gefeiert wird. „Es stimmt tatsächlich“, schwärmt Ortsvorsteherin Ursula Mosbacher, „der Anblick ist wirklich atemberaubend, wenn man früh morgens von Mühlhausen in Richtung Weigheim fährt.“ Am 20. November 763, also mehr als ein halbes Jahrhundert vor Villingen und Schwenningen, wurde der alemannische Sied- lungsort Weigheim zum ersten Mal urkundlich als „Wicaheim“ erwähnt (Stiftsarchiv St. Gal- len). Zunächst gehörte der Ort dem Kloster St. Gallen, dann von 1317 bis 1805 der Johanni- terkommende zu Villingen. So lässt sich, wie auch im Fall von Obereschach, das Johanniter- oder Malteserkreuz im Orts- wappen erklären. Der Kirchen- patron St. Otmar (690 – 759) zeugt noch heute von der einstigen Zugehörigkeit zum Kloster St. Gal len. Er schmückt den Brunnen bei der Kir- che und ist auch im Kircheninnern zu finden. Die Gemarkung erstreckt sich über 733 Hektar – das ist ein Hektar 62 für jeden Meter, den Weigheim über dem Mee- resspiegel liegt. Rund ein Drittel der Gemar- kungsfläche ist Wald. Die „Fabrikler“ lösen die Bauern ab Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Weigheim ein Bauerndorf, in dem die bis zu 20 Hek- tar großen Betriebe von Ackerbau und Viehzucht lebten. Dann gingen im- mer mehr Einwohner zur Arbeit nach Trossingen Der Kirchenpatron St. Otmar schmückt den Brunnen bei der Kirche, deren Turm als Wahrzei- chen des Ortes fungiert (rechte Seite). Oben: Weigheimer Impres- sionen, links Detail des Brunnens.

Städte und Gemeinden und Schwenningen. „Es bildete sich ein neuer Berufsstand, die Fabrikler“, schreibt der dama- lige Bürgermeister Alfons Käfer vor 50 Jahren in der Festschrift zur 1200-Jahr-Feier. Die bäuerli- chen Betriebe konnten durch die Erbteilung ir- gendwann niemanden mehr ernähren, so dass immer mehr Menschen ihr täglich Brot in der Industrie verdienten. In den 1920er Jahren entstanden dann auch in Weigheim die ersten Industriebetriebe, vor allem im Bereich der Uhrenindustrie. „Zur Zeit sind in diesen Betrieben etwa 280 Personen beschäftigt, von denen 40 von auswärts kom- men“, schrieb Käfer 1963 und ergänzte: „Wir sind zur Industriegemeinde geworden.“ Davon ist heute nichts mehr übrig. Die letz- te Barometerfabrik wurde im Frühjahr diesen Jahres geschlossen, einzig die Bemalungen ein- zelner Häuserwände zeugen noch von der Blü- tezeit der Uhrenindustrie. Lediglich ein paar Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe gibt es hier noch. Cosmic Sound: Weltweit guter Ruf Dafür hat sich Weigheim anderweitig einen Na- men gemacht: In einem Haus, das zu der ehe- maligen Barometerfabrik Orka Optik gehörte, haben die Brüder Jochen und Thomas Hauser eines der modernsten Tonstudios in der Region gebaut. Musiker und Bands aus ganz Baden- Württemberg kommen zu Cosmic Sound, um hier ihre CDs aufzunehmen. Über das Label und 64 Stefan Broghammer züchtet in Weigheim die fried- liche Königspython – die Brüder Jochen und Thomas Hauser betreiben in einer ehemaligen Barometer- fabrik eines der modernsten Tonstudios der Region. den Musikverlag hat das Weigheimer Unterneh- men mittlerweile einen weltweit guten Ruf. „Am Anfang gab es schon ein bisschen Aufruhr im Ort“, erinnert sich Thomas Hauser, „aber das hat sich sehr schnell gelegt. Die Nachbarn be- kommen gar nichts von unserer Arbeit mit.“ Schließlich sei es ja auch wichtig für sie selbst, dass das Studio schallgeschützt ist, denn wenn ein Flugzeug vorbeifliegt oder jemand draußen Rasen mäht, wären die Aufnahmen ja sonst un- brauchbar, so der Tontechniker. Schlangen, Echsen, Spinnen und Kröten Viel weniger Wirbel gab es, als Stefan Brog- hammer 1997 sein Geschäft von Villingen nach Weigheim verlegte, und das, obwohl er mit Schlangen, Echsen, Spinnen und Kröten handelt. Für die Nachbarn kein Problem: „Die Weig- heimer sind ein offenes, freundliches Volk“, konnte Stefan Broghammer feststellen, obwohl er sich als Villinger ursprünglich gar nicht vor- stellen konnte „zu den Schwaben zu gehen“. Mehr als 3000 Schlangen, rund 400 Echsen und 300 Schildkröten hat M&S Reptilien stän- dig im Angebot. Ausgebüxt ist noch keines. Der Terraristik-Experte ist Reptilienfreunden bis nach Übersee ein Begriff.

Weigheim – da geht die Sonne auf! Weigheim ist die Heimat von ca. 1270 Einwohnern, seit 1950 hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt. „Eine Flucht in die Stadt gibt es hier nicht“ „Wir gehören zu den zehn wichtigsten Züch- tern von Königspythons“, sagt Broghammer. Eine Aussage, die schon allein deshalb ein- leuchtet, weil eine andere Pythonart, der Netz- python, sogar nach ihm als Broghammerus reti- culatus benannt wurde. Die selbstgezüchteten Tiere werden in alle Welt verschickt, europa- weit beliefert Broghammer die Zoogeschäfte und zu den Geschäftsöffnungszeiten machen sich Reptilienfreunde aus ganz Deutschland auf den Weg nach Weigheim. Die Dorfgemeinschaft wird rege gepflegt: Weigheim trifft sich auf dem Kirchplatz zum Maihock. Der Ort ist bis zum Jahr 2004 stetig gewachsen. Waren es 1950 noch 564 Einwohner, so ver- doppelte sich die Zahl innerhalb der nächsten 25 Jahre und stieg dann noch einmal bis auf 1314 an. Bis Anfang 2012 ist diese Zahl wieder leicht auf 1270 gesunken, stabilisiert sich aber wieder. „Eine Flucht in die Stadt stelle ich hier nicht fest“, freut sich die Ortsvorsteherin Ursu- la Mosbacher. Das liegt sicher auch an der ab 2004 in fünf Abschnitten erfolgten, gelungenen Sanierung der Ortsmitte. Schon im Jahr 1987 haben die Weigheimer ein besonderes Kleinod geschaffen: den Brun- nen auf dem Kirchplatz. Der St.-Otmar-Brunnen wurde an lässlich der Neugestaltung der Orts- durchfahrt gebaut. Über den Standort waren sich alle im Ort einig, auf Wunsch des Pfarrers

Historische Ansichtskarte von Weigheim, der Ort in den 1960er-Jahren. Links die Wendelinskapelle und rechts die Lourdesgrotte. Die Menschen auf der Straße sind auffallend freundlich, das Vereinsleben pulsiert. wurde er dem Schutzpatron von Weigheim ge- widmet. Der Brun nen sollte von der Form her zur Kirche passen und ist daher ein mit Sand- stein verkleidetes Beton-Achteck. Bei der Sta- tue handelt es sich um den Bronzeabguss eines vorhandenen Standbildes von St. Otmar. Jetzt „bewacht“ er die Weigheimer, die Kirche und den Brunnen. Der Brunnen wurde am 16. August 1987 eingeweiht. Das neue Baugebiet im Gewann Bildstock ist demnächst voll. 2006 begann es mit elf Bau- plätzen, und die Gemeinde hofft, dass 2013 das restliche Gebiet mit etwa acht Plätzen erschlos- sen wird und dann bebaut werden kann. Zwei Dinge liegen der Ortsvorsteherin be- sonders am Herzen, ein schnelles Internet und ein kleines Gewerbegebiet. „Das versuche ich seit zig Jahren hier anzusiedeln, aber die Eigen- tümer der Grundstücke sind nicht daran inter- essiert.“ Und gegen deren Willen möchte Mos- bacher nicht agieren. „Leben und leben lassen“, das scheint in Weigheim das Motto zu sein. 66 In Weigheim ziehen alle an einem Strang Es gibt eine Heimat- und Trachtengruppe, einen Musikverein und eine Narrenzunft, deren „Wie- gemer Hansel“ aus einem alten Häs aus den Nachkriegsjahren abgeleitet wurde, den FC Vor – wärts Weigheim von 1920, die Turngemeinde von 1905, die neben Senioren-, Männer-, Kin- derturnen und Frauengymnastik unter anderem auch Indiaca anbietet, sowie eine recht aktive Pfadfindergruppe. Sie alle bereiten schon das große Fest zum Jubiläum vor und wollen auch beim Festwochenende im Juni 2013 alle an einem Strang ziehen, wie bei einem der Vor- bereitungstreffen im Ortschaftsrat bekundet wurde. Eine besonders wichtige Rolle fällt natür- lich der Feuerwehr zu, die – genau wie Weig- heim – im Jahr 2013 Jubiläum feiert, ihr 125. Schon im Jahr 1839 wurde die Feuerrotte erst- mals erwähnt, da war der Ort bereits mehrfach abgebrannt. Auch sonst ist Weigheim nicht immer wirklich glimpflich davongekommen.

Kriege, Zerstörung, Brände, Pest, Missernten und Hungersnöte brachten die Weigheimer im- mer wieder an ihre Grenzen. „Durch seine La- ge zwischen Rottweil und Villingen, auf beide Städte hatte es der Herzog von Württemberg, Eberhard III., besonders abgesehen, wurde der Ort immer wieder von den Schrecken des Krieges überflutet“, schreibt Oberlehrer Reznicek in sei- ner geschichtlichen Abhandlung über Weigheim in der Festschrift von 1963. Immer wieder er- wähnt er schlimme Brände: 1634, 1694, 1762 und 1813; ein Schloss, das es hier offenbar einmal gab, wurde bereits 1525 im Bauernkrieg zerstört. Bis 1805 gehörte der Ort zur Johanniterkommende Villingen Die Zugehörigkeit Weigheims wechselte immer wieder. Bis 1805 gehörte der Ort, wie bereits eingangs erwähnt, zur Johanniterkommende Vil lingen. Dann wurde er württembergisch und kam zunächst zum Oberamt Rottweil und spä- ter zum Oberamt Tuttlingen, 1938 wurde Weig- heim wieder Rottweil zugeteilt. Am 1. Januar 1975 schloss sich Weigheim freiwillig der jun- gen Doppelstadt Villingen-Schwenningen an. „Finan ziell war Weigheim eine gesunde Gemein- de, die durchaus in der Lage war, ihre Probleme selbst zu meistern“, sagt Ursula Mosbacher, „aber wegen der zu geringen Einwohnerzahl konnten wir nicht selbständig bleiben.“ Es gab eine Abstimmung unter den Bewoh- nern, ob sie lieber mit Villingen-Schwennin- gen oder mit dem näher gelegenen Trossingen fusionieren wollten, die Mehrzahl entschied sich aber für Villingen-Schwenningen. Das lag vor allem an den Schwenningern, die in den 1960ern in das neue Wohngebiet „Am Berg“ oberhalb des Friedhofs zogen. Ein Schmuckstück des Ortes ist der 1987 entstandene St.-Otmar-Brunnen beim Kirchplatz. Bild unten: Die 2001 erbaute Sport- und Festhalle. Die Sport- und Festhalle erlaubt einen freien Blick über das Dorf Der besondere Stolz der Gemeinde ist die Sport- und Festhalle, die 2001 eingeweiht wur- de. Modern und imposant steht sie da am Ein- gang von Trossingen, die großzügig verglaste 67

Weigheim – da geht die Sonne auf! Westfassade erlaubt einen freien Blick über das Dorf. Sie verfügt über eine Spielfläche von 18 x 36 Metern und eignet sich für viele Sport- arten. Gleich nebenan liegt die verpachtete Gast- stätte Sportheim – der so gut wie einzige gas- tronomische Betrieb im Ort. Zwei Tage in der Woche hat der Schützen noch auf, der sich an- sonsten eher zur Frühstückspension gewandelt hat. Die Gasthöfe Hirschen und Fuchs stehen brach und verlassen da, in der ehemaligen Gast stätte mit Kegelbahn leben jetzt die Repti- lien von M & S. Besucher, Urlauber und Menschen, die kurzfristig Erholung suchen, kommen trotz- dem, einige sogar regelmäßig aus Trossingen, um ihre Mittagspause beim Spaziergang rund um Weigheim zu genießen. Die Fauna im Ge- markungsgebiet ist sehr üppig und artenreich. „Im Wald habe ich schon drei verschiedene Arten Sitter entdeckt“, freut sich die Naturschutz- wartin im Schwarzwaldverein, Renate Mauer, über die Orchideen. Auch die Nesselblättrige Glockenblume und Johanniskraut wachsen dort reichlich. Die benachbarte Mühlhauser Halde, eine von Schafen beweidete Wacholderheide, hat ebenfalls eine Vielzahl an Orchideen zu bieten. Wer etwas mehr Zeit als die Mittagspause mitbringt, kann sich über das gut ausgebaute Wegenetz freuen, das sich ideal für Nordic Wal- king eignet, oder einen Blick auf – und sonn- tags in – die Wendelinuskapelle werfen. Kapelle zu Ehren des Heiligen Wendelin Die 1861 geweihte Kapelle wurde zu Ehren des Heiligen Wendelin dafür gebaut, dass der Schutzheilige der Hirten, Bauern und Landar- beiter Weigheim nach dem Ausbruch der Gall- sucht, die im Jahr 1799 nur 12 Rinder überlebt hatten, vor weiteren Viehseuchen beschützt hatte. Im Gegensatz zu der kleinen Kapelle ist der Turm der katholischen Kirche St. Otmar schon von Weitem zu sehen. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und brannte auch öfter ab. Die letzte große Renovierung, bei der die Kirche um acht Meter verlängert und der 68 Turm um einen Stock erhöht wurde, war 1891. Heute steht sie, ebenso wie das Pfarrhaus und das Rathaus aus dem Jahr 1786, unter Denkmal- schutz. Der Wohlfühlfaktor in Weigheim Wen immer man fragt, alle fühlen sich wohl im Ort – auch die Neubürger. Josef Laudenbach etwa, ehemaliger Torwart beim FC, kam vor 37 Jahren aus Schwenningen nach Weigheim, weil seine Frau von hier stammt. Er hat sich in einem Garten ein kleines Paradies geschaffen. Erst vor acht Jahren kam Uwe Lange, ge- nannt „Der Schwabensäger“, nach Weigheim. Es war eher Zufall, dass er hier gelandet ist, denn er suchte ein altes Bauernhaus zum Um- bauen. „Bereut haben wir es keine Sekunde“, sagt er. „Wir haben Hunde, sind gleich in der Natur und außerdem schätze ich die Ruhe.“ Da- mit diese auch gewahrt bleibt, und die Nachbarn nicht unter seinem Hobby und Nebengewerbe, dem Holzschnitzen mit der Kettensäge, leiden, hat er sich außerhalb des Ortes in einem kleinen Waldstück eine Werkstatt eingerichtet. Mit den Skulpturen geht er auf Kunstmärkte, nimmt aber auch Aufträge an. Eine seiner Skulpturen steht vor dem Kindergarten – der beste Beweis für gute Nachbarschaft. Rechte Seite: Weigheim im Luftbild, fotografiert im September 2012. Unten die 1861 gebaute St. Wende- linskapelle und rechts Skulpturen des „Schwabensä- gers“ – von Uwe Lange mit der Holzsäge geschaffen.

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Städte und Gemeinden St. Georgen – die sonnige Bergstadt ist ein Ort mit viel Zukunfts-Potenzial Die viertgrößte Stadt im Schwarzwald-Baar-Kreis hat eine starke Wirtschaftsstruktur von Stephan Hübner St. Georgen – Stadt mit vielen Gesichtern. Neben traditioneller Industrie hat in der viert größten Gemeinde im Schwarzwald-Baar-Kreis, nach Villingen-Schwenningen, Donaueschingen und Bad Dürrheim, seit einigen Jahren auch Computertechnologie ein Zuhause gefunden. Aber auch wer Kultur und Museen mag, ist in der Gemeinde gut aufgehoben, die von ihren Bewohnern gern die „sonnige Bergstadt“ genannt wird. Auch wenn böse Zungen behaupten, der Sommer kündige sich hier dadurch an, dass der Wintermantel offen getragen werde. Die Stadt St. Georgen liegt an der Rhein-Donau- Wasserscheide, auf dem Scheitel Alemanniens. Im Teilort Brigach entspringt die Brigach, einer der beiden Quellflüsse der Donau. Wie heißt es doch so treffend: „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg.“ Zudem ist St. Georgen der höchstgelegene Punkt der Schwarzwaldbahn, die St. Georgen seit 1873 „mit dem Weltverkehr verbindet“. Sie gilt als erste Eisenbahnstrecke im Gebirge, die durch Kehren künstlich verlängert wurde, um die Steigung auf unter 20 Promille zu begren- zen. Starke Wirtschaftsstruktur Die Bergstadt hat eine lange Geschichte, die mit der Gründung eines Benediktinerklosters beginnt. Schon früh entwickelte sich die auf einer Höhe zwischen 800 bis 1.000 Metern gele- gene Stadt zu einem Industriestandort. Zu nächst 70 70

in Bauernfamilien, später in Kleinun ter nehmen, entstanden hier ganze Schwarzwalduhren oder deren Bestandteile. Hieraus ent wickelten sich Feinwerktechnik und Maschinenbau. Viele der im Lauf der Zeit gegründeten Unternehmen sind heute noch in St. Georgen beheimatet. Eines davon ist Schmidt Technology, ein in ter na tional anerkannter Technologieführer in Sachen Sen- sorik, Maschinen und Schreibgerätetechnik. Ähnliches gilt für die Grässlin GmbH, eines der führenden internationalen Unternehmen zum St. Georgen im Luftbild, fotografiert 2011. Beispiel für Zeitschalttechnik oder Licht- und Temperatursteuerung. Lüfter und Ventilatoren von Weltruf stellt ebm-papst her. Das Unter- nehmen setzt stark auf Energie effizienz in den eigenen Hallen und bei Produkten und konnte Blick auf die Stadtmitte mit Rathaus (hinten Mitte). 71

Städte und Gemeinden St. Georgen bei Nacht: Die Stadt mit Sternenhimmel, unten Detail des Homolka-Glockenspiels auf dem Marktplatz mit katholischem Kirchturm im Hinter- grund. Rechts: Die Schwarzwaldbahn hält am Bahn- hof St. Georgen. mit der „GreenTech“ genannten Initiative schon verschiedene Preise erringen. Preise für Innovationen vorweisen kann auch „J.G. Weisser Söhne“, dessen Anfänge bis in das Jahr 1830 zurückgehen. Die heute produ- zierten Drehmaschinen gehen in alle Welt und 72 im Jahr 2012 erst hat das Unternehmen sein Be- kenntnis zum Standort St. Georgen durch den Neubau einer großen, architektonisch gelunge- nen Fertigungshalle erneuert. Zwar bieten vie- le der Mittelständler und auch kleinere Unter- nehmen Ausbildungsplätze an. Weisser geht aber noch einen Schritt weiter und stellt Azubis anderer Unternehmen die eigene Lehrwerkstatt zur Verfügung. Werkzeug- und Formenbau ist das Betä- tigungsfeld des Unternehmens A. Maier mit Kunden im Automobilbereich, der Telekommu- nikation oder der Unterhaltungselektronik. Ein

führender Hersteller von Messgeräten und Sys- temen zum Erfassen von Verbrauchsdaten von Wasser und Raumwärme ist Qundis, hervorge- gangen aus der Fusion der Firmen Qvedis und Kundo. Das Unternehmen MB Bäuerle produziert Ma schinen zur Druckweiterverarbeitung, mit Kernkompetenzen bei automatisierten Falz- und Kuvertiersystemen. Nicht mehr existent ist die Uhrenfabrik Staiger, die 1970 die ersten „Gebrauchsquarz- uhren“ entwickelte, was zum rasanten Aufstieg des Unternehmens führte. Tragischerweise wies genau dieser Erfindungsreichtum den Weg zum Niedergang der traditionsreichen Uhrma- cherkunst. Nicht vergessen werden darf der Phono- be reich. Unternehmen, die zur Hochzeit der Schall platte weltweite Bedeutung hatten, waren DUAL und Perpetuum-Ebner. Die Geschichte der Grün der Christian und Josef Steidinger begann mit Uhren, denen folgten Grammophone und schließlich Plattenspieler, Receiver, Kassetten- Decks, CD-Spieler und anderes. Obwohl DUAL 1982 Konkurs anmeldete, werden heute Plat- tenspieler unter diesem Markennamen weiter durch die immer noch in St. Georgen ansässige Alfred Fehrenbacher GmbH verkauft. St. Georgen – wo mit Yatego das größte deutsche Internet-Kaufhaus seinen Sitz hat In St. Georgen hat sich mittlerweile auch eine große Anzahl an „jungen“ Unternehmen, insbe- sondere im Software-Bereich, angesiedelt. Ya- tego, das nach eigenen Angaben größte deut- sche Internetkaufhaus, hat hier seinen Sitz. 2011 boten dort 10.200 Händler 3,7 Millionen Produkte an. IT-Lösungen für den Mittelstand, Behörden und größere Unternehmen schneidert Cosus maßgerecht. Ebenfalls angeboten wird dort seit vielen Jahren eine große Bandbreite von Com- puterschulungen, vom EDV-Einführungskurs bis zum Multimediaentwickler. M&M Software ist umfassender Dienstleis- ter in Sachen Softwareentwicklung in der in- dustriellen Automation und betreut Kunden von Belebte Ortsmitte – Blick vom Ärztehaus zum Turm der evangelischen Lorenzkirche. der ersten Idee bis zur endgültigen Umsetzung. GFT und Metris wiederum entwickeln Software im Bereich Finanzdienstleistungen. Zu den Kun- den zählen zum Beispiel Versicherungen, Kran- kenkassen oder Banken. Neue Unternehmen gibt es aber nicht nur im Softwarebereich. So bietet Messtronik Längen- messung als Dienstleistung und verfügt dabei über zum Teil europaweit einzigartige Mess- geräte. Kunden sind Automobilbauer und -zu- lieferer, Medizintechniker und Werkzeugbauer. Spezialist für Getriebe- und Antriebstechno – logie ist das Unternehmen Getrag, an dem der Automobilhersteller Ford beteiligt ist. Sehr ak- tiv und innovativ ist auch das Unternehmen 73

St. Georgen – Bergstadt mit Zukunfts-Potenzial Visenso, nach eigenen Angaben führen der An bieter für interaktive virtuelle Realität in 3D- Darstellung. Eine intensive Kooperation mit dem am Ort angesiedelten Thomas-Strittmat- ter-Gymnasium sorgt dafür, dass die Schüler in den Genuss neuester, wegweisender 3D-Dar- stellung von Unterrichtsinhalten kommen. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz der Techno- logie ist das „Science House“ im Europapark Rust. Den wachsenden Einfluss moderner Tech- nik auf das Lernen belegt zudem die Einladung Visensos auf die Frankfurter Buchmesse im Jahr 2012. Das Technologiezentrum unterstützt junge, innovative Unternehmen Federführend bei der Ansiedlung vieler der neu- en Unternehmen war und ist das Technologie- zentrum mit den Gesellschaftern St. Georgen und Perpetuum-Ebner GmbH & Co. KG. Das TZ unterstützt junge, innovative Unternehmen zum Beispiel mit Beratungen zu Finanzierung und Marketing oder Verbindungen zu Hochschulen. Positiv wirkt sich dabei die Nähe zu Bildungs- einrichtungen wie der Hochschule in Furtwan- gen oder der Bildungsakademie in Villingen- Schwenningen aus. Ebenfalls im TZ zu finden ist das Virtual Dimension Center. Dessen Mitglieder haben Zu gang zu neuester Virtual Reality Technolo- gie für die Produktentwicklung. Immer wieder finden dort Fachtagungen, beispielsweise zum Einsatz Virtueller Realtität in schulischer und betrieblicher Ausbildung sowie in der Produkt- entwicklung statt. Außergewöhnlich ist auch der jährliche „Virtual Fires Kongress“, bei dem sich Experten aus ganz Europa über aktuell verfügbare Technologien in Brandbekämpfung und Katastrophenschutz austauschen. Um den Industriestandort auch weiterhin zu sichern erschloss die Gemeinde vor einigen Jahren das Gewerbegebiet Hagenmoos-Engele, das nach einer Erweiterung mit 14 Hektar reiner Gewerbefläche aufwarten kann. Der attraktive Standort liegt nahe der Bundesstraße, ist aber trotzdem von viel Grün umgeben, und lockte bisher bereits einige Firmen an. Trotzdem ist 74 noch genug Fläche für weitere Ansiedlungen vorhanden. Bisher vertreten sind in dem Ge- werbegebiet die Firmen GAS Automation, STS Schreibgerätetechnik, Lauble & Fichter, Heiz- mann Kabelkonfektion, Gerland sowie Stermann Technische Systeme. Kennzeichnend für St. Georgen war und ist eine enge Bindung vieler Unternehmen und Unternehmer an Stadt sowie Einwohner. Nur ein Beispiel dafür ist Georg Papst, dessen Va- ter Hermann die „Papst Motoren“ gründete, die unter anderem Haus- und Hoflieferant für Grun- dig waren. Zahlreiche Erfindungen von Her- mann Papst sind heute im familieneigenen Mu- seum ausgestellt und bildeten die Geschäfts- grundlage für die von Georg Papst gegründete „Papst Licensing“. Mit den daraus gewonnenen Einnahmen engagierte sich Georg Papst bis zu seinem Tod im Jahr 2012 mit hohem finanziel- lem und zeitlichem Aufwand für die Heimat- stadt St. Georgen (siehe Nachruf auf Seite 80). Sanierung der Innenstadt macht deutliche Fortschritte Die Edeka-Terrasse mitten im Zentrum der Stadt ist für viele ein Ort für die Mittagspause, oder um einfach den weiten Ausblick in die Land- schaft zu genießen. Dabei fällt der Blick un- willkürlich auf die neue Minigolfanlage, einem 2011 umgesetzten Projekt. Sie ist deshalb etwas Besonderes, weil sie im Rahmen einer Bürger- initiative saniert wurde. Zahlreiche Einwohner engagierten sich über Wochen hinweg bei den Bauarbeiten oder spendeten Geld. Etwa 55.000 Euro kamen so zusammen. Nach Schätzungen von Bürgermeister Michael Rieger, der die Ak- tion ins Leben rief, liegen die erbrachten Leis- tungen von Privatleuten, Vereinen und Unter- nehmern bei über 250.000 Euro. Die St. Georgener Stadtkernsanierung und -entwicklung hat in den letzten Jahren auch in anderer Hinsicht deutlich Schwung aufgenom- men. So ent stand 2011 in Verbindung mit der Edeka-Ansiedlung ein Ärztehaus, das Medizi- nisch-Therapeutische Zentrum, bei dem Dr. Jo- hannes Probst die Idee beisteuerte und der oben erwähnte Georg Papst als Investor fungierte. Das

St. Georgen – ????????? Die Edeka-Terrasse liegt im Zentrum der Stadt und ist ideal zum Verweilen. Dahinter befindet sich das neue Ärztehaus. Unten: Mit großem Engagement hat eine Bürgerinitiative die Minigolfanlage saniert. 75

St. Georgen – Bergstadt mit Zukunfts-Potenzial International renommiert ist der Kunstraum Grässlin, in dem die St. Georgener Unternehmerfamilie einen Quer- schnitt an zeitgenössischer Kunst aus ihrer Sammlung und Sonderausstellungen präsentiert. Gebäude ist nicht nur ein modern anmutendes Schmuckstück im Stadtkern, sondern beher- bergt unter anderem auch einen Radiologen, den es vorher nicht in der Bergstadt gab. Ein weiteres Projekt, das erst vor kurzem umgesetzt wurde, war der Umzug des Deut- schen Phonomuseums vom Rathaus in die ehe- maligen Räume des Kaufhauses Brigau. Dort bietet sich Besuchern auf zwei Etagen und 900 Quadratmetern Fläche ein tiefer Einblick in die Geschichte der Phono- und Uhrenindustrie St. Ge- orgens. 800 Exponate sind dort zu sehen, von Edison-Phonograf und Grammophonen über Schwarzwalduhren und Tefiphonen, einer Art Vorläufer des Tonbandgerätes, bis hin zu Plat- ten- und CD-Spielern aus den letzten Tagen der Firma Dual. Im Museum ist auch ein ganz besonderes Schmankerl zu haben: Eine Schallplatte nicht aus Vinyl, sondern aus Schokolade. Das da rauf aufgenommene Badner-Lied kann man aufgrund des empfindlichen Materials allerdings nur ein bis zweimal anhören. Dann aber steht der Gau- menfreude nichts mehr im Wege. Von Grund auf saniert wird seit Mitte 2012 die Bahnhofstraße als Eingangstor zur Innen- stadt. In einem weiteren Bauabschnitt soll die Kreuzung am Bärenplatz durch einen Kreisver- kehr ersetzt werden. Ein Unterfangen, das auf- grund der steilen Lage nicht ganz einfach ist. Mit all diesen Projekten ist die Stadt, allen voran Bürgermeister Michael Rieger, aber noch lange nicht zufriedengestellt. Auf der Liste der verbesserungswürdigen Einrichtungen stehen der Stadtgarten oberhalb der Minigolfanlage und das aus den 1960ern stammende Rathaus ganz oben. Was Freizeit anbelangt, kann St. Georgen mit manch anderer Besonderheit punkten. Ein Anziehungspunkt ist beispielsweise die Kobi- senmühle auf dem Gebiet des Teilortes Ober- kirnach. Hier bieten Mitglieder des Vereins für Heimatgeschichte regelmäßig Vorführungen an, sodass Besucher direkt erleben, wie in einer echten Schwarzwälder Mühle Mehl hergestellt wird. Mitten in St. Georgen selbst wartet das „Schwarze Tor“ auf Besucher, ein Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert. Das Kleinod wird von einem eigens gegründeten Förderverein gepflegt, dessen Mitglieder Führungen anbieten. Es be- herbergt unter anderem eine Bauernstube, eine Uhrmacherwerkstatt sowie eine Küche mit al- ten Gerätschaften. Ein weiteres Highlight der Bergstadt ist der Kunstraum Grässlin, in dem die Unternehmerfa- 76

St. Georgen – ????????? Der Klosterweiher ist ein Anziehungspunkt für die gesamte Region St. Georgen. Viel besucht sind das Heimatmuseum „Schwarzes Tor“, wo auch ein Hand- webstuhl in Funktion zu sehen ist, und vor allem das Deutsche Phonomuseum. bestaunen können. Für ihre herausragenden Verdienste um die Vermittlung moderner Kunst erhielt die Sammlerfamilie Grässlin 2010 den Art Cologne Preis. milie Schätze aus ihrer Sammlung zeigt und das Schaffen von Gegenwartskünstlern präsentiert. Dies zieht auch internationale Gäste an, insbe- sondere dann, wenn Kunstwerke von Martin Kippenberger ausgestellt werden, der sich als Maler, Installations- oder Performancekünstler einen Namen machte. Sabine Grässlin zeichnet überdies für das Froschmuseum verantwort- lich, in dem Besucher über 2.000 der grünen Hüpfer in allen nur erdenklichen Variationen Klosterweiher mit seiner 30.000 Quadratmeter großen Wasserfläche beliebtes Naturbad Wer Freizeit und Sommer genießen will, für den ist der Klosterweiher ein Anziehungspunkt. Das Naturgewässer mit Strandbad lockt nicht nur mit einer 30.000 Quadratmeter großen Wasserfläche, sondern auch mit einem Boots- verleih und dem „Seehaus“, einem Restaurant mit Blick auf den Weiher. Nur wenige Meter entfernt liegt eine große Skateranlage, die bei 77

Städte und Gemeinden Viel genutzt ist die Skateranlage beim Klosterweiher. Jugendlichen seit jeher in gutem Ruf steht und schon des Öfteren Austragungsort für Baden- Württembergische Meisterschaften war. Kom- plettiert wird das Angebot an Freizeitanlagen mit einem Hallenbad. In beiden Bädern ist der Ortsverein der Deutschen Lebensrettungsesellschaft (DLRG) eine nicht wegzudenkende Unterstützung. Nicht nur halten einige der rund 600 Mitglieder die wichtigen Rettungswachen, sondern sie bringen auch Menschen aller Altersstufen das Schwim- men bei, auch sorgt die Ortsgruppe immer wie- der mit Aktionen für Attraktivitätssteigerungen. Zuletzt 2011 mit einer Spendenaktion, dank der ein aufblasbares Spielgerät im Wert von mehr als 13.000 Euro angeschafft werden konnte und das nun alternativ in Klosterweiher und Hallen- bad zum Einsatz kommt. Die DLRG-Ortsgruppe ist zwar ein großer, aber nicht der einzige Verein, der sich in St. Georgen um Freizeitleben und Allgemeinwohl verdient macht. Ein weiteres wichtiges Stand- bein ist der Sportverein mit mehr als 1.600 Mit- gliedern, der 2013 sein 150-jähriges Bestehen feiert und beispielsweise den von der Gemein- de ausgerichteten Stadtfestlauf mitorganisiert. 78 Traditionell in der Stadt verankert ist auch der Skiverein, der 2011 sein 100-jähriges Bestehen feierte und dessen Mitglieder immer wieder bei Landes- oder Weltmeisterschaften, vor allem im Langlauf, Erfolge feiern. Deutschlands höchstgelegene Tennisplätze sowie eine eigene Halle mit drei Spielplätzen bietet der Tennisclub. Mit sportlichen Erfolgen in der Zweiten Bundesliga können wiederum die Radballer aus Langenschiltach, einem wei- teren Ortsteil, aufwarten. St. Georgen bietet kulturelle Vielfalt Die Bergstadt bietet aber auch Nichtsportlern reichlich Betätigungs- und Freizeitmöglichkei- ten. Einen Namen im Kleinkunstbereich, egal ob Kabarett, Musik oder Theater, hat sich das vor zehn Jahren gegründete Theater im Deut- schen Haus gemacht. Immer wieder kommen dort auch Eigenproduktionen zur Aufführung, die von Mitgliedern oder Schülern der örtlichen Schulen einstudiert werden. Noch jünger ist das Forum am Bahnhof, das in der ehemaligen Uhrenfabrik Staiger eine Hei- mat gefunden hat und das in den Gewerbehal- len ein besonderes Flair ausstrahlt. Ganz dem Thema Staiger-Uhren widmete sich dort 2010

die Aufführung des Theaters Freiburg unter dem Titel „Die große Pause“. Zudem warten in den Werkshallen ein Spielzeugmuseum und eine Oldtimerausstellung auf Besucher. Das besondere Ambiente eignet sich auch gut für Konzertfilme, wie beispielsweise mit der Auf- führung der Wim Wenders-Produktion „Buena Vista Social Club“ bewiesen wurde. Wer sich ganz der Musik widmen möchte, ist mit der Jugendmusikschule gut bedient. Etwa 70 Lehrer unterrichten dort 2012 an die 1.400 Schüler jeden Alters. 2008 erhielt das schul- eigene Jugendsymphonieorchester einen Kul- turpreis des Landkreises Schwarzwald-Baar für die kontinuierliche Jugendarbeit auf hohem Niveau. Für Schlagzeilen sorgten auch schon die Jazz Crew oder die Soul Shaker, beides aus der Jugendmusikschule hervorgegangene Gruppen. Schließlich gibt es auch noch das Musikfestival „Bergstadtsommer“, eine Veran- staltungsreihe, die 2012 ihr fünfjähriges Be- stehen feiern kann, und die immer mit einem kunterbunten Programm verschiedener Musik- stile und Workshops aufwartet. Viele Mitglieder hat auch die Stadtmusik, die neben dem Haupt- orchester auch noch ein Jugendensemble und Am St. Georgener Storzenberg im Herbst. St. Georgen – Bergstadt mit Zukunfts-Potenzial eine Bläserschule bietet und damit ebenfalls einiges für die musikalische Erziehung von Kin- dern und Jugendlichen leistet. Ein Name, der im Bereich der Kunst nicht unerwähnt bleiben darf. ist der von Thomas Strittmatter, nach dem sich vor einigen Jahren das örtliche Gymnasium benannte. Thomas Strittmatter, der im Alter von erst 33 Jahren 1995 in Berlin verstorben ist, war Verfasser von Dramen, Hörspielen, Romanen und Drehbü- chern, die mit einer Vielzahl von Preisen ausge- zeichnet wurden. Zu den bekanntesten Werken des aus St. Georgen stammenden Schriftstel- lers zählen „Viehjud Levi“ und „Der Polenwei- her“. Beide Werke wurden mit großem Erfolg verfilmt. Strittmatter zu Ehren wurde auch der von der MFG Filmförderung verliehene Baden- Württembergische Drehbuchpreis 2007 nach ihm benannt. St. Georgen im Schwarzwald ist Vielfalt. Wie betont doch Bürgermeister Michael Rieger auf der Internetseite der Kommune: „Ein Be- such der auf 800 bis 1.000 Meter gelegenen Stadt lohnt allemal. Hier treffen sich eine wun- derschöne, ursprüngliche Natur und Hochtech- nologie. Und an anderer Stelle betont der Bür- germeister, dass „St. Georgen eine Stadt mit großem Potenzial ist, in der es sich zu leben, zu arbeiten und zu genießen lohnt. “ 79

3. Kapitel Persönlichkeiten Georg Papst An seiner Energie und seinem Erfolg ließ der Unternehmer Georg Papst seine Heimatstadt St. Georgen immer wieder neu teilhaben Er war ein patenter Geschäftsmann, und Patente haben sein Leben maßgeblich geprägt und beeinflusst. Am 10. März ist der St. Georgener Unternehmer Georg Papst verstorben. Nach einem Skiunfall in Tirol lag der 76-Jährige eine Woche lang im Koma. Bei dem Sturz hatte er sich, wie sich später herausstellen sollte, eine lebensge- fährliche Gefäßverletzung im Kopf zugezo- gen, obwohl er die Abfahrt zunächst noch bewältigen konnte. Nicht liegen bleiben, sondern wieder aufstehen – diese Haltung kennzeichnete den Diplom-Ingenieur ganz maßgeblich. „Wir alle können nicht glauben, dass Georg Papst, der voller Energie und Ideen war, nicht mehr unter uns ist“, sagte der St. Georgener Bürger- meister Michael Rieger bei der Trauerfeier, zu der sich etwa 500 Menschen versam- melt hatten. Georg Papst An seiner Energie und seinem Erfolg ließ der Unternehmer seine Heimatstadt immer wieder neu teilhaben. Die Bergstadt könne sich glück- lich preisen, einen „Wohltäter, Förderer, Stifter und Mäzen“ wie Georg Papst unter ihren Bür- gern zu haben, sagte Regierungspräsident Ju- lian Würtenberger erst im Juli 2011, als er ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verlieh. Würtenberger erinnerte daran, dass Georg Papst bei der Gründung Baden-Württembergs im Jahr 1952 siebzehn Jahre alt gewesen sei und ganz am Anfang seiner beruflichen Laufbahn gestanden habe. „Sie haben mit dem Land Schritt gehalten und sich den Erfolg erarbeitet.“ 19 Jahre zuvor schien es, als hätte die Fa- milie alles verloren. Die von Georg Papsts Vater Hermann 1942 gegründete Motorenfabrik musste nach genau 50 Jahren im Familienbesitz auf- grund finanzieller Schwierigkeiten verkauft wer- den. Die langlebigen Motoren und Lüfter aus dem Schwarzwald wurden seit den 1980er-Jah- ren zunehmend von Konkurrenten aus Fernost plagiiert und deutlich unter den bisherigen Preisen auf dem Weltmarkt angeboten. Wie so vielen Unternehmen – Saba, Dual, um nur zwei zu nennen – stand auch dem St. Georgener Familienunternehmen damals das Wasser bis zum Hals. Die Kündigung der Kreditlinien durch 80 80

die Hausbank bedeutete schließlich das Ende der Papst Motoren GmbH & Co. KG in Familien- eigentum. 1992 ging der Verkauf an die Elektro- bau Mulfingen (EBM) GmbH & Co. KG über die Bühne. Diesen Verlust hat Georg Papst nie vollstän- dig verwunden – und ihn zugleich in ein neues Geschäftsmodell umgewandelt: 1993 gründete er mit der Papst Licensing GmbH sein zweites Lebenswerk. Der Diplom-Ingenieur war stets davon überzeugt, dass die Bank die Kreditlinien nicht gekündigt hätte, hätte man damals bei der Bewertung das Patentportfolio, bestehend aus etwa 600 Patenten und Patentanmeldun- gen, berücksichtigt. Rund 400 Patente hatte sein Vater Hermann Papst im Laufe seines Le- bens angemeldet, auf 125 Schutzrechten wird Georg Papst als Erfinder genannt. Mit den über- schaubaren Mitteln aus dem Firmenverkauf als Grundstein erwarb er unter hohem Risiko das Patentportfolio der ehemaligen Gesellschaft zu- rück und brachte es in sein neues Unternehmen ein. Die Mission: Mit Patentverletzern Lizenz- verträge eingehen und daraus wiederum Lizenz- einnahmen erzielen. Zunächst für die ursprüng- lich familieneigenen Schutzrechte, mittlerweile längst auch als Dienstleister für andere. Immense Arbeitspensen absolviert – Auch als Stadt- und Kreisrat aktiv Was die Verletzung von Schutzrechten in einem Unternehmen anrichten kann, hatte der Diplom- Ingenieur selbst bitter erfahren müssen. „Für meinen Vater war die Erkenntnis, dass er und sein Bruder die Firma nicht retten konnten, ein ganz herber Schlag“, sagt Daniel Papst. Der 37-Jährige ist selbst Diplom-Ingenieur sowie Pa- tentanwalt und zusammen mit seinem Bruder Constantin – er ist Diplom-Ökonom – Gesell- schafter und Geschäftsführer der Papst Licen- sing GmbH & Co. KG. In deren Aufbau hatte sich Georg Papst mit viel Elan gestürzt, immense Arbeitspensen absolviert. „Es gab Jahre, in denen mein Vater zusam- mengerechnet zweieinhalb Monate im Jahr in Japan war“, erinnert sich Daniel Papst. „Meist in Tokio, dort immer im selben Hotel, oft gar im Georg Papst selben Zimmer – das aus ganz pragmatischen Gründen. Dort waren die Fensterbretter so breit, dass er all seine Akten ausbreiten konnte. Einen Urlaub in dem Sinne, dass gar nichts lief – das hat es bei meinem Vater nie gegeben.“ Auch abseits des Tagesgeschäfts galt Georg Papst als überaus engagierter Unternehmer. Bereits Anfang der 60er-Jahre war er Mitglied des Wirtschaftsrates der CDU – in deren Frak- tion er zeitweise auch Stadt- und Kreisrat war – und gehörte zur Vollversammlung der Indust- rie- und Handelskammer (IHK). Mit seiner Mei- nung habe er nie hinter dem Berg gehalten, er- innert sich Altbürgermeister Günter Lauffer an den CDU-Fraktionssprecher der späten 1970er- Jahre. Zugleich sei ihr Verhältnis von Herzlich- keit geprägt gewesen. Sozial und kulturell engagiert – Auch das Musikfestival „Bergstadtsommer“ unterstützt Mit nicht weniger Elan kümmerte sich der Fami- lienvater um soziale Projekte, kümmerte sich gemeinsam mit seiner Frau Doris um die Förde- rung von Kunst, Kultur und karitativen Einrich- tungen, so etwa den Wiederaufbau des 2006 ex- plodierten evangelischen Freizeitheims „Weiß – loch“ oder das Musikfestival „Bergstadtsommer“. „Ihre Biografie vereinigt den Global Player mit dem heimatverbunden tätigen Menschen“, sag- te Julian Würtenberger bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, die im Rahmen der Er öffnung des Deutschen Phonomuseums in St. Georgen stattfand – eine von vielen Einrich- tungen, die es ohne das Wirken des Unterneh- mers so nicht geben würde. Das Museum, das die Industriegeschichte St. Georgens als bedeutender Standort der Pho- noindustrie nahezu lückenlos dokumentiert, befindet sich seit dem vergangenen Jahr im ehemaligen Kaufhaus Brigau und nicht mehr im Untergeschoss des Rathauses. Georg Papst hat- te sich bereit erklärt, für 20 Jahre die Mietkos- ten zu tragen – eine enorme finanzielle Entlas- tung für die Stadt. Global Player war Georg Papst vor allem als Unternehmer und wenn es darum ging, den Schutz geistigen Eigentums durchzusetzen – 81 81

Persönlichkeiten notfalls sogar vor Gericht, auch wenn sich man- che Streitigkeiten über Jahre erstreckten, bevor die Papst Licensing GmbH & Co. KG Recht be- kam und eine Lizenz mit dem Patentverletzer abschließen konnte. Seine Heimatverbunden- heit hatte viele Facetten, ebenso sein Enga- gement. Der evangelischen Kirchengemeinde St. Georgens war er eng verbunden, der christ- liche Glaube ein Grundpfeiler für ihn, geprägt anfangs vor allem durch seine Mutter Mathilde. Besonders nach ihrem frühen Tod im Jahr 1963 beschäftigte sich Georg Papst intensiver mit dem Glauben. Bibellektüre gehörte ebenso zu seiner täg- lichen Morgenandacht wie Gebete – auch bei Anlässen wie dem Richtfest am von ihm gebau- ten Medizinisch-Therapeutischen Zentrum (MTZ). „Schaffenskraft, Weitsicht und Dankbarkeit wa- ren ausgeprägte Charaktereigenschaften mei- nes Vaters“, sagt Daniel Papst. Nur vier Monate nach seinem Bruder stirbt auch der Mäzen Günter Papst Günter Papst In seinem fes ten Glauben und seinem sozialen Engagement ähnelte er damit Günter Papst. Nur vier Monate später, am 25. Juli 2012, war auch der ältere Papst-Bruder gestorben. Auch Günter Papst hatte sich seit langem als Förderer kari- tativer und kultureller Einrichtungen um die Stadt verdient gemacht, engagierte sich aber auch im Rotary Club, der weltweit nachhaltige Projekte unterstützt. Im Jahr 2000 baute der ge- lernte Industriekaufmann in St. Georgen eine betreute Wohnanlage, die in Erinnerung an sei- ne Mutter den Namen „Mathilde-Papst-Haus“ erhielt. Die 2011 ins Leben gerufene Bürgerstif- tung erhielt durch ihn und seine Frau Margret eine kräftige Anschubfinanzierung: Spontan erklärte sich das Ehepaar bei einer Bürgerver- sammlung bereit, 50.000 Euro beizusteuern. Aufs Rentnerdasein, sagte er einmal in einem Gespräch, habe er sich nach seinem Ausschei- den aus der väterlichen Firma nicht beschrän- ken wollen. Wie auch sein Bruder Georg nutzte Günter Papst die finanziellen Freiräume, wohl wissend, dass diese Unabhängigkeit keine Selbstverständlichkeit ist – eine Einstellung, die beiden Brüdern schon durch ihre Mutter Mathilde in die Wiege gelegt wurde. Nachdem ein langjähriger Patentstreit positiv endet, beschert Georg Papst der Stadt das MTZ „Mein Vater hat nie etwas für selbstverständ- lich genommen“, sagt auch Daniel Papst. „Nicht, dass ein Patentstreit vor Gericht zu sei- nen Gunsten entschieden würde und nicht, dass auf der Baustelle des MTZ kein Arbeiter zu Schaden gekommen war.“ Weitsicht bewies der Unternehmer auch, wenn es darum ging, seiner Heimatstadt Gutes zu tun. Georg Papst hat St. Georgen keinen Brunnen auf dem Marktplatz spendiert – er hät- te wohl keinen langfristigen Nutzen für die Menschen darin gesehen. Stattdessen hat er der Stadt das MTZ beschert. Nachdem ein lang- jähriger Patentstreit positiv endete, habe er sei- ner Stadt etwas Gutes tun wollen, sagte er bei der Einweihung im September 2011. In Zeiten, in denen Fachärzte auf dem Land rar sind und 82

kleine Krankenhäuser aus Mangel an Rentabili- tät schließen, wollte Georg Papst dem Trend entgegensteuern. Ein Allgemeinmediziner, ein Internist, ein Radiologe, eine Psychotherapeu- tin, eine Praxis für Logopädie und ein Physio- therapeut haben sich in dem modernen Gebäu- de niedergelassen, das nach zweijähriger Bau- zeit eröffnet wurde. Das war sechs Jahre, nachdem sich Georg Papst und sein enger Freund, der Mediziner Jo- hannes Probst, erstmals Gedanken über eine Verbesserung und Bündelung der medizini- schen Versorgung gemacht hatten. Die erste Idee, das alte evangelische Pfarrhaus zu die- sem Zweck umzubauen, wurde schnell wieder verworfen. „Ich wollte ein neues, durchgeplan- tes Gebäude, das einen positiven Beitrag zur Stadtentwicklung leistet“, sagte Papst bei der Eröffnung. Der Weg dahin sollte sich als nicht ganz ein- fach erweisen. Ursprünglich sollte für den Bau des MTZ das sogenannte Torwarthaus abgeris- sen werden. Das Ende des 18. Jahrhunderts er- baute Haus wurde teilweise auf Mauerresten des ersten Torwarthauses von 1754 erbaut, das zum Kloster in St. Georgen gehörte. Die Abriss- pläne für das nicht-denkmalgeschützte Haus sorgten für viele Diskussionen, der Verein für Heimatgeschichte zeigte sich entsetzt und der Kauf des Gebäudes kam nicht zustande. Erst rund drei Jahre, nachdem Georg Papst die Pläne für das MTZ vorgestellt hatte, konnte eine Eini- gung erzielt werden. Der Anbau des Gebäudes – ein ehemaliges Geschäftshaus – wurde abge- rissen, das Torwarthaus blieb erhalten. „Mein Vater hat Kausalketten durchgespielt und nie nur bis ins nächste Jahr gedacht“ „Mein Vater hat sich immer gefragt, was welche Konsequenzen nach sich ziehen würde“, sagt Daniel Papst. „Er hat Kausalketten durchge- spielt und nie nur bis ins nächste Jahr gedacht.“ Das mag auch ein Grund sein, warum die Ent- wicklung der St. Georgener Innenstadt in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Ste- ckenpferd des Unternehmers geworden war. Lange Jahre wurde das Bild in der Stadtmitte Georg Papst / Günter Papst durch die Ruine der ehemaligen Maschinenfab- rik Heinemann geprägt. Das Gebäude war nach dem endgültigen Aus des Unternehmens mehr und mehr dem Verfall preisgegeben. Die große Werkhalle durfte nur noch eingeschränkt betre- ten werden, weil das Dach einzustürzen drohte; im Winter ließen Schneemassen regelmäßig Oberlichter aus Glas bersten. Im Dezember 2006 stellten Georg Papst und Edeka das Konzept für die Neubebauung des Areals vor – einen neuen Supermarkt und das MTZ. Für das Konzept hatten sich die Investoren zusammengetan, waren aber jeweils eigenstän- dig aufgetreten. Georg Papst hatte sich bereits im Vorfeld dafür stark gemacht, einen Vollsorti- menter in die Stadtmitte und nicht auf die „grü- ne Wiese“ zu bekommen. Zugleich war ihm sehr daran gelegen, die Stadtmitte durch einen solchen Bau tatsächlich aufzuwerten. Ein begrüntes Dach als Terrasse für die ganze Stadt – das gab es noch nie Dass sich der Markt heute als „Modell St. Geor- gen“ präsentiert und sich mit einem begehba- ren und begrünten Dach in das abschüssige Gelände einfügt, ist auf die Idee von Georg Papst und dem Architekten Peter Koczor zu- rückzuführen. Für Edeka war ein solcher Bau deutschlandweit eine Premiere. Ein Gebäude, eingefasst in ein Gelände mit großen Höhen- unterschieden – das gab es noch nie. Der ur- sprüngliche Plan, wonach der Edeka-Markt sechs bis sieben Meter über dem Niveau der angrenzenden Straße liegen sollte, sei ihm un- günstig erschienen, erinnerte sich Papst bei der Einweihung des benachbarten MTZ. Bei einem Gespräch in Baden-Baden konnte er Edeka von seinem Plan überzeugen –und auch die Stadt St. Georgen, die rund 800.000 Euro in die so- genannte „Stadtterrasse“ investiert hat. Seit ihrer Eröffnung im Herbst 2010 ist die begrünte Dachfläche zu einem beliebten Treff- punkt geworden. Anstelle eines mit Kieselstei- nen bedeckten Flachdachs stehen hier Bänke inmitten von Beeten und Spielgeräte für Kinder – eine Idee, die so gut ist, dass sie glatt zum Patent taugen würde. Nathalie Göbel 83

Persönlichkeiten Wolfgang Förtsch Erfolgreicher Geschäftsführer von BIW – In die „Hall of Fame“ von John Deere eingezogen Als sich Wolfgang Förtsch 1982 beim Burger Industriewerk in Schonach als potenzieller technischer Betriebsleiter vorstellt, werden er und seine Frau Sigrid von österlichem Schneetreiben überrascht. Als die beiden sich in der Pfingst woche den Ort und seine Umgebung näher anschauen wollen, geraten sie in einen Wolkenbruch und werden bis auf die Haut durchnässt. Doch weder diese atmosphärischen Störungen noch die offene Aussprache mit der Geschäfts- führung, die den Aspiranten mit dem Satz konfrontiert: “Sie sind der dritte Versuch“ und „Wir haben Kurzarbeit“, schrecken Wolfgang Förtsch davon ab, sich für die neue Aufgabe zu entscheiden und die Arbeitsstelle anzutreten. Es ist der Beginn einer steilen Karriere. Wolfgang Förtsch Frägt man Wolfgang Förtsch nach seiner Her- kunft, kommt spontan: „Ich bin Oberfranke“ (mit leichter fränkischer Sprachfärbung: hartes r und weiches k!). Geboren 1949 in dem Städt- chen Teuschnitz im Frankenwald, bayerisches Oberfranken, wuchs er im Nachbardorf Tschirn auf. 1959 kam er nach Frankfurt/Main, wo sein Vater eine Stelle im Polizeidienst gefunden hat- te. Mit 14 Jahren begann Wolfgang Förtsch bei den Vereinigten Deutschen Metallwerken (VDM) eine Lehre als Dreher, welche er mit dem mit Auszeichnung versehenen Gesellenbrief ab- schloss. Während der folgenden drei Jahre als jüngster Dreher in der Kokillenfertigung von VDM tätig, wurde man auf seine Fähigkeiten zur Vermittlung von Know-how aufmerksam und versetzte den Zwanzigjährigen in die Ausbil- dungsabteilung des Unternehmens. Hier unter- richtete er fünf Jahre lang Lehrlinge in Theorie und Praxis. Gleichzeitig absolvierte er Lehrgän- ge zur eigenen Weiterschulung, darunter auch zur Meisterausbildung. Zwischenzeitlich verheiratet, zog Wolfgang Förtsch 1975 mit seiner jungen Familie nach Emmendingen, wo er bei der Firma Sick-Kel- lereimaschinen die CNC-Technik in die Ferti- gungsprozesse einführte. 1978 wurde er dort Produktionsleiter und Mitglied der Geschäfts- führung, wechselte aber zwei Jahre später zu einer kleineren Dreherei mit Weiterverarbeitung in Kassel, bevor er am 1. August 1982 die Arbeit in Schonach aufnahm. Mehrere Orts- und Betriebswechsel sowie unterschiedliche Einsatzgebiete, der Besuch 84

von Abendschulkursen (bis zum 33. Lebens- jahr!) und von Lehrgängen zur Ausbildung als REFA-Techniker hatten zur Folge, dass der junge Industriemeister nicht auf einen allzu engen Be- tätigungsbereich festgelegt war. Der erste Familienfremde in der Geschäftsleitung Nach der üblichen Probezeit ist Wolfgang Förtsch Anfang 1983 als Betriebsleiter bei BIW einge- stellt worden. Bereits zwei Jahre später, an der Wende 1984/85, wurde er neben Heinz Falke und Klaus Leier Mitglied der Geschäfts- führung. Bemerkenswert ist hierbei zweierlei: Die Kürze der Einarbeitungszeit sowie die Tat- sache, dass zum ersten Mal in der bis dahin fast 130-jährigen Burger- und der über 25-jäh- rigen BIW-Geschichte ein Familienfremder in die Geschäftsleitung aufstieg. Weil Heinz Falke im Januar 1985 verstarb, bildeten nun Klaus Leier, der letzte von ehemals drei Gründungs- Geschäftsführern, sowie Wolfgang Förtsch das neue Führungsteam. Und als sich Klaus Leier 1993 zurückzog, wurde Wolfgang Förtsch allei- niger Geschäftsführer und blieb dies bis heute. Nicht nur im Unternehmen gelang ein Ein- stand nach Maß, sondern auch in der neuen Heimat Schonach. Dem Wunsch von Seiten der Firma, sich mit seiner (vierköpfigen) Familie im Ort niederzulassen, kam er noch vor Ablauf der Probezeit nach. Bald findet man ihn im Männer- gesangverein, im Turnverein und in der Alther- renmannschaft des Fußballclubs, hierbei profi- tierend von seinen fußballerischen Glanzzeiten in Frankfurt. Ab 1989/90 ist er zweiter Vorsit- zender des Schonacher Skiclubs. 1984 schaffte er es bis zum ersten Nachrücker im Gemeinde- rat, 1989 zum Gemeinderat auf der CDU-Liste. Firmenentwicklung mit Weitsicht Ohne die Leistungen der früheren BIW-Ge- schäftsführer schmälern zu wollen, darf heute konstatiert werden, dass das Burger Industrie- werk in den letzten 30 Jahren maßgeblich von Wolfgang Förtsch geprägt, umgebaut und ge- Wolfgang Förtsch stärkt wurde. Er steuerte die Entwicklung des Unternehmens mit Weitsicht, technologischer Kompetenz sowie mit großem persönlichem En- gagement und baute eine Vertrauensbasis zu Lieferanten und Kunden auf. Schon unter der Doppelführung Leier/ Förtsch nahm das Unternehmen, das 1958 aus der Aufspaltung der Firma J. Burger Söhne in SBS und BIW hervorgegangen war und lange einen schweren Stand hatte, einen bislang un- geahnten Aufschwung. Von 1983 – 1993 signa- lisierten sämtliche betriebliche Kennzahlen Zuwächse. So stiegen die Umsatzerlöse von 8 auf 24 Mio. DM. Die Investitionen in Sachan- lagen erreichten Anfang der 1990er-Jahre einen Höhepunkt – investiert wurde vor allem in den Maschinenpark, aber auch in neue Produk- tionshallen (1991) sowie – notgedrungen – in den Wiederaufbau des abgebrannten Zweig- werkes in Welschensteinach (1993). Letzteren Schadensfall meisterte Wolfgang Förtsch zupackend. Niemand musste entlassen werden. Vielmehr hatte sich die Gesamtbeleg- schaft zwischen 1983 und 1993 auf rund 250 Personen verdoppelt, wobei die intensivierte Ausbildung von Lehrlingen und ihre Übernahme in feste Arbeitsverhältnisse eine entscheidende Rolle spielten. Einen wichtigen Schritt zu mehr Selbstver- antwortung am Arbeitsplatz bildeten die von Wolfgang Förtsch angeregte Einführung der gleitenden Arbeitszeit und die Abschaffung der Akkordarbeit im Jahre 1985, was in der Beleg- schaft allgemein begrüßt wurde – ebenso wie die Aufgabe der starren Betriebsferien zu Guns- ten flexiblerer Urlaubszeiten. Der Aufschwung des Unternehmens, der sich von 1993 bis 2008 verstärkt fortsetzte und die Umsätze von unter 12 auf über 30 Mio. Euro ansteigen ließ, wurde getragen von einer vom Geschäftsführer forcierten Neuausrichtung des Produktionsspektrums, nämlich einerseits von einer Spartenbereinigung, andererseits von der Konzentration auf Präzisionstechnik, Schwerpunkt Präzisionsdrehteile. Verbargen sich fertigungsmäßig dahinter zunächst Einzel- drehteile und einfache Baugruppen, so kamen immer mehr High-Tech-Artikel und komplexe Baugruppen hinzu. Oder es handelt sich gar um 85

Persönlichkeiten Wolfgang Förtsch freut sich über die höchste Aus- zeichnung seiner Laufbahn, die Aufnahme in die „Hall of Fame“ bei John Deere. einbaufertige funktionsfähige Module wie die Hinterradachse von BMW-Motorrädern, die An- triebsgelenkwelle in den allradangetriebenen Traktoren von AGCO-Fendt oder den Gelenkarm von Dialysegeräten für FRESENIUS als den High- lights aus jüngster Zeit. Wolfgang Förtsch hat den Wandlungspro- zess des Unternehmens vom einfachen zum Systemlieferanten beharrlich verfolgt, auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, die einen Umsatzeinbruch nach sich zog und Kurzarbeit erzwang – ohne dass jemand entlassen wurde. Mitten in dieser schwierigen Situation hatten der Geschäftsfüh- rer und die Gesellschafter den Mut, antizyklisch zu agieren, nämlich einen Neubau am Standort Welschensteinach zu erstellen. Wie schon an- dere Projekte wurde auch dieses rasch, aber nicht überstürzt durchgezogen. Inzwischen konnten – bei z. T. hektischer Nachfrage – die krisenbedingten Absatzeinbrüche bis zum Ge- schäftsjahr 2011/12 überwunden werden (Um- satz 30,3 Mio. Euro). Als reiner Zulieferer hat BIW zwar eine breit gefächerte Kundenstruktur, setzte aber unter Wolfgang Förtsch Schwerpunkte. So werden heute mit den 20 größten von etwa 120 Abneh- 86 mern rund 87 % der Umsätze getätigt. Dabei stehen Firmen des Landmaschinenbaus mit fast 37 % Anteil weit vorne. Hauptabnehmer ist der amerikanische Konzern John Deere, mit welchem ein Umsatz von über 7 Mio. Euro er- zielt wird. Aufnahme in die „Hall of Fame“ bei John Deere der Höhepunkt BIW ist es als erstem europäischem Metallbe- arbeiter gelungen, zehn Jahre in Folge Partner dieses Konzerns zu werden. Dabei darf u. a. das Kriterium einer gerade noch zulässigen Fehler- quote von 0,015 % nicht überschritten werden. Die entsprechende Ehrung Anfang 2012 wie schon vorher die Verleihung des „Supplier of the Year Award“ 2009 hatten die Aufnahme in die „Hall of Fame“ von John Deere zur Folge. Wolfgang Förtsch sieht diese Auszeichnungen als Höhepunkte seiner bisherigen betrieblichen Tätigkeit. Die Erfolge der Firma sind nicht denk- bar, ohne die gegenüber früher erheblich ver- besserten Außenbeziehungen zu Lieferanten und Kunden. Es gelang, vor allem zu den Ab- nehmern der Produkte eine Vertrauensba- sis aufzubauen, und zwar einmal über die für BIW zuständigen Außendienstmitarbeiter der Fa. FAÇON in Mann heim, mit denen man kolle- gial zusammenarbeitet. Zum andern knüpft und festigt der Geschäftsführer selbst Kontakte. So bleibt es nicht aus, dass er viel unterwegs sein muss, denn die Kundenseite schätzt es, unmit- telbar mit dem Entscheidungsträger zu spre- chen. Dabei scheut dieser keineswegs harte Preisverhandlungen, kann aber genauso rasch kompromissbereit einlenken. Der geborene Geschäftsführer Wer Wolfgang Förtsch begegnet, hat den Ein- druck, er sei der geborene Geschäftsführer: An weisungen gibt er präzise, Fragen werden schnörkellos beantwortet. Wer ihn näher kennt, weiß, dass dieses Image mit Mut, Kreativität und einem unerschütterlichen Optimismus hart

Wolfgang Förtsch erar beitet ist. Auf der Grundla- ge seines soliden techni schen Wissens ist er bei BIW über die Stationen Betriebsleiter, Mitge- schäftsführer und nun seit fast 20 Jahren alleiniger Geschäftsfüh- rer zum Generalisten geworden, der den technischen und kauf- männischen Bereich voll abdeckt, natürlich zusammen mit einem fähigen Mitarbeiterstab. Erstaunlich schnell hat er sich als erster familienfremder Ma- nager das Vertrauen der Gesell- schafter (Familien Leier/Hippel) erworben, zumal das zu Klaus Leier, der ihn als „einen Glücks- fall für unsere Firma“ lobt und dessen Zuverlässigkeit und Hilfs- bereitschaft er persönlich erleben darf. Der zunächst alle fünf Jahre verlängerte Geschäftsführerver- trag war Mitte der 1990er-Jahre in einen Vertrag auf Lebensarbeits- zeit, d.h. bis zum 65. Lebensjahr, umgewandelt worden. Motivation und Integration Die Firmen BIW (helle Gebäude im Vordergrund hinten) und SBS (vor- ne) gehören zu den großen Arbeitgebern in Schonach und waren bis 1958 ein gemeinsames Unternehmen (Josef Burger Söhne). Im Betrieb schätzt man sein offe- nes Ohr für die Anliegen der Mit- arbeiter, den familiären Um- gangston sowie seine Fähigkeit zu motivieren und zu integrieren. Die soziale Komponente steht für ihn gleichrangig neben der ökonomi- schen, wissend, dass ein harmonisches Be- triebsklima sich erst aus der Zufriedenheit, der Verlässlichkeit und dem Zusammengehörig- keitsgefühl aller Belegschaftsangehörigen ent- wickelt. Die Mitarbeiter sind stolz auf ihr Unter- nehmen und auf ihren Chef. Ganz offensichtlich wird dies bei Jubilarfeiern, bei den Ehemaligen- Treffen und den beliebten Hof-Festen. Einmalig war dies beim 50-jährigen Firmenjubiläum im Jahre 2008, als alle Betriebsangehörigen in blau- en T-Shirts mit dem BIW-Logo erschienen und gemeinsam mit den Ehrengästen einen deftigen Ochsen am Spieß verzehrten. Er kann es mit den Leuten Ob bei solchen Anlässen oder direkt im Betrieb – Wolfgang Förtsch kommen sein angenehmer Umgangston sowie seine offene und humor- volle Art sehr zustatten. Mit vielen der Partner ist er per Du, was sich übrigens außerhalb der engeren Geschäftsaktivitäten wiederholt. Ob mit dem Bürgermeister, dem Landtags- oder Bundestagsabgeordneten der Region, ob mit Gemeinde ratskollegen, Sportlern oder Guggen- musikern. Er kann es mit den Leuten, weil er auf die Leute zugeht. Und er packt an, wenn Hilfe benö- tigt wird, was im Laufe eines Schonach-Jahres nicht gerade selten ist: bei den traditionellen 87

Wolfgang Förtsch Wolfgang Förtsch, CDU-Fraktionssprecher im Gemein- derat, fungiert auch als Stellvertreter von Bürger- meister Jörg Frey (links). Dorf- und Vereinsfesten oder beim Spenden- sammeln (z.B. über Radtouren) für die Nachsor- geklinik für krebskranke Kinder auf der Kathari- nenhöhe oder bei der Ausrichtung des Weltcups Nordische Kombination um den „Schwarzwald- pokal“, einem Großereignis, dem der ganze Ort Anfang Januar – schon der Schneelage wegen – entgegenfiebert. Wolfgang Förtsch, zweiter Vorsitzender des Skiclubs, führt dann souve- rän durch die Rahmenveranstaltungen mit dem Charme eines professionellen Enter tainers. Die Stimmenzahlen bei den Gemeinderatswahlen steigen stets Nicht nur wegen solchen Einsätzen, sondern auch wegen seiner Rolle als Gemeinderat ge- nießt Wolfgang Förtsch großes Ansehen in Schonach, ganz abgesehen davon, dass hier der Wert der Arbeitsplätze (mit Zweigwerk rund 250 Vollzeitstellen) als hohes Gut wahrgenom- 88 men wird. Das schlägt sich in den Gemeinde- ratswahlen nieder: Seit der ersten Direktwahl hat sich seine Stimmenzahl stets erhöht, und bei der letzten Wahl 2009 wurde er mit weitem Abstand Stimmenkönig. Er ist CDU-Fraktions- sprecher und stellvertretender Bürgermeister. Wie gewissenhaft diese Mandate ausgeübt werden, zeigt sich in den Ratsdebatten, wo er selbstbewusst und geradlinig argumentiert, doch immer kooperativ und manchmal mit einem witzigen Kommentar zu Lösungen beiträgt. Mit seinem kommunalpolitischen Engage- ment setzt Wolfgang Förtsch im Übrigen eine Tra- dition der Burger-Firmen fort, ebenso mit seinen Einsätzen außerhalb der Heimatgemeinde. So war er Schöffe am Landgericht Konstanz (1997 bis 2005) sowie ehrenamtlicher Richter am Arbeitsge- richt Freiburg, Kammer Villingen-Schwenningen. Seit Anfang 2008 stellt er seine Erfahrung dem Landesarbeitsgericht Freiburg zur Verfügung. Der einst Zugezogene und seine Familie mit zwei Söhnen und drei Enkeln sind in Dorf und Raumschaft längst voll integriert. Während Frau Sigrid und Sohn Matthias außerhalb der Firma aktiv sind, steht Sohn Stefan der größten BIW- Abteilung, der Automatendreherei, als Meister vor. Die Familienbande sind eng. Strahlend prä- sentieren die Großeltern jeden neuen Enkel auf ihrer Homepage. Gut ausspannen kann Wolf- gang Förtsch, wenn er mal wieder für die Groß- familie im heimischen Garten grillen kann. Der Glücksgriff Wolfgang Förtsch Wegen seiner zupackenden Art und seiner im- mer noch sportlichen Statur merkt man dem BIW-Geschäftsführer nicht sofort an, dass er das 60. Lebensjahr bereits überschritten hat. Hinsichtlich der hohen Belastungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens, auch wenn sie gerne und für weitere Jahre geschultert wer- den, hat er es nicht versäumt, die zweite Füh- rungsebene im Betrieb rechtzeitig zu erweitern und zu verstärken. Mindestens ebenso wichtig wird demnächst die Ausschau nach einem Nachfolger. Dem Unternehmen BIW zu wün- schen wäre ein weiterer Glücksgriff à la Wolf- gang Förtsch. Bernhard Mohr

Karl Volk Drei Jahrzehnte lang als Autor des „Almanach“ tätig – Ein engagierter Gremmelsbacher Persönlichkeiten Im Jahre 1982 hat Karl Volk aus Gremmels- bach seinen ersten Beitrag für den Almanach, das Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises, verfasst. Aufgrund weiterer Beiträge wurde er 1988 ins Redaktionsteam des Almanach berufen, in dem er bis heute tätig war. An- lässlich seines 75. Geburtstages ist er nun auf eigenen Wunsch hin aus dem Redak- tionsteam ausgeschieden. Landrat Sven Hinterseh dankte dem Gremmelsbacher für die engagierte, 30-jährige Mitarbeit. Karl Volk wundert sich noch heute über die Re- aktionen, die der Artikel über sein Heimatdorf Gremmelsbach im Almanach 1982 hervorrief. In dem Aufsatz beschrieb er die wildromantische Gegend, in der er aufgewachsen ist, angefan- gen vom Kletterfelsen bis zur abenteuerlichen Räuberhöhle im Seelenwald. Der Autor vergaß auch nicht, die geschichtlichen Wurzeln der kleinen Gemeinde mit den tiefen Tälern und den dichten Wäldern ausführlich aufzuzeigen. „Nicht nur Landrat Dr. Rainer Gutknecht war hell begeistert, sondern auch andere Alma- nach-Mitarbeiter, sodass ich bald ins Redak- tionsteam berufen wurde“, freut sich der ge- bürtige Gremmelsbacher. 30 Jahre für den Almanach tätig Von 1982 bis 2012 wirkte Karl Volk mit viel Freude und Engagement im Redaktionsteam des Almanach. Wunsch, das Redaktionsteam zu verlassen, wurde mir aufgrund meines Alters gerne ge- währt“, erzählt Karl Volk zufrieden. „Fast jedes Jahr habe ich mindestens einen Aufsatz für den Almanach geschrieben und das seit 30 Jahren“, so der Historiker weiter. Volle drei Jahrzehnte arbeitete er für den Alma- nach. Als er nun im November des vergangenen Jahres seinen 75. Geburtstag feierte, beschloss er, etwas kürzer zu treten. Schließlich beliefert der Ruheständler immer noch die beiden Tages- zeitungen der Region mit seinen Beiträgen, die ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen „Mein Die Kindheit im kleinen Gremmelsbach Wenn der 75-jährige Lehrer im Ruhestand auf sein Leben zurückblickt, wundert er sich selber über das, was aus ihm geworden ist. An seine Kindheit hat er nicht nur gute Erinnerungen. 89

Persönlichkeiten Schließlich wurde er 1936 in eine entbehrungs- reiche Zeit hineingeboren und als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war der kleine Karl noch keine vier Jahre alt. Mit seiner Schwester Hilde- gard und seiner Mutter Berta wuchs er in Grem- melsbach auf. An seinen im Krieg vermissten Vater kann sich Karl Volk noch gut erinnern; schließlich bekam dieser als Soldat einige Male Heimaturlaub. Und einmal verbrachte er auch längere Zeit zu Hause wegen einer Verwun- dung. Die Briefe, die Franz Volk aus Russland an seine Frau und die beiden Kinder schrieb, wurden wie ein Schatz gehütet und aufgehoben. Doch als der Krieg zu Ende war, hörte die Familie nichts mehr von ihm. „Wir warteten und hofften vergeblich auf die Heimkehr unseres Vaters“, bedauert Karl Volk. Die letzte Hoffnung musste 1955 begraben werden, als Konrad Ade- nauer viele tausend Kriegsgefangene in Russ- land durch sein Verhandlungsgeschick befreite. „Ein Grab von unserem Vater gibt es nicht, aber auf dem Kriegerdenkmal von Gremmelsbach steht sein Name“, tröstet sich der einzige Sohn des Vermissten. „Meine Mutter bekam eine kleine Rente, mit 49 DM im Monat musste sie die dreiköpfige Familie ernähren“, erinnert er sich. Auch Kin- dergeld habe es damals noch nicht gegeben. Doch die Familie Volk hatte eine kleine Land- wirtschaft und ein Bienenhaus. „Unsere Mutter verkaufte Milch und Eier und Honig, damit wir überleben konnten“, so Volk weiter. 120 Kinder besuchen die Dorfschule – Besuch des Knabeninternates Einen Kindergarten gab es nicht in Gremmels- bach, aber eine Hirtenschule mit einer einzigen Lehrerin. Morgens unterrichtete sie die Kinder von sechs bis zehn Jahren und am Nachmittag die Großen, die am Vormittag und am Abend die Kühe hüten mussten. Insgesamt seien es damals ungefähr 120 Kinder gewesen, die ihre Dorfschule in zwei Gruppen besuchten, erinnert sich Karl Volk. Erst 1945 kehrte der Lehrer von Gremmels- bach, der als Soldat im Krieg gewesen war, wieder zurück. Karl Volk musste allerdings 90 nur sechs Jahre die Schulbank seines Heimat- dorfes drücken. Der damalige Pfarrer Hermann Schneider setzte sich dafür ein, dass er ab dem zwölften Lebensjahr das humanistische Suso-Gymnasium in Konstanz besuchen durf- te. Wohnen konnte Karl Volk mit den anderen Jungen im katholischen Konradihaus. Das Kna- beninternat war für ihn nicht allzu teuer, weil der Schüler aus dem Schwarzwald Ermäßigung bekam. Aber im Gymnasium waren pro Jahr 200 DM Schulgeld fällig. Dies bedeutete für seine Mutter, dass sie noch mehr sparen musste. Als Student nach Münster – schönste Stadt Deutschlands Im Jahr 1958 verließ Karl Volk die Schule am Bodensee mit dem Abitur in der Tasche. An- schließend begann er in Freiburg mit dem Stu- dium von Latein und Geschichte. Insgesamt sechs Semester studierte er diese Fächer. Davon absolvierte Karl Volk ein Semes ter an der Uni in Müns ter. Dort gefiel es dem jun gen Studenten besonders gut. „Nicht nur die west- fälische Parklandschaft faszinierte mich, son- dern auch der Menschenschlag, der dort lebt“, schwärmt der Schwarzwälder. Er ist sich sicher, dass Münster in Westfalen die schönste Stadt Deutschlands ist, in der viele Sehenswürdig- keiten bewundert werden können. Nach seinem dreijährigen Studium beschloss der Gremmels- bacher, Volksschullehrer zu werden. Er besuch- te die Pädagogische Hochschule in Freiburg, in der er nach vier Semestern die Abschlussprü- fungen erfolgreich absolvierte. Nun wartete auf den Junglehrer die erste Stelle in der Volksschule von Ottersweier bei Bühl, wo er seine pädagogischen Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte. Doch nach wenigen Jahren im Rheintal wünschte er sich nur eines: Er wollte zurück in seine Schwarzwaldheimat. Darum bewarb er sich an die Rupertsbergschu- le in St. Georgen und, als er die Stelle bekam, konnte er wieder in sein Elternhaus umziehen. Von dort fuhr er jeden Tag zum Dienst nach St. Georgen. Doch nur zwei Jahre lang unterrichtete Karl Volk die Schüler der Rupertsbergschule. Dann

machte er einen dreimonatigen Fortbildungskurs in Tettnang im Allgäu, um sich als Realschulleh- rer zu qualifizieren. Gleich anschließend konn- te er seine neue Stelle in der Realschule von St. Georgen antreten. Im Jahre 1971 heiratete der 35-jährige Päda- goge dann seine Braut Gretel Österreicher. Sie war ebenfalls Lehrerin und wohnte in Freiburg. In der Herz-Jesu-Kirche der Bischofsstadt wurde das Paar getraut und anschließend gab es ein großes Fest mit vielen Verwandten und Freun- den. Die Ehe der beiden Pädagogen wurde mit vier Kindern gesegnet. Von 1967 bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2000 war Karl Volk in der Realschule von St. Ge- orgen tätig. Er unterrichtete die Fächer Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde und katho- lische Religion. In einer Arbeitsgemeinschaft bot er den Jugendlichen auch Stenographie an. „Eigentlich lag mir das Schreiben gar nicht“ „Die Landwirtschaft auf unserem kleinen Hof haben wir bald aufgegeben, weil die Arbeit sich nicht mehr lohnte“, erzählt der Pensionär. Als die Kinder alle noch klein waren, begann er be- reits seine Nebentätigkeit als freier Mitarbeiter bei den örtlichen Zeitungen. „Eigentlich lag mir das Schreiben gar nicht, denn als Schüler war ich eine graue Maus ohne herausragende Leistungen“, betont Karl Volk bescheiden. Auch Aufsätze habe er nicht gerne geschrie- ben, darum hatte er in seinem Beruf immer großes Verständnis für Schüler mit schwachen Leistungen. Aber 1975 sei ein entscheidendes Jahr für ihn gewesen. „Der Gremmelsbacher Ratsschreiber Wilhelm Weisser hatte bis da- hin als Lokalberichterstatter gearbeitet, wollte aber aus Altersgründen aufhören“, erzählt der Realschullehrer. Darum habe er sich schließlich überreden lassen und Berichte für die Presse geschrieben. Nach kurzer Zeit war er eingearbeitet und hatte die ersten Erfolge. „Meine Artikel wurden im Wesentlichen unverändert gedruckt und nie- mand kritisierte an ihnen herum, das machte mir Mut“, bilanziert Volk. Seine heimatgeschicht- lichen Beiträge seien von den Lesern sehr ge- Karl Volk lobt worden, wie er weiter berichtet. Auf diese Weise wurde die Berichterstattung über Er- eignisse in Gremmelsbach und Umgebung immer mehr zu einer wichtigen Aufgabe für den Familienvater. Bücherfreund und Heimatforscher – mit den Archiven bestens vertraut Obwohl Karl Volk jetzt aus dem Redaktions- team des Kreisjahrbuches ausscheidet, so will er doch seine Tätigkeit als Mitarbeiter der örtli- chen Zeitungen weiterführen, so lange ihm dies möglich ist. Das Schreiben sei die interessan- teste Freizeitbeschäftigung seines Ruhestan- des, obwohl er auch noch andere Hobbys habe. „Ich hacke auch gerne Holz für unsere Heizung und mache Reisigwellen für den Kachelofen.“ Im Sommer und im Herbst geht Karl Volk am liebsten in den Wald, um Pilze zu sammeln, wie er weiter informiert. Aber im Wesentlichen sei er halt ein Bücherfreund und Heimatforscher. Darum ist es ihm wichtig, auch weiterhin zu for- schen. Dabei wolle er nicht nur sich selber weiter- bilden, sondern auch seine Erkenntnisse ande- ren mitteilen. Besonders die Geschichte hat es dem Lehrer im Ruhestand angetan. Schon als Kind habe er sich für vergangene Zeiten inte- ressiert, erst recht seit seinem Geschichtsstu- dium. „Das für die Geschichtsforschung unent- behrliche Latein brachte ich ja mit“, betont der Heimatforscher. Seit 1975 habe er regelmäßig das Badische Generallandesarchiv in Karlsruhe besucht und große Unterstützung von dem freundlichen Per- sonal erfahren, das ihm bis heute jederzeit alle gewünschten Dokumente vorlegt. Aber auch im Erzbischöflichen Archiv in Freiburg und so- gar im Wiener Haus- und Hof- und Staatsarchiv verbrachte der begeisterte Geschichtsforscher bereits viele Ferientage. Nicht nur für die Zeitungen und für den Al- manach schrieb Karl Volk seine historischen Aufsätze, sondern auch für den Heimat- und Ge- werbeverein in Triberg. Bei den Heimatblättern wirkt er immer noch als Autor von geschichtli- chen Beiträgen mit. 91

Karl Volk Ortschaftsrat und Stadtrat Viele Jahre war Realschullehrer Volk in seiner Heimatgemeinde auch ehrenamtlich aktiv. Im gleichen Jahr, als er heiratete, wählten ihn die Gremmelsbacher zum ersten Mal in den Ge- meinderat. Drei Jahre später, im Jahre 1974, wurde das kleine Bergdorf nach Triberg eingemeindet. Nun engagierte sich Karl Volk als Ortschaftsrat und Stadtrat. Viel Verantwortung habe man in einem solchen Amt. Vor allem sei die ehren- amtliche Arbeit in den Räten sehr zeitintensiv. Bis 1999 war der Lehrer als Ortschaftsrat tätig. Für seine vielen Verdienste um die Kommunal- politik wurde Karl Volk nicht nur mit dem Dorf- wappen von Gremmelsbach geehrt, sondern auch mit dem Wappenteller der Wasserfallstadt ausgezeichnet. Zeitraubend war für ihn neben dem Unter- richt auch die Pressetätigkeit, aber diese mach- te ihm im Laufe der Zeit immer mehr Freude, auch wenn sie häufig mit viel Anstrengung ver- bunden war. „Ich wurde auch öfter als Referent ange- fragt, vor allem, wenn es um historische The- men ging“, verrät der Ruheständler. Bei Jubi- läen sei er sogar manchmal als Festredner aufgetreten. „Ich habe auch ein Buch über den Bau der Gremmelsbacher Kirche geschrieben“, betont Karl Volk nicht ohne Stolz. Und wenn er weiter für die Lokalzeitungen zur Verfügung ste- he, drohe ihm im Ruhestand niemals das Prob- lem der Langeweile. Derzeit mache er manchmal sogar mit dem „Rentnerstress“ Bekanntschaft, was er eigent- lich vermeiden wolle. „Ich gebe mir Mühe, das rechte Maß an Zeitaufwand, Anstrengung und Originalität der Gedanken zu finden“, beteuert Volk überzeugt. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er noch viele Pläne in Bezug auf Heimat- geschichte habe, die er alle gerne verwirkli- chen möchte. „Auch wenn ich in Zukunft nicht mehr im Redaktionsteam des Kreisjahrbuches tätig bin, so ist der Almanach trotzdem die Freu- de meines Alters und ich werde sicher noch manchen Bericht für ihn verfassen“, blickt der Pensionär in die Zukunft. Maria Kienzler Blick auf den Ortskern von Gremmelsbach bei Triberg. 92

Wolf Hockenjos Renommierter Forstmann, Naturschützer, Fotograf und bekannter Buchautor Persönlichkeiten Wenn der Name Wolf Hockenjos fällt, ver- dreht so mancher Jäger und Bauer entnervt die Augen – Natur- und Umweltschützer hingegen geraten gerne ins Schwärmen. Wolf Hockenjos weiß, dass er polarisiert, nicht nur mit seiner leidenschaftlichen Idee, Luchse im Schwarzwald wieder zu be- heimaten. Der Forstmann ist ein landesweit bekannter Natur- und Umweltschützer, Ski- sportler und vor allem auch ein geschätzter Buchautor und Fotograf. Der langjährige Leiter des Staatlichen Forst- amts Villingen-Schwenningen ist auch im Ruhe- stand aktiv und seinem Metier treu geblieben. Er engagiert sich im Landesnaturschutzver- band, publiziert regelmäßig in der Publikums- und Fachpresse, fotografiert und schreibt Bü- cher. Jüngstes Werk ist ein viel beachteter Bild/ Textband mit dem schlichten Titel „Tannenbäu- me“, eine Monografie über die Weißtanne. Sei- nen ersten Bildband „Begegnung mit Bäumen“ fotografierte und verfasste er 1978 im Auftrag des Forstministers. Dabei entdeckte er seine Liebe zur Fotografie, die ihn ein Leben lang be- gleiten sollte. Wolf Hockenjos kann heute auf ein Archiv mit Tausenden von beeindruckenden Baum- und Naturfotografien verweisen. Seine Aufnahmen sind in unzähligen Broschüren, Zeitschriften und Büchern veröffentlicht wor- den. Bekannt ist Wolf Hockenjos in vielfacher Hinsicht: Mit seiner Luchs-Ini tiative ist Hocken- jos seit 25 Jahren in den Medien und im öffentli- chen Bewusstsein präsent, während sein nicht minder pionierhaftes Engagement für den Win- tersport im Schwarzwald zumindest auf der Baar weitgehend unbekannt ist. Wolf Hockenjos Bewusste Entscheidung für ein „Soziotop“ Die Schwäbische Alb scheint in fast greifbarer Nähe, im Süden türmen sich die Alpen auf: Die sen Blick genießt Wolf Hockenjos fast je- den Tag aufs Neue. Freilich nicht von einem der Hochsitze, auf denen er unzählige Stunden seines Berufslebens verbrachte, sondern vom heimischen Balkon aus. Der Forstmann lebt überraschenderweise nicht in ländlicher Idylle mit Garten und Wald drum herum, sondern im obersten Stock eines Donaueschinger Hochhau- ses. Doch dieser Widerspruch ist nur vermeint- lich. „Ich will nicht abheben und mich komplett in die Natur zurückziehen, sondern habe mich mit meiner Frau bewusst für ein „Soziotop“ ent- 93

Persönlichkeiten schieden, in dem wir täglich Menschen begeg- nen und mit ihren Freuden und Sorgen konfron- tiert werden.“ Überhaupt vermag der 72-Jährige so man- ches unter einen Hut zu bringen, was kaum ver- einbar scheint: Sport im Wald und Naturschutz, ökologische und ökonomische Interessen bei der Bewirtschaftung des Waldes, Aussiedlung des Luchses und Erhalt der Artenvielfalt. Wolf Hockenjos ist jemand, der sich für seine Über- zeugungen vehement und vielschichtig einsetzt – als Praktiker mit 25-jähriger Erfahrung als Forstdirektor in Villingen-Schwenningen, als Autor, ebenso als stellvertretender Vorsitzen- der der baden-württembergischen Luchs-Initia- tive, die er vor 25 Jahren ins Leben rief, und als Forstlicher Referent im Landesnaturschutzver- band. Was viele nicht wissen: Er ist auch Lang- lauf-Pionier, der vor rund 40 Jahren das erste Skilanglaufzentrum Deutschlands initiiert hat, und zwar die Thurnerspur auf dem rund 1.000 Meter hohen Thurner bei St. Märgen, wo schon sein Vater Forstamtsleiter war. Den Fernskiwanderweg Schonach-Belchen und den legendären Rucksacklauf begründet Wolf Hockenjos ist zwar in Karlsruhe geboren, aber im Hochschwarzwald aufgewachsen und seit der Kindheit eng mit dem Wald verbunden. Dazu gehört für ihn bis heute Freude an der Be- wegung – im Sommer zu Fuß und mit dem Rad, im Winter mit den Langlaufskiern. Schon als Stu- dent liebte er die Kombination von Waldarbeit und Skisport, unternahm Wettkampfreisen nach Skandinavien und anderswohin, rief als junger Forstreferendar in Todtmoos den ersten Euro- päischen Forst-Biathlon ins Leben, der sich zum Magneten für Europas Forstleute entwickelte. Ende Februar/Anfang März 2012 wurden auf dem Notschrei bei Todtnau die 44. Europä- ischen Forstlichen Nordischen Skiwettkämpfe (EFNS) ausgetragen mit 950 Teilnehmern aus 22 Nationen. Sie trafen sich nicht nur auf der Spur, sondern auch bei Vorträgen und Exkur- sionen, tauschten Erfahrungen und Zielsetzun- gen aus. „Die intensiven Dialoge und Kontakte über Grenzen und Länder hinweg sind mehr 94 als ein willkommener Nebeneffekt, sie fördern die Identifizierung mit forstlichen Aspekten in einem größeren Kontext.“ Wolf Hockenjos initiierte auch den Förder- verein Club Thurnerspur e.V., der ebenfalls zur Erfolgsgeschichte geriet mit inzwischen mehr als 4.500 Mitgliedern; er ist seit 40 Jahren Vor- sitzender. Ihm sind auch die Anlage des Fern- skiwanderwegs Schonach-Belchen und der le – gendäre Rucksacklauf zu verdanken. Im Frei- zeitbereich herrschte damals Aufbruchstim- mung: „Vieles war damals leichter und unkom- plizierter möglich als heute.“ Im 8.000 Hektar großen Forstbezirk war die naturnahe Waldwirtschaft das Ziel 1980 wurde er als Leiter des Staatlichen Forst- amts nach Villingen-Schwenningen berufen, verantwortlich für den so genannten „Hintervil- linger Raum“ mit Wald-Gemeinden wie Königs- feld, Mönchweiler, Dauchingen und großer Dis- tanz vor allem zwischen Osten und Westen. Das riesige, fast 8.000 Hektar große Areal reichte vom Bernecktal im Schwarzwald bis zum Ho- henlupfen auf der Schwäbischen Alb und war mit seiner bunten Standort-Palette „ausge- sprochen reizvoll“, wie Hockenjos versichert. Als junger Nachwuchsbeamter war er Standort- kartierer und fasste Daten und Analysen zu Bo- denbeschaffenheit, Wasserhaushalt, Geologie und Botanik zusammen. In seinem Forstbezirk waren zwei Drittel der Wälder „naturwidrig“ zu- sammengesetzt: Die Fichte war zu dominant, Ziel wurde eine naturnahe Waldwirtschaft mit mehr Weißtanne. Zum Weg dorthin gehörte die Reduzierung des Wildbestandes, um die Ver- bissschäden an Jungtannen zu minimieren. Anfangs der 1980er-Jahre wurde zudem das Waldsterben ein gravierendes Thema; der Wald wurde durch Immissionen geschwächt, die ins- besondere der Westwind auf die Schwarzwald- höhen wehte. Später sollten Lothar und andere Orkane verheerende Schäden gerade in den in- stabilen, kränkelnden Beständen verursachen, andererseits aber auch den Umbau der Wald- bestände beschleunigen. Diesen propagierte und praktizierte Wolf Hockenjos im heimischen

Forst bereits in seinen ersten Jahren an vorders- ter Front. „Der Waldbau muss sich um eine klimabeständige Artenpalette bemühen“ „Der Wald verlangt Denken in langen Zeiträu- men, 50, 100, 150 Jahre in die Zukunft hinein.“ Natürlich sei nicht abzusehen, wie sich die Erde bis dahin entwickelt hat und wie der Holzabsatz aussehen wird. Vor dem Hintergrund der laten- ten Klimaerwärmung sei „breite Risikostreuung“ angesagt. „Der Waldbau muss sich um eine kli- mabeständigere Artenpalette bemühen.“ In- zwischen wurden Schadstoffe in Luft und Regen verringert, auch dank regelmäßiger Kalkgaben sind die Wälder gesünder und stabiler gewor- den, Weißtannen und Laubbäume siedeln sich zwischen Fichten an und stärken die Bestände. Dieser Prozess musste und muss freilich durch eine intensive Jagd unterstützt werden – nichts tun reicht nicht, denn sonst würden hungri- ge und naschlustige Rehe das Aufkeimen und Wachsen von Sämlingen und Jungbäumen dras- tisch behindern. Wolf Hockenjos hat in seiner Amtszeit als forstlicher Beisitzer im Kreisjagdamt immer wieder auf das Einhalten der Abschusspläne gepocht. Er saß wie seine Kollegen viel auf dem Hochsitz, um Rehe zu erlegen. Füchse aber nicht, denn die sieht Hockenjos eher als Verbündete. Die Jägerschaft vertrat und vertritt in der Be- urteilung von Verbissschäden eine andere Posi- tion – eine Mehrheit hält die Reh-Populationen nicht für zu groß, sondern für zu klein und wür- de gern im Winter weiterhin und mehr füttern dürfen, um dem Wild das Überleben zu erleich- tern. Hockenjos hingegen setzt auf den Winter als natürliches Regulativ und würde dazu gern auch den Luchs als Helfer in die Schwarzwald- Höhen einladen. Mit seiner Vision von der Wiedereinbürge- rung der vertriebenen Raubkatze (1922 wurde ein allerletzter Luchs im Kreisgebiet erlegt und zwar bei Niedereschach) zog er sich nicht nur weitere Animositäten von Jägern, sondern auch die von Bauern zu. Deren Zorn auf hungrige Füchse, die sich im Hühnergehege bedienen, Wolf Hockenjos kann er zwar verstehen, doch hält er eine Be- jagung für wenig erfolgreich. „Dadurch steigt eher die Reproduktionsrate.“ Von der Ansied- lung des Luchses als natürlichem Fressfeind verspricht er sich hingegen viel, eine Gefahr für die Rinderhaltung sieht er nicht. Luchse seien scheu und mieden Ansiedlungen. Sie be- nötigten ein Territorium von hundert Quadrat- kilometern, das ihnen im Schwarzwald geboten werden könne. Nach einer interdisziplinären Forschungsarbeit an der Freiburger Universität könnte Baden-Württemberg rund hundert Luch- sen und mehr Platz bieten; gute Erfahrungen in der Schweiz zeigten, dass sich die Großkatze in der bergigen Kulturlandschaft gut zurechtfin- det. Mit seiner Initiative hat Hockenjos freilich noch keinen durchschlagenden Erfolg verbucht; Grüne und SPD zeigten allmählich immerhin Sympathien. Die CDU sei zwar „nicht ableh- nend“, doch die Lobby von Jägern und Bauern sei groß. Zum Wolf hat sein zweibeiniger Namens- vetter ein ambivalentes Verhältnis: „Er könn- te wegen seiner ausgeprägten Mobilität und Flexibilität problematisch werden.“ Doch gera- de deshalb könne sein Kommen kaum verhin- dert werden. „Baden-Württemberg ist Wolf-Er- wartungsland“, sagt der Experte und verweist auf Wanderungsbewegungen von Polen und Weißrussland, aber auch von den Seealpen in „unsere“ Richtung. „Ich war nicht immer bequem“, sinniert Wolf Hockenjos über sein berufliches Wirken, „doch Interessenskonflikte seien unvermeid- lich, manchmal müsse man sich im Sinne der Sache auch unbeliebt machen“. Dem Naturschutz verpflichtet Naturschutz ist ein zentrales Lebensthema für Wolf Hockenjos geblieben, der früher auch Na- turschutzbeauftrager des Landkreises war. Bis heute engagiert er sich kritisch auch in den eigenen Reihen; ein heißes Thema zur Zeit ist Waldbau in den FFH-Schutzgebieten (nach der europäischen „Fauna-Flora-Habitatsrichtlinie“). Hockenjos lehnt flächenhafte Räumungen in den Buchen- und Mischwäldern ab, plädiert 95

Persönlichkeiten für eine „naturnahe“ Bewirtschaftung, die aus- reichend Totholz im Wald lässt, wie es der Schwarzspecht zum Höhlenbau und seine diver sen Nachmieter lieben. Nach wie vor hat Hockenjos Visionen. Er unterstützt die Pläne für den Waldnational- park im Nordschwarzwald, wo der Wald seine Ruhe vor Freizeitbetrieb und Vollerntern hätte. Hockenjos mischt sich mit konstruktiver Kritik auch in die Diskussion zum Ausbau von Wind- kraft in ökologisch und touristisch hochwerti- gen Landschaften ein. Das Gute am Ruhestand ist, dass sich Wolf Hockenjos und Ehefrau Gertrud die Zeit frei ein- teilen können. Das tun sie stets mit ei nem Blick zum Himmel. „Bei schönem Wetter zieht es uns hinaus, bei Regen an den Schreibtisch“, sagt Wolf Hockenjos. Wenn er dann am Schreibtisch sitzt, verfasst der Forstmann auch zahlreiche in formative und lesenswerte Beiträge für den Almanach: So über die Baumarten im Schwarzwald-Baar-Kreis oder markante Aussichtspunkte. Wie nur wenige an- dere Autoren vermag es Wolf Hockenjos vor- trefflich, die Wesenszüge von Bäumen oder einer Landschaft zu beschreiben. Christina Nack Emil Rimmele Fast zwei Jahrzehnte lang der Bürgermeister von Schönwald gewesen Der ehemalige Bürgermeister von Schönwald ist am 18. Juni 2012 im Alter von 95 Jahren in Villingen verstorben. Fast zwei Jahrzehnte – bis 1981 – leitete Emil Rimmele die Geschicke des heilklima- tischen Kurorts. Für sein Wirken wurde er 1981 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Wenn sich die Schönwälder an Emil Rimmele erinnern, dann sind es vor allem seine Leistun- gen als Bürgermeister, die bis heute – drei Jahrzehnte nach seinem Wirken – nicht zu über- sehen sind. Aber auch sein Engagement für das Vereinsleben wird ihm hoch angerechnet. Da- bei wurde es dem Emil Rimmele keineswegs an der Wiege prophezeit, dass er in seinem Leben eine erfolgreiche Karriere starten wird. Im Krankenhaus von Vöhrenbach erblickte Emil Rimmele während des Ersten Weltkriegs am 16. Januar 1917 das Licht der Welt. In dem abgelegenen Weiler Zindelstein, der zu Wolter- dingen gehört, wuchs der Kleine in einem be- 96 Emil Rimmele scheidenen Wohnhaus mit seinen Eltern und vier Geschwistern auf. Nach der Volksschulzeit von 1923 bis 1931 stand auch bei ihm, wie bei den meisten Ju- gendlichen damals, eine Lehre auf dem Pro-

gramm. Der junge Rimmele lernte in Villingen das Friseurhandwerk. „Als wir noch Kinder wa- ren, hat der Vater uns regelmäßig die Haare ge- schnitten“, erzählt sein Sohn Joachim Rimmele stolz. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie die Köpfe der drei Kinder vom Papa bearbeitet und verschönert wurden. Der Krieg lässt alle Träume platzen In seinem Beruf als Friseur arbeitete Emil Rimmele aber nicht allzu lange, denn er war in seiner Jugend abenteuerlustig und träum- te von fernen Ländern. Doch der Wunsch nach Auswanderung war bald ausgeträumt, denn das Nazi-Regime plante bereits den Zweiten Weltkrieg. Kaum war Emil Rimmele volljährig, bekam er 1938 die Einberufung zum Reichsar- beitsdienst. Daran schloss sich der Wehrdienst in Ulm an. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 ließ alle Träume zerplatzen. Er musste in den Krieg ziehen und sich schwe- ren Herzens von seiner Freundin Hedwig Brug- ger verabschieden. Doch schon ein Jahr später beantragte Emil Rimmele einen Heirats- urlaub. In Bräunlingen, der Heimatstadt sei ner Verlobten, fand die standesamtliche Trauung statt. Doch der Hochzeitsurlaub dauerte nicht einmal eine Woche, dann musste der junge Ehemann wieder an der Front sein. Jedes Jahr einmal bekam er Urlaub, weil er verheiratet war. Als der Krieg zu Ende war, hatte seine Frau Hedwig ihm drei Kinder geboren. Nun wartete zu Hause die kleine Waltraud mit ihren beiden Brüdern Gerhard und Joachim auf den Papa. Doch der junge Oberfeldwebel wurde zunächst von den Amerikanern gefan- gengenommen und später dann an die Englän- der weitergereicht. Im Oktober 1945 wurde er jedoch vorzeitig aus der englischen Gefangen- schaft entlassen, weil er angeboten hatte, in Köln als Polizist zu arbeiten. Nur ein Jahr lang arbeitete Emil Rimmele als Polizeiwachtmeister in der Stadt Köln und beantragte dann seine Versetzung nach Donau- eschingen. Nun war die Familie wieder vereint. Die drei Kinder, die alle in der Kriegszeit zur Welt Emil Rimmele kamen, konnten jetzt endlich ihren Vater ken- nenlernen. Strebsam und zukunftsorientiert Polizeiwachtmeister war damals der niedrigs- te Dienstgrad. Darum besuchte Emil Rimmele mehrere Lehrgänge in den Landespolizeischu- len von Radolfzell und Waldshut, um seine Ausbildung zu vervollständigen. Nachdem er die Abschlussprüfung zum Polizeiobermeister bestanden hatte, wurde er vom Polizeichef als Dienstpostenführer nach Königsfeld und 1945 dann nach Triberg geschickt. In der „Gendarmerie“ gegenüber dem heu- tigen Pflegeheim St. Antonius wuchsen die drei Kinder auf und besuchten die Schulen der Was- serfallstadt. Als sieben Jahre später die Schön- wälder einen Bürgermeister suchten, wurde Emil Rimmele von mehreren Seiten gefragt, ob er Interesse habe. Auch Noch-Bürgermeister Friedrich Merkle, der mit 71 Jahren nicht mehr kandidieren konnte, erkundigte sich bei dem beliebten Polizei-Postenführer der Raumschaft, ob er nicht Gemeindechef von Schönwald wer- den wolle. So ließ sich der Polizeiobermeister aufstel- len und gewann prompt die Wahl. Zunächst wurde er für acht Jahre gewählt und dann im Jahre 1969 für zwölf weitere. Er lenkte souve- rän mit seinem Gemeinderat 20 Jahre lang die Geschicke von Schönwald. Er baute sich in der Beethovenstraße ein Haus und stand auch nach Dienstschluss der Bevölkerung zur Verfügung. Für sein besonderes Engagement bekannt Feierabend und Ferien waren für den Bürger- meister aus Leidenschaft Fremdwörter. Zusätz- lich engagierte sich der neue Bürgermeister in vielen Vereinen. Von 1970 bis 1991 leitete er den Musikverein und wurde dafür bei seiner Verab- schiedung zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Im Blasmusikverband fungierte er 15 Jahre lang als Bezirksvertreter. Auch in der katholischen Kirche kandidierte er und wurde unter Pfarrer Johann Riegelsberger zum Vorsitzenden des 97

Emil Rimmele Pfarrgemeinderates gewählt. Im Skiclub enga- gierte sich Emil Rimmele ebenso wie im Auf- sichtsrat der Neuen Heimat und beim Verband der Kriegsgräberfürsorge, bei der er den Orts- vorsitz innehatte. Gesicht von Schönwald komplett verändert Lang ist die Liste seiner Verdienste für das klei- ne Skidorf Schönwald. Dies wurde besonders deutlich bei seiner Verabschiedung als Bürger- meister im Februar 1981. Ein halbes Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode trat der damals 64-jährige Gemeindechef aus gesundheitlichen Gründen zurück. In den knapp 20 Jahren seiner Amtszeit aber hatte er das Gesicht der Gemein- de komplett verändert und ihr seinen Stempel aufgedrückt. Insgesamt 21 Redner würdigten die Ver- dienste des scheidenden Bürgermeisters, wie aus der damaligen Pressemitteilung hervor- geht. Die Realisierung großer Projekte habe er mit Zähigkeit, Zielstrebigkeit und Verhand- lungsgeschick durchgesetzt, wie von ver- schiedenen Seiten versichert wurde. Zusätz- lich gelang es ihm immer, große Zuschüsse für seine Projekte abzurufen. Gerühmt wurde be- sonders seine Gradlinigkeit, seine Ehrlichkeit und Offenheit. Steuermann der Gemeinde Bürgermeister Rimmele sorgte auch für ein neues Schulhaus, das 1968 eingeweiht wurde. Unter seiner Regie wurde das beheizte Freibad gebaut und die Adlerschanze in Zusammen- arbeit mit dem Skiclub erstellt. Das Hallenbad im Kurzentrum ging ebenfalls in den Besitz der Kommune über. Viel Geld floss in den Straßen- bau und vor allem favorisierte der Rathauschef die direkte Verbindungsstraße zwischen Scho- nach und Schönwald, die 1971 fertiggestellt werden konnte. Bis dahin war der Nachbarort nur auf dem Umweg über Triberg erreichbar. Auch die Wasserversorgung und die Kanali- sation wurden in der Ära Rimmele ausgebaut, ebenso wurde der Fremdenverkehr gefördert, 98 so durch Zuschüsse für den Bau zahlreicher Ferienwohnungen. In die Amtszeit von Emil Rimmele fiel 1964 außerdem der Beginn der Partnerschaft mit der französischen Kleinstadt Bourg-Achard und im Jahre 1975 die Verleihung des Prädikats „Heilklimatischer Kurort“ für den Fremdenverkehrsort. Ein halbes Jahr nach der feierlichen Verab- schiedung in den Ruhestand verlieh Landrat Gutknecht dem Altbürgermeister Rimmele das Bundesverdienstkreuz. Erfüllter Ruhestand Nun begann ein ruhiger Lebensabschnitt für den rührigen Ex-Bürgermeister. Im Laufe der Jahre wurde für ihn das Kochen und Backen zum neuen Hobby. Auch im Ruhestand beob- achtete Emil Rimmele mit aufmerksamem Blick die Kommunalpolitik und als er 77 Jahre alt war, wollte er sich noch einmal aktiv in die Gemein- dearbeit einbringen. Er kandidierte auf der SPD- Liste und wurde als Gemeinderat gewählt. Doch schon nach zwei Jahren schied er auf eigenen Wunsch wieder aus. Ein großer Schicksalsschlag war es für das Ehepaar Rimmele, als im Jahre 2000 ihr 56-jäh- riger Sohn Gerhard durch einen plötzlichen Tod aus dem Leben gerissen wurde. Der Gesund- heitszustand von Hedwig Rimmele verschlech- terte sich daraufhin zusehends. Liebevoll um- sorgte und pflegte der Pensionär seine Gattin in den letzten Jahren ihres Lebens. Als sie 2003 im Alter von 83 Jahren starb, verließ Emil Rimmele seine Wahlheimat Schön- wald, in der er mehr als vier Jahrzehnte ge- wohnt hatte. Der rüstige Witwer verlegte seinen Lebensmittelpunkt in das katholische Senio- renheim St. Lioba in Villingen, wo er eine be- treute Wohnung mietete. Dort lebte er selbst- ständig bis zu seinem Tod. Er kaufte täglich ein und kochte auch selbst. Weiterhin pflegte er viele Kontakte mit sei- nen Freunden und Bekannten, zu denen auch der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel ge- hörte. Zwei Tage vor seinem überraschenden Ableben fuhr Emil Rimmele noch Auto und ging durch Villingen spazieren. Maria Kienzler

Karin Pittner Die gelernte Schauspielerin lebt im Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition Persönlichkeiten Die mädchenhafte Ausstrahlung und eine starke Präsenz sind ihr geblieben: Karin Pittner, 48 Jahre alt, Schauspielerin, Theaterleiterin und Regisseurin in Villin- gen-Schwenningen, hat bereits viele Projekte angestoßen und ebenso viele noch in ihrem Kopf. Dazu hat sie einen ganz persönlichen großen Traum. Gerne würde sie die Mutter Courage spielen. „Brecht-Rollen sind immer spannend“, schwärmt die agile 48-Jährige. Noch begnügt sich die Gründerin des erfolg- reichen Brennpunkt-Theaters damit, böse Her- zoginnen und Intrigantinnen zu spielen, „eben all das, was ich im Leben nicht sein möchte.“ Fordernd wie bereichernd empfindet sie es auch, zwei völlig kontrastierende Figuren dar- zustellen, wie bei einem gemeinsamen Projekt mit dem Kulturamt Villingen-Schwenningen: Im Jahr 2000 fühlte sie sich im Urfaust sowohl in Gretchens als auch in Mephistos Gedankenwelt hinein. „Ich kann keine Rolle richtig spielen, wenn ich nicht auch die Kehrseite spielen kann“, philosophiert sie über diesen „Doppel- Part“. Denn da kommen wir unserer Dualität auf den Grund und erkennen wertfreies Handeln!“ Die kulturelle Drehscheibe Was sie im Leben sein möchte? Nun, das, was sie im Laufe der Jahre geworden ist. Eine kultu- relle Drehscheibe, die ihre überbordende Ener- gie zu nutzen weiß, ohne sich zu verzetteln, die alte und junge Menschen gleichermaßen fürs Theaterspielen begeistern kann und es mit ihrem Brennpunkt-Theater auf mittlerweile 70 Karin Pittner Aktive zwischen sechs und 70 Jahren gebracht hat. In den Jahren seit der Gründung des Brenn- punkt-Theatervereins haben Pittner und ihre Mitstreiter nicht nur auf spielerisch-dramati- sche Weise gezeigt, wo es brennt und selbst Tabu-Themen wie sexueller Missbrauch erfolg- reich wie sensibel auf die Bühne gebracht. Mit ihren Akteuren heimste sie auch Erfolge ein, wenn es um die Aufarbeitung von Proble- men wie Mobbing oder Diskriminierung geht, so lautete der Titel eines Stückes „Mensch, was bist du blöde oder wer hat Angst vorm weißen Mann“. Nächstes großes Vorhaben: das Revolu- tionsdrama „Dantons Tod“ von Georg Büchner, bei dem junge und ältere Akteure auf der Bühne stehen. Sagt es und stimmt mitten im Gespräch die Marseillaise an… 99

Karin Pittner Werte sind ihr wichtig Karin Pittner lebt im Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition. So verblüffte und be- geisterte sie mit dem Swano-Komplott, das das Thema 100 Jahre Schwenninger Stadtrecht be- handelte, oder einem historischen Rundweg auf der Landesgartenschau im Jahr 2010. Die Tradi- tion ist für sie eine spannende Sache, so wie auch der Wertewandel im Laufe der Zeit. Werte sind ihr wichtig, mehr als einmal verweist die Württembergerin auf ihre Bodenständigkeit, bei aller Lust am Experimentieren, Improvisieren und Neuem. Wer bei ihr auf dem Spielplan steht, hat durchaus auch das Potenzial zu einer bundes- deutschen Karriere. Karin Pittner nennt Nico Rebscher, der heute als Komponist in Berlin lebt oder den Kabarettisten Sebastian Schnit- zer, die im Brennpunkt-Theater ihr Debüt gaben. Regie führen bedeutet für sie nicht, Schau- spieler einem strengen Diktat zu unterwerfen. Sie lässt in ihren Projekten die Menschen sich entfalten, improvisieren und Texte selbst ent- wickeln. „Ich lasse die Akteure reden und er- gänze. Einer unsichtbaren Hand gleich, die dann lenkend eingreift, wenn die Figur danach ruft.“ Persönlichkeitsentwicklung der Kinder auf der Bühne Die Theaterbühne ist zwar ihre Welt. Doch die ausgebildete Schauspielerin gibt auch Kurse. Selbst Mutter einer sechsjährigen Tochter, bringt sie seit vier Jahren Kindern in den Som- merferien das Schauspielern nahe. Das Agieren auf der Bühne ist für sie ein wichtiger Anstoß für die Persönlichkeitsentwicklung von Jungen und Mädchen. „Schauspieler sind Menschen, die Charakter und eine starke Präsenz haben.“ Und genau dies möchte sie den jungen Men- schenkindern mitgeben. Charakter, Präsenz und sozialer Kompetenz reiht sie eine dritte Komponente hinzu. „Das Theaterspiel fördert auch die emotionale Intelligenz.“ In einer Welt des enormen Leistungsdruckes und des Kon- kurrenzkampfes seien solche Fähigkeiten wie 100 der respektvolle Umgang miteinander äußerst wichtige Bausteine. Ein weites Feld seien deshalb auch die The- men Integration und Migration. Nachgefragt sind auch die Workshops für Theater begeister- te Erwachsene und die Schulungen für Füh- rungskräfte, die sie seit Jahren gibt. „Dabei ler- nen diese ebenfalls Präsenz, richtige Präsenz und auch das Sprechen mit Sinn.“ Wichtiges Ziel: Wie kann ich mich in mein Gegenüber hin- einversetzen. Die „bodenständige Weltverbesserin“ Erfolge bestrahlen Karin Pittners Laufbahn ebenso wie manche Enttäuschungen ihre Arbeit überschatten. Mangels Zuschüssen musste sie ihr 2008 begonnenes und viel beachtetes Thea- terprojekt mit Langzeitarbeitslosen im Jahr 2011 nach knapp vier Jahren beenden. Dafür hat sie im Laufe der Jahre ein großes Netzwerk an Ko- operationspartnern aufgebaut, um Präventions- arbeit weiterzuentwickeln. Als „bodenständige Weltverbesserin“ fühlt sich die Endvierzigerin, die in Schwäbisch-Gmünd geboren wurde. In Caligula hatte sie ihre erste tragende Rolle, als Hure, wie sie lachend erzählt. Als junges Mäd- chen entdeckte sie damals die Schauspielerei als ihr Ausdrucksmittel. „Der Funke von damals ist geblieben. Nun gehe es darum, anderen Menschen das nahe zu bringen, was es heißt, den Funken auf das Publikum überspringen zu lassen.“ Einer schlaflosen Nacht gewinnt die 48-Jäh- rige durchaus Positives ab. „Dann kann mich ein Geistesblitz durchdringen“, lacht sie und gähnt wie zum Beweis dafür, dass es gestern mal wieder so weit war. „Ich habe ja meine Fühler schon immer weit ausgestreckt.“ Manch schlaflose Nächte kosten sie auch manchmal die Finanzen des Vereins: Der Zuschuss der Stadt in Höhe von 5.000 Euro – eher ein Klacks im großen Ausgabentopf. Nun will Karin Pittner sich um weitergehende Förderung auch seitens des Landes bemühen. Es stünde schlecht um den Verein, wenn es nicht großzügige Spon- soren wie Kendrion GmbH oder die Firma Hess gäbe. Eva-Maria Huber

Persönlichkeiten Karin Pittner-Bilderbogen: Oben Rocktheater „Mensch was bist du blöd“. Unten: Kinder spielen beim Sommer- ferienprogramm Theater. Unten links: Präventionsstück zum Thema Sucht im Polizeialltag. Unten rechts: Karin Pittner bei einer technischen Probe. 101

4. Kapitel Wirtschaft Zukunft auf starkem Fundament Volksbank Villingen wächst mit neuem Gebäude und durch Fusion mit der Volksbank Hegau von Verena Wider Zwei herausragende Ereignisse prägen im Jahr 2012 die Geschichte der Volksbank eG im 145. Jahr ihres Bestehens: Die Fusion mit der Nachbargenossenschaft Hegau zur Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau und der Umbau und Neubau des Gebäudes am Villinger Riettor. Es sind Meilensteine im Projekt „Volksbank auf Erfolgskurs“. Nach der Investition von 24 Millionen Euro in die zentrale Anlaufstelle rechnen die Ver- antwortlichen damit, dass sie lange Zeit Ruhe haben, bis wieder Ausgaben für große Bauvor- haben fällig werden. Und, da aller guten Dinge drei sind: Die Architekten Muffler aus Tuttlin- gen konzipierten zusammen mit dem Villinger Unternehmen Hess die Leuchttechnik für einen Brunnen auf dem Platz vor dem Riettor. In den vergangenen zehn Jahren sei die Genossenschaftsbank jedes Jahr überdurch- schnittlich gewachsen, bilanziert Vorstandsvor- sitzender Joachim Straub „sehr zufrieden“ die bisherige Entwicklung. Er sieht, dass es noch 102

Aus dem Wirtschaftsleben weitere Potenziale gibt. Inzwischen hat die Volksbank einen Marktanteil bei den Privatkun- den von etwa 46 Prozent, nach Euro bewertet sind es 28 Prozent Anteil. Die großen Vermögen liegen also woanders – „noch“, sagt Straub, denn er sieht auch in diesem Bereich einen Trend zur Genossenschaftsbank. Die Volksbank Villingen schätzt ihren Anteil bei den gewerb- lichen Kunden auf 50 Prozent ein. Sie sei mit ihren gewerblichen Kunden gewachsen. Doch die Zahl der Unternehmen, die dazukommen, sei logischerweise überschaubar. Jetzt will die Bank im Raum Singen – hier ist die Volksbank Hegau eG die kleinste Bank – die genossenschaftliche Idee weiter voranbringen. Bislang könne die Volksbank dort viele Geschäf- te, insbesondere im gewerblichen Bereich, nicht in dem Maße anbieten, wie das für manchen Mit- telständler notwendig sei. „Gemeinsam werde man das jedoch gut können“, stellt Straub die Bedeutung der Fusion heraus. Er rechnet damit, dass man sich in einem „sehr attraktiven Marktgebiet“ mit einem ent- sprechend großen Geschäftspotenzial be- wegen wird. Der Villinger Bankchef hat selbst sechs Jahre in Radolfzell gewohnt und weiß als ehemaliger Bezirksprüfer im Hegau, wovon er spricht. Im Aufsichtsrat der Villinger Bank fand 103

Aus dem Wirtschaftsleben Auf Erfolgskurs: Vorstandsvorsitzender Joachim Straub (Mitte), Aufsichtsratsvorsitzender Peter Uffelmann (links) und Vorstand Ralf Schmitt (rechts). er Befürworter dieser Neuausrichtung. Persön- liche Kontakte nach Singen bestanden auch hier. Insofern bewege man sich fast in einem Heimatgebiet. Mit einem klaren Votum machten beide Ver- treterversammlungen im Juni die Banken-Ehe perfekt. Rückwirkend zum 1. Januar 2012 ent- stand ein Kreditinstitut mit einer Bilanzsum- me von drei Milliarden Euro. Die Bank ist von Tennenbronn im Kreis Rottweil über Villingen, Donaueschingen, Singen, Engen bis nach Gai- lingen am Hochrhein vertreten. In den nächsten fünf Jahren wird bundes- weit mit weiteren Fusionen gerechnet, schon allein vor dem Hintergrund, dass derzeit 1.070 Genossenschaftsbanken im Vergleich zu rund 430 Sparkassen existieren. Joachim Straub: „Eines der schönsten Gebäude und das in Premium-Lage“ Straub bewertet den Neubau der Volksbank als „eines der schönsten Gebäude“, das man bei der Fahrt um den Innenring von Villingen zu Gesicht bekomme. Es hat eine Premium-Lage. Deshalb wurde ein Ortswechsel nach kurzer Prüfung gar nicht in Betracht gezogen. Seit der Einweihung der neuen Volksbank im März und mit jedem Monat mehr, in dem sich Mitarbeiter und Kunden an alle Neuerungen gewöhnen, hört man nur beste Bewertungen: „Optimal, bin begeistert, toll!“ Oder: „Hier würde ich auch gerne arbeiten“ – und das sind nur einige Zitate aus einem ganzen Katalog von Schwärmereien. In der nüchternen Bankersprache hört sich das in der Rückschau anders an. Die Rede ist von einem „ordentlichen Renovierungsstau“, vieles habe nicht mehr gepasst. Es wäre zum 104 Beispiel nicht mehr möglich gewesen, weitere Kabelstränge durch die Schächte zu ziehen und so sei zu entscheiden gewesen, ob man viele kleine Dinge verändere, die auch Geld kosten, oder ob man es richtig macht. Verzicht auf Zweier- und Einzelbüros Zur Vorgeschichte: Vor 27 Jahren hatte die Vil- linger Volksbank die Räume im ehemaligen Zen- tralkaufhaus eingeweiht. Das Kaufhaus selbst war erst 1970 eröffnet und nach zwölf Jahren bereits wieder geschlossen worden – die Region befand sich nach dem Niedergang bedeutender Industriezweige in einer tiefen Krise. Am Riettor zwischen Benediktinerring und Schillerstraße hatte zuvor die Sägerei Storz gestanden. Bankvorstand und Aufsichtsrat entschieden sich 2009 für eine „zukunftsorientierte Version“ und stellen 2012 fest, dass Umbau und Neubau sehr gelungen sind. Eines ist aber auch klar: Man hätte wohl den gesamten Altbau platt- gemacht, wäre da nicht acht Jahre zuvor der Seminar- und Konferenzraum im dritten Ober- geschoss mit Kanzel zum Benediktinerring auf- gesetzt worden. Heute hat man die Gewissheit: Es wurde so gebaut, dass das Haus flexibel für Veränderungen ist. Besonders froh ist Straub wegen der Entscheidung für eine Büro-Organi- sation mit Open Space Modell. Der Verzicht auf Zweier- und Einzelbüros fördere die immer wichtigere Kommunikation. Ein Bankgebäude für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts Zum Neubau und Umbau des Volksbankgebäu- des gab es zweifellos während der Bauzeit vie- le Kommentare. Die meisten Bedenkenträger störten sich daran, dass man viel Geld ausgibt. Von außen betrachtet – und insbesondere ohne

Kenntnis dessen, was man an diesen Ort hin- zaubern kann – machte das alte Volksbankge- bäude keinen schlechten Eindruck. Heute ist diese Kritik verstummt. Der lange und schmale Altbau am Benedik- tinerring ist durch die Glasfassade mit einem Gebäuderiegel an der Schillerstraße verbun- den. Das Ursprungsgebäude aus dem Jahr 1969 hat an diesem zentralen Platz einen anderen Maßstab bekommen. Es ist innen darauf abgestimmt, wie Bank- geschäfte im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahr- hunderts ablaufen. Der Anteil der Privatkun- den, die mit Geldautomat und Online-Banking selbstverständlich umgehen können und wol- Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau len, steigt tendenziell. Inzwischen laufen bei der Volksbank bei den Privatkunden 36 Prozent der Überweisungen Online und 72 Prozent der Lastschriften. Ungeachtet dessen setzt man auf den persönlichen Kontakt, zumal aus einem Ge- spräch zuweilen Ansätze für weitergehende Be- ratungsgespräche zu erwarten sind. Gestern und „Heute“: Wo in früherer Zeit das Säge- werk Storz stand (Bild oben, Gebäude rechts) befin- det sich heute das architektonisch gelungene neue Volksbankgebäude. Das Foto unten aus den 1980er- Jahren zeigt den Vorgänger. 105

Aus dem Wirtschaftsleben Dennoch ergibt sich zwangsläufig die Frage: Wer braucht noch Panzerglas vor der Nase, wenn das Geld in der Bank ohnedies aus dem Automaten kommt? Die neue Villinger Volks- bank ist mit ihrer hellen und klar gegliederten Kundenhalle nicht nur aus diesem Blickwinkel ein Vorzeigestück. Die Architektur entspricht dem Selbstverständnis der Bank, wie es Joa- chim Straub formuliert: „ Sie ist offen, flexibel, nachhaltig und funktionell, sowohl im Kunden- bereich als auch an anderen Arbeitsplätzen.“ Das Bestmögliche erreicht Unabhängig von welcher Seite man sich diesem neuen Haus nähert, zeigt sich, dass das Best- mögliche erreicht wurde. Es respektiert das Alte, verbindet sich mit ihm und wirkt wie ein Gebäude aus einem Guss. Wer das vorherige Haus kennt und das heutige sieht, steht vor der Frage, ob da jemand gezaubert hat. Aber so leicht ließ sich das alles nicht erreichen. Dahinter steckt die langjährige Erfahrung der Muffler-Architekten aus Tuttlingen, die sich an vielen Wettbewerben erfolgreich beteiligt ha- ben und Projekte vorweisen können, wie Um- bau und Neubau für andere Kreditinstitute in der Region, oder auch die Neue Tonhalle und die Fußgängerunterführung zur Niederen Stra- ße in Villingen. In vielfacher Weise ein Vorzeigestück ist der Neubau der Volksbank eG am Villinger Riettor – sowohl innen als auch außen. Heidrun und Michael Muffler aus Tuttlingen setzten in vielfacher Weise moderne archi- tektonische Akzente. Auch die Neue Tonhalle in VS- Villingen ist das Werk der Tuttlinger Architekten. 106

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Aus dem Wirtschaftsleben Die neue Volksbank widerspiegelt ihre Umgebung, hier ist es der Turm der Benediktinerkirche. Sie ver- eint Tradition und Moderne, so der Aufsichtsratsvor- sitzende Dr. Peter Uffelmann. man das glasüberdachte Atrium zwischen Alt- bau und Neubau dazu. Dieser Raum soll Eigen- veranstaltungen und Abenden vorbehalten bleiben, bei denen die Volksbank als Mitveran- stalter auftritt. Heidrun Muffler berichtet, dass der Bauherr weitgehend ihren Vorschlägen und ihr bis hin zur Auswahl von vielen kleinen Details bei der Innenraumgestaltung folgen konnte. Besonders freut es sie, dass der Einsatz des Natursteins in der Kundenhalle die gewünschte Wirkung er- zielt. Mit dem 300 Millionen Jahre alten Mar- mor wollte sie „dem Raum eine Seele geben“. Straub spricht in diesem Zusammenhang von einer „Langzeit-Investition“. Das im Jahre 2003 eröffnete Konferenz- und Seminarzentrum im dritten Obergeschoss, das als einziges Element erhalten blieb, hat durch den Umbau gewonnen. Heidrun und Michael Muffler aus Tuttlingen haben mit ihrer Planung nicht nur das „Optimale“ aus dem vorhandenen Grundstück herausgeholt, sondern neue Berei- che erschlossen. Als ungeplantes Juwel erhielt Den Eingang zur Bank verlegt Zur genialen Idee gehörte auch der Mut, den Eingang vom Riettor zur anderen Seite zu verle- gen. Heute erscheint es logisch, dass man das Haus von der Seite betritt, die sich dem vom Innenring kommenden Passanten einladend präsentiert. Über die Volksbank-Tiefgarage unter dem Platz neben dem Modepark Röther- Gebäude sind Kunden, die mit dem Auto in der Stadt unterwegs sind, auf kurzem Wege in ihrer Bank. Fußgänger finden aus allen Richtungen breite Wege zur großen Drehtür. Wer heute von der Schillerstraße in Richtung Kanzleigas- se geht, meidet automatisch die Parkfläche und weicht hinter den Schall- und Sichtschutz bietenden Grashügel auf das helle Pflaster ent- 108

lang der Glasfassade aus. Radfahrer freuen sich bei Regen über überdachte Kurzparkplät- ze entlang der breiten Front. Selbst bei trübem Wetter spiegeln sich in der Glasfassade je nach Standort die umliegenden Gebäude, darunter die barocke Benediktinerkirche. „So sehen wir Tradition und Moderne harmonisch vereint“, freut sich Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Peter Uffelmann. Die Volksbank hat sich 2009 in einer allge- mein wirtschaftlich schwierigen Phase für den Neubau entschieden und konnte so bei den Rohstoffpreisen extrem günstig kalkulieren. Sie konnte mit dem „bankeigenen Konjunkturpro- gramm“ der heimischen Wirtschaft zudem mehr Planungssicherheit geben: Fast ausschließlich regionale Unternehmer und Handwerker waren am Bau beteiligt. Das passt perfekt zum Genos- senschaftsgedanken. Am Anfang nicht auf dem Plan hatte der Bauherr die erhöhten Zusatzausgaben für Statik und Brandschutz im Altbau. Besonders froh ist Straub, dass das neue Gebäude so he- rausgekommen ist, wie es in der Animation zu- nächst aussah. Es sei eine sehr gute Entschei- dung gewesen, den Neubau nach Funktionen aufzuziehen und die Büroformen zu verändern. Die Bank ließ sich vom Fraunhofer-Institut be- raten und hält dieses Ergebnis für die beste Entscheidung für die Zukunft. Es sei gelungen, die allermeisten Mitarbeiter für die neue Orga- nisationsform zu gewinnen. Ganz unabhängig vom Umbau und Neubau der Bank habe der Platz vor dem Riettor mehr Aufmerksamkeit verdient als bisher. Er wird mit einem Brunnen und einer drei Meter ho- hen Lichtskulptur umgestaltet. Straub ist über- zeugt: „Das wird ein richtiger Hingucker.“ Die LED-Beleuchtung des Glases kann auf einheit- liche oder wechselnde Farben programmiert werden. Zum Hintergrund der Volksbank-Geschichte: Das Erfolgsmodell „Genossenschaft“ Die Marke „Genossenschaftsbank“ gewinnt immer mehr Marktanteile. Dabei galt die Ge- nossenschaft lange Zeit als verstaubte Unter- Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau Blick zum Empfang und unten ein Zimmer für Bera- tungsgespräche. nehmensform. Inzwischen ist sie wieder „in“, wie man auch an den Gründungen im Energie- bereich sieht. Genossenschaften als Gruppe sind gut und als einzige Bankengruppe ohne staatliche Hilfe durch die Krise gekommen. Es ist auch ein schöner Zufall, dass zum 150-jähri- gen Bestehen des deutschen Genossenschafts- verbands die Vereinten Nationen das Jahr 2012 zum „Internationalen Jahr der Genossenschaf- ten“ ausgerufen haben. Sie wollen damit die Bedeutung von Genossenschaften und ihre Rolle für die wirtschaftliche und soziale Ent- wicklung vieler Länder betonen. Die Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa geborene Genossen- schaftsidee basiert bis heute auf den Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Eigenver- antwortung. In Villingen kam es im Übrigen vor 145 Jah- ren auf Initiative des heimischen Gewerbever- eins deshalb zur Gründung des Vorschussver- eins, dem Vorläufer der heutigen Volksbank, 109

Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau Eine markante Erscheinung – und innen mit 300 Mil- lionen Jahre altem Marmor ausgelegt: mit Naturstein, der dem Raum eine Seele gibt. Der Volksbank-Neu- bau in VS-Villingen ist das Spiegelbild einer überaus erfreulichen Geschäftsentwicklung. weil das Buhlen um einen Filialsitz der unter staatlicher Aufsicht stehenden Badischen Bank 1865 nicht erfolgreich war. Es sei nicht voraus- zusehen, ob sich eine Filiale im Schwarzwald rentieren werde, war die damalige Ansicht der Entscheidungsträger, die beim Badischen Han- delstag in Karlsruhe das Sagen hatten, wie es die 1992 erschienene Chronik zum 125-jährigen Bestehen der Volksbank dokumentiert. Die Fusion als bedeutendste Veränderung in der jüngeren Bankgeschichte Bedeutendste Veränderung im Jahr 2012 ist und bleibt aber die Fusion mit der 50 Jahre alten Volksbank Hegau. Eine Frage bewegt verständ- licherweise, wenn täglich in den Schlagzeilen von Rettungsschirmen und neuen Hilfspake- ten die Rede ist: Kann die Euro-Krise die Pläne der Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau für mehr Wachstum durchkreuzen? „Wenn der Euro gegenüber anderen Währungen einfach nur weicher wird, hat das für uns mittelbar kei- 110 ne großen Auswirkungen“, ist Vorstandsvor- sitzender Joachim Straub überzeugt. „Wenn es zu einer ganz großen Verschuldungskrise der einzelnen Staaten kommt, wird es mittelbar auf uns wirken, weil dann die Umsätze unserer Unternehmen zurückgehen werden und sich damit die wirtschaftliche Situation unserer Kunden verschlechtert. Wir sind ja immer ein Spiegel der Wirtschaft. Wenn es denen gut geht wie derzeit, geht es uns auch sehr gut. Wenn es denen schlecht geht, spüren wir das auch.“ Durch die Fusion punkten die Volksbanken doppelt. Hegau stößt nicht mehr so schnell an Finanzvolumengrenzen. Villingen verspricht sich insgesamt Wachstum, um steigenden Kos- ten zu begegnen. Die neuen Kunden wolle man nicht nur für sich als Bank, sondern auch für die Finanzgruppe gewinnen. In der größeren Bank gebe es mehr Möglichkeiten für die Spezialisie- rung im Beratungsbereich. Alles, was mit stren- geren Reglementierungsvorschriften, den dafür notwendigen Berechnungen und der Kontrolle zusammenhängt, muss man jetzt nur noch ein- mal erledigen – Synergieeffekte, die man von einer Fusion erwarten darf. So lässt sich ein Fazit fünf Jahre vor dem 150-jährigen Bestehen der Volksbank mit Haupt- sitz in Villingen ziehen: Sie hat durch Baumaß- nahmen und einen neuen Partner ihr Funda- ment in Zeiten eines harten Wettbewerbs ge- stärkt.

:: Zahlen und Fakten Nach dem Zusammengehen mit der Volksbank Hegau eG mit Sitz in Singen listet die neue Volksbank eG Schwarzwald Baar Hegau ihre Eckdaten der Geschäftsentwicklung wie folgt auf: Bilanzsumme: mehr als drei Milliarden Euro (346 Millionen von der Volksbank Hegau eG, 2,7 Milliarden von der Volksbank eG Villingen) Kreditvolumen: 1,37 Milliarden (Hegau 214 Millionen, Villingen 1,15 Milliarden) Kunden: 137.500 (Hegau 28.500, Villingen 109.000) Haftendes Eigenkapital: 240 Millionen ( Hegau 29 Millionen, Villingen 211) Mitglieder : 54.784 (Hegau 12.104,Villingen 42.680) Mitarbeiter: 462 (Hegau 90, Villingen 372) Bilanzgewinn: 5,75 Millionen (Hegau 790.000, Villingen 4,96 Millionen) 111 111

Wirtschaft Aus dem Wirtschaftsleben Ketterer Druckguss gehört zu den modernsten Druckgießereien in Europa Das 250 Mitarbeiter große Unternehmen feierte 2012 sein 180-jähriges Bestehen Ketterer Druckguss zählt mit 250 Mitarbeitern zum Kreis der großen Arbeitgeber der Stadt Furtwangen und zu den führenden Druckgie- ßereien Europas. Das Know-how der Schwarz- wälder wurzelt in der Uhrentechnik und der Stromzählerfertigung. Bis zu fünf Millionen Druckgussteile verlassen das Werk 2 am Niegenhirschwald in Furtwangen jährlich, wo für renommierte Kunden an die 3.000 Werkzeuge vorgehalten werden. Ketterer Druck- guss besteht aus drei Werken: Im Werk 1 an der Bregstraße befinden sich Verwaltung, Entwicklung und Werkzeugbau, im Werk 2 die Produktion und im Werk 3 in Hausach die Zerspanung, sprich CNC-Technik. „Wir gie- ßen Präzision in Form“, lautet der Slogan des Unterneh- mens, der auf die kompromisslose Qualität der Kette- rer Druckgussteile verweist. Die Geschäftsführung liegt in den Händen von Bernhard Ketterer. 112

Aus dem Wirtschaftsleben Das Werk 2 von Ketterer Druckguss am Niegenhirschwald in Furtwangen. Wo die Fassade mit grau-schwarzem holländischem Klinker verkleidet ist, wird bei 750 Grad das Aluminium geschmolzen.

Wirtschaft Die erste Ketterer-Fabrik befand sich ab 1845 im Haus links an der Bregstraße. Auf der Straßenseite gegenüber begründete Oskar Ketterer 1925 die Deutsche Zählergesellschaft Hamburg-Furtwangen und ab 1936 Ketterer Druckguss. Gründerzelle der Unternehmen war die Villa der Ketterers, von der das Gründerzeit-Tempele am Eingang von Werk 1 stammt, in dem die Entwicklungsabteilung und die Verwaltung untergebracht sind. Der Eingang ist heimelig – keine andere Fa- brik in Furtwangen hat etwas Vergleichbares zu bieten. Das Gründerzeit-Tempele lehnt sich zwei Stockwerke hoch an die Fassade von Ket- terer Druckguss. Sogar in der FAZ war es in den 1980er-Jahren abgebildet, als Synonym für die boomende Fabrikstadt Furtwangen, das „Sili- con Valley des Uhren machenden Schwarz- waldes“. Furtwanger Uhrmacher bauen in ihrer guten Stube Zeitmesser – die Ketterers funkti- onieren Teile ihres Hauses an der Bregstraße in den 1920er-Jahren für die Stromzählerferti- gung um. Einst Villa und Fabrik, ist das frühere Wohnhaus der Familie Oskar Ketterer jetzt aus- schließlich Fabrik. Oskar Ketterer experimen- tiert hier in den 1920er-Jahren für den Radio- und Stromzählerbau. 1925 gründet er in der Ketterer-Villa die Deutsche Zählergesellschaft Hamburg-Furtwangen, 1936 in einem Nebenge- bäude dann zusammen mit seinem Bruder Felix Ketterer die Firma Ketterer Druckguss. „Wir sind Furt wanger – hier leben und hier produzieren wir!“, unter streicht Bernhard Kette- rer beim Gang hinauf in die Entwicklungsabtei- lung des Unternehmens. Sein Bekenntnis zum Standort könnte nicht eindeutiger ausfallen. Und in der Tat: Furtwangen ist „Ketterer-Land“. Der Geschäftsführer von Ketterer Druckguss sieht vom Stammsitz in der Bregstraße aus die nahezu gesamte Familiengeschichte vor sich: In der Häuserzeile unmittelbar gegenüber hat Benedikt Ketterer 1845 die erste Furtwanger Fabrik überhaupt gegründet – eine Uhren- und Gasuhrenfa brik. Gerade 300 Meter davon ent- fernt befindet sich noch bis in die 1980er-Jahre hinein die Badische Uhrenfabrik (Baduf), deren Technischer Direktor und Mit-Begründer Felix Ketterer ist – der Sohn von Benedikt Ketterer und Ur-Großvater von Bernhard Ketterer. Gut 500 Meter südöstlich kann man beim früheren Bahnhof die Fabrik von Benedikt Ket- terer Söhne (BKS) sprich Ketterer Getriebe aus- machen. Zum öst lichen Stadtrand hin versperrt der Großhausberg den Blick, dort befindet sich im Gewann „Am Niegenhirschwald“ das Werk 2, eine der modernsten Druckgießereien Europas. Das Gebäude knüpft an die Ketterer-Tradition an, eine Fabrik nicht lediglich als Zweckbau zu sehen. Seine Architektur ist in Formgebung und Materialwahl hervorragend dem Stadt- und Landschaftsbild angepasst. Und in Hausach schließlich gibt es mit Ket- terer Precision das 1999 erstellte Werk 3 für die Nachbearbeitung der Druckguss-Erzeugnisse. 114

Ketterer Druckguss Die Gründer der Ketterer-Fabriken in Furtwangen: Benedikt Ketterer (1805 – 1871) eröffnete 1845 die erste Fabrik am Ort, eine Uhren- und Gasuhrenfabrik. Sein Sohn Felix Ketterer (1847 – 1911) führte Benedikt Ketterer Söhne an die Spitze der Furtwanger Unternehmen, baute um die Jahrhundertwende die stolze Gründerzeitfabrik an der Um gehungsstraße. Sein Sohn Oskar Ketterer (1881 – 1946) gründete 1925 die DZG und 1936 Ketterer Druckguss. Oskar Ketterer: offen für die neuen technischen Möglichkeiten „Ketterer Druckguss ist der Begeisterung von Oskar Ketterer für technische Neuerungen zu verdanken. Erst ist es die Elektrotechnik, der Bau von Stromzählern, dann der Druckguss, der ihn fasziniert“, streift Bernhard Ketterer die Entstehungsgeschichte seiner Firma. Diese Begeisterung für Neues dokumentiert schon die Abschlussarbeit seines Großvaters an der Furtwanger Uhrmacherschule: Oskar Ketterer fertigt keine Uhr, sondern einen Stromzähler. Mit diesem Know-how baut er im Unternehmen Benedikt Ketterer Söhne (BKS) eine Elektrizi- tätszählerfertigung auf – und lagert sie 1925 als maßgeblicher Mit-Begründer des Unterneh- mens in die Deutsche Zählergesellschaft m.b.h. Hamburg-Furtwangen aus. Oskar Ketterer über- nimmt bei der DZG die Technische Leitung samt Geschäftsführung, zusammen mit Anton Step- per gehört ihm das Unternehmen. Die bedeutendste Firmengründung erfolgt 1936: Ketterer Druckguss. Seit 1928 sammelt er mit dieser Technik erste Erfahrungen, zunächst innerhalb der DZG. Mit der OK FAMI, der Oskar Ketterer Fabrikation von elektrischen Mess- instrumenten, eröffnet er 1937 zusammen mit Bruder Felix ein weiteres Unternehmen. Heute gehört Ketterer Druckguss zu den Marktführern in Europa. Am Niegenhirsch- wald steht mit dem Werk 2 eine der moderns- ten Druckgießereien überhaupt – eine „weiße Gießerei“, wie Bernhard Ketterer erläutert. Die 2001 in Betrieb genommene Gießerei produ- ziert effektiv und umweltfreundlich zugleich, verfügt über 10.000 m² Produktionsfläche. Als ein großer Arbeitgeber der Stadt Furt- wangen feiert Ketterer Druckguss im Jahr 2011 sein 75-jähriges Bestehen – die Wurzeln des Unternehmens aber sind 180 Jahre alt. Die Ket- terers und Furtwangen, das ist eine über nahe- zu zwei Jahrhunderte hinweg gewachsene, in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen der Stadt fein verästelte Verbindung. Zwei Brüder aus Langenbach gründen als Uhrenhändler in England Ketterer & Co. Der Beginn der Ketterer-Saga ist in Langen – bach zu finden. Von hier aus entwickelt sich eine spannende Familiengeschichte – eigent- lich eine amerikanische Erfolgsstory, die im 115

Aus dem Wirtschaftsleben Prächtig illuminiert strahlt die BKS nachts der Stadt entgegen, erinnert an die große Zeit von Furt wangen im Schwarzwald als Uhrenstadt. Die BKS ist auch das Stammhaus von Ketterer Druckguss. Firmengründer Oskar Ketterer war bis 1946 maßgeblicher Gesell- schafter und gehörte zudem der Geschäftsführung an. Schwarzwald und in England spielt: Die Brüder Benedikt und Martin Ketterer vom Philippen- hof wandern 1832 ins englische Portsea aus – die gelernten Uhrmacher gründen dort „Kette- rer & Co.“, handeln mit Uhren. Was sich viele hundert Schwarzwälder dieser Zeit erhoffen – Martin und Benedikt Ketterer gelingt es: Sie gehören nach wenigen Jahren zum Kreis der erfolgreichen Schwarzwälder Uhrenhändler in Südengland, betreiben im eigenen Haus ein florierendes Geschäft. Martin Ketterer bleibt bis 1855 in Portsea, Benedikt Ketterer kehrt nach acht Jahren in die Heimat zurück, er hat neue Pläne. 1840 wird er Furtwanger Bürger. Mit dem beim Uhrenhan- del in England erzielten Gewinn erwirbt er ein Doppelhaus an der Bregstraße und eröffnet da- rin 1845 die erste Fabrik von Furtwangen über- haupt – natürlich eine Uhren- und dann auch Gasuhrenfabrik. Von Anfang an hat Benedikt Ketterer den fabrikmäßigen Bau von Gasuhren im Blick Als Benedikt Ketterer 1845 in der Bregstraße seine Uhren- und ab 1852 auch Gasuhrenfer- tigung aufnimmt, steckt der Uhren machende Schwarzwald mitten in der ersten großen Strukturkrise. Die Jahre 1846 und 1847 sind in Furtwangen wirkliche Hungerjahre, sie mün- den in die Badische Revolution von 1848/49. Die Initiative von Benedikt Ket terer zeugt vor diesem Hintergrund von besonderem Unter- nehmergeist – und von der ausgeprägten Ket- terer-Fähigkeit, Chancen zu erkennen: Benedikt Ketterer eröffnet keine klassische Uhrenwerk- statt, sondern betreibt den Uhren- und Gasuh- renbau als erster Uhrmacher von Furtwangen „fabrikmäßig“, fertigt nach neuen Methoden. Für Benedikt Ketterer und die Stadt gerät die Firmengründung in Furtwangen zum Glücks- fall: Die Fabrik expandiert – bald gibt es ein Zweigwerk am Straßberg. Ein halbes Jahrhun- dert nach der Firmengründung errichtet Felix Ketterer, der 1871 als 24-Jähriger die Nachfol- ge des Vaters antritt, an der Südtangente den Gründerzeitbau der BKS. Felix Ketterer baut ab 1893 dreizehn Jahre lang kontinuierlich die Ketterer-Fabrik aus und steigt um 1910 mit 355 116

Beschäftigten zum größten Arbeitgeber von Furtwangen auf. Dieser Erfolg gelingt ihm mit der Spezialisierung auf den Bau von Zählwer- ken für Gas- und Wasseruhren und schließlich von Stromzählern. Heute gilt die denkmalgeschützte Kette- rer-Fabrik als industrielles Wahrzeichen der Hochschulstadt und erinnert die Furtwanger mit ihrer einzigartigen Erscheinung an ihre glanz- volle Epoche als Uhrenstadt. Die BKS strahlt den Furtwangern vom Fuß des Großhausbergs aus Nacht für Nacht prächtig illuminiert wie ein Fabrikschloss entgegen. An der Gründung der Großherzoglich Badischen Uhrmacherschule beteiligt Die als selbstverständlich empfundene Ver- pflichtung der Ketterers gegenüber Heimat- stadt und Standort kommt besonders in der vielfach bewiesenen gesellschaftlichen Verant- wortung zum Ausdruck – das ist Nachhaltigkeit über nunmehr 180 Jahre hinweg. Bei Ketterer wurzelt diese Tradition in der Persönlichkeit von Benedikt Ketterer, der zu den Gründern des „Gewerb-Vereins auf dem Uhren machenden Schwarzwald“ und der Großherzoglich Badi- schen Uhrmacherschule zählt. Weiter erwirbt er sich durch sein Engagement bei der Einführung des Gasuhrenbaues im Schwarzwald besonde- re wirtschaftspolitische Verdienste und erhält 1858 die Silberne Medaille des Landes Baden. Sein Sohn Felix Ketterer tritt dieses Erbe auf geradezu einmalige Weise an: Sein Lebens- werk im Dienst der Furt wanger Industrie und der Stadt ist nahezu einzigartig – Felix Ketterer gilt als einer der großen Bürger der Uhrenstadt. Unternehmer wie er sind es, die in Städten wie Furtwangen über Parteigrenzen hinweg als ver- lässliche Größe gelten. Nicht nur, dass er die BKS und die durch ihn wesentlich mitinitiierte Badische Uhrenfabrik an die Spitze ihrer Ent- wicklung führt: Felix Ketterer wirkt im Gemein- derat und Bezirksrat, ist in vielfacher Ein sogenannter Gasautomat mit Münz einwurf, wohl 1890er- Jahre. Ketterer Druckguss Zifferblatt einer englischen Bodenstanduhr aus der Zeit um 1850, vertrieben von Martin Ketterer in sei- ner Uhrenhandlung mit Werkstatt in Portsea. Einige Daten: massives Messingplatinenwerk mit Anker- gang, Rechenschlagwerk mit stündlicher Auslösung auf Glocke, Sekundenpendel mit direkter Anzeige, Datumsanzeige sowie Anzeige der Mondphase. Hinsicht sozial und kulturell engagiert, ist Mit- glied in jedem Furtwanger Verein. Sein Sohn Oskar Ketterer gründet mit Ketterer Druckguss, der DZG Hamburg-Furt- wangen und der Fabrikation von Messinst- rumenten nicht nur drei Firmen, sondern för- dert wie Felix Ketterer das Vereinswesen in seiner ganzen Bandbreite. Der Gesangverein Arion liegt ihm besonders am Herzen, der vie- len älteren Furtwangern noch vertraute Sän- gerbrunnen am Rössleplatz mit seiner hölzer- nen Brunnenfigur war eine Spende von ihm. Er entstand aus Anlass des 100-jährigen Be- stehens des Vereins im Jahr 1938 und zierte jahrzehntelang den Rössleplatz. Heute ist 117

Wirtschaft er in zeitgemäßer Form neben dem Rathaus zu finden: Bernhard Ketterer hat den Sängerbrun- nen durch den international renommierten Furt- wanger Bildhauer Hubert Rieber neu ausführen lassen. In Bronze gegossen, erinnert das Kunst- werk an die große Zeit des „Arion“ und ist ein Schmuckstück der Stadt geworden. Bernhard Ketterer würdigt damit auch das Engagement seines Vaters Lothar Ketterer, der von Oskar Ketterer die Liebe zum Gesang geerbt hat. Lothar Ketterer war Sänger im Ge- sangverein Arion und fungierte als Präsident des Schwarzwaldgau-Sängerbundes, dessen Ehrenpräsident er heute ist. Lothar Ketterer war vor allem aber auch jahrzehntelang Geschäfts- führer von Ketterer Druckguss. Die jüngere Firmengeschichte Im Juli 1944 verkaufen Oskar und Felix Ketterer ihre Druckgießerei an die drei Söhne von Oskar Ketterer. Das Unternehmen firmiert weiterhin als Oskar Ketterer OHG Spritz- und Pressgieße- rei. Zehn Monate später ist der Zweite Weltkrieg zu Ende – die Stunde Null ist da. Die neuen In- haber Lothar, Herbert und Siegfried Ketterer sehen mit Sorge der anstehenden Demontage von Maschinen durch die französische Besat- zungsmacht entgegen. Bis Ende 1947 werden insgesamt 15 Maschinen im Gesamtwert von 30.774 Reichsmark requiriert. Das große Glück: Die für die Produktion sehr wichtige Horizon- tal-Kaltkammer-Druckgießmaschine mit 300 t Schließkraft ist im Boden verankert und ihre Druckwasser Erzeu- gungsanlage ein- gemauert. Der fran- zösischen Besat- zungsmacht ist es zu umständlich, die- se Maschine zu de- montieren. So kann Ketterer schon bald nach Kriegsende er- neut die Produktion von Druckgussteilen aufnehmen. Lothar Ketterer 118 Der von Oskar Ketterer in den 1930er-Jahren zum 100-jährigen Bestehen des Gesangvereins Arion ge- stiftete Sängerbrunnen konnte dank einer Spende von Lothar und Bernhard Ketterer neu entstehen. Die bronzene Brunnenfigur hat der renommierte Furt- wanger Bildhauer Hubert Rieber geschaffen. Für die Spritz- und Pressgießerei beginnt in den 1950er-Jahren eine Zeit des Aufbruchs. Stetiges Wachstum erfordert 1960 den Bau einer neuen Gießereihalle. Doch mitten im Bau der neuen Halle fällt im Februar 1961 die „alte Fa- brik“ einem nächtlichen Großbrand zum Opfer. Dieser schwere Rückschlag ist allerdings zu- gleich auch eine Chance: Ketterer Druckguss baut jetzt ein zweistöckiges Fabrikgebäude, kann alle Arbeitsabläufe neu organisieren und zugleich neue Maschinen in Betrieb nehmen. An der Spitze des Unternehmens stehen nach dem frühen Tod von Siegfried Ketterer im Jahr 1948 die Brüder Lothar und Herbert Ketterer. Mit dem Eintritt von Bernhard Ketterer ins Unternehmen beginnt bei Ketterer Druckguss im Jahr 1974 eine neu Ära. 1982 übernimmt er die Geschäftsführung. Dieses Jahr markiert

zu dem eine grundlegende Veränderung auf Seiten der Gesellschafter: Lothar Ketterer er- wirbt die Anteile seines Bruders Herbert und ist jetzt zusammen mit seinem Sohn Bernhard der Alleininhaber der Druckgießerei. In enger Zusammenarbeit mit Ehefrau Anneliese Kette- rer geb. Gräf und Fertigungsleiter Franz Kalten- bach baut Bernhard Ketterer das Unternehmen in den kommenden drei Jahrzehnten zu einer der führenden Druckgießereien in Europa aus. Auf Besuch im Werk 2 – Bis zu 60 Prozent der Produktion geht ins Automobil Als am Ende der 1990er-Jahre nur ein Neubau die enormen Platzprobleme im Werk 1 besei- tigen kann, zeigt sich die Verbundenheit zum Standort Furtwangen erneut. Bernhard Ket- terer hat schon Jahre zuvor am östlichen Ein- gang der Stadt beim Engelsgrund ein Grund- stück erworben – es liegt unmittel bar an der Umgehungsstraße. Dort baut er in den Jahren 2000/2001 das Werk 2, eine moderne, funktio- nelle Gießerei. Die Fabrikantenfamilie Ketterer erstellt damit in Furtwangen den bereits dritten großen Industriebau samt zahlreicher Neben- bauten. 40 bis 60 Prozent der Jahresproduktion von Ketterer gehen ins Automobil, in die Pkw- und Lkw-Fertigung. „Wir sind ganz nah an der neues ten Entwicklung dran, gleich ob es sich um Teile für neue Hybrid-Fahrzeuge oder Mem- branpumpen handelt, die eine bessere und damit sauberere Dieselverbrennung ermögli- chen“, unterstreicht Bernhard Ketterer die Be- deutung dieses Geschäftsbereichs und ver- weist damit zugleich auf die hohe Qualifikation des Unternehmens. Gerade im Automobilbau spielen Druck- gussteile ihre Qualitäten besonders gut aus: höchste Festigkeit und Belastbarkeit bei ge- ringem Gewicht und hoher Wirtschaftlichkeit in der Herstellung. Weitere Vorteile sind Ge- nauigkeit, geringe Nachbearbeitung, die glat- te Oberfläche bei einer scharfen Ausprägung der Konturen sowie die Dünnwandigkeit. Beim Druckguss können höchst komplexe Bauteile samt Bohrungen, Schlitzen, Verzahnungen oder Ketterer Druckguss Anneliese und Bernhard Ketterer. Zusammen mit sei- ner im September 2011 verstorbenen Frau hat der ge- schäftsführende Inhaber das Unternehmen Ketterer Druckguss zu seiner heutigen Größe geführt. Schriftzeichen und Ziffern in einem einzigen Arbeitsgang realisiert werden. Bauteile dieser Komplexität setzen sich bei einem anderen Fer- tigungsverfahren oft aus mehreren Einzelteilen zusammen. Voraussetzung hierfür ist allerdings Perfek- tion bei der Entwicklung und im Formenbau. Detailliertes Wissen um alle 36 Parameter, die den Gießvorgang beeinflussen, ist ebenso ver- langt wie der Einsatz komplexer, computerge- steuerter Simulationsverfahren. Das größte Problem des Druckgießers ist die Luft in der Kavität und die Luft, die mit der Schmelze in die Form einschießt. Sie muss ent- weichen können oder innerhalb des Gussteils in eigens dafür vorgesehene Hohlräume strömen, damit die Qualität des Produkts gewährleistet ist. Unter Einsatz eines Computertomographen prüft Ketterer laufend die Beschaffenheit der Teile, sieht so, ob sich die Lufteinschlüsse dort befinden, wo sie vorgesehen sind. Die Komplexität des Formenbaus stellt eindrucksvoll ein Gang durchs Werkzeugla- ger unter Beweis. Rund 3.000 Formen lagern im Werk 2, ein wahres Vermögen an Entwick- lungskosten und Know-how. Tonnenschwere 119

Aus dem Wirtschaftsleben Ketterer Druckguss war einst der größte Hersteller von Autokarosserien in Europa – von Spielzeug- autos der Marke Darda nämlich. Die Karosserien wurden in Millionenauflagen gegossen. Formen sind es, die beim Druckgießen zum Ein- satz kommen und die nur mit Hilfe von Spezial- vorrichtungen an die jeweiligen Gießmaschinen gebracht werden können. Bernhard Ketterer ist Druckgießer aus Lei- denschaft. Das spürt man bei jedem Satz, mit dem er in die Besonderheiten dieser Technolo- gie einführt. „Druckguss ist Handwerk“, stellt er fest. Im Werk 2 mag man ihm das zunächst nicht glauben: Wir stehen mitten in einer der modernsten Druckgießereien Europas. Hier produzieren im Drei-Schicht-Betrieb neun Kalt- kammer- und vier Warmkammergussmaschinen jährlich über 5 Mio. Druckgussteile. Ihre Zuhal- tekräfte reichen von 20 bis 400 Tonnen. Bei Warmkammer-Druckgießmaschinen liegt die Gießkammer im beheizten Metallbad. Mit einer Form können unter Einsatz von Zink- legierungen bei diesem Verfahren bis zu 1 Mio. Gießvorgänge erfolgen. Bei der Kaltkammer- Druckgießmaschine hingegen wird das Metall im Vorschmelztiegelofen bei ca. 750 Grad ge- schmolzen und dann automatisch in die „kal- te“ Gießkammer der Maschine eingebracht. Im Kaltkammerverfahren bei Verwendung von Alu miniumlegierungen sind es bis zu 100.000 Gießvorgänge, die mit einer Form erfolgen. Der Druckguss erfolgt in Millisekunden Das geschmolzene Material wird in Transport – tiegel eingefüllt und an die Gießmaschinen ge- bracht. Dort geschieht alles in Millisekunden: Ein Kolben schießt das flüssige Metall mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10 m in der Sekun- de und bei einem Druck von bis zu 150 bar in die Hohlräume der geschlossenen Form hinein. Das Aluminium erstarrt sofort, Sekunden spä- ter entnimmt ein Roboter vollautomatisch das Druckgussteil. Seine Qualität wird durch eine Spektralanalyse überprüft. Ohne Automatisierung wäre moderner und vor allem wirtschaftlicher Druckguss undenk- bar. Der geschäftsführende Inhaber Bernhard Ketterer: „Der Druckgießer ist heute gezwun- gen, im Drei-Schicht-Betrieb zu arbeiten und durch eine immer effizientere Produktion einen immer höheren Umsatz zu erzielen. Nur so kön- nen wir im weltweiten Wettbewerb bestehen.“ Wie vielfältig der Druckguss ist, dokumen- tieren seine breit gefächerten Anwendungsbe- reiche, die vom Spielzeugauto bis hin zur Me- dizin- und Luftfahrttechnik reichen. Druckguss findet sich im Auto – die Palette reicht vom Auspuff über Motorenteile und Handbremse bis hin zum Gehäuse des Auto radios samt Dreh- knöpfen – ebenso im Schnellkochtopf oder als Abschirmrahmen im Handy. Weil die Haptik wieder wichtiger wird, sich die Hersteller teils vom „Kunststofflook“ absetzen wollen, liefert Ketterer auch edle Oberflächen für Büromöbel. Druckgussteile von Ketterer sind maßgeschneidert, optimiert und von höchster Perfektion. 120

Aus dem Wirtschaftsleben Blick ins Werk 2, in eine der modernsten Druckgießereien in Europa. Bild rechts: Entnahme eines Vierfach-Gieß- lings durch den Roboter. Links und rechts sind die beiden Formhälften zu erkennen, in denen das Druckgussteil in geschlossenem Zustand unter hohem Druck gegossen wird. Scher köpfe für Spezialscheren, Bestandteile des Skalpells, die Druckausgleichsmechanik im Airbus, Gehäuseteile für medizinische Apparate oder die deutschlandweit bekannten DIN-Hin- weisschilder für Gas- und Wasserleitungsnetze. Aus Zink-Kupfer-Legierungen werden Spiel- walzen für Uhrwerke und Spieluhren gefertigt, aus Aluminium-Silicium Legierungen gießt Ket- terer-Flügel für Ventilatoren, Magnetträger mit eingepresstem Kugellager und Lüftergehäuse. Aber auch Trennwände, die in medizinischen Ge- räten zum Einsatz kommen und von denen ex- treme Dünnwandigkeit verlangt ist. Ketterer liefert die Druckgussteile komplett bis zum letzten Schliff, bringt sie mit speziellen Entgratungsverfahren oder Gleitschleifen in Best form. Die Nachbearbeitung erfolgt zu groß- en Teilen im Werk 3 in Hausach, wo zur Zeit 12 CNC-Bearbeitungszentren im Einsatz sind. Druckguss ist eine moderne Technologie und Ketterer ist darin führend. Damit die maß- geschneiderten, optimierten Komplettlösungen vom Auftragseingang über Planung, Konstruk- tion, Fließsimulation und Werkzeugbau bis zur Endfertigung auch künftig unter optimalen Be- dingungen in bewährter Qualität erfolgen, plant Bernhard Ketterer gegenwärtig die Erweiterung von Werk 2 und damit die erneute Stärkung des Standortes Furtwangen. Bernhard Ketterer: „Neue Herausforderungen motivieren uns, wir arbeiten dafür, dass unsere Kunden erfolgreich sind!“ Wilfried Dold Der Computertomograph im Einsatz. Rechts: Trennmittelauftrag auf eine Formhälfte (Auswerferseite). 121

Wirtschaft Schwarzwalduhr mit jungem Design Die Schonacher Uhrenmanufaktur Rombach & Haas erreicht mit ihren modern designten Schwarzwalduhren international Aufmerksamkeit Alteingesessen und doch modern – so lässt sich der Uhrenhersteller Rombach & Haas beschreiben. Für die Schonacher Uhrenfabrik, oder besser Uhrenmanufaktur, interes- sieren sich immer mehr Fernsehsender und Zeitschriften, denn die Produkte, die die Firma Rombach & Haas verlassen, sind alles an dere als Mas- senware: Conny und Ingolf Haas haben der Schwarzwalduhr mit modernem Design zu einem neuen Äußeren verholfen. Sie betonen: „Wir haben die traditionelle Kuckucksuhr mit ihrem weltweit bekannten Aussehen ins moderne Zeitalter transportiert. Die histori- schen Modelle sind auf dem ganzen Globus beliebt, bei uns jedoch werden überliefer- te Formen dem heutigen Geschmack entsprechend modernisiert.“ Betritt man das Firmengebäude im Zent- rum Schonachs, das direkt an der Haupt- straße gegenüber des Mühlenweihers am Kurgarten liegt, fühlt man sich ein wenig auch in eine Zeit versetzt, in der noch Pferd und Kutsche die Geschwindig- keit des Warenverkehrs be- stimmten. Hier wird noch an Werkbänken aus dem 19. Jahrhundert gearbeitet und die Kleinteile der Uh- ren, wie Zeiger, Vögel oder die Türen von Kuckucksuh- ren befinden sich in alten Holz- kästen mit Porzellan knöpfen, die vom Herausziehen ganz dunkel geworden sind. Der Holzbo- den ist im Lauf der Jahrzehnte vom vielen Begehen und Put- zen glänzend geworden, das Großes tradtionelles „Jagdstück“ mit aufwendiger Schnitzarbeit. Die Uhr wurde durch die Familie Haas mit tausenden von Strasssteinen belegt, jeder Stein ist einzeln angebracht. Höhe: 95cm Breite: 55cm 122 Licht im Materiallager ist schummrig. Eine altertümlich anmutende Waage und uralte Werkzeuge finden sich in der Werkstatt. Kurzum, seit der Grün- dung der Firma hat sich hier nicht viel geändert. 1894 wurde das Unterneh- men von Gregor Rombach gegründet. Damals betrieb man die Geschäfte mit den Uhren allerdings noch als Nebengewer- be für den Lebensunter- halt reichte der Uhrenhandel nicht aus. Im Herzen Scho- nachs gelegen, bot es sich an, auch Lebensmittel zu verkaufen. In einem um- gebauten Bauernhof an der Hauptstraße lief das Geschäft gut, vor allem mit den Uhren. Nach ein paar Jah- ren lief es so gut, dass man die Lebensmittel außen vor ließ und fortan nur noch Uhren produzierte. Die Firma produ- zierte von Anfang an Schwarzwalduhren, hauptsächlich die Kuckucksuhr.

Uhrenmanufaktur Rombach & Haas Modern und traditionell: Ingolf Haas zeigt eine modern designte Kuckucksuhr, das mit weltweitem Erfolg vertriebene Spitzenmodell der Uhrenmanufaktur Haas & Rombach. Ehefrau Conny Haas ist zugleich Uhrenschildmalerin, präsentiert hier eines ihrer Werke: eine traditionell bemalte Lackschilduhr mit der für Conny Haas typischen Apfelrose. 123

Wirtschaft Eine Kuckucksuhr entsteht: Herbert Haas in der Werkstatt. Der Gründer der Uhrenmanufaktur stamm- te von Rensberg, heute ein Ortsteil Schonachs. Uhrentechnisch war er sehr fingerfertig, aber kaufmännisch haperte es etwas. So entschloss sich Gregor Rombach einen versierten Kaufmann mit ins Boot zu holen. Den fand er in Christian Haas, der ebenfalls vom Rensberg stammte. Es muss wohl in den Jahren 1918/1919 gewesen sein, als Rombach Chris tian Haas 50 Prozent Anteile an der Firma anbot und dieser auch zu- griff. Der Firmengründer war damals allerdings schon in einem gesetzteren Alter, seine beiden Töchter wollten die Firma nicht übernehmen, nur einige Jahre später übernahm daher Haas die Firma komplett. Der Name aber blieb. Die Geschichte des Unternehmens spielte sich fort- an in der Familie Haas ab. In der Zeit zwischen den beiden Weltkrie- gen liefen die Geschäfte gut; man hatte um die 15 Mitarbeiter. Anders als heute produzierte man die Uhren nahezu eigenständig. Auch als Ausbildungsbetrieb machte sich die Firma einen Namen. Schon damals lief das Geschäft mit dem Export aus- gezeichnet, die Schonacher Uhren gingen nach ganz Europa. Einen Strich durch die Rechnung machte allerdings der Zweite Weltkrieg. Zwar produ- zierte man in diesen dunklen Tagen auch; der Export brach aber nahezu ein. Nach der Kapi- tulation musste man die Produktion einstellen, die Besatzungsmacht Frankreich, in Schonach waren es die verbündeten marokkanischen Sol- daten, zog in die Uhrmacherwerkstatt ein und stellte dort ihre Tiere unter. Christian Haas sah schon lange vor dem Ende des Krieges den Untergang kommen. Um auch für die Zeit nach der Stunde Null gerüstet zu sein, zog er in seine Werkstatt einen zweiten Boden ein, versteckte dort Uhren, die nach dem Ende der Naziherrschaft als Tauschmaterial für Lebensmittel dienten. Ein Geschäftsmann aus Amerika ordert Tausende von Kuckucksuhren Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkrie- ges nahm man die Produktion wieder auf. Christian Haas hatte mit seiner Frau Leo- nie zwei Kinder, Tochter Ingeborg und Sohn Herbert. Vorausblickend schickte er seinen Sohn Herbert nach England. Dort sollte er bei einer Gastfamilie 124

Uhrenmanufaktur Rombach & Haas Oben v. links: Die Kataloge 4 und 5 der Uhrenmanu- faktur Haas aus den 1920er bis 1940er-Jahren. Mitte: Die Fotos aus den 1940er/50er-Jahren zeigen die Belegschaft vor der Werkstatt und den Abtransport der Uhren zum Bahnhof nach Triberg. In Dutzenden von kleinen Schubladen befinden sich Zeiger, Uhren- türchen und Ornamente für die Montage der Uhren- gehäuse. Rechts das Firmengebäude heute. die Landessprache erlernen, um so später ein- mal Geschäftskontakte mit Kunden im Ausland knüpfen zu können. Für Herbert war es keine leichte Zeit. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Deutscher in England zu leben, war alles an- dere als angenehm. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland stieg Herbert in die Firma seines Vaters ein. Er erlernte das Handwerk des Feinmechani- kers und des Uhrmachers. Wie es der Zufall so wollte sprach ihn einige Jahre später ein Gast des Schonacher Hotel Rebstock in einem Kau- derwelsch aus Deutsch und Englisch an. Der Mann suchte einen Uhrmacher, der Englisch sprach, denn er wollte Schwarzwalduhren im großen Stil in die USA exportieren. Schon kur- ze Zeit später war das Geschäft unter Dach und Fach. Der amerikanische Geschäftsmann, er stellte sich als Besitzer einer großen Laden- kette heraus, kaufte in Schonach Tausende von Uhren. Zahlreiche Uhrenfabriken in Schonach hatten so ein Einkommen. 125

Wirtschaft Die Uhren der Serie „ART“ sind künstlerisch gestaltete und mit einem Zertifikat versehene Einzelstücke. Sie werden somit nur ein einziges Mal gefertigt und sind nach deren Verkauf nicht mehr erhältlich. Mechani- sches 8-Tage Kuckucksuhrenwerk, VdS geprüfte „Original Schwarzwälder Kuckucksuhr“. Ingolf Haas erlernt das Uhrmacher- handwerk und übernimmt die Firma Anfang der 1970er-Jahre übernahm Her- bert Haas, der mit seiner Frau Gritta zwei Kinder hatte, das Geschäft von seinem Vater. Die Firma lief gut, man schickte zahlreiche Produkte ins Ausland. Die Zahl der Mitarbeiter hatte sich dennoch verklei- nert. Mittlerweile hatte man zahlreiche Zu- lieferfirmen und auch die Uhrwerke, die frü- her noch selbst zusammengebaut wurden, kamen nun komplett von der Schonacher Firma Burger. Ihren Höhepunkt er reichte die Uhrenfabrikation in Schonach Mitte der 1980er-Jahre. Der hohe Dollar-Kurs trieb die US- Amerikaner nach Deutschland, und sie kauften eine Unmenge an Schwarzwalduhren! In den 1980er-Jahren trat die dritte Ge- neration der Familie Haas in die Firma ein. Sohn Ingolf erlernte von 1979 bis 1982 ebenfalls das Uhrmacherhandwerk in der Uhr- macherschule in Furtwangen. Eigentlich wollte er danach in die Welt hinausziehen, aber es hielt ihn im Schwarzwald. Vor allem die historischen Uhren hatten es ihm angetan, wie er erzählt. Halbtags arbeitet er nun für seinen Vater, den an- deren halben Tag stellt er Reproduk- tionen alter Schwarzwalduhren her. Zupass kam es ihm da, als er seine Ehefrau Conny kennen lernte. Die Post- angestelle malte für ihr Leben gern und fing an, die Uhrenschilder der Reproduk- tionen zu bemalen. 1988, nach der Ge- 126 burt des ersten Kindes, kündigte Conny bei der Post und stieg ganz in die Uhrenmalerei ein. Das Geschäft mit den nachgebauten historischen Uhren lief gut, Sammler, die sich die Originale nicht leisten konnten, rissen sie der Firma Haas förmlich aus den Händen. China löst als Haupt-Exportland nach und nach Amerika ab 1996 übernahmen Conny und Ingolf Haas dann die Firma in dritter Generation. Vater Herbert hilft mit seinen heute 81 Jahren nach wie vor mit. Ebenfalls nach wie vor ex- portiert man zahlreiche Uhren in alle Herren Länder, allerdings löst China als Hauptland langsam die USA ab. Bis dato stellte man die Kuckucks- uhren der ersten und zweiten Gene- ration her. Wobei die erste Generation die ursprüngliche Form war, entstanden im Jahr 1738, als wohl Anton Ketterer aus der vor- wiegend mit Blumen bemalten Schilder- uhr die erste Ku ckucksuhr entwi- ckelte. Aus der zweiten Generation entwickelte sich um 1850 die heute weltbekannte, geschnitz- te Form der Uhr, die von Friedrich Eisenlohr ent- wickelt wurde. Zurück in die Gegen- wart. Nach wie vor sind heute die traditionellen Schwarzwald- und Ku- ck ucks uhren im Programm. Zahlreiche Modelle mit edlen und vor allem zahlreichen Schnitzereien finden ihre Abnehmer. Aber auch Schilderuhren, kunstvoll von Conny Haas per Hand bemalt und je nach Vorliebe auch persona lisiert, haben Liebhaber.

Auf vielfache Weise der Schwarzwälder Tradition und Uhrmacherkunst verbunden: Conny und Ingolf Haas sind hier auf einer Messe als Schwarzwälder Uhren- träger präsent. Gefragt sind die von Conny Haas bemalten Uhrenschilder. Wie früher üblich, ist auch bei Conny Haas die Apfelrose ein wiederkehrendes Element. Jeder Uhrenschildmaler entwickelt seine eigene Rose. Uhrenmanufaktur Rombach & Haas 127

Wirtschaft Die Kuckucksuhr als Kunstwerk, auch diese Uhr ist ein Unikat. Mit derart modern gestalteten Uhren- objekten hat das Schonacher Unternehmen gerade auch in den Trendläden in Metropolen wie Berlin großen Erfolg. Kuckucksuhren der dritten Generation Im Jahr 2005 kam man auf die Idee, die Kuckucksuhr aufzu- peppen; nun war die dritte Genera- tion geboren: Moderne Kuckucks uhren im zeitgenössischen Stil. Das etwas ein- gestaubte Klischee der altehrwürdigen Kuckucks uhr wurde komplett aufpoliert. Galten die handgeschnitzten und reich verzierten Kuck ucksuhren vor einigen Jahren noch als Symbol der Spießigkeit, erlebt die Uhr dank des neuen Designs heute einen Boom. Manch einem Trendsetter gilt der neue Stil gar als Kultobjekt. Farbenfroh und mit klaren Linien und Formen kommt die neue Kuck ucksuhr da- her. Aber auch die handgeschnitzte Uhr blitzt und blinkt im neuen Stil: mittels Tausender von aufgeklebten Strasssteinchen. Bezeichnend auch die Namen der neu- en Modelle: das „Vogelhaus“ etwa. Hier ruft der Kuckuck durch ein Loch in der Vorderfront und kann seitlich frei betrachtet werden. Oder „Vogel- frei“, hier thront der Vogel frei auf dem Gehäuse der Uhr. Der Form und Farbgebung sind keine Grenzen gesetzt. Auch beim Mate rial experimentiert man. So arbei tet man mit einem Ma- terialmix: Eiche, Ahorn oder Kirschbaum werden zusammen in einer Uhr verarbeitet und ergeben ein ganz neues Bild. Neueste Idee: Die Ku- ckucksuhr aus Bambus. Der schnell nachwachsende Roh- stoff gilt als sehr ökologisch. Schnitzereien sind bei der Schwarzwalduhr der dritten Ge- neration selten geworden. Man setzt hier eher auf gravierte oder handgemalte Motive. Mit diesen modernen Uhren konnte man in den letzten Jah- ren in Deutschland wieder große Marktanteile zurückerobern. „Die traditi o nellen Uhren gehen meist ins Ausland, in Deutschland verkaufen wir hauptsächlich die modernen“, erklärt In- golf Haas. Wie bekannt die Firma ist, zeigt die Anzahl der Messen und Ausstellungen, auf denen die Schonacher vertreten sind. Ob in Freiburg, Berlin, Brüssel, Shanghai oder in der USA, überall erregt der Messestand der Uhrenmanufaktur Aufsehen. Auch zahlreiche Fernsehberichte sind entstanden und ganze Magazinseiten füllte das Unter nehmen schon aus. Dass Rombach und Haas natürlich auch Mitglied beim Verein Schwarzwalduhr ist, ver- steht sich von selbst. Und somit ist den Kunden auch offiziell bescheinigt, dass das gekaufte Produkt exklusiv im Schwarzwald gefertigt wurde. Und nicht nur das Endprodukt, auch alle Einzelteile müssen aus dem Schwarzwald stammen. Als zusätz li- ches Kriterium gilt, dass die Uhr ausschließlich me- chanisch arbeiten muss. In- golf Haas ist übrigens seit 1998 der überaus engagierte Präsident des Verbandes. Ob Grün, Blau, Silber, Rot oder Schwarz, ob farb- lich deckend oder transparent gefärbt, so dass die Holzmaßerung sichtbar bleibt: Eine traditio- nelle Kuckucksuhr in Rautenform ist eine Uhr, die jung geworden ist und jede Wand verschönert. Uhrwerke wie vor hundert Jahren! Eines aber ist der Schwarzwalduhr nach wie vor erhalten geblieben: ihr ange- stammtes mechani sches Innenleben! 128

Uhrenmanufaktur Rombach & Haas Ingolf Haas (oben links) hat die Uhrenmanufaktur Rombach & Haas von Vater Herbert Haas (unten links) über- nommen, der auch im Alter von 81 Jahren noch in der Werkstatt mitarbeitet. Neben vielen modern ausgeführten Uhren entstehen dort auch Schwarzwalduhren traditioneller Prägung für Liebhaber in aller Welt. Noch heute laufen in den Uhren Werke, wie sie vor hundert Jahren auch schon eingebaut wurden – keine Quarzwerke, sondern mecha nische Uhrwerke werden verwendet! Auch der Kuckucksruf bleibt mittels Blasebalg traditio- nell. Ebenso will das Inhaber- ehepaar nichts an den Räum- lichkeiten ändern. Trotz aller Moderne der Produkte will man die Atmosphäre der al- ten Werkstatt beibehalten. Heute beschäftigt das Unter- nehmen fünf Mitarbeiter. Die Produktion besteht wie vor hundert Jahren größtenteils aus Handarbeit. Allerdings bekommt man im Gegensatz zu früher die einzelnen Kom- ponenten von Zuliefe rerfirmen aus der näheren Umgebung ins Haus geliefert. Ein großer Schritt steht der Firma nun allerdings bevor: Man hat das ehemalige Haus „Birkenbad“ gekauft, das nur einen Stein- wurf von der altehrwürdigen Werkstatt entfernt liegt. Hier sollen im Untergeschoss eine weitere Werkstatt sowie Bü- ro-, Lager- und Aufenthalts- räume entstehen. Mittlerweile steht auch die fünfte Generation der Familie Haas in den Startlö- chern, die Zukunft des Unter- nehmens ist also gesichert. Claudius Eberl 129

Wirtschaft Küpper-Weisser – Experten für Räumen und Streuen Von der Baar in die Welt: Schneepflüge und Streufahrzeuge stammen oft aus Bräunlingen – 2001 wurde Küpper-Weisser vom Schweizer Familienunternehmen Boschung übernommen Schneepflüge und Streufahrzeuge für den Winterdienst stammen oft aus Bräunlingen. Die Küpper-Weisser GmbH bedient von der Baar aus den gesamten europäischen Markt und Asien – die Kunden sind Kommunen und Landkreise, Firmen, aber auch große inter- nationale Flugplätze sowie Autobahn- und Straßenmeistereien. Küpper-Weisser steht für mehr Sicherheit im Straßenverkehr – und dazu gehört neben hervorragenden Produkten und kompetenter Beratung ein um- fassendes Know-how in Sachen Winterdienst, das u.a. auch bei internationalen Fachtagungen in Bräunlingen zum Ausdruck kommt. Wie innovativ das Bräunlinger Unternehmen ist, zeigt sich an neu entwickelten Technologien wie die Früh- erkennung des Straßenzustandes über Sensortechnik und Flüssigstreuen. Die Fachleute bei Küpper-Weisser sind sich einig: das Streuen mit reiner Sole muss in die Zukunft des Winterdienstes integriert werden. Bei bester Zukunftsperspektive feierte das 1931 von Hubert Weisser gegründete Unternehmen 2011 seinen 80. Geburtstag. Derzeit sind 210 Mitarbeiter bei „Küpper-Weisser“ beschäftigt, 170 davon im Produktions-Werk in Bräunlingen, weitere 40 Mitarbeiter im Außendienst und Ser vice. Das über Jahrzehnte selbstständige Unter- nehmen im Bräunlinger Gewerbegebiet wurde 2001 von dem Schweizer Familienunterneh- men Boschung, einem langjährigen Geschäfts- partner, zu 100 Prozent gekauft. Damit gehört Küpper-Weisser zu einem Kon zern, der sich in der Produktsparte Enteisungstechnologie als internationaler Branchenführer versteht. Die Maschinen aus Bräunlingen haben den Ruf, gründlich durchdachte, modernste Systeme der Enteisungs- und Streutechnologie zu sein. Einige Meilensteine der Firmengeschich- te: Das Unternehmen wurde 1931 von Hubert 130 Weisser gegründet, der 1936 den ersten Sand- streuer baute. 1953 stieg Willy Küpper in die Geschäftsleitung ein. Im Jahr 1978 wird die Feuchtsalz technologie eingeführt, 1983 beginnt Küpper-Weisser bietet ein umfassendes Know-how auf dem Gebiet der Streutechnik. Oben ein Beispiel für Flüs sigstreuen. Foto rechte Seite: Die Einkammer- Streu maschine IMS E ist die perfekte Streumaschine für alle Lkw Baureihen.

Aus dem Wirtschaftsleben 131

Luftbild des Unternehmens Küpper-Weisser in Bräunlingen, wo 210 Mitarbeiter beschäftigt sind. der Vertrieb von Kehrmaschinen. 1991 schließ- lich wird der Produktionsstandort von 7.000 auf 16.000 Qua dratmeter erweitert. 2007 wird die Flüssigstreumaschine „Fullwet“ am Markt ein- geführt, 2010 die Kombistreuma schine „Com- biwet“. „Die Streutechnik hat eine große technische Weiterentwicklung erfahren“ Der Standort im Schwarzwald war ideal für die Entwicklung und Produktion von Wintermaschi- nen. Das Testgebiet vor der eigenen Haustüre ließ in der Folge ein breit gefächertes Angebot an Maschinen entstehen, das ständig fortent- wickelt wird. Paul Rosenstihl, seit fünf Jahren Geschäftsführer, fing vor 28 Jahren bei Küpper- Weisser als Konstrukteur an und wirkte viele Jahre als Chefkonstrukteur. „Die Streutechnik in all ihren Facetten hat eine große technische Wei- terentwicklung erfahren“, betont er. Als ehema- ligem Chefkonstrukteur ist ihm der Bezug zur Praxis enorm wichtig und Rosenstihl sucht des- halb ständig den Kontakt zum Kunden. Auch die theoretischen Grundlagen beherrscht Küp- per-Weisser wie kein anderes Unternehmen am Markt. Die Firma Küpper-Weisser versteht sich als ein wichtiger Wissensträger; daraus schöpft sie ihre hohe Entwicklungskompetenz. 132 Mit Weitsicht agierte man bei dem Bräunlin- ger Traditionsunterneh- men schon früher: Paul Rosenstihl lobt Willy Küpper, der 1953 in die Geschäftsleitung des Unternehmens einstieg und den Blick in die Zu- kunft richtete, indem er sich im internationalen Geschäft engagierte. Geschäftsführer Paul Rosenstihl Willy Küpper sei offen gewesen für neue Techni- ken, ob sie nun von außen kamen oder aus der Entwicklung im eigenen Haus stammten. „Das hat mich geprägt und mir viele Möglichkeiten eröffnet. Wenn man engagierte Arbeit leistet, kreativ ist und Mut hat, dann kann man etwas bewegen“, ist Paul Rosenstihl überzeugt. Und er ergänzt: „Dieser Qualitätsgedanke ist die Basis für unseren Erfolg in Europa und im asiatischen Raum. Unser Know-how hilft uns bei der stetigen Investition in zukunftsorientierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte.“ Mit dem Einstieg und mit der Übernahme durch die Schweizer Boschung Holding im Jahr 2001 sind bei Küpper-Weisser Kontinuität und innovative Technik zur Philosophie geworden. Neue Technik bedeutet bei Küpper-Weisser

nicht nur harte Schmiedearbeit: Schweißen, Abkanten, Verformen oder Schneiden von Me- tallen und Montage oder Zusammenbau von Tei- len. Die grundlegenden Techniken der Metall- und Materialbearbeitung spielen natürlich eine ebenso entscheidende Rolle. Doch bei Küpper- Weisser geht es vielmehr auch um Taupunkte und Aggregatzustände, um das Verhalten von Eis und Schnee auf unterschiedlichen Straßen- belägen, um die Eigenschaften von Streusalz und Sole unter extremen Temperaturbedingun- gen. Und es geht um die Frage, was man tun kann, um im Winter die Sicherheit auf Straßen und Autobahnen aufrechtzuerhalten. Salzsole verhindert Kristallbildung und damit die Vereisung der Straßen Salzmoleküle verhindern die Kristallbildung und damit das Festwerden von Wasser bei Tem- peraturen unter dem Gefrierpunkt. Die Straßen werden daher mit einer Salzsole imprägniert, um eben diese Kristallbildung und damit Ver- eisung zu unterbinden: „Wichtig ist dabei aber, dass der Einsatz zum richtigen Zeitpunkt erfolgt, das heißt, bevor es richtig zu schneien oder zu frieren beginnt“, erläutert Paul Rosenstihl. Küpper-Weisser – Experten für Räumen und Streuen Mit dem „Original Weisser Streuer“ hat in den 1930er Jahren alles begonnen. Das Bräunlinger Unternehmen Küpper-Weisser entwickelte eines der ersten Streuge- räte für Straßen überhaupt. Dass es noch von Hand nachgefüllt werden musste, tat dem Erfolg keinen Ab- bruch, die Vorteile waren dennoch unschlagbar. Schneepflüge von Küpper-Weisser und Boschung gibt es in einer großen Vielfalt, die Fertigungspalette reicht von Mehrschar-Federpflügen über Leichtschneepflüge bis zum Seitenflügel, wie er auf dem Bild oben zu sehen ist. Vielerorts ist das bestehende Straßennetz unter- schiedlich ausgebaut, sprich man hat verschiedene Durchfahrtsbreiten und verschiedene Räumbreiten zu bewältigen. Die Seitenflügel Typ SF 4/5 und SFL 4/5 sind eine ausgezeichnete Option, um eine Vergröße- rung der Räumbreite – in Zusammenarbeit mit einem Frontanbauschneepflug – ohne zusätzlichen Aufwand zu erzielen. Die Räum- und Durchfahrtsbreite kann je- derzeit den Bedürfnissen flexibel angepasst werden, wie auch auf dem Bild oben zu sehen ist. 133

Aus dem Wirtschaftsleben Mit der Baureihe IMS wurden bei Küpper-Weisser Streugeräte entwickelt, hier das IMS 3, die einen intelli- genten Streustoffverteiler mit OptiWet-Technologie einsetzen, was optimale Streubilder garantiert. Das Unternehmen arbeitet deshalb an dem langfristigen Ziel, in vollem Umfang Straßenzu- stände über Sensoren zu erkennen. In stationä- ren Einrichtungen auf den Straßen, so etwa bei der Ausfahrt aus dem Dögginger Tunnel auf die Brücke der B 31, sei dieses Verfahren bereits realisiert: Sonden in der Fahrbahn messen die Dicke der Eisschicht und den Gehalt an Restsalz. Sie ermitteln zugleich die erforderliche Streu- dichte, um Empfehlungen an die Straßenmeis- tereien zu geben, wie stark Sole oder Salz bei den Einsätzen auf den Straßen zu konzentrieren sind. Dieses System soll noch weiter verfeinert werden. 134 Infrarot-Sensoren messen die Temperatur der Fahrbahn „Moderne Streutechnik ist bei Küpper-Weisser keine Zukunftsmusik, sondern gelebte Praxis“, zeigt sich Paul Rosenstihl überzeugt. Das be- deutet: Streufahrzeuge werden mit Infrarot- Thermokameras ausgestattet, und Infrarot- Sen – soren messen während der Einsatzfahrt die Fahr bahntemperatur. So lassen sich die auszu- bringenden Salzmengen individuell berechnen. Wetterdaten, Fahrbahndaten und Umgebungs- daten liefern wichtige Entscheidungshilfen. Diese Erkenntnisse helfen dabei, auch viel Geld zu sparen: Je nach Witterungsverhältnissen können durch die richtige Dosierung zwischen 30 und 50 Prozent der Streumittel eingespart werden. Paul Rosenstihl beziffert die Kosten auf 70 bis 80 Euro je Tonne Streusalz und rechnet vor, dass bei einem mittleren Winter ein Streu-

fahrzeug mit fünf Kubikmetern Fas- sungsvermögen und bei einem durch- schnittlichen Aktionsra dius von 30 bis 40 Kilometern je Einsatz rund 300 Tonnen Salz verbraucht. „Die Straßen- meisterei Donaueschingen hat fünf solcher Geräte im Dienst“, weiß Paul Rosenstihl und schließt daraus, dass Winterdienste und Kommunen eine Menge Geld sparen können, wenn sie über die richtige Technik verfügen. „Ob Sommer oder Winter, wir ha- ben eine breite Produktpalette“, be- tont Paul Rosenstihl. Im Bräunlinger Gewerbegebiet „Stetten“ werden Ma- schinen und Fahrzeuge gebaut, die sich unter dem englischen Titel „Sur- face Condition Management“ (SCM), auch Oberflächenzustands-Manage- ment, zu einer ganzen Familie zusam- menfinden. Vom Bürgersteig zur Stra- ße und von der Autobahn zu Start- und Landebahnen auf Flughäfen, finden die Enteisungsmaschinen ein „weites Feld“ für Einsätze vor. Und im Som- mer brauchen Städte, Kommunen, Unternehmen und Privatleute die Rei- nigungs- und Kehrmaschinentechno- logie aus dem Haus Küpper-Weisser. Sie reichen vom kleinen „Kompakt- Feger“ bis hin zur LKW-Kehrmaschine mit zwölf Kubikmetern Saug- und Auf- nahmevolumen. Küpper-Weisser – Experten für Räumen und Streuen Wie ein Streugerät arbeitet: Das System OptiWet regelt und korri- giert das Streubild mittels einer automatischen Streubreitenstabili- sierung und einer von der Geschwindigkeit abhängigen Streukopf- nachführung. So lassen sich bis zu 30% an Streugut einsparen. „Die Streutechnik hat eine große Weiterent- wicklung erfahren“ „In erster Linie bauen wir Maschinen, die auf Se rien-Fahrzeuge aufgesetzt werden“, erklärt Rosenstihl, „aber auch komplette Einheiten wie das „Jetbroom-Konzept“, das aus einem selbst entwickelten Grund-Chassis besteht und mit verschiedenen Geräteaufbauten für den Winter- und Sommereinsatz auf Flughäfen für Sicherheit und Sauberkeit sorgt. Das Fahrzeug kann beispielsweise mit Streumaschine, Pflug und Bürste ausgerüstet werden. Mit einem spe- ziell von Boschung entwickelten Luftblas system wird „perfekte Räumleistung auch bei hohen Geschwindigkeiten und tiefen Temperaturen erreicht, Schneeräumen und Enteisen sind in einem Durchgang möglich“. Was auf dem Flug- feld gut geht, geht auch in der „Schmalspur“, so vor der eigenen Haustür auf dem Gehweg oder auf dem Betriebshof mit dem kleinen Geräte- träger „Pony“. Wirtschaftlich und ökologisch Küpper-Weisser hat über Jahrzehnte umfassen- de Erfahrung mit intelligenten Wintergeräten 135

Wirtschaft gesammelt, deren Einsatz Wirtschaftlichkeit und Ökologie unter einen Hut zu bringen ver- suchen. Ebenso ist das Unternehmen Küpper- Weisser Wegbereiter bei der Einführung des differenzierten Feuchtsalzes. Streumaschinen sind in der Lage, sowohl reine Salzlösungen über ein fein abgestuftes Düsen system präven- tiv auf die Straße zu sprühen als auch im nor- malen Wintereinsatz angefeuchtetes Streusalz auszubringen. Die Verkehrssicherheit wird so deutlich gesteigert, und es können erhebliche Mengen an Streusalz gespart werden. Stillstand gibt es bei Küpper-Weisser nicht: Im Verbund mit dem Unternehmen Boschung werden komplette Systeme entwickelt wie Tau- mittel-Sprühanlagen für Brücken oder glatteis- ge fährdete Streckenabschnitte. Zum Einsatz kom men sie z.B. auf der Weitinger Brücke bei Horb oder der Sauerlandlinie. Die Entwick- lung zu noch perfekteren Sommergeräten wird ebenso intensiviert. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Bereich der Sensorik an Fahrzeugen und auf Fahrbahnen. „Auch hier sind Neuerungen in Aus sicht“, ist Paul Rosenstihl überzeugt. Dazu gehört die permanente Erfassung von Einsatz- daten, die die Abrechnung und Erfassung der Streudienste optimieren helfen. Und schließlich geht es auch um voraus- schauendes Räumen und Streuen in Verbin- dung mit Wetterinformationen. Geschäftsführer Paul Rosenstihl: „Das ist für uns mit Blick auf die künftige Klimaentwicklung eine wichtige Per spektive.“ Manfred Beathalter Fotos unten: Die Entwicklung bleibt nicht stehen: Zu- sammen mit dem Unternehmen Boschung entwickelt Küpper-Weisser Messsysteme, die Daten per Funk übertragen sowie automatische Taumittelsprühanla- gen, die an glatteisgefährdeten Stellen zum Einsatz kommen und teils bereits in die Fahrbahn integriert sind. 136

:: Zahlen und Fakten » Die „Küpper-Weisser GmbH“ in Bräunlin- gen hat derzeit 210 Beschäftigte und erzielt im Geschäftsjahr 2011/12 rund 43 Millionen Euro Umsatz. » Durch die Einführung der Sole-Sprüh- technologie 2007 wird Küpper-Weisser Weg- bereiter und Marktführer und erzielt jährlich Steigerungsraten um 100 Prozent. » Im Jahr baut Küpper-Weisser etwa 1.100 Streumaschinen. Jährlich werden 1.000 Tonnen Stahl und 200 Tonnen Edelstahl verarbeitet. 137

5. Kapitel Soziales Den letzten Weg als einen „Weg des Lichts“ gehen Die Hospizbewegung und das Hospiz „Via Luce“ begleiten Sterbende – Auch ein Palliativzentrum könnte schon bald Wirklichkeit sein Der Tod gehört zum Leben dazu. Beide sind untrennbar miteinander verbunden. Der Gedanke an das eigene Lebensende ist für viele Menschen unerträglich. Meistens deshalb, weil der Tod mit Krankheit und Schmerzen verbunden sein kann – vor allem aber große Ängste auslöst. 180 stationäre Hospize, über 1.500 ambulante Dienste und rund 230 Palliativstationen in Deutschland leisten einen wichtigen Bei- trag dabei, Sterbende zu begleiten. Beruhigend, dass es je eine dieser Einrichtungen auch im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt – oder im Fall des Palliativzentrums demnächst geben soll. Hospiz – das Wort kommt aus dem Lateinischen von „hospitium“, der Herberge. Für die Bevöl- kerung im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es zwei Hospize: das regionale in Spaichingen und ein privates in Schwenningen, die stationäre Pflege- einrichtung „Via Luce“, die hier vorgestellt wird. Das Hospiz in Spaichingen folgt im kommenden Jahr. Beide Einrichtungen werden vom Land- kreis in gleicher Höhe finanziell unterstützt. Die Altenpflegerin und Palliativfachkraft Maria Noce gründete ihr Hospiz mit sieben Bet- ten im Juli 2009. „Mein Wunsch war das schon lange“, sagt die 43-Jährige mit italienischen Wurzeln. Den letzten Anstoß zur Gründung von „Via Luce“, zu deutsch „Weg des Lichts“, gab die krebskranke Mutter eines vierjährigen Bu- ben, die in einem weit entfernten Hospiz sterben musste – ohne ihren Sohn bei sich haben zu können. „Da wusste ich – jetzt muss etwas ge- schehen“, sagt die dreifache Mutter. Für das Hospiz: Jährlich müssen 100.000 Euro an Spenden zusammenkommen Maria Noce, Gründerin des Hospiz „Via Luce“ (Weg des Lichts) in VS-Schwenningen. machen muss. Da die gesetzlichen Pflegesätze für Hospize lediglich 90 Prozent aller Kosten abdecken, muss die Idealistin und überzeugte Christin jährlich rund 100.000 Euro an Spenden zusammenbekommen. Ein eigens gegründeter Förderverein – Hospiz Förderverein Villingen- Schwenningen – hilft ihr dabei. Mit 17 Pfle- Trotz vieler Widerstände hat es Maria Noce ge- schafft, was aber nicht bedeutet, dass sie sich nicht täglich Sorge um den Erhalt von „Via Luce“ Den letzten Weg als Weg des Lichts gehen – Frühlingswiese bei Furtwangen-Neukirch. 138

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Soziales Ehrenamtlich für die Hospizbewegung im Schwarzwald-Baar-Kreis aktiv. Der 1992 von Friedrich Bettecken initiierte Verein ist heute über 200 Mitglieder stark, als Vorsitzender fungiert Edgar Gindele (links). ge- sowie palliativ- und intensivmedizinischen Fachkräften, drei Hauswirtschafterinnen und zahl reichen ehrenamtlichen Sterbebegleitern wird die Versorgung der Gäste gewährleistet. „Wir wollen schwerstkranke Menschen und de- ren Angehörige auf ihrem letzten Weg mit Wär- me und Fürsorge betreuen und ihnen die Ge- borgenheit geben, die sie in einer schweren Zeit benötigen“, sagt Pflegedienstleiterin Mechthild Wohnhaas-Ziegler. Geschäftsführerin Maria Noce hat es sich zur liebsten Aufgabe gemacht, „letzte Wünsche“ zu erfüllen. Mit einem jungen Fußballtrainer fuhr sie samt medizinischem Gerät ein letztes Mal auf den Fußballplatz. Einer jungen Frau, die sich Designernägel wünschte, erfüllte sie den Wunsch, indem sie sich dieses Handwerk kur- zerhand selbst beibrachte. Einer Spanienlieb- haberin baute Maria Noces Ehemann im Garten von „Via Luce“ eine kleine Hazienda, wo sie bis zu ihrem Tod am liebsten saß. Im Leitbild von „Via Luce“ steht sowohl die „individuelle und krankheitsbezogene Bezugspflege mit beson- derer Achtsamkeit auf die vorhandene Schmerz- situation“ als auch, „den Sterbenden auf sei- nem Weg zu begleiten, damit er den Mut und die Kraft hat, ihn bewusst zu gehen.“ Gerne würde Maria Noce ihr Hospiz in der Nähe des Schwenninger Klinikums um eine Wohnraumetage erweitern, um Angehörigen, vor allem Kindern, die Möglichkeit zu geben, sich von Sterben und Tod für einige Stunden zurückzuziehen, wenn sie zu Besuch sind. Auch dafür ist sie aber auf Spenden angewiesen. Die 1992 ins Leben gerufene Hospizbewegung zählt über 200 Mitglieder Sterbende Menschen nicht alleine lassen, das hat sich auch die Hospiz bewegung im Schwarz- wald-Baar-Kreis vorgenommen. 1992 gründeten der Caritasverband, das Dia konische Werk so- wie die Evangelische und Katho lische Erwach- senenbildung zunächst einen Arbeitskreis, der 1996 zu einem eingetragenen Verein wurde, mit dem damaligen Leiter der Kinderklinik, Friedrich Bettecken, als Vorsitzenden. Heute zählt die Hospizbewegung 202 Mit- glieder und kann auf 41 in der Hospizarbeit aus- gebildete, ehrenamtliche Sterbebegleiter zugrei- fen, die jährlich rund 2.147 Betreuungsstunden zu Hause bei den Sterbenden, in Kliniken oder Heimen leisten. „Die Hospizidee geht davon aus, 140

dass das Sterben ein grundlegender Bestand- teil des Lebens ist und diese Zeitspanne weder verkürzt noch verlängert werden soll“, sagt der aktuelle Vorsitzende Edgar Gindele. Daher sei es wichtig, Menschen in ihrer letz- ten Lebensphase nicht alleine zu lassen, son- dern ihnen Unterstützung und Begleitung an- zubieten, sodass „ein würdevolles Sterben in vertrauter Umgebung, mit menschlicher Zuwen- dung, Achtsamkeit und Respekt möglich ist“. Im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen dabei die Bedürfnisse und Wünsche sowohl der Sterbenden als auch deren Angehörigen, die ebenfalls Hilfe und Entspannung brauchen. Sein Angebot richtet der Verein an alle im Schwarz- wald-Baar-Kreis lebenden Menschen, ungeach- tet ihrer Religion und Nationalität. Eine Kontakt- aufnahme über das Hospiz-Telefon (07721-40 87 35) sei jederzeit möglich, heißt es auf der Vereins-Homepage, sowohl in einer frühen Er- krankungsphase als auch in den letzten Lebens- tagen. Der Erstkontakt kann durch den Betrof- fenen selbst erfolgen oder durch Angehörige, Freunde, Pflegepersonal, Ärzte oder Seelsorger. Die ehrenamtlichen Begleiter besuchen die Kranken je nach Wunsch und Absprache. Alle sind besonders ausgebildet, unterliegen der Schweigepflicht und arbeiten unentgeltlich. Die Finanzierung von Ausbildungen zu Sterbe- begleitern ist ein wesentliches Aufgabenfeld des Vereins, der dafür gerne auch Spenden an- nimmt. Zur Grundausbildung gehören 140 Stun- den Theorie sowie ein vierwöchiges Praktikum in einer Hospizeinrichtung. Die zudem regelmä- ßig angebotene Kursreihe „Sterbende beglei- ten“ befähigt unter anderem auch Angehörige durch eine intensive Beschäftigung mit Fragen zu Leben und Tod dazu, die Grenzerfahrungen im Umgang mit Sterbenden zu verarbeiten. Die „Hospizbewegung Schwarzwald-Baar e.V.“ entwickelt sich weiter. Gerade eben wur- de die Initiative „Kinderhospiz“ in Kooperation mit dem für die medizinisch-psychologische Betreuung zuständigen und am Villinger Kli- nikum angesiedelten Verein „Der Bunte Kreis – Leben geben“ gestartet. Mit zusätzlichen 64 Unterrichtseinheiten haben bereits fünf Ehren- amtliche die Profession, Kinder, die an stark lebensverkürzenden Krankheiten wie Tumoren, Hospiz, Hospizbewegung und Palliativzentrum Mukoviszidose oder frühkindlichen Hirnschä- den leiden, im Kreise ihrer Familien in einen frü- hen Tod zu begleiten. „Der Bedarf ist da“, weiß Gindele und schätzt im Kreis rund 150 betroffene Familien. Häufig werde jedoch aus Unwissenheit oder Scham keine Begleitung angefordert, ein Umstand, den Gindele bedauert, ihn aber darauf zurückführt, dass die Menschen bei einem so hochsen siblen Thema Zeit brauchen. „In den Anfängen der Hos- pizbewegung war die Zurückhaltung bei der Inan- spruchnahme von Unterstützung ähnlich groß“, betont Gindele. Dank der Palliativbehandlung: Nicht heilbare Kranke können noch viele Jahre leben Das derzeit noch in der Planung befindliche Palliativzentrum möch- te mit einer Hospizein- richtung nicht in einen Topf geworfen werden, betont der Förderverein Palliativzentrum Villingen-Schwenningen. Der Grund liegt im medizinischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte: Die Aussage „nicht heil- bar“ hat sich relativiert. Hatten Patienten mit einer solchen Diagnose vor vierzig Jahren nur eine Lebenserwartung von wenigen Wochen, so können sie durch eine symptom-orientierte Pal- liativbehandlung inzwischen noch viele Jahre leben, ohne dass die Grunderkrankung geheilt werden kann. Da dies nicht gut »nebenbei« und in der Hek- tik eines Krankenhauses gelingen kann, hatten mehrere engagierte, teils auch persönlich oder familiär betroffene Menschen zunächst ein Aktionsbündnis gegründet mit dem Ziel, Geld für den Bau eines eigenständigen Palliativzen- trums zu sammeln. Seitens der öffentlichen Hand wurden hierfür keine Mittel zur Verfügung gestellt. Im November 2009 gründete sich aus diesem Bündnis mit 25 Mitgliedern und der ers- ten Vorsitzenden Verena Ströbele-Hoer ein ein- getragener Verein, in den bis dahin bereits an- gesammelte Spenden in Höhe von 70.000 Euro der bereits 2007 gegründeten Verena-und-Wal- 141

Hospiz, Hospizbewegung und Palliativzentrum Viele Menschen im Landkreis helfen durch Spenden mit, dass das Palliativzentrum realisiert werden kann. Fast 4.000 Euro erbrachte beispielsweise der zweite, vom Schwarzwald-Baar-Klinikum veranstaltete Palli-Cup, ein Fußballturnier. Von links: Darko Maj, Sabine Scherer, Martina Obergfell, Ingrid Hock-Vogt, Sonja Gutzeit, Petra Merz, Juliane Tritschler, Klaus Lang und Werner Hock. ter-Hoer-Stiftung einflossen. Mittlerweile zählt der Förderverein fast 400 Mitglieder, mit dem ehemaligen Klinikmediziner Professor Dr. Klaus Lang als Vorsitzenden. Ein Mehr an menschlicher Zuwendung Der Bau eines Palliativzentrums mit 12 Betten ist in greifbare Nähe gerückt. Der Plan sieht vor, das Palliativzentrum direkt an das gerade zwischen Villingen und Schwenningen entstehende Kreis- klinikum anzusiedeln. Vorgesehen ist ein von der Klinik über- und un terirdisch zu erreichen- der Anbau mit hellen und freundlichen Ein- und Zweibettzimmern samt Bad und Terrasse sowie Platz für eine Begleitperson – eine wohnliche At- mosphäre soll entstehen. Und da Palliativmedi- zin auch ein Mehr an menschlicher Zuwendung bedeutet, ist die Zahl der Pflegekräfte und Ärzte pro Patient deutlich höher. Zudem stehen für Behandlung und Versorgung die Brückenpflege, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Seelsorger, Ernährungsbe rater, Kunsttherapeuten und Eh- renamtliche parat. Ziel der Palliativphase ist es, 142 den Patienten nach zehn bis 12 Tagen wieder nach Hause entlassen zu können. Zwei Millionen Euro Spenden sind notwen- dig, um das Palliativzentrum bauen zu können. Die laufenden Kosten werden nach Fertigstel- lung von den Krankenkassen und dem Klinik- träger übernommen. Im September 2012 stan- den ca. 715.000 Euro auf dem Konto, „bei einer Million können wir mit dem Bau beginnen“, sagt Prof. Dr. Klaus Lang, der Erste Vorsitzende des Vereins. Die Liste der Spender und Sponsoren ist lang, das ehrgeizige Ziel trotzdem noch weit, aber es wird erreicht! Birgit Heinig Hier finden Sie weitere Informationen Zum Hospiz „Via Luce“ in VS-Schwenningen www.hospiz-via-luce.de Zur Hospizbewegung Schwarzwald-Baar www.hospiz-sbk.de Zum geplanten Palliativzentrum www.palliativzentrum-vs.de

Der Bunte Kreis unterstützt Familien Vernetzte Hilfe, wenn Kinder zu früh oder nicht gesund auf die Welt kommen Soziales viszidose, ist für die Eltern ein Schock. Frühchen dürfen nach Hause, wenn sie min- destens 1750 Gramm wiegen, Kinder mit angeborenem Herzfehler nach den ersten lebensnotwendigen Operati- o nen, doch nach der Entlas- sung aus der Akutklinik sind sie keineswegs sta- bil und für ihre Eltern fangen die Probleme dann oft erst richtig an, weil sie die Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder übernehmen müssen. „Bei sehr kleinen Frühchen seien vor allem Komplikationen an Herz, Lunge und Gehirn gän- gig“, sagt Werner Rosendahl, der von 1997 bis 2006 Chefarzt der Kinderkardiologie der fami- lienorientierten Nachsorgeklinik Tannheim war. Die viel zu früh geborenen Säuglinge müssten wegen ihrer instabilen Steuerung von Kreislauf und Atmung ständig mit einem Monitor über- wacht werden, sie seien auf Medikamente, spezielle Ernährung und Physiotherapie ange- wiesen. „Ein derart pflegebedürftiges Kind stellt den Familienalltag komplett auf den Kopf.“ Das Wenn Kinder viel zu früh mit einer Fehlbildung oder mit einer Stoff- wechselerkrankung zur Welt kom- men, sind sie nicht gesund, wenn sie von der Klinik nach Hause ent- lassen werden. Sie sind weiterhin auf intensive Pflege und medizini- sche Betreuung angewiesen, womit die Eltern vor allem in der ersten Zeit oft über- fordert sind. Darum sind nicht nur die Neuge- borenen bedürftig, sondern auch ihre Familien: „Sie brauchen psychosoziale Unterstützung“, weiß Werner Rosendahl, Professor für Kinder- heilkunde aus Villingen-Schwenningen. Er hat 2007 nach dem bundesweiten Modell Bunter Kreise die Gründung des Vereins „Der Bunte Kreis – Leben geben“ e. V. initiiert, der sich mit einem interdisziplinären Team um vernetzte Hil- fe kümmert. Im ersten Jahr wurden 34 Familien betreut, im vergangenen waren es bereits 64, der tat- sächliche Bedarf im Schwarzwald-Baar-Kreis und Singener Raum als Einzugsgebiet wird auf hundert Familien geschätzt. Bislang überneh- men die Kostenträger nicht den vollständigen Teil des Finanzbedarfs, der 2011 rund 90.000 Euro betrug. Dies vor allem, weil in den Ausbau dieser Nachsorgeeinrichtung und speziell in die Ausbildung der Helfer inves- tiert werden musste. Das Gros der Gelder wurde über Spenden und Fördermittel zusammengetragen. Frühchen müssen mindestens 1.750 Gramm wiegen Der Anblick ihres verkabelten Winzlings im Brutkasten oder die Diagnose einer schweren chroni- schen Erkrankung, wie z.B. Muko- Frühchen brauchen besonders intensive Pflege und stellen den Fami- lienalltag oft auf den Kopf. Der Bunte Kreis hilft Eltern dabei, die Betreu- ung pflegebedürftiger Kinder gut zu bewältigen. 143

Soziales weiß Rosendahl auch auf- grund seiner Erfahrungen in Tannheim, wo die chro- nisch kranken Kinder stets zusammen mit ihren Ge- schwistern und Eltern the- rapiert werden. Die sozialmedizinische Nachsorge ist seit einigen Jahren eine gesetzlich ga- rantierte, aber nicht kos- tendeckende Leistung der Krankenkassen, die zu- dem auf schwer chronisch kranke Kinder beschränkt ist. „Diese Nachsorge gleicht eine Schwäche in unserem Gesundheitssystem aus“, betont Werner Rosendahl, „nämlich die fehlende Ver- zahnung zwischen stationärer und ambulanter Medizin und die mangelnde Berücksichtigung der psychosozialen Probleme, die eine schwere Erkrankung für das betroffene Kind und für die ganze Familie mit sich bringt. Die klassische ‚Organmedizin‘ vernachlässigt die psychosozi- alen Aspekte.“ Die meisten Familien kommen nach der drei- bis sechsmonatigen Unterstützung mit der schwierigen Situation allein klar, aber manche Familien schaffen die Bewältigung der vielen Probleme nicht und bedürfen einer kontinuier- lichen Unterstützung. „Auch denen müssen wir Hilfe anbieten können“, so Werner Rosendahl. „Wir müssen Hilfe mit Prioritäten verknüpfen“ Rund drei Prozent aller Kinder werden mit ei- ner schweren, chronischen Erkrankung gebo- ren oder erkranken schwer, die Klientel ist al- so klein, lebt weit verstreut und kommuniziert wenig untereinander. Wahrscheinlich gibt es wegen der ländlichen Struktur unserer Region kaum aktive Selbsthilfegruppen. Eine wird der- zeit in Villingen-Schwenningen aufgebaut, sie heißt „Eltern helfen Eltern“. Der Bunte Kreis hilft logistisch und personell, Vernetzungsarbeit ist wichtig. Werner Rosendahl: „Wir müssen Hilfe mit Prioritäten verknüpfen.“ 144 Sie engagieren sich für den Bunten Kreis, jedes Mitglied ist auf einem anderen Gebiet ein Experte. Wer ist bedürftig und welche Unterstützung wird im Detail benötigt? Diese Fragen gilt es als erste zu klären, wobei der enge Kontakt zu den vermittelnden Kliniken elementar ist. Matthias Henschen und Andreas Trotter, Chefärzte der Kinder- und Jugendkliniken im Schwarzwald- Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen und in den Hegau-Bodensee-Hochrhein Kliniken in Sin- gen, unterstützen den Bunten Kreis von Anfang an. Der hat mit beiden Häusern Kooperations- verträge geschlossen, in denen die Modalitäten der Zusammenarbeit vereinbart wurden. Die Mitglieder sind allesamt Experten auf unterschiedlichen Gebieten Die Mitglieder des eingetragenen Vereins sind allesamt Experten auf unterschiedlichen Gebie- ten – Mediziner, Therapeuten, Pflegefachkräfte, Rechtsanwälte, Seelsorger, Steuerberater und Psychologen. Rund ein Dutzend ehrenamtliche Betreuer und Betreuerinnen sind zur Zeit im Ein- satz, neuerdings gehört auch eine zertifizierte Trauerbegleiterin zum Personalpool. Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten können vor den Eltern sterben, was ebenfalls eine extreme Belastung für die Familie ist. Der Bunte Kreis kooperiert seit 2011 mit der Hospizbewegung und ist auch in die Betreuung bei Todesfällen integriert. Die ambulante Nachsorge bezieht nicht nur Kinder mit chronischen, sondern auch mit schweren, akuten Erkrankungen ein, außerdem

können die Folgen schwerer Unfälle zeitlich be- fristete Hilfe nötig machen. Und die funktioniert so: In der Akutklinik wird entschieden, dass eine Entlassung des Kindes möglich ist, wenn eine Unterstützung durch den Bunten Kreis zugesi- chert werden kann. Der entwickelt in enger Ab- sprache mit der Klinik einen Hilfeplan für Kind und Familie. Dazu gehören beispielsweise Orga- nisation von Sauerstoffgeräten, Hilfe bei Moni- torüberwachung, Anleitung für den Umgang mit einer Trinkschwäche oder einer Sondenernäh- rung und vieles mehr. Der Hilfsplan wird ständig kontrolliert und wechselnden Bedürfnissen an- gepasst. Sukzessive ziehen sich die ehrenamt- lichen Profis zurück, im Durchschnitt nach zwei bis drei Monaten. Längstens kann der Einsatz ein halbes Jahr dauern. Nötigenfalls kann die Der bunte Kreis Expertenhilfe in späteren, schwierigen Phasen erneut beansprucht werden. 70 Bunte Kreise bundesweit Bundesweit gibt es inzwischen rund 70 Bun- te Kreise, die eng miteinander kooperieren. Da die notwendige interdisziplinäre Betreuung der Familien sehr komplex ist, werden Mitglieder des Behandlungsteams zu sogenannten Case- Managern qualifiziert. (Case Management be- deutet allgemein: individuelle, effiziente und wirt schaftliche Fallsteuerung in unserem Sozial- system im medizinischen, pflegerischen und psy cho sozialen Bereich). Christina Nack Wenn der Tag geht – Eiche am Villinger Magdalenenberg. 145

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6. Kapitel Bildungseinrichtungen Sorge tragen füreinander An der Karl-Wacker-Schule in Donaueschingen lernen geistig behin derte Kinder ihren Weg in ein möglichst selbstständiges Leben zu finden von Eva-Maria Huber Behutsam nimmt der 13-jährige Junge einen Kleinen an der Hand, während andere Kinder langsam den Pausenhof der Karl-Wacker-Schule verlassen und dem Eingang zusteuern: Die Äl teren nehmen sich den jüngeren Kindern an, die Stärkeren den Schwächeren. Szenen, die sich täglich im Innenhof und in den Klassenzimmern der Donaueschinger Einrich- tung für geistig behinderte Kinder und Jugend- liche beobachten lassen. „Das Sorge tragen für- einander, das ist uns ein wichtiges Anliegen“, bekräftigt Claudia Knab, die die Schule mit ihren 64 Schülern zwischen sechs und 25 Jahren seit ein paar Jahren leitet. Unter dem Tisch im Rekto- rat der mehrfach ausgezeichneten Schule nahe des fürstlichen Parks schnarcht Neuzugang To- go vor sich hin. „Das Tier ist in der Wachstums- phase“, erklärt Knab das hohe Schlafbedürfnis des ruhigen Elo. Vierbeiner seiner Spezies, er- läutert sie, gebe es in Deutschland nur ca. 8.000 Mal. Die gezüchteten Tiere haben ein wenig vom Eurasier, Bobtail und Chow-Chow, gelten als äu- Togo ist ein äußerst geduldiger und liebevoller Freund der Schüler an der Karl-Wacker-Schule in Donaueschingen. Die Begegnungen mit Tieren wie Togo sind für die geistig behinderten Kinder eine große Freude. 147

Soziales Links oben: Begleitende Lernstandsanalysen führen zur individuellen, gezielten Förderung jeden einzel- nen Schülers in den Bereichen Mathematik, Deutsch und Mensch-Umwelt-Technik. Links unten: Literari- sche Inhalte werden mittels Rollen- und Theaterspie- len erarbeitet. Rechts: Neben den Bildungsbereichen Deutsch, Mathematik, Mensch-Umwelt-Technik neh- men der Unterricht in Projekten und der Bereich der „Selbstständigen Lebensführung“ einen hohen Stel- lenwert ein. ßerst kinderfreundlich, sind ausgeglichen und reagieren sehr sensibel auf ihre Umwelt. „Das ideale Tier für unsere Schüler“, blickt Knab lie- bevoll auf den schläfrigen Kerl zu ihren Füßen. Togo hat noch einen Kollegen, Janosch, der ihm an Erfahrung um einige Schnauzenlängen voraus ist. Von dem ruhigen wie sensiblen We- sen der Hunde profitieren vor allem Kinder mit Sprachschwierigkeiten und selbst Schwerstbe- hinderte, die sich kaum noch artikulieren kön- nen. Die Szene rührt jeden Beobachter. Das schwerstbehinderte Mädchen lässt seine Finger 148 in das weiche Fell von Janosch sinken. Die Mimik arbeitet: Im Gesicht zeichnet sich entspannter Ausdruck, so etwas wie Freude. „Die Tiere wir- ken allein durch ihre Präsenz ausgleichend“, erzählt die Rektorin. Eingesetzt wird Janosch vor allem in einer Hunde-AG und in der Wohnklasse: Hier wird das Wohnzimmer für eine kleine Gruppe von Schü- lern der siebten bis neunten Klasse zum Klas- senraum. Ziel ist es, diesen Schülern vor allem hauswirtschaftliche Fähigkeiten zu vermitteln, um ihnen ein selbstständiges Leben zu ermög- lichen. „Der Weg in die Selbstständigkeit steht bei uns im Fokus“, erzählt die Pädagogin. Etwa je- der dritte Schulabgänger ist diesem Ziel nahe ge- kommen und lebt in einer betreuten Einrichtung. Schulkindergarten und Frühberatung Zur Schule gehört auch ein Schulkindergarten für entwicklungsverzögerte und geistig be- hinderte Kinder und eine Frühberatungsstelle im Haus. Die Berufsvorbereitende Einrichtung

Soziales Schwarzwald-Baar-Kreis (BVE) ist in der Irma- straße in Donaueschingen angesiedelt und steht in enger Kooperation mit Partnerschulen unter der Führung der Karl-Wacker-Schule. Ziel ist es auf lange Sicht, dass Schüler, die keine Ausbildungsreife erhalten werden, einen Platz auf dem freien Arbeitsmarkt erhalten und zu- mindest kleinere Tätigkeiten in Betrieben über- nehmen können. Ab dem kommenden Schuljahr sollen Ju- gendliche aus dem gesamten Kreis diese Ein- richtung besuchen, deren Typus pro Landkreis nur einmal vorgesehen ist. „Der Anteil jener Schulabgänger, die sich in Betrieben vermitteln lässt, steigt“, berichtet Claudia Knab von einer überaus positiven Entwicklung. Ein Leben mit Handicap Wer in die Karl-Wacker-Schule geht, hat eine geistige Behinderung oder eine deutliche Ent- wicklungsverzögerung, „die die Kinder daran hin dert, an einem „normalen“ Leben teilzuha- Morgenkreis in der Grundstufe: Gemeinsam wird an der Tafel der Tagesablauf besprochen. ben“, beschreibt Claudia Knab. Es sind z.B. Kin- der mit Syndromen, mit genetischen Defekten; Jungen und Mädchen, die bei der Geburt Schä- den erlitten haben oder aber auch Kinder, deren Entwicklung ohne klare Ursache verzögert ver- läuft. Auffallend für Claudia Knab: Die Zahl der Autisten, die in die Obhut der Schule kommen, nimmt zu. Viele Kinder werden von den Kindergärten empfohlen, andere wiederum kommen über die Frühberatungsstelle im eigenen Haus. Hier gilt: „Je frü her die Eltern zu uns kommen, des- to eher können wir noch Fördermöglichkeiten aufzeigen.“ Immerhin schafft es ein Drittel der Schüler zum Schluss doch noch, in eine allge- meinbildende Schule zu wechseln. Unterstützt werden die Lehrkräfte im Haus durch sechs FSJ‘ler (Freiwilliges soziales Jahr). Die Schule wurde 1970 in Donaueschingen er- öffnet. 149

Bildungseinrichtungen Fröhliche und stille Kinder Ein weiterer Blick in den Pausenhof: Es gibt auf- geweckte Kinder, die sofort auf die Besucherin zugehen und Fragen stellen. Fröhliche Kinder, die der Fremden „Hallo“ sagen. Doch es gibt auch Kinder, die sich komplett zurückziehen, die nach dem Pausengong abgeholt werden müssen, mit viel Empathie und vor allem viel Geduld. „Die Kinder gehen ganz unterschied- lich mit ihrem Handicap um“, berichtet Claudia Knab, je nach Schwere ihrer Behinderung. Die meisten Probleme, beobachten sie und ihre Kol- legen, entstehen, wie bei anderen Jugendlichen auch, in der Pubertät. Während die einen an eine Zukunft glauben, trotz ihrer Behinderung, scheuen sich andere davor, offen über ihr Han- dicap zu reden. Gespräche mit Eltern spielen eine große Rolle Eine große Rolle bei der Akzeptanz des eigenen Handicaps spiele auch, wie die Eltern damit um- gehen. „Und auch das ist sehr sehr unterschied- lich“, so Knab. Gerade in kleineren Gemeinden könne der soziale Druck sehr groß sein, wenn Eltern mit ihrem Kind nicht den Spielplatz oder das Grundschulfest besuchen können. Deshalb messen Knab und ihre Kollegen den Gesprächen mit den Eltern große Bedeutung zu. „Die Identifi- zierung mit der Behinderung des Kindes ist sehr wichtig.“ Manches Mal erleben Claudia Knab und ihre Mitarbeiter Wut und Enttäuschung darüber, dass das Kind eben anders sei. Um das Kind bestmöglich zu integrieren, ist es dem Kollegium mit insgesamt 23 (Teilzeit)- Lehrern auch wichtig, diverse Kommunikations- techniken zu schulen. Unsere Schüler müssen einerseits lernen, mit Ablehnung aufgrund ihrer vielseitigen Andersartigkeit umzugehen, an- dererseits sollen sie die Möglichkeit erhalten, sich mitteilen zu können. Andere Kommunika- tionsformen zu trainieren sieht Claudia Knab deshalb als eine der wichtigsten Aufgaben an, sei es durch Bildkarten, Talker oder über Ge- bärdensprache. Die Lehrer arbeiten gerne in der Einrich- tung, ziehen sehr viel Positives aus ihrer Auf- 150 gabe. Claudia Knab braucht nicht lange zu über- legen: „Es ist die unglaubliche Lebensfreude, die Offenheit und die Fürsorglichkeit, die Be- hinderte auszeichnet. Es ist unser Ziel, darü- ber hinaus der Öffentlichkeit zu zeigen, dass unsere Schüler innerhalb ihrer Möglichkeiten durchaus wichtige Mitglieder unserer Gesell- schaft sind, denen man ohne Mitleid die nötige Unterstützung zukommen lassen sollte, damit sie ihr Potential kennenlernen, ausschöpfen und einbringen können.“ Deshalb nennt nicht nur sie Kooperationen mit anderen Schulen und Einrichtungen eine gegenseitige Bereiche- rung. Neben Außenklassen an der Realschule in Donaueschingen – hier wird Musik, Kunst und Gemeinschaftskunde gemeinsam unterrichtet – gibt es Verbindungen zu anderen Grundschu- len, wie der Zweigstelle der Erich-Kästner-Schu- le in Grüningen, Vereinen aus der Donaustadt sowie Stadtjugendpflege und Kunstschule. Achtung voreinander zeigen Claudia Knab sieht viele ihrer Vorstellungen zu einem Miteinander von Behinderten und Nicht- Behinderten bereits umgesetzt. Sie hat jedoch eine große Vision: Bislang gebe es nur Außen- klassen ihrer Schule an „normalen“ Schulen. „Warum soll nicht bei uns mal eine kleinere Grundschulklasse angesiedelt werden?“ Und noch anderes liegt ihr am Herzen. Viel zu oft werden Begriffe wie „Spasti“ oder Sätze wie „Du bist ja behindert“ selbst von Pädagogen als Ju- gendsprache abgetan und damit „verharmlost“. „Mit solchen Begriffen sollte man nicht leicht- herzig umgehen“, äußert sie eine dringende Bitte. Oben: Außenansicht der Karl-Wacker-Schule in Donaueschingen, die 1970 eröffnet wurde. Weitere Fotos: Gemeinsam werden im Unterricht selbst eingekaufte Lebensmittel verarbeitet und in der Pause im Schülercafe der Schulgemeinschaft zum Kauf angeboten.

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7. Kapitel Brauchtum Heimattage Baden-Württemberg stehen im Zeichen der Donau Der ganzjährige Veranstaltungsreigen faszinierte rund 350.000 Zuschauer – Ausgezeichnete Zusammenarbeit des Städtedreiecks „Donau 2012 – ein Fluss verbindet“, lautete das Motto 2012 der Heimattage Baden- Württemberg, gemeinsam veranstaltet durch das Städtedreieck Donaueschingen-Hüfin- gen-Bräunlingen. Die Bilanz der zahlreichen Veranstaltungen fällt überaus positiv aus: Donaueschingens Oberbürgermeister Thorsten Frei, Hüfingens Bürgermeis- ter Anton Knapp und Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse sind sich einig: „Wir sind stolz darauf, dem Land präsentiert zu haben, wie attraktiv auch ver- gleichsweise kleine Städte die Lebenswelt für die Einwohner einer ganzen Region gestal- ten können. Gemeinsame Visionen und Teamgeist haben diese interkommunale Koopera- tion erst möglich gemacht.“ Umzug zu den Landesfesttagen 2012 in Donaueschingen, hier die Heimattage- Pyramide für das Städtedreieck. 152

Heimattage „Donau so blu“ mitten in der Brigach – Oberbürgermeister Thorsten Frei (rechts) hilft mit, das Kunstwerk von Klaus Münch (links) in der Brigach zu platzieren. Bräunlinger Straßenmusik- sonntag – Musik- show auf der Büh- ne an der Breg. 153

Brauchtum Auf die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages am 12. Juni 2009 durch die Städte Hüfingen (Bürger- meister Anton Knapp), Bräunlingen (Bürgermeister Jürgen Guse) und Donaueschingen (Oberbürger- meister Thorsten Frei) folgte drei Jahre später im Rahmen der Heimattage 2012 ein vielseitiges Pro- gramm mit zahlreichen Höhepunkten. Es reichte vom Landestrachtentreffen in Donaueschingen (im Bild die Trachtengruppe Fürstenberg) über das Hüfinger Revolutionstheater bis zum Straßenmusikfestival in Bräunlingen. von Franz Filipp F ür die drei Baar-Städte Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen fiel die Entschei- dung, sich im Jubiläumsjahr „60 Jahre Baden- Württem berg“ für die Heimattage zu bewerben, in einer gemeinsamen Sitzung der Gemeinde- räte aller beteiligten Kom munen im April 2007 in der Erich-Kästner-Halle in Donaueschingen. Das Städtedreieck besiegelte dabei die Bünd- nisbereitschaft und brachte ein Konzept für die insgesamt 35.000 Einwohner zählende Region auf den Weg ins Staatsministe rium. Beworben hatten sich ebenso die Städte Biberach an der Riss, Bietigheim-Bissingen, Konstanz, Rastatt, Waiblingen, die Neckartal-Gemeinden Sulz, Horb, Eutingen Starzach und Rottenburg. Letztere werden nun die Ausrichter im Jahr 2013 sein. Eine Schicksalsstunde für das Baar-Drei- eck, die Gemeinschaftsleistung zum Maßstab 154 erhob, denn aus den Heimattagen entwickelte sich bereits in den ersten Skizzen rasch ein Heimattagejahr, das mit dem „Baden-Württem- berg-Tag“ starten und einen breiten Bogen an Veranstaltungen und Leuchtturmveranstaltun- gen zu besonderen Themen vom Frühjahr bis in den Herbst 2012 spannen sollte, und dessen Höhepunkt schließlich der Landesfestumzug in Donaueschingen im September sein würde. Noch während die Bewerbung lief, galt es für die Ausrichtung der Heimattage die Sinn- stiftung zwischen Tradition und Urbanität aus- zuloten, um gerade den Begriff „Heimat“ als Profil für das Städtedreieck im Besonderen zu schärfen. Es ging darum, Heimat über die ger- manische Begrifflichkeit für „heim“ oder dem althochdeutschen „heimuoti“ hinausgehend als Ort zu definieren, wo Gefühle und persön- liche Assozia tionen leben. Samtjacke, Perlen- krone, Rock und Schürze sind nun mal auf der Baar verwurzelt. Ist der Begriff Heimat deshalb „nur“ eine Projektionsfläche für Nostalgiker, nur weil Trachten und Brauchtum ohnehin ins Gepäck von „Heimat-Machern“ gehören? Mitnich- ten, denn Heimat bedeutet auch die vertraute Umgebung mit ihrer sozialen Einbettung in die dörfliche Gemeinschaft. Oder nach Ernst Bloch (1885 bis 1977, Philosoph): Heimat liegt dort, wo sich Men schen miteinander ein solidarisches Zuhause bauen. Ins Programm aufgenommen wurden des- halb auch Veranstaltungen und Reihen, die in den drei Städten eine lange Tradition oder einen engen thematischen Bezug zum Städtedreieck

Heimattage Baden-Württemberg haben, etwa die Bräunlinger Kilbig, die Hüfin- ger Keramikwochen oder die Donaueschinger Musiktage sowie die Reihe „Vier Städte – ein Buch“. Ebenso gehören dazu auch das Bildhau- ersymposium im Mai, das Themenwochenende gemeinsam mit den Partnerstädten im Juni, das Römerfest und der Straßenmusiksonntag in den Sommermonaten unter der Flagge der Heimat- tage Baden-Württem berg. „Ein ehrgeiziges Vorhaben“ Der Landesausschuss für Heimatpflege erteilte den Baar-Städten schließlich im Mai 2008 den Zuschlag und setzte damit bereits vier Jahre vor dem eigentlichen Ereignis ein organisato- risches Räderwerk in Gang, das weit verzahnt in alle Verwaltungsebenen der Kommunen drin- gen sollte und in der konkreten Frage mündete: Wie kann ein solches Großereignis konkret ge- staltet werden? Finanziell hatte das Land hierfür 155.000 Euro eingeplant, denn die Leuchtturm- veranstaltungen wurden vom Land bezuschusst. Die Städte hatten ihrerseits, nach Einwohnern aufgeschlüsselt, 165.000 Euro aufzubringen. Mit dem Städtedreieck Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen gingen damit zum zweiten Mal in der über 30-jährigen Geschichte der Heimat- tage mehrere Städte zusammen auf diesen Weg, um gemeinsam das Programm zu gestalten. Donaueschingens Oberbürgermeister Thors- ten Frei resümiert rückblickend: „Ein ehrgeiziges Vorhaben, ganz ohne Rangeleien um die Vor- herr schaft. Denn die drei Stadtparlamente und die Bürgermeister standen von Anfang an ge- meinschaftlich hinter der Aufgabe und diese Begeisterung in den Gremien hat sich voll und ganz auf das Organisationsteam in den Verwal- tungen und alle beteiligten Vereine übertragen. Schließlich hat sich in den ersten acht Monaten des Heimattagejahres auch in der Bevölkerung eine gemeinschaftliche Festfreude entwickelt, und alle wanderten von Veranstaltung zu Ver- anstaltung und von Stadt zu Stadt. Damit wurde ein wesentliches Ziel in beispielhafter Weise er- füllt: Die Identifikation der Bevölkerung mit der eigenen Heimat zu stärken.“ Drei Städte – eine Unterschrift Feierlicher Augenblick dann am 12. Juni 2009, als mit der Unterzeichnung des Kooperations- vertrages durch Donaueschingens Oberbürger- meister Thorsten Frei, Bürgermeister Anton Knapp (Hüfingen) und Bürgermeister Jürgen Guse (Bräunlingen) im Donaueschinger Rat- haussaal der Startschuss für die eigentliche Umsetzung fiel. Lenkungsausschüsse mit Vertretern aller drei Städte wurden gebildet, die maßgeblich an den Planungen in kleinen Arbeitsgruppen mit Vertretern der Vereine und Verbände beteiligt waren. Die Gesamtprojekt- leitung für das Heimattagejahr lag beim Leiter des Donaueschinger Kulturamtes, Georg Ried- mann. Die Heimattage sollen zugleich Werbung fürs Städtedreieck machen, aber auch für den 155

Heimattage Baden-Württemberg Hissen der Heimattage-Fahne auf dem Blenklepass im Beisein von Angela Kalous, Staatssekretärin im Staatsministerium Baden-Württemberg und zustän- dig für Landesmarketing. Die Heimattage-Pyramide (siehe auch Foto auf Seite 150), das Donaueschinger Rathaus als Werk von Kunstmaler Dirk-Alexander Grams und im Original. Motive aus Bräunlingen und Hüfingen runden das Werk ab – rund 100 Stunden wurde gemalt. 156 Zusammenhalt der drei Städte als Partner einer gemeinsamen Destination. Drei Städte – ein gemeinsames Zeichen Doch gute Werbung braucht auch Argumen- te. Ein griffiges Bildmotiv und ein Text sollten Ideen, Tradition und Zukunftsfähigkeit gleicher- maßen symbolisieren. Das Staatsministerium in Stuttgart hatte hierzu nach einem verwal- tungsinternen Brainstorming und öffentlichen Ausschreibungen die Werbeagentur Scholz & Friends in Berlin damit beauftragt, Vorschläge für ein Logo zu erarbeiten, das die Donau als einen die Menschen verbindenden Fluss wider- spiegeln sollte. Die Schwerpunkte der Bildmarke unter dem Motto „Heimattage 2012 – Ein Fluss verbindet“ sollten sich zudem im Programm der Heimat- ta ge wiederfinden. Reinhilde Heim, Inhaberin der Werbeagentur Kassandra, zeichnete für die Werbemittel von der Visitenkarte bis zur Inter- netseite schließlich verantwortlich. Die Heimat- tage hatten somit ihr Gesicht. Kein Mega-Event ohne sichtbares Marken- zeichen. Was eignet sich hierfür besser, als geo- grafisch im Städtedreieck verortet ein be sonderer Platz. Es war der Blenklepass, der, verkehrstech- nisch gesehen, die Städte Donaueschingen und Bräunlingen verbindet, denn dort kommen sich Donaueschinger, Hüfinger und Bräunlinger Ge- markungsgrenzen am nächsten. Ein Hügel in der Baarlandschaft, auf dem die Heimattage-Fahne im Beisein von Angela Kalous, Staatssekretärin im Staatsministerium Baden-Württemberg und zuständig für Landesmarketing, dann auch ent- hüllt wurde; Ein blaues Band, drei rote Punkte – das Logo spiegelt das Motto wider, unter dem die Heimattage angekündigt worden waren: „Donau 2012 – Ein Fluss verbindet“. Einbezogen wurden bei der Umsetzung auch die Vereine, etwa die Narrenzunft Frohsinn, die eine große Heimattage-Pyramide für das Städ- tedreieck aus der Taufe hob. Konstruiert hat- ten diese der ehemalige Frohsinn-Chef Martin Wullich sowie die Zunftmitglieder Willi Hornung und Helmut Mink. Rund 100 Stunden hatte der Kunstmaler Dirk-Alexander Grams in der Werk-

statt hinter dem Zunftmuseum in Donaueschin- gen hierzu die kunstvollen Motive der drei Stadtansichten auf die 2,80 Meter hohe Pyrami- de gemalt: für Donaueschingen das Rathaus, für Bräunlingen das Stadttor und für Hüfingen eine historische Stadtansicht. Präsentiert wurde das Kunstwerk von den Trachtenvereinen der drei Ausrichter-Städte dann beim Landesfesttag. Drei Städte – eine Frau Die enge Zusammenarbeit der Sachgebiete Kul- tur und Tourismus in den einzelnen Verwaltun- gen hatte bereits gute Vorarbeit geleistet, um mit Wenke Geschwandtner im Januar 2011 als Mit Wenke Geschwandtner konnte das Städtedreieck für die Heimattage 2012 eine überaus engagierte Leiterin für die Geschäftsstelle gewinnen. Baden-Württemberg-Tag im Rahmen der Heimat- tage 2012. Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Fassanstich. Links Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse, im Hintergrund Landrat Karl Heim, rechts Oberbürgermeister Thorsten Frei aus Donau- eschingen. Leiterin der Heimattage-Geschäftsstelle für die Planung und Abwicklung aller Veranstaltungen eine Fortsetzung zu finden. Mit ihrer Bewerbung hatte sie sich gegen 15 weitere Bewerber um diese Stelle durchgesetzt und ein gutes Maß an Optimismus, Energie und Neugierde für die Aufgabe mitgebracht. 1980 in der thüringischen Stadt Gotha geboren, kam Wenke Geschwandt- ner im Alter von elf Jahren zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder auf die Baar. Nach der Schulzeit absolvierte sie eine Aus- bildung zur Reiseverkehrskauffrau beim Ver- kehrsamt Bräunlingen, anschließend wechsel- te sie in die Tourist-Information Donaueschin- gen, wo sie seit neun Jahren arbeitet und den Internet-Auftritt des Tourismusamtes oder den städtischen Veranstaltungskalender betreute. Durch die Organisation der Musiktage und des Reitturniers hatte sie bereits erste Erfahrungen für Großveranstaltungen sammeln können. Ge- nau diese Erfahrungen wurden nun gebraucht, die Geschäftsstelle der Heimattage aufzubauen. Mit ihr wurde das Programm auch konkret. 157

Heimattage Baden-Württemberg Drei Städte – ein Programm Als „Werkstattbericht“ der Ideenschmieden zum „Mega-Event“ deklarierte Oberbürgermeister Thorsten Frei dann auch bald die erste Informa- tionsveranstaltung hierzu im Januar 2011: Der Heimattagekalender hatte sich mit Leben ge- füllt, eine pfiffige Mischung von eigens ins Le- ben gerufenen Heimattageveranstaltungen und solchen, die Jahr für Jahr ohnehin zu den Höhepunkten der Region zählen. „Die Heimat- tage 2012 leisten einen wichtigen Beitrag zur Identifikation der Bürger mit dem Land“, daran ließ Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) bei der Programmvorstellung im Rathaus Donaueschin- gen keine Zweifel aufkommen. Baden-Württemberg musiziert und der „Markt der Möglichkeiten“ Das Landesjugendorchester Baden-Württem- berg verlegte seine Frühjahrsarbeitsphase am 13. April nach Donaueschingen. Die besten Mu- sikerinnen und Musiker des Landes im Alter von 15 bis 22 Jahren, darunter viele Preisträger beim Musikwettbewerb „Jugend musiziert“, nahmen an der intensiven Arbeitsphase teil und spielten bei einer sogenannten „öffentlichen General- probe“ in mehreren Konzerten. Von Freitag bis Sonntag boten zwischen dem 4. und 6. Mai Kabarett und Rock ’n’ Roll beim Ba- den-Württemberg-Tag die größte Schlagerparty des Landes mit Bands wie die „Höhner“, „Wirt- schaftswunder“ oder „the Ca$h“. Auch lokale Bands und Vereine wie der Akkordeonverein Wolterdingen, die Pfohrener Notä-Kaotä oder die Tanzschule Seidel hatten dort ihre Auftritte. Ebenso die besten Chöre des Landes, die sich beim Halbfinale dem Publikum stellten. Unbestritten zum ersten Publikumshöhe- punkt entwickelt sich der „Markt der Möglich- keiten“ mit einer Leistungsschau am Bri gach ufer und bei den Donauhallen am 5. Mai. Mit glän- zenden Kennzahlen der lokalen Wirtschaft prä- sentierten sich an über 80 Ständen neben Unter- nehmen aus der Region auch vorbildliche Ko- operationsprojekte wie das Kinder- und Jugend- museum zu Themen von „A“ wie ADAC bis „T“ 158 wie Tourismus. Trefflich reihte sich der „Tag der Bierkultur“ der Fürstenberg-Brauerei als weitere Perle der Angebote hier ein. Und am Sonntag öffneten viele Einzelhändler ihre Geschäfte; in der Karlstraße glänzten die aktuellen Modelle beim Automobilsalon der Donaueschinger Au- tohäuser. Sonderparkplätze und Shuttlebusse wurden eingerichtet, um die gewaltigen Besu- cherströme zu bändigen. Zu den Gästen zählte auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Politischer Höhepunkt neben der Kabinetts- sitzung des Landtags im Juni in Hüfingen – die Landesregierung hatte mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Vize Nils Schmid an der Spitze im dortigen Rathaus getagt, wo eine nichtöffentliche Sitzung stattfand – war vor gut 600 geladenen Gästen aus der Region die Rede von Ministerpräsident Kretschmann anlässlich des Landesempfangs am Sonntag, den 6. Mai, zum Thema „Donauraum“. Den krönenden kul- turellen Abschluss des Landeswochenendes bil- dete das Preisträgerkon zert des hausinternen Klavierwettbewerbs der Kunst- und Musikschu- le Donaueschingen in den Donauhallen. Baden-Württemberg gestaltet Kunst und Musik spielen in Donaueschingen seit jeher eine herausragende Rolle. Das soll- te das Festival HörBa(a)r der Gesellschaft der Musikfreunde mit der Auswahl baden-würt- tembergischer Künstler im Strawinski Saal der Einer der politischen Höhepunkte bei den Heimat- ta gen 2012 war die Rede von Ministerpräsident Kretschmann am 6. Mai aus Anlass des 60-jährigen Bestehens von Baden-Württemberg in den Donau- eschinger Donauhallen vor 600 geladenen Gästen. Mitte links: Ein Bild mit dem Ministerpräsidenten wollten auch die kleinen Besucher haben. Im Ju- ni 2012 tagte der Landtag in Hüfingen. Auf dem Bild Mitte rechts tragen sich Ministerpräsident Kretschmann und sein Stellvertreter Nils Schmid (SPD) ins Goldene Buch der Stadt Hüfingen ein. Auch die größte Schlagerparade des Landes (unten links) und der „Markt der Möglichkeiten“ waren echte Renner, lockten Tausende von Besuchern an.

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Baden-Württemberg gestaltet: Paul Schwer in stal- lierte mit Material aus Donaueschinger Abbruch- häusern an der Schützenbrücke die Skulptur „Home“. Unten links: Impression von der Eröffnung des Skulp- turenweges, eine Besucherin bewundert eine Skulp- tur im Museum Biedermann. Rechts: Performance an der Brigach durch Ingrid Schorscher. Donauhallen belegen. Bildhauer gestalteten indes verschiedene Plätze im Stadtgebiet und über mehrere Tage bestand die Gelegenheit zu Künstlergesprächen und Diskussionen auf den jeweiligen „Baustellen“. Der neue Skulp- turenweg bot sich für einen Kunstspaziergang durch die Open Air Galerie zu den Skulpturen der Künstler Rainer Ecke, Klaus Münch und Paul Schwer an. Paul Schwer hatte an der Schützen- brücke die Raumcollage „Home“ installiert, die als Gegenpol zur Idylle „Heimat“ mit Material aus Donaueschin ger Abbruchhäusern die Aus- radierung der feststofflichen Heimat sichtbar machen sollte. Den Schlusspunkt zum Kunstspaziergang setzte Ingrid Schorscher mit einer Performance, bei der sie sogar in die kalte Strömung der Bri- gach eintauchte. 160 Rainer Ecke hatte unweit dieser Arbeit am Ufer der Brigach sein „Sitzgemüse“ aufgebaut, das Naturprodukte wie Kartoffel, Paprika und Zucchini in idyllischer Umgebung als künstliche Fremdkörper erscheinen lassen sollte. Letzter im Bund war Klaus Münch mit der Installation seiner Halbkugel „Donau so blu“ mitten in der Brigach, die einen Donauwassertropfen aus hellblauem Plexiglas an der Irmabrücke dar- stellt. Die Installation soll zugleich aufzeigen, wie sich organische Gebilde zu Fremdkörpern entwickeln, gleichzusetzen mit Heimatbesitz und Heimatverlust (siehe Foto auf S. 151). Zum Abschluss präsentierte die Stadt Do- naueschingen in der Ausstellung „Kunst veror- tet“ ihre Kunstankäufe aus den Jahren 1990 bis 2011 in den Donauhallen. 150 Exponate wurden hierzu im Bartóksaal ausgestellt, die die Stadt Donaueschingen in den vergangenen 20 Jahren erworben hatte oder geschenkt bekam. Zuletzt 1989 bei der 1100-Jahr-Feier präsentiert, war diese erneut eine viel beachtete Dokumentation des Kunstschaffens in der Region Donaueschin- gen. Eingebettet in diesen Aktionstag war eben- so der Internationale Museumstag, der zahlrei- che Besucher in die musealen Einrichtungen und Galerien im Städtedreieck lockte.

Brauchtum Baden-Württemberg spielt und läuft 3.000 Spiel- und Erlebnisattraktionen, eine Kin- der- und Maskottchenparade am Sonntag, 10. Juni, ließen das Motto für Familien wahrhaftig werden. Auf einer Länge von drei Kilometern war die Verbindungsstraße zwischen Hüfingen und Bräunlingen von 16 Vereinen und knapp 40 Ein- richtungen zur Spiel- und Spaßstrecke umfunk- tioniert worden. In den Sport- und Stadthallen beider Städte eröffnete sich ein Kinderland mit Games-Arena, Angeboten von Brettspielen und vieles mehr. 700 Kinder aus dem Städtedrei eck hatten sich auf die Kinder- und Maskottchen- parade in zahlreichen Bastelstunden in Kinder- gärten und Schulen dazu Gedanken gemacht, darunter rund einhundert Kinder der Schellen- bergschule Hausen vor Wald. Sie hatten für den Umzug Kostüme angefertigt, passend zum Mot- to „Leben in und an der Donau“. Bei der Parade in der Hauptstraße in Hüfingen zur Eröffnung spiegelten sie, als Frösche, Enten und Störche verkleidet, das Leben am Wasser wider. Eingebettet in den Aktionstag war auch der Heimattage-Halbmarathon, der auf der 10,8 Ki- lometer langen Strecke als Straßenlaufmeister- schaft gewertet wurde. Wer nicht so lang unter- Baden-Württemberg spielt und läuft: Die Kinder hat- ten ihren Spaß beim Bogenschießen – und auch die Erwachsenen mit Riesenseifenblasen oder mit dem in VS-Schwenningen erfundenen und hergestellten Tischfußballspiel „Tipp-Kick“. Selbst der erste Tennis- unterricht war an diesem ereignisreichen Sonntag möglich. wegs sein wollte, für den gab es den Halbma- rathon-Volkslauf und für die Bambinis einen Schülerlauf. Eine weitere Besonderheit war die Eröffnung des Radwegenetzes „Quellregion Donau“ mit einer Radtour von Donaueschingen über Hüfingen nach Bräunlingen. Baden-Württemberg verbindet Der fünfte Leuchtturm der Heimattage Baden- Württemberg 2012 bildete den Kern des Pro- gramms zum Motto „Donau 2012 – Ein Fluss verbindet“ ab. Am „Internationalen Donautag“ wurde mit dem Hochwasserrückhaltebecken (HRB) in Wolterdingen eines der größten Damm- bauwerke jüngerer Zeit seiner Bestimmung übergeben. Der gesamte Oberlauf der Donau 161

Ein Jahrhundertbauwerk geht in Betrieb: Minister Franz Untersteller nimmt hier zusammen mit Regie- rungspräsidentin Beate Schäfer und Donaueschin- gens Oberbürgermeister Thorsten Frei die technische Inbetriebnahme des Hochwasserschutzdammes in Wolterdingen vor (oben links). Das Interesse der Be- völkerung an dem Bauwerk war groß. Unser Quellen- land demonstrierte anhand von mit Städtewappen beklebten Flaschen, dass überall im Schwarzwald- Baar-Kreis bestes Trinkwasser aus der Wasserleitung kommt (unten rechts). bis hinter Ulm ist durch dieses Bauwerk besser vor Hochwasser geschützt. Die Baustelle ver- wandelte sich für Tage zu einem Festgelände. Gruppen und Künstler aus den europäischen Partnerstädten boten ein farbenfrohes „Fest der europäischen Kulturen“ mit diversen Pro- grammpunkten der Partnerstädte Saverne und Mende, mit Aufführungen eines musikalischen Märchens, des Théâtre d‘ Alsace und des Or- chestre d‘ Harmonie (beide aus Saverne) und der Tanzgruppe Mende, die ungarische Tänze 162 darbot. Mit von der Partie waren die Fahnen- schwinger aus Bern, das Alphorntrio Bärenried und Musik der Sequences Nostalgiques. Auch eine Radfahrergruppe aus Ehingen hatte den Weg nicht gescheut, denn bis dorthin wirken sich die Schutzmaßnahmen des HRBs aus. Eine ganze Region feierte mit den Wolter- dingern. Im Festzelt unterstrich Regierungs- präsidentin Beate Schäfer zur Einweihung die Bedeutung des „Jahrhundertbauwerks“. Der Hochwasserdamm ist 460 Meter lang, 18 Meter hoch und kann 4,7 Millionen Kubikmeter Wasser zurückhalten. Das Millionenprojekt wurde nach langer Planphase in sechs Jahren gebaut und hat insgesamt 23 Millionen Euro gekostet. Ansprachen von Minister Franz Untersteller, Landrat Sven Hinterseh und Oberbürgermeister Thorsten Frei folgten. Und in der letzten größe- ren Amtshandlung in seiner aktiven Zeit als Geistlicher weihte Pfarrer Werner Arnold das Bauwerk ein. Die technische Inbetriebnahme erfolgte durch Minister Franz Untersteller per- sönlich. Ausstellungen und Führungen zu Bau und Funktion des HRB boten Interessierten Ein-

blicke in die Funktion des Hochwasserschutzes vor Ort und gaben Informationen zum integrier- ten Donauprogramm. Leitung von Meister Okura erhielten sie nicht nur einen Eindruck in die Spielweise, sondern vor allem in die damit verbundene Tradition. Heimattage Baden-Württemberg Anlässlich der Leuchtturmveranstaltung „Baden-Württemberg verbindet“ in Donau- eschingen hatte sich mit dem türkischen Bot- schafter Hüseyin Avni Karslioglu auch hoher di- plomatischer Besuch eingestellt. Er sprach zum Thema „Außenpolitik der Republik Türkei – die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa“. Hüseyin Avni Karslioglu nahm im Januar 2012 seine Tätigkeit in Berlin auf, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Donaueschingen, wo er zwei Jahre zur Schule ging. Im Zuge dieses Leuchtturmwochenendes hatte die Gesellschaft der Musikfreunde am 28. Juni, 20 Uhr in den Mozart-Saal der Donau- hallen zur letzten musikalischen Veranstaltung ihrer Konzertreihe mit dem Konzert des Vácer Sinfonieorchesters mit Dirigent Pál Farkas aus der ungarischen Partnerstadt Donaueschingens eingeladen. Ausstellung mit No-Masken Parallel unterstrich eine Präsentation japani- scher No-Masken in vergleichender Gegenüber- stellung mit alemannischen Fastnachtsmasken in den Donauhallen die Verbindung Donau- eschingens mit der Partnerstadt Kaminoyama in Japan. Konzipiert hatte die Ausstellung Do- naueschingens Kulturamtsleiter Georg Ried- mann. Bisher sind Ausstellungen von Masken und Gewändern des japanischen No-Theaters außerhalb von Japan eher selten, was die Aus- stellung in Donaueschingen zu einem ganz be- sonderen Ereignis machte und zu dem eigens Vertreter aus Japan den weiten Weg auf sich ge- nommen hatten. Takeshi Nakane, der japanische Botschaf- ter in Deutschland, Professor Günter Zobel und Meister Akira Yamaguchi erläuterten die Entste- hungsgeschichte der Ausstellung, welche vor zwei Jahren mit dem Projekt No-Masken gestar- tet wurde. Die No-Trommel kennzeichnet ein un- gewöhnlicher Klang. Die Faszination an diesem Klang veranlasste viele Interessierte zur Teilnah- me an einem No-Trommel Workshop. Unter der Mit dem türkischen Botschafter Hüseyin Avni Karsli- oglu stellte sich bei den Heimattagen hoher Besuch ein. Er hat zwei Jahre seiner Kindheit in Donaueschin- gen verbracht und sprach im Rahmen der Heimat tage zum Themenkreis Türkei und Europa. Faszinierend war die Begegnung mit den Masken und Gewändern des japanischen No-Theaters. Baden-Württemberg macht Geschichte Geschichte zum Anfassen, das bieten die Mu- seen der Region seit jeher als Wahrer der Hei- matgeschichte. Beim Aktionstag „Geschichte“, der seit 2006 alle zwei Jahre in Baden-Württem- berg stattfindet, im März in der Hüfinger Fest- halle wurde Heimatgeschichte erneut zusam- mengeführt. Im Mittelpunkt standen die Kreis- und Kommunalreformen vor 40 Jahren unter der Überschrift „Neue Grenzen – alte Identitäten?“ 163

Brauchtum Baden-Württemberg macht Geschichte: Aus Deutsch- land, der Schweiz, Österreich und ganz neu auch aus Italien machten sich die historischen Gruppen auf den Weg zum Römerfest nach Hüfingen. Was es mit dem Hüfinger Römerbad auf sich hat, wurde bei Son- derführungen in Originalkostümen aus der Römerzeit vermittelt. 3.000 begeisterte Besucher zählte das Hüfinger Revolutionstheater (rechts). Festredner war Professor Hans-Georg Wehling zum Thema „Gemeinsames und Trennendes in Baden-Württemberg“. Er bereitete so den Boden für die Podiumsdiskussion mit Alt-Oberbürger- meister der Stadt Villingen-Schwenningen, Ger- hard Gebauer, Donaueschingens OB Thorsten Frei, Regionalverbands-Geschäftsführer Marcel Herzberg und Fastnachtskenner Werner Mezger. Eine weitere Vertiefung erfuhr der Erho- lungsort Hüfingen mit der Theaterpremiere des Hüfinger Sommertheaters und dem Stück „Frei- heit! Die Badische Revolution in Hüfingen“ von Theaterregisseur Paul Siemt. 65 hoch motivierte Schauspieler und zwölf ausverkaufte Vorstel- lungen vor 3.000 Zuschauern sind die stolze Bilanz des Laientheaters nach drei grandiosen Festspielwochen. Siemt zeichnet seit 1998 für 164 die Aufführungen im Turnus von zwei Jahren verantwortlich und rollt dabei inhaltlich in sei- nen Stücken stets historische Epochen auf. Seit Jahren hat sich eine Freilichtschauspielkultur in Hüfingen entwickelt, die weit über die Grenzen der Stadt bekannt ist. Eine andere Facette dieser Leuchtturmver- anstaltung, Historie und Geschichten vor einem breiten Publikum auszubreiten, war das Römer- fest 2012 am Römerbad-Museum beim einsti- gen Römerkastell. Der römische Markt stellte dort die verschiedensten Handwerke längst ver- gangener Zeiten wie die Herstellung von Waffen oder die Anfertigung von Spangen und Fibeln aus Bronze mit einfachsten Mitteln vor. Bastel- aktionen, Führungen, Ausstellungen, Vorträge und Mitmachaktionen ließen die Besucher vom 21. bis 22. Juli in die Zeit der Römer eintauchen. Vor allem am Sonntag konnten sich die Veran- stalter über einen wahren Ansturm von Besu- chern freuen. Mit der Eröffnung des historischen Pfades am Fürstenberg von Heiko Wagner im Auftrag der Stadt wurden an diesem Wochenende auch die geschichtlichen und archäologischen Zu- sammenhänge auf dem höchsten Berg der Baar erstmals ans Licht geholt.

Heimattage Baden-Württemberg Bräunlinger Straßenmusiksonntag: Links „Der Vor- stand“ – Weltmusik aus dem Kohlenpott, „Palo Santo“ aus Südamerika und Clown Jordi. Unten: Die Gruppen „Tirasaru“ mit ihrem Feuerzauber „Alpenglühen“ bei der Musiknacht und „Seeda“, viel bestaunte Musik aus der Mongolei. Das größte Straßenkunst-Festival Das größte Straßenkunst-Festival des deut- schen Südwestens, der Bräunlinger Straßen- musiksonntag, bot den Rahmen für die „Gala der Kleinkunstpreisträger Baden-Württemberg“ in der Bräunlinger Stadthalle und beim Straßen- fest in der historischen Altstadt von Bräunlin- gen. Über 80 Vereine und Gruppen aus Baden- Württemberg lockten hierbei Zehntausende nach Bräunlingen: Gaukler, Spaßmacher und Musi- kanten traten an, für gute Laune zu sorgen. Landesfesttage als letzten Höhepunkt Ein letzter Leuchtturm-Höhepunkt der Heimat- tage waren die Landesfesttage. Neben einem fetzigen Open-Air-Konzert für Nachwuchsgrup- pen aus der Region und einer Oldtimer-Stern- fahrt stand am 7. September die Verleihung der Heimatmedaille Baden-Württemberg auf dem Programm. Dass Geschichte und Historie nicht zu Asche von gestern werden, dafür engagiert sich die 81-jährige Eva von Lintig seit Jahren mit der Gründung des Hüfinger Stadtmuseums und erhielt dafür die Heimatmedaille des Landes zu- 165

Heimattage Baden-Württemberg Die Hüfinger Ehrenbürgerin Eva von Lintig wurde mit der Heimatmedaille des Landes Baden-Württemberg aus- gezeichnet. sammen mit neun weiteren Men- schen aus Baden-Württemberg mit vergleichbaren Zielen im Beisein von Landrat Sven Hinterseh. Die Vertreterin des Arbeitskrei- ses Heimatpflege und Landtagsab- geordnete Friedlinde Gurr-Hirsch, der Freiburger Regierungsvize- präsident Klemens Ficht und Erich Birkle, Vorsitzender des Landes- ausschusses für Heimatpflege, überreichten die Urkunden im Scha – lander der Fürstenberg-Brauerei. „Wer dieses Engagement und Ehrenamt erlebt, der begreift auch die Stärke Baden-Württembergs“, erinner- te Donauesch ingens Oberbürgermeister Thors- ten Frei an die Bedeutung des persönlichen Ein- satzes für die Heimat. Einen Faden, den Ficht gerne mit dem Hinweis aufgriff, dass Tracht, Liedgut, Tanz, Mundart und Brauchtum Erin- nerungen schaffen, bei denen auch die Jugend Feuer fangen soll. Heimat sei Tradition, die so zum sicheren Fundament wird. Torsten Frei: „Eine gelungene Kombination von Bewährtem und Neuem“ Seit Anfang 2007 haben sich die Verwaltungen in den Rathäusern der drei Heimattagestädte Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen in tensiv mit der Ausrichtung beschäftigt. Zum Ende des Veranstaltungsmarathons fiel das Echo auf die Großveranstaltungen überaus posi- tiv aus. So etwa die erste Bilanz von Oberbürger- meister Thorsten Frei, die da lautet: „Seitdem im Mai 2008 der Zuschlag ans Städtedreieck für das Jahr 2012 erteilt wurde, laufen die Planun- gen auf Hochtouren. Acht Leuchtturmveranstal- tungen und eine Vielzahl weiterer, speziell für dieses Jahr disponierter Veranstaltungen der Städte und ihrer Vereine wurden vorbereitet und zum gemeinsamen Jahresveranstaltungskalen- 166 der zusammengefasst. Bereits schon vor dem Ende des offiziellen Programmteils kann festgestellt werden: Die Arbeit hat sich in je- dem Fall gelohnt. Bis September konnten rund 170.000 Besucher der Heimattageveranstaltungen gezählt werden, bis zum Jahres- ende rechnen wir bei allen im Jah- reskalender der Heimattage ge- listeten Veranstaltungen mit rund 350.000 Besuchern. Das Programm der Heimattage hat eine gelungene Kombination von bereits traditionellen Termi- nen auf der Baar mit komplett neuen Veranstaltungsformen prä- sentiert. Exemplarisch genannt sei hier das Wochenende ,Baden-Württemberg verbindet‘, an dem nicht nur Gäste aus vielen Partnerstädten des Städtedreiecks, sondern so- gar zwei Botschafter in Donaueschingen zu Gast waren. Ebenso gelungen die Kombination aus volks- festähnlichen Veranstaltungen, welche ein gro- ßes Publikum ansprechen – wie der ,Baden- Württemberg Tag im Mai‘ mit dem großen ,Markt der Möglichkeiten‘ – oder ganz außergewöhn- lichen Veranstaltungen für eine spezifische Ziel gruppe, wie die wunderbare und auch über- regional viel gelobte Woche zum japanischen No-Theater. Im Rahmen der Heimattage wurden auch mehrere Projekte mit dauerhaftem Cha- rakter eröffnet: Das Radwegenetz Quellregion Donau, ein historischer Lehrpfad auf dem Fürs- tenberg oder der Donaueschinger Andreas-Will- mann-Platz. Aber fast noch erfreulicher als die bislang erfolgreich verlaufenen Veranstaltungen und diese genannten, nachhaltigen Projekte ist die Wirkung der Heimattage auf das Zusammen- gehörigkeitsgefühl und den Kooperationsgeist im Städtedreieck: Viele Sponsoren und Partner haben sich nicht nur finanziell in außerordent- licher Weise am Projekt beteiligt, sondern sich auch durch zusätzliche Aktivitäten und Ideen voll und ganz mit den Heimattagen identifiziert. Mit der Übergabe der Heimattagefahne an die Heimattageausrichter 2013, den Verbund ,Ne-

Der Andreas-Willmann-Platz ehrt einen badischen Frei- heitskämpfer, seine feierliche Eröffnung erfolgte im Rahmen der Heimattage 2012: Die Stadt Donaueschingen hat 2,7 Millionen Euro – bei Landes- zuschüssen von 1,6 Millionen Euro – in den Bau des Andreas- Willmann-Platzes investiert. Der Platz wurde einem Freiheits- kämpfer gewidmet, der wohl aus dem Pfohrener Gasthaus Och- sen stammt. Immerhin wurde dort bei Umbauarbeiten in den 1950er Jahren ein Waffenver- steck gefunden, das aus der Zeit der badischen Freiheitskämpfe stammte. Zudem ist belegt, dass dort der badische Revolutionär Friedrich Hecker am 15. April 1848 mit einer Reihe von Frei- schärlern eintraf. Noch in den Jahren 1848/1849 wurde And- reas Willmann zu zehn Jahren Haft verurteilt, doch gelang ihm 1851 die Auswanderung in die USA. Sechs Jahre danach wurde er amerikanischer Staatsbürger. Auch in den USA schrieb er Geschichte: Er gründete die New Yorker Sparkasse, die bis heute die größte Sparkasse in Amerika ist, und wurde ihr Vizedirektor. Andreas Willmann starb mit 59 Jahren 1878 im Mount Sinai- Hospital. Die New York Times bezeichnet ihn als einen der bekanntesten deutschstämmi- gen Bürger der USA. 167

Heimattage Baden-Württemberg ckar-Erlebnis-Tal‘, können wir nach heutiger Sicht der Dinge stolz sein, die vom Land Baden- Württemberg und dem Landesausschuss Hei- matpflege übertragene Aufgabe – auch unter optimaler Ausnutzung des zur Verfügung ste- henden Budgets von rund 710.000 Euro an ba- ren Mitteln – sehr gut gelöst zu haben.“ Jürgen Guse: „Berechtigter Stolz und ausgezeichnete Zusammenarbeit“ Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse sieht eine hohe Identifikation der Bevölkerung durch die Heimattage. Seine Bilanz: „Für die Heimat- tage des Städtedreiecks waren intensive, mehr- jährige Vorbereitungen notwendig. Aufgrund der guten Vorbereitung, der erfolgreichen Ko ope ration der Städte wegen der schon seit Langem ausgezeichneten interkommunalen Zu – sammenarbeit, des gemeinsamen Heimattage- büros, der personellen Verstärkung auch der Städte Bräunlingen und Hüfingen bis 31. Dezem- ber 2012, der hohen Identifikation der Bevölke- rung, der guten Resonanz bei den bisherigen Veranstaltungen, können wir ein euphorisches Zwischenfazit aus Bräunlinger Sicht ziehen. Wir waren bisher ein gutes Schaufenster der Leistungskraft der drei Städte in kulturel- ler Hinsicht, gewerblicher Stärke, landschaft- licher Schönheit, touristischer Attraktivität und 168 Das Medieninteresse an den Heimattagen 2012 war groß – der Umzug innerhalb der Landesfesttage wurde auch vom SWR-Fernsehen aufgezeichnet. Hier Moderatorin Sonja Faber-Schrecklein im Gespräch mit einer Trachtenträgerin und jungen Mutter. Verwaltungskraft. Ebenso können wir mit Fug und Recht sagen, das Land und seine Vielfalt adäquat repräsentiert zu haben. Diese Attribute werden in der Bevölkerung und außerhalb unse- rer Städte nachwirken. Dies hat sich in Bräunlingen schon gezeigt, als wir 2005 das ganze Jahr über 700 Jahre Stadtrechte gefeiert haben. Es wird im berech- tigten Stolz nachwirken, in einem interessan- ten und wertvollen Umfeld im Städtedreieck zu wohnen und zu arbeiten. Und: Die Heimattage zeigen, dass interkommunale Zusammenarbeit für alle Beteiligten Früchte trägt, ohne dass die kommunale Eigenständigkeit eingeschränkt wird“, fasst der Bräunlinger Bürgermeister sei- ne Bilanz zusammen. Anton Knapp: „Unsere Mitarbeiter haben Großartiges geleistet“ Hüfingen rechnet mit Nachhaltigkeit dank Me – dienpräsenz. „Die Heimattage 2012 waren für

Heimattage Baden-Württemberg Im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg fanden im Donaueschin- ger Irmapark auch die Weltmeisterschaften im Fahnenhochwerfen statt. Dabei müssen die Fahnen vollends entrollt über eine Messlatte fliegen (rechts) und wieder aufgefangen werden, bevor sie den Boden berühren. Für manchen der 77 Wettkampfteilnehmer war dies keine leichte Aufgabe. Den höchsten Wurf schaffte der Sieger der offenen Klasse mit 13 Metern. Vor dem Wettbewerb gab es einen Umzug durch die Stadt. Unter den Mitwirkenden befand sich auch der Fanfarenzug Schwenningen. uns interessant, aufregend, spannend, erleb- nisreich, insbesondere aber auch arbeitsinten- siv“, bilanziert Hüfingens Bürgermeister Anton Knapp. „Was den Arbeitsaufwand, der nicht sichtbar dahintersteckt, betrifft, haben wir das alle miteinander unterschätzt. Unsere zustän- digen Mitarbeiter haben hier Großartiges ge- leistet. Es ist jetzt bereits absehbar, dass sich die Arbeit mehr als gelohnt hat. Wir hatten ins- gesamt eine tolle Medienpräsenz durch Fernse- hen und Rundfunk. Gleiches gilt natürlich für die Printmedien vom Bodensee bis Stuttgart. Auch unsere Messepräsenzen waren in diesem Jahr besonders werbeintensiv. Nicht nur aktuellen, sondern insbesonde- re auch nachhaltigen Nutzen können wir aus dem Heimattagejahr 2012 für unsere Stadt konstatieren. Wir wurden und werden bestärkt in unserem Veranstaltungsportfolio. Da ist es wichtig zu wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir haben Nachhaltigkeit mit unse- rem neu geschaffenen Radtourismuskonzept ,Quellregion Donau‘. Wir haben Nachhaltigkeit mit der Forschung und Präsentation der Ge- schichte auf dem Fürstenberg, und wir werden natürlich Nachhaltigkeit für die Zukunft haben durch die bereits angesprochene, massive Me- dienpräsenz. Denn dort, wo man von einer Stadt schon einmal Positives gehört, gesehen oder gelesen hat, richtet sich natürlicherweise eine zunehmende Aufmerksamkeit auf eben diese Stadt und ihre Aktivitäten.“ 169

Soziales 170

Soziales Die Landesfesttage in Donaueschin- gen vom 7. bis 9. September 2012 hatten als Höhepunkt den Landesfest- zug. Die linke Seite zeigt historische Gruppen und Trachtengruppen aus Bräunlingen – auch die alte Stadtkano- ne war mit dabei. Rechte Seite: Baaremer Hochzeitswagen (oben links), Baaremer Trachtenträgerin mit Kind, der historische Brauwagen der Fürstenberg-Brauerei Donaueschingen und unten Mitte ein Trachtenpaar aus Fürstenberg. „Täfeleträger“ sind die Kin- der – schmuck herausgeputzt und mit Freude dabei. 171

Fronleichnam in Hüfingen Blumenkunst zum Herrgottstag 172

Brauchtum von Gabi Lendle mit Fotografien von Wilfried Dold Der „Herrgottstag“, wie die Hüfinger ihren Fronleichnamstag liebevoll nennen, hat in der Stadt an der Breg einen besonderen Stellenwert: Er gehört zu den Hochfesten des katholischen Kirchenjahres und ist eine bunte Mischung aus christlichem Feiertag, Tradi tion und Brauchtum. In der alten Stadt am Hauptquell- fluss der Donau bestaunen Jahr für Jahr Tausende von Be suchern aus ganz Baden-Württemberg, der Schweiz und aus dem Elsass den kunstvollen, in der Regel bis zu 600 Meter langen Blumenteppich. Die Hüfinger Blumen teppich-Tradition wurzelt in der Italienreise des Bürgersoh nes Franz Xaver Reich im Jahr 1841. Der Bildhauer lernt dort bei einem Studienaufenthalt den Brauch kennen und begründet 1842 mit einem Blumenteppich vor seinem Haus an der Hauptstraße den Fronleichnamstag heutiger Prägung. Reinweiße Zungenblüten von Margeriten sorgen im Blumenbild links für den weißen Himmel. Die Mädchenhaare und die Straße, die zur Kirche führt, sind mit den Blütenköpfen von Margeriten ausgeführt. Zuvor trennen fleißige Hände Tausen- de von Blumen in ihre Bestandteile (oben). Mohn- blüten geben dem Mädchenkleid die rote Farbe. Das kleine Foto zeigt das Gesamtwerk. 173

Die älteste Fotografie der Hüfinger Fronleichnamsprozession ist koloriert und stammt aus der Zeit um 1900. Seit dem 13. Jahrhundert sind in der römisch- katholischen Kirche festliche Fronleichnams- prozessionen üblich, seit dem späten 18. Jahr- hundert werden diese nachweislich mit Blumen- teppichen geschmückt. Die ältes ten Blumentep- piche stammen aus ei- nem Städtchen in der Nä- he von Rom. Es gibt sofort viele Nachahmer und die floralen Bildteppiche sind schon bald in ganz Italien anzutreffen. Während ei- nes Studienaufenthaltes im Jahre 1841 in Portici und Resina bei Neapel lernt der Hüfinger Bild- hauer Franz Xaver Reich den Brauch kennen – und ist stark beeindruckt. Nach seiner Rückkehr in die Heimat legt Franz Xaver Reich im nächsten Jahr an Fronleichnam vor seinem Haus in der Hauptstraße gleichfalls einen Blumenteppich. Das gefällt auch seinen Nachbarn und anderen Gläubigen, und so beginnt die Tradition des Hü- finger Blumenteppichs. Franz Xaver Reich Immer mehr Bürger beteiligen sich an die- sem Brauch der Volksfrömmigkeit – bis schließ- lich der gesamte Prozessionsweg auf der Haupt- straße zwischen Stadtkirche und dem Fürst- lich-Fürstenbergischen Schloss (heute Alten- pflegeheim) mit einem durchgehenden Blumen- teppich belegt ist. Jedes Haus an der Hauptstra- ße entlang des Prozessionsweges sorgt dabei für „sein“ Stück Teppich selbst. Bis 1916 wurde der künstlerische und far- benfrohe Teppich gleich nach der Prozession und der Festmesse ins „Stadtbächle“ gekehrt. Von dort aus schwammen die farbenprächtigen Bestandteile der einstigen Kunstwerke dann in die Breg. Der Hüfinger Otto Böhm, ein versierter Kenner der heimatlichen Geschichte, erinnert sich: „Erst als Pfarrer Johann Nepomuk Schatz das Fürstenhaus zum ‚Herrgottstag‘ nach Hüfin- gen einlud, um sich den schönen Blumentep- pich anzusehen, ließ man diesen fortan bis zum Nachmittag und später bis zum Abend liegen.“ Daraufhin strömten immer mehr Besucher an Fronleichnam nach Hüfingen. Ein Zeitungsartikel von 1916 gilt als erstes schriftliches Zeugnis der Hüfinger Blumentep- pichpracht. Ab jetzt berichtet die lokale Presse regelmäßig. Im Laufe der Jahre entwickelt sich die Blumenpracht am Herrgottstag zu einem be- kannten Merkmal des Städtchens. So verwun- dert es nicht, dass bereits im Jahre 1932 der erste Tonfilm über Fronleichnam in Hüfingen gedreht wird. 174

Fronleichnamsfest in Hüfingen Das Kirchenfest Fronleichnam Der Fronleichnamstag ist in Deutschland und vielen anderen Ländern ein gesetzlicher Fei- ertag und wird am 60. Tag nach Ostern gefei- ert. Er geht auf eine Vision der heiliggespro- chenen Augustiner- Chorfrau Juliana von Lüt- tich im Jahre 1209 zurück. Inhaltlich ist Fron- leichnam ein österli ches Fest, das an den Gründonnerstag anknüpft. Das Fronleich- namsfest am Donnerstag nach dem Dreifal- tigkeitsfest, auch Hochfest des Leibes und Blutes Christi, feiert die Eucharistie als Op- fer, Kommunion (Opferspeise) und – wegen der Realpräsenz Christi im Tabernakel – zu- gleich als Gegenstand der Anbetung. Es ist ein Erinnerungsfest an die Einsetzung des Altarsakramentes. Es war damit zugleich die Sehnsucht des Volkes verbunden, die unverhüllte Hostie sprich den „Leib Christi“ zu sehen. Die Monstranz, die im 16. Jh. ihre allmähliche Verbreitung fand, war dafür als offenes Ge- fäß für die Prozession bestens geeignet. Der Priester trägt sie noch heute über Straßen und Plätze oder wie in Hüfingen über die Blu- menteppiche. Anfänglich wurde das Fronleich- namsfest ohne Prozession gefeiert. Die erste Bezeugung der Festprozession stammt aus der St. Ge reons kirche in Köln um 1264. Ab 1938 verbieten die Behörden das Legen von Blumenteppichen und schieben die Maul- und Klauenseuche als Begründung vor. Beatrice Scherzer, die eine Schrift zu Fronleichnam in Hüfingen auflegte – die für diesen Beitrag teils eine wertvolle Quelle darstellt – betont, dass der „Blumenzauber“ den Nazis schlicht ein Dorn im Auge war. Bis zum Kriegsende können die Hüfinger ihre Tradition nun nicht mehr fort- führen. Zuvor schon sind sie teils stark einge- schränkt: Die Blumenkunst besteht seit der Machtergreifung 1933 nicht mehr nur aus reli gi- ösen Motiven, sondern auch das Hakenkreuz und andere Nazisymbole müssen einfließen. 1947 dann erfolgt die Wiederaufnahme der Fronleich nams tra di tion. In den 1950er-Jahren steht der Herrgottstag erneut in voller Blüte und entwickelt sich zu einer Attraktion. Nur der Priester mit dem „Allerheiligsten“ darf über den Blumenteppich schreiten Vier Altarstationen mit Blumenbildern bilden den Mittelpunkt der bis zu 600 Meter langen Hüfinger Blumenstraße. Ein Weg, der in jedem Jahr mit neuen Bildern und Mustern in unter- schiedlichen Farbzusammenstellungen erfreut. Nur der Priester, der die Monstranz mit dem „Al- lerheiligsten“ trägt (eine konsekrierte Hostie, der Leib Christi), darf während der Prozession Der Priester trägt in der kostbaren Monstranz aus dem 18. Jahrhundert das „Allerheiligste“. Nur er darf über den Blumenteppich schreiten. 175

über den Blumenteppich schreiten. Hüfingen verfügt über eine außergewöhnlich schöne und wertvolle Monstranz aus dem 18. Jahrhundert. Sie wurde schon von vielen Priestern und Bischöfen über den Blumen teppich getragen, im Jahre 1955 sogar vom Päpstlichen Gesandten für Deutschland, Kardinal Dr. Alois Münch. Zu diesem Ereignis strömten rund 40.000 Besucher nach Hüfingen. Die Prozessionsordnung Die Hüfinger Prozessionsordnung sieht folgen- de Reihenfolge vor: Vortragskreuz mit Fahnen, die Kindergärten, Trachtengruppe der Heimat- zunft, Historische Bürgerwehr, Kirchenchor, Erst- kommunikanten, Priester mit dem Allerheiligs- ten und Ministranten, Stadtmusik, Bürgermeis- ter mit Stadträten und Pfarrgemeinderäten, Kolpingsfamilie, Jakobs- Fahne und Herz Jesu Fahne, Behinderte im Rollstuhl und Gläubige. Noch nie war das Wetter am „Herrgottstag“ so schlecht, dass man die bereits gesammelten Blüten nicht zu einem Teppich legen konnte – sicher eine Besonderheit. Nur ein einziges Mal, das war zur Mitte der 1960er-Jahre, sahen sich die Helfer wegen eines Sturms gezwungen, mit dem Blumenlegen am Herrgottstag mit zwei- stündiger Verspätung zu beginnen. Dennoch gelang es den Hüfingern, in letzter Minute das vergängliche Werk bis zum Prozessionsbeginn fertig zu stellen. Als Mieter im Rathaus auch für das Legen des Blumenteppichs zuständig Mit Fronleichnam in Hüfingen sind vielfältige Erinnerungen verknüpft. Jeder Hüfinger könnte seine eigenen Geschichten über Ereignisse am Herrgottstag erzählen. Die Ehrenbürgerin Eva von Lintig wuchs im alten Rathaus an der Haupt- straße auf. Seit ihrer Kindheit ist sie als enga- gierte Helferin und Künstlerin am Herrgottstag eine wichtige Stütze, die sich wie etliche andere Bürger zu einer Kennerin und Künstlerin im Blu- mensammeln und Blumenlegen entwickelt hat. Sie erzählt, jede Anwohner-Familie war drin- gend dazu angehalten, vor ihrem Haus an der Hauptstraße ein Stück des Hüfinger Blumentep- pichs zu legen. „In unserem Mietvertrag mit der Stadt wurde strikt vermerkt, dass wir für das Altarblumenbild vor dem Rathaus zuständig 176

sind“, erinnert sich Eva von Lintig, die diese tra- ditionelle Aufgabe mit ihren treuen Helferinnen bis heute wahrnimmt. Keines ihrer 51 figürlichen Blumenbilder, die sie bis heute entworfen hat, gleicht einem ande- ren. Das gilt natürlich für alle Blumenkünstler: In jedem Jahr ent stehen neue Ausdrucksformen, Ornamente, Muster und Farbgestaltungen. Übers ganze Jahr hinweg wird in kirchlichen Schriften Ausschau nach passenden Bildern gehalten, die in das florale Kunstwerk eingearbeitet werden können. Viele Helfer werden gebraucht Die Kunst des Blumenteppich-Legens wird von Generation zu Generation genauso weitergege- ben wie die dazugehörigen Schablonen, Rah- men und Gestelle aus Holz oder Eisen. Dennoch gibt es Veränderungen, da etliche Hüfinger aus Altersgründen nicht mehr aktiv mitmachen kön- nen und andere Anwohner der Hauptstraße kei- ne Verantwortung für ein Stück Blumenteppich übernehmen möchten. Der Wandel in der Welt geht auch am Hüfinger Herrgottstag nicht spur- los vorüber. Im Haus von Hüfingens Ehrenbürgerin Eva von Lintig (Foto linke Seite, hinten Mitte mit Eimer) entsteht eine Engelsszene zum Fronleichnamsfest 2012. Für Fronleichnam 2012 hat Eva von Lintig ein Schutzengel-Motiv entworfen. Szenen mit En- geln finden sich in ihren Entwürfen immer wieder, weil jeder Mensch einen Schutzengel braucht, wie sie betont. Der Engel 2012 hat die Aufgabe, Kinder zu beschützen. Nach den Pflanzen für ihr Blumenbild hält Eva von Lintig schon lange vor Fronleichnam Aus- schau – sobald das Motiv steht. Die Haare des Schutzengels sind mit Baumwolle gestaltet, sein Heili genschein besteht aus Margeritenblüten. Die Brücke, die der Engel und der Junge begehen, ist mit getrockneten Blumen geschaffen. Ver- blühter Bachwurz kommt bei den Haaren des Jungen zum Einsatz, Blutströpfle werden ebenso verarbeitet wie Zahnbürstle, letztere stellen das Gewand des Schutz engels dar. Gesiebte Kiefern- blüten sind beim Gesicht des Jungen verwendet. Unterstützung findet Eva von Lintig beim Hüfinger Museumsverein, denn es sind viele Hände nötig, bis ein Blumenbild geschaffen ist. 177

Hüfingen geht in die Blumen: Eine große Erleichterung sind die von Peter Marx (unten Mitte) eigens für Fron- leichnam angelegten Margeriten- und Lupinenfelder am Rand der Stadt (oben). Auch auf den Wiesen rund um Hüfingen sind die Helfer unterwegs, so die Bürger- wehr (unten links). Ungewöhnlich farbenfroh präsen- tiert sich der Gewölbekeller der Druckerei Moog vor Fronleichnam (unten rechts). Damit die Blumen frisch bleiben, werden sie dunkel und kühl gelagert. Rechte Seite: Der Heilige St. Jakobus in meisterhafter Darstellung. Die Umrandung ist mit Ginster aus- geführt, Pappelblätter bilden den Hintergrund im oberen Drittel. Mit Blutströpfle wurde der Hut geformt, mit Lupinen der Umhang. Das Gewand besteht aus „Bochele“ sprich Wiesenkerbel. Ackersenf markiert den gelb-grünfarbenen Streifen oberhalb des Jakobs- weges, der mit Sauerampfer geschaffen wurde. Her- vorragend gelungen ist auch die Blumenwiese. Stand früher noch das Blumensammeln vor Fronleichnam auf dem Stundenplan der Hüfin- ger Schüler samt Lehrer – ebenso in der Jugend- hilfeeinrichtung Mariahof – sind diese Helfer- scharen heute bedingt durch die Pfingstferien weggebrochen. Stattdessen engagieren sich zahl- reiche Hüfinger Vereine und Einrichtungen zusam- men mit den Anwohnern für das Fronleichnams- fest. Zu den vielen Helfern gehören vor allem auch die Kolpingsfamilie, Katholische Junge Gemeinde, die Katholische Frauengemeinschaft und die Ministranten, aber auch die Bürger- wehr. 2012 waren zum ersten Mal in der Geschich- te des „Herrgottstages“ die Einwohner der Orts- teile Mundelfingen, Hausen vor Wald, Behla, Fürstenberg und Sumpfohren als Helfer in diese Hüfinger Tradition eingebunden. Hintergrund ist die neu gebildete Seelsorgeeinheit. 178

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An den zwei Tagen vor Fronleichnam wird u.a. in der Scheune der Familie Knöpfle, im Altenheim oder im Kel- ler der Familie Hofmaier an Hauptwerken im Hüfinger Blumenteppich gearbeitet (von oben links). Rechte Seite: Zunächst noch im Licht von Scheinwer- fern gestalten am Herrgottstag ab ca. halb vier Uhr rund 500 Hüfinger den Blumenteppich. Welche Pflanzen und Blüten werden in Hüfingen verwendet? Gesammelt, sprich verwendet, werden aus- schließ lich die Blüten von Wildpflanzen, ge- züchtete Blumen, etwa aus dem eigenen Garten, gelten als Stilbruch. Traditionell werden u.a. die Blüten und Blätter von Margeriten, Lupinen, Kastanienblüten, Wiesenkerbel (Bochele), Ginster, Klee, Ackersenf, Distel, Wiesenknöte- rich (Zahnbürst le), Wiesen salbei, Teufelskralle, 180 Sau erampfer, Bach nelkwurz (Jakobsbollen), Wiesenknopf, Skabiose (Ästerle), Kiefernsa men, Tannenschöss linge, Pappelblätter, Fuchsschwanz- gras und Farn verwendet. Bietet die heimische Vegetation wegen ei- nes heißen und damit oft trockenen oder gar verregneten, kalten Frühjahrs nicht genügend Blumen, ist man in früheren Jahren oft „ins Tal“ bei Blumberg oder noch weiter gefahren, um die dringend benötigten Blüten zu sammeln. Hüfin- gens ehemaliger Forst revierleiter Peter Marx er- innert sich, dass ausgerechnet zum hohen Be- such des Päpstlichen Gesandten im Jahr 1955 die Vegetation noch nicht so weit entwickelt war. So machte sich von Hüfingen aus ein Bus voller Helfer zum Blumensammeln „ins Tal“ auf den Weg – dort blühten die Margeriten bereits. Dennoch konnte so manches Jahr der große Teppich nicht gelegt werden, der vor einigen Jahren sogar noch 600 Meter lang war und ums Tor des alten Schlosses herumführte. In diesem Fall werden dann an den vier Altarstationen vier

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Impressionen von der Hüfinger Fronleichnamspro- zession, zu der sich eine große Schar an Gläubigen und Zuschauern versammelt. Die vielen Zuschauer entlang des Prozessionsweges kommen so früh nach Hüfingen, um die großartige Blumenkunst möglichst frisch bestaunen zu können. Das Kunstwerk für einen Tag verliert gerade an heißen Tagen schon bald an Leuchtkraft. Rechte Seite: Das Logo zum Papstbesuch in Freiburg im Jahr 2011 als Teil des Hüfinger Blumenteppichs. große Blütenbilder gelegt, auf die Verbindungs- stücke wird gezwungenermaßen verzichtet. Unzählige Blütenblätter müssen für den gro- ßen Teppich gezupft werden. „Für den laufenden 182 Meter muss man eineinhalb Spankörbe voll sammeln“, weiß Peter Marx aus Erfahrung. Im Jahr 2012 beispielsweise war der große Blu- menteppich 450 Meter lang und 1,80 Meter breit. Das ergibt insgesamt 900 Quadratmeter, die mit Blütenmaterial ausgelegt werden. Die Blüten in genügender Menge zu finden, ist wie bereits erwähnt, nicht immer leicht. Zumal die landwirtschaftliche Intensivierung sowie eine andere Nutzung der Wiesen rund um Hüfingen auch den Wegfall so mancher blütenreicher Flä- che brachte. Vor diesem Hintergrund machte sich Peter Marx schon vor einigen Jahren Gedanken und legte zukunftsweisend rund um Hüfingen einige Wiesen an, auf denen jetzt stadtnah Margeriten, Lupinen und Senf in ausreichender Menge ge- erntet werden können. Gerade diese Pflanzen

Brauchtum An der Prozession nehmen auch die Trachtengruppe und die Bürgerwehr teil – die Stadtkapelle sorgt für die musikalische Begleitung. Zu sehen ist auch die kostbare Jakobsfahne der Katholischen Gemeinde. Rechte Seite: Farbstarke Moderne – der Hüfinger Blumenteppich überrascht mit Vielfalt. werden bei der Herstellung der Blumenteppiche in besonders großen Mengen benötigt. Die Motive und wie sie hergestellt werden Als Motive dienen teils eigene Entwürfe oder Vorlagen aus der religiösen Malerei, mittelalter- 184 lichen Buchmalerei oder aus neueren kirchli chen Veröffentlichungen. Bei der Umsetzung zum Blütenbild müssen die Zeichnungen stark ver- einfacht werden, komplizierte Details fallen weg. Meist sind die Motive der Eucharistie (Danksagung) gewidmet. Am häufigsten findet sich dabei die Abbildung des Abendmahls – aber auch Lamm und Kreuz sowie Brot, Kelch, Ähren und Fisch werden gerne verwendet. Zu sehen sind außerdem aktuelle Themen, verschiedene Fürbitten, aber auch allgemeine biblische und figürliche Szenen aus dem Leben Jesu sowie Darstellungen der Maria oder von Engeln. Durch die begrenzte Haltbarkeit – Blumen- teppiche sind bekanntlich „Kunst für einen Tag“ – ist Fronleichnam in Hüfingen auch unter die- sem Aspekt etwas Besonderes. Viel Aufwand

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Architektur und Denkmalpflege Tausende von Besuchern kommen am Fronleichnams- tag nach Hüfingen, um die Blumenpracht zu sehen. Die Stadt ist voller Leben. Rechte Seite: Kreuzigungsszene und ein freies Motiv, gelungene Beispiele für die Hüfinger Volkskunst an Fronleichnam. und Fingerspitzengefühl bedarf es, um die Pflanzen zu bunten Ornamenten, Bildern und Motiven anzuordnen. Dabei helfen die Schablo- nen aus Holz oder Metall. Die großformatigen, detailreichen Blumen- bilder an den Stationsaltären und deren Umfeld entstehen schon zwei, drei Tage vor Fronleich- 186 nam. Zu arbeitsintensiv ist deren Herstellung, als dass man sie in den wenigen Stunden zwi- schen Tagesanbruch und Prozessionsbeginn herstellen könnte. Dazu zeichnet man die Mo- tive und Muster als Vorlage auf das Packpapier einer Trägerplatte und klebt dann die Pflanzen- und Blütenteile einzeln oder leicht gestreut mit Leim auf. Erst kurz vor Prozessionsbeginn wer- den die kühl gelagerten Werke dann auf die Straße gebracht. Reges Leben in der Hauptstraße entsteht am frühen Morgen des Herrgottstages und eine ver- schworene Gemeinschaft trifft sich noch in der Dunkelheit gegen halb vier Uhr um ans Werk zu gehen. In Körben, Kisten und Kartons werden die gesammelten Blütenteile herangetragen, die nun mit Hilfe von Rahmen, Schablonen, Kor-

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Architektur und Denkmalpflege Vom Leib Christi über das schwarze Schaf und der Monstranz – bis hin zu einem Bildnis der Mundelfinger Kirche reicht das Repertoire der Hüfinger Blumen- kunst. deln, vorgefertigten Vorlagen oder Kreidezeich- nungen auf die entsprechende Fläche gelegt wer- den. Drei bis vier Stunden knien die Blumenleger im Morgengrauen auf der Straße. Etwa zehn bis 15 Personen für ein Stück Blumenteppich mit einer Länge von zehn Metern sind erforderlich. „Jedes Haus hat sein Stück Teppich“ Über Fronleichnam in Hüfingen sind schon un- zählige Beiträge verfasst worden. Einer stammt vom Hüfinger Heimatdichter Gottfried Schaf- buch, der in einer 1972 veröffentlichten Erzäh- 188 lung ausführt: „Tausende von Blüten, Blüten- stengeln, Staubgefäßen, von Blättern, Gräsern, Farnkräutern und Samen werden jedes Jahr zu- sammengetragen, um diese Blütenteppiche im- mer in neuen Formen erstehen zu lassen. … Je- des Haus an der Hauptstraße hat sein Stück Teppich. Und das Einzigartige dabei ist: Jedes Stück reiht sich ein, als herrsche insgeheim eine höhere Ordnung und doch weiß keiner der An- rainer, was sein Nachbar zur Linken oder zur Rechten diesmal ersonnen hat. Zeichnungen und Vorlagen werden zwar schon wochenlang vor dem Fest angefertigt, doch bleiben sie geheim. Erst beim frühen Hah- nenschrei am Herrgottstag werden die Geheim- nisse gelüftet, wenn sich Muster und Zeich- nungen von Haus zu Haus langsam zu einem Ganzen fügen. Die Breite des Teppichs ist einheitlich auf 1,80 Meter festgelegt; 30 Zentimeter davon wer- den als eine Art Rahmenleiste aus dunkelgrü- nem Farnkraut verwendet. Ebenfalls Farnstrei-

Architektur und Denkmalpflege fen grenzen wiederum die Teppiche der einzel- nen Hausgemeinschaften von einander ab. An einem Muster in der Länge von zehn Metern ar- beiten bis zehn Personen. Drei bis vier Stunden lang setzen sie, auf der Straße knieend, ihre Zeichnungen zusammen.“ Ist das Kunstwerk vollbracht, löst sich die Gemeinschaft der Blumenleger auf: Man macht sich frisch und sitzt zu einem gemeinsamen Frühstück zusammen, um anschließend an der Prozession teilzunehmen. „Auf die Blumenteppiche sind wir stolz“ Ein musikalischer Hochgenuss ist in jedem Jahr der Auftritt des Kirchenchores St. Verena, der den festlichen Gottesdienst mit Werken von Mo- zart und Haydn ausschmückt. Das Museum für Kunst und Geschichte tritt jedes Jahr mit einer Ausstellung in den Dialog zum Fronleichnams- fest und zeigt eine Dia-Schau. Im Rathaus steht den Besuchern neben einer Fotoausstellung und eines Filmes viel Informationsmaterial zur Verfügung. Groß vertreten sind am Fronleich- namstag die Medien; auch das Fernsehen strahlt Bilder vom Hüfinger Herrgottstag aus. Bürgermeister Anton Knapp weiß um die Verbundenheit der Hüfinger mit diesem Tag: „Auf die Blumenteppiche an Fronleichnam sind wir Hüfinger zu Recht ein wenig stolz“, betont er. Der Bürgermeister weiter: „Unsere Gäste ent- decken neben dem gigantischen Blumenwerk auch die vielen anderen Facetten Hüfingens, die unsere Stadt zu einem Kleinod auf der Baar machen. So den Charme einer tief verwurzelten Geschichte und den Flair einer lebensfrohen, zukunftsbewussten Kleinstadt. Die Stadt beher- bergt Kunst und Kulturschätze verschiedenster Epochen. Das Alte bewahren und offen sein für das Neue. Das ist Kultur, wie sie in Hüfingen nicht nur mit diesem Gemeinschafts-Kunstwerk am Fronleichnamstag, sondern das ganze Jahr über verstanden und gelebt wird.“ 189

8. Kapitel Geschichte Der Gütenbacher Bildhauer Josef Rombach bewahrt den Christus in der Buche vor der Zerstörung und dokumentiert den Wandel Balzer Herrgott – der umklammerte Christus Von den Hugenotten soll er angebracht worden sein, gar mit der Franzö sischen Revolution in Berührung stehen – oder vom legendären Königenhof stammen. Sicher ist nur: Die Entstehung und Herkunft des Bal- zer Herrgott bei Gütenbach, des steinernen Christus in der Buche, sind bis heute unge- klärt – und werden nie zu klären sein. Auch der Güten bacher Bildhauer Josef Rombach vermag dazu nur Vermutungen zu äußern. Dabei ist er der Mann, der der steinernen Buche am nächs- ten steht: Ihm sind maßgeblich der Erhalt des Naturwunders und die künstlerische Dokumen- tation der Umklammerung des Christuskorpus durch die Buche zu verdanken. Beim Güten- bacher Herrgott in der Buche treffen sich somit Geschichte und Kunst. 190

Josef Rombach und der Balzer Herrgott Ein Bildhauer und der Christus in der Buche: Ein Leben lang hat Josef Rombach aus Gütenbach mit Skizzen und Skulpturen dokumentiert, wie die Buche den steinernen Torso immer mehr umschlingt. Einigermaßen gut zu Fuß sollte man schon sein, wenn man den „Gütenbacher Winkelherrgott“ aufsuchen will, sei es vom Parkplatz oberhalb des Fallengrunds aus oder aber vom „Felsen- keller“ in Gütenbach, der Wandermarkierung folgend. Natürlich führt auch ein Weg auf Neukircher Gemarkung auf den „Großen Hürst“: Vom Bren- nersloch aus geht‘s über steile Pfade durch den Hackgrund über den Sattelwald, ehe auf der Hö- he nach einer scharfen Wegbiegung der Blick gefangen wird von einer mächtigen Buche, in deren Stamm ein steinerner Christuskopf einge- schlossen ist, umgeben von einer herzförmigen Rindenwulst. Längst kann man dieses Naturwunder auf Postkarten abgebildet sehen oder in Zeitschrif- ten wie „Liebes Land“ oder „Land und Berge“. Die Bildberichte darüber haben spätestens nach der Landesgartenschau 2010 dieses Naturphä- nomen weit über die Landesgrenzen hinaus be- kannt gemacht. Doch zu einem „Wallfahrtsort“ für Massen kann dieses Wunder im Baum an so entlegener Stelle nicht werden, und das ist ganz im Sinne des Bildhauers Josef Rombach, der lie- ber Wanderer und Pilger dort wissen möchte, 192 192 die bereit sind, vor diesem Andachtsbild zu ver- weilen, die bewusst wahrnehmen, wie begrenzt und letzten Endes vergeblich alles menschliche Eingreifen ins Eigenleben der Natur sein kann. Heute ist der Wurzelbereich des Baums mit Rindenmulch geschützt und mit Gneis einge- fasst. Eine Bank lädt zum Ruhen und Schauen ein; seitwärts erklärt eine Schautafel, von Rom- bach gestaltet, wie das steinerne Bildnis im Lauf von Jahrzehnten immer enger vom Baum eingeschlossen wurde. Schon lange wäre es verschwunden, wenn nicht die Bevölkerung von Gütenbach wiederholt für behutsame Frei- legung gesorgt hätte. Ein „Wunder“ war es gewiss nicht Wie der Baum nach und nach die steinerne Christusfigur in sich aufgenommen hat, diesen Prozess hat niemand besser verfolgt als der Gütenbacher Bildhauer Josef Rombach. Durch ihn ist auch eine umfassende, künstlerische Do kumentation des Wandels entstanden. Kaum jemand ist derart vertraut mit dem Balzer Herr- gott wie er, und kaum einer hat sich mit solcher Hinga be mit dieser Symbiose zwischen Natur und Menschenwerk beschäftigt und sich inspi- rieren lassen. Darüber hinaus zeigen Rombachs Zeich- nungen eine Vorgeschichte, wie die Gestalt des Schmerzensmanns in den Baum geraten sein

könnte. Ein „Wunder“ war es gewiss nicht. Dass da ursprünglich ein ganzer Torso an dem Baum lehnte, weiß er nur aus Erzählungen seines Va- ters, der als Förster des Furtwanger Reviers für das Dreistegen-Wagnerstal-Gebiet zuständig war und oft genug auch mit einem seiner Kin- der daran vorbeikam. Wilhelm Rombach war es auch, der die kräftigen, aus dem Steinkorpus herausragenden Eisenstangen in den 1930er- Jahren fachgemäß vom Furtwanger Schlosser- meister Mahler absägen ließ. Zu befürchten war nämlich, dass der Baum durch das Eisen Die Überwallung des Balzer Herrgotts durch die Buche ist auch mit Fotografien dokumentiert, die aus dem Gütenbacher Dorfmuseum stammen. Hier ist eine Abfolge mit Stadien aus den 1920er-Jahren (großes Bild rechts) und der Nachkriegszeit zu sehen. verletzt und Wuche rungen der Rinde womöglich beschleunigt wür den. Dieses Gestänge beweist aus heutiger Sicht, dass es ursprünglich zur Be- festigung des Torsos an einem steinernen Kreuz gedient hatte. 193

Josef Rombach und der Balzer Herrgott Von Josef Rombach als Triptychon ausgeführte Skulpturenfolge in Lindenholz zu den Verwand- lungen des Balzer Herrgotts. Links der zeitlich nur schwer fixierbare Beginn der Überwallung, dann Stadien aus den Zeiträumen 1930, 1960 und ganz rechts die Gegenwart. Die Mutmaßungen über die Herkunft der Steinskulptur könnten Bände füllen – Sagen und Geschichten ranken sich um den Balzer Herrgott. Besonders eifrig forschte der Neu- kircher Chronist Karl Fehrenbach. Trotz seiner Bemühungen im Verein mit Kunsthistorikern und Geologen musste er feststellen, dass „sei- ne Entstehung voller Widersprüche und Rätsel ist“. Selbst die Herkunft des Namens kann er sich nicht erklären. Werk von zwei Hirtenbuben? Fehrenbach glaubt, der Christus könnte auch von einem Hofkreuz stammen. Andere glauben eher an die Reste eines Wegkreuzes, so auch 194 194 Josef Rombach, der die Zerstörung bei einem Unfall für möglich hält – so z.B. beim Holztrans- port. Zu vermuten ist, dass der Corpus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Bu- che befestigt wurde. Der Baum selbst soll aus dem 18. Jahrhundert stammen, der zu dieser Zeit noch nicht von Wald, sondern von einer Weide umgeben war. Oder sollte womöglich doch der Brief der Furtwangerin Hulda Pfrengle die Lösung ge- bracht haben? Sie schrieb in den 1950er-Jahren an ihren Enkel Klauspeter Staeb, dass ihr einst ein Güten bacher Hirtenbub schilderte, wie er es, zusammen mit seinen Freunden, fertiggebracht habe, den auf der Wiese liegenden Sandstein- Christus an den Baum zu lehnen und dort mit der senkrecht stehenden Eisenstange zu befes- tigen. Tatsache ist, dass schon seit 1927 mehre- re Fotografien existieren, sie zeigen die Entwick- lung der fortschreitenden Umklammerung der Christusgestalt durch den Baum. Sie begann an den Lenden; 1975 schloss sich die Rinde unter- halb der Brust, bis die Umwallung das heutige Ausmaß erreichte und nur noch einen Teil des Hauptes freiließ.

Geschichte Josef Rombach und der Balzer Herrgott Für Schulunterricht heutzutage wäre die Frage nach der Herkunft des Torsos ein willkommener Aufhänger für einen Fantasie-Aufsatz. In den 1940er-Jahren jedoch hatten die Lehrer in der Hirtenschule von Glashütte mit anderen Prob- lemen zu kämpfen, damals, als Josef Rombach, Jahrgang 1932, vom Wildgutacher Sattelhof, und später vom Behahof im Hexenloch dorthin zum Unterricht stapfen musste. Ihm machte üb- rigens seit jeher das Zeichnen und die Beobach- tung der Natur Freude. Am Balzer Herrgott kam der heranwachsende Josef oft vorüber, wenn er, als Ältester von acht Geschwistern die Einkäufe und Besorgungen übernahm. Auch der Weg zur Kirche führte ja nach Gütenbach. Nach Abschluss der Schulzeit wollte Josef Rombach eigentlich an der Schnitzereischule in Furtwangen studieren. Leider wurde die aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr wieder eröffnet. So blieb nur die Lösung, eine prakti- sche Lehre in der Schnitzerwerkstatt bei Karl Rieber anzutreten. 1952 legt er die Gesellenprü- fung als Landesbester ab, arbeitet dann noch wei tere Jahre im Atelier seines Furtwanger Meisters mit. Vorwiegend sakrale Figuren wur- den dort hergestellt, aber auch Masken, Möbel- verzierungen und Schnitzwerk für Uhren und Orchestrien. Nebenbei genoss Josef Rombach noch Zeichenunterricht beim legendären Jakob Rommel, ei nem ehemaligen Lehrer der Schnit- zereischule. Zur Erweiterung seiner Berufserfahrung nahm er die Gelegenheit wahr, an der Schnitzereischu- le in Esslingen bei Stuttgart an einem Kurs bei Professor Rülke teilzunehmen. 1959, nach sieben Jahren im Atelier Rieber, trat er eine Stelle beim akademischen Bildhauer Siegfried Fricker in Jestetten am Kaiserstuhl an, wo er ausgesprochen vielseitig gefordert war: Hier konnte er bald auch Werke in Stein, Bron- ze und Sgraffito erschaffen. 1960 kehrte Josef Rombach wieder „auf den Wald“ zurück. Er heiratete Christa Fehrenbach vom Siedlehof im Gütenbacher Teich, verband sich also mit einem alten Uhrmachergeschlecht, in dem einst sogar Frauen in diesem Handwerk tätig waren (Balbina Siedle ist als eine der wenigen bezeugt). Dass im Stammbaum dieser Sippe um die Mitte des 195

Josef Rombach und der Balzer Herrgott Josef Rombach hat seine Arbeit anlässlich der Freile- gungen des Balzer Herrgotts in den Jahren 1986 und 1995 in einer Zeichnung festgehalten. 18. Jahrhunderts ein Gregor Baltzer aus Neu- kirch auftaucht, darf heute als Kuriosum am Rande vermerkt werden. In der alten Mühle des Siedlehofs, in der noch zwei ältere, pflegebedürftige Familienmit- glieder zu betreuen waren, konnte sich das Paar eine Wohnung ausbauen und ein Atelier einrich- ten. Als sich nach und nach drei Kinder einstell- ten, war mit dem Verdienst als freischaffender Holzbildhauer nicht mehr auszukommen. Aber bei der Firma Faller waren seine Fähigkeiten ge- fragt. In der Modellbau-Abteilung kam ihm seine manuelle Präzision, aber auch die Kreativität zu- gute. Dort arbeitete Josef Rombach von 1963 an in der Entwicklungsabteilung als Modellbauer. Immer jedoch um künstlerische Weiterbildung bemüht, besuchte er nebenher bei Prof. Wohl- schlegel in Freiburg Zeichenkurse in Akt- und Porträtkunst. 196 Daneben ließ ihn die Bildhauerei keines- wegs los: Als die Narrenzunft von Gütenbach auf der Suche nach einer eigenen Fasnet-Figur war, die auf die große Vergangenheit der Uhrmache- rei im Dorf anspielen sollte, verhalf der Künstler ihr mit der Erschaffung der „Jockele-Maske“ und des „Plattewiible“ zu glänzendem Erfolg. Entscheidend zur Rettung beigetragen Zeit für sein Herzensanliegen fand er aber so richtig erst wieder im Ruhestand: Der Balzer Herrgott ist dank einer Eingabe des Schwarz- waldvereins bereits 1959 ins Naturdenkmalbuch eingetragen worden. Die Umklammerung schritt fort, wenn auch rührige Natur- und Heimatfreun- de immer wieder Baumwunden abgedichtet hat- ten, um Fäulnis in der Buche zu verhindern. Jetzt konnte der Künstler entscheidend zur Rettung des Naturdenkmals beitragen. Aufgrund seiner langjährigen Beobachtungen und seiner Kenntnisse in Sachen Baumwuchs machte er mit dem Schwarzwaldverein den für den Staatsforst zuständigen Fachleuten klar, dass der einge- schlossene Stein zerbrechen könne und vom Bildnis bald nichts mehr zu sehen sein würde. Nun hatte aber angesichts des Waldsterbens in den 1970er- und 1980er-Jahren ein neues Na- turbewusstsein um sich gegriffen. So erregten die Pläne zur Rettung des Denkmals ein landes- weites Presse-Echo. Die Überlegungen wurden durchaus kontrovers diskutiert und der damali- ge Bürgermeister Richard Krieg hatte die Argu- mente zu koordinieren: Da wurden aus Kreisen von Forst-Fachleuten Stimmen laut, die davor warnten, den ganzen Vorgang durch Menschen- hand zu beeinflussen. Dagegen stand natürlich der Wunsch der Bevölkerung, auch im Interesse des Fremdenverkehrs, das Denkmal zu erhalten. Letzten Endes erlaubte das Landratsamt in Übereinstimmung mit dem Naturschutz einen Eingriff, machte aber zur Bedingung, dass „geeignete Pflegemaßnahmen“ für den Baum- schutz damit einhergehen müssten. Als Fach- leute wurden also zwei Spezialisten von der Graf Bernadottschen Verwaltung der Insel Mainau hinzugezogen. Der Bildhauer konnte mit aller Behutsamkeit ans Werk gehen und einen Teil

Wenn keine weitere Frei- legung mehr erfolgt, würde die Buche den Christus eines Tages vollständig überwallen. Diese fiktive Endphase der Überwallung entstand zum Künstlerwett- bewerb „Natur verbindet“ bei der Landesgarten- schau 2012. der Umwallung in ova- ler Form freischneiden, worauf die Ränder mit Konservierungsmittel gegen Pilze und Feuch- tigkeit versiegelt wurden. Das Holz erhielt – fach- sprachlich ausgedrückt – eine künstliche Rinde. In ähnlicher Weise ver- fuhr man erneut im Jahr 1995. Kein Wunder, dass dieses Natur-Kunst-Phäno- men den Künstler Rombach in den Folgejahren zu großen Werken inspirierte: Maßstabsgetreu schuf er in halber Größe als Triptychon eine Skulpturenfolge in Lindenholz, die die Zustän- de des Steinbilds im Verlauf der Jahre zwischen 1930 bis 2000 darstellen. Detailgetreu wurde sogar die Rinde des Baums mit allen Ast-Ga- belungen ausgearbeitet. Das Gütenbacher Hei- matmuseum zeigte diese Werke erstmals im Juli 2006 in einer Ausstellung. Zur Eröffnung sprach der damalige Vorsitzende Otto Hofmann. Er würdigte sie als „meisterlich gestaltete Figu- rengruppe, die das Leiden, Sterben, die Auf- erstehung und Erlösung Christi widerspiegelt“. Große Anerkennung Die Landesgartenschauen in der Region boten Josef Rombach gleichfalls immer die Gelegen- heit, mit seinem Schaffen an die Öffentlichkeit zu treten. Für die Schau im Jahr 2010 in Schwen- ningen hatte die Forstwirtschaft Künstlern die Teilnahme unter dem Motto „Natur verbindet“ Geschichte angeboten. Von 30 zuge- lassenen Werken wurde den Exponaten Rombachs von der Kunstkritik ganz besondere Anerkennung zuteil. Aus Rombachs Sicht musste dieser Leitgedan- ke um eine Dimension erweitert werden: Die Na- tur vermag letzten Endes auch aufzulösen. Er fügte deshalb seinen Stelen „Skulpturenfolge in Zeit- stufen“ eine weitere hin- zu, die den Baumstamm geschlossen zeigt und das inliegende Steinbild zu großen Teilen nur noch er- ahnen lässt. 2012, zum 80. Geburtstag des Künstlers, veranstaltete die Volkshoch- schule Furtwangen eine umfangreiche Ausstellung des Gesamtwerks. Im Mittelpunkt stand auch hier die geschnitzte Skulpturenfol- ge, wie sie inzwischen im Gütenbacher Atelier von Josef Rombach eindrucksvoll präsentiert wird. Dort sind auch jederzeit Besucher will- kommen, die das Kunstwerk aus der Nähe be- trachten und befühlen wollen. Täglich ist Josef Rombach noch an der Schnitzbank beschäftigt, am Fenster mit Blick nach Südwesten, wo er hinter der Bergkuppe „seine“ Buche weiß. Dort ist er nach wie vor sehr oft zu finden – schaut nach dem Christus. Jüngst hat sich ein Unbekannter aus Nord- deutschland telefonisch gemeldet und den Wunsch geäußert, den Balzer Herrgott zu ertas- ten, da er blind ist. Selbstverständlich hat ihm der 80-jährige Künstler zugesagt, ihn zum Ori- ginal zu geleiten. Weit bekannt ist der Künstler also schon, und eine Studentengruppe aus dem Bereich Medien der Hochschule Furtwangen University hat vor sechs Jahren einen Film über sein Leben und Schaffen gedreht. Und doch weist Josef Rombach die Bezeichnung als Künstler weit zu- rück, vielmehr sieht er sich in aller Bescheiden- heit als Handwerker. Elke Schön 197

9. Kapitel Museen Der neue Narrenschopf in Bad Dürrheim Attraktivere Dauerausstellung und energetische Sanierung Im Jahr 2013 feiert der Narrenschopf in Bad Dürrheim sein 40-jäh riges Bestehen. Das zen trale Museum der schwäbisch-aleman- nischen Fastnacht kann sich dazu rundum erneuert präsentieren: Es hat durch ei ne umfangreiche Neuordnung der Daueraus- stellung deutlich an Attraktivität gewonnen. Und ganz nebenbei wurde die energetische Sanierung beendet, mit der das Museum die Kosten für den laufenden Betrieb minimie- ren kann. Zur Vorgeschichte: Der Museums- standort geht auf eine Anregung des Bad Dürrheimer Zunftmeisters Walter Sieger zu rück. Die Vereinigung Schwäbisch- Ale mannischer Nar ren- zünfte (VSAN) konnte ori – ginelle und seltene Solebehälter der früheren Saline Rottweil für ihr in Planung befindliches Museum nutzen, die der damali- ge Bad Dürrheimer Bürgermeister und Kurdi- rektor Otto Weißenberger spontan erworben hatte. Im Mai 1973 erfolgte die Eröffnung – gut 40 Jahre später konnte 2012 die umfassende, ca. 830.000 Euro teure Sanierung und Neu- konzeption abgeschlossen werden. Der Narrenschopf in Bad Dürrheim im Luftbild. Rund 830.000 Euro hat die Vereinigung Schwäbisch- Alemannischer Narrenzünfte in die Sanierung und Modernisierung ihres Museums investiert. 198

In der zweiten Kuppel des Narrenschopfes sind die typischen Traditionsfiguren der schwäbisch- alemannischen Fastnacht versam- melt. Hoch oben sitzt eine Offen- burger Hexe.

Museum Narrenschopf Aus insgesamt über 74 Orten in Baden-Würt- temberg, Bayern und der Schweiz hat die 1924 gegründete Vereinigung Schwäbisch-Alemanni- scher Narrenzünfte Masken und närrische Klei- der gesammelt und im auf Vereinsbasis privat organisierten Fastnachtsmuseum Narrenschopf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Aus- stellungsfläche in den drei Kuppelbauten be- trägt 1.100 Quadratmeter, ca. 300 Narrenfigu- ren werden in Lebensgröße präsentiert. Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichen die durch historische Dokumente und närrische At- tribute aufgelockerten Exponate. Träger des Museums ist der Verein Narren- schopf Bad Dürrheim e.V., der 1980 auf Initiati- ve der Stadt Bad Dürrheim und der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte ge- gründet wurde. Er hat den Zweck, die Heimat- kunde, Heimatpflege und Heimatverbundenheit durch den Unterhalt, Betrieb und Ausbau des Narrenschopfes Bad Dürrheim zu fördern. Die Umgestaltung der Dauerausstellung schlägt sich merklich in den Besucherzahlen nieder: Für das Jahr 2012 hat Museumsleiter Da- niel Rollko 15.000 zahlende Gäste veranschlagt. In den Jahren zuvor hatte sich die Besucherzahl zwischen 8.000 und 11.000 eingependelt. Ein Manko war jedoch auch, dass die Besucher zwar viele Masken und Häser in der Dauerausstellung sahen, aber wenig Erklärungen bekamen, wenn sie nicht gerade eine Führung gebucht hatten. Hochzufriedene Besucher Zwar stehen in der neuen Dauerausstellung we- niger Figuren, doch hat sich der Informations- gehalt vervielfacht. Die Mitarbeiter berichten, dass die Besucher hochzufrieden die Einrichtung verlassen, dass sie sich vor den Exponaten und Stellwänden ausgiebig fotografieren lassen und auch gerne die erläuternden Filme anschauen, beziehungsweise sich im Museumskino einen Eindruck vom Ablauf eines Narrentreffens ma- chen. An den Kosten für die Neukonzeption in Höhe 502.000 Euro hat sich der Schwarzwald- Baar-Kreis mit 20.000 Euro beteiligt. Unabhän- gig davon hat die energetische Gebäudesanie- 200 200 Narrenschopf-Impressionen: Oben Tiermasken und Scheinreiter – daran haben besonders auch die kleinen Museumsbesucher ihre Freude. Ebenso am Erinnerungsfoto als Weißnarr oder an Krachmachern wie der Rätsche (Mitte). Bei einer Führung durch den Narrenschopf erfährt man auch, wie eine Narren- maske entsteht (unten). rung weitere 326.000 Euro erfordert, sodass letztendlich 830.000 Euro in den Narrenschopf gesteckt wurden. Der Präsident der Vereinigung Schwäbisch- Alemannischer Narrenzünfte, Roland Wehrle, betont, mit der Neukonzeption der Ausstellung des Fastnachtsmuseums Narrenschopf sei es gelungen, den Anspruch des Museums, die zentrale Informations- und Kommunikations- plattform der schwäbisch-alemannischen Fast- nacht zu sein, nicht nur zu bestätigen, sondern eindrucksvoll auszubauen. Eine wichtige Voraussetzung dafür war nach Ansicht von Roland Wehrle, dass es im Jahre 2008 gelungen ist, die zuvor schwierigen Be- sitzverhältnisse des Narrenschopfes zu ordnen. Dies sei dank der guten Zusammenarbeit mit der Stadt Bad Dürrheim und der Kur- und Bäder GmbH gelungen. Der Präsident der Vereinigung ist sich sicher, dass das Museum einen wesentlichen Zugewinn an Attraktivität erfahren hat. Die Fastnacht werde jetzt, so Roland Wehrle, nach aktuellen musea- len Kriterien präsentiert, ohne das Brauchtum zu missbrauchen. Durch den Einsatz der Me- dientechnik, von Filmen und Audiostationen, ist zudem eine bestmögliche, dauerhafte Vermitt- lung des immateriellen Kulturerbes der schwä- bisch-alemannischen Fastnacht sichergestellt. Kein Stillstand: Ausstellung wird ständig weiterentwickelt Im Klaren sind sich die Verantwortlichen der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narren- zünfte und des Vereins Narrenschopf darüber, dass die Ausstellung in dieser Form nicht weitere 30 Jahre unverändert Bestand haben wird. Des- halb sieht man sich gefordert, die Ausstellung

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Museum Narrenschopf permanent weiterzuentwickeln, um auch den Besuchern immer wieder neue Aspekte aufzei- gen zu können und so das Interesse aufrecht- zuerhalten. Das Ziel an dieser Stelle lautet für VSAN-Präsident Roland Wehrle ganz klar: „Wir wollen die museale Präsentation des Brauch- tums der schwäbisch-alemannischen Fastnacht im Narrenschopf Bad Dürrheim über Generatio- nen hinweg sicherstellen.“ Dies sei übrigens auch ganz im Sinne der Kulturstiftung der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht, in deren Besitz beinahe sämtliche Ex- ponate der Ausstellung im Narrenschopf sind. Auch hier hat man durch die Neukonzeption be- reits Fortschritte erzielen und mit der Zustiftung der Manfred-Merz-Stiftung aufgrund der Neu- gestaltung einen Grundstein für viele weitere Sachzuwendungen legen können. Aufenthaltsdauer enorm gestiegen Die neue Ausstellung kommt beim Publikum an, bester Beweis ist, dass die Aufenthaltsdauer der Besucher nach der Umgestaltung „enorm gestiegen“ ist, wie Daniel Rollko berichtet. Früher liefen Besucher in einer halben Stunde durch die Ausstellung, weil sie zu den ausge- stellten Figuren keine oder nur wenige Informa- tionen bekamen. Nur bei Führungen erhielten sie auch inhaltliche Informationen über das när- rische Brauchtum. „Für Besucher, die mit der Fastnacht nicht viel anfangen konnten, sah jede Figur fast gleich aus“, beschreibt Daniel Rollko den Gang durch die frühere Ausstellung. Das hat sich nun geändert, der Besucher wird beim Eintreten in eine der Ausstellungskuppeln mit Narrensprüchle aus dem Lautsprecher begrüßt, die auch mal recht derb sein können („Borsch- tig isch die Sau“), er kann über die Fastnacht le- sen, aber auch ihre Geräusche und Musik hören. Oder er wird aufgefordert, in ein Loch zu greifen und zu fühlen, was sich dahinter verbirgt, und erfährt so mehr über die Schembarthölle. Das hat zu einer Aufenthaltsdauer von mittlerweile durchschnittlich einer Stunde und fünfzehn Mi- nuten geführt. „Wir haben Besucher, die kom- men erst nach drei Stunden wieder heraus“, berichtet Daniel Rollko erfreut. 202 202 Auch heimische Figuren sind im Narrenschopf zahl- reich vertreten, oben links Hansele mit Greteli aus Donaueschingen. Hoch hinaus wollen die Riedlinger Gole und der Spritzemuck aus Ehingen. Die Wald- geister haben ausgestopfte Vögel dabei, was die Kinder freut. Traditionsreich ist die Laufenburger Fastnacht mit ihren barocken Masken (Mitte rechts). Unten: Erz- und Hofnarren der schwäbisch-alemanni- schen Fastnacht. Es macht richtig Spaß, sich durch das Mu- seum zu bewegen, närrisches Accessoire kann befühlt und ausprobiert werden: der Säbel der Weißnarren, die Streckschere, mit der die Häs- träger die Hüte von Zuschauern vom Kopf zie- hen, der Fuchsschwanz, der im Mittelalter für Falschheit und Heuchelei stand, die Rollen oder Schellen, Saublodere und Spiegel. Fastnacht – das Miteinander der Generationen Dass Fastnacht nicht nur etwas Historisches ist, erfährt der Besucher an einer Informationstafel, die ihr bescheinigt, sozial und integrativ zu wir- ken und das Miteinander der Generationen und sozialen Gruppen zu fördern. Wer über seine eigenen Fastnachtserlebnisse nachdenkt, wird leicht nachvollziehen können, was dort schwarz auf weiß steht: Fastnacht schafft Freude und Freundschaften durch Begegnung in einer of- fenen Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt. Doch selbst altgediente Narren staunen zu- nächst, wenn sie in einem Ausstellungsbeitrag lesen, dass die „freie“ oder „wilde Fastnacht“ ein „fester Bestandteil“ des Brauchtums ist und die Zünfte aufgefordert sind, die freien Elemen- te wie bunte Gruppen, Scherbelgruppen und Ini tiativen, die örtliche Fastnacht betreiben, zu fördern. Fastnacht ist eben Vielfalt. Natürlich fehlen auch die Grundlagen nicht, denn wer sich im Narrenschopf über die Fast- nacht informieren will, möchte auch wissen, wo und wann die Narren in unserer Geschichte auftauchen. Ebenso, dass um 1400 all jene als Narren galten, die ein abweichendes Verhalten zeigten oder körperliche Eigenheiten wie Ent- stellungen hatten. Oder, dass der Ursprung

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Museum Narrenschopf der Fastnacht im christlichen Jahreslauf zu sehen ist, als ein Schwellenfest vor der Fasten- zeit: Fastnacht als die Nacht vor dem Fasten. Mittelalterliche Bi belillustratoren bezogen sich auf den Psalm 52 „Der Narr sprach in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“ und zeichne- ten eine Figur mit Narrenkappe und Zepter. Ab dem 15. Jahrhundert halten Verkleidungen in der Fastnacht Ein- zug, das Volk geht als Teufel, Wilder Mann, Zigeuner oder als alte Weiber auf die Straße, Frauen ziehen Männerkleider an. Hervorragend bildlich umgesetzt wird in der Ausstellung, wie im 18. Jahrhundert der Einfluss der Commedia dell’Arte hinzukommt und wie im 19. Jahrhundert der Karneval nach Süddeutsch- land hereindringt und die Fastnacht verändert, zu dem man heute Distanz hält. 14 thematische Ausstellungsstationen Von den früher 403 ausgestellten Figuren fie- len einige weg. Die frühere Ordnung, in der die Häser oder Kleidle nach Fastnachtslandschaf- ten und Zünften aufgestellt waren, ist im Fast- nachtsmuseum aufgelöst. Heute gibt es einen nachgestellten Umzug im dritten Schopfbau, ein „kleines Narrentreffen“ direkt neben dem Café. Zu sehen sind 77 Figuren quer durch die süddeutschen, schweizerischen und österrei- chischen Fastnachtslandschaften. Filme und Tonsequenzen ergänzen die Szenerie. Alles Weitere über die Fast- nacht erfährt man schließlich an 14 thematischen Ausstellungs- stationen, die nach moder- nen museumspädagogischen Grundsätzen gestaltet sind. Fi- guren, die in jeder Fastnachts- hochburg gleich aussehen, ob Bad Dürrheim oder Wolfach, etwa die Hemdglonker, wur- den deshalb einfach bis auf einige wenige exemplarische 204 Eine einmalig-kostbare Berei- cherung des Narrenschopfes ist die Maskensammlung des Villinger Maskenschnitzers Manfred Merz. Links oben: Eine der ältesten und schönsten Fastnachts masken überhaupt ist die Narromaske von Johann Schupp, entstanden zur Zeit des Frühbarocks um 1680. Unten: Maske von Dominikus Ackermann Ölmüller, Klassizis- mus, um 1820. Beispiele herausgenommen. Auch Narrenrats- und Zunftmeisterfiguren fielen der besseren Darstellung zum Opfer sowie Kinderhäser, die den Erwachsenenhäsern ähnelten. Auch den dicken Wuescht, den stolzen Narro und die schöne Villingerin der Narrozunft Vil- lingen präsentiert der Narrenschopf würdevoll, obwohl die Zunft 1955 aufgrund persönlicher Querelen aus dem Bündnis austrat. Immerhin waren es die Villinger Zunftmeister Benjamin Grüninger und Albert Fischer, die 1924 Deutsch- lands ältesten Narrenverband gründeten und zugleich als Präsidenten der Schwäbisch-Ale- mannischen Narrenvereinigung wirkten. Nicht von ungefähr besitzt der Narrenschopf somit heute einen „Villinger Schatz“: Die Mas- ken der Sammlung Manfred Merz, darunter ei ne frühbarocke Scheme aus der Hand von Johannes Schupp, werden eindrucksvoll hinter Panzer- glas gezeigt. Sie wurden dem Museum im Rah men einer Stiftung zugeführt und gehören mit zu dem Kost- barsten, was die schwäbisch- alemannische Fastnacht an mu sealen Objekten zu bie- ten hat. Die Themenvielfalt im Narrenschopf ist groß. Es wird die Geschichte der Fast- nacht und die Entste hung der VSAN be handelt. Weiter geht man der Frage nach: „Was ist Fastnacht?“ Es gibt einen

Deutsches Phonomuseum St. Georgen Staunender Jungnarr: Der Villinger Maskenschatz von Manfred Merz. Ausstellungsbeitrag über „Wilde und Mohren“, Maskierungen, Tierfiguren, Holzmasken oder Fastnacht in Europa und Bildhauerei. Beim Bei- trag „Frauen in der Fastnacht“ geht es um Hexen und weibliche Narrenfiguren. Den Weißnarren und den Narrenbütteln sind eigene Wände ge- widmet. Fastnacht hat europäische Dimensionen Über die europäische Dimension klärt ein Film in einer hellen Kabine auf, dazu Informationen an den Wänden. Die schwäbisch-alemannische Fastnacht ist kein Einzelphänomen: Auch in an- deren Regionen gibt es Fastnachtsbräuche, et- wa in Tirol, im Salzkammergut, Oberbayern, im Odenwald, an der Rhön, im wallonischen Teil Belgiens, Ungarn, Bulgarien, Slowenien, Frank- reich, Italien oder Sardinien. Hier findet man bis heute Figuren, Tänze, Masken und Umzüge, die in identischer Form auch im schwäbisch- aleman nischen Raum existieren. Und gerade weil in früheren Jahrhunder- ten exotische Einflüsse aus anderen Ländern aufgenommen wurden, welche die Pracht und Farbigkeit der Feste ausmachten, avancierte die Fastnacht nach Ansicht der Ausstellungsmacher „zu einem Bekenntnis für Weltoffenheit und To- leranz“. Nicht vergessen darf man, dass der Narren- schopf auch ein Ort der Forschung ist und das zentrale Archiv der Vereinigung Schwäbisch- Alemannischer Narrenzünfte enthält. Der Archi- var der Vereinigung ist Günther Camill Jerg, er ist Volkskundler, Volkswirt und Grafologe und hat die Systematik des Archivs aufgebaut. Hans-Jürgen Eisenmann Geöffnet ist der Narrenschopf dienstags – samstags von 14.00 – 17.30 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 10.00 – 17.30 Uhr Das Café ist geöffnet dienstags – sonntags von 13.00 – 18.00 Uhr 205

10. Kapitel Kunst und Künstler Lore Will – Schmuck und Kunst Die Goldschmiedin aus Königsfeld hat sich auch als Malerin einen Namen gemacht Sein Vorschlag zur Berufswahl sollte eine der wenigen Prognosen enthalten, bei denen Lore Wills Vater nicht recht behalten würde. „Lerne Uhrmacher!“, hatte er ihr vor ungefähr 40 Jahren geraten. „Uhren werden immer gebraucht, also ist Uhrmacher ein krisensicherer Beruf.“ Das Hand- werk der Goldschmiedekunst hingegen, von dem die Tochter träumte, hielt er für wenig zukunfts- tauglich, da es sich auf das Bedürfnis nach einem Luxusgut stützte, das sich die Menschen in Not- zeiten nicht würden leisten können. „Es kam genau andersherum“, stellt die Königsfelder Goldschmiedin und Künstlerin schmunzelnd fest. Der Kollaps der Schwarzwälder Uhrenindustrie in den 1980er Jahren verursachte Firmensterben und Massenentlassungen, während sich das Fertigen kostbarer Unikate aus hochwertigem Gold und Silber für Lore Will zur stabilen Existenz- grundlage entwickelte. Außerdem genießt sie seit Jahrzehnten einen hervor- ragenden Ruf in der lokalen und überregionalen Kunstszene. Durch- gängiges Motiv in den großforma- tigen Gemälden sind Landschaften und Horizonte, vor die sie in der ak- tuellen Schaffensphase erstmals menschliche Gestalten platziert. Lore Will ist gebürtige Königs- felderin, aufgewachsen in einer Großfamilie mit sechs Schwestern und einem Bruder; die Eltern betrie- ben eine Landwirtschaft mitten im Ort an der Friedrichstraße, die sich mit dem touristischen Aufschwung in Königsfeld zum Fuhr- und Reise- unternehmen wandelte. Die Kombi- nation aus bäuerlicher Bodenstän- digkeit und enger Naturverbunden- heit mit Reiselust und Weltoffenheit sollte auch die Persönlichkeit der 206 Armband, Ohrringe und Brosch-Anhän- ger mit Brillan- ten in 750/000 Gold Lore Will „Marokko Markt“, 2009, 100 x 70 cm, Dispersion auf Hartfaserplatte

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Lore Will Heranwachsenden prägen. Hatte sie zunächst mit einer Ausbildung zur Schreine- rin oder Technischen Zeichnerin geliebäugelt, fokussierte sich ihr Berufswunsch auf Goldschmiedin, nachdem sie der Königsfelder Goldschmiedin und Puppen- macherin Sigrid Meyer intensiv über die Schulter geguckt hatte. Bei einem Schul- ausflug nach Freiburg lief sie spontan in ein Schmuckgeschäft, dessen Auslagen ihr gefallen hatten. „Braucht ihr einen Lehrling?“, habe sie mutig gefragt – und wurde angenommen. Als Goldschmiedin in Südafrika und Annäherung an die Malerei Nach der Ausbildung packte sie das Fernweh. Lore Will zog zunächst in die Hafen- stadt Hamburg, beantragte bald die Immigration nach Südafrika, wo sie bei ent- fernten Verwandten eine erste Anlaufstelle haben würde. Fünf Jahre lang lebte sie in Südafrika, arbeitete als Goldschmiedin, wurde auch mit dem Rassismus und vielen weiteren sozialen Gesellschaftsproblemen konfrontiert, machte überhaupt extreme und existenziell bedeutsame Erfahrungen. Das galt insbesondere für ihre abenteuerliche, einjährige Reise mit dem VW-Bus durch den schwarzen Konti- nent; später sollte Indien ein vorübergehendes Traumziel werden. 1972 kehrte sie in ihren Heimatort zurück, hatte anfangs Mühe, wieder Fuß zu fassen, baute vielleicht gerade deshalb mit ihrer Schwester Veronika ein Haus. Den Lebensunterhalt bestritt sie mit Schichtarbeit in der Fabrik von Binder-Mag- nete in Villingen. Als das Haus fertig war, erwachte wieder der Unruhe-Geist in Lore Will. „Ich wollte frei arbeiten, nicht funktional, und ich wollte Neues lernen.“ Sie zog ein zweites Mal nach Hamburg und arbeitete wieder als Goldschmie- din. „Nebenher“ und doch im Zentrum der persönlichen Aufmerksamkeit besuch- te sie Kurse für Portrait- und Aktmalerei, nahm an mehrtägigen Exkursionen zu Landschaftsmalerei teil, verschlang kunsthistorische Bücher und ließ sich auf lehrreiche Begegnungen mit Künstlern ein, die in einem U-Bahn-Bogen eine Bild- hauer-Werkstatt eingerichtet hatten. 31-jährig bewarb sie sich mit einer Arbeits- mappe an der Kunstakademie Hamburg. „Machen Sie einfach weiter!“, habe die ermunternde Auskunft gelautet. Das tat Lore Will. Sie mietete sich in einem Atelier ein, widmete sich der freien Kunst, entwarf ihre ersten Glas-Wasser-Objekte, experimentierte mit Holz und anderen Materialien, doch die Malerei blieb im Zen- trum. Angekommen in Königsfeld, die eigene Werkstatt entsteht 1984 verspürte sie das Bedürfnis nach mehr Struktur in der Kunst und in ihrem Leben und kehrte nach Königsfeld zurück. Zunächst arbeitete sie in der Gold- schmiede Schilling in Villingen und machte sich 1988 selbstständig – inzwischen 52 Jahre alt. Lore Will, die Rastlose, Suchende und Reisende, war angekommen in einer für sie adäquaten Lebens- und Schaffensform. Sie war in das Haus ge- zogen, das die mittlerweile verstorbenen Eltern an der Buchenberger Straße ge- baut hatten, richtete sich im Keller eine Goldschmiedewerkstatt ein, im Erdge- schoss ein Atelier mit unverstelltem Blick in die freie Landschaft. Reduktion auf das Wesentliche, auf elementare Formen und Fragen ist der rote Faden, der sich bis heute durch ihr handwerklich-künstlerisches Schaffen in den verschiedenen 208 Bilder rechts, v. oben links: Di- verse Ketten in 750/000 Gold – um Kontraste zu erzeugen mit oxidierten Sil- bergliedern. Oben rechts: „Heckenrose“ Collier und Ohrstecker in 925/000 Silber. Lore Will beim Löten in der Werkstatt. Mitte rechts und unten rechts: Ringe in 925/000 Silber mit Chrysopras- kugeln sowie Ring in 750/000 Gold mit wun- derschönem Rubelith.

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Kunst und Künstler „Garten“, 1999, vier Platten variabel, 15 x 15 cm, Linoldruck auf Seidenpapier Metiers zieht, zu denen frü- her auch experimentelle Druckgrafiken gehörten. Die Vorstellung faszinierte sie, im Wortsinn „Ein-Drü- cke“ über einander zu la- gern („wie das im wahren Leben ja so oft passiert“). Sie überdruckte Motive von Alltagsgegenständen wie Tisch und Stuhl mit mehreren Druckstöcken im Quadrat. Das bleibt für Lore Will zeitlebens ein geometri- sches Faszinosum, das in Gestalt des Zinzendorfplat- zes auch symbolkräftige Mitte des Königsfelder Ortskerns ist und dem Künstler- zirkel zu seinem Namen verholfen hat. Eine begeisterte Stammkundschaft erobert Die heute 67-Jährige hat es geschafft, mit ihren eigenwilligen, schlichten und zu- gleich auffälligen Schmuckstücken aus Silber und Gold, Perlen und Steinen eine begeisterte Stammkundschaft zu erobern. Die trägt den Namen der Goldschmie- din weiter, mehr Werbung braucht sie nicht. Ein Blick in ihre Schatzkammer gibt eine wundersame Welt purer Ästhetik preis und offenbart unterschiedliche Pha- sen des Schaffens. Eine kleine Serie mit Silberringen und Chrysoprasperlen verrät die Auseinandersetzung mit der Gestaltung von Quadraten. Sie werden symmet- risch in der Mitte aufgebrochen und erhalten durch von Hand aufgezogene Perlen neue Spannung und Tiefe. Lore Will verwendet stets nur das hochwertigste Silber und Gold, das ausschließlich matt präsentiert wird. „Das Material als solches soll wirken“, begründet die Goldschmiedin den sinnlichen Purismus. Sanft schimmert das Silber, warm und geheimnisvoll reflektieren die großzügigen Flächen eines Armbands aus 18-karäti- gem Gold das Licht der Sonne. „Poliert sähe das protzig aus.“ Alle Arbeiten sind Unikate, entstanden aus der Eingebung des Au- genblicks, die nicht wieder- holbar ist, kein Schmuck- stück wird kopiert. Gleich- wohl lässt sich ein bestän- diger Fluss der Gedanken ausmachen, etwa bei den variablen „Brosch-Anhän- gern“ mit Brillanten in der 210 Seerose, Collier und Ohrring, 925/000 Silber, oxidiert

Lore Will Diverse Brosch- Anhänger und Ringe in 750/000 Gold und 925/000 Silber. Mitte, die als Brosche und ebenso als edler Anhänger an einem Halsreif getragen werden können. Ein wieder eigener Schwerpunkt sind Ketten aus Gold und ge- schwärztem Silber, deren handgefertigte Glieder in reizvollem Kontrast miteinan- der harmonieren. Eine Zeit lang ließ sich Lore Will in ihren Design-Ideen unmittelbar von der Natur inspirieren, kombinierte geometrische Grundformen mit filigranen Blüten und Blättern; in einem kleinen Ensemble mit „Sepia-Ringen“ verwendete sie Ab- güsse von getrocknetem Tintenfisch-Gerippe zur verblüffend strukturierten Ge- staltung der runden Oberfläche. Eine wieder eigene Assoziationskette setzte der Jugendstil in Gang, dem Spaziergänger in Königsfeld auf Schritt und Tritt archi- tektonisch begegnen. Lore Will verarbeitete die Idee vom dekorativ geschwungenen Brückenschlag zwischen Natur und Funktion zu fein ziselierten Silbercolliers, die dem Wuchs von See- oder Heckenrose nachempfunden sind. 211 211

Lore Will „Ich bin Handwerker und muss mich nicht heraus- putzen“ Zurzeit sind große, breite Ringe mit ungewöhnlichen Formen ein Thema. Trotz ihres spektakulären Aus- sehens sind sie überra- schend bequem, verblüf- fen mit einem floralen Mo- tiv oder mit einem zentrier- ten Muster, das sich als Gesicht zu erkennen gibt. Selbst trägt Lore Will übri- gens keinen Schmuck, sie betrachtet ihn lieber an an- deren: „Ich bin Handwerker und muss mich nicht herausputzen“, sagt sie burschi- kos. Die spannende Gestaltung einer spannungsarmen Fläche ist auch die kons- tante Herausforderung in der Malerei, dem zweiten kreativen Standbein der Kö- nigsfelderin. In Hamburg haben sie meditative Betrachtungen von linearen Hori- zonten inspiriert, im Schwarzwald wird der reale Blick vom Golfplatz oder der Schwäbischen Alb begrenzt. Mit breitem Pinsel und farbiger Strich-Dynamik ent- stehen abstrakte Landschaften mit abstraktem Himmel, entscheidend sind die hoch gelegten Horizonte, vor die Lore Will neuerdings Menschen einbaut. Es sind keine individuellen Männer und Frauen, sondern hochgewachsene Gestalten in einem marokkanischen Markt. Diese selbst oft erlebte Kulisse hat die Künstlerin deshalb für ihre neuen Horizonte gewählt, weil die arabischen Basare bunter sind als ein Markt hierzulande, und die Männer lange, bunte Gewänder und Turbane tragen, die sich trefflich zur statuarischen Inszenierung eignen. Im Pendel zwischen Goldschmiedewerkstatt und Atelier hat Lore Will ihre kreative Balance gefunden, in Königsfeld das ideale Umfeld. Sie engagiert sich gern im örtlichen Künstler-Kreis Quadrat und im Kunstverein Villingen-Schwen- ningen, liebt den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen auch in größerem Radius, die immer wieder zu Ausstellungen in den Kultur-Ort geladen werden. Sie selbst gestaltet seit 1980 kontinuierlich Einzelausstellungen und ist an Gruppenaus- stellungen beteiligt. Christina Nack 212 „Stühle im Garten“, eine Platte gedreht, 1996, 32 x 32 cm, Linoldruck auf Seiden- papier Rechte Seite, oben: „Spielplatz“, 2007, 70 x 100 cm, Dispersion auf Hartfaserplatte Unten links: „Horizont Win- ter“, 2005 100 x 100 cm, Dispersion auf Hartfaserplatte Unten rechts: „Alpen 1“, 2012 90 x 80 cm, Acryl auf Hart- faserplatte Ringe in 925/000 Silber, oxidiert mit gegossenen Sepiateilen

Kunst und Künstler 213

Kunst und Künstler Ariane Faller und Mateusz Budasz – Reflexionen in und mit dem Raum Die jungen Furtwanger Künstler erfreuen sich eines großartigen Renommees Es gibt in der zeitgenössischen Kunst eine Vielzahl von Zugängen zu den Werken, die zu- dem keine vorformulierten Antworten liefern – sie stellen vielmehr bestenfalls etwas infra- ge. Und wenn Künstler wie das Ehepaar Ariane Faller und Mateusz Budasz im Doppelpack auftreten, dann ist das Tor für das Feld der Kunst besonders weit geöffnet. Sie wollen zur Reflexion in und mit dem Raum anregen und sagen über ihr Schaffen: „Insbesondere die Auseinandersetzung und das Hinterfragen der Grenzen zwischen eindeutigen Zuordnungen und Definitionen von Malerei, Zeichnung, Plastik und Objekt interessieren uns. Ebenso die Thematisierung unterschiedlichster Räume und Umgebungssituationen durch ortsbezogene Installationen.“ Das Angebot der unterschiedlichen Wirklichkeits- und Erinnerungsbezüge bietet den in Furtwangen lebenden und arbeitenden Künstlern eine Plattform, in der mehr möglich werden kann, als angeboten wird. Dies ist ein künstlerischer Pro- zess, dessen Rezeption – und dies eben nicht aus der Sicht der Künstler – weniger auf einer spontanen als vielmehr auf einer reflektierenden, optionalen Sichtweise fußt. Dies schließt eine emotionale Anbindung nicht aus, doch werden bei diesem Prozess unterschiedliche kulturelle und persönliche Erinnerungsebenen derart komplex miteinander verbunden und aufeinander bezogen, dass ein Interesse an solchen Codes, ein Wissen um solche Bezüge – bewusst oder unbewusst – eine wesentliche Rolle für das Verstehen bildet. Rechte Seite: Gown, 2005 – 2010, Ölfarbe, Lack, Gouache, Papp- kiste, diverse Hölzer und Platten, 163 x 151 x 49 cm 214 Ariane Faller und Mateusz Budasz

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Faller/Budasz Faller-Budaszs Arbeiten haben die volle Wirklichkeit von Gebilden – und sie geben ihnen das Gewicht und Tatsächlichkeit der Dinge, die um uns sind. Sie schaffen Konzentration und Ruhe, obwohl sich Form und Materialität aus teilwei- se heterogenen Fundstücken aufbauen und das Zusammenfügen der einzelnen Elemente immer einsehbar bleibt. So könnte man sich diesen Arbeiten auch über das Gegensatzpaar „Transparenz und Dichte“ nähern. Transparenz in der Offen- legung der künstlerischen Technik in gleichzeitiger dichter Konzentration auf eine Deutung des Bildgeschehens. Da kommt es auf die Struktur an, auf die Ordnung, die die Farben auf der ebenen Fläche einnehmen. Das Erzählerische eines Bildes, einer Skulptur, so inhaltslos sie auch erscheinen mag, ergibt sich aus einer ganz bestimmten Ordnung von Formen, Flächen und Farben, die das Abbildhafte erst hervorbringt. Jede gegenstandslose Arbeit, in dieser Kategorie muss man die Material-Collagen bei diesem Zugang einfach sehen, wäre überdies ein Lehrstück über Malerei, Skulptur, Installation und ihre Möglichkeiten. Ambivalentes Grenzgängertum ist angesagt, das sich durch das ganze, ge- meinsam entwickelte Werk zieht. Faller und Budasz schaffen sich zwar dreidimen- sionale Realitäten aus den Versatzstücken ihrer jeweils individuellen Kunstpro- duktion, sind aber weniger Schöpfer von vollplastischer Volumina, sondern be- ziehen den Umgebungsraum immer mit ein. Monochrome Farbflächen, Säge- und Schleifzeichnungen verweisen unmittelbar auf den Kontext der Malerei, Fremd- körper und bearbeitete Holzplatten und Holzpaletten öffnen die faktische, räum- liche Gesamtpräsenz hin zu immateriellen Zonen. Vehikel (Dress- code), 2010, Kulturtage Waldkirch Pigment, Lein- öl, Ölfarbe, Oilstick, Lack, Dispersionsfar- be, Acrylbinder, Gouache, Garn, Pappkisten, Holzrahmen, Winkelschleifer- zeichnung in Span-, MDF- und Hartfaser- platten, Kleider- ständer Immer neue Perspektiven Auch wenn die künstlerische Intention vermutlich eine andere ist, so schafft man sich den Zugang zu dem komplexen Kunstkosmos am besten über den Seitenpfad der Neuen Musik. Analog zur Kunstform der Neuen Musik, wo das Wahrnehmen von Klang und Klangereignis in einem Raum im Vordergrund steht, werden die Farbtöne, das Zusammenspiel der Farben und Formen unter Ausblendung der Suche nach einem Ausdruck, einer Aussage zum Ereignis. Zu einem im Hier und Jetzt stattfindenden Erlebnis, dessen Teil man ist. Denn der Betrachter, und das ist tatsächlich die Absicht der Künstler, steht mittendrin in seiner Kunstwelt, die zugleich auch immer seine persönliche Lebenswelt ist. Der stetige Standortwech- sel, die sich verändernden Lichtverhältnisse lassen den Betrachter als weiteren Protagonisten der installativen Arbeiten das Werk aus immer neuen Perspektiven erfahren. Ähnlich wie die Neue Musik experimentieren Faller und Budasz frei mit Raum- und Zeitbezügen. Konkrete fassbare Motive wie Tischböcke, Paletten, Rä- der, Strickgarne bilden nur den Hintergrund für einen Kosmos, in dem die Fantasie des Betrachters agieren muss. Es sind die auch in der Musik verortbaren Assozia- tionen, die man in Faller-Budaszs Werk wiederfindet: Kalibrierung und Toleranz‚ Ausschneiden aus dem persönlichen Werk und Einfügen in den Gesamtkontext. Dass dies aus Betrachterperspektive einwandfrei funktioniert, dafür bilden die beiden Künstler die bei solchen Konstellationen nicht selbstverständliche Grundlage. Privat wie künstlerisch ist das Ehepaar ein eingeschweißtes Team. Die Erziehung der 2011 geborenen Tochter Liv wird gemeinsam übernommen, der zusätzliche Broterwerb wird ebenfalls gemeinsam bestritten. Dabei sind diese Tätigkeiten die ideale Ergänzung zu der eigenen künstlerischen Praxis. 216 Syntax, 2009, „Linked At Random“, Kunsthaus L6, Freiburg Pigment, Leinöl, Ölfarbe, Oilstick, Grafitstift, Lack, Dispersions- farbe, Acrylbin- der, Gouache, Pappkisten, Winkelschlei- ferzeichnung, Span- und MDF-Platten, Tep piche

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Faller/Budasz Bereits bei Mai-Ausstellungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, „Beruf und Freizeit“ fielen in Furtwangen die farbenfrohen Bilder der jungen Künstlerin Ariane Faller auf. Sie besuchte zu dieser Zeit noch die Schule. Ihr Weg führte sie nach dem Abitur 1997 an die Außenstelle der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe in Freiburg, wo sie bis 2003 bei Prof. Silvia Bächli, Prof. Ernst Caramelle und Prof. Günter Umberg studierte. Noch vor Abschluss des Studiums erhielt Ariane Faller 2002 den Kulturpreis des Schwarzwald-Baar-Kreises für Bil- dende Kunst. An der Akademie lernte sie auch ihren Ehemann Mateusz Budasz kennen. Er studierte bei Pia Fries und Prof. Leni Hoffmann, war 2006/07 Meisterschüler von Prof. Leni Hoffmann. Mateusz Budasz wurde 1979 in Poznan geboren und kam 1987 mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Bonn. Das Künstlerpaar entdeck- te ein gemeinsames Interessensfeld – den Raum. Bei studentischen Ausstellun- gen in Karlsruhe präsentierten sie erstmals gemeinsame Arbeiten. Gemeinsames Atelier mit klarer Aufteilung Ariane Faller zeichnet sich seit 2006 als Kuratorin für das anspruchsvolle Aus- stellungsprogramm des Hüfinger Stadtmuseums verantwortlich. Ihr Ehemann ist der kreative Part des Projektes „mittendrin“. Mit diesem Projekt fördert der Land- kreis Schwarzwald-Baar die Einbindung von Kindern und Jugendlichen mit Be- hinderung in reguläre Freizeitangebote. Das selbstverständliche Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderung steht dabei im Vordergrund. Mit dem Projekt soll der dafür grundlegende Gedanke der Inklusion in der Gesellschaft verbreitet werden. Gemeinsam sind Ariane Faller und Mateusz Budasz temporär als Dozen- ten bei den Volkshochschulen der Region und der Kunst- und Musikschule der Stadt Donaueschingen anzutreffen. Auch die Gestaltung gedruckter und digitaler Medien, insbesondere von Karten, Plakaten und Katalogen für Kulturinstitutionen und Künstlerkollegen, ist ein Teil der Zusammenarbeit von Faller und Budasz. Da gibt es keine Berührungs- ängste, so wie auch im Atelier, das sie gemeinsam nutzen, wenngleich mit klaren Regeln und Aufteilung. Das Längsgebälk der Etage gliedert die Arbeitsbereiche exakt. Links befindet sich das Mal- und Strickatelier von Ariane Faller und ihr Depot an Pappkisten, Bildträgern für die monochromen Farbflächen, die oft aus mit Leinöl verflüssigtem Pigment und Ölfarbe bestehen, gestrickt oder gemalt sein können. Und dann gibt es noch in dieser Farbinsel die vielen Gläser mit den Farbmischungen. Auf der anderen Hälfte befindet sich das Refugium von Mateusz Budasz. Auf den ersten Blick scheint es aufgeräumter, strukturierter, farbloser als das ver- meintliche kreative Chaos des angrenzenden Bereichs von Ariane Faller. Die Grün- de dafür sind rasch ersichtlich: in Budaszs Teil des Ateliers werden die Zeichnun- gen hergestellt. Dies geschieht nicht im traditionellen Sinne. Die oftmals zuvor mit Farbe behandelten MDF-, Span- und Hartfaserplatten werden mit der Säge, der Fräse und dem Winkelschleifer präzise bezeichnet. Die Atelierbereiche sind zwar räumlich getrennt, aber den gemeinsamen Auf- tritt geht das Künstler-Duo beeindruckend konform. Und so kommt das gemein- same Statement nicht überraschend: „Ein wesentlicher Bestandteil unserer je- weiligen künstlerischen Tätigkeit ist die intensive Auseinandersetzung mit der 218 Hybrid, 2011 Ölfarbe, Gou- ache, Pappkiste, Fotografie, 42 x 152,5 x 21,5 cm Mitte links: petits fours, 2007, Ariane Faller Pigment, Lein- öl, Ölfarbe, Acrylbinder, Gouache, Scou- bidou-Bänder, Pappkisten, je 10,5 x 10 x 8,5 cm Mitte rechts: Ohne Titel (tem- poräre Kompo- sition), 2006, Mateusz Budasz Bleistift-, Hand- kreissägen-, Winkelschleifer- zeichnungen, Lack, Disper- sionsfarbe, Span- und MDF-Platten Vehikel, 2011 Donaueschinger Regionale Pigment, Leinöl, Ölfarbe, Lack, Dispersionsfar- be, Acrylbinder, Gouache, Garn, Pappkisten, Holzrahmen, Holzpaletten

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Faller/Budasz Arbeit des Anderen“. Die gemeinsame Nutzung des Ateliers ist zwar nur „eine formelle Angelegenheit“, die aber zum unmittelbaren kreativen Austausch an- regt. Das Paar diskutiert auf Augenhöhe kunsthistorische und theoretische Zu- sammenhänge. Ein Dialog im wörtlichen Sinne, aber auch im bildnerischen. Die hauptsächlichen Ausgangspunkte ihrer Interaktionen sind die zwei, zunächst unabhängigen, bildnerischen Systeme, die sie auf unterschiedliche Weise mit- einander verknüpfen. Wandinstallation „Symbiont“ im Berliner Ministerium Aus der parallelen Arbeit entstehen gemeinsame Kompositionen und Installatio- nen, in denen beide Vorgehensweisen aufeinandertreffen und zu neuen, erneut dekonstruierbaren Arbeiten zusammenwachsen, wie beispielsweise innerhalb ihrer „Symbionten“. Ein Exemplar aus dieser Werkserie hat im Dezember 2011 seinen Platz im Rahmen des Ankaufverfahrens „Junge Kunst“ im neuen Dienstsitz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Berlin gefunden. Das Werk aus Pigment, Leinöl, Ölfarbe, Acrylbinder, einer Pappkiste, Garn, MDF-Platten und Holz lässt sich zwar in den einzelnen Bildelementen auf den jeweiligen Autor zurückverfolgen, aber entfaltet erst in der Spannung der monochromen Farbflächen zu den grafischen, skulpturalen Bestandteilen seine volle Wirkung. Wenn wie bei den „Hybriden“ u.a. Fotografien der eigenen Haare mit in das Bildgeschehen kommen, dann hat sich die Zusammenarbeit zum Selbstläufer wie bei den „Vehikeln“ entwickelt. Ein besonders eindrucksvolles Exemplar aus diesem aktuellen Zweig der ge- meinsamen Arbeit war im Frühjahr 2012 bei der Ausstellung „Schichtungen – Spielarten der Raumbefragung“ im Foyer des Kreishauses zu erleben. Das Vehikel bestehend aus Holzklappböcken, monochrom bemalten und beschichteten Käs- ten und fotografischen Versatzstücken der realen Landschaft eroberte sich tat- sächlich den Umgebungsraum. Was in der Ausstellung im Landratsamt in ideal- typischer Weise demonstriert wurde, funktioniert aber auch bei eher statischen Arbeiten, wie bei dem aus Paletten und bemalten Kisten bestehendem „Vehikel“, das anlässlich der Regionale 2011 in den Donaueschinger Donauhallen gezeigt wurde. Die ständige Befragung des architektonischen Raums nach seinen bildne- rischen Eigenschaften bringt die Arbeiten von Ariane Faller und Mateusz Budasz auf einen gemeinsamen Nenner, bei dem das jeweilige Einzelbild, ob es nun far- big monochrom oder grafisch geschichtet entworfen wird, stets der Ausgangs- punkt bleibt. Stefan Simon 220 Vehikel, 2012, „Schichtungen~ Spielarten der Raumbefra- gung“, Land – ratsamt Villin- gen-Schwen- ningen Pigment, Leinöl, Ölfarbe, Lack, Dispersionsfar- be, Acrylbinder, Gouache, Garn, Pappkisten, Holzrahmen, Fotografien, Holzklappböcke Links: Symbiont, 2011 Ankauf durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumord- nung für das Bundesumwelt- ministerium (BMU) in Berlin.

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11. Kapitel Geologie Versteinertes Leben – Auf Fossilien- suche im Schwarzwald-Baar-Kreis Erdgeschichten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis Wer die Begeisterung und eine gute Spürnase hat, kann im Schwarzwald-Baar- Kreis viele Versteinerungen vorzeitlicher Organismen finden. Meist sind es Überreste von Meerestieren wie Schalen oder deren Abdrücke; seltener sind ver- steinerte Pflanzen. Solche Versteinerungen werden als Fossilien bezeichnet und sind begehrte Fundstücke. Wie und wo man sie findet, wird hier beschrieben. In manchen Zeitabschnitten der Erdgeschichte waren in Süd- deutschland sowohl die Le- bensbedingungen im Meer als auch die Erhaltungsbe- dingungen in den Ablage- rungen güns ti ger als in anderen. Entsprechend findet man in manchen Gesteinsschichten relativ häufig Fossi lien, in ande- ren dagegen so gut wie gar keine. Fossilhaltige Meeres- ablagerungen gibt es im Schwarzwald-Baar-Kreis z.B. südlich von Villingen oder in der Ostbaar. Die Karten des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) im Maßstab 1:25.000 ge- ben Auskunft darüber, wo welche Gesteine an- zutreffen sind. Im Schwarzwald-Baar-Kreis findet sich eine Vielzahl von Gesteinsarten (siehe Almanach 2011, S. 222, Mitteilungen aus dem Untergrund). Welche Gesteinsformationen sind also die fund- trächtigsten, oder besser: „fossilienhöffigsten“, wie der Sammler sagen würde? Klar ist, dass wir in den Gesteinen des kris tallinen Grundgebir- ges, also den Gneisen und Graniten im Schwarz- wald westlich von Villingen wohl keine Fossilien finden werden, denn solche finden wir aus- schließlich in sogenannten Ablagerungsgestei- nen, also Sedimenten, und die gibt es erst ab 222 Arietites in Wagenrad-Größe etwa einer Linie von St. Geor- gen – Vöhrenbach – Ober- bränd und östlich da- von. Dafür kann man in den kristallinen Ge- steinen des Schwarz- walds mit etwas Glück – und Wissen – verschiedene Minerale finden, was aber nicht Thema dieses Beitra- ges ist. In den Sandsteinen des Bunt- sandsteins sind nur selten Pflanzenreste und noch seltener tierische Fossilien zu finden. Eben- so geben die Gesteine des Keupers, die im Be- reich der Linie Schwenningen – Hüfingen – Rei- selfingen auftreten, wenig her, denn beide Ge- steinsschichten sind jeweils in einer Zeit mit wüstenhaftem Klima entstanden. Allerdings könnten auf den Schichtflächen schon auch ein- mal Saurierfußabdrücke zu finden sein, denn in der Keuperzeit gab es bereits große Saurier. Das Meer hatte sich schrittweise immer wei- ter zurückgezogen; Mitteleuropa verlandete. Zeitweise bildeten sich flache, isolierte (Salz-) Seen oder wurden die weiten Ebenen von Flüs sen überflutet. Die meisten Fossilien im Kreisgebiet sind in den Gesteinen der Muschelkalk-Zeit und des

Aus dem Kreisgeschehen Auf der Suche nach Fossilien – im Landkreis finden sich besonders oft versteinerte Meerestiere. Unten rechts: Häufig zu sehen sind Greifenmuscheln Gryphaea arcuata aus dem Schwarzen Jura (Lias). Jurameeres zu finden, letztere angefangen bei den Schichten des Unteren Jura (Schwarzer Jura oder Lias), wie sie z.B. bei Fützen, Sumpfohren, Weigheim etc. vorhanden sind, „anstehen“, wie der Geologe sagt. Meist viele Greifenmuscheln im Schwarzen Jura Die untersten Schichten des Schwarzen Juras sind in der Landschaft gut an leichten Anstiegen und kleinen Höhenzügen zu erkennen. Wenn dort gebaut wird, eine Baugrube oder ein Gra- ben ausgehoben wird, dann wird es interessant: Oft fördert der Bagger dann große, harte Ge- steinsblöcke, die jede Menge Fossilien enthal- ten, meist viele Greifenmuscheln (Austern: Gryphea), „Donnerkeile“ (Hartteile von Tinten- fischverwandten: Belemnites) und z. B. auch die riesigen Ammoniten wie z.B. die Arieten (von Laien gern Schnecken genannt). Solche Ammoniten sind auch im Heimatmuseum in Schwenningen 223

:: Anleitung für Fossiliensammler Die gute Spürnase braucht man zum Fossiliensam- meln schon, doch dies alleine reicht nicht. Zur Star- terausrüstung gehören Hammer und Meißel, evtl. eine Lupe und Verpackungsmaterial. Natürlich braucht es dazu ein geschultes Auge und auch eine gehörige Portion Glück. Noch besser, wenn man ei- nige Kenntnisse über die möglichen Formen und Strukturen der Fossilien oder die Lebensweise und Aufenthaltsorte etc. der früheren Lebewesen besitzt, dann kann man nämlich gezielt auf Suche gehen! Hammer und Meißel braucht man zum Spalten der Steinblöcke, mit der Lupe kann man auch die kleineren Versteinerungen oder die Feinheiten der Fundstücke entdecken. Verpackungsmaterial, je nach Größe der erwarteten Funde, das ist klar. Be- schriftungsetiketten sind hilfreich, damit man Funde später auch zuordnen kann. Eine Schutzbrille ist zum Schutz der Augen oder der Brillengläser vor umherfliegenden Gesteinssplittern zu empfehlen. 224 ausgestellt, viele von Ihnen werden sie viel- leicht auch schon vor den Häusern der Dörfer im Verbreitungsgebiet des „Arietenkalkes“ gese- hen haben. Gerne werden sie als Verschöne- rungen von Mauern oder im Steingarten heran- genommen oder mit eingebaut. Auch die Gesteine der Tongrube in Tuningen geben einiges an Funden her, doch auch hier ist die Suche nicht immer erfolgreich. Eine tempo- räre Tongrube im Unterhölzer Wald, insbeson- dere in den Schichten des Mittleren Jura (Brau- ner Jura oder Dogger), brachte schöne Ammoni- ten hervor, die Ludwigien. Mehr Ammoniten findet man bestimmt in den hellen Kalken des Oberen Jura (Weißer Jura oder Malm). Im Steinbruch in Geisingen, aber auch in alten, offen gelassenen Steinbrüchen südlich davon, sind die Fundmöglichkeiten rela- tiv gut. Häufigere Ammoniten sind hier die Peris- phincten. Eine weitere, jedoch nicht ganz so fossilien- höffige Gesteinsgruppe, stellen die Gesteine des Muschelkalks dar, insbesondere die Gestei- ne aus der Zeit des Oberen Muschelkalks, wie sie z.B. im Steinbruch Riegger in Brigachtal ab- gebaut werden (heutiger Eigentümer ist die Fa. Storz, Tuttlingen). Ein Rundgang im Steinbruch Riegger in Brigachtal Das Gestein, das im Steinbruch Riegger abge- baut und zu Schotter und Splitt verarbeitet wird, ist aus den Meeres-Ablagerungen des Oberen Muschelkalks entstanden, dem oberen Drittel der Muschelkalk-Zeit. Der Muschelkalk ist eine, nämlich die mittlere, von drei Einheiten der so- genannten Trias-Zeit. Während der Trias-Zeit, zu der auch Buntsandstein und Keuper gehören, wurden in einem flachen Meeresbecken auf dem alten mitteleuropäischen Kontinent verschie- denste Sedimente abgelagert. Der Muschelkalk, also die Schichten der Mu- schelkalk-Zeit, bestehen eigentlich aus ei nem ganzen Sortiment von Gesteinen, z.B. aus Mergel- kalken und Mergeln (Unterer Muschelkalk), aus Dolomitgesteinen, Sulfat-Gesteinen wie Anhy- drit und Gips, Steinsalzablagerungen (Mittlerer

Geologie Ein Ceratit aus den unteren Tonplatten, der spinosus-Zone, Durchmesser 11 , 5 cm (links), und ein Ceratit aus dem Knauerhorizont 1, der postspinosus-Zone, Durchmesser 17 cm (rechts). In der abgebildeten Erhaltung sind die Ceratiten in unserer Gegend selten zu finden. Muschelkalk) und aus Kalk- und Dolomitgestei- nen (Oberer Muschelkalk). Im Unteren und Obe- ren Muschelkalk finden sich stellenweise an Muschelschalen reiche Schichten; deswegen hat diese Schichtengruppe einst die Bezeich- nung „Muschelkalk“ erhalten. Eigentlich be- zeichnet dieser Begriff eine geologische Zeit- spanne von 8 Millionen Jahren, die vor 243 Mio. Jahren begann und vor 235 Mio. Jahren endete. Im triaszeitlichen Muschelkalk-Meer lebten viele verschiedene Tiere, jedoch haben die meis ten keinerlei Spuren hinterlassen. Fast nur Tiere, die Schalen ausbildeten oder im Schlamm gewühlt haben, sind in irgendeiner Form erhal- ten und geben uns einen kleinen Einblick in die Lebewelt der Muschelkalk-Zeit. Eine herausra- gende Stellung nehmen dabei natürlich die Ce- ratiten ein, die Ammoniten des Oberen Muschel- kalks, im Volksmund als „Schnecken“ bezeich- nete Tiere. Es handelt sich um Kopffüßer, die z.B. mit den heutigen Tintenfischen, Kraken und Nautiliden verwandt sind. Auf Fossiliensuche: Führung im Steinbruch Riegger. 225

Versteinertes Leben Obwohl für den Laien zunächst alle Steine im Steinbruch Riegger gleich und grau ausse- hen, sind sie es nicht: Es gibt dort beispielswei- se dickere Kalkstein-Schichten, die reichlich Stielglieder von Seelilien (Trochiten) enthalten, man hat diese Schichten daher „Trochitenkalk“ genannt. Die untere Hälfte des Steinbruchpro- fils wird aufgrund der dort immer wieder auf- tretenden Kalke mit Trochiten folgerichtig von den „Trochitenschichten“ gebildet. Eine andere Kalksteinschicht besteht aus Abermillionen schalenförmig aufgebauter Kalk- kügelchen, die kleiner als 1 mm sind und die man als Ooide bezeichnet. Das Gestein heißt „Marbach-Oolith“, benannt nach dem typischen Vorkommen bei Marbach, der „Typlokalität“. Die obere Hälfte der Steinbruchwand besteht hin- gegen überwiegend aus durch Ton-Zwischen- lagen getrennten, dünnen Kalkplatten, den so genannten Tonplatten. Dieses Schichtpaket wird als „Tonplattenregion“ bezeichnet, neuer- dings auch als „Plattenkalke“. Sowohl in den Trochitenschichten als auch in der Tonplattenregion kommen immer wieder ein- mal Schichten vor, die voll sind von Schalen oder Schalen-Bruch (der wird als Schill bezeichnet, die Kalke heißen deswegen „Schillkalke“). Es können Schalen von verschiedensten Schalenträgern sein, z.B. Muscheln, Armfüßern (Brachiopoden), Kopffüßern (Ceratiten), Schnecken, Seelilien etc. Links: Der Trochitenkalk, ein Gestein mit vielen Teilen der Seelilie Encrinus liliiformis: Der Basis einer Krone und zylindrischen Stielgliedern (Trochiten). Die Seelilien waren gewissermaßen gesteinsbildend. Ihre Wurzeln haben ein festes Gerüst gebaut, auf dem wieder andere Lebewesen siedeln konnten. Unten: Schnecken und Nautiliden: Die Schnecke Loxonema (links) und ein sehr großes Exemplar des Kopffüßers Germanonautilus suevicus, Durchmesser 28 cm (rechts). 226

Funde von verschiedenen Fossilienstämmen Armfüßer :: Coenothyris vulgaris, im Grunde ein häufig vor- kommendes Fossil, hier aber mit rötlichen Farbstreifen ein seltenes Exemplar (links). Daneben Punctospirella fragilis, die im Oberen Muschelkalk nur in einer Schicht, der Spiriferinenbank, vorkommt (rechts).Die Armfüßer sehen aus wie Muscheln, sind aber keine. Sie waren mit einem Stiel (Fuß) flexibel an ein festes Gerüst angeheftet. Gliederfüßer :: Der Krebs Pemphix sueuri, Länge 11 , 5 cm. Hier ein ‚am Stück‘ eingebettetes Exemplar von den Fühlern bis zum Schwanzfächer. Wesentlich häufiger sind einzelne Körperteile als Häutungsreste zu finden. Fische :: Einige Schuppen des Knochen- fisches Colobodus, ein seltener Fund (links). Im Zuge der Fossilwerdung sind die Schuppen leider aus ihrem ursprünglichen Verband gerissen worden. Daneben ein Zahn des Knorpelfisches Hybodus plicatilis (rechts). Hybodus war ein Haifisch mit Reiß- zähnen. Kriechtiere (Reptilien):: Der Zahn eines Bastardsauriers Nothosaurus mirabilis, Länge 3 , 5 cm (rechts), und die Rippe eines Sauriers, vermut- lich ebenfalls eines Nothosaurus, Länge 28 , 5 cm (links). Nothosaurus, der räuberische „Seelöwe“ des Muschelkalkmeeres, war an das Leben im Wasser angepasst. Seine fossilen Reste sind im Oberen Muschelkalk nicht selten zu finden. Stachelhäuter :: Drei Schlangenstern-Babys Aspidura scutellata, zweimal in Lebendstellung und einmal von der Unterseite gesehen, max. Armlänge 4 mm (links), und eine Krone der Seelilie Encrinus liliiformis, Länge 10 , 5 cm (rechts). Nesseltiere :: Die beiden Stockkorallen Latimaeandra vogelgesangi (links) und Procyatophora fürstenber- gensis (rechts). Die Korallen des Ob. Muschelkalks sind sehr selten und kommen nur am südöstlichen Rand des Muschelkalkmeeres im Marbach-Oolith unserer Gegend vor.

Versteinertes Leben Solche Schillbänke entstanden zum Beispiel durch Brandung, durch die Strömung des Wassers der Gezeitenkanäle oder durch Sturmflutereig- nisse (Tornados). Hinterlassenschaften eines reichen Lebens: die Fossilien im Oberen Muschelkalk Im triaszeitlichen Muschelkalk-Meer lebten zwar viele Tiere, aber nur wenige sind durch Fos- silisation erhalten worden. Aus der Häufigkeit der Funde kann gefolgert werden, welche (scha- lenbildenden) Tiere dort besonders gut leben konnten. Dazu gehören vor allem die verschiedenen Muscheln und Austern. Weniger häufig sind Kopf- füßer (die Ceratiten und Nautiliden), Schnecken, Armfüßer sowie Fische und Saurier, wobei von diesen in aller Regel nur Skelettteile wie Zähne, Schuppen, Wirbelknochen u.a. gefunden wer- den. Seltener sind auch Krebse, Schlangenster- ne und Kronen von Seelilien sowie als abso lute Seltenheiten: Seesterne, Seeigel und Korallen. Wichtige Hinweise Abschließend ist wichtig, dass die in diesem Beitrag gezeigten Muschelkalk-Fossilien aus den Vorkommen der gesamten Muschelkalk- Region des Schwarzwald-Baar-Kreises und der angrenzenden Gebiete stammen und nicht nur aus dem Steinbruch in Brigachtal. Wer dort auf die Suche gehen will sollte wis- sen: Zunächst ist es erforderlich, bei der Be- triebsleitung oder beim Personal der Waage um Erlaubnis zum Betreten des Steinbruchs zu bit- ten. Die Eigentümer/Mitarbeiter stehen solchen Wünschen normalerweise positiv gegenüber. Ernst-August Wahlbrink / Dr. Bernd Maul Rechte Seite: Der Steinbruch Riegger bei Brigachtal – eine interessante Fundstelle für Fossilien. Muschelkalk-Fossilien in Museen :: Im Heimatmuseum des Stadtbezirks Schwen- ningen sind Funde aus den Muschelkalkschich- ten zu bestaunen und zu studieren, daneben sehr viele Ammoniten und weitere Fossilien aus dem Jura. :: Die Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen in Donaueschingen präsentieren sich noch heu- te in der historischen Form ihrer Gründung im 19. Jahrhundert, auch zum Thema Fossilienkun- de im Südwesten Deutschlands. Man kann sie damit als staunenswertes Museum im Museum bezeichnen. Selbstverständlich sind hier auch Ex ponate aus dem Muschelkalk vertreten.

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12. Kapitel Umwelt und Natur Die Fichte Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 7) Text und Fotografie: Wolf Hockenjos So einförmig und gleichartig aus der Entfernung die Fichten erscheinen, so abwechslungsreich sind sie in der Nähe. Mit Recht gilt die Fichte als die vielgestaltigste unserer heimischen Holzarten, keine andere kann mit ihr in der Hervorbringung von Variationen wetteifern, auch wenn diese sich dem Auge nicht immer aufdrängen. Schwäbisches Baumbuch, Stuttgart 1911 Passt der Allerweltsbaum Fichte überhaupt in diese Serie? Wo der doch zuallermeist in uni- formen Holzäckern, in Monokulturen, wächst und die mit Abstand häufigste Baumart ist, nicht nur im Schwarzwald-Baar-Kreis, sondern schwarzwald- wie deutschlandweit. Ein Wald- baum, der unter Baumfreunden kaum Hoffnung auf altehrwürdige, knorrige Originale aufkom- men lässt. Und vor dessen einseitiger Über- handnahme Naturschützer und Touristikfach- leute warnen, weil sie die „Verfichtung“ und Verfinsterung der Landschaft befürchten. Dabei gilt die frostharte und gegen Wildverbiss ziem- lich resistente Fichte unter Waldbesitzern, pri- vaten wie öffentlichen, nach wie vor als der „Brotbaum“ schlechthin. Mit ihm lässt sich am raschesten Geld verdienen. Fichtenstammholz, zumal aus dem Baarschwarzwald, genießt bei Sägern und Zimmerleuten einen vorzüglichen Ruf, die Schnittholzqualität halte mitunter sogar den Vergleich mit skandinavischer Ware aus. Andererseits: Kaum eine Baumart ist wald- wirtschaftlich umstrittener als die Fichte. In den Orkanböen Wiebkes und Vivians (1990), Lothars (1999) und Kyrills (2007) hat sie mit Abstand am wenigsten Stehvermögen bewiesen, und im Zu- ge des Klimawandels – das zeichnet sich bereits überdeutlich in den unbewirtschafteten Bann- wäldern ab, in denen oft abgestorbene Käfer- fichten das Waldbild beherrschen – wird sie die große Verliererin sein. Denn als sehr flach wur- zelnde, „hydrolabile“ Baumart ist sie nicht nur 230 Der Überauchener Käppelebaum, ein geschütztes Naturdenkmal seit den 1950-er Jahren.

durch Stürme gefährdet, sondern mehr noch durch Dürren und Borkenkäfer. Schon heute las- sen sich kaum mehr wirklich starke und betagte Exemplare finden, die vielleicht einmal das Zeug zum Original haben könnten. Dafür sorgt nicht zuletzt der Rotfäulepilz, der bevorzugt Fichten befällt, sei es durch Wurzelinfektion oder nach Stammverletzungen. Zum Leidwesen der Wald- wirte führt die Stockfäule im Stamminneren nicht nur zu fortschreitender Holzentwertung, sondern auch zu erhöhter Bruchanfälligkeit. „Jede Fichte hat ein anderes Gesichte“ Und doch gibt es auch unter den Fichten durch- aus bemerkenswerte Einzelexemplare. Unter günstigen Urwaldbedingungen können sie fast so alt und mächtig werden wie die unverwüst- licheren Weißtannen, die sie mit über sechzig Metern hinsichtlich der Baumhöhe sogar noch übertreffen können. Derlei Rekordhalter hatten hierzulande zwar schon die Baumbücher der vorletzten Jahrhundertwende, das Schwäbische und das Badische Baumbuch, nicht mehr aus- gemacht, schon gar nicht das Baden-Württem- bergische Baumbuch des Verfassers dieser Zei- len aus dem Jahr 1978, der im Auftrag seines Ministers und obersten Dienstherrn überprüft und dokumentiert hat, was von den Baumori- ginalen seiner Vorläufer übrig geblieben war. „Jede Fichte hat ein anderes Gesichte“, reimte einst der Volksmund. Weshalb der Groß- herzoglich Badische Hofrat und Botanikprofes- sor Ludwig Klein 1908 noch schwelgte in Fich- ten-Variationen, die er zumeist auch fotogra- fisch festgehalten hat: Im Gebiet des heutigen Landkreises entdeckte er „Hängefichten“ (im Villinger Stadtwald am Glaserbrückle), eine „Hänge-Zitzenfichte“ und eine „Hänge-Weid- fichte“ (im Erdbeerhag bei Villingen), eine „Zwil- lings-Trauer-Säulenfichte“ (im Villinger Stadt- park), eine kapitale „Kandelaber-Weidfichte“ (unweit der Escheck), eine „Verbissfichte“ am Krebsgraben bei Villingen, schließlich eine fünf- stämmige „Garbenfichte“, genannt „Die fünf Schwestern“, auch sie im Villinger Stadtwald. Noch weitaus ergiebiger erwiesen sich da- mals freilich die Weidberge der Schwarzwald- Oben: Tellerwurzel der Fichte – Ursache der Sturman- fälligkeit. Unten: Kernfäule führt zu Holzentwertung und zu Bruchgefahr. hochlagen, wo die Fichten im Freistand bei Sturm und Wetter oft bizarre Formen ausbilden. Auch in Ludwig Kleins forstbotanischem Lehrbuch finden sich all die Spielarten aufge- listet, getrennt nach Wuchs-, Kronen-, Verzwei- gungs-, Zapfen- und Rindenform. Keine Frage, die heutigen Lehrbücher trei- ben das Spiel mit der Formenvielfalt und der Herkünfte eher noch weiter. Doch was bemerkt der Baumfreund noch von alledem? Und was hat der Schwarzwald-Baar-Kreis heute noch an Fichten-Baumsolitären zu bieten, nachdem die Weidberge zumeist längst aufgeforstet oder entrümpelt und in Intensivgrünland umgewan- delt worden sind? 231

Zur Kandelaberfichte: Der Überauchener Käppelebaum, ein geschütztes Naturdenkmal Zumindest im hohen Schwarzwald noch recht häufig zu finden ist die Kandelaberfichte, bei welcher sich die Seitenäste – häufig nach Wipfelbruch – armleuchterartig zu Nebenwip- feln emporzurecken pflegen, sodass der kurze Stamm schließlich einen halben Wald zu tragen hat. Im hiesigen Landkreis steht wohl nur noch ein einziges, vorzeigbares Exemplar: der Über- auchener Käppelebaum, ein geschütztes Natur- denkmal schon seit den 1950er Jahren, dessen Name einer unweit des Baumes erbauten Ka- pelle entlehnt worden ist. Die weithin sichtbare Fichte ziert freilich längst nicht mehr einen Weidberg, sondern das Sportgelände der Überauchener Fußballer. Ihr kurzschäftiger Stamm von knapp fünf Metern Umfang trägt derzeit sieben Wipfel, von denen sich mehrere aus emporgerichteten Ästen ge- bildet haben; einige davon hat am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 der Orkan Lothar ab- gerissen, deren Stümpfe hernach hart am Stamm amputiert worden sind. Immerhin gibt der zerzauste Baum seither den Blick frei auf die Kandelaber, die zuvor verborgen waren un- ter dem Mantel einer bis zum Boden herab rei- chenden, dichten Krone. Fichten in freier Landschaft, deren Form – im Gegensatz zu ihren eher spitzkronigen Schwestern im Waldesinneren – stumpf und gedrungen erscheint, haben bei uns mittlerwei- le Seltenheitswert, schließlich stören sie die maschinelle Feldbestellung. Umso erstaunlicher ist der Umstand, dass nahe Königsfeld inmitten der „Enzianwiese“ noch eine einzelne Fichte stehen geblieben ist, die trotz Intensivlandwirt- schaft (Enziane kommen hier schon seit Jahr- zehnten nicht mehr vor) Bestandesschutz zu genießen scheint. Vielleicht, weil sie von den Königsfelder Bürgern irgendwann einmal liebe- voll den Namen „der einsame Emil“ verpasst bekommen hat. Ganz und gar nutzlos und vereinsamt braucht sich Emil indessen nicht zu fühlen, dient er doch tagsüber den Eulen als Schlaf- baum, die in der Dämmerung von hier aus zur Mäusejagd starten. Einsetzende Kandelaberbildung auf einem Weidberg bei Neukirch. „Der einsame Emil“ inmitten der „Enzianwiese“ nahe Königsfeld. 232

Die Fichte hatte einst nur sehr bescheidene Anteile an unserer Waldlandschaft Ausweislich der Pollenfunde in den Mooren, ka- men Fichten im vom Menschen noch unberühr- ten Baarschwarzwald und auf der Baar nur mit sehr bescheidenen Anteilen vor. Eine reine Fichtenwaldgesellschaft, wie sie im Hochgebir- ge oberhalb der Bergmischwaldstufe angesie- delt ist, wird von den Vegetationsgeschichtlern im Schwarzwald allenfalls für die allerhöchsten Lagen des Feldbergmassivs angenommen. Ihr Siegeszug seither ist vorwiegend anthropo ge- nen Ursprungs: Mag sein, dass er zum Teil auch durch die „kleine Eiszeit“, jene spät mit tel al- terliche Klimaverschlechterung, beschleunigt worden ist. Doch unzweifelhaft profitierte die Fichte schon von der Rodungstätigkeit der Siedler der Bronzezeit. Ursprünglich dürfte sie bei uns vorwiegend an Moorrändern zu finden gewesen sein, doch in der Neuzeit wurde sie alsbald in großem Stil gesät und gepflanzt. Freilich stammte ihr Saatgut da aus diffusesten Herkünften, häufig mit Kronenformen, die sich im Gebirge bei latenter Schneebruchgefahr als untauglich erwiesen haben. Nur sehr sporadisch finden sich auch bei uns noch auffallend schlanke „Säulenfichten, wie sie aus einheimischer Provenienz stammen dürften, herausmutiert durch die Ansprüche des Standorts mit dem Ziel der Widerstandsfä- higkeit gegenüber allfälligen Nassschneelas- ten. Eine solch gertenschlanke „Säulenfichte“ stockt im Villinger Freizeitareal des Gropper- tals. Auf halbem Weg dahin, am Kirnacher Bahn- höfle, befindet sich der Gedenkstein des Villin- ger Verschönerungsvereins für den von 1875 bis 1895 als städtischer Oberförster wirkenden Hubert Ganter. Der hatte die Erholungsfunktion des Villinger Stadtwaldes entdeckt und ihn für die Bedürfnisse der Bürger erschlossen, finan- ziert von dem eigens zu diesem Zweck gegrün- deten Verein. Aus Pietätsgründen hat man die Fichten um den Gedenkstein herum weit über das übliche Erntealter hinaus stehenlassen, wohl auch in der Erkenntnis, dass nichts dem Walderlebnis förderlicher ist als starke alte Bäu- me. Säulenfichte im Groppertal bei Villingen. Starke Fichten schmücken das Oberförster-Ganter- Denkmal des Villinger Verschönerungsvereins. 233

für Waldandachten wie für Picknicks. Wie und wann der fromme Brauch entstanden ist, darü- ber gibt es nur Mutmaßungen: Vermutlich wa- ren es Wallfahrer, die unterwegs waren zum wundertätigen Schneekreuz in der Wallfahrts- kirche Witterschnee bei Löffingen, die unter der Fichte eine Rast einzulegen pflegten. Doch an- ders als die Neukircher mit ihrem Balzer Herr- gott in der Buche, werden sich die Bräunlinger damit abzufinden haben, dass die Bildtanne keineswegs ein biblisches Alter erreichen wird. Weil Fichten kurzlebiger sind, wird die Stadtver- waltung alsbald einmal die Sitzbank unter dem Baum beiseiterücken müssen, um ihrer Verkehrs- sicherungspflicht zu genügen. Noch allerdings lassen sich an dem etwa einhundertfünfzigjäh- rigen Baum keine Zeichen von Altersschwäche und Hinfälligkeit erkennen. Fichtenwurzel flach wie ein Teller Dass die Fichtenwurzeln flach wie ein Teller knapp unter der Bodenoberfläche dahinstrei- chen, hängt mit ihrem gesteigerten Sauerstoff- hunger zusammen: Je schlechter der Boden durchlüftet ist, also insbesondere bei Staunäs- se und tonigem Untergrund, desto flacher der Wurzelteller und desto geringer die Stabilität. Was aber nicht heißt, dass der fürs Gebirge ge- schaffene Baum nicht durchaus auch Qualitä- ten aufweist, nicht zuletzt im Hinblick auf sein Wurzelwerk. Fichtenwurzeln sind Kletterer, die sich vor- züglich an Felsblöcken festkrallen können. Auch samen sie sich in totholzreichen Natur- wäldern mit Vorliebe auf Stümpfen und vermo- dernden Baumleichen an, ein Vorgang, den der Fachmann sehr zutreffend als „Kadaverver- jüngung“ umschreibt. Selbst von hohen Podes- ten aus vermag die Fichtenwurzel einen Weg ins Erdreich hinunter zu finden. Sind Stamm oder Stock dann vollends vermorscht und verschwunden, wächst der Baum auf Stelzen, wird daraus eine „Stelzenfichte“. Ludwig Klein, der Baumbuchautor, hat ihr ein ganzes Kapitel gewidmet, und er hat im hohen Schwarzwald noch prachtvolle Exemplare auf mächtigen, bis zu mannshohen Stelzen gefunden. Unzweifelhaft eine Fichte: die „Bildtanne“ im Bräun- linger Stadtwald Baumverehrung – die Bräunlinger Bildtanne Baumverehrung wird Fichten nur selten zuteil. Umso stärker überrascht uns die Bildtanne im Bräunlinger Wald, die freilich keine Tanne, son- dern eine Fichte ist, ohne dass sie durch ein besonders hohes Alter oder einen besonders mächtigen Stamm auf sich aufmerksam ma- chen würde. Dennoch gibt es im Wald der Zähringerstadt Bräunlingen keinen populäre- ren Baum. Wie sonst nur der Balzer Herrgott (vgl. Almanach 2012 S. 219 f. und diesen Alma- nach S. 182 f.) ist die Bildtanne Wallfahrtsort und Ausflugsziel in einem, behängt mit Kruzi- fixen und Devotionalien, ein Versammlungsort 234

Im totholzarmen, wohlaufgeräumten Wirt- schaftswald trifft man sie heute äußerst selten an – was sich bald ändern könnte, wenn das im Staatswald neuerdings verbindlich vorgeschrie- bene Alt- und Totholzkonzept sich erst einmal ein paar Jahrzehnte lang hat bewähren können: Auf den rasterartig im Wald dauerhaft aus- gewiesenen Kleinflächen, die aus ökologischen Gründen unbewirtschaftet bleiben sollen, wird die Kadaververjüngung wieder häufiger zu be- obachten sein und mit ihr – nach etlichen Jahr- zehnten – auch wieder Stelzenfichten. Prächtige Beispiele für die Kadaververjün- gung finden sich im Unterhölzer Wald auf ver- morschenden Laubholzruinen. Stelzenfichten, wenn auch nicht sonderlich spektakuläre Ex- emplare, fand der Verfasser in den Wutach- flühen und im Staatswalddistrikt Glashalde auf Gemarkung Buchenberg, am Siehdichfür, ein Gewannname, der bitteschön nicht als Auffor- derung missverstanden werden soll, das selte- ne Exemplar aus Verkehrssicherungsgründen vorzeitig zu fällen. Die Fichte fasser des Schwäbischen Baumbuchs, auch als „Zottelfichte“ beschrieben. Sie wird in der Fachliteratur heute schlicht als „Kammfichte“ bezeichnet, weil an ihren Zweigen die Nadel- schnüre kammartig herunterhängen. So und nicht anders zeichnen Kinder einen Nadelbaum. In den Jahren des Waldsterbens ausgangs des vorigen Jahrhunderts wiederum achtete man besorgt auf das „Lametta-Syndrom“ der Fichte, wenn die „Zotteln“ allzu lose und nur noch schütter benadelt herunterbaumelten. Die Verzweigungsform der Kammfichte fin- det sich vorzugsweise an Waldrändern und im Freistand und gilt uns heute längst nicht mehr als Alarmsignal, nachdem sich die baumschäd- lichen Schwefelimmissionen dank erfolgreicher Umweltschutzbemühungen weithin verflüchtigt haben. Dass die Zukunft der Fichte aus Grün- den des Klimawandels dennoch in etlichen Teilen ihres heutigen Verbreitungsgebiets als zapfenduster beschworen wird, ist wieder eine andere Geschichte. Hänge-Fichten – „Nadelbaum der Kinder“ Bleibt noch der Hinweis auf Ludwig Kleins „Hän- ge-Fichte“, von seinem Konkurrenten, dem Ver- Links: Stelzenfichte in den Wutachflühen. Rechts: „Kadaververjüngung“ der Fichte auf abgebrochenem Buchenstamm (Unterhölzer Wald). 235

Umwelt und Natur Vom Säntis bis zur Blümlisalp Ausblicke – Einblicke: Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis – Villinger Aussichts- türme auf der Wanne und dem Hubenloch bieten Blicke bis zu den Schweizer Alpen von Wolf Hockenjos Im Almanach 2012 wurden zwei markante Aussichtspunkte des Landkreises vorgestellt, der Schellen- und der Wartenberg. Weil die sich ausschließlich in der Süd- und Osthälfte be- funden haben, mag manch einer schon ungeduldig auf die Fortsetzung der Serie gewartet haben, wo doch die spektakulärsten Ausblicke eher im Schwarzwald zu vermuten sind. Ge- mach, gemach, lieber Leser: Der Almanach 2013 ist vorrangig der Doppelstadt gewidmet, die Schwarzwälder sollen in den Folgejahrgängen auf ihre Kosten kommen. Villingen (Schwarzw.), so steht es schwarz auf weiß auf der Tafel im Villinger Bahnhof, als ha- be es nie eine Städtefusion gegeben. Aus der Sicht des Geologen ist auch der Klammerinhalt eine Fehlinformation, denn die Stadt befindet sich bereits außerhalb des Gebirges. Das Villin- ger Gewann Wanne östlich der Bahngleise liegt sogar bereits auf der Schichtstufe des Oberen Muschelkalks. Wer sich heute anschickt, das Panorama zu beschreiben, das sich von dem dort die Baum- wipfel überragenden 30 m hohen, aus der Ferne filigran wirkenden und für Auswärtige deshalb kaum wahrnehmbaren Aussichtsturm aus bietet, sollte zuvor präzisieren: Gemeint ist keineswegs das „Panorama“ zu Füßen des Turms, sondern die Rundumsicht von oben. Die ist so überraschend wie lohnend, denn sie reicht vom burggekrönten Kegel des Hohen- zollern im Nordosten über den gesamten Alb- Eine filigrane Erscheinung und über 30 Meter hoch ist der Aussichtsturm im Villinger Gewann Wanne. Rechte Seite: An Tagen mit Fernsicht sind wie auf dem Foto oben hinter Marbach/Brigachtal die Alpen aus- zumachen. Mit diesem Alpen-Panoramablick haben die Villinger schon kurz nach der Erbauung für den Besuch des Turmes geworben (Mitte). Unten: Impo- sant präsentiert sich Villingen mit Altstadt, im Vorder- grund das Landratsamt. 236

Umwelt und Natur 237

Umwelt und Natur Villingen im Schwarzwald mit Aussichtsturm auf der Wanne. Der Aussichtsturm vor den Toren der Stadt bot und bietet grandiose Rundblicke.Unten das Heuberg-Panorama, ganz rechts liegt Bad Dürrheim, in der Mitte links ist Schwenningen angedeutet. trauf hinweg bis zum Eichberg im Süden, an Tagen mit Fernsicht dann vom Säntis bis zur Blümlisalp. Im Westen sind über dem Wäldermeer des buntsandsteinernen Flächenschwarzwalds als zarter, dunstblauer Streifen eben noch Feld- berg, Hochfirst und Kandel auszumachen, ge- gen Norden zeigen sich am Horizont der Kessel- berg und in weiter Ferne sogar noch ein paar nordschwarzwälder Berge. Man sieht: der Standort des Turmes vor den Toren der Zähringerstadt wurde raffiniert ge- 238

wählt, für die Bürger nur ein Spaziergang weit entfernt, auf halbem Weg zur vormaligen Lan- desgrenze hinüber in Richtung Schwenningen. Oberförster Ganter der Initiator des Die Initiative zur Errich- tung Aussicht- sturms, auch zu dessen Finanzierung mit Hilfe einer Aussichtsturmge- nossenschaft, stammte von dem famosen städ- tischen Oberförster Hu- bert Ganter (1848 – 1895); der hatte 1881 schon den Vil linger Verschönerungsverein gegründet, einen Vor- läufer des Schwarz- waldvereins, und dem Stadtwald seinen Stem- pel aufgedrückt, indem er ihn in vielfältiger Weise für die Erholung suchenden Bürger ge- öffnet und erschlossen hat. Jetzt förderte die Stadt, gewiss nicht ohne Zutun Ganters, neben der Uhrenindustrie und der Fein mechanik auch den Fremdenverkehr, und der brauchte zusätz- liche Attraktionen: Der Zeitgeist verlangte ge- bieterisch nach einem Aussichtsturm. Oberförster Hubert Ganter Vielleicht war man ja einfach auch vom Eif- felturm inspiriert worden, den die Pariser gera- de aus Anlass des hundertjährigen Jubi läums der Französischen Revolution errichteten. Für eine ebensolche gusseiserne Konstruktion ge- wann man in Villingen die Glockengießerei Grüninger, die sich den Turmbau ohne Zögern zugetraut hatte. Doch vorerst galt es, die Si- cherheitsbedenken der Stadträte und der zau- dernden Beamten der Baugenehmigungsbehör- de zu zerstreuen. Immerhin konnte bereits auf Vorbilder in Pforzheim und Benzheim verwie- sen werden. Überhaupt war die Errichtung von Aussichts- türmen gerade so sehr in Mode gekommen, dass die Einweihungsfeierlichkeiten am 16. Sep- tember 1888 ohne den Präsidenten des Schwarz- waldvereins stattfinden mussten, denn der hat- te zum nämlichen Termin schon seine Teilnah- Vom Säntis bis zur Blümlisalp me an der Turmeinweihung auf dem Hochfirst bei Neustadt zugesagt. Auch im Bereich des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises gab es bald noch weitere Aussichtstürme einzuweihen, wie wir noch sehen werden. Turm wechselt in den Besitz der Stadt In Villingen jedenfalls sollte bis weit in das neue Jahrhundert hinein kein Werbeplakat mehr ge- druckt werden, auf welchem nicht auch der Aussichtsturm auf der Wanne ins Bild gerückt wurde. Doch mit dessen Unterhaltung scheint sich die Aussichtsturmgenossenschaft schon bald übernommen zu haben. Die Ausgabe von Anteilscheinen und die Eintrittsgebühren deck- ten bei weitem nicht den Wartungsaufwand, und so blieb der Stadt schon im Jahr 1910 – Bürger- sinn hin oder her – nichts anderes übrig, als den Turm zu erwerben und die verzinsten An- teilscheine nach und nach einzulösen. Hinzu kam der Ärger mit dem Unrat der Be- sucher oder mit mutwilliger Zerstörung der Sitz- bänke unterm Turm. Für die Villinger Jugend war das Erklettern des Turms am eisernen Ge- rippe unter Umgehung von Eingangstür und Wendeltreppe längst zu einer beliebten Mut- probe geworden. Derweil hatte sich der Wirt des nahen Res- taurants „Zum Hohenzollern“ des Schlüssels zum Turm bemächtigt, von dessen Töchtern zah- lungswillige Besucher abkassiert wurden. Was wohl erst auffiel, als in dem 1908 in sechzehnter Auflage erschienenen Büchlein „Schnars Neu- ester Schwarzwaldführer“ ein Hohenzollern-Turm auf der Wanne als Ausflugsziel empfohlen wur- de. Aktion „Rettet den Aussichtsturm“ Trotz solcher Misslichkeiten: Zum fünfzigjähri- gen Jubiläum im Jahr 1938 sollte die Aussichts- turmeuphorie in Villingen nochmals gehörig aufflackern. „Vielleicht“, so prophezeite der Redakteur der örtlichen Zeitung in Anspielung auf die Turmeröffnung im Dreikaiserjahr 1888, „wird es noch möglich sein, auch dieses Jahr so 239

Umwelt und Natur Weit reicht der Blick und hoch türmt sich der Sommerhimmel über Villingen auf. Der neue Turm auf dem Hubenloch bietet gleichfalls interessante Perspektiven. großer, friedlicher Siege des Führers, wie sie einzig in der Geschichte dastehen, mit einem Freudenfeuer zu begehen“. Für Freudenfeuer und „friedliche Siege“ war es da freilich schon längst zu spät. Villingens „eisernes Wahrzeichen“ über- stand auch den Zweiten Weltkrieg, doch muss- te der Turm nun wiederholt renoviert werden. Sogar für einen Festpavillon in Blockbauweise am Fuß des Turms sollte es noch reichen. Doch um die Jahrtausendwende war die General- sanierung des „Langen Lulatschs“ nicht länger hinauszuschieben. Die Kosten trug freilich nicht allein die Eigen- tümerin, sondern auch eine „Aktion Rettet den Aussichtsturm“ des Villinger Ehrenbürgers Ewald Merkle, prämiert mit der Medaille „Vorbildliche Kom munale Bürgeraktion“. 240

Der neue Turm auf dem Hubenloch Ein bisschen ist der Turm inzwischen wohl den- noch aus dem Blickfeld der Bürger geraten. Wer ihn in alter Gewohnheit schon vom Villinger Bahnsteig aus begrüßen möchte, dessen Bli- cke werden neuerdings vom Minarett einer Mo- schee eingefangen. Konkurrenz erwuchs ihm in der Neuzeit aber auch von all den unausweich- lichen Insignien moderner Telekommunikation: Einer dieser Masten überragt wenige hundert Meter nördlich der Wanne den alten Aussichts- turm. Westwärts der Altstadt auf dem Huben- loch, wo einst Schweden und Franzosen ihre Artillerie in Stellung gebracht hatten, versucht man heute hoch über den mit reichlich Rosen geschmückten Parkanlagen Angenehmes mit dem Nützlichen zu verbinden, indem für die er- forderlichen Funk-, Relais- und Sendeanlagen zugleich eine neue Aussichtsplattform ent- stand. Der Blick von hier oben schweift über die Dächer und Türme der Zähringerstadt, vermag aber die Fernsicht vom Turm auf der Wanne aus keineswegs zu ersetzen. Dennoch hat hier unterdessen selbst die Frequentierung durch Wanderer spürbar nach- gelassen, obwohl sich am Turm zwei Fernwan- derwege des Schwarzwaldvereins und seit dem Jahr 2010 auch der „Geschichts- und Naturlehr- pfad Villingen“ treffen. Schuld daran dürften auch das aus allen Nähten platzende Stadtbild und die Neubautätigkeit im weiteren Umfeld des Turmes haben. So tritt, von oben herab betrachtet, selbst das turmbestückte Zährin- ger-Oval der historischen Altstadt kaum mehr in Erscheinung. Städtebauliche Akzente setzen derweil im Süden die Marbacher „Chalets“, die an hochsavoyische Retortenskiorte erinnern oder der Rundling, der eher nach der Blaupause me diterraner Trabantenstadt-Architektur ent- standen sein könnte, als dass er ins Bild eines Schwarzwaldstädtchens passen würde. Nord- und ostwärts, auf einstmals grüner Wiese, beherrschen die überdimensionierten Dachflächen der aus dem Boden gestampften Gewerbegebiete mit ihren Einkaufszentren, Autohäusern und Möbelmärkten das Bild so- wie als neuester Blickfang der Großkomplex des Klinikums. „Auf der Steig“, wo 1939 noch Vom Säntis bis zur Blümlisalp Der Aussichtsturm auf dem Hubenloch eignet sich gut zur Erkundung der Villinger Altstadt, kann den historischen Turm auf der Wanne aber nicht ersetzen. zwölf Aussiedlerhöfe, die Bertholdshöfe, die letzten innerstädtischen Landwirte aufgenom- men hatten, manifestiert sich jetzt unüberseh- bar der politische Wille zur Verklammerung der beiden so ungleichen Teilstädte. Noch streitet man sich, ob hier nächstens auch ein gemein- sames Rathaus entstehen soll. Und wo die Bür- ger einst nach erfolgter Turmbesteigung noch weiterpromenierten, um drüben im Schwennin- ger Saubühl dem Hölzlekönig (Deutschlands stärkster Tanne) einen Besuch abzustatten und um sodann auf dem Heimweg im gleichnami- gen Wirtshaus zu Kaffee und Kuchen oder zum Schoppen anzukehren, braust heute zwischen- städtischer Verkehr. 241

13. Kapitel Regenerative Energie Wenn die Wärme aus der Tiefe des Schwarzwaldes oder der Baar kommt Zur Erdwärmenutzung im Schwarzwald-Baar-Kreis von Martin Fetscher In Zeiten ständig steigender Heizkosten machen sich viele Menschen Gedanken über güns- tigere, zukunftsweisende Alternativen des Heizens und dies gerade im Schwarzwald und auf der Baar, wo der Bürger bei Jahresdurchschnittstemperaturen von um die 6° C deutlich mehr für das Heizen ausgeben muss als an den meisten anderen Orten Deutschlands. Nir- gendwo in Deutschland leben in Städten so viele Menschen auf einer solchen Meereshöhe wie in Furtwangen, St. Georgen oder in Villingen-Schwenningen. Die Wärme von oben, die Solarthermie, wird zunehmend genutzt, aber auch zur Tiefe hin strecken viele die Fühler aus. Schließlich be- finden sich im Erdinneren unvorstellbar gro- ße Potenziale an Wärmeenergie – auch im Schwarzwald-Baar-Kreis, und dies un ter jedem beliebigen Ort. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Wärmequellen anzuzapfen und die Wär- me dauerhaft nutzen zu können. Außerdem ist die Nutzung von Erdwärme je nach Standort mit verschiedenen Gefahren verbunden. Die Erdwärme nimmt in unserer Region durchschnittlich um drei Grad je 100 Meter zu. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass in 15 m Tiefe kaum höhere Temperaturen vorliegen wie die klimatische Jahresdurchschnittstemperatur, so kann man sich schnell ausrechnen, wie tief man bohren muss, damit es so richtig mollig warm wird: Für eine herkömmliche Heizung mit ca. 50° C Vorlauftemperatur müsste man also ca. 1.400 m tief bohren. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Schwierigkeiten und Ko- sten von Bohrungen zur Tiefe hin zunehmen. Bohrungen bis ca. 300 m werden relativ häufig- Wie die Nutzung der Erdwärme funktioniert: Je 100 Meter Tiefe steigt die Temperatur um drei Grad. Illustration: www.umwelt.bremen.de 242 242

Die Erdwärmebohrung beginnt: Familie Schulze freut sich an ihrer Baustelle in Schönwald auf die umwelt- freundliche Energie für das neue Haus. 243

Meter um Meter frisst sich das Bohrgerät in die Tiefe. Für die Nutzung der Erdwärme in Schönwald genügt eine Bohrung von ca. 95 Meter Tiefe. durchgeführt und deshalb sind die Techniken hierzu weit verbreitet. Bohrungen mit mehreren Tausend Metern Tiefe hingegen erfordern be- sondere Techniken, dauern verhältnismäßig lan- ge und sind deshalb auch mit enormen Kosten verbunden. Aus diesen Gründen unterscheidet man zwischen der tiefen und der oberflächen- nahen Geothermie. Die tiefe Geothermie beginnt ab ca. 400 m. Hierzu zählt z.B. auch die Thermalbohrung beim TuWas in Tuttlingen, bei welcher in 600 m Tie- fe über 40° C warmes Wasser gefunden werden konnte, welches im Thermalbad genutzt wird. Die typischen tiefen Geothermiebohrungen sind in Mitteleuropa jedoch meist 2.000 bis 4.000 m tief. Bei dieser Technik wird in der Tie- fe aus Wasser Wasserdampf erzeugt, welcher in der Lage ist, Turbinen anzutreiben. Dadurch kann man nicht nur die Wärme direkt nutzen, sondern auch Strom erzeugen. Im Jahr 2009 wurde in Bruchsal das erste Erdwärmekraftwerk Baden-Württembergs in Betrieb genommen. Diese Technologie ist jedoch ein Stück weit in Verruf geraten, nachdem vermutet wird, dass eine tiefe Geothermiebohrung bei Basel im Jahr 2007 leichte Erdbeben ausgelöst haben. Die tiefe Geothermie steht theoretisch auch im Schwarzwald-Baar-Kreis in fast unbegrenz- tem Maß zur Verfügung. Da sich diese Tech- nologie derzeit noch an der Grenze der Wirt- schaftlichkeit befindet und zudem sehr hohe Anfangsinvestitionen erfordert, wird sie selbst- verständlich zunächst dort angewandt, wo die Standortvoraussetzungen am günstigsten sind. Im Oberrheingraben beispielsweise liegen in 2.000 m Tiefe bereits deutlich höhere Tempera- turen vor wie auf der Baar. Oberflächennahe Geothermie Die oberflächennahe Geothermie erschließt aufgrund der geringen Tiefe nur Temperaturen zwischen 8 und 15° C – immerhin das ganze Jahr

Wärme aus der Tiefe Erdwärmesonde bzw. Sondenschläuche auf der Haspel vor dem Einbau in das Bohrloch gleichbleibend. Das ist natürlich viel zu kalt zum Heizen. Deshalb muss diese Wärme „veredelt“ werden. Dies geschieht mithilfe einer Wärme- pumpe. Wärmepumpen funktionieren so, dass ein Medium erwärmt wird auf Kosten eines zweiten, welches abgekühlt wird. Es ist das um- gekehrte Prinzip eines Kühlschrankes. Hierfür wird elektrischer Strom benötigt. Als Medium aus der Umwelt kann Außenluft verwendet werden (Wasser-Luft-Wärmepumpe), oder aber auch Wasser (Grundwasser, Oberflächenwas- ser), und im Falle der typischen Erdwärmeson- den wird eine spezielle Sole verwendet, welche die Erdwärme in einem geschlossenen Kreislauf von der Bohrung zur Wärmepumpe leitet. Die Sole soll verhindern, dass das Medium einfriert und Schäden verursacht. Diese Technologie ist besonders wirtschaft- lich, wenn für den Heizkreislauf eine möglichst geringe Temperatur ausreicht. Bei Flächenhei- zungen in Verbindung mit energiesparender Bauweise ist dies meist der Fall. Mit den ca. 10° Kelvin, mit welchen der Erdwärmekreis- lauf abgekühlt wird, muss bei modernen Heiz- systemen der Heizkreislauf nur z.B. auf 30° aufgewärmt werden. Hierdurch sind Jahres- arbeitszahlen von deutlich über 4,0 möglich, das heißt, dass mehr als das Vierfache an Wärmeenergie genutzt werden kann, wie in das System in Form von elektrischem Strom hineingesteckt werden muss. Die Effektivität kann auch dadurch noch gesteigert werden, wenn Erdwärmesonden im Sommer zum Küh- len und im Winter zum Heizen genutzt werden. Das Kühlen mit Erdwärmesonden ist bei heißen Außenlufttemperaturen deutlich günstiger als mit einer klassischen Klimaanlage und zudem kann unter Umständen Wärme aus dem Som- mer zum Teil bis hin in den Winter gespeichert werden. Besonders bei mehreren Erdwärme- sonden oder einem Sonden feld lässt sich Wär- me so speichern, dass die Effektivität bzw. die Jahresarbeitszahl deutlich zunehmen. Für ein neues Einfamilienhaus kommt man in der Regel mit einer Bohrung aus Wie viele Bohrungen man für eine Erdwärme- pumpe benötigt und wie tief sie sein sollten hängt ganz vom Wärmebedarf des jeweiligen Gebäudes ab. Überschlägig kann pro laufen- dem Bohrmeter ein Wärmeentzugspotenzial von 50 Watt pro Meter angenommen werden. Für ein neues Einfamilienhaus kommt man daher in der Regel mit einer Bohrung aus. Die Nutzung von Erdwärme ist je nach Standort auch mit Einschränkungen und Ge- fahren verbunden. In Wasserschutzgebieten zum Beispiel kann bereits die Ausführung einer Bohrung zur Gefährdung von wertvollen Trink- wasservorkommen führen. Deshalb sind dort Erdwärmebohrungen in der Regel nicht zuläs- sig. Aber auch außerhalb von solchen Schutz- gebieten sind häufig Grundwasserstockwerke vorhanden, welche nicht verbunden werden dürfen, oder es sind Gesteinsschichten vorhan- den, welche sich bei unsachgemäßer Handha- bung unter Einfluss der Bohrungen verändern können. 245

Regenerative Energie Im Jahr 2009 haben Erdwärmebohrungen in Staufen dazu geführt, dass bis heute Gebäude- schäden in Millionenhöhe entstanden sind. Das Gestein bzw. Mineral Anhydrit, eine wasserfreie Form von Gips (Kalziumsulfat), das in bestimm- ten tiefer liegenden Gesteinsschichten häufig vorkommt, hat sich durch künstlich hervorgeru- fene Zufuhr von Grundwasser in Gips umgewan- delt und damit sein Volumen vergrößert. Durch diesen Prozess, welcher in der Natur auch vor- kommt, jedoch meist sehr langsam abläuft, können gewaltige Gebirgsdrücke im Unter- grund entstehen, welche in der Lage sind, Ge- steinspakete von ca. 200 m Dicke anzuheben. Seit 2009 werden Bohrungen in solche sulfat- haltigen Gesteinsschichten in Baden-Württem- berg nicht mehr zugelassen. Da sich der An- hydrit nicht überall gleich in Gips umwandelt, sondern oft Anhydrit in Nestern umgeben von Gips vorkommt, und zudem Anhydrit von ge- wöhnlichem Gips mit einfachen Mitteln kaum zu unterscheiden ist, werden Bohrungen auch bereits in gipshaltige Gesteine nicht mehr zu- gelassen, obwohl Gips weniger problematisch ist wie Anhydrit. Für Errichtung und Betrieb von Erdwärme- sonden ist eine wasserrechtliche Erlaubnis erforderlich, welche bei der Unteren Wasser- behörde beim Landratsamt eingeholt werden muss. Alternative Erdwärmetechnologien In Bereichen, in welchen Erdwärmebohrungen nicht zulässig sind, können immerhin al ter na tive Erdwärmetechnologien errichtet werden, wie zum Beispiel Flächenkollektoren oder Ener giekörbe. Hier werden die Erdwärmesonden nicht in Bohr- löcher verlegt, sondern einfach in eine Art Bau- grube, oder in Gräben oder Baggerschürfgruben. Dies ist unter Einhaltung bestimmter Vorgaben sogar innerhalb von Wasserschutzgebieten (Zone III) möglich. Grundwasserwärmepumpen erfordern spezielle Untergrundverhältnisse. Es müssen oberflächennah gut durchlässige und ausreichend Grundwasser führende Schichten wie z.B. mächtige Kiesschichten vorhanden sein. Dies ist zum Beispiel im Oberrheingra- 246 ben oder in Oberschwaben vielerorts gegeben. Oberflächengewässer scheiden hier in der Re- gion meist bereits aus technischen Gründen aus, da sie im Winter über längere Zeiträume nur eine Temperatur um den Gefrierpunkt be- sitzen und damit nicht mehr weiter abgekühlt werden können. Die Untergrundverhältnisse im Schwarz- wald-Baar-Kreis sind in Bezug auf die Errichtung von Erdwärmesonden zweigeteilt. Während auf der Baar vorwiegend ungünstige Untergrund- verhältnisse vorliegen, sind die Verhältnisse im Schwarzwald meist ausgesprochen günstig. Im östlichen bzw. zentralen Bereich des Landkrei- ses kommt hinzu, dass bedeutende Siedlungs- flächen innerhalb von Wasserschutzgebieten liegen, sodass die Errichtung von Erdwärme- sonden bereits dadurch ausscheidet, dass der Grundwasserschutz als öffentliches Interesse Vorrang hat. Dies ist z.B. in Schwenningen, Pfaffenweiler und großen Teilen von Donau- eschingen, Hüfingen und Bräunlingen der Fall. In Bad Dürrheim befinden sich bekanntlich ge- nutzte, wertvolle Mineralwasservorkommen im Untergrund. Große Einschränkungen ergeben sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis durch weitverbreitete Vorkommen sulfathaltiger Gesteine. Im We- sentlichen sind hier zwei Gesteinsschichten zu berücksichtigen. Zum einen führen die Salinar- schichten des Mittleren Muschelkalkes meist sulfathaltige Gesteine. Hier tritt in manchen Bereichen auch Steinsalz auf. Da sich Steinsalz unter Einwirkung von Bohrungen oder durch Zutritt von Grundwasser leicht auflöst, werden in diese Schichten Erdwärmebohrungen seit jeher nicht zugelassen. In Schwenningen, Bad Dürrheim und Donaueschingen (Aasen) wurde dieses Salz in früheren Zeiten in Form von Sole zutage gefördert und genutzt. Der Mittlere Muschelkalk zieht sich durch den Landkreis etwa entlang einer Linie von Nie- dereschach – Villingen – Brigachtal – Bräunlin- gen – Fützen. Da der Mittlere Muschelkalk über- lagert ist vom Oberen Muschelkalk, welcher gut wasserdurchlässig und häufig verkarstet ist, ist auch der Mittlere Muschelkalk häufig verwittert und die löslichen Bestandteile wie Gips und Steinsalz sind ausgelaugt.

Wärme aus der Tiefe Nieder- eschach Landkreis Rottweil Ortenaukreis Rohrhards- berg Schonach Gremmelsbach Langenschiltach Weiler Buchenberg Burgberg Fischbach Königsfeld Erdmannsweiler Blindensee Triberg Nußbach Guta c h St. Georgen Brigach- quelle Brigach Stockburg Kappel Obereschach Peterzell Neuhausen Schabenhausen Oberkirnach B r i g a c h Mönchweiler Landkreis Emmendingen Schönwald B r e g Rohrbach Unterkirnach Furtwangen Schönenbach Gütenbach Langenbach Vöhrenbach Weilersbach Dauchingen Villingen- Schwenningen Weigheim Mühlhausen Neukirch Linach Linachtalsperre Urach Pfaffenweiler Rietheim Herzogenweiler Überauchen Tannheim Hammereisenbach- Bregenbach Neckar ursprung Marbach Kirchdorf Brigachtal Klengen Grüningen Wolterdingen Hochemmingen Bad Dürrheim Tuningen Sunthausen Biesingen Heidenhofen Aasen Öfingen Oberbaldingen Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald Hubertshofen Mistelbrunn B r e g Brändbac h Unterbränd Bräunlingen Kirnbergsee Waldhausen Donaueschingen Donaubeginn Pfohren Hüfingen Unterbaldingen Landkreis Tuttlingen G a u chach Döggingen Landkreis Waldshut Sumpfohren Donau Neudingen Behla Fürstenberg Hausen vor Wald Mundelfingen Hondingen Riedböhringen h c a t u W Achdorf Blumberg c h A itr a Riedöschingen Epfenhofen Kommingen Nordhalden Fützen Landkreis Konstanz Schweiz Die zweite sulfathaltige Schicht ist der Gips- keuper. Dieser Gips wurde in der Vergangenheit an vielen Orten im Schwarzwald-Baar-Kreis ab- gebaut (siehe dazu auch Almanach 2012). Da der Gipskeuper aus meist gering wasserdurch- lässigen Tonen besteht, ist der Gips häufig sehr nahe der Erdoberfläche zu finden. Der Gipskeu- per zieht sich durch den Landkreis etwa entlang einer Linie Mühlhausen – Schwenningen – Bad Dürrheim – Aasen – Pfohren – Hausen vor Wald – Döggingen – Aselfingen – Fützen. Im tieferen Untergrund liegt das Sulfat in beiden Schichten als quellfähiger Anhydrit vor. Beide Schichten tauchen nach Südosten hin mit ca. 2° Gefälle ab. Bohrungen, welche östlich der Linie, entlang welcher die Gesteine zutage treten, durchgeführt werden, treffen in der Tiefe Wo im Schwarzwald-Baar-Kreis die Nutzung der Erd- wärme nicht oder nur eigneschränkt möglich ist. Die roten Flächen zeigen die Wasserschutzgebiete. Die orangene Zone hingegen ist die Fläche des Schwarz- wald-Baar-Kreises, die von der Sulfatproblematik be- troffen ist und wo deshalb Erdwärmebohrungen in der Regel nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich sind. Genauere Angaben erhält man beim Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises oder bei einem geeigneten Fachbüro. zwangsläufig auf diese Schichten – und zwar je weiter südöstlich sie liegen, desto tiefer. Die etwaige Tiefe der sulfathaltigen Schichten lässt sich aus bereits durchgeführten Bohrun- gen oder aus geologischen Karten abschätzen. Hieraus ergibt sich in der Regel eine Bohrtiefen- 247

Regenerative Energie Bohrer und unten ein Bohrkern aus dem Gipskeuper mit Anhydrit (Mitte) und Gips (Kluftfläche oben). Bräunlingen bekannt. Da Bohrungen im Oberen Muschelkalk aufgrund der Sulfatproblematik im Mittleren Muschelkalk und wegen der Wasser- schutzgebiete ohnehin nur sehr eingeschränkt möglich sind, spielen Karstphänomene bei der Nutzung von Erdwärme hier kaum eine Rolle. Bedeutender ist mancherorts das Risiko, bei Bohrungen Grundwasser anzutreffen, welches unter Druck steht. In manchen Fällen ist dieser natürliche Druck so hoch, dass das Wasser von selbst über ein offenes Bohrloch bis an die Erd- oberfläche strömen kann und dort ausfließt. Man spricht hier von Arthesern. Nur mit erhöh- tem technischen Aufwand können solche Arthe- ser dauerhaft abgedichtet werden. Die Abdich- tung im Bohrloch ist dann ebenfalls besonders wichtig, wenn mit einer Bohrung zwei verschie- dene Grundwasserleiter miteinander verbunden werden. Meist besitzen getrennte Grundwas- serleiter neben verschiedenen Druckverhältnis- sen auch einen unterschiedlichen Chemismus. Werden grundwasserführende Schichten nicht oder nur unzureichend abgedichtet, können unerwünschte Folgen wie z.B. Setzungen oder das Versiegen von Quellen auftreten. Solche Schäden in Zusammenhang mit Erdwärmeboh- rungen sind z.B. in Leonberg oder Schorndorf bekannt geworden. Bislang keine Schäden bekannt begrenzung bis oberhalb der kritischen, sulfat- haltigen Schicht. Am südöstlichsten Ende des Landkreises in Riedöschingen zum Beispiel liegt der Gipskeuper in ca. 400 m Tiefe, sodass die sulfatbedingte Bohrtiefenbegrenzung in der Praxis zu keinen Einschränkungen führt. In anderen Bereichen, insbesondere der Baar, sind Erdwärmebohrungen zwar zulässig, jedoch können weitere „Georisiken“ bei der Durchführung von Erdwärmebohrungen auftre- ten: In Gesteinen, welche zur Verkarstung nei- gen, können höhlenartige Hohlräume dazu füh- ren, dass die Bohrung unzureichend abgedich- tet werden kann. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind Karsterscheinungen auf den Muschelkalk- hochflächen des Oberen Muschelkalkes z.B. in der Umgebung von Donaueschingen oder Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind bislang keine Schäden durch Erdwärmebohrungen bekannt. Derzeit befinden sich ca. 230 Erdwärmeanla- gen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Wegen der im Bereich der Baar häufig ungünstigen Be- dingungen sind dort an manchen Orten Erdwär- meanlagen in Betrieb, wo unter heute gültigen Gesichtspunkten keine Neuanlagen mehr zuge- lassen werden. Anders ist dies im Schwarzwald, wo die Voraussetzungen für die Nutzung von Erdwärme nach wie vor meist sehr günstig sind. Sulfathal- tige Gesteine oder Karst treten hier nicht auf. Die Gesteine des Grundgebirges – Gneis und Granit – sind meist kaum wasserführend. Sie sind relativ hart, und deshalb auch nicht ganz leicht zu bohren. Mit geeignetem Gerät sind 248

Im Schwarzwald, hier der Großraum Furtwangen, ist die Nutzung der Erdwärme außerhalb von Wasserschutz- gebieten nahezu überall möglich. Auf der Baar bei Bad Dürrheim (unten) indes verhindert meist die Sulfatproble- matik die Erdwärmebohrungen. 249

Aus 350 Metern Tiefe bezieht das neue Rathaus der Gemeinde Schonach die Erdwärme. Im Rathauskeller befindet sich die Technik der Anlage (rechts), die über einen 1.000 Liter-Pufferspeicher verfügt. sie jedoch besser zu bohren als häufig wech- selnde Schichten, da sie sehr homogen sind. Au ßerdem besitzt Granit günstige Wärmeleit- eigenschaften. Da diese Gesteine des Grund- gebirges zur Tiefe nicht begrenzt sind, bestehen hier für Bohrungen keine Tiefenbegrenzungen. Die derzeit tiefste Bohrung mit 350 Meter befindet sich in Schonach Nachdem die jährliche Zahl von Erdwärmepro- jekten im Schwarzwald-Baar-Kreis seit 2008 ab genommen hat, nimmt sie aktuell wieder zu, insbesonders im Schwarzwald. Viele aktuelle Projekte finden sich in Furtwangen und St. Geor- gen, aber auch in Villingen. Die Bohrungen sind im Durchschnitt meist 80 bis 150 m tief. Die derzeit tiefste Bohrung befindet sich in Schonach. Dort befinden sich gleich zwei Boh- 250 rungen zu je 350 m direkt nebeneinander. Sie dienen zur Beheizung des neuen Rathauses, welches im Jahr 2010 fertiggestellt wurde. Ansgar Paul, als Leiter des Ortsbauamtes auch zuständig für die Technik des Rathauses, ist sehr zufrieden mit dieser Technik. Selbst bei den anhaltenden Extremtemperaturen im Februar 2012 gab es keine Probleme. Zwar ist für den Notfall eine elektrische Stützheizung eingebaut, diese sei aber noch nie gebraucht worden. Das gesamte Heizsystem ist auf Flächenhei- zungen in den Fußböden ausgelegt, welche in der Regel mit einer Vorlauftemperatur von 28 bis 35° C auskommen. Kühlung sei zwar theo-

retisch möglich, in der Praxis aber sei dies bei den Schonacher Maximaltemperaturen kein Thema. Auch die Rathausmitarbeiter seien mit dem Wärmekomfort sehr zufrieden, obwohl es im Vorfeld gewisse Bedenken gegen Fußboden- heizungen gegeben habe, weil es keine her- kömmlichen Heizkörper mehr gibt. Die Haustechnik wurde vom Ingenieurbüro Schwarz in Furtwangen geplant. Der Gemeinde- rat von Schonach wollte mit der Entscheidung für die Erdwärme ein positives Zeichen setzen. Günstig auf den wirtschaftlichen Betrieb der Erd- wärmeanlage wirkt sich ein spezieller Stromta- rif der EGT Triberg aus. Im Vergleich zu Wohn- gebäuden günstig ist auch die Tatsache, dass das Verwaltungsgebäude kaum Warmwasser benötigt, welches ja deutlich stärker aufge- wärmt werden muss, in der Regel ca. 60° C. Der geringe Warmwasserbedarf an einzelnen Waschbecken im Rathaus wird über elektrische Durchlauferhitzer gedeckt. Im Rathauskeller be- findet sich die Technik der Erdwärmeanlage mit einem 1.000 Liter-Pufferspeicher. Die Elektrotechnik mit Wärmepumpe und Peripherie der Erdwärmeanlage wurde von der Fa. Nock in Triberg durchgeführt. Das Elektro- technik-Unternehmen Nock hat sich u.a. auf Erdwärmepumpen spezialisiert und mit ver- schiedenen Partnerfirmen bereits über ein Dut- zend Projekte im Schwarzwald-Baar-Kreis rea- lisiert. Das Unternehmen betreibt selbst eine Erdwärmepumpe in Nußbach. Die Technik die- ser Erdwärmesonde ist eine Besonderheit. Hier wird nicht wie gewöhnlich ein flüssiges Was- ser–Glykol–Gemisch durch das U-förmige Dop- pelrohr geleitet, sondern unter hohem Druck wird flüssiges CO2 in ein einziges Wellrohr aus Metall geleitet. Das CO2 fließt dann an den Wänden entlang nach unten, bis es aufgrund der Erwärmung durch das umgebende Gestein verdampft und von selbst nach oben steigt. Dort wird es in der Wärmepumpe vom Verdich- ter wieder verflüssigt. Das Projekt wurde sogar von der Universität Karlsruhe wissenschaftlich betreut und von der EnBW gefördert. Die Bohrungen beim Rathaus Schonach wurden von der Fa. Koch in Ratshausen durch- geführt. Die Fa. Koch plant mittlerweile noch tiefere Bohrungen bis zu 450 m Tiefe. Wärme aus der Tiefe Kreissparkasse Donaueschingen und Edeka-Markt Villingen die größten Projekte Wenn Mehrfamilienhäuser oder größere ge- werblich genutzte Gebäude mit Erdwärme be- heizt werden, sind dazu viele Sonden, meist so- gar ganze Sondenfelder, erforderlich. Als größ- te Erdwärmeprojekte im Schwarzwald-Baar- Kreis sind die Kreissparkasse Donaueschingen oder der große Edeka-Markt in Villingen (ehem. WÜBA) zu nennen. Grundwasser- oder Oberflächenwasser-Wär- mepumpen gibt es im Schwarzwald-Baar-Kreis nur sehr vereinzelt im Bereich Hüfingen oder Pfohren. Dort sind die mächtigsten, gut wasser- durchlässigen Kiesschichten im Schwarzwald- Baar-Kreis vorhanden. Diese Schichten sowie das enthaltene Grundwasser treten beim Kies- abbau am Riedsee in Hüfingen zutage. In Wasserschutzgebieten wie in Dauchingen oder Schwenningen sind bereits einige flache Erdwärmesysteme, zum Beispiel in Form von Energiekörben oder Flächenkollektoren, in Be- trieb. Die Familie Schulze in Schönwald hat sich erst vor Kurzem für Erdwärme für ihr neues Ein- familienhaus entschieden (siehe Foto S. 243). Auf einer Baumesse in Stuttgart wurde sie auf diese Möglichkeit der Beheizung aufmerk- sam. Ein Fertigbau-Unternehmen hat dort mit einem Musterhaus mit einer Beheizung durch Erdwärme zu vergleichsweise günstigen Prei- sen geworben. Außerdem möchten Schulzes unab hängig sein von Gas und Öl. Der moderne Neubau kommt aufgrund der energiesparen- den Bauweise mit einer einzigen Bohrung mit 95 m Länge aus. Ein geologisches Gutachten für die Erdwärmebohrung war an diesem Standort nicht erforderlich, lediglich für die Hausgrün- dung erfolgte eine Untersuchung. Die Spezialfirma aus Weilheim/Teck führte diese Bohrung mit Ausbau im Juli an einem ein- zigen Tag aus. Der Bohrmeister Jochen Weyh- rauch hat mit dem harten Gestein, dem Triber- ger Granit, kein Problem. Er habe im Schwarz- wald schon wesentlich tiefere Löcher gebohrt. Mittlerweile steht das Haus und zu Weih- nachten 2012 kann die Familie Schulze die Erd- wärme bereits im Wohnzimmer genießen. 251

14. Kapitel Freizeit Neues Leben blüht aus den Ruinen – Der Reinertonishof ist wiedereröffnet Familie Duffner hat ihr Kulturdenkmal im Schönwälder Schwarzenbachtal wieder aufgebaut Das Entsetzen im ganzen Schwarzwald und darüber hinaus war groß, als am 21. Januar 2006 im Morgengrauen der fast 400 Jahre alte Reinertonishof im malerischen Schwarzen- bachtal durch Brandstiftung in Schutt und Asche versank. Marianne und Lukas Duffner standen samt den Kindern und Enkeln geschockt vor den Trümmern ihres Lebenswerkes. Jetzt wurde der neue Reinertonishof am 29. September 2012 feierlich neu eröffnet. „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit und neu- es Leben blüht aus den Ruinen“, dieses Zitat von Friedrich Schiller im Drama um Wilhelm Tell passt genau auf die Situation der Großfamilie Duffner von Schönwald. Der alte Hof wurde ein Raub der Flammen und stürzte zusammen, während sich die Zeit wirklich änderte, und zwar nicht nur für die Familie, die durch diese Tragö- die ihre wirtschaftliche Grundlage verlor. Auch der Tourismus war um ein wertvolles Kleinod ärmer geworden. Fuhren früher viele Busse nur wegen des geschichtsträchtigen Bauernhofes in den Kurort, so hörte nach dem Unglück der Strom der Geschichtsinteressenten schlagartig auf. Doch jetzt blüht wirklich wieder neues Leben auf dem Hofgut. Familie Duffner ließ sich nicht entmutigen, sondern begann zwei Jahre später Der neue Reinertonishof, der am 29. September 2012 feierlich eingeweiht wurde. 252 252

Wiederaufbau Reinertonishof Die Großfamilie Duffner um Lukas und Marianne Duffner (sitzend) sowie Ute und Sieg- fried Duffner (hinten Mitte stehend) hat gemeinsam den Reinertonishof in Schönwald zu neuem Leben erweckt. Links Simon und Stefan sowie rechts Mark-Anton sowie Se- bastian Duffner. mit dem Wiederaufbau. Doch zunächst war es ein langer Weg, bis der folgenreiche Beschluss gefasst wurde, wieder neu zu beginnen. Und dies ist auch verständlich, wenn man die Vor- geschichte kennt. Der alte Reinertonishof Der alte Hof wurde 1619 erbaut und war ein Lehenshof mit unfreien Bauern unter der Herr- schaft des Kaiserhauses Habsburg. Jedoch ab 1806 gehörte Schönwald nicht mehr zu Öster- reich, sondern zum Großherzogtum Baden. Jetzt erst konnten die Bauern die Höfe kaufen, auf denen ihre Vorfahren als Knechte geschuftet hatten. Johann Martin Reiner war auf dem alten Hof im Schwarzenbachtal der erste Landwirt mit Grundbucheintrag. Sein Enkel Anton Kuner, der von 1845 bis 1921 lebte, wurde Reinertoni geru- fen und nach ihm heißt der Hof bis zum heutigen Tag Reinertonishof. 1980 dann verkaufte die Witwe Veronika Kuner das baufällige Gebäude an das Ehepaar Marianne und Lukas Duffner vom benach- barten Schneiderjockenhof. Mit finanzieller Unterstützung des Landesdenkmalamtes ließ Familie Duffner den Hof restaurieren, sodass ein wertvolles Kleinod entstand. 1986 wurde der Reiner tonishof unter Denkmalschutz ge- stellt. Die neuen Eigentümer blieben auf dem Schneiderjockenhof wohnen und verwandelten das Kulturdenkmal mit ihren historischen Füh- rungen zu einem Museumsbauernhof. Aus ganz Deutschland strömten Touristen herbei, aber auch Einheimische interessierten sich für das harte Leben in früheren Jahrhunderten. Doch im Januar 2006, nach dem Großbrand, war alles zu Ende. Auch die Existenzgrundlage der Jung- bauernfamilie Siegfried und Ute Duffner mit den drei Söhnen Stefan, Sebastian und Simon war zerstört. Eine Großfamilie hält zusammen Nach langem Zögern und vielen Gesprächen in der Familie, entschlossen sich Ute und Siegfried Duffner mit Unterstützung ihrer Eltern den Hof in verkleinerter Form wieder aufzubauen. Die Duff- ners mobilisierten alle Familienmitglieder, die ohne Zögern ihre Hilfe zusagten. Es waren nicht wenige, die versprachen, mit ihrer Handwerks- kunst den Hof wieder aufzubauen. Seniorchef Lukas Duffner hatte aus seiner Ehe mit der Tochter des Schneiderjockenbau- ern sieben Kinder. Nach dem frühen Tod seiner Frau Alma im Jahre 1974 heiratete der Witwer fünf Jahre später die Düsseldorferin Marianne Warden, die aus ihrer ersten Ehe eine Tochter und einen Sohn mitbrachte. Ute und Ulrich War- den wuchsen mit den Duffner-Kindern auf. Als dann Marianne und Lukas Duffner 1981 noch einen gemeinsamen Sohn bekamen, der den Namen Mark-Anton trägt, wohnten zehn Kinder auf dem Schneiderjockenhof. Im gleichen Jahr vergrößerte sich die Familie noch einmal, weil die Nichte von Marianne Duffner, die elfjährige Susanna aus dem Ruhrgebiet, auf dem Hof auf- genommen wurde. In der dreizehnköpfigen Fa- 253

Freizeit milie hielten alle zusammen und unterstützten sich gegenseitig. Der Hoferbe Siegfried Duffner heiratete später seine Stiefschwester Ute War- den und die beiden bekamen drei Söhne, die heute alle volljährig sind Der neue Reinertonishof Mit viel Mut und Gottvertrauen begannen Ute und Siegfried Duffner 2007 mit der Planung eines neuen Hofes. Bei den Aufräumarbeiten stellte sich heraus, dass die Rauchküche noch vollständig erhalten war. „Der Granitstein hielt dem Feuer stand“, freute sich Landwirtschafts- meister Siegfried Duffner. „Die beiden Gewölbe der Schlotküche sind unversehrt und der Herd aus dem Jahre 1619 sieht noch genauso aus wie damals“, betonte seine Frau. Dies war der eigentliche Grund, dass die Familie um den er- haltenen Kern herum das neue Haus im alten Stil wieder aufbauen wollte. „Wir bauen ein Bauernhaus im Schwarzwald- stil, damit man sehen kann, wie die Menschen früher im Schwarzwald lebten“, sagten Ute und Siegfried Duffner zu den Gemeinderäten, als sie das Modell bei einer Sitzung im Februar 2008 vorstellten. Auf den landwirtschaftlichen Teil wolle man bewusst verzichten, schließlich habe man für die Tiere und das Heu schon längst mo- derne Neubauten erstellt. Die alte Rauchküche Links: Blick zur Uhrenwerkstatt, rechts die unversehrt gebliebene Schlotküche. aus dem 17. Jahrhundert solle aus hygienischen Gründen verglast werden, sodass die Besucher den Speck und die Würste im Rauchfang zwar sehen, aber nicht berühren können. Der Gemeinderat von Schönwald stimmte ohne Zögern den Plänen zu, ebenso das Land- ratsamt in Villingen. So konnte bereits im Juni 2008 der erste Spatenstich vor der Granitwand der Schlotküche erfolgen. Nach einer eindrucks- vollen Rede von Jungbäuerin Ute Duffner, die Fröhlichkeit statt Fassungslosigkeit forderte und den Neuanfang begrüßte, begann der sym- bolische Akt. Spontan versprach Bürgermeister Hans- Georg Schmidt von Schönwald damals, aus dem Gemeindewald einen Baum als Eckpfeiler zu spenden. Gallus Strobel, der Gemeindechef von Triberg, folgte diesem Beispiel ebenso wie sein Kollege Jörg Frey aus Schonach. Der vierte Tannenbaum als Säule für das neue Hofgebäu- de wurde ebenfalls schon beim Spatenstich an- gekündigt, und zwar vom Landratsamt. Familie Duffner freute sich sehr über diese Hilfsbereit- schaft. Unter der Leitung des Architekten Karlhans Schweizer vom Blumberger Büro ibs begann nun der Wiederaufbau um die Rauchküche he rum. Nicht nur der Bauherr Siegfried Duffner griff zu Säge und Axt, sondern auch seine Brüder und seine Söhne haben mitgeholfen. Jeder brachte seine beruflichen Fähigkeiten ein und so ent- stand ein malerisches Schwarzwaldhaus mit viel Eigenarbeit. „Ich habe das Holzhaus haupt- sächlich mit meinem Bruder Ludwig gebaut, der eine Zimmerei hat“, erzählte der Eigentümer. 254

Einweihung des neuen Reinertonishofes. Rechts: Rauchküche aus dem 17. Jahrhundert mit Verglasung. Ludwig Duffner baute nicht nur den Hof wieder auf, sondern renovierte auch den historischen Getreidespeicher, der von den Flammen ver- schont blieb. Der älteste Bruder Otto beteiligte sich mit seinen Söhnen ebenso am Wiederauf- bau wie der jüngere Bruder Gerold, der für die ganze Elektroinstallation zuständig war. Planer Karlhans Schweizer nannte interes- sante Fakten: Der neue Reinertonishof umfasst noch ein Drittel des alten Hofes, der Wohnteil aber blieb in der gleichen Größe und ist an der Stelle des alten Wohnteiles aufgebaut. Nicht mehr aufgebaut wurde der Ökonomieteil. Er- halten und/oder repariert wurden der Erdkeller, das Steingewölbe, das zweite Gewölbe aus Wei- dengeflecht und Lehm sowie der Original-Stein- herd in der Küche aus dem Jahr 1619. Karlhans Schweizer: „Wichtigste Entschei- dung war das Drehen der Firstlinie, dadurch konnten wir die alte Ostfassade ohne den Öko- nomieteil wieder mit langem, abgeschlepptem Walm herstellen.“ Insgesamt wurden nahezu 500 Kubikmeter Schnittholz (Weißtanne) und 34 Tonnen Lehm in die Decken und die Räucherküche eingebaut. Zur Freude der Familie Duffner hat die Obere Denkmalbehörde den Hof unter anderem wegen der erhaltenen Räucherküche wieder als Kultur- denkmal eingestuft. Insgesamt brauchte es fünf Jahre an Planung und Bauzeit, da die Familie vieles in Eigenarbeit ausführte und es gleich zwei harte Winter gab. Die Inneneinrichtung Da die Möbel und Raritäten aus früheren Jahr- hunderten alle verbrannten, war es ein Problem, den Hof wieder mit musealen Gegenständen zu füllen. Doch der Heimatverein versprach sofort Links die Elternkammer mit historischem Himmelbett und rechts die Wohnstube.

Freizeit seine Hilfe. „Wir haben im Laufe der Zeit vieles geschenkt bekommen und manche Sachen ha- ben wir auch gekauft“, signalisierte Ute Duffner zufrieden. Besonders freute sie sich, dass in der Elternkammer ein historisches Himmelbett auf- gestellt werden konnte. Dabei handle es sich nicht um irgendein Bett aus früheren Zeiten, son- dern darin habe die Hauptdarstellerin geschla- fen, als das Drama „Der Polenweiher“ von Tho- mas Strittmatter aus St. Georgen verfilmt wurde. Historisch traumhaft schön sind alle Zim- mer und Gänge eingerichtet. Uralte Bügeleisen stehen an den Sprossenfenstern und neben dem Kachelofen sind Spinnräder und Wein- krüge zu sehen. An der Wand hängt eine Tafel mit der Inschrift „Gottes starke Vaterhand, schütze euren Ehestand“. Auch der „Herrgotts- winkel“ ist wieder traditionell gestaltet. Sogar eine holz geschnitzte Statue des heiligen Erz- engels Michael, der laut Bibel die Menschen vor dem Bösen beschützt, bekamen die Duff- ners geschenkt. Daneben hängt ein Gemälde von St. Florian, wie er gerade ein Haus aus dem Flammenmeer rettet. Im neuen Schwarzwaldhaus gibt es auch eine Uhrenecke, viele Handwerksgeräte und einen Herd aus dem 19. Jahrhundert mit Was- Landrat Sven Hinterseh (links) überreichte den Duff- ners im Namen des Landkreises ein gusseisernes Wappen des Großherzogtums Baden. 256 serschiff. „Den haben wir von Familie Martin aus dem Hotel Ochsen bekommen, weil unser Herd verbrannt ist“, sagte die Eigentümerin Ute Duffner. Die Tenne solle in Zukunft als Festsaal dienen und ein Raum der Begegnung werden. Reinertonishof wird zur Außenstelle des Standesamtes der Gemeinde Schönwald Zahlreiche Ehrengäste folgten am 29. Sep- tember der Einladung zur Einweihung. Drei Kirchenvertreter beteten und sangen mit den versammelten Gästen. Am Haus kann man die Wappen von Schönwald, Schonach, Triberg und des Landkreises schon von Weitem erkennen. Sie sind ein Hinweis auf die vier Eckpfeiler aus Weißtannenholz, die von den drei Kommunen und dem Landkreis gespendet wurden. Landrat Sven Hinterseh erinnerte in seiner Rede an die mächtige Weißtanne, die sein Vor- gänger Karl Heim als vierten Eckpfeiler gespon- sert hatte. „Ich finde diese Symbolik toll, und da ich gehört habe, dass das badische Wappen verbrannt ist, habe ich heute ein neues mitge- bracht“, verkündete der Landrat und überreich- te der Familie Duffner ein gusseisernes Wappen des Großherzogtums Baden. Weiter betonte er, dass der Hof ein wichtiger Ort sei, an dem vor allem die Jugend einen Blick in die Geschichte werfen könne. Bürgermeister Hans-Georg Schmidt hatte eine Überraschung parat: „Wir wollen das An- gebot der Familie Duffner, hier eine Außenstelle des Standesamtes einzurichten, dankbar an- nehmen“, sagte er, und übergab zwei Tafeln mit diesbezüglichen Inschriften. Die eine wurde an der Bauernstube angebracht, die andere an der früheren Tenne. Schon eine Woche später ließ sich das erste Brautpaar trauen. Lukas Duffner ist auch ein großer Freund der Partnerschaft des Landkreises mit dem ungari- schen Komitat Bács-Kiskun, der durch seinen Vizepräsidenten Sandor Rausch vertreten war. Sein Grußwort wurde mit spontanem Sonder- beifall unterbrochen, als er sagte: „Familie Duff- ner ist so erfolgreich, weil alle einander helfen. Mein Freund Lukas macht nicht alles allein, auch wenn das manche glauben.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Siegfried Kauder sprach von einem „einzigartigen Juwel“, das von drei Duffner-Generationen wieder auf- gerichtet wurde. Er betonte weiter: „Wir brau- chen keine Schwätzer, sondern solche Persön- lichkeiten wie die Duffners“. Der weithin bekannte Senior der Duffner-Fa- milie, Lukas Duffner, ließ es sich nicht nehmen, zur Freude der Anwesenden gleichfalls eine lau- nige Rede zu halten. „Und nun singen wir das Badner-Lied“, forderte er zum Schluss, und alle erhoben sich, um aus vollem Hals die Hymne anzustimmen. EU-Kommissar Günther Oettinger lobt die Familie Duffner für ihre Schaffenskraft Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete ohne Zweifel die Ankunft des Energie-Kommissars der Europäischen Union, Günther Oettinger, frühe- rer Ministerpräsident von Baden-Württemberg. „Mein schwarzer Bruder, ich grüße dich“, rief SPD-Kreisrat Lukas Duffner, der auch unter dem Spitznamen „Roter Bauer“ bekannt ist, dem ho- hen Gast entgegen. Günther Oettinger lobte die Bauernfamilie für den Wiederaufbau des Hofes. Wiederaufbau Reinertonishof Er könne sich noch gut an den schrecklichen Tag erinnern, als die Brandkatastrophe durch die Medien ging. Auch da er das Kulturdenkmal aus eigener Anschauung kannte, sei er entsetzt gewesen. Günther Oettinger zeigte sich erfreut, als ihm Landrat Sven Hinterseh und Bürgermeister Hans-Georg Schmidt vorgestellt wurden. „Ich la- de den Gemeinderat und den Kreisrat ein nach Brüssel“, zeigte sich Günther Oettinger spontan gastfreundlich. Nach dem Ständchen der Alp- hornbläser trug er sich ins Goldene Buch der Gemeinde Schönwald ein, das Bürgermeister Hans-Georg Schmidt in der Bauernstube bereit- gelegt hatte. Im Begegnungsraum dirigierte Lukas Duff- ner dann den EU-Kommissar zum Klavier und gab ihm den Auftrag, das Badnerlied zu spielen, in das alle erfreut einstimmten. Eine Aufgabe, die Günther Oettinger souverän meisterte. Seniorchef Lukas Duffner erinnerte seinen Duzfreund Günther Oettinger an die denkwürdi- ge Stunde, als dieser ihm in Stuttgart als Minis- terpräsident das Bundesverdienstkreuz verlie- hen hatte. Der Besuch des EU-Kommissars bei den Duffners jedenfalls war eine außergewöhn- liche, freundschaftliche Geste! Maria Kienzler Links: Der EU-Energie-Kommissar und ehemalige Ministerpräsident Günther Oettinger trägt sich ins Goldene Buch der Gemeinde Schönwald ein. Rechts: Schönwalds Bürgermeister Hans-Georg Schmidt überreicht Ute und Siegfried Duffner die Bestätigung als Außenstelle des Standesamtes von Schönwald. 257

15. Kapitel Sport und Sportgeschichte Manfred Mohr – eine Vöhrenbacher Formel-3-Rennsportlegende Wolfgang Graf Berghe von Trips erkennt das großartige Talent – Dramatischer Unfall in Brands Hatch verhindert 1968 den Aufstieg in die Formel 2 258 258

Die AVUS in Berlin, rechts im Hintergrund ist die berüchtigte Steilwandkurve zu sehen, die Man- fred Mohr als erster Rennfahrer überhaupt mit Vollgas durchfährt. Zur Rennsituation: Vorne liegt Kurt Ahrens, rechts daneben fährt mit der Startnummer 20 Manfred Mohr. Er siegt 1965 auf dieser Strecke, das Rennen ist live im Fernsehen zu sehen. … Manfred Mohr trainiert auf der Linacher Land straße mit seinem Brabham für die Formel-3, Manfred Mohr steht auf der Pole Position in Monza – Manfred Mohr winkt der Sprung in die Formel-2. Dann der dramatische Unfall 1968 in Brands Hatch, den ganz Vöhrenbach in der Sportschau sieht – der alle Träume zerstört: Sein Brabham steigt in der Startrunde nach Berührung mit einem Konkurrenten auf, überschlägt sich mehrfach und kracht in einen Erdwall. Mit offenen Brüchen und Lähmungserscheinungen bergen Helfer den damals besten deutschen Formel-3-Piloten. Der unterschriftsreife Werksvertrag mit Tecno für die Formel-2-an der Seite von Clay Regazzoni ist ebenso hinfällig wie andere ehrgeizige Pläne. Bis dahin hat Manfred Mohr bis zu 30 meist spektakuläre F3-Rennen pro Saison bestritten. Er kämpft mit Rennsportlegenden wie Ronnie Peterson, den Brüdern Brambilla, Silvio Moser, Chris Craft, Jürg Dubler, James Hunt oder Derek Bell um den Sieg – ist einer von ihnen und zählt noch heute zum Kreis der deutschen Rennsport-Pioniere. Und doch gibt er nicht auf, er kehrt zurück – erneut erfolgreich! 259 259

Sport Oben links: Manfred Mohr sitzt am Steuer seines ersten Rennwagens, ein BMW 328, gekauft in Villingen. Mitte oben: Früh übt sich… Manfred Mohr absolviert erste Rennen mit der Seifenkiste, hier ist er auf der Vöhrenbacher Krankenhausstraße unterwegs. Mitte unten: Manfred Mohr mit dem Siegerkranz 1962 auf dem Schauinsland, dicht umringt von Gratulanten und der Presse. Oben rechts: Mit dem Porsche Carrera im Juli 1961 beim Spessart-Bergrennen am Start. Zusammen mit Ehefrau Olina, Sohn Matthias, Papagei „Jakob“, der Katze „Lady“ und der Vo- gelspinne „Rambo“ lebt Manfred Mohr im an- gestammten Familiensitz in der Herdgasse. Er verpasst im Fernsehen kein Autorennen, erfüllt noch immer zahlreiche Autogrammwünsche, ist in der Motorsportszene eine feste Größe – ge- hört zu den Formel-3-Legenden. Dabei hat es zunächst den Anschein, als würde er eines Ta- ges den elterlichen Umformbetrieb in der Lan- genbacher Straße von seinem Vater Adolf Mohr übernehmen. Zum Werdegang: Im Jahr 1954 schließt Man- fred Mohr das Gymnasium in Donaueschingen mit der Mittleren Reife ab, beginnt eine Feinme- chaniker-Lehre im Betrieb der Eltern in Vöhren- 260 bach. Als Mitglied des Skiklubs Vöhrenbach versucht er sich als Jugendlicher im Skisprin- gen. Vom Verband gefördert, nimmt Mohr bei einer deutschen U16-Jugendmeisterschaft teil und belegt den dritten Platz. Bei Skisprungwett- bewerben im Schwarzwald, unter anderem auf der Adlerschanze in Hinterzarten oder in Blasi- wald, liegt er einmal sogar vor Georg Thoma. Aber: die Leidenschaft für Autorennen ist be- deutend größer, das Skispringen gibt er auf. Manfred Mohr verwirft auch die Gedanken an ein Studium und übernimmt dafür sehr früh die Technische Leitung der Firma Mohr. Er ent- wickelt sich zu einem Spezialisten für die Mas- sivumformung. Und doch, zufrieden ist er nicht: Der Wunsch, Autorennen zu fahren, brennt förmlich in ihm. Mit einem Vorkriegs-BMW bei Bergrennen auf Rang zwei gefahren Der Impulsgeber für die Rennsport-Leidenschaft ist sein Freund Martin Stephani. Er nimmt ihn mit zum Nürburgring, eine der wenigen wirkli- chen Rennstrecken, die es zu dieser Zeit in Deutschland gibt. Im Jahr 1959 kauft sich Man- fred Mohr als 22-Jähriger in Villingen einen BMW 328 (siehe Foto oben). Mit dem Vorkriegs- modell will er Autorennen fahren. Er absolviert Bergrennen in Trier und am Schauinsland –

trotz seines unterlegenen Materials belegt er gute zweite Plätze. Mit einem üblichen Einkommen eine Renn- sportkarriere zu starten, ist ein schier unlösba- res Unterfangen. Die Eltern sind gegen den Rennsport und unterstützen ihren Sohn nicht. Im Jahr 1960 ist die finanzielle Situation von Manfred Mohr so angespannt, dass er mit einem Alfa 1300TI lediglich ein Sechs-Stunden- Rennen auf dem Nürburgring bestreiten kann. Hierzu hat ihn sein Freund Martin Stephani aus Donaueschingen eingeladen. Die Freunde, die den Wagen im Rennen abwechselnd fahren, be- legen den zweiten Platz. Graf Berghe von Trips erkennt das großartige Talent von Manfred Mohr obachtet staunend die phänomenalen Fahr- künste des Vöhrenbachers. Er lässt ihn zu sich kommen und drückt ihm die Schlüssel seines Porsches in die Hand, fordert Mohr auf, einige Runden zu fahren. Das abschließende Urteil von Graf Berghe von Trips: „Manfred Mohr ist der einzige der 250 Teilnehmer, der wirklich das Zeug zum Rennfahrer hat.“ Manfred Mohr ist jetzt endgültig in seinem Wunsch bestärkt, Rennfahrer zu werden. „Ich dachte mir, wenn der das sagt, dann muss ja wohl was dran sein!“ Gerade drei Jahre später zeigt der Rennsport dem Vöhrenbacher einmal mehr aber auch all seine Schrecken: im Sep- tember 1961 verunglückt Graf Berghe von Trips in Monza nach einer Kollision mit Jim Clark töd- lich – mit ihm sterben 15 Zuschauer! Zum entscheidenden Wendepunkt in der Lauf- bahn des 23-jährigen Vöhrenbachers gerät die Teilnahme an einem Sportfahrerlehrgang auf dem Nürburgring im Jahr 1958, bei dem der For- mel-1-Rennfahrer Wolfgang Graf Berghe von Trips einer der Instruktoren ist. Mohr bekommt gezeigt, wie man schnell durch eine Kurve fährt, wie man auf Schmierseife kritische Situationen meistert oder durch Tore zirkelt. Er nimmt in einem alten Mercedes 220 an dem Lehrgang teil, einer „richtigen Schleuder“, wie er sich erinnert. Graf Berghe von Trips be- Nach mehreren vorderen Plätzen wird die Internationale Lizenz erteilt 1961 investiert Manfred Mohr in einen Porsche Carrera, mit dem er erfolgreich an Berg- und Flugplatzrennen teilnimmt. Wieder hilft ihm sein Freund Stephani, denn der Carrera ist ein Serienauto und somit für die Straße gebaut – der Motor muss „frisiert“ werden. Nach ganz vorne fahren kann Manfred Mohr mit diesem Fahrzeug noch nicht, aber mehrere dritte Plätze unterstreichen das fahrerische Talent. 261

Sport und Sportgeschichte Das erste Rennen im neuen Brabham BT 11 auf dem Schauinsland endet mir Rang zwei. Rechte Seite: Mechaniker Jens Andres bei der Arbeit. Mit einem selbst gebauten Kran hieft er das Rennauto in die Höhe oder legt es einfach auf die Seite. 1962 erlangt Manfred Mohr aufgrund seiner sportlichen Erfolge die begehrte Internationale Lizenz. Sie öffnet ihm die Tür in die Welt der Motorsport-Elite. Jetzt kann Mohr bei Europa- meisterschafts-Bergrennen mitfahren. Porsche- Mechaniker helfen dabei, den Motor auf Spit- zenleistung zu trimmen. Das zahlt sich aus: Das Jahr 1963 wird das erste große erfolgreiche Jahr für Manfred Mohr: immer fährt er unter die ers- ten Drei. Huschke von Hanstein, Rennleiter bei Por- sche, knüpft Kontakte zu Manfred Mohr und weckt Hoffnungen auf ein Werksauto. Doch als Mohr beim Gaisberg-Rennen in Österreich auf einer Ölspur verunglückt und Hanstein diesen Unfall fälsch licherweise Manfred Mohr zu- schiebt, ist die mögliche Karriere bei Porsche ausgeträumt. Für 18.000 Mark kauft sich Manfred Mohr in England einen Brabham BT 11 für die Formel 3 Die Erfolge bestärken Manfred Mohr darin, in der neuen Formel 3 zu starten, die 1964 aus der Formel Junior heraus entsteht. Dominiert wird dieser Wettbewerb von Fahrzeugen der Marken Cooper, Brabham und Lotus, sogenannte Mono- posto-Rennwagen, deren wichtigste Bestand- teile aus Groß serienautos stammen. Im Jahr 1964 kauft sich Manfred Mohr in England einen 18.000 Mark teuren Brabham BT 11, finanziert ihn mit einem Kredit. Als Mohr schließlich mit seinem Brabham BT 11 im Schwarzwald eintrifft, ist er eine wirk- Vor dem Start – Manfred Mohr (links) steht beim Formel-3-Rennen in Brünn auf der Pole Position. Rechts der Schweizer Jürg Dubler, der vom zweiten Platz aus startet. 262 liche Sensation. Vöhrenbach staunt, Furtwan- gen staunt! Manfred Mohr testet den BT 11 auf dem Raben in Furtwangen, wo sich im Keller des Höhenhotels seine Werkstatt befindet. Mohr lässt durch Freunde die Straße hinauf zum Brend sperren und rast mit dem Brabham zu Testzwecken hoch und runter. Landstraßen als Trainingsstrecken, das hat es im Mohr-Team bereits in den Anfängen ge- geben. Da es in Deutschland zu dieser Zeit kaum Rennstrecken gibt und Flugplätze es ab- lehnen, ihre Start- und Landebahnen für Test- fahrten bereitzustellen, bleibt Manfred Mohr einzig die heimische Landstraße. Das ist die Zeit, zu der Freunde in Vöhrenbach die Straße hoch zur Friedrichshöhe und in Linach auf die Lettwies für Manfred Mohr immer wieder sper- ren, damit er bei Höchstgeschwindigkeit die wichtigen Testfahrten absolvieren kann. Gewaltiger Motorenlärm und eine Anzeige bei der Polizei wegen Lärmbelästigung durch einen „Sommerfrischler“ sind die Folge. Aber es gibt auch Verständnis. Als Mohr mit seinem

Sport und Sportgeschichte Brabham hoch zum Brend jagt, stoppt ihn ein Polizist. Er fotografiert den Rennwagen und ist derart begeistert, dass er von einer Anzeige kur- zerhand einfach absieht. Der neue Brabham allerdings ist um ca. 15 Pferdestärken zu schwach, um mit der interna- tionalen Konkurrenz mithalten zu können. Das macht Feintuning erforderlich – mit Erfolg: Jetzt verhilft ihm der Neukircher Mechaniker Hubert Rombach, der über Rennsport-Erfahrungen ver- fügt, zu mehr Motorleistung. Er zählt wie Jens Andres und Hubert Ketterer in den späteren Pro- fijahren zum Kreis der so wichtigen Mechaniker. Gleich bei seinem ersten Rennen auf dem heimischen Schauinsland wird Manfred Mohr mit dem Brabham Zweiter – hinter dem Schwei- zer Top-Fahrer Silvio Moser. Manfred Mohr ver- fügt zum ersten Mal in seiner Karriere über ein konkurrenzfähiges Auto, und auf dem Nürburg- ring kommt es gleich zum Saisonauftakt der Formel 3 zu einem denkwürdigen Rennen: Vom Start weg ist der Vöhrenbacher vorne, dann ka- tapultiert ihn ein Dreher an den Schluss des Feldes. Manfred Mohr rollt nun das mit interna- tionalen Spitzenfahrern besetzte Feld von hin- ten auf und wird sensationell Zweiter – Graf Berghe von Trips hatte sich nicht getäuscht. Nachdem Manfred Mohr rasch zum Kreis der Spitzenfahrer der Formel 3 zählt, übergibt er die Arbeit in der elterlichen Firma einem Nachfol- ger. Er ist jetzt auf den Rennstrecken der Welt zu Hause: von Brünn bis Portugal, von Finnland bis Süditalien – inklusive der Abstecher nach Süd- amerika. Acht erfolgreiche Rennen fährt er 1964 und kann sich 1965 in England einen neuen Brabham abholen. Um die 20.000 Mark inves- tiert Mohr in den neuen Renner. Von den 40 bis 50 Autos, die zu dieser Zeit für ein Formel-3-Rennen gemeldet werden, sind 30 identisch. Das heißt gleiches Chassis, glei- cher Motor und gleiche Reifen. Mit einem Satz Reifen kann man bis zu fünf Rennen fahren. Auch der Motor muss nach ca. fünf Rennen ge- neralüberholt werden. Getestet wird aus finan- 263

fred Mohr seinen Rennsport. Mohr fährt bis zu 30 Rennen im Jahr, nur vordere Plätze sichern das Auskommen von Fahrer und Mechaniker. Neben dem Rennwagen braucht er einen Trans- porter. Übernachtet wird meist im Zelt oder Cam- pingwagen. Sponsorengelder gibt es zu dieser Zeit nur bescheidene. Der Auftakt zur Saison 1965 gerät wenig er- freulich: Der Motor des neuen Brabham fällt be- reits beim ersten Rennen in Wien aus und muss ersetzt werden – einige tausend Mark sind fäl- lig. Und doch wird das Jahr 1965 zum ersten „Mohr-Jahr“ in der Formel 3: In Opatia fährt Manfred Mohr einen neuen Rundenrekord, holt sich seinen ersten Sieg in der Formel 3. Und Manfred Mohr wird 1965 auch in Deutschland bekannt: Die Sportschau zeigt das Formel-3- Rennen auf dem Berliner Avus. Manfred Mohr siegt – und erhält kistenweise Fanpost. Tausen- de von Zuschriften sind es, der Vöhrenbacher ist endgültig im Feld der Spitzenfahrer etabliert. Zwei Siege schafft Manfred Mohr 1965, bei allen Rennen belegt er vordere Plätze. Juan Manuel Fangio lädt Manfred Mohr zur „Temporada Argentina“ ein Der Höhepunkt der Saison 1967 folgt in Argenti- nien: die äußerst populäre Rennserie „Tempo- rada Argentina“, zu der er von der Automobil- sportlegende Juan Manuel Fangio eingeladen wird. Vier Rennen sind zu fahren. In Buenes Aires, in Córdoba und Mar del Plata. Das Ren- Sport und Sportgeschichte Manfred Mohr auf Position 1 – Sieg beim Formel-3- Rennen in Brünn. ziellen Gründen vergleichsweise wenig. Es gilt einen Vorlauf zu bestreiten und wer zu den ers- ten 12 Fahrern gehört, ist für den Endlauf quali- fiziert. Die Fahrer bekommen zwischen 500 und 1.500 Mark Startgeld, der Sieger erhält zwi- schen 5.000 und 10.000 Mark. Auch für die wei- teren Plätze gibt es Geld. Damit finanziert Man- Manfred Mohr auf Position 1 – unterwegs beim Formel-3-Rennen 1967 auf der Avus. 264

Startaufstelllung zum Großen Preis von Monza vom 4. Juni 1967, Manfred Mohr startet von der Pole Position aus und wird mit dem Rückstand von gerade einmal einer Sekunde auf Baghetti Zweiter. Die Kreuze bezeich- nen tödlich verunglückte Rennfahrer- freunde von Manfred Mohr. Bei Bag- hetti, Wisell, „Gekki“ und Regazzoni handelt es sich um spätere Formel-1- Fahrer. nen in Mar del Plata endet als Katastrophe. Die Zuschauer ste- hen unmittelbar am Fahrbahn- rand, sind völlig ungeschützt. Als ein Fahrer mit 200 Stunden- kilometern in die Menge rast, gibt es Tote und Verletzte. Manfred Mohr: „Auf Stra- ßenkursen gefahren wird nicht nur in Südamerika, sondern auch in Europa. Es gibt für die Fahrer keine Sicherheitszonen, wie es heute der Fall ist. Mit Höchstge- schwindigkeit geht es an Bäu- men, Mauern, Häusern und eben auch unmittelbar an den Zu schau ern vorbei. Auch denkt beim Bau der Fahrzeuge niemand an die Sicherheit der Fahrer. Es gibt keine Si- cherheitsgurte und vor allem keine Sicherheits- tanks. So besteht bei jedem Unfall die Gefahr, dass der Fahrer ein Opfer der Flammen wird.“ An die 20 Freunde verun glücken beim Rennsport tödlich Zu seinen Erinnerungsstücken an die Renn- sport-Zeit zählt die Startaufstellung zum For- mel-3-Rennen in Monza im Jahr 1967 (siehe Ab- bildung). Manfred Mohr steht auf der Pole Posi- tion. Hinter einigen Namen findet sich ein Kreuz. Sie bezeichnen Freunde, die noch im gleichen Jahr oder später beim Rennsport tödlich verun- glücken. Zu ihnen gehören: „Tiger“ Boley Pit- tard, Silvio Moser, „Geki“, Chris Williams oder Enzo Corti. An die 20 Freunde sind es, die Man- Formel-3-Rennfahrer Manfred Mohr fred Mohr im Verlauf seiner Karriere durch töd- liche Rennsport-Unfälle verliert. Darunter auch sehr enge Freunde wie der Engländer Tim Cash, der oft bei Mohrs in Vöhrenbach zu Gast ist, der Schwede Ronnie Peterson oder der deutsche Formel-1-Fahrer Rolf Stommelen. Weil der Rennsport so gefährlich ist, wagen sich nur wenige Fahrer ans Limit. Heute können Fahrer vorne mitmischen, so Manfred Mohr, die zu seiner Zeit nur Mittelklasse gewesen wären, weil es ihnen die technischen Möglichkeiten er- lauben. Und: Zur Zeit von Manfred Mohr konnte der Fahrer durch sein Können eine schlechtere Motorleistung noch wettmachen, heute ist das fast unmöglich geworden. Der Schweizer Formel-3-Fahrer Jürg Dubler hat ein spannendes Buch über die Formel 3 ge- schrieben (Formel 3 inside, Verlag elfundzehn). Es ist auch ein Stück weit ein „Manfred Mohr- Buch“, die beiden sind eng befreundet. Wer es liest, kommt zu dem Fazit: Der größte sportliche 265

Manfred Mohr 1966 im Brabham am Start und beim perfekten Drift auf dem Hockenheimring. Erfolg von Manfred Mohr ist es, die Formel 3 überlebt zu haben. Oft genug tragen die Fahrer mit Tränen in den Augen die Särge ihrer Freunde zum Trauergottesdienst in die Kirche – und fah- ren nur Tage später wieder Rennen. Der Vertrag mit Nova-Motor beflügelt die Rennsport-Karriere Startet Manfred Mohr in die Saison 1967 zu- nächst noch mit einem Brabham, unterbreiten ihm schließlich gleich zwei italienische Renn- ställe ein Angebot. Mohr entschließt sich für „de Sanctis“ und muss zum ersten Mal seine Rennsport-Aktivitäten nicht mehr selbst finan- zieren. Im tschechischen Brünn siegt er souve- rän, zweite und dritte Plätze bei weiteren Ren- nen ergänzen die Erfolgsserie. Im Training macht Mohr mehrfach mit sensationellen Zeiten auf sich aufmerksam, fällt aber im Rennen wegen technischer Defekte mehrfach aus. 1968 kommt es zur erfolgreichsten und zu- gleich folgenschwersten Formel-3-Saison von Manfred Mohr. Er unterzeichnet zusammen mit Ronnie Peterson einen Vertrag bei der italieni- schen Firma Nova-Motor, die einen neuartigen Motor konstruiert hat. Dieser Motor und das Chassis von Tecno bieten dem 30-Jährigen gera- dezu optimale Voraussetzungen, was sich gleich beim ersten Rennen im finnischen Keimola zeigt. Zwar muss kurz vor Rennbeginn noch 266 eine Zündkerze gewechselt werden und Man- fred Mohr startet als Letzter ins Rennen. Doch nach einer fulminanten Aufholjagd kann er das Rennen schließlich noch gewinnen. Der Besit- zer des Privatkurses kann allerdings nicht glau- ben, dass so etwas mit regulären Methoden möglich ist und lässt den Motor von Mohr kom- plett zerlegen. Gefunden wird nichts, denn der Sieg ist ausschließlich auf das Können von Manfred Mohr und den neuen Motor von Nova zurückzuführen. Der Mohr-Sieg sorgt in der Mo- torsportpresse Europas für Schlagzeilen und löst bei Nova-Motor, damals noch ein kleiner Hersteller, einen Boom aus. Manfred Mohr kämpft jetzt bei jedem For- mel-3-Lauf zusammen mit seinem größten Riva- len und Freund Ronnie Peterson um den Sieg, die beide den gleichen Motor fahren. Gleich zweimal kann Manfred Mohr in Monza gewin- nen – er siegt in Opatia, in Enna, Brünn sowie zweimal im italienischen Vallelunga. Im renn- sportbegeisterten Italien, Manfred Mohr lebt bereits seit längerem in Mailand, zählt der Vöh- renbacher zum Kreis der Spitzenfahrer und wird schon beim Betreten des Motodroms mit Beifall begrüßt. In Vallelunga haben die Zuschauer ein- mal mehr allen Grund, ihn zu feiern: Er überrun- det das gesamte Feld, selbst der Zweitplatzierte liegt eine ganze Runde zurück! Diese sensationellen Siege machen auch Mohrs überragende Kurventechnik möglich. Er driftet durch vor allem schnelle Kurven so per- fekt wie kein zweiter Fahrer. Der Vöhrenbacher bricht in diesem Jahr auf fast jeder europäi- schen Rennstrecke den Rundenrekord, verbes- sert ihn teils um mehrere Sekunden. So auf Sizi-

lien, was ihm in Italien balkengroße Schlagzei- len einbringt. Hinter Clay Regazzoni wird Mohr 1968 zu- dem Vize-Europameister der Formel-3. Die Euro- pameisterschaft wird zu dieser Zeit bei einem einzigen Rennen entschieden. Der Horror-Crash von Brands Hatch beendet alle Hoffnungen auf die Formel 2 Mohr fährt mit späteren Spitzenfahrern der For- mel 1 wie Regazzoni oder Peterson in der selben Liga – im Siegen wechseln sie sich ab. Das unter- streicht die Klasse des Vöhrenbachers und zeigt auf, was möglich gewesen wäre, wenn es am 20. Oktober 1968 nicht zum Schicksalsschlag von Brands Hatch gekommen wäre – im letzten Ren- nen der Saison. Beim Start sieht sich Manfred Mohr gleich- auf mit zwei anderen Fahrern, keiner will seine Position aufgeben. Die Fahrzeuge kommen sich In der Steilwandkurve der Avus in Berlin. Mohr führt vor Kurt Ahrens. Als erster Rennfahrer überhaupt durchfährt Mohr diese Kurve mit Vollgas. so nahe, dass sich die Reifen berühren. Der Wa- gen von Manfred Mohr wird nach oben in die Luft gezogen und er verliert die Kontrolle. Nach der Landung schießt der Wagen mit voller Wucht in einen Erdwall. Beim Aufprall wird der Oberkörper nach vorne geschleudert, während die Beine unter dem Armaturenbrett einge- klemmt sind und brechen. Nach dem Aufprall im Erdwall wird das Fahrzeug noch 50 Meter weiter durch die Luft geschleudert. „Angegurtet war man damals nicht, da die häufigste Unfallfolge ein Fahrzeugbrand war. Man musste deshalb Formel-3-Rennen auf dem Hockenheimring, 1968. Manfred Mohr führt, links sein Freund Ronnie Peterson. Mohr wird Zweiter, Peterson siegt. 267

Sport und Sportgeschichte Ein schrottreifer Tecno – kaum zu glauben, dass Man- fred Mohr 1968 seinen schweren Unfall in Brands Hatch überlebt. schnell aus dem Wagen kommen“, erzählt Man- fred Mohr in der Rückschau. Freund und Rennfahrerkollege Jürg Dubler erinnert in seinem Buch an den Unfall: „Im Vor- lauf stehen Manfred Mohr, Chris Williams und ich in der dritten Reihe. Manfred begeht den Fehler, für die Druids-Haarnadelkurve einen lan- gen ersten Gang einzubauen. Dieser passt zwar für die Kurve, aber beim Start kommt er schlecht weg und fällt zurück. Für den Endlauf muss er in der sechsten Reihe starten, das ist so ungefähr der gefährlichste Ort in einem F3-Feld der Sech- zigerjahre. Als ich in der zweiten Runde durch die Surtees-Kurve in Richtung Pilgrims drop fah- re, werden gelbe Flaggen geschwenkt. Überall liegen Teile herum. Ich erkenne Manfreds weiße Fronthaube. Beim nächsten Durchgang reduziere ich das Tempo und schaue genauer. Auf der rechten Seite liegt ein Fahrer am Boden, davor kniet Gagliardi mit tränenüberströmtem Gesicht, er ist der Team-Kollege von Manfred, also liegt Manfred da. Ich habe Mühe, mich zu konzen- trieren. Mir wird fast übel. Nur jetzt nicht die Fassung verlieren. Ich kämpfe mit den Tränen. Verdammt noch mal! Ich packe das Lenkrad, ge- 268 be noch mehr Gas, letztendlich werde ich als Neunter abgewinkt.“ Durch eine glückliche Fü- gung überlebt Manfred Mohr den Horror-Crash von Brands Hatch. Es folgen vier Monate Kran- kenhausaufenthalt in England, Deutschland und Italien. Mit der Nervenverletzung sind gro- ße Schmerzen und eine teilweise Lähmung des Gasfußes verbunden. Zwei Jahre wird es dau- ern, bis Manfred Mohr seinen Gasfuß wieder uneingeschränkt bewegen kann. Vor diesem Unfall hatte Manfred Mohr be- reits einen Formel-2-Vertrag bei Tecno in der Tasche, der sich nun in Luft auflöst. Nicht weil Manfred Mohr kein Fahrzeug mehr bekommen hätte oder nicht fahren könnte. Vielmehr behin- dern ihn die Wettkampfbestimmungen in Ita- lien: Da er seinen Gasfuß nur noch durchdrü- cken, aber nicht mehr zurückziehen kann, be- kommt er ein Rennverbot. Mittlerweile fährt Manfred Mohr – der Not gehorchend – Touren- wagenrennen. Und das geht so: Er kon struiert sich eine Feder, die er unterhalb des Knies be- festigt und die den durchgedrückten Gasfuß wie- der zurückholt, wenn Mohr den Druck auf das Gaspedal vermindert. So bekommt er den teil- weise gelähmten Fuß wieder vom Gas. In der For- mel 3 aber ist ihm die Verwendung dieser Kon- struktion untersagt. Im engen Monoposto-Cock- pit lassen die beengten Verhältnisse eine Ver- wendung dieser Konstruktion einfach nicht zu, so die italienischen Rennärzte. „Aus eigenem Verschulden flog er eigentlich nie von der Piste“ Die wohl realistischste Einschätzung der Renn- fahrer-Qualitäten von Manfred Mohr stammen von Jürg Dubler, der mit ihm oft um den Sieg ge- rungen hat. Dubler in seinem Buch: „Auch auf der Avus in Berlin war er immer dabei. Als Man- fred einmal an zweiter Stelle auf den führenden Kurt Ahrens Boden gutmachen wollte, entschloss er sich, diese Kurve voll zu fahren, ohne den Fuß vom Gas zu heben. Die Fliehkraft war so stark, dass sein Kopf auf die Brust gedrückt wurde und er kaum sah, wohin der Wagen fuhr. Ver- mutlich als Einziger wusste er in diesem Moment, dass die Kurve voll ging.

Wir waren beide sogenannte Werksfahrer bei De Sanctis zu einer Zeit, als die Werksfahrer noch nicht mit dem Lear-Jet zu den Probefahrten angeflogen kamen. Manfred war ein Draufgän- ger, allerdings einer, der genau kalkulieren konn- te, was möglich war und was nicht. Aus eigenem Verschulden flog er eigentlich nie von der Piste. Langsame Kurven waren nicht unbedingt seine Stärke, dafür aber war er einer der Allerschnell- sten in den sogenannten Mutkurven. Das sind jene, die man mit 200km/h und mehr passiert. So war er der Erste, der das berüchtigte Dorf in Brünn voll stehen ließ. Ich habe wenige Fahrer gesehen, die nur an- nähernd so rasant diese schnellen Kurven pas- sieren konnten. Piers Courage war einer davon, dann Clay Regazzoni, John Fenning, Trevor Blok- dyk, Ronnie Peterson und James Hunt. Aber sehr viele waren es nicht.“ Als Privatfahrer beim Formel-3-ADAC-Cup kommt es zu neuen Siegesserien Auf den schweren Unfall in Brands Hatch folgen zwei Jahre als Ford-Werksfahrer, Jochen Neer- pasch persönlich holt Manfred Mohr ins Team. Neerpasch entdeckt später auch ein Talent na- mens Michael Schumacher. Neerpasch enga- giert Manfred Mohr auch, damit er sich um einen besonders talentierten Fahrer kümmert: Jochen Mass. Manfred Mohr führt den späteren Formel- 1-Piloten an den Formel-Rennsport heran. Im Jahr 1969 fährt Manfred Mohr einen Ford Escort beim Deutschen Tourenwagenpokal und 1970 einen Ford Capri bei der Europa-Tourenwa- genmeisterschaft. Aber das ist nur „ein Job“ für ihn, denn beim Deutschen Tourenwagenpokal steigt er zum Dauerzweiten auf: Dieter Glemser kann das erste Rennen der Saison gewinnen – Manfred Mohr hat technische Probleme. Da Glemser einen Sieg vorzuweisen hat, fährt Man- fred Mohr nun für ihn: Die Stallregie greift, das Team muss Deutscher Meister werden. Oft lässt sich Mohr bei den Rennen sogar zurückfallen, damit Glemser ihn wieder überholen und weite- re Punkte für den Titel sammeln kann. Mohr fährt bei Ford nicht nur mit Glemser, sondern auch im Team mit Hannelore Werner, Yvette Formel-3-Rennfahrer Manfred Mohr Mit einem Lancia der Gruppe 5 beim 1000-Kilometer- Rennen auf dem Nürburgring (1975). Fontaine, der schnellsten Frau Europas, und Rallye-Weltmeister Rauno Aaltonen. Mittlerweile hat sich die Funktion seines Fu- ßes so weit verbessert, dass er auf die unter- stützende Feder verzichtet. In den Jahren 1971 und 1972 startet Manfred Mohr als Privatfahrer beim bedeutenden Formel-3-ADAC-Cup. Diesen kann er in beiden Jahren für sich entscheiden, wird zweimal souverän Deutscher Meister. Und er ist auch wieder international in der Formel 3 unterwegs: Novamotor erinnert sich an das erfolgreiche Jahr 1968 und stellt Manfred Mohr kostenlos einen Motor zur Verfügung, Lo- tus macht Sonderkonditionen beim Chassis- Kauf. Auf Anhieb fährt Manfred Mohr wieder Bestzeiten, holt sich in Barcelona die Pole-Posi- tion und dominiert auch das Rennen, das wegen eines Unwetters abgebrochen werden muss. Im Verfolgerfeld befindet sich der spätere Formel- 1-Weltmeiser James Hunt, den er in dieser Sai- son mehrfach besiegt. In Monte Carlo stellt Mohr einen neuen Rundenrekord auf – bei 15 internationalen Rennen ist er stets unter den ersten Fünf zu finden. Mit einem Ford Escort bei Langstreckenrennen um die Europameisterschaft am Start Mittlerweile ist Manfred Mohr der älteste Fahrer in der Formel-3 geworden, an einen Aufstieg in die Formel-2 oder Formel-1 war nicht mehr zu 269

Sport und Sportgeschichte Zurück in der Formel 3 – Manfred Mohr zusammen mit Mechaniker Jens Andres in Barcelona. Rechts: Nach einem Tourenwagen-Sieg 1980 – im letzten Jahr der Rennsportkarriere. denken. Schließlich macht ihm der italienische Industrielle und Millionär Martin Finotto das An- gebot, beim Aufbau eines Privatteams zu helfen. Alle Rennen, meist Langstreckenrennen, werden gemeinsam von Finotto und Mohr bestritten, die abwechselnd am Steuer sitzen. Mit einem Ford Escort bestreitet man die ge- samte Europameisterschaft. Finotto, der Neu- ling, muss von Mohr allerdings erst lernen, Ren- nen zu fahren. Auch an der Markenweltmeister- schaft nimmt das Gespann teil und siegt mit dem BMW-Tourenwagen in Spa. Beim 24-Stun- den-Rennen von Le Mans fällt man in aussichts- reicher Position aus. Der Profi Manfred Mohr hat es dabei mit bekannten Profis zu tun, im Feld sind Fahrer wie Niki Lauda, Jacky Ickx oder Hans- Joachim Stuck unterwegs. 270 Im Jahr 1974 wäre es Manfred Mohr doch noch fast geglückt, in der Formel 1 zu fahren. Finotto erwirbt zwei Brabhams und will einen Rennstall aufbauen. Mohr testet die Fahrzeuge in Monza und kommt mit seinem Brabham von Anfang an gut zurecht. Finotto meldet Mohr für das Rennen am Nürburgring. In der Bildzeitung steht zu lesen, dass Manfred Mohr beim Großen Preis von Deutschland am Nürburgring neben Jochen Mass und Hans Stuck als dritter deut- scher Fahrer starten werde. Vielerlei Hindernis- se, vor allem technischer Art, machen den Start in letzter Minute unmöglich. In den Jahren 1975 bis 1977 fährt Manfred Mohr für Finotto, AMS, Zackspeed oder das Ko- blenzer Team KWS. Mohr siegt auf dem Nürburg- ring beim 24-Stunden-Rennen, ebenso 1978 in Spa. Er startet mit einem 600 PS starken Por- sche Turbo beim Giro d‘Italia und erhält 1978 einen Vertrag von Alfa Romeo. Drei Jahre lang fährt er für Alfa um den ONS-Pokal, siegt in seiner Klasse fast in jedem Rennen und kann so hinter seine Karriere einen erfolgreichen Schluss- punkt setzen. Der Tausch seines Lebens Eine für sein Leben entscheidende Begegnung hat er im Jahr 1978 am Rande eines Rennens in Brünn. Damals ist es üblich, dass die Bevölke- Drei Jahre lang fährt Manfred Mohr für Alfa Romeo erfolgreich Rennen um den ONS-Pokal.

rung versucht, bei den Rennfahrern ihre Wäh- rung „Kronen“ in Devisen wie DM oder US-Dol- lar zu tauschen. Der offizielle Kurs war 4:1. Im Landesinnern konnte das Geld dann zu einem Kurs von 15:1 an den Mann gebracht werden. So will auch seine spätere Frau Olina Geld tauschen und spricht ihn an. Er antwortet, dass er nur Geld tausche, wenn Sie mit ihm zum Es- sen gehe… „Es war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt seine Frau. Im Jahr 1987 heiraten die bei- den in zweiter Ehe, aus der Sohn Matthias ent- stammt. Die perfekte Ausrüstung für Rennfahrer Ab 1981 baut Manfred Mohr seine Vertriebs- firma „Mohr Racing Parts“ für Rennbekleidung, Helme und jegliche Art an Zubehör auf. Bis heu- te berät Manfred Mohr Rennfahrer in Sachen Ausrüstung und liefert sie ihnen. Neben seiner Familie widmet sich Manfred Mohr hauptsächlich seinen Hobbys: Schach- spielen und Pilze sammeln. Bei beiden Hobbys spielt seine Frau Olina eine große Rolle. Dass Manfred Mohr auch Schach spielt, macht ihn „zum perfekten Mann“, betont sie. Beide sind Gründungsmitglieder des Schachclubs Vöhren- bach. Manfred Mohr spielt noch heute beim Schachclub Vöhrenbach und bei den Schach- freunden Furtwangen-Vöhrenbach. Mit Manfred Mohr wohnt eine in der Renn- sportszene europaweit bekannte Größe in Vöh- renbach. Noch immer erreichen ihn zahlreiche Formel-3-Rennfahrer Manfred Mohr Manfred Mohr mit Frau Olina und Sohn Matthias. Autogrammwünsche, die er gerne beantwortet. Selbstverständlich verpasst der ehemalige For- mel-3-Fahrer kein Formel-1-Rennen und keine Qualifikation. Zu Rennen allerdings fährt er nicht. An der Strecke stehen und nur zuschauen dürfen wie andere fahren, das ist nicht sein Fall. Die Leidenschaft für den Rennsport brennt in ihm halt noch immer – mit 75 Jahren. Wie schreibt doch Jürg Dubler über Manfred Mohr: „Er war ein echter Profi ohne Glamour, und er würde heute nicht in die Formel 1, wohl aber in die NASCAR Serie auf den Südstaaten-Ovals passen. One hell of a guy.“ Ein Teufelskerl halt. Wilfried Dold/Markus Hummel Manfred Mohr und Sohn Matthias mit einem Teil seiner Pokale. Während der 20-jährigen Rennfahrer- karriere sind über 100 Pokale zusammengekommen. 271

Sport und Sportgeschichte „Go for gold“: Das Skiinternat Furtwangen (SKIF) gilt als Eliteschule des Sports Georg Hettich, Martin Schmitt oder Simone Hauswald: viele Olympiasieger und Medaillengewinner haben „Furtwanger Wurzeln“ „Wenn einer von unseren jungen Sportlern eine Medaille holt, ist das schön, langfris- tig genau so wichtig ist aber eine gute Ausbildung“, so lautet das Credo von Niclas Kullmann. Er ist seit 2010 Cheftrainer am Skiinternat Furtwangen, kurz SKIF, der wichtigsten Kaderschmiede des nordischen Skisports in Baden-Württemberg. Denn es wäre fatal, wenn sich die jungen Sportler(innen) einzig auf ihre sportliche Karriere konzentrieren und ihre Ausbildung vernachlässigen würden. Geboten wird am SKIF auch ein professionelles, auf die individuellen Mög- lichkeiten abgestimmtes Training in den jeweiligen nordischen Disziplinen. Zahlrei- che Stars des nordischen Skisports wie Georg Hettich (Nordische Kombination), Simone Hauswald (Biathlon), Sven Hannawald (Skispringen) oder Martin Schmitt (Skispringen) haben am Skiinternat die Grundlagen für ihren Erfolg gelegt. Eröffnet wurde das Sportinternat 1984, ent- sprechende Pläne gab es aber schon in den 1970er-Jahren. Motor war der im Jahr 2010 ver- storbene Freiburger Fre- dy Stober, eine Sportle- gende. 1998 erhielt das bereits sehr erfolgreiche Internat vom Deutschen Sportbund das Prädikat „Eliteschule des Sports“ zuerkannt. Niclas Kullmann Die pädagogisch anspruchsvolle Aufgaben- stellung des Internates lautet also: Gezieltes Training für die Spitzensportler mit einer soli- den schulischen Ausbildung zu kombinieren. Denn diese ist für die langfristige Zukunft der jungen Sportler sehr wichtig. 272 Möglich ist das nur durch ein eingespiel- tes Team von Betreuern. Auch die betroffenen Schulen müssen mitspielen, denn die SKIF- Sportler fehlen oft längere Zeit im Unterricht. „Im Sommer sind sie auf Lehrgängen, im Winter auf Wettkämpfen“, erläutert Niclas Kullmann. Die Fehlzeiten betragen oft viele Tage, daher Sie sind Lichtgestalten des Wintersports und haben als SKIF-Schüler und als tatsächliche Furtwanger wie Martin Schmitt „Furtwanger Wurzeln“: Der Schonacher Olympiasieger in der Nordischen Kombination Georg Hettich (oben). Mitte: Skispringer Martin Schmitt (rechts), Olympiasieger in der Mannschaft und Welt- meister, hier im Gespräch mit OHG-Lehrer und SKIF- Koordinationslehrer Martin Schartel. Unten: Simone Hauswald, Bronzemedaillengewinnerin bei Olympia im Biathlon bei einem Besuch im Furtwanger Otto-Hahn- Gymnasium, ihrer Schule zu SKIF-Zeiten.

Skiinternat Furtwangen 273

Koordinationslehrer Martin Schartel nimmt die Unterrichts- mitschriebe der Tutorinnen für die Leistungssportler am SKIF entgegen. Sie werden an die Sportler gefaxt oder gemailt. So erfahren sie während der Wettkampfsaison, was an der heimischen Schule – hier das Otto-Hahn-Gymnasium – an Stoff durchgenommen wurde. müssen die Sportler stets auf dem Laufenden gehalten werden, um den Anschluss nicht zu verlieren. Voraussetzung dafür ist ein ausgeklügeltes System von Hilfestellungen. Das beginnt bei den Betreuungslehrern an den beiden betroffe- nen Schulen, das ist am Furtwanger Otto-Hahn- Gymnasium mit Realschule Martin Schartel und an der Robert-Gerwig-Schule Wolfgang Höre. Und das endet bei den Schülertutoren, das sind Mitschüler, die den Unterricht protokollieren und samt entsprechender Materialien über die genannten Koordinationslehrer an die Lehr- gangs- oder Wettkampfsorte schicken. Damit ist sichergestellt, dass die Sportler schulisch angebunden bleiben, auch wenn sie den Unter- richt nicht besuchen können. Viel Arbeit für die genannten Lehrer und Betreuer, es müssen Wochen-, Monats- und Jah respläne aufgestellt werden, die individuell auf den einzelnen Schüler oder die Schülerin zugeschnitten sind. „Wir müssen schauen, wo die Schüler schulisch und sportlich stehen und dass sie alle ihre Möglichkeiten verwirklichen können“, meint Niclas Kullmann nachdenklich. Schule und Sport sollen die Alltagsaktivitäten etwa je zur Hälfte bestimmen. Intensives Betreuungsverhältnis 30 Schülerinnen und Schüler besuchen zur Zeit das Skiinternat, in den vergangenen Jahren wurde ihre Zahl um rund ein Drittel gesteigert. Eingang zum Skiinternat Furt- wangen, dem früheren Don- Bosco-Heim, das heute der Internationale Bund betreibt. Rechts die 30 Schülerinnen und Schüler samt Betreuer. Einige von ihnen dürfen darauf hoffen, Olympiasieger oder Weltmeister von Morgen zu sein. 274

„Wir sind aber immer noch ein kleiner Betrieb“, betont Kullmann. Um die sportliche Leistung kümmern sich zehn Trainer, was ein intensives Betreuungsver- hältnis von eins zu zehn ausmacht. „Das ist der Schlüssel für unseren sportlichen Erfolg.“ Etwa die Hälfte der SKIFler besucht das Otto-Hahn- Gymnasium, die andere Hälfte die von Land und Kreis getragene berufliche Robert-Gerwig-Schu- le, die mit ihrem Technischen und Wirtschafts- gymnasium ebenfalls das Abitur als Abschluss anbieten kann. Bei schulischen Fragen haben natürlich auch die Eltern ein wichtiges Wört- chen mitzureden. Das Internat ist Im IB-Haus, dem früheren Don-Bosco-Heim untergebracht Untergebracht ist das Internat im IB-Haus (Internationaler Bund, früher Don Bosco Heim) am Großhausberg, direkt unterhalb der Robert- Gerwig-Schule. Das Haus verfügt über eine eigene Küche, auch sie ist auf die jungen Leis- tungssportler ausgerichtet. Die Schüler wohnen in Doppel- und Einzelzimmern, die Jungs haben ein Waschbecken im Zimmer und nutzen eine Gemeinschaftsdusche, die Mädchen haben das Bad im Zimmer, ihr Trakt wurde im Sommer und Herbst 2012 gerade umgebaut. Gewöhnlich kommen die Schüler mit 15, 16 Jahren an das Skiinternat. Allerdings macht Skiinternat Furtwangen sich auch hier das achtjährige Gymnasium be- merkbar, nun kommen die Sportler oft ein Jahr früher, aber sie gehen auch ein Jahr eher, wenn sie ihren Schulabschluss in der Tasche haben. „Es ist gut, wenn sie drei Jahre hier sind, zwei Jahre sind fast zu kurz, um eine solide sport- liche Basis zu legen für spätere Spitzenerfol- ge“, weiß der Cheftrainer. Allerdings: Zu jung sollten die Sportler auch nicht sein, wenn sie in das Internat einrücken. Denn schon der Ta- gesablauf verlangt viel Disziplin von ihnen: Um 6.45 Uhr wird gefrühstückt, gegen 7.30 Uhr geht es dann Richtung Schule, der Vormittag ist durch den Unterricht bestimmt. Um 13 Uhr gibt es Mittagessen, dann ist eine Stunde Ruhe- zeit angesagt. Am Nachmittag steht zweimal in der Woche ebenfalls Schule bis 15 Uhr auf dem Stundenplan, wenn nicht, gibt es eine Lernzeit im Internat. Hier sind immer ein bis zwei Lehrer anwesend und übernehmen die Hausaufgaben- betreuung. Nun beginnt die Trainingsphase, sie dauert rund zwei bis drei Stunden. Loipe auf der Martinskapelle und Biathlonan- lage in Schönwald liegen vor der Haustüre Ein großer Vorteil ist die Lage des IB-Hauses in Furtwangen: Die Sportstätten befinden sich im näheren Umkreis und sind in etwa 20 Minuten erreichbar. Am weitesten entfernt ist noch die Adlerschanze in Hinterzarten, auf der die Sprin- 275

Skiinternat Furtwangen ger und Kombinierer trainieren. Ansonsten ist die Loipe und Biathlonanlage im Schönwälder Weißenbachtal eine der wichtigsten Trainings- stätten für Biathleten, im Winter gehört für sie sowie die Kombinierer natürlich das Loipen- system auf der Furtwanger Martinskapelle da- zu, die ja auch über eine beleuchtete Rundloipe verfügt. Für ein Grundtraining gibt es im IB- Haus selbst entsprechende Möglichkeiten, et- wa einen Kraftraum. Außerdem steht dem Skiin- ternat die große Sporthalle der Robert-Gerwig- Schule zu bestimmten Zeiten zur Verfügung. Nach dem Training gibt es das Abendessen und daran schließt sich eine weitere Lernphase an. „Um 22 Uhr heißt es, Licht aus auf den Zim- mern“, so Cheftrainer Kullmann. Remmidemmi gebe es auch mal, aber es halte sich in Gren- zen. Seit 2006 – so lange kennt Kullmann das SKIF – sind disziplinarische Maßnahmen eher rückläufig. Was nicht verwunderlich ist, denn die jungen Sportler sind hoch motiviert und wissen, dass am nächsten Tag wieder voller Einsatz gefragt ist. „Der Druck ist immens“ Auf pädagogischer Seite bestehe eine wichtige Aufgabe darin, darauf zu achten, wem es zu viel werde, meint Kullmann. Dafür gibt es seit 2011 auch ein psychologisches Projekt, das Stress- management und Persönlichkeitsentwicklung beinhaltet und vom Olympiastützpunkt Freiburg aus betreut wird. Auch extern sind ein bis zwei Fachkräfte engagiert, so wird beispielsweise ein Entspannungstraining geboten. Ein Fragebogen soll über die individuelle Persönlichkeitsstruktur der Sportler Auskunft geben, um entsprechende Hilfestellungen ge- ben zu können. „Der Druck ist immens, vor al- lem mit dem achtjährigen Gymnasium“, weiß Kullmann. Die Stundentafel muss ständig an- gepasst, die beiden Nachmittage an der Schule müssen integriert werden. 32 bis 35 Wochenstunden Unterricht an der Schule sind zu verkraften, dazu kommen rund 20 Stunden Training. Die Zeit für Hausaufga- ben ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. „Außerdem hatten die Sportler noch keine Zeit, 276 einfach mal nur Jugendliche zu sein“, so Kull- mann. Schließlich falle der Aufenthalt im SKIF in eine Phase, wo Kinder zu jungen Erwachse- nen würden. Zudem sei sportlich eine Strecke zu bewältigen, auf der Talent alleine nicht mehr ausreiche, um ganz nach vorne zu kommen. Skiinternat Furtwangen GmbH Verantwortlich für das SKIF ist die Skiinternat Furtwangen GmbH, die das Haus am Großhaus- berg gekauft hat, und deren Gesellschafter, das ist der IB, die Stadt Furtwangen sowie die Stiftung Olympianachwuchs in Baden-Württemberg. Für das Haus ist der IB zuständig, er stellt das Per- sonal von den Reinigungs- bis zu den Küchen- kräften, ebenso die pädagogischen Kräfte, die beispielsweise am Abend als Ansprechpartner für die Schüler zur Verfügung stehen. Viele Jah- re hatte diese Aufgabe Pater Hans Siegmann inne, bevor der Salesianerorden im Jahr 2010 das Don Bosco Heim aufgab und sich aus Furt- wangen zurückzog. Es folgte ein Neustart und die Gründung der erwähnten GmbH als Trägerin des Skiinternates. Trainer und Lehrer werden vom DSV (Deut- scher Skiverband), der Leistungssport GmbH der Skiverbände Baden-Württembergs (Skiver- band Schwarzwald, Schwäbischer Skiverband und Skiverband Schwarzwald Nord) sowie von Land und Bund finanziert, und zwar in Zusam- menarbeit mit dem Olympiastützpunkt Frei- burg. Von hier kommen auch die professionel- len Trainer (Bundeskader C aufwärts). Ohne Zuschüsse könnte sich kaum ein Sportler seinen Platz im SKIF leisten Wie wichtig die Finanzierung der Einrichtung ist, lässt sich daran ablesen, dass ein Platz im SKIF rund 2.200 Euro monatlich kosten würde, wenn sämtliche Unkosten umgelegt würden. So sind es noch 620 Euro monatlich für ein Einzel- zimmer. Doch auch dafür gibt es noch einen Zu- schuss von der Deutschen Sporthilfe, und zwar abhängig vom Einkommen der Eltern sowie dem Kaderstatus der Sportler. Reicht das nicht

Mit dem Loipenzentrum auf der Martinskapelle und der modernen Biathlonanlage im Weißenbachtal in Schönwald finden die SKIF-Schü- ler unmittelbar vor der Haustüre optimale Trainingsbedingungen vor. Einer der erfolgreichen Skif-Absolventen ist auch Skiflugweltmeister und Olympiasieger Sven Hannawald (unten). Skiinternat Furtwangen 277

Sport Sport und Sportgeschichte Mit modulierter Musik zur Meisterschaft: AVWF-Erfin- der Ulrich Conrady, Simone Hauswald und das Ministe- rium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württem- berg unterstützten das Skiinternat Furtwangen mit der innovativen Methode Audiovisuelle Wahrnehmungsför- derung (AVWF). Sie wird schon seit mehreren Jahren im Spitzensport praktiziert. Erfolgreiche Beispiele sind die österreichischen Skispringer oder die deutschen Biath- letinnen. Jetzt ist AVWF auch im Nachwuchs angekom- men. Die Methode soll die Basiskompetenzen der jun- gen Sportlerinnen und Sportler verbessern. Ziele sind vor allem Stressreduktion, Arbeitsorganisation und der Umgang mit neuen Medien in einem von Eile und Leis- tungserwartungen geprägten Umfeld. Bei bis zu 60 Stunden pro Woche Training, Schule und Hausaufga- ben hilft AVWF mittels schallmodulierter Musik das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung wiederherzustellen. aus, so kann die Stiftung Soziale Hilfe für Spit- zensportler noch etwas drauflegen. Und dann gibt es noch die individuellen Sponsoren des Skiinternates, etwa die Sparkasse, aber auch den Förderverein SKIF. „Durch all diese Mög- lichkeiten kann der Unkostenbeitrag bei Bedarf auf bis zu 150 Euro gesenkt werden“, erläutert Kullmann. Und das heißt: Niemand muss aus fi- nanziellen Gründen darauf verzichten, auf eine Skisportkarriere professionell vorbereitet zu werden. Hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten dank vieler Kooperationen Das SKIF bietet somit hervorragende Möglich- keiten, die Basis für ein erfolgreiches Berufsle- ben zu schaffen. Dazu zählt nicht nur die gute Schulausbildung, sondern auch eine Koopera- tion mit Hochschulen, etwa mit der Hochschule Furtwangen University (HFU, früher Fachhoch- schule) oder der Universität Freiburg. Diese Ein- richtungen halten Kontingente für studienwillige Spitzensportler vor, wodurch diese den Numerus Clausus in besonders beliebten Fächern umge- hen können. Wer von den Sportlern nach seinem Schul- abschluss an der HFU studiert, hat es beson- ders einfach: Er kann ohne Probleme weiter im SKIF mittrainieren, auch wenn er oder sie nicht mehr im IB-Haus wohnt. Ein gutes Beispiel ist der für die Skizunft Breitnau startende Biathlet Benedikt Doll, der an der Hochschule Furtwan- gen ein Studium aufgenommen hat. In der Saison 2011/12 gewann er die Ge- samtwertung beim IBU-Cup, der zweiten Liga der besten Biathleten und mischt nun im Welt- cup mit. Auch der Schonacher Georg Hettich (Nordische Kombination), Olympiasieger 2006 (Gold, Silber und Bronze) hatte nach dem Be- such des Skiinternates und seinem Abitur an der HFU, Außenstelle Villingen-Schwenningen, Medical Engineering studiert. „Wir haben etwa 18 bis 20 Externe am Skiinternat im Alter von 19 bis 27 Jahren, meistens haben sie selbst das SKIF besucht und trainieren hier nach wie vor noch mit“, so Kullmann. Olympiasieger und Weltmeister Einige Jahre nach Gründung des SKIF forderte Fredy Stober bei einer Sitzung der Verantwortli- 278

Skiinternat Furtwangen lengewinnerin bei Olympia, Juniorenweltmeis- terin und Europameisterin in der Staffel. Dann der Nordische Kombinierer Georg Hettich aus Schonach, der bei Olympia gleich drei Medail- len, Gold, Silber und Bronze, gewinnen konnte sowie der Skispringer Martin Schmitt. Letzterer ist Olympiasieger, zweimal Sieger im Gesamt- weltcup, zweimal Sieger im Skiflugweltcup und viermal Weltmeister. Auch in der Saison 2011/12 waren SKIF- Sportler sehr erfolgreich. So gewann Annika Knoll bei der Biathlon-Jungendweltmeister- schaft Bronze, Tobias Simon holte bei der Junioren-WM Nordisch Silber mit dem Team, Tobias Löffler holte Gold bei der Deutschen Ju- nioren-Meisterschaft im Skisprung und Simon Klein gewann Gold bei der Deutschen Jugend- Meisterschaft Biathlon. Zukunft des Skiinternates scheint auch über das 30-jährige Bestehen hinaus gesichert Junge Sportler, die sich für eine Aufnahme in das SKIF interessieren, müssen folgende Vor- aussetzungen erfüllen: Mitglied des D- bezie- hungsweise C-Kaders sowie gute schulische Leistungen. Die Messlatte ist hoch, doch wer sie erfüllt, hat gute Chancen auf einen Inter- natsplatz. Der Ansturm der Talente im nordi- schen Skisport sei nicht so riesig, meint Trai- ner Kullmann. Deshalb müsse auch niemand abgelehnt werden, der die genannte Messlatte schafft. Zahlreiche Absolventen des SKIF standen irgendwann einmal ganz oben auf dem Trepp- chen. Viel größer ist jedoch die Anzahl derer, die ebenfalls ihr Bestes gaben, den Sprung nach ganz vorne jedoch nicht schafften. Sie konnten jedoch neben aufregenden Jahren auch eine abgeschlossene schulische Ausbil- dung in ihr weiteres Leben mitnehmen. Daher dürfte die Zukunft des Skiinternates auch über das Jahr 2014 hinaus gesichert sein, wenn es sein 30-jähriges Bestehen feiert. Das SKIF ist ein Vorteil für die gesamte Region, die sich über dieses Aushängeschild des nordi- schen Skisports freuen darf. Matthias Winter 279 Zu den erfolgreichen Absolventen des Skiinternates gehört auch Aledxander Herr. 2001 wurde er u.a. bei der Nordischen Skiweltmeisterschaft in Lahti Mann- schafts-Weltmeister im Springen von der Großschanze zusammen mit Sven Hannawald, Martin Schmitt und Michael Uhrmann. chen: „Es muss auch einmal einen Olympiasieger vom SKIF geben“. Sein Wunsch ist mittlerweile mehrfach in Erfüllung gegangen. Hier nur ei- nige der erfolgreichen Sportler, die SKIF-Ab- solventen sind: Stefanie Böhler (Skilanglauf), Silber bei Olympia 2006, zweimal Vizewelt- meisterin der Juni0ren, Sven Hannawald (Ski- springen) Skiflugweltmeister, Olympiasieger, Alexander Herr (Skispringen) Bronze im Team bei der Skiflug-WM 2006, Hansjörg Jäkle (Ski- springen) 1994 Olympiasieger im Team, Frank Höfle (nordischer Sport der Behinderten), vier- zehnmal Olympiasieger bei den Paralympics, Kathrin Lang (Biathlon), zweimal Europameiste- rin, mehrfache Deutsche Meisterin und Thors- ten Schmitt (Nordische Kombination), Silber in der Staffel bei der WM 2003. Bereits erwähnt wurde die Biathletin Simo- ne Hauswald, sie ist zweifache Bronze-Medail-

Sport Punktgenau im Zielkreis: Das Fürstenberg-Fallschirm-Team Seit mehr als 30 Jahren ist das Fürstenberg-Fallschirm-Team mit seinen Formationssprüngen bei Wettbewerben erfolgreich und die Attraktion bei zahlreichen Veranstaltungen 280 Eine perfekte Formation ist geglückt – das Fürstenberg-Fallschirm-Team am Himmel.

Sport und Sportgeschichte Das Flugzeug in 2.500 Meter Höhe ist nur noch als kleiner, kaum wahrnehmbar brummender Punkt zu erkennen. Gebannt schauen Hunderte Augenpaare in den Himmel und suchen die stahlblaue, wolkenlose Fläche ab. Da! Wie aus dem Nichts entfalten sich plötzlich nacheinander zehn rechteckige Fallschirme mit den blauen und roten Enden und dem großen Fürstenberg-Logo. Während die Fallschirme lang- sam zur Erde schweben, führen die Springer ihre Kunststücke vor und landen nach wenigen Minuten sanft und sicher punktgenau im Zielkreis. Der Applaus des begeis- terten Publikums ist die schönste Belohnung für das Fürstenberg-Fallschirm-Team, das seit mehr als 30 Jahren mit ihren Formationen am Himmel die Zuschauer am Boden begeistert. Und das praktisch rund um den Globus. Wie kommt eine Bierbrauerei zu einem eigenen Fallschirmsprin- ger-Team? Die Frage müsste umgekehrt lauten: Wie kommt eine Fallschirm- springertruppe dazu, den fürstlichen Namen auf ihre Fallschirme zu schreiben? Begonnen hat alles 1975. Ein junger Mann namens Peter Lendle wurde vom Virus des Fallschirmsprin- gens infiziert. Wenige Jahre später schwappten aus Amerika die ersten Bilder vom Fallschirm- Formationsfliegen nach Deutschland herüber. Und für Lendle und seine Springerfreunde war klar: „Das wollen wir auch machen.“ Doch die Ernüchterung kam schnell. „Um diese Art des Fallschirmfliegens sicher zu be- herrschen und um bei jeglicher Art von Veran- staltungen wie Flugtage, Reitturniere, Stadtfes- te, Eröffungen und vieles mehr den Fallschirm- sport als Faszination und sichere Sportart dem Publikum zu präsentieren, müssen viele Übungssprünge absolviert werden.“ Das be- deutete jede Menge Kosten für die Springer. Und es wurde außerdem eben- so schnell klar, dass eine effek- tive und gute Darstellung nur mit einem Team mit gleichen Fallschirmen und gutem Namen möglich sein kann. Das konnte keiner der jungen Springer aus eigener Tasche finanzieren. Die ersten Formationsspringer in Europa „Um es richtig zu machen, mussten wir al- so Unterstützung finden“, erinnert sich Peter Lendle. Dabei half ihm der Umstand, dass zum Freundeskreis um den Donaueschinger „Schüt- zen“ Andreas Stephani und der damalige Erb- prinz Heinrich sowie Fürst Joachim zu Fürsten- berg gehörten, die sich von dem Vorhaben sehr angetan zeigten und ihre Unterstützung zusi- cherten. Und so kam es, dass 1980 vier junge Män- ner aus Villingen-Schwenningen als erste Fall- 281 281

Fürstenberg-Fallschirm-Team schirm-Formationsspringer in Europa an Fall- schirmen mit dem Fürstenberg-Aufdruck im Schlosshof zu Donaueschingen vom Himmel schwebten. Das Fürstenberg-Fallschirm-Team war geboren. Und seither tragen die Fallschirm- springer den Namen des bekannten Bieres weit und vor allem hoch hinaus, sind bei unzähligen Events und Wettbewerben präsent. Innerhalb nur weniger Jahre etablierte sich das Team in Springerkreisen. „In den 1980er- Jahren waren wir in ganz Deutschland, in der Schweiz, in Frankreich, den Benelux-Ländern, der USA und sogar in Thailand unterwegs“, zählt Peter Lendle auf. Überall feiern die Sprin- ger mit ihren Formationen große Erfolge. Erst im Sommer 2012 war das Team zum wiederholten Mal bei den „BaWü Airgames“ in Oppenau im Schwarzwald. Und im September bereicherten die Fallschirmspringer das Ballon- festival in Bad Dürrheim. Aber auch für spekta- kuläre Aktionen wie beispielsweise die Schlüs- selübergabe für ein neues Hotel im Europapark in luftiger Höhe wurden die Springer schon en- gagiert. Daneben ist das Fürstenberg-Fallschirm-Team, von Anfang an übrigens Mitglied der Sportflieger- gruppe Schwenningen, Abteilung Fallschirm- sport, gern gesehener Gast bei Veranstaltun- gen verschiedenster Art. Fünf, manchmal bis zu zehn Springer, zeigen hoch über Stadtfesten oder bei Flugtagen verschiedene Formationen. Das ist besonders spannend zum Zuschauen. In Höhen von 1.500 bis 2.300 Metern kann man die Arbeit der Springer vom Absprung bis zur Landung vom Boden aus sehr gut beobachten. „Bei uns muss sich jeder hundertprozentig auf den anderen verlassen können“ Das Fallschirmspringen in Formationen erfor- dert neben dem Können vor allem eines: Ein Höchstmaß an Disziplin. „Bei uns muss sich je der hundertprozentig auf den anderen ver- lassen können“, bekräftigt Peter Lendle. Das Absprung hoch über Villingen-Schwenningen aus der Do 27 des Fürstenberg-Fallschirm-Teams. 282

Die Do 27 des Fürstenberg-Fallschirm-Teams kann bis zu fünf Springer in die Luft bringen. Überlebenswichtig ist das richtige Packen der Fallschirme. Unten: Beim Fürstenberg-Reitturnier 2012 – die Springer sind eben ausgestiegen. ist wichtig, immerhin hängt das Leben der Fall- schirmspringer in der Luft an gerade mal etwa 24 Quadratmetern Kunstseide, die mit etwa 20 Leinen mit dem Springer verbunden sind. Da erfordert es einen kühlen Kopf, wenn sich die Springer bei einem „Stapel“, bei dem mehrere Springer übereinanderstehen, mit den Beinen in den Gurten des darunterliegenden Springers festhalten. „Wichtig ist, dass keiner eine Ent- scheidung alleine trifft, sondern, dass Entschei- dungen immer in Absprache getroffen werden“, so Pe ter Lendle, der inzwischen auf mehr als 5.300 Fallschirmsprünge zurückblickt und so- mit überaus erfahren ist. Die Disziplin und höchste Konzentration zahlt sich aus. Seit Bestehen des Fürstenberg- Fallschirm-Teams hat es noch keinen Unfall ge- geben. Was nicht heißt, dass es, besonders in der Landephase, nicht schon mal zu Verletzun- gen eines einzelnen Springers kommen kann. Aber auch der beste Fallschirmspringer wür- de am Boden bleiben, hätte er kein Absetzflug- zeug, das ihn auf die erforderliche Höhe trans- portiert. Die Fürstenberg-Fallschirmspringer werden von einer Dornier Do 27, Baujahr 1958 in die Luft gebracht. Mit ihren 270 PS und ihrer hohen Zuladung kann sie bis zu fünf Springer gleichzeitig in den Himmel befördern. Die DO 27 befindet sich im Besitz einer Hal- tergemeinschaft aus Piloten und Springern. Und selbstverständlich glänzt die Maschine, nach einer aufwändigen Restaurierung in den 1990er-Jahren, auch in den Farben des Spon- sors, der Brauerei Fürstenberg. In einer Woche bis zu 50 Sprünge aus 4.000 Metern Höhe Um sich nach einer mehr oder weniger kurzen Winterpause optimal auf die neue Saison vorzu- bereiten, unternehmen die Fürstenberg-Sprin- 283

Fürstenberg-Fallschirm-Team ger jeweils im Frühjahr Reisen dorthin, wo das Wetter um diese Jahreszeit schon beständig ist. „Wir waren schon in Arizona, Sevilla und Ma- rokko“, zählt Lendle auf. Dort sind die Springer dann mehr in der Luft als auf dem Boden. „Wir machen dort in einer Woche 50 Sprünge aus 4.000 Metern und sind damit gerüstet für das ganze Jahr.“ Trotz seiner inzwischen mehr als 5.300 Sprünge hat das Fallschirmspringen für Peter Lendle nichts von seiner Faszination verloren. „Der freie Fall ist der absolute Kick. Nach dem ‚Exit’, also dem Ausstieg aus dem Flugzeug, beschleunigt man etwa zehn Sekunden lang. Dann fällt man 70 Sekunden lang mit einer Ge- schwindigkeit von 180 bis 200 Stundenkilo- metern in Bauchlage in die Tiefe. Anschließend zieht man die Reißleine und schwebt langsam auf die Erde zu“, beschreibt er, wie ein Fall- schirmsprung ungefähr abläuft. Wer es genauer wissen will, kann das Ge fühl am eigenen Leib in Form eines Tandemsprungs erfahren. Auf dem Flugplatz in Schwenningen können Tandemsprünge aus 3.000 Metern Hö- he mit einem speziell ausgebildeten Tandem- master gebucht werden. Für diejenigen, die sich das nicht trauen, bleibt eines: Den Fallschirmspringern des Fürs- tenberg-Fallschirm-Teams vom Boden aus zuzu- schauen, wenn sie bei einer Veranstaltung vom Himmel fallen. Roland Sprich Weitere Informationen finden Sie unter: www.ff-team.de Ein ganz besonderes Erlebnis sind Tandemsprünge, die das Fürstenberg-Fallschirm-Team ebenfalls anbie- tet (unten). Rechte Seite: Figuren aus dem Formations- programm. Damit derart schwierige Kunststücke gelin- gen, ist eine große Zahl an Trainingssprüngen erfor- derlich – die teils sogar über Arizona oder Marokko absolviert werden. Die Figur oben ist ein sogenanntes „Upside-Down“, dabei fliegt der unterste Springer im Stapel quasi auf dem Kopf. Das ist auch die kompli- zierteste und anstrengendste Figur. Unten links ein Dreier-Stapel und ein sogenanntes „Down-Plane“. 284 284

Skiinternat Furtwangen 285

Sport und Sportgeschichte Eiskunstlaufen in Schwenningen wird als Sport immer beliebter Bis in die Meisterklasse: Der SERC hat seit den 1960er-Jahren etliche erfolgreiche Eiskunstläuferinnen hervorgebracht Elegantes Dahingleiten auf schneeweißer Eisfläche, geradezu artistische Drehungen und Sprünge, dazu Musik, die den optischen Genuss um einen akustischen erweitert – das ist Eiskunstlauf, wie er auch beim Schwenninger Eis- und Rollsportclub 04 e.V. (SERC) betrieben wird. Oliver Stenzel leitet die Abteilung seit 2011, Michaela Lenk koordiniert den Trainingsbetrieb für derzeit 63 Läufer im Alter von vier bis 45 Jahren. Die Geschichte des Eiskunstlaufes in Schwen- ningen beginnt mit der Eröffnung der Eisbahn am Bauchenbergstadion 1968. Anfänglich lag der Schwerpunkt noch auf dem Rollkunstlauf, doch bald wurden die Rollen gegen Kufen ge- tauscht und nach und nach bis zu 90 Kinder und Jugendliche trainiert. 1971 fand in Schwenningen die erste Würt- tembergische Meisterschaft statt, und es gab mit Sylvia Hengstler sogar eine Titelgewinnerin aus den eigenen Reihen. Zu Be- g i n n d e r 1990er-Jahre ließ die SERC-Eiskunstlaufabteilung mit wachsenden sportlichen Erfolgen aufhorchen. Das Trainer- gespann Monika Kutinova und ihr Va- ter Miroslav Kutina brachten Carolin Ble- her, Petra Glaser, Mirjam Wielings und Isa- belle Blattmann als Landesmeister und Giu- seppina Arena gar als Deutsche Nachwuchs- meisterin heraus. Der nachfolgende Trainer Bernard Colum- berg führte Giuseppina Arena 1995 bis in die Meisterklasse, wo sie gegen damalige Eislauf- größen wie Tanja Szewczenko antrat. In der Sai- son 1996/97 setzte Tatiana Reznikova mit ei- sernem Training die Erfolgsserie fort. Nadja 286 286 Wiedenmann, Stefanie Rudel und Jasmina Milo- vanovic profitierten am meisten. 1999 erwei- terte Irina Prochorova, die Tochter von Tatiana Reznikova, den Trainerstab, und es ging auf der Erfolgsleiter weiter hinauf. Nadja Wiedenmann erzielte internationale Erfolge. Auch Michaela Cierny, heute heißt sie Lenk und ist aktuell Cheftrainerin der Abtei- lung, Marita Siegel und Sabrina Sieber füllten um die Jahr- tausendwende die Zeitungen. In der Ära von Trainerin Olga Tcherny- cheva ab 2000 liefen Ulrike Wa- cker, Jessica Kosuch, Daniela Bruck und Marco Gardin, heute ebenfalls als Trainer tätig, zur Hoch- form auf. Zuerst das Training – dann die erste Eisshow (Seite rechts, oben): Beim Schwenninger Eis- und Rollsportclub 04 e.V. werden die jungen Eiskunstläuferinnen mit viel Sorgfalt und Freude an diesen Sport herangeführt. Links die siebenjährige Olivia Borzecka.

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Eiskunstlaufen in Schwenningen Der Spaß soll nicht zu kurz kommen Diese Zeiten, als die Schwenninger Eisbahn zudem noch Leistungs- zentrum war und der SERC mehrere Kaderläufer vorwei- sen konnte, scheinen vorerst vorbei. Der seit 2011 neue Abteilungsleiter Eiskunst- lauf, Oliver Stenzel, und Trainerin Michaela Lenk setzen derzeit alles daran, der Abteilung zu al- tem Glanz zu verhelfen. „Dabei darf aber der Spaß nicht zu kurz kommen“, findet Stenzel. Seiner achtjährigen Tochter Julia hat es die Abteilung zu verdanken, dass der tech- nische Betriebswirt eine ehrenamtliche und dazu verantwortliche Aufgabe übernahm. Julia besuchte schon als Vierjährige die Eislaufschule. Durch sie kam der Papa mit Eiskunstlauf in Berührung. Sein En- gagement sei allerdings nur theoretisch und verwaltend, denn „ich selbst kann keinen Kunstlauf“, gibt er lächelnd zu. Annika Hoch und Sophia Pauls sind die vielver- sprechendsten Talente der Schwenninger Die aktuell stärkste Läuferin der Schwenninger ist die 14-jährige Annika Hoch. teilung derzeit, die meisten sind weiblich, jünger als 17 Jahre und werden von Micha ela Lenk, Mar- co Gardin und Linda Young, die zuletzt 2010 baden-württ- embergische Nachwuchsmei- sterin wurde, trainiert. Roland Lenk übernimmt das Erwach- senentraining. Mit der bei den aktiven Jugendläufern stetig wachsenden schu- lischen Belastung sei es nicht immer einfach, sagt Stenzel, passende Trainings- zeiten zu finden. Zudem müsse man sich den Eishockey-Profis zeitlich unterordnen. Auch das ist eine der vielen Aufgaben eines Ab- teilungsleiters: die Koordination des Trainings. Die Grundlagen des Eislaufs In der, während der Eiszeit von Mitte August bis Ostern, stets montags und mittwochs statt- findenden Eislaufschule lernen schon die Vier- jährigen die Grundlagen des Eislaufens: das Die aktuell stärkste Läuferin der Schwenninger Eiskunstlaufabteilung ist die 14-jährige Annika Hoch. Ein vielversprechendes Talent ist auch Sophia Pauls. 63 aktive Läufer zählt die Ab- Im Kostüm auf dem Eis – Schwenninger Eiskunst- läuferinnen nach dem Wettkampf und beim Training (Aufnahmen auf der Seite rechts). Jungs entschließen sich eher selten für den Eiskunstlauf. 288

Eiskunstlauf 289 289

Eiskunstlaufen in Schwenningen sichere Stehen auf Kufen und Eis sowie das richtige Fallen. Das kann man tatsächlich ler- nen: immer auf den Po, nie nach vorne. Aus den ersten Schritten werden Kurven und Schleifen. Danach sei bei den Jungs häufig ein Wechsel in die Eishockeyabteilung angesagt, bedauert Stenzel, kann es aber verstehen. Die Mädchen lernen dagegen nun die ersten Sprünge: Salchow, Rittberger, Flip, Toe-Loop, Lutz und Axel. Annika Hoch springt sie alle doppelt, bis auf den Axel, der als schwierigster Sprung gilt. Dafür trainiert sie mit ihren Vereins- kameradinnen sechsmal pro Woche ins gesamt 16 Stunden lang. Das allerdings nur sieben Monate im Jahr, denn in der restlichen Zeit, den Sommermonaten, gibt es in der Helios-Arena kein Eis. Trockentraining auf dem Plan, denn Kondition und Ausdauer, Sprungkraft und -technik lassen sich auch ohne Eis trainieren. Manchmal nutzen die Schwenninger nach dem Motto „heiß auf Eis“ im Sommer Eisbahnen mit Ganzjahreseis. In der Schweiz gibt es ein paar, die mit der Abwärme ihrer Eiskühlung ein Schwimmbad in direkter Nachbarschaft heizen können. Eine lange eislose Zeit können sich die jungen Ath- leten kaum leisten, denn eine kräftezehrende und hochkonzentrierte Kür dauert immerhin bis zu vier Minuten. Sobald das eigene Eis wieder zur Verfügung steht, hat sich der Sommerwork- shop für die Läufer etabliert: In den letzten drei Sommerferienwochen beginnen bereits die Vor- bereitungen auf die neue Saison. Birgit Heinig Ab Ostern beginnt das Trockentraining Mit Ende der Eishockey-Spielzeit an Ostern und dem SERC-Knabenturnier als Schlusspunkt ist bis Mitte August in Schwenningen kein Kunst- lauf möglich. Dann steht zweimal wöchentlich Beim Training im Oktober 2012. Trainiert werden die Eisprinzessinnen von Morgen von Marco Gardin, Linda Young und Micha ela Lenk (rechts). Rechte Seite: Links oben das Talent Sophie Pauls, rechts oben ist Christina Landeis zu sehen. Unten: Impressionen einer Eisshow. 290

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16. Kapitel Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Das gastliche „Haus am Fluss“ Die „Wirtschaft zum Schlachthof“ in prachtvollem Jugendstilgebäude an der Brigach in Villingen vereint Tradition und Moderne zu stilvollem Ambiente. Das Haus am Fluss – ein charismatischer Name, und Kennern der Kinoszene sicher noch ein Be- griff. Doch mit dem bekannten gleichnamigen US-amerikanisch-kanadischen Psychothriller hat das Villinger „Haus am Fluss“ nun wirk- lich nichts zu tun: Keine Mörder, kein Grausen, kein Horror! Nix mit Krimi-Atmosphäre, ganz im Gegenteil! Das Haus ist ein wahres Juwel für Feinschmecker und Erholungssuchende! Denn das Villinger „Haus am Fluss“ ist die traditionsreiche „Wirtschaft zum Schlachthof“ mit dem ganz besonderen Charme eines Hauses am Wasser, liegt idyllisch und ruhig am Fluss, an der Brigach – und doch mitten in der Stadt. Es beherbergt nur fröhliche, zufriedene Gäste und keine Krimihelden. Wenn doch gelegentlich pri- ckelnde Spannung in der Luft liegt, dann ist es die Spannung auf das lukullische Menü, das in der Küche für die Gäste gezaubert wird. Hier an der Brigach stehen der Genuss und die Entspan- nung im Mittelpunkt, hier wird gefeiert, gelacht und geschlemmt. Und an lauen Sommeraben- den oder auch tagsüber unter dem Sonnense- gel kann man das Entengeschnatter vom „Fluss“ hören, das ruhige Dahinplätschern der Brigach genauso wie den Wind und das Rauschen der Blätter in den alten Bäumen am Ufer. Stilvoll und edel umgebaut Aus dem ehemals urigen, bodenständigen, über hundert Jahre alten Altvillinger Wirtshaus, in dem seit vielen Jahrzehnten neben Genießern einer gutbürgerlichen Küche auch besonders die Villinger Vereine und Verbände für ihre Ta- gungen eine Heimat gefunden hatten und viele Familienfeste gefeiert wurden, ist eine moder- 292 292

ne Gaststätte geworden. Stilvoll und edel, mit viel Geschmack umgebaut und eingerichtet, blieb dem Haus jedoch der alte Charme erhalten. Den neu- en Besitzern Klaus Käfer und Gabriele Karcher ist es gelungen, Alt und Neu, Tradition und Moderne, reizvoll zusammenzu- bringen. Auch heute ist „der Schlachthof“ wie- der beliebter Treffpunkt für Vereine, genauso wie stilvolles Ambiente für Familienfeste, für Genie- ßer lukullischer Köstlichkeiten und Oase für Entspannungssuchende. Gerne wird hier bei der Veranstaltungsplanung geholfen, Gruppen zwischen 20 und 100 Personen können hier in- mitten zahlreicher Kunstwerke feiern. Die Gasträume sind mit viel Liebe zum Detail passend zu den Jahreszeiten ausgeschmückt. Und weiter mit Kunstwerken und anderen Un- tensilien ausgestaltet, so mit farben frohen Wer- ken des Villinger Kunstmalers Revel lio, einem Wirtschaft zum Schlachthof Kunst schmückt den „Schlachthof“ an vielen Stellen, darunter eine Strumbel-Schwarzwalduhr. Piano, einer historischen Registrierkasse und vie- len anderen Antiquitäten mehr. Die Liebe zur Kunst hat hier der Vater von Ga- briele Karcher, Apotheker Rudolf Karcher, mit einge- bracht. Ein Kunstliebhaber und Sammler, der hier für seine Kostbarkeiten den passenden Raum fand. Nicht zuletzt schenkte er seiner Tochter und Klaus Käfer zur Hochzeit eine Strumbel-Schwarz- walduhr. Sie ist vom Offenburger Künstler Stefan Strumbel kreiert und wurde in der Kuckucksuh- renfabrik Schneider in Schonach gefertigt. Sie Die „Wirtschaft zum Schlachthof“ im Bilderbogen: gemütlich, stilvoll, mit viel Liebe zum Detail eingerich- tet und ein Haus mit hervorragender Küche. 293 293

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis hängt heute ebenfalls im Gastraum und zieht viele Blicke auf sich. Dieser grellbunte Star der Kunstszene, ein Pop-Art-Kunstobjekt mit him- melblauem Korpus, pinkfarbenen Schnitzereien und obendrauf ei nem quietschegelben Hirsch- geweih, ist zwischenzeitlich auch bei promi- nenten Zeitgenossen begehrt. Zum Beispiel le- sen unter anderem Modezar Karl Lagerfeld, der ehemalige Tennisstar John McEnroe oder Arnold Schwarzenegger die Zeit an einer Strumbel-Uhr ab. Regionale Küche mit mediterranem Einschlag Doch nicht nur „das Äußere“, die Räume und die kultivierte Einrichtung bezaubern die Gäste, natürlich steht der Genuss aus einer regionalen Küche mit mediterranem Einschlag im Mittel- punkt. Frische ist das Zauberwort in der Küche. Mit frischen Zutaten werden regionale Spezia- litäten wie auch mediterrane Köstlichkeiten zu- bereitet. Küchenchef Dietmar Weiss garantiert Überaus einladend: Die Gaststube der „Wirtschaft zum Schlachthof“. Die Wände schmücken Kunstwerke – vor allem Arbeiten von Paul Revellio sind zu sehen. mit viel Idealismus und Können dafür. Weiss rührte zehn Jahre lang im „Kapuziner“ als Chef- koch in Töpfen und Pfannen, wollte sich dann beruflich verändern. Und so passte es in seinen Lebensplan, als 2006 das „Haus am Fluss“ im heutigen Stil neu eröffnet wurde. Mit Dietmar Weiss hat Klaus Käfer einen un- entbehrlichen Fachmann an der Seite, der sein Reich in Küche und Keller mit viel Herzblut und Sachverstand regiert, aber auch gerne mit aus- gefallenen Dekorationen in den Gasträumen höchstpersönlich dafür sorgt, dass seine Spei- sen auch im passenden Ambiente serviert wer- den. So passt in der Wirtschaft zum Schlachthof alles zusammen. 2009 wurde ein Wintergarten angebaut, ein kleines Schmuckstück des Hau- ses, die Küche wurde vergrößert, denn die Kapa- zitäten reichten nicht mehr aus. Und seit es auf der Schlachthofstraße entlang der Brigach kei- nen Durchgangsverkehr mehr gibt, passt auch die Stille zum besonderen Flair des Hauses, in das man gerne einkehrt. Die kleinen Gäste werden im „Schlachthof“ üb- rigens ganz groß geschrieben. Neben Kinder- hochstühlen und einem Wickeltisch gibt es auch Kinder-Speisekarten zum Anmalen. So beschäftigt ermöglichen die Kinder ihren Eltern einen entspannteren Genuss der lukullischen Köstlichkeiten, vom Tafelspitz oder Rostbraten 294 294

bis zu Lammfilets, Lachs, Bodenseefisch oder Scampi. Ein regelmäßig angebotenes „Piano-Din- ner“ ist für die Gäste eine ideale Gelegenheit, dem Alltag auf romantische Weise für ein paar Stunden zu entfliehen und ein feines Abendes- sen bei Kerzenlicht zu Pianoklängen von Sebas- tian R. Schnitzer zu genießen. Der „Schlachthof“, eines der wenigen original erhalten gebliebenen Villinger Gasthäuser 1908 außerhalb der Stadtmauer an der Brigach gebaut, ist die „Wirtschaft zum Schlachthof“ seit 1924 im Familienbesitz. Damals kaufte Franz Honold das prachtvolle Jugendstil-Haus, das in seiner Originalität bis heute so erhalten blieb und damit eines der wenigen wirklich originalen, noch betriebenen Gasthäuser des alten Villingens ist. Honolds Tochter Christa betrieb später mit ihrem Ehemann Hans Cornel Lennartz, der nach Sturm-und-Drang-Jahren als Schiffskoch und Steward auf allen Weltmeeren, nach interessanten Jobs im Management großer Hotelketten, bei ihr in der beschaulichen Zährin- gerstadt vor Anker ging, das beliebte Gasthaus über 30 Jahre. Christa und der fröhliche Rhein- länder Hans, die den Schlachthof zu einer sehr guten Adresse machten, gaben nach so vielen Arbeitsjahren das Gasthaus 2002 altershalber auf. Einige Jahre führten sie das große Haus noch als Hotel garni, doch das war eigentlich nicht ihre Welt, nicht ihr Ziel eines etwas geruh- sameren Lebensabends. Dann kamen zufälligerweise Klaus Käfer und Gabriele Karcher ins Spiel. Eigentlich suchte das Paar lediglich eine neue Wohnung. Klaus Käfer, ein Mann vom Fach, war 13 Jahre lang in der Kneipenmeile Färberstraße tätig. Zunächst im „Färberwirt“, später als Geschäftsführer in der Gaststätte „Ott“. Man kam mit den Besitzern des Hauses Schlachthausstraße 11, der Familie Lennartz, ins Gespräch und das langjährige Wirteehepaar war letztlich auch nicht abgeneigt, das ganze Gebäude zu verkaufen. Die erste Idee von Klaus Käfer war es, im Obergeschoss eine Wohnung für den eigenen Bedarf einzurichten, den Rest zu vermieten. Das Lokal, so war eine Wirtschaft zum Schlachthof Sie haben mit Begeisterung die „Wirtschaft zum Schlachthof“ am Villinger Brigachufer zu neuem Leben erweckt: Gabriele Karcher und Klaus Käfer. 295

Wirtschaft zum Schlachthof Die „Wirtschaft zum Schlachthof“ als Abendstim- mung. Im Innern erwartet die Besucher ein festliches Ambiente. vage Vorstellung, könnte man herrichten und für Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Nun gut, der Deal kam zustande – und doch entwickelte sich dann nach und nach alles etwas anders als ursprünglich geplant. Eine Wohnung im Mittel- geschoss für Klaus Käfer und Gabriele Karcher mit ihren zwei Kindern entstand wie geplant. Die restlichen Fremdenzimmer im Haus wurden in moderne, neue Wohnungen umgestaltet. Ein komplett neues Dach musste her. Wertvolle historische Vergangenheit erhalten Handwerklich begabt, steckte Klaus Käfer viel Eigenarbeit in den Umbau, der sich nach und nach zu einem Projekt entwickelte, das so ei- gentlich nie geplant war, lacht Klaus Käfer heu- te. Denn er hatte an der wertvollen Bausubstanz und der historischen Vergangenheit des Hauses bald „Blut geleckt“. Doch die Entscheidung, den Schlachthof in der alten Tradition wirklich als Speisegaststätte weiterzuführen, entstand viel später. Klaus Käfer und Gabriele Karcher steckten jede freie Minute in ihr „Traumhaus“. Sie infor- mierten sich in Archiven und nach Um- und An bauten, basierend auf alten Ansichten auf Fotos und Postkarten, entstand so langsam der 296 ursprüngliche Charakter des Hauses wieder. Alles, was man erhalten konnte, wurde erhal- ten und saniert. Manches wurde zurückgebaut wie es früher war, vieles in schweißtreibender Arbeit renoviert. So wurden zum Beispiel die alten Wirts- haustische restauriert, ein Teil des Holzbodens wurde aufwendig abgeschliffen und war bald ein Glanzstück des Gastraumes. Auch die alten Fenster wurden nicht herausgerissen, sondern saniert. Der alte Eingang über Eck zur Schlacht- hausstraße hin, der lange nicht mehr genutzt worden war, wurde aus dem Dornröschenschlaf erweckt und als Hauptzugang zur Gaststätte wieder geöffnet. Die ehemaligen Faltwände, mit denen man den Gastraum in drei Teile trennen konnte, mussten Platz machen für eine große Flügelklapptüre, die zwei getrennt nutzbare Räu- me ermöglicht. Denn genau solch eine Klapptüre gab es schon Anfang des letzten Jahrhunderts, hat Klaus Käfer in Erfahrung gebracht. Und die wollte er wiederhaben. Zusammen mit dem späteren Anbau des hel- len Wintergartens und mit dem Sonnensegel auf der Terrasse ergab sich so ein harmonisches, mit viel Liebe durchdachtes Ganzes, eingebettet in historische und moderne Elemente, in dem sich die Gäste wohlfühlen. Und nicht nur die Gäste, auch Klaus Käfer und Gabriele Karcher fühlen sich in ihrem „Traumhaus“ sichtlich wohl. Beide betreiben die „Wirtschaft zum Schlachthof“ mit Freude, Elan und Freundlichkeit als eine niveau- volle Bereicherung der Gastronomie-Szene der ganzen Region. Marga Schubert

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Caritas eröffnet den Fohrenhof Dank Inklusion: Sieben Menschen mit Behinderungen haben einen Arbeitsplatz gefunden – Regionale Küche in bester Qualität wird geboten Viele Kreisbewohner kennen das Hofgut Him- melreich nahe Kirchzarten – vielleicht vom Hö- rensagen, vielleicht von einem eigenen Besuch. Wer auf der Strecke Donaueschingen – Freiburg unterwegs ist, egal ob mit Auto oder Zug, kommt an ihm vorbei. Es ist berühmt dafür, dass dort Menschen mit Behinderungen im regulären Res- taurant-, Hotel- und Tagungsbetrieb mitarbei- ten. Der Gedanke sogenannter Inklusion wird dort großgeschrieben. Dank des Caritasverbandes für den Schwarz- wald-Baar-Kreis gibt es nun einen weiteren Ort im Südwesten, der aufs Engste mit Inklusion verbunden ist: Im zu Winterbeginn 2011/ 2012 von der Caritas in Unterkirnach eröffneten Foh- renhof arbeiten sieben Menschen mit Behinde- rungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Dank einer Anschubförderung durch die „Aktion Mensch“ konnte das Projekt, räumlich eingebettet inner- halb der idyllisch hoch über Unterkirnach gele- genen Hapimag-Ferienanlage, starten. Dieser Start ist geglückt: Regionale Medien berichten rege über die Zielsetzung und breiten Angebote. Die tragende, eigens für das Projekt gegründete Tochtergesellschaft der Caritas, die „inklusiv gemeinnützige GmbH“, nahm bereits zu Jahresbeginn 2011 ihre Arbeit auf. Sie über- nahm mit dem „Housekeeping“ Servicetätigkei- ten wie Reinigung der Wohnungen oder Garten- und Schneeräumarbeiten für das große Ferien- dorf der Hapimag AG mit seinen bis zu jährlich 80.000 Übernachtungen. Die Einweihung des gepachteten Restaurants und Tagungszentrums Ein gemütlicher Ort, an dem es sich bestens speisen lässt: Der Fohrenhof in der Hapimag-Ferienanlage in Unterkirnach 297

Stätten der Gastlichkeit Fohrenhof Führung durch die neue Küche des Fohrenhofs: Chefkoch Stefan Vogt präsentiert dem Schirmherrn Samuel Koch die Küchentechnik. Oben rechts: Nach der kirchlichen Segnung durch (von links) Caritas- Diözesandirektor der Erzdiözese Freiburg, Monsignore Bernhard Appel, Caritas-Geschäftsführer Michael Stöffelmaier und der Dekan des Dekanats Schwarz- wald-Baar, Josef Fischer. Unten rechts: Ansprache des ehemaligen Landrats des Schwarzwald-Baar-Kreises Karl Heim bei der Eröffnung. Hinten links der CDU- Bundestagsabgeordnete Kauder und Unterkirnachs Bürgermeister Gerold Löffler. Fohrenhof mit Adresse „Am Wald 37“ war nach dessen Komplettumbau im November 2011 dann sogar von überregionalem Interesse. War der frühere Fohrenhof vor allem auf die Bedürfnisse der Gäste des Hapimag-Feriendorfs ausgerichtet, orientiert sich das neu gestaltete Restaurant gleichen Namens aber neuen Betrei- bers viel mehr an den Bedürfnissen der hiesigen Bevölkerung. Der Fohrenhof verfügt inzwischen auch über einen barrierefreien Zugang. In be- hindertengerechte Wohnungen führt ein neu in stallierter Fahrstuhl. Wichtig war der gemein- nützigen GmbH eine möglichst umweltfreund- liche Ausstattung: So wird die Küche beispiels- 298 weise durch ein System gekühlt, welches seine Energie aus der Wärmerückgewinnung im Gast- ronomiebereich bezieht. „Mit dem früheren Foh- renhof hat der neue eigentlich nur noch Namen und Ort gemeinsam“, so Michael Stöffelmaier, Geschäftsführer des Caritasverbandes für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Dank Samuel Koch: Bundesweite Berichter- stattung sichert Fohrenhof einen guten Start Bei der Fohrenhof-Eröffnung berichteten viele bundesweit erscheinende Zeitungen, darunter auch „Bild am Sonntag“, zweimal die Landes- schau des SWR-Fernsehens, Reporter des SWR- Radios sowie Schweizer und österreichische Zeitungen. Der Grund hierfür war die Übernah- me der Schirmherrschaft durch Samuel Koch, den bei „Wetten, dass…?“ schwerst verunglück- ten Wett-Kandidaten. Koch kennt beide Extre- me: Das Leben als Leistungssportler im Kunst- turnen und als Mensch, der seit seinem folgen- schweren Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist. Samuel Koch war nach der Anfrage durch den Caritasverband nach Durchsicht des Foh- renhof-Konzepts sofort bereit, die Schirmherr- schaft zu übernehmen. In einer Rede hinter-

Stätten der Gastlichkeit Das Team des Fohrenhofs freut sich über den guten Start des Inklusion-Projektes in Unterkirnach und auf den Besuch möglichst vieler Gäste. :: Das Stichwort fragte der gläubige Christ den Begriff und das Amt des Schirmherrn: In der ursprünglichen Bedeutung aus dem 16. Jahrhundert habe das Wort wohl adlige Personen umschrieben, wel- che anderen militärischen Schutz gewährten. „Jetzt bin ich weder adlig, noch kann ich jeman- den schützen, geschweige denn mich selbst“, so Koch eindrücklich vor dem aufmerksamen Forum vieler Dutzend Gäste, welches keines der wenigen, dafür aber umso gewichtigeren Worte verpassen wollte. „Ich bin quasi ohne Hilfe an- derer nicht überlebensfähig.“ Gerade aus dieser extremen Hilflosigkeit heraus schöpfe er aber die Kraft, das ihm angetragene Amt tatsächlich zu übernehmen. Als Schirmherr beschirmt er inzwischen den Unterkirnacher Fohrenhof von Hannover aus. Dort studiert er trotz seiner Behinderung an der Schauspielschule und wird vermutlich nach Ab- schluss als Fernsehmoderator tätig sein. Sein zwischenzeitlich geschriebenes Buch „Zwei Le- ben“ führte wochenlang die Bestsellerliste 2012 an. Erwähnt wird darin auch der Fohrenhof. „Inklusion“ nennt sich das Bemühen, Men- schen mit Behinderungen nicht großzügig in die Gesellschaft zu integrieren, sondern sie von vornherein gar nicht erst auszuschließen. Genau diesen Ansatz verfolgt das Schwarz- wälder Caritas-Projekt. Seit Jahren fordern die Vereinten Nationen in ihrer Menschenrechts- konvention die weltweite Umsetzung dieses Gedankens. Deutschland ist bislang hier nicht besonders federführend aufgetreten. Hervorragende Leistungen im Service und der Küche Dass Menschen mit körperlichen oder kogniti- ven Einschränkungen durchaus leistungsfähig und hervorragende Kolleginnen und Kollegen sein können, hat das neue Restaurant mit ge- hobenem Qualitätsanspruch inzwischen über- regional bewiesen. Nicht nur dies: Der Fohren- hof setzt über die Inklusion hinaus auch weitere Maßstäbe: „Es muss nach dem schmecken, was es auch wirklich ist“, so der in Brigachtal ge- bürtige Chefkoch Stefan Vogt. Ob man die hei- 299

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Ein rundum festliches und gemütliches Ambiente, sprich Schwarzwälder Gastlichkeit mit Herz. mische Forelle im Menü „Frische Forellen aus dem Schlegelbachtal“ tatsächlich gegenüber Forellen aus einem der anderen wunderschönen Schwarzwälder Täler herausschmecken würde, ist fraglich; mit Sicherheit ist jedoch der gastro- nomische Ansatz der richtige: die heimische wie auch saisonale Verortung des Angebots auf der Speisekarte. Wer den Fohrenhof besucht, wird ihn neben dem vorbildlich umgesetzten Inklusionsgedan- ken vor allem auch wegen der zubereiteten Speisen in Erinnerung behalten. „Die Menschen sollen primär zu uns kommen, weil es bei uns hervorragend schmeckt“, so Vogt weiter. Neben dem Restaurantbetrieb mit seinen rund 100 Innen- und weiteren 60 Außenplätzen auf der Sonnenterrasse mit wundervollem Blick über Unterkirnach bietet der Fohrenhof gemütliches schwarzwaldtypisches Ambiente auch für Fami- lien-, Vereins- und Betriebsfeste sowie Schulun- gen oder Seminare. Hierfür steht zusätzlich der gut ausgestattete Nebenraum „Waldblick“ mit Platz für noch einmal bis zu 60 Personen bereit. Darüber hinaus gibt es drei Saunen und einen Wellnessbereich, in welchem drei ausgebildete Physiotherapeuten tätig sind. Dank der ideenreichen Gourmet-Kreationen von Stefan Vogt und seiner Stellvertreterin Si- mone Pabst hat sich das Restaurant unter Fein- schmeckern inzwischen ebenfalls einen Namen gemacht. Wie innovativ und dennoch heimatver- bunden in der nach neuesten ergonomischen Gesichtspunkten gestalteten Küche umgegan- gen wird, zeigt eine Aktivität, die von Frühjahr bis Herbst 2012 in den unmittelbar an Unterkir- nach angrenzenden Orten durchgeführt wurde – die Aktion „Regionale Rezepte“. „Kochen ist leider nicht mehr in, viel eher das Zuschauen bei Kochshows als Ersatz dafür“, so der Fohrenhof- Chefkoch, der in früheren Jahren auf der Insel Mainau auch schon einmal das schwedische Königspaar bekochte. Regionale Rezepte bewahren Da regionale und saisonale Gerichte einen ganz besonderen Platz auf der Fohrenhof-Speisekar- te haben, hatte sich Vogt in Sachen Regionalität noch einen weiteren Schritt überlegt. „Es gibt hier in der Region einen sehr reichhaltigen Fun- dus spezieller Zutaten und dem zum Teil weit zurückreichenden Wissen, aus diesen hervor- ragende Speisen zu machen.“ Beim Blick in die Speisekarte des Gasthauses versteht man 300

Chefkoch Stefan Vogt bietet ideenreiche Gourmet-Krea- tionen. schnell, was damit ge- meint ist: Dort findet sich beispielsweise das oft bestellte geräucherte Forellenfilet aus dem Unter- kirnacher Schlegelbachtal. „Es ist bedauerlich, wenn hiesige Rezepte nicht mehr weitergegeben werden – das ist letztlich ein ex- tremer Kulturverlust“, so Vogt, „und diesen soll- ten wir aufhalten.“ Das Fohrenhof-Küchenteam rief im Rahmen ihrer Aktion der Reihe nach Bür- gerinnen und Bürger Unterkirnachs, St. Geor- gens, des Oberen Bregtals mit Furtwangen und Vöhrenbach wie auch Villingen-Schwenningens auf, alte bewährte Rezepte einzureichen. Das jeweils interessanteste sollte dabei unter Ein- ladung und Anleitung des Rezeptgebers in der Küche umgesetzt werden und anschließend auf der Speisekarte des Restaurants ihren Platz fin- den. Die Idee wurde umgesetzt und so konnten heimische Gäste wie auch Touristen aus dem Hapimag-Ressort beispielsweise auch einmal das exotisch klingende Gericht „Bratwurstpud- ding“ wählen – eine viel gelobte Einreichung zur Aktion aus St. Georgen. Fohrenhof in Unterkirnach Hatten 2012 viele Bür- gerinnen und Bürger des Schwarzwald-Baar-Krei- ses das Fohrenhof-Projekt als Restaurantgast unter- stützt, waren andere für dieses sogar im wörtlich zu nehmenden Sinn für den Fohrenhof auf den Beinen. Der Villinger Stadtlauf, ein inzwi- schen weit über den Landkreis hinaus bekanntes sportliches wie auch kulturelles Er- eignis, welches alljährlich gemeinsam vom Ca- ritasverband und der Volksbank eG Villingen im Sommer veranstaltet wird, ließ wie bereits ein Jahr zuvor die erlaufenen Spenden dem Fohren- hof zugute kommen. Waren es 2011 mit 1.500 Läuferinnen und Läufern 12.000 Euro übertraf der Lauf 2012 mit 1.750 Teilnehmern das Er- gebnis um 2.000 Euro. Der inzwischen zu einer Villinger Institution avancierte Lauf mit seinen vielen Tausend Zuschauern am Streckenrand erbrachte damit in zwei, dem Fohrenhof gewid- meten Jahren für das Inklusionsprojekt rund 26.000 Euro. Wolfgang Trenkle Auf der Sonnenterrasse des Fohrenhofs hat man einen wundervollen Blick auf Unterkirnach. 301

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Heimelige, urige Gastlichkeit Das traditionsreiche Gasthaus Krone in Buchenberg verdankt die Wiedereröffnung auch der Initiative seiner Stammgäste Schon von außen verströmt die Buchenberger „Krone“ heimelige Gastlichkeit und das Flair der guten, alten Zeiten, die hier lebendig geblieben scheinen. Leuchtend rote Gera- nien ziehen die ersten Blicke auf sich, die Augen schweifen über den hölzernen Brunnen- trog, in den frisches Quellwasser sprudelt, Rauchschwalben fliegen durch die offenen Stallfenster. Eine gemütliche Terrasse neben der Haustüre lädt zum Verweilen ein, im Hintergrund grüßt das Glasbachtal. Die von außen geweckten Erwartungen werden drinnen bestätigt: Die holzgetäfelte Gaststube verbreitet urige Gemütlichkeit; die Speisekarte wartet mit deftigen Köstlichkeiten aus eigener Produktion auf. Land- und Gastwirtschaft gehö- ren zusammen; Mensch und Tier leben wie seit Jahrhunderten unter einem Dach. Gleichwohl ist die Zeit auch in der Krone nicht stehen geblie- ben: Als der „Krona-Matthis“, Matthias Haas, im August 2006 starb, der mehr als ein halbes Jahrhundert lang die Seele des Gasthauses war, wurde es geschlossen. Es ist dem Protest und der Initiative von Stammgästen zu verdanken, dass der Betrieb im folgenden März wieder auf- genommen und inzwischen stabilisiert wurde: Im vergangenen Dezember ist Enkelin Christi- ne Haas hauptberuflich eingestiegen. Mutter Maria Haas unterstützt sie, während Vater Jo- hann-Georg nach wie vor für die Landwirtschaft zuständig ist. Gemütlich-urig und gut besucht: der Stammtisch der Krone in Buchenberg. 302

Das Gasthaus Krone in Buchenberg. Gerade holt er die Kühe von der Weide heim zum abendlichen Melken, dazu wird die Straße vor dem Haus provisorisch abgesperrt – die Auto- fahrer müssen sich ein wenig gedulden und tun das gern. Maria und Christine Haas putzen unterdessen die Fenster – die facettenreiche Arbeit in der Krone ist genau eingeteilt. Früher war das anders, da gab es keine Regelungen, auch keine verbindlichen Öffnungszeiten. „Es war immer offen, außer, wenn alle auf dem Feld helfen mussten“, beschreibt Maria Haas die Gepflogenheiten während der Matthis-Ära. Der Schwiegervater stand am Tresen, Ehemann Jo- hann-Georg war im Stall oder auf dem Feld (so ist es bis heute), sie und die drei Kinder schaff- ten mit, wo es nötig war. Früher wurden Gäste nicht nur bewirtet, son- dern auch beherbergt – als die Krone 1907 nie- derbrannte, wurde der Neubau für die Aufnahme von Feriengästen konzipiert. Das Buchenberger Gehöft profitierte vom blühenden Tourismus in Königsfeld, doch diese Branche geriet bekannt- lich ebenso in eine Krise wie die europäische Agrarwirtschaft. Weder die Schwestern Anita und Christine noch Bruder Matthias sahen in Landwirtschaft und ländlicher Gastronomie be- rufliche Perspektiven, orientierten sich ander- weitig und zogen fort. Matthias Haas war die Seele des Buchen berger Traditionsgasthauses Der gesellige Großvater Matthias Haas war das Herzstück der „Krone“. 94-jährig starb er, bis kurz vor seinem Tod stand er tagtäglich am Tre- sen, war offen für die Gäste, mit denen er gut bekannt war und viele Gespräche führte. Mat- thias Haas war gewiss so, wie man sich den Wirt eines weithin bekannten Dorfgasthauses eben vorstellt. Sein Tod war eine Zäsur in der langen Geschichte der Krone. In der Krone spielte nicht nur Buchenberger, sondern selbst Königsfelder Geschichte: Anfang März 1954 gründeten hier fünf Königsfelder Bür- ger den FC Königsfeld. Da es in Königsfeld noch 303

Stätten der Gastlichkeit Die „Schwedenschanze“ keinen Sportplatz gab, kickte man auf einer Wiese in Buchenberg. Und: Als Umkleidekabine stellte die „Krone“ ein Nebenzimmer zur Verfü- gung, die Viehtränke vor dem Haus diente den Fußballern als Waschgelegenheit. Die Geschichte der Buchenberger „Krone“ reicht bis ins Mittelalter zurück. In Lager- und Kirchenbüchern wird das Gehöft 1491 erstmals im Zusammenhang mit den dazugehörigen Mühlen im Glasbachtal erwähnt. Das landwirt- schaftliche Anwesen befand sich ursprünglich weiter westlich vom jetzigen Standort, etwa dort, wo heute die frühere Schule von Buchen- berg steht. Die erste Betreiberfamilie hieß Jäcklin und bewirtschaftete Hof und Wirtshaus in neun Generationen. Zur Festlegung der Ab- gaben lud Renovator Michael Groß im Februar 1593 alle Zinspflichtigen in „Adam Jäcklins Hof und Wirtsbehausung“ ein. Es fungierte früher als „Stabs gasthaus“, in dem öffentliche Rats- und Gemeindeversammlungen abgehalten wurden. 1786 brannte das Anwesen ab und wurde an der heutigen Stelle neu errichtet. Seit 1880 trägt die Bauern- und Wirtsfamilie den Namen „Haas“, denn in jenem Jahr heiratete Anna Christina Jä- ckle – die erste Tochter, die den Hof übernommen hatte – den Landwirt Johann Georg Haas. Seit 1910 hat die Krone das Brennrecht. Ab 1930 hat Matthias Haas, der Vater des jetzi- gen Inhabers Johann-Georg Haas, das Brennen selbst ausgeführt und es 1980 an seinen Sohn übergeben. Die Schließung der „Krone“ sorgt in Buchenberg für ein breites Engagement Christine wohnte in Landsberg/Lech, die Schwester in Heidelberg, der Bruder in Frei- burg, die Eltern allein wären heillos überlastet gewesen: „Da beschlossen wir nach Opas Tod die Schließung des Lokals“, rekapituliert Chris- tine Haas. Doch die Familie hatte nicht mit dem Sturm der Entrüstung gerechnet, der bei den treuen Gästen einsetzte. Der Rentnerstamm- tisch sah sich obdachlos, die Einheimischen vermissten ihr Feierabendbier, das sie in der Krone auch im „Schaff-Häs“ genießen können, 304

Gasthaus Krone Die traditionsreiche „Krone“ im Spie- gel historischer Fotografien – oben links eine kolorierte Ansichtskarte. Schon immer war der Betrieb der Wirtschaft mit einer eigenen Land- wirtschaft verbunden. Auf der Seite links sind die Wirtsleute unten bei der Heuernte zu sehen. Im ländlich geprägten Buchenberg wurde die Tracht zu festlichen Anlässen lange getragen, so auch bei der prachtvol- len Bauernhochzeit oben rechts, wohl 1920er-Jahre. Unten rechts: an der Viehtränke. Radler und Wanderer die zünftige Einkehr nach sportlichem Tun. Speisekarte, die ebenso reduziert wurde wie die Öffnungszeiten. Die Familie greift die Idee aus dem Dorf auf und teilt sich die Arbeit „Jeder von euch übernimmt einmal im Monat ein Wochenende lang den Dienst.“ Dieser Vor- schlag zur personellen Rotation hinter der The- ke und in der Küche war entscheidend für die Zu- kunft der „Krone“. Die Idee kam „aus dem Dorf“, sagt Christine Haas, „wir wollen’s versuchen“, lautete das Ergebnis des Familienrats. An Werk- tagen sollten die Eltern die Stellung halten, die Geschwister teilten sich die strengen Wochen- enden ein und wurden von einer Freundin unter- stützt. Das Konzept klappte, auch dank der Mithilfe von Stammgästen, vor allem von Arnulf Struck. Der Königsfelder Künstler und Graphiker beein- flusste die Wahl von Vorhängen, Sitzbezügen und Lampen – doch insgesamt wurde in der Kro- ne nur wenig verändert. Struck gestaltete die Serviert wird nach wie vor, was Stall, Acker und Garten hergeben. Hauptprodukt ist Schwei- nefleisch, das zu frischen Bratwürsten, Schnit- zeln oder Geräuchertem wie Speck, Schinken und Schäufele verarbeitet wird, natürlich auch zu Leber-, Blut- und Schwarzwurst, legendär ist die herbstliche Schlachtplatte mit Kartoffel- brei aus eigenen Erdäpfeln. Aus denen wird an- sonsten vorzugsweise Kartoffelsalat zubereitet, nebst Brot die wichtigste Beilage, die auch von Vegetariern geschätzt wird. Sie müssen sich alternativ mit einem Käsbrot oder Ei-Gericht zufriedengeben: „Wer zu uns kommt, weiß, dass wir hauptsächlich Produkte aus eigener Schlachtung anbieten.“ Zum herzhaftem Vesper trinken die Gäste gern Apfelsaft oder Most aus eigener Ernte, da- nach gönnen sie sich vielleicht ein Schnäpsle oder einen feinen Kräuterlikör. Auch die edlen Spirituosen werden von Johann-Georg Haas selbst hergestellt; 1910 verfügt der Hof über das Brennrecht, wie bereits angemerkt. 305

Gasthaus Krone Christine Haas kehrt nach Buchenberg zurück und führt engagiert das Gasthaus Der geschwisterliche Bewirtungstakt funktio- nierte so gut, dass die Familie bald an die Gren- zen ihrer personellen Kapazitäten geriet. Maria Haas musste immer wieder Gruppen absagen, die bei ihrer Bustour oder Wanderung in der Krone einkehren wollten. „Es sind lange Tage“, deutet Christine Haas das Arbeitspensum an: Wochentags wird um 15 Uhr geöffnet, sonntags um 11.30 Uhr; der Dienst beginnt jeweils ein bis zwei Stunden vorher mit Putzen, Blumen- schmuck und Vorbereitungen in der Küche. Bis sich die letzten Gäste verabschiedet haben, ist Mitternacht meist vorbei und dann oder in aller Frühe am Montagmorgen mach- ten sich die Geschwister wieder auf den Weg zu ihren „richtigen“ Arbeits- und Wohnstätten. Christine, die gelernte Haushalts- und Ernäh- rungswirtschafterin ist, war in Landsberg in der Produktentwicklung eines Betriebs für Großkü- chengeräte beschäftigt. Die Arbeit machte ihr Spaß, ihr Herz hatte sie aber an die heimische Krone verloren und entschloss sich zur Rück- kehr nach Königsfeld. Seit vergangenem Dezember führt Christine Haas Regie in Küche und Gaststube, wird tat- kräftig von der Mutter unterstützt, die begeistert von Schwung und Kompetenz der Tochter ist. 306 Sie sind ein eingespieltes Team: Johann- Georg, Christine und Maria Haas (von links) vor dem traditionsreichen Buchenberger Gasthaus. Rechte Seite: Ein Krone-Bilder- bogen, am Tresen Christine Haas. An der Viehtränke wird auch die eigene Kartoffel- ernte gesäubert. An schönen Tagen feiern die Gäste der Krone gerne auf dem Vor- platz. Sie hat die Speisekarte um regionale Gerichte und selbst gebackene Ku- chen erweitert – auf den Tisch kommt nach wie vor besonders gerne, was der Garten oder die eigene Schlachtung gerade hergeben. Die Küche wurde modernisiert und zeitgemäße Technik erleichtert die Arbeit; ein professionel- ler Kombidämpfer steht neben dem gusseiser- nen Herd, der mit Holz befeuert wird und nach wie vor in Betrieb ist. „Ich habe viel Freude an meiner Arbeit“, betont die 32-jährige Wirtin der Buchenberger Krone. Am schönsten sei der freundschaftliche Kontakt zu den Gästen, die eng Anteil nehmen am Geschehen in der Krone, an der Symbiose zwischen Gastwirtschaft und Bauernhof, an den naturgegebenen Kreisläufen, die hier so augen- scheinlich und authentisch sind wie es selbst in ländlichen Gegenden nur noch selten erlebt werden kann. Durch die offene Stalltür dringt das Muhen der rund 20 Milchkühe, die Johann- Georg Haas wie jeden Abend und jeden Morgen melken wird, bevor er das Vieh wieder hinaus- treibt auf die Weiden rund ums Glasbachtal. Die Besucher freuen sich, dass die guten alten Zei- ten in der Krone eben doch lebendig geblieben sind. Christina Nack Gasthaus Krone Dörfle 2 78126 Königsfeld-Buchenberg Telefon 07725/7589 Öffnungszeiten: Dienstag ab 12 Uhr, Freitag, Samstag ab 15 Uhr; Sonntag ab 11.30 Uhr. Montag, Mittwoch und Donnerstag sind Ruhetage

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17. Kapitel Musik 33 Jahre Cock’s Combo Die Villinger Kultband hat immer um Weihnachten herum stets nur einen Auftritt im Jahr „33 Jahre sind doch ein viel schöneres Jubiläum als eine runde Zahl“, findet Dieter „Cock“ Hahne. Er ist Namensgeber für eine Band aus Villingen-Schwenningen, die nur ein einziges Mal im Jahr auftritt und dennoch (oder deswegen?) Kult im Städtle ist. Die Rede ist natürlich von Cock’s Combo, jene fünfköpfige Formation, die der gebürtige Villinger 1979 zusammen mit Ede Schnur ins Leben gerufen hat. Seither beschwört die Band einmal im Jahr das Le- bensgefühl und die musikalische Magie der 1960er- und 1970er-Jahre. Mit ihrem breiten Repertoire, das weder vor Schnulzen noch vor Heavy Metal zurückschreckt, versetzt sie nicht nur die eigene Generation in Verzückung. Alle Jahre wieder und stets um die Weihnachtszeit herum bringt Cock’s Combo das Villinger Kulturzentrum Scheuer zum Kochen, das den Jazz- keller 1996 als Treffpunkt für die Fans aller Generationen abgelöst hat. Mittlerweile sind alle Bandmitglieder älter als 60 Jahre, zusammen stehen sie für reichlich 300 Jahre Leben. Sie haben schöne und auch trauri- ge Erfahrungen miteinander geteilt und sich auch bei beruflichen und privaten Zickzack-Kur- sen nie aus den Augen verloren. „Die Musik hat uns zusammengehalten“, fasst Dieter Hahne zusammen. In den wilden 60ern tobten die Jugendfreun- de ihre Musizierfreude gemeinsam aus, waren unbekümmert und ein wenig aufmüpfig, sympa- thisierten mit der Studentenbewegung und teil- ten die romantische Sehnsucht nach Frieden und Freiheit. „Rope Sect“, wörtlich „Schnur-Sek- te“, hieß eine ihrer diversen Combos, die die Ju gendmusik jener Zeit coverte und bereits mit eigener Note versah. „Damals hieß Rock noch Beat und galt als so progressiv, dass wir Auf- trittsverbot in der Tonhalle bekamen“, erinnert sich Dieter Hahne feixend. Im legendären Villinger MPS-Studio hatte er Erfahrungen in Aufnahmetechnik und Produk- tion vor allem von Jazzmusik gemacht. 1975 zog er nach Berlin, wo er bis heute lebt, für eine Plattenfirma arbeitet und immer wieder selbst in unterschiedlichen Formationen als Bassist und Gitarrist ins hauptstädtische Rockgeschehen eingreift. Für Ede Schnur sollte ein schlimmer Autoun- fall 1974 die Zäsur seines Lebens werden. Gleichwohl steht er stabil und vital mitten im Leben, begeis- tert die Fans mit seinen Künsten an der Gitarre und mit seinem unver- wüstlichen Galgenhumor. Cock’s Combo im Jahr 1989; von links: Ede Schnur, Dieter „Cock“ Hahne, Achim Frey und hinten Herbert Kornhaas. 308

Cock‘s Combo 300 Jahre stehen bei Cock’s Combo auf der Bühne, von links: Herbert Kornhaas (Schlagzeug), Ede Schnur (Gi- tarre) Dieter „Cock“ Hahne (Gitarre), Bernd Rosmislowsky (Bass) und Achim Frey (Gitarre). Im Herbst 1979 trafen sich die Jugendfreun- de zufällig im Jazz-Club wieder, wo Platten auf- gelegt wurden. Dieter Hahne machte Urlaub in Villingen, Ede Schnur war wieder in seine Hei- matstadt zurückgekehrt. „Hast Du noch deinen Bass?“, fragte er Hahne, der erst später auf Gi- tarre umsteigen sollte. „Wir hätten hier alles für eine kleine Session …“ Spontan holten die Mu- siker ihre Instrumente und brachten den Jazz- keller mit gepflegten Standards, viel Blues und rockigen Anflügen zum Kochen. Als spaßige Zu- gabe wurde „Marmor, Stein und Eisen bricht“ serviert, jener Gassenhauer, der bis heute bei keinem Auftritt fehlen darf und so etwas wie ein Maskottchen geworden ist. Aus der aberwitzigen Session entwickelte sich eine Benefiz-Tradition, von der zunächst der stets klamme Jazz-Club profitierte. Zur jähr- lichen Fortsetzung ihres musikalischen Engage- ments mussten Dieter Hahne und Ede Schnur vom damaligen Vorsitzenden, Hans Christoph Freudenberger, nicht lange überredet werden. Befreundete Bläser, Pianist und Schlagzeuger wurden schnell zusammengetrommelt. „Das Kondenswasser lief die Wände herunter und tropfte uns beim Spielen auf die Köpfe“, be- schreibt Ede Schnur die Hitze und bisweilen drangvolle Enge in der Webergasse. Kunterbunte Mischung aus Blues, Rock, Schlagern und eigenen Kompositionen Im Laufe der Jahre schlug die Combo zuneh- mend rockigerer Töne an. Die jazzig orientierten Bläser und der Pianist verabschiedeten sich all- mählich und gingen eigene Wege, während Her- bert Kornhaas, Schlagzeuger der ersten Stun- de, bis heute das Drumset bedient. Seit gut 25 Jahren gehören zudem Gitarrist Achim Frey und Bassist Bernd Rosmislowsky zur Stammbeset- zung, die gelegentlich um Gäste erweitert wird. Bis auf Ede Schnur, der Lehrer für E-Gitarre ist, sind die Mitglieder von Cock‘s Combo allesamt 309

Cock‘s Combo Ede Schnur, Dieter „Cock“ Hahne und hinten Herbert Kornhaas. versierte Amateure. Musikalisches Konzept ist, dass es keines gibt. Die kunterbunte Mischung aus Blues, Rock, Schlagern und eigenen Kom- positionen entspricht dem eigenen Gusto und kommt wohl auch deshalb so aufrichtig und au- thentisch beim Publikum an. In schönstem Durcheinander lösen sich Titel von Status Quo, den Stones, Chuck Berry und Eric Burdon mit Schnulzen wie „Rote Lippen soll man küssen“ und „Tür an Tür mit Alice“ ab. Mit der Veränderung des Repertoires erwei- terte sich der spielerische Radius: Cock’s Com- bo wurde auch über’s Jahr zu Konzerten in der Umgebung geladen, kam bei einem mehr und mehr heterogen zusammengesetzten Publikum bestens an und erspielte sich den Ruf einer fet- zigen und spaßigen Coverband, die Oldies be- reits zelebrierte, als noch niemand den heuti- gen Boom vorausahnte. Seit 1996 wird der Folkclub mit der musika- lischen Bescherung um die Weihnachtszeit he- rum beschenkt; dies nach dem zumindest sprachlich zweideutigen Motto „Rock around the cock“. Höhepunkt in der langen Geschichte der Band war zweifellos ihr Auftritt 1999 zur 1000-Jahr-Feier Villingens, da sie das große Festzelt auf dem Welvert-Areal zum Vibrieren brachte. 2.500 Menschen jubelten der Combo 310 zu, tanzten, klatschten und sangen sich in kol- lektive Glückseligkeit. Wenn der Vater mit dem Sohn… – Fans über alle Generationen hinweg Mittlerweile gehören Fans zum Stammpubli- kum, die noch nicht einmal geboren waren, als die geliebten Ohrwürmer und Evergreens erfun- den wurden. „Born to be wild“, singen heute Großeltern und Eltern mit gleicher Inbrunst wie ihre Kinder und Enkel – Auftritte von Cock’s Combo sind zu fröhlichen Familienpartys gewor- den. „This could be the last time, may be the last time – I don’t know…“ werden die fünf Heroen von Cock’s Combo auch in der bevorstehenden Weihnachtszeit wieder in die Mikros hauchen, ihren Stimmen ein kabarettreifes Schmachten verleihen und Jung und Alt zum Mitsingen ani- mieren. Und sie werden die Generationen auch in der Hoffnung vereinen, dass zumindest dieses Mal nicht das letzte Mal gewesen sein wird. Dieter Hahne jedenfalls ist zuversichtlich, dass die Rock-Oldies noch eine Weile durchhalten. „Zum 66-jährigen Bestehen der Band feiern wir dann das nächste große Jubiläum …“ Christina Nack

Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Traumergebnis für Thorsten Frei Thorsten Frei konnte bei seiner ers- ten Wiederwahl als Oberbürger- meister von Donaueschingen mit 99,2 Prozent Zustimmung glän- zen. Die Wahlbeteiligung lag bei 34,9 Prozent. Bürgermeister Bern- hard Kaiser betonte bei der Ver- kündung des Wahlergebnisses vom Rathausbalkon: „Sie haben wohl aus Respekt gegenüber dem Wähler einen super Wahlkampf ge- führt, als hätten Sie sechs Gegen- kandidaten gehabt. Der Wähler hat es Ihnen mit diesem Ergebnis heu- te zurückgezahlt.“ Villinger Papa im Rock weltweit bekannt Im August erschien in der Frauen- zeitschrift „Emma“ ein Bericht über den Villinger Papa im Rock, illustriert mit einem Foto, aufge- Magazin Der Schwarzwaldbahn-Erlebnispfad ist eröffnet: Der neue Wan- derweg verfügt über 16 Stationen und gliedert sich in zwei Touren, die auch miteinander verbunden werden können. Anfangs- und End- punkt ist der Bahnhof in Triberg. Der Wanderweg führt in die Ge- schichte des Baus der Schwarzwaldbahn und in ihren aktuellen Betrieb ein. Der oben abgebildete Steg erlaubt einen atemberauben- den Blick auf die unten im Tal vorbeigleitende Schwarzwaldbahn. Auch für die Kinder gibt es zahlreiche Attraktionen – so wird die Wandertour zum Familienspaß. nommen in der Villinger Fußgän- gerzone – heute ist Nils Pickert weltbekannt. Der 32-Jährige unterstützt seinen Sohn, der gerne Kleider und Röcke trägt – auch im Kin- dergarten, wo der Junge ausge- lacht wird. So solidarisierte sich der Vater mit dem Sohn, zeigte ihm, dass auch Männer Röcke tragen können. Schon am frühe- ren Wohnort Berlin war man ge- meinsam im Rock un terwegs. Das Foto von Vater und Sohn beim Spaziergang durch die Villin- ger Innenstadt ging dann dank Internet um die Welt – sogar die renommierte Internetzeitung Huf- fington Post zeigte es. Nils Pickert ist seither ein ge- fragter Gesprächspartner, auch für den SPIEGEL. Im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin wundert er sich darüber, dass „die Leute – auch professionelle Journalisten – mit Bild und Text machen, was sie wollen“. Denn selten ist er gefragt worden, ob man das Foto veröf- fentlichen dürfe. Wütend ist er aber nicht und bilanziert im SPIEGEL- Gespräch: „Ich habe ja Glück ge- habt. Über uns wurde generell positiv berichtet.“ Hohe Auszeichnung für die Kreisköche Die Köche im Schwarzwald-Baar- Kreis sind über ihren Zweigverein Schwarzwald-Baar im bundeswei- ten „Berufsverband der Köche“ mit 140 Mitgliedsvereinen organisiert. Als Krönung seiner vorbildlichen Arbeit bekam nun der „Verein der Köche Schwarzwald Baar“ beim Laurentiustag 2012 der Köche den erstmals vergebenen Pokal als „bester Zweigverein des Jahres“ überreicht. Die Auszeichnung nahmen die Köche aus der Region mit ihrem 311

Magazin Vorsitzenden August Guter aus Brigachtal natürlich gerne und stolz in Empfang. 34 Jahre lang war August Guter Ausbilder an der Landesberufsschule für das Ho- tel- und Gaststättengewerbe in Villingen. August Guter kochte lange aktiv in der Nationalmann- schaft der Köche. Gesundheitsbe- wusste Ernährung gehört neben der raffinierten Zubereitung von Spezialitäten zu den Hauptthe- men im Verein. ms Torben Dorn neuer Bürger- meister von Dauchingen Mit überzeugenden 77,5 Prozent (1.403 Stimmen) ist Torben Dorn am 16. Oktober 2011, und damit kurz nach Redaktionsschluss unseres Jahrbuches, zum neuen Bürgermeister von Dauchingen gewählt worden. Gut ein Jahr im Amt, konnte Torben Dorn im Okto- ber 2012 seine Gemeinde im Rah- men des Antrittsbesuches dem neuen Landrat Sven Hinterseh vorstellen. Torben Dorn berichtete Landrat Hinterseh, dass das Ge- werbe in Dauchingen stark wächst und die Gemeinde beste Entwick- lungschancen hat. Solemar in Bad Dürrheim feiert 25-jähriges Bestehen Das Solemar ist der Tourismus- magnet in Bad Dürrheim und es feierte im Oktober 2012 ein gro- ßes Jubiläum: Die Einrichtung be- steht seit 25 Jahren und in diesem Vierteljahrhundert zählte die Kur- und Bäder GmbH fast zehn Millio- nen Besucher. Ein Team von 200 Mitarbeitern steht täglich Besu- chern aus ganz Europa zur Verfü- 312 Zurück in der 1. Bundesliga: Der SV Triberg feierte im November 2011 durch den 21:13-Heimsieg gegen die RKG Freiburg die Meister- schaft in der 2. Ringer-Bundesliga. Den Triberger Ringern gelang da- mit das Kunststück, dreimal in Folge aufzusteigen – ein historischer Titel-Hattrick. Damit kehrte der Traditionsverein nach knapp 30 Jah- ren in die 1. Bundesliga der Ringer zurück. Vor drei Jahren kämpfte der SV Triberg noch in der Oberliga Südbaden. Der Start in der höchs- ten Klasse ist den Tribergern geglückt, einmal mehr auch dank der starken Leistung der Brüder Kai und Jan Rotter (Fotos oben, v. links. Siehe dazu auch den Almanach 2010). gung – vor allem aus Deutschland und der Schweiz kommen die Gäste. Die mit Holzschindeln be- deckten Solebohrtürme sind das Markenzeichen von Bad Dürr- heim. Das einstige Bauerndorf „Durroheim“ verdankt seinen Auf- stieg zu einem bekannten Sole- Heilbad dem Salz. Wo einst die Großherzogin Luise von Baden und Bert Brecht gekurt haben, bringen sich heute Jahr für Jahr mehrere Zehntausend Besucher und Kurgäste für den Alltag in Schwung. Im Schatten der vier noch existierenden Bohrtürme kann Europas höchstgelegenes Sole- Heilbad ( 733 Meter über dem Meer) auf eine über 150-jährige Kompetenz im Bereich Kur und Rehabilitation verweisen sowie sich zu einem der führenden Kur- orte Deutschlands zählen.

Die geballte Gesundheits- kompetenz hat die Stadt im Well- ness- und Gesundheitszentrum Solemar, das schon aufgrund sei- ner imposanten Architektur eines der schönsten Bäder in ganz Deutschland ist, konzentriert. Als im Jahr 1881 damit begonnen wur- de, Bäder und Kurhäuser zu bau- en, da war wohl niemandem be- wusst, welche Erfolgsgeschichte damit beginnen würde. Bad Dürrheim bietet seinen Gästen immer den besten Service, was auch durch den Gewinn des Deutschen Tourismus Preises in der Sonderkategorie ServiceQua- lität 2010 gewürdigt wurde. Abschied aus der Redaktion des Almanachs Landrat Karl Heim ist in den Ruhe- stand getreten – und zwei weitere verdiente Mitglieder der Alma- nach-Redaktion haben sich aus Altersgründen gleichfalls von ihrer Tätigkeit für das Jahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises zurückgezogen: Karl Volk aus Tri- berg-Gremmelsbach (s. Seite 89) und Willi Todt aus VS-Villingen, in dessen Druckerei der Almanach seit bald 40 Jahren gedruckt wird. Sein Vater hat den Almanach zu- sammen mit Landrat Dr. Rainer Gutknecht begründet. Landrat Sven Hinterseh ver- ab schiedete die Redaktionsmit- glieder mit einer Schoko-Ku- ckucks uhr aus der Schwarzwäl- der Genusswerkstatt in St. Geor- gen. Er dankte für die engagierte und ideenreichte Mitarbeit. Land- rat Karl Heim betonte, dass das Jahrbuch die einzige Publikation sei, in der sich der Landkreis in seiner Gesamtheit präsentiere. Mit Männerparkplatz weltweit in den Medien Die Triberger Ringer steigen in die Erste Bundesliga auf – und der Bürger meister zeigt sich im medialen Bereich weltmeister- lich: Zwei Parkplätze im neuen Triber ger Parkhaus, die schlecht anfahrbar sind, hat Dr. Gallus Strobel aus der Not heraus kur- zerhand als Männerparkplätze ausgewiesen. Mit un erwarte- tem Publicity-Erfolg: Nicht nur deutsche Medien wollten von Dr. Gallus Strobel wissen, wie er auf die weltweit einzigartige Idee gekommen sei. Allein 40 Radiointerviews gab der Bür- germeister, die auch in Öster- reich, Frankreich, England,Ir- land und selbst Südafrika ge- sendet wurden. 15 Fernseh- teams waren vor Ort – ihre Bei- träge waren selbst in Russ land, Italien und den USA zu sehen. Die überschaubare Zahl der Kritiker indes wurde von der völ- lig unerwarteten und überwie- gend humorvoll-positiven Pub li- city-Wel le für Triberg geradezu „weg ge spült“. Und auch die meisten Frauen nahmen die Sa- che mit Humor – etliche parkten demonstrativ und exzellent auf dem „Männerparkplatz“ ein. Ein Marssymbol – das Zei- chen für Männlichkeit – kenn- zeichnet die beiden Plätze. Und Rückwärts einparken, die Beifahrerseite zeigt zur Wand – der Triberger Männerparkplatz. Magazin Bürgermeister Dr. Gallus Stro- bel und der Männerparkplatz. Fakt ist: Sie liegen so, dass die Autos mit ihrer Längsseite zur Wand stehen. Man muss jeden- falls rückwärts einparken – denn nur dann kann man auf der Fah- rerseite aussteigen. Dieter Stein hat zum Män- nerparkplatz eine Kurzgeschich- te mit Bildern verfasst. Darin resümiert der stadtbekannte Autor: „Selbst der teuerste, auf Hochglanzpapier gedruckte Wer beprospekt hätte niemals diesen Effekt erreicht. So ha- ben wir es dem Bürgermeister zu verdanken, dass ohne viel Geld auszugeben, Triberg in den Mittelpunkt der Weltöffentlich- keit gestellt wurde.“ 313

Magazin 1.500 Geburten jährlich im Schwarzwald-Baar-Klinikum Das Schwarzwald-Baar-Klinikum wird bei den Frauen als Ort für die Geburt immer beliebter: So er- blickten dort im Jahr 2011 exakt 1.500 Kinder das Licht der Welt. 2012 dürften es nochmals gut 100 mehr sein, lautet die Prognose des 25-köpfigen Hebammen- Teams, dem in der Klinik für Frau- enheilkunde und Geburtshilfe fünf Kreißsäle zur Verfügung ste- hen. Die Kreißsäle sind mit flexib- lem Inventar ausgestattet, das annähernd keine Wünsche offen- lässt. Die werdenden Mütter kön- nen im Sitzen, in der Hocke oder in Vierfüßlerstellung gebären, natür- lich auch im Liegen. Manche ent- scheiden sich für eine Geburt im Wasser, das mit 37 Grad so warm ist wie der Mutterleib und dem neuen Menschlein eine behag- liche Ankunft bereiten soll. Werdende Eltern werden an fünf Informationsabenden auf Ge- burt sowie Babypflege bis zum ersten Lebensjahr vorbereitet und über das Stillen und eine gute Er- nährung informiert. Zur Service- Palette gehören Geburtsvorberei- tungs- und Rückbildungskurse, spezielle Sprechstunden für Fra- gen zu Pränataldiagnostik, Dopp- lersonographie und 3D-Ultra- schall. Wachsender Beliebtheit erfreuen sich Babymassagekurse und das Still-Café. Die Zeiten, da werdende Väter nervös auf den Klinikfluren ent- langtigerten und sich die Nasen an der dicken Glasscheibe platt drückten, hinter der sie Sohn oder Tochter das erste Mal bewundern durften, sind längst vorbei. Heute ist die Präsenz werdender Väter bei der Geburt die Regel, fast alle Frauen wünschen diese Unterstüt- zung. cn Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag 30.6.2012 30.6.2011 30.6.2010 Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 3,4 % 3,5 % 4,9 % 3,7 % 3,9 % 4,7 % 6,6 % 6,9 % 7,5 % Beschäftigte insgesamt: 77.262, davon 33.526 im Produzierenden Gewerbe (43,5 %), 14.279 in Handel, Gastgewerbe und Verkehr (18,6 %) sowie 29.301 im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ (37,9 %). (Stand: Juni 2011 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg) Orden und Ehrenzeichen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2011 ausgezeichnet: Brunhilde Diehl-Hourani (Villingen-Schwenningen), Ludwig Schwer (Furtwangen), Werner Bidlingmaier (Bad Dürrheim) Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2012 ausgezeichnet: Gerlinde Effinger (Brigachtal), Martin Hirt (Brigachtal), Werner Nopper (Furtwangen), Albert Wartmann (Hüfingen), Manfred Kuchler (Königsfeld), Franz Kuscher (Triberg), Siegfried Kammerer (Triberg), Oskar Kammerer (Triberg), Peter Erber (Villingen-Schwenningen), Manfred Riegger (Villingen-Schwenningen), Karl Hauger (Villingen-Schwenningen), Ernst Engesser (Donaueschingen), Hubert Stolz (Donaueschingen), Siegfried Burger (Schonach) Mit der Heimatmedaille des Landes Baden-Württemberg wurde 2012 ausgezeichnet: Eva von Lintig, Hüfingen Das Bundesverdienstkreuz haben 2012 erhalten: Wolfgang Kaiser, Bad Dürrheim und Heinrich Glunz, Bad Dürrheim 314

Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Ge mein de Ver än de run gen Anhang in Zah len -32 -62 127 -43 -93 1 -66 -32 40 -83 15 -19 -44 -26 6 -38 57 13 -36 -6 in Pro zent -0,04 -0,29 0,97 -0,33 -0,93 0,01 -0,86 -0,54 0,67 -1,41 0,29 -0,40 -1,14 -0,69 0,16 -1,25 1,95 0,48 -1,53 -0,51 Villingen-Schwenningen Donaueschingen Bad Dürrheim St.Georgen Blumberg Furtwangen Hüfingen Königsfeld Niedereschach Bräunlingen Brigachtal Triberg Schonach Vöhrenbach Dauchingen Mönchweiler Tuningen Unterkirnach Schönwald Gütenbach Stand der Wohn be völ ke rung 31.12.2011 31.12.2010 81.022 80.990 21.128 21.066 12.912 13.039 13.014 12.971 10.045 10.138 9.249 9.250 7.722 7.656 5.995 5.963 5.888 5.928 5.886 5.969 5.095 5.110 4.790 4.771 3.889 3.845 3.779 3.805 3.671 3.677 3.081 3.043 2.863 2.920 2.722 2.735 2.353 2.389 1.193 1.187 Kreisbevölkerung insgesamt 206.214 206.535 -321 -0,16 Schonach 3.845 Triberg 4.771 Schönwald 2.353 Furtwangen 9.250 St. Georgen 12.971 Königsfeld 5.963 Unterkirnach 2.735 Gütenbach 1.187 Vöhrenbach 3.779 Mönchweiler 3.043 Villingen- Schwenningen 80.990 Brigachtal 5.110 Bräunlingen 5.886 Niedereschach 5.928 Dauchingen 3.677 Bad Dürrheim 13.039 Tuningen 2.920 Donaueschingen 21.066 Hüfingen 7.656 Blumberg 10.045 315

Anhang Bildnachweis Almanach 2013 Motiv Titelseite: Schwarzwälder Uhrenträger beim Landestrach- tenfest 2012 in Donaueschingen, Wilfried Dold, Vöhrenbach. Motiv Rückseite: Am Klosterweiher in St. Georgen. Fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach. bardi, Donaueschingen: 167 ob., 167 m. r. ob. – Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 230-235, 236, 237 ob., 237 u.– Manfred Mohr, Vöhren- bach: 258-271 ob. – Ferienland Hans-Peter Weiss, Schönwald: 277 ob. – Hans-Jürgen Götz, Brigachtal: 280-285 – Birgit Heinig, VS-Villin- gen: 288 – Gabriele Karcher, VS-Villingen: 292- 296 – Jochen Hahne, VS-Villingen: 308-310 – Dieter Stein, Triberg: 313 Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Foto gra- fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref- fenden Beitrages oder sind die Bild autoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 4, 6-20, 21, 23, 27, 28, 29,36-44, 45 u. , 46-53, 55, 59 ob. l., 59ob. r., 61 u. 62 u., 63, 65 ob., 67ob., 73, 77 ob., 87 , 112 – 117, 118 ob., 119, 120, 121, 123, 125 u. l., 127 u. l, 127 u. r., 139, 145, 152 u., 153 u., 154 ob. l, 155 ob. r., 156 u., 165 ob., 165 u., 168, 170, 171, 172-189, 190-197, 198- 205, 229 240, 241, 249, 271 u., 273 m., 273 u., 274 ob. – Landratsamt-Schwarzwald-Baar-Kreis: 22 u. l., 31, 33, 35 – Michael Kienzler, Brigachtal: 22 re.,23, 24, 25, 45 ob., 56, 57, 59 u. l., 59 u.r., 60 ob. m., 65 u., 69 ob., 92, 99, 101, 107 u., 108, 146-151 , 169, 206-213, 223 ob. m. l., 224, 225 u. , 286, 277 m. r., 277 u., 279, 287, 289, 290, 291 ob. l., 303, 307 ob., 307 m. l., 307 m. r., 312 ob. – Julia Klebitz, Ba- lingen: 26 – dold.verlag: 30, 66, 115 – Stefanie Wetzig, Niedereschach : 62 ob., 64, 67 u., 69 u. l, 69 u. r. – Rainer Jörger, VS-Schwenningen: 70, 71, 72 ob., 72 m. l., 76, 77 u. l., 77 u. r., 78, 79 – Roland Sprich, St. Georgen: 72 m. r., 75, 252, 254 u., 255 u. – Natalie Göbel, St. Georgen: 80 – Maria Kienzler, Triberg: 89, 253, 255 ob. l., 255 ob. r., 256, 257 – Wilfried Muckle, Furtwangen- Rohrbach: 93 – Claudius Eberl, Schonach: 129 ob. – Manfred Beathalter, Donaueschingen: 132, 133 u, 137, 154 ob. r. – Roland Sigwart, Hü- fingen: 153 ob., 155 ob. l., 159, 160, 161, 162, 164, 165 m. r., 166, 167 m. r. u., 167 u. – Franz Filipp, Überlingen: 156 ob., 157 u. – Rainer Bom- 316

Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Anhang Beathalter, Manfred, Wiesenstraße 29, 78166 Donaueschingen-Pfohren Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Fetscher, Martin, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Eberl, Claudius, Turntalstraße 37, 78136 Schonach Eisenmann, Hans-Jürgen, Ursula-Haider-Str. 31, 78052 Villingen-Schwenningen Filipp, Franz, Krummbergstraße 42, 88662 Überlingen Göbel, Natalie, Gerwigstraße 35, 78112 St. Georgen Heinig Birgit, Bozenerstraße 19, 78052 Villingen-Schwenningen Hinterseh, Sven, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannstraße 30, 78166 Donaueschingen Huber, Eva-Maria, Benediktinerring 11, 78050 Villingen-Schwenningen Hübner, Stephan, Schwarzwaldstr. 14, 78112 St. Georgen Hummel, Markus, Langenbacherstr. 26/3, 78147 Vöhrenbach Karger, Klaus Peter, Ewald-Huth-Str. 4, 78050 Villingen-Schwenningen Kienzler, Maria, Faulbergweg 11, 78098 Triberg Kienzler, Michael, Gartenstraße 15, 78086 Brigachtal Lendle, Gabi, Mönchshofstraße 9, 78183 Hüfingen Maul, Dr. Bernd, Büggenreutestraße 2, 79106 Freiburg Mohr, Dr. Bernhard, Werderring 4, 78095 Freiburg Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schubert, Marga, Hafnergasse 6, 78050 Villingen-Schwenningen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 Villingen-Schwenningen Sprich, Roland, Weidenbächlestraße 6, 78112 St. Georgen Trenkle, Wolfgang, Enzstraße 37, 78054 Villingen-Schwenningen Wacker, Dieter, Max-Stromeyer-Straße 178, 78467 Konstanz Wahlbrink, Ernst-August, Wöschhalde 32, 78052 Villingen-Schwenningen Wetzig, Stephanie, Niedereschacher Straße 31, 78078 Niedereschach Wider, Verena, St. Nepomuckstraße, 78048 Villingen-Schwenningen Winter, Matthias, Kolheppstraße 12, 78120 Furtwangen 317

2 3 4 6 14 21 30 36 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer 40 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis – Dem Almanach 2013 zum Geleit / Sven Hinterseh 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Landrat Karl Heim mit stehenden Ovationen aus dem Amt verabschiedet / Wilfried Dold Sven Hinterseh neuer Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises – „Ein faszinierendes Quellenland mit großen Chancen“ / Wilfried Dold Den Wandel gestalten! – Kreispolitik 2012 / Sven Hinterseh 40 Jahre Kreisreform – der Weg zum Schwarzwald-Baar-Kreis / Dr. Joachim Sturm Im Gespräch mit drei Landräten: Dr. Rainer Gutknecht, Karl Heim und Sven Hinterseh / Klaus-Peter Karger, Wilfried Dold 2. Kapitel / Städte und Gemeinden 40 Jahre Doppelstadt – die Fusion von Villingen-Schwenningen – Das Oberzentrum fungiert als Haupt-Impulsgeber des Schwarzwald-Baar-Kreises / Dieter Wacker Weigheim – da geht die Sonne auf! – Im Jahr 763 erstmals als „Wicaheim“ erwähnt – Älter als Villingen und Schwenningen / Stephanie Wetzig St. Georgen – die sonnige Bergstadt ist ein Ort mit viel Zukunfts-Potenzial – Die viertgrößte Stadt im Schwarzwald-Baar-Kreis hat eine starke Wirtschaftsstruktur / Stephan Hübner 3. Kapitel / Persönlichkeiten Georg Papst – An seiner Energie und seinem Erfolg ließ der Unternehmer Georg Papst seine Heimatstadt St. Georgen immer wieder neu teilhaben / Nathalie Göbel Wolfgang Förtsch – Erfolgreicher Geschäftsführer von BIW – In die „Hall of Fame“ von John Deere eingezogen / Bernhard Mohr Karl Volk – Drei Jahrzehnte lang als Autor des „Almanach“ tätig – Ein engagierter Gremmelsbacher / Maria Kienzler Wolf Hockenjos – Renommierter Forstmann, Naturschützer, Fotograf und bekannter Buchautor / Christina Nack Emil Rimmele – Fast zwei Jahrzehnte lang der Bürgermeister von Schönwald gewesen / Maria Kienzler Karin Pittner – Die gelernte Schauspielerin lebt im Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition / Eva-Maria Huber 4. Kapitel / Wirtschaft Zukunft auf starkem Fundament – Volksbank Villingen wächst mit neuem Gebäude und durch Fusion mit der Volksbank Hegau / Verena Wider Ketterer Druckguss gehört zu den modernsten Druckgießereien in Europa – Das 250 Mitarbeiter große Unternehmen feierte 2012 sein 180-jähriges Bestehen / Wilfried Dold Schwarzwalduhr mit jungem Design – Die Schonacher Uhrenmanufaktur Rombach & Haas erreicht mit ihren modern designten Schwarzwalduhren international Aufmerksamkeit / Claudius Eberl Küpper-Weisser – Experten für Räumen und Streuen – Von der Baar in die Welt: Schneepflüge und Streufahrzeuge stammen oft aus Bräunlingen – 2001 wurde Küpper-Weisser vom Schweizer Familienunternehmen Boschung übernommen / Manfred Beathalter 54 62 70 80 84 89 93 96 99 102 112 122 130 318

Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel / Soziales Den letzten Weg als einen „Weg des Lichts“ gehen – Die Hospizbewegung und das Hospiz „Via Luce“ begleiten Sterbende – Auch ein Palliativzentrum könnte schon bald Wirklichkeit sein / Birgit Heinig Der Bunte Kreis unterstützt Familien – Vernetzte Hilfe, wenn Kinder zu früh oder nicht gesund auf die Welt kommen / Christina Nack 6. Kapitel / Bildungseinrichtungen Sorge tragen füreinander – An der Karl-Wacker-Schule in Donaueschingen lernen geistig behin derte Kinder ihren Weg in ein möglichst selbstständiges Leben zu finden / Eva-Maria Huber 7. Kapitel / Brauchtum Heimattage Baden-Württemberg stehen im Zeichen der Donau – Der ganzjährige Veranstaltungsreigen faszinierte rund 350.000 Zuschauer / Franz Filipp Fronleichnam in Hüfingen – Blumenkunst zum Herrgottstag / Gabi Lendle 8. Kapitel / Geschichte Balzer Herrgott – der umklammerte Christus – Der Gütenbacher Bildhauer Josef Rombach bewahrt den Christus in der Buche vor der Zerstörung und dokumentiert den Wandel / Elke Schön 138 143 146 152 172 190 9. Kapitel / Museen Der neue Narrenschopf in Bad Dürrheim – Attraktivere Daueraustellung und energetische Sanierung / Hans-Jürgen Eisenmann 198 10. Kapitel / Kunst und Künstler Lore Will – Schmuck und Kunst – Die Goldschmiedin aus Königsfeld hat sich auch als Malerin einen Namen gemacht / Christina Nack Ariane Faller und Mateusz Budasz – Reflexionen in und mit dem Raum. Die jungen Furtwanger Künstler erfreuen sich eines großartigen Renommees / Stefan Simon 11. Kapitel / Geologie Versteinertes Leben – Auf Fossiliensuche im Schwarzwald-Baar-Kreis – Erdgeschichten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis / Ernst-August Wahlbrink, Dr. Bernd Maul 12. Kapitel / Umwelt und Natur Die Fichte – Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 7) / Wolf Hockenjos Vom Säntis bis zur Blümlisalp – Ausblicke – Einblicke: Villinger Aussichtstürme auf der Wanne und dem Hubenloch bieten Blicke bis zu den Schweizer Alpen / Wolf Hockenjos 13. Kapitel / Regenerative Energie Wenn die Wärme aus der Tiefe des Schwarzwaldes oder der Baar kommt – Zur Erdwärmenutzung im Schwarzwald-Baar-Kreis / Martin Fetscher 206 214 222 230 236 242 319

Inhaltsverzeichnis 14. Kapitel / Freizeit Neues Leben blüht aus den Ruinen – Der Reinertonishof ist wieder eröffnet. Familie Duffner hat ihr Kulturdenkmal im Schönwälder Schwarzenbachtal wieder aufgebaut / Maria Kienzler 15. Kapitel / Sport und Sportgeschichte Manfred Mohr – eine Vöhrenbacher Formel-3-Rennsportlegende. Wolfgang Graf Berghe von Trips erkennt das großartige Talent – Dramatischer Unfall in Brands Hatch verhindert 1968 den Aufstieg in die Formel 2 / Wilfried Dold, Markus Hummel „Go for gold“: Das Skiinternat Furtwangen (SKIF) gilt als Eliteschule des Sports. Georg Hettich, Martin Schmitt oder Simone Hauswald: viele Olympiasieger und Medaillengewinner haben „Furtwanger Wurzeln“ / Matthias Winter Punktgenau im Zielkreis: Das Fürstenberg-Fallschirm-Team. Seit mehr als 30 Jahren ist das Fürstenberg-Fallschirm-Team mit seinen Formationssprüngen bei Wettbewerben erfolgreich und die Attraktion bei zahlreichen Veranstaltungen / Roland Sprich Eiskunstlaufen in Schwenningen wird als Sport immer beliebter – Bis in die Meisterklasse: Der SERC hat seit den 1960er-Jahren etliche erfolgreiche Eiskunstläuferinnen hervorgebracht / Birgit Heinig 16. Kapitel / Gastlichkeit Das gastliche „Haus am Fluss“ – Die „Wirtschaft zum Schlachthof“ in prachtvollem Jugendstilgebäude an der Brigach in Villingen vereint Tradition und Moderne zu stilvollem Ambiente / Marga Schubert Caritas eröffnet den Fohrenhof. Dank Inklusion: Sieben Menschen mit Behinderungen haben einen Arbeitsplatz gefunden – Regionale Küche in bester Qualität wird geboten / Wolfgang Trenkle Heimelige, urige Gastlichkeit – Das traditionsreiche Gasthaus Krone in Buchenberg verdankt die Wiedereröffnung auch der Initiative seiner Stammgäste / Christina Nack 17. Kapitel / Musik 33 Jahre Cock’s Combo – Die Villinger Kultband hat immer um Weihnachten herum stets nur einen Auftritt im Jahr / Christina Nack Anhang Almanach-Magazin Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen Orden und Ehrenzeichen Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Bildnachweis Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Inhaltsverzeichnis 252 258 272 280 286 292 297 302 308 311 314 314 315 316 317 318 320

Am Klosterweiher in St. Georgen Fotografiert von Wilfried Dold