Schwarzwald-Baar-Buch
Almanach 2025
49. Folge
Zeiten des Umbruchs – Zukunftsaufgaben
gemeinsam meistern
Liebe Leserinnen und Leser,
ein Jahr zahlreicher Ereignisse liegt hinter uns.
Höhepunkte waren dabei sicherlich die Kommunal-
und Europawahlen im Juni. Eine lebendige Demokratie
gehört zum Schwarzwald-Baar-Kreis und ist
ein hohes Gut, das es unbedingt zu bewahren gilt.
Deshalb freut es mich sehr, dass die Wahlbeteiligung
bei der diesjährigen Kreistagswahl gestiegen ist.
Mit Sorge blicke ich allerdings auf die zunehmende
Radikalisierung in unserer Gesellschaft. Wir leben
in einer Zeit großer Umbrüche auf der Welt und das
bekommen auch wir hier in unserer Heimat, dem
Schwarzwald-Baar-Kreis, zu spüren. Nationale wie internationale
Entwicklungen sorgen für das Gefühl von
Unsicherheit bei vielen Bürgerinnen und Bürgern.
Als Landkreis haben wir viele Herausforderungen
zu bewältigen, welche uns auch noch die kommenden
Jahre beschäftigen werden. Dazu zählen unter
anderem Jugendhilfe, Migration und Klimaschutz.
Und das alles bei einer ohnehin schon angespannten
Haushaltslage. Die Lösungen für unsere Probleme
werden nicht einfach sein, weshalb wir ruhig und
besonnen agieren sollten. Trotz all dieser Umstände
gilt es erneut, die Zuversicht nicht zu verlieren,
weiterhin positiv in die Zukunft zu blicken und neue
Chancen zu ergreifen. Zusammen mit den Bürgerinnen
und Bürgern und dem neuen Kreistag werden
wir die Zukunftsaufgaben angehen. Wir können
stolz sein auf die Geschichte unseres Landkreises
und darauf vertrauen, dass wir gemeinsam bestehen
werden, denn in unserem Quellenland steckt
viel Potenzial. Und vor allem leben hier viele Menschen,
kluge Köpfe, die anpacken und somit unseren
Schwarzwald-Baar-Kreis aktiv mitgestalten.
Über einige dieser tollen Menschen können Sie
im diesjährigen Almanach lesen. Alle zusammen
bringen die Vielfältigkeit unseres Kreises zum Ausdruck,
denn wie immer ist eine große Bandbreite an
Themen im Jahrbuch vertreten: Von Geschichte über
Kunst und Kultur bis hin zu Wirtschaft und Sport –
all diese Bereiche finden sich hier wieder. Unser
Landkreis hat viel Spannendes zu erzählen. Ich bin
deshalb zuversichtlich, dass unser Schwarzwald-
Baar-Buch wieder einmal zur Identifikation mit
unserem Kreis beitragen kann und auch in diesem
Jahr seine gewohnte Resonanz findet.
Mein besonderer Dank gilt den treuen Freunden
und Förderern des Almanachs. Ebenso gilt mein
Dank dem dold.verlag aus Vöhrenbach sowie den
zahlreichen Autoren und Fotografen, ohne die eine
so abwechslungsreiche und vielseitige Publikation
in dieser Qualität nicht umsetzbar gewesen wäre.
Ich blicke voller Vorfreude auf die weiterhin vertrauensvolle
und erfolgreiche Kooperation für unser
Herzensprojekt – dem Schwarzwald-Baar-Buch,
unserem Almanach und seiner 50. Folge im kommenden
Jahr.
Zum Schluss möchte ich mich bei Ihnen bedanken,
den Leserinnen und Lesern des Almanach
2025, für die Treue und das Vertrauen, das Sie uns
teilweise seit fast fünf Jahrzehnten schenken. Ich
wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre unseres
Schwarzwald-Baar-Buches.
Bitte halten Sie dem Almanach weiterhin die
Treue!
Ihr
Sven Hinterseh, Landrat
Zum Geleit
10
Winterabend bei der Baumallee in Hausen vor Wald.
12
Der „einsame Baum“ auf der Baar bei Bad Dürrheim.
14
Schwarzwald bei Triberg mit Blick auf die Höhen von Nußbach und Gremmelsbach.
16
Herbststimmung in Bräunlingen mit Stadtkirche und Mühlentor.
DIE ALMANACH-REDAKTION IM DIALOG
MIT LANDRAT SVEN HINTERSEH
Trotz gewaltiger Aufgaben
gemeinsam unsere Zukunft
aktiv gestalten
Ein gewaltiges Aufgabenspektrum im Kreistag und im Landratsamt, Daseinsvorsorge
im Ländlichen Raum, Migrationspolitik, Jugendhilfe, Öffentlicher
Nahverkehr oder Ringzug 2.0: Die Herausforderungen in der Kreispolitik bleiben
weiterhin enorm, wie Landrat Sven Hinterseh im Gespräch mit dem Jahrbuch
Almanach unterstreicht. Und doch hält er abschließend fest: „Es geht darum, dass
wir diese Herausforderungen zuversichtlich annehmen und gemeinsam aktiv
unsere Zukunft gestalten.“
Herr Landrat Hinterseh, das Jahr 2024 stand ganz im
Zeichen der Kommunalwahlen. Am 9. Juni galt es, einen
neuen Kreistag zu wählen. Im Interview zum Almanach
2024 haben Sie sich unter anderem gewünscht, dass
Sie weiterhin gut mit den Kreisrätinnen und Kreisräten
zusammenarbeiten. Zudem war Ihr Wunsch, dass mehr
Frauen in das Gremium einziehen. Ist Ihr Wunsch in
Erfüllung gegangen?
Ich freue mich sehr, dass unser 11. Kreistag des
Schwarzwald-Baar-Kreises bereits seine Arbeit aufgenommen
hat und ich gratuliere nochmals jedem
gewählten, ehrenamtlich engagierten Kreisrat und
jeder Kreisrätin zu diesem Amt. In unserem neu gewählten
Gremium sind viele neue, aber auch einige
„altbekannte“ Gesichter. Ich bin dankbar für dieses
ehrenamtliche Engagement für den SchwarzwaldBaar-
Kreis, denn es ist alles andere als selbstver-
In unserem neu gewählten
Gremium sind viele neue,
aber auch einige „altbekannte“
Gesichter. Ich bin dankbar
für ihr ehrenamtliches Engagement,
denn es ist alles
andere als selbstverständlich.
ständlich. Gerade in einer Gesellschaft, die immer
mehr „Ich-bezogen“ ist, ist dieses Engagement umso
bemerkenswerter. Tatsächlich hat sich der Frauenanteil
im neuen Gremium leider nicht erhöht. Hier
ist bei der mengenmäßigen Vertretung der Frauen
19
Landrat Sven Hinterseh
also durchaus „noch Luft nach oben“ – jetzt beginnt
dann die inhaltliche Arbeit des Kreistags und seiner
Ausschüsse und darauf freue ich mich.
Die Kommunalwahlen haben für den Landkreis eine
besondere Bedeutung. Welche Aufgaben sind mit diesen
Wahlen verbunden?
Für den Landkreis waren die Kommunalwahlen in
vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Besonders
unser Kommunal- und Rechnungsprüfungsamt war
als Kreisgeschäftsstelle des Kreiswahlleiters wieder
mit der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen
auf Kreisebene gefordert. Hier gilt mein Dank dem
gesamten Team des Kommunal- und Rechnungsprüfungsamtes
für die hervorragende Arbeit. Für uns ist
die Wahl des Kreistags natürlich von besonderer Bedeutung,
weil dieses Gremium unser Hauptorgan ist.
Wir haben uns als Landratsamt im Vorfeld der
Wahl bemüht, Aufklärungsarbeit zu leisten, warum
Wahlen wichtig sind und worum es dabei geht. Demokratie
lebt vom Mitmachen von jedem Einzelnen.
Die ehrenamtlichen Leistungen, ob im kommunalpolitischen
Amt oder in anderen ehrenamtlichen
Tätigkeiten, sind ein wertvolles Gut. Um dies hervorzuheben,
haben wir einen neuen Weg der Ansprache
versucht und eine neue Staffel unseres Podcasts
„Quellenland aufs Ohr“ aufgelegt. Der Titel der zweiten
Staffel wurde bewusst gewählt: „Wir gestalten
mit Dir unsere Zukunft!“ und stellt das Ehrenamt in
den Mittelpunkt der Geschichten aus dem Schwarzwald-
Baar-Kreis. Reinhören lohnt sich, auch jetzt
noch nach der Wahl. Die erzählten Geschichten zeigen,
wie sich Menschen aus dem Schwarzwald-Baar-
Kreis für ihre Mitmenschen einsetzen, ob im sozialen
Bereich, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder auf
andere vielfältige Art und Weise.
Bürgerinnen und Bürger darauf aufmerksam zu
machen, wie sie unsere Gesellschaft mitgestalten
können, wird offensichtlich immer wichtiger. Wie ist es
möglich, hier die junge Generation anzusprechen?
Ja, das ist uns natürlich ein großes Anliegen, vor allem
die Jugendlichen zu erreichen. Deshalb haben
wir für unsere Erstwähler die Veranstaltung „Politik
Mit der Veranstaltung „Politik
und Pizza“ ist es gelungen,
gemeinsam mit der Landeszentrale
für politische Bildung
BadenWürttemberg
einen
direkten, aber niederschwelligen
Kontakt von Jugendlichen
mit Kommunalpolitikern
zu schaffen.
und Pizza“ gemeinsam mit der Landeszentrale für
politische Bildung Baden-Württemberg hier im Landratsamt
durchgeführt. Der Zuspruch war sehr groß.
Vor allem ist es gelungen, einen direkten, aber
niederschwelligen Kontakt von Jugendlichen mit
Kommunalpolitikern zu schaffen. Mit anderen Jugendlichen
und jungen Erwachsenen hatten die Erstwähler
die Möglichkeit, ihre Themen und Anliegen bezogen
auf ihre Gemeinde und den Schwarzwald-Baar-
Kreis zu diskutieren. Wir haben sehr gutes Feedback
dazu bekommen.
Auf Bundes- und Landesebene zeichnen sich schwierige
Zeiten unter anderem in finanzieller Hinsicht ab. Wie
wirkt sich das auf die Kreisebene aus?
Gerade vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen
Rahmenbedingungen, des demografischen Wandels
und des Arbeitskräftemangels in so vielen Bereichen,
stellt sich die Situation tatsächlich als herausfordernd
dar.
Unser Aufgabenspektrum im Kreistag und im
Landratsamt – wo wir als Behörde ja für kommunale
und staatliche Aufgaben gleichermaßen zuständig
sind – ist ganz gewaltig. Und man muss schon feststellen,
dass die Regelsetzung aus Brüssel, Berlin
und Stuttgart leider nicht nachlässt, ganz im Gegenteil.
Sie wird immer umfänglicher und bringt uns als
Landratsamt in manchen Bereichen wirklich auch an
den Rand des noch Leistbaren.
Bei der Infound
Mitmachveranstaltung „Politik und Pizza“ im Landratsamt nutzten rund 120 Jugendliche die Gelegenheit
mehr über das Thema Wahlen und wie gewählt wird zu erfahren. Nach einem informativen Input der Referenten (Foto
u. li.) Miriam Krafft, Clara Burger und Jonas Pauther von der Landeszentrale für politische Bildung, stellten sich die Kandidierenden
für die Kommunalwahlen vor. An zehn Haltestationen hatten die Erstwähler die Möglichkeit, ihre Themen
und Anliegen bezogen auf ihre Gemeinde und den SchwarzwaldBaarKreis
mit den Kandidierenden zu diskutieren. Und
natürlich gab es auch eine ofenfrische Pizza zur Politik – ganz dem Motto der Veranstaltung entsprechend. Für die zweite
Staffel des Podcasts „Quellenland aufs Ohr“ sammelte Podcasterin Henriette Schreurs (u. re.) Stimmen der Erstwähler.
Neben den allgemeinen Rahmenbedingungen, die sich
stark verschärft haben, gibt es für den neuen Kreistag
weitere Herausforderungen, um den Schwarzwald-Baar-
Kreis attraktiv zu halten. Welche sind das?
Nach meiner Auffassung ist der Erhalt der Daseinsvorsorge
im Ländlichen Raum noch immer eine der
zentralen Herausforderungen. Auch hier im Schwarzwald-
Baar-Kreis werden die Bürgerinnen und Bürger
glücklicherweise immer älter – darüber freuen wir
uns, nur dass da kein Missverständnis aufkommt.
Aber bald ist es jetzt so weit: die Babyboomer gehen
so langsam in den Ruhestand und die Arbeit wird
sich dann auf noch weniger Schultern verteilen. Es
stellt sich dann die Frage, wie wir das bewältigen
können. Auf dem Land wirkt sich dieser Wandel anders
aus als in der Stadt – die Herausforderungen
sind dabei aber sowohl in den Orten als auch in den
Städten groß. Mit unserer Demografiestrategie sind
wir zwar gut gerüstet, aber natürlich ist dies kein
Zukunft gestalten – Im Dialog mit Landrat Sven Hinterseh
Der Ringzug erstrahlt in neuem Glanz – bei der Vorstellung der neu gestalteten RegioShuttles des SWEGVerkehrsbetriebs
Hohenzollerische Landesbahn, die auf den RingzugStrecken
fahren. Von links: Tobias Harms (Vorsitzender der SWEGGeschäftsführung),
Barbara Kollmeier (Dezernatsleiterin Rechtsund
Ordnungsverwaltung Landratsamt SchwarzwaldBaarKreis),
Sven Hinterseh (Landrat SchwarzwaldBaarKreis),
Stefan Bär (Landrat Landkreis Tuttlingen) und Berthold
Frieß (Ministerialdirektor im Ministerium für Verkehr BadenWürttemberg).
Mit eines der wichtigsten
Themen für den Kreistag ist die
Bildung als Aufgabe für alle
Lebensphasen – von der
frühkindlichen Bildung, über
Schule, Ausbildung, Fortund
Weiterbildung, Studium bis hin
zum lebenslangen Lernen.
statischer Prozess und wir müssen immer wieder
prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.
Und wir müssen weiter daran arbeiten, eine wettbewerbsfähige
Infrastruktur in allen Bereichen zu
erhalten und auszubauen: Bildung, Soziales, Straßen,
Schiene, Breitbandausbau im gesamten Landkreis,
all das ist existenziell wichtig für die Daseinsvorsorge
im Ländlichen Raum.
Mit eines der wichtigsten Themen für den
Kreistag ist die Bildung als Aufgabe für alle Lebensphasen
– von der frühkindlichen Bildung, über Schule,
Ausbildung, Fort- und Weiterbildung, Studium bis
hin zum lebenslangen Lernen. Bildung muss nach
wie vor oberste Priorität genießen. Ich bin davon
überzeugt, dass wir hier Spitze sein müssen. Wir
brauchen die besten Schulen, um unseren Kindern
die größtmöglichen Chancen für einen Aufstieg und
berufliches Fortkommen zu ermöglichen. Und gerade
dabei haben unsere Beruflichen Schulen eine ganz
besondere Aufgabe: sie sind schließlich „Aufsteiger-
schulen“ und wir müssen alles tun, sie noch weiter
zu stärken.
Wie ist der Schwarzwald-Baar-Kreis mit seiner Infrastruktur
derzeit aufgestellt?
Wenn man sich das einmal aus der „Vogelperspektive“
anschaut, dann finde ich, ist die Infrastruktur im
Schwarzwald-Baar-Kreis insgesamt in einem doch
recht ordentlichen Zustand. Das gilt für vieles, aber
Links: Zum 1. Januar 2023 wurde eine große Tarifreform und Verbundfusion für Bus und Schiene vorgenommen. Daraus
ist der neue Verkehrsverbund SchwarzwaldBaarHeuberg
„MOVE“ entstanden, dem alle drei Landkreise aus der Region
angehören. Rechts: Die Belegung von Dächern der kreiseigenen Gebäude mit PVAnlagen
und somit die Erhöhung der
Eigenstromerzeugung wurde kontinuierlich gesteigert.
auch für die Schulen ebenso wie für den ÖPNV. Zum
1. Januar 2023 wurde eine große Tarifreform und Verbundfusion
vorgenommen. Daraus ist der neue
Verkehrsverbund Schwarzwald-Baar-Heuberg
„MOVE“ entstanden, dem alle drei Landkreise aus
der Region angehören.
In den nächsten Jahren wird es eine weitere
große Herausforderung sein, den Öffentlichen
Personennahverkehr im Landkreis auskömmlich zu
finanzieren und inhaltlich weiterzuentwickeln. Auch
ganz neue Wege müssen dabei eingeschlagen
werden. Zum Beispiel müssen wir uns mit dem
Einsatz emissionsarmer und -freier Antriebe oder
aber der Einrichtung von On-Demand-Verkehren im
ÖPNV beschäftigen. Heißt: Möglichst in Tagesrandlagen
weg vom Fahrplan und klassischem Linienverkehr,
hin zu einer Flexibilisierung – Fahrten nur nach
Bedarf, das muss das Ziel sein!
Und dann bin ich bei einem weiteren Großprojekt
(und da meine ich wirklich „groß“): „Ringzug 2.0“.
Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren mit der
Unterstützung des Bundes und gemeinsam mit dem
Land Baden-Württemberg alle Schienenstrecken
hier in der Region zu elektrifizieren und eine umsteigefreie
Verbindung von Villingen über Schwenningen
und Rottweil nach Stuttgart zu realisieren.
Ferner möchten wir den Ringzugverkehr hier in der
Region mit weiteren Haltepunkten noch attraktiver
machen – Stichwort Ringzugerweiterung nach
St. Georgen mit Zwischenhaltepunkten.
Der ÖPNV ist ja auch eine wichtige Säule, um einen
Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Eines der Zukunftsthemen.
Was unternimmt der Schwarzwald-Baar-Kreis
hier?
Wenn wir über Klimaschutz und die daraus folgenden
Maßnahmen sprechen, dann spielen nicht nur
die Gebäudesanierungen mit der Installation von
PV-Anlagen, die Arbeit unseres Klimaschutzmanagers
oder unserer Energieagentur eine wichtige Rolle.
Wir müssen auch eine wirkliche Ergänzung zum
Individualverkehr mit unserem ÖPNV, zum Beispiel
über die bereits angesprochenen On-Demand-Verkehre,
bieten können.
Zukunft gestalten – Im Dialog mit Landrat Sven Hinterseh
23
Das Kreisjugendamt unterstützt junge Menschen und Familien dabei, positive Lebensbedingungen zu schaffen und zu
erhalten, sowie Kinder und Jugendliche vor Gefahren zu ihrem Wohl zu schützen.
Auf welche Themen blicken Sie mit Sorge, was treibt Sie
um?
Besorgniserregend ist derzeit, welche Fallzahlen
unsere Jugendhilfe bereits seit einer Weile verzeichnet,
aber auch in welcher Intensität sich diese Fälle
gestalten. Die aktuellen negativen Entwicklungen im
Krankenhauswesen und die massiven Eintrübungen
im Finanzbereich sind leider auch dramatisch. Das
stellt uns vor sehr schwierige Aufgaben. Hinzu kommen
unsere Anstrengungen im Flüchtlingsbereich
mit der Suche nach Unterkünften, der Organisation
von Integrationskursen und der
Einführung einer Bezahlkarte.
Und wir sehen, dass wir uns bei
der Sozialarbeit neu ausrichten
müssen, um effektiver arbeiten
zu können. Hier werden wir
künftig mehr in die Sozialräume
gehen. Als Pilotprojekt wurde
Mit dem „Roten Löwen“ in
St. Georgen wurde ein ortsnahes
Beratungsangebot und ein
Zentrum der Begegnung
zugleich geschaffen.
hierzu der Rote Löwen in St. Georgen mit einem
Beratungsangebot geschaffen, das sich kundenorientiert
und kundennah an den Bedürfnissen der Ratsuchenden
ausrichtet (siehe Seite 158).
Stark diskutiert wird auf bundespolitischer Ebene aktuell
die Migrationspolitik. Wie sind die Auswirkungen im
Schwarzwald-Baar-Kreis zu spüren? Welchen Herausforderungen
muss sich der Landkreis bei diesem Thema
stellen?
Die bundes- und landespolitischen Entscheidungen
wirken sich direkt auf die Landkreise aus. Das
Landratsamt als untere Aufnahmebehörde ist für die
Unterbringung der Flüchtlinge in den
Gemeinschaftsunterkünften zuständig. Die Herausforderung
für die Kreisverwaltung liegt darin, dass
monatlich rund 50 bis 70 neu hinzukommende
Flüchtlinge eine Unterkunft benötigen. Die derzeitige
Situation der Aufnahme von Flüchtlingen gestaltet
sich im Schwarzwald-Baar-Kreis so, dass der
Landkreis dazu verpflichtet ist, von den in Baden-
Württemberg aufgenommenen Flüchtlingen 2,3 Prozent
in vorläufiger Unterbringung, also in den
Gemeinschaftsunterkünften, aufzunehmen.
Aktuell, mit Stand zum 1. Oktober 2024, bringen
wir als Landkreis 850 geflüchtete Menschen in unseren
zwölf Gemeinschaftsunterkünften in sieben
Städten und Gemeinden im Schwarzwald-Baar-Kreis
unter. Die Städte und Gemeinden wiederum halten
Unterkünfte für die Geflüchteten in der danach folgenden
Anschlussunterbringung vor.
Die Frage ist, wie viel unsere Gemeinschaft,
unsere öffentlichen Einrichtungen und unsere Infrastruktur
schaffen können, um nicht überfordert zu
werden. Wir sehen hier regelmäßig und bundesweit
Schwierigkeiten in Kindergärten, Schulen, bei Ärzten
und auch in Behörden.
Wie motivieren Sie sich in Anbetracht der zahlreichen
und vielschichtigen Herausforderungen?
Wir alle sehen und erleben es beinahe täglich, dass
wir in angespannten Zeiten leben. Vor allem, wenn
man das Weltgeschehen und die Entwicklungen in
den aktuellen Krisengebieten betrachtet. Die Be-
Wir leben in einem Landkreis,
in dem Gemeinschaft und
Ehrenamt einen hohen Stellenwert
haben. Das ist nicht
selbstverständlich, zeigt aber,
dass wir gemeinsam viel
erreichen können und dass der
Zusammenhalt in der Bevölkerung
insgesamt gut ist.
richterstattungen aus der Ukraine oder aus Nahost
machen demütig, aber auch dankbar, dass wir in einem
so friedlichen Teil der Erde leben dürfen, in dem
unsere Demokratie und unsere freiheitlichen Werte
ein hohes Gut sind. Manches Problem wird in dieser
Relation dann etwas kleiner.
Wir leben in einem Landkreis, in dem Gemeinschaft
und Ehrenamt einen hohen Stellenwert haben.
Das ist nicht selbstverständlich, zeigt aber, dass
wir gemeinsam viel erreichen können und dass der
Zusammenhalt in der Bevölkerung insgesamt gut ist.
Vor allem die Jugend nimmt hier eine wichtige
Rolle ein. Als Landrat komme ich oft mit engagierten
Jugendlichen in Kontakt. Diese Begegnungen sind
für mich auch eine Kraftquelle. Ich erlebe, wie sich
junge Menschen mit ihrer Zukunft auseinandersetzen:
mit viel Einsatz, oft sehr kritisch, aber fast
durchweg positiv. Auch bei meinen eigenen Kindern
erlebe ich diese Grundhaltung. Das ist Motivation für
mein Wirken.
Außerdem erlebe ich bei unseren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im Landratsamt auch in diesen
herausfordernden Zeiten weiterhin eine hohe Motivation
und Schaffenskraft, das macht mich stolz. Es
geht darum, dass wir zuversichtlich die Herausforderungen
annehmen und gemeinsam die Zukunft
gestalten.
Herr Landrat Hinterseh, wir danken Ihnen für dieses
Gespräch.
Zukunft gestalten – Im Dialog mit Landrat Sven Hinterseh
Der neue Kreistag des SchwarzwaldBaarKreises
hat 61 Mitglieder
Erste Sitzung des 11. Kreistages:
Neubeginn, Abschied und Dank
Mit einem Rückblick auf die zehnte Legislaturperiode eröffnete
Landrat Sven Hinterseh im Großen Sitzungssaal am Montag, den
22. Juli 2024 die konstituierende Sitzung des 11. Kreistages des
SchwarzwaldBaarKreises.
Der aktuelle Kreistag zählt 61 Mitglieder,
die Landrat Sven Hinterseh in der ersten Sitzung des neu gewählten
Gremiums verpflichtete. Gewürdigt wurden zahlreiche Kreisräte
für deren langjähriges ehrenamtliches Engagement – teils über
Jahrzehnte hinweg.
Landrat Sven Hinterseh betonte eingangs, wie sich diesem Gremium etwas (er)schaffen, etwas veränjeder
Einzelne in das Gremium einbringen und etwas dern – ja mitmachen! Gemeinsam können wir das
bewirken könne: „Sie wollen und, da bin ich mir Beste für den Landkreis, seine Städte und Gemeinden
sicher, Sie werden mit Ihrer ehrenamtlichen Arbeit in und unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger erreichen.“
Nach der konstituierenden Sitzung des neu
gewählten 11. Kreistages des Schwarzwald-Baar-
Kreises am 22. Juli 2024 ehrte Landrat Sven
Hinterseh in feierlichem Rahmen Kreisräte, die sich
teils seit mehreren Legislaturperioden im Kreistag
engagierten. Weiter 26 Frauen und Männer, die aus
dem Gremium ausgeschieden sind. Nach einem
kurzen Streifzug durch die kreispolitischen Themen
der letzten fünf Jahre, der verdeutlichte, wie
vielfältig und umfangreich die Beratungen im
Kreistag und seinen Ausschüssen waren, dankte er
den Räten für die Leistungen, den Einsatz und das
Herzblut, das alle in die Kreistagsarbeit haben
einfließen lassen. „Sie alle haben die Entwicklung
des Schwarzwald-Baar-Kreises ganz maßgeblich
mitgestaltet“, attestierte der Landrat den Geehrten
und scheidenden Kreisräten.
Verdienstmedaille des Landkreistages Baden-
Württemberg in Silber und Bronze verliehen
Die Verdienstmedaille des Landkreistages Baden-
Württemberg erhalten sowohl Mitglieder, die aus
dem Gremium ausscheiden, als auch aktive Mitglieder
des Kreistages, die die entsprechende Dauer der
Kreistagsmitgliedschaft erfüllt haben. Die Verdienstmedaille
des Landkreistags Baden-Württemberg in
Silber für eine Zugehörigkeit zum Kreistag von über
30 Jahren erhielt Edgar Schurr. Er hatte sich dazu
Landrat Sven Hinterseh verpflichtete die Kreisrätinnen und
Kreisräte auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Amtspflichten
mit dem Wortlaut: „Ich gelobe Treue der Verfassung,
Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung
meiner Pflichten. Insbesondere gelobe ich, die Rechte des
Landkreises gewissenhaft zu wahren und sein Wohl und
das seiner Einwohner nach Kräften zu fördern.“ Stellvertretend
für alle Kreisräte sprach der jüngste Kreisrat Michael
Haselberger (li.) die Formel.
Edgar Schurr (links) wurde mit der Verdienstmedaille des
Landkreistages BadenWürttemberg
in Silber für über
30jährige
Tätigkeit als Kreisrat und mit der Verdienstmedaille
des SchwarzwaldBaarKreises
in Gold durch
Landrat Sven Hinterseh geehrt.
11. Kreistag: Neubeginn, Abschied und Dank
27
Die Verdienstmedaille des Landkreistages in Bronze erhielten (v. links) Thomas Ettwein, Angelika Baumann, die die Auszeichnung
für ihren Ehemann Adolf Baumann posthum entgegennahm, Bürgermeister Fritz Link, Oberbürgermeister
Jürgen Roth und Dr. KarlHenning
Lichte. Adolf Baumann (posthum) und Dr. KarlHenning
Lichte erhielten außerdem die
Verdienstmedaille des SchwarzwaldBaarKreises
in Gold.
entschlossen, nicht erneut zur Wahl anzutreten. Die
Verdienstmedaille des Landkreistages in Bronze für
eine Zugehörigkeitsdauer von über 20 Jahren
erhielten: Adolf Baumann (posthum), Thomas
Ettwein, Dr. Karl-Henning Lichte, Bürgermeister Fritz
Link und Oberbürgermeister Jürgen Roth.
Ein Kreisrat wurde bei der Ehrung besonders hervorgehoben,
nämlich der „dienstälteste“ Kreisrat mit
der längsten Zugehörigkeit zum Kreistagsgremium,
der nun ausscheidet: dies ist Karl Rombach. 35 Jahre
lang war er Mitglied des Kreistages im Schwarzwald-
Mit der Verdienstmedaille
des
SchwarzwaldBaarKreises
in Gold wurde
Karl Rombach
geehrt.
Baar-Kreis. Für dieses ehrenamtliche Engagement
konnte er bereits 2009 bzw. 2019 die Verdienstmedaille
des Landkreistages in Bronze sowie in
Silber entgegennehmen.
Besondere Ehrung für Anton Knapp
Eine besondere Ehrung erhielt Anton Knapp,
Bürgermeister a.D. aus Hüfingen, für seine langjährige
Tätigkeit im Kreistag. 40 Jahre ist er bereits
als Kreisrat aktiv. Auf 35 Jahre Kreistagstätigkeit
kann er im Schwarzwald-Baar-Kreis zurückblicken.
Weitere fünf Jahre engagierte er sich im Kreistag des
Landkreises Rastatt. Landrat Sven Hinterseh gratulierte
Anton Knapp und überreichte ihm die Verdienstmedaille
des Landkreistages in Gold. Sven
Hinterseh: „Das ist eine überragende Leistung!“.
In der vergangenen Wahlperiode brachte sich
Anton Knapp als Mitglied des Ausschusses für Bildung
und Soziales ein. Dort war er Sprecher der
SPD-Kreistagsfraktion. Zudem war er Mitglied im
Begleitgremium zum European Energy Award und
in der Lenkungsgruppe zur Wirtschaftskonzeption.
Anton Knapp brachte sich während der letzten vier
Jahrzehnten bei bedeutenden Themen ein, wie beispielsweise
bei der Konzeption des Ringzugs, bei der
großen Krankenhausstrukturreform im Schwarzwald
Die Verdienstmedaille des SchwarzwaldBaarKreises
in Silber erhielten (v. links): Rainer Jung, Manfred Scherer,
Theobald Effinger, Werner Ettwein und Beate BergHaller.
Baar-Kreis oder bei der Gründung des Zweckverbands
Breitbandversorgung. „Hierbei hatten Sie
auch in Ihrer Zeit als Bürgermeister von Hüfingen
nie immer nur die „Bürgermeisterbrille“ auf, sondern
hatten den Landkreis im Blick und wollten dabei
stets das Beste für die Bürgerinnen und Bürger des
Die Verdienstmedaille des Landkreistages BadenWürttemberg
in Gold für eine Zugehörigkeit zum Kreistag von über
40 Jahren erhielt Bürgermeister a. D. Anton Knapp (links)
durch Landrat Sven Hinterseh (rechts).
gesamten Landkreises“, hob Landrat Sven Hinterseh
hervor. Anton Knapp wurde erneut in den Kreistag
gewählt.
Verdienstmedaillen des
Schwarzwald-Baar-Kreises
Eine besondere Ehrung wurde vier Kreisräten mit
der Verleihung der Verdienstmedaille des Schwarzwald-
Baar-Kreises in Gold zuteil. Die Ehrung erhalten
Kreisräte, die vier und mehr Wahlperioden vollendet
haben. Dem kürzlich verstorbenen Kreisrat Adolf
Baumann wurde die Verdienstmedaille posthum
verliehen, die Ehrung nahm seine Ehefrau Angelika
Baumann entgegen. Weiter erhielten diese Ehrung
Dr. Karl-Henning Lichte, Karl Rombach und Edgar
Schurr.
Adolf Baumann aus Hüfingen wurde 2004 erstmals
in den Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises
gewählt und gehörte der FDP-Fraktion an. Ebenfalls
seit 2004 wurde Dr. Karl Henning Lichte aus
Villingen-Schwenningen für die Freie Wählervereinigung
in den Kreistag gewählt. Karl Rombach aus
Schonach war für die CDU seit 1989 Mitglied im
Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises und Edgar
Schurr aus Villingen-Schwenningen für die SPD seit
1994.
11. Kreistag: Neubeginn, Abschied und Dank
29
10 Jahre Engagement für den Landkreis – die Verdienstmedaille des SchwarzwaldBaarKreises
in Bronze erhielten (v. l.):
Wolfgang Kaiser, Katharina Hirt, Sigrid Fiehn und Bertold Ummenhofer. Dr. Marcel Klinge konnte bei der Ehrung nicht
dabei sein.
Es ist die Zeit gekommen,
um Dank zu sagen: Für Ihre
Leistungen, Ihren Einsatz
und Ihr Herzblut, das Sie
alle in die Kreistagsarbeit
haben einfließen lassen. Ich
danke Ihnen im Namen des
SchwarzwaldBaarKreises
aber auch persönlich sehr
herzlich.
Sven Hinterseh, Landrat
Weitere Verdienstmedaille und Urkunden
Sechs Kreisrätinnen und Kreisräte haben sich
insgesamt 15 Jahre, also drei Wahlperioden ehrenamtlich
für den Schwarzwald-Baar-Kreis eingebracht.
Landrat Sven Hinterseh überreichte die Verdienstmedaille
des Schwarzwald-Baar-Kreises in Silber an
Beate Berg-Haller, Theobald Effinger, Werner
Ettwein, Rainer Jung und Manfred Scherer. Dr. Klaus
Götz erhielt ebenfalls die Verdienstmedaille in Silber,
konnte jedoch an der Ehrung nicht teilnehmen.
Beate Berg-Haller aus Königsfeld wurde erstmals
2004 in den Kreistag gewählt. Wiedergewählt wurde
sie für zwei weitere Wahlperioden von 2014 bis 2024
für das Bündnis 90/Die Grünen. Werner Ettwein aus
Villingen-Schwenningen wurde erstmals von 1999
bis 2004 und wieder von 2014 bis 2024 für die Freie
Wählervereinigung in den Kreistag gewählt. Jeweils
von 2009 bis 2024 waren im Kreistag Theobald
Effinger aus Brigachtal für die CDU, Dr. Klaus Götz
aus Bad Dürrheim für die Freie Wählervereinigung,
Rainer Jung aus Furtwangen für die Freie Wählervereinigung
und Manfred Scherer aus St. Georgen für
die CDU.
Fünf Kreisrätinnen und Kreisräte wurden für
zehn Jahre Engagement für den Schwarzwald-Baar-
Kreis geehrt. Sigrid Fiehn, Katharina Hirt, Wolfgang
Kaiser, Bertold Ummenhofer und Dr. Marcel Klinge,
der nicht bei der Ehrung dabei sein konnte, waren
zwei Wahlperioden als Kreisrat aktiv. Für dieses Engagement
erhielten sie die Verdienstmedaille des
Schwarzwald-Baar-Kreises in Bronze.
Jeweils von 2014 bis 2024 im Kreistag waren:
Sigrid Fiehn aus Königsfeld für die Freie Wählervereinigung,
Katharina Hirt aus Villingen-Schwenningen
für die CDU, Wolfgang Kaiser aus Bad Dürrheim für
das Bündnis 90/Die Grünen, Bertold Ummenhofer
Eine Dankesurkunde erhielten: (v. l.) Joachim Senger, Birgit Helms, Bürgermeisterin Lisa Hengstler, Dr. Ursula RothZiefle
und Josef Heissmann. Nicht im Bild: Dr. Armin Faas, Bürgermeister a. D. Michael Kollmeier, Angela Nock, Andreas Olivier,
Maren Ott und Landtagsabgeordneter Niko Reith.
aus Villingen-Schwenningen für die Freie Wählervereinigung
und Dr. Marcel Klinge aus Villingen-
Schwenningen für die FDP.
An die Mitglieder des Kreistages, die eine Periode
im Kreistag waren, vergab der Schwarzwald-Baar-
Kreis eine Dankurkunde. Landrat Sven Hinterseh
übergab die Urkunden an Josef Heissmann, Birgit
Helms, Bürgermeisterin Lisa Hengstler, Dr. Ursula
Roth-Ziefle und Joachim Senger. Eine Urkunde erhielten
ebenfalls Dr. Armin Faas, Bürgermeister a. D.
Michael Kollmeier, Angela Nock, Andreas Olivier,
Maren Ott und Landtagsabgeordneter Niko Reith. Sie
konnten an der Feierstunde nicht teilnehmen.
Der neue Kreistag nimmt seine Arbeit auf.
11. Kreistag: Neubeginn, Abschied und Dank
31
Neuer Kreistag hat 61 Mitglieder
Wahlbeteiligung von 56,24 Prozent – 12 Frauen gehören dem Gremium an
Der Kreistag nach der
konstituierenden
Sitzung am
22. Juli 2024:
22
10 8
8
5
8
22 Sitze
340.209 St.
(34,2 %)
10 Sitze
156.522 St.
(15,7 %)
8 Sitze
136.035 St.
(13,7 %)
5 Sitze
84.494 St.
(8,5 %)
8 Sitze
147.898 St.
(14,9 %)
8 Sitze
130.173 St.
(13,1 %)
„Ich freue mich über viele neue, aber natürlich auch
über einige altbekannte Gesichter in diesem neuen
Gremium“, so Landrat Sven Hinterseh in der konstituierenden
Sitzung am 22. Juli 2024. Der neue Kreistag
bestehe aus einer ausgewogenen Mischung. So
gehören ihm zwölf Frauen und 49 Männer an, wobei
es bei der Frauenquote von knapp einem Fünftel
noch „Luft nach oben“ gebe. Mit 34 Jahren ist der
jüngste Kreisrat Michael Haselberger aus Villingen-
Schwenningen. Der älteste Kreisrat ist Ernst
Schaumann mit 78 Jahren.
Im 11. Kreistag sind 16 Oberbürgermeister und
Bürgermeister vertreten. 32 Kreisrätinnen und Kreisräte
wurden wiedergewählt, 25 wurden erstmals gewählt
und vier Mitglieder waren schon einmal im Kreistag
aktiv. Die Sitze des Kreistags verteilen sich auf die CDU
als stärkste Partei mit 22 Sitzen, gefolgt von der
Kreistagsfraktion der Freien Wähler mit zehn Sitzen.
Diese 10 Sitze setzen sich aus neun Sitzen der Freien
Wähler und einem Sitz der Gemeinschaft unabhängiger
Bürger e. V. (GuB) zusammen. AfD, Bündnis 90/Die
Grünen und die SPD haben jeweils acht Sitze und die
FDP ist mit fünf Sitzen im Kreistag vertreten.
Von 165.056 Wahlberechtigten gaben am 09. Juni
2024 92.833 Wähler ihre Stimme ab, die Wahlbeteiligung
lag bei 56,24 Prozent lag (2019 = 53,4 Prozent).
Partei/Wählerabsolute
in Prozent gleich-in Prozent Sitze zzgl. Aus-Sitze
vereinigung Stimmen wertige gleichssitze gesamt
Stimmen
CDU 340.209 34,2 30.319 36,7 18* 4 22*
Freie Wähler 156.522 15,7 13.462 16,3 9* 1 10*
SPD 130.173 13,1 10.870 13,2 7* 1 8*
GRÜNE 136.035 13,7 10.110 12,3 8* 0 8*
FDP 84.494 8,5 7.184 8,7 5* 0 5*
AfD 147.898 14,9 10.588 12,8 7* 1 8*
insgesamt 995.331 100 82.533 100 54* 7 61*
*Auf die Freien Wähler entfallen acht Direktsitze und ein Ausgleichssitz. Die GuB schließt sich im 11. Kreistag mit den
Freien Wählern zusammen und erweitert die Sitzanzahl der Freien Wähler um einen weiteren Direktsitz.
Der Kreistag 2024 – 2029
Als Fraktionsvorsitzende fungieren: CDU: Oberbürgermeister Jürgen Roth, Villingen-Schwenningen; Freie Wähler:
Bürgermeister a.D. Walter Klumpp, Tuningen; SPD: Nicola Schurr, Villingen-Schwenningen; BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Cornelia Kunkis, Villingen-Schwenningen; FDP: Frank Bonath MdL, Villingen-Schwenningen; AfD: Vera
Buddeberg, Bad Dürrheim
CDU, 22 Sitze
Jürgen Roth, Villingen-Schwenningen
Micha Bächle, Bräunlingen
Jonathan Berggötz, Bad Dürrheim
Elke Bettecken, Villingen-Schwenningen
Patrick Bossert, Donaueschingen
Andreas Braun, Unterkirnach
Detlev Bührer, Villingen-Schwenningen
Torben Dorn, Dauchingen
Thomas Ettwein, Villingen-Schwenningen
Matthias Fischer, Blumberg
Olaf Gißler, Brigachtal
Josef Herdner, Furtwangen
Markus Keller, Blumberg
Dr. Lioba Kühne, Furtwangen
Fritz Link, Königsfeld
Maria Noce, Villingen-Schwenningen
Erik Pauly, Donaueschingen
Martin Ragg, Niedereschach
Dirk Sautter, Villingen-Schwenningen
Mathias Schleicher, Dauchingen
Michael Schmitt, Brigachtal
Christian Stark, Bräunlingen
Freie Wähler, 10 Sitze
Walter Klumpp, Tuningen
Jörg Frey, Schonach
Severin Graf, Donaueschingen
Wilhelm Hahn, Schonach
Michael Haselberger, Villingen-Schwenningen
Dr. Christine Molina-Benzing, Villingen-Schwenningen
Michael Rieger, St. Georgen
Willy Storz, Mönchweiler
Heiko Wehrle, Vöhrenbach
Domenico Wittkopf, Villingen-Schwenningen
SPD, 8 Sitze
Nicola Schurr, Villingen-Schwenningen
Bernhard Braun, Furtwangen
Oliver Freischlader, St. Georgen
Anton Knapp, Hüfingen
Bernd Lohmiller, Villingen-Schwenningen
Peter Rögele, Donaueschingen
Birgitta Schäfer, Villingen-Schwenningen
Kerstin Skodell, Hüfingen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 8 Sitze
Cornelia Kunkis, Villingen-Schwenningen
Martina Braun, Furtwangen
Annie Bronner, Donaueschingen
Hans-Joachim von Mirbach, Villingen-Schwenningen
Petra Neubauer, Niedereschach
Dr. Ulrike Salat, Villingen-Schwenningen
Armin Schott, Villingen-Schwenningen
Christoph Trütken, Bad Dürrheim
FDP, 5 Sitze
Frank Bonath, Villingen-Schwenningen
Roland Erndle, Donaueschingen
Michael Steiger, Villingen-Schwenningen
Sven Wehinger, Bräunlingen
Georg Wentz, St. Georgen
AfD, 8 Sitze
Vera Buddeberg, Bad Dürrheim
Eduard Friesen, Villingen-Schwenningen
Dr. Dieter Gellhorn, Villingen-Schwenningen
Detlef Kraus, Blumberg
Martin Rothweiler, Villingen-Schwenningen
Sebastian van Ryt, Villingen-Schwenningen
Ernst Schaumann, Villingen-Schwenningen
Waldemar Seifert, Villingen-Schwenningen
Kreistagswahlen 2024
Georg Wentz, FDP
Anton Knapp, SPD
Bernhard Braun, SPD
Martina Braun, GR
ÜNEPeter Rögele, SPD
Birgitta Schäfer, SPD
Nicola Schurr, SPD Patrick Bossert, CDU
Hans-Joachim von Mirbach, GRÜNE
Michael Steiger, FDP
Frank Bonath, FDP
Roland Erndle, FDP
Eduard Friesen, AfD
Sven Wehinger, FDP
Erik Pauly, CDU
Walter Klumpp, FWV
Wilhelm Hahn, FWVJosef Herdner, CDU
Oliver Freischlader, SPD
Sebastian van Ryt, AfD
Martin Rothweiler, AfD Domenico Wittkopf, FWV
Bernd Lohmiller, SPD
Sven Hinterseh, Landrat
Christoph Trütken, GRÜNE
Ernst Schaumann, AfD Willy Storz, FWV
Andreas Braun, CDU
Martin Ragg, CDU
Der amtierende Kreistag ist der elfte nach der Gründung des SchwarzwaldBaarKreises
am 1. Januar 1973 und tagte am
Montag, den 22. Juli 2024, zum ersten Mal. Der 11. Kreistag wurde bei den Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 bestimmt.
Auf dem Gruppenbild fehlt: Annie Bronner, GRÜNE.
Neuer Kreistag
Jürgen Roth, CDU Waldemar Seifert, AfD
Christian Stark, CDU
Detlev Bührer, CDU
Detlef Kraus, AfD
Cornelia Kunkis, GRÜNE
Torben Dorn, CDU
Olaf Gißler, CDU
Matthias Fischer, CDU
Vera Buddeberg, AfD
Fritz Link, CDU
Mathias Schleicher, CDU
Dr. Dieter Gellhorn, AfD
Micha Bächle CDU
Elke Bettecken, CDU
Markus Keller, CDU
Dr. Lioba Kühne, CDU
Jonathan Berggötz, CDU
Maria Noce, CDU
Michael Schmitt, CDU
Michael Rieger, FWV
Jörg Frey, FWV Heiko Wehrle, FWV
Michael Haselberger, FWV
Severin Graf, FWV
Petra Neubauer, GRÜNE
Dr. Christine Molina-Benzing, FWV
Thomas Ettwein, CDU
Armin Schott, GRÜNE
Kerstin Skodell, SPD
Dr. Ulrike Salat, GRÜNE
Dirk Sautter, CDU
Nachruf
Constantin Papst
Vom Wunder der kleinen Schritte
10. OKTOBER 1972 – 27. JANUAR 2024
Constantin Ernst Papst bleibt als Leuchtturm in Erinnerung – sein Leben lehrt Demut und
Zuversicht, sind sich die Menschen in dankbarem Gedenken an diesen außergewöhnlichen
St. Georgener einig. Über 400 Trauergäste versammeln sich am Freitag, den 2. Februar
2024 in der Lorenzkirche, um einer beeindruckenden Unternehmerpersönlichkeit, einem
überaus sozial engagierten Mitbürger und profilierten Stadtrat die letzte Ehre zu erweisen.
Einem hoch verdienten Mann, der sein Leben in einem bewegenden Abschiedsbrief als
„Wunder der kleinen Schritte“ beschreibt. Constantin Papst leidet zeitlebens an der unheilbaren
Krankheit Neurofibromatose, einer genetischen Erkrankung, die ihn in der Fähigkeit,
sich zu bewegen, enorm einschränkt. Und doch lässt er sich seine Lebensfreude und Tatkraft
nicht nehmen. Diese Haltung in Verbindung mit Toleranz, Fürsorge, einem tiefen Glauben
und beispielhaftem Engagement für die Allgemeinheit beeindrucken und inspirieren
die Menschen vielfach. Das spiegeln die Nachrufe auf Constantin Papst wider und ebenso
Kondolenzschreiben, die die Familie nach dem Tod des Ehemannes und Vaters sowie Sohnes
und Bruders erreichen. Die Verdienste um St. Georgen sind groß: Der Dipl.-Volkswirt
ermöglichte als Geschäftsführer und Gesellschafter der PAPST LICENSING GmbH & Co. KG
seiner Heimatgemeinde neben sozialen Projekten auch das Hotel „FederWERK“. Constantin
Papst ist am 27. Januar 2024 einer langen, schweren Krankheit erlegen.
„Man muss dankbar sein für das, was man hat und Als fünfjähriger Junge wurde er erstmals operiert.
nicht dem nachtrauern, was man nicht hat“, hält Damals löste eine deutliche Verdickung am linken
Constantin Papst in einem letzten Brief fest, der als Unterschenkel die Befürchtung aus, er könnte an
persönliche Botschaft bei der Trauerfeier verlesen Krebs erkrankt sein. Zum Glück bewahrheitete sich
wird. Das schreibt ein Mann, der in seinem Leben diese Annahme nicht. Es spricht für den Lebensmut
mehr als 50 Operationen erdulden muss, ausgelöst von Constantin Papst, dass er die mit der Neurofidurch
ein sogenanntes „Überwachstum“ am linken bromatose verbundenen Einschränkungen nie akzep-
Bein als Folge eines spontan aufgetretenen Gen-tierte: Er versuchte mit Freunden Fußball und Tennis
defekts. Gehen konnte Constantin Papst deshalb nur zu spielen, zu schwimmen oder zu tanzen – Constantin
mit Hilfe von Stützen. Papst hat sich darin auf seine Weise bewährt.
37
Constantin Ernst Papst
Was es bedeutet, mit einer Behinderung durchs
Leben zu gehen, erfährt er in gleich mehrfacher
Hinsicht schmerzhaft. Da sind die ständigen Operationen:
Die erste größere erfolgt im Alter von sechs
Jahren, es muss das linke Bein um fünf Zentimeter
eingekürzt werden. Aufgrund der 1983 erfolgten
Diagnose „Tumor auf der Sehnervenkreuzung“ sagen
die Ärzte dem damals 11-Jährigen sogar einen frühen
Tod voraus. Die düsteren Vorhersagen bewahrheiten
sich nicht. In späteren Jahren werden immer wieder
neu Weichteilwucherungen entfernt. Es sind Operationen
mit erhöhtem Risiko, da es dabei stets zu starken
Blutverlusten kommt. Seine schwere Krankheit
begleitet ihn pausenlos.
Waldorfschule öffnet den Weg in ein
gelungenes und selbstbestimmtes Leben
Constantin Papst muss auch früh lernen, mit
gesellschaftlichen Vorbehalten umzugehen. Denn
dass ein kleiner gehbehinderter Junge, der zudem eine
Leseschwäche aufweist, dennoch geistig äußerst
rege und hoch intelligent sein kann, erweist sich als
eine Erkenntnis, die sich in zumindest einem gravierenden
Fall selbst sogenannten „Bildungsprofis“
verschließt: Der Schulleiter der Rupertsbergschule
in St. Georgen verweigert Constantin die Aufnahme
in die Grundschule, besteht auf den Besuch einer
Sonderpädagogischen Einrichtung. So sind die Eltern
Doris und Georg Papst gezwungen, ihren Sohn auf
die Waldorfschule in Schwenningen zu schicken –
und das mit großem Erfolg: Constantin Papst legt
dort 1992 sein Abitur ab. Die freie Waldorfschule
ermöglicht dem jungen Mann somit den Weg in ein
gelungenes und selbstbestimmtes Leben.
Ab 1993 studiert Constantin Papst an der Universität
Konstanz Volkswirtschaft. Er widerlegt damit
zugleich eine weitere ärztliche Vorhersage gegenüber
den Eltern, die da lautete: „Ihr Sohn wird niemals
studieren können!“
Ab 2009 Mitglied der Geschäftsführung
von PAPST LICENSING
Im Jahr 2002 tritt der Diplom-Ökonom Constantin
Papst nach Stationen bei einem Multi-Family-Office
in Düsseldorf und Ernst & Young in München, eine
der vier umsatzstärksten Wirtschaftsprüfungsgesell-
Stehende Ovationen gab es für Constantin Papst (vorne)
bei der Eröffnung des Hotels „FederWERK“ im September
2018, hier zusammen mit den MitInvestoren
Mutter Doris
Papst und Bruder Daniel Papst.
schaften der Welt, ins Unternehmen der Familie ein.
Die gesundheitlichen Sorgen weichen indes nicht: Im
Jahr 2005 liegt der nunmehr 33-Jährige eine Woche
lang im künstlichen Koma, es kommt zu massiven
postoperativen Blutungen und einem hämorrhagischen
Schock in Folge einer Operation. Constantin
Papst im Rückblick: „Es ist ein wirkliches Wunder,
dass ich noch leben darf.“
Bei der PAPST LICENSING (siehe dazu den Infoblock
rechts) steigt er im Jahr 2009 wie sein Bruder
Daniel Papst in die Geschäftsführung auf und führt
nach dem Ableben des Vaters Georg Papst im Jahr
2012 zusammen mit ihm die Geschäfte in gemeinsamer
Verantwortung.
Seit 2011 ist Constantin Papst mit Qian Yang verheiratet,
im August 2014 kommt die Tochter Josefine
zur Welt. Der Ehemann und Vater: „Ich empfinde
es als ein großes Geschenk, dass ich eine liebende
Familie und Freunde haben darf, dass ich eine fürsorgliche
Frau gefunden habe und uns eine herrliche
Tochter geschenkt wurde. Durch sie kommt jeden
Tag Freude und Fröhlichkeit in unsere Familie. Sie ist
für mich ein Lebensmotivator.“
Stehende Ovationen für Hotel „FederWERK“
Stehende Ovationen erhält Constantin Papst im
Herbst 2018 bei der Eröffnung des St. Georgener
Hotels „FederWERK“. Daniel Papst, wie die Mutter
Doris Papst Mit-Investor, bekräftigt, das „Feder-
WERK“ sei zuallererst das Werk seines Bruders – bis
hin zur Namensgebung. Im Hotelprojekt „Feder-
WERK“ sieht Constantin Papst eine Chance für die
gesamte Region St. Georgen. Seine Leidenschaft für
die Hotellerie und Gastronomie war für ihn mit ausschlaggebend
dafür, das Hotelprojekt zu realisieren.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Unternehmer
engagiert sich Constantin Papst u.a. als
geschäftsführender Vorstand der gemeinnützigen
Stiftung „Helfen aus Dank“. Diese Stiftung seiner Familie
wurde im Jahr 2005 gegründet. Sie hilft notleidenden
und bedürftigen Menschen, fördert die Verbreitung
des Evangeliums und leistet einen Beitrag
zur Erforschung seltener Humankrankheiten.
Weiter ist Constantin Papst über 15 Jahre hinweg
als Kirchengemeinderat der evangelischen Kirchengemeinde
St. Georgen-Tennenbronn tätig. Darüber
hinaus wirkte er seit 2014 für die CDU im Stadtrat
von St. Georgen, war Fraktionssprecher sowie dritter
Stellvertreter des Bürgermeisters. Und er gehörte
dem Aufsichtsrat der Volksbank Schwarzwald-Baar-
Hegau an. In diesem bürgerschaftlichem Engagement
sieht er eine persönliche Bereicherung und die Möglichkeit,
etwas an die Gesellschaft zurückzugeben.
Constantin Papst lernt früh, niemals aufzugeben
Im September 2022 zeigen sich im pathologischen
Befund nach einer Gewebsresektion aggressive Sarkom-
Krebszellen im linken Unterschenkel – die stets
„gutartigen“ Wucherungen scheinen an einer Stelle
ins karzinogene zu kippen. Im Nachgang einer Operation
geht die eigentlich verheilte Wunde im Sommer
des Jahres wieder auf, es haben sich nach und
nach Metastasen gebildet. Als es im Herbst aufgrund
der Wundsituation zu einer Blutvergiftung kommt, muss
das linke Bein amputiert werden. Immer mehr kristallisiert
sich trotz aller Zuversicht heraus, dass der 51-Jährige
die Krebserkrankung nicht zurückdrängen kann.
PAPST LICENSING
Der Name Papst ist seit über 80 Jahren eng
mit dem Schutz und der Lizenzierung geistigen
Eigentums verbunden. Hermann Papst
(1902-1981) war ein ideenreicher Ingenieur
und Erfinder, besaß 400 eigene Schutzrechte.
1942 gründete er in St. Georgen das Unternehmen
Papst Motoren. Als technischer Geschäftsführer
war Georg Papst, Vater von Constantin
Papst, maßgeblich am Ausbau und Wachstum
des Unternehmens Papst-Motoren beteiligt.
Unter seiner Leitung wurden zahlreiche neue
Elektromotoren, Lüfter und Laufwerke entwickelt
und erfolgreich vermarktet. Georg Papst
selbst ist auf über 120 Patenten als Erfinder
genannt. Unter seiner maßgeblichen Führung
wurden die Produktionsstandorte in Spaichingen,
Newport, Rhode Island (USA) und Singapur
aufgebaut. Auf Druck der Banken waren
er und seine Mitgesellschafter jedoch gezwungen,
das Unternehmen 1992 zu verkaufen.
Unmittelbar nach dem Verkauf von
Papst-Motoren gründete Georg Papst die
PAPST LICENSING GmbH, die 1993 das Portfolio
von ca. 600 Patenten und Patentanmeldungen
der Papst-Motoren GmbH & Co. KG erwarb.
Daraus schuf Georg Papst ein weltweit operierendes
Patentverwertungsunternehmen, das
sich mit großem Erfolg auf die Verfolgung von
Patentverletzungen spezialisierte.
Dankbarkeit, Freude, Optimismus, Großzügigkeit,
Selbstlosigkeit und Toleranz sind die Werte, die
Constantin Papst, genannt ‚Coni’, gelebt hat. Und er
war äußerst diszipliniert: Es kostete ihn viel mehr
Zeit und Mühe als andere, um alles zu lernen, was er
lernen wollte.
Über 50 OPs von Kindesbeinen an – dennoch
wohlgemut und geborgen im Glauben an Jesus Christus,
so behalten die Familie, Freunde und Mitarbeiter
Constantin Papst im Gedächtnis. Sein unbedingter
Wille zum Leben ermutigt alle, die ihn kannten. Sie
erinnern sich dankbar an einen Mann, der nie aufgehört
hat zu kämpfen. An einen Leuchtturm für Menschen
in schwierigen Situationen. Wilfried Dold
Constantin Papst – Nachruf
Nachruf
Heinrich Fürst zu
Fürstenberg
17. JULI 1950 – 11. JULI 2024
Mit Heinrich Maximilian Egon Karl Fürst zu Fürstenberg ist am 11. Juli 2024 im Alter von
73 Jahren nach langer Krankheit das Oberhaupt des Hauses Fürstenberg verstorben. Der
Verstorbene entstammte einem der ältesten deutschen Hochadelsgeschlechter mit einer
über 1000-jährigen Geschichte. Der Fürst hinterlässt neben seiner Ehefrau Massimiliana die
beiden Söhne Fürst Christian und Prinz Antonius sowie sechs Enkelkinder. Familie, Freunde
und Wegbegleiter haben sich am Freitag, den 26. Juli 2024 bei einer Gedenkfeier in der
Donaueschinger Stadtkirche St. Johann von ihm verabschiedet. Zelebriert wurde die Messe
von Erzbischof Stephan Burger. Viele seien von weit gekommen, um am Requiem dabei sein
zu können, führte Christian Fürst zu Fürstenberg in einem bewegenden Nachruf aus. Er sei
überwältigt von der großen Anteilnahme. Der frühere Donaueschinger Oberbürgermeister
und Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei, Landrat Sven Hinterseh und der amtierende
Oberbürgermeister Erik Pauly würdigten Heinrich Fürst zu Fürstenberg als eine Persönlichkeit,
die sich auf vielfache Weise in Donaueschingen und im Schwarzwald-Baar-Kreis sowohl
karitativ als auch kulturell und gesellschaftlich engagiert hatte. Er habe bereits zu
Lebzeiten seines Vaters viel Weitblick gezeigt, im Haus Fürstenberg auch unpopuläre
Umstrukturierungsprozesse umgesetzt und es damit in eine sicherere Zukunft geführt. Die
vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle von Stadt und Region bleibe in bester Erinnerung,
betonten die Trauerredner.
Heinrich Maximilian Egon Karl Joachim Paul Felix Fürstenberg, geb. Gräfin zu Königsegg-Aulendorf
Konrad Hubertus Eusebius Leo Maria Wilhelm (1926-2019).
Friedrich Alexius Martin Fürst zu Fürstenberg, Seine Kindheit verbrachte er auf Schloss Hohen-
bisheriger Chef eines der ältesten deutschen lupfen in Stühlingen. 1964 zog die Familie nach
Hochadelsgeschlechter, wurde am 17. Juli 1950 auf Donaueschingen. Nach dem Besuch der Gymnasien in
Schloss Heiligenberg geboren. Er war das dritte Kind St. Blasien und Hinterzarten sowie seiner Studienzeit
und der älteste Sohn von Joachim Egon Fürst zu an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der
Fürstenberg (1923-2002) und Paula Fürstin zu Universität Wien übernahm der junge Erbprinz Mitte
Heinrich Maximilian Egon Karl Fürst zu Fürstenberg
der 1970er-Jahre von seinem Vater Aufgaben in der
fürstenbergischen Verwaltung.
Im Jahr 1976 heiratete er Massimiliana Prinzessin
zu Windisch-Graetz. Fürstin Massimiliana stammt –
wie ihr Ehemann – aus einem ehemals reichsunmittelbaren
Fürstenhaus, das ursprünglich in Österreich
beheimatet war. Nach dem Zweiten Weltkrieg
verlegte die Familie die Familie Windisch-Graetz
jedoch ihren Lebensmittelpunkt nach Italien. Die
Hochzeit von Heinrich und Massimiliana fand daher
am 11. November 1976 in Rom statt (siehe auch den
Almanach 2024).
2002 folgte Erbprinz Heinrich seinem Vater als
Chef des Hauses Fürstenberg nach
Im Jahr 2002 folgte Erbprinz Heinrich seinem
verstorbenen Vater als Chef des Hauses Fürstenberg
und trug seither den Titel „Seine Durchlaucht
Heinrich Fürst zu Fürstenberg, Landgraf in der Baar
und zu Stühlingen, Graf zu Heiligenberg und
Werdenberg, Freiherr zu Gundelfingen, Herr zu
Hausen im Kinzigtal, Meßkirch, Hohenhöwen,
Wildenstein, Waldsberg, Werenwag, Immendingen,
Weitra und Pürglitz“. Der Titel ist Geschichte, aber
diese Geschichte und die Tradition des Hauses
Fürstenberg waren für den Fürsten immer Leitbild
seines Handelns, wie es im Nachruf des Hauses
Fürstenberg weiter heißt.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit setzte der neue
Chef ein sichtbares Zeichen für seine Verbundenheit
mit dem Haus und sein Verantwortungsbewusstsein
für die Familie: Fürst Heinrich, der eigentlich die
überschaubaren Verhältnisse einer Villa schätzte und
darüber hinaus sehr naturverbunden war, zog aus
dem Hofjägerberg in das Schloss Donaueschingen.
Nur so konnte die Hauptresidenz des Hauses langfristig
für die Familie erhalten werden. Jahrzehntelang
hatte das Schloss nur noch als Museum und für
Empfänge gedient und war deshalb zunehmend in die
Jahre gekommen. Es wurde innen und außen umfangreich
restauriert und von der Familie neu belebt.
Schon zu Lebzeiten seines Vaters in den späten
1980er- und frühen 1990er-Jahren war der damalige
Erbprinz zeitweise Präsident der Fürstlich Fürsten-
bergischen Gesamtverwaltung gewesen und hatte
die Schwachpunkte eines sehr breit diversifizierten
Wirtschaftsbetriebes kennengelernt. Mit Mut und
Weitsicht straffte er die Betätigungsfelder. In den
Neunzigerjahren hatte der Verkauf der Nibelungen-
Handschrift C für 20 Millionen Euro an das Land
Baden-Württemberg für Aufsehen gesorgt. Zusammen
mit dieser herausragenden Handschrift waren
die meisten anderen Teile der Hofbibliothek und die
Sammlung mittelalterlicher Gemälde abgestoßen
worden. Unter der Leitung von Fürst Heinrich
wurden nach der Jahrtausendwende die notwendigen
strukturellen Anpassungen vorgenommen, um
das Haus zukunftsfähig aufzustellen. Unter anderem
veräußerte die Familie 2004 ihre Anteile an der
Fürstenberg-Brauerei, die aber weiterhin den Namen
der Familie trägt. Auch ziert nach wie vor das
Wappen des Hauses eines der „Besten Biere der
Welt“, wie die Brauerei betont. Das fürstenbergische
Wappen führt Bestandteile des Wappens der
Zähringer und der Grafen von Urach zusammen –
beide Vorfahren des Fürstenhauses Fürstenberg.
Festgehalten hat die Familie an ihrem umfangreichen
Waldbesitz. Die Fürstenberger zählen immer
noch zu den größten privaten Waldbesitzern in
Deutschland.
Viele Sportbegeisterte zieht das Internationale
„Fürst Joachim zu Fürstenberg-Gedächtnisturnier“
nach Donaueschingen, das nach wie vor im Schlosspark
stattfindet und zu den traditionsreichsten
Turnieren Europas gehört.
Opulentes Werk über seinen Urgroßvater
Max Egon II. herausgegeben
Fürst Heinrich veröffentlichte 2019 ein opulentes
Werk über seinen Urgroßvater Max Egon II. (1863 –
1941). Die reich bebilderte und aufwendig recherchierte
Publikation schildert insbesondere die enge
Freundschaft Max Egons zu Kaiser Wilhelm II., aber
auch das Leben eines Aristokraten, der nach dem
Untergang des Kaiserreichs sein Haus neu aufstellen
musste. In dem Buch zeigt sich, wie realistisch Fürst
Heinrich seine Familie und Geschichte sah: Ebenso
offen wie die Verdienste seines Urgroßvaters – beispielsweise
um die Donaueschinger Musiktage –
werden die Verirrungen der NS-Zeit angesprochen.
Fürst Heinrich fühlte sich seinem Urgroßvater
sehr verbunden, vielleicht auch deshalb, weil er
genau wie dieser nach dem Tode seines Vaters das
Haus Fürstenberg neu positionieren musste.
Heinrich Fürst zu Fürstenberg mit dem von ihm herausgegebenen
opulenten Werk über seinen Urgroßvater
Max Egon II.
„Als herausragender Lenker das Haus
Fürstenberg neu aufgestellt“
Christian Fürst zu Fürstenberg folgt seinem Vater als
Chef des Hauses Fürstenberg. Bereits seit 2003 ist er
als nicht-exekutives Vorstandsmitglied des Hauses
aktiv und seit 2022 Präsident und CEO der „Haus
Fürstenberg Holding“. Bei der Trauerfeier in der
Stadtkirche St. Johann mit 350 geladenen Gästen
fand er zum Tod des Vaters bewegende Worte.
Christian Fürst zu Fürstenberg betonte, sein Vater
sei ein faszinierender Charakter gewesen, der es
geliebt habe, anders zu sein. Als herausragender
Lenker des Hauses Fürstenberg habe er dieses
zielstrebig mit großer Weitsicht und großem Verantwortungsbewusstsein
neu aufgestellt. Erforderlichen
Kontroversen sei er dabei nicht aus dem Weg
gegangen, die Menschen habe er dabei jedoch nie
aus den Augen verloren. Und der Sohn führte weiter
aus: „Es gab niemanden, mit dem man länger und
lauter lachen konnte. Sein Sinn für Humor war
einzigartig.“
Christian Fürst zu Fürstenberg hob abschließend
hervor: „Sein Tod bedeutet einen großen Verlust für
die Familie, Freunde und alle, die das Glück hatten,
ihn zu kennen und mit ihm zusammenzuarbeiten.
Seine besondere Persönlichkeit, seine menschliche
Größe und seine Liebe zur Familie werden uns allen
stets in lebendiger Erinnerung bleiben.“
Trauerfeier unter Anteilnahme
des europäischen Hochadels
Die Nachricht vom Tod des Fürsten hatte sich in der
Stadt am 11. Juli 2024 wie ein Lauffeuer verbreitet
und war schon nach kurzer Zeit durch die Trauerbeflaggung
des Schlosses sichtbar. Um dem Interesse
der Öffentlichkeit gerecht zu werden, wurde das
Requiem auf eine Videoleinwand ins Freie übertragen.
Zelebriert wurde es von Erzbischof Stephan
Burger, seinem Bruder, Erzabt Tutilo Burger, sowie
Donaueschingens Pfarrer Erich Loks und Pfarrer
Bruno Hünerfeld aus Freiburg. Bereits am Mittwoch
vor dem Requiem beteten zahlreiche Trauergäste in
einer Rosenkranzandacht für den verstorbenen
Fürsten.
Erzbischof Burger warf während des Gottesdienstes
die Frage auf: „Was bleibt von dem, was wir
gearbeitet, gewirkt und geschaffen haben?“ Vor
allem sei es die Liebe, die der Verstorbene empfangen
und die er geschenkt habe.
Unter den Trauergästen waren viele bekannte
Gesichter aus der Welt des europäischen Hochadels
zu sehen: Bernhard und Stefanie von Baden, Ernst
August von Hannover oder Gloria von Thurn und
Taxis. Weiter wohnten der Beisetzung der CDU-Bundestagsabgeordnete
und frühere Donaueschinger
Oberbürgermeister Thorsten Frei, Landrat Sven
Hinterseh und der amtierende Oberbürgermeister
Erik Pauly bei.
Im Anschluss an die Zeremonie machte sich der
engste Familienkreis auf den Weg nach Neudingen.
Dort erfolgte die Beisetzung in der fürstlichen
Grablege. (wd)
Heinrich Fürst zu Fürstenberg – Nachruf
Bernward Janzing sammelt seit 45 Jahren Wetterdaten
FURTWANGER WETTERSTATION
BELEGT KLIMAWANDEL
VON MICHAEL SAURER
Der renommierte Fachjournalist Bernward Janzing
sammelt seit 45 Jahren mit einer professionell
betriebenen Wetterstation in Furtwangen regionale
Klimadaten. Diese belegen den Klimawandel auch
für das Obere Bregtal: Nicht nur, dass die Winter
immer mehr ausbleiben, vor allem die Nächte sind
um rund zwei Grad wärmer geworden. Und es lohnt
sich, Solaranlagen zu betreiben: Es sind im Jahr bis zu
1.295 Kilowattstunden pro Quadratmeter zu erwarten,
wie die Messreihen zeigen.
2. Kapitel – Da leben wir
45
I
I
m Teenageralter kann man sich mit Vielem
beschäftigen. Viel Unsinn ist da oft dabei. Bei
Bernward Janzing war das anders. Während andere
in seinem Alter an Mopeds geschraubt oder
auf dem Commodore 64 die ersten Computerprogramme
geschrieben haben, beschäftigte sich der
heute 59-Jährige lieber mit seiner Wetterstation in
Furtwangen. Es ist eine Liebe, die bis heute anhält
und die – so wie alle Beziehungen – auch akribisch
gepflegt werden muss.
Bernward Janzing war Schüler in der Mittelstufe,
als er in Furtwangen eine Wetterstation aufbaute
und im Januar 1979 mit regelmäßigen Messungen
begann. Die Schneemessungen startete er bereits
mit Beginn des Winters im Herbst 1978. Nach sechs
Beobachtungsjahren konnte er mit seinen Auswertungen
beim Wettbewerb „Jugend forscht“ im Jahr
1985 den baden-württembergischen Landessieg und
den 4. Bundessieg in Physik erringen. Die Messdaten
verarbeitete er anfangs – weil PCs zu dieser Zeit
noch wenig verbreitet waren – auf dem Großrechner
der örtlichen Fachhochschule. (Für Technikhistoriker:
ab 1982 auf DECsystem-10 in der Programmiersprache
Basic, ab 1984 auf VAX 11/780 in Pascal). Zu
Bernward Janzing war Schüler
in der Mittelstufe, als er in
Furtwangen eine Wetterstation
aufbaute und im
Januar 1979 mit regelmäßigen
Messungen begann. Die
Schneemessungen startete er
bereits mit Beginn des Winters
im Herbst 1978.
dieser Zeit war er bereits regelmäßig für die lokale
Tageszeitung tätig, für die er unter anderem über
seine Wettermessungen berichtete. Auch über den
Klimawandel schrieb er bereits in den 1980er-Jahren.
Bernward Janzing im Rechenzentrum der Fachhochschule
Furtwangen, 1985.
Mal gibt es keinen, dann wieder viel zu viel Regen, doch ist nach den Messungen von Bernward Janzing für das Bregtal kein
signifikanter Trend erkennbar. Oben: Anfang November 2018 macht ein Landwirt in FurtwangenLinach
bei großer Trockenheit
auf seine Not aufmerksam. Unten: Das Hochwasserrückhaltebecken bei Wolterdingen beim Hochwasser am 6. Januar 2018.
Weg zum renommierten Journalisten
Janzing, der in Freiburg Geographie, Geologie und
Biologie studiert und bei der Badischen Zeitung ein
Volontariat absolviert hat, gilt heute als einer der renommiertesten
deutschen Journalisten bei Themen
wie erneuerbare Energien oder den Auswirkungen
des Klimawandels. 2010 wurde ihm für seine Berichterstattung
der Deutsche Solarpreis verliehen. Die
Jury begründete ihre Entscheidung damit, dass sich
Janzing durch seine exzellente Recherche und kompetente
Berichterstattung in den Themenbereichen
erneuerbare Energien und Klimaschutz bundesweit
einen Namen gemacht habe.
Er ist ein Mann, der für seine Themen brennt. Das
Betreiben der Wetterstation ist trotz seines Arbeitspensums
aber mehr als nur ein zeitaufwendiges
Hobby. Es ist eine Leidenschaft, der er seit 45 Jahren
verbunden ist.
Seit seinem Studium lebt Bernward Janzing in
Freiburg, später in Emmendingen. Sein Arbeitsplatz
ist in einer Bürogemeinschaft im Sedanviertel, einem
studentisch geprägten Stadtteil Freiburgs unweit
der dortigen Universitätsbibliothek, mit alternativen
Cafés, Kneipen und vielen Fahrrädern – ein Ort, der
zu Janzing passt. Die Bürogemeinschaft, die ein wenig
das Flair einer Männer-WG verströmt, auch. Ein
Altbau, der im Inneren mit viel Holz ausgekleidet ist,
mit Eingang im Hinterhof, direkt daneben hat die
Umweltschutzorganisation BUND ihren Regional-
und Ortsverband.
Ruhig ist es dort, trotz der Nähe zur trubeligen
Innenstadt. Ein guter Ort, um Artikel zu schreiben
und um die Daten der Wetterstation auszuwerten.
Doch wo kommt die Begeisterung für klimatologische
und meteorologische Ereignisse überhaupt her?
Janzing denkt kurz nach. Mit Sicherheit habe es etwas
mit seinem Herkunftsort zu tun, meint er. Er ist
in Furtwangen aufgewachsen, einem Ort, der klimatologisch
durchaus interessant sei und der einige Besonderheiten
bereithalte, so der Klima-Experte. Dort
gebe es etwa mit die höchsten Niederschlagsmengen
in Deutschland, sagt Janzing. Im nur wenige Kilometer
weiter östlich gelegenen Vöhrenbach etwa, seien
die schon deutlich geringer.
Ein guter Standort also für Janzings Wetterstation,
die er mit 14 Jahren auf dem Grundstück seiner
Eltern aufgestellt hat und die dort immer noch steht.
Eine einfache Apparatur sei das in den ersten Jahren
Die Wetterstation übermittelt
seit fünf Jahren per SIMKarte
die Daten bequem nach
Freiburg. Wie andere die
„Tagesschau“, schaut Janzing
abends nach Temperatur,
Luftfeuchtigkeit, Luftdruck,
Sonneneinstrahlung,
Niederschlagsmenge und
Niederschlagsart.
gewesen, sagt Janzing rückblickend. „Damals war
alles mechanisch, ich konnte die Temperatur und
die Luftfeuchtigkeit sowie die Regenmenge messen“,
erinnert er sich. Aber immerhin hat er damals
schon darauf geachtet, dass die Wetterstation an der
richtigen Stelle positioniert wurde. Die Messdaten
seien damals bereits absolut valide gewesen, betont
Janzing.
Die Entwicklung der Wetterstation
Das Elternhaus wurde vor vielen Jahren bereits verkauft
– doch die Wetterstation steht immer noch.
Und sie wird weiterhin von Bernward Janzing betrieben,
ihre Messdaten jeden Abend ausgewertet.
Zum Glück für den umtriebigen Journalisten kam der
Käufer des Grundstücks aus dem Forstbereich und
hatte selbst einiges Interesse an den Messreihen.
Ob die Station dort bleiben kann, stand somit nie in
Zweifel, sondern war sogar gewünscht. Zumal sie
im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt wurde. Aus
der einfachen Apparatur ist ein High-Tech-Messgerät
geworden, das auch den Vergleich zu den professionellen
Anlagen des Deutschen Wetterdienstes nicht
zu scheuen braucht. Musste er früher noch einmal
im Monat in den Hochschwarzwald fahren, um seine
Aufzeichnungen abzuholen, übermittelt die Station
seit fünf Jahren per SIM-Karte die Daten bequem
nach Freiburg. Wie andere die „Tagesschau“, schaut
Janzing abends nach Temperatur, Luftfeuchtigkeit,
❶
❷
❸
❹
❺
➏
Pyranometer horizontal und in
OstAusrichtung
Pyranometer, dem Sonnenlauf
nachgeführt
❶
Windmesser, links Windwegmesser
mechanisch, Mitte
Anemometer elektromechanisch,
rechts Windfahne
❸
elektronisch
Sonnenscheinschreiber
Pyranometer zur Messung der
Bodenreflexion
❷
Solarmodul zur Versorgung des
Messturms mit Strom
❹
❺
➏
Messturm der Furtwanger Wetterstation in den späten 1980erJahren.
Das Pyranometer misst die Globalstrahlung
(eingestrahlte Sonnenenergie auf eine horizontale Fläche), der Sonnenscheinschreiber nach CampbellStokes
misst die
Sonnenscheindauer. Zeitweise wurde in einem Projekt zusammen mit der FHFurtwangen
auch die Sonneneinstrahlung
auf unterschiedlich geneigten Flächen gemessen, sowie auf einer Ebene, die astronomisch dem Gang der Sonne nach
geführt wird.
Luftdruck, Sonneneinstrahlung, Niederschlagsmenge
und Niederschlagsart.
Wird das nach 45 Jahren nicht irgendwann langweilig?
Janzing schüttelt den Kopf, alleine die Frage
scheint ihn zu befremden. „Nö, eigentlich nicht.“
Gerade die lange Zeit seiner Messungen mache für
ihn den Reiz aus. „Je länger die Datenreihe, desto
spannender ist sie doch.“ Und vor allem ließen sich
daraus interessante Rückschlüsse ziehen, etwa über
den Klimawandel. So zeigten seine Daten, dass es in
jedem Jahrzehnt seiner Messung einen durchschnittlichen
Temperaturanstieg um 0,5 Grad gegeben habe.
Auf die 45 Jahre hochgerechnet, zeige sich somit
ein Anstieg von deutlich über zwei Grad. „Das ist ein
Bereich, den auch die Meteorologen messen“, sagt
Janzing. Dass dies ein langfristiger Trend sei, den
man nicht wegdiskutieren könne, sei für ihn ein Fakt.
„Rein zufällig kann ein solcher Anstieg über eine so
lange Messreihe hinweg nicht sein. Das wäre außerhalb
jeglicher Wahrscheinlichkeit.“
Bernward Janzing
Die Temperatur steigt nachts
Interessant scheint Janzing dabei ein weiterer Aspekt,
der seiner Meinung nach zu wenig diskutiert
werde. Der Anstieg der Temperatur fand seinen
Messungen zufolge gar nicht so sehr tagsüber statt,
wenn die Sonne schien. Er sei vielmehr darauf zurückzuführen,
dass es nachts nicht so stark wie früher
abgekühlt sei. Dies könnte mit dem Anstieg des
Kohlendioxids in der Atmosphäre zusammenhängen,
sagt Janzing. Das Kohlendioxid reduziere die Abstrahlung
der Wärme des Tages, die Nächte fielen so
milder aus.
Es ist eine Einschätzung, die auch von führenden
Meteorologen so bestätigt wird. „Das deckt sich mit
unseren Beobachtungen“, sagt Florian Imbery, Klimaexperte
beim Deutschen Wetterdienst. Prinzipiell
gebe es für Klimaforscher zwei bedeutende Messparameter:
die Tagesmaxima und die Tagesminima.
Und da zeige sich, dass der Anstieg der Tagesminima
deutlich höher ausfalle als der -maxima – ein Zeichen,
dass es nachts nicht mehr so stark abkühle.
Ein Phänomen, das sich auch im Hochschwarzwald
zeige, betont Janzing. In den vergangenen zehn
Jahren hätten seine Wettermessungen in Furtwangen
ergeben, dass sich die Sommer häufen, die eine
zweistellige Zahl an warmen Nächten aufweisen, die
Der Anstieg der
Temperatur fand Janzings
Messungen zufolge gar
nicht so sehr tagsüber
statt, wenn die Sonne
schien. Er sei vielmehr
darauf zurückzuführen,
dass es nachts nicht so
stark wie früher abkühlt.
nicht unter 15 Grad abkühlen. Vor der Jahrtausendwende
habe es solche Häufungen nicht gegeben.
Nachzulesen ist dies auch in Janzings neuestem
Buch „Protokoll des Klimawandels. Meine Wettermessungen
in Furtwangen im Schwarzwald.“ In
diesem, mit knapp 100 Seiten schlanken Büchlein
mit allerlei historischen Fotos, zeichnet Bernward
Janzing akribisch nach, was seine seit 45 Jahren
laufenden Wettermessungen ergeben haben. Etwa
wie die Jahresmitteltemperatur in Furtwangen von
5,2 Grad in den 1980er-Jahren über 6,8 Grad in den
2010er-Jahren auf zuletzt 7,7 Grad in den 2020erJahren
gestiegen ist.
Das zeige sich auch an den Temperaturen im Winter,
der selbst an Orten wie Furtwangen, immerhin
auf knapp 900 Metern Höhe gelegen, seinen Schrecken
längst verloren hat. Lag in den 1980er-Jahren
die Mitteltemperatur im meteorologischen Winter
noch bei minus 2,3 Grad, liegt sie in den 2020er-Jahren
längst im positiven Bereich bei plus 0,9 Grad. Dazu
passt auch die Beobachtung, dass die Schneemenge
im gleichen Zeitraum deutlich zurückgegangen
sei. „Ganz klar, früher gab es mehr Schnee“, betont
er. „Ich kann mich erinnern, wie ich durch zwei Meter
tiefen Schnee gestapft bin.“ Gerade in Orten wie
Furtwangen sei das nicht selten gewesen. Manche
Menschen glauben, dass dies eine Verklärung der
Erinnerung an die Kindheitstage sei. Bei Bernward
Janzing ist das anders: Er hat es gemessen.
Blick in die Zukunft
Und er will weitermessen. 45 Jahre sei eine krumme
Zahl, in fünf Jahren stehe das 50. Jubiläum an. Wie
Janzing das angehen will, weiß er selbst noch nicht.
Vielleicht noch ein Buch? Janzing muss schmunzeln.
Er habe noch viel zu erzählen meint er. Und seine
Messungen gehen ja auch weiter. Klare Sache, wer
45 Jahre durchhält, wird das auch weiter tun. Er
habe zwischenzeitlich auch überlegt, weitere
Messstationen an anderen Orten aufzubauen. Aber
dann fehlten die langjährigen Werte, sagt er. Es sei
gerade die lange Zeit und die damit mögliche
Vergleichbarkeit, die seine Messungen in Furtwangen
auszeichnen. Er wird seiner Station dort verbunden
bleiben und weiter seine Messreihen auswerten.
Dass diese stetig höhere Temperaturen aufzeichnen
wird, steht für ihn außer Frage. Und auch wenn er
mit einigem Recht stolz auf seine Messungen ist –
dieser Punkt bereitet ihm dann doch Unbehagen.
Die Winter sind unstet geworden. Fällt kräftig Schnee wie
auf dem Bild links beim „Kurbeleck“ auf der B 500 in Furtwangen,
ist die Freude über das Weiß oft nur von kurzer
Dauer. Renommierte Skisportveranstaltungen wie der
Schonacher Schwarzwaldpokal können nicht selten nur
dank aufwendig angelegter Schneedepots ausgetragen
werden.
51
Auszüge aus dem Janzing-Buch „Protokoll des Klimawandels“
Anhand von 43 Grafiken analysiert Bernward Janzing in
einem neuen Buch seine Furtwanger Messreihen der
vergangenen Jahrzehnte. Mit ein wenig Statistik ordnet er
die Messwerte ein, jeweils drei Kennwerte sind den
Grafiken daher zur Seite gestellt: Links steht der langjährige
Mittelwert der betreffenden Messreihe im bisherigen
Beobachtungszeitraum; bei den Temperaturen ergibt sich
ein Wert von 6,13 Grad. Beim mittleren Symbol ist der
JAHRESMITTELTEMPERATUR
rechnerische Trend vermerkt, den auch die Trendlinie
symbolisiert; bei der Temperatur lässt sich ein Anstieg um
etwa ein halbes Grad pro Jahrzehnt errechnen. Der rechte
Wert unterdessen gibt den Korrelationskoeffizienten an. Er
ist ein Maß dafür, wie deutlich und damit signifikant eine
Veränderung ist. Werte ab etwa 0,5 werden als signifikant
gewertet – womit der Anstieg der Jahresmitteltemperatur
eindeutig als statistisch gesichert gelten kann.
8 Grad Celsius76548,34,219791981198319851987198919911993199519971999200120032005200720092011201320152017201920212023Jahr6,13 Grad Celsius + 0,54 K* pro Jahrzehnt 0,69
* Temperaturdifferenzen werden in Kelvin (K) angegeben. Ein K entspricht einer Differenz von einem Grad auf der Celsius-Skala.
JAHRESMENGE DES NIEDERSCHLAGS
236419791981198319851987198919911993199519971999200120032005200720092011201320152017201920212023Jahr12862000150010005000Liter/m1817 Liter/m² 49
Liter/m²* pro Jahrzehnt 0,24
* entspricht -2,7 %
Der Anstieg der Temperatur tritt ohne nennenswerten
Unterschied in allen vier Jahreszeiten auf. An anderer Stelle
hingegen zeigt sich eine bemerkenswerte Asymmetrie: Die
Nachttemperaturen sind deutlich stärker angestiegen als
die Tagestemperaturen. Stark abgenommen haben daher
die strengen Frostnächte mit minus 10 Grad und darunter,
stark zugenommen haben warme Sommernächte, die nicht
mehr unter 15 Grad fallen.
JAHRESSUMME SONNENEINSTRAHLUNG
Der Temperaturanstieg führt zu abnehmenden Schneemengen.
Die Jahresniederschläge zeigen sich ebenfalls
leicht rückläufig, doch dieser Trend ist statistisch nicht
signifikant. Ebenso ist der leichte Anstieg bei der Sonneneinstrahlung
ein Phänomen, das weiter zu beobachten ist.
Aus: Protokoll des Klimawandels – Meine Wettermessungen
in Furtwangen im Schwarzwald. Picea Verlag Freiburg, Juni
2024, ISBN: 978-3-9814265-3-3
1200 kWh/m
1000800600400200019791981198319851987198919911993199519971999200120032005200720092011201320152017201920212023Jahr99212951142 kWh/m² + 30 kWh/m²* pro Jahrzehnt 0,49
* entspricht +2,6%
WINTERSPORTTAGE (MINDESTENS 30 ZENTIMETER SCHNEEHÖHE)
41,3 Tage 4,9
Tage* pro Jahrzehnt 0,19
*entspricht -12,0 %
Frank Stark
HARRY ZAPP –
DER CLOWN MIT
DER ROTEN NASE
VON HELEN MOSER
Wenn Frank Stark als Clown Harry Zapp auf der Bühne
steht, hat er die Lacher auf seiner Seite. Doch hier
geht es um mehr als nur den nächsten Gag. Es geht
um eine Ablenkung vom Alltag. Denn den Menschen,
die Harry Zapp in seinen Bann zieht, fällt das Lachen
sonst eher schwer. Meist sind es schwer chronisch
kranke Kinder, Jugendliche und Eltern.
Rote Nase, Brille, einen lustigen Hut auf dem Kopf und überdimensionierte
Schuhe – das ist Harry Zapp. Er stolpert etwas unbeholfen über die Bühne; bis
er sein Mikrofon richtig aufgestellt hat, vergehen schon mal ein paar – ziemlich
amüsante – Minuten. Spätestens wenn der Clown mit Tüchern und Kisten zu
zaubern beginnt, glänzen die Kinderaugen in der ersten Reihe. Wenn er in
Begleitung von Gitte, seiner Gitarre – natürlich samt ihrem Freund Kurt, dem
Gurt, der so sehr an ihr hängt – musikalische Schmankerl mit erheiternden
Texten bietet, singen alle mit. Und bei Harry Zapps Späßen werden die
Lachmuskeln der Zuschauer ganz schön strapaziert. Es ist genau dieses
unbeschwerte Lachen, das Frank Stark aus Peterzell so gerne hört. Da geraten
die Sorgen und der Stress des Alltags für einen Moment in Vergessenheit.
Genau davon – Stress und Sorgen – gibt es im Leben seiner Zuschauer nämlich
häufig viel zu viel. Denn Frank Stark arbeitet in der Freizeitabteilung der
Nachsorgeklinik Tannheim.
54 Da leben wir
55
Das Repertoire an komischen Rollen ist groß, links Harry Zapp als Briefträger. Rechts: Vor vollem Saal bei einem Auftritt
in der SüdstadtSchule
in VSVillingen.
I
I
n der Nachsorgeklinik Tannheim ist er nicht nur
als Harry Zapp tätig, sondern auch als Organisator
von Festen, als Begleiter bei und Koordinator von
Freizeitaktivitäten – eben einfach als Frank Stark,
der durch das schlichte Poloshirt der Nachsorgeklinik
viel weniger auffällt als Harry Zapp, bei dem so
manches Mal schon das Outfit für Erheiterung bei
seinen Zuschauern sorgt.
Diesen Kontrast hält der Peterzeller ganz bewusst
aufrecht, wie er sagt. „Wenn ich nicht gerade als
Clown auf der Bühne stehe, dann bin ich einfach
Frank Stark vom Freizeitbüro, ein guter Freund von
Harry Zapp.“ Nur bei seinen Shows tritt er als Clown
in Erscheinung und zaubert den jungen Patienten
und ihren Familien ein Lächeln ins Gesicht.
„Viele rechnen in der Reha nicht damit, dass sie
auch Fun-technisch versorgt werden“, weiß Frank
Stark. Dabei sei eben diese Flucht aus dem Alltag
besonders wichtig: „Wenig Lachen, viel Stress“ – so
Wenn ich nicht gerade als
Clown auf der Bühne
stehe, dann bin ich
einfach Frank Stark vom
Freizeitbüro, ein guter
Freund von Harry Zapp.
beschreibt er das tägliche Leben vieler Familien, deren
Kinder an einer schweren chronischen Krankheit
leiden. Und genau dazu bilde seine Clownshow – wie
die Angebote der Freizeitabteilung überhaupt –
einen Ausgleich.
Frank Stark in der Klinik Tannheim, wo seine Shows schwer chronisch kranke Kinder und deren Familien erfreuen. Links
mit der Euromaus des EuropaPark
Rust.
Die Anfänge als Klinikclown auf der Bühne
der Katharinenhöhe in Schönwald
Diese Überlegung war es auch, die Frank Stark
ursprünglich dazu animierte, als Klinikclown tätig zu
werden. Eine Entscheidung, die schon einige Zeit
und mehr als 600 Klinikclown-Auftritte zurückliegt:
Im Oktober 1988 stand er erstmals als Harry Zapp
auf der Bühne der Katharinenhöhe in Schönwald, in
der er bis zu seinem Wechsel zur Nachsorgeklinik
Tannheim im Jahr 2011 arbeitete und zahlreiche
Clownstheater präsentierte – viele von ihnen als Duo
mit Eddi Zoff. Hinter diesem Clown verbirgt sich
Edwin Bug, der Frank Stark überhaupt erst auf
seinen heutigen Weg brachte.
Denn in seiner Jugend habe er sich eigentlich nie
fürs Theater interessiert – geschweige denn dafür,
auf der Bühne zu stehen, erinnert sich Frank Stark.
Das änderte sich erst 1983 mit einem Pantomime-
Seminar. Und das gab kein anderer als Edwin Bug,
damals als Schauspieler am Pforzheimer Theater
engagiert. Er wurde für Frank Stark zu einem schauspielerischen
Mentor. Zusammen mit weiteren jungen
Leuten bauten die beiden auch eine Pantomime-
Gruppe auf, die mehrere Jahre bestand.
Start als Harry Zapp
Beruflich ging es für Frank Stark aber in eine andere
Richtung: Er machte eine Ausbildung zum Erzieher,
kam dann im Zuge seines Zivildiensts zur Rehaklinik
Katharinenhöhe – und sorgte dort, eben ab 1988, als
Harry Zapp für den Spaß-Faktor. Damit liegt Frank
Starks Start als Klinikclown sogar noch vor der ersten
offiziellen Clown-Sprechstunde in Deutschland, die
Laura Fernandez, Gründerin des Vereins „Die Clown
Doktoren e.V.“, 1994 anbot.
„Aber ich bin auch nicht der klassische Klinikclown,
der von Bett zu Bett geht“, sagt Frank Stark.
Frank Stark 57
Er steht als Harry Zapp vielmehr bei regelmäßigen
Vorführungen auf der Bühne – das war schon ganz
zu Beginn so und änderte sich auch 1992
nicht, als Edwin Bug ebenfalls an
die Katharinenhöhe kam. Als
Harry Zapp und Eddi Zoff
waren die beiden mehr als 20 Jahre lang das klinikeigene
Clown-Duo der Schönwälder Rehaklinik. An
diese Zeit denkt Frank Stark auch heute noch gerne
zurück: „Im Duo zu spielen, ist einfach fantastisch“,
findet er. Denn das biete noch einmal ganz andere
kreative Möglichkeiten.
Ziel ist es, gemeinsam
Spaß zu haben“, sagt
Frank Stark – und zwar
mit Spiel, Zauberei,
Geschichten, einer
Portion Mitmachtheater
und einem Mix
außergewöhnlicher
Natursportarten.
Weitere kreative Projekte und Spiele-Erfinder
Doch nicht nur auf der Bühne lebt Frank Stark seine
kreative Ader aus: Auch als Erfinder von Spielen war
der Peterzeller schon tätig. 1999 erschien sein erstes
Gesellschaftsspiel mit dem Titel „Nichts als Ärger“.
Ihm folgten im Laufe der Jahre viele weitere. Schon
damals ging es Frank Stark besonders um eines: den
Spaß. Leicht zu erklären und schnell zu lernen – so
sollten die von ihm entwickelten Spiele sein. Und
natürlich sollten sie für viel Heiterkeit sorgen.
Heute legt Frank Stark seine Schwerpunkte andernorts.
Doch der Spaß steht noch immer im Fokus.
Denn mittlerweile ist er Erlebnis- und Fun-Pädagoge –
nicht gerade eine gewöhnliche Tätigkeit. Dafür
aber eine, die ganz einfach erklärt ist: „Ziel ist es,
Harry Zapp in seinem Element.
Bei seinen Zauberseminaren können die Teilnehmer
Zaubertricks erlernen, die unterschiedliche Altersgruppen
verblüffen – sie alle sind mit Alltagsgegenständen und
Spielkarten durchführbar.
gemeinsam Spaß zu haben“, sagt Frank Stark – und
zwar mit Spiel, Zauberei, Geschichten, einer Portion
Mitmachtheater und einem Mix außergewöhnlicher
Natursportarten. Bei jedem Treffen sollen die
Teilnehmer aufs Neue überrascht werden, erläutert
Frank Stark. So können sie Kontakte knüpfen, sich
auf lustige Art und Weise vernetzen – und all das frei
von Ängsten und Stress.
Obwohl er hier viele Erfahrungen aus seiner
langen Zeit als Clown einbringen könne, gehe Fun-
Pädagogik über das reine Clownstheater hinaus,
meint Frank Stark. Seit 2013 ist er deshalb auch zertifizierter
Erlebnis- und Umweltpädagoge.
Auch außerhalb der Rehaklinik Tannheim hat
Frank Stark immer mal wieder Auftritte als Harry
Zapp. Außerdem bietet er Zauberseminare an, bei
denen Interessierte selbst in die Welt der Magie eintauchen
können. Dabei lernen die Teilnehmer aus
erster Hand, wie viel Fingerfertigkeit es braucht, um
mit Karten oder Alltagsgegenständen Verblüffendes
zu leisten.
Der ständige Begleiter: die Clownsshow
Dass Harry Zapps Tricks und Gags gar nicht so
einfach auszuführen sind, merkt man der Show aber
nicht an: Auf der Bühne wirkt alles
Trotzdem sind Harry Zapp und seine Show im
Alltag ständige Begleiter für Frank Stark. Denn er sei
immer auf der Suche nach dem nächsten Gag, halte
stets Ausschau nach etwas Neuem für die Bühne.
Manchmal ergebe sich eine Pointe spontan während
einer Show. „Das ist etwas ganz Besonderes.“ Aber
eben auch die Ausnahme. „Die Ideen kommen beim
Duschen, beim Joggen, im
mühelos. Die Zaubertricks, die Urlaub oder einfach zuhause“,
motorisch anspruchsvoll sind, verdeutlicht er. „Meistens
müsse er regelmäßig üben, sagt dann, wenn man entspannt ist
Frank Stark. Seine Späße sind ihm und gerade an etwas ganz an-
hingegen in Fleisch und Blut deres denkt.“
übergegangen. „Die probe ich Vom Geistesblitz bis hin
eigentlich nie.“ zur fertigen Nummer kann
es schnell gehen, wenn alle
Rädchen sofort ineinandergreifen.
Bisweilen ist der Weg
Eines der unzähligen Spiele, die Frank Stark aber auch etwas weiter: „An
als Spieleerfinder herausgebracht hat. manchen Dingen muss man
Frank Stark 59
Auch sein Publikum
bezieht Harry Zapp dabei
60
XXX
gerne mit ein. Wobei die
Späße nie auf Kosten der
Mitwirkenden gehen – das
ist Frank Stark ganz
wichtig: „Es muss fern von
Demütigung bleiben – wer
hat das schon gerne ?“
länger feilen“, sagt Frank Stark. Und für manche
Gags oder Zaubertricks braucht es die passenden
Requisiten. Die wiederum gibt es nur selten
von der Stange. Vielmehr hat Frank Stark seinen
Fundus aus aller Herren Länder zusammengetragen.
Oft sind es etwas schräge Alltagsgegenstände,
die sich in eine Nummer einfügen, oder
Zufallsfunde, die sich als Glückstreffer erweisen.
Manchmal muss das nötige Clownszubehör
aber auch aufwendig beschafft, bisweilen sogar
selbst gebaut werden.
Auf diesem Weg hat Frank Stark eine große
Sammlung an Clownszubehör angehäuft. Vier
oder fünf verschiedene Mikrofone – natürlich
jedes mit seinem besonderen Kniff –, Hüte in allen
Farben und Formen, Tücher, Kisten, Schuhe,
Zauberstäbe in jeder erdenklichen Größe, und,
und, und. Kein Wunder, dass das Kofferpacken
im Vorfeld seiner Auftritte das Einzige ist, was
Frank Stark am Clownsein nicht gefällt. Da den
Überblick zu behalten und für die anstehende
Show die passenden Requisiten einzupacken,
will gelernt sein.
Zu seiner Tätigkeit in der Freizeitabteilung der
Nachsorgeklinik Tannheim gehört u.a. auch die Betreuung
und Anleitung zum Klettern an der Kletterwand
oder bei der Fahrt mit der Seilrutsche in luftiger
Höhe.
Das große Kompliment: Ein
lachendes Publikum
Ist das Zubehör aber komplett, so geht es auf der
Bühne Schlag auf Schlag. Auch sein Publikum
bezieht Harry Zapp dabei gerne mit ein.
Wobei die Späße nie auf Kosten
der Mitwirkenden gehen – das
ist Frank Stark ganz wichtig:
„Es muss fern von Demüti
gung bleiben – wer hat das
schon gerne?“ Schließlich
gehe es nicht darum, die
Zuschauer, die in diesem
Moment an der Show
mitwirkten, zu blamieren –
das sei auch gar nicht notwen
dig, um alle anderen zum
Lachen zu bringen. „Das
Lustige ist die Geschich
te, der Gesamtkontext“,
betont Frank Stark. Und
das Lustige ist das
Gebaren von Harry Zapp,
der sich gewollt unbehol
fen à la Laurel und Hardy
auf der Bühne bewegt.
„Der kann gar nichts, aber
es ist so lustig“ – mit diesen
Worten habe ein Kind seine Show
einmal beschrieben – für Frank Stark
die perfekte Zusammenfassung.
Und wenn doch mal etwas schief
läuft oder eine Requisite nicht dort
ist, wo sie sein sollte? Kein Grund
zur Panik, sagt Frank Stark. „Mitt
lerweile ist mein Repertoire so
groß, dass ich weiß: Egal was
passiert, es gibt immer etwas,
das ich auf der Bühne zeigen
kann.“ Obwohl er eigentlich
Frank Stark wie ihn seine Fans lieben.
61
noch nie ein Problem damit hatte, vor vielen Leuten
aufzutreten, wie er erzählt. Ganz im Gegenteil: Vor
voll besetzten Zuschauerrängen, wenn viele Augen
auf ihn gerichtet sind, macht ihm das Clownsein besonders
viel Spaß.
Wenn dann der ganze Saal begeistert mitmacht
und dabei in schallendes Gelächter ausbricht, ist
das für Frank Stark das größte Kompliment.
Und am meisten freut es ihn, wenn diese gute
Stimmung auch noch den Raum erfüllt,
nachdem er die Bühne schon wieder
verlassen hat.
Frank Stark
Robert Schorp –
BrotSommelier
„Die Qualität muss passen,
das ist mein Credo, denn:
Geiles Brot braucht Zeit.“
VON WILFRIED STROHMEIER
Robert Schorp ist Bäcker vom
Scheitel bis zur Sohle und er
kennt sein Handwerk – auch die
Geschichte, die hinter dem
täglichen Brot steht.
Robert und Martina Schorp mit den Kindern
Jonathan, Hannah sowie Alea.
Die Familie Schorp, von links: Herbert, Gisela,
Da leben wir
XXX
Robert Schorp ist BrotSommelier,
gibt Seminare zum Brotbacken,
entwickelt Rezepte für eigene Brotsorten und schiebt einmal jährlich
auf dem Campus Galli in Meßkirch Brote in einen mittelalterlichen
Lehmbackofen. Er ist ein Tausendsassa im Namen des Brotes,
will diesem Grundnahrungsmittel wieder den Stellenwert geben,
den es haben sollte. Das bedeutet: Weg von achtlosem Umgang
mit Lebensmitteln. Mehrmals im Jahr steht der Bäckerund
Konditormeister zudem bei der SWRSendung
„Kaffee oder Tee“
vor der Kamera.
S
S
ein ganzes Engagement rund um das Brot hat
seinen Ursprung in der Familienbäckerei Schorp
im Bräunlinger Ortsteil Döggingen. Dort
arbeitet er zusammen mit seiner Frau Martina und
zwölf Angestellten. 2024 steht hier bereits die vierte
Generation in der Backstube und auch die fünfte
Generation darf schon mal beim Brezelformen mit
anpacken. Fast zehn Jahre hat der Bäcker- und
Konditormeister Robert Schorp als Fachlehrer und
Bereichsleiter an der Akademie des Deutschen
Bäckerhandwerks in Weinheim gearbeitet und ab
2017 als Eventbackstubenleiter die Eventbackstube
„bäck stage“ in Mössingen geleitet – damit begann
die Entwicklung der vergangenen Jahre.
Für die SWRSendung
„Kaffee oder Tee“ steht Bäckerund
Konditormeister Robert Schorp mehrmals im Jahr vor der
Kamera und regt die Zuschauer zum Nachbacken seiner
Kreationen sowie Kuchenklassiker an.
Robert Schorp führt die Bäckerei
der Familie in eine neue Ära
Und dann kam Corona. Zusammen mit seiner Frau
Martina entschloss er sich 2021 die elterliche Bäckerei
zu übernehmen. Sie wollten diese aber anders
weiterführen als bisher. „Wir wollten es klein und
fein machen“, erzählt der umtriebige Bäckermeister.
Ohne Filialen, ein straffes Sortiment. Unter der Woche
beginnt die Arbeitszeit bei Schorps um 4 Uhr,
am Wochenende um 2 Uhr. Und wenn Markttag in
Donaueschingen ist, kommt das Brot direkt aus dem
Backofen in den Verkaufswagen. Samstags wird das
Milchhäusle in Mundelfingen versorgt und auf Naturparkmärkten
sind die Schorpschen Backwaren ebenfalls
zu finden.
Unter der Woche bietet die Bäckerei drei Brotsorten
an, insgesamt sind sieben im Sortiment, hinzu
kommen noch 14 Brötchensorten und süße Teile. Es
sind aber nicht alle Brötchensorten durchgehend im
Verkaufsregal – da wird variiert und man darf auf so
manche Eigenkreation gespannt sein, teilweise mit
Zutaten, die man nicht in jeder Mühle findet.
Für Robert Schorp gibt es vier große Faktoren für
die Brotqualität: Faktor eins ist die Rohstoffauswahl,
gefolgt von deren Qualität, womit auch die Rezeptur
zusammenhängt, denn nur wenn man weiß,
welcher Rohstoff was bewirkt, kann man gezielt mit
ihm arbeiten. Das dritte Kriterium ist die Rezepturzusammenstellung.
„Es ist ein Baukastensystem“,
erklärt er. Hinzu komme die Teigführungsart. Er bevorzuge
die lange Teigführung bis zu 72 Stunden, weil
sich dabei mehr Aromen entwickeln, das fertige Brot
saftiger und bekömmlicher wird.
Der vierte Faktor ist der Backofen: Wird das Brot in
den Backofen „scharf eingeschossen“ – sprich bei hoher
Hitze, wird es entweder länger gebacken, um eine
satte Kruste zu bekommen oder weniger lang, um
eine eher weiche Kruste auszubilden. Und die Kruste
ist der entscheidende Geschmacksträger eines jeden
Brotes, fasst der Bäckermeister die vielen Möglichkeiten
zusammen.
Tradition trifft Experimentierfreude – Alle
Zutaten stammen wo möglich aus der Region
Bei sämtlichen Zutaten legt Robert Schorp wo immer
möglich Wert auf regionale Produkte mit kurzen
Lieferwegen. So kommen Milch und Eier sozusagen
2024: 100 JAHRE BÄCKEREI SCHORP
Die Brotund
Feinbäckerei Schorp kurz nach ihrer
Gründung im Jahr 1924, im Vordergrund Katharina
Schorp mit fünf ihrer sechs Kinder.
Die Geschichte der Dögginger Bäckerei begann
1924 in einem geschichtsträchtigen Haus, das
sich in der Linkskurve gegenüber der heutigen
Gaststätte „Kuhstall“ befindet. Gegründet wurde
die Bäckerei von Urgroßvater Wilhelm Schorp,
der eigentlich Landwirt war. Im rechten Teil des
geräumigen Hauses richtete er die „Brot- und
Feinbäckerei Schorp“ mit einem Verkaufsraum
ein. Der Großvater Robert – nach ihm wurde der
heutige Inhaber benannt – erlernte das Bäckerhandwerk
und führte die Bäckerei mit seiner
Ehefrau Berta weiter. Früh verstorben übernahm
der Vater des heutigen Inhabers Herbert Schorp
1973 mit der Mutter Gisela die Bäckerei.
Gründer Wilhelm
Schorp mit Ehefrau
Katharina,
den Kindern Karl,
Berta, Anna und
Marie und einer
Tante in den
1930erJahren.
BrotSommelier
Robert Schorp
Robert und Martina Schorp führen seit 2021 Bäckerei und Café in Döggingen. Rechts oben: Eine außergewöhnliche
Kreation: Beim Black Forest Baguette werden unter anderem SepiaTinte
und Cranberries hinzugefügt. Rechts unten:
Roggenmischbrot.
aus der Nachbarschaft, die Mühle ist auch nicht allzu
weit entfernt.
Seinen sehr geschätzten Sauerteig hat er selbst
gezüchtet, der Grundteig entstand bereits 2017. Benötigt
werden Mehl – Schorp verwendet hier eine
alte Getreidesorte, den Waldstaudenroggen – Wasser
und Milchsäurebakterien. Mit besagten Milchsäurebakterien
„geimpft“, gärte die Mehl-Wasser-Mischung
einen Tag lang. In der Entwicklung wird ein Teil dieses
Teigs abgespalten und am nächsten Tag wieder
neu angesetzt und so über mehrere Tage, jedes Mal
bei einer anderen Temperatur, bis der Sauerteig
die gewünschten Eigenschaften hat. Von diesem
ursprünglichen Grundsauerteig wird bei jeder Teigproduktion
nun der Sauerteiganteil hinzu gegeben
und der Grundsauerteig weitergeführt.
Bei den Zutaten für sein
Sortiment legt er Wert auf
regionale Produkte mit
kurzen Lieferwegen –
überall wo es geht. So
kommen Milch und Eier
sozusagen aus der Nachbarschaft,
die Mühle ist
auch nicht allzu weit
entfernt.
Oben links: Auch die jüngsten Mitglieder der Familie interessieren sich für die Arbeiten in der Backstube.
Oben rechts: Seniorchef Herbert Schorp an der Knetmaschine.
Neben diesem begehrten Sauerteigbrot verlässt
mit dem „Black Forest Baguette“, ein dunkles Brot,
mit Sepia- Tinte eingefärbt und mit Cranberries
versehen, eine weitere Eigenkreation die Dögginger
Backstube.
Brotgeheimnisse aus Mittelalter
und Gegenwart
Doch wie „entdeckte“ Robert Schorp die alte Getreidesorte,
den Waldstaudenroggen, der bereits im
Mittelalter angebaut wurde? Das geschah im Rahmen
seiner Projektarbeit, die er für den Abschluss
seiner Weiterbildung zum Brot-Sommelier benötigte.
Diese Arbeit führte den Bäckermeister in den „Campus
Galli“ nach Meßkirch, einem Klosterprojekt, das
sich zum Ziel gesetzt hat, das Mittelalter Stück für
Stück erlebbar zu machen. Der Klosterplan, der die
Grundlage der Klosterstadt „Campus Galli“ ist, wurde
vor 1.200 Jahren von Mönchen der Insel Reichenau
gezeichnet und zeigt den Idealplan eines Klosters.
Hier kann man alte Gewerke hautnah erleben:
Löffelschnitzern, Färbern, Müllern, aber auch
Bäckern über die Schulter schauen. Und genau hier
kann man auch Bäckermeister Schorp aus Döggingen
ein Mal im Jahr bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit
antreffen: Allerdings hat er anders als in der heimischen
Backstube, in der mittelalterlichen Anlage nur
einen Lehmbackofen zur Verfügung. Und dieser stellte
ihn am Anfang vor Herausforderungen, da er im
wahrsten Sinne des Wortes nicht ganz dicht war und
nachgebessert werden musste – sprich es mussten
BrotSommelier
Robert Schorp
67
Einmal im Jahr zeigt Robert Schorp im mittelalterlichen
Klosterprojekt Campus Galli bei Meßkirch wie das Brotbacken
anno dazumal im Lehmbackofen funktionierte.
Das Brot riecht ganz anders,
viel intensiver und so ist es
auch geschmacklich“,
schwärmt der experimentierfreudige
Bäcker über das
Backen im Campus Galli.
Löcher geschlossen werden. Doch mittlerweile funktioniert
der Ofen.
Aber wie wussten die Mönche und Bäcker früher,
dass der Ofen die richtige Temperatur hatte? Robert
Schorp lächelt bei der Frage. Und verrät, dass er
hier dann doch auf modernes Equipment zurückgreift.
Aber im Mittelalter war es denkbar einfach.
Beispielsweise wurde Mehl in den beheizten Backofen
gestreut, dann gab es ein kurzes Gebet oder ein
Lied. War das Mehl verbrannt, war der Ofen zu heiß.
Und mit dem schlichten Klopftest wurde abschließend
geprüft, ob das Brot durchgebacken war.
„Das so gebackene Brot riecht ganz anders,
viel intensiver und so ist es auch geschmacklich“,
schwärmt der experimentierfreudige Bäcker. Zudem
gibt es noch ein paar weitere Zutaten in dem Brot:
die Gewürze Kümmel, Anis und Fenchel. Diese Gewürze
hatten die Mönche nachweislich schon im
Mittelalter in ihren Kräutergärten.
Über den Antrieb, anderen das
Brotbacken zu vermitteln
Solche Tipps sind es zwar nicht, die er in seinen
Brotbackseminaren weitergibt, denn die moderne
Hausfrau und der moderne Hausmann sind technisch
doch um einiges besser ausgerüstet als die
Mönche im Mittelalter. Jedoch: In den vergangenen
Jahren verstärkte sich der Trend zum heimischen
Brotbacken.
Bei seinen Backseminaren in Döggingen kommen
sowohl Neulinge als auch Könner auf ihre Kosten,
verbindet die Teilnehmenden zunächst das gemein
Das gesamte Team der Bäckerei Schorp ist mit Begeisterung dabei.
same Ziel, dem Brot, neben dem Genuss, einen
höheren Stellenwert in der modernen Wegwerf- und
Konsumgesellschaft zu geben. „Es ist einfach schön,
wenn man Leuten sagen kann, welche Brote es gibt
und was man kombinieren kann“, erzählt er über seinen
Antrieb, anderen das Brot backen zu vermitteln.
Doch wie kommt man dazu, als erfolgreicher Bäcker-
und Konditormeister eine Weiterbildung zum
Brot-Sommelier anzuschließen? Ist die Fortbildungsmaßnahme
doch eine sehr aufwändige: Um die
Zusatzausbildung als Brot-Sommelier zu absolvieren,
muss man bereits einen Abschluss als Meister haben
und bereit sein, gut 500 Arbeitsstunden zu investieren.
Am Schluss gibt es eine Prüfung in den Bereichen
Theorie, Geschichte und Sensorik – letzteres
zielt auf den Geschmack und den Duft ab, an dem
der Prüfling auch Brote erkennen muss.
Dafür verfasste Robert Schorp seine bereits
erwähnte Projektarbeit im Rahmen des ehrenamtlichen
Engagements im „Campus Galli“. Er ging dabei
mehreren Fragen auf den Grund wie beispielsweise:
Welche Getreidearten gab es? Welche Sorten wurden
verwendet? Welches Know-how hatten die Bäcker?
Oder auch: Konnten sich nur die Reichen und Adligen
gutes Brot leisten? Wie war der allgemeine Zustand
der Gesellschaft im Mittelalter, wie wurde mit
Hungersnöten umgegangen – wie war die landwirtschaftliche
Struktur?
Dazu kamen die handwerklichen Aspekte: Kneten
ohne Kneter, Backen ohne Hefe und Backen ohne
Thermometer. Mit diesen Grundgedanken ging er
ans Werk. Und war erfolgreich.
Bei seinen ersten Backversuchen benötigte der
angehende Brot-Sommelier einige Minuten, bis das
Feuer brannte – denn natürlich gab es auch keine
Feuerzeuge oder Streichhölzer im Mittelalter –
Feuersteine kamen zum Einsatz. Er dokumentierte
genau das Wetter, wie und wann beheizt wurde und
am Schluss war er dann erfolgreicher Bäcker eines
Brotes nach mittelalterlichen Methoden. Sein Diplom
als Lehrgangsbester konnte Bäcker- und Konditormeister
Robert Schorp im Jahr 2020 in der Akademie
des Bäckerhandwerks in Weinheim aus den Händen
von Sternekoch Johann Lafer entgegen nehmen.
BrotSommelier
Robert Schorp
69
Beim beliebten Brottasting können verschiedene Brotsorten
verköstigt werden.
70
Robert Schorp ist mit Leidenschaft
und Enthusiasmus
Bäcker, das merkt man ihm in
jedem Satz über jeden Laib
Brot und über jedes Brötchen
an. Es ist sein Beruf und
Berufung mit Heimatliebe,
ohne den Fortschritt zu
vergessen.
2024 feiert die 1924 gegründete Bäckerei ihr
bereits 100-jähriges Bestehen. Nach verschiedenen
Besitzerwechseln hatte Johann Schorp die ehemalige
„Sonne“ zum Ende des 19. Jahrhunderts hin von dem
bekannten Dögginger Portraitmaler Ignaz Weisser erworben
und vererbte sie später an seinen Sohn Karl.
Danach ging das Anwesen 1909 an den Gründer der
Bäckerei, Wilhelm Schorp. Im rechten Teil des geräumigen
Hauses richtete er die „Brot- und Feinbäckerei
Schorp“ mit einem Verkaufsraum ein. Da Wilhelm
Schorp das Bäckerhandwerk nicht erlernt hatte, stellte
er einen Bäcker ein. Er wiederum kümmerte sich
um die Versorgung der umliegenden Dörfer wie Unadingen,
Bachheim oder Mundelfingen. Über 100 Jahre
hinweg versorgt die Bäckerei Schorp seitdem die
Region um Döggingen mit Brot (s. auch S. 67). Vor
diesem Hintergrund entwickelte Robert Schorp die
Rezeptur für ein 100-Jahr-Brot, das mit den 1924 zur
Verfügung stehenden Mitteln gebacken wird.
Auch damit sei gesagt: Robert Schorp ist mit
Leidenschaft und Enthusiasmus Bäcker, das merkt
man ihm in jedem Satz über jeden Laib Brot und
über jedes Brötchen an. Es ist sein Beruf und seine
Berufung mit Heimatliebe – ohne den Fortschritt zu
vergessen.
BrotSommelier
Robert Schorp
SCHORP-SAUERTEIGBROT
60% Roggen, 40% Dinkel
Sauerteig
Zutaten:
420 g Waldstaudenroggenvollkornmehl
40 g Reifer Sauerteig oder Starter
420 g Wasser (ca. 45°C)
Knetzeit: ca. 5 Minuten von Hand kneten oder 3 Minuten auf niedriger Stufe mit der Maschine
Teigtemperatur: 32°C fallend auf 23°C
Reifezeit: 16 Std.
ergibt ca. 880 g Natursauerteig
Brühstück
Zutaten:
280 g Waldstaudenroggenvollkornmehl
420 g Wasser 100°C (aufkochen)
Knetzeit: ca. 5 Minuten von Hand verrühren
Reifezeit: 2 Std.
ergibt ca. 700 g Brühstück
Teigherstellung
Zutaten:
550 g Dinkelmehl Typ 630
140 g Roggenmehl Typ 1150
32 g Salz
880 g Natursauerteig
700 g Brühstück
2 g Fenchel (gemahlen)
2 g Kümmel
1 g Anis
ca. 350 g Wasser
Knetzeit: 12 Minuten auf niedriger Stufe
Teigruhe: 15 Minuten bei Raumtemperatur
ergibt ca. 2.700 g Gesamtteig
Aufarbeitung
Teiggewicht pro Brot: ca. 900 g
Den Teig nach der Teigruhe einteilen und runde Laibe formen.
Oberseite in Roggenmehl wälzen und in Holzschliffförmchen legen.
Nochmal ca. 4 Stunden bei Raumtemperatur garen lassen.
Die Formen auf ein Blech oder am besten eine Steinplatte stürzen.
Backen
Backofen vorheizen
Ofentemperatur: 250°C und nach 15 Minuten Backzeit Ofen auf 200 Grad
zurückschalten (Ober-und Unterhitze).
Dampf: nein
Backzeit: ca. 60 Minuten
HOFGESCHICHTEN
74 ANNA PACKT AN – DIE
JUNG-LANDWIRTIN ANNA
KLAUSMANN
86 DER GRIESGET-HOF – VOM
ZAUBER EINES PLATZES
98 LUKAS DUFFFNER –
AUF DER OFENBANK
MIT DEM „ROTE BUR“
108 DOLDENHOF – DEN
CHARME DER
VERGANGENHEIT
MIT LIEBE BEWAHRT
3. Kapitel – Hofgeschichten
Wer durch den Schwarzwald streift,
der bleibt an Orten wie dem Griesget
Hof hängen – wie der Schwennin
ger Dokumentarfilmer Hermann
Schlenker, der Elisabeth und Adolf
Fehrenbach zusammen mit Dackel
„Waldi“ und der Milchkuh „Goldili“
im Sonntagsstaat fotografiert (Fo
to). Und 1976 den Hof von ihnen
erwirbt. Staunend steht man auch
vor dem mit Liebe zum Detail re
novierten Doldenhof in Rohrbach.
Und freut sich daran, einer jungen
Landwirtin wie Anna Klausmann
beim Ersten Schnitt in Linach zu
begegnen, die für die Zukunft des
Schwarzhansenhofes steht. Dass
die Landwirtschaft im Schwarzwald
eine Zukunft hat, dafür hat ein Le
ben lang der „Rote Bur“ gekämpft:
Der 95-jährige Lukas Duffner schaut
auf ein bewegtes Leben im Dienst
der Landwirtschaft zurück.
Ein Besuch bei der jungen Landwirtin
auf dem Schwarzhansenhof in Linach
ANNA PACKT AN
VON DANIELA SCHNEIDER / FOTOGRAFIE WILFRIED DOLD
„In de ,Line‘, da bin ich daheim.“ Die Liebe zur Familie, den Tieren, zum
Schwarzhansenhof und Linach ist Anna Klausmann in die Wiege gelegt.
21 Jahre jung stemmt die angehende Landwirtschaftsmeisterin eine Sieben-
Tage Woche und strahlt. „Ich bin mit Herzblut dabei, weil es mir Spaß
macht – Papa hat mich eben von klein auf miteinbezogen.“ Bei einer Mäh-
Pause auf dem Wangerberg hoch über dem Linachtal prüft Anna nebenher
den „Ersten Schnitt“. In der Luft hängt der Duft der frisch gemähten Wiese.
Hofgeschichten
D
D
raußen liegt noch Tau auf den Wiesen und
rund um den Schwarzhansenhof der Familie
Klausmann ist es still – wirklich still. Der
Bauerngarten auf der Ostseite des Hofes strahlt im
Morgenlicht – Linach präsentiert sich an diesem Tag
im Juli als Schwarzwaldidylle pur.
Drinnen im Stall des Schwarzhansenhofs wird
gemolken, Anna und ihr Vater Markus reinigen die
Zitzen der Kühe und desinfizieren sie, dann setzen
sie die Becher der Melkanlage an. Anna füttert
anschließend die wenigen Wochen alten Kälber,
schmust mit ihnen – und wendet sich schließlich
einem „Sorgenkind“ zu, der Kuh „Temse“, die an
einer Klauenkrankheit leidet. „Panaritium“, eine
infektiöse Erkrankung, die bei Milchkühen häufig
vorkommt. Die junge Landwirtin schreitet entschlossen
zur Tat, vom Mitleid allein wirdʼs nämlich
(leider) sicher nicht besser. Vielmehr sind jetzt
Annas Muskelkraft und Geschick gefragt – und ihr
Sachverstand. Dass sie weiß, was sie da tut, daran
lässt sie keinen Zweifel aufkommen.
Hier, im Stall des Schwarzhansenhofs in Linach,
hat sie solche und viele andere Handgriffe unzählige
Male gemacht. Sie sitzen so gut wie die Gummistiefel
an ihren Füßen, die Handschuhe an ihren
Händen und die flugs zusammengebundenen,
blonden, langen Haare auf ihrem Kopf. Die junge
Landwirtin weiß, wie groß die Verantwortung ist,
die sie im Umgang mit den Tieren hat, für die
Rinder und auch für sich selbst. Sie strahlt darin
Morgendlicher Viehtrieb, bei der Arbeit im
Melkstand mit Vater Markus Klausmann
und bei der Kälberaufzucht.
Sicherheit und eine große Selbstverständlichkeit aus.
Und natürlich kennt sie nicht nur „Temse“, sondern
auch alle anderen Kühe um sie herum mit Namen,
von „Blümle“ über „Ela“ bis hin zur „Sofie“.
Nach dem Melken sperrt Vater Markus die am
Hof vorbeiführende Talstraße für den Verkehr. Jetzt
treiben die beiden die Kühe aufs Feld, zur Wiese am
Oberen Winterberg gegenüber des Schwarzhansenhofs
– die Linach schlängelt sich am Talgrund
entlang und das Vieh liebt diese naturnahen Wiesen.
„Wenn die Kühe nach dem langen Winter im Stall
erstmals dorthin auf die Weide dürfen, machen sie
wahre Freudensprünge“, strahlt Anna.
Die Klausmanns, eine bäuerliche Großfamilie
Es ist eine typische bäuerliche Großfamilie mit
starkem Zusammenhalt, die den Schwarzhansenhof
umtreibt: Anna ist die älteste Tochter von Birgit und Die Familie Klausmann vor ihrem SchwarzhansenMarkus
Klausmann. Auf dem Hof, der seit vier hof, v. links: Lorenza, Salome, die Eltern Markus
Generationen von der Familie bewirtschaftet wird und Brigitte, sitzend die Großeltern Anna und
und den ihr Vater vor rund drei Jahrzehnten auf Helmut sowie Nicole, Lenz, Anna und Quinn.
Biobetrieb umgestellt hat, leben auch Oma Anna Das Wandgemälde links oben zeigt den Heiligen
Klausmann und Opa Helmut Klausmann. Und St. Wendelin. Er gilt als Patron der Bauern und
natürlich Annas fünf Geschwister, die Schwestern insbesondere des Viehs. Ein Schild an der Stalltür
Nicole, Lorenza und Salome im Altersabstand von macht auf den wertvollen Viehbestand des Hofes
rund anderthalb Jahren und die zwei Buben Quinn aufmerksam (linke Seite unten).
Schwarzhansenhof in Linach
79
und Lenz als Nachzügler – und die Tiere. „Temse“,
die Kuh aus dem Klauenpflegestand, gehört zur
Milchviehherde aus rund 40 Vorderwälder Rindern,
die im Stall von Familie Klausmann oder auf den
Weiden stehen. 50 Hektar Grünland bewirtschaften
sie, wozu auch gepachtete Flächen gehören. Was die
eigene Nachzucht angeht, wird neuerdings verstärkt
auf Regionalität gesetzt. Die Bullenkälber kommen
im Alter von drei Monaten auf einen Mastbetrieb
nach Schönenbach.
Markus Klausmann ein Bio-Pionier
Annas Vater Markus Klausmann hat sich in den
1990er-Jahren für extensive Bewirtschaftung mit
völligem Verzicht auf chemisch-synthetische Dünge-
und Pflanzenschutzmittel entschieden – also in
einer Zeit, in der der Begriff „Bio“ noch von kaum
jemandem überhaupt in den Mund genommen
wurde. Der Linacher war damals ein Pionier: Sein
Betrieb war einer von neun, die auf diese Weise
erzeugte eine Million Liter Milch bei der Genossenschaft
ablieferten und damit für das Bio-Sortiment
der „Schwarzwaldmilch“ den Grundstein legten. Der
Schwarzhansenhof selbst besitzt das Bio-Siegel seit
einem Stallumbau im Jahr 2001.
Zum Betrieb gehören außerdem 56 Hektar Wald,
die Markus Klausmann zusammen mit seinem Bruder
managt – wegen des Borkenkäfers ist das derzeit
eine Mammutaufgabe. Außerdem betreibt er einen
Baggerbetrieb. Möglichst auf mehreren Standbeinen
stehend wird so das Einkommen gesichert.
Die Klausmanns leben das Leben einer typischen
bäuerlichen Familie in den Höhenlagen des Schwarzwalds.
Die Generationen sind aktiv in die Arbeit
eingebunden, die Großeltern stehen wie eh und je
frühmorgens ganz selbstverständlich Tag für Tag im
Stall und auch die jüngeren Geschwister packen mit
an, wo es notwendig ist. Man hält zusammen und in
der zugegeben knapp bemessenen Freizeit machen
so gut wie alle in der Dorfgemeinschaft mit, sei’s
in der Theatertruppe, im Harmonikaverein oder im
„Furtgau“-Club, den es ja schließlich auch in „de
Line“ gibt. Ein zugleich gar nicht so versteckter Hinweis
darauf übrigens, dass hier noch vollkommen
selbstverständlich Dialekt gesprochen wird, auch
bei den Klausmanns daheim, was anderes käme hier
niemandem in den Sinn, warum denn auch?
Während sich Mädchen
früher meistens eher dazu
entschlossen haben, den
Beruf „Landwirtschaftliche
Hauswirtschafterin“ zu
erlernen, tendieren sie
heute immer öfter zum
Ausbildungsberuf
„Landwirtin“.
Mit ihren Schulfreunden aus dem Linachtal, mit
denen Anna gemeinsam die Grundschule in Furtwangen
besuchte, ist sie noch heute verbunden. „Wir
sind viel miteinander unterwegs“, sagt sie und ihr
fröhliches Lächeln verrät, wie wichtig ihr das ist.
Immer mehr Frauen werden „Landwirtin“
Den Umgang mit den Tieren, der Alltag auf einem
Bauernhof, das Los der Landwirte somit, hat Anna
Klausmann quasi mit der Muttermilch eingeflößt
bekommen. Und hat sich dazu entschlossen, diesen
Weg weiterzugehen. Dafür hat sie ruckzuck die
Ausbildung zur Landwirtin absolviert und dann auch
gleich noch ein Praxisjahr in einer Furtwanger
Tierarztpraxis drangehängt. Das kommt jetzt dem
Betrieb und Kuh „Temse“ und Co. zugute. „Einmal in
der Woche helfe ich in der Praxis noch aus. Mir
macht das Spaß“, sagt Anna. Und meint damit aber
nicht „das Kleinzeug“, wie sie lachend ergänzt. Mit
Kaninchen und Kanarienvögeln kann sie nämlich
wenig anfangen – ihr Herz schlägt vor allem für die
Nutztiere. Auch deshalb hat sie sich für die Landwirtschaft
entschieden.
Dafür absolvierte sie ihr erstes Lehrjahr in Vollzeit
an der Albert-Schweitzer-Schule in Villingen, wie es
in der Ausbildung üblich ist. Mit den „Kerlen“ in
ihrer Klasse, sagt sie, kam sie „superklar“. Die waren
Anna mit Mutter Brigitte bei der Arbeit im Bauerngarten – schon mit Oma Anna war die angehende Landwirtschaftsmeisterin
hier tätig. Gemeinsam mit Schwester Salome kümmert sie sich auch um die Hühner des Schwarzhansenhofes.
Als Hühnerstall dient der ehemalige Kornspeicher des Hofes (unten).
Anna besucht das Vieh auf der Weide am
Oberen Winterberg. Im Hintergrund der
Schwarzhansenhof, vorne Mitte rechts das
Bregerhäusle, das die Familie gegenwärtig
denkmalgerecht saniert. Im Talgrund fließt
die Linach – für das Vieh, so Anna Klausmann,
ist die Weide unmittelbar gegenüber
des Schwarzhansenhofes ein absoluter
Lieblingsort. Sie strahlt, wenn sie von den
Freudensprüngen der Kühe im Frühjahr erzählt,
wenn sie nach den langen Wintermonaten
endlich wieder dorthin dürfen.
da noch in der Überzahl, allerdings steigt der Anteil
der weiblichen Lehrlinge kontinuierlich. Während
sich Mädchen früher meistens eher dazu entschlossen
haben, den Beruf „Landwirtschaftliche Hauswirtschafterin“
zu erlernen, tendieren sie heute immer
öfter zum Ausbildungsberuf „Landwirtin“. Anna
findet das klasse. Schließlich, sagt sie, gibt es auch
keinen Grund, warum das nicht so sein sollte.
Frauen, da ist sie sich sicher, können und sollen sich
in dem Beruf behaupten, wenn sie das möchten.
Und damit sei dieses Thema – junge Frau in der
Landwirtschaft – für sie „auch geschwätzt“. Schließ
lich zählt Durchsetzungsvermögen und Interesse an
der Arbeit und nicht das Geschlecht, selbst wenn das
traditionell lange anders war und in manchen
Köpfen wahrscheinlich heute noch so ist.
Mal ganz abgesehen davon, dass sie ebenso das
Thema Hauswirtschaft spannend findet – einen
Garten zu bewirtschaften zum Beispiel, das hat sie
schon von ihrer Oma gelernt, auch das gehört dazu
und ist einfach interessant. Da zeigt es sich deutlich:
Berührungsängste und Klischees – beides ist Anna
einfach nur fremd; Schubladen passen nicht zum Leben
der Landwirtin von heute.
Landwirt ist so ein
umfangreicher Beruf. Man
(und Frau) muss einfach
vieles beherrschen, um
Maschinen, Gebäude und
Gerätschaften instand
halten zu können.
Lehrjahr in Milchviehbetrieb
Das zweite Lehrjahr verbrachte sie auf einem
großen, konventionellen Milchviehbetrieb in
Hohentengen am Hochrhein. „Das war das, was ich
wollte“, sagt sie, weg von daheim, ganz bewusst
etwas anderes kennenlernen, sich darauf einlassen.
Da war sie übrigens gerade mal 16 Jahre alt. „Du
machst es von klein auf. Die Arbeit kennst du ja.
Die Arbeitsweise von anderen übernehmen – das
war eine Herausforderung. Aber einen Chef haben,
der nicht ‘Papa’ heißt, ist auch schön“, erzählt sie
in der Rückschau. Was sie dabei auch gelernt hat:
„Landwirt ist so ein brutal umfangreicher Beruf“.
Man (und Frau) muss einfach vieles beherrschen.
Um Maschinen, Gebäude und Gerätschaften instand
zu halten, sind handwerkliche Fähigkeiten gefragt,
Fahrzeuge und mitunter auch schweres Gerät
müssen bewegt werden können, zudem gilt es,
gut zu wirtschaften, praktisch zu rechnen, sich mit
Tierhaltung und Pflanzenproduktion auszukennen
und dabei möglichst immer auf dem aktuellen Stand
zu sein.
In der Zwischenzeit hat sie den Abschluss in der
Tasche – und obendrein auch gleich noch den Jagdschein.
Darauf, ja, ist sie stolz, und das kann sie auch
sein. Seit 2023 – gerade mal im Alter von damals
zarten 20 Jahren – büffelt sie nun jeweils in den
Winterhalbjahren von November bis März für den
Abschluss als Landwirtschaftsmeisterin. In der Zeit
von April bis Oktober arbeitet sie ansonsten Vollzeit
auf dem elterlichen Hof mit.
Bürokratie und Herausforderungen
Und doch ist eines klar: Auch das bäuerliche Leben
im Schwarzwald ist dem steten Wandel unterworfen.
Schwarzhansenhof in Linach
Natürlich sind Anna und ihre Schwestern nicht nur
mit den Kühen, sondern auch mit modernen Medien
groß geworden. Und sind sie allesamt Realisten,
die sehen, welch enorme Herausforderungen die
Landwirtschaft mit sich bringt und dass es halt alles
andere als ein Zuckerschlecken ist, einen solchen
Betrieb zu führen und die Zukunftsaussichten
ziemlich ungewiss sind.
Das ist mit ein Grund, warum Anna bei den
jüngsten Bauernprotesten dabei war. „Ich bin auch
mitgefahren“, sagt sie, „es war wichtig, zu zeigen,
dass es uns gibt und dass wir uns mit der momentanen
politischen Situation nicht zufriedengeben“.
Die Landwirte müssen erklären, wo es hakt, ist sie
sich sicher. Die Agrardiesel-Debatte, sagt sie, sei da
nicht entscheidend. Rund 1.200 Euro machen die
21 Cent auf ihrem Hof aus, die die Landwirte von den
47 Cent Diesel-Steuer zurückbekommen können.
Weitaus aufreibender: Das leidige Thema
Bürokratie, gefühlt beklagt seit Ewigkeiten! Und
letztlich werde es immer nur noch schlimmer statt
besser. Bei allem grundsätzlichen Verständnis dafür,
dass bestimmte Dinge wie der Antibiotika-Einsatz
geregelt und kontrolliert werden müssen, ärgern sich
Anna und ihre Kollegen: Hier sei etwas gut gemeint,
aber schlecht gemacht. Immer neue Verordnungen,
Richtlinien und Standards – sie machen der Landwirtschaft
erhebliche Probleme, moniert Anna. Die
vielen Nebenerwerbsbetriebe, die die Branche
gerade im Schwarzwald kennzeichnen, können das
immer weniger bewerkstelligen, das beklagen auch
die berufsständischen Vertretungen. Nicht wenige
Ökonomen zeichnen ein düsteres Bild: Vor allem
kleine Betriebe werden demnach verschwinden. Die
hohen finanziellen Anforderungen und Investitionen,
die sich aus den Vorgaben ergeben, können und
wollen sie nicht erfüllen. Anna ist überzeugt: „Das
Höfesterben ist voll im Gang.“
Bei ihr wiederum hat das regelrecht einen Kampfes-
willen befördert. Sie sieht den Abgesang für ihren
Hof nicht kommen. Ihren Eltern hat sie schon ganz
früh signalisiert, dass sie den Betrieb eines Tages
weiterführen möchte. Dazu steht sie nach wie vor.
Aber ihr stellt sich schon unweigerlich die Frage, wie
auskömmlich das Ganze zukünftig sein wird.
Ob Landwirte denn genug verdienen? Bei dieser
Frage ist es ihr wichtig, das Ganze emotionslos und
sachlich zu betrachten, und zwar anhand der Da-
Was Anna ärgert, ist die
Tatsache, dass die Landwirte
zwar Unternehmer
sind, aber ihre Preisgestaltung
niemals selbst
in der Hand haben.
ten der offiziellen Statistik: In Deutschland hat ein
Haupterwerbsbetrieb im Wirtschaftsjahr 2022/23
demnach ein durchschnittliches Betriebsergebnis
von 115.400 Euro eingefahren. Rechnet man das
pro Arbeitskraft auf den Höfen hoch, landet man
laut Bundeslandwirtschaftsministerium bei zuletzt
46.118 Euro je Arbeitskraft für eine durchschnittliche
Arbeitszeit von 46,7 Wochenstunden. „Wenn es nicht
gleichzeitig auch unser Hobby wäre, würde das niemand
machen“, sagt die Frau vom Fach. Zu beachten
sei dabei, dass es Unterschiede gebe, je nachdem,
wo in der Republik der Hof stehe und ob es sich
um einen konventionellen oder einen Ökobetrieb
handele. Letztere wiederum bekommen eine höhere
öffentliche Förderung.
Unterdessen sind auch die Erzeugerpreise ein
Dauerthema. 60 Cent für den Liter Biomilch sind es
2024. Das ist besser, als es schon mal war, aber die
Verbraucher zahlen an der Supermarktkasse deutlich
mehr. Für eine faire Vergütung landwirtschaftlicher
Produkte will sich auch Anna Klausmann künftig einsetzen,
damit es mehr Planungssicherheit für die Betriebe
gibt. Was sie ärgert, ist die Tatsache, dass die
Landwirte zwar Unternehmer sind, aber ihre Preisgestaltung
niemals selbst in der Hand haben. Entweder
bestimmt die nämlich – im Falle der Rinderzucht –
der Viehhändler oder eben der Handel zum Beispiel
in Sachen Milch.
Zukunftspläne und Visionen
Anna hat auch einen konkreten Vorschlag, wie es
klappen könnte, dass die Bauern besser kalkulieren
Der Schwarzhansenhof
wurde 1561 erbaut
Der Schwarzhansenhof ist als
zweitältester Hof des Dorfes in
der Linacher Ortschronik erwähnt.
1561 wurde er gebaut,
mittlerweile wird er von der
dritten Generation der Familie
Klausmann bewirtschaftet. Annas
Uropa hat in der Tenne einst
einen Balken erneuert, der rund
500 Jahre alt war, ein Verweis
also auf die jahrhundertelange
Geschichte des Anwesens. Das
Foto zeigt den Hof vor dem
Umbau in den 1980er-Jahren.
Annas Vater Markus Klausmann hat sich in den also in einer Zeit, in der der Begriff “Bio” noch von
1990er-Jahren für extensive Bewirtschaftung mit kaum jemandem überhaupt in den Mund genomvölligem
Verzicht auf chemisch-synthetische men wurde. Der Schwarzhansenhof hat das
Dünge- und Pflanzenschutzmittel entschieden – Bio-Siegel seit einem Stallumbau im Jahr 2001.
können: mit Hilfe des Paragrafen 148 der Gemeinsamen
Marktorganisation (GMO) nämlich. Die ist einer
der zentralen Bestandteile der gemeinsamen Agrarpolitik
der EU-Mitgliedstaaten. Besagter Paragraf
sieht vor, dass Rohmilchlieferungen nur und ausschließlich
aufgrund schriftlicher Verträge erfolgen
dürfen. Warum schreibt man genau darin nicht auch
die Preise fest, fragt sich die Junglandwirtin. Das
würde nicht gegen das Kartellrecht verstoßen.
Gleichzeitig könnten Faktoren wie Nachhaltigkeit
oder ökologische Kriterien als Grundlage des
Wettbewerbs gestärkt werden. Das Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft ist dran an
diesem Punkt und das findet sie gut. Ihre Hoffnung:
„Dass wir uns nicht wieder so aufbauschen müssen,
um gesehen und gehört zu werden.“
Auch dafür paukt sie an der Meisterschule: Um
sich auch bei all diesen Themen fit zu machen, um
mitreden zu können und zwar fundiert. Im Sommer
2026 wird sie beim Landwirtschaftsamt in Donaueschingen
jedenfalls ihre Meisterprüfung ablegen.
Wie es danach weitergeht? Anna weiß es noch
nicht genau. Möglich wäre, dass sie zunächst zusammen
mit ihrem Vater den Betrieb führt.
Sie und ihr Freund sind noch sehr jung. Aber
schon jetzt müsse sie sich überlegen, wie die Zukunft
des Betriebes und auch ihre persönliche einmal aussehen
wird – eine Bürde ist das allemal. Eines aber
hat Anna für sich schon so gut wie entschieden: Sie
will im Schwarzwald leben, den Schwarzhansenhof
am Leben erhalten. Und sie will dafür sorgen, dass
sich die Familie nach wie vor ihre Selbstständigkeit
bewahren kann. „Mir ist alles hier sehr wichtig, hier
bei uns alt werden, das wäre doch was Schönes,“
meint sie, lächelt und macht sich auf in Richtung
Weide, auf der am Hang gegenüber das Vieh der
Klausmanns grast. An einem Sommertag im Juli, so
wie es seit bald fünf Jahrhunderten üblich ist.
Stolz sind die Eltern, Brigitte und Markus
Klausmann: „Was Anna erreicht hat und mit welcher
Liebe sie ihr Tagwerk auf dem Hof der Familie verrichtet,
das freut uns ungemein! Es macht uns glücklich
zu sehen, dass das Lebenswerk der Großeltern
Anna und Helmut Klausmann und unseres eine so
freudige und glückliche Fortsetzung findet.“ Was,
fragt man sich, kann es für die zehnköpfige Großfamilie
im Linacher Schwarzhansenhof in heutigen
Zeiten Schöneres geben?
Schwarzhansenhof in Linach
BIOGRAFIE EINER EINSIEDELEI
IN NUSSBACH
DER GRIESGET-HOF – VOM
ZAUBER EINES PLATZES
VON SYLVIA GÜRTLER
BIOGRAFIE EINER EINSIEDELEI
IN NUSSBACH
DER GRIESGET-HOF – VOM
ZAUBER EINES PLATZES
VON SYLVIA GÜRTLER
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Hofgeschichten
87
Sanft schlängelt sich das Sträßlein den bewaldeten Hang hinunter – es zieht sich. Ist
das überhaupt der richtige Weg? Geht es hier zum GriesgetHof?
Ein Hinweisschild
an einem Baum beruhigt, hier geht es entlang! Nach weiteren Kehren und dem
Passieren eines Bauernhofes zur Rechten leuchtet es golden zwischen den Zweigen
hervor: Die Wetterfahne der erst kürzlich geweihten Hofkapelle weist einem
zielsicher den Weg. Diesen „Weg“, mittlerweile eine komfortable Zufahrtsstraße gibt
es erst seit 1997 – zuvor mussten selbst der Pfarrer und der Doktor sommers wie
winters zu Fuß von Nußbach zum Griesget hinauf. Auf dem Parkplatz oberhalb der
vier Gebäude wartet Markus Hoch, der den GriesgetHof
zusammen mit seiner Frau
Maria 2019 erworben hat. Ein Gebäudeensemble an einem Platz, der vom bekannten
Dokumentarfilmer Hermann Schlenker und seiner Frau Anny mit ungeheurem
Einsatz zu einem Ort der Begegnung umfunktioniert wurde und seitdem Menschen
zur Einkehr, Weiterbildung und zum Feiern anlockt. Diesen Geist weiterleben zu
lassen, weiterhin Begegnungen zu ermöglichen, sich den Traum eines magischen
Ortes zu erfüllen, animierte Maria und Markus Hoch zum Kauf.
Der Rundgang beginnt am jüngsten Aushängeschild
des Ensembles, der kürzlich fertiggestellten und
geweihten Hofkapelle. Schön ist es geworden, dieses
kleine Gotteshaus: Durch eine großzügige Glastür
geht es ins Innere, wo schlichte Holzhocker zum
Verweilen einladen. Maria Hoch lässt einem den
sagenhaften Ausblick und die meditative Ruhe des
Inneren des kleinen Gotteshauses genießen.
Was dieses kleine Bauwerk so besonders macht,
ist die Architektur: Weit öffnet sich der Raum zur Natur
hin mit einer spektakulären Glasfront, anders als
in traditionellen Hofkapellen mit ihren eher kleinen
Fensteröffnungen. Nichts ist zu viel, kein unnötiger
Zierrat lenkt vom grandiosen Blick in die Natur, in
„Gottes Schöpfung“ ab. In der Ferne hinter dem Altar
Das Ehepaar Maria und Markus Hoch hat nach dem
Erwerb des GriesgetHofs
eine moderne Kapelle erbaut,
deren Nordseite aus Glas tolle Ausblicke in den Schwarzwald
ermöglicht.
Der GriesgetHof
– Vom Zauber eines Platzes
ist die Hornisgrinde auszumachen, der höchste Berg
des Nordschwarzwaldes.
Der Altartisch aus massiver Eiche betont die
Mittelachse. Darauf ein schlichter Kerzenleuchter
und eine Chagall-Bibel auf einem hölzernen Ständer.
Rechts thront eine klassische Marienstatue,
links, auf einer ebenso massiven Stele hat Judas
Thaddäus seinen Platz gefunden, der Schutzpatron
der „Hoffnungslosen“ und Namensgeber der Kapelle.
In der Mitte über dem Altartisch schwebt eine
prachtvoll gearbeitete Jesusdarstellung des Villinger
Bildhauers Christian Günter.
Auch die Glocke mit dem Villinger Narro auf dem
Dach der Kapelle ist eigens gefertigt. Sind die Hausherren
Maria und Markus Hoch etwa begeisterte
Fastnachter? Beide schmunzeln bei dieser Frage –
ein Villinger Narro und eine Alt-Villingerin geben
sich nicht so einfach zu erkennen …
Für das so gelungene Bauwerk verantwortlich
zeichnet der Unterkirnacher Architekt Dietmar
Helmstädter, der genau verstanden hat, worum es
dem Ehepaar Hoch ging: Einerseits der alten Tradition
zu folgen, dass ein jeder Hof auch eine Kapelle
brauche, andererseits wollte man das Licht bis in den
letzten Winkel hereinlassen. Ob Andacht, Einkehr,
Meditation oder den Bund der Ehe schließen, Ehegelübde
auffrischen, Trauerfeiern begehen – vieles
wird von den aufgeschlossenen Eheleuten ermöglicht.
„Das ist ein Ort der Begegnung“, so Maria Hoch,
die nahezu täglich vor Ort ist – morgens die Kapelle
aufschließt, mit den verschiedensten Menschen ins
Gespräch kommt und die so besondere Atmosphäre
genießt.
Mit Erzbischof Georg Gänswein weiht
ein Papst-Vertrauter die Kapelle
„Es ist immer ein Herzenswunsch gewesen“
Doch wie kommen die in Unterkirnach lebenden
Hochs dazu, ein Areal mit zwei Selbstversorgerhäusern,
einer Scheune, einem Fischteich und einem
Löschwasserteich umgeben von mehreren Hektar
Wald zu erwerben? Maria Hoch, examinierte
Krankenschwester aus Bensheim an der Bergstraße
stammend, erklärt: „Es ist immer ein Herzenswunsch
gewesen, ein so bezauberndes Domizil in herrlicher
Umgebung bewirtschaften zu können. Als ich im
Herbst 2019 das Entenhäusle für ein Wanderwochenende
mit Freunden bewohnte, erzählte die damalige
Pächterin von den Verkaufsabsichten.“
Professor Dr. Markus Hoch, einer alteingesessenen
Villinger Bäckerfamilie entstammend, ist
Studiendekan International Engineering sowie Professor
für Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen
an der Hochschule Furtwangen, Außenstelle
Schwenningen. Und ergänzt: „Konkreter wurde es
dann bei der Feier meines 60. Geburtstages in der
Tenne des Griesget-Hofes , da ist der Entschluss gereift,
tatsächlich in dieser Richtung tätig zu werden.
Als die Besitzer Hermann und Anny Schlenker das
Ensemble schließlich zum Kauf anboten, haben wir
gehandelt.“
Bei Hermann Schlenker, gebürtiger Schwenninger,
handelt es sich um einen der bekanntesten
Dokumentarfilmer der Welt. Seine Arbeit führte
ihn und seine Ehefrau Anny in über 75 Länder, nach
Island, Afghanistan, Mali, Tibet und nicht zuletzt
Papua-Neuguinea – um nur einige Forschungsziele
zu nennen. Die letzte Schaffensperiode der Eheleute
Schlenker galt der Heimat: In Zusammenarbeit mit
den Volkskundlern der Universität Freiburg entstand
eine Dokumentation dem versinkenden Brauchtum
und dem vergessenen Handwerk des Südschwarzwaldes
gewidmet. Hier kommen Glasbläser, Hinterglasmaler,
Schappelmacher, Schildmaler, Schnitzer
und Schindelmacher zu Wort.
Auf der Suche nach einem
„Wochenendhäuschen in Waldeinsamkeit“
Auf einer Wanderung ist der Filmemacher im Jahr
1975 auf dieses Kleinod gestoßen, zu dem nur ein
Fußweg hinführte. Zum damaligen Zeitpunkt noch
Junggeselle, wollte er sich den Traum eines
„Wochenendhäuschens in Waldeinsamkeit“ erfüllen,
Erzbischof Georg Gänswein bei der Weihe der Kapelle des
GriesgetHofs.
Es wurde ein Gottesdienst unter freiem
Himmel gefeiert, der Benediktussegen ausgesprochen,
das Wasser geweiht und mit ihm Boden, Wände und die
Heiligenfiguren des Kirchleins bespritzt (Foto unten).
Der GriesgetHof
– Vom Zauber eines Platzes
so Hermann Schlenker in seiner Autobiografie. Er
kommt mit den Bewohnern Elisabeth und Adolf
Fehrenbach ins Gespräch – die Faszination Griesget
nimmt ihren Lauf.
Wie sich diese zufällige Entdeckung weiter entwickelt,
davon legt ein von den Eheleuten Hoch sorgsam
gehütetes Fotoalbum der Schlenkers Zeugnis ab.
In diesem finden sich unzählige Fotografien
Hermann Schlenkers, die ursprünglichen Bewohner
des Griesget-Hofes zeigend: Adolf und Elisabeth,
genannt Liesel, Fehrenbach. Beschwerlich war das
Leben auf dem Hof, gab es doch nur besagten Fußweg
nach Nußbach hinunter. Liesel, im Griesget geboren,
war das mühsame, entbehrungsreiche Leben
gewohnt, war auf dem Schulweg den Unbilden des
Wetters, besonders in den damals noch wahrhaft
harten Wintern ausgesetzt. Nur wer die nötige Portion
Zähigkeit mitbrachte, konnte hier leben. Anrührend,
dass Liesels letzte verbliebene und geliebte
Kuh „Goldili“ ihre Stimme verstand und ihr wie ein
Hund folgte. Unter Tränen wurde sie verkauft.
Menschliche Gesellschaft gab es auf dem idyllisch
gelegenen Hof in einem stillen Seitental des
Landschaftsschutzgebietes Heidenstein-Lägerfelsen
eher selten. Wie bezeichnete Elisabeth Fehrenbach
doch verschmitzt ihre Beziehung zu den nächsten
Nachbarn? „Mit de Nochbere kunnt mer guet us,
wenn mer vo wiitem frindlig isch.“
Anrührend, dass Liesels
letzte verbliebene und
geliebte Kuh „Goldili“ ihre
Stimme verstand und ihr
wie ein Hund folgte. Unter
Tränen wurde sie verkauft.
Als die Mühen des Alltags zu groß wurden und
selbst der Pfarrer und der Doktor sich im Frühjahr
1976 einig waren: „Im nächsten Winter gehen wir
nicht mehr von Nußbach her zu Fuß da hinauf!“ – da
beschlossen Adolf und Elisabeth Fehrenbach, den
Hof an den Dokumentarfilmer Hermann Schlenker
zu übergeben. Weil, so Adolf Fehrenbach zu
Hermann Schlenker: „Du sollsch es kriaga, du bisch
d’r einzig wo’s au pflegt und a Freid dra het.“ Und somit
hatten rund ein Dutzend Kaufinteressenten das
Nachsehen.
Im Alter von 79 und 82 Jahren zogen die Fehrenbachs
schweren Herzens zu ihrer Tochter an den Bodensee.
Sie zögerten ihren Abschied vom geliebten
Hof so lange hinaus, dass sie es gerade noch vor dem
ersten Schneefall schafften. Besonders Liesel plagte
das Heimweh so sehr, dass es sie kurzfristig nicht
nur auf den kargen Griesget-Hof, sondern auch nach
Schwerer Abschied – für Elisabeth und Adolf Fehrenbach
geht das immer beschwerlichere Leben auf dem geliebten
GriesgetHof
im Spätherbst 1976 zu Ende: Mit Dackel
„Waldi“ ziehen sie an den Bodensee.
93
Von links oben: Der GriesgetHof
vor dem 1977 beginnenden
Umbau. Da eine Sanierung nicht möglich war, wurde
das Dach gestützt und darunter alles neu aufgebaut. Mit
einer Raupe baute sich Schlenker auch eine eigene Straße,
denn die gab es bis dahin zum Griesget nicht. Auch das
Kellergewölbe wurde originalgetreu neu aufgebaut.
Fotos rechte Seite unten: Tatkräftig unterstützt hat
Hermann Schlenker seine Ehefrau Anny Schlenker. Nach
der Fertigstellung war der GriesgetHof
eine beliebte
EventLocation
– auch für Porsche.
Nußbach zurückzog. Schließlich aber doch ihren Lebensabend
bei der Tochter am Bodensee verbrachte.
Gewaltige Anstrengungen beim Wiederaufbau
Voller Tatendrang ging Hermann Schlenker ans
Werk. Gemeinsam mit seiner Frau Anny wollte sich
Schlenker zunächst seinen Traum von einem
Wochenendhäuschen erfüllen. Kaum mit Renovierungsarbeiten
begonnen, erwies sich das Haus als
nicht „einfach“ zu renovieren – es musste großteils
abgerissen und der aus dem 18. Jahrhundert stammende
Wohnteil vollständig wieder aufgebaut
werden. Adolf Fehrenbachs optimistische Prognose:
„S’Dach wird au hebe, so lang i läb!“, bewahrheitete
sich leider nicht – gleich im ersten Winter sollte der
Firstbalken brechen.
Das alte Haus war nicht
unterkellert. 115 Sprengladungen
waren notwendig,
um bei bestehendem
Dach das Granitgestein im
Keller zu lösen.
Die Anstrengungen beim Wiederaufbau in den
70er-Jahren des letzten Jahrhunderts waren gewaltig.
Hermann Schlenker in seinem Bau-Tagebuch: „Abriss
und Wiederaufbau war im Landschaftsschutzgebiet
nicht erlaubt, also musste das Dach stehen bleiben.
Die Fundamente wurden mit dem Kompressor tief
in die Felsen eingearbeitet. Das alte Haus war nicht
unterkellert. 115 Sprengladungen waren notwendig,
um bei bestehendem Dach das Granitgestein im Keller
zu lösen.“ Mehr als zwei Jahrzehnte nahmen die
Arbeiten in Anspruch. Dass es dadurch nicht mehr
„nur“ ein Wochenendhäuschen für private Zwecke
bleiben konnte, liegt auf der Hand, es wurde ein
Seminarhaus, das man für verschiedenste Anlässe
mieten konnte. Fischteiche wurden angelegt und in
der geräumigen Tenne Platz geschaffen für Seminare
und Familienfeiern aller Art.
Wo zuvor nur Liesel und Adolf Fehrenbach mit
Dackel „Waldi“, Kuh „Goldili“ und unzähligen Katzen
in Abgeschiedenheit lebten, gelegentlich unterbrochen
von Besuchen der Nachbarn, von Waldarbeitern
oder Jägern, kehrte im Zuge der Umbaumaßnahmen
von Anny und Hermann Schlenker rege Betriebsamkeit
in das stille Tal ein. Schwere Baumaschinen
rollten an, eine große Helferschar fand ihren Weg
zum Hof: Die Fahrstraße hinauf zum Hirzwald wurde
gebaut, eine hochmoderne Kläranlage in Betrieb
genommen – dazu kamen die umfangreichen Arbeiten
am Griesget-Hof selbst. Es war ein unglaublicher
Kraftakt erforderlich. Der Neubau des Entenhäusles
und die Gestaltung der Außenanlagen folgten.
Und wie die Bilder zeigen, wurde auch ausgiebig
gefeiert, getrunken und geschlemmt. Die Geburtstagsfeier
eines Freundes der Schlenkers im Griesget
war die Initialzündung für weitere gesellige Angebote.
Neben zahlreichen Helferfesten, Familienfeiern
waren es in der Folge Seminare und Teambuilding-
Aktivitäten namhafter Firmen wie Mercedes, Porsche
oder der Landesbausparkasse. Siebzehn Jahre war
Anny Schlenker für das leibliche Wohl der Gäste zuständig,
trug dadurch maßgeblich zur besonderen
Atmosphäre des Griesget-Hofes bei. Die Umsorgten
hochzufrieden und gerne wiederkommend. Der
Ideenreichtum und das Improvisationstalent Anny
Schlenkers war hier mehr als einmal gefordert.
„Romantischer Schwarzwaldhof“
Eine von den Eheleuten Schlenker und heute von
den Hochs gepflegte Webseite preist den Griesget-
Hof als einen „romantischen Schwarzwaldhof im
Grünen“ an. Man dürfe sich auf ein „gepflegtes
Landhaus mit 46 Betten nebst „Gewölbekeller“ und
„bestes Trinkwasser aus eigenen Quellen“ freuen.
Um besagte Quellen überhaupt erschließen zu können,
engagierten die Schlenkers einen Rutengänger:
den damaligen Furtwanger Totengräber.
Was mit Anny und Hermann Schlenker begonnen
hat, wird heute von Maria und Markus Hoch mit
großem Engagement weitergeführt: Die Gäste des
Griesget-Hofes dürfen auf angenehmen Komfort vertrauen.
Sie finden eine voll ausgestattete moderne
Gastroküche vor, einen Speiseraum, acht Bäder mit
Dusche und WC, den Gewölbekeller und eine großzügige
Tenne. Somit insgesamt betrachtet einen
anheimelnd-gemütlichen und für bis zu 100 Personen
geeigneten Veranstaltungsort.
Die Mühe lohnt sich, Gästen aus nah und fern
dieses schöne Fleckchen Erde für ein Wochenende
zur Verfügung zu stellen – gerne auch für einen
längeren Zeitraum. Und dieses Idyll somit nicht nur
für sich selbst zu beanspruchen. „Schauen Sie sich
um!“, bringt es Markus Hoch auf den Punkt. Und
ergänzt: „Bevor wir abends zurückfahren in unser
Zuhause, genießen wir die Ruhe und den Frieden
dieses Bilderbuch-Seitentales, schauen hinauf zum
Heidenstein und werfen dem Sternenhimmel einen
letzten Blick zu.“
Diesen Worten kann Maria Hoch nur zustimmen.
Sie ist es, die morgen erneut im Griesget nach dem
Rechten sieht, die Kapelle aufschließt und die munteren
Forellen im hinteren Teich beobachtet.
Weitere Informationen zum
Griesget-Hof finden sie im
Internet unter:
www.griesget-hof.de
Unten: Das Dachgeschoss des GriesgetHofs
eignet sich
für Feiern von bis zu 100 Personen.
Rechte Seite:
Der GriesgetHof
(links) und das Entenhäusle.
Unten: Blick in eines der gemütlichen Schlafzimmer.
96
97Der GriesgetHof
– Vom Zauber eines Platzes Der GriesgetHof
– Vom Zauber eines Platzes
LUKAS DUFFNER – MIT SICH UND
DER WELT IM REINEN
AUF DER OFENBANK
MIT DEM „ROTE BUR“
VON WILFRIED DOLD
Der Landwirt Lukas Duffner war Gemeinderat,
dienstältester Kreisrat im Schwarzwald-Baar
Kreis und ist eines der ältesten SPD Mitglieder in
Deutschland. Er war nahezu sein ganzes Leben
lang politisch aktiv und trat und tritt couragiert
für die Belange seines Berufsstandes ein. Im
95. Lebensjahr stehend, zeichnet er im Gespräch
auf der Ofenbank des Reinertonishofs den Weg
eines Obst- und Weinbauernsohnes aus Ettenheim
in den damals ungeheuer schneereichen Schwarz
wald bei Schönwald nach.
Hofgeschichten
99
„Ich bin z’friede.“ Der „Rote Bur“ schaut sich in der Bauernstube des
Reinertonishofes um und rät: „Reg dich net über Sache uf, die du eh nit ändere
kasch. Aber bis mutig, wo sich was mache lässt. Ich sag Dir, es gi’t Leut, die
hen ei’fach keinen Mumm!“ Lukas Duffner hat ein Leben lang „Mumm“ bewiesen.
Sein Parteifreund Willy Brandt würde ihm da zweifelsfrei zustimmen: Der
frühere Bundeskanzler hat den SPDler aus Schönwald einst als Berater in Sachen
Landwirtschaft spontan in Regierungskreise mitgenommen. Und geschätzt hat
er auch den Schinken, den ihm der „Rote Bur“ zu einem Wahlkampfauftritt in
Schwenningen oder anderswohin mitbrachte. Am 6. September 2024 feierte
Lukas Duffner an der Seite seiner Frau Marianne den 95. Geburtstag. Umgeben
von neun Kindern, 18 Enkelkindern und 14 UrEnkeln,
von denen zwei im Augenblick
in der Bauernstube mit der Katze spielen. Lukas Duffner steht mitten im
Leben. Ihn freut, dass er sich von seiner Großfamilie umsorgt weiß und so gut
wie alles noch machen kann, was er eben machen will – aber nicht mehr muss.
Mit seiner Ehefrau Marianne lebt er im Altenteil des Schneiderjockenhofes
in Schönwald, 400 Meter vom Museumsbauernhof Reinertoni entfernt, der
maßgeblich zur Existenz der Familie beiträgt.
Eine verbotene Jagd
Die Ofenbank-Gespräche führen in die Kindheit und
Jugend in Ettenheim zurück. Lukas Duffner wird dort
am 6. September 1929 als drittes Kind des Obst- und
Weinbauern sowie Blechners Anton Duffner und
seiner Frau Karoline geboren. Er wächst zur Zeit des
Dritten Reichs und somit im Zweiten Weltkrieg auf
Allein sein jugendliches Alter schützt ihn vor einem
Einsatz an der Front, an der sein 19 Jahre alter Bruder
kurz vor Kriegsende fällt. Der Vater ist zu Zwecken
der Kriegswirtschaft abgestellt.
Das letzte Aufbäumen von Nazi-Deutschland
erlebt der Ettenheimer 1944 als Mitglied der Hitlerjugend
im Elsass, dort ist der 15-Jährige dem
Jagdgeschwader Udet unterstellt. „Die hatten nicht
ein einziges Flugzeug mehr“, merkt er an. Vom
Kriegsende erfährt Lukas Duffner im April 1945 in
Triberg bei einer Schulung der Hitlerjugend. Die
Anweisungen sind klar: Jeder soll sich auf eigene
Faust in seine Heimat durchschlagen. Und tatsächlich
gelingt es Lukas Duffner, unbehelligt Ettenheim
zu erreichen. Er unterstützt jetzt wieder die Mutter
beim Obst- und Weinbau. Und jagt im Weinberg der
Familie trotz Verbot der Besatzungsmacht mit einem
automatischen Gewehr nach Wild. Dabei wird er von
französischen Soldaten „g‘schnappt“ und im Ettenheimer
Gymnasium eingesperrt.
Die vier Jahre ältere Schwester Antonia „haut den
Bruder schließlich raus“. Als Köchin versorgte sie zu
Kriegszeiten in einem Krankenhaus bei Lahr hochrangige
französische Gefangene an den Wachmannschaften
vorbei mit Sonderrationen. Das erzählt sie
den Soldaten, die ihren Bruder weggesperrt haben –
und erreicht seine Freilassung.
Kurz darauf jagt Lukas Duffner erneut im Weinberg
der Eltern, weil es der Familie ständig an
Nahrung fehlt. Prompt wird er wieder ertappt. Ihm
gelingt es, sich der Verhaftung mit einer Flucht
durch die Weinberge zu entziehen. Und weil er das
Gefängnis fürchtet, versucht der nunmehr 17-Jährige
per Zug in die amerikanische Zone zu entkommen.
Kurz vor Karlsruhe allerdings muss er die Eisenbahn
fluchtartig verlassen, entgeht mit viel Glück der
Verhaftung durch die französische Feldgendarmerie.
Lukas Duffner unterwegs mit seinem Unimog, der auch zur Schneeräumung eingesetzt wird. Es handelte sich um den ersten
Unimog im Großraum Schönwald überhaupt.
Ein „paar Wochen“ im Schwarzwald
verändern das gesamte Leben
Doch das Schicksal meint es gut mit ihm: Der Ettenheimer
lernt zwei Tage später einen Mann namens
Bonnert kennen, der ihn „für ein paar Wochen“ bei
sich in seiner Heimat Schonach aufnimmt. Für Lukas
Duffner verändern diese Wochen im Schwarzwald
das gesamte Leben: Er verliebt sich in Alma Dold
vom Schneiderjockenhof in Schönwald. Dort fehlt es
zudem an einem Sohn und damit am Nachfolger. Als
das junge Paar 1950 in der Triberger Wallfahrtskirche
heiratet, ist endgültig besiegelt, dass der einzig
verbliebene Sohn der Duffners nicht den elterlichen
Obst- und Weinbau in Ettenheim übernimmt, sondern
den seit 1756 im Familienbesitz befindlichen
Schneiderjockenhof. Somit bestimmen fortan Milchviehhaltung
und Waldwirtschaft den Alltag von Lukas
Duffner und seiner Frau Alma.
„Für mich war das ein völlig anderes Leben“,
blickt er zurück. Den milden Kaiserstuhl tauscht er
gegen den mit Schneemassen „gesegneten“ und
kalten Schwarzwald ein. Schaut unvermittelt auf
und meint: „Des kann ich Dir sage, Schnee gab es
in Schönwald und drum herum wie Sand am Meer!“
Der „Rote Bur“ verlässt die Ofenbank und setzt sich
schräg gegenüber in den Herrgottswinkel, weil es
dort bequemer ist. Lukas Duffner wäre nicht Lukas
Duffner, wenn sich mit den Schneemassen nicht ein
Geschäft machen ließe … In Schönwald wird zu dieser
Zeit noch mit Ross und Ochs gebahnt. Was aber,
wenn man den damals üblichen Spitzpflug vor einen
der neuartigen Unimogs spannt? Vor einen Unimog,
der sich das ganze Jahr über auch für den lukrativen
Transport von Gütern jeder Art einsetzen lässt?
Gesagt, getan: Lukas Duffner kauft den ersten
Unimog im Großraum Schönwald, beginnt mit dem
Gütertransport und übernimmt zudem die Schneeräumung.
Damit verdient er gutes Geld, wie er
unumwunden einräumt. Und er stellt den Schneiderjockenhof
von der wenig lukrativen Milchwirtschaft
auf Mutterkuhhaltung und damit auf Fleischzucht
um. Was Milchwirtschaft an harter Arbeit bedeutet
und wie wenig sie einbringt, erlebt er als Jungbauer:
Frühmorgens wird gemolken und mit dem Ochs im
Auf der Ofenbank mit dem „Rote Bur“
101
Auftrag der Milchgenossenschaft die Rohmilch in
Kannen durch Schönwald gefahren – verkauft wird
sie vom Fuhrwerk weg. Dann wird die Pasteurisierung
von Milch und Milchprodukten zur Vorschrift,
das Milchgeschäft verändert sich. Jetzt bringt er täglich
die Milchausbeute von Schönwald zum Pasteurisieren
nach Triberg, erst danach darf sie verkauft
werden.
Auf zur modernsten Landwirtschaftsausstellung
der Welt in London
Alle fünf Jahre findet in den 1950er-Jahren die größte
und modernste Landwirtschaftsausstellung der
Welt in London statt. Ein Landwirt aus Gutach, der
im Zweiten Weltkrieg in Kanada Kriegsgefangener
war, berichtet Lukas Duffner begeistert davon. Und
ebenso von den Vorzügen der in Kanada gehaltenen
Angus-Rinder. So fliegen die beiden nach London,
dort lässt sich Lukas Duffner von dieser speziellen
Rindersorte endgültig überzeugen, die bei bester
Fleischqualität zudem ohne fremde Hilfe ihre Kälber
zur Welt bringt.
Lukas Duffner kauft in Bayern einen Angus-
Bullen, der seine Mutterkühe besamt. Eine Entwicklung,
die den „boxbeinigen Schwarzwäldern“ in der
Heimat Schönwald so gar nicht gefällt. Sich aber
durchsetzt – bis zum heutigen Tag. Schon seit bald
sechs Jahrzehnten grast auf den Wiesen des Schneiderjockenhofs
im Schönwälder Schwarzenbachtal
eine stattliche Herde an Angus-Rindern. Die Familie
züchtet ihre Deutsch-Angusrinder bis heute mit
eigenem Deckbullen.
Wie der „Rote Bur“ zu seinem Namen kommt
Anfangs der 1960er-Jahre ärgert sich Lukas Duffner
darüber, wie übergeordnete Behörden mit seinem
Berufsstand umgehen und die Bauern im Schwarzwald
schlicht bevormunden. So kandidiert er 1965
auf der Liste der SPD für den Kreistag und wird auf
Anhieb gewählt. Im damaligen Landkreis Villingen
setzt er sich für seinen Berufsstand und den Straßenbau
engagiert ein, versteht sich als Anwalt der
Bürger und kämpft mit harten Bandagen.
Was Lukas Duffner besonders auszeichnet, ist
seine Fähigkeit, über sämtliche Parteigrenzen hinweg
Freundschaften und Allianzen zu schmieden.
An eine Fahrt nach Bonn
erinnert sich der „Rote Bur“
besonders: Willy Brandt
nimmt ihn sozusagen „vom
Bus weg“ als Berater in
Landwirtschaftsfragen zu
einer Kabinettssitzung mit.
Als sich 1973 der Schwarzwald-Baar-Kreis gründet,
freundet er sich u.a. mit dem Bad Dürrheimer
CDU-Bürgermeister Otto Weissenberger an. Und
Weissenberger tauft Lukas Duffner in Anspielung
auf dessen SPD-Mitgliedschaft aus einer Laune des
Augenblicks heraus spontan als „Roten Bur“. Der
Name bleibt und ist zur „Marke“ geworden.
Dabei ist Lukas Duffner anfangs ein SPD-Mitglied
„wider Willen“: Sein Vater war der Partei noch vor
dem Ersten Weltkrieg während einer vorübergehenden
Anstellung in Berlin beigetreten. Das Ungleichgewicht
bei der Bezahlung von Arbeitern ist ihm ein
Dorn im Auge. Als 1929 Sohn Lukas das Licht der
Welt erblickt, meldet ihn der Vater schon in jungen
Jahren als SPD-Mitglied an. Davon erfährt der „Rote
Bur“ allerdings erst, als er sich aus eigenem Antrieb
für die Sozialdemokratie einsetzt und Mitglied werden
will.
1966 gründet er den SPD-Ortsverein Schönwald.
Kurz darauf erweckt er bei einer Parteiveranstaltung
in München als streitbarer Landwirt das Interesse
des damaligen Außenministers und Vizekanzlers
Willy Brandt, die beiden machen sich bekannt und
tauschen sich politisch aus. Und wenn Lukas Duffner
mit Parteifreunden künftig im Bus zur SPD-Zentrale
nach Bonn fährt, sind Begegnungen mit Willy Brandt
wann immer möglich eingeplant. An eine Fahrt nach
Bonn erinnert sich der „Rote Bur“ besonders: Brandt
nimmt ihn sozusagen „vom Bus weg“ als Berater in
Landwirtschaftsfragen zu einer Kabinettssitzung mit.
Und als Willy Brandt bei einer Wahlveranstaltung in
Schwenningen spricht, vermacht ihm Lukas Duffner
einen Schwarzwälder Schinken aus Eigenproduktion.
Lukas Duffner schafft als erster Landwirt der Region für den Schneiderjockenhof Angusrinder an und züchtet sie. Großen
Erfolg hat er mit Kutschfahrten und Ponyreiten für Feriengäste. In seiner Brennstube beim Reinertonishof entsteht Hochprozentiges.
Sehr zur Freude des späteren Friedensnobelpreisträgers
und Bundeskanzlers.
Allein mit sieben Kindern
Lukas Duffner ist mittlerweile Gemeinderat von
Schönwald, sitzt im Kreistag des Schwarzwald-Baar-
Kreises und ist nicht zuletzt dank seiner Bekanntschaft
mit Willy Brandt auch in Parteikreisen kein
Unbekannter mehr. Damit empfiehlt er sich geradezu
für eine Kandidatur für den Landtag von Baden-
Württemberg. Doch jetzt schlägt erbarmungslos das
Schicksal zu: Seine Ehefrau Alma erkrankt schwer
und stirbt, Lukas Duffner bleibt mit sieben Kindern
zurück, von denen drei bereits volljährig sind und
die jüngste Tochter noch den Kindergarten besucht.
Unter diesen Vorzeichen ist ihm ein Einstieg in die
Landespolitik unmöglich.
Zwei Jahre ziehen ins Land, in denen es Lukas
Duffner dank der gemeinsamen Hilfe seiner Kinder
gelingt, das Leben der Familie zu stabilisieren. Bei
seinen vielen Aktivitäten unterstützt ihn seit seinem
17. Lebensjahr besonders sein Sohn Siegfried. Der
staatlich geprüfte Land- und Forstwirt hält ihm den
Rücken frei.
Dann lernt er mit Marianne Warden seine heutige
zweite Ehefrau kennen. Sie weilt mit ihrem kranken
Sohn in Schönwald zu einem Kuraufenthalt und geht
Auf der Ofenbank mit dem „Rote Bur“
103
mit ihm täglich zum Ponyreiten beim Schneiderjockenhof
von Lukas Duffner. Reiten auf großen und
kleinen Pferden (Ponys) sowie Kutschfahrten bieten
die Duffners auf dem Schneiderjockenhof bereits
seit den 1950er-Jahren an.
So nimmt das Schicksal seinen Lauf – doch
Marianne, die in Düsseldorf bei einem Ministerium
angestellt ist, macht es dem Landwirt aus Schönwald
nicht leicht: Von Düsseldorf ins bäuerliche Schönwald,
das ist ein großer Schritt! Wieder daheim in
Düsseldorf, erhält sie regelmäßig am Wochenende
Besuch von Lukas Duffner und die Entscheidung fällt
bald: 1979 wird geheiratet, beide haben sie es bis
zum heutigen Tage nicht bereut.
Der Reinertonishof steht in Flammen,
die Existenz ist vernichtet
Das Gespräch im neuen Reinertonishof kann ein
Thema nicht aussparen: In den Morgenstunden des
21. Januar 2006 brennt der 387 Jahre alte Reinertonishof,
der von zwei Jugendlichen aus der Nachbarschaft
angezündet wird. Die rund um den Hof
herum auch noch Bäume fällen, um der Feuerwehr
den Weg zur Brandstelle unmöglich zu machen.
Schließlich können immerhin die Tiere aus den Flammen
gerettet werden, das einzigartige Kulturdenkmal
und Ziel unzähliger Busreisen von Tagestouristen
allerdings ist vernichtet – und damit auch die
Existenzgrundlage der Familie Duffner.
Zur Vorgeschichte: Vom Schneiderjockenhof liegt
der „Reinertoni“ nur 400 Meter
entfernt – von dessen Verkauf erfährt
Lukas Duffner 1980 allerdings
aus der Frankfurter Zeitung …
Lukas und Marianne Duffner erwerben
den Hof, erkennen die
touristischen Möglichkeiten und
sanieren ihn bei großer Unterstützung
durch das Landesdenkmalamt
und des Schwarzwald-Baar-Kreises
mustergültig. Als Kulturdenkmal
von 1619 wird der Heidenhof mit
seiner über 400 Jahre alten Küche
in das Denkmalbuch Baden-Württemberg
eingetragen, er entwickelt
sich aus dem Stand zu einer viel
besuchten Attraktion.
Lukas und Marianne
Duffner kaufen 1980 den
Reinertonishof, erkennen
die touristischen Möglichkeiten
und sanieren ihn
mustergültig.
Glücklicherweise kommt es nach der Brandstiftung
im Jahr 2008 zum Neuaufbau des Reinertonishofes,
der im Oktober 2012 abgeschlossen ist. Der
Wiederaufbau ist allein den Söhnen und Enkeln,
besonders aber dem Zimmermeister Ludwig Duffner
und dem hauptverantwortlichen Hoferbauer
Siegfried Duffner mit der Architekten IB Schweizer
aus Blumberg zu verdanken. An seiner Seite weiß
Siegfried Duffner seine Ehefrau Ute, die Tochter der
zweiten Frau Marianne von Lukas Duffner. Beteiligt
sind alle Söhne und Enkelsöhne. Zu dieser Zeit befinden
sich einige von ihnen noch in der Ausbildung.
„Das war einmalig“, freuen sich Lukas Duffner und
Ehefrau Marianne. Wieder ist der Reinertonishof als
Museum und zusätzlich als Location für Veranstaltungen
wie Hochzeiten konzipiert. Er ist eine Außenstelle
des Standesamtes der Gemeinde Schönwald,
eine Überraschung des damaligen Bürgermeisters
Hans-Georg Schmidt zur Eröffnung.
Der neue Reinertonishof kann im Oktober 2012 in Betrieb genommen werden.
Oben: Der im Januar 2006 abgebrannte Reinertonishof mit den Besitzern Marianne und Lukas Duffner.
Unten: Den Wiederaufbau des Museumsbauernhofes ermöglichen die Kinder der Duffners im Rahmen eines großartigen
Arbeitseinsatzes. Die Großfamilie Duffner um Lukas und Marianne Duffner (sitzend) sowie Ute und Siegfried Duffner
(hinten Mitte stehend) hat gemeinsam den Reinertonishof in Schönwald aus Brandruinen zu neuem Leben erweckt. Links
Simon und Stefan, rechts MarkAnton
und Sebastian Duffner.
Landrat Sven Hinterseh (links) überreichte den Duffners
im Namen des Landkreises zur Eröffnung des neuen
Reinertonishofes ein gusseisernes Wappen des Großherzogtums
Baden.
Nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an
Lukas Duffner im Jahr 2008 in der Villa Reitzenstein wurde
gefeiert und das „Badnerlied“ intoniert. Am Klavier
Ministerpräsident Günther Oettinger, daneben Lukas
Duffner und MdL Karl Rombach (CDU).
Zur Eröffnung des neuen Museumsbauernhofes
„Reinertoni“ kommt viel Prominenz, darunter der
frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg
und damalige EU-Kommissar Günther Oettinger.
Und er stellt wie Landrat Sven Hinterseh fest: „Die
Duffners haben gemeinsam eine fürwahr ungeheure
Arbeitsleistung erbracht“.
Das „Badnerlied“ in der Villa Reitzenstein
Mit Günther Oettinger fühlt sich Lukas Duffner auch
in anderer Hinsicht verbunden. Als ihm der Ministerpräsident
im Jahr 2008 das Bundesverdienstkreuz
verleiht, zieht sich die große, eigens aus dem
Schwarzwald-Baar-Kreis angereiste Festgesellschaft
um Lukas Duffner nach dem offiziellen Teil des
Abends in den zweiten Stock der Villa Reitzenstein
zurück. Es wird „privat“: Günther Oettinger setzt sich
ans Klavier und stimmt zusammen mit Lukas Duffner
und seinen Gästen das „Badnerlied“ an. Der „Rote
Bur“ strahlt noch heute, wenn er diese Geschichte
zum Besten gibt.
Kurz überlegt er, lächelt spitzbübisch – dann
gibt Lukas Duffner auch die Geschichte vom Ski-
langlaufen mit Ministerpräsident Erwin Teufel zum
Besten. Der Ortenauer, der seiner Frau Alma zuliebe
als junger Mann im Schwarzwald das Skifahren erlernte,
ging bei der Eröffnung des Fernskiwanderweges
Schonach-Belchen mit weiteren Prominenten
gleichfalls an den Start. Darunter auch Erwin Teufel.
„Doch dem Erwin ging schon auf der Martinskapelle
die Puste aus“, lacht der „Rote Bur“. Und hängt hintendran:
„Ich bin natürlich durchgelaufen.“ Doch um
keine Zweifel aufkommen zu lassen: Mit Erwin Teufel
verbindet den „Roten Bur“ eine echte Freundschaft,
beide kennen und schätzen sich seit „einer Ewigkeit“.
So leicht wie früher geht ihm mit 95 Jahren
die Arbeit nicht mehr von der Hand
Nach wie vor ist Lukas Duffner nicht nur bei der
Arbeit in Schönwald, sondern auch in seinem
terrassenförmig angelegten Weinberg in Ettenheim
zu finden, wo Trauben für Müller-Thurgau und Ruländer
geerntet werden. Doch so leicht wie früher gehe
ihm die Arbeit dort nicht mehr von der Hand, das
Alter fordere eben seinen Tribut. In Schönwald sitzt
er gerne im Vesperhäusle Reinertoni, der Gaststätte
der Schwiegertochter Ute Duffner – erzählt die Geschichten
von früher und kommentiert die Tagespolitik
(„So schlecht ist der Scholz als Kanzler nicht…“).
Allein sitzt der „Rote Bur“ nie am Tisch, seine Nähe
wird wie eh und je gesucht.
Und er fährt Ehefrau Marianne und sich mit
dem Auto umher… obwohl ihm unlängst angeraten
wurde, den Führerschein besser zurückzugeben. Ein
Bagatell-Unfall auf einem Parkplatz löste bei einem
Polizisten Zweifel an der Fahrtauglichkeit aus und er
verlangte auf freiwilliger Basis deren Überprüfung.
Sowohl die Chefin des Gesundheitsamtes als auch
der Ohrenarzt und ein Fahrlehrer bescheinigen Lukas
Duffner dann, dass er mit seinen nunmehr 95 Jahren
geistig fit ist, gut hört und einwandfrei ein Auto
steuern kann. Was er bei gleich zwei Fahrstunden
unter Beweis stellte, wie er stolz anmerkt.
Beim Streifzug durch sein Leben kommt Lukas
Duffner immer wieder neu auf das Thema Bildung zu
sprechen. Er unterstreicht, welch große Bedeutung
die Schulstadt Furtwangen für die hervorragende
schulische und berufliche Ausbildung seiner Kinder
hatte. „Die haben dort alle viel gelernt“, freut er sich.
Gerade bei Kreistagssitzungen wird ihm als
„Volksschüler“ immer wieder neu bewusst, dass
wer über eine entsprechende Bildung verfügt, sich
politisch deutlich gewählter artikulieren kann. Aber
man muss sich halt zu helfen wissen – und ein wenig
Bauernschläue gehört dazu: So notiert er sich
die Fremdworte, die Kreistagskollegen bei ihren
Ansprachen benutzen. Zuhause schlägt er im Lexikon
nach, was dieser oder jener Ausdruck so alles bedeutet
… Und gebraucht die Formulierungen schließlich
auch selbst.
Das erzählt er mit größter Selbstverständlichkeit
– der „Rote Bur“ braucht sich nicht zu verstecken.
Der Rebell aus dem Schwarzenbach ist über
sämtliche Parteigrenzen hinweg geachtet: Dienstältester
Kreisrat im Schwarzwald-Baar-Kreis, Gemeinderat
und SPD-Vorsitzender in Schönwald, eines
der ältesten SPD-Mitglieder in Deutschland – und
unzählige Ehrungen. Von der SPD erhielt er die Willy
Brandt-Medaille, ist dort seit über 75 Jahren Mitglied.
Und es darf zuguterletzt die eine Frage nicht fehlen.
Die, was er von den jüngsten Bauernprotesten
hält? Da war der „Rote Bur“ nicht dabei – das ist
einerseits dem Alter geschuldet. Aber eben auch der
Tatsache, das einige die Proteste als ein Aufbegehren
Unsere Demokratie,
die müssen wir
entschieden verteidigen“,
hält Lukas Duffner
unmissverständlich fest.
gegen die Demokratie und die europäische Freundschaft
missbraucht hätten. Sein Zeigefinger stellt
sich ganz geschwind aufrecht, unterstreicht in seiner
Hab-Acht-Stellung die Worte, die folgen: „Unsere
Demokratie, die müssen wir entschieden verteidigen“,
hält der „Rote Bur“, hält Lukas Duffner unmissverständlich
fest.
Wer nun denkt, da spricht einer, der außer Schönwald
so gut wie nichts von unserer Welt gesehen
hat, der täuscht sich: Mit dem „Duffi-Fanclub“ war er
1994 beispielsweise in Lillehammer bei den Olympischen
Spielen dabei. Christoph Duffner gewann dort
mit Dieter Thoma, Jens Weißflog und Hansjörg Jäkle
die Goldmedaille im Teamskispringen. In Rom war
er, um den Papst zu treffen, badete im Toten Meer,
durchquerte mit der Transsibirischen Eisenbahn
Russland, besuchte Ungarn und Frankreich im Rahmen
von Partnerschaften und stand in Begleitung
eines Sohnes ebenso an der Chinesischen Mauer.
Bald drei Stunden auf der Ofenbank und dann im
Herrgottswinkel sitzend, um Erlebtes aus 95 Jahren
zu schildern – es kann dennoch nur ein Streifzug
durch ein ereignisreiches Leben sein. Lukas Duffner
zeigt sein verschmitztes Lächeln, schaut hinüber zur
Ofenbank und stellt fest: „Ich war immer am schaffe
– ich bin mit mir und der Welt im Reinen!“
Ob’s zum Abschied ein selbst gebranntes
Schnäpsle sein darf?
Weitere Beiträge über Lukas
Duffner und den Reinertonishof
finden Sie hier:
Auf der Ofenbank mit dem „Rote Bur“
Doldenhof in Rohrbach
DEN CHARME DER
VERGANGENHEIT MIT
LIEBE BEWAHRT
VON ROLAND SPRICH
Doldenhof in Rohrbach
DEN CHARME DER
VERGANGENHEIT MIT
LIEBE BEWAHRT
VON ROLAND SPRICH
108Hofgeschichten108
Der erstmals um 1200 erwähnte Doldenhof in Rohrbach bei Furtwangen –
1885 nach einem Brand neu aufgebaut – wurde durch Björn und Melanie
Linhard mit großer Liebe zum Detail aufwendig restauriert. Im Innern
scheint die Zeit seit 140 Jahren stehengeblieben zu sein. Mustergültig geriet
auch die Hofkapelle (links).
W
W
enn Björn und Melanie Linhard den Schlüssel
zu dem alten Bauernhaus umdrehen,
fühlen sie sich sofort in ein anderes
Jahrhundert zurückversetzt. Die abgenutzten
Dielenbretter in der Wohnstube knarzen, der alte
Kachelofen strahlt behagliche Wärme aus. Wie viele
Menschen mögen wohl im Laufe der vergangenen
140 Jahre über diesen Boden gelaufen, wie viele
Generationen an kalten Wintertagen und -nächten
auf der Ofenbank gesessen und sich gewärmt
haben? In der von der Wohnstube aus erreichbaren
Küche steht ein alter Herd auf rot-gelb gefliestem
Boden.
Die Stiegen zu den oberen Stockwerken knarzen
ebenfalls, die ganze Szenerie des Stiegenhauses
hat die Patina der Bauzeit. Und die beiden Schlafkammern
im Obergeschoss sehen aus, als ob sie
seit mindestens einem halben Jahrhundert niemand
mehr betreten hat. „Das sind die Kammern auch tatsächlich
nicht. Seit vor etwa 50 Jahren der damalige
Bewohner hier gestorben ist, wurden diese Zimmer
nicht mehr genutzt und es wurde nichts verändert“,
erzählt Björn Linhard. Der Vorbesitzer bewohnte nur
die unteren Räume des großen Anwesens. Lediglich
die Hofkatze hat hier uneingeschränktes Hausrecht
und stromert selbstbewusst durch die Räume. Sie
Die abgenutzten
Dielenbretter in der
Wohnstube knarzen, der
alte Kachelofen strahlt
behagliche Wärme aus.
Wie viele Menschen
mögen wohl an kalten
Wintertagen und nächten
auf der Ofenbank gesessen
und sich gewärmt haben?
ist vermutlich das einzige Lebewesen, das auf ihrer
Patrouille jeden Winkel des Hauses regelmäßig aufsucht.
Für die Linhards erfüllt sich 2013 ein Traum
Björn Linhard und seine Frau Melanie sind seit 2013
Besitzer des Doldenhofs, dem laut Ortschronik
Björn und Melanie Linhard im mit SchwarzwaldAntiquitäten
liebevoll ausgeschmückten Speicher des Doldenhofes.
Zur Geschichte des Doldenhofes
Der Doldenhof war einer der ersten Höfe, als um
1200 herum mit der Besiedelung Rohrbachs
begonnen wurde. Als Obergutlehenhof gehörte er,
wie viele andere, zum Klosterbesitz des Klosters in
St. Georgen. Später gehörte der Hof durch
Grundstückstausch über mehrere Jahrhunderte
zum Kloster St. Margarethen in Waldkirch.
Erster erwähnter Besitzer war Bartle Kaltenbach,
der den Hof um 1512 bewirtschaftete. Den Namen
fünften Hof im Obertal von Rohrbach, grob zwischen
St. Georgen und Schönenbach bei Furtwangen
gelegen. Und das kam so: Der Vorbesitzer Erwin
Scherzinger hatte keine Nachkommen. Er lebte mit
seiner Schwester, die vor längerer Zeit starb, allein
auf dem großen Hof. Da ihm die Bewirtschaftung
mit dem Alter zu viel wurde, suchte er nach einem
Nachfolger. Und so gab es 2010 zunächst Gespräche
mit den Linhards. „Meine Mutter war eine von vielen
Cousinen des Besitzers“, erklärt Björn Linhard. Man
wurde sich einig. Und für das junge Ehepaar erfüllte
sich ein Traum, als sie den Hof 2013 übernehmen
konnten.
Doldenhof erhielt der Hof erst später, nachdem der
Hof ab Ende des 17. Jahrhunderts von vielen Familien
des Namensgeschlechts Dold bewohnt und bewirt
schaftet wurde. 1874 kaufte Fortunat Kienzler aus
Gremmelsbach den Hof. Zu dieser Zeit wird er zu
sammen mit einem „Doldenhäusle“ auch in „Meyers
Orts- und Verkehrslexikon des deutschen Reichs“ er
wähnt. 1884 brannte der Hof komplett ab und wurde
ein Jahr später wieder aufgebaut (siehe Foto).
Zum Rohrbacher Doldenhof gehörten damals
mehr als 50 Hektar Land.
350 Festmeter heimisches Holz verarbeitet
Schon kurz darauf wurde begonnen, den Hof mit
Einverständnis des früheren Besitzers und dessen
tatkräftiger Unterstützung zu sanieren. In den
Folgejahren wurde das Gebäude quasi einmal „auf
links gedreht und aufwendig von außen saniert. Das
Dachgebälk musste teilweise erneuert werden, auch
das Mauerwerk, vor allem in Richtung Hang, erwies
sich als marode. Das Dach wurde neu eingedeckt.
Dabei sei den Bauherren immer wichtig gewesen,
den ursprünglichen Charakter des Gebäudes so gut
es ging zu erhalten. Auch das Fachwerk wurde
saniert, um den historischen Touch des Gebäudes zu
Doldenhof in Rohrbach
Der Doldenhof am Beginn seiner Sanierung.
unterstreichen. „Insgesamt haben wir 350 Festmeter
Holz, Fichte und Tanne aus heimischem Wald
verbaut“, zeigt Björn Linhard den Kraftakt auf. Vieles
davon haben die handwerklich begabten Linhards
selbst und mit Unterstützung aus der Familie
gemacht. „Aber wir hatten auch gute Handwerker an
der Hand.“
Im Hofinnern hat sich nichts verändert
Zehn Jahre sind seit Beginn der Restaurierungsarbeiten
vergangen. Heute ist der Doldenhof äußerlich
ein wahres Schmuckstück. Innen dagegen wartet das
Interieur noch geduldig darauf, aufgewertet zu
werden. Denn hier wurde nach dem Tod von Erwin
Scherzinger, der den Hof nach dem Tod seines Vaters
Adolf 1969 übernahm und der bis 2017 auf dem
Doldenhof lebte, so gut wie nichts verändert. Das
alte Sofa mit dem abgewetzten Stoff, auf dem der
Vorbesitzer noch regelmäßig seinen Mittagsschlaf
hielt, steht ebenso noch da, wie das Saba-Radio. An
der Hausfassade hängt ein Kruzifix. Der Korpus
stammt von einem alten Wegkreuz, das viele Jahre
an der Einfahrt zum Hof stand. Das Kreuz selbst war
verfault und wurde von den Linhards durch ein
neues ersetzt. Jetzt wacht der Herrgott am Kreuz
über das Anwesen.
Wenngleich der Doldenhof ein paar Jahrhunderte
auf dem Buckel hat und ein typischer Schwarzwaldhof
ist, so sieht er optisch nicht aus wie die „typischen“
Schwarzwaldhöfe mit heruntergezogenem
Walmdach. „Es war eine Zeit lang modern, solche
Dachformen zu bauen“, weiß Björn Linhard.
Früher wurde auf dem Hof auch Landwirtschaft
betrieben. Doch die ist schon lange aufgegeben, in
den alten Stallungen des Ökonomiegebäudes hat
sich Björn Linhard eine geräumige Werkstatt eingerichtet.
Mit der Innensanierung der Wohnräume haben
es die Linhards nicht eilig. Sie genießen den Charme
der Vergangenheit, der sich in der gesamten Einrichtung
widerspiegelt. „Wir haben derzeit keinen
Bedarf, groß etwas zu verändern. Die Räume haben
überall Stockhöhe von zwei Metern, was absolut unüblich
war für die damalige Zeit und der alte Charakter
ist für uns in Ordnung.“ Die Familie selbst wohnt
mit ihren beiden Kindern nicht nur hier, sondern
auch im etwa drei Kilometer entfernten Balzenhof.
So halten sie sich regelmäßig auf dem Hof auf und
genießen „das Leben in vergangenen Zeiten“.
Weshalb wollten die Linhards den Hof übernehmen?
„Ich liebe ja alles, was alt ist“, verrät der
Hausbesitzer. Und nimmt das sogleich als Stichwort,
um die steile Treppe ins Dachgeschoss zu gehen und
dort seine gesammelten Gegenstände zu zeigen. „Ich
sammle alles Alte aus dem Schwarzwald und aus
der Gegend, seit ich ein Kind war“, freut sich Björn
Linhard. Einrichtungen von Gasthäusern, die längst
nicht mehr existieren, finden in dem geräumigen
Speicher ebenso einen würdigen Platz wie altes
Handwerkszeug und Dinge, die man liebevoll auch
als „Kruscht und Krempel“ bezeichnen mag. Auch
in der großen Tenne lagern viele historische Gegenstände.
Rechte Seite:
Blick in die seit Jahrzehnten so gut wie unveränderte
Wohnstube samt ihrem Herrgottswinkel (u. links). Bis auf
einzelne Accessoires unverändert sind im Doldenhof auch
die Küche und das Schlafzimmer.
Die Hofkapelle samt Garten nach ihrer Restaurierung.
Alte Hofkapelle liebevoll restauriert
Das jüngste und bislang letzte Kapitel im historischen
Buch des Doldenhofs haben die Linhards mit
der Restaurierung der hofeigenen Kapelle aufgeschlagen.
1851 wurde die Kapelle, die direkt neben
dem Wohnhaus steht, als solche aufgegeben. Seither
hat das kleine Häuschen im Laufe der Jahrhunderte
häufig sein Gesicht und seinen Nutzen verändert.
Björn Linhard „juckte es in den Fingern“, das
Gebäude nach dem erfolgreichen Abschluss der
Arbeit am Doldenhof ebenfalls zu restaurieren.
Doch auch die frühere Kapelle stellte Linhard
vor eine Herausforderung. „Die Substanz war uralt“,
er erkannte das Potenzial und wollte das Bauwerk
zurück zu den Wurzeln entwickeln. Auch sollte so
gut es eben ging, alles Alte erhalten bleiben. Das
gestaltete sich dann doch nicht ganz einfach, aber
der handwerklich begabte Elektriker wusste sich
zu helfen. Über das bestehende Dach hat er einen
freitragenden Dachstuhl gesetzt, so ist der Kornspeicher
erhalten geblieben. Im Innern wurde der
kleine Raum wieder als Hofkapelle hergerichtet.
Eingerichtet mit kleinen Kirchenbänkchen und bestückt
mit allerlei sakralen Devotionalien, die der
Sammler in seinem Bestand hatte. Ein Kapellenturm
mit Glocke vervollständigt das Kirchlein. „Die Glocke
habe ich allerdings im Internet erstanden“, so der
Wir gehen regelmäßig zu
unserer Kapelle, um im
hektischen Alltagsleben
für einige Augenblicke
innezuhalten.
Bauherr. Sogar einen neu angelegten Kapellengarten
mit Brunnen gibt es, optisch angelehnt an die Gärten
großer Klöster.
„Die Kapelle wurde 2023 von unserem Pfarrer
geweiht“, erzählen Björn und Melanie Linhard stolz.
Und sie wird im Übrigen von der Familie des Öfteren
aufgesucht. „Wir gehen regelmäßig zu unserer Kapelle,
um im hektischen Alltagsleben für einige Augenblicke
innezuhalten. An Weihnachten haben wir
hier mit der Familie einige Zeit verbracht. Und eine
Maiandacht fand ebenfalls statt“, freut sich Melanie
Linhard.
Auch einen neuen Namen haben die Linhards
der Kapelle gegeben. „Die Kapelle ist dem Heiligen
Jakobus geweiht“, so Björn Linhard. Benannt nach einem
in der Hofchronik auftauchenden Jakob Löffler.
Er wurde nur 22 Jahre alt und starb der Überlieferung
nach durch einen tragischen Unfall, der sich genau
gegenüber des Hofes an einem Hang ereignete. „Wir
dachten, das wäre eine passende Gelegenheit, diesen
jungen Bauern zu ehren.“
Nach zehn Jahren harter, aber für die Besitzer
erfüllender Arbeit scheint die Restaurierung des
Doldenhofs abgeschlossen. Oder doch nicht? Wenn
man den Ideenreichtum und Arbeitswillen der Familie
Linhard kennt sowie ihre Liebe, Altes zu erhalten,
dann könnte das Anwesen noch so manch weitere
Veränderung erfahren.
Oben: Blick ins Innere der sorgsam restaurierten Kapelle.
Unten: Auch den Glockenturm hat Björn Linhard selbst
gebaut, der rechts auf das neue Dach der JakobusKapelle
gesetzt wird.
114
Doldenhof in Rohrbach
Das Schwenninger Familienunternehmen
beschäftigt über 600 Mitarbeitende
Kübler Group – Präsenz
auf allen fünf Kontinenten
Weltweit führender Hersteller von Industriekomponenten
zur Messung, Übertragung und Auswertung von
Daten und Signalen feiert sein 65jähriges
Bestehen
VON WILFRIED DOLD
4. Kapitel – Wirtschaft
Made by Kübler: Sensor zum Messen,
Schleifringe zum Übertragen und Zähler
zum Auswerten von Daten (v. links).
Unten: Das Kübler Stammhaus
in VS Schwenningen
an der Schubertstraße.
Fritz Kübler war „Zählermacher“, blicken die Söhne Gebhard Kübler und
Lothar Kübler auf die Anfänge des Unternehmens im Elternhaus in der
Schwenninger Hahnstraße zurück. Aber ein ganz besonderer, dessen Ideen
eines der größten Familienunternehmen im
SchwarzwaldBaarKreis
zu verdanken ist
und der als ein Vordenker der Automation
gilt. Mit der Konstruktion und dem Bau von
Kurzzeitmessgeräten und elektronischen
Zählern begründet Ingenieur Fritz Kübler
1960 eine Erfolgsgeschichte, die seine
Söhne in den 2000erJahren
global
ausweiten: Die Kübler Group mit Hauptsitz
in VSSchwenningen
umfasst heute zwölf
internationale Tochtergesellschaften. Sie
gilt bei der Entwicklung, Herstellung und
Vertrieb von Industriekomponenten zum
Messen, Übertragen und Auswerten von
Signalen und Daten als weltweit führender
Spezialist. Im Sommer 2024 beschäftigt
das Unternehmen über 600 Mitarbeitende
und erwirtschaftet 2023 einen Umsatz von
100 Mio. Euro. Die Kübler Group verfügt
über Fertigungsstandorte in Europa, Asien und den USA und unterhält
in 50 Ländern Vertretungen. Im Jahr 2025 feiert Kübler sein 65jähriges
Bestehen und will bis Anfang der 2030erJahre
mit neuen Technologien und
einer Vielzahl an Innovationen seinen Umsatz verdoppeln und dabei als
unabhängiges, stabiles Familienunternehmen bestehen bleiben.
Firmengründer Ingenieur Fritz Kübler.
(1922 2003)
Der Aufzug im Stammsitz Schwenningen befördert
Besucher und Mitarbeitende in die Produktion und
die Entwicklungsabteilung im ersten Stock. Die Geschäftsführenden
Gesellschafter Gebhard Kübler und
Lothar Kübler verweisen auf die im Innern verbaute
Technologie: Die dort zum Einsatz kommenden
Drehgeber und Schachtkopiersysteme von Kübler garantieren
hohe Zuverlässigkeit und einen optimalen
Fahrkomfort – sie sind weltweit in unzähligen Aufzügen
im Einsatz. Aufzüge zählen auch dank der Kübler-
Technologie zu den sichersten Transportmitteln
der Welt, über eine Milliarde Menschen vertrauen
tagtäglich dieser Technik. Allein für ein Mega-Wohnprojekt
in Singapur hat das Schwenninger Unternehmen
dieser Tage über 10.000 Systeme geliefert.
Die berührungslose Technologie von Kübler
hat entscheidende Vorteile: Bei konventionellen
Aufzugsanlagen ist allein schon das Positionieren
der Aufzugskabine mit hohem Aufwand verbunden –
und auch der Wartungsaufwand enorm. Gebhard
Kübler: „Für maximale Flexibilität, höhere Performance
und Kosteneinsparungen sorgt allein schon
unsere neue Generation an Schachtpositioniersystemen.
Diese sind zugleich ein klassisches Beispiel für
die Anforderungen der Industrie 4.0 und in der Lage,
in Echtzeit die Befindlichkeit des gesamten Systems
mitzuteilen. Sie reagieren in Millisekunden auf Befehle
und garantieren höchste Sicherheitsstandards.“
Aufzüge zählen dank der
KüblerTechnologie
zu den
sichersten Transportmitteln
der Welt, über eine Milliarde
Menschen vertrauen
tagtäglich dieser Technik.
Die Aufzugstechnik ist ein Beispiel von vielen für
die Anwendung von Kübler-Produkten. Sie kommen
beispielsweise in Abfüllanlagen, Kränen, bei der mobilen
Automation, in der Antriebstechnik und der Solar-,
Wind- oder Verpackungsindustrie zum Einsatz.
Lothar Kübler unterstreicht mit Blick auf das Knowhow
der Kübler Group: „Wir gehören zu den weltweit
führenden Spezialisten in der Positions- und Bewegungssensorik,
der funktionalen Sicherheitstechnik,
Zähl- und Prozess- sowie der Übertragungstechnik.“
Die Aufzugstechnik ist ein Beispiel von vielen für die
weltweite Anwendung von KüblerProdukten.
Links: Im Elternhaus in der Hahnstraße 8 gründet Fritz Kübler 1960 sein Unternehmen „Ing. Fritz Kübler Feingerätebau“.
Schon nach kurzer Zeit beschäftigt er hier zwölf Mitarbeitende. Rechts: Fritz und Erika Kübler heiraten 1967 und die
Ehefrau ist sich dessen bewusst, dass sie einen geschäftigen Unternehmer zum Ehemann haben wird, wie sie es später
ihren beiden Söhnen Gebhard und Lothar erzählt.
„Ing. Fritz Kübler Feingerätebau“ – gegründet
1960 im Elternhaus in Schwenningen
Der weltweite Erfolg der Kübler Group basiert auf
der Entwicklung eines Kurzzeitmessgerätes im Jahr
1960 durch Fritz Kübler. Es ist eine klassische Gründergeschichte,
von der Erika Kübler geb. Schlenker
in Erinnerung an ihren 2003 im Alter von 81 Jahren
verstorbenen Ehemann Fritz Kübler den Söhnen
Gebhard und Lothar oft erzählt. Sie lernt den damals
38 Jahre alten Unternehmer 1962 kennen – und gibt
ihre Tätigkeit bei der Stadt Schwenningen auf, um
ihn beim Aufbau des Unternehmens zu unterstützen.
Fritz Kübler kommt am 5. Oktober 1922 als zweites
von vier Kindern in Schwenningen zur Welt. Nach
dem Abitur musste er zunächst für vier Jahre in den
Zweiten Weltkrieg und ist in Tunesien als Fahrer
eines Offiziers im Einsatz. Seiner Familie erzählt er
immer wieder davon, wie viel Glück er hatte und
wie er Gott danke, dass er diese Zeit überlebte und
wieder nach Hause zurückkehren konnte. Nach
seiner Rückkehr absolviert Fritz Kübler eine Feinmechanikerlehre
an der Schwenninger Feinmechanik-
schule. Daran schließt sich ein Ingenieurstudium an der
Fachhochschule Esslingen an.
Am 1. April 1960 gründet der Konstrukteur im
Elternhaus in der Hahnstraße 8 das Unternehmen
„Ing. Fritz Kübler Feingerätebau“. Am 1. April 2025
kann die Kübler Group somit auf ihr 65-jähriges
Bestehen zurückblicken. Was folgt, ist eine beeindruckende
Gründergeschichte eines erfolgreichen
Familienunternehmens in Deutschland, die aus
unermüdlichem Fleiß besteht, gepaart mit technischer
Stärke, Mut und Innovationskraft. Im Keller
befindet sich die Fertigung und im Dachgeschoss
die Konstruktionsabteilung. Das Wohnzimmer dient
als Büro – in der Küche ist der Versand untergebracht,
den die Mutter Rosina managt. Die Firmeneinrichtung
wird mit bescheidenen Eigenmitteln
finanziert: Die Banken sind nicht bereit, dem Gründer
einen Kredit zu gewähren.
Mit Erfindungsreichtum und
Tüftlergeist gelingt es dem
Gründer innerhalb weniger
Jahre, aus einem EinMannUnternehmen
eine international
operierende Firma
aufzubauen.
Das erste Kurzzeitmessgerät überhaupt
wird vom Start weg ein weltweiter Erfolg
Die Idee hinter der Firmengründung ist bahnbrechend:
Fritz Kübler konstruiert und baut das
weltweit erste Kurzzeitmessgerät „KM1“ mit permanenter
Zeitanzeige, was die Steuerung und
Optimierung von Maschinen sowie Fertigungsprozessen
geradezu revolutioniert. Denn am Ende
einer Messung bleibt das Ergebnis dauerhaft
ablesbar stehen und die Anzeige springt nicht wie
bei den Konkurrenzprodukten einfach auf Null
zurück. Das Kübler-Gerät ermöglicht zudem exakte
Messungen im Millisekundenbereich und wird in
Laboratorien beispielsweise zur Ermittlung von
Relaisschaltzeiten eingesetzt. Seine Erfindung lässt
sich Fritz Kübler patentieren.
Bahnbrechende Neuheit: 1961 erfindet Ingenieur Fritz
Kübler das weltweit erste Kurzzeitmessgerät KM1, das am
Markt mit Begeisterung aufgenommen wird.
Modell des ersten KüblerMessestandes.
Obwohl das Unternehmen „Ing. Fritz Kübler Feingerätebau“
(noch) völlig unbekannt ist, entwickelt sich
das Produkt schnell zum Erfolg. Dazu arbeitet Fritz
Kübler quasi rund um die Uhr, erinnert sich seine damalige
Verlobte und spätere Ehefrau an die Jahre des
Aufbaus. An einem Freitag im Juli 1967 wird geheiratet,
Erika Kübler zu ihren Söhnen in Erinnerung an
die bewegten Gründerjahre: „Euer Vater nahm nach
der feierlichen Zeremonie noch am Kaffeetrinken
teil, dann ging es zurück in die Firma, damit die Mitarbeitenden
pünktlich ihren Lohn in Händen hielten.
Ich wusste von Anfang an, dass ich einen geschäftigen
Unternehmer zum Ehemann haben werde.“
Gebhard Kübler bekräftigt diese Worte der Mutter,
zumal er wie sein Bruder Lothar die Begeisterung
des Vaters teilt. Beide erfasst die Faszination
von Kübler ebenso, auch sie kennen Arbeitstage bis
in die Morgenstunden hinein.
„Mit Erfindungsreichtum und schwäbischem Tüftlergeist
gelang es dem Gründer innerhalb weniger
Jahre, aus einem Ein-Mann-Unternehmen eine international
operierende Firma aufzubauen. Seine stets
optimistische Grundhaltung, große Sparsamkeit und
Weitsicht trugen wesentlich zu diesem Erfolg bei“,
heißt es zu den Anfangserfolgen des Unternehmens
in einer Festschrift zum 50-jährigen Bestehen.
Schon kurze Zeit nach der Gründung beschäftigt
das Unternehmen „Ing. Fritz Kübler Feingerätebau“
bereits zwölf Mitarbeitende, die im Keller, Wohnzimmer,
der Küche und auf der Bühne des elterlichen
Hauses in der Hahnstraße tätig sind.
Einstieg in die Fertigung von Zählern
Die Meilensteine der Kübler-Historie veranschaulicht
ein mit Liebe zum Detail eingerichtetes Firmenmuseum.
Dort präsentieren Gebhard Kübler und sein
Bruder Lothar den ersten von ihrem Vater konstruierten
und gebauten elektromechanischen Zähler.
Die starke Nachfrage nach dem patentierten
Kurzzeitmessgerät macht es 1961 möglich, in die
Fertigung selbst entwickelter Zähler einzusteigen
und die dafür erforderlichen Maschinen zu beschaffen.
Und wieder stellt sich der Erfolg vom Start weg
ein, was die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Fritz
Kübler als Konstrukteur unterstreicht. Und ebenso sein
ausgeprägtes Gespür für die Bedürfnisse der Industrie.
Der Schwenninger Ingenieur ist zweifelsfrei ein
Vordenker der Automation, wie auch die kommenden
Jahrzehnte seiner unternehmerischen Tätigkeit unter
Beweis stellen werden.
Die sogenannte „E-10-Reihe“ stößt mit ihren
Impuls- und Vorwahlzählern in eine Marktlücke vor:
Die Zähler sind nicht nur kleiner und robuster, sondern
auch zuverlässiger als die Konkurrenzprodukte. Sie
lassen sich vielfach einsetzen, um verschiedenste
Prozessschritte mengenmäßig zu erfassen. Die
Kübler-Technologie ist dem Markt eindeutig voraus.
Der Erfolg der „E-10-Reihe“ erlaubt es, als ersten
Firmenwagen einen VW-Käfer anzuschaffen und im
Jahr 1964 den heutigen Kübler-Stammsitz an der
Schubertstraße zu planen und über zwei Jahre
hinweg zu bauen. Er wird in den folgenden Jahrzehnten
kontinuierlich erweitert. Nun nennt sich das
Unternehmen „Ing. Fritz Kübler, Zählerfabrik“.
Dank der aufkommenden Halbleitertechnologie
produziert Fritz Kübler in den frühen 1970er-Jahren
elektronische Varianten seiner Zähler. Jetzt sind
völlig neue Funktionen realisierbar, so Aufgaben zur
elektronischen Längenmessung. Diese Anwendung
findet Eingang in alle Maschinen, die etwas auf
Länge bearbeiten oder abschneiden müssen wie
beispielsweise Holzbearbeitungsmaschinen. Mit dem
„Kübler Elektronischer Zähler 1“ – kurz KE-1 – kann
im Vergleich zu den mechanischen Zählern eine
20-fach höhere Zählgeschwindigkeit realisiert
werden. Erstmals ist es möglich, auch rückwärts zu
zählen oder einfach und komfortabel eigene
Parameter einzustellen. Die K-Serie wird um Zähler
im Kleinformat ergänzt. Diese steuern beispielsweise
in Beatmungsgeräten lebenswichtige Funktionen
Der erste von Fritz Kübler konstruierte
elektromechanische Zähler aus dem Jahr 1961.
und kommen ebenso in Tanksäulen zum Einsatz. Als
Kübler 2009 das 50-jährige Bestehen feiert, verweist
man stolz darauf, dass die K-Serie mit über 30 Millionen
verkauften Geräten die bislang wohl erfolgreichste
Zählerserie auf dem Weltmarkt überhaupt sei.
Der Export beginnt früh
Fritz Kübler exportiert früh in die ganze Welt, in
den USA findet er 1966 in der Firma Kessler Ellis
Products einen vielversprechenden Partner. Corson
Ellis aus New Jersey und Fritz Kübler begründen eine
erfolgreiche Partnerschaft, obwohl der eine so gut
wie kein Wort deutsch und der andere nur wenig
Englisch sprechen kann … Aus der Partnerschaft entwickelt
sich eine lebenslange Freundschaft und auch
die Söhne lernen den ersten großen Handelspartner
Der Markterfolg der „E10Zählerreihe“
erlaubt es Fritz
Kübler mit einem VWKäfer
den ersten Firmenwagen
anzuschaffen.
des Unternehmens kennen, wie auch weitere internationale
Geschäftspartner des Vaters.
Das Gesprächsthema ruft Erinnerungen an die
Kindheit in der Fabrik der Eltern wach. Gebhard und
Lothar Kübler: „Unter der Woche verkauften wir an
die Mitarbeitenden Vesper, mit dem so verdienten
Geld bauten wir uns ein Gartenhaus und richteten es
ein – samt elektrischem Strom und einer Klingel. Dort
werden am Ende der 1970er- anfangs der 1980er-Jahre
ausländische Kübler-Besucher „bewirtet“ – so
auch Corson Ellis. Die Besucher hatten an der
Gartenhaus-Atmosphäre ihre Freude und besserten zum
Dank das Taschengeld der Kübler-Brüder auf.
Die Entwicklungsabteilung – das
Herzstück des Unternehmens
Die im Firmenmuseum ausgestellten Zähler der so
erfolgreichen K-Serie geben dem Gespräch über die
65-jährige Geschichte von Kübler den Impuls, sich
der generellen Entwicklung der Zählertechnologie
zuzuwenden, die weltweit untrennbar mit dem
Namen „Kübler“ verbunden ist. Der Geschäftsführende
Gesellschafter Lothar Kübler: „Der Erfolg, der
in Stückzahlen von zwei Millionen jährlich produzierten
Zähler der K-Serie führte zur Vergrößerung
der Entwicklungsabteilung und zur Erweiterung der
Produktion.“
Der Erfolg des Schwenninger Familienunterneh
mens ist enorm, der Erfindungsreichtum
von Fritz Kübler, gepaart mit einer
Fertigung in höchster Qualität, lässt die
Zahl der Mitarbeitenden am Beginn der
1990er-Jahre auf 100 steigen, mit denen
jährlich sieben Mio. Euro Umsatz erwirtschaftet
werden.
Der Einstieg in die Sensorik ist zu
dieser Zeit ein weiterer wegweisender
Impuls durch Firmengründer Fritz Kübler.
Ziel ist es, der Zählerlastigkeit der
Firmengruppe zu begegnen. Aus diesem
Grund nimmt Kübler die Entwicklung
Lothar und Gebhard Kübler zusammen
mit ihrem Vater Fritz Kübler. 1997 übergab
er die Geschäftsleitung im Alter von
75 Jahren an seine Söhne.
Die Zahl der Mitarbeitenden
steigt am Beginn der
1990erJahre
auf 100, mit
denen jährlich sieben Mio.
Euro Umsatz erwirtschaftet
werden.
und den Bau modularer Drehgeber auf. Ein Drehgeber
ist ein Sensor, der die Drehzahl oder Position
einer Welle oder eines Rotors misst. Diese Informationen
gibt er in Form von elektrischen Signalen
z.B. an Steuerungssysteme oder Roboter weiter.
Drehgeber spielen eine entscheidende Rolle in der
Präzisionssteuerung und sind in automatisierten
Systemen unverzichtbar.
Wie schon bei den Zählern gelingt es auch im Fall
der Drehgeber, deren Qualität deutlich zu verbessern
und diese optimal an Kundenwünsche anzupassen.
Als sich der Firmengründer im Alter von 75 Jahren im
Jahr 1997 aus dem operativen Geschäft zurückzieht,
übernehmen seine beiden Söhne, der Wirtschaftsingenieur
Gebhard Kübler und Lothar Kübler, Ingenieur der
Feinwerktechnik, als Geschäftsführende Gesellschafter
die Unternehmensleitung. Mit Vehemenz treiben sie
das weltweit wachsende Geschäftsfeld der Sensorik
weiter voran. Es war eine in der Tat wegweisende
Entscheidung, in diese Produktsparte einzusteigen.
Mit Gebhard Kübler und Lothar Kübler
übernimmt die zweite Generation das Steuer
Auf ihre Aufgabe als Geschäftsführende Gesellschafter
hatten sich die Söhne mit Akribie vorbereitet.
Nach dem Schulabschluss beginnen sowohl Gebhard
als auch Lothar Kübler mit ihrem jeweiligen Studium.
Gebhard Kübler studiert Wirtschaftsingenieurwesen.
Nach einigen Stationen bei anderen Unternehmen
steigt er 1996 als Assistent der Geschäftsleitung
bei der Kübler GmbH ein. Lothar Kübler studiert
Feinwerktechnik und setzt einen MBA (Master of
Business Administration) darauf. Er übernimmt bei
seinem Eintritt ins väterliche Unternehmen im Jahr
1996 die Leitung der Exportabteilung.
Mit dem Unternehmen sind die beiden von
Kindesbeinen an vertraut. Wie es bei mittelständischen
Familienunternehmen des Öfteren der Fall ist,
Die Kübler Group ist ein Familienunternehmen
wie es im Buche steht.
Zu sehen sind v. links nach rechts: Nadja
Kübler, Josefin Kübler, Geschäftsführender
Gesellschafter Gebhard Kübler, Geschäftsführender
Gesellschafter Lothar Kübler,
Konstantin Kübler, Ferdinand Kübler, Erika
Kübler (Ehefrau des Firmengründers), Silke
Leffler, Viktoria Kübler und Leonhardt Kübler.
wohnten die Küblers lange Zeit auch in ihrer Fabrik.
Gebhard Kübler schaut zur Decke empor und erklärt:
„Wir befinden uns hier im Augenblick in der früheren
alten Fabrik. Im dritten Stock oben haben wir bis ins
Jugendalter auch gewohnt: Unsere heute 93-jährige
Mutter Erika, unser 2003 verstorbener Vater Fritz
und wir, die Söhne.“ Die beiden Brüder sind sozusagen
mitten in der Fabrik aufgewachsen, die sie als
interessante, einzigartige Spielwiese empfinden.
Zumal am Wochenende, wenn die Arbeit ruht und sie
in der weitläufigen Produktion umhertoben können.
Blick in die hochmoderne Produktion bei Kübler mit den
selbst entwickelten Fertigungsinseln.
Die Fabrik der Eltern ist im Leben der Söhne wie
selbstverständlich stets präsent, so Lothar Kübler. Er
und sein Bruder begleiten den Vater bei Geschäftsessen
– ebenso zu Industriemessen und auf Geschäftsreisen
nach Asien. „Wir fanden das toll, so
wurde unser Interesse am elterlichen Unternehmen
geweckt“, unterstreichen die Geschäftsführenden
Gesellschafter.
Gebhard Kübler und Lothar Kübler entwickeln
nach dem Einstieg in die Geschäftsführung eine Produkt-
Präsentation, die den Kunden die Möglichkeiten
aufzeigt, wie sie Kübler-Erzeugnisse optimal für ihre
spezifischen Belange einsetzen können. So gelingt
es, den Exporterfolg der Drehgeber entscheidend zu
verbessern – für Kübler in den USA große Kunden zu
akquirieren.
Lothar Kübler zeichnet im Unternehmen aktuell
für die Bereiche Produktentwicklung, Personalmanagement,
IT, Finanzwesen und Einkauf verantwortlich.
Gebhard Kübler ist für Produktion, Quali
tätsmanagement, Lean & Kaizen, Produktmanagement
und -strategie sowie Business Development
Projekte zuständig. Mit in der Geschäftsführung ist
seit dem Jahr 2019 Martin Huth als Fremdgeschäftsführer,
er verantwortet die Bereiche Vertrieb und
Marketing.
Produktion von Schleifringen – Eröffnung
einer Tochtergesellschaft in Indien
Der Einstieg in den Bereich der Sensorik beflügelt
den Umsatz von Kübler, ebenso ab 2007 die eigene
Fertigung von Schleifringen. Dazu beteiligt sich
Kübler mehrheitlich an einem bewährten Lieferanten.
Ein Schleifring ermöglicht es, elektrische Energie
oder Signale von einem stationären Teil eines
Systems zu einem rotierenden Teil zu übertragen.
Schleifringe werden vor allem dort eingesetzt, wo
im Maschinenbau Rotationsbewegungen stattfinden
und gleichzeitig elektrische Verbindungen aufrechterhalten
werden müssen.
Einen weiteren Wachstumsimpuls erfährt Kübler
durch die Gründung von „Kübler Automation India
Pvt Ltd“ im Jahr 2007 in Pune, Bundesstaat Maharashtra.
Die 100%ige Tochtergesellschaft in Indien
wird unter Federführung von Gebhard Kübler zu
einer hochmodernen Produktionsstätte ausgebaut.
Kübler fertigt dort zum Beispiel seine sehr erfolgreichen
Drehgeber aus der Sendix-Familie und viele anderen
Produkte für den indischen und chinesischen
Markt, aber auch für die gesamte Firmengruppe. Im
Jahr 2022 erfolgt die Erweiterung der Fertigungs-
und Montagefläche um 2.000 Quadratmeter.
Die Eigner Gebhard und Lothar Kübler sowie
Martin Huth betonen, dass die Erweiterung die Bedeutung
des indischen Produktionsstandortes innerhalb
der globalen Produktionsstrategie der Kübler
Group unterstreiche.
Kübler heute – Im ständigen Dialog mit
den Kunden Innovationen vorantreiben
Vom Firmenmuseum aus führt der Weg in die Gegenwart
der Kübler-Erfolgsgeschichte: zum Rundgang
durch die Produktion mit ihren selbst konzipierten
Fertigungsinseln und in die Entwicklungsabteilung.
Rund 15 Prozent der deutschen Mitarbeitenden
sind in Forschung und Entwicklung beschäftigt, die
Kübler am Stammsitz Villingen-Schwenningen, im
bayerischen Otterfing (Schleifringe) und seit einigen
Jahren auch in Berlin und in Indien betreibt.
Die Produktwelt des Schwenninger Unternehmens
zu beschreiben, kommt einem Streifzug durch
die Welt der Automatisierung, der Positions- und
Bewegungssensorik sowie der Zähl-, Prozess- und
Übertragungstechnik gleich. Kübler steht auf den
drei technologischen Säulen Drehgeber, Übertragungstechnik
und Anzeigen. Produziert wird an
insgesamt zwei Standorten in Deutschland, im indischen
Pune und in Charlotte, North Carolina (USA).
Das heutige Produktportfolio ist einem wahren
Innovationsmarathon zu verdanken: Für den Bereich
der Messung entwickelt und produziert das Schwenninger
Unternehmen u.a. Drehgeber, Motor-Feedback-
Systeme, lineare Messtechnik, Schachtkopiersysteme
für Fahrstühle oder Neigungssensoren.
Zur Übertragung von Daten kommen Schleifringe,
Signalwandler sowie Kabel und Steckverbinder zum
Einsatz. Die Auswertung der übertragenen Signale
folgt u.a. mit Zählern und Tachometern, Prozesssteuergeräten
oder Drehzahlwächtern.
Innovator der gesamten Branche
Die Kübler Group gilt als Innovator der gesamten
Branche – es gelingt den Spezialisten für Automatisierung
aufgrund des eigenen Know-hows und des
intensiven Dialogs mit weltweiten Kunden immer
wieder neu technische Grenzen zu verschieben.
Gebhard Kübler: „Wir möchten die Anwendung des
Kunden immer verstehen. Nur so können wir die
richtigen Produkte und Lösungen anbieten – daraus
entstehen maßgeschneiderte Zukunftsprojekte.“ Das
Management fordere und fördere seit jeher Technologiegespräche
mit Leitkunden und treibe so in
deren Branchen und im eigenen Unternehmen Innovationen
voran. „Es zeigt sich dabei, dass die Anforderungen
immer noch digitaler werden“, beschreibt
Gebhard Kübler den nach wie vor starken Trend hin
zur Sensorik und Ethernet-Übertragung. „Mensch
und Maschine rücken näher zusammen“, so der Geschäftsführende
Gesellschafter.
In der Geschäftsentwicklung widerspiegelt sich
der Erfolg auf dem Weltmarkt vielfach: So durchbricht
das Unternehmen im Jahr 2023 erstmals die
Umsatzmarke von 100 Mio. Euro. Die Geschäftsführenden
Gesellschafter Gebhard Kübler und
Lothar Kübler zeigen sich überzeugt, bis Anfang
der 2030er-Jahre mit neuen Technologien und einer
Vielzahl an Innovationen den Umsatz verdoppeln zu
können und dabei als finanziell unabhängiges, stabiles
Familienunternehmen bestehen zu bleiben.
Die Zukunft von Kübler ist durch hohe Investitionen
in Entwicklung, Technologie sowie IT und
Software geprägt. Nur so lasse sich die Basis für Stabilität
und ertragreiches Wachstum stärken, erklärt
Lothar Kübler. Größere Investitionen in Werkserweiterungen
im In- und Ausland sowie in die Logistik sind
in Vorbereitung. Auch der Vertrieb soll weiter wachsen,
sowohl in puncto Branchen als auch Regionen.
Eine Gefahr sehen die Geschäftsführenden
Gesellschafter darin, dass Deutschland vielfach träge
geworden sei. Die starke Bürokratie, die hohen Energiekosten,
der Mangel an qualifizierten Mitarbeitenden
sowie die fragwürdigen Einstellungen zur Arbeit
wie eine Vier-Tage-Woche würden manche Investoren
aus dem Ausland abschrecken, hierzulande zu
Es zeigt sich, dass die
Anforderungen immer
digitaler werden, beschreibt
Gebhard Kübler den nach
wie vor starken Trend hin zur
Sensorik und EthernetÜbertragung.
investieren oder zu bleiben. „Das Modernste kommt
vielfach nicht mehr aus Deutschland, es gilt aufzuholen“,
so die beiden Unternehmer.
Für Kübler selbst sehen die Inhaber wegen der
hohen Internationalität und einer guten Firmenkultur
dennoch gute Aussichten. „Wir verändern uns
ständig“, das sei sehr wichtig und Voraussetzung.
Die Schwierigkeiten der deutschen Industrie wolle
man mit Geschäften im Ausland kompensieren.
„Wir haben einen Exportanteil von rund 75 Prozent“,
erklären die beiden Inhaber stolz.
Die Ziele der künftigen Geschäftspolitik sind klar
definiert, die Geschäftsführenden Gesellschafter:
„Wir wollen uns nicht nur an die neue, stark veränderte
Welt anpassen, sondern vorauseilen und
Strukturen und Organisationsformen so verändern,
dass wir nicht nur hohe technologische Standards
entwickeln, sondern unsere Ohren und Augen
noch viel weiter öffnen für Kundenbedürfnisse und
(Mega-)Trends der Zukunft“. So ein Megatrend ist die
Künstliche Intelligenz. Es sei die Idee da, Sensoren
über Deep Learning in die Lage zu versetzen, Produktions-
und Geschäftsprozesse noch effektiver zu
steuern. Hier stehe man aber ganz am Anfang.
Radarsensoren und Drehgeber mit
Cyber Security entwickelt
Insgesamt verzeichnet Kübler immer anspruchsvollere
neue Messaufgaben der Kunden. Daraus
entstand u.a. eine neue Baureihe leistungsstarker
Radarsensoren. Und Kübler-Kunden im Maschinenbau
verlangten mehr Sicherheit für sogenannte
Als Innovator und Marktführer der gesamten Branche fertigt Kübler selbst entwickelte Industriekomponenten zum
Messen, Übertragen und Auswerten von Signalen und Daten auf höchstem Niveau. Von ob. links: Einblicke in die
Entwicklung und Herstellung von Drehgebern.
Safety Ethernet Drehgeber. So brachte Kübler den
ersten Drehgeber mit Cyber Security auf den Markt,
was mehr Sicherheit z.B. für Produktionsanlagen vor
Cyber-Kriminalität bedeutet.
Die hohe Kompetenz und die unbedingte Ausrichtung
auf Innovation des Unternehmens findet
ihren Widerhall in einer ganzen Reihe von Auszeichnungen.
Laut einer Umfrage der Zeitschrift
„Wirtschaftswoche“ gehört Kübler seit Jahren zu den
100 innovativsten mittelständischen Unternehmen
in Deutschland. Weitere mehrfache Auszeichnungen
wie „Top Innovator“ oder „TOP JOB Arbeitgeber“
kommen hinzu. „Die Auszeichnungen sind eine Bestätigung
unserer Firmenkultur, unserer Werte und
unserer darauf basierenden Strategie“, freuen sich
die Geschäftsführenden Gesellschafter.
Damit sich dieses Rad der Innovation beständig
weiterdreht, dazu braucht es qualifizierte Mitarbeitende.
Und diese zu finden sei in allen Bereichen
Kübler verfügt über modernste Fertigungsanlagen,
sogenannte Produktionsinseln. Diese sind selbst
entwickelt und hergestellt.
schwer geworden, auch bei der Ausbildung. Der
Kübler Group sei wichtig, Mitarbeitende für sich
zu gewinnen, die an Technologie und Kundenfokus
interessiert sind. Man habe vor diesem Hintergrund
zudem die Aktion „Mitarbeitende finden Mitarbeitende“
ins Leben gerufen.
Weiteres Wachstum in Schwenningen
Auf die Frage, wo in Zukunft investiert werde, verweist
die Geschäftsführung auf geplante Erweiterungen
am Stammsitz Schwenningen. „Die Pläne liegen
bereit, im Moment warten wir die konjunkturelle
Entwicklung ab“, so die Geschäftsführung. Auch
Investitionen in Indien sind in Planung, um die Stellung
als Marktführer weiter zu untermauern. Vom
Ein-Mann-Unternehmen des Ingenieurs Fritz Kübler
zum Global Player der Branche: Zehn internationale
Tochterunternehmen, zwei Produktionswerke in
Deutschland, eines in Indien sowie den USA – Distributoren
und Vertretungen in über 50 Ländern sowie
ein Engineering Solution Center in Berlin unterstreichen,
dass die Kübler Group wettbewerbsfähig
positioniert ist! „Mit dem Kunden die Zukunft entwickeln
– digitaler, technologischer, nachhaltiger! Mit
unseren starken, schnellen Teams können wir das“,
sind die Geschäftsführenden Gesellschafter und Eigner
des Familienunternehmens Gebhard und Lothar
Kübler mehr als überzeugt. Und daran zu arbeiten,
erfordert Veränderungen jeden Tag.
Soziales Engagement beinhaltet auch
Unterstützung der Vesperkirche
Die Kübler Group engagiert sich auch über den eigenen
unternehmerischen Fokus hinaus, setzt sich
für gute Zwecke ein: Seit mehreren Jahren werden
soziale sowie sportliche Projekte und Organisationen
unterstützt – auch eine namhafte Ukraine-Hilfe wurde
beispielsweise gewährt. Kübler fördert den ProKids-
Treff im Schwenninger Jugendhaus, der junge
Familien und Kinder unterstützt. Ebenso das Kinderzentrum
Ümüt-Nadjeschda e.V., das sich in Kirgistan
Vielfach ist Kübler auch beim Sponsoring aktiv, seit
langem unterstützt das Familienunternehmen die
Schwenninger Vesperkirche, die auf dem Bild oben die
Söhne Gebhard und Lothar zusammen mit ihrer Mutter
Erika Kübler besuchen.
um Kinder kümmert, die aufgrund von Behinderungen
völlig isoliert von der Gesellschaft leben.
Eine Herzensangelegenheit ist der Inhaberfamilie
weiter die Vesperkirche in Schwenningen mit dem
Motto „Gemeinsam an einen Tisch“. Bei etwa 300 Essen
und Gästen pro Tag sind es über 29 Tage hinweg
knapp 9.000 Essensportionen, die Jahr für Jahr in liebevoller
Atmosphäre durch ehrenamtliche Helferinnen
und Helfer an den Tischen serviert werden. Auch
dank des Engagements von Kübler ist das möglich.
Und last but not least sponsert das Schwenninger
Familienunternehmen die Blackforest-Panthers,
Kübler hielt dem Basketball in guten und schlechten
Zeiten stets die Treue. Als Hauptsponsor nunmehr
schon im 11. Jahr. Das Engagement ist somit vielgestaltig,
dahinter steht die Überzeugung, dass Unternehmer
zu sein auch verpflichtet, über die Schaffung
von Arbeitsplätzen hinaus seiner sozialen Verantwortung
nachzukommen. Die Brüder Gebhard und
Lothar Kübler: „Zu allen Projekten pflegen wir auch
persönliche Beziehungen. So können wir sehen, was
mit dem Geld geschieht, das wir spenden.“
Jägerbataillon 292
in Donaueschingen
VON BERNHARD LUTZ
Jägerbataillon 292
in Donaueschingen
VON BERNHARD LUTZ
Wirtschaft
Bei der Verabschiedung von Soldaten in den
Auslandseinsatz. Diese findet traditionell im
Schlossgarten des Schlosses Fürstenberg in
Donaueschingen statt.
132
Mit den Standorten Donaueschingen und Stetten
am Kalten Markt und seinen rund 900 Soldatinnen
und Soldaten gehört das Jägerbataillon 292 zu den
großen Arbeitgebern im Schwarzwald-Baar-Kreis.
Das Jägerbatallion 292 gehört zu den Kampf
truppen und ist speziell für den Einsatz in urbanem,
stark bewaldetem Gelände sowie für den Jagd
kampf ausgebildet. Zusammen mit den Gebirgs
und Fallschirmjägern bildet es die Infanterie. Die
Jägertruppe erfüllt alle grundlegenden Aufgaben
der Infanterie und unterstützt andere Infanterie
einheiten bei speziellen Aufgaben. Aufgrund ihrer
leichten Ausrüstung sind die Soldatinnen und
Soldaten des Bataillons in der Lage, mit Fahrzeu
gen, Transporthubschraubern oder Schlauchbooten
nahezu jedes Einsatzgebiet zu erreichen. Im Einsatz
agieren die Jäger überwiegend zu Fuß und werden
durch die Bordwaffen ihrer Gefechtsfahrzeuge
unterstützt.
Das Jägerbataillon 292 entstand aus der Fusion
des Jägerbataillons 552 und des Panzergrenadier
bataillons 292. Die 1. bis 4. Kompanie sind in
Donaueschingen stationiert, während die 5. Kompa
nie ihren Standort in Stetten am kalten Markt hat.
Seit März 2022 wird das Jägerbataillon 292 von
Oberstleutnant Timo Elbertzhagen geführt.
D
D
en Weg nach Litauen kann Oberleutnant
Kevin Lahr, Presseoffizier des Jägerbataillons
292, aus dem Stegreif schildern. Vom Verladebahnhof
im badischen Villingen führt der Weg mit
der Bahn in die Oberlausitz bei Görlitz, von dort
starten die Fahrzeuge per Landmarsch über Breslau
in den Raum Oppeln und von dort Richtung Warschau,
nach Bialystok und über die strategisch
wichtige Suwalki-Lücke zum Truppenübungsplatz
Pabrade in Litauen. Insgesamt mehr als 1.800 Kilometer
in vier Tagen.
Litauen ist nur einer von zahlreichen Einsatz- und
Übungsorten des Jägerbataillons 292 Donaueschingen.
Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine
und weiteren möglichen kriegerischen Szenarien von
Präsident Wladimir Putin Richtung Westen kommt der
Sicherung der baltischen Staaten besondere Bedeutung
zu. Dies drückte sich auch durch den Besuch von
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Jägerbataillon 292
während der Übung „Grand Quadriga“ im Frühjahr
2024 in Litauen aus. Der Kanzler konnte sich von der
Schlagkraft und Einsatzfähigkeit der Donaueschinger
„Jäger“ überzeugen und er sagte dies auch.
Die vom Kanzler gelobte Einsatzkraft und Ein
satzbereitschaft ist zu einem guten Teil auch durch
den regionalen Bezug und der Verbundenheit vieler
Zur Heraldik: Die drei Hirsch
geweih-Stangen in seinem
Wappen finden sich zum ei
nen im Wappen des Bundes
landes, aber auch im Wappen
des Panzergrenadierbataillon
292 wieder. Das goldene Eichen
laub ist in der Analogie des Wappens
dem Jägerbataillon 552 entliehen und stellt das
typische Symbol der Jägertruppe dar.
Soldaten zu ihrem Standort bedingt. So leben circa
60 Prozent der Soldaten in einem Einzugsbereich von
etwa 100 Kilometern und pendeln täglich nach Hause.
Und etliche kommen direkt aus Donaueschingen oder
der nahen Umgebung.
Unten: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat die
Soldatinnen und Soldaten der DeutschFranzösischen
Brigade
in Litauen besucht. Das gepanzerte TransportKraftfahrzeug
Boxer ist das Hauptwaffensystem des Jägerbataillons
292 aus Donaueschingen. Bundeskanzler Olaf
Scholz fuhr ein Stück mit.
134
Die Deutsch-Französische Brigade
Das Jägerbataillon wurde am 18. März 1993 in der
Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne in Immendingen aus
dem Jägerbataillon 552 aus Böblingen sowie dem
Panzergrenadierbataillon 292 aus Immendingen in
Dienst gestellt. „Grund dafür war die Reduzierung der
Gesamtstärke der Bundeswehr im Zuge der deutschen
Wiedervereinigung“, schildert Presseoffizier Kevin Lahr,
der aus dienstrechtlichen Gründen nicht im Beitrag
abgebildet ist. Das Bataillon wurde ein Teil der 1989
aufgestellten Deutsch-Französischen Brigade. Das
Jägerbataillon 292 ist der älteste noch aktive Jägerverband
der Bundeswehr. Aus Teilen des Jägerbataillon
292 wurde auch das Schwesterbataillon, das Jägerbataillon
291, im französischen Illkirch-Grafenstaden
bei Straßburg mitbegründet. Die Deutsch-Französische
Brigade hat eine Sonderstellung. Ist sie doch
„der einzige binationale Verband in ganz Europa“,
betont der Kommandeur des Jägerbataillons Timo
Elbertzhagen. Im Laufe des Jahres 1993 wurde das
Bataillon in die Fürstenberg-Kaserne nach Donaueschingen
verlegt, wo es heute noch stationiert ist. Die
schwere Kompanie, die mit schwereren Waffen und
Ausrüstung wie Mörsern und Panzerabwehrsystemen
zur Feuerunterstützung anderer Einheiten ausgestattet
ist, befindet sich in Stetten am kalten Markt.
Vorteile und Herausforderungen des
Bundeswehrstandortes Donaueschingen
Donaueschingen erweist sich für die Bundeswehr als
gutes Pflaster. Die Fürstenberg-Kaserne als Stadtkaserne
hat für die Soldaten zahlreiche Vorteile in
Bezug auf ihre außerdienstlichen Aktivitäten. Bietet
die Stadt doch deutlich mehr Möglichkeiten als die vielen,
oft sehr ländlichen Bundeswehrstandorte mit
meist schlechter Verkehrsanbindung, wenig ausgebautem
Internet und dürftiger Infrastruktur. Hier haben
die Soldaten „eine moderne Stadt mit zahlreichen
Einkaufsmöglichkeiten und Kulturangeboten sowie
einer hervorragenden Infrastruktur und einer guten
Verkehrsanbindung“, so Presseoffizier Kevin Lahr,
dadurch könnten viele Soldaten täglich in die Kaserne
pendeln. Kommandeur Timo Elbertzhagen lobt das
„hervorragende Zusammenwirken mit der Stadt.“
Für den Innendienst hat der limitierte Platz in der
Stadt einige Nachteile. Die Kaserne habe in der Stadt
keinen Platz zum Wachsen und werde durch die um-
Jägerbataillon 292
„Die Stadt Donaueschingen ist für
mich und meine Familie Heimat“
Der 45-jährige Stabsfeldwebel Martin M. wurde
in Donaueschingen geboren und wuchs in einer
Nachbarstadt auf. Seine Frau stammt aus der
Region, die Stadt passt auch für ihre beiden
Kinder. Er hat einen kurzen Weg zum Dienst,
und „es gibt alle Schularten“. Seit 1998 ist er bei
der Bundeswehr, seit 2007 beim Jägerbataillon.
„Das Jägerbataillon ist meine militärische
Heimat“. Als er beim Jägerbataillon begann, war
er viele Jahre lang Zugführer
und in dieser Zeit auch in
Auslandseinsätzen in
Afghanistan.
Stabsfeldwebel
Martin M.
Auch Obergefreiter Lara H. (20) kam in Donaueschingen
zur Welt und wuchs in Brigachtal auf.
Sie leistet nach dem Abitur seit November 2023
ein Jahr lang einen freiwilligen Wehrdienst. Zur
Bundeswehr zog es sie, „weil ich etwas erleben
wollte“, das Jägerbataillon gehe fast jedes Jahr
in einen Einsatz. Ihr Vater diente auch bei der
Bundeswehr, war auch an Auslandseinsätzen
wie in Bosnien beteiligt und habe ihr viel erzählt
und die Kameradschaft hervorgehoben.
Die Tochter ist in der Personalentwicklung und
in der Kompanieführung tätig.
Ihre Erfahrung in ihrer Kompanie:
„Ich bin mit Abstand
die Jüngste, aber
ich fühlte mich
vollkommen
akzeptiert.“
Obergefreiter
Lara H.
liegende Bebauung limitiert. Der Wohnungsmarkt
hingegen profitiert, da die Soldaten häufig im Umfeld
der Kaserne nach Unterkünften suchen. Hauptthema
für Kommandeur Timo Elbertzhagen und das
Bataillon sind die begrenzten Übungsmöglichkeiten.
Der Truppenübungsplatz hat gerade mal 54 Hektar,
weitere 170 Hektar nordwestlich von Aufen und
Grüningen sind zum größten Teil nur eingeschränkt
nutzbar, unter anderem durch eine Tonnagebeschränkung
auf zwei Tonnen. Eigentlich benötigt
ein Infanteriebataillon 522 Hektar. „Wir brauchen
dringend mehr Flächen“, betont der Kommandeur
und bittet die Bevölkerung dafür um Verständnis.
Oft müssten sie zum Üben mehr als eine Stunde
lang nach Stetten am kalten Markt fahren, um ihren
Aufträgen wie in Litauen gerecht werden zu können.
Mehr Übungsgelände zu erhalten ist und bleibe die
große Herausforderung.
Gegenseitiges Verständnis zwischen
Bataillon und Bevölkerung
Das von der Bevölkerung erbetene Verständnis für
mehr Übungsfläche bringt das Bataillon umgekehrt
für die Einwohner auf. Seit dem 8. Juli 2021 hat das
Jägerbataillon 292 eine der modernsten Schießanlagen
der Bundeswehr. Damit so wenig Lärm wie
möglich nach außen dringt, besteht die Überdachung
aus perforierten Stahlblechen (Rasterkassetten),
die den Schall brechen und in Zusammenwirken
mit den großen, schweren Türen und Wänden
die Lärmbelästigung deutlich reduzieren.
Die Fürstenberg-Kaserne gehört zum Stadtbild.
Auf dem Weg vom Donaueschinger Pferdekreisel
hoch zum Hindenburgring sind früh die Gebäude
und die Umzäunung zu sehen, umgeben von Wohngebieten.
„Für die Bevölkerung sind wir als Standort
ein integraler Bestandteil der Stadt Donaueschingen“,
betont der Presseoffizier. In der Region insgesamt
sind Soldaten kein seltener Anblick und mehrheitlich
auch willkommen. „Wir erfahren hier viel Zuspruch
durch die Bevölkerung.“ Fast jedes Jahr finden öffentliche
Appelle vor dem Fürstlich Fürstenbergischen
Schloss statt und die zivile Bevölkerung ist dabei ein
gern gesehener und stets präsenter Gast. Die Jäger
pflegen auch guten Kontakt zur Lokalpolitik, den öffentlichen
Behörden sowie dem DRK. Schülerinnen
können die Bundeswehr und das Leistungsspektrum
Donaueschingen bietet den
Soldaten mit seinen zahlreichen
Einkaufsmöglichkeiten
und Kulturangeboten sowie
einer hervorragenden Infrastruktur
und einer guten
Verkehrsanbindung deutlich
mehr als viele andere Bundeswehrstandorte.
in einem Infanteriebataillon am GirlsʼDay kennen
lernen, interessierte Heranwachsende können sich
zudem für ein mehrtägiges Praktikum melden. Die
Polizeischule Villingen-Schwenningen übt ebenso
regelmäßig in der Kaserne, und die Verkehrswacht
der Stadt Donaueschingen führt hier auch jährlich die
Ausbildung für die Radfahranfänger durch.
Dazu kommt die Verbundenheit des Jägerbataillons
mit seinen zahlreichen Patengemeinden:
Rottenburg a.N. für das gesamte Jägerbataillon,
Bonndorf für die 1. Kompanie des Jägerbataillons,
Hilzingen für die 2. Kompanie, Tengen für die
3. Kompanie, Niedereschach für die 4. Kompanie
und Sipplingen für die 5. Kompanie. Auf Festen
und Veranstaltungen ist die Bundeswehr hier gerne
vertreten und unterstützt im Bedarfsfall auch die
Patengemeinden bei gemeinnütziger Arbeit oder im
Hilfs- und Katastrophenfall.
Tief verwurzelt: Die Beziehung zwischen
Donaueschingen und dem Jägerbataillon 292
Das gute Verhältnis der Stadt Donaueschingen zum
Jägerbataillon betont auch Oberbürgermeister Erik
Pauly. „Das Jägerbataillon ist in Donaueschingen tief
verwurzelt und gehört untrennbar zum Stadtbild und
zur Geschichte unserer Stadt. Nach wie vor ist die
Deutsch-Französische Brigade einer der größten
Arbeitgeber in Donaueschingen und ein erheblicher
Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Zwischen den
Oben: Die neue Standortschießanlage Pfaffental des Jägerbataillon 292 wurde im Juli 2021 eröffnet. Durch die verbaute Rasterkassettendecke
wird die Lautstärke nach außen stark reduziert. Links unten: Soldaten beim scharfen Schuss. Rechts unten: Mit
der 9erLochwand
üben die Soldaten, auch in unbequemen Positionen und Anschlägen zu schießen und ihr Ziel zu treffen.
Bundeswehrangehörigen und der Donaueschinger
Bürgerschaft ist eine tiefe Verbundenheit entstanden.
Wir sind froh darüber, den Soldaten in Donaueschingen
zumindest eine Heimat auf Zeit gewähren
zu können und sehen es als unsere ständige Aufgabe,
unseren Soldaten am Standort eine Atmosphäre
des Vertrauens zu bieten und die Partnerschaft auf
allen Ebenen mit Leben zu füllen. Dafür werden wir
uns auch weiterhin einsetzen.“
Dies alles habe auch das Verhältnis der Bevölkerung
zu den Soldaten des Jägerbataillons 292 positiv
geprägt. Oft erfahren die Soldaten hier öffentlichen
Zuspruch und ermutigende Worte.
Worte, die gut tun für die Jäger. Das Jägerbataillon
ist ein sehr einsatzerfahrener Verband. Seit 1996
starteten die Donaueschinger Jäger zu insgesamt 23
Einsätzen in acht Ländern auf drei Kontinenten. Darunter
waren vier SFOR-Einsätze in Bosnien-Herzegowina,
ein Task-Force-Fox-Einsatz in Mazedonien, drei
ISAF-Einsätze in Afghanistan. Fünf Mal waren die Jäger
in Mali, vier Mal für KFOR in Kosovo, im Vorjahr
2024 und 2025 stellen sie gar zwei KFOR-Rotationen.
Drei Mal waren sie in Litauen. Beim ersten Mal 2015
beteiligten sich dort rund 200 Soldaten mit rund
100 Fahrzeugen, darunter das gepanzerte Transport-
Kraftfahrzeug „Boxer“, der Transportpanzer „Fuchs“
Jägerbataillon 292
137
Das Jägerbataillon ist in
Donaueschingen tief verwurzelt
und gehört untrennbar
zum Stadtbild und zur Geschichte
unserer Stadt. Nach
wie vor ist die DeutschFranzösische
Brigade einer
der größten Arbeitgeber in
Donaueschingen und ein
erheblicher Wirtschaftsfaktor
für die Stadt. Zwischen den
Bundeswehrangehörigen
und der Donaueschinger
Bürgerschaft ist eine tiefe
Verbundenheit entstanden.
Erik Pauly, Oberbürgermeister
Stadt Donaueschingen
Christina M. (31) Stabsunteroffizier, wuchs in
Donaueschingen auf und wohnt jetzt in einem
Nachbarort. Seit 2015 ist sie bei der Bundeswehr
im Jägerbataillon 292. Die ersten sechs Jahre war
sie eine Zivilangestellte für die Logistik in der Küche,
seit Juli 2021 ist sie Soldat.
„Mein Papa war mehr als 30 Jahre
Berufssoldat. Als Kind durfte ich mit in
die Kaserne, es hat mich begeistert, die
Fahrzeuge und die Uniformen zu sehen.“
und das militärische Kettenfahrzeug „Wiesel“. 2018
waren im Rahmen der verstärkten Vornepräsenz der
NATO „Enhanced Forward Presence“ fast 350 Soldaten
mit 150 Fahrzeugen für sechs Monate in Litauen,
um dort mit sieben weiteren Nationen militärische
Stärke zu zeigen, glaubhaft abzuschrecken und gemeinsam
zu üben.
Darauf folgten die Übungen „Blauer Express“ im
Jahr 2023 (mit rund 200 Soldaten und 50 Fahrzeugen)
sowie „Grand Quadriga 2024“ (mit abermals
200 Soldaten und 100 Fahrzeugen). Bei diesen Übungen
wurde das schnelle Verlegen nach Litauen geübt
und im Anschluss wurden bei einer großangelegten
Gefechtsübung im scharfen Schuss die eigenen Fähigkeiten
eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Eindrucksvolle Demonstration: „Grand Quadriga“
und der Besuch von Kanzler Olaf Scholz
Bei der Übung „Grand Quadriga 2024“ wurde dem
Bundeskanzler, Verteidigungsminister Boris Pistorius
und dem Generalinspekteur Carsten Breuer sowie
der Öffentlichkeit das gesamte Fähigkeitsspektrum
der Jägertruppe aufgezeigt. Das bedeutet das Zusammenwirken
von Aufklärung am Boden und in
der Luft, der streitkräftegemeinsamen taktischen
Feuerunterstützung von Mörsern und Pionieren,
Infanteristen und dem Sanitätsdienst. Die Soldaten
waren während der Übung nur etwa sieben Kilometer
Sie freut sich, jetzt bei der aktiven Truppe zu
sein, es sei sehr abwechslungsreich und abenteuerlich.
Sie liebt es, draußen zu sein und sie
schätzt die Kameradschaft: „Man ist nie alleine.“
Stabsunteroffizier
Christina M.
Oben: Das Jägerbataillon 292 in Litauen. Im Jahr 2018 waren im Rahmen der verstärkten NATOPräsenz,
der „Enhanced
Forward Presence“, nahezu 350 Soldaten mit 150 Fahrzeugen vor Ort. Ziel war es, gemeinsam mit sieben weiteren Nationen
militärische Stärke zu demonstrieren, glaubhaft abzuschrecken und gemeinsam zu üben.
Unten: Bei einem feierlichen Anlass marschieren mehrere NATONationen
zusammen.
Bei der Übung „Grand
Quadriga 2024“ wurde das
Zusammenwirken von
Aufklärung am Boden und
in der Luft, der streitkräftegemeinsamen
taktischen
Feuerunterstützung von
Mörsern und Pionieren,
Infanteristen und dem
Sanitätsdienst dargestellt.
entfernt von der weißrussischen Grenze und damit im
direkten Einflussgebiet der russischen elektronischen
Kampfführung. Diese Übung so dicht an den Grenzen
eines potentiellen Gegners verdeutlichte den Soldaten
die Notwendigkeit der permanenten Präsenz von
Streitkräften der NATO zur Abschreckung in Litauen.
Für die Soldaten stellte der Besuch des Bundeskanzlers
einen Höhepunkt der Übung dar. „Das
Jägerbataillon 292 rückte damit kurzzeitig in die
weltweiten Nachrichtensendungen. Die Soldaten
konnten dadurch direkt zu einer glaubhaften
Abschreckung beitragen“, betont Presseoffizier Kevin
Lahr. Zudem habe der Kanzler damit das Interesse
der Politik an der Bundeswehr und ihrem Auftrag
unterstrichen, da er mit den Soldaten in Litauen das
Gespräch gesucht habe. Dies wurde allgemein sehr
positiv und motivierend durch die Soldaten wahrgenommen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius und
der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten
Breuer, lobten ausdrücklich die „hohe Professionalität
und Fähigkeiten der Donaueschinger Jäger“.
Das Übungsgelände ist klein, doch einen Trumpf
haben die Jäger mitten in ihrer Kaserne: eine Anlage
für den Orts- und Häuserkampf, die sogenannte
Catwalk-Anlage. Die Bezeichnung Catwalk kommt
dabei von dem Laufsteg, der sich über dem Übungsraum
befindet. Der Übungsraum stellt nachgebildete
Wohnungen dar, die sich individuell umbauen lassen.
„Der Ausbilder kann das Vorgehen der Soldaten
beim Orts- und Häuserkampf während der gesamten
Ausbildung beobachten und auswerten“, informiert
Presseoffizier Kevin Lahr. Die Anlage kann von bis zu
30 Soldaten benutzt werden.
Kooperation und Übung im Alltag:
Zusammenarbeit mit Polizei und Stadt
Verständnis für ihre Einsätze erwerben sich die Jäger
außerdem durch die Zusammenarbeit mit der
Polizei. Es ist Dienstagmorgen, 26. April 2022, in der
Donaueschinger Innenstadt. Kurz nach acht Uhr
bahnen sich drei gepanzerte Fahrzeuge ihren Weg
auf den Bereich hinter den Donauhallen. Zwei
Transportpanzer und ein sogenannter Dingo der
Bundeswehr halten, Soldaten steigen aus und
untersuchen die Fahrzeuge nach Sprengkörpern.
Eine Vorbereitung auf den Mali-Einsatz. Die Soldaten
marschieren durch die Straßen, Ziel ist die Kreuzung
um das Rathaus mit dem nahegelegenen Polizeirevier.
Revierleiter Thomas Knörr und mehrere seiner
Kollegen simulieren malische Polizisten, mit denen
die Soldaten Gespräche führen, um Informationen
über lokale Konflikte zu erhalten. Bei der Übung in
Donaueschingen und Umgebung ging es darum,
eventuelle Einsatzszenarien, wie sie auch in Mali
vorkommen könnten, zu trainieren. Beispielsweise,
mit großen gepanzerten Fahrzeugen durch enge
Gassen fahren und dabei Rücksicht auf die Bewohner
nehmen, gewaltsamen Konflikten begegnen,
Gespräche mit Einheimischen führen oder die
Umgebung auf Sprengfallen absuchen. Intensiviert
hat das Jägerbataillon seine Kontakte zur Stadt 2023,
als es an einer Planübung der Stadt teilnahm, bei
dem das Handeln beim Auftreten eines plötzlichen
Katastrophenfalls geübt wurde.
Oben: Als Einsatzvorbereitung für den Einsatz MINUSMA
in Mali übten Soldaten Patrouillenabläufe in der Donaueschinger
Innenstadt.
Unten: Mitten in der Kaserne befindet sich eine Anlage
für den Ortsund
Häuserkampf, die sogenannte CatwalkAnlage.
Führung und Perspektiven
Seit März 2022 führt Oberstleutnant Timo
Elbertzhagen das Jägerbataillon. Die Schwerpunkte
des Kommandeurs liegen in erster Linie auf der
systematischen Ausbildung zur Einsatzbereitschaft
des Jägerbataillons 292 für die Landes- und Bündnisverteidigung
sowie die regionale Verwurzelung des
Bataillons mit der Bevölkerung hier im SchwarzwaldBaar-
Kreis und allen anderen Patengemeinden in
Baden-Württemberg. „Die Ausrüstung und Ausstattung
des Jägerbataillons 292 ist derzeit gut, wodurch
die Donaueschinger Jäger ihre vielfältigen Aufträge
lageangepasst erfüllen können,“ so Kommandeur
Timo Elbertzhagen.
Links: Das Jägerbataillon 292 bei einer
Übung im Wald. Hier tragen die Soldaten
im Winter „Schneetarn“.
Unten rechts: Das Luftbild vom 31. Juli
2024 zeigt, wie die FürstenbergKaserne
am Buchberg in das Donaueschinger
Stadtbild eingebettet ist. Das größere,
dunkle Gebäude in der oberen Bildmitte
zeigt den Rohbau der Realschule, darüber
ist der Kirchturm von St. Marien zu sehen.
Für die Bundeswehr bleibt Donaueschingen ein
wichtiger Standort. Der neue Kasernenkommandant
Tobias Lang, zugleich stellvertretender Kommandeur,
hebt einen Pluspunkt hervor. 2006 kam er mit
seiner Frau und den Kindern aus Bayern zum Jägerbataillon.
Die Menschen hier in ihrer Offenheit und
Freundlichkeit hätten seiner Familie das Einleben
leicht gemacht. „Für mich ist Donaueschingen Heimat“,
erklärt Lang. Kommandeur Timo Elbertzhagen
macht deutlich: Der Charme des Jägerbataillons und
das gute Klima in der Kaserne und in Donaueschingen
haben sich längst weit herumgesprochen. Wenn
die Jäger neue Kräfte suchen, „haben wir Bewerbungen
bis nach Norddeutschland.“
Der Charme des Jägerbataillons und das gute
Klima in der Kaserne und in Donaueschingen
haben sich längst weit herumgesprochen.
Timo Elbertzhagen,
Kommandeur
Hauptfeldwebel Ulrich H. (59) stammt aus Calw, sein
Herz und seine Familie sind längst hier in der Region
verwurzelt. 1985 kam er zur Bundeswehr nach
Immendingen zum Panzergrenadierbataillon 292, hier
fühlt er sich zu Hause. Er war ursprünglich Berufssoldat,
wechselte dann 20 Jahre in eine andere Berufssparte.
2021 kehrte er zur Bundeswehr zurück, er ist
jetzt Reservist und im Lagezentrum eingesetzt. „Wir
machen alles, was im weitesten Sinne mit den
Auslandseinsätzen zu tun hat“, beschreibt er seinen
Aufgabenbereich. Interessant findet der Hauptfeldwebel,
dass ehemalige Soldaten bei der Bundeswehr so
genannten Reservedienst leisten können, sprich
wieder für eine gewisse Zeit ihren Dienst tun. „Die
Reservisten sind ein verlässlicher Stützpfeiler im
Bataillon“, stellt Presseoffizier Kevin Lahr fest. Die
Dauerreservisten hätten eine hohe Fachkompetenz
und arbeiteten zum Beispiel in den Kompanieführungen
oder in der Personalabteilung.
Für Hauptfeldwebel Ulrich H. war seine Rückkehr
zur Bundeswehr etwas Besonderes:
„Als ich die Uniform wieder angezogen habe,
hatte ich das Gefühl, ich komme heim.“
Er, wie auch Stabsfeldwebel Martin M., sind Zeitzeugen
für die Gründung des Jägerbataillons, das
zugleich auch ein Stück deutsche
Geschichte verkörpert.
Ulrich H. (59),
Hauptfeldwebel,
als Reservist im Bataillon
143
Zwischen Hightech
und Kuckucksuhr
75 Jahre Südwest Messe in Villingen-Schwenningen
VON SYLVIE BRACKENHOFER
Die 75-jährige Geschichte der Südwest Messe in Villingen-
Schwenningen begann 1950 mit der ersten Veranstaltung
unter dem Motto „Südwest stellt aus“. Diese ursprüngliche
Ausstellung zog bereits 60.000 Besucher an und stellte einen
bedeutenden Marktplatz für regionale Unternehmen dar.
Über die Jahre entwickelte sich die Messe zu einem wichtigen
Wirtschaftsfaktor und kulturellen Ereignis, das jährlich viele
tausend Menschen anzieht.
Wirtschaft
75 Jahre Südwest Messe 75 Jahre Südwest Messe
Südwest Messe
Die Südwest Messe bietet eine Plattform für Aussteller, um
Neuheiten zu präsentieren und direkte Kundenkontakte zu
knüpfen. Besucher können Produkte nicht nur sehen, sondern
auch ausprobieren und mit Experten sprechen. Highlights
sind Kochvorführungen, Mitmachaktionen und Sonderschauen
zu aktuellen Themen. Im Laufe der Zeit hat die Messe viele Veränderungen durchlaufen,
darunter einen Standortwechsel und die Einführung moderner Messehallen. Sie
bleibt jedoch ein Ort des Austauschs und der Entdeckung, wo Startups
und etablierte
Unternehmen gleichermaßen präsent sind. Die Südwest Messe ist nicht nur ein
Marktplatz, sondern auch ein soziales Ereignis, das generationenübergreifend Menschen
zusammenbringt und eine tiefe Verwurzelung in der Region hat. Das bereits 75jährige
Bestehen verdeutlicht, wie wichtig die Messe für die lokale Wirtschaft und das
Gemeinschaftsleben ist. Es unterstreicht zugleich die Bedeutung von Messen als Orte
des persönlichen Austauschs und der Inspiration.
S
S
amstag nach Pfingsten, sechs Uhr morgens:
Das Gelände am Waldeck ist bereit für den
Ansturm. Das Straßenkehrfahrzeug zieht seine
Kreise, Staubsauger düsen emsig über Teppich
böden. Nach und nach erscheinen die Aussteller, die
Messestände füllen sich mit Leben, in den Hallen
duftet es nach frischem Brot. Zeit für ein kurzes
Frühstück, denn um neun Uhr öffnen sich die Tore:
Die Südwest Messe beginnt!
Neun Tage lang haben Besucherinnen und
Besucher Zeit, durch die Hallen und über das große
Freigelände zu schlendern. Dabei Neuheiten zu
bestaunen, Start-ups kennenzulernen, die Moderni
sierung des eigenen Hauses und dessen Einrichtung
zu planen oder mit der ganzen Familie einen
schönen Tag zu erleben. Man trifft Bekannte, die
man lange nicht gesehen hat, verkostet Unbekann
tes, lässt sich Haushaltsgeräte und Fitnesstrends
vorführen und entdeckt im Freigelände das coole
Elektrofahrzeug, das vieles erleichtern kann.
Ein einziger Besuch reicht für all das meist nicht
aus – es gibt so viel zu entdecken, zu erfahren und
zu kaufen! Aber eben nicht anonym aus dem
Internet, sondern nach ausführlicher Beratung, oft
heißt es auch Ausprobieren. Die Südwest Messe ist
ein Markt mit echtem Kauferlebnis: Hier wird
gezeigt, präsentiert, gehandelt – und bei Fragen gibt
es immer einen Ansprechpartner. Was zieht die
Menschen zur Südwest Messe, was macht dieses
besondere Flair aus – und das seit 75 Jahren?
Südwest stellt aus
Eine Rückblende auf die erste Messe überhaupt am
3. Juni 1950: Wo Mozartstraße und Beethovenstraße
aufeinandertreffen, ist der Haupteingang zur
„Südwest stellt aus“. Monatelang hat die Stadt
Schwenningen an den Vorbereitungen gearbeitet,
der Werbeaufwand ist riesig und umfasst neben
Plakaten und Zeitungsanzeigen auch Standbilder auf
Das Messegelände an der B27 im Überblick.
75 Jahre Südwest Messe
147
Schon 1953 herrscht reges Treiben auf dem Messegelände.
Kinoleinwänden und sogar Lautsprecherwagen, die
durch die Dörfer fahren.
Das Messeareal liegt mitten in der Stadt,
zwischen Wasenstraße und Mühlweg. Die
Ausstellungsfläche umfasst rund 6.000 Quadratmeter.
Friedensschule, Beethovenhaus und Turnhalle
sowie 12 Zelthallen dienen als Ausstellungsräume.
Der Anstoß zur Industrie-, Handels- und Gewerbeausstellung
kommt vom Schwenninger Oberbürgermeister
Dr. Hans Kohler. Die Menschen haben wieder
Geld, nach den Jahren der Entbehrung ist der Warenhunger
groß. Die Firmen zeigen Flagge am Markt: Sie
wollen ihre Produkte vorstellen, Bedürfnisse wecken
und Aufträge generieren. Mit Mut und Pioniergeist –
wie sein Großvater Johannes Bürk, 1857 Initiator
der ersten Gewerbeschau in Schwenningen – stellt
Kohler die Weichen für eine große Regionalmesse.
Neben Neuheiten wie der sparsamen „Orienta“Kaffeemaschine
und der elektrischen Farb-Spritzpistole,
die keinen Kompressor mehr braucht, bringen
1950: Monatelang hat die Stadt
Schwenningen an den Vorbereitungen
gearbeitet, der
Werbeaufwand ist riesig und
umfasst neben Plakaten und
Zeitungsanzeigen auch Standbilder
auf Kinoleinwänden und
sogar Lautsprecherwagen, die
durch die Dörfer fahren.
Kraftfahrzeuge, Schlepper und Ackergeräte die Besucherinnen
und Besucher zum Staunen. In der Friedensschule
stellt die Uhrenindustrie aus, der soziale
Messetrubel im Jahr 1957, aus ganz BadenWürttemberg
kommen die Messebesucher mittlerweile.
Wohnungsbau an der Kinzigstraße. Gegenüber der 17 Tagen ihre Waren und Dienstleistungen. Insge-
Ziegelei stehen der Vergnügungspark und das Bier-samt 60.000 Menschen strömen aus der Region,
zelt. Sogar einen Sonderstempel kann man auf dem vom Bodensee, dem Rheinland, aber auch aus der
Messepostamt erhalten. Schweiz, Schweden und Dänemark herbei. Eine
Die Messe übertrifft alle Erwartungen: Schon Fortsetzung wird angestrebt, allerdings mit einer
am ersten Tag muss der Einlass wegen Überfüllung Änderung: Die Stadt Schwenningen wünscht sich
geschlossen werden. 370 Aussteller zeigen an den eine private Fachfirma als Organisator.
Das Messepostamt war eine
besondere Einrichtung auf
der Südwest Messe, die den
Besuchern die Möglichkeit
bot, ihre Post direkt vor Ort
zu versenden. Oftmals konnte
man dort auch spezielle
Sonderstempel erhalten, die
an die Messe erinnerten.
75 Jahre Südwest Messe
149
Pioniere und Visionäre
Im Südwesten sind derweil zwei Männer unterwegs,
die sich mit regionalen Ausstellungen wie „Festwoche
des Handwerks“, „Stadt und Land – Hand in
Hand“ und „Schalten und Walten der Hausfrau“
einen Namen gemacht haben: Fritz Glunk und Kurt
Langer vom Büro für Organisation und Wirtschaftswerbung
(BOW). Auf Anfrage empfiehlt das Landesgewerbeamt
in Stuttgart die erfolgreichen Messemacher.
Schnell wird man sich einig, und eine
langjährige und erfolgreiche Public-private-Partnership
nimmt ihren Anfang.
Glunk und Langer sind Pioniere in ihrem Marktsegment,
und die Messe in Schwenningen wird ihr
Meisterstück und Impulsgeber für neue Messekonzepte.
Dabei wirkt der erfahrene Glunk als Stratege,
der auch in anderen Städten Regie führt. Der wesentlich
jüngere und ideenreiche Kurt Langer übernimmt
als örtlicher Ausstellungsleiter das operative
Geschäft. Die spannende Mischung aus Fach- und
Sonderschauen trifft den Nerv der Zeit und weist in
die Zukunft: Neuheiten entdecken, Qualität präsentiert
und erklärt bekommen, Wissenswertes erfahren
und mit der Familie einen vergnüglichen Tag erleben.
Erkennen, welche Schätze vor der Haustür liegen
und wie sie verarbeitet werden – da verzahnen sich
traditionelles Handwerk und moderne Wirtschaft,
Landwirtschaft und regionale Spezialitäten, internationale
Trends und raffinierte, praktische Neuheiten,
die den Alltag verbessern. Wovon man gestern in
der Zeitung gelesen hat, das kann man heute auf der
Messe nicht nur bestaunen, sondern auch anfassen
und begreifen – ob es sich um einen Roboter, die
schreibende Nähmaschine, die Badewanne mit Einstiegstür
oder ein Solardach handelt.
Erkennen, welche Schätze vor
der Haustür liegen und wie
sie verarbeitet werden – da
verzahnen sich traditionelles
Handwerk und moderne
Wirtschaft, Landwirtschaft
und regionale Spezialitäten,
internationale Trends und
raffinierte, praktische
Neuheiten, die den Alltag
verbessern.
Zwei Messen – ein Familienunternehmen
Anfang der 1960er-Jahre sucht die Stadt Mannheim
einen Betreiber für ihren Maimarkt, der eine
350-jährige Tradition aufweist und entscheidet sich
ebenfalls für Glunk und Langer. Seit 1962 sind die
Südwest Messe und der Maimarkt eng miteinander
verbunden. Nachdem Glunk aus Altersgründen
ausscheidet, ist Kurt Langer bis 1997 Alleininhaber
der Südwest Messe- und Ausstellungs-GmbH (SMA)
und der Mannheimer Ausstellungs-GmbH. Danach
übernimmt seine Tochter Stefany Goschmann die
Geschäftsführung. Mit Jan Goschmann, der 2004
über die Veranstaltungstechnik in die Führungsetage
eingestiegen ist, steuert bereits die dritte Generation
das Familienunternehmen.
Fritz Glunk Kurt Langer Stefany Goschmann und Jan Goschmann
Von Industriemaschinen bis zu Haushaltswaren, auf der Südwest Messe gibt es (fast) nichts, was es nicht gibt. Seit 1978
gehört auch der Hahn als weithin sichtbares Logo zur Südwest Messe.
Ein idealer Standort
Schon zur zweiten Messe 1953 wird ein neuer
Standort gefunden: Auf dem Gelände der Turngemeinde
1859 Schwenningen am Waldeck finden über
400 Aussteller Platz. 17 Hallen werden aufgestellt,
92.000 Besucher drängen zur Veranstaltung.
Uhrenindustrie und Werkzeugmaschinenhersteller
sind stark vertreten. Die Bauern präsentieren eine
eindrucksvolle Leistungsschau und heben am
Pfingstmontag mit einer Kundgebung den „Tag der
Landwirtschaft“ aus der Taufe, der zur Tradition
wird. Sozialverbände und Institutionen stellen sich
vor, eine Strumpffabrik zeigt ihren hauchdünnen
Faden, es gibt Modenschauen, einen Kinopavillon,
einen betreuten Kindergarten und als Höhepunkt ein
Fernsehstudio. Die Stimmung ist ausgezeichnet. Von
nun an findet die Messe alle zwei Jahre statt, ab
1969 jährlich. Seit 1961 heißt sie „Südwest Messe“.
Für den endgültigen Standort an der B 27 muss
das Gelände befestigt, entwässert und mit Strom
und Wasser versorgt werden. Die Stadt baut einen
Parkplatz am Messegelände. 1967 steht eine feste
Messehalle – Halle A – ein Fortschritt vor allem für
die Aussteller von Werkzeugmaschinen. 1972 folgt
Messehalle B. Ein neuer Haupteingang mit einem
Gebäude für die Messedienste entsteht 2002, ein
Betriebshof 2006. Ein Jahr später ergänzt Halle C die
Ausstellungsräume. Das ist nicht nur für die Südwest
Messe von Bedeutung, sondern auch für die inzwischen
gewachsenen Fachmessen. Messegelände und
Messehallen sind vollständig Eigentum der Stadt
Schon zur zweiten Messe
1953 wird ein neuer Standort
gefunden: Auf dem Gelände
der Turngemeinde 1859
Schwenningen am Waldeck
finden über 400 Aussteller
Platz. 17 Hallen werden
aufgestellt, 92.000 Besucher
drängen zur Veranstaltung.
Villingen-Schwenningen und werden von der SMA
als privat geführtem Unternehmen betrieben.
Südwest Messe – der Markt zum Anfassen
Dabeisein und Mitmachen sind Trumpf: Schon in den
Anfangsjahren drängen sich die Menschen um
Kochvorführungen, wo es regionale Leckerbissen,
Schweizer Bündnerfleisch und dänischen Käse zum
Verkosten gibt. Im Fahrsimulator wird man kurz zum
Rennfahrer, beim SWR darf man Moderator spielen.
Wer geschickt ist, schafft es, die Mondlandung
fehlerfrei auf dem Computer zu simulieren. Mutige
lassen sich ein Bio-Tattoo stechen, das nach einiger
Zeit von selbst verschwindet. Auch die Aussteller
und Ehrengäste werden aktiv: Man hat schon
unzählige Minister und Oberbürgermeister um die
Wette Spargel und Kartoffeln schälen sehen. Der
langjährige Bauernverbandspräsident Constantin
Freiherr von Heereman beschlägt eigenhändig ein
Pferd. Große Wellen schlägt die Attraktion des Jahres
1969: Als alle Welt die Fernsehserie „Flipper – jeder
kennt ihn, den klugen Delfin“ guckt, dürfen die
beiden Delfine Sindbad und Skipper aus Florida
einfliegen und in einem Extrazelt mit ihrer Trainerin
ihre Kunststücke vorführen.
Bis heute werden in den Sonderschauen aktuelle
Themen gezeigt. Regelmäßig diskutiert die
Stadt Villingen-Schwenningen ihre Vorhaben mit
Besuchern, der Schwarzwald-Baar-Kreis präsentiert
sich mit Thementagen. Was ein Chemiker alles aus
Wasserproben entnehmen kann, zeigt im Jahr 2019
Professor Andreas Fath mit seinem Team in der Sonderschau
„Rheines Wasser“ und kämpft damit gegen
Plastikmüll. Und wie hat nochmal die Neutrinopower
beim Aufladen von Handys funktioniert?
Spiegel und Motor der Wirtschaft
Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen
kennen 96 Prozent der Bevölkerung in den Landkreisen
Schwarzwald-Baar-Heuberg, Rottweil und
Tuttlingen die zweitgrößte Regionalmesse im
süddeutschen Raum nach dem Maimarkt Mannheim.
Mit 45 Millionen Euro Umsatz der Aussteller ist die
Messe ein starker Wirtschaftsfaktor und ein attraktiver
Marktplatz für Unternehmen. Die Besucher
kommen aus allen Altersschichten, die meisten aus
Bunte Vielfalt mit zahlreichen Vorführungen inklusive, das zeichnet seit 75 Jahren die Südwest Messe aus. Auch Vereine
aus der Region machen mit, hier unterhält der Fanfarenzug von Schwenningen die Besucher.
der Region. 72 Prozent haben die Absicht, etwas zu
kaufen. Pro Kopf werden im Durchschnitt 500 Euro
ausgegeben. Rund 15 Prozent des Publikums hat
auch berufliches bzw. gewerbliches Interesse.
Als Spiegel der Wirtschaft ist die Südwest Messe
ganz nah an den Trends, an den Bedürfnissen der Aussteller
und Verbraucher. Dass die Messe 2020 wegen
der Covid19-Pandemie ausfallen muss, ist ein Schock
für alle. 2021 gelingt es, vom 9. bis 12. September eine
„Südwest Messe spezial“ zu den Themen Bauen,
Handwerk, Energie durchzuführen. 97 Aussteller und
über 4.200 Besucher nehmen unter Auflagen teil. Seit
2022 kann die Südwest Messe wieder wie gewohnt
stattfinden. Einige Aussteller haben allerdings mit
Schwierigkeiten bei der Betriebsnachfolge und Personalmangel
zu kämpfen. Es geht stetig aufwärts. 2024
treffen rund 500 Aussteller auf 76.000 Besucherinnen
und Besucher – und diese sind sehr interessiert und
kauffreudig, wie die Schlussumfrage zeigt: 82 Prozent
der Aussteller geben ihren Ergebnissen die Note sehr
gut, gut oder befriedigend, ebenso viele melden gute
Aussichten auf das Nachgeschäft.
Das ganze Jahr aktiv
Nicht nur die Südwest Messe macht das Gelände zu
einer eigenen Welt – seit 1973 wird es ganzjährig für
Veranstaltungen genutzt. Hier treffen sich die
Züchter, um Geflügel, Rassekaninchen, Hunde und
Alpakas vorzuführen. Ein Renner ist der Firmenlauf.
Konzerte gingen schon mit Udo Lindenberg,
Dr. Quincy and his Lemon Shakers, Mark Forster und
75 Jahre Südwest Messe
153
Selbst Baumaschinen sind auf der Südwest Messe zu finden.
Entscheider und Praktiker
können sich quasi vor der
Haustür über Innovationen
und Trends bei Werkzeugmaschinen,
Präzisionswerkzeugen
und Zubehör
bis zu ganzen Prozessketten
informieren und
Geschäftskontakte
knüpfen.
Dieter Thomas Kuhn über die Bühne. Geschlossene
Firmenveranstaltungen erleben in Zeiten des Home
Office eine neue Bedeutung.
Besonders erfolgreich sind Messen mit starkem
regionalen Bezug: Die „Jobs for Future – Messe für
Arbeitsplätze, Aus- und Weiterbildung, Studium“
vereint alle Bereiche des Berufslebens unter einem
Dach. Sie verbindet umfassende Informationen über
Berufswege und Anforderungen mit dem persönlichen
Kennenlernen potenzieller Kollegen und
Chefs.
Ein Sahnestück im größten Cluster der Zerspanungstechnik
in Deutschland sind die „DST Dreh-
und Spantage Südwest“. Die Messe, die 2025 zum
fünften Mal stattfindet, ist zentraler Marktplatz
für einen der wesentlichen Wirtschafts- und somit
Jobmotoren im Großraum Schwarzwald-Baar-Heuberg.
Entscheider und Praktiker können sich quasi
vor der Haustür über Innovationen und Trends bei
Werkzeugmaschinen, Präzisionswerkzeuge und Zubehör
oder ganze Prozessketten informieren sowie
Geschäftskontakte knüpfen. Im Fach-Forum diskutieren
Aussteller und Fachbesucher über Best-Practice-
Beispiele, verbesserte Techniken, Lösungsansätze
und Optimierung von Workflows.
Bereits seit 1967 existiert eine ständige Fertighausausstellung,
heute HausBauPark. Rund 15 moderne
Musterhäuser verschiedener Hersteller können
das ganze Jahr über besichtigt werden. Diese
Häuser sind besonders wegen ihrer Vorreiterrolle in
Sachen Energieeffizienz und nachhaltiger Bauweise
gefragt und können individuell geplant werden.
Beratungsgespräche gehören auf dem Messegelände in VSSchwenningen
selbstverständlich dazu, zumal, wenn es um
komplexe Haustechnik geht.
Bierdeckel, Krimi und Messehahn:
Fester Platz im Kalender der Region
Auch nach 75 Jahren hat die Südwest Messe einen
festen Platz im Kalender der Region. „Start-ups
erleben hier ihre Premieren, große Firmen betreiben
aktive, praktische Marktforschung im Gespräch mit
den Kunden, weil sie hier den Querschnitt der
Gesellschaft erreichen“, sagt Geschäftsführer Jan
Goschmann. Und betont weiter: „Hier erfahren die
Hersteller direkt vom Kunden, was gut funktioniert,
aber auch, was sie noch besser machen können.“
Die Besucherinnen und Besucher kommen, weil
sie wissen wollen, was es Neues gibt, es ist „ihre“
Messe. So gab es schon Sammler, die Bierdeckel
und Siegelmarken aufbewahrten. Es existiert ein
auf Schallplatte gepresster Messe-Marsch. 2006
führt der Krimi „Schwarzwaldrätsel“ auf das
Messegelände. Zur 50. Südwest Messe
im Jahr 2009 ist eine Chronik mit vielen
Bildern und Messegeschichten
erschienen.
„Messen wird es immer geben“,
resümiert Jan Goschmann, „weil Menschen
sich treffen und gemeinsam beraten
wollen. Und weil man immer etwas
findet, das man nicht gesucht hat – aber immer
schon haben wollte.“
Von Menschen für Menschen
Das ganze Jahr über arbeitet ein Team von 13 Personen
für die SMA, in Mannheim sind es 49 Menschen.
Messeleiter in Schwenningen ist seit 2019
Tobias Ertl. Man tauscht sich regelmäßig aus und
unterstützt sich gegenseitig mit Ideen, Infrastruktur
und Material. So werden für die Südwest Messe zum
Beispiel 19 Kilometer Stromleitungen mit einem
Gesamtgewicht von 23 Tonnen verlegt, analog muss
Wasser installiert werden. Routine gibt es nicht,
Langeweile auch nicht. Vor Jahren hat das Messe
team seine Schritte gezählt und kommt im Schnitt
auf 13 Kilometer pro Person und Messetag.
Die Spannung steigt von Tag zu Tag, dann
ist es so weit: Samstag nach Pfingsten.
Es kann losgehen.
Messeleiter Tobias Ertl
75 Jahre Südwest Messe
155
In enger Zusammenarbeit mit dem Schwarzwald-Baar-Kreis
ein innovatives Modellprojekt verwirklicht:
Der „Rote Löwen“ –
Stolz von St. Georgen
VON ROLAND SPRICH
Der „Rote Löwen“ strahlt wieder, ist sich ganz St. Georgen
einig. Seine Geschichte ist vielgestaltig und reicht von der
ältesten Erwähnung 1548 als Scheune und Tanzlaube bis
hin zu seiner Funktion als Vereinslokal für Gastarbeiter
aus Italien, Spanien und der Türkei. Bis ihm schließlich
der Abriss drohte, den Bürgermeister Michael Rieger tat
kräftig verhinderte.
5. Kapitel – Soziales
Der „Rote Löwen“ in St. Georgen war einst Klosterwirtsstube, Feuerwehrhaus, Weinhandel
und Vereinsheimat. Nach jahrzehntelanger Tristesse, vom Zerfall und Abriss
bedroht, ist er jetzt wieder das, was er schon vor 500 Jahren war: Ein sozialer Treffpunkt
für die Bürger von St. Georgen – aber auch ein Modellprojekt für den Landkreis.
In einer einmaligen Kooperation zwischen dem Sozialdezernat des Landratsamtes
SchwarzwaldBaarKreis,
den kirchlichen Sozialdiensten und der Stadt St. Georgen
entstand mit dem „Sozialräumlichen Beratungsund
Sozialdienst“ ein Meilenstein bei
der VorOrtBetreuung
der Bürger. Dieser ermöglicht den Menschen in St. Georgen
einen unkomplizierten Zugang zu Informationen, Hilfen und zur aktiven Selbsthilfe.
Wo bisher oft der Weg nach Villingen zu verschiedenen Dienststellen notwendig war,
arbeiten die zuständigen Leistungsträger nun vor Ort. Landrat Sven Hinterseh freut sich
bei der Eröffnung des „Roten Löwen“: „Dieses Begegnungszentrum mitten in der Stadt
leistet für das Miteinander in der Bergstadt einen wichtigen Beitrag – im Rahmen eines
geförderten Landesprojektes betreten wir Neuland.“
A
A
ls im Frühjahr 2024 das neue Bürger- und
Beratungszentrum „Roter Löwen“ in St. Georgen
feierlich eingeweiht wird, fallen die
Strapazen und Anstrengungen der vorangegangenen
sieben Jahre von den Schultern aller Beteiligter ab.
Strahlende Gesichter der Verantwortlichen, anerkennende
Worte des Landrates sowie staunende Blicke
und zustimmendes Nicken der Bevölkerung sind
verdienter Lohn dafür, dass sich gleich etliche
Verantwortliche nicht von der deutlich verlautbarten
Skepsis anderer beirren ließen. Sie haben das Projekt
vielmehr durchgezogen und das marode und zuletzt
einsturzgefährdete Gebäude mit vielfältigen
Beratungsangeboten, Begegnungscafé, Jugendraum
und imposantem Bürgersaal zu einem neuen
Treffpunkt in der Innenstadt gemacht.
Denn wenn es nach einem Teil der St. Georgener
Bürger und einem kleinen Teil der Mitglieder aus
den Reihen des damaligen Gemeinderates gegangen
wäre, wäre der „Rote Löwen“ längst dem Erdboden
gleichgemacht und an seiner Stelle ein Parkhaus
errichtet worden. Damit hätte das Gebäude das
gleiche Schicksal ereilt wie zahlreiche Häuser
50 Jahre zuvor, als am Anfang der 1970er-Jahre große
Ich hatte von Anfang an
die Vision, das mit diesem
Gebäude etwas ganz
Besonderes passieren muss.
Michael Rieger, Bürgermeister
Teile der Innenstadt abgerissen und durch damals
moderne Betonklötze ersetzt wurden.
Neuer Bürgermeister erkennt Potenzial
Michael Rieger indes, 2008 ganz frisch als Bürgermeister
von St. Georgen ins Amt gewählt, erkannte,
dass in dem markanten Gebäude großes Potenzial
steckt. „Ich hatte von Anfang an die Vision, dass mit
diesem Gebäude etwas ganz Besonderes passieren
muss. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt aber noch keine
passende Idee“, blickt er zurück. Es sollte dann auch
bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Frühjahr
Oben: Historische Bilder erinnern an die Geschichte St. Georgens, in der der „Rote Löwen“ seit fast 500 Jahren eine Rolle spielt.
Unten: Mehrere hundert Besucher kommen zur Eröffnung des Bürgerzentrums „Roter Löwen“ in St. Georgen. Im Bild vorne
von links der ehemalige Bürgermeister Wolfgang Schergel, Landrat Sven Hinterseh und Bürgermeister Michael Rieger.
Modellprojekt „Roter Löwen“ in St. Georgen
Die Hauptstraße mit dem „Roten Löwen“ (rechts) um die Jahrhundertwende.
2024 dauern, ehe der „Rote Löwen“ mit einem
einzigartigen Nutzungskonzept tatsächlich zu neuem
Leben erweckt werden konnte.
Im Jahr 1533 ließ Abt Johannes Kern das
„Würtzhaus zu Sant Jörgen“ errichten
Um nachvollziehen zu können, welchen historischen
Hintergrund ausgerechnet dieses wuchtige und
zugegebenermaßen damals wenig ansehnliche
Gebäude in der Innenstadt der viertgrößten Gemeinde
im Schwarzwald-Baar-Kreis hat, muss man das
Rad der Zeit knapp 500 Jahre zurückdrehen. 1533
ließ der damalige Abt des Benediktinerklosters
St.Georgen, Johannes Kern, das „Würtzhaus zu Sant
Jörgen“ errichten. Das geht aus Aufzeichnungen des
St. Georgener Heimatforschers Wolf-Dieter Gramlich
hervor. Als sogenannte „Klosterbannwirtschaft“
genoss das Gasthaus über Jahrhunderte viele
Privilegien. So mussten in der Klostergemeinde
sämtliche kirchlichen Familienfeiern wie Hochzeiten
und Taufen der Bürger von St. Georgen und Umlandgemeinden
in diesem Gasthaus stattfinden, das
später in „Roter Löwen“ umbenannt wurde. Wer
diese Anordnungen nicht befolgte, dem drohten
hohe Geld- oder gar Gefängnisstrafen.
Dieses Bannrecht überdauerte sogar die Klosterzeit,
das 1633 nach der Zerstörung durch einen Brand
nicht wieder aufgebaut wurde. Erst 1848 wurde das
Bannrecht, sehr zum Leidwesen des damaligen
Wirts, aufgehoben. Von da an konnten die St.Georgener
Bürger selbst entscheiden, in welchem der
Gasthäuser, von denen es mittlerweile ein halbes
Dutzend in der Bergstadt gab, sie ihre Familienfeiern
abhalten wollten. Die Aufhebung des Privilegs
läutete allerdings auch das Ende des „Roten Löwen“
als Gasthaus ein, das einen schleichenden Tod starb
und 1921 geschlossen wurde.
Wenngleich der „Rote Löwen“ eine Geschichte
vorweisen kann, die ein halbes Jahrtausend umfasst,
das jetzige Gebäude ist damit verglichen ein
regelrechter „Jungspund“: Es wurde erst 1866
errichtet und damit ein Jahr nach dem großen
Stadtbrand wieder aufgebaut, der große Teile der
damaligen Innenstadt vernichtete. Einzig der Keller
dürfte noch aus der Originalzeit stammen. Er wurde
um 1572 vom damaligen Wirt Hans Engelhör beantragt,
„damit der Wein im Sommer nicht schlecht
wird und im Winter nicht gefriert.“ Auf den Keller
wurde das aktuelle zweigeschossige Gebäude
aufgesetzt, das somit „erst“ rund 160 Jahre alt ist.
Feuerwehrgerätehaus, Weinhandlung
und interkultureller Treffpunkt
Im 20. Jahrhundert diente der „Rote Löwen“ unterschiedlichen
Nutzungen, so beispielsweise der
örtlichen Feuerwehr von 1933 bis 1964 als Spritzenhaus.
Unter dem damaligen Rathauschef Günter
Lauffer, der von 1968 bis 1992 Bürgermeister war,
gab es dann verschiedene Nutzungsideen. Richtig
durchsetzen mochte sich aber keine. Und so darbte
das Gebäude über die Jahrzehnte vor sich hin und es
wurde bei kleinen Schönheitsreparaturen belassen.
Von Anfang der 1980er bis Anfang der 2000er-Jahre
befand sich dort zudem eine Weinhandlung und von
2004 bis 2019 ein Blumengeschäft. Außerdem
konnten mehrere interkulturelle Vereine die Räumlichkeiten
als Treffpunkt nutzen.
Als bei einer Brandverhütungsschau durch das
Landratsamt 2018 gravierende Sicherheitsmängel
beispielsweise durch fehlende Flucht- und Rettungswege
und offenliegende Stromleitungen festgestellt
und das Betreten des Gebäudes für die dortigen
Vereine quasi über Nacht untersagt wurde, war dies
sozusagen der Startschuss für die Stadt St. Georgen,
sich intensiv mit der Zukunft des „Roten Löwen“ zu
befassen. Zu diesem Zeitpunkt war er längst in das
Sanierungskonzept der Innenstadt aufgenommen
worden. Eine konkrete Nutzungsidee gab es mittlerweile
ebenso: Der „Rote Löwen“ sollte zu einem
sozialen Treffpunkt für alle Generationen werden, mit
einem breiten Sozialberatungsangebot für St. Georgener
Bürger. Auch eine Begegnungsstätte und einen
Bürgersaal sah die Ursprungsidee bereits vor.
Gemeinderat stimmt mehrheitlich zu
Die Architektengemeinschaft Martin Rosenfelder
und Stefan Blum, beide mit großer Erfahrung in der
Der „Rote Löwen“ soll zu
einem Treffpunkt für alle
Generationen werden, mit
einem breiten Beratungsangebot
für die Bürger.
Sanierung alter und historischer Gebäude, erstellte
eine Machbarkeitsstudie und eine erste Kostenberechnung:
4,3 Millionen Euro sollte die Sanierung
kosten. Viel Geld für das Stadtsäckel, das nach
Ansicht eines Teils des Gemeinderats besser in
andere Projekte hätte fließen sollen. Doch die
Verwaltung war seinerzeit bereit, insgesamt 4,5 Millionen
Euro an Eigenmitteln zu finanzieren. Letztlich
betrug der Eigenanteil der Stadt durch großzügige
Förderungen 3,8 Millionen Euro.
Da das bis dahin erarbeitete Nutzungskonzept in
das Investitionspaket „Soziale Integration im
Quartier“ des Landes Baden-Württemberg passte,
aus dem 54 Prozent und damit mehr als die Hälfte
der Kosten bezuschusst wurden, war für die Stadt
noch ein Anteil von zwei Millionen Euro zu stemmen.
Der Gemeinderat stimmte vor diesem Hintergrund
im Januar 2019 mehrheitlich der Sanierung zu.
Viele Bedenken gab es bezüglich unvorhersehbarer
Kostensteigerungen, weil bei einer derartigen
Bausubstanz immer mit Überraschungen gerechnet
werden müsse. Wenngleich die Architekten eine
detaillierte Kostenberechnung abgaben und nichts
schön rechneten.
Dass am Ende mit 6,5 Millionen Euro doch eine
höhere Summe zusammenkam – aber mit letztendlich
55 Prozent auch leicht höhere Zuschüsse
fließen – ist unter anderem auf die Inflation und
Verzögerungen aufgrund der Pandemie und des
Ukrainekrieges zurückzuführen. Dafür ist der „Rote
Löwen“ zu einem einzigartigen Projekt geworden.
Für St.Georgen sowieso, aber auch für den
Schwarzwald-Baar-Kreis, da das Nutzungskonzept
einen besonderen Modellcharakter hat.
Modellprojekt „Roter Löwen“ in St. Georgen
Oben: Das Team des Café „Vielfalt“ betreibt seit Mai 2024 das Begegnungscafé im Erdgeschoss.
Unten: Neben einem kleinen, täglich frisch zubereiteten Mittagstisch stehen mehrere Kuchen zur Auswahl.
Vielfältige Angebote für
Jung und Alt
Betritt man das Gebäude von der Hauptstraße aus,
gelangt man in das Begegnungscafé. Das Besondere
daran: Das Café Vielfalt führen in städtischer Regie
zwei hauptamtliche und ein großes Team an ehrenamtlichen
Mitarbeitern und es wird zudem als
integrativer Betrieb geführt. Das bedeutet, dass hier
auch Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung
geschaffen wurden. Das Café Vielfalt bietet auch
einen kleinen, täglich frisch zubereiteten Mittagstisch
an.
Direkt nebenan hat die St. Georgener Jugend ihr
neues Domizil gefunden. Mit gemütlichen Sitzecken,
einem Billardtisch, Tischkicker und einem überdimensionalen
Bildschirm lässt es sich hier „perfekt
abhängen und chillen“. In der kleinen Küchenzeile
können die Kinder und Jugendlichen, die von einer
Mitarbeiterin des Jugendbüros betreut werden,
kleine Speisen selbst kochen. Oder sich einfach mal
eine Pizza in den Ofen schieben.
Weiter steht den Jugendlichen im „Roten Löwen“
ein eigens angelegter Außenbereich zur Verfügung,
der vor allem im Sommer begehrt ist.
Oben: Der Jugendraum mit Sitzecken, Tischkicker und Billardtisch. Unten: Das „Zwergenstüble“ bietet stundenweise Entlastung
für Eltern. Ortsnahe Unterstützung für Bürger bieten u.a. verschiedene Beratungsangebote des Landkreises.
Koordinations- und Aktionsstelle
für bürgerschaftliches Engagement
Im ersten Obergeschoss befinden sich neben der
„Wirkstatt“, einer Koordinations- und Aktionsstelle
für Projekte für bürgerschaftliches Engagement aus
unterschiedlichsten Bereichen, und dem Kinderbetreuungsangebot
„Zwergenstüble“, weitere Büros
verschiedener Sozialberatungsstellen. In einer
bislang kreisweit einmaligen Kooperation mit dem
Sozialdezernat des Landratsamtes, den kirchlichen
Sozialdiensten Diakonie und Caritas sowie der Stadt
St. Georgen wurde hier ein Modellprojekt geschaf
fen, das Menschen mit sozialem Beratungsbedarf
einen unkomplizierten und niedrigschwelligen
Zugang zu Informationen, Unterstützungen und
Angeboten verschiedener Leistungsträger bietet.
Das Jobcenter der Agentur für Arbeit, Diakonie
und Caritas, dazu das Landratsamt mit dem Jugendamt
sowie dem Pflegestützpunkt als Beratungsstelle
für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige sind
hier ebenso mit regelmäßigen Sprechstunden
vertreten. Weiter die Beratungsstelle für Erwachsene,
Kinder und Jugendliche. Auch die Eingliederungshilfe
für Menschen mit Behinderung und die
Modellprojekt „Roter Löwen“ in St. Georgen
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Auch Sprachkurse werden im „Roten Löwen“ angeboten.
sozialen Leistungsangebote der Stadt St. Georgen
sind hier im wahrsten Sinne unter einem Dach
vereint. Für die Personen, die die Angebote in
Anspruch nehmen, ergibt sich der große Vorteil, dass
sie nicht mehr zu den Ämtern und Beratungsstellen
in VS-Villingen fahren müssen.
Bedeutender Schritt bei der
Sozialraumorientierung
Landrat Sven Hinterseh ist von dem neuen Bürgerzentrum
sehr angetan. Er betont: „Mit dem ‚Roten
Löwen‘ wurde in St. Georgen ein Begegnungszentrum
geschaffen, das für das Miteinander in der
Landrat Sven Hinterseh mit Bürgermeister Michael Rieger
im Café Vielfalt.
Bergstadt einen wichtigen Beitrag leistet. Dieses
Angebot bietet dem Schwarzwald-Baar-Kreis die
Möglichkeit, einen bedeutenden Schritt bei der
Sozialraumorientierung zu gehen. Dabei wird das
Ziel verfolgt, passgenaue Unterstützung und
Begleitung für hilfesuchende Bürger ortsnah zu
gestalten. Das Landratsamt wird im Rahmen eines
geförderten Landesprojekts hier Neuland betreten.
Allen Beteiligten, die sich bei diesem Projekt so
großartig engagieren, bin ich sehr dankbar.“
Geleitet wird das neue Beratungs- und Sozialdienstzentrum
von Markus Esterle. Auch das ist ein
großer Vorteil. Esterle war zuvor Leiter des Amtes
für Ordnung, Bildung und Soziales in St. Georgen.
Er kennt somit die Sorgen und Bedarfe der unterstützungsbedürftigen
Bürgerinnen und Bürger. „Ich
freue mich, dass ich durch meine neue Aufgabe
noch näher an den Menschen dran bin und ihnen
noch mehr helfen und noch mehr bewirken kann“, so
Markus Esterle.
Durch die räumliche Nähe, die konzeptionelle
Neustrukturierung sowie die ämterübergreifende
Vernetzung und Zusammenarbeit sollen die Bedürfnisse
der Menschen individueller erfasst und die
Hilfsangebote besser auf sie zugeschnitten werden,
um sie in ihren jeweiligen Bedarfen optimal zu
unterstützen.
Das Sozialdienstangebot ist ein auf drei Jahre
angelegtes Modellprojekt des Kommunalverbandes
Für kulturelle, gesellschaftliche und soziale Veranstaltungen ist der Bürgersaal im Dachgeschoss gedacht.
Jugend und Soziales Baden-Württemberg, das mit
100.000 Euro gefördert und zudem wissenschaftlich
begleitet wird. Die Projektpartner erhoffen sich
wichtige Erkenntnisse aus dieser Form der Zusammenarbeit,
um künftig weitere Vorhaben dieser Art
umzusetzen.
Bürgersaal ist ganzer Stolz
Der ganze Stolz des „Roten Löwen“ ist der Bürgersaal
direkt unterm Dach. Der große Raum besticht in
vielerlei Hinsicht: Betritt man den Saal, wandert der
Blick durch das offene Gebälk direkt bis unter die
Dachspitze. Die mächtige Dachkonstruktion wurde
weitgehend im Original belassen, als Reminiszenz an
die historische Vergangenheit des Gebäudes. Der
rote Bodenbelag bietet einen starken Kontrast zum
Holz.
Der Bürgersaal ist wie die übrigen Etagen dank
eines Aufzuges barrierefrei erreichbar und für
kleinere kulturelle Veranstaltungen gedacht. Der Saal
bietet je nach Bestuhlung Platz für bis zu 230 Personen
und ist mit modernster Ton-, Licht- und Multimediatechnik
ausgestattet. Dank Induktionsschleifen
im Fußboden können auch Personen mit Hörgeräten
Veranstaltungen akustisch optimal mitverfolgen. In
einer gut ausgestatteten Cateringküche können
angelieferte Speisen erwärmt und für die Ausgabe
vorbereitet werden. Der Saal kann zudem auch für
Der „Rote Löwen“ soll auch
als „Frequenzbringer“ für
die Innenstadt fungieren,
die dadurch belebt werden
kann, so Bürgermeister
Michael Rieger.
Firmen- oder private Familienfeiern gebucht werden.
Voraussetzung: Es können nur Personen den Saal
buchen, die in St. Georgen wohnen oder eine
familiäre oder berufliche Verbindung zu der Stadt
haben. Wie Bürgermeister Michael Rieger betont,
soll das Veranstaltungsangebot dabei „in keinster
Weise im Wettbewerb zu anderen kulturellen oder
gastronomischen Angeboten und Einrichtungen
stehen.“
Fazit: Mit dem „Roten Löwen“ hat St. Georgen einen
Treffpunkt für Menschen aller Generationen geschaffen.
Und so erhofft sich Hauptinitiator Bürgermeister
Michael Rieger einen „Frequenzbringer“ für
die Innenstadt. Diese werde durch das neue Angebot
deutlich aufgewertet und belebt, wovon letztendlich
auch der Einzelhandel profitiere.
Modellprojekt „Roter Löwen“ in St. Georgen
165
Bronzeplakette des Landes
Mehr als die Hälfte der Gesamtkosten in Höhe von
6,5 Millionen Euro investierte das Land Baden-Württemberg
in die Sanierung des „Roten Löwen“. Vor
diesem Hintergrund kamen im Juli 2024 Vertreter
des Landes und des Regierungspräsidium nach
St. Georgen und begutachteten das Projekt. Und der
„Rote Löwen“ machte bei den Landesvertretern
enorm Eindruck. „Wir sind stolz wie Bolle“, brach es
aus Ralph König vom Ministerium für Landesentwicklung
und Wohnen heraus. Es mache ihn stolz zu
sehen, was dank der Förderung entstanden ist. Mit
dem „Roten Löwen“ sei etwas Identitätsstiftendes
für St. Georgen geschaffen worden.
Thomas Wirth von der Stadtentwicklungsgesellschaft
STEG bezeichnete das Ergebnis als „beispielhaft.“
Und FDP-Landtagsabgeordneter Frank Bonath
stellte fest, die Stadt habe den Mut gehabt, das alte
Gebäude wieder zum Leben zu erwecken. „Der „Rote
Löwen“ ist kein Strohfeuer, sondern strahlt langfristig
Atmosphäre aus“, so sein Fazit.
Sozialdezernent Stach: „Die Menschen zur
Selbsthilfe anleiten“
Sozialdezernent Jürgen Stach vom Landratsamt wies
auf den notwendigen Paradigmenwechsel in der
Sozialpolitik hin. „Der Anspruch, dass, sobald
jemand ein Problem hat, eine Behörde das richten
soll, wird nicht mehr erfüllt werden können.“
Vielmehr sollen die Menschen, die Unterstützung
suchen, zur Selbsthilfe angeleitet werden. „Wir
fragen, was ist dein Bedarf, was kannst du selbst
einbringen und was sind deine Ressourcen?“
„Ich bin sehr glücklich, dass es so ist wie es ist“,
sagte Bürgermeister Michael Rieger, nach dem die
Delegation einen Rundgang durch das Gebäude
gemacht hatte und beeindruckt war. Rieger ließ den
langen Weg aufblitzen, bis der „Rote Löwen“ in
seinem jetzigen Erscheinungsbild erstrahlen kann.
Sein großer Dank galt dann auch den Vertretern des
Landes und des Regierungspräsidiums, ohne deren
Fördermittel das Projekt nicht hätte umgesetzt
werden können.
Bei einer Feierstunde im „Roten Löwen“ überreichte
Ralph König vom Ministerium für Landesentwicklung und
Wohnen (links) an Bürgermeister Michael Rieger eine
bronzene Plakette. Sein Fazit: „Wir sind stolz wie Bolle.“
Mit dem „Roten Löwen“ ist
etwas Identitätsstiftendes
für St. Georgen geschaffen
worden.
Als sichtbares Zeichen der Anerkennung für das
Projekt, das aus der Masse weit herausragt, und ein
bisschen auch als Erinnerung daran, wer das Projekt
maßgeblich mitfinanziert hat, bekam Bürgermeister
Rieger durch Ralph König vom Ministerium für
Landesentwicklung und Wohnen eine Bronzeplakette
überreicht.
Modellprojekt „Roter Löwen“ in St. Georgen
Der „Rote Löwen“ mit Blick aus nordöstlicher Richtung. Dank der
mustergültigen Sanierung hat St. Georgen in der Stadtmitte ein neues
Bürgerzentrum und ein Schmuckstück zugleich erhalten.
Der „Rote Löwen“ mit Blick aus nordöstlicher Richtung. Dank der
mustergültigen Sanierung hat St. Georgen in der Stadtmitte ein neues
Bürgerzentrum und ein Schmuckstück zugleich erhalten.
60 Jahre Malteser
Eine Erfolgsgeschichte im Wandel der Zeit Eine Erfolgsgeschichte im Wandel der Zeit
Hilfsdienst im
Schwarzwald-Baar-Kreis
VON HANS-JÜRGEN GÖTZ
Sanitätseinheiten der Malteser kommen immer
dann zum Einsatz, wenn eine große Anzahl von
verletzten oder erkrankten Personen versorgt
werden muss. Bei Großschadenslagen wie
Industrieunfällen oder Bränden können die
Helferinnen und Helfer sowohl vor Ort erste
Not lindern als auch eine große Anzahl von
Patientinnen und Patienten versorgen und für
den Transport ins Krankenhaus stabilisieren.
Soziales 169
Die Organisation bietet ein breites Spektrum an Diensten an, von Sanitätsdienst, Zivilschutz, ErsteHilfeAusbildung,
Fahrdienste, Menüservice, Hausnotruf, ambulanter Pflege, „Café Malta“, Besuchshunden bis zum mobilen Einkaufswagen.
Wer den Namen Malteser Hilfsdienst
hört, denkt zunächst an die Krankentransportfahrzeuge,
die vor allem bei
größeren Schadensereignissen im
Zusammenspiel mit dem DRK und
der Feuerwehr auf den Straßen zu sehen
sind. So mancher hat auch schon
mal an einem ErsteHilfeKurs
der
Malteser teilgenommen. Dabei hat der
Hilfsdienst weit mehr zu bieten und
eine weit zurückreichende internationale
Historie. Diese geht zurück bis
ins Jahr 1048 mit der Gründung des
ersten Hospizes und der Kirche des hl.
Johannes zu Jerusalem.
E
E
s dauerte bis 1956, bis in Baden-Württemberg
die ersten Malteser Ortsgruppen gegründet
wurden. Inzwischen engagieren sich insgesamt
rund 10.000 Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche
ehrenamtlich in 57 Orts- und Stadtgliederungen
innerhalb der Erzdiözese Freiburg und der Diözese
Rottenburg-Stuttgart. 1964 wurde dann auch die
Im Hauptamt sind im
Landkreis 190 Mitarbeiter in
der gGmbH Voll,
Teilzeitoder
geringfügig beschäftigt.
Parallel dazu engagieren
sich 151 Ehrenamtliche
in den verschiedenen
Einsatzbereichen des
Malteser Hilfsdienstes.
Neben Rückholund
Fahrdiensten für Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen gehört auch die Schülerbeförderung
und Individualfahrten zum klassischen Dienstleistungsspektrum des Malteser Hilfsdienstes im Landkreis.
Ortsgruppe bzw. Stadtgliederung in VS-Villingen
gegründet und ist seitdem Teil des Katastrophenschutzes
sowie des Rettungsdienstes im Kreis.
Struktur und Entwicklung der
Malteser-Dienste im Landkreis
Der Malteser Hilfsdienst ist in zwei wesentlichen
Bestandteilen organisiert, einem Hauptamt und
einem ehrenamtlichen Teil. Im Hauptamt sind im
Landkreis 190 Mitarbeiter in der gGmbH Voll-,
Teilzeit- oder geringfügig beschäftigt. Parallel dazu
engagieren sich 151 Ehrenamtliche in den verschiedenen
Einsatzbereichen des Malteser Hilfsdienstes.
Beide Organisationseinheiten sind rechtlich und
disziplinarisch voneinander getrennt, arbeiten aber an
vielen Schnittstellen einheitlich zusammen. Neben
den klassischen Diensten wie zunächst dem Sanitätsdienst
und der Breitenausbildung, folgt die Bereitstellung
des Rückhol- und Fahrdienstes für Menschen mit
körperlichen oder geistigen Einschränkungen oder
anderen Hintergründen, welche einen besonderen
Transport benötigen. Über die Jahre etablierte sich der
Der ErsteHilfeGrundlehrgang
ist das Basisangebot für das
Erkennen und Einschätzen von Gefahren und die Durchführung
der richtigen Maßnahmen wie beispielsweise der
Wiederbelebung. Moderne Medien und eine entsprechende
medizinische und pädagogische Qualifikation der Ausbilder
garantieren, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in nur
einem Tag lernen, wie sie im Notfall schnell helfen können.
60 Jahre Malteser Hilfsdienst im SchwarzwaldBaarKreis
171
172 172
Für die tägliche Auslieferung werden bis zu 240 warme
Mahlzeiten auf sieben Fahrzeuge verteilt. Der beliebte
Menüservice ist sowohl tageweise, als auch über einen
längeren Zeitraum hinweg buchbar. Die Fahrzeugflotte ist
weitgehend auf EAntrieb
umgestellt.
Malteser Fahrdienst in Villingen-Schwenningen und
zählt heute zu einem der führenden Fahrdienstanbieter
im Landkreis Schwarzwald-Baar. Mittlerweile
wurden die Leistungsgebiete um die Landkreise
Rottweil und Tuttlingen erweitert. Seit dem Jahr 2021
fahren sie neben der Christy-Brown- und der CarlOrff-
Schule in Villingen-Schwenningen ebenso die
Kompetenz- und Bildungszentren in Villingen und
Donaueschingen an. Sowohl die tägliche Schülerbeförderung,
als auch die Individualfahrten für
Seniorinnen und Senioren und beeinträchtigte
Menschen sind fester Bestandteil der Dienstleistungen
der Malteser Hilfsdienst gGmbH im SchwarzwaldBaar-
Kreis. Im Schuljahr 2023 legten ihre Fahrzeuge
auf 15 Touren verteilt, eine Gesamtstrecke von
257.628 Kilometern zurück, das entspricht umgerechnet
einer 20-fachen Erdumrundung.
Ebenfalls viele Kilometer bringt der mobile
Menüservice und der ambulante Pflegedienst auf die
Straße. Von Villingen aus werden mit aktuell sieben
Fahrzeugen bis zu 240 warme Mahlzeiten pro Tag
ausgeliefert. Hier, wie in anderen Bereichen, haben
die Malteser ihre Fahrzeugflotte inzwischen weitgehend
auf Elektroautos umgestellt. Zu den weiteren
Angeboten für Seniorinnen und Senioren gehören
auch ein Einkaufsdienst, Besuchs- und Begleitdienste
sowie spezielle Angebote für Menschen mit demenziellen
Erkrankungen.
In der PflegeWG
wird den
Bewohnerinnen und Bewoh
nern eine vollumfassende
Versorgung angeboten,
während gleichzeitig die
Eigenaktivität und gemeinschaftliches
Zusammensein
gefördert wird.
Ergänzt wird dieses Angebot durch eine Pflege-
Wohngemeinschaft in der Hauptstraße 71 in Blumberg.
Hier werden zwölf Menschen mit Pflegebedarf
Oben: Das Wohnzimmer der PflegeWohngemeinschaft
in Blumberg. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben jeweils
ein eigenes Zimmer, nutzen jedoch gemeinschaftlich Räume, die die Begegnung und die Erledigung des täglichen Lebens
fördern. Die WG bietet eine umfassende Betreuung, legt aber gleichzeitig großen Wert auf die Förderung der Eigeninitiative
und des Miteinanders. So wird zum Beispiel der wöchentliche Speiseplan in der Gruppe erstellt. Je nach individuellen
Möglichkeiten bereiten die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam mit den Betreuungskräften die Mahlzeiten
zu. Unten: Das Esszimmer mit angegliederter Küche.
173
Oben: Während der Nachmittage im Café Malta betreuen
ehrenamtliche Demenzbegleiter und Demenzbegleiterinnen
die Gäste mit Kaffee, Kuchen und kreativen Angeboten.
Hierbei stehen geselliges Beisammensein und
ressourcenorientierte Aktivierung im Vordergrund.
Unten: Der Malteser Hausnotruf ist per Knopfdruck rund
um die Uhr erreichbar und hilft, wenn es darauf ankommt.
in einer Wohngruppe von acht wechselnden Pflegekräften
vollumfänglich betreut und versorgt. Die
Bewohnerinnen und Bewohner haben jeweils ein
eigenes Zimmer, nutzen jedoch gemeinschaftlich
Räume, die die Begegnung und die Erledigung des
täglichen Lebens fördern. Entgegen der oft vorzufindenden
Meinung, die Betreuung beschränke sich auf
die Installation eines Hausnotrufgerätes und die
Organisation von gelegentlichen Kaffeenachmittagen,
ist die Betreuung der Bewohnerinnen und
Bewohner der Pflege-WG sehr individuell. In diesem
Wohnkomplex, der auf Seniorinnen und Senioren
ausgerichtet ist, gibt es weitere Wohnungen, die
unabhängig angemietet werden. Die Bewohnenden
können bei Bedarf den regulären ambulanten
Pflegedienst in Anspruch nehmen.
Café Malta und weitere
Dienstleistungen für Senioren
Gleich gegenüber, in der Hauptstraße 18 in Blumberg
befindet sich das Café Malta. Hier werden in den neu
und offen gestalteten Räumlichkeiten individuelle
Angebote geschaffen, um der Bevölkerung einen
sozialen Mehrwert und Begegnung zu bieten. Zwei
weitere Cafés gibt es in Bad Dürrheim und Donaueschingen.
Und wer all dies noch nicht nutzt, jedoch im Alter
mehr Sicherheit braucht, der oder dem bietet der
Malteser Hilfsdienst bundesweit einen Hausnotruf an.
Über den können die Menschen zu Hause, aber auch
unterwegs jederzeit mit einem einfachen Knopfdruck
einen Notruf absetzen. In der Notrufzentrale in Köln
sind bereits alle Daten hinterlegt, der aktuelle Standort
bekannt und so wird die passende Hilfe sofort zu den
Menschen in einer Notlage auf den Weg gebracht.
Koordination und Zusammenarbeit
im Katastrophenschutz
Ebenfalls in Blumberg wurde 2021 eine Rettungswache
eingerichtet. Hier steht rund um die Uhr ein
Notarzteinsatzwagen mit einem Notfallsanitäter und
Notarzt bereit. Damit wurden die Rettungszeiten vor
allem an der südlichen Grenze des Landkreises
deutlich verkürzt.
Koordiniert werden alle Einsätze über die
zentrale Rettungsleitstelle des Landkreises beim
Die 2021 in Blumberg eingerichtete Rettungswache stellt rund um die Uhr einen Notarzteinsatzwagen mit einem Notfallsanitäter
und Notarzt bereit. Bei einer Notfalllage bekommen die Fahrerinnen und Fahrer die Zielkoordinaten zum
Einsatzort direkt auf ihr Navigationsgerät im Fahrzeug eingespielt und müssen keine wertvolle Zeit mit Suchen und Telefonieren
verlieren.
Schwarzwald-Baar Klinikum, wo auch der Rettungshubschrauber
stationiert ist. Hier werden alle Einsatzfahrzeuge
von Feuerwehr, THW, DRK und eben
auch des Malteser Hilfsdienstes zusammengeführt
und deren aktuelle Position und Einsatzbereitschaft
per Funk und GPS erfasst. Das ermöglicht es den Disponenten
auf der Leitstelle zu jeder Notfalllage das
am nächsten gelegene und am besten ausgerüstete,
einsatzbereite Rettungsfahrzeug zu alarmieren. Die
Zielkoordinaten zum Einsatzort bekommen die Fahrerinnen
und Fahrer direkt auf ihr Navigationsgerät
im Fahrzeug eingespielt und müssen keine wertvolle
Zeit mit Suchen und Telefonieren verlieren.
Auch im Rahmen des Bevölkerungsschutzes
sind die Malteser im Katastrophenschutzdienst
des Landkreises eingebunden. Gemeinsam mit
dem DRK-Kreisverband Donaueschingen stellen sie
In Blumberg wurde 2021
eine Rettungswache eingerichtet.
Hier steht rund
um die Uhr ein Notarzteinsatzwagen
mit einem
Notfallsanitäter und Notarzt
bereit.
eine Einsatzeinheit bereit. Wenn bei einer Großschadenslage
oder im Katastrophenfall der Regelrettungsdienst
nicht mehr ausreicht, ist es ihre Aufgabe,
den Behandlungsplatz 25 (BHP 25) zu stellen.
60 Jahre Malteser Hilfsdienst im SchwarzwaldBaarKreis
175
Damit sind sie in der Lage, pro Stunde 25 Verletzte
mit unterschiedlichen Verletzungsmustern auf
einem Behandlungsplatz erstzuversorgen und zum
Weitertransport in eine Klinik vorzubereiten. Hierzu
wird Einsatzmaterial vorgehalten, welches auf drei
LKW (GwSan) verladen ist. Der Behandlungsplatz
umfasst insgesamt sechs Sanitätszelte, wobei vier
davon aufblasbar sind. Werden zur Unterstützung
des Rettungsdienstes zusätzliche Krankentransportfahrzeuge
benötigt oder wird eine überörtliche
Hilfe angefordert, sind sie gemeinsam mit dem
Kreisverband des Roten Kreuzes Donaueschingen
in der Lage, mit drei Notfallkrankenwagen und zwei
4er-Tragewagen zu unterstützen.
Einsätze bei Katastrophen:
Vom Landkreis bis ins Ausland
Unvergessen ist der Einsatz dieser Einheit am 14. und
Ehrenamtliche Helfer des Katastrophenschutzteams unterstützen
z. B. die Feuerwehr bei größeren Gefahrenlagen
wie Naturkatastrophen, großen Bränden oder anderen
schweren Unglücksfällen.
15. Februar 1990, als die ganze Baar vom Jahrhunderthochwasser
betroffen war. Wolterdingen traf es
damals besonders hart. Zwei Tage lang kämpften die
Bewohnerinnen und Bewohner gegen die Wassermassen,
viele Häuser versanken in den Fluten. Am
6. September 1992 dann waren Teile des Zuges
alarmiert und begleiteten ein schweres Busunglück
in Bad Dürrheim. Im Zuge der Novellierung des
Katastrophenschutzes in den Jahren 1995 bis 1997
wurde der dritte Sanitätszug zwar personell reduziert,
aber mit weiteren Fahrzeugen ausgestattet.
Aber auch außerhalb des Landkreises helfen die
Malteser. Im Juli 2021 sind sie mit zwei Fahrzeugen
Auch außerhalb des Landkreises
helfen die Malteser.
2021 rückten sie als Notfallhelfer
zur Hochwasserkatastrophe
ins Ahrtal aus, um
dort vor Ort die lokalen Einsatzkräfte
bei ihrer schweren
Arbeit zu unterstützen.
Oben links: Hilfskräfte der Blaulichtorganisationen aus
dem SchwarzwaldBaarKreis
haben sich im Juli 2021
auf den Weg nach RheinlandPfalz
in das Gebiet der
HochwasserKatastrophe
gemacht. Mit dabei vom Malteser
Hilfsdienst Villingen waren (v. rechts) Benjamin Crain,
Maximillian Riegger und Kilian Jäger (2.v.l.).
Oben rechts: Mit einem Lastwagen fahren die Helfer durch
die zerstörten Straßen bis zum Krankenhaus von Ahrweiler.
Unten: Bei der Vergabe der Fluthelfermedaille im
Landratsamt. Von links: Jürgen Riegger, Maximillian
Riegger, Benjamin Crain, Maria Theresia Rehder, Kilian
Jäger, Pascal Fritzer und Dr. Michael Fritzer.
als Notfallhelfer zur Hochwasserkatastrophe ins Ganz unkonventionell sind die Malteser auch bei
Ahrtal ausgerückt. Eine Woche lang haben sie dort Hilfeleistungen im Ausland aktiv. Im Jahr 2022 leiste-
vor Ort mit vier Helfern die lokalen Einsatzkräfte bei te der Malteser Fahrdienst mit vier Fahrzeugen und
ihrer schweren Arbeit unterstützt. acht Mitarbeitenden einen kleinen, aber wichtigen
60 Jahre Malteser Hilfsdienst im SchwarzwaldBaarKreis
Bei der Übergabe eines ausgemusterten Feuerwehrfahrzeuges an die Malteser im August 2024. Von links: Gerd Wimmer,
Kommandant der Feuerwehr Donaueschingen und Bürgermeister Severin Graf übergeben die Schlüssel an Benjamin
Crain, Stadtbeauftragter und Leiter der Ausbildung und Rainer Kühl, Dienststellenleiter der Malteser Hilfsdienst gGmbH.
Rechts im Bild Detlev Dillmann, der für die Überführung des Fahrzeugs in die Ukraine zuständig war.
Beitrag, um beeinträchtige Personen sowie ältere
Menschen aus den Kriegsgebieten der Ukraine zu
evakuieren. Hierzu wurden die Personen an der polnischen
Grenze in die Malteserfahrzeuge überführt
und sicher nach Deutschland transportiert. Im Verlauf
der Zeit wurden immer wieder Fahrzeuge des
Malteser Fahrdienstes zur Verfügung gestellt, um lo-
Im Laufe der Zeit wurden
immer wieder Fahrzeuge
der Malteser Fahrdienste für
die Beförderung logistischer
und medizinischer
Materialien an die Grenze
zur Ukraine zur Verfügung
gestellt.
gistische und medizinische Materialien an die Grenze
zu befördern. Zuletzt brach ein kleiner Konvoi im
August 2024 von Villingen aus erneut in die Ukraine
auf. Darunter auch ein ausgemustertes, aber voll
einsatzfähiges Feuerwehrfahrzeug der Freiwilligen
Feuerwehr Wolterdingen.
Der Einsatz des Feuerwehrarztes und
die Rolle der Malteser im Rettungsdienst
Seit 2010 wird durch den Malteser Hilfsdienst e.V. der
Feuerwehrarzt unter der Führung von Dr. Michael
Fritzer mit vier Sanitätsdienstlerinnen und Sanitätsdienstlern
bereitgestellt. Ab der Ausbildung zum
Einsatzsanitäter dürfen die freiwillig Engagierten bei
den Einsätzen mitmachen. Dr. Fritzer wird im
Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit zeitweise von
weiteren vier Ärztinnen oder Ärzten unterstützt, was
eine beste Vernetzung und gute kooperative
Zusammenarbeit über Barrieren hinweg fördert.
Gegenwärtig besteht das ärztliche Team aus
Dr. Michael Fritzer und Dr. Matthias Bollinger. Das
Team wird durchschnittlich 30-mal im Jahr bei
Einsätzen ab der Brandstufe drei zur Überwachung
der Feuerwehrleute alarmiert. Die Aufgaben des
Feuerwehrarztes sind vielseitig: Er fungiert als
Betriebsarzt für die Feuerwehr und führt Vorsorge-
sowie Tauglichkeitsuntersuchungen für Atemschutzgeräteträger,
Maschinisten (mit Lkw-Führerschein)
und Höhenretter durch. Zudem berät er Feuerwehrangehörige
zu gesundheitlichen Themen und
Impfungen.
Zum weiteren Tätigkeitsbereich zählt die Betreuung
der Feuerwehrengagierten im Einsatz. Bei größeren
Bränden (ab Brand 3) wird der Feuerwehrarzt
automatisch mit alarmiert und versorgt alle Betroffenen.
Bei absehbar längeren Einsätzen wird auch
der jeweilige Ortsverein des DRK oder der „Brand-
KTW“ der 2. Einsatzeinheit (Malteser und DRK DS)
alarmiert, um den Rettungsdienst zu entlasten. Die
Zusammenarbeit der Feuerwehrärzte und -sanitäter
mit diesem gestaltet sich reibungslos, da für alle die
Patientin oder der Patient im Vordergrund steht. Da
auf vielen Rettungsmitteln kein CO-Hb-Messgerät
vorhanden ist, können die Malteser oft mit ihren
Messungen bei der Entscheidung für oder gegen
eine Klinikeinweisung einen wichtigen Parameter
beisteuern. In den letzten Jahren wurde das Team
durchschnittlich zu 36 Einsätzen pro Jahr angefordert.
Auch dieser Dienst wird ehrenamtlich umge-
Feuerwehrarzt Dr. Michael Fritzer (rechts) ist Betriebsarzt
der Feuerwehr, berät und betreut die Feuerwehrengagierten
im Einsatz.
setzt und die Malteser sind stolz darauf, dass fast alle
Einsätze angenommen wurden und Feuerwehrangehörige
betreut werden konnten. Jährlich wurden
bisher immer über 220 Messungen dokumentiert.
Der Malteser Hilfsdienst bildet damit eine tragende
Säule im Rettungs- und Katastrophenschutzdienst
des Landkreises. Daneben sind die Themen Seniorenbetreuung,
Pflegeangebote, Essen auf Rädern,
Schülertransporte und einiges andere nicht mehr
wegzudenken.
D
D
ie Malteser in VS-Villingen gehören zu
den Maltesern für den Bezirk
Schwarzwald-Oberrhein mit ihrer
Geschäftsstelle in Freiburg unter der Leitung der
Diözesan- und Bezirksgeschäftsführerin Sabine
Kuri. Yvonne Hartmann übernimmt als deren
ständige Vertretung die Steuerung der Außen
stelle im Schwarzwald-Baar-Kreis. Der Dienst
stellenleiter in der gGmbH ist Rainer Kühl,
Benjamin Crain ist Stadtbeauftragter des Vereins
und Leiter der internen Ausbildung.
60 Jahre Malteser Hilfsdienst im SchwarzwaldBaarKreis
Johann Baptist Krebs –
Opernstar aus Überauchen
VON JOSEF VOGT
Sein außergewöhnliches musikalisches Talent und die wunderschöne Stimme fallen früh
auf: Johann Baptist Krebs spielt schon als Sechsjähriger Orgel und singt im Knabenalter
am Fürstlich Fürstenbergischen Hoftheater in Donaueschingen, wo er intensiv und mit
großem Erfolg gefördert wird. Umjubelt ist sein Debüt an der königlichen Hofoper in
Stuttgart im Alter von 21 Jahren. Dort hat Johann Baptist Krebs in der Folge 25 Jahre lang
die Position des Ersten Tenors inne, gilt als einer der herausragendsten und bestbezahlten
Sänger seiner Zeit. Bis zu seinem Tod im Jahr 1851 prägt er zusammen mit führenden
Künstlern das höfische Musikund
Theaterleben sowohl in Stuttgart als auch in Ludwigsburg.
Parallel zu seiner Tätigkeit als Sänger, Librettist und Regisseur erarbeitet sich Krebs
eine Führungsposition bei den Freimaurern. Der Opernstar verfasst theosophische und
esoterische Lehrwerke, die in über 30 Büchern veröffentlicht werden und die in Freimaurerkreisen
bis heute ihre Leserschaft haben. 1811 gründet er in Stuttgart zudem ein
Musikinstitut für Waisenkinder. Im Jahr 2024 gedenken Opernfreunde und Freimaurer
des 250. Geburtstages von Johann Baptist Krebs, der im Jahr 1774 in Überauchen, einem
Ortsteil von Brigachtal, als zweites von acht Kindern von Johann und Maria Viktoria
Krebs zur Welt kommt.
Sohn einer Tagelöhner-Familie
Überauchen zählt im Geburtsjahr von Johann Baptist
Krebs gerade einmal 200 Einwohner, die sich auf weniger
als 30 Familien verteilen. Herrschaftlich ist das
Dorf der Stadt Villingen unterstellt, rein katholisch
und agrarisch geprägt. Die Häuser stehen überwie
gend entlang des Bondelbachs: Die großen Hofstellen
der Landwirte liegen von Klengen her betrachtet
rechts des Bachufers und die gedrungenen Häusle
der Tagelöhner links davon. Der überwiegende Teil
der Bevölkerung verdient sich den Lebensunterhalt
als Tagelöhner, so auch die Eltern des späteren
6. Kapitel – Geschichte
Johann Baptist Krebs
Opernstars. Tagelöhner zu sein bedeutet, bei
schlechter bis mittelmäßiger Bezahlung verschiedene
Auftraggeber und somit mehrere Arbeitsstellen
gleichzeitig zu haben.
Johann Baptist Krebs wird am 12. April 1774
geboren. Neben der älteren Schwester gibt es noch
sechs weitere Geschwister. Die Eltern Johann und
Maria Viktoria Krebs haben alle Mühe, ihre Kinderschar
und sich selbst satt zu bekommen. Dass Eltern
zu jener Zeit auch für den Schulbesuch ihrer Kinder
bezahlen müssen, belastet das Auskommen enorm.
Sich als Kind einer Tagelöhnerfamilie in ein
besseres Dasein empor zu arbeiten, ist kein leichtes
Unterfangen: Mädchen entrinnen den ärmlichen
Verhältnissen nicht selten, indem sie ins Kloster
gehen. Begabte Buben können Pfarrer werden.
Vorausgesetzt, der Lehrer, der zu dieser Zeit in der
Regel auch der Ortspfarrer ist, erkennt das Talent,
fördert es durch zusätzlichen Unterricht und setzt
sich persönlich für die Aufnahme in eine höhere
Schule ein. Dann sind die Eltern von der Schulgeldpflicht
befreit.
Im Fall von Johann Baptist ist es der in Kirchdorf
als Pfarrer und in Überauchen als Lehrer tätige Franz
Josef Bemmel, der sein außergewöhnliches musikalisches
Talent erkennt. Im Verkündbuch hält er fest,
dass der erst Sechsjährige Choräle auf der Orgel recht
gut spielen könne und beim Üben der Lateinvokabeln
gute Fortschritte mache.
Schulzeit in Villingen und Konstanz
Im Alter von zwölf Jahren wird Johann Baptist Krebs
auf das von den Benediktinern geleitete Gymnasium
nach Villingen geschickt. In Villingen findet der
wissbegierige und fleißige Pennäler optimale
Voraussetzungen vor: Unter den Mitschülern gibt es
manch anregenden Charakter, etwa den gleichaltrigen
Lukas Meyer, später Pfarrer und Historiker im
Südschwarzwald. Und weiter den ebenfalls gleichaltrigen
Johann Georg Benedikt Kefer, später Professor
der Kirchengeschichte in Freiburg und bedeutender
Erforscher der Geschichte seiner Heimatstadt
Villingen.
Zur Lehrerschaft des Benediktinergymnasiums
zählen angesehene Gelehrte wie der Philosoph und
Orientalist Georg Maurer und der Patristiker, sprich
Gelehrte und Theologe, Gottfried Lumper.
Bei Johann Baptist Krebs ist es
Pfarrer und Lehrer Franz Josef
Bemmel, der das musikalische
Talent erkennt: Im Verkündbuch
hält er fest, der erst
Sechsjährige spiele Choräle
auf der Orgel recht gut.
Theologiestudium in Freiburg
Der weitere Lebensweg scheint vorgezeichnet: 1790
wechselte Krebs von Villingen nach Konstanz an
das Jesuitenkolleg, er soll Pfarrer werden. Nach drei
Jahren verlässt er Konstanz wieder, um im Jahr 1793
ein Theologiestudium an der Universität Freiburg zu
beginnen. Ein Grund dürfte die bessere Abkömmlichkeit
zum Hoftheater in Donaueschingen sein, wo
es Krebs schon seit vielen Jahren hinzieht, da er dort
Unterricht in Gesang und Theaterspiel nimmt und
auch Auftritte hat.
Über seine Zeit in Freiburg ist wenig bekannt.
Offenbar schwankt er zwischen der Laufbahn zum
Theologen und seiner großen Leidenschaft für Theater
und Musik. Bekannt ist, dass er Freiburg 1795
ohne Abschluss des Studiums verlässt: Freiburg
sieht sich zu dieser Zeit durch französische Revolutionstruppen
heftig bedrängt und die Bewohner
fürchten mehr und mehr um ihr Leben. Ein weiterer
und vielleicht noch entscheidenderer Grund dürfte
sein, dass das künstlerische Naturell des nunmehr
21-jährigen Johann Baptist Krebs immer offensichtlicher
wird und er den intellektuellen Beschränkungen
der theologischen Fakultät entrinnen will. Das zeigt
sich allein schon an der Tatsache, dass er nur kurze
Zeit später als Tenor an der Stuttgarter Oper gefeiert
wird, dort zum Opernstar aufsteigt.
Donaueschingen, das künstlerische und
musikalische Eldorado für den jungen Krebs
Wann sich der musikbegabte Knabe zum ersten Mal
zu Fuß von Überauchen aus auf den Weg zum 1774
Links: Außenansicht der ehemaligen Winterreitschule in Donaueschingen, die Fürst Joseph Wenzel 1774 in ein Hoftheater
umfunktionieren ließ. Als es am 28. April 1850 abbrannte, wurde es nicht wieder aufgebaut. Rechts: Das Interieur des
ehemaligen barocken Hoftheaters nach einer Zeichnung von Hans Lembke. Das ehemalige Hoftheater gehörte um die
Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu den herausragenden Bühnen im süddeutschen Raum.
und damit im Geburtsjahr von Krebs eröffneten
Hoftheater des Fürsten zu Fürstenberg in Donaueschingen
macht, ist nicht bekannt. Für die sieben
Kilometer braucht der Junge jeweils eine Stunde.
Tatsache ist, dass 1786 mit dem Tenor Franz Walter
und 1789 mit dem Bariton Franz Xaver Weiß zwei
professionelle Kammersänger in Donaueschingen
angestellt sind, die für die Stimm- und Gesangsausbildung
des Knaben aus Überauchen von großer
Bedeutung sind. Besonders Franz Xaver Weiß ist für
Johann Baptist Krebs ein wichtiger Wegbegleiter, da
er das Stimmpotenzial des Knaben erkennt und ihn
entsprechend fördert.
Schauspiele und Opern werden in Donaueschingen
aufgeführt, unter anderem unter der Leitung der
Hofkapellmeister Konradin Kreutzer und Johann
Wenzel Kalliwoda. Die am Hoftheater erhaltene
musikalische Ausbildung und Stimmbildung versetzen
den jungen Johann Baptist früh in die Lage, bei
Aufführungen diverse Singrollen zu übernehmen.
Und das mit enormem Erfolg, wie es an gleich
verschiedener Stelle heißt. Für seine „wunderherrliche,
sonore und zarte Tenorstimme“ erntet er
allgemein Beifall. Das Erfolgsrezept des Gesangsunterrichts
durch den Hofsänger Weiß dürfte die
„Italienische Schule“ sein. Diese auch unter dem
Begriff „Belcanto“ (schöner Gesang) bekannte
Stimmbildung bezeichnet eine Gesangstechnik, die
in Italien Ende des 16. Jahrhunderts aufkommt.
Erster Tenor am Hoftheater in Stuttgart
Als Johann Baptist Krebs sich mit gerade einmal
21 Jahren in der Karwoche 1795 auf Empfehlung
seines Mentors Franz Xaver Weiß an der Stuttgarter
Hofoper vorstellt, erreicht die jahrelange Förderung
ihre Krönung: Seine Stimme entzückt Herzog Ludwig
Eugen förmlich und Johann Baptist Krebs ist umgehend
engagiert. Doch ist zu dieser Stunde nicht
absehbar, dass der Herzog nur wenige Wochen
später an einem Schlaganfall sterben wird. Johann
Baptist Krebs ist jetzt auf die Gnade eines neuen
Dienstherren angewiesen – und überzeugt wieder:
Auf Ludwig Eugen folgt sein jüngerer Bruder
Friedrich Eugen nach und der Herzog ist von dem
sängerischen Ausnahmetalent derart angetan, dass
er Johann Baptist Krebs augenblicklich ein jährliches
Festgehalt von zunächst 500 Gulden und einige
Monate später von 1.200 Gulden nebst sonstigen
Privilegien anbietet und ihn so dauerhaft für die
Hofoper gewinnt. Ein Lehrer verdient gerade einmal
200 Gulden im Jahr, was aufzeigt, wie bedeutend die
Johann Baptist Krebs
183
Gage des 21-Jährigen ausfällt. Krebs wird außerdem
erlaubt, alle zwei Jahre eine Benefizoper aufzuführen,
deren Einnahmen ihm zugesichert sind.
Doch auch Friedrich Eugen sind nur drei Jahre
Regierungszeit vergönnt – jetzt tritt Herzog Friedrich,
der spätere König Friedrich I., die Nachfolge an. Die
folgenden 19 Jahre gestalten sich für den Hofsänger
Krebs zunächst als durchaus schwierig. Einerseits hat
er dank seiner außerordentlichen sängerischen
Qualitäten, die ihn zum Publikumsliebling machen,
einen unanfechtbaren Status als Erster Tenor.
Andererseits sieht er sich durch die Disziplinarordnung
der Zensurstelle, die Friedrich I. für das
Hoftheater aufstellen lässt und der Graf Wintzingerode
als Minister für Auswärtige Angelegenheiten vorsteht,
zum Teil unerträglichen Repressalien ausgesetzt.
So berichtet die über 400 Seiten umfassende
Personalakte von mehreren Arrestzeiten, die der
Sänger absitzen muss, weil er einer Probe ferngeblieben
oder nicht rechtzeitig aus dem Urlaub zurückgekehrt
sei.
Ein anderes Mal soll sein gesamter Besitz beschlagnahmt
werden, weil er ohne Genehmigung nach
Freiburg reist, um einer Besorgung nachzugehen. Die
Fehde zwischen Krebs und Graf Wintzingerode ist
derart heftig, dass der Opernsänger 1805 wegen
angeblicher Stimmprobleme um seine Entlassung
bittet. Die der König jedoch ablehnt, da er einen
Aufstand des Theaterpublikums fürchtet. Als
Wintzingerode 1807 aus dem königlichen Dienst
ausscheidet, bessert sich das Verhältnis zwischen
Johann Baptist Krebs und der Theateroberintendanz
nachhaltig.
König Friedrich I. verstirbt 1816 und Wilhelm I.
tritt die Nachfolge an. Mit ihm wird das Klima am
Hoftheater liberaler und künstlerisch anspruchsvoller,
was sicher ganz im Sinne von Krebs ist. Welch
enormes, sängerisches Ausnahmetalent er ist,
beschreibt der Autor und Zeitgenosse Carl Albert
von Schraishuon in einem nicht datierten Aufsatz
wie folgt:
„Krebs, den man eher für einen Bassisten als Tenoristen
gehalten hätte, wenn man ihn sprechen hörte, gebot
über ein Register von 2,5 Oktaven in Brusttönen. Dadurch
wurde es ihm aber auch möglich, in dem kurzen
Zeitraum von sechs Wochen in der Zauberflöte den Tamino
und den Sarastro zu singen, eine Leistung, welche gewiss
einzig in ihrer Art dasteht. Seine hohe Meisterschaft
bekundete er ganz besonders in den Rezitativen, welche
in den älteren Opern eine höhere Bedeutung als in den
Kompositionen der Neuzeit hatten.
Von imponierendem Eindruck war das breite Portamento,
bei welchem kein Vokal anders tönte als er
lautete und keine Silbe, viel weniger ein Wort verloren
ging. Daher war auch das Hauptfeld seiner Tätigkeit die
heroische Oper, in welcher er namentlich als „Achilles“
von Paer in der Titelrolle, als Licinius in der „Vestalin“
und „Ferdinand Cortez“, von Spontini ganz Hervorragendes
leistete. Daß er aber auch als lyrischer Sänger großen
Eindruck machte, bewies sein Tamino, Don Ottavio in
„Don Juan“, Titus, Belmonte in der „Entführung aus dem
Serail“ und so manchen anderen Opern dieser Gattung.
In seinen späteren Jahren, als er jüngeren Kräften
weichen musste, glänzte er noch immer im Kirchengesang,
an dem er neben Madame Müller ruhmreich
mitwirkte.“
Theaterzettel für eine Benefizvorstellung zugunsten des
Hofsängers Krebs, die ihm ergänzend zu seinem Gehalt
alle zwei Jahre zugesichert wurde.
Außenansicht des königlichen Hoftheaters in Stuttgart – Darstellung um 1840.
Auch Komponist und Librettist
Neben seiner überaus erfolgreichen sängerischen
Karriere an der Königlichen Hofoper Stuttgart, die
1795 beginnt und 1823 zu Ende geht, wirkt Krebs
ebenso als Regisseur und Librettist, als Verfasser von
Texten für musikdramatische Werke somit. So übersetzt
er Opern aus dem Italienischen ins Deutsche
und dichtet Texte für Arien, Duette, Terzette, Oratorien
und ganze Opern.
Insgesamt wirkt Krebs über 50 Jahre am Hoftheater
bzw. der Hofoper und gestaltet zusammen
mit herausragenden Hofkapellmeistern wie Johann
Friedrich Kranz (1803-1806), Justin Heinrich Knecht
(1806-1808), Franz Danzi (1807-1812), Conradin
Kreutzer (1812-1816) und Johann Nepomuk Hummel
(1816-1818) das Musikleben in den Residenzstädten
Stuttgart und Ludwigsburg. Die längste Zeit arbeitet
er mit dem aus Nonnenhorn stammenden Peter
Joseph von Lindpaintner zusammen, der 1819 als
Kapellmeister nach Stuttgart kommt und dort bis
1856 wirkt. Aus dieser Zusammenarbeit stammen
die noch heute öfters aufgeführten Oratorien „Tod
Abels“ und „Abraham“, für die Krebs die Texte
schreibt und die Lindpaintner vertont.
Zwischen dem Komponisten Karl Maria von
Weber, der in Stuttgart von 1808 bis 1809 eine Anstellung
hat und Johann Baptist Krebs besteht of
fensichtlich eine besondere Freundschaft. Jedenfalls
komponiert Weber für Krebs zu dessen Namenstag
eigens eine Burleske, die als verschollen gilt.
Johann Baptist Krebs als Musikpädagoge
Der Startenor aus Überauchen stellt sich auch als
Musikpädagoge für den Sängernachwuchs zur
Verfügung: So ist in Schillings musikalischem
Lexikon über den Tenor und Komponisten Franz
Xaver Löhle (1792-1837) festgehalten: „Bei seiner
Ankunft in Stuttgart im November 1807 […] zuerst dem
Unterricht und der Pflege des Kapellmeisters Danzi
übergeben; dann aber dem damaligen ersten Tenoristen
Krebs, dem er dann auch nach seiner eigenen Versicherung
ziemlich Alles verdankt, was er weiß und kann,
sowohl in rein künstlerischer als auch wissenschaftlicher
Beziehung“.
Auch über den an mehreren Hofopern gefeierten
Tenor Georg Weixelbaum kommen im Lexikon die
besonderen Fähigkeiten von Johann Baptist Krebs als
Lehrmeister zum Ausdruck: „Sein stimmliches Talent
wurde durch den Gesangspädagogen Krebs so geformt,
daß er zur Meisterklasse in seinem Stimmfach aufsteigen
konnte.“
Seine ganze musikalische Hingabe widmete er
jedoch seinem Adoptivsohn Karl August, der im Alter
Johann Baptist Krebs
von zwei Jahren in das Haus Krebs aufgenommen
wird. Das Ehepaar Maria Anna und Johann Baptist
Krebs hat keine eigenen Kinder. Die Mutter des
kleinen Karl ist die Freundin von Maria Anna Krebs
und sie verspricht der am Nervenfieber erkrankten
Opernsängerin Charlotte Miedke am Sterbebett,
sich um Karl zu kümmern. Überliefert ist: „Frühzeitig
entwickelten sich bei dem Knaben ungewöhnliche musikalische
Anlagen. Schon im sechsten Lebensjahre spielte
er, von Schelble unterrichtet, die Pianoforteconcerte von
Mozart, Dussek, Ries etc. Er machte auch durch sein
Compositonstalent, das sein Adoptivvater gepflegt hatte,
großes Aufsehen und gehörte zu den sogenannten Wunderkindern.
Fortwährend studierte er mit unermüdlichem
Eifer und bildete sich unter Anleitung seines Pflegevaters
und anderen ausgezeichneten Lehrern zum tüchtigen
Musiker heran.“
Das Musikinstitut für Waisenkinder
Zusammen mit dem aus Hüfingen stammenden
Johann Nepomuk Schelble, der ebenfalls durch die
Gesangsschule von Weiß in Donaueschingen ging
und durch Krebs an die Hofoper kam, gründet der
Erste Tenor 1811 weiter ein Musikinstitut für Waisenkinder.
Mit ihm will er einen neuen Weg in der
Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses für das
Hoftheater beschreiten. Anders als bei der schon
existierenden Karlschule, die vornehmlich auf die
Handschriftliches Notenblatt mit Liedtext von Johann
Baptist Krebs.
Bildung der Kinder aus der privilegierten Oberschicht
ausgerichtet ist, sollen in dem von Krebs
konzipierten Institut Kinder der Waisenhäuser in
Stuttgart und Ludwigsburg als Musiker, Tänzer und
Schauspieler ausgebildet werden. Offenbar hat sich
Krebs intensiv mit dem Gedankengut des Reformpädagogen
Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827)
beschäftigt und daraus seine Idee für die Errichtung
einer Art „Künstlerschule“ speziell für Waisenkinder
entwickelt.
In einem königlichen Dekret von 1811 wird zu
dieser Initiative veröffentlicht: „Unterricht für
60 Waisen beiderlei Geschlechts in der Musik,
Akustik, Ästhetik, im musik(alischen) Komponieren,
im Italienischen, Französischen u[nd] Rein-Deutschen.“
Außerdem werden Klavier-, Geigen-,
Tanz- und Gesangsunterricht erteilt. Der Unterricht
ist kostenfrei und die Verpflegung besser als im
Waisenhaus. Krebs selbst gibt Gesangsunterricht und
übernimmt die Aufsicht über den Klavierunterricht.
Von Hampeln leitet die Geigenklassen und Danzi ist
Lehrer für Komposition und Leiter der Bläserklasse.
Der Hofsänger Johann Nepomuk Schelble erteilt den
Kindern Elementarunterricht „nach Pestalozzischen
und eigenen Grundsätzen“.
Von Anfang an gibt es Vorbehalte gegen das
Institut, das „Waisenkinder für solche Zwecke
verwendet“. Als der Druck aus der Gesellschaft ob
der vermeintlichen Zweckentfremdung der Waisenhäuser
zu groß wird, entzieht der König 1818 die
Erlaubnis und das Institut muss nach nur sieben
Jahren seinen Betrieb einstellen. Am Ende hält die
Statistik des Instituts fest: „Zwölf männliche und
sieben weibliche Mitglieder werden durch das
Hoftheater übernommen – 19 junge Männer und
sechs Mädchen ohne Anstellung entlassen.“
Johann Baptist Krebs und die Freimaurer
Wann und durch wen der seit 1795 in Stuttgart an der
Hofoper tätige Erste Tenor Johann Baptist Krebs mit
der Freimaurerei in Berührung kommt, lässt sich nicht
feststellen. Die fünf Grundideale der Freimaurerei
sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und
Humanität. Diese Ideale sollen durch ihre „praktische
Einübung im Alltag“ gelebt werden. Gut vorstellbar,
dass der Sohn einer Tagelöhnerfamilie, der zum
Opernstar aufsteigt, sich in diesen Grundsätzen der
Freimaurerei besonders gut wiederfindet.
Am 12. August 1820 wird er von der Berliner
Johannis-Loge „Zum Widder“ in den Grad eines
Ritter-Lehrlings erhoben. Er empfängt diesen Grad in
Berlin, da in seiner Heimatstadt Stuttgart zu dieser
Zeit die Freimaurerei noch verboten ist. Nachdem das
Verbot aufgehoben ist, treibt Johann Baptist Krebs mit
großem Engagement die Neugründung einer Loge in
Stuttgart voran und kann diese mit königlichem
Dekret im Mai 1835 ins Leben rufen. Als „Meister vom
Stuhl“ steht er der Loge von 1835 bis zu seinem Tode
1851 vor. Sie gibt sich zu Ehren König Wilhelms I. den
Namen „Wilhelm zur aufgehenden Sonne“.
Wie sehr er als Stuhlmeister fasziniert, macht die
Aussage eines Logenbruders deutlich: „Sprach er vom
Altare aus mit der ihm eigenen Gewandtheit und Überzeugungskühnheit,
mit hinreißender Begeisterung und
voller Klarheit, so mußte sein Wort die Zuhörer packen
und ergreifen, die Geister beleben, durchdringen. Ja, es
war ein hoher Genuss, den von ihm geleiteten Arbeiten
anwohnen, seiner Rede lauschen zu können.“
Johann Baptist Krebs veröffentlicht auch zahlreiche
Aufsätze und über 30 Bücher zur Freimaurerei
und ist diesbezüglich unter seinem schriftstellerischen
Pseudonym „Johann Baptist Kerning“ bzw.
Büste des J.B. Kerning alias „J.M. Gneiding“ sprich Johann
Baptist Krebs. Sie wurde von Bildhauer Claus Mohr 1905 in
Stuttgart nach Gemälden und Stichen sowie einer Bronzebüste
gefertigt. Verehrer des „Meisters“ konnten sich bei
den Freimaurern einen Gipsabguss der Büste anfertigen
lassen.
„J.M. Gneiding“ bekannt. Insgesamt sind es 31 Bücher,
die er verfasst. Kaum ein Name ist häufiger mit dem
freimaurerischen Gedankengut verbunden als der von
Krebs. Die Bücher tragen Titel wie „Wege zur Unsterblichkeit
auf unleugbare Kräfte der menschlichen Natur
gegründet“. Eine Fülle von Auszeichnungen, die er
zwischen 1820 und 1850 erhält, würdigt die erfolgreiche
publizistische Tätigkeit. Noch heute wird Johann
Baptist Krebs in Freimaurerkreisen verehrt.
Der berühmte Opernsänger stirbt am 15. September
1851 im Alter von 77 Jahren. An seiner feierlichen
Beerdigung auf dem Fangelsbachfriedhof in Stuttgart
nimmt „eine überaus große Zahl an Verehrern
des Heimgegangen“ teil. Diese Anteilnahme dokumentiert,
welch außerordentliche Hochachtung sich
der Sohn einer Tagelöhnerfamilie aus Überauchen
in der Welt der Oper und als führendes Mitglied der
Freimaurer erworben hat.
Johann Baptist Krebs
Mythos „Laubenhausen“ –
ein sagenhafter Ort
VON PETER GRASSMANN
188 Geschichte
Foto Illustration von Hammereisenbach mit seiner
Ruine Neu Fürstenberg. Ganz in der Nähe soll sich das
Krumpenschloss befunden haben und in einem nicht
näher bestimmbaren Gebiet zwischen Mistelbrunn,
Krumpenschloss und Hammereisenbach wird das
sagenhafte „Laubenhausen“ vermutet.
Unfern des Ortes Mistelbrunn, wo das Gebirg in jähem Abfalle in das Thal der Brege sich senkt,
[hat] einst eine Stadt gestanden: Laubenhausen, durch Handel mächtig und blühend, lange
bevor die Zähringer sich Villingen erbauten…(Badisches SagenBuch)
1
S
S
o berichtet uns Karl Alois Fickler in seiner Sage
der Ruchtraut von Allmendshofen, überliefert
im „Badischen Sagenbuch“ von 1846. Über
dieses Laubenhausen ist im Laufe von 200 Jahren
viel spekuliert und gemutmaßt worden – ernsthafte
Forschung ist hingegen rar. Was für ein Ort ist es, der
hier geblüht haben soll, bevor die Zähringer Villin
gen gründeten, und in dem manche sogar eine
keltische Siedlung erkennen wollen? Wo liegt er, und
was ist wirklich über ihn bekannt?
Laubenhausen: Ein mysteriöser Ort
mitten im Schwarzwald
Der Ort, der seit dem 18. Jahrhundert schriftlich als
„Laubenhausen“ dokumentiert ist, liegt in einem
weitläufigen Waldgebiet im Distrikt Oberholz auf
Donaueschinger Gemarkung zwischen Mistelbrunn
und Bregenbach-Zindelstein. Das Areal umfasst eine
Fläche von etwa 120 bis 150 Hektar und wird seitlich
eingefasst vom Krumpendobel und Wilddobel. Dass
der Ort seit Jahrhunderten sowohl zu fantastischen
Überlegungen als auch zu wissenschaftlichen
Forschungen anregt, liegt unter
anderem daran, dass er nicht auf dem
Altsiedelland der Baar liegt, sondern
bereits auf dem Buntsandsteinboden
des angeblich erst spät, nämlich mit
den Klostergründungen, besiedelten
Schwarzwalds. An Laubenhausen
entzündete sich daher schon bald die
Frage nach einer ur- und frühgeschichtlichen
Besiedlung des Mittelgebirges
per se2.
In der Gegend befinden sich
mehrere natürliche Quellen, deren
bekannteste der „Laubenhauser
Brunnen“ ist. Sie wird markiert durch
einen Grenzstein von 1589 mit der
An Laubenhausen entzündete
sich immer schon die Frage
nach einer urund
frühgeschichtlichen
Besiedlung
des Mittelgebirges per se.
Inschrift „TONESIGOA“, der Urbar von 1793 zufolge
eine eigentümliche Schreibweise von „Donaueschingen“
3. Dass auf der Oberseite des Steines gekreuzte
Knochen eingraviert sind – wohl eine Warnung gegen
Grenzfrevler – trug zur mysteriösen Aura des
Gebietes bei. (s. Foto linke Seite). Nicht im engeren
Sinn zu Laubenhausen gehört das sogenannte Krumpenschloss
bzw. Alt-Fürstenberg auf dem nordwestlich
gelegenen Schlossberg, 400 Meter oberhalb der
Breg bei Hammereisenbach.
Der erste Bericht über das Areal stammt vom Fürstlich
Fürstenbergischen Archivar Karl Joseph Friedrich
Döpser. Seit 1769 hatte er sich im
Auftrag der fürstenbergischen Verwaltung
um eine historisch-statistische
Landesbeschreibung bemüht und
dabei besonderes Gewicht auf Burgen
gelegt. In diesem Zusammenhang
stieß er auf den Eintrag „Alt-Fürstenberg“
auf der Landtafel der Baar aus
der Zeit um 1620, den er, weil „weder
in Actis eine Spur hiervon anzutreffen
Grenzstein von 1589 mit der Inschrift
„TONESIGOA“ (wohl Donaueschingen
bedeutend) am sogenannten „Laubenhauser
Brunnen“.
Laubenhausen
Krumpenschloss
Laubenhausen
Krumpenschloss
Ungefährer Standort des sagenhaften Ortes „Laubenhausen“ – einer mutmaßlich keltischen Siedlung, über die es keinerlei
wissenschaftlich fundierte Kenntnisse gibt, deren Existenz aber bis heute immer wieder neu behauptet wird. Beim
Fischerhof in Hammereisenbach soll sich das ebenfalls sagenhafte Krumpenschloss befunden haben (oben).
ist, nochweniger jemandem von diesem Schlosse etwas
bekannt seyn wollte“, selbst vor Ort überprüfte.4 Auf
dieses Alt-Fürstenberg werden wir noch zu sprechen
kommen. Im Zuge seiner Feldforschungen im Juli 1782
erkundigte sich Döpser auch nach dem sagenhaften
Laubenhausen, das ihm wohl aus der mündlichen
Überlieferung bekannt war, und erhielt vom Besitzer
des Krumpenhofes den Hinweis, es liege nur eine halbe
Stunde von seinem Hof entfernt.
Döpser erzählte, von dieser „ehemalig berühmt
gewesen seyn sollenden großen Handelstatt“ habe
man noch zu seiner Zeit „ex Traditione auf dem
Schwarzwald Känntnis“ besessen. „Ihr Umfang soll
sich auf eine Stund Wegs erstreckt haben, und ihr
Daseyn fallt in die Zeiten des Heidenthums. Wer sie
zerstöhrt habe, hat die Sage nicht auf uns gebracht,
nur soll erst nach ihren Ruin Villingen erbaut worden
seyn“, so der Archivar. Er selbst vermutete, dass die
Mythos „Laubenhausen“ – ein sagenhafter Ort
191
B
A
Oben: Zeichnung von Archivar Döpser mit dem Krumpenschloss
(A) und Laubenhausen (B). Weiter zu sehen sind der
Krumpenhof (C), das Anwesen „Zum Fischer“ (D) und die
Straße von Zindelstein nach Vöhrenbach (E). (Quelle F.F. Archiv
Donaueschingen, OB 20, Vol. I/2, Bd. 2, S. 11681169.)
❶
Links: Ausschnitt aus der fürstenbergischen „Generalforstkarte“
um 1790 mit dem Flurnamen „Auf Laubenhausen“ (1).
Zerstörung im Jahr 925 erfolgt sei, „in welchem der
Schwarzwald durch die Hungarn erbärmlich zerstört
und heimgesucht wurde“.5 Vor Ort fand er keine
Überbleibsel von Mauern, aber viele aufeinander
getürmte Steine.
Ein Ort der Sagen und
Archäologie im Schwarzwald
Döpsers Bericht markiert in gewisser Weise die
Geburtsstunde des Laubenhausen-Mythos. Wie weit
die mündliche Überlieferung vor ihm zurückreicht,
ist nicht bekannt; auf der Landtafel um 1620 taucht
der Name nicht auf. Zwar ist es durchaus möglich,
dass das Wissen um eine untergegangene Stadt über
Jahrhunderte oral tradiert wurde – das zeigt etwa
Vor Ort, in Laubenhausen,
fand Archivar Döpser keine
Überbleibsel von Mauern,
aber viele aufeinander
getürmte Steine.
das Beispiel der sagenhaften Stadt Rungholt an der
Nordsee, die tatsächlich existiert hat6 –, doch gehört
das Motiv der „versunkenen Stadt“ auch zum
typischen Kanon der sogenannten ätiologischen
Sagen, mit denen die Entstehung von bestimmten
Gegenwartsphänomenen historisch begründet
werden soll. Viele dieser Sagen sind neuzeitlichen
Ursprungs.7
Der eingangs zitierte Fickler jedenfalls hielt die
Geschichte von Laubenhausen durchaus für plausibel,
denn jüngere Forschungen zeigten seiner Ansicht
nach einen „ältern Anbau der rauhen Gegend,
als man anzunehmen geneigt ist.“8 Der Historiker
und Baarvereins-Vorsitzende hatte selbst am 4. Juni
1845 drei „Hünengräber“ an der nahegelegenen Windistelle
bei Waldhausen geöffnet und mehrere Körperbestattungen
mit einem Bronzering als einziger
Beigabe geborgen, die er (fälschlich) in die alemannische
Zeit datierte (siehe dazu die Abb. rechts).
Ein noch wichtigerer Fund war ein „Streitmeißel“,
der 1846 im Ackerfeld bei Mistelbrunn entdeckt
wurde, „in der Nähe des Waldes, an welchen sich
die Sage einer untergegangenen Stadt namens Laubenhausen
knüpft“.9 Aus Ficklers Beschreibung lässt
sich schließen, dass es sich dabei um ein spätbronzezeitliches
Lappenbeil handelte, jedenfalls sicher
nicht um eine „keltische Streitaxt“, wie später immer
wieder behauptet wurde.10 Das Stück ist inzwischen
leider verschollen, nachdem es kurz nach Auffindung
in den Besitz des „Bierwirts Strobel“ in Wolterdingen
gelangt war.11 Dort wurden Ende des 19. Jahrhunderts
zwei weitere Beile ähnlicher Zeitstellung geborgen,
die heute im Archäologischen Landesmuseum verwahrt
werden.12
Im Jahr 1853 begegnet uns Laubenhausen in fiktionalisierter
Form bei Lucian Reich: In seinem „Hieronymus“
bildet der „Laubhauser Hof“ einen zentralen
Handlungsort, dessen Name zweifellos auf die
Oben: Ficklers Skizze der Grabhügel an der Windistelle
(Archiv BaarVerein).
sagenumwobene Wüstung anspielt. An einer Stelle
des Romans erzählt der „Forbach-Klaus“ den Kindern
beiläufig die Geschichte der versunkenen Stadt: „Ein
ander Mal berichtete Klaus von dem Laubhauser
Berg, worauf einst, an der Stelle, wo noch im Walde
gewaltige Steinhaufen liegen, eine Stadt gestanden
habe, von der zu seiner Zeit noch ein gut erhaltener
Thorbogen zu sehen gewesen sei“.13 Natürlich bediente
sich Reich hier seiner künstlerischen Freiheit
– ein gut erhaltener Torbogen wurde in Laubenhausen
nie gefunden. Die tatsächlichen Untersuchungsergebnisse
sind sehr viel bescheidener.
Rätselhafte Mauern und uralte Wälle
Erste gründliche Forschungen zu Umfang und Alter
stellten 1879 die Fürstlich Fürstenbergischen
Archivare Sigmund Riezler und Franz Ludwig von
Mythos „Laubenhausen“ – ein sagenhafter Ort
Baumann an. Sie fanden im Gelände „einen In Wolterdingen gefundenes Bronzebeil. Der
Steinwall aus regellos ohne Bindemittel Fund beweist zwar, dass sich schon früh Menübereinander
gehäuften, unbehauenen schen in der Gegend aufhielten – sagt aber
Sandsteinen“, der sich über 1.200 Meter nichts über Laubenhausen aus. Foto: Archäoloweit
verfolgen ließ und auf den ersten 500 gisches Landesmuseum.
Metern als Doppelwall angelegt schien.
Von einer Ausgrabung sahen sie ab, da der
Winter schon fortgeschritten war und anstellte“, ergaben seiner Ansicht nach
bereits Schnee lag. Von Einheimischen das Vorhandensein „eines keltischen Ring-
erfuhren Riezler und Baumann, dass die walles […] mit welcher in Waldesdüsternis
Donaueschinger einst ihr Vieh zur Weide in eingesunkenen Tatsache sich denn damals
diesen Gemeindewald getrieben hatten die forschenden Bergsteiger beruhigten,
und fragten sich daher, ob die Mauern ohne dem geschichtlichen Rätsel der unnicht
zur Einzäunung der Weidefläche tergegangenen Laubenhäuser […] weiteres
gedient haben könnten. Dies verneinten sie Kopfzerbrechen zu widmen“.15
aber schließlich mit Hinweis auf die Die Erwähnung dieses mächtigen
Dimensionen und Struktur der Anlage.
Außerdem schätzten sie, dass die Wälle älter als
200 Jahre sein müssten, da sie „an einer Stelle einen
uralten Stamm in der über den Steinen angeflogenen
Erde wurzeln sahen“.
An eine untergegangene Stadt indes, wie es die
Sage und der Flurname nahelegten, wollten sie nicht
recht glauben: „Vielleicht liegt dem Namen ebenso
wie dem Schlossberg nur eine irrige Deutung des
alten Steinwalles durch das Volk zu Grunde“. Nach
einem Vergleich mit anderen vermeintlich vorgeschichtlichen
Stätten in der Umgebung schlossen sie:
„Das eine kann […] mit Bestimmtheit gesagt werden,
dass mittelalterliche Burgen auf keinem der bezeichneten
Punkte standen […] Wie uns scheint besser
begründet ist die Annahme, daß derartige Werke von
den Kelten rühren.“14 Damit brachten sie eine neue
Möglichkeit ins Spiel, die die weitere Debatte fortan
prägen sollte.
Den Untersuchungen von Riezler und Baumann
konnte in den folgenden Jahrzehnten wenig hinzugefügt
werden. Um 1890 befasste sich Joseph Viktor
von Scheffel im Zusammenhang mit seiner Arbeit am
Roman „Juniperus“ mit der Anlage: „Den benachbarten
Wald umschwebt geheimnisvoll die Sage von einer
untergegangenen Stadt Laubenhausen“, schrieb
er, „in deren Bezirk ein ganz abgegangenes Heiden-
schloss gestanden haben soll“. Angelockt durch
solche Erzählungen begab sich Scheffel vor Ort auf
Spurensuche. Untersuchungen, die er gemeinsam
mit einem „vorzeitkundigen Freund […] an einem
heißen Sommertag im Schweiße seines Angesichtes
Walls finden wir im selben Jahr (1890) in
den „Kunstdenkmälern des Großherzogtums Baden“
von Franz Xaver Kraus. Der Autor hielt sich
mit einer Deutung und Datierung allerdings zurück
und schrieb nur allgemein von „Befestigungen im
Donaueschinger Oberholz“ und einem „doppelte[n]
Steinwall von ungewissem Alter“.16 Auch der Leiter
der Großherzoglichen Sammlung in Karlsruhe, Ernst
Wagner, der den Ort 1908 in seinen „Fundstätten
und Funden im Großherzogtum Baden“ erwähnte,
verzichtete auf weiterreichende Spekulationen.17
Zwischen wissenschaftlichem Interesse
und kühnen Theorien
Eine intensive Auseinandersetzung mit der Anlage
erfolgte erst wieder in den 1980er-Jahren durch den
Fürstlich Fürstenbergischen Oberforstdirektor Karl
Kwasnitschka. Auch für ihn stand fest, dass es sich bei
Laubenhausen um nichts anderes als eine „befestigte
keltische Siedlung“ handeln könnte – so der Titel
seines Beitrags in den „Schriften der Baar“ von 1991.18
Vorausgegangen waren eine Exkursion des Baarvereins
im Jahre 1979 und eine gründliche Kartierung der
Anlage in den Sommern 1988/89. Mit seiner Kritik,
dass eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung
nie erfolgt war, hatte Kwasnitschka zweifellos
Recht, und sein Verdienst ist es, das Interesse an
Rechte Seite: Die Illustration „Laubhauser Hof“ aus
Lucian Reichs Buch „Hieronymus“.
Mythos „Laubenhausen“ – ein sagenhafter Ort
Im Schweiße seines Angesichts
erahnt der Dichter
Joseph Viktor von Scheffel
einen keltischen Ringwall.
Laubenhausen gesteigert und interessante Beobachtungen
beigetragen zu haben. Letztendlich entsprach
sein Vorgehen aber nicht den Standards einer
archäologischen Forschung, weil sie bereits manche
Wertungen voraussetzte und sich zum Teil in ausufernden
Spekulationen verlor. So sprach Kwasnitschka
von einer „Doppelwall-Verteidigung“, die ihn darauf
schließen ließ, „dass diese Anlagen von den Kelten
herrühren“, und meinte sogar den Standort einer
„Torbefestigung“ zu erkennen.19 Die vorhandenen,
sehr bescheidenen Strukturen geben eine solch
weitreichende Interpretation aber nicht her. Immerhin
fügte er selbstkritisch hinzu: „Alles Vermutungen und
Fragen, die erst durch archäologische Untersuchungen,
welche bisher fehlen, geklärt werden können“.20
Wie weit er sich spekulativ aus dem Fenster
lehnte und die tatsächlichen Befunde interpretativ
überspannte, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er
abschließend sogar die Frage aufwarf, ob Lauben-
hausen nicht die von Herodot genannte Keltenstadt
Pyrene gewesen sei – eine haltlose Überlegung.
In der Folge wurde Laubenhausen immer wieder
mit dem von 1970-73 ausgegrabenen frühkeltischen
Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen in
Zusammenhang gebracht, zumal dessen zugehörige
Siedlung bis heute nicht entdeckt wurde. Spekuliert
wurde auch darüber, ob das Vorkommen von Eisenerz
die Kelten in unsere Gegend getrieben haben
könnte. Jede Verbindung zwischen den beiden
Stätten ist aber völlig spekulativ, und ein vormittelalterlicher
Eisenabbau konnte in der Umgebung nie
nachgewiesen werden.
Das Krumpenschloss:
Rätselhafte Wälle ohne Keltenspuren
Zum Gesamtareal gehört auch eine Gruppe von
Hügeln westlich des Wilddobels, die oft als Grab-
Joseph Viktor von Scheffel (18261886),
Schriftsteller und
Heimatforscher, stattete auch dem sagenhaften Laubenhausen
einen Besuch ab.
hügel gedeutet wurden. Kwasnitschka berichtet,
dass der Ort im Volksmund „Zu den drei Gräbern“
heißen soll und man sich früher von einem „Laubenhauser
Geist“ erzählt habe, der dort sein Unwesen
treibe.21 Sein Urteil, dass es sich um keltische
Hügelgräber handelt, ist verfrüht. Ähnliche Steinhügel
wurden von Archäologen der Universität Tübingen
im Jahr 2015 auf der „Fehrn“ bei Titisee-Neustadt
gründlich untersucht. Die Forscher kamen zum
Ergebnis, dass es sich keineswegs – wie auch dort
jahrzehntelang behauptet – um Gräber handelt,
sondern um Relikte der Landnutzung. Zur Schaffung
von steinfreien Acker- und Weideflächen wurden die
großen Steine systematisch zusammengetragen und
auf Haufen deponiert, die im Laufe der Zeit überwuchsen.
Keramikscherben und Radiokarbon-Daten
wiesen zweifelsfrei ins Spätmittelalter und die frühe
Neuzeit.22 Das sagt über Laubenhausen direkt nichts
aus – zeigt aber, dass eine rein oberflächliche
Betrachtung von Befunden in die Irre führen kann.
Wie bereits erwähnt, liegt in unmittelbarer Nähe
zu Laubenhausen eine weitere auffällige Struktur,
das sogenannte „Krumpenschloss“, auch als Alt-Fürstenberg
bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine
Der Magdalenenberg bei VillingenSchwenningen,
größter Grabhügel der Hallstattzeit in Mitteleuropa.
Ost-West ausgerichtete, annähernd ovale Befestigung
mit Ausmaßen von 150 x 80 Metern und mehreren,
teils aus Trockenmauerwerk aufgeschichteten
Wällen. Döpser sah vor Ort „in einem zirkulförmigen
Bezirk von 700 bis 800 Schritt ein Bollwerck […], das
aus einer ungeheuren Menge auf einander gethürmten
Steinen bestehet“, und spekulierte darüber, dass
die Anlage „in vorigen Kriegsunruhen aus den Ruinen
des Schloßes Alt-Fürstenberg […] aufgeführet wurde“.
23 Ein solches Schloss taucht aber in keiner einzigen
historischen Quelle auf und dementsprechend
wurde auch hierfür immer wieder ein vorgeschichtliches
Alter angenommen.
Kwasnitschka sah im Krumpenschloss eine
„Fliehburg für die Bewohner von Laubenhausen“,
die „vielleicht auch dem Fürsten des Keltenstammes
als Wohnsitz“ diente.24 Ähnlich wie für die angeblich
versunkene Stadt gibt es, jenseits zahlreicher Mutmaßungen
und einer oberflächlichen Kartierung, auch im
Bereich des Krumpenschlosses kaum seriöse archäologische
Forschung. Eine Ausnahme stellen Begehungen
dar, die im Rahmen der Forschungsinitiative „Naturraum
– Ressourcen – Landwirtschaft“ der Universität
Tübingen seit 2008 durchgeführt wurden. Ziel war es,
archäologisch relevante Informationen über die Landnutzungsgeschichte
im Bereich der mutmaßlichen
Befestigung zu erlangen. Am Hangfuß wurden Proben
aus angeschwemmten Lockersedimenten, sogenannten
Kolluvien, entnommen und darin enthaltene
Holzkohlefragmente und organische Bodensubstanz
mit der Radiokarbonmethode datiert. Als frühester
Entstehungszeitraum wurde das 9. bis 11. Jahrhundert
festgestellt, was Hinweise auf das Alter des Krumpenschlosses
geben könnte. Spuren von Kelten, Germanen
oder Römern fanden sich nicht.
Die Forscher schlossen mit dem Fazit: „Ein vermutlich
massiver Holzeinschlag mit anschließender
Erosion fand – zumindest in diesem Hangbereich –
noch nicht in urgeschichtlicher Zeit statt; eine eisenzeitliche
Datierung der Anlage kommt daher kaum
infrage.“25 Sie wiesen jedoch auch darauf hin, dass
weitere Untersuchungen nötig seien, um die Geschichte
dieser Strukturen näher zu erforschen.
Weder von Laubenhausen noch vom Krumpenschloss
liegen trotz zahlreicher Begehungen im
Laufe vieler Jahrzehnte sichere archäologische Funde
vor. Wenn sich hier über längere Zeit Menschen
aufhielten, sollte man zumindest Keramikscherben
Mythos „Laubenhausen“ – ein sagenhafter Ort
197
Wall aus Trockenmauerwerk beim Krumpenschloss.
erwarten, die in der Regel gut datierbar sind und
daher Aufschluss über das Alter der Anlage geben
können – ihr Fehlen lässt das Vorhandensein einer
Siedlung fraglich erscheinen.
Angeblich vor langer Zeit gefundene „Münzen“
sind nicht mehr als ein bloßes Gerücht,26 und die bei
Mistelbrunn und Wolterdingen entdeckten Bronzebeile
sind zwar überaus spannende Funde, dürften
aber mit der vermeintlichen Wüstung in keinerlei
Zusammenhang stehen.
Während das Krumpenschloss noch heute eine
recht eindrucksvolle Erscheinung bietet, lassen sich
für Laubenhausen manche der historischen Schilderungen
im Gelände schwer nachvollziehen. Eine
Inspektion vor Ort zeigt zwar wall- und grabenartige
Strukturen, doch sind diese relativ flach, unter dem
Bewuchs schwer auszumachen und nicht eindeutig
zu bestimmen. Eine imposante Doppelwallanlage
sucht man vergebens, und auch die wenigen Reste
von Mauerwerk sind fragwürdig. Allerdings ist dabei
zu berücksichtigen, dass Teile der Mauern in den
1960er- und 1970er-Jahren zur Befestigung der Straßen
abgetragen worden sein sollen und das heutige
Erscheinungsbild daher nicht mehr dem früherer Zei
ten entspricht.27 Letztendlich ist nicht erwiesen, ob
die Strukturen überhaupt einen inneren Zusammenhang
haben, oder ob es sich nicht um verschiedenartige
und zu unterschiedlichen Zeiten entstandene
Reste von obertägigem Gesteinsabbau, Grenzziehungen,
Entwässerungsgräben oder, wie schon Riezler
und Baumann überlegten, Einfriedungen von Weideflächen
handelt.
Laubenhausen – das Geheimnis bleibt
Was bleibt also von Laubenhausen? Das schöne
Waldgebiet eignet sich auf jeden Fall für Rad- und
Wandertouren von Hammereisenbach, Wolterdingen
oder Mistelbrunn aus. Und die nahegelegenen Ruinen
Neu-Fürstenberg und Zindelstein verleihen der
Gegend eine große historische Bedeutung. Nicht zuletzt
befinden sich mit dem Römerbad bei Hüfingen,
den Kelten- und Merowingergräbern bei Brigachtal
oder dem Villinger Magdalenenberg wichtige vor-
und frühgeschichtliche Fundstätten im Umland – ein
Ausflug lohnt sich also allemal. Die Stille und Schönheit
dieser Region am äußersten Rand des Schwarzwalds,
über dessen früheste Vergangenheit seit
❷
❶
Luftbild des mutmaßlichen Gebietes, wo das Krumpenschloss (1) und Laubenhausen (2) vermutet werden.
Jahrhunderten gerätselt wird, lädt zum Träumen und rade darin sein Zauber. Wo das Wissen aufhört, fängt
Nachdenken ein. So schnell wird Laubenhausen sein die Fantasie an, und die soll Albert Einstein zufolge
Geheimnis wohl nicht lüften – und vielleicht liegt ge-ja das Wichtigere sein.28
1 Fickler, Karl Alois: Ruchtraut von Allmendshofen und die Kirche von
Mistelbrunn, in: Schnezler, August (Hg.): Badisches SagenBuch,
Band 1,
Karlsruhe 1846, S. 454.
2 Zur Frage der Besiedlung des Schwarzwalds siehe: Graßmann, Peter;
Ade, Dorothee; Rademacher, Lisa (Hg.): KULT(UR)WALD. Die Besiedlung
des Schwarzwalds, VillingenSchwenningen
2022.
3 Vgl. Goerlipp, Georg: Der älteste Donaueschinger Grenzstein am Laubenhauser
Brunnen, in: Schriften der Baar, Band 37, Donaueschingen
1991, S. 8.
4 F.F. Archiv Donaueschingen, OB 20, Vol. I/2, Bd. 2, S. 11681169.
5 Ebd.
6 Vgl. Duerr, Hans Peter: Rungholt. Die Suche nach einer versunkenen
Stadt, Frankfurt a. M. 2005.
7 Vgl. Röhrich, Lutz: Märchen und Wirklichkeit. Eine volkskundliche Untersuchung,
Mainz 1956.
8 Fickler 1846.
9 Fickler, Karl Alois: Alterthümer aus der badischen Baar, in:
Schriften der Alterthumsund
Geschichtsvereine zu Baden und Donaueschingen,
Band III, Donaueschingen 1848, S. 187.
10 z.B. bei Riezler/Baumann 1880 oder im Südkurier vom 25.08.1979.
11 Vgl. Fickler 1848, S. 187, sowie: Wagner, Ernst: Fundstätten und Funde
im Großherzogtum Baden, Erster Teil: Das badische Oberland, Karlsruhe
1908, S. 100.
12 Vgl. Wagner 1908, S. 103.
13 Reich, Lucian: Hieronymus. Lebensbilder aus der Baar und dem
Schwarzwalde, Karlsruhe 1853, S. 37.
14 Riezler, Sigmund; von Baumann, Franz Ludwig: Alte Befestigungen
an der Breg und oberen Donau, in: Schriften der Baar, Heft 3, Donaueschingen
1880, S. 284 ff.
15 Von Scheffel, Joseph Viktor: Juniperus. Geschichte eines Kreuzfahrers,
Fünfte Auflage, Stuttgart 1891, S. 108 f.
16 Kraus, Franz Xaver: Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden,
zweiter Band: Die Kunstdenkmäler des Kreises Villingen, Freiburg i. B.
1890, S. 13.
17 Vgl. Wagner 1908, S. 224.
18 Vgl. Kwasnitschka, Karl: Laubenhausen – eine befestigte keltische Siedlung,
in: Schriften der Baar, Band 37, Donaueschingen 1991, S. 46 ff.
19 Ebd., S. 56.
20 Ebd., S. 69.
21 Vgl. Kwasnitschka 1991, S. 56.
22 Vgl. Knopf, Thomas et al.: Zur Landnutzungsgeschichte des Südschwarzwalds
– Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen,
in: Fundberichte aus BadenWürttemberg
39, 2019, S. 41 ff.
23 F.F. Archiv Donaueschingen, OB 20, Vol. I/2, Bd. 2, S. 1168—1169.
24 Kwasnitschka 1991, S. 69.
25 Knopf, Thomas et al.: Landnutzung im frühen Mittelalter? Eine archäopedologische
Prospektion im mittleren Schwarzwald, in: Archäologisches
Korrespondenzblatt 42, 2021, S. 129.
26 Vgl. Interview mit Erich Fesenmeyer Südkurier, Nr. 196, 25. August
1979, S. 15.
27 Vgl. Kwasnitschka 1991, S. 46.
28 „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“, Zitat
von Albert Einstein, aus: What Life Means to Einstein, The Saturday Evening
Post, 26. Oktober 1929.
Mythos „Laubenhausen“ – ein sagenhafter Ort
199
200 Geschichte
❶
Bei Bregenbach mit Blick
in Richtung des sagenhaften
Laubenhausen (1). So oder so:
Der Mythos bleibt!
Die Trachten der
evangelischen und
katholischen Baar
REALISATION: WILFRIED DOLD/SILVIA BINNINGER
TEXT: SILVIA BINNINGER
FOTOGRAFIE: WILFRIED DOLD
Auf der Baar begegnen sich die reich bestickten und farbenprächtigen Trach
ten der katholischen und die schlichte Eleganz der streng gehaltenen Trachten
der evangelischen Gegenden. Ohne auf die Entstehung im Detail eingehen zu
können, bietet der nachstehende Beitrag einen fotografischen Überblick mit
beschreibenden Texten zur einstigen Trachtenvielfalt. Teils sind Trachten abgebil
det, die 150 Jahre alt sind. Sie zu einem Fotoshooting zusammen zu bekommen,
bedurfte intensiver Recherchen und Vorbereitungen. Derart alte Originaltrachten
sind äußerst selten und können meist nur in Museen bestaunt werden. Unser
Dank gilt den Leihgebern sowie den Akteuren vor und hinter der Kamera (siehe
Bildnachweis auf S. 303). Festzuhalten bleibt, dass sich die Welt der Trachten in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für immer verändert: die Tracht weicht aus
dem alltäglichen Leben zurück – überall greift die allgemeine Mode um sich.
Links: Clara zeigt sich in einer evangelischen Tracht, wie sie von
den Mädchen auf der Baar zur Konfirmation getragen wurde. Kenn
zeichen sind der grüne Brustlatz und die grünen Bänder am Schurz.
Die über 150 Jahre alte Tracht im Originalzustand stammt aus Tunin
ger Privatbesitz. Sie wurde in der gesamten evangelischen Ostbaar
getragen, zu der Schwenningen, Schura, Trossingen, Talheim, Hausen
ob Verena, Tuningen, Aldingen, Öfingen, Biesingen, Sunthausen (der
evangelische Teil) und Oberbaldingen gehören.
7. Kapitel – Brauchtum
204
Baaremer Festtagstracht
aus Donaueschingen
Jessica präsentiert auf dem Foto links
stolz die Donaueschinger Festtagstracht
vom Ende des 19. Jahrhunderts. Ihren
Kopf schmückt die „Backenhaube .
Das Mieder ist mit Rosen, Ranken und
Vergissmeinnicht aus Silberfaden in
Sprengtechnik bestickt. Hinter der Ver
schnürung mit Silberkordel zeigt sich
der kostbar bestickte Vorstecker. Das
Goller aus weinrotem Samt bildet den
Halsabschluss. Der lange schwarze Rock
mit Samtblege und roter Litze reicht bis
zu den Knöcheln. Zur Tracht gehören
weiter die Schürze aus Schillerseide,
schwarze Halbschuhe, die weißen
„Handele“ (lange Fingerhandschuhe)
und ein bestickter Gürtel.
Auf dem Bild rechts wird
die Donaueschinger Trachten
trägerin vom „Baaremer Bur
schen Manuel begleitet.
Sein Erscheinungsbild
prägen die charak
teristische Pelzmüt
ze und der grüne
„Schopen“ mit Gold
knöpfen. Weiter ein
rotes Gilet, eine blaue
Halsbinde und eine
schwarze Kniebundho
se. An der Fastnacht allerdings
verhält es sich mit der Begleitung
anders, die Rollen wechseln: An den
hohen Tagen begleitet die Trachten
trägerin nachweislich seit 1783 als
„Gretle“ den Donaueschinger Hansel.
Die Trachten der Baar
205
Hüfingen – Floral
und Kunstsinnig
Salome zeigt keck ihre floralen
Silberstickereien auf dem grünen
Mieder. Das Rebenmuster ist für
Hüfingen typisch. Ansonsten gleicht
die Hüfinger Tracht der Donaueschin
ger oder Bräunlinger. Blumig ist auch
der rötliche Schurz gestaltet. Wer
eine Hüfinger Tracht aus dem frühen
19. Jahrhundert sehen will, sollte
das Bräunlinger Kelnhofmuseum
besuchen.
bunt und quicklebendig
Die Hüfinger Kinder machen es den Großen nach: Ihre Tracht ist tupfengleich mit der der
Erwachsenen. Und die Begeisterung sowieso, was auf dem Foto die Geschwister Theresa und
Anton beweisen. Theresa trägt über der Bluse ein Samtmieder mit Silberstickerei und über
dem Rock einen rotgeblümten Schurz. Die Bubentracht entspricht der Burschentracht – über
dem weißen Hemd trägt Anton ein rotes Gilet und eine Kniebundhose gehört ebenso dazu.
207
Wenn Trachten wandern
Die kostbar bestickte, über 120 Jahre alte
Tracht, die Jessica auf der Seite rechts
stolz trägt, stammt aus Hüfinger Besitz
und wurde anlässlich des Besuchs der
badischen Großherzogin Luise um das
Jahr 1900 in Neustadt geschneidert.
Als die Trachtenträgerin von damals
heiratet und mit ihrem Mann nach Wol
terdingen zieht, beginnt die Wanderung
dieser Tracht: Von jetzt an wird sie auf
der Baar getragen. Die Trachtenträgerin
vermacht sie schließlich ihrer Tochter,
die samt Tracht in Donaueschingen hei
misch wird. Deren Tochter wiederum
zieht nach Hüfingen und obwohl es auch
dort eine örtliche Trachtentradition gibt,
mischt sich die Hochschwarzwälder
Tracht wie selbstverständlich erneut
unter Baaremer Festtagstrachten.
Die Baaremer Tracht und die Trach
ten des Hochschwarzwalds sind sich im
Übrigen durchaus ähnlich: Mieder, Goller
sowie der Vorstecker werden stets reich
bestickt. Jedoch eher selten so kostbar
und filigran, wie es bei der Tracht rechts
der Fall ist. Den Kopf schmückt die
Bändelkappe, die im Hochschwarzwald
auch „Harzerkappe“ genannt wird.
Abbildung links:
Rückseite einer Hüfinger Tracht mit
Silberstickereien, bemerkenswert ist der
reich bestickte Kappenblätz mit Schleife
und langen Moirebändern, die über den
Rücken der Trägerin gleiten und am
Rocksaum enden.
208 Brauchtum
Die Bräunlingertracht
Die Bändelkappe von Nicole ist
die der Baar. Das Mieder aus
Samt wird in Bräunlingen in den
Farben schwarz, weinrot, korn
blumenblau und grün getragen.
Es wird wie der Goller mit Gold-
oder Silberfaden in Spreng
technik von Hand bestickt – als
Motive dienen Kornblumen und
Ähren mit Grannen. Über dem
Vorstecker liegt passend zur
Stickerei eine im Zick Zack ver
schnürte Gold- oder Silberkordel.
Eine Besonderheit in Bräunlin
gen ist die Brautkrone.
Trachten der West-Baar nach einem Aquarell des Hüfinger Malers Rudolf Gleichauf (1826 1896).
Er fertigte im Auftrag des Großherzogtums Baden zwischen 1861 und 1869 bildliche Darstellungen
und Beschreibungen aus dem Leben der ländlichen Bevölkerung an.
Das Baaremer Schappel
Das Schappel, die Krone der Jungfräulichkeit, tragen
in katholischen Gegenden unverheiratete Frauen
zu hohen Festtagen und zur Hochzeit. Die Braut
krone gehört zu den Schwarzwaldschappeln und ist
bereits im 17. Jahrhundert bekannt. Das Schappel ist
mit Flitterwerk, Münzen, Glasperlen, Goldpapier
blättern, Glassteinchen und Wollblumen geschmückt.
Das Schappel links aus dem 19. Jahrhundert stammt
aus Unadingen und befindet sich im Badischen
Landesmuseum Karlsruhe.
Die Trachten der Baar
Riedöschinger Tracht
Kim trägt die Baaremer Festtagstrachten aus
Riedöschingen, wo die Mieder der Tracht in
Anlehnung an historische Vorbilder teils neu
bestickt wurden, da die Restaurierung der alten
Trachten zu aufwendig gewesen wäre.
Brigachtaler Tracht
Zur Baar zählt ebenso die Raumschaft
Brigachtal – Hannah zeigt hier eine Tracht
aus den 1980er-Jahren, deren Mieder und
Goller mit floralen Motiven goldfarben
bestickt ist.
Bräunlinger Burschentracht
Die Tracht der jungen Männer besteht u.a. aus einem Janker mit rotem
Innenfutter, einer roten Weste, schwarzer Kniebundhose, Samtbändel für
die Hemdschleife und weißes Hemd. Stolz ist Elias auf seine Kopfbedeckung,
die Fuchsfellmütze. Es war üblich, dass sich jeder Bursche aus einem eigens
gejagten heimischen Pelztier eine Kappe nähen ließ.
Die Trachten der Baar
Bad Dürrheim –
mit Perlen
bestickt
Das Mieder der Frauentracht
ist mit Perlen, das Goller an
den Ecken in Sprengtechnik
mit Silberfaden bestickt (Foto
linke Seite). Eine weiße Blu
se mit Puffärmel, der Rock,
die seidene Schürze sowie
die Giebelkappe – so sagt
man in Bad Dürrheim zur
Backenhaube – vervollständi
gen die Tracht. Als Accessoire
trägt Franziska ihr „Krättle , ein
kleines Körbchen.
Auch die Männertracht ist
die der Baar: Die Halsbinde aus
Baumwolle mit Rosendekor bil
det einen schönen Akzent. Auf
dem Kopf trägt Philipp einen
Filzhut mit Blumenschmuck –
und auch der Regenschirm darf
nicht fehlen.
Die Arbeitstracht
der katholischen
Baar
Sie hatte die Anforderungen
des strengen Arbeitsalltages im
Haus, auf dem Bauernhof und
dem Feld zu erfüllen: Die ka
tholische Arbeitstracht rechts
aus dem Raum Pfohren stammt
aus den 1890er-Jahren. Das
schlicht bestickte Goller verleiht
Silvias Tracht einen besonderen
Akzent. Um den Kopf hat sie
ein Tuch geschlungen, das im
Nacken gebunden wird.
Die Trachten der Baar
Die VillingerMännertracht
Die farbenfrohe Villinger
Männertracht entspricht
der Mode des Biedermeier.
Über dem weißen Hemd mit
weißem Binder trägt Patrick
eine bunte Seidenweste, die
oft mit Blumen bedruckt ist.
Der Gehrock sowie u.a. eine
Taschenuhr, weiße Hand
schuhe, der Zylinder und ein
Gehstock komplettieren die
Erscheinung.
Die Alt-Villingerin
Auf dem Kopf trägt Anna die in
Goldplatt-Hohlspitze gefertigte
Radhaube mit Pfauenmuster.
Mehrere hundert Arbeits
stunden stecken in dieser
Pracht! Die Tracht entspricht
der Damenmode des Bieder
meier. Sie besteht aus Rock
und Jacke mit Schößchen.
Das seidene Schultertuch mit
geknüpften Fransen wird in
der kalten Jahreszeit unter
einem Wiener Schal getragen.
Die Schürze, Accessoires wie
weiße Handschuhe, schwarze
Spangenschuhe sowie Granat
broschen, Ohrringe und mehr
reihige Halsketten runden das
Erscheinungsbild ab.
Brauchtum
217
218
Die evangelische Frauentrachtder Baar am Beispiel Tuningen
Die evangelische Frauentracht der Baar ist
schlicht und elegant, wie die Fotografien von
Jessica (großes Foto links) und von Clara (rechts)
zeigen. Charakteristisch ist die schwarze „Hippe
(der Rock) – früher „Juppe“ genannt. Sie besteht
aus der Brust, dem Zeug und der Blege, reicht bis
zum Knöchel und ist in unzählige kleine Falten
gelegt. Sie wird deshalb auch „Rieselehippe“ oder
„Riebelehippe“ genannt. Der Hippenrock besteht
aus bis zu neun Stoffstücken und wiegt teils
stolze zehn Kilogramm. Die Brust der Hippe
besteht aus geblümtem schwarzen Seidensamt.
Der herzförmige Ausschnitt hat an den Seiten
weiße Metallhaften, durch die ein schwarzes
Nestelband im Zickzack geschnürt wird. Darunter
liegt das schwarze Brusttuch. Den Hals
umschließt ein Goller.
Beim Gehen blitzt der Unterrock auf …
Unter der Hippe wird ein roter Unterrock aus
Wollstoff getragen, der kunstvoll mit einem grü
nen Band und Rosenstickereien verziert ist. Beim
Gehen blitzt der Unterrock unter der Hippe her
vor, so wie bei Clara auf dem Foto rechts. Über
wiegend unverheiratete Frauen entwickelten ei
nen besonderen Gang, um auf diese Weise ihren
Unterrock zu präsentieren und das Interesse der
Männerwelt auf sich zu lenken.
Über der Hippe wird ein schwarzes, gerie
seltes Führtuch aus Seide getragen, an dem ein
langes Samtband befestigt ist. Die Strümpfe unter
der Hippe sind rot, es sei denn, es wird Trauer
getragen, dann sind sie schwarz. Die schwarzen
Samtschuhe werden „Toffle“ genannt. Für Hoch
zeiten gab es besondere Schuhe aus Leder, auf
der Oberseite mit Rosen bestickt (zu sehen im
Heimatmuseum Tuningen).
Je nach Witterung tragen die Frauen zusätz
lich eine Jacke wie Jessica auf dem Foto links.
Als Kopfbedeckung dient eine flach anliegende,
schwarze Haube.
Die evangelischeArbeitstracht
Zur Feldarbeit trug man eine
Hippe aus weniger feinem
Stoff (Foto links). Die Brust
wird mit dem Nestelband
verschnürt, über dem Mieder
das schwarze Samtgoller
getragen. Der Schurz ist aus
blauem Leinen, er kann bei der
Feldarbeit hochgerafft und
hinten am „Fidläknotä
befestigt werden. Den Kopf
ziert die schwarze Haube.
Gelegentlich wird ein meist
rotes Kopftuch getragen, das
wie hier auf dem Foto mit
Chantell auch über den
Schultern liegen kann.
Die evangelischeMännertracht der
Baar bei Tuningen
Über dem weißen Hemd trägt
der Tuninger Mann das Gilet
aus rotem Wollstoff und um
den Hals eine schwarze
Seidenbinde. Der schwarze
Samtschopen von Markus ist
an den Aufschlägen mit
silbernen Knöpfen besetzt. Die
Kniebundhose aus Hirschleder
wurde mit Stickereien verziert.
Auf dem Kopf sitzt ein Filzhut.
Markus wird von Franziska
begleitet, die die Tuninger
Frauentracht trägt (s. S. 219). In
Tuningen und Trossingen
trugen in den 1930er-Jahren
einige ältere Männer nach wie
vor die Tracht.
Mit strohhut – Die
Schwenninger
Frauentracht
Kim trägt ein buntes Mieder, das
den unverheirateten Frauen vor
behalten ist. Über dem Mieder
befindet sich ein weißes Goller
mit Rüschen. Das Prachtstück
ist die Hippe aus schwarzem
Zeug, sie ist in zahlreiche Falten
gelegt – gerieselt. Über dem
Käppchen wird in Schwenningen
auch der zylinderförmige Stroh
hut getragen, der „Schihut“ (von
„Scheinen“).
Mit Uhren – Die
Schwenninger
Männertracht
Bei der Schwenninger Männer
tracht, die hier Philipp zeigt,
befindet sich über dem roten
Gilet ein dunkler Schopen
aus Wollstoff. Die mit floralen
Motiven bestickte Kniebund
hose mit Latz besteht aus
schwarzem Leder. Angelehnt
an die Uhrenindustrie wird bei
Umzügen der Trachtengrup
pe von den Männern gerne
eine Uhrenkraxe getragen. In
Schwenningen war der letzte
„Lederhosenmann“ der „Tam
pora Chrischtä , der 1917 im
Alter von 83 Jahren starb.
Der Strohhut gehört bei
den Trachten der Raum
schaft Schonach/Triberg/
Schönwald und Furtwan
gen traditionell dazu. Hier
im Bild eine Schonacher
Strohflechterin in Tracht.
Hüte dieser Art waren in
der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts begehrt,
noch war das Tragen der
Tracht alltäglich.
8. Kapitel – Museen
„Förderverein Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach e.V.“
Die Strohhutfabrik Sauter
fertigte Hüte, Taschen,
Schuhe – und die Grundlage
für Bollenhüte
VON ELKE REINAUER
Schonach ist ein weithin bekanntes Skidorf, zugleich das
letzte Kuckucksuhrendorf des Schwarzwaldes – und
galt lange Zeit ebenso als Hochburg der Stroh
flechterei. Bis zum Jahr 1992 produzier
L.F. Sauter“ vorzugsweise
Strohhüte und Taschen, danach
wurden bis zum Jahr 2005 noch Fastnachtsartikel
veräußert. Nachdem das unter Denkmalschutz stehende
Gebäude der einstigen Strohhutfabrik aufgrund erheblicher
baulicher Mängel nicht zu retten war, verlagerte der im Jahr
2016 gegründete „Förderverein Schwarzwälder Strohmanu
te die „Strohmanufactur Schonach
factur Schonach e.V.“ in über 4.500 Arbeitsstunden ihr Innenleben in die Räume
der früheren Drogerie Sperl. Auch wurde dort eine vielfach nutzbare Begegnungsstätte
Ob Taschen jeder Art, Strohschuhe, die
sogenannten „Finken“ oder das Grund
gerüst des Bollenhutes: Das Fertigungs
programm der einstigen Strohmanufactur
Sauter in Schonach war breit gefächert.
geschaffen.
225
N
N
ur noch ein Haufen Mauersteine ist zu sehen
und auch er wird nicht mehr lange überdauern:
An diesem Nachmittag im März 2024
trägt ein Bagger die Überreste der „Strohmanufactur
Schonach L. F. Sauter“ ab. Die Steine sind die letzten
Reste der 1863 eröffneten Fabrik. Das Gebäude mit
Flachdach – auf diesem wurde das Stroh getrock
net – war lange ein markanter Teil des Ortskerns,
nun ist es Geschichte. Doch: Mag auch die einstige
Hülle der Strohmanufactur nicht mehr existieren, nur
ein paar Schritte weiter ist ihr Innenleben in der
ehemaligen Drogerie Sperl neu auf-, sprich nach
gebaut. Bis dort aber die Türen der musealen
Strohmanufactur am 1. Dezember 2023 öffnen
konnten, war es ein langer und beschwerlicher Weg.
Selbst der alte Fabrikboden wurde bewahrt
Durch eine Glastür betritt der Besucher einen
lichtdurchfluteten Raum mit einem langen Tisch.
Hier empfangen Ingrid Schyle, Vorsitzende
des Vereins „Förderverein Schwarzwälder
Werbung zur Zeit des Jugendstils für die Produkte der
Strohmanufactur von L.F. Sauter. Besonders hervorgehoben
werden die Hüte.
Herzstück des Museums ist
ein lichtdurchfluteter Raum
mit langem Tisch. Eine
Glasplatte schützt den
original erhaltenen Nähtisch
aus der Fabrik.
Strohmanufactur Schonach e.V.“ und Kathrin Kimmig,
stellvertretende Vorsitzende, den Besucher. Beides
Schonacher Frauen, die sich für die Geschichte ihres
Heimatortes einsetzen. Kathrin Kimmig ist beruflich
als Hebamme tätig. Ingrid Schyle ist Erzieherin und
Projektleiterin an der Naturparkschule in Schonach,
außerdem ist sie Gästeführerin und bietet u.a.
Themenwanderungen in ihrer Heimat an.
Die Holzdielen knarzen leicht unter den Füßen:
„Der Holzboden ist der Originalboden aus der
Fabrik“, sagt Kathrin Kimmig und deutet nach unten.
Die Mitglieder des Vereins haben den Boden in
der alten Fabrik ausgebaut und in dem Gebäude
der jetzigen Strohmanufactur wieder verlegt. Das
Büro, ursprünglich Contor genannt, ist ebenfalls
dem Original in der Fabrik nachempfunden. In
dem dort stehenden massiven, cremefarbenen
antiken Schrank befinden sich Bücher mit Geflecht-
mustern, die Unterlagen zur Buchhaltung und alte
Fotos, die den Inhaber Ludwig Sauter sowie seine
Enkelin Anne-Marie zeigen, die letzte Besitzerin der
Strohmanufactur.
Herzstück des Museums ist ein lichtdurchfluteter
Raum mit langem Tisch. Eine Glasplatte schützt hier
den original erhaltenen Nähtisch aus der Fabrik. An
ihm saßen früher die Schonacher Frauen und nähten
Strohhüte. In einer Ecke am Schaufenster stehen
zwei Nähmaschinen, in Regalen stapeln sich
Strohhüte und reihen sich Strohschuhe aneinander.
Sogenannte „Finken“, wie sie nicht nur im Schwarzwald
getragen wurden und werden. Die Zeugnisse
Oben: Die „Strohhutfabrik L.F. Sauter“ im Jahr 1911. Unten: Ein Teil der SauterBelegschaft,
vorne Strohhutnäherinnen.
Blick auf den Nähtisch. Er ist original erhalten und stellt
das Herzstück der Manufactur dar. Groß ist die Auswahl an
Strohhüten, die man im Schonacher Museum besichtigen
kann.
Auch das Staatstheater
Stuttgart bestellte bei der
Manufactur Strohhüte.
der alten Fabrik sind weiter auf historischen Abbildungen
zu sehen, die die Wände schmücken. Ebenso
zeigen die Bilder die Strohflechterinnen bei der
Arbeit.
Am „Tag des offenen Denkmals“ 2004 gab es
eine Besichtigung der Strohmanufactur
2004 konnte die ehemalige Fabrik von den Schonachern
am „Tag des offenen Denkmals“ noch im
Originalzustand besichtigt werden. Es sah alles noch
genauso aus wie am Tag ihrer Schließung im Jahr
1992: Sämtliche Maschinen samt Hutpressen, aber
auch Strohhüte und andere Artikel waren zu sehen.
Und was man nicht vermuten würde: Es gab ebenso
einen Verkaufsraum mit Hüten und anderen Artikeln
aus Stroh für die hohen Tage. Anne-Marie Sauter hat
derlei Fastnachtsartikel im Obergeschoss der Fabrik
noch bis ins Jahr 2005 veräußert. Zu den Kunden
zählte auch das Stuttgarter Staatstheater, das bei der
Manufactur für diverse Aufführungen im Schwarzwald
produzierte Strohhüte bestellte.
Ein Jahrzehnt später, im Jahr 2014, wurde die
Strohhutfabrik durch die Gemeinde erworben, die
2015 beschloss, das Gebäude abzureißen. Doch
stimmte das Denkmalamt dem Abriss zunächst nicht
zu und auch in Schonach regte sich Widerstand. Es
kam im November 2016 zur Gründung des „Fördervereins
Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach e.V.“
mit dem Ziel, die Sanierung und Erhaltung der
denkmalgeschützten ehemaligen Strohhutfabrik
Sauter zu unterstützen. „Wir wollten die Fabrik
erhalten“, so die Vorsitzende Ingrid Schyle und ihre
Die neue Heimat der Strohmanufactur befindet sich in der Villa Sperl. Rechts Kathrin Kimmig, die den Verein bis 2019 leitete
und auch maßgeblich seine Gründung mitinitiiert hat.
Stellvertreterin Kathrin Kimmig, die bis 2019 den
Verein leitete und auch maßgeblich seine Gründung
mitinitiiert hatte. Bereits kurz vor der Vereinsgründung
war ein Loch im Dach notdürftig repariert
worden, um weitere Schäden im Innern des Gebäudes
zu verhindern. Doch die Mitglieder des Fördervereins
mussten einsehen: „Das Gebäude war nicht mehr zu
retten, weil laut Gutachten die Belastung durch
Schadstoffe, Schimmel und Hausschwamm zu hoch
war“, blickt Kathrin Kimmig zurück.
Vor dem Abriss konnte der Verein den Zustand
der Fabrik umfassend dokumentieren und Ideen für
das heutige Museum sammeln. Im Internet unter
www.strohmanufactur.de steht diesbezüglich zu lesen:
„Wir waren einerseits begeistert, was für Schätze an
Formen, Borten, Hutpressen und Maschinen noch vorhanden
sind. Andererseits aber traurig, wie man diese
Kostbarkeiten so lange zum Teil unter schlechten
Bedingungen einfach dem Verfall preisgeben konnte.
Während wir z.B. Strohborten von weit her und kostspielig
bestellten, lagen sie dort meterweise zum Teil
einfach auf dem Boden …“
Wir wollten die Fabrik
erhalten, doch das Gebäude
war nicht mehr zu retten,
weil die Belastung durch
Schadstoffe, Schimmel und
Hausschwamm zu hoch
war.
4.500 Arbeitsstunden in den Wiederaufbau
der Strohmanufactur investiert
Die neue Heimat der Strohmanufactur, die Villa
Sperl, erwies sich als ebenfalls renovierungsbedürftig,
so wartete auf den jungen Förderverein jede
Förderverein Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach
229
Strohhutnäherinnen der Strohhutfabrik Sauter. Strohhutnäherinnen der Strohhutfabrik Sauter.
Menge Arbeit: 4.500 Arbeitsstunden investierten die
Vereinsmitglieder in ihre Sanierung und den
dortigen Wiederaufbau der Strohmanufactur. Die
Gemeinde unterstützte den Förderverein und stellte
die Räume in der Villa zur Verfügung. Förderungen
gab es durch das „Leader“-Entwicklungsprogramm.
Strohflechten – ein altes Handwerk
Bereits 100 Jahre bevor die Uhrenindustrie im
19. Jahrhundert ihren Aufschwung nahm, war das
Strohflechten im Schwarzwald eine wichtige Verdienstquelle.
In Akten des Landesgewerbeamtes
Karlsruhe ist ein erster Hinweis auf Schwarzwälder
Strohhüte aus dem Jahre 1716 überliefert. Derlei
Arbeiten sollen zu dieser Zeit aber noch aus recht
groben Kornhalmen hergestellt worden sein. Als
Obervogt Karl Theodor Huber um 1806 die Bevölkerung
im Amt Triberg mit feineren Flechtmethoden
bekannt macht, will er mit seiner Initiative der
großen wirtschaftlichen Not entgegen wirken. Die
feinen Geflechtarbeiten hatte er auf Reisen in Italien
Das Ausgangsmaterial der
Feinflechterei ist noch
unreifer, langhalmiger
Roggen, da er sich nur in
diesem Zustand kunstvoll
verarbeiten lässt.
und der Schweiz kennengelernt, wo sie stark
nachgefragt wurden. Huber sah in dieser Art der
Strohflechterei eine dringend erforderliche neue
Verdienstmöglichkeit und ließ auf eigene Kosten
einen Lehrmeister aus der Toskana nach Triberg
kommen.
Das Ausgangsmaterial der Feinflechterei ist noch
unreifer, langhalmiger Roggen, da er sich nur in
diesem Zustand kunstvoll verarbeiten lässt. Dass
diese neue Art und Weise der Strohflechterei tatsächlich
Geld einbringt, erkannten die Schwarzwälder
rasch: Die feinen Strohartikel waren nach kurzer Zeit
über den Schwarzwald hinaus gefragt.
Einen weiteren Aufschwung erfuhr das Gewerbe
1850 durch die Uhrmacherschule in Furtwangen und
deren Vorstand Robert Gerwig. Dank der Uhrmacherschule
wurden zuerst in Furtwangen und später
auch in anderen Orten staatliche Geflechtschulen
gegründet oder die Flechterei im Rahmen der
örtlichen Volks- und Gewerbeschulen unterrichtet,
wie es z.B. auch in Schonach der Fall war.
Robert Gerwig bemühte sich damit nicht nur um
die Professionalisierung der Uhrmacherei, sondern
ebenso der Strohflechterei. Denn wie bei der
Uhrmacherei erfordert auch das Strohflechten viel
Wissen um die Möglichkeiten des Materials und
andauernde Übung im Flechten. Im Rahmen der
Gewerbeförderung trieb Gerwig deshalb auch die
Ausbildung von Geflechtlehrerinnen für die Strohflechtschulen
voran. Kathrin Kimmig und Ingrid
Schyle schildern beim Rundgang durch die nachgebaute
Manufactur, dass es erstaunlich sei, wie die
Frauen so gleichmäßige und feine Geflechte überhaupt
anfertigen konnten. Anleitung dazu gaben
ihnen u.a. Musterbücher, in denen Geflechtproben
eingeklebt sind.
Um so feine Flechtwaren auch selbst herstellen
zu können, übten die Frauen und Mädchen ihr
Handwerk unter Anleitung einer Lehrerin im
Rahmen des Unterrichtes an den Geflechtschulen
und darüber hinaus stundenlang. „Wenn man die
feinen Geflechte sieht und weiß, wie viel Arbeit da
drinsteckt, dann steigt die Wertschätzung für das
Produkt“, unterstreicht Kathrin Kimmig.
Strohhutfabrik Sauter gründet sich 1863
Die starke Nachfrage nach den feinen Flechtarbeiten
brachte ein weit verzweigtes Handelsnetz hervor. Und
um immer mehr und günstigere Flechtwaren herstellen
zu können, entstanden zahlreiche Fabriken,
darunter die 1863 eröffnete Strohhutfabrik Sauter.
Gegründet hat sie der Uhrenhändler Andreas Kienzler,
der sie jedoch schon bald seinem Schwiegersohn
Ludwig F. Sauter übereignete. Zusammen mit dem
Schwiegervater baute dieser u.a. eine Strohhutfertigung
auf, wozu wuchtige Maschinen und wegen der
verschiedenen Kopfgrößen Dutzende von Pressformen
erforderlich waren.
Die Hutpresse und einige der vielen Formen dazu.
Förderverein Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach
231
Nach dem Bleichen wurde das Stroh zunächst
gespalten und mit einer speziellen Technik geflochten.
Diese Flechtarbeit führten die Schonacher Frauen und
Kinder zu Hause aus. Die so entstandenen „Strohborten“
dienten als Ausgangsmaterial für die Strohhutherstellung
in der Fabrik. Das Tauschmaß für die
Strohborten mit jeweils 32 Metern Länge waren
gerade einmal ein bis zwei Laib Brot … Die Bezahlung
war somit schlecht, obwohl das Geschäft der Fabriken
florierte: So lieferte Sauter beispielsweise im Jahr
1870 neben den Hüten auch um die 1.200 Taschen pro
Woche aus.
Im 19. Jahrhundert boomte das Geschäft mit
Strohwaren. Es gab eine Zeit, da ging keiner ohne
Hut aus dem Haus. Der Strohhut ist zudem Bestandteil
der Schonacher Tracht – und gehört ebenso zu
vielen weiteren Schwarzwälder Trachten wie
selbstverständlich dazu. Selbst beim berühmten
Bollenhut ist die Basis der Strohhut, dieser wird dazu
vergipst.
Das Handwerk der Strohflechterei übten vor allem
Frauen und Mädchen aus, im Jahr 1810 waren es
im gesamten Amt Triberg 1.500. Als preisgünstige
Strohhüte aus China den deutschen Markt förmlich
überschwemmten, brachte das auch der Strohma-
Wir haben Unmengen
Roggen geerntet – mit der
Sichel, denn maschinell
ging es nicht. Wir haben uns
wohl etwas überschätzt.
Es war unglaublich,
wie viel Arbeit das war.
nufactur Sauter einen schweren Rückschlag: 1905
beschäftigte sie gerade noch vier Näherinnen und
zwölf Heimarbeiter.
Den Roggen selbst angebaut
Für die Geflechte wird langhalmiger Roggen benötigt.
Doch um das Feinflechten mit dieser Getreideart
lebendig zu halten, muss diese Getreideart erst
einmal zur Verfügung stehen: Heutzutage wird
Rechte Seite: Impressionen aus der Schonacher Strohmanufactur
– auch sogenannte Finken, Hausschuhe aus
Stroh wurden hergestellt (oben rechts). Weiter sind diverse
handwerkliche Hilfsmittel zu sehen und unten eine
Strohnähmaschine.
Linke Seite unten: Da für die Geflechte langhalmiger Roggen
gebraucht wird und dieser im Großraum Schonach nicht
zu bekommen ist, baute ihn der Förderverein selbst an.
langhalmiger Roggen im Schwarzwald bei Schonach
kaum mehr angebaut. Vor diesem Hintergrund
bestellten die Mitglieder des Fördervereins selbst ein
Feld mit Roggen. Der Erfolg war groß, doch die Ernte
gestaltete sich unerwartet schwierig: „Wir haben
Unmengen an Roggen geerntet – mit der Sichel,
denn maschinell ging es nicht. Die Halme müssen ja
in ihrer ganzen Länge erhalten werden. Wir haben
uns wohl etwas überschätzt. Es war unglaublich, wie
viel Arbeit das war“, blickt Kathrin Kimmig zurück.
Förderverein Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach
233
Am Ende half dem Verein eine ganze Schulklasse.
Anschließend stellte sich die Frage: Wohin mit dem
Roggen? Also nahm jeder ein Bündel mit nach Hause
und trocknete es dort. Früher geschah dies, wie
schon an anderer Stelle berichtet, auf dem Flachdach
der Firma Sauter.
Auch die Weiterverarbeitung ist aufwendig: Nach
dem Trocknen und Bleichen wurde das Stroh
„ausgezogen“. Danach wird es in Wasser eingeweicht
und zu Geflechten verarbeitet. Schließlich wird ein
Bündel gefaltet. Die Geflechte werden danach durch
eine Walze gedreht (eine Art Mangel), um sie zu
glätten. Nun werden die Strohhalme auf die Haspel
gewickelt. Dieses Aufwickeln hilft u.a. dabei, Knoten
zu vermeiden, die den Flechtprozess stören könnten,
und eine gleichmäßige Spannung zu erreichen.
In dieser gespannten Form erfolgt die Weiterverarbeitung
der Bänder, beispielsweise zu Hüten.
Sind die Hüte genäht, kommen sie in die Presse. Bei
der früheren Hutfabrik Sauter stand diese mit
Die Vorsitzende des Fördervereins Ingrid Schyle hat besondere
Verbindungen zum Strohflechten, die Großmutter
besuchte einst die Schonacher Geflechtschule.
zahlreichen Modellen für Hutformen und -größen aus
Gusseisen im Keller bereit. Die Formen sind jeweils
derart schwer, dass diese Arbeit von Männern
verrichtet werden musste. In der Presse werden die
Hüte glatt und stabil gemacht. Eine der Pressen aus
der Fabrik ist in der Villa Sperl wieder aufgebaut.
Ein Ort für vielerlei Aktivitäten
Die Mitglieder des Vereins betonen, dass die
Manufactur kein Museum sei, sondern ein lebendiger
Raum, in dem Aktivitäten und Veranstaltungen
stattfinden. Dazu gehört auch, dass das Handwerk
der Strohflechterei und -näherei weitergegeben wird.
Blick in den Hauptraum der Strohmanufactur, in dem
sich der große Nähtisch befindet, geschützt durch eine
Glasplatte. Hier finden Kurse und weitere Veranstaltungen
statt.
Und so kommt es, dass an dem langen Nähtisch
aus der Fabrik heute wie damals Frauen sitzen und
ein Handwerk am Leben erhalten, das ohne sie in
Vergessenheit geraten würde.
Neben Kursen im Strohflechten bietet der Förderverein
in der Villa weiter Cego-Kurse und ein Sprach-
Café an. Ein Ort der Begegnung sollte hier entstehen,
das war den Mitgliedern des Vereins wichtig. Doch
steht das Stroh im Mittelpunkt. „Ich finde es faszinierend,
was man mit Stroh alles machen kann“, betont
Kathrin Kimmig. Kinder staunen immer wieder und
stellen fest, dass der Strohhalm ein echtes „Röhrle“
ist, erzählt sie. Es gibt eine Kooperation mit der
Naturparkschule, deshalb kommen Schüler zum
Flechten in die „Strohmanufactur“.
Viele Mitglieder des Vereins verbindet eine
Geschichte mit der Fabrik oder der Strohflechterei. So
war die Großmutter von Ingrid Schyle, der ersten
Vorsitzenden des Fördervereins, Schülerin der
Schonacher Geflechtschule, wie die meisten Schonacher
Kinder. Ingrid Schyle hat sich mit diesem
alten Handwerk intensiv beschäftigt und weiß
ebenso viele Details über die Behandlung der
Näherinnen in den Fabriken, die sich dort so
manchen Schwierigkeiten ausgesetzt sahen. Wenn
den Frauen bei der Herstellung der Hüte die Nadel
an der Maschine abbrach, wurde sie ihnen vom Lohn
abgezogen.
Ingrid Schyle resümiert: „Oft schaut man mit
verklärtem Blick auf die damalige Zeit, die Rahmenbedingungen
allerdings waren alles andere als ein
Zuckerschlecken.“ Diesen Alltag aufzuzeigen, ist eine
weitere wichtige Aufgabe des „Förderverein
Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach“, der sich
über einen regen Besuch des Museums freuen kann.
Förderverein Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach
235
Das KirnerKabinett:
Museum mit Furtwanger
Kunst von nationalem Rang
VON GERHARD DILGER
Das Deutsche Uhrenmuseum in der Gerwigstraße ist ein viel besuchter Ort,
weithin bekannt wegen seiner Sammlung historischer Uhren. Deutlich weniger
populär ist ein Furtwanger Museum, das mit Johann Baptist Kirner einen Sohn
der Stadt würdigt, der im 19. Jahrhundert einer der bedeutendsten süddeutschen
Maler ist und die damalige Genremalerei in meisterlicher Vollendung repräsentiert
– wie außer ihm vielleicht nur Carl Spitzweg. Auch das renommierte Freiburger
Augustinermuseum würdigt ihn vom Oktober 2021 bis Ende Januar 2022
im Rahmen einer großen Sonderausstellung. Im reich bebilderten Katalog heißt
es dazu: „Seine Bilder sind so lebendig, dass man das Klirren der Gläser und
das Lachen der Kinder beinahe hören kann. Einst einer der berühmtesten Maler
des Schwarzwaldes, ist Johann Baptist Kirner (18061866)
heute weitgehend in
Vergessenheit geraten.“ Das will mit Guido Staeb ein Nachfahr des Malers mit
einem „KirnerKabinett“
in Furtwangen ändern. Doch aller Anfang ist schwer, wie
so oft fehlt es auch dieser Initiative an entsprechender öffentlicher Förderung.
Wobei die Stadt Furtwangen tut, was sie nur kann: Bürgermeister Josef Herdner
unterstützt Guido Staeb bei seinem Vorhaben nach Kräften.
Johann Baptist Kirner (1806 1866)
237
G
G
anz nahe beim Uhrenmuseum mit seinen
Besuchern aus aller Welt widmet sich im
Gebäude der Volksbank ein kleines Museum
den Werken Johann Baptist Kirners. Doch: Bisher
führt das „Kirner-Kabinett“ gewissermaßen ein
Schattendasein und ist auch im Bewusstsein der
Furtwanger noch nicht so präsent, wie sich das der
Gründer wünschen würde. Guido Staeb leitete viele
Jahre ein Fahnengeschäft in Freiburg, im Ruhestand
intensivierte sich seine Beschäftigung mit Kirner. Mit
der Eröffnung des Kirner-Kabinetts erreicht er vor
vier Jahren ein erstes Zwischenziel: Erstmals sind
damit Werke von Johann Baptist Kirner dauerhaft in
Furtwangen zugänglich.
Erschwert wird der Start des Museums im Jahre
2020 durch die Covid-19-Pandemie. „Kaum hatten
wir eröffnet, musste das Museum auch schon wieder
schließen,“ bedauert Staeb. Der Kirner-Nachfahr
hat die Ausstellung von Werken von Johann Baptist
Kirner und dessen Bruder Lukas Kirner gewisserma
ßen im Alleingang ins Leben gerufen. Wie kam es zu
dem Wunsch, die Bilder am Geburtsort der Malerbrü
der auszustellen? „Ich bin ein Verwandter der Kirner,
meine Großmutter Hulda Mahler hat Oskar Pfrengle
geheiratet, der aus der Kirner Familie stammt“, so
Zahlreiche Skizzen, Studien
und Gemälde von Kirner
befinden sich in Familienbesitz,
andere Werke sind
u.a. in der Kunsthalle
Karlsruhe, im Augustinermuseum
in Freiburg und
vielen weiteren namhaften
Museen ausgestellt.
Guido Staeb, der viele Jahre ein Fahnengeschäft in Freiburg
leitete, hat sich als Nachfahr von Johann Baptist
und Lukas Kirner voll und ganz der Bewahrung und
Ausstellung der Werke der beiden Maler verschrieben. In
Furtwangen betreibt er das Museum „KirnerKabinett“.
Auf
dem Foto präsentiert er das Werk „Der Improvisator“ von
Johann Baptist Kirner aus dem Jahr 1836, gemalt in Rom.
die Erklärung des 81-Jährigen. In der Familie sei die
künstlerische Hinterlassenschaft des berühmten
Malers schon immer ein Dauerthema gewesen, erinnert
er sich.
Viele Bilder und Skizzen im Familienbesitz
Zahlreiche Skizzen, Studien und Gemälde sind bis
heute im Familienbesitz, viele Werke befinden sich
daneben auch in der Kunsthalle Karlsruhe, denn
Kirner war als Badischer Hofmaler verpflichtet,
Bilder an den Badischen Hof zu liefern. Ebenso sind
Werke im Augustinermuseum in Freiburg und
etlichen weiteren renommierten deutschen Museen
ausgestellt.
Mein Vater Anton Staeb hat
sich insbesondere nach
dem Zweiten Weltkrieg
daran gemacht, alle
KirnerBilder
zu archivieren
und zu ordnen, die sich in
der Familie befinden.
„Mein Vater Anton Staeb hat sich insbesondere
nach dem Krieg daran gemacht, alle Kunstwerke zu
archivieren und zu ordnen, die sich in der Familie
befinden“, erzählt Guido Staeb. „Unsere Wohnung in
der Bühlhofstraße war voll mit Kirner-Bildern!“ Das
hat ihn geprägt und den Grundstein zu einer lebenslangen
Beschäftigung mit den Werken des berühmten
Verwandten gelegt. Nicht allen in der Familie ist
diese Wertschätzung der Werke gemeinsam: Es gab
vor einiger Zeit sogar Pläne, die gesamte künstlerische
Hinterlassenschaft dem Freiburger Augustinermuseum
zu überlassen. „Das wollte ich nicht, meiner
Meinung nach sollen die Werke Kirners in Furtwangen
zugänglich gemacht werden,“ so Guido Staeb.
Ein erster Schritt in diese Richtung folgt 2015: In
Zusammenarbeit mit dem Geschichts- und Heimat-
Der Mandolinenspieler, vor 1836. Ölfarbe auf Papier.
Skizze eines Landarztes.
Johann Baptist Kirner
Die Eltern in der Stube im Wohnhaus der Familie in Furtwangen ist Johann Baptist Kirners letztes Werk, entstanden 1864.
Kurz darauf lebt er in der Oberen Mühle in Furtwangen in der pflegerischen Obhut seiner Schwester Karoline.
verein reift der Plan, für eine Ausstellung zum
150. Todestag des Künstlers alle greifbaren Werke
von Johann Baptist Kirner für eine Jubiläumsausstellung
an einem Ort zu vereinen. Mit dem Uhrenmuseum
ist auch bald ein geeigneter Ort für eine Ausstellung
gefunden und so kann im November 2016 ein
breiter Querschnitt an Werken präsentiert werden:
von Skizzenbüchern, Kohlezeichnungen und Studien
bis hin zu Ölgemälden. Ein umfangreicher, sehr aufwändiger
Ausstellungskatalog verzeichnet die ausgestellten
Arbeiten (nach wie vor erhältlich über den
Geschichts- und Heimatverein Furtwangen).
Vom 30. Oktober 2021 bis zum 30. Januar 2022
widmet dann das Augustinermuseum in Freiburg
dem Furtwanger Maler eine großartige, zweigeteilte
Ausstellung. Sind unter dem Titel „Erzähltes Leben“
vor allem Gemälde zu sehen, werden im zweiten Teil
der Ausstellung Zeichnungen und Skizzen gezeigt,
der mit „Der Blick des Zeichners“ überschrieben ist.
Leihgaben auch aus der Sammlung von Guido Staeb
machen diese Doppelausstellung erst in diesem Umfang
möglich. Selten sind derart viele Kirner-Exponate
an einem Ort versammelt. Der Zustrom an Besuchern
ist entsprechend, Kirner wird sozusagen neu
entdeckt. Die hervorragend kuratierte Ausstellung
würdigt den Furtwanger Maler wie nie zuvor. Auch
diese Ausstellung unterstreicht die Bedeutung des
Werkes und damit zugleich des Kirner-Kabinetts.
Exponate, aber keine Räume
Zur Zeit der Freiburger Ausstellung wird ein Gedanke
konkreter, den Staeb schon lange hegt und der
zunehmend möglich erscheint: Ein Kirner-Museum in
240 Museen
Furtwangen. „Ich hatte Exponate, aber keine Räume“,
schildert Staeb sein damaliges Dilemma.
Hilfesuchend wendet er sich an den Bürgermeister
von Furtwangen. „Josef Herdner unterstützt mich
sehr, weil er mit mir einen Gedanken teilt: Die Bilder
müssen in Furtwangen bleiben!“, dankt Staeb dem
Bürgermeister. Ein Ziel soll sein, der Bevölkerung ins
Bewusstsein zu rufen, dass einer der bedeutendsten
Genremaler des 19. Jahrhunderts in Furtwangen
geboren wurde und auch dort gestorben ist. Und so
kommt es dank der Vermittlung des Bürgermeisters
zu der Lösung mit angemieteten Räumen im Obergeschoss
der Volksbank in der Gerwigstraße unweit des
Uhrenmuseums.
„Ich habe alles selbst gemacht, die Wände gestrichen,
die Räume so aufbereitet, dass die Bilder
einen würdigen Platz finden“, schildert Guido Staeb
die Anfänge. Bei einem Gang durch die Räumlichkeiten
sieht man augenblicklich, wie viel Arbeit in
dem Museum steckt. Das Konzept ist, nicht nur die
Bilder zu präsentieren; vielmehr soll ebenso gezeigt
werden, wie der Künstler gearbeitet hat: Von der
ersten Skizze über Detailentwürfe, von kleinteiligen
Studien zum fertigen Gemälde, dieser Weg soll
erfahrbar werden. „Eines der wichtigsten Begleiter
von Johann Baptist Kirner war sein Skizzenbuch, das
er auf Schritt und Tritt dabei hat“, so Staeb. So kann
er unterwegs Eindrücke festhalten, die später zur
Grundlage seiner Werke werden.
Gründung einer Stiftung wäre ein Ziel
Nachdem die Raumfrage geklärt ist, stellt sich die
Frage der Finanzierung des Museums. Bisher steckt
vor allem eigenes Geld im Kirner-Kabinett, so Staeb.
Es gibt einen kleinen Freundeskreis, der aber mehr
informellen Charakter hat und vor allem durch
Mundpropaganda Werbung macht. Was Staeb
vorschwebt, wäre eine Stiftung, die sich auch
zukünftig der Belange des Museums annehmen
könnte. „Interessierte Personen wären schon da,
aber kein Geld,“ schmunzelt er. Eine weitere Hürde
ist die personelle Ausstattung.
Geöffnet hat das Museum jeweils am Samstag
und Sonntag von 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr sowie nach
Vereinbarung. „Meistens bin ich am Sonntag selbst
da und erwarte Besucher“, erläutert Staeb die
derzeitige Situation.
Eines der wichtigsten
Utensilien von Johann Baptist
Kirner ist sein Skizzenbuch,
das er auf Schritt und Tritt mit
sich führt, um Anregungen für
Hauptwerke festzuhalten.
Grabstein von Johann Baptist Kirner auf dem Bergfriedhof
von Furtwangen. Die Verbindung zu seiner geliebten
Heimat hat der renommierte Maler sein ganzes Leben
lang nie abreißen lassen. Das Grabdenkmal stammt von
dem Vöhrenbacher Bildhauer Adolf Heer.
Johann Baptist Kirner
Guido Staeb präsentiert ein Portrait von Karoline Duffner, der Schwester der Malerbrüder Kirner, geschaffen 1839 durch
Johann Baptist Kirner. Karoline war es, die ihren Bruder Johann Baptist in seinen beiden letzten Lebensjahren pflegte.
Unterstützung erhält er insbesondere am Samstag
von Mitgliedern des Geschichts- und Heimatvereins.
Elke Schön, die Leiterin des Museums „Gasthaus
Arche“, steht jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung.
Leider ist die Nachfrage sehr unterschiedlich,
berichtet Staeb. Die meisten Besucher kommen
von auswärts. Dazu trägt sicher auch bei, dass in
Menzenschwand, der Heimat des Malerfreundes
Franz Xaver Winterhalter, im dortigen Museum auf
das Furtwanger Kirner-Kabinett hingewiesen wird.
Wenn man sich so intensiv wie Staeb mit dem Werk
Kirners beschäftigt, stellt sich zwangsläufig die Frage,
ob es neben den schon in der Familie vorhandenen
Bildern und Materialien noch weitere Bestände gibt.
„Ich schaue immer wieder neu im Internet, ob bei Auktionen
Kirner-Bilder angeboten werden,“ schildert
er. Das sei jedoch sehr selten der Fall, fährt Guido Staeb
fort, die meisten Bilder, die im Kabinett ausgestellt
sind, stammen aus dem Besitz der Kirner-Familie.
Diese hat die Erinnerung an das Schaffen von Johann
Baptist Kirner und Lukas Kirner stets hochgehalten.
Teil der Furtwanger Museumslandschaft
Eine Vision hat Guido Staeb oft vor Augen: Das
Kirner-Kabinett könnte Teil der Furtwanger Museumslandschaft
werden, die aus seiner Sicht derzeit
im Entstehen ist. „Das Siedle-Museum wird bald eine
hochkarätige Sammlung moderner Kunst öffentlich
präsentieren,“ wagt Staeb einen Blick in die Zukunft.
Und was würde näher liegen, so seine Einschätzung,
als in unmittelbarer Nähe dazu gewissermaßen als
Kontrapunkt oder Ergänzung Bilder des berühmtesten
Furtwanger Malers zu präsentieren? Was ihm
vorschwebt, wären Räume unweit des neuen
Siedle-Museums: „Das ehemalige Postamt ist im
242 Museen
Der Furtwanger Orchestrionbauer Martin Blessing,
Ölgemälde von Johann Baptist Kirner.
Besitz der Stadt Furtwangen. Meine Idealvorstellung
wäre, dort ein Kirner-Museum einzurichten,“ so sein
Wunschtraum. Dann gäbe es mit dem Deutschen
Uhrenmuseum, Siedle-Museum, Museum „Gasthaus
Arche“ und Kirner-Kabinett gleich vier sehenswerte
Museen in Furtwangen. „Eine richtige Museumslandschaft
eben“, so Guido Staeb.
Ob diese Vision eines Tages Wirklichkeit werden
könnte, wird die Zukunft zeigen. Einen Bebauungsplan
für das Areal hat der Gemeinderat jedenfalls
zur Sicherung der geplanten neuen Nutzung bereits
beschlossen. Und ein Planungsbüro wurde mit der
Entwicklung einer Nutzungsplanung beauftragt und
hat ein erstes Konzept vorgelegt, das neben der
Schaffung von Wohn- und Geschäftsräumen auch
Ausstellungsräume vorsieht. Zu wünschen wäre es
dem kleinen, aber feinen Kirner-Kabinett allemal,
dass es dort eine endgültige Heimat findet.
Johann Baptist Kirner:
Badischer Hofmaler
aus Furtwangen
Geboren wurde Johann Baptist Kirner 1806 im
„Schuhpeterhaus“, wo er als jüngster Sohn des
Schuhmachers Peter Kirner aufwuchs. Er sollte
einst die Schuhmacherwerkstatt seines Vaters
übernehmen. Aber schon bald zeichnete sich
ab, dass er eine ganz andere Lebensrichtung
verfolgen wird: Bereits in seiner Kindheit
zeigte sich sein zeichnerisches Talent und er
hatte früh den Wunsch, Kunstmaler zu werden.
Gefördert von seinem zwölf Jahre älteren
Bruder Lukas Kirner, der als Porträtmaler bei
Augsburg lebte, gelang es ihm, gegen manche
Widerstände 1822 ein Kunststudium ebenfalls
in Augsburg zu beginnen. 1824 wechselte er an
die Königlich Bayerische Akademie der bildenden
Künste nach München. Als die finanziellen
Mittel seiner Eltern erschöpft waren, wandte
er sich an das Großherzoglich Badische Innenministerium
mit der Bitte um Unterstützung.
Wider Erwarten erhielt er ein Stipendium für
die Jahre 1827 und 1828, nicht zuletzt dank der
Förderung durch die bekannte Kunstmalerin
Marie Ellenrieder. So konnte er 1829 seine Studienzeit
erfolgreich abschließen.
Johann Baptist Kirner lebte und arbeitete
zunächst weiter in München. Er wandte sich
nun verstärkt der sogenannten Genremalerei
zu und wurde einer der bekanntesten Vertreter
dieser künstlerischen Richtung. 1832 trat er eine
Reise nach Italien an, wo er in Rom mit dem
später als „Fürstenmaler“ berühmt gewordenen
Porträtmaler Franz Xaver Winterhalter aus
Menzenschwand das Atelier teilte. Zu seinen
Freunden gehörten weiter so bekannte Maler
wie Carl Spitzweg und Moritz von Schwindt.
Nach seiner Rückkehr aus Italien 1837 und
einem Aufenthalt in Wien wurde er 1839 zum
Badischen Hofmaler ernannt, was ihn seine
finanziellen Sorgen dauerhaft vergessen ließ.
1865 kehrte er gesundheitlich angeschlagen
nach Furtwangen zurück. Seine Schwester
Karoline Duffner pflegte ihn bis zu seinem Tod
im November 1866.
Johann Baptist Kirner
244 9. Kapitel – Sport
Nicht nur beim DFB-Pokal 2024:
Matchwinner
Kai Brünker
VON MARC EICH
Es ist die Geschichte eines Fußballers, der
sich nach dem Vorbild seines Vaters einen
Kindheitstraum erfüllt und Profi wird. Und es
ist die Geschichte eines Mannes, der ausge
rechnet nach dem tragischen Tod des Vaters
und Vorbilds beim DFB Pokal 2024 einen
vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erlebt:
Durch seine Tore gegen die höherklassigen
Mannschaften des Karlsruher SC, Bayern
München, Eintracht Frankfurt und Borussia
Mönchengladbach schafft es der Drittligist bis
ins Halbfinale – wo er gegen den 1. FC Kaisers
lautern scheitert. Eine Leistung, die ihm nicht
nur in seiner Heimat VS Villingen im Schwarz
wald Baar Kreis viel Anerkennung und Respekt
einbringt. Die Rede ist von Kai Brünker.
E
E
s ist der 12. März 2024 – ganz Fußballdeutschland
redet über ihn, den „Panzer“: Kai Brünker
hat im Viertelfinale des DFB-Pokals für den
1. FC Saarbrücken das entscheidende Tor gegen den
haushohen Favoriten Borussia Mönchengladbach
geschossen und damit für ein Weiterkommen seines
Drittliga-Clubs gesorgt. Der 30-jährige Mittelstürmer
kann es anschließend vor laufenden TV-Kameras
kaum fassen und meint: „1. FC Saarbrücken – Halbfinale
– das ist geisteskrank. Da oben sitzen meine
Schwester, mein Schwager und meine Schwiegermutter.
Ich könnte losheulen.“
Ein magischer Moment:
Wie Kai Brünker ins Rampenlicht tritt
Wenn Kai Brünker an diesen magischen Moment in
seiner Karriere zurückdenkt, dann erinnert er sich an
dieses „geile Gefühl“ und grinst – „wegen solcher
Momente spielt man Fußball. Dann überlegt er und
sagt: „Aber es war auch unwirklich.“ Denn der
gefeierte Pokalheld stand plötzlich im Mittelpunkt,
der Medientrubel brach über den Familienvater aus
Villingen-Schwenningen über Nacht mit Brachialge
walt förmlich herein.
Unzählige TV-Interviews und sogar die Einladung
in das ZDF-Sportstudio zum Torwandschießen waren
die Folge. „Da haben Legenden drauf geschossen, ich
Beim FC 08 Villingen hat er
das Kicken gelernt, den
Grundstein für seine
Profikarriere gelegt. Nach
einem Vorbild muss man
Kai Brünker nicht fragen –
denn für den gebürtigen
Villinger ist die Passion um
das runde Leder unweigerlich
mit seinem Vater Dirk
verbunden.
hatte sogar zwei Treffer“, sagt Brünker und lacht. In
der Heimat sprachen ihn die Kids an: „Hey, Du bist
doch der, der rausgeschossen hat“, hieß es dann. Kai
Brünker war aber auch ganz froh, als er wieder aus
dem Fokus der bundesweiten Medien geriet. Das
passt zu dem bescheidenen Fußball-Profi: Er ist eben
bodenständig, so kennt man ihn in seiner Heimat
VS-Villingen.
Beim FC 08 Villingen hat er das Kicken gelernt,
den Grundstein für seine Profikarriere gelegt. Nach
einem Vorbild muss man Kai Brünker nicht fragen –
denn für den gebürtigen Villinger ist die Passion um
das runde Leder unweigerlich mit seinem Vater Dirk
verbunden. Kein Wunder: Dirk Brünker hatte sich mit
seinen Torjäger-Qualitäten einen Namen in der Region
gemacht. Der hochtalentierte Fußballer avancierte
in den 1980er-Jahren beim FC 08 Villingen zum
gefürchteten Stürmer. Seine Abschluss-Qualitäten
sorgten dafür, dass der SC Freiburg auf den gebürtigen
Essener aufmerksam wurde, ab Juli 1988
stand er (übrigens gemeinsam mit Ex-Bundestrainer
Joachim Löw) als Mittelstürmer im Profi-Kader der
Breisgauer. Wegen einer Verletzung kam er dort jedoch
nicht zum Einsatz.
Kai Brünker als Jugendspieler.
Dank an die Fans – der FC 08 Villingen mit Kai Brünker (vorne) im Jahr 2014.
„Die Berichte über meinen Papa waren als Kind
meine Abendlektüre“, so Kai Brünker. Man könnte
meinen, der heute 30-Jährige hat sich die Karriere
seines Vaters verinnerlicht – denn seine Schritte
ins Profigeschäft weisen deutliche Parallelen auf:
Im SCFreiburg-Trikot rannte er als Knirps damals in
Kappel umher, wo die Familie (neben Kai und Dirk
waren das Mutter Michaela und Schwester Tamara)
von Villingen hingezogen war und ein Haus baute.
Dann streifte er sich in der F-Jugend den Dress des
FC Kappel über. Dort erkannten die Trainer früh sein
Talent, genauer: sein Bewegungstalent.
Der Aufstieg beginnt: Von der
Schwarzwald-Auswahl bis zur Oberliga
In der D-Jugend schaffte er den Sprung in die
Schwarzwald-Auswahl. „Ich war da total verbissen,
das war für mich wie die Nationalmannschaft“, sagt
Brünker lachend. Der Ehrgeiz sollte sich auch
weiterhin auszahlen, denn für den Stürmer ging es
schnell bergauf. Er wechselte zunächst zum FC 08
Villingen, dann in die Talentschmiede des SVZimmern,
der mit dem SC Freiburg kooperiert: In zwei
Jahren schenkt er als B-Jugendlicher den gegnerischen
Teams insgesamt 70 Mal (!) ein, viele sagen
schon damals: „Ganz der Vater“. Die Folgen sind
abermals Einladungen in Auswahl-Teams.
In der A-Jugend wechselte er aufs Neue nach
Villingen. BeimFC08 macht er in Trainingsspielen
gegen die Oberliga-Truppe von Martin Braun –
Ex-SC Freiburg-Profi – auf sich aufmerksam. Es folgte
unmittelbar der Sprung in den aktiven Bereich, weil
Braun darauf pochte, dass Brünker in der Oberliga
Erfahrungen sammeln müsse. „Ich war richtig stolz,
Teil der 1. Mannschaft zu sein.“ Parallel schnürte er
seine Kickschuhe auch für die U23, trug sich dort
regelmäßig in die Torschützenliste ein. „Gegen den
Bahlinger SC habe ich dann mein erstes Tor in der
Oberliga geschossen“, erinnert sich Brünker.
Kai Brünker 247
Kai Brünker in Aktion beim SC Freiburg.
Was Brünker ausmacht und seine Bodenständigkeit
deutlich macht: Seine berufliche Ausbildung hat
er nie vernachlässigt. Als 15-Jähriger begann er eine
Lehre zum Elektriker bei einem Villinger Fachbetrieb
und blieb diesem auch treu. „Jeder zweite Kunde hat
mit mir über den Nullacht gesprochen“, so der 30-Jährige.
Sein Name und Gesicht waren schon früh unweigerlich
mit Fußball und den Schwarz-Weißen verbunden.
Und selbst sein Chef, der dem Fußball eigentlich
gar nicht so viel abgewinnen konnte, interessierte
sich plötzlich für Kai und „seine“ Nullachter. Wenn der
Fußballer daran zurückdenkt, muss er schmunzeln.
Diese positive Verbindung mit seinem Ausbildungsbetrieb
sorgte auch dafür, dass er dem ersten
Proficlub vorerst eine Absage erteilte. In Freiburg
hatte man vom Talent des Schwarzwälder Stürmers
Wind bekommen, der SC klingelte bei Brünker an.
Doch der bewahrte einen kühlen Kopf und überstürzte
nichts. „Würdest Du Dich denn damit wohlfühlen?“,
hatte ihn sein Vater damals gefragt. Eine
Frage, die Kai vor Augen führte, dass er noch nicht
viel von einer Profikarriere hielt.
Im Gespräch ist Kai Brünker ehrlich und deshalb
so sympathisch, weil er unverblümt von den Motiven
erzählt, weswegen er zunächst nicht zum SC wollte.
Denn neben der Tatsache, dass er zunächst seinen
beruflichen Grundstein neben dem Fußball legen
wollte, waren es insbesondere persönliche Gründe.
So dachte er an jene, die bereits in jungen Jahren
den Fokus voll auf den Sport legen – „viele werden
entwurzelt von daheim, können nicht mal auf eine
Party. Ich hatte einfach keinen Bock, von daheim
weg zu gehen“. Auch 1860 München sagte er deshalb
später ab, hier wäre zudem der Aufwand kaum zu
bewerkstelligen gewesen.
Vom Schwarzwald nach England
Mit etwas Abstand – und seiner Ausbildung in der
Tasche – tat er es seinem Vater dann aber doch noch
gleich und wechselte im Sommer 2015 in den
Breisgau. Dort unterschrieb er zunächst einen
Zwei-Jahres-Vertrag. Doch schnell musste Brünker
auch mit Herausforderungen umgehen. Denn in der
Reserve des Erstligisten setzte es im ersten Jahr
zunächst einen Abstieg, „das hat keinen Spaß
gemacht“. Der Ehrgeiz machte dann aber den
Unterschied aus: Im zweiten Jahr holte der Stürmer
alles aus sich heraus, „ich hatte an jedem Fuß
15 Blasen“.
Die fielen dann auch der Freiburger Trainer-Ikone
Christian Streich auf, der den unbedingten Willen
des 190 Zentimeter großen Villingers erkannte. Er
durfte schließlich beim Bundesliga-Team reinschnuppern,
traf gar bei einem Testspiel. An eine besondere
Begegnung mit Streich denkt Brünker gerne zurück.
„Er meinte plötzlich zu mir: ‚Sagst dem Vater mal ‘en
Gruß‘ – und ich wusste nicht mal, dass sie sich gekannt
haben!“
Für den Fußballer ging es trotz der schönen Zeit
in Freiburg dann jedoch ins Ausland, und zwar zur
Fußballnation schlechthin – im Januar 2018 hieß es:
auf nach England, genauer gesagt zum Drittligisten
Bradford City. Lediglich ein Jahr war er dort, in dieser
Phase sammelte er jedoch nicht nur viele prägende
Erfahrungen, nein, von der Insel brachte er dann
auch den Spitznamen „Panzer“ mit. Und das ausgerechnet
beim körperbetonten Fußballstil in England.
Brünker erinnert sich, wie es dazu kam: Sein Club
hatte gegen den FC Portsmouth 2:1 geführt, als es zu
einem Foul kam. Brünker nahm den Ball unter seinen
Arm, wurde deshalb von zwei gegnerischen Spielern
bedrängt, die daraufhin umfielen. Kai Brünker: „Auf
Twitter hat man mich dann ‚tank‘ genannt“ – der
Spitzname ‚Panzer‘ war geboren und begleitet mich
seit diesem Ereignis.“
Rückkehr in die Heimat
Dabei begann seine Station in Bradford wenig
verheißungsvoll und war auch in der Folge voller
Höhen und Tiefen gezeichnet. Kurz nach seiner
Ankunft flog der Trainer, man steckte den Stürmer in
die zweite Mannschaft – dort sollte er zunächst mal
den englischen Fußball kennenlernen, hieß es.
Ausgerechnet eine körperliche Auseinandersetzung
mit einem Mannschaftskollegen im Training sollte
für einen Aufschwung sorgen. „Ich dachte zuerst,
dass es jetzt für mich ganz rum ist – stattdessen
hieß es: ‚Der Junge lässt sich nicht unterkriegen‘“ –
Brünker erhielt seine Chance. Auch dank seiner
Einsätze sammelte das Team in der „League One“
Kai Brünker mit Vater Dirk.
Auf Twitter hat man mich
dann ‚tank‘ genannt – der
Spitzname ‚Panzer‘ war
geboren und begleitet mich
seit diesem Ereignis.
Punkte, der bullige Stürmer durfte zudem den Titel
„Man of the match“ einsacken. Obwohl er sich
ordentlich Respekt in England verschafft hatte, zog
es ihn wieder nach Hause. Eines Tages habe er alle
seine Habseligkeiten in seinen Opel Astra gepackt –
über den Eurotunnel ging es zurück in die Heimat.
Hier heuerte er im Januar 2019 beim „Dorfklub“,
der SG Sonnenhof-Großaspach, in der dritten
Liga an. Im ersten Jahr feierte man den Nichtabstieg,
in der zweiten Saison konnte der Gang in
Kai Brünker 249
Riesige Freude: Kai Brünker mit der 2022 geborenen Tochter Alica. Rechts zusammen mit Freundin Marina Marfing aus
Villingen, das Paar erwartet gerade sein zweites Kind. Der Meisterpokal in der Dritten Liga bedeutet den Aufstieg in die
2. Bundesliga, an dem Kai Brünker als Torschütze unmittelbar beteiligt war.
die Regionalliga nicht verhindert werden, Brünker
konnte in dieser Spielzeit trotzdem immerhin sieben
Tore beisteuern. Sein Weg führte anschließend in
den Osten – zum 1. FC Magdeburg. Und hier tauchte
der „Panzer“ in eine ganz neue Fußballwelt ein. In eine
Welt, in der das Spiel eine große Rolle in der Stadt und
der ganzen Region spielt. Der Villinger bringt es auf den
Punkt: „Bei denen ist der Fußball wie eine Religion.“
Das kann in zwei Richtungen ausschlagen: Nach
Niederlagen wurde die Mannschaft auch schon von
200 vermummten Anhängern bedrängt, andererseits
schätzte der Fußballprofi die familiären Verhältnisse
in Magdeburg und im Verein, in dem sich emsig um
das Wohlbefinden der Spieler gekümmert wird. „Ich
bin da mit den Ultras Kaffeetrinken gegangen.“ Kein
Wunder, dass sich der 30-Jährige dort einen beson-
Auch dank seiner Einsätze
sammelte das Team in der
„League One“ Punkte, der
bullige Stürmer durfte
zudem den Titel „Man of the
match“ einsacken.
deren Namen machte und zum Publikumsliebling
avancierte.
Dass er sich gerne an die Zeit in der Otto-Stadt
erinnert, liegt aber auch an privaten Gründen: Seine
Lebensgefährtin Marina Marfing, die aus Villingen
stammt und die er während seiner Zeit beim
SC Freiburg kennengelernt hatte, folgte ihm nach
Magdeburg – gemeinsam zog man an den Dom, und
hier kam im September 2022 auch seine Tochter Alica
zur Welt.
Gedanklich mit der Schwangerschaft verbunden
ist dabei zudem der sportliche Höhepunkt während
seiner Zeit in der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt.
Denn Kai Brünker war direkt am Aufstieg des 1.FC Magdeburg
in die 2. Bundesliga beteiligt. Im entscheidenden
Spiel wurde der Mittelstürmer eingewechselt
und traf nur wenige Minuten später zum 3:0-Endstand.
„Die ganze Familie war dabei, ich bin marschiert
wie ein Wilder – beim Tor sind alle Dämme
gebrochen“, so der Familienvater. Er konnte noch seinen
„Babyjubel“ mit Ball unter dem Trikot vollziehen,
im nächsten Moment hatten die Fans bereits das
Spielfeld gestürmt.
Ein tragischer Verlust: Kai Brünker und der
schwerste Moment seines Lebens
Auch Vater Dirk erlebte diesen besonderen Moment
in der Profikarriere seines Sohnes im Stadion live
mit, ließ sich anschließend stolz mit ihm fotografieren.
Es sind Momente, die sich in das Gedächtnis von
Kai Brünker eingebrannt haben. Insbesondere
deshalb, weil den Vater noch im selben Jahr ein
schlimmes Schicksal ereilte. Es war der schwerste
Lebensabschnitt für den heute 30-Jährigen.
Denn am 23. Dezember 2022 verschwand der
61-Jährige nach einem Gaststättenbesuch in der
Villinger Innenstadt spurlos. „Ich habe an dem Tag
noch mit ihm telefoniert, wir haben uns auf richtig
schöne Weihnachten gefreut.“ Am 24.12. erfuhr er,
dass sein Vater nicht nach Hause zurückgekehrt
war. Was folgte, waren beispiellose Suchaktionen,
sowohl von privaten Initiativen und der Familie, aber
auch von Hilfs- und Rettungsorganisationen sowie
insbesondere der Polizei. Dankbar ist die Familie bis
heute, dass man weder Kosten noch Mühen bei den
Ermittlungen gescheut hat.
Am Boden, im Wasser und auch aus der Luft
suchte man nach Anhaltspunkten, wo und auf
welchem Weg der bekannte Villinger Fußballer verschwunden
sein könnte. Doch keine Spur führte zum
Auffinden des 61-Jährigen. „Das war eine heftige
Zeit – das Ungewisse war das Brutale.“ 77 quälend
Kai Brünker war direkt am
Aufstieg des 1. FC Magdeburg
in die 2. Bundesliga
beteiligt. Im entscheidenden
Spiel wurde der Mittelstürmer
eingewechselt und
traf nur wenige Minuten
später zum 3:0Endstand.
lange Tage dauerte es, bis die Familie zumindest ein
Stück weit Gewissheit hatte. Denn im März 2023
fand man die Leiche des Vaters in der Brigach in Donaueschingen.
Die Nachricht ereilte den Fußballer im
Training in Magdeburg. Er setzte sich anschließend
unverzüglich ins Auto, um in die Heimat zu fahren.
Die Zeit des Abschiednehmens folgte („Ich hätte
ihm gerne noch Lebewohl gesagt“), gleichzeitig sind
für die Familie einige Fragen noch ungeklärt. Der
30-Jährige sagt: „Wir werden wohl nie erfahren, wie
es genau passiert ist.“
Die Familie, sein Team in Magdeburg und die
große Unterstützung seiner Partnerin halfen ihm
anschließend in den Alltag zurückzufinden. Der Leistungssport
sorgte dafür, dass der Stürmer wieder auf
andere Gedanken kam. Dennoch konnte er, so gibt
Brünker zu, bei den ersten Spielen nicht ausblenden,
dass „mein größter Kumpel“ nicht mehr gespannt
vor dem Fernseher oder am Spielfeldrand sitzt und
ihm die Daumen drückt.
Riesenerfolg im DFB-Pokal
Und trotzdem spürt der talentierte Kicker, dass er
auf seinem weiteren Weg von seinem Vorbild
begleitet wird – auch zu der nächsten Station in
seiner Fußballkarriere. Zu jenem Club, mit dem der
Villinger die Sensation schaffte. Denn nachdem sich
Brünker mit der Vereinsführung in Magdeburg
hinsichtlich seines weiteren Werdegangs nicht
Kai Brünker 251
Fußball ist zwar ein wichtiger
Bestandteil seines Lebens,
aber längst nicht alles.
„Wenn es privat stimmt,
muss ich mir auch über den
Fußball wenig Gedanken
machen“, sagt er mit Blick
auf das Familienglück.
einigen konnte, meldete sich der 1. FC Saarbrücken.
Ein „schlafender Riese“, wie er den Verein nennt. Es
folgte eine schnelle Einigung – die beide Seiten nicht
bereuen sollten.
Dem legendären Einzug ins Halbfinale des DFB-
Pokals nach dem Sieg gegen Borussia Mönchengladbach
ging eine weitere Sensation voraus. Denn
in der zweiten Runde kegelte der Drittligist den
deutschen Rekordmeister Bayern München aus dem
Wettbewerb. „Als wir nach dem Weiterkommen in
die zweite Runde Bayern gezogen haben, dachten
wir, dass unsere Reise im DFB-Pokal schon wieder
zu Ende ist“, erinnert sich Brünker an den Moment
der Auslosung. Doch es kam anders: Saarbrücken
gewann mit 2:1.
Der „Bayern-Schreck“, wie die Saarländer nun
genannt wurden, warf anschließend zudem Eintracht
Frankfurt dank eines 2:0-Sieges aus dem Pokal. Auch
dank eines Treffers von Kai Brünker, der im ausverkauften
Ludwigsparkstadion für Jubelstürme der
15.000 Zuschauer sorgte. Was dann gegen Borussia
Mönchengladbach folgt, ist bekannt: Saarbrücken
gewinnt durch einen Treffer von Kai Brünker in der
Nachspielzeit mit 2:1. Dass im Halbfinale schließlich
Schluss ist – 0:2-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern
– schien weniger dramatisch.
Auch in der neuen Saison möchte Kai Brünker
mit Saarbrücken weiter für Furore sorgen. Doch
gleichzeitig macht er klar: Fußball ist zwar ein wichtiger
Bestandteil seines Lebens, aber längst nicht
alles. „Wenn es privat stimmt, muss ich mir auch
über den Fußball wenig Gedanken machen“, sagt er
mit Blick auf das Familienglück. So erlebte er auch
die Schattenseiten des Profifußballs, sah sich mit respektlosen
Privatnachrichten nach Niederlagen konfrontiert,
beispielsweise, wenn Fans deswegen ihre
Sportwette verloren hatten. „Wenn man in der Öffentlichkeit
steht, kann man sich da halt nur schwer
gegen wehren.“
Grundsätzlich ist für ihn immer wichtig, auf dem
Boden zu bleiben. Und so passt es auch, dass sich
Brünker bereits Gedanken über die Zeit nach dem
Profitum macht. „Ich bin ja schaffen gewohnt, weiß,
was es heißt, zu arbeiten.“ Ein wichtiger Bestandteil
der Zukunft soll dabei auch ein Café sein, welches
er derzeit gemeinsam mit einem Kumpel in der Villinger
Färberstraße aufzieht. „Da würde ich später
gerne mal drin stehen“, sagt er. Nebenher noch ein
Engagement in einem Verein in der Region, das wäre
eine wunderbare Kombination für ihn.
Dass es eines Tages wieder in die Heimat zurück
gehen wird, ist klar. Hier im Schwarzwald-Baar-Kreis
möchten Kai Brünker und seine Partnerin Marina
Marfing ihre gemeinsame Familie aufwachsen sehen
– und irgendwann ihren Enkeln von den aufregenden
Momenten und schönsten Anekdoten in der
Karriere des Fußballprofis erzählen.
Beim Achtelfinale des DFBPokals
gegen Eintracht Frankfurt:
Kai Brünker erzielt mit Maske (wegen Nasenbeinbruchs)
das 2:0 – wieder ist die Sensation perfekt.
252 Kai Brünker
Schwarzwälder Strohmanufactur Schonach
Zurück in der Regionalliga:
FC 08 Villingen –
Herzschlagfinale mit
glücklichem Ende
VON MICHAEL EICH
254 Sport
255
Kapitän Tevfik Ceylan ist bei den Nullachtern groß geworden und sicherte den Villingern mit seinem abgefälschten Freistoßtor
den 3: 2 Sieg gegen den 1. CfR Pforzheim und damit den RegionalligaAufstieg.
Immerhin 52 Jahre musste der FC Villingen warten, ehe dem Schwarzwälder Traditionsverein
wieder der Sprung in die Regionalliga gelang. Umso größer war am 1. Juni 2024
der Jubel, als Schiedsrichter Vincent Schöller die Heimpartie der Nullachter gegen den
1. CfR Pforzheim abpfiff. Mit 3:2 gewannen die Villinger das letzte Saisonspiel der
Oberliga BadenWürttemberg
und erfüllten sich einen Traum.
Z
Z
uvor entwickelte sich vor der Rekordkulisse
von 4.100 Zuschauern jedoch ein echtes
Herzschlagfinale, das die Nerven der einheimischen
Fans arg strapazierte. Zwei Mal mussten die
Gastgeber einem Rückstand hinterherlaufen, zwei
Mal glichen sie aus. Am Ende war es in der Schlussphase
ein Freistoß von Kapitän Tevfik Ceylan, der
abgefälscht im Pforzheimer Netz einschlug und für
den Siegtreffer sorgte. Der verwandelte die MS
Technologie-Arena im Villinger Friedengrund
zunächst kurzzeitig und nach dem Abpfiff endgültig
in ein Tollhaus. Da der unmittelbare Konkurrent um
den Aufstieg aus Großaspach sich beim Parallelspiel
in Holzhausen nur mit einem überraschenden 1:1
begnügen musste, hätte den Villingern sogar schon
ein Remis zum Sprung in die Regionalliga gereicht.
Doch das interessierte an diesem denkwürdigen Tag
der FC 08-Vereinsgeschichte niemanden mehr.
Ein buntes Rahmenprogramm und
große Feierlichkeiten
Der Oberligist hatte sich bereits im Vorfeld viel
Mühe gegeben, der wichtigen Begegnung den
Der Jubel im Friedengrund ist riesig, die Rückkehr des FC 08 Villingen in die Regionalliga perfekt. Zuletzt war der Aufstieg
im Jahr 1966 geglückt.
entsprechenden Rahmen zu verleihen. Selbst ein
Touch der bekannten Villinger Fasnet fehlte nicht. So
unterhielt der Spielmannszug mit Majoretten des
Fasnetvereins Glonkigilde die zahlreichen Besucher
in der Pause und nach der Partie. Da floss bereits das
Freibier in Strömen. Villingen-Schwenningens
Oberbürgermeister Jürgen Roth, übrigens selbst
Vereinsmitglied, hatte es sich natürlich nicht
nehmen lassen, das entscheidende Duell vor Ort
mitzuverfolgen und beglückwünschte Erfolgscoach
Mario Klotz mit seinem Team unmittelbar nach dem
Sieg auf dem Rasen der MS Technologie-Arena.
Besonders groß war das Entzücken der Nullachter
mit ihrer Vorstandsriege um Armin Distel, Reinhard
Warrle, Andreas Flöß und Denis Stogiannidis, da eine
Woche vor dem Meisterschaftstriumph auch der elfte
südbadische Pokalsieg gefeiert werden durfte. Im
Freiburger Dreisamstadion gelang ein 1:0-Erfolg über
den Verbandsligisten SC Lahr. Deshalb wurde am
Aufstiegssamstag dann ganz Fußball-Deutschland
bei der Auslosung der ersten Runde im DFB-Pokal
Augenzeuge der feiernden Nullachter.
Selbst ein bisschen Touch der
Villinger Fasnet fehlte nicht.
So unterhielt der Spielmannszug
mit Majoretten des
Fasnetvereins Glonkigilde die
zahlreichen Besucher.
Denn ein Kamerateam der ARD-Sportschau hatte
sich nach Villingen aufgemacht, um die Reaktionen
auf das Los 1. FC Heidenheim einzufangen. So
erlebten ein Millionenpublikum an den Bildschirmen
eine Live-Bierdusche für FC 08-Trainer Mario Klotz
mit. Da bereits eine Woche zuvor die U 21 mit ihrem
Trainer und ehemaligen 08-Spieler Daniel Miletic
den eher unerwarteten Sprung in die Oberliga
erreicht hatte, war der „Supersamstag“ endgültig
perfekt.
FC 08 Villingen 257
Am Aufstiegssamstag war ganz FußballDeutschland
bei der Auslosung der ersten Runde im DFBPokal
Augenzeuge der
feiernden Nullachter: Ein Kamerateam der ARDSportschau
hatte sich nach Villingen aufgemacht, um die Reaktionen auf
das Los 1. FC Heidenheim einzufangen. So erlebte ein Millionenpublikum an den Bildschirmen eine LiveBierdusche
für
FC 08Trainer
Mario Klotz mit.
Turbulenter Saisonstart
Doch nach so viel sportlichem Erfolg hatte es zu
Saisonbeginn noch gar nicht ausgesehen. Der spät
als Cheftrainer verpflichtete ehemalige polnische
Nationalspieler Ryszard Komornicki verabschiedete
sich kurzfristig bereits nach zwei Spieltagen wieder.
Er sprach von nicht erfüllten Versprechen. Das führte
auch zu Unstimmigkeiten in der Vorstandschaft. Der
sportliche Leiter Denis Stogiannidis setzte sich
daraufhin selbst auf die Bank, stimmte Training und
Taktik mit den erfahrenen Spielern ab. Die Notlösung
wurde zur Verwunderung der anderen Clubs der
Oberliga zum Erfolgsmodell. Die Nullachter gingen
als Tabellenzweiter mit nur einem Punkt Rückstand
auf Spitzenreiter SG Sonnenhof Großaspach in die
Winterpause, was der Grundstein zum späteren
Erfolg wurde. In dieser Situation übernahm im
Januar 2024 mit Mario Klotz von der TSG Backnang
ein ehemaliger 08-Spieler den verwaisten Trainerposten
erfolgreich.
Neue Herausforderungen und
bauliche Ertüchtigungen
Mit dem errungenen Aufstieg in die Regionalliga
Südwest kamen auf den FC 08 Villingen aber viele
neue Anforderungen im administrativen und
organisatorischen Bereich zu. Sie mussten in
Rekordzeit umgesetzt werden.
Zumindest von den äußeren Voraussetzungen
her waren die Nullachter allerdings bereits sehr gut
vorbereitet auf die vierthöchste Spielklasse in
Deutschland. Denn durch zahlreiche bauliche
Ertüchtigungen mit Unterstützung der Stadt Villingen-
Schwenningen in Höhe von 1,1 Millionen Euro
entwickelte sich bereits in den Vorjahren die
MS-Technologie-Arena zu einem regionalligareifen
Stadion. Hierzu gehörten vor allem das LED-Flutlicht
und ein umzäunter Gästeblock. Unter Leitung des
Vorstandsmitglieds und FWV-Stadtrats Andreas Flöß,
einem renommierten Villinger Architekten, wurde
dann auf der Haupttribüne ein separater VIP-Bereich
eingebaut. Realisierbar war die beeindruckende
Räumlichkeit aber nur, weil Sponsoren 750.000 Euro
zur Verfügung stellten.
Von der TR-Electronic Lounge aus, die auch per
Fahrstuhl erklommen werden kann, hat man neben
einem Rundblick in den Schwarzwald, vor allem eine
perfekte Sicht aufs Spielfeld und ins Stadion. Da
leuchtet bei Flutlichtspielen weit sichtbar das
Emblem des Namensgebers „MS Technologie“ aus
Spaichingen, einem führenden Unternehmen aus
dem Bereich des Ultraschall-Schweißens von
Kunststoffen. Die MS Ultrasonic Technology Group
steuert über einen Zeitraum von zehn Jahren
insgesamt eine Million Euro zum Unterhalt des
Stadions bei.
Stolz auf Tradition und neue Erfolge
Ganz wichtig für das Vereinsleben war es dann auch,
dass Ende 2022 unter der Tribüne die neue
Club-Gaststätte eingeweiht werden konnte, auf die
Architekt und Bauleiter Andreas Flöß genauso stolz
ist. Das Schmuckkästchen ist wie die VIP-Lounge in
den Vereinsfarben schwarz und weiß gehalten.
Mit den jüngsten baulichen Maßnahmen wurde
in beeindruckender Weise fortgeführt, was beim
erstmaligen Regionalligaaufstieg des FC Villingen im
Jahre 1966 seinen Anfang genommen hatte. Damals
machten es ebenfalls Zuschüsse der Stadt Villingen
und Privatgelder möglich, dass aus dem wenig regionalligatauglichen
Sportplatz im Friedengrund, der
zunächst lediglich auf einer Längsseite über Stehränge
verfügte, im Laufe von drei Jahren ein Stadion
entstand, das 15.000 Zuschauer fasste. Hier war es
das permanente Insistieren im Gemeinderat des
damaligen ersten Vorsitzenden Paul Riegger, einem
FWV-Stadtrat, das schließlich 1969 zur Erstellung
Mit den jüngsten baulichen
Maßnahmen wurde
beeindruckend fortgeführt,
was beim erstmaligen
Regionalligaaufstieg im
Jahr 1966 seinen Anfang
genommen hatte.
der repräsentativen Haupttribüne mit 800 Plätzen
(Kostenpunkt 375.000 Mark) führte. Der frühere
Direktor der Firma Kienzle Taxameter und Apparate
GmbH aus Villingen beließ es aber nicht dabei. Er
bezahlte dann noch aus zunächst eigener Tasche
die 60.000 Mark für die Errichtung der gegenüberliegenden
überdachten Stehtribüne, auf der 3.000
Besucher Platz finden.
Der Ausbau des Friedengrundstadions und die
großzügige finanzielle Unterstützung, vor allem des
einstigen Weltunternehmens SABA und weiterer
heimischer Firmen, machte es dann möglich, dass
der kleinstädtische FC 08 im Konzert der Großstadtvereine
wie 1860 München, 1. FC Nürnberg, Karlsruher
SC, Offenbacher Kickers und SpVgg Fürth sechs
Die TRElectronic
Lounge bietet eine perfekte Sicht aufs Spielfeld und ins Stadion. Bei Flutlichtspielen leuchtet weithin
sichtbar das Emblem des Namensgebers „MS Technologie“.
FC 08 Villingen
Der gebürtige Vöhrenbacher FC 08Keeper
Karl Armbrust zählte zu den besten Torhütern der Regionalliga Süd. Beim
Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg (2:2) im März 1971 fängt er hier den Ball souverän.
Jahre lang munter in der zweithöchsten deutschen
Spielklasse mitmischte.
Die glorreichen Zeiten des Vereins
und neue Ambitionen
Spielerpersönlichkeiten wie Karl Armbrust aus
Vöhrenbach, einem der besten Torhüter der Regionalliga
Süd, Robert Nies, Klaus Bockisch, Ivan
Perusic, Kurt Kothmann oder der Mainzer Torjäger
Gerd Klier prägten das 08-Team und begeisterten
immer wieder die manchmal bis zu 12.000 Fußballfans.
Der absolute Zuschauerrekord stammt auch
aus der Regionalligazeit des Vereins, als zum
DFB-Pokalspiel gegen den Bundesligisten Hamburger
SV um das deutsche Fußballidol Uwe Seeler
Anfang Januar 1970 annähernd 16.000 Besucher in
den Friedengrund pilgerten und die 1:3-Niederlage
erlebten.
Jetzt will der FC Villingen um seinen neu gewählten
Präsidenten Dieter Haller, einem ehemaligen
Diplomaten, wieder einen Anlauf nehmen, um an die
Der ehemalige FC 08Vorsitzende
Paul Riegger war ein
großzügiger Gönner des Vereins in der Regionalliga Süd.
Hier präsentiert er stolz sein spezielles VLKennzeichen.
Beim 1:0Sieg
des FC 08 Villingen in der Regionalliga Süd gegen den VfR Mannheim im Oktober 1969 war die Haupttribüne
im Friedengrund noch nicht ganz fertiggestellt, aber bereits randvoll besetzt. Vorne steigt 08Akteur
Heinz
Schrodt (Nr. 11) zum Kopfball hoch.
alten Glanzzeiten anzuknüpfen. Das Zuschauerpotenzial
und das Interesse am Fußball scheinen im
Schwarzwald-Baar-Kreis und den angrenzenden
Gebieten weiterhin vorhanden zu sein. Das machte
das DFB-Pokalspiel im August 2024 gegen den
Bundesligisten 1. FC Heidenheim erneut deutlich.
Immerhin fast 7000 Zuschauer aus der gesamten
Region bis hinunter zum Bodensee erlebten im
höchstgelegenen Stadion Deutschlands zwar eine
0:4-Niederlage des Regionalligaaufsteigers mit, was
aber dem friedlichen Fußballfest bei bestem Wetter
keinen Abbruch tat.
Zudem weckte der Traditionsverein mit seiner
zwölften DFB-Pokalteilnahme wieder das Interesse
vieler Medien aus ganz Deutschland und lenkte den
Blick auf die Doppelstadt. Jetzt will der FC 08 auch
mit guten Leistungen in der Regionalliga Südwest
und der U 21 in der Oberliga Baden-Württemberg
zwischen den Bundesligastädten Freiburg und
Stuttgart weiter für sich selbst und den Fußball
Werbung machen. Das soll auch noch mehr hungrige
Talente in die erfolgreiche Juniorenabteilung locken.
Bei den FC 08Spielen
in der Regionalliga Süd gab es in
der Halbzeitpause immer weder Verlosungen mit wertvollen
Gewinnen. Stadionsprecher Werner Jörres überprüft
beim Spiel gegen den Karlsruher SC im Mai 1970 die prall
gefüllte Lostrommel auf dem Rücken von 08EselsMaskottchen
Laila.
FC 08 Villingen 261
Sportliche Heimat ist der Tennisclub BlauWeiß
Villingen e.V.
Dominik Koepfer –
einer der besten
Tennisspieler der Welt
Er zählt zu den 100 besten Tennisspielern der
Welt, rangiert im Frühjahr 2024 auf Rang 49 der
ATP Rangliste und ist die aktuelle „Nummer drei“
in Deutschland. Wäre da nicht das erneute Ver
letzungspech, hätte Dominik Koepfer sein Ziel,
sich unter den 30 Besten der Welt zu etablieren,
wohl noch 2024 erreicht. Dann wäre er selbst bei
einem Grand Slam Turnier gesetzt und hätte es
nicht bereits in der ersten Runde in Wimbledon
oder bei den US Open mit Top Ten Spielern wie
Djokovic, Zverev oder Sinner zu tun. Dass es der
Furtwanger unter die besten 30 Tennisspieler der
Welt schaffen kann, darin ist sich die Tenniswelt
samt seinen früheren Trainern Oliver Heuft und
Jürgen Müller einig. Und Einigkeit herrscht auch in
einem weiteren Punkt: Dominik Koepfers Tennis
karriere ist absolut außergewöhnlich! 2012 kommt
er auf Vermittlung seiner Trainer als unbekannter
Tennisspieler aus Furtwangen im Schwarzwald
an die Tulane University von New Orleans und
verlässt sie im Jahr 2016 nach seinem Bachelor
studium mit Fokus „Finanzwirtschaft“ als Tennis
star. Sportlich beim Tennisclub Blau Weiß Villin
gen e.V. aufgewachsen, stößt Dominik Koepfer
im Jahr 2015 mit seinem Sieg bei den amerikani
schen College Meisterschaften die Tür in Richtung
Profitennis weit auf.
„Aufschlag Koepfer“ – fotografiert im Jahr 2021.
Sport
„Besuche bei der Familie in Furtwangen
und beim Heimatverein Blau-Weiß in
Villingen sind selten“, beantwortet Dominik
Koepfer im Videochat die Frage, wie oft er
in der alten Heimat anzutreffen ist. Er lebt
in Tampa an der Golfküste von Florida, ist
elf Monate im Jahr mit dem Tenniszirkus
unterwegs und zieht von Turnier zu Turnier
quasi einmal um den Erdball. Mitte September
2024 hält sich der Weltklassespieler in München auf,
kuriert eine Sehnenverletzung am Ellbogen aus und
hofft, im Spätherbst wieder ins Turniergeschehen
eingreifen zu können, beschreibt er via FaceTime
seine aktuelle Situation. Bei den Olympischen
Spielen in Paris war er noch in Top-Form, den
Daviscup in China allerdings musste die deutsche
Nummer drei auslassen, was schmerzt: „Ob Daviscup
oder Olympia, für Deutschland zu spielen ist mir
immer eine besondere Motivation und absolut große
Ehre“, so der 30-Jährige.
Die Begeisterung über die Teilnahme an den
Olympischen Sommerspielen 2024 hallt bei Dominik
Koepfer auch Wochen später nach. In Paris habe eine
unglaublich tolle Atmosphäre geherrscht, viele
Deutsche seien dabei gewesen – seine Matches dort
habe er fast als Heimspiele empfunden. Dass er im
Achtelfinale gegen den späteren Olympiasieger
Novak Djokovic nach erstklassigem Spiel ausgeschieden
ist, hat er verschmerzt. Den ersten Satz spielte
Koepfer auf Augenhöhe, den hätte er gewinnen
können, blickt er selbstkritisch zurück. Ärgerlich,
dass eine denkbar knappe Niederlage im Doppel an
der Seite von Jan-Lennard Struff den Einzug ins
Halbfinale und damit einen möglichen Medaillengewinn
verhinderte. Aber dennoch: Die Olympiateilnahme
war ein Erfolg und hat ihm „einfach auch
riesigen Spaß gemacht“. Nicht zuletzt des Teamgedankens
wegen, denn die meiste Zeit des Jahres sind
Tennisspieler völlig auf sich allein gestellt unterwegs.
Förderung durch Blau-Weiß Villingen
Die Eltern Marianne und Thomas Koepfer spielen
beide im Tennisclub Furtwangen, die Begeisterung
für den weißen Sport wird Sohn Dominik somit in
die Wiege gelegt. Am 29. April 1994 geboren, zeigt
Stationen der TennisKarriere
von Dominik Koepfer:
Vom TennisSteppke
zur Teilnahme an den Olympischen
Spielen in Paris, hier in der dritten Runde gegen Novak
Djokovic.
sich früh sein sportliches Talent: Schon als Kleinkind
steht Dominik auf Skiern und stellt seine Begeisterung
für Ballspiele unter Beweis. Die Eltern wechseln
zum Tennisclub Blau-Weiß Villingen e.V., dort sind
die Fördermöglichkeiten optimal. „Dominik war noch
nicht einmal eingeschult, als er bei mir in Villingen
das Training aufnahm“, erinnert sich Oliver Heuft,
langjähriger Talentfördergruppenleiter und Honorartrainer
des Badischen Tennisverbandes. Von Anfang
an zeigt sich sein besonderer Ehrgeiz: Den Ball, der
ihm zugeworfen wurde, nicht fangen zu können, sei
ein absolutes „No-Go“ gewesen, so Heuft. An die
Arbeit mit dem Schläger wird Dominik zu dieser Zeit
allerdings gerade erst herangeführt.
Tennis bleibt für Dominik Koepfer die Kindheit
und Jugend über „einfach Hobby“. Vielfach sportlich
begabt, sammelte er erste Erfahrungen beim Golfen,
spielt Fußball und ist im Winter wann immer möglich
am Staatsberg beim Skifahren anzutreffen – bestreitet
für den Skiclub Furtwangen auch Rennen.
„Sportlich war Dominik damit ungemein vielfältig
aufgestellt. Es wurde mit ihm in der Jugend eben
nicht viel zu viel ausschließlich in Richtung Tennis
gemacht, man ließ ihm vielmehr die Zeit, sich breit
zu betätigen“, schaut Trainer Jürgen Müller zurück,
der ihn als Jugendspieler im Alter von 14 Jahren von
Oliver Heuft zur weiteren Ausbildung übernimmt.
Jürgen Müller ist aktuell Senior Coach der VS TENNIS
ACADEMY. Beide sind sie sich einig: Die vielfältigen
sportlichen Talente und Erfahrungen in Verbindung
mit dem ausgeprägten Ehrgeiz haben die Entwicklung
zum Profitennisspieler förmlich beflügelt.
Obwohl sein Talent offensichtlich ist, wird
Dominik Koepfer außerhalb des Blau-Weiß Villingen
wenig gefördert. Er gehört bis zum Alter von
14 Jahren der Fördergruppe Schwarzwald-Bodensee
des Badischen Tennisverbandes an, dann lediglich
dem „erweiterten Kader“. Jürgen Müller muss beim
Verband schließlich um Erlaubnis bitten, damit sein
Schützling in Villingen als Gast auch mit dem
engeren Kader trainieren darf.
Völlig überraschend gewinnt Dominik Koepfer
die deutsche U16-Vizemeisterschaft
Dass Dominik Koepfer in jungen Jahren ohne
großartige Förderung durch den Deutschen Tennisbund
dasteht, ist maßgeblich dem Umstand zuzu-
Überraschung: Dominik Koepfer wird 201o Deutscher
JugendVizemeister.
Umgehend wird das Training intensiviert.
schreiben, dass er kaum Turniere bestreitet und
dadurch in der deutschen Jugend-Rangliste erst weit
hinten auftaucht. Er spielt nahezu ausschließlich
Medenspiele, Verbands- und nationale Meisterschaften.
Dominik Koepfer: „Ich bin außerhalb des
Blau-Weiß Villingen kaum aufgefallen. Auch meine
Eltern, die selbst Tennis spielen, bauten keinen
Druck in diese Richtung auf. Ich habe gerade
zweimal die Woche intensiv trainiert.“ Sein Trainer
Jürgen Müller ergänzt: „Wenn mich zu dieser Zeit
jemand gefragt hätte, ob ich dem 14-Jährigen eine
Profi-Karriere zutraue, ich hätte es verneint.“
Das ändert sich schlagartig, als Dominik Koepfer
im Jahr 2010 völlig überraschend Deutscher U16Jugend-
Vizemeister wird. Dass ihr Schützling im
nationalen Vergleich derart mithalten kann, überrascht
selbst seine Trainer, denn Dominik Koepfer
trainiert mit seinen zwei Einheiten pro Woche
deutlich weniger als die Gegner. Jürgen Müller:
„Plötzlich staunt man nur noch …“
So wechselt Dominik Koepfer mit 16 Jahren in die
zweite Villinger Herrenmannschaft, spielt in der
Oberliga. Und mit 17 Jahren steht seinem Einsatz in
der ersten Mannschaft der Villinger in der Badenliga
nichts mehr im Wege. Seit der deutschen Vizemeisterschaft
trainiert er in Villingen so intensiv wie nie
zuvor – sein Tennistalent ist jetzt offenkundig.
Dominik Koepfer – einer der besten Tennisspieler der Welt
Sportförderung und Studium
am College von Tulane begeistern
All die Jahre besucht Dominik Koepfer in Furtwangen
das Otto-Hahn-Gymnasium, wo er 2012 mit 18 Jahren
sein Abitur macht. Jetzt rückt immer mehr der
Gedanke in den Vordergrund, Tennisprofi zu werden
– aber dennoch nicht auf eine Berufsausbildung
zu verzichten. Der Furtwanger will es in Amerika mit
College-Tennis versuchen, dort ein Studium mit dem
Leistungssport verbinden. Er plant, in den Vereinigten
Staaten umzusetzen, was im Fall des Skisports in
seiner Heimat Furtwangen seit vielen Jahren mit
dem Skiinternat gelingt.
Dominik Koepfer kann bei dieser Entscheidung
einmal mehr auf die Unterstützung seiner Eltern
Marianne und Thomas Koepfer setzen, die seine
sportliche Karriere seit Jahren fördern. Und er weiß
vor allem die Trainer Oliver Heuft und Jürgen Müller
an seiner Seite. Allerdings steht er zu dieser Zeit in
der deutschen Herrenrangliste lediglich auf Position
525 – da braucht es Fürsprecher, erinnert er sich
beim Videocall an die damalige Situation. Der
Tennisprofi schildert, wie es seinen Trainern gelingt,
über einen Freund mit Marc Booras, Head-Coach bei
Tulane, in Kontakt zu treten. Sie erzählen ihm vom
Kämpferherzen des Furtwangers und seinem
Riesen-Potenzial. Von Qualitäten, die Booras auch in
den Videos entdeckt, die per YouTube auf seinem
Notebook in New Orleans landen.
So reist der Tennis-Coach für drei Tage nach
Villingen, spricht mit Dominik und seinen Eltern und
absolviert mit dem jungen Deutschen ein Probetraining,
das den College-Trainer überzeugt. Für Dominik
Koepfer erfüllt sich ein Traum: Er wird Teil eines
College-Teams, studiert über vier Jahre hinweg
Betriebswirtschaftliches Finanzwesen und trainiert
bei professioneller Anleitung intensiv Tennis.
„Die Entscheidung, an die Tulane University zu
wechseln, war auf jeden Fall die beste Option, um zu
studieren und gleichzeitig im Tennis voranzukommen“,
zieht Dominik Koepfer eine erfreuliche Bilanz.
Es beginnen allerdings harte Jahre, die Tage am
College verlangen ihm viel ab: Morgens ab 6 Uhr
absolviert er Krafttraining und zwischen 8 und 12 Uhr
sitzt er in Vorlesungen und Seminaren des Studiengangs
„Finance Management“. Nachmittags steht er
auf dem Tennisplatz – danach heißt es Lernen fürs
Studium.
Dominik Koepfer mit Trainer Marc Booras nach seinem
Sieg am 15. November 2015 bei den amerikanischen
CollegeMeisterschaften
in der Halle.
Dominik Koepfer bringt diesen Einsatz gerne, ist
begeistert: „Du bist von Anfang an Teil eines Teams
und spürst einen Zusammenhalt, der einmalig ist.
Ich habe in dieser Zeit Freunde fürs Leben gefunden,
bin mit ihnen vier Jahre lang wirklich durch dick und
dünn gegangen“, freut sich der Tennisprofi. Und
ergänzt: „Es war einfach großartig dort. Ich bin
immer besser geworden, weil das Training im Team
für mich perfekt war. Es war in Tulane wie in einer
großen Familie.“
„Pitbull“ beißt sich durch – vom „Nobody“
zum College-Tennisstar
Oliver Heuft und Jürgen Müller verfolgen mit, wie
sich Dominik Koepfer im ersten Jahr in Tulane im
wahrsten Sinn des Wortes „durchbeißt“. Dass er das
kann, drückt sein Spitzname „Pitbull“ aus. Von
„Pitbull Koepfer“ wird in seiner späteren Tenniskarriere
des öfteren die Rede sein: Weil er nie aufgibt,
reißt er so manch bereits verloren geglaubtes Match
doch noch herum. Im zweiten Jahr in Tulane erobert
sich Dominik Koepfer mit dem sechsten Platz
erstmals einen Stammplatz im Team, schafft es
schließlich auf Rang zwei – und dann auf die eins!
Wie sehr sich das Engagement von Dominik
Koepfer sowohl für sein College als auch ihn selbst
auszahlt, zeigt sich im Jahr 2015: Drei Jahre nach
seiner Aufnahme ins Tennisteam der Uni von Tulane
steht er im Endspiel um die amerikanischen College-
Meisterschaften in der Halle. Noch heute kann
man auf der Internetseite von Blau-Weiß Villingen
nachlesen, was damals geschah. TC Blau Weiss Head
Coach Jürgen Müller verfolgt wie viele weitere
Villinger Tennisspieler über sein Smartphone per
Live-Ticker das Finale in Flushing Meadows, wo
Dominik Koepfer gegen Andre Goransson spielt. Der
erste Satz geht mit 6:1 an Koepfer, den zweiten
gewinnt er mit 7:5. Da das Endspiel live im amerikanischen
Fernsehen übertragen wird, liefert das
College-Team gleich ein Video des Matchballes mit.
Der Sieg ist für den 21-jährigen Sportler die Krönung
eines fantastischen Jahres.
Dominik Koepfer war als „Nobody“ in das Team
der Tulane University aufgenommen worden und
entwickelte sich in nur drei Jahren zu einem Star der
US-College-Spielerszene. Und noch in der Nacht des
Sieges beweist er, dass er nicht vergessen hat, wem
dieser Erfolg maßgeblich mit zu verdanken ist: Er
Dominik Koepfer war als
„Nobody“ in das Team der
Tulane University aufgenommen
worden und
entwickelte sich in nur drei
Jahren zu einem Star der
USCollegeSpielerszene.
schickt seinen früheren Trainern Oliver Heuft und
Jürgen Müller eine E-Mail, bedankt sich für all die
Unterstützung: „Ohne Euch würde ich das hier
wahrscheinlich alles nicht erleben!“, hält er fest.
Oliver Heuft verweist diesbezüglich wie Jürgen
Müller aber ebenso auf Marc Booras, der Dominik
Koepfer in Amerika auf den Villinger Grundlagen
aufbauend zu einem Weltklassespieler formt.
Wie stolz das College in Tulane über den Koepfer-
Sieg ist, verdeutlichen Zeitungsberichte und Fernsehreportagen
in den amerikanischen Medien – bis
hin zur New York Times. Ihr Tenor: Dominik Koepfer
an das College in Tulane zu holen, sei der Deal des
Jahrzehnts gewesen.
Links: Groß ist die Freude beim Heimatverein BlauWeiß
und Jugendtrainer Jürgen Müller (Mitte), wenn Dominik Koepfer
in Villingen spontan zum Training erscheint, wie hier mit seinem aktuellen Coach Rhyne Williams (rechts). Foto rechts:
Den Grundstein für die Ausbildung von Dominik Koepfer legte der langjährige Talentfördergruppenleiter und Honorartrainer
des Badischen Tennisverbandes, Oliver Heuft. Er berät den Weltklassespieler noch heute und analysiert mit ihm
gemeinsam die Matches.
Dominik Koepfer – einer der besten Tennisspieler der Welt
„Dominik hat das Niveau und das Herz, um
sich als Tennisprofi zu behaupten“
Wieder sind es am Ende des Studiums in Tulane und
damit zugleich beim Ausscheiden aus der College-
Mannschaft die Eltern Marianne und Thomas
Koepfer sowie die Villinger Trainer Oliver Heuft und
Jürgen Müller, die an Weihnachten 2016 zusammen
mit Dominik Koepfer über den weiteren Weg
entscheiden. Dominik Koepfer will sich vergewissern,
ob er seine Absicht, Profi-Tennisspieler zu
werden, tatsächlich umsetzen könne. Die Antwort
seiner beiden Trainer auf diese Frage ist mittlerweile
weltweit in einer wahren Flut von Presseberichten
zur außergewöhnlichen Koepfer-Karriere nachzulesen.
Sie lautet: „Wir mussten nicht lange überlegen.
Dominik hat das Niveau, das Herz und einen
beruflichen Abschluss. Wir konnten zum ersten Mal
in unserer langen Trainerzeit einem Spieler raten,
Profi zu werden.“
Die Profi-Karriere beginnt mit der
ITF Future Tour und der ATP Challenger Tour
Der Start als Tennisprofi gerät für Dominik Koepfer
zu einer Herausforderung: Während im Herbst 2024
Wir mussten nicht lange
überlegen. Dominik hat das
Niveau, das Herz und einen
beruflichen Abschluss. Wir
konnten erstmals in unserer
langen Trainerzeit einem
Spieler raten, Profi zu
werden.
sein erspieltes Preisgeld in nunmehr acht Profijahren
seitens der ATP mit rund 3,52 Mio. US Dollar angegeben
wird, steht es 2016 selbstredend auf „Null“.
Dominik Koepfer spielt am Beginn der Karriere auf
der ITF Future Tour, wo selbst ein Turniersieg vor
Steuern gerade einmal 2.600 Dollar einbringt.
Unmöglich, von derlei Erträgen die Reisekosten, den
Trainer oder den eigenen Lebensunterhalt zu
erwirtschaften. Ohne die Unterstützung seiner Eltern
hätte er die beiden ersten Profijahre nicht überstehen
können. Dominik Koepfer: „Natürlich musste
Seit 2019 ist Dominik Koepfer mit Ausnahme von verletzungs
bedingten Ausfällen bei allen wichtigen ATP Turnieren samt
der vier Grand Salm Turnier am Start. Links in Wimbledon und
rechts bei den US Open, seinem Lieblingsturnier, wo ihm 2019
der Einzug ins Achtelfinale gelingt.
auch ich ‚Futures‘ spielen, aber ich habe es dank
meiner College-Tennis-Erfahrung schnell geschafft,
da rauszukommen.“ Doch selbst als sich Dominik
Koepfer in der Weltrangliste dem 150. Platz nähert,
reichen die Einnahmen noch nicht aus, um vom
Profitennis leben zu können.
Dominik Koepfer erfährt zu dieser Zeit auch, dass
ein Leben als Tennisprofi ein sehr einsames sein
kann: Während er sich später einen eigenen Trainer
und Physiotherapeuten leistet, die ihn größtenteils
auf der Tour begleiten, ist er zu Beginn seiner
Karriere überwiegend auf sich allein gestellt.
Seinen Durchbruch schafft er im Juni 2019, als er
das Challenger-Turnier von Ilkley gewinnt, was ihm
eine Wildcard für das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon
einbringt – die erste Teilnahme an einem
Grand-Slam-Turnier überhaupt. Dort besiegt er in der
ersten Runde Filip Krajinović, scheitert aber in
Runde zwei. Auf der Tribüne sitzen auch Fans aus
der Heimat, die Familie, die früheren Trainer Oliver
Heuft und Jürgen Müller und andere. Dass es
Dominik Koepfer bis Wimbledon geschafft hat, ist
schlicht eine Sensation. „Das war auch finanziell eine
echte Erleichterung“, hält er fest. In Wimbledon hat
er mit Erreichen der ersten Runde bereits 80.000
Euro sicher und damit fast die Hälfte des bis zu
diesem Zeitpunkt als Profi-Tennisspieler insgesamt
verdienten Geldes.
Der bisherige Höhepunkt der Tenniskarriere folgt
im selben Jahr bei den US Open: Der Tennisprofi
spielt sich über die Qualifikation in das Hauptfeld
und erreicht überraschend das Achtelfinale, das er
gegen den späteren Finalisten Daniil Medwedew
nach vier Sätzen knapp verliert. Mit dem Sieg gegen
Nikolos Bassilaschwili schlägt er auf dem Weg
dorthin erstmals einen Spieler aus den Top 20 der
ATP-Weltrangliste. Dominik Koepfer in der Rückschau:
„Das war natürlich mein Durchbruch, da bin
ich erstmals in die Top 100 gekommen, stand auf
Platz 86.“
Die furiosen Auftritte bei den US Open 2019
verhelfen Dominik Koepfer erstmals zu Davis-Cup-
Ehren. Tennislegende Boris Becker, Männer-Chef im
deutschen Tennis Bund, räumt dem 25-Jährigen am
Rand des Grand-Slam-Turniers in New York gute
Chancen ein, beim Finalturnier 2019 in Madrid für
das deutsche Team an den Start zu gehen. Der
sechsmalige Grand-Slam-Sieger bewertet die
Spielweise des Schwarzwälders als sehr beeindruckend,
vor allem von seiner Einstellung her. Es zeige
Dominik Koepfer – einer der besten Tennisspieler der Welt
Schlussjubel von Team Deutschland beim Daviscup im
März 2020, v.l.: Andreas Mies und Dominik Koepfer, der
mit seinem Matchgewinn maßgeblich zum Sieg der deutschen
Mannschaft beitragen konnte.
Rechte Seite: Dominik Koepfer bei den Rom Masters
2020, bei denen er das Viertelfinale erreicht.
sich eine starke Mentalität. Und in Sachen Daviscup
kommt es dann so auch: Dominik Koepfer wird für
das deutsche Team nominiert und erstmals im März
2020 eingesetzt – er gewinnt sein Match.
Der gebürtige Furtwanger etabliert sich in der
Folge dauerhaft in den Top 100, im Kreis der besten
Tennisspieler der Welt. Bei den Rom Masters 2020
Dominik Koepfer im Überblick
(Stand 09/2024)
Erste Profisaison: 2016
Trainer: Rhyne Williams
Spielhand: Links, beidhändige Rückhand
Höchste Platzierung Weltrangliste: 49
Preisgeld: 3.523.289 US-Dollar
Turniersiege, Einzel:
2015: Amerikanische College-Meisterschaften
2019: Ilkley, England
2022: Calgary, Kanada
2023: Mexiko-Stadt, Mexiko
2023: Turin, Italien
2024: Canberra, Australien
Turniersiege, Doppel:
2023: Columbus, USA
Weitere Erfolge in Auswahl:
2012: Deutscher Vizemeister U16
2019: US Open, Achtelfinale
2020: Rom Masters, Viertelfinale
2021: French Open, 3. Runde
2021: Wimbledon, 3. Runde
2024: Miami Masters, Achtelfinale
Olympische Spiele 2021: Achtelfinale, Einzel
Olympische Spiele 2024: Achtelfinale, Einzel
Viertelfinale, Doppel
erreicht er das Viertelfinale, unterliegt dann dem
Weltranglistenersten Djokovic. Zugleich schlägt er
mit Gaël Monfils erstmals einen Top-Zehn-Spieler.
Lange Auszeit wegen Armverletzung
Auf die Zwangspause namens „Corona“ folgt für
Dominik Koepfer zum Beginn des Jahres 2022 ein
schwerer Rückschlag: Er muss aufgrund langwieriger
Schmerzen am linken Schlagarm den Auftakt der
Tennissaison zunächst um Wochen verschieben. Es
dauert schlussendlich bis zum Mai 2023, bis er nach
über 14 Monaten wieder wirklich fit ist. Mittlerweile
rangiert er sogar außerhalb der Top 250 der Weltrangliste,
kämpft sich aber eindrucksvoll über Monate
hinweg in die Weltspitze zurück – bis auf Rang 49.
Weiterhin in Top-Form übertritt er sich in der
Folge gleich zweimal den Fuß – und pausiert nach
den Olympischen Sommerspielen mehrere Wochen
erneut, nun wegen einer Armverletzung. Allein
dieses Verletzungspech verhindert, dass sich Koepfer
als einer der 30 besten der Weltrangliste festsetzt.
Prägende College-Zeiten – Zwei Zuhause
Ganz gleich wo Dominik Koepfer von Journalisten
aus aller Welt zu seinen Erfolgen befragt wird, um
seine College-Erfahrungen geht es stets ebenso. Die
vier Jahre in Tulane prägen ihn bis heute – vor allem,
weil er dort lernt, sich zu fokussieren und zur
inneren Ruhe zu kommen. Coach Booras verordnet
ihm anfangs vor jedem Match, große Puzzles
zusammenzusetzen. Den Ärger über sich selbst,
wenn es nicht so läuft, wie es laufen sollte, bekommt
Dominik Koepfer so besser in den Griff. Gelegentliche
Rückfälle ausgenommen …
Aber wo ist ein Schwarzwälder daheim, der andauernd
mit dem Tenniszirkus um die Welt reist?
Dominik Koepfer denkt kurz nach und entgegnet:
„Als ich ins College ging, hätte ich nicht gedacht,
dass ich sozusagen ewig in den USA bleibe. Ich
dachte, ich mache das College und gehe danach zurück
nach Europa. Aber dann habe ich mich für eine
Profi-Karriere entschieden und kam gut voran – und
meine Trainer arbeiten in den USA. Da aber meine
Familie nach wie vor in Furtwangen lebt, würde ich
sagen, dass ich zwei Zuhause habe. Mir gefällt es
sowohl in den USA als auch in Deutschland und in
Europa. Fakt ist: Im Augenblick ist Tampa mein Zuhause,
solange ich Tennis spiele, wird es so bleiben –
aber danach? Mal sehen!“
Eine weitere Heimat gibt es ebenfalls: den
Blau-Weiß Villingen e.V. Der einzige Tennisclub in
Deutschland, der einen Tennisspieler beginnend
ab einem Alter von fünf Jahren bis zur Weltklasse
führte. So verwundert nicht, dass auf der Startseite
des Blau-Weiß-Internetauftrittes der Satz zu lesen
steht: „Heimat von „Pitbull“ Dominik Koepfer“. Oder
auch von „Dom“, wie Koepfer von seinen Eltern und
Freunden gleichfalls genannt wird. Die Verbindung
zum Blau-Weiß ist eng – und wird via WhatsApp
rund um die Welt gehalten. Ein wenig „Stallgeruch“
muss einfach sein, zumal die Sportkameraden und
Freunde von einst quasi über sämtliche Zeitzonen
hinweg möglichst „live“ verfolgen, wo der „Dom“
und „Pitbull“ um Weltranglistenpunkte fightet.
Dominik Koepfer – einer der besten Tennisspieler der Welt
271
Kurt genuss&keramik
Die Schwenningerin Sonja Börner erweckt ihr Elternhaus
zu neuem Leben
VON ELKE REINAUER
Die Schwenningerin Sonja Börner erweckt ihr Elternhaus
zu neuem Leben
VON ELKE REINAUER
272
10. Kapitel – Gastlichkeit
Mit „Kurt genuss&keramik“ erfüllte sich die
Schwenningerin Sonja Börner in der GustavSchwabStraße
8a einen lang gehegten Traum:
Kulinarisches und Kreatives vereinen sich in
der ehemaligen Metallpoliererei ihrer Eltern.
Hier dürfen Gäste nicht nur vorzüglich speisen, sondern können auch töpfern,
malen und im Rahmen von Gottesdiensten sogar beten.
S
S
onja Börner steht hinter der Theke und
schäumt Milch auf. Dort, wo einst Zeiger für
Uhren poliert wurden, befinden sich heute der
Gastraum und die Theke des Restaurants und Cafés
„Kurt genuss&keramik“. Die dominierende Farbe
im Raum ist Türkis. So sind die Rahmen der großen
Fenster gestrichen; der Farbton ist auch zum Teil in
den Holztischen und Stühlen zu finden. Die Wände
und den Eingangsbereich zieren Bilder. Alles ist hell
und freundlich gestaltet. Die Möbel stammen zum
Teil von Restaurantauflösungen, die Eckbänke passen
perfekt in den Raum, auch sie erwarb Sonja Börner
gebraucht. Die gelernte Keramikerin eröffnete 2022
im ehemaligen elterlichen Betrieb der Metallpoliererei
das Restaurant mit angegliederter Töpferei. „Kurt“
ist übrigens der Name ihres verstorbenen Vaters: „Er
hat dieses Haus gebaut, deshalb habe ich das Restaurant
nach ihm benannt“, so Sonja Börner.
„Kurts“ Gesicht, von einem Foto entnommen,
ziert das Logo des Betriebs, Theke und Speisekarten.
Vor der Tür parkt ein alter Citroën mit dem Logo von
„Kurt“. „Mein Mann und ich sind Oldtimer-Fans“,
verrät Sonja Börner. Ihr Mann ist es auch, der mit ihr
zusammen „Kurt“ betreibt. Er hilft, wenn er nicht gerade
in einem Unternehmen arbeitet.
Langgehegter Traum geht in Erfüllung
Die Idee, ein Restaurant und Café mit Töpferei zu
eröffnen, hegte Sonja Börner schon lange. Auch in
der Vergangenheit war sie selbstständig und betrieb
in Schwenningen ein Geschäft mit Geschenkartikeln.
Die gebürtige Schwenningerin lernte zuerst Floristin,
absolvierte dann eine Ausbildung zur Keramikerin in
der Töpferei „Ob dem Brückle“ in Schwenningen.
Alles ist hell und freundlich
gestaltet. Die Möbel
stammen zum Teil von
Restaurantauflösungen –
auch die Eckbänke sind
gebraucht.
Die Idee war also lange präsent, der passende
Raum bot sich ihnen 2014, als Sonja Börner und ihr
Mann beschlossen, die Räume der elterlichen Metallpoliererei
für die Gastronomie umzubauen. Diese
stand seit einiger Zeit leer. Bis ins Jahr 2000 hatte
ihre Mutter noch in der Metallpoliererei gearbeitet,
der Vater war im Jahr 1992 gestorben. 2014 begann
der Umbau, 2022 wurde eröffnet. Die Corona-Pandemie
hatte für eine Verzögerung gesorgt.
Doch alles fügte sich perfekt: Im Innenhof gestaltete
Sonja Börner mit Terrassenmöbel einen lauschigen
Biergarten. Das Gebäude hinter dem „Kurt“ wurde
frei, hier brachte Sonja Börner ihre Töpferei unter.
Gerne führt sie den Besucher in ihre Töpferwerkstatt.
In Regalen stapeln sich Formen von Tassen,
Schalen und Vasen. In einem weiteren kleinen Raum
Impressionen von „Kurt genuss&keramik“. Inhaberin Sonja
Börner und ihr Team freuen sich über ihre so besondere
Schwenninger Gaststätte.
275
An der Töpferscheibe arbeitet Keramiker Milen Solakov, er bringt Menschen das Töpfern bei. Ein Event für bis zu vier Personen,
das gerne gebucht wird. Fotos unten: Alle Speisen sind bei besten Zutaten eigene Schöpfungen.
trocknen die bereits getöpferten Schalen und Tassen,
bevor sie in einem runden Brennofen gebrannt werden.
An der Töpferscheibe arbeitet Keramiker Milen
Solakov, er bringt Menschen das Töpfern bei. In kleinen
Gruppen bis zu vier Personen kann man sich an
der Töpferscheibe versuchen. Ein Event, das gerne
gebucht wird.
Das Geschirr für „Kurt“ ist selbst gestaltet
Und nicht nur das Töpfern ist beliebt: „Die Gäste
können einmal gebrannte Waren selber anmalen,
wenn sie möchten. Dies verleiht den Dingen eine
persönliche Note“, sagt sie. Das Event kann zum Beispiel
als Junggesellinnenabschied oder Mädelsnachmittag
gebucht werden.
Sonja Börner gestaltete das Geschirr für „Kurt“
selbst. Die Teller, Schüsseln, Tassen und Teekannen
können im Restaurant auch erworben werden. Liebevoll
angerichtet werden auf ihnen Speisen serviert.
„Wir servieren, was uns selbst gut schmeckt“,
so Sonja Börner, die in der Küche des „Kurt“ steht.
Dazu zählen zum Beispiel die Rösti-Rolle und BlackPepper-
Chicken. Außerdem wird ein reichhaltiges
Sonja Börner bietet auch freies Malen an: Jeder darf seine Stifte, Staffelei und Papier mitbringen und im „Kurt“
gemeinsam mit anderen zeichnen und malen.
Frühstück angeboten. Bei den Getränken legt Sonja
Börner ebenso Wert auf Qualität wie bei den Speisen:
Es gibt hausgemachte Limonade oder Bier aus
einer kleinen Brauerei sowie erlesene Weine.
Herausfordernde Arbeit in der Gastronomie
„Ich habe schon immer gerne privat für Feiern gekocht“,
sagt Börner. Herausfordernd sei anfangs
gewesen, dass sie „keine Ahnung von Arbeit in der
Gastronomie hatte“, wie sie sagt. Doch mithilfe eines
erfahrenen Kochs lernte sie die Arbeitsabläufe
im Restaurant besser kennen. Die gut ausgestattete
Küche mit Kombidämpfer und allen professionellen
Gastro-Geräten sei ein Traum, so Sonja Börner.
Doch nicht nur Töpfern und Kulinarisches wird
angeboten: Sonja Börner lädt auch zum freien Malen
ein. Jeder darf seine Stifte, Staffelei und Papier
mitbringen und im „Kurt“ gemeinsam mit anderen
zeichnen und malen. Die Idee kam ihr, weil sie selbst
gerne mal malt, wie sie erzählt. „Allein macht man
es ja oft nicht“, sagt sie. Auch einige Bilder an den
Wänden sind von ihr.
Eine weitere Veranstaltung im „Kurt“ ist „Kirche
im Café“, die die Schwenninger Pastorin Julia Müller
veranstaltet. Eines Abends, als Julia Müller mit ihrem
Mann im „Kurt“ saß, dachte sie, dass dies ein schöner
Ort für ihr Vorhaben sei. „Ich hatte mir noch andere
Plätze angesehen, fand diese aber nicht so geeignet.“
Sonja Börner unterstützte die Idee und seitdem findet
einmal im Monat „Kirche im Café“ statt. Ein Format,
das gut ankommt, wie Sonja Börner berichtet.
Und so hat die Schwenningerin einen Raum geschaffen,
nicht nur für Gäste und Kreative, sondern auch,
um das Andenken an ihren Vater in Ehren zu halten.
Kurt genuss&keramik
Gustav-Schwab-Str. 8a, 78054 VS-Schwenningen
www.kurtgenussundkeramik.de
Öffnungszeiten:
Mittwoch: 17-22 Uhr.
Donnerstag: 17-23 Uhr.
Freitag und Samstag: 9-14 Uhr und 17-23 Uhr.
Kurt genuss&keramik
Das Hofcafé
„näbbe duss“
Der Geheimtipp für guten Kuchen,
Kaffee und mehr: nette Wirtsleute
und geradezu sensationellen Ausblick
VON BARBARA DICKMANN
„Kaffee“ kommt vom arabischen „Kahwe“ oder „Qahwa“
und bedeutet so viel wie Lebenskraft oder Stärke. Und
„Kaffeehäuser“ waren schon im alten Orient weit verbreitet
und gern besucht. Doch erst um 1673 eröffnete
in Bremen die erste deutsche Kaffeestube. Heute sind
Cafés nicht mehr wegzudenken. Sie sind einfach besondere
Orte, sind Treffpunkte der Kommunikation, der
Zweisamkeit oder der Entspannung, die man gut auch
alleine besuchen kann. Das „näbbe duss“ an der jungen
Elz auf dem Schönwälder Farnberg gelegen, ist so ein
besonderer Ort – ein Hofcafé professionell geführt und
mit viel, viel Liebe geschaffen und betrieben von Judith
und Dieter Dold.
278 Gastlichkeit
❶
Eine wunderbare Wanderwelt Blick über
den Farnberg und das Tal der jungen Elz bei
Furtwangen Schönwald. Zum Café „näbbe duss“
(1) führt gleich eine Fülle an schönen Wander
und Spazierwegen. So auch der bebilderte Wan
derpfad, ausgeschmückt mit großformatigen
Fotografien von Jochen Scherzinger (Artwood)
und Tobias Ackermann (unten links).
Das Wetter war herrlich, der Hund wollte laufen und
wir auch. Der Wanderweg vom Parkplatz Weißenbach
in Schönwald Richtung Farnberg war einfach
ideal für zwei, die keine Lust auf allzu große Anstrengungen
hatten. Dann kam der Kaffeedurst. Doch wohin
an einem Montagnachmittag, dem beliebten Ruhetag
der Schwarzwälder Gastronomie? Da fiel uns
ein kleines gelbes Schild auf, „näbbe duss – Hofcafé“
stand darauf. Schon der Weg dorthin über Schotter
und Stein, zwischen Wiesen und Wald, versprach
eine Rast inmitten der Natur. Doch es war Montag!
Und ohne viel Hoffnung gingen wir die 500 Meter,
die uns das Schild anzeigte – und dann kam die
Überraschung schlechthin: Wir stehen vor einem Café
mit einladender Terrasse – und es hat tatsächlich
geöffnet!
„Heidelbeertorte oder doch die Linzer?“
Voller Begeisterung setzen wir uns an den letzten freien
Tisch, schauen in die Speisekarte und stehen gleich
wieder auf. Nicht um zu gehen, sondern Selbstbedienung
ist hier das Motto und nur zu gerne nehmen wir
die Kuchentheke in Augenschein. Dahinter werkelt
eine Frau, die fast gleichzeitig Kaffee macht, Sprudel
aus dem Kühlschrank holt und ein Stück Kuchen
abschneidet. Dabei lächelt sie noch freundlich. „Was
darf ich ihnen geben?“ Tja, die Frage ist nicht so leicht
zu beantworten. Vielleicht die Heidelbeertorte oder
Tiramisu oder doch die Linzer? Sie lächelt immer noch
und wartet geduldig ab …
Judith Dold, Jahrgang 1968, ist in ihrem Element.
Genau so mag sie es. Ihr Kuchen ist heiß begehrt, die
neue Kaffeemaschine eine wirkliche Bereicherung,
die Gäste sind gut gelaunt und freie Plätze Mangelware.
Sie ist die engagierte Wirtin des Hofcafés
„näbbe duss“ am Farnberg in Schönwald und dass
sie seit heute Morgen fünf Uhr auf den Beinen ist,
glaubt kein Mensch. „Ich backe morgens alles frisch“,
sagt sie lachend und das komme einfach gut bei den
Gästen an. Man sieht es, man schmeckt es. Gute Zutaten,
keine Fertigmischung, alles Handarbeit, dazu
Heidelbeeren aus dem Wald – von der Schwägerin
gebracht – und einfach Freude an der Arbeit. „Ich
mach‘ das gerne!“, sagt Judith Dold.
Dass sie einmal die Eigentümerin eines Cafés
werden würde, war nicht vorauszusehen, denn Judith
Dold ist Bankkauffrau und arbeitet bei der Volksbank
Oben und rechte Seite: Judith und Dieter Dold haben am
Farnberg in Schönwald mit ihrem Café „näbbe duss“ einen
beliebten Anlaufpunkt für Spaziergänger, Ausflügler
und Wanderer geschaffen.
in Triberg, als sie ihren Mann kennenlernt. Dieter
Dold ist Forstwirt und seine Eltern haben einen landwirtschaftlichen
Betrieb im Nebenerwerb mit drei
Ferienwohnungen.
Sie heiraten und 1993 übernehmen sie den Hof.
Und Judith Dold beschließt noch eine Ausbildung zu
absolvieren. „Ich hatte ja keine Ahnung von Landwirtschaft“,
berichtet sie und das möchte sie ändern.
Mit kleinen Kindern legt sie los. Bei ihrem Abschluss
sind diese ein, zwei und drei Jahre alt. Doch Judith
ist jetzt eine „Fachkraft für den landwirtschaftlichen
Haushalt“. „Das war nicht so leicht, doch es hat sich
wirklich ausgezahlt.“
Besonders interessant findet sie die Lehrfahrten
während ihrer Ausbildung, bei denen sie die unterschiedlichsten
Betriebe kennenlernt. Auch ein „Hofcafé“
schauen sie sich an und in Judiths Hinterkopf
setzt sich eine Idee fest. „Das wäre doch was, ich
habe schon immer gerne gebacken.“ Der Gedanke
283
lässt sie nicht mehr los. Sie beendet erfolgreich ihre
Ausbildung, doch die Kinder sind noch zu klein, um
ihren Traum zu verwirklichen und Judith will warten,
bis sie etwas größer sind. Dann werden die Schwiegereltern
krank und zum Pflegefall, dazu die drei
Ferienwohnungen, der Hof mit den Milchkühen und
ihr Mann im Vollzeitjob. Die Tage könnten 36 Stunden
haben, die Eheleute sind mehr als ausgelastet …
Die Zeit vergeht, doch der Traum bleibt. Dieter
und Judith Dold beschließen 2017 nicht länger zu
warten: „Wenn nicht jetzt, dann schaffen wir es nie,
dann sind wir zu alt!“ Und zwanzig Jahre nachdem
die Idee entstanden ist, legen sie los.
„Wenn wir es machen, dann
machen wir es richtig!“
Aus drei Ferienwohnungen wird eine fest vermietete,
eine Wohnung bleibt für die Kinder und die dritte,
ebenerdige Wohnung soll das Hofcafé werden. Und
dann beginnen die Mühlen der Bürokratie zu mahlen.
Nicht alle Anlaufstellen des Landratsamts finden
die Idee gut. Man begründet die Zweifel mit dem
Argument, dass keine eigenen Produkte zu Kuchen
verarbeitet werden könnten. Das ist jedoch auf fast
1.000 Meter Höhe nicht möglich, da hier weder Getreide
noch Obst angebaut werden können. Doch
zum Glück wird das Gremium neu besetzt und das
„Ferienland“, eine Arbeitsgruppe, in der auch die
Bürgermeister der umliegenden Gemeinden sind,
beschließt ein „Hüttenkonzept“ speziell für den
Außenbereich. Die Eheleute lassen sich auf die Liste
setzen und sind froh. Als auch das gecancelt wird,
machen sie auf eigene Faust weiter. Nutzungsänderung,
Bauantrag, Konzession – das volle Programm.
Diesmal ist die Unterstützung groß. Landratsamt wie
Die Zeit vergeht, doch der
Traum bleibt. Dieter und
Judith Dold beschließen
2017 nicht länger zu
warten: „Wenn nicht jetzt,
dann schaffen wir es nie,
dann sind wir zu alt!“
Landwirtschaftsamt stehen hinter dieser Idee und
sogar der Förderantrag für das „Entwicklungsprogramm
Ländlicher Raum (ELR) wird bewilligt. Alles
wird festgelegt – alles muss beantragt und genehmigt
werden. Die Anzahl der Plätze, die Küche, die
Toiletten, die Öffnungszeiten, auch das Veterinäramt
muss eine Lizenz ausstellen und und und …
„Wenn wir es machen, dann machen wir es richtig“,
ist die Devise der Dolds. Mit professioneller
Hilfe werden alle Anträge gestellt, die Küchenfirma
legt das Küchenkonzept vor und gleichzeitig machen
sich die Eheleute Gedanken über den täglichen
Ablauf, über die Speisekarte, die Getränke und natürlich
über die Einrichtung. Aus ihren Erfahrungen
„Selbstgebackene Kuchen nach traditionellen Rezepten.
Mit natürlichen Zutaten und einer Extraportion Liebe
aus unserer Backstube“, so preist das „näbbe duss“ seine
leckeren Kuchen an. Die Hausmacher Vesper bestehen
aus Produkten von regionalen Metzgern – und es gibt
dazu selbst gebackenes Brot. Auch der Quark ist selbst
gemacht, die Kräuter stammen aus dem eigenen Garten.
als Vermieter wissen sie, dass die Ansprüche der
Menschen immer größer werden. Und sie sparen
nicht. „Das wäre nur auf Kosten der Qualität möglich
gewesen.“ Die Stühle beizen und streichen sie selbst,
die Eckbänke fertigt ein Schreiner, die Polsterung ist
wieder Eigenarbeit und so wächst ihr Hofcafé mit
viel Liebe zum Detail, äußerst professionell und gut
durchdacht. „Das hat viel Spaß gemacht!“ Freunde,
Nachbarn und Bekannte sind begeistert und voller
Vorfreude. „Das wird nix, sagen nur ganz wenige.“
Der lang ersehnte Eröffnungstag
Pfingsten 2018 ist es soweit. Das Hofcafé
„näbbe duss – Kaffee und mehr“ wird eröffnet. Wie
kommt man auf so einen Namen? „Auf keinen Fall
sollte es einfach nur unser Name sein und unser Hofcafé
ist eben nicht im Dorfkern, sondern außerhalb“,
erklärt Dieter Dold.
Die ganze Familie ist am Start und hilft. Zwölf
Kuchen stehen bereit, selbst gebackenes Brot,
Wurstsalat, Schwarzwälder Speck, Schinken für den
kleinen Hunger und Kräuterquark für die Vegetarier.
Eine kleine Speisekarte, doch dafür alles in Handarbeit
und frisch mit regionalen Produkten von höchster
Qualität. Gleich um 11 Uhr ging es los. „Die Leute
strömten förmlich und wir haben gearbeitet und
gearbeitet. Es war einfach sensationell!“ Judith Dold
erinnert sich gern an diese erste Zeit. „Wir mussten
noch viel lernen. Die Arbeitsabläufe waren noch
nicht perfekt und damals habe ich auch noch abends
gebacken. Und ich hatte nur zwei Brotbacköfen…“
Das war alles egal. Denn endlich war ihr Traum Wirklichkeit
geworden.
Und auch heute noch, nach sechs Jahren, ist
die Begeisterung für diesen Job wie am ersten Tag.
Hofcafé „näbbe duss“ –
Kaffee und mehr
25 Plätze und große Terrasse
Farnberg 3, 78141 Schönwald
www.naebbe-duss.de
Öffnungszeiten:
Montag, Donnerstag, Freitag von 14-18 Uhr
Samstag, Sonntag von 11-18 Uhr.
Kleine Speisekarte:
Schwarzwälder Vesper
Selbst gebackenes Brot
Kräuterquark
Bauernhofeis
Kuchen, Kuchen, Kuchen
Mittlerweile sind sie ein eingespieltes Team. In der
Woche ist Judith Dold alleine und am Wochenende
hilft ihr Mann gerne. Eigentlich „opfert“ er seine
gesamte Freizeit fürs Café. Sein erster Gang aus dem
Wald führt direkt an den Gästen vorbei ins Café. Und
schon auf dem Weg hält er gerne das ein oder andere
Schwätzchen. „Ohne meinen Mann ginge das gar
nicht, er ist wirklich Gold wert.“ Keine Frage, zwei
Menschen, die an einem Strang ziehen und das auch
noch am gleichen Ende.
Ihre Gäste sind mittlerweile Stammgäste, Wanderer,
die ihre Tour danach auslegen, im „näbbe
duss“ eine Pause einzulegen und einfach Menschen,
die mitten in der Natur einen guten Kaffee trinken
möchten.
„näbbe duss – das kleine, aber feine Hofcafé“, so der
Slogan, gefällt durch liebenswerte Details.
Ein „Handwerkerpfad“ wird geboren
Keine Frage, die Atmosphäre, das Ambiente, das
Angebot und eine ausgesprochen freundliche, zuvorkommende
Wirtin – oder auf den Punkt gebracht:
Persönlich, familiär, gemütlich und qualitativ hochwertig,
das sind die Rezepte, um zum begehrten Geheimtipp
zu werden. Denn es gibt weder Flyer noch
irgendwelche Anzeigen. „Werbung haben wir noch
nie gemacht“, sagen die rührigen Eheleute. Das Geld
stecken sie lieber in ihr Hofcafé, denn nach sechs
Jahren muss das ein oder andere Teil schon erneuert
werden.
Und doch haben sie zu ihrem fünfjährigen Bestehen
in ein besonderes Highlight investiert. Denn eines
Tages kam Blasius Willmann aus Schönwald, ein
bekannter Veranstaltungstechniker (BW Licht & Ton)
mit einer ungewöhnlichen Idee zu ihnen. Die Fotografen
Jochen Scherzinger und Tobias Ackermann
(Artwood in Gütenbach) hatten beeindruckende Fotos
gemacht, die u.a. typische Schwarzwälder Handwerksberufe
und Bräuche zeigen. Könnte man nicht
daraus etwas machen? Judith und Dieter Dold sahen
Blick in die gemütliche Gaststube.
sich die Bilder an, kauften sie, ließen sie vergrößern
und wetterfest machen. Und am 23. Februar 2023
standen sie im Wald, fest einbetoniert in regelmäßigen
Abständen auf 800 Meter. Der „Handwerkerpfad“
war geboren. Bis zum 27. Februar 2023 wurden
die Fotos von Blasius Willmann beleuchtet. Eine fast
mystische Stimmung entstand. „Es war ein wunderbares
Erlebnis und die Leute waren begeistert!“
Mittlerweile ist der Handwerkerpfad, der vom
Parkplatz Weißenbach bis zum Hofcafé geht, eine
Attraktion für viele Touristen und das zu recht.
Am eingangs erwähnten Ausflugs-Montag haben
wir uns übrigens für köstlichen Erdbeerkuchen und
himmlische Himbeertorte entschieden und lange auf
der Terrasse gesessen. Einfach schön hier – einfach
schön …
Wie war das noch: „Wenn wir was machen, dann
machen wir es richtig“. Keine Frage, das stimmt.
Das Hofcafé „näbbe duss“
287
„THE BRILLOS“ –
35 JAHRE JUNG UND KEIN
WENIG LEISE
VON CORNELIA PUTSCHBACH
Eine Band, die ihre Fans mit
perfekt gecoverten Rockklassikern
immer wieder neu begeistert
Vor 35 Jahren – oder anders gerechnet 27 Jahre nach
der Gründung der Rolling Stones – finden sich 1989
im Schwarzwald-Baar-Kreis fünf Musiker zu einer
Band zusammen, die bis heute viele Fans hat. Es ist
der Start der heute weithin bekannten „Brillos“.
11. Kapitel – Kultur und Freizeit
Von „Billy Contact & the Brillos“
zur festen Quintett-Formation
Die Anfänge der Brillos gehen auf den Kontakt von
fünf Musikern zurück, die in der Region bereits
musikalisch in anderen Bands unterwegs waren. Sie
schlossen sich damals zur Band „Billy Contact & the
Brillos“ zusammen. „Einer hatte Kontaktlinsen, wir
anderen Brillen“, erzählt Thomas Baur, wie das
Quintett zu seinem Namen kam. „Billy Contact“ ist
längst aus dem Titel verschwunden. Eingeweihte
wissen: Der Kontaktlinsenträger hat sich lasern
lassen. Geblieben sind „The Brillos“ und mit einer
Ausnahme die Akteure.
Einzig auf der Position des Keyboarders brauchte
es über die Jahre fünf Anläufe. Vor 22 Jahren stieß
schließlich Hermann Kern zu den Brillos. Damals war
er „der Neue“, mittlerweile gehört er unumstößlich
zu dem Quintett. Nach über 20 Jahren Probezeit
boten die Brillos ihm im Sommer beim Konzert im
Klosterhof „eine Festanstellung an“. Der immer wiederkehrende
Witz des Keyboarders auf Probe hat
sich damit in diesem besonderen Jahr des 35-jährigen
Bandbestehens für allemal erledigt.
Mit Rockklassikern begeistern
Die fünf Musiker Thomas Baur (Bass), Chris Castellazzi
(Gesang, Gitarre, Percussion und Blues Harp), Klaus
Stahl (Schlagzeug, Gesang), Rolf Wagner (Solo-Gitarre,
Gesang) und Hermann Kern (Keyboard, Akkordeon,
Gesang) können es selbst manchmal kaum
glauben, dass sie so lange gemeinsam auf der Bühne
stehen und immer noch voller Freude und mit viel
Humor dabei sind.
Der Villinger Thomas Baur ist beruflich selbstständig
im Bereich Media Management. Chris
Castellazzi, ist Siebdrucker und wohnt ebenfalls in
Villingen. Der Vöhrenbacher Klaus Stahl ist als
Niederlassungsleiter tätig. Der Marbacher Hermann
Kern und Rolf Wagner aus Donaueschingen sind fidele
Ruheständler.
Englisch ist die Sprache, in der sie einen ganz wesentlichen
Teil ihrer Musik singen. Ein hochprozentiges,
für alle Generationen bekömmliches Destillat
von AC/DC über Deep Purple bis hin zu Santana und
ZZ-Top. Die fünf Musiker verfügen über ein außergewöhnliches
Repertoire an Rockklassikern aller Genres,
die in dieser Vielfalt als Livemusik nicht oft zu
Die fünf Musiker können es
selbst manchmal kaum
glauben, dass sie so lange
gemeinsam auf der Bühne
stehen und immer noch
voller Freude und mit viel
Humor dabei sind.
hören sind. Tolle Hits von Billy Idol, Doobie Brothers,
Queen, Prince, Zucchero oder Hot Chocolate sorgen
für ein mitreißendes Miteinander von Publikum und
Band. Natürlich zählen aber auch etliche Ohrwürmer
des Deutsch-Rocks wie Grönemeyer, Spliff, Westernhagen
oder Klaus Lage zu dem, was die Zuhörer regelmäßig
bei Auftritten der Brillos hören dürfen.
Ein außergewöhnliches Jubiläumsjahr
„Verdammt lang her“, unter diesem Titel fallen den
Brillos gleich zwei denkwürdige Begebenheiten
ein. In Allensbach war man einst als Band bei einer
Hochzeitsfeier engagiert. Die Musik gefiel sehr gut.
Einzig die Ehe hielt nicht. Nach drei Jahren durften
die Brillos auf der gemeinsamen Scheidungsparty
der Eheleute spielen.
Der wohl ungewöhnlichste Gig fand tief im Wald
statt. Als Schwarzwälder wissen die fünf Musiker
damit umzugehen. Der Einzug auf die Festwiese im
Stockwald fand auf einem Tieflader statt. Intoniert
wurde dabei „Smoke on the water“.
„Unsere 30-Jahr-Feier fiel der Pandemie zum Opfer“,
erinnert sich Klaus Stahl und fügt an: „35 Jahre
ist ja nicht die typische Jubiläumszahl, aber in unserem
Alter muss man die Feste feiern, wie sie fallen“.
Deshalb machen die Brillos dieses Jahr zu einem
besonderen, einem Geburtstagsjahr. Gefeiert wurde
mit einem Konzert im Klosterhof. Es ist aber auch an
der Zeit, an die vielen gemeinsamen Jahre der Band
zurückzudenken. 35 Jahre, die natürlich gespickt
sind, mit Musik, aber auch mit einmaligen Erlebnissen
und gemeinsamen Erfahrungen. Manches ernst,
ganz vieles aber voller Spielfreude und Hingabe.
Die Brillos, v. links: Rolf Wagner (SoloGitarre,
Gesang), Klaus Stahl (Schlagzeug, Gesang), Hermann Kern (Keyboard,
Akkordeon, Gesang), Chris Castellazzi (Gesang, Gitarre, Percussion und Blues Harp) sowie Thomas Baur (Bass).
Mit der intensivsten Hingabe kann es allerdings
dahin sein, wenn einem der Fünf eine „Schofseckelaktion“,
also ein echtes Missgeschick widerfährt. So
konnten die Vöhrenbacher im Rahmen ihres Stadtfestes
viele Jahre die Brillos genießen. Damals strafte
mangelnde Konzentration oder einfach Ungeschicklichkeit
Rolf Wagner ab. Jeder in der Band hat bis
heute vor dem Auftritt seine Aufgabe. Als „Karpfen“
alias Thomas Baur und er an diesem Tag eine schwere
Lautsprecherbox aufbauen wollten, folgte diese
der Schwerkraft und landete auf dem Daumen von
Rolf Wagner. Der Daumen musste genäht werden.
An einen Auftritt war für den Pechvogel an diesem
Abend nicht zu denken. Das Glück war den Brillos
hold. Werner Müller, guter Freund und bekannter
Musiker aus der Region, kam zufällig vorbei und
sprang kurzfristig ein.
Unvergessliche Gigs und Missgeschicke
Doch nicht nur bei Hochzeiten, Geburtstagen und
Stadtfesten sind die Brillos zu hören. Nach einem
Auftritt bei einer Betriebsfeier beim damaligen
Fernmeldeamt in Rottweil kam die Telekom auf die
Band zu und engagierte sie für ihr großes Betriebsfest.
Gespielt wurde vor 5.000 Zuhörern in der
Oberschwabenhalle in Ravensburg. Liest sich wie ein
bemerkenswertes Konzert vor beachtlich großem
Publikum. Zumal Klaus Stahl, zuständig für die
Technik, zuvor die Ehre zuteilgeworden war, zur
Besichtigung der Location für das Konzert mit dem
Flieger aus Donaueschingen anzureisen.
Als am Konzertabend gegen Mitternacht die
Scheinwerfer allmählich ausgingen, war die Halle
gerade dabei, sich im Eiltempo zu leeren. Zur
Ehrenrettung der Brillos bleibt festzuhalten: Die
Telekom ließ pünktlichst die Busse zum Heimtransport
der Festgesellschaft vorfahren. Dagegen hatten
auch die Brillos keine Chance.
Miteinander leben die fünf Musiker der Brillos
ihre Leidenschaft für Rock- und Beatklassiker aus,
denen sie ihre persönliche Note geben. Manches wird
neu interpretiert oder die Brillos bieten eine eigene
E-kustik-Variante. Statt des Keyboards kommt dabei
ein Akkordeon zum Einsatz oder das Cajon übernimmt
auch einmal die Rolle des Schlagzeugs. Drive
und Rhythmus der Spaß macht, in Bauch und Beine
geht, sind so gewiss.
The Brillos 291
Im Tuttlinger Irish Pub
standen die Brillos auf der
Bühne … und „Revolverheld“
kam nach einem Konzert auf
einen „Absacker“ vorbei. Der
Absacker wurde länger als
geplant und die Brillos
hatten mit den „Helden“
einen schönen Abend.
Diese Flexibilität und die Musik im Blut macht
es den Brillos auch möglich, ganz spontan zu den
Instrumenten zu greifen. Der alljährliche Vatertagsausflug
mit Instrumenten im Gepäck gehört zu
den regelmäßig zelebrierten Aktionen der Gruppe.
Eines Jahres führte sie der Weg nach Überlingen
am Bodensee. Vor einer Weinstube war es dann so
weit: „Total ohne Strom“, erzählt Chris Castellazzi,
„mit Straßenmusik eben oder Back to the roots“,
wie er lachend feststellt, rettete die Band der Wirtin
den Nachmittag und Abend. Man wollte die Gruppe
keinesfalls mehr weiterziehen lassen.
Aus diesem ungeplanten Einkehrschwung ergab
sich für die Brillos die Gelegenheit, bei der
Mississippi-Shuffleboat-Party auf dem dreistöckigen
„Dixieschiff“ zusammen mit den vielen musikbegeisterten
Gästen ihre Rockparty zu feiern. Bereits zum
dritten Mal in Folge wurden die Brillos auf diesem
Schiff, das auf dem Bodensee in See sticht, für das
Hauptdeck engagiert.
Und dennoch gab es, so verrät Hermann Kern,
auch den denkbar kürzesten Auftritt und auch mal
einen Flop. Bei einem großen Rockkonzert mit vielen
Bands in Straßburg waren die Brillos 1991 der Top
Act. Lange Anreise, langes Warten, später Beginn,
aber bereits nach dem zweiten Song war von einem
Moment auf den anderen Schluss mit der Musik: Die
Gendarmerie beendete das Konzert, weil es an eben
jenem Ort bei einem Rockkonzert eine Woche zuvor
zu Ausschreitungen kam. Neuerliche Exzesse sollten
verhindert werden.
Für eine Silvesterfeier in Rottweil kündigte deren
Veranstalter das Quintett als Tanzkapelle für
klassische Standardtänze an. „Die Gäste kamen mit
Abendkleid und Smoking“, erinnert sich Rolf Wagner
lachend und stellt fest: „Das sind wir wirklich nicht
und wollen wir auch nicht sein“. Der Veranstalter dieser
Silvesterfeier verpasste definitiv die Chance einer
gelungenen Party.
Dass aber auch Stars und Sternchen eine Chance
verpassten oder bis heute nicht wissen, welche
Ehre ihnen zu Teil wurde, als sie auf die Brillos trafen,
kann man mit Blick zurück ebenso festhalten.
So bestritt Patrick Lindner einst bei einem großen
Open-Air in Hinterzarten das „Vorprogramm“ für die
Brillos. Bei anderer Gelegenheit kamen die Musiker
der Gruppe Revolverheld nach einem Auftritt im Rittergarten
auf einen Absacker in den Tuttlinger Irish
Pub. Auf der „Bühne“ standen dort an diesem Abend
die Brillos. Revolverheld hat es gefallen. Der Absacker
wurde länger als geplant und die Brillos hatten
mit den „Helden“ einen schönen Abend.
35 Jahre Leidenschaft und
Freundschaft auf der Bühne
Doch wie gelingt es den Brillos regelmäßig die
Menschen mit ihrer Musik zu erreichen? Wie gelingt
es auch nach 35 Jahren auf der Bühne immer gut
drauf zu sein? „Das ist für uns alle eine Auszeit, ein
Ausgleich zu unseren Jobs“, sagt Rolf Wagner. Man
habe „einen großen gemeinsamen Nenner gefunden.“
Es sei „superwertvoll“, dass man sich so gut
verstehe, die Musik verbinde die Band tief. Nach der
Probe gehe es montags beispielsweise immer in den
Irish Pub. „Dann erzählen wir uns Witze, als wären
wir erst 18“, lässt Chris Castellazzi hinter die Kulissen
blicken. Die gemeinsame Freude an der Musik geben
die fünf Vollblutmusiker an ihre Zuhörer weiter.
Zurück kommen dafür die Begeisterung und das
Funkeln in den Augen des Publikums.
Seit 35 Jahren halten die Brillos am Covern von
Songs fest. Dabei lieben sie es auch zu experimentieren
und neu zu arrangieren. Es gibt noch viele schöne
Stücke, die die fünf neu interpretieren werden.
Routine kehrt keine ein. Bei jedem Auftritt sei es
wie am ersten Abend, sagt Rolf Wagner. Was neu ins
Repertoire kommt, wird demokratisch entschieden.
Grundsätzlich soll jedes Lied aber allen Musikern ge
fallen. „Sollte das mal nicht so sein, bleibt das unser
Geheimnis“, verrät er mit einem Augenzwinkern.
Zu hören sind die Brillos in der Region verschiedentlich.
Doch ein bestimmter Termin ist alljährlich
ganz fest im Kalender eingeplant. Jedes Jahr, am
Wo die „Brillos“ auftreten, herrscht
schon bald PartyStimmung,
wie oben
beim Jubiläumskonzert im Klosterhof in
VSVillingen.
Da spielt Chris Castellazzi
die Blues Harp (v. links ob. nach re. unten),
Thomas Baur den Bass, Hermann
Kern das Akkordeon, Rolf Wagner die
SoloGitarre
und sorgt Klaus Stahl am
Schlagzeug für den perfekten Rhythmus.
27. Dezember spielen sie im Villinger Irish Pub. Zu
den Inhabern verbindet sie seit 2006 eine wunderbare
Freundschaft. Und Freundschaft bedeutet für
Chris Castellazzi, Rolf Wagner, Klaus Stahl, Thomas
Baur und Hermann Kern so viel wie ihre Musik.
The Brillos 293
Als Gremmelsbach das
Laienspiel entdeckte!
Viele Talente ermöglichen 1926 die
Gründung der Theatergruppe „Bergradler“
VON BARBARA DICKMANN
294
Szenen aus bald 100 Jahren Laientheater in Gremmelsbach.
Linke Seite: Probe und Aufführung des erneut sehr erfolgreichen
Stückes „Mord im Weinkeller“ im Dezember 2023.
Auf dem ProbenFoto
oben sind v. links zu sehen: Andreas
Kienzler, Thomas Wenke, Sarah Schwer, Lea Dieterle
(Souffleuse), Nicole Kienzler, Tamara Schwer und Jürgen
Schwer. Unten bei der Aufführung: Nicole Kienzler, Tamara
Schwer und Jürgen Schwer.
Rechte Seite: Oben eine Aufführung aus den 1920erJahren,
unten aus den 1950erJahren.
Mitte: Das Stück „Mariandel“ mit von links: Klaus Kienzler,
Eva Look, Joachim Müller, Franz Duffner, Leonhardt Flaig,
Irmgard Hug und Rosa Dieterle.
Nahezu 100 Jahre Volkstheater in Gremmelsbach – eine beachtliche Tradition des
Laienspiels am Ort! Das im SchwarzwaldBaarKreis
vielerorts gepflegte Laienspiel,
sprich Volkstheater, wurzelt in den geistlichen Spielen des Mittelalters und kirchlichen
Aufführungen wie Krippenspielen. Laien spielen und erzählen dabei das biblische
Geschehen. Die bekannteste und älteste Form des neuzeitlichen Volkstheaters ist hingegen
die Commedia dell’Arte, die ab dem 16. Jahrhundert in Italien aufkommt und auf
Straßen und Märkten ihre Zuschauer fesselt. Wann genau das Laientheater heutiger Prägung
in unserer Region Fuß fasst, ist zeitlich schwer zu belegen – zum Ende des 19. Jahrhunderts
hin jedoch war es bereits weit verbreitet. Am 30. Januar 1926 – und damit vor
fast 100 Jahren – erreicht diese spezielle Form des Theaters nach monatelangen Proben
auch Gremmelsbach bei Triberg. Das ganze Dorf versammelt sich, um insgesamt drei Aufführungen
der eben gegründeten Theatergruppe „Bergradler“ zu erleben, einer Abteilung
des gleichnamigen Radfahrvereins am Ort.
V
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or 100 Jahren waren derlei Theateraufführungen
der „Bergradler“ zusammen mit den
weihnachtlichen Krippenspielen und Konzerten
des Musikvereins die kulturellen Höhepunkte im
Jahreslauf des Dorfes. Und sind es bis heute geblieben,
was für die Qualität des Gremmelsbacher
Laienspiels spricht. Die Vorgeschichte: Schon zwei
Jahre nach der Gründung des Radfahrvereins im Jahr
1923 machen sich theaterbegeisterte Mitglieder
Gedanken darüber, ob nicht eine Theateraufführung
zur Bereicherung des kulturellen Angebotes von
Gremmelsbach und Umgebung beitragen könnte.
Bereits ein Jahr später, am 3. Januar 1926, findet
anlässlich der Weihnachtsfeier des Radfahrvereins
der erste Theaterabend statt. Er muss zweimal
wiederholt werden, so groß ist sein Erfolg.
Zur Aufführung kommen gleich zwei Stücke: Der
dramatische Vierakter „Ulrich der Wilderer“ und die
Komödie „Einer muß heiraten“. In der Pause zwischen
den beiden Stücken spielt die Musikkapelle
und es werden Lose verkauft. Diese Tradition hat
sich mit Ausnahme der Live-Musik bis heute gehalten.
Als Aufführungsorte fungierten damals das
Gasthaus Staude und das Gasthaus Pflug, beide in
Gremmelsbach.
Laut Chronik des Vereins rührt das Drama „Ulrich
der Wilderer“ das Publikum zu Tränen und ruft
hingegen die Komödie „Einer muss heiraten“ wahre
„Stürme der Heiterkeit“ hervor. „Im Anschluß an die
Aufführungen wird der Erfolg bis in die frühen Morgenstunden
hinein gefeiert“, hält der Schriftführer fest.
Historiendramen und Komödien
Am 30. Januar 1927 wagen sich die Schauspieler
gleich an drei Stücke: „Ida von Toggenburg“, „Kaspar
Larifari als Wunderdoktor“ und „Eine lustige Zither-
stunde“. Für das Stück „Ida von Toggenburg“ lassen
sich die Akteure historische Gewänder aus Köln in ihr
Schwarzwalddorf schicken. Mit Kulissenbau, Kostüme
aussuchen und/oder anfertigen, Requisiten
beschaffen und den monatelangen Proben ist ein
gewaltiges Arbeitspensum zu leisten. Wieder sind
die Aufführungen ein voller Erfolg. Und zugleich eine
großartige theatralische Leistung, denn die Handlung
des historischen Stücks „Ida von Toggenburg“
verlangt der Schauspielkunst einiges ab.
Jedes Jahr freuen sich die Gremmelsbacher fortan
auf „ihr“ Theater. Zu den frühen Aufführungen
gehören Volkstheaterstücke wie „Das Strafgericht im
Bergradler Gremmelsbach e.V.
Theaterszene aus den 1950erJahren,
ein Stück zum Thema Wilderei.
Die Aufführung „Ehestand und Wehestand“, anfangs der 1970erJahre
mit v. links Martha Dold, Adolf Laube, HeinzPeter
Dieterle, Johanna Hug, Klaus Kienzler, Rosa Dieterle und Wolfgang Dold.
297
Walde“, „Im Krug zum grünen Kranze“, „Die stolze
Bettlerin“ oder „Der überlistige Polizeidiener“. Doch
am 22. Januar 1933 ist mit „Die Perlenschnur einer
Mutter“ für viele Jahre alles vorbei – das Dritte Reich
beginnt und es folgen die Schrecken des Zweiten
Weltkrieges.
Heimatstücke nach dem Krieg
Rosa Dieterle und Martha Dold, beide Jahrgang 1950
und aktive Mitglieder bei den „Bergradlern“, wissen
über die Theateranfänge der Nachkriegszeit nur aus
Erzählungen. Doch sie schildern diese erneuten
Gründerjahre des Gremmelsbacher Theaters so
lebendig, als wären sie dabei gewesen. Irgendwann
nach dem Zweiten Weltkrieg ging es weiter. Die
erste Dokumentation, die nach einem Hausbrand
noch vorhanden ist, stammt aus dem Jahr 1964. Mit
„Wo das Herz der Heimat schlägt“, einem Heimatstück
mit viel Gefühl und der Satire „Die fromme
Helene“ von Wilhelm Busch wird eine neue Art von
Theater eingeleitet.
„Das war einfach wunderbar“, erzählen Rosa
Dieterle und Martha Dold. Sie können sich gut an
den Neubeginn erinnern, denn sie sind schon als
Schulkinder begeisterte Zuschauer der Aufführungen.
„Bei der Generalprobe durften alle Kinder dabei
sein,“ erinnern sie sich an ihre ersten Berührungen
mit dem Volkstheater. Je älter sie werden, desto
mehr fiebern die beiden jungen Frauen ihrem 21. Geburtstag
und damit der Volljährigkeit entgegen: Jetzt
endlich dürfen auch sie mitspielen! Im Radfahrverein
Mitglied sind beide schon längst.
Warum eigentlich wollten sie auf die Bretter, die
die Welt bedeuten? Hatten sie Ambitionen, wollten
sie gar Schauspielerinnen werden? Rosa und Martha
lachen und sind sich einig: „Das war die einzige
Möglichkeit, rauszukommen – etwas zu erleben. Wir
waren alle in Vereinen aktiv, es gab ja sonst nichts.
Kein Auto, keine Disco: Einfach nichts! Und schon
Nußbach war ja Ausland.“
Wer Theater spielt, verändert sich
„Und natürlich ist Theaterspielen etwas ganz
Besonderes“, so die beiden Frauen. „Man schlüpft in
eine andere Person, lernt einen fremden Charakter
kennen. Der Text muss sitzen und das Zusammen
spiel mit anderen Menschen funktionieren – das
Achten aufeinander und manchmal auch das
Helfen.“ Denn wenn ein Mitspieler „stecken bleibt“,
ist improvisieren angesagt. Und vor vielen Menschen
aufzutreten ist auch nicht leicht. Ohne Selbstbewusstsein
geht da gar nichts. „Keine Frage“, so die
Akteurinnen, „wer Theater spielt, verändert sich –
und das zum Positiven.“
Mit 21 Jahren dürfen Rosa Dieterle und Martha
Dold somit endlich selbst Theater spielen. Natürlich
haben sie manchmal um die Rollen „fast gestritten.“
„Ich wollte nie die feine Dame spielen, lieber die
gefährliche“, lacht Martha Dold. „Das war eine schöne
Zeit“, sagen beide Frauen fast gleichzeitig, „wir
möchten keine Stunde missen.“
Heute stehen sie nicht mehr auf der Bühne. Denn
jetzt ist Rosa Dieterle die Regisseurin und Martha
Dold hilft, wo immer es nötig ist.
„Unsere Auswahl muss einfach passen“
Begeisterte Schauspielerin ist ebenso Tamara
Schwer, 50 Jahre jung, Schriftführerin der Bergradler
und mit einer ganz besonderen Sommerbeschäftigung:
Sie und ihr Mann Jürgen lesen und das nicht
zu knapp. Denn Rosa Dieterle findet jedes Jahr um
die zwanzig Stücke für ihre schauspielenden
Bergradlerinnen und Bergradler und genau diese
werden von dem Ehepaar genau studiert. Übrig
bleiben meist zwei oder drei. Sind die besten Stücke
gefunden, wird es ernst: Das Dreier-Team kauft die
Drehbücher und verteilt die einzelnen Rollen.
„Unsere Auswahl muss einfach passen, vom
Charakter, vom Stück her – vom Bühnenbild.“ Tamara
und Jürgen Schwer kennen ihre Mannschaft genau, die
aus zehn bis 15 Theaterbegeisterten besteht. Im Jahr
2024 sind das: Sylvia Schneider, Claudia Reuter, Nicole
Kienzler, Sarah Schwer, Tamara Schwer, Oliver
Hannemann, Jürgen Schwer, Andreas Kienzler, Thomas
Wenke, Klaus Faller und Regie führt Rosa Dieterle.
Komödien sind besonders beliebt
In den 1970er-Jahren waren die Gremmelsbacher
Theateraufführungen mehr noch als sonst gefragt,
sodass Sonderaufführungen u. a. für das Rote Kreuz
veranstaltet wurden. Ab 1984 geht man dazu über,
nur noch ein großes Theaterstück aufzuführen. Im
Kein Drama und auch kein
klassisches Schauspiel,
sondern etwas zum Lachen
ist bei den Zuschauern
gefragt.
Jahre 1988 schließlich wird der Termin der Aufführungen
von Januar/Februar auf den November/
Dezember verlegt. In diesem Jahr tritt Rosa Dieterle
als Regisseurin die Nachfolge von Adolf Laube an,
der sich besonders um die Gremmelsbacher Theatergeschichte
verdient gemacht hatte. Fast 25 Jahre
prägt er das Theatergeschehen als Schauspieler und
Regisseur. Wenn er mitspielt, ist der Saal stets
rappelvoll. Rosa Dieterle ist – trotz Landwirtschaft
und einer Familie mit fünf Kindern – seit nunmehr
36 Jahren unermüdlich im Einsatz.
Im Laufe der Jahre verändern sich die Theaterstücke,
passen sich dem Geschmack des Publikums
an. Vom historischen Stück über die Liebesschnulze
hin zur Krimikomödie führte der Weg. Aktuell gilt:
„Kein Drama, kein klassisches Schauspiel mehr – etwas
zum Lachen ist bei den Zuschauern gefragt.“
Und der Erfolg gibt der Gremmelsbacher Theatergruppe
recht: Drei Aufführungen werden jedes Jahr
gespielt – und alle drei sind ausverkauft. Besucher
aus der gesamten Region bevölkern den Dorfgemeinschaftsraum
von Gremmelsbach.
Im Jahr 2011 erlebt die Theater-Fangemeinde eine
besondere Premiere, denn der Schriftsteller kommt
aus dem eigenen Dorf: Gerd Kienzler schreibt aus
Anlass des 900-jährigen Bestehens der Burg
Althornberg das humorvolle Stück „Die Ellerbacher
oder die falsche Wilpurg“. Die Bergradler sind sich
einig: „Wahnsinn, welche Talente auf einmal zum
Vorschein kommen. Das Stück war das Highlight
schlechthin.“
Im Jahr 2023 war „Mord im Weinkeller“ der Hit
und in diesem Jahr? Lassen Sie sich überraschen …
Nach der Sommerlektüre von Tamara und Jürgen
Schwer, dem Aussuchen des Stücks, der Verteilung
der Rollen, des Lernens des Textes, etlicher intensiver
Proben zweimal pro Woche, dem Drucken von
Martha Dold
Rosa Dieterle
Tamara Schwer
Flyern und dem Organisieren von Essen und Getränken,
fiebern die Akteure ab dem Spätherbst mehr
und mehr der Premiere entgegen. Wenn Ton, Licht
und Maske stimmen, ist es wieder soweit. Dann
heißt es drei Mal „Vorhang auf“ im Dorfgemeinschaftsraum
von Gremmelsbach.
Auf der Bühne stehen die bereits genannten
Akteure. Hinter der Bühne Rosa und Enkelin Lea
Dieterle als Souffleuse. Und danach? „Danach
machen wir einen Theaterausflug“, sagen alle voller
Vorfreude, denn auch dieser ist Tradition. Der
30. Januar 1926 war somit in Gremmelsbach ein
besonderer Tag, er schenkte dem Dorf bis heute
echtes Volkstheater.
Bergradler Gremmelsbach e.V.
Almanach-Magazin
Notizen aus dem Landkreis
Almanach-Magazin
Notizen aus dem Landkreis
Naturschutzgroßgebiet Baar
Besuch von Ministerin
Thekla Walker
Im Rahmen ihrer Sommertour
besuchte die Umweltministerin von
Baden-Württemberg, Thekla Walker,
das Naturschutzgroßprojekt Baar in
Villingen-Schwenningen. Im Fokus
standen das Schwenninger Moos
und die dort umgesetzten Maßnahmen.
Bei bestem Wetter wurde sie
vom Ersten Landesbeamten des
Schwarzwald-Baar-Kreises,
Dr. Martin Seuffert, und dem
Tuttlinger Landrat Stefan Bär
begrüßt. Beide hoben hervor, dass
das Projekt mit der Verbesserung
des Biotopverbundes und der
Kohlenstoffbindung die Ziele des
Umweltministeriums bereits
vorantreibt.
Thekla Walker zeigte sich
beeindruckt von den Maßnahmen.
Projektleiter Thomas Kring erläuterte
Europameister im
„Öschberghof“
Aufregende Tage liegen hinter
dem Hotel Öschberghof in
Donaueschingen-Aasen, wo die
spanische Fußball-Nationalmannschaft
während der Fußball-
Europameisterschaft fünf Wochen
lang untergebracht war.
Die Spieler äußerten sich
positiv über ihre Unterkunft und
feierten schlussendlich den
Europameistertitel.
Während ihres Aufenthalts
hatte die Mannschaft das gesamte
Auf dem Rundweg im Schwenninger Moos berichtet Projektleiter Thomas Kring
von der intensiven Naherholungsnutzung des Gebiets.
bei einem Rundgang die naturschutzfachliche
Bedeutung des
Moores, wo sich der gefährdete
Rundblättrige Sonnentau wieder
ansiedeln konnte. Er erklärte auch
den Bau von Grabensperren zur
Wasserhaltung im Moor und die
Hotel für sich und das Restaurant
wurde in ein Spielzimmer umgebaut.
Notwendigkeit der Offenhaltung für
seltene Arten wie den Hochmoor-
Glanzflachläufer und den Randring-
Perlmutterfalter, die auf feuchte
Standorte angewiesen sind. Die
Umweltministerin bedankte sich bei
allen für ihre wichtige Arbeit.
Das öffentliche Training auf dem
Aasener Sportplatz durften 500 Zuschauer
mitverfolgen.
Links: MitInitiator
des DSKennzeichens
MdL Niko Reith und Landrat Sven Hinterseh. Rechts: Als eines der ersten
Fahrzeuge wurde in der Außenstelle des Landratsamtes in Donaueschingen ein Feuerwehrfahrzeug der Großen Kreisstadt
zugelassen. Frank Fetzer, Leiter des Straßenverkehrsamtes, Oberbürgermeister Erik Pauly und Gerd Wimmer,
Feuerwehrkommandant der Stadt Donaueschingen bei der Übergabe des neuen Kennzeichens.
16. September, wurden erstmals wieder „DS“-Kenn
„DS-Kennzeichen“ stark gefragt
zeichen ausgegeben. Eine der ersten Zulassungen
Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind künftig zwei Auto-zum „DS“-Kennzeichen nahm Erik Pauly, Oberbürger-
Kennzeichen unterwegs! Seit dem 1. Januar 1972 gibt meister von Donaueschingen, in der Kfz-Zulassungses
bereits das Kennzeichen „VS“. Seit der Kreisreform stelle des Landratsamtes in Donaueschingen vor.
am 1. Januar 1973 gab es dann keine Möglichkeit mehr, „Das Interesse der Donaueschinger ist groß und
Fahrzeuge mit dem Kennzeichen „DS“ anzumelden, da viele Menschen haben sich ihr Wunschkennzeichen
es den Landkreis Donaueschingen ja nicht mehr gab. schon reservieren lassen – ich bin wirklich froh
Im Dezember 2023 hatte der Kreistag jedoch auf darüber, dass sich unsere Bemühungen und unser
vielfachen Wunsch die Wiedereinführung des Einsatz für die Wiedereinführung des DS-Kennzei„
DS“-Kennzeichens beschlossen und danach wurde chens gelohnt haben“, freute sich der Oberbürger-
das weitere Verfahren zügig verfolgt. Am Montag, meister.
Bürgermeisterwahlen
Michael Rieger
Der amtierende
Vier Kandidaten
Bürgermeister
bleibt für weitere
forderten den
von Mönchwei
acht Jahre
Amtsinhaber bei
ler, Rudolf Fluck,
Bürgermeister in
der Bürgermeisist
am 3. März
St. Georgen. Am
terwahl am
2024 wiederge
5. Mai 2024
30. Juni 2024 in
wählt worden. Er
stimmten 3.449
Hüfingen heraus.
war als einziger
Wahlberechtigte
Mit 61,3 Prozent
Kandidat zur
St. Georgener für
der Stimmen
Wahl angetreten. 97 Prozent der eine weitere Amtszeit Michael setzte sich der 30-jährige Patrick
Wähler haben mit ihrer Stimme Riegers. Das entspricht 99,4 Haas aus Mönchweiler gegen seine
gezeigt, dass sie hinter der Gemein-Prozent der abgegebenen Stimmen. Konkurrenten durch und wurde im
despitze stehen. Einen Gegenkandi-Die Wahlbeteiligung lag bei ersten Wahlgang neuer Bürgermeisdaten
gab es nicht. Die Wahlbeteili-34,6 Prozent. Michael Rieger war ter. Die Wahlbeteiligung lag bei
gung lag bei 38,7 Prozent. der einzige Kandidat. 58,1 Prozent.
Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis
Gemeinde Stand der Wohnbevölkerung Veränderungen
30.06.2024 30.06.2023 in Zahlen in Prozent
Villingen-Schwenningen 89.454 88.705 749 0,84
Donaueschingen 22.381 22.366 15 0,07
Bad Dürrheim 13.784 13.761 23 0,17
St. Georgen 13.169 13.111 58 0,44
Blumberg 10.261 10.315 -54 -0,52
Furtwangen 9.051 9.035 16 0,18
Hüfingen 8.080 8.002 78 0,97
Königsfeld 6.147 6.068 79 1,30
Niedereschach 6.086 6.045 41 0,68
Bräunlingen 6.068 6.058 10 0,17
Brigachtal 5.213 5.246 -33 -0,63
Triberg 4.881 4.885 -4 -0,08
Schonach 4.033 4.056 -23 -0,57
Dauchingen 3.895 3.913 -18 -0,46
Vöhrenbach 3.722 3.699 23 0,62
Tuningen 3.372 3.302 70 2,12
Mönchweiler 2.982 2.971 11 0,37
Schönwald 2.674 2.669 5 0,19
Unterkirnach 2.585 2.657 -72 -2,71
Gütenbach 1.120 1.134 -14 -1,23
Kreisbevölkerung insgesamt 218.958 217.998 960 0,44
Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen
Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland
30.06.2024 4,2 % 4,1 % 5,8 %
30.06.2023 3,8 % 3,8 % 5,5 %
30.06.2022 3,6 % 3,5 % 5,2 %
Quelle: Agentur für Arbeit
Beschäftigte insgesamt: 88.651, davon 38.265 im produzierenden Gewerbe (43,2 %), 17.265 in Handel, Verkehr und
Gastgewerbe (19,5 %) sowie 32.872 im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ (37,1 %).
Stand: 30.06.2023 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
Orden und Ehrenzeichen
Mit der Staufermedaille wurde im August 2024 ausgezeichnet:
Dieter Sirringhaus (Niedereschach)
Mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden bis September 2024 ausgezeichnet:
Margot Schneckenburger (Brigachtal), Luzia Burgbacher und Stefan Scherzinger (beide Furtwangen),
Andreas Nock (Triberg), Martina Müller (Villingen-Schwenningen), Klaus Gunkel (St. Georgen)
Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge
Binninger, Silvia, 78166 Donaueschingen
Brackenhofer, Sylvie, 68163 Mannheim
Dickmann, Barbara, 78098 Triberg
Dilger, Gerhard, 78120 Furtwangen
Dold, Wilfried, 78147 Vöhrenbach
Eich, Marc, 78050 Villingen-Schwenningen
Eich, Michael, 78050 Villingen-Schwenningen
Götz, Hans-Jürgen, 78086 Brigachtal
Gürtler, Sylvia, 79650 Schopfheim
Graßmann, Peter, 78050 Villingen-Schwenningen
Lutz, Bernhard, 78183 Hüfingen
Bildnachweis Almanach 2025
Titelseite: Anna Klausmann, Linach
Fotografie: Wilfried Dold, Vöhrenbach
Soweit die Fotografen nicht namentlich angeführt werden,
stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des Beitrages
oder sind die Bildautoren/Bildleihgeber über ihn
erfragbar.
Mit Fotos sind im Almanach vertreten: Wilfried Dold,
Vöhrenbach: 2-3, 9-19, 26-31, 34-35, 47 u., 50, 58, 59 ob.,
60-61, 74-83, 88-89, 96-97, 98-99, 103 ob., 188-189,
199-201; 202-223, 280-281 ob., 281 u.; Landratsamt
Schwarzwald-Baar-Kreis: 21, 23, 24 ob., 301 ob., 301 u. mi.;
SWEG Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH, Lahr: 22;
Markus Schwarz, St. Georgen: 24 u., 163, 164 ob., 167;
Familie Papst, St. Georgen: 37; Roland Sprich, St. Georgen:
38, 104, 113-114, 115 ob., 156-159, 162, 164 u., 165, 166;
Fürstenhaus Donaueschingen: 41; Roland Sigwart,
Hüfingen: 43, 300 u.; Bernward Janzing, Freiburg: 44-45,
49; Markus Reutter, St. Georgen: 47 ob.; Susanne Kammerer,
Schonach: 51; Catrin Heusch: 55; Frank Stark, Peterzell:
56, 57 li., 59 u. ; Helen Moser, St. Georgen: 57 re.; Familie
Schorp, Döggingen: 62-70; Album Anny und Hermann
Schlenker, Königsfeld: 72-73, 92-95; Familie Klausmann,
Linach: 85; Michael Stifter, Vöhrenbach: 86-87, 108-110,
228, 229 li., 231, 233-235, 272-273, 275 re. ob., 277, 278-279,
280 u., 283, 285-287; Maria Hoch, Nußbach: 91; Lukas
Duffner, Schönwald: 101, 105 ob., 106 u.; Maria Kienzler,
Triberg: 105 u., 106 ob.; Familie Linhard, Rohrbach: 111, 112,
115 u.; Kübler Group, VS-Schwenningen: 116-131; Dt.
Bundeswehr: 132-143 ob.; Roger Müller, Donaueschingen:
143 u., 300 ob.; MAG Mannheimer Ausstellungs-GmbH,
Moser, Helen, 78112 St. Georgen
Putschbach, Cornelia, 78087 Mönchweiler
Reinauer, Elke, 78046 Villingen-Schwenningen
Saurer, Michael, 79114 Freiburg
Schneider, Daniela, 78098 Triberg
Sigwart Roland, 78183 Hüfingen
Sprich, Roland, 78112 Sankt Georgen
Stifter, Michael, 78147 Vöhrenbach
Strohmeier, Wilfried, 78073 Bad Dürrheim
Vogt, Josef, 78086 Brigachtal
Mannheim: 144-155; Andreas Burwig, St. Georgen: 160;
Hans-Jürgen Götz, Brigachtal: 168-170, 171 u., 172 ob., 172
u., 175-176, 178-179; Malteser Hilfsdienst: 171 ob., 172 m.,
173, 174, 177; Archiv Josef Vogt, Brigachtal: 181-184,
186-187; Landesbildstelle Stuttart: 185; FF Archiv, Donaueschingen:
190,192; Archiv Baar-Verein, Donaueschingen:
193; Archäologisches Landesmuseum: 194; Jens Hagen,
Königsfeld: 197; Stadt Vöhrenbach: 198; Adobe Stock,
Jürgen Wiesler: 225 re.; Arnold Kuner, Schonach: 226, 227,
230; Archiv dold.verlag, Vöhrenbach: 224, 225 li.; Elke
Reinauer, Villingen-Schwenningen: 229 re., 276 ob.; Rita
Bolkart, Schonach: 232; Stadtarchiv Furtwangen: 237;
Gerhard Dilger, Furtwangen: 238, 241-242; Guido Staeb,
Freiburg: 239, 240, 243; FC Saarbrücken: 244-245; Kai
Brünker, Villingen-Schwenningen: 246, 249; FC 08
Villingen: 247; SC Freiburg: 248; IMAGO, Ines Hähnel: 250
li., Christian Schroedter: 250 re., Jan Huebner: 253, Jürgen
Hasenkopf: 262-263, Paul Zimmer: 268, Robert Deutsch:
269, Anke Waelischmiller/Sven Simon: 270, Alfredo
Falcone/LaPresse: 271; Marc Eich, Villingen-Schwenningen:
254-259; Archiv Michael Eich, Villingen-Schwenningen:
260-261; Dominik Köpfer, Furtwangen: 264-266; Jürgen
Müller, Villingen-Schwenningen: 267 li.; Oliver Heuft,
Villingen-Schwenningen: 267 re.; kurt genuss&keramik,
VS-Schwenningen: 275 li. ob., 275 mi., 275 u., 276 u.;
Barbara Dickmann, Triberg: 282, 299; näbbe duss,
Schönwald: 284; Klaus Stahl, Vöhrenbach: 288-289; Archiv
The Brillos: 291-293; Hans-Jürgen Kommert, Triberg: 294;
Archiv Bergradler, Gremmelsbach: 295-297; Stadtverwaltung
Mönchweiler: 301 u. li.; Stadtverwaltung Hüfingen: 301 u. r.;
Mitwirkende beim Baar-Trachtenshooting (S. 202-223)
Das Team am Set: Wilfried Dold, Fotografie + Realisation; Silvia Binninger, Realisation; Sylvia Gürtler, Realisation;
Ute Kuner, Visa; Margit Weißer und Monja Gereta, Assistenz
Als Fotomodelle fungierten: Clara Binninger S. 203, 219; Jessica Bisceglia 204, 205, 209, 218; Manuel Winter 209; Salome
Klausmann 206, Theresa & Anton Gräter 207, Nicole Martin 210, Kim Klausmann 212 (li.), 222; Hannah Bühler 212 (re.),
Elias Köhnen 213 ; Franziska Schmelzer 214, 221; Philipp Diemand 214, 223; Silvia Binninger 215; Patrik Weigert 216, Anna
Zech 217; Chantell Winter 220, Markus Schmelzer 221
Die Leihgeber der Trachten: Elisabeth & Werner Hauser, Tuningen; Brunhilde Hellstern, Hüfingen; Silke Gräter, Hüfingen;
Verena Hall, Hüfingen; Waltraud Albert, Hüfingen; Silvia Binninger, Donaueschingen; Klothilde Ritzmann, Brigachtal;
Franziska Fuhrer, Riedöschingen; Barbara Reith, Bad Dürrheim; Ingrit Rothmund, Villingen; Trachtengruppe der Narrenzunft
Frohsinn, Donaueschingen; Heimat- und Trachtenbund Bräunlingen; Schwenninger Heimatverein
304
Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2025
Drei weitere Freunde und Förderer des Almanachs
wünschen nicht namentlich genannt zu werden.
Weißer +
Grießhaber GmbH
VENTILATOREN
IM HERZLAND –
WO DIE HEIMAT IST
Die 21 jährige Landwirtschaftsmeisterin
Anna Klausmann mit einer Gras und
Blumengarbe vom „Ersten Schnitt“ geerntet
im Mai 2024 an einem Feldrand in Linach. Der
„Erste Schnitt“ ist der energiereichste des Jahres,
er liefert das Winterfutter für die Tiere. Für Anna
Klausmann ist es keine Frage: Der Schwarzwald ist
ihr „Herzland“, mittendrin steht die Heimat, der
Schwarzhansenhof in Linach, den sie in eine siche
re Zukunft führen will.