Almanach 2017

Schwarzwald-Baar Jahrbuch – Almanach 2017
Inhaltsverzeichnis
Zum Geleit
1. Kapitel – Aus dem Kreisgeschehen
2. Kapitel - Städte und Gemeinden
3. Kapitel - Da leben wir: Daheim im Schwarzwald und auf der Baar
4. Kapitel - Entlang einer unsichtbaren Linie - 48. Breitengrad
5. Kapitel - Wirtschaft
6. Kapitel - Geschichte
7. Kapitel - Auf den Spuren der Getreidemühlen
8. Kapitel - Kunstgeschichte
9. Kapitel - Natur und Umwelt
10. Kapitel - Freizeit
11. Kapitel - Sport
12. Kapitel - Gastlichkeit
13. Kapitel - Musik
14. Kapitel - Kunst und Kultur
Anhang

Rechte Seite: Beim Straßenmusiksonntag 2016 in Bräunlingen – Kleinkunst und Musik mitten in einer malerischen Altstadt. Hier vor der katholischen Stadtkirche. He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Informationen zum Jahrbuch und seine Inhalte können auch im Internet recherchiert werden: www.almanach-sbk.de Re dak ti on: Sven Hinterseh, Land rat Wil fried Dold, Re dak teur Kristina Diffring, Referentin des Landrats Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv Susanne Bucher, Leiterin Informations- und Kulturamt Stadt Hüfingen Clemens Joos, Kreis ar chi var Nadja Seibert, Leiterin Stadtmarketing St. Georgen Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: Wilfried Dold, dold.verlag Verlag: dold .ver lag, Vöh ren bach 2017 www.dold ver lag.de Druck: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-927677-92-0 2

Aus dem Kreisgeschehen Prägende Ereignisse: Von Breitband bis Lernfabrik Städte und Gemeinden Donaueschingen feiert Neugestaltung des Residenzbereiches 24 64 Das Jahr 2016 war für den Schwarzwald-Baar-Kreis ein sehr abwechslungsreiches und intensives Jahr. Selten gab es ein Jahr, in dem so viele unter- schiedliche Veranstaltungen durch geführt wurden. Vor allem in den Sommermonaten waren einige Highlights in unserem Veranstaltungskalender zu finden. Wir konnten Jubiläen feiern, neue Einrichtungen er- öffnen und die Bürgerinnen und Bürger über unsere vielseitigen Tätigkeits felder informieren. Dazu gehört auch die Breitband- versorgung, das schnelle Inter- net für den gesamten Landkreis. Mit der Eröffnung des kreis- weiten Glasfasernetzes für den Bereich Schonach im Juli 2016 wurde im Beisein von EU-Kom- missar Günther Oettinger und Minister Thomas Strobl der Startschuss für eine kreisweite Offensive gegeben. Mit dem großen Donauquell- Fest am 25. und 26. Juni 2016 hat Donau eschingen den Abschluss einer Baumaßnahme gefeiert, die landesweite Beachtung fand: Der Residenzbereich der Baar-Stadt rund um die histo- rische Donauquelle und den Kirchplatz St. Johann wurde in den vergangenen drei Jahren neu gestaltet. Die Sanierung ist rundum gelungen, das bestäti- gen Besucher aus aller Welt. 4 Inhalt

Inhaltsverzeichnis 2 8 Impressum Heimat gibt Sicherheit. Der Schwarzwald-Baar-Kreis – ein Ort der beides bietet! / Sven Hinterseh 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen 10 Von Breitband bis Lernfabrik – Zahlreiche Veranstaltungen, Jubiläen und Ereignisse prägen die Kreispolitik / Sven Hinterseh 24 Breitbandausbau: Die Welt – Eine Millisekunde entfernt / Katrin Merklinger Da leben wir Auf Besuch bei Kräuterbäuerin Veronika Ruf 30 25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft / Martin Fetscher 41 20-jährige Partner schaft mit dem Komitat Bács-Kiskun / Daniela Schneider Integrierte Leitstelle mit modernster Technik / Marc Eich 45 50 Fürsorge und Betreuung im Palliativzentrum / Roland Sprich 58 Hospizarbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis / Roland Sprich 2. Kapitel / Städte und Gemeinden 64 Donaueschingen feiert die Neugestaltung des Residenzbereiches / Heinz Bunse 3. Kapitel / Da leben wir – Daheim im Schwarzwald und auf der Baar Jochen Cabanis / Nils Fabisch 76 Veronika Ruf / Elke Schön 90 94 Tobias Fritzsche / Nathalie Göbel 100 Anja Teubert / Nathalie Göbel 106 Joachim Wöhrle / Dieter Wacker 112 Bianca Fattler / Christina Nack 120 Peter Lendle / Stephanie Jakober 4. Kapitel / 48. Breitengrad 126 Entlang einer unsichtbaren Linie / Bernward Janzing 5. Kapitel / Wirtschaft 148 Schwarzwaldhof in Blumberg: Schwarzwälder Schinken ist sein Aushängeprodukt / Bernhard Lutz 158 Bauunternehmung Hermann gefragter Partner bei Großprojekten / Matthias Winter 166 Wenn der Kuckuck ruft – Hubert Herr Kuckucksuhren aus Triberg / Barbara Dickmann 172 Wo „Aldi“-Waren im Discounter-Regal herkommen / Wolfgang Losert 6. Kapitel / Geschichte 180 Wenn Gräber Geschichte(n) erzählen / Daniela Schneider 198 Werner Breithaupt: Vom Dorf zur NASA / Dr. Joachim Sturm 5 76 Schmecke die Heimat... Kräuter aus dem Schwanen- bach: Der Tee von Veronika Ruf enthält ausschließlich wertvolle Blüten und Blätter, die reich an Aromen und Wirkstoffen sind. Liebevoll geerntet, getrocknet und verarbeitet bleiben sie als Ganzblattware erhalten. Die Kräuterbäuerin: „Den Un- terschied kann man sehen, riechen und schmecken.“ Inhalt

Schwerpunkt 48. Breitengrad Geschichte Schwerpunkt Getreidemühlen Entlang einer unsichtbaren Linie unterwegs Wenn Gräber Geschichte(n) erzählen Auf den Spuren der letzten Getreidemühlen 126 180 218 Er ist unsichtbar und dennoch da: In der Nähe des Steinbergs bei Furtwangen- Neukirch erreicht der 48. Breitengrad den Schwarz- wald-Baar-Kreis, geht nahe der Kalten Herberge vorbei, touchiert das Wintereck bei Urach, streift die Ruine Neufürstenberg in Hammer eisenbach und zieht durch Tannheim, ehe er hinter Öfingen den Landkreis wieder verlässt. Unsere Spurensuche er- folgt zu Fuß und auf dem Fahrrad. Orte der Erinnerung gibt es viele im Schwarzwald-Baar- Kreis. Zu den bemerkens- wertesten unter ihnen zählt ohne Zweifel der Alte Friedhof in Schwenningen. Hier, an diesem ruhigen Platz im Grü- nen, treffen Geschichte und Geschichten aufeinander. Auf dem Friedhof entdeckt man Spuren des alten Schwen- ningens, wird auch Uhrenge- schichte lebendig. 6 Früher gab es in jedem Bauern- dorf mindestens eine Mühle, denn das Getreide wurde noch mit Pferdefuhrwerken trans- portiert und darum durften die Entfernung nicht allzu groß sein. Auch der Schwarzwald- Baar-Kreis war mit Mühlen ge- säumt. Die meisten sind heute stillgelegt oder verschwunden, manche machten eine musea- le Karriere, so die Untere Mühle in Burgberg. Inhalt

Freizeit Die Kletterwelt des Schwarzwald- Baar-Kreises 202 Die Kaiserurkunde Ludwigs des Frommen / Clemens Regenbogen 210 Das Friedrichskrankenhaus in Villingen ist saniert / Andreas Flöß 7. Kapitel / Auf den Spuren der Getreidemühlen 218 Die Kutmühle in Villingen / Christina Nack 224 Die Götz-Mühle in Burgberg / Christina Nack 226 Die Untere Mühle in Königsfeld-Burgberg / Christina Nack 234 Die Mühllehen-Mühle in Buchenberg / Christina Nack 8. Kapitel / Kunstgeschichte 237 Wo Hüfinger Geschichte und Kunst lebendig bleiben / Hermann Sumser 240 Weggefährten / Ariane Faller-Budasz 9. Kapitel / Natur und Umwelt 246 Wolfssichtung auf der Baar / Wolf Hockenjos 254 Die Esche – Baumserie Teil 11 / Wolf Hockenjos 10. Kapitel / Freizeit Baar-Kreises / Martin Kramer 260 Illustre Reise in die Kletterwelt des Schwarzwald- 271 U(h)rwaldpfad Rohrhardsberg / Johannes von Stemm Vom Lupfen, dem „König der Baar“ / Wolf Hockenjos 274 11. Kapitel / Sport 280 Skiclub Urach / Ramona Larzhal 288 Reiterfamilie Krieg / Christina Nack 260 12. Kapitel / Gastlichkeit 294 Treffpunkt der Alltagsheld*innen / Nadja Seibert 298 Ein Stückchen von der „Grünen Insel“ / Franziska Furtwängler 302 Gasthaus Wilhelmshöhe / Claudius Eberl Klettern – geht das überhaupt im Schwarzwald-Baar-Kreis? Ja,natürlich! Und die Kletterer sind nicht nur an Felsen wie Heidenstein und Teufelsfel- sen bei Triberg unterwegs. Wann begann das Klettern an unseren Felsen? Und wie betreiben die Kletterer ihren Sport heute? Der Beitrag eines erfahrenen Kletterers beleuchtet die überaus leben- dige Szene von innen. Inhalt 13. Kapitel / Musik 307 „Jazzkeller“ in Villingen / Friedhelm Schulz 14. Kapitel / Kunst und Kultur 310 Die „Kronenlichtspiele“ in Triberg / Barbara Dickmann Anhang 315 Almanach-Magazin 317 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis, Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen, Orden und Ehrenzeichen 318 Bildnachweis 319 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 320 Ehrenliste der Freunde und Förderer 7

Heimat gibt Sicherheit Der Schwarzwald-Baar-Kreis – ein Ort der beides bietet! Liebe Leserinnen und Leser, üblicherweise verbindet man mit dem Begriff Heimat den engeren Lebensbereich, also die Gemeinde, in der man geboren und aufgewach- sen oder zu Hause ist, oder aber die Landschaft, in der man lebt – den Schwarzwald oder die Baar. Dass der Schwarzwald-Baar-Kreis nach der Kreisreform vor über 40 Jahren Heimat für viele wurde, ist vor allem ein Verdienst meiner bei- den Vorgänger Dr. Rainer Gutknecht und Karl Heim. Sie haben den Almanach geboren und ihn ständig weiterentwickelt. So können wir nun bereits seit über 40 Jahren unseren Landkreis im Schwarzwald-Baar-Jahrbuch in seiner vollen Schönheit, seiner reichen Geschichte und seiner vielfältigen Natur darstellen. Unser Schwarz- wald-Baar-Jahrbuch trägt somit seit über 40 Jahren mit dazu bei, ein Kreisbewusstsein zu schaffen und den Menschen eine emotionale Beziehung zum Schwarzwald-Baar-Kreis zu ermöglichen. Heimat gibt immer auch ein Stück Sicherheit. Ein hohes Gut, das in Zeiten fortschreitender Digitalisierung und einer sich immer schneller verändernden globalen Welt, mit ständig stei- genden und sich wechselnden Anforderungen, sei es im beruflichen, aber auch im privaten Bereich, noch weiter an Bedeutung gewinnt. Si- cherheit, die wir gut gebrauchen können in einer Welt, deren Konfliktpotenzial uns jeden Tag über die Medien verdeutlicht wird. Immer schneller werden Nachrichten über die verschiedenen Kanäle verbreitet – die Digitalisierung ist gegen- wärtig der wichtigste Trend; in den Medien, den Unternehmen und auch im Privatleben. Die Arbeitswelt steckt (mal wieder) im Umbruch. Traditionsunternehmen, wie es sie auch zahlreich im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt, besitzen gewachsene Strukturen und Orga- nisationseinheiten, mit denen sie bereits seit vielen Jahrzehnten bestehen. Für sie gilt es nun, bei den Herausforderungen der digitalisierten und vernetzten Industrie, Flexibilität, außer- gewöhnliche Ansätze und Innovationskraft zu zeigen. Hierbei wollen wir die ortsansässigen Unternehmen bestmöglich unterstützen, indem wir eine flächendeckende Breitbandversorgung schaffen und somit deren Wettbewerbsfähig- keit sichern. Digitalisierung ist die große Herausforderung unserer Zeit und birgt auch Risiken, sie bietet jedoch ebenso große Chancen. In diesen Zeiten des Umbruchs schenkt uns der überschaubare Bereich der engeren Heimat, in dem man die Menschen, die Gepflogenheiten, die wirtschaftlichen Gegebenheiten und die sozialen Normen kennt, eine gewisse Gebor- genheit und somit auch Sicherheit. Der Schwarzwald-Baar-Kreis bietet neben seinen vielen anderen Vorzügen eine sichere Heimat, – auch ein Standortvorteil, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Auch im 41. Jahr des Bestehens unseres Schwarzwald-Baar-Jahrbuchs darf ich wieder den vielen treuen und großzügigen Förderern und Sponsoren sowie den zahlreichen fleißigen Autoren und Fotografen danken, mit deren Hilfe es erneut gelungen ist, eine Publikation mit einem vielfältigen Themenspektrum zu einem fairen Preis herauszugeben. Ich würde mich freuen, wenn Ihnen auch die 41. Ausgabe eine anregende Lektüre bietet und der Almanach noch viele weitere lesefreudige Freunde findet. Ihr Sven Hinterseh Landrat 8 Zum Geleit

Von Breitband bis Lernfabrik Zahlreiche Veranstaltungen, Jubiläen und Ereignisse prägen die Kreispolitik von Landrat Sven Hinterseh Christian Wörpel, Bürgermeister Schönwald Bernhard Kaiser, Bürgermeister Donaueschingen Jürgen Roth, stv. Zweckver- bandsvorsitzender und Bürgermeister Tuningen Bernd Bichl, Stadt Villingen- Schwenningen Felix Stiegeler, Netz- betreiber Rolf Breisacher, Bürgermeister Gütenbach Jochen Cabanis, Zweckverbands- geschäftsführer Robert Strumberger, Bürgermeister Vöhrenbach Martina Braun, Landtags- abgeordnete (Grüne) Karl Rombach, Landtags- abgeordneter (CDU) Thomas Strobl, stv. Minister- präsident und Minister für Inneres 2016 war für den Schwarzwald-Baar-Kreis ein sehr abwechslungsreiches und intensives Jahr. Vor allem in den Sommermonaten prägten gleich einige Highlights unseren Veranstaltungskalender: Wir konnten Jubiläen feiern, neue Einrichtun- gen eröffnen und über unsere vielseitigen Tätigkeits felder informieren. Sicher mit herausragend: In Schonach wurde im Beisein von EU-Kommissar Günther Oettinger und Minister Thomas Strobl der zentrale Technikstandort (PoP) und das örtliche Glasfasernetz im Rahmen der Breitband-Offensive des Landkreises in Betrieb genommen. 10 10 1. Kapitel – Aus dem Kreisgeschehen

Josef Herdner, Bürgermeister Furtwangen Thorsten Frei, Bundestags- abgeordneter (CDU) Jörg Frey, Bürgermeister Schonach Markus Keller, Bürgermeister Blumberg Andreas Braun, Bürgermeister Unterkirnach Karl Heim, Landrat a. D. Fritz Link, Bürgermeister Königsfeld Rudolf Fluck, Bürgermeister Mönchweiler Alexander Knobel, Firma Stiegeler Günther Oettinger, EU-Kommissar für die Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Sven Hinterseh, Landrat und Zweckverbands- vorsitzender Inbetriebnahme des kreisweiten Glasfasernetzes für den Bereich Schonach, v. links: Stellvertretender Zweckverbandsvorsitzender Jürgen Roth, Minister Thomas Strobl, MdL Karl Rombach, Bürgermeister Jörg Frey, MdL Martina Braun, Zweckverbandsgeschäftsführer Jochen Cabanis, Landrat und Zweckverbandsvor- sitzender Sven Hinterseh, EU-Kommissar Günther Oettinger, Netzbetreiber Felix Stiegeler und MdB Thorsten Frei. 11 XXX

Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Partnerschaft mit dem Komitat Bács-Kiskun reiste eine Delegati- on des Kreistages unter Leitung von Landrat Sven Hinterseh im Juni nach Ungarn. Das Foto entstand bei der feier lichen Übergabe eines Kunstwerkes mit Motiven aus dem Landkreis. 20 Jahre Partnerschaft mit dem Komitat Bács-Kiskun Die Partnerschaft zwischen dem ungarischen Komitat Bács-Kiskun und dem Schwarzwald- Baar-Kreis feierte im Juni ihr 20-jähriges Jubi- läum. Eine Delegation des Kreistages reiste aus diesem Anlass nach Ungarn. Bei der viertägigen Reise besuchte die Reisegruppe in Budapest das Parlament und konnte sich mit dem Par- lamentsabgeordneten und dem ehemaligen Komitats präsidenten Gabor Banyai austau- schen. In Kecskemét besuchten kleine Delega- tionen parallel die Hochschule Kecskemét sowie die Feuerwehr. Der offizielle Festakt anlässlich der 20-jähri- gen Partnerschaft fand im Schloss Hajós statt. Genau 20 Jahre und neun Tage waren seither vergangen, als am 24. Mai 1996 der ehemalige Komitatspräsident, Dr. László Balogh gemein- sam mit Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht und Landrat a. D. Karl Heim im großen Sitzungssaal des Landratsamtes Schwarzwald-Baar-Kreis die Partnerschaftsurkunde feierlich unterzeichnet und somit die Freundschaft formell geschlossen haben. Ziel der partnerschaftlichen Beziehung zwischen dem Schwarzwald-Baar-Kreis und dem Komitat Bács-Kiskun ist es, „durch Vertie- fung der Kontakte zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sowie durch das tiefere gegen- seitige Kennenlernen der beiden Kulturen und die Schaffung eines weitverzweigten Kontakt- systems zum Ausbau eines einheitlichen, offe- nen und solidarischen Europas beizutragen.“ Aufgrund der zahlreichen gemeinsamen Ak- tivitäten ist dies bisher bestens erfüllt worden und in Zukunft werden wir auch genauso weiter verfahren und die Zusammenarbeit möglichst Eine Skulptur aus Ulmenholz von Zeljko Rusic aus Königsfeld überreichte der Landkreis dem Komitat Bács- Kiskun aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Partnerschaft. 12 Aus dem Kreisgeschehen

Starke Beachtung fand der Tag der offenen Tür bei der neuen Straßenmeisterei in Hüfingen. Hunderte von Besuchern informierten sich über den Neubau und die technischen Möglichkeiten bei Straßenbau und Straßen- unterhaltung. noch mehr intensivieren. So ist seit Kurzem ein Kontakt zwischen der Behindertenschule in Baja und dem Schwarzwald-Baar-Kreis entstanden. Auch die partnerschaftliche Zusammenarbeit im Brand- und Katastrophenschutz und der Feu- erwehren hat sich noch verstärkt. Tag der offenen Tür bei der neuen Straßenmeisterei in Hüfingen Anfang Juni wurde unsere neue Straßenmeis- terei in Hüfingen offiziell eingeweiht. Dabei hatten die Bürgerinnen und Bürger bei einem Tag der offenen Tür die Gelegenheit, den Neu- bau, Fahrzeuge und Geräte zu besichtigen, oder sich über den Straßenbau und die Straßenun- terhaltung zu informieren. Die neue Straßen- meisterei wurde bereits 2015 fertiggestellt und durch die Mitarbeiter nach 18-monatiger Bau- zeit im September 2015 bezogen. Der neue Standort der Straßenmeisterei am Verkehrsknoten B 31/B 27 ist für die Einsätze ideal gelegen und bietet in einem kompakten Gebäude für Straßenmeister Achim Hall mit seinen 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ideale Arbeitsbedingungen. Arbeits- und So- Von Breitband bis Lernfabrik zialräume, Werkstatt, Fahrzeughalle und ein Tierseuchenbekämpfungszentrum sind unter einem Dach vereint. Der selbstbewusst gestaltete Gebäudekom- plex mit einer Abmessung von 62,5 auf 54 Meter wurde vom Ingenieurbüro IBS Schweizer aus Blumberg geplant und hat rund 5,2 Millionen Euro gekostet. Die Investition war ein richtiger Schritt, denn bisher war die Straßenmeisterei zur Miete in desolaten Landesgebäuden in Donaueschingen innerhalb eines Wohngebiets untergebracht. Mit dem modernisierten Bun- desgehöft in Villingen, dem neuen Stützpunkt auf dem Neueck bei Furtwangen und der neuen Straßenmeisterei in Hüfingen ist die Straßen- bauverwaltung jetzt bestens aufgestellt. Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht feiert seinen 85. Geburtstag Am 1. Juni feierte der erste Landrat des 1973 ge- gründeten Schwarzwald-Baar-Kreises, Dr. Rainer Gutknecht, seinen 85. Geburtstag. Aus diesem Anlass lud der Schwarzwald-Baar-Kreis zu einem Empfang in das Landratsamt ein. Dr. Gutknecht wurde in diesem Rahmen die Verdienstmedaille

Oben: Geburtstags-Talk-Runde aus Anlass der Feierstunde im Großen Sitzungssaal des Landrats amtes, v. links: Erster Landesbeamter Jo- achim Gwinner, Alt-Kreisrat Rüdiger Schell (SPD), Moderator xxx xxxxx, Landrat a.D. Dr. Rainer Gut- knecht und xxxxx xxxxxx. Rechts: Ein reich bebildertes Fotoalbum zu Stationen seiner Amtszeit überreichte der Schwarzwwald-Baar-Kreis dem Jubilar, v. links: Landrat Sven Hinterseh, Landrat a.D. Karl Heim, Landrat a.D. Dr. Rainer Gutknecht und Erster Lan- desbeamter Joachim Gwinner. Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht erhält von Landrat Sven Hinterseh die Goldene Verdienstmedaille des Schwarzwald- Baar-Kreises verliehen. des Schwarzwald-Baar-Kreises in Gold für sein herausragendes Engagement für den Landkreis verliehen. Rund 90 geladene Gäste, darunter langjährige Wegbegleiter sowie Bürgermeister und Kreisräte, nutzten die Gelegenheit und gra- tulierten ihm persönlich. Der Bau des heutigen Landratsamtes in VS-Villingen, Am Hoptbühl 2, wurde durch Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht verwirklicht. Zudem hatte er einige Herausforderungen zu bewältigen, wie beispielsweise die Zusammen- führung der Landratsämter Donaueschingen und Villingen zu einer Einheit. Der Schulbereich hatte für Landrat Dr. Rainer Gutknecht stets oberste Priorität. Viele der heute bestehenden Kreisschulen entstanden in den 1970er- und 1980er-Jahren unter seiner Führung. Die Partnerschaft mit dem ungarischen Komitat Bács-Kiskun, die sich aus einem Schü- leraustausch zwischen der Landesberufsschule und einer vergleichbaren Schule in Kecskemét in Ungarn entwickelte, wurde durch Dr. Rainer Gutknecht und dessen Nachfolger Landrat Karl Heim besiegelt. Zahlreiche Pionierleistungen Das Kreiskrankenhaus Donaueschingen ent wickelte sich unter Landrat Dr. Rainer 14 Aus dem Kreisgeschehen

Oben: Bei einer Gesprächsrunde mit Dr. Rainer Gut- knecht und langjährigen Weggefährten erfuhren die Gäste so manche Anekdote aus der Amtszeit des ehemaligen Landrats. Von links: Erster Landesbeamter Joachim Gwinner, Dr. Rüdiger Schell, Moderator Pro- fessor Dr. Ralf Trautwein, Dr. Rainer Gutknecht und Professor Eberhard Trumpp. Rechts: Ein Fotoalbum zu Stationen seiner Amtszeit überreichte der Schwarzwald-Baar-Kreis. V. links: Landrat Sven Hinterseh, Landrat a. D. Karl Heim, Land- rat i. R. Dr. Rainer Gutknecht und Erster Landesbeamter Joachim Gwinner. Gutknecht zu einer anerkannten Einrichtung. Zu dem baute er eine moderne Abfallwirtschaft auf, die am 1. Juli ebenfalls mit dem 25. Jubiläum des Amtes für Abfallwirtschaft gefeiert werden konnte. Die Abfallentsorgung ging in die Regie des Landkreises über, ein Abfallwirtschaftsamt wurde geschaffen und die beiden Deponien in Hüfingen (1975) und Tuningen (1978) eröffnet. Im Sozialbereich lag Dr. Rainer Gutknecht insbe- sondere die Familien- und Jugendfürsorge am Herzen. Während der 23 Jahre als Landrat leiste- te er unter anderem Pionierarbeit, indem er die heutige Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche einrichtete. 1991 wurde das neue Landratsamtsgebäude „Am Hoptbühl 2“ am 8. November eröffnet, zwölf lange Jahre, nachdem die Grundsatzent- scheidung gefallen war. Auch nach 25 Jahren hat das Gebäude nichts von seiner Offenheit, Wärme und Strahlkraft verloren, ganz im Ge- genteil: Es ist nach wie vor zeitlos und modern. Wer sich für die Architektur des Landratsamtes interessiert, kann im Almanach 1993 mehr er- fahren (abrufbar unter www.almanach-sbk.de). Gutknechts ganz großes Verdienst ist aber das „Zusammenschweißen“ der früher selbst- ständigen Kreise Villingen und Donaueschingen zu einer eigenständigen, neuen Einheit – dem Schwarzwald-Baar-Kreis. Ein augenscheinliches Merkmal für das Ringen um ein neues Kreisbe- wusstsein ist die Etablierung des Jahrbuches „Almanach“. Dr. Rainer Gutknecht rief im Jahr 1976 den Kreisalmanach ins Leben, der 1977 erstmals erschien und den wir mit dem Jahres- band 2017 nunmehr in der 41. Ausgabe vorlegen können. Von Breitband bis Lernfabrik 15

Früh übt sich – beim Blaulichttag am 12. Juni beim Landratsamt demonstriert auch der Nachwuchs sein Können. Zweiter Blaulichttag voller Erfolg Im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es eine große Bandbreite ehrenamtlichen Engagements. In vielen Vereinen und Organisationen sind Ehren- amtliche tätig und tragen mit ihrer Arbeit mit dazu bei, dass unser Gemeinwesen gut funktio- niert. Ehrenamtlich Tätige bilden eine wichtige Säule unserer Gesellschaft. Beim zweiten Blau- lichttag in und um das Landratsamt war wieder zu sehen, was die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die in den unterschiedlichen Blau- lichtorganisationen im Schwarzwald-Baar-Kreis tätig sind, das ganze Jahr über leisten. Acht Hilfsorganisationen präsentierten sich am 12. Juni beim Landratsamt in VS-Villingen. Das Motto lautete dieses Mal „Und Morgen mit Dir“ und stellte damit die Nachwuchsarbeit der Hilfsorganisationen in den Mittelpunkt. Am Blaulichttag beteiligten sich das Technische Hilfswerk, die Bergwacht, die Feuerwehren im Schwarzwald-Baar-Kreis, die DLRG, die Malte- ser, das Deutsche Rote Kreuz, die Bundeswehr sowie die Polizei. Insgesamt waren an diesem Tag zirka 150 Personen im Einsatz und konnten mehreren tausend Besuchern ihre Arbeit vor- stellen. Uns war es wichtig, die Wertschätzung gegenüber unseren Hilfsorganisationen zu vermitteln, die zu einem Großteil durch das Eh- renamt getragen werden. Bereits im Nachgang zum erstmals 2013 durchgeführten Blaulichttag war deutlich geworden, dass es den Blaulicht- organisationen ein Anliegen war, ein Schau- fenster für die Präsentation ihrer Tätigkeiten zu erhalten. Der Glasfaser-Landkreis nimmt den Betrieb auf Am 9. Juli ist mit Schonach die erste Gemeinde im Schwarzwald-Baar-Kreis an das interkom- munale Glasfasernetz des Zweckverbands Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar an- geschlossen worden. Für dieses große Ereignis ließen es sich EU-Kommissar Günther Oettinger und Baden-Württembergs stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl nicht nehmen, zu uns in den Schwarz- wald-Baar-Kreis zu kommen. Beide hoben bei der Feierstunde in Schonach im Haus des Gastes hervor, welch herausragende Bedeutung das Glasfasernetz hat. Die neue digitale Infrastruktur ist eine wichtige Lebensader – die Inbetriebnahme des Glasfasernetzes ein großer Meilenstein für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Sowohl für die Bürge- rinnen und Bürger als auch für die Wirtschaft der Region. Sie ist durchaus vergleichbar mit 16 Aus dem Kreisgeschehen

Alt-Kreisrat Lukas Duffner bei der Inbetriebnahme des Glasfasernetzes in Schonach im Gespräch mit EU-Kommissar Günther Oettinger. Tag der offenen Tür beim Gesundheitsamt sowie der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (BEKJ). der Inbetriebnahme der Schwarzwaldbahn im 19. Jahrhundert oder der Autobahn A 81 in den 1970er-Jahren. Das Vorhalten dieser wichti- gen Infrastruktur wird letztlich auch über die Zukunftsfähigkeit unseres Wohn- und Arbeits- standortes hier im Schwarzwald-Baar-Kreis mit- entscheiden (siehe dazu auch S. 24). Gesundheitsamt in neuen Räumen Seit diesem Frühjahr sind das Gesundheitsamt sowie die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (BEKJ) und der Frühförderverbund (IFF) in neuen Räumen untergebracht. In dem neu sanierten ehemaligen Krankenhaus der Stadt Villingen in der Herdstraße 4 in VS-Villin- gen finden die Ämter beste Arbeitsbedingungen vor (siehe dazu S. 210). Bei einem Tag der offe- nen Tür konnten sich Besucherinnen und Besu- cher am 10. Juli einen Eindruck von den neuen Räumen verschaffen. Zudem feierte die BEKJ ihr 40-jähriges Jubi- läum. Die BEKJ ist im Schwarzwald-Baar-Kreis eine feste Institution. 1976 wurde sie nach einem Kreistagsbeschluss und durch das vor- angegangene große Engagement von Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht in VS-Villingen offiziell in Betrieb genommen. Der Diplom-Psychologe Roland Stieber, Leiter der Einrichtung bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2007, startete mit zunächst drei weiteren Fachkräften und einer Verwaltungsfachkraft in der Herdstraße 7 in VS-Villingen. 1978 bereits wurden aufgrund der großen Nachfrage im gesamten Landkreis die beiden Außenstellen in Donaueschingen und Furtwan- gen eingerichtet mit jeweils zwei Fachkräften und einer Verwaltungskraft. Diese existieren in den gleichen Räumlichkeiten mit unverän- dertem Personalschlüssel auch heute noch und sind gut vernetzt aus dem Sozialraum nicht mehr wegzudenken. 2008 übernahm der langjährige Mitarbeiter der BEKJ, Diplom- Psychologe Friedhelm Chudziak die Leitung der Beratungsstelle. Er ging 2013 in den Ruhestand. Seit 2014 ist Diplom-Psychologin Gertrud Moser die neue Leiterin der BEKJ. Die Gesamteinrichtung betreut jährlich weit mehr als 1.000 Familien aus dem gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis. Zusammen mit den Beratungsangeboten der freien und kirchlichen Träger, mit denen eine enge Kooperation be- steht, gibt es eine breit gefächerte Wahlfreiheit für alle Familien, die im Landkreis Beratung suchen. Von Breitband bis Lernfabrik 17

40 Jahre Christy-Brown-Schule Die Christy-Brown-Schule feierte am 14. Juli an einem besonderen Ort – in einem Zirkuszelt – ihren 40. Geburtstag. Das Lehrerteam um Schul- leiterin Marianne Winkler organisierte eine Jubiläumsfeier, die vor allem die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellte. Wie kleine Kinder einmal groß werden, so hat auch die Christy-Brown-Schule einmal klein angefangen. 1976 begann mit 17 Schülerinnen und Schülern der Unterricht in den Räumen der kreiseigenen Berufsschule in der Bahnhof- straße 27 in St. Georgen. Die Einrichtung wurde durch den Einsatz von Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht möglich, der durch die Gründung einer Schule für Körperbehinderte das Son- derschulangebot im Schwarzwald-Baar-Kreis vervollständigen wollte. Später beschlossen der Landkreis Rottweil und der Schwarzwald-Baar- Kreis, dass es an der Zeit sei, einen Neubau zu errichten, der schließlich im September 1985 offiziell eingeweiht werden konnte. Beim Erweiterungsbau, der im März 1993 eingeweiht wurde, war der Landkreis Tuttlingen mit im Boot. Ab 1993 gehörten das Therapiebad und die Turnhalle zum Standard. Und weil es immer noch mehr Schüler wurden, gab es vier Jahre später, im Oktober 1997, eine weitere Fei- er, bei der acht Klassenzimmer und weitere The- rapie- und Differenzierungsräume eingeweiht wurden. Beachtlich war bei der Jubiläumsfeier, was die Christy-Brown-Schüler im Rahmen des Schul festes mit ihrer Zirkusvorstellung zeigen konnten. Eine Woche lang bereiteten sie sich mit Artistik, Akrobatik, Clownerie und Zauberei auf ihren großen Auftritt in der Manege vor und begeisterten das Publikum (weitere Infos zur Christy-Brown-Schule gibt es im Almanach 2012 oder unter www.almanach-sbk.de). Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ein wichtiges Zukunftsthema Es sind aber nicht nur die zahlreichen Veran- staltungen, die das Jahr 2016 prägten. Vor allem Die Glückwünsche des Schulträgers zum 40-jährigen Jubiläum der Christy-Brown-Schule überbrachte Landrat Sven Hinterseh. Schulleiterin Marianne Winkler freute sich über einen Blumengruß. Lehrer und Schüler überraschten die Jubiläumsgäste mit einem bunt gemixten, großartigen Zirkusprogramm. Das Zelt dazu hatten die Eltern, Lehrer und Schüler gemeinsam aufgebaut. beschäftigten wir uns auch mit wichtigen Zu- kunftsthemen wie beispielweise der Verbes- serung unserer Verkehrsinfrastruktur. Bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans galt es unbedingt die Maßnahmen des Lücken- schlusses der B 523/B 33 zwischen VS-Villingen und Mönchweiler sowie die Ortsumfahrungen B 27 Blumberg-Zollhaus und Blumberg-Randen in den sogenannten vordringlichen Bedarf zu bringen, um eine Realisierungschance in den nächsten Jahren zu erhalten. Neben der bereits in Bau befindlichen Orts- umfahrung Behla und des vierstreifigen Aus- baus der B 27 zwischen Donaueschingen-Mitte und Hüfingen-Wasserturm sind der Lücken- schluss der B 523/B 33 zwischen Mönchweiler und dem Industriegebiet Herdenen sowie die beiden Ortsumfahrungen Blumberg-Zollhaus und Blumberg-Randen wichtige Straßenbaupro- jekte, die zeitnah umgesetzt werden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Landkreis erhalten zu können. Weiter setzten wir uns für die Aufnahme des Ausbaus der Gäubahn in den Bundesverkehrswegeplan ein, um in der längerfristigen Perspektive dann endlich bessere Schienenverbindungen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis nach Stuttgart zu erhalten. 18 Aus dem Kreisgeschehen

Der erste Spatenstich zum Ausbau der Bundesstra- ße 27 und der Umfahrung des Hüfinger Ortsteils Behla erfolgte am 14. Juni 2016. An den Schaufeln MdL Martina Braun (von links), Landrat Sven Hinter- seh, MdB Thorsten Frei, Parlamentarischer Staats- sekretär Norbert Barthle, Verkehrsminister Winfried Hermann, Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer, der ehemalige Bürgermeister Hüfingens Anton Knapp, MdL Lars Patrick Berg und Behlas Ortsvorsteher Uwe Schnekenburger. Die Elektrifizierung der östlichen Höllental- bahn zwischen Neustadt und Donaueschingen sowie den avisierten Fahrplanwechsel mit dann elektrischen Zügen und umsteigefreien stündli- chen Verbindungen zwischen VS-Villingen und Freiburg ab Dezember 2019 verfolgen wir eben- falls mit Hochdruck. Flüchtlinge integrieren – Info-Comic zu „Ankommen in Deutschland“ Auch die Integration der Flüchtlinge beschäftigt das Landratsamt weiterhin. Die Aufgabenstel- lungen äußern sich heute jedoch in anderer Form als noch vor wenigen Monaten. Während wir in den vergangenen Monaten stets mit der Herausforderung der Unterbringung von Flücht- lingen zu tun hatten, sind wir nun einen Schritt weiter und befassen uns mit der Frage, wie wir die flüchtenden Menschen, die aus anderen Kulturkreisen stammen bei uns integrieren können. Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat hierzu verschiedene Ansätze, um darauf eine Antwort geben zu können. Beispielsweise wurde ein Integrationsbeauftragter eingestellt, dessen Aufgabe es unter anderem ist, vor allem die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer zu koordinieren sowie Informationen, Helfer und Anlaufstellen sinnvoll miteinander zu vernetzen. Zudem hat das Landratsamt Schwarzwald- Baar-Kreis gemeinsam mit dem Berliner Gra- fikerpaar Heike Reinsch und Titus Ackermann einen Info-Comic mit dem Titel „Ankommen in Deutschland – Informationen für Flüchtlinge“ erstellt. Die Broschüre wird für Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften bereitgehalten und findet bei anderen Landkreisen und Regie- rungspräsidien regen Anklang. Mit dem Info- Comic beschreitet der Schwarzwald-Baar-Kreis einen neuen Weg, um mit neu ankommenden Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen, welche Werte und Regeln in Deutschland wichtig sind. Die Publikation wurde in Zusammenarbeit mit den Sozialbetreuern, die täglich in Kontakt mit Flüchtlingen sind, den Heimleitern und der Verwaltung gemeinsam mit dem Illustrator Titus Ackermann und der Gestalterin Heike Reinsch erarbeitet. Dabei gab es insgesamt drei Feedbackschlaufen mit insgesamt rund 20 Aus dem Kreisgeschehen

30 Flüchtlingen aus den Gemeinschaftsunter- künften im Schwarzwald-Baar-Kreis, denen die Publikation zur Prüfung vorgelegt wurde. Unter ihnen waren Iraker, Syrer, Pakistaner, Eritreer und Palästinenser. Weitere Rückmeldungen konnte Titus Ackermann von seinen Zeichner- kollegen aus dem Libanon, Ägypten und Algerien einholen, die er bei mehreren Reisen in diese Län- der persönlich kennengelernt hatte. Durch die gemeinsame Arbeit an dem Comic ist ein Mehrwehrt für alle entstanden, denn auf 39 Seiten wurden die wichtigsten Themen, in leicht verständlicher Bildsprache konzentriert. Erreicht werden sollen damit alle Flüchtlinge, insbesondere aber diejenigen, die nicht die gängigen Sprachen lesen können oder sogar Analphabeten sind. Die Texte sind sowohl auf Deutsch, Englisch, Farsi (Persisch) und Arabisch zu lesen. EU-Förderprogramm Interreg bringt Demografiestrategie voran 2013 hat der Kreistag nach einem über einein- halbjährigen Prozess die Demografiestrategie für den Schwarzwald-Baar-Kreis mit zahlreichen Maßnahmen beschlossen. Damit reagierte der Landkreis auf die demografische Entwicklung, auf die älter werdende Gesellschaft und rück- läufigen Einwohnerzahlen. Eine gute Grundlage, um die Demografie- strategie weiter voranzubringen, besteht nun aktuell in der Beteiligung des Schwarzwald- Baar-Kreises an der Initiative Demografienetz- werk im Rahmen des EU-Förderprogramms Interreg. Ziel der Initiative ist es, im Austausch untereinander und grenzüberschreitend den demografischen Wandel aktiv zu gestalten. Daran sind neben dem Landkreis die Gemein- den Königsfeld und Tuningen, die Stadt Singen und der Kanton Schaffhausen, mit dem der Schwarzwald-Baar-Kreis, insbesondere im Bil- dungsbereich, eine langjährige Freundschaft pflegt, beteiligt. Interreg ist ein Regionalprogramm der Europäischen Union (EU) zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Mit dem Projekt „Demografie-Netzwerk“ sollen im Rahmen von Interreg V geeignete Gemeinden und Landkreise vernetzt werden. Das Ziel ist, in die Lage versetzt zu werden, um im Austausch untereinander und grenzüberschreitend die kommenden Realitäten aktiv zu gestalten. Auf 39 Seiten hat das Landratsamt gemeinsam mit den Berliner Grafikern Heike Reinsch und Titus Ackermann als Comic dargestellt, was Flüchtlinge über Werte und Regeln in Deutschland unbedingt wissen sollten. Über diese Initia- tive berichtete auch ein Fernsehteam. Von Breitband bis Lernfabrik 21

Landrat Sven Hinterseh und Regierungsrat Christian Amsler mit Vertretern der Kreistagsfraktionen und des Kantons Schaffhausen sowie den Kindern im Go tec! Labor in Schaffhausen. Entsprechende Vorhaben von teilnehmenden Partnern sollen, gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern und angepassten Strategiepro- zessen, initiiert und umgesetzt werden. Das Projekt ermöglicht es, von den Besten zu lernen, Erfahrungen auszutauschen, zu diskutieren und gewonnene Erkenntnisse auch für andere nutz- bar zu machen. Mit Unterstützung des Beratungsbüros translake, das auch bereits bei der Erarbeitung der Demografiestrategie des Landkreises für uns tätig war, wurde ein Antrag gestellt und für die Laufzeit von Februar 2015 bis Dezember 2018 bewilligt. Schwerpunkt des Vorhabens ist, dass sich die Partner zu konkreten Umsetzungen austauschen, wobei die Verwirklichungen vor Ort – was als „Reallabore“ bezeichnet wird - mit dem Ziel einer langfristigen Wirkung im Mittel- punkt stehen sollen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis beteiligt sich nicht nur mit seinem Wissen aus der Erarbei- tung der Demografiestrategie und deren Wei- terentwicklung, sondern mit vier Reallaboren bzw. Einzelprojekten. Dies sind zum einen die Erstellung einer Strukturstudie zur Land- und Forstwirtschaft, die Erstellung einer Tourismus- konzeption, die Weiterentwicklung unserer Wissenswerkstatt sowie Seminare für Ortsvor- steher und Bürgermeister zum demografischen Wandel und seiner Herausforderung. Freundschaftspflege mit dem Kanton Schaffhausen Einen Austausch, wie ihn die Interreg Initiati- ve „Demografie-Netzwerk“ vorsieht, hat der Schwarzwald-Baar-Kreis in diesem Jahr mit dem Besuch einer Delegation des Schwarz- wald-Baar-Kreises im Kanton Schaffhausen im Rahmen des traditionellen Freundschaftstref- fens geführt. Empfangen wurde die Abordnung, bestehend aus Vertretern aller Kreistagsfrak- tionen, des Staatlichen Schulamtes Donaue- schingen sowie des Landratsamtes von Regie- rungsrat Christian Amsler, Vorsteher des Erzie- hungsdepartements des Kantons Schaffhausen. Vonseiten des Kantons Schaffhausen nahmen Dienststellenleitende und Rektoren des Er- ziehungsdepartements sowie die Leiterin der Koordinationsstelle für Außenbeziehungen teil. Die Freundschaftstreffen zwischen den beiden Nachbarn finden jedes Jahr – abwechslungswei- se in der Schweiz und in Deutschland – statt. Sehr von Interesse war für unsere Dele- gation aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis die Besichtigung des „Go tec! Labors“ in Neuhausen am Rheinfall, welches von der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung Schaffhausen (IVS) mit der Intention betrieben wird, dem Fachkräfte- mangel im technischen Bereich entgegenzuwir- ken. Seit 2013 gibt es das Go tec! Labor, mit dem 22 Aus dem Kreisgeschehen

Ziel, bei Kindern und Jugendlichen vermehrt das Interesse an Technik zu wecken und ihnen und ihren Eltern die Vielfalt an Berufseinstiegsmög- lichkeiten aufzuzeigen. Investition in hochmoderne Lernfabrik An der Gewerbeschule in Villingen-Schwennin- gen können Schüler jetzt die Verbindung von Produktions- und Informationstechnologien ganz praktisch erlernen. Als einzige Schule ohne Schulverbund in Baden-Württemberg erhielt die Gewerbeschule Villingen-Schwenningen für die Einrichtung einer Lernfabrik 4.0 am Standort VS-Schwenningen den maximalen Förderbetrag in Höhe von 500 .000 Euro durch das Land Baden-Württemberg. Der Einsatz der Gewerbeschule Villingen-Schwenningen und des Landratsamtes sowie die Unterstützung der regionalen Wirtschaft haben sich gelohnt. Insgesamt wurden im Jahr 2016 über 1,1 Millionen Euro in die Gewerbeschule investiert, um die Schule fit für das Thema Industrie 4.0 zu machen. Zu den 500. 000 Euro vom Land kamen weitere 525 .000 Euro aus unserem Kreishaus- halt und 100. 000 Euro aus der regionalen Wirt- schaft. Die Lernfabrik an der Gewerbeschule ist für die Ausbildung und Lehre in Elektrotechnik, Mechatronik sowie Automatisierungstechnik eingerichtet. Es wurden Elektrolabore aufge- baut und Schulungsräume geschaffen, um dadurch modellhafte Projekte auch gemeinsam mit der regionalen Wirtschaft umsetzen zu können. Ein wichtiges Projekt, um auch in der Schullandschaft konkurrenzfähig zu bleiben und so potenzielle Fachkräfte in der Region zu halten. Auch wenn es nicht möglich war, mit der Staatlichen Feintechnikschule in VS-Schwen- ningen eine zweite Schule in dieses Förderpro- gramm zu bekommen, so haben die Schule und der Landkreis doch mit der Wirtschaft die Vor- aussetzungen dafür geschaffen, um eine Lern- fabrik Industrie 4.0 einzurichten. Damit trägt der Schwarzwald-Baar-Kreis als zuständiger Schulträger Verantwortung, um Schüler innen und Schülern die Voraussetzungen zu schaf- fen, mit dieser Technologie zu arbeiten und ausgebildet zu werden. Wesentlich haben zum Gelingen der Einrichtung der Lernfabrik die gute Zusammenarbeit und Kooperation mit der Wirt- schaft sowie das große Engagement der Schul- leitung und Fachlehrer beigetragen. Am 24. Juli wurde an der Staatlichen Feintechnikschu- le in VS-Schwenningen der Entwicklungsstand der neuen „Lernfabrik Industrie 4.0“ vorgestellt. Zu den vielen interessierten Besuchern gehörte auch Landrat Sven Hinterseh. Projektleitern Frank Storz (2. v. r.), Jürgen Kubas (5. v. r) und Schulleiter Thomas Ettwein (4. v. r.) informierten über die ersten Industrie-Kom- ponenten. 23

Die Welt – Eine Millisekunde entfernt Der Schwarzwald-Baar-Kreis und das Projekt dieses Jahrzehntes: der Breitbandausbau von Katrin Merklinger Die Welt des Internets ist nur einen Mausklick entfernt – so scheint es jedenfalls. Wenn es aber nach diesem Mausklick bis zu einer Minute dauert, bis sich überhaupt die Seite einer gro- ßen Internet-Suchmaschine öffnet, dann rückt diese Welt doch wieder in unerreichbare Ferne. Was für die privaten Nutzer ein unangenehmes Übel darstellt, ist für Industrie- und Gewerbe- betriebe sowie Berufstätige, die von zu Hause arbeiten, eine existenzielle Bedrohung – auch hier im Schwarzwald-Baar-Kreis. 24 Aus dem Kreisgeschehen

Der Zweckverband Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar setzt sich zusammen aus den 20 Gemeinden des Landkreises und dem Landkreis selbst. Zweckverbandsvorsitzender ist Landrat Sven Hinterseh. Für ihn ist der Breitbandausbau die entscheidende Investition in die Zukunft des Landkreises, „Ich bin fest davon überzeugt, dass bereits in wenigen Jahren diese Infrastruktur zur Grundversorgung unseres Lebens und Wirtschaftens gehören wird. Könnte man diese nicht vorweisen, wäre die Weiterentwicklung nicht mehr möglich und wir würden den Anschluss verlieren“, unterstreicht der Landrat. Nachdem in den vergangenen Jahren viel Einsatz in die Planung, Finanzierung und den Bau des Glasfasernetzes investiert wurde, kann man im Jahr 2016 endlich die ersten Ergebnisse der ganzen Arbeit präsentieren: Im Juli feierte Scho- nach im Beisein von EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Günther Oettinger und Innenminister und stellvertretender Minis- terpräsident Thomas Strobl die erste Inbetrieb- nahme des Glasfasernetzes. Günther Oettinger unterstrich: „Sie schauen weise voraus und stiften Zukunft in einem wundervollen Landkreis“. Und Innenminister Thomas Strobl fasste die neue In- frastruktur treffend zusammen, als er ausführ- te, „Schonach ist wie Stuttgart – wenn man das Netz ansieht... Nur, dass es hier schöner ist!“ „Breitband-Internetanschluss gehört wie Wasser und Strom zur Infrastruktur“ Welche Bedeutung diese Initiative hat, zeigt die tägliche Praxis. Thomas Burger, Geschäfts- führer der Schonacher Burger Gruppe, zu der auch das Unternehmen SBS-Feintechnik gehört, kennt die Herausforderungen, die ein Standort jenseits der Ballungsräume mit sich bringt. „Im Zeitalter von Globalisierung, Cloud Computing (das Speichern der Daten auf ei- nem externen Server, Anm. der Redaktion) und Industrie 4.0 gehört neben Wasser, Strom und einer Verkehrs anbindung auch ein Breitband- Internetanschluss zu einer Infrastruktur für ein Industrie unternehmen!“ Schonach wurde am 9. Juli 2016 als erste Gemein- de im Landkreis ans Glasfasernetz angeschlossen. EU-Kommissar Günther Oettinger und Minister Thomas Strobl (vorne v. links) trugen sich aus diesem Anlass ins Goldene Buch der Gemeinde ein. Hinten v. links: Bundestagsabgeordneter Thorsten Frei (CDU), Bürgermeister Jörg Frey, die Landtagsabgeordneten Karl Rombach (CDU) und Martina Braun (GRÜNE) mit Landrat Sven Hinterseh. Mitte: Interessierte Bürger, Kommunalpolitiker und nahezu alle Bürgermeister des Schwarz- wald-Baar-Kreises feierten im Haus des Gastes den Anschluss der ersten Gemeinde im Schwarzwald- Baar-Kreis an das interkommunale Glasfasernetz. Un- ten: EU-Kommissar Günther Oettinger im Gespräch mit dem Schonacher Unternehmer Thomas Burger. 26 Aus dem Kreisgeschehen

Der Fortschritt des kommunalen Projektes „Der Glasfaser Landkreis“ ist kaum zu übersehen: Die Trommeln mit den orangefarbenen Glasfaserkabeln begegnen einem an vielen Baustellen. Zwischen den fünf Burger-Standorten in Deutschland sowie in der Schweiz, Tsche- chien und Kanada herrscht reger Datenaus- tausch. „Die 5 Mbit Anbindung war durch den E-Mail-Verkehr und den Internetzugang der Benutzer in Schonach völlig ausgelastet.“ Ohne die Entscheidung des Landkreises und seiner Kommunen, den Breitbandausbau selbst in die Hand zu nehmen, hätte das Unternehmen im Rahmen der weiter fortschreitenden Digitalisie- rung und Globalisierung darüber nachdenken müssen, ob der Standort Schonach mittelfristig noch zukunftsfähig gewesen wäre. Doch der Fortschritt des kommunalen Pro- jektes „Der Glasfaser Landkreis“ ist mittlerweile kaum zu übersehen: Bei einer Autofahrt durch den Landkreis sind die vielen Baustellen, an denen die riesigen orangefarbenen Kabeltrom- meln stehen, die besten Zeugen dafür. Fakten zur Breitbandversorgung Um sich die Größe des Projektes besser vorstellen zu können, einige Fakten: Allein bis Mitte 2016 sind vom Zweckverband Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar rund 480 Kilometer Glasfaserkabel im ganzen Landkreis verlegt worden und das an bis zu 17 Orten gleichzeitig. 225 Millionen Euro sind für den Gesamtausbau bis 2025 vorgesehen, davon gehen 25 Millionen Euro in den Bau des Backbones (Basisnetz, das die Kommunen miteinander verbindet), 135 Millionen Euro erfordern die Ortsnetze und 65 Millionen Euro die Hausanschlüsse. Finanziert wird dieses Großprojekt durch die Gemeinden, den Landkreis und die jeweiligen Bereits 480 Kilometer Glasfaserkabel wurden bislang im Schwarzwald-Baar-Kreis verlegt. Hausanschlussnehmer. Dazu kommen Fördermittel des Landes Baden-Württemberg. Im Jahr 2016 verfügten die ersten Kundinnen und Kunden über einen FTTB-Anschluss (Glasfaser bis ins Haus), Ende 2017 soll diese Zahl schon bei mehreren Tausend liegen. Was macht die Glasfaser so viel besser als das Kupferkabel? Die Breitbandglasfasern sind lange, dünne Fasern, die aus geschmolzenem, hoch reinem Quarzglas hergestellt werden. Bei der Datenübertragung via Glasfaser werden die Daten als Lichtsignale codiert und durch optische Leitungen gesendet. Im Vergleich zu Kupferkabeln können Signale in Glasfasern mit bis zu 40 Gigabit pro Sekunde viel verlustärmer und deutlich schneller übertragen werden. Weitere Vorteile der Datenübertragung in Glasfaserkabeln sind die Unempfindlichkeit gegenüber elektromagnetischen Störungen und die deutlich höhere Abhörsicherheit im Vergleich zu anderen Leitungsnetzen. Bei der Art des Glasfaseranschlusses gibt es mehrere Möglichkeiten. Bei einem FTTB (fibre to the building)-Anschluss wird die Glasfaser Breitbandausbau 27

direkt ins Haus gelegt. Das ermöglicht einen op- timalen Internetzugang, ohne einen Geschwin- digkeitsverlust, der für die normalen Arbeiten kaum auffällt. So können heute bereits Über- tragungsraten von bis zu 10.000 Mbit/Sekunde realisiert werden, auch symmetrisch (gleiche Download- und Upload- Geschwindigkeit). Noch schneller wäre die Verbindung nur noch, wenn die Eigentümer die alten im Haus befindlichen Kupferkabel durch Glasfaserkabel ersetzen würden. Dies wäre dann ein FTTH (fib- re to the home)-Anschluss. Bei einem FTTC (fibre to the curb)-Anschluss reicht das Glasfaserkabel bis zum Kabelverzwei- ger, den grauen Telekommunikationskästen am Gehwegrand. Von dort aus wird das Signal dann über die bestehenden Kupferleitungen bis in die Häuser weitergeführt (VDSL). Damit kön- nen Bandbreiten mit bis zu 50 Mbit/Sekunde realisiert werden. Diese Möglichkeit bietet der Zweckverband Breitbandversorgung Schwarz- wald-Baar alternativ in Schonach, Tannheim und Pfaffenweiler an. Und warum ist so ein Glasfaseranschluss auch für mich als Privatnutzer wichtig? Die Technik rund um das Internet entwickelt sich rasend schnell und laut Zukunftsforschern wird sich das Tempo sogar noch jedes Jahr erhöhen. Die ersten Schritte bekommen wir jetzt schon mit. Ein Beispiel ist das Fernsehen über das Inter- net (IPTV). Es bietet beste Bildqualität dank ho- her Übertragungsraten. Elektronische Haushalts- geräte kann man heute schon von unterwegs bedienen, in ein paar Jahren sind Kühlschränke, Querschnitt durch ein Glasfaserkabel. Glasfaserkabel ermöglichen schnellste Datenübertragungen – aber auch Fernsehen über das Internet bei höchster Bildqualität. die eigenständig ihren Inhalt prüfen und selbst bei einem Internet-Supermarkt einkaufen, wohl keine Seltenheit mehr. Die neuesten Stromzäh- ler, sogenannte „Smart Meter“, übermitteln ihre Daten direkt an den Messdienstleiter. Die Kun- den bekommen eine monatliche Übersicht über den exakten Stromverbrauch und können alles online kontrollieren. Eine einschneidende Entwicklung gibt es heute schon in der sogenannten Telemedizin. Hier können Patienten und Ärzte zum Beispiel durch Videokonferenzen in Kontakt treten, falls ein Transport in eine Praxis oder Klinik für den Patienten zu anstrengend oder der Weg dorthin viel zu weit ist. Gerade in ländlichen Gebieten stellt diese Ergänzung zu einer direkten ärztli- chen Behandlung eine Erleichterung dar. Das Verschicken von großen Datenmengen wie bei einem Röntgenbild setzt eine extrem leistungs- fähige und schnelle Internetverbindung voraus. Diese Vorteile weiß der bereits eingangs zitierte Unternehmer Thomas Burger auch sehr zu schätzen. Zum Vergleich: Brauchte man mit der alten Internetverbindung für den Download einer ISO-Datei zur Installation von Windows 10 mit 4.004 MB vom Server vier bis fünf Stunden, ist das jetzt mit dem Glasfaseranschluss in kür- zester Zeit erledigt. Auch in den kommenden Jahren geht der Ausbau des landkreisweiten Glasfasernetzes für den Zweckverband Breitbandversorgung weiter. Schritt für Schritt sollen alle Unterneh- men, Kliniken, Schulen, Behörden und auch die Bürger innen und Bürger des Schwarz- wald-Baar-Kreises an dieses Höchstgeschwin- digkeitsnetz angeschlossen werden. Damit die Gemeinden unserer Region neben der schö- nen Landschaft auch noch mit den besten Bedingungen für Arbeit und Leben punkten können. 28 28 Aus dem Kreisgeschehen

Ausbau des Kreis-Backbones (Glasfaserbasisnetz, das die Orte mit schnellem Internet verbindet) Schramberg Hornberg Dunningen Schonach Triberg Schönwald Fischbach Zimmern Rottweil Peterzell St. Georgen Oberkirnach Königsfeld Neuhausen Schabenhausen Niedereschach A 8 1 Mönchweiler Dauchingen Unterkirnach Villingen-Schwenningen Deißlingen Trossingen Gütenbach Furtwangen Vöhrenbach Neukirch in Betrieb Ausbau 2016 Ausbau 2017 in Betrieb Ausbau 2018 Ausbau 2016 Ausbau 2017 Ausbau 2018 Pfaffenweiler Herzogenweiler Rietheim Bad Dürrheim Hochemmingen Brigachtal Tuningen Hammereisenbach- Bregenbach Tannheim Wolterdingen Mistelbrunn Grüningen Aasen Sunthausen Biesingen Öﬁngen Oberbaldingen Unterbaldingen Donaueschingen Bräunlingen Hüﬁngen Sumpfohren Döggingen Hausen vor Wald Pfohren Neudingen Fürstenberg Mundelﬁngen Riedböhringen Hondingen Achdorf Blumberg Der Kreis-Backbone, der vom Landkreis finanziert wird, bringt das schnelle Internet in die zentralen Übergabepunk- te (PoP) der einzelnen Orte. Von dort aus erschließen dann die Ortsnetze – diese werden von den jeweiligen Kommunen ausgebaut und finanziert – die Wohn- und Gewerbegebiete sowie jene Orte, die nicht unmittelbar vom Kreis-Backbone aus erschlossen werden können. Bis zum Jahr 2025 sollen möglichst alle Gebäude im Schwarzwald-Baar-Kreis über eine Glasfaseranschluss verfügen. Breitbandausbau 29 GeisingenLöfﬁngenTitisee-NeustadtLenzkirchBonndorfTitisee-NeustadtLenzkirch

25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft Die Geschichte der Abfallwirtschaft im Schwarzwald-Baar-Kreis von Martin Fetscher Vor 25 Jahren, zum 1. Juni 1991, wurde durch Altlandrat Dr. Gutknecht das Amt für Abfallwirtschaft gegründet. An- lässlich dieses Jubiläums fand am 1. Juli 2016 im Landratsamt ein Fest- und Fachkolloquium statt mit vielen Branchenbetei- ligten, Kreisräten sowie aktiven oder ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. In einer Ausstellung zum Thema Abfall im Foyer des Kreishauses wurde unter anderem die Geschichte der Abfallwirtschaft im Landkreis skizziert und zwar von den Anfängen bis zur Gründung des Amtes sowie die Entwicklungen während der letzten 25 Jahre. Abfälle gibt es schon so lange wie es Menschen gibt. Überall, wo je Menschen gelebt haben oder unterwegs waren, findet man ihre Abfälle: an Wohnstätten der Steinzeit, in den Städten der Antike, in der Tiefsee, am Südpol, auf dem Mount Everest – und selbst auf dem Mond. Aus der Zusammensetzung von Abfällen kann man viel über die Lebensgewohnheiten der Men- schen und ihre Kultur erfahren. Abfallgruben der Antike und des Mittelalters sind wertvolle Archive für Archäologen. Die Anfänge einer organisierten Abfallent- sorgung entstanden immer erst dann, wenn die spontane oder ordnungslose Entsorgung zu Pro- blemen führte. Dies war dort der Fall, wo viele Menschen auf engem Raum lebten. Daher gab es bereits in den Großstädten der Antike eine organisierte Müllentsorgung. Mit vereinzelten oder verteilten Abfällen kam die Natur zurecht, zumal diese überwiegend aus Naturprodukten bestanden. In der Natur finden sich für Verwer- tung oder die Kreislaufwirtschaft viele Beispiele. Auch der Mensch ist von Natur aus – vor dem Zeitalter von Kon- sum und Überfluss – auf eine überwiegend sparsame Lebens- Bei der Festveranstaltung zum 25-jährigen Bestehen der Abfallent- sorgung im Landkreis, von rechts: Altlandrat Dr. Rainer Gutknecht, Albrecht Tschackert, Dr. Alexis von Komorowski, Landrat Sven Hinter- seh, Dr. Thilo Weigel, Altlandrat Karl Heim, Erster Landesbeamter Joachim Gwinner und Martin Fetscher. Aus dem Kreisgeschehen 30

führung ausgerichtet, in welcher die Wiederver- wendung oder Verwertung von Gegenständen oder Abfällen üblich ist. Im Schwarzwald-Baar-Kreis beginnt die Geschichte der kommunalen Abfallentsorgung etwa um 1860, als in den Innenstädten eine kombinierte Latrinen- und Kehrichtabfuhr ein- geführt wurde. Bis die Gebäude ab Ende des 19. Jahrhunderts sukzessiv an die Abwasser- kanalisation angeschlossen wurden, stand die Leerung der Fäkaliengruben im Vordergrund. In Villingen wurde diese städtische Entsorgungs- leistung jährlich für Fuhrunternehmer ausge- schrieben, die auch andere Transportleistungen wie Heu etc. für die Stadt zu übernehmen hatten. Die Stadtverwaltung gab vor, wie oft die Gruben und Mülleimer wo geleert werden mussten und ob Ochsen oder Pferde vorzuspan- nen waren. Im Winter wurde bei Schnee gegen Aufpreis mit Schlitten abgefahren. Schon früh legten die Gemeinden fest, wo die Abfälle hingefahren und abgeladen werden mussten: Dieser Ort musste weit genug weg sein von den Toren der Stadt, damit es keine Ge- ruchsbelästigung gab. Aber auch nicht zu weit, um Zeit und Kosten beim Transport zu sparen. Beliebt waren Steinbrüche, Kiesgruben, Talklin- gen oder Flussschlingen maximal ein bis zwei Kilometer von den Stadträndern entfernt. Der überwiegende Teil der Bevölkerung im Umfeld der Innenstädte oder auf den Dörfern entsorgte den Müll indes selbst: meist dorthin, wo schon welcher war. Je übelriechender oder gefährli- cher der Abfall war, umso mehr sollte es dann doch möglichst weit entfernt sein. Auch dieses Prinzip gilt heute noch – bekannt als St.-Flori- ans-Prinzip. Daher war es auch beliebt, Abfälle oder Fäkalien einfach über Fließgewässer zu entsorgen, was die Gewässer zunehmend über- forderte und Bewohnern unterhalb missfiel. Das sind die ungeschriebenen Regeln für den Abfall, die galten, lange bevor es eine Abfallge- setzgebung gab. Ohnehin entstand erst gar nicht viel Abfall. Alles, was man noch brauchen konnte, wurde genutzt: eingeschmolzen, umgeschustert, an Tiere verfüttert oder einfach im Ofen verbrannt, zum Kochen und Heizen. Fast jedes Haus hatte eine Brennstelle, Haustiere – und damit auch eine Dunglege – und Nutzgarten. Was nicht brennbar war oder nicht auf dem Misthaufen landete, wurde dazu verwendet, al- le erdenklichen Vertiefungen in der Landschaft aufzufüllen, um ebene Flächen zu gewinnen, die besser bewirtschaftet werden konnten. Ab 1910 erfolgt in der Villinger Innenstadt die erste regelmäßige Kehrichtabfuhr Ab 1910 erfolgte in der Villinger Innenstadt die erste regelmäßige, flächendeckende „Kehricht- abfuhr“. 1913 führte die Stadt Schwenningen erstmals eine Deponiegebühr für das Abladen von Abfällen auf dem Müllplatz ein und ver- bot gleichzeitig wilde Ablagerungen. In Bad Dürrheim wurden frühzeitig, mit Blick auf den Kurbetrieb, „ortspolizeiliche Vorschriften zur Sicherung der öffentli- chen Gesundheit und Reinlichkeit“ erlassen mit Regelungen zu wilden Ablagerungen und zur Müllabfuhr. 1920 bot die Stadt Schwenningen ein- heitliche Müllbehäl- ter (Zinkeimer) den Bürgern zum Kauf an. Im Jahr 1925 schaffte die Stadt Villingen ihr erstes motorisiertes 31 Müllauto in Villingen um 1925. 25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft

Typischer Müllplatz der 1960er-Jahre im Schwarzwald-Baar-Kreis, fotografiert anlässlich einer Untersuchung im Jahr 1966 zu Möglichkeiten der Müllverwertung. Müllfahrzeug der Marke „Benz“ an – mit 40 PS, Vollgummibereifung und 6 Kubikmeter Ladevo- lumen. Bereits um 1900 wurde hierzulande Alt- stoffverwertung für Metalle, Altglas, Altpapier und Alttextilien praktiziert. Voranschreitende Industrialisierung und die Ausbreitung von Konsumgütern führten dazu, dass diese Altstof- fe überhaupt erst in Mengen anfielen, deren Sammlung sich lohnte – zumindest für dieje- nigen, die auf solche Tätigkeiten angewiesen waren. Durch die Rohstoffknappheit während des Zweiten Weltkrieges sowie in der Nach- kriegszeit erreichte das frühe Recycling einen Höhepunkt. Nicht nur Schrotthändler und Lum- pensammler waren unterwegs. Während Recycling und Ressourcenscho- nung im Drittes Reich staatlich streng verordnet waren, gerieten sie in der Nachkriegszeit zur Le- bensnotwendigkeit. Bis 1965 wurde der frühere Villinger Müllplatz – bei der heutigen Kompost- anlage gelegen – jährlich an einen sogenannten Ausbeutungspächter verpachtet. Der Pächter durfte die Wertstoffe aus dem Müll ablesen, musste dafür die Wege und die Umgebung in Ordnung halten sowie „die Raben- und Ratten- plage bekämpfen“. Sogar Knochen wurden von den Müllkippen abgesammelt und für Dünge- zwecke verwendet, da Mineraldünger in den 1950er-Jahren noch wenig verbreitet war. Erfindung der staubfreien Müllabfuhr Die Müllabfuhr war ein staubiges Geschäft, zu- mal viel Asche zu entsorgen war. Die Größe der für die Müllabfuhr zulässigen Eimer und Gefä- ße, die sich die Bürger selbst besorgen mussten, war zwar vorgeschrieben, jedoch die Hälfte der Gefäße entsprach nicht den Vorschriften. Eine bahnbrechende Erfindung war deshalb die sogenannte staubfreie Müllabfuhr mit System- mülleimer aus schwerem Zinkblech mit Bügel, wie ihn viele noch kennen. Während bis dahin jeder Eimer offen auf einer Ladepritsche aus- geleert werden musste, konnten die Eimer nun relativ staubarm über eine Kippvorrichtung in ein geschlossenes Ladefahrzeug geleert werden. Das ist im Prinzip noch heute so. Donaueschingen war hier im Jahr 1957 die erste Stadt im Landkreis, die das einführte. Bis Mitte der 1960er-Jahre waren alle Gemeinden 32 Aus dem Kreisgeschehen

im Landkreis mit solchen Bügel-Zinkeimern ausgestattet, die teilweise bis 1993 genutzt wurden. In der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte auch für die Abfall- entsorgung ein Neubeginn. Erst nach Jahren gab es wieder eine geregelte Müllabfuhr und überall waren wilde Müllkippen vorhanden, insbesondere entlang der Straßen und Gewäs- ser. Aufgrund der verbreiteten Verwendung von Karbid kam es wiederholt zu Wasserstoff- explosionen in Müllwagen, worauf im Jahr 1949 gesetzlich verboten wurde, Karbidreste über die Müllgefäße zu entsorgen. Bis in die 1950er-Jahre waren Landwirte, Kiesgruben- und Steinbruchbesitzer darauf aus, Abfälle zur Verfüllung zu erhalten, damit das abgegrabene Gelände wieder eben war und landwirtschaftlich genutzt werden konnte. Im Jahr 1952 kam aus dem Villinger Forstamt der Vorschlag, alle Steinbrüche in der Umgebung der Stadt mit Müll aufzufüllen und anschlie- ßend aufzuforsten, weil damit das Stadtklima verbessert werden könne. Erst ab 1959 war für das Anlegen von Müllplätzen eine Genehmi- gung erforderlich. Wie wurde die Müllabfuhr finanziert? Bis 1930 war in Villingen die Müllabfuhr zweimal die Woche ein für den Bürger völlig kostenfreier Ser- vice der Stadt. Lediglich Gewerbebetriebe muss- ten für die Müllabfuhr damals schon bezahlen. Dann wurde eine Abfallgebühr eingeführt, die sich grundstücksbezogen an der Steuerkraft ei- nes Bürgers orientierte: Die Abfallgebühr betrug 0,5 Promille der abzuführenden Steuer. Ab 1950 verwendete man den Gebäudewert in Goldmark als Gebührenmaßstab: 1 Promille des Feuerversi- cherungswertes pro Jahr. bis in die 70er-Jahre war die Selbstanlieferung auf vielen Müllkippen kostenlos. Erst Anfang der 90er-Jahre änderte sich die Philosophie: Wer viel wegwirft, soll auch viel dafür bezahlen. Drastischer Anstieg des Abfalls In den 60er-Jahren vollzog sich ein folgenrei- cher Wandel: • Der Verbrauch von Konsumartikeln und Massengütern stieg explosionsartig an. Kunststoffe und Produkte der chemischen Industrie fanden breite Anwendungen. Durch die überwiegende Umstellung der Haushalte auf Öl, Strom und Erdgas entfiel der heimische Holzherd, in dem auch die Abfälle verbrannt werden konnten. Durch die günstige Verfügbarkeit von Rohstoffen wurde die Altstoffverwertung uninteressant. • • • Deshalb brauchte jede Gemeinde Müll- plätze. Wo zentrale Gemeindemüllplätze noch nicht vorhanden waren und die Abfälle wild an verschiedenen Plätzen abgelagert wurden, wur- de das umgehende Anlegen eines geeigneten Müllplatzes teilweise von den Gesundheitsbe- hörden angeordnet wie beispielsweise im Jahr 1966 in Gremmelsbach. In den Anfangsjahren wurden auf den Müll- plätzen alle erdenklichen Abfälle gemischt ab- gelagert. Nach und nach waren alle ortsnahen Steinbrüche oder sonstige Löcher aufgefüllt. Die Gemeinde Weiler verfügte beispielsweise über keine geeigneten Gruben und musste daher 1967 gezielt eine Müllgrube mit den Maßen 15 x 25 Meter herstellen. Viele Beschwerden damals zeigten doch, Aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis sind aus dass das kein verursachergerechter Maßstab sein konnte. Die Abrechnung im Personenmaßstab beziehungsweise volumenbezogen setzte sich erst in den 1960er-Jahren durch. Beispielsweise kostete im Jahr 1964 in Schönwald die Müllab- fuhr bei wöchentlicher Leerung 18,- DM pro Jahr. In Villingen und Schwenningen mussten die Müllmarken zum Aufkleben auf die Mülltonnen bei den Banken käuflich erworben werden. Noch dieser Zeit Praktiken dokumentiert, wo der Müll direkt in ein Gewässer gekippt wurde, Altautos über eine Klippe gefahren wurden oder wo Sperrmüll auf dem Müllplatz regelmäßig und vorschriftsgemäß abgebrannt wurde, einfach um Volumen zu sparen. Zwar wurde dieses Ab- brennen 1962 durch das Landes-Arbeitsministe- rium untersagt, aber vielfach entsprach es noch jahrelang der Praxis. 25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft 33

Auf den früheren Müllplätzen wurde der Unrat vielfach einfach verbrannt – wie hier auf der Baar. Ab 1964 wurden in einigen Städten des Landkreises die kritischen Industrieabfälle wie Industrieschlämme separat entsorgt, indem sie in offenen Teichen gesammelt wurden, um sie darin zu trocknen oder ebenfalls zu verbrennen. Überwiegend wurden aber sondermüll ähnliche Abfälle nicht separat gesammelt. In den Akten sind auch damals bereits un- zählige Beschwerdefälle dokumentiert über Gestank, Ungeziefer und Ratten, über tagelange Brände und ständige Rauchfahnen über das ge- samte Tal, die sogar zu Verkehrsbehinderungen führten, und über Fischsterben, ausgelöst durch giftige Sickerwässer. In Blumberg befand sich seit 1961 die städ- tische Müllkippe am Eichberg, wo nebenan 1965 das Freibad eröffnet wurde. Aufgrund der Geruchsbelästigung für die Badegäste wurde schließlich während des Sommers auf einer Müllkippe im entlegenen Randenwald abge- lagert, während im Winter die Kippe neben dem Freibad weitergenutzt werden konnte. Die Deponie im Randenwald enthielt die Genehmi- gungsauflage, dass „die Ablagerung nur wäh- rend der Badesaison gestattet ist.“ Dass chemische Schadstoffbelastungen für Mensch und Umwelt gefährlich werden könn- ten, war noch kaum bekannt. In Villingen, wo der Müll in den 1950er-Jahren im sogenannten „Dreckloch“ direkt in einen Baggersee gekippt wurde, entkräftet der Betreiber Bedenken mit seiner Beobachtung: „Das Wasser ist unter kei- nen Umständen giftig, da dauernd beobachtet werden kann, wie junge Wildenten und andere Schwimmvögel sich darauf tummeln und Fische sich in dem Wasser aufhalten.“ Auf der Suche nach neuen Müllplätzen Aus dieser Zeit stammen viele Altlasten. Die ge- setzlichen Grundlagen für Abfallablagerungen waren anfangs lediglich das Reichsnaturschutz- gesetz sowie die Gesundheitsverordnung aus dem Jahr 1943 und erst ab 1960 das Wasser- haushaltsgesetz. Dennoch war die überwiegen- de Zahl der Müllhalden nicht genehmigt. Nach- dem zunehmend auch Probleme in Gewässern auftraten, wurden nicht wie bis dahin nur die Gesundheitsbehörden, sondern auch die Was- serbehörden und Geologischen Landesämter miteinbezogen. Im Jahr 1972 wurden im Rah- men einer landesweiten Sammelaktion alleine auf den Müllkippen im Landkreis Hunderte von Altautos eingesammelt. Erst 1974 wurden durch den landesweiten „Rahmenplan Autowracks“ getrennte Verwertungswege für Altautos ge- schaffen. 1976 wurden Sammelstellen für Altöl eingerichtet. Die Deponierung von Altreifen wurde verboten, weil diese in großen Mengen zu Problemen bei der Standsicherheit von Depo- nien führten. Im Auftrag des Landkreises wur- 34 Aus dem Kreisgeschehen

den verschiedene Altreifen-Sammelstellen bei privaten Entsorgern eingerichtet. Dadurch konnte der Kompost nicht wie geplant kostensenkend verkauft werden. Bereits in den 1960er-Jahren wurden in- tensiv alternative Möglichkeiten der Müllbe- seitigung geprüft, die damals allerdings mit vergleichbaren rechtlichen und praktischen Problemen zu kämpfen hatten. Ab 1964 gab es eine regionale Arbeitsgruppe der Landkreise Rottweil, Tuttlingen, Donaueschingen, Villingen und Neustadt. Zur Lösungsfindung wurden Gut- achten beauftragt. Dazu wurde eine Planungs- gemeinschaft Schwarzwald-Baar-Heuberg und 1970 ein Zweckverband Abfallbeseitigung ge- gründet. Ziel war die Errichtung eines regiona- len Müllbeseitigungswerks bei Schwenningen. „Das Schwenninger Moos auffüllen...“ Auf der Suche nach neuen Müllplätzen kam noch im Jahr 1966 der Vorschlag auf, das damals schon unter Naturschutz stehende Schwenninger Moos aufzufüllen. Für die De- ponie Hankenberg, bei den Schwenningern als „Stadtmiste“ bekannt, war eine Schutthöhe von 50 Metern geplant mit anschließender Errich- tung eines Skihanges und einer Freilichtbühne. Im Jahr 1960 wurde die städtische Müllkom- Auch die Verbrennung bereitete Schwierig- keiten insbesondere bei der Luftreinhaltung. So wurde die ohnehin vergleichsweise unwirtschaft- liche Verbrennung – die Kosten waren fast fünf- mal so hoch wie bei der Deponierung – im Jahr 1975 eingestellt, da eine kostenintensive Rauch- gasreinigung mittels Elektrofilter hätte nachge- rüstet werden müssen. Die Müllkompostierung wurde schließlich 1981 endgültig eingestellt. Schließung vieler alter Müllplätze bringt gewaltige Herausforderungen mit sich So, wie in den 1960er-Jahren, konnte es nicht weitergehen. Im März 1972, fast zeitgleich mit der Kreisreform, fiel in Folge des ersten Landesabfallgesetzes die Zuständigkeit für die Abfallbeseitigung den Landkreisen zu. Der Landkreis hatte die Verpflichtung, geordnete Zentraldeponien zu schaffen und zu betreiben. Die „geordnete“ Deponie war eine für damalige Verhältnisse bedeutende Erfindung: „deponie- ren“ bedeutet nicht einfach „hinschmeißen“, sondern „ablegen“. Im Jahr 1975 trat die erste Abfallbeseiti- postierungs- und Verbren- nungsanlage in St. Georgen in Betrieb genommen. Der ange- lieferte Müll wurde mit einer Hammermühle zerkleinert und dann gesiebt. Kleinteilige, überwiegend organische Be- standteile wurden vermischt mit Klärschlamm kompostiert und anschließend als Dünger im Garten- und Landschafts- bau verwendet. Dem Dünger fehlte es wohl nicht an der Düngewirkung, ein ständiges Problem allerdings waren kleinteilige, unverrottbare Fremdbestandteile, und zu- dem wurden problematische Schadstoffgehalte selbst von den Experten lange verkannt. 25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft gungssatzung des Landkreises mit einer kreisweit einheitli- chen Müllbeseitigungsgebühr in Kraft. Erst ab da wurden mit Einbau einer Fahrzeug- waage auf der Deponie Hü- fingen die Abfälle gewogen, sodass sie nach Gewicht abgerechnet werden konnten. Erdaushub und Bauschutt wurde noch kostenlos ange- nommen. Bereits mit Beginn der Verwiegung wurden die Wiegedaten computerge- stützt mit einem EDV-System der Fa. Kienzle für die Ver- rechnung weiterverarbeitet. Allein der Computer und die Software kosteten damals 123.000 DM. 35 Der Gestank des Müllplatzes Han- kenberg war 1972 in Schwenningen Gegenstand einer Flugblatt-Aktion. Die Anwohner des Müllplatzes ließen 5.000 Flugblätter drucken und ver- langten einen neuen Standort. Die Abbildung zeigt die Vorderseite.

Links: Die 1978 eröffnete Kreismülldeponie in Tuningen wurde 1983 um den Nordgraben erweitert. Rechts: Waaggebäude der Deponie Hüfingen im Jahr 1976. Zu der Zeit stand auch der Schwarzwald- Baar-Kreis plötzlich vor gewaltigen Herausfor- derungen: Die meisten der alten Müllplätze waren aufgrund der gesetzlichen Änderungen illegal und mussten geschlossen werden. Nach einer kreisweiten Besichtigung aller Deponien im Landkreis bezeichnete Umweltdezernent Klaus Burk die meisten davon als „umweltfeind- lich“. In vielen Fällen mussten Schließungen angeordnet werden. Gleichzeitig mussten neue, zentrale Standorte gefunden werden. Mit der Zentralisierung war natürlich auch das Problem verbunden, dass keine Gemeinde einen solchen Standort haben wollte. Außerdem verfügte der junge Landkreis über keine eigenen Flächen. Zunächst konnten bis 1976 noch drei Über- gangsdeponien weitergeführt werden: in Klen- gen, Schwenningen (Hankenberg bzw. Bärental) und Triberg (Haldenhof). Dann endete jedoch die Übergangsfrist und es war immer noch keine Lösung gefunden, welche den gesamten Landkreis abdeckte. Lediglich die im Jahr 1969 eröffnete Deponie Hüfingen konnte im Jahr 1976 als Kreismülldeponie ausgebaut und die Müllverbrennungs- und Kompostierungsanlage in St. Georgen vom Landkreis übernommen werden. Aber das reichte noch nicht. tagssitzung. Doch da diese Technik damals in Bezug auf die Luftreinhaltung noch nicht ausgereift war und günstigere Alternativen zur Verfügung standen, sollte es noch über 30 Jahre dauern, bis der Restmüll des Landkreises in die Verbrennung gegeben wurde. Im Jahr 1974 wur- de eine geplante regionale Verbrennungsanlage in Deißlingen für 55.000 Jahrestonnen im dorti- gen Gemeinderat abgelehnt. Eröffnung der Kreismülldeponie Bereits ab 1972 bemühte sich der Landkreis sehr intensiv um alternative Deponiestandorte und begann mit Planungen zu einer neuen Zen- traldeponie auf der Ostbaar. Der Technische Ausschuss des Kreistages tagte ab der ersten Sitzung am 4. Juni 1972 fast monatlich und die Tagesordnungen waren dominiert von der Abfallthematik. 1974 bis 1979 gab es für die Ostbaar auch Planungen des Landes für eine überregionale Sondermülldeponie, denn mit der Pflicht der getrennten Erfassung von Son- derabfällen und Bildung einer landesweiten Sonderabfall GmbH mussten diese gefährlichen Abfälle auch zentral beseitigt werden. Im eigens gegründeten Zweckverband Dieser erste Anlauf für eine Sondermüll- Abfallbeseitigung Schwarzwald-Baar-Neckar wurden auch Alternativen zur Deponierung vertieft geprüft wie Müllkompostierung und Verbrennung. „Die Totalverbrennung ist das geeignete Verfahren“, äußerte der damalige Oberbürgermeister der Stadt Villingen-Schwen- ningen, Dr. Gebauer bereits 1973 in einer Kreis- deponie scheiterte bereits damals am erhebli- chen Widerstand aus der Regionalpolitik und der Bürgerschaft. Ein ablehnender Beschluss des Kreistages erfolgte am 30. September 1974. Auch die Abfallrahmenplanung des Landes, welche die Abfälle der Städte Geisingen und Im- mendingen der Deponie Hüfingen und die Ab- 36 Aus dem Kreisgeschehen

fälle von weiteren großen Teilen des Landkrei- ses Tuttlingen der geplanten Deponie Tuningen zuordnen wollte, wurde in der gleichen Sitzung des Kreistages abgelehnt. Erst mit der Eröffnung der Kreismülldepo- nie Tuningen am 1. November 1978 – vier Jahre nach dem Kreistagsbeschluss dazu – folgte wieder eine Phase einer gewissen Entspannung. Altlandrat Dr. Gutknecht bezeichnete in seiner Ansprache damals zur Eröffnung der Deponie Tuningen das Projekt als das bislang mit Ab- stand schwierigste in seiner Amtszeit. Die Deponie Tuningen sowie die angrenzen- de Deponie Talheim waren Entsorgungszentren nach damals neuestem Stand an einem hervor- ragenden Standort. Damit war zumindest die Entsorgungssicherheit für längere Zeit gegeben. Mit der zentralen Ablagerung großer Abfall- mengen auf Großdeponien waren einige Prob- leme gelöst – es entstanden jedoch neue in zu- vor nicht bekanntem Ausmaß: Sickerwasser und Deponiegas belasteten die Umwelt. Aufwendi- ge technische Einrichtungen zur Erfassung und Behandlung von Sickerwasser und Deponiegas belasteten zudem das Budget in den folgenden Jahrzehnten erheblich – und das bis heute und wahrscheinlich bis in ferne Zukunft. Damit relativierte sich die „tolle Erfin- dung“ einer geordneten Deponie mit billigen Kippgebühren für gigantische Abfallmengen. Das Deponiegas sowie der Abtransport von Sickerwassern mittels Tankfahrzeugen verur- sachten solche Probleme und Kosten, dass ab 1984 auf beiden Deponien Entgasungseinrich- tungen zunächst zur Abfackelung von Deponie- gas errichtet und aufwändige Kanalanschlüsse zu den Kläranlagen hergestellt wurden. Nach- Mit der zentralen Ablagerung großer Abfallmengen auf Großdeponien waren einige Probleme gelöst – es entstanden jedoch neue in zuvor nicht bekanntem Ausmaß: Sickerwas- ser und Deponiegas belasteten die Umwelt. dem erkannt war, dass die großen Gasmengen auch wirtschaftlich verwertet werden konnten, wurde nach Bau einer entsprechenden Gaslei- tung das Deponiegas der Deponie Tuningen ab 1985 vom Blähtonwerk Liapor genutzt. Müllaufkommen erreicht den Höhepunkt Ab Mitte der 80er-Jahre nahm die Dynamik in der Entwicklung im Abfallbereich nochmals zu. 1985 wurde der Umwelt- und Technische Ausschuss gegründet. Mit den stark steigenden Abfallmengen drohte der verfügbare Deponie- raum knapp zu werden. Mitverantwortlich war die sukzessive Umstellung der Müllbehälter auf die heute gebräuchlichen, komfortablen Müllgroßbehälter aus Kunststoff, die kreisweit erstmalig im Jahr 1978 in Donaueschingen ein- geführt wurden, gemäß der damaligen Philo- sophie: Wenn ausreichend Behältervolumen zur Verfügung steht, verringern sich die Sperr- müllmengen und die illegale Entsorgung. 1990 erreichte das zu beseitigende Müllaufkommen seinen Höhepunkt. Die Pro-Kopf-Menge an be- seitigtem Haus- und Sperrmüll war fast doppelt so hoch wie heute. Zudem wurden Energie und Rohstoffe teurer. Hierdurch entstand die unmittelbare Not- wendigkeit, zu beseitigende Abfallmengen zu reduzieren und Wertstoffe zu trennen. Auch wenn bereits in den Jahren 1979 bis 1983 zunächst in Villingen-Schwenningen und St. Georgen und dann in allen Kreisgemeinden Erfassungsmöglichkeiten für Altpapier und Altglas geschaffen wurden, wurde 1990 noch ein überwiegender Teil der Wertstoffe (Schrott, Altglas, Altpapier, Grüngut und Altholz), aber auch der komplette Biomüll, Klärschlamm und Elektroschrott einfach deponiert. Abbruchabfäl- le wurden bis Ende der 80er-Jahre generell und ungeordnet deponiert. Neue Konzepte Während der Landkreis bereits seit 1972 zu- ständig war für die Abfallbeseitigung (damals 25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft 37

Müll-Impressionen: die Deponie Hüfingen um das Jahr 2000. überwiegend Deponierung), erfolgte die Mülleinsammlung noch durch die Gemeinden. Dadurch hatte jede Gemeinde im Schwarzwald- Baar-Kreis unterschiedliche Sammelsysteme und unterschiedliche Müllabfuhrgebühren. Als im Jahr 1976 die Landkreise dann auch noch für die Sammlung zuständig wurden, wollte der überwiegende Teil der Gemeinden im Landkreis diese Aufgabe behalten, wie dies in einigen Landkreisen Baden-Württembergs heute noch der Fall ist. Damit blieb die Müllabfuhr für viele weitere Jahre an die Gemeinden delegiert. Viele kleinere Ortschaften im Landkreis, wie zum Bei- spiel Döggingen, führten 1976/77 erst die kom- munale Müllabfuhr ein. Immer wieder kamen neue Konzepte oder Planungen für alternative Beseitigungsmög- lichkeiten auf den Tisch. So gab es Konzepte für eine Müllverbrennungsanlage in Verbindung mit dem Zementwerk Geisingen, für eine Py- rolyse-Anlage in St. Georgen oder in Deißlingen, eine gemeinsame Müllvergärung mit dem Land- kreis Rottweil, die Herstellung von Brennstoffen für die Zementindustrie, aber letztlich blieb man doch bis auf Weiteres bei der Deponierung. 1980 wurde auf den Deponien eine Gebühr auch für Erdaushub und Bauschutt eingeführt. 1982 errichtete die Stadt Villingen-Schwennin- gen die Kompostierungsanlage Villingen, in der in den Folgejahren steigende Grünschnitt- mengen auch aus anderen Gemeinden ange- nommen wurden. Im Jahr 1983 wurde am städ- tischen Klinikum in Schwenningen eine neue Verbrennungsanlage für Krankenhausabfälle gebaut, in der nach und nach alle Krankenhaus- abfälle aus dem Landkreis und darüber hinaus verbrannt wurden. 1983 wurde die getrennte Schadstoffsammlung für Haushalte eingeführt. 1983 bis 2005 erfolgte die gemeinsame Verfül- lung der Deponien Tuningen und Talheim durch den Landkreis Tuttlingen und den Schwarzwald- Baar-Kreis. Im Jahr 1984 wurde infolge des gestiegenen Umweltinteresses in Politik und Öffentlichkeit der erste Umweltschutzbericht des Landkreises erstellt und im Ausschuss beraten. Die Stadt Vil- lingen-Schwenningen gab das erste Abfall-ABC heraus. In Sankt Georgen wurde bereits 1985 die grüne Tonne für Altpapier eingeführt. 1988 folg- ten weitere Gemeinden und erfassten, wie zum Beispiel in Blumberg und Bräunlingen, mit dem Altpapier zusammen auch Dosen und Altglas. Andere Gemeinden bauten ab 1986 ein System von Einwurfcontainern auf. In Furtwangen, Donaueschingen und St. Georgen gab es erste Vorläufer der Wertstoffhöfe. Amt für Abfallwirtschaft entsteht Ende der 1980er-Jahre fanden schließlich die Entwicklungen statt, die zur Gründung des Amtes für Abfallwirtschaft führten. Im Jahr 1989 wurde das erste Abfallwirtschaftskonzept des Landkreises erstellt. Seit diesem Jahr wird auch die jährliche Abfallbilanz des Landes Ba- den-Württemberg herausgegeben, in welcher die abfallwirtschaftlichen Kennzahlen der Landkreise verglichen werden können. Schon frühzeitig setzte sich Altlandrat Dr. Gutknecht für die Rückdelegation der Müllabfuhr an den Landkreis ein. 1989 startete er einen neuen, 38 Aus dem Kreisgeschehen

schließlich erfolgreichen Anlauf und ließ gleich- zeitig ein Organisationsgutachten für den Auf- gabenbereich der Abfallwirtschaft erstellen. Mit einer Novelle des Landesabfallgesetzes im Jahr 1990 mit der Leithierarchie „Vermei- dung – Verwertung – Beseitigung“ wurden die Landkreise auch verpflichtet, Abfallberatung durchzuführen. Daraufhin wurden als erste Abfallberaterin im Landkreis Frau Faust-Berndt und als erster Umweltingenieur Dr. Hans-Peter Straub eingestellt. Problemstoffe und einige Wertstoffe wurden von der Deponierung ausge- schlossen und es wurde der Komposterzuschuss eingeführt. Die Gebührengestaltung wurde da- rauf ausgerichtet, dass derjenige, der viel weg- wirft, auch viel dafür bezahlen muss. Moderne Kreislaufwirtschaft Seit dem Jahr 1991 hat sich die Abfallwirtschaft grundlegend verändert. Aus der bloßen Abfall- entsorgung wurde die Abfallwirtschaft, weil getrennte Abfallströme zu erfassen und zu bewirtschaften waren. Aus dem Recycling- gedanken heraus bildete sich dann in den 90er-Jahren die moderne Kreislaufwirtschaft von heute. Das Duale System, der Grüne Punkt, feiert ebenfalls sein 25-jähriges Bestehen. Die Bildung eines von kommunaler Zuständigkeit abgetrennten Entsorgungssystems in privat- wirtschaftlicher Verantwortung und dessen Finanzierung über Verpackungslizenzgebühren im Rahmen der Produktverantwortung war ein damals bahnbrechendes und wirkungsvolles Mittel zur Bekämpfung der Müllberge. Als die damalige Bundesregierung zögerte, eine Verpa- Seit dem Jahr 1991 hat sich die Abfall- wirtschaft grundlegend verändert. Aus der bloßen Abfallentsorgung wurde die Abfallwirtschaft, weil getrennte Abfallströme zu erfassen und zu bewirtschaften waren. ckungsverordnung zu erlassen, forderte Landrat Dr. Gutknecht im April 1990 den damaligen Bundesumweltminister Dr. Klaus Töpfer zum umgehenden Handeln auf. Doch dieser hielt zu jenem Zeitpunkt noch andere Maßnahmen für ausreichend und er baute auf freiwillige Maß- nahmen des Handels sowie der Wirtschaft. Erst wenn diese Maßnahmen erfolglos seien, werde er für eine Verpackungsverordnung eintreten, so der Minister. Kurz darauf wurde diese jedoch unter dem Druck steigender Müllberge erarbei- tet und im Juli 1991 beschlossen. Am 4. März 1991 erfolgte der Beschluss im Ausschuss für Umwelt und Technik, in der Kreis- verwaltung ein eigenes Amt für die Abfallwirt- schaft zu gründen. Zunächst wurde das neue Amt kommissarisch geleitet durch den damaligen Leiter des Amtes für Umweltschutz, Heinrich Kayser, dessen Amt diese Aufgaben bereits zu- vor wahrgenommen hatte. Im April 1992 wurde dann als erster offizieller Amtsleiter im Amt für Abfallwirtschaft der damals 32-jährige Ingenieur Albrecht Tschackert eingestellt, der bereits in das neue Landratsamtsgebäude ziehen konnte. Albrecht Tschackert baute das Amt in den Folgejahren Zug um Zug auf und prägte es maßgeblich. Zunächst wurde gemeinsam mit dem Maschinenring Donaueschingen und der Stadt Villingen-Schwenningen ein kreisweites Grünguterfassungs- und Verwertungskonzept erstellt und umgesetzt. Mit der Gründung des Dualen Systems (Grüner Punkt) erfolgte der flä- chendeckende Aufbau der Wertstofferfassung mit den Altglascontainern und den Altpapier- tonnen. 1993 bis 1997 wurde das Konzept über die kreisweite Errichtung von Recyclingzentren und Wertstoffhöfen umgesetzt. Ab 1995 erfolgte die getrennte Sammlung von Elektroschrott. Es wurden intensive Unter- suchungen und Standortprüfungen zu einer regionalen Müllverbrennungsanlage in Deißlin- gen durchgeführt, die aber aus wirtschaftlichen Überlegungen sowie aufgrund von Umweltbe- denken und Bürgerprotesten nicht gebaut wur- de. Ein großes Thema der 90er-Jahre war auch die erneut geplante Sondermülldeponie auf der Ostbaar, die letztlich dann am Widerstand von Lokalpolitikern und Bürgern scheiterte. 25 Jahre Amt für Abfallwirtschaft 39

Die frühere Deponie Hüfingen (links) und Tuningen (rechts) im Jahr 2012. In Hüfingen wird heute Solarstrom gewonnen und das Gelände dient als Standort für eine Kompostanlage. Die Deponie in Tuningen wurde durch eine aufwändige Oberflächenabdichtung auf die sogenannte Nachsorgephase vorbereitet. Mit Ausnahme der Südflanke, wo ebenfalls eine Solaranlage installiert ist, wird der gesamte Deponiekörper wiederaufgeforstet. 1994 erfolgte die Übernahme der Kompost- anlage Villingen sowie die Rückdelegation der Müllabfuhr von den Gemeinden mit Ausnahme der Stadt Villingen-Schwenningen, die über einen eigenen Müllabfuhr-Betriebshof ver- fügte. 1996 übernahm der Landkreis auch die Müllabfuhr der Stadt Villingen-Schwenningen und konnte somit kreisweit einheitliche Struk- turen schaffen. Im Jahr 1995 wurden die bis heute sehr erfolgreichen Sperrmüllbörsen bzw. Warentauschtage eingeführt. Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel zu Gast Ein besonderer Gast im Ausschuss für Umwelt und Technik war im Jahr 1996 Dr. Angela Mer- kel, die als damalige Bundesumweltministerin zu einer Debatte über Kostensteigerungen bei der Deponiegebühr aufgrund von gestiegenen Umweltanforderungen eingeladen wurde 1997 bis 2012 übernahm Dirk Hausmann die Amtsleitung. Im Jahr 1998 wurde die Biotonne eingeführt. Im Folgejahr wurden die flächende- ckende Altpapiertonne organisiert und die Alt- papier-Einwurfcontainer entfernt. Die mobile Schadstoffsammlung wurde im Jahr 1999 eta- bliert. Im Jahr 2000 wurden das Call-Center im Abfallwirtschaftsamt eingerichtet und sukzessi- ve elektronische Medien genutzt. Seit dem Jahr 2001 werden Landschaftsputzete organisiert. Mit dem Deponierungsverbot für gemischte Restabfälle im Jahr 2005 wurde die Deponie Hüfingen geschlossen und am Standort der Deponie Tuningen eine Müllumladestation errichtet, von wo aus die Restabfälle in die Verbrennung oder Aufbereitung transportiert werden. Auf der Deponie Hüfingen wurde 2006 der zweite Standort für eine Kompostanlage eröffnet. Seit 2009 wird der Standort auch zur Gewinnung von Solarstrom genutzt. Heute hat das „Abfallamt“, wie es umgangs- sprachlich gerne bezeichnet wird, vier Sachge- biete mit insgesamt 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Acht davon sind in Außenstellen beschäftigt: den Kompostanlagen Villingen und Hüfingen, der Müllumladestation in Tuningen oder bei der Müllabfuhr. Als einzige Mitarbei- terin ist Marion Freund seit der Gründung im Amt für Abfallwirtschaft tätig, einige weitere sind bereits seit über 20 Jahren im Amt für Ab- fallwirtschaft. Weitere Mitarbeiter wurden vor 20 Jahren übernommen, als die Müllabfuhr der Stadt Villingen-Schwenningen in die Regie des Schwarzwald-Baar-Kreises wechselte. Nicht we- nige Kollegen aus anderen Ämtern haben wäh- rend der letzten 25 Jahren einige Zeit Station im Abfallwirtschaftsamt gemacht. Im Vergleich zu den 1970er- oder 1980er-Jah- ren bewegt sich die Abfallwirtschaft heute in relativ ruhigen Fahrwassern. Dennoch ist vieles in Bewegung und die Sichtweisen und Schwer- punkte verändern sich stetig. Ob man in 50 Jah- ren mit ähnlichem Unverständnis über die heu- tige Praxis schreiben wird, wie dies heute über die Anfänge der Abfallwirtschaft geschieht, wird sich zeigen. 40 Aus dem Kreisgeschehen

Feier der 20-jährigen Partner schaft mit dem Komitat Bács-Kiskun Fest unter Freunden – Eine Reise ins Land zwischen Donau und Theiß von Daniela Schneider Vor zwei Jahrzehnten entschlossen sich der Schwarzwald-Baar-Kreis und das un- garische Komitat Bács-Kiskun, eine Partnerschaft einzugehen. Dass diese seither Bestand hat und auch immer wieder neu belebt wird, erfüllt die Beteiligten spürbar mit Stolz. Gleichzeitig ist auch klar: Dieses Pflänzchen der Freundschaft will gehegt und gepflegt sein und braucht auch und vor allem die Begegnung der Menschen aus beiden Regionen. Gegenseitige Besuche prä- gen seit Beginn der Part- nerschaft das Miteinander. Und so trat auch im Juni 2016 wieder eine 43-köp- fige Delegation aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis die Reise nach Ungarn an, um im Komitat das 20-jährige Bestehen der Verbindung gemeinsam mit den dorti- gen Partnern zu feiern. Den sehr passenden, festlichen Rahmen bot dazu das liebevoll restaurierte Barockschlösschen in der Kleinstadt Hajós südwestlich der Komitatshauptstadt Ke- cskemét. Das Gebäude war im 18. Jahrhundert ursprünglich als Jagdschloss für Kaiserin Maria Theresia erbaut worden. Hier, wo später Bischöfe residierten und im 20. Jahrhundert auch Waisenkinder unterge- bracht waren und wo heute ein hübsches Muse- um zur Geschichte des Hauses und den Beson- derheiten der Region um Hajós eingerichtet ist, feierte man das Partnerschaftsjubiläum im Rah- men eines Festaktes. Hier wurde an die Anfänge Sven Hinterseh und László Rideg unterzeichneten eine Absichtserklärung, die Partnerschaft weiterführen zu wollen. der Verbindung erinnert, als die Wendezeit noch nicht lange zurücklag und Ungarn dabei war, seine Rolle im neuen Europa zu definieren. Damals war das Land noch nicht Mitglied der Europäischen Union; dieser Schritt erfolgte 2004; auch bei jenen Beitritts-Festlichkeiten konnte eine Delegation aus dem Schwarzwald- Baar-Kreis die offizielle Aufnahme der Magya- ren-Republik zur europäischen Familie beein- Partner schaft mit Komitat Bács-Kiskun 41

Eine Graphik mit Motiven aus beiden Partnerregionen von Künstler Florian Neugart überreichte Landrat Sven Hinterseh seinem Amtskollegen Komitatspräsident László Rideg. Wie man sieht, war die Freude darüber allseits entsprechend groß. druckt und begeistert mitfeiern, worüber auch bei der aktuellen Reise immer wieder anschau- lich berichtet wurde. Erinnert wurde zudem daran, dass die Anfänge der Partnerschaft ur- sprünglich auf Kontakte der Landesberufsschule für Hotel- und Gaststättengewerbe in Villingen mit der Hotelfachschule in Kecskemét in den frühen 1990er-Jahren zurückgehen. Landrat Hinterseh: „Heute ist ein Tag der Partnerschaft“ Im Hajóser Jagdschloss waren es dieses Mal Landrat Sven Hinterseh und der seit 2014 amtie- rende, neue Komitatspräsident László Rideg, die an die Unterzeichnung der ersten Urkunde im Mai 1996 im Villinger Landratsamt erinnerten und dann schließlich selbst beide eine Absichts- erklärung unterzeichneten, diese Partnerschaft unbedingt weiterführen zu wollen. Landrat Hinterseh fasste es so zusammen: „Heute ist ein Tag der Partnerschaft, ein Tag der Freund- schaft und enger Verbundenheit zwischen zwei Nachbarn mitten in Europa. Gerade heute sind der Blick über die Grenzen und der interkultu- relle Austausch für die gemeinsame Weiter- entwicklung enorm wichtig. Der internationale Erfahrungsaustausch, Netzwerkbildung und die Kultur des Dialogs zwischen den Städten, Land- kreisen und Komitaten bilden das Fundament, um ein immer größer werdendes Haus Europa in der Welt stabil zu halten.“ Zustimmung gab es dafür auch von den beiden ehemaligen Komitats-Präsidenten Dr. László Balogh und Gábor Bányai, die die Partnerschaft auf offizieller Ebene wesentlich geprägt haben. Nicht fehlen durfte in dieser Runde zudem Karl Heim, der ehemalige Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises, der zusammen mit seinem Amtsvorgänger Dr. Rainer Gut- knecht und László Balogh im Mai 1996 damals die Partnerschaftsurkunde unterzeichnet hat. Vor allem aus seinen Worten beim Festakt 42 Aus dem Kreisgeschehen

wurde deutlich, wie viel Herzblut in dieser innereuropäischen Verbindung steckt. Heim bezeichnete sie als „Geschenk der europäischen Geschichte, das man pflegen muss“. Dass insgesamt auch die Sorge um den Fortbestand der Partnerschaft mitschwang, ist kein Geheimnis. Denn seit einer Verwaltungs- reform im Jahr 2012 wurden die Kompetenzen des Komitats zugunsten der zentralistischen Staatsverwaltung beschnitten und die Komi- tatsverwaltung massiv verkleinert. Dadurch entstand auch einige Unsicherheit, inwiefern eine Zusammenarbeit zwischen dem Schwarz- wald-Baar-Kreis und dem Komitat überhaupt noch möglich ist. Insofern wurde die Unter- zeichnung einer erneuten Absichtserklärung zum Fortbestand der freundschaftlichen Bande als wichtiger symbolischer Akt gewertet. Dazu passt auch das Versprechen von Komitatsprä- sident Rideg, die Kontakte weiter ausbauen zu wollen. Er betonte jedenfalls: „Europa aufbauen kann man nur, wenn die Menschen zusammen- arbeiten und voneinander lernen.“ Lebensfähig blieben die Kontakte nur, wo auch Emotionen und lebendige Freundschaften entstünden und weiter ausgebaut würden, so der Präsident. Kunstwerke als Gastgeschenke Wie es bei Geburtstagsfeiern nun mal üblich ist, gab es selbstverständlich auch Geschenke: Die Gäste aus dem Kreis brachten eine Graphik mit Motiven aus beiden Partnerregionen von Künstler Florian Neugart und eine Skulptur aus Ulmenholz aus dem Groppertal von Zeljko Rusic aus Königsfeld mit, deren Herstellung in einem originellen Filmbeitrag erklärt wird, den man im Internet anschauen kann (http://www.lrasbk. de/landkreis/partnerschaft-komitat-bacs-kis- kun.html). Aber auch die Ungarn hatten sich ein schö- nes Geschenk einfallen lassen: Eine filigrane Handarbeit mit den beiden Wappen und den guten und berühmten Palinkaschnaps aus Kecskemét durfte Landrat Hinterseh entgegen- nehmen. Musikalisch ging es beim offiziellen Festakt ebenfalls zu. Zum einen bot eine Gruppe der Behindertenschule aus Baja, die vor kurzem einen nicht mehr benötigten VW-Bus des Krei- ses geschenkt bekam, den Gästen ein Tänzchen dar. Und dann war da noch der herzerfrischende Auftritt einiger Hajóser Donauschwaben, die sehr charmant deutsches Liedgut zum Besten gaben; am Ende sangen und schunkelten meh- rere Kreisräte eingehakt in den Reihen des Cho- res innbrünstig und munter die Weisen übers Leben und die Freundschaft mit. Überhaupt war die Agenda, die der Schwarz- wald-Baar-Delegation bei dieser Reise geboten wurde, gespickt mit interessanten Programm- punkten und schönen Erlebnissen. Die Kreisräte, Vertreter der Verwaltung, der Hochschulen, der Feuerwehr, der Hotelfachschule und des deutsch-ungarischen Freundeskreises wurden so zum Beispiel bei einem Empfang in der Indust- rie- und Handelskammer von Kecskemét ebenso herzlich begrüßt und hervorragend bewirtet wie bei einem Ausflug in die Puszta samt buntem Folkloreprogramm, was auch auf eine Stippvisite im Weinkellerdorf von Hajós zutraf. In Budapest erlebte die Reisegruppe zudem eine spannende und unterhaltsame Donau-Schifffahrt. Außer- dem staunte man in der Hauptstadt über die majestätische Schönheit der Sankt-Stephans-Ba- silika und die erhabene Monumentalität des stolzen Parlamentsgebäudes. Dort traf man zu- dem erneut den früheren Komitatspräsidenten Gábor Bányai, der mittlerweile Abgeordneter ist und den Gästen unter anderem ermöglichte, die „schönste Terrasse Ungarns“ zu betreten und einen herrlichen Ausblick auf die Donau und die Budaer Seite zu genießen. Der Parlamentarier betonte, dass er, seit er Freunde im Schwarzwald-Baar-Kreis gewonnen habe, besonders intensiv den eu- ropäischen Gedanken lebe, wonach es wichtig sei, „zu wissen, wo man selbst steht und andere stets zu respektieren“. Für ihn gab’s als Gastge- schenk eine Skelettuhr aus dem Schwenninger Uhrenindustriemuseum, über die sich der Politiker sichtlich freute. Vertieft werden sollen in Zukunft die Kontakte zwischen der Hochschule Furtwangen und deren Pendant in der Komitatshauptstadt Kecskemét, die eine Teildelegation ebenfalls besuchte. Professor Partner schaft mit Komitat Bács-Kiskun 43

Dass Musik verbindet, zeigte sich beim Auftritt der Donauschwaben aus Hajós, bei dem auch mehrere Kreisräte fleißig mitsangen. Robert Hönl stellte dabei die Hochschule Furt- wangen University vor, Dekan Lórant Kóvácz die Hochschule Kecskemét. Sechs Studierende von dort kommen übrigens zum Austausch nach Furtwangen. Kunstwerke als Gastgeschenke Auch Kreisbrandmeister Florian Vetter war in Ungarn als Mitglied der Delegation dabei. Ge- meinsam mit Arnold Schuhmacher, dem neuen Leiter des Kreis-Ordnungsamtes, das in der Re- gion Schwarzwald-Baar für den Brand- und Ka- tastrophenschutz übergeordnet zuständig ist, hatte er die Gelegenheit, sich mit Vertretern des Feuerwehrwesens und des Katastrophenschut- zes im Komitat Bács-Kiskun zu treffen. Vetter, Schuhmacher und einige weitere Delegationsmitglieder erfuhren Wissenswertes über die Strukturen des Feuerwehrwesens im Komitat, das sich von dem in Deutschland in einigen Punkten deutlich unterscheidet, weil es eher zentralstaatlich und überwiegend in Form von Berufsfeuerwehren organisiert ist. Die Arbeit der Wehren ist hier in den größeren Kon- text des Katastrophenschutzes integriert und die Wehrleute sind unter anderem auch für die Bereiche Zivilschutz oder Gewässerschutz zu- ständig. Im Gespräch wurde deutlich, dass beide Seiten an weiteren Kontakten in diesem Bereich interessiert sind. Wie Florian Vetter betonte, könne man jeweils viel voneinander lernen. Erste Bande wurden in der Vergangenheit schon geknüpft: Im Frühjahr 2016 waren zwei Feuerwehrleute aus der Stadt Baja im südlichen Teil von Bács-Kiskun bei der Südwest-Messe vertreten und berichteten von ihrer Arbeit. Aus den Beständen der Wehren im Schwarzwald- Baar-Kreis fanden außerdem auch schon das eine oder andere Fahrzeug und entsprechende Ausrüstung den Weg ins Komitat, um die Kol- legen dort nach Kräften zu unterstützen. Man sieht also: Die Kontakte sind da und werden weiter ausgebaut. Dazu trägt sicher auch bei, dass der Freundeskreis Schwarzwald-Baar-Bács- Kiskun mit seinem Vorsitzenden Wolfgang Lämmle und das ungarische Pendant mit Agnes Nitschmann an der Spitze immer wieder – auch wenn die politische Situation es ihnen mitunter richtig schwer macht – für viele persönliche und freundschaftliche Begegnungen sorgen. Am Ende der viertägigen Reise ins Partner- komitat kehrte unterdessen die Delegation vol- ler vielfältiger Eindrücke in den Schwarzwald- Baar-Kreis zurück. Die Teilnehmer dürften wohl spätestens jetzt fortan auch ein Stückweit als Botschafter dieser deutsch-ungarischen Freund- schaft fungieren, die lebendig ist und ihre Fort- setzung findet. 44 Aus dem Kreisgeschehen

Integrierte Leitstelle verfügt über modernste Technik Über 70.000 Einsätze jährlich werden von hier aus koordiniert von Marc Eich Es ist das Gebäude, das Tag und Nacht besetzt und erreichbar ist, in dem ein Teil der Sicherheit für den gesamten Kreis gewährleistet und in welchem wohl niemals der Strom ausfallen wird. In der neuen Integrierten Leitstelle Schwarzwald-Baar am Kli- nikum werden 24 Stunden täglich und an 365 Tagen im Jahr die Notrufe entgegen- genommen und die Einsätze der Hilfs- und Rettungsorganisationen im Landkreis koordiniert. Nimmt man alle Anrufe zusammen, werden von der Leitstelle jährlich über 70.000 Einsätze koordiniert. Ein Autofahrer ist schwer verunglückt und in seinem Fahrzeug eingeklemmt, im Wald ist eine Wanderin einen Abhang hinuntergestürzt und liegt dort verletzt, aus der Nachbarwohnung dringt Brandgeruch und ein Bekannter ist bei einer Radtour zusammengebrochen und nicht mehr ansprechbar: Notfälle dieser Art gehören für die Mitarbeiter in der Leitstelle des Landkrei- ses zur täglichen Arbeit und sind dennoch für alle Beteiligten in vielen Fällen eine besondere Herausforderung. Für Aufgaben wie diese ist die neue Leitstelle konzipiert, ihre Einrichtung entspricht dem neuesten Stand der Technik. Großzügige Räumlichkeiten und modernste Technik wurden in einem zweigeschossigen Bau direkt neben der Luftrettungsstation von Christoph 11 am Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen realisiert. Hier kom- men sämtliche Anrufe unter der Notrufnummer 112 an, die im Kreisgebiet getätigt werden. „Wir sind für die nicht polizeiliche Gefahrenabwehr zuständig“, erklärt Dirk Sautter, Leiter der Inte- grierten Leitstelle. Das heißt: Alle Hilfesuchen, die nicht die Polizei betreffen, werden von den Disponenten der Integrierten Leitstelle, die in gemeinsamer Trägerschaft von der DRK Ret- tungsdienst Schwarzwald-Baar gGmbH und dem Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis betrieben wird, entgegengenommen und bear- beitet. Schaltzentrale für sämtliche Einsätze Die Aufgaben einer Integrierten Leitstelle enden jedoch nicht mit der Annahme des Notrufes. Von hier aus werden sämtliche Einsätze ge- lenkt, überwacht und auch dokumentiert. Sie ist die Schaltzentrale für Alarmierungen der Hilfs- und Rettungsorganisationen. Dazu gehören ne- ben den Freiwilligen Feuerwehren inklusive der Höhenrettung und den Kräften des Deutschen Roten Kreuzes auch die Bergwacht, die DLRG (Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft) und das THW (Technisches Hilfswerk). Je nach Ein- satzlage werden die verschiedenen Organisatio- nen von hier aus meist über Funkmeldeempfän- ger – oftmals auch Piepser genannt – alarmiert und an die Einsatzstelle gerufen. Doch bis es so weit ist, muss zunächst herausgefunden werden, was für ein Notfall überhaupt vorliegt. Eine Aufgabe, die einfacher Neue Integrierte Leitstelle 45

klingt, als sie in Wirk- lichkeit ist. „Bei medizi- nischen Notfällen müs- sen wir nach einem Schema viele Fragen am Telefon stellen, um die Einsätze entspre- chend qualifizieren zu können“, berichtet Dirk Sautter vom Alltag am Notruf. Bei Aussagen wie „der Oma geht es nicht gut“, die häufig am anderen Ende der Leitung getroffen werden, könne viel dahinterstecken. In der Leitstelle nehme man auch aufgrund der vorherrschen- den Sensibilität bei den Themen Schlaganfall und Herzinfarkt eine erhöhte Anzahl von Notru- fen wahr – nicht immer wird aber der Rettungs- dienst oder gar ein Notarzt gebraucht. Dirk Sautter „Das entsprechende Meldebild, das sich aus dem Notruf ergibt, entscheidet darüber, was wir losschicken.“ Entsprechend muss bei Einsätzen zunächst erfragt werden, welche Lage vor Ort herrscht – beispielsweise ob bei einem Unfall Personen eingeklemmt sind und ob bei einem Feuer Menschenleben in Gefahr ist. In der Leitstelle sind zudem die Hausnotrufe sowie Brandmeldeanlagen aufgeschaltet, die beispielsweise in Firmen häufig installiert sind. Gleichzeitig kümmert man sich hier um die Ab- wicklung des gesamten Krankentransports. Also jener Fahrten, bei denen Kranke, Verletzte oder hilfsbedürftige Personen transportiert werden, die keine Notfallpatienten sind. Auch der genaue Standort wird dargestellt Koordiniert wird in der neuen Leitstelle alles über insgesamt sechs Bildschirme, die jeder Disponent an seinem Arbeitsplatz vorfindet. Allein vier Monitore werden hierbei für das Einsatzleitsystem benötigt. Hierüber werden neue Einsätze erfasst, laufende und wartende Einsätze sowie sämtliche zur Verfügung stehen- de Fahrzeuge angezeigt. Auf einer Landkarte kann deren genaue Position dargestellt werden – eine große Hilfe, wenn es darum geht, bei einem Notfall beispielweise einen in der Nähe befindlichen Rettungswagen zum Einsatz zu schicken. Die zwei weiteren Bildschirme stehen zur Recherche im Internet sowie für einsatztak- tische Infos wie Daten zum ärztlichen Notdienst bereit, der von den Mitarbeitern der Leitstelle ebenfalls vermittelt wird. Ihnen steht im Neubau darüber hinaus eine große Medienwand zur Verfügung, die in ihrer Funktion flexibel genutzt werden kann. Im Regelfall werden hierüber die Eingänge der Leit- stelle, die Starts und Landungen der nahegele- genen Luftrettungsstation sowie der Tunnel bei Döggingen überwacht. „Vom Deutschen Wet- terdienst erhalten wir zudem Informationen zur Gewitterentwicklung und die Daten zu Pegel- ständen der Flüsse, die über die Medienwand ebenfalls sehr gut dargestellt werden können“, sieht Dirk Sautter die technische Neuerung als deutlichen Mehrgewinn. Auch deshalb, weil die Wand – je nach Bedarf – beispielsweise gleich- zeitig zum Zeigen einer Landkarte und einer Einsatzübersicht genutzt werden kann. Neue Integrierte Leitstelle Die Medienwand stellt sicher, dass bei Bespre- chungen und im Ernstfall alle Helfer den opti- malen Überblick haben. 47

Komplexes Aufgabenfeld: Mitarbeiter sind mehr gefordert als früher Schnell wird also deutlich: Der Disponent ist in vielerlei Hinsicht gefordert – wobei hier in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ein Wan- del festzustellen sei. „Die Mitarbeiter sind mehr gefordert als früher, zumal das Aufgabenfeld komplexer ist“, berichtet auch Kreisbrandmeis- ter Florian Vetter. Umso wichtiger ist daher die Ausbildung der Leitstellendisponenten, unter anderem an den Rettungsdienst- und Landesfeuerwehrschulen. Hierbei wird nicht nur die Notrufabfrage ge- schult, um gezielt in kürzester Zeit die wesentli- chen Daten vom Anrufer zu erhalten. „Jeder Dis- ponent muss zudem im medizinischen Bereich ausgebildet sein“, erzählt der Leitstellenleiter Sautter. Aus diesem Grund beinhaltet die Aus- bildung auch Inhalte des Rettungsassistenten und darüber hinaus eines Gruppenführers bei der Feuerwehr. Um den Anrufern – je nach Notlage – Hin- weise zu Erstmaßnahmen zu geben, wird jeder Leitstellenmitarbeiter zudem in Telefon-Reani- mation geschult, um die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte zu überbrücken. Diese sind in der Regel zwar nach wenigen Minuten vor Ort, „doch im Notfall zählt jede Minute“, weiß Sautter. Und Notfälle scheint es in den vergangenen Jahren immer mehr zu geben. Aus Sicht von Florian Vetter und Dirk Sautter sei die Zahl der Einsätze auch damit zu erklären, dass der Ver- kehr auf den Straßen kontinuierlich zunimmt und die Feuerwehr immer häufiger zu Brand- meldeanlagen ausrücken muss. Die Gründe für die gestiegenen Einsatzzahlen sind jedoch sehr vielschichtig, so z.B. auch das geänderte Sport- und Freizeitverhalten. Die Folge: Bei der Leitstelle hat man beim Personal aufgestockt. Zum Stamm gehören mittlerweile insgesamt 14 Mitarbeiter, darunter der Leitstellenleiter und ein EDV-Administrator. Um flexibler zu sein, greift man zudem auf sogenannte „Springer“ aus dem Rettungsdienst zurück. „Sie sind leitstellentauglich und können unter anderem bei größeren Einsatzlagen ein- springen“, berichtet der Leitstellenleiter. Dazu wird im Dienst darauf geachtet, dass die Mitar- beiter durch Tätigkeiten auf einer Rettungswa- che den Bezug zur Praxis aufrecht erhalten. Anhand der Erfahrung bezüglich der Auf- tragslage während eines Tages ist die Integrier- Der Rettungsdienstbereich Schwarzwald-Baar in Zahlen ◼ Es gibt im Landkreis neun Rettungswachen: Villingen, Schwenningen, Bad Dürrheim, Blumberg, Donaueschingen, Furtwangen, Königsfeld, St. Georgen und Triberg ◼ 14 Krankentransportwagen ◼ Fünf Notarzteinsatzfahrzeuge: Villingen-Schwenningen, Blumberg, Donau eschingen, St. Georgen und Luftret- tung VS ◼ Notarztwagen in Furtwangen ◼ Baby-Notarztwagen beim Zentralklinikum ◼ Rettungshubschrauber im Luftrettungs- zentrum VS ◼ 20 Freiwillige Feuerwehren mit 81 Abteilungen ◼ Bergwacht ◼ Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft ◼ Zwei Rettungshundestaffeln ◼ Psychosoziale Notfallversorgung ◼ Zwei Einsatzeinheiten inkl. dreier Schnelleinsatzgruppen ◼ Höhenrettung ◼ THW (Technisches Hilfswerk) Einsatzzahlen der Integrierten Leitstelle Schwarzwald-Baar pro Jahr ◼ Rettungsdienst etwa 50.000 ◼ Feuerwehr etwa 1.600, davon 760 Brand- einsätze und 840 technische Hilfeleistun- gen (Unfälle etc.) ◼ Sonstige (ärztlicher Notfalldienst, Hausnotruf etc.): etwa 20.500 48 Aus dem Kreisgeschehen

te Leitstelle Schwarzwald-Baar unterschiedlich stark besetzt. Während von 9 bis 14 Uhr bei- spielsweise vier Disponenten die Notrufe entge- gennehmen und die Einsätze koordinieren, ist es nachts zwischen 22 und 6 Uhr einer. Umzug nach 24 Jahren Ohne die wertvolle Aufgabe der Disponenten würde eine Leitstelle zwar nicht funktionieren, genauso wichtig aber ist jedoch die Technik. Der Blick in den Boden des Leitstellenbetriebsrau- mes zeigt unzählige Meter Kabelstränge – kein Wunder, für die wichtigen Aufgaben muss nicht nur umfangreiche, sondern ebenso zuverläs- sige Technik angeschlossen sein. Dies ist auch ein Grund, weshalb man nach 24 Jahren einen Umzug von den bisherigen Räumlichkeiten in der Josefsgasse in Villingen in den behinderten- gerechten Neubau an der Klinikstraße vollzogen hat. Sautter: „Die neue Technik für den Digital- funk hatte dort gar keinen Platz mehr.“ Zudem gab es, nach all den Jahren, zahlreiche weitere Defizite in den bisherigen Räumlichkeiten, die von den Mitarbeitern liebevoll „Wohnzimmer“ genannt wurden. Nun finden die Disponenten im Oberge- schoss unter anderem fünf höhenverstellbare Arbeitsplätze vor, darüber hinaus gibt es Um- kleideräume, Duschen, Sanitäts- und Ruheräu- me sowie eine Teeküche. „Uns hat bisher aber auch ein Führungs- und Lageraum gefehlt“, berichtet Sautter. Dieser wird bei größeren Schadens- oder Einsatzlagen unterhalb der Ka- tastrophenschwelle genutzt, um Abstimmun- gen zwischen den einzelnen Organisationen zu erleichtern, ohne die Disponenten bei ihrer Arbeit zu stören. „So was wurde beispielsweise bei der kurzfristigen Einrichtung der Flücht- lingsunterkünfte oder beim Sturm Lothar benö- tigt.“ In solchen Fällen werden zudem die vier separat angelegten, sogenannten Ausnahme- abfrageplätze genutzt, damit die Dis ponenten bei größeren Lagen entlastet werden können. Zusätzliche Räumlichkeiten erhalten zudem der EDV-Admininistrator sowie der Leitstellenleiter. Das Herz der Integrierten Leitstelle schlägt allerdings im Erdgeschoss – hier ist die gesam- te Leitstellentechnik untergebracht. Ohne sie läuft in dem Gebäude nichts. Kein Wunder also, dass man auf einen möglichen Stromausfall vorbereitet ist. Sautter: „Wir haben hier ein Not- stromaggregat mit einem 5.000 Liter fassenden Dieseltank.“ Und wenn es zu einem GAU, dem Totalausfall, kommt? „Es gibt eine sogenannte Rückfallebene, beispielsweise mit Nottelefonen außerhalb der Leitstellen-Struktur.“ Zusätzlich sind im Landratsamt ebenfalls Räumlichkeiten untergebracht, von denen aus Einsätze koordiniert werden können. Solche Möglichkeiten spiele man natürlich durch, er- klärt Sautter. Beim DRK und dem Landratsamt ist man sich aber sicher, dass man dank der neu- en hochmodernen und zeitgemäßen Leitstelle für die nächsten Jahrzehnte gut aufgestellt ist. Und auch die Bürger dürfen sich freuen, dass bei der Koordinierung der Einsatzkräfte die besten technischen Möglichkeiten genutzt werden können, um die Sicherheit im gesamten Land- kreis weiter auf einem hohen Niveau zu halten. In der neuen Integrierten Leitstelle stehen den An- forderungen entsprechende Lageräume für Bespre- chungen und durchweg moderne Arbeitsplätze zur Verfügung. XXX 49

Begleiten, unterstützen, entlasten – Wenn uns das Leben verlässt... Bis heute wächst das palliative und hospizliche Engagement in Deutschland stetig. Zurzeit engagieren sich über 100.000 Menschen bürgerschaftlich, ehren- amtlich oder hauptamtlich in der Hospiz- und Palliativarbeit, eine große Zahl davon ehrenamtlich. So verhält es sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis. Palliativ- medizin bedeutet die umfassende Behandlung und Betreuung von Menschen mit einer unheil baren Erkrankung. Das Leben wird bei ihr bejaht, der Tod soll weder beschleunigt noch hinausgezögert werden – Stabilisierung steht im Vordergrund. Um so wichtiger ist es, belastende Beschwerden optimal zu lindern – das ermög- licht das Palliativzentrum-VS beim Schwarzwald-Baar Klinikum. 50 50 Aus dem Kreisgeschehen Aus dem Kreisgeschehen

Beiträge zur Palliativ- und Hospizbewegung im Schwarzwald-Baar-Kreis Hospizarbeit indes bedeutet, Sterbenden die Begleitung in einen menschenwür- digen Tod zu geben. Zu den häufigen Wünschen gehört, bis zum Lebensende zu Hause oder im vertrauten Umfeld bleiben zu können. Dies zu ermöglichen ist eine der wesentlichen Aufgaben der ambulanten Hospizdienste wie der Hospiz- bewegung im Schwarzwald-Baar-Kreis e.V. Doch gibt es bei uns auch das Hospiz am Dreifaltigkeitsberg in Spaichingen – und es ist ein Kinder- und Jugendhospiz geplant, hinter dem der Hospiz Förderverein Villingen-Schwenningen e.V. steht. Die nachfolgenden Beiträge geben einen Überblick über die aktuelle Situation der Palliativ- und Hospizbewegung im Landkreis. XXX Schwerpunkt Palliativ- und Hospizbewegung 51 51

Umhüllt vom Mantel der Geborgenheit Im Palliativzentrum am Schwarzwald-Baar Klinikum erfahren schwer- und schwerstkranke Patienten ganz besondere Fürsor- ge, um ihnen bei ihrer unheilbaren Erkrankung größtmögliche Lebensqualität zu ermöglichen. von Roland Sprich Geduldig sitzt Oberarzt Frank Schaumann am Bett der Patientin. Tröstend hält er ihre Hand, während sie ihm von ihren Ängsten im Zu- sammenhang mit ihrer schweren, unheilbaren Krankheit erzählt. Dabei hat der Mediziner in Links: Intensive Zuwendung – Oberarzt Dr. Frank Schaumann im Gespräch mit einer Patientin. Rechts: Das Palliativzentrum (Bauwerk vorne) ist un- mittelbar dem Schwarzwald-Baar Klinikum angeglie- dert, es liegt nur wenige Meter entfernt. diesem Moment alle Zeit und ist nur für diese eine Patientin da. Frank Schaumann ist Pallia- tivmediziner im Palliativzentrum am Schwarz- wald-Baar Klinikum. Hier ticken die Uhren an- ders. Losgelöst vom streng durchorganisierten Klinikalltag orientiert sich der Alltag im Pallia- tivzentrum besonders eng an den Bedürfnissen der schwerstkranken Patienten. Seit fast einem Jahr ist das Palliativzentrum in Betrieb. Im Dezember 2015 nahm die zum Schwarzwald-Baar Klinikum gehörende, ausge- lagerte Station für die Betreuung schwer- und schwerstkranke Patienten ihren Betrieb auf. Vorangegangen waren sechs Jahre aufopfern- 52 Aus dem Kreisgeschehen

des Engagement des Vereins Palliativzentrum-VS, der sich ab 2009 das ehrgeizige Ziel setzte, den Bau eines Palliati- vzentrums allein durch Spen- den zu finanzieren. Dem Verein mit seinem rührigen Vorsitzenden, dem ehema- ligen Chefarzt Klaus Lang, ist es zu verdanken, dass das Schwarzwald-Baar Klinikum nicht nur eine Palliativsta- tion im Klinikgebäude, son- dern ein externes Gebäude bekommen hat. Mit zahlreichen Bene- Prof. Dr. Klaus Lang, 1. Vorsitzender des Palliativzentrum-VS e.V. und ehemali- ger Chefarzt der Medizinischen Klinik Villingen ist es zu verdanken, dass die Palliativstation ein externes Gebäude bekommen hat. fizaktionen trommelte der Palliativverein Geld zusam- men. Wenn auch nicht ganz allein aus Spendengeldern gestemmt, konnte das Palliativzentrum nach gut eineinhalbjähriger Bau- zeit Ende 2015 in Betrieb genommen werden. Insgesamt beruht die Finanzierung des 850 Quadratmeter großen und letztendlich 4,3 Mil- lionen Euro teuren Gebäudes auf fünf tragen- den Säulen: 1,7 Millionen Euro sammelte der Verein, 1,45 Millionen Euro steuerte das Land Baden-Württemberg bei. 200.000 Euro gab zudem die Deutsche Krebshilfe. Auch die Schwarzwald-Baar Klini- kum GmbH unterstützte das Vorhaben mit 350.000 Euro. Eine verbleibende Finan- zierungslücke wurde durch den Landkreis und die Stadt Villingen-Schwenningen ge- schlossen. Die Kosten rücken in den Hintergrund angesichts des Nutzens – das Palliativzent- rum ist für die medizinische Versorgung im Schwarz- wald-Baar-Kreis und darüber hinaus von großer Bedeu- tung. Patienten mit einer fortgeschrittenen Krankheit erfahren hier keine Heilung mehr – vielmehr steht die Linderung der Schmerzen und der Erhalt beziehungsweise die Steigerung der Lebensqualität im Mittelpunkt. „Das Behandlungsangebot der Palliativ- versorgung umfasst die individuelle, symptom- orientierte Betreuung und spezialisierte Pfle- ge“, erklärt Oberarzt Frank Schaumann. Palliativzentrum-VS 53

Im separaten Gebäude erinnert nichts an den Klinikbetrieb Wenngleich das Palliativzentrum eine Station des Schwarzwald-Baar Klinikums ist, unter- scheidet es sich deutlich von den Akutstationen. Schon räumlich. Das Palliativzentrum ist ein separates Gebäude, das durch einen Tunnel mit dem Hauptgebäude verbunden ist. Betritt man die Station, fällt sofort auf, dass hier praktisch nichts an einen Klinikbetrieb erinnert. An den Wänden im hellen, breiten Flur hängen groß- formatige Bilder von Künstlern. Die Patienten sind in zehn Einzelzimmern untergebracht. Wahlweise steht auch ein Doppelzimmer zur Verfügung. Jedes Zimmer hat Zugang zu einer Terrasse mit Sichtschutz zur Wahrung der Pri- vatsphäre. Der Blick schweift über ein Mohnfeld in die Ferne, der Klinikbau ist von den Patien- tenzimmern aus nicht zu sehen. Die Zimmer selbst sind großzügig geschnit- ten. Sie verfügen über eine jeweils eigene Nass- zelle, einen Fernseher und bodentiefe Fenster. So können sich die Patienten, auch wenn sie im Bett liegen, an der Aussicht erfreuen. Ein weiterer und wesentlicher Unterschied zum Aufenthalt in einem Akutkrankenhaus ist, dass sich ein großes Team, bestehend aus Medi- zinern, Pflegekräften, Psychoonkologen, Psycho- therapeuten, Seelsorgern und Sozialarbeitern so- wie der Brückenpflege wesentlich umfassender Ein Patient bekommt eine Infusion. Von der Fürsorge und Betreuung im Palliativzentrum sind er und seine Frau überwältigt. Behaglich: Im Wohnzimmer können sich die Patien- ten treffen und gemeinsam fernsehen. 54 Aus dem Kreisgeschehen

Mit zahlreichen Kunstwerken geschmückt prä- sentieren sich die Gänge. und intensiver um die Patienten kümmern kann, als dies in der Umgebung des hektischen Klini- kalltags möglich wäre. Grob gesagt kümmern sich doppelt so viele Kräfte um das Wohl jedes einzelnen Patienten wie auf einer Akutstation. Tagesablauf ist individuell Dass der Patient hier im Mittelpunkt steht, ist keine Floskel. Praktisch der gesamte Ta- gesablauf richtet sich individuell nach jedem Patienten. „Wenn ein Patient erst um 8.30 Uhr frühstücken möchte, dann kann er das tun“, er- läutert die kommissarische Stationsleiterin Juli- ane Tritschler. Die Klinikküche ist flexibel. Auch Körperpflege und andere Punkte richten sich nach den Bedürfnissen und dem aktuellen Ge- sundheitszustand des Patienten. Die Pflegekräf- te stehen, neben den Ärzten und Therapeuten, auch für längere Gespräche zur Verfügung. „Wir sind so organisiert, dass wir auch mal länger mit den Patienten reden können, und die anderen Mitarbeiter die Arbeit dann mittragen.“ Denn Jedes Zimmer hat Zugang zu einer Terrasse mit Sichtschutz zur Wahrung der Privatsphäre. Der Blick schweift über ein Mohnfeld in die Ferne, der Klinikbau ist von den Patientenzimmern aus nicht zu sehen. Palliativzentrum-VS 55

Welche Menschen brauchen die Palliativmedizin? Juliane Tritschler ist kommissarische Stationsleiterin im Palliativzentrum. Zuvor arbeitete sie auf der Onkologischen Station. Sie erklärt, für wen ein Aufenthalt im Palliativzentrum in Frage kommt. Und ob es Unterschiede zwischen Privat- und Kassenpatienten gibt. Was sind die Indikatoren dafür, dass ein Patient eine Empfehlung für einen Aufenthalt im Palliativzen- trum bekommt? Juliane Tritschler: Er muss eine lebenslimitierende Erkrankung haben. Also es muss klar sein, dass diese Erkrankung nicht mehr heilbar ist. Das kann eine Tumorerkrankung sein, aber genauso gut eine neurologische oder kardio- logische Erkrankung. Auch kommt es darauf an, wie sehr jemand unter einem bestimmten Symptom leidet. Wenn das eine Schmerzsymptomatik ist, die mit normalem Schmerzmanagement in den Griff zu bekommen ist, muss er nicht hierher. Das bekommen die Kollegen auf der Akutstation auch in den Griff. Aber es gibt Situationen, wo ein oder mehrere Symptome so massiv sind, dass sich Personen darum kümmern, die nichts anderes machen als sich mit diesen Symptomen zu beschäf- tigen. Juliane Tritschler, kommissarische Stationsleiterin im Palliativzentrum. Wie sieht es aus mit Patienten, die von zu Hause kommen? Ja, wenn die Situation zu Hause von den Angehöri- gen nicht mehr bewältigt werden kann, dann neh- men sich Psychoonkologen und Sozialarbeiter Zeit, um Gedenkbaum für frühere Patienten. zusammen mit den Ange- hörigen zu sehen, wie die häusliche Situation verbes- sert werden kann. Werden Privatpatienten bei der Abwägung bevorzugt? Nein, es steht ausschließ- lich die medizinische In- dikation im Vordergrund. Es spielt keine Rolle, ob es sich um einen Kassen- oder um einen Privatpati- enten handelt. Wer bezahlt den Aufenthalt im Palliativzentrum? Der Aufenthalt wird in jedem Fall von den Krankenkassen bezahlt. Es kommt trotz aller medizinischen Be mühun- gen vor, dass Patienten im Palliativzentrum sterben. Wie gehen die Mitarbeiter damit um und was bleibt von den Patienten zurück? Wir haben ein Buch, in dem Mitarbeiter ihre Eindrücke zu jedem Pa- tienten aufschreiben kön- nen. Auch hat unser Seel- sorger Uli Viereck einen Gedenkbaum an die Wand im Multifunktionsraum gemalt. Der Baum hat viele Blätter. Stirbt ein Patient, schreiben wir dessen Na- men in eines der Blätter. So bleibt uns jeder Patient in Erinnerung.“ 56 Aus dem Kreisgeschehen

Gespräche sind für die Patienten, neben der medizinischen Versor- gung, wichtig für ihr Seelenheil. „Vor allem nachts haben manche Patienten das Bedürfnis, mit je- mandem zu reden und sich mit ihren Ängsten anzuvertrauen“, sagt Tritschler. Den Patienten ist es selbst überlassen, ob sie sich in ihr Zim- mer zurückziehen oder ob sie an den Angeboten teilnehmen, für die neben einem Multifunktions- raum auch ein behaglich einge- richtetes Wohnzimmer zur Verfü- gung steht. Hier können sich die Patienten treffen und gemeinsam fernsehen. In einer kleinen Küche können Angehörige auch das mitgebrachte Lieblingsessen des Patienten erwärmen. Blick in ein Doppelzimmer mit Balkon, üblicherweise stehen den Patien- ten Einzelzimmer zur Verfügung. Medizinische und psychische Stabilisierung Seit Inbetriebnahme im Dezember 2015 hat sich das Palliativzentrum gut entwickelt. „Wir bekommen sehr gute Rückmeldungen sowohl von Patienten als auch Angehörigen. Das freut uns natürlich sehr.“ Manche Patienten würden zunächst mit gemischten Gefühlen hierher kom- men. „Sie wissen nicht, was sie erwartet und mit dem Einzug ins Palliativzentrum bekommt die Krankheit noch einmal eine ganz andere Gewichtung“, weiß Juliane Tritschler. Das gebe sich schnell. „Weil die Patienten merken, dass ihr Leben im Vordergrund steht und dass wir schau- en, was wir den Patienten und den Angehörigen Gutes tun können.“ Denn nicht nur die Patienten selbst werden hier betreut. Auch die Angehörigen werden mit einbezogen und erhalten bei Bedarf ebenfalls psychotherapeutische Betreuung oder Unter- stützung in sozialrechtlichen Fragen. Etwa nach Unterstützungsmöglichkeiten, wenn der Patient wieder nach Hause entlassen wird. Im ersten Halbjahr seit Inbetriebnahme wur- den rund 120 Patienten betreut. Damit zeichnet sich ab, dass sich die Prognose von rund 250 Pa- tienten pro Jahr erfüllen wird. Drei Viertel der Pa- tienten werden klinikintern ins Palliativzentrum verlegt. Meist von der Onkologie. „Bislang hatten wir ausschließlich Patienten mit Tumorerkran- kungen.“ Generell können aber auch Patienten beispielsweise mit kardiologischen oder neu- rologischen Erkrankungen im Palliativzentrum aufgenommen werden. Ein Viertel der Patienten wurde von den niedergelassenen Hausärzten oder von anderen Kliniken zugewiesen. Das Ein- zugsgebiet ist groß und reicht von Konstanz bis Stuttgart. Im Schnitt sind die Patienten zwischen zehn Tagen und drei Wochen hier. Während dieser Zeit werden sie medizinisch und psychisch so weit stabilisiert, dass sie wieder nach Hause in ihre gewohnte Umgebung entlassen werden können. „Unsere Patienten sind im Schnitt 65 Jahre alt. Dabei war der jüngste Patient bis- lang 23 Jahre, die älteste Patientin 95 Jahre“, umfasst die Stationsleiterin die Altersspanne. Auch wenn Patienten mit unheilbaren Er- krankungen und häufig verzweifelte Angehöri- ge das alltägliche Bild bestimmen, so geht es im Palliativzentrum keinesfalls nur ernst zu. „Bei uns wird auch viel gelacht“, sagt Juliane Tritschler. Sie erinnert sich an eine Patientin, die in einem sehr schlechten Zustand ankam und sich während ihres dreiwöchigen Aufenthaltes so gut erholen konnte, dass sie ihren Abschied mit einem Sekt- frühstück feierte. Palliativzentrum-VS 57

Den Tod in die Mitte des Lebens rücken Die Hospizarbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis ist beispielhaft von Roland Sprich Es geht darum, Zuwendung und Unterstützung im Tod zu geben – das Sterben wie- der in das Leben zu integrieren. Die so wichtige Hospizarbeit im Schwarzwald-Baar- Kreis ist vielfältig: Seit 25 Jahren gibt es die „Hospizbewegung ambulant Schwarz- wald-Baar e.V.“, aufgebaut durch das Diakonische Werk und den Caritasverband. Am „Hospiz am Dreifaltigkeitsberg“ in Spaichingen ist auch der Schwarzwald-Baar-Kreis beteiligt. Sein gleichnamiger Trägerverein wurde am 5. Oktober 2009 gegründet und zählt über 300 Mitglieder. Ebenso besteht die gemeinnützige Einrichtung Hospiz Via Luce. Der Hospiz Förderverein Villingen-Schwenningen leistet über Spendengelder die ergänzende finanzielle Basis für dieses Hospiz. Außerdem bildet er ehrenamt- liche Begleiter aus. Gegenwärtig arbeitet der Verein weiter am Aufbau des Kinder- und Jugendhospizes „Sternschnuppe“. Hospiz bedeutet, das Sterben in das Leben zu integrieren – liebevolle und achtsame Begleitung in der letzten Lebensphase zu geben. Auch gekocht wird gemeinsam, hier eine Impression aus dem Hospiz Via Luce. 58 Aus dem Kreisgeschehen

Der Tod ist ein fester Be- standteil des Lebens. Und wenn das Lebensende abseh- bar ist, will man diese Welt würdevoll und in vertrauter Umgebung verlassen dürfen. Zudem möchte die große Mehrheit in der Stunde des Todes nicht alleine sein. Die Praxis jedoch sieht anders aus. Einer Studie von 2009 zufolge stirbt weniger als ein Drittel der Bundesbür- ger zu Hause. Über die Hälfte aller Sterbefälle ereignet sich in Krankenhäusern, gefolgt von Alten- und Pflegeheimen. Nachdem sich die gesell- schaftlichen Strukturen in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert haben, Mehrgene- rationenfamilien kaum noch miteinander unter einem Dach leben und die Zahl der Singlehaus- halte ansteigt, lässt sich der Wunsch, bis zum Lebensende in den eigenen vier Wänden blei- ben zu können, immer seltener umsetzen. Dank der Hospizidee ist hier eine Umkeh- rung möglich. Im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es mehrere Formen der Hospizarbeit, die Ster- bende in ihrer letzten Lebensphase ambulant oder in stationären Einrichtungen begleiten. Außerdem rückt die Betreuung der Hinterblie- benen auch über den Tod ihrer Angehörigen hinaus immer stärker in den Aufgabenbereich. Ambulanter Hospizdienst seit 1992 Vor 25 Jahren hat die ambulante Hospiz arbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis eine Vorreiterrolle eingenommen. 1992 bauten das Diakonische Werk und der Caritasverband einen ambulan- ten Hospizdienst auf. Seither machen es sich eh- renamtlich tätige Frauen und Männer zur Auf- gabe, schwerstkranke, sterbende Menschen und deren Angehörige in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Der Sterbende erfährt möglichst in seinen eigenen vier Wänden menschliche Zuwendung, medizinische Versorgung und, in Die Vorstandschaft des Vereins „Hospizbewegung ambulant Schwarz- wald-Baar e.V.“ (2016), von links: Elisabeth Breithaupt, Schriftführerin, Gudrun Krämer, Kassiererin, Verena Hoer, stellvertretende Vorsitzende, Anita Neidhardt-März, Beirat und Dr. Knud Eike Buchmann, Vorsitzender. enger Zusammenarbeit mit Brückenpflege oder ambulanten Pflegediensten, Begleitung und pflegerische Maßnahmen. Ende 1996 wurde diese Arbeit in dem Verein Hospizbewegung Schwarzwald-Baar-Kreis zusammengefasst. Der Psychologe Professor Dr. Knud Eike Buchmann ist seit 2014 Vorsitzender der Hospiz- bewegung ambulant im Schwarzwald-Baar- Kreis. Der Zusatz „ambulant“ ist neu. „Um den Gedanken unserer ambulanten Versorgung noch stärker zu betonen und um den Menschen deutlich zu machen: Wir kommen zur Sterbe- begleitung nach Hause oder ins Alten- oder Pflegeheim“, erläutert Knud Eike Buchmann. Der Verein hat derzeit 200 Mitglieder, etwa 45 Personen aus nahezu allen Gemeinden im Schwarzwald-Baar-Kreis sind derzeit für die Hospizbewegung als ausgebildete Sterbebeglei- ter aktiv. Alle sind lebenserfahren und haben häufig bereits selbst den Verlust eines geliebten Menschen erlitten. Angst vor Leid und Schmerzen nehmen Der Anspruch der Hospizbewegung ist es, die Angst vor dem Sterben, vor Leid und vor Schmerzen zu lindern. Meist sind es Frauen, die diese Aufgabe übernehmen. „Wir bräuchten dringend mehr Männer“, sagt Buchmann. Denn Hospizarbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis 59

Sterbebegleiter Bertram Krämer sitzt am Bett einer schwerkranken Patientin und liest aus einem Buch vor. Diese zum Schutz der Patienten nachgestellte Szene zeigt auf, um was es bei der Hospizarbeit geht: Zuwendung und mensch liche Wär- me geben. die jahrelange Erfahrung zeigt, dass sich Männer in ihrer letzten Lebensphase häufig lieber von einem Mann begleiten lassen wollen. Bertram Krämer aus St. Georgen ist einer der wenigen Männer, die für die Hospizbewegung Schwarzwald-Baar im Einsatz sind. Seit sechs Jahren betreut er schwerstkranke und sterben- de Menschen. „Ich möchte auf diese Weise der Gesellschaft etwas zurückgeben“, erklärt der selbständige Unternehmer. Wenn er am Bett einer zu betreuenden Person sitzt, die gezeich- net von Krankheit und Schwäche vielleicht nicht mehr sprechen kann, ihn aber anlächelt und so ihre Dankbarkeit ausdrückt, dass er in dem Mo- ment da ist, „erfüllt mich das mit einer tiefen Zufriedenheit.“ Die Sterbebegleiter der Hospizbewegung Schwarzwald-Baar begleiteten im Jahr 2015 insgesamt 73 schwerstkranke und sterbende Menschen und deren Angehörigen. Die meisten von ihnen zu Hause oder in einer stationären Pflegeeinrichtung. Drei Viertel der begleiteten Personen waren Frauen. Das Alter lag zwischen 19 und 103 Jahren. Insgesamt leisteten die Ster- bebegleiter im vergangenen Jahr 1.800 Stunden ehrenamtlichen Einsatz. „Der Tod muss hingenommen werden, ein schmerzhaftes, unwürdiges Sterben aber nicht“ Ein Anliegen von Knud Eike Buchmann als Vor- sitzendem der Hospizbewegung im Schwarz- wald-Baar-Kreis ist es, den Tod aus der Randzo- ne des Lebens heraus zu holen und in die Mitte des Lebens zu integrieren. Die Betroffenen selbst wie auch ihre Angehörigen sollen mit psychosozialer Unterstützung auf den bevorste- henden Tod vorbereitet werden. „Nicht nur das Leben, auch das Sterben und den Tod kann man vorbereiten“, sagt der Psychologe. Damit meint er nicht allein den technischen und medizini- schen Aspekt, sondern vor allem die persönliche Ebene. „Wie man stirbt, ist unterschiedlich. Aber wir können die große Angst vor dem Tod nehmen. Auch zugunsten der Angehörigen, die den geliebten Menschen gehen lassen müssen.“ Insbesondere die Angst vor einem schmerzhaf- ten Sterben beunruhigt die Menschen. „Der Tod muss hingenommen werden. Ein schmerzhaftes und unwürdiges Sterben hingegen nicht“, so Buchmann. In der Hospizarbeit ist deshalb die umfassende, palliative Schmerztherapie ein wichtiger Teil der Betreuung. Die Hospizbewegung erfüllt sechs Qualitäts- kriterien: 1. Der Kranke und seine Angehörigen stehen im Mittelpunkt des Dienstes. 2. Die Un- terstützung erfolgt durch ein interdisziplinäres, multiprofessionelles Team. 3. Die Einbeziehung freiwilliger und ehrenamtlicher Begleiter als Integration des Sterbenden und des Sterbens allgemein in die Gesellschaft. 4. Palliative Hilfe als Garantie für Schmerzfreiheit und Lebens- qualität bis ans Lebensende. 5. Lebensqualität statt Lebensquantität. 6. Trauerbegleitung der Angehörigen nach dem Tod des Patienten. Ein anderer wichtiger Aspekt, den der Psy- 60 Aus dem Kreisgeschehen

chologe in der Zukunft weiter ausbauen möch- te, ist die Trauerarbeit. Neben der natürlichen Trauer über den Verlust eines geliebten Men- schen teilt Buchmann Trauer in unterschiedli- che Phasen ein. „Bei der pathologischen Trauer trauern Hinterbliebene oft über Jahre.“ Das las- se sich beispielsweise bei Eltern erkennen, die das Kinderzimmer ihres verstorbenen Kindes noch lange Zeit nach dessen Tod unberührt las- sen. Ein weiteres Feld sei die depressive Trauer, die bei den Betroffenen in alle Lebensbereiche eingreift. Der Rückzug aus der Gesellschaft und die drohende Vereinsamung vieler Menschen müsse nicht sein, würde man sich zu Lebzeiten mit dem Tod beschäftigen. Die Aufnahme ist kostenfrei Die Frage, ob die Sterbebegleitung durch einen ambulanten Hospizdienst oder die Aufnahme in ein stationäres Hospiz erfolgen kann, ist eindeu- tig geregelt. Für die Aufnahme in ein stationäres Hospiz gibt es klar definierte Voraussetzungen. So dürfen im Hospiz nur Menschen aufge- nommen werden, die an einer unheilbaren und in ihrem Stadium weit fortgeschrittenen Erkrankung leiden und bei denen eine weitere Krankenhausbehandlung nicht mehr sinnvoll erscheint. Beispielsweise eine fortgeschrittene Krebserkrankung, eine vollausgeprägte Aidser- krankung oder Endzustände einer chronischen Nieren-, Herz-, Verdauungstrakt- oder Lungen- erkrankung. Ob ambulant oder stationär, Hospizarbeit kostet Geld. Jedoch ist die Betreuung im Hospiz für die Betroffenen und deren Angehörigen grundsätzlich kostenlos. Während die Kosten im stationären Hospiz seit 2016 zu 95 Prozent von den Krankenkassen übernommen werden (bislang 90 Prozent), muss die ambulante Hos- pizarbeit ausschließlich über Spenden finanziert werden. In der ambulanten Hospizarbeit müs- sen, neben der Kostenübernahme für das Büro und die Fahrtkosten der Begleiter, alle weiteren Kosten durch Spenden erwirtschaftet werden. „Zwar arbeiten unsere Mitarbeiter und alle Vorstandsmitglieder des Vereins ehrenamtlich; aber wir benötigen Geld, um Veranstaltungen zu organisieren oder um mit den zu betreuen- den Personen etwas unternehmen zu können“, macht Knud Eike Buchmann von der Hospizbe- wegung ambulant Schwarzwald-Baar deutlich. Im Gegensatz zum stationären Hospiz, in dem die Begleitung meist wenige Wochen dauert, kann die ambulante Begleitung über einen längeren Zeitraum bis zu mehreren Monaten gehen. Während dieser Zeit bauen sich auch häufig intensivere Kontakte zu den Sterbenden und deren Angehörigen auf. Das Hospiz am Dreifaltigkeitsberg Das regionale Hospiz in Spaichingen wurde im Oktober 2011 eröffnet und liegt am Rande eines ruhigen Wohngebietes, umgeben von einem großen Garten. Mit einem freien Blick auf den namensgebenden Dreifaltigkeitsberg lädt es zum Ankommen und Atemholen ein. Der zent- rale und lichtdurchflutete Aufenthaltsraum ist Treffpunkt und Wohnbereich für die Bewohner der acht Gästezimmer. Die rund 20 Mitarbeite- rinnen und 30 Ehrenamtlichen begleiten und umsorgen liebevoll die Hospizgäste und deren Angehörige. Ein ausgereiftes palliativmedizinisches, pflegerisches und seelsorgerliches Konzept er- möglicht ein würdevolles Abschiednehmen. Ein ganz besonderer Ort ist der Andachtsraum „Ve- ronika“, der als spiritueller Mittelpunkt auch für Das Hospiz am Dreifaltigkeitsberg in Spaichingen. Hospizarbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis 61

eine weitergehende Trauerarbeit genutzt wird und vom bekannten Rottweiler Künstler Tobias Kammerer ausgestaltet wurde. Entstanden ist das Hospiz in Kooperation der drei Landkreise Schwarzwald-Baar-Kreis, Rottweil und Tuttlingen, die neben den neun ambulanten Hospizgruppen und den Kirchen mit im Trägerverein vertreten sind. Der breite gesellschaftliche Zuspruch und die beeindru- ckenden Rückmeldungen der Angehörigen zei- gen, dass sich das Hospiz am Dreifaltigkeitsberg unter der Leitung von Susanne Schell und Heike Kupferschmid zu einer der wichtigsten sozialen Einrichtungen in der Region entwickelt hat. Es mag etwas pathetisch klingen, aber dass der Tod zum Leben gehört ist an diesem Ort in einer liebevollen Natürlichkeit erlebbar. Seit 2009 gibt es auch im Landkreis ein stationäres Hospiz Nachdem die ambulante Hospizbewegung 18 Jahre lang ein Alleinstellungsmerkmal im Schwarzwald-Baar-Kreis hatte, nahm 2009 das erste stationäre Hospiz seinen Betrieb auf. Maria Noce gründete das Hospiz Via Luce in VS-Schwenningen. Auslöser war eine persön- liche Erfahrung. Als Pflegefachkraft betreute Maria Noce zunächst ambulant eine krebskran- ke, junge Frau. Viele weitere Begleitungen in betroffenen Familien folgten – darunter auch Impressionen aus dem Hospiz in Spaichingen, wo Sterbende und Angehörige liebevoll umsorgt werden. Familien mit schwerkranken Kindern. Hieraus erwuchs schließlich der Gedanke, die Hospizar- beit im Schwarzwald-Baar-Kreis auszubauen. Mit der Eröffnung 2009 des ersten stationären Hospizes im Schwarzwald-Baar-Kreis leistete Maria Noce Pionierarbeit. Am Stadtrand von Schwenningen gelegen, kann das Hospiz Via Luce bis zu acht Gäste in einer warmen, wertschätzenden und persönli- chen Atmosphäre beherbergen. Im Mittelpunkt der Arbeit der qualifizierten haupt- und enga- gierten ehrenamtlichen Beschäftigten steht nicht der Tod, sondern das Leben. „Bei uns wird viel gelebt“, beschreibt Elke Mieg das Konzept, die für die Öffentlichkeitsarbeit im Via Luce zu- ständig ist, das Konzept. Die würdevolle und schmerzfreie Begleitung steht im Vordergrund. So wird alles unternom- men, um den Gästen die noch verbleibende Lebenszeit so angenehm wie möglich zu gestal- ten. Um die Bewohner kümmert sich ein multi- funktionales Team – neben dem Fachpflegeper- sonal bestehend aus Medizinern, Therapeuten und Seelsorgern. Auch eine Brückenpflege und ehrenamtliche Hospizbegleiter stehen zur Ver- fügung. Weiter werden in Absprache mit den Gästen verschiedene Veranstaltungen geboten. Ehrenamtliche Helfer begleiten die Gäste bei- 62 Aus dem Kreisgeschehen

spielsweise zum Friseurbesuch. „Oder sind ein- fach da“, sagt Elke Mieg. Die geschulten Helfer erkennen, ob ein Gespräch gewünscht ist oder ob es darum geht, schweigend am Bett des Gas- tes zu sitzen und seine Hand zu halten und ihn spüren zu lassen, dass er nicht alleine ist. Die Angehörigen werden, soweit möglich, in die Betreuung mit eingebunden. Jedes Jahr im September gibt es zudem ein Lichterfest, bei dem Angehörige am Ende eine Schwimmkerze entzünden und sie auf dem Wasser aussetzen können als Andenken an ihren Verstorbenen. Die Auslastung der acht Betten im Hospiz Via Luce beträgt rund 90 Prozent. Nach dem Tod eines Gastes können sich die Angehörigen in dessen Zimmer von ihrem Verstorbenen auf Wunsch mit einer kleinen Zeremonie verab- schieden. Die Betreuung endet nicht automa- tisch mit dem Tod. „Wir begleiten Trauernde in Einzel- oder auch Gruppengesprächen“, sagt El- ke Mieg. Einmal im Monat können sich Trauern- de auch im Trauercafé Lebensblick austauschen. Diese Aufgabe wird, neben vielen anderen, vom Hospizförderverein VS e. V. übernommen. Der sorgt, neben der finanziellen Unterstützung unter anderem für die Organisation von Veranstal- tungen, deren Erlös wiederum dem Hospiz zugute kommt, u.a. für die fachlich-qualifizierte Ausbildung von Hospizbegleitern. Seit Beginn übernehmen die ehrenamtlichen Helfer des Hospizfördervereins zudem ebenfalls die ambulante Be- treuung schwerstkranker und ster- bender Menschen zu Hause, im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Maria Noce Kinder- und Jugendhospiz geplant Die Initiatorin und Gründerin des Hospizes Via Luce, Maria Noce, hat bereits eine neue Vision: Sie plant den Ausbau der stationären Kinder- und Jugendhospizarbeit im Schwarzwald-Baar- Kreis und den Bau des Kinder- und Jugendhos- pizes „Sternschnuppe“. „Die Anforderungen an ein Kinder- und Jugendhospiz sind ganz andere Zuwendung erfahren – auf Besuch im Hospiz Via Luce. als an ein Erwachsenenhospiz“, erklärt Elke Mieg. So sollen hier Kinder und Jugendliche mit einer unheilbaren und lebensverkürzenden Krankheit stationär betreut werden und bei einem vierwöchigen Aufenthalt pro Jahr neue Kraft tanken können. Da in besonderem Maße auch die Eltern und Geschwister integriert werden sollen, erfordert das Konzept neben dem medizinisch-pflegeri- schen und psychosozialen Aspekt räumlich ganz andere Anforderun- gen. Am Standort von Via Luce ist derzeit deshalb ein Erweiterungs- bau geplant, in den das Erwachse- nenhospiz umziehen wird. In den freien Räumen soll zunächst eine Kinder- und Jugendlichen-Kurz- zeit- und Verhinderungspflege ein- gerichtet werden, bis der Neubau um ein weiteres Stockwerk ergänzt werden kann. Die Pläne sind weit gediehen. „Doch wir benötigen noch viele Spendengelder“, unter- streicht Elke Mieg. Der Landkreis unterstützt die ambulante und stationäre Hospizarbeit im Rahmen einer Freiwilligkeitsleistung: Für die Arbeit der Hos- pizvereine werden 3.100 Euro jährlich bereitge- stellt. Der Betrag wird unter den beiden Hospiz- vereinen aufgeteilt. Darüber hinaus fördert der Landkreis das Hospiz am Dreifaltigkeitsberg in Spaichingen mit 10.000 Euro jährlich und das Hospiz Via Luce mit jährlich 15.000 Euro. Hospizarbeit im Schwarzwald-Baar-Kreis 63

1723 verlegte Fürst Joseph Wilhelm Ernst zu Fürs- tenberg, der junge Reichsfürst, seine Residenz von Stühlingen aus in das zentraler gelegene Donaueschingen. In der neuen Residenz begann eine rege Bautätigkeit – zum Nutzen von Hand- werk und Gewerbe in weitem Umkreis. Das Schloss wurde erweitert und saniert. Seine heuti- ge Gestalt erhielt es dann in den Jahren 1893 bis 1896. In diesem Zeitraum wurde die Südfassade zum Schlosspark hin durch den vorgestellten Bal- kon mit überdachter Einfahrt und barocken Büs- ten belebt, das Dach mit einer Kuppel überwölbt. Noch im 18. Jahrhundert entstand im Stil des Böhmischen Barock die Kirche St. Johann nach Plänen des Prager Baumeisters Maximilian Kanka. Schließlich baute man nach Plänen von Franz Joseph Salzmann aus Stein und Eisen in der Haldenstraße ein fortschrittliches Archivgebäu- de, in dem auch heute noch die Urkunden und Wettbewerbsentwurf zur Umgestaltung des Resi- denzbereiches mit historischer Donauquelle vom Büro lohrberg stadtlandschaftsarchitektur, Stuttgart. Dokumente des Gesamthauses gesammelt und aufbewahrt werden. Schon 1732 war in der Halden- straße ein Regierungsgebäude entstanden, in dem in späterer Zeit die Fürstliche Hofbibliothek untergebracht wurde. Heute ist die Alte Hofbi- bliothek frisch sanierter Sitz des Kinder- und Ju- gendmuseums, einer erfolgreichen neuen Ein- richtung, von der später noch die Rede sein wird. So entstand im 18. Jahrhundert der Resi- denz bereich in Donaueschingen. Dieses Viertel stellt den östlichen Pol der Stadtentwicklung dar. Kirchplatz St. Johann, Schlosspark und Donauquelle lagen immer etwas abseits der In- nenstadt. In den 50er-Jahren wurde die Straße an der Stadtkirche, die den Kirchplatz von der 66 Städte und Gemeinden

Innenstadt trennt, neu gestaltet. Im September 1956 wurde das Hotel Lamm, das bis dahin den Straßenzug an der Stadtkirche stark eingeengt hatte, abgebrochen. Damit wurde Raum für ei- ne großzügige Straße geschaffen, die bis in die 80er-Jahre hinein auch eine stark frequentierte Landesstraße war. Städtebaulicher Wettbewerb Bei der Auslobung des Städtebaulichen Wettbe- werbes „Neugestaltung des Bereiches zwischen Residenz und Innenstadt“ im Jahr 2009 hat der Gemeinderat formuliert, dass dieser „für ver- schiedene Besuchergruppen (Touristen, Naher- holung, Kirchgänger) wichtige Stadtbereich nur unzureichend an die Innenstadt, insbesondere an die untere Karlstraße, angebunden ist“. Im Rahmen des Wettbewerbes sollte aufgezeigt werden, wie die Anbindung des Residenzberei- ches für Fußgänger und Radfahrer verbessert werden könnte. Ziel des Wettbewerbes war die Erstellung eines Gesamtkonzeptes zur Nutzung und Gestaltung für die städtischen Freiflächen und die öffentlichen Verkehrsflächen. An dem städtebaulichen Wettbewerb nah- men 30 Stadtplanungs- und Landschaftsarchi- tekturbüros teil. Im Preisgericht des Wettbewer- bes saßen neben Oberbürgermeister Thorsten Frei und Bürgermeister Bernhard Kaiser auch Fürstin Massimiliana zu Fürstenberg, Pfarrer Dr. Fischer und Vertreter aller im Gemeinderat der Stadt Donaueschingen vertretenen Frak- tionen. Die Preisgerichtssitzung fand am 7. Ju- li 2009 statt und dauerte von 9 Uhr morgens bis in die Abendstunden. Am Ende dieser Sitzung empfahl das Preisgericht dem Gemeinderat der Stadt Donaueschingen einstimmig den Entwurf des Büros lohrberg stadtlandschaftsarchitektur, Stuttgart, zur Realisierung. Auch der Gemein- derat hat sich am 3. November 2009 diesem Votum einstimmig angeschlossen. Die Entscheidung fällt zugunsten von lohrberg stadtlandschaftsarchitektur Was zeichnet den Entwurf des Büros lohrberg stadtlandschaftsarchitektur aus? Das Preisge- richt hat dies wie folgt formuliert: Der Wett- bewerbsentwurf besticht durch seinen städte- baulichen und freiraumplanerischen Ansatz. Gefallen hat die Überplanung der einzelnen Bereiche Kirchplatz, Umfeld Musikschule, Vor- platz Fürstenbergische Brauerei und Postplatz. Zur Oldtimerrallye Paul-Pietsch-Classic 2016 bildete das Schloss der Fürstenberger eine eindrucksvolle Kulisse. Neugestaltung Residenzbereich und Donauquelle Donaueschingen 67

Das Zusammenfließen dieser Bereiche mit der Innenstadt spielt in der Gestaltung der Über- gänge und Treppen sowie in der Auswahl der Materialien eine wichtige Rolle. Deutlich wird die Anbindung an die Innenstadt durch das Schaffen einer neuen Treppenanlage mit un- terschiedlichen Niveaus im Bereich der Musik- schule. Ebenso ablesbar ist der Übergang von der Kirche über die Karlstraße zur Innenstadt. Es gelingt gut, den Kirchplatz mit dem Kirchen- plateau herauszuarbeiten. Dabei überzeugt der Entwurfsansatz, den Platzbelag über die Kirche im Nordbereich bis zu den Arkaden hinaus zu ziehen. Als sehr positiv beurteilt wird der Über- gang in der topographisch schwierigen Situa- tion im Bereich zwischen Café Reiter, Fürsten- bergischer Brauerei und der Musikschule. Hier bietet der Verfasser ein Lösungskonzept, das einen schlüssigen Zugang zur Innenstadt auf- weist und gleichzeitig eine neue Interpretation der Altstadtkante darstellt. Der vorgeschlagene offene Platz vor der Fürsten bergischen Brauerei, der Lammplatz, mit der Idee zur Information über die Donauquelle stellt einen interessanten Beitrag dar. Die Sanierung der Schützenbrücke Vier Jahre sollten vergehen, bis der Startschuss für die Umsetzung dieser Planungen fiel. Be- gonnen wurde im März 2013 mit der Sanierung der Schützenbrücke, eines stadtbildprägenden historischen Bauwerkes. 1841 trat die Schützen- brücke an die Stelle einer alten, schmalen Holz- brücke. Die neue Steinbrücke erhielt den Namen von Großherzog Leopold, dem damaligen badi- schen Landesherrn. Der Name Leopoldsbrücke konnte sich je- doch nie durchsetzen. Der volkstümliche Name „Schützenbrücke“ bezieht sich auf den unmit- telbar angrenzenden Gasthof „Zum Schützen“. Im Schützen pflegte sich einst die Donau- eschinger Schützengesellschaft nach ihren Schießübungen zum gemeinsamen Umtrunk einzufinden. Die Schützenbrücke war 1988 letztmals saniert worden. Daher stand am Be- ginn der Neugestaltung des Residenzbereiches die umfangreiche Sanierung dieses historischen Brückenbauwerkes. Der Lammplatz als Informationsort und Start- punkt des Radweges Deutsche Donau Weiter ging es 2013 mit der Gestaltung des Lammplatzes. Dieser Platz war bis dahin Park- platz. Das Büro lohrberg stadtlandschaftsarchi- tektur hatte vorgeschlagen, hier einen neuen Stadtplatz zu schaffen, der mit seinem Namen an das leider abgebrochene Hotel Lamm er- innert. Der neu geschaffene Stadtplatz sollte genutzt werden, um im Residenzbereich an- kommende Besucher über die Donauquelle, den Verlauf der Donau und über die Geschichte der Stadt zu informieren. 2015 hat der Gemeinderat entschieden, auf den Lammplatz den Start- punkt des Radweges Deutsche Donau zu legen. 68

Informationen zum Donauverlauf findet der Besucher hier heute in Form eines Bodenreliefs, in dem die Topografie und die wichtigsten gro- ßen Donaustädte in abstrakter Form gezeigt werden. Ein geografisch exaktes Modell findet sich als Bronzemodell gleich benachbart im Bereich der Schützenbrücke. Dieses Modell, das mit Spenden der Bürgerstiftung Donau- eschingen, der Sparkasse Schwarzwald-Baar und des Lions-Clubs Donaueschingen finanziert wurde, bietet auch Sehbehinderten und Blinden die Möglichkeit, sich die Topographie des Do- nauverlaufs und die Lage der in Braille beschrif- teten wichtigsten Donaustädte zu ertasten. Mit der neu geschaffenen Brigach-Stufenan- lage an der Schützenbrücke hat Donaueschin- gen erstmals im Stadtgebiet einen Zugang zum Brigachwasser erhalten. Oberbürgermeister und Gemeinderat war dies ein großes Anliegen. Der nördliche Brigachbereich, auf den die Sonne fast den ganzen Tag fällt, eignet sich hierfür besonders gut. Enthüllung des taktilen Landschaftsmodells zum Donau verlauf, v. links: Gerhard Vetter, Sparkasse Schwarzwald -Baar, Oberbürgermeister Erik Pauly, Bürgermeister Bernhard Kaiser, Lions Club, Clemens Mark, Firma Geo-bit aus Nürtingen, Ernst Zimmermann und Wolfgang Riedmaier, Bürgerstiftung Donau- eschingen. Museum Art.Plus als ein Zentrum des Donaueschinger Kulturleben Ein besonderer Glücksfall für die Stadtent- wicklung ist das im Residenzbereich in einem historischen Museumsgebäude südlich der Brigach gelegene Museum Art.Plus. Bereits vor zweihundert Jahren traf man sich hier im „Mu- seum“, dem „Tempel der Musen“, zu geselliger Die sanierte Schützenbrücke (linke Seite) und Sonnenaufgang am Lightning Strike von David Nash vor dem Museum Art.Plus.

Unterhaltung, zur Pflege von Wissenschaften und Künsten. Die Donaueschinger Museums- gesellschaft gründete sich 1818. Eine Stiftung des Fürsten Karl Egon II. zu Fürstenberg ermög- lichte den Ankauf eines Bauplatzes und den Bau des eigenen Versammlungsgebäudes. Dieser Bau brannte 1845 ab, doch konnte alsbald auf seinen Fundamenten ein Neubau errichtet werden. Seit den 30er-Jahren beherbergte das Mu- seum ein Kino. Der Lichtspielbetrieb endete im Jahre 2006. Wenige Jahre später wurde das Gebäude von der Fürstenfamilie veräußert. Der neue Eigentümer begann 2008, das Gebäude als Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst umzubauen. Heute hat sich das Museum Art.Plus zu einem Zentrum des Donaueschinger Kultur- lebens entwickelt. Jährlich wechselnde große sowie kleine Kunstausstellungen, regelmäßige Führungen, Diskussionen und Vorträge zu ak- tuellen Kunstpositionen, aber auch Konzerte im Spiegelsaal bereichern das städtische Kulturleben und werten den Residenzbereich enorm auf. Von der Alten Hofbibliothek zum Kinder- und Jugendmuseum Donaueschingen Eine ähnlich erfolgreiche Entwicklung hat auch die Alte Hofbibliothek in der Haldenstraße auf der nördlichen Brigachseite genommen. Dieses Gebäude wurde vom Haus Fürstenberg vor eini- gen Jahren verkauft. Der neue Eigentümer hat das Gebäude vorbildlich saniert. Ein Stockwerk des Gebäudes wurde an das Kinder- und Ju- gendmuseum Donaueschingen vermietet, das durch den „Mach mit! – Museum für Kinder und Jugendliche in Donaueschingen e.V.“ getragen wird. Das Museum ist in vier Bereiche unterglie- dert, die die Namen Raum des Wunderns, Raum Natur, Raum Technik und Raum Mensch tragen. Hier können die Besucher in den einzelnen The- menbereichen selbstständig oder im Dialog mit Tutoren an Versuchsboxen und Experimentier- stationen arbeiten. Im Fokus des Museums stehen die Konzepte der Naturwissenschaften und Technik sowie das Materialkreislaufprinzip „Cradle to Cradle®“. Zusätzlich bietet das Museum Workshops und Führungen an. Die Exponate und Aktivitäten sind abgestimmt auf ein junges Publikum, doch sind die Inhalte für jede Altersgruppe geeignet. Ein neu gestalteter Zugang zum Max-Rieple-Platz Ein weiterer Besuchermagnet im Residenzbe- reich ist das Ende der 1980er-Jahre entstandene Bürger- und Kulturzentrum Max-Rieple-Platz. Der Platz ist benannt nach dem Donaueschin- ger Schriftsteller und Lyriker Max Rieple, der viele Bücher und Publikationen seiner Heimat- stadt Donaueschingen widmete. Rund um den Max-Rieple-Platz befinden sich die Kunst- und Musikschule, die Stadtbibliothek, die Städtische Galerie im Turm und der Gewölbekeller, in dem regelmäßig Kleinkunstveranstaltungen statt- finden. Auch das Amt für Kultur, Tourismus und Marketing hat seinen Sitz an diesem von vielen Touristen besuchten Platz. Im Rahmen der Neugestaltung des Residenz- bereiches wurde der Zugang zum Max-Rieple- Platz von der Straße an der Stadtkirche neu gestaltet. Dies war möglich geworden, weil der Gemeinderat entschieden hatte, dass die Tiefgarage unter dem Max-Rieple-Platz, die seit dem Ende der 1980er-Jahre auch als ziviler Luftschutzraum genutzt werden konnte, ihre Zivilschutzeigenschaft verloren hatte. Dadurch wurden die für die Neugestaltung des Zugangs notwendigen Abbrüche und Umbauten möglich. Der Gemeinderat hat im Vorfeld der Neu- gestaltung des Residenzbereiches Verträge sowohl mit der Kirchengemeinde als auch mit dem Haus Fürstenberg abgeschlossen. Inhalt dieser Verträge sind die freie Zugänglichkeit und die Nutzung des Kirchplatzes und des Donauquellbereiches für Veranstaltungen. Die Verträge haben auch eine öffentliche Förderung der städtischen Baumaßnahme ermöglicht, die ja auf fremden Grundstücken durchgeführt wurde. Die Stadt Donaueschingen hat insge- samt 7,4 Mio. Euro in die Neugestaltung der öffentlichen Bereiche einschließlich Kirchplatz und neuem Aufzug zur Donauquelle inves- tiert. Großzügige Zuschüsse kamen vom Land 70 Städte und Gemeinden

Von oben links: Aufgang zum Max-Rieple-Platz bei der Kunst- und Musikschule, der Lammplatz, die Hofbiblio- thek, Standort des Kinder- und Jugendmuseums, sowie die neuen Brigachstufen vor der Falkenpost. Baden-Württemberg, aus dem Bund-Länder- Sanierungsprogramm und von der Denkmalstif- tung Baden-Württemberg. Sanierung der historischen Donauquelle Prominenteste Baumaßnahme im Bereich der Neugestaltung war die Sanierung der histori- schen Donauquelle. Die heutige Fassung der Donauquelle ließ Fürst Karl Egon III. im Jahre 1875 errichten. Damit wollte der Fürst seinerzeit der Donauquelle das ihr zustehende Gewicht in der Geografie Europas verleihen. Während die eigentliche Fassung seither unverändert blieb, kam die hochaufragende Skulpturengruppe von Adolf Heer „Die Baar deutet ihrer jungen Tochter, der Donau, den Weg in die Ferne“ erst 1896 hinzu. Vom Frühjahr 2013 an wurde die fast 150 Jahre alte Fassung der Donauquelle unter der Leitung des Donaueschinger Architekten Alexander Schmid einer grundlegenden, tech- nisch wie denkmalpflegerisch sehr anspruchs- vollen Sanierung unterzogen. Der Donau- quelltopf mit seinen hochwertigen Bildhauer- arbeiten war in einem sehr schlechten Zustand, da die rückwärtige, immerhin fast 150 Jahre alte Abdichtung der Steine zum Erdreich seit langer Zeit nicht mehr funktionierte. Der Molassesand- stein war vollständig mit Wasser gesättigt. Das in die Zwischenräume der Steinkristalle einge- drungene Wasser führte zum Zerfall der Steine. Sorgen um Versiegen der Quelle Mit der Denkmalpflege des Landes Baden-Würt- temberg wurde eine intensive und konstruk- tive Diskussion über den richtigen Weg zur Sanierung dieses europaweit bekannten Kul- turdenkmals geführt. Da der Gemeinderat sich Sorgen machte, dass die für Stadt und Region so bedeutende Quelle in Folge einer großen Bau- Neugestaltung Residenzbereich und Donauquelle Donaueschingen 71

Der neue Zugang zur Donauquelle ist dank des Personenaufzuges behindertengerecht und kinderwagenfreundlich ausgeführt. liefert hatten. Glücklicherweise fanden sich im Fürstenbergarchiv noch die entsprechenden Rechnungen. Die Skulpturengruppe „Die Baar deutet ihrer jungen Tochter, der Donau, den Weg in die Ferne“ aus dem Jahre 1896 befand sich in den Jahren 2013 bis 2015 in einer Scheune in Burladingen und wurde von einem erfahrenen Steinkonservator gereinigt und an den wenigen beschädigten Stellen ergänzt. Im Rahmen der Neugestaltung des Resi- denzbereiches hat die Donauquelle auch einen neuen Zugang erhal- ten. Die historische Treppe, die von der Fürstenbergstraße steil hinab zur Quelle führte, war stark baufällig. Weder der frühere Zugang über das Lammtor noch der Zugang über diese Treppe waren trotz zahlreicher Schilder im Stadtgefüge leicht aufzufinden. Die Entscheidung, zukünftig die Donauquelle nur noch von der Fürstenberg- straße her zu erschließen, machte den Bau eines Aufzugs notwendig. Das Denkmalamt konnte überzeugt werden, dass statt der Sa- nierung der historischen Treppe der Neubau einer bequem zu begehenden und nachts gut ausgeleuchteten neuen Treppe eine sinnvolle Investition darstellt. Neben der Stadtkirche, am neuen Zugang zur Quelle, wurde ein kleiner Platz geschaf- fen, von dem aus man einen schönen Blick auf das historische Ensemble hat. Hier informiert ein Wandrelief, das gleichzeitig den Blick auf den hinter dem Schloss befindlichen Wertstoffhof abschirmt, über den Donauverlauf. Immer wieder freuen sich die Be- sucher aus den Donauan- lieger-Staaten, dass sie maßnahme versiegen könnte, wurden auch ein Geologe und ein Gutachter für konstruktiven Ingenieurbau in die Diskussion über den richti- gen Weg eingeschaltet. Schließlich war es dann soweit: Die Quel- le wurde 2013 komplett abgebaut, die Steine mussten zur Trocknung und zur weiteren Be- arbeitung eingelagert werden. Eine nach Fer- tigstellung der Baumaßnahme nicht sichtbare wasser undurchlässige Betoneinfassung, die die sichtbare historische Quellfassung aus Sand- stein vor dem Wasser aus dem Erdreich schüt- zen wird, wurde im Sommer 2013 errichtet. Währenddessen wurden die historischen Steine getrocknet und bearbeitet. Weite Teile konnten gerettet und saniert werden. Andere mussten komplett erneuert werden, da der Verfallsprozess bereits zu weit fortgeschritten war. Für die neuen Steine konnte das Material in den Steinbrüchen bezogen werden, die vor 150 Jahren auch die ursprünglichen Steine ge- 72 Städte und Gemeinden

das Wort Donauquelle auf diesem Wandre lief in ihrer Heimatsprache lesen können. Dieses Wandrelief mit dem Schriftzug Donauquelle ist mittlerweile ein beliebter Selfie-Standort für die Besucher aus nah und fern geworden. Die Neugestaltung hat sich gelohnt An 30 Abenden war die Neugestaltung Thema im Gemeinderat. 7,4 Millionen Euro hat der Ge- meinderat für die Neugestaltung des Residenz- bereiches bereitgestellt. So manches Mal haben Anlieger, Autofahrer und Geschäftsleute in den letzten drei Jahren über die Behinderungen, die mit dieser Baumaßnahme verbunden waren, gestöhnt. Heute hört man immer wieder: Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Donauquelle ist und bleibt der wichtigste Faktor der tou- ristischen Entwicklung in der Region. Auf den Einzelhandel wirkt sich die Neugestaltung der östlichen Innenstadt positiv aus. Und auch die große Zahl der Menschen, die sich bei schönem Wetter rund um die Schützenbrücke aufhalten, bestätigt, dass es sich immer lohnt, den neu gestalteten Donaueschinger Residenzbereich zu besuchen. In neuem Glanz erstrahlt die Skulpturengruppe des Vöhrenbacher Bildhauers Adolf Heer „Die Baar deutet ihrer jungen Tochter, der Donau, den Weg in die Ferne.“ Neugestaltung Residenzbereich und Donauquelle Donaueschingen 73

Veronika und Wolfgang Ruf vor dem 1995 denkmalgerecht sanierten Hermeshof, erbaut im Jahr 1594. Linke Seite: Veronika Ruf erntet die Blüten der Königskerzen. Zum Linacher Stausee führen viele Wege vom Bregtal aus. Da der Ursprung des „Quellenlandtees“ im Schwanenbachtal nahe Linach zu finden sein soll, habe ich mir eine besonders idyllische Route dorthin ausge- sucht: Vom Busbahnhof Vöhrenbach steige ich bergauf, vorbei an Strauchwerk, weiter am offe- nen Lauf des Angelbachs bis zum Hochwald, der dann in 1.000 m Höhe des Bergkamms plötzlich den Blick frei gibt auf einen weit geschwunge- nen Wiesenhang, der sich sanft geneigt nach Süden ausbreitet. Noch ist die Senke des Stau- sees in der Tiefe nur zu ahnen, doch ein Feld- weg führt geradewegs einige Höhenmeter berg ab, lässt rechter Hand einen von Laubbäumen umgebenen Hof liegen und scheint geradewegs in ein größeres Anwesen zu münden, aus dem eine kleine Kapelle mit spitzem Türmchen herauf leuchtet. Inmitten der leicht abfallenden Wiesenfläche bietet sich mir ein Anblick von paradiesischer Blütenpracht. Ein Stück bebautes Land mitten in weiter Weidefläche? erste der Gebäude erreiche, muss ich ein paar Schritte vom Weg abweichen: Inmitten der leicht abfallenden Wiesenfläche bietet sich mir ein Anblick von paradiesischer Blütenpracht. Ein Stück bebautes Land mitten in weiter Wei- defläche? Nur stellenweise eingezäunt, dafür mit schweren Feldsteinen um- grenzt – hier scheint die ganze Fülle der Sommervegetation im Wettstreit zu wuchern: Üppige Malvenbüsche mit Laut meiner Wander- karte gehe ich auf den Her- meshof zu. Doch ehe ich das Kräuterbäuerin Veronika Ruf Der Quellenlandtee ent hält viele Kräuter aus dem Schwarz- wald-Baar-Kreis. 79

Im Garten von Veronika Ruf herrscht Vielfalt: Über 20 Kräutersorten sind zu finden, darunter Königskerzen (oben rechts). Unten v. links: Lavendel, Spitzwegerich, Johanniskraut und Dost. Purpurblüten über und über gruppieren sich um aufragende hellgelbe Königskerzen, noch höher hinaus streben ein paar Sonnenblumen, um de- ren kräftige Stängel zartgestielte blaue Kornblu- men wedeln, im Wechsel mit voll erblühten Ka- millenbüscheln. Bei näherem Hinschauen sind tatsächlich akkurat bepflanzte Ackerreihen zu erkennen, hier eine mit Spitzwegerich, dessen Blüten sich – schon ausgedünnt – tapfer nach oben richten. Wegerich? Der kümmert doch sonst vereinzelt an staubigen Wegrändern; die- ser hier legt dunkelgrün und dicht seine Blätter- kränze um die Blütenstände. Eine Stufe unterhalb, wieder sauber auf- gereiht, eine Lavendelgruppe von tiefstem Ultramarinblau. Hier dürfen sich locker ein paar dunkelgelbe Kapuzinerkressen drum herum räkeln und winzige gelb-blaue Stiefmütterchen lugen dazwischen hervor. Daneben, stocksteif und blattlos, graugrüner Mohn, längst ohne die roten Blütenblätter. War der Mohn nicht weiter oben noch voll rot in Blüte? Klar, dort hatten ihm die Fichtenbäumchen von nebenan länger die vollen Sonnenstrahlen vorenthalten, dafür stehen die blattlosen Mohnkapseln hier unten schon zur baldigen Ernte parat, warten nur noch die Trockenbräunung ab, bis der Wind ihnen die Samenkörnchen durch die Löcher unter der Krone herausbläst. Immerhin stehen da noch Gruppen von Grüngewächsen, die noch nicht blühen. Dem Duft nach zu schließen, bereiten sich hier Min- zen in vielen Varianten erst auf die Blüte vor. Und immer wieder überziehen dichte Gruppen verschiedenster Doldengewächse die Ackerfur- chen. Kaum bin ich am unteren Ende des Feldes 80 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

angekommen, steht mir eine hochgewachsene blonde Frau gegenüber, die mir mein ratloses Staunen angesehen hat und bestätigt mir gleich: Dies hier ist nicht einer der üblichen Bau- erngärten mit Nutzgemüse-Anbau. Was da so bezaubernd und scheinbar chaotisch wachsen darf, sind allesamt Heilpflanzen, geeignet zur Mischung von Tees. Kräuterbäuerin im über 400 Jahre alten Hof Im April 2014 – der Kräutergarten entsteht. Unerlässlicher Lehrstoff – allererste Einblicke Bodenbehandlung: z.B. Kalkzusatz für Schaf- garbe, die sonst Cadmium anreichern könnte. Deuten der „Zeigerpflanzen“: Gänseblümchen verraten z. B. die Bodenverdichtung. Düngen / Saat- und Setzlingszukauf: Die Befolgung strenger biologischer Richtlinien ist die Voraussetzung für das Biosiegel auf dem Endprodukt. Fruchtwechsel: Auch Kräuterpflanzen müssen ihren Standort wechseln, damit Blüh- und Wachsfreude erhalten bleiben. Daher ist eine Fläche von mindestens 5 Ar zum Anbau nötig. Aussaat und Erntezeit: Sie sind entscheidend für die Aroma- Entwicklung und je nach Kli- mazone verschieden. Zitronenmelisse, z.B. muss vor Blüte beginn geerntet werden, Min- ze dagegen in voller Blüte. Trocknung und Lagerung: Ganze Blätter behalten die Würzkraft am längsten. Eine Gefriertrocknung verhindert den Schädlings- befall. September 2014: Reiche Ernte, bereit zum Transport. Veronika Ruf stellt sich mir vor als eine von 18 Kräuterbäuerinnen, die im badischen Land zu- sammen eine Teemanufaktur betreiben. Aber die Geschichte darf ich mir in der Stu- be anhören, findet sie, und führt mich zu dem altehrwürdigen, 1594 erbauten Hermeshof, der mit seinem mächtigen Walmdach nach Wes- ten hin die enge Mulde des Schwanenbachtals abriegelt. Vom Balkon, halb verborgen unterm Dachüberstand mit seiner hölzernen Dachrin- ne, quellen üppige Blumengehänge, die sich leuchtend rot vom tief dunkelbraunen Holz der Fassade abheben. Schon beim Eintreten ins Haus umfängt mich die heimelige Atmosphäre eines Holzbaus, aber unerwartet hell leuchten hier Balkendecke eben- so wie die Wände in der Stube mit der Sitzbank um den grünen Kachelofen. Wieder scheint ein Fragezeichen in meinem Gesicht zu stehen, denn Veronika Ruf erklärt mir gleich, im ganzen Inne- ren des 400 Jahre alten Gebäudes in Ständerbau- weise sei die Stockwerkshöhe an heute notwen- dige Raummaße angepasst worden. In der Ecke stehen mit Folie ummantelte Papiersäcke (zum Aromaschutz), jeder von ihnen enthält getrocknete Kräuter: Ringelblumen, Mal ve, Schafgarbe, Rosen, Sonnenblumen, Dost, Zitronenmelisse und Zitronenverbene. Aber im Schwanenbach wird auch Kamille, Kornblume, Apfelminze und natürlich die Königskerze geern- tet. Von Hand, zur passenden Jahres- und zur ide- alen Tageszeit, wie Veronika Ruf lachend erklärt. Als mir die Bäuerin einen frisch aufgebrüh- ten Tee eingießt, sehe ich in der Glaskanne genau die Blüten und Blätter der Pflanzen schweben, die ich draußen bewundert hatte. Kräuterbäuerin Veronika Ruf 81

In der Bauernstube bereitet Veronika Ruf die Trocknung der Kräuter im Trockenschrank vor. dieser Tee – und bietet nicht nur fürs Auge ein völlig neues Erlebnis – mit herkömmlichen Beu- teltees ist er nicht zu vergleichen! „Was ich da herausgesiebt habe, kann ich noch mal aufgießen, dann kommen sogar noch neue Geschmackskomponenten zur Geltung“ versichert mir Veronika Ruf. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus – welch eine Wertschätzung erfährt hier die ganz alltägliche Pflanzenwelt, die landläufig eher als Dekorati- on oder überflüssiges Unkraut abgetan wird! Sonnenblumenblütenblätter? Wozu sollen die gut sein?„Leuchtpunkte in der Teemischung“, erfahre ich; oder die Königskerze? „heilsam für die oberen Atemwege – darf aber nie roh genos- sen werden“. Vollmundig und würzig schmeckt Von links: Sonnenblume, Kornblume, Goldmelisse („Indianernessel”) und Königskerze. Arbeit verbindet sich mit Hobby Im Verlauf unseres Gesprächs wird mir klar, dass sich hier auch die Landwirtschaft an heutige Erwartungen angepasst hat. Keine Frage – im Bereich der Ernährung geht der Trend weg von anonymer Massenproduktion, sei sie auch noch so lückenlos kontrolliert, auf Haltbarkeit und Wohlgeschmack getrimmt. Heute setzt man auf regionale Nahrungsmittel, die auf unbelasteten Böden gewachsen, nachhaltig produziert und mit geringem Transportaufwand verbreitet werden. Auf diese neuen Ziele zu nimmt gegenwär- tig das „Kräuterland Baden-Württemberg“ volle Fahrt auf. Oft genug sind Frauen an Haus und Hof gebunden, weil sie Kinder, Enkel oder Seni- 84

oren zu versorgen haben und so eine Tätigkeit außerhalb des Hofs gar nicht aufnehmen könn- ten. Mit dem großflächigen Anbau von Kräutern hingegen, schaffen sie sich einen Zuverdienst, können sich die Arbeitszeit sogar selbst eintei- len. Für Veronika Ruf, die die Arbeit in Haus und Garten schon immer geliebt hat, verbindet sich hier Arbeit mit Hobby, ihre Leidenschaft spricht aus jedem ihrer Worte. Schon immer ist sie auch im Winter auf Wildkräutersuche in den Wald hinterm Hof gegangen. Während allerorts mit Wehmut das Ver- schwinden der vertrauten Vieh- und Weide- wirtschaft beklagt wird, haben Bäuerinnen und engagierte Landfrauen für sich einen neuen Weg gefunden und nutzen Ackerland zu Kräu- terfeldern um. War es im 19. Jahrhundert die fortschrittliche Großherzogin Luise von Baden, die von Karlsruhe aus für die Erwerbstätigkeit von Frauen auf dem Land sorgte, so legt heute die Landesregierung zusammen mit der Europä- ischen Union ein Frauenprogramm auf, das den regionalen Anbau unserer Nahrungsmittel, also auch der Kräuter, verbreiten soll; gründlich wird damit aber auch die Kräuterkunde aus der Ecke der Mystik herausgehoben. Wieder die Schulbank drücken Im Rahmen dieses Programms hatten sich bis zum Jahr 2007 bereits zahlreiche Landfrauen zu „Kräuterpädagoginnen“ ausbilden lassen. Zusammen mit Bäuerinnen, die traditionelle Gärten bewirtschafteten, vereinigte man sich in einem Netzwerk „Bauerngarten- und Wildkräu- terland Baden e.V., die Kräuterregio“. Rasch wuchs die Mitgliederzahl und es mehr- ten sich Stimmen von Frauen, die gerne Kräuter für Tees in größerem Rahmen anbauen wollten. Da von Anfang an biologischer Anbau angestrebt wurde, war der nächste Schritt ein Antrag an das Landwirtschaftsministerium auf eine hoch- wertige wissenschaftlich fundierte Ausbildung in Sachen Kräuteranbau und Teeherstellung. So kam es, dass Veronika Ruf mit vielen an- deren Bäuerinnen und interessierten Landfrau- en freiwillig wieder die Schulbank drückte. Für die Arbeit der Kräuterbäuerinnen interessierte sich auch das Fernsehen. Südwest 3 drehte im Som- mer 2014 im Schwanenbachtal einen Film. Den Trailer dazu kann man sich unter manufaktur.lima-city.de anschauen. Die Ausbildung in Sachen Kräuter- anbau und Teeherstellung machte es erforderlich, dass Veronika Ruf zusammen mit vielen anderen Frauen wieder die Schulbank drückte. Heute sind es 18 Frauen, die von der Orte- nau über den Schwarzwald bis zum Bodensee gemeinsame Sache machen. Ihre Kräuterfelder liegen im südlichen Baden-Württemberg in der Landschaft verstreut wie Patchworkdecken. Mit am höchsten gelegen ist übrigens der Kräuter- garten im Schwanenbachtal. Hunderte Bienen und andere Insekten umschwirren an sonnigen Tagen die würzig duftenden Blüten verschie- denster Heilpflanzen – auch damit ist nicht zu- letzt ein wertvoller Beitrag zu Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft geleistet. Bekannt für ihren „grünen Daumen“ Als Veronika Ruf in den 70er-Jahren in den 400 Jahre alten Hermeshof einheiratete, war noch nicht abzusehen, dass die Weidewirtschaft sich nicht auf Dauer tragen würde, aber sie liebte schon immer die Arbeit als Bäuerin und Kräuterbäuerin Veronika Ruf 85

Gärtnerin behält sie stets die Veranlagungen, die Stärken und Schwächen ihrer „Schützlinge“ im Blick. Jederzeit bereit, notwendige Schutz- maßnahmen in die Wege zu leiten. Flexibel, geduldig und immer einfallsreich geht sie mit dem Erdreich und den Pflanzen um. Bei der Vorbereitung des Ackerbodens kamen beispielsweise Steine über Steine an die Ober- fläche. Wohin damit? Alle aufsammeln? Für die Gärtnerin erwiesen sie sich als hilfreiche Stüt- zen, um flache Querhügel zu errichten, die jetzt das Ablaufen des Wassers oder das Abrutschen der Erde zwischen den Saatzeilen verhindern. Darüber hinaus speichern diese Steine vorzüg- lich die Sonnenwärme. Ausgesprochene Freude macht es Veronika Ruf, wenn sie auf diesen Hügeln ihre kleinen selbstgezogenen Setzlinge unterbringen und beobachten kann: Was wird daraus? Haben sie eine Chance zu gedeihen oder „mickern“ sie? Für Entscheidungen in derartigen Fragen ist sie bestens gerüstet dank ihrer gründlichen Ausbil- dung in vielen Fachseminaren, die sie wie alle Kräuterbäuerinnen innerhalb von eineinhalb Jahren zu absolvieren hatte. Ihr Lehrer, Kräuterfachmann Rudi Beiser, ein erfahrener Kräuteranbauer und Buchautor, hat es offensichtlich verstanden, seine Schülerinnen mit umfassendem Wissen auszurüsten. Und da Lernen bekanntlich nie ein Ende hat, schon gar nicht, wenn es sich um Prozesse im Kreislauf der Natur handelt, sind die Mitglieder der Teema- nufaktur darauf angewiesen, regelmäßig Kon- takt zu halten, um Erfahrungen auszutauschen. Die Pfefferminze ist getrocknet, der elektrisch belüf- tete Trockenschrank hat seine Aufgabe erfüllt. später als Dorfhelferin. Inzwischen sind die Wie- sen verpachtet, der Hoferbe hat sich mit seiner Familie ein neues Haus nebenan errichtet und geht einem bürgerlichen Beruf nach. Doch die Mutter konnte sich eine leicht geneigte Fläche am Südhang unweit des Stammhauses abzwei- gen, auf der nun Jahr für Jahr eine stattliche Kräuterfülle gedeiht. Nicht nur vertraut ist sie mit den Anforderungen, sie begeistert sich geradezu am Beobachten der Pflanzen, am Reagieren auf deren Bedürfnisse. Hilfreich war natürlich, dass man noch über die nötigen Gerätschaften verfügt, mit denen ihr Ehemann den Boden erstmals beackern und später, nach einem trockenen Sommer eine Be- wässerungsanlage einrichten konnte. Die ehe- malige Dorfhelferin bringt natürlich die besten Voraussetzungen für dieses neue Arbeitsgebiet mit. Zudem ist sie schon immer bekannt für ih- ren „grünen Daumen“. Nicht nur vertraut ist sie mit den Anforderungen, sie begeistert sich gera- dezu am Beobachten der Pflanzen, am Reagie- ren auf deren Bedürfnisse, als leidenschaftliche Jeden Freitag wird „gemailt“ Mag man vor Zeiten Kräuter sammelnde Indivi- duen als eigenbrötlerische Romantiker belächelt haben, so beweisen Kräuterfrauen von heute, dass sie auf der Höhe der Zeit die digitalen Kom- munikationsmittel zu nutzen verstehen: Jeden Freitag wird zwischen dem Hochrhein bis zu den kühlen Schwarzwaldhöhen gemailt: Wo droht bei welcher Sorte Missernte? Wer kann Ausfall ergänzen? Wer hat welches Saat- gut anzubieten? u.v.a.m. 86 Kräuterbäuerin Veronika Ruf

Experimentierfreude ermüdet nie – auf Rufs Acker wird sogar Ysop herangezogen, der sonst in südlichen Gefilden beheimatet ist. Allerdings hat er in diesem Jahr unter dem Dauerregen gelitten. Entmutigen lässt sich die Gärtnerin nie; ihr Grundsatz ist ohnehin: nichts wächst umsonst – wer weiß, was nach dieser Anbauperiode Neues auftaucht! Nie verliert die Schwarzwälderin die biologischen Kreisläufe aus dem Auge; so hat sie z.B. den fleißigen Bestäubern mit trockenen Pflanzenstängeln ein „Insektenhotel“ gebaut. Und da die Bienen ihre bunte Blütenpracht eifrig nutzten, empfahl sie einem Imker, seine Völker 50 Meter weiter östlich des Feldes anzusiedeln. Nun ernten sie den Nektar und die Gärtnerin die Blüten und Blätter in friedlicher Eintracht. Kreativität, Wissen und Technik sind gefragt Kreativität ist gefragt, aber auch eine solide technische Grundausrüstung wie ein Ge- wächshaus und ein elektrisch belüfteter Tro- ckenschrank; Platz dafür bietet der geräumige Hermeshof zur Genüge. Doch auch um die Buchführung kommt die Bäuerin nicht herum: Der Zeitpunkt der Aussaat, aber auch der Ernte, muss festgehalten werden. Ebenso das Gewicht vor und nach der Trocknung, aber auch eventu- elle Schädigungen. Eine bestmögliche Lagerung muss garantiert sein, bevor die kostbare Fracht nach Ottenheim bei Lahr gefahren wird, ins der- zeitige Zentrum der Teemanufaktur. Dort erfolgen dann die nächsten Schritte in gut organisierter Ge meinschaftsarbeit: das Abfüllen, Abwiegen, Mischen nach gemeinsam entwickelten Rezepturen; „Komponieren“ wä- re wohl der angemessenere Begriff für diesen schöpferischen Akt, zu dem jede Fachfrau mit ihren Erfahrungen und Ideen beitragen kann. Die 18 qualifizierten Heilpflanzenfachfrauen, Natur- und Kräuterpädagoginnen bieten nicht nur bunte Teemischungen aus heimischen Kräutern an, sondern auch Salze für die Küche. Klar, dass gerade die unterschiedlichen Kli- ma- und Anbaubedingungen die staunenswerte Vielfalt der Ernten in der „Kräuterregio“ ausma- chen. So kann z. B. eine Bäuerin im Markgräfler- land mehrmals im Jahr ernten, während das Wildkraut Süßdolde ihr unschlagbar intensives Lakritz-Aroma auf windigen Höhen bestens ent- wickelt. Freilich muss Veronika Ruf im Schwa- nenbach gerade dieses – auch bei Spitzenkö- chen äußerst begehrte Kraut – besonders lange im Glashaus päppeln, um es vor Schneckenfraß zu bewahren. Im Kräutergarten von Veronika Ruf wächst auch Ysop, Salbei, Süßdolde und Rosmarin. XXX 87

Malve und Königskerzen blühen.Täglich werden den Sommer über viele weitere Kräuter geerntet. Nach der Ernte gilt es, die Zitronenverbene abzustreifen (unten rechts). Ergebnis: Neben den bewährten Mono-Tees wie Pfefferminze, Salbei, Kamille, die dank der sorgsamen Aufzucht und der schonenden Behandlung ihrer Grundstoffe über eine hohe Würzintensität verfügen, haben diese Spezialis- tinnen bereits neun Tee mischungen aus Heil- kräutern und passenden Blüten kreiert, die be- leben oder beruhigen, wärmen oder erfrischen können. Allesamt sind es wohlschmeckende und -duftende Genussgetränke. War einst die Packungsaufschrift „Hoflie- ferant“ bester Garant für guten Absatz eines Produkts, so führt heute der Königsweg übers Design und das Marketing Konzept. Da liegt die Teemanufaktur voll im Trend. Die Verpackung ist so naturbelassen wie möglich, die Beipack- fähnchen so informativ wie nötig und die amü- santen Namen lassen nur das Wirkungsgebiet erahnen, ohne Heilversprechen zu suggerieren. Tüten mit dem Titel: „Frech wie Oskar“, „Ab ins Bett“, „Denk klar“ wecken schon mal Neugier. Und wer die spezielle Vielfalt und Würze der Blumen und Wildkräuter aus dem Schwarzwald- Baar-Kreis genießen möchte, greift natürlich zum Quellenlandtee und „schmeckt die Heimat“. Wie zu erwarten, wird die Produktpalette der Teemanufaktur ständig erweitert: Außer den Tees gibt es bereits Kräutersalz sowie streu- fähige Küchenkräuter, aber auch Blütenzucker verschiedener Aromen. Und das alles ist übers Internet zu haben oder in den „Weltläden“ und Tourismusbüros der Region. Übrigens kommt man ins Schwanenbachtal auch schnell mit dem Auto – gleich bei der ersten Kehre nach oder vor der Staumauer der Linachtalsperre (je nach Fahrtrichtung) schlän- gelt sich eine kleine Straße durch offene Wiesen nach oben. 88 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

Jochen Cabanis Der Mann an der Spitze des Zweckverbandes, der im Schwarzwald-Baar-Kreis für schnelles Internet sorgen soll von Nils Fabisch Hochgeschwindigkeitsinternet für den ganzen Schwarzwald-Baar-Kreis; nicht nur sein Job, sondern auch eine Herzensangelegenheit: Jochen Cabanis hat als Geschäftsführer des Zweckverbandes Breitbandversorgung schon viel bewegt. Eine Führungspersönlichkeit, die sich bewusst gegen die Großstadt und für die Region Schwarzwald-Baar entschieden hat. Meterweise Baupläne und Ordner voller För- deranträge bestimmen das Bild im Büro von Jochen Cabanis. Ein Bild, das die aktuelle Situ- ation im Zweckverband Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar sehr gut charakterisiert: Große Summen an Fördergelder holen sich der Geschäftsführer und sein elfköpfiges Team fast monatlich aus Stuttgart. „Wir sind einer der Landkreise, der sich die meiste Förderung aus Stuttgart holt“, berichtet der Mann an der Spit- ze stolz. Geld, mit dem das große Projekt der Breitbandversorgung im Kreis immer mehr in Fahrt kommt. In unzähligen Gemeinden laufen die Arbeiten bereits auf Hochtouren. Eine neue Baustelle kommt fast wöchentlich hinzu. In zehn Jahren soll der ganze Landkreis auf Hoch- geschwindigkeitsinternet zugreifen können. Familie und Region sorgen für Zufriedenheit Ein Mann, der ständig unter Druck und Stress lebt, könnte man meinen; bei einem derartigen Großprojekt, das Jochen Cabanis zu betreuen hat. Diese möglichen negativen Begleiterschei- nungen kennt der zweifache Familienvater jedoch nicht. Die Gründe sind vielfältig: Zum einen hat er ein hochmotiviertes Team hinter sich, zum anderen ist es seine Familie und die Region, die ihn zufrieden machen. Doch diese Wertschätzung für die ländliche Region und vor allem den Schwarzwald-Baar- Kreis musste er erst einmal lernen. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der renommierten Universität Mannheim und einem Beraterjob im Anschluss war sein Kar- riereweg eigentlich vorgezeichnet. Es folgten Führungspositionen bei einer großen Telekom- munikationsfirma. Genau in dieser Lebenspha- se, als der 42-Jährige oft zwischen Darmstadt, Mannheim und Bonn pendelte, wurde ihm klar: Ewig soll sein Leben so nicht weitergehen. Jochen Cabanis entschied sich bewusst gegen ein Leben in der Großstadt und für die Familie im Schwarzwald-Baar-Kreis. Seit fast zwei Jahren ist er nun der Mann an der Spitze des Zweckverbandes, der im Schwarzwald-Baar-Kreis für schnelles Internet sorgen soll. „Aber eigentlich war das so gar nicht geplant“, hätten ihn die Argumente des Schwarzwaldes – seiner Heimat – nicht über- zeugt, erinnert sich der Donaueschinger: Im Jahr Jochen Cabanis entschied sich bewusst gegen ein Leben in der Großstadt und für die Familie im Schwarzwald-Baar-Kreis – in Donaueschingen. 90 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

2013 gönnte sich Jochen Cabanis nach vielen an- strengenden Jahren in der Telekommunikations- branche eine Auszeit. Auch weil er wieder näher bei seinen Eltern, die am Bodensee leben, sein wollte, zog die ganze Familie zurück nach Donau eschingen. Fortan war er fast ein Jahr lang raus aus der stressigen und durchgeplanten Welt des Beraterdaseins. Zeit für sich und die Fa- milie haben, das war das Motto, als der 42-Jähri- ge fast ein Jahr lang das Eigenheim renovierte. „Ein Stück mehr Lebensqualität“ Nach dieser Auszeit, als „es wieder kribbelte“, wie sich der Zweckverbandsgeschäftsführer erinnert, hatte er ein Angebot als Berater für ei- nen Bezahlfernsehsender angenommen. Dafür hätte er für eine längerfristige Zusammenarbeit fortan jedoch häufig nach München pendeln müssen. Als er just in dieser Zeit die Stellenaus- schreibung des Zweckverbandes Breitbandver- sorgung sah, war die Entscheidung, endgültig im Schwarzwald-Baar-Kreis zu bleiben, schnell gefallen. „Wir wollten immer zurück, haben nie den Kontakt zu unserer Heimat in Donaueschin- gen abbrechen lassen“, erinnert sich Cabanis. Da war für den Donaueschinger, der sich im dortigen Skiclub engagiert, schnell klar: „Das will ich unbedingt machen – für die Familie, für mich und für die Region.“ Für seine Kinder sieht er in der Region das perfekte Umfeld, damit diese behütet aufwach- sen können. „Wir haben hier alles, was wir brau- „Wir haben hier alles, was wir brauchen: Familie, Freunde, Sportmöglichkeiten; kurzum, es ist einfach schön, uns fehlt nichts“, schwärmt Cabanis für den Landkreis. chen: Familie, Freunde, Sportmöglichkeiten; kurzum, es ist einfach schön, uns fehlt nichts“, schwärmt Cabanis für den Schwarzwald-Baar- Kreis. Es sind für den Familienmenschen oft- mals auch die kleinen Dinge, die man erst zu schätzen weiß, wenn man sie einmal vermisst hat. Die Dinge, die sein Leben im Schwarzwald perfekt machen. „Ich kann, seitdem ich hier arbeite, erstmals wieder mittags zu Hause bei meiner Familie essen, das hat mir 15 Jahre lang gefehlt – ein tolles Gefühl!“ Auch die Tatsache, dass er nicht mehr täglich 120 Kilometer pen- deln muss, sondern stattdessen einfach mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann, sorgt „für ein Stück mehr Lebensqualität.“ Bereut hat er diese Entscheidung bis heute nicht. Natürlich musste sich der Familienvater, der in Villingen geboren wurde und in Donau- eschingen aufwuchs, nach dem Wechsel von der freien Wirtschaft in den Öffentlichen Dienst umstellen. „Klar, ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, dass ich hier zwar Geschäfts- führer bin, in der Praxis aber nicht den Hand- lungsspielraum habe, wie es in der freien Wirt- schaft wäre“, erinnert sich Cabanis. Gleichwohl wurden ihm aber auch sehr schnell die Vorteile des Öffentlichen Dienstes klar: „Durch das Ver- trauen in die Politiker, die hinter dem Zweckver- band stehen, entsteht ein Werbeeffekt, den wir als privatwirtschaftliches Unternehmen so nie erreichen würden.“ Doch genau in diesem Vertrauensvorschuss liege gleichzeitig auch die große Aufgabe seines Teams. „Die Bürger haben an uns auch ganz andere Erwartungen; wir müssen liefern.“ Vor allem aber die Rückendeckung des Landrats, der Kreistagsmitglieder und der Bürgermeister sei Jochen Cabanis. 92 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

immer wieder Ansporn, sich weiter zu verbes- sern. „Ich hatte von Anfang an ein sehr gutes Gefühl. Das Vertrauen und der Wille aller Betei- ligten war sofort spürbar“, erinnert sich der Ge- schäftsführer, der den Zweckverband innerhalb des Landratsamts selbst als eine Art „Start-Up“ bezeichnet. „Start-Up deshalb, weil wir fast bei Null angefangen haben und in manchen Be- reichen Wege gegangen sind, die man in einer Behörde sicherlich vorher so nie eingeschlagen hätte. Gleichzeitig ist es schön, dass jeder sehen kann, was wir machen und sich unser Erfolg messen lässt“, so der 42-Jährige weiter. Ziel ist flächendeckende Breitbandversorgung Nicht ganz ohne Stolz blickt der Donaueschinger auf das bisher Erreichte zurück. Als einen der „Meilensteine“ in seiner bisherigen Zeit be- zeichnet Jochen Cabanis das Ausschreibungs- verfahren sowie die letztendliche Entscheidung für einen Netzbetreiber. Genau dieses Aus- schreibungsverfahren war für ihn persönlich ei- ner der ganz großen Reize beim Zweckverband Breitbandversorgung. Obwohl er bereits bei sei- nen früheren Tätigkeiten mit ähnlichen Sum- men arbeiten musste und in der Verantwortung stand, sei eine solche öffentliche Ausschreibung nochmals eine ganz andere Dimension. „Ich konnte die Ausschreibung vom ersten Wort an selbst verfassen; letztendlich ging es natürlich darum, genau das umzusetzen, was sich der Landkreis vorstellt“, erinnert sich der Familienvater. „Umso mehr haben wir uns ge- freut, dass wir ein Ergebnis erzielt haben, das deutlich über unseren Erwartungen lag“, verrät Cabanis, obwohl die Verhandlungen immer wieder eine Geduldsprobe für den Geschäfts- führer darstellten. Ich konnte die Ausschreibung vom ersten Wort an selbst verfassen; letztendlich ging es natürlich darum, genau das umzusetzen, was sich der Landkreis vorstellt. Dass nun, seit der Zweckverband seine Ar- beit aufgenommen hat, auch viele der großen Telekommunikationsfirmen bei uns im ländli- chen Raum begonnen haben zu investieren und zugleich breit zu werben, sieht Cabanis weniger als Konkurrenz, sondern vielmehr als Folge des Engagements des Landkreises und aller Städte und Gemeinden und als Bestätigung der eige- nen Arbeit. „Wir sehen uns nur als Dienstleister, der die technischen Voraussetzungen schafft. Ab wann und ob man als Bürger seinen Glas- faseranschluss nutzen möchte, das kann jeder ganz individuell entscheiden.“ Zum Ausgleich von der Arbeit, die sich un- terhalb des Asphalts abspielt, schwingt sich Jochen Cabanis gerne oberhalb des Asphalts auf das Fahrrad oder im Winter auf die Ski. Zu viel Zeit, um bei Sonnenschein oder Schnee den Schwarzwald sportlich zu genießen, bleibt ihm bisher noch nicht. Das Projekt Breitbandversor- gung ist bei aller Zufriedenheit noch lange nicht abgeschlossen. „Wir haben einen Zehnjahres- plan“, erklärt er. Nicht nur dieser Plan gibt die Richtung vor; es sind auch immer wieder andere kleine Herausforderungen, die die Kreativität des Ge- schäftsführers und die seines Teams fordern. „Ich denke da zum Beispiel an die Frage, wie wir auf den Rohrhardsberg oder in abgelegene Täler Internet bekommen.“ Eines wird deutlich: Die nächste Baustelle steht bevor – Woche für Wo- che. Sollte die flächendeckende Breitbandver- sorgung im Schwarzwald-Baar-Kreis in einigen Jahren stehen, auch dann hat Jochen Cabanis noch lange keine Angst vor der Arbeitslosig- keit. „Sicherlich genießt der Breitbandausbau momentan oberste Priorität, aber irgendwann ist das geschafft und dann können wir uns – so- fern gewünscht – anderen Ideen widmen wie öffentlichem WLAN für Touristen, der Teleme- dizin oder Projekten, die zeigen, dass Glasfaser zu mehr als „nur“ für die Telefonie nützlich ist, blickt der Geschäftsführer voraus. Der Breitbandausbau im Schwarzwald-Baar- Kreis und Jochen Cabanis – bisher eine Erfolgs- geschichte für alle Beteiligten und der Beweis, dass sich Fortschritt nicht nur in den Ballungs- räumen finden lässt. Jochen Cabanis 93

Tobias Fritzsche Als Yoga-Lehrer mit seinem Studio "SchwarzwaldSeele" in St. Georgen daheim von Nathalie Göbel Um fünf Uhr morgens, wenn für viele der Wecker klingelt, der erste Kaffee des Tages aus der Maschine blubbert, andere die Schlummertaste des Weckers drücken und für wieder andere eine Nachtschicht zu Ende geht, absolviert Tobias Fritzsche aus St. Georgen gerade seine ersten Yoga-Übungen. Drei Jahre ist es her, dass der gelernte IT-Systemkaufmann erstmals die Türen seines Yoga-Studios „SchwarzwaldSeele“ in St. Georgen öffnete – und er hat den Schritt aus einer sicheren Festanstellung in die Selbstständigkeit noch nie bereut. „Ich bin eher der Typ, den man ins kalte Wasser werfen muss“, sagt er. „Es mag zwar kalt sein, dafür liebe ich es, so vorwärts zu kom- men.“ 2003, nach dem Abitur am Thomas-Strittmatter-Gymnasium und dem Zivildienst in der Triber- ger Asklepios-Klinik, wollte Tobias Fritzsche an der Mannheimer Pop-Akademie Musikbusiness stu- dieren. Zu diesem Zeitpunkt war er schon seit zwei Jahren Sänger der Band „Soul Shaker“, die aus der Ju- gendmusikschule St. Georgen-Furt- wangen hervorgegangen war und an Weihnachten 2014 ihr letztes Konzert spielte. „Sei, wer du bist, lass die Vergan- genheit ruhen und die Zukunft kommen“ – das hat sich Tobias Fritzsche in den vergangenen Jahren zu eigen gemacht. lernte drei Jahre lang den Beruf des IT-Systemkaufmanns. Was ursprünglich als Sprungbrett für die Aufnahme an der Mannhei- mer Akademie gedacht war, sollte sich als längere Liaison erweisen: Zehn Jahre lang war Tobias Fritzsche in der IT-Branche tätig. Auf die drei- jährige Ausbildung in St. Georgen folgte das Angebot eines damals neu gegründeten Unternehmens in Hüfingen, wo der Bergstädter im Vertrieb tätig war. Nicht, dass er deshalb die Musik Die Hürden für die Aufnahme in seinem Wunsch-Studiengang an der Pop-Akademie waren jedoch noch nicht genommen: „Ich hätte entweder das Vordiplom in Betriebswirtschafts- lehre oder eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung plus Berufserfahrung gebraucht.“ Ein Studium sei nicht in Frage gekommen. Also machte sich der damals 20-Jährige auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz. In seiner Heimatstadt wurde er auf Anhieb fündig und an den Nagel gehängt hätte: Die Band Soul Shaker, ursprünglich ins Leben gerufen von Pianist und Kla- vierlehrer Andreas Erchinger, entwickelte sich vom ambitionierten Jugendmusikschulprojekt zu einer in der ganzen Region bekannten Band mit Tobias Fritzsche als Sänger. Spielten die Musiker – in den Hochzeiten waren es 14 – zu Beginn noch Coverversionen, wurden mit den Jahren immer mehr Eigenkom- positionen ins Repertoire aufgenommen. Zwei CDs und ein Live-Album hat die Band heraus- gebracht, die mit ihrem „Christmas Shake“ am 94 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

Beim Hirzbauernhof in St. Georgen-Brigach: Tobias Fritzsche liebt die Region, vor allem auch das Yoga in freier Natur wie hier nahe der Brigachquelle. 26. Dezember 2014 ihre musikalische Laufbahn beendete. Drei Bandmitglieder waren wenige Monate zuvor wegen ihres Studiums weggezogen, die Nachfolgesuche gestaltete sich schwierig, so dass die zuletzt neun Mitglieder sich zu die- sem Schritt entschlossen. Der Musik ist Tobias Fritzsche nach wie vor verfallen – Gesang, Gi- tarre, Klavier. „Aber mehr für mich selbst.“ Auf einer Bühne stand er zuletzt beim „Refugees Welcome“-Konzert im November 2015, das der Gitarrist Bernhard Betting organisiert hatte. Durch Rückenschmerzen zum Yoga Und wie kommt ein begeisterter Musiker wie Tobias Fritzsche zu einer philosophischen Lehre wie Yoga? Durch Rückenschmerzen, verursacht von vielen beruflichen Autofahrten. Seine Schwester Anja riet ihm, es mit Yoga zu versu- chen und versorgte ihn auch gleich mit dem Buch „Männeryoga“ von Dirk Bennewitz. „So richtig half es nicht, obwohl ich erst alle drei bis Die Yogalehrerin fragte ihn rund- heraus, ob er sich nicht ebenfalls zum Lehrer ausbilden lassen wolle. „In dem Moment war es, als hätte man mich an eine Steckdose ange- schlossen.“ vier Tage und dann täglich die Yoga-Übungen gemacht habe“, erinnert sich Tobias Fritzsche. Seine Schwester war es dann auch, die ihn im September 2012 auf die Idee brachte, eine yogische Heilbehandlung bei einer Kundali- ni-Yogalehrerin aus Offenburg zu machen. Für den heute 33-Jährigen eine Begegnung, die er nie vergessen wird. Die Yogalehrerin fragte ihn rundheraus, ob er sich nicht ebenfalls zum Lehrer ausbilden lassen wolle. Die Begeisterung beruhte offenbar auf Gegenseitigkeit: „In dem Moment war es, als hätte man mich an eine Steckdose angeschlossen.“ Lange überlegen musste Tobias Fritzsche nicht. „Ich wusste, ich muss das für mich und mein Leben tun.“ 96 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

Auf einer Insel der Gelassenheit: Yoga hilft bei der Entspannung – egal, wie hektisch die Welt um einen herum gerade ist. Die erste Überraschung gab es beim ersten Lehrgang-Wochenende in Karlsruhe, geleitet von einem Yogi wie aus dem Bilderbuch – mit Turban. „Da habe ich mich schon kurz gefragt, was ich hier eigentlich tue“, sagt er rückblickend mit einem Lachen. Und fügt hinzu: „Im End- effekt war das nichts anderes als eine Bewer- tung nach Äußerlichkeiten.“ Er blieb. Wenige Monate später fiel die Entscheidung für die Selbstständigkeit mit eigenem Zentrum und gegen alle Bedenken. „Viele, denen ich von meinen Plänen erzählte, sagten: „Du spinnst“, erinnert er sich. Um einen Businessplan zu schreiben, brauchte der gelernte Kaufmann gerade einmal vier Tage, von der Arbeitsagentur kam schnell die Zusage für den Existenzgründerzuschuss, Vor vier Jahren begann Tobias Fritzsche mit Yoga, weil ihn Rückenschmerzen plagten. Das ist lange vorbei. Die Übungsreihen, Kriyas genannt, beherrscht er längst im Schlaf – und auch auf wackeligem Untergrund. Tobias Fritzsche 97

Blick ins Yoga-Studio SchwarzwaldSeele. ein passendes Gebäude in St. Georgen war schnell gefunden. „Da war nie ein Stein im Weg“, sagt der Yogalehrer. „Und wenn viele Steine im Weg liegen, dann suche ich nach einer Abzweigung und nach einem anderen Weg.“ Schwer gefallen sei der Abschied von seiner alten Firma. „Angefangen haben wir zu dritt, als ich ging, waren wir zwölf.“ Sein Chef habe ihm die Entscheidung nicht übel genommen, im Gegenteil. „Er sagte: Folge deinem Herzen“, erinnert sich Tobias Fritzsche dankbar. „Aber einfach war der Abschied trotzdem nicht.“ „SchwarzwaldSeele“ ist zur festen Einrichtung geworden Drei Jahre sind seitdem vergangen. Längst ist die „SchwarzwaldSeele“ in der 13.000-Einwoh- ner-Stadt zu einer festen und bekannten Ein- richtung geworden. Im Yoga gibt es 22 grundlegende Richtun- gen. Kundalini-Yoga, wie es von Yogi Bhajan ge- lehrt wurde, ist eine davon – und diejenige, die auch der junge Bergstädter lehrt. Dann wird aus Tobias Fritzsche Nam Terath Singh, so lautet sein spiritueller Name. Kundalini-Yoga soll, so die Lehre von Yogi Bhajan, Anstoß sein, etwas in seinem Leben zu verändern. Auch die Meditation hat ihren festen Platz in dieser Form der Yoga-Praxis, ebenso wie die Kriyas genannten Übungsreihen. Im Kundalini-Yoga gelten die Neutralität und Intuition als innere Haltung. Sie stehen dem positiven und negativen Geist gegenüber und lassen sich doch von beiden nicht beeinflussen, sondern wägen ab. „Dies führt zu Mitgefühl und Glück“, verdeutlicht Tobias Fritzsche. „Es ist eine Verpflichtung mit dem Leben, die wir eingehen. Wir dürfen dieses Geschenk in Frieden annehmen und genießen.“ Annehmen spiele dabei eine gro- ße Rolle. Die Neutralität erlaube es einem zudem, 98 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

zu agieren anstatt nur zu reagieren – auf Ärger- nisse, Herausforderungen oder große Aufgaben, erklärt Tobias Fritzsche: „Immer nur reagieren ist extrem anstrengend und schubst einen oft in eine Opferrolle.“ Eigenverantwortung sei das, worauf die Kundalini-Lehre abziele. Eine mitfühlende Selbstdisziplin sei nichts anderes als Selbstliebe. Wer sich mit Disziplin um Körper, Geist und Seele gleichermaßen kümmere, tue sich unterm Strich nur Gutes – auch wenn das Anstrengung bedeute. Dass das nicht immer leicht fällt, weiß der Yogalehrer aus St. Georgen aus seiner eigenen und der Erfahrung anderer. „Wir tragen oft die Last von Jahren herum.“ Kränkungen und ver- letzte Gefühle münden nicht selten in Verbitte- rung. Loslassen, vergeben und dadurch frei wer- den – auch das gehört zu den Dingen, die das Kundalini-Yoga vermitteln will. Tobias Fritzsche lernt dabei auch viel von seinen Schülern. „Jeder ist ein Lehrer, selbst ein Wildfremder auf der Straße. Man muss nur bereit sein, voneinander zu lernen.“ Yoga versteht sich als Lebenseinstellung Längst gehe es beim Yoga nicht nur darum, per- sönliche Lebenskrisen zu bewältigen. Ausgegli- chenheit, Mut und Kraft tanken – Yoga versteht sich als Lebenseinstellung, die helfen soll, den eigenen Weg zu gehen. In einer hektischen, informationsgefluteten Zeit ist das nicht gerade die leichteste Übung, aber sie ist dennoch machbar. Für Tobias Fritz- sche bedeutet das auch, authentisch zu leben. „Sei, wer du bist, lass die Vergangenheit ruhen und die Zukunft kommen“ – das hat er sich in den vergangenen Jahren zu eigen gemacht. Momentan sei er absolut glücklich, in fünf oder in 20 Jahren vielleicht nicht mehr. Es sei jedoch müßig, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbre- chen. Schließlich kann man sich auch mit Grü- beleien das Leben schwermachen – wohinge- gen Gelassenheit und Entspannung nachweis- lich gut tun. Alles, was für mich Priorität hat, habe ich hier. Menschen, die mir wichtig sind, wie meine Familie, mein bester Freund, mein Patenkind. Die Natur ist wunderschön und wenn ich weg will, gibt es einen Bahnhof und der Stuttgarter Flughafen ist nicht weit. „Mir fehlt hier nichts – Alles was für mich Priorität hat, habe ich hier“ Die gesundheitsfördernden Effekte von Yoga wurden in den vergangenen Jahren vielfach un- tersucht – und bestätigt. So kam eine Studie der US-Elite-Universität Harvard zu dem Ergebnis, dass Probanden mit Schlafstörungen von den Übungen profitieren und dass der Effekt über mehrere Wochen anhält. Die Yale-Universität untersuchte die Auswirkungen von Yoga bei Bluthochdruck-Patienten. Diese konnten der Studie zufolge ihre Werte so normalisieren, dass Medikamente reduziert werden konnten. Als Tobias Fritzsche von seinem Plan erzähl- te, ein Yoga-Studio zu eröffnen, hörte er nicht nur „Du spinnst!“, sondern auch: „Das wirst du ganz sicher schaffen!“ Und dem ist so. Der Kursplan der „SchwarzwaldSeele“ er- streckt sich derzeit auf vier Tage pro Woche. Neben Kursen und Intensivseminaren für Grup- pen gibt es auch Einzelstunden und Angebote für Unternehmen, deren Mitarbeiter und Füh- rungskräfte. Und Tobias Fritzsche möchte auch gar nicht weg aus seiner Heimatstadt und der Region. „Alles, was für mich Priorität hat, habe ich hier. Menschen, die mir wichtig sind, wie meine Familie, mein bester Freund, mein Pa- tenkind. Die Natur ist wunderschön und wenn ich weg will, gibt es einen Bahnhof und der Stuttgarter Flughafen ist nicht weit“, bringt er es auf den Punkt. „Mir fehlt hier nichts.“ Kurze Pause. „Außer vielleicht ein Fachgeschäft für Männer-Yogamode.“ Tobias Fritzsche 99

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Anja Teubert Die Professorin an der Dualen Hochschule: „Ich hatte schon immer eine klare Vorstellung davon, wie Sozialarbeit funktionieren kann“ von Nathalie Göbel Im Oktober 2015 lebten 4.095 Flüchtlinge im Schwarzwald-Baar-Kreis. 4.095 Menschen mit unterschiedlichen Biographien, Kenntnissen, Erwartungen und Ängsten, angekommen in einem Land, das Schutz vor Krieg, Armut und Terror bedeutet und ihnen doch ganz fremd ist. Viele kümmern sich um die Menschen und helfen ihnen, sich in ihrem neuen Umfeld zurechtzufinden: Kirchen und Behörden, Vereine und Ehrenamtliche. Viele, die es gut meinen, die aber zugleich häufig aneinander vorbei agieren. Zugleich sind die Verantwortlichkeiten unterschiedlich: So ist für die Erstaufnahmestellen das Land Baden-Württemberg zuständig, für die Gemeinschaftsunterkünfte der Landkreis, für die Arbeit von Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeitern und der Migrationsdienste ist es der Bund. „Ein System von Zuständigkeiten“, nennt es Anja Teubert. Sie möchte diesen „Wirrwarr“ im Schwarzwald-Baar-Kreis auflösen. Die Professorin für sozialraumorientierte So- ziale Arbeit an der Dualen Hochschule Villin- gen-Schwenningen und freiberuflich für das Trainingszentrum für Sozialraumorientierung tätige Sozialwissenschaftlerin hat gemeinsam mit ihren Kollegen Karin Sauer und Süleyman Gögercin ein Handlungskonzept erstellt, das helfen soll, das Geflecht von Zuständigkeiten und Hilfen zu entzerren und die Flüchtlings- arbeit zu strukturieren. Mitgewirkt an diesem Konzept haben außerdem sieben Studenten der Dualen Hochschule. Die Hilfe im Lebensumfeld der Menschen verankern richtung sozialer Arbeit, bei der es darum geht, das menschliche Lebensumfeld – eben den Sozi- alraum – so zu gestalten, dass Hilfe in schwieri- gen Lebenslagen nachhaltig wirkt. „Früher sind wir Sozialarbeiter viel häufiger direkt in betrof- fene Familien gegangen“, blickt Anja Teubert auf die Anfänge ihrer Laufbahn zurück. Bei der sozialraumorientierten Arbeit ist das anders: Hier wird versucht, die Helfenden im Lebensumfeld der Menschen zu verankern, so dass sie (fast) jederzeit ansprechbar sind und nicht zu festgelegten Zeiten Besuche abstatten. Der Wille und die Interessen der Hilfsbedürf- tigen werden dabei berücksichtigt, anstatt sie bloß zu verwalten oder ihnen Hilfsangebote überzustülpen, die schlimmstenfalls von vorn- herein zum Scheitern verurteilt sind. Sozialraumorientierte soziale Arbeit – hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich eine Aus- „Ich hatte schon immer eine klare Vorstel- lung davon, wie Sozialarbeit funktionieren 100 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Anja Teubert weiß um die Schwierigkeiten, die mit der Flüchtlingskrise in Deutschland und auch im Schwarzwald-Baar-Kreis Einzug gehalten haben. Ihr Konzept ermöglicht es, in der Sozialarbeit noch bessere Strukturen zu schaffen. um ihm ein Praktikum oder sogar eine Ausbil- dungsstelle zu vermitteln“, nennt sie ein Bei- spiel. „Der Jugendliche ist aber unter anderem sprachlich noch gar nicht so weit, dass er ins Arbeitsleben starten könnte. Das weiß aber oft nur der fünfte Sozialarbeiter.“ Eine Konzeptlo- sigkeit, die viel Geld kostet. Schlimmstenfalls werde der junge Mensch in eine Firma vermit- telt, in der er an den gestellten Aufgaben schei- tere – was dann mitunter zu Unrecht als ver- meintlicher Beleg dafür herhalten muss, dass Ausländer angeblich nicht arbeiten wollen. Oft sei es das Ziel, arbeitslose Jugendliche um jeden Preis zu vermitteln. Anja Teubert weiß um die Schwierigkeiten, die mit der Flüchtlingskrise in Deutschland und auch im beschaulichen Schwarzwald-Baar-Kreis Einzug gehalten haben. „Während des Balkan- krieges kamen ähnlich viele Menschen zu uns. Aber eben nicht alle auf einmal, weshalb das damals keine so große Herausforderung wie heute war.“ Das von ihr und ihren Kollegen erstellte Konzept sei nicht nur in der aktuellen Situation anwendbar. Vielmehr biete es die Chance, in der Sozialarbeit im Kreis generell noch bessere Strukturen zu schaffen. Am Anfang stand eine Bestandsaufnahme: Was wird im Kreis in Sa- chen Flüchtlingshilfe geleistet? Welche Behör- den sind wofür zuständig und wer betreut die Menschen in den Erstaufnahmestellen oder den Anschlussunterkünften? Anja Teubert zu Hause in Donaueschingen, wo die gebürtige Blumbergerin am Fürstenberg-Gymnasium ihr Abitur gemacht hat. kann, und ich kann es nicht leiden, unstruktu- riert zu arbeiten“, sagt die 49-Jährige, die seit 2009 an der Dualen Hochschule tätig ist und im Jahr 2013 promoviert hat. Der Titel ihrer Dissertation: „Das Fachkonzept Sozialraum- orientierung. Basis einer wirkungsorientierten Kinder- und Jugendhilfe“. Auf fast 500 Seiten beleuchtet sie darin das Fachkonzept, dessen Wirksamkeit und Umsetzung am Beispiel der Jugendämter in Rosenheim, Ulm, Ravensburg, St. Wendel und Zürich. Vier Sozialarbeiter – ein Jugendlicher Die Flüchtlingsarbeit sei in einzelnen Bereichen noch konzeptlos. „Es kann passieren, dass vier Sozialarbeiter auf einen Jugendlichen zugehen, Das Ergebnis: Sowohl bei Fachleuten als auch bei Ehrenamtlichen sind viel Wissen und Engagement vorhanden. Woran es noch fehlt, 102 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Rollentausch: Eine Studentin trägt am Flipchart die Ergebnisse ihrer Gruppenarbeit vor, Anja Teubert hat indes inmitten der angehenden Sozialarbeiter Platz genommen. ist unter anderem die Vernetzung der Akteu- re – damit eben nicht fünf Sozialarbeiter un- abhängig voneinander auf einen Jugendlichen zugehen. Auch die interkulturelle Kompetenz der Akteure könne noch verbessert werden; Nachholbedarf bestehe unter anderem auch bei Informationen über Fördermöglichkeiten, Deutschkurse und Beschäftigungsmöglichkeiten. Billiger ist nicht immer preiswerter Durch die bessere Vernetzung der Akteure – sei- en es nun freie Träger, die Agentur für Arbeit, Ehrenamtliche oder Mitarbeiter der Gemein- den – soll die Flüchtlingsarbeit zielgerichteter mehr konkrete Hilfe leisten – und auch Kosten sparen. Wie bei so vielem gilt: Billiger ist nicht im- mer preiswerter. „Nehmen wir an, die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sucht mit einer Ausschreibung einen freien Träger für die Berufshilfe. Da wird nicht gefragt, ob dieser Träger im Landkreis gut vernetzt ist und bereits mit Einrichtungen vor Ort zusammen- arbeitet.“ Was zähle, sei der Preis. Und wenn die Zusammenarbeit nicht funktioniere, „fliegt uns das um die Ohren“. Die Flüchtlinge treffe Anja Teubert 103

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Jahr 2009 an der Dualen Hochschule tätig. Was mit akademischer Mitarbeit begann, setzte sich bald in Lehraufträ- gen fort. 2013 wurde sie nach ihrer Pro- motion Professorin, 2014 übernahm sie die Leitung des Studiengangs. „Jun- ge Menschen auszubilden ist ein toller und wichtiger Job. Mehr Glück kann man gar nicht haben“, sagt die Pro- fessorin. Sie selbst ist Mutter zweier Kinder: Jakob (18) und Emma, die vor Kurzem ihren 16. Geburtstag feierte. Mit Menschen zu arbeiten sei schon immer ihr Wunsch gewesen. „Ich war klassischerweise im Freun- deskreis immer diejenige, der die Pro- bleme erzählt wurden“, sagt sie und lacht. Ein Berufsberater empfahl ihr, nach dem Abitur am Donaueschinger Fürsten- berg-Gymnasium Sozialarbeit zu studieren. Ein Werdegang, der nicht selbstverständlich gewe- sen sei, sagt sie. Bis heute sind an Universitäten und Hochschulen Akademikerkinder häufiger anzutreffen als Arbeiterkinder, und auch Anja Teubert stammt aus einer „ganz normalen, bür- gerlichen“ Familie. „Für meine Eltern war es nicht leicht, mich 13 Jahre zur Schule zu schicken.“ Dennoch sei es ihnen wichtig gewesen, ihrer Tochter alle beruf- lichen Chancen zu ermöglichen. Dafür sei sie bis heute sehr dankbar. Vorsitzende des Vereins Grauzone Obwohl sie beruflich stark eingespannt ist, hat Anja Teubert seit mehr als 20 Jahren ein Für meine Eltern war es nicht leicht, mich 13 Jahre zur Schule zu schicken. Dennoch war es ihnen wichtig, ihrer Tochter alle beruflichen Chancen zu ermöglichen. Dafür bin ich sehr dankbar. Aufgaben anpacken – Anja Teubert arbeitet gerne strukturiert. „Ich hatte schon immer eine klare Vor- stellung davon, wie Sozialarbeit funktionieren kann“, sagt sie. dabei keine Schuld – vielmehr sei das System das Problem. Im Sommer wurde das Konzept im Kreistag vorgestellt. Die anschließende Diskussion habe ihr gezeigt, dass Manche nicht primär das ge- lingende Zusammenleben mit den Menschen im Blick hätten, sondern viel häufiger „Ja, aber“ und „Es dürfen nicht so viele kommen“ hervor- gehoben wurde. Seit 2014 Leiterin des Studienganges Viele Monate Arbeit hat Anja Teubert in das Konzept investiert – parallel zu ihrer Arbeit an der Dualen Hochschule in Schwenningen. Nach ihrem Studium zur Diplom-Sozialarbeiterin an der Schwenninger Hochschule (damals: Be- rufsakademie) und verschiedenen beruflichen Stationen, unter anderem im Kreisjugendamt Donaueschingen, bei der Fachstelle Sucht und als Leiterin der Agentur „Präventiv“ beim Ba- den-Württembergischen Landesverband für Prävention und Rehabilitation, ist sie seit dem 104 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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anspruchsvolles Ehrenamt inne: Seit 1994 ist sie Vorsitzende des Donaueschinger Vereins Grauzone, der für Kinder, Jugendliche und Er- wachsene vielfältige Hilfen bei sexueller Gewalt anbietet. Zu Grauzone kam Anja Teubert über ihre Arbeit, als sie Anfang der 1990er-Jahre eine jun- ge Frau bei der Jobsuche betreute. Diese hatte längere Zeit in einer Klinik verbracht, um ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten. Durch die Arbeit mit der jungen Frau entstand wieder- um der Kontakt zum Verein. Schnell wurde klar, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch niemand dem Thema sexueller Gewalt angenommen hatte. Den Verein Grauzone gab es bereits, aber eher als Selbsthilfegruppe, denn als Fachstel- le. Anja Teubert besuchte Fortbildungen zum Thema und begann sich mit der Grauzone zu vernetzen, den Vorsitz übernahm sie dann recht schnell als 26-Jährige. „Die Schicksale und der Umgang mit dem Thema machen einen so unglaublich wütend“, sagt Anja Teubert über die Art und Weise, wie die Arbeit von Fachstellen wie der Grauzone be- wertet wird. „Wir brauchen Stellen, die von se- xueller Gewalt Betroffene professionell beglei- ten, weil in der Regel wir die einzigen sind, die nicht ermitteln oder infrage stellen, was pas- siert ist, sondern schlicht da sind, wenn Ange- hörige und andere die Vorfälle nicht glauben“, unterstreicht sie. „Wir sehen nicht per se in jedem Mann einen Täter, sondern ermitteln in jedem individuellen Fall einen eigenen Weg des Umgangs mit der traumatischen Erfahrung.“ Es habe in den 20 Jahren nur sehr wenige Fälle gegeben, bei denen jemand falsch beschul- digt wurde, berichtet Teubert. Aber es gebe viele Beispiele, bei denen das Umfeld lieber den Täter in Schutz genommen habe, als die Betrof- fenen zu schützen. Die Konfrontation mit den abscheulichen Taten und die Reaktionen des Umfelds, denen die Opfer ausgesetzt waren, seien ein Antrieb für die Vereinsmitglieder, die Öffentlichkeit für Missbrauch, Grenzüberschrei- tungen und sexuelle Gewalt zu sensibilisieren und Aufklärungsarbeit zu betreiben. Zu 85 Prozent finanziert sich der Verein über Spenden. Umso glücklicher sind die Grauzo- Zu Grauzone kam Anja Teubert über ihre Arbeit, als sie Anfang der 1990er-Jahre eine junge Frau bei der Jobsuche betreute. Diese hatte längere Zeit in einer Klinik verbracht, um ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten. ne-Akteure, dass sie 1,5 hauptamtliche Stellen finanzieren können, die sich auf sechs Mitar- beiterinnen und Honorarkräfte verteilen. Einen großen Raum nehmen kostenlose Beratung und die Betreuung der Opfer ein: Das Angebot reicht dabei vom Zuhören – bei absoluter Schweige- pflicht – über Beratung zum weiteren Vorgehen bis hin zur Begleitung zu Polizei, Jugendamt, Rechtsanwalt oder Gynäkologen. Persönlichkeitstraining für Kinder Doch der Verein will vor allem auch vorbeugen, damit es gar nicht erst so weit kommt: Deshalb bietet das Team beispielsweise Persönlich- keitstrainings für Kinder an, die das Selbstbe- wusstsein stärken sollen – um einen Übergriff gezielt abwehren zu können und im schlimms- ten Fall den Mut zu haben, davon zu erzählen. Auch wenn sie häufig mit schlimmen Schick- salen konfrontiert wird – Sozialarbeit ist für An- ja Teubert nach wie vor ein „wahnsinnig toller Beruf“. Ihre Freizeit verbringt die 49-Jährige am liebsten mit ihren Kindern, ihrem Partner und Freundinnen oder treibt Sport: Joggen, Moun- tainbiken oder Skifahren. Auch Reisen stehen hoch im Kurs, am liebsten nach Südafrika, wo eine Freundin lebt, die Anja Teubert bei einem Aufenthalt in Israel kennengelernt hat. Damals war sie für drei Monate auf Weltreise. Ein Land, das sie noch nie besucht hat, steht noch ganz oben auf der Wunschliste: „Neuseeland. Das ist mein großer Traum.“ Anja Teubert 105

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Joachim Wöhrle Die Familie Wöhrle engagiert sich in Villingen bereits in der vierten Generation an vorderer Stelle ehrenamtlich für die Fasnet von Dieter Wacker „Klar“, sagt Joachim Wöhrle, als er im Licht der untergehenden Sonne vor der Villinger Zehntscheuer steht. „Klar bin ich stolz, auf das, was wir geschaffen haben.“ In einer sechsjährigen intensiven und kraftraubenden Umbauphase hat die Historische Narrozunft Villingen, der Joachim Wöhrle seit zwölf Jahren als Erster Zunftmeister vorsteht, eines der wichtigsten historischen Gebäude in der Zähringerstadt vor dem möglichen Verfall bewahrt, dem eigenen Verein ein adäquates Domizil geschaffen und den Bürgern eine Begegnungs- und Kulturstätte geschenkt. Dass das alles kein Zufall ist, dafür steht und bürgt der Name Wöhrle in Villingen. 850.000 Euro hat die Zunft in das Haus inves- tiert. „Wir sind da erst einmal schon ganz schön blauäugig rangegangen“, resümiert Wöhrle im Rückblick. „Gott sei Dank, alles lief total rund ab. All die Arbeit und das viele Geld haben sich ausgezahlt“, weiß sich der Zunftmeister heute auf der sicheren Seite. Er weiß aber auch, dass ohne die helfenden Hände vieler Ratskollegen und Zunftmitglieder, ohne eine enorme Spen- denbereitschaft der Bevölkerung und ohne den Links: Joachim Wöhrle vor der Zehntscheuer. Rechte Seite: Zwei Generationen, ein gemeinsames Interesse: Joachim Wöhrle, Zunftmeister der Histori- schen Narrozunft Villingen, und seine Tochter Alina, die beide mit der Villinger Fasnet eng verbunden sind. Das Bild entstand beim Villinger Narrobrunnen in der Oberen Straße. 106 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Rückhalt des gesamten Vereins, das Großpro- jekt Ende 2014 nicht erfolgreich hätte zum Ab- schluss geführt werden können. Bei der Generalversammlung der Narrozunft im Januar 2017 ist Schluss für Joachim Wöhrle. Nach zwölf Jahren gibt er das Amt des Ersten Zunftmeisters ab. „Es reicht dann auch“, sagt der 53-Jährige und verweist darauf: „Ich war ja zuvor schon zehn Jahre als Zweiter Zunftmeis- ter und ein Jahr als Schriftführer aktiv.“ Wenn Joachim Wöhrle in der Generalversammlung am 5. Januar kommenden Jahres zum Ehren- zunftmeister ernannt wird, dann werden auf jeden Fall drei Projekte mit seinem Namen auf Dauer verbunden bleiben: Er initiierte den Kauf und den Umbau der Zehntscheuer („Das war Schwerpunkt und Höhepunkt meiner Tätig- keit.“), er leitete mit der notwendigen Sensibi- lität die Modernisierung der Zunft (heute mit fast 4.500 Mitgliedern der mit Abstand größte Verein in der Region) und mit Geschick die Ver- jüngung des Zunftrates ein. Großvater, Vater und die Töchter – alle sind für die Fasnet aktiv Schon Joachims Großvater Wilhelm war ein aktiver Zünftler, sein leider zu früh verstorbener Vater Lothar ein höchst geachteter Mann inner- halb und außerhalb des Fasnetvereins und die beiden Töchter Alina und Franziska sind eben- falls in der Zunft und auch sonst ehrenamtlich aktiv. Solche engagierten Familien braucht eine Stadt und solche Familien sind es auch, die ihr seit Jahrhunderten den Stempel aufdrücken. Auch daran sollte man sich dankbar erinnern, wenn Villingen, Schwenningen und der ländli- che Stadtbezirk Tannheim 2017 Stadtjubiläum und damit die urkundliche Ersterwähnung vor 1.200 Jahren feiern. Wöhrle ist in Villingen ein geläufiger Name. Irgendwie sind viele Wöhrles miteinander ver- wandt, zum Teil allerdings nur sehr weitläufig. Der Name der Familie Wöhrle, aus der Joachim, der bisherige Zunftmeister, stammt, taucht bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in den An- nalen der Historischen Narrozunft Villingen Zunftmeister Joachim Wöhrle. auf. Wilhelm, von allen nur Willi genannt, war ein überzeugter und aktiver Fastnachter. Als es nach dem Krieg gleich anfangs der 1950er-Jahre darum ging, die Zunft wieder neu aufzubauen, stand „d´Wöhrle Willi“ mit in vorderster Reihe. Bereits anfangs der 1950er-Jahre gehörte Wilhelm „Willi“ Wöhrle (untere Reihe 3. von rechts) dem Rat der Historischen Narrozunft Villingen an. Später folg- ten diesem Beispiel Sohn Lothar und Enkel Joachim. 108 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Und zwar als Zunftrat und Kammerverwalter des Narrenvereins. Von 1950 bis 1966 kümmerte sich der Lokomotivführer um das Inventar der Zunft. 16 Jahre lang baute er kräftig die Kleider- kammer auf, aus der bis heute zu jeder Fasnet Häser, Schemen, Rollen und sonstige Utensilien ausgeliehen werden können. Lothar Wöhrle war mit viel Herzblut Kammerverwalter der Narros Bei so einem gestandenen Zünftler war es mehr oder weniger vorgezeichnet, dass Sohn Lothar später in die Fußstapfen des Vaters trat. Bereits als 15-Jähriger kam er 1953 in die Zunft, wenn anfangs sein Herz auch stark an der Musik hing. In der Villinger Stadt- und Bürgerwehrmusik blies er die Trompete – eine Leidenschaft, der er auch, als er im Musikverein nicht mehr ak- tiv war, weiter zu Hause frönte. 1971 wurde er in den Zunftrat gewählt. Ab 1978 war Lothar Wöhrle, wie einst der Vater, Kammerverwalter. Darauf war Lothar Wöhrle besonders stolz, wie er immer wieder betonte. Ein Amt, das er mit ganz viel Leidenschaft und Herzblut 22 Jahre lang inne hatte. Sechs Jahre länger als Vater Wilhelm. Sein Wissen über die Villinger Fasnet, die Häser und Schemen, war immens. Lange Jahre Lothar Wöhrle lebte und liebte die Villinger Fasnet. Auf dem Foto unten hängt der Kammerverwalter und Brauchtumssprecher der Historischen Narrozunft am 6. Januar seine wertvollen Schemen auf. Schon als Kind hatte Lothar Wöhrle, Vater von Joachim Wöhrle, mit der Villinger Fasnet enge Berührung: Er war an den hohen Tagen als kleiner Butzesel (Bild Mitte) unterwegs. Joachim Wöhrle 109

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Lothar, Joachim und Gisela Wöhrle (von rechts): Eine Familie engagiert sich für die Villinger Fasnet. Gisela Wöhrle ist die Ehefrau von Lothar und die Mutter von Joachim Wöhrle. auf schon sehr stolz“, weiß Joachim Wöhrle zu erzählen. Mit zwölf Jahren wurde der Sohne mann in der Zunft angemeldet, obwohl sein Herz eigentlich damals mehr für den Fußball schlug. Und so kickte er sich durch alle Jugendmannschaften bei der Villin- ger DJK, in der er als zweiter Abteilungsleiter Fußball in der Vorstandschaft saß. Am Ende war der Reiz der historischen Fasnet aber doch stär- ker und Joachim Wöhrle wurde erster Kinder- butzesel (wie viele Jahrzehnte davor bereits der Vater) der damals wiederbelebten Kinderstachi- gruppe. „Natürlich war mein Vater mit der ausschlaggebende Faktor, dass ich mich so in die Zunft eingebracht habe“, blickt der aktuelle Zunftmeister zurück in seine Anfangsjahre. Dass er 1994 in den Zunftrat gewählt wurde, welch ein „Wunder“ bei der Familiengeschichte. Zuerst ein Jahr Schriftführer, dann zehn Jahre Zweiter Zunftmeister und seit 2005 an der Spitze des bedeutendsten Villinger Vereins, so lautet seine zunftinterne Vita. „Es ist ein großer Reiz, sich für das fastnachtliche Brauchtum ehrenamtlich zu engagieren“, beteuert Joachim Wöhrle und unterstreicht sehr nachdrücklich: „Wenn ich mich für eine Sache engagiere, dann bin ich auch bereit Opfer zu bringen.“ Und mit Blick auf den großen Stellenwert der Fasnet in Villingen und der ganzen Region betont der „Natürlich war mein Vater mit der ausschlaggebende Faktor, dass ich mich so in die Zunft eingebracht habe. Es ist ein großer Reiz, sich für die Fastnacht zu engagieren.“ stand er dem Brauchtumsausschuss der Zunft vor, neben dem Rat die wichtigste Institution innerhalb des Vereins. Über vier Jahrzehnte war Lothar Wöhrle maßgeblich an der positiven Ent- wicklung der Villinger Fasnet, des Brauchtums und der Narrozunft beteiligt. Einer der Höhe- punkte: Die 2007 auf seine Initiative hin reali- sierte große Schemenausstellung im Villinger Franziskanermuseum, die von über 7.000 Men- schen besucht worden war. Ein besonderes Faible hatte Lothar Wöhrle für das Dichten. Feinsinnig, hintergründig und witzig waren seine Reime, die sich auch in 20 Texten für die Villinger Kultgesangsgruppe „Spittelsänger“ niederschlugen. In den Liedern aus seiner Feder wie „Villingen, Du meine Hei- mat“ oder „Es gibt sie noch, meine Stadt nach 1000 Jahren“ spiegelt sich die ganze Liebe des engagierten Bürgers für seine Heimatstadt wider. Beruflich war Lothar Wöhrle beim Kraft- werk Laufenburg als Elektromonteur und in der Bauaufsicht aktiv. Er starb 2012 im Alter von 73 Jahren. Dass seine Ehefrau Gisela Wöhrle seit über 40 Jahren als Mitglied und früher auch als Hästrägerin der Narrozunft die Treue hält, ist ebenso ein großartiger Teil der Familienge- schichte. Fußball und/oder Narrozunft – die Villinger Fasnet siegte... Als Lothar Wöhrle starb, war sein Sohn längst Zunftmeister der Narros. „Mein Vater war dar- 110 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Im kommenden Januar ist nun Schluss für Joachim Wöhrle mit seiner exponierten Stellung innerhalb der Narrozunft. Er gibt sein Vorstandsamt ab. Eine Nachfolgeregelung ist bereits gefunden. 53-Jährige: „Es ist eine große Ehre für mich Zunftmeister zu sein. Zumal ich mich damit auch sehr stark mit meiner Heimatstadt, in der ich mich einfach wohlfühle, identifizieren kann.“ Es besteht kein Zweifel daran, dass solch ein wichtiges Amt nur mit dem Rückhalt der Familie ausgeübt werden kann. Unterstützung erhielt und erhält der Zunftmeister all die Jahre durch Ehefrau Ulrike, die auch bereits 40 Jahre Zunftmitglied und natürlich an Fasnet aktiv im Häs ist. Im kommenden Januar ist nun Schluss für Joachim Wöhrle mit seiner exponierten Stellung innerhalb der Narrozunft. Er gibt sein Vorstandsamt ab. Eine Nachfolgeregelung ist bereits gefunden. Mehr Freizeit, mehr Zeit für die Familie erhofft er sich dann. Und zudem ist da auch noch ein Job, der ihn voll und ganz fordert: Joachim Wöhrle, der an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl studiert hat, ist Leiter des Haupt- und Personalamtes bei der Stadt Villingen-Schwenningen und besitzt da- mit eine Schlüsselposition innerhalb der städti- schen Verwaltung. Dass er im kommenden Jahr, wenn das große Stadtjubiläum in VS ansteht, die Organisation des Narrentreffens der Zährin- gerstädte (28./29. Januar) verantwortet, passt zwar, ist aber rein dem Beruf geschuldet und nicht der Zunftmeistertätigkeit. „Ich werd mal die erste Zunftmeisterin...“ Der Name der Familie Wöhrle wird auch nach Joachims Rückzug aus der ersten Reihe nicht so schnell aus dem Villinger Vereins- und Fast- Von Kindesbeinen in der Villinger historischen Fas- net aktiv: Alina (links) und Franziska Wöhrle, hier als Alt-Villingerinnen. nachtsleben verschwinden. Das ehrenamtliche Engagement lebt weiter. Dafür sorgen schon die beiden Töchter Franziska (30) und Alina (21). Bei- de sind in der Zunft aktiv. Sie gehen natürlich an Fasnet ins Häs, tanzten in den verschiedenen Balletts der Narrozunft bei den großen Fasnet- bällen. Alina steht heute als Aktive mit pfiffigen und humorvollen Sprechrollen auf der Bühne der Zunftbälle. Aktiv ist sie auch bei der Stadt- und Bürger- wehrmusik. Dort spielt sie Trompete wie einst ihr Opa Lothar. Und wer weiß, wo sie der wei- tere Weg einmal hinführen wird. Noch ist der Rat der Historischen Narrozunft Villingen (laut Satzung) rein männerbestimmt. Als Kind stand Alina mal mit der Ratskappe des Papas auf dem Kopf vor dem Spiegel: „Ich werde mal die erste Zunftmeisterin“, soll sie damals mit voller Über- zeugung verkündet haben. Die Zukunft wird zeigen, wie weitschauend dieser Satz war… Joachim Wöhrle 111

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Beim Berufsquiz oder bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße käme wohl kaum jemand auf die Idee, Bianca Fattler für eine Kunstschmie- din zu halten. Sie ist schlank, zierlich – und sie ist eine Frau. Jung ist sie obendrein. Dazu scheint der archaische Umgang mit Feuer und glühendem Eisen, Amboss und Hammer nicht zu passen. Doch die gebürtige Schönwäl- derin ist sogar Meisterin ihres Metiers, das offiziell Metall- gestaltung heißt. Im Januar 2009 übernahm Bianca Fattler zusammen mit Ehe- mann Johannes die elterliche Kunstschmiede in Schönwald. Dass die jüngste von drei Töchtern den Familien betrieb einmal weiterführen würde, hätte niemand vermutet, am wenigsten sie selbst. Bevor sie ihre Ausbildung zur Metallgestalterin begann, hatte sie Krankenschwester gelernt und in diesem Beruf gearbeitet. 112 112 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Die Familie Fattler vor der Esse. Auch die Söhne Paul und Pius sind vom Schmiede-Handwerk der Eltern Johannes und Bianca Fattler fasziniert. Bianca Fattler hat den Betrieb von Vater Manfred Fattler übernom- men, der wie seine Frau Theodora weiter im Betrieb tätig ist (von links). „Es war eine gute und intensive Zeit“, reflektiert Bianca Fattler über Ausbildung und Anstel- lung im Schwarzwald-Baar Klinikum. „Aber ich konnte mir nicht vorstellen, bis zur Rente als Krankenschwester zu arbeiten.“ Als Kind und Jugendliche hatte Bianca ebenso wenig wie ihre Schwestern in Erwägung gezogen, in die väterlichen Fußstapfen zu treten. Bei der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung freundete sie sich mehr und mehr mit dem Gedanken an. „Ich bewarb mich schriftlich bei meinem Vater um einen Ausbildungsplatz zur Metallgestalterin.“ Doch der Vater wollte nicht. Manfred und Theodora Fattler hatten ihre Töchter bei der Berufswahl nicht beeinflusst. Sie sollten sich frei entscheiden können, keine wollte in den Betrieb einsteigen. „Mein Vater dachte, mit ihm hört’s auf.“ Bianca bewarb sich erfolgreich bei der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ für ein Auslandsjahr in Bolivien. Da änderte der Vater seinen Entschluss. „Wenn du vor der Esse und am Amboss etwas Gescheites hinkriegst, will ich es mit dir probieren“, habe er gesagt. Eine Bedingung knüpfte der Firmen- gründer allerdings an den Ausbildungsvertrag mit seiner Tochter. Wenn sie den Gesellenbrief geschafft habe, müsse sie sich verbindlich ent- scheiden, ob sie die Regie über die Kunstschmie- de Fattler-Design übernehmen wolle. „Ich gab ihm das Versprechen. Damit war Bolivien natür- lich gestorben.“ Ihren Entschluss habe sie nie bereut, wenn- gleich die Startphase nicht einfach gewesen sei. Bianca Fattler wurde mit allen Vorurteilen kon- frontiert, die sie erwartet hatte. Sie war die ein- zige Frau in jedem Team, scheinbar schmächtig, dann auch noch die Tochter des Chefs. „Anfangs wollte mich niemand auf Montage mitneh- men.“ Doch Misstrauen und Berührungsängste wichen bald kollegialem Respekt und freund- schaftlicher Sympathie. In der Berufsschule in Rottweil lernte sie Johannes Buhl kennen, gebürtiger Immendin- ger, der in der Villinger Kunstschmiede Walz das selbe Lehrjahr absolvierte. Die beiden wurden ein Paar und heirateten nach der Geburt ihrer beiden Söhne Pius und Paul, heute 13 und 11 Jahre alt. Johannes nahm den Namen seiner 114 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Drei Generationen sind bei Fattlers unter einem Dach vereint. „Anders wäre es gar nicht möglich gewesen“, konstatiert Bianca Fattler nüchtern. „Als junge Mutter und Unterneh- merin brauchte ich meine Mutter für die Kinder und meinen Vater im Betrieb.“ Frau an, „so heißen wir alle gleich in unserer Familie.“ 2004 hatte Bianca Fattler ihre Ausbildung zur Metallgestalterin in der Landesfachgruppe Göppingen mit Auszeichnung beendet und sich vier Jahre später – 30 Jahre alt – als Meisterin qualifiziert. Johannes war bereits Meister – auch er wurde mehrfach für besondere Leis- tungen ausgezeichnet. Zum Januar 2009 über- trug Vater Fattler den beiden die Leitung des mittelständischen Unternehmens. Das war für alle Beteiligten eine gravierende Zäsur. Die vier- köpfige junge Familie zog in Biancas Elternhaus neben dem Betrieb, der im Wortsinn drei Ge- nerationen unter einem Dach vereint. „Anders wäre es gar nicht möglich gewesen“, konstatiert Bianca Fattler nüchtern. „Als junge Mutter und Unternehmerin brauchte ich meine Mutter für die Kinder und meinen Vater im Betrieb.“ Jetzt ist sie beider Chefin, die Fattlers senior sind bei den Fattlers junior angestellt. Die Umkehrung der Rollen sei zunächst „seltsam“ gewesen – eine Art „Abenteuer“. „Wir sind ein eingeschweißtes Team“ Bianca und Johannes Fattler betonen rück- blickend, dank des gegenseitigen Respekts und der Begegnungen auf Augenhöhe sei der Gene- rationenwechsel gut gelungen. „Wir arbeiten Hand in Hand, verstehen uns super und sind ein eingeschweißtes Team.“ Dieses besteht kon- stant aus drei Meistern, zwei Lehrlingen, drei Gesellen und Mutter Theodora, die nach wie vor für die Buchhaltung zuständig ist. Die Kunstschmiede Fattler genießt in weitem Umkreis einen hervorragenden Ruf. 80 Prozent des Umsatzes werden mit klassischen Stahlbau- und Schlosserarbeiten erwirtschaftet, meist Ge- länder, Treppen, Vordächer oder beispielsweise vorgestellte Balkone. Zu den Referenzobjekten zählen etwa die Neue Tonhalle, die Blue Boxx, Kunstschmiedin Bianca Fattler 115

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das Altenheim St. Lioba oder das Schwarzwald - Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen. Kunstschmiedearbeiten machen nur 20 Pro- zent der Aufträge aus, sie sind Biancas ange- stammter Hoheitsbereich, während Johannes der Frontmann im Stahlbau ist. Die Übergänge der einzelnen Bereiche sind fließend, selbst- verständlich tummelt sich Bianca auch auf den großen Baustellen und hat ihre im Vergleich zu den Männern geringere Körperkraft nie als De- fizit empfunden. „Wir haben gutes technisches Equipment. Und zum Schleppen richtig schwe- rer Sachen haben wir zum Glück genug starke Männer“, erzählt sie lächelnd. Ihre Entscheidung, sich auf einen typischen Männerberuf einzulassen und ins familiäre Un- ternehmen einzusteigen, habe sie nie bereut. Sie schätzt die Vielseitigkeit, planerische und kreative Offenheit, Kontakte zu Menschen, die Beschäftigung mit den Visionen der Kunden, das Tüfteln an Lösungen für knifflige Herausfor- derungen. „Es ist faszinierend, Objekte durch bunte Farbigkeit zu verstärken“ Bianca Fattler schätzt die Arbeit in der Ge- meinschaft, sie liebt aber auch die Stunden für sich, wenn sie mit dem eineinhalb Kilogramm schweren Handhammer einen glühenden Klum- pen Schwarzstahl in ein filigranes Grabkreuz, Fenstergitter oder eine Skulptur verwandelt. Dies bevorzugt in klaren, individuellen Formen, die auch in der Schlosserei dominieren. „Frü- her wurde beim Schmieden jeder Zentimeter durchs Feuer gezogen und bearbeitet. Das ma- chen wir heute kaum noch.“ Die Faszination, aus Stahl, Buntmetallen und deren Legierungen aus Holz und Glas Neues zu gestalten, dazu den Reiz und die Ausstrah- lung gefertigter Objekte durch bunte Farbigkeit zu verstärken, ist für mich die Herausforderung, der ich mich gerne stelle“, deutet die Kunst- schmiedin ein Fattlersches Spezifikum beim künstlerischen Schaffen nach eigenem Gusto an. Oft ist das im Auftragsalltag nicht möglich, willkommene Abwechslung sind darum Wett- Bianca Fattler liebt auch die Stunden für sich, wenn sie mit dem einein- halb Kilogramm schweren Hand- hammer einen glühenden Klumpen Schwarzstahl in ein filigranes Grab- kreuz, Fenstergitter oder eine Skulp- tur verwandelt. bewerbe und Landesgartenschauen mit vorge- gebenen Themen zur künstlerischen Gestaltung mit Metall. Meist geht es um grundlegende Aspekte des Lebens, um die Schöpfung, um die Darstellung der vier Elemente, um Kreisläufe von Werden und Vergehen. Wenn eine Ausstel- lung beendet ist, wandern die Arbeiten zurück nach Schönwald. So entstand im Lauf der Jahre ein Skulpturenpark zwischen Wohnhaus und Werkstätten, der sich wunderbar zur Veran- schaulichung von Techniken, Materialien und künstlerischem Einfallsreichtum anbietet. Natürlich gibt es auch im Familienbetrieb Fattler nicht nur harmonische Tage. Doch, Bianca Fattler freut sich: „Es geht uns gut. Wir haben Glück miteinander, leben in einer schönen Umgebung in Sicherheit und Frieden.“ Im Be- wusstsein, dass dies nicht selbstverständlich ist, engagiert sich Bianca Fattler ehrenamtlich für die Gesellschaft in der eigenen Heimat und für Menschen anderswo, die nicht auf der Sonnen- seite des Lebens geboren wurden. Sie gehört zur doppelstädtischen Gruppe der Soroptimistin- nen, die soziale Projekte weltweit unterstützt. Es handelt sich dabei um die weltweit größte Service-Organisation berufstätiger Frauen. Zudem ist sie Mitglied im Gemeinderat Schönwald und im Elternbeirat des Otto -Hahn- Gymnasiums Furtwangen. Weiter ist sie unter anderem als berufene Meisterin der Hand- werkskammer Konstanz im Meisterprüfungs- ausschuss tätig. „Man muss Verantwortung übernehmen und sich kümmern“, findet sie. Das gilt auch für die eigene Person. Einmal pro Woche gönnt sie sich Gitarrenunterricht bei ihrem Lehrer in Furtwangen. „Eine halbe Stunde einfach nur für mich.“ 116 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Peter Lendle Der leidenschaftliche Fallschirmspringer und Pilot aus Hüfingen ist Gründer des Fürstenberg-Fallschirmteams von Stephanie Jakober Eigentlich war Peter Lendle passionierter Skifahrer. Doch die langen Schlangen am Lift und seine damalige Freundin machten den Hüfinger zu einem be kannten Fallschirmspringer weit über unsere Region hinaus. Heute – mehr als 40 Jahre später – hat Peter Lendle über 5.700 Sprünge absolviert. Auf fast jedem Kontinent hat er sich einen Fallschirm umgeschnallt, ist ins Flugzeug gestiegen und hat sich aus luftiger Höhe der Erde entgegengestürzt. Kein Sprung ist wie der andere, keine Landschaft ist gleich. Und selbst wenn das Flugzeug von Schwenningen aus startet, bietet sich ihm jedes Mal ein anderes Bild. „Das ist das Schöne: Es wird einfach nie langweilig“, erklärt der Hüfinger Peter Lendle seine ungebrochene Leidenschaft für das Fallschirmspringen. Rückblick: Es war in den 1970er-Jahren. Die meisten Fallschirmspringer absolvierten zu dieser Zeit ihre ersten Sprünge bei der Bundes- wehr, wurden dort von diesem Virus infiziert und haben so den Weg zu ihrem Hobby gefun- den. Nicht so der Hüfinger: Der leidenschaftli- che Skifahrer Peter Lendle fährt zwar gern die Berge hinab, aber das Anstehen am Lift ist für ihn gar nichts. Also ist er auf der Suche nach einem neuen Hobby. Irgendwas mit Bergen? Da bietet sich das Bergsteigen an – doch seine damalige Freundin bekommt Probleme mit den Knien, entdeckt jedoch in einer Zeitschrift eine Anzeige für einen Fallschirmspringerlehrgang auf der niederländischen Insel Texel. Wäre das nicht eine gute Idee für eine neue Freizeitbe- Peter Lendle im Portrait und beim Formationssprin- gen mit dem von ihm gegründeten Fürstenberg-Fall- schirmteam. 120 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Gleich der erste Sprung endet mit einer Knöchelfraktur – der Leiden- schaft fürs Fallschirmspringen tut das aber keinen Abbruch. Sechs Wochen später springt Peter Lendle erneut. schäftigung? „Bis dahin hatte ich noch keinen Bezug zum Fallschirmspringen“, blickt Lendle zurück. Aber so weit fahren? Wenn er es macht, dann will er es richtig machen und nicht nur ein paar Mal und das verbunden mit einer langen Reise. Also führt der Weg nicht an die Nordsee, sondern nach Schwenningen auf den Flugplatz. Dort gibt es Fallschirmspringer. Peter Lendle er- kundigt sich bei ihnen über den Sport und was er hört, überzeugt ihn: Im Februar 1975 absol- viert er seinen ersten Sprung. Nun hat dieser Virus ihn infiziert. Und das, obwohl der erste Sprung alles andere als lehr- buchmäßig vonstatten ging. Stolz ist er, dass er den Zielkreis auf dem Flugplatz Schwenningen trifft. Jedoch zieht er sich eine Knöchelfraktur zu. Glück im Unglück: Nach seinem ersten Sprung wird die Graspiste durch Asphalt er- setzt, der Flugplatz ist erst einmal sowieso gesperrt. Nicht nur die Krücken sorgen so für eine Zwangspause. Bis die Maschine, die die Fallschirmspringer in die Höhe bringt, wieder starten kann, ist auch der Knöchel verheilt. Vom ersten Tag an begeistert Sechs Wochen später wagt es Lendle ein zwei- tes Mal und springt wieder. Der zweite Versuch läuft ohne Probleme ab. Vom ersten Tag ist er begeistert vom Fallschirmspringen und allem, was damit zu tun hat. Vergleichbar mit den heutigen Möglichkeiten sind die damaligen Bedingungen nicht. „Wir hatten ausrangiertes Material der Bundeswehr, die Rettungsschirme waren kaum steuerbar“, erinnert sich Lendle. Trotzdem ist er begeistert. Und es wird noch besser: 1977 bringen die Amerikaner die ersten Flächenfallschirme nach Europa. Nun wird das Springen nicht nur einfacher, sondern ist auch mit mehr Möglichkeiten verbunden. Bis 1983 betreibt er nun sein Hobby sehr intensiv. Das alte Hobby Skifahren lässt sich mit der neuen Leidenschaft kombinieren: Para-Ski – einer Kombination aus Riesenslalom und Fall- schirm-Zielspringen im alpinen Gelände. „Das war natürlich mit vielen Reisen verbunden.“ Lendle schafft es bis in die Nationalmannschaft. Als er dann die ersten Bilder vom Formati- onsfliegen sah – mit den Flächenfallschirmen ermöglichten sich auch völlig neue Optionen – war Peter Lendle klar: Das probieren wir in Schwenningen auch mal aus. Aber die Sport- art ist teuer, besonders dann, wenn man sie intensiv betreibt. Doch bezahlt wird alles aus eigener Tasche. Das ist nicht nur im Schwarz- wald-Baar-Kreis so: Bislang ist es noch keinem Fallschirmspringerteam in Europa gelungen, ei- nen Sponsor zu finden, der das Ganze finanziell unterstützt. Weltweit gibt es eigentlich nur das Budweiser-Team in den USA. Fürstenhaus unterstützt Formationsspringen Das sollte sich aber ändern, als die Fürsten- berger ins Spiel kommen. Im Donaueschinger Schützen, der Traditionsgaststätte, in der bei- spielsweise auch schon der Grundstein für das Donaueschinger Reitturnier gelegt worden ist, kommt Peter Lendle mit dem damaligen Erb- prinzen Heinrich zu Fürstenberg ins Gespräch. „Bis dorthin hat sich das Fürstenhaus eigentlich nur im kulturellen Bereich und beim Reittur- nier mit finanzieller Unterstützung engagiert“, erinnert sich Lendle. Doch Erbprinz Heinrich – damals noch der Chef der Brauerei – findet die ungewöhnliche Idee unterstützenswert. Man wird sich einig, ein Sponsor ist gefunden. In mühevoller Eigenarbeit werden Schablo- nen hergestellt, um die Schirme in den Fürsten- berg-Farben mit dem Schriftzug der Brauerei zu beschriften. Zum Eröffnungssprung hatte sich am 8. Juni 1980 die gesamte Fürstenfamilie im Schlosspark in Donaueschingen eingefunden, um dabei zu sein, als das Fürstenberg-Fall- 122 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Absprung des Fürstenberg-Fallschirmteams aus der vereinseigenen Do 27 über Schwenningen. schirmteam erstmals vom Himmel hinab- schwebte. Bei dem einen Sprung sollte es nicht bleiben, der Terminkalender füllte sich schnell. Lizenz für das Tandemspringen Es scheint einfach sein Ding zu sein: Wann im- mer sich im Fallschirmsport etwas Neues entwi- ckelt – Peter Lendle muss es als einer der ersten ausprobieren. So auch beim Tandem-Sprung. „Damals hat man in Deutschland noch keine Lizenz bekommen. Also musste ich nach Spa- nien.“ Mitte der 1980er-Jahre schafft er so die Grundlage, um vielen Menschen einen ersten Fallschirmsprung zu ermöglichen. Als er damals zum ersten Mal aus dem Flugzeug trat und sich dem Flickenteppich aus Feldern und Wäldern tief unter ihm entgegenstürzte, musste er es alleine machen. Nun ist es für die Neulinge möglich, sich zuerst einmal an der Seite – oder vielmehr am Bauch – eines routinierten Sprin- gers mit jeder Menge Erfahrung in die Tiefe zu stürzen. Vielen hat Lendle so das Vergnügen eines Sprunges ermöglicht: Ob es nun der Mann ist, der seiner Frau einen ungewöhnlichen Heirats- antrag machen will. Oder Erbprinz Christian zu Fürstenberg, der beim Donaueschinger Reit- turnier gemeinsam mit Peter Lendle beim Tan- dem-Sprung mitten zwischen den Hindernissen auf dem Turnierplatz landete und danach allen Besuchern begeistert verkündete: „Ihr müsst es wirklich selbst versuchen.“ Auch den Kindern erklärte Peter Lendle im Fernsehen schon, dass Fallschirmspringen gar nicht gefährlich ist. Wer die Sicherheitsvor- kehrungen gewissenhaft trifft und weiß, wie man sich in welcher Situation verhält, für den sei Fallschirmspringen weniger gefährlich als Autofahren, so der Standpunkt des erfahrenen Springers. Doch egal, wen sich Peter Lendle nun für den Tandem-Sprung vor den Bauch schnallt: Nervös sind sie alle beim ersten Mal. Doch wie ist es, wenn man sich seit Jahrzehnten durch die Luke in die Tiefe stürzt, den freien Fall erlebt und dann den Schirm zieht? Schleicht sich da nicht irgendwann so etwas wie Routine und Ge- wohnheit ein? „Die Puls-Herz-Frequenz geht au- tomatisch hoch. Egal ob es der zehnte, der 100. oder der 1000. Sprung ist“, erklärt Peter Lendle. Wissenschaftliche Untersuchungen haben er- geben, dass ein Fallschirmsprung bei Anfängern genau die gleichen körperlichen Auswirkungen hat wie bei alten Hasen. „Das Fallschirmsprin- Peter Lendle 123

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gen ist das Einzige, das mich über 40 Jahre lang überhaupt nie in irgendeiner Weise gelangweilt hat“, resü miert der erfahrene Springer. Zwar ist das Grundprinzip immer gleich: Ein Flugzeug bringt ihn auf die vorgesehene Höhe, er springt, der freie Fall, die Reißleine, der Gleitflug, die Landung. Doch irgendwie ist es auch jedes Mal anders: „Es macht einen Unterschied, ob ich bei Locarno aus 4.000 Meter in ein Alpental springe oder die Landung in der Nähe des Meeres ist.“ Selbst in Schwenningen, wo er die meisten seiner Sprünge absolviert, ist kein Sprung mit dem anderen zu vergleichen. Vor einigen Tagen erst ist er über der Baar abgesprungen, kurz nach einem Gewitter. Die Stimmung war au- ßergewöhnlich. Das Ganze hatte etwas Mysti- sches. Und es war eben wieder ein ganz anderer Sprung, so einen, wie er ihn davor noch nicht er- lebt hatte und wie er vielleicht auch nie wieder kommen wird. Peter Lendle erwirbt Pilotenlizenz Und auch wenn sich bei jedem Sprung das Adrenalin im Körper ausbreitet, irgendwann verspürte Peter Lendle noch ein anderes Gefühl: die Lust nach etwas Neuem. „1983 hatte ich einen Hänger, ich wollte noch etwas anderes machen“, schildert Peter Lendle. Vielleicht Mo- torradfahren? Doch anstatt eines fahrbaren Untersatzes für die Straße kaufte er sich eine Cessna 140 und restaurierte gemeinsam mit seiner Frau Gabi das alte Flugzeug, immerhin Baujahr 1948. Natürlich muss es dann auch ein Pilotenschein sein. Von nun an springt Peter Lendle nicht mehr nur aus den Maschinen, son- dern fliegt sie auch: Dornier Do 27, Cessna 140, Piper J3C, Piper PA-28, Piaggio, Falco – seit 1983 hat er 1.500 Stunden Flugerfahrung gesammelt. Und nicht nur mit dem Fallschirm kann man immer Neues ausprobieren: Peter Lendle findet acht Männer, die seine Dornier-Begeisterung teilen. Zum 100. Geburtstag des Flugzeug- herstellers unternehmen sie mit vier Dornier Do 27-Flugzeugen eine außergewöhnliche Reise: 5.000 Kilometer durch acht Länder. Die Reise zog viel Aufmerksamkeit auf sich, in fast allen Ländern berichteten die Medien über die fliegende Dornier-Gesellschaft. Bis nach Stock- holm wollten sie fliegen, doch dann führte sie der Weg noch ein bisschen weiter nach Norden. Ein Dornier-Fan hatte den Reisetrupp auf seinen Flugplatz eingeladen und schon Sprit für die Flugzeuge sowie Kaffee, Kuchen und Eis organi- siert. Himmel und Hölle hatte er in Bewegung gesetzt und sogar herumtelefoniert, um zu erfahren, wo die Dornier-Truppe gerade ist, da- mit er sie ja nicht verpasst. Das Fliegen und die Begeisterung dafür verbinden eben. Genauso wie das Fallschirmspringen: „Egal wo du hinkommst, überall gibt es die Möglich- keit zum Fallschirmspringen“, freut sich Peter Lendle. Und so hat der Hüfinger auch oft einen Fallschirm im Gepäck, wenn es auf Reisen geht. „Allein durch die Wettbewerbe bin ich ja schon in vielen Ländern gesprungen.“ In den USA, Asi- en und in Europa hat er schon fast jede Region an seinem Fallschirm hängend von oben be- trachtet. Seinen 6.000 Sprung fest im Visier... Foto links: Peter Lendle beim Do 27-Formationsflug. Rechte Seite: Tandemsprung mit Christian Erbprinz zu Fürstenberg und beim Bier danach. Links der Erbprinz, rechts Peter Lendle. 124 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

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Man sieht ihn nicht, aber natürlich ist er da. In der Nähe des Steinbergs bei Furtwangen-Neukirch erreicht er den Schwarzwald-Baar-Kreis, geht nahe der Kalten Herberge vorbei, wo er den Westweg quert, touchiert das Wintereck bei Urach, streift dann bis auf wenige Meter die Ruine Neufürstenberg in Hammereisenbach und zieht weiter durch Tannheim, ehe er hinter Öfingen den Landkreis wieder verlässt. Rund 37 von 26.800 Kilometern des 48. Brei - tengrads entfallen auf den Schwarzwald-Baar- Kreis, die Latitude durchschneidet ihn fast an seiner breitesten Stelle. Luftlinie sind es zum Äquator gut 5.300 Kilometer, der Nordpol ist ein wenig näher, nämlich nur 4.700 Kilometer ent- fernt. Natürlich muss der Nordpol näher sein als der Äquator, denn die Mitte von 90 Grad liegt bekanntlich bei 45 Grad. 48 ist nun keine ganz glatte Zahl. Ganz krumm ist sie aber auch nicht, es sind vier Dut- zend, und dennoch wird der 48. Grad verehrt. So sehr, dass sich zum Beispiel in Neu-Ulm ein Restaurant 48 Grad Nord nennt, das in Wahrheit Dutzende von Kilometern weiter nördlich liegt. Tatsächlich auf dem 48. liegt Freiburg, wo man an der Habsburgerstraße bereits in den 1930er-Jahren eine Markierung aus Kieselstei- nen auf dem Gehweg einließ. Spätere – genau- ere – Messungen führten dazu, dass die Linie im Sommer 2010 nach einem Umbau der Straße um einen Meter verschoben werden musste. Östlich des Schwarzwald-Baar-Kreises zieht sich die virtuelle Linie durch Meßkirch und Saulgau, streift Memmingen und durchschnei- det in Herrsching und Starnberg den Münche- ner Speckgürtel. Dann geht der Breitenkreis wei- ter südlich an Wien und Bratislava vorbei, zieht sich mitten durch das ukrainische Donezk und schließlich durch die nördlichen Ausläufer von Ulan Bator in der Mongolei. Nordamerika er- reicht der Breitenkreis nördlich von Seattle und verlässt den Kontinent wieder über Neufund- land, um Europa in der Bretagne zu erreichen. In Frankreich zieht er südlich von Le Mans vorbei, um dann ein wenig nördlich des Grand Ballon die Vogesen zu queren. Dann hat er Deutsch- land wieder erreicht. 48. Breitengrad 128 Waldidylle am 48. Breitengrad.

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Der Alte Friedhof, das war wie ein Abenteuerspielplatz... Hier herum zustromern war aufre- gend, ein bisschen verboten und ein bisschen gruselig – einfach schön. Michael Kopp, Stadtführer Mit seinem 12 PS starken Hanomag (Baujahr 1955) ist Gottfried Rohrer samt Enkelkindern nah am 48. Brei- tengrad im Hexenloch unterwegs. Das Brennholz hat er im Wagnerstal gemacht. Unterwegs in einer Kalenderidylle Dem 48. Breitengrad durch den Schwarzwald- Baar-Kreis zu folgen, gelingt am besten mit Wanderschuhen, zumindest was die westliche Hälfte der Strecke betrifft. Denn irgendwo im Wald, wenn man vom St. Märgener Ortsteil Glashütte Richtung Ferndobel aufsteigt, erreicht der Breitengrad westlich des Steinbergs in rund 1.000 Meter Höhe den Landkreis. Hier, an den mitunter steilen Schwarzwaldhängen liegen die Kalenderidylle und historische Tragödie nicht weit von einander entfernt. Die Kalenderidylle präsentiert sich in Form der Hexenlochmühle auf Gemarkung Furtwan- gen-Neukirch. Sie hat etwas, das man heute Alleinstellungsmerkmal nennt: gleich zwei Wasserräder. Das gibt es im Schwarzwald sonst nirgends. Die Mühle hat eine lange Geschichte: 1825 wurde das kleinere der beiden Wasserräder gebaut, um die Kraft des Heubachs für eine Na- gelschmiede zu nutzen. Später kam das größere Rad hinzu für eine Sägemühle, ehe der Gebäu- deteil mit dem kleineren Wasserrad als Werk- statt für die Uhrengestellmacherei umgebaut wurde. Als Modellbausatz hat die Firma Faller 130 48. Breitengrad

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Oben links: Die Hexenlochmühle hat als einzige Mühle im Schwarzwald zwei Mühlräder. Unten links: Am Grillplatz im Wagnerstal stand einst der Königenhof. Rechts oben: Die Jagdhütte der Gütermanns im Wagnerstal. Hier starben in den letzten Kriegstagen sechs deutsche Soldaten bei einem Gefecht mit französischen Streitkräften. Vom Kajetanhof ist nur die Kapelle geblieben, ihr heutiger Altar stammt von 1954. Der Gutacher Unternehmer Kurt Gütermann lernte im Konzentrationslager den späteren Furtwanger Stadtpfarrer Stephan Blattmann kennen. Sie gelobten, wenn sie freikämen, die als Lager genutzte Kajetankapelle wieder herzurichten. die Hexenlochmühle längst herausgebracht. Die Lage der Firma: rund fünf Kilometer nördlich des 48. Grades, natürlich auch im Landkreis. Für eine Tragödie unterdessen steht das na- hegelegene Wagnerstal. Dort ging am 24. Feb- ruar 1844 eine Schneelawine nieder, so wuchtig, dass sie den stattlichen „Königenhof“ samt sei- ner Bewohner unter sich begrub. 17 Menschen kamen zu Tode, außerdem 23 Stück Vieh, ein Pferd und sechs Schafe, drei Schweine und eini- ge Geißen. Der Hof stand nur wenige hundert Meter nördlich des 48. Breitengrades. Die Kraft der Natur ist in dieser Gegend vielfältig. Nach der Wasserkraft im Hexenloch einerseits, den zerstörerischen Kräften der Schneemassen andererseits, erblickt man, wenn Entlang einer unsichtbaren Linie 131

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Exakt auf dem 48. Breitengrad steht die Kalte Herber- ge in Urach. Das Gasthaus an der B 500 liegt zugleich auf der europäischen Wasserscheide: Das Hausdach entwässert links in die Donau, rechts in den Rhein. Linke Seite: Blick auf Urach mit Wehrkirche. man aus dem Tal in die Höhe strebt, bald auf der Fernhöhe ein Windrad. Es ist eines der ältesten im Landkreis. Die 250-Kilowatt-Anlage ging be- reits im September 1996 ans Netz – auf einem Gittermasten (siehe Foto auf Seite 126/127). Eine heute eher ungewöhnliche Optik. Im nördlich der Maschine angrenzenden Wald verläuft der Breitenkreis, der uns weiterhin Richtung Osten begleitet. Vom Fernhof aus kommend quert man nun die B 500, auf deren südlicher Seite der Westweg mal näher, mal ein wenig entfernt der Bundesstraße entlang führt. Manche nen- nen ihn „legendär“, den 285 Kilometer langen Wanderweg, der von Pforzheim im Norden nach Basel im Süden führt, als Teil des Europäischen Fernwanderwegs E1 vom Nordkap nach Sizilien. Nach den ersten Überlegungen des Jahres 1894, einen durchgehenden Höhenwanderweg von Nord nach Süd durch den Schwarzwald anzu- legen, wurde er im Jahr 1900 vom Badischen Schwarzwaldverein realisiert. Seine rote Raute ist jedem Schwarzwaldwanderer bestens be- kannt, schließlich ist es im wahrsten Sinne ein ausgezeichneter Weg: Im Jahr 2006 verlieh der Deutsche Wanderverband dem Westweg das Gütesiegel Qualitätsweg Wanderbares Deutsch- land. Bis zur Kalten Herberge südlich des 48. Brei- tengrades verlaufend, schneidet der Westweg die geodätische Linie fast exakt an der Gast- stätte. Als wichtigste Station an der alten Wegverbindung Freiburg-Villingen spielte die Kalte Herberge stets eine bedeutende Rolle für Handelsreisende. Von hier aus ist in der Ferne malerisch die Ortsmitte von Urach mit Wehr- kirche auszumachen. Die Legende erzählt, dass hier oben, 1.028 Meter über dem Meer, im Juni einst ein Handwerksbursche erfror, der auf der Ofenbank nächtigte. Wahrscheinlicher ist eine andere Entlang einer unsichtbaren Linie 135

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Linke Seite: Sie ist mit Holz erbaut, das im 16. Jahr- hundert in den Wäldern von Urach stand, erzählt Besitzer Michael Bärmann stolz (rechts), und sie war schon im 17. Jahrhundert in Betrieb. Die Holzsäge des Unter roturacher-Hofes ist ein Museumsstück, das an eine Pächtergruppe aus dem Großraum Neuenburg verpachtet wurde, die sie aus privater Leidenschaft in Schuss hält. Initiator ist Kurt Mayer (links). Mit Keilen wird beim Sägen die Spannung aus dem Holz genom- men (unten rechts). Das „Säger-Bier“ gibt es nach der Arbeit bei der Säger-Hütte (unten links), die früher als Schutz- und Pausenraum der Säge genutzt wurde. Interpretation des Namens, der seit mehr als 500 Jahren schon besteht: In politisch unruhi- gen Zeiten sollen Bauern aus der Nachbarschaft und Bürger aus den nahegelegenen Städten in den Kellergewölben des Gasthauses Wertsa- chen deponiert haben. Im alten Schwarzwälder Dialekt sagte man auch „verkalten“, wenn man etwas versteckte. Während der Westweg von der Kalten Her- berge nun über Neueck, Brend, Martinskapelle und Schonach in Richtung Norden strebt, ist es ab jetzt der Mittelweg, der in Nähe des anvisier- ten Breitengrades nach Osten führt. Mitunter verläuft der Weg entlang der Kreisgrenze, was daran liegt, dass die Grenzen im Schwarzwald oft über die Bergrücken verlaufen. Und eben diese Bergrücken bieten natürlich auch für Wan- derer besondere Reize. Über einige Kilometer hinweg ist der Mittelweg identisch mit dem Hochschwarzwald-Jakobusweg, der von der Kal- ten Herberge bis nach Villingen führt. Die Säge in Unterroturach Auf dem Weg dorthin kommt man am Hof der Familie Bärmann in Unterroturach vorbei. Mehr noch als der schmucke Hof und die kleine Ka- pelle fasziniert hier die alte Holzsäge. Schon vor 1800 stand an der Roturach eine Säge, erzählt ihr Besitzer Michael Bärmann. 1841 wurde sie verkauft, abgebaut und an der heutigen Stelle wieder errichtet. Die Hochgangsäge braucht etwa zehn Minuten um ein Brett zu sägen, an Blick von der Finsterhalde zum Unterroturacher Hof (hinten). Altar der Judas-Thaddäus-Kapelle. Auf dem Jakobusweg nach Villingen. Entlang einer unsichtbaren Linie 137

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Schollachtal – streift man den Skilift am Sägen- hof, dessen Hang exakt vom 48. Breitengrad durchschnitten wird. In dieser Region wurde der Skilift überhaupt erfunden: Unweit entfernt, in Schollach ging im Februar 1908 der erste Skilift der Welt in Betrieb. Durch den ruhigen Wald geht es weiter auf der Höhe, am Wintereck vorbei über den Som- merberg. Am Wegesrand fallen die zahlreichen Ameisenhügel auf, die für den Schwarzwald so typisch sind. Hier oben, so scheint es, ist die Welt noch in Ordnung. Nicht weit weg entfernt liegt die zu Vöhren- bach gehörende Linachtalsperre. Gerade zwei Kilometer trennen sie von unserem Breitenkreis, von der Route sieht man sie gleichwohl nicht, denn es liegt dazwischen nicht nur das Uracher Tal, sondern ein weiterer Höhenrücken, der vom Kohlwasen über die Linacher Höhe und das Rufen eck ostwärts streicht. Die Linachtalsperre zählt zu den ausgefal- lensten Kraftwerksbauten des Schwarzwaldes. In den Jahren 1923 bis 1925, während der Infla- tionszeit, wurde sie errichtet und war deutsch- landweit – so die Formulierung der Bauinge- nieure – die erste Vielfachbogensperre in auf- gelöster Bauweise. Die Gemeinde finanzierte Kraftwerk und Staumauer mit einem außeror- dentlichen Holzhieb. Es war ein schwieriges Pro- jekt, auch wegen seiner Höhenlage: Die Groß- baustelle war die seinerzeit höchstgelegene Deutschlands in rund 900 Meter Höhe, was im Winter die Arbeiten beeinträchtigte. Seit 1998 läuft das Kraftwerk am Ausgang des Linachtals wieder, nachdem es fast 30 Jahre stillgestanden hatte. In den späten 1960er-Jahren hatte man die Wasserkraft für überholt gehalten. Auf dem Weg nach Hammereisenbach Die Route entlang des 48. Breitengrads hat in- zwischen ihre höchsten Punkte überschritten. Es geht langsam wieder abwärts und man erreicht erst den Ober-, dann den Unter-Fahlenbacherhof, malerisch in einer Senke gelegen. Eine kleine Ka- pelle schmückt das Ensemble. Der 48. Breiten- grad verläuft nur wenige Meter nördlich. Der Hang des Skilifts am Sägenhof wird exakt in der Mitte vom 48. Breitengrad durchschnitten. einem Tag kann sie etwa einen Kubikmeter Fich- tenholz verarbeiten. Bis 1924 wurde die Säge von einem Wasser rad angetrieben, dann ließ man eine Wasser turbine installieren. Diese wurde im Jahr 2001 durch eine neue mit einer Leistung von zehn Kilo watt ersetzt. 70 Liter Wasser pro Sekunde bei einer Fallhöhe von 34 Metern kann sie verarbeiten und somit im Jahr 45.000 Kilowattstunden Strom erzeugen. Nach Roturach führt der Weg auf 1.095 Me- ter Höhe zum Reitsattel hinauf. Dort findet sich ein Kleinod der jüngeren Geschichte: die Judas- Thaddäus-Kapelle. Sie wurde in den Jahren 1994 bis 1997 von der Familie Hofmaier gebaut, die knapp zehn Fußminuten von der Kapelle ent- fernt wohnt. Sieben Strahlen in der Decke stehen für die sieben Gaben: Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Wissenschaft, Frömmigkeit und Got- tesfurcht. Täglich um 6 Uhr, 11 Uhr und 18 Uhr läuten die Glocken. Tradition trifft hier auf Mo- derne: Die Energie kommt von Solarzellen. Und während man weiter auf dem Höhen- rücken läuft – links das Urachtal, rechts das 138 48. Breitengrad 48. Breitengrad

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Vorbei geht es an Ameisenhügeln, hinunter zum Unter-Fahlenbacherhof (Mitte links), bei dem ein steinerner Brunnen mit gusseisernem Badischen Wappen steht. Geschichtsträchtig sind in Hammereisenbach die Burg- ruine Neu-Fürstenberg (rechts) und der 1600 erbaute Dilgerhof (unten links). Auffallend der Steinbruch am Orts- ausgang in Richtung Schollach (unten rechts). Auf einem großen Stein an der asphaltier- ten Straße hängt ein metallenes Schild mit der Aufschrift „Großherzogthum Baden“. So tradi- tionsreich man hier ist, so sehr ist man auch in der Jetztzeit angekommen: Der Unter-Fahlen- bacherhof versorgt sich längst aus einer großen Photovoltaikanlage mit eigenem Strom. Mit zwölf Prozent Gefälle führt die Straße weiter zum Dilgerhof und dann nach Hammer- eisenbach. Rechter Hand fällt der Blick auf das Schotterwerk, rötlicher Granit tritt am Stein- bruch nahe der Kreisgrenze Richtung Hoch- schwarzwald zutage. Nun bereits wieder ein wenig südlich der 48er-Linie abgedriftet, geht es durch Hammerei- senbach Richtung Bregtal. Links oben auf dem Berg liegt die Ruine Neufürstenberg, wieder fast exakt auf unserer anvisierten Linie. Vermutlich um das Jahr 1360 wurde sie von den Grafen von Fürstenberg erbaut. Von hier aus sollte die Verbindungsstraße zwischen Baar und Breisgau kontrolliert werden; Erzvorkom- Entlang einer unsichtbaren Linie 139

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Tannheim – der Ort liegt geografisch betrachtet auf einer Linie mit Wien, Freiburg oder Seattle. men und deren Verarbeitung im Eisenbachtal machten den Standort strategisch attraktiv. Im Bauernkrieg wurde sie am 8. Mai 1525 durch den „Klettgauer Haufen“ unter Hans Müller zerstört. Von der Burgruine aus quert der Breiten- grad anschließend die Breg und erstreckt sich durch die Vöhrenbacher Wälder und über den G´schwand weiter Richtung Osten. Die Breg unterdessen und mit ihr die Straße entfernen sich über Zindelstein und Wolterdingen immer mehr von unserer geografischen Linie. Zeit also, bei nächster Gelegenheit wieder nach Norden abzubiegen. Mit dem Fahrrad durch die Baar – Von Tannheim nach Öfingen Die Wanderschuhe haben zwischenzeitlich ihren Dienst getan, der Schwarzwald liegt jetzt hinter uns, im weniger schroffen Gelände der Baar geht es mit dem Fahrrad weiter: Von Wolterdingen aus führt die Route entlang von Getreidefeldern am Fuß des Ochsenbergs in Richtung Tannheim. Auch ortsunkundige Radler finden sich hier gut zurecht. Die Beschilderung der Wege, die Wanderer seit Jahren schon im Schwarzwald schätzen, hat in den vergangenen Jahren auch die Fahrradrouten erreicht. Von Wolterdingen geht es nun also gerade- wegs nach Norden, um den 48er wieder zu tref- fen, der durch Tannheim führt. Der einst selbst- ständige Ort gehört seit den 1970er-Jahren zu Villingen-Schwenningen. Er fällt auf durch seine gemischte Gebäudestruktur, direkt angrenzend liegen oft Häuser aus unterschiedlichsten Epo- chen der vergangenen hundert Jahre; moderne Bauten neben alten Objekten, die noch das landwirtschaftliche Leben widerspiegeln. Der Breitengrad durchschneidet das Areal der Nachsorgeklinik im Ort. Im November 1997 wur- de sie eröffnet, eine als gemeinnützige GmbH geführte Klinik für Familien mit krebs-, herz- und mukoviszidosekranken Kindern, Jugendli- chen und jungen Erwachsenen. Angrenzend an die Tannheimer Wälder auf der einen Seite und die Äcker auf der anderen, ein wenig oberhalb des Ortes, liegt die Einrich- tung, ein Ensemble von sechseckigen Gebäu- den. Mit seiner unaufgeregt zeitlosen Architek- tur passt es sich in die Landschaft am östlichen Rande des Schwarzwaldes ein. Farben an den Wänden und bunte Figuren lenken ein wenig ab von der Dramatik, die das Leben jener Familien beherrscht, die hier einige Wochen verbringen. Stopp – 48. Breitengrad! Als einzige Einrichtung im Schwarzwald-Baar-Kreis hat die Nachsorgeklinik Tannheim den 48. Breitengrad markiert, der ihr Gelände durchschneidet. 140 48. Breitengrad

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Während der Breitengrad nun durch die Wälder am Ochsenberg und Weißwald in Rich- tung Brigachtal zieht, führt die Radroute etwas nördlich davon durch Überauchen. Der 48. Brei- tengrad erreicht südlich von Klengen den Weiler Beckhofen. 793 erstmals urkundlich erwähnt, ist Beckhofen der zweitälteste Ortsteil der jetzigen Gemeinde Brigachtal. Hier quert der 48er auch die Schwarzwaldbahn, jenes Meisterwerk der technischen Baukunst, das zwischen 1863 und 1873 nach den Plänen des Baumeisters Robert Gerwig entstand. Steil geht es von Klengen aus auf der Ost- seite des Brigachtals empor, weiterhin auf Spu- rensuche entlang des Breitenkreises. Der Sallen präsentiert sich mit seiner Höhe von 772 Metern als Aussichtspunkt. Und die Landschaft ver- ändert sich nun. Felder treten an die Stelle der bisherigen Waldungen. Hat man den Anstieg überwunden – einige Radler mit E-Bikes ziehen locker vorbei – er- reicht man eine bequemere Fahrradlandschaft mit leichten Hügeln und Wegen, die zwischen Feldern hindurch führen und vorbei an land- wirtschaftlichen Anwesen. In den Ställen stehen mal Kühe, mal Schweine, mitunter sind auch Pferde auf der Koppel. Der Geruch von Silage wechselt mit der Landluft der Tierhaltung. Die Landwirtschaft hier hat es nicht leicht. An einem der Höfe steht auf einem Schild geschrieben: „Bauern brauchen einen fairen Beckhofen kann sieben Häuser vorweisen, zwei landwirtschaftliche Betriebe, eine Kapelle und die Kunst von Agnes Schrickel, die aus Alt-Metall über- dimensionale Spielplatzgeräte wie Schaukel pferde oder auch Gartenzäune kreiert. Unten: „Festmahl“ – im frisch geschnittenen Heu versammeln sich Ende August bei Biesingen sieben Störche zur Nahrungssuche (hinten Öfingen). 142 142 48. Breitengrad

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Preis: 40 Cent“. Doch 40 Cent pro Liter zahlt im Moment keine Molkerei. Die Landwirte suchen sich daher ihre eigenen Wege. Zum Beispiel mit einem „Milchhiesli“, einem Frischmilchautoma- ten. 24 Stunden am Tag lässt sich hier in Selbst- bedienung die Milch zapfen. Nur wenige Meter weiter stößt man auf den Hofladen der Familie Hettich. Selbstvermarktung ist für die Landwirt- Die Landwirtschaft spielt im Bild der Baar eine prä- gende Rolle. Wer dem 48. Breitengrad folgt, trifft kurz vor Ankenbuck auf ein modernes „Milchhiesli“, bei dem man rund um die Uhr für 80 Cent pro Liter frische Milch in Flaschen abfüllen kann, wie hier Verena Neininger. Nur 100 Meter weiter steht der Bauernladen der Familie Hettich – Inhaberin Ursula Hettich präsentiert einen Getreidesack von 1904. Entlang einer unsichtbaren Linie 143

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Das frühere Konzentrationslager Ankenbuck bei Bad Dürrheim. schaft hier und andern orts oft der einzige Weg, dem Preisdruck der Discounter zu entkommen. Von Ankenbuck über Sunthausen nach Öfingen Weiter geht die Tour in Richtung Osten. Anken- buck heißt eine kleine Ansiedlung, die wie- derum präzise von unserem Breitenkreis ge- schnitten wird. In den Gebäuden werden heute Proberäume für Musikgruppen vermietet – die Abgelegenheit macht dies attraktiv. Das Hofgut ist aber auch Teil einer dunklen Geschichte. Hier unterhielten die Nationalsozi- alisten ab Frühjahr 1933 eines der ersten Kon- zentrationslager, in dem sie Kritiker des Regimes einsperrten. Es waren ausschließlich politische Häftlinge, die meist aus Südbaden kamen, Kommunisten, aber auch Mitglieder der SPD. Im März 1934 wurde das Konzentrationslager ge- schlossen, die Häftlinge wurden verlegt. Weiter geht es durch die Felder. Trotz der gu- ten Bedingungen für Radfahrer – gut nutzbare Wirtschaftswege, wenig Verkehr, eher mäßige Steigungen – fällt die Orientierung schwer. Der 48. Breitengrad trifft hier auf die Römerstraße, die heute als Radweg genutzt wird und die teils mit dem Jakobsweg identisch ist. Bald ist der Radweg wieder besser ausge- schildert, er verläuft nun ein wenig südlich des 48er-Kreises, um dann kurz vor Aasen scharf links steil den Berg hinaufzuführen bis auf 781 Meter. Aasen und Heidenhofen liegen nun zu Füßen. Buchwald heißt hier der Forst. Auf ei- nem Schild preist er seinen vielfältigen Nutzen an: „Ich hege den Hirsch, ich hege das Reh, ich schütze euch vor Sturm, ich schütze euch vor Schnee, ich wehre dem Frost, ich wahre die Quelle, ich hüte die Scholle, bin immer zur Stelle, ich bau euch das Haus, ich heiz euch den Herd, drum ihr Menschen, haltet mich wert.“ Weiter führt die Route über Biesingen und dann geradezu nach Norden, um den Breiten- grad wieder exakt zu treffen. So kommt man schließlich nach Sunthausen, einen Ortsteil von Bad Dürrheim, den unsere Linie fast mittig teilt. Der gusseiserne Dorfbrunnen von Sunthausen stammt aus dem Jahr 1878, der Zahn der Zeit hat seine Spuren hinterlassen. 144 48. Breitengrad

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Der Meteorologe Oliver Klein geht auf Sendung – mehrmals täglich informiert er von Öfingen aus Fernseh- und Radiostationen über die Wetterentwicklung im Süden. Und fast scheint es, als habe der 48er hier histo- rische Bedeutung: Die Nordhälfte des Ortes ge- hörte früher zu Württemberg und war evange- lisch, die Südhälfte gehörte zu Fürstenberg und war katholisch. Und doch war natürlich nicht unsere geometrische Linie die politische Grenze, sondern der kleine Fluss Kötach. Doch faktisch macht das kaum einen Unterschied. Das Wetterstudio Süd Östlich von Sunthausen schneidet der Breiten- kreis schließlich noch die Autobahn 81, quert dann das Feriendorf von Öfingen, 130 Häuschen auf rund 850 Meter Höhe. Der staatlich aner- kannte Erholungsort gehört heute zu Bad Dürr- heim. Seit April 1999 befindet sich im Feriendorf das einst von Jörg Kachelmann als ARD-Wet- terstudio Süd ins Leben gerufene Wetterstudio der Meteogroup. 48,00 Grad nördlicher Breite, 8,63 Grad östlicher Länge weist die Firma als Lageposition aus. Aus Sicht unserer Breiten- grad-Tour also wieder ein Volltreffer. Das Studio wurde einst in Kooperation des Wetterdienstes Meteomedia und der Stadt Bad Dürrheim ge- gründet. Später ging Meteomedia in der Meteo- group auf. Hier am Standort werten Meteoro- logen Daten aus, übermitteln Messwerte und Prognosen an Radiosender, Zeitungen und ans Fernsehen, auch live. Für den Standort sprach seine Lage an der warmen, regenarmen Hang- kante des Feriendorfes mit seinen 1.750 Sonnen- stunden; Öfingen zählt zu den sonnenschein- reichen Orten in Deutschland. Besuchern bietet das Studio Besichtigungstermine an. Über den 941 Meter hohen Himmelberg, der mit seinem Genießerpfad wirbt, verlässt unser 48er schließlich den Schwarzwald-Baar-Kreis und erreicht den Kreis Tuttlingen. Nach einer Tour, die etwa dem 700. Teil einer Erdumrun- dung entspricht. 146 48. Breitengrad

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Schwarzwaldhof in Blumberg: Schwarzwälder Schinken ist sein Aushängeprodukt Ein Vorzeigeunternehmen schreibt Erfolgsgeschichte von Bernhard Lutz Vom kleinen Buchberg aus sehen die beiden Geschäfts- bereichsleiter Andreas Pöschel (Vertrieb, Marketing) und Andreas Göhring (Technik, Produktion) ihren gesamten Betrieb, in dem 275 Beschäftigte im Jahr mehr als 10.000 Ton- nen Lebensmittel produzieren, hauptsächlich Rohschinken und Rohwurst. Und sie blicken auf den Schwarzwaldhof-Kreisel mit einem skizzierten Bollenhut auf der Landesstraße 214 vor ihrem Unternehmen. Seit Mai 2007 ist die Schwarzwaldhof Fleisch und Wurstwaren GmbH eine selbstständige Tochter von EDEKA Südwest – verkörpert ein spannendes Stück Geschichte der süddeutschen Fleisch- und Wurstwarenindustrie. Die Geschichte des Produktionsbetriebes in Blumberg begann am 1. Januar 1965 mit dem Kauf der Metzgerei Faller in der Tevesstraße. Am Freitag, 9. Mai 1969 war dann in der Tagespresse zu lesen: „Erster Spatenstich für ein 2,5 Mio. DM- Projekt … zum Vorteil der Landwirtschaft und des Arbeitsmarktes…“, heißt es auf der Homepage des Schwarzwaldhofs. Und weiter ist dort zu le- sen: „Es war der Spatenstich für den Neubau mit einer Grundfläche von 1.402 Qua dratmeter, mit einem 15 Meter hohen Rauchturm, einem zweistöckigen Verwaltungsgebäude, einem Pro- duktions- und Verarbeitungsbetrieb, einem Schlachthaus und einem Verkaufsladen.“ Im Dezember 1969 konnte die Produktion aufgenommen werden. 1972 wurde die Salzerei für die Schwarzwälder Schinkenproduktion erweitert. Blumberg erwies sich als guter Stand- ort, der Betrieb florierte. 1975 wurden die Pro- duktions- und Lagerhallen ausgebaut und das Verwaltungsgebäude um eine Etage erhöht. Die Erfolgsgeschichte ging weiter. 1980 schufen die Verantwortlichen mit der Vergrö- ßerung der Versand- und der Verpackungs- abteilung die Voraussetzungen für weiteres Wachstum, und 1982 erweiterte das Unterneh- men – trotz der damaligen Wirtschaftsflaute – den Rauchturm für die Schwarzwälder Schin- kenproduktion. Die traditionelle Herstellung des Schwarzwälder Schinkens wurde sorgfältig gehütet. Mit der Gründung des „Schutzver- bandes der Schwarzwälder Schinkenhersteller e.V.“ haben sich die Mitglieder verpflichtet, den Schwarzwälder Schinken als regionale Speziali- tät und als geografische Herkunftsangabe g.g. A. zu schützen. In der Lebensmittelbranche blieb die Firma Lutz in Blumberg ein Flaggschiff. Es wurden 148 5. Kapitel – Wirtschaft

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siert war. Strippenzieher war 2007 Karl-Heinz Blum, der langjährige Direktor, der mit EDEKA die Übernahme in die Wege geleitet hat. „Wir sind heute glücklich darüber, ein Teil der EDEKA zu sein“, betonen Göhring und Pö- schel. Blum erwies sich mit diesem Schachzug für das Werk zum wiederholten Mal als Glücks- fall. Er war 1970, als das Blumberger Werk durch die Wilhelm Lutz AG und die Süddeutsche Fleisch verwertungs GmbH übernommen wurde, in den Betrieb gekommen. Ein Jahr später stieg Blum als Abteilungs- leiter in dem Werk ein, er hatte zuvor bei Lutz in Klosterlechfeld direkt nach der Schule seine Ausbildung begonnen. Schnell stieg der gebür- tige Rottweiler auf der Karriereleiter nach oben. 1981 erhielt der Familienvater die Prokura und als Lutz 1991 zu einer Aktiengesellschaft umge- wandelt wurde, berief man ihn in den Vorstand. Bis Frühjahr 2004 leitete er das Werk Blumberg, dann der nächste Karriere-Sprung: Blum wurde Vorstandssprecher der Lutz Fleischwaren AG, die zur Südfleisch Holding GmbH gehörte. Sein Arbeitsplatz war nun Landsberg am Lech, und er trug Verantwortung für sieben Lutz-Werke mit zusammen rund 2.000 Mitarbeitern. Nachdem der niederländische Konzern Vion im Juni 2006 Südfleisch übernommen hatte, trennten sich Blum und Lutz. Blum war genau der richtige Mann, der mit seinen exzellenten Kenntnissen über die Leis- tungsfähigkeit des Blumberger Fleischwerks und der dortigen Mannschaft sowie mit seinen guten Kontakten zu EDEKA den Wechsel in die Wege leiten konnte. Zu diesem in der Branche nicht alltäglichen Schritt gelang ihm noch ein weiterer Coup: In akribischer Vorarbeit hatte er das neue Schwarzwaldhof-Logo mit dem mar- kanten Bollenhut entwerfen lassen, das schnell noch mehr Aufmerksamkeit erzielte als das frü- here Lutz-Logo. Schwarzwaldhof entwickelt sich zur Marke EDEKA Südwest ließ seiner neuen Tochter weit- gehende Handlungsfreiheit, schnell entwickelte sich der Schwarzwaldhof zur Marke. Doch im Der scheidende Geschäftsführer Karl-Heinz Blum (von links) übergibt den Stab des Schwarzwaldhofs in Blumberg im Herbst 2012 an seine Nachfolger Andreas Pöschel und Andreas Göhring. selbst in Krisenzeiten mit Einschnitten wie durch die Maul- und Klauenseuche oder den Rinderwahn schwarze Zahlen geschrieben. Das motivierte Team in Zollhaus wirtschaftete stets so, dass der Umsatzrückgang auch in schwieri- gen Jahren deutlich geringer ausfiel als dies im Durchschnitt der Branche der Fall war. Wohlge- merkt bei weiterhin schwarzen Zahlen. Glücklich über EDEKA-Übernahme Eine äußerst schwierige Zeit für das Unterneh- men begann 2006. Bedingt durch die Insolvenz der Südfleisch GmbH, zu der die Unternehmen der Lutz-Gruppe gehörten, übernahm der nie- derländische Konzern Vion zum 1. Januar 2006 die Südfleisch GmbH und damit auch die Lutz- Gruppe mit dem Werk Blumberg. Vion habe bei dieser Übernahme hauptsächlich die Schlacht- höfe von Südfleisch interessiert, schildern die beiden Schwarzwaldhof-Verantwortlichen An- dreas Pöschel und Andreas Göhring. Zum Lutz- Werk Blumberg gehörten seinerzeit auch 116 Filialen, die hauptsächlich in EDEKA-Märkten betrieben wurden. Dies war auch der Grund, weshalb EDEKA am Standort Blumberg interes- 150 Wirtschaft

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Oben: Nach dem Wareneingang prüft Martin Fehrenbach das gelieferte Fleisch. Unten: Das Schneiden und Verpacken des Schinkens erfolgt mit modernster Technik. Jahr 2012 befand sich das Unternehmen wieder in einer wirtschaftlich schwierigen Phase. Nach negativen Jahren schien die Wettbewerbsfähig- keit wie zu Zeiten unter Vion in Gefahr. „Es war eine Zeit harter Entscheidungen, aber die Ent- wicklung zwang uns zum Handeln“, schildern Andreas Göhring und Andreas Pöschel. Ihnen vertraute EDEKA Südwest im Oktober 2012 die Geschäftsleitung an, als Karl-Heinz Blum in den Ruhestand ging. Bei der Schwarzwaldhof Fleisch und Wurst- waren GmbH folgte eine umfassende kon- zeptionelle Neuausrichtung. Dabei wurde die Kernkompetenz – das Herstellen von Rohpö- Schwarzwaldhof Blumberg 151

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jeden Tag eine Intensiv- Massage. Ein Mitarbeiter wendet die fünf bis sechs Kilo schweren Teilstücke aus der Schweinekeule in der hauseigenen Schwarz- wälder Gewürzmischung, reibt diese tief ins Fleisch ein,“ berichtet die Mitar- beiterzeitung. Pökelsalz, Pfeffer, Wacholder, Korian- der stecken drin, mehr wird nicht verraten. Schließlich sei die Rezeptur seit 1969 unverändert geblieben, so- lange wie es das Unterneh- men gibt. In dem Bericht heißt es weiter: „In 650 Kilogramm schweren Pökelbehältern kommen die gesalzenen Schinken in den Lakeraum. Immer die Qualität im Fokus – Michael Kuolt in seinem Element. kelwaren und Rohwurst – gestärkt, heißt es in einem Bericht über den Schwarzwaldhof in der Mitarbeiterzeitung von EDEKA Südwest. Andere Geschäftsfelder gab der Schwarzwaldhof an Schwesterbetriebe ab. So kamen fünf Metz- gereiabteilungen, die der Schwarzwaldhof bis dahin in den C+C-Großmärkten betrieben hatte, an die Union SB. Zudem gingen ein Kommis- sionierungslager und die Brühwurst-Produkte an das neue Fleischwerk der EDEKA Südwest Fleisch in Rheinstetten bei Karlsruhe. „Die Neuausrichtung war ein Einschnitt für alle Kol- legen“, erinnert sich Andreas Pöschel und fügt hinzu: „Jetzt wissen wir, dass wir dadurch die Weichen für unseren heutigen Erfolg gestellt haben.“ Auf ihr Team sind die beiden Geschäfts- bereichsleiter stolz. Für den Erfolg haben alle hart gearbeitet. Diesem hart erarbeiteten Erfolg verdankt der Schwarzwaldhof, dass er in der Mitarbeiter- zeitung von EDEKA Südwest für das erste Halb- jahr 2016 für die Titelgeschichte ausgewählt wurde. Dass es wieder läuft bei der Schwarz- waldhof Fleisch und Wurstwaren GmbH, so heißt es, spüre man zum Beispiel in der Salzerei. „Rund 3.000 ganze Schinken bekommen hier Mehrere Wochen dauert die sogenannte Ein- brennphase: Das Salz entzieht dem Fleisch Was- ser. Ganz natürlich bildet sich die Mutterlake." In der Lake wirken sowohl Schutz- als auch Ge- schmackskulturen auf die Schinken ein, wie An- dreas Senn erläutert. Der Schinkenmeister misst die Salzkonzentration in der Lake: Entscheidend ist, dass die Schinken weder zu viel noch zu we- nig Salz abbekommen. Der Pökelbehälter wird mit weiterer natürlicher Mutterlake aufgefüllt, bis die rund 100 Schinken darin komplett mit Flüssigkeit bedeckt sind. Nun verbleiben sie wei- tere zehn Tage darin, in denen das Salz bis zum Kern dringt. „Bei null bis zwei Grad schlummern in dem riesigen Lakeraum Schinken im Wert von drei Millionen Euro“, heißt es. Vom Rohstoff Fleisch zum Schwarzwälder Schinken sind es sieben Schritte Das Salzen und Würzen ist einer von sieben Schritten vom Rohstoff Fleisch bis zum Schwarz- wälder Schinken. Nach der Wareneingangs- kontrolle, bei der das Fleisch auf seine Qualität und Beschaffenheit überprüft wird, ist das 152 Wirtschaft

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Einsalzen der erste Produk- tionsschritt. Ihm folgen das Pökeln, Brennen, Räuchern, die Reifung und das Ver- packen. Dann kommt die fertige Ware in die Märkte. Dies ist der Moment, in dem sich entscheidet, wie gut das Schwarzwaldhof- Team gearbeitet hat. Und genau diese Situation hat Produktionsleiter Thomas Hoch im Blick, wenn er die Visionen des Unternehmens erklärt: „Wir wollen qualita- tiv wachsen. Der Wurst- und Schinkenkonsum wird auch in Zukunft kaum steigen. Unser Ziel ist es, dass die Verbraucher sich immer öfter für ein Markenprodukt entscheiden, statt für einen Artikel im Discountbereich.“ Ein gutes Beispiel, wie dies gelingen kann, ist der bereits erwähnte Schwarzwälder Schinken: ein traditionelles Produkt, ein hochtechnisiertes Ver- fahren mit dem regionalen Bezug. Das gesamte Fleisch für dieses Markenprodukt und Aushängeschild des Schwarzwaldhofs kommt ausschließlich aus Baden-Württemberg. Mög- lich macht dies eine Kooperation von EDEKA Südwest Fleisch mit rund 200 Landwirten aus Baden-Württemberg, die bei EDEKA unter Ver- trag sind. Der Schwarzwaldhof ist mit dem Re- gionalfenster (Fleisch aus Baden-Württemberg) beim Schwarzwälder Schinken Vorreiter. Denn die geschützte geografische Angabe (g.g.A.) des Schwarzwälder Schinkens schreibt nicht vor, woher das Fleisch bezogen wird. Im Schwarz- wald selbst gebe es bei Weitem nicht genü- gend Schweinemastbetriebe für den Bedarf an Schwarzwälder Schinken, betont Andreas Göhring. Die geschützte geografische Angabe Produktionsleiter Thomas Hoch (links) und Schinkenmeister Andreas Senn testen die Qualität des Schwarzwälder Schinkens. bezieht sich auf die Region, in der die Betriebe angesiedelt sind und in denen die Herstellung nach Rezepturen aus dem Schwarzwald erfol- gen muss. Umsatzsteigerung von fast 20 Prozent auf 56,3 Mio. Euro Schwarzwälder Schinken ist zwar das bekann- teste Produkt des Schwarzwaldhofs, doch die Umsatzentwicklung und die Produktionszah- len sprechen insgesamt für sich: 2012, im Jahr der Umstrukturierung, erwirtschaftete der Schwarzwaldhof Blumberg 153

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Schwarzwaldhof 47,12 Millionen Euro, im Jahr 2015 waren es 56,3 Millionen. Das ist eine Stei- gerung von fast 20 Prozent. Ähnlich verhält es sich bei der Produktion. Waren es 2012 insge- samt 8.700 Tonnen Wurst- und Schinkenproduk- te, die in Blumberg-Zollhaus produziert wurden, steigerte das Team diesen Wert auf mehr als 10.000 Tonnen im Jahr 2015. Vorzügliche Unternehmenskultur Tragende Säule für diese positiven Wirtschafts- zahlen ist die vorzügliche Unternehmenskultur. Und die wird maßgeblich durch ein hervorra- gendes Miteinander von Geschäftsleitung und der Belegschaft geprägt. Der Schwarzwaldhof betreibt eine eigene Kantine mit regionalen Produkten aus nachhaltiger Erzeugung, täglich gibt es warmes Mittagessen mit frischem Ge- müse und Salat. Im letzten Jahr wurden neue Sozialräume geschaffen, in den Pausen können die Beschäftigten einen Wintergarten mit Tisch- kicker, kostenlosem Mineralbrunnen und einem Info-Bildschirm nutzen, daran schließt sich ein Ruheraum an, weil bekannt ist, dass ein kurzer Schlaf neue Energien freisetzen kann. Gegen eine Eigenbeteiligung werden Mitar- beitern auch Massagen angeboten – aus inner- betrieblichen Gesundheitstagen entwickelten sich mehrere Betriebssportgruppen mit insge- samt 80 Teilnehmern. Mitarbeitern mit auslän- dischen Wurzeln bietet der Schwarzwaldhof einen Deutsch-Sprachkurs über 33 Wochen an. Beim Betriebsfest konnten sich die einzelnen Nationen unter dem Motto „Marktplatz der Kul- turen“ kulinarisch und kulturell einbringen. Am Geburtstag erhält jeder Mitarbeiter eine indivi- duell gestaltete Flasche Sekt. „Wir tun das, was wir sagen“ Maßgeblich geprägt wird diese Unternehmens- kultur von den beiden Geschäftsbereichsleitern. „Wir tun das, was wir sagen, und wir sagen das, was wir tun“, formuliert es Andreas Pöschel und fügt hinzu: „Damit erhalten wir auch das Vertrauen der Mitarbeiter.“ Beide kommen von der Basis, beide haben eine gewerbliche Lehre absolviert, beide sind verheiratet und haben Familie. Andreas Pöschel wuchs in der Nähe von Stuttgart auf, nach der Schule begann er ei- ne Kochlehre. Auf dem zweiten Bildungsweg absolvierte er in Heidelberg den Betriebswirt. Elf Jahre war er bei Südmilch Stuttgart Ver- triebs- und Niederlassungsleiter, die letzten vier Jahre davon als Niederlassungsleiter bei der Frischdienst-Zentrale Süd in Geisingen. Von dort wurde er abgeworben in einen Betrieb der Wurst- und Fleischwarenbranche nach Nürn- berg. Sechs Jahre lang war er dort bei der Firma Nölke (Gutfried-Geflügelwurst) Geschäftsführer, bis er wiederum als Vertriebsleiter abgeworben wurde zur Firma H. Gugel in Grafenwöhr in der Oberpfalz. Von dort warb ihn 2010 der Schwarz- waldhof als Vertriebsleiter ab. Pöschel kam dies zupass, er wollte schon immer wieder zurück nach Baden-Württemberg. Andreas Göhring stammt aus einer Metz- gereifamilie in St. Georgen und lernte das Fleischerhandwerk von der Pike auf. Nach der Gesellenzeit absolvierte er die Meisterprüfung und anschließend – ebenfalls auf dem zweiten Bildungsweg – machte er den Betriebswirt. Bei der Wahl, den elterlichen Pachtbetrieb mit seinem Bruder zusammen zu übernehmen, entschied er sich dagegen. „Der Betriebswirt war der Schlüssel in die Fleischwarenindustrie“, blickt Göhring zurück. Zwölf Jahre war er bei dem bekannten Schwarzwälder Schinkenhersteller Adler in Bonndorf. Als im Schwarzwaldhof die Stelle "Lei- ter Qualitätssicherung" ausgeschrieben wurde, bewarb er sich und begann am 1. Juli 2008 seine Tätigkeit. Nach eineinhalb Jahren wurde er am 1. April 2010 Technischer Betriebsleiter. Als Karl- Heinz Blum in den Ruhestand ging, wurde ihm zusammen mit Andreas Pöschel die Geschäfts- leitung übertragen. Blum selbst verwirklichte danach für den Schutzverband der Schwarzwälder Schinken- hersteller das Schinkenmuseum im historischen Feldbergturm, das im Juni 2013 eröffnet wurde, auch mit dem Ziel, das damals vom Abriss 154 Wirtschaft

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Der Schwarzwaldhof unterstützt auch das Internationale Ballonfestival in Bad Dürrheim. bedrohte Wahrzeichen auf dem höchsten Schwarzwald-Gipfel dauerhaft zu beleben. Viel Lob für und vom Betriebsrat Bei der Schwarzwaldhof Fleisch und Wurstwa- ren GmbH gingen die Geschäfte nahtlos weiter. Wichtig ist den beiden Bereichsleitern auch der Betriebsrat. „Wir beide verstehen nicht, dass es Unternehmer gibt, die gegen Betriebsräte wet- tern“, schildert Andreas Pöschel. „Wir machen mit dem Betriebsrat einen monatlichen Jour fixe, das Ganze ist mittlerweile ein Geben und Nehmen geworden.“ Letztlich hätten beide das gleiche Interesse, nämlich das Wohl des Un- ternehmens und seiner Beschäftigten. So gibt es auch eine klare Abmachung bezüglich der Leiharbeiter. Ihre Anzahl ist begrenzt und der Schwarzwaldhof übernimmt einen Teil. „Wir haben großen Respekt vor der Arbeit des Betriebsratsvorsitzenden Ralf Willauer und dem ganzen Gremium“, betonen die beiden Ge- schäftsbereichsleiter. Willauer ist seit 2002 Be- triebsrat, seit 2006 freigestellt. Trotzdem unter- stütze er den Schwarzwaldhof noch im Vertrieb, zum Beispiel auf Messen. „Das ist auch eine Identifikation mit dem Unternehmen“, freuen sich Göhring und Pöschel. Ralf Willauer selbst beschreibt das Verhältnis zur Geschäftsführung als gutes Miteinander. In der Sache hätten sie teils unterschiedliche Ansichten, doch die bei- den Bereichsleiter seien offen für Anregungen und Ideen des Betriebsrats, „es hat sich viel gebessert.“ Wegen der vielen Aufträge müssten sie im Betrieb immer wieder Spitzen abdecken, das erfolge zum Teil durch temporäre Arbeits- zeitverlängerungen, aber auch durch das Schaf- fen von zusätzlichen Arbeitsplätzen. Willauer lobt die Bereichsleiter weiter, weil sie intensiv mit der Stadt Blumberg zusammen arbeiten und nach außen hin als Sponsoren tätig seien, was im Betrieb wie in der Blumberger Bevölkerung positiv wahrgenommen werde. Breit angelegtes Sponsoring Gesponsert werden neben dem Schinken-Ge- nießerpfad bei der Sauschwänzlebahn weitere Großveranstaltungen wie die Reitturniere in Donaueschingen und auf den Immenhöfen, das Blumberger Street-Art-Festival, die Blumberger Eisbahn, aber auch Aktionen wie das kreisweite Schwarzwaldhof Blumberg 155

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Schwarzwälder Schinken der Marke Schwarz- waldhof kommt das Fleisch ausschließlich aus Baden-Württemberg. Heute steht der Betrieb damit besser denn je da, er hat sich als Teil der Unternehmensgruppe etabliert und ist für die Zukunft gewappnet.“ Wie die Arbeit der beiden Bereichsleiter Andreas Pöschel und Andreas Göhring von außen beurteilt wird, zeigte sich in einem Gespräch mit dem langjährigen Geschäftsfüh- rer der Gewerkschaft Nahrung-Gaststätten- Genuss, Markus Sonnenschein. Die beiden Bereichsleiter Andreas Pöschel und Andreas Göhring, so erklärte Sonnenschein, seien für den Schwarzwaldhof ein Glücksfall. 25. Bauabschnitt in der Geschichte des Unternehmens Die Arbeit im Schwarzwaldhof brummt. Im Januar 2016 wurde ein 3.300 Quadratmeter großer Anbau bezogen, in den sieben Mio. Euro investiert wurden. Es war der 25. Bauabschnitt in der Geschichte des Unternehmens, das bisher in die Erweiterungen in Blumberg die stolze Summe von 29,8 Millionen Euro investierte. Von den 41.543 Quadratmetern Grund- stücksfläche sind 16.743 Quadratmeter bebaut, auf 22.000 Quadratmetern wird produziert. Um die Abläufe weiter zu optimieren ist 2017 eine Betriebserweiterung im Bereich Verpackung ge- plant. Das ist ein klares Bekenntnis zum Stand- ort Blumberg. Die Motivation bei Schwarzwaldhof ist groß, das hängt auch mit dem Gesellschafter EDEKA Südwest zusammen. „EDEKA ist ein genossen- schaftlich orientiertes Unternehmen. Die Be- sitzer sind selbstständige Kaufleute und die denken wie in ihrem eigenen Unternehmen.“ Nachhaltigkeit heißt eine Devise, entsprechend groß ist auch die Identifikation der Geschäfts- bereichsleiter mit dem Betrieb, wie Göhring und Pöschel deutlich machen: „Wir wüssten nicht, wo wir hier etwas entschieden haben, was wir als Privatmann anders entschieden hätten.“ Bei- de sind mit Herzblut dabei und freuen sich auf die weitere Zukunft. Zu einer gelungenen Kooperation zwischen Schwarz- waldverein und Schwarzwaldhof kam es bei einem Brückenbau in der Wutachschlucht. Präventionsprojekt „Respect Yourself“. Zudem die örtlichen Vereine in Blumberg und weitere Vereine wie der Schwarzwaldverein, den der Schwarzwaldhof beim Neubau einer Brücke in der Wutachschlucht finanziell und mit Tat- kraft unterstützte. Gesponsert wird auch der Almanach, das Jahrbuch des Schwarzwald-Baar- Kreises. Dazu kommen eine Ausbildungskoope- ration mit der Realschule in Blumberg und eine Kooperation mit der Sauschwänzlebahn. Doch auch in der Produktentwicklung ko- operiert der Schwarzwaldhof gerne – ebenfalls mit Erfolg. Jüngstes Produkt (Stand Sommer 2016) ist der Braumeisterschinken, den eine Kooperation mit der Fürstenberg-Brauerei in Donaueschingen möglich gemacht hat. EDEKA Südwest weiß die Qualität seiner Tochter Schwarzwaldhof zu schätzen. Rainer Huber, Sprecher der Geschäftsführung von EDEKA Südwest, betont: „Bei der Schwarzwald- hof Fleisch und Wurstwaren GmbH in Blumberg wird ein 200 Jahre altes Handwerk bewahrt. Die Kernkompetenz des Betriebes ist die Her- stellung von Rohpökelwaren und Rohwurst – mit starkem Fokus auf Regionalität: Beim 156 Wirtschaft

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Streuobstwiese am kleinen Buchberg Der kleine Buchberg bei Blumberg hat für den Schwarzwaldhof eine beson- dere Bedeutung. Dort haben die Mitarbeiter des Spezia- listen für Rohschinken und Rohwurst 2014 eine Streuobst- wiese mit 56 Obstbäumen und unterschiedlichsten Sorten angepflanzt: Hier sollen Äpfel, Birnen, Kirschen oder Pflau- men gedeihen. Darunter auch die Apfelsorte Kardinal Bea, benannt nach dem einstigen Kurienkardinal aus Riedböhrin- gen, heute größter Blumberger Stadtteil. Mit den Blumberger Werk- realschülern hat der Schwarz- waldhof am kleinen Buchberg ein Insektenhotel angelegt, wobei das Unternehmen von der Stadt Blumberg und Re- vierleiter Stefan Riedmüller unterstützt wurde. Über den kleinen Buchberg verläuft außerdem der Premium- Wanderweg entlang der be- kannten Sauschwänzlebahn, der dank des Schwarzwaldhofs seit Oktober 2015 zugleich ein Schinken-Genießerpfad ist. Auf dem Weg vom Bahn- hof Blumberg-Zollhaus zum Bahnhof Lausheim-Blumegg erfahren die Wanderer an drei Stationen, wie der Schwarz- wälder Schinken hergestellt wird. Die Schwarzwaldhof- Geschäftsbereichsleiter An- dreas Göhring (rechts) und Andreas Pöschel (links) freuen sich. Wichtig beim Einrichten des Genießerpfads war ihnen eine hochwertige Qualität wie beim Schwarzwälder Schinken eben auch. XXX Schwarzwaldhof Blumberg 157 157

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Bauunternehmung Hermann gefragter Partner bei Großprojekten von Matthias Winter Vielen ist das „H“ mit seiner stilisierten roten Backsteinmauer im unteren und der Straße im oberen Bereich des Buchstabens längst bekannt. Das Logo steht für die Bau unternehmung Hermann GmbH, die in Furtwangen im Gewerbe- gebiet „Auf dem Moos“ beheimatet ist. Hermann gilt als gefragter Partner bei zahlreichen Bau-Großprojekten weit über den Schwarzwald-Baar-Kreis hinaus. Wie kein zweites Bauunternehmen hat Her- mann zudem das städtebauliche Gesicht der Stadt Furtwangen mitgeprägt. Geschäftsführer Ingo Hermann: „Rund 360 Hände packen im Bereich Hochbau, Tief- und Straßenbau, beim gewerblichen Schlüsselfer- tigbau sowie Holz- oder Garagenbau an. Wir bringen über 90 Jahre Erfahrung mit.“ Hauptsitz der Bauunternehmung Hermann in Furtwangen. In den 1960er- und 1970er-Jahren stand das Unternehmen für den Bauboom in Furtwangen, wo es unzählige kommunale, private sowie in- dustrielle Bauvorhaben abwickelte. Längst ist die Bauunternehmung über Furtwan- gen und das Bregtal hinausgewachsen. So baute Hermann mehrere Gebäude im Umfeld des Schwarzwald-Baar-Klinikums, etwa das Nephro- logische Zentrum, die Energiezen trale, das Ärz- te- und Schwesternhaus, die Bleibe für die Kran- kenkassen oder das Hotel- und Boardinghaus. Auch am „Friedrichspark“, der neuen Wohnanla- ge auf dem Gelände der früheren Klinik in Villin- Geschäftsführer Ingo Hermann (links). Sein Vater Josef Hermann stand über 60 Jahre an der Spitze des Unternehmens. 158 Wirtschaft

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Beim Großprojekt Schwarzwald-Baar-Klinikum war die Bauunternehmung Hermann u.a. mit dem Bau der Energiezentrale betraut. gen, ist Hermann maßgeblich beteiligt, um nur einige aktuelle Projekte zu nennen. Die Geschäftsführung des mittelständischen Bauunternehmens liegt seit 2012 alleinig bei Ingo Hermann, der bis dahin die Firma gemein- sam mit seinem Vater Josef Hermann geleitet hatte. Der beliebte Seniorchef, der sich auch vie- le Jahre im Gemeinderat Furtwangen sowie im Ortschaftsrat Neukirch engagiert hatte, verstarb im August 2012 kurz vor seinem 75. Geburtstag. Noch im selben Jahr konnte er im Juni von sei- nem Sohn für 60-jährige Tätigkeit in der Firma ausgezeichnet werden. Ingo Hermann ist 1992 in das Unternehmen eingetreten und war bereits 2000 zum Ge- schäftsführer für das operative Geschäft bestellt worden – zuvor leitete er die Abteilung Tiefbau. Der gelernte Bauingenieur (FH) trägt die Ver- antwortung für ein Familienunternehmen, das rund 180 Mitarbeiter beschäftigt, die je zur Hälf- te im Hoch- und im Tiefbau tätig sind. Ein Bauunternehmen in einer Höhenlage von 850 Metern erfolgreich zu betreiben ist nicht einfach: Denn es ist von äußeren Faktoren abhängig, die es selbst nicht steuern kann – in erster Linie von der Witterung. Also auch davon, wie lange die jeweilige Winterperiode dauert. „Schlechtes Wetter wie in diesem Frühjahr 2016 ist ein großes Hemmnis“, unterstreicht Ingo Her- mann. Da kann es schnell geschehen, dass das erste Quartal komplett verlorengeht – und das ist ein spürbarer Nachteil gegenüber Mitbewer- bern, die im Tal angesiedelt sind. Deutlich ge- zeigt hat sich das im milden Frühjahr 2014. „Da konnten wir bereits im Fe bruar loslegen und er- zielten eine Umsatzsteigerung von 21 Prozent“, freut sich Ingo Hermann. Ein Umsatzplus, das im Folgejahr nahezu gehalten werden konnte. Ein regional gefragter Partner: Die Bauunternehmung Hermann erweitert aktuell das Unternehmen Emilian Wehrle GmbH in Furtwangen und war ebenso bei der spektakulären Sanierung der Linachtalsperre der Stadt Vöhrenbach tätig. XXX 159

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Flexible Arbeitszeiten unabdingbar Ein probates Mittel gegen die witterungsbe- dingten Ausfälle in der kalten Jahreszeit war die Einführung flexibler Arbeitszeitkonten im Jahr 1997. Über die Sommermonate hinweg wächst das Guthaben auf dem Konto der Mitarbeiter an, im Winter wird es abgebaut. Dazu gehört die Regelung, dass im Sommer nicht mehr als zwei Wochen Urlaub möglich sind, da die Aus- fälle in den Sommermonaten aufgeholt werden müssen. Auch für die Mitarbeiter hat die flexib- le Arbeitszeit Vorteile. Der Winter spielt auch in anderer Hinsicht eine Rolle: In Furtwangen ist Hermann ein gefragter Partner beim Winterdienst. Acht bis zehn Fahrzeuge sind im Einsatz, drei Fahrzeuge unterstützen die Stadt direkt bei der Schneeräu- mung. Auch für die stadteigene Schneedeponie, den zentralen Lagerort für die abgeräumten Schneemassen, ist Hermann zuständig. Eine weitere Schwierigkeit erwächst aus den Abläufen politischer Entscheidungen. Oft werden die Haushaltspläne der Gemeinden erst Linkes Foto, von links: Aufnahme aus der Gründer- zeit des Unternehmens, beim Wegebau sind zu sehen: Adolf Hermann, Gründer (erster v. links), Leo Hermann (dritter von links) und Bernhard Hermann (vierter von links), beide beigetreten 1921. Rechtes Bild: Etliche Jahre befand sich die Bauunter- nehmung am Standort Lindenstraße mitten in der Stadt (Foto: 1980er-Jahre). einige Wochen nach der Jahreswende verab- schiedet. Nun erst kann die Ausschreibung der Bauprojekte erfolgen. „Oft gibt es dazu noch nicht mal eine Planung“, betont Ingo Hermann. So verschiebt sich der Baubeginn oft in Richtung Sommer und das Zeitfenster für die Abwicklung wird sehr eng. Im Hochbau hingegen ist die Lage besser, da hier meist private Investoren zuständig sind. Dennoch läuft das Geschäft seit einigen Jah- ren runder als zuvor. Früher gab es beim Umsatz starke Ausschläge, doch die Kurve hat sich seit einiger Zeit verstetigt. „Das liegt maßgeblich auch an der guten Konjunktur", betont Ingo Hermann. In der Nachkriegszeit permanent gewachsen Gegründet wird die Bauunternehmung 1920/21 von Adolf Hermann in Altglashütte bei St. Märgen. Ihren ersten Betriebssitz hat die Firma unterhalb der Hexenlochmühle bei Dreistegen. Gleich nach der Gründung treten auch die Brü- der Leo und Bernhard Hermann dem Bauge- schäft bei, das nun als „Firma Gebr. Hermann“ geführt wird. 1943 stirbt Adolf Hermann und nach dem Krieg baut Bernhard Hermann den Betrieb mit etwa 20 Mitarbeitern wieder auf. 1951 beschäftigt die Firma bereits an die 30 Mitarbeiter, Firmensitz ist jetzt Neukirch und ab 1956 Furtwangen. Ein Jahr später steigt das Unternehmen in den Hochbau ein und 1958 wird von der Stadt Furtwangen ein 3.500 Qua- dratmeter großes Grundstück im Gewann „Auf 160 Wirtschaft

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dem Moos“ erworben. Im gleichen Jahr scheidet Mitbegründer Leo Hermann aus und macht sich in Vöhrenbach selbstständig. 1961 eröffnet Hermann einen Zweigbetrieb in Bleibach, um den langen Stillstand in der Winterzeit ausgleichen zu können. 1998 schließt die Zweigstelle wieder, Personal sowie Geräte können in den Furtwanger Hauptbetrieb integ- riert werden. Einen personellen Neuanfang gibt es 1963: Nach dem Tod von Herbert Hermann I., seit 1951 Geschäftsführer der Firma, übernimmt seine Frau Coletta Hermann diese Funktion. Gleich- zeitig wird Josef Hermann Leiter der Tiefbauab- teilung einschließlich der Kalkulation. Zu dieser Zeit beschäftigt die Firma bereits über 200 Mit- arbeiter. Es werden auch Fertigteilgaragen und andere Fertigteile produziert. Der Garagenbau bleibt bis heute ein wichtiger Geschäftsbereich. Die boomende Produktion von Fertigteilen erfordert den Bau einer entsprechend großen Halle, im Gewann „Auf dem Moos“ erwirbt das Unternehmen 1972 weitere 3.225 Quadratme- ter Gelände. Bereits 1965 wird das Transport- betonwerk auf das dortige Betriebsgelände ver- legt und 1980/81 umgebaut. Es bleibt bis 2008 als weithin sichtbares Wahrzeichen der Firma bestehen. Die benötigten Betonmengen waren aber drastisch zurückgegangen, sodass man da- rauf verzichten konnte. Allerdings liegt Hermann die Genehmigung für den Neubau eines Mischwerkes auf dem Fir- mengelände am Niegenhirschwald vor – für den Fall, dass wieder mehr Beton benötigt werden sollte. Links: Geschäftsführer Herbert Hermann II., Bruder von Josef Hermann. Nach dem plötzlichen Tod von Herbert Hermann I. im Jahr 1963 übernahm seine Ehefrau Coletta die Geschäftsführung (rechts). Hermanns Bauten prägen Furtwangen bis heute Hoch- und Tiefbau brummen in den 1960er- und 1970er-Jahren, 1971 beschäftigt die Fir- ma 250 Mitarbeiter und 1977 wird mit rund 320 Beschäftigten die höchste Mitarbeiterzahl überhaupt erreicht. In diese Zeit fällt auch der Neubau zahlreicher Gebäude in Furtwangen und Umgebung. So werden durch die Firma Her- mann neben dem Otto-Hahn-Gymnasium die „Studenten türme“ am östlichen Stadteingang gebaut. Auch bei fast allen Erweiterungsab- schnitten der Fachhochschule ist das Unterneh- men federführend. Die Kläranlagen Furtwangen und Gütenbach sowie die Wasserhochbehälter am Kussenhof und am Sommerberg (eben- falls Furtwangen) sind weitere Projekte. Am Sommerberg muss der Beton damals noch mit Rutschen zur Baustelle heruntergelassen Ab 1972 siedelte Hermann ins Gewann „Auf dem Moos“ in Furtwangen um, wo sich bis 2008 auch ein Transportbetonwerk befand (links außen). 161

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gilt. „Mauern und Betonieren sind immer noch Handwerk“, unterstreicht Ingo Hermann. Und noch ein Geschäftsfeld gibt es: Im Auf- trag des Schwarzwald-Baar-Kreises betreibt die Firma Hermann auch das Furtwanger Recycling- zentrum. Großes Potenzial bei Straßenbau Gegenwärtig sieht Ingo Hermann ein großes Potenzial im Straßenbau, denn immer mehr Gemeindestraßen müssten saniert werden. Vielfach ist zudem der Untergrund marode, das bedeutet, es ist eine komplette Erneuerung der Straße erforderlich – und das wird teuer. Gegenwärtig ist Hermann bei zahlreichen Neu- bauten engagiert, in Furtwangen etwa wurde die Betriebsstätte der SBG im Schützenbach gebaut, ebenso die neue Straßenmeisterei auf der Neueck, in Triberg und Villingen die neuen Lidl-Filialen, in Blumberg die Sparkasse – die Liste ließe sich beliebig erweitern. Die größte Baumaßnahme Hermanns in jüngster Zeit war das „Badeparadies Schwarzwald“ in Titisee- Neustadt mit einem Volumen von sechs Millio- nen Euro. Spektakuläre Tiefbauprojekte und Holzbau nach Maß Auch im Tiefbau gab es einige spektakuläre Pro- jekte, so übernahm Hermann sämtliche Erdar- beiten im Zuge der Sanierung der Linachtalsper- re sowie die Erneuerung der Mauerkrone oder baute in einer Arbeitsgemeinschaft Ende der 1980er-Jahre den Kirchbergtunnel bei Schiltach mit, ebenso den Stadttunnel in Schramberg. Die Firma Hermann verbaut aber nicht nur Beton, auch eine bedeutende Holzbauabteilung gehört dazu. Deren Anfänge sind eher zufällig, denn 1982 konnte Hermann das benachbarte Grundstück der insolventen Fertigbau Fritz GmbH „Auf dem Moos“ erwerben. Von der Fir- ma gab es auf dem Gelände noch Überbleibsel, darunter einige Maschinen. Zudem bestand Interesse an einem Fortbestehen des Holz- Ingo Hermann mit Tochter Eva Hermann, die nach dem Abitur im Unternehmen der Familie eine kauf- männische Ausbildung absolvierte. werden, erinnert sich Ingo Hermann. Zudem baut Hermann zahlreiche Firmengebäude, etwa von EDS Dold, Koepfer oder Reiner. Weiter das Siedle- Logistikzentrum, aber auch das Don- Bosco-Heim am Großhausberg. Gleichzeitig werden Baugebiete erschlossen und zahlreiche Straßen gebaut oder ausgebaut, etwa die Umgehungsstraße bei Vöhrenbach- Urach oder die Kreisstraße durch das Linachtal. Hier, im Tiefbau, konnten in jüngster Zeit durch den Einsatz neuer Geräte und Techniken ver- stärkt Arbeitskräfte eingespart werden. Was für den Hochbau jedoch nicht in diesem Umfang 162 Bauunternehmung Hermann

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baus. „Nachdem die Verpachtung der Sparte nicht glückte, haben wir gesagt, wir machen es selbst“, so Ingo Hermann. Tatsächlich trägt sich der Bereich heute, dort arbeiten acht Zimme- rer. „Wir machen alles, vom Treppenbau bis zur Sprungschanze in Hinterzarten“, erläutert Ingo Hermann weiter. Auch Fuß- und Radwegbrü- cken gehören dazu oder Dachstühle. Der Vorteil: In der großen Werkshalle ist die Herstellung von vorgefertigten Elementen sehr gut möglich. Auch den Transport der Elemente kann Hermann selbst ausführen. Und zudem muss die Fertigung auch in der Winterpause von Januar bis März nicht ruhen. Das ist ein kleiner Ausgleich für den Stillstand bei den Außenar- beiten zu dieser Jahreszeit. Das Gesicht von Furtwangen mitgeprägt Das bauliche Gesicht der Stadt Furtwangen hat das Unternehmen Hermann vielfach mit- geprägt, davon war mehrfach die Rede. Auch durch die eigenen Bauten: In Furtwangen selbst ist die Firma seit 1953/54 ansässig, wo an der Lindenstraße, mitten in der Stadt, ein Wohn- und Geschäftshaus sowie eine große Betriebs- halle und in den 1970er-Jahren Unterkünfte für Gastarbeiter (Italiener, Jugoslawen, Türken) entstehen. 1996 zieht Hermann dann vollends auf das Gelände im Gewann „Auf dem Moos“ um. Die Werkshalle in der Lindenstraße wird abgerissen und macht den Weg frei für einen ansprechen- den Neubau, der für altersgerechtes Wohnen konzipiert ist. Die Innenstadt erfährt so eine deutliche Aufwertung. Die Fertigungshalle im Gewann „Auf dem Moos“ baut Hermann dann 1998 neu, um Aldi Süd ein entsprechendes Gelände für eine neue Filiale zur Verfügung zu stellen. Ein daneben lie- gendes Grundstück wird 2005 an die Firma Lidl verkauft. Möglich wird das durch den Zukauf ei- nes 14.000 Quadratmeter großen Geländes am Niegenhirschwald zwischen Martin-Schmitt- Straße und der städtischen Kläranlage. Dieses Areal nutzt die Firma Hermann bis heute als Lagerplatz. Nachdem zuvor bereits weitere Grund stücke in der Innenstadt erworben wurden, kann eine Projekt gemeinschaft unter Beteiligung der Firma Hermann auf dem früheren Firmenareal drei Häuser mit Studentenwohnungen in Holz- bauweise und ein Wohngebäude in Massivbau- weise realisieren. 17 Ausbildungsplätze gibt es Die Firma Hermann investiert mit Blick auf den Facharbeitermangel stark in die Ausbildung und kann derzeit 17 Auszubildende vorweisen, darunter drei angehende Bauingenieure. „Un- ser Ziel ist es, dass die Auszubildenden etwa zehn Prozent der Belegschaft ausmachen, um den Stand an Facharbeitern halten zu können“, erläutert Ingo Hermann. Jugendliche für eine Ausbildung im Baugewerbe zu interessieren, ist schwieriger als noch vor wenigen Jahren. „Auch um Abiturienten werben wir verstärkt“, zeigt Ingo Hermann die künftige Richtung auf. Die Azubis kommen in der Regel aus der gesamten Region, doch ist die Nahverkehrsanbindung ein Hindernis. 2020 feiert das Bauunternehmen sein 100-jähriges Bestehen – und öffentliche Hand sowie Privatinvestoren wissen: „Auf den Her- mann ist Verlass“, bekräftigt Ingo Hermann. Der erfolgreiche Unternehmer blickt optimis- tisch in die Zukunft: Etliche große und kleinere Bauprojekte befinden sich in der Realisierung oder stehen an – von der Renovierung bis zum schlüsselfertigen Großprojekt. Gleich ob Supermärkte, Wohngebiete, Straßen, Schu- len oder Produktionsgebäude: Furtwangen ist eine Stadt voller Hermann-Bauten. Das Luftbild visualisiert einige Beispiele, so das Otto-Hahn-Gymnasium (1), die Umgehungsstraße Südtangente (2), die Studenten- wohntürme am Großhausberg (3), der Neubau von Ketterer Druckguss (4), die Erweiterung von Emilian Wehrle (5) oder diverse Gebäude der Fachhochschule Furtwangen (6) sowie selbst realisierte Vorhaben am früheren Firmensitz für Betreutes Wohnen (7). Der Unternehmenssitz befindet sich „Auf dem Moos“ (8). 164 Bauunternehmung Hermann

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Wenn der Kuckuck ruft Hubert Herr Kuckucksuhren aus Triberg – ein Familienbetrieb und seine Geschichte von Barbara Dickmann Wenn Sie nach Amerika reisen, nach China, nach Japan, nach Israel ... wenn Sie den „Tanz der Vampire“, das Kultmusical nach dem Film von Roman Polanski besuchen, wenn Sie Blockbuster im Kino anschauen, begegnen Sie ihr. Und egal, wo auf der Welt Sie sind, sobald Sie sagen, dass Sie aus „Germany“ kommen, klingelt es bei fast jedem Menschen auf unserem Planeten. Besser gesagt, es „kuckuckt“, denn jeder denkt sofort an den kleinen Vogel, dessen Ruf um die ganze Welt gegangen ist. Und wenn Ihre Heimat dann noch der „Black Forest“ ist, verklärt ein Lächeln die Gesich- ter. Keine Frage, die Kuckucksuhr ist weltberühmt. Eng verbunden mit ihr sind Klaus Herr, Hugo Herr und Reinhard Herr, die fünfte Generation der Hubert Herr Uhrenfa- brik in Triberg. Umgeben von wunderschönen Kuckucksuhren, von den Zeit- zeugen aus knapp 200 Jahren, erzählt Reinhard Herr die tra- ditionsreiche Geschichte seiner Firma, die eng mit der besonderen Be- deutung der Kuckucksuhr verbunden ist. Der Anfang Das 19. Jahrhundert hat begonnen. In einem kleinen Bauernhaus in der Nähe von Triberg, richten die Brüder Andreas (geb. 1812) und Chris- tian Herr (geb. 1814) eine kleine Werkstatt ein. Sie wollen Kuckucksuhren herstellen. Sie sind kreativ, begabt und geschickt. Sohn Eduard Herr erbt diese Fähigkeiten, kauft ein Grundstück etwas außerhalb von Tri- berg und verlegt die Produktion. Reinhard Herr: „Im 18. Jahrhundert waren Uhren – sogenannte Zeitmesser – so teuer, dass sich nur wohlhaben- de Bürger oder Klöster eine Uhr leisten konnten. Doch als die Kuckucksuhr vor fast 300 Jahren entwickelt wurde, konnten sich plötzlich auch Normalverdiener einen Zeit- messer leisten. Denn sie war eine der ersten Uhren, die in Arbeitsteilung hergestellt wurde“. Dieser historische Hintergrund begeistert Reinhard Herr im- mer wieder. Und für ihn sind Robert Gerwig, bekannter Bauingenieur, Politiker und Planer der Schwarz- waldbahn, und Architekt Friedrich Eisenlohr aus Karlsruhe, der das „klassische Bahnwärterhäus- chen“ entwickelt hat, die Menschen, die den nötigen Weitblick hatten. Denn die aufkommende Uhrenfabrikation bringt die Menschen aus der ärmlichen Land- wirtschaft in die Industrie. Die erste deutsche Uhrmacherschule entsteht 1850, die Rationali- sierung schreitet fort und um 1860 gibt es etli- che Betriebe, die Kuckucksuhren herstellen. Und ganz langsam zieht es die Kuckucksuhr hinaus in die Ferne, sie verlässt die heimatliche Region. 166 Wirtschaft

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Die fünfte Generation der „Hubert Herr Uhrenfabrik“ in Triberg freut sich über das ungebrochene Interesse an der Kuckucksuhr, v. links: Hugo Herr, Klaus Herr und Reinhard Herr. Um 1880 hat die Kuckucksuhr bei den großen Weltausstellungen in Chicago und New York eige- ne Pavillons. Sie wird zum Exportartikel – in einer Zeit, als das fast noch ein Fremdwort war ... Die Fortsetzung Die nächste Generation steht in den Start- löchern. Hubert Herr, einer der Söhne von Eduard Herr, will die Tradition fortsetzen, doch in Eigenregie. Er trennte sich, denn ihn zieht es in die Stadt. 1918 kauft er ein Grundstück mitten in Triberg und baut. Die Firma Hubert Herr Kuckucksuhren zieht in das neue, moderne Gebäude. Kontinuierlich vergrößert Hubert Herr die Werkstätten und baut den Betrieb Stück für Stück weiter aus. Hubert Herr ist gelernter Holzbildhauer- meister. Er produziert Holzgehäuse und Schnit- Hubert Herr Kuckucksuhren 167

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zereien in Handarbeit und in hoher Qualität. Die Firma leitet er mit Leib und Seele und ganz selbstverständlich arbeiten seine fünf Kinder im Familienbetrieb mit. Für Ernst, Eugen und Hugo ist das keine Frage, doch auch die beiden Mädchen Paula und Helene steigen mit ein und bleiben der Firma auch nach ihrer Heirat treu. Hugo Herr entschließt sich, auch die Produk- tion der Uhrenwerke in Eigenregie herzustellen. Um 1930 besucht das Unternehmen schon Mes- sen und knüpft so Kontakte, die später einmal wichtig werden sollten. Paula wird als junge Frau für ein Jahr nach England geschickt und schließt mit einem Oxford-Diplom ab. „Das war sehr vorausschauend und hat uns viele Wege geöffnet,“ berichtet Reinhard Herr und weiß viele Geschichten. So fuhr mitten in der Nacht direkt nach dem Krieg ein amerikani- scher LKW mit Soldaten vor. Sie wollten unbe- dingt und sofort Kuckucksuhren kaufen. „Einmal stand ein amerikanischer Soldat, ein Riese von einem Mann, im Büro und fragte, wer denn diese wunderbaren Briefe in perfektem Englisch schreiben würde?“ Reinhard Herr schmunzelt noch heute darüber. Und als die erste Luftfrachtsendung, unge- fähr 1946/47 von Stuttgart aus nach Amerika geht, sind Kuckucksuhren der Firma Hubert Herr dabei. „Wir hatten schon damals gute Handels- verbindungen nach Amerika und zu jüdischen Firmen“. Keine vorgefertigten Teile, sondern kom- plette Herstellung in eigener Regie ist auch das Motto von Hubert Herr. Ca. 1950 kauft er sogar ein Sägewerk um die passenden Hölzer selbst zu sägen. Die Kuckucksuhr boomt. Die Firma beschäftigt rund 50 Mitarbeiter. Villingen- Schwenningen wird die „Uhrenstadt“. Bis zu 25.000 Menschen sind damals in diesem Be- triebszweig samt Zuliefererfirmen beschäftigt. 1970 entsteht in Triberg im Hause Herr die erste „moderne“ Kuckucksuhr. Sie ist eckig und orange – eine Sensation ... Dann kommt der Ein- bruch – oder besser gesagt der Umschwung. Die Hubert Herr Kuckucksuhren müssen umstruktu- rieren. Die Stückzahlen werden kleiner und die Mitarbeiter weniger. Die Gegenwart „Natürlich mussten auch wir uns anpassen,“ sagt Reinhard Herr, der gemeinsam mit Bruder Hugo und Cousin Klaus Herr heute die Firma in der fünften Generation leitet. Klaus Herr ist der älteste und für den Verkauf zuständig. Er ist Holzbildhauer und hat gemeinsam mit dem Künstler Klaus Ringwald noch bei dem Großva- ter gelernt. „Schon damals hat mein Großvater Das Lindenholz aus dem nördlichen Schwarzwald wird sorgsam gelagert und verarbeitet. Es braucht seine Zeit, bis der Schnitzer seinen Rohling bearbeiten kann. 168 Wirtschaft

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Das Gesicht einer Schwarzwälder Kuckucksuhr entsteht. In der Werkstatt der Familie Herr lernte einst auch der bekannte Bildhauer Klaus Ringwald sein Handwerk. das große Talent des heute so bekannten Künst- lers erkannt. Auch der Vater von Klaus Ringwald hat bei uns gearbeitet,“ erinnert sich Reinhard Herr. standteile werden im Haus produziert. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir haben eine so große Fertigungstiefe wie sonst niemand,“ berichtet Reinhard Herr. Hugo Herr ist Ingenieur und verantwortlich für Technik und Produktion und Reinhard Herr ist der Kaufmann der Familie. „Natürlich über- schneiden sich die einzelnen Bereiche und ei- gentlich ist jeder für alles verantwortlich,“ sagt Reinhard Herr und lacht. Keine Frage, welcher Familienbetrieb kennt das nicht. Übrigens, Helene, seine Tante, hat noch im Betrieb gearbeitet bis sie 90 wurde! „Man schafft halt mit,“ sagt Reinhard Herr. Trotz Umstrukturierung und Anpassung – den alten Werten bleiben sie treu: Ihre Mit- arbeiter arbeiten sehr lange in ihrem Betrieb, teilweise schon in der zweiten Generation und das Wort „Qualität“ wird nach wie vor großge- schrieben. Heute ist die Firma Herr die einzige Firma, die ihre Uhrwerke noch selbst herstellt. Alle Be- Das Lindenholz beziehen sie aus dem nördli- chen Schwarzwald aus einer Höhe von 600 Me- tern. Das sei ganz wichtig, erklärt Reinhard Herr, denn in dieser Höhenlage wachse das Holz mit einer Faserstruktur, die zum Schnitzen optimal sei. Dann werden die Bretter unter den strengen Augen der Eigentümer an der frischen Luft gela- gert und langsam getrocknet. „Das ist besser als wenn man das schnell und maschinell erledigt“. Es gibt noch etliche weitere Arbeitsgänge, ehe der Schnitzer seinen Rohling in Händen hält. „Jeder Schnitzer hat sein eigenes Werk- zeug, hat seine eigene Handschrift. Jede Schnit- zerei ist anders, jedes Stück ist ein wertvolles Unikat. Schon aus großer Entfernung sehe ich sofort, welche Uhr von uns ist und welche nicht“. Man merkt Reinhard Herr die Begeiste- rung an. Hubert Herr Kuckucksuhren 169

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Eine Kuckucksuhr der Firma Hubert Herr schlägt auch in einem Kloster im Himalaja. Die Kuckucksuhrenfabrik hat keine Verkaufs- räume, sie beliefert die Geschäfte, doch manch- mal landet eine Hubert-Herr-Kuckucksuhr an den ungewöhnlichsten Orten. Eine hängt sogar in einem Kloster im Himalaja, in 5.200 m Höhe, verehrt und behütet von Mönchen. Hingebracht hat sie ein Journalist, der die Mönche von ihrem chinesischen, nicht funktionierenden Kuckucks- uhren-Nachbau erlösen wollte. Die Zukunft Die Zukunft hat schon begonnen. Denn auch gemäß der Familien tradition den- ken die drei Eigentümer in Generatio- nen und handeln vorausschauend. So war Reinhard Herr Gründungs- mitglied des „VdS – Verein die Schwarzwalduhr“, der sich strengen Qualitätsstandards verpflichtet und ein Echtheitszertifi- kat eingeführt hat. Hubert Herr Kuckucksuhren haben die „kleinste Kuckucksuhr der Welt“ auf den Weg gebracht, sind natürlich schon lange in Eine Kuckucksuhr herzustellen ist äu- ßerst spannend. Für die Produktion braucht man Werkzeugmacher, Metallfachar- beiter, Schreiner, Holzbildhauer und Uhrmacher. Welcher Laie hätte das gedacht? Die Kuckucksuhr sei un- geheuer vielfältig und nach wie vor ein ganz wichtiger Erwerbs- zweig, meint Reinhard Herr. Vom Werk über den Vogel bis hin zum Ziffer- blatt: Alle Teile der Uhr produziert die Uhren- fabrik Herr selbst (unten). Mitte rechts eine Schwarzwälder Spieluhr, als Bauernhof mit Schmiede ausgeführt. Die Hubert Herr Uhrenfabrik ist die letzte in unserer Region, die ihre Uhrwerke noch selbst herstellt. 170 Wirtschaft

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Ein Kuckucksuhrenwerk wird ins Gehäuse eingesetzt und mit dem Schlagwerk verheiratet. Unten rechts: Klassische Kuckucksuhr nach einem über 100 Jahre alten Entwurf von Firmengründer Hubert Herr. die bewegliche Kuckucksuhr eingestiegen und ruhen sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. „Die Kuckucksuhr ist kein Kitschartikel“, sagt Reinhard Herr, „sie steht für das, was die aus- ländischen Besucher mit Deutschland in Verbin- dung bringen: Präzision, Handwerkskunst und Tradition.“ Keine Frage: Die Kuckucksuhr gehört zu Deutschland, sie ist lebendige Geschichte und das im wahrsten Sinne des Wortes. „Wenn Sie ein Kind beobachten, das voller Erwartung eine Kuckucksuhr anschaut und dann die Freude sehen, wenn der Kuckuck kommt, die Begeiste- rung, die großen, glänzenden Augen, dann geht das Herz auf. Kinder zum Lachen zu bringen ist einfach toll“. Nein, Reinhard Herr ist nicht bange, wenn er an die Zukunft der Kuckucksuhr denkt. Und die eigene Zukunft? Die nächste Generation? „Na ja,“ sagt er und schmunzelt, „man darf die jun- gen Leute heute nicht zwingen, doch ein biss- chen Überzeugungsarbeit darf man ja leisten“. Hubert Herr Kuckucksuhren 171 171

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Wo „Aldi“-Waren im Discounter-Regal herkommen Von Donaueschingen aus werden 61 Aldi-Filialen rund um die Uhr mit Nachschub versorgt von Wolfgang Losert Donaueschingen ist seit 1973 Sitz einer bedeutenden Regionalgesellschaft des Discounters Aldi. Von dem riesigen Firmen- und Logistik-Gelände zwischen der Kernstadt und dem Baar-Dorf Pfohren aus werden rund um die Uhr 61 Aldi-Märkte in weiten Teilen des deutschen Südwestens versorgt. Dahinter steckt eine komplexe Organisations-Mechanik. Und das Aldi-Credo, es immer so einfach wie möglich und so gut wie möglich zu machen. Es ist vielleicht der markanteste Wesenszug Donaueschingens: Dass die Stadt häufig und vielfältig Quellort und Ursprung ist für al- lerhand bedeutende, prominente oder auch einflussreiche Wirkungen, Projekte und Erzeug- nisse, welche sich von hier aus auf den Weg hinaus in die Welt machen. Beispiele und Belege dieses Phänomens: Vom gerade restaurierten Donau-Quelltopf im Schlosspark aus strömt Europas bedeutender Fluss bis zum Schwarzen Meer. Oder die Donaueschinger Musiktage. Sie sind die weltweit bedeutendste Bühne zeit- genössischer Tonkunst. Oder die Nachrichten vom Adelshaus Fürstenberg und Fotos aus der stilvollen Residenzkulisse, sie ranken immer wieder durch die nationale Regenbogenpresse. Zehn eigene Trucks und ein Dutzend Lkws von Speditionen stehen für den Transport der Waren in die Aldi-Filialen täglich bereit. 172 Wirtschaft

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Das Aldi-Logistikzentrum an der B 33 in Donaueschingen verfügt über eine Nutzfläche von mehr als 43.000 Quadratmetern und ist für einen Landschaftsradius von bis zu 100 Kilometern zuständig. Und wenn beim herbstlichen Internationalen Reitturnier gleich vier Pferdesport-Disziplinen ausgetragen werden, reflektiert das auf Beach- tung in der ganze Welt. Dann das Fürstenberg-Pilsener. Es ist eine der populärsten deutschen Biermarken. Von der Schuhfabrik Ricosta aus machen sich Jugend- schuhe auf den Weg durch ganz Europa. Technik von IMS-Gear oder Sick ist rund um den Globus in Fahrzeugen oder Maschinen verbaut. Auch die bibliografischen Schätze der Fürstenbergs oder die Gegenwarts-Existenz renommierter Kunstsammlungen wie jene der Familien Bie- dermann oder Fürstenberg setzen weithin regis- trierte Beachtungs-Fähnchen für Kunstfreunde der Nation. All das und noch etliche andere Beispiele für solche Strahlkraft sind Erklärung dafür, dass die Kleinstadt in ihrer ländlichen Charakter- landschaft des südwestdeutschen Abseits zu den bekanntesten Stadtmarken Baden-Würt- tembergs zählt. Diesen Etikettenschwindel im guten Sinne dokumentiert auch der Umstand, wonach die Menschen in der Mitte oder im Nor- den Deutschlands die Stadtgröße kaum einmal auf weniger als hunderttausend Einwohner taxieren. Eine solche Donaueschinger Ursprungs- Potenz mit weit reichender Wirkung trägt aber auch ein Marken-Etikett, von dem man den Bezug zu der Baarstadt nicht unbedingt gleich vermutet. Auch der Discounter Aldi Süd, der zu- sammen mit seinem „Bruder“ Aldi Nord 28 Mil- liarden Euro Geschäft notiert und damit den höchsten Umsatz der Branche in Deutschland schreibt, unterhält in Donaueschingen einen Aldi-Logistikzentrum Donaueschingen 173

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wichtigen Hafen seiner dezentralen, weil in 31 rechtlich selbstständige Regionalgesellschaf- ten gegliederten Unternehmensstruktur. Jede dieser Gesellschaften ist für einen Landschafts- Radius von bis zu hundert Kilometern Durch- messer zuständig. Die Donaueschinger Regionalgesellschaft ist die südlichste der Republik und versorgt einen weiten Teil des deutschen Südens. Der Familien- Nachbar im Westen sitzt in Mahlberg im Orten- Blick ins Aldi-Zentrallager Donaueschingen: Monika Dunzweiler in einem Heer von Mineralwasser- Flaschen bei der Wareneingangskontrolle. aukreis, der östliche in Altenstadt, im Norden liegt vor den Toren Stuttgarts die Gesellschaft Aichtal. Ein Firmenareal mit stattlichen 129.000 Quadratmetern Größe Eine gleichermaßen komplexe wie vielfältig verzweigte Logistik und Verwaltung auf einem 129.000 Quadratmeter messenden Firmenareal zwischen Donaueschingen und Pfohren küm- mert sich seit 1973 darum, dass die 61 Filialen zwischen Rottenburg am Neckar im Norden, Mengen und Friedrichshafen im Osten, Gailin- gen, Jestetten und Laufenburg im Süden sowie 174

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Titisee-Neustadt und Furtwangen im Westen nie nach Nachschub hungern müssen und alle Abläufe und Strukturen reibungslos funktionie- ren. Was als Meisterwerk der Organisation, des Managements und der routiniert ausgebildeten Strukturen erscheint. Denn dafür, dass in den auf 13 Filialbezirke gegliederten Läden die im Sortiment vorhande- nen 1.200 Artikel für Küche und Haushalt und die jährlich rund 4.100 Aktionsangebote in den Regalen liegen, sorgt ein ausgeklügeltes Sys- tem von Verwaltung und Logistik. Zehn eigene Trucks und ein Dutzend Lkws beauftragter Spe- ditionen rollen dafür rund um die Uhr zwischen den Filialen und dem Donaueschinger Zentralla- ger. Dort munitionieren 173 Logistiker die Lager- plätze oder Kühlräume. Um möglichst schnell zu „drehen“, wie die Aldi-Experten sagen, also den Hafen Donaueschingen wieder zu verlassen Richtung Kundschaft via Aldi-Markt. Die Pflicht zur Frische und Effizienz hält den Betrieb ständig im Takt zwischen Dauerlauf und Spurt. Obst und andere Frisch-Waren „stehen nur ein paar Stunden hier“, erklärt Logistik- Leiterin Katrin Lasseck. Kühlartikel „dürfen maximal zwei Tage“ im Regionallager ausruhen, andere Waren bleiben etwa zehn Tage in Do- naueschingen. „Mancher Salatkopf, der von der Kundschaft in den Einkaufskorb wandert, war am Vortag noch auf dem Feld“, erklärt der Do- naueschinger Logistik-Bereichsleiter Martin Kar- rer. Und damit viele Agrarprodukte sich erst gar nicht auf einen weiten Weg vom Erzeuger zum Kunden machen müssen, bezieht Aldi einen 175

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beachtlichen Teil dieser Produkte von Anbietern und Lieferanten aus der Region. So sehr Aldi auch sein Geschäftsprinzip des einfachen und damit preiswerten Einkaufs, der Konzentration auf das Wesentliche und der permanenten Orientierung an den Wünschen der Kunden verfolgt, so ambitioniert gilt es hier, diese Ziele auch in der Mechanik der operativen Abläufe und freilich in der strategischen und administrativen Geschäftsführung anzulegen. Weil nur der Mensch und keine Automatisie- rungs-Technik alle Entscheidungs- und Hand- lungsparameter berücksichtigen könne, sei das Ordern der Waren in den Filialen nicht etwa Das Logistikzentrum in Donaueschingen wurde in den Jahren 2014/15 um weitere 8.900 Quadratmeter auf nun 43.130 Quadratmeter erweitert. automatisiert, sondern werde täglich von einem der 61 Filialleiter vorgenommen. Freilich mit einem elektronischen, EDV-gestützten Gerät bestellt er nach dem ganz individuellen Bedarfs- bild seiner Kunden die Waren vom Regionalla- ger, von wo aus noch in der Nacht in die Läden ausgeliefert werde, während die Anlieferung dorthin von den Herstellern tagsüber erfolge. Die bereits vierte Erweiterung Diese ständige Optimierung der Prozesse, die Beschleunigung, aber auch Qualitätssicherung und Expansion machen es notwendig, die Leistungs-Intensität und damit die Maße der Donaueschinger Gesellschaft mit ihrer Logistik und Verwaltung permanent auszuweiten. Zum vierten Mal seit der Gründung hat sich Aldi 176 Wirtschaft

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Öschberghof ein Hotel-Juwel Nicht nur mit der großen Regionalgesell- schaft kam Aldi in den 1970-er Jahren nach Donaueschingen, sondern mit einer beson- ders reizvollen „Zugabe“ entschied sich Karl Albrecht für den Standort im Südwesten. 1976 eröffnete der schon damals passionierte Golfspieler in den Ostbaar-Hügeln mit dem „Öschberghof“ ein Hotel-Juwel, das gerade vor einer Erweiterung und Modernisierung für etliche Dutzend Millionen Euro steht. Auch dieses Haus gehört in der Firmenstruk- tur unter das Dach der Regionalgesellschaft und erlebt seit etlichen Jahren eine unge- mein erfreuliche Entwicklung, gehört zu den erfolgreichsten und hochgeschätzten Adressen für Golfspieler und Tagungsgäste aus dem deutschsprachigen Raum und ganz Europa. 2014 und 2015 dafür deutlich mehr räumliche Ellenbogenfreiheit geschaffen am Standort nahe des Donau-Zusammenflusses und der Bundesstraßen-Kreuzungen, die einst ein wich- tiges Entscheidungskriterium für die Standort- wahl waren. Nach dem Ausbau des Logistik- zentrums um etwa 8.900 Quadratmeter auf 43.130 Quadrat meter Nutzfläche möbliert dort ein adrettes, von sachlichem Charme geprägtes Gebäude-Konglomerat die Landschaft. Neben dem optisch dominierenden Logistik- bereich gibt es einen etwa 1.790 Quadratmeter messenden Verwaltungsbau. Dort arbeiten meist in Großraumbüros, deren große Fenster- fassaden die Arbeitsplätze mit viel Tageslicht röntgen, etwa fünfzig Angestellte. Damit ad- diert sich die Zahl der Mitarbeiter unter dem Dach der Donaueschinger Aldi-Gesellschaft auf über 1.200. Von ihnen haben etwa tausend ihren Arbeitsplatz in den 61 Filialen und 173 Menschen kümmern sich um die Logistik. Die etwa fünfzig Mitarbeiter der Verwaltung sind in den Ressorts Personal, Einkauf, Verkauf, Buchhaltung, Filial- entwicklung und Logistik tätig. In regionaler Verantwortung Damit existiert in der Regionalgesellschaft das gesamte Zuständigkeits- und Verantwortungs- Tableau eines „kompletten“ Unternehmens, was orientiert an den meisten anderen Unter- nehmen überrascht. Denn Aldi wird doch in der Öffentlichkeit als gewissermaßen zentralisti- sches, national agierendes Handelsunterneh- men gesehen, das in Mülheim an der Ruhr aus einem Lebensmittelgeschäft keimte, 1961 den Bruchstrich in Nord und Süd setzte. Dort sitzt nach dem Tod der beiden Firmengründer Karl und Theo Albrecht „nur“ eine Art nationale Ver- waltung als Geschäfts-Relais zwischen Familie, Stiftungen und den rechtlich autonom agieren- den Regionalgesellschaften. Und auch das Aus- landsgeschäft etwa in England, Irland, den USA, Australien, Ungarn, Österreich, Slowenien, der Schweiz und bald Italien wird vom internationa- len Standort in Mühlheim mitgesteuert. Doch freilich berät die Zentrale von Aldi Süd im Ruhrgebiet mit ihren Management-Ressorts die Gesellschaften und agiert als Dienstleister für sie. Die Handelsbeziehungen mit Lieferan- ten und Erzeugern, eigene Produktionsstätten, allgemeine Finanzthemen und Controlling, nationale Kommunikation und die IT-Strukturen werden von dort aus erledigt. Dort, in Mülheim, sitzt übrigens auch ein Mann aus dem Schwarzwald ganz vorne am Re- giepult des Discounter-Konzerns: Im April 2015 wurde Roman Heini zum Sprecher des Verwal- tungsrates von Aldi Süd berufen. Heini stammt vom Bernreutehof in Vöhrenbach, absolvierte seine Schulzeit in Vöhrenbach und Furtwan- gen, studierte von 1996 bis 1999 in Lörrach und bekleidete bis zum Wechsel ganz an die Aldi- Spitze mehrere Leitungsrollen in Deutschland, der Schweiz und zuletzt in Großbritannien. Die A. Hengst GmbH ist Aldi-Komplementär Der Regisseur und Verantwortliche – der Statt- halter dieses großen Donaueschinger Unter- nehmens – hat sein Büro am Donau ursprung, hat Fensterblick auf den jungen europäischen Aldi-Logistikzentrum Donaueschingen 177

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Strom. Alexander Hengst heißt er, ist 38 Jahre alt, verheiratet, stammt aus Karlsruhe, hat in Pforzheim BWL studiert. 2003 kam der zweifache Vater zu Aldi und kletterte über mehrere Karriere- Stationen, darunter zwei Jahre im walisischen Cardiff und von 2009 bis 2011 auch schon als Einkaufslei- ter in Donaueschingen, im Oktober 2015 auf den obersten Chefsessel der Regionalgesellschafts-Struk- turen. Seine dort souveräne unter- nehmerische Rolle ist wie bei Aldi üblich auch aufs Firmenschild ge- stempelt: Die Gesellschaft firmiert Alexander Hengst als „A. Hengst GmbH“ und ist Komplementär der Aldi GmbH und Co. KG Donaueschingen, deren Kommanditisten-Adresse wiederum die „Zentrale“ in Mühlheim ist. Dieses Eigentümer-Prinzip ist nationaler Standard des Discounters; immer treten die jeweiligen Geschäftsführer der Regionalgesellschaften als al- leinvertretungsberechtigte Ge- sellschafter auf. Seit der Grün- dung – über drei Jahrzehnte lang – war es Winfried Goetsch, der als fast schon legendärer 178 178 Wirtschaft

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Pionier das Fundament legte. Ihm folgte 2009 der Niederbayer Max Hofmarksrichter. Er ver- antwortet inzwischen den Aldi-Aufbau in Italien und machte den Chefsessel frei für Alexander Hengst. Pionierarbeit wie sein Vorvorgänger hat er eher selten auf der Agenda. Denn bei Aldi gilt es, die bewährten Abläufe nicht in ihren Strukturen und im bewährten Credo zu verändern, sondern eher permanent zu optimieren und auszubau- en. Wann immer es geraten erscheint, will die Gesellschaft auch noch wachsen, ihr Filialnetz feinmaschiger knüpfen. Zwei neue Märkte zum Beispiel wird Aldi Donaueschingen bis zum Jahresende neu eröffnen, ständig werden sie noch enger den Wünschen der Kunden oder den funktionalen Bedürfnissen nachgeführt. Mit und durch die Aldi-Regionalgesellschaft kann der Wirtschaftsstandort Donaueschingen ein dickes Plus notieren in der Gewinner- und Ver- lierer-Bilanz des Zeitgeistes vergangener Jahr- zehnte. Während in vielen (kleineren) Orten die Marke des Tante-Emma-Ladens verkümmerte, profitiert Donaueschingen von der anhaltend guten Konstitution jener Handelsform, die sich als Tante Emmas vitaler Enkel versteht. Komplexe Logistik – Alexandra Haustein verlädt mit dem „Flitzer“ Paletten. 179

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Wenn Gräber Geschichte(n) erzählen Ein Spaziergang über den Alten Friedhof in Schwenningen von Daniela Schneider Fotos: Wilfried Dold Orte der Erinnerung gibt es viele im Schwarzwald-Baar-Kreis. Zu den bemerkens- wertesten unter ihnen zählt ohne Zweifel der Alte Friedhof in Schwenningen. Hier, an diesem ruhigen Platz im Grünen, treffen Geschichte und Geschichten aufeinan- der, hier verbindet sich das Gedenken an die Verstorbenen mit einer reichen Kulturhistorie und einem wahren Schatz an Anekdoten aus diesem Teil der Doppelstadt, der untrennbar mit der Entwicklung der Uhrenindustrie samt deren Niedergang verbunden ist. Auf dem Alten Friedhof entdeckt man Fragmente des alten Schwenningens, hier kann man stunden- lang verweilen. Es sind Begegnungen mit einem friedvollen Ort mitten in der Stadt. 180 6. Kapitel – Geschichte

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Einer, der den Alten Friedhof bestens kennt, ist Michael Kopp: Der gebürtige Schwenninger ist ganz in der Nähe auf- gewachsen. Sein Elternhaus steht quasi um die Ecke zum Friedhof, der seinen unauffälligen Haupteingang an der Dauchinger Straße hat. „Auf mich übte der Ort schon immer eine eigen- artige Faszination aus“, erzählt Michael Kopp. In Kindertagen kam er liebend gerne mit seinen Freunden hierher. „Das war wie ein Abenteuer- spielplatz, einfach toll, und die Erwachsenen waren weit weg“, erinnert er sich. Hier herum- zustromern, das war aufregend, „ein bisschen verboten und ein bisschen gruselig, einfach schön“, schmunzelt der Stadtführer, der bis heu- te gerne hier ist und seit nunmehr 15 Jahren im Auftrag der städtischen Tourismusgesellschaft geführte Touren auf dem Friedhof anbietet. Der Alte Friedhof, das war wie ein Abenteuerspielplatz... Hier herum zustromern war aufre- gend, ein bisschen verboten und ein bisschen gruselig – einfach schön. Michael Kopp, Stadtführer Wer mit ihm durch die 3,6 Hektar große Park anlage spaziert, erfährt, dass „der Alte Friedhof zwar so heißt, aber eigentlich noch gar nicht so alt ist.“ Vorgänger hatte er etwa in Form einer alemannischen Grabanlage im Ge- biet „Auf der Lehr“ nördlich des heutigen Markt- platzes und dann bis in die ersten beiden Jahr- zehnte des 19. Jahrhunderts auf dem Kirch- hof um die Dorfkirche, die dem hei- ligen Vinzenz geweiht war und heute als Stadtkirche fungiert. Danach diente der Friedhof im Hiesental außerhalb des Dorfes im Areal der heuti- gen Janusz-Korczak-Schule als Begräbnisort, der aber in Zeiten des Eisenbahnbaus nicht mehr erweitert wurde. 184 Der Platz befand sich in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs – „und mit Toten wollte man die ankommenden Reisenden nicht unbedingt willkommen heißen“, weiß Michael Kopp. So kam’s, dass 1869 – etwa zeitgleich mit der ein- setzenden Industrialisierung – weit draußen außerhalb des Dorfs im Norden ein neues Plätz- chen gesucht und gefunden wurde, der Ort des heutigen Alten Friedhofs eben. 1901 musste die Anlage erstmals erweitert werden, mehrere weitere Expansionen folgten. Die Bevölkerungszahl in Schwenningen, seit 1907 zur Stadt erhoben, wuchs immer weiter. Um 1920 war klar: Auch dieser Friedhof ist schlichtweg zu klein. Wieder wurde eine Alter- native gesucht. Diesmal wurde man auf dem Vorderen Bühl fündig, wo in den 1920ern der bis heute genutzte Waldfriedhof angelegt wurde. Der Friedhof hat ausgedient, so mancher alte Grabstein verschwindet einfach Doch zurück zum Friedhof an der Dauchin- ger Straße: Der hatte im Prinzip erst einmal ausgedient, nur noch ganz vereinzelt wurden Bestattungen vorgenommen. 1961 war’s dann ganz vorbei: Nach der offiziellen sogenannten Auflassung diente der Ort nunmehr als städ- tische Grünanlage. So mancher alte Grabstein verschwand einfach. Der Dornröschenschlaf des Alten Friedhofs wiederum drohte dann in den 1960er-Jahren jäh beendet zu werden: Als die Autobahn gebaut wurde und entsprechend große Fortschritts- Euphorie um sich griff, entstand auch die Idee, einen zweispurigen Zubringer aus Schwennin- gen heraus über die Dauchinger Straße und die Mutzenbühlstraße zu bauen. Diesem Vorhaben stand allerdings der Alte Friedhof im Wege. Der, so die Idee, Nach und nach verschwindet jedes Grab: Die Inschrift der Grabsteine verblasst und sie werden überwu- chert durch die Natur. Geschichte

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Der Alte Friedhof bietet seit 2005 ein Miteinander von unter Denkmalschutz stehenden Grabstätten und neuen Baumgräbern für Urnenbestattungen. war ja ohnehin überflüssig geworden und sollte nun also dem Straßenbau zum Opfer fallen. Das wiederum rief die empörte Initiative des Schwenninger Heimatvereins namens „Rettet den Alten Friedhof“ auf den Plan, die sich letzt- lich auch durchsetzen konnte. Ein Zubringer wurde jedenfalls hier nicht gebaut und der Friedhof blieb erhalten. Ein schöner, letzter Ort wird wiederbelebt: die Baumgräber entstehen Bis 2004 geschah auf diesem wieder nicht wirklich viel. Dann, in Zeiten neuer Begräbnis- formen, erinnerte sich die Doppelstadt-Ver- waltung daran, dass es hier ja noch eine geeig- nete städt i sche Fläche gab. Seit 2005 wird der Alter Friedhof Schwenningen 185

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Friedhof nun für Urnenbestattungen in Baum- und Gemeinschaftsgräbern wieder genutzt. Das heißt: Der Alte Friedhof wurde quasi „wiederbelebt“. Auch Michael Kopp ist froh darüber. Beim Entlangschlendern durch eine der schmalen Alleen, die längs den Park durchlaufen, wird klar, wie schön es hier ist. „Ich mag diesen Weg“, sagt der Friedhofskenner und wie zur Bestätigung ist irgendwoher aus den vielen Baumwipfeln ein Käuzchen- ruf zu hören. Überhaupt: Das heute parkartige Gelände mit noch ur- sprünglichem Wegenetz und seinem alten Baum- und Strauchbestand samt munterem Vogelgezwitscher ist ein lauschiger und ruhiger, aber keinesfalls ein toter Ort. Auch in der Liste der Kulturdenk- male des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg von 1991 ist er erfasst: „Der Friedhof beherbergt eine ganze Reihe bemerkenswerter Grabmale“, ist da zu lesen. Diese stammen demnach zum Beispiel aus der späten Biedermeierzeit, aus der Zeit des Historismus und des Jugendstils – eine „verfolgbare Geschmackslinie bei der lo- kalen Begräbniskultur“ sei hier zu erkennen, heißt es in der Liste, ein Verweis durchaus auch darauf, dass man es hier insgesamt eher mit schlichter Schönheit zu tun hat, entstanden in einem pie- Die abgebrochene Lebenssäule am Grab von Johannes Bürk (1819 - 1872) ist ein Verweis auf seinen frühen Tod: Bürk starb bereits im 53. Lebensjahr. Sein Grabmal ist das einzig restaurierte auf dem Alten Friedhof. 186 tistisch-protestantisch geprägten Umfeld. Johannes Bürk: Am Grab des „wohl wichtigsten Schwenningers“ „Das Faszinierende am Alten Fried- hof ist, dass die ganze Industriali- sierungsgeschichte Schwenningens direkt an den Gräbern ablesbar ist“, sagt unterdessen der Stadtführer. Da wäre zum Beispiel der legendä- re Johannes Bürk, Industriepionier und „Urvater der Schwenninger Uhrenindustrie“ und laut Michael Kopp wohl „der wichtigste Schwen- ninger.“ Bürk, so sagt er am auf- fälligen und vor einigen Jahren aufwendig restaurierten Grabmal, sei „ein Mann mit Visionen“ gewe- sen. Wer weiß denn schon, dass der 1819 geborene Schuhmachersohn hier in den 1840er-Jahren eine libe- rale Zeitung namens „Die Biene“ gegründet hat und damit der erste Zeitungsverleger Schwenningens war? Gut, die Zeitung gab es nicht lange, ihr Erscheinen wurde bald wieder eingestellt. Doch von Rückschlägen ließ sich Bürk offenbar grundsätzlich nicht beeindrucken: Er gründete stattdes- sen zum Beispiel ein sogenanntes Kommis- sionsgeschäft, also eine Art Unternehmensberatung. 1850 wurde er Ratsschreiber. Als solcher war er unter anderem auch den Nachtwächtern des Dorfes übergeordnet. Diese pflegten bei schlechtem Wet- ter wohl lieber im Wirts- haus einzukehren, als ih- rer Arbeit nachzugehen, „sie waren halt auch nur Menschen“, Geschichte

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Mit der Fertigung seiner Nachtwächterkontrolluhr in der eigenen Fabrik legte Johannes Bürk 1855 den Grund- stein für die Industrialisierung von Schwenningen und damit den wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt. lacht Michael Kopp. Der einzige Kontrollmecha- nismus – das Vernehmen ihres Gesangs und ihrer Sprüche an verschiedenen Orten – funkti- onierte derweil nur mäßig. Ihre Kontrollgänge waren aber extrem wichtig für die Sicherheit des Orts und Johannes Bürk war schließlich hier verantwortlich, so dass er eine Form der Zeit- erfassung erfand: An den einzelnen Stationen musste die neue tragbare Nachtwächteruhr nun mit verschiedenen Schlüsseln betätigt und so bestätigt werden, dass der jeweilige Nacht- wächter auch wirklich vor Ort war. Nachdem dieses Patent keiner der Schwen- ninger Uhrmacher haben wollte, entschloss sich Bürk kurzerhand, seine eigene „Württember- gische Uhrenfabrik Bürk & Söhne“ zu gründen und war damit ab 1855 fortan also Fabrikant. Damit legte er den Grundstein für die Industria- lisierung in Schwenningen. Bürk war im Übrigen Zeit seines Lebens Demokrat und musste auf- grund seiner politischen Äußerungen, die dem württembergischen Königshaus oft ganz und gar nicht passten, immer wieder einmal sogar in die nahe gelegene Schweiz emigrieren. 1848, als die Badische Revolution in Ansätzen auch nach Schwenningen ins württembergische Grenz- land herüberschwappte, stritt er dafür, dass die Amtszeit im Gemeinderat nicht mehr lebens- lang dauerte, sondern nur noch zehn Jahre. Nach dem großen Dorfbrand, bei dem von 3.000 Einwohnern ein Drittel obdachlos gewor- den war, forcierte er den schnellen Wiederauf- bau, wurde dann aber in Rottweil verhaftet, weil er die offizielle Genehmigung dazu nicht abgewartet hatte; so saß er – reine Schikane – Stadtführer Michael Kopp präsentiert bei seinen Füh- rungen auf dem Alten Friedhof am Grab von Johan- nes Bürk stets dessen Nachtwächterkontrolluhr. ein halbes Jahr ohne Prozess im Kittchen. Die Inschrift auf seinem Grabstein bezieht sich ver- mutlich auf seinen Kampf für die Demokratie. In Frakturschrift heißt es da: „Du schlafe wohl, / du hast jetzt ausgelitten. / Und ob du auch nicht ganz / das Ziel erreicht, / hast du dafür doch männlich kühn gestritten. / Du sankst dahin. Dir sei die Erde leicht!“ Johannes Bürks Rolle war also zentral im Ort. Der nannte sich in der Mitte des 20. Jahr- hunderts „die größte Uhrenstadt der Welt“. Und das stimmte: Nirgendwo sonst wurden damals stückzahlenmäßig mehr Uhren hergestellt als hier. Fast alle Bewohner der jungen Stadt leb- ten irgendwie von und mit der Uhrenindustrie. Und wenn auch nach der in den 1960er-Jahren einsetzenden Krise und schließlich dem finalen Niedergang der heimischen Branche hier seither fast keine Uhren mehr hergestellt werden: Die steinernen Zeugen auf dem Friedhof erzählen Alter Friedhof Schwenningen 187

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Monumentale Gruft mit Auferstehungssymbolik: Auf dem Alten Friedhof in Schwenningen gehört das Grab der Kienzles zu denen, die gut erhalten sind. Es entstand nach dem Tod von Jakob Kienzle im Jahr 1936. weite Teile der Erfolgsgeschichte. Neben Johan- nes Bürk gab es noch andere Persönlichkeiten, die die rasante Entwicklung vom einstigen Dorf zur Industriestadt prägten. Über jeden gibt es Anekdoten, etwa über den Taschenuhren-Her- steller Thomas Haller, der mit der ersten Fließ- bandproduktion experimentierte, oder über den „Necklemer“ Johann Jäckle, der einst mit einer Fahrradreparatur-Werkstatt begann und schließlich mit seiner großen Metallwaren fabrik zum bedeutendsten aller Zulieferer wurde. Friedhof der Uhren-Dynastien Das große, private Grabmal der Familie Kienzle aus dem Jahr 1936 ist die einzige Gruft auf dem Alten Friedhof und nur durch ein imposantes Ei- sentor mit den Initialen „JK“ erreichbar, gemeint ist damit Jakob Kienzle, „ein Unternehmer mit Weitblick“, der Uhren und Uhrwerke herstellte. Anfang der 1930er-Jahre war Kienzle die größte Uhrenfabrik der Welt, 1939 beschäftigte sie 3.500 Mitarbeiter und fertigte mehr als fünf Millionen Uhren und Werke. Der Familienfriedhof der Mauthe-Dynastie ist ebenfalls ein durch einen Zaun abgegrenzter Bereich. Hier liegt neben vielen weiteren Nach- kommen der Firmengründer Friedrich Mauthe begraben, der ursprünglich Wirt mit einer ei- genen Packerei gewesen war und später seine Uhrenfabrik zur wohl bedeutendsten der Stadt machte. Sein Nachkomme Dr. Fritz Mauthe war in der Weimarer Republik Mitglied der linkslibe- ralen DDP und fungierte als IHK-Präsident, Ge- meinderat und als Landtagsabgeordneter. Mit 188 Geschichte

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Grab von Dr. Fritz Mauthe und seiner Frau Helene. Nach dem Krieg war er der erste Landrat des früheren Kreises Donaueschingen, der heute zum Schwarz- wald-Baar-Kreis gehört. Der als Kreuz geformte Grabstein des Zünd- holzfabrikanten Johann Jakob Jauch ist mit einem Lebens anker geschmückt: Ein Bild der Hoffnung und der Zuversicht, denn der Anker sichert Schiffe im Hafen oder auf stür- mischer See. Ein Baum verdeckt den Grabstein heute, nur wer genau hin- sieht, kann ihn entdecken. Eine abgetrennte Grab- anlage hat sich die Fabrikan tenfamilie Schlenker-Grusen unweit der Sophienkapelle geschaffen. der Machtübernahme der Natio- nalsozialisten verlor er alle seine öffentlichen Ämter. Der Rüstungs- produktion stand er reserviert gegenüber. 1944 durfte er fortan seine Firma nicht mehr betreten und zog sich in sein Jagdhaus in Hammereisenbach zurück. Nach dem Krieg wurde er von den Fran- zosen als erster Landrat des Krei- ses Donaueschingen eingesetzt. Und auch die große Unter- nehmerfamilie Schlenker-Grusen, Keimzelle der Firma Isgus, die als eine der wenigen Unternehmen den Strukturwandel von mecha- nischen Uhren hin zu elektroni- schen Zeiterfassungssystemen überstanden hat, hat ihren eigenen, abgetrennten Bereich. Michael Kopp weiß auch hier In- teressantes zu berichten. Jakob Schlenker-Grusen, seines Zeichens zunächst Werkmeister bei der Firma Bürk, hatte sich 1888 selb- ständig gemacht, nachdem das Patent von Johannes Bürk für die tragbare Nachtwächterkontrolluhr ausgelaufen war. Sein Leben fand ein jähes Ende mitten in einer Gemeinderatssitzung am 28. No- vember 1913: Er erlitt während einer wohl recht hitzigen Debatte einen Herzinfarkt, an dem er noch im Sitzungssaal verstarb. Doch nicht nur Fabrikantenfa- milien, wie übrigens auch die des Zündholzproduzenten Johann Ja- kob Jauch, sind hier auf dem Alten Friedhof beerdigt. Michael Kopp verweist auf die letzten Ruhestät- ten weiterer Persönlichkeiten wie etwa die des Architekten Blasius Geiger (Michael Kopp: „Ein Bei- spiel dafür, dass man in Schwen- ningen auch als Katholik etwas werden konnte.“) oder die des Uh- renschildmalers Johannes Jauch, Alter Friedhof Schwenningen 189

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Grab der Familie Benzing. Seit 2005 ruht hier auch die 1990 verstorbene und zunächst auf dem Waldfried- hof begrabene, verdiente Ärztin Elisabeth Benzing. Ein Jugendstilgrabmal erinnert an den Verleger und Drucker Hermann Kuhn und seine Frau Luise. Es trägt die Inschrift „Wiedersehen unsere Hoffnung“. Die Liste der auf dem Friedhof begrabenen Persönlichkeiten ist lang: Uhrenfabrikanten, Verleger Hermann Kuhn, Heimat forscher Reitz – aber auch Elisabeth Benzing, die „Doktorin von Schwenningen“, gehört dazu. der eine akademische Ausbildung als Kunst- maler hatte und Lehrer an der Fortbildungs- schule für Uhrmacher war. Ein schönes Jugend- stil-Grabmal aus Marmorstein ziert den Ort, an dem Hermann Kuhn und ein Teil seiner Angehö- rigen begraben liegen. Kuhn, ursprünglich aus Dresden stammend, war gelernter Schriftsetzer und wurde in Schwenningen Verleger, Drucker und eine Zeitlang auch Redakteur der Heimat- zeitung „Die Neckarquelle“, die noch heute im familiengeführten Kuhnverlag erscheint, der nunmehr seinen Sitz nur unweit entfernt im Bu- renhaus am Schwenninger Marktplatz hat. Die Liste der auf dem Friedhof begrabe- nen Persönlichkeiten ließe sich schier endlos fortsetzen: Man denke nur an den Lehrer und Heimatforscher August Reitz, der in den 1920ern in seinen Texten den Niedergang der bäuer- lichen Lebensweise, aber auch treffend den Schwenninger Dorfhumor beschrieb, oder an Schultheiß und Ehrenbürger David Würth. War- um dieser ausgerechnet mitten auf dem Vetera- nenfriedhof des Deutsch-Französischen Krieges bestattet wurde – eine von zwei Kriegsgräber- anlagen auf dem Friedhof – weiß man nicht so genau, Soldat war er jedenfalls nie. Er liegt hier allein begraben, andere im Familienverbund mit den Verwandten. Elisabeth Benzing: Eine der ersten Medizinstudentinnen Und wenn hier auch bisher vor allem von wich- tigen Männern die Rede war, muss doch gesagt werden, dass der Friedhof auch die Geschichten starker Frauenpersönlichkeiten erzählt. Da wäre zum einen die „Doktorin von Schwenningen“. Elisabeth Benzing war in den 1920er-Jahren eine der ersten Medizinstudentinnen in Tübingen; in Schwenningen fand sie im Krankenhaus eine Anstellung; hier lernte sie auch ihren späteren 190 Geschichte

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Ehemann Karl Benzing kennen, mit dem sie schließlich eine gemeinsame Praxis eröffnete. Während des Zweiten Weltkriegs war sie „der einzige Arzt in Schwenningen“ und unermüdlich im Einsatz, und das mit drei kleinen Kindern, um die sie sich ebenfalls zu kümmern hatte. Nach den Bombardements am Neckar Ende 1944 und Anfang 1945 versorgte sie dort mit einem un- fassbaren Kraftaufwand eigenhändig unzählige Verletzte. Sie verstarb 1990. Die Urne wurde zunächst auf dem Waldfriedhof beigesetzt und nach 2005 auf den Alten Friedhof umgebettet, nachdem dort wieder Urnenbestattungen er- laubt waren. Praktiziert hatte sie noch bis kurz vor ihrem Tod. Stadtführer Kopp erinnert aber auch an Anna Jäckle, die „erste richtige Unternehmerin der Stadt“, die im Ersten Weltkrieg notgedrungen, aber dann mit aller Vehemenz und Durchset- zungskraft die Firma ihres Mannes Johann Jäckle leitete und zudem unglaubliche 16 Kinder auf die Welt brachte. Für ihre pietistische Grundhal- tung und ihre damit verbundene soziale Einstel- lung war sie in der ganzen Stadt bekannt. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten war derweil sicher Gisela von Barloewen, geborene Etter, ein Spross der Mauthe-Dynastie, und eine „sehr interessante, resolute Frau“, berichtet der Stadtführer. Sie war demnach Fotografin und betrieb in der elterlichen Etter-Villa in der Nähe des Bahnhofs außerdem einen Privatkindergar- ten. Im Krieg emigrierte sie nach Spanien, wo sie den deutschen adligen Landschaftsarchitekten Bengt von Barloewen kennen und lieben lernte, der 1918 aus dem Baltikum nach Argentinien ausgewandert war. In den 1980er-Jahren führte sie so lange einen Prozess gegen die Stadt Villin- gen-Schwenningen, bis sie ihren verstorbenen Ehemann, dessen Urne bis dahin über zwei Jahre lang im Regal gestanden hatte, im Fami- liengrab bestatten durfte, obwohl die Anlage damals gar kein offizieller Friedhof mehr war. Der Mord an Bärenwirt Christian Braunmüller Ein Mann darf am Ende übrigens nicht un- erwähnt bleiben: Johannes Braunmüller, ur- sprünglich von der Ostalb stammend und eben- falls hier in einem Familiengrab liegend. Er war Wirt und Besitzer der legendären Bärenbrauerei, die einst jenen in der Stadt identitätsstiftenden Gerstensaft für die Schwenninger produzierte: das Bärenbier. Sein Sohn Christian Braunmüller ist auch hier begraben. Er wiederum war maß- Grab der Familien Etter und von Bar- loewen. Hier ist auch die Fotografin Gisela von Barloewen beigesetzt. Reich verziertes Grabmal von ca. 1892 (Inschrift nur fragmen tarisch erhalten: Familie Schlenker). Hier ruht Bärenbier-Brauer Johan nes Braunmüller mit Familie, seine Büs- te (runde Öffnung) wurde gestohlen. 192 Geschichte

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Die Sophienkapelle Inmitten des Areals befindet sich die ehema- lige Friedhofskapelle, die einst vom Uhren- fabrikanten und Kommerzienrat Christian Mauthe gestiftet und 1908 eingeweiht wurde. In den Unterlagen des Landesdenkmalamtes wird das Gebäude als „schlichter Saalbau mit Satteldach und kleinem Dachreiter“ beschrie- ben. 1956 bis 2004 diente es als Markuskirche der evangelischen Kirchengemeinde Schwen- ningen für den nördlichen Gemeindebezirk. 2004 kündigte die Kirchengemeinde mangels Bedarf den Mietvertrag und gab das Gebäude an die Stadt zurück. 2005 wurde es umgewid- met; seit dem 1. April 2006 hat die Christenge- meinschaft-Gemeinde nun ihre Heimat in den zuvor neu gestalteten Räumen. Seither finden hier wieder Gottesdienste statt. Die Christen- gemeinschaft, Bewegung für religiöse Erneu- erung genannt, ist eine christliche Kirche, die sich als der Anthroposophie nahestehende, aber selbständige Gemeinschaft versteht. Der Alte Friedhof ist kein Hei- le-Welt-Ort. Die Bronzebüste des Bärenwirtes ist ebenso verschwunden wie im August 2015 die Bronzetafeln der Baumgräber. geblich an der Elektrifizierung Schwenningens beteiligt, weil er in eine mit dieser Sache befass- te Gemeinderatssitzung eine Notstromleitung direkt in den Sitzungssaal legte und so die hier vertretenen Entscheider von den sichtbaren Vor- teilen und Annehmlichkeiten einer hell erleuch- teten Stube für Jedermann zu jeder Tages- und Nachtzeit überzeugte. So bekam Schwenningen bereits 1902 vergleichsweise sehr früh eine kommunale Stromversorgung. Christian Braun- müllers Leben endete übrigens tragisch: Er, der wie sein Vater Wirt war, hatte es eines Nachts mit einem renitenten, betrunkenen Gast zu tun, dem er zu später Stunde weitere Bewirtung ver- sagte; als er selbst auf dem Nachhauseweg war, traf ihn die Rache des Gekränkten, der ihn mit einem Dolchstoß niederstreckte und auf diese Weise tötete. Vom Braunmüller’schen Familiengrab ver- schwand übrigens vor ein paar Jahren die dort angebrachte Bronzebüste des Familiengründers. Michael Kopp schüttelt über Diebstähle dieser Art den Kopf, nimmt’s am Ende dann aber doch mit Humor: „Ich denke, dass die Büste jetzt ir- gendeinen Schwenninger Partykeller schmückt“, quasi als Reminiszenz an das letzte echte heimi- sche Bier. Allerdings zeigt das Abhandenkommen sol- cher Devotionalien auch, dass der Alte Friedhof kein Heile-Welt-Ort ist, mal ganz abgesehen vom jüngsten dreisten Abmontieren der bron- zenen Baumgrabtafeln. Offenbar professionelle Metalldiebe haben das ohne mit der Wimper zu zucken im August 2015 fertiggebracht und damit neben der empörenden Störung der 194 Geschichte

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Morbider Charme: Die Grabmale auf dem Alten Friedhof sind meist verwittert und restaurierungsbedürftig. Totenruhe auch einen beträchtlichen finanziel- len Schaden verursacht. Viele Gräber massiv gefährdet Und noch etwas bereitet Michael Kopp Sorge. Historische Friedhöfe gelten ja gemeinhin als Kulturdenkmale ersten Ranges, aber viele von ihnen sind schlichtweg gefährdet. Auch wenn die Stadtverwaltung die Grünanlage so gut es geht pflegt, ist jedem Betrachter klar: Etliche der alten Gräber, teilweise übergegangen in das Die Führungen Ein bis zwei Mal im Jahr bietet in der Zeit von Mai bis Oktober die Wirtschaft- und Touris- mus Villingen-Schwenningen GmbH Führun- gen auf dem Alten Friedhof an. Weitere indi- viduelle Termine sind ansonsten auf Anfrage ebenfalls möglich. Eine Führung dauert rund 90 Minuten. Eigentum der öffentlichen Hand, sind in einem durchaus restaurierungsbedürftigen Zustand, manche ganz von Hecken zugewachsen, andere bräuchten dringend eine Generalsanierung, damit sie nicht ganz dem kontinuierlichen Ver- fall preisgegeben sind. Viele Grabsteine sind verwittert und ragen windschief in die Gegend. Inschriften sind mitunter kaum noch zu entzif- fern. Bei allem Faible für den morbiden Charme eines solchen Ortes, schwingt die Ambivalenz zwischen der Bewunderung der Schönheit und der Sorge um sie mit. Wird es gelingen, die- sen Erinnerungsort auf Dauer zu bewahren? Michael Kopp hat da leider seine Zweifel. Viel- leicht, so hofft aber auch er, findet sich ja hier und da eine Initiative, die sich der Aufgabe wid- met, eines der Gräber zu restaurieren und damit die Geschichte der Stadt zu erhalten. Stark nachgefragt sind die Baumgräber auf dem Alten Friedhof, die man dort seit 2005 belegen kann. Die Urnen werden unter Ahorn, Esche, Buche oder Eiche beigesetzt, auch erste Familienbäume gibt es. 196 Geschichte

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Werner Breithaupt Auswanderergeschichten: Vom Dorf zur NASA von Dr. Joachim Sturm Es waren keinesfalls wirtschaftliche Gründe, die den kaum 19-jährigen Werner Breithaupt aus Erdmannsweiler zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten trieben. Bei der Kartoffellese mit Nachbarn im Herbst 1963 hörte der nach seiner Lehre bei Mathias Bäuerle in St. Georgen nun bei Kienzle Apparate in Villingen beschäftigte Werkzeugmacher aufmerksam zu, als diese von einem Verwandten in den USA erzählten, der auf der Suche nach deutschen Mitarbeitern für seine Firma war. Als wacher, unternehmungslustiger Geist und gereizt durch die Enge im elterlichen Haus schien sich Werner Breithaupt plötzlich der Horizont zu öffnen. Keine drei Tage später stand für ihn die Ent- scheidung fest, nach Illinois zu gehen, ohne jegliche Englischkenntnisse, aber mit der Hoff- nung auf gutes Auskommen bei dem Enkel des bereits in den 1920er-Jahren ebenfalls aus Erdmannsweiler mit vier Geschwistern ausge- wanderten Georg „George“ Haas, der dort eine Fertigungsfirma betrieb. So landete Werner Breithaupt in der Nähe von Chicago und mühte sich redlich im täg- lichen Umgang mit seiner Umgebung erste Sprachkenntnisse zu erwerben. Da er im wehr- fähigen Alter war, stellte sich ihm zudem schnell die Frage, wie und wo er seinen Wehrdienst ableisten sollte. Zur Bundeswehr oder zur ame- rikanischen Armee mit Aussicht auf Einsatz in Mission Badges, aufzunähende oder aufzu klebende Badges mit den Namen der Astronauten tru- gen alle an einem Space-Shutt- le-Flug Beteiligten während der Dauer der Mission. Die Auswahl stammt aus dem Nachlass. Geschichte 198

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Hohe Ehre für Werner Breithaupt: Für seine großartige Leistung und die hervorragende Zusammenarbeit mit den Besatzungen der Space-Shuttles verliehen ihm die Astronauten 1992 im Johnson Space Center in Houston den „Silver-Snoopy“, ein in Form einer Anstecknadel selten verschenk tes Maskottchen. Vietnam? Schließlich entschied er sich mit ei- nem Vierjahresvertrag zur US-Airforce zu gehen und erhielt dort eine Pilotenausbildung. Nach seiner Entlassung 1971 begann zu- nächst eine unruhige Zeit. Er zog nach Miami, wo er als Fluglotse, Fluglehrer und Privatpilot sein Auskommen fand, dann schließlich nach Fremont zur Flugsicherung. Während er sich langsam vertiefte Kenntnisse rund um das Flie- gen erwarb, wechselte er mehrmals sein Haus, fand seine erste amerikanische Liebe und be- schloss, diese in seinem Geburtsort Erdmanns- weiler zum Traualtar zu führen. Hatte er sich doch trotz unruhigen Berufsjahren seine Boden- ständigkeit und Heimatverbundenheit bewahrt. Diese Schwarzwälder Charaktereigenschaft des Beharrlichen, der Fähigkeit, geduldig und aufmerksam dicke Bretter zu bohren, sollte ihn schließlich zur Raumfahrt und ins Zentrum eines der größten technischen Abenteuer des 20. Jahrhunderts führen. Spezialist als Mission-Controller für Satelliten und wieder verwendbare Raumfähren Doch bis es soweit war, kamen noch einmal schwierige Jahre auf ihn zu. Nach dem Streik des Flugsicherungspersonals der USA entließ Präsident Ronald Reagan 1981 alle Fluglotsen und Breithaupt war das erste Mal in seinem Leben arbeitslos. Zunächst renovierte er zusam- men mit Leidensgenossen alte Häuser, dann fand er eine Anstellung als Servicetechniker bei Werner Breithaupt 199

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Ehrung im Space Center Houston zum Abschied im Jahr 1992, Werner Breithaupt steht in der Mitte rechts. Breithaupt steuerte und über- wachte die Magellan-Sonde zur Venus, die am 4. Mai 1989 mittels einer Raketen- stufe vom Space-Shuttle Atlantis aus gestartet wurde und am 10. August 1990 in eine Venus-Umlaufbahn ein- schwenkte. fand Breithaupt sich auf der Raumfahrtstation der Luftwaffe in Onizuka (im späteren Silicon Valley bei San Jose in Kalifornien) wieder. Bei der Operation „Desert Storm“ gelang ihm auf bisher nicht näher veröffentlichte Weise durch seine Steuerung von Satelliten die Rettung einer größeren Zahl von amerikanischen Soldaten und Zivilisten. Die Magellan-Sonde gesteuert und überwacht Xerox. Dass er diese Arbeit wegen eines Rücken- leidens aufgeben musste, erwies sich für ihn im Nachhinein als der große Wurf. Auf seiner Suche nach einer seiner Ausbildung gemäßen Arbeit engagierte ihn die in den Satellitenbau eingebundene Flugzeug- und Luftrüstungsfirma Lockheed Corporation, die rasch seine außerge- wöhnlichen Fähigkeiten erkannte. Breithaupt erhielt nun tiefe Einblicke in die Fabrikation von Satelliten, Space-Shuttles und die geplanten Raumstationen und spezialisierte sich als Mis- sion-Controller für Satelliten und wieder ver- wendbare Raumfähren. Mit Beginn des Irak-Krieges und dem Einsatz der Satelliten als Instrumente der Kriegsführung Völlig neue Herausforderungen kamen auf Breithaupt schließlich bei seinen folgenden zwei größten Raumfahrtunternehmen zu, die der Erforschung von Venus und Jupiter gewid- met waren. Er steuerte und überwachte die Magellan-Sonde zur Venus, die am 4. Mai 1989 mittels einer Raketenstufe vom Space-Shuttle Atlantis aus gestartet wurde und am 10. August 1990 in eine Venus-Umlaufbahn einschwenkte. Mit ihr gelang eine weitgehende Kartierung der Venus mit einem einfachen Radar, jedoch mit der bisher nicht erreichten Auflösung von 100 Metern pro Pixel. Die Aufgabe war nicht zuletzt deshalb anspruchsvoll, weil die Sonde technisch gesehen ein Sammelsurium von Re- 200 Geschichte

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serve- und Ersatzteilen aus vorherge- henden Raummissionen war, deren Zusammenspiel äußerste Aufmerk- samkeit und Reaktionsvermögen erforderte. Als die Sonde am 12. Ok- tober 1994 in der Venusatmosphäre nach erfolgreicher Arbeit verglühte, hatte Breithaupt schon längst parallel eine weitere Mission unter Kontrolle. Start des Galileo-Satelliten trotz Erdbeben der Stärke 7,1 ermöglicht Vom militärischen Satelliten-Test-Gelände bei San Jose aus war am 18. Oktober 1989 auch die Raumfähre Atlantis gestartet, welche den Galileo-Satelliten mittels Raketenstufe aussetz- te und zum Flug hin auf Jupiter startete. Bei deren Überwachung gelang ihm eine weitere geschichtsträchtige Mission. Obwohl am Tag zuvor das größte Erdbeben seit 1906, das „Lo- ma-Prieta-Erdbeben“ mit der Stärke 7,1 auf der Richterskala die Region stark in Mitleidenschaft gezogen hatte, schaffte es Breithaupt am Tag des Starts nicht nur pünktlich zum Arbeitsplatz, sondern er übernahm auch sogleich die Ge- samtleitung einer Mission, die er mit Bravour trotz aller Widrigkeiten und des Ausfalls von Kommunikationswegen umsichtig zu Ende führte. Ihm war es zu verdanken, dass die vom Boden ausgeübte Steuerung und Flugkontrolle ohne Zwischenfälle verlief und der Satellit der Wissenschaft einzigartige Daten und Bilder lieferte. So konnte die Galileo-Sonde ein Jahr später den spektakulären Absturz des Kometen Shoemaker-Levy 9 in den „nur“ noch 238 Millio- nen Kilometer entfernten Jupiter aufzeichnen. Hervorragende Zusammenarbeit mit den Besatzungen der Space-Shuttles Breithaupts Selbstdisziplin und strenge Arbeits- und Lebensführungsplanung waren legendär. Zwar spöttelten die Arbeitskollegen und As- tronauten hin und wieder über diese „deut- schen“ Eigenschaften, doch taten sie es mit Der „Silver-Snoopy“ wird vor der Vergabe auf einen Space-Shuttle-Flug ins Weltall mitgenommen und nach Landung und Abschluss der Mission von einem Astronauten der Crew verliehen. großem Respekt und in dem Bewusst- sein, dass hier einer der Schlüssel zum Erfolg der Missionen lag. Für seine großartigen Leistungen und die hervorragende Zusammen- arbeit mit den Besatzungen der Space-Shuttles verliehen ihm die Astronauten schließlich 1992 im Johnson Space Center in Houston den „Silver-Snoopy“. Die Anstecknadel ist ein ganz selten verschenktes Maskottchen. Es wird vor der Vergabe auf einen Space-Shuttle-Flug ins Weltall mitgenommen und nach Landung und Abschluss der Mission von einem Astronauten der Crew verliehen. 1992 folgt der Abschied von der NASA Breithaupt fühlte, dass es an der Zeit war, dem aufregenden Dasein als Mission-Con troller nun ruhigere Zeiten folgen zu lassen. Er schied daher mit zahlreichen Belobigungen und Dankschrei- ben versehen am Jahresende 1992 aus und übernahm kaum ein Jahr später die Betreuung der Autowaschanlagen des Vaters seiner zwei- ten Ehefrau, die er 1993 auf Hawaii geheiratet hatte. Den engen, freundschaftlichen Kontakt mit all den Mitarbeitern und ehemaligen Astronauten jedoch hielt er aufrecht. Viele Jahre, seine Erfolge zu genießen, blieben ihm nicht. Nachdem man bei ihm eine Darmkrebs erkrankung diagnostiziert hatte, trat er in den Ruhestand und erbaute sich auf Vancou- ver Island in einer Senioren-Wohnanlage seinen Altersruhesitz. Doch sein Leiden verschlimmer- te sich und er verstarb 1999 im Swedish Medical Hospital in Seattle, in den Tod begleitet von seiner Ehefrau und seinem aus Erdmannsweiler herbei- geeilten Bruder Heinz. Seine Asche wurde von der Golden Gate-Brücke in den Pazifik gestreut. Bis heute jedoch erinnert ein kleiner Gedenkstein an ihn auf dem Erdmannsweiler Friedhof. Werner Breithaupt 201

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Die Kaiserurkunde Ludwigs des Frommen Das kostbare Schriftstück vom 4. Juni 817 ist ein bedeutender, schriftlicher Fixpunkt für die gesamte Region von Clemens Regenbogen Villingen und Schwenningen, der ihnen zugehörige Stadtteil Tannheim sowie Pfohren (Stadt Donaueschingen) und Hondingen (Stadt Blumberg) begehen im Jahr 2017 das Jubiläum ihrer urkundlichen Ersterwähnung vor 1200 Jahren. Zu verdanken ist dieser gemeinsame geschichtliche Fixpunkt einer das Kloster St. Gallen begünstigenden Urkunde des karolingischen Kaisers Ludwig des Frommen aus dem Jahr 817. Neben den vier genannten Orten führt dieses historische Schriftzeugnis mit Klengen, Nordstetten, Tuningen und Weilersbach noch weitere damals schon existierende Siedlungen im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis auf, weshalb die Kaiserurkunde in diesem Beitrag in ihrer Bedeutung mit Blick auf das gesamte Kreisgebiet gewürdigt werden soll. Was wurde in der Urkunde verfügt? Ludwig der Fromme (814 - 840), Sohn und direkter Nachfol- ger niemandes geringeren als Karls des Großen (747/748 - 814), ließ auf den 4. Juni 817 in Aachen, dem politisch bedeutsamsten Regierungssitz des karolingischen Großreiches – von einer wirklichen Hauptstadt im frühen Mittelalter zu sprechen wäre unzeitgemäß – ein feierliches Mandat, so die Fachbezeichnung dieser Urkun- de, anfertigen, die im Mittelpunkt des hiesigen Interesses steht. Die Ausstellung von Urkunden über rechtliche Sachverhalte gehörte zu den wesentlichen Tätigkeiten eines mittelalterlichen Herrschers. Sie waren neben den Reisen durch sein Reich und einem Netz von Stellvertretern in den einzelnen Regionen das entscheidende Ins- trument, seinem Willen Ausdruck zu verleihen, seiner Herrschaft über den Adel, die Geistlich- keit und die gemeinen Untertanen Geltung zu verleihen. Oftmals sind diese Herrscherurkunden aus der Karolingerzeit heutzutage nicht mehr im Original vorhanden, sondern liegen nur noch in jüngeren Abschriften vor, wenn sie gar nicht nur mehr fragmentarisch erhalten oder im Laufe der Jahrhunderte allzu häufig einfach verloren gegangen sind. Eine bedeutend höhere Überlie- ferungschance besaßen jene mittelalterlichen Schriftzeugnisse, welche an geistliche Empfän- ger gerichtet waren, da deren Archivwesen ten- denziell fortgeschrittener war als das von nicht- kirchlichen Empfängern und den Dokumenten für gewöhnlich besseren Schutz bieten konnte. Außerordentliche Archivschätze für die Region Auch die im Mandat Ludwigs enthaltene Be- günstigung betraf eine solche geistliche Institu- tion, namentlich das Kloster St. Gallen. Gerade 202 Geschichte

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Mandat Kaiser Ludwigs des Frommen, Aachen 4. Juni 817 (STiASG Urk. EE5 E15a). Ludwig der Fromme schenkt dem Kloster St. Gallen gräfliche Einkünfte aus 47 Mansen (mittelalterliche Bezeichnung für Gehöft). diese in der jetzigen Nordostschweiz gelegene einstige Reichsabtei wartet heute noch mit außerordentlichen Archivschätzen auf, ihrem Reichtum an original überkommenen frühmit- telalterlichen Urkunden kommt nördlich der Alpen keine weitere Sammlung gleich. Ohne die St. Galler Bestände wüssten wir noch sehr viel weniger über die ohnehin nur spärlich beleucht- baren historischen Verhältnisse des karolinger- zeitlichen Südwestdeutschlands, die frühen Sta- dien mancher Ortsgeschichte wären mithin sehr viel ungewisser und auch dieser Artikel müsste merklich dünner ausfallen. So wie St. Gallen archivgeschichtlich einen Fall besonderer Gunst darstellt, weist auch unsere Kaiserurkunde von 817 einen ebensol- chen gewissermaßen im Mikroformat auf: Das Stiftsarchiv St. Gallen beherbergt von ihr näm- lich nicht nur das Original, sondern ganze fünf Einzelabschriften, die Klosterschreiber noch im Laufe des 9. Jahrhunderts verfertigt hatten, sowie weitere Abschriften des 15. Jahrhunderts. St. Gallen musste also zu bestimmten Zeiten nicht wenig am rechtlichen Gehalt des Schrift- stückes gelegen sein, denn schließlich sicherte der Urkundentext der Klostergemeinschaft kei- ne geringen finanziellen Einkünfte zu. Worum ging es nun in der herrscherlichen Verfügung genau? Der Kaiser verschenkt 47 bäuerliche Hofstätten, behält aber seinen Teil am „Königszins“ Ludwig der Fromme adressierte sein Aache- ner Schreiben an alle Grafen Alemanniens, ihre Nachfolger und Helfer, womit er seine wich- tigsten Amtsträger im grob umschriebenen Raum zwischen Stuttgart im Norden, den Alpen im Süden, dem Oberrhein im Westen und den Kaiserurkunde vom 4. Juni 817 203

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Flüssen Lech und Iller im Osten direkt ansprach. Der Kaiser erklärte darin, dem Kloster St. Gallen im Thurgau und dessen Abt Gozbert denjenigen Teil der Zinseinnahmen von 47 (tatsächlich sind es 49) Mansen, d. h. bäuerlichen Hofstätten, welcher seither den Grafen zugefallen sei, zu schenken. Geschehen sollte dieser Transfer von Einkünften zum Seelenheil des Kaisers. Bei den von der Regelung betroffenen Man- sen handelte es sich im Amtsbereich des Grafen Frumold um Mansen in Hondingen und Klen- gen, im Amtsbereich des Grafen Cunthard um mehrere Hofstellen in Bisingen (BL), im Bezirk des Grafen Karamann um Mansen in Schörz- ingen (BL), Schwenningen und Weilersbach und im Amtssprengel des Grafen Ruachar um Bauernhöfe in Tuningen, Villingen, Nordstetten, Pfohren, Spaichingen (TUT) und Tannheim. Im Text folgen im Bereich des Grafen Erch- anger gelegene Mansen in Heimbach (EM), Talhausen (FR) und Buchheim (FR) westlich des Schwarzwaldes, daraufhin die im Sprengel des Grafen Rihwin ansässigen Hofstätten in Uttwil (TG), Kesswil (TG), Landschlacht (TG), Zihl- schlacht (TG), Hefenhofen (TG), Ifwil (TG) und Tänikon (TG), wie endlich die im Bezirk des Gra- fen Udalrich gelegenen Mansen in Stetten (FN), Markdorf (FN), Fischbach (FN) und Kluftern (FN). Insgesamt zeigt sich also eine weite Streuung hinsichtlich der Lage der berührten Bauernstel- len – vom Breisgau im Westen über die damali- ge Bertholdsbaar, zu der die heutzutage in den Landkreisen Schwarzwald-Baar, Zollernalb und Tuttlingen beheimateten Orte zählten, über das nördliche Bodenseeufer bis hin in den südlich des Sees gelegenen Thurgau. Im Anschluss an die Auflistung der Hofstel- len befahl der Kaiser den eingangs genannten Grafen, ihren Nachfolgern und Helfern – daher die Klassifizierung der Urkunde als Mandat – nochmals ausdrücklich, von besagten Mansen künftig weder Zinsen und Tribute noch Arbeits- einsätze wie etwa Pflugdienste einzuziehen beziehungsweise zu fordern. Aus der Sicht St. Gallens stellte das Mandat an die Grafen eine Privilegierung dar, da das Kloster nunmehr anstelle der Grafen finanziell nutzbare Herrschaftsrechte gegenüber den be- troffenen Bauern auf ihren Hofstellen ausüben durfte, es also fortan einen wirtschaftlichen Gewinn davontragen konnte. Der Kaiser hielt sich übrigens durch diese Schenkung zulasten der Grafen schadlos, seinen eigenen Teil am Kö- nigszins behielt er sich weiterhin selbst vor. Für die Inhaber der Bauernstellen und ihre Familien blieb die Abgabenlast demnach die gleiche, lediglich einer ihrer beiden Herren wurde aus- getauscht. Wie kam es zur Urkunde und welches waren ihre Hintergründe? Die erste Hälfte des Jahres 817 war aus der Warte des zweiten Karolingerkaisers von einem Unfall und einer politischen Großentscheidung geprägt. Am Gründonnerstag, den 9. April, verletzte sich, dem Zeugnis der fränkischen Reichsannalen und seines anonymen, Astrono- mus genannten Biographen nach, Ludwig der Fromme nach dem Kirchgang beim Einsturz eines hölzernen Ganges zwischen der Kirche und der Pfalz in Aachen, doch zog er sich ledig- lich Schürfwunden und Quetschungen zu. Das Haupt der abendländischen Christenheit und etwa zwanzig seiner Begleiter waren dem mög- lichen Tode noch einmal entronnen. Zwanzig Tage später konnte Ludwig bereits einen Jagd- ausflug nach Nimwegen antreten. 817 ist dann zugleich als das Jahr der soge- nannten Ordinatio imperii, der auf der Aachener Reichsversammlung im Juli beschlossenen neu- artigen Thronfolgeregelung, in die europäische Historie eingegangen, von Theodor Schieffer nicht zu Unrecht als „absoluter Höhepunkt des karolingischen Zeitalters und der fränkischen Geschichte“ apostrophiert. Entgegen der bisher üblichen karolingischen Praxis, das Reich im Erbfalle den Nachkommen zu gleichen Teilen zukommen zu lassen, sollte mit dem von Lud- wig dem Frommen unter Zustimmung des Adels und der führenden Kleriker erlassenen Gesetz die Einheit des Reiches gesichert werden, indem Ludwigs ältester Sohn Lothar zum Mitkaiser er- hoben wurde und ihm in der Nachfolge alleine die Kaiserwürde zufallen sollte. Lothars jüngere 204 Geschichte

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Brüder Pippin und Ludwig wurden dagegen als Unterkönige in den peripheren Landschaften Aquitanien und Bayern eingesetzt. Die Ankunft des nachgeborenen Sohnes Karl des Kahlen sollte 823 die Ordinatio imperii letztlich hinfällig machen und die karolingische Dynastie in grau- same Nachfolgekriege verwickeln. Zwischen diesen beiden Ereignissen, nach der Rückkehr aus Nimwegen und in Vorberei- tung der einberufenen Reichsversammlung, veranlasste Ludwig der Fromme die Ausstellung der Schenkungsurkunde an St. Gallen, die nach ihrer Prüfung durch den Hofgeistlichen Duran- dus am 4. Juni ausgegeben wurde. Das trotz allem für ihn glimpfliche Ende des Aachener Unglücks mochte Ludwig bewogen haben, nicht nur der Thronfolge vermehrt Gedanken zuzu- wenden, sondern auch ein sichtbares Zeichen des Dankes an Gott und dessen Dienstleute auf Erden zu tätigen. Tatsächlich dürften der Schenkung Vorver- handlungen am Hof vorangegangen sein, bei denen Abt Gozbert (816-837) möglicherweise sogar persönlich zugegen war. Für das Kloster im Thurgau bedeutete das Aachener Kaiserdi- plom die erste gleichermaßen rechtliche wie materielle Zuwendung seitens des karolingi- schen Königtums (Peter Erhart). Sie fiel in eine tiefgreifende Phase des Wandels in der St. Gal- ler Klostergeschichte, die unter Abt Gozbert von einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg gekennzeichnet war, und an der das fränkische Königtum großen Anteil hatte. Im Kern ging es in dieser Umbruchszeit um die rechtliche Stellung der Mönchsgemein- schaft. Bislang war die Abtei ein Eigenkloster des Bischofs von Konstanz gewesen, dem sie seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts un- terstand und an dessen Bistum sie alljährliche Abgaben zu leisten hatte. Unter Abt-Bischof Wolfleoz (811-838/39), in seiner Person gegen den Willen des St. Galler Konvents von 812 bis 816 die Würden des Diözesanbischofs und Abtes vereinend, sollte es zur sukzessiven Loslösung des Klosters vom Bistum Konstanz kommen. Während die St. Galler Mönche in dieser Ange- legenheit Ludwig den Frommen um Hilfe baten, versuchte Wolfleoz mittels Urkundenfälschung Die Aachener Urkunde von 817 stellte den Auftakt für eine noch bedeutsamere Verfü- gung dar: Das Kloster erhielt 818 die Immunität und den Königsschutz verliehen, wurde auf höchstes Geheiß ein Reichskloster. seine Rechte über die Abtei zu behaupten, letzt- lich indes ohne Erfolg. 816 schritten die Mön- che zur Abtswahl und wählten aus ihrer Mitte Goz bert, was am Hof Kaiser Ludwigs offenkun- dig auf Wohlwollen stieß. Unsere Aachener Urkunde von 817 stellte letzten Endes nur den Auftakt für eine noch bedeutsamere kaiserliche Verfügung Ludwigs dar, mit der St. Gallen im folgenden Jahr be- dacht wurde. Das Kloster erhielt 818 nämlich die Immunität und den Königsschutz verliehen, aus einem bischöflichen Eigenkloster wurde auf höchstes Geheiß ein Reichskloster. Keine intermediäre Gewalt wie ein Graf durfte fortan auf St. Galler Gebiet mehr walten, denn das Kloster war nun unmittelbar der fränkischen Reichsgewalt unterstellt. Im Gegenzug waren die Mönche unter anderem verpflichtet, für die Geschicke der karolingischen Herrscher- familie und des Reiches zu beten. Das in seinen Anfängen auf den Hl. Gallus (6.-7. Jahrhundert) zurückgehende und einst fernab königlicher Autoritäten entstandene Kloster wurde von nun an zu einem wichtigen Pfeiler der fränkischen Königsherrschaft im alemannischen Raum. Nichts erfahren wir hingegen zu guter Letzt über die im Jahr 817 betroffenen Grafen und deren Einstellung zu dieser ihre Rechte unwei- gerlich schmälernden Schenkung. Schon ihre Personen lassen sich kaum dem weitgehenden Dunkel der frühmittelalterlichen Geschichte entreißen. Während beispielsweise die Grafen Frumold und Cunthard uns ansonsten nicht begegnen, können ihre auch anderweitig mehrfach bezeugten Amtskollegen Karamann Kaiserurkunde vom 4. Juni 817 205

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und Ruachar nicht mit eindeutig bestimmten Personen dieses Namens identifiziert werden. Im Falle von Graf Udalrich haben wir es dem- gegenüber mit einem prominenten Magnaten des alemannischen Adels zu tun, der über seine Schwester Hildegard zeitweilig Schwager Karls des Großen gewesen war (Michael Borgolte). Verzichteten die Grafen womöglich freiwillig und spendeten sie gleichsam auf gemeinsamen Beschluss hin zum Seelenheil des Kaisers (Phi- lippe Depreux)? Dem steht allerdings die Be- fehlsform der Urkunde entgegen, zudem hätte der Kaiser in diesem Falle merkwürdigerweise nicht selbst in sein Seelenheil investiert (Theo Kölzer). Ob sie für ihre Ausfälle eine Entschädi- gung durch Kaiser Ludwig erhielten, steht über- dies gänzlich dahin. Einblicke in die frühe Ortsgeschichte Von den insgesamt 26 in der Urkunde auf- geführten Orten liegen neun mit insgesamt fünfzehn Mansen auf dem Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises. Namentlich han- delte es sich in Hondingen (Huntingun) um die Manse des Weifar, in Klengen (Cheningun) um die Manse des Puabo, in Weilersbach (Uuila- resbach) um die beiden Mansen von Ratolt und Heriger, in Schwenningen (Suuanningas) um die Manse des Liubolt, in Tuningen (Teiningas) um die fünf Mansen Amalos, Gerharts, Liuthars, Wolfberts und Nilos, alsdann in Villingen (Filin- gas) um die zwei Mansen von Wito und Heimo, in Nordstetten (Nordstetim) um die Manse Otos und Reginkers, in Pfohren (Forrun) um die Man- se von Pruning und Waning und schließlich in Tannheim (Tanheim) um die Manse des Tuato. Welchen Beitrag zur Lokalgeschichte der aufgeführten Orte können wir diesen Infor- mationen der Kaiserurkunde entnehmen? Im Wesentlichen ermöglichen sie für Villingen, Schwenningen, Tannheim, Pfohren und Hon- dingen die ersten sicheren schriftlichen Nach- richten an sich, während sie für die übrigen Ort- schaften wertvolle zusätzliche Einblicke in die frühmittelalterliche Ortsgeschichte bereithal- ten, so bruchstückhaft sie auch sein mögen. Der König verfügte also in allen genannten Orten jeweils über gewisse Herrschaftsrech- te. Erstmals überhaupt lässt sich somit die Präsenz des Königtums in unserem Raum nachweisen. Für alle diese Siedlungen können wir dem Wortlaut der Urkunde folgend zumindest nach- weisen, dass es in ihnen einzelne Bauernhöfe mit freien Bauern gab, die dem König und den Grafen, ab 817 anstelle der Letztgenannten dem Kloster St. Gallen, Zins schuldeten. Der König verfügte also in allen genannten Orten jeweils über gewisse Herrschaftsrechte. Erst- mals überhaupt lässt sich somit die Präsenz des Königtums in unserem Raum nachweisen. Daraus darf allerdings nicht geradewegs abge- leitet werden, dass die erwähnten Ortschaften mitsamt ihrer Bewohnerschaft in Gänze unmit- telbar dem Königtum unterstanden und diesem abgabepflichtig waren. Ferner ist aufgrund der fünf erwähnten Tuninger Mansen nicht un- mittelbar darauf zu schließen, dass dieser Ort größer gewesen sei als die anderen. Alle Orte bestanden freilich schon vor dem Stichdatum 817. Der durch die kaiserliche Verfügung bewirk- te Eingriff in ihre Binnenstruktur dürfte sich in engen Grenzen gehalten haben. Mit Ausnahme Hondingens und Pfohrens waren die Königszinserorte um die Neckar- quelle gruppiert und bildeten in der Region wohl einen Schwerpunkt königlichen Besitzes. Daneben lässt sich beobachten, dass die neun Königszinserorte an der alten, auf die Römerzeit zurückgehenden Königsstraße Rottweil-Schwen- ningen-Donaueschingen-Schaffhausen gelegen oder zumindest auf diese hin ausgerichtet waren. Klengen wird bereits 765 erwähnt Hauptsächlich dank weiterer St. Galler Urkun- den, die verschiedene Besitzübertragungen an 206 Geschichte

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das Kloster seitens lokaler Grundherren festhal- ten, können wir über die frühmittelalterliche Geschichte fast aller dieser 817 auf Kreisgebiet erwähnten bäuerlichen Siedlungen weitere Aus- sagen treffen. Quantitativ am besten über die Dorfgeschichte in karolingischer Zeit unterrich- tet sind wir im Falle Klengens und Pfohrens. Klengen ist zusätzlich zur Aachener Kaiser- urkunde von 817 mit fünf weiteren urkundlichen Zeugnissen im St. Galler Stiftsarchiv vertreten. Die Ersterwähnung des Ortes stellt dabei die Urkunde eines gewissen Amalbert dar, der dem Thurgauer Konvent schon im Jahre 765 seine Hö- rigen Hattu samt Gattin Pilihilda sowie Cundhar nebst ihren Hofstellen übertragen hatte. Klen- gen selbst war sodann 793 Schauplatz der Über- tragung des gesamten Besitzes des Hiltigaer in Beckhofen und Kirchdorf, welche beide zur Mark Klengen gehörten. Aufgeschrieben wurde dieses Rechtsgeschäft vom Dorfpriester Heriolt. seinem Hofkaplan Ruotbert die königliche, dem fränkischen Reichsheiligen Martin von Tours ge- weihte Kirche Klengens im heutigen Kirchdorf, deren Vorgängerbauten nach neuesten archäo- logischen Forschungen bis in die Merowingerzeit (7. Jh.) zurückreichen (Niklot Krohn), als Eigengut auf Lebenszeit überließ. Ruotbert, dem am Hof zudem die Aufgabe eines custos capellae, eines Hüters des herrscherlichen Reliquienschatzes, zu- teil ward, war bereits im Jahr zuvor in den Besitz der dortigen Pfarrpfründe gelangt. Karls III. Nachfolger König Arnolf (†899) be- stätigte zu Beginn des Jahres 888 Ruotbert die überlassene Martinskirche und erlaubte ihm, die Kirche mitsamt ihren zugehörigen unfreien Leuten und Besitzungen als sogenanntes Seel- gerät zugunsten von Arnolfs Vater König Karl- mann und Arnolfs Onkel Kaiser Karl III. an ein Kloster seiner Wahl zu vergeben. Ruotbert sollte sich später für St. Gallen entscheiden. 821/822 war Abt Gozbert höchstselbst vor Alles in allem darf man annehmen, dass Ort im Brigachtal und verlieh in Gegenwart mehrerer klösterlicher Funktionsträger einem gewissen Hamming und dessen Sohn Puto ge- gen die jährliche Zahlung von zwölf Scheffeln Korn ihre dem Kloster vergebenen Besitzungen zu Pfohren auf Lebenszeit zurück. Aus einer 881 in Pavia nahe Mailand von Karl III. (†888 in Neudingen) ausgestellten Kaiserur- kunde erfahren wir schließlich, dass der Kaiser Klengen im 9. Jahrhundert nicht zuletzt seiner Kirche wegen dem Königtum eng verbunden war und einen zentralen Ort für seine Umge- bung abgab. Die Martinskirche in Klengen gehört zu den ältesten bezeugten Kirchen im heutigen Schwarzwald-Baar- Kreis und geht bis in die Merowingerzeit zurück. XXX 207

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Pfohren war einer der königlichen Zentralorte auf der Baar Das 817 urkundlich erstmals erwähnte Pfoh- ren am oberen Lauf der Donau begegnet uns gar in sechs weiteren Schriftzeugnissen des 9. Jahrhunderts. So in der bereits angeführten, 821/822 erfolgten Rückübertragung der Pfoh- rener Besitzungen Hammings und Putos durch Abt Gozbert von St. Gallen, des Weiteren in den 825, 842, 854 beziehungsweise 887 erfolgten Besitzübertragungen Wicrams, Wolfgers, des Priesters Otulf und einer Ratsind in der Pfohre- ner Mark und im Dorf selbst. In Pfohren verfügte das fränkische König- tum jenseits der 817 erwähnten Königszinser über einen neben der Dorfkirche gelegenen Hof, den der Priester Otulf in drei Stufen sukzessive erwerben konnte, was aus einer Ulmer Königs- urkunde Ludwigs des Deutschen (†876) aus dem Jahr 856 hervorgeht. Pfohren kann demnach wie Klengen als einer der königlichen Zentralor- te auf der Baar betrachtet werden (Thomas H.T. Wieners). Galluspatrozinium in Tuningen Auch für Tuningen liegen drei weitere Zeugnisse aus fränkischer Zeit vor. Dort ließ bereits 797 ein gewisser Trudbert von einem Priester Pertilo eine Urkunde ausstellen, die die Schenkung seines Besitzes in Weigheim und Trossingen an St. Gallen bezeugen sollte. Im schriftkundigen Geistlichen Pertilo haben wir vermutlich den damaligen Tuninger Dorfpfarrer vor uns. Die ehemalige Tuninger Kirche trug übrigens – wie auch die einstige Friedhofskapelle in Tann- heim – ein Galluspatrozinium. Schon im Folgejahr 818 fand Tuningen erneu- te Erwähnung, als ein Cundfred seine dortigen Besitzungen zum Heil seiner und seines Vaters Siegfried Seele an dasselbe Kloster übertrug. Cundfred verpflichtete sich, den Mönchen für die nießbräuchliche Weiternutzung seiner verschenk- ten Güter jährlich zwanzig Scheffel Getreide, einen Frischling und zwei Hühner zukommen zu lassen und zudem drei Tagwerk zu pflügen. Der letzte Beleg Tuningens in karolingischer Zeit handelt von einem am 10. April 870 in Neudingen vereinbarten Tauschgeschäft Abt Grimalds von St. Gallen mit einem gewissen Erf- ker. Dieser übergab auf eigene Bitten hin seinen Besitz in der Tuninger Mark sowie acht Morgen Ackerlandes zur Ablösung des darauf haftenden Zinses an das Kloster, woraufhin Erfker eine in Weigheim gelegene Hofstelle erhielt. Nordstetten – ältester urkundlich erwähnter Ort im Schwarzwald-Baar-Kreis Erstaunlich gut dokumentiert, wenn man ihre gegenwärtige Größe bedenkt, sind in so früher Zeit die beiden heutigen Stadtteile von Villingen-Schwenningen Nordstetten und Wei- lersbach. Besitz in Nordstetten wurde von einer Dame namens Rodsinda an das Galluskloster verschenkt, ihr aber im Gegenzug von dessen Abt-Bischof Johannes gegen einen jährlichen Zins auf Lebenszeit zur Nutzung zurückübertra- gen, worüber sich eine zu 762 datierende Urkun- de erhalten hat. Die einst existierende vorangehende Schen- kungsurkunde Rodsindas ist hingegen verloren gegangen. Nordstetten ist dennoch aufgrund dieses frühen Datums und jüngster Erkenntnisse der St. Galler Urkundenforschung als ältester ur- kundlich erwähnter Ort im Schwarzwald-Baar- Kreis zu betrachten. 764 schenkte ein gewisser Ippo seine gesamten Besitzungen in Nordstet- ten an St. Gallen, ohne sich Zeit seines Lebens nießbräuchliche Rechte vorzubehalten. Gesche- hen ist dieser feierliche Akt in Weilersbach, wo ein Priester mit Namen Elis, wohl in der Kirche des Dorfes, das darüber ausgestellte Schrift- stück anfertigte. Im Falle Schwenningens ist eine solche Dorfkirche für das Ende des 9. Jahrhunderts sicher nachgewiesen. Diese befand sich – neben weiteren Gütern im Ort selbst und in Sunthau- sen – zu Teilen im Besitz eines Adligen namens Kunimunt, bevor Kunimunts Besitzungen 895 von König Arnolf an dessen Kanzler Ernust ge- schenkt wurden. 208 Geschichte

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Hondingen 746 als „Huntingun“ bezeichnet Nicht zuletzt liefert die Kaiserurkunde von 817 für das im Süden des Landkreises bei Blumberg gelegene Hondingen ebenfalls eine erste siche- re urkundliche Ersterwähnung. Ein in der 1979 erschienenen Hondinger Dorfgeschichte von Martin Münzer angeführter Beleg, demzufolge der Ort laut einer handschriftlichen Notiz in einer heute verschollenen Güterliste des Jahres 746 bereits als Huntingun genannt worden sei, erweist sich in der Sache als nicht tragfähig. Hondingen war nichtsdestotrotz schon im 8. Jahrhundert für seine nähere Umgebung nicht ganz unbedeutend, schließlich muss es damals schon eine steinerne Kirche besessen haben. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass das kaiserliche Mandat von 817 interessan- te Aufschlüsse über die damalige Herrschafts- und Verwaltungsstruktur im Raum der Ber- tholdsbaar gestattet: Die Mansen in Hondingen und Klengen lagen demnach im Amtsbezirk des Grafen Frumold, diejenigen in Schwenningen und Weilersbach im Bezirk des Grafen Kara- mann, die Bauernstellen in Tuningen, Villingen, Nordstetten, Pfohren und Tannheim gehörten hingegen dem Sprengel des Grafen Ruachar an. Geographisch waren diese gräflichen Amtsbe- zirke ineinander verzahnt und besaßen, anders als etwa heutige flächenhaft gestaltete Land- kreise, keine geraden Grenzen zueinander. Im Gefolge der durch die kaiserliche Schen- kung bewirkten finanziellen Umwälzungen ist jedoch zu erkennen, dass Ludwig der Fromme auch in der Struktur der Grafschaften unserer Region Änderungen vornahm. Ein Graf Tiso er- wähnt unter anderem 818 für Tuningen, 821/822 für Klengen und 825 für Pfohren, dass dort of- fensichtlich die vormals amtierenden Ruachar durch Frumold abgelöst wurden. Mit jenem Tiso nahm eine bis ins ausgehende 9. Jahrhundert reichende Reihe von Grafen mit stabiler Zustän- digkeit für den Westen der Bertholdsbaar ihren Ausgang (Michael Borgolte), der eine ebensol- che für den nunmehr klar davon geschiedenen Osten der Bertholdsbaar gegenüberstand. Anmerkung: Die besprochene Urkunde befindet sich im Stiftsarchiv St. Gallen unter der Signatur Urk. EE5 E15a. Über die Urkunde und ihren historischen Kontext erschien im vergangenen Jahr ein vom Stadt- archiv Villingen-Schwenningen und dem Alemanni- schen Institut herausgegebener wissenschaftlicher Tagungsband. Nordstetten, der älteste urkundlich erwähnte Ort im Schwarzwald-Baar-Kreis. XXX 209

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Das Friedrichskrankenhaus in Villingen ist saniert Das unter Denkmalschutz stehende alte Krankenhaus von Villingen dient künftig den Zwecken der Kreisverwaltung von Andreas Flöß Das unter Denkmalschutz stehende alte Krankenhaus von Villingen wurde einer neuen Nutzung zugeführt: Der Weitsicht von Kreisverwaltung und Kreistag ist es zu verdanken, dass ein schönes Stück Villinger Geschichte und auch Kreisgeschichte zu neuem Leben erweckt wurde und Haushaltsmittel sinnvoll investiert wurden. Am Anfang der Planung eines neuen Kranken- hauses in Villingen stand eine Inspektion der al- ten Einrichtung durch Obermedizinalrat Hauser vom Innenministerium des Großherzogtums Baden. Villingen besaß um 1900 zwei Kranken- hauseinrichtungen: das Heilig-Geist-Spital in der Rietstraße und das Gutleutehaus etwas außerhalb der Stadt, im Bereich der Bahnlinie, dort, wo sich heute die Caritas mit ihrem Ver- waltungsgebäude und ihrer Einrichtung für psychisch Kranke befindet. Das Gutachten fiel eindeutig aus: Beide Häuser entsprachen nicht mehr den Anforderungen der Medizin, die hygi- enischen Verhältnisse waren katastrophal. Ab- hilfe war nur durch einen Neubau zu schaffen. Besonders schwierig erwies sich die Finan- zierung: Der Plan, ein Kreiskrankenhaus zu er- richten, scheiterte daran, dass die umliegenden Kreisgemeinden nicht bereit waren, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Man entschloss sich daher, ein Haus zu errichten, das in seiner Größe und der Bettenzahl den Bedürfnissen allein der Stadt Villingen entsprach. Der Platz, an dem das Krankenhaus schließ- lich errichtet wurde, war vom Gemeinderat favorisiert worden. Dem Innenministerium wäre es lieber gewesen, der Bau wäre jenseits der Bahn am Bickenberg errichtet worden. Der Haushalt der Stadt war in jener Zeit durch große Unternehmungen in Anspruch genommen, so zum Beispiel durch den Neubau eines Schlacht- hauses, den Ankauf des Gaswerkes und die Er- richtung eines Elektrizitätswerkes. Von der Lage am Bickenberg hätte man eine schöne Übersicht über die Stadt gehabt. Der Bau selbst wäre allerdings auch sehr expo- niert gelegen gewesen und man hätte einen erheblich größeren architektonischen Aufwand treiben müssen, um das Äußere des Gebäudes repräsentativ zu gestalten. Dies wäre mit deut- lichen Mehrkosten verbunden gewesen. In der Zähringer- bzw. Herdstraße war eine einfachere Fassade möglich, ohne die innere Einteilung zu beeinträchtigen, da der Bau in einen bereits bebauten Stadtteil (Südstadt) integriert wer- den konnte. Ebenfalls war die Infrastruktur hinsichtlich Straßen und Kanalnetz vorhanden. Die Mehrkosten am Bickenberg wurden auf 130.000 Mark geschätzt. Um den auch von der staatlichen Aufsichts- behörde als dringend erachteten Neubau nicht weiter hinauszuzögern, beschloss der Gemein- derat, den Bau aus Mitteln des Heilig-Geist-Spi- tals (Spitalfonds) zu bestreiten. 210 Geschichte

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Das 1911 in Betrieb gegangene Friedrichskrankenhaus. „Zwei Betsäle sind überflüssig...“ Nachdem die Baupläne ausgearbeitet waren, wurden diese dem Innenministerium zur Be- gutachtung und Genehmigung vorgelegt. Das Gutachten des Medizinischen Referenten Dr. Hauser führte aus, dass zwei Betsäle, einer für Katholiken und einer für Evangelische, überflüs- sig seien; einer würde genügen. Man solle den freiwerdenden Saal für die Unterbringung von Schwestern nutzen. Gebaut wurden aber doch zwei Andachtsräume. Überhaupt sollten die nach Süden gerichte- ten Zimmer den Patienten vorbehalten bleiben und nicht als Funktionsräume genutzt werden. Eine Irrenzelle im Keller sei zu wenig, hier seien zwei nötig, da es wahrscheinlicher sei, dass ein männlicher Irrer und eine weibliche Irre gleichzeitig einträfen. Bei den Krätze-Kranken (Befall der Haut mit Milben), kämen sowieso nur Männer in Frage, da reiche ein Zimmer, in dem man auch einmal zwei oder drei Patienten unterbringen könne. Bemängelt wurde, dass ein Narkoseeinleitungsraum in der Nähe des Opera- tionsraumes nicht vorgesehen sei. Für die unter dem Dach untergebrachten, ansteckungsfähi- gen Patienten sollte ein besonderer Treppenauf- gang eingerichtet werden. Nach Prüfung des Verwaltungshofes, ob sich die Finanzierung mit dem Stiftungszweck vereinbaren ließe, erfolgte der erste Spatenstich im Januar 1910. An Kosten kamen schließlich 325.000 Mark zusammen, ein Teil des Geldes musste als Darlehen aufgenommen werden. Die veranschlagten Kosten wurden nur wenig überschritten. Nach kurzer Bauzeit wurde das Krankenhaus 1911 in Betrieb genommen. Das Krankenhaus wurde als klarer Ein- spänner gebaut. Dies bedeutet einen Erschlie- ßungsflur, welcher jeweils nur zu einer Seite die Zimmer andient. Hierbei ist zwangsläufig ge- währleistet, dass der Flur eine schöne natürliche Plan des Friedrichskran- kenhauses. Die rote Linie zeigt den Ursprungsbau von 1911, die grüne Linie die Westerweiterung ab 1930 und die orangene Linie die Erweiterung von 1931 mit Operationssaal und katholischer Kapelle. Quelle: Stadtarchiv VS 211 Das Friedrichskrankenhaus in Villingen ist saniert

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Blick in ein Krankenmehrbettzimmer für Frauen. Belichtung und Belüftung erfährt. Neben vielen kleineren Arzt- und Eingriffszimmern befanden sich in den beiden äußeren Wiederkehrgebäu- den jeweils zwei große Mehrbettzimmer mit einer Bettenkapazität für 12 Patienten. Wie bei jedem Krankenhausneubau, auch bei den heutigen, sind die Gebäude sehr bald zu klein und es muss um- und angebaut wer- den. Dieser Aspekt war damals offenbar schon bekannt, denn der Bauplatz wurde nicht zuletzt deshalb in der Südstadt gewählt, da Anbauten ohne Schwierigkeiten möglich waren. Zudem befand sich das Grundstück bereits im Besitz des Spitalfonds, was einen weiteren Grund- stückskauf unnötig machte. Als erste erweiternde Baumaßnahme wurde allerdings kein medizinischer Bau errichtet, son- dern 1915 an der Grenze zur jetzigen Saarland- straße ein Hühner- und Schweinestall. Dieser ergänzte die dem Krankenhaus angegliederte Landwirtschaft mit ihrem dort ebenfalls liegen- den Gemüsegarten. Anfang der Dreißigerjahre, wurde der Westflügel errichtet. In ihm etablier- te sich die Gynäkologie und Geburtshilfe. An den Mittelteil des Krankenhauses wurden 1931 eine große katholische Kapelle sowie einige Funktionsräume, wie ein Operationssaal, an- gebaut. Im Jahre 1935 wurde das Dachgeschoss umgebaut, hier wurden Personalwohnräume eingerichtet. Religiös-künstlerische Ausgestaltung erfolgt durch Waldemar Flaig Im April 1931 erhielt der in Meersburg lebende Villinger Maler Waldemar Flaig von der Stadt Villingen den Auftrag, die neugebaute katholi- sche Kapelle mit vier Nischenfresken und einem Altarfresko auszustatten. Die Einweihung der Kapelle erfolgte Ende Juni des gleichen Jahres. Nach Beendigung der Arbeiten wurde dem Maler von Freunden ein Kuraufenthalt an der Ri- viera ermöglicht. Nach seiner Rückkehr schuf er noch – neben zwei weiteren religiösen Bildern – ein Fresko im evangelischen Andachtsraum des Krankenhauses. Waldemar Flaig verstarb im Krankenhaus Villingen im Frühjahr des folgenden Jahres. Sein Fresko des evangelischen Andachtsraumes ist beschrieben in einem Nachruf auf Waldemar Flaig in der Konstanzer Zeitung vom 23. April 1932. Verfasser ist der Villinger Stadtbaurat Gan- ter. Es heißt dort: „Zwischen Krankenlager und Lehnstuhl entstehen zwei herrliche Christusköp- fe. Ihnen folgt ein Fresko für den evangelischen 212 Geschichte

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Andachtsraum des Villinger Krankenhauses, eine Monumentalgestalt des segnenden Chris- tus. Mit zarten, leichten Tönen beherrscht dieses Bild den intim gehaltenen Raum, ohne ihn durch seine Größe zu erdrücken“. Das Krankenhaus in der Herdstraße war bis 1961 in Betrieb. Man darf annehmen, dass es bis dahin einen evangelischen Andachtsraum ge- geben hat. Befragungen ehemaliger Mitarbeiter des alten Krankenhauses sowie der Nachfolge- institution Hotelfachschule führten nicht zum Auffinden dieses Raumes. Erst durch Einsichtnahme in alte Baupläne des Gebäudes, die im Landratsamt aufbewahrt werden, ließ sich die Frage klären. So existiert von 1930 ein Bauplan, in dem in Sütterlin-Schrift im zweiten Obergeschoss im Anbau an den Mit- teltrakt, gegenüber des Aufzugs, ein Raum von 24 Quadratmetern als evangelischer Andachts- raum bezeichnet wird. Krankenhausbau im Friedengrund und Aufgabe des Gebäudes Wiederum etwa zwanzig Jahre später stellte sich erneut die Frage eines Krankenhausneu- baus, weil die räumlichen Gegebenheiten mit dem Fortschritt der Medizin nicht mehr Schritt hielten. Zunächst war geplant, auf dem Gelände des Friedrichskrankenhauses durch Um- und Neubauten den notwendigen Raum für eine moderne Medizin zu schaffen. Die Verwirkli- chung war zwar vom Stadtrat beschlossen, die Pläne waren allerdings nie sonderlich populär, auch lagen einige Einsprüche von Anliegern vor, die eine Wertminderung ihrer Häuser und Grundstücke fürchteten. So setzte eine neuerliche Diskussion ein, vielleicht angeregt von Presseartikeln, z.B. des Schwarzwälder Boten vom 13. Oktober 1955. Dieser titelte: „Warum bauen sie eigentlich kein neues Krankenhaus?“ Schluss endlich wurde bekanntlich im Friedengrund ein neues Krankenhaus errichtet, das 1961 in Betrieb ging und 2014 aufgegeben wurde. Gegenwärtig Blick in die katholische Krankenhauskapelle, 1931 aus- gestaltet durch Waldemar Flaig. XXX 213

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Luftbild des heutigen Gesundheitsamtes – im Ensemble mit den Zubauten der Hotelfachschule. wird dieses Areal nach Inbetriebnahme des Schwarzwald-Baar Klinikums im Zentralbereich zwischen Villingen und Schwenningen für Wohnzwecke überbaut. 1999 wurde das Alte Krankenhaus, nicht zuletzt wegen der Fresken Waldemar Flaigs, unter Denkmalschutz gestellt. Das Landesdenk- malamt schreibt u.a.: „Mit seiner dem Barock verpflichteten Architekturauffassung ist das Gebäude ein charakteristisches Dokument für die Baukunst vor dem Ersten Weltkrieg. Als für die damalige Zeit vergleichsweise großes Kran- kenhaus ist das Gebäude zudem ein Zeugnis für den wirtschaftlichen Aufschwung Villingens am Anfang des 20. Jahrhunderts.“ Neue Räumlichkeiten für den Landkreis Das dem Schwarzwald-Baar-Kreis gehörende Gebäude der Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe, intern Haus 1 genannt, wurde bis 2011 in den Obergeschossen und im Dachgeschoss als Internatsgebäude genutzt. Da die Internatsräume nicht mehr den Standards und heutigen Anforderungen entsprachen, und auch wegen rückläufiger Schülerzahlen, wurde seitens der Verwaltung damals entschieden, das Haus 1 nicht mehr zu belegen, weil für die Internatsschüler in den Häusern 2-4 ausreichend Zimmer zur Verfügung stehen. Im Erdgeschoss des früheren Friedrichskran- kenhauses sind die Internatsverwaltung, Gäste- zimmer, ein Pub und die Mensa untergebracht. Die Mensaküche liegt im Untergeschoss, ebenso Technik-, Lager- und sonstige Versorgungsräu- me. Die Räume im Haus 1 in den Obergeschos- sen und in einem Teilbereich des Erdgeschosses wurden somit nicht mehr für die Internatsnut- zung benötigt und standen größtenteils leer. Die Kreisverwaltung entschied sich, das Gebäu- de einer Büronutzung zuzuführen und umzu- bauen bzw. zu sanieren. Es bot sich eine Nutzung der Räumlichkeiten durch das Gesundheitsamt an, welches bis dato in der Schwenninger Straße 2 zur Miete unter- gebracht war, ebenso für die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (BEKJ), die Interdisziplinäre Frühförderstelle (IFF), den Früh- förderverbund (FFV) sowie den Bereich Frühe Hilfen, die bisher im Kreisverwaltungsgebäude, Am Hoptbühl 5/7 untergebracht waren. Der von den Ämtern benötigte zusätzliche Raumbedarf, konnte im Haus 1 abgedeckt werden. 214 Geschichte

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Im rechten Gebäudeteil des Erdgeschosses liegen nun Büroräume für das Gesundheitsamt und ein großer Besprechungsraum, der von al- len im Haus 1 ansässigen Ämtern genutzt wird. Das komplette erste Obergeschoss wird vom Gesundheitsamt belegt. Es sind hier Büroräume, Untersuchungszimmer, das Zahnlabor und ein kleiner Besprechungsraum untergebracht. Im zweiten Obergeschoss haben die Ämter BEKJ, IFF, FFV und Frühe Hilfen ihre Räume. Besonder- heiten in den Raumanforderungen bestehen hier darin, dass es sich nicht um klassische Verwaltungseinheiten handelt, sondern um Be- reiche, in denen auch therapeutische Angebote vorgehalten werden. Dies hatte Auswirkungen auf die einzuplanenden Sonderflächen, da hier entsprechende Therapieräume und Räume für spezielle Therapieformen, wie z.B. Spieltherapie, erforderlich wurden. In den beiden äußeren Wiederkehrgebäuden des ehemaligen Kranken- hauses, die als große Krankenzimmer genutzt wurden, konnten großzügige Therapieräume geschaffen werden. Das Dachgeschoss dient nun als Lagerfläche mit Abstellräumen. Behutsam und mit Weitblick saniert Eine Erschließung des Gebäudes und der Ämter, erfolgt über die Herdstraße. Dieser Hauptzu- gang des ehemaligen Krankenhauses konnte aus Denkmalschutzgründen nicht behinderten- gerecht umgebaut werden. Ein barrierefreier Zugang zum Gebäude ist über die Rampe und den Eingang auf der Südseite gewährleistet. Für die innere vertikale barrierefreie Erschlie- ßung wurde ein Personenaufzug im Bereich des historischen Haupttreppenhauses eingebaut. Die vorhandenen Aluminiumfenster wurden im ersten und zweiten Obergeschoss komplett ersetzt. Im Erdgeschoss wurden an der komplet- ten Südfassade und im Bereich des umgebauten Gebäudeflügels an der Ostseite die Fenster er- setzt. Die Teilung der Fenster orientierte sich an der historischen Fensterteilung. Die historischen Türelemente im Bestands- bau von 1908 bestehen aus einer gezapften Holz-Rahmentür mit eingeblatteten Füllungen, wobei die oberen kleinen Füllungen verglast sind, das Glas jedoch überstrichen wurden. In den Flurbereichen wurden die alten vor- handenen Strohmattendecken mit ihren Run- dungen im Übergangsbereich zur Wand überall sichtbar gelassen. Die neue Akustikdecke wurde als freihängendes Segel zwischen die Wände platziert. Auch bei den Türbögen, teilweise noch mit historischer Verglasung, wurde darauf geachtet, dass die Deckensegel ausreichend Abstand zu den angrenzenden Wänden haben, damit der Bogen deutlich wahrnehmbar bleibt. In der abgehängten Decke wurden die Leuchten und die Sicherheitstechnik integriert. Weiterhin hat sich hierdurch die Raumakustik der Flure deutlich verbessert. Im Windfang am Haupteingangsbereich sind die historischen Fliesen noch vorhanden. Die Fliesenkeramik hat während der letzten 100 Jahre nicht an Glanz verloren. In den Treppenhäusern wurden die Böden und Geländer erhalten. Das Treppenhaus kenn- zeichnet sich durch fein gearbeitete Granit- stufenblöcke und ein geschmiedetes Treppenge- länder mit aufgesetztem Holzhandlauf in Eiche. In den neuen Büroräumen sind die Decken mit abgehängten und demontierbaren Elemen- ten ausgestattet, damit eine Nachrüstung der Technik problemlos erfolgen kann. Gleichzeitig wurde hiermit gewährleistet, dass die Raum- akustik deutlich verbessert werden konnte. Die Böden in den Räumen für das Gesund- heitsamt im Erdgeschoss und ersten Oberge- schoss sind in einem frischen Grün gehalten. Im zweiten Obergeschoss sind die Räume mit einem hellen freundlichen Gelb gestaltet. Die Flure passen sich den Brandschutzelementen im Flur an und wurden in Anthrazittönen verlegt. Auf ein Verwenden zu viel unterschiedlicher Materialien wurde bewusst verzichtet, um die vielfältigen Bau- und Stilelemente des Ur- sprungsgebäudes besser wirken zu lassen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Baumaßnahme mit einem Kostenbudget von 3,2 Mio. Euro abgewickelt werden konnte. Dies entspricht bei 2.200 Quadratmetern umgebau- ter Nutzfläche einer Einsparung gegenüber ei- nem vergleichbaren Neubau von 2,5 Mio. Euro. Das Friedrichskrankenhaus in Villingen ist saniert 215

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Auf dem Weg vom Korn zum Brot ist eine Mühle die wichtigste Station, denn hier findet die Metamorphose von Getreide zu Mehl statt. Mühlen sind seit Menschengedenken unverzichtbar für das tägliche Brot und tauchen mit ihrer archaischen Symbolik in Märchen, Sprichwörtern und auch in der Bibel auf. „Man soll nicht Mühle noch Mahlstein pfänden, denn wer das tut, pfändet das Leben“, mahnt Mose im Alten Testament. Früher gab es in jedem Bauerndorf mindestens eine Mühle, denn das Getreide wurde mit Pferdefuhrwerken transpor- tiert und darum durfte die Entfernung zwischen Hof und Mühle nicht allzu weit sein. Der Antrieb der Mahlwerke variierte je nach natürlichem Potenzial einer Gegend: Im flachen Norden Deutschlands waren Windmühlen angesagt, im bergigen Süden mit genügend Gefälle lieferte und liefert Wasserkraft die nötige Energie. Auch der Schwarzwald-Baar-Kreis ist entlang von Flüssen und Bächen mit Mühlen gesäumt. Die meisten sind stillgelegt und zweckentfremdet, manche machten eine museale Karriere. Eine zog deshalb sogar in den Nachbarlandkreis Tuttlingen um: Vor rund 30 Jahren wurde die Hausmühle vom Hochbronner Hof in St. Geor- gen-Peterzell abgetragen und im Freilichtmu- seum Neuhausen ob Eck wieder aufgebaut. Mit den folgenden Portraits stellt der Almanach exemplarisch vier unterschiedliche, funktions- tüchtige Getreidemühlen im Kreisgebiet vor: Die Kutmühle in Villingen, die sich mit integrierter Bäckerei zu einem mittelständischen Betrieb entwickelt hat. Weiter die Mühllehen-Mühle in Buchenberg, die Getreidemühle Götz und die historische Untere Mühle in Burgberg. Und – das Wandern ist bekanntlich des Müllers Lust – sie können alle auf dem Mühlenwanderweg anschaulich erkundet werden. 219

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„Liebet das Brot, den Hort des Hauses Achtet das Brot, den Lohn der Arbeit Ehret das Brot, den Segen der Scholle Vergeudet nicht das Brot, den Reichtum des Volkes.“ Diese Worte stehen in alter Schrift auf einem hölzernen Wandbild im Stammsitz der Kutmüh- le an der Mühlenstraße in Villingen. Die 600 Jahre alte Mühle versprüht noch heute einen historischen Charme, der von einer geschichts- reichen Vergangenheit zeugt. Sie wird in fünfter und sechster Generation von Berthold Riegger und seinen Söhnen Matthias und Christian geleitet, die mit der Ausbildung zum Müller, Bäckermeister sowie Betriebswirt ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben. Berthold Riegger übernahm den Betrieb sei- nerseits ebenfalls vom Vater. Bei dem standen zwischen 15 und 20 Menschen in Lohn und Brot, mittlerweile ist die Belegschaft auf 175 Beschäf- tigte angewachsen – „ganz allmählich“, sagt Berthold Riegger. „Viele Betriebe wurden still- gelegt, weil sich die Märkte verändert haben“, fasst er den Jahrzehnte währenden Struktur- wandel in der Müllerei zusammen. Eine Anpas- sung an neue Marktstrukturen und Bedürfnisse war für die Kutmühle notwendig. Basis für die Geschäftstätigkeit ist nach wie vor die Partnerschaft mit Landwirten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis und seiner Pe- ripherie. Zudem wurde vor bereits 90 Jahren die hauseigene Bäckerei ein Standbein. 1925 wurde auf dem Villinger Münsterplatz die erste Zweigstelle eröffnet, 1983 die erste auswärtige in Donaueschingen. Inzwischen unterhält die Kutmühle 16 Filialen zwischen Schwarzwald und Bodensee, in denen ein umfangreiches Brotsortiment sowie feine Kuchen und Torten angeboten werden. „Wir sind bekannt für unseren sorgsamen Umgang mit Getreide. Bei allen unseren Roh- stoffen ist Qualität das oberste Gebot“, betonen die Brüder. Insbesondere Dinkel- und Einkorn- backwaren erfreuen sich wachsender Beliebtheit, weshalb dieses Segment im Sortiment vergrößert wurde. „Wir sind keine Handelsmühle, sondern vollziehen unter einem Dach Schritt für Schritt den Weg vom Korn zum Brot“, fasst Christian Riegger das Geschäftskonzept zusammen. Es basiert auf dem Brückenschlag zwischen Tradition und Innovation. Mit ihrer fast 600-jäh- rigen Geschichte ist die Kutmühle eine der ältes- ten Getreidemühlen Deutschlands, der leben- dige Bezug zu den mittelalterlichen Wurzeln ist auch der jungen Generation wichtig. „Die hand- werkliche Herstellung ist geblieben“, konstatiert Christian Riegger. „In dieser Beziehung wollen wir uns nicht verändern, da sind wir bewusst altmodisch.“ Kutmühle 1438 erstmals urkundlich erwähnt Anno 1438 wurde die Kutmühle erstmals ur- kundlich erwähnt. In jenem Jahr vermachte eine Lucia von Tannheim dem damaligen Kloster St. Clara (später das Bickenkloster, dann St. Ur- sula-Kloster) die Eschinger Mühle, so hieß sie damals. Dieser Name taucht auch bereits 1363 in einem Güterverzeichnis des Klosters Tennen- bach auf. Im Mittelalter waren Müller meist Le- hensnehmer einer klösterlichen oder adligen Grundherrschaft, hatten aber alle Rechte eines Vollbürgers. Sie durften nur Getreide von bäu- erlichen Untertanen ihrer Grundherren vermah- len, was ihnen allerdings konstante Einkünfte sicherte. Trotz des Mühlenzwangs entstanden im Schwarzwald viele kleine bäuerliche Haus- mühlen, die das romantische Bild von der klap- pernden Mühle am rauschenden Bach prägten. „Wir sind keine Handelsmühle, sondern vollziehen unter einem Dach Schritt für Schritt den Weg vom Korn zum Brot.“ Christian Riegger 220 Auf den Spuren der Getreidemühlen

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und auch das Mühlenareal mehrfach über- schwemmte. Die Gefahr wurde erst durch die Begradigung der Brigach zum Ende des 19. Jahr- hunderts gebannt. 1982 erweiterte Bäcker- und Müllermeister Berthold Riegger den Betrieb um eine moder- ne Getreideerfassung und baute den weithin sichtbaren Siloturm, der zum architektoni- schen Wahrzeichen der Kutmühle werden sollte. Obwohl die Mahlwerke nicht mehr mit Wasserkraft, sondern mit elektrischer Energie betrieben werden, hat das alte Mühlenrad nicht ausgedient. Es ist mit dem östlichen Seitenkanal der Brigach verbunden, an die Stromversorgung der Mühle gekoppelt und somit ein lebendiges Symbol für die Symbiose zwischen Tradition und Fortschritt im ehrbaren Müllerhandwerk geworden. „Wissenschaftlich auf dem neuesten Stand“ In technologischer Hinsicht, bei Logistik und Qualitätskontrolle hingegen, hat sich immens viel getan. Letztere beginnt gleich nach der Anlieferung der Rohstoffe. Nach einer ersten Reinigung wird von jeder Partie ein verplomb- tes Rückstellmuster entnommen und bis zur nächsten Ernte gelagert. Im hauseigenen Labor wird das Getreide auf seine Zusammensetzung und Backfähigkeit überprüft. Hierüber geben unter anderem Eiweißstrukturen und Stärkean- teil Auskunft. „Wir verfügen über hochwertige Messgeräte, die wissenschaftlich auf dem neu- esten Stand sind“, erklärt der junge Bäckermeis- ter und Betriebswirt. Außerdem arbeitet die Kutmühle mit einem auswärtigen Labor zusam- men, um die Bewertung der gesamten Rohstof- fe doppelt abzusichern. „Wir entscheiden dann, ob die Qualität gut genug ist.“ Eine feuchte Witterung insbesondere wäh- rend der letzten Reifephase und der Ernte ist meist beeinträchtigend. „Das Korn keimt am Halm“, sagt Berthold Riegger, der sich während der letzten Jahrzehnte einen großen Erfah- rungsschatz aneignete. Wenn das angelieferte Getreide zu feucht ist, wird es in einer hochwer- tigen Trocknungsanlage auf 14 Prozent Feuch- Alljährlich wiederkehrende Hochwasser setzten der Kutmühle arg zu – erst die Begradigung der Brigach zum Ende des 19. Jahrhunderts löste das Problem. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Kutmüh- le fast vollständig zerstört, so dass der Betrieb einige Jahre stillstand, allmählich neu aufge- baut wurde und sich erst ab dem Jahr 1651 die Mühlräder wieder drehten. Anno 1760 übernahm der Müller Anton Kuth die Regie über die Mühle, die seither nach ihm benannt ist. Anton Kuth war Erblehensnehmer des Villinger Klarissenklosters. Erst im 19. Jahrhundert wurden die hörigen Bauern vom Mühlenbann befreit, so dass sich Gewerbefreiheit und Wettbewerb entwickeln konnten. Xaver Riegger kauft die Kutmühle Am 21. März 1844 kaufte der Villinger Ochsen- wirt Xaver Riegger, der einer angesehenen Müller-Familie entstammte, die Kutmühle. Er überließ die Mühle seinem Bruder Karl, der den Lehensbrief unterschrieb. 1871 übergab Karl Riegger die Kutmühle an seinen Sohn Peregrin, der den Betrieb mit Hilfe seines Sohnes Karl weiter ausbaute. In jenen Jahren machte die vagabundieren- de Brigach den Müllern schwer zu schaffen. Be- sonders nach der winterlichen Schneeschmelze staute sie sich unkontrolliert und bildete diverse Nebenarme, deren Wasser über die Ufer trat 222 Auf den Spuren der Getreidemühlen

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Die Kutmühle steht für Qualität von Grund auf: Von der Getreideerfassung über die Vermahlung bis hin zur Brot herstellung – die traditionell in Handarbeit erfolgt. Dass beim Mahlen des Getreides kein degeneriertes Korn oder gar ein Mutterkorn in den Produktionsprozess gelangt, garantiert modernste Technik wie der Farbaus- leser (unten rechts), der das Getreide fotografisch sortiert. tigkeit herunter getrocknet und bei kühlen acht Grad gelagert. „Wir haben viel in moderne Getreideaufbereitung und -lagerung investiert“. Zum Equipment gehört auch eine Maschine, die jedes Getreidekorn fotografiert, analysiert und diejenigen Körner aussortiert, die nicht der er- wünschten Farbe, Beschaffenheit und Qualität entsprechen. „Krankes Korn ist ausgeschlossen“ „So ist garantiert ausgeschlossen, dass ein Mutterkorn oder überhaupt ein degeneriertes, krankes Korn in den Produktionskreislauf gelan- gen kann“, erklärt Berthold Riegger. „Der Kunde erhält ein transparentes und qualitativ hoch- wertiges Produkt und hat in der Kutmühle-Ver- käuferin eine kompetente Beraterin, die über jedes Detail Auskunft geben kann“. Herstellung und Verarbeitung von Getreide zu Mehl und Brot sei ein sensibler Prozess, der immer auf Basis neuer Erkenntnisse und Trends behutsam gesteuert werde. „Wir reagieren auf sich ändernde Bedürfnisse immer wieder mit neuen Rezepturen, an denen wir lange tüfteln.“ 25 bis 35 Jahre Betriebszugehörigkeit sind keine Seltenheit in der Kutmühle, mit der sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen identifi- zieren, selbst Ideen beisteuern und den Wandel mitgestalten. Fast rund um die Uhr ist Betrieb im zentralen Produktionsstandort in Villingen. Nachts arbeiten hier rund 25 Bäcker und Kondi- toren, damit die Filialen am frühen Morgen mit frischem, duftendem Brot, Weckle, Kuchen und Torten beliefert werden können. Das Wissen um den Rohstoff Getreide, echte Handarbeit und gleichbleibend hohe Qualität sind Werte, an denen in der Kutmühle auch wei- ter festgehalten wird. Die Villinger Kutmühle 223

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Die Götz-Mühle – „Aus der Region für die Region“ Mit ihren 211 Jahren ist die Getreidemühle Götz in Königsfeld-Burgberg die jüngste Mühle im Mühlenquartett dieser Almanach-Ausgabe. Gleichwohl ist auch ihre Tradition beeindru- ckend lang, zumal sie von der Familie Götz begründet, konsequent von den Nachkommen fortgeführt wurde und bis heute weiterentwi- ckelt wird. Die kleine Mühle führt Karl-Heinz Götz, während sein Bruder Hans Martin die Re- gie über die Landwirtschaft hat. Beide Erwerbs- zweige sind freilich eng miteinander verknüpft. „Wir arbeiten Hand in Hand, jeder hilft jedem“; sagt denn auch Sandra Götz, Ehefrau von Karl- Heinz. Neben ihren Pflichten als Hausfrau und dreifache Mutter macht sie sich nützlich, wo sie gebraucht wird. Zum Beispiel im Mühlenladen, dessen Alleinstellungsmerkmal die von ihrem Ehemann kreierten Backmischungen sind. Das gemeinsame Credo formuliert Hans Martin Götz: „Aus der Region, für die Region.“ Das Handwerk beim Vater gelernt Er ist Müller- und Landwirtschaftsmeister, sein Bruder Karl-Heinz Müller, beide haben ihre Be- rufe bei Vater Karl gelernt. Der starb vor sieben Jahren, ein Jahr später Mutter Hildegard, seither teilt sich das Trio die komplexen Aufgaben. Der 15-jährige Niklas packt schon ebenfalls tüchtig zu, während seine jüngeren Brüder Jacob (6) und Karl (3) überall herumwuseln und spiele- risch in die Welt von Mühle und Landwirtschaft hineinwachsen. „So sind wir auch groß gewor- den, so ist es gut“, konstatiert Karl-Heinz Götz zufrieden. Er vermahlt unter anderem den Weizen und Roggen, den sein Bruder gesät und geerntet hat, außerdem baut Hans Martin Futtergetreide für die 45 Milchkühe und deren Nachzucht an. Ein Großprojekt war vor sechs Jahren der Bau eines neuen Laufstalls für das Höhenfleckvieh. „Man muss immer wieder investieren und sich den Zeiten anpassen“, kommentiert er den finanzi- ellen und organisatorischen Kraftakt. Der erfah- rene Landwirtschaftsmeister ist der wichtigste Mittelsmann zu den bäuerlichen Mühlelieferan- ten, mit denen die Familie Götz meist schon seit Jahrzehnten vertrauensvoll kooperiert. Die Be- triebe sind nicht weiter als maximal zehn Kilo- meter entfernt. Die räumliche Nähe erleichtert die Kontakte: „Ich kann mir das Getreide schon auf dem Feld anschauen und mich mit den Kol- legen abstimmen. Sie sind unsere wichtigsten Partner, denn sie liefern die Rohstoffe.“ Die Bauern sind zugleich wichtige Kunden, auf deren Bedürfnisse sich die Getreidemühle Auch ein Sägewerk gab es Am verlängerten Wasserkanal oberhalb der Mühle stand früher einmal ein Sägewerk, das ebenfalls mit Wasserkraft betrieben wurde; deshalb wird die Götz-Mühle auch Sägmühle genannt. Die Säge ist wahr- scheinlich abgebrannt, wofür verkohlte Balken sprechen, dokumentiert ist die Geschichte nicht. Wohl aber die der Ge- treidemühle, die 1805 als Teil eines großen Komplexes entstand. Die Familie Götz bau- te damals ein stattliches Eindachgebäude, in dem sich außer der Mühle der Wohn- trakt und der landwirtschaftliche Bereich mit zwei Stallungen befanden. Das heutige Mühlengebäude wurde 1937 neben das historische Gebäude gebaut. 1974 wurde der Viehstall auf den hinteren Bereich des Areals ausgesiedelt. 2001 baute die Familie Götz ein neues Wohnhaus an die Stelle des alten Wohn- und Ökonomiegebäudes, das abgerissen wurde. 224 Auf den Spuren der Getreidemühlen

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Sie sind ein gutes Team: Sandra Götz mit den kleinen Söhnen Jacob und Karl, Hans Martin Götz (hinten), Karl- Heinz und Niklas Götz (von links). Götz eingestellt hat. Sie handelt mit Pflanzen- schutzmitteln und Saatgut, verfügt zudem über die gesamte Futtermittelpalette für Klein- und Großtiere. Wenn die Landwirte Weizen, Dinkel und Roggen gebracht haben, fahren sie meist nicht mit leerem Hänger heim, sondern decken sich vielleicht mit fertig gemischtem Hühnerfut- ter ein, Müslimischungen für Pensionspferde, Zuckerwasser für hungrige Bienen. „Wir haben sogar Futter für Fische“, deutet Sandra Götz die Vielfalt in diesem Segment an, das denn auch ein größeres Einzugsgebiet hat. „Die Leute kommen aus dem gesamten Schwarzwald-Baar- Kreis, manche sogar aus Rottweil.“ Karl-Heinz Götz hat mehr als 50 Brot- und Kuchenmischungen selbst kreiert Die Backmischungen von Karl-Heinz Götz lo- cken ebenfalls Kunden aus größerem Radius an. Mehr als 50 Brot- und Kuchenmischungen hat er durch ständiges Ausprobieren und Verbes- sern kreiert. „Das ist mein Steckenpferd“, sagt er. Schon als Kind sei er Mutter Hildegard in der Küche gern zur Hand gegangen und habe viel von ihr gelernt. Jetzt verwöhnt er die eigene Familie mit selbst gebackenem Brot, Hefezopf, Torten. „Er backt jede Woche für uns alle“, sagt Sandra stolz. Sie überlässt ihrem Mann dazu gern die Küche und unterstützt im Gegenzug ihren Schwager etwa beim Melken und Füt- tern der Kühe. Sie ist in Tennenbronn geboren, stammt selbst aus einer kleinen Landwirtschaft, Großvater Friedrich Weisser war Mühlenbauer. „Es ist eine Fügung des Schicksals, dass ich hier gelandet bin.“ Die Kunden können sich im Mühlenladen natürlich mit allen erdenklichen Mehlsorten eindecken, außerdem gibt es Backzutaten wie Sonnenblumen- und Kürbiskerne, Leinsamen, Sesam und dergleichen. Diverse Müsli-Varian- ten, Nudeln und süße Naschereien runden das Sortiment ab. Das Gros des Umsatzes macht die Familie mit dem Mühlenladen; nur einen kleinen Teil des Mehls fährt sie direkt zu Bäckereien in der Nachbarschaft. „Mehr würden wir schon zeit- lich nicht schaffen“, erklärt Karl-Heinz Götz die Gewichtung der Betriebszweige. Sein Bruder ergänzt: „Wir müssen viel schaffen und uns an- strengen, aber es langt und wir sind zufrieden.“ Die Götz-Mühle 225

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Müller sein: Davon träumte Jürgen Fichter schon als kleiner Bub. Der Landwirtssohn aus Königsfeld- Buchenberg wurde ein versierter Zimmerermeis ter – doch seinen Kindheitstraum verlor er nie aus den Augen. Dessen Verwirklichung gelang mit gewaltigem finanziellem Aufwand und handwerk lichem Einsatz der gesamten Familie: Jürgen und Martina Fichter sowie ihre Söhne erweckten in bislang siebenjähriger Arbeit die im Jahr 1429 (!) erstmals erwähnte Untere Mühle, auch Haller-Mühle genannt, in Königsfeld-Burgberg aus ihrem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf. XXX Die Untere Mühle Die Mühle selbst ist über 600 Jahre alt, die „aktuelle“ Technik stammt aus der Zeit um 1920. Hier stehen Martina und Jürgen Fichter beim Walzen- stuhl, der die erste Vermahlung des Korns ausführt. 227

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Der Zustand der Mühle nach dem Kauf im Jahr 2007 ist unvorstellbar – alles ist im Zerfall begriffen. Jürgen Fichter holt sich die Hilfe eines erfahrenen Mühlen- technikers und wird selbst zum Fachmann. Auch das neue Mühlrad baut der erfahrene Zimmermann selbst. Rechts: Blick auf die im Jahr 1429 erstmals erwähnte Untere Mühle, im Vordergrund der Mühlenkanal. Die märchenhafte Geschichte von der Wieder- belebung einer totgesagten Gebäudepersön- lichkeit beginnt 2007, da Jürgen Fichter die her- untergekommene, längst nicht mehr funktions- tüchtige Mühle bei einer Zwangsversteigerung erwarb. Heute dreht sich das selbstgebaute Wasserrad im neuen Mühlenkanal wieder, die denkmalgeschützte Untere Mühle ist ein archi- tektonisches Kleinod, lebendiges Museum und neues Wahrzeichen für Burgberg geworden. Sieben Jahre dauerte es, bis die Museumsmühle wieder voll funktionstüchtig war Bis es soweit war, sollten sieben lange Jahre ver- streichen, während der nicht nur Jürgen Fichter jede freie Minute, viel Energie, Know-how und Herzblut in die Sanierung des maroden Kom- plexes steckte, sondern auch seine Familie, die er längst mit seiner Leidenschaft angesteckt hatte. Jürgen Fichter ist Inhaber einer weithin angesehenen Zimmerei mit sieben Mitarbeitern in Buchenberg – zudem Spezialist für die Sa- nierung historischer Gebäude. Die Söhne Axel, Sven und Rony bewährten sich bei dem Projekt als handwerkliche Allrounder, Ehefrau Martina als kreatives Multitalent. Sie verwöhnt Besucher beispielsweise beim jährlichen Mühlenwander- tag an Pfingsten mit frischem Bauernbrot, das sie im renovierten Backhäusle backt, hat einen zauberhaften Garten angelegt und sich zur pas- sionierten Hobby-Imkerin entwickelt. Die Instandsetzung der inzwischen voll funktionstüchtigen Mühle ist gelungen, aber 228 Auf den Spuren der Getreidemühlen

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Links: Auch den Winter über wurde an der Sanierung der Mühle gearbeitet. Rechts: Andreas und Axel Fichter sowie Mathias Müller auf der von ihnen neu gestalteten Brücke über den Mühlenkanal. keineswegs abgeschlossen, versichert der lei- denschaftliche Hobby-Müller zufrieden. „Ich wer- de hier wohl mein Leben lang zu tun haben.“ Schon von außen ist die rund 600 Jahre alte Mühle ein Schmuckstück und entspricht mit klapperndem Mühlrad am rauschenden Bach fast klischeehaft dem romantischen Vorstellungsidyll. Sie ist denn auch eine Museumsmühle, die nicht gewerblich betrieben wird, sondern der authen- tischen Veranschaulichung vergangener Lebens- und Arbeitswelten dient. Das mächtige, seit 1429 dokumentierte Gebäude, schmiegt sich an einen Hang, der als Rückgrat fungiert, die Gliederung der fünf Stockwerke und die Terrassierung des Außengeländes vorgibt. Ein Rundgang durch das historische An- wesen gleicht einer Zeitreise, die im ebenerdi- gen Keller beginnt. Die Fichters haben ihn als gemütlichen Aufenthaltsraum gestaltet, mit modernem Equipment und historischem Mobi- liar ausgestattet und vermieten ihn für private Festivitäten – die Gäste sind zuverlässig von der heimelig-geheimnisvollen Atmosphäre begeis- tert. Die Sanierung des über 600 Jahre alten Gebäudes war ein Kraftakt An den holzvertäfelten Wänden lehnen alte Siebe und Arbeitsgeräte, die Decke wird von dicken, vertrauenswürdigen Balken getragen, die in Richtung Fenster seltsam nach oben ge- wölbt sind. „Da war früher der Pferdestall, die Dellen sollten verhindern, dass sich die Rösser die Köpfe anschlagen“, erklärt der Hausherr. Zu den Exponaten, wie alte Säcke und Gerätschaf- ten in den weiteren Stockwerken, gehört ein Mahlbuch, das Auskunft über die Lieferungen der früheren Lohnmühle Haller gibt. Der letzte Eintrag stammt von 1972 – von da an standen die Mühlräder still. Auch in dem verschachtelten Labyrinth hier oben deutet nichts darauf hin, welchen Kraftakt sich Jürgen Fichter und seiner Familie zugemu- tet hatte, um seinen Lebenstraum zu verwirkli- chen. Der Start gestaltete sich als das Gegenteil. „Ein Alptraum hoch zehn“ sei die Entrümpelung gewesen. 300 Kubikmeter Schutt und Müll mussten weggeräumt werden, bevor im Mai 2008 mit der eigentlichen Sanierung begonnen werden konnte. Die bestand zunächst nur aus statischen Si- cherungsarbeiten, denn überall drohten Balken und Böden einzustürzen. Beim Austausch von Gebälk und der Stabilisierung von Unterkonst- ruktionen war der Zimmerermeister so recht in seinem Element – ohne seine berufliche Qualifi- kation, seinen Erfahrungsschatz und handwerk- lichen Ehrgeiz wäre das Wagnis nicht geglückt. Allein das Dach hat eine Fläche von nahezu 1.000 Quadratmetern! Die Fichters haben es, wo immer möglich, unter Bewahrung der histori- schen Substanz saniert. 230 Auf den Spuren der Getreidemühlen

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So funktioniert die Untere Mühle Auf Informationstafeln werden die Besucher der Unteren Mühle mit den Arbeitsgängen vertraut gemacht, die es braucht, um aus Korn feines Mehl zu mahlen. Gläserne Proben ver- schiedener Getreidearten veranschaulichen die Verwandlung zu Schrot, Flocken und Mehl. Im Gerbgang (Foto rechts oben) werden die Dinkelkörner vom harten Spelz befreit. Dazu werden sie zwischen zwei gegenläufigen, porösen Quarzsteinen (beide stammen aus Frankreich) sanft angerieben, so dass sich die Spreu löst, aber das Korn nicht beschädigt wird. Der Trieur ist ein rotierender Zylinder, in dem rundliche Wildkrautsamen von den läng- lichen Getreidekörnern getrennt und ausge- schieden werden. Dann wird das Getreide im Aspirateur mit Luftstrom gereinigt, um anschließend in der Schälmaschine von seiner holzigen Schale be- freit zu werden. Endlich ist es bereit für den Walzenstuhl, wo es von zwei gegenläufigen, geriffelten Walzen zermahlen und im Plansichter mit seinen 24 Sieben gesiebt wird. In vier Vermah- lungen entstehen unterschiedliche Produkte: Schrot, Grieß (grobes Mehl), Dunst (ein Zwi- schenprodukt aus Grieß und Mehl, laut Fich- ter ideal für Spätzle geeignet) und schließlich das noch feinere Mehl. Je länger es gemahlen wird, desto dunkler wird es, denn desto höher sind die Schalenanteile. Mehl vom Typ 450 ist ein helles Mehl, vom Typ 1050 ein dunkles. Rechts oben der Gerbgang. Auch seine Mahlsteine werden allein durch die Wasserkraft, sprich das Mühlrad angetrieben. Mit Holzzähnen besetzte Räder übertragen die Kraft (rechts Mitte). Der Plan- sichter beinhaltet 24 Siebe und hängt trotz seines enormen Gewichtes einzig an Bambus rohren (rechts unten). Die Untere Mühle 231

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transportiert, das sind senkrechte Holzrohre mit jeweils 30 bis 40 kleinen Holzbechern, die der puristische Handwerker ebenso präzise nachgearbeitet hat wie die 120 Holzzähne aus Weißbuchenholz, die er in das Originalmühlrad „eingekämmt“ hat. Im kommenden Jahr will der Mühlenenthu- siast ein zweites Wasserrad nach historischem Vorbild bauen, das dann als Hauptantrieb für die Gesamtmühle fungieren soll. Damit die Wasserkraft ausreicht, um dem Rad zu behä- bigem Schwung zu verhelfen, plant Fichter ein Stauwehr mit einer Fallhöhe von rund 40 Zen- timetern an jener Stelle, wo Glas- und Hühner- bach zusammentreffen, bevor der Mühlenkanal abzweigt. Auch diese Investition finanziert er aus eigener Kraft, ebenso die vom Gemeinderat geforderte Rampe für Fische und weitere Was- serbewohner. Mit Hilfe der Unterwassertreppe sollen sie nicht nur mit dem Strom schwimmen können, sondern auch dagegen und zurück in ihre Lebensbereiche gelangen. Ihr Mühlenglück teilt die Familie Fichter gern mit Gästen, die in der Mühle feiern oder bei Führungen deren faszinierende Funktions- weise erleben. Auch das romantische Garten- paradies samt Backhaus ist für Besucher offen, etwa für Wanderer, die das Gelände auf dem neuen Premiumwanderweg erreichen, den der Schwarzwaldverein angelegt und in diesem Kontext auch die Brücke über den Mühlenkanal neu gestaltet hat. Martina und Jürgen Fichter haben sich in Burgberg unter nur schwer vorstellbaren Mühen einen Lebenstraum erfüllt. In der historischen Mühle von Martina und Jürgen Fichter ist noch fast alles so wie zur Zeit der Still- legung in den 1970er-Jahren. Am oberen Ende der Treppe zum Gerbgang liegt das Mühlenbuch aus – so, als sei es gerade eben geschlossen worden. Auch die Werkbank des Müllers verströmt die Patina vergange- ner Tage. Mächtig ist die Mechanik, auch sie befindet sich im Originalzustand. Unten: feines Mehlsieb und Förderband des Elevators. Alt und neu: Die Zähne des Mühlrades und anderer Räder der Anlage bestehen aus Buchenholz. Das Holz dämpft – so hält sich die Lärmkulisse im Innern der Mühle im Rahmen. Jürgen Fichter hat sie originalge- treu nachgebaut. Im Einklang mit den Vorgaben der staatli- chen Denkmalschützer und gemäß dem eige- nen Anspruch orientierte sich Jürgen Fichter in jedem Detail am Original, verwendete mög- lichst nur historisches Material und verarbeitete es mit traditionellen Techniken. Fast zärtlich streicht Jürgen Fichter über einen hölzernen Türriegel, den er aus altem Fichtenholz gefertigt hat. Er hat die alten Bundsandsteine ebenso wieder verwendet wie die rund 70 Jahre alten Fichtenbalken, die er zuvor in der Trockenkam- mer bei 60 Grad auf eine weitere lange Zukunft vorbereitete: „Da ist garantiert kein Holzwurm mehr drin.“ Eine seit Jahrhunderten perfekt ausgeklügelte Technik Regelrecht verbiestert hat sich der ambitio- nierte Hobby-Müller in die historische Mühlen- technik, die sich kaum verändert habe. „Es ist phantastisch, wie perfekt ausgeklügelt die Tech- nik seit Jahrhunderten ist.“ Fichter wälzte Bü- cher und studierte Baupläne; vor allem eroberte er sich all die kompliziert aussehenden Maschi- nen in den verwinkelten Räumlichkeiten, indem er sie auseinander- und wieder zusammenbau- te. Wenn sie in Betrieb sind, rattert und knattert es aus allen Ecken und Richtungen, denn über alle Stockwerke verteilt drehen sich gleichzeitig Räder und laufen Bänder, überall wird gemah- len, geschüttelt und gesiebt. Zu seinen diversen Stationen wird das Mahlgut mit „Elevatoren“ 232 Auf den Spuren der Getreidemühlen

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Mühllehen-Mühle – Erwin Ettwein ist ein Müller aus Leidenschaft Erwin Ettwein ist ständig auf Trab. Treppauf, treppab überwacht er die vielen Maschinen auf unterschiedlichen Ebenen, füllt Mehl für einen erwarteten Kunden ab, schleppt schwere Säcke von A nach B. „Müller ist ein sehr vielsei- tiger, anspruchsvoller Beruf“, sagt er in einer Verschnaufpause. Für ihn ist es der schönste und einzig denkbare Beruf, mit dem er in die Fußstapfen seiner Vorfahren trat und den er als Berufung versteht. Der Endvierziger ist hier in der Mühllehen-Mühle im Glasbachtal auf Bu- chenberger Gemarkung geboren. Bevor er 1982 in den elterlichen Betrieb einstieg, erlernte er das Müllerhandwerk in der Villinger Kutmühle. 1989 qualifizierte er sich zum Meister, 1991 übertrug ihm Vater Wilhelm die Verantwortung. Wie er mahlt auch Erwin Ettwein ausschließlich Getreide von Landwirten der Region, in seiner Regie wurden zudem biolo- gisch angebauter Dinkel und weiteres Getreide von Bioland- und Demeter betrieben ein Schwer- punkt. Zweites existenzielles Standbein neben der Mühle ist der schmucke Mühlenladen, den Ehefrau Esther betreut. Außer Mehlen und Pro- 234 dukten aus Mehl offeriert sie ein kleines, feines Naturkost-Sortiment. Das poetische Plätschern der Mühlräder ge- hört nicht zu Erwin Ettweins akustischen Kind- heitserinnerungen, wohl aber das rhythmische Reiben der Mahlwerke, die bereits sein Vater auf elektrischen Betrieb umgestellt hat. Früher war die Mühle mit einer kleinen Landwirtschaft kombiniert, die 1966 ausgesiedelt wurde. Sie wird im Nebenerwerb von Erwins jüngerem Bru- der Gebhard betrieben, der sich hauptberuflich für das Schreinerhandwerk entschied. Mit ihren fast 600 Jahren ist die Mühllehen- Mühle eine der ältesten Mühlen im Kreisgebiet und eine der wenigen, die trotz enger Verwurze- lung in der Tradition den Sprung in die moderne Zeit geschafft hat. Im Spagat zwischen ange- stammtem Berufsethos, ökologischen Überzeu- gungen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten haben die Ettweins in der Direktvermarktung ihre Nische gefunden. „In der Backwaren-Indus- trie herrscht ein enormer Preisdruck. Da kann ein kleiner Müller nicht mithalten. Unser Kon- zept basiert darauf, dass wir die Rohstoffe ohne Umwege vom Erzeuger erhalten und unsere Produkte ebenfalls ohne Umwege an den Endver- braucher abgeben.“ Vor zehn Jahren wurde die Mühle nach den Richtlinien von Bioland zertifiziert: Die Mühllehen-Mühle der Familie Ettwein in Buchen- berg existiert seit rund 600 Jahren. Auf den Spuren der Getreidemühlen

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Erwin Ettwein ist Müller aus Leidenschaft – für ihn ist es der schönste und einzig denkbare Beruf. „Ich bin absolut gegen Gentechnik“, gibt der Müllermeister als wichtigsten Hintergrund an. Er verarbeitet dennoch mit gutem Gewissen auch konventionell angebautes Getreide, das gesondert gelagert und mit gleicher Achtung behandelt wird. „Es kann genauso gut sein wie eines mit Bio-Zertifikat“, betont der erfahrene Getreide-Experte. „Wichtig ist mir der regionale Bezug und der direkte Draht zum Erzeuger.“ Ihm gefällt die Vorstellung, ein uraltes Handwerk auszuüben und wie sein Vater und Großvater Müller im Mühllehen zu sein. „Die lange Vergangenheit und die Tradition bedeuten mir viel.“ Obwohl der Weg vom Korn zum Mehl prinzipiell gleich geblieben ist, haben sich Techniken Der Mühlstein der alten Mühl- lehen-Mühle schmückt heute die Hauswand. Die Mühllehen-Mühle und Logistik vor allem im letzten Jahrhundert grundlegend geändert. Früher waren Landwirte die einzigen Ge- schäftspartner des Müllers. Sie brachten Ge- treide und holten Mehl ab. 1970 baute Ettweins Vater das erste Silo zur Lagerung von Getreide, das er aufkaufte und mit dem Mehl Bäckereien belieferte. Außerdem wurden Kleinpackungen abgefüllt und an Privatkunden verkauft. Heute stellt die Mühllehen-Mühle fast 20 Mehlsor- ten für die verschiedenen Verwendungen her und versorgt damit rund 15 Bäckereien. Unter denen ist eine ganz besondere: die Hildegard-Abtei in Rüdesheim, die ihrerseits die Mühllehen-Mühle mit Hildegard-Plätzchen aus Dinkelmehl versorgt. Schon Hildegard von Bingen, früh- mittelalterliche Gründerin des Frauenklosters, pries die ge- sundheitsförderliche Wirkung von Dinkel. Auch diese Vorstel- 235

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lung gefällt Erwin Ettwein, der seinerseits einen „kleinen Narren“ an dem Urgetreide gefressen hat. Deutlicher Trend zu Dinkel Seit 20 Jahren mahlt er Dinkel, den robusten, aber ertragsärmeren Vorfahren des modernen Weizen. In der jüngeren Vergangenheit sei ein deutlicher Trend zum Dinkel erkennbar, vor allem weil er bekömmlicher sei und auch von Menschen mit empfindlichem Magen vertragen werde. Ettwein mahlt ausschließlich reinen Dinkel, keine Kreuzungen. Franckenkorn, Roter Tiroler und Oberkulmer Rotkorn heißen die reinen Dinkel-Sorten. Er bezieht das Urgetreide von bäuerlichen Betrieben aus der Nachbar- schaft. Wie Dinkel ist auch Emmer ein Ur-Korn, das seit Jahrhunderten kultiviert wird, aber vom Weizen mit seiner quantitativen Überlegenheit fast verdrängt wurde. Der Untermühlbachhof in Peterzell baut das bescheidene „Zweikorn“ auf kleiner Fläche an und lässt es von Erwin Ettwein mahlen, bevor es zu schwäbischer Pasta ganz eigener Art verwandelt wird. „Ich würd’s auch gern mal mit Einkorn probieren“, deutet der Müllermeister seine Experimentierfreude und Lust an alten Getreidesorten an. „Du musst ständig modernisieren und am Ball bleiben“, fasst Erwin Ettwein die existen- 236 ziellen Herausforderungen zusammen. 2016 bewältigte die Mühllehen-Mühle ein bauliches Großprojekt: die Erweiterung des Lagers. Kniff- liges Problem bei der Planung war die beengte Lage der Mühle im Tal unmittelbar neben dem Glasbach und in der Kurve einer engen Straße. Durch den Anbau an das Alt-Gebäude wurden die Lagerkapazitäten für Mehle, Backmischun- gen und weitere Produkte erweitert. Außerdem entstand mehr Parkfläche, wodurch die Anliefe- rung erleichtert wurde. Esther Ettwein führt das Ladengeschäft Eng an seiner Seite und unverzichtbar im Fami- lienbetrieb ist Ehefrau Esther, die sich um Büro und Laden kümmert, die hauseigenen Müslis mischt, Einzelhändler der Region beliefert - und „natürlich“ verantwortlich für Haushalt und Erziehung der drei Kinder ist. Maximilian (17), Anna (14) und Lorenz (7) wachsen so selbstver- ständlich mit und in der Mühle auf wie Erwin Ettwein und vor ihm Ahnen und Ur-ur-ur- Ahnen, die seit 1934 Ettwein heißen. Damals übernahm Müllermeister Christian Ettwein die Mühle von Schwiegervater Schuler, dessen Familie - wiederum durch Heirat - seit 1756 im Glasbachtal eine von ehedem sieben Mühlen betrieb. Zwei überstanden den Wettbewerb der Industrialisierung, neben der Mühllehen-Mühle auf Buchenberger Gemarkung die Getreidemühle Götz am Ta- lende in Burgberg. „Ich würde mich schon freuen, wenn eines unserer Kinder weitermachen würde“, bekennt sich Erwin Ettwein ein weiteres Mal zur Familientradition, doch zu- gleich schränkt er seine Erwar- tungen ein: „Sie sollen sich frei entscheiden.“ Zur Mühllehen-Mühle gehört auch ein Ladengeschäft, für das Esther Ettwein zuständig ist und in dem die eigenen Produkte vermarktet werden. Auf den Spuren der Getreidemühlen

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Wo Hüfinger Geschichte und Kunst lebendig bleiben Stadtmuseum feiert das 25-jährige Jubiläum – Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der Hüfinger Künstlerkreis von Hermann Sumser Der Verfasser erinnert sich, wie schon in seiner Kindheit, als jüngster Spross der Arztfamilie von Dr. Sumser, in der Wohnung und Praxis über dem Rathaus die Amtsstuben der Rathäusler mit einigen Bildern behängt waren, die heute zum Teil in der ständigen Ausstellung hängen oder im Archiv fein säuberlich aufbewahrt wer- den. Oben im Speicher des Rathauses befanden sich Kisten mit Rathaus-Archivalien, mit Bün- deln von Akten, Brotmarken usw. Später, in den 1960er-Jahren, als seine Schwester Eva von Lintig mit ihrem Mann Dr. Harm von Lintig die Sumser‘sche Arztpraxis weiterführte, entdeckte sie im oberen Speicher ei- ne schwarze Truhe, übersät mit Taubenkot. Zum Vorschein kamen Zeichnungen von Lucian Reich d. J. aus seinem Nachlass. Die schwarze Truhe mit ihrem überraschenden Inhalt ließ sie nicht mehr ruhen, bis sie im Jahre 1975 mit ihren Mitstreitern Rektor Erwin Mayer, Kuno Fritschi, Isolde Weiden- bach und anderen in Hüfingen eine Kunstausstel- lung in der Festhalle eröffnen konnte. Unter Einbeziehung von zahlreichen Leihga- ben aus dem Fürstlich Fürstenbergischen Archiv Donaueschingen unter dem Archivar Georg Goerlipp wurde zum ersten Mal das verfügbare Werk einer Gruppe von Hüfinger Künstlern der Öffentlichkeit präsentiert, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Teil in Hüfingen selbst, in Baden-Baden, Karlsruhe, Rastatt und andern- orts entstanden war. Damals erwachte im Kreis der Ausstellungsmacher der Wunsch, die Werke dauerhaft in einem Hüfinger Museum zu prä- sentieren. Das Hüfinger Stadtmuseum. Auf Anraten von Erwin Mayer und Rolf Schmid gründete Eva von Lintig in den frühen 1980er-Jahren mit ihren Mitstreitern einen Mu- seums-Förderkreis durch die Einbeziehung von Lukas Riedlinger, Kurt Kneusslin, Emil Preiser, Peter Albert sowie Architekt Hermann Sumser. Nach der Wunschvorstellung des Förderkreises sollte das „Alte Rathaus“ zum Museum werden. Aber der rührige Bürgermeister Max Gilly hatte das „Baum‘sche Haus“ schon ausgespäht. Bei der Entscheidung über den Architekten-Auf- trag überzeugte er den Gemeinderat in seiner legendären Art, den Bruder der Vorsitzenden, Hermann Sumser, mit der Planung und Baulei- tung zu betrauen. Auf diese Weise könnten die 8. Kapitel – Kunstgeschichte 237

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Vor dem Hüfinger Stadtmodell v.l.: Vorsitzender Förderkreis Stadtmuseum Joachim Seidel, Architekt Hermann Sumser, Vorstandsmitglieder Günter Fohmann, Dr. Ralf Breuninger, Birgit Lutz, Geschäftsführer Peter Müller, Ehrenvorsitzende und Initiatorin Eva von Lintig sowie Kuratorin Ariane Faller-Budasz. beiden direkt „mitenand striitä und mir – der Gemeinderat – hond iiseri Ruäh“. Zur Museumskonzeption Mit dem Vertreter der Museumsberatungsstelle in Tübingen wurden die Schwerpunkt für das künftige Museum festgelegt. Angesichts der beeindruckenden Fülle von Exponaten aus dem Kreis der Künstlergruppe des 19. Jahrhunderts sind in Hüfingen Werke von folgenden Künst- lern ausgestellt: Zeichner und Schriftsteller Lucian Reich, Bildhauer Franz Xaver Reich, Zeichner und Lithograph Johann Nepomuk Heinemann, Maler Rudolf Gleichauf, Zeichner und Bibelillustrator Josef Heinemann. Weiter gewürdigt werden deren Väter und Förderer: Lehrer, Künstler und Kleinunternehmer Lucian Reich d. Ä., Kammersänger und Gründer des renommierten Cäcilienvereins in Frankfurt Jo- hann Nepomuk Schelble sowie der Maler und Direktor der königlichen Gemäldegalerie in Stuttgart Johann Baptist von Seele. Sie sind alle- samt in Hüfingen aufgewachsen. Barbara Wintermantel legte im Auftrag der Museumsberatungsstelle ein Werksverzeichnis an, Tina und Roland Straub übernahmen kom- petent die graphische Ausgestaltung, Susanne Huber-Wintermantel und Bernhard Winter- mantel die Konzeption der ersten Sonderaus- stellung zum Thema „Sinnbilder eines Kleides“. Ein mehrtägiger Aufenthalt des Architekten in Frankfurt am Main in der dortigen neu entwi- ckelten Museumsmeile – im Jüdischen Museum, im Museum für Moderne Kunst, im Postmuse- um – förderte seine Kenntnisse über zeitgemäße Einrichtungen und Ausstellungstechniken, öffne- te den Blick für vielfältige architektonische und museumsdidaktische Möglichkeiten. Aber auch für das vorhandene Potenzial, das in diesem al- ten Haus als verborgener Schatz zu heben war. Die Grundkonzeption war relativ schnell ge- funden. Im Erdgeschoss konzipierte der Architekt neben Kasse, Sanitärräumen und Garderobe die Einrichtung von Museumsshop und Vortrags- 238 Kunstgeschichte

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raum als wichtige Elemente eines lebendigen Museums, das Museumsarchiv und im ummau- erten Höfchen die Gestaltung eines bepflanzten Aufenthaltsbereiches im Freien. Im Vortrags- raum wurden beispielhaft die früheren Epochen dieser alten Stadt demonstriert: in drei Vitrinen die bronzezeitliche, die provinzialrömische, die alemannische und in einer mannshohen Nische die mittelalterliche Phase. Im ersten Obergeschoss findet sich die Dau- erausstellung der Exponate der Künstlergruppe und ihrer Vorläufer und Förderer. Die Ausstel- lungsräume wurden im vornehmeren Charakter der im 18. Jahrhundert eingerichteten Fürstlich Fürstenbergischen Amtskanzlei ausgeführt: mit Naturholzböden, weiß lackierten Lamperien und Türen, mit Stuckdecken und Vouten im Übergang der Wandflächen an die Decken. Die Wandflächen der Ausstellungsräume wurden als Erkennungsmerkmal in unterschiedlichen Farben getüncht, die Diele in weiß und ge- gliedert durch jeweils zwei Holzsäulen mit vergoldeten und hinterleuchteten Kapitellen. Ein begehbares Archiv im nachtdunklen Raum der Romantik, bestückt mit fotografischen Dar- stellungen externer Werke, komplettiert diese Ausstellungszone. Im zweiten Obergeschoss wurden Ausstel- lungsräume für die Wechselausstellungen eines lebendigen Museums konzipiert, wobei alle Räume im etwas nüchternen Stil der Phase 1900 gehalten wurden. Dort dominieren zeitgemäße Ausbauten für die Beleuchtung und Objektsi- cherung die Räumlichkeiten, die für Wechsel- ausstellungsbereiche unerlässlich sind. Einige der Mitglieder im Förderkreis konnten den Tag der Eröffnung des Museums nicht mehr erleben, der in einem Festakt in der nahen Festhalle gefeiert wurde. Zahlreiche Ehrengäste aus den Nachbarstädten, Landrat Dr. Rainer Gutknecht, der südbadische Regierungspräsi- dent Conrad Schroeder u.a. waren präsent, als Prof. Friedemann Maurer seine Eröffnungsrede hielt. Im Jahre 1995 wurde das Museumsgebäu- de von der Architektenkammer Baden-Würt- temberg prämiert. Resümee Das kleine, überschaubare Hüfinger Stadtmu- seum mit seiner Dauerausstellung zur Hüfinger Künstlergruppe und seinen vielen Sonderaus- stellungen zur Geschichte der Stadt, zu Werken der Künstlergruppe bis hin zu Werken der mo- dernen lokalen Kunstszene, anfangs unter der Kuratorin Gabriele Brugger, seit 2006 unter der Kuratorin Ariane Faller-Budasz, begeistert die Besucher immer wieder durch seine überschau- baren Ausstellungen in der wohnlichen Atmos- phäre des Ackerbürgerhauses. Das Museum blickt auf eine lange und leben- dige Ausstellungstätigkeit zurück, betreut von vielen aktiven ehrenamtlichen Vereinsmitglie- dern unter dem Vorsitz von Eva von Lintig. Finanziell un- terstützt und getragen wird es von der Stadt Hüfingen und ihrem für das Museum engagierten ehemaligen Bürgermeister Anton Knapp. Seit zwei Jahren hat das Museum in Joachim Sei- del einen rührigen Nachfol- ger gefunden mit Organisa- tionstalent und besonderen technischen Kenntnissen, die für die Ausrichtung von zeitgemäßen Sonderaus- stellungen unerlässlich sind. 239 Blick in die Diele im ersten Obergeschoss zum bleiverglasten Nordfenster. Stadtmuseum Hüfingen

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Weggefährten Das Schaffen der Künstler Lucian Reich und Johann Nepomuk Heinemann wird im Stadtmuseum facettenreich gewürdigt von Ariane Faller-Budasz Lucian Reich d. J. nach einer Fotografie seines Freun- des und Schwagers Johann Nepomuk Heinemann. Johann Nepomuk Heinemann, Selbstbildnis, Farblithographie, undatiert. Das Ausstellungsjahr 2017 ist für das Stadtmu- seum für Kunst und Geschichte Hüfingen ein ganz besonderes: Nicht nur das Museum selbst feiert sein 25-jähriges Jubiläum, sondern es jährt sich auch der Geburtstag zweier bedeu- tender Mitglieder des Hüfinger Künstlerkreises aus dem 19. Jahrhundert zum 200. Mal: von Lucian Reich und Johann Nepomuk Heinemann. Die künstlerische Arbeit von Lucian Reich dem Jüngeren, geboren am 26. Februar 1817, verstorben am 2. Juli 1900, und Johann Nepomuk Heinemann, geboren am 30. Mai 1817, verstor- ben am 22. Februar 1902, bildet die wesentliche Basis der umfangreichen Sammlung der Stadt und des Stadtmuseums Hüfingen, dessen För- derkreis es sich seit der Eröffnung im Jahr 1992 zur Aufgabe gemacht hat, die Werke des Künst- lerkreises zu sammeln und die Erinnerung an dessen Schaffen lebendig zu halten. Auf den Spuren der Förderer Johann Baptist von Seele (1774 - 1814, Stuttgarter Hofmaler), Johann Nepomuk Schelble (1789 - 1837, Hofsän- ger), sowie Lucian Reich des Älteren (1787 - 1866, Oberlehrer und Leiter der von ihm gegründeten Mal- und Zeichenschule), entwickelte sich die junge Künstlergeneration, bestehend aus Reichs Söhnen Lucian und Franz Xaver (1815 - 1881, Bild- hauer), den Brüdern Johann Nepomuk und Josef Heinemann (1825 - 1901, Maler und Zeichner) sowie Rudolf Gleichauf (1826 - 1896, Maler) und später Karl von Schneider (1847 - 1923, Zeichner und Lithograf). 240 Kunstgeschichte

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Blick in die Dauerausstellung zu Lucian Reich d. J. und Johann Nepomuk Heinemann im 1. OG Im Museum ist dem Künstlerkreis eine Dauerausstellung mit repräsentativen Werken gewidmet, und in unregelmäßigen Abstän- den werden Sonderausstellungen thematisch verdichteter Schaffensbeispiele der Mitglieder gezeigt. Anlässlich der Jubiläen Lucian Reichs d. J. und Johann Nepomuk Heinemanns wurde die Ausstellung „Weggefährten“ konzipiert, die vom 27. Januar bis zum 30. April 2017 sowohl die gemeinsamen Projekte der Freunde und Kolle- gen als auch deren grundsätzliche bildnerische Verwandtschaften und Gegensätze beleuchtet. Lucian Reich Lucian Reich entwickelte bereits früh – als Schüler der heimischen Malschule, der in den 1830er-Jahren, die Malklasse des Städelschen Instituts in Frankfurt am Main besuchte – das, was man gemeinhin einen „guten Blick“ nennt: die Konzentration auf wesentliche formale Ele- mente der beobachteten Dinge und Menschen sowie die Fähigkeit, sich von der Atmosphäre des Augenblicks leiten zu lassen und sie in Bildeindrücke zu übersetzen. Im Gegensatz zu den von ihm ausgeführten Auftragsarbeiten, beispielsweise stringent komponierten und technisch akkurat vollendeten Portraits und Kirchengemälden, arbeitete Reich bei der Um- setzung von Themen aus der Baar und dem Schwarzwald ungewöhnlich frei. Seine Zeichnungen sind charakterisiert durch einen stürmischen, manchmal geradezu außerordentlich wilden Strich von einer Lo- ckerheit, wie sie von nachfolgenden Künstler- generationen oft angestrebt werden sollte. Im ländlichen zeichnerischen Dasein des 19. Jahr- hunderts ist diese Lockerheit jedoch durchaus als mutig zu bezeichnen. Mit Entschiedenheit meint man auch heute noch Lucian Reichs Fe- dern und Stifte über das – nicht immer sauber weiße und glatt beschnittene – Papier huschen zu sehen, wenn man seinen Zeichnungen ge- genübertritt. Jeder Strich war zweifellos dazu auserkoren zu sitzen und tat er das ausnahms- weise einmal nicht, wurde nichts verschleiert, sondern offen korrigiert – auf der ehrlichen Su- che nach der richtigen Form. Teils komplett, gar perfektionistisch durch- gearbeitet, präsentieren sich Reichs zeichne- rische und malerische Werke häufig auch roh, 242 Kunstgeschichte

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Lucian Reich d. J., Bauernhaus im Schwarzwald, Öl auf Karton, undatiert. fragmentarisch und offen für das Auge des Betrachters, oft in kleinem, die Schlichtheit und Intimität der einfachen, realistisch und unge- schönt aus dem Leben gegriffenen Sujets und Szenerien unterstreichendem Format. Die in den Zeichnungen angelegte Dynamik der dra- matischen, kontrastreichen Schraffuren findet in den lebhaften, deutlich sichtbaren Pinsel- spuren, die die Gegenständlichkeit von Reichs Gemälden manches Mal zu Gunsten reiner Ma- lerei auflösen, ihre Entsprechung. Innerhalb der gemeinsamen Arbeit mit sei- nem langjährigen Freund und Schwager Johann Nepomuk Heinemann fungierte Lucian Reich der Jüngere, der viele Jahre als Zeichenlehrer am Rastatter Lyzeum arbeitete und dem 1897 das Ritterkreuz des großherzoglich-badischen Zäh- ringerlöwenordens verliehen wurde, häufig als Ideengeber. Auch die konsequente Einarbeitung literarischer Komponenten, wie beispielsweise in den Büchern „Hieronymus – Lebensbilder aus der Baar und dem Schwarzwalde“, „Wander- blühten aus dem Gedenkbuche eines Malers“ oder „Die Insel Mainau und der Badische Bo- densee“ lässt sich auf ihn zurückführen. Ent- warf und zeichnete Reich die Vorlagen für die Publikationen, ebenso wie für die zahlreichen gemeinsamen Schwarzwälder Uhrenschilder, so leistete Heinemann auf seinen künstlerischen Gebieten, unter anderem als Lithograf der Blät- ter, ebenso Beachtliches. Johann Nepomuk Heinemann Johann Nepomuk Heinemann, der zunächst eine Lehre als Uhrenschildmaler in Neustadt und in späteren Jahren eine Ausbildung zum Li- Weggefährten 243

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Lithografiestein von Johann Nepomuk Heinemann thografen in Donaueschingen absolvierte, war ein technisch außerordentlich versierter Künstler, dem das Handwerk als Basis all seines Schaffens am Herzen lag, was nicht zuletzt durch seine Arbeit in der Werkstatt des bekannten Lithografen Franz Seraph Hanfstaengl wäh- rend Heinemanns Studienaufenthaltes in den 1840er-Jahren in München belegt wird. Weit weniger als Lucian Reich ging es ihm – dem spä- terem Besitzer einer eigenen Lithografiewerk- statt in Hüfingen – um Idee und Experiment, sondern um eine gelungene Umsetzung und ein stimmiges Ergebnis, das damalige Potenzial der Lithografie als essentielles Medium zur Verviel- fältigung nutzend. Doch auch die Möglichkeiten anderer, verhältnismäßig neuer künstlerischer und ge- stalterischer Techniken machte sich Johann Nepomuk Heinemann aufgeschlossen zu eigen und riskierte es durchaus, seine bewährten Schwerpunkte zu verlagern: Als „Pionier der Fo- tografie“ bezeichnet, arbeitete er als einer der ersten professio- nellen Fotografen Deutschlands ab den 1860er-Jahren in seinem eigenen Studio in Hüfingen. Zuneh- mend mehr Beliebtheit und Anse- hen gewinnend, schuf er neben obligatorischen Portraitfoto- grafien, beispielsweise der Mit- glieder des Donaueschinger Fürs- tenhauses, und Lichtbildern seiner Künstlerkollegen mit besonderem Augenmerk Trachtenportraits und Familienbildnisse; aufwändig insze- Stuhl, entworfen und geschnitzt von Johann Nepomuk Heinemann um 1890. 244 nierte Kompositionen in für seine Zeit charakteristisch arrangierten Staffagen aus bestickten Dra- perien, verzierten Tischen, Stühlen und Schemeln, auf die Kinder keck und zugleich mit ernster Miene arrangiert wurden, fokus- siert im Ornamentreigen. In den späten Jahren des 19. Jahrhunderts widmete sich Heinemann in besonderem Maße der Schnitzkunst; es entstanden unter anderem zahlreiche diffizil strukturierte Stuhllehnen, die die unverhohlene Leidenschaft des Künstlers für das Ornament ein weiteres Mal ans Licht brachten. Johann Nepomuk Heinemann verlieh durch seine Bearbeitung zunächst banalen Nutzgegenständen Persönlichkeit und machte sie zu Individuen, die durch ihre Funktionalität als Teil des menschlichen Alltags profitierten. Auch im Stadtmuseum Hüfingen bieten die gut erhaltenen, stabilen Exemplare der von Heine- mann geschaffenen Stühle den Besuchern ganz im Sinne des Künstlers die Möglichkeit, für eini- ge Momente innezuhalten. Die Arbeiten von Lucian Reich und Johann Nepomuk Heinemann ermöglichen unmit- telbare Einblicke in die Vergangenheit – das Leben auf der Baar und im Schwarzwald des 19. Jahrhunderts – aber auch in das Künstler- leben der damaligen Zeit: den schöpferischen Aufbruch zu neuen Ufern, räumlich und tech- nisch ebenso wie inhaltlich und ideell. Doch wie ihre Werke als Zeitdokumente zu lesen sind, repräsentieren Reich und Heinemann die Synergie einer funktionie- renden Künstlergemein- schaft, wie sie auch heute noch Kunstschaffenden, die sich nicht in erster Linie als „Einzelkämpfer“ verstehen, fruchtbaren Dialog, tief- gründige Recherche und ineinandergreifenden Fortschritt zu bieten vermag. Kunstgeschichte

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Das Handy-Foto, ein Standbild aus einem Film, ist zwar technisch nicht perfekt, aber dass hier am 8. Mai 2016 kurz vor 17 Uhr ein Wolf gefilmt sprich, fotografiert wurde, ist zweifelsfrei auszumachen. Seither wurde im Landkreis kei- ne weitere Wolfssichtung mehr bekannt. Die groß aufgemachten Zeitungsbe- richte über den im Mai auf der Baar gesichteten Wolf sind von der Bevöl- kerung erstaunlich gelassen aufge- nommen worden. Kaum, dass er es noch in die Leserbriefspalten geschafft hat. Sollte die aus- gesucht wohlwollende, ja freudige Begrüßung des mutmaßlich aus der Schweiz zugewander- ten Neuankömmlings den Lesern die Sprache verschlagen haben, wie sie in den Statements der Verbands- und Behördenvertreter, der Ab- geordneten und des für den ländlichen Raum zuständigen Stuttgarter Ministers angeklungen ist? Von Urängsten, Panik, gar von Hysterie je- denfalls keine Spur! Nicht einmal die einstwei- lige Schließung der Waldkindergärten wurde gefordert. Nur die Skepsis der befragten Schaf- halter war unüberhörbar. Doch deren Anliegen habe der Minister fest im Blick, wie Peter Hauk, Minister für Ländlichen Raum und Verbraucher- schutz, in seiner Pressemitteilung versicherte: Das Land fördere Herdenschutz-Projekte, „mit dem Ziel, eine Koexistenz von Wolf und Nutztie- ren zu ermöglichen“. Der „Schwarzwälder Bote“ berichtet über die Begegnung auf der Baar genau: „Ein Rad- fahrer stutzt, hält inne: Ein wolfs ähnliches Tier steht plötzlich in Nähe des Radweges. Der Mann greift zum Handy und filmt. Er meldet seine Be- obachtung der Polizei. Die Forstliche Versuchs- anstalt in Freiburg und das Landratsamt werden informiert. Am gleichen Tag sehen noch zwei Autofahrer ein solches Tier und fotografieren es. Es ist der 8. Mai.“ Es ist nicht klar, ob es sich um das gleiche Tier gehandelt hat, das die Autofahrer gesehen haben. Jedenfalls wurden wolfs ähnliche Tiere oder sogar ein und dasselbe Tier am 8. Mai im Bereich Bad Dürrheim, Donau eschingen und Hüfingen gesehen. Danach nicht mehr. Die Beobachtungen sind unterschiedlich: Einmal wirkte das Tier normal, einmal hatte es einen staksigen Gang, der eventuell von einer Verlet- zung herrührte. Nur eines zeigt sich bald: Das fotografierte „wolfsähnliche Tier“ war tatsäch- lich ein Wolf. Anno 1805: Begeisterung über toten Wolf Soweit die Zeitungsberichte – zurück in die Ver- gangenheit: Anno 1805, beim Auftauchen des vorletzten Wolfs auf der Baar, war die Begrü- ßung noch ganz anders ausgefallen. Nachdem er zuvor ein weiteres Mal in einen Schafspferch eingedrungen war, wurde der Räuber im De- zemberschnee in den Immendinger Bergen gestellt und sodann „unter Aufgebot einer dicht 248 Natur und Umwelt

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ge, Wolfsgarten usw.), stationäre Fangeinrich- tungen zur Verfügung: beköderte Fallen, ge- mauerte Wolfsgruben oder speziell eingezäunte Wolfsgärten, die letzteren sogar mit beheizba- rem Wächterhäuschen. Die Unkosten der Wolfsjagd wurden je zur Hälfte vom fürstlichen Rentamt und aus der sogenannten „Kontributionskasse“ bestritten, in welche die Gemeinden Beiträge zur Bekämp- fung der „Wolfsplage“ einzuzahlen hatten. Dies ungeachtet der Tatsache, dass es weniger die Viehverluste der zur Jagdfron verpflichteten Untertanen waren, die die Herrschaft zur Be- kämpfung, ja, zur Ausrottung allen Raubwilds Nach langer Pause tauchte im März 1805 nochmals ein Wolf auf, der in der Nähe des Fischerhofs einen Hund und ein Schaf riß. Er konnte zunächst nicht ding- fest gemacht wer- den, erst der Winter konnte seine Erlegung bringen. Stephani, K.: Geschichte der Jagd in den schwäbischen Gebieten der fürstenbergi- schen Standesherrschaft, Donaueschingen 1938 motivierten, als vielmehr die Beu- tekonkurrenz zwischen Raubtier und Nutzwildjägern und deren geschmälertem Jagdvergnügen. Weil wieder mal durch die Nachlässigkeit des Hirten „eine Kuh von den Wölf´ zerrissen wor- den sei“, so skizziert der Hüfinger Maler und Schriftsteller Lucian Reich (1817 – 1900) in seinem Buch „Hieronymus – Lebensbilder aus der Baar und dem Schwarz- walde“ die Stimmungslage in der Bevölkerung im 18. Jahrhundert, habe der fürstliche Oberjäger „erst wieder die Wolfsgruben, oben am Thierstein und durch den ganzen Hellberg, frisch aus- legen lassen“. Was wohl heißen soll: frisch mit Ziegen beködern lassen. „Den Schwarzwaldkin- dern“, fährt er fort, „waren Wölfe damals nichts Fremdes, und Hie- ronymus kannte ihr Geheul ganz wohl, denn des Winters trieb der Hunger die Bestien oft bis an die geschlossenen Treiberwehr…von dem fürst- lichen Hofkandidaten Karl Meggerle erlegt“. So schildert der aus dem fürstenbergischen Archiv schöpfende Kurt Stephani 1938 das Ereignis. Und weiter: „Die Freude war so groß, dass die glücklichen Wolfsjäger bei ihrer Rückkunft nach Donaueschingen in feierlichem Zuge von der fürstlichen Musik unter Begleitung des Bürger- meisters und des Militärs eingeholt wurden.“ Die Begeisterung der Donaueschinger über den getöteten Wolf erklärt sich gewiss auch aus dem Umstand, dass seine Erlegung bereits als äußerst seltenes Jagdglück bewertet wur- de, nachdem die heimische Wolfspopulation spätestens seit Mitte des 18. Jahr- hunderts als vollends ausgerottet galt. So muss es sich damals schon um ein zugewandertes Einzeltier gehandelt haben. Denn seit dem Jahr 1540 verfuhr man auf der Baar, wann immer sich ein Wolf zeigte, nach der War- tenbergischen Wolfsordnung, einem ausgeklügelten, hocheffi- zienten Alarmsystem: Von Dorf zu Dorf wurde mit der kleinen Kirchenglocke durch drei Schläge das Alarmzeichen gegeben, und in jedem Dorf gab es Männer, die zur Haltung großer starker Wolfs-Hunde verpflichtet waren und sich sogleich an einem fest- gelegten Sammelpunkt einzufin- den hatten. „Unter Strafvermeidung“, so die Schilderung Stephanis, „hatten sie dort zu warten, bis der fürstliche Forstmeister kam, um ihnen weitere Weisungen zu geben.“ Alsdann versuchte man, den Wolf einzukreisen und, wenn dies gelungen war, Treibjagden zu veranstalten, bei welchen, damit er nicht ausbrechen konnte, „so viele Treiber aufgeboten wurden, dass Mann an Mann ging“. Überdies standen an strategisch sorgfältig ausgewählten Standorten, die oft noch heute im Gewann- oder Waldortsnamen an das Raubtier erinnern (Wolfsloch, Wolfsstei- Einfriedung der Gehöfte, welche sie umstrichen, oder wo sie sich, den Hunden gleich, niederkau- erten, die Gelegenheit zu einem Raube, oder zu einem Einbruch in den Stall zu erspähen.“ Dichterische Freiheit oder raue Lebenswirk- lichkeit? Tatsächlich waren Wölfe im frühen 18. Jahrhundert noch recht häufig, doch dann verschwanden sie allmählich aus den von Kurt Wolfssichtung auf der Baar 249

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„Tischleindeckdich“ am Unterhölzer Wald – aus Sicht des Wolfes betrachtet ist der dortige Damwildbestand eine begehrte Beute. Stephani veröffentlichten fürstenbergischen Jagdstrecken. Im Jahr 1787 sei im Villinger Um- land nochmals ein Wolf gespürt worden, der in der Bevölkerung große Unruhe hervorgerufen habe. Gemeinsam mit der Stadt habe die fürstli- che Verwaltung eine Wolfsjagd veranstaltet, an welcher 22 Schützen und 100 Treiber aufgebo- ten worden seien, doch scheint die Jagd erfolg- los verlaufen zu sein. hier ein wahres Tischleindeckdich, denn Hirsche, egal ob Dam- oder Rotwild, sind nun einmal die Hauptbeutetiere des Wolfs, doch auch Reh- und Schwarzwild verschmäht der Hetzjäger nicht. Selbst Füchse, Hasen und Mäuse passen noch in sein Beutespektrum, von den gelegentlichen Übergriffen auf Nutztiere ganz zu schweigen. Was also mag zwischenzeitlich zu dem ver- blüffenden Wandel in unserer Einstellung zum „Bei uns bekommt der Wolf genug frische Nahrung“ Jetzt, im Mai 2016, hat selbst der Chef der F. F.-Forst- und Jagdver- waltung, Dr. Jens Borchers, nicht gezögert, den Neuankömmling willkommen zu heißen und glaub- haft zu versichern, „bei uns be- kommt er genug frische Nahrung“ (pers. Mitteilung), womit er wohl vor allem den Damwildbestand im Unterhölzer Wald meinte, im eins- tigen fürstlichen „Thiergarten“, in dessen Nähe der Wolf gesichtet worden war. Für den bietet sich 250 Der Damwildbestand im Unterhölzer Wald bietet dem Wolf ein wahres Tischleindeck- dich, denn Hirsche, egal ob Dam- oder Rot- wild, sind seine Haupt- beutetiere. Doch auch Reh- und Schwarz wild verschmäht der Hetz- jäger nicht. Raubtier, zu Luchs, Wolf und Bär, den „großen Beutegreifern“ (wie die zoologisch korrekte Bezeichnung lautet), geführt haben? Allein der Tatsache, dass Wölfe unterdessen nach inter- nationalem und nationalem Ar- tenschutzrecht streng geschützt sind, kann die Sympathiewelle wohl kaum geschuldet sein. Schon im beginnenden Indust- riezeitalter, knapp vierzig Jahre nach jenem Donaueschinger Tri- umphzug, hatte sich ein gewis- ser Einstellungswandel ja bereits angedeutet: Damals, im Jahr 1847, als dem allerletzten (wohl aus Lothringen zugewanderten) Natur und Umwelt

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Ein Jungwolf fotografiert von W. A. Bajohr. Rechts: Wolfsgruben wie die hier nachgebaute dienten früher dem Fang des gefürchteten Jägers. Gewannnamen erinnern noch heute daran. Wolf unseres Landes im Stromberggebiet der Garaus gemacht worden war, hatte der Volks- mund ihm schon Wochen zuvor einen Spitzna- men verpasst und so klammheimliche Sympathie mit dem Räuber bekundet: Man taufte ihn nach einem populären algerischen Freiheitskämpfer den „württembergischen Abd-el-Kader“. Freiheitsdrang, Sehnsucht nach Restwildnis, nach intakter Natur sind in unserer weithin urbanisierten Gesellschaft bekanntlich nicht ausgestorben, sondern haben weiter zugenommen. Und was böte sich da als Symboltier und Sympathieträger besser an als Luchs oder Wolf? Der ei- ne ab den 1970er-Jahren in den benachbarten Vogesen und im Schweizer Jura wieder einge- bürgert, der andere von alleine wieder einwandernd aus den Alpen oder aus den nordöstli- chen Bundesländern. Ich bin definitiv be- geistert über die Sichtung des Wolfes. Es könnten mit seiner Anwesenheit viele Pro- bleme gelöst werden, die die Jagd gegen- hen, eine wichtige Funktion zu erfüllen haben, nicht zuletzt auch für die Gesunderhaltung ihrer Beutetiere, mit denen sie jahrtausendelang in Koevolution gelebt haben. Inzwischen haben die Reh-, Rot- und Schwarzwildbestände aus- weislich der Jagdstatistiken mitunter bedenkli- che wald- und flurschädigende Ausmaße ange- nommen. Deren Begrenzung, gar Reduzierung, stellt die heutige Freizeitjagd vor kaum lösbare Aufgaben, sodass sie vierbeinige Mithilfe gut gebrauchen könnte. Ganz so, wie es anlässlich der Wolfssichtung ein Hegeringleiter im Zeitungsinterview (am 19. 5. 2016 im Schwarzwälder Boten) anklingen ließ: „Ich bin de- finitiv begeistert über die Sichtung des Wolfes“. Der werde nicht nur der Landschaft gut tun. Es könnten mit seiner Anwesenheit auch viele Pro- bleme gelöst werden, die die Jagd gegenwärtig habe. wärtig hat. Freilich ist unterdessen auch die Erkenntnis gewach- sen, dass große Beutegreifer, die im Ökosystem an der Spit- ze der Nahrungspyramide ste- Wolfssichtung auf der Baar Ein Hegeringleiter im Interview mit dem Schwarzwälder Boten Das setzt natürlich voraus, dass der auf der Baar gesichtete Wolf kein Einzelfall ist. Und dass er kein Junggeselle bleibt (wie es bei den ebenfalls aus der Schweiz zugewan- derten Luchsen den Anschein hat) 251

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und irgendwann für Nachwuchs sorgen kann – vor allem aber, dass er am Leben bleibt! Zwei aus den Graubündner Alpen zugewanderte Jungwölfe haben bekanntlich ihre Wanderlust und den Versuch, im Musterländle Fuß zu fas- sen, im vorigen Jahr bereits auf den Autobah- nen mit dem Leben bezahlt, und auch die Baar ist von Schnellstraßen zerschnitten. Zugleich gilt die Region unter Wildbiologen jedoch als Drehscheibe von europäischem Rang für Wildtierwanderungen, wo sich Fernwechsel von Süden nach Norden und umgekehrt dem Jura entlang kreuzen mit der Ost-West-Achse längs der Donau. Umso mehr fehlt es auch hier an halbwegs sicheren Wildtierkorridoren und Querungshilfen. Ein Mangel, den weder der 2007 erarbeitete Generalwildwegeplan noch das Naturschutzgroßprojekt Baar zu beheben im Stande sein dürfte. Denn das Autoland Ba- den-Württemberg gilt in Sachen Wildbrücken als Entwicklungsland. Eine Nachrüstung etwa der A 81 ist nicht vorgesehen, auch wenn sie für Wildtiere auf weite Strecken eine unüberwind- liche Barriere darstellt. Der Eindruck etlicher Augenzeugen, der gesichtete Wolf hinke und sei womöglich verletzt, lässt für ihn – bei aller Be- grüßungsfreude – nichts Gutes erhoffen. Baden-Württemberg ist Wolfserwartungsland Hierzulande will man sich, anders als vor zehn Jahren der Freistaat Bayern beim Auftauchen des „Problembären Bruno“, nicht überraschen lassen vom Einsickern der Wölfe. Baden-Würt- temberg ist Wolfserwartungsland. Und bereits 2010 wurde ein Handlungsleitfaden Wolf erar- beitet, der den rechtlichen und administrativen Handlungsrahmen enthält. Auch ein „Parame- ter zur Einschätzung verschiedener Wolfsver- haltensweisen in Bezug auf die Gefährlichkeit gegenüber Menschen“ ist vorhanden. Er soll nun auch noch in einen konkreten Manage- mentplan überführt werden. Schon anlässlich des ersten Totfunds im Sommer 2015 an der A 5 bei Lahr hatte das Ministerium in einer Presse- mitteilung Entwarnung gegeben: „Das Land ist vorbereitet – Handlungsleitfaden Wolf greift“. Ein an der A 5 bei Lahr überfahrener Wolf. Aufnah- me der Forstl. Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Dass bei Anwesenheit von Wölfen – nicht für Waldspaziergänger, aber doch für Tierhal- ter – Probleme auftreten werden, darauf wird der Bürger derzeit ohnehin durch eine Flut von Medienberichten unterschiedlichster Tendenz und Qualität aus den nördlichen und nordöstli- chen Bundesländern wie auch aus der Schweiz vorbereitet, wo die Wiederbesiedlung schon seit Längerem im Gange ist – bei gegenwärtig geschätzt 25 deutschen Wolfsrudeln und insge- samt 200 Tieren. In der Lausitz war 1904 Deutschlands letzter freilebender Wolf erlegt worden; von dort nahm um die Jahrtausendwende, trotz zahlreicher Verkehrsverluste und illegaler Tötungen, Ise- grims neue Erfolgsgeschichte auch wieder ihren Ausgang. So bleibt es einstweilen wohl dabei: Angst und bange braucht es Rotkäppchen nicht mehr zu werden vor dem bösen Wolf – eher schon den Nutztierhaltern. Ihnen will sich, trotz staat- licher Förderung von Herdenschutzmaßnahmen und trotz finanzieller Entschädigung im Falle von Wolfsrissen, bereits heute die Existenzfrage stellen. Wolfsmanagement hin oder her: Kann die Koexistenz gelingen? Oder ist letztlich doch wieder nur ein toter Wolf ein guter Wolf? Um das auf der Baar gesichtete Tier ist es besorgnis- erregend still geworden – nicht einmal die Autobahnmeistereien hatten einen Totfund zu vermelden. 252 Natur und Umwelt

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Die Esche – eine verlorene Baumart? Baumserie Teil 11 / von Wolf Hockenjos Schlimmstenfalls gilt es Abschied zu nehmen von dieser Baumart. Dabei ist sie doch auch aus dem Quellenlandkreis nicht wegzudenken. Auszuschließen ist es jeden- falls nicht mehr, dass schon in wenigen Jahrzehnten nur noch Orts-, Flur- oder Bach- namen an sie erinnern werden: der Neckarzufluss Eschach etwa, das Escheck bei Schönwald, Eschach bei Achdorf, Ober- und Niedereschach – die Esche steckt sogar im Namen der Residenz, in Donau-Eschingen. Eine besonders kapitale Esche findet sich beim Burgbacherhof auf dem Brogen. Im Wuchsgebiet Baar-Wutach gehören Eschen seit eh und je zur regionaltypischen Waldgesellschaft, wie sie sich seit der letzten Eiszeit hier zusammengefunden hat. Nun aber ist ihre Existenz bedroht durch eine europaweit wütende Krankheit, das Eschentriebster- ben, hervorgerufen durch einen Schlauchpilz mit dem so harmlos klingenden Namen „Falsches Weißes Stengelbecherchen“. Der Pilz ist vor wenigen Jahrzehnten erstmals in osteuropäischen Ländern aufgetreten, stammt aber wohl aus Asien und ist irgendwann – als Folge der Globalisierung – per Schiff oder Flug- zeug eingeschleppt worden. In Dänemark sollen bereits 95 % der Eschenbestände von der Krank- heit dahingerafft worden sein, und auch hier- zulande verbreitet sie sich beängstigend rasch, sodass befallene Altbäume bereits reihenweise gefällt werden müssen. Denn Eschen wurden häufig auch entlang von Straßen gepflanzt und sind nun zum Risiko für die Verkehrssicherheit geworden. In der Tageszeitung werden allent- halben Baumfällaktionen angekündigt und so eilig ausgeführt, als hätten Straßenmeistereien und Forstbehörden einer seuchenpolizeilichen Anordnung Folge zu leisten. Die „Notschlach- tung“ der Eschen erfolgt zumeist so gründlich, dass sich der Laie schwer damit tut, sich ein eigenes Bild von den Symptomen und vom Verlauf der Krankheit zu verschaffen: Schwer- kranke, gar abgestorbene Exemplare bekommt er kaum zu Gesicht, vom Verursacher der Krank- heit, dem winzigen weißen Schlauchpilz, ganz zu schweigen. Von wutbürgerlicher Empörung über die Totaloperation, gar von Baumbeset- zungen wird in den Medien dennoch nichts be- richtet. Nur vereinzelt werden die Forstbeamten mit Nachfragen konfrontiert. Der Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad dieser Baumart ist zwar, gemessen an Eichen, Linden, Ahorn oder Buchen, eher bescheiden, wo sie doch im Wald wie auch im Landschafts- bild kaum auf sich aufmerksam zu machen pflegt. Nur höchst selten haben es einzelne Exemplare zu besonders bemerkenswerter Stär- ke und Höhe gebracht. Auch vermag die Esche nicht mit spektakulärer Herbstverfärbung zu prahlen: ihre Blätter wirft sie frühzeitig in noch Rechts: Die Hofesche am Burgbacherhof auf dem Bro- gen (Gemarkung Buchenberg). 254 Natur und Umwelt

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grünem, leicht angewelktem Zustand ab. Die raue Borke älterer Eschen wird zudem gern mit jener der Eiche verwechselt, obwohl sie im fort- geschrittenen Alter eine eher zopfartige Struk- tur annimmt. Erst der Blick in die Krone beugt Verwechslungen vor: Nicht nur die gefiederten Eschenblätter sind leicht zu identifizieren, auch der geflügelte Eschensamen, der in braunen Büscheln bis weit in den Winter hinein in den kahlen Kronen hängen bleibt, ehe er vom Wind davon getragen wird. Neuerdings sieht es sogar ganz danach aus, als ob die krankheitsgestressten Bäume zu be- sonders üppiger Samenbildung neigten – frei nach der Devise Wilhelm Buschs: Jeder legt noch schnell ein Ei, und dann kommt der Tod herbei. Mag die Gemeine Esche (Fraxinus excel- sior) noch so unauffällig erscheinen: Ihr Total- ausfall würde dennoch eine schmerzliche Lücke in der Baumartenpalette hinterlassen. Prächtig gewachsene Esche am Wartenberg. Die Eschen könnten nahezu aussterben Kranke und abgestorbene Eschen werden abgeholzt, hier bei Bad Dürrheim. Für den Almanach ein Grund mehr, den schöns- ten und stärksten Vertreterinnen ihrer Art, schleunigst noch einen Besuch, notfalls einen Krankheits- gar einen Abschiedsbesuch abzu- statten, sich mit einem raschen Blick in die Kro- nen nach ihrem aktuellen Gesundheitszustand zu erkundigen. Denn von der Hand zu weisen ist es nicht mehr, dass es den Eschen wie zuvor schon den Ulmen ergehen könnte, die mittler- weile im Zuge des Ulmensterbens (verursacht ebenfalls von einem Pilz aus Fernost in Verbin- dung mit dem heimischen Ulmensplintkäfer) nahezu ausgestorben sind. Dann freilich wären die Hinterbliebenen auch nochmals daran zu erinnern, dass Eschen einst aufgrund ihrer besonderen Holzeigen- schaften der Forst- und Holzwirtschaft (nebst Eiche und Buche) das meistgesuchte Wertholz geliefert haben – für den heutigen Waldbesitzer Anlass genug, sich mit dem Einschlag zu spu- ten, ehe der Markt mit dem Holz kranker und abgestorbener Eschen vollends überschwemmt sein wird und bevor ihm die Entwertung durch Sekundärschädlinge droht. 256 Natur und Umwelt

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Zwar schnallen sich die Skiläufer schon längst nicht mehr Eschenbretter unter die Fü- ße, doch wo es auf Elastizität und Festigkeit ankommt, wie etwa für Werkzeugstiele, Sport- geräte und Biegeformteile, spielt die Esche noch immer eine kaum zu ersetzende Rolle. Schon die Jäger des Bronzezeitalters haben Lanzen, Speere und Pfeile aus Eschenholz bevorzugt. Und auch die Hexen sollen zu allen Zeiten auf Eschenholz- Besenstielen durch die Walpurgisnächte gerit- ten sein. Der Nachruf auf die Esche hätte gewiss auch ihre ökologische Leistung nochmals zu würdigen. Noch schützt ihr weitverzweigtes Wurzelsystem mit sehr tief reichenden Pfahl- und Senkerwurzeln an Steilhängen verlässlich vor Bodenerosion, nicht zuletzt in den engen Schwarzwaldtälern, in Döbeln und Winkeln. Und es waren die sogenannten „Schneiteleschen“, die hier einst für den Überlebenskampf der armen Kleinbauern und Häusler schier unver- zichtbar waren: Alle zwei bis fünf Jahre pflegte man Eschen (je nach Standort auch Ahorn, Lin- den und Ulmen) in Hofnähe zu „schneiteln“, d. h. die Äste zu kappen, um das Laub dem Vieh zu verfüttern und mit dem Astholz das Backhaus zu beheizen. Was den Bäumen ein charakte- ristisches, kandelaberartiges Aussehen verlieh. Verfüttertes Eschenlaub galt als besonders gehaltvoll, denn die Milch gab mehr Rahm und die Butter verfärbte sich danach gelb. Auch Reh-, Rot- und Damwild naschen gern an jungen Eschen, und wo dieses Wild unzureichend bejagt werden, hat der Jungwuchs kaum Chancen, über Äserhöhe hinaus zu wachsen. Auf dem Brogen steht die stärkste Esche Hofeschen, zumeist ehemalige Schneitelbäume, gehören trotz der Verstümmelung ihrer Äste zu den dickleibigsten Laubbäumen des Schwarz- walds, so diejenige am Hierahof bei Saig im Hochschwarzwald, die einen Umfang in Brust- höhe von über sieben Metern misst. Schon um die vorletzte Jahrhundertwende galt sie dem Autor des Buches „Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Baden“, dem Botanikprofessor Schneiteleschen: Alle zwei bis fünf Jahre pflegte man Eschen in Hofnähe zu „schneiteln“, d. h. die Äste zu kappen. Eschen bei Grüningen. Die Esche – eine verlorene Baumart 257

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und Geheimen Hofrat Ludwig Klein, als „schöns- te Esche des Schwarzwaldes“; und noch immer treibt sie im späten Frühjahr an ihren starken Ästen aus. Oder sollte es nun doch das letzte Mal gewesen sein? An Leibesfülle steht ihr auch die stärkste Esche des Schwarzwald-Baar-Kreises nicht sehr viel nach: die einen Brusthöhenumfang von immerhin 6,20 m aufweisende, scheinbar noch vor Gesundheit strotzende Esche an der gemauerten Hocheinfahrt des Burgbacherhofs am Brogen auf Gemarkung Buchenberg (s. S. 255). Erstaunlicherweise ist sie nicht einmal als geschütztes Naturdenkmal erfasst, im Ge- gensatz zur deutlich schmächtigeren Eiche auf der gegenüberliegenden Seite der Einfahrt. Zu- sammen mit ihr und einer Sommerlinde (vergl. Almanach 2011, S. 263) stellt sie noch heute ein einzigartiges Hofbaum-Ensemble dar. Die Stärke frei erwachsener Hofeschen lässt immerhin ein bisschen noch erahnen, weshalb diese Baumart in der altgermanischen Mytho- logie einst sogar vor der Eiche rangierte. War es doch nicht diese, sondern die „Esche Yggdra- sil“, die als „Weltenbaum“ verehrt wurde, als Schutzbaum des Alls, auch als von den Schatten des Todes umnebelter Schicksalsbaum. In der gewaltigen Eschenkrone horstet der Adler, an ihren Wurzeln nagt der Drache, Ziege und Hirsch äsen an ihren Knospen, und das Zwie- tracht stiftende Eichhorn huscht zwischen Adler und Drachen hin und her. Zwischen ihren Wurzeln sprudelt der Brunnen der Weisheit, aus dem die drei Nornen sie benetzen. Wenn „Yggdrasil“ zu welken beginnt, so will es die Edda-Dichtung, naht das Weltende. Das Eschen- triebsterben – womöglich ein böses Omen, eine Metapher für den Niedergang unserer Umwelt? Im Waldesinnern: Bis zu 40 Meter hoch Anders als im Freistand, gar als immer wieder zurechtgestutzte Schneitelbäume, vermögen Eschen im Waldesinneren eine Höhe von über 40 m zu erreichen; hier erwachsen sie schlank- schäftig und liefern den Wagnern elastisches Holz von heller Farbe und gesuchter Qualität. Am besten gedeihen Eschen auf tiefgründigen, frischen bis feuchten Böden, auf schattseitigen Winterhang-Standorten und in bodenfeuchten Senken. Sie sind frostempfindlich, doch weil sie erst spät austreiben, fehlen sie auch in der flachen Kaltluftmulde der Baar nicht. So wurden sie bisweilen noch auf den Orkanflächen der Jahrtausendwende angepflanzt, wo ihr Ausfall jetzt besonders schmerzt. Nach jedem Spät- frostschaden vermochte sie Johannistriebe zu bilden und sich wieder neu zu belauben. Seltsa- merweise gedeiht die Esche ursprünglich nicht nur in bodenfrischem Milieu, sondern auch auf flachgründigsten Weißjura-Standorten der Alb („auf des Teufels Hirnschale“) als Kalkesche, oft gestrüppartig und vom Wild immer wieder krüppelartig verbissen. Wo sie dann endlich Eschen auf dem Wartenberg zur Zeit der Märzenbecherblüte. 258 Natur und Umwelt

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nicht bewahrheiten werden, dass sich einzelne Baum individuen schließlich doch als resistent erweisen könnten gegenüber der tödlichen Pilz- erkrankung. Die dringende Handlungsempfeh- lung lautet daher, dass gesunde oder nur leicht erkrankte Eschen grundsätzlich nicht einge- schlagen werden sollten. Denn eine präventive Beseitigung der Bäume zur Eindämmung der Krankheit ist angesichts der allgegenwärtigen Pilzsporen ohnehin zwecklos. Und je mehr Eschensamen jetzt noch produziert werden, desto größer wird die Chance des Nachwuchses für eine künftige Resistenzbildung. Sobald sich resistente Exemplare finden lassen, werden sich die Forstpflanzenzüchter ihrer annehmen, um die Gene zu selektieren und Eschensorten nach- zuzüchten, die der Krankheit widerstehen wer- den. Die Hoffnung stirbt zuletzt – hoffen wir, dass das Eschentriebsterben nicht zum endgül- tigen Garaus für die Esche, zum Eschensterben, führen wird. doch den hungrigen Äsern entwachsen ist und zum Baum heranwächst, ist ihr Holz freilich braun gefärbt und spröde, weshalb es hier von den Wagnern nur wenig geschätzt wird. Eschen als Parkbäume Auf einem anderen, für Eschen eher untypischen Standort, oben auf dem Gipfel des vulkanischen Wartenbergs, lassen sich noch heute einige anscheinend nach wie vor vitale, herausragend starke Exemplare mit Durchmessern in Brusthö- he von über 4 Metern bewundern, im zeitigen Frühjahr inmitten von Märzenbecher-Teppichen. Ihr Alter dürfte über 200 Jahre betragen, denn vermutlich sind sie ausgangs des 18. Jahrhun- derts zusammen mit Linden, Eichen, Buchen, Spitzahorn, Hainbuchen und etlichen Exoten als Parkbäume gepflanzt worden: Um 1780 erbaute sich der Geheime Hofrat und F. F.-Kammerpräsi- dent Leopold von Lassolaye auf dem Berggipfel ein Lustschloss, um welches er, ganz im Stil sei- ner Zeit, einen englischen Garten anlegte mit al- lem, was dazu gehörte, mit Statuen, Kegelbahn, Pavillon und einer Eremitage. Der Park ist längst verwildert und steht mittlerweile als flächenhaf- tes Naturdenkmal unter Schutz. Einzelne starke Eschen finden sich auch noch, sofern sie unterdessen nicht gestorben sind, im Park um das fürstliche Schloss in Donaueschin- gen. Am Zusammenfluss von Brigach und Breg waren sie zuvor bereits in ihrem natürlichen Op- timum gestanden. Nicht anders als in den Mul- denlagen des Unterhölzer Waldes, im einstigen fürstlichen „Thiergarten“ und heutigen Natur- schutzgebiet, wo bis dato noch einige starke und breitkronige Exemplare zu bewundern sind. Hoffnung auf pilzresistente Exemplare Noch hoffen die Experten, dass sich die schlimmsten Befürchtungen vielleicht doch Eschensamen und ein Eschentrieb (unten). Wird er austreiben? Die Esche – eine verlorene Baumart 259 259

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Kletterer wollen klettern – doch geht das überhaupt im Schwarz- wald-Baar-Kreis? Es gibt eine schnelle Antwort: ja! Doch so leicht wollen wir es uns nicht machen, denn das Klettern ist eine vielschichtige An- gelegenheit. Kletterer brauchen Felsen, die gibt es hier im Schwarzwald. Somit wären wir also erst mal beim geolo- gischen und landschaftlichen Aspekt. Doch die Kletterer sind nicht nur an Fel- sen unterwegs. Und wann begann denn das Klettern an unseren Felsen? Und wie betreiben die Kletterer ihren Sport heute? Oder für Interessierte: Wo sind die Kletterfelsen in unserem Landkreis, was muss ich tun, um selbst einmal zu klettern? Der Bogen für diesen Beitrag ist somit weit gespannt. Vorneweg: Klettern ist nicht gleich Klettern. Es gibt inzwischen viele Spielformen, die alle ihre Anhänger haben. Es wird unterschieden zwischen Alpinklettern und Sportklettern. Bei letzterem gibt es Bereiche wie Freiklettern, Rot- punkt, Technisches Klettern oder Freesolo. Noch relativ jung ist das Bouldern – und das Klettern an künstlichen Kletteranlagen. Nicht alle geologischen Formationen brin- gen Felsen hervor, die zum Klettern geeignet sind. Die meisten Klettergebiete in Deutsch- land bestehen aus Kalkgestein (Jura). So auch die Felsen der Schwäbischen Alb im Donautal zwischen Beuron und Sigmaringen. Bei den Felsen im Pfälzer Wald oder in der Sächsischen Schweiz hingegen handelt es sich um Sand- stein, mit der Besonderheit, dass sie weithin sichtbar aufragen. Kristalline Gesteine bringen ebenfalls wunderbare Kletterfelsen zustande. Größere zusammenhängende Klettergebiete gibt es vor allem bei Baden-Baden (Battert) oder im Schlüchttal. Kletterwelt des Schwarzwald-Baar-Kreises 261

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Zurück in den Schwarzwald-Baar-Kreis. Schaut man auf eine geologische Karte, finden wir im Bereich Schwarzwald-Baar-Heuberg mehrere Schichten vor, die in Nord-Süd-Rich- tung an die Oberfläche treten. Im Westen findet sich kristallines Material (Granit, Gneis). Östlich davon folgen Sandstein und Muschelkalk. Letz- terer beschert uns im Bereich Bad Dürrheim die Mineralquellen und beispielsweise in der Wut- achschlucht vielfach sichtbare Felsen. Weiter im Osten liegt Tongestein und Mergel an. Die Kalke des Weißen Juras bilden erst noch weiter östlich kletterbare Felsen. Man ahnt es schon fast: Nur in den kristallinen Gebieten, also im Schwarz- waldteil des Kreisgebietes, findet man Felsen, an denen sich das Klettern entwickeln konnte. Beeindruckende Kletterfelsen im Nordwesten des Landkreises Wir reden also vor allem von dem Bereich um Triberg, St. Georgen und Furtwangen. Und da sieht man sie dann auch: die ockerfarbenen, bräunlichen Felsgestalten, die sich an die Hänge schmiegen. Meist in glatten, runden Formen – zuweilen fast überwuchert von den umliegen- den Wäldern. Dem Wanderer sind Namen wie Schlossfelsen und Rappenfelsen sicherlich ein Begriff. Oder auch der versteckt liegende Gün- terfelsen bei Furtwangen. Dem Kletterer eher bekannt sind da Heidenstein und Teufelsfelsen mit ihren düsteren, mittelalterlichen Namen. Letzt genannter ist vor ein paar Jahren sogar zum Schauplatz eines Schwarzwaldkrimis mit Lokalkolorit geworden (vom Autorenduo Rieckhoff und Ummenhofer). Weithin sichtbar sind auch die Felsen am Steinbis bei Triberg. Vor allem der Spitzfelsen steht beeindruckend über der Steinbissäge. Dabei muss geologisch gesehen unterschie- den werden zwischen den Felsen im Gebiet Gremmelsbach (Teufelsfelsen), die aus Triber- Linke Seite: Eine Schulklasse übt sich am Heidenstein in Triberg -Nußbach unter erfahrener Anleitung im Klettern. Anspruchsvolles Klettern ist im Schwarzwald-Baar- Kreis sehr wohl möglich, wie hier am Teufelsfelsen. ger Hauptgranit (Biotitgranit) bestehen. Ihre schalig -kugelige Verwitterung wird auch als Wollsackverwitterung bezeichnet. Die Felsen sind zuweilen recht steil, wobei hier die Rei- bungskletterei vorherrscht. Die andere Ansammlung von Felsen befin- det sich im Bereich Nußbach -Hintertal (Heiden- stein), bestehend aus verkieseltem Porphyrtuff aus der Permzeit. Hier sind die Strukturen einer- seits rund und plattig, andererseits fein struktu- riert und griffig. Da die Oberfläche eher wenig Reibung bietet, ist es hier wichtig, auch kleine und kleinste Griffe und Tritte zu nutzen, die es aber meist in großer Anzahl gibt. An diesen Felsen im Nordwesten des Land- kreises haben vor vielen Jahren die Kletterakti- vitäten begonnen. Ein Blick in die Geschichtsbü- cher zeigt, dass die beiden im Kreis vertretenen Sektionen des Deutschen Alpenvereins (DAV), die Sektion Schwarzwald mit Sitz in Villingen und die Sektion Baar mit Sitz in Schwenningen, vor über 100 Jahren gegründet wurden. Die eine ist etwas älter als die andere, aber wie zu dieser Zeit noch üblich, waren die Sektionen streng nach Länderzugehörigkeit getrennt. Damals Kletterwelt des Schwarzwald-Baar-Kreises 263

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Weithin sichtbar ist der Spitzfelsen über der Steinbissäge bei Triberg. Unten das Alfons Haas aus Lauterbach gewidmete Gipfelkreuz des Teufelsfelsens. Er hat ihn für den Klettersport erschlossen. ging es vorwiegend um den Besuch der Alpen bzw. um die Besteigung der dortigen Berge. Was lag da näher, als sich an den Schwarzwald- felsen im Klettern zu üben? Einigermaßen dokumentiert ist die Erschlie- ßungsgeschichte des Teufelsfelsen. Bekannt ist, dass sich die „Bronner-Gruppe“ aus Triberg schon zwischen den Weltkriegen an den Felsen der Triberger Umgebung erfolgreich versuchte. Diese Gruppe aus mehreren Brüdern und Vet- tern erschloss den Teufelsfelsen in der Nach- kriegszeit. Das heißt, dass die Klettertouren mit Haken ausgestattet wurden, die, wie auch heute noch teilweise üblich, mit dem Hammer in Felsritzen getrieben wurden. Auf den Fels- köpfen wurden Löcher gebohrt und Ringhaken einbetoniert. Klassische Linien wie die „Alte Südwand“ (Familienweg) oder das „Wandbuch“ auf der Westseite stammen aus dieser Zeit. Spannend wäre aus heutiger Sicht, zu wissen, mit welcher Ausrüstung die Protagonisten da- mals unterwegs waren. Es war zu Beginn noch die Zeit der Hanfseile und Sohlen aus Moos- gummi. Ehrenamtliche des DAV verbessern alte Wege und die Sicherheit Zu Beginn der 1960er-Jahre wurde Alfons Haas aus Lauterbach aktiv, der bereits einige der alten Touren verbesserte, sanierte und viele neue Routen eröffnete. Hier sei vor allem der Lauterbacher Kamin erwähnt, der auch heute noch so manchen Kletterer abschreckt. Es war die Hochzeit des technischen Kletterns. Die Sei- le waren schon recht zuverlässig, und fehlende Griffe und Tritte wurden kurzerhand durch Ha- ken und Trittleitern ersetzt. Ab 1980 bis ca. 1988 wurde der Teufelsfelsen mit modernen Bohr- haken saniert und bei dieser Gelegenheit wur- den viele neue Wege eingerichtet. Wolfgang 264 Freizeit

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Anspruchsvolle Routen kann man auch im Schwarzwald-Baar-Kreis klettern, hier am Teufelsfelsen. Zuckschwerdt und G. Blum aus St. Georgen ha- ben diese Arbeiten erst auf eigene Kosten, spä- ter ab den 90er-Jahren ehrenamtlich im Auftrag der DAV-Sektion Schwarzwald durchgeführt. Auch dieses Gespann hat seine Spuren hinterlassen. In dem mittlerweile etablierten Rotpunktstil (emporklettern ohne Hilfsmittel, lediglich Sicherungstechnik) entstanden Touren wie „Flash dance“, „Spannweite“ und „Teufels- wampe“. Die Zeit des modernen Freikletterns oder auch Sportkletterns hatte mittlerweile den Weg in den Schwarzwald gefunden. Bewusst in Kauf genommene Stürze gehörten zum Reper- toire der Akteure. Dafür war es verpönt, sich an den Haken zu halten – sei es auch nur zum Ru- hen. Man war modern, man kletterte Rotpunkt. Als Folge wurde die Absicherungssituation et- was verbessert. War man ursprünglich an den Felsen unter- wegs, um fürs Gebirge zu trainieren, ist das Klet- tern an den Mittelgebirgsfelsen inzwischen zum Selbstzweck geworden. Niemand hat mehr mo- bile Sicherungsgeräte dabei, um sich in Erman- gelung eines Hakens einen Klemmkeil in einen Felsspalt zu legen. Es ist zwar zu keinen schwer- wiegenden Unfällen gekommen (anders als im Roman „Höhenschwindel. Ein Fall für Hubertus Hummel“). Aber es muss auch nicht sein, dass man sich bis in Höhen um sieben bis acht Meter „hochfürchtet“, um den ersten Haken zu errei- chen. Aus der Kletterhalle ist man es gewohnt, dass man hier schon den dritten Haken klinkt. In diese jüngste Erschließungsgeschichte fällt auch die Reduzierung des direkt anste- henden Baumbestandes in Absprache mit dem Waldbesitzer, dem Unterrötenbachbauern. Weiter die Nacherschließung des oberen Ost- wandbereichs mit Touren wie „Oh Ostwand“ und „7-up“. Klettern aus Freude am Sport Eine wirkliche Kletterszene wie in den 1990er-Jahren besteht im Schwarzwald-Baar- Kreis so nicht mehr. Damals gab es bei uns Klet- terer, die ungefähr einen Schwierigkeitsgrad unterhalb der Weltspitze einzustufen waren. 266 Freizeit

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Und diese Kletterer fanden auch an den hiesi- gen Felsen für sich Linien, auf denen sie Touren im unteren neunten Grad realisieren konnten. Die heutige Spitze der Kletterszene indes hinter- lässt an den hiesigen Felsen kaum Spuren. Diese Sportler zeigen entweder ihr Können in den inzwischen entstandenen Kletterhallen oder pil- gern zu den Hotspots in Südfrankreich oder der Fränkischen Schweiz. Auch das Boulderfieber (Klettern in Absprunghöhe) hat um sich gegrif- fen. Man braucht dazu keine großartige Ausrüs- tung mehr, Kletterschuhe und Magnesiabeutel genügen. So tummeln sich vor allem Genussklette- rer an den hiesigen Felsen, die im mittleren Schwierigkeitsgrad (V – VII) unterwegs sind. Das Klettern an den Felsen ist somit zum Selbst- zweck geworden: Man genießt gut abgesicherte Touren, in denen man auch einmal einen Sturz riskieren kann. Man trainiert, aber das Ziel sind nicht mehr die großen Alpentouren, sondern es besteht einfach der Wunsch, besser zu werden, um höhere Schwierigkeitsgrade klettern zu können. Die meisten Kletterer sind über den Alpen- verein organisiert, was jedoch nicht bedeutet, dass sie einer der Gruppen angehören, welche die Sektionen anbieten. Es gibt sicherlich viele Grüppchen, die sich aus Schule, Betrieb oder Verein kennen, und eigenständig zum Klettern gehen. Meist erst in den Kletterhallen – um spä- ter ihr Können auch an die Felsen zu tragen. All die gut besuchten Kletterhallen liegen allerdings außerhalb des Landkreises. Sie wur- den in Emmendingen und Freiburg, später in Offenburg und Rottweil gebaut. Lediglich in ver- schiedenen Turnhallen sind bei uns kleine Klet- terwände entstanden. Diese sind aber nahezu ausschließlich für den Schulsport konzipiert und somit einer breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich. Aber es ist bemerkenswert, dass das Klettern im Schulsport Einzug gehalten hat. Es trainiert ganzheitlich Körper und Geist und das Vertrauen in einen Partner wird gefördert. Anders sieht es aus regionaler Perspektive betrachtet zum Glück beim Bouldern aus: Es gibt zwar keine ausgewiesenen Boulderfelsen im Umkreis, aber in Bezug auf Indoor-Boulder- Bouldern: In St. Georgen gibt es die „Fritzbox“ und in VS-Schwenningen die „Biwakschachtel“. möglichkeiten ist ein Lichtstreifen am Horizont auszumachen. Viele der oben genannten Klet- terhallen bieten auch Bouldermöglichkeiten. Weiter betreiben die beiden kreisansässigen DAV-Sektionen eigene Boulderanlagen. Die Sek- tion Schwarzwald hat in St. Georgen ein ehema- liges Klassenzimmer zur „Fritzbox“ umgebaut. Auf ca. 75 m2 Boulderfläche werden laufend neue Boulder geschraubt. Jeder ist während der Öffnungszeiten willkommen. Mitten in Schwenningen hat die Sektion Baar in ihrem Vereinsheim „Biwakschachtel“ auf der Möglingshöhe eine „Boulder-Bude“ eingerichtet, in der ebenfalls regelmäßig ge- bouldert werden kann. Sehr erfreulich ist, dass in VS-Villingen eine Boulderhalle entstehen soll. Die Eröffnung ist für das Jahr 2017 geplant. Was aber machen die Kletterer im Winter? Früher war das ein echtes Problem, denn Klet- tern an schneebedeckten Felsen ist kein wirkli- cher Spaß. Klar, es gab Zeiten, da waren Winter- durchsteigungen von großen Wänden eine hoch angesehene Sache. Was läge da näher, es auch hier an den Felsen zu trainieren? Vermutlich Kletterwelt des Schwarzwald-Baar-Kreises 267

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gefrieren. Besonders beeindruckend ist es, wenn man nachts bei Flutlicht an seinen Eisgeräten hängt und die Stoßatmung einen in Nebel hüllt. Zum Klettern sind im Schwarzwald-Baar-Kreis nur wenige Felsen freigegeben In den 1990er-Jahren verabschiedete das Land Baden-Württemberg ein neues Naturschutzge- setz. Darin wurden alle Felsen grundsätzlich als „besonders geschützte Biotope“ deklariert. Kurz zusammengefasst bedeutet das heute: Es darf nur an den Felsen geklettert werden, die auf ei- ner Positivliste ausgewiesen sind. Die Lobby der Kletterer war damals schwach, im Schwarzwald sowieso, und so blieben nur ein paar wenige Felsen im Kreisgebiet, die noch beklettert wer- den dürfen. Einige sogar mit Auflagen. Im fol- genden sollen diese Felsen vorgestellt werden. In den letzten Jahren ist der Schwarzwald übri- gens auch von den Kletterbuch-Autoren wieder entdeckt worden. So gibt es Kletterführer (siehe Literaturhinweise), in denen die nachfolgend vorgestellten Felsen teilweise beschrieben sind. Der Teufelsfelsen bei Triberg-Gremmels- bach am Südhang des Haubergs ist der wohl bekannteste Felsen im Gebiet. Nach den letzten Sanierungsarbeiten kommen auch zunehmend Kletterer aus überregionalen Bereichen. Mit ca. 60 Touren und Varianten ist er sehr gut er- schlossen, was aber manchmal auch zu etwas Verwirrung führt. In welcher Variante befinde ich mich überhaupt?, frägt sich so mancher Kletterer. Es gibt Touren vom II. bis IX.-Schwie- rigkeitsgrad. Das Gestein ist Triberger Granit. Der überwiegend reibungsbetonten Kletterei sollte man sich mit Bedacht nähern: Obwohl der bis zu 30 m hohe Fels nur wenige steile Struktu- ren aufweist, benötigt man zuweilen dennoch eine gehörige Portion Kraft. Geklettert wird an der West- und Südseite. Auch die Ostseite ist in den letzten Jahren durch viele neue Touren aufgewertet worden. Somit kann fast das ganze Jahr hindurch geklettert werden. Man erreicht den Felsen nach ca. fünf Minuten Fußmarsch. Außer dem Wegegebot gibt es keinerlei naturschutzliche Einschränkun- Gerade am Teufelsfelsen mit seinen ca. 60 Touren ist das Anbringen von Sicherungen bedeutend. All diese Arbeiten erfolgen ehrenamtlich. wurde es aber nur vereinzelt gemacht. Die dazu notwendigen Steigeisen hätten sicherlich ihre Spuren hinterlassen. Solche sind aber an den noch begangenen Felsen nicht zu finden. Zum Glück gibt es ja heute die künstlichen Kletteranlagen, wo man seinem Sport im War- men nachkommen kann. Allerdings gibt es ein paar hartgesottene Zeitgenossen, die dem Klettern an gefrorenen Wasserfällen fröhnen. Eine wilde Sache, die dank moderner Ausrüstung und wärmender Kleidung auch weniger harten Kletterern ein tolles Erlebnis beschert. Das Ther- mometer muss dazu aber schon eine Woche lang auf Temperaturen von -10 bis -15°C sinken, damit die dünnen Wasserfälle zu soliden Eissäulen 268 Freizeit

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gen. Die Einstiege auf der Südseite sind sogar mit dem Kinderwagen zu erreichen. Da die Touren an Ost- und Westseite aber am steilen Hanggelände starten, ist der Felsen nur bedingt familientauglich. Der Heidenstein ist mit ca. 25 Touren einer der am meisten besuchten Felsen im Kreis. In unmittelbarer Nähe befindet sich die Schwen- ninger Hütte, eine Selbstversorgerhütte im Besitz der DAV-Sektion Baar. Seit vom Forst- amt Triberg ein paar Bäume entfernt wurden, trocknet der Fels zügiger ab und vermoost nicht mehr so schnell. Das Gestein ist Porphyrtuff, der überall Griffe und Tritte „hinzaubert“. Lediglich die Reibung könnte manchmal besser sein. Man läuft in wenigen Minuten vom Park- platz zum Felsen. Der Heidenstein kann als „fa- milienfreundlich“ bezeichnet werden, da man ringsum recht gut laufen kann und vor allem an der beliebten Südseite einige Rastflächen existieren. Da trittsichere Besucher sehr leicht auf den Felsen steigen können, um sogenannte Topropes (Sicherungsseile) einzuhängen, ist der Fels bei Kletteranfängern besonders beliebt. Die Touren sind allgemein steil, senkrecht bis überhängend, durch die starke Strukturierung aber meist gut griffig im leichten bis mittleren Schwierigkeitsgrad. Lediglich auf der Nordsei- te gibt es zwei Überhangstouren, bei denen ordentlich Kraft gefragt ist. Der Tourenname „Schwerkraft vs. mehr Kraft“ ist selbsterklärend. Der Dromedar-Felsen wird vom gleichen Parkplatz aus wie der Heidenstein angelaufen. Man sollte beim ersten Mal aber ca. 30 Minuten Fußmarsch kalkulieren. Das Gestein ist eben- falls Porphyrtuff. Leider gibt es nur vier Touren am Dromedar, die teilweise auch vermoost sind. Deshalb machen sich nur wenige Kletterer die Mühe, diesen Felsen zu besuchen. Der Lägerfelsen wird ebenfalls vom Park- platz beim Heidenstein erreicht. Allerdings geht es hinter der Schwenninger Hütte steil den markierten Steig hoch, bis man fast dem Tal entstiegen auf eine Forststraße stößt, die rechtshaltend verfolgt wird. Auf der linken Talseite entdeckt man kurz darauf erst das Neu- jahrswändchen und wenige Meter danach das Hauptmassiv des Lägerfelsens. Rund 18 Touren gehen durch die häufig überhängende Wand am Lägerfelsen, der ebenfalls vom Parkplatz beim Heidenstein aus erreichbar ist. Obwohl man hier ebenfalls 30 Minuten Gehzeit einplanen muss, ist ein Besuch deut- lich lohnender als am Dromedar. Ca. 18 Touren gehen durch die häufig überhängende Wand, ebenfalls aus griffigem Porphyrtuff. Stefan Wa- genhals hat den Felsen vor wenigen Jahren aus seinem Dornröschenschlaf geweckt, indem er neue Touren eingerichtet hat. Vor allem Klette- rer, die vor Kraft strotzen, kommen hier auf ihre Kosten. Zum Glück gibt es im flacheren rechten Bereich auch sehr leichte Touren. Der Uhufelsen liegt an der Kreisstraße (K 5715) von Villingen ins Groppertal. Der Felsen ist entsprechend des Naturschutzgesetzes BW nicht freigegeben. Es gibt aber eine Sonder- Kletterwelt des Schwarzwald-Baar-Kreises 269

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regelung, wonach einige Schulen und wenige Vereine für Übungs- und Schulungszwecke den rechten Felsteil beklettern dürfen. Diese Rege- lung wird wohl einigermaßen frei gehandhabt, sodass man abends oder an Wochenenden auch gelegentlich Kletterer dort sieht. Es gibt wenige durchaus lohnende Touren. Vor allem die Stadt- nähe zu Villingen macht den Reiz des Felsens aus. Die Steinbisfelsen, die sich hoch über dem oberen Gutachtal erheben, sind ebenfalls nicht freigegeben – beziehungsweise auch hier be- steht eine Sonderregelung. Die DAV-Sektion Schwarzwald führt eine Liste mit Kletterern, die dort klettern dürfen. Es handelt sich am Steinbis eigentlich um zwei Felsen: den dominanten, weithin sichtbaren Spitzfelsen und den etwas unscheinbareren Breitfelsen. Beide bestehen wie der in der Nähe befindliche Teufelsfelsen aus Triberger Hauptgranit, aber meist steiler und noch weniger strukturiert. Vor allem am ca. 40 m hohen Spitzfelsen wird der Klassiker „Spi- ralweg“ noch gelegentlich geklettert. Man klet- tert häufig im Schwierigkeitsgrad bis VI einmal um den Felsen, um nach drei kurzen Seillängen den flachen Felskopf zu erreichen. Von dort aus hat man hernach einen wunderbaren Rundum- blick über die Gegend Triberg, Schonach und Hornberg. Der Günterfelsen in der Nähe der Bregquelle bei Furtwangen soll abschließend gleichfalls erwähnt werden. In den Waldungen zwischen Brend und Martinskapelle gelegen, hat er klet- tertechnisch nie eine große Rolle gespielt. Jede Generation hat sich den Felsen wohl angeschaut und ist kaum verrichteter Dinge zurückgekehrt. Einerseits bieten die wuchtigen Strukturen kaum die Möglichkeit, sich festzu- halten, andererseits gibt es auch keine Struktu- ren, die es der hakenschlagenden Generation ermöglicht hätte, eben solche in den Fels zu treiben. Gut gesichert auf Klettertour am Teufelsfelsen. finden, aber hier aus den bereits genannten Gründen oft nicht klettern dürfen, sind sie auf der Suche nach Alternativen. Seit vielen Jahren entwickelt sich das Klettern in Hallen zu einer fast schon eigenen Disziplin. Dort kann man wetterunabhängig zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit klettern, ohne sich den Gefahren auszusetzen, die das Outdoorklettern mit sich bringt. Wie schon ausgeführt, gibt es im Schwarz- wald-Baar-Kreis bislang keine Kletterhallen für den Breitensport. Dazu muss man in die angren- zenden Landkreise wechseln. Wer das Klettern oder Bouldern selbst ein- mal ausprobieren will, dem seien die beiden im Kreis ansässigen DAV-Sektionen als Anlauf- punkte empfohlen. DAV-Sektionen dienen als Anlaufpunkte Da die Kletterer im Schwarzwald-Baar-Kreis zwar gute geologische Felsgegebenheiten vor- Literaturhinweise zu Kletterführern Schwarzwald Rock 2.0 (2013) www.loboedition.de ISBN 978-3-934650-13-8 Kletterführer Schwarzwald Band Süd (2014) Panico Alpin verlag Köngen, ISBN 978-3-95611-008-5 270 Freizeit

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Der U(h)rwaldpfad auf dem Rohrhardsberg Der Premiumwanderweg erforderte eine intensive Zusammenarbeit von Johannes von Stemm Der rund 8,5 Kilometer lange Premiumwanderweg durch das Naturschutzgebiet Rohrhardsberg bietet alles, was den Schwarzwald ausmacht. Und noch viel mehr! Von saftigen Weiden und Wiesen über Wälder und Moore, immer wieder tollen Ausblicken, einem Wasserfall, großen Schwarzwaldhöfen mit ihren tiefgezogenen Dächern, urigen Einkehrmöglichkeiten bis hin zu Tier- und Pflanzenarten, die nur hier vorkommen, kann man gar nicht genug bekommen. Und dann noch das „viel Mehr“: Kuckucksuhren in allen Formen greifen das Thema „Zeit“ auf. So der Text aus der kostenlos erhältlichen Broschüre des Rad- und WanderParadieses Schwarzwald und Alb der Landkreise Rottweil und Schwarzwald-Baar-Kreis. Der Rohrhardsberg, mit 1.155 m ist eine der höchsten Erhebungen im Mittleren Schwarz- wald. Er gilt mit seiner abgeschiedenen und ruhigen Lage und seinem Wechsel von Wäldern, Weiden, Wiesen und Mooren schon lange als Geheimtipp für Naturliebhaber und Erholungs- Kuckucksuhren begleiten der Wanderer auf dem U(h)rwaldpfad Rohrhardsberg. suchende. Gleichzeitig dient er als wichtiger Rückzugsraum für seltene Tier- und Pflanzenar- ten und ist für den Naturschutz von überregio- naler Bedeutung. Wegen der hohen Schutzwür- digkeit des Gebiets um den Rohrhardsberg, wurden große Bereiche im Rahmen des europä- ischen Schutzgebietsnetzwerks NATURA 2000 als FFH- und Vogelschutzgebiete ausgewiesen. Auch weitere Schutzgebietskategorien wie XXX 271

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sich Naturschutz, Forstwirtschaft und Erho- lungssuchende? Schon in der Vergangenheit wurden am Rohrhardsberg erhebliche Anstrengungen unternommen, die verschiedenen Ansprüche unter einen Hut zu bekommen. Zum Beispiel im Rahmen des Modellprojekts „Rohrhardsberg“ am Anfang der 1990er-Jahre oder beim Lifepro- jekt „Rohrhardsberg, Obere Elz und wilde Gut- ach“ im Zeitraum 2006 - 2011. Bei der Ausweisung des U(h)rwaldpfades wurde die gewohnt gute Zusammenarbeit der verschiedenen Interessensgruppen wieder auf- gegriffen. An der Ausweisung und Gestaltung des Premiumweges waren beteiligt: • Schwarzwald-Baar-Kreis, Wirtschaftsförde- rung und Tourismus sowie das Forstamt • Landkreis Emmendingen, Forstamt • Ferienland Schwarzwald • Schwarzwaldverein • Verein die Schwarzwalduhr • Naturschutz • Landesbetrieb ForstBW • Grundeigentümer • Bewohner Rohrhardsberg • Gruppen aus dem Jugendhilfeprojekt Wilde- WaldWelt und des Bergwaldprojektes • Planungsbüro für Wandertourismus und das Deutsche Wanderinstitut Die Initiative für die Ausweisung des Premium Wanderwegs ging vom Amt für Wirt- schaftsförderung und Tourismus des Schwarz- wald-Baar-Kreises aus, das die Umsetzung des Rad- und WanderParadieses für den Kreis zusammen mit dem örtlichen Tourismus- zusammenschluss Ferienland Schwarzwald vorantreibt. Wichtiges Interesse von touristischer Seite aus ist es, ein attraktives Wanderwegnetz für Touristen und Einheimische vorzuhalten, das die einzigartige Natur erlebbar macht. Nachdem ein Planungsbüro erste Vorschlä- ge für einen möglichen Verlauf gemacht hatte, wurde unter der Federführung des Forstamtes die weitere Abstimmung des Wegverlaufes mit Naturschutz und Grundeigentümern vor- genommen. Hierbei war zum einen wichtig, Orientierung bietet die Infotafel – immer wieder neu faszinieren die grandiosen Ausblicke. Naturschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet, Bann- und Schonwald sind hier anzutreffen. Ist es dann überhaupt möglich, in so einem Gebiet einen Wanderweg auszuweisen? Wie kann man den unterschiedlichen Ansprüchen und Interessen gerecht werden? Wie vertragen 272 Freizeit

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entsprechende Ruhebereiche für die im Gebiet lebenden Tierarten zu berücksichtigen. Zum anderen mussten die Interessen der Grundei- gentümer, deren Wald durch solch einen Weg intensiver frequentiert wird, mit beachtet werden. Gleichzeitig mussten auch die verschie- denen Anforderungen erfüllt werden, die das Deutsche Wanderinstitut an einen Premium- wanderweg stellt. Kuckucksuhren regen zum Nachdenken an Als der Wegverlauf feststand, nahm der Schwarzwaldverein die vorbildliche Wegmar- kierung mit entsprechenden Schildern vor. Die Forstabteilung des Nachbarlandkreises stellte einen Aussichtspunkt frei (siehe Foto linke Sei- te unten). Eine Jugendhilfegruppe schleppte mehrere hundert Meter eine Bank durch den Wald zum neuen Aussichtspunkt und stellte sie auf. Das Bergwaldprojekt unterstützte bei der Verbesserung von Wegabschnitten. Die vom „Verein die Schwarzwalduhr“ gestifteten Kuckucks uhren wurden aufgehängt und mit Texten versehen, die zum Nachdenken über das Thema Zeit anregen. Die Bewohner von „Rohr- hardsberg City“ gestalteten künstlerisch eine der Uhren zur sogenannten „Sprungeluhr“ um. Ihr Hintergrund besteht aus Sprungskiern. Die entlang der Tour angebrachte Kuckucksuhren in allen Formen und Farben dienen zugleich den Vögeln als Brut- und Nistplätze. Aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit des Gebietes sowie des umfangreichen Abstim- mungsprozesses zwischen allen Beteiligten hat es fast zwei Jahre gedauert, bis der Premium- wanderweg eröffnet werden konnte. Herausge- kommen ist jedoch ein äußerst abwechslungs- reicher und interessanter Premiumwanderweg mit einer sehr hohen Erlebnispunktzahl. So heißt die Empfehlung: Nehmen Sie sich die „Zeit“ um die einzigartige Natur und die einzig- artigen Uhren entlang des U(h)rwaldpfades zu entdecken. Der Weg ist in gut fünf Stunden zu laufen. Startpunkt ist der Parkplatz mit Bushal- testelle Mühlebühlbrücke an der L 109. Einkehr- möglichkeit besteht in der „Schwedenschanze“. Moderne und traditionelle Kuckucksuhren sowie Landschaftserlebnisse im Wechsel bietet der U(h)rwaldpfad. Teils dienen die Uhrengehäuse auch als Brut- und Nistplätze für Vögel. U(h)rwaldpfad Rohrhardsberg 273 273

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Vom Lupfen, dem „König der Baar“ Einblicke – Ausblicke von Wolf Hockenjos Dem „König“ zu huldigen, ihm unsere Aufwartung zu machen, ist eigentlich ein Muss für jeden Baar-Bewohner. Das Landschaftsbild beherrschend, so wirkt er zwar nur aus dem Blickwinkel der nördlichen Baar, wogegen er weiter südwärts hinter den Öfinger Bergen verschwindet. Doch je mehr wir uns aus der flachen Mulde der Riedbaar entfernen und vom Rand des Schwarzwalds aus zurückblicken, desto unübersehbarer dominiert er den östlichen Horizont. Allerdings überragt er nur scheinbar die Weißjura-Kette der Alb: Als Zeugenberg ist er, wie auch sein nördli- cher Nachbar, der Hohenkarpfen, dem Albtrauf vorgelagert und wirkt daher optisch herausgehobener, als er es mit seinen 977 m ü. d. Meer eigentlich verdient – doch Könige neigen nun einmal zur Selbstüberhöhung. Dass ihn der Almanach würdigt, ist dem von seinem Gipfel aus gewährten, wahrhaft grandiosen Ausblick bis tief in unseren Landkreis hinein geschuldet. 274 Freizeit

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Wer den Lupfen besteigen will, überquere al- so, von Tuningen kommend, kurz vor Talheim die Landkreisgrenze und nehme ab Dorfmitte bequemerweise das ausgeschilderte Teersträß- chen. Es führt uns bergwärts zunächst durch Talheims Neubauviertel, sodann jedoch durch eine im Frühjahr prächtig blühende Szenerie aus Schwarz- und Weißdornhecken bergwärts und endet nach einer Verebnung am Waldrand, wo das Amt für Flurneuordnung aus Anlass der Talheimer Waldflurbereinigung nicht nur einen Gedenkstein errichtet, sondern den Be- suchern auch einen Rastplatz mit Schutzhütte und Grillstelle spendiert hat. Hier oben pflegen die örtlichen Vereine alle September wieder ihr Der Lupfen mit seinem hölzernen Aussichtsturm zur Zeit der Schlehenblüte Lupfenfest zu feiern, und spätestens hier hat unser Wagen zurück zu bleiben, denn nun be- ginnt der kurze Anstieg: Zunächst einem Forst- weg folgend, dann auf steilem Zickzackpfad, auf einer winzigen Teilstrecke des vom Schwä- bischen Albverein markierten und betreuten Main-Neckar-Rhein-Fernwanderwegs, hinauf zum Lupfenturm und zum Burgrest Hohenlup- fen, nicht zu verwechseln mit dem Stühlinger Schloss Hohenlupfen. Wem der Anstieg zu steil ist, der erreicht den Gipfel auch, indem er dem Vom Lupfen, dem „König der Baar“ 275

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Forstweg weiter folgt, um dann von Osten her mit gemächlicher Steigung hinauf zu gelangen. Der hölzerne Aussichtsturm beschert einen Panoramablick aus 1.000 m Höhe Weil der Lupfengipfel dicht bewaldet ist, hat der Albverein den Wanderern bereits im Jahr 1911 einen hölzernen Aussichtsturm beschert, der zuoberst sogar eben noch die 1.000 m Hö- henschichtlinie schrammt, wie man einer Mar- kierung im Turminneren entnehmen kann. Um recht viel überragt er die Baumkronen dennoch nicht, weshalb er bei voller Belaubung aus der Ferne kaum auszumachen ist. Aus der Baaremer und Schwarzwälder Perspektive (von Westen her) zeigt sich der Lupfen in Kegelform, die sich indes von Nahem, auch von Norden und Süden, als langgezogener Bergrücken entpuppt. Umso mehr lohnt sich, des Ausblicks wegen, die Turm- besteigung. Über zahlreiche Treppenstufen oben angelangt, lassen sich Luken in alle vier Himmelsrichtungen öffnen, nachdem man die von vielen Besuchergenerationen verkritzelten Holzläden beiseite geschoben hat; nur einge- fleischte Fotografen werden nun murren, denn die Fenster sind verglast, sodass die noch so fotogenen Panoramen leider nur leicht getrübt zu haben sind. Dafür weisen Orientierungstafeln nicht nur auf die Bergnamen am Horizont und deren Ent- fernungen hin. Sie helfen dem Besucher auch dabei, aus der ungewohnten Vogelperspektive all die Siedlungen der näheren und weiteren Umgebung zu identifizieren und einzuordnen. Den Baarbewohnern wird es am meisten der Ausblick nach Westen angetan haben: Er reicht über das Neckar- und Donauursprungsland hinweg südwestwärts bis zum 53 km entfernten Feldberggipfel, nordwestwärts zum Kesselberg, zum Brend und zum Rohrhardsberg hinüber. Doch auch dem Norden sind landschaftli- che Reize nicht abzusprechen: Der Blick gleitet an dem so charakteristischen Steilabsturz des Albtraufs entlang, vom Dreifaltigkeitsberg mit seiner Walfahrtskirche bis über den Lemberg, die mit 1.015 m höchste Erhebung der Schwä- bischen Alb, hinaus. Weit jenseits der Stadt Rottweil mit ihrem neuen Wahrzeichen, dem Riesenbleistift des Thyssen-Krupp Aufzug-Test- turms, deutet sich im blauen Dunst auch noch der Nordschwarzwald an. Leider versteckt sich hinter den Laubbaum- kronen des Vordergrunds der kleine Bruder des Lupfen, der Hohenkarpfen, auch er einst burg- gekrönt und wie der „König“ ein Weißjura-Zeu- genberg, dessen perfekte Kegelform geologisch weniger Bewanderte oft fälschlicherweise als vulkanischen Ursprungs deuten. Südwärts begrenzen die bewaldeten Weiß- jura-Rücken des Himmel- und des Osterbergs, des Fürsten- und des Eichbergs die Sicht, an klaren Tagen lugt darüber freilich die Alpen- kette hervor, vom Säntis bis zur Blümlisalp im Berner Oberland. Einzig der Blick nach Osten wird gänzlich verstellt von den Kronen der Laub- bäume jenseits des tief in den Bergkamm einge- schnittenen Burggrabens. Der Aussichtstum des Schwäbischen Albvereins, erbaut 1911 an Stelle der einstigen Höhenburg. 276 Freizeit

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Der „König“ im Blickfeld der Müllentsorgung Kehren wir nach unserer Rundumschau zum Tiefblick nach Westen zurück, zur Landschaft, wie sie sich zu Füßen des „Königs“ ausbreitet, geprägt vom Opalinuston des Braunen Juras – einer berühmt-berüchtigten geologischen For- mation, die in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder einmal für Schlagzeilen in der Ta- gespresse gesorgt hat: Auf sie konzentrierte sich zu Zeiten, als unser Abfall noch nicht verbrannt, sondern zu Müllbergen aufgehäuft wurde, die zuweilen verzweifelte Suche nach geeigneten, sprich: wasserundurchlässigen Standorten. Und eben hier, am Fuße des Lupfens, waren die bei- den Landkreise fündig geworden. Weshalb sich, beim Blick vom Turm herun- ter, das Thema Müll noch immer nicht gänzlich ausblenden lässt: Dafür sorgen unübersehbar die inzwischen mit Folien abgedeckten und mit Sonnenkollektoren bestückten Kunstberge der beiden Deponien nebst Müllsortier-, Bio- gas- und Kläranlage. Um deren Errichtung und Beschickung waren die beiden Landkreise in den 1990er-Jahren heftig aneinander geraten, ehe sie sich dann doch noch zur Kooperation in der LupfenMüllentsorgung entschließen konnten. Noch umstrittener war freilich in den deponie des Landes, die ebenfalls am Fuß des „Königs“, im Wald der Gemeinde Durchhausen, errichtet werden sollte. Dass die Pläne geplatzt sind, verdankt die Region einer pfiffigen Durch- hausener Bürgerinitiative, die das Kunststück fertiggebracht hat, der Stuttgarter Politik (allen voran dem damaligen Umwelt-Staatssekretär Erwin Teufel) ein Spiel mit gezinkten Karten bei der Standortwahl nachzuweisen. Nicht minder kontrovers ging es zu, als die Planer schließlich im Tuninger Haldenwald glaubten, fündig geworden zu sein. Doch auch in der Gemeinde Tuningen gingen „Wutbürger“ auf die Barrikaden, auch sie mit durchschlagen- dem Erfolg, nachdem das vorgesehene Areal zuvor zum „Erholungswald“ erklärt worden war. Der bittere Kelch einer Sondermülldeponie ist der Landschaft um den Lupfen also erspart geblieben. Nun bereitet den Bürgern allenfalls noch der Umstand Unbehagen, dass die Schwei- zer Geologen jenseits des Hochrheins im nämli- chen Braunjura-Substrat ihr Endlager für Atom- müll gefunden zu haben glauben, während man sich diesseits des Rheins noch immer schwertut mit der Standortsuche. Ob am Ende nicht doch wieder der Opalinuston ins Blickfeld gerät? 1970er-Jahren die Planung einer Sondermüll- Müllentsorgung am Fuß des Lupfens. 277

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Ein neuer Akzent: der Thyssenturm bei Rottweil. Dass sich der Ton des Braunen Juras überdies zur Wärmedämmung einsetzen lässt, beweist noch immer der, den Haldenwald überragende Schlot des 2012 stillgelegten Liapor Blähtonwerks in Tuningen. Weil beim Brennen Fluorwas- serstoff entweicht, ein pflanzentoxisches, den Wald schädigendes Gas, und weil Nah- immissionsschäden zu beklagen waren, hatte auch das Tuninger Liapor-Werk – mitten in den Zeiten des Waldsterbens – für Negativschlag- zeilen gesorgt. Jedenfalls bis zum Einbau einer teueren Rauchgasentgiftungsanlage und zur Nutzung von Gas aus der nahen Hausmülldepo- nie. Was der Wirtschaftlichkeit des Werks und seines Produkts freilich nicht gut bekommen zu sein scheint. Umso gesünder erscheinen heute wieder die Weißtannenkronen im Haldenwald hinter dem Werk und seiner Abbauhalde. Nach einem Flächentausch zwischen dem Land und der Ge- meinde Tuningen ist hier um die Jahrtausend- wende ein Bannwald ausgewiesenen worden; als „Totalreservat“ dient er seitdem nicht mehr der Holzproduktion, sondern als „Freiluftlabo- ratorium“ der Naturwaldforschung, als Bioindi- kator und „Urwald aus zweiter Hand“. Wessen Herz sich an zweihundertjährigen Weißtannen zu erwärmen vermag, dem sei auf dem Heim- weg noch der Abstecher in den Haldenwald nahegelegt. Von der stolzen Höhenburg zum Schloss Hohenlupfen Spätestens beim Abstieg vom Lupfenturm herunter mag dem nachdenklichen Besucher bewusst geworden sein, dass man von da oben aus nicht nur mit einem prächtigen Ausblick belohnt wird, sondern auch einen Einblick in die Entsorgungsnöte unserer Überflussgesellschaft erhält. Umso bereitwilliger verweilt er jetzt noch vor der Hinweistafel des Albvereins, die auf die bewegte Historie des Lupfens verweist. Womit wir endlich auch bei den Grafen gleichen Na- mens angelangt sind, eines dem schwäbischen Hochadel zuzurechnenden Geschlechts, das hier oben schon um die vorletzte Jahrtausendwende seinen Stammsitz erbaut hat, erstmals erwähnt im Jahr 1065. Von der stolzen Höhenburg samt ihrer Vor- burg ist freilich kaum mehr etwas übrig geblie- ben, von den zwei tiefen Sohlgräben abgesehen, mit denen man sich gegen den Bergrücken hin abgesichert hat. Trotz ihrer exponierten Lage wurde die Burg gleich zweimal durch die mit den Erzrivalen der Grafen, den Fürstenbergern, verbündeten Rottweilern zerstört: Erstmals an- no 1377 und noch gründlicher im Jahr 1416, dies- mal im Auftrag von König Sigismund, weil sich die Herren von Lupfen mit den Herzögen von Österreich verbündet hatten. 1437 resignierten 278 Freizeit

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die Burgherren, denn besser lebte es sich ohne- hin im milderen Stühlingen, wo sie eine weitere Burg besaßen. Doch die Linie der Grafen von Lupfen erlosch bereits 1562, sodass die dortige Burg an die Fürs- tenberger gelangte, die sie im 17. Jahrhundert schließlich zum Schloss Hohenlupfen ausgebaut haben. Die Dörfler rund um den Berg Lupfen dürften den Überresten der Höhenburg nicht lange nachgeweint haben; sie bedienten sich der einst so stolzen Gemäuer Jahrhunderte lang als Steinbruch und Ersatzteillager für ihre Häu- ser. Zweifellos ist auch der Bau des Lupfenturms auf der quadratischen Basis des einstigen Berg- frieds den letzten Mauerresten der Burg nicht mehr gut bekommen. Abgelenkt von der Geschichtsbetrachtung wird der Besucher jetzt von rauem Gekrächz hoch über dem Turm, denn im Himmel rund um den „König“ führen mitunter immer noch Kol- kraben ihre Flugkünste vor. Sie tun dies gewiss nicht – wie weiland ihre Artgenossen im Kyffhäu- ser – in Erwartung der Wiederkehr der Grafen von Lupfen. Die für ihre Intelligenz gerühmten schwarzen Vögel scheinen noch immer auf die Wiedereröffnung der Hausmülldeponien zu war- ten. Bis zu ihrer Schließung waren sie für Scharen von Raben, Bussarden, Rot- und Schwarzmilanen bis vor wenigen Jahren noch das reinste Schlaraf- fenland mit ihrem Überangebot an Speiseresten samt Mäusen und Ratten. Weil der manch einem jedoch als gar zu kurz und allzu knieunfreundlich erscheinen mag, sei ihm die Wanderung über den Lupfenkamm nach Osten empfohlen, denn hier überqueren wir drei weitere querlaufende Gräben. Es han- delt sich dabei vermutlich um die Reste einer hochmittelalterlichen „Warte oder Belage- rungsburg“, möglicherweise unter Ausnutzung noch älterer Erdbewegungen (H. Heine: Studien zu Wehranlagen zwischen junger Donau und westl. Bodensee. Stuttgart 1978). Denn am abfallenden Ostende des Lupfenrückens, noch ehe wir wieder auf den Forstweg stoßen, wurde eine Höhensiedlung der Urnenfelderzeit (12. bis 8. Jh. v. Chr.) und der Hallstattzeit (8. bis 6. Jh. v. Chr.) nachgewiesen. Was mochte die Menschen bloß dazu veranlasst haben, in derart expo- nierter Höhe zu siedeln? War es stets nur das Schutzbedürfnis, oder zählte womöglich doch auch schon der verlockende Ausblick? Auf dem „Lupfenrundweg“, dem den Berg umrundenden Forstweg, wieder angelangt, hat man die Wahl, je nach Lust und Witterung entweder nach links auf schattiger Winterseite des Bergs durch ein stattliches Tannenaltholz zurück zu wandern oder nach rechts auf sonni- ger Sommerseite, wo sich uns auf freigepfleg- ter Wacholderheide noch ein letzter Blick ins Talheimer Tal hinunter und auf die Weißjura- rücken gegenüber bietet, ehe wir wieder den Parkplatz erreichen. Auf dem Rückweg über den „Lupfenrundweg“ mit Ausblick ins Talheimer Tal Der Abstieg geradewegs hinunter zum Park- platz am Waldrand ist nur ein Katzensprung. Der „König“ wirkt vom Schwarzwald aus besonders mächtig: Blick von Herzogenweiler über Kirchdorf und Hochemmigen hinweg. Kletterwelt des Schwarzwald-Baar-Kreises 279

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Der Schwarzwald ist für seine Winter bekannt, die Skisport und Rodelver- gnügen ermöglichen. Veranstaltungen, wie sie seit Jahrzehnten durch den Ski-Club Urach geboten werden. Doch die schneearmen Winter erschweren Traditionsvereinen mehr und mehr das Wirken. Auch der Ski-Club Urach, zuletzt durch die FIS-Skicross-Rennen landesweit beachtet, schaut sorgen- voll in die Zukunft. „Früher hatte unser Verein viele aktive Sportler, die regel- mäßig an Wettkämpfen teilnahmen“, schildert Vorsitzender Manfred Kienzler. Das sei heute so nicht mehr möglich: Durch den Schneemangel müssten die Rennfahrer immer weitere Strecken auf sich nehmen – sogar teilweise zum Trainieren ins Ausland ausweichen. Die Finanzierung dieser Reisen und die ho- hen Kosten für die Ausrüstung könne kaum noch ein Athlet selbst tragen, weshalb sich viele Mitglieder aus dem Wettkampfsport zurückziehen. Ein tief- greifender Wandel zeichnet sich ab. In den Gründerjahren ihres Ski-Clubs kann- ten die Uracher derlei Probleme noch nicht. Durch die schneereichen Winter kam den Brüdern Augustin und Willi Knöpfle am Ende der 1950er-Jahre die Idee, einen Skiverein zu gründen und gemeinsam an regionalen Ren- nen teilzunehmen. Bei den Kameraden in der Berufsschulklasse der Landwirtschaftlichen Be- rufsschule in Urach fand diese Initiative schnell Zuspruch und gemeinsam mit Lehrer Alfred Scherzinger meisterten sie die Formalitäten zur Vereinsgründung. Begeisterte 28 Gründungsmitglieder legten am 1. Februar 1959 im Gasthaus Sternen den Daniela Maier ist im Jahr 2016 das sportliche Aushän- geschild des Ski-Club Urach. Nach ihrem Abitur muss die Skicross-Rennläuferin nun Sport und Beruf unter einen Hut bringen. Sportlich hat sie ein festes Ziel vor Augen: die Olympischen Spiele 2018 in Südkorea. Grundstein für den Ski-Club Urach. Auch der damalige Pfarrer Heinrich Henke und Säge- werksbesitzer Stefan Willmann halfen kräftig mit, den Gedanken unter die Leute zu bringen. Bürgermeister Josef Willmann unterstützte das Vorhaben ebenfalls und leitete die Versamm- lung. Mit Langlaufrennen, Abfahrts- und Torläu- fen fand nach der Fasnet noch im selben Jahr das erste Uracher Ski-Fest auf dem Bierbühl statt. Hochmotiviert und kaum zu bremsen waren die Jugendlichen, die vor allem in den Staffel- läufen beachtliche Erfolge erzielten. Meist ohne Unterstützung der Eltern nahmen sie sogar an Skispringen der Region teil. Oft mussten sie sich Erklärungen über ihre Abwesenheit einfallen lassen oder sich gar aus dem Haus schleichen, um dem Wintersport nachzugehen. Sportwart Kurt Frank begründete zu dieser Zeit zudem die alpine Abteilung. Auch im Tor- und Abfahrtslauf stellten sich rasch Erfolge ein. Ski-Club Urach 281

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Die Vereinsaktivitäten waren von An- fang an breit gefächert: 1962 startete der Wanderpreis abfahrtslauf am Bierbühl, Alteisen- und Altpapiersammlungen finanzierten vor allem die Nachwuchsarbeit. Eine beleuchtete Trainigsstrecke, Nachtrennen und ab 1974 der Stefan-Willmann-Gedächtnislauf sowie 1971 die Gründung einer Damenabteilung machten das Vereinsleben kontinuierlich vielgestaltiger. Auch sportliche Erfolge stellten sich ein: Siege bei Bezirks- und Schwarzwaldmeister- schaften und unzähligen regionalen Wettkämp- fen verdeutlichten das sportliche Potenzial der Uracher. Großartige Erfolge gab es auch bei baden-württembergischen Landesmeis- terschaften und nationalen Meisterschaften, Studentenweltmeisterschaften und bekannten internationalen Volksläufen. Verdiente „Macher“ Dass die zahlreichen sportlichen Erfolge im alpi- nen und nordischen Bereich überhaupt möglich sind, hängt entscheidend mit den Machern des Vereins zusammen, die die organisatorischen Strukturen schaffen. Eine besondere Vorbild- funktion nimmt Franz Winterhalder ein, der seit über 50 Jahren im Vorstand mitarbeitet. Er bau- te die Struktur im nordischen Bereich auf und gründete weiter die Radsportabteilung. Paul Hättich war ab 1984 und damit 27 Jahre lang als Vorsitzender im Amt. 2012 löste ihn Manfred Kienzler ab. Manfred Kienzler ist seit über 44 Jahren in der Vorstandschaft aktiv, seit mehr als 35 Jahren Sportwart und Trainer und verantwortlich für den Aufbau der alpinen Struktur des Vereins. Alpine Aushängeschilder Als sportliche Aushängeschilder des Vereins sind für den alpinen Bereich u.a. zu nennen: Simon Willmann, Veronika Winterhalter, Benjamin Kienzler, Andreas Weißer, Sabri- na Kienzler und Daniela Maier. Simon Will- mann holte sich bei der Winteruniversiade in Die erste Uracher-Langlaufstaffel in den frühen 1960er-Jahren mit v. links: Franz Winterhalder, Ludwig Pfaff sowie Augustin und Willi Knöpfle. Unten: Verpflegung beim Schwarzwälder Skimara- thon 1975 auf der Kalten Herberge durch den Ski-Club Urach – hier für Läufer Wolf Hockenjos. 282 Sport

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Innsbruck im Skicross die Bronzemedaille, war Deutscher Hochschulmeister im Riesen slalom und Superski, ebenso Deutscher Meister im Skicross. Er ist weiter Verbands- und Landes- meister sowie Ideengeber und Mitinitiator der Skicross-Szene in Urach. Veronika Winterhalder glänzte als mehr- fache Verbands- und Landesmeisterin bei den Schülern und in der Jugendklasse. Jahrelang galt sie als eine der stärksten Läuferinnen und war eine große Hoffnung des Deutschen Ski- verbandes – trainierte an der Seite von Maria Riesch. Doch die Deutsche Vize-Schülermeiste- rin des Jahres 2000 verletzte sich im Trainings- lager in Norwegen so schwer am Knie, dass sie ihre aktive Laufbahn beenden musste. Vom aktuellen Aushängeschild Daniela Maier ist im Abschnitt Skicross die Rede. Die nordische Abteilung Im nordischen Bereich ist zunächst Erich Willmann zu nennen, der dreimal Vize-Welt- meister mit der Staffel der Senioren im Langlauf und fünfmal Deutscher Meister mit der Staffel der Senioren im Langlauf wurde. Überaus er- folgreich waren weiter Ralf Scherzinger, u.a. Deutscher Jugendmeister und Gewinner des Deutschen Schülercups, Konrad Kienzler, Jens Winterhalder, Hiltrud Maier (geb. Kleiser), die dreimalige Seniorenmeisterin Ursula Hermann (geb. Willmann) und Petra Winterhalder. Für Erfolge im Biathlon stehen Manfred Willmann, Deutscher Meister mit der Junioren- staffel, Wolfgang Schuh, Antonia Maier, Katharina Maier und Christin Maier. Durch die Aufnahme in den C-Kader des Deutschen Skiverbandes nimmt Christin Maier an natio- nalen und internationalen Rennen teil. Den Höhepunkt ihrer Karriere setzte die 19-jährige Ausnahmesportlerin in der Saison 2015/16: Das Biathlon-Talent wurde unter anderem Deutsche Vize-Meisterin mit der Staffel und Vize-Juni- oren-Europameisterin im Einzelwettkampf. Bronze gab es für sie auch im Sprint und in der Verfolgung – sie bestritt somit die bisher erfolg- reichste Saison ihrer jungen Karriere. Christin Maier vom SC Urach. Die amtierende Vize- Junioren-Europameisterin im Biathlon zählt zu den großen Hoffnungen des Deutschen Skiverbandes. Die Radabteilung entsteht Um auch in den Sommermonaten fit zu blei- ben, trafen sich die Sportler zu regelmäßigen Radtouren. Vor diesem Hintergrund und dank des großen Engagements des damaligen Vor- sitzenden Paul Hättich, gründete der Verein im Jahr 1989 die Radabteilung. Diese Abteilung ist besonders mit zwei Sportlernamen verbunden: Petra und Jens Winterhalder. Jens Winterhalder war dreimal in Folge Deutscher Jugendmeister. Größter Erfolg von Petra Winterhalder, Welt- und Europameisterschaftsteilnehmerin, war der 10. Platz bei der Downhill Weltmeisterschaft 1994 in Vail in Colorado/USA. Daniel Kuß, Sportwart Mountainbike im Ski-Club, war zweimal Baden-Württembergi- scher Meister und einmal Deutscher Meister der Jugend und belegte bei den Junioren eine neun- Ski-Club Urach 283

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Die erste permanente Skicross-Strecke in Deutschland wurde beim Uracher Sägenhoflift gebaut. Hier der Zielbereich beim FIS-Skicross-Wochenende 2015. ten Platz bei der Europameisterschaft und einen elften Platz bei der Weltmeisterschaft. Andreas Weißer war Baden-Württembergi- scher Meister der Junioren, Christian Vogt Ba- den-Württembergischer Meister U23 und holte zwei dritte Plätze beim Europa-Cup der Senio- ren. Heinrich Vogt errang zwei Deutsche Meis- ter-Titel der Senioren, einen Weltmeister-Titel sowie je einen zweiten Platz bei der Europa- meisterschaft und Deutschen Meisterschaft. Matthias Bettinger siegte zweimal beim Schwarzwald-Bike-Marathon in Furtwangen, einmal beim VAUDE trans Schwarzwald und beim Black Forest Ultra Bike in Kirchzarten. Die erste permanente Skicross-Strecke in Deutschland wird gebaut Als sich einige Jugendliche im Winter 2004 vol- ler Begeisterung der noch jungen Disziplin, dem Skicross, verschrieben und die ersten Erfolge erzielten, unterstützte der damalige Vorsitzen- de Paul Hättich ihre Idee, am Sägenhoflift eine dauerhafte Skicross-Strecke zu bauen. Das war mit viel Arbeit verbunden: Gemeinsam mit dem Skiliftbetreiber Karl Maier wurde Wald gerodet, damit Sprünge und Steilwandkurven in den Hang modelliert werden konnten. So entstand in Urach die erste permanente Skicross-Strecke Deutschlands, die die perfekte Trainingsmög- lichkeit für die Rennfahrer der Region bot. „Im Jahr 2012 konnten wir den DSV davon überzeu- gen, dass unsere Strecke den Anforderungen der FIS-Skicross-Strecken entspricht und die gesamte Organisation bei uns in guten Händen liegt“, erklärt der Vorsitzende. Mit ungeheurem Einsatz organisierten die Vereinsmitglieder ein erfolgreiches Rennwo- chenende, das bei den Zuschauern und auch bei den Athleten auf große Begeisterung und Aner- kennung stieß. Trotz mehrerer Absagen wegen Schneemangels in den folgenden Wintern blieb das Vorstandsteam mit voller Überzeugung am Ball. Grund dafür war auch Skicross-Rennfah- rerin Daniela Maier aus den eigenen Reihen, die sich mehr und mehr im Weltcup behaupten konnte. Die Ausdauer der Vorsitzenden lohnte sich und im Winter 2015 konnte der Verein das zweite FIS-Skicross-Wochenende wie geplant durchführen. „Bis eine Woche vor Rennbeginn haben wir gezittert und gehofft, dass endlich noch mehr Schnee fällt“, erinnert sich der da- malige Streckenchef Andreas Weißer. Rund 30 Mitglieder waren tagtäglich damit beschäftigt, die Strecke zu präparieren. Am Rennwochen- 284 Sport

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Daniela Maier – die aktuell erfolgreichste Wintersportlerin des Ski-Club Urach Daniela Maier begann mit gerade mal sechs Jahren ihre Karriere als alpine Ski-Rennfahre- rin. Nach einem erfolgreichen Start bei regio- nalen Wettkämpfen und später auf nationa- ler und internationaler Ebene, verspürte sie mit 16 Jahren die Lust auf etwas Neues und gelangte auf diesem Wege und mit der Un- terstützung ihres Vaters und Trainers Thomas Maier zum Skicross. Die talentierte Schwarzwälderin wurde gleich nach den ersten Rennen in den bayri- schen Landeskader aufgenommen und nach einer weiteren erfolgreichen Saison sogar in den C-Kader des Deutschen Skiverbandes. Seitdem geht ihre Karriere steil bergauf: 2015 wurde sie nicht nur Deutsche Meisterin, son- dern auch Vize-Junioren-Weltmeisterin. Bei den Skicross-Weltmeisterschaften der Junio- ren belegte sie außerdem Rang vier. Durch diese großartigen Erfolge nominier- te sie sich im Dezember 2015 für den Weltcup, wo sie mit den weltweit erfolgreichsten Sportlern um die Titel kämpft. Sie wurde am Saisonende 2015/16 als „Rookie of the Year“, als beste Einsteigerin in den Weltcup ausge- zeichnet. Zugleich wurde die Uracherin bei der Sportlerwahl des Schwarzwälder Boten er- neut zur „Sportlerin des Jahres“ im Schwarz- wald-Baar-Kreis gekürt. Daniela Maier durfte von Südtirol bis Südkorea an jedem Weltcup teilnehmen. Nach ihrem Abitur bringt die Skiläuferin nun Sport und Beruf unter einen Hut und diente zunächst bei den Gebirgsjägern im Skizug der Bundeswehr. Nun hat das Skicross-Talent eine Laufbahn bei der Bundespolizei einge- schlagen. Auch sportlich hat die erfolgreiche Uracherin ein festes Ziel vor Augen: die Olym- pischen Spiele 2018 in Südkorea. Daniela Maier: „Davon träumt jeder. Aber nur wenige schaffen es.“ Daniela Maier vom Ski-Club Urach als frisch gekürte Vize-Junioren-Weltmeisterin und beim Skicross im heimischen Urach. Ski-Club Urach 285

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ende selbst unterstützten knapp 100 Helfer die Veranstaltung. Der Freizeitsport wird auch beim Ski-Club Urach immer bedeutender Es ist schon beachtlich, wie sich der Ski-Club Urach entwickelt hat. Immerhin zählt er heute über 400 Mitglieder, von denen die meisten den Verein durch ihre passive Mitgliedschaft unterstützen. Durch die rückläufigen Zahlen im Wettkampfsport interessieren sich immer mehr Mitglieder für die freizeitsportlichen Akti- vitäten. Mit regelmäßigen und anspruchsvollen Bike -Touren halten sich die Wintersportler fit und bereiten sich so auch auf die Alpenüber- querung von Bozen nach Urach vor, die in sechs Etappen durchgeführt wird. Auch der Mountainbike-Parcours hinter dem Dorfgemeinschaftshaus und zahlreiche Off- Road-Strecken im heimischen Wald bieten den Rennfahrern der Radabteilung die optimalen Trainingsbedingungen. Für die Damen und den Nachwuchs des SC Urach gibt es in verschiede- nen Turnabteilungen das richtige Programm, um sich fit zu halten. Die Vereinsgemeinschaft wird also in vielfältiger Weise gepflegt und die große Ski-Club-Familie darf stolz auf die gegen- seitige Unterstützung sein. Zahlreiche Kinder aus der Region nehmen an den alljährlichen Skikursen am Skilift Kalte Her- berge teil, wobei in manchen Jahren die Plätze nicht ausreichen, so groß ist die Nachfrage. Doch leider besteht auch im Nachwuchsbereich das Problem, talentierte jugendliche Skifahrer für den Wettkampfsport zu gewinnen. Die Gründe dafür sind eindeutig. „Die Kinder sind heute viel mehr in der Schule eingebunden und die Kosten für die Ausrüstung und für die Reisen zu den Wettkämpfen können von den meisten Eltern nicht mehr getragen werden“, so der Vorsitzende. Deshalb ist der Wälderpokal für die Nachwuchs-Rennfahrer ein wichtiges Ereig- nis geworden. Bei den drei Rennen in Waldau, Fischbach und Urach kann jeder Wettkampfluft schnuppern und sich im Feld von über 300 Teil- nehmern austesten. Mit einem weiteren Problem hat der Ski- Club Urach ebenfalls zu kämpfen: Immer we- niger Mitglieder können, meist aus zeitlichen Gründen, die Tätigkeit als Trainer ausüben und die erforderlichen, zeitaufwändigen Fortbildun- gen besuchen. Auch Helfer aus Urach dabei: Skicross-Rennen künftig wohl am Feldberg Große Wettbewerbe wie die Skicross-Rennen auf FIS-Ebene werden höchstwahrscheinlich in der Zukunft kaum noch in Urach durchgeführt werden, zu unsicher ist die Schneelage. Und ohne Schneekanonen ist die Pistenpräparierung zum Zwecke des Wettkampfes nicht mehr mög- lich. Kleinere Skicross-Rennen, der Wälderpokal sowie die jährlichen Bike-Wettkämpfe stehen aber weiterhin auf dem Programm und werden 286 Sport

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von der großen Helferschar des SC Urach mit viel Engagement durchgeführt. „Die Zukunft des Skicross fokussiert sich in unserer Region auf den Feldberg, wo ein Skicross-Zentrum mit Wettkampf- und Trai- ningsmöglichkeiten geplant ist“, erklärt Man- fred Kienzler. Eine Abordnung des SC Urach wird das dortige Organisationsteam tatkräftig bei den kommenden Skicross-Rennen unter- stützen. Doch allen Beteiligten bleiben die DSV-Skicross-Rennwochenenden von 2006, 2009 und 2010 sowie die FIS-Skicross-Wochen- ende von 2012 und 2015 in bester Erinnerung. Da wehte internationaler Wind durch das Schwarz- walddörfchen Urach. Diese großartigen Events konnten vor allem auch dank der großen Hilfs- bereitschaft und des guten Zusammenhalts im Verein realisiert werden. Spektakuläre Rennen und Sprünge hat der Skicross zu bieten. Oben eine Impression vom FIS-Skicross 2015 am Hang des Uracher Sägenhofliftes. Unten: Die Helfer und Akteure des FIS-Skicross- Wochenendes 2015. Ganz links Landrat Sven Hinterseh, links kniend Vöhrenbachs Bürgermeister Robert Strumberger. Ganz rechts, stehend Mitte der Ski-Club-Vorsitzende Manfred Kienzler. Liegend Lokalmatadorin Daniela Maier. XXX 287 287

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Die Kriegs sind eine Reiter- familie durch und durch „AK Sportpferde“ aus VS-Nordstetten gelten als Qualitätslabel von Christina Nack Das Domizil der Familie Krieg ist leicht zu finden und leicht zu erkennen: Der letzte Hof rechts in Nordstetten, idyllischer, kleiner Stadtbezirk von Villingen-Schwennin- gen mit nur einer Straße. An deren nordöstlichem Ende steht ein Lastwagen mit der Aufschrift „AK Sportpferde“, die Großbuchstaben sind das Kürzel für Andreas Krieg und gelten in Reiterkreisen als Qualitätslabel. Der 56-jährige ist mit rund 200 Siegen in der schweren Klasse einer der erfolgreichsten und erfahrensten Springreiter Deutschlands, hat bedeutende Nationenpreise und Championate gewonnen. Die Liebe zum Pferd und zum Reitsport teilt er mit Ehefrau Kirsten. Die beiden lernten sich bei einem Turnier kennen und gründeten 1987 ihren professionellen Ausbil- dungs- und Verkaufsstall. Sohn und Tochter repräsentieren eindrücklich dessen sportliches Niveau. Leonie (18) ist amtierende Europameisterin mit der Juniormann- schaft, ihr Bruder Niklas (22) ist Berufsreiter mit bereits rund 50 S-Siegen; zu Beginn des Jahres gewann er den Großen Preis beim Weltcup-Springen in Leipzig. Keine Frage: Die Kriegs sind eine Reiterfamilie durch und durch. „Such’ dir neue Wege, rechts, links, vor und zu- rück, und orientiere dich nicht nach Hufschlag- figuren, das ist hier zwecklos…“ Andreas Krieg steht in der Mitte seines Reitplatzes und be- obachtet eine junge Reiterin, die sich auf einer großrahmigen Schimmelstute um das Reiten symmetrischer Schlangenlinien bemüht. Das funktioniert aber nicht, weil überall Hindernisse herumstehen, über die das Pferd nach dem Auf- wärmen („Abreiten“) springen soll. Die 16-jährige ist in Begleitung ihrer Mutter gekommen, die den Anblick der strahlenden Tochter genießt. Reiten ist deren Hobby, am meisten Spaß hat sie am Springen, jetzt wollen die Eltern ein Pferd für sie kaufen und vertrau- en der Kompetenz und Erfahrung von Andreas Krieg. Pferde üben eine magische Anziehungskraft auf Andreas Krieg aus Der gebürtige Löffinger Andreas Krieg stammt nicht aus einer Pferde-, sondern aus einer Metz- gerfamilie. Er absolvierte zwar eine Ausbildung als Metzger, merkte aber bald, dass er in diesem Beruf nicht glücklich werden würde. Von Kind- heit an habe er sich magisch von Pferden ange- zogen gefühlt und seine Eltern hätten seine Zu- neigung gefördert, erinnert er sich dankbar. Sie schenkten ihm ein Pony und ermöglichten ihm Unterricht im Donaueschinger Reitverein, der nach wie vor der Heimatverein der Familie ist. Nach ersten Turniererfolgen mit Schulpfer- den qualifizierte sich Andreas Krieg bald für hö- here Leistungsklassen. 1981 startete er erstmals 288 Sport

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Leonie Krieg ist amtierende Europameisterin mit der Juniorenmannschaft. Sie zählte zu den vier Auserwählten, die 2016 um den von Springreiter- legende Hans Günter Winkler ins Leben gerufenen Nachwuchs preis „Goldener Sattel“ kämpfen durfte und wurde großartige Zweite. Rechts: Andreas Krieg hat den Erfolg der Familie begründet. Seit zwei Jahren startet er bei Turnieren nicht mehr selbst. beim Internationalen Prinz Kari zu Fürsten- berg-Gedächtnisturnier in Donaueschingen und maß sich mit der Welt-Elite – gerade mal 21 Jah- re jung. Donaueschingen sollte sein Durchbruch in den Leistungs- und Spitzensport sein. Er stu- dierte Betriebswirtschaft, denn er wollte seine Passion zum Beruf machen. „Es ist nicht leicht, mit Pferden Geld zu verdienen, darum muss man rechnen und gut wirtschaften können.“ Der Plan ging auf, Andreas und Kirsten Krieg erfüllten sich einen Lebenstraum und sind glücklich, dass beide Kinder so pferdever- 290 Sport

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Niklas Krieg kann als Berufsreiter bereits 50 Siege bei S-Springen vorweisen (Stand 2016). Mit der Holsteiner Stute Carella v. Clearway-Concerto II siegte er u.a. im Januar 2016 beim Weltcup-Springen in Leipzig. rückt sind wie sie selbst. „Wir haben sie nie ge- drängt“, versichert der Vater, „Gleichwohl wäre ein Familienleben schwierig geworden, wenn sie sich für Fußball oder Tennis entschieden hätten. Wir hätten uns kaum gesehen, weil ich fast jedes Wochenende auf einem Turnier war.“ Ehefrau und Kinder waren meist mit von der Partie und bis heute spielt sich ein Gutteil des Familienlebens auf Turnierplätzen ab. Innerhalb Europas ist die Familie mit dem Transporter unterwegs Seit zwei Jahren startet Andreas Krieg nicht mehr selbst, ist aber nach wie vor ständig auf Tour, um Niklas und Leonie zu betreuen. Innerhalb Europas fährt die Familie mit dem Transporter, der nicht nur Platz für sechs Pferde bietet, sondern in der Wohnkabine auch für vier Menschen. Manchmal nutzen die Kriegs einen Start für einen Kurzurlaub, so waren sie im Frühsommer zu viert beim Großen Preis in Rom, wo sich Niklas gut platzierte. An den Ausflügen in die Ewige Stadt beteiligte er sich nur selten: „Ich bleibe lieber bei den Pferden.“ Zu weit entfernten Zielen müssen die zwei- und vier- beinigen Spitzensportler fliegen; Niklas erzählt von seinem Start 2013 in Wellington/Florida. Die Pferde hätten den zwölfstündigen Flug in Containerboxen locker weggesteckt: „Sie sind nervenstark und lange Reisen gewohnt.“ Damit sie zu Spitzenleistungen in der Lage sind, müssen sie behutsam ausgebildet und systematisch gymnastiziert werden. Es dauert lange, bis ein Pferd „S-reif“ ist, frühestens mit sieben Jahren, sagt Niklas. „Fürs Reiten und vor allem für die Ausbildung brauchst du viel Einfühlungsvermögen und Geduld.“ Der junge Mann hat sein Handwerk von der Pike auf ge- Reiterfamilie Krieg 291

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Niklas Krieg gilt als Sympathieträger des CHI Donaueschingen, was 2015 durch eine Sonderehrung zum Aus- druck gebracht wurde. Gefragt sind bei der Veranstaltung in Donaueschingen seine Autogramme. lernt, hat sich in einem Profi-Stall bei Darmstadt als Pferdewirtschaftsmeister mit Schwerpunkt Reiten qualifiziert, bis er vor einem Jahr in den elterlichen Betrieb zurückkehrte. Seine Schwes- ter Leonie hat sich beruflich noch nicht ent- schieden. Sie hat erst 2015 ihr Abitur am Hopt- bühl-Gymnasium in Villingen gemacht, war anschließend auf Reisen und liebäugelt jetzt mit dem Studium von Sportmanagement. Die rund 25 Pferde der Kriegs werden intensiv betreut und trainiert Im Stall hängt ein großformatiger Fütterungs- und Trainingsplan für die 20 bis 25 Pferde, an dessen Umsetzung drei Angestellte beteiligt sind. Jedes Pferd hat ein individuelles Pro- gramm zum differenzierten Muskelaufbau und zur Förderung von Wendigkeit, Ausdauer, Konzentration. Das eigentliche Springen macht den geringsten Teil der Ausbildung aus, es ist gewissermaßen das Ergebnis systematischer Gymnastik und grundlegender Dressurarbeit. Ähnlich wie zweibeinige Athleten erhalten die Pferde Physiotherapie und spezielles Futter. Als Ausgleich für zweimaliges Training am Tag dürfen sie auf die Koppel oder werden gemüt- lich im Gelände geritten, wo Ross und Reiter die Seele baumeln lassen können. Da Niklas und Leonie wegen ihrer Siege in der schweren Klasse wenig Startmöglichkeiten auf ländlichen Turnieren im Schwarzwald-Baar- Kreis haben, dürfen sie hier nur bei Springpfer- deprüfungen starten, bei denen es weniger um Leistungen geht, sondern Talent und Rittigkeit junger Nachwuchspferde beurteilt werden. Solche Wettbewerbe werden aber selten ange- boten, sodass die Turniere auf den Immenhöfen und im Donaueschinger Schlosspark die einzi- gen im Kreisgebiet sind, bei denen die Familie Krieg zu den Stammgästen gehört. Auf die Frage, welches Turnier zwischen Helsinki, Göteborg, Aachen und Tripolis das 292 Sport

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Leonie Krieg gilt als eines der großen Talente im Reitsport der Damen, hier mit ihrem Pferd Champerlo. In Nord- stetten betreibt die Familie einen Ausbildungs- und Turnierstall. schönste ist, kommt unisono eine gemeinsame Antwort: Natürlich das in Donaueschingen, wo Niklas Krieg als ein Sympathieträger fungiert, wie eine 2015 erfolgte Ehrung ausdrückt. Dass sich die Kriegs immer wieder von ihren Erfolgspferden trennen müssen, tut ihnen ei- nerseits leid, andererseits ist der Pferdeverkauf eine wichtige Einnahmequelle. Die Siegesprä- mien sind ein schönes Zubrot, aber keineswegs existenzsichernd. „Schön wäre ein Sponsor für unsere Kinder, damit wir nicht ständig unsere Spitzenpferde verkaufen müssen“, sagen die stolzen Eltern. AK-Pferde haben unter Reitern auf der ganzen Welt Karriere gemacht, man- che wurden bis in die USA verkauft. Etliche der guten Nachwuchspferde stammen aus eigener Zucht. Erfolgreiche Springpferde sind sehr begehrt und teuer. Allein die Anschaffung entspricht dem Preis eines teuren Sportwagens. Amateurreiter, professionelle Springreiter oder deren Sponsoren sind ständig auf der Suche nach diesen edlen Pferden, so die Familie. Pferde als Partner und Freunde Wenn erfolgreiche Springstuten in Rente gehen, werden sie gedeckt und ziehen dann zu einem befreundeten Züchter um, wo ihre Fohlen auf großen Weiden in der Gemeinschaft einer Her- de aufwachsen. Die Kriegs züchten keine be- stimmte Rasse, sondern haben Holsteiner, Han- noveraner, Westfalen, auch Württemberger. Entscheidend ist nicht das Zuchtgebiet, sondern die sportliche Eignung. Dazu zählt nicht nur das Exterieur, also Körperbau, Gang- und Sprung- vermögen, sondern auch das Interieur, also Cha- rakter und Temperament. „Und sie sollten Kampfgeist und Leis- tungswillen haben“, ergänzt Niklas Krieg. Sein Verhältnis zu den edlen, starken Tieren, die sich doch dem Menschen vertrauensvoll un- terordnen, beschreibt der junge Profireiter aus Nordstetten so: „Pferde sind meine Partner und Freunde. Ohne sie könnte ich mir mein Leben nicht vorstellen.“ Reiterfamilie Krieg 293

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Zentrumsnah in der „sonnigen Bergstadt“ gelegen, bietet das Café Bohnenheld mehr als nur guten und fair gehandelten Kaffee. Als Ort der Be- gegnung und des Austauschs hat sich das kleine Café inzwischen über die Stadtgrenzen St. Georgens hinaus einen Namen gemacht. Wer das Café Bohnenheld in der Friedrichstraße in St. Georgen betritt, den umgibt sogleich eine sehr gemütliche und familiäre Atmosphäre. Man spürt, dass hier jeder willkommen ist und hat die Wahl, an einem der kleinen Tische mit den bunten Stühlen Platz zu nehmen oder es sich in der Bücherecke auf den roten Sofas be- quem zu machen. Oder aber man setzt sich am „Runden Tisch“ in der Mitte des kleinen Rau- mes einfach dazu. Denn genau dafür ist er da: sich dazu gesellen, mit anderen ins Gespräch kommen, sich austauschen, zuhören oder zu erzählen. Ort der Begegnung und des Austauschs Insbesondere an diesem Tisch wird deutlich, dass das Café Bohnenheld in St. Georgen mehr ist als nur ein Café. Es ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs, ein Ort voller Engagement und Einsatz. Jede Menge freiwilliger Helfer sind hier aktiv und regelmäßig treffen sich Eh- renamtliche am Runden Tisch. Hier kommen Sprachhelfer mit Flüchtlingen zusammen, um sie beim Erlernen der deutschen Sprache zu un- terstützen. Schülerinnen und Schüler der schul- übergreifenden Fairtrade-AG treffen sich alle zwei Wochen hier, um gemeinsam zu überle- gen, wie man dazu beitragen kann, die Welt mit Hilfe des fairen Handels ein kleines Stückchen besser zu machen. Auch verschiedenen anderen Gruppen und Treffpunkten – wie beispielsweise der Steuerungsgruppe „Fairtrade-Town St. Ge- orgen“ – stellt das Café seine Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung. Auf Ehrenamtlichkeit beruht das gesamte Konzept des Café Bohnenheld, das in ehren- amtlicher Arbeit vom Verein „Von Mensch zu Mensch“ betrieben wird. Meistens kosten- deckend und wenn doch einmal etwas übrig bleibt, wird der Erlös für soziale Projekte ge- spendet. Die Idee für dieses Café kam aus den Reihen der evangelisch-methodistischen Kirche in St. Georgen. Wie Tobias Beißwenger, Pastor der Gemeinde, schildert, stand dabei vor allem das Ziel im Vordergrund, neue Möglichkeiten und Räume für Begegnungen und Kontakt zu schaffen. „Wir hatten den Wunsch, eine Art offene Tür einzurichten.“ Die Hemmschwelle, in die Kirche zu gehen, sei oft zu hoch, aber der Bedarf an Austausch dennoch vorhanden. „Kon- takt zu Menschen herzustellen, funktioniert am Das Café Bohnenheld ist Treffpunkt für alle Generationen. Café Bohnenheld 295

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Besonderes Flair bietet auch die neue Gartenterrasse des Cafés. besten mit Aktionen außerhalb der Räumlich- keiten der Kirche“, ist Beißwenger überzeugt. „Bei uns werden Mauern abgebaut, was zu vielen schönen Erlebnissen führt“, freut sich Christine Kinces, die das Projekt Bohnenheld von Anfang an mit begleitet hat. Wichtig ist ihr jedoch zu betonen, dass es sich beim Café Boh- nenheld zwar um ein christliches Café handelt, niemand der Gäste jedoch befürchten muss, mis- sioniert zu werden. „Wir haben Zeit und sind da, so wie es die Menschen möchten und brauchen.“ Rund 20 ehrenamtliche Helfer sind im Wechsel im Einsatz Die Geburtsstunde des Café Bohnenheld geht auf eine Klausurtagung der Gemeinde Anfang des Jahres 2013 zurück. Hier wurde endgültig der Beschluss gefasst, ein Café zu eröffnen. Als Betreiber musste zunächst ein Verein gegrün- det werden. Die Suche nach Räumlichkeiten war schnell erfolgreich und dank zahlreicher Helfer und Helferinnen sowie eines sehr entgegen- kommenden Vermieters konnten die Umbau- arbeiten zügig durchgeführt werden. Im Herbst 2013 wurde das Café schließlich eröffnet. „Hürden gab es nur sehr wenige. Auch wenn wir vor den Behördengängen zunächst Respekt hatten, konnten wir immer wieder die Erfah- rung machen, dass uns Hilfe angeboten wurde und wir sehr wohlwollend behandelt wurden“, freut sich Pastor Beißwenger rückblickend. Ungewiss war anfangs auch die Frage, ob ein Kaffeebetrieb dauerhaft durch ehrenamtli- che Mitarbeiter gestemmt werden kann. Doch auch in dieser Hinsicht wird der Verein immer wieder positiv überrascht. Mittlerweile besteht das Café -Team aus rund 20 Personen jeden Alters, die im Wechsel an den Nachmittagen im Einsatz sind. „Es ist eine total schöne Erfahrung, dass es immer weitergeht. Sobald eine Lücke im Team entsteht, kann sie auch schon wieder gefüllt werden. Als Ehrenamtliche im Café hat man so viele tolle Begegnungen, geht jedes Mal selbst beschenkt heraus, mit neuen Ideen und Inspirationen“, resümiert Christine Kinces. Einladendes und kreatives Ambiente In einem Team dieser Größe kann es selbst- verständlich auch hier und da zu Meinungs- verschiedenheiten kommen. „Nicht ganz einig waren wir uns am Anfang zum Beispiel darüber, wie die Inneneinrichtung aussehen soll“, ge- ben Christine Kinces und Tobias Beißwenger schmunzelnd zu. Gemeinsam konnte jedoch eine Lösung gefunden werden und entstanden ist ein farbenfrohes, einladendes und kreatives Ambiente, das so manche Besonderheit auf- weist. „Unter dem bunten Anstrich verbergen 296 Gastlichkeit

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sich unsere alten Kirchenstühle“, verrät Tobias Beißwenger. „Besonders die älteren Gemeinde- mitglieder haben sich sehr darüber gefreut, dass ‚ihre‘ alten Stühle hier wieder zur Geltung kom- men und in neuem Glanz erstrahlen.“ Auch die Garderobe ist ein echter Hingucker. Aus alten Gabeln und Löffeln, einem Stück Holz, ein paar Schrauben und ein bisschen Farbe hat Christine Kinces dieses Einzelstück selbst angefertigt. Der Eindruck, dass alle Produkte, die im Café angeboten werden, mit Bedacht und Sorgfalt ausgewählt sind, entsteht schnell. Bio, fair und regional lauten hier die Leitlinien. Wo immer es möglich ist, greift der Verein „Von Mensch zu Mensch“ auf fair gehandelte, ökologisch produ- zierte und regional angebaute bzw. hergestellte Waren zurück. So kommt der Bohnenheld-Kaffee von Kleinbauern aus Kamerun, die faire Preise für ihre Ware erhalten. Kuchen und Backwaren lie- fern örtliche Bäckereien oder Hobby-Bäckerinnen aus dem Umfeld des Cafés. Neben dem Café-Ein- gang befindet sich ein Regal mit Geschenkarti- keln – von Ohrringen über Postkarten bis hin zu Schlüsselanhängern, Kerzenständern und Sei- fen – ebenfalls Selbstgemachtes aus der Region. „Menschlichkeit geht vor Professionalität“ Auf der Homepage des Cafés findet man als weitere Leitlinie den Satz „Menschlichkeit geht vor Professionalität“. Doch dass die Ehrenamtli- chen ursprünglich keinerlei Erfahrungen mit ei- nem Cafébetrieb hatten, fällt heute niemandem mehr auf. Durch eine Schulung aller Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter konnten zunächst die wichtigsten Grundsätze vermittelt werden – sei es im Zubereiten der verschiedenen Kaffeespe- zialitäten, im Abwickeln von Bestellungen oder im Bedienen der Kasse. „Unsere Gäste dürfen aber durchaus merken, dass sie von Ehrenamt- lichen bedient werden“, fügt Christine Kinces hinzu, während sie mit geübten Handgriffen einen Cappuccino zubereitet und die neu ein- treffenden Gäste herzlich begrüßt. Das Bohnenheld-Team hat reichlich Grund, stolz zu sein auf sein Café. „Viele Menschen trauen der Kirche nicht zu, etwas ‚Richtiges‘ hin- Viel Selbstgemachtes findet sich im Café Bohnen- held – sowohl in der Einrichtung als auch im kleinen Verkaufsshop. zukriegen. Wir haben das Gegenteil bewiesen – und sind immer wieder selbst überrascht, dass es so gut gelingt und angenommen wird“, zieht Tobias Beißwenger Bilanz der vergangenen Jah- re. „Für mich persönlich ist am wichtigsten, dass meine Arbeit als Pastor durch das Café aus der Gemeinde heraustritt und auch für die Gesell- schaft relevant wird.“ Für die Zukunft hoffen die Cafébetreiber, dass alles so reibungslos funktioniert wie bis- her. Darüber hinaus sollen Abendveranstaltun- gen mit in das Programm aufgenommen wer- den, kulturelle, musikalische und kreative Ange- bote. Das Team ist offen für Ideen und Vorschlä- ge auch von außen. Etabliert haben sich inzwi- schen die Veranstaltungsreihe „Coffee & Soul“, ein etwas anderer Gottesdienst, bei dem die Predigt maximal fünf Minuten dauern darf und ein gemeinsames Essen sowie Gespräche im Vordergrund stehen. Die Frühstücksveranstal- tung „Frauen(t)räume – der Treffpunkt für All- tagsheldinnen“ erfreut sich ebenso großer Be- liebtheit. Als zusätzliche Attraktion für die Sommer- monate konnte kürzlich eine kleine Gartenter- rasse hinter dem Café eröffnet werden, die bis zu acht Personen Platz bietet. Klein, aber fein und mit ganz besonderem Charme – eben ge- nau so, wie das gesamte Café. Café Bohnenheld 297

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Die Betreiber des Fürstenberg’s Irish Pub sind Michael Steiger und Werner Hergert, die beide in ihren Familien schon als Kinder mit der Gastronomie in Berührung ge- kommen sind. So ist es nicht verwunderlich, dass sie später ebenfalls Ausbildungs- berufe in diese Richtung ergriffen. Doch um zu verstehen, wie schlussendlich ein Stück Irland in den Schwarzwald importiert wurde, muss man zum Anfang zurück. Angefangen hat alles in einer kleinen Kneipe in Bad Dürrheim. Diese war nicht nur der Treffpunkt der Pfadfinder, sondern auch der Ort, an dem sich eine spezielle Per- sonengruppe gut aufgehoben fand: Iren, die als Auszubildende nach Deutschland gekommen waren. Man kam ins Gespräch, Freundschaften wurden geknüpft und nicht selten kam es vor, dass die jungen Menschen gemeinsam Lieder aus der Hei- mat der Iren anstimmten. Michael Steiger, der damals auch Gast der kleinen Kneipe in Bad Dürrheim war, bekam einen bleibenden Eindruck von der Mentalität der Gäs- te von der Grünen Insel. Später ergab sich in der Färberstraße in Villingen die einmalige Gelegenheit, eine Gaststätte zu erwerben. Michael Steiger fragte seinen alten Freund Werner Hergert und schließlich zögerten die beiden nicht lange und ergriffen diese Chance. Schnell war auch das Konzept klar, mit dem sie das Lokal betreiben wollten: Ein Irish Pub sollte es werden, ganz nach dem Vorbild der weltweit bekannten Kneipen Irlands und geprägt von den Eindrücken, die Mi- chael Steiger in seiner Jugend in Bad Dürrheim gesammelt hatte. So eröffnete 1996 Villingens erstes Irish Pub. Im gemütlichen Gastraum finden 80 Gäste Platz. Fürstenberg‘s Irish Pub 299

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Für echte Genießer: Das perfekte Guinness braucht drei Minuten. Getränken ist in großen Teilen typisch irisch. Natürlich lassen sich neben Shepherd und Beef Pie auch deutsche Gerichte wie Schweine- oder Putenschnitzel finden. Trotzdem liegt das Hauptgewicht auf der bodenständigen irischen Hausmannskost, die vor allem Gemüse und Kartoffeln beinhaltet. Besonders die Kartoffel hat in Irland Tradition, war sie nach ihrer Ein- führung Ende des 16. Jahrhunderts durch alle Bevölkerungsschichten hindurch ein Grund- nahrungsmittel. Sie war schnell und günstig anzubauen und trug so ihren Teil dazu bei, dass vor allem die armen Iren nicht verhungerten. Die aus Kartoffeln zubereiteten „Chips“, eine breite Variante der Pommes frites, werden im Pub auch heute zu den meisten Hauptgerichten serviert. Perfekt gezapftes Guinness Nicht unerwähnt bleiben soll natürlich die Verbundenheit der Iren zu ihrem Bier, dem Guinness. Und wie es sich für ein irisches Pub gehört, nahmen Michael Steiger und Werner Hergert auch dieses in die Getränkekarte auf. Für den deutschen Gaumen beim ersten Mal vielleicht noch etwas gewöhnungsbedürftig, gibt es mittlerweile viele, die das etwas andere Bier lieben gelernt haben und nicht selten nur deshalb das Pub aufsuchen. Die dunkle, fast schwarze Farbe und der helle, cremige Schaum machen es auch optisch zum Hingucker. Bis es perfekt gezapft ist, braucht so ein Guinness ganze drei Minuten. Wer es noch genussvoller haben will, sollte einen Blick in die große Whiskey-Karte des Irish Pubs werfen. Hier finden sowohl Kenner als auch Einsteiger sicherlich etwas nach ihrem Geschmack. Wer vielleicht noch Berührungs- ängste mit dem „Wasser des Lebens“ hat, kann sich von geschulten Angestellten beraten lassen und aus den 80 verschiedenen Sorten auswäh- Beliebter Treffpunkt mit „kosmopolitischem Lebensgefühl“ Am Ende der „Kneipenmeile Färberstraße“ in Villingen gelegen, hebt sich das Irish Pub nicht nur optisch ab. Wer hier einmal zu Gast war bekommt schnell einen Eindruck, wieso die Iren einen Ruf als besonders gastfreundliches Volk genießen. Die Gäste des Pubs sind bunt zusammengewürfelt, es gibt kein besonde- res Publikum, das hier ein- und ausgeht. Hier stehen junge Leute in T-Shirt und Jeans ganz selbstverständlich neben Geschäftsleuten mit Anzug und Krawatte, die ihr Feierabendbier genießen. „Kosmopolitisches Lebensgefühl“, nennt Michael Steiger diese wild durchgemisch- te und weltoffene Zusammenstellung, auf die er besonders stolz ist. Die Mischung ist es, die dem Irish Pub Charakter gibt und es zum beliebten Treff- punkt macht. Ein Gedanke, den die offene und zweckmäßige Einrichtung verfestigt: Neben kleineren Tischen für mehrere Personen gibt es die typische Theke mit Barhockern, die wie selbstverständlich zum Inventar eines authenti- schen Pubs gehört. Insgesamt bietet das Pub 80 Sitzplätze. Im Sommer witterungsbedingt mehr als im Winter, denn in den Sommermonaten können die Gäste auch auf der Terrasse einen gemütlichen Platz finden. Doch nicht nur die Einrichtung, sondern auch das vielfältige Angebot an Speisen und 300 Gastlichkeit

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An der typischen Theke mit Barhockern. len, bevor er sich auf das Geschmackserlebnis einlässt. Besonderer Beliebtheit erfreut sich der „Whiskey des Monats“, der auch ausgewiese- nen Whiskeykennern die Möglichkeit bietet, jeden Monat etwas Neues zu probieren. Verbindung von Tradition und Moderne Neben Speisen und Getränken darf auch die iri- sche Musik nicht zu kurz kommen, denn damit nahm die Geschichte des Pubs ja schließlich ihren Anfang. Dabei setzen die Geschäftsführer nicht nur auf eine klassische irische Hintergrundmusik vom Band. Im Herbst und Winter laden sie auch gerne Livebands ein, die den Pubbesuch der be- sonderen Art musikalisch bereichern. Die Verbindung von Tradition und Moderne war Michael Steiger besonders wichtig. Denn dass diese beiden Begriffe sehr wohl Hand in Hand gehen können, zeigt sich im Irish Pub an vielen kleinen Dingen. Unter anderem auch am modernen Auftritt in den „neuen Medien“, wo sich hungrige Gäste auf der Website oder in der eigenen App darüber informieren können, wel- ches Mittagsgericht am fraglichen Tag serviert wird oder welcher Whiskey der des Monats ist. Wer Lust auf ein Pub-Erlebnis hat, dem aber Villingen zu umständlich zu erreichen ist, kann auch die beiden Alternativen in Betracht ziehen, die es inzwischen gibt: Denn über die letzten Jahre ist neben Schwenningen auch Tuttlingen Heimat eines Irish Pubs geworden und trans- portiert so ein Stück Irland in den Schwarzwald. Fürstenberg‘s Irish Pub 301 Besonderer Beliebtheit erfreut sich der „Whiskey des Monats“

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Gasthaus Wilhelmshöhe Beliebter Anlaufpunkt für Einheimische, Reisende und Wanderer von Claudius Eberl Auf der Passhöhe zwischen Oberprechtal im Elztal und Schonach liegt auf 975 Meter Höhe das Gasthaus Wilhelmshöhe. Heute ist es gut über die L 109 erreich- bar, doch war das Haus mit langer Tradition einst auch ein beliebter Rastplatz für die Bewohner der ehemals eigenständigen Gemeinde Rohrhardsberg, wenn diese von Schonach her zu Fuß auf dem Heimweg waren. Auch heute ist das „Bärt“, wie es im Volksmund heißt, beliebter Anlaufpunkt für Motorradfahrer, Autoreisende aber auch Radfahrer und Wanderer. Vor allem letztere finden in dem Gasthaus mit Zimmern und Massenlager einen gerne angegangenen Rastpunkt auf dem Euro- päischen Fernwanderweg E 1 und dem Westweg zwischen Pforzheim und Basel. 302 Gastlichkeit

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Das Haus in idyllischer Schwarzwaldlage hat eine lange Geschichte. Eine Gastwirtschaft war es aber nicht immer. Bis ins Jahr 1876 kauften die Bewohner der weit abseits gelegenen Ge- meinde Rohrhardsberg im kleinen Krämerladen von Augustin und Johanna Dold die lebensnot- wendigen Dinge ein. Dann baute das Ehepaar die Hütte zu einer Gastwirtschaft mit großem Saal aus und nannte sie fortan „Zum Bären“. Jetzt hatten die Rohrhardsberger, die 1971 in die Gemeinde Schonach eingegliedert wurden, nicht nur endlich eine richtige Gastwirtschaft, nein, es war nun auch Platz genug für eine solide Wälderhochzeit, zu der traditionell das ganze Dorf eingeladen war. Der Wirtshausname brachte der Wirtin ihren Spitznamen „Altbären- wirtin“ ein, ihr Mann Augustin war auch unter dem Namen Haiden augustin bekannt. Fortan wurden und werden die Nachfahren der beiden Gründer meist mit dem Zusatz „Bärt“ benannt und auch die örtlich allgemein gebräuchliche Redewendung „Gemmer uf‘s Bärt“ wird seither verwendet. Die Ära von Veronika und Lukas Kuner Im Jahre 1894 übernahmen Tochter Veronika Kuner, geborene Dold, und deren Mann Lukas das Gasthaus, und seither haben auch die Ku- ners das Sagen auf dem „Bärt“. Bis 1929 hatten sie die Leitung des Gasthofes inne. Leicht hatten es die beiden nicht, ereilte sie doch ein schwe- rer Schicksalsschlag: Innerhalb einer Woche verstarben ihre vier Kinder an einer Epidemie, die im benachbarten Schonach und Umgebung grassierte. Das Ehepaar betete zu Gott, ihnen doch nochmals Kinder zu schenken. Und tat- sächlich gebar Veronika ihrem Lukas noch vier Kinder, die dieselben Namen erhielten wie ihre verstorbenen Geschwister: Wilhelm, Berta, Frieda und Otto. Aus Freude und Dankbarkeit, dass die Kinder gesund heranwachsen durften, benannten sie die Wirtschaft fortan nach ihrem sozusagen zweimal erstgeborenen Wilhelm: Die „Wilhelms höhe“ war erschaffen! 1929 übernahm Sohn Otto mit Ehefrau Maria, geborene Erbe, das Anwesen. Nach den Die Wilhelmshöhe bei Schonach ist ein viel besuchtes, traditionsreiches Gasthaus – unmittelbar am belieb- ten Westweg gelegen. Großeltern wurden die beiden Erstgeborenen auf die Namen Veronika und Lukas getauft, ihre beiden Geschwister Max und Ilse. Ein Brand zerstört das Bärt 1940 dann ein weiterer schwerer Schlag in der Geschichte des Bärts: Am 15. Mai wurde das Haus ein Opfer der Flammen! Die damaligen schweren Kriegszeiten ließen einen sofortigen Wieder- Gasthaus Wilhelmshöhe 303

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Das alte Gasthaus „Bärt“ vor dem Brand im Jahr 1940. aufbau das Gasthauses nicht zu, der Schankbetrieb sollte aber dennoch weitergehen. Kurzerhand funktionier- ten die Wirtsleute Otto und Maria ei- ne kleine Baracke – in dieser wohnten sie nach der Brandkatastrophe auch – in einen Wirtsraum um. Einige Jahre später konnte das Gasthaus in ähnli- chem Stil wie das Vorgängergebäude und mit Granitsteinen vom Rohr- hardsberg wieder aufgebaut werden. Und so steht es noch heute auf dem Bergrücken zwischen Schonach und Elztal. 1965 übernahm Lukas Kuner mit Lukas Kuner seiner Frau Ilse, geborene Hör, den Betrieb und bauten das Haus um und aus. Neben dem alten Gasthof mit uriger Schwarzwälder Atmosphäre entstand 1975 das Gästehaus Bärt mit sechs Gästezimmern. Dafür musste der alte Stall weichen, in dem Pferde und auch Schweine untergebracht waren. Die Pferde hielt man für die Gäste, gab Reitunter- richt, veranstaltete Reitturniere und unternahm mit den Gästen Schlit- tenfahrten. Die Schweine sorgten in Hausschlachtung für Nachschub in der Küche. Otto Kuner Nach wie vor ein Familienbetrieb Lukas Kuner, der aus erster Ehe Sohn Manfred mitbrachte, verstarb schon früh im Alter von nur 52 Jahren, Ilse Kuner führte den weithin bekann- ten Gasthof zunächst alleine weiter, später zusammen mit den beiden Töchtern Ulrika und Stephanie. 2010 übernahm dann Tochter Ulrika, die Hotelfachfrau gelernt hat, mit ihrem Mann Matthias Wolf den Betrieb. Die nächste Ge- neration steht noch nicht ganz in den Startlö- chern, aber der 16-jährige Sohn, der nach alter Tradition auf den Namen Lukas getauft wurde, überlegt, ob er Koch werden will. Die 13-jährige 304 Gastlichkeit

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Ilse Kuner (links) mit Tochter Ulrika und deren Ehemann Matthias Wolf sowie den Kindern Lea und Lukas am historischen Küchenherd des Gasthauses. Tochter Lea hat dagegen noch etwas Zeit, um sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Fünf feste Kräfte und Aushilfen unterstüt- zen das Ehepaar Kuner in der täglichen Arbeit. Und natürlich Mutter Ilse! Die 77-jährige steht noch täglich mit Freude in der Gastwirtschaft, sorgt auch für den frischen Blumenschmuck auf den Tischen und die Außenanlage. Sein Flair nie verloren Seit dem Wiederaufbau wurde das Haus mehr- fach umgebaut und saniert. Sein gemütliches, urtypisches Flair aber hat es nie verloren. Schon der liebevoll gestaltete Eingangsbereich, lässt vermuten, dass man es sich hier auf dem Bärt gutgehen, die Zeit und den Alltagsstress hinter sich lassen kann. Dort sind auch einige Relikte aus der Vergangenheit zu sehen, so künden alte Zeitungsauschnitte von Hochzeiten, Konzerten, Musikveranstaltungen, Preiskegeln oder dem Hammeltanz auf dem Bärt. Der Eingangsbereich mit seinem alten Holz- Herd lässt auch noch anderes erwarten: Hier gibt es bodenständige Kost! Gleich daneben die große Sonnenterrasse: Dort lässt es sich bei schönem Wetter aushalten, sei es im Frühling, Sommer oder gar im Winter. Der Gastraum wurde in den letzten 70 Jah- ren kaum verändert, er versprüht den Charme eines Gasthauses aus den 1950er-Jahren ohne altbacken zu wirken. Am Stammtisch vor dem großen Kachelofen treffen sich noch heute die Bewohner des Rohrhardsbergs, um beim Bier oder einem Viertele den neuesten Tratsch aus- zutauschen. Dem Hauptgastraum angeschlos- sen findet sich ein Nebenraum, der auch für Familienfeierlichkeiten bestens geeignet ist. Hat der Gastraum auch den Charme der Ver- gangenheit, die Sanitärräume sind modern, hell und freundlich gestaltet. Hier im Kellergeschoss warten auf die Hausgäste übrigens sogar eine Sauna und ein Solarium. Im Gasthaus sind Unterkünfte für rund 20 Gäste, allerdings einfachster Art mit Dusche Gasthaus Wilhelmshöhe 305

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heißt es vom Personal: „Wenn‘s nicht reicht, melden Sie sich!“. Ganz nach dem Motto der Chefin: „Wenn die Leute zufrieden sind, bin ich es auch!“. Famili- enfreundlich ist man auf jeden Fall: Zu jedem Gericht aus der Kinderkarte gibt es eine kleine Überraschung. Im Außen- bereich befindet sich ein Spielplatz. Die Speisekarte will die Wirtsfamilie übersichtlich halten. „Wenn was Neues draufkommt, muss was Altes runter!“, erklärt Matthias Kuner. Mit dem Än- dern der Karte ist man vorsichtig – doch die Küche könne auch anders, schmun- zelt seine Frau. So gibt es an Silvester ein Fünf- oder Sechs-Gänge-Menü, auch für Festlichkeiten erfüllt man gerne Wünsche. Alles beim Alten auch beim Kuchen: Der ist selbstgebacken! Vor allem die Schwarzwälder Kirschtorte ist sehr Für Familien ist gut gesorgt, auch einen Spielplatz gibt es. und Toilette auf dem Flur. „Waren solche Unter- künfte noch vor einigen Jahren verpönt, gibt es heute doch immer mehr Gäste, vor allem Wan- derer, die das Einfache gerne haben“, erklärt Ulrika Kuner. Natürlich hätte man das Ober- geschoss des alten Gasthofes auch umbauen und mit modernen Zimmern versehen können. „Aber die Raumhöhe eignet sich für den Einbau moderner Zimmer nicht, wir hätten alles bis auf das Erdgeschoss herunter abreißen müssen!“ Bodenständige badische Küche Und was nun der Eingangsbereich schon ver- spricht, nämlich bodenständige badische Kost, das hält die Küche auch! Die Speisekarte hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Wa- rum auch! Was dort angeboten wird, verlangen die Gäste auch: Wurstsalat, Vesper, Schäufele oder Reibekuchen. Aber auch Forelle, Schnitzel, Steaks oder „Ilses Lendchenteller“ und vegeta- rische Gerichte sind bekannt und beliebt. Und wann immer ein Teller auf dem Tisch steht, gefragt. Die Menge an Kuchen lässt vermuten, dass der Gasthof viel besucht ist. Und tatsäch- lich sind die 70 Sitzplätze innen in der Saison oft voll belegt. Und wenn es das Wetter zulässt, ist auch auf der, Mitte der 1990er-Jahre ange- bauten Terrasse mit 50 Plätzen kaum noch ein freier Platz zu finden. Die Hausgäste kommen übrigens aus ganz Deutschland, teilweise neh- men die Urlauber schon seit 50 Jahren Quartier auf dem Bärt. „Es macht uns viel Spaß“ Im Herbst dann schließt das Bärt für fünf Wo- chen. Zeit für die Familie Kuner durchzuatmen, aber auch, um Renovierungen am und im Haus vornehmen zu lassen. Einfach, so Ulrika Kuner, sei es als Gastronom nicht gerade. Durch viele Vorschriften und Gesetze wartet nach der Ar- beit im Gasthof nicht selten noch viel Büroar- beit. Auch geeignete Mitarbeiter zu finden sei nicht einfach, da schätzen sich Kuners glücklich, da sie auf einen erfahrenen Personalstamm zurückgreifen können. „Es macht uns viel Spaß, ich könnte mir nichts anderes vorstellen. Das ist mein Leben!“, betont Ulrika Kuner. 306 Gastlichkeit

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„Jazzkeller“ in Villingen besteht seit 55 Jahren In ganz Deutschland für erstklassige Programmqualität bekannt von Friedhelm Schulz Wo gibt es das noch: Kellerräume, die das Flair einer längst vergangenen Zeit aus- strahlen und eine kleine Bühne, auf der sich Musiker, wie Ölsardinen gepresst, zu- sammendrängen müssen. Dennoch stehen die angesagten Bands der europäischen Jazzszene Schlange, wenn es um einen Konzerttermin in der Webergasse 5 in Villin- gen geht. Die Adresse ist viele Jahre wohlbekannt und hat einen guten Ruf, der weit über den Schwarzwald hinausreicht. Seit 1961 finden hier, stets im gleichen Ambien- te, zumeist Jazzkonzerte statt – seit nunmehr 55 Jahren. In Deutschland gibt es höchstens zwei oder drei Adressen, die da mithalten können. Dass der kleine Jazzkeller in der Villinger Innenstadt für erstklassige Programmqualität steht, wird alleine durch eine Tatsache bestätigt: Der seit 2013 von der Bundesregierung für Rock und Jazz gestiftete Spielstättenpreis „Applaus“ ging bis- her gleich dreimal in Folge an den Jazzclub nach Villingen-Schwenningen. An so viel Ehrung hatten die Gründer des Vereins wohl nicht geglaubt und kaum jemand hätte erwartet, dass in der Webergasse nach Eine Plattform für junge Musiker war der Villinger Jazzkeller immer schon. Hier die Tübinger Klarinettistin Rebecca Trescher mit ihrer Band. 13. Kapitel – Musik 307 307

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Bekannte Jazzer, die sonst auf großen Bühnen stehen, kommen über viele Jahre immer wieder gerne in die Webergasse, wie der Perkussionist Reto Weber und der Pianist Jasper van´t Hof. fünf Jahrzehnten noch immer mit engagierter Vitalität von ein paar eingefleischten Fans hoch- karätige Jazzkonzerte durchgeführt werden. Alles begann in den 1950er Jahren, als der Trompeter Miles Davis populär und Jazzmusik bei jungen Leuten der Nachkriegsgeneration angesagt war. In der beschaulichen Schwarz- waldstadt Villingen trafen sich Jazzfreunde, um in Wohnzimmern Schallplatten zu hören oder gemeinsam zu Konzerten zu fahren. Der Kreis wuchs, die Wohnzimmer waren schnell zu klein und es begann die Suche nach einer Bleibe für den Jazz. Der Villinger Kaufmannsfa- milie Rettich ist es zu verdanken, dass Räume in der Webergasse 5 für diese damals recht ungewöhnlichen Vereinszwecke an eine Grup- pe junger Leute um Fritz Gundacker vermietet wurden. Tonaufnahmen mit heutigen Jazz-Größen Jazzmusik war damals rund um Villingen al- lenfalls in Stuttgart oder Zürich live zu erleben. Das Musikangebot in der Stadt beschränkte sich auf klassische Konzerte, die vom kommunalen Volksbildungswerk angeboten wurden. Und in der SABA-Fabrik wurden Radio- und Fernseh- geräte von erstklassiger Qualität gebaut. Da waren es Zufall und Glück, dass Hans Georg Brunner-Schwer aus der Eigentümerfamilie des Radioherstellers seit den 1950er-Jahren mit Mi- krofonen experimentierte und bei sich zu Hause Tonaufnahmen mit jungen Musikern wie Horst Jankowski oder Wolfgang Dauner machte. Als dann 1962 bei SABA ein Tonstudio eingerichtet wurde, um bespielte Bänder für Tonbandgeräte anbieten zu können, war im doppelten Sinn der Anfang für den Jazz in Villingen gemacht. Gundacker und seine Mitstreiter organisier- ten regelmäßig Konzerte im Vereinsdomizil in der Webergasse, aber es fanden auch immer wieder gemeinsame Veranstaltungen mit der SABA statt, zum Beispiel in der Tonhalle. Im klei- nen Jazzkeller trafen sicher auch Jugendgrup- pen, es wurden Kunstausstellungen und Ge- sprächskreise organisiert. Der Jazzkeller war das erste Jugend- und Kulturzentrum in der Stadt. Viele Jazzmusiker, die heute legendär sind, wurden von Beginn an im Programm präsen- tiert: Albert Mangelsdorff, Michael Naura, Gun- ter Hampel, Peter Brötzmann, Irène Schweizer 308 Musik

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Musiker aus ganz Europa fühlen sich im kleinen Villinger Jazzkeller zuhause, wie hier das Trio „Vein“ aus der Schweiz. und andere spielten hier in den Anfangsjahren und machten den kleinen Konzertkeller ziem- lich schnell in der deutschen Jazzszene bekannt. Dabei ist es im Lauf der Jahre geblieben. Nicht wenige Jazzer haben hier in jungen Jahren als Nachwuchsmusiker gespielt und kamen auch dann immer wieder gerne zurück, als sie be- kannte Namen hatten. So ist das bis heute. Immer schon Festgagen Das hat sicherlich mit der unverwechselbar relaxten Atmosphäre im Jazzkeller zu tun, dem aufmerksamen Publikum, aber auch der Tatsa- che, dass die Musiker und die Musik hier immer im Vordergrund standen. Während bis heute namhafte Jazzer selbst in Städten wie Berlin ge- gen Eintritt auftreten müssen, wurden in Villin- gen seit Anfangszeiten Festgagen gezahlt. Die sind natürlich nicht riesig, aber für die Musiker ein Zeichen des fairen Umgangs miteinander. Die bewährte Politik des Villinger Jazzclubs ist mittlerweile von vielen Veranstaltern über- nommen worden. Heute finden sich im stilis- tisch breitgefächerten Konzertangebot Swing, Modern Jazz, Avantgarde und auch weltmusika- lische Projekte. Oberste Prämisse ist aber stets die musikalische Qualität. Was im Jazzkeller seit 1961 auch unverändert geblieben ist, ist das ehrenamtliche Engagement: Die gut 30 Veran- staltungen, die hier im Jahr stattfinden, werden von einem kleinen Kreis von Enthusiasten in der Freizeit organisiert. Auch das seit 55 Jahren; nie- mand aus dem Kreis der heutigen Aktiven kann sich Villingen ohne den Jazzkeller vorstellen. Heimelige Atmosphäre – der Jazzkeller in Villingen ist einer der kleinsten, aber angesehendsten Jazzkeller in Deutschland. Jazzkeller Villingen 309

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Triberg anno 1919: Der Erste Weltkrieg ist zu Ende. Otto Hildenbrand ist Wirt. Er hat das Gasthaus „Krone“ in der Schul- straße gepachtet. In dem Hinterhaus ist ein Tanzsaal. Der Gastwirt hat eine Idee: Er kauft diesen Gebäudeteil und über- gibt ihn seiner Tochter Emma, verheira- tete Klausmann. Was war Emma wohl für eine Frau? Ist sie vielleicht begeistert von Stummfilmen und dem Zelluloid verfallen? Oder hat sie einfach nur ei- nen ausgeprägten Geschäftssinn? Das weiß heute keiner mehr, doch ihr ist es zu verdanken, dass Triberg ein Kino hat: Am Sonntag, 2. Februar 1919, abends um halb acht, öffneten sich die Tore des Hinterhauses – und der ehemalige Tanz- saal hatte sich in die „Kronenlichtspiele“ verwandelt... Kino anno 1919 war schon ein besonderes Erlebnis und man kann nur vermuten, dass die Vorstellungen ausgebucht wa- ren. Denn Emma Klausmann präsentiert gleich zu Anfang drei Filme: „Inge“ ein Schauspiel in vier Akten; „Irmas Ehekontrakt“, ein Lustspiel in drei Akten und einen Liebesfilm mit dem Titel: „Im sonnigen Italien“. Es waren Stummfilme, doch für die ent- sprechende Dramatik sorgte ein Klavierspieler und manchmal wurde er sogar von ein bis zwei Geigern unterstützt. So war der Kinofilm ei- gentlich nie so richtig „stumm“. Gespielt wurde wahrscheinlich nur an den Wochenenden und „ins Kino zu gehen“ war das gesellschaftliche Ereignis schlechthin. Immer in der vordersten Reihe und das im wahrsten Sinne des Wortes: Margarete und Anton Retzbach in ihrem großen Saal. Die „Kronenlicht- spiele“ im Jahr 1919. Links: Zeitungs- anzeige zur ersten Vorstellung. Dann kam der Ton. Ende 1929 liefen die ers- ten drei echten Tonfilme. Willy Fritsch sprach in „Melodie des Herzens“ den ersten – nicht ganz so bedeutenden – Satz: „Ich spare nämlich auf ein Pferd.“ Das war jetzt nicht gerade hohe Lite- ratur, aber anno 1929 eine Sensation. Große In- vestitionen waren für die Kinoinhaber notwen- dig. Vielleicht nicht gleich, doch etwas später ist der Tonfilm auch in Tribergs „Kronenlichtspiele“ eingezogen. 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, kommt mit „Frauen sind doch bessere Diplomaten“, der erste Abend füllende Ufa-Spielfilm in Ag- facolor mit Marika Röck in die Kinos. Zugleich werden Hotels in Lazarette umgewandelt – der Krieg bestimmt immer mehr den Alltag. In den letzten Kriegswochen werden in Triberg noch vier Häuser von Bomben vollständig zerstört und etliche beschädigt. Karl Klausmann gerät in Kriegsgefangenschaft. Am 24. April 1945 ist der Krieg für Triberg mit der kampflosen Übergabe vorbei und die fran- Kronenlichtspiele Triberg 311

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zösische Besatzungsmacht schließt das Kino, es wird als Quartier genutzt. der Freizeitgestaltung. Das Fernsehen wird zum Massenmedium. Die „Kronenlichtspiele“ dürfen eröffnet werden Karl Klausmann kehrt zurück und erhält die „Vorläufige Eröffnungserlaubnis“ für die „Kronen lichtspiele“. Doch ins Kino kann nur, wer ein Stück Holz oder ein Brikett zum Heizen mitbringt, denn das war absolute Mangelware. 1956 legt Familie Klausmann los: Sie reno- viert, modernisiert und bringt die „Kronenlicht- spiele“ auf den neuesten Stand. Und was dann an Filmen in den Kinos lief, lässt so manchen heute noch Träumen: „Die Trapp-Familie“ mit Ruth Leuwerik, oder „Die Halbstarken“, ein deutscher Nachkriegs-Klassiker, der den jungen Horst Buchholz zum Star machte. „Giganten“ mit Elisabeth Taylor, Rock Hudson und James Dean... und „Und immer lockt das Weib“ eine Erotikfilm anno 1957 mit Brigitte Bardot, der heute Kinderkino wäre. 1965 stirbt Karl Klausmann, doch die „Kro- nenlichtspiele“ bleiben bestehen. Die Besucher- zahlen der Kinos schrumpfen. Das Wirtschafts- wunder bringt Geld und etliche Möglichkeiten Anfang der 1970er-Jahre erwirbt Emil Wagner das Gebäude. Er ist ein erfolgreicher Kinobetreiber aus Schiltach und die „Kronen- lichtspiele“ erleben eine neue Glanzzeit. „Vier Fäuste für ein Halleluja“ sind der Knaller, James Bond rettet mehrfach die Welt, „Der Schulmäd- chen-Report“ treibt Eltern in den Wahnsinn und „Der Krieg der Sterne“ beginnt... 1989 ist Emil Wagner fast 80 Jahre alt und sucht einen Nachfolger. Er schaltet eine An- nonce in einer Fachzeitschrift und schreibt das Kino zur Pacht aus. Aufmerksam gelesen wird diese Anzeige in Schwäbisch Gmünd und ein junges Ehepaar greift zum Stift und schreibt einen Brief – so machte man das damals noch! Und was jetzt beginnt ist eine neue, wahre Geschichte, die Geschichte von Margarete und Anton Retzbach. Margarete Retzbach ist Grafik-Designerin und Anton Retzbach gelernter Radio-Fernseh- technik-Meister. Margarete Retzbach kommt aus Fischerbach im Kinzigtal und hat ihren Mann während ihres Studiums in Schwä- bisch-Gmünd kennengelernt. Sie leiden beide an der gleichen „Krankheit“. „Wir sind „film- verrückt“ und waren es damals schon“, sagen sie und lachen. Denn 1989 betreibt Anton Retz- bach bereits seit neun Jahren sehr erfolgreich ein Programm- kino und hat damit sein Hobby zum Beruf gemacht. Margarete Retzbach hat sich in ihren Beruf selbständig gemacht, doch auch sie ist schon lange von ihrem Mann angesteckt worden und kann sich der Magie des Kinos nicht entziehen. „Wir waren einfach neugie- rig,“ erinnert sich Margarete Retzbach an den Augenblick als sie die Fachzeitschrift lasen, „denn in der Anzeige war nur ein Kino im Schwarzwald ausge- schrieben.“ Und als sie Triberg hörten, waren sie ziemlich er- Der Eingangsbereich 2016 – Margarete und Anton Retzbach freuen sich über die Anerkennung ihres Engagements. 312 Kunst und Kultur

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staunt. Triberg war für sie Schwarzwald-Muse- um und Ski fahren – aber ein Kino? Sie fahren hin, lernen die Familie Wagner kennen und verlieben sich! Nicht in einen an- deren Partner, sondern in ein Haus mit dem Charme der 50er, in ein Kino, das im Original erhalten ist – in die „Kronenlichtspiele“. „Dieses Kino war einfach nur schön, so authentisch und ursprünglich, und wir konn- ten nicht widerstehen“, sagen Margarete und Anton Retzbach aus einem Mund und ihre Au- gen leuchten. Margarete und Anton Retzbach begeistern die Zuschauer mit ihrer Vorstellung Sie pachten das Kino. Am 14. 9. 1989 eröffnen sie mit einer Sensation – „Indiana Jones Teil III“ läuft zum Bundesstart nicht nur in Frankfurt, Berlin, Hamburg, er läuft in Triberg! Und das Kino ist ausgebucht. Die Triberger samt Nach- bargemeinden sind begeistert. Sie freuen sich, dass „ihre Kronenlichtspiele“ nicht nur erhalten bleiben, sondern auch noch mit viel Power und Engagement betrieben werden. „Wir wurden sofort akzeptiert und haben viel Dankbar- keit erfahren“, erinnert sich Anton Retzbach. Margarete Retzbach lässt sich in Triberg als selbständige Grafik-Designerin nieder und jetzt zieht professionelles Marketing in die Kinoland- schaft Tribergs ein. Anton Retzbach ist aktiv und engagiert und nutzt seine Kontakte zu den Filmverleihern. Waren die ehemaligen Betreiber der Ansicht, dass ein Film erst mal einige Wochen in anderen Städten laufen müsse, sah Anton Retzbach das völlig anders. Er holt einen Bundesstart nach dem nächsten in die „Kronenlichtspiele“, erwei- tert die Öffnungszeiten und vergisst auch das Programmkino nicht. Und die Menschen aus der Region Triberg sehen auf einmal „Zurück in die Zukunft II“ mit Michael J. Fox, oder „Die unend- liche Geschichte II – Auf der Suche nach Phantá- sien“, die Geschichte von Bastian und dem Glücksdrachen Fuchur... direkt vor der Haustür. Wie schafft Anton Retzbach das nur, wun- dern sich die begeisterten Zuschauer? „Es geht wirklich nur über Kontakte“, sagt er, „als Neu- einsteiger hätte man keine Chance gehabt, da wurden noch Garantien verlangt.“ „Wir wollten ein Kino für alle!“ Das Kino entwickelt sich weiter. Die Technik wird immer aufwendiger und die Eheleute Retzbach investieren. 1996 kaufen sie das Gebäude und schon bald steht eine große Entscheidung im Raum, denn die Entwicklung in den Städten macht sie nachdenk- lich. Großkinos, sogenannte Multi plex -Kinos, mit mehreren Sälen, in denen parallel die unter- schiedlichsten Filme gezeigt werden, entstehen und ihr Marktanteil wächst ständig. Die „Kro- nenlichtspiele“ haben nur einen einzigen Saal. Haben sie eine Zukunft, wenn es so bleiben würde? „Hätten wir nicht gehabt“, sagen sie im Nachhinein und Margarete und Anton Retzbach wagen den Sprung ins kalte Wasser. 1998 wird der zweite Kinosaal gebaut, der erste renoviert und 1999 die Nebenräume. Die „Kronenlichtspiele“ sind den 50er-Jah- ren entwachsen und in der Neuzeit gelandet. Ein moderner Eingangsbereich mit Kaffeehaus- Charakter und entsprechendem Angebot, eine Auswahl an Filmen, die die Entscheidung schwer machen und mit Öffnungszeiten für Nachtschwärmer oder Frühschläfer! „Wir woll- ten ein Kino für alle!“ war und ist das Motto der Retzbachs bis heute. Doch das kostet: Investiti- onssumme: 1,2 Millionen Deutsche Mark! Auf den Lorbeeren ausruhen ist trotzdem nicht drin. Wenige Jahre später sind weitere Investitionen notwendig „Wir müssen tech- nisch auf dem Laufenden bleiben“, sagt Anton Retzbach und hier kommt natürlich sein erlern- ter Beruf zum Tragen. 2005 zieht die digitale Projektion in Tribergs „Kronenlichtspiele“ ein. Und 2010 kommt die große Digitalisierung: Die Filmspulen haben aus- gedient und nun ist Brillen tragen angesagt, um die neuen 3D-Filme so richtig zu genießen. Ganz neue Filme entstehen wie zum Beispiel „Avatar“, ein Science-Fiction-Film von James Cameron, für den ein virtuelles Kamerasystem entwickelt wur- Kronenlichtspiele Triberg 313

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Die Zeit der Filmspulen ist längst vorbei – heute glänzt das Triberger Kino mit digitaler Projektion. de. Eine Supersache, doch viele kleinere Kinos im ländlichen Bereich müssen aufgeben. Die Investi- tionen sind einfach zu hoch. spiele“ sind lebendig, kreativ, unterhaltsam, professionell, kulturell, anspruchsvoll und ganz, ganz liebenswert geworden. Retzbachs schaffen auch das und gehen Das bleibt nicht unbemerkt, die „Kronen- immer wieder finanzielle Risiken ein und damit zieht ein weiteres Stück kulturelles Er- lebnis in Triberg ein. Denn ein exklusiver Kreis von Event-Kinos kann und darf große Opern, Tanztheater und Konzerte live aus der Metro- politen Opera (MET) übertragen. In Echtzeit erleben die Zuschauer „Tristan und Isolde“ oder „Don Giovanni“ - auf einer großen Kinolein- wand hautnah. Wen wundert es noch, dass die „Kronen- lichtspiele“ zu diesem exklusiven Kreis gehören, dass sie über die entsprechende Technik verfü- gen und ihre Betreiber mit großem Engagement unvergessliche Erlebnisse bieten! Auszeichnungen für ein kulturell herausragendes Filmprogramm Doch die Philosophie von Margarete und Anton Retzbach geht noch weiter. Seit 2006 gibt es das Seniorenkino mit ausgewählten Filmen und Kaffee und Kuchen, am Weltfrauentag finden regelmäßig Spendenaktionen statt, im Frühjahr Schulkino, im Sommer Open-Air in Schonach und St. Georgen und die Beteiligung am Kinder- ferienprogramm. Manchmal kommt ein Regisseur und prä- sentiert seinen Film, ein Künstler stellt seine Bilder aus... Mit einem Wort, die „Kronenlicht- lichtspiele“ erhalten Auszeichnungen und Preise für ein „kulturell herausragendes Film- programm“. Doch der Einsatz ist hoch, denn Margarete und Anton Retzbach sind selbstständig und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie machen alles selbst und ständig: Buchhaltung, Filmvorführer, Einkauf, Marketing, eigener Techniker... Das ist ein Full-Time-Job, den man nur erfüllen kann, wenn man wirklich „filmverrückt“ ist. „Wir rech- nen die Stunden nicht zusammen“, sagen sie, „denn das Erlebnis, die Gäste rein- und wieder rausgehen zu sehen, ihre Begeisterung und ihre Freude zu erleben, ist einfach wunderbar. Denn dann wissen wir, dass sie einen schönen Abend verbracht haben.“ Doch was die Retzbachs leisten, ist viel, viel mehr. Denn es ist bewiesen, dass Kinos positive soziale und bildungspolitsche Auswirkungen haben, dass der Einzelhandel und die Gastrono- mie davon profitieren, dass ein Kino eine Stadt noch lebendiger, lebenswerter macht. „Triberg wird immer ein Kino haben“, da sind sich Margarete und Anton Retzbach sicher, „irgendwann, wenn wir nicht mehr können, wird ein „Filmverrückter“ kommen und sich in die „Kronenlichtspiele“ verlieben – so wie wir damals!“. Keine Frage: Margarete und Anton Retzbach haben den richtigen Riecher – hof- fentlich auch mit dieser Aussage. 314 Kunst und Kultur

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Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Stand der Wohn be völ ke rung 31.12.2014 31.12.2015 Ver än de run gen in Zah len in Pro zent Ge mein de Villingen-Schwenningen Donaueschingen Bad Dürrheim St. Georgen Blumberg Furtwangen Hüfingen Königsfeld Niedereschach Bräunlingen Brigachtal Triberg Schonach Vöhrenbach Dauchingen Mönchweiler Tuningen Unterkirnach Schönwald Gütenbach 84.674 21.746 12.896 12.838 9.975 9.091 7.583 5.945 5.887 5.752 5.013 4.787 4.009 3.823 3.649 2.960 2.936 2.534 2.380 1.170 82.326 21.497 12.600 12.938 9.948 9.159 7.560 5.859 5.871 5.867 5.027 4.762 4.009 3.869 3.651 2.976 2.885 2.477 2.313 1.174 2.348 249 296 -100 27 -68 23 86 16 -115 -14 25 0 -46 -2 -16 51 57 67 -4 1,028 1,015 1,023 -0,992 1,003 -0,993 1,003 1,015 1,003 -0,981 -0,997 1,005 0 -0,988 -0,999 -0,995 1,018 1,023 1,029 -0,997 3,47 Kreisbevölkerung insgesamt 209.648 206.768 2.880 Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 30.06.2016 30.06.2015 30.06.2014 3,4 % 3,3 % 3,6 % 3,7 % 3,7 % 3,8 % 5,9 % 6,2 % 6,7 % Beschäftigte insgesamt: 82.853, davon 36.533 im produzierenden Gewerbe (44,1 %), 15.893 in Handel, Verkehr und Gastgewerbe (19,2%) sowie 30.255 im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ (36,5 %). Stand: 30.06.2015 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg Orden und Ehrenzeichen Mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2015 ausgezeichnet: Reinhold Seyffarth, Karl Lachnit; beide Villingen-Schwenningen. Mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2016 ausgezeichnet: Theodor Gasper (Blumberg), Thomas Binder (Donaueschingen) sowie Matthias Reiner, Günter Rath, Christel Warok, Joachim Neumann, Egon Auberle und Bernd Scholl ( alle Villingen-Schwenningen). Mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg wurde 2016 ausgezeichnet: Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan (Villingen-Schwenningen) Anhang 315

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Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Ehrenbürger von Hüfingen Bürgermeister Anton Knapp verabschiedet Für eine großartige Leistung hat die Stadt Hüfingen ihrem Bür- germeister Anton Knapp nach 27 Jahren sprich vier Amtszeiten mit der Ernennung zum Ehren- bürger gedankt. Anlass war am 31. Juli 2016 die Verabschiedung von Anton Knapp in den Ruhe- stand. Auch die Hüfinger Part- nerstadt Großschönau ernannte ihn zum Ehrenbürger. In der Begründung zur Eh- rung durch die Stadt Hüfingen heißt es: „Anton Knapp hat die Entwicklung Hüfingens durch weitsichtige Visionen, Konzepte und Entscheidungen vorange- trieben und gefördert. In den Bereichen Bildung, Ökologie, Kunst, Vorsorge, Finanzen und auf anderen Gebieten hat Bürgermeister Anton Knapp Entscheidendes geleistet. Verei- ne und Gesellschaft wurden in seiner Amtszeit in vorbildlicher Weise gefördert und unter- stützt.“ Hauchdünn mit nur zwölf Stimmen hatte der SPD-Mann 1988 im zweiten Wahlgang ge- gen seinen CDU-Konkurrenten 316 Mit einem großen Festakt in der Stadthalle erfolgte am 31. Juli 2016 die Verabschiedung von Anton Knapp (links) als Hüfinger Bürgermeister. Bürgermeisterstellvertreter Harald Weh (rechts) überreicht Knapp die Ernennungsurkunde zum Hüfinger Ehrenbürger gewonnen. Gleich dreimal hatte Vorgänger Max Gilly damals die Stimmen auszählen lassen. „Heute geht eine Ära zu Ende“ Bürgermeisterstellvertreter Harald Weh unterstrich bei dem Festakt: „Hüfingen ist dank Anton Knapp eine Stadt mit Zu- kunft.“ Landrat Sven Hinterseh betonte: „Heute geht in der Tat eine Ära zu Ende: und das nicht nur für Anton Knapp, sondern für die ganze Stadt. Anton Knapp hat Hüfingen zu einer at- traktiven, liebens- und lebens- werten Stadt gemacht.“ Der CDU-Bundestagsabge- ordnete Thorsten Frei erinnerte in seinem Grußwort an die Herausforderungen zu Beginn der Amtszeit, die Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen erforderten. „In den vergange- nen Jahren haben diese Eigen- schaften Anton Knapp immer ausgezeichnet“, unterstrich der Abgeordnete. Er betonte die drei Eckpunkte, die den Erfolg eines anerkannten und respek- tierten Bürgermeisters ausma- chen: „Man braucht eine Idee, wie die Stadt einmal aussehen soll, die Fähigkeit, die Menschen zu begeistern und aktiv mitzu- reißen, gepaart mit einem ho- hen Maß an Zähigkeit, Disziplin und einem starken Willen.“ Der Schonacher Bürgermeis- ter Jörg Frey sprach für alle Bür- germeister und Oberbürger- meister des Kreises, von denen viele persönlich zum Festakt ge- kommen waren: „Anton Knapp war stets ein sach licher, verläss- licher und geschätzter Kollege“, so Frey. Er sei an der Sache orien- tiert gewesen und habe viele Tipps für seine Kollegen gehabt. Anton Knapp erwiderte auf die Würdigungen: „Ich habe be- merkt, dass ich doch näher am Wasser gebaut bin, als ich mir das jemals vorstellen konnte...“ Er dankte seiner Frau Gabi und den vielen Wegbegleitern. Wie sehr ihn die Hüfinger schätzen, ging auch aus einer Vielzahl privater Abschiedsgrüße der Bürger hervor. Magazin

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Michael Kollmeier neuer Hüfinger Bürgermeister Rudolf Fluck neuer Bürger- meister von Mönchweiler Bürgermeister Michael Rieger im Amt bestätigt Mit 52,5 Pro- zent der ab- gegebenen Stimmen wurde Rechtsan- walt Micha- el Kollmeier aus Geisingen zum neuen Bür- germeister der Stadt Hüfingen gewählt. Der 45-jährige Michael Kollmeier setzte sich im zweiten Wahlgang gegen Astrid Hennies durch, die 47,12 % der Stimmen erhielt. Seit 2009 war er als Gemein- derat und Vorsitzender der Geisinger CDU-Fraktion aktiv. Der neue Bürger- meister von Mönchweiler heißt Rudolf Fluck und stammt aus Blum- berg-Epfenhofen: Er gewann am 3. April 2016 die Wahl im zweiten Wahlgang mit 52,1 % vor Dirk Hausmann, der 47,5 % erreichte. Rudolf Fluck war 2011 Bürgermeister von Irndorf geworden. Der heute 52-Jäh- rige wurde 1994 erstmals in ein kommunalpolitisches Amt gewählt. Strahlende Gesichter gab es am Sonntag, 12. Juni 2016 im Rathaus von St. Georgen: Der amtie- rende Bürgermeister Michael Rieger wurde mit 98,6 Prozent der abgegebenen Stimmen im Amt bestätigt. 41 Prozent der Wahlberechtigten gingen zu den Urnen. Landrat Sven Hin- terseh beglückwünschte die Bürger zu einem Bürgermeister, der sich mit Haut und Haaren der Stadt verschrieben habe. Wahlergebnisse der Landtagswahl vom 13. März 2016 Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen Wahlberechtigte Wähler insgesamt 121.156 82.316 Ungültige Stimmen 891 Gültige Stimmen 81.425 Wahlvorschläge CDU GRÜNE SPD FDP DIE LINKE REP NPD ÖDP Die PARTEI ALFA Tierschutzallianz AFD FREIE WÄHLER Tierschutzpartei 23.621 25.735 8.179 6.437 1.619 135 690 439 676 993 - 12.065 836 - 67,9 % 1,1 % 98,9 % 29,0 % 31,6 % 10,0 % 7,9 % 2,0 % 0,2 % 0,8 % 0,5 % 0,8 % 1,2 % - 14,8 % 1,0 % - 124.057 85.345 854 84.491 28.510 22.784 7.467 7.023 1.798 195 599 476 - 1.138 480 13.411 - 610 68,8 % 1,0 % 99,0 % 33,7 % 27,0 8,8 % 8,3 % 2,1 % 0,2 % 0,7 % 0,6 - 1,3 % 0,6 % 15,9 % - 0,7 % Gewählt wurden: WK 54/VS: Martina Braun (GRÜNE) – Karl Rombach (CDU) WK55/ TUT-DS: Guido Wolf (CDU) – Lars Patrick Berg (AFD) 317

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Verdienter Villinger Zum Tode von Wolfgang Berweck Im Alter von 81 Jahren ist am 29. Juni 2016 der Villinger Rechtsan- walt Dr. Wolfgang Berweck ge- storben. Seit 1989 war er unun- terbrochen für die Freien Wähler im Gemeinderat des Oberzen- trums tätig. Außerdem wirkte er als ältester Kreisrat des Schwarz- wald- Baar-Kreises. Das Amt hat- te er seit 1999 inne. Wer Berweck nicht als Politi- ker kennengelernt hat, dem war er als Anwalt ein Begriff. Nach seinem Abitur begann er 1954 sein Studium der Rechtswissen- schaft, Kunst- und Musikge- schichte in Frankfurt am Main, Freiburg und München. Bereits mit 27 Jah- ren erwarb er mit seiner Promotion zur Rechts- geschichte des Heilig Wolfgang Berweck Geist Spitals in Villingen seinen Doktortitel und gründete im Oktober 1962 mit Wolfgang Blessing die Kanzlei „Blessing & Berweck“. Schon früh verband er seine Leidenschaft für die Musik mit seinem juristischen Wissen – so wurde er 1968 Mitglied im Juris- tenkomitee der IFPI, dem Welt- verband der Phonoindustrie, und leitete jahrzehntelang den Rechtsausschuss der Deutschen Erfolgreichster Bundestrainer Heinz Pfeiffer gestorben Heinz Pfeiffer, „Goldschmied der Kunstradfahrer“, verstarb am 31. Dezember 2015 im Alter von 83 Jahren. 1962 erreichte den da- mals 30-jährigen Schwenninger Uhrmacher der Ruf des Deut- schen Sportbundes (DSB), der erste Bundestrainer der Kunst- radfahrer zu werden. Er war so- mit einer der ersten Bundestrai- ner im Sport der Bundesrepublik Deutschland überhaupt. Und zu- gleich einer der bis heute erfolg- reichsten. Unter Heinz Pfeiffers Regie Heinz Pfeiffer Kunstrad- fahrer zur erfolgreichs- ten Disziplin im Bund Deutscher Radfahrer. In den 32 Jahren sei- ner Tätigkeit (1962 -1994) erkämpften seine Schützlinge bei Welt-und Euro- pameisterschaften 89 Mal Gold und Silber und 37 Mal Bronze. Eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen, die Heinz Pfeif- fer neben Bundesverdienst- kreuz und Silbernem Lorbeer- blatt auch den Ehrentitel „Goldschmied honoris causa“ einbrachte. entwickelte sich die kleine Sparte der nicht-olympischen Ursprünglich Turner und Fußballspieler, schloss sich 318 Phonoakademie. Hinzu kam sei- ne lange Tätigkeit an der Päda- gogischen Hochschule in Frei- burg, an der er Medienrecht ge- lehrt hatte. Aktiv gab er sich auch den musikalischen Künsten hin: Sei- ne Tenorstimme ließ er mehr als ein halbes Jahrhundert im Frei- burger Bachchor erklingen. Das Engagement beschränk- te sich nicht nur auf die Politik. Wolfgang Berweck führte 20 Jahre lang den Villinger Reitver- ein St. Hubertus als Vorsitzen- der, leitete in den 1960er-Jahren den Kirchenchor der Markusge- meinde. Erinnern wird man sich an ihn nicht zuletzt, weil das von ihm gespendete Glockenspiel in der Niederen Straße in VS-Villin- gen sicherlich noch lange erklin- gen wird. Heinz Pfeiffer, noch ein Bub, den Kunstfahrern des Rad- sportvereins 1906 Schwennin- gen an. Für diesen gewann er sieben Deutsche Meistertitel, wurde einmal Europameister (1955) und als Krönung zwei- mal Weltmeister (1958 und 1959). In Villingen-Schwenningen und im Schwarzwald-Baar- Kreis engagierte sich Heinz Pfeiffer für die SPD als Lokalpo- litiker, befürwortete die Fusion zur Doppelstadt. 46 Jahre wirk- te er als Gemeinderat und ver- trat den Oberbürgermeister als „Vize“. 15 Jahre lang engagierte er sich im Kreistag. Groß war seine Liebe zur Fasnet der Doppelstadt. Bis zu- letzt war er sportlich aktiv. (Quelle:www.rspv.de) Magazin

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Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Bunse, Heinz, Rathausplatz 1, 78166 Donaueschingen Dickmann, Barbara, Hubertusweg 5, 78098 Triberg Dickmann, Tim, Hubertusweg 5, 78098 Triberg Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Eberl, Claudius, Turntalstr. 37, 78136 Schonach Eich, Mark, Brunnenstr. 13, 78050 Villingen-Schwenningen Fabisch, Nils, Hölzleweg 51, 78054 Villingen-Schwenningen Faller, Ariane, Hans-Thoma-Str. 16, 78120 Furtwangen Fetscher, Martin, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Flöß, Andreas, Rathausgasse 2, 78050 Villingen-Schwenningen Furtwängler, Franziska, Romäusring 11, 78050 Villingen-Schwenningen Göbel, Nathalie, Prinz-Eugen-Str. 35, 78048 Villingen-Schwenningen Hahne, Jochen, Hafnergasse 8, 78050 Villingen-Schwenningen Hall, Hansjörg, Vogt-Dufner-Str. 35, 78120 Furtwangen Hinterseh, Sven, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Jakober, Stephanie, Käferstr. 10, 78166 Donaueschingen Janzing, Bernward, Wilhelmstraße 24a, 98098 Freiburg Kramer, Martin, Albert-Fehrenbach-Weg 33, 78120 Furtwangen Larzhal, Ramona, Silbergrubenweg 11, 78147 Vöhrenbach Losert, Wolfgang, Friedrich-Fischer-Weg 14, 78166 Donaueschingen Lutz, Bernhard, Seemühle 14c, 78183 Hüfingen Bildnachweis Almanach 2017 Titelseite: Historische Donauquelle Donaueschingen Wilfried Dold, Vöhrenbach Rückseite: Triberger Weihnachtszauber Wilfried Dold, Vöhrenbach. Soweit die Foto gra fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des Beitrages oder sind die Bild autoren/Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach auf folgenden Seiten vertreten: Wilfried Dold, Vöhrenbach: 3, 9, 10/11, 14, 15, 17 ob. l., 24/25, 26, 40, 50/51, 52/53 r. u., 72, 73, 76-79, 80 ob. , 82/83 (gr. Bild), 83 M. r., 84 ob., 86, 88 ob., 88 M. r., 89, 114/115, 118 M. r., 126 - 147, 159 ob. r., 165, 180-186, 188-197, 207, 209, 213, 214, 216/217, 226/227, 228 u. li., 229, 231, 232, 233, 253, 262, 318 ob. – Daniela Schneider, Schonachbach-Triberg: 12, 41, 42, 44, 187 – Dennis Scheu, Villingen-Schwenningen: 18/19 – Michael Pohl, Villingen-Schwenningen: 20 – istock.com: 28 – dold.verlag, Vöhrenbach: 29, 32, 34, 240 ob. li., 245 – Stadtarchiv Villin- gen-Schwenningen: 31, 211-212 – Marc Eich, Villingen-Schwen- Marek, Erich, Hans-Sachs-Straße 12, 78054 Villingen-Schwenningen Merklinger, Katrin, Humboldtstr. 11, 78166 Donaueschingen Müller, Roger, Friedhofstr. 48, 78166 Donaueschingen Nack, Christina, Obereschacher Straße 7, 78126 Königsfeld Regenbogen, Clemens, Merzhauser Str. 145A, 79100 Freiburg Scheu, Dennis, Seebuckweg 3, 78054 Villingen-Schwenningen Schneider, Daniela, Schonachbach 24, 78098 Triberg Schulz, Friedhelm, Schwedend. Str. 30, 78050 Villingen-Schwenningen Seibert, Nadja, Niedere Straße 45, 78050 Villingen-Schwenningen Sepke, Kurt, Neue Steige 7, 78727 Oberndorf Pohl, Michael, Mühlweg 120, 78054 Villingen-Schwenningen Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schwer, Barbara, Schwanenbach 3, 78147 Vöhrenbach Sigwart Roland, Hauptstraße 16, 78183 Hüfingen Sprich, Roland, Kühlbrunnenweg 13a, 78112 St. Georgen Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32, 78078 Niedereschach Sumser, Hermann, Waldstraße 9, 78183 Hüfingen von Stemm, Johannes, Amthausweg 2, 78098 Triberg Wacker, Dieter, Steinwiesenstr. 4, 78052 Villingen-Schwenningen Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Zeller, Walter, Immenhöfe 3, 78166 Donaueschingen ningen: 46-49, 298-301 – Roland Sprich, St. Georgen: 52 u. l., 53 o.r., 54-57, 60, 317 – Hospiz Via Luce, VS-Schwenningen: 58, 63 – Hospizbewegung ambulant: 59 – Heinz Bunse, Donau- eschingen: 64-71, 74-75 – Barbara Schwer, Vöhrenbach: 80 u., 81, 83 ob. l., M. l. und r., 84 u., 85, 87 u. 88 M. li. – Nils Fabisch, Villingen-Schwenningen: 91, Zweckverband Breitband: 92, Nathalie Göbel: 94-97, 101-104 – Dieter Wacker, VS-Villingen: 106, 107 – Thomas Schatz, Bad Dürrheim: 112/113, 117, Kurt Sepke, Oberndorf: 120 - 125 – Tim Dickmann, Triberg: 167, 170 ob., 170 u.r., 310, 312 – Roland Sigwart, Hüfingen: 172, 174/175, 178/179, 239, 240 ob. r., 241-244, 291, 292 ob. li., 316, 317 ob. li – Christina Nack, Königsfeld-Neuhausen: 225, 228 ob. l., 228 M. l., 230, 234-236 – Mateusz Budasz, Furtwangen: 237, 238 – Er- ich Marek, VS-Schwenningen: 246/247 – Wolf Hockenjos, Donau eschingen: 250, 251 ob. r., 255-259, 274-279 – Walter Zeller, Donaueschingen: 247 kl. Bild r., 248 – Wolfgang Alexander Bajohr, Gilching 251 ob. li. – Ski-Club Urach (Helmut Junkel , Claudius Kienzler , Paul Hättich): 280-287 – Hansjörg Hall, Furtwangen: 265 – Roger Müller, Donaueschingen: 289 - 290, 292 ob. r., 293 – Claudius Eberl, Schonach: 302, 303 u. – Arnold Kuner, Schonach: 304 – Franz-Josef H. Andorf, Titisee 303 ob., 306 – Jochen Hahne, VS-Villingen: 307-309 Inhalt 319

Schwarzwald-Baar Jahrbuch – Almanach 2017

Inhaltsverzeichnis

Zum Geleit

1. Kapitel – Aus dem Kreisgeschehen

2. Kapitel - Städte und Gemeinden

3. Kapitel - Da leben wir: Daheim im Schwarzwald und auf der Baar

4. Kapitel - Entlang einer unsichtbaren Linie - 48. Breitengrad

5. Kapitel - Wirtschaft

6. Kapitel - Geschichte

7. Kapitel - Auf den Spuren der Getreidemühlen

8. Kapitel - Kunstgeschichte

9. Kapitel - Natur und Umwelt

10. Kapitel - Freizeit

11. Kapitel - Sport

12. Kapitel - Gastlichkeit

13. Kapitel - Musik

14. Kapitel - Kunst und Kultur

Anhang