Almanach 2023

 

Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis in Zusammenarbeit mit dem dold.verlag www.schwarzwald-baar-kreis.de landratsamt@schwarzwald-baar-kreis.deInformationen zum Jahrbuch können auch im Internet recherchiert werden: www.almanach-sbk.deRedaktion: Sven Hinterseh, Landrat; Wilfried Dold, Redakteur (wd); Kristina Diffring, Referentin des Landrates; Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv; Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Nachdrucke und Vervielfältigungen jeder Art werden nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Gestaltung und Vertrieb: dold.media + dold.verlag Verlag: dold.verlag, Vöhrenbach 2022 www.doldverlag.de Druck: PASSAVIA Druckservice GmbH & Co. KG D-94036 PassauISBN: 978-3-948461-08-9 2

 

 

 

Aus dem Kreisgeschehen 50 Jahre SBK Da leben wir Das neue Verwaltungs gebäude „An der Brigach“ Momentaufnahmen aus einem Quellenland Romina Auer und Nikol Konta – Wenn Mädchen­ träume wahr werden 30 62 92 Nach dreijähriger Bauzeit hat der Schwarzwald-Baar-Kreis das Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ in Betrieb genommen. Auf 4.000 Quadratmetern sind im früheren Postgebäude gegenüber des Villinger Bahnhofes 112 Mitarbeiter des Kreisjugend amtes, des Amtes für Abfallwirtschaft, der Bußgeldbehörde und des Kreisarchivs untergebracht. Das 50-jährige Bestehen des Schwarzwald-Baar-Kreises im Jahr 2023 ist der Anlass für Momentaufnahmen – für Stipp visiten von Landrat Sven Hinterseh auf dem Rohrhards- berg, der Langenwaldschanze oder am Triberger Wasserfall. Für Gespräche und Impressio- nen beim Kreiserntedankfest in Bräunlingen und Begegnungen mit den Initiatoren des neuen Donau-Zusammenflusses. Mitten in Schwenningen, im Alten E-Werk, führen Romina Auer und Nikol Konta ihr Brautatelier „La belle mariée“. Damit erfüllen sie nicht nur die Träume vieler Frauen vom perfekten Hochzeitskleid, sondern auch ihre eigenen: Seit Oktober 2021 sind sie selbstständig und nahmen auch an der TV-Show „Zwischen Tüll und Tränen“ teil. 4 Inhalt

 

 

 

Inhaltsverzeichnis 2 Impressum 8 Tiefgreifende Veränderungen warten auf uns – gehen wir sie gemeinsam und mit Zuversicht an! / Sven Hinterseh 10 Impressionen aus Schwarzwald und Baar / Wilfried Dold 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen 22 Hilfe für die Ukraine – Von einem Krisenmodus in den nächsten / Marc Eich 30 Neues Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ / Andreas Flöß 42 Klinikschule der Luisenklinik – Für eine gute Zukunft der jungen Patienten / Wilfried Strohmeier 2. Kapitel / 50 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis 50 „Ich bin zuversichtlich, dass sich unser Landkreis im Wettbewerb der Zukunftsregionenregionen behaupten kann“ – Im Gespräch mit Landrat Sven Hinterseh / Klaus Peter Karger / Wilfried Dold 62 Momentaufnahmen aus einem Quellenland / Wilfried Dold 3. Kapitel / Da leben wir 92 Romina Auer und Nikol Konta: „Ganz in Weiß“ – Wenn Mädchenträume wahr werden / Elke Reinauer 102 Patrick Bäurer – Ein Leben mit dem Ball / Hans-Jürgen Götz 112 Selina Haas – Tradition und Moderne kreativ verknüpft / Marc Eich 120 Daniela Maier: Skicross-Weltelite aus dem Schwarzwald – Bronze bei Olympia / Silvia Binninger 4. Kapitel / Wirtschaft 132 lehmann_holz_bauten – Modernes Wohnen mit dem ursprünglichsten aller Baumaterialien / Roland Sprich 140 Die Klinik am Doniswald – Psychotherapie und Seelsorge / Barbara Dickmann 148 75 Jahre Hezel GmbH – Vom Pionier zum hochmodernen Entsorgungsfachbetrieb / Roland Sprich 158 Wilhelm Stark Baustoffe GmbH – Seit 90 Jahren ein solider Partner für Handwerker und Bauherren / Wilfried Strohmeier 5. Kapitel / Geschichte 168 Der Stolz von Villingen – Die Münstertürme und ihr prachtvolles Geläut / Bernd Möller 5 Geschichte Die Münstertürme und ihr prachtvolles Geläut 168 Das Münster ist mit seinen beiden 50 Meter hohen Türmen das Wahrzeichen von Villingen. Im Innern befinden sich ein neunstim- miges Geläut und ein 51 Glocken umfassendes Glockenspiel, das zu den prächtigsten im süddeut- schen Raum zählt. Mesner Andreas Franz Turner ist wie kein Zweiter mit den Türmen und dem Spiel der Glocken vertraut. Inhalt

 

 

 

Kunst und Kultur Freizeit Vereine und Einrichtungen Das Museum Art.Plus in Donaueschingen Mythen und Zauber der Wutachflühen Bergwacht Furtwangen – Eine der ältesten Orts­ gruppen im Schwarzwald 216 226 246 Das im Jahr 2009 eröffnete Museum richtet seinen Fokus auf zeitgenössische Kunst. Mit einer Vielfalt künstlerischer Positionen ermöglicht das Museum Art.Plus einen abwechslungsreichen Einblick in das moderne Kunstgesche- hen auf interna tionalem Niveau, berücksichtigt aber auch das regionale Kunst- schaffen. Die Wutach, der letzte ungebändigte Wildfluss des Schwarzwalds, schuf mit seiner tief eingegrabenen Schlucht nicht nur ein touristisches Juwel, sondern auch ein aufgeklapptes Lehrbuch für Geologen. In rascher Folge lassen sich hier die Formationen der südwest- deutschen Schichtstufenland- schaft durchwandern. Im Sommer 2022 beging die Bergwacht Schwarzwald den 100. Jahrestag ihrer Gründung. Nur unwesentlich jünger ist die Ortsgruppe Furtwangen: Bereits im Jahre 1924 fanden sich in Furtwangen sechs an der Natur interessierte Menschen aus den Reihen des Schwarzwald- vereins, des Skiclubs und den Naturfreunden zusammen, um eine Bergwacht zu gründen. 6 Inhalt

 

 

 

182 EGT – Auf der Suche nach dem Heiligen Gral der Elektromobilität / Wilfried Dold 200 Gedächtnis für die „Fürstenberger Lande“ – Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen / Edgar H. Tritschler 6. Kapitel / Kunst und Kultur 216 Das Museum Art.Plus – Eine Geschichte über Kontinuität und Wandel in Architektur und Kunst / Ursula Köhler 7. Kapitel / Freizeit 226 Mythen und Zauber der Wutachflühen / Wolf Hockenjos 242 Schroffe Felsen, sanfte Höhen – Eine Wanderung bei Gremmelsbach und Windkapf / Gerhard Dilger 8. Kapitel / Vereine und Einrichtungen 246 Bergwacht Furtwangen – Eine der ältesten Ortsgruppen im Schwarzwald / Gerhard Dilger 256 Wenn Kinder der Natur und Tieren ganz nahe kommen – Der Bauernhofkindergarten in Waldhausen / Dagobert Maier 9. Kapitel / Gastlichkeit 264 Feines erleben – Das Hotel-Restaurant „Die Burg“ in Aasen / Tanja Bury 276 Zum Wilden Michel – “Wilde Welt“ im (fast) stillen Linachtal / Daniela Schneider 290 Mit Herz und Hand – Der Löwen in Brigachtal / Josef Vogt Anhang 299 Almanach-Magazin 302 Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis, Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen, Orden und Ehrenzeichen 303 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge / Bildnachweis 304 Ehrenliste der Freunde und Förderer Ergänzende digitale Inhalte zum Almanach 2023 finden unsere Leser unter: www.almanach-sbk.de/almanach2023-digital Gastlichkeit Zum Wilden Michel – „Wilde Welt“ im (fast) stillen Linachtal 276 Zwischen Bauernhof- romantik, Naturidylle und absolut null Handy- netz wurde 2021 mit der Gaststätte „Zum Wilden Michel“ etwas Besonderes auf den Weg gebracht. Das spricht sich rum. Und immer noch mehr Leute wollen wissen und erleben, was den Reiz der Kultgast- stätte genau ausmacht. Inhalt 7

 

 

 

Tiefgreifende Veränderungen warten auf uns – gehen wir sie gemeinsam und mit Zuversicht an! Liebe Leserinnen und Leser, nach drei Jahren mit Pandemie, Krisen, düsteren Zukunftsprognosen, was die Energieversorgung, Preiserhöhungen und die finanzielle Situation im All- gemeinen sowie den Weltfrieden angeht, wollen wir mit diesem Schwarzwald-Baar-Buch für ein wenig Ablenkung, Zerstreuung und Abwechslung sorgen. Pandemiebewältigung, nicht abreißende Flüchtlings- ströme, die unsere Unterbringungsmöglichkeiten an die Kapazitätsgrenze bringen sowie Gasmangel, Preiserhöhungen und Energiesparen an allen Ecken und Enden haben in den letzten Monaten unser Le- ben vorwiegend bestimmt. Fachkräfte mangel und Materialverknappung sind im Alltag schon spürbar. Auch die Prognosen von Experten lassen keine schnelle Besserung erwarten. Zahlreiche Existenzen sind bedroht, viele Bürgerinnen und Bürger plagen Zukunftsängste und die Ungewissheit vor dem, was wohl noch kommen wird, scheint einen das ein oder andere Mal beinahe zu erdrücken. Gerade deshalb wollen wir mit diesem Werk die Gelegenheit bieten, dem herausfordernden Alltag für ein paar Augenblicke zu entfliehen. So können Sie sich im Almanach 2023 über ganz „Normales“ und dennoch Besonderes freuen: über Menschen wie „du und ich“, beeindruckende Persönlichkeiten, span- nende und außergewöhnliche Lebens-, Firmen- und historische Geschichten, die für Unterhaltung und Kurzweiligkeit sorgen. Das Schwarzwald-Baar-Buch lädt dazu ein, seine Gedanken in Zuversicht, Mut und Lebensfreude zu wandeln – ergreifen Sie diese Chance! Einen großen Teil nimmt in diesem Jahr auch un- ser Kreisjubiläum ein – 50 Jahre Schwarzwald-Baar- Kreis. Bereits ein halbes Jahrhundert lang sind Städte und Gemeinden und somit natürlich die darin leben- den Menschen in unserem Landkreis nun schon zu- sammengewachsen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat sich zum echten Heimat- und Wohlfühlort etabliert und entwickelt sich stetig weiter. Die Menschen, die hier leben, sind zukunftsorientiert und traditions- bewusst, innovativ und erfolgreich zugleich – darauf können wir stolz sein und daraus Zuversicht schöp- fen! Diese Menschen sind unsere Vergangenheit und unsere Zukunft, unsere Leistungsfähigkeit und unser ganzes Potential – und auf diese Kraft können wir auch in Zukunft bauen. Ein großes Dankeschön gilt in der inzwischen 47. Ausgabe des Almanach erneut den zahlreichen Förderern und treuen Freunden des Schwarzwald- Baar-Buchs sowie allen Autoren und Fotografen, die wieder einmal entscheidend dazu beigetragen ha- ben, dass eine attraktive, sehr informative Publikati- on mit großer Themenvielfalt entstehen konnte. Mein besonderer Dank gilt auch in diesem Jahr dem dold.verlag aus Vöhrenbach, der ein weiteres Mal dafür gesorgt hat, dass mit dem Almanach 2023 ein ganz besonderes und einzigartiges Werk entstan- den ist. Daher freue ich mich auch weiterhin auf eine vertrauensvolle und erfolgreiche Kooperation in den kommenden Jahren für unser Herzensprojekt – dem Schwarzwald-Baar-Buch, unserem Almanach. Ihnen, den Leserinnen und Leser des Almanach 2023, möchte ich ebenfalls für Ihre teilweise über Jahrzehnte gewachsene Verbundenheit danken und wünsche Ihnen mit unserem Schwarzwald-Baar- Buch einmal mehr eine interessante, unterhaltsame Lektüre sowie viel Freude dabei. Halten Sie uns auch weiterhin die Treue! Ihr Sven Hinterseh, Landrat 8 Zum Geleit

 

 

 

Unterwegs am Rohrhardsberg bei Schonach. Landrat Sven Hinterseh besucht Ranger Nikolas Binder, macht sich im Rahmen einer Stippvisite mit einem Naturschutzgebiet vertraut, das eine der letzten Auerhahnpopulationen im Schwarzwald beherbergt (s. S. 64). 9

 

 

 

Winter in Schönwald. Das Schwarzenbachtal mit Anstieg des Fernskiwanderweges hinauf zur Weißenbacher Höhe.

 

 

 

Blick von Rohrbach über die Fuchsfalle hinweg zur Bergwelt bei Triberg. Links im Tal unten der Doldenhof an der L 175 liegend.

 

 

 

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Frühlingsblumen am Rain eines Feldweges in Linach: Margeriten, Acker- oder Wiesenwitwen- blumen, Habichtskraut, diverse Gräser und ein Meer von Schmetterlingen sind zu sehen.

 

 

 

Alt-Villingerin Die Tracht der Alt-Villingerin ist seit jeher der Ausdruck von Bürgerstolz: Die silberne, goldene oder schwarze Radhaube wird ebenso im Bodenseegebiet, Oberschwaben, Allgäu und in Vorarlberg getragen – ein Hinweis auf die Zugehörigkeit zum Reich der Habsburger. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts verschwand die edle Frauentracht aus dem Alltagsleben und kehrte an der Wende zum 20. Jahrhundert als Begleiterin des Narro zumindest an der Fastnacht ins Alltagsleben zurück. Als sich im Jahr 1926 in Villingen ein Volkstrachtenverein gründet, ist die Alt-Villingerin fortan auch bei Trachtenfesten zu sehen. Heute tragen auch junge Frauen wie Joline Rothmund die Villinger Tracht – vorzugsweise an der Fastnacht. 16

 

 

 

 

 

 

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Gleitschirmflieger auf dem Fürstenberg. Im Herbst herrscht am Startplatz Süd des Baarflieger Fürstenberg- Geisingen e.V Hochsaison. Die Thermik und die Talwinde werden schwächer, die Flugbedingungen sind ideal.

 

 

 

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Klirrend kalter Wintermorgen an der jungen Donau bei Neudingen.

 

 

 

Hilfe für die Ukraine – Von einem Krisenmodus in den nächsten Die Corona-Krise war noch nicht komplett überstanden, da rollte auf den Landkreis schon die nächste Herausforderung zu: Angesichts des Angriffs von Russland auf die Ukraine musste sich der Schwarzwald-Baar-Kreis auf eine neue Flüchtlingswelle einstellen. Vom 14. März bis 26. September 2022 wurden 3.042 Menschen im Landkreis registriert, mehr als die Hälfte davon sind Frauen. Nicht nur, dass ein Rädchen ins andere griff, sondern auch der Zufall half dabei, dass die Situation gemeistert werden konnte. von Marc Eich 14. März 2022, 10.41 Uhr, Sturmbühlstraße in Villingen-Schwenningen. 18 Tage, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin eine Invasion auf die Ukraine in Gang gesetzt hat, sind die Auswirkun- gen dieses Befehls knapp 1.500 Kilometer Luftlinie entfernt zu spüren. Denn in der Flüchtlingsunter- kunft, die zunächst als zentrale Anlaufstelle für die Geflüchteten des Krieges eingerichtet worden war, herrschte der Ausnahmezustand. „Schon am Vormittag war hier ‚Land unter‘“, erinnert sich Eberhard Weckenmann. stab unter Leitung von Landrat Sven Hinterseh zusammengefunden und beschlossen, dass die Erstregistrierung und Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge nur durch eine gemeinsame Arbeit zu bewältigen sei. Deshalb hatte man sich frühzeitig da- zu entschlossen, ein Aufnahmezentrum mit allen be- teiligten Behörden zu gründen. Das Sozialamt wurde als Steuerungsstelle für sämtliche Bereiche auserko- ren. Man ging zunächst davon aus, dass die zentrale Aufnahmeeinrichtung des Landkreises in der Sturm- bühlstraße der richtige Ort dafür sei. Allerdings Es muss reagiert werden Der 63-Jährige, der im Sozialamt des Landkreises tätig ist und sich unter anderem in der Unteren Auf- nahmebehörde um die Unterbringung von Flücht- lingen kümmert, hat noch vor Augen, mit welchen Heraus forderungen das Team gleich zu Beginn zu kämpfen hatte. An Aschermittwoch, sechs Tage nach Kriegsbeginn, hat sich im Landrats amt der Krisen- Die Not hat viele Gesichter – die Männer kämpfen gegen die russischen Angreifer, viele ukrainische Frauen und Kinder können sich durch eine Flucht nach Deutschland in Sicherheit bringen. Allein im Schwarzwald-Baar-Kreis finden 3.042 Frauen und Kinder eine vorläufige Unter- kunft (Stand 22. September 2022). 22 1. Kapitel – Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

wusste man zu diesem Zeitpunkt nicht, mit welchem Ansturm zu rechnen sein würde. So gestaltete sich der Starttag am 14. März als ziemlich chaotisch. Auf- enthaltsräume mussten zu Wartebereichen umfunk- tioniert werden, zwischenzeitlich fanden sich dort 70 bis 80 Menschen wieder, in der Küche wickelten Mütter ihre Kinder und bereiteten das Essen zu. Und das zu Zeiten von Corona. Schnell war klar: Es muss reagiert werden. „Auch Landrat Sven Hinterseh hat gesagt: ‚So kann man gar nicht arbeiten‘“, erklärt Eberhard Weckenmann. Was dann in die Wege geleitet wurde, das sieht der Flüchtlingsexperte als „beeindruckend“ an. Denn innerhalb von einer Woche schaffte es das Landrats- amt im Zusammenspiel mit den Großen Kreisstäd- ten Villingen-Schwenningen und Donaueschingen sowie auch dank der Unterstützung der Hilfs- und Rettungsorganisationen und vieler ehrenamtlicher Kräfte eine neue zentrale Aufnahmestelle aus dem Boden zu stampfen. Als Standort nutzte man die Sporthalle der Albert-Schweitzer-Schule in Villingen. „Was im Vorfeld über den Tisch von Kreisbrand- meister Florian Vetter lief, war enorm“, so Eberhard Weckenmann. Am 21. März eröffnete schließlich die neue Aufnahmestelle – und war zugleich Vorreiter im Land. „Wir waren die Ersten, die in dieser Struktur alles unter einen Hut bekommen haben“, hebt der Sachgebietsleiter für sondergesetzliche Sozialleis- tungen die Weitsichtigkeit hervor. Denn der Clou am neuen Standort: Alle notwendigen Behörden waren zentralisiert worden, die Geflüchteten konnten mit einem einzigen Besuch alle Behördengänge erledigen. Zentrale Aufnahmestelle erfasst alles Notwendige für den Aufenthalt In der zentralen Aufnahmestelle wurde eine Registrier- straße organisiert, in der alles Notwendige für den Eine logistische Herausforderung war der Transport der Möblierung und die Einrichtung der Notunterkünfte wie hier im Heilig-Geist-Spital. 24 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

Dem Krieg entkommen, aber fern der Heimat: Ukrainische Kinder beim Puppenspiel. Aufenthalt der Geflüchteten erfasst wurde und mehrere Behörden zusammenarbeiteten. Die Ausländerbehörde leitete das Verfahren ein, um einen Aufenthaltstitel erteilen zu können. Die Untere Aufnahmebehörde meldete die Geflüchteten an das Regierungspräsidium Karlsruhe, um die sogenannte „vorläufige Unterbringung“ festzustellen und sorgte – wenn nötig – für ein Dach über dem Kopf. Wenn noch keine Unterkunft in einer Gemeinde vorhanden war, erhielten die Menschen umgehend einen Unterkunftsplatz. Die vorläufige Unterbrin- gung ist wiederum für die Kostenerstattung des Landes an den Landkreis ausschlaggebend und für die darauf folgende Anschlussunterbringung in den Städten und Gemeinden. Weiter wurde in der Registrierstraße der Antrag für finanzielle Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gestellt. Mit dem Rechtskreiswechsel war auch das Jobcenter schon ab Anfang Mai im Aufnahmezentrum mit im Boot. Seit 1. Juni 2022 beziehen die Ukraine-Geflüch- teten ihre Sozialleistungen nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach dem Zweiten oder Zwölften Sozialgesetzbuch – für erwerbsfähige Geflüchtete änderte sich damit die Zuständigkeit. Die Arbeit des gemeinsamen Aufnahmezentrums endete schließlich zum 31. Juli. Dann konnten auch die Schüler der Albert-Schweitzer-Schule ihren Sport- unterricht wie gewohnt in ihrer Turnhalle absolvie- ren. Die Registrierung der seither ankommenden Flüchtlinge findet nun wieder in den jeweiligen Be- hörden, geordnet über ein Laufzettelverfahren, statt. Hilfe für die Ukraine 25

 

 

 

angesichts der Verdopplung der Flüchtlingszahlen zwischen Som- mer und Winter 2021 ohnehin notwendig gewesen wäre. Registrierung Geflüchteter aus der Ukraine Vom 14. März bis 26. Septem­ ber wurden insgesamt 3.042 Menschen im Landkreis registriert, mehr als die Hälfte davon waren Frauen. April März „Private Unterkünfte haben uns gerettet“ Die erkennungsdienstliche Behandlung der Kriegsflüchtlinge und die Zusammenfassung der Behördengänge war jedoch nur ein Teil der Herausforderung. Denn: Auch die Unterbringung musste gewährleistet sein. Und hier hatte der Landkreis keinerlei Möglichkeiten, sich auf den plötzlichen Zustrom an Menschen aus der Ukraine vorzubereiten. „Wir haben vor dem 24. Februar keine Vorkehrungen treffen können“, erklärt Eberhard Weckenmann. Als sich ein Angriff Russlands andeutete, war der Umfang des Flüchtlingsstroms zunächst unklar. „Im März und April warteten viele Ukrainer zunächst in Polen und dachten, dass sie schnell wieder in ihre Heimat zurückkönnen.“ Die Hoffnung auf eine schnelle Beendigung des Angriffs war jedoch ein Trugschluss. Dass den Ukrainern dennoch ausreichend Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden konnten, hing von zwei Faktoren ab. September August Juni Mai Juli „Die privaten Unterkünfte haben uns gerettet“, macht Eberhard Weckenmann in diesem Zusammen- hang deutlich. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei enorm gewesen, „die Menschen sind uns von der Mentalität natürlich näher“, sieht er als eine Erklärung dafür. Auch die politische Entscheidung, dass die Geflüchteten zugleich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, habe dazu beigetragen. Doch die privaten Unterkünfte allein hätten nicht gereicht. Der Grundstein für ausreichende vorläufige Unterkünfte war bereits im Oktober 2021 gelegt worden – schon lange bevor sich eine Eskalation der Lage im Kriegsgebiet andeutete. Der Zufall wollte es, dass diese Maßnahme in der unvorhergesehe- nen Flüchtlingswelle weiterhalf. Wie kam es dazu? Eberhard Weckenmann: „Im Herbst 2021 war bereits klar, dass die Flüchtlingszahlen allgemein wieder steigen würden – es war Glück, dass wir die Kapazi- täten schon hochgefahren hatten, ohne zu wissen, was in der Ukraine passiert.“ So reaktivierte der Landkreis Unterkünfte der vorherigen Flüchtlings- welle 2015/2016 zum 1. Januar 2022 wieder – was 123 681 362 207 203 250 1.495 Der Krisenmodus dauert an Neben den Unterkünften in der Sturmbühlstraße, in Donau- eschingen sowie in St. Georgen (320 Plätze), kamen zusätzlich zum Jahresbeginn 2022 auch die Standorte in Blumberg (80) sowie in der Alleenstraße in Schwenningen (95) hinzu – und zwar für die „normalen“ Flücht- linge. Das reichte angesichts der Auswirkungen von kriegerischen Handlungen jedoch nicht aus. Zusätzlich mietete der Landkreis die ehemaligen Mediclin-Gebäude in Königsfeld (100) und Donau- eschingen (120) an. Hier hielt sich der Aufwand zur „Reaktivierung“ der Gebäude angesichts eines kurzen Leerstands von drei Monaten in Grenzen. Das sah bei der Unterkunft im ehemaligen Heilig- Geist- Spital (230) in Villingen, welches zwei Jahre lang leer gestanden hatte und teilweise zurückgebaut worden war, ganz anders aus. „Das war ein enormer Auf- wand“, so der 63-Jährige. In kürzester Zeit waren somit 450 Plätze für ukrainische Geflüchtete geschaffen worden, „die sind voll belegt, wir sind an der Oberkante“, macht Eberhard Weckenmann mit Stand September 2022 deutlich. Die Herausforderungen sind damit jedoch nicht zu Ende – sowohl für den Landkreis als auch für die Anschlussunterbringung nach sechs Monaten in den Städten und Gemeinden. Gerade mit Blick auf den Winter und den zu erwartenden Zustrom an Menschen, die vor dem Krieg und den prekären Be- dingungen angesichts der kalten Witterung in ihrer Heimat flüchten, werden wohl weitere 300 bis 600 Plätze benötigt. Der Krisenmodus wird also noch länger anhalten. Momentaufnahmen aus der Unterkunft für ukrainische Flüchtlinge im Heilig-Geist-Spital, wo auch Sprachunter- richt angeboten wird (unten). 26 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

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Eberhard Weckenmann Hilfe für Flüchtlinge – Sachgebietsleitung Sondergesetzliche Sozialleistungen Für Eberhard Weckenmann vom Sozialamt des Landkreises ist die Flüchtlingswelle aus der Ukraine die letzte große Aufgabe in seiner beruflichen Lauf- bahn. Nach vielen Jahren im Bereich des Sozial wesens ist klar: Weil keine Flüchtlingswelle der vorherigen gleicht, ist dauerhafte Flexibilität notwendig. Es ist ein ständiges Auf und Ab, ein permanen- tes Flexibelreagieren und nicht zuletzt ein Kraftakt. Eberhard Weckenmann war einer jener Akteure im Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises, der die vergangenen großen Flüchtlingszuströme miterlebt hat. „Es ist keine leichte Aufgabe, aber wenn man sich auf eine gute Struktur verlassen kann und die Belange der Kollegen mit in das Leiten und Führen einbezieht, dann kann man erfolgreich agieren“, sagt er rückblickend. Der Erfolg bei der Überwindung der Flüchtlings- krisen dürfte ihm recht geben. Der 63-Jährige, der einen Studiengang zum gehobenen Verwaltungs- dienst in Kehl absolvierte, erinnert sich an die Zeit in den Jahren 2005 und 2006, als die Flüchtlings- unterkünfte – bis auf die Obereschacher Straße in Villingen und die Einrichtung in St. Georgen – im gesamten Landkreis zurückgebaut waren. In der Unteren Aufnahmebehörde hielten sich die Aufga- ben in Grenzen, Eberhard Weckenmann kümmerte sich daher zwischenzeitlich um Sozialleistungen wie Wohngeld und Bafög. Das änderte sich im Jahr 2012, als die Flüchtlings- zahlen wieder stiegen. „Damals war das dramatisch, aus heutiger Sicht eher übersichtlich“, so Eberhard Weckenmann. Die Unterkunft zwischen Villingen und Unter kirnach, Maria Tann, wurde eingerichtet, um den Geflüchteten Platz zu bieten. Neue Dimensionen er- reichte die Flüchtlingsarbeit dann mit der Krise in den Jahren 2015/2016. Das Land installierte im Landkreis bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtungen in Es ist keine leichte Aufgabe, aber wenn man sich auf eine gute Struktur verlassen kann und die Belange der Kollegen mit in das Leiten und Führen einbezieht, dann kann man erfolgreich agieren. Villingen und Donaueschingen, während das Landrats- amt selbst über 20 Gemeinschaftsunterkünfte schuf. Nach dem zwischenzeitlichen Abbau der Plätze für Geflüchtete, folgte nun wieder der Aufbau – „Asyl ist immer wellenartig“, so der Experte. Der ge- bürtige Rottweiler sieht dabei aber deutliche Unter- schiede zwischen der vorherigen Krise und der der- zeitigen Flüchtlingswelle: „Damals war der Zustrom geordnet, weil die Flüchtlinge zunächst in der Erst- aufnahme registriert und anschließend verteilt wur- den.“ Die heutige Freizügigkeit der Ukrainer sei eine „große Herausforderung“, weil keine Zuweisungen möglich seien. Und auch da heißt es wieder: perma- nent flexibel sein. Bei der Flüchtlingsarbeit handle es sich schließlich um ein heterogenes Feld, welches man mit offenen Ohren und Augen begleiten müsse, um Veränderungen rechtzeitig wahrzunehmen und dann reagieren zu können. Wie vielseitig das Feld ist, hat ihm unter anderem die Corona-Krise deutlich gemacht, als die Flüchtlings- unterkunft im Frühjahr 2021 aufgrund vermehrter Fälle für zwei Wochen komplett geschlossen werden 28 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

musste. Da wurden Eberhard Weckenmann und sein Team zu Einkaufshelfern und Corona-Testern umfunktioniert, „PCR-Tests haben wir in Vollmontur machen müssen, solche Dinge sind für mich die Würze“, sagt er und erinnert sich: „Als die Quaran- täne beendet war und kein einziger neuer Fall hinzu- kam, haben alle geklatscht.“ Ein Moment, der ihn bis heute berührt. Eberhard Weckenmann, der 27 Jahre lang beim Sozialamt des Landkreises gearbeitet hat (zwischen 1990 und 2001 folgte ein Zwischenspiel als stellver- tretender Heim- und Verwaltungsleiter bei einem Al- tenpflegeheim in Geisingen) gibt angesichts der per- manenten Flexibilität aber offen zu: Nach so langer Zeit in diesem Bereich sei er nun „müde“ und bereit für den Ruhestand – auch wenn es ein „toller Job“ sei und er sich weiterhin wohl fühle. Zudem kann er festhalten: In der damaligen Flüchtlingskrise waren Strukturen geschaffen worden, die nun wieder grei- fen konnten. Und stolz ist er auch auf das Wir-Gefühl im Team. „In solchen Krisen wächst man zusammen, das tolle Miteinander werde ich vermissen.“ Eberhard Weckenmann 29

 

 

 

Neues Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ Landkreis investiert 11,8 Mio. Euro in eine 4.000 Quadratmeter große, moderne Nebenstelle von Andreas Flöß 30 30 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

Nach dreijähriger Bauzeit hat der Schwarzwald-Baar-Kreis das Verwaltungs- gebäude „An der Brigach“ in Betrieb genommen. Auf 4.000 Quadratmetern sind im früheren Postgebäude gegenüber des Villinger Bahnhofes 120 Mitarbeiter des Kreisjugend amtes, das Amt für Abfallwirtschaft, die Bußgeldbehörde und das Kreisarchiv untergebracht. Nach „60er-Jahre- Charme“ zeige sich das Haus mit zeitgemäßer Architektur und Infrastruktur, die moderne Architektur werte den Villinger Bahnhofsvorplatz jetzt optisch auf, so Landrat Sven Hinterseh bei der Schlüsselübergabe am 28. September 2022 durch Architekt Andreas Flöß. Für 1,8 Millionen Euro hatte der Landkreis das Gebäude von der Post erworben, nochmals zehn Millionen Euro waren für die Sanierung und Ausstattung erforderlich. Dem „Wächter der Wutachflühen“ auf der Spur 31 31

 

 

 

Schlüsselübergabe an Landrat Sven Hinterseh durch Architekt Andreas Flöß (rechts daneben) bei der feierlichen Inbetriebnahme des Verwaltungsgebäudes „An der Brigach“ im Beisein von Mitarbeitern und Vertretern/Vertreterinnen des Kreistages. Das neue Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ glänzt mit moderner, praxisorientierter Architektur: Eine eingestellte Box fungiert als Rückzugsort. 32 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

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Die Luisenstraße um 1907, Blick von Norden mit der Brigach. Zur Geschichte des Standortes In der Blütezeit des deutschen Kaiserreichs (1871- 1918) entstanden zahlreiche Villen und Häuser im sogenannten historistischen Stil mit dem bewussten Rückgriff auf Schmuckelemente der deutschen Vergangenheit. Diese Formensprache verflocht sich dann mit dem floralen Jugendstil und brachte besonders filigrane und großzügige Bauten hervor. In Villingen entstanden so neue Quartiere außerhalb der Stadtmauer wie das Romäus-Gymnasium und das Villinger Krankenhaus in der Herdstraße, (Friedrichskrankenhaus). Weitere bedeutende Stadterweiterungen in dieser Zeit fanden auch in der Mönchweiler Straße, Vöhrenbacher Straße, Schiller- straße sowie am Benediktinerring statt. Auch die Luisenstraße, an der Brigach gelegen und in nächster Nähe zum Bahnhof, ist trotz einiger kriegsbedingter Verluste noch immer vom Stil dieser Zeit geprägt. Zerstörung am Ende des Weltkrieges Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges zerstörte eine Fliegerbombe die Gebäude Luisenstraße 2 und 3 und beschädigt am Haus Luisenstraße 4 den Nordost- flügel. Der Angriff hat mit großer Wahrscheinlichkeit dem Villinger Bahnhof gegolten. Zwischen den Häusern Luisenstraße 4 und Bahnhofstraße 8 und dem Villinger Bahnhof, klaffte aufgrund der Zerstö- Am Villinger Bahnhof, klaffte aufgrund von Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 1960er-Jahre eine Baulücke mit rund 2.200 Quadratmetern Fläche. rung bis Mitte der 1960er-Jahre eine Baulücke mit ca. 2.200 Quadratmetern Fläche, da die beschädig- ten Gebäude nicht wieder aufgebaut, sondern abgerissen wurden. Fortan entstand an der markan- ten Ecke, an welcher sich Luisenstraße und Bahnhof- straße treffen, eine Wiese, welche durch die Neube- bauung der Deutschen Post geschlossen wurde. In diesem Zusammenhang sollte das Haus Luisenstra- ße 4 zu Abbruchzwecken an die Post verkauft werden, damit man ausreichend Parkplätze schaffen könne. Ein Bauantrag hierzu wurde bei der Baurechts- behörde Villingen 1963 eingereicht. Die Eigentümer der Luisenstraße 4 waren indes nicht gewillt, ihr Haus zu verkaufen, sodass eine 34 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

Undatiertes Luftbild, im Norden links das heute noch existierende Haus Luisen- straße 4 mit Turm sowie rechts die Preiser Schnapsfabrik nebst vorgelagertem Wohnhaus in der Bahnhofstraße 8. Im obersten Bildabschnitt die Wiese mit den bereits abgebrochenen Häusern Bahnhofstraße 2 und 6 sowie den eben- falls fehlenden Häusern Luisenstraße 2 und 3. Hier baute die Deutsche Post. Das 1968 in Betrieb genommene Gebäude der Post, das 2017 durch den Schwarzwald-Baar-Kreis erworben und schließlich für zehn Millionen Euro kernsaniert wurde. Enteignung angedroht wurde. Dies war aufgrund der hoheitlichen Aufgaben, welche der Neubau einer Postdienststelle mit sich brachte, legitim. Der Ver- kauf wurde dennoch 1965 durchgeführt, allerdings entschloss sich die Deutsche Post, das Gebäude nicht abzubrechen, sondern selbst als Dienstsitz bis ins Jahr 1997 zu nutzen. Neubau des Postgebäudes Die Genehmigungsphase für die neue Postdienst- stelle verzögerte sich aufgrund erheblicher Einwände seitens Villinger Stadträte und führte zwischenzeit- lich bei der Oberpostdirektion Freiburg zu Überle- gungen, den Standort aufzugeben. Die Baugenehmi- gung wurde schließlich dennoch im Jahr 1966 erteilt. Die Inbetriebnahme des Gebäudes war für das Jahr 1968 geplant. Paketverteilzentrum. Im ersten Obergeschoss war das Briefverteilzentrum untergebracht. In den bei- den obersten Etagen befanden sich Einzelbüros für Postbank, Personalrat, Unterrichtsräume, Teeküche, Erfrischungsraum sowie zwei Dienstwohnungen, einerseits für den Amtsvorsteher sowie für den Hauswart. Bis auf die beiden Wohnungen war die Nutzung bis zum Auszug der Post im Sommer 2019 nahezu identisch mit der ursprünglich geplanten und angedachten. Zum Börsengang der Deutschen Post im Novem- ber 2000, verkaufte der Bund als Eigentümer einen Großteil seiner Immobilien zunächst an einen luxem- burgischen Immobilienfonds und mietete die Gebäu- de größtenteils wieder zurück (sale and lease back), später wechselte erneut der Besitzer, hin zu einem kanadischen Immobilienfonds. Anfang 2016 entschieden die Eigentümer, die Im Erdgeschoss befand sich die Schalterhalle mit einem separaten Abteil für Schließfächer sowie das Immobilie am Markt zu platzieren und zu veräu- ßern. Die Deutsche Post war zu diesem Zeitpunkt Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ 35

 

 

 

noch Pächter. Nach entsprechender Analyse des Gebäudes hat der Schwarzwald-Baar-Kreis das Postgebäude im Frühjahr 2017 erworben, um dort nach Umbau Teile der Landkreisverwaltung unterzubringen. Zuletzt war lediglich noch die Postbank als Mieterin untergebracht. Stationen einer Kernsanierung inklusive freiem Blick auf den Bahnhofsvorplatz nachdem alle Fassaden entfernt wurden. Auch etliche Schadstoffe mussten ausgebaut werden, bevor es an die Generalsanierung, sprich den „Neubau“ ging. Einstieg in die Detailplanung für das Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ Die Verwaltung hat bereits im ersten Halbjahr 2018 verschiedene Möglichkeiten erarbeitet, welche Bereiche der Landkreisverwaltung sich für eine Unterbringung im Postgebäude eignen würden. Nach interner Erörterung und Bewertung der möglichen Varianten entschied sich die Kreisverwal- tung für das Jugendamt mit 57 Mitarbeitern, das Amt für Abfallwirtschaft mit 26 Mitarbeitern, die Buß- geldstelle mit 14 Mitarbeiter sowie das Kreisarchiv mit Freihandbibliothek, Rollregaleinheiten und fünf Mitarbeiterarbeitsplätzen. Hinzu kommen noch weitere Arbeitsplätze für Studierende der Dualen Hochschule, Praktikanten und Auszubildende. Die Detailplanung für die Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsräume erfolgte unter Einbeziehung der betroffenen Bereiche. Hierzu wurden in umfangreichen Workshops mit den betroffenen Ämtern individuelle Lösungen für die Fachbereiche erarbeitet und in der Möblierungs- planung berücksichtigt. Die dem Bauantrag zugrun- deliegende Entwurfsplanung sah eine Abkehr von der bisherigen horizontalen Fensterbandstruktur mit den liegenden Fensterformaten vor. Stattdessen wurden die neuen Fenster in die Vertikale gedreht, sodass aufgrund der neuen Bodentiefe mehr Licht 36 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

und Attraktivität gegeben waren. Die ersten Entwür- fe spiegelten den fertigen Zustand bereits relativ gut wieder. Analyse und Ausbau von Schadstoffen Parallel zu den entwurflichen Überlegungen, galt zunächst das Augenmerk den umfangreichen Ana- lysen der Bestandsschadstoffe in Wänden, Böden, Decken und der Außenhaut. Tatsächlich wurden Asbestbestandteile in Teilen der Wandfarbe, der Spachtelmasse im Fliesenkleber und in den blauen Faserzementplatten an der Außenhaut nachgewie- sen. Ebenso waren die bituminösen Abdichtungen der Kelleraußenwand sowie die Dachabdichtungs- bahnen mit PAK (Teerbestandteilen) versetzt. In den Gebäudedehnfugen sowie in den Fensterdichtungen wurden PCB (Weichmacherbestandteile) entdeckt. Die verbauten Dämmmatten in den Akustikdecken, Rohrummantelungen, Wand- sowie Deckendämmun- gen waren aus KMF (künstliche Mineralfasern) und ebenfalls ein Fall für die Schadstoffentsorgung. Im Herbst 2019 waren alle erforderlichen Ge- nehmigungen erteilt und der kontrollierte Rückbau konnte mit behördlicher Begleitung beginnen. Nach- dem alle Schadstoffe behutsam ausgebaut, getrennt, verpackt und entsorgt waren, wurden die Fenster im Frühjahr 2020 ausgebaut. Gleichzeitig war dies der Startschuss für die restlichen Rückbau- und Abbruch- arbeiten von Baumaterialien, welche keiner Konta- minierung unterlagen. Nachdem die Abdichtungs-, Kanal-, und Drainage- arbeiten erledigt waren, wurden sämtliche Funda- mente für die späteren Zubauten wie Rampe, Eingangsüberdachung, Ladesäulen und Flucht- treppenhaus betoniert. Anschließend wurden alle Gebäudeteile wieder mit Erdreich angefüllt, so dass ab April 2020 das Fassadengerüst aufgebaut werden konnte. Nunmehr war es möglich, auch die rest- lichen Abbrucharbeiten an den Dächern und der Außenwand zu erledigen. Parallel wurde die neue vertikale Fensterstruk- tur sowie die Fenster eingebaut. Ebenso wurde die Wärme dämmung und die Außenhaut aus Faserzement tafeln an der Nord- und Südseite sowie die Dämmung an den beiden Giebeln angebracht. Zum Jahresende 2020 war das Gebäude winterfest und für den Innenausbau vorbereitet. Die verbauten Materialien wurden wo möglich nach dem Prinzip „Cradle to Cradle“ ausgewählt. Das Prinzip steht für Materialkreisläufe, die für Mensch und Umwelt unschädlich sind. Ab dem Jahr 2021 wurde im Innenraum die Haus technik eingebracht. Sämtliche Daten- und Elektroleitungen sind so verlegt, dass jederzeit und pro blemlos nachträgliche Änderungen und Anpas- sungen möglichen sind. Recycelte Fischnetze als Teppichboden – „graue Energie“ exakt betrachtet Um eine transparente Planung und Mitsprache zwi- schen Bauherrn und Architekt zu realisieren, wurde ein Bauausschuss gegründet, der sich aus dem Landrat sowie Kreisrätinnen- und Kreisräten zusam- mensetzte. Hier wurde in zwei Sitzungen detailliert über verschiedene ökologische Komponenten wie Heizungssysteme und Materialien beraten. Schluss- endlich entschied man sich beim Energieträger aus insgesamt sieben möglichen Varianten für eine Lö- sung mit dem geringsten CO2-Ausstoß. Die Wahl fiel auf eine Pelletanlage. Die räumlichen Strukturen im Untergeschoss erlaubten eine Doppel-Pelletbunker- anlage mit einem Fassungsvermögen in Höhe des jährlichen Verbrauches von ca. 28 Tonnen. Somit ist beim Heizmaterialeinkauf eine gewisse Flexibilität gegeben. Die verbauten Materialien wurden wo möglich nach dem Prinzip „Cradle to Cradle“ ausgewählt. Das Prinzip steht für Materialkreisläufe, die für Mensch und Umwelt unschädlich sind. So wurde beispiels- weise der Teppichbodenbelag aus recycelten Fischer- netzen hergestellt. Gleichzeitig wurde großen Wert auf die Betrach- tung von „grauer Energie“, von Materialien gelegt. Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ 37

 

 

 

Auf dem Dach wurde auf einer Fläche von 316 Quadratmetern eine Photovoltaikanlage mit 170 Modulen zu je 380 W/h (Wp Spitze) installiert. Sie liefert bis zu 67.000 Kilowatt- stunden Strom im Jahr. Ein erheblicher Teil der Dachfläche und des Grundstückes wurden begrünt, insgesamt rund 650 Quadratmeter. Hierbei wird der Ener- gieverbrauch, bei der Herstellung, Lagerung, Transport, Verarbei- tung und Entsorgung von Produkten ent- steht, bewertet. Je mehr „graue Energie“ in einem Baustoff steckt, desto negativer fällt die Ökobilanz aus. Zweifelsohne ist der Baus- toff Beton, mit welchem die komplette Tragstruktur und Hülle des Gebäudes errichtet wurde, ein großer Verursacher von hohen CO2-Ausstößen. Unter der Annahme, dass ein solches Gebäude einem Rückbau zugeführt werden müsste, wäre die Ökobilanz noch- mals schlechter zu bewerten. Nicht jedoch, wenn die komplette Baumasse er- halten und wiederverwendet werden kann. So liegt beispielsweise der Primärenergieinhalt der Außen- wand bei 314 kWh/m² wobei lediglich ein Drittel an neuen Materialien hinzugefügt werden musste. Photovoltaikanlage deckt 26 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs Nachdem das Dach abgedichtet war, wurde ab Früh- jahr 2022 eine Photovoltaikanlage auf einer Fläche von 316 Quadratmetern mit 170 Modulen mit je 380 W/h (Wp Spitze) installiert. Die Anlage erreicht eine Gesamtleistung ca. 64,60 kW/h (kWp Spitze) und einer somit theoretisch errechneten Leistung von 67.000 kWh pro Jahr. Bei einem prognostizierten Eigenverbrauch von 52.000 kWh pro Jahr beträgt die Netz einspeisung ca. 15.000 kWh pro Jahr und der Eigenverbrauchsanteil der PV-Anlage beträgt damit ca. 78 Prozent. Der Gesamtstromverbrauch wird auf rund 200.000 KWh pro Jahr geschätzt. Der Deckungs- anteil der Photovoltaikanlage am Gesamt-Eigen- strombedarf beträgt somit 26 Prozent. Der Innenausbau sowie sämtliche Einrichtungen sind gemäß den erarbeiteten Ergebnissen in den Workshops mit den jeweiligen Nutzern im Sommer umgesetzt worden. Die Außenanlagen wurden im Herbst 2021 begonnen und im Sommer 2022 pünkt- lich abgeschlossen. Von dem 2.200 Quadratmeter großen Gesamtgrundstück konnte ein beträchtlicher 38 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

Die offen gestalteten sogenannten Openspace-Bereiche können auf unterschiedliche Art und Weise genutzt werden. Sie dienen zugleich als Arbeits- und Rückzugsort (oben). Unten: Blick in einen der großzügigen Verwaltungsbereiche. Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ 39

 

 

 

Teil von ca. 650 Quadratmetern auf der Fläche und auf Dächern begrünt werden. Die prognostizierten Baukosten in Höhe von zehn Mio. Euro konnten eingehalten werden, der Einzug alle Ämter erfolgte in Etappen von Juni 2022 bis August 2022. Neben einem modernen Verwal- tungsgebäude für bis zu 120 Mitarbeiter ist zusätz- lich das Kreis archiv mit dazugehöriger Administra- tion entstanden. Als Nebeneffekt erfährt das Quar- tier rund um den Villinger Bahnhof eine erhebliche städte bauliche Aufwertung. Das Kreisarchiv besitzt Regalanlagen mit einer Kapazität von 3.600 laufenden Metern (lfm) sowie eine Freihand- bibliothek mit 380 lfm. Daneben gibt es einen Lese- und Rechercheraum und neue Planschränke mit 60 Schubladen der Größe A0 sowie 60 lfm Regal fläche für das Fotoarchiv und zwei Mikrofilm schränke für zusammen 1.450 Filmrollen. Kubatur und Nutzung – Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ Bruttogrundrissfläche ca. 3.840 Quadratmeter Bruttorauminhalt ca. 14.350 Kubikmeter Nutzfläche Gebäude ca. 3.200 Quadratmeter davon beheizte Nutzfläche ca. 2.990 Quadratmeter Aktuell werden 102 Mitarbeiter im Jugend amt, im Amt für Abfallwirtschaft, in der Bußgeldstelle und im Kreisarchiv beschäftigt. Im Endausbau sind 120 Mitarbeiterplätze möglich. Jedes Amt ist mit separater IT-Infrastruktur, Sozialräumen und Teeküchen ausgestattet. Die multifunktionalen Besprechungsräume werden ämterübergreifend gemeinsam genutzt. 40 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

Oben: Die multifunktionalen Besprechungsräume werden ämterübergreifend genutzt. Unten: Einladend und freundlich – die Teeküche der Bußgeldbehörde. Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ 41

 

 

 

KLINIKSCHULE DER LUISENKLINIK Für eine gute Zukunft der jungen Patienten von Wilfried Strohmeier 42 42

 

 

 

XXX

 

 

 

Sie ist keine Schule wie jede andere, doch für Schüler mit einer länger dauernden Krankheit ein tröstendes Stück Normalität. Sie schreiben Arbeiten, haben einen Stundenplan, es gibt eine Schul leitung und etwa 25 Lehrer: Die Klinikschule der Luisen klinik ist ein Teil der Krankenhausschule des Schwarzwald-Baar-Kreises. In der Schule werden Unterrichtsangebote sämtlicher Schularten (Hauptschule, Realschule, allgemeinbildende und berufsbildende Gymnasien), sowohl in Einzel- als auch Kleingruppenunterricht in allen relevanten Fächern vorgehalten. Offiziell ist sie geführt unter der Bezeichnung „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum für Schülerinnen und Schüler in längerem Krankenhausaufenthalt“ (SBBZ). Mit gut 1.300 Schüler innen und Schülern zählt die Klinikschule zu den größten Klinikschulen Deutschlands. Es ist ruhig und leise, wenn man das liebevoll sanierte Haus mit dem modernen Anbau auf dem Gelände der Luisenklinik in Bad Dürr- heim betritt. Auf der einen Seite befindet sich das ehemalige, denkmalgeschützte Ärztehaus des Kindersolbads (später Haus Hohenbaden), auf der anderen Seite ein moderner Flachdachbau. Das Innenleben der Schule reicht vom Werkraum über die geräumige Küche bis hin zu kleinen Unterrichts- räumen. Die Räume sind alle hell und sonnendurch- flutet, blicken die Schüler aus einem der Fenster, sehen sie viel Grün und den Waldsaum des nahen Kapfwaldes. Ein entspannter Ort um zu lernen und zu lehren. Dass das Gebäude in Bad Dürrheim so eingerichtet werden konnte, ist der Weitsicht von Rolf Wahl und der Einsatz von dessen Sohn Sven Wahl im Zusammenspiel mit dem Schwarzwald-Baar- Kreis, der als Schulträger fungiert, zu verdanken. Es gibt noch eine Außenstelle in der Rehaklinik Katharinen höhe in Schönwald, dort ist man direkt im Klinikgebäude untergebracht. Eine weitere Nieder- lassung gibt es im Standort der Luisenklinik in Radolfzell. Insgesamt eine außergewöhnliche Konstellation. Die Schüler, so der ehemalige Schulleiter Martin Feldweg, haben ganz unterschied liche Geschichten und Bedürfnisse. In der Katharinenhöhe sind die Kin- der und Jugendlichen mit einer lebensbedrohenden Krankheit konfrontiert, während die Schüler der Lui- senklinik am Leben zweifeln und auch zu verzweifeln drohen. Das Innenleben der Schule reicht vom Werkraum über die geräumige Küche bis hin zu kleinen Unterrichtsräumen. Die Räume sind alle hell und sonnendurchflutet, blicken die Schüler aus einem der Fenster, sehen sie viel Grün und den Waldsaum des nahen Kapf- waldes. Ein entspannter Ort um zu lernen und zu lehren. 40-jähriges Bestehen der Schule Die Klinikschule als Einrichtung blickt zum Schuljah- resbeginn 2023/24 auf ein 40-jähriges Bestehen zurück, der Grundstein wurde aber schon ein paar Jahre früher gelegt. Ab dem Jahr 1980 baute man eine Klinikschule an den Kliniken in Villingen- Schwenningen auf, zum Schuljahresbeginn 1983/84 gründete man ganz offiziell die Schule für kranke Kinder und Jugendliche in der Trägerschaft des Schwarzwald-Baar-Kreises. Gertrud Humpf war die erste Schulleiterin, die Schülerzahl lag damals bei 44 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

etwas über zehn, der Schwerpunkt war zunächst in der Kinderklinik in Villingen angesiedelt. 1987 kam die Katharinenhöhe als Außenstelle hinzu und 1993 die Luisenklinik, die Gesamtschüler- zahl wuchs auf rund 50 Kinder und Jugendliche. Die Eröffnung der Abteilung Kinder- und Jugendpsychia- trie der Luisenklinik im Jahr 2001 brachte einen Sprung auf rund 110 Schüler. Der damalige Ärztliche Direktor und Geschäftsführer Rolf Wahl erkannte, wie wichtig eine Beschulung der jungen Patienten in der Luisenklinik ist. „Es war ein weitblickender Schritt“, zeigt sich der ehemalige Schulleiter Martin Feldweg überzeugt. Im Jahr 2005 wechselte das Rek- torat von Villingen an die Luisenklinik, zunächst in die Hammerbühlstraße 19. Sven Wahl entschloss sich im Dezember 2013 das jetzige Gebäude zu kaufen, zu sanieren und der Klinikschule zur Verfügung zu stel- len, der Einzug war dann bereits im März 2015. 2007 ernannte man Martin Feldweg zum Schul- leiter, seine Stellvertreterin wurde 2009 Frauke- Maria Weinberg-Schirmer, sie trat zum Anfang des Schul- jahres 2022/23 die Nachfolge von Martin Feldweg als kommissarische Schulleiterin an. 2013 kam der dritte Standort Radolfzell zur Klinikschule hinzu. Einer der großen räumlichen Meilensteine war 2015 der Bezug des jetzigen Hauses auf dem Gelände der Luisenklinik. Das Gebäude war ehemals das Ärz- tehaus des benachbarten Haus Hohenbaden. Dieses, wie auch das so genannte Pförtnerhaus, kaufte die Familie Wahl aus dem Areal Haus Hohenbaden und Die Luisenklinik ist eine private und inhabergeführte Fach- klinik für psychische und psychosomatische Erkrankun- gen. Gründer und Leiter der Klinik war Prof. Dr. Rolf Wahl. Bis heute ist die Klinik im Besitz der Familie Wahl. Auf dem Foto von links: Pablo Wahl, Sven Wahl und der ehemalige Schulleiter Martin Feldweg. Unten: Ein Meilenstein war 2015 der Bezug des jetzigen Hauses auf dem Gelände der Luisen klinik. Das Gebäude fungierte ehemals als Ärztehaus des benachbarten Haus Hohen baden. Klinikschule der Luisenklinik 45

 

 

 

Der Werkraum der Klinikschule – hier werden handwerkliche Fähigkeiten gefördert. sanierte es, zudem errichtete Sven Wahl noch einen modernen Anbau an das Klinikschulgebäude, so dass acht Unterrichtsräume auf 450 Quadratmeter für den Unterricht nutzbar sind, zusätzlich stehen ein Technikraum und eine Küche zur Verfügung. in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Neben Zwangs- störungen, Angststörungen, Autismus und Depressio- nen sind die beiden vorherrschenden Krankheitsbilder bei den Mädchen Essstörungen, bei den Jungen ADHS. Die beiden letztgenannten Räume leisten für den Im praktischen Ablauf bekommt die Schule aus Aufbau des Lehrer-Schüler-Vertrauensverhältnisses einen wichtigen Beitrag. In ihnen werden handwerkli- che Fähigkeiten in Projekten gefördert. Sei es das ge- meinsame Kochen oder das Arbeiten an einem tech- nischen Werkstück. Vor allem für diese können die Jungen begeistert werden und auch Nähmaschinen stehen zur Verfügung. „Das Konzept mit dem fach- praktischen Unterricht hat sich bewährt“, weiß Martin Feldweg zu berichten. Denn die Lehrer müssen schnell Zugang zu jedem einzelnen Schüler finden und das ist über solche Projektarbeiten gut möglich. Mehr als reine Wissensvermittlung Der Stundenplan ist hochflexibel. In kleinen Lerngrup- pen werden Schüler aller Klassenstufen und Schular- ten unterrichtet. Die Anzahl der Stunden wird in Absprache mit den ärztlichen Betreuern festgelegt, mit Blick auf den Therapieplan der jungen Patienten der Klinik eine Schulanmeldung eines neuen Schülers, es wird dann zunächst ein Stundenplan erstellt, der Die Entwicklung jedes Schülers wird im Kollegium mindestens einmal pro Woche besprochen. Auch mit dem jeweiligen Therapeuten ist man in ständigem Kontakt und es gibt regelmäßig von beiden Seiten einen Austausch. 46 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

Eine Lerngruppe in einem der Klassenzimmer, an der Türe der ehemalige Schulleiter Martin Feldweg. jedoch nach einer Woche evaluiert und in der Regel angepasst wird. Es gibt dabei viele Faktoren, die be- rücksichtigt werden müssen. Dazu gehört beispiels- weise wie sich das Krankheitsbild und der Unterricht in wechselseitiger Beziehung auswirken oder wie lan- ge sich ein Schüler konzentrieren kann. Es geht dabei mehr als um die reine Wissensvermittlung. Manchmal ist ein Unterricht nur für eine Stunde am Tag möglich, beschreibt Martin Feldweg die Praxis. Bei den Mädchen, die an Magersucht (Anorexie) leiden ist es meist so, dass sie extrem gute Schüle- rinnen seien, perfektionistisch mit Lernzwang. Hier hatte Corona verheerende Auswirkungen, erzählt Martin Feldweg. Denn die Mädchen bekamen nicht mehr die Rückmeldung über ihren Leistungsstand und lernten dadurch immer mehr, um immer besser zu werden. Sie vernachlässigten jedoch sich selbst. Jungen mit ADHS bekommen in der Klinik – auch mit dem Unterricht – einen geregelten Tagesablauf. Bei ihnen sei ein konzentriertes Arbeiten oftmals nur wenige Minuten am Stück möglich. Insgesamt seien die Kinder überfordert. Der Unterricht beginnt norma- lerweise täglich um 8 Uhr. Ziel ist es dabei auch, kei- nen Bruch in der Schullaufbahn durch den Aufenthalt in der Klinik zu erzeugen, führt Martin Feldweg aus. Beratung ist ein enorm wichtiger Baustein In Bad Dürrheim sind die Schüler in Lerngruppen eingeteilt, man versucht diese so homogen wie möglich zu gestalten bezüglich Wissenstand und Alter der Schüler. In jeder Gruppe sind maximal vier Schüler, betreut von einem Lehrer. Die Klinikschule ist auch immer mit den Heimatschulen in Verbindung, von dort kommen auch die Infos zu Unterrichtsinhal- ten und anstehenden Klassenarbeiten. Die können dann in der Klinik von dem jeweiligen Schüler mitgeschrieben werden, die Entscheidung darüber fällt jedoch der zuständige Lehrer der Klinikschule. Die Entwicklung jedes Schülers wird im Kollegium mindestens einmal pro Woche besprochen. Auch mit dem jeweiligen Therapeuten sei man in ständigem Kontakt und es gebe regelmäßig von beiden Seiten einen Austausch. Martin Feldweg ist überzeugt: Nur so kann sich ein Erfolg während eines Aufenthalts einstellen. Denn die Lehrer erleben die Kinder und Ju- gendlichen meist länger als der Therapeut und entwi- ckeln auch ein gutes Gespür für die jungen Patienten. Insgesamt ist der Bereich der Beratung von Schü- lern, Eltern und den Kolleginnen und Kollegen an den Heimatschulen ein wesentlicher und enorm wichtiger Baustein der Arbeit an der Klinikschule. Psychische Klinikschule der Luisenklinik 47

 

 

 

Die Bad Dürrheimer Luisenklinik, auf deren Gelände sich die Klinikschule im Schwarzwald-Baar-Kreis befindet. Störungsbilder wirken sich immer auf das Leben und Lernen der Kinder und Jugendlichen in den Schu- len aus, werden jedoch häufig nicht als Ursache für schulischen Misserfolg erkannt. Andererseits können schulische Überforderung oder belastende Kontakte zu Mitschülern Ursache von psychischen Störungen sein. Nicht immer ist es jedoch einfach, Schüler und deren Eltern davon zu überzeugen, dass ein Wechsel auf eine andere Schulart sich positiv auf den Gesun- dungsprozess auswirken würde. Während es bei den Schülern der Luisenklinik meist mehr Aufwand ist, sie für die Teilnahme am Unterricht zu motivieren, ist dies bei der Katharinen- höhe gänzlich anders – und das hat mit dem Krank- heitsbild zu tun. In der Rehaeinrichtung haben die Jugendlichen eine schwierige, auch lebensbedrohli- che Leidenszeit hinter sich. Sie wollen mit Mut in ihr zukünftiges und manchmal auch neu gewonnenes Leben gehen. In der Regel haben sie alle ihre Schul- sachen dabei und freuen sich auf den Unterricht, beschreibt Martin Feldweg. Dort kann der Unterricht auch besser geplant werden, da es von Beginn an relativ klar sei, wie lange der Reha aufenthalt eines Patienten dauere, in der Regel dreieinhalb Wochen – im Gegensatz zur Luisenklinik. Die Klinikschule bietet die Möglichkeit, Schulab- schlüsse für alle Schularten innerhalb des stationären Klinikaufenthaltes abzulegen. Patienten, für die eine Eingliederung in öffentliche Schulen wichtig ist, kön- nen von der Klinik aus externe Schulen besuchen. Erfolgreiche Symbiose Auch wenn der Hauptsitz mit dem Rektorat in den Räumen der Luisenklinik untergebracht ist, gibt es keine Reibungsverluste zwischen Klinik, Klinikschule und dem Schulträger. Ausgestattet wird die Schule bezüglich der Lernmaterialien durch den Schwarz- wald-Baar-Kreis. Dass ein Technikraum wie auch eine Küche eingerichtet wurde, war aber beispielsweise kein Muss, sondern eine freiwillige Leistung der Klinikleitung der Luisenklinik. Und natürlich ist der Austausch mit den Verantwortlichen der Klinik, egal ob in der Geschäftsleitung oder beim medizinischen Personal, äußerst wichtig, um eine erfolgreiche Symbiose im Sinne der mittlerweile über 180 jungen Patienten zu erzielen – das weiß Martin Feldweg aus vielen Jahren Erfahrung. Und er zeigt sich froh und dankbar, dass Klinik- schule, Schwarzwald- Baar-Kreis und Leitung der Luisenklinik zu jedem Problem bis jetzt eine Lösung fanden, zum Wohle der immerhin rund 1.300 Schü- lern, die jährlich an den drei Standorten unterrichtet werden. 48 Aus dem Kreisgeschehen

 

 

 

DIE KLINIKSCHULE DER AWO-REHAKLINIK KATHARINENHÖHE Die Klinikschule der Katharinen­ höhe ist eine Außenstelle des Sonderpädagogischen Bildungs­ und Beratungszentrums (SBBZ) Bad Dürrheim für Schüler und Schüler innen in längerer Kranken­ hausbehandlung. Träger der Schule ist der Schwarzwald­ Baar­ Kreis. Die Schüler und Schülerinnen aus ganz Deutschland und der Schweiz werden während ihres Aufenthaltes in Einzel­ oder Klein­ gruppen unterrichtet. Das ermög­ licht eine intensive, ganz auf die einzelnen Kinder ausgerichtete schulische Betreuung, die in enger Kooperation mit den jeweiligen Heimatschulen stattfindet. Diese Aufgabe übernehmen Lehrer und Lehrerinnen aller Schulformen in einem inklusiven Setting für alle Schulzweige. Um für Patienten­ und Ge­ schwisterkinder eine lückenlose Weiterführung der Schule zu ge­ währleisten, wird bereits vor dem Reha­Aufent halt mit den Schülerin­ nen und Schülern, den Eltern und der Heimat schule Kontakt aufge­ nommen. So können für die Pla­ nung wichtige Vorinformationen eingeholt werden und individuelle Lehrpläne erstellen werden. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene finden an der Kathari­ nenhöhe neben dem Unterricht ein breites Beratungsangebot rund um die Themen Nachteils ausgleich, Schullaufbahn, Planung des schu­ lischen Wiedereinstieges und zum Thema Berufswahl/Ausbildung vor. Für Patienten und Patientinnen mit Hirntumor wird bei Bedarf ein Gedächtnistraining angeboten, welches zum Ziel hat, durch die Erkrankung erworbene Einschrän­ kungen in Konzentrations­ und Gedächtnisleistung abzufedern. 49

 

 

 

IM GESPRÄCH MIT LANDRAT SVEN HINTERSEH ICH BIN ZUVERSICHTLICH, DASS WETTBEWERB DER ZUKUNFTS- 50

 

 

 

SICH UNSER LANDKREIS IM REGIONEN BEHAUPTEN KANN Aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Schwarzwald-Baar-Kreises im Jahr 2023 unter- hielten sich die Redakteure Klaus Peter Karger und Wilfried Dold mit Landrat Sven Hinterseh über die Entstehung des Landkreises im Jahr 1973 und seine Perspektiven. Herr Hinterseh, die Bildung des Schwarzwald-Baar- Kreises vor 50 Jahren ist im Kontext der Kreisreform vom 1. Januar 1973 zu sehen. Auf Initiative der Großen Koalition aus CDU und SPD im Landtag von Baden- Württemberg wurden 63 Land- und Stadtkreise zu 35 vereint. Was waren die Beweggründe, was hat es gebracht? Landrat Hinterseh: Es gingen schwierige Debatten voraus, wie stets bei großen Reformen. Baden, Würt- temberg und Hohenzollern waren am 25. April 1952 zu Baden-Württemberg vereint worden. Zwei Jahr- zehnte später galt es, die Strukturen zu optimieren 51

 

 

 

und zukunftsfähig auszugestalten. Das ist schwierig, was sind effiziente Größen? Wie groß darf es sein? Der damalige Oberbürgermeister von Villingen- Schwenningen hatte sich gar für den Großkreis „Schwarzwald-Baar-Heuberg“ ausgesprochen, gebil- det aus den heutigen Landkreisen Rottweil, Tuttlin- gen und Schwarzwald-Baar-Kreis. Das wäre ein sehr großes Gebilde geworden. Vieles wurde übrigens auch schon vor der Reform umgesetzt. So die Fusion von Villingen und Schwen- ningen zur Doppelstadt zum 1. Januar 1972. Mein Fazit zur Kreisreform ist: Die vergangenen 50 Jahre haben gezeigt, dass eine Struktur entstanden ist, in der man gut arbeiten kann. Und es ist auch eine kul- turelle Identität gewachsen. Natürlich immer mit der Besonderheit Baden und Württemberg. Die Geburt unseres Kreises ging ja nicht reibungslos vonstatten, es gab einen Bedeutungsverlust für Donau- eschingen. Sind die Wunden von damals geheilt? Es wurde stets Wert daraufgelegt, dass man der Großen Kreisstadt Donaueschingen gerecht wird. Im dortigen Landratsamt arbeitet eine große Ver- waltungseinheit mit über 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine kluge Politik war vor diesem Hintergrund, ein dezentrales berufliches Schulsystem aufzubauen. So konnte der junge Landkreis sowohl den Kreisstäd- ten Villingen-Schwenningen und Donaueschingen als auch Furtwangen, St. Georgen und Bad Dürrheim – und damit in der Fläche allen Städten und Gemein- den – gerecht werden. Völlig gewichen ist die Rivalität allerdings nicht. Das zeigte sich beispielsweise, als es um den Standort des Kreisarchivs ging… Ich bin Sportler – und Wettkampf darf es geben. Wenn der eine Ambitionen hat, kann er ehrgeiziger sein als der andere. Das empfinde ich als befruch- tend, das stört mich nicht. Es herrscht grundsätzlich ein gutes Miteinander im Landkreis. Und natürlich gibt es zwischen den Städten und Gemeinden durch- aus das eine oder andere Thema, bei dem Konkur- renz aufkommt. Ich bin Sportler – und Wett- kampf darf es geben. Wenn der eine Ambitionen hat, kann er ehrgeiziger sein als der andere. Das empfinde ich als befruchtend, das stört mich nicht. Es herrscht grundsätzlich ein gutes Miteinander im Landkreis. Die Landkreise und Landratsämter fungieren als Binde- glied zwischen den Regierungspräsidien auf der einen und den Städten und Gemeinden auf der anderen Seite. Was bedeutet das in der alltäglichen Praxis? Lassen Sie mich grundsätzlich festhalten: Das Land- ratsamt hat eine Doppelfunktion. Zum einen ist es untere staatliche Verwaltungsbehörde, zum ande- ren eine Kommunalbehörde und ergänzt somit die Tätigkeit der Städte und Gemeinden. Landratsämter übernehmen Aufgaben, die zwischen Kommunen anfallen oder für die eine einzelne Gemeinde zu klein ist. Als untere staatliche Verwaltungsbehörde ist das Landratsamt vor allem damit beschäftigt, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden und die Rechtsaufsicht über die Ge- meinden auszuüben. Ich sehe uns einerseits als starke Kommunalbe- hörde, die in den vergangenen Jahrzehnten ein hoch- modernes Schwarzwald-Baar Klinikum hervorbrach- te, über ein hervorragend entwickeltes Sozialamt verfügt und die einen starken öffentlichen Personen- nahverkehr aufbauen konnte – um drei Beispiele zu nennen. Wir haben andererseits wichtige staatliche Aufgaben zu erfüllen – bis hin zur Genehmigung von Windkraftanlagen oder die Themenbereiche rund um das Gesundheitsamt und die Gewerbeaufsicht. Es sind viele Räder, die im Landratsamt ineinander- greifen. Ich empfinde die Aufgabenvielfalt im Land- ratsamt als äußerst reizvoll – wir dürfen entwickeln und gestalten! 52 2. Kapitel – 50 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis

 

 

 

Sie haben als Landrat zwei Vorgänger: Dr. Rainer Gutknecht, der bis 1996 und somit 23 Jahre lang als erster Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises fungier- te. Es folgte Karl Heim bis 2012 – dann beginnt Ihre Ära. Was waren bei Amtsantritt von Dr. Gutknecht die drängendsten Aufgaben, die es anzupacken galt? Zunächst ging es darum zu integrieren, alle mit- zunehmen. Vor allem in der Residenzstadt Donau- eschingen saß der Schmerz über den Verlust der Eigenständigkeit tief, das ist ja bereits an anderer Stelle angeklungen. Es galt ein berufliches Schul- system und Sonderschulsystem und wichtige Beratungs leistungen aufzubauen. Der Schwarzwald- Baar-Kreis war einer der ersten Landkreise, der sich der Erziehungsberatung widmete, der jungen Famili- en zur Seite stand, Eheberatung und Jugendberatung anbieten konnte. Rainer Gutknecht kam aus dem Bergischen Land zu uns, brachte wichtige und neue Ideen mit. Das hat dem Landkreis gut getan, gerade auch auf dem Feld der Abfallwirtschaft, das am Ende der 1970er und in den 1980er-Jahren begründet wurde. Bis dahin waren allein die Kommunen für diesen Aufgaben- bereich zuständig. Um bei der Vielgestaltigkeit der kreispolitischen Auf- gaben zu bleiben: Im Jahr 2023 feiert die Landesbe- rufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe ihr 60-jähriges Bestehen. Das ist eine Schule mit Internat, für die der Landkreis – neben etlichen weiteren beruf- lichen Schulen – zuständig ist. Wie sehen Sie die Entwicklung in diesem Bereich? In der Tat gilt die Landesberufsschule als gutes Beispiel dafür, was Kreis- und Kommunalpolitik bewegen können. Wir holten diese Schule von der Insel Reichenau in den Schwarzwald-Baar-Kreis, da sie dort nicht adäquat untergebracht war und sich so nicht weiterentwickeln konnte. Die Hotellerie und Gastronomie spielt nicht nur bei uns eine wichtige Im Gespräch mit Landrat Sven Hinterseh 53

 

 

 

Rolle. Das Schöne ist, dass die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Ausbildung im Schwarzwald-Baar- Kreis international tätig sind. Es kann einem passie- ren, dass man irgendwo auf der Welt unterwegs ist und in einem Hotel oder einer Gaststätte auf Absol- venten der Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe trifft. Es gibt in der Trägerschaft des Landkreises 14 Schulen. Den Schwerpunkt bilden berufliche Schulen jedweder Art plus die ehemaligen Sonderschulen. Bei letzteren handelt es sich um sonderpädagogi- sche Bildungs- und Beratungszentren, die körperlich und geistig behinderte Schülerinnen und Schüler unter richten. Hinzu kommen Besonderheiten wie die Landwirtschaftsschule oder die Klinikschulen. Insoweit bedienen wir ein breites Spektrum. Sorgen bereiten allerdings die rückläufigen Die Akademisierung beobachten wir natürlich auch im Schwarzwald-Baar- Kreis, heißt, viele junge Leute gehen auf die Hoch- schulen und sind insoweit vom beruflichen Bildungs- weg abgeschnitten. Wenn die Schülerzahlen rückläufig sind – sehen Sie da einen Handlungsbedarf? Schüler zahlen, die von 11.000 auf knapp 9.000 ge- sunken sind, aber das ist ein allgemeiner Trend. Allerdings: Die Akademisierung beobachten wir natürlich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis, heißt, 54 50 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis

 

 

 

viele junge Leute gehen auf die Hochschulen und sind insoweit vom beruflichen Bildungsweg abge- schnitten. Da gibt’s keine einfachen Antworten. Wir werden in der Region intensiver zusammen- arbeiten müssen und es werden Schularten von einigen Schulen verschwinden, die es vielleicht in Tuttlingen oder in Rottweil gibt. Und anderes wird nach Villingen-Schwenningen, Donaueschingen oder Furtwangen kommen. Mein Ehrgeiz ist es, dass wir diese Dezentralität halten können, weil ich glaube, es ist wichtig, dass wir beispielsweise auch im Bregtal, wo wir eine starke Industrie vorfinden, den Indu strie- unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern ein Angebot machen können. Aber das wird nicht in jedem Segment möglich sein, da wird es Konsolidie- rungsbedarf geben. Ein großes Projekt in der Amtszeit von Landrat Gutknecht war der Neubau des Landratsamtes, ein- geweiht 1991. Wie sieht es heute mit der räumlichen Situation aus? Rainer Gutknecht kam aus einer modernen Verwal- tung und war dann im Kaiserring untergebracht, in alten dicken Mauern, wo moderne Verwaltung nicht möglich ist. Zeitgleich kam der Wunsch nach Bürgernähe und Transparenz auf. Man wollte weg von der ‚preußischen Obrigkeitsverwaltung‘ hin zu einer Verwaltung, die auf Augenhöhe kommuniziert. Architektur macht auch etwas mit den Menschen, die in diesen Gebäuden arbeiten. Das darf man nicht geringschätzen. Unser Landrats amt auf dem Hopt- bühl ist der beste Beweis dafür: Obwohl das 1991 eingeweihte Gebäude mittlerweile über 30 Jahre alt ist, wirkt es nach wie vor modern und besitzt eine tolle Ausstrahlung – angelehnt an die Schwarzwald- architektur mit viel Glas und Holz. 1. Januar 2005 wurden viele Sonderbehörden aus der unteren staatlichen Verwaltungsebene ins Landrats- amt eingegliedert. Viele staatliche Aufgaben sind an die Landratsämter übertragen worden, das führt auch heute noch zu zusätzlichem Raumbedarf. Den- ken Sie an das alte historische Villinger Krankenhaus, wo wir mit dem Gesundheitsamt in der Herdstraße untergebracht sind und das wir vor einigen Jahren saniert haben. Zuletzt kauften wir das Postgebäude in der Bahnhofstraße, da ist kein Stein auf dem an- deren geblieben (siehe S. 30). Wie bereitet sich der Landkreis auf die Herausforderun- gen unserer neuen Arbeitswelt vor? Stichwort Digitalisie- rung, Teilzeitbeschäftigung und Homeoffice. Wir beobachten auch bei jungen Leuten ohne Kinder verstärkt den Wunsch, lediglich 70 oder 80 Prozent zu arbeiten. Als moderner Arbeitgeber muss man das ermöglichen. Die Zeiten sind vorbei, in denen man schwarz oder weiß sagen kann. Man muss sich da weiterentwickeln. Das haben wir in den letzten Jahren getan. Wir versuchen in den neuen Gebäuden „atmende Systeme“ zu ermöglichen. Damit wir, auch wenn wir Stellenzuwächse haben, nicht zwingend mehr Flächen schaffen müssen. Homeoffice, mobiles Arbeiten und Teilzeitbe- schäftigung, das sind die Schlagworte dieser neuen Arbeitswelt. Ich bin richtig neugierig: Im Kreisju- gendamt versuchen wir das alles. Da haben wir tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auf diesen Prozess einlassen. Wir haben sie nicht einfach in die- se neue Welt des Arbeitens hineingeschickt, sondern sie haben sich in einem mehrjährigen Prozess auf diesen Weg gemacht, z.B. Akten digitalisiert und ins- gesamt konsequent auf Digitalisierung gesetzt. Und dennoch ist das Landratsamt zu klein. Der Land- kreis hat das ehemalige Villinger Postamt erworben und saniert, um die räumlichen Möglichkeiten zu erweitern… Natürlich sind die Anforderungen an das Landrats- amt aus seiner Bauzeit nicht mit denen zu verglei- chen, die sich uns 2023 stellen. Da gab es Verwal- tungsreformen kleinerer und größerer Art. Zum Wie groß ist der Bedarf an Homeoffice? Corona war natürlich ein Treiber. Wir hatten zeitwei- se über 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice und werden einiges auch nicht zurück- schrauben. Aber wir merken ebenso, dass die Kolle- ginnen und Kollegen auch gerne ins Büro kommen, um interagieren zu können. Ich blicke diesbezüglich gespannt in die Zukunft, was unsere neue Welt des Im Gespräch mit Landrat Sven Hinterseh 55

 

 

 

Die Verträge mit der Deutschen Bahn und dem Land Baden-Württemberg sind geschlossen. Derzeit befinden wir uns in der Planungsphase. Die Ringzugerweiterung nach St. Georgen wollen wir schaffen. Arbeitens noch an Veränderungen hervorbringt. Verschließen dürfen wir uns diesen Entwicklungen keinesfalls. Ein weiteres großes Thema ist und bleibt der Nahver- kehr. In der Amtszeit Ihres Vorgängers Karl Heim wurde der Ringzug aufs Gleis gesetzt. Im August 2003 ist er das erste Mal gefahren und eine Erfolgsgeschichte ge- worden… Absolut. Der Bundesgesetzgeber entschloss sich in den 1990er-Jahren zur Regionalisierung, heißt: Die Bundesländer bekamen Geld vom Bund, um den Nahverkehr in die Fläche zu entwickeln, unser Landkreis profitierte davon. Jetzt stehen wir vor dem Sprung in die neue Zeit, in der wir alle Strecken elek- trifizieren wollen. So auch die Strecke zwischen Vil- lingen-Schwenningen und Rottweil, damit wir letzt- lich besser an die Landeshauptstadt angeschlossen sind. Was wir nach Freiburg mit der Elektrifizierung der östlichen Höllentalbahn geschafft haben, wollen wir auch in Richtung Stuttgart erreichen. Es gibt Überlegungen, den Ringzug nach St. Georgen auszubauen. Wie konkret sind sie? Sehr konkret, die Strecke ist dank der Schwarzwald- bahn bereits elektrifiziert. Es geht zuallererst um den Bau neuer Haltepunkte. Das ist unsere Aufgabe und so sind auch die Verträge mit der Deutschen Bahn und dem Land Baden-Württemberg geschlossen. Derzeit befinden wir uns in der Planungsphase. Die Ringzugerweiterung nach St. Georgen wollen wir schaffen. Ebenfalls in die Amtszeit von Karl Heim fällt die Neuordnung der Krankenhauslandschaft, die 2013 zur Eröffnung des Schwarzwald-Baar Klinikums führte. Wie bewerten Sie diesen Klinikneubau heute? Das war zweifelsfrei unser bislang größtes Projekt. Wir hatten im Schwarzwald-Baar-Kreis zuletzt noch sechs Krankenhausstandorte, die auf zwei reduziert wurden. Es ging darum, ein sehr leistungsfähiges Klinikum zu verwirklichen, das auf universitärem Niveau arbeitet. Sie müssen sehen: Wir haben 56 50 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis

 

 

 

zwischen Freiburg und Tübingen dieses große Schwarzwald-Baar Klinikum mit zwei Standorten geschaffen, nämlich dem Neubau in Villingen- Schwenningen und dem sanierten Bestandsbau in Donaueschingen. Deswegen können wir Medizin auf technisch höchstem Niveau bieten. Wir haben über 300 Mio. Euro investiert und bilden ein sehr gutes medizinisches Portfolio ab. Da würde ich mal sagen: Alles richtig gemacht! Aber man hört auch Klagen. Zu groß, zu unpersönlich… Ich will diese Kritik keinesfalls kleinreden, doch Sie müssen sehen: Wir verfügen in Deutschland über eines der international besten medizinischen Syste – me. Ich glaube schon, dass die Medizin vor 20 oder Das im Jahr 2013 eröffnete Schwarzwald-Baar Klinikum. 30 Jahren individueller war. Doch keinesfalls, dass sie besser gewesen ist. Ich glaube, dass die Pflege mehr Zeit hatte pro Patient. Diese menschliche Komponente ist wichtig, daran müssen wir weiter intensiv arbeiten. Aber wir haben na tür lich in der Medizin eine enorme Technisierung erlebt, die man schätzen sollte. Wenn Sie eine Krebserkrankung oder andere gesundheitliche Herausforderungen zu bewältigen haben, dann brauchen Sie dringend eine technisierte Hochgerätemedizin wie sie das Schwarzwald-Baar Klinikum bietet. Das kostet sehr viel Geld, wir müssen somit schau- en: Wie können wir mit einem solchen Haus, mit dem Im Gespräch mit Landrat Sven Hinterseh 57

 

 

 

Ob Bildung und Ausbildung wie sie u.a. die Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe bietet oder der Ringzug, der einen hervorragend getakteten Nahverkehr ermöglicht: Für Landrat Sven Hinterseh geht es darum, im Schwarzwald-Baar-Kreis vor Ort Strukturen zu schaffen, die zukunftsfest sind. niemand Gewinne einfahren will, zumindest eine schwarze Null schreiben? All die Einheiten, die im Land und in der Republik über mehrere Jahre rote Zahlen schreiben, verschwinden irgendwann. Sie sehen ja selbst, was hier in der Raumschaft passiert ist. Man hat damals mit Nachbarlandkreisen gesprochen, die betonten, dass der Standort X oder Y erhalten bleiben müsse. Diese Standorte gibt es heute alle nicht mehr, das Faktische setzt sich irgendwann einfach durch. Deswegen bin ich dankbar, dass das Klinikum realisiert werden konnte. So sehe ich auch meine Aufgabe, dass wir schauen müssen, dass wir hier vor Ort Strukturen schaffen, die zukunftsfest sind. Es war genau die richtige Entscheidung, nicht nur zu jammern und zu klagen, sondern sich zu fragen: Was können wir tun, damit wir eine gute medizinische Versorgung haben? Und natürlich ist kein System so gut, dass es nicht verbessert werden kann. An den Dingen, die noch nicht so gut sind, arbeiten wir je- den Tag, damit wir besser werden. Meter „einfach so“ unter der Erde! Wir haben für dieses Projekt Förderzusagen von über 100 Mio. Euro bekommen, noch ist nicht ganz alles verbaut, aber sehr, sehr viel erreicht. Wir wollen nicht, dass der Ländliche Raum ab- gehängt wird. Dort aber stellt sich die Problematik: hoher Invest, wenig Nutzer – wie kriegt man das hin? Deswegen bin ich als Vorsitzender des Zweckverban- des Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar dankbar, dass das Land Baden-Württemberg als eines der ers- ten Länder in Deutschland ein Förderprogramm auf- gelegt, immer wieder modifiziert und verbessert hat. Seit einigen Jahren unterstützt uns auch der Bund mit Millionenbeträgen. Ich bin durchaus stolz darauf, was wir erreicht haben: Die Zahl der Anschlüsse ist hoch, was die Bedeutung dieser Initiative unterstreicht. Schauen wir uns ebenso die Entwicklung im Sozial- bereich an, dort scheint die Ausgabensteuerung beson- ders problematisch? Ein weiteres großes Thema ist der Glasfaserausbau, die Aufgabe, das Highspeed-Internet im möglichst gesam- ten Landkreis verfügbar zu machen. Wie beurteilen Sie den aktuellen Projektstand? Das Schwierige beim Thema Glasfaserausbau ist: Sie sehen nichts, die Kabel verschwinden Meter um Wir leben in einem Sozialstaat. Ich bin dankbar, dass die Bundesrepublik als sozialer Bundesstaat gegrün- det wurde. Insbesondere der Bundesgesetzgeber hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Sozialleistun- gen geschaffen, die es vor Ort umzusetzen gilt. Da sind wir als Sozialamt im Schwarzwald-Baar-Kreis die zuständige Stelle. Das ist eine sehr wichtige Aufga- 58 50 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis

 

 

 

Die Landräte Sven Hinterseh, seit 1. Juni 2012 im Amt, Dr. Rainer Gutknecht (1973 – 1996, verst. 2018) und Karl Heim (1996 – 2012), fotografiert beim Landratsamt aus Anlass des 40-jährigen Bestehens des Schwarzwald-Baar-Kreises im Jahr 2013. Über 50 Prozent des Kreishaushalts fallen in den Bereich der Sozialausgaben. be, die in der Tat auch haushalterisch sehr wirksam ist. Über 50 Prozent des Kreishaushalts fallen in den Bereich der Sozialausgaben. Das ist schon erheblich. Tendenz steigend? Tendenz steigend, weil immer wieder neue Aufga- ben vom Bundesgesetzgeber identifiziert werden. Weil die Entwicklung so ist, dass natürlich – jetzt haben wir gerade eine hohe Inflation – in der Regel die Summen dynamisiert und angepasst werden. Die Ausgabenzuwächse bereiten mir aber schon erheb- liche Sorgen! Wir haben in unserer Region fast Voll beschäftigung. Man mag gar nicht daran denken, wie sich die Ausgaben entwickeln würden, wenn wir in eine echte Arbeitsmarktkrise, wie wir es damals bei dem Zusammenbruch der Uhren- und Phono- industrie hatten, geraten würden. Ist das Sozialamt auch von seiner personellen Ausstat- tung her das größte Amt? Wie viele Mitarbeiter sind dort beschäftigt? Weit über hundert und damit ist das Sozialamt das größte Amt. Wenn Sie allein an das Bundes teilhabe- gesetz und die Eingliederungshilfe denken, bei der wir uns um gehandikapte Personen kümmern und jeden einzelnen Fall gesondert betrachten, dann erklärt sich der personelle Aufwand. Das kann man Im Gespräch mit Landrat Sven Hinterseh 59

 

 

 

kritisieren, aber ich glaube schon, dass es eine große Errungenschaft der Bundesrepublik ist, dass wir uns nicht rein der Freien Marktwirtschaft, sondern der Sozialen Marktwirtschaft verschreiben. Es gilt den Schwächeren beizustehen. 2022 sind Sie zehn Jahre im Amt – wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft? Ich wurde im März 2012 gewählt, 2020 für weitere acht Jahre im Amt bestätigt. Ich lege all meine Kraft und meine Fähigkeiten in dieses Amt und das gilt auch für die kommenden Jahre. Jetzt habe ich noch ein Mandat für sechs Jahre. Dieses Mandat will ich bestmöglich mit meiner ganzen Kraft, mit meinem Ideenreich- tum und mit meiner Kompetenz ausfüllen. Wir sind alle gut beraten, die wir in Wahlämtern sind, dass wir demütig sind und dass man nicht plant, was passiert. Man muss sich wieder neu bewerben und neu um Mehrheiten ringen. Deswegen mache ich eins nach dem anderen. Was wird an neuen Ideen und Aufgaben auf den Schwarzwald-Baar-Kreis und das Landratsamt zukom- men? Was sind die Großprojekte der Zukunft? Der öffentliche Personennahverkehr bleibt nach wie vor eine zentrale Aufgabe. Wir stehen jetzt mitten in den Verhandlungen mit den Landkreisen Tuttlingen und Rottweil und dem Land Baden-Württemberg. Wir wollen einen schlagkräftigen Verbund mit einem sehr attraktiven Tarifsortiment in der Region Schwarzwald- Baar-Heuberg schaffen. Wir wollen noch mehr Verantwortung im Schienenpersonen- nahverkehr übernehmen. Ich hatte Ihnen vorher gesagt, dass wir Ideen haben, wie wir den Ringzug weiterentwickeln können. Die Ringzugerweiterung nach St. Georgen ist nur ein kleiner Baustein. Es geht darum, dass wir in der Region dieses System weiter ausbauen. Wir müssen Sorge tragen, dass unsere Infrastruktur, Straße und Schiene, so ausge- baut wird, dass wir auch in zehn, 20 oder 30 Jahren wettbewerbsfähig sind. Für mich ist Robert Gerwig ein tolles Beispiel: Er hat vor rund 150 Jahren die Schwarzwaldbahn gebaut. Wir profitieren als Raumschaft jeden Tag davon, dass wir diese Schwarzwaldbahn haben. Vor über 50 Jahren wurde die Autobahn Stuttgart- Singen gebaut, von der wir jeden Tag profitieren. Ich will mir gar nicht vorstellen, was wäre, wenn wir die Schwarzwaldbahn und die Autobahn 81 nicht hätten. Das zeigt Das Landratsamt auf dem Hoptbühl in VS-Villingen. 60 50 Jahre Schwarzwald-Baar-Kreis

 

 

 

Wir müssen sicherstellen, dass sich unsere Infrastruktur in einem guten Zustand befindet und – wo nötig – auch ausgebaut wird. Alle Themen- bereiche rund um die Bildung gehören für mich hier dazu. Bei unseren Jüngsten dürfen wir nicht sparen. Kein Kind darf uns verloren gehen! Und wir müssen konsequent den Weg hin zu einer möglichst dezen- tralen Energieerzeugung und -versorgung beschrei- ten. Und bei all dem müssen wir auch Sorge tragen, dass der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nicht weiter verloren geht. Es gilt Spaltungen zu vermei- den und das Miteinander zu fördern. Wenn wir dies alles erreichen, dann bin ich zuversichtlich, dass der Schwarzwald-Baar-Kreis Zukunftsregion „Nummer 1“ wird. Wir die vor uns liegenden Herausforderungen nicht nur meistern, sondern, dass wir enger zusammenstehen, uns miteinander solidarisieren und dann insgesamt gestärkt sind. Herr Hinterseh, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. wie wichtig Infrastrukturprojekte für eine Raum- schaft sind und deswegen will ich mit meiner ganzen Kraft und mit der Unterstützung von Bund, Land und vieler Abgeordneten und mit Institutionen daran ar- beiten, dass wir diese Infrastruktur weiter ausbauen und im Wettbewerb mit anderen Regionen in Zukunft bestehen können. In welchen finanziellen Dimensionen bewegen wir uns hier? Wenn Sie den Glasfaserausbau und das Projekt Ringzug 2.0, wie wir es nennen, in der gesamten Region nehmen, dann reden wir von einer Investi- tion von jeweils rund 250 Mio. Euro. Das sind für uns schon ganz gewaltige Summen. Wo sehen Sie den Schwarzwald-Baar-Kreis in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren? Unser Landkreis steht natürlich im Wettbewerb mit anderen Kreisen und Regionen – und genau diesen Wettbewerb gilt es zu bestehen, das treibt mich tagtäglich an. Ganz allgemein ist der Erhalt der Daseinsvorsorge die zentrale Herausforderung. Der demografische Wandel wird sich in den ländlicheren Regionen stärker auswirken als in den Ballungs- räumen, das gilt übertragen auch für uns in unserem Landkreis. 61

 

 

 

SCHWARZWALD BAAR MOMENTAUFNAHMEN AUS EINEM QUELLENLAND von Wilfried Dold Die Triberger Wasserfälle – der weltweit bekannteste Hotspot des Schwarzwald- Baar-Kreises. Beim Kreisernte- dankfest 2022 in Bräunlingen. 82 72 Schanzengespräch: Olympiasieger Hans- Peter Pohl auf dem Sprungturm der Langenwaldschanze im Dialog mit Landrat Sven Hinterseh. 64 76 88 Der neue Donauursprung. Der Auerhahn (Foto: Erich Marek). ist mit dem Schwarzwald untrennbar verbunden. Doch er kämpft um sein Überleben: Die letzte Population im Schwarzwald-Baar-Kreis findet sich auf dem Rohrhardsberg. 62

 

 

 

Rohrhardsberg Elz Schonach Schiltachquelle Schiltach N Triberg Blindensee Gutach Elzquelle Schönwald Gutachquelle Bregquelle Brend Stöcklewald St. Georgen Niedereschach Königsfeld Brigachquelle Schwarzwaldbahn Mönchweiler Brigach Unterkirnach Dauchingen VILLINGEN-SCHWENNINGEN Neckar Gütenbach Vöhrenbach Breg Furtwangen Linach Wilde Gutach Neckarquelle Schwenninger Moos Tuningen Bad Dürrheim A864 Himmelberg A81 Blatthalde Brigachtal Breg Brigach DONAUESCHINGEN Bräunlingen Schellenberg Brändbach Riedseen Donau Hüfingen Gauchach Höllentalbahn Fürstenberg länge Eichberg Wutach Blumberg Buchberg Hoher Randen Dicht bewaldeter Schwarzwald, Triberger Wasserfälle und Kuckucksuhr treffen auf die weite Baar: Brigach und Breg, die in der Fürstenstadt Donaueschingen mit der Donau den zweitgrößten Fluss des Abendlandes hervorbringen. Gemeinsam bilden die topografisch grundverschiedenen Landschaften mit ihrer Mitte Villingen-Schwenningen seit 1973 den über 1.000 Quadrat kilometer großen Schwarzwald-Baar-Kreis. Sein 50-jähriges Bestehen im Jahr 2023 ist der Anlass für Momentaufnahmen – für Stipp visiten von Landrat Sven Hinterseh auf dem Rohrhardsberg und am Triberger Wasserfall oder für einen Dialog mit Olympiasieger Hans-Peter Pohl auf dem Sprungturm der Langenwaldschanze in Schonach. Für Gespräche und Impressionen beim Bräunlinger Kreis erntedankfest 2022 und Begegnungen am Donau beginn, einem Ort von europäischer Dimension. Damit werden stellvertretend für viele Aufgabenfelder zentrale kreispolitische Themen in den Fokus gerückt: Umwelt und Natur, Breitbandverkabelung, Tourismus, vereintes Europa sowie Schwarzwald und Baar als Heimat. Und Heimat braucht es in unserer krisen geschüttelten Zeit mehr denn je. 63

 

 

 

UNTERWEGS MIT RANGER NIKOLAS BINDER ROHRHARDSBERG – AUF DEM DACH DES QUELLENLANDES 64 Momentaufnahmen aus einem Quellenland

 

 

 

Der Rohrhardsberg gehört als beliebtes Wanderziel zu den bedeuten- den Naturschutzgebieten in Baden-Württemberg, dort findet sich eine der letzten Auerhahn-Popula tionen des Schwarzwaldes. Ranger Nikolas Binder (links) und Landrat Sven Hinterseh (rechts) engagieren sich im Zusammenspiel mit Naturschutz, ForstBW und Natur freunden dafür, dass der Auerhahn bei uns nicht ausstirbt! Bei einer Stippvisite am Rohrhards- berg wurde deutlich, wie kostbar dieses Naturschutzgebiet ist, in dem sich auf 1.153 Metern zugeich der höchste Punkt des Landkreises befindet. Momentaufnahmen aus einem Quellenland 65

 

 

 

Oben: Wildblühende Arnikawiesen gibt es in Baden-Württemberg nur an wenigen Orten, der Rohrhardsberg ist einer davon. Unten im Tal ist der Schänzlehof zu sehen. Wie kostbar die Natur am Rohrhardsberg ist, dokumentiert eines der letzten Auerhahn vorkommen im Schwarzwald und das letzte im Schwarzwald-Baar-Kreis (Foto: Erich Marek). Auch das Knaben kraut hat in den Hoch- und Übergangsmooren seinen Lebensraum. 66 Der Rohrhardsberg

 

 

 

Wenn auf dem Rohrhardsberg der Frühling einzieht und die Blumenwiesen blühen, geht er andernorts im Landkreis bereits in den Sommer über. Mächtige Felswände, Schonwald und naturnahe Bachläufe Naturschutz ist im Landkreis ein großes Thema. Mit über 530 Quadratkilometern sind mehr als die Hälfte des Schwarzwald- Baar-Kreises als Natura-2000-Gebiet geschützt. Als Leuchtturmprojekt gilt das Naturschutzgroßprojekt Baar. Auch im Großraum Rohrhardsberg – zwischen Elz und Wildgutach – liegen mehrere Schutzgebiete: Rohrhardsberg-Obere Elz, Yacher Zinken und Kostgefäll, Blindensee, Elzhof, Prechtaler Schanze-Ecklesberg und Laubeck-Rensberg. Hier wechseln sich großflächige Tannen- Fichten-Wälder ab mit artenreichen Weid- feldern, Bergwiesen und Hochmooren. Nikolas Binder ist als Ranger beim Regie- rungspräsidium Freiburg, Referat 56 Natur- schutz und Landschaftspflege angestellt und seit Januar 2022 für die Naturschutzgebiete am Rohrhardsberg, Blindensee und Kandel zuständig. Grund genug für eine Stippvisite des Landrates, dem der Naturschutz ein besonderes Anliegen ist – zumal am Rohr- hardsberg. Die Aufgabe als Ranger begeistert Nikolas Binder rundum, wie sich schon auf den ersten Metern einer morgend lichen Wanderung mit Landrat Sven Hinterseh zeigt. Er versteht sich als Vermittler zwischen der Natur und den Menschen. Die Besucher sollen verstehen lernen, weshalb sie am Rohrhardsberg oder Blindensee die ausge- schilderten Wege nicht verlassen dürfen, erläutert er eine seiner Hauptauf gaben. Er bewältigt sie überaus freundlich und kompe- tent: Der 26-jährige Ranger vermag zu fast jeder Pflanze und jedem Tier interessante Details zu berichten. Die Vögel erkennt er bereits an ihrem Gesang. Seit Januar 2022 ist Nikolas Binder ein „Schwarzwald-Baaremer“ mit Wohnsitz Schönwald. Von dort aus kann er die Natur- schutzgebiete rund um den Rohrhardsberg mit dem Fahrrad und teils sogar zu Fuß erreichen. Aufgewachsen ist er in Breunings- weiler, einem Stadtteil von Winnenden bei Stuttgart. Auf das Abitur folgte eine Lehre zum Forstwirt. Dann ließ er sich in Südafrika zum Field and Trailsguide ausbilden, um anschließend in Freiburg Waldwirtschaft und Umwelt zu studieren. Noch während des Studiums hat er im Nordschwarzwald Momentaufnahmen aus einem Quellenland 67

 

 

 

Der Rohrhardsberg ist ein Winterland – schneereich und kalt. Auf dem Übersichtsbild oben sind rechts der Ochsenhof, darüber der Erlenhof und weiter oben der Schänzlehof zu sehen. Unten: Im Schneegestöber mit Blick zum Schänzlehof. 68 Der Rohrhardsberg

 

 

 

Das Gasthaus zur Schweden- schanze, das „Schänzle“, bietet Winterwanderern eine willkommene Einkehrmöglich- keit. als Trecking-Guide gearbeitet, kennt seinen heutigen Arbeitsplatz in über 1.000 Metern Höhe somit schon länger. Unterwegs zum höchsten Punkt des Schwarzwald-Baar-Kreises Es geht an diesem 22. Juli durch schattige Schonwaldgebiete hinauf zum höchsten Punkt des Schwarzwald-Baar-Kreises, der sich auf 1.153 Meter Höhe befindet. Nikolas Binder schildert, was dieses Naturschutz- gebiet so besonders macht: Auerhahn, wild blühende Arnikawiesen, seltene Orchi- deen – Schonwaldgebiete. An der Seite des Rangers geht es durch eine subalpine Landschaft. Selbst Pflanzen mit ansonsten alpiner Verbreitung wie Alpen-Milchlattich und Alpen-Dost oder eher im alpinen Raum anzutreffende Vogelarten wie Raufußkauz und Ringdrossel sind hier daheim. Und nur am Rohrhardsberg und auf dem Brend wächst in Baden-Württemberg das gelb oder rot blühende Holunder- Knabenkraut. Auf nährstoffreicheren Böden wären diese Orchideen anderen Gewächsen hoffnungslos unterlegen, sie würden über- wuchert. Um Arnikawiesen oder das besagte Knabenkraut zu erhalten, braucht es eine naturnahe, extensive Landwirtschaft. Und geschützte Lebensräume wie Borstgras rasen, Hoch- und Übergangsmoore, Moorwäl- der, Auenwälder mit Erle, Esche, Weide, Hainsimsen- Buchenwald sowie Schlucht- und Hangmischwälder. Sie alle kommen im Rohrhardsberggebiet vor. Der Weg führt begleitet vom intensiven Austausch über Naturschutzbelange am Rohrhardsberg stetig bergauf – schließ- lich ist der höchste Punkt erreicht: Der 1.153 Meter hohe „Gipfel“ liegt inmitten eines Fichtenmeers das keinerlei Aus blicke zulässt. Hier verläuft zugleich die Grenze zwischen den Landkreisen Emmendingen und Schwarzwald- Baar. Mit 1.153 Meter überragt der Rohrhards berg den wenige Kilometer entfernt liegenden 1.149 Meter hohen Brend bei Furtwangen um gerade einmal vier Meter. Eines aber haben die beiden höchsten Erhebungen im Quellenland gemeinsam: Momentaufnahmen aus einem Quellenland 69

 

 

 

„Lücken für Küken“ heißt eines der Schutz- programme, mit denen am Rohr- hardsberg dank der Hilfe von Frei- willigen das Über- leben der dortigen Auerhahn-Popu- lation gesichert werden soll. Foto: Erich Marek Nir gends sonst im Landkreis ist der Winter strenger. Vorausgesetzt, dass er in Zeiten des Klimawandels auch einer ist. Es zieht die beiden Wanderer ans Licht. Dorthin, wo die Morgensonne die Augen förmlich blendet. Am 50 Meter tiefer lie- genden Waldrand bietet sich ein imposan- ter Blick über den Mittleren Schwarzwald hinweg: Links im Tal liegt der Schänzlehof, der höchstgelegene Bauernhof im Land- kreis, rechts die „Schweden schanze“. Eine urige Vesperstube, die unter Denkmalschutz steht. Der Blick streift über das Wäldermeer bei Schonach, Schönwald und Furtwangen. Etliche dieser Wälder sind wie der Rohrhards- berg als Schonwaldgebiete ausgewiesen und sich somit teils selbst überlassen. Schutz der Auerhahn-Population genießt Priorität Der Blick über die Landschaft macht deutlich, welch immens großes Gebiet der Ranger zu betreuen hat. Landrat Sven Hinterseh fragt nach, was hier alles zu leisten ist. Nikolas Binder nennt neben Naturschutz und Landschaftspflege die Mitwirkung bei der Besucherlenkung, naturparkspezifische Bildungs- und Informationsarbeit, aber auch die Unterstützung von naturschutz relevanten Forschungsaktivitäten. Vor allem aber schützt der Ranger bestmöglich die Brutgebiete des vom Aussterben bedrohten Auerhahns vor unliebsamen Besuchern. Der Rohrhardsberg war deshalb im Frühjahr 2022 ein Schwer- punkt seiner Tätigkeit: Auerhühner reagieren in der Paarungszeit äußerst empfindlich auf Störungen. So galt es, zur Balz- und Brutzeit das Auerhahngebiet in Zusammenarbeit mit Forst BW groß flächig zu überwachen. Das Auerhuhn hat im Rohrhardsberg- gebiet (noch) eine kleine Population. Sie stellt eine wichtige Verbindung zwischen den Vorkommen im Nordschwarzwald (Natio- nalpark) und dem Feldberggebiet dar. Auer- hähne benötigen vor allem lichte Wälder mit ausreichenden Heidelbeer-Beständen. Ini- tiativen wie „Lücken für Küken“ im Rahmen 70 Der Rohrhardsberg

 

 

 

Blick zum Erlenhof. Typisch für den Rohrhardsberg sind die Halden aus mächtigen Granitfelsen des Biodiversitätsprogramms des Landes sind eine wichtige Hilfe. Naturfreunde schaf- fen diese „Lücken für Küken“ ehrenamtlich. „Viele setzen sich am Rohrhardsberg für den Naturschutz ein“, freut sich Nikolas Binder. Corona verstärkt den Zustrom Nikolas Binder verdankt seine Stelle aber auch den Corona-Zeiten, die am Blindensee den Zulauf noch verstärkt haben. Der tinten- schwarze Hochmoorsee an der Gemar- kungsgrenze von Schonach/Schönwald ist ein touristischer Hotspot. Schon kurz nach Sonnenaufgang sind hier die ersten Wanderer unterwegs. Und ebenso spätabends. Um die Tier- und Pflanzenwelt dort und am Rohr- hardsberg vor den Folgen dieses intensiven Zulaufs bestmöglichst zu schützen, macht Nikolas Binder u.a. im Rahmen von geführ- ten Wanderungen mit den Besonderheiten der Natur vertraut. „Was man kennt, das schützt man auch“, lautet seine Devise. Der Rohrhardsberg ist bei der Besucher lenkung der weitaus ruhigere Flecken, den der Ran- ger zu betreuen hat. Der Grund ist simpel: Mit dem Auto kommt man nicht bis zum Gipfel. Auch verhalten sich die Besucher die- ses Naturschutzgebietes anders als die des Blindensees, sie sind mit den Belangen des Naturschutzes besser vertraut. Und während am Blindensee nahezu ständig „Hochbe- trieb“ herrscht, gibt es am abseits liegenden Rohrhardsberg auch „stille Momente“. Die Erfahrungen von Nikolas Binder sollen unmittelbar in die Arbeit der Natur- schutzbehörde des Landkreises ihren Ein- gang finden. Landrat Hinterseh lädt ihn ab- schließend zu einem Fachaustausch mit dem Naturschutz ins Landratsamt ein. Sein Fazit ist rundum positiv: 50 Jahre Schwarzwald- Baar-Kreis bedeuten auch 50 Jahre intensive Hinwendung zum Schutz und Erhalt seiner einzigartigen Natur. Eine enge Verzahnung aller Bemühungen auf diesem Weg sind unabdingbar – Stippvisiten wie diese tragen dazu bei, auf diesem Weg wieder ein gutes Stück voranzukommen. Momentaufnahmen aus einem Quellenland 71

 

 

 

MOMENTAUFNAHMEN – AUF STIPPVISITE BEI HANS-PETER POHL WIE BREITBAND-TECHNOLOGIE EINEN OLYMPIASIEGER WELTWEIT LIVE AN DIE SPRUNGSCHANZEN BRINGT „Als Sportler bin ich über ein Jahrzehnt lang um die Welt geflogen. Daheim aber ist für mich Schonach, der Schwarzwald und Schwarzwald-Baar.“ Diese Worte stammen von Hans-Peter Pohl, Mannschafts-Olympia- sieger in der Nordischen Kombination des Jahres 1988. Seine Schilderungen zu seiner Sportlerkarriere im Gespräch mit Landrat Sven Hinterseh im Juli 2022 komplettiert diese Ausführungen zum „Daheim-Sein“ um eine weitere Komponente: „Daheim“ war der Nordische Kombinierer auch auf den Loipen und Sprungschanzen dieser Welt. Und Hans-Peter Pohl ist es weiterhin – wenn auch oft digital, wie er auf den Stufen des Sprungturms der Schonacher Langen- waldschanze sitzend erzählt: Seit Jahren kommentiert der Olympiasieger als Experte bei Live-Übertragungen von Eurosport die Wettkämpfe in der Nordischen Kombina- tion. Doch er sitzt dabei mittlerweile nicht immer vor Ort in einem Pressezentrum mit Blick zur Sprungschanze oder Loipe, sondern ab und an auch daheim im Dachgeschoss seines Eigenheimes in einem Mini-Studio. Modernste Breitbandtechnik macht es mög- lich, dass Hans-Peter Pohl von Schonach aus ohne Zeitverzögerung zum Fernsehbild das Geschehen kommentieren kann. Nicht nur in Corona-Zeiten eine enorme Erleichterung. Landrat Sven Hinterseh merkt an, dass dank der Breitbandverkabelung durch den Zweckverband Breitbandversorgung die- se besondere Form des „Homeoffice“ in Schonach erst möglich geworden sei. Der Landkreis investiert in diese Technologie ins- gesamt über 200 Mio. Euro. Hans-Peter Pohl ist mit ganzem Herzen Schonacher, sein Haus hat er mit Aussicht auf die Sprungschanze gebaut. Keine Frage, dass eine Stippvisite bei ihm an der Langen- waldschanze stattfinden muss. Als der 39 Meter hohe Sprungturm über unzählige Treppenstufen hinweg bestiegen ist, gilt mit luftiger Aussicht auf Schonach die erste Fra- ge dem Skispringen: Nein, Hans-Peter Pohl würde heute nicht mehr über die Langen- waldschanze springen, antwortet er Sven Hinterseh. Und auch was die Olympiaschan- zen in Peking anbelangt, hat er eine klare Mei- nung: Noch gigantischere Sprungschanzen, das muss einfach nicht sein. Diese Entwick- lung sei der immer größeren Kommerziali- sierung des Sports zuzuschreiben. Als „noch brutaler“ bewertet er die zu erwartende Gender-Quote: Diese besagt, dass ab 2030 in der Nordischen Kombination auch Frauen am Start sein müssen. Ansons- ten droht ihr, dass sie als reiner Männersport aus dem Olympia-Programm gestrichen wird. Ein Wettkampf, der seit 1924 bei den Olym- pischen Spielen vertreten ist und dem der Schwarzwald und das Skidorf Schonach ihr weltweites Renommee als Wintersport region maßgeblich mitverdanken! Erster Sieg im Alter von sieben Jahren Mit sechs Jahren trainiert Hans-Peter für die Nordische Kombination, als Siebenjähriger feiert er 1972 strahlend seinen ersten Sieg im Skispringen. 1977 belegt der Schonacher den zweiten Platz bei der Deutschen Schüler- meisterschaft, wird 1979 Deutscher Meister Zur Stippvisite mit Landrat Sven Hinterseh (rechts) an der Schonacher Langen wald- schanze hat Hans-Peter Pohl (links) seine Goldmedaille von den Olympischen Spielen 1988 im kanadischen Calgary mitge- bracht. 72 Olympiasieger Hans-Peter Pohl

 

 

 

Hans-Peter Pohl 1988 mit der olympischen Gold- medaille für den Sieg in der Mann- schaftswertung. Rechts der Sprung zum Gewinn der Weltmeisterschaft in Oberstdorf 1987. Fotos: Sammy Minkoff in der Altersklasse bis 14 Jahre. Dieser Titel markiert endgültig den Beginn einer groß- artigen Sportlerkarriere: Hans-Peter Pohl erkämpft sich in der Folge zwölf Deutsche Meistertitel, davon viermal bei den Senioren. Zweimal holte er sich den Alpincup-Gesamt- sieg in der Nordischen Kombination sowie im Spezialspringen. Der Weltmeistertitel im Jahr 1987 in der Mannschaft mit Hermann Weinbuch und Thomas Müller in Oberstdorf und 1988 der Olympiasieg in Calgary in der Mannschaft mit Thomas Müller und Hubert Schwarz ge- raten zu den Höhepunkten seiner Karriere. 1991 erzielt der Schonacher Platz fünf bei der WM in der Einzelwertung und 1993 Platz drei mit der Staffel. Über zwölf Jahre hinweg ist Hans-Peter Pohl ein Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft. Wie schnell der sportliche Ruhm selbst in den eigenen Reihen verblassen kann, erfährt der Nordische Kombinierer am Karriere ende: Im November 1993 kündigt er seinem Team die letzte Saison als Profi an. Wie Hans-Peter Pohl heute weiß, war diese Fairness ein Fehler. Augenblicklich wird der frühere Welt- meister und Olympia sieger sowie Staffel- WM-Dritte des Jahres 1993 aufs Abstellgleis geschoben. Als die Nordischen Kombinierer ausgerechnet beim Schwarzwaldpokal 1994 in Schonach neue Sprunganzüge erhalten, wird Hans- Peter Pohl übergangen. Sein Trainer teilt ihm kurz darauf telefonisch mit, gleich welche Leistung er auch bringe, für die Olympischen Spielen 1994 im norwegi- schen Lillehammer werde er nicht nominiert. Auf die Sportkarriere folgt der Erfolg als Fernsehkommentator So fährt Hans-Peter Pohl auf eigene Rech- nung zu Olympia, was sich als Glücksfall erweist. Er trifft bei der Schanzenanlage zufällig auf Dirk Thiele, Kommentator beim Fernsehsender Eurosport. Dieser bietet dem Schonacher spontan an, mit ihm zusammen das olympische Spezialspringen zu kommen- tieren. Eine Hürde allerdings gilt es noch zu nehmen: Da er bei Olympia nicht als Journa- list akkreditiert ist, schleicht sich Hans-Peter Pohl frühmorgens in den Kampfrichterturm, fällt dort nicht weiter auf. So kann er nach- mittags sein Debüt als TV-Experte geben. Eine Karriere beginnt, die bis heute andauert. Anfangs fliegt er dazu an jedem Wettkampfwochenende in die Eurosport- Zentrale nach Paris, um von dort aus zu kommentieren. Als die große Zeit von Martin 74 Olympiasieger Hans-Peter Pohl

 

 

 

Hoch über Schonach – beim Gespräch über Leistungssport, die Nordische Kombi nation und die Liebe zur Heimat auf der Langen- waldschanze: Landrat Sven Hinterseh (links) und Hans-Peter Pohl (rechts). Schmitt und Sven Hannawald anbricht und Skispringen über Nacht ein Millionenpubli- kum begeistert, nimmt neben ARD und ZDF auch Eurosport die Berichterstattung vor Ort auf. Hans-Peter Pohl reist jetzt als Fernseh- kommentator an jene Orte, die er in den Jah- ren zuvor als Sportler besucht hatte. Für den 29-Jährigen heißt es am Karriere- ende zudem, ins Berufsleben einzusteigen. Als Sportler mit Amateurstatus durfte er nicht einmal einen Sponsorenvertrag un- terzeichnen, eine Rücklage aufzubauen, war somit nicht möglich. Immerhin: Für die Olympische Goldmedaille gab es eine Prämie von 15.000 Mark. Die angestrebte Trainerkarriere erweist sich für Hans-Peter Pohl nach bestandener Prüfung im Jahr 1995 als der falsche Weg, er will den Skisport hinter sich lassen. Da kommt das Angebot der Schonacher Allianz- vertretung, ins Versicherungswesen einzu- steigen im richtigen Augenblick. „Das war das Perfekteste was mir passieren konnte“, so der frühere Profisportler. Denn eines hat sich mittlerweile gezeigt: Olympiaruhm der bleibt – überall wird der sympathische Scho- nacher mit offenen Armen empfangen. Noch heute gibt es Autogrammanfragen. Und Landrat Sven Hinterseh freut sich: „Ein Olym- piasieg, das ist doch irre!“ So bekommt der frischgebackene Ver- sicherungsmann selten Absagen auf Ge- sprächsanfragen. Auch wenn die Kunden sich fragen: Kann der das? „Ich musste mich in diesem Umfeld erst beweisen“, erinnert sich der Sportler, was ihm jedoch glückt. Beim Abstieg vom Sprungturm verrät Hans-Peter Pohl, dass er mit seiner Frau Anja und den Söhnen Dominik und Patrick in wenigen Stunden nach Kanada fliege, wo Tochter Jacqueline die Liebe fürs Leben gefunden habe. Auch deshalb ist die Breit- band-Internetverbindung für die Pohls noch bedeutender geworden. Momentaufnahmen aus einem Quellenland 75

 

 

 

MOMENTAUFNAHMEN – WO IM LANDKREIS DER TOURISMUS BEGANN WELTBEKANNTE WASSERFÄLLE: DAS GOLD VON TRIBERG Wenn der Landrat aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Schwarzwald-Baar-Kreises auf Stippvisite im Landkreis unterwegs ist, gehören die Triberger Wasserfälle als „der“ touristische Hotspot einfach dazu. Sven Hinterseh wird am Eingang zum Wasserfall- gebiet von dem Mann erwartet, der hier für die Ordnung und Sicherheit die Verantwor- tung trägt: Bauhofleiter Hubert Kienzler. An diesem sonnigen Dienstag im Sommer 2022 verrät schon die Warteschlange am Kassen- häuschen, dass in Triberg neben Europa zumindest auch Asien, Indien und Amerika vertreten sind. Landrat Sven Hinterseh zeigt sich überzeugt, dass der Touris mus weit über Triberg hinaus von der Popularität der Was- serfälle profitiert. Bis hin zum über 110 Kilo- meter langen Premium wanderweg Wasser- WeltenSteig, den der Landkreis verwirklicht hat und der in Triberg bei den Wasserfällen beginnt und am Rheinfall in Schaffhausen endet. entlang der Felsen, der zum ersten der sechs Fälle hinaufführt. Am vierten Fall lädt ein Holz- steg dazu ein, mitten über dem Wasserfall zu stehen – sein Tosen ist ganz nah. Die Wasserfälle sind seit über 200 Jahren eine Touristenattraktion „The Triberg Falls“ gehören seit über 200 Jah- ren zu den bekanntesten Tourismus- Hotspots in Baden-Württemberg. Im Jahre 1805 er- schließt der weitsichtig agierende Obervogt Theodor Huber die Wasserfälle über ein Wegenetz für Besucher – das Interesse an diesem Naturspektakel steigt umgehend. Mit Inbetriebnahme der Schwarzwaldbahn setzt ab 1873 ein wahrer Tourismus-Boom ein, die Eisenbahn ermöglicht jedermann das Reisen. Auch gut betuchte Kurgäste entdecken jetzt Triberg, das schon bald in einem Atemzug mit dem nahen Titisee und dem Kurort Baden-Baden genannt wird. Immerhin gehören die Triberger Wasser- Auch die First Lady von Amerika weilt in fälle mit ihrer Fallhöhe von 163 Metern zu den höchsten in Deutschland. Und sind einsamer Spitzenreiter im Schwarzwald: Am nächsten kommen ihnen die 97 Meter hohen Todtnauer Wasserfälle. Sie sind indes mehr als doppelt so hoch wie die Gertelbachfälle mit ihren 70 Metern und mehr als viermal so hoch wie die Zweribach-Wasserfälle und der Todtmoser Wasserfall mit 40 Metern. Und sie sind vor allem eines: „Unglaublich schön“, wie Landrat Sven Hinterseh spontan äußert, als sich nach kurzem Fußweg der imposante Hauptfall vor ihm auftut. Überall stehen Menschen, schießen mit ihren Handys unzählige Erinnerungsfotos. Und begeben sich dann auf den Waldweg den 1890er-Jahren neben vielen weiteren bekannten Persönlichkeiten in der Wasser- fall-Stadt: Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Otto von Bismarck oder Ernest Hemingway waren Besucher der in sieben Stufen über 163 Meter ins Tal hinunterstürzenden Was- serfälle. Und mit der Kraft ihrer Wasserfälle erzeugen die Triberger ab 1884 ebenso den Strom für eine der ersten elek trischen Straßenbeleuchtungen in ganz Deutschland. Neue Kraft aus der Natur bei den Wasserfällen schöpfen Für Stadtmarketingleiter Nikolaus Arnold steht unumstößlich fest, dass die Wasserfälle Kraft am Wasser- fall schöpfen, die Licht- und Wasserspiele ge- nießen. Die Triber- ger Wasserfälle, Kuckucksuhr und Schwarzwaldbahn ziehen seit dem 19. Jahrhundert Besucher aus aller Welt an. 76 Hotspot Triberger Wasserfälle

 

 

 

das Gold von Triberg sind. „Was fasziniert die Menschen an den Wasserfällen?“, frägt Land- rat Sven Hinterseh in die Runde. Nikolaus Arnold und Hubert Kienzler antworten, dass es das Natur erlebnis sei. Ein Blick in die Ge- schichte zeigt, wie sehr die Natur im Umfeld der Wasserfälle die Menschen seit jeher be- geistert. In den 1920er-Jahren beispielsweise wird die Luft im Wasserfallgebiet auf das Vorhandensein von Luftelektrizität hin unter- sucht. Sie soll Menschen dabei helfen, ihre Depressionen zu besiegen, so ein Arzt. Dass an der besonderen Kraft der Natur im Wasserfallgebiet etwas dran sein muss, beweist die Gegenwart in Form der Asklepios- klinik, die Menschen behandelt, die eine Krebserkrankung bewältigen müssen. Die Patienten besuchen nahezu täglich die Was- serfälle, verbringen viel Zeit dort. Sie schöp- fen neue Energie aus der Begegnung mit diesem besonderen Stück Natur. Nikolaus Arnold hat beobachtet, wie manche Wasserfallbesucher teils Stunden auf der Bank der Besucherplattform verbringen, um die Gischt der Wasserfälle und den Klang des herunterstürzenden Wassers zu genie- ßen. Zu den Wasserfall-Fans gehört der Leiter des Stadtmarketings auch selbst. Er schätzt den Triberger Hotspot ebenso bei Regen, Nebel, Kälte oder in wasser armen Sommer- monaten. „Es ist einfach ein ganz besonderer Ort für mich“, hält der gebürtige Triberger fest. „Die Menschen sollen sich am Wasser- fall und im umliegenden Waldgebiet einfach wohlfühlen“, beschreibt er das Bemühen der Stadt, dieses Landschaftsschutzgebiet so natürlich wie möglich zu halten. Selbst die Moose und Flechten auf den Granitsteinen entlang des Wasserfalles sind besonders und stehen unter Naturschutz. Corona stoppt den Wasserfall- Tourismus über Nacht Vor Corona lockten die Wasserfälle alljähr- lich weit mehr als 500.000 Besucher nach Triberg. Damit ist es mit Ausbruch der Pan- demie im Februar/März 2020 erst einmal vorbei. Nikolaus Arnold schildert, er erinnere sich mit Schrecken an die Oster- und Pfingst- feiertage 2020. Mutterseelenallein war er auf den Straßen in Triberg unterwegs. An Tagen, an denen üblicherweise Menschen aus aller Welt den Boulevard bevölkern und die Sou- venir geschäfte dort besuchen. Der ganzen Stadt sei angesichts dieser Leere bewusst geworden, wie sehr Triberg vom Tourismus profitiert, wie wertvoll die Wasserfälle sind. Dass die Triberger Wasserfälle derart be- rühmt und für die Stadt so bedeutend gewor- den sind, hängt neben der Schönheit der An- lage am Wasserfall auch mit ihrer zentralen Lage zusammen: Die Touristen müssen von der Stadtmitte aus nur wenige hundert Me- ter zu Fuß gehen, bis sie den Haupteingang zum Wasserfallgebiet erreichen. So bleibt die Kaufkraft der Wasserfall-Touristen in Triberg. Nirgends sonst auf der Welt findet sich ein Wasserfall „fast schon“ inmitten einer Stadt. Beim Triberg-Marketing dürfen auch Influencer nicht fehlen Landrat Sven Hinterseh verfolgt mit großem Interesse, wie die Triberger die sozialen Medien zur Belebung ihres Fremdenverkehrs nutzen. Nikolaus Arnold betont, Instagram, Facebook oder YouTube seien kein Allheil- mittel, aber fester Bestandteil im Portfolio des Tourismus-Marketings. Dass mit einfluss- reichen Influencern, die über entsprechend hohe Zahlen an Followern verfügen, heute Werbeverträge geschlossen werden, verstehe sich fast von selbst. Und dennoch, so Arnold, werden nach wie vor Prospekte in großer Zahl auch auf Papier gedruckt, da die Nach- frage diesbezüglich enorm sei. Woher stammen die Gäste? Zu bis zu 70 Prozent aus dem Ausland – 2022 sind es ungewöhnlich viele Spanier, die Triberg besuchen. Einen Einbruch gibt es als Folge von Corona bei den chinesischen Gästen. Einzelne Souvenir geschäfte hatten bereits Personal mit chinesischen Sprachkenntnissen eingestellt, weil das Kaufinteresse der Chine- sen enorm ist, besonders Schwarzwalduhren Rechte Seite: Die Triberger Wasserfälle im Frühjahr 2020, mitten in der ersten Corona- Welle. Ganze zwei Besucher stehen auf der ansonsten meist gut gefüll- ten Plattform am Fuß der Wasser- fälle und nehmen das obligatorische Selfie auf. 78 Hotspot Triberger Wasserfälle

 

 

 

Momentaufnahmen aus einem Quellenland 79

 

 

 

Oben: Landrat Sven Hinterseh im Gespräch mit dem Triberger Bauhofleiter Hubert Kienzler Mitte: Der Leiter des Triberger Stadtmarketings Nikolaus Arnold ist nicht nur be- ruflich, sondern auch privat ein Fan der Triberger Wasserfälle. Was es bedeutet, den Besucherfluss am Triberger Wasserfall zu lenken und die üblicherweise jährlich rund 500.000 Besucher mit den entspre- chenden Informationsmaterialien zu versorgen, zeigt Bauhofleiter Hubert Kienzler am Beispiel der Flyer und Eintrittskarten auf: Um die Kassen- häuschen am Wasserfall damit zu versorgen, ist ein einzelner Mitarbei- ter mehrfach im Jahr jeweils einen ganzen Tag lang unterwegs. Und auch die Sicherheit am Wasserfall braucht im Zeitalter der Selfie-Fotografen besondere Auf- merksamkeit. Die Touristen filmen und fotografieren unaufhörlich, suchen nach spektakulären Moti- ven, wie sie Influencer auf sozialen Netzwerken tagtäglich präsentieren. Die Folgen bleiben nicht aus: In jün- gerer Zeit sind diesbezüglich gleich mehrere besorgniserregende Vorfälle dokumentiert. Ein Asiate stürzt im Sommer 2018 bei der Suche nach eindrucksvollen Video bildern fast die Wasserfälle hinunter, weil er die offiziellen Wege verlassen hat. Der Mann kann sich mit letzter Kraft ans Ufer klammern, wie der Bauhofleiter schildert und muss von der Feuerwehr gerettet werden. Die Triberger Wasserfälle sind eben nicht nur schön, sondern auch gefährlich. sind gefragt. Dafür besuchen verstärkt Touristen aus den Arabischen Emiraten das „Triberg land“ – neben Gästen aus dem Elsass, der Schweiz, den Niederlanden sowie Ita- lien – und natürlich aus Deutschland selbst. Pflege der Anlagen beim Wasserfall ist aufwendig Doch dieser Ansturm will erst einmal logistisch bewältigt sein – die Pflege der weit verzweigten Anlage um den Wasserfall ist aufwendig, wie Bauhof-Leiter Hubert Kienzler bei der Stippvisite mit Landrat Sven Hinterseh darlegt. Baumkontrollen im mit Felshalden durchzogenen Waldgebiet nach Gewittern und Starkregen, Schnee- und Eiskontrollen im Winter und tägliche Reini- gungsarbeiten fallen an: Der Wasserfall hält das technische Personal der Stadt auf Trab. Äußerst positive Reaktionen auf die „Triberg-Inklusiv-Karte“ Für die Zukunft des Wasserfall-Tourismus gibt es in Triberg viele Pläne. Nikolaus Arnold betont, das Stadtmarketing werde kontinuierlich optimiert. So hofft er darauf, dass es gelingt, die Aufenthaltsdauer der Gäste auszubauen und die Saison über das Ende der Schulferien hinaus zu verlängern, da Triberg und sein Wasserfall auch im Herbst und Winter viel zu bieten haben. Ein Wandel ist bereits spürbar, so kommen Besucher aus Israel und der Niederlande 80 Hotspot Triberger Wasserfälle

 

 

 

verstärkt im Januar und Februar, verknüpfen ihren Aufenthalt mit Wintersport. Weiter versucht Triberg, mehr Busreisende in die Stadt zu bekommen. Ein Prozess, der Jahre dauern kann. Wer den Wasserfall besucht hat, auf den warten zahlreiche weitere Aktivitäten. Stolz ist Nikolaus Arnold auf die „Triberg-Inklusiv- Karte“: Mit dem Erwerb der Eintrittskarte zu „Deutschlands höchsten Wasserfällen“ ist zugleich der kostenlose Besuch des Schwarzwaldmuseums, des „Triberg-Landes“ mit interaktiven Modellbauanlagen sowie des Instagram-Museums „Triberg-Fantasy“ möglich. Hier können fantasievolle Fotos aufgenommen und augenblicklich um die Welt gepostet werden. Das ungewöhnliche Fotostudio findet großen Anklang, erfreut Besucher aller Altersschichten. „Das gesamte Umland profitiert von den Triberger Wasserfällen“ „Es ist ein großes Aufgabenpaket, das die Stadt Triberg mit dem Wasserfall-Tourismus zu bewältigen hat“, zieht Landrat Sven Hinterseh beim Gang zurück zum Haupt- eingang eine erste Bilanz seiner Stippvisite. Und er fügt hinzu: „Die Wirtschaftskraft der Wasser fälle strahlt weit über Triberg hinaus – das gesamte Umland profitiert.“ Doch keine Stippvisite in Triberg ohne einen abschließenden Blick in die Souvenir- läden. Es ist ein besonderes Erlebnis, in den Geschäften entlang des Boulevards mitzuver- folgen, wie sich Menschen aus aller Welt an Schwarzwalduhren erfreuen. Und sich oft da- zu entschließen, eine dieser Qualitäts uhren als Erinnerung an Triberg und den Schwarz- wald zu erwerben. Jedem Anfang liegt ein Zauber inne“ – die erste Stufe zum Wer- den des Triberger Wasser falles. Momentaufnahmen aus einem Quellenland 81

 

 

 

KREISERNTEDANKFEST 2022 IN BRÄUNLINGEN GEFÜHLE UND IDEEN ZU ALL DEM WAS HEIMAT AUSMACHT 82 Momentaufnahmen aus einem Quellenland

 

 

 

Die Landjugend Weiler mit „Radio Heimatliebe“ (oben) und Mönchweiler mit „Scheibe für Scheibe Heimat erleben“ (Mitte). Heimat Wo fühlen Sie sich denn daheim? Die Frage von Landrat Sven Hinterseh gilt der Vorsitzen- den der Landjugendgruppe von Bräunlingen Sabrina Albicker im Anschluss an den Festzug im Rahmen des 61. Kreiserntedankfestes am 2. Oktober 2022. „In meiner Familie – hier in Bräunlingen“, lautet ihre Antwort. Die Frage, wo sich die Landjugend des Jahres 2022 im Schwarzwald-Baar-Kreis daheim fühlt und was Heimat generell ist, bestimmt als Motto den kompletten Festzug. Und die ideenreich gestalteten Antworten erfreuen nicht nur den Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises: Weit über 10.000 Zuschauer säumen den Straßen- rand, klatschen den Akteuren begeistert Beifall. Ausgerichtet hat das Kreiserntedank- fest 2022 die Landjugendgruppe Bräunli ngen – unter stützt durch Freunde und weite- re Vereine. An der Spitze der Organisatoren stehen Sabrina Albicker und Jonas Glunk, die gemeinsam den zu gleich ältesten Landjugend- verein im Schwarzwald-Baar-Kreis leiten: Ihr Verein wurde am 7. Mai 1950 als erster gegründet – damals gehörte Bräunlingen noch dem Landkreis Donaueschingen an. Die Initiatoren waren Junglandwirte und Lehrer des Landwirtschaftsamtes. Zweck war es, den Junglandwirten durch die Gruppentreffen, die zumeist aus Feldbegehungen, Viehbeurteilun- gen und Vortragsabenden bestehen, weitere Informationen zu ihrem Beruf zu vermitteln. Die Landjugend Mundelfingen präsentiert „Trümpfe unserer Heimat“. Momentaufnahmen aus einem Quellenland 83

 

 

 

Bei der Ehren- tribüne der Bräun- linger Landjugend. Bürgermeister Micha Bächle (v. rechts vorne) sowie Landrat Sven Hinterseh mit seinen Töch- tern Hannah und Charlotte. Schließlich widmet sich die Landjugend immer häufiger auch der Brauchtumspflege. So entsteht 1962 die Idee zum Kreisernte- dankfest heutiger Prägung. Die Premiere fin- det in Mundelfingen statt, im Oktober 1964 feiert die Landjugend erstmals in Bräunlingen. Variationen zum Thema Heimat Was Heimat sein kann, verdeutlichen die The menbeschreibungen zu den prächtig auf- gemachten Wagen des Kreiserntedankfestes 2022. Die Landjugend Hausen vor Wald prä- sentiert eine mit Feldfrüchten und Blumen verzierte Lupe. Ihr Motto: „Die Wertschät- zung liegt im Detail“. „Die Lupe hilft uns, die liebenswerten Details des Landlebens wieder zu erkennen und wertzuschätzen“, heißt es in der Begründung. „Auf der Suche wird klar – wir lieben unsere Heimat!“, lautet das Fazit. Die Landjugend Weiler präsentiert ihren Rundfunksender „Radio Heimatliebe“, der seine Hörer fragt: Was wertschätzt DU an un- serer Heimat?“ Die Begründung: „Oft verges- sen wir, wie vielseitig unsere Heimat und das Landleben sind. Wir von Radio Heimatliebe wollen deine Meinung hören! Ruf uns an und erzähl uns, was du besonders an unse- rer Heimat schätzt, damit wir uns allen ihrer Schönheit wieder bewusst werden! Denn wir l(i)eben das Landleben!“ Das Motto „Weil jedes Teil zählt!“ ist zugleich das Siegermotto, die Landjugend Brigachtal präsentiert nach Ansicht der Jury den besten Themenwagen. Sie erläutert es wie folgt: „Wie ein Puzzle setzt sich unsere Heimat aus vielen verschiedenen Teilen wie Familie oder Tradition zusammen, Stück für Stück entsteht das Gesamtbild – unser LANDLEBEN. Nur als Ganzes wird es zu dem, was wir LIEBEN.“ An der Erntefolge macht die Landjugend Brigach das Jahr fest: „Unser Jahr in allen Äh- ren“, lautet das Motto. Der Aasener Verein fragt: „Wie prägt uns unsere Heimat?“ Die Land jugend Dauchingen/Hochemmingen sucht die „vielfältigen Bauklötze unserer Hei- mat“. Und Schonach freut sich: „Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen.“ Wolterdingen schlägt „Die Brücke zu unserer Heimat“, prä- sentiert die markante Bregbrücke als Nach- bau. Unadingen beschäftigt sich mit der Land- flucht und Mundelfingen präsentiert „Die Trümpfe unserer Heimat“ als Kartenspiel. Rechte Seite: Mit tollen Wagen- aufbauten waren v. ob. links die Landjugend Brigach, Hau- sen vor Wald, Dauchingen/ Hochemmingen und Brigachtal beim Kreisernte- dankfest vertreten. 84 Kreiserntedankfest 2022 in Bräunlingen

 

 

 

Momentaufnahmen aus einem Quellenland 85

 

 

 

„Ein Brauch mit großer Bedeutung“ Die große Zahl der Zuschauer zeigt auf, wie sehr die Landjugend mit ihrer Weltsicht die Herzen der Menschen berührt. An der Seite von Bräunlingens Bürgermeister Micha Bächle zeigte sich Landrat Sven Hinterseh von der Landjugend und dem in der Regel jährlich stattfindenden Kreiserntedankfest begeistert: „Es ist ein wichtiger Brauch mit großer Be- deutung. Der Umzug und seine Themenviel- falt sind ein Spiegelbild der Heimatliebe so vieler junger Menschen“, betont er. Mit Sabrina Albicker unterhält sich der Landrat nach dem Festzug mit einer der maßgeblichen Organisatorinnen des 61. Kreiserntedankfestes. Sie sei total über- wältigt vom Fest in Bräunlingen, am Ernte- dankumzug dabei sein zu können, sei ein unbeschreiblich schönes Erlebnis gewesen. Das Fazit der Bräunlinger Landjugend hat zwar auch mit Heimat, aber noch mehr mit Corona zu tun. Sabrina Albicker: „Endlich mal wieder richtig feiern können, zusammen zu sein, das war der größte Wunsch der jungen Menschen“. Und genau dieser Wunsch ist beim Kreiserntedankfest 2022 in Bräunlingen großartig in Erfüllung gegangen, betont sie auch im Namen von Jonas Glunck, der beim Erntedankfest gleichfalls rund um die Uhr im Einsatz war. Wie viele Vereine setzt im Übrigen auch die Bräunlinger Landjugend darauf, weitere Mitglieder zu finden. Wichtig ist ihr: Zum Verein könne sehr gerne auch dazustoßen, wer keinen Bauernhof besitze, so das Duo an der Spitze der Vorstandschaft. Rechte Seite, v. oben links: „Wie prägt uns unsere Heimat?“ fragt die Landjugend Aasen. Hondin- ger Trachtenpaar und Bregbrücke der Wolterdinger Landjugend. Die Umzugs wagen sind allesamt mit Feldfrüchten, heimischem Obst und Blumen geschmückt, hier der Wagen von Brigach. Mehr dazu auf www.almanach-sbk.de/kreiserntedank Links: Sabrina Albicker vom Führungsduo der Landjugend Bräunlingen und Landrat Sven Hinterseh im Festzelt beim Kreisernte- dankfest. Die Erntekrone im Hintergrund wird ab November traditionell wieder im Landratsamt präsentiert. 86 Momentaufnahmen aus einem Quellenland

 

 

 

Momentaufnahmen aus einem Quellenland 87

 

 

 

MOMENTAUFNAHMEN – EIN NEUER ZUSAMMENFLUSS FÜR BRIGACH UND BREG DIE DONAU – WO EUROPA BEGINNT 88 Momentaufnahmen aus einem Quellenland

 

 

 

Am Zusammenfluss von Breg (links) und Brigach (Mitte oben). Der neue Donaubeginn in Donaueschingen hat sich in kurzer Zeit zu einem Anziehungspunkt für Touristen und Einheimische gleichermaßen entwickelt.

 

 

 

Dass im Quellenland Schwarzwald-Baar mit der Brigach und der Breg zwei Schwarzwald- flüsse die Donau zuweg bringen, ist für den Landkreis ein besonderes Highlight. Doch spielte der Zusammenfluss – das Entstehen der Donau – unter touristischen Aspekten betrachtet eine bislang eher „untergeordnete Rolle“. Jetzt ist der Donaubeginn in Donau- eschingen neu gestaltetet. „Hier ist etwas richtig Großes entstanden“, freut sich Landrat Sven Hinterseh bei der offiziellen Eröffnung des neuen Donauursprungs am 29. Juni 2022. Er ist im Rahmen eines der größten Renaturierungsprojekte möglich geworden, die in Baden-Württemberg in jüngerer Zeit stattgefunden haben, so Umweltministerin Thekla Walker beim Festakt am Zusammen- fluss. Sie verwies auf Investitionen in Höhe von vier Millionen Euro. Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten Neben der Verbesserung des Lebensraums für die Tier- und Pflanzenwelt war es von Anfang an das Ziel, auch die Themen Naher- holung und Tourismus zu integrieren. „Das ist hier wunderbar gelungen, weil für die Natur ausreichend ungestörte Flächen ge- schaffen wurden“, stellte Umweltministerin Thekla Walker bei ihrem Besuch erfreut fest. Unter anderem sind Stege und Aussichts- plattformen beim Unterlauf von Brigach und Breg entstanden, die die Menschen zum Verweilen und Beobachten der zahlreich vor- kommenden Wasservögel einladen. Die internationale Staatengemeinschaft sei nicht nur bei der Energieversorgung mit- einander verbunden, sondern auch bei der Qualität ihrer Gewässer. „Umso wichtiger ist es, dass die Menschen in Europa ihre Flüsse als Lebensräume für Fische und viele andere Tier- und Pflanzenarten naturnah gestalten und sauber halten und sie so auch als Erho- lungs- und Erlebnisgebiet für uns Menschen erhalten“, führte die Ministerin weiter aus. „Nicht nur hier an der Donau, sondern auch in allen anderen Landesteilen werden wir un- sere Bemühungen, die Gewässerökologie zu verbessern, fortsetzen“, betonte sie weiter. „Wir müssen alle Menschen für diese Wasserthemen sensibilisieren“, sagte Thekla Walker. Es sei eine große Aufgabe, die Gewässerqualität weiter zu verbessern, indem beispielsweise weniger Schad- und Nährstoffe in die Flüsse und Bäche gelangen. Und natürliche Gewässer haben enorme Bedeutung auch mit Blick auf den fortschrei- tenden Klimawandel, führte die Ministerin aus. „Sie sind widerstandsfähiger gegenüber dessen Wirkungen. Und die Ufervegetation bietet Lebensräume und wirkt positiv auf das Kleinklima.“ Flussmündung erlebbar gemacht Die Freiburger Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer machte deutlich, dass das Land mit der Revitalisierung des Donauursprungs nicht nur einen wertvollen Beitrag für die Ökologie des Flusses leiste: „Der zusätzliche Raum, den wir der Donau geben, hat auch einen positiven Neben effekt auf den Hochwasserschutz. Zugleich profitieren die Menschen vor Ort, weil wir die Flussmün- dung erlebbar gemacht haben.“ Darüber hinaus erinnerte Bärbel Schäfer daran, dass die Donau zehn Länder verbinde. Sie denke an diesem feierlichen Tag auch an die Menschen in der Ukraine, die am Ende dieses Flusses zur gleichen Zeit im Krieg le- ben: „Die Donau verbindet uns mit ihnen.“ Im Quellenland: Rund 1.000 Kilometer Gewässer Landrat Sven Hinterseh erinnert sich im Dialog mit den rund 50 Festgästen an ver- gangene Zeiten, als der Donaubeginn in Donaueschingen eher nur von „Eingeweih- ten“ besucht wurde, da schwer zugänglich und wenig attraktiv. Er verwies darauf, dass der Quellenlandkreis mit seinen Quellen, Flüssen und Seen eine der wasserreichsten Regionen im Einzugsgebiet von Donau, Neckar, Hochrhein und Oberrhein mit circa 90 Die Donau – Wo Europa beginnt

 

 

 

Enthüllung des neuen Kilometer- steins der Donau, v. links: Oberbür- germeister Erik Pauly, Landrat Sven Hinterseh, Umweltministerin Thekla Walker, Re- gierungspräsiden- tin Bärbel Schäfer, Landtagsabgeord- neter Niko Reith (FDP/DVP) und Bundestagsab- geordnete Derya Türk-Nachbaur (SPD). 1.000 Kilometer Gewässern sei. Und ebenso durchzieht die Europäische Wasserscheide den Schwarzwald-Baar-Kreis. „Die Bedeutung der Donau für Europa werde einem bewusst, wenn man sich vor Augen führe, dass der Fluss durch zehn Län- der fließe und ins Schwarzen Meer münde. Der Donaubeginn hat jetzt den Stellenwert bei uns, der ihm zusteht“, so Landrat Sven Hinterseh. Ein neuer Anziehungspunkt Dass in Donaueschingen ein neuer Anzie- hungspunkt entstanden ist, zeigt sich in der Folge vielfach: Wo die Donau ihren Anfang nimmt, finden sich Besucher aus aller Welt und in großer Zahl ebenso Einheimische ein. Dies besonders auch vor dem Hintergrund, dass sich die Besucher nun dem Fluss nähern und vorzugsweise Kinder und Jugendliche den Sommer über in der Donau selbst baden können. Der Zusammenfluss hat sich zu ei- nem Naturerlebnis erster Güte entwickelt. Und auch wer auf dem Donau radweg unterwegs ist, profitiert: Für die zahlreichen Radtouristen wurde eine vielseitige und attraktive Infrastruktur geschaffen, insbe- sondere ein Ankunftsplatz mit Abstellmög- lichkeiten, einer Ladestation für E-Bikes und einem Trinkwasserbrunnen. Beendet ist die Maßnahme in Donau- eschingen noch nicht, auch ein Info-Zentrum soll entstehen und zahlreiche digitale Ange- bote sind geplant. Eines allerdings ist schon jetzt Gewissheit: Der „neue“ Donauursprung in Donaueschingen ist schon jetzt eine große Attraktion – ein Hotspot. Momentaufnahmen aus einem Quellenland 91

 

 

 

92 3. Kapitel – Da leben wir

 

 

 

Romina Auer und Nikol Konta „Ganz in Weiß“ – Wenn Mädchenträume wahr werden von Elke Reinauer mit Fotos von Michael Stifter

 

 

 

MITTEN IN SCHWENNINGEN, IM ALTEN E-WERK, FÜHREN ROMINA AUER UND NIKOL KONTA IHR BRAUTATELIER „LA BELLE MARIÉE“. DAMIT ERFÜLLEN SIE NICHT NUR DIE TRÄUME VIELER FRAUEN VOM PERFEKTEN HOCHZEITSKLEID, SONDERN AUCH IHRE EIGENEN: SEIT OKTOBER 2021 SIND SIE SELBSTSTÄNDIG UND NAHMEN AUCH AN DER TV-SHOW „ZWISCHEN TÜLL UND TRÄNEN“ TEIL. D avon träumen viele Frauen schon als kleine Mädchen: Dem Tag, an dem sie ihr Hochzeits- kleid aussuchen, es anprobieren und gleich spüren: Das ist es! Auch Romina Auers und Nikol Kontas Träume drehten sich um Brautkleider – und darüber hin- aus: Sie wollten ein eigenes Brautmoden- geschäft eröffnen. Im Oktober 2021 war es dann so weit: Die beiden jungen Frauen machten sich mit dem Braut- atelier „La belle mariée – die schöne Braut“ selbstständig. Eine Pariser Bou- tique sei das Vorbild gewesen, erzählen sie. Der Laden befindet sich im alten E-Werk in Schwenningen. In dem großen lichtdurchfluteten Raum mit Backstein- wänden bekommen Bräute in spe einen guten Überblick und können in Ruhe stö- bern. In Regalen glänzen cremefarbene Brautschuhe, Schmuck und Handtaschen sind ausgestellt. Brautkleider mit viel Spitze, schlicht oder üppig – das überla- den wirkende Tüll-Kleid findet man hier allerdings nicht. Clean-Chic ist gerade Nikol Konta und Romina Auer heißen zukünftige Bräute in ihrer neuen Boutique Willkommen. 94 Da leben wir

 

 

 

Zukünftige Bräute sind angespannt und nervös. Ein Brautkleid ist keine Jeans, die man mal eben kauft. Romina Auer Oben: Das eindrucksvolle Backsteingebäude des ehemaligen Elektrizitätswerks. angesagt. Also ein Kleid ohne viele Appli- kationen, zu dem man Accessoires kom- binieren kann. Wichtig dabei: „Die Braut soll nicht verkleidet aussehen“, so Romina Auer. Das Kleid soll zu der jeweiligen Frau passen. „Sie soll sich darin wohlfühlen.“ Persönliche Beziehung Dass Frauen auf Brautkleid-Fang ein wenig anders ticken, weiß Romina Auer genau. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Make- up-Artistin, mit Fokus auf Braut-Make-Up. „Zukünftige Bräute sind angespannt und nervös. Ein Brautkleid ist keine Jeans, die man mal eben kauft. Auf das Kleid schaut jeder“, weiß Romina Auer. Die erste Ner- vosität lege sich dann meistens, wenn die Braut in ein Kleid schlüpft, das passt. „Oft wissen die Frauen, was ihnen nicht steht und was sie nicht wollen“, so Romina Auer. Das sei schon einmal ein Anfang. Eine zu genaue oder keine Vorstellung seien eher hinderlich bei der Auswahl des Kleides, so die beiden Geschäftsfrauen. Sie legen Wert darauf, eine persönliche Beziehung zu jeder Frau aufzubauen, die zu ihnen in das Brautatelier kommt. „Das ist das Wich- tigste“, weiß Nikol Konta. „Wir verkaufen Emotionen“, sind sich die beiden einig, denn welche Frau träumt nicht von ihrem Hochzeitskleid? Ob es dabei lieber ein Kleid mit viel Glitzer und Spitze sein soll oder ein Meerjungfrauen-Kleid, enganlie- gend und nach unten weit, ist Typ-Sache. Romina Auer und Nikol Konta bieten auch eine Curvy-Kollektion an. Außerdem führen La belle mariée 95

 

 

 

sie ausgewählte Designermarken aus Neuseeland und Südafrika. Kleider der A-Line sind der Klassiker. Als A-Linie wird die Schnittform bezeichnet, die sich durch eine nach unten hin verbreiternde Silhouette auszeichnet. So ähnelt das Kleid dem großen „A“. Ist das Kleid gefunden, wird gefeiert Mindestens sechs Monate vor der Hochzeit sollte das Kleid ausgesucht werden. Dieses muss ja noch bestellt und angepasst werden. Das übernimmt eine Schneiderin für das Brautatelier. Zwischen 900 und Erst wussten wir nicht, ob Corona uns einen Strich durch die Rechnung machen und es eventuell wieder einen Lockdown geben wird. Romina Auer Ein erstes Kennenlernen und beraten mit der Braut sowie deren besten Freundin. 4.000 Euro kosten die Kleider. Immer beliebter werden Zweiteiler, stellen die Modeexpertinnen fest. So können Frauen das Oberteil oder den Rock nach der Hochzeit noch tragen. Zwei Mal im Jahr gibt es eine neue Kollektion. Früher ging die gängige Vorstellung in Richtung A-Linie oder Prinzessin, also einem eher ausgestell- ten Brautkleid, berichten die beiden Frauen. Viele Bräute bevorzugen noch immer diese klassische Form. „Im Alltag kleiden junge Frauen sich modern und stilbewusst, aber beim Brautkleid sind sie eher scheu“, stellten die Inhaberinnen fest. Diese Scheu wollen sie den Frauen nehmen. „Das Kleid soll den jeweiligen Typ unterstreichen.“ Die Geschäftsinhaberinnen freuen sich mit den Bräuten, wenn das Kleid der Kleider gefunden ist. Ein Grund, um zu feiern, mit Sekt und Leckereien und den Freundinnen, Müttern und Großmüttern der Bräute, die zum Aussuchen mitkommen. Das Aussuchen des Brautkleides gehört als Ritual dazu und ist neben der Location das Wichtigste in der Hochzeitsvorbereitung. Es war während der Pandemie, als Romina Auer und Nikol Konta ihr Brautatelier im Herbst 2021 96 Da leben wir

 

 

 

Oben: Nikol Konta präsentiert die feine Perlenstickerei an einem ihrer Brautkleider. Rechts: Und zwischendurch ein Selfie. eröffneten. Ein Risiko, das die beiden Unternehme- rinnen in Kauf nahmen: „Erst wussten wir nicht, ob Corona uns einen Strich durch die Rechnung machen und es eventuell wieder einen Lockdown geben wird“, berichtet Romina Auer. Doch dann hatten sie „Glück im Unglück“ und profitierten von den vielen Hochzeiten, die nachgeholt wurden. Das Herz schlägt für die Region Als sich Romina Auer und Nikol Konta vor sieben Jahren über Freunde bei einer Winterwanderung kennenlernten, fanden sie sich sofort sympathisch und stellten schnell fest, dass sie die gleichen Ziele verfolgten. Ein regionaler Bezug war außerdem beiden wichtig. Denn sie sahen eine Marktlücke in der Region: „Hier fehlt das Geschäft, das junge, frische Brautmode anbietet. Bisher musste man sich entscheiden, ob man das regionale Geschäft besucht, das vielleicht eher die klassischen Modelle verkauft oder nach Stuttgart und Frankfurt fährt, um La belle mariée 97

 

 

 

Ich hatte immer den Wunsch, mich selbstständig zu machen, vor allem auch in der Heimat. Nikol Konta trendigere Modelle anzuprobieren.“ Nikol Konta erzählt, dass sie das Kleid für ihre Hochzeit in Stuttgart ausgesucht hatte. In der Region sei sie damals nicht fündig geworden. Das habe ihr zu denken gegeben. „Ich hatte immer den Wunsch, mich selbstständig zu machen, vor allem auch in der Heimat“, sagt die gebürtige St. Georgenerin. Sie lebte mit ihrem Mann damals in Stuttgart und Heilbronn, es sei aber klar gewesen, dass sie in den Schwarzwald-Baar-Kreis zurückkehren wollen. „Seit meiner Kindheit lodert eine Leidenschaft für Brautmode in mir“ Nach dem ersten Treffen verging etwas Zeit. Sie wollten sich nicht Hals über Kopf in das Geschäft stürzen, erzählen sie, sondern gut vorbereitet sein. Deshalb recherchierte die modebewusste Romina Oben: Für den perfekten Sitz muss das Kleid von einer Schneiderin angepasst werden. Unten: Eine strahlende Braut in einer traumhaften Robe. Romina Auer und Nikol Konta fächern den Tüll auf, so kommt der Stoff erst richtig zur Geltung. 98 Da leben wir

 

 

 

Die Freude über das richtige Kleid steht allen ins Gesicht geschrieben. Auer auf Messen für Unternehmensgründung, sammelte Mode-Labels, die sie interessierten und entwickelte einen Business plan. Drei Jahre lang arbeitete sie als Model und Werbegesicht. Die 31-Jäh- rige kam dabei mit Brautmode in Berührung und habe gemerkt, dass ihr das liegt, sagt die gebürtige Dauchingerin. Nach ihrer Ausbildung als Verwaltungs fachangestellte beim Landratsamt absolvierte sie ein Duales Studium in Sozialer Arbeit und arbeitete im Nachgang als Sozialpädagogin. „Seit meiner Kindheit lodert eine große Leidenschaft für Brautmode in mir“, sagt sie. Ge nauso geht es Nikol Konta, Mutter und Geschäftsfrau. Sie studierte Seit meiner Kindheit lodert eine große Leidenschaft für Brautmode in mir. Romina Auer La belle mariée 99

 

 

 

Braut mode ist viel moderner geworden. Andere Länder machen es vor, der Modeaspekt steht im Vordergrund. Nikol Konta Mode- und Designmanagement in Düsseldorf. Als Einkäuferin besitzt sie ein gutes Auge für Qualität. Mit Nachhaltigkeit beschäftigte sie sich im Textilbe- reich für einen Discounter. In ihrem Job besuchte sie zahlreiche Produktionsstätten in Asien. Ihr Wissen über nachhaltige Labels setzt die 36-Jährige nun ein, denn sie weiß, dass immer mehr Bräute erfahren wollen, wo ihr Kleid herkommt und wie es produ- ziert wird. Außerdem stellte sie einen Trend fest: „Braut mode ist viel moderner geworden. Andere Länder machen es vor, der Modeaspekt steht im Vordergrund.“ Für die Beratung benötigen zukünftige Bräute ei- nen Termin. Die beiden Frauen sind außerdem regel- 100 Da leben wir

 

 

 

mäßig auf Messen unterwegs, um mit den neuesten Trends nach Schwenningen zurückzukehren. Zwischen Tüll und Tränen Und ein Highlight in ihrer Karriere haben sie bereits erlebt: Die beiden Unternehmerinnen konnten ihr Glück kaum fassen, als sie sich im letzten Jahr für die Sendung „Zwischen Tüll und Tränen“ des Senders Vox beworben hatten und prompt eine Zusage erhielten. Nach langer Suche wurde eine Braut gefunden, die bereit war, sich bei den Hochzeitsvor- bereitungen filmen zu lassen. Braut Madeleine aus Schwenningen stellte sich dafür zur Verfügung. Die Beratung mit Mutter, Trauzeugin und Freundin wurde am zweiten Drehtag im Brautatelier gefilmt. Am ersten standen die Location und die Stadt Villingen-Schwenningen im Mittelpunkt. Der Clou bei „Zwischen Tüll und Tränen“ ist: Für jedes Brautmodengeschäft gibt es eine besondere Herausforderung. Für Auer und Konta handelte es sich um folgende: Die Braut hatte sich bereits zuvor in einem anderen Brautmodengeschäft Favoriten- kleider ausgesucht. Nun galt es also, diese Kleider zu toppen und durch die Beratung die zukünftige Braut zu überzeugen. Romina Auer und Nikol Konta seien bis zur letz- ten Minute des sechsstündigen Drehs aufgeregt gewesen, berichten sie. Doch die Atmosphäre sei sehr entspannt gewesen. Die Plattform sei perfekt für Newcomerinnen. Denn so konnten die Unterneh- merinnen zeigen, was in ihnen steckt: Sensibilität, Fachwissen und viel Zeit für zukünftige Bräute. Links: Blick in das großzügige Atelier. Beliebt sind neben dem Brautkleid auch Schuhe und der Brautschmuck. La belle mariée 101

 

 

 

Patrick Bäurer Ein Leben mit dem Ball Der Hondinger zählt zu den besten Fußball­Freestylern der Welt von Hans-Jürgen Götz 102 102 Da leben wir

 

 

 

Fußballweltmeister werden, das wünschen sich viele Fußballtalente. Und genau so hat es bei Patrick Bäurer aus Hondingen auch angefangen. Gekommen ist es aber völlig anders: Heute ist der 28-Jährige Profi und Vizeweltmeister, aber nicht im „regulären“ Fußballsport wie wir ihn kennen, sondern im Fußball-Freestyle. Bei dieser speziellen Sportart geht es darum, den Ball nach allen Regeln der Kunst mit dem ganzen Körper effektvoll zu jonglieren. Patrick Bäurer gehört zu den besten Freestylern der Welt und bietet eine Fußball-Freestyle-Show der Extraklasse, wie ihm Medien und Fans bescheinigen. Er trägt zehn Titel, hat mehr als 500 Kunden in über 2.000 Shows und 1.000 Workshops in 30 Ländern begeistert. XXX 103

 

 

 

Wie alles begann Seine Karriere begann er wie viele andere Kinder mit dem Beitritt zu einem Fußballverein. In seinem Fall war das der SV Hondingen, dessen Fußballplatz nur ein paar Gehminuten vom Elternhaus entfernt liegt. Dort lernte er das Fußballspielen von der Pike auf. Seine Trainer bescheinigten ihm ein gutes Ballgefühl und durchaus Talent, es weit zu bringen, voraus gesetzt, er trainiere fleißig. Das tat er mit großer Begeiste- rung. Irgendwie hatte Patrick selbst aber immer das Gefühl, dass er zwar gut sei, aber es in diesem Sport dennoch nicht bis zum Weltmeister schaffen werde. Als er zwölf Jahre alt war, entdeckte er beim Surfen im Internet zufällig ein Video von Fußball- Weltstar Ronaldinho, wie er Solo-Kunststücke mit dem Fußball vorführt. Das war die Initial- zündung, von nun an ist es um den kleinen Patrick geschehen, das wollte er auch kön- nen. Gesagt getan: Der Junge analysierte das Video immer und immer wieder, auch in Zeitlupe und Standbildern. Dann ging es raus auf die Ter- rasse, um das Gesehene selbst auszuprobieren. So lange, bis es endlich klappt! Und ab dem Punkt immer weiter und weiter, um das Erlernte zu perfektionieren. Der Grund- Als Patrick zwölf Jahre alt war, entdeckte er beim Surfen im Internet ein Video von Ronaldinho, wie dieser Solo-Kunststücke mit dem Fußball vorführte. Das wollte er unbedingt auch können. 104 stein für eine Profi-Karriere in der Sportart Fußball- Freestyle war damit gelegt. Von nun an ließ ihn das Thema nicht mehr los und für ihn ging es nach der Schule in seiner Freizeit fast nur noch darum. Und hier zeigte sich eine der Charaktereigenschaften von Patrick Bäurer: Er weiß genau was er will und kann Jonglage mit vier Fußbällen. Da leben wir

 

 

 

und arbeitet zu 100 Prozent entschlossen daran, daraus etwas zu machen und täglich besser zu wer- den. Von jetzt an suchte und fand er im Internet im- mer neue Informationen sowie viele Tipps und Tricks rund um die damals noch neue Sportart. Alles sog er wissbegierig auf und versuchte es in die Tat um- zusetzen. Meist war das Erlernen eines neuen Tricks mit vielen Dutzend Stunden harter Trainingsarbeit verbunden. Im Jahre 2008 dann wird die erste Weltmeister- schaft im Fußball-Freestyle ausgetragen. Die war allerdings nicht im Fernsehen zu sehen und Social Media gab es noch nicht. So war es sehr müh- sam, mehr darüber zu erfahren. Ab 2010 bekam Patrick erstmals Zugang zu einem Internet- Forum, in dem sich Gleichgesinnte trafen und austauschen konnten. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis der damals 16-Jährige in Stuttgart zum ersten Mal Freestyle-Fußballer in der realen Welt kennenlernen durfte. In dieser Zeit begann er, seine Kunststücke mit kleinen Video-Clips auf YouTube und Facebook zu präsentieren und wurde dadurch innerhalb der Szene bekannter. Inzwischen hat sich dieses Engagement auf Instagram und TikTok erwei- tert. Unter seinem Label @patrickbfree ist Patrick auf allen sozialen Netzwerken mit über zwei Millionen Followern zu finden. Die erste Weltmeisterschaft Im Alter von 18 Jahren nimmt Patrick 2012 das erste Mal an der Weltmeisterschaft teil, die in Prag statt- findet. Als einer von vier Freestylern aus Deutschland, die gegen Sportler aus über 20 Ländern antreten. Obwohl er einen der hinteren Ränge belegt, bedeutet diese WM für ihn den Einstieg in die Welt der Profis. Er lernt die Besten der Besten persönlich kennen und nimmt sie sich zum Vorbild. Sein Netzwerk weitet sich in alle Richtungen aus – er legt den Grundstein für seine weiteren Aktivitäten. Eines ist klar: Wenn er als Profi von dieser Sport- art leben will, geht das nur, wenn er seine Kunst- stücke auf Veranstaltungen aller Art vorführt und dafür eine Gage erhält. Anfänglich findet das alles noch im Heimatdorf Hondingen und Umgebung statt. Durch Mund-zu-Mundpropaganda kommt es jedoch zu immer mehr Einladungen und die Gagen bessern sein Taschengeld merklich auf. Vor allem Bei der ersten Freestyle- Weltmeisterschaft 2012 lernte Patrick Bäurer die Besten der Besten persönlich kennen und nimmt sie sich zum Vorbild. Sein Netzwerk weitet sich in alle Richtungen aus – er legt den Grundstein für weitere Aktivitäten. sind es der Applaus und das Feedback der Zuschauer, die ihn motivieren weiterzumachen, neue Tricks ein- zustudieren und stetig besser zu werden. Über drei Stunden trainiert er dazu jeden Tag. Bis ein neuer Trick sitzt, kann es bis zu 1.000 Versuche brauchen. Geduld und Ausdauer sind unabdingbar. Einen Schub für sein Selbstbewusstsein bekommt der junge Patrick bei einem Urlaub mit seiner Fami- lie auf Mallorca. Hier versucht er sich nebenbei als Straßenkünstler und zeigt seine Balltricks zwanglos den vorbeilaufenden Urlaubern. Nach gerade zehn Minuten hat er sich seine erste Pizza verdient. Mit der Erfahrung, dass er es wirklich kann und in der Lage ist, damit Geld zu verdienen, entscheidet er sich, diesen Weg weiter zu beschreiten. Im Trainingslager mit dem FC Bayern München Fußball spielt er derweil aber trotzdem noch. Und so kommt es, dass Patrick im Jahr 2013 aus über 19.000 Bewerbungen als einer von 80 ausgewählten jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren am „Paulaner Cup des Südens“ beim FC Bayern München teilnehmen darf. In der Jury sitzen Waldemar Hartmann, Paul Breitner und Raimund Aumann. Patricks Fußballtalent zahlt sich aus: Die Jury wählt ihn als eines von 25 Talenten aus, die für fünf Tage zum Trainingslager nach Italien eingeladen werden. Höhepunkt ist das Fußballspiel der Equipe gegen die Bayern, welches sie vor 5.000 Zuschauern grandios 13:0 verlieren. Der Spaß, die Anerkennung und der Freestyle-Fußballer Patrick Bäurer 105

 

 

 

persönliche Kontakt zu den Fußballstars entlohnt die Fußballtalente aber. Stolz präsentiert Patrick ein Foto, das ihn bei der Deckung gegen Philipp Lahm zeigt, als es in der ersten Halbzeit erst 2:0 stand. Und nebenbei kann er die Bayern-Profis in den Trainings pausen mit seinen Freestyle-Kunststücken begeistern, in dieser Diszip- lin gewann er auf jeden Fall. Vizeweltmeister – Corona zum Trotz An der Freestyle Weltmeisterschaft in Prag nahm Patrick seit 2012 jedes Jahr teil und belegte dabei immer bessere Ränge. Im Corona-Jahr 2020 war es dann aber endlich so weit, er wurde Vizeweltmeister. Diesen Titel konnte er auch im Jahr darauf erneut bestätigen. Während der Corona-Zeit reduzierten sich seine Auftritte bei Veranstaltungen schlagartig auf null und so nutzte er die Zeit, noch mehr und härter zu trainieren. Der Lohn seiner Mühen war dann diese Auszeichnung in Prag. Dieser Titel trägt natürlich dazu bei, dass Patrick Bäurer bei seiner Zielgruppe im Internet immer bekannter und gefragter wird. So hat er während der Corona-Pandemie damit begonnen, über das Internet Freestyle-Kurse und Trainings anzubieten. Zu seinen Kunden zählen auch der BVB und der VFB, für die er in dieser Zeit mehrere Online-Seminare moderiert. Alles von seiner Woh- nung im kleinen Hondingen am Fuße des Fürsten- bergs aus – produziert für die weite Welt. Als ein Jahr später die Corona-Beschränkungen so nach und nach weltweit gelockert wurden, konnte Patrick seine Künste auch wieder ver- mehrt auf Veranstaltungen in der ganzen Welt präsentieren. So wurde er 2021 unter anderem zu 106 Da leben wir

 

 

 

Ballspielereien in allen erdenklichen Variationen. Was Patrick Bäurer in seiner Show bietet, begeistert Zuschauer weltweit. Mehr dazu auf www.almanach-sbk.de/patrick-baeurer 107

 

 

 

Mai 2022: Frankreichs Fußballstar Kylian Mbappé (links) und Patrick Bäurer. Unten: Auch Selfies mit Patrick Bäurer sind begehrt. einer Veranstaltungsserie in Dubai, Katar und Saudi Ara bien eingeladen. Hier entstanden dann Fotos mit welt bekannten Fußballern von Paris Saint-Germain (PSG) wie Neymar und Kylian Mbappé. Der erste Weltrekord: 118 Crossover im Sitzen in nur einer Minute Im Laufe der Zeit absolvierte Patrick viele Fernseh- auftritte im In- und Ausland. Darunter im Tigerenten- club in Deutschland und in der Sendung „Supertalent“ in Deutschland und Polen. 2013 hatte Patrick einen Auftritt im „Sportstudio“ des ZDF. Fernsehmoderator Sven Voss forderte ihn auf, beim Schießen auf die legendäre Torwand zu zeigen, was er wirklich drauf hat. Wahrscheinlich war es der Anspannung in einer Livesendung geschuldet, kein einziger der sechs Bälle sollte treffen. So etwas kratzt zwar an der Ehre, einen Vollprofi hält das aber nicht auf, unermüdlich trainierte er weiter, um seinem Publikum noch mehr und bessere Tricks mit dem Ball zeigen zu können. Im Jahre 2020 wollte Patrick dann erstmals auch einen Weltrekord knacken. Ziel war es, einen neuen 2020: Beim Weltrekord im „Crossover im Sitzen“ für das Guiness Buch der Rekorde mussten über 101 Wieder- holungen innerhalb von einer Minute gezeigt werden. Keine leichte Aufgabe, die viel Kraft und Können voraussetzt. Weltrekord im „Crossover im Sitzen“ für das Guiness Buch der Rekorde aufzustellen. Über 101 Wiederho- lungen mussten innerhalb einer Minute gezeigt wer- den. Keine leichte Aufgabe, die viel Kraft und Kön- nen voraussetzt. Das Ganze fand unter den Augen ei- ner strengen Jury während eines Freestyle Camps in Donau eschingen statt. Alles lief perfekt und am Ende 108 Da leben wir

 

 

 

So funktioniert der Weltrekord „Crossover im Sitzen“: Schritt 1: Winkeln Sie Ihre Beine im Sitzen an und jonglieren Sie den Ball mit dem Fußspann. Schritt 2: Mit dem rechten Fuß spielen Sie den Ball in die Luft. Schritt 3: Den linken Fuß kreisen Sie von außen nach innen einmal um den Ball. Schritt 4: Ihr linker Fuß berührt den Ball nicht. Schritt 5: Ihr rechter Fuß fängt den Ball wieder auf. sollten es sogar 118 Crossover werden und Patrick damit der neue Weltrekordhalter in dieser Disziplin. Region. So generiert er im Laufe der Zeit neue Nach- wuchstalente aus der Heimat. Der zweite Weltrekord: 24 Ballpässe mit der Partnerin in nur 30 Sekunden Im Jahre 2021 folgte dann eine Einladung zur BBC nach London. Dort sollte er live in der Sendung „Blue Peter“ auftreten. Ziel war es, einen weiteren Weltrekord mit den meisten „Neck-Catch-Pässen“ aufzustellen. Mindestens 21 Ballpässe von Nacken zu Nacken musste er zusammen mit seiner Partnerin Aguśka innerhalb von 30 Sekunden zeigen. Auch das gelang mit 24 Pässen, und der zweite Weltrekord war ebenfalls in der Tasche. Unzählige Auftritte bei Veranstaltungen aller Art auf der ganzen Welt folgten seitdem. Das reicht von Firmen- und Sport-Veranstaltungen, Fernsehauftrit- ten über Workshops und Trainingslager bis hin zu Benefizveranstaltungen in nah und fern. Rund 150 Shows und mehr absolviert Patrick pro Jahr. Und dazwischen immer mal wieder kleine, kostenlose Trainings-Angebote für jugendliche Fußballer in sei- nem Heimatverein SV Hondingen und anderen in der Schule und Ausbildung sind wichtig: Studium zum Wirtschaftsingenieur Wer jetzt denkt, Patrick kann außer Fußball nichts, der liegt komplett falsch. Von Anfang an war ihm klar, dass er keinesfalls die Schule vernachlässigen darf und eine solide Ausbildung in einem „normalen“ Beruf anstreben muss. So absolvierte er 2013 sein Abitur am Wirtschaftsgymnasium in Donaueschingen. Direkt darauf folgte ein dreijähriges Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Dualen Hochschule in Lörrach. In dieser Zeit arbeitete er während des Praktikumsteils bei der Blumberger Firma Metz Connect, wo er nach seinem Abschluss bis 2017 als Produktmanager weiter angestellt war. Während seiner Ausbildungsphase ging es 2015 für fünf Mo- nate zu einem Auslandssemester nach Kanada. Eine Erfahrung, die Patrick nicht missen möchte. Während dieser Zeit hat er diverse Shows durchgeführt und viele neue Kontakte, Eindrücke und Erfahrungen für sein weiteres Leben mitgenommen. Freestyle-Fußballer Patrick Bäurer 109

 

 

 

Zusammen mit Aguśka arbeitet Patrick daran, eine eigenständige Sportmarke aufzubauen, unter der sich in Zukunft viele neue Ideen rund um diesen Sport vermarkten lassen. Und egal, wo es ihn in der Welt hinzieht: Hondingen war, ist und bleibt seine Heimat, der er zutiefst ver- bunden und dankbar ist. Vor allem ist er sehr dank- bar für die stets uneingeschränkte Unterstützung seiner Familie, denn seine Eltern Doris und Thomas haben ihn von Anfang an bei all seinen Ideen und Vorhaben unterstützt. Und wer ist nicht stolz, am Ende auch einen Vizeweltmeister und Weltrekord- halter als Sohn und Bruder zu haben? Weitere Informationen unter www.apfreestyle.com. Genauso zielstrebig wie seine sportliche Karriere verfolgte Patrick Bäurer seine berufliche Weiter- bildung. Ein Masterstudium im Bereich „Internati- onales Sportmarketing“ war sein nächstes Ziel. Am Bodensee Campus in Konstanz war das möglich und mit den stetig zunehmenden sportlichen Aktivitäten gerade noch vereinbar. 2019 hatte der Freestyler auch dieses Ziel erreicht. Seine Abschlussarbeit befasste sich mit dem Thema „Nutzung neuer Trendsport- arten“. Damit wurde er endgültig zu einem gefragten Gesprächspartner, Berater und Performer für große Sportartikelhersteller rund um den Globus. Und das Beste kommt zum Schluss: Lebenspartnerin Aguśka Mnich Wer so viel unterwegs ist und jede freie Minute für seinen Sport investiert, hat eigentlich keine Zeit mehr, sich um viele andere Themen zu kümmern, unter anderem die Liebe. Aber wie es der Zufall will, lernte Patrick bei der Weltmeisterschaft 2020 in Prag seine jetzige Lebenspartnerin Aguśka Mnich aus Polen kennen. Sie ist mehrfache Weltmeisterin in verschiedenen Damen-Disziplinen und hatte alleine dieses Jahr erneut zwei Goldmedaillen in Prag abgeräumt. Auf den sozialen Netzwerken ist sie unter @aguskafree zu finden. Da lag es für Patrick nahe, dass er seitdem mit Aguśka zusammen eine Duo-Show gibt. Auch hier betreten die beiden Neuland, denn so etwas gibt es bisher kaum. In dieser Kombination sind die beiden jetzt noch mehr als je zuvor in der Welt unterwegs, aber nie mehr alleine. Patrick Bäurer wäre nicht Patrick Bäurer, wenn er jetzt alles erreicht hätte und keine neuen Ziele und Herausforderungen sehen würde. Zusammen mit Aguśka arbeitet er daran, eine eigenständige Sportmarke aufzubauen, unter der sich in Zukunft viele neue Ideen rund um diesen Sport vermarkten lassen. Und natürlich strebt er weiterhin an, den Weltmeister titel zu holen, etwas, was ihm bisher trotz aller Arbeit immer noch nicht gelungen ist. Und so ganz nebenbei plant er auch den einen oder ande- ren zusätzlichen Weltrekord. Zudem schreibt Patrick derzeit ein Buch zum Thema Freestyle-Fußball, welches zum Jahresende 2022 erscheinen wird. Die Arbeit geht Patrick Bäurer nicht aus und die Ideen und sein sportlicher Ehrgeiz noch viel weniger. Patrick Bäurer mit seiner Lebenspartnerin Aguśka Mnich, die wie er eine erfolgreiche Freestyle-Fußballerin ist. 110 Da leben wir

 

 

 

Beim Freestyle-Trainingscamp für Nachwuchs-Fußballer. Patrick Bäurer und seine Lebenspartnerin Aguśka Mnich bestreiten ihre Showacts auch gemeinsam. Freestyle-Fußballer Patrick Bäurer 111

 

 

 

Selina Haas und das neue Bild vom Schwarzwald Tradition und Moderne kreativ verknüpft Ein missglückter Studienbeginn, ein „schlüpfriges“ Werbeplakat mit rekordverdächtiger Reichweite und ein Kuckuck, der seine gewohnte Umgebung verlassen hat – das sind die Etappen einer Erfolgs geschichte, die gerade in Schonach geschrieben wird. Im Mittelpunkt steht dabei Selina Haas, Designerin und mittlerweile Geschäftsführerin der alteingesessenen Uhrenfabrik Rombach & Haas. von Marc Eich Rechts: Selina mit der Schwarzwalduhr des Jahres 2021. Das Wandbild ist kaum erkennbar als Zeitanzeiger – die Kuckucksuhr wurde komplett neu erfunden. 112 Da leben wir

 

 

 

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Traditionelle Produkte neu gedacht „Jetzt noch ein grelles Grün!“ Selina Haas, die nach ihrer Heirat mittlerweile Kreyer heißt, greift in ihrem Schaffensraum in ein Regal und schnappt sich eine Tube. In einem Strahl trifft die Farbe auf einen Uhrenkasten, die 33-Jährige schwingt mit den Tuben über das neu geschaffene Kunstobjekt. „Eigentlich“, sagt sie, „‘vergewaltige‘ ich hier traditionelle Produkte.“ Das klingt angesichts des Erfolgs der Uhren fabrik, die sich dank der kreativen Frau des Hauses in den vergangenen Jahren neu erfunden hat, etwas derb – trifft aber möglicher- weise das Gefühl jener, die insbesondere von der Kuckucksuhr ein sehr ursprüngliches Bild vor Augen haben und das auch behalten möch- ten. Dabei könnte man den „Farb- anschlag“ auf den schlichten Uh- renkasten durchaus als Recycling bezeichnen. Denn der Kasten hat Designer-Kuckucksuhr mit Original Schwarzwälder Kuckucksuhrenwerk und lackierter Holz-Arbeit von Selina Haas. eigentlich – wie viele andere, die in ihrem Atelier stehen – einen Defekt. Doch statt ihn zu entsorgen, wird er aufgemöbelt. Ein Unikat wird geschaffen. „Wir machen da Kunst draus!“, so Selina Haas. Familie ist seit 1894 mit der Uhrmacherei verbunden Sie scheint sich in jenen Momenten in ihre Vergan- genheit zurückversetzt zu fühlen. An damals, als das Mädchen neben ihrer Mutter Conny saß, während diese mit Acrylfarben Uhrenschil der für die Fabrik bemalt hat. Schon im Kindesalter hat sie gerne mit Far- be gespielt, „und am liebsten hätte ich in die Acrylfarben reingegriffen und sie verteilt“, sagt sie heute mit einem verschmitzten Lächeln und ergänzt: „Das durfte ich natürlich nie – und deshalb übertreib ich es jetzt.“ Die gebürtige Tribergerin hat früh in den Familienbetrieb rein- geschmeckt. Sie erinnert sich noch an die Zeiten, als ihr Großvater Herbert hier das Sagen hatte und mit der kleinen Selina in die Welt der Uhren eingetaucht ist. 114 Da leben wir

 

 

 

Schon im Kindesalter hab ich gerne mit Farbe gespielt und am liebsten hätte ich in die Acrylfarben reingegriffen und sie verteilt. Das durfte ich natürlich nie – und deshalb übertreib ich es jetzt. Damals gab es – selbstredend – nur die traditi- onellen Kuckucksuhren. Zu den besten Kunden ge- hörten zu jener Zeit die Amerikaner. Ihr Opa Herbert Haas wurde deshalb ein Jahr auf Sprachreise ge- schickt, um sein Englisch zu perfektionieren – ohne jene Sprachkenntnis schien ein Führen der Firma zur damaligen Zeit fast schon utopisch. Seit der Gründung im Jahr 1894 war die Familie mit der Uhrmacherei ver- bunden – dennoch hatte Selina Haas nicht von Anfang an auf einen Platz in der Firma geschielt. Bildfolge oben: Aus alt mach neu – ein Unikat wird geschaffen. Nachdem sie die Realschule abgeschlossen hatte, entschied sie sich für das Profil „Technik und Manage ment“ am Technischen Gymnasium in Furtwangen. Noch bevor sie dort ihren Abschluss erlangte, war für sie glasklar, dass sie zukünftig im kreativen Bereich tätig sein möchte. Ohne Abitur, aber mit großem Willen, schloss sie die Aufnahme- prüfung erfolgreich ab – einem Kunststudium an der Fachhochschule Macromedia in Freiburg stand dann nichts mehr im Wege. Doch so richtig warm wurde sie mit dem Studien- gang und den Rahmenbedingungen nicht. „Die Künstler hatten sehr viele Freiräume“, erinnert sich die heutige Designerin an die Anfänge in Freiburg. Sie sagt: „Ich dachte, ich lerne dort verschiedene Techniken kennen – aber mir wurde nicht wirklich was beigebracht.“ Schon bald schielte sie auf die Stu- dierenden ein Stockwerk tiefer – Grafikdesign sollte es schließlich sein. Nach einem Semester wechselte sie den Studiengang, fokussierte sich nun voll auf Selina Haas 115

 

 

 

die Ausbildung, ließ Studentenpartys links liegen. Dabei reizte sie schon immer der Mix aus Fotografie und grafischen Elementen, das Geschaffene fand dann Platz auf Postkarten und Wandbildern, oft auch in Verbindung mit Schwarzwald-Motiven und der Kuckucks uhr, die beispielsweise mit Bollenhut „be- kleidet“ im dichten Unterholz hängt. Qualität bleibt das oberste Credo trotz moderner Neuausrichtung Ihre grafischen Fähigkeiten führten sie schnell wieder zurück zur Firma ihrer Eltern. „Ich habe dann angefan- gen, Prospekte zu machen und Logos zu entwerfen.“ Dazu passte, dass ihre Eltern der Uhrenfabrik ohnehin schon einen frischen Anstrich verpasst hatten. Im Hause Rombach & Haas stand nichts Geringeres als ein neues Zeitalter an. Auch deshalb, weil der Markt für die klassische Kuckucksuhr stagnierte. „Viele wollen sich so etwas nicht mehr in die Wohnung hängen“, erklärt sie. Warum also nicht Tradition und Moderne verbinden – und gleichzeitig an der Manufaktur festhalten? Qualität sollte das oberste Credo bleiben. 2006 fand die Bewerbung erster moderner Modelle, die auch der jüngeren Generati- on den Zugang zur Schwarzwälder Uhrentradition ermöglichen sollte, auf einer Messe statt. Es sei am Stand viel diskutiert worden über den neuen Zeitgeist, der im Hause Rombach & Haas eingekehrt war, ohne die ursprünglichen Modelle zu verschmähen. Nicht überall rannte die Familie offene Türen ein. „Einer hat den Papa sogar am Kragen ge- packt“, erzählt sie. Heute kann sie – angesichts des Erfolges und des Fortbestands der Firma – darüber schmunzeln. Gleichzeitig habe sie großen Respekt davor, dass die neue Linie durchgezogen wurde. Und auch sie wurde peu à peu Teil dieser Revolu- tion in Schonach. Das wurde beispielsweise im Fach Marketing während des Studiums deutlich. Eine fiktive Firma sollte sie sich ausdenken, um sich Marketing- und Vertriebsmöglichkeiten zu überlegen. „Ich hab‘ dann einfach unsere Firma genommen“, so Selina Haas, „dann ist mir aufgefallen, was man alles verän- dern könnte.“ Schnell kam ihr in den Sinn, unter ande- rem ihre Werke und die Uhren aus dem eigenen Hause zu verbinden, eine ganz neue Symbiose zu schaffen. Alle Ideen packte sie auf ein Plakat. Beim Besuch ihrer Eltern hatte sie im Freiburger Seepark dann genau Für Selina Haas war klar: Sollte sie die Firma übernehmen, dann möchte sie auch ihre eigenen Ideen verwirklichen. Ihre Werke und die Uhren aus dem eigenen Hause verbinden und damit eine ganz neue Symbiose schaffen. jenes Plakat unter dem Arm und stellte ihre Überle- gungen vor. „Das war fast wie eine Bewerbung“, sagt die 33-Jährige und lacht. Für sie war schon damals klar: Sollte sie die Firma wirklich mal übernehmen, dann möchte sie auch ihre eigenen Ideen verwirklichen. Werbekampagne mit ungeahnten Folgen Doch bis dorthin machte sie noch einen ordentlichen Schlenker – für den ausgerechnet der Vorsitzende einer Spaßpartei den Weg ebnete. Wie kam es dazu? Am Anfang stand dabei zunächst eine Anfrage des damaligen Ferienland-Geschäftsführers Julian Schmitz. Für den touristischen Zusammenschluss von Schonach, Schönwald, Furtwangen und St. Geor- gen sollte eine Werbekampagne gestartet werden – die junge Designerin wurde damit kurz vor dem Abschluss ihres Studiums beauftragt. Mit ungeahn- ten Folgen: Eines der Plakate von ihr war mit dem Spruch „Große Berge, feuchte Täler & jede Menge Wald“ und der schlüpfrigen Silhouette einer sich räkelnden Frau mit Bollenhut bestückt. „Da bin ich zusammen mit meinem späteren Mann draufgekom- men“, erzählt sie, „wir wussten aber nicht, wie es ankommt.“ Das Ferienland übernahm den Vorschlag und schaltete damit Anzeigen – und genau über eine solche stolperte Martin Sonneborn, seines Zeichens Vorsitzender der Spaßpartei „Die PARTEI“, in einem Heftchen der Fluggesellschaft Ryanair. Mit dem Satz „Schwarzwald? Geile Gegend“ schickte er das Plakat ins World Wide Web – mit ungeahnten Folgen. Medien stürzten sich auf die Kampagne, sogar der Deutsche 116 Da leben wir

 

 

 

In ihrem Designatelier präsentiert Selina Haas ihre Illustrationen mit Schwarzwald-Motiven. Werberat wurde auf den Plan gerufen. „118 Millionen Mal wurde das Bild verbreitet“, sagt Selina Haas und schüttelt auch heute noch ungläubig den Kopf. Von diesem Tag an klingelte bei ihr unaufhörlich das Telefon – viele hätten sie dazu animiert, sich nicht unterkriegen zu lassen und weiterzumachen. Über die Medien sei aber auch Kritik an der „sexistisch“ anmutenden Darstellung laut geworden. Nichtsdesto- trotz: Ihr Name war in aller Munde. „Ab da woll- ten alle Werbung von mir, ich hätte in eine große Werbeagentur einsteigen können.“ Doch das war nicht das, was sich die nun bekannte Designerin aus dem Schwarzwald vorgestellt hatte. „Ich wollte mein 118 Millionen Mal wurde das Bild verbreitet“, sagt Selina Haas und schüttelt auch heute noch über die ungeheure Resonanz ungläubig den Kopf. Die Werbekampagne für das Ferienland Schwarzwald sorgte 2015 für jede Menge Wirbel und Aufmerksamkeit. Selina Haas 117

 

 

 

Handarbeit und Qualität stehen im Mittelpunkt der Uhrenproduktion. Selina steigt 2015 in das elterliche Uhrengeschäft ein und übernimmt schließlich im Januar 2021. eigenes Ding durchziehen“, sagt sie. Gegenüber der elterlichen Firma richtet sie sich eine kleine, aber feine Designagentur ein, bedient von dort aus ihre Kunden, feilt außerdem weiter an ihren Illustratio- nen mit Schwarzwald-Motiven. Auch die haptischen Kunstformen fließen in ihre Arbeit mit ein – statt ausschließlich Kundenwünsche umzusetzen, ver- wirklicht sie ihre eigenen Ideen, vertreibt diese erfolgreich. Und: Die Verbindung zur Uhren- fabrik reißt nie ab. Übernahme der Uhrenfabrik Nach mehreren Jahren mit eigener Agentur und Atelier eröffneten die Eltern ihr die Möglichkeit, die Uhrenfabrik zu übernehmen – in fünfter Genera- tion. Mit ins Boot kam dabei auch ihr Mann Andreas (33), der zuvor als Landschaftsgärtner Handarbeit und Qualität sollen weiterhin im Mittelpunkt stehen. Daran rüttelt die neue Generation nicht. seine Kreativität ausgelebt hatte und diese nun ebenfalls in das Traditions- unternehmen mit einbringt. 2015 stieg sie zunächst in das elterliche Geschäft mit ein, behielt – mittler- weile ungeachtet des Namenswech- sels nach der Hochzeit – ihre Marke „SELINA HAAS“ bei und lässt sie bis heute teilweise in die traditionelle Uhrenfabrik mit einfließen. „Es war aber klar, dass wir uns auf die Designuhren konzentrieren.“ Im Januar 2021 erfolgte schließlich die Schlichte Vogelhaus-Kuckucksuhr mit besonderem Motiv im typischen SELINA HAAS DESIGN-Stil. endgültige Übernahme durch das Ehepaar Kreyer – zu einem Zeitpunkt, als die Corona- Krise viele Betriebe beutelte. Nachdem zunächst 118 Da leben wir

 

 

 

Uhren und Wandbilder von Selina Haas. wirtschaftliche Sorgen und ein Einbruch des Absat- zes im Vordergrund standen, hat sich die Thematik mittlerweile verschoben. „Es geht jetzt eher um die Lieferprobleme, das kannten wir bislang gar nicht“, gibt Selina einen Einblick. So wäre man nun abhän- gig davon, ob jene Firmen, die die vielen Einzelteile für die Kuckucks uhren herstellen, überhaupt noch liefern können. Denn: Handarbeit und Qualität sollen weiter- hin im Mittelpunkt stehen. Daran rüttelt die neue Generation nicht. Neuer Kundenkreis dank Mut und Kreativität Dennoch weht ein frischer Wind in dem Haus, welches insbesondere im Produktions bereich in der Zeit stehenge- blieben zu sein scheint und einen Charme versprüht, der die Verbundenheit zur ursprünglichen Kuckucksuhr am Leben erhält. Dennoch der Betrieb hat sich seit der Übernahme verändert. Das Ehepaar verkleinerte die Produktvielfalt, passte sie an. Die Uhren werden dafür professioneller präsentiert. Im Showroom verdeutlicht sich der Wandel bei Rombach & Haas und die erfolgreiche Symbiose zwischen der Designerin und der traditio- nellen Uhr besonders. Hervor blitzt hier die „Schwarz- walduhr des Jahres 2021“ – kaum erkennbar als Zeitanzeiger, vielmehr als Wandbild. 2019 entstand die Idee, hinter eines jener Wandbilder, die eine Kuckucksuhr abbilden, ein Werk einzubauen und daraus eine Uhr zu gestalten. Die Kuckucksuhr wurde komplett neu erfunden. Genau solche modernen Modelle haben der Firma mittlerweile einen ganz neuen Kundenkreis erschlos- sen, Rombach & Haas steht für Innovation auf diesem Gebiet. Dank des Mutes der Familie und der Kreativität von Selina Haas. Und genau diese Kreativität sorgt dafür, dass der eigentlich ausrangierte Uhrenkasten im Schaffensraum zu einem neuen Kunstwerk wurde. Die 33-Jährige kneift mit der Tube in der Hand die Augen zusammen, betrachtet die Farbakzente. „Ja doch, so gefällt es mir“, sagt sie. Jetzt noch ein Werk rein und schon erhält der Ku- ckuck in Schonach in ungewohnt farbenfroher Umgebung ein neues Zuhause. Selina Haas 119

 

 

 

Daniela Maier SKICROSS-WELTELITE AUS DEM SCHWARZWALD – BRONZE BEI OLYMPIA von Silvia Binninger Die Olympischen Winterspiele in China 2022 werden die Menschen in Urach und Furtwangen sowie viele weitere Sportbegeisterte im Landkreis nicht so schnell vergessen: Am 17. Februar holte die Furtwangerin Daniela Maier für den Ski club Urach die Bronze medaille im Skicross in den Schwarzwald. Die erfolgreiche Sportlerin gilt als Leuchtturm im Skicross­Team des Deutschen Skiverbandes. Immer gut drauf, ein Lächeln im Gesicht und voller Optimismus – das ist Daniela Maier! Dass sie im Finallauf als Vierte von der olympischen Jury eine Bronze medaille wegen unfairen Wettkampfs der Schweizerin Fanny Smith zugesprochen bekommt, hat jedoch ein Nachspiel: Zwar führt das Internationale Olympische Komitee (IOC) Daniela Maier als alleinige Gewinnerin der Bronze­ medaille – und das IOC veranstaltet immerhin die Olympischen Spiele … Doch bemühen sich nach dem Einspruch des einflussreichen Schweizer Skiverbandes gegen diesen Jury­Entscheid die Deutschen und Schweizer Verbände gemeinsam darum, dass beide Sportlerinnen eine Bronzemedaille zugesprochen bekommen. Daniela Maier begrüßt diesen Antrag. Es wäre für sie ein „Happy End“, so die Furtwangerin am Beginn des Skicross­ Weltcups 2022/23, wenn beide Skicrosser­ innen eine Medaille erhalten würden. Ob auch Fanny Smith Olympia­Bronze bekommt, stand bis zum Erscheinen des Almanachs nicht fest. 121

 

 

 

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Noch nicht einmal geboren, wird Daniela Maier auch schon Mitglied im Skiclub Urach: Noch während der Schwangerschaft füllt der Vater den Aufnahmeantrag aus. Am 4. März 1996 erblickt Daniela in Villingen-Schwenningen das Licht der Welt und wird in eine sportbegeisterte Familie hineingeboren. Die Eltern Thomas und Brunhilde Maier sind aktive Mitglieder im Skiclub Urach und da liegt es nahe, den Nachwuchs so schnell als möglich ebenso für den Skisport zu gewinnen. Mit drei Jahren steht Daniela Maier auf den Skiern, es zeigt sich, „Skifahren ist ihr Ding“. Schon in jungen Jahren ist nach zahlreichen Erfolgen klar, dass sie den Skisport professionell weiterführen möchte. Den Zugang zum Leistungssport findet sie zudem durch ihren Bruder Dominik Maier, der Skispringer war. Danielas Kindheit ist mit Trainingseinheiten förmlich durchgetaktet – für sie ist das aber keine Last. Sie fährt Ski, turnt und macht Leichtathletik, mit dem Vater trainiert sie auf dem Bike. Zeit für das Erlernen eines Instruments bleibt da nicht, obwohl sie das gerne getan hätte. Zu den verschiedenen Trainingsorten fahren sie die Eltern. Oft wird sie gleich nach der Schule abgeholt und zum Feldberg gebracht oder auch mal ins Kaunertal zu einem Lehr- gang. Daniela Maier: ,,Ich bin so dankbar für alles, was meine Eltern für mich geleistet haben.“ Ich bin so dankbar für alles, was meine Eltern für mich geleistet haben. Begeisterung vom Vater steckte an Bis zu ihrem 16. Lebensjahr nimmt Daniela an diversen alpinen FIS-Rennen teil, bis sie in der Saison 2012/2013 zum Skicross wechselt. Ihr Vater Thomas betreibt diese Sportart schon länger und ist derart vom Skicross begeistert, dass er zu Daniela meint: ,,Das wäre auch was für dich!“ Bei so viel Enthusiasmus konnte Daniela nicht „nein“ sagen und versuchte es einfach. Daniela Maier bei der Flower Ceremony in Peking. Skicrosserin Daniela Maier 123

 

 

 

Nach einigen Trainingseinheiten fährt sie das erstes Rennen in Grasgehren am Riedberger Horn im Allgäu. Prompt bringt sie ihre erste Goldmedaille mit nach Hause. Vor dem Hintergrund dieses Erfol- ges knüpft Danielas Vater die ersten Kontakte zum Deutschen Skiverband. Beim FIS-Rennen in Mitten- wald belegt Daniela Maier schließlich den zehnten Platz. Kurz darauf wird sie Junioren-Meisterin bei der Deutschen Meisterschaft in Lienz. Im Sommer 2013 erfolgen Sichtungen in verschiedenen Camps – der DSV erkennt Danielas Potenzial. Sie wird als eine der wenigen Schwarzwälderinnen in das deutsche Team aufgenommen und fährt jetzt im Landeskader Bayern. Ihr Trainer ist Maximilian Wittwer. Erste Erfolge im deutschen Nationalteam Als Mitglied des deutschen Nationalteams nimmt Daniela in der Saison 2013/2014 am Eurocamp teil und beim Europacup im Montafon wird sie Achte. Da Daniela 2014 am Otto-Hahn-Gymnasium in Furtwan- gen mit Erfolg ihr Abitur ablegt, fährt sie im Februar 2014 weniger Rennen. Im darauf folgenden Winter erreicht sie bei den Deutschen Meisterschaften den fünften Platz und wird in den deutschen Nachwuchs- kader bzw. in den C-Kader aufgenommen. Daniela ist überglücklich und zieht nach Bayern um. Im Oktober 2014 folgt die Aufnahme in den Ski-Zug der Bundeswehr in Berchtesgaden. Die sportlichen Erfolge halten an: In der Skisaison 2014/2015 steht Daniela Maier zweimal auf dem Podest. Sie geht als Siegerin beim Europacup hervor und wird Deutsche Meisterin. Zum Abschluss des Winters gewinnt sie bei den Juniorenweltmeister- schaften in Chiesa in Valmalenco die Silbermedaille. Die erfolgreiche Sportkarriere benötigt nun eben- so eine berufliche Komponente. Im August 2015 be- ginnt Daniela Maier eine vierjährige Ausbildung bei der Bundespolizei im Leistungszentrum für Winter- sportarten in Bad Endorf in der Nähe des Chiemsees. Die Sportlerin kann so Sport und Ausbildung ver- binden und hat die Möglichkeit, nach ihrer Sportler- karriere im Polizeidienst zu arbeiten. Daniela Maier mit ihrem olympischen gehäkelten Blumenstrauß, den es für alle Medaillengewinner gibt. 124 Da leben wir

 

 

 

Überglücklich ist Daniela Maier, als sie 2015 Vize-Juniorenweltmeisterin im Skicross wird. Erste Weltcupsaison – „Rookie of the Year“ In der Saison 2015/2016 fährt Daniela Maier ihre erste Weltcupsaison – von nun an darf sie mit den ,,richtig großen Mädels“ an den Start. Bei ihrem Weltcup-Debüt im Montafon landet sie auf Platz 12 und startet bei jedem Weltcup-Rennen. Daniela beendet den Winter auf Rang 17 in der Weltcup- Gesamt wertung und erhält eine besondere Auszeich- nung: ,,Rookie of the Year“. Alle teilnehmenden Nationen küren sie zum besten Neuling. Das damit verbundene Trikot ist bis heute ihr Glücksbringer. Nach der ersten Weltcup- saison 2015/2016 wird Daniela zum besten Neuling gekürt und erhält eine beson- dere Auszeichnung: ,,Rookie of the Year“. Rückschläge verkraften Die Saison 2016/2017 beginnt mit einem großartigen Resultat: Im Dezember 2016 wird Daniela Dritte in Val Thorens und steht erstmals auf dem Weltcup- Podium. Unglücklicherweise verletzt sie sich bei einem Rennen am Feldberg im Februar 2017 am Knie und zieht sich eine immense Schädigung des Gelenk- knorpels zu. Der Knorpel muss im Labor neu gezüchtet und dann verpflanzt werden – in insge- samt drei Operationen. Trotz dieser Knieverletzung beendet sie die Saison als 13. im Gesamtweltcup. Eine bittere Erfahrung ist die Notwendigkeit, eine eineinhalbjährige Pause vom Skifahren einlegen zu müssen. Daniela Maier ist dankbar, in dieser mental und körperlich schwierigen Zeit von der Familie, dem Skiclub Urach und ihren Freunden So funktioniert Skicross: Bei diesem Wettkampf handelt es sich um eine Ski-Freestyle- Disziplin, bei der vier Skifahrer auf einer speziell konzipierten Strecke gegeneinander antreten. Skicross-Strecken sind schmal, kurvig und mit zahlreichen natürlichen und künstlich angeleg- ten Sprüngen, Bodenwellen, Steilhangkurven und Hindernissen gespickt. Beim Skicross kommt exakt dieselbe Ausrüs- tung zum Einsatz wie beim traditionellen alpinen Skisport. Die Rennen laufen in mehreren Runden ab. Zunächst findet eine Qualifikation statt, bei der die Athleten allein gegen die Zeit fahren. Dann kommen die besten 16 Frauen und 32 Männer wei- ter und werden in Vierer-Läufe eingeteilt. Gefahren wird jeweils im KO-System. Die bei- den Erstplatzierten eines Laufs qualifizieren sich für die nächste Runde. So geht es bis hin zum Finale, in dem dann schließlich die ersten vier Plät- ze ausgefahren werden. Aktionen wie Festhalten, Schubsen und Schlagen der Mitstreiter werden als Foul gewertet und können zur Disqualifikation führen. Skicross ist eine Wintersport-Disziplin, die auch beim FIS Freestyle-Skiing-Weltcup und bei den Olympischen Winterspielen vertreten ist. Skicrosserin Daniela Maier 125 125

 

 

 

Während der Saison 2017/2018 kann Daniela zum Training wieder auf die Piste. Mit ihrem Team geht es zu den Rennen, zu Trainingszwecken ist sie bei den Wettkämpfen mit dabei. Nach ihrer 22-monati- gen Wettkampfpause steigt sie im Dezember 2018 wieder ins Renngeschehen ein und startet mit gleich zwei Siegen in Folge bei den FIS-Rennen auf der Reiteralm. Siebter Platz in der Weltcup-Gesamtwertung 2019 wird sie beste deutsche Fahrerin bei ihren ersten Weltmeisterschaften im US-amerikanischen Solitude bei Salt Lake City und Elfte in der Gesamt- wertung. Bei den folgenden zehn Weltcupeinsätzen fährt sie jedes Mal in die Top 15. Wieder richtig fit und voller Energie beginnt die Saison 2019/2020 mit dem Weltcup-Rennen in Inni- chen in den Sextener Dolomiten. Sie schafft es aufs Podium mit dem dritten Platz. Ebenso in Russland sowie im Sunny Valley. In der Weltcup-Gesamtwer- tung liegt sie auf dem siebten Rang. Das Finale muss allerdings einen Tag davor coronabedingt abgesagt werden, die Pandemie verändert nun auch das Wett- kampfgeschehen im Skicross. Während des Lock- downs trainiert Daniela viel zu Hause und beendet erfolgreich ihre Ausbildung bei der Polizei. Die Bundespolizistin kann 2020/2021 ihren Auf- wärtstrend der vergangenen Saison fortsetzen. Zu- nächst mit einem zehnten Platz in Arosa, fährt sie in Val Thorens ihr bisher bestes Weltcup-Ergebnis mit Rang zwei ein. Auf der Reiteralm beim Europacup kann sie das Rennen zunächst für sich entscheiden, bevor sie am darauffolgenden Tag beim Training schwer stürzt und wieder das Kreuzband im rechten Knie reißt. Sie wird sofort operiert, es folgt eine Reha im Sportzentrum am Tegernsee und Osteopathie bei Veronika Winterhalter. Daniela hat trotz der er- neuten Verletzung keinen Vertrauensverlust in ihr rechtes Knie – und landet in dieser Saison erneut auf dem Podium. Danielas Trainingspläne werden von ihrem Trai- ner Maximilian Wittwer geschrieben. Es ist ein ganz- heitliches Coaching mit geschultem Blick für Fehlhal- tungen und individuell angepasster Physio therapie. Es beinhaltet auch mentales Training, das sehr wich- tig ist vor einem Rennen und allgemein zum Über- winden von Unsicherheiten in der Fahrweise. Nach 22-monatiger Wettkampfpause, ausgelöst durch eine schwere Knieverletzung, startet Daniela Maier im Jahr 2019 wieder durch. Gymnastik war eines der Mittel, um die Fitness und körperliche Belastbarkeit wieder herzustellen. großartig unterstützt zu werden. Um die Muskulatur und Gelenke schonend zu kräftigen, ist Wassergym- nastik das beste Mittel. Mit Margot Zeitvogel weiß sie in Bad Reichenhall eine routinierte Therapeutin an ihrer Seite. Ihre Reha absolviert die Sportlerin in der Simse Klinik direkt neben der Bundespolizei in Bad Endorf. Ihr Trainer Maximilian Wittwer begleitet den langwierigen Weg von der Reha zurück zum Skicross. 126 Da leben wir

 

 

 

Olympia 2022 in Peking – Zuerst Vierte, dann folgt die Bronze-Medaille Das bislang größte Highlight in Danielas Karriere folgt im Februar 2022, als sie bei den Olympischen Winterspielen in China startet. „Ohne die Glücksbrin- ger, viele habe ich von guten Freundinnen geschenkt bekommen, fliege ich nicht nach Peking“, erzählt Daniela Maier mit einem Lächeln im Gesicht bei ihrer Abreise der Presse. Die 25-jährige Skicrosserin nimmt Kuscheltiere, besondere Socken, Fotos, Bücher und selbst UNO-Karten mit. ,,Es war sehr aufregend“, blickt sie auf Olympia zurück. „Das ganze Drumherum und auch sich mit so vielen Sportlern aus verschiede- nen Nationen zu unterhalten, das war etwas Besonde- res“, schwärmt sie. Mit bis zu 80 Stundenkilometern unterwegs – Daniela Maier bei den Olympischen Spielen in Peking. Ohne die Glücksbringer, viele habe ich von guten Freundinnen geschenkt bekommen, fliege ich nicht nach Peking. Skicrosserin Daniela Maier 127

 

 

 

Am Renntag ist Daniela Maier in Top-Form. Im Viertel- und Halbfinale kämpft sie sich mit extrem couragierter Fahrweise jeweils von hinteren Positionen nach vorne. Den Journalisten bei Olympia erklärt sie: „Ich bin sehr stolz auf meine Leistung, so gut bin ich noch nie Skicross gefahren und habe brutal schnelle Ski unter den Füßen.“ Schließlich gehört sie zu den vier Finalistinnen. Nach einem fulminanten Start gerät Daniela im Finale jedoch ins Hintertreffen und wird von der Schweizerin Fanny Smith ausgebremst, wird zunächst Vierte. Nach langsam verstreichenden Minuten im Zielraum, aus dem man als Viertplatzier- te so schnell wie möglich raus möchte, so die Furtwangerin, wird per Video beweis eine Behinde- rung seitens der Schweizerin an Daniela Maier festgestellt. Somit rutscht sie auf den dritten Platz und kann bei der Siegerehrung die Bronzemedaille in Empfang nehmen. Es ist die erste Medaille bei den Olympischen Spielen für Deutschland im Skicross. Daniela Maier zeigte in diesem Augenblick Fair Play und sportliche Größe, als sie mehrfach unterstreicht, sie selbst habe das Verhalten der Schweizerin zunächst nicht als Behinderung empfunden. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle: erst auf dem vierten dann doch auf dem dritten Platz… Sie sagt sich: „Genieße es, es ist dein Moment.“ Es folgen die Dopingkontrolle und Interviews mit der ARD und dem ZDF. Am Abend wird Daniela Maier mit rotem Konfetti in Empfang genommen. Natürlich gibt es ein Telefonat mit ihren Eltern. Ihrer Meinung nach ist sie das beste Skicross in ihrer bisherigen Laufbahn gefahren und als sie sich das Rennen anschaute, dachte sie sich: „Wer ist diese Frau?“ In all den Interviews, die jetzt folgen, sagt sie: „Ich wusste, eine kleine Chance besteht. Es sind aber die Besten der Besten hier vor Ort, die absolute Weltklasse. Ich habe zwar schon auf dem Podest gestanden, aber noch nie konstant, ich komme aus einer Verletzungssituation. Ich habe gekämpft, ich habe bis zum Schluss gekämpft – und die Medaille ist rausgekommen!“ Als sie auf dem Podest der olympischen Siegerehrung steht, rollen Tränen der Freude. Mehr dazu auf www.almanach-sbk.de/daniela-maier 128 Da leben wir

 

 

 

Der fulminante Zieleinlauf in Peking. Rechts Daniela Maier, ausgebremst beim Zielsprung durch Fanny Smith (links daneben), so das Urteil der Olympia-Jury vor Ort. 129

 

 

 

Die größten Erfolge in der Übersicht: 2015 Erste Weltcup-Platzierung, Platz 12 Montafon (Österreich) 2015 Weltcup-Platzierung, Platz 8 Innichen (Italien) 2015 Junioren-Weltmeisterschaft, Platz 2 Valmalenco (Italien) 2015 Europa-Cup, 2 Siege Gesamtwertung: Platz 2 2016 Erstes Weltcup-Podest, Platz 3, Val Thorens (Frankreich) 2016 Junioren-Weltmeisterschaft, Platz 4 Val Thorens 2019 Weltmeisterschaft, Platz 11 Solitude (USA) 2021 Weltcup-Platzierung, Platz 2 Val Thorens 2022 Olympische Winterspiele, Bronzemedaille Peking 2022 Gesamt-Weltcup, Platz 8 Sport macht einfach Spaß Nach Olympia ging‘s im Weltcup nochmals weiter, Daniela Maier erreicht den achten Platz in der Gesamtwertung. Beim Red Bull SuperSkicross in Andermatt kann sie zum Saisonende erneut demon- strieren, was Skicross wirklich ist: Ein wilder Ritt! Mit 80 Stundenkilometern geht es zu viert in Steilkurven, es folgt ein 40-Meter-Sprung – zum Schluss schießen die Crosserinnen über ein schräges Hausdach aus Schnee. Das Fazit von Daniela Maier: „Ein richtig cooles Event, eine gute Werbung für unseren Sport!“ Nach den Winterspielen genießt sie die Aufmerk- samkeit, die ihr Olympia gebracht hat. Bundespräsi- dent Frank-Walter Steinmeier verleiht ihr das Silberne Lorbeerblatt der Bundesrepublik Deutschland. Dar- über hinaus ist sie Gast beim Ball des Sports und die Deutsche Sporthilfe kürt sie zum „Champion des Jah- res“. ,,Aber nicht jede Party kann man mitmachen, das haut dich sechs Trainingseinheiten zurück!“, erzählt sie lachend. Außerhalb des Skicross ist Daniela Maier gerne in den Bergen zum Wandern oder beim Biken. Sie schwimmt im Chiemsee oder macht dort eine Fahrt mit dem Stand-up Paddle mit anschließender Brotzeit auf dem See. Außerdem backt sie sehr gerne Kuchen und teilt Empfehlungen für Back portale im Internet. Sie ist glücklich in ihrer WG in Marquartstein im Chiemgau, aber kommt immer mal wieder in den Schwarzwald zu Besuch. Und sie telefoniert häufig mehrere Stunden lang mit ihrer Mutter in Furtwangen. Für die Zukunft möchte die nunmehr 26-Jährige den Hauptfokus auf ihre physische Konstitution rich- ten. Noch mehr Energie in die Vorbereitung zu den einzelnen Wettkämpfen investieren. Aber das Wich- tigste für Daniela ist, dass ihr der Sport einfach Spaß macht und sie unendlich dankbar ist, wie sie von ihren Eltern, Freunden und durch den Skiclub Urach unterstützt wird. Was nun Olympia anbelangt, hofft Daniela Maier: „Es wäre super, wenn es ein Happy End gibt – und wir beide eine Medaille bekommen. Das wäre das beste Szenario.“ Großartiger Empfang in Furtwangen Rund 250 Fans, Familie, Wegbegleiter, Politikpro- minenz und hochrangige Sportfunktionäre berei- ten Daniela Maier Anfang April 2022 einen tollen Empfang in ihrer Heimatstadt Furtwangen. Fahnen schwenkend und jubelnd begrüßen sie die Schwarz- wälder Athletin in der Festhalle. Es gibt eine Polo- naise mit dem Skinachwuchs des SC Urach, ihrem Heimatclub und ein spontanes Tänzchen mit Mama Bruni. Lachend und in die jubelnde Menge winkend bahnt sich Daniela Maier den Weg durch das Fahnen- meer auf die Bühne. Dort plaudert sie mit Moderator Stefan Lubowitzki locker über ihre Erlebnisse in Peking. Aber auch über ihre ersten Gehversuche im Alter von drei Jahren beim Skiclub Urach, dem sie bis heute eng verbunden ist. Schließlich schauen sich Daniela Maier und die Zuschauer noch einmal die spannendsten Momente von Olympia auf der Großbildleinwand an. Darunter auch den Finallauf. „Dani, du hast uns Nerven gekostet, so spannend war es. Aber wir sind alle sehr stolz darauf, dass du die Saison 2021/2022 mit diesem großartigen Erfolg gekrönt hast“, so der Furtwanger Bürgermeister Josef Herdner und der Vöhrenbacher Bürgermeister Heiko Wehrle. 130 Da leben wir

 

 

 

In Furtwangen wird Daniela Maier am 2. April 2022 von ihren Fans laut jubelnd begrüßt. Unten: Beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Furtwangen mit den Bürgermeistern Josef Herdner, Furtwangen (links) und Heiko Wehrle, Vöhrenbach (rechts). Skicrosserin Daniela Maier 131

 

 

 

Modernes Wohnen mit dem ursprünglichsten aller Baumaterialien lehmann_holz_bauten aus St. Georgen­Peterzell hat sich voll und ganz dem Bauen mit dem heimischen Werkstoff Holz verschrieben. Eine Holzart hat es Inhaber Christian Lehmann dabei ganz besonders angetan: die Weißtanne. Von Roland Sprich Weißtannen-Tinyhäuser nach der Hütten- konzeption des Schwarzwald- Baar-Kreises 132 (siehe auch Infokasten auf S. 135). 4. Kapitel – Wirtschaft

 

 

 

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Der Begriff Schwarzwaldhaus ist bis heute besetzt mit rustikalem Wohnen auf einem urigen Bauernhof. Mit tief heruntergezogenem Dach und hölzernen Schindeln an den Wänden. Christian Lehmann aus St. Georgen-Peterzell denkt und interpretiert das historische Schwarzwaldhaus neu. Er plant und projektiert Wohn- und Nutzgebäude mit dem typischen und reichlich im Schwarzwald vorkommenden Baumaterial, mit Holz. Und ist auch in anderer Weise ganz eng mit dem Naturstoff verbunden. In einem Haus aus Holz zu wohnen ist ein Lebensgefühl. Man spürt und riecht die natürliche Atmosphäre. Holz spielt im Leben von Christian Lehmann schon immer eine Rolle. Geboren und aufgewachsen ist er auf einem denkmalgeschützten Schwarzwälder Eindachhof mit Sägewerk im Hornberger Ortsteil Reichenbach, nahe der höchsten Anhöhe Windkapf, wo sich die drei Landkreise Ortenau, Rottweil und Schwarzwald-Baar treffen. So lernte er die Wert- schöpfungskette Holz vom Wald über die Verarbei- tung bis zur Veredelung, aus nächster Nähe kennen. Heute ist er von Holz als Werkstoff fasziniert. Mit seinem Unternehmen lehmann_holz_bauten plant, projektiert und realisiert er Holzbauten aller Art – als Baubetreuer oder Generalübernehmer. Und beweist, dass sich die traditionelle Schwarzwälder Holz- bauweise mit moderner und zeitgemäßer Holzbau- architektur verbinden und mit der ursprünglichen Einfachheit und Gemütlichkeit vereinbaren lässt. Im Holzhaus wohnen ist ein Lebensgefühl Wenn Christian Lehmann über Holz spricht, ist er in seinem Element. Selbstredend lebt er auch selbst in einem Holzhaus und hat für sich und seine Familie in einer Holzhausgruppe in den 1990er-Jahren ein Zuhause geschaffen. „In einem Haus aus Holz zu wohnen ist ein Lebensgefühl. Man spürt und riecht die natürliche Atmosphäre.“ Darüber hinaus sind für Christian Lehmann, Inhaber von lehmann_holz_bauten. 134 Wirtschaft

 

 

 

HÜTTENKONZEPTION DES SCHWARZWALD-BAAR-KREISES Mit einem umfassenden Konzept will der Schwarz- wald-Baar-Kreis den Tourismus attraktiver gestalten. Die Hüttenkonzeption soll als Teil davon die gastro- nomische Versorgung entlang von Rad- und Wander- wegen sowie Loipen stärken. Dazu gehören auch Beherbergungsbetriebe. Vier von Christian Lehmann geplante und gebau- te Tiny-Häuser wurden dazu in Langenschiltach bei Familie Lehmann aufgestellt (siehe auch Seite Foto auf Seite 132). Innen wie außen dominiert die Weiß- tanne, die Ferienhäuser stehen mitten in der Natur. ihn die ökologischen, energetischen und wohnge- sunden Aspekte wichtig. „Holz ist ein lebendiger, nachwachsender und leicht zu bearbeitender Rohstoff aus der Natur“, bringt Christian Lehmann seine Faszination für den Baustoff auf einen Nenner. Dazu kommt, dass Holz von allen Baumaterialien die beste CO2-Öko-Klima-Bilanz sowohl bei der Herstel- lung, beim Transport, bei der Verarbeitung, der allgemeinen Nutzung und beim Recycling hat. Nicht von Anfang an der Traumberuf Dass er einmal beruflich mit Holz zu tun haben sollte, war dennoch nicht von vorneherein klar. „Eigentlich wollte ich Landmaschinenmechaniker werden“, verrät er. Familiäre Umstände zeichneten aber einen anderen beruflichen Weg vor. So absol- vierte er stattdessen von 1974 bis 1977 eine Ausbil- dung zum Zimmermann bei seinem Onkel, der in Langenschiltach einen Zimmermannbetrieb hatte. „Zu Anfangszeiten war das mehr ein Baustoffhandel als eine Zimmerei“, erinnert sich Christian Lehmann. Dennoch hat er schnell gelernt und sich viel Wissen selbst angeeignet, was auch zu frühem selbstständi- gen Arbeiten führte. Mit 22 Jahren schon Meister Der berufliche Ehrgeiz setzte sich auch nach Ende der Lehrzeit fort. Bereits nach eineinhalb Jahren als Zimmerergeselle konnte er durch einen glücklichen Umstand die Meisterschule besuchen und hatte letztendlich im Alter von 22 den Meisterbrief im Zimmererhandwerk in der Tasche. Im Anschluss startete er bei einem großen Holzbaubetrieb, wo er 20 Jahre als Bereichs- und Projektleiter für den Holzbau/Hausbau zuständig war und Großprojekte sowie den Schlüsselfertigbau leitete. „Darunter unter anderem den Bau der Neuen Tonhalle in VS-Villingen, das Hallen-/Neckarbad in VS-Schwenningen und die Deutsch-Schweizer Grenz-/Zollanlage in Konstanz- Kreuzlingen“, zählt er auf. 1989 hat Christian Lehmann die Prüfung zum Restaurator im Zimmererhandwerk abgelegt und un- ter anderem die Pfarrkirche St. Martin in Brigachtal und die drei Klosteranlagen in Villingen – die der Franziskaner, Kapuziner und Benediktiner – restau- riert beziehungsweise saniert. lehmann_holz_bauten 135

 

 

 

Oben: Zwei Familien, eine Idee: Die beiden ++Energie-/CO2-Aktivhäuser wurden einfach gespiegelt, so konnte die Baufläche optimal genutzt werden. Unten: Trotz hoher Standardisierung lassen sich auch individuelle Wünsche umsetzen. Die Baufamilie dieses Plusenergiehauses wollte eine Kletterwand an der Hausfassade haben. 136 Wirtschaft

 

 

 

Auch als Energieberater tätig Ein weiteres Standbein, das aktuell wichtiger ist denn je, ist seine Expertise als Energieberater. Selbstredend, dass er bei seinen projektierten Häusern auf den Energiewert achtet. Energieeffizientes Bauen liegt ihm nicht erst seit den steigenden Energiekosten am Herzen. Sogenannte Plusenergiehäuser werden als ++Energie-/CO2-Aktivhäuser gebaut. Dabei wird mehr Energie erzeugt als verbraucht wird. Die Atmosphäre wird nicht mit CO2 be- sondern entlastet. Der durch die Photovoltaikanlage auf der Süddachseite gewonnene Strom wird in eine Hochleistungseffizienz- Luft-Wasser-Wärmepumpe eingespeist. Die Wärme wird über die Fußbodenheizungen verteilt und das Brauchwasser gepuffert. Die Stromspeicher ergänzen und die Elektro-Ladestation komplettieren das Energiekonzept. Entwicklung eigener „Rahmenbedingungen“ Bei der Zusammenarbeit mit einer jungen, dynami- schen Architektengruppe Anfang der 1990er-Jahre bekam Christian Lehmann auch Zugang zur Architek- tur. „Damals habe ich begonnen, nebenher die ersten Häuser in Holz-System-Bauweise zu planen und auf Karo-Papier skizzenhaft zu entwerfen“, erinnert er sich. Dabei stieß er auch auf ein von einem Konstanzer Architekten entwickeltes Raster- modell für das Holzbau-Tragsystem. Von diesen Kenntnissen ausgehend entwickelte Christian Lehmann seine eigenen „Rahmenbedingungen“, die längst zu seinem Markenzeichen geworden sind, seitdem er sich 2003 mit einem eigenen Büro in Die hohe Standardisierung durch den Einsatz des Meter- Rasters macht Bauen effektiv und preisgünstig. Peterzell selbstständig gemacht hat. Auf der Ein- gangstür steht: „architektonisch pur – lehmann_ holz_bauten – beraten, betreuen, bauen.“ Die Planungen für seine Holzbauten, ganz egal ob Wohn-, Arbeits-, Ferien-, An-/Um-, gewerbliche, öffentliche, landwirtschaftliche Bauten, beruhen allesamt auf dem Meter-Raster. In der Regel gibt es ein Primär-Tragraster und ein Ein-Meter- Sekundär- raster. Heißt, dass sämtliche Maße in Meter- Schritten gedacht, geplant und eingeteilt sind. Der Vorteil dabei liegt für Christian Lehmann auf der Hand. „Es ist eine hohe Standardisierung, was das Bauen effektiv und preisgünstiger macht.“ Die Anpassung des Raumprogramms an die Holz-Raster-System-Bauweise im Meter-Raster er- möglicht besonders wirtschaftliche Holzbauten mit kurzer Bauzeit. Die effizienten und kostenoptimier- ten Bauteile werden teilvorgefertigt und mit Holz- faser gedämmt. Einfache, reduzierte Materialwahl, Konstruktionen und Bauteile sowie standardisierte Anschlüsse und Übergänge bestimmen den Entwurf, die weitere Planung, die Projektierung und die Reali- sierung bis ins Detail. In die Tenne eingeschobene Wohnboxen gehören bei Christian Lehmann zum Standardprogramm bei der Sanierung von Schwarzwald- höfen. Im Bild das Projekt Lippenhof bei Unterkirnach. lehmann_holz_bauten 137

 

 

 

Der umgebaute jahrhundertealte Lippenhof in Unterkirnach besticht durch den Einsatz von veredelter heimischer Weißtanne und die umlaufenden großflächigen rahmenlosen Verglasungen. Besonders hohen Wert wird auf baubiologisch unbedenkliche Baustoffe und wohngesundes Bauen gelegt. Es werden einheimische/regionale und wo möglich, naturbelassene Materialien/Hölzer verwen- det. Die Konstruktion wird in der Regel mit Konstruk- tionsvollholz (KVH) in Fichte/Tanne und die Außenbe- kleidungen in Douglasie ausgeführt. Die Fenster und Türen werden ebenfalls in Holz (Lärche) gefertigt. Im Innenbereich werden meist Eichenholzböden verlegt. Etwas Besonderes ist, dass Innenwände häufig über alle Geschosse durch Raumteiler/Einbauschränke er- setzt werden, die beidseitig als Schrankwand nutzbar sind und mit Oberlichtern ausgestattet werden. Vorliebe für klare Strukturen und Linien „Fünf Finger, fünf Bauteile, fünf Minuten, fertig ist das Haus“, fasst er die erforderlichen Bauelemente – Boden, Außenwand, Innenwand, Decke, Dach – zu- sammen. Der Vorteil zahlt sich für den Bauherrn in barer Münze aus. Im Schnitt 15 Prozent, so Lehmann, lassen sich mit einem nach seiner Methode projek- tierten Gebäude gegenüber konventioneller Bauwei- se mit gleich- oder höherwertigem Raumprogramm einsparen. Ich befasse mich seit Langem mit alten Schwarzwaldhäusern, den Meisterstücken des Zimmererhandwerks und versuche, die damaligen genialen Konstruktionen und die Intention, die hinter der früheren Bauweise großer Eindachhöfe steckt, anzupassen und in die heutige Zeit zu übertragen. 138 Wirtschaft

 

 

 

Individuelle Wünsche trotz hoher Standardisierung möglich Diese von ihm übernommene und weiterentwickelte Bauweise kommt Christian Lehmann auch bei seiner Vorliebe für klare Linien und Strukturen zugute. Verwinkelte Ecken, Schnörkel und Erker sind seine Sache nicht. Wenn sich dagegen die Einrichtung an die Holz-System-Bauweise anschmiegt und wie aus einem Guss wirkt, strahlt Christian Lehmann. „Was nicht heißt, dass individuelle Wünsche nicht reali- siert werden können.“ So lässt sich auch Ausgefalle- nes, wie beispielsweise eine Kletterwand an der Hausfassade, mühelos verwirklichen. Neben der Realisation von Neubauten ist der Umbau bestehender Gebäude ein weiteres Stecken- pferd von Christian Lehmann, der außerdem Restau rator im Handwerk ist. „Ich befasse mich seit Langem mit alten Schwarzwaldhäusern, den Meister- stücken des Zimmererhandwerks und versuche, die damaligen genialen Konstruktionen und die Intention, die hinter der früheren Bauweise großer Eindach höfe steckt, anzupassen und in die heutige Zeit zu übertragen“, erklärt Lehmann. Als einer der Ersten wagte er es, den Ausbau einer Tenne zu einer Wohnung nicht über die gesamte Fläche auszudeh- nen. Sondern eine Wohnbox in die Tenne zu stellen. Heute gehört der Einschub von Wohn-Glas-Boxen in große Dachräume, in denen früher das Futter für den Winter gelagert wurde, für ihn zum Standardpro- gramm. Mit dieser innovativen Holzbauarchitektur und unter Verwendung moderner Baustoffe wie viel Glas und veredelter Weißtanne lassen sich so zeitgemäßes Wohnen und Leben in der alten Hülle unter einem schützenden Dach auf kreative und an- genehmste Weise miteinander kombinieren. Ohne die vorhandene charakteristische, den Schwarzwald prägende Gebäudestruktur zu verändern oder gar zu zerstören. Besondere Vorliebe für Weißtanne Eine Sorte Holz hat es Christian Lehmann besonders angetan: die Weißtanne. Seit vielen Jahren engagiert er sich im FORUM WEISSTANNE, einem gemeinnüt- zigen Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, der heimischen Baumart eine Stimme zu geben. Die Tanne hat durch die Globalisierung des Holzmarktes in den vergangenen Jahrzehnten ihre einst führende Marktposition in ganz Süddeutschland verloren. Obwohl sie gerade im Schwarzwald eine der wich- tigsten Baumarten war und ist und aufgrund kurzer Transportwege eine unschlagbar günstige CO2-Bilanz aufweist. Das FORUM WEISSTANNE versucht, das Marktverhalten zugunsten der Weißtanne dahinge- hend zu verändern, dass es für Waldbesitzer wieder attraktiver wird, Weißtanne anzubauen und als eigenes Sortiment zur Verfügung zu stellen. Christian Lehmann setzt auf Weißtanne wo im- mer es möglich ist. Fast alle seine Projekte bekom- men eine Fassade aus dem heimischen Holz. Aktuel- les Beispiel ist der Lippenhof, ein jahrhundertealter Bauernhof in Unterkirnach mit Land-, Forst-, Ener- gie- und jetzt auch Gastwirtschaft mit Ferienwoh- nungen in der großen Gaube und in den ehemaligen Gangkammern. Aber nicht nur bei privaten Wohn- projekten lässt Lehmann die Weißtanne eine Rolle spielen. So wurde ganz aktuell ein im Auftrag der Bundeswehr erstelltes AWL-Gebäude (Aufenthalts-, Werkstatt- und Lagergebäude) zur Standortschießan- lage in Donaueschingen, für das er die Projektierung und Bauleitung hatte, fast ausschließlich aus Holz und hier überwiegend in Weißtanne gebaut. Das ganz in NUR-Holz, mit leimfreien Holzelementen, gebaute Aufenthalts-, Werkstatt- und Lagergebäude ist eines der aktuell realisierten Weißtannenprojekte für die Bundeswehr am Standort Donaueschingen. XXX 139

 

 

 

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„Klinik am Doniswald“ – Psychotherapie und Seelsorge von Barbara Dickmann Die Menschen in Königsfeld sind eng verbun- den mit der Herrnhuter Brüdergemeine und mit ihren Kliniken. Auch die Michael-Balint- Klinik, die mehr als 26 Jahre erfolgreich als psychosomatische Klinik für Ganzheitsmedi- zin betrieben wurde, gehörte „einfach dazu“. Keine Frage: Die Patienten waren willkomme- ne „Kurgäste“. Doch 2019 kam das „Aus“! Zwei lange Jahre passierte nichts und die wildesten Gerüchte machten die Runde. Dann lernten Andrea Fetzner und Andreas Leschinger, zwei promovierte Ärzt*innen, nicht nur diese Klinik, sondern ebenso Ralf Ruchlak kennen, einen Betriebswirt mit speziellen Kenntnissen in medizinischen Geschäftsfeldern. Die Folge: Am 1. Oktober 2021 öffnete die „Klinik am Doniswald“ ihre Tore. Klinik am Doniswald 141

 

 

 

Schon am Morgen fühlt sich Gerda erschöpft. Und eine unendliche Müdigkeit begleitet sie den ganzen Tag. Gegen Mittag setzen die Kopf- schmerzen ein, Bauchschmerzen nach dem Essen, Kreislaufstörungen und Verdauungsbeschwerden werden ein ständiger Begleiter ihres Alltags. Hinzu kommt die Angst, denn sie befürchtet eine schwere Erkrankung. Besonders nachts verstär- ken sich diese quälenden Gedanken und sie schläft schlecht. Ihr Hausarzt hört ihr geduldig zu, findet aber keine organische Ursache und drückt ihr eine Über- weisung in die Hand. Es wird nicht die letzte sein. Gerda wandert durch die unterschiedlichsten Fach- richtungen. Magen spiegelung, Darmspiegelung und und und… alles ohne Befund. Doch das ist kein Trost, sondern eher das Gegenteil. Und der Teufelskreis beginnt: Bauch-, Muskel- und Kopfschmerzen, Mü- digkeit und Erschöpfung führen zu noch mehr Stress, was wiederum die körperlichen Signale zusätzlich verstärkt. Nach einem langen Leidensweg kommt die Dia- gnose: Die Schmerzen, die Beschwerden sind psycho- somatisch! Gerda kann damit nichts anfangen. Was ist das eigentlich? Der Begriff Psychosomatik kommt aus dem Griechischen für Seele (Psyche) und Körper (Soma). Dieser Teil der Medizin beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen von psychologischen, biolo- gischen und sozialen Bedingungen einer Krankheit. Probleme belasten, sie „liegen im Magen“, Liebes- kummer „bricht das Herz“ und bei Ärger kommt uns „die Galle hoch“. Wenn die Seele sich auf den Körper auswirkt, können Beschwerden auftreten, für die man keine organische Ursache findet. Sie sind des- halb nicht weniger schlimm – ganz im Gegenteil. Gerdas Krankheitsverlauf wird immer dramatischer. Was ist die Ursache? Was belastet ihre Seele? Welche Narben hat sie? Ist Gerda traumatisiert? Oder ist es sogar eine Persönlichkeits-, Angst- oder Zwangsstö- rung? Gerda geht in die Akutklinik… Danach wird ihr eine Rehabilitation bewilligt. Gerda möchte nach Königsfeld in die Klinik am Doniswald. Der Tag der Anreise naht… Gerda reist an. Sie hat sich die Klinik am Doniswald ganz bewusst ausgesucht. Das denkmalgeschützte, liebevoll sanierte und aufs Neueste ausgestattete Hauptgebäude hatte es ihr angetan. Gerda wollte nicht in eine große Klinik, das allein machte ihr schon Angst. Die Klinik am Doniswald ist überschau- bar, da kann die Atmosphäre nur sehr persönlich sein. In der Küche wird frisch und gesund gekocht, was ihr auch wichtig ist. Der weiträumige Kurpark und der direkt hinter der Klinik beginnende Donis- wald sind für sie schon ein Teil der Therapie und Bal- sam für die Seele. Hier ist schon Albert Schweitzer gewandert, denkt sie voller Hochachtung. Und dann gibt es noch ein besonderes Thema, das sie für sich klären will: die Seelsorge. Denn „der 142 Wirtschaft

 

 

 

Freundlich empfangen und dank des ganzheitlich- psychotherapeutischen Ansatzes auch bestens betreut. Die Klinik am Doniswald bietet ihren Patienten beste Rahmen bedingungen. ganzheitlich psychotherapeutische Ansatz wird um eine geistlich-spirituelle Ebene erweitert, unab- hängig ihrer Überzeugung oder Religion wird auf Wunsch Seelsorge angeboten“…, so steht es auf der Internetseite. Gerda wird ausgesprochen freundlich empfangen, ihr Zimmer gefällt ihr gut, die Umgebung … so traum- haft wie sie es sich erhofft hat. Das Essen – einfach super und gleich am ersten Abend lädt Andrea Fetzner zu einem faszinierenden Vortrag ein. Es geht um die Geschichte der Klinik, um Königsfeld um die Herrnhu- ter Brüdergemeine und um Albert Schweitzer… Vier Wochen ganz auf sie abgestimmte, intensive Therapie liegen vor ihr, gepaart mit künstlerischen, musikali- schen und seelsorgerischen Angeboten. Ob Gerda physisch wie psychisch gesund werden wird, kann man nicht sagen. Doch die Voraussetzun- gen könnten nicht besser sein… Die Klinik am Doniswald – für Psychotherapie und Seelsorge Keine Frage, Gerda hat eine gute Wahl getroffen. Doch dass es diese Klinik überhaupt gibt, ist der Verdienst von drei besonderen Menschen, die sich einfach getraut und mit einer freundlichen Hartnä- ckigkeit ihr Ziel verfolgt haben und jetzt ihren Traum leben. „Wir wollten eine eigene Klinik haben und wir wollten diese Klinik!“ Andrea Fetzner, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Andreas Leschinger, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ralf Ruchlak, Diplom-Betriebs- wirt sind die heutigen Geschäftsführer. Drei Macher, die das Schicksal zusammengeführt hat. „Andreas Leschinger und ich kannten uns schon und wir wussten, dass wir gut zusammenarbeiten können“, berichtet Andrea Fetzner. Beide waren sie unzufrieden, hatten einfach andere Vorstellungen von einer Klinikleitung, als sie es in ihren Jobs er- lebten. Sie suchten nach Alternativen, sprachen im Freundeskreis darüber und irgendwann entstand die Idee, eine eigene Klinik zu gründen. „Die ehe- malige „Michael-Balint-Klinik“, so hieß dieses Haus 27 Jahre lang, war in einer Insolvenzmasse und stand leer“, erinnert sich Andreas Leschinger. Gemeinsam Klinik am Doniswald 143

 

 

 

Wir wollten eine eigene Klinik haben und wir wollten diese Klinik! Dr. Andrea Fetzner besichtigten die beiden Ärzte das Haus, irgendwie sprang da ein Funke über und sie kamen ins Grübeln. Und dann lernten sie Ralf Ruchlak kennen. Der Betriebswirt kannte die Klinik in- und auswendig. Er war vom Insolvenzverwalter 2019 als Verwaltungslei- ter eingesetzt worden und hatte die Klinik ein halbes Jahr bis zu deren Schließung geleitet. Ralf Ruchlak war besonders betroffen. Denn obwohl die Klinik gut belegt war, musste er von einem Tag auf den Betrieb einstellen und alle Mitarbeiter entlassen. „Das war einfach furchtbar, ich habe sehr darunter gelitten“, erinnert er sich. Mit Ralf Ruchlak war das Team kom- plett und drei höchst motivierte Menschen starteten das Projekt „Klinikkauf“, was nicht so einfach war. Denn die Frist zur Abgabe eines Kaufangebots war nicht einzuhalten. Auf ihre Bitte genehmigte der Insolvenzverwalter eine Verlängerung, sonst hätten sie keine Chance gehabt. Sie erarbeiteten einen Businessplan, fanden weitere Investoren, die bereit waren, Gesellschafter zu werden, kümmerten sich um die Finanzierung und gründeten mit insgesamt zwölf Menschen die „Doniswald Immobilien GmbH“. Und schon wieder lag es an dem Insolvenzverwalter. Denn insgesamt drei Bewerber wollten dieses Haus kaufen und es umbauen. Doch ihr Konzept überzeugte und sie erhielten den Zuschlag. Das war die Geburtsstunde der „Klinik am Doniswald“. An der Spitze und verantwortlich: die geschäftsführenden Gesellschafter Andrea Fetzner, Andreas Leschinger und Ralf Ruchlak. Große Nachfrage nach freien Plätzen Am 1. April 2021 kamen die ersten Handwerker – und das in Corona-Zeiten. Gleichzeitig schrieben sie Bei der Besichtigung der Doniswaldklinik sprang der Funke über, v. links: Die Ärzte Andreas Leschinger und Andrea Fetzner sowie der Königsfelder Bürgermeister Fritz Link nach dem Ortstermin. 144 Wirtschaft

 

 

 

Die Geschichte der Klinik Das vordere, denkmalgeschützte Gebäude wurde 1903 als Grandhotel für Kurgäste in Königsfeld erbaut und „Schwarzwaldhotel“ genannt. Der gemeindeeigene „Toniswald“ (später Doniswald) liegt direkt hinter der Klinik. Vor der Klinik wurde ein weiträumiger Kurpark angelegt. 1975 enstand unter Leitung des Hoteliers Hans Diegner ein zweiter Bau „Tonishof“ für Gäste zugefügt. 2021 wurde das Gebäude an die Doniswald Immobilien GmbH verkauft. 1991 übernahm die W. Rother GmbH das Gelände mit den beiden Gebäuden „Schwarzwaldhotel“ und „Tonishof“ und eröffnete die psychosomatische Klinik für Ganzheitsmedizin. Wie zuvor wird die Klinik als gemischte Fachklinik geführt und unter dem Namen „Klinik am Donis- wald“ am 1. Oktober 2021 neu eröffnet. Von 1993 bis 1998 erfolgten aufwändige Umbauar- beiten mit einem neuen Verbindungsbau zwischen beiden Gebäuden, um den Anforderungen an eine zeitgemäße Klinik gerecht werden zu können. Im vorderen, denkmalgeschützten Gebäude soll – sobald grünes Licht gegeben wird – eine Abteilung mit Akutbetten für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie entstehen. Die Klinik ist weitestgehend barrierefrei gebaut und eingerichtet und wurde mehr als 26 Jahre erfolgreich als „Michael-Balint-Klinik“ geführt, bevor sie 2019 geschlossen wurde. Der Zwischenbau und der zum Wald hin gelegene Gebäudeteil ist seit 1.Oktober 2021 als Abteilung Rehabilitation für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie wieder eröffnet. Wir sind bis September ausgebucht“, sagt Andrea Fetzner und lächelt dabei. Sie und ihre zwei Mit- streiter sind rundherum glücklich und zufrieden. das medizinische Behandlungskonzept, reichten knapp 300 Seiten Unterlagen an Behörden und Kostenträger ein und schafften es binnen kurzer Zeit, 75 Mitarbeiter zu finden. Etliche von ihnen waren frühere Mitarbeiter der „Michael Balint- Klinik“, und „deren Freude war groß, denn der Schmerz über die plötzliche und eigentlich grundlo- se Schließung saß tief“, erinnert sich Ralf Ruchlak. Am Freitag, den 1. Oktober 2021 war es soweit. Knapp 60 Patienten wurden aufgenommen. Und das hat sich bis heute nicht geändert. „Wir sind bis September ausgebucht“, sagt Andrea Fetzner und lächelt dabei. Sie und ihre zwei Mitstreiter sind rundherum glücklich und zufrieden. Natürlich sei die Arbeit anstrengend, besonders wenn sich manchmal coronabedingt Krankheitsfälle bei den Mitarbeitern häufen würden und natürlich sei der Verdienst auch geringer. Und ja, eigentlich wären sie und Andreas Leschinger eher in einem Alter, in dem man an mehr Freizeit denke. Und Ralf Ruchlak, der Jüngste im Bunde, mit kleinen Kindern – keine Frage! Wenn da nicht die Partner so unterstützend mitspielen wür- den, ginge das gar nicht. Was machen sie anders als andere Kliniken? „Wir haben eine sehr flache Hierarchie“. Die Geschäfts- führer duzen sich mit dem Hausmeister, der Klinik am Doniswald 145

 

 

 

In der Fachklinik Doniswald werden folgende Krankheitsbilder behandelt: • ADHS • Angsterkrankungen Burnout • • Coronafolgen • Depressionen Essstörungen • • Persönlichkeitsstörungen Schlafstörungen • Schmerzerkrankungen • Traumafolgestörungen • • Zwangsstörungen Links: Blick in den Speisesaal und der Empfang. Rechts: Das 1993 von dem Künstler Tobias Kammerer erschaffene Seccofresco beschäftigt sich bildkünstlerisch mit der medizinischen Psychosomatik. Reinigungsfrau oder dem Koch genauso wie mit ihren Kollegen. Das ist kein Gag, sondern einfach ein Ausdruck dafür, dass sich alle auf einer Ebene begeg- nen, dass sie eine Gemeinschaft sind und sich gegenseitig wertschätzen und respektieren. „Ich glaube, dass der Geist der Herrnhuter Brüdergemeine auch uns berührt hat. Denn es gibt dort nur Brüder unter Brüdern und Schwestern unter Schwestern, alle sind gleichwertig.“ Ja selbst auf dem Friedhof seien alle Gräber gleich. Es gäbe keine großen Monumente. Und die Geschichte von Königsfeld sei einfach faszinierend … Man spürt es genau – Königs- feld hat es Andrea Fetzner angetan. Es gibt keine Mindestlöhne und kein Catering. Es wird nichts outgesourct. Ganz im Gegenteil. „Unsere Mitarbeiter sind uns wertvoll.“ Nächstes Ziel: Genehmigung der Akutbetten Ständig wird verbessert, verschönert, modernisiert und an den Therapieplänen gefeilt. Das nächste Ziel: Die Genehmigung, der durch die Schließung verloren gegangenen Akutbetten, denn der Bedarf ist groß. Die Anträge sind gestellt, doch das zu erreichen braucht sehr viel Geduld. „Wir sind eine kleine Klinik, der Streit um die Akutbetten wird seit Jahren geführt. Die zusätzliche Therapieform der Seelsorge liegt den Verantwortlichen besonders am Herzen. „Es gibt viele Menschen, die aufgrund ihres Glaubens in Schwierigkeiten geraten sind. Das ist noch ein an- derer Aspekt der Psychotherapie – egal ob Moslem oder Christ!“ Zwei Seelsorger sind für die Patienten auf Wunsch da und natürlich sei auch die Spirituali- tät ein Kreativbaustein zur Heilung der Seele. 146 Wirtschaft

 

 

 

Andrea Fetzner Andrea Fetzner studierte von 1980 bis 1987 Medizin in Tübingen, Promotion 1987 im Bereich Entwicklungsneurologie, Approbation 1988. Von 1987 bis 1995 war sie als Familienfrau und Mutter von drei Kindern tätig. Von 1995 bis 2007 arbeitete sie als Assistenzärztin in der Rehabilitationsklinik Katharinenhöhe (Klinik für krebs- und herzkranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene) und von 2008 bis 2012 als Assistenz ärztin in der Mediclin Baarklinik und Albert-Schweitzer-Klinik in Königsfeld. Nach der Facharztprüfung mit Anerkennung zur Fachärztin für Psycho somatische Medizin und Psychotherapie arbeitete Andrea Fetzner 2012 bis 2013 als Oberärztin in der Mediclin Baarklinik Königsfeld, von 2013 bis 2014 als Oberärztin in der Privatklinik Friedenweiler. Ab Januar 2015 arbeitete sie zunächst als leitende Oberärztin, ab August 2015 als Chefärztin in der Medianklinik St. Georg Bad Dürrheim. Seit 1. August 2021 ist sie geschäftsführende Gesellschafterin und Chefärztin der Klinik am Doniswald GmbH. Andreas Leschinger Andreas Leschinger studierte Medizin in Köln und Gießen, Promotion im Bereich Neurophysiologie, 1994 Approbation. 1995 Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Magdeburg, Facharzt seit 2001. Im Jahr darauf erhielt er die Legitimation und Facharztanerkennung für das Fach Psychiatrie in Schweden. Dort war er zunächst als Oberarzt, ab 2007 als Chefarzt vornehmlich in der Akutpsychiatrie, sowohl in der stationären als auch ambulanten Versor- gung tätig. Nach der Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2015 zunächst oberärztliche Tätigkeit im Vinzenz von Paul Hospital Rottweil. 2017 bis Juli 2021 leitender Oberarzt in der Median Klinik St. Georg in Bad Dürr heim. Jetzt geschäftsführender Gesellschafter und Chefarzt der Klinik am Doniswald GmbH. Ralf Ruchlak Ralf Ruchlak studierte Betriebswirtschaft in Lörrach und in den USA. Fast zehn Jahre war er für die Firma ALDI Süd in der Funktion als Regionalver- kaufsleiter in Süddeutschland und den USA tätig. Zuletzt auch als Prokurist in der Firmenzentrale von ALDI Süd in Mülheim an der Ruhr. Seit 2011 ist Ralf Ruchlak in verschiedenen Managementfunktionen im Gesundheitswesen aktiv. Neben der Leitung diverser Kliniken unter- schiedlichster Fachrichtungen beschäftigte sich Ralf Ruchlak insbesonde- re mit der Sanierung und dem Aufbau von medizinischen Geschäftsfeldern. Beratend oder auch in operativer Funktion unterstützte er verschiedene Insolvenzverwalter bei Insolvenzen im Gesundheitswesen. Ralf Ruchlak ist geschäftsführender Gesellschafter der Klinik am Doniswald GmbH. Klinik am Doniswald 147

 

 

 

75 JAHRE HEZEL GMBH VOM PIONIER ZUM HOCHMODERNEN ENTSORGUNGSFACHBETRIEB von Roland Sprich „Kompetenz rund um Recycling“ – die Firma Hezel aus Mönchweiler gilt als Entsorgungsfachbetrieb auf modernstem Stand und feiert 2023 ihr 75-jähriges Bestehen. Das Unternehmen entwickelte sich aus kleinsten Anfängen heraus zum Universalfachbetrieb für die Verwertung von Abfällen aller Art im gewerblich-industriellen Bereich. Am Beginn dieser Erfolgsgeschichte steht der Schrotthandel von Oskar Hezel, des „Schrottle“, wie die Mönchweiler den Firmengründer und Recycling-Pionier nannten. Heute stehen Uwe Hezel, seine Tochter Tanja und Jürgen Hezel an der Spitze eines über 40 Mitarbeiter großen Unternehmens mit hervorragenden Zukunftsperspektiven. 148

 

 

 

 

 

 

Weil Oskar Hezel das Altmetall anderer Leute einsammelte, bezeichneten ihn die Mönchweiler als „Schrottle“. Aber der Pionier erkannte früh den Wert des Recyclings und besonders von Metallen aller Art. Der unternehmerische Erfolg gibt ihm alsbald recht. Doch: Der Handel mit Schrott erwies sich als zu- nehmend erfolgreich. Kurz nach dem Weltkrieg war das als „Schrott“ bezeichnete Altmetall bares Geld wert. „Es gab ja nach dem Krieg nichts, aber überall lag Schrott herum“, beschreibt Sohn Jürgen Hezel die damalige Situation. Oskar Hezel wird indes für seine Schrottsammlerei eher belächelt. Die Mönchweiler geben ihm dafür den Spitznamen „Schrottle“. Aber er lässt sich nicht beirren, erkennt als ein Pionier des Recyclings früh den Wert von Metallen aller Art. Der unternehmerische Erfolg bleibt nicht aus, was auch notwendig ist, denn die Familie hat fünf Kinder zu ernähren. Späne schaufeln ist Schwerstarbeit Schon bald kauft sich Oskar Hezel einen Opel P4, den er zum Pritschenwagen umbaut, um immer Alles beginnt mit der Gründung eines Schrotthan- dels durch Oskar Hezel im Jahr 1948. Der gelernte Formenbauer, Jahrgang 1923, arbeitet in der Aluminiumgießerei in Villingen, wo er unter anderem die Lüfterflügel für die St. Georgener Papst-Motoren gießt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründet der 22-Jährige gemeinsam mit seinem Schwager Fritz Ecker in Hornberg eine eigene Gießerei, in der Kochtöpfe hergestellt werden. Diese tauschte er mit den Bauern in der Umgebung – im Gegenzug dazu erhält er Speck, Käse, Fleisch, Milch und andere Lebensmittel. Noch gibt es die D-Mark als sichere Währung nicht. So erzählt es der älteste Sohn Fritz Hezel. „Dadurch habe es immer genug zu essen gegeben“, erinnert er sich an die Schilderungen des Vaters. Oskar Hezel Das Handeln mit Waren liegt der Familie seit Generationen im Blut. „Schon Oskars Großmutter Katharina war Händlerin, die mit dem Handwagen nach Villingen lief, um dort Kurzwaren einzukaufen, die sie hier am Ort verkaufte“, so Jürgen Hezel weiter, der das Unternehmen heute zusammen mit seinem Bruder Uwe und dessen Tochter Tanja führt. Im Jahr 1950 wird die Gießerei Hezel & Ecker aufgegeben. Oskar Hezel entwickelt eine neue Geschäftsidee: Er erwirbt einen selbstfahrenden Claas-Mähdrescher und ist damit in der gesamten Region unterwegs, um das Korn der Bauern in Lohn- arbeit zu dreschen. Nebenher baute Oskar Hezel einen Schrotthandel auf, der zunächst nur als ein „Notnagel“ galt, um ein bisschen Geld zu verdienen, wenn nichts anderes mehr ging. Auf der Gewerbeschau Mönchweiler im Jahr 2007 wurde ein Fahrzeug nachgestellt, wie es etwa Oskar Hezel zu Be- ginn seiner Karriere hatte. Im Original war es ein Opel P4 Pritschenwagen, Familie Hezel zeigte einen Ford Model A mit Pickup-Aufbau. 150 Wirtschaft

 

 

 

1970er-Jahre zu florieren beginnt, braucht Oskar Hezel Unterstützung. So steigt der gelernte Reise- bürokaufmann Jürgen Hezel nach seiner Bundes- wehrzeit 1976 in das Unternehmen ein. Und 1982 gibt ebenso Sohn Uwe Hezel seinen Beruf als Maschinenschlosser bei J. G. Weisser in St. Georgen auf und bringt sich gleichfalls in das väterliche Unternehmen ein. 1988 dann übergibt Oskar Hezel die Firmenleitung an drei seiner Kinder. Er bleibt jedoch weiterhin in beratender Funktion an der Entwicklung des Unternehmens beteiligt, bis er 1994 stirbt. Bis heute bilden die Kinder – und mittlerweile auch Enkeltochter Tanja – die Führungsspitze der Firma Hezel. Jürgen und Uwe Hezel sind gemeinsam mit ihrer Schwester Angelika ebenso die Gesellschaf- ter des Unternehmens. Die jüngste Schwester Angelika kam 1984 hinzu, hat sich allerdings vor einigen Jahren aus dem operativen Geschäft zurück- gezogen. Sie war jedoch all die Jahre maßgeblich an der Gestaltung der Firmengeschicke beteiligt. „Oskar räumt alles auf“ – Zeitungsanzeige aus den 1970er-Jahren für den Entrümpelungs-Service von Oskar Hezel. größere Mengen an Altmetall einsammeln zu können. Neben dem Erwerb von Schrott von Privatkunden beginnt Oskar Hezel jetzt auch damit, Metallabfälle aus den umliegenden Firmen der aufstrebenden metallverarbeitenden Industrie zu erwerben. Die Verwertung dieser Späne ist indes ein gewaltiger Kraftakt. „Das war Schwerstarbeit, denn zu Beginn mussten die Metallspäne von Hand auf den Pritschenwagen geschaufelt werden“, beschreibt Uwe Hezel den Knochenjob, den sein Vater leisten musste. Die Ära des „Waldcafé Hezel“ Oskar Hezel versucht noch immer, sich nicht nur auf eine Einnahmequelle zu verlassen. So entwickelt er Ende 1963 die Idee, ein Café zu betreiben, das er im eigenen Wohnhaus in der Oberen Mühlenstraße einrichtet. Das „Waldcafé Hezel“ existierte bis 1971. Das Wohnhaus ist bis heute in Familienbesitz und liegt nur einen Steinwurf vom alten Betriebsgelände entfernt. Nach der Schließung des Cafés konzentriert sich Oskar Hezel vollends auf die Erweiterung seines Schrotthandels und bietet darüber hinaus einen Ent- rümpelungsservice an: „Oskar räumt alles auf – vom Keller bis Speicher“ lautete die Anzeige, mit der er in den hiesigen Zeitungen um Kunden warb. Drei Kinder steigen ins Geschäft ein Der Schrotthandel beeinflusst auch die beruflichen Werdegänge der beiden jüngeren Söhne des Fir mengründers. Als das Geschäft Mitte der Die Geschäftsleitung in den 1980er-Jahren, von links: Die Geschwister Uwe, Angelika und Jürgen Hezel. Entsorgungsfachbetrieb Hezel GmbH 151

 

 

 

Heute gehört mit Tanja Hezel, Tochter von Uwe Hezel, ebenso ein Enkelkind des Firmengrüders der Geschäftsführung an. Tanja Hezel ist seit 2011 im Unternehmen tätig und verantwortet unter anderem die Personalleitung, das Marketing und die Kunden- betreuung (s. S. 157). Oben, die Geschäftsleitung im Jubiläumsjahr: Uwe, Tanja und Jürgen Hezel vor dem Eingangsportal des Verwal- tungsgebäudes das mit den Maskottchen der Firma Hezel bestückt ist, den Ameisen. Unten: Die 19.000 Quadratmeter große Recycling-Halle und das Verwaltungsgebäude. Entsorgung von „A“ wie Altpapier bis „Z“ wie Zink Die Firma Hezel entsorgt praktisch alles. Von „A“ wie Altpapier über „E“ wie Elektronikschrott bis „Z“ wie Zink. Hezel kümmert sich um die fachgerechte Entsorgung von insgesamt über 360 unterschiedlichen Materialien, die in Industriebetrieben anfallen. Lediglich Sprengstoffe, radioaktive Substanzen und Tierkörper werden 152 Wirtschaft

 

 

 

Oben: Ein Hezel-Fahrzeug liefert neues Recycling-Material an. Unten: Das Team der Firma Hezel GmbH – manch einer ist schon über 25 Jahre dabei. Entsorgungsfachbetrieb Hezel GmbH 153

 

 

 

bei Hezel nicht angenommen. Die Kernkompetenz ist auch heute noch das Recycling von Schrott und Metall, was 60 Prozent des Gesamtvolumens ausmacht. Als eines der ersten Recyclingunternehmen 1997 als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert. Gesamtentsorgungsunternehmen zu sein, bedeutet eine Menge Know-how, hohe Verantwortung und eine umfangreiche Logistik, um die unterschiedlichs- ten Anforderungen bei der Abfallentsorgung zu gewährleisten. Um das stetig steigende Aufkommen an recyclingfähigem oder zur endgültigen Entsor- gung bestimmtem Material bewältigen zu können, erweiterte Hezel 2008 seine Betriebsfläche. Heute Der Materialwert erhöht sich durch die Reinheit des Materials um das Vierfache. Das ist echte Wertschöpfung. Jürgen Hezel mit Kupfergranulat, das aus Kabel abfällen gewonnen wurde (kleines Bild). agiert das Unternehmen auf 30.000 Quadratmetern. Pro Jahr werden rund 50.000 Tonnen Material umgeschlagen. Bei steigender Tendenz. „Das entspricht etwa dem Gewicht von 8.300 Elefanten“, zeigt Tanja Hezel die Dimension auf. Herzstück auf dem Grundstück im Mönchweiler Gewerbegebiet Egert ist eine 19.000 Quadratmeter große und 16 Meter hohe Halle. Hier werden sämtli- che Abfälle, insbesondere Metalle und weitere Wert- stoffe wie Holz und Papier, angeliefert, begutachtet, sortiert und entweder zur Wiederaufbereitung in Stahl- und Schmelzwerke oder zur Energiegewin- nung in Verbrennungsanlagen transportiert. Nur we- nige Abfälle werden noch deponiert. „Bei uns liegt kein Stück Abfall unter freiem Himmel“, so Jürgen Hezel. Wertschöpfung durch Materialtrennung Ein positives Beispiel in Sachen Wertschöpfung kann Hezel bei der Gewinnung von Kupfer aus alten Stromleitungen vorweisen. In einer speziellen Granu- lieranlage wird die Gummiummantelung von den Kupferleitungen getrennt. Das reine Kupfer wird zu 154 Wirtschaft

 

 

 

Granulat verarbeitet und anschließend in Gießereien wieder eingesetzt. „Der Materialwert erhöht sich durch die Reinheit um das Vierfache. Das ist echte Wertschöpfung“, sagt Jürgen Hezel. Beachtlicher Fuhrpark und eigenes Feuerwehrauto Der Fuhrpark ist in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen. Aktuell umfasst er 18 Fahrzeuge, in erster Linie Containerfahrzeuge, aber auch einen eigenen Saug- und einen Pressmüllwagen sowie ein Hebebühnenfahrzeug. Sogar ein eigenes Feuerwehr- fahrzeug mit einem 8.000 Liter-Wassertank gehört zum Fuhrpark. „Das Fahrzeug dient der Bekämpfung interner Brände und um diese in Schach zu halten, bis die Feuerwehr eintrifft“, wie Tanja Hezel sagt. Angeschafft wurde es zur eigenen Sicherheit und Risikominimierung. „Seit wir das Feuerwehrauto haben, kam es zu keinen größeren Bränden mehr“, ist die Juniorchefin erleichtert. Apropos Feuerwehr: Seit 2019 ist die Hezel GmbH offiziell „Partner der Feuerwehr“. Diese besondere Auszeichnung des Feuerwehrverbandes erhielt das Unternehmen für die regelmäßige Bereitstellung des Firmengeländes sowie von Altfahrzeugen für techni- sche Übungen der Feuerwehr Mönchweiler. Mitte: Container mit einer fleißigen Ameise. Unten: Styroporpressling. Im Wald übernimmt jede Ameise ihre spezielle Tätigkeit, ohne die der gesamte Ameisenstaat nicht überleben könnte. Maskottchen. „Im Wald übernimmt jede Ameise ihre spezielle Tätigkeit, ohne die der gesamte Ameisen- staat nicht überleben könnte. Übertragen auf unser Unternehmen wäre ohne die Tätigkeit jedes einzel- nen Mitarbeiters der komplette Ablauf nicht mög- lich“, erläutert Tanja Hezel die Sinnhaftigkeit des Maskottchens. Fleißig wie die Ameisen Rund 40 Mitarbeiter kümmern sich um die fachge- rechte Entsorgung des Materials. Jeder Einzelne trägt in seinem jeweiligen Tätigkeitsbereich täglich dazu bei, die Umwelt ein Stück sauberer zu machen. Nicht umsonst ist auch die Ameise seit vielen Jahren das Ein Ansprechpartner für alle Kundenbelange Service und Kundenzufriedenheit stehen bei der Firma Hezel ganz oben. „Wir wollen ein Gesamtent- sorger sein und alles entsorgen, was ein Betrieb zu entsorgen hat“, sagt Tanja Hezel. Zum besonderen Kundenservice gehört hier, dass der Kunde nur einen Ansprechpartner für all seine Belange hat.“ Entsorgungsfachbetrieb Hezel GmbH 155

 

 

 

Diese Unternehmensphilosophie hat Bestand. „Viele Betriebe begleiten wir als Entsorgungspartner seit deren Anfängen. Angefangen als Garagenbetrieb sind heute große, namhafte Firmen daraus gewor- den. Deshalb schätzen wir jeden einzelnen Kunden“, gibt Uwe einen Einblick in die Firmenphilosophie. Nicht nur die Wertschätzung der Kunden, auch die der Mitarbeiter liegt der Familie Hezel am Her- zen. Das spiegelt sich auch in der Treue der Mitar- beiter zu ihrem Arbeitgeber wider. „Wir haben Kolle- gen, die seit über 25 Jahren bei uns sind“, sagen die Hezels stolz. Beispiel Schrott und Metalle: Um aus Erzvorkommen Stahl herzustellen, dauert das in modernen Hoch- öfen drei Stunden. Das Einschmelzen von Schrotten im Elektroofen dauert hingegen nur eine halbe Stunde, was den Energieverbrauch um 75 Prozent reduziert und etliche Millionen Tonnen CO2 einspart. Unternehmen wie die Hezel GmbH leisten somit einen erheblichen Beitrag zum Umweltschutz. Um hier auch in Zukunft gut aufgestellt zu sein und weiterhin einen wertvollen Beitrag zu leisten, trägt die Firma Hezel in Mönchweiler täglich mit Ihrer Dienstleistung zum Wohl der Bürger im Schwarzwald- Baar-Kreis und weit darüber hinaus bei. Wichtiger Beitrag zum Umweltschutz Dass Oskar Hezel mit der Gründung seines Altmetall- handels vor 75 Jahren einen wichtigen Baustein im Bereich Recycling gelegt hat, mag ihm damals sicher so nicht bewusst gewesen sein. In Zeiten knapper werdender Ressourcen und des Umweltschutzes leistet die Firma Hezel heute einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung. Das zeigt sich allein am Der beachtliche Fuhrpark der Firma Hezel mit eigenem Feuerwehrauto. 156 Wirtschaft

 

 

 

Tanja Hezel vielfach engagiert Mit Tanja Hezel arbeitet Hezel trotz des lockeren „Du“ zwischen Chefin und Angestellten der Respekt der Mitarbeiter sicher, den sie sich durch Leistung und harte Arbeit verdient hat. Die heute 36-Jährige ist zudem seit 2020 Mitglied im Organisa- tionsteam des Frauenwirtschafts- forum, eines Unternehmerinnen- Netzwerkes unter dem Dach des Steinbeis-Instituts aus der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg und darüber hinaus. Des Weiteren setzt sie sich für karitative Pro- jekte ein zum Beispiel half sie den Erdbebenopfern in Kroatien mit einer Spende. Und noch eine Tätigkeit übt die Unternehmerin aus. Sie ist seit einiger Zeit auch als ehrenamtliche Richterin am Arbeitsgericht in Villingen tätig. Wer so viel arbeitet und sich zum Wohl anderer engagiert, der braucht auch ein entspannendes Hobby. Und da fällt der Apfel offenbar nicht weit vom Stamm. So wie ihr Vater Uwe ist Tanja Hezel ein begeisterter Fan alter Fahrzeuge und fährt und pflegt Oldtimer, die sie unter anderem als Hochzeitsautos samt Chauffeur zur Verfügung stellen. heute mittlerweile die dritte Generation des Familienunternehmens mit. Ihr beruflicher Werdegang ist beeindruckend: Nach der Haupt- schule besuchte sie zunächst die Berufsfachschule sowie das Wirtschaftsgymnasium an den Zinzendorfschulen in Königsfeld. Anschließend folgte ein Studium an der Hochschule Furtwangen im Studiengang internationale Betriebswirtschaft (International Business). Inklusive eines sechs- monatigen Praktikums bei einem Automobilhersteller in Barcelo- na, wo sie im Bereich Personal- entwicklung tätig war. Das Studium führte Tanja Hezel auch für ein Aus- landssemester nach Montreal, Kanada. Vor etwas mehr als einem Jahr hat sie zudem ihr Masterstudi- um bei der Steinbeis-Hochschule-Berlin an der Busi- ness School Alb-Schwarzwald abgeschlossen und ist jetzt Master of Business Administration, kurz MBA. Wenngleich sie das jüngste Mitglied auf Geschäftsfüh- rungsebene ist – seit 2018 hat sie Prokura – so ist Tanja Tanja Hezel vor ihrem Ford A. Das Fahrzeug in der seltenen Berliner Taxiausführung aus den 1930er-Jahren ist eine außer ordentliche Rarität. Entsorgungsfachbetrieb Hezel GmbH 157

 

 

 

DIE WILHELM STARK BAUSTOFFE GMBH SEIT 90 JAHREN ERFAHRENER PARTNER VON HANDWERKERN UND BAUHERREN von Wilfried Strohmeier 158 158 Wirtschaft

 

 

 

Das Geschäftsführer- Trio der Wilhelm Stark Baustoffe GmbH von links: Michael Stark, Christian Stark und Udo Bohnerth am STARK Hauptsitz in VS-Villingen. 159

 

 

 

Begonnen hat alles im Elternhaus in Döggingen, wo Wilhelm Stark seine Baumaterialien handlung vor 90 Jahren begründete. Heute führt die Wilhelm Stark Baustoffe GmbH an sieben Standorten vom Mauerstein bis zum Parkettboden etwa 50.000 Artikel, die allesamt dazu gedacht sind, zu einem gemütlich- schönen Zuhause beizutragen. Im Jubiläumsjahr steht die bereits dritte Generation der Familie Stark in der Verantwortung für das Unternehmen, das über 100 Mitarbeiter beschäftigt. Die Kunden sind zu einem Drittel Endverbraucher und private Bauherren – zu zwei Drittel Bau-Profis und Handwerksbetriebe. Geboren im Jahr 1908, startete der Firmengründer Wilhelm Stark im Jahr 1926 mit viel Elan seine kaufmännische Lehre im Wolterdinger Ziegelwerk der Gebrüder Bott. Doch nur ein Jahr nach Beginn der Ausbildung veräußerte das Bruchsaler Unternehmen seine Nebenstelle in Wolterdingen. Der neue Inhaber vermochte das Ziegelwerk keine zwölf Monate zu halten und es kam aus der Konkursmasse heraus zum Verkauf an das Schwenninger Ziegel- werk. Wilhelm Stark schloss seine in Wolterdingen begonnene Lehre zum Kaufmann schließlich beim nunmehr dritten Eigentümer an dessen Hauptsitz in Schwenningen ab. Doch 1931 ging auch das Schwen- ninger Ziegelwerk in Folge der Weltwirtschaftskrise in Konkurs. Und für den gerade 23-jährigen Wilhelm Stark stand als junger Kaufmann eine existenzielle Frage im Raum: Wie soll es weitergehen? Stammsitz in Döggingen 1933 kam es somit zur Gründung der Baumaterialienhandlung in seiner Heimatgemeinde Döggingen am Rande des Schwarzwalds. Von zu Hause aus belieferte Wilhelm Stark die Baufirmen im Raum Donaueschingen, Hüfingen, Bräunlingen und im Hochschwarzwald mit Baustoffen aller Art. Das Jahr 1933 wird in der Geschichte des inhabergeführten Unternehmens auch als das Gründungsjahr gesehen und Döggingen als Stammsitz. Der juristische Hauptsitz der Firma ist seit Anfang der 1950er-Jahre in Villingen. Der Firmengründer erinnerte sich bei der Feier zum 25-jährigen Bestehen seines Unternehmens an die Anfänge. An die Zeit, zu der er mit dem Motorrad den ganzen Schwarzwald bereiste, von Hinterzarten bis Furt wangen und bis in den Hegau nach Engen. Doch bald stieg er um, kaufte 1934 einen gebrauchten Mit dem Motorrad in der Region unterwegs Er wandte sich an seinen ehemaligen Lehrherren, die Firma Bott. Und für diese arbeitete er nun als Handelsvertreter auf Provisionsbasis. Mit einem Motorrad besuchte er mögliche Kunden und dadurch kam nach seiner kaufmännischen Lehre ein zweiter Pfeiler für die spätere Selbstständigkeit hinzu: Er bekam Kontakte in die gesamte heimische Baubran- che. Und es lag nahe, zusätzlich zu den Ziegeln der Firma Bott auch Baustoffe ins Sortiment aufzuneh- men, die stark nachgefragt waren. Das mütterliche Elternhaus, der STARK Stammsitz seit 1933 in Döggingen. 160 Wirtschaft

 

 

 

Opel 4/20 mit Allwetterverdeck. Und wenig später hatte er auch einen großen Erfolg als Handelsvertre- ter: Die meisten der zahlreichen Kasernenbauten in Donau eschingen wurden in den 1930er-Jahren mit Bott-Ziegeln gedeckt – der Verkauf erfolgte durch Wilhelm Stark. Nach den Anfangserfolgen stellt der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges das Unternehmen vor neue Herausforderungen: Wilhelm Stark wurde im August 1939 zur Luftwaffe eingezogen. Seine Ehefrau Lina, die er Ende 1938 geheiratet hatte, versuchte den Baustoffhandel so gut es ging aufrecht zu erhalten, was in Anbetracht des Krieges über weite Zeitspan- nen nur eingeschränkt möglich war. Sechs Jahre sollte es dauern, bis der Unternehmer 1945 aus dem Krieg und der Kriegsgefangenschaft nach Hause zu- rückkehrte. Der Baustoffhandel wurde unter schwie- rigsten Umständen wieder aufgenommen. Materialknappheit nach dem Krieg Nach dem Krieg begannen die Aufbaujahre des Unternehmens und diese standen in den ersten Jahren noch im Zeichen der Not der Nachkriegszeit. Die Region befand sich unter französischer Wilhelm Stark (1908 – 2001) Ehefrau Lina versuchte den Baustoffhandel zur Zeit des Zweiten Weltkrieges so gut es ging aufrecht zu erhalten. Der Fuhrpark der Firma Wilhelm Stark in den 1950er-Jahren, bestehend aus einem Borgward und einem Mercedes-Benz. Wilhelm Stark Baustoffe GmbH 161

 

 

 

men. Auch wurde er 1948 zum ersten Bürgermeister der damals selbstständigen Gemeinde Döggingen gewählt. Das Amt gab er 1952 auf, um sich ganz auf seinen Baustoffhandel zu konzentrieren. In die Währungsreform ging er mit einem Lager- bestand von 1.100 Mark, er musste von allen Ver- wandten und Bekannten Geld zusammensammeln, um seinen ersten Waggon Zement kaufen zu können. Vom ersten Lkw zum ersten Firmengebäude Ab 1949 ging es voran. Wilhelm Stark kaufte den ersten Lkw und in den Jahren danach vergrößerte er sukzessive den Fuhrpark. Und noch etwas erkannte er: Von Döggingen aus könnte es langfristig schwie- rig werden, die Kunden zu bedienen. 1953 pachtete er eine Fläche in Villingen und 1954 errichtete er dort das erste Firmengebäude. Villingen wurde zum Hauptsitz des Unternehmens, der Stammsitz Döggingen wird seitdem als Filiale geführt. Diese erste Fläche von damals ist heute noch ein Teil des Firmensitzes, der im Laufe der Zeit immer wieder erweitert wurde. In den Folgejahren festigte Wilhelm Stark sein Unternehmen, das hieß Messe- auftritte zu absolvieren, bei denen der Chef selbst den Stand betreute und Informationsfahrten zu Kunden und Zulieferern zu unternehmen. Über den wirtschaftlichen Erfolg vergaß er aber auch seine Mitarbeiter nicht, so ist beispielsweise bereits für das Jahr 1957 ein Firmenausflug dokumentiert. Die zweite Stark-Generation In den 1960er-Jahren stellte der Baustoffhändler die Weichen für den Fortbestand des Unternehmens: Die Kinder Gertrud und Werner traten als Gesellschafter ein. Ende der 1960er-Jahre konnte in Villingen zudem ein Teil des Geländes der ehemaligen Baufirma J. Treinen erworben werden. Diese lag in der angrenzen- den Nachbarschaft und so war es möglich, das Unternehmen am Hauptsitz räumlich zu erweitern. In den 1970er-Jahren erfolgte die weitere Expansi- on – vor allem im Schwarzwald-Baar-Kreis. 1973 wurde eine Filiale in der Weiherdammstraße in Furtwangen eröffnet, ein Jahr später erfolgte die Umfirmierung von Wilhelm Stark KG zur Wilhelm Stark GmbH & Co. KG. Sohn Werner Stark und Schwieger sohn Detlef Koop wurden zu Geschäftsführern berufen. Bei der Gewerbe-Ausstellung in Donaueschingen wurde 1952 neben vielen Baustoffen auch das neue Logo von „Baustoffe STARK“ präsentiert. Im Jahr 1954 eröffnete Wilhelm Stark die erste Filiale am heutigen Stammsitz in der Singener Straße in VS-Villingen. Besatzung und zu bekommen war so gut wie nichts – außer man legte selbst Hand an oder beschaffte sich Material durch „Hamstern“. Wollte er Gips, so erinnerte sich Wilhelm Stark, musste er diesen in Ewattingen unter Tage im Bruch selbst abbauen. In Dotternhausen war der Kalk lose auf dem Hänger zu holen – gegen Lieferung von Brennholz oder Essbarem. Wurde Wilhelm Stark auf dem Rückweg jedoch von einem Gewitter über- rascht, hatte er Mörtel statt Gips auf seinem Hänger liegen, Planen zum Abdecken gab es keine. Im heimischen Lager musste dann alles in die mitge- brachten Säcke der Kundschaft abgefüllt werden. Der Firmengründer besaß trotz der schwierigen Rahmenbedingungen viel Weitsicht und Mut. So kaufte er 1947 mit Erlaubnis der französischen Besatzungsmacht zwei Opel Blitz-Wracks und baute aus diesen ein funktionierendes Fahrzeug zusam- 162 Wirtschaft

 

 

 

Eröffnung des Neubaus in Villingen am 18. Oktober 1975. Von links: Die Geschäftsführer Detlef Koop (Schwiegersohn von Wilhelm Stark), Wilhelm Stark sowie Werner Stark mit dem Vertreter der IHK Kurt Kositzke und dem Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen, Gerhard Gebauer. Rechts: Senior-Chef Werner Stark im Villinger Büro. Kooperation mit der ZG Raiffeisen-Gruppe und Erweiterung in Villingen Ein markanter Punkt der Firmengeschichte bildete die im Jahr 1973 geschlossene Kooperation mit der ZG Raiffeisen-Gruppe aus Karlsruhe. Durch die persönliche Bekanntschaft des Firmengründers mit einem der leitenden ZG-Mitarbeiter wurde der Grundstein für eine bis heute dauernde und erfolg- reiche Kooperation gelegt, in deren Folge sich die ZG Raiffeisen-Gruppe paritätisch an der weiterhin familiär geprägten Firma STARK beteiligte. Vor allem im Bereich des Einkaufs nutzt man die gemeinsame Stärke als einer der großen Akteure im badischen Baustoffhandel. Im Oktober 1975 eröffnete die dadurch noch stärker gewordene Firma STARK ihre grundlegend erweiterte Niederlassung in Villingen mit großer Ausstellung und SB-Baumarkt. Sechs Jahre später konnten die Firmen Hermann Götz mit Standorten in Immendingen und Tuttlingen sowie die Firma Christians & Thiele in VS-Villingen übernommen werden. Weitere Standorte kommen hinzu Weitere Ereignisse in der Firmengeschichte waren im Jahr 1994 die erneuerte Ausstellung am Standort Tuttlingen, im Jahr 2005 die Übernahme der Hauptsitz von STARK in VS-Villingen. Wilhelm Stark Baustoffe GmbH 163

 

 

 

ZG-Baustoffabteilung am Standort St. Georgen sowie im Jahr 2010 der Bezug des neu errichteten Ver- kaufs- und Ausstellungsgebäudes am Hauptsitz in Villingen. Mit der Übernahme der Baustoff- und Holzabteilung der ZG-Raiffeisen-Gruppe in Donau- eschingen im Jahr 2015 wurde der siebte STARK-Standort etabliert und damit die Marke von 100 Mitarbeitern überschritten. 2019 konnte das neu erbaute Büro- und Verkaufsgebäude in Immendingen eingeweiht werden; die heitere Festrede wurde vom damaligen Justizminister Guido Wolf MdL gehalten. Im Jahre 2021 wurden die komplett sanierten Räumlichkeiten am Standort St. Georgen eröffnet. Wegen der Corona-Problematik musste auf eine feierliche Eröffnung jedoch verzichtet werden. Das STARK-Logo gibt es seit 1952 Schon 1952 bekam das Unternehmen ein eigenes Logo; zu einer Zeit, in der Firmen vergleichbarer Größenordnung für solche Marketingmaßnahmen STARK-Logo 1952 STARK-Logo 1967 STARK-Logo seit 2008 noch selten Geld ausgaben. Und es beinhaltete damals schon das STARK-Männchen mit den kräfti- gen Armen. Im Laufe der vergangenen 70 Jahre seit der Einführung gab es zwar kleine Änderungen, doch dieses Signet wurde in seiner Grundform stets beibehalten und nur in Nuancen verändert. Auch die Schriftart passt dazu – kräftig und solide. Baustoffe und Dienstleistungen auf über 50.000 Quadratmetern Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Firma STARK zu einem soliden Partner für Handwerker und Privat- personen entwickelt. Man führt Baustoffe, die alle Bereiche abdecken: vom Hochbau über den Tiefbau und Innenausbau bis zum Garten- und Landschaftsbau. Dach-Baustoffe und Dämmung können genauso bezogen werden wie Fliesen für Bad, Wohnbereich und Terrasse. Zum leis- tungsfähigen Fuhrpark gehören zwölf eigene Liefer- fahrzeuge, die teils über Kräne und Mitnahmestapler verfügen. Neben der Lieferung von Baustoffen bietet der STARK Baustoff-Fachhandel auch eine große Palette an Dienstleistungen, die von Mietgeräten über Hand- werker-Seminare bis zum Farbmischservice reicht. Das gesamte Sortiment sowie der Dienstleistungs- sektor wuchs über die Jahrzehnte zu einem soliden, breit ausgebauten Angebot in mehreren Abteilungen: Tiefbau und Entwässerung; Hochbau und Sanierung; Holz und Platten; Dach, Dämmung und Fassade; Natur steine und Garten-Landschaftsbau; Fliesen und Sanitär; Trockenbau, Putze und Wärmedämmver- bundsysteme; Türen, Tore, Parkett & Co.; Maschinen sowie Geräte und Werkzeuge. Eine Ausstellung in Sachen Natursteine ergänzt das Sortiment und ein weiterer Produktbereich sind Photo voltaiksysteme. Insgesamt verfügt das Unternehmen STARK an seinen sieben Standorten über mehr als 50.000 Qua- dratmeter Fläche und 50.000 verschiedene Artikel im Angebot. Das bedeutet eine hohe Verfügbarkeit vor Ort aus der eigenen Lagerhaltung. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, aufgrund eines leistungs- fähigen Netzwerks auf verschiedene Zentrallager zurückgreifen zu können. Wollen die Privatkunden nicht selbst Hand anlegen beim Bau oder der Sanie- rung, vermittelt das Unternehmen auch Handwerker für die einzelnen Gewerke. 164 Wirtschaft

 

 

 

Am Hauptsitz in Villingen bietet STARK neben dem großen Baustoff-Lager eine attraktive Ausstellung mit so gut wie allem, was man zum Bauen braucht – bis hin zu Natursteinen. Neben umfassender Beratung ist auch Service bei der Auslieferung der Baustoffe selbstverständlich. 165

 

 

 

Mitarbeiter kennen die Materie Um die Kunden adäquat zu dieser großen Produkt- palette beraten zu können, benötigt es ausgewiesenes Fachpersonal. Und hier kann das Unternehmen auf seine jahrzehntelange Erfahrung und die oft selbst ausgebildeten Mitarbeiter zurückgreifen. Unter den ca. 100 Mitarbeitern befinden sich auch zehn Auszu- bildende. Doch Erfahrung allein genügt nicht: Technische Neuerungen, neue Produkte und Weiter- entwicklungen erfordern eine permanente Fortbil- dung. Umfassenden Service und Informationen zum Thema Bauen und Baustoffe finden Interessierte auch auf der Homepage www.alles-zum-bauen.de. Dabei geht um das Sortiment und außerdem um Informati- onen zu Dämmstoffen, Energiesparen im Eigenheim, Finanzierungen, ressourcenschonendem Bauen, Sanieren sowie Nachhaltigkeit und Vielem mehr. Das Lebenswerk wird fortgeführt Nachhaltigkeit war von Anfang an ein wichtiges Kriterium bei der Aufbauarbeit des Firmengründers: Wilhelm Stark stellte mit Weitblick früh die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft. Um sein Lebenswerk fortzuführen, band er seinen Sohn Werner und den Schwiegersohn Detlef Koop in die Geschäftsführung ein. Er selbst war bis ins hohe Alter für sein Unter- nehmen aktiv. Und die zweite Generation hielt es ebenso – auch Werner Stark hat im „Unruhestand“ sein eigenes Büro und ist jede Woche mehrfach an seinem Schreibtisch anzutreffen. Heute stehen Christian und Michael Stark als geschäftsführende Gesellschafter in der Verantwortung, wie auch Geschäftsführer Udo Bohnerth. Sowohl die Familie Stark, die Mitgesellschafter und das gesamte STARK-Team freuen sich sehr, dass man im Jahr 2023 das 90-jährige Bestehen des Baustoffhandels am Stammsitz in Döggingen feiern kann. Zufällig in dem Jahr, in dem auch die Heimat- gemeinde Döggingen ihr 900-jähriges Jubiläum begehen wird. Die STARK Filialen im Schwarzwald-Baar- Kreis, von oben nach unten: Döggingen, Donaueschingen, Furtwangen und St. Georgen. 166 Wirtschaft

 

 

 

Geschichte der Wilhelm Stark Baustoffe GmbH 1908 Geburt von Wilhelm Stark als Sohn von Wilhelmine Stark und des Dögginger Oberlehrers Karl Stark. 1933 Gründung der Baumaterialienhandlung in Döggingen. 1936 Eintrag in das Handelsregister. 1952 Eröffnung einer Filiale in VS-Villingen. 1954 Verlegung des Hauptsitzes von Döggingen nach Villingen, Döggingen wird zur ersten Filiale. 1973 Eröffnung der Filiale in Furtwangen; Werner Stark und Schwiegersohn Detlef Koop werden zu Geschäftsführern ernannt. 1981 Kauf der Fa. Götz mit Niederlassungen in Tuttlingen und Immendingen sowie der Firma Christians & Thiele in Villingen. am Standort Tuttlingen. 1994 Umbau und Neukonzeption der Ausstellung 1997 Umzug der Filiale Furtwangen nach Gütenbach-Neueck 1999 Detlef Koop wechselt in den Ruhestand; Paul Mäder wird zum weiteren Geschäftsführer berufen. 2001 Tod des Firmengründers Wilhelm Stark in seinem Heimatort Döggingen. 2005 Übernahme des Baustoffabteilung der ZG-Raiffeisen-Gruppe in St. Georgen. 2010 Bezug des neu errichteten Büro- und Verkaufsgebäudes am Standort Villingen. 2011 Umzug der Filiale Gütenbach-Neueck „zurück“ nach Furtwangen. 2012 Christian Stark wird zum Geschäftsführer ernannt; Michael Stark zum Prokuristen. Werner Stark zieht sich als Geschäftsführer zurück, steht als Senior-Chef dem Unternehmen aber weiterhin zur Verfügung. 2015 Übernahme der Holz- und Baustoffabteilung der ZG-Raiffeisen-Gruppe am Standort Donaueschingen (siebter STARK-Standort). 2017 Michael Stark und Udo Bohnerth werden zu weiteren Geschäftsführern bestellt. 2019 Einweihung des Neubaus am Standort Immendingen. 2021 Komplettsanierung der Räumlichkeiten in St. Georgen. 2023 Jubiläum zum 90-jährigen Bestehen. Wilhelm Stark Baustoffe GmbH 167

 

 

 

DER STOLZ VON VILLINGEN – DIE MÜNSTERTÜRME UND IHR PRACHTVOLLES GELÄUT Das Münster Unserer Lieben Frau ist mit seinen beiden 50 Meter hohen Türmen aus dem 15. und 16. Jahrhundert das Wahrzeichen von Villingen. Im Innern befin- den sich ein neunstimmiges Geläut und ein 51 Glocken umfassendes Glockenspiel, das zu den prächtigsten im süddeutschen Raum zählt. Mesner Andreas Franz Turner ist wie kein Zweiter mit den Türmen und dem Spiel der Glocken vertraut, von denen die älteste – die gotische Taufglocke, auch Alphabetglocke genannt – aus dem 14. Jahrhundert stammt. von Bernd Möller mit Fotos von Michael Stifter 168 5. Kapitel – Geschichte

 

 

 

Blick aus dem Nordturm des Villinger Münsters, vorne der Südturm. 169

 

 

 

Andreas Franz Turner erklärt in der Sakristei den Glockenplan. Wie besteigt man die Villinger Münster- türme? Was für ein Mensch wird das sein, der einen hinauf begleitet, und wie wird jemand Mesner? Also eine Art Hausmeister an einem so ehrwürdigen, sakralen Gebäude wie der Villinger Hauptkirche, dem das Stadtprofil so prägenden „Münster Unserer Lieben Frau“? Diese Fragen treiben mich vor allem um, als ich Andreas Franz Turner im Sommer 2022 meinen Besuch abstatte. Mesner, Mesmer, Mößmer, Küster, aber auch Türmer oder Glöckner – diese Berufsbezeichnung kommt in vielen Varianten vor. Das Mesnerhaus, die Küsterwohnung, taucht bei fast jedem alten sakralen Bau auf, sei es ein Dom, eine Kathedrale, ein Münster oder auch nur eine einfache Stadtkirche, ja sogar bei manch einer größeren, wichtigeren Kapelle. Auch als Familiennamen kommen sie nicht sel- ten vor. Wie bei anderen immer rarer werdenden Berufen, beispielsweise Müller und Schmied, Sattler, Rademacher, Wagner und Seiler ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass Mesner früher nicht nur wich- tig, sondern auch weit verbreitet waren und einen festen Platz in unserer Gesellschaft hatten. Ich treffe einen Endfünfziger, anfangs eher zurück- haltend, dann aber im Gespräch immer lebhafter wer- dend, voller Wissen um Daten und Zahlen, Geschichte und Geschichten mit einem eigenen Humor, und eines war ganz schnell klar: Sein Herz hängt am Geläut, an den Glocken und am Glocken spiel des Münsters. Seit 21 Jahren betreut Andreas Franz Turner hauptamtlich das Villinger Münster, dazu die Benediktinerkirche und auch die Loretto kapelle an der Hammerhalde. Auf meine Frage, wie man zu einem solchen Beruf komme, hatte er eine verblüffende Erklärung: Der gebürtige Saarländer entwickelte schon in seinen Tagen als Ministrant eine Begeisterung für Glocken und ihren liturgischen Einsatz – für Kirchen- kunst allgemein. Schon als Bub sei er sonntags mit dem Rad durch die Landschaft gefahren und habe mit seinem Rekorder die Geläute der verschiedens- ten Kirchen aufgenommen, sie miteinander vergli- chen, ebenso ihre Geschichte, ihre Glockengießer und alles, was er dazu in Erfahrung bringen konnte. Obwohl er beruflich als chemisch-technischer Assistent z.B. in Wiesbaden und im Rheinland ganz andere Wege ging, ließ ihn diese Leidenschaft nicht mehr los. Er betrieb sie in seiner Freizeit weiter. 170 Geschichte

 

 

 

Der Nord- und Südturm des Villinger Münsters. 171

 

 

 

Die Glocken des Münsters Name Gießer Gussjahr Masse Christus Salvator F. W. Schilling, Heidelberg 1954 5.400 kg St. Jakobus Karlsruher Glockengießerei 1985 3.651 kg Maria St. Josef Johannes d.T. Peter und Paul Nikolaus von Flüe St. Pius X. Schutzengel Taufglocke / Sturmglocke F. W. Schilling, Heidelberg 1954 2.065 kg 1.389 kg 1.098 kg 617 kg 508 kg 336 kg 290 kg unbekannt ~14. Jh. – Unten: Die von Bildhauer Klaus Ringwald 1985 gezierte Jakobus glocke trägt neben weiteren Motiven, die sich auch auf den Münsterportalen finden, die Inschrift: „Heiliger Jakobus Patron der Pilger und Straßen rufe die Völker Euro- pas zur Einheit in Freiheit.“ Und so inserierte er eines Tages kurz entschlossen im Konradsblatt sein Interesse an einer Tätigkeit als Mesner. Zwei kleine Inserate haben gereicht: Nun konnte er in Villingen seinen lang gehegten Wunsch tatsächlich verwirklichen. Und was macht ein Mesner nun genau? Die Berufsbezeichnung „Mesner“ kommt vom lateini- schen „mansionarius“ und bedeutet ähnlich wie die alternative Bezeichnung „Küster“ (von lateinisch „custos“) Haushüter, Hüter oder Wächter. Und das ist mehr als ein Hausmeister, der lediglich für die Betreuung eines Gebäudes zuständig ist. Mesner sein ist ein kirchliches Amt. Hierzu gehören einer- seits Verwaltung, Überwachung, Instandhaltung, Reinigung des Gebäudes sowie die Vor- und Nach- bereitung des Kirchenraumes und der Sakristei für den jeweiligen Gottesdienst – und vieles mehr. Für eine hauptamtliche Anstellung ist in der Regel eine Ausbildung erforderlich, die liturgische, spirituelle und kirchenorganisatorische Themen genauso um- fasst wie praktisch-handwerkliche Tätigkeiten. Die Glocken des Münsters – Neunstimmiges Geläut plus Sturm- und Taufglocke Und zu den Aufgaben des Mesners gehört eben auch die Betreuung des Geläutes. In der Sakristei hängt der Glockenplan. Das neunstimmige Bronzegeläut wird ergänzt durch eine zehnte, kleine Sturm- oder Taufglocke in der Dachlaterne des Südturms, der einzigen historischen Glocke aus dem 14. Jahrhun- dert. Andreas Franz Turner nennt das Jahr 1305. Jede Glocke trägt den Namen eines Schutzheiligen. Am häufigsten zu hören ist St. Jakobus, die zweit- größte Glocke im Nordturm. Sie wurde 1986 in Karls- ruhe gegossen und schlägt im Big-Ben-Modus die Zeit, also im Viertelstunden-Takt. Die Glocke wurde von dem renommierten Bildhauer Klaus Ringwald geziert, von dem auch die Portale des Münsters stammen. Zum Angelus-Läuten um 7, 12 und 19 Uhr und dem Frei- tagsläuten kommen jeweils andere Glocken dazu. Diese drei Geläute werden seit 1968 funkge- steuert über die Villinger Stadtwerke in Bewegung gesetzt. Hierzu wurde die alte Hauptuhr umgerüs- tet, eine elektromagnetische Rarität mit Auslösung der Glockenschläge mittels Schleifkontakten, sehr zuverlässig und unabhängig von atmosphärischen Spannungsbeeinträchtigungen. 172 Geschichte

 

 

 

Das Läuten zu den Gottesdiensten erfolgt nach wie vor manuell nach einem genauen Plan. Höhepunkte sind das Christfest und das Osterfest, an ihnen kommen die meisten Glocken zum Einsatz. Das Läuten zu den Gottesdiensten erfolgt da- gegen nach wie vor manuell nach einem genauen Plan. Je nach der Bedeutung der jeweiligen Messe im Kirchenjahr kommen andere und zusätzliche Glocken zum Einsatz. Höhepunkte sind das Christfest und das Osterfest. Jeden Freitag um 11 Uhr läutet die letzte große Glocke, die für das Geläut 1954 gestiftet wurde, mit der Bitte um Frieden in der Welt (siehe Fotos S. 175-177). Nach all diesen Erklärungen wollen wir sie uns nun anschauen. Aus der Sakristei geht es über eine enge, steile Wendeltreppe immer links herum hinauf in den Nordturm. Beleibt durfte ein Mesner nicht sein, sondern äußerst beweglich. Nach jedem Sturm, nach jedem Gewitter, aber auch sonst nach festem Plan, muss er hinauf aufs Dach und in die Türme, um zu überprüfen, ob das Dach unbeschädigt ist und die Taubengitter noch dicht sind. Und die Glockenanlage muss ebenso optisch auf etwaige Schadstellen über- prüft werden. Das Bruchstein-Mauerwerk der Wendeltreppe ist innen recht roh zusammengefügt, die Mauern sind geschätzt 120 bis 150 cm dick mit engen Licht- scharten. Überhaupt macht der Nordturm einen massigeren Eindruck als sein Gegenstück im Süden. Das wohl auch, weil er die beiden größten und ton- tiefsten Glocken trägt: Christus-Salvator mit 1,9 Me- tern Durchmesser und 5,4 Tonnen Gewicht sowie die schon genannte St. Jakobus mit 1,7 Metern und 3,6 Tonnen schwer. Zusammen also neun Tonnen! Über eine steile Wendeltreppe geht es hinauf in den Nordturm des Villinger Münsters. Villinger Münstertürme und ihre Glocken 173

 

 

 

Blick hinauf zur Spitze des 54,5 Meter ho- hen Nordturmes. Dort hinauf gelangt man nur noch über eine schmale, lange Leiter. Rechts: Blick auf die Riesen des Nordturms. sensible Riesen: Verschiebt sich der Anschlagspunkt der riesigen Klöppel nur um Zentimeter, verändert sich der Klang sofort und die Glocken sind nicht mehr richtig aufeinander abgestimmt. Andererseits braucht man die dicken Glocken nur mit dem Bleistift anzusto- ßen, und schon ergibt es einen leisen, feinen Ton. Aber wenn sie schlagen, wenn man vor ihnen steht, spürt man ihr Dröhnen körperlich mit Wucht – als würde man aus dem Turm gedrückt – und hält sich unwillkürlich fest. An Heiligabend 2017 glaubte Andreas Franz Turner einen leisen Missklang an der großen Chris- tus-Salvator-Glocke zu hören. Ausgerechnet an Weihnachten! Er leuchtete sie mit seiner Stablampe ab und fand nichts. Auch der noch im alten Jahr herbeigerufene Kundendienst konnte nichts finden. Aber der Missklang verstärkte sich von Tag zu Tag. An Neujahr ließ er letztmalig das Läuten der Glocke zu. Der Klang wurde immer schlimmer und jetzt zeigte sich bei nochmaliger intensiver Überprüfung ein Haarriss. Die Glocke musste geschweißt werden. Hierzu wurde der Turm seitlich geöffnet und in einer sehr aufwendigen Aktion die Glocke auf Schienen aus dem Turm geführt und abgesenkt. Die Reparatur führte die Glockengießerei Eijsbouts in Asten in den Niederlanden aus. Aus- und Wiedereinbau, Transport und Reparatur verschlangen 200.000 Euro, die nur dank der hohen Spendenbereitschaft der Villinger Bevölkerung zu bestreiten waren. Seitdem wird die Glocke geschont. Sie bekam einen leichteren Klöppel und läutet nur noch jeden Freitag um 11 Uhr und an höheren Feiertagen. Neben der Christus-Salvator-Glocke stehen zwei große Rätschen. Sie vertreten nach alter Kirchen- tradition am Karfreitag und am Ostersamstag um 12 Uhr die Glocken. Wenn sie schwingen, verdrei fachen sich ihre Läute- kräfte. 27 Tonnen wirken dann auf den Turm und sein Gemäuer. Wenn sie beide läuten, vibriert der ganze Turm. Da bekommt man Hochachtung vor der Leis- tung der damaligen Baumeister, deren Konstruktion diesen Kräften Jahrhunderte lang standgehalten hat. Seit 1954 hängen sie aber in einem stählernen Glo- ckenstuhl, der den ganzen Turm stabilisiert. Aber soweit sind wir noch nicht: Auf Höhe des Dachstuhls der Kirche endet die Wendeltreppe und die Kletterei geht weiter über Holzleitern und Zwischendecken. In diesen Zwischendecken sind Öffnungen eingelassen, durch die früher die dicken Hanfseile liefen, mit denen die damaligen großen Glocken von unten von Hand geläutet wurden. Und hier kann man eine Besonderheit sehen: Dicke Glas- ringe, die in Löcher eingelassen wurden und durch die diese Hanfseile liefen. So verhinderte man die ständige Reibung der Seile an den Holzplanken. Das schützte einmal die Seile selber vor unnötigem Ab- rieb, verhinderte aber wohl auch eine stärkere Erhit- zung bei längerem Läuten, eine sehr sinnvolle Vor- sichtsmaßnahme bei dem allgegenwärtigen Staub, den Spinnweben und dem trockenen Taubenmist früherer Zeiten. Bei den Riesen des Nordturms Die Spannung erhöht sich, bis wir endlich schnau- fend vor ihnen stehen oder besser gesagt, unter den großen Glocken durchkriechen können. Es sind 174 Geschichte

 

 

 

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Villinger Münstertürme und ihre Glocken Das Prüfen der Glocken auf Beschädigungen gehört zu den regelmäßigen Aufgaben von Mesner Andreas Franz Turner. Hier befindet er sich inmitten der 5,4 Tonnen schweren Christus-Salvator-Glocke. Sie wurde wie das fast gesamte Geläut 1954 von der Gießerei Schilling in Heidelberg gegossen und hat einen Durchmesser von 1,92 Meter. 177

 

 

 

Die übrigen sieben Läuteglocken hängen in einem Holzglockenstuhl im Südturm. Damit verfügt das Münster insgesamt über ein neunstimmiges Geläut. Acht Glocken dieses Geläuts wurden 1954 von der Glockengießerei F. W. Schilling in Heidel- berg gegossen, eine Glocke 1985 von der Karlsruher Glockengießerei. Die historischen Glocken haben die Weltkriege nicht überstanden. Das Glockenspiel im Südturm Um in den Südturm zu gelangen, muss wieder zum Dachboden abgestiegen, dann über den Chor gequert und im Südturm aufgestiegen werden. Hier überrascht eine großartige Konstruktion: Der stählerne Glockenstuhl eines der größten Glocken- spiele im südwestdeutschen Raum. Die Glocken sind in fünf Kreisen übereinander angeordnet, das gesamte Glockenspiel hat einen Tonumfang von es¹ und as¹ bis a⁵, umfasst also fünf Oktaven. 46 Glocken davon wurden 2006 von der Glockengießerei Perner in Passau gegossen. Außerdem wurde eine Glocke des ursprünglichen Münster-Geläuts von Grüninger aus dem Jahr 1909 in das Glockenspiel integriert, nachdem sie sich schon im Museum befunden hatte. Der Name Grüninger spielt eine große Rolle für Villingen: Die Familiendynastie Rebner/Grüninger betrieb fast 375 Jahre eine bedeutende Glockengie- ßerei in Villingen. Und der Großvater des heutigen Eigentümers der Glockengießerei Perner aus Passau war 1919 Praktikant beim letzten Meister Grüninger. Villingen ist eine glockenfreundliche Stadt: Es kommen eher besorgte Nachfragen, wenn eine Glocke mal nicht schlägt, als Beschwerden über zu lautes Läuten. men eher besorgte Nachfragen, wenn eine Glocke mal nicht schlägt, als Beschwerden über zu lautes Läuten. In der Zwischenetage des Südturmes, in der sich heute das Glockenspiel befindet, war früher das mechanische Uhrwerk der Turmuhr untergebracht. Dieses löste vor der Automatisierung auch die Schlä- ge des Zeitläutwerkes auf der großen Glocke im Nordturm aus. Und zum Abschluss befindet sich über Glocken- spiel und Läuteglocken ganz oben im südlichen Glockenturm noch ein nur schwer zugängliches Wächterstübchen mit kleinen Schiebefensterchen. Bis ins 17. Jahrhundert wachte hier ein Türmer über die Stadt. Um sicherzugehen, dass er auch wach und wachsam war, musste er jeden Stundenschlag der großen Glocke mit einem Zugmechanismus wieder- holen, vom Südturm zum Nordturm. Ferner sind vier Läuteglocken des darüberhän- Und so verlassen wir die Türme wieder, steigen genden Münster-Geläutes auch im Rahmen des Glockenspiels spielbar. Diese insgesamt 51 Glocken werden elektronisch über einen Laptop gesteuert und spielen um 10:05, 12:05, 15:05 und 18:05 Uhr wechselnde kirchliche und weltliche Melodien. Diese liegen als fertige Pro- gramme vor, Tonkonserven gewissermaßen. Auch das Badener Lied ist darunter. Über ein Carillon- Manual, eine mechanische Klaviatur, ist ein solches Glockenspiel auch individuell mit den Fäusten be- spielbar. Dieses fehlt in Villingen noch. Die Glocken dieses Glockenspiels tragen die Na- men ihrer Spender. Sie sind ein freudig tönender Be- weis für die Liebe der Villinger zu ihren Glocken und für ihre Spendenfreudigkeit. Andreas Franz Turner lobt Villingen als eine glockenfreundliche Stadt. Es kä- ab zum Dachstuhl des Chores, aber werfen noch einen Blick in den mächtigen Dachstuhl des Kirchen- schiffes. Eine beeindruckende Zimmermannsarbeit versteckt sich unter der Ziegeleindeckung und man sieht noch deutlich die Spuren des alten gotischen Tonnengewölbes, das 1701 durch die barocke Stuck- decke des Villingers Ignatius Bürkner ersetzt wurde. Auch das gotische Radfenster wurde damals aus- getauscht durch das heutige Spitzbogenfenster mit schönem Blick auf das Rathaus. Das aus 51 Glocken bestehende Glockenspiel im Südturm des Villinger Münsters gehört zu den größten und klangschönsten in Südwestdeutschland. 178 Geschichte

 

 

 

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Bis ins 17. Jahrhundert wachte im Münsterturm ein Wächter über die Sicherheit der Stadt, warnte bei Feuer, Blitzschlag oder Sturm. Seine „Ausgucke“ gibt es noch, hier derjenige in Richtung Westen zur Benediktinerkirche hin. An der Südwand des Villin- ger Münsters kann man zudem eine Eisentüre entdecken. Dahinter befindet sich ein Seil, das hoch bis zum Turmwächter sprich zur Sturmglocke in der Dachlaterne des Südturms führt. So konnte bei Feuer oder Blitzschlag auch vom Boden aus rasch eine Warnung an den Turmwächter oder die Bevölkerung abgesetzt werden. Überhaupt wurde Villingens Wahrzeichen schon 1130 im romanischen Stil begonnen, aber schon 1271 beim großen Villinger Stadtbrand so stark beschä- digt, dass man es neu aufbauen musste, nun im go- tischen Stil (siehe Infoblock auf der Seite rechts). Am Adelstag 1282 war wohl bereits Richtfest, obwohl das Münster erst zwei Jahre später fertiggestellt wurde. Damals war Rudolf von Habsburg zu Gast in Villingen und erteilte den Söhnen Heinrichs von Fürstenberg den Ritterschlag. Ein festlicher Anlass für ein Richt- fest. Die beiden heutigen Türme kamen erst im 15. und 16. Jahrhundert dazu, der massive Nordturm mit 54,5 Metern und der zierlichere Südturm mit 56 Me- tern. Sie waren im Geschmack der damaligen Zeit von Anfang an verschieden konstruiert, so wie bei vielen anderen Kirchen des Mittelalters. Ein Symbol der Vielfalt des Irdischen – Harmonie und Symmetrie waren dem Himmlischen vorbehalten. Und noch einmal führte wohl hoher Besuch zu Baumaßnahmen am Münster, die sein heutiges Bild prägen: Ein Besuch von Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich und Königin u. a. von Ungarn und Böhmen, soll um 1759 zur Eindeckung des Münsters mit seinen farbig glasierten Ziegeln nach dem Vor- bild des Stephansdomes in Wien geführt haben. Mit vielen solchen Geschichten bereicherte der Mesner Andreas Franz Turner die Klettertour durch das Innenleben der Villinger Münstertürme. Mehr als zwei Stunden waren verflogen, als wir wieder auf dem Marktplatz standen. Der Kopf noch leise dröhnend von Glockenschlag und Faktenfülle. Und zum Abschluss brachte es Andreas Franz Turner noch einmal auf den Punkt: „Für so einen Beruf muss man ledig sein. Ich bin verheiratet mit meinen Kirchen und Kirchenglocken!“ Mehr zum Glockengeläut des Villinger Münsters finden Sie unter www.almanach-sbk.de/villinger-muenster 180 Geschichte

 

 

 

DAS VILLINGER MÜNSTER Die Villinger Hauptkirche, das „Münster Unserer Lieben Frau“, war ursprünglich Johannes dem Täufer geweiht. Die dreischiffige, flach gedeckte Basilika ohne Querhaus entspricht dem für viele Kirchen dieser Zeit typischen schwäbischen Stil der Konstanzer Diözese. Schon bei der Planung der zukünftigen Stadt Vil- lingen war hierfür ein Bauplatz reserviert worden. Der Baubeginn wird auf 1130 geschätzt. Von diesem ursprünglich romanischen Bau sind heute nur noch das Westportal, die Untergeschosse der beiden Tür- me und das Doppelportal an der Südseite vorhan- den. Diese Portale haben ihre Vorbilder im Elsass. Schon 1271, noch vor der Fertigstellung, wurde das Münster bei dem großen Villinger Stadtbrand so stark mitbetroffen, dass es zu großen Teilen ab- gebrochen und nun im gotischen Stil fertig gestellt wurde. Jetzt entstanden der hochgotische Chor und auch die beiden Türme. 1282 fand das Richt- fest statt, erst 1284 war das Münster fertiggestellt. Die Türme erst später. Der Südturm ist der aufwendigere und erinnert architektonisch etwas an den Rottweiler Kapellen- turm: Über einem quadratischen Erdgeschoss folgen drei sechseckige Geschosse. Die oberen zwei zeigen schön gearbeitete, große gotische Doppelfenster, überragt von Ziergiebeln. Doch dann bricht der Turm ab, trägt nur noch eine kleine Laterne. Der schlichtere und massigere Nordturm schließt mit einem harmonisch wirkenden, spitzen Turmhelm ab. Das Münster wurde immer wieder umgebaut, ergänzt und dem Geschmack der Zeit angepasst. Starke Veränderungen brachte das Aufkommen des Barock mit sich. Das gotische Radfenster an der Westseite und das hölzerne Tonnengewölbe wurden entfernt, eine Stuckdecke eingezogen. Später hat man die Kirche wieder von vielen dieser zeitbedingten Werke „befreit“. Barocke Fülle ge- gen puristischen Eifer. Nicht immer ist man dabei pfleglich mit der Kirche und ihren Kunstwerken umgegangen, der übliche Tribut an den Zeitge- schmack. Auch am äußeren Bild des Münsters sind diese Eingriffe nicht vorbeigegangen. Erwähnt sei hier nur das „Vorzeichen“, ein hübscher Renaissance- Vorbau vor dem südlichen Doppelportal, von einem holländischen Maler dokumentiert. 1851 wurde es abgebrochen. Geblieben ist aber ein klarer hochgotischer Bau, harmonisch und in sich geschlossen, mit schönen Türmen, ein die Stadt prägendes Wahrzeichen, das Villinger Münster. Villinger Münstertürme und ihre Glocken 181

 

 

 

AUF DER SUCHE NACH DEM HEILIGEN GRAL DER ELEKTROMOBILITÄT DIE 1896 GEGRÜNDETE ELEKTRIZITÄTSGESELLSCHAFT TRIBERG (EGT) GEHÖRT IN DEUTSCHLAND ZU DEN PIONIEREN BEI DER FERTIGUNG VON AKKUMULATOREN – FRÜHE ELEKTRO-TESTFAHRTEN IN TRIBERG UND FURTWANGEN Eine von sechs Münchner E-Lokomotiven, die die Trambahnwagen zwischen 1898 und 1906 über den stromlosen Strecken- abschnitt der Straßenbahn in der historischen Innenstadt ziehen. Damit das Stadtbild nicht gestört wird, verzichteten die Münchner bei der Stromversorgung der Straßenbahn teilweise auf eine Oberleitung und setzten auf die Akku-Technologie. Drei der Lokomo tiven sind mit Akkumulatoren der EGT unterwegs, so die hier abgebildete Nr. VI. 182 Geschichte

 

 

 

Mit Stand August 2022 sind im Schwarzwald-Baar-Kreis bei 135.000 Pkws 2.157 Elektro- und 3.782 Hybridfahrzeuge zugelassen. Dieser Trend ist aus bekannten Gründen stark steigend! Neu ist die Elektromobilität im Quellenland Schwarzwald-Baar jedoch nicht, sie hat vielmehr eine über 130-jährige Vorgeschichte. Bereits in den 1890er-Jahren sind in Deutschland elektrische Straßenbah- nen, Eisenbahnzüge und Elektro autos unterwegs. Die 1896 gegründete Elek trizitätsgesellschaft Triberg (EGT), die heutige EGT Unternehmensgruppe, erkennt diesen Trend. Sie versorgt den Groß- raum Triberg nicht nur mit Elektrizität, sondern fertigt zwischen 1896 und 1903 in ihrer „Akkumulatorenfabrik Triberg“ nach eigenen Patenten ebenso wiederaufladbare Batteri- en für den statio nären und mobilen Einsatz. Die stationären Akkus versorgen E-Werke bei „Wasserklemme“ und Störungen über meh- rere Stunden hinweg mit zuvor gespeicherter elektrischer Energie. Eine mobile Variante dient der Elektromobilität: 1898 ist vor diesem Hintergrund auf den Straßen bei Triberg das mutmaßlich weit und breit erste Elek tro- auto zu Test zwecken unterwegs. Und eine elektrische Lokomotive wird auf der Bregtalbahn in Furtwangen für Versuchsfahrten vorbereitet. Ab 1898 bewegen EGT-Akkus die Wagen der Münchner Straßenbahn und kommen in Ludwigs hafen beim Schie- Blick in die Akkumulatorenfertigung der EGT im Gewann Loch in Schönwald/ Triberg. Die Blei-Akkus wurden im Glaskasten oder im Holzgehäuse ausgeliefert. Die Darstellung ist einer EGT-Broschüre des Jahres 1898 entnommen. nen-Nahverkehr zum Einsatz. Die EGT Triberg gilt als ein Pionier der Elektro mo bilität in Deutschland – und feierte 2021 zudem ihr 125-jähriges Bestehen. Akkumulatorenfabrik Triberg 183

 

 

 

Markttag in Triberg in den 1890er-Jahren – der Marktplatz mit beim Parkhotel Wehrle platzierter elektrischer Bogenlampe. Triberg besaß als eine der ersten Städte in Deutschland eine elektrische Straßenbeleuchtung. Die Geschichte der Elektrizität und Elektromo- bilität wurzelt im Schwarzwald-Baar-Kreis im Jahr 1884: Es beschert der Kurstadt Triberg als einem der ersten Orte in Deutschland überhaupt eine elektrische Straßenbeleuchtung. Und es ist die erste Straßenbeleuchtung in ganz Deutschland, für die der Strom mit Wasserkraft erzeugt wird, was die Triberger Wasserfälle ermöglichen. Aus dem städtischen E-Werk am Fuß des Was- serfalles gehen 1892 die Elektrizitätswerke Triberg und im Mai 1896 die Elektrizitätsgesellschaft Triberg (EGT) hervor, die heutige EGT Unternehmensgruppe. An ihr sind ab 1922 auch die Städte und Gemeinden Triberg, Hornberg, Furtwangen, St. Georgen und Schonach beteiligt – aktuell zu rund einem Drittel. Ein weiteres Drittel liegt im Jahr 2022 in den Händen der Nachfahren der EGT-Gründerfamilie von Schoen, den Erben von Gesellschafter Theodor Wurster und des früheren EGT-Vorstandsvorsitzenden Rudolf Kastner. Das letzte Drittel gehört der Alb-Elektrizi- tätswerk Geislingen-Steige eG. Hauptsächlich die Patente von Ingenieur Carl Meissner zum Bau von Blei- Akkumulatoren sind der Grund dafür, weshalb die schwerreichen Investoren Friedrich von Schoen, dessen Bruder Wilhelm von Schoen und der berühmte Erfinder Carl von Linde 1896 die Elektrizitätsgesellschaft Triberg (EGT) ins Leben rufen. Bei Carl Meissner handelt es sich um 184 Geschichte

 

 

 

Friedrich von Schoen (1849 ­ 1941) Wilhelm Freiherr von Schoen Geheimrat Prof. Dr. Carl von Linde (1851 ­ 1933) (1842 ­ 1934) Carl Meissner (1850 ­ 1944) Friedrich Kranich (1857 ­ 1924) Die Gründer der Elektrizitätsgesellschaft Triberg und der Akkumulatorenfabrik Triberg. Ingenieur Carl Meissner und Obermaschineriemeister Friedrich Kranich sammelten am Festspielhaus Bayreuth von Richard Wagner ihre ersten Erfahrungen in der Anwendung von Elektrizität. Dort lernten sie auch Friedrich von Schoen kennen. Letzterer war der größte private Sponsor des Operngiganten und enger Freund von Richard und Cosima Wagner. Friedrich von Schoen begeisterte dann seinen Bruder Wilhelm Freiherr von Schoen und den Freund Carl von Linde für die Idee, in Triberg eine Elektrizitätsgesellschaft und Akkumulatorenfabrik aufzubauen. Akkumulatorenfabrik Triberg 185

 

 

 

Blick in die E-Werk-Zentralstation in St. Georgen. Mehr als sechzig Akkumulatoren sprich Zellen befinden sich im Raum: Sie helfen mit, die Spannung im Netz konstant zu halten, springen bei Störungen ein oder übernehmen die Stromver- sorgung einige Stunden lang vollständig. Werden wie hier mehrere Akkumulatoren zusammen geschaltet, spricht man von einer Batterie. den früheren Leiter des AEG-Installationsbüros in Frankfurt. Der Ingenieur gilt als einer der Pio- niere beim Aufbau der Elektrizitätsversorgung im Schwarzwald. Die aus München stammenden Inves- toren stellen ihm ein Millionenkapital bereit, um den Großraum Triberg mit Elektrizität zu versorgen und im Gewann „Loch“ bei Schönwald in der „Akkumula- torenfabrik Triberg“ Akkus für die Speicherung von Elektrizität herzustellen. Die EGT-Gründer glauben an die Zukunft der in den 1890er-Jahren erstmals auf- kommenden Elektromobilität und versprechen sich von der Produktion wiederaufladbarer Batterien ein Millionengeschäft. Sie blicken fasziniert nach Ameri- ka, wo die Zahl der Elektroautos förmlich explodiert. Neben Ingenieur Carl Meissner ist bei der EGT in diesen Gründerzeiten der Industriellen-Sohn Fried- rich von Schoen die treibende Kraft. Eine Erbschaft verhalf ihm zu einem „sagenhaften Vermögen“, wie er es in seinen Memoiren selbst schreibt. Er fördert mit seinem Vermögen die Kunst, so den Opern- giganten Richard Wagner – und die Wissenschaft. Er ist mit dem Erfinder Carl von Linde befreundet, der ihm dazu rät, in Triberg einzusteigen und sich auch selbst an der EGT beteiligt. Und Friedrich von Schoen steht mit großer Leidenschaft von der Gründung an vier Jahrzehnte lang an der Spitze des Aufsichtsrates der EGT. Sein Vermögen allerdings verliert er in den Wirren der Weimarer Republik fast vollständig. Es bleiben ihm die Anteile an der EGT und ein Landgut in Berchtesgaden. Akkumulatoren sind unverzichtbar Hauptsitz der EGT ist die frühere Obere Mühle, die gegen über des heutigen Schwarzwald museums Die EGT-Gründer glauben an die Zukunft der Elektromobilität, versprechen sich von der Produktion wieder auf- ladbarer Akkus ein Millionengeschäft. 186 Geschichte

 

 

 

Göttin Electra zaubert mit einem Akkumulator die Elektrizität für die Mobi- lität der Welt herbei. Das Werbe plakat eines italieni- schen Her stellers zeigt auf, wie vielfältig die Akkumu- latoren einsetzbar sind. an der Straße nach Schonach steht. Dort befinden sich das Un- tere Werk, das mit der Wasserkraft der Triber- ger Wasserfälle Gleich- strom erzeugt, die Ver- waltung des E-Werks und die Werkstätten des Installations betriebes. Hier beginnt Ingenieur Carl Meissner ab 1893 ver- suchsweise mit der Fertigung von Akkumulatoren und erkennt den immensen Bedarf. Die neuartigen Energiespeicher sind für die Gewährleistung der Sta- bilität der Elektrizitätsversorgung überall unverzicht- bar, denn sie verhindern über automatische Strom- zugaben die gefürchteten Spannungsschwankungen im Netz. Diese führen zum Flackern des Lichts oder gar zum Durchbrennen der kostspieligen Glühbirnen in den Anwesen der Kunden. Weiter sind die Akkumulatoren in der Lage, bei „Wasserklemme“ oder technischen Störungen die Energieversorgung aufrechtzuerhalten. In Triberg, Hornberg, Furtwangen und St. Georgen schaltet die EGT deshalb jeweils bis zu 272 Akkumulatoren zu einer Großbatterie zusammen. Diese beansprucht 70 Quadratmeter an Fläche, wiegt um die 46 Ton- nen und entspricht laut einer Tabelle der Deutschen Bundesbank nach heutiger Kaufkraft einem Gegen- wert von bald 200.000 Euro. Die Batterie vermag in diesen Pionierzeiten immerhin 320 Glühlampen bis zu vier Stunden lang mit Energie zu versorgen. Carl Meissner rüstet zunächst vor allem Kraftwer- ke mit den Akkus aus. Zum Beispiel 1895 das Fluss- kraftwerk Stallegg des Fürsten zu Fürstenberg in der Wutachschlucht. Da etliche Fabriken mit Wasserkraft selbst Strom erzeugen, sichern die Akkumulatoren auch dort die nicht mehr wegzudenkende elektrische Beleuchtung. Oder sie verhindern in Brauereien als Notstromlösung den Ausfall der für die Produk tion wichtigen Kühlan lagen, wenn mal wieder kein Strom zur Verfügung steht. Etwa bei der Fürstenberg- Brauerei in Donau eschingen oder der Hamburger Holsten-Brauerei. Dass in diesen Gründerzeiten der Elektrizität die Stromversorgung ausfällt, ist jeden- falls keine Seltenheit. Akku-Fertigung in großem Stil Schließlich steigt Carl Meissner dank der finanziellen Hilfe von Magdeburger Geschäftsleuten 1894/95 Akkumulatorenfabrik Triberg 187

 

 

 

im Gewann Loch bei Schönwald auf der Grundlage eigener Patente im großen Stil in die Fertigung von Blei- Akkumulatoren ein. Mit Ingenieur Friedrich Schneider gewinnt er einen Mitarbeiter, der eben- falls von der Zukunft dieser Speichertechnologie überzeugt ist. Da die mit dem Aufbau einer Akkumu- latoren-Fertigung verbundenen finanziellen Heraus- forderungen gewaltig sind, begibt sich Carl Meissner auf die Suche nach weiteren Geldgebern. Er findet sie in München – überzeugt Friedrich von Schoen, Wilhelm von Schoen und Carl von Linde von seinem Vorhaben. Kurz darauf gründet sich im Mai 1896 die Elektrizitätsgesellschaft Triberg (EGT). Sie über- nimmt alle Anlagen zur Stromerzeugung in Triberg und ebenfalls die kürzlich eröffnete Akku- Fabrik. Die bisherigen Teilhaber werden von den neuen Geldge- bern allesamt ausbezahlt. Zwar bleibt der Auf- und weitere Ausbau einer Elektrizitätsversorgung im Großraum Triberg das zentrale Anliegen der EGT, das große Geld aber soll die Akkumulatoren-Fertigung einbringen. Warten auf einen mobilen Akku Wohl mit auf Vorschlag von Carl von Linde hin konzentriert sich die EGT in ihrer Fabrik neben der Fertigung von Akkumulatoren für den stationären Betrieb zunächst auf die Entwicklung und den Bau von Batterien für Straßen- und Eisenbahnen. Derweil die Produktion von Akkumulatoren für den stationä- ren Betrieb der EGT einen kontinuierlichen Absatz sichern, sind bei der Herstellung der mobil verwend- baren Akkus rasche Erfolge nicht zu erzielen: Auch acht Monate nach Übernahme der Akkumulatoren- fabrik ist ein auf Basis eigener Patente ent wickelter mobil einsetzbarer Akkumulator von seiner Serienreife weit ent- fernt. Ständige Rückschläge bei der Fertigung bringen den Hauptkapitalgeber Friedrich von Schoen an den Rand der Verzweiflung. Er zeigt sich be- unruhigt, verweist im Februar 1897 in einem seiner rund 1.000 erhaltenen Briefe auf die rasch zunehmende Elek- tromobilität: „Ich habe das 188 Friedrich von Schoen im Februar 1897 über die Akkufertigung der EGT: „Ich habe das Gefühl, daß wir zu viel Zeit verlieren, während rings um uns die Welt vorangeht.“ Gefühl, daß wir zu viel Zeit verlieren, während rings um uns die Welt vorangeht.“ In der Tat: Wenn im Straßenbild der Städte ver- mehrt Automobile ohne nennens werte Geräusche und Gestank elegant dahingleiten und Straßen- bahnen ohne vorgespannte Pferde oder Oberleitun- gen umherfahren, sind stets Blei- Akkumulatoren im Spiel, die Elektromotoren antreiben. Die Bat- terien stammen von der wie Pilze aus dem Bo- den schießenden EGT-Konkurrenz, vor allem der Akkumulatorenfabrik Hagen. Immer mehr mischen auch Weltunternehmen wie Siemens, VARTA oder AEG auf dem vielversprechenden Zukunftsmarkt mit. Komplexes Fertigungsverfahren Wie komplex sich die Entwicklung und Fertigung von Akkus darstellt, wird offenkundig, wenn es um die Details geht: Vereinfacht ausgedrückt verwandelt ein Blei-Akkumulator elektrische Energie in chemische. Wird die elektrische Energie wie- der benötigt, läuft dieser Prozess umgekehrt ab. Hierfür die per- fekte Rezeptur zu finden – selbst EGT-Akkumulator im Glasgefäß. Gut zu erkennen sind die einzelnen Zellen aus Bleiplatten und Bleigittern mit aktiver Masse. Die positiven und negativen Zellen werden miteinander verlötet und stehen mit ca. 5 mm Abstand in einem Behältnis, das mit Schwefelsäure gefüllt ist. Geschichte

 

 

 

Links: Patent von EGT-Ingenieur Friedrich Schneider für eine besondere Zellkonstruktion in Blei-Akkumula to ren. Rechts sind Be- standteile des neuartigen EGT- Röhrchen- Akkumulators zu sehen. Friedrich von Schoen ließ die EGT-Patente teils in bald ganz Euro- pa schützen, was enorme Ausgaben mit sich brachte. Hier sind zwei Patente für den englischen Markt abgebildet. Lebertran wird der „aktiven Masse“ versuchsweise beigemischt – gleicht der Suche nach dem Heiligen Gral der Elektromobilität. Blei-Akkumulatoren bestehen aus negativ und positiv formierten Bleiplatten, den Elektroden. Die negativen Platten sind mit einer Art Rahmen ver- gleichbar, der im Fall der EGT mit hohlwandigen Bleiröhrchen bestückt ist (siehe Abb. oben). Diese werden mit einer aus Bleimenni ge samt Zusätzen bestehenden Masse befüllt, sprich bestrichen. Die positiven Platten hingegen bestehen aus reinem Blei. Die Platten werden in einen mit Blei ausgekleide- ten, hölzernen Batterie kasten eingebaut. Abschlie- ßend wird das Behältnis mit Schwefelsäure plus destilliertem Wasser befüllt (Nassbatterie). Durch die jetzt folgende Formierung erhalten die Platten die Eigenschaft, Energie aufzunehmen und später wie- der abzugeben. Größtes Hemmnis ist bei mobilen Akkumulatoren die Betriebs sicherheit: Die Erschütterungen durch den Fahrbetrieb führen im Alltag zu einer ganzen Se- rie an Ausfällen. Immer wieder kommt es aufgrund mangelnder Stabilität der Bleiplatten- Konstruktion zur Beschädigung von Lötstellen oder die Bleiplatten berühren sich, was zum Kurzschluss führt. EGT beschäftigt 30 Arbeiter Die Akkumulatorenfertigung der EGT beschäftigt 1897 ca. 30 Arbeiter, darunter Gießer, Klempner, Löter, Mechaniker und diverse Hilfskräfte wie Ver- packer. Ihnen steht Oberingenieur Friedrich Schnei- der vor, der als Werksleiter fungiert, während die Geschäftsführung in den Händen von Carl Meissner liegt. Die Fertigung der Akkumulatoren verlangt nicht nur ein sehr exaktes Arbeiten, sondern ebenso Akkumulatorenfabrik Triberg 189

 

 

 

 2 3 4 Die Belegschaft der Akkumu la toren fabrik Triberg, ab Mai 1896 die „Abteilung B“ der EGT. Links: Fass mit Schwefelsäure (1), davor die massive Bleiplatte für einen Akkumulator (2). Gestell mit Bleiplatten – die Zelle sprich Basiseinheit des Akkumu lators (3). Mitte rechts das Behältnis, das die Zelle aufnimmt und danach mit Schwefelsäure befüllt wird (4). Geschichte

 

 

 

8 9 6 5 7 Arbeiter mit Schöpflöffel für das Einbringen des flüssigen Bleis in die Gießform (5), mit der die Akku-Zellen hergestellt werden. Rechts davon Arbeiter mit Gussform (6). Der Schlauch im Bild dient zum Befüllen der Akkus mit Schwefelsäure (7). Akkumulatorenfabrik Triberg Stehend rechts: Gründer und Direktor Carl Meissner (8). Mitte oben Ingenieur Friedrich Schneider (9). 191

 

 

 

2 Die Akkumulatorenfabrik der EGT im Gewann Loch bei Schönwald (1). Nach wie vor befindet sich im noch stehenden Gebäude als Museumsstück das von der EGT aufgebaute Wasserkraftwerk zur Stromer zeugung, unten ein Blick in den Maschinenraum (2). zweimal die Woche am Arbeitsplatz warm baden oder duschen zu können. Und sie hat ihnen wö- chentlich kostenlos gereinigte Arbeitskleidung samt Mützen zur Verfügung zu stellen. Arbeiter, die be- sonders empfindlich auf das Blei reagieren, müssen sich eine andere Beschäftigung suchen. Regelmäßige ärztliche Kontrollen sind jetzt Vorschrift. Immer mehr Hersteller drängen auf den Markt Dreh- und Angelpunkt aller Bemühungen ist neben der Fertigung der stark nachgefragten stationären Batterien die Fertigstellung einer mobilen Variante und der Verkauf derselben. Trotz aller Verspre- chungen steht diese für Straßen- und Eisenbahn- Versuchsfahrten erst im Herbst 1897 auch tatsäch- lich zur Verfügung. Und damit mehr als eineinhalb Jahre nach der Gründung der EGT. Für Friedrich von Schoen eine äußerst unbefriedigende Situation. Sie mache ihm Angst, räumt er in seinen Briefen an die Triberger Geschäftsführung mehr als einmal unumwunden ein. Er hat bis zu diesem Zeitpunkt einen sorgfältigen Umgang mit dem hochgiftigen Schwermetall Blei und der nicht minder gefährlichen Schwefelsäure. Den damit verbundenen Anforde- rungen an den Arbeitsschutz wird die Fabrik jedoch nicht gerecht: Da kaum Erfahrung im Umgang mit giftigen Materialien besteht, wird die Gesundheit der Mitarbeiter enorm in Mitleidenschaft gezogen. Das trifft zu dieser Zeit auf allerdings sämt liche Akkumulatorenfabriken in Deutschland zu. Wie dramatisch die Zustände in der Fabrik sind, schildern 1898 gleich drei Berichte der Offenburger SPD-Zeitung „Volksfreund“. Bleivergiftungen in gro- ßer Zahl sind an der Tagesordnung, vor allem die gefürchtete Bleikolik. Es kommt zu weitreichenden Auflagen: Die Akkumulatorenfabrik muss es ihren Arbeitern als Folge der Inspektionen ermöglichen, 192 Geschichte

 

 

 

über 1,5 Mio. Euro Risikokapital allein in die Akku- mulatorenfertigung investiert! Für die damalige Zeit eine ungeheuer große Summe! Und immer mehr Hersteller drängen auf den Markt, alle erhoffen sich von der Elek tromobilität ein großes Geschäft. Aus- gerechnet die EGT kann in diesen Konkurrenzkampf in Ermangelung eines Produktes lange Zeit nicht eingreifen. So verhandelt Friedrich von Schoen über Straßen- und Eisenbahn testfahrten mit EGT-Akkumulatoren in Ludwigshafen und München, ohne dass er ein Produkt vorzeigen kann. Die eventuellen Kunden vertrauen auf seine mitgebrachten Muster und sein Renommee. Wie in der Gegenwart der Elektromobili- tät ist bei all diesen Verkaufsgesprächen nicht allein die Reichweite der Akkus von Bedeutung, sondern ebenso deren Ladezeit. Damit sie eine Trambahn oder einen Triebwagen mit genügend elektrischer Energie versorgen können, müssen mehrere Ak- kumulatoren zu teils über drei Tonnen schweren Batterien zusammengeschaltet werden. Für die in Brüssel, Ludwigshafen oder München vorgesehenen Batterien gibt die EGT eine Reichweite von bis zu 120 Kilometern und eine Ladezeit von fünf Stunden an. Obwohl das Produkt im Sommer 1897 weiter auf sich warten lässt, mangelt es dem Triberger Unterneh- men keinesfalls an Selbst bewusstsein. Die Schreiben an mögliche Käufer schließen stets mit dem Verspre- chen: „So viel ist sicher, daß unser System in Bezug auf die Lebensdauer alle anderen weit übertrifft.“ Elektrotechnik-Pionier Erasmus Kittler als Berater tätig Friedrich von Schoen baut unterstützt durch Carl von Linde ein EGT-Vertriebs-Netzwerk auf, das im März 1897 neben Frankreich und Belgien auch Italien um- fasst. In Deutschland setzt von Schoen außerdem auf die Beziehungen von Erasmus Kittler. Der Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt gilt als Elektrotechnik-Pionier und renommierter Physiker. Kittler ist maßgeblich an der Einrichtung zahlreicher Kraftwerke beteiligt und für die EGT teils als Berater und Gutachter tätig. So empfiehlt er Friedrich von Schoen, die für Testfahrten in Furtwangen vorgese- hene Lokomotive in der Werkstatt der Maschinen- fabrik Kummer schnellstmöglich zu elektrifizieren und sie zu den bald anstehenden Versuchen mit dem Da kaum Erfahrung im Umgang mit giftigen Materialien besteht, wird die Gesundheit der Mitarbeiter enorm in Mitleidenschaft gezogen. Bleikoliken sind an der Tagesordnung. EGT-Akkumulatoren-Triebwagen in Ludwigs hafen mitzubringen. Friedrich von Schoen betont, wenn ein Mann wie Erasmus Kittler sich für die Akkumula- toren der Elektrizitätsgesellschaft Triberg interessie- re, „sei das außerordentlich viel werth“. Von Schoen: „Wenn wir seinem Rathe nicht folgen, entfremden wir uns den Herrn, der uns sonst sehr nützen kann. Ludwigshafen nützt uns auch für die hiesige Staats- bahn mehr als die Bregtalbahn.“ „Wir sollten uns auf eine Produktion von etwa 1.000 Trambahn-Wagen-Batterien pro Jahr einrichten“ Der zu dieser Zeit in München in einer prächtigen Stadtvilla residierende EGT-Haupteigner Friedrich von Schoen sieht einen geradezu riesigen Bedarf an Akkumulatoren: für den Trambahn- und Eisenbahn- betrieb, die Beleuchtung von Eisenbahn- Waggons, bei Omnibusgesellschaften – und in verkleinerter Ausführung für Fahrradlampen und Kutschenbe- leuchtungen. Er träumt von einer neuen Fabrik unmittelbar bei München. In einem Schreiben vom 28. März 1897 betont er: „Ich sprach gestern darüber mit Herrn Meißner, und ich dachte, daß wir uns auf eine Produktion von etwa 1.000 Trambahn-Wagen- Batterien pro Jahr einrichten sollten.“ Eine derartige Großproduktion anzukurbeln – überhaupt Akku triebwagen oder Trambahnen mit EGT-Akkumulatoren ausstatten zu dürfen, ist ohne Akkumulatorenfabrik Triberg 193

 

 

 

Die EGT bewirbt sich für Straßenbahn-Testfahrten in Ludwigshafen, München und Dresden – hofft auf Hannover, Darmstadt, Kaiserslautern, Karls ruhe oder auch Mainz. die erfolgreiche Teilnahme an kostspieligen Test- fahrten nicht möglich. Die Eisenbahn- oder Straßen- bahngesellschaften lassen sich zu diesem Zweck einen Triebwagen oder Straßenbahnwaggon auf Kosten des Akkumulatoren-Herstellers betriebsfertig ausstatten. Kommt es nicht zum Vertragsabschluss, müssen die in der Regel mehr als drei Tonnen schwe- ren Batterien wieder zurückgebaut werden. Die EGT bewirbt sich ungeachtet dessen für Testfahrten in Ludwigshafen, München und Dresden – hofft auf Hannover, Darmstadt, Kaiserslautern, Karls ruhe oder auch Mainz. Nach der ersten Euphorie hat bei den Straßen- bahn-Betreibern indes das große Rechnen begonnen und aus Kostengründen sprechen sich etliche Städte trotz der unschönen Oberleitungen gegen einen rei- nen Akkumulatorenbetrieb aus – auch das ein Rück- schlag. Die Mehrheit neigt zum gemischten Betrieb, bei dem nur Teilstrecken – etwa in der Altstadt – mit Blick auf das Stadtbild ohne Ober- oder Unterleitung zur Stromversorgung ausgestattet sind. Mit Oskar von Miller, der bei vielen Planungen beigezogen wird, zieht ein angesehener Bauingen ieur, Elektro- techniker, Wasserkraftpionier und Begründer des Deutschen Museums ebenfalls aus Kostengründen die Oberleitungen vor. Testfahrten mit einer elektrischen Lokomotive auf der Bregtalbahn geplant Um ihre Produkte testen zu können, kauft die EGT bei der Firma Kummer & Cie in Niedersedlitz bei Dresden einen Trambahnwagen und eine Lokomo- tive mit Elektromotor. Die Lokomotive wird im Juli 1897 nach Furtwangen geschleppt, wo sie auf einem Nebengleis der Bregtalbahn parkt und für den Akku- mulatoren-Betrieb umgerüstet werden soll. Die Breg- talbahn eignet sich für Testfahrten ideal: Unmittelbar neben dem Furtwanger Bahnhof befindet sich das E-Werk der EGT, von dort aus kann sie den Strom zum Laden der Akkumulatoren direkt ans Bahngleis führen. Über die Ankunft des Triebwagens in Furtwangen berichtet die in Triberg erscheinende Tageszeitung „Echo vom Wald“ am 31. Juli 1897 wie folgt: „Der Akkumulatorenwagen, mit welchem Versuche auf der Bregtalbahn gemacht werden sollen, ist am Donnerstag hier eingetroffen. Derselbe sieht von den Längsseiten fast aus wie ein Spezial wagen für Bier; die Kopf- oder Stirnseiten sind jedoch von Glas. Der Bau ist jedenfalls ziemlich kompliziert, denn so ein elektrisches Wägel- chen ohne Inhalt kostet ungefähr 13.000 Mark (ca. 95.000 Euro, d. Autor).“ Zugleich widerruft die Zeitung Gerüchte, die Bregtalbahn werde die Personenbeförderung mit elektrisch angetriebenen Wagen der EGT aufnehmen – vielmehr handele es sich um Testfahrten im Zusam- menhang mit der eigenen Akkumulatorenfertigung. Allerdings tut sich die Süddeutsche Eisenbahn- Gesellschaft als Betreiber der Bregtalbahn schwer mit der Vorstellung, dass auf ihrer Bahnstrecke eine elektrische Lokomotive unterwegs sein soll. Sie verlangt von der EGT den Abschluss einer Versi- cherung, die bei Unfällen mit Verletzten und Toten einspringt oder nach einem Einsturz von Brücken für die Kosten geradesteht. Dabei soll die Lokomotive vom dafür ausgebildeten Personal der Bregtalbahn gesteuert werden – die Furcht vor dem „Elektri- schen“ scheint gewaltig. Der Umbau des in Furtwangen stationierten Triebwagens für Akkubetrieb stellt sich für die EGT als enorme Herausforderung dar. Der Energiebedarf für den Antrieb der Lok ist derart hoch, dass allein für die Verbindung der Bleiplatten, die in den über 150 (!) Akkumulatoren zum Einsatz kommen, 155.000 Kanäle zu gießen sind. So bestellt die EGT für 4.000 Mark (ca. 28.000 Euro) eine neue Gießform, die ihr die Herstel- lung von täglich 3.600 Kanälen ermöglicht. Was somit einer Produktionszeit von ca. 43 Tagen entspricht. Einmal mehr erweist sich aber die Ankündigung, dass die Testfahrten in Furtwangen bis Ende August stattfinden werden, als Irrtum. Die Elektrizitäts- gesellschaft Triberg schiebt sie wegen anderweitiger 194 Geschichte

 

 

 

Die Furtwanger Energiezentrale der EGT unmittelbar beim Bahnhof der Bregtalbahn. Wegen der Nähe des E-Werkes zu den Bahngleisen, die ein problemloses Aufladen der Akkus ermöglichte, sollten ab Herbst 1897 in Furtwangen Testfahrten mit einer elektrischen Lokomotive erfolgen. Projekte immer wieder neu auf. In welchem Umfang diese im weiteren Verlauf der Arbeiten stattfinden, ließ sich im Zuge der Recherchen zu diesem Beitrag nicht klären. Erhebliche Probleme bei der Fertigung Dass die Akkumulatorenfabrik der EGT trotz der allgemein glänzenden Geschäftsaussichten der Branche ihren Investoren nur Verluste einfährt, hat – neben der noch nicht abgeschlossenen Akku-Neuentwicklung – vor allem mit ihrer schlech- ten Fertigungsqualität zu tun. Friedrich von Schoen dokumentiert in seinen Briefen geradezu unglaubli- che Zustände, die offenlegen, dass in Schönwald so gut wie keinerlei Qualitätskon trolle erfolgt. Friedrich von Schoen: „Es ist sehr traurig, daß bei uns solche Dinge häufig vorkommen.“ Der EGT-Haupteigner will in Triberg trotz aller Schwierigkeiten aus verständlichen Gründen den Erfolg – und bemüht sich vor dem Hintergrund der Millionen-Investitionen, wo er nur kann, persönlich um Großaufträge. Auch zahlreiche Inserate werden geschaltet. In Bayern sollen ab Spätherbst 1897 stets 14-täglich erscheinende Anzeigen in den Münchner Neuesten Nachrichten die Bekanntheit der EGT- Akkumulatoren steigern. Ebenso inseriert die EGT regelmäßig in den führenden elektrotechnischen Zeitschriften. Die „Akkumulatoren für Beleuchtung und Kraftübertragung“ werden in diesen Textanzeigen wie folgt beworben: „Stationär und transportabel, her- gestellt nach eigenem, bedeutend verbessertem, mehr- fach patentiertem Verfahren. Special-Akkumulatoren zur Fort bewegung und Beleuchtung von Fahrzeugen jeder Art. Geringes Gewicht! Hohe Lebensdauer, weit- gehende Garantie! Billigste Preise. Prospekte und Vor- anschläge kostenfrei!“ Mehr Informationen finden Sie unter www.almanach-sbk.de/egt Akkumulatorenfabrik Triberg 195

 

 

 

EGT-Akkumulator schafft in Ludwigshafen mit Bravour seine erste Bewährungsprobe Der Geschäftsverlauf 1897 ist geprägt von zwei Groß-Ereignissen im Herbst des Jahres: den Testfahr- ten für die Pfälzischen Eisenbahnen in Ludwigshafen und für die Münchner Trambahngesellschaft. In Lud- wigshafen müssen sich die EGT-Batterien beim Be- trieb der Straßenbahn und in einem Akkutrieb wagen auf Nahverkehr-Eisenbahnstrecken bewähren. Eingebaut werden 156 Akkumulatoren, die in Reihe geschaltet als Großbatterie fungieren und sich unter den Sitzen im Fahrgastraum befinden. Das Gewicht dieser Batterien ist enorm. Die Faustregel lautet: In den Zellen, sprich einzelnen Akkumulatoren der Bat- terie, müssen Bleiplatten verbaut sein, die insgesamt einem Viertel des Fahrzeuggewichtes entsprechen. Nur so lässt sich genügend Energie speichern, die ausreicht, um das Schienenfahrzeug anzutreiben. Die Pfälzischen Eisenbahnen setzen Akkutrieb- wagen mit Systemen der Hagener Akkumulatoren- fabrik (AFA) bereits seit 1896 erfolgreich ein, beför- dern mit ihnen allein im Jahr 1897 bald 100.000 Per- sonen, so der Jahresbericht der Verwaltung. Und ab 4. Oktober 1897 leisten auch die EGT-Akkumulatoren ihren Beitrag zur Personenbeförderung: Das rundum positive Ergebnis der ersten Probefahrten auf der Nebenbahnstrecke Ludwigshafen am Rhein – Mun- denheim erfüllt die Triberger Gesellschaft mit Stolz. Zumal sich die EGT-Akkumulatoren besser schlagen als jene der Hagener Akkumulatorenfabrik (AFA). Friedrich von Schoen schickt ein Glückwunsch- telegramm nach Triberg. Und das „Echo vom Wald“ berichtet am 6. Oktober: „Gestern und Vorgestern fanden auf der Nebenbahnstrecke Ludwigshafen a. Rhein – Mundenheim Probefahrten mit einer elektri- schen Lokomotive statt, angetrieben durch die neuen, patentierten Akkumulatoren der Elektrizitätsgesell- schaft dahier. Das Resultat war, wie von maßgebender Seite mitgeteilt wird, ein vorzügliches.“ Holpriger Start bei den Probefahrten in München Was in Ludwigshafen so verheißungsvoll beginnt, startet ausgerechnet in München – der Heimat von Friedrich von Schoen und Carl von Linde – mehr als „holprig“: Die dort eingebauten Akkumulatoren verfügen nach Darstellung des Sachverständigen der Betreibergesellschaft über zu wenig Kapazität. Es kommt zu Kurzschlüssen und teils fallen Zellen voll- ständig aus oder es entwickeln sich giftige Dämpfe, da Schwefelsäure austritt. Die Mängel in Ludwigshafen und München sind indes keine Einzelfälle, auch bei stationären Akku- mulatoren häufen sich die Qualitätsprobleme. Der Aufsichtsratsvorsitzende drängt mit Blick auf den wegen der vielen mangelhaften Produkte zu erwar- tenden Konkurs der Akkumulatorenfabrik auf „stren- gen Verkauf“ – die Akku-Fabrik brauche Einnahmen. Die Bilanz des Investors zum zweiten Jahr seines En- gagements bei der EGT fällt geradezu erschütternd aus: „Ich kann nur versichern, daß, wenn ich nicht für mein engagiertes großes Kapital sorgen müßte, ich den Vorsitz des Aufsichtsrates längst niederge- legt hätte.“ Doch die Probleme nehmen weiter zu: Als in München in einem Straßenbahnwagen aus den un- ter den Sitzen angebrachten Akkumulatoren giftige Dämpfe austreten, erkundigt sich nach Hinweisen der Fahrgäste im Januar 1898 die Polizei nach der Sicherheit der EGT-Batterie. Das Renommee der EGT- Akkumulatoren sieht der Aufsichtsratsvorsitzende Werbeanzeige der EGT Triberg aus dem „Elektrotechnischen Anzeiger“ für den Verkauf von Akkumulatoren. Die Anzeige erscheint in der viel gelesenen Zeitschrift zwischen 1897 und 1899 teils wöchentlich. 196 Geschichte

 

 

 

Der Wagen Nr. 30 der Münchner Trambahn ist für den gemischten Betrieb ausgelegt. In den Außenbezirken wird die Energie aus der Oberleitung bezogen, in der Innenstadt treibt ein Akkumulator der EGT die Straßenbahn an. daraufhin sowohl in München als auch in Ludwigs- hafen oder beim Trambahn wagen-Lieferanten Union Berlin aufs Schwerste beschädigt. Das erste vierrädrige Automobil stammt 1888 von Maschinenfabrikant Flocken Trotz aller Fertigungsprobleme gelingt es der EGT, Akkus für den mobilen Betrieb auch für den Einsatz in Automobilen zu veräußern – Fuß fassen kann das Triberger Unternehmen jedoch auch in dieser Spar- te nicht. Zur Vorgeschichte: Im Jahr 1888 nutzt der deutsche Maschinen fabrikant Andreas Flocken den Blei-Akkumulator zum Antrieb des ersten Elektro- autos mit vier Rädern. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten dreirädrige Kutschen mit Elektromotor als „Automobil“. Die Flocken-Erfindung ruft weltweit Konkurrenten auf den Plan und das Aufkommen weiterer Hersteller erhöht die Zahl der Elektroautos kontinuierlich. Die in den Akkumulatoren gespeicherte Energie lässt sich immerhin für bis zu 100 Kilometer weite Fahrten nutzen. Der Motor startet auf Knopfdruck – muss nicht wie im Fall des Verbrennungsmotors mit einer Kurbel erst mühsam in Bewegung gesetzt wer- den. Und es gibt keine Schaltung, die Elektroautos lassen sich „mit einer Hand steuern“. Sie werden we- gen der leichten Bedienung besonders Frauen zum Kauf empfohlen. Ein weiterer Vorzug ist das Vorhan- densein von elektrischem Licht bei Nachtfahrten. Die frühen Elektroautos erreichen Geschwin- digkeiten von bis zu 25 Kilometer in der Stunde. Deutlich schneller sind die Renn wagen dieser Zeit unterwegs: Die einer Zigarre ähnelnden Fahrzeu- ge liefern sich keine Rennen wie sie heute üblich sind, sondern kon kurrieren um die erreichbare Höchstgeschwindigkeit. In ihrem Innern befinden sich Fulmen- Elemente, Hochleistungs-Akkus, die in Verbindung mit 25kW-Gleichstrommotoren enorme Beschleunigungen ermöglichen. Der Belgier Camille Jenatzy fährt mit ihrer Hilfe im April 1899 als erster Mensch schneller als 100 Kilometer pro Stunde, erreicht eine Geschwindigkeit von 105,88 km/h. Aus dem Briefverkehr zwischen Friedrich von Schoen und der Triberger Geschäfts- führung geht hervor, dass sich die EGT diese Ful- men-Elemente in Frankreich beschafft und deren Aufbau untersucht. Den Auftrag führt EGT- Vertreter Le Roy aus, der in Frankreich erfolgreich für die Tri- berger Fabrik tätig ist und dort eine statt liche Zahl an Akkumulatoren für den stationären Betrieb ab- setzt. Es gibt somit auch Erfolge zu vermelden. Akkumulatorenfabrik Triberg 197

 

 

 

Die EGT bringt im Winter 1898 das erste Elektroauto in den Schwarzwald Ein Brief vom 16. Februar 1898 zeigt auf, dass die Akkumulatorenfabrik neben Straßen- und Eisen- bahnen ebenso Elektroautos mit Batterien versorgt. Bereits 1897 war eine elek trische Kutsche mit einem Antriebssystem ausgestattet worden – wohl die des Herzogs von Coburg. EGT-Gesellschafter Wilhelm von Schoen hatte diesen Auftrag vermittelt – ebenso ei- ne Batterie für das dortige Hoftheater. Der Diplomat fungiert als Hofrat des Fürsten von Sachsen-Coburg, was viele Türen öffnet. Der EGT gelingt weiter die Zusammenarbeit mit der gleichfalls in Coburg an- gesiedelten Maschinenfabrik von Andreas Flocken, dem Erfinder des vierrädrigen Automobils. Die Triberger Geschäftsführung berichtet dazu an den Aufsichtsratsvorsitzenden nach München: „Die Batterie für den automobilen Wagen von Flocken mit Sitz in Coburg wurde nun heute von hier abgesandt. Ein anderer Wagen ist hier angekommen (mit der Schwarzwaldbahn, d. Autor) und wird die Batterie probiert werden, sobald die Wege fahrbar sind.“ An den wenigen Zeilen ist zu erkennen, dass die EGT in Triberg mit Elektroautos diverse Fahrversuche unter- nimmt. Das bedeutet: Die E-Mobilität hält somit in den 1890er-Jahren auch im Schwarzwald zumindest zu Versuchszwecken ihren Einzug. Dass für den Auftakt dieser Bestrebungen ausge- rechnet ein schneereicher Februar gewählt wurde, ist eine Besonderheit am Rande. Es muss ein impo- santes Bild gewesen sein, als Pferde das mutmaß- lich auf einem Schlitten stehende Automobil vom Bahnhof Triberg aus hinauf zur gut fünf Kilometer entfernt liegenden Akkumulatorenfabrik im Gewann „Loch“ bei Schönwald gezogen haben. Mit einem Victoriawagen, der mehr einer Kutsche als einem Automobil ähnelt, unternahm die EGT 1898/99 Fahrversuche im Umfeld ihrer Akkumulatoren fabrik. nig ist, eine mittlere Geschwindigkeit von 15 Kilome- tern pro Stunde ist mindestens anzustreben. Das ist sehr wichtig, da alle Welt schnell fahren will.“ Mit der Fertigung von Akkumulatoren für Elektro- boote hat die EGT indes ebenfalls kein Glück: Wenn überhaupt, werden Batterien für diesen Zweck in nur geringer Stückzahl veräußert. Die noch vorhande- nen Geschäftsunterlagen lassen diesbezüglich keine Rückschlüsse zu. So beschließt Friedrich von Schoen, das Testboot vom Zürichsee an den Boden see zu ver- legen und dort zum Verkauf anzubieten. Kein Erfolg mit Elektrobooten Wer Eisenbahnen und Automobilen mit Akkumula- toren zum elek trischen Betrieb verhilft, der will auch Boote mit dieser Technologie ausstatten. Auf Drän- gen von Friedrich von Schoen wird in der Schweiz bereits im Herbst 1897 ein Boot mit einem elektri- schen Antrieb in Betrieb genommen, das mehrfach Testfahrten auf dem Zürichsee absolviert. Als es im Rahmen der Testberichte um die Motorleistung geht, meldet sich der Münchner vehement zu Wort: „Ich wiederhole, daß 12 km/h Geschwindigkeit viel zu we- Das Ende der Ära Carl Meissner Für das Engagement der Münchner Investoren in Triberg ist nicht nur die Rendite allein der ausschlag- gebende Faktor. Friedrich von Schoen will zusammen mit seinem Bruder Wilhelm von Schoen und Carl von Linde mit der Bereitstellung von Risikokapital etwas bewirken – eine regionale Stromversorgung aufbauen und einen Beitrag zum Gelingen der Elektro- mobilität leisten. Doch im Spätsommer 1898 wird ihm mehr und mehr bewusst, dass ein Großteil des 198 Geschichte

 

 

 

gemeinsamen Triberger Millionen invests allein we- gen Fahrlässigkeit zunächst verloren ist. „Denke ich an die Hunderte von Verfehlungen – wahrlich, es steht mir der Angstschweiß auf der Stirn“, formu- liert er am 1. August 1898. Als sich dann noch Mitte September sämtliche Batterien in den Triberger Stromzentralen der EGT als defekt oder nicht gela- den erweisen, ist das Schicksal von EGT-Initiator und Geschäftsführer Carl Meissner besiegelt: Bei einem Gespräch im November 1898 in München vereinbart Friedrich von Schoen mit ihm das Ausscheiden zum Jahresende. Kurze Zeit später veräußert Meissner auch seine Anteile an der EGT. Ein Pionier des Auf- baus der Stromversorgung im Schwarzwald scheidet unrühmlich, doch aus nachvollziehbaren Gründen aus den Diensten der EGT aus. Carl Meissner arbei- tet künftig mit Erfolg als selbstständiger Ingenieur, stirbt 1944 im Alter von 94 Jahren in Duningen. Die Abwicklung der Akkumulatorenfabrik Mit dem Ausscheiden von Carl Meissner aus der EGT finden die Pionierzeiten im Unternehmen ihr Ende. Friedrich von Schoen verliert in ihm auch einen Mit- streiter – einen Mann, den die Möglichkeiten der Elektromobilität ebenso begeistern wie den Münch- ner Investor selbst. Produktionstechnisch konzen- triert sich die „Abteilung B“ der EGT in der Folge auf die Fertigung stationärer Akkumulatoren, legt dazu 1899 eine umfassende Werbebroschüre auf (siehe Abb. oben). Doch ein Erfolg stellt sich nicht mehr ein, vielmehr kommt es zu weiteren Rückschlägen: An Heiligabend des Jahres 1903 erscheint die Verkaufs- Offerte der EGT für ihre einstige Akkumulatorenfabrik im „Echo vom Wald“. Zum Verkauf des Fabrikgebäudes kommt es aber erst Monate später – unter großen Verlusten. Akkumulatoren-Imagebroschüre der EGT, die nichts unver- sucht lässt, um ihre Produkte erfolgreich zu veräußern. Immer mehr Akkumulatoren fallen aus, immer mehr Käufer verklagen die Akkumulatorenfabrik Triberg auf Schadensersatz. Zeitweise hat das Unternehmen mehr als 50 Prozesse gleichzeitig zu führen. Sechs Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 1896 wird die „Akkumulatorenfabrik Triberg“ nach Millionen- verlusten schließlich abgewickelt. Fertigungsproble- me und die übermächtige internationale Konkurrenz besiegeln 1903 endgültig das Schicksal einer Fabrik, die ihre Akkus zu besten Zeiten auch nach Frank- reich, Belgien und Italien lieferte. Und das im statio- nären Bereich mit beachtlichem Erfolg. Das Fazit: Die EGT- Triberg hat viel gewagt und zählt nach wie vor zum Kreis der Pioniere der Elektro – mobilität in Deutschland – in der Fachliteratur hat sie noch heute ihren Platz. Und was nun zu guter Letzt die Lok in Furtwan- gen anbelangt: Sie wurde 1903 wegen einer krum- men Achse auf einem Frachtwagen stehend zum Verschrotten nach Dresden geschleppt. Eine Test- fahrt muss es somit doch gegeben haben… Akkumulatorenfabrik Triberg 199

 

 

 

GEDÄCHTNIS FÜR DIE Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen von Edgar H. Tritschler 200

 

 

 

FÜRSTENBERGER LANDE Foto: Urkundenpotpourri mit einem Wappenbrief, zwei Kaiser urkunden mit Goldener Bulle und großem Wachssiegel sowie einem sogenannten Igel, einer Urkunde mit zahllosen Siegeln.

 

 

 

Zur Herkunft der Fürstenberger Das Fürstentum Fürstenberg ist der Oberbegriff für die von den Reichsfürsten zu Fürstenberg regierten Gebiete im schwäbischen Reichskreis. Von 1664 bis 1716 umfasste das Fürstentum nur die der Linie Fürstenberg-Heiligenberg gehörigen Gebiete, insbesondere die Grafschaft Heiligenberg. Von 1716 bis 1744 existierten die Fürstentümer Fürsten- berg-Stühlingen und Fürstenberg-Meßkirch neben- einander. Nach dem Aussterben der Linie Fürsten- berg-Meßkirch im Jahre 1744 vereinigte Fürst Joseph Wilhelm Ernst zu Fürstenberg-Stühlingen alle schwäbischen Besitzungen des Gesamthauses Fürstenberg. Dieser kleine Streifzug zur Herkunft der Fürsten- berger erscheint auch für die Darstellung ihrer Archivgeschichte hilfreich. Das Fürstlich Fürsten- bergische Archiv (F. F. Archiv) beherbergt in seinem historischen Teil (Haupt- und Cameralarchiv bis 1806) eine Vielzahl an Beständen, die im Kontext zur Familien- und Territorialgeschichte stehen und für das Gesamtverständnis z.B. von Herrschafts- und Regionalgeschichte erforderlich sind. Nach dieser knappen Darstellung soll auch der Übergang gro- 202 Geschichte

 

 

 

Fürst Joseph Wilhelm Ernst zu Fürstenberg (1699 – 1762) Karte der Fürstenbergischen Herrschaften in der Baar, am Hochrhein und am Bodensee, gezeichnet von Bourz von Seethal, Ende des 18. Jahrhunderts. Dargestellt sind die Grenzen der Grafschaften und Herrschaften Baar, Hohen- hewen, Stühlingen, Meßkirch und Heiligenberg. Weiter wurden Ansichten der Orte Bräunlingen, Hüfingen, Donau- eschingen, Stühlingen sowie der Schlösser Heiligenberg und Hohenlupfen eingezeichnet, ebenso die Poststationen (Posthorn). Auf dem Bodensee sieht man Schiffe und Fischer. Deutlich auszumachen ist die territoriale Zersplitterung im deutschen Südwesten. ßer fürstenbergischer Territorien auf Vorderöster- reich – u.a. Bräunlingen 1305, Villingen, „Haslacher Anschlag“ 1326 – lediglich angemerkt werden. Dieser komplexe Vorgang, der im F. F. Archiv breiten Raum einnimmt, kann im Themenzusammenhang nicht an- gemessen dargestellt werden. Joseph Wilhelm Ernst Fürst zu Fürstenberg ver- legte im Jahr 1723 seine Residenz von Stühlingen nach Donaueschingen. Damit gelang es ihm, aus der kleinen Residenz Donaueschingen einen Mittelpunkt der Behördenorganisation zu machen und den ver- schiedenen Teilherrschaften nach außen und nach innen ein einheitliches Gepräge zu geben sowie aus den so verschiedenartigen Gebieten ein kräftiges, neuzeitliches Staatswesen zu schaffen. Durch die Vereinigung aller Herrschaften ent- stand unter der Leitung dieses Regenten ein mit größeren deutschen Territorial staaten vergleichba- res Gebilde mit etwa 85.000 Einwohnern unter der Administration von 14 Oberämtern. Der fürstlichen Regierung in Donaueschingen gehörten ein Kanzler, drei Hof- und zwei Kammerräte sowie der fürstliche Archivar an, dessen Funktion 1723 erstmals genannt wird. Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen 203

 

 

 

Das Portal mit dem schönen Wappengitter. Fürstenbergisches Archiv: Das Gebäude Das „Fürstenbergarchiv“ ist einer der frühesten selbstständigen Archivbauten in Deutschland. Es wurde bereits 1756 – 1763 errichtet, zu einer Zeit, als es noch gang und gäbe war, Archive in zweckfrem- den Bauten und Räumen zu lagern. So z.B. in Rathauskellern, Schlossgewölben oder Kirchtürmen, wo wertvolles Archivgut zum Teil erheblichen Schaden nahm, unleserlich wurde oder bei Umzügen von einem Lagerort zum anderen gar verloren ging. In Donaueschingen gelang es, andernorts schnell gefundene Lösungen zu vermeiden, ein vorhandenes, eigentlich ungeeignetes Gebäude oder einen Teil des Herrschaftskomplexes kurzerhand zum Archiv umzufunktionieren oder einen solchen mit einem Anbau auszustatten, für den irgendwo eine Grund- fläche verwendbar erschien. Die damalige Konzep- tion hat sich bis heute fast unverändert erhalten. Dadurch steht das Archiv wohl einzigartig dar. Das Gebäude entstand neben dem Kanzleigebäu- de, dem Sitz der fürstlichen Zentralverwaltung. Mit diesem zusammen bildete es das Herz eines ganzen Ensembles aus Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wohn- gebäuden, die Fürst Joseph Wilhelm Ernst zwischen 1722 und 1762 an seinem neuen Residenzort Donau- eschingen errichten ließ. In der Bauform und Größe lehnte es sich mit 27,50 x 16,25 Metern Grundfläche und sechs ober- und unterirdischen Stockwerken bewusst an das Kanzleigebäude an. Allerdings war es aufgrund des hohen Bauaufwands wesentlich teurer als die Kanzlei und alle sonstigen fürstlichen Gebäu- de der Zeit. In sieben langen Jahren Bauzeit wurden ca. 80.000 Gulden verbaut. Schon dies dokumentiert schlagend den hohen Rang, den Fürst Joseph Wil- helm Ernst dem Archiv beimaß. Es liege ihm, so ließ er mehrfach verlauten, über allem am Herzen. Auch im Inneren ist alles konsequent auf den Schutz der Archivalien vor Brand, Plünderung und Feuchtigkeit ausgerichtet. Zum Zuge kam schließlich ein Plan des fürst- lichen Baumeisters Franz Joseph Salzmann. Nach außen präsentiert sich sein Gebäude relativ nüch- tern und abweisend. Sockel, Mauerblenden und Gebäudeecken aus Quaderstein, eine großzügige Frei treppe und das Portal mit dem schönen Wappen- gitter sind der einzige Schmuck. Die Fenster sind durch Gitter und eiserne Läden sicher verschlossen. Auch im Inneren ist alles konsequent auf den Schutz der Archivalien vor Brand, Plünderung und Feuchtig- keit ausgerichtet. Es erfüllt noch heute vorrangig die notwendigen Schutzwirkungen als Spezialgebäude für die Sicherheit der Archivalien vor unerwünschtem 204 Geschichte

 

 

 

Lichteinfall, garantiert Sauberkeit, Trockenheit, Be- lüftung und ideale Raumtemperatur. Als Baumaterial wurde deshalb nur Stein und Eisen verwandt. Die Wände sind mehr als einen Meter dick, die Decken kreuzgratgewölbt, die eisernen Türen fast zwei Zent- ner schwer. Der Gewölbekeller Der geräumige zweistöckige Keller hatte und hat noch heute ökonomische und klimatische Vorteile. Zum einen konnten auch Bierfässer der gegenüber- liegenden Brauerei gelagert werden; von den Kellern führte deshalb ein direkter Gang hinüber zur Brauerei. Der Erbauer, Fürst Joseph Wilhelm Ernst, hatte dies so bestimmt, nicht um das Archivpersonal mit edlem Gerstensaft zu versorgen, sondern um das „sündhaft teure Archivgebäude“ wenigstens teilweise betriebswirtschaftlich zu nutzen. Unschätz- bar wertvoll ist der klimatische Nutzen dieser Art von Unterkellerung. Beide Kellergeschosse sind außergewöhnlich gut belüftet und schützen dadurch das Gebäude und das Archivgut effektiv vor einer Durchfeuchtung von unten. Das untere hat zu diesem Zweck Lüftungsschächte; das obere reicht über das Straßenniveau hinaus und ist ringsum durchfenstert. Die Luftfeuchtigkeit im Gebäude ist dadurch bis heute im tolerablen Bereich, vor allem in den Räumen, die von vornherein als Archivräume vorgesehen waren. Im ersten Kellerstock, der auch heute noch für die Unterbringung von Archivalien genutzt wird, ist die Feuchtigkeit im Jahresmittel nur leicht erhöht. Klimatisch schwieriger ist der eben- falls für Archivzwecke genutzte Dachstuhl, wo es zu stärkeren Temperatur- und Klimaschwankungen kommt. Bei der Belegung dieser beiden Lagerorte mit Archivgut sind diese Besonderheiten zu berück- sichtigen. Das Gebäude des Fürstenbergarchivs, nach außen relativ abweisend, ist konsequent auf ein Ziel ausgerichtet: Urkun- den, Akten und Büchern eine möglichst sichere und dauer- hafte Aufbewahrung zu bieten. Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen 205

 

 

 

Der Max-Egon-Saal Im Inneren überrascht der äußerlich so zurückhalten- de Bau mit einem prächtigen barocken Bibliotheks- saal. Das Gestühl mit seinen aufwändigen Schnit- zereien und Einlegearbeiten, mit Köpfchen, Fratzen und Kapitellen stammt aus dem fürstenbergischen Schloss Meßkirch und wurde schon zur Erbauungs- zeit des Archivs nach Donaueschingen überführt. Es beherbergte ursprünglich die Arbeitsbibliothek der benachbarten fürstlichen Zentralverwaltung, daher die Zierrahmen am Kopf der Regale, die nur juris- tische Sachgebiete ausweisen. Heute befindet sich im Max-Egon-Saal die Arbeitsbibliothek des Archivs mit Werken zur badischen, württem bergischen und fürstenbergischen Geschichte. Ganz rechts unten: ein Geheimfach. 206 Geschichte

 

 

 

Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen 207

 

 

 

Das „Reisearchiv“ Ein „Highlight“ des Fürstenbergarchivs ist das sogenannte „Reisearchiv“ in den Ge- wölben A und B des Erdgeschosses. Hierbei handelt es sich um die wichtigsten Doku- mente des Archivs, die bereits in Flucht- kisten verpackt sind, damit sie im Gefahren- fall schnell auf Fahrzeuge verladen und in Sicherheit gebracht werden können. Die „Flüchtung“ des fürstenbergischen Archivs vor allem vor französischen Heeren war im 17. und 18. Jh. keine Seltenheit. Letztmals fuhren 1796 insgesamt 17 große Wagen ins schweizerische Feuerthalen, um das Archiv in Sicherheit zu bringen. Auch im Zweiten Weltkrieg waren die wichtigsten Stücke aus- gelagert, diesmal auf der Burg Wildenstein im Donautal. Das Erdgeschoss und die Obergeschosse Die wertvollsten Archivalien wurden in den beiden Gewölben des Erdgeschosses in speziellen Flucht- kisten untergebracht, so dass sie bei Kriegsgefahr schnell und reibungslos in Sicherheit gebracht werden konnten. Ein Saal im ersten Obergeschoss diente den Archivaren und Registra toren als groß- zügiges Arbeitszimmer. Im zweiten Obergeschoss wurde das barocke Bibliotheksgestühl aus dem fürstenbergischen Schloss Meßkirch eingebaut. Es war vor allem für die juristische Arbeitsbibliothek der Zentralverwaltung bestimmt. Im Grunde ist dieses Gebäude, auf das man schon zu Planungs- und Bauzeiten viel Sachverstand und finanzielle Mittel verwandte, bis heute bautech- nisch up to date. Das Fürstenhaus wendet neben an- deren, vielfältigen Kulturleistungen regelmäßig hohe Summen für das Archivpersonal und den Erhalt des Archivgebäudes auf. Eines der größten Adelsarchive Deutschlands Das Fürstenbergarchiv zählt zu den größten Adels- archiven in Deutschland und gleicht in seiner Größe einem kleineren Staatsarchiv. Das Archivgebäude ist vom Keller bis unter das Dach bis auf den letzten Quadratmeter mit Archivalien gefüllt, ein gewaltiger Bestand, in dem etwa 25.000 Pergamenturkunden verwahrt werden. Das Ausmaß an archivierten Akten ließe sich nur in Regalkilometern angeben. Entschei- dend für die Bedeutung des Archivs ist aber weniger dessen Quantität, als vielmehr die Qualität der Überlieferung. Worauf beruht diese? Da die Fürsten- berger – wie alle anderen Standesherren nach der Mediatisierung des Jahres 1806 – ihr gesamtes Archiv ungeschmälert als Privateigentum behalten konnten, ist es für die Zeit bis 1806 somit als ein Landesarchiv anzusehen. Es bewahrt neben der Überlieferung der fürst- lichen Familien und ihrer Besitzungen auch umfang- reiche Bestände hoheitlicher Herkunft. Schließlich war Fürstenberg nach dem Herzogtum Württemberg, den vorderösterreichischen Landen, den vereinig- ten badischen Markgrafschaften und der Kurpfalz das größte reichsunmittelbare Territorium im deut- schen Südwesten. Wer sich mit der Geschichte eines fürsten bergischen Ortes, einer Liegenschaft, einer bestimmten Familie oder Person, einem x-beliebigen historischen Thema aus der Zeit vor 1806 beschäf- tigen will, der kommt kaum am Fürstenbergarchiv vorbei. Insbesondere für die Geschichte der ehemals fürstenbergischen Orte und Gemeinden im Schwarz- wald-Baar-Kreis enthält es einen schier unerschöpfli- chen Fundus an historischen Quellen. 208 Geschichte

 

 

 

Rechts: Urkunde vom 10. Dezember 1716. Kaiser Karl VI. erhebt die Linien Stühlingen und Meßkirch des Hauses Fürstenberg in den Fürstenstand. 1664 war bereits die Heiligenberger Linie „gefürstet“ worden.Die für die Familie Fürstenberg äußerst wert- volle Urkunde ist mit einer Goldenen Bulle besiegelt. Unten: Urkunde, entstanden zwischen 1492 und 1499. Papst Alexander VI. stellt den Grafen Heinrich und Wolfgang von Fürstenberg einen Beichtbrief aus. Zu sehen sind oben das Wappen des Papstes mit der Tiara und den Schlüsseln des Petrus, darunter das Wappen des Hauses Fürstenberg.

 

 

 

Die politischen Verhältnisse in der Zeit nach 1806, also für das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die NS-Zeit, spiegeln sich auch in der archivi- schen Überlieferung wider. Als Großgrundbesitzer, Eigentümer zahlreicher Wirtschaftsbetriebe, poli- tisch aktive Standesherren, engagierte Förderer des kulturellen Lebens, Mitbegründer der „Donaueschin- ger Musiktage“ und der „Internationalen Reitturnie- re“ – um nur einige ihrer Engagements zu nennen – waren die Fürstenberger auch nach 1806 wichtige Repräsentanten in den fürstenbergischen Landen und darüber hinaus und nahmen zahlreiche Funk- tionen in Wirtschaft und Gesellschaft wahr. Damit übersteigen die Volumina der in dieser Zeit entstan- denen Akten das historische Archiv deutlich. Manch neuer Bestand gehört zu den am meisten genutzten Abteilungen des Archivs; so auch jene Materialien, die die fürstenbergische Residenzstadt Donaueschin- gen betreffen und eigentlich in ein Kommunalarchiv gehören. Das Donaueschinger Stadtarchiv ging aber im 20. Jahrhundert gleich zweimal komplett verlo- ren: 1908 verbrannte es beim großen Stadtbrand und 1945 wurde es vor den anrückenden Franzosen in Sicherheit gebracht und verschwand „auf Nimmer- wiedersehen“. Alle dazu angestellten Nachforschun- gen, um den Bestand wiederzufinden, verliefen ergebnislos. Herausragend zu nennen sind die Archivbestände zur fürstenbergischen Theater- und Musikgeschichte, allen voran zu den „Donaueschinger Musiktagen“. Sie In einer weiteren archivischen Sonderrolle beherbergt das Fürstenbergarchiv den Nach- lass des Fürsten Max Egon II. zu Fürstenberg. Er avancierte nach 1900 zum besten Freund des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II. wurden speziell in den letzten 15 bis 20 Jahren und besonders im Vorfeld des hundertjährigen Jubiläums (2021) sehr intensiv erforscht. Zahlreiche wissen- schaftliche Veröffentlichungen und Quelleneditionen konnten so erscheinen. In einer weiteren archivischen Sonderrolle be- herbergt das Fürstenbergarchiv den Nachlass des Fürsten Max Egon II. zu Fürstenberg. Er avancierte nach 1900 zum besten Freund des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II., und hatte als Vizepräsident des österreichischen Herrenhauses beste Beziehungen zum österreichischen Kaiserhaus. Sein Nachlass ist eine Fundgrube für die Spätzeit der Monarchie in Deutschland und Österreich und wird deshalb immer wieder von Forschern genutzt. Das Arbeitszimmer Als das Archiv noch das Staatsarchiv des Fürstentums Fürstenberg war und deshalb wie ein Tresor vor fremden Blicken und Benutzern geschützt wurde, diente das Arbeits zimmer im ersten Obergeschoss nur den Archivaren und Registratoren. Heute forschen hier die wissenschaftli- chen und heimatkundlichen Benutzer des Archivs. Nur dieser Raum ist beheizt und hat zum Schutz der Archivare vor der Kälte einen Parkettfußboden. 210 Geschichte

 

 

 

der fürstenbergischen Baar und der angrenzenden Landesteile dar. Als Leistung eines standesherrlichen Archivs sind sie einzigartig. In zahllosen Büchern, Aufsätzen, wissenschaft- lichen Beiträgen etc. haben Autor(innen) Archi- valien aus dem Fürstenbergarchiv genannt oder in Fuß noten zitiert, die sie für ihre Publikationen verwendet haben. Mit jeder Anfrage bzw. jedem Benutzerantrag ist das Fürstenbergarchiv selbst involviert, da deren forschungsleitendes Interesse unterstützt sein will und in der Folge manche erst zu findende Archivalie ausgehoben wird. Es wä- re eine Fleiß arbeit, die für die Orte in den ehem. Fürstenbergischen Landen erschienenen Ortschroni- ken, kirchen- oder familiengeschichtlichen Beiträge, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Aufsätze u.a. mit dem Quellenmaterial aus dem Fürstenbergarchiv in Verbindung zu bringen. Es würde aber aufzeigen, welche Bedeutung dieses Archiv auch in der Gesamt- schau mit den Materialien z.B. des Staatsarchivs Frei- burg und des Generallandesarchivs Karlsruhe für die Aufgabe der Geschichtsvermittlung hat. Aktenbündel über Aktenbündel im zentralen Treppenhaus, welches das gesamte Gebäude erschließt. Aufgaben und kulturelle Bedeutung des Fürstenbergarchivs Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv enthält die Überlieferung der Grafen und Fürsten zu Fürsten- berg. Es ist ein ungewöhnlich reichhaltiges und nahezu geschlossen erhaltenes Archiv. Der Familie galt es stets als größter Schatz und wurde entspre- chend sorgfältig gehütet. Bis zur Mediatisierung von 1806 und noch weit da- rüber hinaus war das Archiv ein Ort, zu dem Fremde, Besucher und Forscher keinen Zutritt erhielten; es war das Geheime Staatsarchiv der Fürstenberger Lande und diente ausschließlich der fürstlichen Verwaltung. Dies änderte sich mit dem Verlust der staatlichen Selbständigkeit 1806. Die Fürstenberger mussten sich jetzt gänzlich neu positionieren, wollten sie ihren Status als hochadeliges Haus bewahren. Ein wichti- ger Schritt dazu war neben der Modernisierung der Wirtschaftsbetriebe und der Verwaltung der Aufbau der „Fürstlich Fürstenbergischen Institute für Kunst und Wissenschaft“ unter Fürst Karl Egon III. ab 1860. Zu ihnen zählten neben dem Archiv auch die Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen und die Hofbiblio- thek, die der Öffentlichkeit in großzügiger Weise zugänglich gemacht wurden. Das Archiv erhielt den speziellen Auftrag, die Fürstenbergische Geschichte zu erforschen und interessierte externe Benutzer bei deren eigenen Recherchen zu unterstützten. Ein weiteres Faktum macht das Fürstenberg- archiv bemerkenswert: Es wurde bereits im Jahr 1862 von Fürst Karl Egon III. zur wissenschaftlichen Forschungsstätte ausgebaut und der geschichts- interessierten Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das Archiv wird deswegen hauptamtlich von einem Historiker geleitet und zählt daher zu den gut zugänglichen Adelsarchiven in Deutschland. Im Fürstenbergarchiv befindet sich auch die Hofbiblio- thek des Hauses Fürstenberg. Zwischen 1870 und 1950 haben die Fürsten- bergischen Archivare ein viel beachtetes historisches Forschungs- und Editionswerk vorgelegt. Unbestreit- bare Höhepunkte waren dabei das „Fürstenbergi- sche Urkundenbuch“ und die „Mitteilungen aus dem Fürstenbergarchiv“, eine neunbändige Edition der Quellen zur Haus- und Familiengeschichte bis zum Jahr 1600. Beide Werke stellen nach wie vor die Grundlage aller historischen Arbeit im Gebiet Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen 211

 

 

 

Häufig sind historische Gedenktage oder Jubi- läen fürstenbergischer Orte und Einrichtungen der Anlass, das ganze Arsenal der Geschichtsvermittlung zum Einsatz zu bringen. Es werden Ausstellungen und Tagungen konzipiert und ausgerichtet, wissen- schaftliche Beiträge verfasst, Bücher geschrieben oder herausgegeben, Vorträge gehalten und Führun- gen angeboten. Der Fürstliche Archivar übernimmt daneben vielfältige Repräsentationsverpflichtungen für das Haus Fürstenberg, vor allem in kulturel- len oder historischen Zusammenhängen. Auch im Rahmen der Kultur- und Tourismusarbeit der Stadt Donaueschingen. Als besonders beliebtes Ereignis hat sich die Übergabe der vom Fürstenhaus alljähr- lich gespendeten „Goldenen Uhr für die besten Ab- solvent(innen) des Fürstenberg-Gymnasiums“ durch den Archivar etabliert. Die Archivare Bei der Darstellung der Fürstenberger Archivge- schichte ist zu erwähnen, dass schon im Jahr 1723 die Funktion des fürstlichen Archivars neben Hof- und Kammerräten als Mitglied der Donaueschinger Regierung genannt wurde. Diese hierarchische Positionierung ist zu dieser Zeit ungewöhnlich und zeigt einerseits den Weitblick des Fürsten und andererseits die hohe Wertschätzung, die dem damaligen Archivar zuteil wurde. Der Inhaber dieser Stelle könnte mit einem der „Räte und Registrato- ren“ identisch sein, die auf der älteren der beiden Wandtafeln genannt sind, die zu deren Gedenken im Benutzerraum des Archivs ausgestellt sind. Archivare sind die berufenen Hüter des Gedächt- nisses der Region, für die das Archiv mit dem Gut an schriftlichen Überlieferungen besteht. Sie arbeiten kraft ihrer persönlichen und fachlichen Qualifikation auch als „Übersetzer“ von Schriftgut, da die Archiva- lien bis etwa Ende des 19. Jahrhunderts in deutscher Kanzlei- bzw. Kurrentschrift verfasst sind und der Transkription in die heute lesbare Schrift bedürfen. Neben dieser Aufgabe ermöglicht erst die Inter- pretation der Inhalte die Erkenntnisgewinnung für den forschenden Archivar oder den nachfragenden Benutzer und macht die ausgehobenen Archivalien erst dadurch sprechend. Archivare sind die berufenen Hüter des Gedächtnisses der Region. bezeichnungen auf den obigen Wandtafeln schon verraten, dass sie als „(Hof)Rath und Registrator/ Archivarius“ bis Mitte des 19. Jahrhunderts stets in einer Doppelfunktion auftraten und danach – ent- sprechend dem gestiegenen Aufkommen an Archiv- gut – in der Archivarbeit ihre Hauptaufgabe hatten. Als Leiter des Fürstenbergarchivs fungierten danach nicht mehr – wie bisher – [Verwaltungs]Juristen, sondern Historiker, von denen einige mit besonderen wissenschaftlichen Leistungen hervortraten. Den Anfang machte 1862 Freiherr Roth von Schreckenstein, der zuvor Vorstand des Germani- schen Museums in Nürnberg gewesen war und nach seinem Ausscheiden Direktor des Generallandesar- chivs in Karlsruhe wurde. Auf ihn folgten bekannte Namen wie Dr. Sigmund Riezler, Dr. Franz Ludwig Baumann, Aloys Schulte, Dr. Georg Tumbült und Prof. Dr. Karl Siegfried Bader, allesamt anerkannte Wissen- schaftler und Archivare, die den Ruf des Archivs im 19. und 20. Jahrhundert weit über die Region und die Landesgrenzen hinaus begründeten. Dem letztgenannten Karl Siegfried Bader, der in seiner Eigenschaft als Rechtshistoriker weit über seine Archivarbeit in Donaueschingen hinaus wirkte, wurden verschiedene Würdigungen seines Lebenswerks zuteil. Auch der in Baders Nachfolge amtierende Archi var Georg Goerlipp wurde für seine Jahrzehnte währende Arbeit geehrt; er hatte fast sein gesamtes Berufsleben mit hohem persönlichem Engagement im Fürstenbergarchiv zugebracht. Dr. Andreas Wilts – Herausforderungen einer neuen Zeit Mit Dr. Andreas Wilts wurde im Jahr 1995 ein Nachfolger berufen, der über 170 Jahre nach der erstmaligen Nennung eines Fürstenbergarchivars die lange Reihe an Amtsinhabern fortsetzte und sich der anspruchsvollen Aufgabe in Donaueschingen stellte. Diese Quellenarbeit wird seit vielen Jahren von Der neue Archivar ging mit Respekt an seine Persönlichkeiten wahrgenommen, deren Amts- archivische Lebensaufgabe, von der er – wie seine 212 Geschichte

 

 

 

Dr. Andreas Wilts leitete das Fürstlich Fürstenbergische Archiv von 1995 bis zum Jahr 2022. 213

 

 

 

Die Fürstenfamilie mit Dr. Andreas Wilts bei der Vorstellung des Buches „Max Egon II. zu Fürstenberg – Fürst, Soldat, Mä- zen“ vor einem Portrait des Fürsten Max Egon II. Von links: I. D. Erbprinzessin Jeannette zu Fürstenberg, S. D. Erbprinz Christian zu Fürstenberg, S. D. Fürst Heinrich zu Fürstenberg, I. D. Fürstin Massimiliana zu Fürstenberg und Dr. Andreas Wilts. Vorgänger – schon bei Dienstantritt wusste, dass er wichtige, vielleicht einmalige Bausteine für das Geschichtsbild würde beisteuern können, die Arbeit aber niemals final erledigt sein werde. Zu den außergewöhnlichen Projekten gehörte aber vor allem: Andreas Wilts war in der langen Ge- schichte des fürstenbergischen Archivwesens der erste Leiter, dessen Amtszeit mit den Anfängen, dann mit den stürmischen Weiterentwicklungen der Informationstechnologie einherging. Personal Computer der 1980er Jahre wurden während seiner ersten Dienstjahre allmählich in den Verwaltungsbe- trieb integriert, während die eigentliche Archivarbeit noch von Karteikarten oder Zettelkästen als Find- mittel gekennzeichnet war. Die Innovationszyklen der IT wurden immer kürzer, eine Hardware- und Softwaregeneration löste die andere ab, bevor sie von den Anwendern richtig beherrscht und ange- Und doch stößt dieser Wandel für ein Archiv die Tür zu einer völlig neuen Welt auf, die sich in vollem Gang befindet und die über die Amtszeit von Andreas Wilts hinaus sich nicht nur als vorteilhaft, sondern geradezu als segens- reich erweisen wird. wandt werden konnte. Die 1990er-Jahre waren das Jahrzehnt des Internets und des World Wide Web, und es zeichnete sich ab, dass die weitere Dienstzeit von Andreas Wilts und seinen Mitarbeiter(innen) von neuen Herausforderungen, aber auch von riesigen Chancen geprägt sein würde. Insofern entsprach die- ser fundamentale Wandel aber der allgemeinen Ent- wicklung in Wirtschaft und Gesellschaft und bedürfte für ein Archiv nicht der besonderen Erwähnung. Und doch stößt dieser Wandel für ein Archiv die Tür zu einer völlig neuen Welt auf, die sich in vollem Gang 214 Geschichte

 

 

 

befindet und die über die Amtszeit von Andreas Wilts hinaus sich nicht nur als vorteilhaft, sondern geradezu als segensreich erweisen wird: Die Rede ist von der Digitalisierung von Archivalien. Während in Jahrhunderten der Nutzung von Gerichts- und Verwaltungsakten, Urkunden, Verträgen, Protokoll- und Rechnungsbüchern u.v.a.m. immer die Originale in Gebrauch waren, d.h. von den Archi varen den Nutzern zur Einsichtnahme vorgelegt wurden und diese im Laufe der Zeit oft beschädigt wurden oder gar verloren gingen, ist deren Digitalisierung nicht weniger als eine großartige Errungenschaft, ein Mei- lenstein. Im Archiv an einem speziellen Gerät das Digi- talisat lesen und den Inhalt auf einem USB-Stick mitnehmen zu können, ist schon technische Realität, wenn auch ein Großteil von Archivalien – so auch im Fürstenbergarchiv – für diesen Transformationspro- zess noch ansteht. Auch hierzu wird der nächste Ver- fahrensschritt schon längst praktiziert, nämlich – un- ter Verzicht auf den Archivbesuch – der Zugriff auf Archivbestände über das Internet und der Download auf einen externen Rechner. In diesem Spannungs- feld stand und steht das Fürstenbergarchiv an der Schwelle zum Übergang der Leitung auf den Nach- folger von Andreas Wilts. Bei seinem Amtsantritt im Jahr 1995 äußerte er angesichts einer im Benutzerraum ausgestellten „ganzen Galerie zierlich gerahmter Porträts mit ehrwürdigen Männerköpfen“ in einem „Südkurier“- Interview, er hoffe, dass eines Tages die Reihe der in Ehren gehaltenen Fürstenberg-Archivare mit seinem Porträt ergänzt werde. Damit hatte er sich hohe Ziele gesetzt und diese in den 27 Jahren seines Wirkens nie aus den Augen verloren. Aus gutem Grund und großer Dankbarkeit wird sein Porträt nun einen wür- digen Platz an der Stätte finden, wo er bleibende Spuren hinterlassen hat. Ein Archivar ist es gewohnt, in langen Zeiträumen zu denken. Möge Andreas Wilts diese Übung für seinen Ruhestand beibehalten. Nachfolge durch Dr. Jörg Martin Als Nachfolger ist Dr. Jörg Martin bestellt, der die lange Reihe fürstenbergischer Archivare fortsetzen wird. Der Historiker und gelernte Archivar brachte aus seinen früheren Aufgaben als Archivar in Blaubeuren, Schelklingen und Munderkingen sowie als Kreisarchivar des Alb-Donau-Kreises bereits umfangreiche fachliche Erfahrungen mit, bevor er in den Stadtarchiven der Städte Staufen im Breisgau und Bad Krozingen neue historische Räume erschlie- ßen und als Kulturreferent beste Voraussetzungen für seine vielfältigen Aufgaben in Donau eschingen sammeln konnte. Der neue Archivar Dr. Jörg Martin. Das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Donaueschingen 215

 

 

 

Außenansicht des Museum Art.Plus mit Werken von Jürgen Knubben, Paul Schwer und David Nash. 216 6. Kapitel – Kunst und Kultur

 

 

 

Das Museum Art.Plus Eine Geschichte über Kontinuität und Wandel in Architektur und Kunst von Ursula Köhler Seit 180 Jahren prägt das klassizistische Museums- gebäude in Donaueschingen den Ort am Ufer der Brigach1. Obwohl der zweigeschossige Bau im Verhältnis zu seiner Umgebung, am Übergang zum Landschaftspark und in der Sichtachse zum fürstenbergischen Schloss, eher klein dimensioniert ist, wirkt er markant. XXX 217

 

 

 

Ungefähr sieben Generationen haben das Museum in unter- schiedlichen Funktionen ken- nengelernt und seine jewei- ligen Umgestaltungen gesehen. Immer war es ein öffentlicher Ort. Vom Haus der Musen, in denen die bürgerliche Museums gesellschaft sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts traf, wandelte es sich zum Soldatenheim. Nach den Zerwürfnis- sen infolge des Ersten Weltkriegs und der Auflösung der Museumsgesellschaft wur- de es in städtischer Trägerschaft in den 1920er-Jahren zum Kurhaus umgestaltet und schließlich von 1937 an für fast sie- ben Jahrzehnte zum Kino. Gemessen an der gesamten Zeitspanne seines Beste- hens sind 13 Jahre, in denen das Museum Art.Plus in diesem geschichtsträchtigen Haus existiert, recht kurz. Doch lässt sich umso besser nachvollziehen, welche gesellschaftlichen Veränderungen sich bereits seit seiner Eröffnung im Sep- tember 20092 ereignet haben, sei es im technischen, wirtschaftlichen oder im kulturellen Bereich. Sanierung lässt ursprüngliche Atmosphäre wieder erahnen Wie sehr ein Gebäude seine Umgebung beeinflusst, lässt sich bei der Erinnerung an das funktionslos gewordene, verwit- ternde Lichtspiel-Haus nachvollziehen. Von dem ehemaligen selbstbewussten Anspruch einer gebildeten Bürgergruppe im Stadtraum durch repräsentative Architektur sichtbar zu sein, war zu Beginn des 21. Jahrhunderts wenig erkennbar geblieben. Das änderte sich mit der geplan- ten Nutzung des Hauses als Museum für zeitgenössische Kunst durch ein Sammlerpaar. Auf dem Höhepunkt der internationalen Neubauaktivitäten, um Privatsammlungen in eigenen Muse- en präsentieren zu können, wurde in Donaueschingen der Rückbezug auf ein 218 Das gemeinsame Credo von Auftraggebern und Architekten war, so vorsichtig wie möglich mit der alten Substanz umgehen. traditionelles Haus gewagt3. Die Sanie- rung durch die ortsansässigen Architek- ten gäbele&raufer hat dem Ort viel von seiner Strahlkraft und stadträumlichen Wirkung zurückgebracht und lässt die ur- sprüngliche Atmosphäre wieder erahnen. Das gemeinsame Credo von Auftrag- gebern und Architekten war, „so vorsich- tig wie möglich mit der alten Substanz umgehen.“4 Nun ist es ein kühnes Unter- fangen, zeitgenössische Kunst in einem traditionellen Gebäude ausstellen zu wol- len – selbst wenn es ‚schon immer Muse- um genannt wurde‘5 , denn es war unter gänzlich anderen Voraussetzungen er- richtet worden. Bei genauerem Hin sehen aber muteten manche Ansprüche einer Lesegesellschaft bereits wie aktuelle Mu- seumsanforderungen an. Dabei kann ein besonderer Reiz von dem scheinbaren Widerspruch ausgehen, zeitgenössische Werke explizit in einem nicht für sie ent- worfenen Raumkontext zu zeigen. Die Bauaufgabe Museum war noch nicht formuliert, als sich die Architekten in fürstenbergischen Diensten an die Arbeit machten. Bauinspektor Martin entwarf für den Neubau von 1841 die Grundstruktur des heutigen Baus, der von Baumeister Theodor Diebold nach einem Brand leicht modifiziert wieder- aufgebaut wurde. Deutlich ist an dem Gebäude von 1848 ablesbar, dass hier die im Schlossbau verankerte Galerie Modell stand. Viele der frühen eigenständigen Stefan Rohrer, Vespa, 2007. Kunst und Kultur

 

 

 

Museum Art.Plus 219

 

 

 

Das „Museum“ als städtisches Kurhaus Ende der 1920er- Jahre. Museumsbauten, etwa die 1843 eröffnete Staatsgalerie in Stuttgart, weisen deshalb eine stark durchfensterte Fassade auf. Das entspricht nicht heutigen Standards der inzwischen höchst ausdifferenzierten Bauaufgabe. Keine fensterlose ‚Schachtel‘ Die fensterlose ‚Schachtel‘ wurde zum Ideal erhoben, da in ihr optimale Lichtverhältnisse erzeugt werden können. Eine Aussage darüber, was gute Räume für die Kunst sind, ist schwierig. Allerdings darf auch eine perfekte Architektur für die Kunst die Umgebung, in der sie steht, nicht außer Acht lassen.6 Für eine andere Museumsaufgabe am Anfang des 21. Jahrhunderts, nicht nur zu bilden, sondern auch zu unterhalten, bot das historische Gebäude mit Festsaal und Foyer bereits die besten Vorausset- zungen. So sah das neue Konzept vor, das Museum in dieser ursprünglichen Funk- tion aufleben zu lassen. Anhand der Bau- unterlagen im Fürstenbergischen Archiv konnte das Architektenpaar seinem An- spruch gerecht werden: „Ein historisches Haus muss nach einem Umbau seine Einheit und architektonische Integrität beibehalten oder aber wieder gestärkt bekommen … Die Veränderungen sollen einen Bogen spannen vom Ursprung bis ins Heute. Unsere Maßnahmen sollen sich als Teil des Bogens einspannen.“7 Die tatsächlichen Qualitäten der durch viele Umnutzungen veränder- ten Innenräume kamen so wieder zum Vorschein. Als Hauptmerkmal hatten gäbele&raufer die Bausymmetrie identifi- ziert. Diese nutzten sie als verbindendes Element für den rückseitig situierten Erweiterungsbau aus Leichtbeton. Subti- ler sind die Verbindungen zwischen den traditionellen Materialien und modernem Baustoff. Die stimmige Gesamtwirkung erzeugt Details, die eine anhaltende ästhetische Kraft entfaltet. Das Haus erstrahlt auch deshalb wie- der in klassizistischer Würde, weil ein heller Fassaden anstrich, gepaart mit dem bewussten Verzicht auf Fensterläden den Baukörper wieder unverformt zum Vor- schein bringt. Dabei vereint das Gebäude in einem steten Wechsel alt und neu, offen und geschlossen, innen und außen, weiß und schwarz, Solitär und Ensemble, Kultur und Natur. Das Weiß hat auf die 220 Kunst und Kultur

 

 

 

Ein historisches Haus muss nach einem Umbau seine Einheit und architektonische Integrität beibehalten oder aber wieder gestärkt bekommen … Die Veränderungen sollen einen Bogen spannen vom Ursprung bis ins Heute. Unsere Maßnahmen sollen sich als Teil des Bogens einspannen. Außenhaut des Museums gefunden, um dort auf den Eindruck des ersten Entwurfs anzuspielen. Die dunkle Pflasterung im Bereich zwischen Schauseite und Brigach führt optisch und real zum rückwärtigen monolithischen Erweiterungskubus aus schwarz eingefärbtem Leichtbeton. Die- ses Wechselspiel von Anpassen und Kont- rast greift der Neubau auf. Historische Innenräume unterstützen die Kunst Während 13 Nutzungsjahren konnten genügend Erfahrungen gesammelt werden, die zeigen, dass sich der anspruchsvolle Weg, ein historisches Gebäude in ein, den aktuellen Anforde- rungen entsprechendes Ausstellungshaus zu konvertieren, gelohnt hat und die Lorbeeren des Deutschen Architekten- preises berechtigt waren. Als unterstützend für die Kunst haben sich die historischen Innenräu- me erwiesen, die in unterschiedlichen Ausstellungszusammenhängen für die Besucher*innen und Kunstwerke einen harmonischen Begegnungsraum erzeu- gen. Dabei gehören die Veränderungen im Tages- und Jahresverlauf, den die Lichtstrahlen als (Seh-)Erfahrung durch die Fenster schicken, zum beständigen Subtext. Als Nutzungsspur ist das Thema Zeit im ganzen Haus ebenso erfahrbar wie in etlichen Werken der Sammlung und Ausstellungen. Besonders sinnfällig tritt das Phänomen von Dauer und Ver- änderung in Jinmo Kangs Baumporträt hervor, das 2009 zur Museumseröffnung entstand und den Ausstellungsraum nach außen erweitert. Im Laufe der Jahre wuchs der frisch gepflanzte Kirschbaum über sein Abbild aus Edelstahl hinaus. Nicht zuletzt rhythmisieren zwei parallel gezeigte Wechselausstellungen mit unterschiedlichen Laufzeiten die Prä- sentationen. Das kleinere Format bietet experimentellen, partizipativen Kunstfor- men Raum und knüpft zudem mit jährli- chen Klanginstallationen während der Ta- ge Neuer Musik an die Aufführungspraxis aus der Anfangszeit des Festivals an. Breites Spektrum künstlerischer Projekte Das heutige Museum Art.Plus wirkt und wird als identitätsstiftender Ort wahrge- nommen. Variantenreiche künstlerische Projekte, zu denen die Stadtgemein- schaft zur Mitgestaltung eingeladen ist, loten ihn aus. Beispielsweise bereitet Gabriela Oberkofler 2012 ein Festessen aus einer kollektiven Speisekammer zu, die die Donaueschinger*innen zuvor bestückt hatten. Bei diesem temporären Projekt löst sich dessen materielle Grundlage in einem Transformationspro- zess auf, um im immateriellen Bereich als Erinnerung aufgehoben zu sein und möglicherweise als Gemeinschaftserleb- nis nachhaltig zu wirken. Museum Art.Plus 221

 

 

 

Das heutige Museum Art.Plus wirkt und wird als identitätsstiftender Ort wahrgenommen. Ebenfalls um Individuum und Ge- meinschaft geht es zwei Fotografen 2014 und 2019, wenn sie Porträts vom Muse- umspublikum anfertigen. Wolf Hoelzle integriert die Donaueschinger Aufnah- men in sein Projekt Homo Universalis. Durch Überblendung aller Fotos entsteht schließlich ein allgemeintypisches Ge- sicht. Bei Robert Hak hingegen steht das individuelle Einzelgesicht im Fokus. Durch standardisierte Fotoausschnitte schließt er 100 zufällige Besucher im Kontext des Ausstellungsraums zu einer Gruppe zusammen. Museumsort und individuelle Erinnerung verknüpft Karolin Bräg in ihrer Text-Schrift-Installation von 2016 explizit. Eine extreme Form der künstlerischen Auseinandersetzung mit Ort und Zeit, mit Ausstellungsraum und Publikum, mit Gestaltungsmitteln und Formen beginnt im Juli 2019 vor dem Museum.8 Daniel Beerstecher bricht als eine le- bende Skulptur zu einem Langsamkeits- marathon von 60 Tagen auf, der höchste Selbstfokussierung erfordert. Schon anhand dieser wenigen Werk- und Ausstellungsbeispiele wird deutlich, dass Künstler*innen die gesellschaftli- chen Veränderungen im Bereich Indivi- duum, Gruppe und Öffentlichkeit früh registrierten und sichtbar machten. So unterschiedlich die Gestaltungsformen ausfallen, ihnen allen liegt ein weiter Kunstbegriff zugrunde, der in seiner Vielfalt immer noch im musealen Kontext erlebbar wird. Seit vielen Jahren drehen sich fachinterne Debatten um andere Ausstellungs- und Vermittlungsformate, um niedrigschwellige Zugänge zu Kultur- institutionen. Das Auto als Gegenstand in der zeitgenössischen Kunst Die unübersehbare allgemeine Faszination an Geschwindigkeit und am Auto mündet 2019 in eine Ausstellung, die in historischen Museumsräumen – aus einer deutlich langsameren, unmotorisierten Zeit – das Auto als Gegenstand in der zeitgenössi- schen Kunst und als Sammlerstück Rechts: Ausstellungs- situation, Raum 3 (Anbau). Links: Ausstellungssituation, Raum 2. 222 Kunst und Kultur

 

 

 

Museum Art.Plus 223

 

 

 

224 Kunst und Kultur

 

 

 

Links: Spiegelsaal des Museum Art.Plus mit Helios von Stefan Rohrer, 2013. präsentiert. Ausgebremst wurde die Ausstellung „Vollgas – Full Speed“ von der Pandemie, die das öffentliche Leben für lange Zeit zum Stillstand brachte und andere öffentlichkeitswirksame Kommu- nikationsformen nötig machte. Das Digitale wurde zum rettenden Vehikel und geriet an den Museen schneller als erwartet aus der Testphase zur Anwendung. Per Handy abrufbare Ausstellungsvideos und Audioguides ermöglichen geleitete Kunstrundgänge. Dieser weder orts- noch zeitgebundene Zugang generiert andere Erfahrung von Realität und Öffentlichkeit. Welche ge- sellschaftlichen Auswirkungen die von Covid ausgelöste Zäsur hat, ist noch nicht abzuschätzen. Vorerst lassen sich die Un- terschiede zwischen digital und analog, ihre jeweiligen Vor- und Nachteile bei einem Kunst-Spaziergang am Museums- weg oder im Museum Art.Plus in Donau- eschingen untersuchen. Ein interaktiver Audioguide liefert per QR-Code- Scan nützliche Informationen zur aktuellen Ausstellung. Mehr Informationen finden Sie unter www.museum-art-plus.com 1 Huth, Volkhard: Donaueschingen – Stadt am Ursprung der Donau. Ein Ort in seiner ge- schichtlichen Entwicklung, Sigmaringen 1989 / Nachdruck 1997. 2 Eröffnet wurde es noch unter dem Namen Mu- seum Biedermann und fünf Jahre später in Mu- seum Art.Plus umbenannt, um das Augenmerk auf die inhaltliche Ausrichtung von Kunst und kulturellen Begleitveranstaltungen zu lenken. 3 Als Beispiele seien in der näheren Umgebung genannt: die Fondation Beyeler in Riehen/ Basel, 1997 (Architekt Renzo Piano); Kunsthal- le Würth in Schwäbisch Hall, 2001 (Architekt Henning Larsen); Museum Frieder Burda in Baden-Baden, 2004 (Architekt Richard Meier); Museum Ritter in Waldenbuch, 2005 (Architekt Max Dudler); Kunstraum Grässlin in St. Georgen, 2006 (Architekt Lukas Baumewerd); Kunsthal- le Weishaupt in Ulm, 2007 (Architekturbüro Wolfram Wöhr) 4 Gäbele, Lukas und Raufer, Tanja: Museum Biedermann: der Umbau 2008-2009, hrsg. v. Biedermann Foundation u.a., Freiburg i.Br. 2009, vgl. a. S. 38. 5 „Museum wurde es immer schon genannt“ ist der Titel eines Kunstprojektes von Karolin Bräg, 2016, in dem die Künstlerin in 111 Zitaten von Donaueschinger*innen, deren Erinnerungen und Bindungen an das Haus sichtbar werden ließ. Ein erlebter Zeitraum von annähernd 90 Jahren Hausgeschichte konnte damit wieder in die Öffentlichkeit gebracht werden. 6 Die Relevanz von „Unterhaltung“ im positiven Sinn betont David Chipperfield in einem Inter- view anlässlich der Schlüsselübergabe seines Erweiterungsbaus für das Kunsthaus Zürich. Vgl. https://www.archithese.ch/ansichten/in-den- kontext-gesetzt.html, aufgerufen am 7.9.2022 7 Gäbele, Raufer, 2009, S.39. 8 Der Walk-in-Time war Daniel Beerstechers Beitrag zum Skulpturenprojekt Donaugalerie der Stadt Tuttlingen. Museum Art.Plus 225

 

 

 

7. Kapitel – Freizeit

 

 

 

Mythen und Zauber der Wutachflühen XXX Unterwegs mit Wolf Hockenjos

 

 

 

228 228 Freizeit

 

 

 

XXX Wenn in den Wutachflühen zigtausendfach der Märzenbecher blüht, finden sich alljährlich Hunderte von Wanderern ein. 229

 

 

 

Auf einem Parkplatz oberhalb der Wutachflühen beginnt die Rundwanderung durch die wild-romantischen aber nicht ungefährlichen Wutachflühen. Wer hier wandern geht, braucht einen sicheren Tritt.

 

 

 

Die Wutach, der letzte ungebändigte Wildfluss des Schwarzwalds, schuf mit seiner tief eingegrabenen Schlucht nicht nur ein touristisches Juwel, sondern auch ein aufgeklapptes Lehrbuch für Geologen. In rascher Folge lassen sich hier die Formationen der südwestdeutschen Schichtstufenlandschaft durchwandern: Vom kristallinen Grundgebirge des Schwarzwalds durch das Buntsandstein­ Deckgebirge und vor allem aber durch die Muschelkalk­Felsenwelt der mittleren Schlucht. Alles auf das Anschaulichste aufgeschlossen durch die enorme Erosionskraft des vor ca. 20.000 Jahren mit dem Ausklingen der letzten Eiszeit zum Hochrhein hin abgelenkten Flusses. Am abrupten Knick des Tals nach Süden hin wird noch heute erkennbar, wo die alte, gemächlich ostwärts fließende Feldbergdonau angezapft und abgeleitet worden ist. Mythen und Zauber der Wutachflühen 231

 

 

 

Oben: Der Scharlachrote Kelchbecherling erscheint nach der Schneeschmelze. Mitte: Die Mühlsteine der Moggerenmühle. Unten: Die Hirschzunge ist nur in den Flühen zu finden. Ab Achdorf nimmt das dank weicher, rutsch- gefährdeter Gesteinsschichten geweitete und landwirtschaftlich genutzte Tal plötzlich Schluchtcharakter an: die Wutachflühen tun sich auf (von alemannisch Fluh = Felsen). Sie erreicht man am besten über das achterbahnartig nach Fützen füh- rende, sehr schmale „Wellblechsträßle“ (siehe Skizze, 1). An dessen Scheitelpunkt dient ein beliebter Wan- derparkplatz als Start und Ziel für eine 2,5 stündigen Rundwanderung: Zu Fuß geht es zunächst 350 Meter auf dem steil abfallenden Sträßchen retour, markiert mit dem gelben Rhombus des Schwarzwaldvereins, bis ein durch Holz erntemaßnahmen zunächst ziem- lich ramponierter Erdweg (am Markierungspunkt „Am unteren Flühen weg“) nach links abzweigt. Diesem folgend, geht es flussabwärts knapp über der rauschenden Wutach dahin, vorbei an den Mühl- steinen der 1891 durch ein Hochwasser zerstörten Moggerenmühle (2). Bisweilen verengt sich der Weg durch Hangschutt und Geröll zum Fußpfad, der jedoch gut zu begehen ist. Zur Linken blickt man den bewaldeten Steilhang hinauf zu den gewaltigen, aus Muschelkalk beste- henden Felsgalerien, in denen die Dohlen lärmen und auch Wanderfalken wie Uhus horsten. Im zei- tigen Frühjahr lockt im Schluchtwald unter Linden, Ahornbäumen, Eschen und Tannen die Märzen- becherblüte (3), ein Muss für jeden wintersatten Baarbewohner! Allenfalls ausgangs der Gauchach- schlucht oder auf dem Wartenberg lassen sich ähnli- che Frühlingsgefühle erwandern, wenn auch längst nicht in vergleichbarer Fülle. Als floristische Ganzjahresbesonderheit ist die seltene Hirschzunge (Bild rechts unten) zu entde- cken, ein zungenförmiges Farngewächs, das sonst weder die obere, noch die mittlere Schlucht zu bieten hat. Als weitere Rarität der Flühen gilt der Scharlachrote Kelchbecherling, ein nach der Schnee- schmelze in Erscheinung tretender Pilz feuchter, 232 Freizeit

 

 

 

 „Wellblechsträßle“ Richtung Achdorf 2 Mühlräder der Moggerenmühle Steinstrand an der Wutach 3 Märzenbecherblüte START/ZIEL: WANDERPARKPLATZ P Aussichtspunkt  Sackpfeifendobel Richtung Fützen Aussichtspunkt 9 Sturzdobel Wasserfall BLUMEGG 8 Lunzifelsen 7 Mannheimer Felsen 6 Steinskulptur „Wächter der Wutachflühen“ 5 Schautafeln 4 Viadukt der Sauschwänzlebahn KURZBESCHREIBUNG Strecke: ca. 6,5 Kilometer, Rundtour Dauer: ca. 2,5 Stunden Pausen: Vesperpause am Viadukt der Sauschwänzlebahn; spätere Einkehr in der Scheffellinde in Achdorf möglich. Höchster Punkt: 622 Meter über NN Tiefster Punkt: 518 Meter über NN Anforderung: mittelschwere Tour; Trittsicherheit; gutes Schuhwerk Aussichtsreiche Rundtour mit vielen botanischen und geologischen Höhepunkten. Mythen und Zauber der Wutachflühen 233

 

 

 

felsiger und moosreicher Kalkböden der Schlucht- wälder. Erst bei der überraschend auftauchenden Brücke (4) der strategischen Bahn, der „Sauschwänzlebahn“, verlassen wir den Erdweg und wenden uns nach dem Studium der Schautafeln (5) zum Bau der Bahn scharf nach links, um nun den schmalen, mitunter sogar recht ausgesetzten und Trittsicherheit erfor- dernden Felsenpfad einzuschlagen, auf dem auch die beiden Fernwanderwege verlaufen: Der Ostweg des Schwarzwaldvereins (von Pforzheim nach Schaff- hausen) und der Schluchtensteig (von Stühlingen nach Wehr). Der Felsenpfad führt auch zurück zum Ausgangspunkt der Wanderung – nicht ohne Warn- hinweis des Schwarzwaldvereins an die Adresse von allzu ungeübten Halbschuhtouristen. Das Fabelwesen „Wächter der Wutachflühen“ Nach etwa zehn Fußminuten, erst durch eine vom Nadelholz geräumte Kahlfläche, auf der im Frühjahr Seidelbast und Leberblümchen blühen, dann durch den blocküberlagerten, zunehmend urwüchsigen Schluchtwald, entdecken wir ihn endlich – fast hät- ten wir ihn übersehen: den „Wächter der Wutachflü- hen“, wie das aus einem Muschelkalkblock heraus gemeißelte Fabelwesen (6) in den Wanderführern angepriesen wird, das knapp einen Meter hohes Un- tier mit Hufen, Höckerbeulen über dem Rücken und einem furchteinflößenden löwenartigen Schädel mit vorspringendem Riecher. Wer mag bloß der Erschaf- fer dieser rätselhaften Skulptur gewesen sein, und zu welchem Zweck mag er sich hier, so weit abseits der Zivilisation, als Steinmetz verewigt haben? War es ein Witzbold, der Wanderern einen Schrecken einja- gen wollte? Viele haben sich schon an der Deutung der Figur versucht, nicht zuletzt der im Ruhestand befindliche Bonndorfer Lehrer Emil Kümmerle in seinem Buch „Sagen und Geschichten aus dem Raum Bonndorf – Stühlingen – Wutach“. Ihm zufolge soll der Urheber ein Bildhauer aus Spanien oder Italien gewesen sein, der als Gastarbeiter in Blumberg gelebt und sich in ein Fützener Mädchen verliebt habe, das oftmals die Flühen zu durchstreifen pflegte. Doch habe es keinerlei Interesse an seinem Anbeter gezeigt. Woraufhin der verschmähte Liebhaber die Tierplastik geschaffen und dem Mädchen sodann erklärt habe: „Immer wenn Du durch die Flühen gehst, wirst Du an mich denken.“ Soweit also der romantische Erklä- rungsversuch. Oder sollte der Steinmetz doch eher einer jener Spezialisten gewesen sein, wie man sie zur Bewäl- tigung aufwändiger Felsarbeiten vorzugsweise aus dem italienischen Piemont ins Land geholt hat? Beim Bau der Sauschwänzlebahn mit ihren Tunneln, Viele Rätsel gibt in den Wutachflühen die Steinskulptur „Wächter der Wutachflühen“ auf. Und lädt damit zu allerhand Spekulationen förmlich ein. 234 Freizeit

 

 

 

Das Wutach-Viadukt der 1890 eröffneten Sauschwänzlebahn. Die 107,5 Meter lange und 28 Meter hohe Wutachbrücke liegt in einem Gebiet, das wegen geologischer bedingter Rutschungen den Bauingenieuren viele Sorgen bereitete. 235

 

 

 

In der Blumberger Chronik wird die Skulptur heimweh – kranken italienischen Gastarbeitern zugeschrieben, die beim Bau der Sau- schwänzle bahn beschäftigt waren. Kehren und Brücken in den Jahren 1887 bis 1890 war derlei Spezialistentum zweifellos gefragt. Werk des Tierarztes Sylvester Dillmann? Freilich gibt es auch noch eine ganz andere Lesart, über die der SÜDKURIER am 11. Mai 2010 berichtet hat: In einem Steinbruch im Gewann Fohloch unweit von Epfenhofen waren an etlichen Steinblöcken ebenfalls höchst seltsame Steinmetzarbeiten ent- deckt worden. Es handelt sich um halb reliefartige Darstellungen u. a. einer Christusfigur, einer Frau mit Löwenkopf, eines Rehs, eines Löwen kopfs sowie die Figur des Sehers aus der Minnelyrik des Walther von der Vogelweide. Auch sie wurden in der Bevölkerung wie auch in der Blumberger Stadtchronik heimweh- kranken italienischen Gastarbeitern zugeschrieben, die beim Bau der Bahnlinie beschäftigt waren. Doch anlässlich einer VHS-Wanderung habe der Verfasser der Epfenhofener Ortsgeschichte, Edwin Fluck, sich dafür verbürgt, dass die in Kalkstein gemeißelten Darstellungen vom Donaueschinger Tierarzt Sylvester Dillmann (1934 – 2010) stammen. Dessen Vater war in Epfenhofen Zollbeamter, der- weil der Sohn täglich mit der Bahn ins Waldshuter Oben: Eine nach Knoblauch duftende Bärlauchwiese. Mitte: Der sagenumwobene Lunzifelsen. Unten: Kleinod in den Felsen, eine „Mariengrotte“. 236 Freizeit

 

 

 

Der Felsenpfad in den Wutachflühen kann teils nur von geübten Wanderern begangen werden. Gymnasium zu gondeln hatte, wo ihn der Deutsch-, Geschichts- und Kunstunterricht bei seinem Hobby inspiriert haben könnten. Mag also durchaus sein, dass er die Bahnfahrt bisweilen an der Haltstation Wutachbrücke unterbrach, um statt des staubtrocke- nen Mathematikunterrichts an seinem Fabelwesen zu meißeln. Der „Wächter der Wutachflühen“ – wo- möglich ein Schülerstreich? Der Tierarzt kann leider nicht mehr dazu befragt werden: Kurz nachdem er sich Edwin Fluck im Epfenhofener Steinbruch offen- bart hatte, ist er verstorben. Entlang des Felsenpfades Genug der Rätsel um das steinerne Fabelwesen, konzentrieren wir uns jetzt voll und ganz auf den Pfad, der sich in geschlängeltem Auf und Ab durch den Steilhang zieht, zur Rechten überragt von den Flühenwänden, aus denen sich immer wieder einmal Felsmassen gelöst haben. Darunter der „Mannhei- mer Felsen“ (7), wie einer Tafel zu entnehmen ist. Mit ihr wird einer Geldspende von Mannheimer Wanderfreunden gedacht, die damit 1908 die Einheimischen beim Bau eines Stegs über die Wutach unterstützt haben. Die Felsblöcke haben da und dort zu Verebnungen geführt, auf denen im fort- geschrittenen Frühjahr der nach Knoblauch duftende Bärlauch blüht. Noch immer nicht herabgestürzt ist die bizarre Nadel des sagenumwobenen „Lunzifelsens“ (8), der freilich nur im laublosen Winterzustand der Vegeta- tion hoch über dem Pfad zu entdecken ist. Gruselig sind alle Versionen der Sage, die sich hier zugetragen haben soll: Mal ist es die schöne Mechthild, Braut des Freibauern Lunzi vom nahen Thalerhof, die sich, verfolgt vom Blumberger Burgvogt, vom Fels herab- gestürzt haben soll. Für zarter Besaitete hat Emil Kümmerle aber auch noch eine „Openend-Variante“ Mythen und Zauber der Wutachflühen 237

 

 

 

parat: Diesmal ist es Guntrud, die Braut des Freibau- ern Gero vom Lunzihof, die sich mit ihrem Liebsten vor dem zudringlichen und rachsüchtigen Blumegger Vogt, dem verhassten Dienstmann des Fürstabts von St. Blasien, in den Flühen verstecken muss, nachdem es zuvor zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit ihm gekommen war. Hier stürzt sich nicht die Braut in die Tiefe, es sind vielmehr die beiden miteinander „auf schmalem Tannenstamm überm Abgrund“ um sie Ringenden, Gero und der Vogt – während Guntrud nie mehr gesehen ward. Dann rücken die Felswände näher heran, an denen sich schwindelanfällige Wanderer entlang zu tasten pflegen, und es geht hinein in den „Sturzdobel“ (9) mit seinem über einen Kalktuffbart herab plätschernden Mini-Wasserfall. Schließlich teilt sich der Pfad, und wir nehmen den rechten, der zum Parkplatz hinauf markiert ist (0,5 km): Erst einem steilen Zickzackpfad folgend, dann um den jäh in die Tiefe stürzenden „Sackpfeiferdobel“ (10) herum, geht es schließlich über zwei mit Geländer versehe- ne Felskanzeln mit Tiefblick auf die Wutach hinab. Nach Verlassen des Waldes steht man dann urplötz- lich wieder vor seinem am Wanderparkplatz abge- stellten Wagen. Wen drängt es jetzt nicht zu einem zünftigen Vesper, doch hierzu gilt es erst noch einmal das abenteuerliche Wellblechsträßle zu bewältigen – es geht nach Achdorf in die Scheffellinde. Pläne zur Elektrizitätsgewinnung in den 50er-Jahren Nachzutragen ist: Die Wutachflühen mit ihren Felswänden und -dobeln, mit ihren floristischen und zoologischen Kostbarkeiten sind seit 1979 Natur- schutzgebiet, während obere und mittlere Schlucht samt Gauchach bereits 1939 unter Schutz gestellt worden waren. Um sie hatte es in den 1950er-Jahren ein heftiges Ringen gegeben, nachdem die Schluch- seewerk AG zwischen Haslach- und Rötenbachein- mündung eine 62 Meter hohe Staumauer errichten wollte, um das Wasser der Wutach zur Elektrizitäts- gewinnung in das Hotzenwald-Speichersystem abzuleiten. „Hände weg von der Wutachschlucht!“, wehrte sich eine erste deutsche Bürgerinitiative dagegen. „Ein nationaler Notstand zwingt nicht dazu, das Naturschutzgebiet zu opfern“, so ihr Appell. Denn was wäre das Erlebnis der Schlucht Die Wutachflühen mit ihren Felswänden und -dobeln, mit ihren floristischen und zoologischen Kostbarkeiten sind seit 1979 Naturschutzgebiet. ohne Wasser! Naturschutzgebiete können, wie man sieht, wachsame (wenn auch nicht unbedingt steinerne) Wächter besonders gut gebrauchen: Noch 1971 signalisierte das Schluchseewerk sein nach wie vor bestehendes Interesse an der Wutachableitung. Sollten die Pläne unterm Vorzeichen des Klimawan- dels und des Ukrainekriegs nun wieder aus den Schubladen hervorgeholt werden? Bergwacht bringt im Notfall rasche Hilfe Als „Wächter“ über die Wutachschlucht fungiert indessen auch unübersehbar die Bergwacht, die sie auf Hinweisschildern in Sektoren samt Notrufnum- mer 112 aufgeteilt hat, um bei Unglücksfällen rascher Hilfe leisten zu können. Zuletzt am 9. Februar 2022 wurde sie zur Bergung eines tödlich verunglück- ten Wanderers in die Wutachflühen gerufen. Der Besucherandrang in diesem touristischen Hotspot fordert leider immer wieder seinen Tribut, weshalb von der Begehung im Winter – wie auch zur Zeit der Schneeschmelze und bei Nässe – von Wutach- Ranger Martin Schwenninger dringend abgeraten wird. Das Kalkgestein kann allemal sehr glitschig werden, von umgestürzten Bäumen, gar von Felsstürzen und Rutschungen, einmal ganz abgesehen. Zur Märzen- becherblüte verzichte man im Zweifel besser auf die Benutzung des Felspfads – wie dann halt auch auf eine Stippvisite beim steinernen „Wächter der Wutach flühen“. Rechts oben: Der „Sturzdobel“ mit seinem Mini- Wasserfall. Rechts unten: Blick von einer Felskanzel auf die Wutach hinab. 238 Freizeit

 

 

 

Mythen und Zauber der Wutachflühen 239

 

 

 

Schroffe Felsen, sanfte Höhen Eine Wanderung bei Gremmelsbach und Windkapf von Gerhard Dilger 240 Freizeit

 

 

 

Die rund 14 Kilometer lange Tour im nördlichen Kreisgebiet startet am Wanderparkplatz „Dieterle- bauernhöhe“ in Triberg-Gremmelsbach. Sie ist vom Charakter her zweigeteilt: Bewegt man sich in der ersten Hälfte auf Gremmelsbacher Gemarkung im schroffen Felsengebiet des oberen Gutachtales, so ist der zweite Teil der Wanderung eine eher ebene Angelegenheit ohne allzu große Höhenunterschiede. Eine Wanderkarte wie die des Schwarzwaldvereins (Blatt W 248) leistet gute Dienste. Schon die Anfahrt auf der schmalen, nicht sehr stark befahrenen Straße durch den Leutschenbach lässt die landschaftliche Schönheit erahnen, die die Wanderer erwartet. Auf dem Parkplatz gibt es immer genügend Platz, und so startet man entspannt in westliche Richtung, durchquert ein lichtes Waldstück und gelangt bald an den ersten Aussichtspunkt. Was es damit auf sich hat, erklärt eine Info tafel zum Historischen Pfad Gremmelsbach, initiiert vom Hei- matverein. Diesen Informationstafeln begegnet der Wanderer noch öfters. An diesem Punkt jedenfalls ist trotz der Entfernung von rund 60 Kilometern an kla- ren Tagen der Turm des Straßburger Münsters auszu- machen, ein schönes Schauspiel insbesondere nachts durch die Beleuchtung. Nicht umsonst versammeln sich hier jedes Jahr am französischen Nationalfei- ertag (14. Juli) zahlreiche Menschen, um aus großer Distanz das Feuerwerk zu beobachten. Trotz der Entfernung von rund 60 Kilometern ist an klaren Tagen der Turm des Straßburger Münsters auszumachen, ein schönes Schauspiel insbesondere nachts durch die Beleuchtung. Weg zum Rappenfelsen mit 800 Metern, die Alter- native führt über die Gersbacher Höhe etwas weiter (1,8 km) ebenfalls zum Rappenfelsen. Diese Variante ist die empfehlenswertere, weil sie mehr Aussicht bietet. Also halblinks in den Wald hinein und leicht bergauf. Nach etwa 200 Metern tauchen noch im Wald rechts des Weges auffällige Hügel auf, die vom Landesdenkmalamt als Hügelgräber aus der Bronze- zeit (1200 bis 800 vor Christus) eingeordnet werden. Wenig später öffnet sich auf der Gersbacher Höhe der Blick nach Südwesten und Westen, und eine ungewohnte Aussicht auf Triberg bietet sich. Eine Wenig später bietet der Wegweiser des Schwarz- waldvereins zwei Möglichkeiten an: Einen kürzeren Gleich zu Beginn der Wanderung bietet sich dieser Blick auf Althornberg und die Höhen nördlich des Kinzigtals. 242 242 Freizeit

 

 

 

aus ist erstmals Hornberg mit seiner Burg auszu- machen, wenn auch die Bäume den Aussichtspunkt mittlerweile stellenweise überragen. Blick auf die kunstvolle Streckenführung der Schwarzwaldbahn Das ist auf dem im weiteren Wegverlauf bald erreich- ten Oberen Schlossfelsen anders: Nach dem Bestei- gen des steilen Felsens öffnet sich ein ungehinderter Blick, der senkrechte Absturz ins Gutachtal ist durch ein Geländer gesichert. Dennoch ist ein wenig Vor- sicht angebracht, gerade für nicht schwindelfreie Personen. Für Eisenbahnfreunde bietet sich hier die Möglichkeit, die kunstvolle Streckenführung der Schwarzwaldbahn zu verfolgen: Gleich an mehreren Stellen ist die von Robert Gerwig ersonnene Tras- se zu erspähen, es lohnt also, in den Fahrplan der Schwarzwaldbahn zu schauen, wenn man die Eisen- bahn auf ihrer Fahrt verfolgen will. Nach dem Abstieg geht es weiter zum Unteren Schlossfelsen, der über einen steilen, gesicherten Steig ebenfalls gut zu erreichen ist. An dieser Stelle stößt man nun auf menschliche Spuren: Im Mittel- alter stand hier die Burg der Herren von Hornberg, „Althornberg“ genannt. Ein in den Fels gehauener Der Aufstieg zum Rappenfelsen ist einfach zu bewältigen und gut gesichert. Auch Hügelgräber aus der Bronzezeit tauchen auf dem Weg zum Rappenfelsen im Wald auf. Sitzgruppe steht für eine erste Rast bereit, unterhalb findet sich ein großer, rundlicher Felsblock aus Tri- berger Granit, der ein Kruzifix trägt. Weiter geht der Weg rechts in den Wald hinein und führt sanft ab- wärts, vorbei an einem ersten, schön gelegenen Aus- sichtsfelsen, der einen Blick hinab ins Tal und auf die Höhen um Schonach ermöglicht. Nach einem kleinen Anstieg erreicht man bald mit dem Rappenfelsen einen ersten Höhepunkt. Der Felsen ist dank der im Jahre 2011 erneuerten Aufstiegshilfen mit Stufen und Geländer leicht zu erklettern. Von seinem Rücken 243

 

 

 

Schacht wurde erst vor relativ kurzer Zeit von dem Gremmelsbacher Heimatforscher Karl Volk als Trink- wasserzisterne der einstigen Burg identifiziert. Recht abenteuerlich geht es vom Wanderheim „Linden- büble“ aus durch einen Hohlweg aus Sandstein hinauf zur Brunnholzer Höhe. Von „Alt hornberg“ Richtung Windkapf Die Route führt nun weiter zu einem einsam gele- genen, idyllischen Weiler, der bis heute den Namen „Alt hornberg“ trägt. Ab hier steigt der Weg abermals an, um nach etwa einem Kilometer wieder die Höhe mit dem Parkplatz zu erreichen. Hier kann man nun wählen: Wem diese kleine, aber spannende Runde über die Felsen genügt, kann wieder den Heimweg antreten und eventuell in Hornberg oder Triberg einkehren. Wer aber auch den zweiten Teil der Wanderung noch unter die Wanderschuhe nehmen will, wendet sich ostwärts und folgt dem Wegwei- ser Richtung Windkapf. Sanft ansteigend geht es zur Obersteighöhe auf 853 Meter Meereshöhe und weiter zum Wegweiser Birkenbühl. An dieser Stelle hält man sich rechts Richtung Holops, wo es kurz vor dem Erreichen des Wanderheims „Lindenbüble“ des St. Georgener Schwarzwaldvereins links in den Wald geht. Bevor man hier eine geschichtlich interessan- te Passage erreicht, den Hohlweg zur Brunnholzer Höhe, bietet sich zumindest sonn- und feiertags ein Abstecher zum besagten „Lindenbüble“ an. In der Sommersaison, die von 1. Mai bis 31. Oktober dauert, freuen sich die ehrenamtlichen Helfer des Vereins zwischen 10 und 18 Uhr auf Tagesgäste. Zurück auf unserem Wanderweg geht es recht abenteuerlich durch einen Hohlweg aus Sandstein, einst Teil der alten „Hochstraße“, hinauf zur Brunn- holzer Höhe. Dieser Weg gilt Heimatforschern als be- reits in vorrömischer Epoche begangene Verbindung zum Windkapf. Aus späterer Zeit findet man auf dem Sandsteinboden noch Radspuren von Fuhrwerken, die wohl bereits im Mittelalter unterwegs waren. Zum Teil bewegt man sich auf weichem Sand, teils besteht der Weg auch aus Sandsteinplatten. Bis zu sechs Metern Tiefe hat die Erosion durch das bei starken Regenfällen durch die Rinne fließende Was- ser den Hohlweg eingeschnitten. Wenn man schließlich die Höhe erreicht hat, ist man erstmals im Grenzgebiet zwischen Schwarz- wald-Baar-Kreis auf Tennenbronner Gemarkung und damit im Kreis Rottweil unterwegs. Die Brunnholzer 244 Freizeit

 

 

 

Höhe ist auch die höchste Erhebung im Landkreis Rottweil. Mit 944 Metern ist hier gleichzeitig der höchste Punkt der Wanderung geschafft. Nach etwa einem Kilometer erreicht man das Gasthaus „Deut- scher Jäger“ am Windkapf, das wiederum einige Meter jenseits der Grenze zum Ortenaukreis liegt. Wie der Wirt Martin Staiger zu berichten weiß, ging einst die Kreisgrenze genau durch das Gasthaus, wurde vor Jahrzehnten jedoch verlegt. „Das wäre bei der heutigen Bürokratie wohl kaum noch so einfach möglich“, schmunzelt der Wirt, der seine Gäste mit gutbürgerlicher Küche versorgt. Im Biergarten sitzt man gut beschattet unter Kastanien. Für durstige Wanderer steht sogar an den Ruhetagen (derzeit Mittwoch und Donnerstag) ein Getränkeautomat bereit, und wer mit dem E-Bike un- terwegs ist, kann hier nicht nur den eigenen „Akku“ wieder aufladen, sondern auch den des Fahrrads. Die Runde schließt sich Nach der Stärkung geht man ein kurzes Stück auf der Hochstraße zurück und hält sich beim Wegwei- ser „Hohe Straße“ rechts Richtung Birkenbühl. Links und rechts sind immer wieder Steinwälle zu sehen, oder was noch von ihnen übrig ist. Manche Heimat- forscher halten sie für Überbleibsel aus keltischer Zeit. Keine ganz abwegige Vermutung, waren doch die Hochstraße und die weiteren Wege über den Windkapf uralte Verbindungen zwischen Ortenau, Baar und Schwarzwald. Auffällig im Waldaufbau sind die zahlreichen Kiefern, sie scheinen sich auf dem Sandsteinboden recht wohlzufühlen. Am Wegweiser Birkenbühl schließt sich die Runde wieder, von hier erreicht man auf demselben Weg wie beim Hinweg nach kurzer Zeit wieder den Parkplatz „Dieterle- bauernhöhe“. Der Blick schweift weit über die Höhen der Grem- melsbacher Gemarkung bis zum Rohrhardsberg, in Richtung Norden sind die Höhen um den Branden- kopf auszumachen. Kurz vor Erreichen des Parkplat- zes biegt rechts der Weg ab in Richtung Philippsruhe und Hornberg, was auch eine reizvolle Wanderung wäre. Doch für dieses Mal mag es genug sein; wer bisher keine der Einkehrmöglichkeiten genutzt hat, kann natürlich nach den rund 14 Kilometern Wande- rung in den umliegenden Orten Hornberg, Triberg oder auch St. Georgen die Gastronomie nutzen. Von oben: Auf der Obersteighöhe, 853 Meter hoch gelegen. Im Gasthaus „Deutscher Jäger“ kann man zur Hälfte der Wanderung eine Rast einlegen, bevor es über die „Hochstraße“ wieder zurück zum Ausgangspunkt nach Gremmelsbach geht. Schroffe Felsen, sanfte Höhen 245

 

 

 

Eine der ältesten Ortsgruppen im Schwarzwald Die Bergwacht Furtwangen wurde 1924 zum Schutz der Natur gegründet von Gerhard Dilger Die 1924 gegründete Bergwacht Furtwangen wird mehr gebraucht denn je: 50 bis 60 Einsätze der Ehrenamtlichen im Jahr sind die Regel. Darunter auch Großeinsätze wie im Juni 2022 in Schonachbach: An der Schwarzwaldbahn geriet eine Böschung in Brand. Durch die Trockenheit war die Gefahr eines flächenübergreifenden Brandes sehr hoch und eine große Zahl von Helfern bemühte sich erfolgreich um die Eindämmung. Mittendrin: die Ortsgruppe Furtwan- gen der Bergwacht. In dem unwegsamen, steilen Gelände brachten die Bergretter eine Seilsicherung an. Darüber hinaus war das äußerst geländegängige, sechsrädrige „ATV“- Fahrzeug (All Terrain Vehicle) der Furtwanger für die anderen Hilfsorgani sa tionen im Einsatz (siehe Foto). 246 8. Kapitel – Vereine und Einrichtungen

 

 

 

Bergwacht Furtwangen

 

 

 

Im Sommer 2022 beging die Bergwacht Schwarz- wald den 100. Jahrestag ihrer Gründung. Nur unwesentlich jünger ist die Ortsgruppe Furtwan- gen: Bereits im Jahre 1924 fanden sich auf Anregung von Adolf Hochweber in Furtwangen sechs an der Natur interessierte Menschen aus den Reihen des Schwarzwaldvereins, Skiclubs und den Naturfreun- den zusammen, um eine Bergwacht zu gründen. Doch zunächst standen nicht wie heute die Rettung von Personen und technische Hilfeleistungen im Vordergrund, es ging den Initiatoren vor allem um den Naturschutz. Die Ortsgruppe richtete dazu einen Bergwachtdienst ein, der im Großraum Furtwangen jedes Wochenende im Einsatz war, um die Besucher des Brend und anderer Gebiete zu einem achtsamen Umgang mit der Natur anzuleiten. Doch naturgemäß waren die Helfer durch ihre ständige Präsenz bald auch als Retter für verun- glückte Wanderer und Skiläufer gefragt. In den 1920er-Jahren gab es immer mehr Menschen, die in ihrer zunehmenden Freizeit Erholung in der Natur suchten. Insbesondere der Skisport entwickelte sich zur Massenbewegung, zwangsläufig stieg die Zahl der Unfälle der meist nicht mit den Gefahren des Winters vertrauten Touristen. Und so verlagerte sich die Tätigkeit der Bergwacht immer mehr in Rich- tung Rettung und Hilfeleistung. In Gasthäusern wie der „Fuchsfalle“ oder dem „Lachenhäusle“ wurden Unfallmeldestellen eingerichtet, und die erste proviso- rische Rettungswache fand ihren Platz im Brendturm. Eine erste Hütte löst den eiskalten Brendturm als Einsatzzentrale ab Doch bald war der Raum nicht nur zu klein, sondern im Winter einfach zu kalt. Der damalige Brendwirt erlaubte den Bergrettern 1936, eine Unterkunfts- hütte auf seinem Gelände zu bauen, sie diente bis zum Zweiten Weltkrieg als Quartier. 1936 trat der legendäre Furtwanger Landarzt Dr. Fritz Guttenberg in die Ortsgruppe ein und organisierte fortan für viele Jahre die Sanitätsausbildung. Seiner Popu- larität war es zu verdanken, dass die Ortsgruppe nach dem Zweiten Weltkrieg regen Zulauf erhielt. Jahrelang war Guttenberg auch Landesarzt der Bergwacht Schwarzwald. Die Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg initiierten 1948 Fritz Gfell, Dr. Guttenberg und Hermann Wehrle. Die Tätigkeit der Berg- wacht verlagert sich ab den 1920er-Jahren immer mehr in Richtung Rettung und Hilfeleistung – insbesondere der Skisport entwickelt sich mehr und mehr zur Massenbewegung. 1953 bauten die Bergwachtmitglieder auf dem Brend die bis heute existierende „Reckholder-Hüt- te“. In der Gegenwart ist die Hütte vor allem für die Pflege der Kameradschaft beliebt, ihre bisherige Auf- gabe als zentrale Rettungswache wurde ab 1988 von der neu erbauten Rettungswache auf der Neueck übernommen. Es hatte sich gezeigt, dass die Orga- nisation mit mehreren Rettungswachen, die über das große Einsatzgebiet verteilt sind, nicht optimal war. In den meisten Fällen können Verunglückte von der Zentrale an der B 500 in Neukirch aus schneller erreicht werden. Die Zentrale der Furtwanger Bergwacht an der B 500 in Furtwangen-Neukirch. 248 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

In den Anfangsjahren verrichtete die Furtwanger Bergwacht ihren Rettungsdienst im 1905 erstellten Brendturm – auch den Winter über ohne Heizung. Der Wintersport blühte in den 1920er-/1930er-Jahren und so kam als neue Hauptauf- gabe der Bergwacht die Rettung von Verletzten hinzu. Unten: Skiabfahrt am unbewaldeten Abhang des Brend. Blick ins Simons wälder Tal und zum Kandel. Bergwacht Furtwangen 249

 

 

 

Stand der Ortsgruppe beigetragen. Für seinen Einsatz wurde er 2019 durch den baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Fundierte Ausbildung für die Einsätze Zur Gruppe der Furtwanger Bergretter gehören der- zeit 15 ausgebildete Aktive, daneben warten noch 15 Anwärter auf ihren Einsatz, wenn ihre Ausbildung abgeschlossen ist. Diese gestaltet sich sehr aufwen- dig. „Aber die umfangreiche Ausbildung ist erfor- derlich“, so Janik Probst. Die Einsätze sind geregelt im Rettungsdienstgesetz, die Arbeit beschränkt sich nicht nur auf Bergungen aus unweg samen Gelände, eine wichtige Aufgabe ist auch die medizinische Versorgung in Notfällen wie zum Beispiel einem Herzinfarkt. Oft sind die Bergretter die Ersten am Einsatzort, die richtige Erstversorgung ist bei solchen Einsätzen extrem wichtig. Und da wundert es nicht, dass die medizinische Ausbildung einen hohen Stellenwert einnimmt. „Neben medizinischen Kenntnissen ist es natürlich entscheidend für eine gute Arbeit, dass auch die technischen Abläufe sitzen“, unterstreicht Marcel Rathmann. Unter Stress im echten Notfalleinsatz müssen die immer wieder geübten Arbeiten gewis- sermaßen „blind“ funktionieren. Dazu trainieren die Bergretter jede Woche und arbeiten auch die Theorie bei Dienst abenden auf. Davor steht aber als Voraussetzung eine umfangreiche Ausbildung, damit man sich als „fertige“ Bergretterin oder Bergretter bezeichnen darf. Nicht zuletzt ist das auch wichtig für einen guten Zusammenhalt, denn der hohen Ver- antwortung wird man nur gerecht, wenn man neben Zur Gruppe der Furtwanger Bergretter gehören derzeit 15 ausgebildete Aktive, daneben warten 15 Anwärter auf ihren Einsatz, wenn ihre Ausbildung abgeschlossen ist. Der Bergwacht-Vorsitzende Rainer Probst wurde 2019 für seinen Einsatz von Innenminister Thomas Strobl mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. „Jugendarbeit ist Voraussetzung für das Weiterbestehen“ Wie sieht nun die Arbeit der Ortsgruppe in der Ge- genwart aus? Bei einem Gespräch mit Mitgliedern der Vorstandschaft gibt Janik Probst, der Schriftfüh- rer des Vereins, einen Überblick: „Unsere Arbeit ruht auf vier Säulen: Kata stro phenschutz, Rettungsdienst, Naturschutz und Jugend arbeit“, fasst er die zentralen Aufgaben zusammen. Und die Vorstandschaft er- gänzt: „Die Jugendarbeit ist elementarer Bestandteil der Zukunft unserer Ortsgruppe sowie der Sicherung unserer Einsatzbereitschaft. Wir sind darauf ange- wiesen, dass sich junge Menschen für unsere Arbeit begeistern und sich bei uns engagieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass wir auch weiterhin eine starke und einsatzbereite Ortsgruppe sind, welche den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landkreises in der Not helfen kann. Die Jugend von heute ist die Zukunft von morgen.“ Hier ist die Furtwanger Bergwacht offensichtlich auf einem guten Weg, es fällt auf, dass die Vorstand- schaft vor allem aus jungen Leuten besteht. Auch der (junge) Technische Ausbilder Marcel Rathmann ist beim Gespräch dabei, der Vorsitzende Rainer Probst ist per Video zugeschaltet. Rainer Probst ist seit 1998 Vorsitzender der Ortsgruppe und hat mit seiner gro- ßen Erfahrung außerordentlich viel zum heutigen 250 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

den technischen Fertigkeiten auch gegenseitiges Vertrauen für die unabdingbare Teamarbeit aufbaut. Die Ausbildung dauert zwei Jahre und besteht aus 182 Unterrichtseinheiten und viel Praxis. Die Grundinhalte sind Technik, Notfallmedizin, Na- turschutz, Alpine Gefahren, Sprechfunk, Orientie- rung im Gelände und Organisation von Einsätzen. Auch Skifahren gehört dazu. Die Ausbildung wird abgeschlossen durch zwei Prüfungen durch den Landesverband in Todtnauberg, eine zweitägige Oben: Kinder und Jugendliche sind für die Arbeit der Bergwacht gut zu begeistern. Unten: Regelmäßige Praxis ist dringend erforderlich: Für eine gute Arbeit müssen die technischen Abläufe sitzen. Auch Kenntnisse im Klettern und Sichern müssen geübt und nachgewiesen werden. 251

 

 

 

Die medizinische Ausbildung hat bei der Bergwacht einen hohen Stellenwert. Sommerprüfung und eine Winter prüfung, die einen Tag dauert. Im Sommer muss die Fähigkeit nachge- wiesen werden, Rettungen in unwegsamem Gelände durchführen zu können. Auch die Kondition, mit Ausrüstung in einer Stunde 400 Höhenmeter zu bewältigen, gehört zu den Grundkompetenzen der Bergretter. Kenntnisse im Klettern und Sichern müs- sen nachgewiesen werden. Einen ganzen Tag lang werden die Kenntnisse in der Notfallmedizin geprüft. Bei der Winterprüfung geht es vor allem um Pisten- rettung und alpine Gefahren. Deutlich verbesserte Finanzierung Wie sieht es nun mit der Finanzierung der aufwen- digen Ausrüstung aus? „In den letzten Jahren hat sich die Finanzierung der Bergwacht doch deutlich In den letzten Jahren hat sich die Finanzierung der Bergwacht doch deutlich verbessert“, sagt Janik Probst. Neben einer gewis- sen Strukturveränderung mit strafferer Organisation ist das nicht zuletzt der ver- stärkten Medienpräsenz zu verdanken. 252 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

Links: Nils – das All Terrain Vehicle. Rechts: Maximus – der Sprinter, der seit 2016 primäres Einsatzfahrzeug ist und für sieben Bergretter sowie einen Verletzten Platz bietet. verbessert“, sagt Janik Probst. Neben einer gewissen Strukturveränderung mit strafferer Organisation ist das nicht zuletzt der verstärkten Medienpräsenz zu verdanken. Hier hat insbesondere Adrian Probst, der rührige Vorsitzende der Bergwacht Schwarzwald und Bürgermeister von St. Blasien, viel zum Erfolg beigetragen. Eine Fernsehserie über die Bergwacht Schwarzwald des Südwest-Fernsehens vor einigen Jahren hat für große Aufmerksamkeit gesorgt. Auch die Furtwanger Bergretter zeigen sich präsent, ne- ben der Webseite, die über die Arbeit informiert, sind es zunehmend die sozialen Medien wie Face- book, über die die Ortsgruppe auf ihre Arbeit auf- merksam macht. Die Einsätze der Bergwacht werden mit den Kos- tenträgern abgerechnet, über den Landesverband fließen Gelder anteilig auch an die Ortsgruppe zu- rück. Ein Wermutstropfen in diesem Zusammenhang ist für die Bergretter, dass es keinen Ausgleich gibt, wenn durch Einsätze Arbeitszeit versäumt wird. So wird die Arbeit für die Allgemeinheit je nach zeitli- cher Lage zum „Privatvergnügen“. Stolz auf die Ausstattung Besonders stolz sind die Furtwanger auf ihre Fahr- zeuge, die sie liebevoll mit Namen versehen haben. Auf „Maximus“ hört der Sprinter, der seit 2016 das primäre Einsatzfahrzeug ist. Er bietet Platz für sie- ben Bergretter und einen Verletzten. Es versteht sich schon fast von selbst, dass das Fahrzeug mit Allradantrieb ausgestattet ist. Die Furtwanger haben bereits im Vorfeld in enger Zusammenarbeit mit der Herbolzheimer Spezialfirma, die für die Innen- ausstattung zuständig war, den „Maximus“ für ihre Zwecke optimiert. Finanziert wurde er vollständig über Spenden von Privatpersonen und Firmen sowie Kommunen. Hier wurde der große Rückhalt deutlich, den die Bergwacht bei der Bevölkerung in Furtwan- gen und Umgebung hat. Neben dem Sprinter unterstützt auch „Anton“ die Arbeit der Ortsgruppe, ein VW T5 mit vier Sitzen. Der ganze Stolz der Ortsgruppe ist jedoch „Nils“: Das sogenannte „All Terrain Vehicle“ der Firma Bombar- dier mit sechs angetriebenen Rädern ist ein weltweit Im Sommer bewegt sich das All Terrain Vehicle „Nils“ auf sechs Rädern, für den Winter wird ein Raupensatz mon- tiert, der das Fahrzeug fast an jeden Punkt im Gelände kommen lässt. Bergwacht Furtwangen 253

 

 

 

Im Sommer 2022 kam es an der Schwarzwaldbahn zu einem Flächenbrand. Außer der Feuerwehr und dem Rotem Kreuz war auch die Bergwacht mit zehn Einsatzkräften vor Ort. einmaliges „Unikat“. Das sieht man auch daran, dass bereits Anfragen anderer Ortsgruppen und von weiteren Hilfsorganisationen zu den Details des Um- baus kommen. Auf der Plattform ruht ein speziell auf Furtwanger Bedürfnisse zugeschnittener Aufbau, der nach den Vorgaben der Bergretter gefertigt wurde. Das Fahrzeug kann neben dem Fahrer und einem Sozius einen Patienten plus Betreuer auch in schwie- rigstem Gelände befördern. Im Sommer bewegt sich „Nils“ auf sechs Rädern, für den Winter wird ein Raupensatz montiert, der das Fahrzeug fast an jeden Punkt im Gelände kommen lässt. Doch woher wissen die Furtwanger Spezialretter, wann sie benötigt werden? Jeder aktive Bergretter trägt einen Fernmeldeempfänger, umgangssprach- lich „Piepser“ genannt, bei sich und wird so über die Integrierte Leitstelle Schwarzwald-Baar über einen Einsatz informiert. Durch die Einsatzmanagement-App „Divera“ kann jeder Bergretter individuell rückmel- den, ob er zu dem aktuell anstehenden Einsatz kom- men kann und wie lange er dorthin braucht. Über diese App behalten die Furtwanger Bergretter auch die Übersicht darüber, wer derzeit als Einsatzkraft zur Verfügung steht. Steigende Zahl von Einsätzen mit oft dramatischen Unfällen Schon seit einigen Jahren stellen die Furtwanger Berg retter eine steigende Zahl von Einsätzen fest, rund 50 bis 60-mal kommen die Aktiven der Orts- gruppe pro Jahr zum Einsatz, und es sind nicht im- mer einfache Einsätze, sondern auch immer wieder dramatische Ereignisse mit manchmal tragischem Ausgang, die die Retter auch psychisch fordern. Ein Beispiel war der Absturz eines Tragschraubers im Bereich Gütenbach vor einigen Jahren, bei dem der Pilot nur noch tot geborgen werden konnte. Im Jahr 2022 waren es allein bis August schon 60 Einsätze, davon eine Bergungsaktion bei einem Segelflug- zeugabsturz in Schonach, bei dem der junge Pilot ebenfalls ums Leben kam. Da sind Einsätze wie zum 254 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

Die Bergretter am Brend mit Einsatzfahrzeug „Anton“. Schon seit einigen Jahren stellen die Furtwanger Berg retter eine steigende Zahl von Einsätzen fest. Und es sind nicht immer einfache Einsätze, sondern auch immer wieder dramatische Ereignisse mit manchmal tragischem Ausgang, die die Retter auch psychisch fordern. Beispiel beim Schwarzwald-Bike-Marathon jeweils im September doch bedeutend angenehmer, wenn auch mit viel Arbeit und Aufwand verbunden. Die Bergwacht ist hier federführend für den Rettungs- dienst verantwortlich. Bei allem Aufwand und bei aller Einschränkung der persönlichen Freizeit ist eines doch deutlich spürbar: Die Furtwanger Bergretter sind begeistert von dem, was sie tun. „Das hundertjährige Jubiläum 2024 werden wir sicher festlich begehen“, so Probst. Die Form der Feier wird bereits geplant, auf jeden Fall werden die Furtwanger „ihr“ zweites Jahrhun- dert zuversichtlich beginnen. Bis heute ist die Ortsgruppe Furtwangen übri- gens die einzige Bergwacht im Schwarzwald-Baar- Kreis. Einst gab es auch in Villingen eine Ortsgrup- pe, die nach einer Serie von tragischen Unfällen außerhalb der Bergwacht aus Mitgliedermangel wieder eingestellt werden musste. Ähnlich erging es einer von Furtwangen aus initiierten Ortsgruppe im bergreichen Großraum Triberg. Bergwacht Furtwangen 255

 

 

 

Wenn Kinder der Natur und Der Bauernhofkinder­ garten in Waldhausen von Dagobert Maier Seit dem 1. März 2022 hat der Bauernhofkindergarten „Grünling“ in Waldhausen geöffnet. „Eine tolle Bereicherung für unsere Stadt“, freut sich der Bräunlinger Bürgermeister Micha Bächle über die 20 neuen Kindergartenplätze im Ortsteil. Träger ist die Genos- senschaft Kita Natura, die Stadt deckt 75 Prozent der Betriebskos- ten. Der Bauernhofkindergarten hat als bereits 20. Kindergarten von Kita Natura den Betrieb auf- genommen, gegründet wurde er auf Initiative von Alexandra Beyrle und Andrea Groß. Der Trägerverein aus Anlass der Eröffnung: „Grün- dungsberatung und Trägerschaft für Bauernhof kindergärten, Wald- und Naturkinder gärten – das ist die Mission unserer 2017 gegründeten gemeinnützigen Genossenschaft.“ Kinder und Eltern jedenfalls sind vom Ergebnis begeistert. 256 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

Tieren ganz nahe kommen Im Bauernhofkindergarten Waldhausen sind die Tiere des Hofes allgegenwärtig. 257

 

 

 

Der Waldhausener Bauernhofkindergarten ist beim 300 Jahre alten Hof der Familie Beyrle untergebracht. Das Erleben der Natur in all ihrer Vielfalt und der Umgang mit Tieren ist einer der Hauptschwerpunkte der täglichen Betreuungsarbeit im Bauernhofkinder- garten (Kiga) im Bräunlinger Ortsteil Waldhausen. Der Kiga „Grünling“ des Trägers Kita Natura hat im März 2022 erstmals Kinder ab drei Jahren aufgenom- men. Berücksichtigt werden nur Kinder aus Bräunlin- gen. Und neben der Kindergartengebühr fällt für die Eltern auch der Kauf eines Genossenschaftsanteils in Höhe von 350 Euro an der Kita Natura an. Der „Grünling“ befindet sich auf dem Gelände des 300 Jahre alten „Waldhauser Hofs“, der von der Familie Beyrle bewirtschaftet wird. Dort ist ein rund 1.000 Quadratmeter umfassendes Außengelände inmitten einer Streuobstwiese für die Zwecke des Kindergartens ausgewiesen. Einige der alten Apfel- und Birnenbäume sind Teil der über einen großen Sandkasten, einen Erdhügel und viel Platz zum Spielen verfügenden Fläche. Der Bauwagen dient zur Aufbewahrung der Materialien und Geräte. Ein Weidentipi, eine Matschküche und der Nasch- garten sind längst beliebte Aufenthaltsorte der Kinder geworden. Wenn es das Wetter einmal nicht zulässt, draußen zu sein, findet die Gruppe Zuflucht in der heimeli- gen Schutzhütte. Diese entstand aus einem alten Wirtschaftsgebäude des Hofes, welches vorher als Hühner stall diente (siehe Foto oben). Darin be- findet sich ein großer Bereich, der als Spiel- und Bewegungs raum genutzt werden kann. Außerdem gibt es ein kleines Badezimmer mit einer Trenntoilet- te und einem Handwaschbecken. 258 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

Die aktive Mitwirkung bei der Versorgung der Tiere ist wichtiger Bestandteil des pädagogischen Konzepts. Der Alltag im Bauernhof-Kiga Grünling muss nicht künstlich erschaffen werden: Die Kinder erfahren hier vielmehr jeden Tag aufs Neue, wie sie durch ihr eigenes Tun in Landwirtschaft, beim Handwerken und im Garten einen Zugang zur Natur und zu Tieren bekommen und lernen dadurch, was nachhaltiges Handeln bedeutet. Es ist nichts Außergewöhn liches, dass beim Spielen die Hühner zwischen den Kindern herumlaufen oder sie deren Eier finden. In den Gesichtern sieht man jeden Tag, wie sie sich über die kleinen und großen Wunder der Natur freuen. Es scheint, als würden sie ihren Bauernhof immer wieder neu entdecken. Sie sprechen mit den Tieren und kümmern sich liebevoll um sie. Die Eltern sehen, dass die Kinder ein Bewusstsein für die Tiere entwickeln, was beim freudigen Erzählen des Neuerlebten jedes Mal deutlich werde. „Für mein Kind ist es ganz wichtig, dass es viel mit der Natur zusammenkommt und auch mit den Tieren den Tag verbringt. Ich freue mich, dass mein Kind einen Platz im Grünling bekommen hat, der ein Naturkonzept mit einem guten und auch nachhal- tigem pädagogischen Verständnis verfolgt“, erzählt eine Mutter. Auch an der Versorgung der Tiere wirken die Kinder mit Kindergartenleiterin Andrea Groß über ihren außer- gewöhnlichen Wirkungsort: „Die Kinder erleben im Bauern hofkindergarten die Natur und die jahreszeit- lichen Veränderungen mit all ihren Sinnen. Die Natur in ihrer Vielfältigkeit, ob im Außenbereich, bei den Tie- ren, im Bauernhof, auf dem Acker oder im Wald. Das Draußen sein unterstützt bei den Kindern den Forscher- drang, das selbstständige Entdecken, Beobachten, Ausprobieren und Erkunden sowie auch die Stärkung des Immunsystems“. Die Diplom-Sozial pädagogin ist zugleich Wildkräuter- und Heilpflanzen pädagogin. Der Bauernhofkindergarten ermöglicht es den Kindern, aktiv an der Versorgung der Tiere mitzuwir- ken. In enger Absprache mit der Landwirtin werden sie in vielfältige Tätigkeiten miteinbezogen. In Klein- gruppen übernehmen die Kinder Aufgaben wie das Einsammeln von Eiern sowie das Versorgen der Hüh- Bauernhofkindergarten Grünling 259

 

 

 

Besonders für Schlechtwettertage braucht es im Bauernhofkindergarten auch eine heimelige „Schutzhütte“. Es handelt sich dabei um den früheren Hühnerstall des Hofes. ner. Diese sind in einem Hühnermobil in der Nähe des Kindergartengeländes untergebracht. „Wir holen die Eier, wir zählen ihre Anzahl, sehr oft nehmen die Kinder die Eier in die Hand, da sie das Naturprodukt spüren wollen und auch wie sich die Eierschale an- fühlt“, so Kindergartenleiterin Andrea Groß. Die Kin- der dürfen außerdem der Mutterkuh herde, die sich in den Wintermonaten im Stall befindet, das Futter hinschieben. Durch das Beobachten, Begegnen und das aktive Mithelfen werden unterschiedlichste Sinne und Emo- tionen angesprochen und die Grünling-Schützlinge lernen, Verantwortung zu übernehmen. Insgesamt soll dabei ein realistisches Bild der Landwirtschaft ermöglicht werden, wobei dieses neben der Geburt auch den Tod eines Tieres beinhaltet. Gesunde Ernährung und Herstellung wichtig „Eine gesunde Ernährung im Kindergarten ist uns wichtig und gehört zum Konzept unseres Kindergar- tens“, unterstreicht die Leiterin Andrea Groß weiter. Durch den eigenen Anbau von Obst und Gemüse im Bauerngarten wird die Wertschätzung von Le- bensmitteln wieder in den Vordergrund gerückt. Die Kinder erfahren, wie viel Zeit und Kraft vor der Zubereitung und dem Verzehr von Essen investiert werden muss. Zusätzlich soll durch das gemeinsame Zubereiten von hofeigenen Produkten ein genussvol- ler Bezug zum Essen hergestellt werden. Im Herbst steht das Obst im Mittelpunkt. Die Äpfel von den Bäumen zu holen ist eines der Haupt- themen. Danach werden sie in einer Saftpresse zusammen gedrückt und die Kinder stellen selbst- ständig Apfelsaft her. Dazu gehört auch ein Besuch in der Mosterei, so lernen sie den Kreislauf vom Ernten bis hin zum Verarbeiten kennen. Die Kinder leben mit der Natur und erfahren, was sie in ihrer Heimat zu der jeweiligen Jahreszeit gerade bietet. Auch im Kiga-Garten, wenn sie in der Erde graben, um beispielsweise Kartoffeln zu sammeln oder Kür- bisse abschneiden, aus denen Suppe gemacht wird. Ebenso beim Ernten der Karotten, die sie gleichfalls mit der eigenen Hand aus der Erde holen. 260 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

Impressionen aus dem Kindergartenalltag – Erlebnisse mit den Tieren und die Freude über das einzigartige Außengelände sind deutlich zu spüren. 261

 

 

 

Nicht im Sandkasten, sondern im natürlichen Erdreich buddeln die Grünling-Schützlinge. Für das Frühstück und das zweite Vesper dürfen die Kinder ihr Essen mitbringen, doch legt der Kiga „Grünling“ Wert auf eine gesundheitsförderliche, abwechslungsreiche Kost. „Sofern es das Wetter zulässt, nehmen wir unsere Mahlzeiten gemeinsam im Freien zu uns. Dabei ist uns wichtig, höflich und respektvoll miteinander umzugehen“, heißt es in der Beschreibung der Kindergartenarbeit, die sich im De- tail auf kita-natura.de findet. Spielzeug mitten in der Natur entdecken Wer den Bauernhofkindergarten „Grünling“ besucht, der spielt mit dem, was die Natur bietet. Das zeigt sich oft beim Marsch in den Wald. Dort werden Stöcke und Tannenzapfen mitgenommen, die die Kleinen lange Zeit begleiten. Andrea Groß: „Unsere Kinder brauchen nur wenig künstlich gefertigtes Spielzeug. Natürlich haben auch wir die üblichen Spielgeräte, darunter Holzfahrzeuge. Immer wieder gibt es Tage, an denen wir nicht ins Freie können, da wird dieses Spielzeug gebraucht. Doch wir sind so oft wie möglich draußen und versuchen mit der Natur in Einklang zu kommen“. Selbst wenn Schnee liegt, sind die Kinder oft im Freigelände zu finden. Ein erstes Fazit nach über sechsmonatigem Kin- dergartenbetrieb lautet: Der Besuch des Bauernhof- kindergartens verändert die Kinder, vor allem ihr Be- zug zu Tieren wird ein anderer. Sind sie anfangs im Umgang mit ihnen meist noch zögerlich, gehören die Hühner oder Hasen nach kurzer Zeit einfach dazu. Nicht nur die Eltern, auch Bräunlingens Bürger- meister Micha Bächle ist von der Einrichtung in Waldhausen sehr angetan. Er betont bei einem Vor ort-Termin wenige Wochen nach der Inbetrieb- nahme: „Der Bauernhofkindergarten ist eine tolle Bereicherung für die Stadt. Mit seinem Konzept wird unsere Bildungs- und Betreuungslandschaft in Bräunlingen noch vielfältiger. Gerne haben wir als Stadt das Vorhaben finanziell und ideell unterstützt.“ Der Kindergarten wird vonseiten der Eltern sehr gut angenommen, die 20 Plätze sind längst besetzt. 262 Vereine und Einrichtungen

 

 

 

xxxxx Die Besucher des Bauernhofkindergartens Grünling in Waldhausen mit ihren Erzieherinnen. Vorne links Kindergartenleiterin Andrea Groß, die die Einrichtung zusammen mit Alexandra Beyrle (hinten links) initiiert hat. Unten: Blick auf das großzügige Freigelände. Bauernhofkindergarten Grünling 263

 

 

 

Feines erleben: Das Hotel-Restaurant „Die Burg“ in Aasen von Tanja Bury 264 9. Kapitel – Gastlichkeit

 

 

 

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Der Name ist hier nicht Programm. Denn eine Burg im klassischen Sinn ist dunkel und verschlossen, eintreten darf nur, wer geladen ist. Beim Hotel­Restaurant „Die Burg“ im Donaueschinger Ortsteil Aasen ist das genau umgekehrt: ein helles und offenes Haus, in dem jeder willkommen ist, der schönes Ambiente und feines Essen schätzt. Und mit zwei Burgherren, die in der Gastronomie ihre Passion gefunden haben: Die Brüder Jason und Niklas Grom. Die Gastgeber Gastfreundschaft, Essen, Trinken, den Men- schen Freude machen – das kennen Jason und Niklas Grom von klein auf. Ihre Eltern führten auf den Immenhöfen eine Garten- wirtschaft. Eine Adresse, die viele Gäste aus dem ganzen Landkreis, aber auch darüber hinaus anzog. „Wir haben immer mitge- arbeitet – und zwar gerne“, erinnert sich Niklas Grom, der jüngere der beiden Brü- der. Schnell sei deshalb klar gewesen, dass der heute 28-Jährige und sein zwei Jahre äl- terer Bruder Jason ihre berufliche Erfüllung in der Gastronomie suchen wollen. Jason hatte sich von Anfang an für die Arbeit in der Küche interessiert. Und so startete er Von links: Jason Grom, Linda Lütte, Niklas Grom und Barbara Grom am Ortsschild der neuen Heimat Aasen. 266 Gastlichkeit

 

 

 

Jason Grom in seinem Kräutergarten. Niklas Grom im gemütlichen Restaurant. nach dem Schulabschluss eine Ausbildung als Koch bei einer guten Adresse ganz in der Nachbarschaft – dem Öschberghof. Auch Niklas’ Weg führte nach der Schule zunächst in das bekannte Hotel-Restaurant, allerdings in den Service und Hotelbereich. Wir haben immer mitgearbeitet – und zwar gerne. Gemein ist den Brüdern, dass sie nach ihren Ausbildungen das heimatliche Umfeld ver- ließen, um neue Gastroluft zu schnuppern, etwas anderes zu sehen. Beide waren in verschiedenen namhaften Häusern – etwa in Arosa, in Wien, am Vierwaldstättersee und in Schaffhausen – beschäftigt. „Wir wollten uns an den besten Betrieben orien- tieren, von den Besten lernen“, erklärt Niklas Grom, der auch eine Weiterbildung als Sommelier absolvierte. Das Ziel der Brüder: der eigene Betrieb. „Aber keinesfalls wollten wir den bevor wir 30 sind“, sagt Jason Grom und lacht. Es sollte anders kommen. Das Haus Aasen hatte einst eine Burg, erbaut von den Herren von Aasen und 1094 erwähnt. Die Anlage ist laut Geschichtsschreibung abge- gangen, es existiert nur noch der Burghügel. Geblieben ist der Name. Die Burg z’ Aase, ursprünglich eine kleine Gaststube inner- halb eines Bauernhofs, war über Jahrzehnte Das Hotel-Restaurant „Die Burg“ in Aasen 267

 

 

 

eine Traditionsgaststätte mit gutbürger- licher Küche. Zusammen mit „Adler“, „Kranz“, „Krone“ und „Ochsen“ war sie ei- ner der Treffpunkte des dörflichen Lebens. Hier kamen die Stammtische zusammen, hier wurde Karten gespielt, nach Beerdi- gungen der Leichenschmaus eingenommen, wurden Hochzeiten und Taufen gefeiert. Doch auch vor Aasen machte das Gasthaus- sterben nicht Halt – die Burg schloss 2008, das Gebäude stand leer. Bis Horst Hall, der Ortsvorsteher von Aasen, es 2016 kaufte. Sein Antrieb war es, dem Dorf wieder ei- nen Treffpunkt zu geben und Platz für eine neue Art der Gastronomie zu schaffen. Als Wirtin mit Leidenschaft hatte er die ehe- malige Betreiberin einer Gartenwirtschaft auf den Immenhöfen im Sinn. Diese lehnte ab, verwies aber auf ihre beiden Söhne: den Koch Jason Grom und den Hotelfachmann Niklas Grom. „So kamen wir zur Burg. Und so hat etwas zusammengefunden, was wohl Das Hotel- Restaurant „Die Burg“ in Aasen. Bei Idee und Planung waren wir involviert und konnten unsere Vorstellungen ein- bringen. zusammengehört. Es fühlte und fühlt sich richtig an“, sagt Niklas Grom. Sein Bruder nickt. Mit Mitte 20 haben die beiden nicht nur einen Betrieb mit all der dazugehörigen Verantwortung übernommen, sondern sie haben ihn auch mitgestaltet. „Bei Idee und Planung waren wir involviert und konnten unsere Vorstellungen einbringen“, sagt Niklas Grom. Im September 2017 dann die Schlüsselübergabe von Horst Hall an die beiden Brüder – der Beginn einer kulinari- schen Reise. 268 Gastlichkeit

 

 

 

Freundlich und kompetent – das Team der Burg. In der Weinba(a)r im Untergeschoss werden Snacks serviert. Das Konzept Diese Reise führt in eine junge Gastrono- mie. Zeitgemäß ist sie, weg vom gutbür- gerlichen Rahmen der vergangenen Tage. „Modern und doch gemütlich“, beschreibt Niklas Grom den Anspruch. Drei Foodkon- zepte sind in der Burg zu erleben. Zum einen findet sich ein international ange- hauchtes, saisonales Menü mit regionalem Bezug. Ganz in der Linie des Casual fine Di- nings – also gehobene Küche ohne Schlips und Kragen. Beste Produkte, verarbeitet nach traditioneller Handwerkskunst. Wer à la carte bestellen will, findet bekannte Klassiker, jedoch neu interpretiert. Zwiebel- rostbraten zum Beispiel, Rindersuppe, Maul- taschen und Käsespätzle. In der Weinba(a) r werden Burger, Schinken- und Käseteller und Wurstsalat serviert. Natürlich, das verschweigen sie nicht, wurden die Brüder anfangs immer wieder kritische darauf angesprochen, warum es in der Burg kein Das Hotel-Restaurant „Die Burg“ in Aasen 269

 

 

 

Schnitzel und keine Schlachtplatte gibt. Und damit eben das, was man bislang ge- wohnt war. „Wir sind die neue Burg“, lautet die Antwort der Groms. Das kommt an, wie verschiedene Auszeichnungen für das Restaurant zeigen. Beispielsweise die des Guide Michelin, 15 Punkte im Gault Millau und andere Erwähnungen in namhaften Restaurantführern. Man freue sich darüber und fühle durch sie in seiner Arbeit bestä- tigt. Doch mehr als Auszeichnungen zählen für die Brüder glückliche Gäste, die mitt- lerweile aus nah und fern kommen. „Ver- lassen sie unser Haus zufrieden, ist das das schönste Lob.“ Insgesamt sind in der Burg 30 Mitarbeiter beschäftigt, auch die Mutter der Grom-Brüder hilft mit. „Damit führen wir die Tradition des Familienbetriebs wei- ter – gemeinsam mit unserem tollen Team“, sagt Niklas Grom. Dazu gehören auch Aus- zubildende. Sie seien, so die Groms, nicht einfach zu finden. Doch die Burg gilt mitt- lerweile als gute Adresse für eine gastrono- mische Ausbildung – das hat sich rumge- sprochen. Und so konnten die Brüder auch dieses Jahr die Ausbildungsplätze in Service und Küche besetzen. Die Küche „In der Region verwurzelt, in der Welt zu Hause“, so beschreibt Jason Grom selbst seinen Stil. Geschmäcker und Gerüche aus seiner Heimat, der Baar, kombiniert der 30-jährige Küchenchef mit internationa- len Produkten. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf regionalen Zutaten. Um das zu zeigen, kann der Gast in der Speisekarte Jason Grom arrangiert einen raffinierten Nachtisch. 270 Gastlichkeit

 

 

 

Kreationen aus der Küche von Jason Grom. Impressionen der Gastlichkeit, umgeben von Kunst, geschaffen durch Andrea Pfrengle. In der Region verwurzelt, in der Welt zu Hause. eine Auflistung der Lieferanten aus der Um- gebung einsehen. Da finden sich Kartoffeln und Eier aus Tuningen, Rinder- und Schwei- nefleisch aus Neudingen, Käse aus Löffin- gen, Reh aus heimischen Wäldern, Pralinen aus St. Georgen. Wenn man Jason Grom danach fragt, was Kochen für ihn bedeutet, spricht er von einer ständigen Herausforde- rung. Man müsse viel probieren und sei – trotz einer abgeschlossenen Ausbildung – nie mit dem Lernen am Ende. „Man muss immer interessiert und wach sein“, sagt er. Es brauche Inspiration und Austausch, die Produkte müssten wertgeschätzt werden. Dazu gehört ein verantwortungsvoller Um- gang mit ihnen. „Es muss nicht immer das Filet sein“, sagt Jason Grom. Deshalb wer- den bei ihm beispielsweise auch Innereien verarbeitet. Kochen bedeute harte Arbeit, das Schaffen mit den Händen und – fürs Kochen brauche es Zeit. „Ohne die geht es nicht“, sagt Jason Grom. So entstehen Ge- richte wie ein Wolfsbarsch mit Safran und Curry, begleitet von Pulpo und fermentier- ten Mirabellen. Oder die Variation von Ka- rotte, die einen den Geschmack dieses Ge- müse ganz neu entdecken lässt. Was Jason Grom selbst am liebsten isst? Da hält sich der Küchenchef bedeckt. Aber er verrät, was seine große Leidenschaft sind: Saucen. „In ihnen ist geballter Geschmack.“ Das Restaurant Ein einladendes, feines Ambiente zeichnet den Gastraum aus. Natürliche Materialien und warme Farben empfangen den Gast, der durch die große Glasscheibe in die Das Hotel-Restaurant „Die Burg“ in Aasen 271

 

 

 

Küche blicken kann. Das ist die Handschrift von Niklas Grom. Der 28-Jährige führt das Restaurant professionell, aber auf keinen Fall aufgesetzt. „Jugendlich-locker wollen wir sein, gepaart mit Herzlichkeit“, sagt er über sich und sein Team. Gemeinsam sei man bestrebt, den Gästen ein Erlebnis zu bescheren. Egal ob Stammgäste oder Besu- cher, die zum ersten Mal in die Burg kom- men, ob Geburtstagsrunde oder Hochzeits- feier, das Essen mit Freunden oder das erste Date – die Burg möchte ein Ort für all diese Anlässe sein. Dazu gehört es für Niklas Grom, dem Gast die Türe aufzuhalten, den Stuhl zurechtzurücken und auf seine Wün- sche einzugehen. Gleichzeitig dezent und präsent zu sein, dass ist der Anspruch von Niklas Grom. Seine Leidenschaft gilt neben dem Service dem Wein mit seinen vielen Fa- cetten. „Wein ist für mich ein unverzichtba- rer Teil eines schönen Restaurant besuchs“, wie er sagt. Der Sommelier hat den Wein- Wein ist für mich ein unverzichtbarer Teil eines schönen Restaurantbesuchs. Rechts: Blick ins Restaurant – offen und gemütlich. keller mittlerweile auf 370 Positionen aus- gebaut. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Deutschland, aber auch Weine aus ganz Europa, Südafrika und dem Libanon finden sich auf der Karte. Gerne beschäftigt sich Niklas Grom mit kleinen Weingütern, die traditionell-handwerklich und teilweise bio- logisch oder biodynamisch arbeiten. Feines erleben, das ist in Aasen dank des Konzepts und vor allem dank der Gast- geber einmal mehr möglich. Die Burg – sie ist im besten Wortsinn ein Gasthaus. 272 Links: Events sind ein fester Bestandteil des Angebots der Burg. Gastlichkeit

 

 

 

Sommelier Niklas Grom. 273

 

 

 

Sanft gegarter Zander mit Meerrettich-Beurre Blanc, Sauerkraut, Dill und Apfel für 2 Personen DIE ZUTATEN FÜR DEN ZANDER Zanderfilet ohne Haut Wasser Salz 320 g 1 l 30 g Fleur de Sel, Nussbutter ZUR FERTIGSTELLUNG DES SAUERKRAUTS 180 g Sauerkraut 2 Stck Schalotten 1 Stck Apfel, Elstar 1 Schuss Winzersekt, trocken 2 Zweige frischer Dill Salz, Pfeffer, Ahornsirup, Piment d‘Espelette, Frühlingslauch, Zitronenöl FÜR DIE MEERRETTICH BEURRE BLANC Schalotten, gewürfelt Knollenselleriewürfel Staudenselleriewürfel Lauch, weißer Teil, fein geschnitten Apfel, Elstar, gewürfelt Ingwer, gerieben trockener Weißwein 1 Stck 1 Stck Knoblauchzehe, in Scheiben 20 g 10 g 10 g 20 g 5 g 40 ml 10 ml Noilly Prat 200 ml Fischfond 1 Stck 100 g 1 Eßl Frischer Meerrettich, Salz, Pfeffer, Lorbeerblatt Lorbeerblatt Butter Sauerrahm Das Salz im Wasser auflösen, das Zanderfilet in zwei gleich große Stücke teilen und in die Salzlake geben. Gekühlt für 3 Stunden ziehen lassen. Den Zander aus der Lake nehmen, abspülen und trocken tupfen. Mit etwas Nussbutter bepinseln und vakuumieren. Im Wasserbad bei 56°C für 16 Minuten garen, aus dem Vakuumbeutel nehmen und mit einem Bunsenbrenner leicht abflämmen. Mit Fleur de Sel nachwürzen. Die Schalotten und den Apfel in feine Würfel- schneiden, den Dill fein hacken. Die Schalotten- würfel in etwas Rapsöl glasig dünsten, das Sauerkraut zugeben, ein Schuss Winzersekt hinzufügen und bei geschlossenem Deckel zum gewünschten Gargrad fertigkochen. Die Apfelwürfel und den Dill unterrühren und mit den Gewürzen abschmecken. Das Gemüse in etwas Rapsöl dünsten, mit dem Alkohol ablöschen und etwas reduzieren. Mit dem Fischfond auffüllen, Lorbeerblatt hinzufü- gen und ca. ½ Stunde simmern lassen. Durch ein Sieb in einen neuen Topf abseihen. Die kalte Butter und den Sauerrahm mit einem Mixstab in den Sud einmontieren, mit dem frisch geriebenen Meerrettich und den Gewürzen abschmecken. 274 Gastlichkeit

 

 

 

ZUM FERTIGSTELLEN Das Sauerkraut mit einem runden Ausstecher mittig auf einem Teller platzieren, das Zanderfilet darauf platzieren und die aufgeschäumte Beurre Blanc angießen. Mit Apfelgel, gepickelten Apfelscheiben, Dillspitzen, Dillöl und frischen Lachsforellenkaviar garnieren. 275 XXX

 

 

 

HERZLICH, HEIMISCH, WILD – “WILDE WELT“ IM (FAST) STILLEN LINACHTAL von Daniela Schneider Gastlichkeit

 

 

 

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XXX Ute und Urs Fischbach, die Inhaber und kreativen Köpfe hinter dem „Wilden Michel“.

 

 

 

Der Michelhof und seine Außenterrasse. „Bitte wild klingeln!“ – der Empfang im Michelhof ist unkonventionell. Das Glöckchen, zu dem diese Aufforderung gehört, steht an der Re- zeption im Flur. Wird es möglichst beherzt betätigt, kommt ein freundlicher Mensch um die Ecke gebo- gen und nimmt den Gast in Empfang. Er betritt im an- sonsten still-beschaulichen Linachtal die „wilde Welt“ des „Wilden Michel“. „Herzlich, heimisch, wild“ – so lautet die erklärte Devise. Davon überzeugen können sich nicht nur die Feriengäste, die munter die Klingel bimmeln, um im Haus oder auf dem dazugehörigen Campingplatz einzuchecken, sondern auch alle ande- ren, die auf dem Hof vorbeikommen. „Herzlich willkommen“ in der Kultgaststätte „Zum Wilden Michel“ somit – aber, was also ist der Linacher Michelhof eigentlich? Ferienhaus mit Campingplatz? Schwarzwaldhof in idyllischer, einsamer und ruhiger Lage? Vesperstube oder Sonntagscafé? Zünftiges Lo- kal mit heimischen Spezialitäten und Steaks vom Grill oder doch eher eine Alternative für Leute, die Lust auf veganes Essen haben? Bunte Wohngemeinschaft? Familienzuhause und Mehrgenerationenhaus? Ein un- komplizierter Ort zum Feiern mit viel Livemusik? Die schlichte Antwort lautet: Ja, all das! Und diese lange Liste ist noch nicht einmal vollständig. Für Urs Fischbach und sein Team dürfte die Frage nach den Schubladen, in die das Projekt „Zum Wil- den Michel” wohl am ehesten passen könnte, aber ohnehin ziemlich überflüssig sein. Kategorien sind ihm, seiner Frau und den Mitstreitern auf dem Hof Das idyllische Linachtal, rechts der Michelhof samt Campingplatz. Gastlichkeit

 

 

 

eher mal so egal wie das Linachtal lang und schön ist. Sie sind an einem Ort im Schwarzwald angekom- men, an dem sie einfach das machen, was sie erfüllt: Gastgeber sein, mit Herz und Verstand einen Betrieb führen, anpacken, Ideen umsetzen. Machen eben. Die Fangemeinde wächst und wächst 2021 wurde der „Wilde Michel“ erworben und be- gründet, seitdem wächst und gedeiht er und trifft ganz offensichtlich einen Nerv: Innerhalb weniger Monate entwickelte sich so schnell eine Fangemein- de, dass es den Beteiligten manchmal schon fast ein bisschen unheimlich wird. Dass hier oben zwischen Bauernhofromantik, Naturidylle und absolut null Handynetz etwas Besonderes auf den Weg gebracht wurde, spricht sich jedenfalls immer mehr rum. Und immer noch mehr Leute wollen wissen und erleben, was den Reiz des „Wilden Michel” genau ausmacht. Um das zu verstehen, muss man allerdings erst einmal den Weg hierher finden. Von Furtwangen vom Mäderstal her kommend sind es knapp sechs Kilometer Fahrweg. Etwa genauso lang ist die Strecke in die andere Richtung das Linachtal runter bis zur bekannten Talsperre. Ja, der Michelhof liegt ab vom Schuss, und genau das macht zweifelsohne einen Teil seines Charmes aus. „Von Montag bis Donnerstag ist hier der Hund begraben“, sagt Urs Fischbach. Diese Ruhe gefällt nicht nur ihm und seinen Leuten – sie kommt vielmehr auch bei Erho- lungssuchenden bestens an. Urige Gaststube. Die können sich zum Beispiel ein schönes Fleck- chen auf dem hofeigenen, terrassierten Camping- platz suchen. Die Gäste aller Altersgruppen kommen aus vielen Regionen Europas, viele von ihnen ma- chen auf der Durchreise einen Abstecher hierher, mal sind es Belgier, mal Spanier, mal Holländer und auch viele Italiener haben diesen Ort schon für sich entdeckt. Und dennoch: Die allermeisten, die hier auf dem Platz ihr Zelt aufschlagen oder den Camper 281 281

 

 

 

Kultur genießen, Vespern und/oder Campen – der Michelhof spricht ein breites Publikum an. auf eine der Platz-Terrassen rollen lassen, kommen aus der Region, meistens aus dem Bereich irgendwo zwischen Tuttlingen, Freiburg, Tübingen, Offenburg und Konstanz. Auch ganze Gruppen reisen an: Eine Motorradtruppe mit Beiwagen und eine ganze Horde Bullifreunde waren da, und auch mit jeder Menge Mofas wurde quasi im Rudel schon auf die Linacher Höhe hinaufgeknattert, um hier eine gute Zeit zu verbringen. Für all diese unterschiedlichen Men- schen scheint der Michelhof ein Volltreffer zu sein. Skaten, grillen und Punkrock Dabei müssen die Gäste damit rechnen, dass es in Richtung Wochenende mit der großen Ruhe meistens vorbei ist. Dann gibt es hier oben im Tal jede Menge Livemusik oder andere Events. Oft ist ja bei Veranstaltungen von „bunten Mischungen” die Rede – im Michel- hof trifft es wirklich zu: Gespielt wird mal mon- golische Weltmusik, mal fiedeln und flöten Mit- telalterspielleute, mal gibt’s Country, mal Me- tal, Punk oder Rock und dann wieder die aller- 282 zünftigste Blas- oder gemütliche Stubenmusik auf die Ohren. „Wooden Wumms” bietet Electro oder Swing, auch Mottopartys werden gefeiert und es stehen „Skaten, grillen und Punkrock” auf dem Programm. Donnerstags tagt der Musikerstammtisch, und jeden vierten Sonntag im Monat wird im „Mini Michel Club” außerdem ein Kinderprogramm geboten. Vesperstube mit Köstlichkeiten aus der Region Von Donnerstagabend bis Sonntagabend ist im Michelhof eine Vesperstube samt Außenterrasse geöffnet. Es werden einfache Hausmannskost und ein bis zwei warme Gerichte angeboten. Auch eine vegane Alternative darf nicht fehlen. Was auf der Der Michelhof ist auch eine Vesperstube mit vielen heimischen Produkten, die teils auch direkt von Linacher Erzeugern bezogen werden. Gastlichkeit

 

 

 

Links: Die Michelramp für Skater. Rechts: Einer der zahlreichen Nebenräume. Das Holzofenbrot kommt aus einer Hofbäckerei, Käse, Fleisch und Wurst ebenfalls direkt von regionalen Erzeu- gern. Gemüse und Obst vom Markt, der Kräutertee aus dem Linachtal. Speisekarte steht, variiert von Woche zu Woche. „Das reicht – wenig, aber dafür richtig gut”, mei- nen die Wirtsleute, und ihr Konzept kommt an. Die Vesperkarte reicht von Käse über Fleisch und Speck bis zu Fisch. Selbst gebackene Kuchen ergänzen das Angebot. „Kulinarisch wirst du mit Köstlichkeiten aus der Region verwöhnt. Wir kaufen nur vom Erzeu- ger direkt ein und machen alles von Hand im Hause selbst”, erfahren Interessierte auf der Homepage und Urs Fischbach ergänzt: „So gut wie gar nichts wird im Supermarkt gekauft.” „Made im Schwarzwald“ muss es sein. Das Holzofenbrot kommt aus einer Hofbä- ckerei, Käse, Fleisch und Wurst ebenfalls direkt von Erzeugern. Gemüse und Obst vom Markt, Kräutertee aus dem Linachtal. Und wer das hofeigene Quellwas- ser süßen möchte, kann Sirup aus der Ortenau dafür verwenden, den es hier zu kaufen gibt. Das Bier wird von einer Brauerei „aus dem Wald“ geliefert. Hochprozentiges stammt natürlich ebenfalls aus der Region: vom Kirschwasser bis zum Gin „Tannig“, für den stilecht Tannenschösslesirup verwendet wird. Mitten drin im „Schwarzen Wald“ Die quasi organische Verbindung zum Schwarzwald ist den am Michelprojekt Beteiligten extrem wichtig, und das merkt man bei Weitem nicht nur am Angebot im Vesperstüble. Urs Fischbach, der den Betrieb zusammen mit seiner Frau Ute führt, legt großen Wert auf die Verwurzelung in der Region. Kein Wunder: Schließlich bewirtschaften sie ein Anwesen, das seit Jahrhunderten mittendrin steht im „Schwar- zen Wald“, in dem auch Urs Fischbach selbst seine Wurzeln hat. Seine Mutter ist eine Furtwangerin. In der Bregstadt verbrachte der heute 36-Jährige einen Teil seiner Kindheit und seine Jugend. Mit 18 zog es ihn nach Donaueschingen, weil da „erstens die Disko Delta und zweitens ein Bahnhof war“, erinnert er sich grinsend an seine Motivation, damals umzuziehen. Vom Bahnhof aus war er mobil und im damals schon legendären „Delta“ jobbte er während seiner regulären Ausbildung nebenbei hinter der Bar. In seinem „Brotberuf“ in einem Schmiede-Unternehmen arbeitete er zehn Jahre lang, zuletzt in führender Position. Ungeachtet dessen, dass er rein äußerlich von manchem Zum Wilden Michel 283

 

 

 

Die Kassettendecke der Gaststube stammt von Uhrenschildmaler Karl Straub. Rechts: Blick in die Hofkapelle. Zeit genossen als ziemlich unangepasst eingeschätzt wurde – als einer, der vollkommen selbstverständ- lich Dreadlocks, Piercings und Tattoos trägt, weil sie einfach zu ihm gehören. In dem Automotive-Zuliefererbetrieb war er stark gefordert, verbrachte unter anderem viel Zeit in Shanghai. Hier wurde ihm schließlich angeboten, ein Werk des Unternehmens zu leiten. Allerdings machten sich Bedenken bei dem jungen Mann breit: „Immer mehr Verantwortung mit immer weniger Befugnissen“ – das schreckte ihn ab, wie er sagt. Mit seiner Frau Ute, die von der Schwäbischen Alb stammt und ebenfalls beruflich erfolgreich und gleichermaßen stark eingebunden war, gründete er eine kleine Familie. Weil beide berufstätig waren, blieb für den kleinen Oskar nicht so viel Zeit, wie sie sich das gewünscht hätten. „Nicht so das Wahre“ – so brachten es die beiden für sich auf den Punkt. Das Buch der Ideen ist randvoll Der Gedanke, das Leben anders gestalten zu wollen, wurde immer konkreter, entwickelte immer mehr Ei- gendynamik. „Wir hätten so noch 35 Jahre oder sogar noch länger weiterarbeiten müssen. Da steckten wir mittendrin. Also haben wir uns gesagt: Machen wir lieber etwas Neues“, fassen die Fischbachs zusam- men. Im Sommer 2020 waren die leidenschaftlichen Camper mal wieder mit ihrem Wohnmobil unterwegs. Beide hatten sich für Elternzeit entschieden und nutzten sie, um als kleine Familie ein Stück Europa zu erkunden. „Wir haben ganz viele coole Leute kennen- gelernt“, erinnert sich Urs Fischbach sehr gerne an die Reise. Und: Viele Plätze vor allem in Italien, meist Bauernhöfe und kleine Familienbetriebe, die im Stil der „Agri Camping“ agierten, weckten ihr Interesse: „Mensch, so etwas möchten wir selbst auch machen.“ Auf der Reise wurde dieser Wunsch immer größer. Das mitreisende „Buch der Ideen“ füllte sich ratz- fatz und wurde stetig dicker. Es wurde erst geträumt und dann konkret gegrübelt, wie so etwas auch da- heim in Deutschland funktionieren könnte. „Meine Frau und ich sind gleich. Wir sind extrovertiert und hatten schon immer Spaß daran, Leute zusammen- zubringen“, sagt Urs Fischbach – und das wollten sie nun in einem eigenen Unternehmen umsetzen. Aus Träumen wird Wirklichkeit Wieder nach Donaueschingen zurückgekehrt, beschlossen sie, einen Knopf auf die ganze Sache zu machen. Urs Fischbach erinnert sich: „Wir haben gesagt: So, jetzt hören wir auf mit schwätzen.“ Voller Tatendrang gingen sie mit der Planung ins Detail und suchten nach einem geeigneten Platz für ihren Campingtraum. Etliche Objekte schauten sie sich an. „Gefühlt waren es 200 Immobilien“, lacht Urs Fischbach, der als die „Vorhut“ im ganzen Schwarz- wald unterwegs war und sich leer stehende oder zum Verkauf angebotene Objekte in rauen Mengen 284 Gastlichkeit

 

 

 

Urs Fischbach im beheizbaren Badezuber mit Blick auf Linach – rechts einer der Eventräume. Durch einen Bekannten erfahren Fischbachs, dass der Michelhof zum Verkauf steht. Gleich nach den ersten Gesprächen mit der Besitzerin war klar: Das passt einfach! anschaute. Wenn es konkreter zu werden schien, setzte sich die bürokratische Maschinerie in Gang: Bauvor anfragen an Kommunen und Gemeinderäte und all die weiteren planerischen Notwendigkeiten. Aber zunächst zerschlugen sich alle Vorhaben wieder – das Passende war einfach nicht dabei. Dann die Nachricht aus Linach, die das Ehepaar aufhorchen ließ: Durch einen Bekannten erfuhren sie, dass der Michelhof zum Verkauf stünde. Gleich nach den ersten Gesprächen mit der bisherigen Besitzerin war klar: Das passt einfach! Das Konzept, das die Fischbachs vorlegten, ver- fing sowohl bei der Bank in Sachen Finanzierung als auch bei Angelika Brenner, die den Hof jahrzehn- telang bewohnt und gemeinsam mit ihrem Mann Horst geführt hatte. „Sie fand uns gut“, freut sich Urs Fischbach. Die Chemie stimmte derart, dass er und seine Frau das Anwesen im Frühjahr 2021 erwerben konnten. Für Ute und Urs Fischbach war klar: Der Michelhof, das ist es! Hier oben im Tal in Alleinlage mit genügend Platz drumherum kann das Ehepaar seine Träume verwirklichen. Danach ging die Arbeit allerdings erst richtig los. Und sie wird den Fischbachs so schnell nicht ausge- hen. Im Jahr 2022 setzten sie sich die Sanierung und naturnahe Anlage des Campingplatzes mit neuen Anschlüssen zum Ziel, und ab dem Jahr 2023 folgt der Innenausbau des Hofgebäudes, das neben den Wohn- bereichen auch noch ein Schlaflager im Dachgeschoss und weitere Ferienwohnungen bekommen soll. Zu- dem soll es für das alte Bauernhaus ein neues Dach und neue Fenster geben. Und für den Außenbereich wünschen sich die Betreiber dann auch noch zwei neue, schindelgedeckte Tiny-Häuser. Im Corona-Sommer den Betrieb aufgenommen Am 3. Juli 2021 – es war der Corona-Sommer, in dem es zeitweise Lockerungen gab und auch die Gas- tronomie und ähnliche Einrichtungen wieder öffnen durften – ging das Haus in Betrieb. Einen Tag vor der offiziellen Eröffnung waren aber erst mal noch beson- dere Gäste eingeladen, sich das Ganze in Ruhe anzu- schauen: ausschließlich die Linacher nämlich. „Zwei Drittel des Ortes waren da”, lächelt Urs Fischbach. Die Charmeoffensive, die er und seine Frau gestartet hatten, zeigte Wirkung: Die beiden Zum Wilden Michel 285

 

 

 

Im Wilden Michel gibt es in der Gaststube einen gemütlichen Kachelofen, wird viel Wert auf einen ansprechend geschmückten Außenbereich gelegt und werden vor allem sämtliche Kuchen selbst gebacken. hatten jeden Hof im Tal abgeklappert und überall ge- klingelt, um die Nachbarschaft einzuladen. „Uns war es wichtig, dass alle sehen können, was wir machen”, setzte das Paar von Anfang an auf Offenheit und Transparenz. Urs Fischbach ist zweifelsohne ein besonderer Typ und er hat ganz offensichtlich viele Talente: Er ist Ideengeber, Macher, Unternehmer, Kommunikator, ein „schaffiges Kerlchen“, wie er selbst sagt. Einer, der Dinge anpackt, der gerne etwas ausprobiert, sich freut, wenn es gelingt, aber doch auch gelassen ge- nug scheint, es hinzunehmen, wenn mal etwas nicht so läuft wie geplant. Ein Optimist – und Nerven-Be- wahrer. Sein Motto: heitere Gelassenheit. Das Pensum, das er, seine Frau und ihr ganzes Team „abreißen“, ist amtlich: Neben der (Um-)Bau- planung und behördlichen Anforderungen ist da auch noch der ganz normale Tagesbetrieb, zum einen, was den Campingplatz angeht. Ein Gast kommt rein und braucht eine Duschmarke? Kein Problem: Der Chef drückt sie ihm in die Hand, parliert ein paar Worte auf Spanisch mit dem Touristen, erklärt ihm, wie die Dusche funktioniert und wünscht ihm noch einen schönen Abend. Woher er Spanisch kann? Seine Schwester lebt in Spanien und hat einen Part- ner – und der und seine Freunde sprechen eben nur Spanisch, also lernt er es halt einfach selbst über eine Sprach-App. „Jeden Morgen eine Viertelstunde – da kommt man schon ganz gut zurecht“, erklärt er, wie auch das noch in den vollen Tagesplan reingequetscht wird, ohne dass spürbarer Stress aufkomme. Das Prinzip ist klar: Wer Sachen nicht ausprobiert, wird nie wissen können, ob sie klappen oder nicht. 15 Personen haben Lust ‚mitzumicheln‘ Im Hof selbst bauen sich Ute und Urs Fischbach für ihre kleine Familie eine Wohnung aus und für die Eltern von Ute Fischbach entsteht in dem großen Gebäude ein barrierefreies Appartement. Dann wäre da außerdem noch die Betreuung der 286 Gastlichkeit

 

 

 

Ansichtskarte des Michelhofs aus den 1980er-Jahren. Schon von 1299 an gab es an der Stelle des heutigen „Wilden Michel“ einen Bauernhof. 1802 fiel dieser jedoch ei- nem Feuer zum Opfer. Das staatliche Anwesen wurde ein Jahr später wieder aufgebaut – und zwar von dem Linacher Michael Grieshaber – „Michel“ genannt. Von nun an gab es in Linach einen „Michelhof“. dann kamen hier bis 1990 auch Schulklassen im Landschulheim unter. Vor dem Haus wurde der Zeltplatz und drinnen Studentenzimmer und Ferienwohnungen eingerichtet. Zur Michelhof-Geschichte 1814 wurde Georg Rießle als Besitzer ge- nannt. Damals zählte Linach 227 Seelen, die in 34 Häusern wohnten. Von 1930 an wurde das Anwesen mehrfach verkauft, der Hof wurde von Pächtern bewirt- schaftet. Rosine und Nikolaus Brenner, ein Ehepaar, das aus Donauschwaben stammte, kaufte den Michelhof im Jahr 1955 und ließ sich hier nie- der. Zuletzt bewirtschafteten ihr Sohn Horst und dessen Ehefrau Angelika seit 1976 das An- wesen. Sie legten den Fokus nicht auf die reine Landwirtschaft, sondern setzten andere Ideen um. Erst wurde der Hof als Pension geführt, 1979 eröffnete die Familie Brenner in dem Hof eine Gaststätte. Die urige Vesperstube ziert eine Kassettendecke mit 79 vom Linacher Uhren- schildmaler Karl Straub bemalten Kacheln – eine echte Rarität. Karl Straub zählte zu den letzten Uhrenschildmalern im Schwarzwald und hat hier seine ganze Motivvielfalt ver- ewigt, die man auch von seinen Uhrenschil- dern her kennt. Horst Brenner kam dann vor rund 20 Jah- ren bei einem Waldunfall ums Leben. Seine Witwe Angelika führte den Betrieb viele Jahre weitgehend alleine weiter. 2021 stand fest, dass der Hof altershalber verkauft wird. Zum Wilden Michel 287

 

 

 

Wir arbeiten jetzt zwar viel mehr als vorher, aber es ist wunderschön. Ferienwohnungen im Haus und das Betreiben der Vesperstube: Alle Kuchen werden selbst gebacken, das Essen vom Speckvesper bis zum Eintopf wird frisch zubereitet. Fast alle auf dem Hof sind ausnahmslos keine gelernten Gastrofachleute, dafür aber umso euphorischere Autodidakten. Der Rest der recht großen Hausgemeinschaft hat sich übrigens ziemlich schnell gefunden: Eine sehr gute Freundin der Fischbachs entschloss sich kurzer- hand, im Betrieb mitzuarbeiten und im Haus mit ein- zuziehen, genau wie die Eltern von Ute Fischbach, die gerade ihren Ruhestand angetreten hatten. Von Juni bis Dezember 2021 fanden sich dann noch weitere Mitstreiter. „Innerhalb von sieben Monaten haben wir neun Umzüge gemeistert“, erinnert sich Urs Fisch- bach und grinst: Auch das haben sie alle gemeinsam geschafft. Mittlerweile wohnen 15 Personen in dem Haus, darunter eine Studentin und zwei Studenten, die im Hof jeweils ein kleines Appartement gemietet haben. Der Jüngste im Haus ist der kleine Oskar mit seinen drei Lenzen, der Älteste zählt 65 Jahre. Sieben der Hausbewohner gehören zum Kernteam im Be- trieb des „Wilden Michel”. Rasantes Internet „fernab der Welt“: Auf Starlink folgt Breitband Zwei, drei Mal in der Woche wird gemeinsam gekocht und wer Lust hat, kommt zum Essen und Plaudern am großen Tisch in der Stube zusammen. „Ich möch- te Leute hier haben, die Lust haben, ‚mitzumicheln‘, erklärt Urs Fischbach das einfache, aber wirkungsvol- le Prinzip. Für das Zusammenleben wurden ein paar Grundregeln aufgestellt, aber im Großen und Ganzen geht es doch recht locker und gelassen zu. Übrigens hat die Gemeinschaft auch noch ein paar tierische Mitbewohner: Drei Hunde und vier Katzen und ein paar fleißig Eier legende Hühner sollen auch noch dazukommen. Die wiederum brauchen zwar überhaupt kein Glasfaser-Internet, um ein glückliches Leben zu füh- ren. Die menschlichen Mitbewohner und die Gäste würden sich dann aber doch darüber freuen, schließ- lich leben sie hier zwar wie gesagt ziemlich ab vom Schuss, aber eben keinesfalls hinterm Mond. Gut al- so, dass im Linachtal nun das Breitband verlegt wur- de. Bis das so weit war, musste sich Urs Fischbach et- was anderes überlegen, denn für den Betrieb ist der Internetanschluss extrem wichtig. Ohne ihn wäre ein solches Unternehmen schlichtweg verloren. Was also tun? Kurzerhand wurde bei Elon Musk „gebucht“ und das Netz via Starlink anfangs aus dem Weltall geholt. Enormes Interesse der Medien: Schon mehrfach im Fernsehen Im Betrieb wird definitiv mit der Zeit und den mo- dernen Medien gegangen: Auch dieses Haus braucht Marketing und das klappt – versehen mit der wilden Michel-Marke passend zum aufgefrischten Schwarz- wald-Image generell – unter anderem bestens über Social Media wie Instagram und Facebook und über die eigene Webseite. Ein besonderer Ort in besonde- rem Umfeld – das kommt ganz offensichtlich bestens bei der Netzgemeinde an. Auch in anderen überregi- onalen Medien ist man auf das Schwarzwälder Pro- jekt aufmerksam geworden – im Magazin „Discover Germany“ konnte man eine Geschichte drüber lesen, auch das SWR-Fernsehen berichtete schon mehrfach über das Michel-Projekt und seine Macher, genau wie der Deutschlandfunk in einer eigenen Reportage. Das Team ist weiter voller Tatendrang. „Wir arbei- ten jetzt zwar viel mehr als vorher, aber es ist wun- derschön“ – sagen die Fischbachs und bereuen ihren Schritt jedenfalls bislang kein winziges Bisschen. Sie wollen hier noch viel bewegen – und dabei das Motto nicht vergessen: Herzlich soll es sein. Und heimisch. Und wild halt. Ute und Urs Fischbach mit Sohn Oskar und einem Teil des Teams. Hinten links die Eltern der Gastwirtin, die im Wilden Michel ihren Alterssitz eingerichtet haben und sich vielfach für das Projekt engagieren. 288 Gastlichkeit

 

 

 

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Mit Herz und Hand – der Löwen in Brigachtal Die Gastwirtsfamilie Bertsche ver- spricht Gastlichkeit, die man fühlt und Qualität, die man schmeckt. Ihr Traditionsgasthaus Löwen in Brigachtal ist als vorzügliche kulinarische Adresse weithin be- kannt. Der Gasthof befindet sich in der bereits vierten Generation in Familien besitz und wurde vor kurzem umfassend saniert und er- weitert. Nicole und Rainer Bertsche freuen sich: „Das Zusammenspiel moderner Architektur mit unseren historischen Räumlichkeiten sorgt für ein einzigartiges Restaurant- erlebnis mit besonderem Flair.“ von Josef Vogt Das Gebäudetrio Löwen, Pfarrhaus und Kirche (oben, angeschnitten). Gut ersichtlich ist der neu gestaltete Außenbereich des Löwen.

 

 

 

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Familie Bertsche: Rainer und Nicole mit ihren Kindern Hannes und Leni. Zusammen mit der Kirche St. Martin und dem davor stehenden ausladenden Pfarrhaus bildet das Gasthaus Löwen ein Gebäudetrio, dem man schon von außen ansieht, dass es in enger geschichtlicher, aber auch funktionaler Sicht zu- sammengehören muss. Immer wieder wurde sogar behauptet, dass es im Mittelalter vom Löwen zum Pfarrhaus einen unterirdischen Gang gegeben hätte. Außen wie innen sieht man es dem Gasthaus an, dass es eine lange und entsprechend bedeutsame Geschichte vorzuweisen hat und dass sich hier schon viele Generationen an Wirtsleuten in den Dienst der Bewirtung der Einwohner rund um das Brigachtal sowie der Besucher und Durchreisenden gestellt haben. Eines gilt als sicher, der Löwen hatte im Mittel- alter die Funktion eines Kelmhofes, in dem die Ver- treter der Lehensgeber jährlich zusammenkamen, um die Zehnten für die jeweiligen geistlichen bzw. fürstlichen Herrscher über das Brigachtal abzuholen. Die erste urkundlich belegte Konzession für eine Realwirtschaft wurde für Josef Weißhaar von Fürst Joseph Wenzel zu Fürstenberg-Stühlingen im Jahr 1766 erteilt. Außerdem wurde dort von Zeit zu Zeit auch ein Gerichtstag abgehalten, bei dem Verträge geschlossen und Recht gesprochen wurde. Belegt ist weiter, dass in einem Stall Fuhrleute, die auf der so- genannten Sieben-Hügel-Straße, die auch am Löwen vorbei führte und ein Teilstück des Handelsweges von Frankfurt nach Schaffhausen war, ihre Gespanne wechselten und die Pferde unterbringen konnten. Zunächst Mitarbeiter beim Finanzamt Heute sind es die Wirtsleute Nicole und Rainer Bertsche, die sich zusammen mit zwölf festangestell- ten Mitarbeitern um das Wohl der Gäste kümmern, die größtenteils sowohl aus Brigachtal wie auch aus den umliegenden Städten und Ortschaften kommen. Dass Rainer Bertsche einmal Wirt des Löwen werden sollte, den sein Urgroßvater 1927 einem Vorbesit- Ein Gasthaus mit bedeutsamer Geschichte – seit fast 400 Jahren werden hier Einwohner und Reisende bewirtet. 292 Gastlichkeit

 

 

 

zer abkaufen konnte und den seine Mutter Brigitte Bertsche abgesehen von einer kürzeren Unterbre- chung von 1976 bis 2008 zusammen mit Ehemann Franz führte, war anfänglich nicht geplant. So ab- solvierte der heute 48-jährige Rainer zunächst eine Lehre als Finanzwirt beim Finanzamt. Neue Ausrichtung 1995 entdeckte Rainer Bertsche die Liebe zur professionellen Küche und ließ sich im Öschberghof zum Koch ausbilden. Danach ging er auf Wander- schaft durch verschiedene Häuser, um jenes Wissen und Können zu vertiefen, das einen erfolgreichen Gastwirt ausmacht. Mit der Prüfung zum Hotelbe- triebswirt an der Hotelfachschule Dortmund schloss er die Lehr- und Wanderjahre ab und kehrte nach Brigachtal in den elterlichen Betrieb zurück. Seine Frau Nicole, mit der er seit 2005 verhei- ratet ist und die heute die Rolle der Gastgeberin im Löwen ausübt, hatte zunächst keine klassische Aus- bildung in der Gastronomie. Nach ihrem Studium als Verwaltungsbetriebswirtin war sie mehr als 20 Jahre in der Finanz- und Personalverwaltung der Kur- und Bäder GmbH in Bad Dürrheim tätig. Das Bewirten von Menschen hat sie sich mehr beiläufig beige- bracht, da sie in ihrer Jugend regelmäßig in der Gast- wirtschaft ihrer Tante aushalf. Von dem Aufgabens- pektrum, die der Betrieb des Löwen bereit hält, ist sie für die Buchhaltung, die Organisation der Reservie- rungen und des Personaleinsatzes sowie für die Ko- ordination des Gästeservice zuständig. So kann sich ihr Mann Rainer voll auf die Planung der Angebote, das Kochen und das Catering konzentrieren. Große Investitionen in die Zukunft „Das Haus kann den Eigentümer nur ernähren, wenn auch dieser seinen Dienst am Haus tut“, diesen Leitspruch seiner Mutter, die fast 30 Jahre den Löwen mit ihrem Mann Franz führte, haben sich auch Rainer und Nicole Bertsche, die den Löwen in vierter Generation betreiben, zu eigen gemacht. So entschlossen sie sich 2018 das Gasthaus durch umfangreiche Umbaumaßnahmen zukunftsfähig zu machen. Dabei stellte sich die Aufgabe: Wie lässt sich ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude so umbauen, dass die Gästeräume barrierefrei Rainer Bertsche ist ausgebildeter Koch und vertiefte sein Wissen und Können in verschiedenen Restaurants, bevor er zum elterlichen Betrieb zurückkehrte. nutzbar, das Raumkonzept so flexibel gestaltbar ist, dass unterschiedliche Feiern störungsfrei nebeneinander stattfinden können und die Produktionsräume so gestaltet sind, dass das Personal dort in maximaler Effizienz aber gleichzeitig unter bestmöglichen Arbeitsbedingungen arbeiten kann? Die Herausforderung war dabei, dass die Forderungen der Denkmalschützer und die Auflagen für die zeitgemäße Betriebs- und Arbeitssicherheit zusammenpassen müssen. Dank der guten Das Gasthaus Löwen in Brigachtal 293

 

 

 

Die neu geschaffene windgeschützte und bei Bedarf beheizbare Terrasse bietet rund 100 Plätze. Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt gelang es, neue technische Anforderungen und die bestehende Substanz gut miteinander zu verbinden. Der schützenswerte Charakter des historischen Löwen wurde beibehalten und das „Neue“ so integriert, dass es sich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügte. Barrierefreiheit für die Gäste Nach rund zwei Jahren Umbau präsentiert sich die Küche mehr als doppelt so groß und mit modernster Technik ausgestattet. Deutlich vergrößern konnte man auch das Raumangebot im Innenbereich. Die größte Neuerung besteht darin, dass vor dem Gasthaus über 1.000 Kubikmeter Erdreich abgetra- gen und somit Platz für ein Nebengebäude geschaf- fen wurde. Auf dem Oberdeck des Anwesens befindet sich nun eine windgeschützte, gut zu beschattende und bei Bedarf beheizbare Terrasse mit rund 100 Plätzen. Durch den Einbau eines Personenaufzuges ist der Löwen auch für gehbehin- derte Gäste ohne Probleme zugänglich. Insgesamt wurden rund 2,1 Mill. in die Hand genommen. Damit dürfte der Löwen nun wieder auf längere Zeit den Herausforderungen einer zeitgemäßen Gastronomie entsprechen und vielleicht den beiden Kindern Leni und Hannes die Basis für eine weitere Wirte-Genera- tion sein. Die gastronomische Philosophie Seine Beliebtheit verdankt der Löwen sicher seiner auf den Gast ausgerichteten Grundphilosophie, die darin besteht, dass das Angebot die Bedürfnisse der Gäste aufgreift und eine verlässliche Qualität offeriert, die für eine gute Balance zwischen Preis und Leistung sorgt. Dazu setzt Küchenchef Rainer Bertsche auf Regionalität und Saisonalität bei Fisch, Wild, Schlachtfleisch, Geflügel, Obst und Gemüse, die er für die bekannten und bei den Gästen beliebten Speisen verwendet. Zu den Klassikern der Löwen- Speisekarte gehören seit vielen Jahren neben Wiener Schnitzel oder dem Brigachtaler Schlemmerteller auch das Schweinerückensteak nach Schwarzwälder Art sowie ein rosa gebratenes Hirschrücken steak mit einer Kruste aus Meerrettich und Preiselbeeren. Bei den Fischgerichten dominieren Gerichte mit Forelle, Saibling oder Zander. Aber auch haus gemachte Kartoffelgnocchi mit Ruccolapesto und Fetakäse oder eine der zahlreichen Nudelspezialitäten ergänzen das Angebot. Wem es nach Süßem ist kann beispielswei- se wählen zwischen Fünferlei Süßes im Mini-Weck- glas, Pannacotta auf Rhabarber-Erdbeer- Grütze mit 294 Gastlichkeit

 

 

 

Ein Großteil der Löwengäste sind Stammgäste. Im Löwen werden die Bedürfnisse der Gäste aufgegriffen und eine verlässliche Qualität offeriert. Baiser und Minzpesto, hausgemachter Crème Brûlée mit paniertem Vanilleeis oder Mousse variation von heller und dunkler Schokolade. Dass ein Großteil der Löwengäste Stammgäs- te sind, die im Regelfall mindestens vier Mal im Jahr einen Tisch buchen, bestätigt die Richtig keit des Angebotes. Nach wie vor ein Renner sind die „Schlemmer“- Büffets, die im Herbst zur Schlachtzeit, im Frühjahr zur Spargel- und Erdbeerzeit und im Sommer mit mediterranen Pastaspezialitäten ange- boten werden und in aller Regel schnell ausgebucht sind. Natürlich versucht der vorausschauende Küchen- chef Bertsche auch die Wünsche der Gäste nach be- sonderen Ernährungsformen aufzugreifen und in sein Angebot zu integrieren. So haben vegane und vegeta- rische Gerichte schon seit längerer Zeit einen festen Platz auf der Speisekarte und sind durch eine entspre- chende Kennzeichnung auch leicht zu erkennen. Löwen-Catering ist ein wichtiges Standbein im gastronomischen Konzept Auf den Stationen seiner beruflichen Aus- und Weiterbildung zum Koch kam Rainer Bertsche auch in Betriebe, die sich auf den „Service außer Haus“ spezialisiert hatten und lernte das dazu notwendige Know-how. Nachdem er wieder in den Löwen zurückgekehrt war, kaufte er sich eine professionelle Nudelmaschine und produzierte damit zunächst verschiedene Sorten Teigwaren, mit denen er das Angebot im Löwen bereicherte. Aus den zaghaften Versuchen mit Pasta-Büffets mit mehreren Soßen, die er zu verschiedenen Anlässen außerhalb des Löwen lieferte, entwickelte sich bald eine rege Nachfrage, die mehr und mehr das Angebot im Restaurant ergänzten. Heute hat sich das Löwen- Catering zu einem festen und einträglichen Stand- bein im gastronomischen Portfolio entwickelt und macht inzwischen etwa die Hälfte des Geschäfts- volumens aus. Bewirtung der Donauhallen, des Rottweiler Kraftwerkes – von Ton- und Neckarhalle Neben der Belieferung und Bewirtung von privaten und geschäftlichen Events, die in unterschiedlichen Lokalitäten der Auftraggeber ausgeführt werden, Das Gasthaus Löwen in Brigachtal 295

 

 

 

Die Bewirtung von privaten und geschäftlichen Events ist ein wichtiges Standbein im gastronomischen Konzept. „Wir haben eine planbare Freizeit, da der Löwen schon seit vielen Jahren zwei Ruhetage pro Woche und festgelegte Urlaubszeiten eingerichtet hat.“ gehören auch immer mehr solche dazu, die bei be- stimmten Anlässen nach vertraglichen Bedingungen die Bewirtung der Besucher gewährleisten. So be- wirtet das Löwen-Catering-Team die Donauhallen in Donaueschingen, das Kraftwerk in Rottweil sowie die Ton- und die Neckarhalle in Villingen und Schwen- ningen. Wer in der Gastronomie erfolgreich sein will, braucht nicht nur ein gefragtes Angebot. Noch wichtiger ist ein motivierter Mitarbeiterstamm, der das Arbeiten mit dem Gast gerne annimmt, so die Personalchefin Nicole Bertsche. Es ist nicht leicht, Mitarbeiter für die Gastronomie zu gewinnen, da naturgemäß die Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende anfallen. Umso wichtiger sei es, dass die Mitarbeiter, die in der Gastronomie tätig sind durch möglichst gute Bedingungen bei der Stange gehalten werden, so die Chefin weiter. Frägt man die Mitarbeiter nach diesen Bedingungen, dann ant- worten diese fast unisono: Wir haben eine planbare Freizeit, da der Löwen schon seit vielen Jahren zwei Ruhetage pro Woche und festgelegte Urlaubszeiten eingerichtet hat. Außerdem werden alle Arbeitszei- ten, die über die Regelarbeitszeit hinausgehen als Überstunden entweder durch Freizeit oder Entgelt ausgeglichen. Wichtig für die Mitarbeiter ist jedoch auch, dass ihnen Freiräume zugestanden werden. Der Löwen ist eine Herzensangelegenheit Man merkt es im Gespräch und beim Rundgang durch die Räume, dass der Löwen nicht nur ein gastrono- misches Projekt, sondern eine Herzensangelegenheit von Nicole und Rainer Bertsche ist, das sie mit viel Engagement betreiben und auf Erfolgskurs halten wollen. Dazu ist ihnen wichtig, dass sie mit ihrem Speisen- und Getränkeangebot, das aus traditionellen Gerichten der gehobenen badischen Küche – er- gänzt mit leichten, mediterranen Speisen und einem vielfältigen, regional ausgerichteten Getränkeange- bot – den Geschmack der Gäste treffen. Dabei kommt ihnen zur Hilfe, dass sie durch gute Mitarbeiter einen überdurchschnittlichen Service für die Gäste bieten können, die im Löwen ein Fest oder einfach nur so einen schönen Tag feiern wollen. Der Löwen ist und bleibt ein Genussort mit langer Tradition. Das historisch-moderne Ambiente des Innenraums lädt zum Verweilen ein. Unten: Gasthaus Löwen bei Nacht. 296 Gastlichkeit

 

 

 

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Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Landesbauerntag in St. Georgen Bauern und Politik demonstrieren Einigkeit Hohen Besuch hatte aus Anlass des Landesbauerntages des BLHV am 25. September die Stadt St. Geor- gen: All jene, die sich üblicherweise mit Inbrunst beharken – Politik, Bauern, Umweltschützer und Verbände – demonstrierten bei dieser Veranstaltung in der Stadt – halle der Bergstadt vor allem eines: Einigkeit. Für die großen Probleme unserer Zeit, wie die sich abzeich- nende Versorgungskrise, die Nachhaltigkeit oder der Umwelt- und Tierschutz, wolle man „aktiv Lösungen aufzeigen“, sagte Bernhard Bolkart, der seit knapp einem Jahr Präsident des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptver- Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit den Landfrauen von St. Georgen. bands (BLHV) ist, in seiner ersten Grundsatzrede. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) machte den Landwirten Hoffnung, „aus einer längeren Dauerkonfron- tation“ bei manchen Themen herauszukommen. Viel Lob gab es für die Landfrau- en von St. Georgen, auch durch den Ministerpräsidenten. „Wir Landfrau- en sind die Frauen vom Land. Das heißt nicht, dass bei uns nur Frauen Mitglied sein können, die eine eigene Landwirtschaft haben“, informierte Renate Schreiber. Sie gehört zum Dreier-Vorstandsteam der Landfrauen. Aktuell betreibt nur etwa ein Drittel der 62 Mitglieder Landwirtschaft. Groß ist auch das gemeinnützige Engagement, denn auf die Landfrauen ist stets Verlass, so Winfried Kretschmann. An Lebensretter Jürgen Hermann Bayern verleiht Christopherus- Medaille Jürgen Hermann aus St. Georgen konnte im September 2022 von Ministerpräsident Markus Söder die Christophorus-Medaille in Verbin- dung mit einer öffentlichen Belobigung entgegennehmen. Es ist der Dank für sein schnelles Eingreifen, mit dem er am Münch- ner Hauptbahnhof eine Rollstuhl- fahrerin aus einer vermutlich lebens be drohlichen Situation rettete. Der 37 Jahre alte Mechani- ker war im August 2021 mit seiner Familie in München, als er am Hauptbahnhof den Sturz der Rollstuhlfahrerin ins Gleis verhin- derte. Diese wollte in eine S-Bahn einsteigen, scheiterte jedoch und blieb am Bahnhof zurück. Als der Zug losfuhr, geriet ein Rad des Rollstuhls zwischen Bahnsteig und Zug – die Bahn schrammte in voller Länge an der feststeckenden Rollstuhlfahrerin vorbei. In dem Moment, in dem sich der Rollstuhl vom Zug löste, ergriff Hermann dessen Handlauf und zog die Frau zurück auf den Bahnsteig. Jürgen Hermann erhielt von Minister- präsident Söder für seine Lebensret- tungsaktion die Christopherus-Medaille. 298 Magazin

 

 

 

57 Tage im Wasser: Andreas Fath schwimmt 2.700 Donau-Kilometer Tag für Tag näherte er sich seit dem 19. April 2022 schwimmend seinem Ziel, dem Schwarzen Meer, das er am 17. Juni 2022 auch erreichte: Prof. Dr. Andreas Fath schwamm 2.700 Kilometer für eine plastikfreie und saubere Donau. Der Professor für Chemie an der Hochschule Furtwangen bewältigte insgesamt 57 Schwimmtage mit 40 bis 60 Kilometer Strecke. Meist teilte sich Andreas Fath die Tage in drei Etappen ein, eine am Vormittag und zwei am Nachmittag. Dazwi- schen hielt er sich an Bord des Begleitschiffes MS Marbach auf, das als schwimmendes Labor und Hotel für das Begleitteam diente. Der Schwimm-Marathon der ganz besonderen Art begann in Süddeutschland und führte dann durch Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien und Serbien, Rumänien und Bulgarien. Die Prof. Dr. Andreas Fath beim Projekt- start an der Donauquelle in Furtwangen Donau fließt durch die Hauptstädte Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad, der Fluss verbindet Staaten. Hier treffen nationale Regelungen aufeinander, die auch im Flusswasser ablesbar sind. „In Belgrad war das Wasser so schmut- zig, dass ich im Stadtgebiet nicht geschwommen bin, sondern an Bord unseres Begleitschiffes war“, berichtet Andreas Fath. Die Millionenstadt Belgrad leitet ungeklärtes Abwasser in den Fluss. Das stundenlange Schwimmen ist anstrengend, aber nur Mittel zum Zweck. Ziel ist die Aufmerksamkeit in den Donauanrainerländern für den Umweltschutz zu erhöhen. „Der Bau von Kläranlagen, das Recycling von Plastikmüll, das sind Themen, die in manchen Ländern noch nicht weit vorangetrieben wurden“, sagt Fath. „Darauf möchten wir mit der Schwimm- Aktion aufmerksam machen.“ Das Interesse der Medien am schwimmenden Professor war sehr groß, heißt es in einer Mitteilung der Furtwangen University weiter. Auch Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker schwamm in Ulm mit Andreas Fath in der Donau, Sloweniens Umwelt- minister Jan Budaj hieß ihn in Bratis lava willkommen. Auch Fernsehauftritte gab es. Weitere Sichtungen Der Wolf ist im Landkreis mehrfach bestätigt Es hat an Weihnachten 2017 mit der Sichtung eines Wolfes an der Landstraße in Hammereisenbach begonnen, mittlerweile sind Wolfsichtungen im Schwarzwald und Schwarzwald-Baar-Kreis keine Besonderheit mehr. Erstmals allerdings belegte ein gerissenes Kalb in Vöhrenbach, dass Wölfe im Landkreis unterwegs sind. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Wolf im August des Jahres das Kalb angegriffen hat, heißt es dazu aus dem Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg. Wolfssichtungen gab es im Jahr 2022 in unserer näheren Umge- bung zudem in Simonswald, Schonach, Schönwald und Eisen- bach. Sowohl für Vöhrenbach als auch Simonswald wurde ein Wolf der Alpenpopulation oder italieni- sche Population genetisch nachgewiesen. Meist gelingt die Sichtung der scheuen Tiere jedoch nur über Fotos, die Wildkameras aufnehmen. Erik Pauly erreicht 98 Prozent der Stimmen Mit 98,2 Prozent der Stimmen wurden Erik Pauly im De zember 2021 im Amt des Oberbürgermeis- ters von Donau- eschingen bestätigt. In Corona- Zeiten lag die Wahlbeteili- gung bei 25 Prozent. Erik Pauly tritt damit seine zweite Amtszeit an, Oberbürgermeister von Donau- eschingen ist er seit 2014. Magazin 299

 

 

 

Kreisübergreifender Großeinsatz Katastrophenschutz- Übung an der Linachtalsperre Rund 250 Einsatzkräfte der Feuerweh- ren, des DRK, des Malteser Hilfsdiens- tes und des THW aus den Kreisen Freiburg, Konstanz, Schwarzwald-Baar und Waldshut haben am Samstag, den 15. Oktober an einer Katastrophen- schutzübung an der Linachtalsperre in Vöhrenbach teilgenommen. Koordi- niert wurde die kreisübergreifende Übung vom Regierungspräsidium Freiburg (RP) als höhere Katastrophen- schutzbehörde gemeinsam mit dem Landratsamt des Schwarzwald- Baar- Kreises als untere Katastrophenschutz- behörde. Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer und der Erste Landes- beamte des Landratsamts Schwarz- wald-Baar-Kreis, Martin Seuffert, machten sich vor Ort ein Bild von der Zusammenarbeit der Einsatzkräfte. Beeindruckt von Professionalität Regierungspräsidentin Schäfer zeigte sich beeindruckt von der hohen Professionalität der Einsatzkräfte: „Für schnelle und effiziente Hilfe bei großen Schadensereignissen ist eine solide Planung des überörtlichen Einsatzes von Einheiten des Katastro- phenschutzes unabdingbar. Die heutige Übung hat gezeigt, dass das Konzept der kreisübergreifenden Hilfeleistung des Regierungspräsidi- ums praxistauglich ist und zur Bewältigung einer solchen Lage beiträgt.“ Schäfer bedankte sich bei allen Ehrenamtlichen des Katastro- phenschutzes für ihren Einsatz für die Sicherheit der Gesellschaft. Martin Seuffert hob hervor, wie wichtig diese kreisübergreifende Katastrophenschutzübung für die 300 Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer (Mitte) informierte sich vor Ort zum Hin- tergrund der Großübung. Links Grünen-Landtagsabgeordnete und Linacherin Martina Braun, hinten der Vöhrenbacher Bürgermeister Heiko Wehrle. Magazin

 

 

 

Von oben links: Rettung von Verletzten nach einer angenommenen Explosi- on, Blick in die Einsatzzentrale, Aufbau einer Notwasserversorgung und der Behandlungsplatz für die Versorgung von „Verletzten“ am Fuß der Talsperre. Blaulichtfamilie zum jetzigen Zeit- punkt war: „Vor allem die Zeit während der Corona-Pandemie stellte unsere Einsatzkräfte vor eine große Herausforderung. Übungen waren in dieser Form nicht möglich. Jetzt wieder nach langer Zeit die Gelegen- heit zu haben, sich bei einer Übung, die sogar kreisübergreifend organisiert wurde, abzustimmen, war sehr wertvoll.“ „Wassermangel und Explosion“ Dem Drehbuch der Übung zufolge hatte eine lang anhaltende Trocken- heit zu einem Mangel an Brauchwas- ser geführt. In der Folge drohte auf Bauernhöfen Vieh zu verdursten. Gleichzeitig kam es auf einer Veran- staltung bei der Linachtalsperre zu einer Explosion mit mehreren Verletzten. Aufgrund des lang anhaltenden Einsatzes kamen die örtlichen Einsatzkräfte des Schwarz- wald-Baar-Kreises technisch und personell an ihre Grenzen. Deshalb war schnelle und strukturierte Unterstützung aus anderen Landkrei- sen notwendig. (Quelle: Pressetext Regierungspräsidium Freiburg) Magazin 301

 

 

 

Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Stand der Wohn be völ ke rung 30.06.2021 30.06.2022 Ver än de run gen in Zah len in Pro zent Ge mein de Villingen-Schwenningen Donaueschingen Bad Dürrheim St. Georgen Blumberg Furtwangen Hüfingen Niedereschach Königsfeld Bräunlingen Brigachtal Triberg Schonach Dauchingen Vöhrenbach Tuningen Mönchweiler Unterkirnach Schönwald Gütenbach 87.571 22.468 13.636 13.047 10.193 8.973 7.998 6.081 6.054 5.985 5.170 4.700 4.009 3.888 3.708 3.164 3.016 2.643 2.613 1.141 86.099 22.138 13.404 13.016 10.123 8.890 7.890 5.977 5.942 5.927 5.165 4.715 4.003 3.829 3.761 3.054 2.958 2.584 2.534 1.131 1.472 330 232 31 70 83 108 104 112 58 5 -15 6 59 -53 110 58 59 79 10 2.945 1,68 1,47 1,70 0,24 0,69 0,92 1,35 1,71 1,85 0,97 0,10 -0,32 0,15 1,52 -1,43 3,48 1,92 2,23 3,02 0,88 1,36 Kreisbevölkerung insgesamt 216.085 213.140 Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 30.06.2022 30.06.2021 30.06.2020 3,6 % 3,9 % 4,7 % 3,5 % 3,9 % 4,4 % 5,2 % 5,7 % 6,2 % Quelle: Agentur für Arbeit Orden und Ehrenzeichen Mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland wurde im Juni 2022 ausgezeichnet: Christa Gisela Lörcher (Villingen-Schwenningen) Mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2022 ausgezeichnet: Dieter Löffelhardt (Brigachtal), Horst Hettich (Furtwangen), Egon Bäurer (Hüfingen), Jürgen Gampp, Hans Wolfgang Henschke, Manfred Herzner, Matthias King, Irmgard Liebert und Ulrike Lichte (alle Villingen-Schwenningen) 302

 

 

 

Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Binninger, Silvia, 78166 Donaueschingen Bury, Tanja, 78073 Bad Dürrheim Dickmann, Barbara, 78098 Triberg Dilger, Gerhard, 78120 Furtwangen Dold, Wilfried, 78147 Vöhrenbach Eich, Marc, 78050 Villingen-Schwenningen Flöß, Andreas, 78050 Villingen-Schwenningen Götz, Hans-Jürgen, 78086 Brigachtal Hockenjos, Wolf, 78166 Donaueschingen Karger, Klaus Peter, 78050 Villingen-Schwenningen Köhler, Ursula, 78050 Villingen-Schwenningen Maier, Dagobert, 78199 Bräunlingen Möller, Bernd, 78126 Buchenberg Reinauer, Elke, 78046 Villingen-Schwenningen Tritschler, Edgar H., 78048 Villingen-Schwenningen Schneider, Daniela, 78098 Triberg Sprich, Roland, 78112 Sankt Georgen Stifter, Michael, 78147 Vöhrenbach Strohmeier, Wilfried, 78073 Bad Dürrheim Vogt, Josef, 78086 Brigachtal Bildnachweis Almanach 2023 Titelseite: Daniela Maier, Skicrosserin aus Furtwangen, mit ihrer Bronzemedaille der Olympischen Spiele 2022. Fotografie: Wilfried Dold, Vöhrenbach Rückseite: Neues Verwaltungsgebäude „An der Brigach“ Fotografie: Wilfried Dold, Vöhrenbach Soweit die Foto gra fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des Beitrages oder sind die Bild autoren/Bildleih geber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind im Almanach vertreten: Wilfried Dold, Vöhrenbach: 2-3, 9-21, 30-31, 33, 50-73, 75-79, 80 ob., 81-91, 120, 124, 126, 132, 135, 180 mi., 181, 192 u., 207 re. u., 210, 211, 213, 215, 226-231, 235 ob., 236 ob., 236 u., 237, 239 ob., 240-242; Marc Eich, Villingen-Schwenningen: 23, 25, 27, 29, 112, 114 ob., 115 ob., 117 ob., 118 ob., 119, 246, 250, 251 u., 253 ob. l.,; Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis: 24; Hans-Jürgen Götz, Brigachtal: 32 ob., 36 u.r., 102-107, 108 r., 109-111, 291, 293 u., 295; Andreas Flöß, Villingen-Schwennin- gen: 32 u., 34-36, 37; 38 ob.; Katja Wickert, Niedereschach: 38 u., 39-41; Tobias Fröhner, Göppingen: 42; Luisenklinik, Bad Dürrheim: 45, 48; Wilfried Strohmeier, Bad Dürrheim: 46-47, Reha klinik Katharinenhöhe, Furtwangen: 49; Erich Marek, VS-Schwenningen: 62 u., 66 u. li., 70; Sammy Minkoff, Eching: 74; Nikolaus Arnold, Triberg: 80 u.; Michael Stifter, Vöhrenbach: 92-94, 96-101, 140-143, 148-149, 158-159, 163 u., 165, 167, 168-179, 180 ob., 278-280, 283 ob. li., 284 ob. re., 285 ob. li.; Patrick Bäurer, Hondingen: 108 li.; Selina Haas, Schonach: 114 u.; 117 u.; 118 u.; imago images/ GEPA pictures, Berlin: 122, 127, 129; Ski-Club Urach: 125; Roland Sprich, St. Georgen: 131, 134, 144, 152, 154-155, 298 ob., 299 ob., 300/301; Réne Lamb, Radolfzell: 136; Martin Granacher, Weilheim: 137-138; Nik van Veenen daal, Waldkirch: 139; Doniswald-Klinik, Königsfeld: 145-147; Hezel GmbH, Mönchweiler: 150-151, 153, 156-157; Wilhelm Stark Baustoffe GmbH, Villingen: 160-162, 163 ob., 164, 166; EGT Unternehmensgruppe, Triberg: 182-192 ob., 193-199; Ralf Brunner, Hamburg: 200, 206 ob.; FF-Archiv, Donaueschin- gen: 202-203, 207 li. u., 209; Andreas Wilts, Hüfingen: 204; Silvia Binninger, Donau eschingen: 205; Roland Sigwart, Hüfingen: 206 u., 218; Günter Ludwig, Königsfeld: 208; Studio Fräulein Graf, Donaueschingen: 216, 225; Frank Kleinbach, Stuttgart: 219, 224; Museum Art.Plus, Donau- eschingen: 220; Bernhard Strauss, Freiburg: 222-223; Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 232-234, 235 u., 236 mi., 239 u.; Gerhard Dilger, Furtwangen: 243-245, 251 ob., 252, 255; Bergwacht Furtwangen: 248-249, 253 ob. r., 254; Archiv dold.verlag, Vöhrenbach: 249, 287; Dagobert Maier, Bräunlingen: 256-263; Nico Pudimat, Rottweil: 264-267, 269-273; Die Burg, Aasen: 268; Dome Der Grosse Fotografie, Berlin: 276-277; Daniela Schneider, Triberg: 281, 284 ob. li., 286 ob., 286 mi.; Zum Wilden Michel, Furtwangen: 282, 283 ob. re., 285 ob. re., 286 u., 289; Josef Vogt, Brigachtal: 292 ob.; Löwen, Brigachtal: 292 u., 293 ob., 294, 296-297; Freiwillige Feuerwehr Vöhrenbach: 301 ob. r. 303

 

 

 

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2023 BAUUNTERNEHMUNG VENTILATOREN Weißer + Grießhaber GmbH Vier weitere Freunde und Förderer des Almanachs wünschen nicht namentlich genannt zu werden. S Sparkasse Schwarzwald-Baar 304

 

 

 

„An der Brigach“ Neues Verwaltungsgebäude des Landratsamtes 8

 

 

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