Almanach 1988

Almanach 88 Schwarzwald-Baar-Kreis Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 12. Folge Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis Redaktion: Dr. Rainer Gutknecht, Landrat Helmut Heinrich, Schulamtsdirektor i. R. Karl Volk, Realschuloberlehrer Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich Verlag, Druck und Gestaltung: Todt-Druck GmbH, Villingen-Schwenningen

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 1988 Albert-Schweitzer-Klinik, Fachklinik für Herz-, Kreis­ lauf- und Atemwegserkrankungen, Parkstraße 10, Königsfeld ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH., Donaueschinger Straße 2-6, Vöhrenbach Dr. Hanno Augstein, Hüfingen Baden-Württembergische Bank AG., Filiale Villingen­ Schwenningen Bank für Gemeinwirtschaft AG., Kronenstraße 38, Villingen-Schwenningen Alfred Bausch, Rosen-Apotheke, Espenstraße 3, Blumberg Werner Benzing, Konditormeister, Harzerstraße 24, Villingen-Schwenningen Bezirkssparkasse Donaueschingen Binder Magnete GmbH., Mönchweilerstraße 1, Villingen-Schwenningen Bräunlinger Löwenbrauerei H. Kalb KG., Friedhofstraße 2 bis 4, Bräunlingen Ingenieurbüro Horst Budde, Pestalozzistraße 65, Villingen-Schwenningen Burger Industriewerk GmbH. & Co. KG., Hermann-Burger-Straße 29, Schonach Elektrizitäts-Gesellschaft Triberg GmbH., Triberg Claus Eller, Zahnarzt, Neue Heimatstraße 2, Vöhrenbach Helmut W. Falk, Wirtschafts- und Unternehmens­ berater, Fürstenfeldbruck Emil Frei GmbH. & Co., Lackfabrik, Bräunlingen­ Döggingen Lars Frykman, Zahnarzt, Vor Weiden 25, Blumberg S. D. Joachim Fürst zu Fürstenberg, Donaueschingen Walter Glatz, Blumberg Dipl.-Ing. Theo Greiner, A.-Kolping-Straße 12, Donaueschingen Andreas Haller, Fabrik für Feinmechanik, St. Georgen Heri Geräte-Produktions-GmbH., Niedereschach­ Fischbach Dipl.-Ing. Bernd Hezel, Ber. Ing. VB!, lng.-Büro für Tragwerksplanung, Villingen-Schwenningen Dr. med. Egon Hochmann, Triberg Hock GmbH., Gerwigstraße 4, Schönwald Kraftwerk Laufenburg, Laufenburg Küpper-Weisser GmbH., Wintermaschinen, Postfach 40, Bräunlingen Dr. Josef Kury, Zahnarzt, Seb.-Kneipp-Straße 114, Villingen-Schwenningen Lauffenmühle GmbH., Waldshut-Tiengen MAICO Elektroapparate-Fabrik GmbH., Burgstraße 65, Villingen-Schwenningen Vermessungsbüro Dipl.-Ing. V. Mandolla, Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur, Werner-von­ Siemens-Straße 3, Villingen-Schwenningen Dipl.-Kfm. Harald Mattegit, Blumberg Leopold Messmer, Freier Architekt, Bühlhofstraße 8, Furtwangen 2 Metallwerke Schwarzwald GmbH., Lantwattenstraße 11, Villingen-Schwenningen Hans-Georg Müller-Hanssen, Elbinger Platz 2, Bremerhaven Dr. med. Paul Obergfell, Leopoldstraße 21, Villingen­ Schwenningen Helmut Ochs, Freier Architekt, Hauptstraße 46, Blumberg Dr. Karl Opp, Schönwald Dr. Peter Pfaff, Frauenarzt, Villingen-Schwenningen Pro( Dr. med. E. Proß, VS-Pfaffenweiler RAMBOLD Meßgeräte GmbH., Am Krebsgraben 18, Villingen-Schwenningen Guido Rebholz, Freier Architekt, Zehntstraße 1, Bad Dürrheim Ricosta GmbH. & Co., Schuhfabriken, Dürrheimer Straße 43, Donaueschingen Anne Rieple-Offensperger, Scheffel-Apotheke, Max-Egon-Straße 2, Donaueschingen Dr. Ernst Roskothen, Finanzpräsident a.D., Bad Dürrheim Dipl.-Ing. Eckart Rothweiler, Freier Architekt, Alte Wolterdinger Straße 13 a, Donaueschingen Dr. med. P. Samimi, Chefarzt der chir. Abt. des Städt. Krankenhauses Furtwangen SCHMIDT Feintechnik GmbH., St. Georgen Schwarzwälder Metallwarenfabrik A. Haugg, Haupt­ straße 24 a, Triberg Ingenieurbüro für Bauwesen Dipl.-Ing. (FH) K. Schweizer, Ber. Ing. BOB, Achdorfer Straße 29, Blumberg S. Siedle & Söhne, Telefon- und Telegrafenwerke GmbH., Bregstraße l, Furtwangen Franz Singer, Inh. E. Ettwein, Papier- und Bürobedarf, Niedere Straße 17, Villingen-Schwenningen Sparkasse Villingen-Schwenningen mit Hauptanstalt in Villingen, Zweiganstalten in Schwenningen und Triberg, Hauptzweigstellen in Bad Dürrheim, Königs­ feld, Schonach und Vöhrenbach und weiteren 41 Ge­ schäftsstellen STRAUB-Verpackungen GmbH., Bräunlingen TRW Thompson GmbH., Präzisionsventile für die Motoren- und Automobilindustrie, Blumberg Dr. Johannes Michael Unseld, Facharzt, Suntheim­ straße 20, Donaueschingen-Aufen Kurt Weisser, Mühlstraße 7, St. Georgen F. K. Wiebelt, Buchhandlung, Bickenstraße 6 bis 8, Villingen-Schwenningen Michael Wiesenbacher, Rechtsanwalt, Gartenstraße 17, Lambrecht Dr. med. Fritz Wilke, Niedere Straße 9, Villingen­ Schwenningen Dr. Karl Zäbisch, Geschwister-Scholl-Straße 39, Donaueschingen Udo Zier GmbH., Furtwangen 11 weitere Freunde und Förderer des Almanach wünschten, nicht namentlich genannt zu werden.

Heimat und Alter Dem Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Haar-Kreises 1988 zum Geleit Das diesjähr�ge Vorwort ist unseren älteren Mitbürgern gewidmet. Hierfür spre­ chen mehrere Uberlegungen: Es wird immer wieder festgestellt, daß die Menschen dank der modernen Medizin immer älter werden. Unsere älteren Mitbürger stellen daher wahrscheinlich die größte Gruppe unserer Leser dar. Das Alter hat wie jeder andere Lebensabschnitt seine eigene Bedeutung. Unsere sehr jugendbetonte Gesellschaft will oft die Werte des Alters nicht erkennen. Wie­ viel bittere Erkenntnisse würden den jungen Menschen erspart bleiben, wenn sie die wohlgemeinten Ratschläge alter Menschen annehmen und befolgen würden! Eine Gesellschaft, die nicht bewußt die alte Generation in den Lebenslauf einbezieht, ist unmenschlich. Wer kann die vielen älteren Menschen nicht verstehen, die aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen sind, obwohl sie aufgrund ihrer körperlichen und geisti­ gen Kräfte noch voll einsatzfähig wären. Das Wort Heimat hat für die älteren Mitbürger eine tiefe Bedeutung. Es vermittelt ihnen die Geborgenheit, nach der sie sich ganz besonders im Alter sehnen. Es gibt viele Beispiele, daß Mitbürger, die viele Jahre ihres Lebens in weiter Feme verbrach­ ten, niemals die Sehnsucht nach der Stätte ihrer Jugend verloren haben. Jeder ältere Mensch wird bestätigen, daß im Alter die Erinnerungen an Eltern, Geschwister, Freunde und Schule wieder aufleben, wovon viele Teilnehmer anJahrgangstreffen berichten können. Das Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises will ebenfalls mit seinen Bei­ trägen den älteren Mitbürgern eine geistige Brücke zur Heimat sein. Auch in diesem Jahr ist eine Vielfalt von Beiträgen veröffentlicht, die die ältere Generation anspricht. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der Landkreis nicht nur schöne Worte fin­ det, sondern auch finanziell seinen Beitrag zur Altenhilfe leistet. Schon seit Jahren werden die Sozialstationen sowie der Bau von Altenheimen, Altenwohnheimen und Altenpflegeheimen vorn Landkreis bezuschußt. Ich danke auch in diesem Jahr allen, die den Almanach gestaltet haben. Besonde­ ren Dank unseren Freunden und Förderern, die durch ihren finanziellen Beitrag zu einem günstigen Preis beigetragen haben. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung und besonders unseren älteren Mitbürgern beim Lesen viel Freude und Unterhaltung. }“J(A� Dr. Rainer Gutknecht ‚_) Landrat 3

Aus dem Kreisgeschehen Kreispolitik 1987 Die Kreispolitik im Berichtsjahr war ge­ kennzeichnet durch Bemühungen, die ange­ spannte finanzielle Lage des Landkreises wei­ ter zu verbessern. Die finanzielle Lage bessert sich Erinnern wir uns, daß in den ersten Jahren des neuen Landkreises eine Reihe von Schul­ bauvorhaben durchzuführen war, die brutto rund 100 Mio DM verursachten. Das Schul­ bauprogramm war nur um den Preis einer hohen Verschuldung zu verwirklichen, da die Eigenmittel des Landkreises einschließ­ lich der Einnahmen aus der Kreisumlage bei weitem nicht ausreichten. Der Höchststand der Verschuldung im Jahre 1983 betrug 92 Mio DM. Der Landkreis lag damit mit an der Spitze der höchstverschuldeten Landkreise im Lande Baden-Württemberg. Wir waren uns im Ziel einig, daß nach Abschluß der Schulbauinvestitionen die Kreisfinanzen einer Erholung bedürfen; über den Weg dorthin gab es freilich gele­ gentlich Meinungsverschiedenheiten. Der Sparkurs hat erste Erfolge gebracht. Die Verschuldung konnte unter Einschluß Änderungen in der Redaktion Das langjährige Mitglied in der Redaktion, Herr Dr. Lorenz Honold, ist aus Altersgründen mit Erscheinen des Almanach 87 aus der Redaktion des Almanach ausgeschieden. Er wird auch künf tig als Autor am Almanach mitwirken. Die Redaktion dankt auch an dieser Stelle Herrn Dr. Honold für seine wertvolle und kenntnisreiche Mitarbeit. Neues Mitglied in der Redaktion ist Herr Real­ schuloberlehrer Karl Volk aus Triberg-Gremmels­ bach, der schon bisher freier Mitarbeiter war. 4 eines Überschusses aus dem Haushaltsjahr 1986 auf 67 Mio DM gesenkt werden (Stand: Mai 1987). Maßgeblich hat hierzu die Abfla­ chung der Kurve bei den Sozialhilfeausga­ ben beigetragen. Während die landesweite Sozialhilfekostensteigerung bei rund 14 % liegt, wird dieser Wert bei uns nicht erreicht. Dies ist eine Entwicklung, die schwierig zu begründen ist und darin liegt auch eine Unsi­ cherheit über weitere Voraussagen im Sozial­ hilfebereich. Noch ausstehende Investitionen In der vorjährigen Ausgabe des Almanach wurde über den noch unerledigten Ausbau der kreiseigenen beruflichen Schulen in Furt­ wangen berichtet. Bei Redaktionsschluß (Ende Mai 1987) hat sich noch kein Ergebnis im Sinne einer Klärung des Raum-und Grundstücksbedarfs durch das Land für die landeseigenen Schulen abgezeichnet. Dies ist jedoch Voraussetzung, daß das gemeinsame Bauvorhaben zwischen Land und Kreis geplant werden kann. Wenn es nach den Vor­ stellungen des Landkreises geht, wird auf dem Gelände Baumannstraße 38 ein Erwei­ terungsbau errichtet. Der Wettbewerb über den Neubau des Landratsamtes wurde mit der Sitzung des Preisgerichts Ende April 1987 abgeschlossen. Eingereicht wurden 81 Arbeiten. Das Preisge­ richt unter Vorsitz von Prof. Dr. h. c. Horst Linde, Freiburg, hat den 1. Preis Dipl.-Ing. Dieter Herrmann, Stuttgart, und den 2. Preis Dipl.-Ing. Auer + Weber, Stuttgart, zuer­ kannt (siehe Abbildungen). Die beiden ersten Preisträger wurden vom Landkreis aufgefordert, ihre Entwürfe im Sinne der Vorstellungen des Preisgerichts weiterzuent­ wickeln, um dann zu entscheiden, welcher

Entwuif des 1. Preisträgers, Dipl.-Ing. Dieter Herrmann, Stuttgart Entwuif des 2. Preisträgers, Dipl.-Ing. Auer + Weber, Stuttgart 5

der beiden Entwürfe verwirklicht werden soll. In die Diskussion kam ferner die Anschaf­ fung eines Büchereibusses für unsere Kreiser­ gänzungsbücherei. Bei dieser als Fernziel bezeichneten Investition geht es darum, die Bücher vor Ort anzubieten, damit die Kreis­ bevölkerung noch besser mit Büchern ver­ sorgt werden kann. von der neuen Gebietsgemeinschaft über­ nommen würde, für uns ihre positive Aus­ wirkung verlieren würde. Es wird darauf ankommen, daß wir unsere Belange nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht auch künftig mit dem nötigen Nachdruck vertreten, damit der neue Zusammenschluß dem Fremdenverkehr auch in unserem Landkreis zugute kommen wird. Pilotprojekt Müllvergärung Vielfältige weitere Aufgaben Der Abschlußbericht der Müllvergä­ rungs-GmbH wurde in einem Hearing am 4. September 1986 in Anwesenheit von Fach­ leuten erörtert. Die Frage, ob das Projekt zur Verwirklichung geeignet ist, konnte nicht abschließend beantwortet werden. Die drei Kreise Rottweil, Tuttlingen, Schwarzwald­ Baar bemühen sich um einen Gutachter, der prüfen soll, ob das Projekt in der Praxis funk­ tioniert. Fremdenverkehr Gebietsgemeinschaft Der zuständige Ausschuß des Kreistags hat die Verwaltung ermächtigt, den Beitritt zur „Mittlerer Schwarzwald und Ortenau“ zu erklären, die aus den drei Kreisen Ortenau, Rottweil und Schwarzwald-Baar bestehen wird. Die mit dem Landkreis Rottweil seit rund 10 Jahren bestehende Werbegemeinschaft wird in die größere Gemeinschaft des mittleren Schwarzwaldes aufgehen. Die Gebietsge­ meinschaft „Mittlerer Schwarzwald und Ortenau“ soll ein Gegengewicht gegen die bereits bestehende Gebietsgemeinschaft ,,Nördlicher Schwarzwald“ und den süd­ lichen Schwarzwald bilden und uns im härter gewordenen Wettstreit um den Gast gleiche Wettbewerbschancen sichern. Der Beitritt war bei uns nicht unumstritten. Es wird gele­ gentlich befürchtet, daß wir innerhalb der neuen Gebietsgemeinschaft nur eine unter­ geordnete Rolle spielen werden und beson­ ders die bei uns mit gutem Erfolg arbeitende Zentrale Zimmervermittlung (ZZ), wenn sie 6 Außer den in der gebotenen Kürze genannten Schwerpunkten beschäftigte sich die Kreispolitik mit einer Reihe weiterer Auf­ gaben: – Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) einschließlich der Schülerbeför­ derung stellt auch im Berichtsjahr eine wichtige Aufgabe dar. Wir haben uns darum bemüht, die Schülerbeförderung wirtschaftlich und sparsam zu gestalten und sie, soweit wie möglich, in den ÖPNV zu integrieren. Mit der Bundesbahn, Geschäftsbereich Bahnbus, standen wir wegen einer wirt­ schaftlich ausgeglichenen Kostenrech­ nung in enger Verbindung. Bei der Deut­ schen Bundesbahn, Geschäftsbereich Bahnbus, traten zum Sommerfahrplan 1987 grundlegende Fahrplanumstruktu­ rierungen in Kraft. Dies ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe zwischen Bahnbus und Landkreis, die nach Erarbeitung einer Schwachstellenanalyse die bestehenden Verbindungen zu verbessern versuchte. Diese neue Kooperationsform kam auf Anregung des Bahnbusses zustande, der sich vor die Wahl gestellt sah, sein Defizit durch Fahrplankürzungen zu beseitigen oder für die Aufrechterhaltung einen ent­ sprechenden Ausgleich vom Landkreis zu verlangen. Ein Dauerthema in der Kreispolitik sind die Freiwilligkeitsleistungen, die auf dem Hintergrund einer verbesserten Finanz­ lage des Kreises zu sehen sind. Der Land­ wirtschaft wurde im Jahre 1987 zusätzlich

ein Betrag von 230.000,- DM als Land­ schaftsgeld gewährt, um sie in schwieriger Zeit auch vom Landkreis aus zu unterstüt­ zen. Im Sozialbereich ist eine stärkere finanzielle Unterstützung durch den Landkreis ebenfalls gefragt. Aber auch in anderen Bereichen werden finanzielle Forderungen an den Landkreis erhoben werden. Es wird bei der Verabschiedung des Haushalts 1988 eine nicht einfache Aufgabe sein, die richtige Abgrenzung zu finden. Dr. Rainer Gutknecht, Landrat Deponiegasnutzung in Tuningen Ein Beitrag zum Umweltschutz Am 30. März 1987 wurde die neuerstellte Gasverwertungsanlage offiziell in Betrieb genommen. Landrat Dr. Gutknecht konnte zu diesem Anlaß auf der Deponie in Tunin­ gen neben den Aufsichtsratmitgliedern der Mülldeponiegas-Verwertung Schwarzwald­ Baar GmbH die Vertreter der Firma Lias, Tuningen, der beteiligten Behörden und der bauausführenden Firmen begrüßen. Die neue Anlage fand in der regionalen und über­ regionalen Presse viel Beachtung. Auch Regierungspräsident Dr. Nothhelfer unterstrich in einer Presseinformation die Bedeutung der auf der Deponie Tuningen beispielhaft konzipierten Gasverwertung und sprach für andere Deponiebetreiber die Empfehlung aus, die Möglichkeiten für eine Gasverwertung intensiv zu prüfen. Der nachfolgende Bericht gibt einen kur­ zen Überblick über die Entstehungsge­ schichte und die Funktionsweise der neuen Gasverwertungsanlage. 7

Die beiden Gasverdichter in der Gebläsestation Zur Ausgangslage Auf der Mülldeponie Tuningen werden der Großteil des im Schwarzwald-Baar-Kreis anfallenden Haus-und Gewerbemülls und die Abfalle aus dem Landkreis Tuttlingen deponiert. Die Deponie hat ein Gesamtfas­ sungsvermögen von 2,6 Mio cbm, davon waren zu Beginn des Jahres 1,2 Mio cbm ver­ füllt. Hausmüll auf Deponien besteht etwa zur Hälfte aus organischen Stoffen, die im Laufe der Zeit zersetzt werden und Gase bil­ den. Das so entstehende Biogas enthält zu ca. 50 % Methan. Die weiteren Bestandteile sind Kohlendioxyd (ca. 40 %) sowie Sauerstoff und Stickstoff (ca. 10 %). Methan ist ein Gas, aus dem auch das Erdgas überwiegend besteht. Für das Jahr 1987 können wir auf­ grund der bisher gemachten Erfahrungen von einer durchschnittlichen Gasproduk­ tion von ca. 500 cbm in der Stunde ausgehen. Die zur Verfügung stehende Gasmenge wird in den kommenden Jahren mit zunehmen- 8 der Verfüllung der Deponie ansteigen. Es liegt deshalb nahe, das Biogas als Energieträ­ ger zu verwenden. Auch der Schwarzwald­ Baar-Kreis hat sich frühzeitig über die beste­ henden Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Nutzung des Deponiegases Gedanken ge­ macht. Die Grundsatzentscheidung Für die Gasnutzung boten sich zwei Alter­ nativen an. Da war zunächst die Möglichkeit der Verstromung durch den Einsatz von Gas­ motoren, wie sie an einigen Deponien bereits praktiziert wird. Die zweite, allerdings mit hohen Investitionskosten verbundene Alter­ native, war, das Gas über eine Transport­ leitung zur nahegelegenen Fa. Lias Leicht­ baustoffe zu bringen und dort bei der Bläh­ tonproduktion in den Drehöfen einzuset­ zen. Aus wirtschaftlichen Überlegungen, aus Gründen der höheren Energieausnutzung und des Umweltschutzes hat sich der Kreis-

tag letztlich für die Zusammenarbeit mit der Firma Lias ausgesprochen. Zur Klärung der wirtschaftlichen, organi­ satorischen und steuerrechtlichen Fragen wurde zu Beginn des Jahres 1985 der Bera­ tungsgesellschaft Kommunal-Consulta in Donaueschingen der Auftrag zur Erstellung eines umfassenden Gutachtens erteilt. Dieses im Frühjahr 1985 vorgelegte detaillierte Gutachten bildete die Grundlage für das wei­ tere Vorgehen. Die Mülldeponiegas-Verwertung Schwarzwald-Baar GmbH Der Kreistag hat in seiner Sitzung vom 24.Juni 1985 den Beschluß gefaßt, zur wirt­ schaftlichen Verwertung des Deponiegases eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit der Firmenbezeichnung „Mülldeponie­ gas-Verwertung Schwarzwald-Baar GmbH“ zu gründen. Alleiniger Gesellschafter ist der Schwarzwald-Baar-Kreis. Das Stammkapital beläuft sich auf 500.000,-DM. Die Gesell­ schaft hat einen Aufsichtsrat, der sich aus Landrat Dr. Gutknecht als Vorsitzenden und 9 Kreisräten zusammensetzt. Zum Ge­ schäftsführer wurde Kreiskämmerer Rolf Schmid bestellt. Die neu gegründete Firma wurde am 20.September 1985 in das Handelsregister eingetragen. Unter der Regie der Mülldeponiegas-Ver­ wertung Schwarzwald-Baar GmbH wurden im Verlauf des Jahres 1986 die erforderlichen technischen Anlagen zur wirtschaftlichen Nutzung des Gases erstellt. Die technische Seite Die Planung, Bauleitung und die tech­ nische Betreuung wurden dem Ing.-Büro Theo Greiner in Donaueschingen übertra­ gen. Die Aufgabenstellung lautete, das bei der Verrottung des Mülls zwangsläufig ent­ stehende Gas möglichst vollständig zu erfas­ sen und zu nutzen. Die Funktionsweise der Anlagen kann wie folgt erläutert werden: Das Biogas wird in sogenannten „Gasrigo­ len“, die in horizontalen Abständen von 50 m und vertikalen Abständen von 10 m im Deponiekörper verlegt sind, erfaßt. Diese Gasrigolen sind an eine Gasringleitung ange­ schlossen, über die das Gas der Gebläsesta­ tion zugeführt wird. Die Gebläsestation dient sowohl dem Ansaugen wie auch dem Transport des Gases. Über eine im Stations­ gebäude untergebrachte Regelanlage werden die Arbeitsabläufe gesteuert. Hier erfolgt auch die Messung und Analyse des Gases. Der Gastransport zur Firma Lias erfolgt über eine 2,8 km lange Mitteldruckleitung aus HD PE-Rohren mit einem Außendurch­ messer von 280 mm. Parallel zu dieser Lei­ tung wurde ein Steuerkabel verlegt. Das aus dem Müllkörper abgesaugte Gas ist feucht. An den kühlen Rohrwandungen bildet sich Kondenswasser, welches in Tiefpunkten die Leitung verstopfen kann. Aus diesem Grund sind auf der Deponie an den sogenannten „Gaskollektoren“ Kondenswasserableitun­ gen vorgesehen und an den Tiefpunkten der Transportleitung Sammelbehälter eingebaut. Durch die Verregnung des auf der Depo­ nie anfallenden Sickerwassers wird der Müll­ berg feucht gehalten und damit die Gaspro­ duktion angereichert. Für den Deponiebe­ trieb hat dies den positiven Nebeneffekt, daß das Sickerwasser durch die Kreislaufführung gereinigt und die Menge reduziert wird. Die finanzielle Seite Die Gesamtinvestitionskosten belaufen sich auf rund 2 Mio DM. Zuschüsse von Bund und Land wurden für das Projekt nicht geleistet. Die gesamten Investitionen müssen somit über die Erlöse aus dem Gasverkauf an die Firma Lias amortisiert werden. Wir möchten an dieser Stelle nicht verheimli­ chen, daß der enorme Preisverfall bei Heizöl die Rentabilitätsberechnungen der neuen Gesellschaft deutlich negativ beeinflußt hat. Die ursprünglich errechneten Kapitalrück­ flußzeiten haben sich wesentlich verlängert. Rolf Schmid 9

Unsere Städte und Gemeinden Das Oberzentrum braucht neue Impulse Nach fünfzehn Jahren hat Villingen-Schwenningen die Krise noch nicht überwunden Fünfzehn Jahre nach der Eheschließung lebt das Brautpaar zwar mit einer Atmo­ sphäre wohlwollender Duldsamkeit unter dem gemeinsamen Dach, aber den einer stan­ desgemäßen Lebensführung angemessenen Hausrat hat es immer noch nicht. Die beider­ seits eingebrachte Aussteuer war, wie sich jetzt erweist, für die hochfliegenden Pläne der knauserigen Stuttgarter Brauteltern zu knapp bemessen. Mit dem, was bislang an gelegentlichen Zuwendungen von ihnen kam, ist wenig Staat zu machen. Jedenfalls gemessen am Versorgungs- und Repräsenta­ tionsstandard eines Oberzentrums. Die Lan­ desregierung hat ihr reformpolitisches Vor­ zeige-Modell, die Retortenstadt Villingen­ Schwenningen, ziemlich allein gelassen. Gewiß, es ist mit Landeshilfe einiges gebaut und investiert worden. Beispielsweise das weit und breit einmalige Kulturzentrum im ehemaligen Villinger Franziskanerkloster oder die großzügige Sanierung des Schwen­ ninger Stadtzentrums in der Muslen. Aber ein paar Renommier-Projekte können nicht den Blick darauf verstellen, daß für die Stadt­ entwicklung im Sinne einer durchgreifenden Strukturverbesserung in den rückliegenden fünfzehn Jahren zu wenig geschehen ist. Seit dem Frühjahr 1987 ist der Ruf nach neuen Impulsen in der Stadtentwicklung wieder deutlich lauter geworden. Das ist kein Zufall. Der Landesentwicklungsbericht ’86 hat mit zuvor nie gekannter Offenheit darge­ legt, wo die Achillesferse der Schwarzwald­ Baar-Region sitzt. Die miserablen Struktur­ daten der Region, so steht da geschrieben, seien in der Hauptsache der Negativentwick­ lung im Schwarzwald-Baar-Kreis zuzuschrei­ ben, während die Kreise Tuttlingen und Rottweil etwa im Landestrend lägen. 10 Die Diagnose der Landesplaner hat den Krankheitsherd noch exakter lokalisiert: Die eigentliche Schwachstelle ist dort, wo das Herz dieser Region eigentlich schlagen soll: in Villingen-Schwenningen, der von der Wirtschaftskrise Mitte der siebziger Jahre am heftigsten gebeutelten Stadt. Wenn es aber dem Oberzentrum schlecht geht, kann das nicht ohne Wirkung auf Kreis und Region bleiben. Die IHK gab den Anstoß Die Frage, ob sich die gemeinsame Stadt in entwicklungspolitischer Hinsicht eigene Versäumnisse anlasten muß, ist in einem Sta­ dium akuten Handlungsbedarfs zweitrangig geworden. Immerhin ist der Anstoß zu einer konzertierten Aktion bemerkenswerterweise nicht vom Rathaus, sondern aus dem Lager der Wirtschaft gekommen. Die Industrie­ und Handelskammer (,,Diese Region braucht endlich ein besseres Image“) sagte konkret, was aus ihrer Sicht dem noch unterentwickel­ ten Oberzentrum Villingen-Schwenningen am dringendsten fehlt: Qp.alifizierte, hoch­ schulgebundene Einrichtungen für ange­ wandte Industrieforschung und Entwick­ lung auf den Gebieten Mikrotechnik und Informationstechnik, kurzum eine bessere technisch-wissenschaftliche Infrastruktur in Verbindung mit einem Dienstleistungsange­ bot, das den Qp.alitätsnormen eines Ober­ zentrums entspricht. Im Schnittpunkt dreier Universitäten (Freiburg, Konstanz, Tübingen) und der Fachhochschule Furtwangen, hat Villingen­ Schwenningen vergleichbare Bildungsein­ richtungen nicht vorzuweisen. Ein Nachteil, der es beispielsweise der heimischen Indu­ strie erschwert, qualifizierte Führungskräfte

des gehobenen Managements hier seßhaft zu machen. Die am Schwenninger Stadtrand angesiedelte Polizeifachhochschule kann hier außer Betracht bleiben. Sie ist als Stutt­ garter Verlegenheitsgeschenk und politisches Trostpflaster allenfalls ein Zugewinn von rein repräsentativem Wert. Ansonsten führt die Hochschule trotz aller Kontaktbemü­ hungen nach draußen ein Eigenleben. Viele Worte -bescheidene Taten Man kennt das mittlerweile bis zum Über­ druß: Seit Jahr und Tag erheben Politiker Wochenmarkt Villingen aller Couleur in schöner Regelmäßigkeit die stereotype Standard-Forderung nach einem leistungsfähigen Oberzentrum, berufen sich auf entsprechende Zusagen aus der Landes­ hauptstadt und werfen der Regierung Untä­ tigkeit oder gar Wortbruch vor. Der Bürger nimmts teilnahmslos zur Kenntnis. Ihn regen die deklamatorischen Pflichtübungen längst nicht mehr auf. Weil den vielen schö­ nen Worten seit fünfzehn Jahren nur sehr bescheidene Taten gefolgt sind. Verändert hat sich praktisch nichts, was die Doppelstadt als meßbaren Zugewinn 11

Stadtbibliothek Schwenningen ihrer Zentralfunktion werten könnte. Das Angebot an öffentlichen und privaten Dienstleistungen ist so schwach bestückt wie eh und je. Viele wichtige Behördenmitregio­ naler Zuständigkeit sind nicht in Villingen­ Schwenningen, sondern in Rottweil oder Donaueschingen angesiedelt. Nicht Villin­ gen-Schwenningen, wie es längst notwendig und angemessen wäre, sondern Rottweil ist Sitz eines Landgerichts. Das Oberzentrum und der ganze Schwarzwald-Baar-Kreis sind nach wie vor dem viel weiter entfernten Landgericht Konstanz zugeordnet, was nach Meinung einheimischer Juristen ein Ana­ chronismus ist und endlich geändert gehört. All das hätten die Villinger und Schwen­ ninger leichter ertragen können, wenn es wenigstens ihrem ganz persönlichen Lebensbereich vorwärtsgegangen wäre. Aber die gemeinsame Stadt, die nach Vorstellung der Landesplaner mit ihrer dynamischen Wirtschaftskraft auf die ganze Schwarzwald- 12 in Schmerzlicher Einwohnerschwund Baar-Region ausstrahlen sollte, erlebte just in ihrer Gründungs-und Entwicklungsphase statt wirtschaftlicher Blüte einen empfindli­ chen Rückschlag, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Erst die Uhrenkrise, dann die Rezession in der Unterhaltungselektro­ nik -das war zuviel für eine Stadt, deren Industriestruktur auf eben diesen wichtigen Stützpfeilern ruht. Neues Wirtschaftswachstum ohne Inve­ stitionsbereitschaft, ohne zusätzliche Ar­ beitsplätze ist schlechterdings nicht denkbar. Genau auf diesen Punkt zielt die vorerwähn­ te Initiative der IHK. Die Kammer glaubt fest daran, daß vom Ausbau der technisch­ wissenschaftlichen Infrastruktur eine wirt­ schaftsfördernde Magnetwirkung, eine Ini­ tialzündung für neue Entwicklungen und Produkte ausgehen kann. Villingen-Schwen­ ningen, so !HK-Hauptgeschäftsführer Dr.

RudolfKubach, müsse für qualifizierte junge Leute wieder interessant werden. Genau das Gegenteil aber ist eingetreten. Der schmerzliche Einwohnerschwund der letzten Jahre unterstreicht mit Nachdruck den offenkundigen Attraktivitätsverlust. Der Schwarzwald-Baar-Kreis, der in den sechziger und siebziger Jahren regelmäßig die höchsten Wanderungsgewinne in der Region vorzuweisen hatte, steht seit Jahren in der Bevölkerungsstatistik mit Minuszah­ len zu Buch. Auch in Villingen-Schwennin­ gen haben sich die Zuwachsraten (1961- 1973: 18 Prozent) längst ins Gegenteil ver­ kehrt. Die Vision einer 110 000-Einwohner­ stadt im Jahr 1990 (siehe den Bevölkerungs­ richtwert im 1976 verabschiedeten Regional­ plan) ist von der rauhen Wirklichkeit längst ins Reich der Utopie verwiesen worden. Wenn sich die gegenwärtig zwischen 76 000 und 77 000 pendelnde Einwohnerzahl bis dahin wieder der 80 000-Grenze nähern sollte, läge das ungefähr im vorstellbaren Bereich einer maßvollen Aufwärtsentwick­ lung. Auf die Bürger kommt es an Das alles sind nicht gerade günstige Vor­ zeichen für das urbane Zusammenwachsen, für ein Verschmelzen der beiden großen Stadtbezirke in einer gemeinsamen und nicht nur gemeinsam verwalteten Stadt. „Auch wenn die finanzielle Situation des Landes künftig Leistungseinschränkungen für die Kommunen notwendig macht, wird das Land nicht vergessen, daß es bei der Fusion dieser Stadt Pate gestanden hat“. Worte, die der Regierungschef dieses Landes 1982 aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens der gemeinsamen Stadt in einer Grußbot­ schaft zu Papier gebracht hat. Späth selbst hat dieses Versprechen gleich relativiert: „Die Hilfen von Bund und Land können aber nur Anstoß zur Bewältigung der Aufgaben sein. Vor allem auf die Bürger wird es ankommen, ob zu den äußeren Zeichen des Zusammen­ wachsens auch das Bewußtsein der Zusam­ mengehörigkeit hinzutritt“. Ende des Zitats. Dieses gesamtstädtische Bewußtsein hat zweifellos, wenn auch nur zögernd, Fort­ schritte gemacht, allerdings mehr aus einem Anpassungs- und Gewöhnungseffekt her­ aus, denn als Ausdruck einer wirklichen bür­ gerschaftlichen Verbundenheit. Gefühlsmä­ ßige Bindungen zur neuen Stadt wird man zumindest von dieser Generation nicht mehr erwarten können. Der Integrationsprozeß, das hat sich in den letzten fünfzehn Jahren erwiesen, wird wesentlich länger dauern, als sich das die Gebietsreformer vorgestellt haben. Verwaltungsgrenzen lassen sich mit einem Federstrich am grünen Tisch ver­ ändern, die in Jahrhunderten gewachsenen Lebensräume und Kulturkreise der Men­ schen eben nicht, selbst wenn sie Tür an Tür wohnen. Mehr Eigeninitiative nötig Was Villingen und Schwenningen nach wie vor trennt, ist schon hinreichend be­ schrieben worden und braucht deshalb hier nicht wiederholt zu werden. „Die Zeit heilt viele Wunden“, sagt ein altes Sprichwort, des­ sen Wahrheitsgehalt gewissermaßen ein Stück Lebensphilosophie dieser Stadt ist. Sie wird ein ganzes Stück mehr an Eigeninitia­ tive und schöpferischer Phantasie entwik­ keln müssen, wenn sie das werden soll, was ihr vorbestimmt ist: Die wirkliche Metro­ pole, das wirtschaftliche und geistige Zen­ trum der Schwarzwald-Baar-Region, eine attraktive Stadt, die es erstrebenswert macht, in ihr zu leben und zu arbeiten. Heinz Wegmann * 13

Das Wappen der Stadt Bräunlingen Dies ist im Landkreis das älteste, unverän­ dert geführte Wappenbild. Es erscheint erst­ mals auf einem Siegel mit der Umschrift + SIGLLV: CMTATIS: IN: BRVLINGEN (= Siegel der Stadt in Brülingen -d.h. im Gegensatz zum Dorf in B.). Es enthält in einem frühgotischen Dreieckschild einen aufgerichteten Löwen. Ihn hat die Stadt in allen ihren Siegeln bis heute beibehalten; lediglich Anpassung an die wechselnden Kunststile von der Gotik über Renaissance, Barock und Rokoko kann man bemerken. – Die verschiedenen Siegel durch die Jahrhun­ derte wurde vom Bräunlinger Kunstmaler Karl Hornung auf einer Tafel für Balzer’s Geschichte der Stadt Bräunlingen hervorra­ gend wiedergegeben. Da die Wappen in alten Siegeln natürlich nicht farbig sind, weiß man über die Farben des Stadtwappens in alter Zeit nichts siche­ res. Gewöhnlich nimmt man an, daß es sich hier um den Habsburger Löwen handele. – Die Grafen von Habsburg führten im goldenen Feld einen roten Löwen, der in späterer Zeit meist mit blauer »Bewehrung“ (Zähne und Klauen) dargestellt wird. -Es kann aber, worauf schon Balzer hinwies, der Löwe in diesem ersten Siegel der Stadt (frühest bekannter Abdruck an einer Pergamentur­ kunde vom „Tage vor unserer Frauen Ker­ zenweihe“ (Lichtmeß), entspr. 1. Februar 1305, im Generallandesarchiv Karlsruhe) kei­ nesfalls den Habsburger Löwen darstellen, da Bräunlingen erst am „Sonntag nach Him­ melfahrt“ desselben Jahres (entspr. 30. Mai 1305) von Graf Heinrich (II.) von Fürstenberg und seinen Brüdern an König Albrecht und dessen Sohn, Herzog Friedrich von Österreich und dessen Brüder abgetreten werden mußte. Erst von da an war die Stadt bis 1803 österreichisch (habsburgisch). 14 ‚K.Y. Wappen: In Gold ein roter Löwe. Nun hatte schon Graf Heinrich (1.) von Urach-Fürstenberg das Stadtrecht für Bräun­ lingen erwirkt, das jedoch erst gegen 1295 voll in Kraft getreten ist. Die von Pater F. X Kreutter noch 1790 am Niederen Tor festge stellte Jahreszahl 1203 (erwähnt auch bei Bal­ zer und Hornung) müßte wohl eher 1303 hei­ ßen. – Dies dürfte den Abschluß der Ummauerung in etwa anzeigen. So kann man wohl annehmen, daß das 1. Siegel auch erst zwischen 1303 und 1305 angefertigt wurde. Damals war die Stadt aber noch für­ stenbergisch! 1283 war Graf Heinrich 1. „Landgraf in der Baar“ geworden, eine Würde, die zuvor die Grafen von Sulz und die freien Herren von Wartenberg, zuletzt Konrad von Wartenberg (gest. um 1303) innehatten. Doch starb Graf Heinrich 1. bereits im darauffolgenden Jahr. Sein Sohn Friedrich (1.) herrschte bis etwa 1296. Dessen Sohn und Nachfolger, Graf Heinrich II., heiratete um 1304 die Gräfin Ve­ rena von Freiburg(-Badenweiler), Nichte und Erbin Konrads von Wartenberg. Fortan nann­ te sich Heinrich „Graf zu Fürstenberg, Wolfach Könnte es nicht sein, daß diese wichtige Erbschaft den Stadtherrn veranlaßte, seiner jungen Stadt das Wappen der Wartenberger (in Silber ein roter Löwe) zu geben, da der Für­ stenberger Adler ja bereits seit 1284 von der Stadt Villingen im Siegel geführt wurde? – Die erst 1318 aus dem Wartenberger Erbe erworbene Stadt Geisingen führte dann in ihrem ältesten bekannten Siegel (Abdrücke und Wartenberg, Landgraf in der Baar“.

sind ab 1324 erhalten) zwei Schilde neben­ einander: der vordere zeigt den Wartenber­ ger Löwen, der hintere den von Wolkenfeh umgebenen Fürstenberger Adler. Sichere Angaben über die Farben des Bräunlinger Wappens besitzen wir erst aus badischer Zeit: In X. Stiele’s „Wappen und Siegel sämtlicher Städte des Großherzog­ tums Baden“ von 1840 ist der rote Löwe in Gold wiedergegeben. Als Bräunlingen in den Umwälzungen der napoleonischen Zeit 1803 an das Herzog­ tum Modena, 1805 an Württemberg und 1806 schließlich an das neue Großherzogtum Baden kam, wurde der Löwe im Siegel unver­ ändert weitergeführt. -Daß die badischen Farben Gold-Rot in das Bräunlinger Wappen eingeflossen sein könnte, erscheint unwahr­ scheinlich, denkt man an die Aversion der ehemals österreichischen Untertanen gegen die neue Herrschaft -eher wäre dann an eine Übernahme der österreichischen Farben (Rot-Weiß) zu denken gewesen, wie es z.B. in Triberg oder auch Furtwangen im 19.Jahr­ hundert der Fall war. -Kurz: die Farben Rot­ Gold müssen damals schon fest verankert gewesen sein, was Balzer’s Vermutung über die Farben des Wappens von 1733 am Tür­ sturz des ehemaligen Schultheißenhauses stützt. Allerdings kann diese schöne Stein­ metzarbeit in ihrer farblichen Fassung nicht als Beweis genommen werden, denn sicher wurde sie im vergangenen Vierteljahrtau­ send einigemale neu bemalt, so daß die ursprüngliche Farbgebung auch durchaus anders gewesen sein könnte! Da andere Löwenwappen in unserem Raum für Bräunlingen nicht in Frage kom­ men, sei hier die Hypothese erlaubt, daß ursprünglich wohl der Wartenberger Löwe im Wappen gestanden ist, jedoch griff in­ folge der langen Zugehörigkeit der Stadt zu Österreich (1305-1803) schließlich die Über­ zeugung platz, daß es sich bei dem in den Sie­ geln stets farblos dargestellten Löwen nur um den habsburgischen handeln könne. Die Züricher Wappenrolle von etwa 1340 zeigt für »HABSPURG“: in Gold einen roten Löwen für“ W ARTENBERG“: in Silber einen roten Löwen. Im Donaueschinger Wappen­ codex aus der 1. Hälfte des 15.Jahrhunderts ist der Wartenberger Löwe mit schwarzer Bewehrung gemalt, der Habsburger mit blauer. -Doch hat sich für das Stadtwappen eingebürgert, den Löwen ganz und gar rot wiederzugeben, was auch am schönsten ist. – Die Darstellung des Löwen ist im übrigen nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt. Doch ist für den offiziellen Gebrauch auf Siegeln, Stempeln, Briefbogen usw. eine ein­ heitliche Darstellung zweckmäßig; die aber nicht ewig beibehalten werden muß. Laien glauben meist, je verschnörkelter und komplizierter, um so besser sei ein Wap­ pen, während genau das umgekehrte zutrifft: Je einfacher und klarer ein Wappen ist, um so besser! (Wappen sind ursprünglich ganz auf Fernwirkung angelegte Kennzeichen!) – Daher ist auch der 1903 von K Hornung geschaffene, verschnörkelte Wappenentwurf -dazuhin noch mit einer unmöglichen Mauerkrone! -vom heraldischen Stand­ punkt her abzulehnen. Der im „Badischen Städtebuch“ erwähnte doppeltgeschwänzte Löwe aus einem Siegel des 12. Jahrhunderts beruht offensichtlich auf einem Irrtum! -Alle Siegel der Stadt ent­ hielten stets den einschwänzigen Löwen; und der Wartenberger Löwe hat ebenso wie der Habsburger immer nur einen Schwanz gehabt, der allerdings manchmal schon recht zottig aussah. Klaus Schnibbe * 15

Villingen und die Universität Freiburg Universität Freiburg zu Gast Albert-Ludwigs-Universität stellte sich mit Universitätstagen in Villingen-Schwenningen vor Bereits mehrere Male war die Universität Freiburg in Villingen-Schwenningen zu Gast, – zuletzt im Jahr 1611. Krankheiten und Epidemien hatten seinerzeit den Lehrkörper der Alberto Ludoviciana gezwungen, nach Villingen ins „gesunde Exil“ auszuweichen und im dortigen Franziskaner-Kloster den Lehrbetrieb aufzunehmen. Dieses Mal war es nicht die Pest, die die Universität Freiburg nach Villingen-Schwen­ ningen geführt hatte. Die Hochschule stellte sich auf Einladung des Oberbürgermeisters mit Universitätstagen vom 12. bis 14.11.1986 vor und nutzte die Gelegenheit, den Bürgern von Stadt und Landkreis durch eine Ausstel­ lung und mehrere Vorträge einen Einblick in Forschung und Lehre der Freiburger Hoch­ schule zu geben. Die Bürger von Villingen­ Schwenningen und aus dem Umkreis nah­ men dieses Angebot )hrer“ Universität wahr, die sich ein vielseitiges und interessan­ tes Programm hatte einfallen lassen. Ausstellung: Verbindungen zu Villingen und Einblick in die Freiburger Universität Eine Ausstellung führte in die Geschichte Eröjfmmgsveranstaltung am 12.11.1986 im Franziskaner im Stadtbezirk Villingen 16

Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg im Breisgau der Universität ein und gab einen Überblick über die verschiedenen Forschungsrichtun­ gen. An ihrem ehemaligen Studienort, dem Franziskaner, ließen in dieser Ausstellung viele historischen Exponate die vielfältigen Beziehungen der Freiburger Universität zur Stadt Villingen deutlich werden. So war unter anderem das Manuskript der Eröffnungsrede von Matthäus Hummel zu sehen, dem Gründungsrektor der Universi­ tät und gebürtigen Villinger. Ihm hat es die Universität auch zu verdanken, daß die Vil­ linger Pfarrei als Geschenk des Universitäts­ gründers Albrecht VI., dem Erzherzog von Vorderösterreich, in das Universitätsvermö­ gen eingegliedert wurde. Aber auch die daraus entstehenden Zwistigkeiten und Händel um den Zehnten der Stadt Villingen waren in originalen Rats- und Universitätsprotokollen aus dem 15. und 16. Jahrhundert ausgestellt. Das wert­ vollste Exponat schließlich war das älteste Freiburger Szepter aus dem Jahr 1466. Mit weiteren Ausstellungstafeln wurde ein Einblick in das Leben und in die aktuelle Forschungsarbeit der Freiburger Hoch­ schule, an der derzeit 23.000 Studenten immatrikuliert sind und die mit ca. 9.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in Süd­ baden ist, gegeben. Mit insgesamt 14 Fakultä­ ten und einem Universitätsklinikum mit ca. 2.000 Betten präsentiert sich die Universität Freiburg heute als ein wichtiger Faktor im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Region. Mit Tafeln zur „Zähringerforschung“, die seit vielen Jahren an der Freiburger Universi­ tät einen Schwerpunkt in der Arbeit der lan- 17

Schöpf, dem Direktor der Universitäts-Haut­ klinik, und unter Mitwirkung von namhaf­ ten Medizinern des Universitätsklinikums Freiburg und der Städtischen Krankenanstalt Villingen-Schwenningen, dem Akademi­ schen Lehrkrankenhaus der Universität, zum Thema „Krankheit und Umwelt“. An die Schüler der Jahrgangsstufen 11-13 wendeten sich zusätzlich zwei sehr gut besuchte Veranstaltungen zur Studieninfor­ mation und -beratung durch die Zentrale Studienberatung der Universität in der Aula des Gymnasiums am Deutenberg in Schwen­ ningen sowie im Gymnasium am Romäus­ ring in Villingen. Freiburger Universitätstage für Villingen­ Schwenningen und den Landkreis In einem Punkt unterschieden sich auch die diesjährigen Freiburger Universitätstage von ähnlichen Veranstaltungen: Sie sind maßgeschneidert auf den jeweiligen Ort, in dem sie stattfinden. Die Universität wollte mit den Universitätstagen in Villingen­ Schwenningen auch zeigen, was sie für Villingen-Schwenningen und sein Umland forscht. Während sie mit der Ausstellung auf die geschichtlichen Verbindungen und aktuelle Forschungen einging, wurden in den Vorträgen die für Villingen interessante Zäh­ ringerforschung sowie die Landschaft des Raumes Villingen-Schwenningen oder spe­ zielle Probleme der mittelständischen Wirt­ schaft in dieser Region angesprochen. Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg stellte sich mit den Universitätstagen als For­ schungszentrum, als Ausbildungsstätte und als Ansprechpartner für die Bürger der Stadt Villingen-Schwenningen und des Landkrei­ ses Schwarzwald-Saar vor. Rudolf-Werner Dreier deskundlichen Historiker bildet, wurden ebenfalls Verbindungslinien zwischen Frei­ burg und Villingen verdeutlicht Aus dem Universitätsklinikum war das Tumorzen­ trum mit einer Schautafel vertreten und das Institut für Kulturgeographie zeigte einen Querschnitt aus seinen Forschungsarbeiten in der Region und in Ländern der Dritten Welt. Das Institut für Luftbildmessung und Fernerkundung schließlich stellte Untersu­ chungen zum Waldsterben via Satelliten­ fotos aus dem Weltraum aus. Dabei war auch ein Satellitenfoto vom Raum Villingen­ Schwenningen, aufgenommen aus einer Höhe von 700 km, zu sehen. Information und Forschung In Vortragsveranstaltungen kamen Pro­ fessoren und Dozenten aus den verschieden­ sten Fachrichtungen zu Wort und gaben in einer anschließenden Diskussion dem Publi­ kum Gelegenheit, mit der Universität ins Gespräch zu kommen. So sprach bei der Eröffnungsveranstal­ tung, die durch ein Kammerensemble des Akademischen Orchesters der Universität Freiburg musikalisch umrahmt wurde, Pro­ fessor Dr. Gerd Althoff vom Historischen Seminar der Universität Freiburg über „Die Zähringer-Herzöge ohne Herzogtum“. Frau Professor Dr. Otti Wilmanns vom Institut für Biologie der Universität Freiburg hielt einen Vortrag über die „ Vegetation in der bäuerlich geprägten Kulturlandschaft. Auf geobotanischer Spurensuche von der Magdalenenbergzeit bis heute.“ Und Dr. Gerhard Danneckervom Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht der Universität referierte in der Industrie­ und Handelskammer Villingen über den ,,Schutz von Geschäfts-und Betriebsgeheim­ nissen“. Einen ergänzenden Beitrag zu dem Vortrag von Dr. Dannecker bot der Leitende Kriminaldirektor Franz Pfiszter vom Lan­ deskriminalamt Baden-Württemberg. Den Abschluß der Universitätstage bil­ dete eine große Podiumsdiskussion unter der Leitung von Prorektor Prof. Dr. Erwin 18

Mathäus Hummel – ein Villinger Landsmann Gründungsrektor der Universität Freiburg Wir Albrecht von Gottes Gnaden, Ertz­ hertzog zu Osterrich, zu Steir, zu Kemden und zu Crayn, Grave zu Tyrol etc. Embieten dem ersamen gelerten unserm getrewen lie­ ben Maister Matheus Humeln geistlicher Rechten und in Ertzney Doctor unserm Rate, unser Gnade und alles Gut. Dieweil wir ein hochgemain Schul in unser Stat Freyburg im Breißgow Got dem Almechtigen und siner lieben Mutter Marien zu Lobe, uns und dem gantzen Hawß Osterrich zu Eren auf­ zerichten, zu stifften und zu erheben haben fürgenomen, … Darumb so haben wir in unserm zytigen Rate unser gelerten und an der unserer treffenlichen Rete, dich für alle ander angesehen, erwelt und gesetzt, erwelen und setzen ouch dich in Kraft diß Briefs, zu einem Regierer, Fürseher und Rector der obgemelten Universitet und hohen Schulen, von jetz Weyhennacht nechst künfftig über ain Jar, … Geben zu Wyen, an Sant Matheus des hei­ ligen Zwölfbotten und Envagelisten Tag (21. September). Nach Christs Geburt viertze­ hundert und im siben und fünfftzigisten Jare. Vorweg mündlich 1455 und dann schon am 28. August 1456, hatte Erzherzog Albrecht VI. (1418-1463) seinen „ersamen gelertn und getrewen liebn meister Matheus Humel geistlichen Rechten und in der Artz­ nei lerem“ zusammen mit dem „marschalk T uringn von Hallwyr“ als seine Räte in einem Erlaß mit der vorbereitenden Organisation der Universitätsgründung beauftragt, nach­ dem die Verhandlungen mit der päpstlichen und bischöflichen Seite erfolgreich abge­ schlossen waren. In der zeitweilig bewaffneten Auseinan­ dersetzung mit seinem kaiserlichen Bruder Friedrich IIl. (1415-1495) um die Nachfolge im Erzherzogtum Österreich, lag der Schwerpunkt der Hausmacht Herzog Albrechts im „Land ob der Enns“ (Ober- österreich) mit den Vorlanden (Vorderöster· reich), in denen neben Freiburg auch Villin· gen lag. Die beabsichtigte Gründung der Universi­ tät Freiburg war eine eminent politische Ent­ scheidung. Sie war mit dem aufkommenden Humanismus ebenso verbunden wie mit der kirchlichen Neuordnung Österreichs und den kirchlich-religiösen Erneuerungsbestre­ bungen insgesamt. Universitäten als primär kirchliche Stiftungen waren damals vor allem Theologenschulen mit einem hohen Anteil von Klerikern als akademische Leh­ rer. Als Herzog Albrecht den Villinger Gelehrten zum Organisator und Gründer der Universität Freiburg erwählte, mußte er gewußt haben, wen er sich einhandelte. Doch wenden wir uns zunächst dem Wer­ degang Hummels zu: Er wurde am 21. Sep­ tember 1425 als eines der jüngsten von 13 Kindern in Villingen geboren. In seiner Vaterstadt besuchte er die „unteren Schulen“, um schon im Herbst 1441 als Sechzehnjähri­ ger-was nichts Ungewöhnliches war-an die Universität Heidelberg zu wechseln. 1443 wurde er dort Bakkalaureus der Freien Künste, was ihm den Zugang zu den höheren Fakultäten erlaubte. Gerade einundzwanzig­ jährig promovierte er 1446 zum Doktor der „artes liberales“. Anschließend belegte erwei­ tere Fächer, vor allem wohl die der Medizin und des Kirchenrechts. Im letzteren unter­ zog er sich im Dezember 1451 der strengen Prüfung und bestand sie mit bestem Erfolg. Als er nun erneut vor der Verleihung eines Doktorhutes stand, scheiterte diese wissen­ schaftliche Erhöhung am Verhalten Hum­ mels. Hier wird erstmals etwas von der Stand­ festigkeit seines Charakters sichtbar. Der Vorgang ist aus heutiger Sicht banal, damals war er von großer standespolitischer Bedeu­ tung. Es ging um die protokollarische Form der Kleiderordnung beim Promotionsvor-19

Erzherzog Albrecht VI. beauftragt Mathäus Hummel in Villingen mit der Gründung der Universität Freiburg. (Kachelmotiv des Ofens für den ehemaligen Ratssaal des alten Rathauses von Villingen. Der Ofen wurde 1894/9 5 von Johann Glatz gefertigt.) gang. Mit akademischem Grad und Doktor­ titel der Artistenfakultät ausgestattet, wollte Hummel in dem ihm zustehenden Ornat mit Gold und Seidenzeug vor die Professo­ ren treten. Die Vertreter der Juristenfakultät verlangten aber von ihm, daß er sich lediglich ihres Kostüms bediene. Demonstrativ und öffentlich weigerte sich Hummel, unter die­ sen Bedingungen das kanonistische Dokto­ rat anzunehmen. Waren damit auch seine Aussichten bei den Juristen zu Ende, so stie­ gen sie bei seinen akademischen Freunden, die ihm Lehrfach er übertrugen und ihn sogar 1454 zu ihrem Dekan, d. h. zum Leiter des Professorenkollegiums, wählten. Selbst der Pfalzgraf Friedrich war ihm gewogen und wollte ihm die Aufsicht über das Kollegium der artistischen Fakultät übertragen. Hum­ mel selbst schließt seinen Bericht über den Vorfall mit den Worten, ,,auf solche Weise trugen meine Feinde zu meinem Glücke 20 bei“. Es spricht für ihn, der nach den Quellen zeitgenössischer Wissenschaft strebt, daß er noch 1454 Heidelberg verläßt und ins Ursprungsland des Humanismus, nach Ita­ lien, reist. Drei Wochen nach seiner Ankunft, am 18. November, läßt er sich von 29 Dokto­ ren der Universität Pavia im Kirchenrecht examinieren. Sie erklären ihn des Doktorrats würdig. Zeugen dieser Feierlichkeit waren neben zahlreichen Italienern mehrere hohe deutsche Adlige, Markgrafen und Grafen. Für den nunmehr zweifachen Doktor begann eine steile akademische Karriere. Im März 1455 wird er auch noch zum Doktor der Medizin promoviert, schlägt 22 Thesen aus allen Fakultätswissenschaften an und ver­ teidigt sie öffentlich. Jedermann, so heißt es, war sehr verwundert und erfreut. Hummel ist gerade 29 Jahre alt. Stolz blickt er in späte­ ren Jahren auf diese Zeit in Italien zurück, indem er bemerkt: Da schmetterten die

Trompeten zum Lobe Gottes und zur Ehre der Deutschen. Im Mai 1455 trifft Mathäus Hummel wie­ der in Heidelberg ein. Der Pfalzgraf emp­ fangt ihn aufs gnädigste und bittet ihn drin­ gend, die Hochschule nicht mehr zu verlas­ sen. Zufall oder Verabredung: Im folgenden Jahr trifft Hummel in seiner Heimatstadt Vil­ lingen mit seinem habsburgischen Landes­ fürsten Erzherzog Albrecht VI. von Öster­ reich zusammen. Hier, vem1Utlich im Kloster der Franziskaner, finden die Vorgespräche für die beabsichtigte Universitätsgründung statt. Am 20. Juni 1455 ernennt der Fürst den Gelehrten zu seinem Rat. Hummel, auf der Höhe der damaligen wissenschaftlichen Bil­ dung, ein Mann universaler Kenntnisse, eine organisatorisch begabte und tatkräftige Per­ sönlichkeit, verläßt erneut den engen Rah­ men seiner Familie und der Vaterstadt; die entscheidende Phase seines kaum dreißigjäh­ rigen Lebens hatte begonnen. Am 18. August 1455 trifft er zu den Vorarbeiten in Freiburg ein. Die Mittel zur Dotation der Universität und des Lehrkörpers wurden durch die Über­ tragung mehrerer habsburgischer Kirchen­ lehen aufgebracht. Ab 1457 kam dann noch die Kirche und der Kirchensatz der Stadt Vil­ lingen dazu. Die mächtige Zehntscheuer an der Rietgasse in Villingen, nahe dem Ro­ mäusturm, mit dem hohen Giebel zur Turm­ gasse hin, ist das zur Universität Freiburg gehörende Gebäude, das jahrhundertelang den Lehens-Zehnt einer agrarwirtschaftlich­ feudalistischen Gesellschaft aufnahm. Wie in der eingangs zitierten Urkunde Das Zepter der Universität Freiburg vermerkt, ernannte am 21. September 1457 Erzherzog Albrecht VI. Mathäus Hummel zum ersten Rektor der Universität Freiburg für ein Jahr, mit der Maßgabe, daß die Uni­ versität künftig ihre Rektoren, Dekane und Amtleute selbst ernennen solle. Endlich, 1460, war das Werk vollendet und die feier­ liche Stunde der Eröffnung gekommen. Am 26. April versammelten sich die sieben ordentlichen Professoren (bei 242 Erstimma­ trikulierten) mit der Festversammlung vor dem St-Johann-Altar im Münster zu Frei­ burg, um nun ihrerseits in freier Wahl den ersten Rektor zu küren. Die Wahl fiel, wie nicht anders zu erwarten war, auf Mathäus Hummel, den dreifachen Doktor. Der Eröff­ nungsakt wurde zwar von kirchlichen Feiern und einer Prozession der gesamten Bürger­ schaft und aller Behörden begleitet, Haupt­ gegenstand aber war die in lateinischer Sprache im Münster und wahrscheinlich im Anschluß an die Wahl gehaltene Rede des neuen Rektors. Erinnert man sich der bemer­ kenswerten Haltung, mit der Mathäus Hum­ mel an der Heidelberger Universität auf die Annahme des Doktortitels der juristischen Fakultät verzichtet hatte, so begegnet uns in seiner Festrede zum zweiten Male ein Zeug­ nis dieser mutvollen, in sich selbst gefestig­ ten Persönlichkeit. Hummel sprach über das Thema „Die Weisheit hat sich ein Haus erbaut“. Einen kleinen Ausschnitt wollen wir daraus zitieren und ihn in bezug setzen zu den Zeiterscheinungen. Es ist der Teil, der sich mit den Schattenseiten kirchlicher Wirk­ lichkeit befaßt, einer Wirklichkeit, die doch 21

so bestimmend das Leben der Menschen pri­ vat und öffentlich beeinflußte. In seiner Rede werden anklagend die Torheiten sicht­ bar, die in der Zeit der bereits anhebenden Renaissance, wo das Gute und das Böse in so hohem Maße Hand in Hand gingen, die Kirche hinderten, ihre Würde wieder her­ zusteUen, ihre Autorität zu erneuern, die Kurie neu zu ordnen, die Moral zu reformie­ ren, den Gang der Justiz zu sichern, den Glauben zu verbreiten; kurz, all das zu tun, was letztlich die Reformation und damit die Spaltung der Kirche, mit den politischen und kriegerischen Folgen, hätte verhindern kön­ nen. Hummel geißelt den weltzugewandten, säkularen Zeitgeist, indem er die Frage stellte, warum die Weisheit es nötig habe, sich ein eigenes Haus zu bauen und sie damit beant­ wortete, daß die Weisheit weder von Geist­ lichen noch von Laien in ihrem Privatleben aufgenommen und gepflegt würde. Er nimmt sich zunächst die Welt-und dann die Klostergeistlichen vor und bemerkt wört­ lich: Pfui der Schande, in diesen verderbten Zeiten werden die Studien jeder Art, öffent­ liche und Privatstudien, aus den Häusern der Geistlichen mit Gewalt und Waffen fortge­ trieben. Ihre Stelle nehmen bald Hunde, bald Vögel, bald das geschmückte Pferd, bald jenes zweifüßige weibliche Ungetüm ein, welches der Geistliche mehr fliehen sollte, als Schlange und Basilik. Statt der Schriften zu Studien sehen wir bei ihnen in kostbaren Behältern feine Leinwand, Seidenzeug und Prunkkleider jeder Art prangen. Da erblik­ ken wir silberne Gefäße, Leiern und Lauten, bunte Polster, Würfel und Karten, weiche Lotterbetten, geschnäbelte Waschgefäße, herumgestreute Locken usw. Die Bibliothe­ ken der Geistlichen aber leiden an allen Krankheiten, am Rücken und an den Seiten, ihre Sexternen löset die Gicht auf; und nie­ mand bietet zu ihrer Wiederherstellung die Hand … Der alte Soldat ehrt doch die Waf­ fen, mit denen er einst gefochten hat; aber der unwissende Geistliche veräußert die merkwürdigsten Pergamente an Maler und Kirschner: oder gibt sie Goldarbeitern, um 22 sie zu Behältern für Armbänder und Halsket­ ten zu verwenden, oder klebt wohl auch mit ihren Blättern Öffnungen in den Fenstern zu. -Aber vielleicht, fragt man, steht es bei den Klostergeistlichen mit den Studien bes­ ser; vielleicht findet bei ihnen die Weisheit Aufnahme? Nicht im mindesten, lautet auch hier die betrübliche Antwort. Frucht und Vieh, Geld, Speise und Trank, Orgel und Zither und Besuche bei den Nonnen, sind jetzt die Studien der Mönche; mit geringen Ausnahmen von solchen, in welchen sich nicht das Ebenbild sondern nur die Spur der alten Väter erhalten hat. Vorzüglich sind es dreierlei Gegenstände, welche die Kloster­ geistlichen vor den Studien abziehen: ihr Bauch, ihre Kleider und ihre Häuser. Dahin gehen ihre Sorgen, daß ihr Tisch vortrefflich besetzt, ihre Kleidung gegen die Regel weich­ lich und ihr Haus fürstlich wie ein Schloß aufgeführt sei; so daß sie auf Gott wenig Ver­ trauen setzen, von welchem der Psalmist sagt, daß er auch für den Armen und Bettler Zehntscheuer in der Rietgasse in Villingen für die Aefnahme des der Freiburger Universität ver­ machten Pfarrzehnten Zeichnung: Dr. Asifäller

sorge und dem Raben und dem Vieh über­ flüssig seine Nahrung zukommen lasse … Dieser Ausschnitt aus Hummels Rede belegt, daß hier nicht allein der Gelehrte, son­ dern auch der politische Mensch Mathäus Hummel agiert. Mit seinen mutigen Worten an die Adresse der Kirche, die ja, trotz aller weltlichen Entscheidung des Erzherzogs über Bischof und Papst materiell und geistig mit der Universität aufs engste verbunden war, erweist sich Hummel als Parteigänger derer, auch aus der Kirche selbst, die in den Spannungen der Zeit für das kirchliche Leben die „Reform an Haupt und Gliedern“ forderten. Obwohl diese Haltung weit davon entfernt ist, antipäpstlich oder antikirchlich zu sein, so war sie doch Ausdruck der Sorge um die gottgewollte aber gestörte kirchliche Ordnung. Wie stets bei Menschen solchen Zu­ schnitts, hatte auch Hummel sich Wider­ stände eingehandelt, die ihm zusetzten. So warf man ihm zum Beispiel vor, er würde sei­ ner Vorlesungspflicht nicht nachkommen. Dennoch wurde er immer wieder, insgesamt viermal, zum Rektor der Universität gewählt. Auch materiell stand es nicht zum besten. Verheiratet mit der Tochter Margaretha des Freiburger Oberschultheißen Vogt, die zwölf Kinder zur Welt brachte, mußte sich Hum­ mel in einem kränkenden Rechtsstreitwegen angemessener und verdienter Besoldung mit der eigenen Universität herumschlagen. Ent­ täuscht bemerkt er: An Georgi 1460 habe ich die Universität zu Freiburg eröffnet. Ich habe einen Weinberg gepflanzt mir zur Bitterkeit. Der Name des Herrn sei gelobt. -Trotz aller Widrigkeiten wurde ihm noch einmal eine hohe Ehrung zuteil. Auf dem Reichstag zu Regensburg im Juni 1471 wurde Mathäus Hummel vom Kaiser empfangen. Mit Genugtuung bemerkt der Gelehrte: So wurde ich von den Großen mit Achtung und Liebe beschenkt, während ich von meines­ gleichen, die ich aus dem Staube erhoben und denen ich Wohltaten erwiesen hatte, angefeindet wurde. Was ich einfach verlor, habe ich doppelt wiedergewonnen. – Es geschah wohl bei diesem Reichstag, daß ihn der Kaiser in den Ritterstand erhob. Seinen Adelsnamen „Edler im Bach“ hat er allerdings nie geführt. Hummel blieben nur noch ein paar Jahre. Zu Beginn des Jahres 1477 erkrankte er töd­ lich. „Möge Gott, mein Herr, alles fügen zu seiner Ehre und zum Heile meiner Seele“, war das letzte, was er niederschrieb. Am 10. Dezember 1477 starb er. Er war 52 Jahre alt geworden. Im Chor der Augustinerkirche in Freiburg wurde Mathäus Hummel begra­ ben. Nach Profanisierung des Klosters wur­ den seine Gebeine zusammen mit anderen in der Kirche beigesetzten vermischt und in einem gemeinsamen Grab auf dem Gottes­ Werner Huger acker bestattet. Biographische Qielle: Dr. Heinrich Schrei­ ber, Vortrag bei der Gedächtnisfeier der Stif­ ter an den Albert-Ludwigs-Hochschule, Frei­ burg 1833, nebst Qiellenanhang, Stadtarchiv Freiburg. * Die Zeichen Ich drücke in die Fläche deiner Seele ein Zeichen um das andre Zeichen ein. Meinst du, daß ich es jemals noch verfehle, ein Teil von deiner Gegenwart zu sein? Es werden Meere zwischen uns erscheinen, und über uns wird andrer Himmel stehn. Du wirst noch lieben und dich Freunden [einen, die mich nicht kennen und mich nicht [verstehn. Das Eine bleibt, das ich dir nicht verhehle: Du wirst um mich als deine Mitte sein, grub ich doch in die Fläche deiner Seele ein Zeichen um das andre Zeichen ein. Gisela Mather 23

Der Schwarzwald-Baar-Kreis und seine Nachbarn in der Schweiz Beziehungen des Hauses Fürstenberg zur nahen Schweiz Bedingt durch die unmittelbare Nachbar­ schaft und das Angrenzen der früheren für­ stenbergischen Ämter Stühlingen, Blumberg und Engen an das Schweizerische Hoheitsge­ biet, gibt es schon seit Jahrhunderten enge Beziehungen zwischen Mitgliedern des Fürstlichen Hauses Fürstenberg und den für­ sten bergischen Landen allgemein mit den nördlichen Kantonen der Schweiz, insbeson­ dere mit den Kantonen und den Städten Schaffhausen und Zürich. Man betrieb nicht nur miteinander Han­ del, man half sich in den friedlosen Zeiten und bei den oft sicherheitslosen Zuständen aus und gab sich gegenseitig auch Schutz. So traten Städte und Adel der öffentlichen Sicherheit wegen zu Einungen zusammen. Schon Graf Heinrich V. von Fürstenberg schloß sich im Jahre 1438 der Rittergesell­ schaft mit dem St-Georgen-Schild im Hegau an, die wiederum mit den Grafen von Wir­ temberg, den Rittergesellschaften zu Ober­ und Niederschwaben an der Donau und mit den Reichsstädten Überlingen, Radolfzell, Schaffhausen und Dießenhofen Bündnis­ verträge eingegangen waren. Als im Jahre 1537 Graf Friedrich von Für­ stenberg um 2 1000 Rheinische Gulden die Herrschaft Blumberg kaufte und durch die im Jahre 1631 erfolgte Vermählung seines Sohnes, des Grafen Friedrich Rudolf, mit Maria Maximiliane, der Tochter des Reichs­ erbmarschalls Maximilian von Pappenheim, nach dessen Ableben im Jahre 1639 die Land­ grafschaft Stühlingen und die Herrschaft Hewen an dessen Schwiegersohn, den Gra­ fen Friedrich Rudolf, gefallen war, wurde das Haus Fürstenberg auf breiter Linie direkt angrenzender Nachbar zu schweizer Gebiet. Durch diese erbliche Übernahme der Pap- 2 4 penheim’schen Besitzungen, waren für die Nachfolger auch ererbte Rechte in der Stadt Schaffhausen und in den Kantonen Schaff­ hausen und Zürich verbunden. Fürstenberg besaß dadurch das Bürgerrecht in der Stadt Schaffhausen als Schutz- und Satzbürger, im Notfall genoß man deswegen gegen eine Satzgebühr Schutz innerhalb der Stadt. Maximilian von Pappenheim hatte schon 162 5 von dem Züricher Handelsherrn David Werdmüller ein Gut „Im Himmelreich“ für 3 200 Gulden gekauft. Es wurde das soge­ nannte „Grafengut“ in Feuerthalen, direkt am südlichen Ufer des Rheins, jedoch auf Züricher Gebiet gelegen. Im Dreißigjährigen Krieg war die Stadt Schaffhausen mehrmals Zufluchtsort der fürstenbergischen Grafen und deren Fami­ lien geworden. Bei drohenden Gefahren brachte man auch Wertgegenstände und schriftliche Dokumente hinter die Mauem der Stadt in Sicherheit. Selbst die wichtigsten Bestände des Fürstenbergischen Archives fanden daselbst in den Jahren 1654, 1688 und 1735 jeweils vorübergehend eine schützende Unterkunft. Die fürstenbergischen Bergwerke in Eber­ fingen und Blumberg hatten in den Schaff­ hauser Kauf- und Handelsleuten gute Ab­ nehmer ihrer Produkte, denn diese kauften ihnen Rohmaterial und geschmiedetes Eisen ab. Wie stark gerade Schaffhausen an dem Bergwerk zu Blumberg, das ja dicht an der Grenze des Gebietes der Stadt lag, interessiert war, ergibt sich daraus, daß man im Novem­ ber des Jahres 1688, als kriegerische Wirren eine Schädigung des Betriebes befürchten lie­ ßen, das Bergwerk unter den Schutz der Stadt Schaffhausen zu stellen versuchte. Dem Grafen wurde die Verpfändung des

Werkes an Schaffhausen empfohlen, wie dies auch bei Eberfingen geschehen war. Der Rat der Stadt, so wird betont, sei damit einver­ standen gewesen. Eng waren von jeher auch die wirtschaft­ lichen Beziehungen auf anderen Sektoren, denn Schaffhausen war die gewerbereichste Stadt der Umgebung. Dies wirkte sich natür­ lich auch auf die benachbarten fürstenbergi­ schen Lande aus. Mit geliehenem Kapital einflußreicher Scqaffhauser und erst recht Züricher Bürger und der eidgenössischen Orte wurde seit dem 16. Jahrhundert jeweils nach schweren Kriegszeiten oder bei wirt­ schaftlichen Engpässen in unserem Land gearbeitet und die Gewerbebetriebe wieder aufgebaut Natürlich gab es auch Streitereien, die gerichtlich entschieden werden mußten, so wegen Totschlags, Grenzdifferenzen, wegen Jagd- und Fischfrevel und wegen der Holz­ flößerei Schaffhausens auf der Wutach, denn das Schwarzwälder Holz war bei den schwei­ zer Nachbarn begehrt. Es wurden Verträge geschlossen, in denen genau festgelegt wurde, wieweit sich Schaffhausen am Aus­ bau der Wutach oder am Bau der Stauwehre, den sogenannten „Klausen“, zu beteiligen hatte. Das Haus Fürstenberg erlaubte Schaff­ hausen die Durchfuhr von Waren, wie Holz, Frucht und Salz durch sein Hoheitsgebiet ohne Zoll zu erheben, das Haus bean­ spruchte aber auch das gleiche Recht, so z.B. wenn Wein aus Rielasingen über Schaffhau­ ser Gebiet transportiert werden mußte. Mit der Stadt Zürich, deren Gebiet bis an den Rhein bei Schaffhausen reichte, schloß die fürstenbergische Regierung noch im Das „Fürstengut“ in Feuerthalen bei Schaffhausen, wie es sich seit der Renovierung 1983/84 durch die Gemeinde präsentiert, um als „Gemeindehaus „seither verwendet zu werden, zeigt diese neue Aufnahme des stattlichen Gebäudes 25

1664 von Kaiser Leopold in den erblichen Reichsfürstenstand erhoben wurde, hatte sich dies auch in Feuerthalen herumgespro­ chen, man paßte den Namen entsprechend an. Diese fürstenbergische Liegenschaft wird in einer Korrespondenz wie folgt beschrie­ ben: »Bemelts Haus ligt am Rhyn uff einer Höchin glich Schaffhausen an einem gar schönen, gesunden, luftigen Ort, hat gar ein schönes Ussächen (Aussehen) und gute Schnabelwayden (Essfreuden) von Vogel, Vyschen (Fischen) und Flaischwerk“! Von April bis Mai 1797 waren der dama­ lige Fürst Karl Joachim und seine Gemahlin wiederum nach Feuerthalen geflüchtet, von der Überbringung des Archives mußte man dieses Mal absehen, weil dafür keine Fuhr­ werke mehr aufzubringen waren. Im Reichs- In das Sandsteingewänd des Haupteinganges eingemeißelt, steht in vergoldeten Buchstaben der in Feuerthalen noch stark verankerte Begriff „Fürstengut“ und erinnert an die ursprünglichen Besitzer und die Verwendung Gcmcmdclu.os Jahre 1777 einen Vertrag über das Titulatur­ wesen ab. Aus diesem geht hervor, daß der Stand Zürich in Hinkunft mit „Hoch- und Wohlgebohren Wohlmögende Herren“, die Fürsten zu Fürstenberg aber mit »Hochwohl­ Wohl- und Hochedelgebohren Herren“ an­ geschrieben werden sollen. Anscheinend gab es auch hier zuvor gelegentlich Differenzen. Wie den Archivalien aus der Zeit des Drei­ ßigjährigen Krieges zu entnehmen ist, haben sowohl die Grafen von Fürstenberg, als auch Beamte und Untertanen der Herrschaft Für­ stenberg zeitweise ihr Vieh, ihre Fruchtvor­ räte und Teile des Hausrates in der Stadt Schaffhausen und deren Nachbarschaft ber­ gen können. In besonders schlimmen Zeiten nahm Schaffhausen zahllose Flüchtlinge aus den fürstenbergischen Gebieten gastlich auf. Obwohl selbst bis auf das Äußerste aus­ geplündert, übersandte man als kleinen Dank und als Zeichen der Anerkennung für geleistete Hilfe zu Neujahr 1648 aus dem gro­ ßen Donaueschinger Weiher »Baaremer Karpfen“ nach Schaffhausen. Nach einer ebenfalls noch im Fürstenbergischen Archiv aufbewahrten Aufstellung sollten je 4 Stück zweipfündige Karpfen erhalten: Bürgermei­ ster Im Thurn, Bürgermeister Ziegler, Statt­ halter Schalckhen, Zunftmeister Hoffmann, Zunftmeister Pfister, Zunft- und Hofmeister Mayen im Salzhof, die Herren Säckelmeister und der Stadtrichter zum Steinbock, der Sonnenwirt und der Bäcker. Diese Karpfen, ,,zusammen vierzig Stück, so auf75 bis 80 Pfund kommen möchten, die mit Wünschung vieler guter Jahre überreicht werden sollen“, hatten im Auftrag des Gra­ fen Ferdinand Friedrich zwei fürstenber­ gische Boten nach Schaffhausen zu bringen. Sie erhielten noch den Auftrag: „Ihr habt Euch nicht aufzuhalten und sorgt nur, daß Ihr samt dem Wagen wieder rechtzeitig zum Tor der Stadt herauskommt“! Aus dem sogenannten „Grafengut in Feuerthalen“ wurde in der zweiten Hälfte des 17 . Jahrhunderts das »Fürstengut“, denn als Graf Hermann Egon von der Heiligenberger Linie des Hauses Fürstenberg am 12. Mai 26

gut von Kanonenkugeln getroffen. Vor ihrem Rückzug hatten die Franzosen noch die nicht weit vom Fürstengut über den Rhein führende kunstvolle gedeckte Holz­ brücke, die Verbindung zwischen Schaffhau­ sen und Feuerthalen, eingeäschert. Bevor das Haus Fürstenberg das nunmehr reparaturbedürftige Gut in Feuerthalen ver­ kaufte, setzte man noch für einige Jahre einen Pächter ein, doch bereits im Jahre 1801 erwog das Fürstlich Fürstenbergische Vog­ teiamt Stühlingen den Verkauf des „Fürsten­ gutes“. Nicht allein wegen der erlittenen Kriegsschäden, hauptsächlich wegen der ver­ änderten politischen Verhältnisse in der Schweiz, stimmte die Vormundschaft des damals noch minderjährigen Fürsten Karl Egon II. dem Verkaufe zu. Am 4. Mai 1801 wurde das „Kameralgut“ Feuerthalen an den Meistbietenden, an Jakob Arbenz von Vol­ ken im Flaachtal um 5 200 Gulden verkauft. Nach mehrmaligen Besitzerwechsel im 19. Jahrhundert erwarb dieses mächtige Haus Dr. med. Ernst Esslinger, ein Arzt aus einem alten Stadtzürcher Geschlecht, der darin eine Praxis betrieb. Er vermachte sein „Doktor­ haus“ der Gemeinde Feuerthalen, die nach einer zweijährigen Renovierungs- und Umbauphase im Mai 1984 die Einweihung ihrer neuen Gemeindeverwaltung feiern konnte. Alle Gemeindeämter konnten in diesem prächtigen alten Haus untergebracht werden, die Bürger von Feuerthalen sind stolz auf ihr neues „Rathaus“ und nennen es erstaunlicherweise noch „Fürstengut“, zu­ sätzlich zum Hinweis Gemeindeverwaltung. Dies kann als Zeichen dafür angesehen wer­ den, daß in Feuerthalen die jahrhunderte lange Verwendung dieses Gutes als Zu­ fluchtsort für das Haus Fürstenberg noch im Bewußtsein der Bevölkerung weiterlebt. Seit der Renovierung, als die kunstvoll gefertigten Fachwerkgiebel wieder freigelegt wurden, ist auch eine Inschrift eines Zimmer­ manns zu lesen, die aussagt, daß ein »Johann Heinrich Ulmann, Baumeister, 1767″ das Fachwerk gefertigt oder erneuert hat. Über dem Haupteingang, eingemeißelt in das 27 In den sogenannten Fluchtkisten, in welchen in Kriegszeiten die Archivalien des fürstlichen Hausarchives immer wieder nach Feuerthalen geflüchtet wurden, werden heute noch im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv in Donaueschingen ein Teil der papierenen und pergamentenen Doku­ mente des Hauses Fürstenberg aufbewahrt krieg 1799 bot Feuerthalen keinen Schutz, da die Franzosen die Helvetische Republik in ihr Operationsfeld einbezogen hatten. Mit dem Einmarsch der Franzosen in Bern am 5. März 1798 brach die Alte Eidgenossenschaft zusammen. Den Fürsten zu Fürstenberg nützte das Refugium in Feuerthalen nichts mehr, weil die französischen Truppen die Schweiz bis an den Rhein besetzten und die helvetische Regierung keinen Schutz mehr hatte zusichern können. Für Feuerthalen und sein „Fürstengut“ nahten schlimme Tage. Als die kaiserlichen Truppen unter Erz­ herzog Karl am 13. April 1799 zum Gegenan­ griff ansetzten und in Feuerthalen 28 Häuser in Brand schossen, wurde auch das Fürsten-

Sandsteingewänd, steht noch in vergoldeten Buchstaben „Fürstengut“. Heute hat das Grundstück nicht mehr seine ursprüngliche Größe, denn beim Bau der Eisenbahnlinie und der großen Bahnbrücke mußte ein beträchtliches Stück des ehemaligen Baum­ gartens abgetrennt werden. Ein Teil des Gar­ tens reicht heute noch bis an den Rhein hin­ unter. Die Liegenschaft, ,,das Fürstengut“, war zwar seit dem Jahre 1801 verkauft, die grenz­ übergreifenden freundschaftlichen Bezie­ hungen zwischen Mitgliedern des Hauses Fürstenberg und der Schweiz, besonders zur Stadt Schaffhausen und zu Feuerthalen aber blieben bestehen. Auch auf dem Gebiet der Musik blühte in Schaffhausen seit Jahrhun­ derten ebenfalls ein reges Leben. Es wurde daselbst schon im Jahre 1655 ein Musik-Col­ legium gegründet, vorerst in Form eines losen Zusammenschlusses von Musiklieb­ habern, denn es gehörte gerade bei den geho­ beneren Schichten zum guten Ton, Töchter und Söhne während des allgemeinen Ausbil­ dungsganges auch in Musik unterrichten zu lassen. Durch das in Donaueschingen existie­ rende Fürstliche Hoftheater und dessen Hof­ musikern, kamen auch auf dem musikali­ schen Sektor immer wieder Verbindungen zustande. Als der einer württembergischen Kantoren-und Musikerfamilie entstammen­ de Samuel Gottlob Auberlen aus Fellbach bei Stuttgart neuer Leiter des Musik-Colle­ giums geworden war und im Jahre 1808 die vollständige Wiedergabe von Joseph Haydns „Schöpfung“ einstudierte, benötigte er zur Verstärkung auch einige Musikfreunde und Solisten aus dem Umkreis von Schaffhausen. So wurden Fachkräfte aus Zürich, Winter­ thur, aus dem benachbarten Benediktiner­ kloster Rheinau und auch vier Hofmusiker des Fürsten zu Fürstenberg aus Donau­ eschingen eingeladen. Das Konzert und die kurzfristig angesetzte Wiederholung zwei Tage später war, wie berichtet wird, für Schaff­ hausen ein einmaliges Ereignis und wurde für Auberlen zu einem wahren Triumph. 28 Da Schaffhausen 1811 zum Tagungsort der ,,Schweizerischen Musik-Gesellschaft“ aus­ erwählt wurde und während dieser Festtage mehrere Konzerte gegeben wurden, nutzte man auch am Hofe in Donaueschingen diese Gelegenheit des besonderen Kunstgenusses. Es wird berichtet: ,,Besonders geschmeichelt fühlten sich die Schaffhauser durch die Anwesenheit der regierenden Fürstin zu Für­ stenberg zusammen mit dem 15jährigen Erb­ prinzen. Zu ihrer Ehre spielte die Knaben­ musik vor dem Gasthof zur Krone, wo sie Logis bezogen hatten, worauf die Fürstin Beifall zu schenken geruhte“. Für ein Jahr, d. h. zur Gestaltung des Pro­ gramms der Winterkonzerte 1816/17 wurde Kapellmeister Konradin Kreutzer nach Schaffhausen gerufen, er war zuvor seit 1812 Hofkapellmeister am Hofe König Friedrich 1.von Württemberg in Stuttgart. Von Schaff­ hausen und bei Konzertreisen lenkte Kreut­ zer die Aufmerksamkeit des jungen Fürsten Karl Egon II. zu Fürstenberg auf sich. Nach Verhandlungen und in einem Brief vom 10. September 1817 sagte Konradin Kreutzer von Augsburg aus grundsätzlich zu, als Hofka­ pellmeister in den Dienst des Fürsten zu tre­ ten. Am 17. September 1817 gab Kreutzer im Rüdensaal in Schaffhausen sein Abschieds­ konzert mit seinem „Schwanengesang“! In Donaueschingen leitete er die fürstliche Hof­ kapelle bis 1821. Sein Nachfolger wurde Johann Wenzel Kalliwoda aus Prag. Nicht zu besonderen musikalischen Anlässen, sondern um weiterhin für ihren einzigen Sohn, den Erbprinzen Karl Egon II. zu kämpfen und den Verlust der Eigenstaat­ lichkeit evtl. rückgängig machen zu können, betrat die Fürstin-Witwe Elisabeth, geborene Thurn und Taxis, im Sommer 1814 erneut Schaffhauser Boden, denn durch die Ver­ mittlung ihres engen Beraters, des Freiherrn Joseph von Laßberg, traf sie dort mit dem österreichischen Monarchen Franz Joseph zusammen. Er versprach ihr zwar, sich für ihr Anliegen einsetzen zu wollen, hatte aber bei seinen weiteren Verhandlungen auch nicht das erwünschte Glück. Wegen dieser Sorgen

hatte die Fürstin sich schon 1805 und 1806 um Hilfe und Befürwortung an die Regie­ rung des Kantons Schaffhausen gewandt, weshalb auch der Bürgermeister und Rat des Kantons Schaffhausen sich mit Bittschrei­ ben um Beistand in Sachen Fürstenberg an den Landamann der Eidgenossenschaft ein­ gesetzt hatten. Alle Versuche aber brachten ihr nicht den sehnlich erhofften Erfolg. Mitte des 19. Jahrhunderts mußten Mit­ glieder des Hauses Fürstenberg erneut in die nahe Schweiz flüchten. Die widrigen Zeit­ umstände während der Unruhen der Badi­ schen Revolution im Jahre 1848 waren der Grund dafür. Gerade die Kerngebiete des Hauses Fürstenberg an der oberen Donau erwiesen sich als besonders anfällig, denn durch das Zusammentreffen der Freischärler in Donaueschingen wurde die Residenzstadt ein Herd revolutionärer Umtriebe. Der damalige Chef des Hauses, Fürst Karl Egon II., hielt sich zu Beginn der badischen Unruhen in Karlsruhe auf, um als Abgeord­ neter an den Sitzungen der Ersten Kammer Badens teilnehmen zu können. Aus einem Schreiben, das er am 10. März 1848 aus Karls­ ruhe an seinen Sohn, den damals 28-jährigen Erbprinzen Karl Egon III., nach Donau­ eschingen richtete, erfahren wir von seiner großen Sorge um seine Kinder und seinen Besitz in der Heimatstadt. Bereits am 11. März, als dieses Schreiben in Karlsruhe auf­ gegeben wurde, waren seine drei in Donau­ eschingen weilenden Söhne, der Erbprinz Karl und die Prinzen Max und Emil, in die neugegründete „Einwohnerwehr“ eingereiht worden. Diese „Bürgerwehr“, wie sie fortan hieß, wurde zum Schutz des Eigentums und um Exzesse abzuwehren, aufgestellt. Ende März, der „blinde Franzosenlärm“ hatte die Gemüter erhitzt, brachte der Erb­ prinz seine Gemahlin, die kurz vor der Nie­ derkunft stand, nach Schaffhausen in Sicher­ heit, um alle Unruhen und Aufregungen von ihr fern zu halten. Er selbst, von seinem Vater mit der Führung der Geschäfte beauftragt, kehrte nach Donaueschingen zurück. Als Unterkunft in Schaffhausen wählte Elisabeth Fürstin zu Fürstenberg (1767-1822), geborene Prinzessin von Thum und Taxis, Por­ trait nach einer Miniatur man zuerst das Haus der Familie des hollän­ dischen Kaufmanns Heinrich Rausch zum Stockarberg, des Schwiegervaters von Alt­ Bürgermeister Franz Anselm von Meyen­ berg. Die Erbprinzessin Elisabeth war guter Hoffnung, bedurfte aber der Pflege, und man wollte den Gastgebern nicht zur Last fallen. So wurde eine andere Wohnung gesucht und diese in einem Haus in Feuerthalen gefun­ den. Dort brachte am 29. Mai die Erbprinzes­ sin ein Töchterlein zur Welt. Zur Geburts­ hilfe war der fürstliche Leibarzt Dr. Kapferer aus Donaueschingen herbeigeholt worden. Noch am gleichen Tag taufte der ebenfalls aus Donaueschingen geflüchtete Dekan und Stadtpfarrer Carl Krebs das Neugeborene in der Pfarrkirche St. Anna in Schaffhausen auf den Namen Amelie Karoline Leopoldine Henriette. Taufpaten waren die Großeltern in Karlsruhe, vertreten durch den Altbürger-29

meister Franz von Meyenberg-Rausch und die Witwe Johanna Rausch, geborene Schoch, aus Schaffhausen. Weitere Paten waren der Großherzog Leopold von Baden, der Bruder der Fürstin Amalie, dann Fürst Heinrich von Reuss-Greitz, der Bruder der Erbprinzessin, Heinrich Rausch von Stock­ arberg zu Schaffhausen und Frau Franziska Rausch, geborene Mertens, aus Schaffhau­ sen. Junker Ferdinand von Waldkirch, der Alt-Bürgermeister von Schaffhausen war als Zeuge zugegen. Begreiflicherweise herrschte sowohl bei den Flüchtlingen in Schaffhausen selbst, als auch bei den in Karlsruhe weilen­ den Großeltern über die glückliche Geburt große Freude, die allerdings durch die Unge­ wißheit der Zukunft sehr gedämpft wurde. Obwohl das Haus Fürstenberg zu diesem Zeitpunkt keinen eigenen Besitz mehr in Schaffhausen bzw. Feuerthalen hatte, die befreundeten Familien in der Schweiz stan­ den hilfreich zur Seite und gewährten bereit­ willig Unterkunft. Diese Art der spontanen Hilfe durch unsere schweizer Nachbarn, war leider auch in diesem Jahrhundert schon mehrfach erforderlich, um in schweren Notzeiten dazu beizutragen, bittere Not zu lindern. Sie war aber auch der Anlaß, daß grenzenübergrei­ fende Freundschaften geschlossen wurden. Alle, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit Hilfe und Unterstützung erhielten, sind dafür dankbar und werden diesen nachbar­ schaftlichen Freundschaftsdienst nicht ver­ gessen. Georg Goerlipp Q!iellen und Literatur Bader, K. S ., Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg im Kampf um die Erhaltung der Rechte ihres mediatisierten Hauses, Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar, Heft 24, 1956, s. 119 ff. Bad er, K. S ., Mitglieder des Hauses Fürsten­ berg als Flüchtlinge in Schaffhausen während der badischen Revolution von 1848, Schaffhauser Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Heft 32, 1955, s. 179 ff. Go e rl i p p G., Ein Bild kehrt heim, Fürstenber­ ger Waldbote, Nr. 22, 1976, S. 7 ff. R u h, M ., Das musikalische Leben in Schaffhau­ sen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Schaffhauser Beiträge zur Geschichte, Bd. 55, 1978, S. 44 ff. Tu m b ü I t G., Das Fürstentum Fürstenberg von seinen Anfangen bis zur Mediatisierung im Jahre 1806, Freiburg 1908. F. F. Archiv, Abtlg. Verträge, Vol. XXXIII F. F. Archiv, Abtlg. Jurisdictionalia N, Vol. XII Gute Nachbarn sein und bleiben Die Redaktion des Almanach hat Herrn a(lt)­ Regierungsrat Bernhard Stamm gebeten, einige Gedanken zu den seit dem Jahre 1974 bestehen­ den Verbindungen zwischen dem Kanton Schaff­ hausen und dem Schwarzwald-Baar-Kreis nie­ derzulegen. Auch an dieser Stelle sei dem Freund und Förderer gutnachbarlicher Beziehungen herz­ lich gedankt! Zum Naherholungsgebiet der Schaffhau­ ser gehört auch der Landkreis Schwarzwald­ Baar. Wer von uns über Bargen Richtung Donaueschingen reist und auf die Schwelle vor Hüfingen gelangt, dem öffnet sich plötz­ lich ein für uns ungewohntes Bild, geradezu 30 ein faszinierender -Ausblick. Weit schweift das Auge in die Baar, weitgespannt ist der Horizont, und der weite Bogen des bewalde­ ten Umkreises oder sanfter Hügelzüge begrenzt den Blick auf eine malerische Palette. Zu jeder Jahreszeit ist darum der Blick in die Baar für uns Schaffhauser ein­ drucksvoll und unvergeßlich, ob Frühlings­ erwachen, Hochsommer mit oder ohne Ge­ witterfronten, bunter Herbst oder schwer­ mütiger W interschlaf. D ie Baar vermittelt dem zeithabenden Betrachter Stimmungs­ gemälde ganz besonderer A rt. Die Neugier erwacht, sie wird förmlich

geweckt. Was ist wohl alles in diesem sanften Becken eingebettet? Und was gibt es wohl zu schauen außerhalb des begrenzten Landstri­ ches? Da muß es sich wohl lohnen, die Schnellstraßen zu verlassen und sie den eili­ gen Reisenden zu überlassen, für diese ist der Landkreis heute zügig zu durchqueren, in allen Richtungen. Wer aber Zeit und Muße hat, dem öffnen sich allseits geruhsame Landstriche, prachtvolle Wälder, gurgelnde Bachläufe, gepflegte Felder oder vor dem Menschen geschützte Gebiete. Der Wande­ rer findet romantische Schluchten oder aus­ sichtsträchtige Höhenwege, vorbildlich mar­ kiert und beschrieben. Nachhaltige Ein­ drücke dieser Art vermitteln darum die loh­ nenden Abstecher längs der Schwarzwald­ bahn Richtung Triberg und hinauf nach Schönwald, gen Furtwangen und Hüfingen, die gepflegten Ortsbilder in Villingen, Donaueschingen oder in und rund um Bad Dürrheim. Dabei erkennt man aber auch das gefräßige Wachstum der Städte und einzel­ ner Dörfer, spürt den Gewerbefleiß der Bür­ ger und erkennt die Chancen industrieller Unternehmen, die manuelle Geschicklich­ keit und geistige Beweglichkeit der Bewoh­ ner zu nutzen und Arbeitsplätze zu schaffen, den Wohlstand der Bürger und Gemeinden zu mehren. Interessenwahrung nach allen Seiten muß für die politischen Behörden die­ ses Landes Daueraufgabe sein und bleiben. Wie sie dies anpacken und bewältigen, hat uns Schaffhauser darum sehr interessiert. Wir haben den Kontakt aufgenommen, gepflegt und liebwerte Freunde gewonnen. An der Nahtstelle zwischen Beggingen und Blumberg von den dortigen Kommu­ nalpolitikern begonnen, zweier Werner – dem Begginger Gemeindepräsidenten Emil Werner und dem Bürgermeister von Blum­ berg Werner Gerber (vgl. Almanach 1986, Die Kinder der Schule für Körperbehinderte im Stadtbezirk Villingen empfangen die Delegation aus dem Kanton Schaffhausen bei ihrem Besuch am 19. 8.1987 mit fröhlichen Spielen. Sitzend in der ersten Reihe (2. von links) Regierungspräsident Ernst Leu, (4. von links) alt-Regierungs­ rat Bernhard Stamm. 31

5.17-19), -weiteten sich die Beziehungen aus auf die Ebene Landrat und Schaffhauser Regierungsrat. In Schaffhausen waren es die in der Landschaft beheimateten Regierungs­ räte Kurt Waldvogel aus Neunkirch und Bernhard Stamm aus Thayngen. Der Funke zu Landrat Dr. Rainer Gutknecht zündete beiderseits, und schnell war man sich einig, jährliche Informationstagungen und Ge­ spräche sich folgen zu lassen. Die T eilneh­ merrunde umfaßte bei den Schaffhausern die erwähnten Vertreter der Regierung und die Chefbeamten der kantonalen Verwal­ tung, deutscherseits erschien der Landrat mit einer Delegation des Kreistages. So begeg­ nete man sich jährlich und freute sich stets auf den schönen Tag, den ein abwechslungs­ reiches Programm zum Genuß werden ließ. Stets gab es eine Fülle zu sehen, zu erleben und zu genießen, ob Landrat oder Regie­ rungsrat, jeder verstand es, aus seinem Auf­ gabenkatalog Probleme und deren Bewälti­ gung aufzuzeigen, darüber zu diskutieren und Anregungen zu vermitteln. Fruchtbare Gespräche und angenehme Gastfreund­ schaft weckten das gegenseitige Verständnis und förderten die freundschaftliche Verbin­ dung. Jeder Besuch, die möglichen und unmög­ lichen Vergleiche machten immer wieder deutlich, wie unterschiedlich die Wege zur Problemlösung hüben und drüben sind auf­ grund der gewachsenen politischen Verhält­ nisse, der Strukturen und der Größe bezüg­ lich Fläche und Einwohnerzahl. Da waren Besichtigungen und Besuche verschieden­ ster Einrichtungen für Behinderte, ange­ hende Berufstätige, der Erwachsenenbil­ dung, Begehungen beispielhafter Zonen des Natur-, Landschafts-und des Ortsbilder­ schutzes, Beispiele großzügiger Förderung des Tourismus und der Freizeitgestaltung und der kulturellen Fortbildung, Einblicke in Betriebe und Unternehmungen, die Land­ und Forstwirtschaft und weiterer verwandter Einrichtungen. Jede jährliche Begegnung umfaßte einen Themenkreis der erwähnten Sachgebiete. Die damit erhaltenen Einblicke, 32 Beobachtungen und Darlegungen, die Bear­ beitungen durch die Behörden und Instan­ zen erhellten die oft grundverschiedenen Methoden, die Arbeitsweise und Zuständig­ keiten ähnlicher oder unterschiedlichster Art. Aber überall ist es der Mensch, der im Mittelpunkt steht als verantwortliches Wesen, der nicht genug informiert und moti­ viert werden kann, wenn er zu aktiver Mit­ arbeit und dem Mittragen der politischen Verantwortung gewonnen werden will. Die regelmäßige Pflege der Beziehungen ermöglichte auch das persönliche Gespräch über die politischen Parteigrenzen hinweg. Man lernte sich kennen und schätzen und ließ das Bemühen erkennen zur Zusammen­ arbeit im Interesse einer funktionierenden demokratischen Denk-und Handlungsweise der politischen Führungskräfte. Auch hier wieder ist es der Mensch, der mit Vernunft und Zielstrebigkeit die ihm übertragene Auf­ gabe anpackt und verarbeitet. Wir Schaff­ hauser sind darum nach jedem Besuch erfreut, beglückt, bereichert und zufrieden nach Hause gefahren in der Gewißheit und mit der Überzeugung, daß im Landkreis Schwarzwald-Baar Leistungswille, Weitsicht und Verantwortungsfreude eine fruchtbare Entwicklung zugelassen haben und wozu wir neidlos gratulieren. Nicht immer waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen gün­ stig, aber die Fähigkeit, sich in harten Zeiten zu behaupten, ist eine der Grundlagen und Wesensmerkmale der Bevölkerung. Wir bei uns in der Schweiz hatten stets das Glück, während harter Zeiten um uns herum ver­ schont und unbelästigt zu bleiben. Um so mehr Respekt nötigt uns darum all das ab, was der Landkreis unternimmt, um Lebens­ qualität und Fortschritt zu erhalten und zu fördern. Ich wünsche dem Landkreis und den Bürgermeistern weiterhin eine harmo­ nische Zusammenarbeit zu Nutz und Fromm der Bevölkerung. Ich wünsche aber auch, daß diese Beziehungen fortbestehen mögen. Bernhard Stamm a.Regierungsrat

Behörden und Organisationen Nicht weit vom Bahnhof entfernt steht in Donaueschingen ein in antikrot gehaltener stattlicher Bau aus der Jahrhundertwende: Das Kreiswehrersatzamt. Früher „Kurhaus“ und Dependance vom Hotel „Schützen“, nach 1945 Sitz der Kreisverwaltung, beher­ bergt das Haus seit l. 4.1963 die Wehrersatz­ behörde, die örtlich zuständig ist für die Landkreise Konstanz, Rottweil, Schwarz­ wald-Baar und Tuttlingen, eine Institution des Bundes. Hier wird von Beamten und Angestellten alles bearbeitet, was mit der Durchführung der seit 1956 eingeführten all­ gemeinen Wehrpflicht zu tun ist. Das Amt wurde eingerichtet ab l. 9.1956 im alten Offi­ zierskasino in der Villinger Straße und war – wegen Platzmangels in Donaueschingen – von November 1956 bis Juli 1958 in Lörrach untergebracht als „Kreiswehrersatzamt Do­ naueschingen -z. Z. Lörrach-„. Damals war es auch noch zuständig für die Kreise Säckin­ gen, Waldshut und Neustadt. Wieder in Donaueschingen, war der Amtssitz bis zum Einzug in die jetzige Unterkunft das heutige Dienstgebäude des Polizeireviers. Wehrpflichtig sind in der Bundesrepublik alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und ihren ständigen Aufenthalt im Gel­ tungsbereich des Wehrpflichtgesetzes haben. Bei Deutschen, die ihren ständigen Auf­ enthalt und ihre Lebensgrundlage außerhalb dieses Bereiches haben, ruht die Wehrpflicht, wenn Tatsachen auf die Absicht der Beibe­ haltung des auswärtigen Aufenthaltes schlie­ ßen lassen. Die Wehrpflicht endet, außer bei Berufssoldaten, mit Ablauf des 45., bei Offi­ zieren und Unteroffizieren mit Ablauf des 60. Lebensjahres. Im Verteidigungsfalle dauert die Wehrpflicht jedoch für alle bis zum 60. Lebensjahr. Das Kreiswehrersatzamt Donaueschingen Am Anfang der Heranziehung steht die Erfassung. Sie ist Angelegenheit der Län­ der und wird von den Meldeämtern der 102 Gemeinden des Amtsbereichs jahrgangs­ weise durchgeführt. Als erste sind die Ange­ hörigen des Jahrgangs 1937, zweite Jahres­ hälfte, erfaßt worden. 1987 der Geburtsjahr­ gang 1969. Aufgrund der Erfassungsunterla­ gen wird dann vom Kreiswehrersatzamt die Musterung vorbereitet, die das ganze Jahr hindurch mit Ausnahme einer kurzen Pause im Sommer betrieben wird. Die Wehrpflich­ tigen werden nach einem Plan, der wegen der Beisitzer auf die Kreiszugehörigkeit Rück­ sicht nehmen muß, eingeteilt und vorgela­ den auf über den Tag verteilte Termine. Zu jedem dieser Termine werden sie begrüßt und in einem Belehrungsgespräch in den Gang des Verfahrens, aber auch in die Rechte und Pflichten der Wehrpflichtigen eingewie­ sen. Dem schließt sich die ärztliche Untersu­ chung an über Labor, voruntersuchenden Arzt und Hauptmusterungsarzt. Den Ab­ schluß findet das Verfahren vor dem drei­ köpfigen Musterungsausschuß, dessen Vor­ sitzender ein Beamter des Kreiswehrersatz­ amtes ist mit zwei Beisitzern, einer vom Kreistag gewählt und der andere von der unteren Verwaltungsbehörde benannt. Hier wird entschieden, welche ungedienten Wehr­ pflichtigen für den Wehrdienst zur Ver­ fügung stehen. Das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung spielt dabei eine ebenso große Rolle, wie die Verfügbarkeit an sich, d.h. das Fehlen von Wehrdienstausnahmen. Über Anträge auf Wehrdienstausnahmen hat nämlich dieser Ausschuß zu entscheiden. Die Entscheidung wird dem Wehrpflichti­ gen schriftlich mit Rechtsbehelfsbelehrung mitgeteilt und auch mündlich erörtert. Nach Erstattung der notwendigen Auslagen ist die 33

Musterung beendet, von der ab Wehrpflich­ tige nun in Wehrüberwachung stehen, sofern sie nicht „ausgemustert“ worden sind. Das Wehrpflichtgesetz kennt drei Taug­ lichkeitsgrade: ,, wehrdienstfähig“, ,, vorüber­ gehend nicht wehrdienstfähig“ und „nicht wehrdienstfähig“. Nicht Wehrdienstfähige werden ausgemustert, vorübergehend nicht Wehrdienstfähige nach Ablauf einer vom Arzt bestimmten Frist erneut gern ustert. Wer nach dem Ergebnis der Musterung wehr­ dienstfähig ist, ist nach Maßgabe des ärztli­ chen Urteils entweder „voll verwendungsfä­ hig“, ,, verwendungsfähig mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten“, oder „verwen­ dungsfähig mit Einschränkung in der Grundausbildung und für bestimmte Tätig­ keiten“; Graduierungen, die landläufig oft auch als Tauglich 1, 2 und 3 bezeichnet werden. Alle wehrdienstfähig Befundenen werden nach der Musterung noch einer Eignungs­ und Verwendungsprüfung unterzogen, um „den rechten Mann auf den rechten Platz“ zu bringen. 34 Die schon erwähnte Wehrüberwachung, die bei Mannschaften und ungedienten Wehrpflichtigen nur bis zur Vollendung des 32. Lebensjahres dauert, umfaßt vor allem Meldepflichten verschiedenster Art, ein­ schließlich der Pflicht, sich auf Aufforderung persönlich zu melden, aber auch andere Pflichten, z.B. Aufbewahrung von Beklei­ dung und Ausrüstung, von Dokumenten, die Pflicht zur Auskunfterteilung im Bereich dienstlicher Notwendigkeiten, Pflichten sich impfen zu lassen, u. a. Als nächste Stufe folgt die Ein b e ru – fung zum Grundwehrdienst, die sich allerdings im Extremfalle bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres hinziehen kann. Der notwendige Personalersatz wird bei der Truppe festgestellt und über das Ministerium sowie die anderen vorgesetzten Behörden (B undeswehrverwaltungsam t, W ehrbe­ reichsverwaltungen) den 96 Kreiswehrer­ satzämtern im Bundesgebiet zur Auffüllung aufgegeben. Die Auffüllung ist in ihrem Umfang zahlenmäßig festgelegt und die Q!ialifikation für jeden einzelnen zu beset-

zenden Platz vorgeschrieben. Haupteinberu­ fungstermin ist 4 x im Jahr der �artalsbe­ ginn. Das Kreiswehrersatzamt Donaueschin­ gen beruft zur Zeit jährlich etwa 2.500 Wehr­ pflichtige zum Grundwehrdienst ein. Alle entlassenen Soldaten, auch Zeit-und Berufssoldaten, die nicht als Wehrpflichtige einberufen worden sind, stehen von ihrer Entlassung an bis zur vorgeschriebenen Altersgrenze in Wehrüberwachung beim Kreiswehrersatzamt. Für sie ist Aktualitätser­ halt mit Hilfe der Karteiführung notwendig. Der größte Teil der Entlassenen erhält vom Kreiswehrersatzamt eine Beorderung für den Verteidigungsfall und wird auch zu Wehr­ übungen herangezogen. Die Einberufungen finden als Einzelwehrübungen oder im ge­ schlossenen Verband statt. Ankündigungen und Einberufungen erfolgen Monate vor Übungsbeginn, damit sich Wehrpflichtige und Betriebe rechtzeitig auf die Abwesenheit einstellen können. Über die Gesamtdauer von Wehrübungen enthält das Wehrpflicht­ gesetz einschlägige Regelungen, doch ist eine absolute Wehrgerechtigkeit nicht zu errei­ chen, weil auch die Gedienten nach ganz bestimmten qualitativen Merkmalen beor­ dert und damit nicht beliebig austauschbar sind. Mit den Angelegenheiten der Gedien­ ten befaßt sich ebenfalls ein ganzes Sachge­ biet. Der Heranziehung sowohl zum Grund­ wehrdienst als auch zu Wehrübungen stehen sehr oft Hindernisse im persönlichen Be­ reich entgegen. In diesen Fällen können Wehrpflichtige auf Antrag zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung wegen per­ sönlicher, insbesondere häuslicher, wirt­ schaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Das Gesetz nennt eine ganze Reihe von Modell­ fällen, in denen diese besondere Härte ange­ nommen werden kann, z.B. Versorgung hilfsbedürftiger Angehöriger, besondere Notstände für Verwandte 1. Grades, Unent­ behrlichkeit im eigenen oder elterlichen Betrieb, Unterbrechung eines Ausbildungs­ abschnittes, einer 1. Berufsausbildung u. a. Die Entscheidung über solche Anträge, gegen die der Rechtsweg bis zum Bundesver­ waltungsgericht eröffnet ist, erfordert in­ tensive und arbeitsaufwendige Ermittlungs­ arbeit und Beachtung einer umfangreichen Rechtsprechung. Zurückstellungen werden in aller Regel nur zeitlich begrenzt ausgespro­ chen und über das 28. Lebensjahr hinaus nur dann, wenn die Heranziehung nicht nur eine besondere, sondern eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Gänzliche Freistellung vom Wehrdienst ist nur in den in § 11 Wehrpflichtgesetz ab­ schließend aufgezählten Fällen möglich, d. h. für Geistliche, Spätheimkehrer, Schwerbe­ schädigte und einzige Söhne, deren min­ destens ein Elternteil an Kriegsfolgen ver­ storben ist. Anträge auf Wehrdienstausnah­ men sind in jeder Phase des Bestehens der Wehrpflicht denkbar. Das Kreiswehrersatz­ amt Donaueschingen hat jährlich über 6.000 solcher Anträge zu bearbeiten. Schließlich befaßt sich ein Sachgebiet des Amtes mit dem personellen Kräfteausgleich zwischen Bundeswehr, Wirtschaft und ande­ ren Bedarfsträgern. Da, wie schon ausge­ führt, Wehrpflichtige immer nach bestimm­ ten �alifikationen einzuberufen und spä­ ter auch für den Verteidigungsfall zu beor­ dern sind, stören diese Maßnahmen oft andere Bereiche. Grob gesagt sind diejeni­ gen, die die Bundeswehr dringend braucht, oft auch für die Wirtschaft unentbehrlich. Durch eine „vorschlagsberechtigte Be­ hörde“, in den meisten Fällen die untere Ver­ waltungsbehörde, kann hier ein Verfahren auf Unabkömmlichstellung in die Wege ge­ leitet werden. Das für diese Frage zuständige Fachgebiet im Kreiswehrersatzamt hat dann zu entscheiden, ob -gemessen am öffentli­ chen Interesse -das Verbleiben eines Wehr­ pflichtigen an seinem Arbeitsplatz wichtiger ist, als der vorgesehene Dienst in der Bundes­ wehr. In diesem Fachgebiet wird auch die Freistellung Wehrpflichtiger für den erwei­ terten Katastrophenschutz bearbeitet sowie Bußgeldangelegenheiten bei Verstößen ge­ gen Pflichten des Wehrpflichtgesetzes und der Wehrüberwachungsbestimmungen. 35

Das Fachgebiet »Ärztlicher Dienst“ ist zuständig nicht nur für Musterungs-, son­ dern auch für andere Untersuchungen, denn Veränderungen im gesundheitlichen Zu­ stand, deren Meldung übrigens auch Wehr­ überwachungspflicht ist, bedürfen oft ärztli­ cher Nachprüfung und Begutachtung. Insge­ samt werden beim Kreiswehrersatzamt Do­ naueschingen jährlich etwa 6.800 ärztliche Untersuchungen durchgeführt. Schließlich hat das Amt natürlich auch ein Fachgebiet für die allgemeine Verwaltung und für das Haushalts-, Kassen-und Rech­ nungswesen. Es ist zuständig u. a. für die Abfindung von Vorgeladenen und Beisit­ zern, aber auch für Dienstbetrieb, Ausstat­ tung und Organisation. Interessenten, die sich freiwillig für einen Dienst als Zeit-oder Berufssoldat verpflich­ ten wollen, steht im Hause ein mit Informa­ tionen und Anschauungsmaterial sehr gut ausgestatteter Wehrdienstberater der Bun­ deswehr zur Verfügung, den Interessenten für den Dienst im Bundesgrenzschutz ein Bundesgrenzschutzbeamter. Baden-Württemberg besitzt neben Berlin als einziges Bundesland eine freiwillige Poli­ zei. Dem »Freiwilligen Polizeidienst“ in unse­ rem Land gehören zur Zeit rund 2 500 Bür­ ger an. Bürger in Uniform, die meist an Wochen­ enden und bei besonderen Anlässen an der Seite ihrer „echten“ Kollegen einen schweren Dienst versehen. Eingesetzt werden sie seit nunmehr 24 Jahren im Streifendienst, in der Verkehrsüberwachung, bei Großveranstal­ tungen und im Kraftfahr-oder Funkdienst. Erkennbar sind diese Freunde und Helfer der Polizei durch hellgrüne Balken auf den Schulterstücken, je einen für fünf Jahre Dienstzeit. Ungeachtet dieses kleinen Unter­ schieds -die richtigen Polizisten tragen je nach Laufbahngruppe grüne, silberne oder 36 Der freiwillige Polizeidienst Vieles muß hier zur Straffung des Stoffes unerwähnt bleiben, manches kann nur am Rande gestreift werden, so z.B. die Behand­ lung der Angelegenheiten der Kriegsdienst­ verweigerer, die ihre Anträge ebenfalls beim Kreiswehrersatzamt stellen müssen und die zunächst wie alle anderen Wehrpflichtigen zu mustern sind, bevor das Bundesamt für den Zivildienst oder der Prüfungsausschuß eines Kreiswehrersatzamtes über die Aner­ kennung entscheidet. Wer glaubt, eine Eingriffsverwaltung wie das Kreiswehrersatzamt könne mit vielen schlechten Erfahrungen aufwarten, irrt sich. Bei den jungen Männern ist der Grundwehr­ dienst ( oder der Zivildienst) als fast selbstver­ ständlicher Lebensabschnitt in die Gesamt­ planung integriert. Viele stimmen den zeitli­ chen Einbau mit dem Kreiswehrersatzamt ab. Nicht Euphorie, dafür wohltuende Sach­ lichkeit und eine gewisse Neugier prägen den Umgangston, mit dem sich die Wehrpflichti­ gen einen fast ausnahmlos guten Eindruck verschaffen. Ernst Peter Biermaier goldene Sterne -haben die freiwilligen Poli­ zisten, wenn sie von der Polizeidirektion zum Dienst aufgerufen werden, dem Bürger gegenüber die Rechtsstellung von Polizei­ beamten und dürfen sogar mit einer Waffe auf Streife gehen. Das Gros ist um die 40 Jahre alt; alle Bevölkerungsschichten sind vertreten. Vor dem Ersteinsatz hat der Gesetzgeber allerdings einen 14tägigen Lehrgang gesetzt. Dort werden die mindestens 18 Jahre alten Männer mit gutem Leumund u. a. in Polizei-, Verkehrs-, Straf-und Strafprozeßrecht unter­ wiesen und natürlich auch im Umgang mit Waffen und Gerät geschult. Wie man mit dem Mitmenschen umgeht, wird ebenfalls vermittelt. Sechs bis neun Fortbildungsveranstaltun-

gen pro Jahr erweitern den Kenntnisstand. Eine ganze Reihe von ihnen konnte in den zurückliegenden Jahren zu Spezialisten her­ angebildet werden. Die Einrichtung des Freiwilligen Polizei· dienstes kam nicht von heute auf morgen zustande. Die Landesregierung legte bereits im Jahre 1959 dem Landtag einen Entwurf zur Ergänzung des Polizeigesetzes vor, der allerdings keine Zustimmung fand. Erst der überarbeitete Entwurf eines „Polizeireserve· gesetzes“, der drei Jahre später vorgelegt wurde, fand nach eingehenden Beratungen die Zustimmung des Landtages. Unter der Bezeichnung „Gesetz über den Freiwilligen Polizeidienst“ wurde es am 18. Juni 1963 be­ schlossen und trat am folgenden Tag in Kraft. Nach diesem Gesetz konnten nun Bürger zum „Freiwilligen Polizeidienst“ verpflichtet werden, wenn sie sich freiwillig zur Ver­ fügung stellten. Sie mußten volljährig und unbescholten, den gesundheitlichen Anfor­ derungen dieses Dienstes gewachsen und Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sein. Aufgrund einer landesweiten Werbeak­ tion meldeten sich zahlreiche Bürger. Noch im Jahre 1963 konnten bei den einzelnen Landespolizei-Kreiskommissariaten eine Reihe von Bürgern zum Freiwilligen Polizei­ dienst verpflichtet werden. In den damaligen Kreisen Villingen und Donaueschingen waren es 53 Polizeifreiwillige. Als die Polizeidirektion Villingen­ Schwenningen anläßlich der Kreisreform im Jahre im Schwarzwald-Baar-Kreis 1973 errichtet wurde, kam es auch zu einer Integra­ tion des Freiwilligen Polizeidienstes der ehe­ maligen Landespolizei-Kreiskommissariate Villingen und Donaueschingen sowie des Polizeireviers Schwenningen, deren erste Bürger bereits im Dezember 1963 und Januar 1964 verpflichtet worden waren. Seinen personellen Höchststand hatte der Freiwillige Polizeidienst bei der Polizeidirek­ tion Villingen-Schwenningen im Jahre 1976 erreicht: 96 Bürger gehörten ihm damals an. Anfang des Jahres 1987 war diese Zahl auf 50 Freiwillige zurückgegangen. Gründe für den Rückzug aus der freiwillig übernommenen Pflicht sind i. d. R. Krank­ heit, berufliche Überlastung und Erreichen der Altersgrenze von 60 Jahren. Nachlas­ sende Motivation gab in nur ganz wenigen Fällen den Ausschlag. Die 50 Männer des Freiwilligen Polizei­ dienstes im Schwarzwald-Baar-Kreis, die aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen kommen, leisten meist nach Feierabend und an Wochenenden durchschnittlich 200 bis 250 Stunden Polizeidienst im Jahr. Reichtü­ mer hat dabei keiner von ihnen ansammeln können. Der finanzielle Ausgleich für ihre verlorene Freizeit ist mit 5,85 Mark pro Stunde zuzüglich Entschädigung für Fahrt­ kosten und Verpflegung gering. Daraus wird deutlich, daß nicht finanzielle Gründe, son­ dern ideelle Motive unsere Polizeifreiwilli­ gen veranlassen, sich aktiv für ihren Staat und zum Wohle ihrer Mitbürger zu engagie­ ren. Schon im Gesetzgebungsverfahren ist man davon abgekommen, die freiwilligen Polizisten auch bei Demonstrationen und 37

Arbeitskämpfen einzusetzen. Sie werden heute vor allem im täglichen Streifendienst, beim Verkehrsdienst und im Postendienst eingesetzt. Zusammen mit einem Polizei­ beamten nehmen sie alle anfallenden polizei­ lichen Tätigkeiten wie Streifenfahrten, Ver­ kehrskontrollen, Verkehrsregelungen, Un­ fallaufnahmen und so weiter wahr. Auch bei Einsätzen gegen gefährliche Rechtsbrecher sind sie mit dabei. Die Kritik über die Einrichtung des Frei­ willigen Polizeidienstes ist seit seiner Ge­ burtsstunde nicht verstummt. Immer wieder hört man von Politikern, Berufsvertretungen und sogar vom Landesrechnungshof den Ruf nach Abschaffung des Freiwilligen Poli­ zeidienstes. Bei allem Für und Wider steht aber heute fest: Der Freiwillige Polizeidienst hat sich in seiner nunmehr 24jährigen Ge­ schichte bewährt. Er entlastet spürbar den Polizeivollzugsdienst in Zeiten personeller Engpässe, die bis heute auch bei der Polizei­ direktion Villingen-Schwenningen nicht überwunden sind. Er erhöht die Präsenz der Polizei und damit auch das Sicherheitsgefühl der Bürger. Dies sind gewichtige Gründe, warum das baden-württembergische Innenministerium an dieser Einrichtung festhält. Darüber hin­ aus sieht das Ministerium diese Einrichtung als eine wichtige Brücke zum Bürger. Die Angehörigen des Freiwilligen Polizeidienstes sind Multiplikatoren für die Polizei und kön­ nen oft unrichtige Vorstellungen über die Polizei mit Sachkenntnis aus persönlichem Erleben richtigstellen: Dadurch wird die polizeiliche Arbeit für die Öffentlichkeit transparenter. Mehr gegenseitiges Verständ­ nis und Vertrauen erleichtert der Polizei ihre Aufgabe, die Sicherheit unseres Gemeinwe­ sens und die Freiheit des Einzelnen zu schüt­ zen. Diesem Ziel ist die Polizei in Baden­ Württem berg mit ihrem Freiwilligen Polizei­ dienst ein Stück näher gekommen. Helmut Kohler 38 Traurigkeit du Vertraute wieso manchmal wie ein Stein ziehst mich in Tiefen aus denen kein Entfliehen sonst wie ein Mantel umgibst du mich weich und hüllst mich in Einsamkeit mein Herz ist ein Baum du der Vogel der zu Zeiten sein Nest darin baut was wird sein wenn die Blätter fallen Sommer das Meer gebiert eine Insel an klaren Tagen schenkt sie dem Horizont da bau ich meiner Sehnsucht ein Haus Friederike Siek Friederike Siek Friederike Siek

Schulen und Bildungseinrichtungen Die Fachhochschule Furtwangen Ausbau und räumliche Erweiterung Die Fachhochschule Furtwangen (FHF) ist derzeit in 6 Fachbereiche mit gleichnami­ gen Studiengängen gegliedert, deren räum­ liche Unterbringung sich in der Vergangen­ heit folgendermaßen entwickelt hat: – Die Feinwerktechnik (früher: Allge­ meine Feinwerktechnik) ist aus der histo­ rischen Wurzel, der „Großherzoglichen Badischen Uhrmacherschule“ von 1850, hervorgegangen. Nachdem 1947 der Sta­ tus der „Staatlichen Ingenieurschule“ geschaffen worden war, erhielt dieser Fachbereich 1958 an der Gerwigstraße sein neues Gebäude mit 2400 qm Hauptnutz­ fläche zuzüglich 765 qm für das im glei­ chen Gebäude untergebrachte „Deutsche Uhrenmuseum“. – 1962 erhielt mit einem zweiten Bauab­ schnitt dieses Gebäude der inzwischen eingerichtete Fachbereich Feingeräte­ technik und Automation seine Räum­ lichkeiten von ca. 2000 qm Hauptnutz­ fläche. Dieser Fachbereich wurde um 1980 mit gleitendem Übergang durch den neu konzipierten Fachbereich Product En­ gineering abgelöst, der heute in diesen Räumlichkeiten arbeitet. – Der Fachbereich Elektronik, der unter Mitnutzung der Gebäude der feinwerk­ technischen Abteilungen eingerichtet worden war, erhielt 1972 auf dem gleichen Areal zur Allmendstraße hin als 3. Bauab­ schnitt seinen Neubau mit 4500 qm Hauptnutzfläche. 39

Nach diesem Zeitpunkt konnte wegen der sich abzeichnenden mageren Finanzsitua­ tion des Landes der Planungsgedanke „pro Fachbereich jeweils ein eigenes Gebäude“ zunächst nicht weiter verfolgt werden. Viel­ mehr mußten die zwischen 1968 und 1975 eingerichteten weiteren drei neuen Fachbe­ reiche – Ingenieur-Informatik, – Allgemeine Informatik und – Wirtschaftsinformatik in die für die ersten drei Fachbereiche vor­ gesehenen Gebäude mit hineingedrückt wer­ den und – dies betraf vornehmlich die Inge­ nieur-Informatik – einen Teil des alten, schon lange abbruchreifen Fabrikgebäudes „Zeh“ benutzen, soweit er überhaupt noch zur Nutzung zugelassen war. Außerdem hatte sich – irgendwie zu Lasten anderer Labors und Hörsäle hineinge­ quetscht – mittlerweile das Rechenzentrum als zentrale Dienstleistungs-Einrichtung der FHF, von der Ausstattung her gesehen, zu einem der größten an deutschen Fachhoch­ schulen überhaupt entwickelt. Dieser nicht mehr erträglichen räumli­ chen Notsituation sollte dann schließlich durch einen Erweiterungsbau (4. Bauab­ schnitt ) abgeholfen werden. Von den ersten Überlegungen, etwa beginnend mit dem Jahr 1975, dauerte die Realisierungsphase mit Pla­ nung, Umplanungen, zwischenzeitlichen Stops wegen neuen Überdenkens der Finanzsituation des Landes, mit erneuter Pla­ nung bei reduziertem Volumen und Bau ca. 10 Jahre. (Ein Verstreichen eines Zeitraums von ca. 10 Jahren zwischen ersten Planungsgedanken und der Fertigstellung darf nach aller Erfah­ rung inzwischen mit mehreren Objekten bei öffentlichem Hochschulbau fast schon als eine Konstante angesehen werden.) Zum Sommersemester 1985 konnte dann endlich der Erweiterungsbau mit 2840 qm Hauptnutzfläche in Betrieb genommen wer­ den. Das neue Lehrgebäude nutzt unter Anpassung an die Größenordnungen der 40 vorhandenen Gebäude der früheren Bauab­ schnitte das noch zur Verfügung stehende Hochschulareal aus, wobei das Bauvolumen durch die Geschoßzahl, die eingrenzenden Straßen und durch die über das Hochschul­ gelände fließende Breg vorgegeben war. Das umfangreiche Raumprogramm – Hörsäle, Labors, Personalräume, das gesamte Rechenzentrum, sowie Technik – und Nebenräume – war schwierig unterzubrin­ gen und mußte sich deshalb gegenüber ursprünglichen Vorstellungen auch einige Abstriche gefallen lassen. Das zu erfüllende Raumprogramm und das Streben nach einem kostengünstigen Gebäude-Tragsystem haben die Konzeption vorgegeben. Ein Skelett aus Ortbeton ent­ hält im Erdgeschoß fest vorgegebene Hör­ säle mit speziellen akustischen und techni­ schen Ausstattungen (z.B. für Video-Tech­ nik, allgemein Medien-Technik, Großbild­ projektion u.ä. m.) und in den zwei Oberge­ schossen im Rahmen eines neutralen Rasters frei gewählte, später auch bei Bedarf änder­ bare, Lehr- und Personalräume. Die äußere Gestalt des Gebäudes ergibt sich teils aus den betrieblichen Funktionen, teils aus den vom Grundstück vorgegebenen Zwängen. Die hell verkleideten Bänder zeigen die senkrech­ ten und waagrechten Elemente des Tragsy­ stems. Eingefügt sind darin die nicht tragen­ den raumhohen Fassaden-Elemente aus Holz. Eine vorgesetzte Konstruktion aus Stahl- bzw. Blechgliedern trägt die Sonnen­ schutzanlagen, gibt den Fensterflächen einen gewissen Schutz und lockert die aus der Funktion resultierende, sonst nüchterne Außenform auf. Die Farbgebung stellt die Beziehung zu den älteren Gebäuden, zu der gleichzeitig erbauten neuen Mensa und der örtlichen Umgebung her. Besonderen planerischen und Ausfüh­ rungsaufwand brachte die „winterfeste“ Ver­ bindung zu den vorhandenen Gebäuden in Form eines durch angeschüttetes und begrüntes Erdmaterial kaschierten „unterir­ dischen“ Ganges mit sich.

Auch die Gliederung in innere Brandab­ schnitte, die Gründung im Grundwasserni­ veau unmittelbar neben der Breg und der Anschluß an die in wasserrechtlich verbindli­ cher Höhe vorgegebene, gleichzeitig gebaute zweite Brücke über die Breg waren schwie­ rige Planungspunkte. Gemessen an den finanziellen Restriktio­ nen wurden alle Zielvorgaben vom verant­ wortlichen Hochbauamt Rottweil in Zusam­ menarbeit mit den beteiligten Ingenieur­ und Architekturbüros sowie den ausführen­ den Firmen aufs beste gelöst. Der Erweiterungsbau stellt zusammen mit der gleichzeitig erbauten neuen Mensa des Studentenwerks, aus welcher Perspektive auch immer, eine optisch erfreuliche Berei­ cherung des Furtwanger Stadtbildes dar. Zugleich wurde mit den im Zuge des Neu­ baus hergerichteten Außenanlagen und Grünflächen -zumindest zur Sommerzeit – eine bisher nicht gekannte „Hochschul­ Campus-Atmosphäre“ erreicht. Zur Nutzung des Erweiterungsgebäudes bleibt festzustellen, daß es -in einer bereits wieder recht gedrängten Situation – drei Fachbereiche und das gesamte Rechenzen­ trum aufnehmen mußte. Im Erdgeschoß befinden sich Hörsäle. Das erste Obergeschoß ist mit dem Rechen­ zentrum, seinen Maschinenräumen, Perso­ nalräumen und Terminal-bzw. PC-Prakti­ kumssälen belegt. Das zweite Obergeschoß hat -und zwar auf einer Fläche, die effektiv kleiner ist als im ehemals genutzten alten Fabrikgebäude ,,Zeh“ -die Labors des Fachbereichs Inge­ nieur-Informatik aufgenommen, u. a. die Labors für Rechentechnik, Regelungstech­ nik, Meßtechnik und Mikrocomputertech­ nik. Im Untergeschoß ist dann noch eine begrenzte Fläche für Rechner-Labors der Fachbereiche Allgemeine Informatik und Wirtschaftsinformatik vorhanden. Letztlich steht also drei Fachbereichen zu­ sammen eine Hauptnutzfläche zur Ver­ fügung, die in früheren Zeiten einmal als 41

Die neue Schule für Körperbehinderte im Stadtbezirk Villingen Schaltungen“ (Chips) und für „Entwurf und Design von mikroelektronischen Schaltun­ gen“ entstanden. Ein Labor für „Computer Aided Design“ (CAD) im mechanischen Bereich ist hinzugekommen. Diese und weitere, damals nicht unbe­ dingt vorhersehbare Entwicklungen haben schon jetzt weiteren zwingenden Raumbe­ darf von ca. 4000 qm Hauptnutzfläche mit sich gebracht. Die hier vorgestellte räumliche Erweite­ rung der Fachhochschule Furtwangen, durch den 1985 bezogenen Ergänzungsbau, wird al�o wohl auf Sicht nicht die letzte gewesen sem. Prof. Dr.-Ing. G. Dinius angemessen für einen Fachbereich angese­ hen worden wäre. Die Planungen für den Erweiterungsbau beruhten auf einer Zahl von 900 Studenten vor Ort an der FHF. Mittlerweile hat die FHF 1550 Studenten, davon etwa 1200 bis 1250 in den Vorlesungs­ semestern vor Ort (der Rest befindet sich jeweils in den Praxissemestern meist außer­ halb von Furtwangen). Endgültig beginnend mit dem Wintersemester 1987 /88 wird ein neuer Studienschwerpunkt „Mikroelektro­ nik“ mit weiterer Erhöhung der Studenten­ zahl aufgenommen. Im Vorfeld dazu sind bereits in die vorhandene Raumsubstanz hinein umfangreiche Labors für „Produk­ tionsprozesse von mikroelektronischen Die Landkreise Rottweil und Schwarzwald-Baar haben eine vorbildliche Einrichtung geschaffen Es ist Montag, der 9. September 1985: behindertenschule seit ihrer Gründung im erster Schultag in der neuen Schule für Kör­ Jahre 1976 in St. Georgen begleitete, gehört perbehinderte im Stadtbezirk Villingen. der Vergangenheit an. Der Schulbus hat die ersten Kinder Inzwischen ist einige Zeit ins Land gezo­ gebracht. Sie stehen mit ihren Rollstühlen gen, man hat sich eingelebt und Erfahrungen und Gehilfen noch recht unschlüssig, jedoch gesammelt. Die Kinder fühlen sich wohl und neugierig vor der großen Eingangstür. geborgen und sind sich mit den Lehrern, Schließlich, fast wie auf Kommando, stür­ Therapeuten, Betreuern und Eltern einig: men sie dem Eingang zu, die Automatiktür Die Schule hat ihre „Probezeit“ mit Aus­ öffnet sich, und die Buben und Mädchen zeichnung bestanden. sind im Haus. Sie machen große Augen. Erst Das Architekturbüro FAI aus Stuttgart stummes Schauen, Staunen, Bewundern, hat der Schule ein unverwechselbares Aus­ dann bricht es urplötzlich aus Frank hervor: sehen verliehen. Ausgangspunkt waren die ,,Ha, isch des aber schee, g’hert die jetzt uns?“ Forderungen und das Bestreben, das Haus Ein großes Palaver hebt an, und die Kin­ dem behinderten Kind in seiner Gesamtheit der machen sich auf den Weg, die neue anzupassen. Schule zu erfahren und zu erkunden. Dabei Der Architekt, Herr Baisch, schreibt in der treffen sie auf immer mehr Kinder, Betreuer, Festschrift zur Einweihung der Schule: Therapeuten und Lehrer, die zwischenzeit­ „Körperbehinderte Kinder entwickeln lich alle eingetroffen sind. Man hört Worte, mehr als andere Kinder ein Zugehörig­ keitsgefühl zu ihrer Schule, verbringen sie wie: toll, klasse, prima! doch den größten Teil ihres Kindseins in Die beklemmende Enge, die die Körper- 42

dieser Schule. So kann die Planung einer solchen Schule nur darin liegen, diesen Kindern für die Zeit ihrer Kindheit und Ausbildung einen individuellen, räumli­ chen Rahmen zu schaffen, in dem Lehrer, Betreuer und Therapeuten mit diesen Kindern familiäre, kindgerechte, wohn­ liche Verhältnisse schaffen können. Dies erfordert emotionales Einfühlen in die Welt der körperbehinderten Kinder sowohl vom Planer als auch von Lehrern und Betreuern … “ Das Ergebnis dieser Überlegungen ist ein stark gegliederter Baukörper, der sich um einen zentralen Punkt gruppiert. Die Ein­ gangshalle, die auch als Aula, Theater- und Musikraum dient, ist sozusagen die Dreh­ scheibe, zentraler Raum und Verbindung zu den Einzelräumen der Schule. Dem Eingang vorgelagert ist eine Freifläche, die auf der einen Seite in einen überdachten Busbahn­ hof übergeht. An dieser Stelle wächst der ansonsten ebenerdige Bau um ein zweites Stockwerk, in dem die Verwaltung, das Rek­ torat und das Lehrerzimmer untergebracht sind. Der gesamte Gebäudekomplex um­ schließt einen großen, sonnigen Innenhof, dessen Grenzen in Grünflächen übergehen. Spiel- und Klettergeräte, kleine Häuschen und Bäume, die allerdings ihr schützendes Blätterdach erst in einigen Jahren ausbreiten werden, wechseln ab mit befestigten Flächen. Hier ist zugleich einer der Freiräume, in denen behinderte Schüler im Umgang mit Bewegungshilfen, vom elektrischen Roll­ stuhl bis zum Dreirad, auch erfahren, wie der Alltag bewältigt werden kann. Der aufgelockerte Baukörper umschließt noch eine Reihe anderer kleiner Höfe. Licht und Sonne, Wind und Regen können hier unmittelbar erlebt werden. Es sind Spielflä­ chen vorhanden, aber auch ein Rollstuhl­ übungsgelände, eine Gehschule mit verschie­ denen Straßenbelägen und erhöhte Pflanz­ beete. Damit wird es auch Kindern im Roll­ stuhl möglich, Blumen und Pflanzen, Aus­ saat und Blüte zu erleben. Das gesamte Raumprogramm ist be­ stimmt von der besonderen Aufgabe dieser Schule. Breite Gänge erlauben ungestörtes Fahren und Gehen. Die 9 Klassenzimmer und die Fachräume sind auf höchstens 10 Plätze ausgelegt. Es versteht sich von selbst, daß alle Räume rollstuhlgerecht möbliert sind. Das Raumprogramm der Schule reicht üher das Programm einer üblichen Grund- 43

und Hauptschule hinaus. Ein Gruppenraum ist jeweils 2 Klassenzimmern zugeordnet. Es gibt eine Fachklasse für den Chemie-und den Physikunterricht sowie eine Schulküche. Da die Behinderten bis in den Nachmittag in der Schule bleiben, steht ein Speiseraum mit eigener Aufbereitungsküche zur Verfügung. Abgerundet wird dies alles durch Räume für Bewegungs-und Beschäftigungstherapie. In einem zweiten Bauabschnitt sind eine Turnhalle und ein Bewegungsbad geplant. Abwechslungsreich sind die einzelnen Elemente der Außenwände gestaltet. So wie sich der Grundriß und die Höhenlinien des Gebäudes in den leichten Abhang des Hopt­ bühls einfügen, so stammen die Baustoffe vorwiegend aus der umgebenden Land­ schaft. Dem Holz wurde hierbei durch den Planer eine beherrschende Rolle zugewiesen. Es findet sich nicht nur als Wandfläche, son­ dern auch als offenes Balkenwerk in der Ein­ gangshalle, als Stützpfeiler und wärmende Dachkonstruktion. Weißer, grober Putz und rotes Mauerwerk bilden dazu Kontraste, die nicht nur eine Atmosphäre von Wohnlich- 44 keit und Behaglichkeit spüren lassen, son­ dern dem Gebäude auch eine beinahe zier­ liche Leichtigkeit verleihen. Das Raumvolu­ men von immerhin fast 11.500 Kubikmetern und die Nutzfläche von etwa 2.500 Q!iadrat­ metern erscheinen an keiner Stelle des Hau­ ses als beängstigende Weite. Für die Schüler sind die Abmessungen dieses Gebäudes überschaubar, und trotz ihrer Behinderung hat der Raum für sie erreichbare Grenzen. Aufgabe der Schule für Körperbehinderte ist es, Kinder und Jugendliche zu unterrich­ ten, die wegen einer Bewegungsbehinderung oder einer dauernden Erkrankung in ihren Lernvoraussetzungen so behindert sind, daß sie dem Unterrichtsgang der Regelschule nicht folgen können. Die Schule will ihre Schüler befähigen, in vielen Bereichen mög­ lichst selbständig am Leben ihrer nicht behin­ derten Umwelt teilzunehmen. Der Unterricht erfolgt in kleinen Grup­ pen und Klassen. Je nach dem Ausmaß der Behinderung und Belastungsmöglichkeit des Kindes wird nach den Lehrplänen der Grund-und Hauptschule, der Lernbehinder-

tenschule oder der Schule für Geistigbehin­ derte unterrichtet. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der umfassenden therapeutischen Betreuung der Kinder. In der Beschäftigungstherapie werden mit einem oder mehreren Kindern Übungen durchgeführt, die der Schulung der Wahr­ nehmung und Feinmotorik dienen. Hilfs­ mittel ermöglichen oder erleichtern den Kin­ dern das selbständige Handeln im täglichen Leben. In der Krankengymnastik wird nach Absprache mit Ärzten die bewegungsthera­ peutische Einzel- und Gruppentherapie durchgeführt. Selbsthilfetraining, Schwim­ men und Skifahren gehören ebenfalls zum Programm. Träger der Schule für Körperbehinderte sind die Landkreise Rottweil und Schwarz­ wald-Baar. Ihr Einzugsgebiet sind vor allem der Schwarzwald-Baar-Kreis mit 37 Schülern und der Kreis Rottweil mit 19 Schülern. Doch auch aus den Nachbarkreisen Tuttlin­ gen (4 Schüler) und dem Kreis Breisgau- Hochschwarzwald (1 Schüler) kommen Kin­ der in den Stadtbezirk Villingen. (Die Schü­ lerzahlen stammen von Anfang 1987.) Die Schüler werden in Bussen und Taxen zur Schule gebracht, wo der Unterricht um 8.25 Uhr beginnt. Von 12.00 bis 13.00 Uhr gibt es Mittagessen und Gelegenheit zur Erholung im Spiel. Der zweite Unterrichts­ block endet um 15.30 Uhr. Die Kinder treten dann die Heimfahrt an. Die Eltern sind froh, ihre Kinder abends bei sich zu Hause zu haben und nicht in einem Heim aufwachsen zu sehen, wo sie der Familie entfremden. Dies war im übrigen einer der Hauptgründe, eine Ganztagsschule für Körperbehinderte zu errichten. Für die Verwirklichung dieser Idee sind Schüler und Eltern dankbar. Robert Faller * 45

10 Jahre Kreisergänzungsbücherei des Schwarzwald-Baar-Kreises die besonders herausragenden Betriebszahlen des gemeinsamen Bibliothekssystems der Stadtbibliothek Villingen-Schwenningen und der Kreisergänzungsbücherei des Schwarz­ wald-Baar-Kreises zurückzuführen ist. Das Büchereiengagement des Schwarz­ wald-Baar-Kreises verdient besondere Beach­ tung durch die Tatsache, daß nur etwa die Hälfte der baden-württembergischen Land­ kreise das öffentliche Bibliothekswesen aktiv fördert, in der Regel durch finanzielle Bezu­ schussung der Unterhaltskosten kommuna­ ler Büchereien. Nur eine kleine Zahl von Landkreisen im Land Baden-Württemberg betreibt eigenständige Bibliothekseinrich­ tungen, darunter die bisher einzige Kreis­ fahrbücherei im Landkreis Rastatt und die Kreisergänzungsbüchereien der drei Land­ kreise Esslingen, Ludwigsburg und Schwarz­ wald-Baar. Im Mai 1987 feierte in Villingen-Schwen­ ningen eine nicht alltägliche Büchereiein­ richtung ihr zehnjähriges Bestehen: die Kreisergänzungsbücherei des Schwarzwald­ Baar-Kreises. Im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es 17 kommunale öffentliche Bibliotheken, 28 regelmäßig geöffnete kirchliche Büchereien, sowie die öffentlich zugänglichen Bibliothe­ ken der Berufsakademie und der Fachhoch­ schule für Polizei in Villingen-Schwennin­ gen, der Fachhochschule Furtwangen und die Fürstlich Fürstenbergische Hofbiblio­ thek in Donaueschingen. Schwarzwald-Baar-Kreis nimmt Der innerhalb der 35 Landkreise in Baden-Würt­ tem berg, was den Medienbestand, die Entlei­ hungen und den finanziellen Aufwand im Büchereiwesen anbelangt, seit Jahren einen guten mittleren Platz ein, was wiederum auf Aufmerksame Zuhörer beim Vorlese-Wettbewerb 46

Im Jahre 1977 vereinbarten die Stadt Vil­ lingen-Schwenningen und der Schwarzwald­ Baar-Kreis, zur Schaffung einer besseren Literaturversorgung und gleichzeitigen Ver­ ringerung des Verwaltungsaufwandes im Bibliotheksbereich räumlich und personell zusammenzuarbeiten. Mit der Einrichtung der Kreisergänzungsbücherei im Mai 1977 versuchte der Schwarzwald-Baar-Kreis der Aufforderung des Landes Baden-Württem­ berg an die Landkreise nachzukommen, sogenannte Hauptbibliotheken zu errichten und zu unterhalten und diese Aufgabe nach Möglichkeit zusammen mit einer örtlichen Bibliothek wahrzunehmen. Von Anfang an bestand zwischen den bei­ den selbständigen Bibliothekseinrichtungen eine enge Verbindung im organisatorischen Bereich. Der Bestandsaufbau und die buch­ technische Bearbeitung beider Bibliotheken werden bis heute koordiniert: Die Bücher der Kreisergänzungsbücherei werden gemein­ sam mit den Büchern der Stadtbibliothek angeschafft und ausleihfertig gemacht. Die Literatur beider Bibliotheken bietet sich als ein gemeinsamer Bestand an. Den Benutzern aus dem Oberzentrum und dem gesamten Kreisgebiet kann so ein umfassender, zeitlich erweiterter Service angeboten werden. Für den Landkreis üben Stadtbibliothek und Kreisergänzungsbücherei die Funktion einer Zentralbibliothek aus – im Dezember 1986 betrug der 120.000 Medieneinheiten bei einer Gesamt-Jahres­ ausleihe von 450.000. stattliche Bestand Die spezielle Aufgabe der Kreisergän­ zungsbücherei besteht darin, das Buchange­ bot der öffentlichen Büchereien im Land­ kreis quantitativ und qualitativ zu verstärken und die Büchereien in ihrer Arbeit beratend zu unterstützen. Der Sach- und Fachbuchbe­ stand, den die Kreisergänzungsbücherei zur Verstärkung des Sachbuchbestandes der Stadtbibliothek sowie für die Zusammen­ stellung für Blockausleihen an die Büche­ reien im Landkreis aufbaut, nähert sich mit derzeit ca. 13.000 Bänden allmählich dem vor­ läufigen Zielbestand von 15.000 Einheiten. Die Kreisergänzungsbücherei will vor allem ergänzende Literatur für Schule und ·Beruf, Weiterbildung, Hobby und Freizeit bereitstellen, die in den kommunalen oder konfessionellen Büchereien im Kreisgebiet nicht oder nur mangelhaft angeboten wird. Diese Bestände stehen den Büchereien des Kreises zum Weiterverleihen an ihre Leser kostenlos zur Verfügung. Die Kreisergänzungsbücherei unterstützt Gemeinde-, Schul- und Kirchenbüchereien mit sogenannten „Blockausleihen“. Zur Zeit erhalten 24 Büchereien nach Wunsch zusam­ mengestellte Ausleih-„Pakete“ (in der Regel 70 bis 200 Bände) in einem rollbaren Kom­ paktregal, in der Regel für sechs bis zwölf Monate. Auf diese Weise kann die einzelne Büche­ rei einen differenzierteren Bestand anbieten. Darüber hinaus besorgt die Kreisergänzungs­ bücherei auch speziell gewünschte Literatur (z. B. wissenschaftliche Monographien oder Zeitschriftenaufsätze), die nicht aus dem Bestand der Kreisergänzungsbücherei oder der Stadtbibliothek befriedigt werden kann, auf dem Weg der Fernleihe. 1986 haben 4.325 bei der Stadtbibliothek Villingen-Schwenningen und der Kreiser­ gänzungsbücherei registrierte Leser aus 19 Kreisgemeinden (ohne Villingen-Schwen­ ningen) 105.646 Ausleihen getätigt (= 23,52 % der Gesamtausleihe). 1978, im zwei­ ten Jahr der Zusammenarbeit waren es 627 Leser aus dem Landkreis, die 10.834 Auslei­ hen verbuchten. Die Summe der Blockaus­ leihen der Kreisergänzungsbücherei betrug 1980 1.266 Ausleihen (an 12 Büchereien), 1986 31.913 Ausleihen (an 24 Büchereien). Mit den Büchereien im Kreisgebiet ist mit Einrichtung der Kreisergänzungsbücherei eine A r b e i t s g e m e i n s c h a f t gegründet worden, um die Zusammenarbeit und gegen­ seitige Abstimmung zu fördern. Die Koordi­ nation obliegt der Kreisergänzungsbücherei, die auch die alljährlichen Büchereileitertref­ fen im Schwarzwald-Baar-Kreis organisiert. Hans Werner Fischer 47

Wirtschaft und Gewerbe Mit Dynamik in die Zukunft Erfolge und Herausforderungen Als Mitte 1985 die 10. Folge dieses Heimat­ buches vorbereitet wurde, stand fest, daß es der Wirtschaft des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses gelungen war, die zunächst anhaltende Abwärtsbewegung nicht nur zu stoppen, sondern sie in eine aufwärts gerichtete Ent­ wicklung umzukehren. Diese Fähigkeiten, die von der Wirtschaft des Kreises unter besonders schwierigen Bedingungen unter Beweis gestellt worden war, erlaubte es, die weitere Wirtschaftsentwicklung in diesem Raum positiv einzuschätzen. Das tatsächliche Wirtschaftsgeschehen in den Jahren 1985 und 1986 hat diese Prognose bestätigt. In diesen beiden Jahren ist – in den Betrieben des verarbeitenden Gewerbes des Schwarzwald-Baar-Kreises mit 20 und mehr Beschäftigten – der Jahresumsatz um 9 % auf über 5 Milliarden DM gestiegen, und die Zahl der Beschäftigten hat um 2.562 = 8 % beachtlich zugenommen. Mit diesem Satz Liegt die Zunahme der Beschäftigten im Schwarzwald-Baar-Kreis um 3 Prozent­ punkte über dem Durchschnittssatz des Lan­ des Baden-Württemberg. Daß in der Wirtschaft des Schwarzwald­ Baar-Kreises trotz (oder gerade wegen) der folgenschweren Herausforderungen im in­ ternationalen Wettbewerb das dynamische Element überzeugend wirksam ist, ergibt Das Foto zeigt Konstrukteure und Technische Zeichner im Lehrgang „CAD-Technik“ beim Konstru­ ieren am Bildschirm im CAD/CAM-Zentrum der !HK 48

sich aus dem folgenden Vergleich: Gemessen am Jahr 1982 ist die Pro-Kopf-Leistung der Beschäftigten im Schwarzwald-Baar-Kreis in den folgenden Jahren 1983 bis 1986 um nicht weniger als 20 % gestiegen. Nur ganze 2 Pro­ zentpunkte liegt die vergleichbare Durch­ schnittszahl des Landes Baden-Württem­ berg darüber- und das, obwohl diese Durch­ schnittszahl vom großen Gewicht der Wirt­ schaft des strukturell begünstigten Ballungs­ raumes Stuttgart angereichert ist. Es ist gerade diese Erkenntnis – vom äußerst wirkungsvollen Fortbestand dyna­ mischen Handelns unserer Unternehmer und ihrer Mitarbeiter-, die aus heutiger Sicht bei allen weiteren Betrachtungen im Rah­ men dieses Beitrags eine positive Einschät­ zung der künftigen Entwicklung der Wirt­ schaft im Schwarzwald-Baar-Kreis rechtfer­ tigt. Die Industrie, nach wie vor dominieren­ der Wirtschaftszweig im Schwarzwald-Baar­ Kreis, ist bekanntlich weit überwiegend durch die Branchen Elektrotechnik, Feinme­ chanik/Uhren und Maschinenbau geprägt. Dies sind Branchen, die zwar einerseits vom technischen Wandel besonders betroffen sind, andererseits aber nach allen Prognosen gerade auch gute Zukunftschancen haben. Diese Industriezweige werden in einer hoch­ technisierten Welt weiterbestehen. Die Frage ist nur, ob unsere Betriebe mit der Entwick­ lung Schritt halten und sich im internationa­ len Wettbewerb, insbesondere mit Fernost und den USA, behaupten können. Hier ist der Hinweis wichtig, daß die Exportquote unserer Industrie von durchschnittlich rund 30 % des Gesamtumsatzes eine anhaltend starke Wettbewerbsfähigkeit voraussetzt, um auf den internationalen Märkten dauer­ haft erfolgreich zu sein. Dabei liegt die Exportquote einzelner Branchen und Betriebe bei 50 % und deutlich höher. Natür­ lich führt da ein niedriger, für das Exportge­ schäft ungünstiger US-Dollar-Devisenkurs zu schwerwiegenden Ertragsproblemen. Und dennoch: Für die künftige Entwick­ lung ist Zuversicht zulässig, denn die Unter- nehmer und das große Potential an quali­ fizierten Mitarbeitern sind zur Anpassung an die veränderten technischen und wirt­ schaftlichen Bedingungen erwiesenermaßen bereit. Die sich ohne Pause stellenden Aufgaben zur positiven Weiterentwicklung unserer Wirtschaft müssen in dem gemeinsamen Willen zur Lösung von allen Beteiligten, von Unternehmern und Mitarbeitern, täglich neu angegangen werden. Dazu gehört auch die ständige Weiterbildung auf dem techni­ schen wie auf dem kaufmännischen Sektor. Gerade hier können wir eine große Bereit­ schaft und ein ausgeprägtes Interesse unserer Unternehmen und ihrer Mitarbeiter feststel­ len. Wenn gegenwärtig im Durchschnitt täg­ lich rund 600 berufstätige Menschen, und zwar überwiegend während ihrer Freizeit am Abend und am Samstag, das breitgefächerte Weiterbildungsangebot unserer Kammer nutzen, dann ist das allein schon von der Zahl der Lehrgangs- und Seminar-Teilneh­ mer her ein überaus positives, ermutigendes Zeichen. Immer mehr junge Menschen begreifen, daß sie ihren Berufsweg nur dann erfolgreich gestalten können, wenn sie unentwegt an ihrer fachlichen �alifizie­ rung arbeiten, neue Methoden und Techni­ ken kennen- und beherrschen lernen und so ihr Wis�en und Können dem ständig wach­ senden Anforderungsniveau anpassen. Zweifellos erweisen diese meist jüngeren Menschen sich selbst den denkbar besten Dienst zur Sicherung ihrer beruflichen und damit ihrer Einkommens-Entwicklung; sie leisten aber zugleich auch einen konkreten, wirksamen Beitrag zur weiteren Entfaltung der Wirtschaftskraft dieses Raumes. Denn übersehen wir nicht: Immer mehr Länder, vor allem, aber nicht nur im Femen Osten, forcieren den Auf- und Ausbau modernster Industriezweige, insbesondere im Bereich der Massenartikel; sie können dabei auf ein gewaltiges Potential lern- und leistungswilliger Menschen zurückgreifen. Da deren Lebensstandard vergleichsweise 49

niedrig ist, sind auch die Arbeit,k,N rn wesentlich geringer als bei uns. Unter dic,en Bedingungen schlägt nicht selten Qiantitä.t in Qialität um, und so kommt es zu immer mehr Produkten, die im Vergleich zu den bei uns hergestellten Erzeugnissen nicht nur billiger, sondern auch besser sind. Das aber ist bekanntlich eine Marktbedingung, der wirksam nicht anderes mehr entgegengesetzt werden kann als die alles überragende Höchstleistung, die dann ihren höheren Preis rechtfertigt und auch einspielt. Es sind Höchstleistungen, die gerade unsere deutsche Wirtschaft im industriellen und Dienstleistungs-Bereich erbringen muß, soll der Lebensstandard unserer Menschen auf einem hohen Niveau gehalten werden. Das aber geht eben nur mit immer mehr und immer besser qualifizierten Mitarbeitern. Unsere heimische Wirtschaft verfügt hier- für über eine solide Basis und Struktur, auf die auch weiter erfolgreich im Sinne einer positiven Entwicklung gebaut werden kann. Begleitend dazu ist eine Verbesserung der wirtschaftlichen Standortbedingungen wich­ tig sowie ein verstärkter Ausbau der Stadt Villingen-Schwenningen zum Oberzen­ trum, dessen Funktion bis heute nur unvoll­ kommen erfüllt wird. Die gewerbliche und öffentliche Dienstleistungszentralität dieser Stadt muß gestärkt werden, auch durch Ansiedlung staatlicher Einrichtungen. Hier ist nicht zuletzt das Land in der Pflicht, gerade auch mit Blick auf die von unserer Kammer geforderte Verbesserung der tech­ nisch-wissenschaftlichen Infrastruktur und der Verkehrsanbindung dieses Wirtschafts­ raumes nach West und Ost auf Schiene und Straße. Alfred Liebetrau, !HK-Präsident Metallwarenfabrik Johann Jäckle GmbH & Co in Schwenningen Seit hundert Jahren Großuhrenteile en gros Johannes Jäckle (1741 bis 1800) kam in der Geschichte der Schwarzwälder Uhrenindu­ strie als erster Uhrenmacher des noch würt­ tembergischen Schwenningen zu spätem Ruhm. Vier Generationen später begann sein direkter Ururenkel, der Uhr- und Werkzeug­ macher Johann Jäckle, als 22jähriger mit der Herstellung von Grundplatinen, Pendel­ scheiben und Regulateurgarnituren. Nach der Gründung der „Johann Jäckle Metallwa­ renfabrik GmbH“ im Jahr 1890 kamen Zif­ ferblätter, Taschenuhrgehäuse, Galanterie­ waren und Metallartikel aller Art hinzu. Daraus entwickelte sich an der Neckarstraße in Schwenningen die weltweit größte und lei­ stungsfähigste Herstellung metallener Zube­ hörteile für die industrielle Großuhrenferti­ gung. Einen sensationellen Durchbruch erlebte zuletzt die patentierte Eigenentwick­ lung für völlig neuartige Mondphasenuhren. so Die Geschäftsleitung des traditionsreichen Betriebs, der heute dreihundert Mitarbeiter beschäftigt, teilen sich heute mit Fred Jäckle (Verkauf, Entwurf, Design), Horst Jäckle (Einkauf, Oberflächenbearbeitung) und Otmar Jäckle (Produktion, Maschinenent­ wicklung) die Enkel des Firmengründers. Die Geschichte der Metallwarenfabrik Jäckle in Schwenningen war seit jeher eng mit dem Schicksal der Uhrenindustrie ver­ knüpft. Der Schrumpfungsprozeß in der Abnehmerbranche bestärkte das Konzept, die eigene Existenz durch Qialität, ständige Neuentwicklungen und eine optimale Lei­ stungsfahigkeit aller technischen Bereiche zu stärken. Der Betrieb verfügt über eine eigene Abteilung zur maßgeschneiderten Entwick­ lung und Herstellung von Sondermaschi­ nen. Der Werkzeugbau ist von hoher Qiali­ fikation. In drei galvanischen Abteilungen

ben und Lyrapendel, Kompensationspendel und Gewichtshülsen, Zifferblätter und Gehäuse für Jahresuhren, Bürouhrenge­ häuse, gedrückte, gestanzte, geprägte und gezogene Metallteile für jeden Bedarf. Der Schwerpunkt des Kundenkreises befindet sich in enger Nachbarschaft im Schwarzwald und auf dem Heuberg. Eine wichtige Rolle spielt darüber hinaus der Export in aller Herren Länder, darunter nach Japan und Taiwan. Im Versand werden wöchentlich bis zu neun Tonnen Luftfracht auf den Weg gebracht. Der Verfall des US­ Dollar macht die Stellung auf dem amerika­ nischen Markt schwierig, der – neben Kanada -bis in die Gegenwart wichtigster Umsatzträger unter den Exportländern ist. In der Metallwarenfabrik Johann Jäckle GmbH & Co wird für die Repliken einer Jahrhunderte alten Uhrentradition mo­ dernste Technik eingesetzt. Über die ratio­ nelle Massenfertigung – auch modernen Designs -hinaus reicht das Repertoire bis hin zu später mechanisch angetriebenen, nahezu handwerklich gefertigten Wert­ stücken in limitierten Auflagen. Wenn auch der nahezu hundertjährige Hersteller höchst umfängliche Teile für Großuhren im Auftrag produziert, auf Kun­ denwunsch entwickelt oder in der umfang­ reichen Mustermacherei neue Ideen auf eige­ nes Risiko ausarbeiten läßt, so wird das Aus­ lieferungsprodukt immer unfertig sein. Von der Firmengründung an blieb es ein Grund­ prinzip des Hauses, selbst keine gebrauchs­ fertigen Uhren zu produzieren. Dennoch wird in der Schwenninger Neckarstraße das ,,Gesicht“ zahlloser Großuhren entschei­ dend geprägt. Zu den prominentesten Ver­ tretern in einer neuzeitlichen Formen­ sprache gehören die großen Weltzeituhren, die auf sämtlichen deutschen Flughäfen anzeigen, was die Stunde geschlagen hat. Rosemarie v. Strombeck 51 Einige Beispiele aus dem Produktionsprogramm der Schwenninger Firma Metallwarenfabrik Johann jäckle GmbH & Co, präsentiert von Mitgeschäftsführer Fredjäckle. wird Messing verkupfert, vernickelt, ver­ chromt, verzinnt und vergoldet. Die Litho­ graphie ist durch ihr ausgereiftes Know-how in Feinheitsgrad und Colorierung bei der Gestaltung außergewöhnlicher Zifferblätter ohne Konkurrenz. Ein Ausschnitt aus dem Produktionspro­ gramm, für das jährlich 400 Tonnen Mes­ sing, 50 Tonnen Aluminium und 250 Ton­ nen Stahlblech verarbeitet werden, vermit­ telt einen Eindruck von der innerbetriebli­ chen Flexibilität und Vielseitigkeit: Stil-und Wanduhrengehäuse, Ausstattun­ gen für Regulateure, Glasdeckel und Lünet­ ten, Bogenzifferblätter und quadratische Zif­ ferblätter für Standuhren, Mondphasenzif­ ferblätter für Großvateruhren, Pendelsehei-

Die Firma Emil Schmeckenbecher in Villingen Eine der größten Hersteller von Kuckucksuhren und Großuhren Er kann weder fliegen noch singen und ist auch gar kein richtiger Vogel, der Kuckuck, der hinter seinem hölzernen Türchen in der Schwarzwalduhr auf seinen Auftritt wartet und gewissenhaft die Stunden ausruft. Trotz­ dem gibt es wohl kein Land auf der Erde, in dem er nicht anzutreffen ist, um dort als unermüdlicher Botschafter von seiner Hei­ mat und Herkunft zu künden. Er ist zum bekanntesten Symbol der Landschaft zwi­ schen Oberrhein und Donauquelle gewor­ den, die in Deutschland Schwarzwald, im Englischen black forest und im Französi­ schen foret noire heißt. Ob im Westen Ame­ rikas oder auf den japanischen Inseln im Pazifik, überall begeistert der Kuckuck in der Uhr die Kinder und verkündet den Men­ schen den Lauf der Zeit auf eine heitere und zugleich besinnliche Weise. Er ist schon mehr als 200 Jahre alt und hat nichts von seiner Lebendigkeit und Fröhlich­ keit verloren, seit er in Schönwald von Franz JosefKetterer „eingefangen“ wurde und von meisterlicher Hand seinen Platz im Giebel des kleinen Schwarzwaldhauses zugewiesen bekam. Die Zeiten haben sich geändert, doch er ist der gleiche lustige kleine Schreihals geblieben, ob er nun wie vor 200 Jahren in den Wohnstuben der verschneiten Bauern­ häuser geschnitzt und damals als Neuheit in das noch hölzerne Räderwerk der Uhren ein­ gepaßt wurde, oder ob er heute in einer Uhr seine stündlichen Auftritte hat, die die Zeit sekundengenau mißt. Die Schwarzwälder Uhr hat ihre Tradition bewahrt, und trotz­ dem blieb mit ihr und bei ihr die Zeit nicht stehen. Lastwagen und Flugzeuge haben den Ein vielseitiges Sortiment an Gr!ßuhren bietet die Firma Schmeckenbecher in Villingen 52

Wertvolle Zeitmesser, die nicht nur auf die Sekunde genau gehen, sondern auch noch durch ihre Gestaltung und ihre Verarbeitung anspre­ chen, sind die Produkte der Firma Schmecken­ becher in Villingen. Eine Standuhr der Firma Schmeckenbecher ist nicht nur ein wertvolles Schmuckstück für jeden Wohnraum. Sie ist darüber hinaus ein Zeitmes­ ser, dem keine Sekunde entgeht. Schwarzwälder Uhrenträger in seiner typi­ schen Tracht mit der hölzernen Trage auf dem Rücken abgelöst, und das Schnitzmes­ ser des geduldigen Tüftlers wurde bei der Fer­ tigung der Uhrwerke von modernen Maschi­ nen abgelöst. Doch die Kuckucksuhr ist geblieben, was sie war, ein originelles Stück Schwarzwälder Wertarbeit, um das sich heute in den Fabriken des Schwarzwald­ Baar-Kreises kundige Facharbeiter ebenso mühen wie ihre Vorväter. So wie die Schwarzwälder Uhr ihren eige­ nen Charakter bewahrt hat, so ist auch einer der größten Hersteller von Kuckucksuhren und Großuhren, die Firma Emil Schmecken­ becher in Villingen ein Unternehmen, das seinen eigenen Stil hat. Er wird geprägt durch den heute 70jährigen Unternehmer Emil Schmeckenbecher, der die Firma nach dem Krieg gründete und sie seitdem mit der Ziel­ strebigkeit, der Geduld und trotz aller Tradi­ tionsverbundenheit auch mit der Auf­ geschlossenheit führt, die typisch sind für den Schwarzwälder. Emil Schmeckenbecher hat das Handwerk des Uhrenbaus von Grund auf gelernt. Zuerst war da eine Maschinenbaulehre, dann das Volontariat in einem Industriebetrieb für Feinwerktechnik in Villingen, dann folgte der Besuch der Uhr­ macherschule in Furtwangen mit dem Abschluß der Meister- und Technikerprü­ fung. Parallel dazu vollzog sich die Ausbil­ dung zum Industriekaufmann. Doch da war auch die unternehmerische 53

Fähigkeit, aus der schier hoffnungslosen Situa­ tion nach dem verlorenen Krieg den richtigen Weg zu finden. Emil Schmeckenbecher folgte ganz einfach dem Ruf des Kuckucks in der kleinen Uhr, die vielleicht auch in seinem Wohnzimmer hing. Er erkannte, daß sich hier ein Unternehmen aufbauen ließ, das ohne aufwendige Technik, ohne die damals knappen Rohstoffe, Maschinen und Investi­ tionen auskommen konnte. Wie die Schwarz­ wälder Uhrmacher seit eh und je, fing er bescheiden an und stand mit nur einem Mit­ arbeiter 1948 in der kleinen Werkstatt an der Gerberstraße, um die Einzelteile, die er vom Uhrwerk bis zum Gehäuse in den kleinen Betrieben des Schwarzwalds zusammenge­ kauft hatte, zur ersten Kuckucksuhr aus dem Hause Schmeckenbecher zusammenzufü­ gen. Ganze 40 Mark waren das Startkapital, doch Emil Schmeckenbecher wußte es zu nutzen. Der Export machte damals fast neunzig Prozent des Umsatzes aus, denn die amerikanischen Soldaten hatten den possier­ lichen Kuckuck und die originelle Uhr ins Herz geschlossen. Ein Souvenir aus Old Ger­ many mußte mit in die Staaten, nach Eng­ land oder auch nach Frankreich, und da war dann meist eine Schwarzwälder Uhr mit im Gepäck. Die Uhrenfabrik Schrneckenbecher gedieh prächtig unter dem Ruf des Kuckucks und mußte Anfang der fünfziger Jahre in die Kalk­ ofenstraße, in die Nebengebäude einer Fabrik, verlegt werden. Die Zahl der Mitarbeiter war auf fast siebzig angewachsen, und der Umsatz betrug 1952 ansehnliche 1,5 Millio­ nen. Die Fachkräfte für das Schnitzwerk, ohne das die echte Uhr aus dem Schwarz­ wald damals und heute nicht auskommt, wurden mit den steigenden Stückzahlen knapp. So gründete Emil Schmeckenbecher eine Schnitzerschule, in der Arbeitskräfte aus Norddeutschland von einem Bildhauer und Schnitzer im Umgang mit dem Werkstoff Holz, mit Wasser und Raspel angelernt wur­ den. Die positive Entwicklung des Unter­ nehmens erfolgte in ruhigen Bahnen und kontinuierlich. Sie spiegelt sich anfangs wie- 54 der in dem Wechsel der Standorte bis hin zum Neubau und zum Erwerb zusätzlicher Fabrikationsstätten. So zieht die Firma Schmeckenbecher im Jahre 1953 in die Fried­ richstraße in Villingen, und etwa zehn Jahre später ist bereits hier wieder zu wenig Platz. Emil Schmeckenbecher entschließt sich zum Bau eines großzügigen Fabrikgebäudes am Rande der Stadt, im Gewerbegebiet Ifängle. Schon 1967 erfolgt der Einzug in das neue Haus, das bis heute der Hauptsitz dieses Unternehmens ist. Ein Jahr später wird die Herstellung höl­ zernen Uhrengehäuse, die längst über die Kuckucksuhren hinausgewachsen ist, nach Schonach verlagert. Hier stand eine Uhrenfa­ brik zum Verkauf, die später noch umgebaut und erweitert wird. Auch in Schwenningen gibt es wenig später eine Uhrenfabrik Schmeckenbecher, nachdem hier in der Dik­ kenhardtstraße ein Gebäude erworben wurde. Das gesamte Unternehmen umfaßt derzeit Fabrikationsstätten in Villingen an der Robert-Bosch-Straße und an der Fried­ richstraße, in Schonach und in Schwennin­ gen. Rund 160 Mitarbeiter fertigen im Jahre stolze 300 000 Großuhren von hervorragen­ der Qyalität, die in sechzig Länder auf der ganzen Welt hinausgehen und dort Zeugnis ablegen von der Unternehmensphilosophie im Hause Schmeckenbecher, deren Leitbe­ griffe „Stil und Qyalität“ sind. Diese Expansion war natürlich nur zu erreichen durch eine starke Ausweitung der Angebotspalette. Heute fertigt das Unter­ nehmen 500 verschiedene Uhren, und im Jahr wird diese Vielzahl von Modellen jeweils durch etwa hundert neue Creationen ergänzt, mit denen Emil Schmeckenbecher auf die Wandlungen im Geschmack, der Mode und dem Möbeldesign eingeht. Schon Anfang der siebziger Jahre bemühte sich der Unternehmer um ein zweites Standbein neben den Kuckucksuhren. Emil Schmek­ kenbecher erfand und produzierte eine Rol­ liermaschine für Wellenzapfen. Wenig später wurden Wohnraumuhren und Gewichtsuh­ ren in das Programm aufgenommen. Auch

leichtfertig fortgegeben wird. Die Firma und ihre Produkte halten damit mit der Zeit, die sie messen, Schritt. Die jüngsten Kostbarkei­ ten aus dem Hause Schmeckenbecher sind Schmuckschatullen aus wertvollen Hölzern mit erlesenen Einlegearbeiten. Beim Öffnen dieser Kästchen erklingen die verschieden­ sten Melodien. Damit wird angeknüpft an die Tradition der Musikwerke, die in dieser Gegend zuhause ist. Ein Blick in die hauseigenen Ausstel­ lungsräume offenbart eine fast verwirrende, zugleich aber faszinierende Vielfalt von Zeit­ messern. Allen gemeinsam ist ein anspruchs­ volles Äußeres und ein Uhrwerk, dessen Prä­ zision und Zuverlässigkeit die Zeit „im Griff“ hat. Hölzer aus allen Teilen der Erde werden verarbeitet, und solch ein Uhrgehäuse aus Nußbaum oder Eiche, aus Mahagoni, Kirschbaum oder afrikanischen Hölzern besteht manchmal aus mehr als hundert Ein­ zelteilen. Die Firma Schmeckenbecher ent­ wickelte eigene Klebstoffe, Farben und Lasu­ ren, die Gewähr dafür bieten, daß diese Uhren aus Villingen auch bei Kälte, Hitze oder der hohen Luftfeuchtigkeit der Tropen nichts von ihrer Schönheit und Gangge­ nauigkeit einbüßen. Breiten Raum in der Fertigung nehmen auch Metallgehäuse aus Messing und anderen Kupferlegierungen ein, die die gleiche bestechende Verarbeitung aufweisen, wie die Holzgehäuse und in zeit­ loser Hochglanzpolitur erstrahlen. Hoch­ wertiges Glas ist ebenfalls ein Werkstoff, den die Firma Emil Schmeckenbecher überall dort einsetzt, wo der Blick auf die tickenden Uhrwerke oder auf Zeiger freibleiben soll. Das Herz der Uhren besteht beinahe bei allen Modellen, außer bei den Qiartzwer­ ken, nach wie vor aus Metall. Für Platinen, Zahnräder und Wellenzapfen werden nur Metalle verwendet, denn nur dieser bewährte Werkstoff werde, so erklärt Emil Schmek­ kenbecher, der betriebseigenen Forderung nach Spitzenqualität gerecht. Zu finden sind in der Kollektion darüber hinaus Solaruhren, die mit einem Minimum an Sonnen-oder auch Kunstlicht auskommen und daraus 55 Ohne Handarbeit geht es nicht beim Montieren der Großuhren in der Firma Schmeckenbecher. Eifahrene Fachleute geben mit wenigen geschick­ ten Handgriffen den Uhren ihre fertige Form und ,,hauchen“ ihnen Leben ein. hier orientierte sich das Unternehmen anfangs an bewährten Vorbildern. Es folgte im Lauf der Jahre der Bau von Regulateuren, wertvollen Stiluhren und meisterlich gefer­ tigten Jahresuhren. Große Standuhren mit mehreren Funktionen vertreibt das Unter­ nehmen über die dem Hause angeschlosse­ nen rund 400 Fachgeschäften ebenso wie eine Vielzahl von Modellen mit quartzge­ steuerten Uhrwerken. So bewegen sich in der Firma Schmeckenbecher nicht nur uner­ müdlich die Zeiger, sondern auch einer Unruhe gleich die Ideen in den Köpfen der Konstrukteure und Designer. Das Ergebnis sind immer neue Uhren für jeden Zweck und Geschmack, ohne daß dabei das Bewährte

Die Gießerei Hess in Villingen auch der Gediegenheit der Produkte, die selbst in Japan ihren Markt haben und in einer Unternehmensführung, die eine Ba­ lance fand zwischen den Neuerungen der Technik, dem Wandel des Käuferge­ schmacks und der Traditionsverbundenheit. Klaus-Peter Friese sogar noch Energiereserven ziehen, die für rund 250 Stunden die Uhren in Gang halten. Die nach wie vor gute Geschäftslage des Unternehmens in einer Zeit, in der die Uhren­ industrie wahrlich nicht auf Rosen gebettet ist, hat ihre Gründe sicher in dem hohen Qialitätsanspruch, in der Originalität, wie Ein altes Handwerk auf neuen Wegen Das gleißende Licht des flüssigen Metalls, elektrischen, hochmodernen Schmelzöfen das unter einem Funkenregen in die Formen sind, in deren Hitzeinferno Grauguß und Aluminium dem Willen des Menschen strömt, läßt flackernde Lichter über die ruß­ geschwärzten Wände der Gießhalle huschen. dienstbar werden. Die Szene, die sich dem Staub und Hitze erfüllen den Raum, in dem Betrachter bietet, wenn die Schmelze in die der Sand der Gießformen den Boden Formen gegossen wird, erinnert an Zeilen aus bedeckt und dessen Mittelpunkt die beiden Schillers „Glocke“ und zeigt die Herrschaft Neubau der Firma HESS FORM + LICHT GMBH, Schlachthausstraße 19/2 in Villingen 56

Ein hochmoderner Mittelfrequenzofen erzeugt flüssigen Grauguß, der mit 1500 °C in Sandformen gegossen wird des Menschen über Stoffe und Kräfte de1 Natur in einer ihrer ursprünglichsten Formen. Doch die Bilder, die in die Vergangenheit zu deuten scheinen, weisen die falsche Rich­ tung. Abstich und Guß, sprödes Material, das in die Formen fließt und zu etwas Neuem wird, ist der Alltag in der Gießerei Hess an der Lantwattenstraße in Villingen. Hier ist es gelungen, einem alten Handwerk neue Wege zu weisen und mit schöpferischen Ideen ein Unternehmen zu erhalten, das in seiner Geschichte von fast vier Jahrzehnten gar manchen Wechsel und schwere Stunden gesehen hat. Gegründet wurde die Firma 1947 von Willi Hess, einem Former- und Gießennei­ ster, der nach jahrelanger Arbeit in einer Vil­ linger Gießerei den Schritt zur Selbständig­ keit wagte. Damals war alles schwierig, von der Beschaffung der Baumaterialen bis hin zur Fertigung und dem Vertrieb. Mit der Herstellung von einfachen Waffeleisen aus Aluminium fing Willi Hess an. Doch mit der Währungsreform war die Nachfrage wie abgeschnitten. Es galt, den nächsten Schritt zu tun. Im Jahre 1949 wurde ein Kupolofen angeschafft und für eine Trak­ torenfabrik in Gottmadingen floß Grauguß in die Formen verschiedenster Maschinen­ teile. Auch heimische Unternehmen, vor allem Werkzeugmaschinenfabriken und eine Bäckereimaschinenfabrik, gehörten damals zur Kundschaft des jungen Unter­ nehmens. Nach dem Tod von Willi Hess führte seine Frau Anna-Luise den Betrieb bis 1963. Doch schon stand die nächste Generation bereit, das vom Vater begonnene Werk fort­ zuführen. Jürgen Hess begann 1963 seine Ausbildung. Er wurde Former- und Gießer- 57

meister und legte die Prüfung als Industrie­ kaufmann und Gießereitechniker ab. Im Jahr 1969 konnte er dann die Leitung der Gießerei übernehmen. Mit dem neuen Chef hielt auch der Aluminiumguß wieder Einzug in die Firma an der Lantwattenstraße. Die Tech­ nik hatte sich gewandelt. Die Maschinenteile aus schwerem Guß waren durch Schweiß­ konstruktionen ersetzt worden, und neue Branchen, wie die Computertechnik, ver­ langten nach leichten Werkstoffen. Doch nicht nur das kleine Villinger Unternehmen hatte diesen Wandel erkannt und vollzogen. Große Konkurrenten setzten Kapital und Ingenieurwissen ein und machten der klei­ nen Gießerei mit den knappen Kalkulationen der großen Serie das Geschäft schwer. Doch Jürgen Hess verstand nicht nur sein Handwerk. Er hatte auch eine Nase für neue Märkte, die zum einen zu klein waren für große Konkurrenten, andererseits aber inter­ essant genug für einen „flexiblen Zwerg“. Man begann mit Dekorguß. Die Stadt Schwenningen bestellte einen Teller als repräsentatives Geschenk, die Villinger Ofenplatte folgte, und für die Feuerwehr wurde St. Florian in tausendfacher Auflage nebst Plaketten mit anderen Motiven gegos­ sen. Mit dem Dekorguß war der Weg beschrit­ ten worden, der zunächst wegführte vom Grauguß als nutzbarem Werkstoff hin zur künstlerischen Gestaltung dieses Materials in vielen Varianten. Auf der Südwestmesse im Jahre 1975 zeigte die Villinger Gießerei mit Wappen, Wappentellern und Abzeichen. welche Möglichkeiten Technik und Material des Gusses zu bieten haben. Das Echo war ungeheuer. Das Stadtwappen von St. Geor­ gen war nur der stürmische Auftakt einer Serie von Aufträgen. Bundesweit bestellten Gemeinden, Städte und Landkreise bei der Villinger Firma. Der Vertrieb wurde an Agen­ turen vergeben, die in der ganzen Bundes­ republik tätig sind. Jürgen Hess erklärt heute den Erfolg sei­ nes Dekorgusses, zu dem dann auch noch künstlerischer Reliefguß kam, mit dem Stand- 58 ort Villingen inmitten des Schwarzwalds. Hier gab es die Holzschnitzer, die auf eine lange Tradition zurückblicken, genügend künstlerischen Geschmack und handwerkli­ ches Können besaßen, um die Arbeiten der Gießerei Hess in diesem Bereich nahezu konkurrenzlos werden zu lassen. Sie schnitz­ ten die Muster, die dann in Sandformen übertragen wurden und waren so die eigentli­ chen Schöpfer der Wappen und Bilder, die ihrer klaren Linienführung wegen so ge­ schätzt sind. Die alte Stadt der Zähringer mit ihrem Hauch von Nostalgie war es jedoch, die dem Unternehmen den entscheidenden Impuls für einen Weg gab, der bis in die Gegenwart dauert und in die Zukunft hineinreicht. Diese Zukunft ist für den Familienbetrieb gußeisern solide und strahlend hell. Als der Gemeinderat von Villingen-Schwenningen für die Fußgängerzone in der Rietstraße in Villingen eine passende Beleuchtung suchte, schien die Entscheidung für eine moderne Leuchte schon gefallen. Jürgen Hess stellte jedoch als Sohn der Stadt einen eigenen Ent­ wurf vor, und die Bevölkerung war begeistert. Der bekannte Villinger Brunnenstock bil­ dete das Unterteil, und darauf saß ein Leuch­ tenoberteil, das den alten Gaslaternen nachempfunden war. Mit einem Auftrag der Stadt über dreißig solcher Leuchten, begann wiederum ein neues Kapitel der Firmenge­ schichte. Heute bietet die Firma Hess in ihrem umfassenden Katalog fünfzehn ver­ schiedene Modelle nostalgischer Laternen und zwanzig Modelle moderner Leuchten, die aber auch den charakteristischen „Hess­ Look“ aufweisen, jedoch vorwiegend aus Aluminium und Stahl hergestellt werden. Für das Familienunternehmen, das part­ nerschaftlich von Jürgen und Sieglinde Hess geführt wird, begann ein erfolgreicher Weg. Davon profitierte eine Reihe anderer Firmen in der Stadt, die die elektrische Ausrüstung der Lampen liefern und montieren oder in anderer Form die Produkte der Gießerei ergänzen. Denn bei den Lampen blieb es nicht. Jürgen Hess setzte sich das Ziel, alles

plettes Programm für die Verschönerung der alten Stadtzentren, das weit über den Trend zum nur Nostalgischen hinausgeht. Zu den über 600 Kunden für Leuchten gehört auch das ferne Saudi Arabien. Modeme Lichttechnik, von der Verspie­ gelung bis zur Asymetrie wird heute durch Computerprogramme ausgeklügelt. Der Grauguß wurde zu einem beträchtlichen Teil durch Aluminiumguß abgelöst, der leichter und korrosionsbeständiger ist. Mit 32 Mit­ arbeitern und vielen selbständigen Vertre­ tern erreicht das Unternehmen heute einen Umsatz von über acht Millionen. Das alles schaffte das dynamische Unternehmen in Fabrikationsstätten, die längst nicht mehr den gestiegenen Umsätzen entsprachen. Doch Jürgen Hess wäre kein Unternehmer, wenn er dies nicht rechtzeitig erkannt hätte. So entstand im vergangenen Jahr ein neues Fabrikgebäude, das mehr ist als nur eine Erweiterung. Unmittelbar im Anschluß an das alte Betriebsgelände an der Lantwattenstraße konnte in Richtung Schlachthofstraße in einem Neubau eine Betriebsfläche von rund 2000 Qiadratrnetern geschaffen werden. Hier investierte das Unternehmen, das im Vertrauen auf die Zukunft voll auf Expan­ sion gesetzt hat, allein eine Dreiviertelmil­ lion Mark für die Luftreinhaltung, die ver­ bunden ist mit einer Umstellung des Schmelzbetriebes auf elektrische Energie. Damit verlor die Gießerei nicht nur den Bei­ geschmack von Staub und Ruß, sondern zugleich wurden Arbeitsplätze gesichert, denn mit rationellen Fertigungsmethoden dürfte die Firma Hess im harten Konkur­ renzkampf noch besser gerüstet sein. Men­ schengerechte Arbeitsplätze, das ist ein per­ sönliches Anliegen von Jürgen Hess, und so wurden Abluftschächte installiert, die die Schmutzbelastung für die Mitarbeiter auf ein Minimum reduzieren. Bemerkenswert ist auch die Ausstattung der Sozialräume, die neben der Verwaltung im Neubau geschaf­ fen wurden. Hier wurde durch die Chefin des Unternehmens mit viel Geschmack einge-59 Nachbearbeitung eines gegossenen Leuchten­ mastes in der modernen Gußputzerei an einem Putztisch. Im Hintergrund steht die leistungs­ fähige Naßentstaubung. anzubieten, was für die Erneuerung und Möblierung von Stadtkernen gebraucht wird. Heute kann der junge, dynamische Unternehmer wesentliche Etappen dieses Zieles als erfüllt ansehen. Seit 1980 fertigt er in seinem Unternehmen Brunnen, ebenfalls gegossen, die nahezu konkurrenzlos sind. Hinzu kommen Brunnenstöcke, Baum­ scheiben, Ruhebänke bis hin zu gestaltetem Kanalguß, Abdeckungen, Pollern und Papierkörben. Das alles, so Jürgen Hess, muß nicht nur zweckmäßig und damit oft häßlich sein, sondern kann, mit Sorgfalt gestaltet, Funktion und schönes Aussehen verbinden. Daß dies in der Firma Hess gelingt, zeigt die Auszeichnung im Jahr 1985, als das Unter­ nehmen in Frankfurt als bester Aussteller der „Puplic Design“ geehrt wurde. Für Stadt­ planer und Architekten bietet das Villinger Unternehmen längst ein einzigartiges kom-

richtet, und vom Mikrowellenherd bis zum Farbfernseher ist in dieser Kantine alles zu finden, was die Pausen erholsam und ab­ wechslungsreicher macht. Doch auch an das Unternehmen selbst wurde bei diesem Erweiterungsbau gedacht. Es entstand ein gediegen ausgestatteter Kon­ ferenzraum, wo die Kundschaft, angefangen von Gemeinderäten über Bürgermeister bis hin zu Stadtplanern, in angemessenem Rah­ men empfangen und beraten werden. Dabei verstehen es Betriebsinhaber Jürgen Hess und seine Mitarbeiter trefflich, die Produkte, die alle ein Flair der guten alten Zeit besitzen, im wahrsten Sinne des Wortes ins rechte Licht zu rücken. Modeme betriebswirtschaftliche Aspekte führten zu Beginn dieses Jahres zu einer neuen Unternehmenskonzeption. Es ent· stand die neue Firma HESS Form + Ein Unternehmen auf Expansionskurs Gerade 30 Jahre alt geworden, präsentiert sich die Firma Stegmann heute als ein füh­ rendes Unternehmen der Branche. So werden im Produktbereich Antriebs­ technik Kleinmotoren und Getriebe, Pro­ grammschalter, Kontaktgeber und feinme­ chanische Geräte für die vielfältigsten Anwendungsmöglichkeiten gefertigt. Der Produktbereich Elektronik entwik­ kelt und fertigt inkrementale Drehgeber und absolute Winkelcodierer. Heute sind ca. 480 qualifizierte Mitarbeiter in modernen Fabri­ kationsanlagen auf einer Fläche von 9000 qm beschäftigt. Mit dieser Beschäftigtenzahl ist Stegmann der drittgrößte Arbeitgeber von Donaueschingen. Die Produktleistung Am Anfang steht das Entwicklungs-und Konstruktionsteam, das Hand in Hand mit Vertrieb und Kunden die wirtschaftlichste 60 Max Stegmann GmbH, Donaueschingen Licht GmbH mit Sitz in Villingen. Jürgen Hess ist in dieser Firma Hauptgeschäftsfüh­ rer. Seine Frau Sieglinde Hess zeichnet als tätige und aktive Geschäftsführerin für den Bereich Verwaltung und Finanzen verant­ wortlich. Udo Schlude, technischer Kauf­ mann und ebenfalls gebürtiger Villinger, ver­ ließ nach beinahe 20 Jahren einen gesicher­ ten Arbeitsplatz als Verkaufsleiter eines grö­ ßeren heimischen Unternehmens. Er zeich­ net als beteiligter Mitunternehmer und Geschäftsführer für den Bereich Verkauf und Vertrieb. Die neue Unternehmung, die HESS Form+ Licht GmbH, die auch im gewerblichen und technischen Bereich Ausbildungsplätze anbietet, hat mit dieser Konzeption die Weichen für die Zukunft gestellt und setzt weiter auf Erfolg. Klaus Peter Friese Lösung findet und realisiert. Von daher sind enge Kontakte zu den Kunden Grundbedin­ gung für das Produkt-Management und die betreuenden Vertretungen. Die Produktion von Groß-und Kleinse­ rien sowie Einzelstücken stellt für die Ferti­ gung eine ständige Herausforderung dar. Sie muß flexibel und wirtschaftlich sein und höchsten Qyalitäts-und Präzisionsansprü­ chen genügen. Aus diesen Gründen produziert Steg­ mann fast alle für die Endprodukte erforder­ lichen Teile selbst. Werkzeuge, Vorrichtun­ gen und Sondermaschinen werden im eige­ nen Werkzeugbau hergestellt. Ständige Kontrollen, mit Hilfe von hoch­ präzisen Meßeinrichtungen, dienen der Qyalität, die bei Stegmann-Kunden aner­ kannt ist. Sie bilden die Vertrauensbasis für eine gute, langfristige Zusammenarbeit.

Der Produktbereich Antriebstechnik Bei der Antriebstechnik stellt der Klein­ motor die Basis der reichhaltigen Produktpa­ lette dar. Überall, wo etwas bewegt, gesteuert, geregelt oder geschaltet werden muß, sind die exakt laufenden Stegmann-Motoren, in Verbindung mit Stegmann-Getrieben und Stegmann-Programmsteuerungen, wesent­ liche Voraussetzung für das Funktionieren dieser Geräte. Durch anwendungsorientierte Lösungen sind im Laufe der Jahre feinmechanische Baugruppen und Geräte höchster Präzision entstanden, z.B. für die Meß-und Regeltech­ nik, Flugfunktechnik, Druckindustrie oder auch für den medizinischen Apparatebau. Der Produktbereich Elektronik Vor 15 Jahren hat sich Stegmann mit unternehmerischem Weitblick ein „zweites Bein“, den Produktbereich Elektronik ge­ schaffen. Heute gehören die inkrementalen Dreh- geber und absoluten Winkelcodierer zu den führenden in der Welt. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Geräte sind vielfältig und betreffen jegliche Art von Winkelmessungen. So würde z.B. ohne Drehgeber bei einem Roboter nichts greifen. Und nicht nur dort. Längst haben Stegmann­ Drehgeber in anderen Bereichen Einzug gehalten. Bei Fertigungsmaschinen, Indu­ strieanlagen, Kränen, Pressen, Walzwerken, Radar-Antennen, Meßeinrichtungen usw. Die Entwicklung Max Stegmann, Uhrmachermeister und bis dahin Betriebsleiter eines Schwenninger Unternehmens, gründete 1956 diese seine eigene Firma und erfüllte sich damit seinen Lebenswunsch. Unter großem persönlichem Einsatz gewann das Unternehmen rasch an Bedeu­ tung. Die unternehmerische Weitsicht und das Geschick, auf die sich ständig wandeln­ den Marktgegebenheiten rasch zu reagieren 61

bestätigen so die Richtigkeit der von Max Stegmann vorgenommenen Weichenstel­ lung. Der Firmengründer und große „Motor“ verstarb leider im April 1987 im Alter von 75 Jahren. Die großen Verdienste dieser markanten Untermehmerpersönlich­ keit, die neben seiner Firma vor allem im sozialen Bereich lagen, werden unvergessen bleiben und wurden durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes sichtbar gewür­ digt. Max Stegmann wird für seinen Sohn und Nachfolger in der Geschäftsführung Vorbild bleiben. Für Günther Stegmann haben, wie für seinen Vater, Forschung und Entwick­ lung einen gleich hohen Stellenwert und wer­ den auch in Zukunft das Gedeihen des Unter­ nehmens Max Stegmann GmbH prägen. Hansjürgen Bühler/ Michael T. Sommer bzw. neue Entwicklungen vorauszusehen, führten die Firma in wenigen Jahren in einer hart umkämpften Branche in die Spitzen­ gruppe. Ihre Produkte genießen heute in vielen Ländern einen hervorragenden Ruf und Weltweit in Aktion: Motoren und Lüfter von PAPST-MOTOREN, St.Georgen In einer Küche in St. Georgen fing es vor 46 Jahren an, heute ist der Name PAPST in 28 Ländern der Welt mit Vertriebsgesell­ schaften, Distributoren und Vertretungen zu finden. Schon vor Gründung seines eigenen Unternehmens hatte Ingenieur Hermann Papst Geschichte gemacht: Für die Firma Gebrüder Steidinger, St. Georgen, leistete er als Konstrukteur einen wesentlichen Beitrag zu einem „dualen“ Plattenspielerantrieb, der wahlweise über ein Federwerk oder einen Elektromotor arbeitete und im übrigen spä­ ter einer weltbekannten Marke den Namen gab. 1942 gründete der einfallsreiche Erfinder dann die PAPST-MOTOREN GmbH. Grundlage war der Außenläufermotor System Papst, auf den Hermann Papst ein Grundlagenpatent angemeldet hatte. Auf­ grund seines speziellen Konstruktionsprin­ zips und seiner großen Schwungmasse zeich- 62 net sich dieser geräuscharme, langsamlau­ fende Motor vor allem durch eine hohe Drehzahlkonstanz und ein geringes magne­ tisches Streufeld aus – alles Eigenschaften, die bei der magnetischen Tonaufzeichnung und -wiedergabe von größtem Vorteil sind. Bekannte Tongeräte wie z.B. das Optaphon, das Schaub-Draht-Supraphon oder das Tefi­ phon wurden durch PAPST Außenläufer angetrieben. Zwischen 1950 und 1960 war PAPST Alleinlieferant der Firma Grundig für Antriebsmotoren für Tonband- und Dik­ tiergeräte. Insbesondere die Entwicklung des Heimtonbandgerätes von Grundig brachte eine erste stürmische Aufwärtsentwicklung für den ehemaligen Ein-Mann-Betrieb: Bereits 1958 wurde der millionste Außenläu­ fermotor ausgeliefert. Zunehmend fanden diese Motoren auch Einsatz in elektrischen Schreibmaschinen und Geräten der Daten­ verarbeitung. Schon 1955 wurde in Herbolz­ heim/Breisgau mit dem Aufbau eines Zweig-

werkes begonnen, weil in St. Georgen der Arbeitskräftemarkt erschöpft war. In den 60er Jahren gewann der zweite Bereich der PAPST Produktpalette an Bedeutung: Ausgehend von den bewährten Motoren wurden Lüfter und Ventilatoren konstruiert, die vor allem in Geräten der Datenverarbeitung und der Elektronik ein­ gesetzt werden. Heute ist die Lüfterproduk­ tion auf Herbolzheim konzentriert, die Motoren werden in dem 1969 in Betrieb genommenen Werk 3 in Spaichingen/Würt­ temberg sowie in St. Georgen hergestellt. Neben einer mechanischen Teilefertigung und der Leiterplattenfertigung befindet sich in St. Georgen noch die umfangreiche Ent­ wicklungsabteilung mit eigenen einer Musterwerkstatt für die Prototyp-und Neu­ serienfertigung. Außerdem sind sämtliche Abteilungen von Verkauf und Einkauf, wie auch die Hauptverwaltung angesiedelt. Im Jahre 1964 wurden die Söhne des Fir­ mengründers, Georg und Günter Papst, zu Geschäftsführern bestellt, seit dem Tod des Vaters im Jahre 1981 liegt die Unternehmens­ leitung in ihren Händen. Die Präzisionsprodukte aus dem Schwarz­ wald eroberten sich schnell einen internatio­ nal anerkannten Ruf. Mit dem Wachsen der Auslandsmärkte wurden Vertriebstochter­ gesellschaften gegründet: PAPST MOTORS LTD. in Andover, England; PAPST MO­ TOR S. A. in Barcelona, Spanien; MO­ TEURS PAPST S.a.r.l. in Creteil, Frank­ reich und die PAPST MECHATRONIC CORPORATION in Newport/Rhode Is­ land, USA. Heute gehen Motoren und Lüfter aus dem Hause PAPST in alle Welt. Mit 1.500 Mitarbeitern wurde 1986 ein Jahresumsatz von 160 Mio DM erarbeitet, der Exportanteil betrug 62 Prozent, davon entfällt je etwa die Hälfte auf das europäische Ausland und auf USA/Fernost. Das Unternehmen steht der­ zeit in einer harten Auseinandersetzung mit japanischen und fernöstlichen Konkurren­ ten, und auch der Verfall von Dollar und Pfund hat im vergangenen Jahr seine Spuren hinterlassen. Das Produktionsprogramm umfaßt heute neben kompakten Gerätelüftern für Gleich­ und Wechselspannung, die in eng abgestuf- 63

Montal{e von Antriebsmotoren für Hartplatten-Datenspeicher ten Geräusch-, Leistungs-und Spannungs­ schritten geliefert werden, ein breites Spek­ trum der bewährten Außenläufermotoren in Gleitlagerausführung oder mit Hochge­ nauigkeitskugellagern. Ursprünglich über­ wiegend als Direktantriebe für Plattenspieler und Tonband-bzw. Cassettengeräte einge­ setzt, finden diese Motoren heute Verwen­ dung in der Computertechnik, als Antriebe für Drucker, auch in Videogeräten und vie­ len anderen, oft kundenspezifischen Pro­ blemlösungen. Die fortschreitende Integra­ tion von Elektromechanik und Elektronik in den Bereichen der Antriebs-und Lüf­ tungstechnik führte zu PAPST MECHA­ TRONICS, innovativen Antriebs- und Kühllösungen für höchste Anforderungen. Mit seinen kollektorlosen Gleichstrom­ motoren und -lüftern hat PAPST neue Maß­ stäbe gesetzt und eine führende Position im Bereich feinwerktechnischer Antriebe sowie in der Geräte-und Elektronikkühlung und damit in der Informations-und Kommuni­ kationstechnik erworben. 64 Von der Konzeption an begleiten strenge �alitäts- und Funktionsüberprüfungen aller Teile und Baugruppen jedes einzelne Produkt. Langzeituntersuchungen und Serienüberwachungen parallel zu den Prü­ fungen in der Fertigung garantieren die gleichbleibend hohe Produktqualität. Wich­ tige Merkmale werden hundertprozentig geprüft, bei Großserien von automatisierten Prüfplänen mit Meßwerte-Erfassung und Auswertung. Ein breites Spektrum an Fertigungstech­ niken bringt eine große Fertigungstiefe. Die eigene, leistungsstarke Druckgießerei in Her­ bolzheim stellt wichtige Ausgangselemente für Motoren und Lüfter her. Ein umfangrei­ cher Maschinenpark modernster CNC­ Dreh- und Fräsmaschinen sowie SMD­ Bestückungsautomaten stehen zur Ver­ fügung. Computergestützte Konstruktions­ methoden wie CAD/CAM werden in immer weiteren Bereichen eingesetzt. Mit den ständig steigenden Anforderun­ gen des Marktes kommt der jüngst erweiter-

Stellungen der Antriebstechnik wie auch der Geräte-und Elektronikkühlung anbieten zu können -das ist es, was Kunden des Hauses PAPST in aller Welt schätzen. Lucia Bischof Aufbruch zu einem vielversprechenden Abenteuer ten und mit neuer Hardware ausgestatteten Entwicklungsabteilung in St. Georgen eine immer größere Bedeutung zu. Schnell und gezielt technologisch und qualitativ hoch­ wertige Lösungen für die speziellen Problem- Die Sowjetunion wichtigster Partner der Maschinenbaufabrik Heinemann in St. Georgen Ein wenig klingt alles nach einem Wirt­ schaftsmärchen, wie es den Legenden nach vor allem auf jenem Kontinent bisweilen wahr wird, der so häufig als „Land der unbe­ grenzten Möglichkeiten“ bejubelt wird. Doch mit Amerika, wo man -glaubt man den Geschichten – vom Zeitungsjungen zum Millionär aufsteigen kann, hat diese Schwarzwälder Erfolgs-Story gar nichts zu tun. Vielmehr ist die ungewöhnliche, in keine Schablone passende Entwicklung der Maschinenbaufabrik Heinemann in St. Ge­ orgen aufs engste mit jenem Land verknüpft, das weltpolitisch der Antipode der USA ist: Die Sowjetunion ist wichtigstes Partnerland des 200 Mitarbeiter großen Unternehmens geworden, das 1980 nach einem großen Finanzdesaster und bereits eingeleitetem Empfang des stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten am 3. 4. 1987 in St. Georgen. Mitte links: Alexej Antonow, Mitte rechts: Reiner Roland Lang. 65

Konkurs fast hätte die Tore schließen müs­ sen. Fast unglaublich aber wahr: Die Firma, die vor sieben Jahren noch den Abgrund vor Augen sah, schreibt heute Wirtschaftsge­ schichte zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion: Statt eines Konkursverwal­ ters kommen Minister zu Besuch -und das gleich reihenweise. Im April 1987 gab’s den vorläufigen Höhepunkt: Der neue Chef und Inhaber Reiner Roland Lang konnte mit dem stellvertretenden sowjetischen Mini­ sterpräsidenten Alexej Konstantinowitsch Antonow den im Protokoll höchsten Sowjet­ besuch des Jahres 1987 in der Bundesrepu­ blik überhaupt auf dem Boden seiner Firma begrüßen. Und: Das mittelständische Unter­ nehmen aus der Bergstadt ist die erste deutsche Firma, die über ein sogenanntes ,,joint venture“ die erste jener deutsch-sowje­ tische Gemeinschaftsformen gründete, die zuletzt für Schlagzeilen der Wirtschafts­ presse sorgten und hochfliegende Hoffnun­ gen auf neue Formen der beiderseitigen Zusammenarbeit keimen läßt. Daß am 3. April 1987 ein Pulk von Hub­ schraubern in St. Georgen einschwebte, am Boden begleitet von einer Sicherheits­ Armada aus Polizeikräften, war beileibe kein Zufall. Hinter dem unorthodoxen Ge­ schäftsgebaren von Heinemann-Chef Lang, steckte nämlich seit langem Methode: Als der Moskauer stellv. Ministerpräsident, im Ge­ folge mehrere Minister, den Bonner UdSSR­ Botschafter sowie den baden-württembergi­ schen Wirtschaftsminister Herzog, leichtfüßig dem Helikopter entstieg, um „Gospodin“ Lang zu begrüßen, da sah sich der Heine­ mann-lnhaber am vorläufigen Ziel einer geschäftspolitischen Strategie, die er über Jahre hinweg konsequent verfolgt hatte. Er hatte nämlich, nachdem er als „Feuerwehr­ mann“ in das finanziell angeschlagene Unternehmen gekommen war, unbeirrt auf die „russische Karte“ gesetzt und damit den 200-Mann-Betrieb wieder aus der wirtschaft­ lichen Talsohle herausgeführt. Zwei Umstände kamen dem unkonven- 66 tionell agierenden Reiner Roland Lang zustatten, nachdem er unter hohen persönli­ chen Risiken sich in das Unternehmen einge­ kauft hatte und neuer Chef geworden war. Das Rußland-Geschäft blieb unberührt vom über Jahre hinweg einsetzenden Dollarver­ fall, der zahlreiche Maschinenbauer hart traf. Während anderswo der Dollar in die Verlust­ zonen fiel, rollte bei Heinemann der Rubel. Zudem kam in der Sowjetunion nach den beiden kränkelnden Führern Andropow und Tschernenko mit Michail Gorbatschow ein Mann an die Macht, der die überfällige Reform der sowjetischen Wirtschaft endlich anpackte: Gute Perspektiven für westliche Firmen, deren Technologie in der UdSSR zu diesem Zwecke unerläßlich sind. Ein erster wichtiger Auftrag, der das damals noch schlingernde Unternehmen Heinemann wieder ein Stück weit stabili­ sierte, kam bereits 1981 aus der Sowjetunion. Für acht Millionen Mark, wurden vier Dreh­ zentren zum Bau der damals zwischen Europa und den USA unter ihrem neuen Präsidenten Reagan so heftig umstrittenen Erdgas-Pipeline aus Sibirien geliefert. Zwei Jahre später ein richtiger Knüller, der bereits in deutschen Wirtschaftspublikationen Nie­ derschlag fand: 70-Millionen-Auftrag, über flexible Fertigungslinien für Pumpstationen an der selben Erdgas-Pipeline. Damals freilich hatte der vielfach Aktio­ nismus versprühende Firmen-Chef Lang bereits klare Vorstellungen von der Zukunft der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit. Seine Erkenntnis: Ein mittelständisches Unternehmen ist bei den riesigen Dimensio­ nen des sowjetischen Marktes hoffnungslos überfordert und kann auf Dauer mit den Schwierigkeiten im Ostgeschäft, etwa den Kompensations-Notwendigkeiten des devi­ sen-knappen Riesenreiches nicht fertig wer­ den. Langs Folgerung: Entweder Anschluß an einen Konzern oder Zusammenschluß mehrerer Mittelunternehmen, die sich im Ostgeschäft ergänzen. Ein Versuch dazu war im Jahre 1983 der Gemeinschaftsstand von mehreren Unternehmen aus dem Schwarz-

wald-Baar-Kreis bei einer vielbeachteten Industrie-Messe in Moskau. Seit unter der Stabführung von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion viele Tabus gefallen sind und eigens die Gesetze geändert wurden, um mit dem kapitalistischen „Erz­ feind“ gemeinsame Sache machen zu kön­ nen, setzt die Firma Heinemann und ihr Chef Lang voll auf die neuen Kooperations­ möglichkeiten. Zu einem großen Maschi­ nenbauwerk in Moskau (Ordwhonokidze), bestehen seit langem enge Kontakte, die über ein Tochterunternehmen (Homatech) abge­ wickelt und weiter verstärkt werden sollen. Der Plan: Die Sowjets bauen Grundmaschi­ nen, die von Heinemann und anderen deut­ schen,Zulieferern komplettiert werden. Die- Präzise Beschlagtechnik aus dem Schwarzwald Wer sich mit der Industrialisierung des Schwarzwaldes im 19.Jahrhundert beschäf­ tigt, stößt auf den Namen Franz Xaver Heine. Diesem Mann verdankt der Schwarz- ses Gemeinschaftsprodukt so!I dann nicht allein in den russischen Markt gehen, son­ dern zu einem Drittel auch auf westlichen Märkten verkauft werden. Der Ermunterung solcher Mode!Ie diente jetzt auch der Besuch des sowjetischen stell­ vertretenden Ministerpräsidenten in St. Georgen. In Meinungskolumnen der „Frank­ furter Allgemeinen Zeitung“ oder auf der Titelseite der sowjetischen Parteizeitung „Prawda“ ist Heinemann eine vielbeachtete Avant-Garde-Firma, die ein Abenteuer aus­ probiert, das hochfliegende Erwartungen zu wecken imstande ist. Und dies alles -wie gesagt -sieben Jahre nach dem Beinahe­ Ende des Maschinenbau-Unternehmens. Erich Möck wald die Einführung der gefrästen Volltriebe für Uhren, die Heine im Jahre 1852 herstellte und damit die bisherige Monopolstellung der Schweiz brach. ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH, Vöhrenbach Das Unternehmen am Ortsrand von Vöhrenbach, eingebettet zwischen Landstraße und Breg 67

Das Unternehmen etwa um die Jahrhundertwende am heutigen Standort an der Landstraße Donau­ eschingen – Furtwangen Franz Xaver Heine wurde am 14. Novem­ ber 1814 in Vöhrenbach geboren. Als Franz Xaver Heine fast 18 Jahre alt war, wanderte er mit seinem um 1 Jahr älteren Bruder Josef nach Rußland aus. Er kam nach St. Peters­ burg, dem heutigen Leningrad, und erlernte bei einem dort ansässigen Schwarzwälder namens Ketterer das Taschenuhrmacher­ Handwerk. Der erste zeitliche Hinweis über seine Rückkehr nach Vöhrenbach stammt vom 16. April 1842. Franz Xaver Heine sah es als eine große Aufgabe an, die Uhrmacher des Schwarzwal­ des mit Rat und Tat zu unterstützen und sei­ nen reichen Erfahrungsschatz weiterzuge­ ben. Die beste Möglichkeit hierzu bot ihm der im Jahre 184 7 gegründete“ Uhrmacherge­ werbeverein“. Hier konnte er viele Vorschlä­ ge für eine bessere und rationellere Uhrenfer­ tigung unterbreiten. Eine große Aufgabe sah er in der Einbür­ gerung der Stock- und Taschenuhrmacherei im Schwarzwald. Ferner sah er in der Arbeits- 68 teilung, Spezialisierung und Rationalisie­ rung die geeignetsten Mittel, den sinkenden Wohlstand seines Gewerbes zu heben. Ein großes Ziel war ihm die Einführung von zweckmäßigen Werkzeugen, besonde­ ren Maschinen und Vorrichtungen, wie er sie in England, Frankreich und in der Schweiz kennengelernt hatte. Ein anderes erstrebens­ wertes Ziel war die bessere Ausbildung der Uhrmacher selbst. Tatkräftig setzte er sich für die Gründung einer Uhrmacherschule ein und nutzte dafür besonders seine Funktion als Verwaltungs­ ratsmitglied des Gewerbevereines. Recht bald wurde die badische Regierung auf ihn aufmerksam. Sie schickte ihn zusam­ men mit Lorenz Bob im Jahre 1849 mit einer von Prof. Eisenlohr geführten Studienkom­ mission nach Frankreich und in die Schweiz, um die Verhältnisse der dortigen Uhrenindu­ strie zu erkunden und mit der hiesigen zu vergleichen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten für die Einrichtung der geplanten Uhr­ macherschule nutzbringend verwertet werden.

Das Unternehmen ca. 1930. Rechts sind gu.t die damaligen Hauptprodukte Triebe und Schrauben zu erkennen. Eine von ihm verfaßte Schrift für die Uhrenmacher und Uhrenhändler des Schwarzwaldes (erschienen im Jahre 1849) enthält auf 115 Seiten Berechnungs-und Bearbeitungsregeln für die feine Großuhr­ macherei (Stockuhren und Regulatoren) und für die Taschenuhrmacherei. Man findet Rezepte und Arbeitsverfahren sowie ein Preisverzeichnis über Werkzeuge und Four­ nituren. Noch heute erkennt man beim Lesen des Buches, daß der Verfasser über her­ vorragende praktische und theoretische Kenntnisse verfügte, wie sie nur wenige Uhr­ macher des Schwarzwaldes jener Zeit hatten. Im Jahre 1852 gründete er in seinem Haus in Vöhrenbach einen Gewerbebetrieb und erzeugte gefräste Volltriebe für die Uhren­ industrie. Ein beachtlicher Teil der für den Betrieb erforderlichen Maschinen und Vor- richtungen wurde nach seinen Entwürfen und Konstruktionen von ihm selbst gebaut. 1858 hatte man die Uhrmacherschule in Furtwangen gegründet, und durch ihre Bestrebungen gewann die Herstellung von Massiv-Uhren immer mehr an Bedeutung. Bei dieser Produktion fanden die gefrästen Volltriebe statt der bisher üblichen Hohl­ und Laternentriebe in zunehmendem Maße Verwendung. Das kleine Unternehmen des Franz Xaver Heine entwickelte sich aufwärts. Neben den eigenen Kindern beschäftigte er in der ersten Zeit 6 bis 10 Personen. 20 Jahre später bot das Haus in Vöhren­ bach nicht mehr genug Platz für den Betrieb. Heine übersiedelte 1873 nach Schönenbach, unweit von Vöhrenbach. Hier im alten „Gasthaus zum Löwen“ richtete er seinen 69

Betrieb ein. Beides, Betrieb und Gasthaus, wurde von ihm selbst geführt. Heine produ­ zierte im Laufe der Zeit nicht nur Triebe für Regulatoren, Stockuhren und Turmuhren, sondern belieferte auch andere Industrie­ zweige mit Schrauben und Fassondrehteilen aller Art. Die Zahl der Arbeiter stieg ständig an und erreichte 1883 etwa 30 und wurde spä­ ter sogar auf 50 Arbeiter erhöht. Franz Xaver Heine starb am 23. April 1886 in Schönenbach. Sein Sohn Josef Cornelius führte den elterlichen Betrieb weiter. Er plante nach dem Tode des Vaters eine Ver­ größerung des Betriebes. Nach langen Über­ legungen erwarb er 1888 ein Grundstück, die Organistenwiese, in Vöhrenbach und er­ stellte hier die neue große Fabrik mit Wasser­ kraft. Im Oktober 1888 konnte der Betrieb mit etwa 90 Arbeitern seine Tätigkeit auf­ nehmen. Im Jahre 1907 traten die Söhne Josef Robert und Karl August das Erbe an und führten den Betrieb im Sinne des Grün­ ders weiter. In der Zeit nach 1918 machte auch Heines Betrieb die unsteten Auf-und Abwärtsbewe­ gungen mit, wie sie die Inflation, die Ruhrbe­ setzung, die zeitweilige Erholungsperiode und die darauffolgende große Krise mit sich brachten. Während des Zweiten Weltkrieges er­ reichte die Arbeiterzahl einen Höchststand von 550 Mitarbeitern. Nach dem Zusam­ menbruch und der darauffolgenden De­ montage mußte der Betrieb mit 15 Mann neu beginnen. Durch die Synthese von Tradition und Fortschritt ist es dem Unternehmen gelun­ gen, zu seiner heutigen Bedeutung zu gelan­ gen. Seit 1953 stellt die Firma unter dem Namen „ANUBA-Bänder“ Spezial-Ein­ hohrbänder her. Auf der Grundlage eigener Patente und Schutzrechte hat sich nach dem 2. Weltkrieg das Familien-Unternehmen immer mehr zu einer hochspezialisierten Beschläge-Fabrik gewandelt. Mit ca. 100 Mitarbeitern wird heute ein weltbekanntes Eigenprogramm unter dem 70 ,� lt= ft=- II= � ::!)= fa= :11== :� 1{ �t tj- I� � , 1 – t I tt=��� II= ‚. � 1 ::_ 1 JI I =11 ,: t Programm-Übersicht Nr. 19.1 Ausschnitt aus der heutigen Produktpalette des Unternehmens: ANUBA-Einbohrbänder Namen ANUBA-Beschläge gefertigt. Es handelt sich dabei um Einbohrbänder. Diese sind als rationell zu montierende Bänder und Scharniere universell an Möbeln, Fenstern, Türen und Toren verwendbar. Neben einem umfangreichen Drehauto­ matenpark konventioneller und computer­ gesteuerter Maschinen verfügt das Unterneh­ men heute auch über mehrere mehrstufige Kaltfließpressen mit einem eigenen Werk­ zeug-und Vorrichtungsbau. In dieser lücken­ losen Korn bination der zerspanenden und der umformenden Fertigung liegt heute eine der Stärken des Unternehmens. Die hochmoderne Fertigungstechnik wird im Bereich der Montage um vollauto­ matische computergesteuerte Montagestra­ ßen zum Verschweißen der Bänder ergänzt. Die Leitung des Familien-Unternehmens liegt heute in den Händen der geschäftsfüh­ renden Gesellschafter Lothar Wiebelt, Joa-

chirn M. C. Rombach und Willy A. Rom­ bach. In einer weiteren Funktion des Unterneh­ mens wird das Fachwissen im Bereich Metall­ bearbeitung, ganz in der Tradition der Fir­ mengründer, in eigenen Ausbildungszentren in Vöhrenbach und an mehreren anderen Standorten in Baden-Württemberg in Form von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – vorwiegend für Arbeitslose – angeboten (vgl. Almanach 86, Seiten 29-30). Alle Ausbildungszentren verfügen neben einer umfangreichen maschinellen Aus­ rüstung an konventionellen Werkzeugma­ schinen auch über modernste computer­ gesteuerte CNC-Maschinen. Damit leistet das Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung des technischen Umbruchs, der heute auch in der Metallindustrie anzutreffen ist. Hans-]. Scharping Gasversorgung für die Südhaar Das Netz der Ferngasleitungen ist im süd­ lichen Bereich des Schwarzwald-Baar-Kreises engmaschiger geworden. Auch Klein- und Mittelstädte wie Hüfingen, Bräunlingen und Blumberg erhielten im Verlauf des Jahres 1987 ihren eigenen Erdgasanschluß. Das Projekt zur Erdgasversorgung der Südbaar ist riach dem Ausbau der 18 Kilome­ ter langen Hochdruckleitung ab Donau- eschingen 1988 in einer entscheidenden Phase. Jetzt geht es um die Akzeptanz der Energie mit Zukunft beim Verbraucher. Bei Redaktionsschluß für den Almanach 1988 war absehbar, daß noch im späten Früh­ jahr 1987 in Bräunlingen der erste Industrie­ betrieb auf Erdgas umstellt. Im benachbarten Blumberg wollte die Kommune mit der Umrüstung auf Gasversorgung im Schulzen- Nach Blumberg führt die 18 Kilometer lange Gashochdruckleitung der Energieversorgung Südbaar GmbH. Hier Arbeiten in Höhe des Hüfinger Wasserturms Ende 1986. 71

trum zum Ablauf der Sommerferien mit gutem Beispiel vorangehen. Das Thema Gasversorgung im südlichen Kreisgebiet hat lange vor dem Bau der Lei­ tungen schon viele Schlagzeilen gemacht. Eine gemeinsame Lösung für die drei Städte Blumberg, Bräunlingen und Hüfingen kam nicht zustande. Die Stadt Blumberg und das Kraftwerk Laufenburg (KWL) bilden nun zu gleichen Teilen eine Gesellschaft, die auch Hüfingen mit Gas versorgt. Bräunlingen wurde Mitglied im Zweckverband Gasfern­ versorgung Baar, den die Stadt Villingen­ Schwenningen, ihre Stadtwerke sowie die Städte Bad Dürrheim und Donaueschingen tragen. Der „Gas-Poker“ setzte ein, als sich das KWL zunächst bemühte, durch eine Auf­ lösung des Zweckverbands Gasfernversor­ gung Baar sich die Chance zur Erdgasversor­ gung in Titisee-Neustadt zu erkämpfen. Die­ ses Vorhaben scheiterte letztlich durch Ge­ meinderatsbeschlüsse. Gegen die Absicht der Laufenburger sprachen außerdem auch alte Gebietsabsprachen der Gasversorgung Süd­ deutschland GmbH (GVS) mit der Freibur­ ger Energie- und Wasserversorgungs-AG (FEW). Zum „Reiz-Gas“ wurde das Thema 1985 während der Verhandlungen über die Gas­ versorgung in den drei Städten. Es schaltete sich auch die Innung für Sanitär-und Hei­ zungstechnik Schwarzwald-Baar ein, die einer rechtsverbindlichen Erklärung von KWL, man denke gar nicht daran, bei der Hausinstallation mit dem Handwerk in Kon­ kurrenz zu treten, weiterhin mißtraute. Für die kommunale Lösung bot der Zweckverband den Städten Hüfingen, Blumberg und Bräunlingen die Mitglied­ schaft für 805 000 Mark an. Das Kraftwerk Laufenburg zeigte weiterhin Interesse am Gasgeschäft und blieb letzlich Partner für die Städte Blumberg und Hüfingen. Die Gesell­ schafter Stadt Blumberg und KWL bauten mit Landeszuschüssen eine insgesamt 7,5 Millionen Mark teure Hochdruckleitung mit dem vom Stromlieferanten KWL einge- 72 fiel brachten Kapital. Die Blumberger Mitgift war das Stromnetz. Hüfingen wird von der Gesellschaft, ohne selbst Mitglied zu sein, über einen bis ins Jahr 2006 reichenden Ver­ trag mit Gas beliefert. Das Thema Strom war in der Zähringer­ stadt Bräunlingen tabu. Nicht zuletzt deswe­ gen kaufte sich die Stadt beim bestehenden Zweckverband Gasfernversorgung Baar ein und verzichtete auf die Partnerschaft mit dem privatwirtschaftlichen Unternehmen KWL. Nach Bräunlingen führt von Donau­ eschingen aus eine Niederdruckleitung. Hüfingen, Blumberg und Bräunlingen gin­ gen zwar getrennte Wege, sie führten jedoch im gleichen Jahr zum Anschluß an das Fern­ gasnetz. Der Startschuß für das Erdgaszeitalter in Baden-Württemberg 1968, als hier begonnen wurde, einzelne Landesteile syste­ matisch mit Erdgas zu versorgen. Die Gas­ versorgung Süddeutschland GmbH wurde Träger dieser Entwicklung. Der Vorsitzende der GVS-Geschäftsführung, Wirtschaftsmi­ nister a. D. Dr. Hans-Otto Schwarz, sieht in dem ersten Ringschluß des Leitungsnetzes vom Rheintal über den Schwarzwald, den oberen Neckar, die Alb und zurück in den Raum des Mittleren Neckars einen wichtigen Markstein für eine optimale Versorgung. Den Weg für die regionalen Versorgungs­ einrichtungen im südlichen Schwarzwald­ Baar-Kreis ebneten die dortigen Gemeinde­ räte. Ein Ringschluß vom Rheintal über Titi­ see-Neustadt zum Netz des Zweckverbands und der GVS scheint für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Der deutsche Südwesten mit seiner hochentwickelten Wirtschaft hat mit dem weiteren Ausbau des Ferngasnetzes einen Beitrag zur ausreichenden, preiswerten, umweltfreundlichen und sicheren Gesamt­ energieversorgung auch im Grenzland zur Schweiz erhalten. Verena Wider

Persönlichkeiten der Heimat Karl und Ekkehard Günther Vater und Sohn gründen Förderverein für krebskranke Kinder Es war keine übliche Feier an diesem 16.Oktober 1986 im großen Sitzungssaal des Donaueschinger Rathauses; keine routine­ mäßige Bundesverdienstkreuz-Verleihung an einen Mitbürger, der sich irgendwo ver­ dient gemacht oder vielleicht auch nur Selbstverständliches überdurchschnittlich oft getan hatte. Denn Landrat Dr. Rainer Gutknecht hatte gleich zwei dieser von Bun­ despräsident Richard von Weizsäcker verlie­ henen Auszeichnungen dabei -und er über­ reichte sie ungewöhnlicherweise an Vater und Sohn. Als Würdigung für ein nicht min­ der ungewöhnliches Werk, das Karl und Ekkehard Günther in nunmehr siebenjähri­ gem Wirken gemeinsam aufgebaut haben: den 1980 gegründeten Förderverein für krebskranke Kinder e. V. Freiburg. Lähme anderswo der sogenannte „Generationen­ konflikt“ einträchtiges Handeln, so hätten hier, so lobte der Landrat, Vater und Sohn Hand in Hand gewirkt, um Leid zu mindern und um jungen Mitmenschen die Überle­ benschance zu verbessern. Karl Günther, damals noch Direktor des Amtsgerichts Donaueschingen, hatte 1978 schon an seinen baldigen geruhsamen Ruhe­ stand gedacht, als seine Familie die Hiobs­ botschaft erreichte: sein dreijähriger Enkel Matthias war plötzlich an Leukämie erkrankt. Doch der Bub vermochte diesen Blutkrebs zu überwinden, gehörte zu jenen 70 Prozent der Kinder, die heute der Leukä­ mie nicht mehr erliegen, und zur Freude sei­ ner glücklichen Eltern und Großeltern auch zu jenen 60 Prozent, die auch nicht von einem Rückfall eingeholt werden. Doch die Günthers hakten den „Fall“ damit nicht ab -weder der Großvater noch der damals beim Arbeitsamt Villingen- Karl Günther Schwenningen tätige und heute bei dessen Donaueschinger Dienststelle wirkende Vater des kleinen Matthias, Ekkehard Günther. Denn sie hatten in der bangen Zeit, da das Kind auf der Tumorstation der Universitäts­ klinik Freiburg lag, zunächst verwundert und dann regelrecht verärgert erkannt, daß die krebskranken Mädchen und Buben alles andere als optimal untergebracht waren. Keine Kritik an der medizinischen Versor­ gung -aber der entschiedene Protest gegen die unzureichenden Bedingungen auf dieser ,,Station Pfaundler“, der sich in den folgen­ den Jahren zum Feldzug auswuchs. Aus dem 73

Denn die Kleinen sind nicht auf die gleiche Weise krank wie die Großen – sie erleiden viel mehr: den Entzug ihrer häusli­ chen Umgebung, den Trennungsschmerz von den Eltern und Geschwistern, für Monate den Abschied von den vertrauten Schul- und Spielkameraden. Und sie durch­ leiden möglicherweise mehr Angst und Ein­ samkeit, als ihre Angehörigen für möglich halten, brauchen viel mehr Zuwendung als zuvor und gerade in dieser Zeit können ihre Eltern und Geschwister nicht oder nicht oft bei ihnen sein: ,,Jedes in der Klinik verlassene Kind stirbt“, formuliert Karl Günther seine nun bald zehnjährige Erfahrung auf der Kin­ derkrebsstation. Doch das kann und muß man – so dach­ ten der Amtsgerichtsdirektor, sein Sohn und rasch auch ein Kreis von Helfern – ändern. Notfalls auch gegen den Widerstand einer Klinikverwaltungs- und Ministerialbürokra­ tie, die derlei Eingriffe von „unbefugten Amateuren“ in den festgefügten amtlichen Ablauf auch eines großen Krankenhauses nicht gerne sah und keineswegs immer mit den ihr möglichen Mitteln unterstützt, son­ dern – so der Professor und der Verwaltungs­ direktor – Karl Günthers Eindruck zufolge „allenfalls geduldet“ haben. Nur langsam setzte sich in den Etablierten der Eindruck durch, daß der Förderverein „etwas Rechtes“ mache … In ihrem Kampf um die Verbesserung der Klinik-Bedingungen für krebskranke Kinder verbuchten die Günthers und ihr Helfer­ Kreis dennoch rasch eine Reihe von Erfol­ gen; der Spendenstrom schwoll an – darun­ ter auch aus Bußgeldern nach Gerichtsurtei­ len – und erlaubte nach und nach die Unter­ stützung der Familien mit einem kranken Kind im plötzlichen Notfall. Eingerichtet hat der Förderverein eine Geschwistertages­ und Begegnungsstätte auf dem Klinikge­ lände, für die Erzbischof Saier die frühere Kapelle zur Verfügung stellte. Spiel- und Bastelmaterial beschafft der Verein laufend auch für die Leukämie- und Tumorstation. · Geschaffen wurde die Planstelle einer Sozial- Ekkehard Günther der Generalimpuls wurde, auch nach Mat­ thias‘ Rekonvaleszenz seinen Alterskamera-­ den zu helfen, die nicht so schnell gesund oder als Neuerkrankte in die Universitätskin­ derklinik eingeliefert werden. Aus der Erkenntnis, hier etwas tun und helfen zu müssen, entstand dann nach zwei­ jähriger Vorarbeit dieser Förderverein. ,,Es ist gut, armen und kranken Menschen in aller Welt zu helfen – es ist aber nicht gut, wenn wir vergessen, daß der Staat und die Institu­ tionen für unsere todkranken Kinder, die von der Krebskrankheit überfallen wurden, nicht genügend Gelder zur Verfügung haben, um den Tod aus unseren jungen Familien zu verbannen. Und man muß des­ halb gar nicht so weit gehen, um den ,Näch­ sten‘ zu finden, der dringend unserer Hilfe bedarf‘ – so informiert dieser gleichermaßen behutsam wie nachdrücklich heute alle jene, die sich für seine Arbeit interessieren und die nicht irgendwo in der Feme, sondern in der Nähe helfen wollen. Mehr als 400 Mitglieder zählt der Verein heute, darunter auch zahl­ reiche Eltern, deren Kinder nicht ebenfalls Patienten waren. 74

pädagogin für die Tagesstätte sowie eine Praktikantenstelle – zwei Kräfte, deren Ein­ satz sich als sehr nützlich erwiesen hat. Der Förderverein mietete in Kliniknähe zwei Wohnungen mit insgesamt zwölf Über­ nachtungsmöglichkeiten an, die vor allem Eltern auswärtiger Patienten zur Verfügung stehen; sie enthalten auch Aufenthaltsräume und Besprechungszimmer für Mütter und Väter neuerkrankter Kinder. In diesen Woh­ nungen wirkt eine ebenfalls vom Verein finanzierte Familienpflegerin. In der Krebs­ station selbst ließ der Förderverein eine Video­ Anlage installieren und dazu eine eigenstän­ dige Telefonanlage mit zehn Anschlüssen, um jedem erkrankten Kind den unmittelba­ ren Telefonkontakt mit Eltern und Freun­ den zu ermöglichen. Zusammen mit der Fachhochschule Furtwangen entstand eine komplette Datenverarbeitungsanlage, die der optimalen Patientendokumentation und Therapieüberwachung der Kinder dient, da­ mit über Ursachen und Entstehung sowie Verlauf bösartiger Erkrankungen noch bes­ sere Erkenntnisse gewonnen werden kön­ nen. Mittlerweile vom Land übernommen wurden zunächst vom Verein finanzierte Planstellen für eine Diplom-Psychologin, für eine Sozial- und Heilpädagogin, für eine Er­ zieherin und für eine Lehrerin, die versuchen soll, den behandlungsbedingten schulischen Rückstand der Kinder noch während der Therapie nach Möglichkeit aufzuarbeiten. Zeitweise finanziert hat der Förderverein auch zusätzliche Arztstellen und Zuschüsse für die in der Kinderklinik wirkenden Mit­ arbeiter für Tagungen und Fortbildungsstu­ dien. Auf der Katharinenhöhe bei Schön­ wald schließlich half Karl Günthers Verein beim Aufbau auch der Nachsorge mit Erho­ lungskuren für Familie und Kind. Amtsgerichtsdirektor i. R. Karl Günther, den die Mitglieder inzwischen zum Ehren­ vorsitzenden ernannt haben, leistet ungeach­ tet dieser ansonsten Pensionierung und Pas­ sivität verheißenden Ehrung seine Arbeit an der Spitze des Fördervereins fast als „Full-time- Job“. Eine lange Reihe von Ordnern doku­ mentiert einen umfangreichen Schriftwech­ sel pch komme mir vor wie ein Manager“) und zeugt davon, daß das gute Werk noch lange nicht zu Ende ist. Nicht sein Kampf mit der Bürokratie, nicht das Ringen mit der Deutschen Krebshilfe, die dem südbadi­ schen Förderverein zu Mildred Scheels Zei­ ten jede Unterstützung verweigerte und erst in jüngster Zeit sich an Personalkosten betei­ ligt. Denn der selbsterlebte Sturz der Familie aus der Geborgenheit vermeintlicher Ge­ sundheit, der für ein Kind und seine Eltern die Diagnose Krebs bedeutet, in eine Welt voller Angst und Schrecken, in die Schmer­ zen einer aggressiven Therapie und die abgrundtiefe Furcht vor dem Tod läßt Karl Günther und seinen Sohn Ekkehard weiter an der Vereinsspitze wirken. „Keine Arbeit zur Rettung von Not und Tod geht ohne Geld“, schreiben sie heute allen, die am Mithelfen in ihrem Förder­ verein interessiert sind, ,, wir sind dankbar für jede Hilfe in jeder Höhe.“ Denn Mittel in zumindest sechsstelliger Höhe werden erfor­ derlich sein, wenn das Traumziel eines Neu­ baues in Freiburg erreicht werden soll, weil Vater und Sohn Günther nach wie vor bekla­ gen, daß es dort für die krebskranken Kinder keine „Zimmer“, sondern nur „Zellen“ gebe und daß die kleiner sind nicht nur als die der erwachsenen Patienten, sondern kleiner auch als die Zellen von Strafgefangenen. Allein mit diesem Vergleich hat Günther 1986 in einem Südwestfunk-Interview viele aufhor­ chen lassen, denen der Mißstand in der Uni­ versitätsklinik bis dato nicht bekannt oder nicht bewußt gewesen war. ,,Ein Land wie das unsere darf seine krebs­ kranken Kinder nicht deshalb sterben lassen, nur weil das Geld fehlt“, rüttelte der Jurist, dem schon als Amtsgerichtsdirektor mensch­ liches Leid immer vertraut war, seine Mit­ menschen auf. Eigentlich müßte, so argu­ mentiert er, alles, was sein Förderverein finanziert, vom Landes-Etat übernommen werden: ,,Die Kultur eines Staates läßt sich nicht nur an Museen und Ministerien able- 75

sen, sondern auch an den Krankenzimmern. Wir haben Millionen für die Mikroelektro­ nik und lassen unsere krebskranken Kinder sterben.“ Und wenn der stets deutlich formulie­ rende Fördeivereinsvorsitzende gegen Un­ zumutbares kämpft, scheut er vor entschie­ denen Worten auch gegenüber „großen Tie­ ren“ nicht zurück. Den baden-württembergi­ schen CDU-Ministerpräsidenten Lothar Späth nahm CDU-Mitglied Karl Günther in einem engagierten Brief so in die Pflicht: „Es ist Sache der Politiker, daß unser Volk ein Volk des Lebens und nicht des Sterbens ist. Erst dieser Tage wurde veröffentlicht, daß im Bundesgebiet pro Jahr 300 000 Abtreibun­ gen wegen sozialer Indikation durch die Krankenkassen finanziert werden. Anderer­ seits lehnen Krankenkassen es ab, schwer­ kranken Kindern psychosoziale Nachsorge zu finanzieren. Dies ist in einem christlich­ sozial-regierten Land eine beschämende Feststellung.“ Gerhard Kiefer Dr. med. Hans Kohler Ein Schwenninger Arzt und Politiker setzte Maßstäbe Noch in den zwanziger Jahren nahm Hans Kohler das Medizinstudium auf und eröff­ nete schließlich 1932 im elterlichen Haus in der Schwenninger Hohlöhrenstraße seine Praxis. Als Dr. med. Hans Kohler am 12. August 1962 verstarb, verlor die damalige Große Kreisstadt Schwenningen nicht allein ihren Oberbürgermeister, sondern auch einen weit über ihre Grenzen hinaus bekannten und geachteten Kommunal- und Landespoliti­ ker. Der Schwenninger Arzt Dr. med. Hans Kohl er zählte zu jenen herausragenden Men­ schen, die durch persönlichen Einsatz und ihre Bereitschaft, für eine Stadt und ihre Bewohner Verantwortung zu übernehmen, Maßstäbe setzten. Der Sohn des Schwenninger Oberrech­ nungsrates und Ehrenbürgers Johannes Kohler begann seinen Lebensweg am 21. November 1893 in Schwenningen, dem damals größten Dorf im Königreich Würt­ temberg. Als 14jähriger erlebte Hans Kohler 1907 die Erhebung seines durch die Indu­ strialisierung geprägten Geburtsortes zur Stadt. Den ersten tiefen und formenden Ein­ schnitt seines Lebens hatte der junge Schwenninger 1914 bis 1918 als Soldat im 1. Weltkrieg zu bestehen. In den ersten, krisengeschüttelten Jahren der neuen Republik absolvierte Hans Kohler ein Ingenieurstudium. In diesen Jahren reifte in Kohler der Entschluß. Arzt zu werden. 76 Der junge Mediziner hatte ein distanzier­ tes Verhältnis zu den neuen Machthabern; Kohl er widersetzte sich der Mitgliedschaft in der NSDAP aus innerer Überzeugung. Nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde Dr. Kohler 1939 eingezogen, wurde aber 1940 wieder freigestellt, da Schwennin­ gen dringend Ärzte benötigte. Dr. Kohlers Haltung gegenüber der NSDAP führte schließlich im Februar 1945 zu seiner Verhaf­ tung durch die Geheime Staatspolizei. Er wurde in das Gefängnis der Gestapo in der Schwenninger Polizeiwache eingesperrt. Kurz vor dem Einmarsch der Franzosen ließ man Dr. Kohler wieder frei. Mit Genehmigung der Militärregierung wurden im Juni 1945 sogenannte „Beiräte“ berufen, die im Sinne des Entnazifizierungs­ gesetzes unbelastet waren; sie bekamen jedoch nur beratende Funktion. Diese Bei­ räte waren für den seit 1930 amtierenden Oberbürgermeister Dr. Gönnenwein eine große Unterstützung. Erster Beirat wurde der kurz zuvor aus dem Konzentrationslager

Kreuz aufzeigen. Dr. Kahler hat seine hilf­ reiche Tätigkeit beim DRK über viele Jahre neben seinem Amt als Oberbürgermeister weitergeführt. So war er auch 1. Vorsitzender des DRK-Kreisverbandes Rottweil und Vize­ präsident des DRK-Landesverbandes Baden­ Württemberg. Unter Aufsicht der Besatzungsbehörden fanden am 15. September 1946 in Schwen­ ningen erstmals nach dem Kriege geheime Gemeinderatswahlen statt. Das Interesse der Bevölkerung an den damaligen Wahlver­ sammlungen war außerordentlich groß. Dr. med. Hans Kahler, Mitbegründer der Demo­ kratischen Volkspartei (DVP), wurde als Ver­ treter dieser Partei in den Gemeinderat gewählt, der damals 16 Sitze hatte (CDU 3, DVP 5, KPD 3, SPD 5). Gleichzeitig mit der Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung konsti­ tuierten sich auch die Verfassungsorgane der Länder. Im Jahre 1946 wurde Dr. Kahler als Abgeordneter in die Verfassungsgebende Landesversammlung Südwürttemberg-Ho­ henzollern berufen. In diesem nur kurzlebi­ gen Staatsgebilde stellte Schwenningen neben Dr. Kahler drei weitere Abgeordnete: Herbert Holzhauer (SPD), Wilfried Acker und Ludwig Becker (KPD). Bald darauf war Dr. Kahler auch Mitglied der Verfassungsge­ benden Landesversammlung Baden-Würt­ temberg und Landtagsabgeordneter der FDP/DVP. Bei der am 18. November 1948 erfolgten Neuwahl zum Schwenninger Gemeinderat bestätigte die Bevölkerung Dr. Kahler er­ neut. In Anpassung an die neue württem ber­ gische Gemeindeordnung hatte dieses Gre­ mium jetzt 22 Mitglieder. In diesem Jahr wahlgesetzes nicht wählbar war. Im Dezem­ mußten auch Oberbürgermeisterwahlen abgehalten werden, die aber zu keinem Ergebnis führten, da der aus Villingen stam­ mende Kandidat Dr. Schlenker, der fast 60 % der gültigen Stimmen auf sich vereinte, im Sinne des südwürttem bergischen Gemeinde­ ber 1948 übernahm Eugen Leitermann (SPD) als stellvertretender Oberbürgermei- 77 Buchenwald zurückgekehrte Ludwig Becker (KPD); zweiter Beirat Dr. med. Hans Kahler (später DVP) und dritter Beirat Gottlob Gärt­ ner (SPD). Im Oktober 1945 kamen neun weitere Beiräte zu den Genannten. Beim Aufbau demokratischer Lebens­ und Verwaltungsformen war es zunächst wichtig, der dringendsten Not der Schwen­ ninger Bevölkerung abzuhelfen oder sie wenigstens zu lindern. Unter der tatkräftigen Führung Dr. Kohlers gelang es dem Roten Kreuz, am 1. Juni 1946 in der Schwenninger Austraße ein Spital zu eröffnen. Ferner wurde auflnitiative von Dr. Kohl er 1946 eine Volksküche ins Leben gerufen, die in den 3 Jahren ihres Bestehens im Tagesdurchschnitt etwa 200 Mittagessen verabreichte. Schließ­ lich gelang es Dr. Kahler, daß das Rote Kreuz am 1. April 1946 auf der Reute das Kinder­ heim „Schönblick“ eröffnen konnte. Diese segensreiche Einrichtung kam vor allem Kin­ dern aus dem zerbombten Berlin zugute. Diese Beispiele mögen die enge Verbindung von Dr. Kahler zum Deutschen Roten

ster die Pflichten und Amtsgeschäfte des Stadtvorstandes. Als neuer Wahltermin wurde der 12. Juni 1949 festgelegt, und bei dieser Wahl erhielt der kandidierende Gemeinderat Dr. med. Hans Kohler 65 % der abgegebenen gültigen Stimmen. Damit war Dr. Kohler zum Oberbürgermeister der Stadt Schwenningen gewählt. Die Wahl wurde vom Innenministerium bestätigt und der Gewählte am 23. Juli 1949 durch Innen­ minister Viktor Renner feierlich in das Amt eingeführt. Zu den vordringlichsten Aufgaben des neu gewählten Stadtoberhauptes, der Stadt­ verwaltung und des Gemeinderates zählte die Beseitigung der akuten Wohnungsnot durch die Verstärkung des sozialen Woh­ nungsbaues. Dazu gehörte auch die Wohn­ raumbeschaffung für nahezu in Schwenningen lebende Heimatvertriebene und Flüchtlinge. Unter der tatkräftigen und umsichtigen Führung von Dr. Kohler ent­ wickelte sich in den 50er Jahren eine rege Bautätigkeit. Neben dem Bau von Straßen, Gehwegen und Kanalisationen galt es, eine sprunghaft ansteigende Stadtbevölkerung mit öffentlichen Einrichtungen zu versorgen (Einwohner 1950: 23 870; 1956: 30 000). 1100 Rosa Bächle Ein Leben im Dienst am Nächsten Kaum jemand in1 Landkreis, der sich in den letzten Jahrzehnten im humanitären und sozialen Bereich engagiert hat, wird ihr nicht schon irgendwo begegnet sein. Vielen ist sie weit über diesen Raum hinaus zum Begriff geworden: Rosa Bächle. Sie ist ein Kind des Markgräflerlandes. In Lörrach im Wiesental ist sie geboren und auf­ gewachsen, und sie hat den liebenswerten alemannischen Dialekt, der dort im Dreilän­ dereck heute noch zu Hause ist, nicht ver­ lernt – trotz der schon mehr als 40 Jahre, die sie im Schwarzwald wohnt, und in denen sie hier feste Wurzeln geschlagen hat. 78 Zu den herausragenden Leistungen, die mit dem Namen des verstorbenen Schwen­ ninger Oberbürgermeisters Dr. Hans Kohler verbunden bleiben werden, gehört die durch ihn begründete „Südwestmesse“ (früher: Südwest stellt aus) in Schwenningen. Die erste Regionalmesse eröffnete am 3. Juni 1950 Staatspräsident Dr. Gebhard Müller. Die Messe entwickelte sich – zunächst alle zwei, dann jedes Jahr stattfindend – zu einem weithin im Lande bekannten Anziehungs­ punkt und inzwischen zu einer Institution. seiner persönlichen Lebensleistung erhielt Dr. Hans Kohler am 10. November 1958 das Große Verdienst­ kreuz des Verdienstordens der Bundesrepu­ blik Deutschland, und am 30. November 1961 verlieh die Stadt ihrem nunmehr 68jäh­ rigen Oberbürgermeister die Ehrenbürger­ schaft. In Würdigung Als der Geehrte nach langer schwerer Krankheit am 12. August 1962 verstarb, trauerte Schwenningen um seinen langjähri­ gen verdienten Oberbürgermeister. Siegfried Heinzmann Es entspricht dem Wesen von Rosa Bächle, daß sie sich einen Beruf erwählte, der es erfordert, anderen Zuwendung zu geben. Sie wurde Säuglingsschwester. Für sie war es auch selbstverständlich, daß sie bei Kriegs­ ausbruch im Jahre 1939 in ihrer Heimatstadt in das Rote Kreuz eintrat, sich zur Vollschwe­ ster ausbilden ließ und ins Feldlazarett an die Ostfront ging. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen, und mit ihm zog sie nach den Wirren des Kriegsendes im Jahre 1946 nach Villingen. Manch eine hätte es nun genug sein lassen mit dem Dienst am Nächsten, hätte sich nur

Aufstellen der Lehrpläne in der Bundes­ schule bis zu deren praktischer Erprobung auf Landesebene beigetragen. Weit über 10.000 DRK-Schwesternhelferinnen gibt es inzwischen allein in Südbaden, und nicht wenigen davon hat Rosa Bächle selbst in vie­ len Lehrgängen ihr Wissen und Können ver­ mittelt. Wievielen Menschen dadurch allein in der häuslichen Krankenpflege Hilfe zuteil geworden ist, wird niemand zu überblicken vermögen. Rosa Bächle war lange Zeit auch Pflege­ dienstleiterin im Kreisverband, und als im Jahre 1960 die Bereitschaftsführerin der weiblichen Bereitschaft in Villingen aus Altersgründen ihr Amt aufgab, übernahm es Rosa Bächle. Für alle war das selbstverständ­ lich, denn niemand war hierflir besser geeig­ net als sie, und so wurde sie folgerichtig einige Jahre später auch Kreisbereitschafts­ führerin. Reiche Kenntnisse und Erfahrun­ gen, Sicherheit im Urteil, Zielstrebigkeit, Einsatzbereitschaft und vor allem ihre per­ sönliche Ausstrahlung hat sie in diese Ämter eingebracht, und als Ausbilderin hat sie über Jahrzehnte hinweg vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Kenntnisse in der Ersten Hilfe und weiterflihrend in der Sanitätsaus­ bildung vermittelt. Wenn man Herzen erschließen will, be­ darf es nicht unbedingt der Worte. Herzen fliegen Rosa Bächle auch ohne Worte zu. Die französischen Blutspender und das Rote Kreuz aus der Partnerstadt Pontarlier zeigen das eindrucksvoll. Für sie ist „Rosa“ seit über zwei Jahrzehnten ein Begriff. Inzwischen zieren Rosa Bächle nicht nur die Verdienstmedaille des Landes Baden­ Württemberg und die höchsten Auszeich­ nungen und Ehrungen, die das DRK zu ver­ geben hat, was sie in ihrer persönlichen Bescheidenheit gerne verhindert . hätte. Inzwischen ziert sie auch eine Sieben im Lebensalter. Niemand, der sie wirken sieht – und sie wirkt noch heute unentwegt-, glaubt das so recht. Ihre Ämter im Roten Kreuz und auch den Sitz im Sozialausschuß des Gemeinderates und in der Liga der freien 79 noch dem Mann und den beiden Buben ge­ widmet, die als „ViUinger“ zur Welt kamen. Rosa Bächle konnte das nicht, denn sie sah überall um sich herum Not und Hilfsbedürf­ tigkeit, und so stellte sie sich erneut dem Roten Kreuz zum Wiederaufbau der Organi­ sation zur Verfligung. Selbst helfen und andere in die Lage versetzen, helfen zu kön­ nen, das war und blieb für sie bis heute wesentlicher Lebensinhalt. Wer so denkt und handelt, wird bald über­ all gebraucht und mit Aufgaben überhäuft. Auch Rosa Bächle erging es so. Schon nach kurzer Zeit sprengte ihre Tätigkeit den örtli­ chen Wirkungskreis, den sie trotzdem nie verlassen oder vernachlässigt hat, denn auch das gehört zu ihrem Wesen: Den Menschen, denen sie sich verbunden fühlt, bleibt sie ver­ bunden. Den Aufgaben, die sie einmal über­ nommen hat, bleibt sie treu. Wenn es heute unzählige ausgebildete Schwesternhelferinnen im DRK gibt, so darf sich Rosa Bächle einen erheblichen Anteil daran persönlich zurechnen. Schließlich hat sie Wesentliches zum Aufbau und Ausbau der Schwesternhelferinnen-Schulung vom

Wohlfahrtsverbände hat sie zwar abgegeben, aber Zeit hat sie weniger denn je. Die nimmt sie sich nur für ihr Enkelkind. Im übrigen trifft man sie jeden Nachmittag in der Senio­ ren-Begegnungsstätte des Villinger Roten Kreuzes am Romäusturm – selbstverständ­ lich nicht als Besucherin. Sie leitet vielmehr diese Einrichtung seit deren Gründung vor mehr als einem Dutzend Jahren, und wenn heute regelmäßig über hundert ältere Mit­ bürgerinnen und Mitbürger aus der ganzen Stadt dorthin kommen und eine echte Begegnungsstätte finden, dann ist das das Werk von Rosa Bächle. Ihr guter Geist ist überall zu spüren, nicht zuletzt auch bei den Frauen, die sie für eine Mithilfe in „ihrer“ Begegnungsstätte umworben und gewonnen hat. Am Abend aber, wenn die Gäste gegan­ gen sind, kommen zuweilen neue Besucher: Gruppen von Menschen, die persönliche Probleme haben, die das Bedürfnis haben, sich untereinander auszusprechen, die Rat und Stütze suchen. Beides finden sie bei Rosa Bächle. Ihr warmes Herz schlägt für alle. Helfen und andere in die Lage versetzen, zu helfen, das ist für sie Inhalt auch ihres drit­ ten Lebensabschnitts. Max Müller Horst Groschwitz Erinnerungen an einen Pädagogen und Kommunalpolitiker Zur Zeit, da diese Zeilen geschrieben wer­ den, sind es knapp fünf Jahre her, daß Horst Groschwitz uns durch eine heimtückische Krankheit genommen wurde. Die ihn kann­ ten, haben ihn noch so vor Augen, wie er lebte und arbeitete, und sie erinnern sich bewundernd und dankbar zugleich dessen, was er mit seiner so menschlichen Art und seinem unermüdlichen Fleiß und Engage­ ment bewirkte. Dabei war er wohl einer, der in vorderster Linie der Verantwortlichkeiten stand, weil er Fähigkeit und Mut dazu hatte. Aber er war keiner, der hervortrat, wie einer der Schlagzeilen und sonst von sich reden macht. Der Thüringer, der seiner demokrati­ schen Grundhaltung und seiner politischen Aktivitäten wegen seine Heimat verlassen und Zuflucht in der Bundesrepublik suchen mußte, hatte noch als Flakhelfer und im Reichsarbeitsdienst den Zusammenbruch als Siebzehnjähriger erlebt. In der sowjetisch besetzten Zone, der späteren DDR, nahm er ein Studium an der Pädagogischen Hoch­ schule in Altenburg auf und war dann sieben Jahre als Lehrer tätig. Nach dem Überwechseln in den Westen versuchte er zunächst an verschiedenen Orten Fuß zu fassen und vor allem wieder 80 Anstellung in seinem sehr geliebten Beruf zu finden. Dies gelang erst nach einem weiteren Studienjahr im oberschwäbischen Weingar­ ten, und 1956 wurde ihm dann eine Stelle in Schwenningen angeboten, eine Verwendung

an der Gartenschule, deren Leiter er 1963 wurde. 1959 wurde Groschwitz in die SPD-Frak­ tion des Gemeinderates gewählt, deren Vor­ sitzender er später lange Jahre war. Als Geschäftsführender Rektor in Schwennin­ gen und später auch in der Doppelstadt Vil­ lingen-Schwenningen vertrat er die von der Stadt getragenen Schulen als deren Reprä­ sentant. In den siebziger Jahren wurde Horst Groschwitz in den Kreistag des Schwarz­ wald-Baar-Kreises gewählt. Er war Vorsitzen­ der der Freien Sportvereinigung Schwennin­ gen (FSV), gehörte mehreren Ausschüssen des Gemeinderates an und war als Dozent an der Volkshochschule und in der beruflichen Fortbildung im gewerkschaftlichen Bereich tätig. Im Mittelpunkt seines Wirkens aber stand die Schule, seine Gartenschule in Schwen­ ningen. Und am liebsten stand er in der Klasse bei seinen Kindern, deren Zutrauen und Liebe er stets aufs Neue zu gewinnen verstand. Dies kam besonders zum Aus­ druck, als die Kinder den 50. Geburtstag ihres Lehrers Horst Groschwitz zu einem Fest gestalteten. Im Blick auf diese Lebens­ skizze eines Pädagogen und Kommunalpoli­ tikers könnte man einen geschäftig-ehrgeizi­ gen Menschen vermuten, der sich in Rastlo­ sigkeit verzehrte. Wer ihn wirklich kennen- gelernt hat, erinnert sich erster freundlich­ distanzierter Begegnung, blauer Augen in einem klaren Gesicht mit hoher Stirn, einer Sprache ohne Umschweife und der seltenen Gabe des Zuhörenkönnens. Damit kam er den Menschen nahe und gewann rasch ihr Vertrauen. Er nahm sich Zeit für seine Mit­ menschen, er nahm sie sich nur zu oft selbst weg, und hätte er nicht seine Frau als ruhen­ den Pol und seine sehr geliebten Kinder gehabt, hätte er physisch und psychisch wohl nicht die Kraft aufbringen können, die ihn alles Übernommene leisten ließ. All dies ließ er auch nicht fallen, als ihn die schaurige Gewißheit einer heimtückischen Krankheit zum Tode erreichte. Er machte sich gar keine Illusionen, wenn er auch nicht darüber sprach. Der so anstrengenden Therapie unterzog er sich gewissenhaft und aus der Verantwortung gegenüber den Seinen und aller anderen ihm Anvertrauten. Auch als der Verfall der Kräfte spürbar wurde, tat er wei­ ter, was immer ihm noch möglich war. Wer diese Zeit mit ihm gelebt hat, wer ihn sah, als ihm die Kraft zum Sprechen nicht mehr zu Gebote stand, vergißt seine klaren Augen nicht, die wissenden Augen, mit denen er stumm und ohne Klage eine Brücke noch zu denen schlug, die im Leben verblei­ ben durften. Herbert Gravenstein Maria Hemmerle – die bekannteste Tierschützerin der Baar An die Tür ihrer Dachgeschoßwohnung an der Donaueschinger Eichendorffstraße hat sie den Aufkleber „Tierschutz ist Leben“ angebracht, und unter dem großen Holz­ kreuz in ihrem Wohnzimmer liegt Hoimar von Ditfurths Buch „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen -es ist soweit“. An diesem apokalyptischen Bild des Autors, der seine Anlehnung bei Martin Luther vor allem aus seinem Zukunftspessimismus über das der Erde drohende ökologische Ende bezieht, hat denn auch Maria Hemmerle „keinen Zweifel“. Auch sie kann, obschon sie „mit den Grünen nichts am Hut hat“, die Wende der Menschen und ihrer Politik hin zu einem behutsameren Umgang mit der Natur nicht erkennen, ja sie zweifelt, ob die­ ses Umdenken sich noch ereignet, ehe es ohnehin zu spät ist. Doch die 69jährige Donaueschingerin 81

schutzvereins Donaueschingen, den sie vor mehr als 20 Jahren begründen und viele Jahre führen half, ist sie mittlerweile die bekannteste Tierschützerin der Baar. Maria Hemmerles Name ist auch eng verbunden mit dem Bau des Kreistierheimes im Donaueschinger Haberfeld – einer Einrich­ tung, die nach und nach zum Kreistierheim ausgebaut wurde, auch wenn die Initiatorin mit der Mithilfe von Gemeinderat und Kreistag keineswegs immer zufrieden war. Längst ehe die Ökologie zum öffentli­ chen Thema und ihre Anliegen zum politi­ schen Programm geworden waren, erkannte Maria Hemmerle die Notwendigkeit, die Tiere zu schützen. ,,Früher“, so bilanziert sie, „ging es nur um den Naturschutz, aber heute ist die ganze Schöpfung bedroht“. Viele die­ ser bedrohten Tiere hat sie schon in ihrer Wohnung gepflegt und dort wieder gesund werden lassen: einen Mäusebussard, Wald­ käuze, ein Wiesel, Waldohreulen und sogar einen Graureiher. Keine „Hätschelkinder“, sondern allesamt Tiere, die sie in die Natur zurückentließ, als sie wieder in der Lage waren, für sich selbst zu sorgen und sich ihrer Feinde zu erwehren. Ihr ständiger Gast hin­ gegen ist ein stattlicher Papagei, die Gelb­ stirnamazone „Olga“, die 14 ihrer vielleicht 100 Jahre hinter sich und erstaunlich zu spre­ chen gelernt hat. Sie sagt höflich „Tag“, wenn ein Gast eintritt, und lacht krächzend, wenn Frau Hemmerle einem Besucher erzählt, daß ,,Olga“, wenn sie zornig ist, ,,Feuer“ schreit. Unterhaltung hat Maria Hemmerle so genug; deswegen ist es auch noch keinem Elektrohändler gelungen, ihr ein Fernseh­ gerät zu verkaufen. Der Bogen ihrer Fürsorge für die Tiere ist weit gespannt, auch wenn ihre Gesundheit sie nicht mehr so mobil sein läßt wie früher. Da kümmerte sie sich noch selbst um den Schutzzaun-Bau für die Krötenwanderun­ gen, um die Betreuung im Kreistierheim, um zur Ferienzeit herzlos ausgesetzte Tiere, wenn so manchem der Hund als Weih­ nachtsgeschenk von einst nur noch zur Last geworden ist. Materieller Gewinn ist aus versinkt nicht in tatenloser Zukunftsangst – ihr Herzensanliegen gilt vielmehr einem Teilbereich der geschundenen Kreatur: dem Tierschutz. Und für den hat die pensionierte Bankangestellte, deren Vetter der Aachener Bischof Klaus Hemmerle ist, in ihrem Leben schon so viel getan, daß sie dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wer­ den konnte. Landrat Dr. Gutknecht heftete ihr die von Bundespräsident Walter Scheel verliehene Auszeichnung 1979 im Donau­ eschinger Rathaus an und hob in seiner Lau­ datio die stets zum Kampf um mehr Liebe zu den Tieren entschlossene Frau als eines der Beispiele hervor, wie man mit unermüdli­ chem Einsatz zum persönlichen Vorbild werden kann. Die Tochter des einstigen Stadkämmerers von Staufen, die ihre Hilfsbereitschaft schon als 13jährige bewies, als sie einen ins Eis eines Kanales eingebrochenen Buben unter Lebensgefahr rettete, hatte der Dienst der Luftwaffenhelferin im Zweiten Weltkrieg 1940 nach Donaueschingen verschlagen. Ungeachtet der Verantwortlichen des Tier- 82

ideellem Einsatz nicht zu erwarten -im Gegenteil: ein Teil ihrer Rente fließt monat­ lich in den Tierschutz. „Ein harter Job“, bekennt sie, freilich ohne sich und ihre Ver­ dienste in den Mittelpunkt stellen zu wollen: einfach so, als nüchterne Beschreibung, daß das allgemein nicht unumstrittene Gebot der Tierliebe in der Praxis manchmal buchstäb­ lich mit Füßen getreten wird. Vor allem die Grausamkeit macht ihr Sorgen, jenes billi­ gend in Kauf genommene oder absichtlich praktizierte Verhalten gegen die Tiere, das diese peinigt und bis zum Tod leiden läßt: „Das Tierquälen nimmt nicht ab, im Gegen­ teil“. Landwirten, von denen sie hört, daß sie ihre Tiere halb verhungern lassen, schickt sie unverzüglich den Regierungsveterinärdirek­ tor in den Stall. Nicht nur die großen ökologischen Kata­ strophen und Bedrohungen machen die bei aller tierschützenden Entschlossenheit immer liebenswürdige und bescheidene Bundesverdienstkreuzträgerin tief besorgt – es ist gerade die Tierquälerei im kleinen und verborgenen. Das Tier, das gequält wird, ver­ hungern muß oder nur so zum Spaß zum Krüppel geschossen wird, als Trend und als Symptom dieser Zeit. „Tierschutz ist Leben“, so sagt Maria Hemmerle es per Aufkleber, allen ihren Besuchern, und sie meint das Leben im umfassenden Sinn. Denn nur ein Tierfreund, das ist ihre aus dem Leben und aus ihrem Einsatz gewonnene Überzeugung, hat auch zu seinen Mitmenschen kein gestör­ tes Verhältnis. Gerhard Kiefer Ernst Wilhelm Dumpert, die Erinnerung an ihn bleibt lebendig Es gibt Menschen, die man nicht so schnell vergißt. Zu ihnen gehört Ernst Wil­ helm Dumpert, ehemals technischer Direk­ tor des Blumberger Werkes Teves-Thomp­ son GmbH, der am 16. Mai 1982 im 72. Lebensjahr starb. Die Eingangszeile basiert auf Besonderem im Menschlichen. Hier im Verbund von Menschenführung ohne über­ hebliche Distanzierung, der Tuchfühlung mit dem Arbeitnehmer als so behandelter Mitarbeiter und dem kommunalen sowie sozialen Engagement. Eine lebendige Erin­ nerung deshalb, weil aus Lebens-, Arbeits­ und Einsatzerfahrungen resultierende Er­ kenntnisvermittlungen, viele Bereiche mit­ menschlich umfassend, in einer Zeit selten geworden sind, die den Ellbogen der Ego­ zentrik für den persönlichen Erfolg, trotz aller gegenteiligen Schutzbehauptungen, vor die für ein Miteinander gereichte Hand setzt. Denn Ernst Wilhelm Dumperts Wirken in Blumberg ab 1957 beschränkte sich nicht nur auf den von ihm vertretenen Werksbereich. Seit 1962 bis zu seinem Ausscheiden aus der Kommunalpolitik im Jahre 1977 war er Stadt­ rat und stellvertretender Bürgermeister der Eichbergstadt, viele Jahre Kreisvorsitzender des Deutschen Roten Kreuzes Donaueschin­ gen, Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Ortskrankenkasse und ehrenamtlicher Rich­ ter beim Verwaltungsgericht Freiburg. Ge­ würdigt wurden seine Tätigkeiten im Dienste der Allgemeinheit im Jahre 1975 mit dem Bundesverdienstkreuz. Das „von der Pike auf‘ Gelernte und Erfahrene, wirksam umge­ münzt in das menschliche Verständnis für andere, ist im besten Sinne erinnerungswert. Ernst Wilhelm Dumpert, am 13. August 1910 in Tübingen geboren, war mit 19 Jahren schon Ingenieur. Sein Berufsweg unter­ streicht, daß er die erarbeiteten Erfahrungen rechtens weitergeben durfte, denn hinter ihnen standen alle Stationen einer umfassen­ den Ausbildung: Gehilfenprüfungsabschluß als Werkzeugmacher, Volontär in der Eisen­ gießerei Knittel, Schmieden-Stuttgart; 83

Leitung eines Zweigwerkes in Gifhorn für Vorderachs- und Lenkungsteile beauftragt, wurde dazu Betriebsingenieur für Hin­ terachsteile und war für die Rückführung des Zweigwerkes zum Hauptwerk verantwort­ lich. Drei weitere Wochen Militärdienst und sechs Wochen Gefangenschaft sorgten für eine unfreiwillige Zäsur. Ab Juni 1946 wirkte Ernst Wilhelm Dumpert als ständiger Vertre­ ter des Leiters der gesamten mechanischen Fertigung aller Volkswagenteile, bis er dort als Assistent und Stellvertreter des Chefinge­ nieurs (Leiter der Hauptabteilung „ Tech­ nische Entwicklung“) seine höchste Position von 1948 bis Frühjahr 1954 erreichte. Vom Volkswagenwerk führten ihn zahlreiche Vor­ tragseinsätze zur Vermittlung seines techni­ schen Wissens unter anderem nach Ham­ burg, Lübeck und Bremen. Noch im Jahre 1954 baute er für seine Familie ein Haus in Königstein/Taunus. Ende der 50er Jahre beklagte er mit inzwischen vier Kindern den Verlust seiner Frau. Im April 1954 wechselte Dumpert zur Teves-KG als Prokurist und Leiter der Fabriken-Planung Frankfurt über und war von 1955 bis 1957 mit Planung, Ein­ richtung und Anlauf des Werkes Teves­ Thompson Barsinghausen beschäftigt. Des­ sen Blumberger Betrieb übernahm er im Juni 1957 als Werksleiter, arbeitete vom Novem­ ber 1958 bis Mai 1960 als Produktionsleiter der Frankfurter Betriebe und wurde dann Nachfolger des technischen Direktors Herbert Stein in Blumberg bis zu seiner Pen­ sionierung im Jahre 1977. Doch auf eine Führungskraft von so umfassenden Erfahrungsqualitäten wollte man noch nicht ganz verzichten, und so fun­ gierte Ernst Wilhelm Dumpert noch zwei Jahre als Berater. Denn die Firma TRW­ Thompson hatte im elsässischen Schirmeck die Firma Jeudy übernommen, und für die Überwindung der anfänglichen Schwierig­ keiten war der mit allen Gegebenheiten ver­ traute Fachmann dank seiner Befähigung, menschliche Kontakte zu knüpfen und gras­ sierenden Entlassungsbefürchtungen ent­ gegenzuwirken, genau die richtige Ver- Mechaniker bei der Firma Mößle in Schorn­ dorf; Volontariat für Zeichnen im Hütten­ technischen Büro Ruppmann, Stuttgart; das Studium an der Staatlichen höheren Maschi­ nenbauschule Esslingen als abschließend staatlich geprüfter Maschinenbau-Ingenieur. Sachbearbeiter im Technischen Auftragsbü­ ro der Friedrichshafener Firma Maybach; Werkzeugkonstrukteur bei der Kodak AG in Stuttgart-Wangen und Konstrukteur bei Hieber-Rollkupplung in München. Von 1938 bis 1954 arbeitete Dumpert beim Volkswagenwerk Wolfsburg. Dort begann er als selbständiger Konstrukteur für Schweißmaschinen und Vorrichtungen, kam für sieben Monate zum Militär und setzte seine Arbeit ab Frühjahr 1940 als stellvertre­ tender Gruppenführer und schließlich als Gruppenführer für Konstruktionen von Kontrollvorrichtungen, Lehren und Prüf­ ständen fort. Zusätzlich übernahm er die Gruppe Konstruktion für spanabhebende Fertigung sowie die stellvertretende Leitung des gesamten Konstruktionsbüros für Vor­ richtungen, Werkzeuge und Spezialmaschi­ nen. Im September 1944 wurde er mit der 84

trauensperson. Bestes Einverständnis war die Frucht der Bemühungen. So sah das behag­ liche Haus am Eichberghang, das der agile Pensionär für sich und seine in Basel gebo­ rene, verwandtschaftlich mit Riedböhringen verbundene und seit 1959 mit ihm verheira­ tete Frau Anni gebaut hatte, unter den vielen Gästen auch Arbeitsfreunde aus dem Elsaß. Für Erholungszwecke, die nicht nur der Familie, sondern zuweilen auch den Arbeits­ kollegen zugute kam.en, hatte Ernst Wilhelm Dumpert in HittisauNorarlberg ein Bauern­ haus um-und ausgebaut. Im humorbetont animierten Freundeskreis machten dann wohl auch Erinnerungen die Runde, die manche liebenswürdigen und typischen Charakteristika des Hausherrn unterstri­ chen: Da erinnerte man sich zum Beispiel an seine Ankunft in Blumberg, die zufällig in die Zeit der Fastnacht fiel. Die damalige „Hei­ matgilde Frohsinn“ hatte zu einer schon des­ halb närrischen, weil „geschlossenen Ver­ anstaltung“ in den Blumberger „Adler“ ein­ geladen, und der Kontrolleur verwehrte den Arbeitern, die sich in Dumperts Gesellschaft befanden, wider Erwarten den Eintritt. „ Wenn die nicht reingelassen werden, dann bleibe ich auch draußen“, erklärte Dumpert kategorisch. Ein Ausschlußverfahren, das vom Heimatgilde-Präsidenten Theodor Schmid vereitelt wurde. Ernst Wilhelm Dumperts schwäbischer Humor darf auch mit folgender Story wie­ derbelebt werden: Zur Einweihung der im TRW-Werk notwendig gewordenen, neuen Wasserleitung forderte der technische Geschäftsleiter die anwesenden Honoratio­ ren und Mitarbeiter dazu auf, nach dem gege­ benen, mit Spannung erwarteten Kom­ mando „ Wasser, marsch!“ die ersten durch­ laufenden Tropfen des „edlen, lebenspen­ denden Nasses“ in ausgehändigten Gläsern ehrend aufzufangen. Dieser wohl als skurril empfundenen Aufforderung folgte die Fest­ versammlung -und benetzte zu jedermanns nachvollziehbarer Verblüffung die wenig erwartungsvolle Kehle mit unverdünntem Kirschwasser. Wahrlich eine hochprozentige Überraschung. Liefen solche Erinnerungen reihum, dann stimmte der schmunzelnde Hausherr sicher nicht selten sein Leib-und Magenlied „Uff d’r schwäb’sche Eisebahne … “ an und ließ den trinkfesten Chor gern wahrgenommene Verbundenheit bekunden. Menschliche Verbundenheit, dafür lebte und arbeitete Ernst Wilhelm Dumpert, der, als er nach Blumberg kam, die damals dro­ hende Verlagerung des hiesigen Werkes, unter Berücksichtigung menschlicher und sozialer Aspekte, nach Barsinghausen in die Wege leiten sollte. Gottlob blieb ihm und den auf ihre Arbeitsplätze angewiesenen Werksangehörigen sowie der Stadt Blum­ berg diese einschneidende wirtschaftliche Schwächung erspart. Das war einer der Anlässe für den an allem Erhaltens-und Ver­ besserungswerten interessierten Menschen­ freund, sich in ehrlicher Offenheit, in der Sache streng, aber bei auftauchenden und beigelegten Konflikten niemals nachtra­ gend, in kommunalen und sozialen Berei­ chen zu engagieren. Dabei sich selbst immer wieder erneut fordernd, schonte er seine Kräfte nicht. So ist auch noch nach Jahren die Erinne­ rung an einen Mitbürger lebendig, dessen vielfaltiger Einsatz als beispielhaft für die nachfolgenden Generationen gelten darf und ihnen Ansporn sein könnte. Jürgen Henckell ’s brialet dr Karli, en kleine Pfumpf: ,, Vadder, gib mer Hammersehtrumpf!“ Bai annand fort e halbi Schtund, Im Vadder wird dös Ding bal z‘ bunt, Er git ihm en Sehtrumpf un en Hammer dri Un schperrt ihn so in Saustall ni: „Do inna hesch di gueti Ruah Un Hammersehtrumpf hesch au drzua!“ Bertin Nitz 85 Hammersehtrumpf *

Dr. med. Josef Laule – Ein großer Sohn der Stadt Bräunlingen – Anfang Februar 1987 warteten seine Patienten im Bräunlinger Städtischen Kran­ kenhaus plötzlich vergebens auf ihren Ant und auch in zahlreichen Häusern der Stadt gab es der Hilfe bedürftige Mitbürger, die zum Teil seit Jahrzehnten aufDr.JosefLaule als ihren Hausarzt vertrauten. Doch vom einen Tag auf den anderen kam dieser gütige Mann, der so vielen seiner Mitmenschen nicht nur mit Pillen und Spritzen, sondern auch mit seiner Güte und reichen Lebenser­ fahrung geholfen hatte, nicht mehr. Er lag, selbst von einem Herzinfarkt niedergewor­ fen, auf der Intensivstation des Donau­ eschinger Kreiskrankenhauses. Und nur drei Wochen später verneigte sich der Vize­ präsident der Ärztekammer Südbaden, der Donaueschinger Chirurgie-Chefarzt Dr. Ruprecht Zwirner, im Namen seiner 7000 Kollegen an Dr. Laules Sarg auf dem Bräun­ linger Waldfriedhof „in tiefstem Respekt vor dem Senior und Nestor der Ärzte dieser Region“. 76 Jahre alt war dieser beispielhafte Helfer der ihm anvertrauten Menschen geworden, als ihm selbst die Kunst der Kolle­ gen nicht mehr zu helfen vermochte. Hun­ derte von Trauernden gaben ihm am 5. März ihr letztes Geleit. Der Senior der Ärzte der Baar, der einer der drei ältesten noch praktizierenden Ärzte in Südbaden war, stammte als Sohn dieser Landschaft aus dem „Adlei“, in dem heute zu Bräunlingen gehörenden Döggingen. Der Schulzeit in Lahr folgten die medizinischen Studien in Freiburg und München und der Promotion und Approbation 1939 der Assi­ stenz-Dienst am damaligen Städtischen Max-Egon-Krankenhaus Donaueschingen sowie ein vierjähriger Einsatz als Sanitätsoffi­ zier im Zweiten Weltkrieg. Am 1. April 1946 ließ sich Dr. Laule dann in Bräunlingen nie­ der und wurde auch gleich Belegarzt am Krankenhaus. Für viele Jahre war er der ein­ zige Mediziner für die ganze Raumschaft – 86 und kaum einer kann heute noch ermessen, wieviel der Dienst in der Notzeit von damals in jenen Jahren von ihm gefordert hat. Von Mundelfingen bis Tannheim galt es Not zu lindern und zu heilen, unterwegs bei Tag und Nacht, in der Hitze des Sommers und in der harten Kälte des Baaremer Win­ ters, zuerst mit dem Fahrrad, dann immerhin schon per Motorrad und dann endlich mit einem ersten Auto: ,,Die Strapazen der physi­ schen und psychischen Belastungen können wir heute kaum noch nachempfinden“, sagte Privatdozent Dr. Zwirner seinem Nachruf. Und nur ganze acht Tage sei er in diesen 34 Jahren selbst krank gewesen, sagte Dr. Laule 1980 als Rückblick an seinem 70. Geburtstag. 31Jahre wirkte der Mediziner als Bereitschaftsarzt des Bräunlinger Roten Kreuzes und neun weitere Jahre als Stellver­ treter seines Nachfolgers – zu Grabe getragen wurde er einen Tag, ehe ihn das Bräunlinger in

Rote Kreuz und der DRK-Kreisverband für dieses 40jährige Engagement hoch hatten dekorieren wollen. Bis zur Verlegung der Gynäkologie ans neue Donaueschinger Kreiskrankenhaus hatte Dr.Josef Laule auch die Geburten­ station im Bräunlinger Krankenhaus betreut und dazu alle die Mütter, die die damals noch übliche Hausgeburt der Klinikentbindung vorzogen – keiner weiß, wievielen kleinen Erdenbürgern er ans Licht der Welt geholfen hat; vielleicht sind es nicht viele weniger als Bräunlingens Kernstadt heute Einwohner zählt. Bis zuletzt gehörte Dr. Laule nach dem Zeugnis Dr. Zwimers zu den eifrigsten Besu­ chern der Fortbildungskolloquien an der Donaueschinger Klinik, erkundigte er sich aufgeschlossen nach neuen Operationstech­ niken, stand er dem immensen Fortschritt der Medizin auch Jahrzehnte nach seinem Studium stets offen gegenüber: „Man spürte das breite, auf unendlich großer Erfahrung basierende Wissen und man spürte immer die ärztliche, ja die väterliche Sorge für die ihm anvertrauten Kranken“, attestierte der Ärztekammer-Vizepräsident Sarg Dr. Laules, „er war ein Vorbild in einer an Vorbildern arm gewordenen Zeit.“ am und Liebhaber der Natur und ihrer Erdenge­ schichte. Das langjährige Vorstandsmitglied des Donaueschinger Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar machte sich auf den langen Wanderungen, die er sich auch als Therapie verordnete, vor allem als Geologe einen Namen. Bevorzugt in den Tälern der Gauchach und der Wutach for­ schend, beschrieb er deren sehenswerte Besonderheiten in wesentlichen wissen­ schaftlichen Beiträgen. In seinem sehr persönlich formulierten Nachruf während der Trauerfeier auf dem Waldfriedhof nannte der aus Bräunlingen stammende Pater Viktor Fesenmeier Dr.Josef Laule „einen großen Sohn der Stadt“, der auch aus der Kenntnis der Fami­ lien heraus und nicht nur als medizinisch kundiger Arzt im weitesten Sinne Seelsorger gewesen sei und „seinen“ Kranken aus christ­ lichem Glauben Trost gespendet habe: „Das waren seine Sprechstunden, die er nie bei den Kassen abgerechnet hat.“ Vizepräsident Dr. Zwirner überschrieb die Trauer von Kol­ legen, Patienten und Mitbürgern treffend so: „Er war aus wirklicher Berufung Arzt, für den der schöne und auch alles beschreibende Begriff ‚Hausarzt‘ in seiner ganzen Breite Gültigkeit besaß, und Bräunlingen verliert mit Josef Laule einen Arzt, der bis zuletzt sein Leben in die Aufgabe der Humanitas gestellt hat. In der Nachkriegsgeschichte die­ ser Region wird Dr. Laule einen Ehrenplatz erhalten, seine gütige Persönlichkeit wird uns allen unvergessen bleiben.“ Gerhard Kiefer Der Vater von drei Kindern, der bis zuletzt, aber vergeblich darauf gehofft hatte, noch erleben zu können, daß sein lange stu­ dierender Sohn die Praxis übernehmen würde, hatte 1985 seine Frau mit erst 64 Jah­ ren zu Grabe tragen müssen; sie war in der Praxis seine unermüdliche Mitarbeiterin gewesen. Neben seiner Familie schöpfte Dr. Laule auch Kraft für sein Wirken als Kenner Gerhard Westphal – 24jähriges Engagement für die Zinzendorfschulen in Königsfeld In einem feierlichen Rahmen wurde im April 1987 der Verwaltungsdirektor der Zin­ zendorfschulen in Königsfeld, Gerhard Westphal, im Speisesaal des Erdmuth-Doro­ theen-Hauses in den Ruhestand verabschie- det. In zahlreichen Grußworten kam die Wertschätzung und die Verbundenheit zum Ausdruck, die er an der Schule, aber auch an vielen anderen Stellen genießt. Das enga­ gierte Wirken von Gerhard Westphal in den 87

standsmitglied im CDÜ�Gemeindeverband Königsfeld, als Mitglied der Regionalver­ sammlung von 1974 bis 1980 und als Kreis­ und Landesvorstandsmitglied des Evang. Arbeitskreises der CDU. 1970 gründete er den CDU-Ortsverband Königsfeld und war acht Jahre dessen Vorsitzender. Im April 1963 wurde Gerhard Westphal von der Direktion der Europäisch-Festländi­ schen Brüder-Unität in Bad Boll mit der Auf­ gabe die Wirtschaftsleitung der Zinzendorf­ schulen aufzubauen, beauftragt. Er hat sich mit viel Liebe, unermüdlichem Einsatz, gro­ ßem Geschick, Verantwortungsbewußtsein und Erfolg seiner Aufgabe gewidmet. Mit dieser Berufung war er verantwortlich für die wirtschaftlichen und finanziellen Belange des Zinzendorf-Gymnasiums und der Realschule sowie der Frauenberuflichen Schulen im Erdmuth-Dorotheen-Haus. Zu seinem vielseitigen Arbeitskreis zählte die Finanzverwaltung, die Personalbearbeitung für rund 180 Mitarbeiter, die Verwaltung des Haus-und Grundbesitzes, wie auch die All­ gemeine Verwaltung. Es war keine leichte Aufgabe und eine Herausforderung als Steuermann eines Schiffes, wo es zwei Kapi­ täne für das Gymnasium und die Frauen­ fachschulen gab. Trotzdem ist es ihm gelun­ gen, das Schiff durch alle Klippen hindurch zu steuern, so daß er es, wenn auch mit einer dünnen Finanzdecke, an seinen Nachfolger Dr. Hans Jörg Hirschmann übergeben kann. Die Brücke hat er oft verlassen, um im »Maschinenraum“ nach dem Rechten zu sehen. Für alle technischen Neuerungen, wie EDV, war er aufgeschlossen und konnte so als anerkannter Fachmann seine Kenntnisse in einen erweiterten Kreis einbringen. In sei­ nem 24jährigen Dienst in Königsfeld, der sein Leben geprägt, bereichert, belastet, aber für ihn auch Freude gebracht hat, sind 164 Millionen durch seine Hände gegangen. Zu den Investitionen und Instandsetzungen für 16,7 Mill. zählen unter anderem die Sanie­ rung des Hauses Früauf und des Erdmuth­ Dorotheen-Hauses, der Umbau des Hauses Spangenberg, der Anbau des Naturwissen- vergangenen 24 Jahren für die Zinzendorf­ schulen, als Kreistagsmitglied von 1971 bis 1979, als Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister sowie als Vorstandsmitglied des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden wurden besonders gewürdigt. Ein Zeichen der Anerkennung und des Dankes für seinen unem1üdlichen Einsatz war die Verleihung des Kronen­ Kreuzes in Gold durch Oberkirchenrat Hanns-Günther Michel. Seine weiteren Tätigkeiten als Mitglied der Diakonischen Konferenz, als Verwal­ tungsratsmitglied der Kirchlichen Zusatzver­ sorgungskasse in Baden, als Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission beim Evan­ gelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe, als Landesvorstandsmitglied des Jugendaufbau­ werkes Stuttgart und als Mitglied des Wirt­ schaftsausschußes des Evangelischen Schul­ bundes zeigen, wie sehr er sich für öffentliche Belange unter vielen persönlichen Opfern eingesetzt hat. Zu erwähnen sind außerdem die Tätigkeiten als Beisitzer bei der Prüfungs­ kammer für Kriegsdienstverweigerer, als Bei­ sitzer bei der Musterungskammer, als Vor- 88

schaftlichen Zweiges, die Modernisierung der Küchenbetriebe, der Bau der Wohnhäu­ ser in der Mönchweiler-und Luisenstraße, der Umbau in der Hörnlishof-und Berg­ straße, der Anbau an das Erdmuth-Doro­ theen-Haus und der Bau des Verwaltungsge­ bäudes. Der Präsident des Oberschulamtes Prof. Dr. Kindler bestätigt der Brüder-Unität, daß Gerhard Westphal immer ein sehr angeneh­ mer, sachkundiger Gesprächspartner und die Zusammenarbeit mit ihm stets von gegensei­ tigem Vertrauen geprägt war. Er habe die Interessen der Schule mit viel Engagement, breiter Erfahrung, gutem Verhandlungsge­ schick, menschlichem Einfühlungsvermö­ gen und großer Sachkompetenz wahrge­ nommen. Nie hat Gerhard Westphal seine Aufgaben durch Autorität zu lösen versucht, vielmehr wirkte er durch Überzeugung. Bei Gegensätzen suchte er zu vermitteln. Gerhard Westphal wurde am 7. Novem­ ber 1965 zum ersten Mal in den Gemeinderat von Königsfeld gewählt. Seither gehört er in ununterbrochener Folge diesem Gremium an. Bei den Kommunalwahlen 1971, 1975, 1980 und 1984 haben ihm die Bürger der Gemeinde ihr Vertrauen immer wieder in eindrucksvoller Weise bestätigt. Seit 1971 ist er erster Stellvertreter des Bürgermeisters. Im Dezember 1985 hat Bürgermeister Horst Einen Schritt nach dem anderen zu gehen und dabei das Augenmerk nur auf Dinge zu richten, die auch zu bewältigen sind, das ist stets eine maßgebliche Richtschnur im Leben von Zahnärztin Hildegard Frey gewe­ sen. Noch heute, im 75. Lebensjahr stehend, handelt die Vöhrenbacherin nach diesem Leitsatz. Zu tun gibt es für sie nach wie vor genug, denn Hildegard Frey nimmt sich mit großem Engagement sozialen und kulturellen Belangen an, sei es auf kommunalpolitischer Ebene oder im Rahmen der Vereinsarbeit Ziegler in einer Gemeinderatssitzung diesen verantwortungsvollen Dienst gewürdigt und ihm die Ehrenmedaille des Gemeindetages von Baden-Württemberg überreicht. Als Förderer der Jugendfeuerwehr am Zinzen­ dorf-Gymnasium wurde er mit der Florian­ Medaille ausgezeichnet. Gerhard Westphal ist gebürtig in Neudie­ tendorf in Thüringen. Eine kaufmännische Lehre, Arbeitsdienst, Luftwaffe und Infante­ rieeinsatz in Rußland, zweimalige Verwun­ dung und russische Kriegsgefangenschaft bis Oktober 1947 waren Stationen seiner Ju­ gend. In den Jahren 1948 bis 1957 war er in einer Textilwarenfabrik, staatlichen im Großhandel und sodann, um dem politi­ schen Druck in der DDR auszuweichen, in einer Genossenschaft tätig. Nach der Umsiedlung in die Bundesrepublik im Mai 1957 arbeitete er in Helmstedt und in Hildes­ heim. Die Aufzählung seines Wirkens wäre unvollständig, wenn nicht auch seine sportli­ chen Aktivitäten erwähnt würden. So war er längere Zeit Vorsitzender des Turn-und Sportverein Königsfeld; zehn Mal hat er das goldene Sportabzeichen abgelegt. Bergstei­ gen, Lesen und Reisen in ferne Länder, zäh­ len mit zu seiner Freizeitgestaltung. Johann Haller Die gebürtige Furtwangerin ist das zweite Kind von Architekt Berthold Frey und des­ sen Ehefrau Anna. Am Ende der Schulzeit stand der Wunsch, sich in der Zahnmedizin ausbilden zu lassen. Diese für eine Frau damals nicht alltägliche Entscheidung, wurde 1929 in die Tat umgesetzt, und zwar in Karlsruhe. Der Ausbildung folgten einige Assistenzjahre. 193 7 schließlich, entschloß sich Hildegard Frey in Vöhrenbach eine Zahnarztpraxis zu eröffnen, die erste am Ort. Für die Bevölke-89 Hildegard Frey – mit Vöhrenbach eng verbunden

rung war dies eine große Erleichterung, denn zuvor hatte ein Zahnarzt aus der Nachbar­ schaft die Vöhrenbacher mitbetreut und die­ ser stand den Kranken nur an bestimmten Tagen zur Verfügung. Das tägliche Arbeits­ pensum war in der Folge gewaltig und blieb es auch. Das Menschliche ist dennoch nie zu kurz gekommen, zumal ein Landarzt jeden seiner Patienten kennt. Und „nebenbei“ sei bemerkt, daß manch einer nie seinen Obulus für die ärztliche Hilfe zu entrichten hatte, ganz einfach deshalb, weil er „eh schon genug geplagt war.“ Die vier Jahrzehnte als praktizierende Ärztin, waren für Hildegard Frey eine erfüllte Zeit, sie hatte sich ihrem Beruf mit all ihrer Kraft gewidmet. Deshalb fiel im Jahr 1977 der Wechsel in den Ruhestand nicht leicht. Da es nicht dem Wesen der Schwarzwälderin entspricht, sich beschaulich die Welt zu bese­ hen, stellte sie ihre Tatkraft nun in den Dienst der Allgemeinheit. Man muß auch im Alter offen sein, darf sich nicht zurückzie­ hen, lautet ihre Devise. Und weil Hildegard Frey überzeugt ist, daß sich in einem Gemeinwesen ohne persönliche Initiative nichts bewegen läßt, beschloß sie auch künf­ tig „Motor“ zu sein, in Eigenverantwortung Projekte für die Allgemeinheit in Angriff zu nehmen. Ihr Betätigungsfeld ist groß. Da wäre zunächst die Kommunalpolitik. Für die Bür­ ger-und Wählervereinigung, Hildegard Frey zählt zu den Gründungsmitgliedern, sitzt sie seit 1974 im Gemeinderat. Ihr war als erste Vöhrenbacherin die Wahl in das Stadtparla­ ment geglückt. Schwerpunkte ihrer kommu­ nalpolitischen Arbeit sind das städtische Lui­ senkrankenhaus und das Altenheim. Aber bekannt ist die 7Sjährige auch für ihr coura­ giertes Auftreten, wenn es darum geht, sich für die Belange einzelner Bürger einzusetzen. Dabei scheut die Stadträtin auch den Schul­ terschluß mit der Jugend nicht. Etwa, als unlängst die Veränderung eines öffentlichen Platzes im Zentrum der Stadt, des Rathaus­ platzes, anstand und sie sich einer Bürgerini­ tiative anschloß. 90 Kommunalpolitik ist die eine Leiden­ schaft von Hildegard Frey, das Vereinsleben am Ort die andere. Die Zahnärztin wird von sämtlichen Vöhrenbacher Vereinen als Mit­ glied geführt und hat oft die Vereinsarbeit auch als Gönnerin gefördert. Und aufgrund ihrer großen Verdienste ist sie sowohl vom Skiclub, dem Gesangverein, aber vor allem von der Heimatgilde Frohsinn zum Ehren­ mitglied ernannt worden. Gerade die Hei­ matgilde, die sich der Pflege des örtlichen Brauchtums annimmt, lag Hildegard Frey immer besonders am Herzen. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern, stellte sich dem Verein als Kassiererin zur Verfügung, gehörte als Beisitzerin der Vorstandschaft an und engagierte sich viele Jahre als stellvertretende Vorsitzende. In dieser Eigenschaft hat sie sich beson­ ders um Vöhrenbach verdient gemacht: über ein Jahr lang stellte sie ihre ganze Kraft in den Dienst der Denkmalspflege. Ihr Engagement ermöglichte maßgeblich die Sanierung eines der ältesten Gebäude am Ort, des sogenann­ ten Uhrmacherhäusles. Und dieses Projekt war im Sommer 1986 gerade abgeschlossen, da hat sich die Zahn­ ärztin sofort einer neuen Aufgabe, der Sanie-

rung der alten Friedhofskapelle zugewandt. Eine Aufgabe, die sie bereits seit vielen Jah­ ren verwirklichen wollte und zu der sie nun als Mitbegründerin des Fördervereines ihren Beitrag leistete. Und nach wie vor ist sie auch in den Reihen der Arbeitsgemeinschaft Stadtfest zu finden, wo sie ebenfalls zu den Initiatoren zählend, das Amt der zweiten Vorsitzenden innehat. Die Schaffensfreude von Hildegard Frey ist also ungebrochen und sie schließt sich nach wie vor vom Geschehen in ihrer gelieb­ ten Heimatstadt nicht aus. Sie ist eine stolze Vöhrenbacherin und das im besten Sinne des Wortes. Wilfried Dold Herbert Dold – ein für Schönwald verdienter Bürger Der Name Herbert Dold steht für die Schönwälder Nachkriegszeit und die große Aufbauleistung, die während seiner Tätigkeit als Gemeinderat auf kommunaler Ebene in seinem Heimatort erbracht wurde. Herbert Dold entstammt einem alten Schönwälder Geschlecht und wurde im Jahre 1922 in Schönwald geboren. Seine Vorfahren gründeten die Firma Uhrenfabrik Karl Josef Dold Söhne. Nach dem Schulbesuch begann er 1937 eine kaufmännische Lehre im elterli­ chen Betrieb. Von 1939 bis 1941 besuchte er die Staatliche Uhrmacherschule in Furtwan­ gen und schloß sein Studium als Elektro­ Funktechniker ab. Sein Berufsweg wurde 6 Jahre lang durch Arbeits-und Kriegsdienst während des Zwei­ ten Weltkriegs unterbrochen. Er geriet in amerikanische und französische Gefangen­ schaft. Dort nutzte er die Zeit, um die franzö­ sische Sprache zu erlernen. Im Jahre 1947 kehrte er ins heimatliche Schwarzwalddorf zurück und setzte zu­ nächst seine Ausbildung fort. Zwei Jahre lang besuchte er die Höhere Handelsschule in Offenburg und schloß diese mit dem Han­ delsschul-Einjährigen ab. Nach einem Prakti­ kum in Zell a. H. trat er 1951 wieder in die von seinem Vater und Onkel über die Kriegswir­ ren und Nachkriegsdemontage hinweg geret­ tete Firma ein und kümmerte sich um die technischen und kaufmännischen Belange. Im Jahre 1982 wechselte Herbert Dold nach Liquidation des väterlichen Betriebes in das Bankfach. Zwei Jahre lang leitete er die Volksbank-Zweigstelle Schonach und fand anschließend bis zu seiner Pensionierung mit Ablauf des Jahres 1985 in der Hauptanstalt Triberg Verwendung. Im kommunalen Leben war Herbert Dold viele Jahre eine bekannte und beliebte Persönlichkeit. Von 1956 bis 1984 gehörte er dem Gemeinderat von Schönwald an. Ent­ sprechend seiner politischen Auffassung 91

betätigte er sich in der CDU. Ab dem Jahr 1967 war er Fraktionssprecher seiner Partei. In der Zeit seiner Gemeinderatstätigkeit fie­ len nicht nur die schweren Jahre des Aufbaus nach dem Krieg. Er hatte auch immer einen guten Blick for die Probleme, die über den Alltag einer Gemeinde hinausweisen. In der Gemeindereform sah er eine Möglichkeit, die entstandenen Strukturveränderungen mit dem Gewachsenen weiter auszubauen. Hier lag ihm besonders der Fremdenverkehr am Herzen, mit dem man sich weit über Schönwald hinaus einen Namen gemacht hat. Er erkannte auch frühzeitig die Notwen­ digkeit, eine Reihe von Fragen auf größerer Ebene, zusammen mit den Nachbargemein­ den, zu lösen. Er war ein starker Befürworter der Errichtung des Verwaltungsverbandes „Raumschaft Triberg“ und des Abwasserver­ bandes. Außerdem setzte er sich für den Bau einer Sammelkläranlage für die Raumschaft Triberg auf Gemarkung Gremmelsbach ein, die Ende 1985 in Betrieb genommen worden ist. In seiner Partei, im Ortsverband der CDU, bekleidete er von 1966 an verschiedene Ämter. u.a. das des Vorsitzenden. Er ist ein Mann nicht nur mit guten Ideen, sondern auch der Tat, und bei alledem war er immer fair gegenüber den politisch Andersdenken­ den. Es überrascht daher nicht, daß er bereits im Jahre 1980 mit dem Bundesverdienst­ kreuz am Bande ausgezeichnet worden ist. Außerdem erhielt er die Konrad-Adenauer­ Medaille in Gold. Trotz seiner sicherlich nicht erfreulichen Zeit in der französischen Kriegsgefangen­ schaft war er ein überzeugter Anhänger für die deutsch-französische Verständigung. Es spricht für seine menschlich verbindende Art, daß aus der ehemaligen Kriegsgefangen­ schaft Freundschaften entwickelt worden sind, die immer wieder zu gegenseitigen Besuchen führen. Herbert Dold war von Anfang an auch ein Befürworter für die Part­ nerschaft zwischen Bourg-Achard und Schönwald. Für seine Verdienste erhielt er die Ehrenbürgerwürde von Bourg-Achard verliehen. Auch bei Herbert Dold bewahrheitet sich das Wort, daß der Ruhestand nicht gleichbe­ deutend mit Ruhe ist. Auch heute noch ist er als örtlicher Berichterstatter für eine Tages­ zeitung tätig und ist in dieser Funktion bei allen kleineren und größeren Anlässen dabei. Das Bild seiner Persönlichkeit wird abge­ rundet durch seine langjährige Mitarbeit in vielen Vereinen, seien es der Skiclub und Turnverein und seine passive Mitgliedschaft im Musikverein, Fußballclub, DRK, Narren­ zunft und Männergesangverein. Seine starke Verwurzelung im Vereinsleben sichert ihm nicht nur einen großen Bekannten-und Freundeskreis, sondern ist auch ein Beweis dafür, daß sich Herbert Dold bis auf den heu­ tigen Tag aufs engste mit der Gemeinde Schönwald verbunden fühlt. Emil Rimmele Weltoffen und heimatverbunden Zum Tod der bedeutenden Vöhrenbacher Ordensmänner P. Heinrich Bliestle und P. Leo Hug Zwei Vöhrenbacher Geistliche, deren be­ deutsame Wirkungskreise weit über die ört­ lichen Grenzen hinausreichte, verstarben nach erfülltem Leben voller Schaffenskraft. Beide waren tief geprägt von der Frömmig­ keit ihrer Schwarzwald-Heimat; ihr verdan- 92 ken sie Bodenständigkeit und das rechte und illusionslose Augenmaß in ihren hohen kirchlichen Funktionen. Am 20. Februar 1987 verstarb Pater Hein­ rich Bliestle, Generaloberer der Missionare der HI. Familie, und am 17. Juni 1986 setzte

ihren wohl bedeutendsten Sohn mit der Ehrenbürgerwürde auszeichnete. Die Schweizer Provinz seines Ordens wurde nun Zeit seines Lebens seine zweite Heimat. Er begründete das Christkönig-Kollegium Nuolen mit; 25 Jahre war er an dessen Auf­ und Ausbau maßgeblich beteiligt, seit 1934 als Präfekt und später als Rektor. 1947 kam seine allgemeine Wertschätzung in der Ernennung zum ersten Provinzial der neuer­ richteten Schweizer Provinz zum Ausdruck. Während all diesen Jahren wirkte er auch als Lehrer für Religion und Griechisch und war als Notar bei päpstlichen Seligsprechungs­ verfahren tätig. Die Krönung seines Wirkens für den Orden erfuhr Pater Bliestle im Jahre 1959, als er als Delegierter der Schweiz überraschend zum Generaloberen gewählt wurde. Dieses Amt, das seine Anwesenheit in Rom erfor­ derte, füllte er 12 Jahre aus. In dieser Zeit führten ihn Reisen zu den 1200 Missionaren des Ordens in die halbe Welt: Brasilien, Madagaskar, Indonesien und Polen waren einige der Stationen. Ein weiterer Höhe­ punkt seines Lebens war seine Beteiligung bei den Sessionen des II. Vatikanischen Kon­ zils; von 1962 bis 1965 war er Konzilsvater. An seinem Lebensabend machte er sich als Bibliothekar in seinem Seminar Werthen­ stein bei Luzern nützlich; auch als willkom­ mener Aushilfspater in der fast ganzen Deutschschweiz fand er Betätigung. Der Heimat war er eng verbunden, und immer, wenn es sein Amt zuließ, benutzte er die Gelegenheit eines Besuches. In Vöhrenbach feierte er auch 1983 sein goldenes Priesterju­ biläum; es sei das schönste Fest seines Lebens gewesen, bekannte er später, weil es in seiner Heimat stattgefunden habe. Engen Kontakt hielt er mit seinem vor allem bäuerlichen Bekanntenkreis und nahm regen Anteil am Schicksal seiner Schwarzwaldbauern. Gerne feierte er auch die HI. Messe in den Wohnstu­ ben seiner Bekannten; ein zu damaliger Zeit noch besonderes Privileg. Das Ansehen, das er zeitlebens genoß, kam bei seinem Ableben sinnfällig zum Ausdruck. 40 Priester, darun- 93 Pater Heinrich Bliestle der Tod dem Wirken von -Pallottinerpater Leo Hug, langjähriger Rektor des Mutter­ hauses in Limburg und Mitglied der Provin­ zialleitung, ein Ende. Pater Heinrich Bliestle verstarb im 91. Lebensjahr nach 59jährigem Wirken für den Orden der Missionare von der HI. Familie. Als ältester von 11 Geschwistern konnte er seinen Wunsch, Priester zu werden, erst als Spätberufener verwirklichen. Vorerst galt es, zum Unterhalt der Familie beizutragen, und er erlernte das Schreinerhandwerk. ,,Hand­ werker“ blieb er auch später in seinen verant­ wortungsvollen Ämtern. Sein Bruder Franz Bliestle ist der zweite aus der Familie, der Mitglied des gleichen Ordens ist. Heinrich Bliestle begann erst 26jährig das Gymnasial­ studium an der Ordensschule in Oberhun­ den im Sauerland. Nach dem Noviziat in Mühlbach studierte er Philosophie im Ordenssem inar Ravengiers burg/Hunsrück und wurde 1933 in Trier zum Priester geweiht. Die Primiz des 37jährigen war ein hoher Festtag für die damals noch selbstän­ dige Gemeinde Langenbach, die ihn 1962 als

ter der Generalobere, aber auch der Basler Altbischof Anton Hänggi, dem er besonders verbunden war, und Vertreter ausländischer Provinzen, gaben ihm an seiner letzten Ruhestätte in Werthenstein/Luzern die letzte Ehre. Auch offizielle Vertreter und eine große Abordnung aus seiner Heimatge­ meinde begleiteten ihn auf seinem letzten Erden weg. Pater Leo Hug verstarb im Alter von 71 Jahren, nach 45jähriger priesterlicher Tätig­ keit für den Orden der Pallottiner. Als Älte­ ster der acht Kinder des Postschaffners Bern­ hard Hug, begann er im Studierzimmer des Hammereisenbacher Pfarrers Lehmann seine humanistische Ausbildung; hier erhielt er den ersten Lateinunterricht als Vorberei­ tung für den Besuch des Internats der Pallot­ tiner in Freising; Noviziat und Studium der Philosophie und Theologie an der Ordens­ hochschule in Limburg und anderen Orten folgte. 1940 zum Heeresdienst einberufen, machte er als Sanitäter den Rußlandfeldzug mit. Nach dreimaliger Verwundung und Kriegsgefangenschaft konnte er erst nach dem Krieg seine Studien abschließen. Der Bischof von Trier weihte ihn während eines Studienurlaubs 1941 in Schönstatt zum Prie­ ster. Die Zeit seines priesterlichen Wirkens begann mit Kaplantätigkeiten im „Ruhr­ pott“ mit Schwerpunkten Jugendseelsorge. Der Orden setzte ihn im Wechsel der Jahre an den verschiedensten Orten ein, die eine Kraft seines Zuschnittes erforderten. Seine Fähigkeiten als Prediger kamen in sechsjähriger Tätigkeit als Volksmissionar zur Entfaltung. Früh erkannte die Ordensleitung sein Or­ ganisationstalent, und man übertrug ihm schwierige Aufgaben: Aufbau neuer Pfar­ reien, neben seinem Einsatz als Religionsleh­ rer und Krankenhausseelsorger, Rektor eines Schülerinternates am Niederrhein, Pfarrer in Solingen, Prokurator einer Jugend- und Erwachsenenbildungsstätte in Olpe, vor allem jedoch seine sechsjährige Tätigkeit als Rektor des Mutterhauses in Limburg sind “ Stationen seines Wirkens. Als „Arbeitspferd 94 “ Pater Leo Hug bezeichneten ihn seine Vorgesetzten. Was beeindruckt, ist nicht die lange Reihe der Wirkungsfelder, sondern der an jeder Stelle bewiesene persönliche Totaleinsatz bei der Vielfalt gleichzeitiger Pflichten. Die Kombi­ lag ihm. nation „Verwaltung und Seelsorge Der Tradition verbunden, war er trotzdem allem Modemen aufgeschlossen. Die Gestal­ tung der Liturgie war Mittelpunkt seines priesterlichen Lebens; ihr galt seine größte Sorge und seine Liebe, wie auch der Pflege des Gregorianischen Chorals. Liturgie war für ihn nicht Tummelplatz für Experimente, sondern �die und Kraft seines Glaubens, Ausdruck seiner Frömmigkeit. Zeitgemäßer Verkündung des Wortes Gottes und dem Dienst am Menschen in jedweder Seelsorge galt seine besondere Sorgfalt. Mit seiner Hei­ mat Vöhrenbach war auch er eng verbunden. Hier feierte er 1941 seine Primiz unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, sehr zum Mißfallen der damaligen Machthaber, aber auch sein 25- und 40jähriges Priesterjubi­ läum. Hier verbrachte er seine Ferien. Als naturverbundener Mensch sah man ihn auf “ , langen Spaziergängen; dem „Bruderkirchle das ihm besonders vertraut war, galt immer

Wenn eine Gemeinschaft leben und über­ leben will, braucht sie Persönlichkeiten vom Schlage dieser beiden Ordensmänner. Ihr Leben hat seine Vollendung im Dienste der Kirche und der Menschen gefunden. Karl Krieg sein erster Besuch. Daneben machte er sich in der Seelsorge für Alte und Kranke nützlich. Ein Jahr vor seinem plötzlichen Tod über­ nahm er noch die Seelsorge in einem Erho­ lungsheim in Sensweiler. Unter großer Betei­ ligung, auch einer Abordnung aus seiner Hei­ mat, fand er auf dem Friedhof der Pallottiner in Limburg seine letzte Ruhestätte. Valentin Hofacker Pädagoge, Heimatfreund und Idealist Es ist ein schwieriges Unterfangen, dem Lebenswerk Valentin Hofackers, der am 9. September 1987 75 Jahre alt wurde, gerecht zu werden. Er, dessen Vitalität und Schaf­ fenskraft ungebrochen sind, ist in Bräunlin­ gen gewissermaßen schon zu Lebzeiten zum Denkmal geworden. Geradlinigkeit, pädago­ gisches Geschick, musisches und künstleri­ sches Talent gepaart mit menschlichen �a­ litäten sind in seiner Person auf das glück­ lichste vereint. Der aus altem Bräunlinger Geschlecht ent­ stammende Valentin Hofacker legte nach dem Besuch der Oberrealschule Lahr dort sein Abitur ab. Es folgten das Staatsexamen an der Hochschule für Lehrerbildung in Karlsruhe und eine Junglehrerzeit in Birn­ dorf im Hotzenwald. Im Zweiten Weltkrieg wurde er schwer verwundet und kehrte 1948 aus russischer Gefangenschaft in seine Heimatstadt zurück, wo er der Bräunlinger Volksschule als Lehrer zugewiesen wurde, als deren Rektor, der er zehn Jahre lang gewesen war, 1967 in den Ruhestand trat. Seine Arbeit als Pädagoge orientierte sich am Charakter des alten Volksschullehrers, und als solcher wirkte er segensreich für die ihm anvertraute Jugend, die ihm dies heute noch zu danken weiß. Hofacker wollte immer nur einfacher Schul­ mann bleiben und hat auf Karriereangebote verzichtet, denn er wollte mit seinem Schaf­ fen seiner Heimat dienen, und dieser Dienst war für ihn oberstes Gebot. Sein Beruf als Lehrer- so hoch er ihn auch schätzte – war nicht alles im Leben des Valen­ tin Hofacker. Die kulturellen Aufgaben sei­ ner Heimatstadt waren ihm schon immer ein ernstes Anliegen. In den Nachkriegsjahren baute er in Zusammenarbeit mit seinem älte­ ren Bruder Ferdi den Heimat- und Trachten­ bund wieder auf, so daß schon 1959 wieder die Brülinger Kilbig mit dem weitberühm ten Schätzelemärt stattfinden konnte. Nach dem Tode Ferdi Hofackers, der Erster Vorsit­ zender des Heimat- und Trachtenbundes gewesen war, trat Valentin Hofacker dessen Nachfolge an, und dieses Amt übt er auch heute noch aus. Unter seiner Leitung wurde die Gruppe von Erfolg zu Erfolg geführt. Neben unzähligen Auftritten in der näheren und weiteren Umgebung trat die Gruppe auch auf internationaler Ebene auf, und unter Valentin Hofackers straffer Führung war sie ein guter Repräsentant nicht nur für die Stadt Bräunlingen, sonder darüber hin­ aus auch für die Bundesrepublik. Auf diese Weise betrieb er Völkerverständigung im wahrsten Sinne des Wortes. Mit der Beschaf­ fung von Trachten, der Gestaltung eines heimatlichen Brauchtumsprogramms mit Musik, Gesang, Volkstanz und Laienspiel erwarb Hofacker für den Bräunlinger Hei­ mat- und Trachtenbund hohes Ansehen. Er verstand es, die Jugend für diese Ziele zu begeistern. Er schuf innerhalb der Trachten­ gruppe, die auch als gemischter Chor auftritt, ein Trachten-Doppelquartett und die 95

Gruppe der „Baaremer Lerchen“. Eigene Kompositionen Valentin Hofackers tragen diese Interpreten bei ihren Auftritten weit über Bräunlingen hinaus und schenken damit vielen Menschen Freude. Als Mitglied im Vorstand des Bundes „Heimat und Volksleben“, wo er über einein­ halb Jahrzehnte den zweiten Vorsitz inne­ hatte, stand er im Schwarzwald-Baar-Kreis als Trachtenberater zur Verfügung und verhalf mit seiner profunden Sachkenntnis vielen Gruppen zu ihrem angestammten Trachten­ kleid. Auch als Vorstandsmitglied im „Trach­ tengau Schwarzwald“ hatte er einen aus­ gezeichneten Namen. Im Bräunlinger Gemeinderat, dem Valen­ tin Hofacker 22 Jahre lang angehörte, hat er immer wieder fruchtbare Impulse gegeben, speziell dort, wo es um Kultur-und Heimat­ pflege ging. Mit Nachdruck trat er für die Erhaltung der Altstadt, der Stadtringmauer und die Schaffung von Grünflächen ein. Fer­ ner betreute er 25 Jahre lang das städtische Heimatmuseum und richtete nach dem Schulhausbrand die Galerie der Bräunlinger Heimatmaler ein. Die lange Liste von Valentin Hofackers Verdiensten wäre unvollständig, wollte man sein Wirken für die Bräunlinger Fasnacht unerwähnt lassen. Fünfzehn Jahre lang stand er als Gildenmeister der Bräunlinger Narren­ zunft zur Verfügung, organisierte mit gro­ ßem Geschick die Bräunlinger Schauspielfas­ nacht und war stets bem übt, die historischen Fasnetgruppen mit Landsknechten an der Spitze, dem „Winterdämon“, dem „Brülin­ ger Stadtbock“, und seinen Bocktreibern und vielen anderen Traditionsgestalten zu ver­ wirklichen. Als Hobby-Maskenschnitzer – die Kenntnisse dazu hatte er sich in der Kriegsgefangenschaft angeeignet -schuf er die Bräunlinger Urhexenmaske und ihre Sti­ lisierung. Seit ihrer Gründung im Jahre 1950 liegt die Leitung der Ortsgruppe der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in Valentin Hofackers Händen. Er organisiert auch stets in Zusam­ menarbeit mit der Stadtverwaltung die 96 Gestaltung des örtlichen Volkstrauertages. Doch all diesen Aktivitäten fügte Valentin Hofacker 1986 noch eine weitere hinzu: Nach dem Tode seines Schwagers Bruno Schmidt übernahm er dessen Amt in der Leitung des katholischen Kirchenchores, wobei ihm seine Frau, die den vielfältigen Ambitionen ihres Mannes stets mit Auf­ geschlossenheit und Verständnis begegnete, als Organistin zur Seite steht. Für sein umfangreiches Schaffen wurde Valentin Hofacker schon manche Ehrung zuteil, darunter 1973 das Bundesverdienst­ kreuz. Der damalige Regierungspräsident Dr. Person meinte bei der Verleihung, es freue ihn ganz besonders, daß neben dem Heimatdichter der Baar, Gottfried Schaf­ buch aus Hüfingen, Valentin Hofacker als „Trachtenpapst der Baar“ diese hohe Aus­ zeichnung erhalte. Zuletzt erhielt er 1985 bei den baden-würt­ tem bergischen Heimattagen in Villingen die Medaille „Für Verdienste um die Heimat“, die ihm stellvertretend für den Ministerpräsi­ denten Umweltminister Weiser überreichte. Käthe Fritschi

Museen Das neue Heimatmuseum in Bad Dürrheim Aus seinem Dornröschenschlummer schien Bad Dürrheim am 24. Mai 1986 end­ lich zu erwachen, als eine bunte Festgesell­ schaft das neue Heimatmuseum am Bus­ bahnhof einweihte. Den „Motor“ für diese Dokumentation Bad Dürrheimer Geschich­ te trieben die Vorsitzenden des Heimat-und Geschichtsvereins, Konrad Merk und Fritz Grießhaber, zwar schon lange zuvor uner­ müdlich an. Immerhin setzte dabei schon so eine Art „Rückbesinnung“ auf historische Werte auch unter den Bürgern ein. Sie stell­ ten rare Zeugen der Vergangenheit zur Ver­ fügung, die nun ein eindrucksvolles Bild vom Leben der Baaremer Vorfahren wider­ geben. Kurioserweise gehört selbst der Heimat­ und Geschichtsverein in Bad Dürrheim zu einem der jüngsten Organisationen. Das macht freilich deutlich, auf welchem Null­ punkt die Verantwortlichen des Heimatmu­ seums begannen. Es schien, als sei die Geschichte Bad Dürrheims vom Bauerndorf über eine blühende Salinenproduktion zur erholsamen Kurstadt einfach ausradiert wor­ den. Geschichtliche Dokumente fanden sich zwar überall, aber förmlich in alle Wind­ richtungen zerstreut. Ein großer Teil der Sali- Blick in die Heimatstube Bad Dürrheims: Bilder Baaremer Künstler, Fotodokumente und historisches Mobiliar geben das Leben von früher eindrucksvoll wieder 97

landwirtschaftliches Gerät aus längst vergange­ nen Zeiten erinnert an die bäuerliche Vergangen­ heit Dürrheims Eine Schlafstube mit liebevoll von Wilma Nann zusammengestellten Details zieht unwillkürlich die Blicke der Besucher an nen-Werkzeuge sind förmlich verschollen. Selbst das „wandelnde Heimatgeschichts­ buch“ von Bad Dürrheim, Fritz Grießhaber, rettete nur ein paar Utensilien. Traurig genug, daß sich erst in den 80er Jahren dieses Jahrhunderts ein Heimat- und Geschichtsverein gründete. Dafür aber sorg­ ten dessen Mitglieder um so mehr dafür, end­ lich ein Fundament für das geschichtliche Bewußtsein zu schaffen. Nach einigem Hin und Her bekamen sie den ehemaligen Lok­ schuppen der Saline, kurzfristig auch einmal als Reisebüro am Busbahnhof umgebaut, zugeteilt. Daraufhin begann eine emsige Suche nach Zeugen der Vergangenheit. Fritz Grießhaber nahm sich sein Spezial­ gebiet „Saline“ vor und dokumentierte den Produktionsgang durch historische Fotos. Die Bilder von Initiator der Soleförderung in Bad Dürrheim, Johann Baptist Willmann, 98 und Baron von Althaus, dem ersten Salinen­ direktor, dürfen da natürlich nicht fehlen. Übrigens begann auf den Tip von Konrad Heby, einem Hobbygeologen, erst das Zeit­ alter der Soleförderung in Dürrheim. Dieser machte Johann Baptist Willmann darauf aufmerksam, im Bereich des heutigen Kur­ heims und Sanatoriums in der Luisenstraße nach Sole zu bohren. Doch Dürrheim hatte zwei Gesichter. Denn früher verdienten sich die Menschen dort hauptsächlich in der Landwirtschaft ihr tägliches Brot. Deshalb spielt auf diese bäuer­ liche Vergangenheit eine Ecke des Heimat­ museums mit einer uralten Flachsbreche, Dreschflegeln und anderem Gerät an. Der Trachtenverein stattete diesen Bereich mit Puppen in Bad Dürrheimer historischen Gewändern aus – was alles regelrecht lebens­ nah wirken läßt.

lor über Nacht all ihr historisches Mobiliar und Unterlagen -bis auf die schon zuvor im Heimatmuseum untergebrachten Gegen­ stände. An diesem Beispiel wird wohl am deutlichsten, wie sorgsam der Heimat-und Geschichtsverein die Hand über die Historie legt. Und wenn auch manchmal der Zufall „hilft“. An Farbe gewinnt das Heimatmuseum nicht zuletzt durch die Ausstellung von mehreren Gemälden Baaremer Künstler. Lucian Reich und Hans Schroedter geben da sehr eindrucksvoll den ländlichen Charakter ihrer Heimat wider. Sorge bereitet dem Heimat- und Geschichtsverein jetzt nur noch der beengte Raum am Busbahnhof. Er liebäugelt deshalb mit der ehemaligen Zehntscheuer in der Schulstraße, die bereits jetzt als Lager für grö­ ßere landwirtschaftliche Geräte dient. Denn der Heimat-und Geschichtsverein hat noch lange nicht die Suche nach der Geschichte Bad Dürrheims aufgegeben -und hofft auf tatkräftige Unterstützung durch die Bevöl­ kerung. Sabine Przewolka Der Besucher jedenfalls kann sich nicht satt sehen an diesen Zeugen der Vergangen­ heit. Wihna Nann richtete da mit handge­ stickter Unterwäsche, einem wertvollen Brautgewand, gewebter Bettwäsche und vie­ len anderen liebevoll zusammengestellten Details eine „Alt Bad Dürrheimer Schlaf­ stube“ ein. Eine Strohmatratze gehört selbst­ verständlich dazu. Die Gepflogenheiten der Menschen von früher gibt auch ein ehemali­ ger Fronleichnamsaltar wider, der einst in der Willmannsstraße aufgebaut war. Und wenn sich Hertha Weiling-Schlotter­ beck nicht schon vorher von einigem Mobi­ liar aus ihrer Vogtstube getrennt und sie dem Heimatmuseum zur Verfügung gestellt hätte, wären sie wahrscheinlich auch ein Raub der Flammen geworden. Denn als vor zwei Jahren der Hänslehof, das älteste Gebäude in Bad Dürrheim, innerhalb weni­ ger Stunden bis auf die Grundmauern nie­ derbrannte, gab es für die Feuerwehrmänner nichts mehr zu retten. Hertha Weiling­ Schlotterbeck, die bis zu diesem Zeitpunkt die Vogtstube im Hänslehof bewohnte, ver- Eine Kunst-und Wunderuhr im St. Georgener Heimatmuseum Der Uhrmacher Karl Friedrich Wößner, geb. 1.12.1854 in Stockburg, wohnhaft in St. Georgen, hat in den Jahren 1903 -1905 eine Kunst-und Wunderuhr geschaffen. Er arbeitete als Uhrmacher bei der St. George­ ner Firma Tobias Bäuerle. Wie so viele Tüftler der damaligen Zeit, die Uhren mit den verschiedensten Funktionen und Bewe­ gungsvorgängen herstellten, hatte auch er die Idee, durch eine Uhr symbolisch darzustel­ len, daß das Gute doch stets den Sieg über das Böse davontragen wird. Um das Zusammenspiel zwischen Gutem und Bösen zum Ausdruck zu bringen, hat er seine Uhr mit beweglichen Figuren wie: Engel, der heilige Ritter St. Georg im Kampf Ritter St. Georg als Lindwurmbezwinger mit dem Lindwurm, Elefanten und mit Löwe gegen Schlangen bestückt, die den Kampf des Guten gegen das Böse symbolisie­ ren sollen. In diese Umgebung der beweglichen Figuren paßte die Dekoration mit Palmen. Nur auf seine ideenreiche Gestaltungs­ kraft angewiesen (Konstruktionspläne gab es nicht), hat er dieses Kunstwerk in zweijähri­ ger, mühevoller Feierabendarbeit mit primi­ tivem Uhrmacherwerkzeug vollendet. Von den wichtigsten Teilen der Uhr, wie z.B. die Platinen des Uhrwerkes, hat er z11erst Muster in Laubsägearbeit aus S�nholz angefertigt. Bei der Auflösung des Haushal­ tes meiner Großeltern kamen diese Muster­ stücke zum Vorschein. 99

Der St. Georgener Uhrmacher Karl-Friedrich Wößner mit seinem Werk Die Arbeit an der Uhr war von dem Spruch geleitet: „Selbst erfunden, selbst gemacht, ist des Meisters schönste Pracht.“ Dieser Leitspruch steht zusammen mit dem Schiller-Wort: „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist des Mühe Preis“ auf dem Abschluß­ zierband der Glasglocke für die Uhr. Beschreibung der Uhr Die Uhr hat die stattliche Höhe von 105 cm, eine Breite von 80 cm und eine Tiefe von 50 cm. Auf einem kunstvoll gekehltem, ovalen Nußbaumsockel steht das Uhrwerk (ein Vierviertelwerk mit dreifachem Gong­ schlag). Oben auf dem Uhrwerk ist die Hauptfigur, der heilige Ritter St. Georg mit dem Lindwurm, und um das Uhrwerk herum sind die Engel, Löwe, Schlangen, Ele­ fanten und die Palmen aufgebaut. Im Sockel der Uhr befinden sich zwei Laufwerke durch die die Figuren in Bewe­ gung gesetzt werden. Die Uhr ist mit einer 100 großen, schön geformten Glasglocke gegen Verstauben geschützt; ein Meisterwerk des damaligen Glasbläser-Handwerkes. Funktionen der Uhr Die rechts vom Uhrwerk stehende Engels­ figur hält in der linken Hand eine kleine Glocke, in der rechten Hand einen Hammer, der alle fünf Minuten auf die Glocke schlägt. Damit soll das schnelle Schwinden der Zeit angedeutet werden, und daß die irdische Laufbahn in kurzer Zeit beendet sein kann. Die beiden Engelsfiguren rechts und links des Uhrwerkes sind von je einem Elefanten flankiert, die bei jedem Stundenschlag den Rüssel heben. Der Lindwurmbezwinger, der heilige Ritter St. Georg, der bei jedem Stun­ denschlag dem Lindwurm den Todesstoß versetzt, symbolisiert den endgültigen Sieg des Guten über das Böse. Nach jedem Stun­ denschlag erheben sich die unten am Uhr­ werk angebrachten Schlangen gegen den dort ruhenden Löwen; dieser steigt hoch und brüllt.

Vorführung auf Ausstellungen Nach Fertigstellung der Uhr hatte mein Großvater auch noch Zeit gefunden, seine Kunst-und Wunderuhr, wie er sein Werk nannte, auf Ausstellungen vorzuführen. Meine Großmutter zeigte mir die meister­ haft ausgepolsterte Transportkiste für die Uhr. Das abgebildete Plakat, das ich im Sockel der Uhr fand, ist auch ein Beweis, daß er mit der Uhr auf vielen Ausstellungen war. Schon bei der Herstellung der Uhr hat er die geniale Voraussetzung geschaffen, die Figuren der Uhr unabhängig vom Gang der Uhr in Bewegung zu setzen, indem er die Funktionsauslösehebel bis unterhalb des Sockelbodens verlängert hat, so daß man leicht die Bewegung der Figuren auslösen konnte. Leider gibt es keine genauen Angaben darüber, wo und wieviel Jahre mein Groß­ vater die Uhr auf Ausstellungen gezeigt hat. Es ist sicher anzunehmen, daß der Beginn des 1. Weltkrieges dem Tatendrang meines Großvaters ein unfreiwilliges Ende gesetzt hat. Rettung der Uhr über die Jahre Nach dem Tode meines Großvaters (er starb schon 1917) hat meine Großmutter die Uhr sorgsam gehütet, auch nicht mehr auf­ gezogen und auch ohne Beschädigung in die neue Wohnung mit umgezogen. Dort stand die Uhr (bis meine Großmut­ ter 1951 starb) fein säuberlich abgedeckt und hat die Kriegs-und Nachkriegswirren des 2.Weltkrieges gut überstanden. Mein Vater hat dann die Uhr in Verwah­ rung genommen und (selbst Uhrmacher) sich vorgenommen, die Uhr wieder in Gang zu bringen. Das konnte er aber leider nicht verwirklichen. Trotz vieler guten Angebote hat es mein Vater immer abgelehnt, die Uhr zu verkaufen. Ich habe die Uhr dann übernommen und mir zur Aufgabe gemacht, die Uhr wieder herzurichten. Weil es nur ein Stück dieser Art Uhr gibt, die ein St. Georger Bürger geschaf- Die „Kunst- und Wunderuhr“ steht jetzt im St. Georgener Heimatmuseum fen hat, war ich der Ansicht, daß die Uhr erhalten werden muß und ins Heimat­ museum gehört. Herr Ingenieur Meinrad Dilger (ehemaliger Uhrmacherschüler) hat sich bereit erklärt, die Uhr herzurichten. Sie wurde jedoch nicht mehr fertig zur 900-Jahr-Feier, steht aber seit Frühjahr 1987 als Leihgabe im Heimatmuseum St. Geor­ gen.Wer dieses Meisterstück der Jahre 1903 – 1905 einmal gesehen hat, wird zu der Über­ zeugung kommen, daß die damaligen Tüft­ ler ohne die heutigen technischen Hilfsmit­ tel Erstaunliches geleistet haben. Karl Wößner * 101

Archäologie Steinerne Zeugen der Vergangenheit Die wichtigsten Grenzsteine der Gemarkung Brigachtal Dieser Beitrag wurde durch den Autor für die Internetrecherche nicht freigegeben. 102

Steinerne Zeugen der Vergangenheit Die wichtigsten Grenzsteine der Gemarkung Brigachtal Dieser Beitrag wurde durch den Autor für die Internetrecherche nicht freigegeben. 103

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Steinerne Zeugen der Vergangenheit Die wichtigsten Grenzsteine der Gemarkung Brigachtal Dieser Beitrag wurde durch den Autor für die Internetrecherche nicht freigegeben. Das Hüfinger Römerbad in Die reichen archäologischen Funde der letzten Jahre auf der heutigen Gemarkung Hüfingen haben bewiesen, daß der Ort lange vor der Jahrtausendwende besiedelt war und und frühmittelalterlicher Zeit große politische und wirtschaftliche Bedeu­tung auf der Baar hatte. Auf der sogenannten Peutinger Tafel, der mittelalterlichen Kopie einer Straßenkarte des ganzen römischen Reiches, ist der Name römischer „Brigobanne“ eingezeichnet. Untersuchun­ gen über den Verlauf des römischen Straßen­ netzes und Grabungen haben eindeutig erge­ ben, daß dieser Name keltischen Ursprungs eine römische Niederlassung bei Hüfingen bezeichnete. Als letztes sichtbares Zeugnis aus dieser Zeit sind uns die Ruinen des Römerbads am Schosenweg erhalten. Die anderen Teile der Anlage, ein Kastell auf dem Galgenberg oberhalb des Bades und eine 105

reste des Bades freilegte und die Ruine mit einem Schutzdach versah. Zum Abschluß der Arbeiten wurde über dem Eingang eine Gedenktafel angebracht mit der Inschrift: „Romanorum quae hie spectas monumenta eruit posterisque servavit Carolus Egon Prin­ ceps de Fuerstenberg MDCCCXXI“. (Die Denkmale der Römer, die du hier siehst, hat Karl Egon, Fürst zu Fürstenberg, ausgegra­ ben und der Nachwelt erhalten 1821). 1822 und 1824 verfaßten die Freiburger Historiker Schreiber und Frick, basierend auf den Ergebnissen der fürstlichen Kommission, Beschreibungen des Römerbads, die lange Zeit als Grundlage für weitere Nachfor­ schungen dienten. Allerdings deuteten sie den Bau als Wohnhaus mit Stallungen. Wei­ tere Untersuchungen durch C. B. A. Fickler (1846) und durch K. Schumacher (1897) er­ gänzten die überaus rege Forschungstätigkeit am Römerbad im 19.Jahrhundert. Der durch Hüfingen führende Bauabschnitt der Höl­ lentalbahn veranlaßte in den Jahren 1899/ 1900 Gustav Rieger, die römischen Anlagen zu untersuchen. Ihm verdanken wir eine der umfassendsten Beschreibungen des Römer­ bads und der dort gemachten Funde. In den darauffolgenden Jahren war es vor allem sein Schüler, der gebürtige Hüfinger Dr. Paul Revellio, der im Auftrag der Reichslimes­ kommission weitere Forschungen unter­ nahm. In den sechziger Jahren ging das Römer­ bad vom Fürstenhaus in den Besitz des Lan­ des über. Unter der Leitung des Landeskonserva­ tors Eckerle vom staatlichen Amt für Ur­ und Frühgeschichte erfolgte 1969 eine genaue Bauaufnahme. Dies war notwendig geworden, da zunehmender Verfall und auch mutwillige Zerstörungen die Substanz dieses Kulturdenkmals ernsthaft bedrohten. Die Archäologen fertigten Rekonstruktionen von Bauteilen an, die bruchstückhaft noch vorhanden waren oder aber durch ältere Nachforschungen als gesichert gelten konn­ ten. Außerdem wurde ein erhöhter Laufsteg für die Besucher angelegt. B c 1 1 1 F G F [:Ji � 11 I 11 1 …. Grundriß des Römerbads l __ y–. Zivilsiedlung im Gewann „Mühlöschle“, westlich der Breg, sind durch Ausgrabungen belegt. Die erste schriftliche Erwähnung des Römerbades finden wir in einem Brief des Hans von Sehellenberg an seinen Freund, den Theologen Rüeger in Schaffhausen aus dem Jahr 1605. Hans von Sehellenberg, auch der Gelehrte genannt, war begeisterter Alter­ tumsforscher und Münzensammler und unternahm auf einer Reise nach Hüfingen Grabungen an der Stelle des Kastells und des Bades. Erst im 19.Jh. wurden die Forschungen, angeregt durch die Ideen des Klassizismus und der Romantik, wieder aufgenommen. Im Oktober 1820 unternahm Professor Andreas Buchner aus Regensburg eine „anti­ quarische Reise“ nach Hüfingen. Fürst Karl Egon II von Fürstenberg setzte 1821 eine Kommission unter der Leitung seines Leib­ arztes W. A. Rehmann ein, die die Mauer- 106

Wie nun kam das Römerbad nach Hüfin­ gen? Im Zuge ihrer Expansionspolitik unter­ nahmen die römischen Kaisersöhne Drusus und Tiberius bereits im Jahr 15 v. Chr. einen Feldzug mit dem Ziel, die Grenze des Römi­ schen Reichs bis an die Donau vorzurücken. Die Sicherung dieser Grenzlinie durch mili­ tärische Stützpunkte und den Bau von Heer­ straßen begann unter Kaiser Claudius (51-54 n. Chr.). Funde von „Terra sigillata“ (rö­ mische Keramik mit rotem Überzug) aus der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts auf dem Hüfinger Galgenberg deuten darauf hin, daß dort bereits um diese Zeit ein provisorisches Kastell angelegt wurde, das in den nachfol­ genden Jahren erweitert wurde. Im Jahr 69 n. Chr. löste die XI. Legion unter Kaiser Vespasian die XXI. Legion in Vindonissa (Windisch) ab. Vespasians Trup­ pen schoben die römische Grenze zum obe­ ren und mittleren Neckar vor. Die in Vindo­ nissa stationierte Legion hatte die Aufgabe, das Straßennetz zu sichern und für die Hee­ resbewegungen weiter auszubauen. So kreuzten sich bei Hüfingen zwei wichtige Rekonstruierter Qj,terschnitt der Fußbodenhei­ zung in Raum C, im Hintergrund das Wasser­ becken in Raum B Routen, die sogenannte Peutinger Straße, die vom Hochrhein über Hüfingen und Rott­ weil nach Cannstatt führte, und die Donau­ talstraße von Hüfingen nach Augsburg. Eine weitere wichtige Straße führte von Tuttlin­ gen über Rottweil und Offenburg nach Straßburg. Die Besatz.ungstruppe von „Brigobanne“ unterstand di:r XI. Legion. Das Kastell war um diese Zeit als Daueranlage eingerichtet. Zahlreiche Funde von Pferdegeschirrteilen lassen annehmen, daß hier eine Reitertruppe stationiert war. Im Zuge der definitiven Grenzregulierung am Neckar verlor der Stützpunkt „Brigobanne“ seine strategische Bedeutung zugunsten von Rottweil (Arae Flaviae) und das Kastell wurde um das Jahr 74 n. Chr. nach dem Feldzug des Pinarius Comelius Clemens geräumt. Das Römerbad wurde aber wahrschein­ lich auch noch nach dem Abzug der Legio­ näre von der Bevölkerung benutzt. Im Gewann „Mühlöschle“, unweit des Bades, war an der römischen Straße eine Zivilsied­ lung entstanden. Paul Revellio nahm an, daß es sich bei dieser Siedlung um ein sogenann­ tes „Canabae“-Dorf handelte, d. h. um eine Niederlassung, deren bürgerliche Bewohner das Heer begleiteten und diesem wirtschaft­ lich unterstellt waren. Rolf Nierhaus aller­ dings bezweifelt diese Theorie, da sich die Keramikfunde der Siedlung nur ein wenig mit denen des Kastells decken. Vielmehr gibt es größere Übereinstimmungen mit Funden der bürgerlichen Anlage der Augster Ther­ men in der Nordschweiz. Nierhaus zog daraus den Schluß, daß die Siedlung erst um 74 n. Chr. von eingewanderten Helvetiern gegründet wurde, die sich ihren Lebensunter­ halt durch die Versorgung der Reisenden auf der ehemaligen Militärstraße verdienten. Auf jeden Fall scheint die Siedlung bis ins 2.Jahrhundert bestanden zu haben. Sigilla­ tenfunde weisen auf den Niedergang des Dorfes in der zweiten Hälfte des Jahrhun­ derts hin. Mit dem Fall des Limes 259/60 n. Chr. endete die römische Okkupation, und die 107

Alamannen besiedelten den südwestdeut­ schen Raum. Das Hüfinger Römerbad ist das älteste römische Militärbad auf deutschem Boden. Wie schon erwähnt, wurden die Gebäude­ reste im 19.Jh. von einigen Forschern für ein ehemaliges Wohnhaus gehalten. Die Anord­ nung der Räume läßt aber, neben den ande­ ren Funden der Anlage, eindeutig ein Bad nach pompeijanischem Vorbild erkennen. Die Medizin hatte während der Kaiserzeit einen großen Aufschwung genommen, und die Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Hygiene und Gesundheit wurden in das Badewesen eingebracht. Die Bäder, heute vergleichbar mit den russischen oder rö­ misch-irischen Dampfbädern, dienten einer­ seits der Reinigung und Entspannung, ande­ rerseits wurden den Badeanwendungen aber auch Heilzwecke zugeschrieben, etwa zur Behandlung der Lepra. Luxuriös ausgeführte Bäder in den Zentren des römischen Lebens waren außerdem Treffpunkte der mondänen Gesellschaft. Das Hüfinger Bad war wohl ein reiner Zweckbau, funktional in der Architektur und der Ausgestaltung. Der Bau, angelegt zwischen dem Kastell und der Straße, zerfallt in zwei Teile, den älte­ ren südlichen Teil und den vermutlich später angebauten nördlichen Teil. August Eckerle belegt diese These eines späteren Anbaus mit dem Hinweis auf die verschiedene Bauweise der Grundmauern im südlichen und nördli­ chen Bereich. Der Zeitpunkt des Anbaus läßt sich allerdings nicht mehr bestimmen, da es bei früheren Grabungen im Römerbad ver­ säumt wurde, einen Lageplan der Münz­ funde herzustellen und die Münzen außer­ dem alle verlorengegangen sind. Im südlichen Teil befand sich an der Ost­ seite, gegen das Kastell zu, der einzig gesi­ cherte Eingang von außen. Raum A war der Heizraum (Praefurnium). An seiner West­ seite befand sich die Heizanlage, ein mit Holzkohlen beschickter Herd. Durch einen breiten Mauerbogen gelangte die Heißluft in die beiden Hauptbaderäume B und C. Diese 108 Räume hatten Fußboden-oder Hypokau­ stenheizung. Der Bodenbelag aus Tonplat­ ten und einem Estrich aus klein geschlage­ nen Ziegeln, sowie, im Raum C, einem Mosaikbelag aus Kalksteinen, wurde von Pfeilern aus Tonplatten getragen. In den dadurch entstandenen Hohlräumen und in zusätzlichen Wandnischen breitete sich die Heißluft aus und erwärmte Fußböden und Räume. Rekonstruktionen des Heizvor­ gangs zeigten, daß dauerhafte Wärme erst nach langem Heizen entstand. Große Bäder wurden deshalb ununterbrochen beheizt. Raum B war ein feucht-heißer Schwitz­ raum (Caldarium). In der halbrunden Apsis an der Westseite stand auf einem Sockel ein flaches Wasserbecken (Labrum). Paul Revel­ lio spricht außerdem von einem großen Badebecken für mehrere Personen an der Ostseite des Raums in der Nähe des Herdes. Der östliche Teil des Caldariums war aller­ dings bei der Bauaufnahme 1969 nur noch spärlich erhalten. Ein Durchgang über eine Schwelle führte in den mäßig warmen Raum C, das Tepidarium. Von hier gelangte man in den Raum D, den Auskleideraum (Apodyte­ rium), der vermutlich, wie in anderen Bädern, auch als Sporthalle diente. Noch 1969 konnten hier Reste des Ziegelbodens in originaler Verlegung (opus spicatum) gefun­ den werden. Es handelt sich vermutlich um dasselbe „pavimentum“, von dem bereits Hans von Sehellenberg berichtete. Der Raum E schließlich enthielt das Kaltwasser­ bad. In früheren Untersuchungen ist die Rede von einem Löwenkopf aus Kalkstein, der an der Ostwand des Raumes angebracht war und Wasser in einen Steintrog spie. Von diesem Löwenkopf, der vermutlich die Funktion eines Wasserverteilers hatte, konn­ ten nur noch Reste geborgen werden. Dieser ganze südliche Teil war so angelegt, daß der Badevorgang etwa dem in einer Sauna entsprach. Der große nördliche Teil wurde wahrscheinlich angebaut, als das Bad für die Zivilbevölkerung zugänglich ge­ macht wurde. Raum F war wohl ein Auf­ enthalts- und Auskleideraum. In seiner

Mitte, im Raum G, befand sich ein großes gemauertes Becken, das dem Massenbad gedient haben dürfte. Die Funktion des Anbaus H an der Nordfront läßt sich nicht mehr klären; es könnte sich um die Eingangs­ halle gehandelt haben. Beim Rundturm I an der Nordwestecke ist ebenfalls keine klare Zuordnung möglich. Es wird angenommen, daß es sich um einen Schwitzraum oder einen beheizten Winterauskleideraum han­ delte. Völlig ungeklärt ist die Frage der Wasser­ versorgung des Bades. Es ist anzunehmen, daß in dem Taleinschnitt, in dem das Römer­ bad steht, eine Qielle war oder ein Bach. Eckerle vermutete sogar, daß das von den Römern besonders geschätzte reich schwe­ felhaltige Wasser vorhanden war. Seit 1969 ist das Römerbad der Öffentlich­ keit zugänglich. Der Besuchersteg erlaubt Gruppen und Einzelbesuchern eine be­ queme Begehung des Raumes; die Sicht von oben auf die Gemäuerreste und die Rekon­ struktionen erleichtert das Betrachten. Und nicht zuletzt sind es die fachkundigen Füh­ rungen von Rektor i. R. Erwin Mayer, die dem Besucher dieses Stück Hüfinger Geschichte lebendig werden lassen. Barbara Wintermantel Der Schänzlehof am Rohrhardsberg Zeichnung Dr. Asifäller Literaturverzeichnis E c k e r l e , A u g u s t , Römische Badruine in Hü­ fingen, Hrsg. Staatliches Amt für Ur- und Frühge­ schichte, Freiburg/Brsg. 1971 F il tz i n g e r , Phi l ipp , (H r sg.), Die Römer in Baden-Württemberg, Stuttgart 1976 F i n g e r l i n , G e r h a r d , Hüfingen, ein zentraler Ort der Baar im frühen Mittelalter, in: Der Kelten­ fürst von Hochdorf – Methoden und Ergebnisse der Landesarchäologie, Stuttgart 1985 N i e r h a u s , R o l f , Zur Bedeutung der bürgerli­ chen Siedlung im Gewann »Mühlöschle“, Gemar­ kung Hüfingen, in: Badische Fundberichte XX R ev e l l i o , Pa u l , Ein römisches Bauernhaus im Deggenreuschenwald bei Hüfingen, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte XIV, 1920 d e r s., Das Kastell Hüfingen, Sonderdruck aus: Der obergermanisch-raetische Limes des Römer­ reiches, 1937 d e r s ., Die Canabae von Kastell Hüfingen, Son­ derdruck aus den Badischen Fundberichten, 20. Jahrgang d e r s., 50 Jahre im Dienste der Erforschung der Frühgeschichte der Baar, 1963 d e r s ., Das Römerbad bei Hüfingen, Führungs­ blatt R i e g e r , G u s t av, Die römischen Altertümer der Baar, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte, X. Heft, 1900 V e t t e r , A u g u s t , Hüfingen, Hrsg. Stadt Hüfin­ gen 1984 109

Geschichte, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte Warum erhielt Graf Berthold im Jahre 999 Marktprivileg für Villingen? Professor Dr. Gerd Althoff Wenn von der Städtepolitik der Zähringer am Oberrhein und im Schwarzwald die Rede ist, wird eines oft vergessen: Die Bemühun­ gen dieses Adelsgeschlechts um die Grün­ dung von Städten und die Förderung der städtischen Entwicklung im 12.Jahrhundert haben einen außergewöhnlich frühen Vor­ läufer. Bereits im Jahre 999 erhielt ein Graf Berthold vom Kaiser Otto III. das Privileg, in Villingen einen Markt zu errichten 1. Otto III. gewährte dem Grafen für seinen Ort Villin­ gen (in quodam loco suo Vilingun) außerdem das Münz-und Zollrecht, und übertrug ihm zudem die gesamte Banngewalt in diesem Ort (merkatum cum moneta the/.oneo ac totius publice rei banno). Damit hatte er den Ort Vil­ lingen vom Zugriff jeder anderen staatlichen Gewalt befreit; der Graf Berthold übte in der Zukunft sämtliche öffentlichen Funktionen aus und war der Nutznießer ehemals königli­ cher Rechte, die auch Einnahmen brachten, eben des Marktes, der Münze und des Zolles. Solche Vergabe königlicher Rechte und Befugnisse hat im Verlaufe der Jahrhunderte dazu geführt, daß die Herrschaften welt­ licher und geistlicher Großer immer unab­ hängiger wurden, und wir im Deutschland des Spätmittelalters mit einer Vielzahl soge­ nannter „Landesherrschaften“ konfrontiert sind. Das Villinger Privileg aber steht ganz am Anfang dieser Entwicklung: Es ist das älteste erhaltene Marktprivileg für einen Laien. Die Kaiser hatten so weitgehende Vorrechte bis dahin nur an Kirchen und Klöster verliehen, an Institutionen also, deren Herren sie im Verständnis der Zeit, nach den Vorstellungen des sogenannten Eigenkirchenwesens, waren. Durch diese Bemerkungen wird wohl deut- 110 .ein lieh, daß wir es mit einer ganz außergewöhn­ lichen Privilegierung zu tun haben, die dem Grafen Berthold zuteil wurde, den man zu Recht für einen Vorfahren der Zähringer hält 2. Es ist deshalb wohl auch kein Wunder, daß in der Urkunde von der Beteiligung des schwäbischen Herzogs Hermann (II.) an die­ sem Rechtsakt berichtet wird. Solche Privilegien aber verteilte der Kaiser im Mittelalter nicht aus reinem Großmut – man mußte sie sich verdienen. Womit aber hat sich der Graf Berthold diese „Wohltat“ Ottos III. verdient? Ausgestellt ist die Urkunde am 29. März 999 in Rom. Sie steht damit in Zusammenhang mit jenem Italien­ zug Ottos III. von 997 -999, der in den Qiel­ len aus verschiedenen Gründen ein nachhal­ tiges Echo gefunden hat 3. Obgleich kaum eine der zahlreichen Romfahrten der deut­ schen Könige und Kaiser des Mittelalters von Überraschungen und Turbulenzen ver­ schont blieb, gehört dieser Italienzug, was Ursachen und Ereignisse angeht, zu den spektakulärsten, aber auch erbittertsten und grausamsten des ganzen Mittelalters. Was war geschehen? Im Jahre 996 hatte Otto III. auf seinem ersten Romzug nicht nur die Kaiserkrönung erreicht, sondern auf sein Geheiß hin war auch sein Verwandter Brun von Kärnten als Gregor V. zum Papst erhoben worden. Wie so oft im Mittelalter konnte sich dieser vom Kaiser gestützte Papst nach dem Abzug des kaiserlichen Heeres in Rom nicht halten. Gegen ihn erhob sich eine stadtrömische Adelspartei, die unter der Führung des Stadt­ präfekten Crescentius stand und dem Papst die Rückkehr nach Rom verwehrte, obgleich er sie mehrfach mit Waffengewalt zu erzwin-

Evangeliar Ottos III. 111

gen suchte. Doch damit nicht genug. Anfang des Jahres 997 erhob Crescentius in Rom einen Gegenpapst. Er fand sich in der Person des Erzbischofs von Piacenza, eines Grie­ chen aus Süditalien namens Johannes Phila­ gathos. Dieser Johannes aber war im Dienste der Ottonen und als ausgesprochener Ver­ trauter der Mutter Ottos III., Theophanu, zur Erzbischofswürde und zu politischem Ein­ fluß gelangt. Er soll sogar der Taufpate Ottos III.und des Papstes Gregors V. gewesen sein. Seine besondere Stellung wird auch dadurch deutlich, daß er erst 996 von einer Reise nach Byzanz zurückkehrte, wo er in1 Auftrage Ottos III. über eine Heirat des Kaisers mit einer byzantinischen Prinzessin verhandelt hatte. Was immer diesen Erzbischof dazu bewogen haben mag, sich der Gegenpartei als Kandidat zur Verfügung zu stellen -die Q!iellen sprechen von Ehrgeiz und Hab­ sucht -der Frontwechsel wurde am ottoni­ schen Hof in Deutschland jedenfalls als Ungeheuerlichkeit empfunden. Desgleichen war man über den Verrat des Crescentius aufs höchste erbittert, weil auch er gerade zuvor erst begnadigt worden war. Die Lage erfor­ derte also dringend Reaktionen. Im Jahre 997 wurde Otto III. jedoch noch in Sachsen festgehalten, da ein Feldzug gegen die heidnischen Elbslawen beschlossen war und durchgeführt werden mußte. Die drin­ genden Bitten und Forderungen aus Italien um ein Eingreifen blieben also zunächst unerhört. Erst im Dezember 997 war der Kai­ ser in der Lage, ihnen Folge zu leisten, und er zog mit einem Heer über den Brenner nach Pavia, wo ihn „sein“ Papst, Gregor V., erwar­ tete. lm Februar 998 begann von Ravenna aus der Vormarsch des Heeres auf Rom, der in der Stadt panikartige Reaktionen auslöste. Crescentius sah sich nicht in der Lage, die Stadt zu verteidigen, sondern zog sich in die (fast) uneinnehmbare Engelsburg zurück. Der Gegenpapst Johannes Philagathos, der schon zuvor seine Bereitschaft zur Aufgabe seiner Stellung und zum Eintritt in ein Klo­ ster signalisiert hatte, floh dagegen aus Rom. Er fiel jedoch als erster einer Abteilung des 112 deutschen Heeres in die Hände, die ihn in einem Turm in der Nähe Roms aufspürte. Bei der Gefangennahme wurde er geblendet und grausam an Nase, Zunge und Ohren ver­ stümmelt. Die vielen Q!iellen, die über diese Ereignisse berichten, lassen keinen Zweifel daran zu, daß es die deutschen Truppen waren, die diese Tat ausführten 4. In einer der Q!iellen wird aber auch der Name des An­ führers dieser Truppen genannt -es war unser GrafBerthold. Der Name findet sich in einem Papstkatalog, dessen Aussagen keinen Anhaltspunkt für einen Irrtum oder gar eine bewußte Verfälschung der Sachverhalte lie­ fern 5. Daß die grausame Rache an dem Gegen­ papst genau zu der Erbitterung paßt, mit der der Kaiser und das Heer den Treuebruch des Crescentius und des Johannes Philagathos bestraften, zeigt auch das weitere Geschehen in Rom. Man beließ es nämlich nicht bei der Blendung und Verstümmelung, sondern unterzog den Gegenpapst noch einer Proze­ dur, die wohl auf Abschreckung zielte und an Schauprozesse totalitärer Staaten oder ähnliche Erscheinungen politischer Justiz erinnert. Eine Synode in Rom verurteilte nämlich den Geblendeten, dem noch einmal die päpstlichen Gewänder angezogen wor­ den waren, zur Absetzung; daraufhin riß man ihm die Papstgewänder vom Leibe und trieb ihn durch die Straßen Roms, wobei man ihn verkehrt auf einem Esel reiten ließ, den Schwanz des Esels wie einen Zügel hal­ tend. Eher noch schlimmer erging es dem Cres­ centius. Seiner wurde man unter nicht geklär­ ten Umständen habhaft. Auf kaiserlichen und päpstlichen Befehl wurde er auf den Zin­ nen der Engelsburg enthauptet, anschlie­ ßend heruntergestürzt, und schließlich mit zwölf ebenfalls hingerichteten Gefährten auf dem Monte Mario öffentlich zur Schau gestellt, in dem man sie an den Füßen auf­ hängte. Die Erregung und Erbitterung der kaiserlichen Truppen mag man auch daran ermessen, daß die Kanzlei Ottos III. in einer Urkunde, in der dieser zu seinem und seiner

Marktrechtsurkunde vom 29. März 999 des Kaisers Otto III. 113

Eltern Seelenheil dem Kloster Einsiedeln eine Stiftung machte, zum Tagesdatum, dem 28. April 998 den Zusatz machte: „als Cres­ centius geköpft aufgehängt wurde“ (quando Crescencius decollatus suspensus fait). Ein ver­ gleichbarer Zusatz ist im Mittelalter meines Wissens kein zweites Mal bezeugt. Das brutale und grausame Vorgehen von Kaiser, Papst und Heer hat aber auch mah­ nende und kritische Stimmen auf den Plan gerufen. In Deutschland selbst versuchten etwa die Qiedlinburger Annalen, die an einem der ottonischen Herrschaftszentren geschrieben wurden, den Kaiser von der Ver­ antwortung für die Vorfälle freizusprechen: „Damals“, so berichten sie nämlich, „setzten einige, nicht so sehr des Kaisers als vielmehr Christi Freunde dem Johannes nach, ergrif­ fen ihn, und aus Furcht, daß er, wenn sie ihn zum Kaiser brächten, ungestraft davon kom­ men könnte, schnitten sie ihm Zunge und Nase ab und rissen ihm die Augen aus“ e. In Italien selbst gab es erheblich kritischere Reaktionen. Aus Süditalien brach der Ein­ siedler-Abt Nilus, ein fast lOOjähriger Greis, nach Rom auf, wie in seiner Vita ausführlich berichtet wird, um sich des Geblendeten anzunehmen, und Kaiser wie Papst an ihre Pflicht zu Milde und Vergebung zu er­ innern 7. Gehör soll er in bestimmter Hin­ sicht bei Otto III. gefunden haben, „denn nicht alles, was geschehen war, war wirklich mit seinem Willen geschehen“ a. Doch erlaubte ihm der Kaiser nicht, den Geblende­ ten mit nach Süditalien zu nehmen. Er war lediglich bereit, Nilus ein Kloster in Rom selbst anzuweisen, in dem er mit dem Geblendeten leben könne 9. Als mitten in diese Verhandlungen mit Nilus, so immer noch seine Vita, der Umritt des Johannes auf einem Esel von Papst Gregor V. inszeniert wurde, brach der Eremit die Gespräche ab. Er wies seine Verhandlungspartner jedoch ein­ dringlich darauf hin, daß so, wie sie sich jetzt nicht barmherzig gegenüber demjenigen ver­ hielten, den Gott in ihre Hände gegeben habe, so werde sich in der Zukunft Gott ge­ genüber ihren Sünden verhalten. Danach sei 114 Nilus in sein Kloster zurückgekehrt. Der Papst aber sei wenig später durch Gewalt ums Leben gekommen, wobei er sich die Augen ausgerissen habe, so habe man zumindest erzählen hören 10. Gerüchte brachten also den plötzlichen Tod Gregors V. im Februar oder März 999 mit der Behandlung des Johannes Philagathos in Verbindung. Nach dem Tode seines Verwandten, Papst Gregors V., aber habe sich Otto III. eine Bußfahrt auf­ erlegt und sei zum Monte Gargano gepilgert. Und dennoch sei auch er dem Urteilsspruch Gottes nicht entgangen und bald darauf gestorben 11. Auch wenn in dieser Vita sicher nur eine Meinung wiedergegeben ist, macht sie eines überdeutlich: Es gab Stimmen in Ita­ lien, die das Vorgehen gegen Johannes Phila­ gathos schlicht für „sündhaft“ hielten, und diese Meinung auch aufs Pergament brach­ ten. Die Vorfalle werden nämlich auch in der Lebensbeschreibung eines anderen berühm­ ten Eremiten und Ordensgründers, in derje­ nigen Romualds behandelt. Romuald habe, so steht dort, nachdem der Kaiser ihm das „Verbrechen“ gebeichtet hatte, zur Buße vom Kaiser eine Wallfahrt „mit bloßen Füßen“ zum Monte Gargano verlangt 12. Genau in die Zeit nach seiner Rückkehr vom Monte Gargano aber fällt das Privileg Ottos III. an den Grafen Berthold, das ihm die Gründung eines Marktes in Villingen erlaubt. Zur gleichen Zeit wurde der Graf Berthold im übrigen noch einmal in beson­ derer Weise geehrt. Er erhielt den Auftrag, von Rom mit einem goldenen Abtstab nach Qiedlinburg zu reisen, damit dort die Weihe der Schwester Ottos III., Adelheid, zur Qiedlinburger Äbtissin vorgenommen wer­ den könnte. Diese Weihe stand an, weil im Februar 999 die Qiedlinburger Äbtissin Mathilde, eine Tante Ottos III., verstorben war, für die der Kaiser selbst eine Grabin­ schrift verfaßte 13. In drei sehr unterschiedlichen Quellen und Zusammenhängen also taucht im Jahre 999 schlaglichtartig der Graf Berthold auf, der der Besitzer des Ortes Villingen war. In römischen Qiellen wird er als Leiter der Hee-

resabteilung namhaft gemacht, die den Gegenpapst Johannes Philagathos bei der Gefangennahme blendete und verstüm­ melte, was folglich kaum ohne Wissen und Zustimmung Graf Bertholds geschehen sein kann. In Rom erhielt er aber ein Marktprivi­ leg für Villingen, wie es zuvor noch kein Laie für einen Ort erhalten hatte – zumindest ist kein älteres überliefert 14. Und schließlich übernahm er zur gleichen Zeit in Rom den ehrenvollen Auftrag, einen goldenen Abt­ stab zur Weihe der Schwester des Kaisers nach Qyedlinburg zu bringen. Was läßt sich aus diesen drei sehr unterschiedlichen Details ableiten? Es wäre wohl verfehlt, wenn man behaup­ tete, Berthold hätte das Privileg allein des­ halb bekommen, weil er den Gegenpapst gefangennahm. Zu erkennen ist aber aus den wenigen Nachrichten doch so viel: Graf Ber­ thold scheint mit einiger Energie an der Strafexpedition des Heeres teilgenommen zu haben, und überdies in leitender Funk­ tion. Die wohl unter seiner Führung began­ gene Verstümmelung des Gefangenen hat ihr Pendant im Verhalten Kaiser Ottos III. und des Papstes Gregor V., die den gefange­ nen Crescentius mit vergleichbarer Grau­ samkeit behandelten. Der Vorsatz, Exempel zu statuieren, scheint beim Kaiser wie bei sei­ nen Gefolgsleuten ausgeprägt gewesen zu sein. Dieses Zusammenwirken von Kaiser und Berthold auf militärischem Sektor wird nun aber ergänzt durch die Ehrung, die Otto III. dem Grafen sozusagen auf diplomati­ schem Sektor zuteil werden ließ, als er ihm die Überbringung des goldenen Stabes nach Qyedlinburg auftrug. Die so zweifach doku­ mentierte Königsnähe des Grafen Berthold dürfte dann auch die Grundlage sein für die Bereitschaft Ottos III., seinem Gefolgsmann durch ein außergewöhnliches Privileg zu danken, wie er es bis dahin wohl geistlichen Institutionen vorbehalten hatte, deren Kir­ chenherr er war. Schon kurze Zeit später sind solche Privilegien dann jedoch auch für andere Grafen bezeugt 15. Für die Villinger Geschichte ist das Markt- privileg von 999 ein frühes und kostbares Zeugnis. Sein Zusammenhang mit großen Ereignissen und Auseinandersetzungen im Bereich der Kaiser- und Papstgeschichte ist nicht zu übersehen. Es darf aber nicht verges­ sen werden, daß dieses Privileg nicht den Beginn der erkennbaren Villinger Stadtge­ schichte markiert. Es markiert vielmehr nur ein einsames Licht in einem noch lange undurchdringlichen Dunkel. Die Entwick­ lung Villingens entzieht sich nämlich nach 999 noch für mehr als zwei Jahrhunderte mehr oder weniger vollständig unserer Kenntnis. Was Graf Berthold aus seinem Pri­ vileg und aus Villingen gemacht hat, wissen wir schlicht nicht. Wir wissen aber, daß ein späteres Ereignis kaum ohne Einwirkung auf die Villinger Geschichte und Entwicklung geblieben sein kann. Die Nachfahren des Grafen Berthold haben spätestens seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ihr Herr­ schaftszentrum von der Baar in den Breisgau verlagert. Veranlaßt, um nicht zu sagen gezwungen wurden sie hierzu durch ihre staufischen Nachbarn und Rivalen 1e. Ihr neuer Stammsitz wurde die Burg Zähringen, nach der sich das Geschlecht seit 1100 auch benannte, und wir es bis heute tun. Deshalb geriet Villingen in gewisser Weise an die Peri­ pherie des zähringischen Herrschaftsbe­ reichs, was nicht ohne Auswirkungen auf seine Entwicklung geblieben sein wird, von der wir, wie gesagt, wenig Kunde haben. Es ist nun müßig, und vor allem nicht Aufgabe des Historikers, durchzuspielen, was wäre, wenn bestimmte Entscheidungen der Geschichte anders ausgefallen wären. Doch scheint es vielleicht ganz lehrreich, sich zu vergegen­ wärtigen, daß im Jahre 999 sich für Villingen plötzlich ungeahnte Möglichkeiten eröffne­ ten, weil ein „ Villinger“ in unmittelbarer Königsnähe agierte und an Ereignissen betei­ ligt war, die damals mehr als das halbe Europa bewegten. Literatur (die vorangestellten Ziffern kehren im Text statt beson­ derer Anmerkungen wieder): 115

1 Ediert in: Monumenta Germaniae Historica: Die Urkunden der Deutschen Könige und Kaiser, II, 2, Die Urkunden Ottos des lll. (1893) Nr. 311, S. 737f.; heute aufbewahrt im Generallandesarchiv Karlsruhe A 72, zum Weg der Urkunde von Villingen nach Karlsruhe vgl. P. REVELLIO, Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen (1964) S. 63. > Vgl. dazu schon E. HEYCK, Geschichte der Herzöge von Zähringen (1891), Neudruck Aalen 1980, S. 5ff.; H. BÜTTNER, Die Zähringer im Breisgau und Schwarzwald während des 11. und 12. Jahrhunderts, Schauinsland 76 {1958) S. 3 -18; wieder in: Schwaben und Schweiz im frühen und hohen Mittelalter. Gesammelte Aufsätze von Heinrich Büttner, hg. v. H. PATZE (Vorträge und Forschungen 15, 1972) S.143 -162; die Zweifel der modernen Forschung an Einzel­ heiten ändern nichts an der grundsätzlichen Einschät­ zung; vgl. Th. ZOTZ, Der Breisgau und das aleman­ nische Herzogtum (Vorträge und Forschungen Son­ derbd. 15, 1975) S. 178ff. 3 Vgl. zu den im folgenden behandelten Einzelheiten M. UHLIRZ, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Otto II. und Otto lll., Bd. 2 Otto UI. 983 -1002 {1954) S. 230ff.; J. F. BÖHMER, Regesta lmperii Il, 3. Die Regesten des Kaiserreichs unter Otto III. 980 (983) -1002, neubearb. v. M. UHLIRZ (1956) Nr. 1247ff.; s. ferner P. E. SCHRAMM, Kaiser, Rom und Renovatio {1929) S. 102ff.; zur Beurteilung Ottos III. zuletzt H. BEUMANN, Otto I1l. 983 -1002, in: Kaisergestal­ ten des Mittelalters, hg. v. DEMS. {1984) S. 73ff. • Vgl. die Zusammenstellung bei UHLIRZ (wie Anm. 3) S. 258ff.; Regesta lmperii (wie Anm. 3) Nr. 1259d; der Versuch von HEYCK (wie Anm. 2) S. 7 mit Anm. 17, die Gefangennahme und die Verstümmelung zu trennen, und das letztere nicht mehr der Heeresabtei­ lung unter Bertholds Führung anzulasten, überzeugt nicht, da namentlich die deutschen Q!iellen (vgl. Anm. 6) keinen Grund gehabt hätten, diese Tatsache zu unterdrücken. • Vgl. Edition und Kommentar in: Le Liber pontificalis, hg. v. L. DUCHESNE, Bd. 2 (1955) S. 261 mit Anm. 5 und lntroduction S. XV: sed ab Ottonis vassore Birthi­ lone co“eptus, amputatis naribus et lingua ef!ossisque oculis, in asino, caudam eius tenens, satis irrisorie per totam Romam ductus est (. Von dem Vasallen Ottos Birchtilo gefangengenommen, wurde er, nachdem ihm Nase und Zunge abgeschnitten und die Augen ausgesto­ chen waren, auf einem Esel, dessen Schwanz haltend, völlig lächerlich gemacht durch ganz Rom geführt“). Zu dieser Form des .Umritts“ vgl. R. MELLINKOPF, Riding backwards, Viator 4 {1973) S.154f. Es ist darauf hinzuweisen, daß in dem Papstkatalog das ganze Geschehen in einem Satz zusammengefaßt ist. Daher ist es nicht erlaubt, die Verstümmelung von der Gefangennahme zu trennen, deren Gleichzeitigkeit die Q!iedlinburger Annalen (wie Anm. 6) und vor allem die Vita des Nilus (vgl. Anm. 7) durch ihre Dar­ stellung bezeugen. Neben Berthold tauchen für die Vorfahren der Zähringer auch die Namen Birhthilo und Bezelin auf; alle drei Namen werden offensicht- 116 lieh für dieselben Personen gebraucht; vgl. schon HEYCK (wie Anm. 2) S. 5ff.; K. SCHMID, Aspekte der Zähringerforschung, Zeitschrift für die Ge­ schichte des Oberrheins 131, Festgabe Gerd Tellen­ bach zum 80. Geburtstag (1983) S. 225 -252, S. 244; vgl. auch unter Anm. 13. 6 Vgl. Annales Q!iedlinburgenses, Monumenta Germa­ niae Historica Scriptores 3 {1839) S. 74: Tztnc quidam non tantum imperatoris qua11t11m Christi amici insequentes Ioha1111tm, comprehenderunt ettm, et timentes, ne, si ettm ad augustum destinarent, impunitus abiret, linguam ei et nares pariter abscidmmt oculosque illi penitus eruerunt. Diese Formulierung schließt wohl aus, daß die Verstümme­ lung erst erheblich später in Rom durchgeführt wurde. Auch das Chronicon Venetum des Diakons Johannes, hg. v. G. MONTICOLO, Fonti per la storia d’Italia 9 (1890) S. 154f. berichtet von der Verstümmelung bei der Gefangennahme und trennt davon die späteren Ereignisse der Synode und des Umritts durch Rom. Die eben zitierte Urkunde für das Kloster Einsiedeln ist ediert: Die Urkunden Ottos ITJ. (wie Anm. 1) Nr. 285 7 Vgl. Ex Vita S. Nili abbatis, Monumenta Germaniae Historica Scriptores 4 (1841) S. 616ff. B Ebd. cap, 90, S. 616: neque enim tot um, quod successerat, erat revera de eins comilio … 9 Ebd. cap. 90, S. 617:. Wir sind bereit alles zu erfüllen, was Dir gefällt, wenn auch Du unsere Bitte erhörst und es nicht ablehnst, ein Kloster in dieser Stadt anzu­ nehmen, welches Du willst, damit Du für immer bei uns bleibst.“ (Parati s11111us ad implenda 011111ia, quae tuae pietati placent, si et ipse nostram petitionem audiveris et non dedignatusfueris accipere 111011asteri11m in hac urbe, quod­ cumque volueris, ut nobiscum perpetuo maneas. 10 Ebd. cap. 91, S. 617; das Gerücht, das ohne Grundlage ist, spiegelt noch einmal das Aufsehen, das das Vor­ gehen gegen Johannes Philagathos erregt hatte. 11 Ebd. cap. 93, S. 618: Nec lamm ef!ugit iuditiomm Dei exi­ tum … 12 Vgl. Ex Vita S. Romualdi, Monumenta Germaniae Historica Scriptores 4 {1841) S. 849: lpse autem ex eodem crimine beato viro conftssus, poenitentiae causa m,dis pedi­ bus de Romana urbe progrediens, sie usque Garganum mon­ tem ad sancti Michaelis pe“exit ecclesiam. Gemeint ist in diesem Fall das Vorgehen gegen Crescentius, dessen Gefangennahme darauf zurückgeführt, daß das ihm eidlich zugesicherte freie Geleit gebrochen wurde. 13 Von der Gesandtschaft Bertholds berichtet die Chro­ nik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung, hg. v. R. HOLTZMANN, Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarum Nova Series 9 (1935) N, 43 (übersetzt von W. TRILLMICH in: Ausgewählte Q!iellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein. Gedächtnisausgabe 9, 1970). Thietrnar benutzt für Berthold den Namen Bezelin (vgl. dazu auch Anm. 5), wie auch aus einer anderen Stelle der Chro­ nik hervorgeht (VII, 32) •• Zu den Marktprivilegien vgl. zuletzt W. METZ, Marktrechtfamilie und Kaufmannsfriede in otto-

nisch-salis�her Zeit, Blätter für deutsche Landesge­ schichte 108 (1972) S. 28-55; vgl. auch B. SCHWINE­ KÖPER, Die heutige Stadt Villingen – eine Grün­ dung Herzog Bertholds V. von Zähringen (1186 – 1218), in: Die Zähringer. Eine Tradition und ihre Erforschung, hg. v. K. SCHMID (1986) S. 75 – 100, S. 86 1s So wohl noch auf dem gleichen Italienzug für den elsäßischen Grafen Eberhard; vgl. Die Urkunden Ottos III. (wie Anm. 1) Nr. 325, die nur in verfälschter Form erhalten ist; ein weiteres diesbezügliches Privi- leg Ottos III. für den bayerischen Grafen Aribo wird erwähnt in einer Urkunde Kaiser Konrads II. vom 17. Januar 1030, in: Monumenta Germaniae Historica, Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 4: Die Urkunden Konrads II. (1909) Nr. 144 1s Vgl. dazu K. SCHMID, Die Burg Wiesneck und die Eroberung des Breisgaus durch Berthold 11. im Jahre 1079, in: Kelten und Alemannen im Dreisamtal. Bei­ träge zur Geschichte des Zartener Beckens, hg. v. DEMS. (1983) S. 115 -139, S. 117ff. Das Kaufhaus in Villingen Jeder: Villinger kennt in der Rietstraße das „Kaufhaus“, an dessen Front ein kleines Schild daran erinnert, daß dieses Gebäude 1271 als Heilig-Geist-Spital erbaut wurde und dieser Aufgabe bis 1827 gedient hat. Aber wenn man die Frage stellen würde, welche Produkte wurden im Kaufhaus einst gehandelt, welche Rolle spielte das Kaufhaus im Wirtschaftsleben der Stadt, und wann wurde der Verkauf dieser Waren eingestellt, so wird die Antwort wohl meist nur ein Ach­ selzucken sein. Durch ein Studium der alten Ratsprotokolle der Stadt können aber manche Fragen beantwortet werden. Werfen wir aber zunächst einen Blick weit zurück und blättern einmal in dem Buch ,,Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen“ von R e v e l l i o . Wir erfahren von der Verleihung des Marktrechts im Jahr 999 durch Kaiser Otto III. an den Breisgau-Grafen Berthold für „sei­ nen Ort namens Vilingun“, dem auf dem linken Brigach-Ufer gelegenen Dorf bei der „Altstadtkirche“ und der „Altstadt-O!!elle“. Für die Entwicklung Villingens war diese Verleihung von großer Bedeutung, da die nächstgelegenen Märkte zur damaligen Zeit Konstanz und Zürich waren, mithin der ein­ zige Markt dieser Region. Die Verleihung des Marktrechts hatte dann vermutlich eine Zunahme der Bevöl­ kerung, den Zuzug von Händlern und Handwerkern zur Folge, für die im Dorf kein Platz war, so daß wohl bald der Gedanke auf- kam, den „Markt“ vom „Dorf“ zu trennen und auf der anderen, rechten Brigachseite, auf dem Grundbesitz der Territorialherren, einen neuen Marktort zu gründen, der um 1120 – fast gleichzeitig mit Freiburg und Offenburg – Stadtrecht erwarb. In der anfangs wohl nur durch Pallisaden, später durch Mauem geschützten Stadt konnten sich nun in sicherer Hut Handel und Handwerk entwickeln, insbesondere der Getreidehandel, zumal die Baar schon früh als fruchtbares Getreideanbaugebiet, als „Korn­ kammer“, genannt ist. Hier in Villingen hatten die Baaremer Bauern jetzt die Möglichkeit, die Über­ schüsse der eigenen Wirtschaft an den Mann zu bringen und gleichzeitig ihre eigenen Bedürfnisse an Handwerkserzeugnissen oder Textilien am Markttag einzudecken. Eine weitere Entwicklung des Getreide­ handels erforderte aber auch eine Förderung durch Bereitstellung eines dafür geeigneten Gebäudes, um unabhängig von der Witte­ rung zu sein. Das 1573 erbaute „alte“ Kauf­ haus, auch „Kornlaube“ genannt, in dem – wie schon der Name sagt – dieser Getreide­ handel abgewickelt werden sollte, ist als ein Zeichen dieser wirtschaftlichen Entwicklung zu werten. Das „alte“ Kornhaus war ein repräsentati­ ves, schmales, alleinstehendes, zweistöckiges Gebäude, das in der Oberen Straße stand, etwa in Höhe der heutigen Stadtkasse, mit der Längsachse in Straßenrichtung und mit 117

Das alte Kaufhaus nach einer Zeichnung von S. Walter 1892 (nach dem Blechmodell im alten Rathaus) 118

jeweils einem seitlichen Abstand (Durch­ gang, bzw. schmale Fahrstraße) zu den bei­ den Straßenfronten der Oberen Straße. Hier­ durch muß damals am „Zähringer Straßen­ kreuz“ der Eindruck eines kleinen, nach drei Seiten abgeschlossenen Platzes erweckt wor­ den sein, einen Eindruck, den der „Markt­ platz“ heute vermissen läßt. Da der Getreidehandel nur an wenigen Tagen im Jahr abgewickelt wurde, konnten die verhältnismäßig großen Räume des Gebäudes auch für andere Zwecke nutzbar gemacht werden: als „Gerichtslaube“ und – besonders zur Fasnet – als „Tanzlaube‘: Die zentrale Lage des Kaufhauses weist darauf hin, welche Bedeutung diesem Bau und sei­ ner Aufgabe zuerkannt wurde, genau wie dem Kaufhaus in Freiburg am Münsterplatz. Die Schauseite des Baues war nach Süden (zum Marktplatz) gerichtet. Hier war zwi­ schen zwei schweren Pilastern der Hauptein­ gang. Darüber die Kanzel (Balkon), von der aus dem Delinquenten das Urteil des Stadt­ gerichts (den „Siebenern“, d.h. die 7 als Rich­ ter gewählten Ratsherren) verkündet wurde, ehe er auf den Richtplatz (beim heutigen Krankenhaus) abgeführt wurde unter dem Läuten des Malifiz-Glöckchens, das in einem eisernen Gestänge den Volutengiebel be­ krönte. Den Giebel schmückten die Terra­ cotta von Hans K r a u t vom Jahr 1574 mit dem Wappen Kaiser Max II., des Erzherzogs Ferdinand und der Stadt. Darüber verkünde­ ten zwei große Uhren der Niederen und Oberen Straße die Zeit. Das „alte“ Kaufhaus, außer dem Rathaus der einzige monumentale Profanbau des alten Villingen, wurde auf Betreiben der Großherzoglichen Straßenbauverwaltung im Jahr 1827 als „Verkehrshindernis“ abge­ brochen! Der junge badische Staat plante eine große Durchgangsstraße von Schaff­ hausen über Villingen und Offenburg nach Karlsruhe und Straßburg. Diesem Vorhaben fiel wenig später aus gleichem Grund auch das Niedere Tor und der Erker des Oberen Tores zum Opfer. Das Obere Tor selbst ent­ ging glücklicherweise knapp dieser so moder- nen und weitsichtig erscheinenden Planung. Zum gleichen Zeitpunkt (1827) wurde das Heilig-Geist-Spital in das frühere, von Kaiser Josef II. 1797 aufgehobene Franziskaner­ Kloster beim Riettor verlegt. In das dadurch freigewordene Spital-Gebäude in der Riet­ straße konnte nun das „Kaufhaus“ umzie­ hen, und dieser neue Name für dieses Gebäude ist noch heute ein feststehender Begriff für die Bevölkerung. Das Kaufhaus war eine Getreide-Börse. An den öffentlich bekanntgegebenen Markttagen lieferten hier die Bauern der nahen und weiteren Umgebung das in Säk­ ken abgefüllte Getreide an. Hier wurde es in Hohlmaßen „gemessen“, ab 1861 auf landes­ herrliche Anordnung hin „gewogen“ und nach Eigentümer getrennt auf Haufen geschüttet. Hier erschienen dann die Kaufin­ teressenten, insbesondere Bäcker und Mül­ ler, aber auch die „Fruchthändler“, auch „Fruchtkipper“ genannt. In Zeiten schlechter Ernte fanden sich auch Spekulanten ein, die ein gutes Geschäft an anderen Orten, z.B. in der Schweiz, witterten und daher versuchten, die abgelieferte Ware an sich zu bringen. Es ist überliefert, daß es in solchen Fällen mehr­ fach zu handgreiflichen Protesten der ärme­ ren Bevölkerung führte, die befürchten mußte, daß durch solche Eingriffe für den örtlichen Bedarf nicht genügend Brotge­ treide zurückbliebe und mit Teuerung und Hunger zu rechnen war. Brot war schließlich das Hauptnahrungsmittel! Die Käufer konnten bei großem Angebot die Q!ialität der Ware prüfen und verglei­ chen (bei Dinkel muß es große Q!ialitätsun­ terschiede gegeben haben) und hatten die Gewähr des von der Stadtverwaltung garan­ tierten Maßes. Die Bauern aber konnten den Vorteil darin sehen, daß hier eine große Zahl von Käufern zusammenkam und sie bei den Kaufverhandlungen den Vorteil der Konkur­ renz ausnutzen konnten. Sie erlebten dabei auch selbst, in welcher Höhe sich der Preis durch Angebot und Nachfrage jedes Jahr ein­ pendelte und sie nicht das Gefühl haben mußten, im Alleingang übertölpelt zu werden. 119

Die Stadt Villingen trat weder als Käufer noch als Verkäufer auf und nahm keinen Einfluß auf die Kaufverhandlungen. Sie nahm aber für das Kaufhaus ein Monopol in Anspruch: Jeder Getreideh�ndel oder d_ie _ m Lagerung größerer Ge�e1demengen Privathäusern (über den eigenen Bedarf hm­ aus) war verboten und �rde_s‘:Teng g��hn­ det. Dafür genossen aber die Villmger Burger als Käufer eine Bevorzugung, da die auswär­ tigen Interessenten erst ab 11 Uhr zum Ein­ kauf zugelassen wurden (1828). Die Stadt stellte für den Getreidehandel das Gebäude und das Personal, erhob dafür vom Verkäufer und Käufer Gebühren. 1861 wurden diese Gebühren neu geregelt, 3 112 Kreuzer je Zentner vom Verkäufer und 2 Kreuzer je Zentner vom Käufer. Dazu kamen noch geringe Sätze für die Sackträger. Die Leitung, Überwachung der laufe?den Geschäfte und die Abrechnung war emem durch den Rat gewählten „Kaufhausverwal­ ter“ übertragen. Ein begehrter Posten, da damit – für die damalige Zeit – eine gute fmanzielle Entschädigung verbunden war. So erhielt der Kaufhausverwalter wohl jahr­ hundertelang 10% der jährlichen Geldein­ nahmen + 1112 Klafter(= 6 Ster) Brennholz, ab 1861 eine feste Besoldung von f. 150 (im Jahr).*) Das weitere Personal setzte sich zusam- . men aus: . . 1 Kaufhaus-Aufseher (erhält 1861 8% der Brutto-Einnahmen) 5 Fruchtmesser, ab 1861 Waagmeister genannt 1 Waagrichter (Schlossermeister mit f. 40 im Jahr) 5 Sackträger 7 Sackaufheber, Schütter und Sackstricker Der Sackstricker-Dienst wurde als Heim­ arbeit vergeben. Bis 1861 war das übliche Maß der Malter (=150 1), ein Hohlmaß mit der Unterteilung in Viertel, Sester (15 1), Mäsle und Becher. . •) f. – Gulden – 60 Kreuzer 120 Das Kaufhaus in seiner heutigen Gestalt in der Zeichnung: Dr. Asifäller Rietstraße Später (ab 1861) wurde nach Gewicht in Zent­ ner (=50 kg) abgerechnet. Die angeordnete Umstellung auf Gewichtsmaß war mit erheb­ lichen Unkosten für die Stadt verbunden, erforderte einen Umbau im Gebäude und wurde daher auch entsprechend kritisiert. Es mußten mehrere Groß-Waagen und zahl­ reiche Gewichte angekauft Ufl:? zusätzlich ein Fachmann für die Pflege, Uberprüfung und Reparatur der Waagen eingestellt wer­ den, der Waagrichter. In einer Eingabe aus dem Jahr 1858 an die hierfür zuständige Seekreis-Regierung sind 5 Markttage genannt, die bisher an den „Apo­ stel-Tagen“ abgehalten wurden und nun ein­ heitlich auf den darauffolgenden Dienstag verlegt werden sollten. Es sind genannt: der Jakobs-Markt am 25. Juli am 23. August Philipps-Markt Mathäus-Markt am 21. Sept. Simon u. Juda-Markt am 23. Okt. am 21. Dez. und der Thomas-Markt

Es gab noch andere Markttage, Re v e 11 i o spricht von 15, aber es kann nicht gesagt wer­ den, welche ausgesprochene Getreide-Märk­ te waren. Die neu genehmigten Markttage wurden daraufhin in 8 Kalendern (z.B. Lahrer Hin­ kender Bote) und 13 Zeitungen veröffent­ licht. Die Namen der Zeitungen geben einen Hinweis über den Einzugsbereich des Kauf­ hauses, um nur die Grenzbereiche zu nennen und abzugrenzen einige Namen: Freiburger Zeitung Ortenauer Bote Rastätter Bote Karlsruher Zeitung Schwarzwälder Bote (Oberndorf) Rottweiler Anzeiger Schwäbischer Merkur Heuberger Bote Hegauer Erzähler Konstanzer Zeitung 1843 30 774 Malter 1847 38 458 Malter 1848 Dinkel Roggen Gerste „Mischleten“ (Bohnen, Erbsen usw.) Hafer 1850 1853 Angelieferte Mengen und Preise weisen von Jahr zu Jahr starke Unterschiede auf, ein Zeichen für den stark wechselnden Ertrag, abhängig von der jeweiligen Witterung. Gute Ernten und Mißernten mit Hunger und Not wechseln ab (siehe 1850 und 1853). 1879 findet sich in einer alten Zeitung (Sammlung Honold) der bezeichnende Bericht: „Die städtischen Fruchtmärkte sind wie­ der stark befahren. An den Tagen, da sich diese Art Getreidebörse abspielt, stehen in einem Die wichtigste Getreideart (70 %), die zum Verkauf kam, war Dinkel auch Veesen, Kernen oder Spelz genannt. Aus Großmut­ ters Suppenküche ist unreifer Dinkel viel­ leicht noch als „Grünkern“ bekannt. Es ist eine Weizenart, die früher in der Baar allge­ mein angebaut wurde, war „das“ Brotge­ treide, wurde aber in unserem Jahrhundert vollständig vom Weizen verdrängt. Heute soll nur landwirtschaftlichen Betrieb der Dinkel noch ein letztes, winziges Refugium gefunden haben. Es mehren sich aber die Stimmen, dieser Getreideart doch wieder mehr Beachtung zu schenken, da sie bessere Back-Eigenschaften haben soll. Über den Umfang des Getreidehandels und die Verteilung der Getreidearten geben einige Zahlen Auskunft, die genannt werden müssen, um das Bild abzurunden. Aus Jahresabrechnungen, von denen hier einige – willkürlich herausgegriffen – aufgeführt sind, ergibt sich folgendes Bild: mit einem Erlös von f.322 996 mit einem Erlös von f.553 285 23 316 Malter (65 %) f.260096 274 Malter ( 1 %) 1 910 f. 88 Malter f. 623 1 625 Malter ( 4 %) f. 3002 10470 Malter (30%) f. 41281 35 773 Malter f.306 912 30 420 Malter f.308 359 45 520 Malter f.543 058 längs der Hauptstraßen zu hundertweise die Bauernwagen und behindern den Ver­ kehr. An Umsätzen werden durchschnitt­ lich ue Markttag) 3000 Zentner ver­ bucht.“ Nach der Umstellung auf heutige Maße und Geldeinheiten verfügen wir über einige Zahlen, die eindeutig aussagen, daß die Anlieferung des Getreides und der Umsatz an der „Börse“, besonders nach der Jahrhun­ dertwende, immer mehr an Bedeutung ver­ lor. 121

1898 11168 Zentner*) 1901 12 636 Zentner 1903 7 487 Zentner 4 953 Zentner 1904 103 252 Mark 102 070 Mark 59 324 Mark 41 032 Mark Das Ende kam im Ersten Weltkrieg im Rahmen der Lebensmittel-Bewirtschaftung, die einen freien Getreide-Handel nicht mehr zuließ. •) Anmerkung: Heute kostet 1 Zentner Weizen ca. 21,– DM. Im April 1915 heißt es lakonisch im Rats­ „Das Kaufhaus wird bis auf weiteres protokoll: geschlossen.“ Das Kaufhaus wurde als Getreidebörse nie wieder eröffnet. Dr. Ulrich Rodenwaldt Schwenningen um 1800 Das soziale Gefüge des Dorfes zur Zeit Napoleons Die Schwenninger ,Jnventhur- und Thay­ lungsbücher “ in den Jahren um 1800 geben bis in alle Einzelheiten Einblicke in die Ver­ mögensverhältnisse vieler einheimischer Familien, und zwar dann, wenn bei Erbtei­ lungen oder freiwilligen Vermögensüber­ gaben der Tuttlinger Oberamtsschreiber eine notariell beglaubigte Inventurliste aller Gegenstände im betreffenden Haushalt mit ihrem Zeitwert anlegte. Da konnte es dann heißen : „Andreas Haller, Burger und Bauer, dahier Untervogts geheißen, und seiner Ehegattin Anna nata (geborene) Benzingin Liegen­ schaft: Liegenschaft – Wüsen = 5. Vth ins Rammelswüsen 500 f. Äcker = 2. Jch an der Straß 750 f. Fahrnus – 2 Predigtbücher = 2 f 30 x … Sodann haben dieselben folgende Leibgedings-Conditionen zu grunde gelegt: 1) Sollen die Kinder Schuldig seyn, den Eltern jährlich unentgeldlich vor das Haus zu lie­ fern – Holtz 2 Kl, Moos 8000 St … Kleider – 6 gute Hippen a 7 = 42 f … Bett- und Lein- wand – 6 Küssenziechlen a 36 = 3 f 36 x .. . Küchengeschirr – 1 Schmalzpfanne = 15 x .. . Bandgeschirr – 1 Essigfäslen = 8 x . . . Gem. Hausrath – 1 Kunkel= 30 x … Schreinwerk – 1 ungehimmelte Bettlad = 40 x … Vieh – 1 Kuh = 30 f.“ Alle diese seitenlangen Aufzählungen fangen aber stets mit den Häusern und Gebäuden an, so z.B.: ,,Eine ganze Behau­ sung, Scheuer und ungefähr 4 Vth Baum-, Gras- und Kuchengarten nebst einem daran angebrachten Schopf, bei der Zehend Scheuer stehend= 2400 f.“ Zweifellos handelte es sich da um einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb, bei dem die beiden Altenteiler nur noch eine ein­ zige Kuh für sich behielten. Deswegen wurde der Stall, in dem möglicherweise die Pferde standen, bei den Gebäuden gar nicht auf­ geführt, so wenig wie der Sau- und der Hüh­ nerstall und der lmmenstock, von dem ja die Alten auch ihren Anteil fordern konnten. Auf diese Häuser und Gebäude und namentlich auf deren jeweils geschätzten Geldwert wollen wir uns bei der anschließen­ den Untersuchung der sozialen Verhältnisse in unserem Heimatdorf vor 200 Jahren beschränken, damit wir nicht unter zu vielen Einzelheiten die Übersicht verlieren. Selbst­ verständlich müssen wir dabei die Tatsache in Kauf nehmen, daß die einen Häuser schon jahrhundertealt waren, während andere erst kurz vor der angegebenen Zeit errichtet wor­ den waren. Nur bei wenigen Gebäuden steht das ausdrücklich vermerkt. Andererseits ver­ änderten sich die Hauspreise nur noch wenig, nachdem einmal das allgemeine Preis­ gefüge, welches nach der Kipper- und Wip­ perzeit des 30jährigen Krieges durcheinan- 122

der geraten war, sich wieder zur Stabilität hin neigte. Schon bei einem kurzen Gang durch das Dorf wäre uns damals aufgefallen, daß Bauern, Handwerker und Taglöhner bunt gemischt durcheinander wohnten. Nur in einigen Neubaugebieten – jenseits des Neckars und auf dem Sturmbühl- traf man selten auf Bauernhöfe. Hier herrschten die Taglöhnerhäuschen vor, kenntlich an der fehlenden Scheuer, während die Wohnun­ gen der Handwerker, welche oft noch ein kleineres oder größeres Bauernwesen umtrie­ ben, meist noch eine Scheuer aufwiesen, wenn sie auch keine besondere Stalltür zur Straße mehr hatten, weil der Stall nur an die Scheuer angehängt war und sich nur gegen den Hof hin öffnete. In der Dorfmitte, rund um die Wette und in der Nähe der Zehntscheuer, standen dage­ gen lauter behäbige Bauernhäuser. All das läßt sich in den Inventur- und Teilungs­ büchern aus den Preisen ablesen: Während ein großer Hof mit Roß- und Kuhstall, mit großer Scheuer und getrenntem Schopf zwi­ schen 2000 und 3000 Gulden wert war, kostete ein kleineres Anwesen ohne Schopf und mit bescheidenerem Garten 500 Gulden weniger. Von der ersteren Sorte, den Groß­ höfen, standen im Dorf, einschließlich der Mühlen, gerade dreißig. Von der zweiten Art gab es genau neunzehn Zu den wohlhabenderen Bauern und Handwerkern, die ja nie ganz zu trennen waren, konnten sich auch die achtzehn Fami- lien rechnen, welche Häuser im Wert von 1200 bis 1500 Gulden besaßen. Mehr als dop- pelt soviele, nämlich je zweiundvierzig Fami- lien, zählten zu denen, deren Häuser von 900 bis 1200 und von 700 bis 900 Gulden koste- ten. Sie bildeten also die starke Mittelschicht im Flecken. 63 300-500 37 1 150-300 1 1 57 500-700 Aber noch viel mehr, 57 bzw. 63 Familien, hatten nur Häuschen, Haushälften, Haus­ drittel oder gar nur Hausviertel zu eigen, bzw. zur Miete; diese waren nur zwischen 500 und 700 Gulden oder gar nur zwischen 300 und 500 Gulden wert. Die 37 Armeleute­ wohnungen, welche billiger als 300 Gulden waren, standen über den ganzen Ort ver­ streut; auf dem Sturmbühl jedoch konnte man fast ein Fünftel davon, nämlich 7, finden. Die billigste Wohnung in Schwenningen war um 150 Gulden zu haben. Sie lag in der Harzergaß und gehörte dem Schuster Paul �attländer; sie wird so beschrieben: Die Hälfte einer kleinen Behausung mit Scheuer, Stall und Gärtlein. Dabei muß man wissen, daß kaum die Hälfte aller Häuser im Dorf einer Familie allein zustand. Entweder teilten sich die Eltern samt ihren jüngeren Kindern mit der Familie des Erstgeborenen in das Haus nebst Zubehör, oder die Familien der Geschwister verteilten nach der Eltern Tod das Haus unter sich. Dabei kam es vor, daß die Küche einfach durch einen Kreidestrich halbiert wurde, vor allem, wenn das Haus gevierteilt werden mußte. Nicht selten schlie­ fen auch drei Kinder im selben Bett. – Es waren zu jener Zeit acht Prozent der Fami­ lien im Dorf, die so eingeschränkt wohnten. 19 – 18 � 1500 – 2000 1200 – 1500 42 900-1200 42 700-900 30 2000 – 3000 123

Noch interessanter als der Vergleich der Wohnungen ist der Vergleich der Ver­ mögensverhältnisse, welche sich auch aus den Inventur-und Teilungsbüchern ergeben. Natürlich stellt man dabei – je nachdem – große Unterschiede fest. So hatte z.B. ein Bauer eine Schuld von 166 Gulden, ein ande­ rer ein Vermögen von mehr als 23.000 Gul­ den. Deswegen sei hier in diesem Aufsatz stets nur das Durchschnittsvermögen der verschiedenen Berufsstände angegeben, je­ weils zu Zehnerzahlen auf- oder abgerundet. Die neunzig Bauernfamilien, deren Ver­ mögen in den erwähnten Büchern verzeich­ net ist, besaßen durchschnittlich 8.060 Gul- den, wobei alles, vom Haus und Feld und Wald bis zum Salzbüxlein und Holzlöffel, mit eingerechnet wurde. Die Bauern hier wurden nur von drei Berufsständen an Reichtum übertroffen. Vier Müller hatten ein Durchschnittseinkommen von 17.890, drei Salpetersieder von 15.330 und fünf Metzger von 13.790 Gulden. Neben den Bauern betrieben, einschließlich des Pfarrers und des Lehrers, alle Aufgeführten noch eine Landwirtschaft. Nach den Bauern kamen die Wirte, die Fuhrleute und die Bäcker. Von vier Schild­ wirten wissen wir, daß sie durchschnittlich 5.700 Gulden besaßen, von sieben Fuhrleu- Schwenningen um 1860 Nachdruck, herausgegeben vom Schwenninger Heimatmuseum 1985. Auf der Lithographie von!. Kammerer!Rottweil „nach der Natur gezeichnet von Geometer Theodor Carl Weeber aus Schramberg‘:geht der Blick von Hohlehren in südwestlicher Richtung aufSchwennin­ gen. Um das Bild herum gruppiert finden sich Darstellungen des alten Neckarursprungs, des Rathauses und der Saline. ‚CHWENN!NG.EN iu l•.r ßMll • .llO‘.l“l’W�llL. 124

Zur Entstehungsgeschichte der Landgrafschaft Baar ten 5.460 und von dreizehn Bäckern 3.430 Gulden. Die Nächstreichen im Dorf waren drei­ zehn Huf-, Nagel-und gemeine Schmiede mit einem Durchschnittsvermögen von 2.210 fl. Dann kam ein Beruf, der um 1800 hier besonders stark vertreten war-die Schu­ ster. Fünfunddreißig Schuhmacher sind mit ihrem Vermögen aufgeführt; es betrug durchschnittlich 1.870 fl. Dann folgten sie­ ben Sattler mit 1.410 fl. Vermögen. Weit unter der Mitte, die sie eigentlich bil­ deten, lagen die Vermögen der Ölmüller 1.270, der Hirten 1.180, der Weber 1.100, der Schneider 0.960 fl. Aber erst danach folgten die Männer, welche den Ruhm ihres Heimatdorfes, die selbstgefertigten Holzuhren, auf ihren Rük­ kenkrätzen nach fernen Ländern trugen: die Uhrenhändler. Drei von ihnen besaßen Wandert man den Donaueschinger „Haus­ berg“, den Sehellenberg, hinauf und richtet den Blick über die Hochmulde der Baar Richtung Südosten, so gewahrt man vor der Silhouette des Albtraufes zwei Bergkegel, die sich in nur wenigen Kilometern Entfernung schroff gegenüberzustehen scheinen: War­ tenberg und Fürstenberg. Diese beiden Aus­ liegerberge des Albvorlandes trugen im Mit­ telalter Burgen, nach denen sich zwei die Baargeschichte maßgeblich prägende Adels­ geschlechter zubenannten. Deren eines, im Lauf der Geschichte weitaus mehr vom Glück begünstigtes Geschlecht, das Haus Fürstenberg, lebt bis heute fort und durfte mit der Zeit sogar -zunächst in einigen Glie­ dern, schließlich im Gesamthaus -seine Erhebung in den Reichsfürstenstand erle­ ben. Der älteste Titel des Hauses Fürstenberg gründet sich freilich auf die Landgrafen­ würde in der Baar. Man hat in dieser Land­ grafschaft der Sache nach langer Zeit eine daheim ein Durchschnittsvermögen von 860 Gulden (während für den einzigen Uhren­ macher, den ich in den Büchern verzeichnet fand, ein Vermögen von 3.726 f1 stand, obwohl eine neue Wanduhr nur 35 Kreuzer wert war). Für die drei ärmsten Berufsstände, die Maurer, die Taglöhner und die Schindlen­ decker fanden sich in den Inventur-und Tei­ lungsbüchern die folgenden durchschnittli­ chen Vermögensangaben: Uhrenhändler 860, Maurer 690, Taglöhner 530, Schindlen­ decker 470fl. Inzwischen hat sich das Bauerndorf Schwenningen mit seinen zahlreichen Ge­ werbebetrieben zu einer leistungskräftigen Industriestadt entwickelt, in der die Bauern und die Gewerbetreibenden auf den Straßen kaum mehr in Erscheinung treten. Otto Benzing t Fortsetzung der frühmittelalterlichen „Gau­ grafschaft“ in der sogenannten Bertholds­ baar sehen wollen; eine These, die durch erst jüngst wieder angestellte verfassungsge­ schichtliche Überlegungen zu den Landgraf­ schaften des südwestdeutschen Raums neuen Auftrieb zu erhalten scheint (1). Ohne auf ältere verfassungsrechtliche Gebilde oder allgemein auf die Frage nach der politischen Durchdringung unseres Gebietes in Früh-und Hochmittelalter einge­ hen zu wollen (2), nehmen wir einen Q!iel­ lenfund zum Anlaß, Werden und Wesen der spätmittelalterlichen Landgrafschaft Baar einer neuerlichen Betrachtung zu unterzie­ hen. Unter jenen Dokumenten, die einst aus dem Kloster Beuron in das Fürstlich-Hohen­ zollernsche Haus-und Domänenarchiv Sig­ maringen gelangten, befindet sich eine Urkunde, die eigentlich längst die Aufmerk-125 I.

samkeit der Baar-Geschichtsforschung hätte erregen müssen (3). Mit diesem Diplom (4) beurkundete Ritter Konrad von Wartenberg eine Schenkung an das Kloster Beuron, die am 21. Februar 1264 vorgenommen wurde. Den höchst bedeutsamen Bezug zur Baar­ Geschichte liefert aber das Siegel Konrads von Wartenberg, das dieser zur Beglaubi­ gung des im Text festgehaltenen Rechtsaktes anhängen ließ. Es zeigt den nach links gekehrten, aufsteigenden Löwen der Warten­ berger und trägt eine Umschrift, deren letzte drei Buchstaben als einzige dem Verfall ent­ gangen sind: … ARA. Doch diese drei erhal­ tenen Schlußbuchstaben gewähren uns wichtige Aufschlüsse! Sie zeigen nämlich an, daß die Siegelum­ schrift die gleiche gewesen sein muß, die mehrere Siegel des Urkundenausstellers seit 1273 aufweisen: S.C. De WARTENBERG. LANTGRA VII IN BARA („Siegel des Kon­ rad von Wartenberg, Landgrafen in der Baar“). Mit anderen Worten: das Alter der Landgrafschaft Baar läßt sich um fast ein Jahrzehnt heraufsetzen! Ihre Entstehung fallt mithin noch in spätstaufische Zeit. Landgraf Konrad gehörte einem Adelsge­ schlecht an, dessen erste historisch faßbare Glieder (seit dem 11. Jahrhundert) sich nach dem alten Baar-Dorf Geisingen nannten. Seine natürliche Lage wie seine Bezeugung als Stätte eines Grafengerichts in der Karolin­ gerzeit geben diesen Ort als Mittelpunkt der näheren Umgebung im Donautal zu erken­ nen. Schon im 8. Jahrhundert war das Kloster St. Gallen in dieser Gegend begütert, und auch das andere große Bodenseekloster, Rei­ chenau, besaß hier im Mittelalter Güter und Rechte. Die Bezirksvogtei über diesen rei­ chenauischen Besitz in der östlichen Baar dürfte eben in den Händen jenes Ge­ schlechts „von Geisingen“ gelegen haben, das auf diesem Wege seinen Aufstieg zur regionalen Größe erlebte: Mit dem reichen­ auischen Vogtgut wird wohl der Grundstein für den umfangreichen Besitz des Ge- II. schlechts in der Ostbaar, auf der Scheer sowie im Donau-und Aitrachtal gelegt worden sein. Vermutlich noch im Zuge dieser Ent­ wicklung folgten die Edelfreien von Geisin­ gen dem Vorbild vieler Adelsgeschlechter des 11. Jahrhunderts und verlegten ihren Wohnsitz auf den fortan namengebenden, westlich Geisingens gelegenen Wartenberg; die Zubenennung läßt sich zweifelsfrei erst­ mals für 1138 nachweisen. Von ihrer Burg aus erhoben die Herren von Wartenberg im endenden 13. Jahrhundert dann den Ort, aus dem sie einst hervorgegangen waren, zur Stadt. Zu ihrer Aufwertung trug noch im aus­ gehenden 12. Jahrhundert eine Heiratsver­ bindung mit der Stifterfamilie des Klosters Schussenried bei,_als deren Erben die Warten­ berger nunmehr Besitz in Oberschwaben wie auch im Gebiet der Nordostschweiz über­ nehmen konnten. Den Höhepunkt in der Geschichte der Herren von Wartenberg markiert jedoch der Erwerb der Landgrafschaft Baar in der zwei­ ten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die Erlan­ gung dieser Würde ist allerdings keine unmittelbare Folge der bereits angesproche­ nen Rechtstitel und Besitztümer. Den Aus­ schlag gab dazu vielmehr eine enge ver­ wandtschaftliche Bindung zu den Grafen von Sulz. Spätestens für die Mitte des 13. Jahrhunderts kann eine solche Blutsver­ wandtschaft als gesichert gelten, doch ist auch nicht auszuschließen, daß ihre Anfange um einige Jahrzehnte früher anzusetzen sind. Obwohl eigentlich am oberen Neckar-.be­ heimatet, treten die Grafen von Sulz erstmals 1140 als Baar-Grafen in Erscheinung. Der Ursprung jener gräflichen Gerechtsame der Sulzer in der Baar liegt völlig im Dunkeln. Festzuhalten bleibt, daß sie diese Funktion jedenfalls nicht ohne die damals mächtigsten Gebietsherren im Raum von Baar und Ost­ schwarzwald auszuüben im Stande gewesen wären: die Herzöge von Zähringen, als deren 127 IIl.

Schenkung des Ritters Konrad von Wartenberg an das Kloster Beuron; 1264, Febr. 21 (Staatsarchiv Sigmaringen, Dep. 39, Kloster Beuron 75, 98). Das landgräjliche Siegel unten links. 128

Vasallen wir die Sulzer in den Qiellen auch unschwer ausmachen können. Es scheint, als ob die Zähringer, die zu jener Zeit ihren Schwerpunkt längst in den Breisgau (und nach Burgund) verlagert und mit der Erschließung des Schwarzwaldes begonnen hatten, den Sulzem die Sicherung der Ostflanke ihres Machtbereichs übertra­ gen hätten. Allerdings müssen die Sulzer die Grafschaft in der Baar (,,comitatus in Bare“) spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts vom Reich zu Lehen genommen haben. Hierzu paßt zwanglos, daß die Sulzer, die auffälligerweise für die lange Regierungszeit Friedrich Barbarossas völlig aus den Qiellen verschwinden, unter Heinrich VI. und Fried­ rich II. mehrfach im Gefolge der Stauferherr­ scher auftauchen. Im 13. Jahrhundert konn­ ten die einstigen Zähringer-Vasallen dann als entschiedene Parteigänger der Staufer gelten. Gleichwohl verlautet nichts über eine Beteiligung der Sulzer an den Auseinander­ setzungen, die nach dem Aussterben der Zähringer im Mannesstamm (1218) zwischen deren rechtsrheinischen Allodial-(Eigengut) Erben, den Grafen von Urach, und dem Stauferkönig (seit 1220 Kaiser) Friedrich II. entbrannten, welcher Teile des zähringischen Erbes, vor allem die Stadt Villingen, als an­ gebliche Reichslehen an sich zu ziehen trach­ tete. Sicher mußte ihre Stellung in der Baar die Sulzer auf Dauer aber in einen Gegensatz zu den Uracher Grafen bringen, zumal deren eine Linie sich nach der Teilung des urachi­ schen Hauses um 1250 Burg und Stadt Für­ stenberg als namengebenden Sitz ausersah und somit ihre Machtposition in der Baar unterstrich. So überrascht es nicht, wenn wir etwa für 1279 von einer Todfeindschaft zwi­ schen den Grafen Hermann von Sulz und Friedrich von Fürstenberg hören. Doch bald darauf muß eine Befriedung der Lage eingetreten sein, und eine endgül­ tige Klärung der Grafschaftsverhältnisse von Reichs wegen ließ nicht mehr lange auf sich warten: Nachdem Graf Hermann von Sulz auf die Grafschaft in der Baar verzichtet IV. hatte, wurde diese samt allem Zubehör durch König Rudolf von Habsburg am 18.Januar 1283 dem Grafen Heinrich von Fürstenberg zugesprochen. Der Verzicht dürfte dem Sul­ zer um so leichter gefallen sein, als man ihm offenbar eine durchaus nicht geringe Ent­ schädigung in Aussicht gestellt hatte. Seit 1298 tritt er als Reichshofrichter in Erschei­ nung, übte also stellvertretend für den König das höchste Richteramt des Reiches aus. Vom 14. bis ins 17. Jahrhundert verblieb das Richteramt am Rottweiler Hofgericht, dem wichtigsten Reichsgericht des deutschen Südwestens, ohne Unterbrechung als erb­ liches Reichslehen im Besitz der Grafen von Sulz. Die Königsurkunde von 1283 galt der Grafschaft in der Baar; von einer Land­ grafschaft verlautet nichts, und auch des Wartenbergers – immerhin seit fast zwei Jahrzehnten Inhaber der Landgrafenwürde! -wird nicht gedacht. Schon dies zeigt an, daß die Grafschaft in der Baar ihrem sachlichen Substrat nach nicht mit der Landgrafschaft in der Baar gleichgesetzt werden darf. Von einer Kontinuität der Baar-Grafschaft, wie sie einst die Sulzer und seit 1283 Heinrich von Fürstenberg zu Lehen trugen, zur Landgraf­ schaft Baar, als deren ersten Träger wir Kon­ rad von Wartenberg kennengelernt haben, kann keine Rede sein. Wenn wir die Landgrafenwürde des War­ tenbergers auf ihren Ursprung wie ihren Inhalt hin befragen wollen, müssen wir uns erneut das Datum der Beuroner Schenkungs­ urkunde in Erinnerung rufen: den 21. Fe­ bruar 1264. Es liegt kaum drei Wochen nach dem ersten feststellbaren Auftreten Her­ manns III. von Sulz als Grafen in der Baar, obgleich dieser bereits Jahrzehnte zuvor das Erbe seines 1236 verstorbenen Vaters ange­ treten hatte. Zu erwägen wäre, ob Graf Her­ manns zum 2. Februar 1264 erstmals faßbare Amtsführung in der Baar als Anzeichen einer politischen Neuorientierung zu werten ist, wie sie der Verlust der angestammten 129

Blick auf die Baar um Donaueschingen von den Hügeln des Sehellenbergs aus; im Hintergrund der Wartenberg (links) und der Fürstenberg (rechts). Aquatinta-Blau nach einer Zeichnung aus der Zeit um 1830. Herrschaft Sulz an die Herren von Gerolds­ eck (irgendwann zwischen 1222 und 1267) nahegelegt haben könnte. Doch brauchen wir uns weder dieser Spe­ kulation hinzugeben, noch die zeitliche Koinzidenz des ersten Auftretens Graf Her­ manns von Sulz in der Baar mit der ersten Bezeugung seines Verwandten, Konrads von Wartenberg, als Landgrafen ebenda einem Zufall der Überlieferung anzulasten. Die – gleichfalls bislang unpublizierte, nur in (5) – kopialer Überlieferung erhaltene Urkunde vom 2. Februar 1264 regelt die Schenkung eines Vogtguts an das wartenber­ gische Hauskloster Arntenhausen. Von dem Vogtrecht heißt es, daß es von den Grafen von Sulz als Lehen empfangen werden müsse; die Urkunde wurde von dem Edlen Konrad von Wartenberg mitbesiegelt. Den Gesamteindruck rundet es ab, wenn wir einer wenig beachteten chronikalischen Q!ielle des 17. Jahrhunderts aus dem Kloster St. Georgen entnehmen, daß jenes warten­ bergische Hauskloster Amtenhausen, eine Tochtergründung von St. Georgen, 1264 nach seiner Zerstörung „in Krieg und Brand“ wiederaufgebaut worden sei (6). Kein Zweifel: Über dem Zusammenwir­ ken der Sulzer und Wartenberger war ein Konflikt dieser Partei mit den Fürstenber­ gern entstanden, welche sich von den Ansprüchen der Gegenseite herausgefordert sahen. Der Sulzer hatte Konrad von Warten­ berg mit gerichtsherrlichen Rechten aus­ gestattet, die aus seinem Grafenamt ableitbar waren. Der Auftrag erging an den Angehöri­ gen eines verwandten Dynastengeschlechts, dessen Herrschaftsbereich sich von dem der Fürstenberger scharf abgrenzte und dessen Stellung stark genug war, das Landgrafenamt 130

in der Baar gegen die Zähringer-Erben zu behaupten. In der Tat gelang dies Konrad von Wartenberg über Jahrzehnte hinweg, auch noch nach Bereinigung der Grafschafts­ verhältnisse in der Baar 1283. Die Versuche von fürstenbergischer Seite, sich selbst in den Besitz der Landgrafenwürde zu setzen, blie­ ben nach der realen Seite hin ohne Erfolg. Wie später noch öfters in der fürsten bergi­ schen Geschichte gelang jedoch auch hier der angestrebte Erwerb auf friedlichem Wege. Denn da aus bis heute ungeklärten Gründen die Landgrafenwürde nach dem Tode Kon­ rads von Wartenberg über die Tochterseite vererbt worden war, konnte Graf Heinrich II. von Fürstenberg durch seine Heirat (1304) mit Verena, Tochter der Anna von Warten­ berg und des Grafen Heinrich von Freiburg­ Badenweiler, seinem Hause mit der Herr­ schaft Wartenberg auch den Titel eines Land­ grafen in der Baar sichern. Doch auch nach der glücklichen Beendi­ gung des Konkurrenzkampfes zwischen Für­ stenberg und Wartenberg geriet die Land­ grafschaft Baar noch einmal in Gefahr, da sich Fürstenberg in Auseinandersetzungen mit der aufstrebenden Territorialmacht Habsburg einließ. Sie endeten, nachdem 1305 schon Bräunlingen mit seiner großen Waldmark verlorengegangen war, 1326 mit der Abtretung Villingens, der einzig bedeu­ tenden Stadt des fürstenbergischen Macht­ bereichs. Der Landgrafentitel indes verblieb dem Hause Fürstenberg. In den folgenden Jahr­ hunderten verwischte sich allmählich der Unterschied zwischen der Grafschaft und der Landgrafschaft in der Baar, so daß beide nicht selten in der Überlieferung unter der Bezeichnung „Landgrafschaft Fürstenberg“ zusammengefaßt werden konnten. Die Landgrafenwürde blieb allerdings stets reichslehenbar und bestand bis zum Ende des Alten Reiches. Das Geschlecht der Herren von Warten­ berg, dem in der mittelalterlichen Baar­ Geschichte eine tragende Rolle zu spielen vergönnt war, hatte dagegen mit dem Verlust des Landgrafenamtes seinen Zenit über­ schritten. Durch eine unstandesgemäße Hei­ rat am Ende gar um seine Edelfreiheit gebracht, erlosch das einstmals stolze Haus Wartenberg, dessen Angehörige sich inzwi­ schen auf einigen Burgen im oberen Donau­ tal festgesetzt hatten, im ausgehenden 15. Jahrhundert. Volkhard Huth O!Jellen und Literatur (1) Meinrad S c h a a b , Landgrafschaft und Graf­ schaft im Südwesten des deutschen Sprachgebiets, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 93 (1984), S. 31- 55. (2) Eine Zusammenfassung des Gangs der Baar­ Forschung hat Karl Siegfried B a d e r , auf dessen Literaturzusammenstellung hier verwiesen wer­ den kann, den Lesern des »Almanachs“ in dessen 9. Folge (1985) geboten. Aus philologischer Sicht neuerdings Horst B a n s e , Die Baar – Eine neue Deutung des Landschaftsnamens, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar 35 (1984), S. 17 – 25. (3) Erste Hinweise darauf bereits bei Volker S c häf e r , Die Grafen von Sulz, Diss. phil. Tübin­ gen, Teildruck 1969, S. 40 mit Anmerkung 62. (4) Staatsarchiv Sigmaringen, Dep. 39, Kloster Beuron 75, 98. (5) Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 65/11441, fol. 46. (6) Fürstenbergisches Urkunden-Buch, Bd. V, Nr. 69/3. * ,,Maidili, wem ghörsch?“ Jüngscht lauf i mol nebs Kirners Hüsli num, Do springt e winzigs Maidi:li rum. »Ja,“ sag i zu nem. „wie heisch denn du mit [Namme?“ „Hä, Marili, sage mer alle z’samme.“ „Kaasch au scho lese? Gosch in d’Schuel?“ „Nai, no nit.“ »Ja, wem ghörsch dennn – welle Lüt?“ Do sait es lut un überzeugingsfester: „Ich ghör dr Mueder Schweschder.“ Bertin Nitz 131

Fürstenberg trennt sich von den Patronaten Eine Institution, die ein volles Jahrtausend auf der Baar Geschichte machte Bei den Gratulationen anläßlich des 60. Geburtstages von Joachim Fürst zu Fürsten­ berg hatte Weihbischof Karl Gnädinger 1983 in Donaueschingen die Verdienste des Hau­ ses Fürstenberg um die Kirche gewürdigt und dabei von der Treue zum katholischen Glau­ ben gesprochen, die bis zur Stunde vor allem in der Fürsorge für mehr als 100 Patronatskir­ chen ihren Ausdruck findet. Patronatskir­ chen – damit war auf eine Institution hin­ gewiesen, die auf deutschem Boden bis in die fränkische Zeit zurückreicht und eine mehr als tausendjährige Geschichte auch unserer engeren Heimat, der Baar, umschließt. Patronatskirchen – was hat es mit diesem Begriff auf sich? Nun, er geht auf das Eigen­ kirchenwesen im frühen und hohen Mittelal­ ter zurück. Insgesamt 39 Eigenkirchen in der ehemals Fürstenbergischen Baar hat Dr. Tumbült in einer Untersuchung ermittelt, die er 1941 in Donaueschingen veröffentlicht hat. Die Institution besagt: Wer in fränki­ scher Zeit eine Kirche erbaute und dotierte, oder durch Schenkung, Kauf, Tausch oder Erbschaft später erlangte, betrachtete dieses Gotteshaus auch nach der Weihe als sein Eigentum. Er verfügte über das Eigentum der Kirche und entschied über Anstellung und Entlassung der Geistlichen. Zwar hatte Karl der Große auf der Reichssynode 794 in Frankfurt bereits gewisse Einschränkungen der grundherrlichen Rechte verfügt. Doch endeten die Streitigkeiten zwischen weltli­ cher und kirchlicher Macht erst im Jahre 1122 mit dem Wormser Konkordat, das weltliche und kirchliche Macht streng trennte, wobei dem weltlichen Grundherrn nur noch das Vorschlagsrecht für die Berufung des Prie­ sters an seiner Kirche blieb. Im Sinne der Vorschrift des Wormser Konkordats handelten offensichtlich auch die Grafen von Fürstenberg, die 1244 auf eigenem Grund und Boden die Stadt Vöh­ renbach gründeten. Sie verzichteten von vor- 132 neherein auf eine Eigenkirche und unterstell­ ten die Filiale in Vöhrenbach im Einver­ ständnis mit dem zuständigen Bischof und der Abtei Salem als der Eigentümerin der Kirche in Herzogenweiler der dortigen Mut­ terkirche. Anders freilich im Spätmittelalter, als die Baar in die abendländische Kirchenspaltung hineingezogen wurde. Nun bemühten sich, wie Hermann Lauer in seiner „Kirchenge­ schichte der Baar“ nachgewiesen hat, auch die Fürstenberger, zur Festigung und Konso­ lidierung ihres Besitztums, die Zahl ihrer Patronatskirchen zu erweitern und auch die Nichtpatronatsgeistlichen zu beeinflussen. Erst im Lauf des 18. Jahrhunderts war dann das Haus Fürstenberg stärker an einem fried­ lichen Ausgleich mit der Kirche interessiert. So erwarben die nunmehr zu Reichsfürsten aufgestiegenen Chc:fs des Hauses Fürsten­ berg 1782 vom Bischof in Konstanz, dem Rechtsnachfolger der Abtei Reichenau, das Patronat über die Residenzpfarrei in Do­ naueschingen und überließen dafür dem Bischof in Konstanz das fürstenbergische Patronat ihrer – ehemaligen – Eigenkirche in Unadingen. Im Jahr darauf kaufte das Haus Fürstenberg die schellenbergische Patronats­ pfarrei Hausen vor Wald. Weitere Verträge von 1802 und 1803 sicherten Fürstenberg das ausschließliche Patronatsrecht in lppingen, wofür die Fürstenberger ihren Anteil am Patronatsrecht in Zimmern, heute Ortsteil von lmmendingen, an Konstanz abtraten. Auf die mannigfachen Veränderungen der Patronatsverhältnisse im Lauf des 19. Jahrhunderts einzugehen, ginge über den Rahmen dieses Beitrags weit hinaus. Festzu­ stellen bleibt, daß durch ein Gesetz vom 9. Oktober 1860 das Großherzogtum Baden dem Hause Fürstenberg an die 40 Patronate wieder zurückgab, auf die die Standesherr­ schaft in Donaueschingen, angesichts der adelsfeindlichen Beschlüsse im Jahre 1848

Über dem Hochaltar von St. Johann in Donaueschingen – als ein Ehrenrecht des Patronatsherrn – das Wappen des Hauses Fürstenberg auf der Nationalversammlung in Frankfurt, protestartig Verzicht geleistet hatte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verzeich­ net der Fürstenbergische Patronatschematis­ mus vom 1. Januar 1905 insgesamt 114 Patro­ nate über Pfarreien und Kaplaneien, davon 105 in der Erzdiözese Freiburg und neun in der Diözese Rottenburg. Von den 105 in der Erzdiözese Freiburg entfielen auf das derzei­ tige Städtedreieck Donaueschingen-Bräun­ lingen-Hüfingen, einschließlich der Raum­ schaft Blumberg, 18 fürstenbergische Patro­ nate. Im Stadtbezirk Donaueschingen sind es die Patronate St. Johann und St. Marien (dieses nach dem Zweiten Weltkrieg einge­ tauscht gegen Steinach im Kinzigtal), ferner die Patronate Wolterdingen, Aasen, Heiden­ hofen, Neudingen und Pfohren (einschließ­ lich der 1905 aufgehobenen Kaplanei). Im Bereich der Stadt Hüfingen waren es im Jahre 1905 die Patronate Hüfingen, Fürsten- berg, Hausen vor Wald und Mundelfingen (Kaplanei). Auf Blumberg entfielen die Patronate: Stadt Blumberg (seit Dezember 1902), Hondingen, Riedböhringen (Kapla­ nei) und Riedöschingen. In der ehedem österreichischen Stadt Bräunlingen, war die heutige Pfarrei Döggingen fürstenbergisches Patronat. – Derzeit liegt die Zahl -im Bereich der Erz­ diözese Freiburg-noch bei 103 fürstenbergi­ schen Patronaten. Und sie dürfte über kurz oder lang weiter schrumpfen -bis auf eine Ziffer, die man gerade noch an den Fingern einer Hand abzählen kann. Grund dafür ist eine Anweisung des II. Vatikanischen Kon­ zils, laut der die in den einzelnen Diözesen noch bestehenden Patronate in weltlicher Hand abgelöst werden sollen. 1983, als der Sprecher der Erzdiözese Frei­ burg bei dem eingangs genannten Anlaß in Donaueschingen von den Patronaten des 133

Hauses Fürstenberg sprach, war die Frage der Ablösung noch – bei dem weltlichen wie dem geistlichen Partner – ein heikles Thema. Inzwischen ist Bewegung in die Ablösungs­ gespräche gekommen. Es ist kein Geheimnis mehr, daß es auch in der Erzdiözese Freiburg weltliche Patronatsherren gibt, die an ihren uralten Privilegien durch die Kirche nicht rütteln lassen. Andere wieder sind durchaus gesprächsbereit. So auch das Haus Fürstenberg. „Die Ablö­ sungsverhandlungen laufen“, bestätigt dem „Almanach“ gegenüber in Donaueschingen Ernst Wilhelm Graf zu Lynar die zwischen der Erzdiözese Freiburg und dem Hause Für­ stenberg in Gang gekommenen Gespräche. Danach ist der Donaueschinger Patronats­ herr bereit, in 98 Fällen (von den derzeit noch bestehenden 103 Patronaten) die Patro­ natsrechte aufzugeben. Fünf Kirchenge­ meinden, zu denen die Fürstliche Familie enge „persönliche Beziehungen“ hat, sind allerdings auch weiterhin – übrigens bei bei­ derseitigem Einverständnis – für den Do­ naueschinger Patronatsherren „tabu“. Es sind die Patronate St. Johann in Donau­ eschingen, die der Gruftkirche in Neudingen und die der Schloßkapelle und der Kirche auf dem Heiligenberg. Auch die Pfarrei St. Marien in Donaueschingen steht auf der Liste der“ Tabu“-Patronate, die aus den Ablö­ severhandlungen zwischen dem Hause Für­ stenberg und der Erzdiözese Freiburg aus­ geklammert sind. Lorenz Honold Literatur: Tu m b ü I t , Georg: Die Eigen­ kirchen der ehemaligen Fürstenbergischen Landgrafschaft Baar. Veröffentlichungen aus dem F. F. Archiv, Heft 9, 1941. – Tu m b ü I t , Georg: Über Kirchenpatronat und Kirchen­ satz. Zeitschrift für die Geschichte des Ober­ rheins. NF. 35, 1920. – L a u e r , Hermann: Kirchengeschichte der Baar. 2. Auflage, R o m m e l, Donaueschingen Gustav: Geschichte der Kirche und Pfarrei Hausen vor Wald und der Filialkirche zu Behla. Karlsruhe 1941. – V e t t e r , August: Hüfingen. Herausgeber: Stadt Hüfingen 1984. 1928. Neues über die Ruine Waldau bei Königsfeld Einen wesentlichen Schritt voran in der Erforschung der Geschichte der besterhalte­ nen Burgruine im mittleren Schwarzwald, der Ruine Waldau in Königsfeld-Buchen­ berg, kam der Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und Vorsitzende des Württember­ gischen Geschichts- und Altertumsvereins, Dr. Hans Martin Maurer. Die gewonnenen neuen Erkenntnisse sind für alle Freunde der Burgruine Waldau von besonderem Inter­ esse. Seine umfangreichen Nachforschun­ gen sind in der Zeitschrift für Württember­ gische Landesgeschichte,Jahrgang 1983, ver­ öffentlicht. Dr. Maurer versuchte das Dunkel der mit­ telalterlichen Geschichte des Bauwerkes auf­ zuhellen, indem er Methoden der Herr­ schaftsgeschichte, der Adelsgenealogie und der Bauanalyse miteinander verbindet. Nach den bisherigen Erkenntnissen datierte die älteste schriftliche Erwähnung über die Ruine Waldau aus dem Jahre 1411, nicht 1409 wie vielfach angegeben, aus dem Fürstenber­ gischen „Lehenbuch“. Damals besaß Konrad Haugk, ein Bürger der nahen Reichsstadt Rottweil, die Burg mit einer zugehörigen Grundherrschaft und zwar als Lehen der Grafschaft Fürstenberg. Aufgrund seiner Nachforschungen stellte Dr. Maurer jetzt fest, daß es noch frühere urkundliche Besitznachweise gibt. Als Graf Eberhard von Württemberg im August oder September 1392 Truppen zusammenzog, um sich im Auftrag des Reiches an der Belage­ rung der Stadt Straßburg zu beteiligen, da nahmen seine Leute im Vorbeimarsch 33 134

Zeichnung: Dr.Asifäller –.·c-..:— Stück Vieh aus dem Gut Waldau mit. Die Stadt Rottweil nahm sich ihres Mitbürgers Konrad Haugk an und verlangte gerichtlich für ihn Schadensersatz. Aber der Graf von Württemberg argumentierte, der Vorfall sei im Dienste des Reiches geschehen, was das Schiedsgericht unter Herzog von Österreich akzeptierte und die Entschädigung ablehnte. Ein noch älterer Beleg aus der Zeit vor 1381 für den Besitz Konrad Haugks wird im Zusammenhang mit der Vogtei Peterzell erwähnt. Besonders befasste sich der Verfasser mit der Familie der Haugks in Rottweil und weist mittels der Siegel, einem Wappen mit sechs Kugeln und der urkundlich mitgeteilten Ver­ wandtschaftsbezeichnungen eine lückenlose Abstammung dieser Linie über sechs Gene­ rationen nach. An der Spitze dieser Ahnenta­ fel steht Bernhard Haugk, langjähriger Bür­ germeister und zeitweise Schultheiß in Rott­ weil in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahr­ hunderts. Die Familie verfugte über grund- herrliche Rechte und Einkünfte in weitem Umkreis und gebot über Leibeigene. Als wichtigster Besitz, jedenfalls als vornehm­ ster, dürfte aber die Burg Waldau mit der zugehörigen Herrschaft gegolten haben, und nicht zufällig nannte sich der einzige Fami­ lienangehörige, der sich einen Herkunfts­ namen zulegte, nach ihr. Im Dokumenten­ buch des Klosters Rottenrnünster wird der Inhalt einer Urkunde von 1303 wiedergege­ ben, in der ein Albrecht von Waldow als Zeuge vor dem Stadtgericht Rottweil für das Kloster Rottenrnünster aufgeführt ist. Es gab also um 1300 eine Familie, die sich nach dem Gut Waldau bezeichnete. Den Beziehungen zwischen Waldau und der Vogtei Peterzell widmet Dr. Maurer wei­ tere Aussagen. So gibt es einen weiterftihren­ den Hinweis im Reichenauer Vertrag von 1369: Zum Recht des Klosters gehöre auch die „Lehenschaft der hofstat ze Waldow“. Auf Grund seiner Ermittlungen über das Bauwerk selbst, kommt Maurer zu der Folge- 135

k o· f Die Burg w_urde vermutlith von den Grafen von Urath, den Vorfahren der fürsten­ ber_ger, zw1sthen 1218 und 1236 gegründet. Um 1325 J 26 wurde die wehrh ft A I ge 1m __ Krieg der Stadt Vi�lingen gegen die Grafen von Fürstenberg teilweis� z:rs:ö�; D_1e furstenberger vemchteten a_uf einen Wiederaufbau und verliehen die militö: mth wertlos gew�rdene Burg, die aber als Mittelpunkt einer kleinen Grundherr­ sthalt wirtschaftliche Bedeutung erhielt, dem reichen Rottweiler Pot · · B rmer ern- ar h d H oug .: . 1e am� 1e aug onnte oder durfte die Burg nicht wiederherstellen und auch fur 1�re B�s1tznachfa_lger, seit 1445 die Grafen und Herzöge von Württem: b�rg hatte sie ke1�e strat�g1sche Bed�utung mehr, so daß sith die Ruirie über die Jahrhunderte hm�_eg bis zum he_ullgen Tag erhielt. Zur hermhaftlithen Aus­ st.attung der Burg gehorte_n 159115 Hof� der Vogtei Waldau-Buthenberg (mit Breg. n_11z und Brogen_) und 12 Hofe der Vogte, Peterzell. Seit 1885 ist die Burg in Staatsbe­ s1_1z . Erhalten sind große Teile der Umfassungsmauer, der Bergfried, Wände des rndl1chen Wohnbaus und Reste der äußeren Zwingermauern und des Grabens. -,‘.‘ l ·1· H k k Die neue Informationstafel die am Turm der Ruine Waldau von der Ortsgruppe des Schwarzwald­ vereins Königsfeld angebracht wurde. rung, daß die Burg zwischen 1220 und 1245 entstanden ist. Als Grund für die Gründung weist er darauf hin, daß es die Grafen von Urach waren, die nach dem Streit mit Kaiser Friedrich II danach strebten, ihre Machtmit­ tel und Positionen in diesem Gebiet zu ver­ stärken. Nach dem Verlust der Stadt Villin­ gen galt es, die Verbindung zwischen ihren Besitzungen in der Baar und im Kinzigtal neu zu sichern. Gerade etwa in der Mitte bei­ der Güterkomplexe, an der Straße von Vil­ lingen nach Schiltach, lag die „Hofstatt“ Wal­ dau, die zur Vogtei Peterzell gehörte. Es waren also vermutlich die Grafen von Urach, die Vorfahren der Fürstenberger, die zwi­ schen 1218 und 1236 die besonders wehr­ hafte, aber auch stattlich vornehme Burg Waldau gründeten. Sie benützten jedoch Waldau nicht als Residenz. Schließlich stand die Frage, wann der Ver­ fall dieser starken, solide gebauten Burg ein- setzte, offen. Sie diente gegen Ende des 14. Jahrhunderts nicht mehr als adliger Wohn­ sitz und wurde von 1445 an ausdrücklich als ,,Burgstall“ bezeichnet. Nun war das 14.Jahr­ hundert noch nicht die Zeit, da man Burgen dieser Qualität und dieser günstigen Lage einfach verlassen und dem langsamen Zerfall preisgegeben hat. Dr. Maurer nimmt auf Grund seiner Untersuchungen an, daß die Burg Waldau 1325 oder 1326, etwa hundert Jahre nach ihrer Gründung, im Krieg der Stadt Villingen gegen die Grafen von Für­ stenberg teilzerstört wurde. Die Fürstenber­ ger verzichteten, vermutlich unter Druck, auf einen Wiederaufbau. In einem weiteren Abschnitt befaßt sich Dr. Maurer in seiner Veröffentlichung mit der Herrschaft Waldau und den Stabsvog­ teien. Bernhard Haugk verkaufte die Burg im Jahre 1445 um den Preis von 150 Pfund Hel­ ler bar und einer Leibrente von 61 Pfund elf 136

Schillingen an den Grafen Ludwig von Württemberg. Diesem Vertrag ist eine Reihe aufschlußreicher Angaben zu entnehmen. Die dabei genannten 29 Höfe verteilen sich auf folgende Orte oder Weiler: Waldau sechs Höfe mit vier Inhaber, Bregnitz ein Hof, Martinsweiler drei Höfe, Peterzell fünf Höfe, Rupertsberg vier Höfe, Hochbrunn ein Hof, Mühlbach vier Höfe mit zwei Inhaber, Bro­ gen drei Höfe, Buchenberg zwei Höfe. Im Jahre 1591 waren es infolge einiger weniger Aufteilungen und Zusammenlegungen noch 27 Höfe. Die 15 Höfe der Vogtei Wal- Segensreich für Kranke und Obdachlose Der „Spittel“, heute ein Bauernhaus, war ehemals Kranken-und Pflegehaus für die Einwohner der Gemeinde. Junker Hans Jörg Ifflinger von Granegg, der damalige Herr des Dorfes, ließ ihn 1590-1593 an der Stelle Der Spittel in Niedereschach Der „Spittel“ in Niedereschach, Fischbacher Straße 2, erbaut 1590-1593, zerstört im Dreißigjährigen Krieg 1642 oder 1643, wiederaufgebaut 1643 oder 1644 lau-Buchenberg, mit Bregnitz und Brogen verfügten 1591 zusammen überl42,5 Manns­ mahd (etwa 67 Hektar) Wiesen, 212 Tagwerk (etwa 100 Hektar) Äcker und meist große ungemessene Anteile an „Reutfeld“, ,, Wild­ feld“ und Wald. Die zwölf Höfe der Vogtei Peterzell hatten noch größere Wiesenflä­ chen: 166 Mannsmahd, etwa 78,5 Hektar. Die 12 Höfe durften 1591 zusammen 569 Stück Rindvieh über den Winter halten, im Durchschnitt 21 Stück. Johann Haller erbauen, wo zuvor das wegen Alters baufäl­ lige Hirtenhaus der Gemeinde gestanden hatte. Zwar wurde es während des Dreißig­ jährigen Krieges 1642 oder 1643 zerstört, aber gleich wieder aufgebaut (1643 oder 1644 ). Die 137

für ein normales Bauernhaus untypische Fensterreihe an der Längsseite läßt den ursprünglichen Zweck auch heute noch erkennen. Hauptsächlich den „hausarmen Leuten“ in den Dörfern der Herrschaft Granegg sei der Spittel „zugute erbaut“ worden, heißt es in einer Urkunde vom 13. Juni 1593. ,,Haus­ arme Leute“, das waren die Obdachlosen; im Spittel wurden aber auch Kranke gepflegt und Alte versorgt. Solch ein Kranken- und Pflegehaus stellte für die Einwohner der Gemeinde eine außer­ ordentlich wichtige und segensreiche Ein­ richtung dar und war- zumal in dieser Größe – nur in wenigen Dörfern vorhanden. Hoffentlich bleibt der auch in seiner heu­ tigen Form beeindruckende Spittel noch lange als ein rühmlicher Zeuge menschlicher Zuwendung und damit als eine Zierde des Dorfes Niedereschach erhalten. Da er seit 1985 unter Denkmalschutz steht, besteht zur Hoffnung Anlaß. Manfred Reinartz ,,Aby nach Hungaria“ Über die Auswanderungen aus dem Schwarzwald nach Südost-Europa Wenn wir in alten Kirchenbücher in unse­ rer Heimat blättern, finden wir hinter Nen­ nungen von Namen oft Vermerke, wie „Aby nach Hungaria“ oder ähnliches. Diese Ver­ merke beginnen etwa 1699, nehmen ab 1712 zu, gehen durch das ganze 17. Jahrhundert. Sie werden besonders zahlreich zwischen 1760 und 1770, ebenfalls zwischen 1780 und 1785, dann nehmen sie ab. Um 1800 herum steigen sie kurz nochmals an und hören später ganz auf. Wenn der Pfarrer nicht schreibfaul war, finden wir noch weitere Angaben über Geburt, Familienstand und vielleicht den Tod der Auswanderer, denn um solche handelt es sich. Manchmal ist auch das Reiseziel vermerkt. Der Vermerk „Aby nach Hungaria“ besagt lediglich, daß diese Person oder Personengruppe nach Osten, jedenfalls östlich Wiens gezogen ist, ganz gleich ob Siebenbürgen, Ungarn, der Banat, Galizien oder die Bukowina das End­ ziel war. Am Oberrhein und im Schwarzwald, in den Vorderösterreichischen und Fürstenber­ gischen landen war ab 1630, als die ersten Heere des Dreißigjährigen Krieges auftauch­ ten eine schlimme Zeit. Krieg folgte auf Krieg. Immer wieder zogen Armeen über den Schwarzwald. Zwischen 1677 und 1697 138 war Freiburg französisch. Mitten im Frieden kam es zu Raub- und Beutezügen. Viele Orte mußten neben den Steuern an den Landes­ herrn noch Schutzgeld an Frankreich zahlen. Bettelbanden zogen durch das Land und plünderten oder erpreßten einzelstehende Gehöfte. Im Osten drängten die Türken.1683 bela­ gerten sie Wien. Für den Kaiser, der in Wien residierte, lag diese Stadt näher, als das Land am Oberrhein. Erst nach deren Niederlage bei Wien und ihrer weiteren Zurückdrän­ gung konnte er sich wieder dem Westen des Reiches zuwenden. Für die Bevölkerung wurde es nicht besser. Einquartierung folgte auf Einquartierung, Schanzarbeiten und Fuhrdienste mußten geleistet werden. Die Truppendurchzüge und Plünderungen hören nicht auf. Zudem spielte das Wetter oft verrückt. Im 18. Jahrh. gab es neben sehr trockenen Sommern naße Jahre und kalte Winter. Das Getreide faulte auf den Feldern. Der Rest fiel dem überhöhten Wildbestand zu Opfer, war es doch in manchen Herrschaf­ ten den Bauern verboten, das Wild mit Gewalt von den bebauten Äckern zu treiben. Dazu grassierten Seuchen. Viele Leute star­ ben. Trotzdem schlossen sich die Lücken, die durch diese Mißstände in der Bevölkerung

Auswanderer unterwegs auf der Rast irgendwo im Banat geschlagen wurden, rasch. Das Bauernland wurde knapp. Für nachgeborene Bauernkin­ der, Taglöhner, Knechte und Mägde, gab es in den nur vom Ackerbau lebenden Gebie­ ten kaum Möglichkeiten, vorwärts zu kom­ men oder zu heiraten. Vielen blieb nur die Wahl auszuwandern oder zum Militär zu gehen. Lediglich in dem Teil des Schwarzwal­ des, in dem sich ab Anfang des 18. Jahrh. die Uhrmacherei entwickelte, war es etwas bes­ ser. Aber auch dort herrschte Hungersnot. Im Frieden von Karlowitz, im Jahre 1699, mußten die Türken den größten Teil Ungarns an Österreich abtreten. Durch die vielen Kriegszüge und die nicht besonders gute türkische Verwaltung waren weite Teile des Landes verwüstet und menschenleer, denn mit den abziehenden türkischen Sol­ daten verließ auch die türkische Zivilbevöl­ kerung ihre Städte und Dörfer. Die verwahr­ losten und fast menschenleeren Ländereien brachten den neuen Besitzern keinen Ertrag, deshalb wurde schon 1699 in Wien das soge­ nannte Einrichtungswerk geschaffen, dessen Arbeit bildete die Grundlage für Neubesie­ delung und den Wiederaufbau des veröde­ ten Landes. Man suchte Siedlungswillige im Westen des Reiches, versprach ihnen Land, steuerfreie Jahre, Befreiung von Frontdien­ sten, große Freiheiten und je nach dem ein Handgeld. Allerdings kamen nur Auswande­ rungswillige aus den katholischen Ländern in Frage, Protestanten war das Siedeln in Ungarn bis 1781 versagt. Als die Türken im Krieg 1716-1718 weitere Niederlagen erlitten, kam es 1718 zum Frie­ den von Passarowitz. Die Türken mußten das Banat, den nördlichen Teil von Serbien und die kleine Walachei abtreten. Zwar konnten diese 1739, im Frieden von Belgrad, Serbin und die kleine Walachei wieder zurückgewinnen, aber das Banat blieb bei Österreich. Die Werbung wurde verstärkt. Aus den schon angeführten Gründen folg­ ten im Laufe der Jahre Zehntausende dem Ruf der Werber, dem Versprechen von Selb­ ständigkeit und eigenem Grund und Boden. Vom Oberrhein waren es gegen 40 000, aus dem Fürstenbergischen um die 4000. Wer auswandern wollte, mußte um Genehmigung ersuchen und dafür bezahlen (Manumission). Der Betrag betrug etwa 5 bis 10 % des liegenden Vermögens oder einer in Aussicht stehenden Erbschaft. Wer kein Geld besaß, konnte später bezahlen oder von Verwandten bezahlen lassen. Arme oder aso­ ziale bekamen die Erlaubnis oft umsonst. Man schaffte sich auf diese Weise „unnütze Esser“ vom Hals. Ein Franz Morath von Schönenbach, ein Bettler, sollte 1 fl und 12 Kreuzer bezahlen. Er konnte nicht. Die Gebühr wurde ihm erlassen, aber er mußte sich verpflichten, für die Herrschaft zu beten. Einern Vincent Morath aus Vöhrenbach ging es ähnlich. Die Siedler blieben auch im Osten österreichische Untertanen. Für die Siedler aus dem heutigen Schwarz­ wald-Baar-Kreis war die erste Station fast 139

immer Ulm. Wie aus Akten ersichtlich, heira­ teten dort viele Paare. In Ulm wurden die Auswanderer mitsamt ihrer Habe auf Schiffe verladen, dann ging es donauabwärts nach Wien. Die Fahrt war nicht ungefährlich. Es gab auf der Donau Stromschnellen und rei­ ßenden Passagen. Manche „Ulmer Schach­ tel“ (Name der Ulmer Donauschiffe) ken­ terte. Die Siedler samt ihrer Habe versanken im Strom, und die Leute waren froh, wenn sie das nackte Leben retteten. Die Fahrt von Ulm nach Wien kostete 1712 etwa 5 f1 und 4 Kreuzer. Man rechnete von dem Wegzug von daheim bis zur Ankunft in Wien etwa 3-4 Wochen, voraus­ gesetzt, es verlief alles nach Plan. In Wien waren Sammellager eingerichtet, dort wur­ den die Ankommenden registriert und erhielten Unterstützung. Mal blieben sie kür­ zere, mal längere Zeit dort. Von Wien gings weiter in andere Sammellager, so nach Esseg, Neusatz, Billay, nach Siebenbürgen, Galizien oder der Bukowina. Von dort wurden sie auf die einzelnen Dörfer aufgeteilt. Meist blie­ ben die einzelnen Züge beisammen, oder die Neuankommenden zogen zu schon früher ausgezogenen Verwandten oder Dorfange­ hörigen. Die Dörfer lagen, mit Ausnahme derjenigen im Banat, meist hinter der Militär­ grenze. Viele Auswanderer erreichten ihr Ziel nicht. In den Sammellager wüteten immer wieder Seuchen. Ganze Familien starben dahin. Manche Auswanderer waren von dem „Neuen Land“ enttäuscht und kehrten wie­ der zurück. Meist wurden sie von den frühe­ ren Herren wieder aufgenommen, aber es kan1 auch vor, daß sie wieder zurück­ geschickt wurden oder ihnen einfach die Ein­ reise in die alte Heimat verweigert wurde. Von einem Auswandererzug aus der Baar, der um 1712 nach Ungarn zog, heißt es: 15 starben, bevor sie das „gelobte Land“ erreich­ ten, von den restlichen 5 kehrten 3 um und nur 2 erreichten Ungarn. Andere kamen zurück, um noch ihre zurückgelassene Habe zu verkaufen oder eine Erbschaft anzutreten. Diese lobten die Weite des Landes, seine Fruchtbarkeit und das meist gute Klima. Diese Erzählungen und die Versprechungen der Werber mach­ ten vor allem bei den ärmeren Bevölkerungs­ schichten Eindruck, und neue Züge machten sich auf den Weg. Im Laufe der Jahre wurde der Auswanderungsablauf derart verbessert, daß er Ende des 18. Jahrhunderts fast Rou­ tine wurde. Aus den verwahrlosten Lände­ reien wurden blühende, wohlhabende Dör­ fer, die für die Nachkommen der Siedler bald zu klein wurden. Nach dem Ausgang des 2. Weltkrieges kamen viele um. Der Rest mußte das von ihren Vorfahren urbar und fruchtbar gemachte Land verlassen und kehrte wieder in die „alte Heimat“ zurück. Karl Fehrenbach Rätselhafte Wehr-Anlagen im Neckartäle Der Neckar ist ein Kind unseres Landkrei­ ses. Er entspringt auf Schwenninger Gemar­ kung, durchfließt diese in nordöstlicher Richtung, um dann unmittelbar hinter dem Schwenninger Flugplatz in fast nördlicher Richtung etwa einen Kilometer lang Dau­ chinger Gebiet zu durchlaufen. Nun wech­ selt er aufDeißlinger Gebiet über, aber schon nach weiteren zweieinhalb Kilometern kehrt er, gewissermaßen „der Not gehorchend, in nicht dem eigenen Triebe“, jähem Schwenk nach Westen auf Dauchinger Gebiet zurück, um sich nun in Nordrichtung durch eine Barriere des Oberen Muschelkal­ kes hindurchzunagen. Nach den nächsten zwei Kilometern verläßt er dann endgültig den Dauchinger Bann und damit seinen Ursprungskreis in Richtung Deißlingen. Der Durchbruch durch den Muschelkalk ist heute allgemein als „Neckartäle“ bekannt. 140

Es bedeuten: 1. Burgstall Neckarstetten 2. Abschnittsgraben, Sohlenbreite ca. 5 Meter 3. Abschnittsgraben, Sohlenbreite ca. 2 Meter 4. Abschnittsgraben, Sohlenbreite ca. 2 Meter 5. Abschnittsgraben nach Revellio 6. Burgstall Schlößle Neckartäle, Vogelperspektive unbewaldet gezeichnet Die Dauchinger Mühle hat sich dort angesie­ delt, in Talaue und an den Schutt-und Fels­ hängen findet sich eine seltene Flora, so ist diese Landschaft zur Idylle geworden, die schon seit Generationen frohgestimmte Wanderer in ihren Bann zieht. Es war nicht immer so, daß das Neckartäle nur Tummelplatz fröhlichen Lebens war, denn gerade in dem letzten Dauchinger „Zipfel“ liegen, im Gestrüpp verborgen, die Reste einstiger Wehranlagen, deren Entste­ hung und Zweck bisher rätselhaft geblieben ist. Treulich hat der Fels die Spuren markan­ ter Gräben bewahrt, auch in den topografi­ schen Karten sind die Standorte mehr oder weniger genau festgehalten, aber keine 7. Burgstall Hohfelsen 8. Neckar 9. Mühle 10. Lunital 11. Siletal 12. Markungsgrenze, Landkreisgrenze, früher Landesgrenze Urkunde -auch keine Sage-haben die Erin­ nerung an ihre Geschichte bewahrt. Professor Paul Revellio hat diese Anlagen bereits im „Stadtbuch Schwenningen a. N. 1932″ beschrieben. Direkt über der Neckartalmühle gelegen finden wir die Umfangreichste. Ein sehr gut erhaltener Graben trennt einen Trümmerhü­ gel mit den Maßen ca. 20 x 30 Meter ab. Gemäß der Rottweiler Oberamtsbeschrei­ bung dürfte es sich um den Burgstall „Nek­ karstetten“ handeln. Revellio spricht von der ,,Schloßhalde“. Eine genaue Untersuchung dieses Stand­ ortes brachte nun nachträglich zutage, daß der von dem Burgstall zur Talsohle hin aus­ laufende Bergsporn drei deutliche Ab-141

schnittsgräben trägt. Dieser Umstand scheint bisher nicht beachtet worden zu sein. Nur wenige hundert Meter nördlich von Neckarstetten Liegt ebenfalls an der oberen Talkante durch einen gut erhaltenen Graben markiert, ein weiterer Trümmerhügel, nach der dortigen Flur „Hohfelsen“ genannt. Mit 7 x 10 Meter Fläche deutet er auf einen ehe­ maligen Turm hin, allerdings ist unterhalb des erwähnten Hügels eine, vermutlich künstlich angelegte Terrasse mit etwa 40 Meter Seitenlänge erkennbar. Auf der Westseite des Neckartales, südöst­ lich der Lunitalmündung, ist auf der Karte eine dritte Ruine eingezeichnet. An diesem Standort können jedoch keine Spuren mehr festgestellt werden. Revellio unterschied an diesem Ort zwischen zwei Anlagen: Einer Abschnittsanlage, dessen Wall eingeebnet wurde, die in der Karte noch ausgewiesen ist, und einem vermutlich jüngeren Burgstall, das „Schlößle“, der am Ende desselben Berg­ spornes direkt über der Talsohle liegt. Er weist ebenfalls einen sehr markanten Graben auf, ist in der Karte jedoch nicht eingetragen und z. Zt. durch seinen Bewuchs kaum erkennbar. Revellio berichtet über einen Grabungs­ versuch am Hohfelsen, der keine Spur von Mauerwerk oder Mörtel zeigte. Auch beim Schlößle finden sich an der Oberfläche weder Mauern noch gemörtelte Steine, „sodaß man es bei beiden Anlagen entweder mit vorgeschichtlichen oder wahrschein­ licher mit ganz frühen mittelalterlichen Herrenburgen zu tun hat. Dasselbe gilt auch von der Schloßhalde, die etwa 100 Meter talaufwärts über der Neckarmühle gelegen ist … “ Die noch vorhandenen Spuren zeigen prinzipiell dieselben Merkmale wie ähnliche Burgställe an der nahen Keuper-Liaskante: Auffallende Nähe der heutigen Markungs­ grenzen, Größe, Domlage, sowie Sicherung durch einfache Abschnittgräben. Die Gesamtanordnung aller drei Wehr­ anlagen scheint eindeutig auf den Talgrund zu orientiert zu sein. 142 Besonders auffällig ist der Verlauf der Oauchinger Markungsgrenze, die sich heute in dem zu betrachtenden Bereich mit der Grenze des Landkreises deckt. Sie greift über die Schlucht des Neckartäle hinweg und scheint auf der Deißlinger Seite die beiden östlichen Burgställe Neckarstetten und Hoh­ felsen als Grenzmarken zu benutzen. Der Hohfelsen selbst ist Eckpunkt, dort winkelt die Grenze nach Westen ab, um nach erneu­ tem Überqueren des Neckartäles am Kehl­ wald entlang nach Nord-Nordwest weiterzu­ ziehen. Diese Verwendung als Grenzmarke läßt den Schluß zu, daß zur Zeit der Markungsab­ grenzung nur noch Trümmerstätten vorhan­ den waren, dies würde auf eine Entstehung der Anlagen spätestens in frühalemannischer Zeit deuten. Die talseitige Orientierung wie­ derum wirkt eigentlich nur dann sinnvoll, wenn der Gesamtkomplex als Talsperre gese­ hen wird, der einem wichtigen Durchgang zugeordnet ist. Dieser Sachverhalt nun müßte der vor­ römischen Zeit zugesprochen werden, wenn man nicht an eine gleichzeitige Blockade der Römerstraße, die am Neckartäle vorbeizieht, denken will. Im ganzen gesehen, stehen wir vor Merk­ malen einer frühen Grenze. Dieser Eindruck verstärkt sich um so mehr, wenn man in unmittelbar östlicher Verlängerung die Jetten­ burg und die Hürnburg auf Deißlinger Bann, und westlich die Riesenburg auf Dauchinger Gemarkung in die Betrachtung einbezieht. In diesem Zusammenhang darf der Schopfelenbühl nicht unerwähnt bleiben, der direkt südlich vorgelagert ist und mit den Resten seiner künstlich geschaffenen Böschungen gleichfalls Rätsel aufgibt. Für die hier geschilderten Vermutungen gibt es keinen Beweis, weitere Hinweise müs­ sen noch gesucht werden. Vielleicht sind sie zu finden in einer Zeit, in der noch die kel­ tischen Helvetier, dann für kurze Zeit die ihnen nahestehenden Boier und darauffol­ gend die germanischen Sueben in unserer Gegend ansäßig waren.

Die Abwanderung der keltischen Stämme fand sicherlich unter den Nachwirkungen der kimbrisch-teutonischen Durchzüge, die unsere Gegend zwischen 113 v. Chr. und 102 v. Chr. mehrfach verunsichert haben müs­ sen, und schließlich unter dem Druck der Sueben statt, die wenig später in diesen Raum vorstießen. Die ungefähre Südgrenze des helvetischen Gebietes wird in der Nähe der Donau, also unserer engeren Heimat, angenommen. Es wäre denkbar, daß nach der Besetzung des keltischen Siedlungslandes durch die Sueben die alten Grenzen auch unter den neuen Herren bestehen blieben. Trotz einer schweren Niederlage gegen die Römer im Jahre 58 v. Chr. scheinen sie unser Gebiet unter Kontrolle gehalten zu haben, denn erst um das Jahr 40 n. Chr. ist das Römerkastell Hüfingen als Standort von Teilen der XXI. Legion bezeugt. Die Donaulinie gerät in Bewegung, und es kommt zu suebisch-römi­ schen Grenzkämpfen. Aus dem Jahre 69 n. Chr. wird von suebischen überfallen auf Donaukastelle berichtet Für dasselbe Jahr wird auch der Baubeginn des Rottweiler Kastells angenommen, und im Jahre 74 n. Chr. holen die Römer unter dem Kom­ mandanten Pinarius zu einem größeren mili­ tärischen Schlag gegen die immer noch als gefährlich geltenden Sueben aus. Den Römern gelingt es nun, das Neckarland in Besitz zu nehmen. Damit ist die Grenzlage unserer Gegend beendet, die Römerstraße wird nach Norden am Neckartäle vorbeige­ führt und verbindet nach ihrem Endausbau Windisch in der Schweiz mit Bad Cannstatt Nunmehr ist das Leben in unserem Raum eindeutig römisch ausgerichtet, das Land kann als befriedet gelten, bis im Jahre 260 n. Chr. die Szene erneut in Bewegung gerät. Die Alemannen haben den Limes durch­ brochen und streben in ungestümen, aber verlustreichen Kämpfen nach Süden. Im Jahre 292 n. Chr. scheinen sie die Donaulinie erreicht und fest in der Hand zu haben. Aber erst 355 n. Chr. darf der Rhein als Grenze angesehen werden. In der Zwischenzeit aber, immerhin zwei Generationen lang, könnte die alte helve­ tische Grenze noch einmal zu Bedeutung gelangt sein. Vielleicht sind unsere drei rätselhaften Burgställe im Neckartäle Zeugen jener Zei­ ten. Ob es sich so verhält, oder ob es sich um frühmittelalterliche Herrensitze handelt, werden wir erst erfahren, wenn die beschrie­ benen Orte von sachkundiger Hand unter­ Dieter Knaupp sucht werden. Qu e l l e n : Hertlein, Friederich: Die Geschichte der Besetzung des römischen Württemberg. W. Kohlhammer, Stuttgart 1928. Mauersberger, Arno: Tacitus Germania, zweisprachig übertragen und erläutert. Insel-Verlag, Lizenzausgabe der Dietrich’­ schen Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1971. Reichelt, Günther: Die Baar, Wanderun­ gen durch Landschaft und Kultur. Neckar-Verlag, Villingen 1972. Revellio, Paul: Aus der Ur- und Frühge­ schichte der Baar. Stadtbuch der Indu­ striestadt Schwenningen-Neckar. M. Link, Schwenningen am Neckar 1932. Stälin, Christoph Friedrich: Wirtember­ gische Geschichte, Erster Teil. Schwaben und Südfranken von der Urzeit bis 1080. 1. G. Cotta, Stuttgart 1841.* Dr Steffa im Theater Dr Hohwassersteffa un si Peternella Hen au emol ins Theader wella. Dr Steffa tuet jez von der dri bis der viare An dem Theaderzettel ummastudiere. Fünf Mark für dr erseht Blatz isch e saumäßig [Geld, Dös sin eso Sächli für die fürnemmer Welt. Drei koscht der zweit und dr dritt ei Mark, Dös zahl i nit, ’s isch mer alles no z‘ stark. Zwanz’g Pfennig koscht dr Katalog, Kumm, Wib, mer sitze uff dr Katalog! Bertin Nitz 143

Glocken, Kirchengeschichte Was alte Baaremer Glocken erzählen Nicht nur Bücher – um ein vertrautes Sprichwort abzuwandeln – auch Glocken haben ihre Schicksale. Ihre Inschriften geben Aufschluß über ihr Alter. Ihre ornamentale Gestaltung, die mit Beginn der Neuzeit immer reichere, vor allem im Barock ebenso prunkvolle wie verspielte Glockenzier, weiß dem Freund der Heimat und der heimatli­ chen Geschichte viel zu erzählen. Da ist die Theresienglocke in Riedböhrin­ gen. Seit bald achtzig Jahren hängt sie im Turm der Pfarrkirche St. Genesius. Glückli­ cherweise ist sie in den beiden Weltkriegen – dank ihres hohen künstlerischen Wertes – von der unrühmlichen Umwandlung in Kanonen und Vernichtungsmaterial ver­ schont geblieben. Bereits im Jahr 1758 ist sie gegossen worden. Auf ihrer Flanke zeigt sie im Strahlenglanz auf Wolken die hl. Theresia von Avila, gekennzeichnet durch den Pfeil im Herzen; darunter ist ein im Lauf der Jahre halbzerstörter Theresientaler zu sehen. Die Profilbüsten der Kaiserin Maria Theresia, ihrer sieben Töchter und ihrer Schwester Anna, jeweils mit dem Geburtsjahr der Dar­ gestellten, zieren den Glockenmantel. Nun weiß der Kenner der Baar, daß die Pfarrei Riedböhringen nie eine besonders enge Beziehung zum habsburgischen Haus in Wien hatte. Und die hl. Theresia von Avila, der die aufwendige Barockglocke gewidmet ist, zählt nicht zu den Heiligen, die in der Heimatkirche des Kurienkardinals Augustin Bea verehrt wurden. Wie also kommt dieses Prunkstück in das schlichte Dorf auf der Baar? Wie jüngste Forschungen (Deutscher Glockenatlas, Band Baden) ermittelten, ist die Riedböhringer Glocke mit einer There­ sienglocke aus Salem identisch, die seit der Säkularisation als verschollen galt. Ursprüng- 144 Die Theresienglocke in Riedböhringen; im Jahr 1758 for die einstige Zisterzienserabtei Salem gegossen lieh befand sie sich im Münster Mariae Him­ melfahrt der einstigen Zisterzienserabtei. Nach der Aufhebung des Klosters kam sie in den Handel und tauchte um die Jahrhun­ dertwende in Neustadt im Schwarzwald auf. Als Riedböhringen 1911 das Langhaus seiner Kirche erweiterte und ihr im Schiff und Chor das neue Stuckornament im nachempfun­ denen Rokoko gab, ging die „verschollene“ Salemer Münsterglocke durch Kauf in den Besitz der Pfarrei St. Genesius über. Mit der überreich mit Akanthus- und Rocaillernotiven sowie dem „liegenden Sal­ beiblatt“ geschmückten Theresienglocke in

Riedböhringen kann die kleinere der beiden Glocken im nahen Aselfingen nicht wettei­ fern. Es ist ein schmuckloses Glöcklein von nur 22,5 Zentimetern Durchmesser und einer Höhe von 34 Zentimetern. Dafür stammt es aus dem 13. Jahrhundert und gilt als die älteste noch vorhandene Glocke in der Baar. Als sie in den Turm in Aselfingen kam, war der Ort im Achdorfer Tal noch eine selb­ ständige Pfarrei. Erst zwei Jahrhunderte spä­ ter -unter Abt Nikolaus in St. Blasien – wurde Aselfingen Filiale der Nikolauspfarrei in Achdorf. ,,Wegen der bösen Zeiten und der ständigen Überschwemmungen der Wutach“ -so der zeitgenössische Bericht – „sind die Früchte und Einkünfte der beiden Pfarreien so geschwächt, daß jede für sich einen eigenen Priester nicht mehr unterhal­ ten kann.“ Inzwischen hatte Aselfingen im 14. Jahr­ hundert noch eine zweite, mittelgroße Glocke erhalten, die ebenfalls noch bis heute ihren Dienst tut. ,,0 Rex Glorie (!) Christe veni cum Pace“ (König der Herrlichkeit, Christus, bringe den Frieden) lautet die Inschrift. Ein Spruch, der -aus der Liturgie Glockenmodell mit den Fachausdrücken für die einzelnen Glockenteile Zeichnung von Georg Goerlipp f–Krone-j Flanke Der Stuck- und Glockengüifser (nach einer Zeich­ nung aus dem Jahre 1607) hervorgegangen -sowohl die bösen Wetter abwehren, aber auch den Gottesfrieden ver­ künden sollte. Das Schriftbild auf den bei­ den Glocken in Aselfingen stimmt überein mit dem Schriftbild einer mittelgroßen Glocke in St. Peter und Paul auf Reichenau­ Niederzell Sigrid Thurm, die für den Glocken­ atlas Baden verantwortlich zeichnet, kommt zu dem Ergebnis, daß die beiden Glocken in Aselfingen von einem Meister auf der Reichenau stammen und daß die Kloster­ insel im Bodensee im hohen Mittelalter ein Zentrum der frühen Glockengießkunst im südwestdeutschen Raum war. Nach kanonischem Recht mußte seit dem Jahr 1169 jede Kirche wenigstens eine Glocke haben. Für einfache Dorfkirchen -nicht nur auf der Baar -waren Glocken damals recht aufwendige Inventarstücke. Einer kleinen Gemeinde fiel es meist leichter, in Eigenar­ beit ein bescheidenes Gotteshaus zu bauen, als eine Glocke bei entfernten Werkstätten in Auftrag zu geben. Diesem Übel halfen im Mittelalter vielerorts die umherziehenden Meister ab, die die Glocken „ vor Ort“ gossen, das heißt in den Dörfern, für die das Geläute 145

Die sogenannte „Schillerglocke“ im Kreuzgarten des Museums zu Allerheiligen in Schaffhausen bestimmt war. In der Nähe der Kirche, meist auf den Friedhöfen, bisweilen auch bei der Dorflinde, machten die Wandergießer mit ihren Öfen sich für einige Zeit seßhaft. So ersparten sie den ärmlichen Pfarreien den teuren und beschwerlichen Glockentrans­ port auf schlechten, ausgefahrenen Straßen. Bei diesem Verfahren konnten die Auftrag­ geber das gelieferte Material auch besser überprüfen und den Schmelzvorgang über­ wachen. Nach alter Überlieferung verließen die Wandergießer am Aschermittwoch ihre Heimat und kehrten um Allerheiligen wie­ der zu ihren Familien zurück. Ihr Reisege­ päck war bescheiden: ein Maßstab, einige Schriftgießformen und einige Model für die Glockenzier und figürliche Darstellungen. Eine Glocke, die von lothringischen Wan­ dergießern an Ort und Stelle gegossen wurde, besitzt die Kirche in Mundelfingen, 146 Glocke aus dem Jahr 1704, ehedem in der Kapelle des Hl. Georg auf dem „Roßberg’� Gemeinde Kaltbrunn- Wittichen, jetzt im Depot der F. F. Sammlungen zu Donaueschingen die Unsere Liebe Frau und nach 1489 St. Georg als Patrone hat. Die 1552 gegossene Glocke zeigt beide Titelheilige (außer der seit dem 14. Jahrhundert üblichen Kreuzigungs­ gruppe), als Nr. 2 St. Georg stehend im Kampf mit dem Drachen und als Nr. 3 die thronende Muttergottes. Vor der Jahreszahl 1552 liest man den bereits seit dem 13. Jahr­ hundert beliebten Spruch: ,,Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat, Christus ab omni malo nos defendat“ (Christus siegt … , regiert … , herrscht; er möge uns vor jedem Übel bewahren). Von dem in Mundelfingen tätigen Wan­ dergießer (oder einem seiner Mitarbeiter) stammen -dies aus dem Schriftbild und den gleichen Plaketten zu entnehmen -auch zwei mittelgroße Glocken in Hausen vor Wald, beide ebenfalls aus dem Jahr 1552. Die größere der beiden Glocken zeigt -noch in

St. Georg, Patron der Kapelle ,,Auf dem Roß­ berg‘: der Drachentöter, gekleidet mit Federhut nach der Mode des 17. Jahrhunderts Glocke des Tobias Schalch vom Jahr 1711,gegos­ sen fti.r die Pfarrkirche der Stadt Geisingen; heute im Kreuzgang des Museums zu Allerheiligen in Schqffhausen der spätmittelalterlichen Majuskel-Antiqua­ Schrift – am Glockenhals die Agatha-Segens­ formel: ,,Mentem sanctem (statt: sanctam) spontaneam honorem deo et patriae libera­ tionen“; in freier Übertragung: Sie (Agatha) hatte eine heilige, wohlwollende Seele, sie ehrte Gott und erhielt die Rettung ihrer Vaterstadt (Honold, Agathakult in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg). Den Mantel der Agatha-Glocke zieren vier Dar­ stellungen: 1. Christus und die Samariterin am Jakobsbrunnen (ein auf Glocken sehr sel­ tenes Motiv), 2. Der hl. Sebastian gefesselt am Baum, 3. Anna Selbdritt, 4. die auf Glok­ ken des Mittelalters obligate Kreuzigungs­ gruppe, wie wir sie bereits bei der Glocke in Mundelfingen kennenlernten. Die Inschrift auf der anderen, bescheide­ neren Glocke vom Jahr 1552 in Hausen vor Wald lautet: ,,A felgere et tempestate libera nos Jesu Christe“ 0f or Blitz und Unwetter bewahre uns Jesus Christus). In der Zeit zwischen 1550 und 1650 kommt auch auf den Glocken unserer Hei­ mat das neue Persönlichkeitsgefühl und gesteigertes Selbstbewußtsein der Gießer zum Ausdruck, wie es dem betuchten Bürgertum in den Städten in der Epoche der Renais­ sance und des Manierismus entsprach. „Es ist nit muglich in diser Veit Der glogen giesen kan das jedem gfelt Wer Verstand hat zirnlichermasen Der so! ain jeden reden lasen Hans Hainrich von Schafhusen unverdrosen Hat die glogen zwaimal gegosen“. So die Inschrift auf dem Schlagring einer großen Apostelglocke in der Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt in Engen, der nachmals fürstenbergischen Amtsstadt. Der Gießer gibt damit Kunde. daß er die Glocke ein 147

St. Nikolaus, der Kirchenpatron der Stadt Geisingen, und St. Martinus (als gepanzerter Riuer, der den Mantel mit dem Belller teilt)- beide Darstellungen auf der jetzt im Museum zu Schaffhausen befind­ lichen Tobias-Schalch-Glocke vom Jahr 1711 zweites Mal gießen mußte – vermutlich wegen „der beim ersten Guß verfehlten Har· monie“ (Sauer, Geschichte und Schicksale der Glocken Badens). Gleichsam zwischen den Zeilen erteilt der Gießer Hans Heinrich Lamprecht seinen Kritikern (und Schwät­ zern) die ihnen gebührende Lektion. Die Inschriftenkartusche auf der Glocke in Engen nennt als Stifter einen Herrn „zu Pappenheim + Des Heiligen Römischen Reichs Erbmarschall+ Landgraf zu Stühlin­ gen + Herr zu Hewen und Grafen“. Unter dem Wappen von Pappenheim findet sich ein Engelskopf über dem Schild des Orts­ wappens von Engen. Laut Alois Baader, Engen, führte etwa ab 1600 der 1580 gebo­ rene Maximilian zu Pappenheim die Regie­ rung in der Landgrafschaft Stühlingen und der Herrschaft Hewen mit Engen, mit denen sein Vater Conrad 1582 von Kaiser Rudolf betraut worden war. Da Conrad, als Luthera­ ner sich mit seinen katholischen Untertanen nicht vertrug, ließ ihn der Kaiser – ganz im Geiste der Gegenreformation und der rau­ hen Sitten des nahen 30jährigen Krieges – 1591 durch den Herzog von Württemberg festnehmen und auf Schloß Tübingen fest­ setzen, wo er 1603 starb. Auf der Flanke der Apostelglocke in Engen ist der ganze Apostel- und Evangeli­ stenkreis – zusätzlich mit vielen weiteren Heiligen – vertreten. Ein Zeichen für den reich entwickelten Heiligenkult und das Frömmigkeitsleben im Frühbarock. Ab­ wechselnd flankieren bald drei, vier oder gar fünf Salbeiblätter einzelne markante Dar­ stellungen, so die Muttergottes und die Kreu­ zigungsgruppe – das Salbeiblatt dabei nicht nur als Schmuckmotiv verstanden, sondern im Sinne des Kirchenlehrers Albertus 148

Magnus als „Symbol des ewigen Lebens“ (Honold, Salbeiblatt im Gebetbuch). Die Schulterinschrift der Engener Glocke lautet: „Laudo Deum Verum, Voco Blebem, Congrego Clerum, Defunctos Ploro, Festa Decoro, Pestem Demonesque fugo“ (Ich lobe den wahren Gott, rufe das Volk, ver­ sammle den Klerus, beweine die Toten, ver­ schöne die Feste, vertreibe die Pest und die Dämonen). Auch sie – die Inschrift – in ihrer Weitläufigkeit bereits ein „Spiegel der Neu­ zeit,“ in der die Aussagen auf den Glocken immer redseliger und profaner werden. 102 Jahre jünger als die große, aufwendige Apostelglocke in Engen ist eine verhältnis­ mäßig kleine Glocke (28 Zentimeter Durch­ messer und 24,5 Zentimeter in der Höhe), die sich heute im Magazin der F.F. Sammlungen zu Donaueschingen befindet. Ehedem hing sie im Dachreiterehen der Hofkapelle des HI. Georg „auf dem Roßberg“, Gemeinde Kalt­ brunn-Wittichen. Wie aber fand das Glöck­ chen aus der volkstümlichen Wallfahrtska­ pelle im oberen Kinzigtal den Weg ins Museum auf der Baar? Nun, der über 750 Meter hoch gelegene Weiler im heutigen Kreis Rottweil war bereits 1498 in fürsten ber­ gischen Besitz gelangt. Volle 300 Jahre hatte das Haus Fürstenberg das Patronatsrecht in der einstigen Pfarrei St. Georg „auf dem Roß­ berg“. Als Stifter der Glocke verzeichnet die Inschrift einen Martin Ruoff – ein Ge­ schlecht, das durch mehrere Generationen Inhaber des fürstenbergischen Hofguts „auf dem Roßberg“ war. In Halbrelief zeigt die eine Seite des Glockenmantels St. Georg, den Patron der Roßberg-Wallfahrt, gekleidet nach der Mode des späten 17. Jahrhunderts. Ein Ritter mit Federhut und Kavaliersbärt­ chen. Unter der Hufe des sich aufbäumen­ den Pferdes windet sich der Drache, den der Ritter mit der Lanze durchbohrt. Auf der Gegenseite des Glockenmantels die Darstel­ lung eines Heiligen in weitem Mantel, dem als Attribut eine dreisprossige Blume (Lilie, St. Josephi) beigegeben ist. Ins Museum abgewandert sind auch zwei mittelgroße Glocken, beide vom Jahr 1711, die einst im Turm der St.-Nikolaus�Kirche in Geisingen hingen. Die größere zeigt in barok­ ken Kartuschen das Bild des Kirchenpatrons als Bischof mit Krummstab und Mitra, des­ sen Rechte ein Buch mit drei Goldklümp­ chen trägt. Auf der zweiten Darstellung sieht man St. Martin als gepanzerter Ritter, den Mantel teilend und dem Bettler zugeneigt, der sich auf eine Krücke stützt. Beide Glok­ ken, einst in Schaffhausen gegossen, sind heute im Besitz des Museums zu Allerheili­ gen in Schaffhausen. Dr. Lorenz Honold Literatur: Deutscher Glockenatlas, Band 4, Baden (1986). – Sauer, Joseph: Geschichte und Schicksale der Glocken Badens, in: Frei­ burger Diözesan-Archiv. Neue Folge Band 37 (1936). – Die Konstanzer Glockengießer, Rosgartenmuseum Konstanz. Ausstellungskatalog 1986. – Honold, Lorenz: Agathakult in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. In: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar (Donaueschin­ gen) 34. Band-1982. – Honold, Lorenz: Salbeiblatt im Gebetbuch. In: (Donaueschingen), Badische Zeitung Bertin Nitz 149 vom 15. August 1986.* Dr Vit in dr Kircha An jedem Sunndig Vormidag Lauft dr Mesmer Habersack Kircha nuff un Kircha nab Un bittet um e mildi Gab. Si großa K.lingelbeutelstecka Mueß er alle ani strecka, Au im Vitli in dr Ecka, Doch seller müen si z’erscht no wecka. Jez, wo ihm der Nochber en Schubber git, Schnellt er uff un gucket nit, Un wil er meint, daß es en Pris git, Sait er: „I dank schö, i schnupf nit!“

Die Glocken der Wallfahrtskirche von Triberg Sie schwingen und klingen, rufen und mahnen, jubilieren bei Festen, verkünden Freude und Trauer, die Glocken der altehr­ würdigen Wallfahrtskirche „Maria in der Tann“‚. Wenn sie auch gemeinsam in harmo­ nischer Komposition ihren Viererklang ertö­ nen lassen, so ist doch das Alter der Glocken Jahrhunderte voneinander entfernt und lädt zur bemerkenswerten Betrachtung ein. Vom mächtigen, 40 Meter hohen Kirch­ turm mit seiner leuchtenden Zwiebelhaube läuteten seit 1725 zwei Glocken. -Nur zwei Glocken? -dies hört sich recht bescheiden an, denn damals nahm die Triberger Wall­ fahrt mit dem 1700 erbauten Gotteshaus einen ungeahnten Aufschwung. Beide Glok­ ken tragen die Inschrift „Rex Judäorum, Jesus Nazarenus“ Oesus von Nazareth, König der Juden) und ,Johann Baptist All­ geyer in Strasburg hat mich gossen 1725.“ Die größere Glocke, 350 kg Gewicht, Ton ais‘ -3, ist reich verziert und trägt neben Ornamenten an der Flanke ein Kruzifixus und eine Darstellung der Mutter Gottes, von Zweigen eingerahmt, darunter auch Salbei­ blätter. Hierzu der Erzbischöfliche Glocken­ inspektor im Bericht 1983: „Salbei war im Mittelalter das Symbol unsterblichen Lebens, wurde aber auch als Mittel gegen den Kirchenschlaf bezeichnet. Vor allem letztere Symbolik hat einige Gießer dazu veranlaßt, den Salbei auf den Glocken naturgetreu abzugießen.“ Die mit 250 kg Gewicht kleinere Glocke, Ton e“ + 1, ebenfalls schön verziert, „bildet mit ihrem größeren Bruder den Tritonus, einen in der Glockenmusik unbeliebten In­ tervall“ -so der Glockenexperte. Die Gläubigen, Wallfahrer und Pilger indessen störte dieser „Abstand zwischen zwei Tönen“ keineswegs. Das etwas dünne Geläut war ihnen seit langem, seit über zwei Jahrhunderten, vertraut geworden. Bis 1942 -dann mußten beiden Glocken im Januar für Kriegszwecke abgeliefert wer- 150 Die altehrwürdige spälbarocke Wal!fahrlskirche „Maria in der Tann“‚ von Triberg, ein sakrales Juwel im Schwarzioald den. Der Staat kannte kein }ardon, der schreckliche Krieg brauchte Kanonen und dazu Glocken. -Wie durch ein Wunder ent­ gingen sie jedoch mit anderen Kirchenglok­ ken dem Einschmelzen. Nach dem Zusam­ menbruch lagerten die Glocken im Bistum Osnabrück. Als der Stiftungsrat dies erfuhr, eilte eine Abordnung dorthin und konnte die Wallfahrtsglocken im Dezember 1945 finden, retten und heil heimbringen. Danach ertönten sie wieder zum Gottes­ dienst und bei Beerdigungen bis zum Beginn der großen Innenrestaurierung der Wall­ fahrtskirche, die Mitte Septemberl985 begann. Seit 8.12.1986, ,,Maria Empfangnis“, läu­ ten die Glocken wieder „Zum Engel des Herrn“ (Angelus Domini).

Für die Pfarrgemeinde �nd die kirchlichen Annalen dürfte jedoch von historischer Bedeutung sein, daß am 13.12.1986 erstmals offiziell in der 286jährigen Geschichte der Wallfahrtskirche zu Triberg vom Zwiebel­ turm v i e r Glocken „zusammenläuteten“! Nun – als der Glockeninspektor vor Jah­ ren zwei zusätzliche Glocken mit entspre­ chender Tonvariante empfahl, tauchte nach geraumer Zeit plötzlich beim Stadtpfarrer ein ehrbarer Triberger Bürger auf und … stif­ tete großzügig zwei neue Glocken! Fürwahr, eine solch‘ freudige Überraschung, eine solch‘ noble Geste kommt in der Tat nicht alle Tage vor. Bereits am 18. 4.1986 wurden in der Glok­ kengießerei Metz, Karlsruhe, beide Glocken gegossen und am 7.10.1986 fand vor der Wallfahrtskirche die Glockenweihe statt. Ein erhebendes Gefühl, ein erinnerungswertes Erlebnis für alle, die dabeigewesen. Die grö­ ßere neue Glocke, dem heiligen Josef geweiht, ist verziert mit einem Reliefmotiv des Heiligen und kunstvoller Schriftdekora­ tion; Tonart: gis‘ -2, Gewicht 486 kg. Die kleinere Glocke, der heiligen Mutter Anne geweiht, weist ebenfalls ein Bildnis der Heiligen und künstlerische Zierornamente mit Beschriftung auf. Tonart: cis“ -1, Gewicht 216 kg. Beide herrlichen Bildmotive sind den Hei­ ligenfiguren am Hochaltar entnommen. Die Metallmischung der Glockenbronze: Rund 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn – und „ein bißchen Betriebsgeheimnis“, wie sich die Chefin der Glockengießerei Metz, Frau Karin Schneider-Andris, beim Gußvor­ gang verschmitzt lächelnd äußerte. Der Wenn die Kinder des Triberger Mariengartens „einmal groß sind‘; erlangt dieses Foto für die Kleinen einen historischen Wert. Im Marientempel vor der Wal!fahrtskirche konnten sie mit den Betreuerinnen die beiden neuen Glocken vor der Weihe am 7.10.1986 hautnah betrachten und bestaunen. 151

Die beiden neuen, mit herrlichem Flankenrelief und Schriftdekoration gezierten Glocken der Wallfahrts­ kirche. Im festlich geschmückten Marientempel vor dem Gotteshaus wurden sie am 7. Oktober 1986 geweiht. das Silberglöckchen bei Taufen geläutet. Über die Herkunft seines Namens gibt es keine Nachweise. Legendär hierzu: beim Glockenguß wäre auch ein wenig Silber bei­ gemixt worden. Da liegt die Vermutung schon näher, die Gläubigen hatten ihre Freude am hellen, klaren, ,,silberreinen“ Klang des Glöckleins und benannten es ein­ fach danach. Die andere, 1851 von „Carl Rosen1aecher in Constanz“ gegossene größere Glocke (35 Kilo), mit Blütenornamenten, Kruzifixus und Frakturinschrift geziert, weist im Kro­ nenbügel einen bärtigen Männerkopf auf. Ursprünglich befand sich diese Glocke in der ehemaligen Friedhofskapelle des alten Fried­ hofs, unterhalb der Riffha1de (heute Real­ schule). Auch diese beiden kleinen Glocken kassierten die Machthaber des 3. Reiches, Siegfried Meier Name des Glockenspenders ist am Schlag­ rand der Glocken eingraviert, verewigt. Die feierliche Glockenweihe nahm Tribergs ehe­ maliger Stadtpfarrer Anton Weber vor. Ihm gab der Glockenspender -unter vier Augen – seine Stiftung bekannt. Deshalb ließ Stadtpfarrer seinen Amtsvorgänger recht gerne die Weihehand­ lung vornehmen. Das Vierglockengeläut bereichert die Gnadenstätte, die Wallfahrts­ kirche und trägt zur Erbauung, zur Besin­ nung der Gläubigen bei. Diese Glockengeschichte wäre unvoll­ ständig, würden nicht auch das „Silber­ glöckli“ und die „Alte Friedhofsglocke“ im Dachreiter oberhalb des Chores der Wall­ fahrtskirche erwähnt. Von J. L. Edel zu Straßburg 1822 gegossen, reich verziert und nur 22 Kilo schwer, wird 152

damals 1942. Sie glaubten in ihrem Wahn, mit dem Silberglöckli und der Friedhofs­ glocke den Krieg zu gewinnen! – Eine glück­ liche Odyssee, ein gütiges Geschick war auch diesen beiden Glöcklein beschieden. Sie konnten Ende 1945 unbeschädigt nach Tri­ berg heimgeholt werden und befinden sich seither, am Holzjoch befestigt, im Dachreiter der Wallfahrtskirche. In der linken Ecke des Chores hängen zwei Seile vom Deckengewölbe herunter. Sie bewirken, daß beide Glöcklein noch auf her­ kömmliche Art geläutet werden. Ein alter Brauch lebt so weiter und genießt Selten­ heitswert. Ein Hauch von Nostalgie ist mit dem Seilzug geblieben. – Die vier Glocken im Turm werden indessen mit elektrischen Läutemaschinen zum Schwingen und Klin­ gen gebracht. Die Turmuhrenfabrik Gebr. Schneider, Schonach, lieferte und installierte 1986 die technische Anlage. Stadtpfarrer Anton Weber, heute Pfarr­ herr in Kiechlinsbergen am Kaiserstuhl, zitierte bei der Glockenweihe einen alten Glockenspruch: „LAUDO DEUM VERUM I PLEBEM VOCO / CONGREGO CLERUM / DEFUNCTOS PLORO, PESTEM FUGO / FEST A DECORO. Ich lobe den Herrn, rufe die Gemeinde, versammle den Klerus. Ich beklage die Toten, rufe feierlich zu den Festen und schmücke sie aus.“ Karl-Heinz Müller Blumberg 400 Jahre Pfarrei Das Jahr 1988 bringt Blumberg ein bedeutsames Jubiläum. Die katholische Gemeinde gedenkt der Stunde vor 400 Jah­ ren, da sie von ihrer alten Mutterkirche in Hondingen, der sie 313 Jahre als Filialge­ meinde zugehört hatte, losgetrennt und zu einer eigenen, selbständigen Pfarrei erhoben wurde und gleichzeitig die alte, schon 1275 bekannte Capella zu einer ecclesia parochia­ lis wurde. Es bedurfte langer Forschungen, bis obige Behauptung aufgestellt werden konnte. Blumberg ist ja nicht in der glückli­ chen Lage, auf eine irgendwo vorzeigbare Stiftungsurkunde hinweisen zu können. Schon 1844 antwortete der damalige Pfarrer Johann Baptist Schmid auf eine Anfrage des Generalvikars betr. Errichtung und Dotie­ rung der Pfarrei so: ,,Das älteste Taufbuch fängt mit dem Jahr 1653 an. Ob die Pfarrei Blumberg schon früher bestanden hat, kön­ nen wir nicht bestimmen. Ebenso kann nicht bestimmt angegeben werden, von wem sie errichtet und gestiftet worden seye. Wir glau­ ben, Graf Egon von Fürstenberg in Möß­ kirch seye der Stifter gewesen.“ Kein Wun­ der, wenn der Pfarrer, der in die Vergangen- heit der Pfarrei zurückschauen sollte und wollte, nur in ein undurchdringliches Dun· kel blicken konnte. Schon im Jahre 1623, als der Dekan bei der Kirchenvisitation in Blumberg den Stiftungsbrief zu sehen wünschte, erfuhr er von Pfarrer Schweick­ hardt, daß er noch nie einen solchen gesehen habe. So notierte der Dekan in seinem Visita­ tions bescheid „Nullas litteras fundationis vidit.“ D. h. ,,Er (der Pfarrer) hat noch keinen Stiftungsbrief gesehen.“ So erklärte es sich, daß die Frage nach der Errichtung der Pfarrei bis in unsere Zeit hinein nicht exakt beant­ wortet werden konnte. Seit H. Lauer in seiner „Kirchengeschichte der Baar“ geschrieben hatte „Pfarrei seit 1603″, haben ihm mehr oder weniger alle, die über Blumberg spra­ chen oder schrieben, seine Behauptung wei­ ter tradiert. So auch L. Heizmann in „Die Gemeinden der Amtsbezirke Donaueschin­ gen und Neustadt in historischer Darstel­ lung“ 1933, und neuerdings M. Münzer, ,,Geschichte des Dorfes Hondingen“ 1979, S. 165. Nur Hermann Franz meint in „Die Kir­ chenbücher in Baden“ 1957 (offenbar die Mitteilung des obengenannten Pfarrers 153

Kath. Stadtkirche Blumberg Schmid mißverstehend), die Pfarrei Blum­ berg sei 1653 errichtet worden. Wenn wir aber das im F. F. Archiv zu Donaueschingen aufbewahrte Urkundenmaterial (besonders Blumberg, Ecclesiastica 45) auf unsere Frage hin sorgfältig untersuchen, kommen wir der gesuchten historischen Wahrheit auf die Spur. Dort finden wir, daß bei der verordneten jährlichen Rechnungsablage der Kirchen­ pfleger vor dem dazu bestellten Untervogt (Andres Stöltz) für das Jahr 1588/89 zum ersten Mal die Kirche von Blumberg (nicht mehr Kapelle, sondern) Pfarrkirche genannt wird. Am 22. November 1950 übergeben sie, Jacob Straub und Hans Sutor, die von ihnen zusammengestellten Kirchenrechnungen zur Abhör. In der Überschrift heißt es: ,,Rechnung Jacob Struben und Hansen Sutors, beed Pfle­ ger zu Biom berg sanct Andresen Pfarrkir­ chen daselbsten“ für das Jahr 1588/89. 154 1588 also ist das Jahr, von dem ab die Pfle­ ger (jetzt sind sie nicht mehr Kapellenpfleger, sondern Pfarrpfleger) die Kirchen-oder (Hei­ ligen) Rechnungen von der neu errichteten Pfarrei zur Abhör vorzulegen haben. Auch im folgenden Kaufvertrag vom 22. Oktober 1589 ist vom „Pfarrer zu Blum­ berg“ und von „St. Andresen Pfarrpflege“ die Rede. An diesem Tag verkaufen Balthasar Fricker und Hans Sauter, Bürger zu Blum­ berg, als Vögte der Kinder Georg und Anna der verstorbenen Thomas Fricker und Maria Schayler dem Grafen Albrecht zu Fürsten­ berg die Erbgerechtigkeit an der Mühle zu Blumberg samt Haus, Hof, Hofreite, oberem Haus, der Halde dahinter und dabei alles in einem Beifang miteinander, mit Mahl-, Gerb- und Siigem ühle, Mühlgeschirr, Wasser und Wasserlauf, wovon dem Pfarrer zu Blumberg 4 Viertel Kernen und an St. Andre­ sen Pfarrpflege 2 Viertel Vesen gehen, alles Schaffhauser Mess, um 650 fl. (Gulden).

Von clen obengenannten Pflegern ist auch von 1589/90 zusammengestellt das „Ver­ zeichnis und Extrakt järlichen einkomens der Pfarrkirchen zue Blomberg.“ Einkommen an Geld: aus besetztem Gut 2 fl. 2 bz (Batzen), 7 rp (Rappen) Zinsen aus Hauptgut 18 fl. 4 bz. Und dan was järlich an sanct Othilia Kappel­ lin, auch sanct Sebastians kertz gesteuret (gestiftet) würdet, des kein gewissen namen hat. .. Einkommen an Früchten (Fürstenberger Mess): Vesen 4 mit. (Malter), 6 vtl (Viertel Zehnten 7 mit., 7 vtl. Haber 1 mit., 9 vtl. So darf als historisch gesichert gelten, daß Blumberg, das seit 1275 als Filialgemeinde Hondingen zugehört hatte, 1588 eine selb­ ständige Pfarrei wurde und seine Kapelle, die 1975 ihr700 jähriges Jubiläum feiern konnte, Kath. Stadtkirche Blumberg, Hochaltar jetzt in diesem Jahr 1988 das 400jährige Jubi­ läum ihrer Erhebung in den Rang einer Pfarr­ kirche begehen darf. Interessant, daß auch K. S. Bader, freilich auf einem anderen Weg zu dem selben Datum 1588 kommt. Aus seinen Studien über die Flurnamen von Blumberg zog er den Schluß: „1588 ist Blumberg Pfarrei mit eigenem Pfarrer. Um diese Zeit begann man, den 3. Ösch nach ihr zu benennen.“ Grund für die Errichtung der Pfarrei Es ist der Geist des Tridentinum, das in der nachreformatorischen Zeit die Neubelebung des religiösen und kirchlichen Lebens durch Intensivierung der Seelsorge erstrebte und den Gläubigen die Befriedigung ihrer gestei­ gerten religiösen Bedürfnisse zu erleichtern suchte. Es bedeutete schon eine große Ver­ besserung der Seelsorge und eine willkom­ mene Erleichterung für die Gläubigen, daß ihr Seelsorger, seit er in den Rang eines Pfar­ rers gekommen war, nun auch das Recht hatte, zu taufen, die Ehen einzusegnen und die Toten auf einem eigenen Gottesacker zu begraben. Sind es doch gegen 6 km bis Hon­ dingen, wohin man bisher die neugeborenen Kinder bei Wind und Wetter auf der kalten Baar, wo der Winter früh beginnt und lange andauert, zur Taufe zu bringen hatte, und wohin doch auch außer den Eltern und Paten -oft auch Opas und Omas -auch andere Geschwister und Verwandte mit­ gehen wollten. Und wie freudig werden es die Brautleute und alle Hochzeitsgäste begrüßt haben, wenn sie von jetzt an an ihrem Ort, in ihrer eigenen Pfarrkirche getraut werden konnten! Und wie dankbar werden es die Blumberger empfunden haben, daß ihr Seel­ sorger das Recht bekam, seine Pfarrkinder selber begraben zu dürfen und um die Kirche herum ein Friedhof angelegt wurde. Jetzt brauchten sie ihre toten Angehörigen nicht mehr in einem beschwerlichen Leichenzug auf einen weitentlegenen fremden Gottesak­ ker bringen, und sie konnten auch die Gräber ihrer Lieben öfters besuchen und leichter 155

pflegen und immer wieder vor oder nach dem Besuch eines Gottesdienstes an ihrem Grab stehend für sie beten. An dieser Stelle erhebt sich die Frage: Wer war der 1. Pfarrer von Blumberg? Es ist hier nicht gefragt, wer der Pfarrer war, zu dessen Pfarrei Blumberg 1275 als Filialgemeinde gehörte. Es war ein hoher Adeliger, Graf Gottfried von Urach (oder auch von Freiburg genannt), Bruder des Gra­ fen Heinrich 1. zu Fürstenberg, Herr von Sin­ delstain (Zindelstein), Kirchherr von Hon­ dingen und weiteren 6 Pfarreien (Villingen, Löffingen, Oberschwenningen, Balingen, Niedereschach, Leidringen) und Domherr von Konstanz. Vielmehr soll die Frage beant­ wortet werden, wer der l. Pfarrer der seit 1588 selbständigen, eigenständigen Pfarrei Blum­ berg war. Die Antwort auf diese Frage wurde bis zu dieser Stunde noch von niemand rich­ tig beantwortet. Pfarrer Joh. Baptist Schmid, der im Jahr 1844 eine series parochorum auf­ stellte, nennt als l. Pfarrer Adam Reisch von Luzern 1653 und als 2. Christophorus Schauerhammer 1656. Abgesehen davon, daß diese Liste erst mit 1653 beginnt, weist sie zahlreiche Fehler au( So ist schon der Erstge­ nannte nicht Pfarrer von Blumberg, sondern investierter Pfarrer von Pützen, der in der priesterarmen Zeit nach dem Dreißigjähri­ gen Krieg von Fützen aus Blumberg mit­ betreut. Ebenso ist auch der Zweite in der Liste von Schmid kein Blumberger Pfarrer, sondern Vikar in Riedöschingen. In späteren Jahren will man es besser wissen. ln seiner Kirchengeschichte der Baar behauptet H. Lauer: ,,Im Jahr 1603 erscheint der l. Pfarrer.“ Und alle weiteren Heimatkundler beriefen sich auf Lauer. In Wirklichkeit ist 1603 das Jahr, wo schon der 2. Pfarrer von Blumberg, Michael Maier, um Versetzung von Blum­ berg bittet. Als l. Pfarrer von Blumberg, das entdeckte der Verfasser dieses Artikels in einem alten Kodex im Erzb. Archiv zu Frei­ burg, ist Georg Benz, der schon etwa 16 Jahre Kaplan in Blumberg war und von Wolfgang Theodor Wurmser von Vendenhaim, des 156 Grafen Albert in Fürstenberg, Heiligenberg und Werdenberg, Obervogt der Herrschaft Blumberg, dem Bischof von Konstanz auf die Pfarrkirche von Blumberg präsentiert und am 3. März 1595 in der Kirche prokla­ miert wurde. Die feierliche Investitur, die gewöhnlich 14 Tage nach der Proklamation, manchmal sogar am Tag der Proklamation selbst erfolgte, konnte, da vorher noch Ver­ schiedenes zu bereinigen war, erst am 20. Oktober ds. Js. stattfinden. Schon 4 Jahre später, am 14. Dezember 1599, wurde der 2. Pfarrer von Blumberg pro­ klamiert: Michael Maier. Noch einmal taucht in den Urkunden der Name Georg Benz auf, am 28. September 1618. An diesem Tag stellen Untervogt und Gericht der Stadt Blumberg der Barbara Straubin, Tochter des Jacob Straub und der Adelheid Schweitzerin einen Geburtsbrief aus. Die Bittstellerin wurde „durch Herrn Georg Bentz, gewesten Pfarrherrn zu Blum­ berg in der Pfarrkirche, wo schon die Eltern getraut worden waren, getauft.“ Josef Spintzik Tanz im Herbst Nun tanzen sie wieder die Blätter im Wind. Die Röcke fliegen, der Herbst beginnt. Sie rascheln und hüpfen, sie schwingen und ziehn bis Schneeflocken rieseln zu Eismelodien. Winter Margot Opp Der Winter naht und Flocken rieseln den ganzen Tag, die lange Nacht. Die Bank im Garten unterm Flieder liegt unter kalter weißer Pracht. Die Wiese ist wie überzuckert, der Apfelbaum im weißen Kleid. So hat das Jahr sich nun gerundet. Es glitzern Schneekristall und Eis. Margot Opp

Kunst und Künstler Die Galerie Heimar Keller Neue Impulse in der Doppelstadt ,,Their job is selling“ – so wird sehr oft ver­ früht der Aktionsradius von Galeristen cha­ rakterisiert. In Villingen gibt es indessen einen Berufsvertreter, der sehr früh erkannt hat, daß man in dem Metier auch auf Kreati­ vität und Gespür setzen muß: Heimar Keller (50) ist Inhaber einer Kunstgalerie in der Villinger Paradiesgasse. Was man ihm vor drei Jahren zur Eröffnung seiner Kunstgale­ rie an Meriten zugeschrieben hatte, erweist sich durchaus auch heute noch als aktuell und angebracht: Heimar Keller schaffe in der doppelstädtischen Kunstszene neue Impulse oder bringe „Bewegung in die Gassen“. Alle­ samt Werte, die die Altstadt von Villingen attraktiv machten … Mit der Schaffung einer eigenen Gemäl­ dehalle hat der Villinger Galerist ein sehr frü­ hes Vorhaben in die Tat umgesetzt. Mit der Galerie alleine ist es jedoch noch nicht getan. Zum ersten „G“ der Galerie, kommt ein zwei­ tes: Gabe. Und die Gabe in Villingen­ Schwenningen trotz eines reichhaltigen Kunstangebotes jährlich etwa fünf oder sechs verschiedene Ausstellungen einzufä­ deln, hat er nicht erst, seit er im Sommer 1984 seine Ausstellungsräume eröffnete. Von da an hat Heimar Keller nämlich versucht, ,,die ,Schwellenangst‘, die manch einen Men­ schen vom Besuch einer Galerie abhält, zu bemänteln“. Der Versuch ist geglückt, und der Kunstexperte hat Türen aufgestoßen. Denn die Bedingung, ,,sich ruhig mal umschauen zu können, ohne gleich etwas kaufen zu müssen“, wie es Heimar Keller for­ muliert, stellte sich als publikumswirksam heraus. Bei all seinen Ausstellungen sind die Kunstrichtungen so verschieden, wie die aus­ gestellten Objekte selbst. Das käme von sei­ nem Selbstverständnis für künstlerische Heimar Keller bei der Arbeit Vielfalt, gibt der Buchbindermeister zu ver­ stehen und sagt, daß für ihn gemalte Kunst oder Bildhauerei den gleichen Stellenwert hat. Wollte Heimar Keller zu all seinen Vernis­ sagen Kataloge herausbringen, so müßten diese üppig in Format und Bebilderung sein. Auf einer Ausstellungsfläche von rund 170 �adratmetern kann er sein Kunst-Engage­ ment in vielen Facetten zum Schillern brin­ gen. Gerne erinnert sich der Kunstfreund an die Eröffnungsausstellung im Juli 1984: Der Tuttlinger Künstler Roland Martin stellte eine Vielzahl seiner Plastiken auf; ,,Men- 157

sehen ohne Gesichter“ war das Premiere­ Thema. Der gelungene Auftakt gab Ansporn zu weiteren Taten. Schließlich macht dje erste Ausstellung eine Galerie erst zur Gale­ rie. Die nächste Präsentation zum Thema „Modeme“ hatte Werke von Josef Werner und Michael Teichmann zum Inhalt. Evident, daß sich die Reihe der Vernissa­ gen bis heute fortgesetzt hat. Starken Publi­ kumsandrang erlebte auch eine vor einiger Zeit von Heimar Keller organisierte Doppel­ ausstellung mit Schmuck und Bildern: Der französische Maler und Grafiker Georges Dussau und die Villinger Schmuckdesigne­ rin Ute C. Schmeckenbecher stellten ihre Kunstobjekte gemeinsam zur Schau – gemein war ihnen auch der Erfolg. Ein Galerist kann jedoch nicht nur von Ausstellungen allein profitieren: Als Besu­ cher der Galerie Keller befindet man sich inmitten vieler Bilderrahmen, glitzerndem Kunst-Kleinod und bronzenen Skulpturen; Kunstobjekte. die in die Hunderte gehen und nur einen Bruchteil der Arbeit Heimar Kellers ausmachen, gäbe es keine Vernissa­ gen. Heimar Keller hat aus seiner Arbeit eigene Grundsätze entwickelt. Das jüngere Publi­ kum ist ihm ebensoviel wert, wie das ältere. Manchmal, so weiß er zu berichten, kämen ganze Schulklassen in seine Galerie, um gemeinsam mit ihren Kunsterziehern die ausgestellten Werke zu bewundern. Gedul­ dig und mit viel Hinwendung erklärt er den Pennälern dann, auf welche Weise die Bilder entstanden sind. Dabei nimmt er für sich kei­ nesfalls das Pathos des erhobenen Zeigefin­ gers in Anspruch. Vom Expressionismus bis zu den Jungen Wilden könnte er den Schü­ lern Hinweise zur Deutung geben. Da wird nicht Illusion beschworen – nein, da spricht ein Fachmann mit Jugendlieben eine Sprache, erzählt gelegentlich auch von seiner Arbeit oder lädt zum Zuschauen ein, wenn er eigenhändig in seiner Werkstatt Bücher bin­ det oder Bilder rahmt. – Toni Melfi Interieur (Erdgeschoß) Galerie Keller 158

Der Maler Josef Astfäller Die Tochter Helga Rudolf-Astfäller mit eigenen künstlerischen Produkten Aus Anlaß des 80. Geburtstags von Herrn Alt­ landrat Dr. Josef Asifäller am 29. September 1987 wird im nachfolgenden Beitrag das künstle­ rische Schaffen unseres Jubilars zusammen mit Werken seiner Tochter, Frau Helga Rudo!fAst- fäller, vorgestellt. Die Persönlichkeit des Jubilars wurde bereits im Almanach 78 (Seiten 70-72) gewürdigt. In diesem unserem sehr bemerkenswerten Jahrhundert, das jeden Tag eine neue Blüte treibt, nicht nur im floristischen Bereich, son­ dern vor allem in den Hochebenen der Künste, wird man rasch in solchem Blüten­ meer ertrinken oder ersticken. Begriffe, Stile, Ismen und Ideologien begleiten diese Erscheinung und lassen sie wieder verwel­ ken, ehe man’s gedacht. Schauen wir uns die Bilder von Josef Ast­ faller an, dann wissen wir, hier ist es anders, nichts verwelkt, niemand ertrinkt. Wir hal­ ten uns ja nicht auf den Hochebenen auf, sondern im gemäßigten Bereich der Liebha­ berei. Ein freundliches Reizwort: Liebhabe­ rei – nicht zu verwechseln mit Hobby, das etwas ganz anderes meint. Liebhaberei, das wächst mit uns und erfüllt schließlich. Es bet­ tet das sonst so ausgesetzte Leben ein, wärmt es nachhaltig und verbreitet stille Sicherheit im Irdischen. Vor allem wenn es Malen heißt. 160 Wer malt, lebt nicht nur länger, sicher oft auch glücklicher. Er macht sichtbar, was er liebt und was ihn innen bewegt. Es reizt ihn, dem Äußeren seinen Stempel aufzudrücken, ihm von Zuneigung und Einsicht mitzuge­ ben, was er besitzt. Schaut man sich wohlwollend und lange, ein bißchen zeitentrückt, die Südtiroler Bil­ der von Josef Astfall er an, dann weiß man, sie haben es fertig gebracht, daß der Maler in ihnen seine angestammte Heimat bewahrt, hinweg über alle Klüfte von Zeit und Raum. Es beginnt bei der Skizze. Indem er sich nie­ derläßt auf einem Zaun oder einem Stein: schon ist dies eine Art Symbolhandlung. Niederlassen unterwegs, das ist viel, da stellt sich auch bald das Gefühl ein, daß man dazu­ gehört, und im Zeichnen des Motivs geht noch mehr vom Wesen der Landschaft in ihn über. Er malt ja nicht ab oder registriert oder schildert. Immer werden Handschrift und Augenarbeit eine Auswahl treffen, die dem Gegenstand gemäß ist. Und Eigenart, sie stellt sich dann fast von selbst ein. Dies aber ist’s: Der Dinge Eigenart. Sie erstrebt der Sinnbegabte, dem auch Früheres, Histori­ sches bewußt ist und gleichzeitig erstrebt er das Verbindende. Er will Gegenstand und Vorgang also etwa Hütte, Wetter, Gewölk oder Vogelflug bringen, er malt in einem Bild

Beim Taser/Schenna (Abb. 2) den unerläßlichen Kontakt der gegenseitigen Bezüge. So ist eben eine Burg vor dem Brand des Abendhimmels eine andere Burg als eine im hellen Sonnenlicht. Die fortgesetzte Verwandlung, die Jahres­ und Tageszeiten mit den Dingen vorneh­ men, bewirkt, daß dasselbe Objekt, vor das der Maler hintritt, immer ein anderes ist. Es kann von freundlich bis dämonisch wirken und verblüffende Empfindungen im Betrachter auslösen, wenn es dem Maler gelungen ist, das charakteristische der jeweili­ gen Erscheinung treffend zu behandeln. Die Südtiroler Bilder unseres Malers! In ihnen gibt er sein Bestes; er kommt aus dem unendlichen Tiefenraum dieses Herzlandes Europas. Es ist nördlich und südlich, herb und üppig, hat unerhörte klimatische Begün­ stigung. Die Volkskultur konnte hier viele Jahrhunderte fast ungestört gedeihen. Daß auch noch die ersten Meister vieler Epochen ihr Können hinterlassen haben, das ist die Krönung. Und da wird man hineingeboren! Wer dieses Glück hat, wird’s nicht erkennen. Spät erst, und dann erst, wenn das Boot am anderen Ufer gestrandet ist, mag er fassen, was ihm geschah. Eine unerläßliche Flucht aus dem Paradies, auch Josef Astfäller auf­ erlegt, hat ihm seine Heimat vertieft wieder­ geschenkt, jedenfalls trieb ihn die Sehnsucht unablässig hinab an die Etsch und ihre Berge. Aber lassen wir ihn erst einmal in Meran­ Untermais, wo sein Vater Volksschullehrer war, 1907 zur Welt kommen. Der junge Josef war, wie er selbst bekennt, immer aufs Ler­ nen aus, konnte nie genug davon bekom­ men. Gitarre und �erflöte gaben ihm zeit­ lebens die musikalische Begleitmusik zu allem. Leider gab es auch im Gymnasium, das er bei den Meraner Patres besuchte, kei­ nen Kunstunterricht. Nur „Freies Zeichnen“, aber in der Freizeit, war möglich. Man zeich­ nete nach großformatigen ornamentalen Vorlagen. Ein Femmalkurs, den er nach lan­ ger Zeit mit Diplom abschloß, half weiter. Er kostete 400 Lire, nach dem ersten Weltkrieg 161

Stadel im Abend/icht/Hafling (Abb. 3) viel Geld, das nicht da war und ihn zum Ver­ kauf der gewiß nicht wenig geliebten Brief­ markensammlung trieb. Er spürte, das Malen gibt mehr und er setzte Prioritäten. Oder: Wo ein Wille ist … Nach dem ersten Weltkrieg setzte die Ita­ lienisierung Südtirols ein. Schon das Abi war nur auf Italienisch zu machen, was viele sei­ ner Landsleute nicht schafften. Er hielt durch und machte sich in Padua als Student der Jura hinter die Paragraphen, 1930 schloß er mit der Promotion ab. Seine erste Stelle bekam er bei einem Anwalt in Meran. Um die Freundschaft Mussolinis zu erhalten, konnte Hitler bekanntlich Südtirol nicht ins Reich „heimführen“. Der italienische Dikta­ tor forcierte die Maßnahmen zur Ausrot­ tung des Südtiroler Volkstums, was soweit führte, nach 162 Südtiroler daß viele Deutschland auswanderten. Inzwischen mit Luise Wenter, aus einer Meraner Geschäfts­ familie stammend, verheiratet, siedelte er 1942 nach Konstanz und begann dort seine juristische Laufbahn als Regierungsrat beim Landratsamt.1948 wurde er zum vorläufigen Landrat in Konstanz ernannt und 1949 an das Landratsamt in Villingen versetzt. Er blieb dort Landrat bis 1973, dem Jahr seiner Pensionierung. In dürren Worten das Gerüst eines beweg­ ten Lebens. Bedenkt man, welchen fast unlöslichen Problemen ein Landrat in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit gegenüber stand, dann wird man die Tatsache, daß ihm die Musen freundlich beigesellt blieben, ganz erstaunlich finden. Die Hauptkraft wei­ terzumachen aber floß ihm aus der Heimat zu. Immer wieder, in jedem Urlaub, war Reschen oder Brenner die zu überwindende Barriere zum Paradies. Eingetaucht in die

noch vielfach intakte landschaftlich-bäuer­ liche Welt zog er schon den Stift und holte den Farbkasten aus dem Beutel. Nun bietet sich aber auch die irdische Wirklichkeit kaum kontrastreicher und fülliger dar als im Südtiroler Gebirge. Die Eis-und die Frucht­ region sind einander unmittelbar benach­ bart, Alpenrose und Feige kann man an einem Tag beschnuppern. Das Abweisendste erlebt der Wanderer in den vegetationslosen Felszacken der Dolo­ miten und das Menschenfreundlichste in den Fruchtauen der Täler: Da liegt der Stoff, dem Auge deutlich dargeboten und aufgefal­ tet; vielleicht von der Gefahr begleitet, daß es in der Fülle ertrinkt und der Maler nicht dort aussondert, wo der Klarheit und des Bildauf­ baus wegen unerläßlich vereinfacht werden muß. Gewachsene Formgefüge, wo sich z.B. Fels, ‚Fichte, Bach und Rasen zum unwider­ stehlichen Bild ergänzen, und natürliche Gruppierungen von Gehöften mit all den Völs-Blick zum Ritten (Abb. 4) Einrichtungen, die das Umtreiben des Hofes erfordern, geben ihm Anlaß zum Gestalten. Häufig aber projiziert er die Bildebenen aus dem Vordergrund der überschaubaren Dinge hinein in den tiefen Raum der Land­ schaft, denn die gemalte Luftperspektive bedarf feiner Abstimmungen in Ton und Farbwert, damit der Raum glaubwürdig wird und transparent. Betrachten wir uns die Ölbilder zuerst, so sticht sofort das Große mit dem Turm der Meraner Stadtkirche (Abb. 1) ins Auge, ein Wohlklang in Braun und klarer Räumlich­ keit, tonig verhalten und geordnet. Ebenfalls tonig, aber in starkem Warm­ kalt-Kontrast begegnet uns die Gehöft­ gruppe „Beim Taser“/Schenna (Abb. 2). Beachtenswert ist, daß sowohl der Kompli­ mentärklang blau-orange in reiner Ausprä­ gung, als auch die Feinstufung gelbliches Grau und warmes Grau bei den Haus­ dächern und endlich noch ein tiefenraum­ schaffender Hell-dunkel-Kontrast an idealer Stelle im Bild zu Harmonie gebracht werden. 163

St. Martin a. Kefel Latsch/Vinschgau (Abb. 5) Es geht alles einander etwas an: das könnte man bei Betrachtung der Bilder empfinden. Haus, Baum, Wiese und Berg sind gleichbe­ deutend einander zugesellt, leben voneinan­ der, wie’s in Wirklichkeit auch ist. Den Men­ schen, der naturgemäß zum Haus gehört und auch das liebe Vieh darf man innen ver­ muten. So gibt es zum Beispiel im Bild Stadel im Abendlicht (Abb. 3) keinen Bildgegen­ stand, der nicht angeschnitten wäre von vor-, neben- oder hintereinander gelagerten Par­ tieen. Hinzu kommt noch die Durchleuch­ tung des Gegenlichts, das die Bäume transpa­ renter, den Stadel massiver macht und lange die Wiese modellierende Schatten schickt, aus denen weitere nahestehende Bäume zu schließen sind. Das Bild „Völs-Blick“ zum Ritten (Abb. 4) zeigt diese Wirkung noch gesteigert. Daß 164 „Licht“ eigentlich ein Thema fürs Aquarell ist, hat der Maler erkannt. So steht dieses Herbstlicht frisch auf der Wiese, es ist in die Bäume gedrungen und steckt in ihnen fest drin. Erst durch das Hinterlagern mit durch­ gängigen und strengen Schichten ist die Lebendigkeit der durchsonnten Bäume im Vordergrund erreichbar. „St. Martin am Kefel Latsch/Vinschgau“ (Abb. 5) ist ein besonderes Blatt, ist ganz Süd­ tirol, hat es doch viel von der entwaffnend direkten Einfachheit des Südtiroler Men­ schenschlags. Der ist natürlich ebenso lebensklug wie alle andern, hat sich aber etwas unverbraucht Gradliniges bewahrt. Die Hütten stehen so am Abgrund, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Der rie­ sige Berghang gegenüber spricht für sich, nichts muß erklärt oder definiert werden. Der Maler hat eine hohe Stufe der Vereinfa­ chung gefunden.

Tartscher-Biihel bei Mals!Vinschgau (Abb. 6) Im Rosseg-Tal!Schweiz (Aflt, 7) 165

Beim Taser/Schenna (Abb. 8) Ansitz in Lana (Abb. 9) 166

erhielt vor allem von Werner Rosenbusch (Verfasser mehrerer Wander-und Skizzen­ bücher z.B.: „Am Bodensee als Maler unter­ wegs“, Verlag Stadler, Konstanz) in Zeichnen und Aquarellieren immer wieder neue Im­ pulse. Ihre erste Ausbildung für Batik fand sie auf der Kunstakademie in Stuttgart in der Klasse von Frau Barth. Heute steht sie mit ihren künstlerischen Produkten auf eigenen Füßen. Zwei Batiken und eine Seidenmalerei liegen hier vor. Das Aquarell, dessen sensi­ blen Anspruch sie seit Jahren auf der Spur ist, müßte eigens behandelt werden und wäre wert, daß man’s aufspürt und entschlüsselt. Zunächst die Batik. Jedermann, der sie schon unter den Händen hatte, weiß, wie unermeßlich ihre formale Breite ist. Abdek­ ken (Reservieren) und Knittern, mit diesen beiden technischen Vorgängen wird gearbei­ tet. Das Einfärben muß von hell nach dunkel erfolgen, auch das liegt fest -aber die Fülle dessen, was durch die unterschiedliche Handhabung der Materialien und Verfahren möglich ist, kann nicht annähernd auf­ gezeigt werden. Viel Selbstzucht ist nötig, allein schon um dem flotten Fluß des Wach­ ses Einhalt zu gebieten. Man erkennt das deutlich bei der gebatikten Schnecke (Abb.11). Ihre Großform hat zwingende Konzequenz, sie ist der Halt im Bild. In ihr nun spielt sich eine kleine Wunderwelt ab. Überall regt sich das Leben, entstehen aus der Spiralbewegung teils bekannte, teils erst halb geformte Geschöpfe und man fragt sich, was da noch alles werden mag. Bei der anderen abgebildeten Batik mit dem Titel »Lebensspuren“ (Abb. 12) ist die zwingende Form aufgegeben, an ihre Stelle ist eine Grundstruktur getreten: die Fließ­ form. In den Kanälen eines weitverzweigten Systems „Chlorophyllbahnen“ sinken durchs Bild, gehemmt und geteilt von hellen Inseln, die beitragen, den vegetativen Strom aufzuspalten in reizvolle und natürliche Umwege, welche später dann wieder geklärt aus dem Bild hinaustreten. Die Rötung im Zentrum des Bildes ist glänzend gelungen, entsteht dadurch doch sinnbildhafte Bild-167 Völs am Schiern (Abb. 10) Die schwarz-weiß gedruckten Aquarelle (Abb. 6-10) von Josef Astfaller lenken den Sinn wegen des Fehlens der Farbe noch mehr auf die Komposition. Vielleicht sieht der Leser jetzt schon aufgrund der vorhergehen­ den Bemerkungen die Möglichkeit zu erfas­ sen, durch welche Gesetzlichkeit das jewei­ lige Bild seinen Halt und damit die erste not­ wendige �alität zugewiesen bekommt. Die Raumschichten, das Durchdringen der For­ men, ihre Geschlossenheit und Gliederung, die primären Bauelemente wie Diagonalen, Vertikalen und Horizontalen im Bildgefüge: das alles prüfe er und komme damit in den höheren Genuß der Betrachtung. Helga Rudo!f-Asifäller, die Tochter und Schülerin unseres Jubilars, 1938 geboren, aus­ gebildet als Hauswirtschafts-und Sportlehre­ rin, hat das Bildereinmaleins beim liebevoll beratenden Vater erlernt. Als Ausgleich zu ihrem Beruf bildete sie sich später weiter und

Schnecke. (Abb. 11) Lebensspuren (Abb. 12) 168

Stadt am Fluß (Abb. 13) verdichtung. Auch hier, so denkt man, könnte Leben entstehen. Von der Seidenmalerei zeigen wir ein bemerkenswertes Stück – ,,Stadt am Fluß“ (Abb. 13). Man braucht nicht von den erfüll­ ten Forderungen zu reden, die es birgt: die Leichtigkeit und Konsequenz der Form, das Auflösen und Sammeln, die konzentrischen Gebäudepartikel und die fortstrebenden Bänder, die Zonen der großen und der klei­ nen Flächen. Das abgestimmte Farbspiel ist gut erkennbar auch im Hintergrund und ver­ lockend schön in den „bebauten“ Feldern – nichts anderes kann man sagen als: es stimmt. Und zu den Lesern: laßt es Euch zum Vor­ bild sein. Wer noch nicht probiert hat, der ahnt ja nicht, welchen Gewinn eigenes Gestalten bringt. Daß es Tiefpunkte der Exi­ stenz zu überwinden hilft und mitunter Ein­ sichten schafft in den inneren Bau der Schöp­ fung. Nur -man muß dranbleiben und darf sich nicht beirren lassen. Werner Rosenbusch 169

Rolf Nickstadt: Uhrmacher, Drucker, Typograph, Historiker Die Wohnung als Atelier: Rolf Nickstadt bei der Arbeit Was wird aus einem 15jährigen Menschen, der am 25. Februar 1945 den Luftangriff auf die Stadt Pforzheim erleben muß, der am Tag danach mithelfen muß, die Toten zu bergen, Massengräber zu schaufeln? Ist so etwas überhaupt ertragbar? Für diejenigen, die die letzten Monate des Krieges erlebt und über­ lebt haben, sind das Erfahrungen, die am liebsten vergessen, verdrängt werden. Wer so jung ist, vergißt vielleicht leichter; wer damals so jung war, den holt die Erinnerung an das, was die einen „Untergang“, die ande­ ren „Befreiung“ nennen, immer wieder ein. Rolf Robert Nickstadt war 15 Jahre alt, Au­ genoptiker-Lehrling, als die Born ben auf Pforzheim fielen. Vergessen hat er diese Nacht nicht. Nur wenige sind bereit, über das zu reden, was damals passierte. Keine Zeit für Helden oder Kommiß-Anekdoten, das Ende des Krieges offenbart viel eher den Wahnsinn menschlicher Aggressivität. Elend ist kein Stammtischgespräch. Bereitwillig, ohne Zögern, erzählt Rolf Nickstadt von dieser Zeit. Erzählt, wie er sich dem )etzten Auf­ gebot“ entzog, vom Willen zu überleben. Die Nachtmärsche mit einem fahnenflüchti­ gen Hauptmann von Pforzheim nach Rott­ weil, auch er ein „Fahnenflüchtiger“, aber gibt es in dieser Zeit eine größere Ehrzuwei­ sung als den Begriff „Fahnenflüchtiger“? Die Fahne, besudelt vom Blut des eigenen und fremder Völker, war nie die Fahne der Ehre gewesen. Wenn Rolf Nickstadt davon erzählt, dann treten in den Erinnerungen keine Helden auf, sondern unterdrückte 171

Menschen, Bekannte, Freunde, Fremde. Und wenn er davon erzählt, dann ist das nie Selbst­ rechtfertigung, sondern Warnung, Warnungan die Nachgeborenen. Das Interesse an der Geschichte, hier liegen die Ursprünge. Rückkehr in die Heimatstadt Schwennin­ gen, die Stadt ist von französischen Truppen besetzt. „Aufräumarbeiten im Bahnhofsge­ biet“, das klingt nach Normalität, aber wer die Fotos der Zerstörung gesehen hat, weiß, was das bedeutet. Viel später wird RolfNick­ stadt ans Pentagon schreiben, um Fotos bitten, Fotos der zerstörten Heimatstadt. Er wird sie bekommen, Teile der Aufarbeitung der Geschichte, Dokumente eigener Erinne­ rung. Was wird man in der Uhrmacherstadt Schwenningen? Uhrmacher natürlich, drei­ jährige abgeschlossene Lehre in der Würt­ tembergischen Uhrenfabrik Bürk-Söhne. Dann, ausgelernt, tritt er in die Firma Urgos ein -bis heute arbeitet er hier. Tradition hat vielleicht auch etwas mit Beständigkeit zu tun. Tradition ist nicht nur einfach konserva- 172 Symbole des Lebens – Verwendung a/Jer Druckstöcke tiv, nur einfach bewahrend. Zur Tradition gehört auch die Frage: Warum bin ich hier? Warum bin ich so, wie ich geworden bin? Das Interesse an der Geschichte, an der eige­ nen Geschichte, beginnt lange vor dem Zeit­ punkt, als es „Mode“ geworden ist. ,,Befragt, wie es komme, daß ich Holz­ schnitte mache, kann ich nachträglich sehr viel dazu sagen. Hinterher weiß man ganz genau, was das Holz für einen bedeutet hat; soviel, wie dem Antäus die Erde. Dem Deut­ schen mag der Umweg übers Holz gut gewe­ sen sein, um zu antikem Maß zu kommen. Die moderne Existenz dürfte den müh­ samen und langwierigen Weg der vielen Zu­ richtungen und treuen Handgriffe gebraucht haben. Klar und genau sein zu wollen -Höl­ derlin sagt buchstabengenau -wird im Cha­ rakter liegen. Jedenfalls ist jeder Schnitt nur provisorisch.“ Antwort des HAP Grieshaber auf eine „Rundfrage“ nach dem Grund, sich ausgerechnet der schwierigen, alten Form des Holzschnittes zuzuwenden. Eine Antwort,

die auch RolfNickstadt hätte geben können, nur redet er nicht gerne über seine Kunst. Der Linolschnitt stand lange im Vorder­ grund, das Material ist nicht so spröde, nicht so widerständig wie das Holz. Die Liebe aber gilt dem Holzschnitt, und das nicht erst seit der Bekanntschaft mit HAP Grieshaber und der Lyrikerin Margarete Hannsmann. Der Spontaneität der Arbeit setzt das Holz eine natürliche Grenze. Langsames Arbeiten, Tüfteln, Präzision wird verlangt. Nicht weit entfernt von dem ist das, was auch den Uhrmacher auszeichnet. Die Härte des Holzes, die handwerklichen Phasen des Anreißens, Schneidens, Einfärbens, Mehr­ fachdrucks schieben eine Kontrolle nach der anderen ein. Ein Holzschnitt ist ein sperriges Unikum in einer schnellebigen Zeit. Lang­ sam nur geht die Arbeit von der Hand, immer Zeit lassend zum Abwägen, Kontrol­ lieren. Verpflichtet fühlt er sich dem Hand­ werker, dem Formschneider und Drucker. Populär war der Holzschnitt als Agita­ tionsmittel in der Zeit der Reformation und der Bauernkriege geworden. Und in dieser demokratisch aufrüttelnden Tradition stand auch ein HAP Grieshaber, wenn er Stellung bezog zu den Themen seiner Zeit, zu Dikta­ tur und Terror. Holzschnitt und Einmischen in die Politik, das scheint untrennbar. Auf die Bitte, seine Drucke doch bitte einmal zu erklären, hat Grieshaber eine bündige Ant­ wort gefunden: „Man nimmt ein Messer und schneidet rein, was man nicht haben will, daß es druckt; und was man will, daß es da ist, das läßt man stehen.“ Ist das nun eine Definition des Druckers oder des politisch aktiven Men­ schen? Politisch Stellung zu beziehen, das gehört bei Rolf Nickstadt dazu. Und das hat nicht nur etwas mit den alten, weiterlebenden Erinnerungen zu tun. Nur liegt ihm die stille, unspektakuläre Arbeit von Amnesty In­ ternational näher als die Straße. „Als freier Bürger eines demokratischen Landes ersuche ich Ihre Exzellenz, den unter unmenschli­ chen Bedingungen im Gefängnis von Guayaquil inhaftierten politischen Gefange- nen die Freiheit wiederzugeben. Es hand�lt sich dabei um meine christlichen Mitbürger Diego de Jesus Perez Guzmann,Jose Henry Guevara und ihre mitinhaftierten Kamera­ den.“ So beginnt sein Brief an den Präsidenten der Republik Ecuador. Der Holzschnitt dazu: Eine Holzstruktur gibt den Hinter­ grund, Lebensadern, Lebensspuren. Nicht die abstrakte Struktur des Holzes interessiert ihn, sondern daß die Linien im Holz Ent­ wicklung, Werden kennzeichnen. Abge­ wandt vom Betrachter der Blick eines Indio­ Jungen, den Blick gerichtet auf eine Land­ schaft, die Berge, Pflanzen nur andeutet. Stolz ist der Blick, traurig möglicherweise auch. Aber der Blick verbirgt mehr, als er sagt. Auch wenn sich Rolf Nickstadt ein­ mischt, bleibt er in der Distanz, trumpft er nicht auf. Warum sich kümmern um so fremde Län­ der wie Ecuador oder Indochina, warum das Sammeln und Miteinbeziehen fremder Druckstöcke in das eigene Werk? Vielleicht ist es die Achtung vor handwerklichen Lei­ stungen, die Achtung der Arbeit, des anderen Menschen, der so fremd niemals sein kann und darf, daß man sich nicht um ihn küm­ mert. Drucke für den Arbeitgeberverband, Drucke für die Gewerkschaft, Arbeiten für die evangelische und für die katholische Kirche -wer so viele „Auftraggeber“ hat, kann der noch glaubhaft Stellung beziehen? Noch immer entscheidet ganz allein er, für wen und für was er sich engagiert. Kein Kunstmarkt spricht da mit und keine Ideolo­ gie. Eng verwandt mit dem Holzschnitt ist die Typographie, die Gestaltung der Schrift. Schon die alten Holzschneider haben die Schrift verwendet. Ornament kann sie sein, Verschönerung „nur“ der Arbeit. So hat es auch bei RolfNickstadt angefangen, als er für den damaligen Schwenninger Stadt-Archi­ var Dr. Ströbel handgeschriebene Urkunden herstellte. Aber die Schrift kann auch zum Aufruf werden, zum Appell. Schwer lasten die breiten Letter auf dem Plakat gegen die Folter: „Io acuso“, „Ich klage an“. Hektischer, 173

Grafik als Anklage 174

flammender, der Schreibschrift angenähert die Schrift mit den Lutherworten: „Es fehlt den Leuten nichts, denn daß sie nie eine Kreatur recht angesehen haben.“ Daneben das Bild einer Vietnamesin, einer leidenden Frau. Wer jetzt noch nach dem Engagement fragt, hat die „Kreatur“ nie „recht angese­ hen“. Die Motive wiederholen sich, die Pflan­ zenteile, die Holzstruktur, die wiederver­ wandten alten Platten, die Schrift. Wiederho­ lung bedeutet nicht Gleichförmigkeit, davor bewahrt schon das Handwerk des Druckens. Aber diese Motive werden in immer neue Zusammenhänge gestellt, werden erprobt auf ihre Dauerhaftigkeit und Aussagekraft. Die Arbeit des Druckers erlaubt die allmäh­ liche und langsame Analyse der Formen. Die Geschichte hat ihn niemals losgelassen, die eigene Geschichte, die Geschichte seiner Generation. Da stapeln sich Bücher, Zeitun- German Hasenfratz Fotograf und Maler German Hasenfratz wird am 29. Mai 1923 in Unadingen geboren. Er wächst als jüngster unter sechs Geschwistern auf dem Bauern­ hof seiner Eltern auf. Schon früh prägt sich bei German Hasenfratz eine Neigung zum ,,Malen“ aus -kindliche Versuche zwar nur, aber die Faszination des weißen Papiers und der Buntstifte nimmt ihn gefangen. Nun gehört der Zeichenblock nicht unbedingt zu den Dingen, die in einem bäuerlichen Haus­ halt als lebensnotwendig angesehen werden. Der Junge beschafft ihn sich auf seine Weise: Er stibitzt Eier aus dem Hühnerstall und tauscht sie im dörflichen Krämerladen gegen die begehrte Maiunterlage: ein Ei, ein Block. Die Ladeninhaberin muß großes Verständ­ nis aufgebracht haben! Nach Abschluß der Volksschule beginnt er eine Lehre als Schriftsetzer. Er schließt sie mit der Gesellenprüfung ab. Dann beginnt gen, Urkunden, Dokumente, Fotos. Kein Stadthistoriker von Dr. Ströbel bis Dr. Rei­ nartz und Otto Benzing, der nicht aus die­ sem Fundus geschöpft hätte -für Ausstel­ lungen, Veröffentlichungen. Das III. Reich als Trauma, dabei könnte er es sich so leicht machen, direkte Verantwortung trägt er als „Spätgeborener“ nicht. Die Verantwortung liegt auf einer ganz anderen Ebene: Verant­ wortung nicht für die Vergangenheit, son­ dern für die Zukunft. Nur wer weiß, was geschehen ist, wie es geschehen konnte, hat das Recht und auch die Verpflichtung wach­ sam zu sein in der Gegenwart. Und dann muß man sich einmischen, muß aufrufen, muß verständlich sein für jedermann. „Man malt für Alle oder für keinen“, hat HAP Grieshaber behauptet, das könnte auch über der Arbeit von Rolf Nickstadt stehen. Uwe Conradt 175

Altstadt Hüfingen Am alten Schafstall 176

der Zweite Weltkrieg: German Hasenfratz dient viereinhalb Jahre bei der Marine und kehrt nach Kriegsende in seinen Beruf zurück. In den Nachkriegsjahren nimmt ihn ein neues Medium mehr und mehr gefangen: die Fotografie. Der Autodidakt auf diesem Gebiet wird erfolgreich: Ende der vierziger Jahre beteiligt er sich an dem Internationalen Photo-Porst-Wettbewerb. Unter 100 000 Ein­ sendern erringt er auf Anhieb einen 3. Platz und eine Bronzemedaille. Im Verlaufe der nächsten Jahre werden weitere Silber-und Goldauszeichnungen hinzukommen. Damit wird eine berufliche Umorientie­ rung eingeleitet Neununddreißigjährig ent­ schließt sich German Hasenfratz zu einem Studium an der Hamburger Fotoschule. Nach zwei Semestern legt er 1964 die Gesel­ lenprüfung ab und wird Werks-und damit Werbefotograf bei der Firma SABA in Villin­ gen, eine Position, die er bis heute innehat Noch wichtiger für ihn ist aber der Eintrag in die Handwerksrolle, die 1965 erfolgt: Sie bedeu­ tet die Einrichtung des eigenen Ateliers 1.Uld damit die Möglichkeit, die Presse-und Werbe­ fotografie zur Fotokunst zu entwickeln. Der nunmehr künstlerisch immer mehr engagierte German Hasenfratz kommt mit der Malerei in Berührung. Anfang der siebzi­ ger Jahre nimmt er Malunterricht bei der SABA-Malgruppe. 1976 wird er zum ersten Male eingeladen, sich an der Jahresausstel­ lung der Donaueschinger Künstlergilde zu beteiligen. Er gehört der Gilde nunmehr seit 11 Jahren mit ständig wachsendem Erfolg an. In diesen vergangenen 11 Jahreri hat er auch Einzelausstellungen, u.a. im Kurhaus in Bad Dürrheim, in der Galerie Winkler Villingen, in der Rathaus-Galerie in Donaueschingen. Die Deutsch-Französische Gesellschaft ver­ anstaltet mit ihm eine Osterausstellung in den Räumen des Offizierscasinos in Donaueschingen. Außerdem stellt er in der Beethoven-Halle aus, Schwenningen zusammen mit den KÜNSTLERN des SCHW ARZWALD-BAAR-KREISES. Schließlich wirkt er mit bei einer Ausstellung der Bodensee-Sektion West in Blumberg. Kreuztragender (Absprengtechnik) Im Laufe di�ses Jahres wird German Hasenf ratz in den Ruhestand gehen. Dieser Ruhestand bedeutet für den vitalen Mitt­ sechziger keineswegs der Rückzug vom geliebten Metier; er freut sich vielmehr darauf, weil ihm dann mehr Zeit für die Malerei bleibt. Er ist auch noch keineswegs ohne Zukunftsperspektiven: Es zieht ihn zur Ölmalerei, und wer die Zielstrebigkeit des German Hasenfratz kennt, weiß, daß ihm auch in dieser für ihn neuen Technik der Erfolg winkt. Begonnen hat Hasenfratz mit der Ab­ sprengtechnik, einem sehr aufwendigen technischen Verfahren, für das der »Kreuz­ träger“ als Beispiel dienen soll. Das Bild wird zunächst grob skizziert und dann farbig aus­ gestaltet. Eine Schicht Gummiarabicum wird über das ganze Bild gelegt, und dann wird es mit Tusche völlig eingeschwärzt. Nach dem Trocknen wird die Tusche unter einem har- 177

Hoher Himmel Phantasielandschaft 178

Novemberlandschafl – Aquarell ten Wasserstrahl „abgesprengt“, wobei schwarze Reste stehenbleiben. Heraus kommt, wie im Falle des „Kreuzträgers“ ein Bild, das einem bleiverglasten Kirchenfen­ ster nicht unähnlich ist -sehr wuchtig, sehr expressiv! Als er die künstlerischen Mittel dieser Technik erschöpft sah, wandte sich Hasen­ fratz dem Aquarell zu, wovon die weiteren Bildbeispiele zeugen. Impressionistische Darstellungen, abstrakt-gegenständliche Im­ pressionen, so will er diese Bilder verstanden wissen, die immer wieder die Landschaft der Baar -auch in ihrer phantasievollsten Aus­ formung -zum Gegenstand haben. Über den Impressionismus schreibt Her­ warth Waiden in seinem 1919 in Berlin erschienenen Buch „Die neue Malerei“ fol­ gendes: „Das impressionistische Bild ist regellos, weil es außerhalb des Bildgesetzes steht.“ Das bedeutet aber, ein zufälliger Augenblick, eine zufällige optische Konstel- lation seien dem Impressionismus im zufäl­ lig gewählten Bildausschnitt darstellungs­ würdig gewesen. German Hasenfratz malt aus der Erinnerung. Das ist wichtig, denn ist Impressionismus recht eigentlich etwas anderes als: Der Eindruck wird durch Geist und Persönlichkeit des schaffenden Künst­ lers sublimiert und gelangt als empfundene Gestaltung oder gestaltete Empfindung zurück auf die „Leinwand“. Der Impressionismus wurzelt in der Natur, will Natur wiedergeben, besser: ver­ mitteln. Schöne Beispiele dafür stellen die Bilder „Donaueschinger Schafstall“, „No­ vemberlandschaft“, „Landschaft mit dem hohen Himmel“ und „Altstadt Hüfingen“ dar. Blau-, Gelb-und Brauntöne dominieren diese Bilder, sie vermitteln einzelne Stim­ mungen, deren Grundtenor eine große Ruhe ist. Anders steht es mit der „Phantasieland­ schaft“, einem der jüngeren Bilder German 179

Hasenfratz‘. Hier rückt er ab von den ver­ trauten Inhalten, hier wird er abstrakt: Zwar bemüht er wieder das kräftige Gelb, doch die Wirkung dieser beinahe wüstenhaften Land­ schaft ist eher bedrohlich, nicht zuletzt durch den weißen Wirbel im rechten Bildge­ schehen, vor dem sich die kakteenartigen Gewächse im Vordergrund zu ducken schei­ nen. Jede bildnerische Betätigung schöpft aus der Natur, ja, das Bild selbst ist als Materie ein Teil der Natur. Aber indem es die Natur dar­ stellt und erfaßt, überwindet es die Natur und verweist in höhere Sphären. Natur an sich stellt nichts dar. Natur ist. Ein Baum ist nur ein Baum. Aber ein Bild kann das Wesen eines Baums darstellen. Das Phänomen der Kunst ist also in seltsam paradoxer Weise mit der Natur verknüpft und zugleich durch ihr Wesen von ihr entfernt. German Hasenfratz lebt seit 1949 in Hüfingen. Er ist verheiratet, seine beiden erwachsenen Söhne leben und arbeiten in Baden-Baden. Hans H. Gehring Der Uhrenschildmaler Alois Straub Der Sohn setzt die Tradition des Vaters fort Im tiefen Winter, wenn der kalte Wind ums Haus pfeift und die Schneedecke bis zum Fenstersims reicht, wirds im alten „Sar­ genhäusle“ im Schwarzwälder Linachtal erst so richtig gemütlich. In der kleinen Wohn­ stube mit den holzvertäfelten Wänden, der niedrigen Decke und dem Herrgottswinkel sitzt der 58jährige Alois Straub, einer der letzten Uhrenschildmaler der Gegend bei der Arbeit. Obwohl überall in der guten Stube des 1522 erbauten Hauses alte Uhren hängen, scheint die Zeit hier stillzustehen. 918 Meter über dem Meeresspiegel hat man im Winter manchmal das Gefühl, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Doch elektrischer Strom, Telefon und ein Fernsehapparat bie­ ten auch in den historischen Mauern moder­ nen Komfort. Während der Kachelofen im Wohnraum wohlige Wärme verbreitet (und auf dem Dachboden gleichzeitig der Räucherkam­ mer Dampf macht), kramt Straub Farbtuben und Pinsel hervor. Vater Karl Straub hatte noch bis zu seinem Tode im Jahre 1979 die Tradition eines Handwerks bewahrt (vgl. Almanach 79, Seite 77-79), das im 19. Jahr­ hundert seine Blütezeit hatte. Um 1840 bei- 180 spielsweise fertigten rund 5000 Schwanwäl­ der, die nebenbei zumeist noch eine kleine Landwirtschaft betrieben, Uhren in Heim­ arbeit. Insgesamt rund 600.000 Stück pro Jahr, die nicht nur in deutschen Landen, son­ dern auch im Ausland reißenden Absatzfan­ den. Schwarzwälder Uhren waren damals unter anderem in Rußland, in Amerika, in Australien oder auch in der Türkei begehrt. Mehrere Gewerbezweige (in der Regel Fami­ lienbetriebe) hatten so ihr geregeltes Ein­ kommen. Doch was früher die Existenz ganzer Familien sicherte, dient heute hauptsächlich dem Fremdenverkehr. Mehrmals im Jahr reist Alois Straub durch die Lande, demon­ striert in Kaufhäusern, auf Messen und Großveranstaltungen sein Handwerk. Touri­ sten und Schulklassen finden immer wieder den Weg ins abgelegene Linachtal, um dem Lackschildmaler bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Sperrholz vom Schreiner bildet die Grundlage für die sogenannte „Schotten­ uhr“, die im 18. Jahrhundert auf dem Schot­ tenhof bei Neustadt erstmals gebaut worden sein soll. Charakteristisch ist die quadratische Grundform des Schildes mit dem halbkreis-

förmigen Schildbogen, der die Metallglok­ ken verdecken sollte. Nach der Grundierung trägt Straub zunächst das Ziffernblatt auf, bevor bunte Blumenornamente dem Lack­ schild das charakteristische Gesicht geben. Die Rose gehört dabei zu den immer wieder­ kehrenden Motiven. Jeder Maler entwarf seine eigene Rose, die er bei jedem Werk auf­ trug, und an der man auch die Handschrift des jeweiligen Meisters erkennen konnte. Ein Musterbuch aus dem Jahre 1840, das heute noch im Besitz von Alois Straub ist, belegt die Vielfalt der Dekorationsmöglich­ keiten auf eindrucksvolle Weise. Noch Ende der 40er Jahre waren die hand­ gefertigten Uhren aus dem Schwarzwald groß in Mode, doch in den SOer Jahren ließ mit dem aufkommenden Trend zur Schlicht­ heit und Schnörkellosigkeit das Interesse an den üppig verzierten Gebrauchsgegenstän­ den rapide nach. Vater Karl Straub widmete sich wieder mehr der Landwirtschaft und begann als Dekorationsmaler zu arbeiten. Sohn Alois, den er kurz zuvor noch zum Uhrenschildmaler ausgebildet hatte, wurde Anstreicher, arbeitete als Ratsschreiber und bot dem Rechnungsamt der Gemeinde Linach seine ehrenamtlichen Dienste an. Seit der Eingemeindung des ehemals selbständi­ gen Ortes im Jahre 1972 ist Alois Straub beim Bauamt der Stadt Furtwangen beschäftigt. Nur in der Freizeit widmet er sich noch der Kunst, die einst der Broterwerb der Vor­ fahren war. Denn schon der Urgroßvater hatte die Uhrenschildmalerei im „Sargen­ häusle“ eingeführt. Seinen Namen hat das alte Bauernhaus mit dem tiefgezogenen Dach von den „Sargen“ (Geigenkästen), die hier wohl in früheren Zeiten gefertigt wur­ den. In den gemütlichen vier Wänden der Straubs sind die alten Zeiten noch überall präsent. Alte Lackschilder zeigen Bewoh­ nern und Besuchern an, was die Stunde geschlagen hat, und wenn der Hausherr in der Ecke bei der Arbeit sitzt, schaut ihm 181

Vater Karl Straub mit einem seiner Enkel über die Schulter. Das Bild des Vorfahren hängt seit Jahren an der Wand. ,,Früher waren wir manchmal bis zu zehn Personen im Sargenhäusle“, erinnert sich Alois Straub, der heute mit seiner Frau und zwei Kindern in Linach lebt. Obwohl den Straubs sieben Kinder geschenkt wurden, hat sich noch kein Nachfolger für die Lackschildmalerei gefun­ den. Ein Sohn hat allerdings die Malerlehre abgeschlossen und entdeckt vielleicht noch sein Interesse für das alte Handwerk. ,,Man kann ja nie wissen“, meint der Vater. In der Familie Straub erinnert man sich heute noch an die Zeiten, in denen die Uhrenschilder nicht nur bemalt und lackiert, sondern auch in Eigenarbeit hergestellt wur­ den -aus Fichtenholzbrettern, die mit Harz, Roggenmehl und magerem „Bibbiliskäs“ (Qyark) verleimt wurden. Heute kommt das Sperrholz fertig geschnitten vom Schreiner. Aber auch die Farben und Lacke, die der Fachhandel heutzutage wohlsortiert in Tuben und Dosen anbietet, mußten früher mit teilweise exotischen Zutaten mühevoll hergestellt werden. So brachte beispielsweise eine aus Panzern abgestorbener Tiere der Ter­ tiärzeit gewonnene Masse dem Schild den gewünschten, fast wie Glas wirkenden Glanz, der notfalls noch mit Salatöl verstärkt wurde. Wer heutzutage ein handbemaltes Uhren­ schild (oder gleich eine komplette Uhr mit Schlagwerk) kaufen möchte, wird bei Alois Straub prompt bedient. In den Wintermona­ ten, wenn der Touristenstrom dünner wird und die Nachfrage nachläßt, arbeitet er auf Vorrat. Gefragt sind seine Uhrenschilder vor allem in der Sommersaison und kurz vor Weihnachten. Rund dreieinhalb bis vier Stunden benö­ tigt er für das Bemalen eines Uhrenschildes; von den kleinen „Jockele“-Uhrenschildern kann er bis zu 100 in der Woche verzieren. Eine Arbeit, die Straub „zur Not auch blind“ machen könnte. ,,Erlernen kann man das nicht“, erläutert er. ,,Man braucht Begabung, eine ruhige Hand und ein gutes Auge.“ Vor­ gezeichnet wird nichts. ,,Ich gebe zu, daß ich 182 heute etwas freier und routinierter bin als vor zehn Jahren, doch wenn ich mal zwei bis drei Wochen lang nichts gemacht habe, habe ich in der ersten Stunde wieder eine schwere Hand.“ Viele Interessenten kommen aus dem Rheinland und aus dem Raum Stuttgart. Sogar aus Australien hat Alois Straub schon Post bekommen, von einer Freiburgerin, die in einem Buch über den Schwarzwald seinen Namen gelesen hatte. Aber „das meiste bleibt halt doch im Ländle.“ Sogar für Schränke und Schirmständer, die Straub hier und da für den Eigenbedarf bemalt, finden sich immer wieder Interessenten. Daß man gerade als Uhrenschildmaler mit der Zeit gehen muß, haben die Bewohner des Sargenhäusle in nunmehr fünf Generatio­ nen erfahren müssen. ,,Gute Zeit und schlechte Zeit geh’n vorüber alle beid“ hatte vor vielen Jahrzehnten schon ein Lackschild­ maler aufs Ziffernblatt geschrieben. Vater Karl Straub hat noch bis kurz vor seinem Tode den Pinsel übers Holz geführt. ,,Es ist schon später als du meinst“, waren die letzten Worte, die er wenige Stunden vor seinem Ableben auf sein letztes Lackschild schrieb. Karin M. Erdtmann * Kinder springen, Vögel singen, Blumen blühen überall. Und die Sonne will uns bringen Wieder einen neuen Tag. Denk‘ doch daran, vergiß es nie Und laß Dein Herz sich freuen, Frag‘ nicht solange, wo und wie Das Glück sich zu Dir wendet. Du bist auf uns’rer großen Welt Doch nicht allein Du Ärmster, Wir haben doch, was und gefällt, Wer könnte da nicht leben. Johannes Hawner Glückliche Zeit

Kunstdenkmäler St.-Nikolaus-Kirche Buchenberg Eine neue Veröffentlichung mit interessanten Geschichtsdaten Keine Grundsteinurkunde gibt Auskunft über den Tag und das Jahr, in dem das alte Buchenberger Kirchlein erbaut wurde. So bleiben trotz vieler Nachforschungen und Vermutungen viele Fragen offen. Einige neh­ men an, daß die Kirche in merovingischer Zeit entstanden sei, andere sprechen von einem karolingischen oder ottonischen Bau. Wenn auch der Bau selbst seine Sprache hat und das Wichtigste über sein Alter aussagt, so gibt es über die Anfangszeit doch viele Ungewißheiten. Schon viel wurde über die Entstehung und diejenigen, die den Bau ver­ anlaßten, gerätselt. Da ist der Name des Hei­ ligen Nikolaus, dem das Kirchlein geweiht ist. Seit dem 8. Mai 1087 befinden sich die Reliquien des Heiligen in der Krypta der Basilika San Nicola in Bari, und seit 1091 sind sie im Kloster Hirsau erwähnt. Nikolaus ist der Nothelfer und Wohltäter vor allem der Seefahrer, Schneider, Weber, Metzger, Ad­ vokaten und Gefangenen. Wer aber sollte auf den Höhen des Schwarzwaldes dem Schutzpatron der Seefahrer eine Kapelle wei­ hen? Bereits im 7. u. 8. Jahrhundert kamen iro­ schottische Mönche von den britischen Inseln auf das Festland herüber, um hier Mis­ sion zu treiben. Hat es vielleicht einige Wahr­ scheinlichkeit, daß solche Mönche zum Dank für eine sichere Überfahrt dem heili­ gen Nikolaus eine kleine Kapelle errichte­ ten? Von wann an St. Nikolaus in Buchen­ berg Kirchenpatron war, ist nicht belegt, gegen Ende des 11. Jahrhunderts jedoch mög­ lich. Über die frühere Annahme, daß der Ort Buchenberg (Buechelisperg) schon für das Jahr 782 urkundlich nachgewiesen ist, gehen die Meinungen auseinander. Am 11.Januar 782 übertrug Otgaer in der Bertholdsbaar sei­ nen Besitz in Bickelsberg an das Kloster St. Gallen. Diese Urkunde, in dem St. Galle­ ner Urkundenbuch von Hermann Wart­ mann aus dem Jahre 1863 erwähnt, wurde in Oberndorf ausgefertigt. Hermann Wart­ mann selbst schreibt in seinen Anmerkun­ gen »Buechelisperg“ dem Ort Bickelsberg, Oberamt Sulz zu. Auch W. Fritsch, Baiers­ bronn, befaßte sich in einer Veröffent­ lichung in der »Badischen Heimat“ mit der in Entstehung der St-Nikolaus-Kirche Buchenberg und kam zu dem Ergebnis, daß das Kirchlein nicht vor 1087 entstanden ist. 183

Der Buchenberger Kruzifixus aus dem 12.Jahr­ hundert Zwei Kilometer östlich der alten Kirche liegt der Ortsteil Martinsweiler, 1089 im Grün­ dungsbericht und Schenkungsbuch des Klosters St. Georgen im Zusammenhang mit der Schenkung von Folmar von Fridingen in Morceneswilere genannt. Die erste gesicherte Nachricht über eine „ecclesia Buchenberg in decanatu Kirnbach sive Sultz“ stammt aus dem „Liber decimationis cleri constanciensis pro Ppa de anno 1275″, einem Zehntbuch über Abgaben für die Kreuzzüge. Aus der Anfangszeit der Kapelle ist sicher­ lich der Portalstein am ehemaligen, jetzt zugemauerten Westeingang der Kirche. Die­ ser Stein zeigt zwei Kreuze mit Armenden, die in Rechtecken auslaufen und darüber eine Krone. Wenn heute immer wieder vom tausendjährigen Kirchlein gesprochen wird, so bezieht sich diese Behauptung natürlich nicht auf den Bau in seiner jetzigen Gestalt. 184 Heiliger Leonhard und die Kreuzigungsszene sind Teile der freigelegten und zum Teil ergänzten Wandmalereien Die ursprüngliche Form des Kirchleins bestand aus dem rechteckigen Schiff. Die Vermutung liegt auch nahe, daß der erste Bau als Blockhaus und erst später als Steinbau und als Wehrkirche erstellt war, in der die damaligen Bewohner Zuflucht fanden. Ein einziges Fenster, das eher wie eine Schieß­ scharte anmutet, und das Gemäuer, das zum Teil über einen Meter stark ist, gibt Zeugnis aus der Anfangszeit. Im 15.Jahrhundert wurde der gotische Chor und auch die Sakristei angebaut. In die­ ser Zeit dürften auch die größeren Fenster eingebaut worden sein. Auf dem Türbogen des Seiteneinganges ist die Jahreszahl 1591 eingehauen. Dr. Elfriede Schulze-Battmann, Verfasserin eines Kunstführers der alten Nikolauskirche, im Jahre 1986 in siebter neu bearbeiteter Auflage erschienen, hat sich mit der Geschichte des Ortes und eingehend mit

wurde Buchenberg württembergisch und blieb es bis zum Jahre 1810. Auch das Kloster Rottenmünster bei Rottweil hatte Herr­ schaftsrechte, besonders in den jetzigen Ortsteilen Mönchhof, Mühllehen, Angel­ moos und Brogen, die bis zum Jahre 1820 eine eigene Stabhalterei bildeten. Im Jahre 1534 wurde durch Herzog Ulrich von Würt­ temberg die Reformation eingeführt. Der Pfarrer von Buchenberg bekam Teile von Tennenbronn und Langenschiltach, Weiler, Sulgen und Flözlingen als Filialorte zugeteilt. Die Äbtissin von Rottenmünster bean­ spruchte wiederum das Pfarrbesetzungsrecht in Buchenberg für sich, so daß darüber Strei­ tigkeiten entstanden. Um diesen zu ent­ gehen, verlegte Württemberg die evange­ lische Pfarrstelle 1565 nach Tennenbronn, wo sie dann bis zum Jahre 1812 verblieb.1813 bis 1830 war Buchenberg der Pfarrei Mönch­ weiler zugeteilt. Wesentliche bauliche Veränderungen brachte für das Kirchlein wieder das Jahr 1722. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem das Kirchlein neben wenigen Höfen in Buchenberg erhalten blieb, nahm die Bevöl­ kerung rasch wieder zu. So mußte das Lang­ schiff erhöht und eine Empore eingebaut werden. Das jetzige Chorgestühl, das in der heutigen Zeit sehr primitiv anmutet, wurde zu Beginn des 18.Jahrhunderts angefertigt. Der Turm in der heutigen Form wurde 1795 errichtet, nachdem der alte, der wohl als Dachreiter auf dem Chor saß, durch Blitz­ schlag zerstört wurde. Im Jahre 1926 wurde auf dem Chorgewölbe von dem Lehrer Fritz Kleißle und Ratschreiber Simon Lehmann unter dem angehäuften Schutt ein geschnitz­ ter Torso eines romanischen Kruzifixus gefunden. Fachleute haben ihn als eine Lin­ denholzschnitzerei aus dem Anfang des 12.Jahrhunderts datiert. Das Buchenberger Kruzifixus gehört zu den wenigen erhalte­ nen qualitätsvollen, größeren Holzplastiken der Romantik in Südwestdeutschland. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde festgestellt, daß sich unter der Tünche und dem blauen Anstrich der Holzteile Fresken 185 Teil einer Kreuzigung (Fresco) der alten Kirche, den Wandmalereien, wie auch dem romanischen Kruzifixus befaßt. Neu aufgenommen in den Führer wurden die Ergebnisse von dendrochronologischen Untersuchungen Oahresringanalyse) an Bal­ ken des Dachstuhles. Diese ergaben, daß die Hölzer im Winter 1590/91 gefallt worden sind. Die Kirche wurde demnach damals erhöht, was mit dem Datum am Eingang übereinstimmt. Auch Hölzer vom Dach­ stuhl des Chores wurden untersucht und die Fällung der Bäume auf 1488/89 datiert. Der Chor ist demnach im letzten Viertel des 15.Jahrhunderts erbaut, was seine Form und im Innern das Wappen der Herren von Fal­ kenstein bestätigen. Im Jahr 1445 kaufte Graf Ludwig I von Württemberg Buchenberg, Burg Waldau, Weiler, Sulgen und einen Teil von Peterzell von Bernhard Hagg dem seit­ herigen Besitzer der Burg Waldau. Dadurch

und Gemälde befinden. Diese Wandmale­ reien wurden von Kunstmaler Feuerstein, Neckarsteinach, freigelegt und im Herbst 1957 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die älteste freigelegte Malerei stellt ein Abendmahlsbildnis dar, das jedoch mehr­ fach übermalt wurde. Die Reste der noch bes­ ser erhaltenen Malerei, die Darstellung des Jüngsten Gerichtes, die Reste einer Kreuzi­ gungsgruppe und die Anbetung des Jesu­ kindes, schätzt man in der Zeit um 1420. Links vom jetzigen Seiteneingang befindet sich in einer ehemaligen Fensternische das besterhaltene Bild. Es stellt den Heiligen Leonhard dar. Das Wappen der Familie von Falkenstein, ein springender Hirsch, das sich als Schlußstein im Chor befindet, zeigt, daß diese Rechte in Buchenberg besaßen. Der ursprünglich bei dem Kirchlein gelegene Friedhof wurde 1868 weiter östlich verlegt, und das Friedhofstor, das ehemals an der Südwestecke des Gasthauses „Linde“ stand, wurde 1908/09 an die Ostseite des Kirchleins versetzt. Die Chorfenster wurden mit der Restaurierung 1950 nach den Entwürfen von Prof. Wilhelm Geyer, Ulm, erneuert. Zu beachten ist auch der alte 16eckige Taufstein und das Chorgestühl für die Kirchenältesten. Johann Haller Der Tannenhof in Königsfeld Unter Denkmalschutz stehendes Jugendstil-Ensemble wird Sporthotel und Ferienpark Soziales Engagement war die Triebfeder, als Frieda Klimsch, eine wohlhabende Rot­ Kreuz-Schwester, bald nach der Jahrhundert­ wende beschloß, auf einem Waldstück, das unmittelbar an die damals schon bestehende Kurzone der Gemeinde Königsfeld an­ grenzt, ein Erholungsheim für kranke und unterernährte Kinder zu errichten. Dazu kam der Wunsch, das umfangreiche Projekt nicht nur möglichst zweckmäßig zu gestal­ ten, sondern ihm auch eine künstlerische Note zu geben. Engagement in der Sache und das Bemü­ hen, nicht nur dem vorgesehenen Zweck dienliche, sondern auch ansehenswerte und kunsthistorisch wertvolle Häuser zu bauen, spielen jetzt, kurz vor der Jahrtausendwende, auf demselben Grundstück erneut die Haupt­ rolle. So schließt sich also nach acht Jahr­ zehnten der Kreis. Zunächst ein kurzer Blick auf die Geschichte des für Königsfeld und die Umgebung bedeutsamen Anwesens: Die ersten acht der insgesamt zehn aus der Stif- 186

tung von Frieda Klimsch errichteten Gebäude entstanden in der Zeit von 1907 bis 1927 unter dem Protektorat der Großherzo­ gin Luise, die es sich nicht nehmen ließ, bei der Einweihung des ersten und zweiten Bauabschnitts höchstpersönlich dabei zu sein. Anfang der zwanziger Jahre übergab Frieda Klimsch ihr Werk der Universitätskli­ nik Heidelberg. Nach dem Zweiten Welt­ krieg erlebte die Anlage einen neuen großen Aufschwung. Bau Nummer neun, ein Wohnhaus für den damaligen Chefarzt, ent­ stand 1951. Sechzehn Jahre später wurde dann noch ein Schwesternwohnheim dazu­ gebaut und 1979 ein Hallenschwimmbad mit Gymnastikhalle. Aus mancherlei Gründen, zu denen nicht zuletzt die Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen gehörten, mußte das Kindererholungsheim im Sommer 1982 Konkurs anmelden. Die Stiftung wurde zum 30. September 1982 aufgelöst. Zwei Jahre vergingen, bis das rund 57 000 m2 große Areal vom jetzigen Besitzer, einem gebürtigen Villinger, erworben wurde. Die vermögende Stifterin und Bauherrin Frieda Klimsch wollte auch künstlerische Ansprüche erfüllen. Ihr Bruder, der Kunst­ maler Hermann Klimsch, und ihr Neffe, der Bildhauer Fritz Klimsch, standen ihr bera­ tend zur Seite und nahmen schon auf die Wahl der Architekten Einfluß: Professor Georg Wickop, der zu den führenden Jugendstil-Architekten des Landes gehörte. Das erste von ihm entworfene, 1907 fertig­ gestellte heutige Gästehaus „Schauinsland“, ist noch völlig erhalten und gehört wegen sei­ nes außergewöhnlichen Dachgefüges, wegen seiner beeindruckenden Fassaden, seines kunstvoll gestalteten Treppenhauses und 187

Gästehaus Schauinsland. Fenster mit Jugendstil-Motiven und Eingang. vieler bemerkenswerter Details im Inneren in die Reihe der bedeutenden Schwarzwälder Künstler-Villen. Friedas Bruder Hermann Klimsch schuf hier die Wanddekorationen. Im großen Haupthaus, 1911 eingeweiht, dem heutigen „Hotel Tannenhof“, deko­ rierte Hermann Klimsch den Speisesaal mit farbenreichen Medaillons, und der Bild­ hauer Fritz Klimsch schuf einige steinerne Kindergruppen, die den Aufgang der Außentreppe zieren. Die weiteren bis 1927 errichteten Häuser zeigen bereits die leicht barockisierenden Tendenzen des ausgehenden Jugendstils. Sie sind zurückhaltender ihrer äußeren Gestaltung und von der Bauernhaus-Archi­ tektur der Umgebung beeinflußt. in Der eindrucksvolle Jugendstilcharakter des gesamten Ensembles blieb zum Glück seit seiner Entstehung unverändert erhalten. Das Baden-Württembergische Landesamt für Denkmalschutz hat aus diesem Grund das kunsthistorische Schwarzwälder Kleinod unter Denkmalschutz gestellt. Vom neuen Eigentümer vorgenommene umfangreiche Untersuchungen über die wirtschaftlich sinnvollste Nutzung des Areals legten den Betrieb eines größeren Komforthotels mit Möglichkeiten für Tagungen sowie Ferienwohnungen und Ein­ richtungen für sportliche und gesundheits- 188 in1 fördernde Betätigungen nahe. Denn so etwas gibt es touristischen Angebot von Königsfeld noch nicht. Und der Trend zu Ferienwohnungen – vor allem bei Familien mit Kindern – wird immer stärker. Auf der Grundlage dieser für die Zukunft wichtigen Erkenntnisse entstand das Kon­ zept für das Projekt „Sporthotel und Ferien­ park Tannenhor‘ – ein 30-Millionen-Mark­ Projekt. Das Haupthaus wird als Hotel mit gro­ ßem Angebot an gastronomischen, sportli­ chen, gesundheitsfördernden und geselligen Einrichtungen geführt. In den übrigen Häu­ sern werden Ferienwohnungen ausgebaut, deren Gästen ebenfalls alle diese Angebote zur Verfügung stehen. Saisonal schwächere Zei­ ten außerhalb der Ferienzeit, sollen durch Tagungen und Seminare überbrückt werden. In enger Zusammenarbeit mit dem Lan­ desamt für Denkmalpflege werden die herr­ lichen Jugendstilfassaden der Häuser histo­ risch getreu restauriert. Das Hotel „ Tannen­ hor‘ wird stilgerecht um einen Seitenflügel erweitert. Die inneren Gebäudeteile werden unter Nutzung der vorhandenen Bausub­ stanz neu aufgeteilt. So entstehen moderne und funktional gestaltete Hotelzimmer und Ferienwohnungen unterschiedlicher Größe. Bei der Planung der Anlage wurde neben dem kombinierten Angebot für den an-

spruchsvollen Ferien- und Tagungsgast auch an Einrichtungen für Kurgäste gedacht. Dabei war es naheliegend, in einem Kurort wie Königsfeld, in dem sich die Ärzte seit mehr als hundert Jahren intensiv mit der Heilkraft des Klimas befassen, vor allem solche Therapien anzuwenden, die auf Naturheilverfahren beruhen. Dem jetzigen Eigentümer der Ferienpark­ Anlage gelang es gegen starke Konkurrenz, Deutschlands bekanntesten Heilpraktiker, Manfred Köhnlechner, für die Einrichtung eines Gesundheitszentrums zu gewinnen. Köhnlechner betreibt bereits mehrere sol­ cher Zentren im Bayerischen Wald und im Sauerland. Schwerpunkte der Behandlung sind Herz- und Kreislaufkrankheiten, Krebs­ Nachsorge, Rheuma, Depressionen, Schlaf­ angst und Durchblutungsstörungen. Neben den natürlichen Heilverfahren werden von ausgebildeten Ärzten auch klassische Metho­ den der Schulmedizin angewandt. Basis für den wirtschaftlichen Erfolg eines solchen Komplexes ist neben der Attraktivi­ tät des Standorts – die hier besonders groß ist – die Qialität des Managements. Für den Betrieb des Hotels konnte die Unterneh­ mensgruppe HTB Hotel-Treuhand- und Beteiligungsgesellschaft mbH in Frankfurt gewonnen werden, eine der erfahrensten Hotelbetriebsgesellschaften. Diese umfassende Erfahrung der HTB in Verbindung mit dem hohen Bekanntheits­ grad der Köhnlechner-Therapien, wird den langfristigen Erfolg des „Tannenhof“ begründen und sichern und so den guten Ruf Königsfelds als Kurort und reizvolles Ferienziel weiter ausbauen und festigen. Neben dem damit verbundenen wirt­ schaftlichen Nutzen für die Gemeinde und ihre Einwohner sowie für die ganze Region sei hier noch vermerkt, daß in der „Tannen­ hof‘-Anlage auch etwa 60 neue Arbeits­ plätze geschaffen werden. Helmut W. Falk Nordstetten im Winter· Zeichnung: Klaus Burk 189

Blasmusik Zur Entwicklung der Blasmusik im badischen Raum Die heute in unserem Raum weitverbrei­ tete Blasmusik hat ihren tieferen Ursprung in der Militärmusik, die sich ab dem 16. Jahr­ hundert, unter dem Einfluß des Barock, neu zu formieren begann. Sie wurde von zwei Stilrichtungen geprägt, einmal von der Pari­ ser Schule, die ihre Anregungen sowohl aus dem Barock als auch aus der französischen Revolutionsepoche bezog, und zum anderen von der Wiener Schule, die, neben kunstvol­ len Märschen und Opern bekannter Kom­ ponisten, weitere Impulse durch die Türken­ musik des legendären Pandurenobersten von der Trenck erhielt. Das Badische Blas­ musikwesen, im Grenzgebiet zwischen habs­ burg-österreichischem und französischem Einfluß gelegen, zog Nutzen von beiden Stil­ richtungen, integrierte sie und wurde somit zu einer der ältesten Blasmusiklandschaften des deutschen Sprachraumes. In Frankreich begann, um der barocken Geisteshaltung jener Zeit entgegenzukom­ men, die Entwicklung zu größerer Klanglich­ keit und zu einem neuen Klangideal. Dies führte zur Schaffung neuer Instrumente, da das bisher praktizierte Pfeiffer-Trommler­ spiel den Wünschen nach prunkvollerer Repräsentation nicht mehr genügte. So ent­ stand aus der Schalmei die Oboe, aus der Baß-Pommer das Fagot und aus der Trompe de Chasse das Waldhorn. Auch die Zahl der Musiker wurde im Laufe der Zeit erhöht. So hatte das Musik­ korps der Nationalgarde in Paris eine Stärke von etwa SO Mann, eine für damalige Ver­ hältnisse einmalige Spielerformation. Es war dies ein wirkungsvolles Instrumentarium zur Propagierung der Parolen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Eine weitere entscheidende Neuerung zum Blasorchester hin tritt mit der Chori- 190 sehen Besetzung der Klarinetten ein, mit Posaunen und Serpenten kommen neue Instrumente hinzu. Auch diese erweiterte Besetzung erfährt eine wesentliche Förde­ rung im Frankreich der Revolutionsepoche. So kommt es, daß zu dieser Zeit Frankreich die führende Position in der Militärmusik inne hat. Die nunmehr erweiterten Militärmusik­ Regimentskorps mit ihrer größeren Klang­ fülle inspirierte Komponisten des Hoch­ barock ebenso wie die junge Wiener Klassik. So entstanden zur Zeit Friedrichs des Gro­ ßen die bekannten Märsche wie: Der Des­ sauer, der Mollwitzer, der Hohenfriedberger und der Coburger Marsch. Die Söhne von Johann Sebastian Bach bereicherten ebenso wie Joseph Haydn das Repertoire kunstvol­ ler Märsche. Neue wesentliche Impulse kamen von dem legendären Pandurenobersten von der T renck. Dieser gliederte im Jahre 17 41 seinem Pandurenkorps eine Türkische Musik an und förderte damit entscheidend die Weiter­ entwicklung der österreichisch-europäischen Musik, und dies nicht nur auf dem Militär­ musiksektor. Diese sogenannte Türken­ musik ist eher als eine Modeerscheinung jener Zeit zu betrachten und wurzelt in der wilden, lärmenden, mehr auf Takt als auf Melodie achtenden Musik der türkischen Eliteeinheiten, den Janitscharen. Während der Türkenkriege hatte das Abendland Bekanntschaft mit dieser Art von Musik gemacht. Sie war an Lautstärke und Kraft den Militärbläsern der Christenheere weit überlegen und wurde mit vollen Orchestern, mit Trompeten, Oboen, Becken, Trommeln, Triangel und Schellenbaum getragen. Mit Hilfe der europäischen Notenschrift wurde diese neuartige Musik fixiert, auf tra-

ditionelle Instrumente unseres Kulturkreises zugeschnitten und somit in das abendlän­ dische Musikverständnis und Klangideal eingepaßt. Um 1780 zeichnet sich ein gewis­ ser Höhepunkt in der musikalischen Türken­ mode des Abendlandes ab. Sog. Türken­ opern erfaßten größere und kleinere Kom­ positionen von Gluck über Haydn, Mozart bis Beethoven. ,,Die Entführung aus dem Serail“ von Mozart z. B. zeigt alle Charakteri­ stika dieses neuen modischen Musikstils: scharfe Vorschläge, unregelmäßige Perioden, starker Schlagzeugeinsatz, Hervorstechen der Becken, Glöckchen und Triangelklang. Große Verbreitung fand diese Türkenmu­ sik nicht nur im militärischen Bereich, wo sie Regimentsinhabern Gelegenheit bot, mit prächtigen Musikkapellen dem Publikum zu imponieren, sondern parallel dazu auch in den paramilitärischen Formationen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die beste­ henden Schützenkompanien gliederten in der Regel ihren Musikformationen an Stelle der sonst üblichen Pfeiffer-Trommler-Grup­ pen Türkische Kapellen an. Auch die um diese Zeit neu gegründeten Bürgermilizen orientierten sich an diesem modischen Zere­ moniell. Diese Neugründungen mit überwiegend zivilem Charakter fanden großen Anklang bei der Bevölkerung, entsprachen sie doch der damaligen Form des Musikgebrauchs. Unser heutiges Blasmusikwesen im badi­ schen Raum hat in diesen Türkischen Kapel­ len seinen unmittelbaren Ursprung. Man muß daher unter Türkischen Kapellen kor­ rekterweise Blasmusik im zeitgenössischen Geschmack verstehen. Und diese Landschaft hat auf Grund ihrer geographischen Lage in der Folgezeit sowohl Einflüsse der Wiener als auch der Pariser Schule verarbeitet und ineinander verwoben. In den strengen Wintermonaten, da sich die Bevölkerung vor allem im Schwarzwald durch Heimarbeit ein kärgliches Einkom­ men sicherte, gab es selbst in den kleinsten Gemeinden Zeit für geselliges Zusammen­ sein bei Musik. Viele dieser kleinen Musikka- 192 pellen wuchsen bereits im 19. Jahrhundert zu ansehnlichen Blaskapellen heran. Im altbadi­ schen Raum fielen unter anderen folgende Gründungen von sog. Türkenkapellen in jene Zeit: Badenweiler, Zell am Harmers­ bach, Achern, St. Peter, Elzach, Glottertal, Triberg, Villingen, Engen, Hüfingen. Man ersieht daraus, daß durchaus auch kleinere Gemeinden auf dem Lande sich zu dieser modischen und neuen Musikgattung be­ kannten. µn Laufe der Zeit schlossen sich diese Kapellen zu größeren Regionalverbänden zusammen. Heute sind es 17 an der Zahl, mit mehr als 1000 Mitgliedsvereinen. Vor 1850 werden knapp 80 Vereinsgründungen regi­ striert, dann setzt eine stürmische Entwick­ lung ein. Bis 1900 folgen 280 und bis 1950 weitere 350 Neugründungen. Es ist erfreu­ lich und erstaunlich zugleich, daß trotz der erheblichen zeitlichen Belastung durch öffentliche Auftritte, zahlreiche Proben und einem überaus vielfältigen Angebot an Frei­ zeitgestaltung der Zulauf der Jugend zur Blasmusik ungebrochen anhält. Sie beweist damit ein hohes Maß an Idealismus, und sie ist somit der beste Garant für den Fortbe­ stand des heimischen Blasmusikwesens. Karl Opp „Ihr sin no zwei netti, du un di Bruader, dr [Xander, Mich nimmts nu wunder, wer dr gröscht [Durscht het, du oder dr ander.“ ,,Ha, dr gröscht Durscht han ich, -aber he, Dr Xander suft meh!“ Bertin Nitz * Dr gröscht Durscht *

Geschichte des Blasmusikverbandes „Schwarzwald-Baar“ Der erste Deutsche Musikverband wurde 1892 im Raum Freiburg gegründet. Er nannte sich »Breisgau-Markgräfler Musikverband“. 1893 folgte der »Bodensee-Hegau Musikver­ band“. Im Raum Villingen-Schwenningen kam es zur dritten Gründung zusammengeschlos­ sener Musikkapellen in Deutschland im Jahre 1898 mit dem Namen „Schwarzwald­ gauverband badischer und württembergi­ scher Musikvereine“. Er kann als der Vorläu­ fer des heutigen Blasmusikverbandes „Schwarzwald-Baar“ bezeichnet werden. Das II. und IV. Musikfest dieses Verban­ des fand 1901 und 1905 in Villingen statt. Bis zum Beginn des 1. Weltkrieges ver­ suchten die verschiedenen Verbände für sich alleine die Interessen ihrer Mitgliedskapellen gegenüber der Öffentlichkeit und den politi­ schen Interessen zu vertreten sowie das Be­ wußtsein.der Zusammengehörigkeit zu festi­ gen. So kam es am 3. Februar 1924 zur Neu­ gründung des „Musikverbandes badischer und württembergischer Landkapellen“ in Dauchingen, weil sich die Landkapellen in dem bereits bestehenden, großen „Süddeut­ schen Musikverband“ mit Sitz in Karlsruhe nicht richtig vertreten fühlten. Warum der Gründungsname später geändert wurde in „Germanischer Musikverband“ (1931) mit Sitz in Schwenningen, ist heute nicht mehr ersichtlich. Der Musikverein »Harmonie“ Villingen und die Stadtkapelle Villingen gehörten dem „Süddeutschen Musikverband“ an. Letzterer führte 1926 das IV. Bezirksmusikfest mit Preiswettspiel des Bezirks I Schwarzwald in Villingen durch. Der erste große Zusammenschluß mit elf Verbänden, darunter auch der »Musikver­ band badischer und württembergischer Landkapellen“, zu einer Arbeitsgemein­ schaft Oberbadischer Musikverbände er­ folgte 1926 in Neustadt im Schwarzwald. Die nachfolgenden Hauptversammlun- gen erbrachten 1930 in Freiburg den Be­ schluß über die Annahme der Satzung und über die Namensgebung „Bund Südwest­ deutscher Musikvereine e.V.“ mit Sitz in Frei­ burg. Nur knapp 2 Jahre später, am 13. März 1932, gab sich der neugegründete Musikver­ eins-Verband »Baar-Schwarzwald“ mit Sitz in Donaueschingen eine Satzung. Diesem Verband gehörten die neun Kapellen – Aufen, Bachheim, Fürstenberg, Gutmadin­ gen, Donaueschingen, Pfohren, Riedböhrin­ gen, Tannheim und »Harmonie“ Villingen – an, die sich sofort dem »Bund Südwestdeut­ scher Musikvereine“ anschlossen. Nach dem 2. Weltkrieg, der das musika­ lische Wirken der Blaskapellen weitestge­ hend zunichte machte und die bisher auf­ gebaute Verbandsarbeit zum Erliegen brachte (Einteilung der Länder in Besat­ zungszonen), hatte jede Kapelle mit sich selbst zu tun, um die Spielfähigkeit wieder zu erlangen. Dazu kamen die von den Besat­ zungsmächten verlangten und genehmigten Neugründungen aller Vereine, um das Musi­ zieren nun unpolitisch fortsetzen zu kön­ nen. Es war deshalb ein willkommener Anlaß für viele Kapellen, als der Musikverein „Har­ monie“ Villingen und dessen 2. Vorsitzender Hermann Schleicher im Jahr 1949 zur Grün­ dung des „Volksmusikverbandes Schwarz­ wald-Baar“ aufrief. Das Ziel war, die Kapellen der Kreise Villingen und Donaueschingen in einem Verband zusammenzuschließen. Zur Gründungsversammlung am 25. Sep­ tember 1949 kamen die Vertreter von 33 Kapellen in den Saalbau „Waldschlößle“ nach Villingen. Nach erfolgten Darlegungen über Sinn und Zweck des Zusammenschlus­ ses traten 28 Kapellen dem neuen Verband mit Sitz in Villingen bei. Die Versammlung wählte Hermann Schleicher, Villingen, zum 1. Vorsitzenden, Karl Neukum, Wolterdingen, zum 2. Vorsit- 193

zenden, zum Schriftführer Hugo Märklin, Villingen, zum Kassier Fritz Messmer, Villin­ gen. 1. Verbandsdirigent wurde Robert Schulze, Donaueschingen, und 2. Verbands­ dirigent Franz Könitzer, Villingen. Um pari­ tätische Gleichheit zu praktizieren, kamen 4 Beisitzer aus dem Kreis Donaueschingen und 3 Beisitzer aus dem Kreis Villingen hinzu. Zur Steigerung der musikalischen Lei­ stungen -so wurde beschlossen -soll alle drei Jahre ein Verbandsmusikfest mit Wer­ tungsspielen durchgeführt werden. Ein ganz besonderes Gewicht soll die Heran-und Wei­ terbildung von Dirigenten durch Kurse erhalten. Für den am 11. September 1963 überra­ schend verstorbenen Gründer und 1. Präsi­ denten Hermann Schleicher übernahm der 1.Vorsitzende der „Stadtharmonie“ Villin­ gen, Stadtrat Ewald Merkle, das Amt des 1.Präsidenten. Bei diesem Präsidentenwech­ sel kam für Verbandsjugendleiter Hans Schleier das Amt eines Verbandsgeschäfts­ führers noch hinzu. Mit der Einführung der Jungmusiker-Lei­ stungsabzeichen des Bundes Deutscher Blas­ musikverbände im Jahre 1978 vollzog sich ein bedeutsamer Wandel in der Ausbildung der Jungmusiker. Vorgeschriebene Aufgaben in Theorie und Praxis sind nun die Grundla­ gen für den Erwerb dieser Leistungsabzei­ chen in drei Stufen: Bronce, Silber und Gold. Nach anfänglicher Zurückhaltung einzelner Kapellen dieser Neuerung gegenüber gibt es heute kaum noch eine Kapelle, die ihre Jung­ musiker nicht zu diesen Prüfungen schickt. Bei der Jugend selbst kamen diese Prüfungen sehr gut an, so daß sich die Prüfungskommis­ sionen kaum des Ansturms erwehren kön­ nen. Inzwischen haben über 1500 Jungmusi­ ker diese Leistungsabzeichen erworben. Eine ganze Anzahl junger Dirigenten, die ihre Schulung durch den Blasmusikverband erhalten haben, sind heute musikalische Lei­ ter einer Blaskapelle. Im Verlauf der vergangenen nahezu 40 Jahren wurden 10 Verbandsmusikfeste mit 194 Wertungsspielen durchgeführt: 1950 in Vil­ lingen, 1952 in Donaueschingen, 1955 in Vil­ lingen, 1959 in Schonach, 1962 in Villingen, 1965 in Hüfingen, 1968 in Tennenbronn, 1972 in Blumberg, 1976 in Brigachtal-Klen­ gen, 1984 in Kirchen-Hausen. 1981 fand das 5.Blasmusikfest in VS-Villingen statt. Inzwischen ist der Blasmusikverband „Schwarzwald-Baar“ von ursprünglich 28 Kapellen auf 65 Kapellen und 10 Jugend­ kapellen angewachsen, in denen 3765 Musi­ ker, davon 2366 Jungmusiker, ihrem gelieb­ ten Freizeithobby nachgehen. Keine Frage, daß die Blaskapellen in Stadt und Land Kul­ turträger ersten Ranges und zugleich durch ihre schmucken Uniformen, oder als Trach­ tenträger, Aushängeschilder der Landschaft Schwarzwald-Baar sind. Hans Schleicher Welt Wirf nichts von dir! Lern aus allem! Was das Schicksal dir bereitet, kannst du nicht zurückverweisen, wenn dir fraglich auch erscheint, ob es aus des Zufalls Spiel oder Geistes Macht entstand. Wenig wissen wir vom Sein. Durch Jahrtausende den Lehren unsrer Religion ergeben, haben wir vielleicht verlernt, auch aus der Natur zu schöpfen, deren unmeßbarer Leib uns so innig dicht umgibt. Beide Mächte miteinander, Geisteskraft und Weltnatur, könnten uns das Baugerüste eines starken Daseins geben, das uns hier den Atem schenkt, dort die Dauer Hoffnung hält. Gisela Mather

Heimat, Volkstum, Brauchtum Über die größte Kuckucksuhr der Welt, die im Schwarzwälder Uhrendorf Schonach beheimatet ist, wurde schon viel geschrieben und über die Medien in Rundfunk und Fern­ sehen kleinere und größere Reportagen gebracht. Täglich kommen zahlreiche Besucher des In-und Auslandes in das Schonacher Unter­ tal, wo Josef Dold seit Generationen Kuk­ kucksuhren fertigt. Urgroßvater, Großvater, Vater, Sohn und wer weiß, in der weiteren Generationsfolge auch Enkel blieben dieser Tradition treu und fertigten neben dem land­ wirtschaftlichen Betrieb, die in der ganzen Welt beliebte Kuckucksuhr in allen Größen. Mag es hier verwunderlich sein, wenn Der „ Original Schwarzwälder Blechankergang“ Die größte Kuckucksuhr der Welt in Schonach dem Vater JosefDold schon seit Jahren eine, wie der Schwarzwälder sich auszudrücken pflegt, ,,Fixe Idee“ im Kopf herum sprang und er neben der monotonen Arbeit der Massenfertigung von Schwarzwälder Kuk­ kucksuhren immer wieder darüber nachgrü­ belte, wie man ein solches Werk, genau maß­ getreu 50 mal größer hergestellt, in ein bewohnbares Schwarzwaldhaus einbauen könnte. Josef Dold war sich klar darüber, daß allein die Materialbeschaffung schwierig sein dürfte, denn die großen Räder sind aus mehr­ schichtig verleimtem Hartholz gefertigt, aus dem jeder einzelne Zahn millimetergenau herausgearbeitet werden mußte. Schließlich Zahneingriff vom Rad in den Trieb 195

sollten Eingriff vom Rad in den Trieb, wie beim 50 mal kleineren Originalwerk harmo­ nisch und möglichst reibungslos ablaufen. Für den Kenner grenzt es fast an ein Wunder, wie es dem Konstrukteur und Erbauer gelang, den original Schwarzwälder Blech­ ankergang (Bild 1) naturgetreu in Holz so maßstabgerecht und funktional einwandfrei herauszuarbeiten. Der auf zehntels Millime­ ter genau herausgearbeitete Eingriff des Ankers über jeweils sechs Zähne des Anker­ rades muß, angetrieben von einem 85 kg schweren Gewicht, das Pendel von 2.70 m Länge so in Bewegung halten, daß entspre­ chend der über 14 gezahnten Holzräder und Triebe (Bild 2) berechneten Übersetzung die stündliche Laufzeit dem physikalischen Gesetz der Pendelschwingung entspricht. Ohne neben der Pendellänge das die Schwin­ gung mitbeeinflussende Gewicht des Pen­ dels zu kennen, benötigt dasselbe ca. 3,30 Sekunden für eine Schwingung. Stundenstaffelrad Großartig erscheint auch dem Besucher das mächtige, annähernd 2 m Durchmesser große Stundenstaffelrad (Bild 3), mittels des­ selben die Anzahl der Stundenschläge bzw. Kuckucksrufe abgetastet werden. Die von Stunde zu Stunde größer werdenden, schau­ felähnlichen Zähne garantieren den richti­ gen Schlag von der zweiten bis zur zwölften Stunde und lösen den Lauf des vom Zeituhr­ werk getrennten Schlagwerkes für die ent­ sprechende Schlagfolge und damit gekoppel­ ten Kuckuckruf aus. Die beiden 1.55 großen Pfeifen mit ihren dazugehörigen Blasebälgen werden durch ein ausgeklügeltes Hebel­ system in Funktion gebracht, um den aus einem Türchen hervorkommenden 80 cm großen Kuckuck seine weltbekannte Stimme zu verleihen. Um noch etwas von der Technik zu erwähnen, scheint dem fachmännischen Beschauer das Aufzugsrad (Bild 4) in seiner meisterhaft gefertigten Art besonders ins 196

Aufzugsrad mit Gewichtseilspindel Sperrad und Schnepper Außenfront mit Zifferblatt und Kuckuck Auge zu fallen. Über den sogenannten Schnäpper läßt sich das Rad nur nach einer Seite drehen, um ein Drahtseil aufzuwickeln, an dessen anderer Seite das 85 kg schwere Gewicht hängt. Über einem kleinen Balken, darunter das 1,65 m /> große Zifferblatt mit den aus Plexi­ glas gefertigten Zeigern, öffnet sich zur halben und zur vollen Stunde ein Türchen, und scheinbar „frohgelaunt“ erscheint der Kuk­ kuck, sich verneigend und den Schnabel zum Ruf öffnend, zur Freude der immer wie­ der stauqenden Kinderaugen, die geduldig unter dem Haus auf diesen Augenblick war­ ten. Seit Jahrhunderten spricht man immer wieder von einem ausgeprägtem Schwarz­ wälder Tüftlertalent. Über 250 Jahre sind ver­ gangen, seit in der Nachbargemeinde Schön­ wald ein gleichartiger Tüftler, Uhrmacher Franz Ketterer, den „Urahnen“ dieser großen Uhr, die weltbekannte Schwarzwälder Kuk­ kucksuhr, erfand. Heute dürfen wir in unse­ rer Generation ein Werk bestaunen, das dem Namen eines Tüftlers, Denkers und vor allem ausgezeichneten Uhrenmachers alle Ehre und Anerkennung einbringen dürfte, auf den die lebendige Schwarzwaldgemeinde Schonach stolz sein darf. Herbert Dold 197

Mosten wie zu Großvaters Zeit Gedanken zur Einrichtung einer historischen Dorfmosterei in Mühlhausen Einern Gast einen eigenen Most vorzuset­ zen, gilt heute als Besonderheit. An Dorffe­ sten und bei „Hocketen“ spielt er wieder eine Rolle, der Most, dem man noch vor einigen Jahren schon den Grabgesang anstimmen wollte. Daß der einst verbreitete Haustrunk jetzt überwiegend in Kunststoffbehältern gela­ gert wird, ist ein Zugeständnis an die heutige Zeit. Vor rund 30 Jahren gab es Mostereien in jedem kleinen Dorf. Ihre Leistung konnte mit den modernen hydraulischen Pressen nicht konkurrieren. Man hatte noch „mehr Zeit“. In Mühlhausen (heute Stadtbezirk von Villingen-Schwenningen), wo 1975 ein inte­ ressantes Bauernmuseum eröffnet wurde, kann man nicht nur im Holzofen sein Brot selbst backen. Seit 1985 gibt es auch eine Mosterei wie zu Großvaters Zeit. Die Geräte zur Herstellung des Mosts verlangen noch mühevolle Handarbeit. Die beiden vorhan­ denen Obstmühlen, eine von Hand, die andere elektrisch anzutreiben, arbeiten nach dem selben Prinzip: Reißhaken und Stein­ walzen zerkleinern das Obst. Eine der beiden Pressen besitzt gar eine von Hand zu betäti­ gende Hydraulik. Knapp 30 Liter Saft kön­ nen damit von einem Zentner Obst gepreßt werden. Die Hydraulik-Presse kaufte Gustav Kunz. vor über 50 Jahren von einer Firma in Ober­ türkheim. Er betrieb seine Mosterei statio­ när, d. h. die Mühlhauser kamen mit dem Obst zu ihm, um ihren Saft pressen zu lassen. Es war üblich, das erstmal gepreßte Obst anschließend mit Wasser anzusetzen, um es nach 2 Tagen erneut zu quetschen. Auf diese Weise konnte man von einem Zentner Obst an die 50 bis 60 Liter Most gewinnen. Bei manchen Bauern gab es noch einen soge­ nannten „Sonntagsmost“, dem weniger Was­ ser zugesetzt war. Den mit Wasser angesetz­ ten „Nachdruck“ macht man heute in Mühl­ hausen nicht mehr, denn den Hobby- Hölzerne Mosifässerverschiedenster Größe erinnern an den einst wichtigsten Haustrunk unserer Land­ bevölkerung 198

An den von Hand zu betriebenen Geräten herrscht Hochbetrieb, wenn es darum geht, das eigene Obst zu Saft zu pressen Ein neues Mostereigebäude, vom heimischen Architekten He!fried Irslinger alten Formen nachgebaut, schuf der Freundeskreis im Dorf Mühlhausen in unmittelbarer Nachbarschaft von Backhaus und Göpelhaus 199

mostern genügen in der Regel ca. 150 Liter reiner Obstsaft. Als der Most noch nicht vom Bier als Hauptgetränk verdrängt war, hatte ein Bauer mit ca. 7 Hektar bewirtschaftetem Feld ehe­ dem bis zu 2 000 Liter Most im Keller. Da hieß es als Vorrat für weniger gute Obstjahre oft viele Fässer zu füllen. Auch daran erin­ nert die heutige Mühlhauser Mosterei. Eine ganze »Batterie“ Holzfässer – das größte mit 673 Liter Fassungsvermögen – alle mit Lein­ öl frisch konserviert, besitzt das Museum. Ob unser heute wieder entdeckte Most seit alters das Hausgetränk war, muß bezwei­ felt werden. Mit »mustum“ bezeichneten die Römer den jungen Wein. Noch um die Mitte des vorigen Jahrhun­ derts war in obstarmen Gegenden bei uns der Most eine Seltenheit. Johann Philipp Glök­ ler, ein gebürtiger Tuninger, schreibt in sei­ nem Buch über Land und Leute Württem­ bergs um 1858: ,,Das Getränk auf der Baar ist, außer Wasser, besonders Bier und Brannt­ wein. Letzterer macht bei strengen Feldge­ schäften das Hauptgetränk aus. Mit einem Stück ungekochtem Speck und Brod bildet er das Vesperbrod. Wein wird selten getrun­ ken; den Most kennt man kaum.“ In Erb­ schaftsinventaren aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, die jede Kleinigkeit erwähnen, sind Mostfasser selten verzeichnet. Voraussetzung für einen guten Most ist das geeignete Mostobst; Zuckergehalt und Gerbsäure beeinflussen die Q!ialität. Im letz­ ten Jahrhundert wurden in den Dörfern unserer Gegend sogenannte „Baumschulen“ angelegt. Oft waren es Lehrer, die den Bur­ schen des Orts Kenntnis um Obstbaum­ zucht und deren Pflege beibrachten. Über­ zeugte Mostliebhaber machen für die Q!iali­ tät des Getränks freilich auch einen „guten“ Lagerkeller verantwortlich. Wilfried Leibold Silvester und Neujahr Aberglaube und Brauchtum zwischen den Jahren im Schwarzwald und auf der Baar Seit unvordenklichen Zeiten haben sie es in sich – die Vorabende der Feste zwischen Weihnachten und Dreikönig. Die zwölf hei­ ligen Nächte, auch Rauhnächte nennt sie das Volk. Außer Thomas, Weihnachten und Dreikönig ist der Vorabend von Neujahr eine der vier besonders markanten Rauh­ nächte, in denen sich unsere Vorfahren mü Lium, Peitschenknallen und Glockenläuten die dunklen Mächte aus heidnischer Vorzeit vom Leibe hielten. Mit Ausräuchern durch geweihte Kräuter, mit feierlichen Umzügen und Besprengen durch das geweihte Wasser bannten sie bösen Zauber von Stall und Hof. Zauberkräfte schreibt der Volksglaube an Silvester dem Farnkraut zu. Noch ist im Schwarzwald rund um den Kandel die Erin­ nerung an magische Eigenschaften des Farn­ samens lebendig. Man schüttete ihn in die Schuhe, um im neuen Jahr gefeit zu sein gegen Krankheit und seelische Schäden. Bereits in den Schriften der HI. Hildegard von Bingen (1098 bis 1179), der großen Mei­ sterin der Heilkunst im Mittelalter, heißt es: „Farn hat große Kraft, daß ihn der Teufel fliehe, und das Haus, bei dem Farn wächst, ist sicher vor den Nachstellungen des Satans“. Zufall oder das Nachwirken einer alten Über­ lieferung- warum wohl rahmen in Hüfingen am Herrgottstag grüne Farnblätter den 600 Meter langen Blumenteppich ein, den bei der feierlichen Prozession nur der Priester mit der Monstranz beschreiten darf? Übrigens Farnblätter, die noch in den 50er Jahren die Hüfinger im Gebiet von St. Peter zu sam­ meln pflegten. Seit wann bei uns der Übergang ins neue Jahr mit Feuerwerken begangen wird, dar- 200

Fürstlich Fürstenbergische Füsiliere beim Neujahrsschießen im Donaueschinger Schloßpark über gehen die Meinungen auseinander. Aus den Erinnerungen, die Marco Polo über seine Reise durch Zentralasien nach Peking in der Gefangenschaft 1298/99 nieder­ schrieb, wissen wir, daß die Chinesen zu besonderen Festen Feuerwerke veranstalte­ ten. Laut einer Überlieferung aus Freiburg sollen es zu Beginn des 30jährigen Krieges im dortigen Winterquartier liegende Soldaten gewesen sein, die mit ihren Waffen an Silve­ ster ein Feuerwerk inszenierten und sich auf das neue Jahr einschossen. Seitdem reißen im Südwesten die landesherrlichen Verbote nicht mehr ab, die gegen die „Unsitte des Neujahrschießens“ angehen. Im Zeitalter der Aufklärung ist es Joseph II., der am 19. Dezember 1780 auch für die vorderösterreichischen Gebiete das „mutwil­ lige Schießen“ in den Rauhnächten -und somit auch in der Silvesternacht -verbietet. Das Großherzogtum Baden folgt mit einer Verordnung im Regierungsblatt vom Jahr 1817 (Nr. 29). Und am 29. Dezember 1840 werden die Bürgermeister des Groß­ herzoglichen Bezirksamts Möhringen ange­ wiesen, die Verordnung des Jahres 1817 das Schießen in der Neujahrsnacht betreffend erneut bekannt zu machen. Dabei heißt es: „Hauptsächlich sind die Familienväter anzuhalten, jenem Unfug nach Kräften zu steuern, durch den schon so manche Familie ein theures Glied verlor und in unberechenbares Unglück gestürzt wurde“. Weit älter als die Silvesterknallerei mit Pulver und Blei ist der Brauch des Neujahrs­ läutens und Neujahrssingens. Schon das frühe Mittelalter kannte die Sitte, daß Wäch­ ter und Turmbläser auf Burgen und-in festen Städten von den Türmen das Neujahr anbliesen. In der Zeit der Zimmern’schen Chronik, die 1564 bis 1566 entstand und 201

deren Original sich in der Donaueschinger Hofbibliothek befindet, ist vom „Schreckge­ läut zur Christmette“ (das Neujahr begann damals bei uns mit dem 25. Dezember) die Rede. Und an einer weiteren Stelle des von Grafen Froben Christoph von Zimmern ver­ faßten Zeitdokuments liest man: ,,Im ersten Schlaf, do kamen etlich handwerksgesellen oder villeucht sonst unruebig leut für(= vor) das haus und sangen das umb guet Jar, wie gepreuchlich“. Besonders lange ist dieses Umhersingen in der Neujahrsnacht im Badischen nachmals gepflegt worden. Man sang geistliche oder weltliche Lieder, manchmal auch extra für den Betreffenden speziell gereimte Verse. Auf der Baar und im Schwarzwald wurde im Lauf der Neuzeit das Neujahrsläuten und -singen zum Privileg der Mesner und Nacht­ wächter. So in Tannheim, wo der Nacht­ wächter noch um die Jahrhundertwende das von Friedrich Weißer gedichtete und ver­ tonte Lied: ,, Wie schnell doch mit dem Strom der Zeit … “ vortrug. Nicht weniger als sieben Neujahrslieder kennt aus der Zeit von 1813 bis 1835 das „Nachtwächterbüchlein“ der Stadt Hüfingen. Ein alter, stark religiös geprägter Brauch ist das „Neujahrsanwünschen“. Wie es im mitt­ leren Bregtal vor über 150 Jahren vor sich ging, schildert Lucian Reich im „Hierony­ mus“: Schon vor dem Kirchgang mußte Hie­ ronymus mit den Eltern hinübergehen auf das Hofgut des Laubhausers, ,,um den bäuer­ lichen Herrschaften pflichtschuldigst zu gra­ tulieren“. Es geschah mit der üblichen Redensart: ,,Glückseliges Neujahr, und man wünsche, was man sich selber wünsche: Gesundheit und langes Leben und nach die­ sem die ewige Seligkeit“. Es ging bei den sogenannten Schwarzwäl­ der „Bauernfürsten“ um 1800, wie aus Lucian Reichs „Heimatbuch der Baar und des Schwarzwaldes“ zu entnehmen ist, an Neu­ jahr hoch her. Vor allem am Nachmittag, wenn die nächsten Anverwandten des Laub­ hausers versammelt waren und der Groß­ bauer zeigte, wie gut es mit Küche und Keller 202 zu Laubhausen bestellt sei. ,,Aber nur Eben­ bürtige waren zur Teilnahme berechtigt. Vet­ tern und Basen, mit denen kein Staat zu machen war, wurden nur so nebenbei, in der Küche oder im Hinterstüblein abgespeist“. Und kleinere Hausmanns-oder Taglöhners­ kinder, die „begehrlich und wunderfitzig durch die Fensterscheiben lugten“, bekamen allenfalls durch Peter, ihren Schulkamera­ den, ,,zuweilen ein duftendes Küchle oder ein paar Sträuble hinausgelangt“. In Mühlhausen (heute Stadtbezirk Schwenningen) schenkten Gotte und Götte ihren Patenkindern zu Neujahr eine Brezel, selbstgenähte Handschuhe oder selbstge­ strickte Strümpfe. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts war dort, wie von Oberlehrer Wilfried Leibold zu erfahren ist, das Neu­ jahrsschießen mit den in der Gemeinde vor­ handenen Böller ein Privileg der verheirate­ ten Männer. Neujahrskarten, die manche für eine Errungenschaft neuerer Zeit halten, gab es bereits im späten Mittelalter. Bald nach der Erfindung der Buchdruckerkunst wurden sie regelrecht Mode beim begüterten Bürger­ tum. Es waren handkolorierte Holzschnitte mit Kind-Jesu-Darstellungen und Glück­ wunschadressen. Über die Klosterschulen in den Städten wurde der Brauch weitergege­ ben an die Schullehrer und Kantoren des 18. und 19. Jahrhunderts, die ihrerseits die Zög­ linge zum Schreiben von säuberlich gemal­ ten Neujahrskarten anhielten. Schließen wir unsere Kulturgeschichte des Neujahrs-Brauchtums von anno dazumal mit dem Donaueschinger Wandkalender für 1887, denn die Willibald’sche Hofbuchdruk­ kerei zum Preis von 20 Pfennig ihrer Kund­ schaft empfahl: ,,mit den roth eingedruckten Geburts-und Namenstagen des Großherzog­ lichen Hauses (Baden) sowie des Fürstlichen Hauses Fürstenberg“ -ein Brauch, der inzwi­ schen ebenfalls -auf immerdar -der Vergan­ genheit angehört. Lorenz Honold

Mundart Halb Oberrheiner, halb Schwabe, halb Südalemanne Mundartliche Vielfalt im Schwarzwald-Baar-Kreis Das Gebiet des Schwarzwald-Baar-Kreises hat sprachlichen Anteil an drei großen ale­ mannischen Dialektgebieten: dem Oberrhei­ nischen, dem Schwäbischen und dem Süd­ alemannischen (vgl. Karte 1). Die neueste Gliederung des Alemannischen unterteilt das Oberrheinische nochmals in ein (westli­ ches) Oberrhein-Alemannisch und in ein (östliches) Bodensee-Alemannisch. Die Grenze bildet hierbei der östliche Schwarz­ waldrand. Demnach werden die Baarmund­ arten dem Bodensee-Alemannisch zugeord­ net, die Schwarzwaldmundarten aber dem Oberrhein-Alemannischen. von den Sprachhistorikern auf das 6.Jh. datiert, und als Ausgangsgebiet werden neben dem elsäßischen Sundgau und dem oberrheinischen Breisgau auch die Baar und der Hegau angenommen. Diese Grenze muß früher allerdings weiter nördlich verlaufen sein. So finden wir in der wegweisenden Arbeit von Karl Haag (vgl. Mehne, Rolf, Pro( Dr. Karl Haag (1860-1946): Ein Ahn­ herr der modernen Mundartwissenschaften, Almanach 1985, S. 94-96) über die Baar­ mundarten (1898) die Bemerkung, ,,daß an­ lautendes eh vor zwei Generationen noch nördlich der heutigen Grenze galt (Neudin­ gen)“. Dieser kreisinterne Nord-Süd-Gegensatz kommt auch noch in anderen Sprachbeson­ derheiten zum Ausdruck. Die Bewohner der südlichen Kreisgrenzorte Fützen und Ried­ öschingen erkennt der Mundartkundige sofort daran, daß sie nicht – wie die Baarener – die westschwäbischen Zwielaute «oa» und «äa» kennen. Anstelle dieser für die Baar­ mundarten typischen Laute spricht man in diesen Ortschaften ein einfaches langes offe­ nes «oo» und «ää». So heißt es dort «Wääg», «Määl», «gääl» für „Weg“, ,,Mehl“, ,,gelb“ wie im Schwarzwald und nicht «Wäag», «Mäal», «gäal» wie in der Baar, in Schwaben und am Bodensee. Dagegen ist die Einlautaussprache «oo» für das alte (mittelhochdeutsche) ei und des­ sen Umlaut, der nur in den Mundarten vor­ kommt und in unseren zwei Orten als «ää» erscheint, begrenzt auf ein halbmondförrni­ ges Gebiet entlang des Kantons Schaffhau­ sen von Ewattingen bis zum schweizerischen Ort Ramsen. So spricht man in diesem Über­ gangsgebiet Wörter wie „Geiß“, ,,Geißlein“, 203 Die Grenze zum Südalemannischen über­ schreiten wir auf einem Spaziergang vom Fürstenberg, dem „fürdersten“ Berg der Länge, nach dem nahegelegenen Hondingen oder Riedböhringen. Dem Dialektforscher ist diese wichtige sprachliche Grenzlinie zwi­ schen dem jüngeren Bodensee-Alemanni­ schen und älteren Südalemannischen als K­ Verschiebungslinie oder Kind-Chind-Linie bekannt. Während in der Nordhaar das (ger­ manische) k- am Wortanfang erhalten bleibt – Wörter wie „Kind“ und „Kopf“ werden wie im Neuhochdeutschen als «Kind» und «Kopf» ausgesprochen -, „verschieben“ die ,Südbaaremer‘ wie die angrenzenden Schwei­ zer dieses alte k- zu einem ,kratzenden‘ Rei­ belaut eh-. In Riedböhringen hört man diese rauh klingenden Laute in reiner Form am Wortbeginn in «Chind» und «Chopf», «Chnäacht» «Chropf» „Knecht“ und „Kropf“, aber auch im Wortinnern und am Wortende als in «druckche» „drücken“, «trinkche» ,,trinken“, «Sackch» ,,Sack“ und «G’stankch» ,,Gestank“. -kch (-) Der Beginn dieser Lautveränderung wird

Emmen- Breisgau – Hochschwarzwal.d Oberrhein-Alemannisch (Schwarzwaldmundarten) Schwäbisch Südalemannisch Bod Dllrthelm Tunlnv•n .SLintH� Bodensee-Alemannisch (Baarmundarten) hut stanz Gliederung der alemannischen Mundarten, Anteile der alemannischen Großraummundarten im Schwarzwald-Baar-Kreis „Stein“ und „Steine“ als «Gooß», «Gääßli», «Stoo» und «Stää» aus. „Huhn“, Auch in Wörtern mit anderem lautlichen Ursprung wie ,,Hühnlein“, „Blume“, „Blümlein“, ,,(-ver) dienen“ gilt die­ ser Einlaut-Zweilaut-Gegensatz: südliches «Hoo», «Hääli», «Bloom», «Bläämli», «(-ver)­ dääne» gegen nördliches «Hoa», «Häali», «Bloam», «Bläamli», «(ver)däane». 204 Bei allen diesen letztgenannten Beispielen schlägt sich Riedböhringen auf die Seite der Baar, also auf die Zwielaute. Gingen bislang Riedöschingen und Fützen gemeinsame Wege, so ändert sich dies bei der Aussprache des Selbstlautes im Wort „Knecht“. Hierbei gehen die drei Orte verschiedene Wege. Die Riedöschinger sprechen ein langes ää wie in «Wääg», also «Chnäächt», die Fützener dage-

gen ein kurzes ä wie im Neuhochdeutschen, also «Chnächt», und die Riedböhringer ein «äa», wie auf der Baar, also «Chnäacht» (vgl. Karte 2). Im Falle des Selbstlautes geht jede der drei südalemannischen Ortschaften ihren eigenen Weg, während sie im Falle des eh-Lautes gemeinsame Sache machen. So besitzt zwar einerseits jede Ortsmundart ihre eng gebundenen sprachlichen Eigenheiten, ordnet sich aber auch andererseits weiträu­ mig verbindenden Sprachmerkmalen unter. Dies mag als erstes Beispiel für Einheit und Vielfalt der Mundarten im Kreis stehen. Wenden wir nun den Blick der zweiten wichtigen Grenze im Kreisgebiet zu, der Schwarzwaldschranke im Westen. Die Sprachgrenze ruht hier auf einer Viel­ zahl naturräumlicher und siedlungsge­ schichtlicher Gegensätze. So besteht z.B. ein wichtiger Gegensatz zwischen dem baarener Altsiedelland mit seinen Muschelkalkböden und dem Ausbau- und Neusiedelland der Schwarzwaldostabdachung mit seinen Bundsandsteinböden. Oder: Ackerbau in der Kornkammer Baar, Forstwirtschaft und dessen Erwerbszweige „über Wald“; Haufen­ dörfer (Baartraufenhaus) mit Gemengelage (Dreifelderwirtschaft), Waldhufendörfer (Schwarzwaldhaus) mit Streulage (Berg-Tal­ Streifenwirtschaft). Drei wichtige dialektgeographische Ein­ zelerscheinungen sollen aus dem dichten Bündel dieser Schranke ausgewählt werden. Fahren wir von Wolterdingen durch das romantische Bregtal auf den „Hammer“, kann der aufmerksame Zuhörer hier erstmals Lautungen vernehmen, die die Hammer­ eisenbacher mit dem gesamten badischen Oberrhein von Karlsruhe bis zur schweizeri­ schen Grenze gemeinsam haben. Der „Stein“ wird hier von den ,Wäldern‘ nicht wie bei den ,Dachtraufschwaben‘ als dumpfes «Stoa» ausgesprochen, sondern als helles «Stai». Auch mäht der Bauer das Heu auf der „Matte“, nicht auf der „Wiese“. In der Baar «gon(d) d‘ Liit in d‘ Kilche», im Wald «gän d‘ Lit in d‘ Kirche». Fahren wir weiter nördlich durch das Schwesterntal der Breg zur Brigachquelle, geraten wir hinter Villingen in den ehemali­ gen Einflußbereich des bedeutenden zährin­ gischen Rodungsklosters St. Georgen. Seine spätmittelalterlichen Streitigkeiten mit dem reformierten Württemberg haben auch Spu­ ren in der Mundart hinterlassen. So kann man in Buchenberg, Langen­ schiltach, Brigach und Unterkirnach neben bereits typisch schwarzwälderischen noch viele (west)schwäbische Lautungen und Wörter hören. In diesen Orten meckerten früher im Stall die «Goaße», schnatterten die «Geis» und grunzten die «Seib». Der Rheintä­ ler erkennt die Bewohner dieser Orte als Schwaben an den charakteristischen Grund­ formen «gou», «stou», «lou» und «hou» für ,,gehen“, ,,stehen“, »lassen“ und „haben“, wobei hier «lou» ,,lassen“ genau wie das Wort ,,Lohn“ ausgesprochen wird. Als Schwarzwälder dagegen geben sich die ,Alt-St. Georgener‘ zu erkennen mit ihrem kurzen «gei» für „geben“ oder – schon fast verschwunden – «nei» für „nehmen“. Bei der letzten Grundform hört man immer mehr das neue «nemme» bzw. «nämme». Kurz gesprochen werden hier auch die altlangen Selbstlaute vor einem nachfolgenden t, z. B. «Zit» ,,Zeit“, «Kriz» ,,Kreuz“ und «Krut» ,,Kraut“. Diese Grenze zieht durch die west­ liche Baar nach Süden, so daß lediglich noch um Donaueschingen altes langes (mittel­ hochdeutsches) «Ziit», «Kriiz» und «Kruut» zu hören ist. Die Sprachlandschaft um St. Georgen ist also ein gutes Beispiel für das religiös-poli­ tisch-sprachliche Wechselspiel in einem mundartlichen Übergangsgebiet, wobei in neuerer Zeit hier nicht die schwäbischen, sondern die durch das Schriftdeutsche gestützten oberrheinischen Sprachformen vorzudringen scheinen. Bis ins vordere Brigachtal reicht der wei­ teste Ausläufer der oberrheinisch-fränki­ schen Mundarten, die b-w-Linie oder Stube­ Stuwe-Linie. Wörter wie „Stube“ und „rei­ ben“ werden in Königsfeld, Villingen, Klen­ gen, Grüningen und westlich dieser Orte mit 205

,.. …………………………………… �,,.,,.,,,,,….,., …… .__.__,…..,,. ….. _… …. c:::::;————–… ——–� RHEIN-ALEMANNISCH��t;�,iz Stuwe – waa,, Knaacht – Stet Stu'“‚e – waa •. Knaach – Stoo Stuw, – Waag, Knaocht – Sto o E.l, – Hou, – grat�er – raut – Knaat Eh – Houe – greef,Gc – root – Knaat II! – H��, – gree er – root – Knaat • 0 • Cha11 – druckcl,• – Stoa – Chna(a)ct,t CJ C..l105: f – drJck::ho — Stoa – ChriHacM Kleinraumgliederung der Mundarten im Schwarzwald-Baar-Kreis (mit mundartlichen Beispielwör­ tern) -w- gesprochen, also «Stuwe» und «riiwe» (vgl. Karte 2). Die „Verschleifung“ des -b- zu -w- ist wohl jüngeren Datums und heute unter dem Einfluß der Umgangssprache bereits wieder im Rückgang begriffen. Wurde sie vielleicht durch das vorderöster­ reichisch gewordene Villingen als Sprach­ mode im Brigachtal verbreitet? Von (Nord)Osten reicht eine weitere Großraummundart, das Schwäbische, mit drei, an Intensität abnehmenden Ausläufern in das Kreisgebiet hinein. Als wichtigste sprachliche Trennungslinie zwischen dem Schwäbischen und den übri­ gen alemannischen Mundarten gilt in der Fachwissenschaft die ,,Neuhoch­ deutsche Diphthongierungslinie“ oder Iis­ Eis-Linie. sog. 206 hi.,t stanz

Den schwäbischen Mundartsprecher er­ kennt man demnach sofort an der Zwielaut­ aussprache für die alten (mittelhochdeut­ schen) langen i, ü und u Laute. Baut der Schwabe sein «Heisle» und hat deswegen keine «Zeit», so sitzt der Badener vor seinem «Hiisli» und genießt seine «Ziit». Nähert sich das Schwäbische mit diesen Zwielauten der (neu)hochdeutschen Aus­ sprache, so entfernt sich das Kern- oder Zen­ tralschwäbische wieder davon, indem es zu­ sätzlich die altlangen e-, ö- und o-Laute in Zwielaute umwandelt. Die Niedereschacher sprechen – wie fast das gesamte Altwürttem­ berg – nicht nur «Mous» ,,Maus“, «Hous» ,,Haus“, «Meis» ,,Mäuse“, «HeiseP> ,,Häuser“ und «Eis» ,,Eis“, sondern auch «raut» ,,rot“, «grauß» ,,groß“ und «graißer» ,,größer“ (vgl. Karte 2). Im nahegelegenen Schura wird zudem das alte lange a als Doppellaut gespro­ chen in «Aubed» ,,Abend“, «Strauß» ,,Straße“ usw. Eine eigenwillige Mundartgruppe stellen auch die altevangelischen Dörfer der Ostbaar mit dem Kreisstadtteil Schwenningen dar. Das einst fürstenbergisch-württembergisch gespaltene Sunthausen (= Südhausen) schlägt sich sprachlich meist auf die landgräf­ lich-katholische Seite, d. h. auf die Seite des älteren Mittelalemannischen um die ehema­ lige Kreisstadt Donaueschingen. Was im folgenden für den Stadtteil am Neckar gesagt wird, gilt in noch stärkeren Maße für die mundartlich stabilen Dörfer des ,Sauländles‘, d. h. der Ostbaar. Bei fast allen charakteristischen „Schwen­ ninger“ Sprachlauten hat ein nachfolgender Nasenlaut, meist ein (geschwundenes) n, seine Hand im Spiel. An dieser typisch ,,näselnden“ Aussprache erkennt der Altvil­ linger den Altschwenninger. Einige Gegen­ satzpaare seien hier noch kurz genannt: Schwenningen: «Haad», «Waad» ,,Hand“, ,,Wand“, «Keed» ,,Kind“, «WeeteP> ,,Winter“, «Baak» ,,Bank“, «schau daike» ,,schon den­ ken“, «Ait» ,,Ente“, «steeke, g’stooke» ,,stin­ ken, gestunken“. In Villingen werden diese Wörter dagegen wie Im Neuhochdeutschen ausgesprochen. Lediglich das Wörtchen „schon“ lautet hier kurz «scho». Auffallend ist auch, daß in Schwenningen das -eh- vor t ausfallt, die Wörter „Kriecht“ und „Nacht“ also «Krtäat» und «Naat» lauten. Diese Darstellung kann nur einen kleinen Einblick in die mundartliche Vielfalt im Kreisgebiet geben. Es ist die besondere geo­ graphische Lage des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses im Schnittpunkt der drei großen aleman­ nischen Mundarträume, die diese Sprach­ landschaft so interessant und vielgestaltig macht. Wie Schollen schieben sich die groß­ räumigen Spracherscheinungen von der jeweiligen Seite in das Kreisgebiet hinein. Doch kristallisiert sich ein Kerngebiet aus dieser Vielschichtigkeit heraus: die Baar­ mundarten. Begrenzt von der K-Verschie­ bungslinie im Süden, der Schwarzwald­ schranke im Westen und der Neuhochdeut­ schen Diphthongierungslinie im Nordosten bildet die mittelalemannische Mundart um Donaueschingen das eigentliche Herz der «Baaremer Sprooch». Ewald Hall * 207

Der Schwarzwald-Baar­ Kreis in Farben 1)Blick durch das Gitter des Münsterzen­ trums auf den Benediktinerturm (Helmut Heinrich, Villingen) 2)Vogtshaus im Mauthe-Park im Stadtbe­ zirk Schwenningen mit Blick auf die Stadtkirche (Wolfgang Brotz, Schwenningen) 3)Triberger Wasserfall -Winterstimmung (Hanni Gabriel, Villingen) 4)Blick über Althornberg, Gemarkung Gremmelsbach (Clemens Müller, Triberg) 5)Bregtal (German Hasenfratz, Hüfingen) 6)Baarlandschaft bei Neudingen (German Hasenfratz, Hüfingen) 7)Junge Donau mit Fürstenberg (German Hasenfratz, Hüfingen) 8)Gauchachschlucht Oörg Michaelis, Blumberg) Usgwitscht Dr Schuastersteffe isch wild in dr Stube rum [grennt, Er het dr Lehrbua vrhaue; Un kaum um ’s Umischaue, Ja, kaum het er ’n prüglet gha, isch er ihm weg [ scho g’rennt. „Potz Höllestei“, so fluecht ‚r wild,“ vrwisch i [den Tropf, So wirf em go grad no en Stiefel an Kopf.“ Am andere Morge will scho in aller Hergotts­ [früeh Dr Bua sin Blunder hole; Dr Alt, der scho am sohle Isch, goht nus in voller Hast, er merkt di [ganzi Brüeh. In der II nimmt ‚r gschwind no en Stiefel in d‘ [Händ, Dr Lehrbua isch gschwind wieder zum Loch [ usi g’rennt. Grad kunnt di Alt zur Türe ri, dr Schuester [zieht uff, Dr Lehrbua isch vergloffe, – Si Alti het er troffe, ’s könnt besser nit grote, uff dr Hirnschädel [nuff! „Stemsabbermoscht“, sait ‚r un lachet so (vrschächt: „Im Lehrbua hets sunscht golte, -abr ’s isch ( au so recht!“ Bertin Nitz ,,Hurra! morn isch scho wieder kei Schuel?“ ( rüeft dr klei Lenz, ,,Dr Lährer mueß uffTriberg zue dr Lährer­ [konkurrenz!“ Bertin Nitz ,,Ihr sin au welleweg Zwilling, ihr zwei Buabe, Ihr sehne enand emol glich.“ ,Jo“, sait dr Klei, ,,seil sin mer, – Abr der isch e Johr älter als ich!“ Bertin Nitz Zwillingsbrüeder Lährerkonferenz 208

Schneeglöckli us em Schwarzwald Ein Porträt des Gütenbacher Mundartdichters Bertin Nitz Was isch e Christ? De Pfarrer froget in de Schuel: Wer kann mir sagen, was das ist?“ Jetzt stoht dr kugelrund Xaverli uff: ,,Des sin zwi Balke un e Brett druff!“ “ Ein Christ, Unser Sprachverhalten wird heute mehr und mehr von einer zweckgebundenen Ver­ sachlichung bestimmt. Parallel zur Entwick­ lung der Technologien, zur Vielfalt der Medien und der damit geschaffenen räumli­ chen Nähe auf unserer Erde wird unsere Umgangs- und Alltagssprache – mehr und schneller als in früheren Zeiten – durch Fach­ begriffe, Abkürzungen, Fremd- und Mode­ wörter einem fortlaufenden Wandel unter­ worfen. Diese Entwicklung mag wohl ein Grund dafür sein, daß heute der Mundart­ dichtung wieder ein verhältnismäßig hoher Stellenwert in der Literatur und vor allem in den Deutsch-Lehrplänen unserer Schulen eingeräumt wird. Als der Gütenbacher Bertin Nitz vor über siebzig Jahren seine Mundartgedichte schrieb, die in dem Bändchen „Schneeglöckli us em Schwarzwald“ gesammelt sind, und aus dem die gereimte kleine Anekdote ent­ nommen ist, konnte er nicht ahnen, wie wert­ voll sein kleines Werk für die Mundartpflege und Mundartforschung einmal sein würde. Im Jahre 1914 gab Bertin Nitz sein Gedichtbändchen im Selbstverlag heraus. Obwohl die Schreibweise der Mundart nicht streng an grammatikalische und orthogra­ phische Regeln gebunden ist, entschuldigte sich der damals 26jährige Verfasser diesbe­ züglich bei seinen Lesern in einem Vorwort mit folgendem Satz: ,,Freilich wird es dem Leser dann und wann zu erkennen sein, daß es das Erstlingswerk eines jungen Mannes ist, dem es infolge armer Herkunft leider nicht möglich war, Studien an höheren Schulen durchzumachen.“ Bertin Nitz wurde 1888 im „Kupferhüsli“ in Neukirch geboren und wuchs mit 13 Geschwistern im „Falligründer Hüsli“ an der Grenze zur Gütenbacher Gemarkung auf. Bezeichnend für die ärmlichen Verhältnisse in der Sehwarwälder Großfamilie war die Tatsache, daß für die jeweiligen Nachkömm­ linge kein Kinderwagen zur Verfügung stand. Das „Kleinste“ wurde einfach in die unterste Schublade des „Stubenkastens“ gelegt. Nach seiner Schulzeit an der Gütenbacher Volksschule absolvierte Bertin Nitz in der Badischen Uhrenfabrik in Gütenbach eine kaufmännische Lehre und gründete später hier auch seine Familie. Als Buchhalter fand er in der Firma eine für damalige Verhältnisse solide Existenz. Mit 44 Jahren nahm sein Leben ein tragisches Ende, als er bei einem 209

Spaziergang mit seiner Familie an einem Badeweiher in der Nähe von Gütenbach einem Ertrinkenden zu Hilfe kam und dabei einem Herzversagen erlag. Als vier Jahre spä­ ter auch seine Frau verstarb, wurden die vier unmündigen Kinder in Pflegefamilien unter­ gebracht und mußten von einer dürftigen Waisenrente leben. Die Liebe zur Heimat und die Beobach­ tung und Schilderung von Menschen seiner Umgebung sind die beiden Aspekte, unter denen Bertin Nitz seine originelle Gedicht­ sammlung angelegt hat. So beschreibt er in einfacher Volkslyrik die Orte Furtwangen und Gütenbach, aber auch einzelne, ihm liebgewordene Flecken und Gebäude wie z.B. D’Haibesäge E Säge liegt im Haibegrund Von Berge rings umgebe, En Bretterhufe obedra, E Bächli lauft demebe. De K.ianer dur im volle Jascht, Tuet ’s Wasser fürri suse, Un tuet so – über’s Rad eweg Ganz schumig z’Bode schuse. Dös Rad, es drait si Dag für Dag Es tuet si flißig rege, Un was sich zuetrait in der Näh, – Es loßt sich nit verzöge. Grad von dem große Wasserrad Do kann no mancher lehre, Denn -s mag do laufe, wer nu will, Dös loßt si gar nit störe. “ Wenn an de Arbet bisch, Es sait: So muesch nit ummegaffe, Sei flißig allwil so wie auch, So bringts au Loh‘, di Schaffe!“ Die einfachen und kärglichen Lebensbe­ dingungen, unter denen Bertin Nitz auf­ wuchs und die in jener Zeit für die Schwarz­ Hüslibure“ kennzeichnend waren, wälder “ sind in seinen Gedichten festgehalten. Selbst der tiefen existentiellen Armut verleiht er 210 mit seinem hintergründigen Humor noch eine heitere Pointe, wie in dem kleinen Gedicht Sehunke-Abfall Zum Metzger Johann kunnt en halbgroße Uhni Schtrümpf un uhni Schue: [Bue Ich han wieder welle e Pfund “ Sehunke-Abfall für de Hund. Sie sotte aber nit so fais si, gell gisch acht, Waisch die letschte hen im Vadder schlecht [gmacht.“ In origineller Weise schildert Nitz Ge­ dichte und gereimte Anekdoten die Mentali­ tät der Wälder“ rund um die Wasserscheide “ zwischen Brend und Kalter Herberge. Da werden Typen und urige Originale vor­ gestellt wie De Brotsepp“, Dr Siegel us em “ “ De Ferdi uff em Wibet“ und noch Dal“, viele andere, welche den sprichwörtlichen Wälderhumor vortrefflich zum Ausdruck bringen. “ Wibersache Dr Murer Hans, en dumme Ma, Het dozemol au Hostig gha. Un kaum e Jährli hintedra Do het er scho en Kronprinz gha. Ja, sag doch au mi liebr Hans“,­ So froget ihn dr Schwobefranz. Er froget lisli un ganz sacht: Du sag, wie hesch dös Ding au gmacht?“ “ Un wil dr Hans nit bsunders gscheit, So het er zue sim Nochber gsait: Ja guck, seil weiß i nit bi Lib, Dia Sach bsorgt bi mir als ’s Wib!“ Bei Bertin Nitz wird der Wälderhumor zu einer Art Lebensphilosophie, mit der letzt­ endlich auch Armut und Elend bewältigt werden. So hat ein Schwarzwälder als Gor­ “ dian im Himmel“ seine ganz eigenwillige Vorstellung von der ewigen Seligkeit.

Dr Gordian im Himmel Dr Pfarrer isch zuem Gordian kumme, He� der macht e grusig Gsicht, Drum het er’n gschwind drzwische gnumme: Ja worum machsch au so ne Gsicht? ,, Wer wett au do nit bsesse were, Für alles mueß i dr Kehrwisch si, Hinde un vorne tuen si zerre, Do meinsch, de muessisch ’s Schinders si.“ „Guck Gordian, im Weltgetümmel Nu dr Muet nit fahre lau, In dr andere Welt, im Himmel, Guck, dert wirds scho besser gau!“ ,,Jo seil sin mehr schöni Gschichte, Ich weiß wohl, wies dert goht; Dört riefe si, brusch gar nit fichte Von Morge früeh bis übe spoht: Gordian, gang loß dage, Gordian, mach dr Himmel uff, Gordian, schmiar dr Wage, Gordian, spring ins Gada nuff, Gordian, gang loß renge, Gordian, kumm schalt d’Welt, Gordian, loß dr Blitz no renne, Gordian, zähl dös Geld, Gordian, sieb de Hagel, Gordian, loß de Dunder los, Gordian, hol en Nagel, Gordian, bürscht mer d’Werchtighos, Gordian, d’Stube wische, Gordian, fuettere d’Hüer, Gordian, gang an Bach gi fische, Gordian, butz dös Gschiar, Gordian, bisch scho wiedr bsesse, Gordian, milch die Kuah, Gordian, kumm gi esse, Gordian, wichs mer d’Schuah, Gordian, hol d’Laterne, Gordian, bring auch Brot, Gordian, gang butz d’Sterne, Gordian, mach Oberot, Gordian, hilf Wolke schalte, Gordian, loß dr Sturmwind rus, Gordian, tue d’Sunn verkalte, Gordian, häng dr Mau vornus, Gordian, morn muesch Hase schieße, Gordian, mach au d’Läde zue, Gordian, tue dr Himmel gschpließe, Gordian, gang in d’Rueh!“ Überzellt ,, Was zellscht du an de Finger?“ sait dr Schua­ sterbold zum Lehrbua Benjamin. „Ich zell bloß, wiaviel bösi Wiber in üserem Hus au sin!“ ,,Nu wieviel sins?“ ,,Mit dr Maischteri sins sieba!“ „ Wart“, sait dr Maischter, ,,ich will dir dini Bossa vertriebe!“ ,,0, nei, Maischter, i han mi verzellt, ohni d‘ Maischteri, selli alt Hex, Sins bloß sechs!!“ Die Sprache, in der Bertin Nitz seine Gedichte verfaßte, ist die Mundart der Gegen um Furtwangen, Schönwald, Triberg im Osten und St. Märgen, St. Peter im Westen. Der Mundartforscher findet in dem Einzelwerk eine Vielzahl von Redewendun­ gen und Ausdrücken, welche in der täglichen Umgangssprache nicht mehr oder nur noch selten zu hören sind. ,,Schneeglöckli us em Schwarzwald“ wurde vor einigen Jahren vom Geschichts­ und Heimatverein Furtwangen e. V. nachge­ druckt, ist aber bereits längst wieder vergrif­ fen. Primus Schuler * 211

Die Sage von der alten Glocke Susanna im Klosterweiher Tief im Kloschderweiher onde liegt die Glock‘ us Kloschderzit niemerd hert se lite donde un vergesse hen se d’Lit. S’isch kald im Winter un im Sommer -un des Wasser isch so naß – 900 Johr lieg ich seid onde – liewe Lit s’war net nu Schbaß! G’fischet het mer Hecht un Karpfe -manchmol fett un riesegroß -doch mich het mer iwergange -sagenhaft -des isch mii Los! Zum Trotz mir sin e frohe Runde – d’Fischle mache selde Krach – un die ällerneieschd Kunde – bringt is täglich frisch d’Brigach! Hei, wa duet die äls verzelle, wa im Schtädtle so bassiert – mon do mueß e manchmol schelle, weil’s me gruusig amisiert! S’letschd Johr war arg g’schäftig monter, g’schriewe hät mer un schdudiert, fehrt deno noch Schtugert nonder, 212 Preise git’s, mer word prämiert! D’Brigach rieft: ,,mach de uf d’Socke, jetzt muesch de sieh‘ lau a]de Glocke! Im Schtädtle isch jetzt ebbis los (1984), 900 Johr, word g’fieret groß!“ ,,Doch sag‘ mer, wie goht’s au iserm guete alde Kloschderweiher – isch seil Wasser wenigschdens noch geheier?“ ,,Was in Dammes tiefer Gruwe, oh glaub‘ mer’s se.11 isch echde Schlamm, dreckig isch mii Glockeschtuwe, mer hät me halt do nie verdammt! Im Sommer sieh‘ e wieße Bloose schbringe, wenn die Tourischde sin im Fluß no due e singe un au klinge, ich bin halt us eme guete Guß! Ledschdhin sin so Welle komme, vom Rothuus owe rab, ä Glockeschbiel soll in’s Schtädtle komme, so ebbis bringt me arg uf Drab! Verlau hon ich mii schlammig Glockehuus, des haut mer schier de Schwengel nuus! Sehteil me jetzt vor, ich due’s riskiere,

kennt mer mich net reschdauriere? Ich bin die ald Susanna us em Kloschderweiher, gell des isch euch net geheier? Mii Schlagwerk macht no bim un bam ich bin no seile uf em Damm! Doch mit der Verwaltung Mächten isch kein ewger Bund zu flechten! Wehe, wenn sie losgelassen, wachsend ohne Widerstand greifen in die vollen Kassen, geben’s aus mit leichter Hand! D’Brigach duet mer äls verzelle, wa Land uf Land ab word g’schmiert doch ich dorf nu schelle, schelle, hoffentlich hen er’s kapiert! Un so hon e me bei Naacht heimlich us em Wasser g’macht, mich de Schmiedegrond nuf g’schonde un im Kloschderhof iig’fonde! S’isch fremd un kald un ich bin sauer, do endlich find e so ä schäwigs Reschdle Klosch­ dermauer – do huck e na – mir bomberet s’Herz, schier verrieße will mer’s s’Erz! Ich denk – un denk – un due sinniere – wa – welle -die do eigentlich fiere? Am näschde Dag goht’s mer scho besser, s’isch seile warm un d’Sonne lacht (ich her d’Lit flischdere un schwätze) „s’isch Schtadtfestwetter, des hät der Herr Blümel selwerts g’macht!“ Jetzt mueß e kichere un schelle, weil’s me gruusig amisiert vom Wetter selwerts mache kenne – hätmer frieher gar nint g’hert! – Hon’s äls schier net glauwe welle, wa so blädschered de Bach, doch wohr isch, wa se duet verzelle, en echte Bote isch d’Brigach! Vor luter lose, schtaune, gucke, word’s Naacht jetzt om me rom de Mond isch scho an Himmel komme, un hindenab goht d’Sonn! ,,Susanna, flischdereds do gelinde – mir goht’s au schlecht schdehnt d’Kloschderlinde, a Rosskur mache se mit mir zum Feschd, do guck ämol na, ich verlier scho d’Äschd! Von Hilfe schbier ich noch koa Schbur, ich glaub‘ s’git Schterwehilfe puur!“ Drum priefe wer sich ewig bindet ob sich des richtig Gleckle findet, der Wahn isch kurz, die Reu isch lang, ich schell nomol bevor ich gang – mich packt ein namenloses Sehnen, die Jahre fliehen pfeilgeschwind in euem Augen seh‘ ich keine Tränen, wenn ich jetzt uf de Sehteil verschwind! Doch ein’s noch Schiller möge mir verzeih’n holder Friede süße Eintracht weilet, weilet über dieser Stadt vergeßt mer net die Glock‘ zu weih’n wenn ihr sie endlich g’funde habt! Fier mich ihr Lit isch’s sonneklar mien ledschde Platz im Weiher war! Newe euerm Fidlebronne, wär fier mich en scheene Platz mit mienere echte Patina, wär‘ ich fier d’Schtadt en große Schatz – d’Kurgäschd däde mich bewandere, jeden Dag wär ich ihr Ziel ich dät au lud un liesle schelle, wie ä ächdes Glockeschbiel – mich kennt mer net verkehrt ufschtelle, en Vorteil wär’s ihr liewe Lit bevor älles z’schbot isch dät ich schelle, und wär’s au manchmal us de Zit!“ Rose Renner * 213

Stadt- und Ortssanierung Das Brigachhaus Der Ortsteil Brigach hat einen Mittelpunkt Mit der Einweihung des Brigachhauses am 7. September 1985, die mit einem großen Dorffest festlich begangen wurde, ging ein langgehegter Wunsch des Ortschaftsrates und der Brigacher Bevölkerung in Erfüllung. Mit diesem Haus erhielt die Ortschaft Bri­ gach, nach der Eingliederung in die Stadt St. Georgen durch die Erschließung eines großen Wohngebietes beträchtlich gewach­ sen, einen echten Mittelpunkt. Rathaus mit Schule (2 Grundschulklassen), Kindergarten mit Spielplätzen und das neu erstellte Bri­ gachhaus bieten Raum und Möglichkeiten für viele Aktivitäten, die von Jung und Alt, von Alteingesessenen und Neubürgern gern genutzt werden. Das vom Ortschaftsrat liebevoll und bewußt so getaufte „Brigachhaus“ fällt rein äußerlich sicher aus dem Rahmen der sonst üblichen Mehrzweckhallen. Das traditio­ nelle Schwarzwaldhaus mit seinem breit aus­ ladenden Dach stand bei der Planung Pate, wobei altherkömmliche Bauweise mit moderner Architektur sich sinnvoll ver­ emen. Architekt Klaus Schiebe! hat das Bauwerk sehr geschickt in die Schwarzwaldlandschaft eingepaßt. Der Dachfirst steigt in Richtung Süden um 7,5° an und bildet dadurch ein optisches Gegengewicht zu dem im Hinter­ grund steil auslaufenden Berghang. Einge­ rahmt wird das Haus von der noch ursprüng­ lichen Schwarzwaldlandschaft und lebendig gestalteten Außenanlagen, die dem ganzen eine besondere Atmosphäre geben. Selten ist wohl ein öffentliches Gebäude 214

von Bauherren, Architekten, Handwerkern und Bürgern schon in der Bauzeit mit soviel Interesse bedacht und mit soviel Liebe gestal­ tet worden. So begegnet dem Besucher denn auch die Liebe zum kleinsten Detail auf Schritt und Tritt. Schon in der Eingangshalle wird dies spürbar. Sie ist mit 50 qm als Tagungsraum für kleinere Veranstaltungen durchaus geeignet. Hier wird auch der Besucher gleich mit der Brigacher Geschichte bekanntgemacht. Die Nachbildung des 1898 im Hirzbauernhof an der Brigachquelle ent­ deckten Reliefs schmückt eine Wandseite und über den gemütlich eingerichteten Sitzecken zeigt eine gut zusammengestellte Fotoausstellung Motive aus der Vergangenheit von „Alt-Bri­ gach-Sommerau“. Alte Haus-und Hofan­ sichten in noch unberührter Landschaft und Jahrgangsbilder der Brigacher Schule um die Jahrhundertwende mögen da wohl in man­ chem alten Brigacher wehmütige Erinnerun­ gen wachrufen. Gute alte Zeit? Die beiden großen Flügeltüren, die den Eingang zur Mehrzweckhalle freigeben, sind kunstvoll beschriftet und halten die wichtig- keltisch-romanischen Eingangshal/e sten Daten aus der Brigacher Geschichte fest: Die Brigach als eine der �ellflüsse der Donau wird schon sehr früh vom römischen Geschichtsschreiber Strabo 15 n. Chr. er­ wähnt: „Tiberius aber sah die �eilen der Donau.“ Im Gründungsbericht des Klosters St. Georgen wird die Brigachquelle als „fon­ tes brichenae“, bedeutet „die Glänzende“, 1083 erstmals urkundlich genannt. „Brig“ ist keltischen Ursprungs, und weist auf frühe keltische Besiedlung hin. Geheimnisumwit­ tert bleibt das 1898 an der Quelle der Brigach beim Hirzbauernhof entdeckte sogenannte Brigach-Relief, das als keltisch-römisches Kultdenkmal gedeutet wird. Die Geschichte der Gemeinde Brigach ist eng mit der Geschichte des Klosters St. Georgen verbun­ den, von dem aus die Besiedlung erfolgte. Ursprünglich unter der Schutzherrschaft der Falkensteiner stehend, geht das Vogtrecht über Brigach 1422 an Abt Johann vom Klo­ ster St. Georgen über. Nach dem westfä­ lischen Frieden wird Brigach 1648 württem­ bergisch und mit seinen Ortsteilen Sommer­ au und Brigach-Stockwald eine Vogtei des St. Georgener Klosteramtes.1810 kommt Bri- 215

gach zu Baden und untersteht nacheinander den Bezirksämtern Hornberg, Triberg und Villingen. Mit Einführung der Badischen Gemeindeordnung 1832 wird Brigach eine selbständige Gemeinde bis zur Eingliede­ rung in die Stadt St. Georgen durch die Gemeindereform im Jahre 1972. Von der Eingangshalle gelangt man in den Mehrzwecksaal, der eine Grundfläche von 10 x 14 m aufweist und mit Schwingboden, Fußbodenheizung und Spezialsporthallen­ beleuchtung ausgestattet ist. Er eignet sich für Bewegungsspiele, Schulsport und Gym­ nastik ebenso wie für kulturelle und gesell­ schaftliche Veranstaltungen. Eine Bühne und eine Projektionsfläche machen Theater­ und Filmvorführungen möglich. Bei Be­ tischung sind im Saal 120 Sitzplätze und ohne Tische 180 Sitzplätze unterzubringen. Im Obergeschoß befindet sich ein Jugend­ raum, der den Brigacher Jugendgruppen als Bleibe dient. Dadurch ist eine wichtige Vor- aussetzung für erfolgreiche Jugendarbeit geschaffen, die auch von den übrigen Ein­ richtungen des Hauses profitiert. Für Bewir­ tungsmöglichkeiten sorgt eine gut eingerich­ tete Küche und abgerundet wird das Ange­ bot durch Umkleide-, Dusch- und WC­ Räume. Seit der Einweihung haben die Brigacher sehr schnell von „ihrem Haus“ Besitz ergrif­ fen und zahlreich sind die Veranstaltungen, die inzwischen hier abgehalten wurden. Sie bieten den Bürgern viele Möglichkeiten, auf die sie früher verzichten mußten. Wegen sei­ ner besonderen Atmosphäre ist das Brigach­ haus auch von den Vereinen der Kernstadt als Versammlungs- und Tagungsort sehr gefragt und damit zu einem echten Binde­ glied zwischen dem einst selbständigen Stadtteil Brigach und der Stadt St. Georgen geworden. Martin Wentz Das Uhrmacherhäusle in Vöhrenbach Die Spuren des Verfalls waren offensicht­ lich: Nur noch wenig erinnerte 1982 an die einstige, schlichte Schönheit des „Winker­ hauses“, das seit nahezu 250 Jahren am Beginn des heutigen Silbergrubenweges steht, nur wenige Meter von der Villinger Straße entternt. Jahrzehntelang war nichts dagegen unternommen worden, seinen Zer­ fall aufzuhalten. Das teilweise morsche Gebälk, die Feuchtigkeit, die zugigen Fenster und das undichte Schindeldach hatten das Gebäude mittlerweile unbewohnbar gemacht. Aber das Winkerhaus, es heißt heute Uhr­ macherhäusle und ist damals so genannt worden, weil es zuletzt von einer gleichnami­ gen Familie bewohnt wurde, ist eines der älte­ sten Häuser Vöhrenbachs. Am Firstbalken steht zu lesen, daß es Uhrmacher Helias Dolt im Jahr 1725 erbaut hat. Und eine Stadt, deren Bild sich bedingt durch gleich drei Brände immer wieder verändert hat, kann heutzutage nicht mehr viel von dem vorwei­ sen, was sie einst prägte. Das Uhrmacher­ häusle, um von nun an nur noch die heutige Bezeichnung zu verwenden, zählt dazu. Und wie andere alte Gebäude zuvor, etwa das Pfarrhaus, sollte es der Spitzhacke zum Opfer fallen. Dachten Stadtverwaltung und Gemeinderat daran, es abzureißen, damit in diesem Bereich die Straßenverhältnisse ver­ bessert werden können? Aber das Uhrma­ cherhaus verschwand dann doch nicht aus dem Vöhrenbacher Stadtbild, es bereichert es nun. Eine glückliche Fügung war dies nicht. Sein Bestand ist vielmehr hart erarbeitet wor­ den und der Erhalt das Werk vieler. Da wäre zunächst ein Kommentar der Badischen Zei­ tung vom Jahre 1982 anzuführen. Ein Appell 216

Das Uhrmacherhaus vor der Sanierung an den Vöhrenbacher Bürgerstolz, der Wi­ derhall fand. Dann eine Unterschriftenak­ tion, bei der sich mehrere hundert Vöhrenba­ ch er für die Sanierung dieses Hauses ausspra­ chen. Und vor allem die Haltung des Denk­ malamtes, das angesichts des drohenden Abbruches rasch reagierte und das Uhrma­ cherhaus unter Schutz stellte. Dies alles geschah innerhalb weniger Wochen. Der Fortbestand eines Stückes Alt-Vöhrenbach war somit gesichert. Aber, der Erhalt allein hätte den Zerfall nicht aufgehalten. Es galt nun zu bewahren, die Sanierung in Angriff zu nehmen, ja sie in erster Linie finanziell möglich zu machen. Kein leichtes Unterfangen. Denn Stadt­ räte samt Stadtverwaltung fanden sich zwar mit dem Dekret des Denkmalschutzes ab und zeigten die Bereitschaft zur Zusammen­ arbeit, aber Geld für die Sanierung zur Ver­ fügung zu stellen, dazu sah man sich ange­ sichts der Finanzlage der Stadt außerstande. Doch wer sonst hätte die Verwirklichung eines Projektes möglich machen können, das nach ersten Schätzungen einen Kostenauf­ wand von etwa 350 000 Mark mit sich brin­ gen würde? Es fand sich die Heimatgilde Frohsinn, jene Vereinigung von Vöhrenba­ cher Bürgern, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Brauchtum am Ort zu bewahren. Doch die Entscheidung, dieses gewaltige Projekt in Angriff zu nehmen, fiel nicht leicht. Immer wieder stand hinter den Überlegungen die Sorge, mit diesem Projekt den Bestand des Vereines zu gefährden, sich eine finanzielle Last aufzubürden, die zu tra­ gen, ein Verein nicht in der Lage sein würde. Und doch kam man voran, weil man tat­ kräftige und kompetente Unterstützung erhielt. Da war zunächst die zweite Vorsit­ zende der Heimatgilde, Hildegard Frey, die sich bereit erklärte, das Projekt als Verant­ wortliche für die Heimatgilde aufzugreifen und zu realisieren. Und der Furtwanger 217

Die gu.te Stube des Uhrmacherhauses, die einst als Werkstatt der Uhrmacher diente Nachbildung alter Holzverbindungen 218

Architekt Leopold Meßmer zeigte der Hei­ matgilde spontan nicht nur bautechnische Wege zur Bewältigung der Sanierung auf, sondern erklärte sich zudem bereit, plane­ rische Vorleistungen zu erbringen und das Projekt bis zu dessem Abschluß als verant­ wortlicher Planer zu beaufsichtigen. Und die Stadt war bereit, dem Verein das Uhrmacher­ haus im Rahmen einer Schenkung kostenlos zu überlassen. Auch Holz aus den städti­ schen Waldungen erhielt der Verein umsonst. Hilfeleistung hat auch der Schwarzwald-Baar-Kreis gegeben, indem er einen finanziellen Zuschuß gewährte. Und vor allem: Das Landesdenkmalamt stellte der Heimatgilde im Falle der Sanierung einen Zuschuß in Höhe von 80 Prozent der anfal­ lenden Kosten in Aussicht. So galt es für die Heimatgilde „nur“ noch die restlichen 20 Prozent zu finanzieren. Doch selbst dieser Betrag hätte die Möglich­ keiten des Vereines gesprengt. Entscheidend war nun, daß sich Zahnärztin Hildegard Frey nicht nur dazu bereit erklärte, die Verantwor­ tung für dieses Projekt zu übernehmen, son­ dern dem Verein auch die Finanzierung jener 20 Prozent abzunehmen, die noch erforder­ lich waren: Man fand einen Weg, der es der Heimatgilde möglich machte, ihren Eigen­ anteil so zu finanzieren, daß die eigentliche Vereinsarbeit nicht gefährdet war. So war der 2. Dezember 1984, zwei Jahre hatte die Vorbereitung in Anspruch genom­ men, ein denkwürdiger Tag in der Vereinsge­ schichte. Vorsitzender Helmut Heizmann, der ebenfalls großen Anteil am Zustande­ kommen dieser Lösung hat, bat an jenem Tag die Mitglieder der Heimatgilde bei der Generalversammlung um ihr „Ja“ zur Über­ nahme des Uhrmacherhauses und den damit verbundenen Beginn der Sanierungsarbei­ ten. Die Entscheidung war eindeutig: Bei nur einer Gegenstimme gaben die Mitglieder grünes Licht für die Rettung des Uhrmacher­ hauses. Und sie sicherten zudem zu, selbst bei der Sanierung Hand anzulegen. Stück für Stück erlebten die Vöhrenba­ cher dann im Jahr 1986, wie aus einem mehr oder weniger halb zerfallenen Gebäude ein Schmuckstück wurde: Der Verputz des Kellergewölbes wurde abgeschlagen, man legte die darunterliegenden Natursteine frei. Entfernt hat man auch den Schindelbeschlag der Wände, der ebenfalls nicht dem Urzu­ stand entsprach. Denn beim Uhrmacherhaus handelt es sich um eine sogenannte Ständer­ Bohlen-Konstruktion, die einzige im übri­ gen, die im süddeutschen Raum im Bereich eines Stadtkernes zu finden ist, was das Pro­ jekt für den Denkmalschutz besonders inter­ essant machte. Dieser Baustil ist sehr alt, er wurde sowohl bei vorgermanischen als auch bei germanischen Behausungen ange­ wandt. Den Urzustand kann man als ein „Fachwerk“ aus Ständern und Bohlen bezeichnen. Und eben dieses „Fachwerk“ wurde wahrscheinlich im 19. Jahrhundert mit dem bereits erwähnten Schindelbeschlag überdeckt, wohl um die Bewohner wirksa­ mer vor der Winterkälte zu schützen. Das Freilegen der ursprünglichen Balkenkon­ struktion war eine mühsame Arbeit, die von einigen Heimatgildemitgliedern übernom­ men wurde. Es galt Tausende von Schindeln zu entfernen und vor allem rostige Eisennä­ gel aus den Wänden zu ziehen. Und bei den Außenarbeiten machte man zudem eine erfreuliche Entdeckung: Es wur­ den Spuren eines Ganges entdeckt, der einst vom ersten Stock ins Freie und im rechten Winkel ums Hauseck führte. Auch ihn hat der Schönwälder Handwerksbetrieb Göp­ pert mit viel Liebe zum Detail und mit gro­ ßem handwerklichen Geschick nachgebil­ det. Zum Hausinnern: Das Vöhrenbacher Uhrmacherhaus ist wie es sein Name bereits besagt, ein sogenanntes „Hüsli“. Ein Anwe­ sen, das so gebaut wurde, daß sowohl eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft als auch die Ausübung eines Handwerkes möglich war. Über den Kellerräumen liegt der Mittel­ punkt des Hauses, die Stube mit der langen Fensterfront zur Sonnenseite hin. Hier stan­ den einst die Arbeitsgeräte der Uhrmacher. Neben der Stube liegt eine weitere Kammer 219

Die Sanierung: Das Vöhrenbacher Uhnnacherhaus ist eine sogenannte Ständer-Bohlen-Konstruktion. Bei der Restaurierung galt es einige der a/Jen Holzverbindungen mit viel Liebe zum Detail nachzubilden. Frey, dem Motor des Ganzen, die unermüd­ lich über Jahre hinweg auf dieses Ziel hin­ gearbeitet hatte. Nun ist das Haus saniert, ein Schmuckstück geworden, aber damit ist die Aufgabe der Heimatgilde nicht beendet. Das Stück Vöhrenbacher Geschichte soll nun helfen, Geschichte zu bewahren. Im Laufe der Zeit will der Verein eine Vöhrenbacher Heimatsammlung aufbauen. Schwerpunkte werden dabei eine Uhrmacherwerkstatt, eine Trachtensammlung, aber auch Zeugnisse von der stolzen Geschichte Vöhrenbachs als Stadt des Musikwerkebaues sein. Und natür­ lich werden in diesen Fundus auch viele Dokumente einfließen, die Zeugnis vom Brauchtum am Ort ablegen. Wilfried Dold und dann gibt es noch die kleine Küche mit ihrem Gwölm, das bei der Sanierung eben­ falls nachgebildet wurde. Über der Stube befinden sich im ersten Stock zwei weitere Kammern, die als Schlafgemächer dienten. Die übrigen Räume blieben der landwirt­ schaftlichen Nutzung vorbehalten: Der kleine Stall, die Rauchkammer und die Tenne unterm Dach. Auch die Innenarbeiten legten viele Details frei, die vom handwerklichen Geschick der Erbauer zeugten. Etwa die Kiel­ bögen in den Türrahmen, die der Renais­ sance nachempfunden sein sollen. Ein Jahr dauerten diese Arbeiten insge­ samt und dann konnten die Heimatgilde­ mitglieder das Uhrmacherhaus im Rahmen der offiziellen Einweihung am 12. Juli 1986 der Öffentlichkeit präsentieren. Ein Projekt, das in jeder Hinsicht gelungen ist. Und ein besonderer Dank ging dabei an die stellver­ tretende Heimatgildevorsitzende Hildegard 220

Alte Wälderhöfe Der Reinertonishof ist restauriert Mit dem Reinertonishof von 1619 in Schönwald-Schwarzenbach beherbergt der Landkreis einen der urtümlichsten, in seinem Originalbestand einmaligen Vertreter des „Heidenhauses älterer Form“. Über Ge­ schichte und Schicksal des Hofes, der in älteren Katasterplänen auch als „Reinerhanis­ hof‘ eingetragen ist, berichtete Berthold Haas im Almanach ’82. Nach dem frühen Tod des letzten Hofbauern Kuner war das Gebäude mit Hofreite 1980 durch die benach­ barte Familie Duffuervom Schneiderjockels­ hof übernommen worden. Hof-und Neben­ gebäude befanden sich damals in bedroh­ lichem Zustand. Die holzgedeckten Dach­ flächen waren undicht, Teile der Holz­ konstruktionen bereits durchnäßt und verloren. Inzwischen ist der Hof gerettet -dank großzügiger Hilfe des Landesdenkmalamtes und des Landkreises. Die Restaurierung ist insofern ungewöhnlich, als sie weitgehend unter dokumentarischen Gesichtspunkten erfolgen konnte. Die Voraussetzung dafür war eine ursprungsnahe Nutzung, bei der -abweichend vom Regelfall einer Sanierung – nicht die Anforderungen an eine neuzeitliche Milchviehhaltung und heutigen Wohn­ standard im Vordergrund standen. Eine solche Nutzung ließ sich mit dem Konzept der neuen Eigentümer vereinbaren: extensive Tierhaltung in den Ställen, Erhaltung der schwarzen Küche zum Räuchern, Wohn­ nutzung nur zur Überwachung und die Bereitschaft, das Anwesen Interessierten für die Besichtigung zugänglich zu machen. Der Reinertonishef von der Talseite aus. Vorne links der außerhalh des Grundrißes unter einer Dach­ abschleppung liegende Schweinestall. Auf der Dachfläche sind drei der Klappgauben geöffeet. Der First trägt wieder seinen Dachreiter. 221

Das Fensterband der Stube an der Eingangsseite, darüber die Schlafkammer, deren Fensteröffnung ursprünglich nur mit einem Holzschieber verschlossen wurde femt wurden. An ihren Wänden sind noch die charakteristischen Ritzzeichnungen erhalten, die auch an den Stalltüren und am Scheunentor zu finden sind. Die Konstruktion wurde in der alten Bau­ weise repariert: ,,Hochsäulen“ und liegende Dachbunde an defekten Stellen ergänzt, der ,,Schwellenkranz“ wieder vervollständigt,, Fenster und Fenstererker nach auf dem Hof gefundenen Restbeständen nachgebaut. Bis in die Einzelheiten kann die Bauweise der Heidenhäuser hier abgelesen werden: die ursprüngliche Form der Dachgauben, die als kleine Klappgauben ausgeführt sind, die Holzschindeldeckung mit den auf der Dach­ innenseite herausschauenden Holznägel und mit den Strohknoten, die man zur Dichtung zwischen den Schindeln eingehängt hat. Auch die eigenartige Form eines Dachreiters, die früher auf manchen Heidenhäusem in dieser Gegend zu sehen war, ist wiederher­ gestellt: ein verschindelter Stock auf dem First So ist der Stall weiterhin durch Tiere besetzt. Zu den Kleinpferden, an welchen sich die Ferienkinder vom Schneiderjockels­ hof freuen, sollen noch Jungrinder hinzu­ kommen. Die Schweine in dem wiederher­ gestellten „Saustall“ finden, ihrem Zustand und Verhalten nach, an der alten Haltungs­ form besonderes Gefallen. Hühner laufen wie eh frei über Hof und „Miste“. Die schwarze Küche mit ihren zwei Feuer­ stellen, die den Rauch offen in die „Hurt“ abgeben, ist in Betrieb, unter der Decke hängen die Speckseiten. Die Stubenöfen sind geheizt, und von der Ofenbank aus blickt man durch die kleinteiligen Schiebefenster in das naturgeschützte Schwarzenbachtal. Das Leibgeding und die Schlafkammern wurden in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Auch die zweigeschossige Dreschtenne ist wiederhergestellt, nachdem eine später eingebaute Milchkammer besei­ tigt und eingezogene Zwischendecken ent- 222

Der Leutschenbachseppenhof in Gremmelsbach mit zwei seitlich herausstehenden Stangen, über dessen Bedeutung es Berichte von alten Leuten gibt, über die noch geforscht werden muß. Die Nebengebäude wie Speicher und Backhaus sind wieder in Betrieb, in der Mühle kann eigener Strom erzeugt werden. Zusammen mit einer Fülle von altem Zu­ behör und von Gebrauchsgegenständen, die dem Hof erhalten geblieben sind, berichtet der Reinertonishof auf bisher einmalige Weise über die Bauart der Heidenhäuser und über das Leben auf einem Schwarzwaldhof der Höhengebiete in früherer Zeit. Ein Dokument, das dennoch wenig von einem Museum hat. Denn wenn die Familie Duffuer (auf Anfrage) Hof und Zubehör zeigt, dann ist das Haus von den Geräuschen der Tiere und der Arbeiten im Haus erfüllt, und beißender Geruch von Holzrauch zieht Die großen Höfe in Gremmelsbach kön­ nen auf ein hohes Alter zurückblicken. Soweit sich die Angabe über das Gründungs­ jahr, die über der Kellertüre eingemeißelt wurde, erhalten hat, weist sie meist in die Zeit vor dem 30jährigen Krieg. Damals scheint eine wahre Besiedlungswelle über das Dorf gekommen zu sein. Schriftliche Q!iellen über die Gründung eines Hofes oder den Kauf des Geländes zu finden, ist nahezu unmöglich. Wer einen Hof baute, legte nicht auch noch ein Archiv an, Papiere, ,,Briefe“ verloren im Laufe der Zeit ihren Wert, und die Erinnerung an die Ursprünge hat sich verflüchtigt, mögen auch die Familien­ namen über Jahrhunderte mit dem gleichen Hof verbunden sein. Von einem großen, abgegangenen Hof, den allerdings auch die mittlere Generation Gremmelsbachs nicht mehr gesehen und dessen letzte Spuren die Zeit getilgt hat, sol­ len einige Einzelheiten -ohne jeden An­ spruch auf Vollständigkeit -zusammenge- durch das Gebälk. Die Restaurierung des Reinertonishofes ist auch in ein Forschungs­ projekt an der Universität Karlsruhe einbe­ zogen, für welches schon die Sanierung des Schwarzbauernhofes im Katzensteig und des Obergschwendhofes in Gütenbach ausge­ wertet worden sind. Erfahrungen aus diesen Projekten sollen dadurch auch für andere Schwarzwaldhöfe nutzbar gemacht werden. Für die Ausbildung des Nachwuchses bei den Zimmerleuten leisten die Bauarbeiten an den historischen Holzbauten einen wichtigen Beitrag: Erfahrene Meister und Gesellen machen die Lehrlinge mit der alten Holzbau­ weise vertraut. So bleibt die Fähigkeit, mit dem wertvollen Baubestand umzugehen, auch für die kommende Handwerker­ generation gesichert. Ulrich Schnitzer tragen werden. Er stand im oberen Leut­ schenbach zwischen dem Hasenbauern-und dem Dieterlehof an der Kurve der Straße. Sein Name „Leutschenbachseppenhof“ und die Tatsache, daß er eine Zeitlang zwei Besit­ zer ernährte, weisen auf seine Größe hin. Ein Foto (etwa 1930 aufgenommen) zeigt das Heidenhaus nur noch zur Hälfte, der übrige Teil wurde im letzten Viertel des vergange­ nen Jahrhunderts abgebrochen. Kein Gerin­ gerer als Johann Faller, der „ Vogelhans“, Ururgroßvater des Volksschriftstellers Hein­ rich Hansjakob, ist in diesem Hause geboren und aufgewachsen, und Hansjakob müßte nicht Hansjakob gewesen sein, wenn er die Heimat seiner Väter nicht wenigstens einmal aufgesucht hätte. Dies geschah im Mai 1900 von Hofstetten aus. In den „Erinnerungen einer alten Schwarzwälderin“ (Stuttgart 1919, S.51 ff) erzählt er davon. „Um drei Uhr des Nachmittags sind wir auf dem obersten Rand des Leutschenbachs. Hier ist der Sephenhof, der Geburtshof des 223

Der Leutschenbachseppenhef in seinem Zustand um 1930 Vogelhansen. Aber seines Geschlechts ist kein Mensch mehr da. Ein fremder Mann lebt im großen, alten, auf windiger, rauher Höhe gelegenen Hof. Der junge Bur, eben mit Pflügen vor seiner Residenz beschäftigt, geht mit uns, um den Führer zu machen. Mit seiner Hilfe gelingt es, im Wagen bis an die Rappen- und Schloßfelsen zu kommen.“ Um diese Zeit hieß die Bauernfamilie Kuner. Ein Angehöriger der letzten Genera­ tion, Linus Kuner (1895-1984) konnte aus der Geschichte seines Elternhauses noch von interessanten Einzelheiten erzählen. Den Hof zierte eine in einen Balken geschnitzte Figur, das „Haidemali“ (Heidenmännlein). Die römische Zahl darunter: 1590. Ob sich dahinter eine historische Gestalt, etwa ein Heiliger oder ein Evangelist verbarg oder ob sie den Schutzgeist des Hauses symbolisieren sollte, ist nicht mehr feststellbar; auf dem Hof herrschte jedenfalls der Glaube, daß, solange diese Figur steht, der Hof von Blitz­ schlag verschont bleiben werde. Dieser Glaube trog nicht. (Ein Bild von Hof und Figur verdankt die Nachwelt Franz Dold, dem Bruder des Altbürgermeisters Johann Dold). Während dieses Reliefbild verschollen ist, ist durch glückhafte Umstände ein Hobel aus Kirschbaumholz erhalten geblieben. Er trägt die Initialen M und H und die Jahreszahl 1421. Er dürfte der älteste Gegenstand in Gremmelsbach überhaupt sein. Ein Unglück mit glimpflichem Ausgang war Linus Kuner noch in Erinnerung. Wein­ händler Weiß von Königsfeld stellte sein Pferd in der Tenne des Hofes ein, dieses tat einen Schritt zur Seite, trat auf brüchige Bret­ ter, stürzte auf den Boden des Zwischenstok­ kes, durchschlug auch diesen und landete im Erdgeschoß. Von einer Verletzung am Hin­ terteil abgesehen, kam das Tier mit dem 224

Schrecken davon. Einern Ochsen des Stein­ hauerunternehmers Antonini -seine legen­ dären schweren Pferde hatte er abgeben müs­ sen -widerfuhr während des Ersten Welt­ krieges das gleiche Schicksal. Noch eine andere hübsche Geschichte erzählte Linus Kuner. Eine Henne hatte sich zum Eierlegen einen merkwürdigen Platz ausgesucht: den Dachfust. Das Dach war mit Stroh gedeckt und reichte auf der Bergseite bis zur Erde. Das erleichterte ihr das Steigen. Nach dem Wegzug der Familie Kuner 1909 nach Hardt (Gewann Hugswald) lebte die letzte Bewohnerin Euphrosine Kuner (genannt „Ephros“) noch viele Jahre in die­ sem Hause. Sie starb 1930. Sie gehört zu jenen Menschen, für die die Augen zu strah­ len beginnen, kommt die Rede auf sie. Sie verdiente sich ihren kärglichen Lebensunter­ halt, indem sie, wie einst die Marketender, Haushaltswaren verkaufte. Ihren Wagen zog ein Esel. Die Waren hatte sie in der Mühle beim heutigen „Lindenstüble“ untergestellt. Während einer Volksmission (1920) hatte sie sich bei der Dorfbrücke einen Verkaufsstand mit Andachtsgegenständen wie Kerzen, Rosenkränze, Heiligenbildchen usw. einge­ richtet. Für die großen Feste im Kirchenjahr band sie Berge von Kränzen aus Tannenrei­ sig. Sie wird noch heute als humorvolle, fromme Frau geschildert, mit der man sich glänzend unterhalten konnte und die in jeder Situation das rechte Wort fand. Der Hof hatte keine Zukunft mehr. Der zuerst abgebrochene Teil wurde für den Bau des Nachbarhofes verwendet. Diesen Hof verkaufte 1895 Kleophas Schneider dem Kleophas Schneider aus Nußbach (ohne mit ihm verwandt zu sein), dem langjährigen, beliebten Waldhüter von Gremmelsbach. Das Haus brannte am 15. August 1932 durch Blitzschlag nieder. Die Balken des übrigen Teiles vom Leutschenbachseppenhof wur­ den für das Haus von Josef Kuner im Säge­ dobel in Triberg zugeschnitten, die Felder waren zuvor an die umliegenden Höfe ver­ kauft worden, ein Teil davon kam zum Hof Karl Volk des Hubert Kaltenbach. 225 Das „Haidemali“ (Heidenmännlein) 1590 Der Hobel aus Kirschbaumholz mit den Initialen MH und der Jahreszahl 1421

Gesundheit, Soziales Das Städtische Krankenhaus St. Georgen im Schwarzwald im neuen Gewand Das Krankenhauswesen in unserer Stadt hat eine lange Tradition. Sie geht weit in die Klosterzeit zurück. Das erste eigentliche Städtische Krankenhaus an der Gerwigstraße wurde zu Ende des vergangenen Jahrhun­ derts erstellt. Überlegungen zum Neubau eines Krankenhauses mußten durch den 2.Weltkrieg zurückgestellt werden. Unter Initiative unseres Altbürgermeisters und Ehrenbürgers, Emil Riemensperger, wurde dann schon kurz nach der Währungsreform mit der Planung eines völlig neuen Hauses durch den St. Georgener Architekten Bert­ hold Haas an der westlichen Peripherie der Stadt begonnen. Die Finanzierung dieses Vorhabens wurde durch eine Bürgeraktion einmaliger Art gesichert: Alle Arbeitnehmer stellten den Erlös von je 40 Überstunden als zinsloses Darlehen der Stadt zur Verfügung. Die Arbeitgeber schossen den gleichwertigen Betrag zu. Die überwiegende Zahl der Bürger verzichtete später auf die Rückzahlung ihrer Darlehen. Am 10. April 1954 wurde das neue Krankenhaus der Bürgerschaft übergeben. Er war der erste und modernste Kranken­ hausneubau im weiten Umkreis nach dem 2. Weltkriege. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre stellte sich verstärkt heraus, daß das Haus dringend an den enormen medizinischen Fortschritt und die dadurch gestiegenen Anforderungen an die Krankenhäuser ange­ paßt werden muß, um es der Bürgerschaft erhalten zu können. In vielen Verhandlun- 226

gen mit dem Sozialministerium, insbeson­ dere über Umfang, Finanzierung und Betten­ bedarf, konnte ein auch für die Stadt trag­ barer Kompromiß erzielt werden: 1. Förderung des Vorhabens durch das Land als Festbetragsfinanzierung in Höhe von 5 Millionen DM 2. Aufnahme des Vorhabens in das Kran­ kenhausbauprogramm des Landes 1986 3. Reduzierung der Bettenzahl auf noch 85 34 Planbetten 40 Planbetten 9 Planbetten 2 Planbetten mit folgenden Abteilungen Chirurgie Innere Abteilung Gynäkologie HNO Das vorgesehene Bauprogramm umfaßte, um nur die wichtigsten Maßnahmen zu nen­ nen, die völlige Erneuerung der Kranken­ zimmer, die Neueinrichtung von Schwer­ krankenzimmern, neue Pflegearbeits- und Funktionsräume, Einrichtung einer Zentral­ einer Bettenzentrale, sterilisation und Neueinrichtung des Operationsbereiches mit Vollklimatisierung, Erneuerung des sani­ tären Bereiches und der elektrotechnischen Installation sowie Ausstattung des Hauses mit modernsten medizintechnischen Gerä­ ten. Durch zusätzlichen Anbau eines Pavil­ lons konnte eine gemütliche Cafeteria und ein neuer, funktioneller und angenehmer Eingangsbereich geschaffen werden. Lange Überlegungen und Beratungen im Gemeinderat über die Abwicklung dieses umfangreichen Bauvorhabens ließen immer mehr die Erkenntnis reifen, daß ein ab­ schnittsweises Vorgehen unter Beibehaltung des Krankenhausbetriebes kaum möglich sein wird. Die planenden Architekten, das Büro Pfaff & Partner in Rottweil, erhielten deshalb den Auftrag, die Generalsanierung so vorzubereiten, daß sie bei totaler Schlie­ ßung des Hauses in etwa 5 Monaten durch­ geführt werden kann, um so den Ausfall für die Stadt während der Schließung so gering 227

Die Rehabilitationsklinik Sonnhalde in Donaueschingen wie möglich zu halten. Noch nie -soweit bekannt – ist der laufende Betrieb eines Krankenhauses unter Inkaufnahme eines erheblich ungedeckten Betriebsaufwandes dann für etwa 5 112 Monate unterbrochen worden und wurde in dieser extrem kurzen Zeit ein in den meisten Bereichen völlig neu gestaltetes Krankenhaus geschaffen. Dies war nur möglich durch eine generalstabsmä­ ßig durchgeführte Planung und einen streng koordinierten Einsatz aller Bauhandwerker. Am 29. August 1986 konnte das Haus wieder eröffnet werden. Neben der Festbetragsfinanzierung durch Eine Fachklinik für chronische innere Erkrankungen Der Stadt Donaueschingen im Westen vorgelagert erhebt sich der rund 800 Meter hohe Sehellenberg. Im Windschatten des Berges, der von zahlreichen Dolineneinbrü­ chen durchsetzt ist, liegt an seiner Südost­ flanke unterhalb des flachen, dicht bewalde­ ten Gipfels die Rehabilitationsklinik Sonn­ halde der Landesversicherungsanstalt Baden. In der Umgebung heißt das Haus einfach das „Sanatorium“. Die Arbeiterrentenversi­ cherung Badens betreibt hier eine Fachklinik mit rund 150 Betten zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages der gesundheitlichen Wiederherstellung solcher Störungen, die ohne derartige Versorgung vorzeitig invalidi­ sierungsbedürftig würden. Eine Rehabilitationsklinik ist im Unter­ schied zu einem Sanatorium einerseits und einer Klinik der medizinischen Akutversor­ gung andererseits eine Einrichtung, in der unter stationären Bedingungen und ärztli­ cher Anleitung bestimmte wiederherstel­ lungsfahige chronische Leiden mit allen der­ zeit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und notwendigen Intensität behandelt wer­ den. Entsprechend aufwendig ist daher auch der Personalbedarf, und das Haus verfügt 228 das Land Baden-Württemberg in Höhe von 5 Millionen DM, hat die Stadt aus Haushalts­ mitteln weitere 4,2 Millionen DM zugesetzt. Hinzu kommt eine Summe von 2,3 Millio­ nen DM, die durch Einnahmeausfälle wäh­ rend der Zeit der Schließung ebenfalls von der Stadt zu tragen sind. Dieser Gesamtauf­ wand war es der Stadt und ihrem Gemeinde­ rat wert, der Bürgerschaft ein modernes und leistungsfähiges Krankenhaus zu erhalten. Sie hat sich für diesen kommunalpolitischen Kraftakt durch große Anerkennung und volle Annahme des Hauses bedankt. Günter Lauffer über rund 110 qualifizierte Arbeitsplätze (ohne Ausbildungsplätze). In gebotener Kürze sollte der Rehabilita­ tionsbegriff eine Erklärung erfahren, ob­ gleich er keineswegs neu ist. Schon 1844 hat der Badische Staatsrechtler Franz-Josef Ritter von Buss u. a. ausgeführt:,, Vielmehr soll der heilbare Kranke vollkommen rehabilitiert werden, er soll sich wieder zu der Stellung erheben, von welcher er herabgestiegen war, er soll das Gefühl seiner persönlichen Würde wieder gewinnen.“ Inwieweit diese Gedanken der Rehabilita­ tion ihren direkten Niederschlag im § 1236 der späteren Reichsversicherungsordnung fanden bleibt zwar ungewiß, doch heißt es dort: ,,ist die Erwerbsfähigkeit eines Ver­ sicherten wegen Krankheit oder körperli­ cher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder ist sie gemindert, kann der Rentenversicherungsträger Lei­ stung zur Rehabilitation erbringen, wenn die Erwerbsfähigkeit durch diese Leistung wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann.“ Tatsächlich begründet sich der Rehabilitationsauftrag der Rentenversi­ cherungsträger bis heute auf diesen § 1236

RVO, griffig vereinfacht in der Formel „Rehabilitation vor Rente“. Die gesetzlichen Rentenversicherungen haben den Auftrag der Rehabilitation immer sehr ernst genommen. Erste Einrichtungen galten der Bekämpfung der Tuberkulose. Auch die „Sonnhalde“ war ursprünglich der Behandlung dieser Volksseuche gewidmet. Ausgehend von ihrem zu klein gewordenen Sanatorium „Hirschhalde“ in Bad Dürrheim wollte die LV A Baden ein erweitertes moder­ nes Konzept verwirklichen, das sich dort allerdings nicht realisieren ließ. Das benach­ barte Donaueschingen sprang ein. Um den Sehellenberg bestand das von der Stadt damals verfolgte Projekt eines möglichen Kurzentrums, basierend auf den ortsgebun­ denen Kurmitteln des Reizklimas und einer früher erbohrten Sole. Also kam man der LV A mit Gelände entgegen. Nach gründli­ cher Planung und insgesamt 3jähriger Bau­ zeit wurde das Haus im Herbst 1964 feierlich seinem Zweck verpflichtet. Der Behand­ lungs- und Rehabilitationsauftrag galt zuerst der nicht die Lunge und das Knochensystem betreffenden Tuberkulose. Aber auch chro­ nische nicht tuberkulöse Atemwegserkran­ kungen gehörten gleich zum therapeuti­ schen Repertoir. Während die Sanatoriumsbehandlung der Tuberkulose heute und nicht nur in der Sonnhalde bereits der Geschichte angehört, betreffen chronische Erkrankungen der Atemwege derzeit noch rund 113 aller Patien­ ten. Parallel zur Entwicklung zivilisationsbe­ dingter chronischer Leiden ist daneben aber ein Wandel in der Indikationsliste des Hau­ ses eingetreten. % der Behandlungsbedürfti­ gen sind daher heute Kranke mit chroni­ schen Aufbrauchbeschwerden des Stütz­ und Bewegungssystems, voran des Achsen­ skelettes, der Wirbelsäule. Neben diesen „Leitdiagnosen“ fallen bei fast allen Behand­ lungsbedürftigen Spätfolgen falschen Um­ ganges mit Nahrungs- und Genußmitteln zunehmend in die therapeutische Pflicht. Letztlich sind auch Aufbrauchbeschwerden des Bewegungssystems weniger Folgen über­ mäßiger als zumeist einseitiger Belastung oder allgemeiner Fehlbelastung im Sinne des Bewegungsmangels. Mit einem Durchschnittsalter aller Patien­ ten von 51 Jahren ist die Gruppe der über SOjährigen am stärksten vertreten, und meist sind es Kranke aus den stark belasteten Beru­ fen des Baugewerbes, der Fahrdienste sowie Frauen aus monotoner Montagearbeit am 229

Band. Zu Hause sind die meisten im südli­ chen Rheintal und in den Industriegebieten um Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Pforzheim. Im Jahresmittel werden bei 4wöchiger Aufenthaltsdauer rund 1800 Pa­ tienten behandelt. Das therapeutische Konzept der Rehabili­ tation in der Sonnhalde hat sich ebenfalls dem Wandel der Krankheitsfälle angepaßt, 3 Prinzipien liegen ihm zugrunde. Zuerst die­ nen Anlagen und Erfahrungen naturheil­ kundlich orientierter physikalischer Thera­ pie wie Sole, Bäder und Inhalationen, Moor­ packungen, Massagen, Kneipp’sche Wasser­ behandlungstechniken und Bestahlungen der Grundbehandlung. In anschließender Verbindung folgen gezielte Bewegungsbehandlungen z.B. der Wirbelsäule und der sie stützenden Bänder und Muskulatur, der die Atmung besorgen­ den Beweglichkeit und des die gesamte Bewegungsfähigkeit versorgenden Kreislau­ fes. Neben Bewegungsbädern werden hierzu soweit wie möglich klimatherapeutische Erfahrungen genützt. Ruhepausen und die Vermittlung moderner Entspannungstech­ niken sorgen für den notwendigen Erho­ lungseffekt. Das dritte der die Behandlung tragenden Prinzipien ist die Information. Ein aus­ gesuchtes Schulungsprogramm soll den Krankgewordenen helfen, Einsicht und Anregung zukünftig gesundheitsorientierter Lebensführung zu vermitteln. Praktische Diätetik, Nikotinentwöhnungskurse, Hilfen zur Streßbewältigung und praktische Anre- gungen zu kreativer Freizeitbewältigung seien schwerpunktmäßig aufgelistet. Mit dieser Informationstherapie begin­ nen neuzeitliche Heilverfahren Vorsorgeauf­ gaben anzunehmen. Da es sich ergeben hat, daß ein großer Anteil der uns heute belasten­ den chronischen Krankheiten weniger schicksalshaft als auch verhaltensbedingt verursacht sind, beginnt die Rehabilitation der gesundheitlichen Würde des Menschen zunehmend mit der versuchten Verhütung krankmachender Verhaltensweisen, soweit sie im Einzelnen begründet liegen. Runden wir unseren darstellenden Aus­ flug zur Rehabilitationsklinik Sonnhalde der LV A Baden ab und kehren um den Sehellen­ berg nach Donaueschingen zurück. Gerade weil die reizvolle Stadt und ihre unver­ fälschte Landschaft keinen sogenannten Kurortcharakter haben, ist ihr Verhältnis zur Sonnhalde und seinen Patienten und dieser wiederum zu ihrer Aufenthaltsumgebung von großer gegenseitiger Selbstverständlich­ keit getragen. Wenn im Jahr 1989 die Stadt Donaueschingen sich stolz ihrer Gründung vor 1100 Jahren erinnert, will es der Zufall, daß auch ihr „Sanatorium“ ein vergleichswei­ se bescheidenes 25jähriges Jubiläum feiern kann. Immerhin ist in diesen 25 Jahren rund 40 000 Kranken und rehabilitationsbedürfti­ gen Menschen Erholung und Genesung zuteil geworden, die in ihrer Gesundheitser­ fahrung mit Donaueschingen zeitlebens ver­ bunden bleiben werden. Dr. med. Wolfgang Schubert Die Barmherzigen Schwestern in Triberg Eine dankbare Erinnerung an die Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul Triberg im Schwarzwald durfte über 118 Jahre lang den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul (1576-1660) Heimstätte ihrer Berufung sein. Ihm, dem leuchtenden Vorbild und Patron der Kongre­ gation, eiferten die Ordensschwestern in freier Berufsentscheidung nach, ein Leben lang dem Nächsten zu dienen, Kranke zu pflegen, Bedürftigen zu helfen. Verankert war diese Lebensauffassung in felsenfestem Gottvertrauen und tiefer Frömmigkeit. Am 1. Oktober 1860 kamen die ersten 230

Die letzten Bannherzigen Schwestern im Triberger Krankenhaus. Von links: Oberin Schwester Heron (gestorben 9. 8. 1983 in Heitersheim), Küchenschwester Baptista, ehem. Kinderschwester Gilberta, OP-Schwester Emesta, Krankenschwester Maria Agnella (gestorben 24. 8.1985 in Heitersheim) und Krankenschwester Silana. Barmherzigen Schwestern nach Triberg und nahmen im „Alten Spital“, Hauptstraße 6, (eine edle Stiftung des Pfandherrn Lazarus von Schwendi, anno 1578) ihre Tätigkeit in der dienenden Liebe auf, zugleich für die Stadt ein Ereignis von geschichtlicher Bedeu­ tung. Ein Vertragswerk aus 23 Paragraphen, datiert vom 24. April 1860, regelte die Rechte und Pflichten der Ordensschwestern, die für den gesamten inneren Dienst des Spitals zuständig waren. Den Vertrag, dessen Inhalt Gründlichkeit verriet und interessante Vor­ schriften enthielt, unterzeichneten die „Spi­ tal-Commihsion“ und der Ordenssuperior. Letztlich ratifizierte die Großherzogliche Regierung des Oberrheinkreises zu Freiburg am 13. November 1860 das historische Doku­ ment „Zum Vollzug genehmigt“. In kürzester Zeit erwiesen sich die vom Freiburger Mutterhaus entsandten Schwe­ stern als überaus wertvoll. Sie versahen mit viel Umsicht und unermüdlichem Einsatz ihre meist schwierige Aufgabe. Bereits damals ernteten die Ordensschwestern all­ seits Lob und Anerkennung. Sie wurden unentbehrliche Kräfte. Als im Spital der Platzmangel sich für den Betrieb seit langem sehr nachteilig auswirkte, kaufte die Stadt Triberg 1920 das Hotel „Bel­ levue“, Wallfahrtsstraße 12. Der respektable Gebäudekomplex wurde zum „Bezirkskran­ kenhaus“ umfunktioniert, die Ordensschwe­ stern erhielten dadurch eine wesentlich bes­ sere Wirkungsstätte. Das Mutterhaus teilte Triberg weitere Schwestern zu, die für den Krankendienst, den Operationssaal, die 231

Säuglingsstation und für die Küche sehr gut ausgebildet waren. Die Barmherzigen Schwestern bildeten die tragenden Säulen des Krankenhausbetriebes. Mit all ihren Kräften betreuten sie Schwerkranke, Lei­ dende und Genesende. Niemand zählte die aufopferungsvolle Pflege bei Tag und Nacht, Jahr um Jahr. Die Ordensschwestern waren immer da. Dies kam auch den weltlichen Hilfskräften sehr zugute. Die Schwestern lernten viele Menschen und Schicksale, Freud‘ und Leid kennen. Alle Patienten empfanden nebst der fachlichen Betreuung den wohltuenden tröstenden Zuspruch der Ordensschwestern, ihre auf­ munternden Worte, das Gebet und den Bei­ stand in schweren und letzten Stunden. Ärz­ teschaft und Patienten wußten um die abso­ lute Zuverlässigkeit der Barmherzigen Schwestern und schätzten jede einzelne als Persönlichkeit. All die Jahrzehnte waren die Ordensschwestern überaus „billige“ Arbeits­ kräfte, was dem Träger des Hauses, den Kran­ kenkassen und letztlich den Patienten zugute kam. Darüber hinaus wußten die Schwestern sehr sparsam zu wirtschaften. Als am 30. April 1979 das Triberger Kran­ kenhaus aufgegeben werden mußte – ver­ strickte Umstände machten alle Bemühun­ gen für eine anderweitige günstige Lösung zunichte – zog das Mutterhaus die letzten Triberger Ordensschwestern ab, um ihnen den schon längst falligen, hochverdienten Ruhestand zu ermöglichen. Damit ging das Kapitel der Barmherzigen Schwestern von Triberg nach über 118 Jahren der Beständig­ keit zu Ende. Verschwunden auch seither das vertraute Bild der Barmherzigen Schwestern in der Kirche und auf den Straßen. Auch das ehemalige Frauenvereinshaus, Schulstraße 13, war als soziale Einrichtung untrennbar mit den Ordensschwestern ver­ bunden. Schon 1874 leiteten sie einen Kin­ dergarten und wirkten zudem überaus se­ gensreich in der Hauskrankenpflege, Frauen­ arbeitsschule, Volksküche, Wöchnerinnen­ pflege, bei der Betreuung von Berufstätigen und Heimfürsorge für alte Leute. 232 Im Dritten Reich löste die Willkür der Staatsgewalt zum 1.1.1938 den christlich fun­ dierten Frauenverein auf Die Stadt Triberg übernahm das Haus und die Einrichtungen, die Ordensschwestern erfüllten weiterhin für die Bevölkerung ihre soziale Aufgabe. So gingen wieder Jahrzehnte ins Land. Als 1966 die letzte Oberin des Hauses, Sr. ins Mutterhaus Damascena, 86jährig, zurückkehrte, wurde das verbliebene städt. Altersheim bis zur Aufgabe im Juni 1978 mit weltlichen Kräften weiterbetrieben. – Als letzte Ordensfrau leitete Sr. Gilberta noch bis April 1971 den städt. Kindergarten im Frauenvereinshaus. Von Krankheit gezeich­ net machte sie sich danach noch im Kranken­ haus nützlich. Den städt. Kindergarten betreuten weltliche Kräfte, und im Juni 1978 schloß auch er seine Pforte in Auswirkung starker Geburtsrückgänge und dem Vorhan­ densein von zwei modernen, katholischen Kindergärten. Die denkwürdige feierliche Verabschie­ dung der letzten sechs Barmherzigen Schwe­ stern am 6. Mai 1979, mit festlichem Gottes­ dienst in der St.-Clemens -Kirche und anschließend im Rathaussaal, gestaltete sich zu einer überwältigenden Laudatio und viel­ fachem Dankeschön, zu einem bewegten Vergelt’s Gott. Die Abschiedsgeschenke häuften sich, ein Ausdruck inniger Dankbar­ keit und Ehrerbietung. Viele Erinnerungen und von Herzen kommende Wünsche nah­ men die lieben Ordensschwestern mit nach Heitersheim, ihrem Ruhesitz. – Damals wurde vielen Bürgern bewußt: ,,Triberg ist ärmer geworden.“ Sieben Ordensschwestern sind in der Zeit von 1909 bis 1965 in Triberg gestorben und auf dem Bergfriedhof beerdigt. Die Stadt betreut die Gräber. Insgesamt haben von 1860 bis 1979 in Triberg 63 Barmherzige Schwestern segensreich gewirkt. Sie alle zeichnete die Tugend der Bescheidenheit, selbstlose Hingabe und fürsorgliche Näch­ stenliebe aus. Karl-Heinz Müller

Verkehrswesen Zum lOOjährigen Jubiläum der Eröffnung der Höllentalbahn Die Strecke Freiburg- Donaueschingen hat auch für den Schwarzwald-Baar-Kreis erhebliche ver­ kehrspolitische Bedeutung. Die Entwicklung der Höllentalbahn soll daher auch im A Iman ach .fest­ gehalten werden. Begonnen hatte es 1845. Kaum war die badische Hauptbahn bis Freiburg gebaut, erschien in Karlsruhe (!) eine Schrift, die den Bau einer von Freiburg nach Osten aus­ gehenden Bahnstrecke befürwortete. Als Endpunkt war damals Schaffhausen vorgese­ hen, was auch auf Schweizer Seite sofort Zustimmung fand. Da die damaligen techni­ schen Hilfsmittel für den Bau einer so schwierigen Strecke nicht ausreichten, blieb es bei der Idee. Einen ersten Meilenstein setzte eine Ver­ sammlung am 17. Februar 1861 im Rathaus­ saal in Freiburg. Von überall her -selbst aus dem Elsaß und aus Württemberg -war man zu der öffentlichen Beratung gekommen, die sich zu „einer erhebenden, großartigen Versamm­ lung gestaltete“. Durch den Beschluß dieser Zusammenkunft kam es zu einer Eingabe an die Regierung und die Landesstände über den Bau einer Bahn von Freiburg über Neu­ stadt nach Donaueschingen. Daraufhin wurde 1862 vom großherzoglichen Handels­ ministerium eine erste Untersuchung an­ geordnet. Das jedoch bedeutete noch lange nicht den Bau der Höllentalbahn. Vorrang genoß nämlich zuerst die Schwarzwaldbahn, 233

deren Bau 1863 vom Landtag beschlossen wurde. Selbst eine 32seitige Studie ließ 1866/67 die Chancen eines baldigen Baus – neben der Schwarzwaldbahn – nicht steigen. Auch strategische Überlegungen oder die Träu­ me einer großen Ost-West-Linie Paris – Wien beschleunigten den Lauf der Dinge nicht. Am 24. 5. 1882 war es dann soweit. Das „Gesetz, die Erbauung einer Eisenbahn von Freiburg durch das Höllental nach Neustadt betreffend“ (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Großherzogtum Baden 1882, Seite 127) trat in Kraft und machte allen Diskussio­ nen ein Ende. Nach Artikel 2 mußte die Bahn einspurig als Nebenbahn mit einer Spurweite von 1,435 Metern mit teilweisem Zahnradbetrieb gebaut werden. Im Frühjahr 1884 wurde mit dem Bau des Abschnitts Himmelreich-Titisee begonnen. Zeitweise waren über 1100 Arbeiter mit dem Bau beschäftigt, und bereits 3 l/4 Jahre später, am 5. März 1887, befuhr ein erster Zug die fertiggestellte Strecke bis zur ehemaligen Sta­ tion Höllsteig. Am 21. Mai 1887 konnte schließlich die Höllentalbahn in Anwesen­ heit des Großherzogs feierlich eingeweiht werden. Überall in den festlich geschmück­ ten Orten des Höllentals wurde der Eröff­ nungszug feierlich begrüßt, und nach der Rückkehr gab es zum Abschluß im Prunk­ saale des »Zähringer Hofs“ für die Gäste ein großes Festessen. Robert Gerwig selbst war es nicht mehr vergönnt, bei der Eröffnung dabei zu sein. Er war bereits in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1885 gestorben. Am 23. Mai 1887 wurde auf der Höllental­ bahn der allgemeine Betrieb aufgenommen. Täglich verkehrten 5 Züge. Doch schon zwei Wochen nach der Inbetriebnahme fuhr die badische Staatseisenbahn 8 Extrazüge, um am Pfingstwochenende den lebhaften Ver­ kehr zum Titisee zu bewältigen. Die Fahrt von Freiburg nach Neustadt dauerte 145 Minuten (heute 40), die Höchstgeschwindig­ keit betrug 30 km/h (heute 100 km/h) und war auf der Zahnradstrecke begrenzt auf bergan 9 km/h und bergab 10 km/h. 234 Am 20. August 1901 wurde die Strecke Neustadt-Donaueschingen eröffnet. Diese Verlängerung der eigentlichen Höllental­ bahn – nur 36 km lang -, ließ den Traum einer Durchgangsbahn erneut näherrücken. Weitere Nahrung erhielt dieser Traum 1908, als zum erstenmal schnellfahrende Züge (Eilzüge) über eine gemischte Rei­ bungs- und Zahnradbahn fuhren. Eine für damalige Verhältnisse epochale Tat. 1913 wurde eine weitere Eilzugverbindung zwi­ schen Mühlhausen/Colmar – Freiburg – Ulm – München eingerichtet. Damit war das Problem von Schnellzügen auf einer Zahnradbahn gelöst und die alte Bauweise von 1887 wenigstens teilweise aus­ gemerzt – und die Höllentalbahn um ein weiteres Superlativ reicher. Der rasante Fortschritt in der Lokomotiv­ Entwicklung ging auch an der Höllental­ bahn nicht spurlos vorüber. Die immer grö­ ßer, stärker und schwerer werdenden Loko­ motiven, verlangten eine Verstärkung aller Brückenbauwerke. Herausragend war dabei der völlige Neubau eines Ravenna-Viadukts. Der alte Talübergang, 222 m lang mit einer mittleren Höhe von 37 m und drei Pfeilern und vier Öffnungsfeldern von je 35 m Spannweite, war an baulich günstiger Stelle errichtet. Der Neubau mußte, um die Krüm­ mungen zu vermeiden, näher dem Talaus­ gang zu erbaut werden. Dort aber waren die Geländeverhältnisse derart ungünstig, daß der oberste Pfeiler 30 m durch morsches Gestein unter der Erdoberfläche geführt wer­ den mußte, ehe man auf tragfähigen Unter­ grund stieß. Die neue Brücke war 224 m lang, 40 m hoch, hatte neun Öffnungen mit einer Steigung von 1: 19. Sie wurde am 14. Dezem­ ber 1927 dem Betrieb übergeben. 1932/33 lösten die schweren Einheitsma­ schinen der Baureihe 85 die alten badischen Lokomotiven im Höllental ab. Da sie dem Reibungsbetrieb genügten, konnte das Zahnrad am 7. Oktober 1933 endgültig weg­ fallen. Bei der Talfahrt von Personenzügen hatte man es bereits seit 1901 nicht mehr gebraucht.

Anfang der 30er Jahre hatte man sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich elek­ trische Energie aus der Landsammelschiene des Badenwerks mit der Industriefrequenz von 50 Hertz (Gleichstrom) auch für den elektrischen Bahnbetrieb eigne. Dies würde nämlich das eigene Bahnstromnetz überflüs­ sig machen und erhebliche Ersparnisse mit sich bringen. Im Rahmen eines Großver­ suchs sollten diese neuen Wege in der Bahn­ stromversorgung untersucht werden. Wegen ihrer extremen Steigungen und zahlreichen Kurven wurde die Höllentalbahn als ideale Versuchsstrecke angesehen. Nach der Elek­ trifizierung des Abschnitts Freiburg -Neu­ stadt (Schw.) in l lhjähriger Bauzeit und halb­ jähriger Erprobungszeit konnte am 18. 6. 1936 mit vier Varianten der Lok Baureihe E 244 der elektrische Versuchsbetrieb auf­ genommen werden. Am 20. Mai 1960 endete der Betriebsver­ such. Zwischenzeitlich mit dem herkömmli­ chen Bahntransportsystem elektrifiziert, war in Freiburg ein Zweitsystembetrieb notwen­ dig. Grund genug, den elektrischen Zugbe­ trieb auf der Höllentalbahn auf 15 kw/ 162/3 Hz -Wechselstrom umzustellen und dem badischen Netz anzupassen. Aus­ gehend von den sehr guten Erfahrungen mit dem SO-Hz-Betrieb auf der Höllentalbahn wurde für Neuelektrifizierung in aller Welt, soweit nicht auf bestehende 162/3 Hz oder Es ist eine bedauerliche Erfahrung, daß auch Kinder im Straßenverkehr verun­ glücken. In der Bundesrepublik Deutschland sind Kinder sogar häufiger als in anderen Ländern in Straßenverkehrsunfälle verwik­ kelt. Dies hängt sicher damit zusammen, daß der Straßenverkehr für Kinder zunächst etwas völlig Fremdes und Ungewohntes ist. Hier muß die Verkehrserziehung ansetzen, um gefährliche Situationen auf der Straße, Gleichstromnetze Rücksicht genommen werden mußte, dieses System eingesetzt. Neben der enormen Energieersparnis hatte der elektrische Zugbetrieb auch bedeutende Fahr­ zeitverkürzungen mit sich gebracht Am 21. 4. 1945 wurde der „Loretto-Tun­ nel“ durch die deutsche Wehrmacht ge­ sprengt. Zwei Tage später ereilte den „Unte­ ren Hirschsprungtunnel“ das gleiche Schick­ sal, und die Ravennabrücke wurde zerstört. Der Sprengung fielen 3 Pfeiler und vier Gewölbe völlig zum Opfer. Insgesamt wur­ den fast 100 m des 222-m-Viadukts zerstört. Dennoch konnte bereits am 2. Juli 1946 der Betrieb auf den Teilstrecken Neustadt -Hau­ sen vor Wald und Neustadt-Hinterzarten wieder aufgenommen werden. Der Wiederaufbau der Höllentalbahn nach dem 2. Weltkrieg war sehr umstritten, denn man wollte die Besatzungsmacht nicht unterstützen. Angesichts gesprengter Stra­ ßenbrücken und Stege konnte das so begehrte Holz aus dem Hochschwarzwald nicht als Reparationszahlung nach Frank­ reich abgefahren werden. Aber die Anlieger und Verbände an der Höllentalbahn trieben den Wiederaufbau voran. Am 23. Dezember 1947 war das Ravenna-Viadukt wieder her­ gestellt. Die Kosten betrugen über eine Mio RM. Im Sommer 1948 konnte die Höllental­ bahn wieder durchgehend befahren werden. Karl-Hans Zimmermann besonders Verkehrsunfalle, vermeiden zu helfen. Verkehrserziehung ist seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil der schulischen Arbeit. Daneben bemühen sich auch kom­ munale und private Stellen, Kinder vor Unfällen, besonders auf dem Schulweg, zu schützen. Die Verkehrswacht Villingen-Schwennin­ gen e. V. und die Verkehrswacht Donau-235 Verkehrserziehung der Jugend tut not Die mobile Jugendverkehrsschule leistet gute Dienste

Die alte mobile Jugendverkehrsschule im Einsatz: Die Kinder sind ganz bei der Sache Außerdem werden Informationsabende für Erwachsene und ältere Bürger angeboten. Allein bei der Kinderbeschulung kommt man bisher auf weit über 85.000 Kinder, die an 1.455 Einsatztagen geschult worden sind. Und noch eine Zahl sei genannt, die sowohl eine Aussage über die Einsatzfreudigkeit der polizeilichen Verkehrslehrer als auch über die Nutzungsintensität durch die Kinder etwas erkennen läßt:Jedes der in der mobilen Verkehrsschule vorhandenen Fahrräder weist mittlerweile eine Laufleistung von 25.000 km auf. Die Verkehrserzieher haben außerdem eine Vielzahl von Schülern der Sekundarstu­ fen der Haupt-, Real-und Berufsschulen sowie Gymnasien unterrichtet, wobei schwer­ punktmäßig auf den motorisierten Verkehrs­ bereich eingegangen wurde. Daneben vermittelten die Beamten den Schülerlotsen des Kreises das Wissen, das notwendig ist, um die Aufgaben an Fußgän­ gerüberwegen und Schulbushaltestellen optimal erfüllen zu können. Die Arbeit der polizeilichen Verkehrser­ zieher trägt Früchte: Der Beteiligungsanteil an Unfällen von Kindern der Altersgruppe 7 bis 14 Jahre, die als Fußgänger oder mit Fahr- eschingen-Oberes Bregtal e. V. haben die Wichtigkeit der Verkehrserziehung erkannt und bereits im Jahre 1974 mit Unterstützung des Schwarzwald-Baar-Kreises eine mobile Jugendverkehrsschule angeschafft. Diese ist zu einem wichtigen „Arbeitsinstrument“ des Verkehrserziehungsdienstes der Polizeidi­ rektion Villingen-Schwenningen geworden. In einem Lastwagen ist alles untergebracht, was für praktische Übungen in Kindergärten und Grundschulen benötigt wird. An Ort und Stelle bauen die vier Beamten des Ver­ kehrserziehungsdienstes ein Übungspar­ cours mit Straßen und Gehwegen, Verkehrs­ zeichen und Ampeln auf. In dieser „Mini­ stadt“ lernen die Kinder am besten das ver­ kehrsgerechte Radfahren. Die Fahrräder wer­ den ebenfalls von den Polizeibeamten mit­ gebracht. Der Verkehrserziehungsdienst, der 1974 mit Polizeihauptmeister Spänle und Polizei­ hauptmeister Deepe mit der Verkehrsbe­ schulung der Kinder begonnen hat und im Jahre 1986 mit Polizeihauptmeister Hägele und Polizeiobermeister Zimmermann ver­ stärkt wurde, kann eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen. Das Team ist in allen Schu­ len und Kindergärten des Kreises tätig. 236

Die neue mobile Jugendverkehrsschule rädern unterwegs waren, ist verhältnismäßig gering. Zählte man im Kreisgebiet 1974 noch 90 Unfalle, bei denen Kinder dieser Alters­ gruppe verletzt oder getötet wurden, so waren es 1986 nur noch 49. Bei 6.016 Verkehr­ sunfällen im Jahre 1986 entspricht dies einer Prozentquote von 0,81 %. Dieser spürbare Rückgang ist sicher auch ein Erfolg der gezielten Verkehrserziehung. Und trotzdem: auch diese Zahl ist zuviel! Die Polizeibeamten arbeiten eng mit den Kindergärtnerinnen, dem Fachberater der Schulen, Herrn Rektor Stoffel, und den mit der Verkehrserziehung beauftragten Lehrern an den Schulen zusammen. Während die Polizei, namentlich die Beamten des Verkehrserziehungsdienstes, vor allem die praktische Seite der Rad­ fahrausbildung im 3. und 4. Schuljahr über­ nehmen, finanzieren die Verkehrswachten in erheblichem Umfang die Mittel und Medien, mit denen die Lehrkräfte arbeiten. In der Zeit von 1980 – 1986 haben die Ver­ kehrswachten Villingen-Schwenningen und Donaueschingen-Oberes Bregtal allein für schulische Verkehrserziehung 270.000,- DM ausgegeben. Als Ersatz für die im Jahre 1974 ange­ schaffte mobile Jugendverkehrsschule, die den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt, wurde am 20. 10. 1986 eine zweite mobile Jugendverkehrsschule gestellt. in Dienst Die Finanzierung des (ohne Lehrmittel) 142.000,- DM teuren Fahrzeugs teilten sich das Land Baden-Württemberg (50.000,-DM), der Schwarzwald-Baar-Kreis (25.000,- DM) sowie die Verkehrswachten Villingen­ Schwenningen und Donaueschingen-Obe­ res Bregtal Ge 33.500,- DM). Die gesamte Inneneinrichtung des Verkehrsbusses, wie Fahrräder, Verkehrsschilder und vieles mehr, spendete die Deutsche Shell AG. Der Wunsch der Verkehrserzieher nach einer stationären Jugendverkehrsschule geht hoffentlich bald in Erfüllung. Eine stationäre Jugendverkehrsschule ist notwendig, um noch praxisnäher und wirksamer arbeiten zu können. Der Standort soll in der Stadt Villin­ gen-Schwenningen sein. Bis es soweit ist, muß auch die alte mobile Jugendverkehrs­ schule ihren Dienst noch tun. Die Polizeibeamten des Verkehrserzie­ hungsdienstes erfüllen ihren Auftrag mit viel Idealismus und haben für unsere Kinder Vor­ bildliches geleistet. Verkehrserziehung ist aber eine Aufgabe, die alle angeht. Wir Erwachsene müssen unseren Kindern aber nicht nur mit Reden helfen, sondern das beste, was wir für unsere Kinder tun können, ist immer noch ein richtiges Verkehrsverhal­ Gerhard Altmann ten. 237

Museumsbahn Museumsbahn Wutachtal Betrachtungen zum Jubiläumsjahr 1987 In Deutschland fuhr der erste Eisenbahn­ Zug im Jahre 1835 zwischen Nürnberg und Fürth. Bald darauf setzte ein regelrechtes Eisenbahnfieber ein. Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten waren immer mehr auch militär-strategische Überlegungen für den Bau des neuen Verkehrsmittels maßgebend. Gab es doch damals nur die Pferdegespanne auf Kopfsteinpflaster-oder Schotterstraßen als Alternative. Das Automobil wurde erst 50 Jahre später erfunden. Das Großherzogtum Baden hatte mit dem Rhein als westlicher und südlicher Grenze vor allem das verkehrspolitische Interesse, eine Eisenbahn von Mannheim rheinaufwärts nach Konstanz zu bauen. Da der Schwarzwald noch als unbezwingbar für eine Eisenbahn galt, mußte die badische Hauptbahn vorwiegend dem Rhein folgen. Mit den alemannischen Nachbarn im Süden wurden Staatsverträge geschlossen, die das Durchfahren der Kantone Basel und Schaffhausen gestatteten. 1856 erreichte die Bahn Waldshut und 1863 Konstanz. Mit dem württembergischen Nachbarn war man übrigens einige Jahre später weit vorsichtiger. Als sich der große badische Bau­ meister Robert Gerwig an die erste Schwarz­ waldbezwingung wagte, achtete er streng darauf, keinen Q!iadratmeter ausländisches, d.h. württembergisches Gebiet zu berühren. Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und der Gründung des deut­ schen Kaiserreiches war das Reichskriegsmi­ nisterium in Berlin vor allem mit den badi­ schen Eisenbahnstrecken auf Schweizer Gebiet nicht glücklich. Die Schweizer Nach­ barn hätten die aufihrem Territorium liegen- Weiler­ Kehrtunnel Tunnel am Achdorfer , Km22 Hp. lausheim· Blumegg / Bf. Weizen 471 m.ü.M. I Km26 Km18 Bf. Grimmelshofen / “ 539 m, ü. M. 238 ‚Tunnel in der kleinen Stockhalde

den badischen Streckenteile der Hauptbahn Mannheim -Konstanz wieder zurückkau­ fen können. Auch behielt sich die Eidgenos­ senschaft das Recht vor, Transporte von Truppen und Kriegsgerät zu verbieten, wenn ihre Neutralität dadurch gefährdet schien. Als einzige zuverlässige Ost-West-Verbin­ dung südlich von Karlsruhe existierte seit 1873 die Schwarzwaldbahn von Singen über Donaueschingen nach Offenburg. Sie ist mit 25 m Höhendifferenz auf 1000 m Strecke sehr steil angelegt, und ihr westlicher End­ punkt Offenburg lag für die Verteidigung der Südwestflanke des Reiches zu weit nördlich. Daher mußte eine Bahnverbindung gesucht werden, die das militärische Hinterland der Festung Ulm „zügig“ mit dem deutschen Südwesten (einschließlich des nach 1871 deutschen Elsaß) unter Umgehung der Schweiz verbindet. So kam es am 11. März 1887 -also vor 100 Jahren -zum Vertrag zwi­ schen dem Reich und dem Großherzogtum Baden zwecks Bau der „Strategischen Umge­ hungsbahnen“. Der Baubeginn war für den 1. Oktober 1887 vorgesehen. Die maximale Steigung durfte 10 % nicht überschreiten, damit die damals vorhandenen leichten �g ‚ M. / / / / Epfenhofener Viadukt 264m Lokomotiven genügend Anhängelast ziehen konnten, ohne außer Atem -oder besser gesagt: außer Dampf -zu geraten. Da der Nordzipfel des Schweizer Territoriums bis zum Hohen Randen reicht, hatte man keine andere Wahl, als die Strecke von Ulm kom­ mend donauaufwärts bis lmmendingen zu führen. Weil es seit 1873 eine Bahnlinie von Ulm bis Sigmaringen gab, begann der 1. Teilab­ schnitt der strategischen Umgehungsbahn dort, durchquerte hohenzollerisches, badi­ sches und württembergisches Gebiet und erreichte donauaufwärts in Tuttlingen die württembergische Gäubahn Stuttgart – lmmendingen. Sie folgte noch ca. 3 km der badischen Schwarzwaldbahn bis Hintschin­ gen, wo der 2. Teilabschnitt über Blumberg nach Weizen sich anschloß. Die Aitrach war zunächst der Begleiter, bis sich in Blumberg der östliche Teil des 87 6 m hohen Buchbergs in den Weg stellte. Kurz vorher wurde exakt an der Rhein­ Donau-Wasserscheide der mit 702 m über Meereshöhe höchste Bahnhof der Umge­ hungsbahnen, der Bahnhof Zollhaus-Blum­ berg, angelegt. Hier beginnt auch das Meisterwerk der Bauingenieure, der Abstieg ins Wutachtal. ln nur 9,6 km Luftlinienentfernung lag der Bahnhof Weizen der 1876 fertiggestellten Wutachtalbahn Oberlauchringen -Weizen. Er lag aber leider 235 m tiefer als der Bahnhof Zollhaus-Blumberg. Hätte man nun einfach beide Bahnhöfe etwa geradlinig miteinander verbunden -von der dazwischenliegenden Geländebeschaffenheit einmal ganz abgese­ hen -so wäre man auf eine durchschnittliche Steigung von ca. 25 % gekommen. Eine solche Rampe, obschon sie bei der 1873 fer­ tiggestellten Schwarzwaldbahn Verwendung gefunden hatte, war den Militärstrategen im Jahre 1887 noch zu steil. 10 % wollte man haben -und das war gleichbedeutend mit einer Streckenlänge von ca. 25 km, weil auch einige in der Waagerechten liegende Zwi­ schenbahnhöfe eingeschaltet werden muß­ ten. Die Bauingenieure bezeichnen die dann 239

gefundene Lösung des Steigungsproblems als „künstliche Längenentwicklung“. Nach dem Bahnhof Zollhaus-Blumberg senkt sich die Strecke in westlicher Richtung mit der Maximalneigung von 10 % und unterquert die Juraschichten des Buchbergs im 805 m langen Buchbergtunnel. Beim Ver­ lassen des Tunnels hat man sofort einen gran­ diosen Ausblick auf das malerisch zwischen Buchberg und Randen liegende Kommen­ bachtal mit seinen sanften Hügeln und auf die in blauer Feme sich dem Betrachter dar­ bietende Alpenkette im Süden. Die Bahn überquert nun ein Seitental mittels des 252,6 m langen und bis zu 24 m hohen Biesenbach-Viadukts, eines der 4 eindrucks­ vollen großen Viadukte dieses 2. Teil­ abschnittes. Ursprünglich sollte hier ein Damm mit einem kleinen Bachdurchlaß entstehen. Doch nach Beginn der Dammschüttungsar­ beiten kamen die Erdmassen ins Rutschen. Der dort anstehende Boden konnte eine zusätzliche Auflast nicht er„tragen“. So ent- 240 schloß man sich kurzerhand zum Bau einer sog. Hangbrücke. Zur Gewichtsersparnis wurden eiserne Stützpfeiler errichtet, um die Bodenbelastung gering zu halten. Steinpfei­ ler hätten ein Vielfaches an Gewicht auf den empfindlichen Baugrund übertragen. Außerdem brachten eiserne Pfeiler noch einen weiteren Vorteil: Die Gesamtbauzeit war mit 2112 Jahren extrem kurz bemessen. Baubeginn war im Spätsommer 1887. Fertig­ stellungstermin war Frühjahr 1890. Dazwi­ schen lagen 3 kalte Winter und nur 2 Som­ mer. Die Eisenpfeiler konnten in den Win­ termonaten in den Werkstätten hergestellt werden, während Steinpfeiler eine wesent­ lich längere Bauzeit benötigt hätten. Anschließend an den Biesenbachviadukt wird der Ort Epfenhofen in einem großen Bogen mit 750 m Durchmesser vollständig eingekreist. Nur der 264 m lange und bis zu 34 m hohe Epfenhofer Viadukt mit seinem parallelgur­ tigen filigranen Fachwerküberbau und sei­ nen eisernen Pendelstützen läßt ein riesiges

Fenster nach Nordosten offen. Was alle Rei­ senden mit Ah und Oh entzückt betrachten und mit dem hübschen Epfenhofer Kirch­ lein als Vordergrund tausendmal auf den Film bannen, hätte heutzutage kaum mehr eine Chance, verwirklicht werden zu kön­ nen. Am Ende dieses großartigen Viaduktes liegt der Bahnhof Epfenhofen, die erste Sta­ tion hinter Zollhaus-Blumberg. Die Strecke zieht sich nun am Südhang des Buchbergs entlang, durchstößt im Tun­ nel am Achdorfer Weg einen Höhenrücken und tangiert zum ersten Mal den Osthang der dort fast 150 m tief eingeschnittenen Wutachschlucht Einen Haltepunkt hatten die Bahnbauer dem nur 2,5 km entfernten Ort Achdorf nicht gegönnt. Erst die Museumsbahn ließ dort den Haltepunkt Wutachtalblick errichten, von wo aus der Museumszug verlassen und die Wutach­ schlucht erwandert werden kann. Rund 150 m tiefer rauscht in nur etwa 250 m Abstand die Wutach. Die Ingenieure von 1881 hatten sich gefährlich nahe an die geologisch junge Wutachschlucht herange­ wagt. In ihrem weiteren Verlauf zielt die Bahn wieder nach Nordosten ihrem Aus­ gangsbahnhof Zollhaus-BI um berg entgegen, vorbei an der kleinen Fützener St.-Barbara­ Kapelle, und man nähert sich kurz vor Flitzen wieder dem 20 Minuten vorher befahrenen Streckengleis bei Epfenhofen auf nur 750 m Entfernung, jedoch jetzt 70 m tiefer. Nach einer erneuten Kehrtwendung um 180° geht es jetzt wieder zielstrebig nach_Süd­ westen. In der Mitte der Strecke liegt der Bahnhof Flitzen, dessen Lokomotivschuppen das ,,Herz“ der Museumsbahn geworden ist. Durch den Neubau eines zweiten Schuppens können alle 3 Lokomotiven – eine deutsche Lok der Baureihe 50 mit 135 t Dienstgewicht und 2 österreichische Loks der Baureihe 93 mit einem solchen von 66 t – geschützt untergestellt werden. Zwischen dem Biesenbach-Viadukt ober­ halb Epfenhofen und dem Bahnhof Flitzen liegen bei 2 km Luftliniendistanz 10,50 km Streckengleise: eine schulmäßige „künst­ liche“ Längenentwicklung. Weiter gehts über den dritten großen 153 m langen und 28 m hohen Fützener Via­ dukt und dem Mühlbach entlang, allerdings noch in respektvoller Höhe. Um ihm näher zu kommen, legte man oberhalb Grimmels- 241

hofen einen sogenannten Kreiskehrtunnel an, übrigens den einzigen dieser Art in Deutschland und den einzigen überhaupt in einer Mittelgebirgslandschaft. Die Bahn schraubt sich hier in einem Kreis mit Radius 350 m in die Tiefe. Da der Tunnel aber kei­ nen vollen 360° Kreisbogen beschreibt (son­ dern bei 1700 m Länge nur 270°, also einen Dreiviertelkreis), kann man vom oberen Gleis vor Einfahrt in den Tunnel das an der gleichen Stelle, aber rund 20 m tiefer liegende untere Gleis vom Zugfenster aus beobach­ ten. Den Mühlbachtalgrund erreicht man trotzdem nicht, denn der untere Teil der Schienenschraube mündet in den Bahnhof Grimmelshofen. Rund um diesen Ort an der Wutach gibt es den 2. Teil der künstlichen Längenentwicklung. Wenn die Bahn Grim­ melshofen in Richtung Weizen verlassen hat, hat sie auf 1,5 km Luftlinienentfernung 8,5 km Schienenstrecke (vom oberen Teil des Kreiskehrtunnels an gerechnet) hinter sich gebracht. Dabei fahrt sie erst am linken Wutachhang, überquert den Fluß auf dem 4. großen Viadukt (107 m lang, 28 m hoch), taucht in den letzten Tunnel, den 1,2 km lan­ gen Weiler Halbkreis-Kehrtunnel und folgt dann dem rechten Wutachufer. Nach 26 km erlebnisreicher Fahrt ist der Bahnhof Weizen und damit das Ende der Museumsbahn­ strecke erreicht. Von 702 m Meereshöhe in Zu Ostern 1987 dampfte ganz Blumberg im nostalgischen Eisenbahnfieber. Denn ein Dreierjubiläum stand vom 18. bis 20. April ins eichbergstädtische Zoll-Haus, dem über sechzigtausend Freunde dampfbetriebener Eisenbahnen ihre nahezu hektische Auf­ merksamkeit zollen sollten. Diese drei zug­ kräftigen Ostereier, gefüllt mit einer farbigen Mischung aus historischen Dampflokomoti­ ven, selten vorgestellten Salonwagen der Pro­ minentenkiasse, Sonderzügen, Miniatur­ und Modelleisenbahnen, museumsbahn- 242 Zollhaus-Blumberg ist die Bahn auf 4 71 m in Weizen bei durchweg 10 % Streckenneigung herabgestiegen. Diese Meisterleistung der Baukunst ist verdientermaßen unter Denkmalschutz gestellt worden. Da die 21 Eisenbrücken, davon 4 große Viadukte, 1935 ihren letzten Farbanstrich erhielten, wäre in den nächsten Jahren dringend ein neuer Korrosionsschutz anzubringen. Das Geld kann aber aus den Betriebseinnahmen nicht gedeckt werden. Bei der Generalüberholung der Strecke durch das Verteidigungsministerium, die 1967 beendet war und ca. 5,6 Mio DM kostete, wurden zwar Tunnel, Gleise und Signalanlagen instandgesetzt, der Brücken­ anstrich wurde jedoch glatt vergessen. Das Institut für Holz-und Stahlbau der Universität Karlsruhe bescheinigte den Eisenbrücken in einem Gutachten vom Mai 1987 auf der Basis umfangreicher Versuche an einer ausgebauten Originalbrücke auf der Strecke eine sog. „Restnutzungsdauer“ von mehr als 20 Jahren, mit der begründeten Aus­ sicht auf eine weitere Lebensverlängerung nach Durchführung von Korrosionsschutz­ arbeiten. Nun müssen die �eilen hoffent­ lich nicht mit der Wünschelrute gesucht wer­ den, aus denen das nötige Geld sprudelt. Karl-Hans Zimmermann freundlichen Überraschungen und viel Nostalgie, waren mit den Festschleifen „Zehn Jahre Museumsbahn Wutachtal“, „25 Jahre Europäische Dampflok-Gesellschaft Eurovapor“ und“ Vor 100 Jahren Baubeginn der Wutachtalbahn“ so verlockend ge­ schmückt, daß an diesen drei Tagen die gleiche Anzahl von begeisterten Dampfzüg­ lern wie sonst während einer ganzen Saison erwartet wurden. Was sich bestätigte. Über zwei Jahre hatten die intensiven Vor­ bereitungen für dieses Jahrhundertfest der Museumsbahnfest in Blumberg

konzentrierten Eisenbahngeschichte gedauert, und so wurde der Blumberger Ortsteil Zoll­ haus für 72 Stunden mit seiner österlichen Dampfschau zu einem Eisenbahn-Knoten­ punkt von europäischem Zuschnitt. Schließ­ lich sollten in drei Tagen rund 100 Tonnen Kohle verfeuert werden. Da waren frühlings­ betonte Anzüge und Kleider sowie sonntäg­ liche Stehkragen wenig angebracht. Der Ruß schnaubender Feuerrösser stand dem ent­ gegen. Aber wer jemals in seiner Jugend mit Eisenbahnen gespielt und dabei als ersten Berufswunsch denjenigen des abenteuerlich geschwärzten Lokführers auf den Gleisen des Fernwehs erträumt hatte, der durfte auf diesem kaum wiederholbaren Altbahnfest der großväterlichen Superlative das „Kind im Manne“ weiterspielen lassen. Nur in anderen Maßstäben. Denn vierzehn Loko­ motiven aus Sulgen, Kandertal, Albtal, Kochertal, Kaiserstuhl, Hohenzollern, Ulm und Zürich, angefangen beim kleinen Typ Borsig des Jahres 1904, der preußischen Lok 30, der 23 058 vom Bodensee und der schweizerischen Museumslok vom Typ B-3/ 4 1367 über die 58 311 der Badischen Staats­ bahn, die preußische P-8 der Nummer 38 1772 und die große, erst kürzlich restau­ rierte Güterzuglok 50 2988 bis zum ölge­ feuerten Koloß 01 1066, standen unter Dampf und gaben sich mit über 50 Waggons von Dampflokvereinen ein weithin beachte­ tes Stelldichein. Für alle Liebhaber regenbogenfarbener Erinnerungen waren die Salonwagen des Kronprinzen und Konrad Adenauers, die „Rheingold“- und „Orient-Expreß“-Raritä­ ten sowie der älteste europäische Teakholz­ Speisewagen des Baujahres 1906 angerollt. Schon am Karfreitag sprang die zugerollte Lok P-8, die so apostrophierte „Sauschwänz­ le“ -Strecke wohl mißverstehend oder, wie der Volksmund spöttelte, womöglich dem „Aufhänger“ für einen Film des Dritten Fern­ sehprogramms zuliebe, recht mutwillig und unpreußisch, doch personenunschädlich aus der Gleisspur und sorgte für fachmännische Nachtarbeit. Alle Wagen brachte ein Sonderzug des Eisenbahnkurier-Verlages unter anderem aus Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Karls­ ruhe. Dazu kamen Kurswagen aus Berlin, Freiburg, München, Stuttgart und Schaff­ hausen. Im Sonderkursbuch standen 35 Fahrten im Stundentakt während der drei Festtage; Sonderzüge für Fotoprofis und -amateure zeitigten einen Filmverbrauch von mehr Kilometern als die berühmte Museumsbahnkehrschleifen- und Tunnel­ strecke hin und zurück. 243

Da die zehnjährige Museumsbahn nicht nur Blumbergs gehätscheltes Lieblingskind ist und der nicht eben spartanisch-preußisch ausgestattete Salonwagen des kaiserlichen Kronprinzen, vom Staub der Geschichte befreit, den Bewunderern heimlich wie durch ein Monokel zublinzelte, erfüllte sich die Hoffnung auf „Kaiserwetter“ wenigstens zur Hälfte. Schließlich luden Tribüne, Gar­ tenwirtschaft und großes Festzelt zu viel­ schichtigen Genüssen ein. Freiluftüberra­ schungen wie Karussell, Skooter, Luftschau­ kel und eine Miniatureisenbahn für gern angenommene Kinder-Rundfahrten; be­ mühte Vereine und Finnen sowie stim­ mungsfördernde Unterhaltungs-und Tanz­ kapellen waren am farbigen Rahmenpro­ gramm beteiligt. 150 Helfer versahen ihren festlichen Bahndienst ebenso ehrenamtlich wie die auf jedem Bahnhof der attraktiven Jahrhundertstrecke extra stationierten Fahr­ dienstleiter. Auch der altväterliche „Schnau­ ferle-„-Vorführ-und Fahrbetrieb mußte wie bei seinem zeitgenössischen, modernen Nachwuchs ohne Ausnahme rund um die Normaluhr funktionieren. Im anderen Fall wären gebotene Sicherheit und Vertrauen „auf der Strecke“ geblieben. Zusätzlich in diesen Bereichen wurde beste Vorarbeit von der Stadt und der für das rollende Material verantwortlichen geleistet. „Eurovapor“ Darauf bauten anreisende Wochenendurlau­ ber aus ganz Europa, die ein Faible für „Dampfrösser“ und ihre zum Teil so köstlich bummelzügigen Anhänger pflegen. In Zoll­ haus-Blumberg, das seinen dreitägigen Hauptbahnhof entsprechend aufgefrischt hatte, wurde für alle Gäste ein „Eisenbahn­ Bilderbuch zum Anfassen“ aufgeschlagen, und auf einigen Seiten fand jeder, der als Steckenpferd ein altes Dampfroß reitet oder künftig reiten möchte, so viele gepflegte Schienenraritäten, daß sie ihm Freudenträ­ nen in die Augen trieben. Die voll in der Sache engagierten Verwalter des beeindruk­ kenden Eisenbahn-Erbes verhalfen jeder­ mann nach ungezählten, freiwilligen Stun­ den persönlichen Instandsetzungs-und Pfle- 244 geeinsatzes dazu. Verkaufs-und Informa­ tionsstände für kleine und große Eisenbahn­ fans sowie eine Festschrift machten mit dem Programmablauf, der faszinierenden Dampflok-Parade am Karsamstag, allen gleisversammelten Loks und Waggons sowie ihren technischen Daten, mit dem festlichen Fahrplan, der Streckenführung und dem Pendelverkehr der Zubringerbusse bekannt. Daß die glänzende Medaille einer so umfangreichen Dampfparade an einem Mini-Knotenpunkt auch ihre Kehrseite hatte, wunderte nur denjenigen nicht, der die rußgeschwängerte Luft dieses Nostalgie­ Spektakels für den unbelasteten Ozon seines bis zur Blindheit betriebenen Hobbys hielt. Davon konnten die im „Open-air-Wartesaal“ auf der Schotterrand-Tribüne geräucherten Zuschauer ein Lied singen. Leider fehlte dazu die zeitvertreibende Blasmusik. Hatte doch der unvorhergesehene Weichensprung aufkehrschleifiger Gleisstrecke den Fahrplan etwas durcheinandergebracht, so daß schon die festliche Eröffnung mit Zugverspätung zu Kursbuch schlug und prominente Gäste ohne Tischmusik der parallel verspäteten Stadtkapelle ihrem eigenen Fahrplan folgen ließ, der einen überzogenen Aufenthalt nicht vorgesehen hatte. Die am Karsamstag im abgestellten „Nostalgie-Istanbul-Orient­ Expreß“ bei trautem Kerzenlicht tafelnden, vereinzelt jahrhundertwendig kostümierten Passagiere focht es wenig an, daß schwerer­ kämpfte Abteilplätze wieder geräumt wer­ den mußten, weil die Kurswagen der Umkopplung harrten. Die Veranstalter, nämlich die Stadt Blum­ berg und die „Eurovapor Wutachtalbahn“, gaben einen „großen Bahnhof“ für alle aus­ wärtigen und einheimischen Gäste. Sie setz­ ten die Signale „Willkommen“ und „Freie Fahrt“. Blumberg machte für drei Tage einmal richtig Dampf1 Das gab und gibt Auftrieb für das Signal „Auf Wiedersehen!“ · Jürgen Henckell

Landschaft, Naturdenkmäler, Umweltschutz Das „Schwenninger Moos“ Moore sind Kostbarkeiten unserer Landschaft, gewachsen in Jahrtausenden sich, wieder in langen Zeiträumen, das Moor. Eine weitere Variante der Hochmoorbildung waren hohe Niederschläge, durch welche sich auf den nassen Böden die hochmoorauf­ bauenden Moose ausbreiten konnten. Keiner der geschilderten Vorgänge trifft auf das „Schwenninger Moos“ zu. Am Anfang steht zwar auch ein See, über seine Entstehung liegen jedoch keine gesicherten Erkenntnisse vor, sondern nur Hypothesen. Nach einer dieser Deutungen lag das Gewäs­ ser in einem ertrunkenen Tal, das durch eine Kippung tiefer zu liegen kam als der Abfluß. Sein Wasserspiegel war Schwankungen un­ terworfen, die zeitweise bis zur Austrock­ nung führten. Andererseits erreichte er auch eine Höhe, bei der das Seeufer weit hinter dem heutigen Moorgebiet lag. Die häufig windbewegte Wasserober­ fläche riß den im Uferbereich wachsenden Schwingrasen immer wieder los. Die starke Wasserbew��ung bewirkte seine Zerkleine­ rung. Die Uberreste vermischten sich mit kleinen Holzteilchen und feinsandig-toni­ gem Material. Dieses ging in die sich bil­ dende Torfmulde und in den Schwemmtorf ein. Die Wassertiefe nahm ab, und die Ufer wurden seichter. Das war der Beginn der eigentlichen Moorbildung. Ca. 7 500 v. Chr. kam es zu einer allgemei­ nen Erwärmung, deren Merkmale warme Sommer und milde Winter waren. Die Tem­ peraturen lagen 3 bis 4 ° höher als heute. Das förderte ein üppiges Pflanzenwachstum. Am Ufer bildeten sich dichte Schilf- und Seggen­ gürtel, die in den Schilfseggentorf eingingen. Doch wie entstand der Torf und was sind seine Bestandteile? An den nassen Stand­ orten zersetzten sich die absterbenden Pflan­ zen nur unvollständig. Die fehlende Luftzu- 245 Die Entwicklung der meisten Moore be­ gann vor ca. 15.000 Jahren mit dem Ausklin­ gen der letzten großen Eiszeit. Die zurück­ weichenden Gletscher hinterließen teilweise wannenförmige Vertiefungen, die mit was­ serundurchlässigen Tonschichten bedeckt waren. Die noch undichten Stellen wurden im Laufe der Zeit von den Sedimenten, die die Schmelzwasser der Gletscher mit sich führten, zugewaschen. Dort, wo Moränen eine natürliche Staumauer bildeten, entstand ein See. Durch seine Verlandung entwickelte

fuhr hemmte die Entwicklung der pflanzen­ abbauenden Mikroorganismen. Das End­ produkt war hier der Torf, bestehend aus freier Zellulose und einem Wasseranteil, der 75 % ausmacht. Im Umlandbereich unseres Sees kommt jetzt eine Haselstrauchvegetation hoch, in der später auch Ulmen und Eichen wachsen. Vom Rande her verlandet der See zu einem Flachmoor. Das war 6000 bis 5000 v. Chr. Hier siedelten sich Erlen und Birken zu einem Bruchwald an, dem Baustein der Bruchwaldtorfschicht. Mit dem Bruchwald­ torf war die Entwicklung vieler Moore abge­ schlossen. Unter günstigen Bedingungen, und die waren in unserer Heimat gegeben, ging die Moorbildung weiter. Die Haselstrauchvegetation im Umland­ bereich wurde zunehmend durch Eichen­ mischwälder abgelöst. In diesen Wäldern wuchsen später auch größere Kiefernbe­ stände. Das Höherwachsen des Torfes über den Grundwasserspiegel führte zunehmend zu einer Nährstoffverarmung. Es bildete sich das Übergangs- oder Zwischenmoor. Das geschah zu einer Zeit, als die Moore Ober­ schwabens und des Schwarzwaldes in ihrer Entwicklung schon das Hochmoorstadium erreicht hatten. Das Klima war immer noch mild, aber niederschlagsreicher. Der Regen spülte die Nährsalze in die Tiefe und laugte den Boden aus. Das förderte das Wachstum der Torfmoose, die zum Gedeihen nur Luft und Regen benötigen. Der Bruchwald wird zurückgedrängt. Die vorerst einzelnen Moospolster verwachsen zu einem immer dichter werdenden Teppich. Diese Moose sind die eigentlichen Baumeister des Hoch­ moores. Sie wachsen Schicht auf Schicht und aus ihnen entsteht, in Verbindung mit den anderen noch vorkommenden Pflanzen, der Seggen-, Wollgras-, Reiser- und Sphagnum­ torf. Ca. 4000 v. Chr. beginnt im Mittelteil des ,,Schwenniger Moos“ das Hochmoorwachs­ tum. Das Hochmoor setzt eine gewisse Mächtigkeit der Torfe in seiner Mitte voraus. 246 Unser Hochmoor füllt eine im Mittel 4 Meter tiefe Mulde aus, von der 2 Ausläufer nach NW und SW abzweigen. Die mittlere Höhe des Untergrundes liegt 704, die größte Tiefe 702,5 und der nicht mehr vertorfte Rand 708 Meter über dem Meeresspiegel. Die Wasserscheide zwischen Donau und Rhein ist im Untergrund nicht erkennbar. Sie wurde erst wirksam, nachdem sich das ursprünglich abflußlose Becken bis zur Höhe des mineralischen Moorrandes mit Torfen angefüllt hatte. Das typische Hochmoor wölbt sich uhr­ glasförmig über seine Umgebung. Moor­ brände und menschliche Eingriffe haben das ursprüngliche Oberflächenrelief bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Die schiJdförrnige Erhebung ist nicht mehr vorhanden. Der moorvernichtende Torfabbau be­ gann im „Schwenninger Moos“ 1749. 1910 kam es sogar zu Kultivierungsversuchen mit Egge und einer extra dafür angefertigten Moorwalze. Auf zwei Flächen mit je 0,5 und 0,25 Hektar wurden Dünger und Saatgut ausgebracht. Der Versuch schlug fehl. In die­ ser Zeit gab es auch einen „Verein zur Förde­ rung der Moorkultur“. Kultur bedeutete in diesem Fall Kultivierung. 1924/25 kam es erneut zur Anlegung von Versuchsflächen. Auch hier war der Mißerfolg vorgegeben. Nach dem 2. Weltkrieg fand der Torfabbau von 1947 bis 1948 auf dem Schwenninger und Villinger Teil des Moores seine Fortset­ zung. 1933 waren in Villingen Bestrebungen im Gange, das gesamte Villinger Moorteil zu kultivieren. Zum Glück gab es hier keine Beschlußfassung. 1933 wurde das Moos innerhalb des Rundweges vom Schwennin­ ger Gemeinderat ausdrücklich zum Natur­ schutzgebiet erklärt. 1939 wurde für die Umgebung des Naturschutzgebietes eine Schutzverordnung erlassen, die nochmals am 27. 4. 1943 ihre Bestätigung fand. Doch was war bis zu diesem Zeitpunkt von dem Hochmoor übrig geblieben? Durch den Torfabbau von oben sind große Teile der Hochmoortorfe verschwunden. Die Zwi-

Auch der Villinger Moorteil ist nunmehr unter Schutz gestellt schenmoor- und die Flachmoorschichten kamen wieder zum Vorschein. Das führte, in Verbindung mit dem Bau von Entwässe­ rungsgräben, zu einer ständigen Absenkung des Grundwassers. Infolge dieser zunehmen­ den Austrocknung sackte der Moorkörper in sich zusammen. Die spezialisierten, auf nasse, nährstoffarme Standorte beschränk­ ten Pflanzengesellschaften verschwanden ganz oder sind heute nur noch an wenigen exponierten Stellen zu finden. So suchen wir vergeblich nach der für ein Hochmoor typi­ schen Rosmarienheide. Das Torfmoos Spha­ gnum medi, welches sich einst über die gesamte Mooroberfläche ausbreitete, wächst nur noch auf wenigen eng begrenzten Plät­ zen. Viele der Tier- und Pflanzengesellschaf­ ten, die hier ihren Lebensraum gefunden haben, sind weniger Vertreter des Hochmoo- Die Fichten in dem Bad Dürrheimer Teil des Moores zeigen an, daß hier die Randzone zum mineralischen Untergrund beginnt res, sondern ehe� Bewohner der nährstoff­ reicheren Flach- und Zwischenmoore. Die große Teile des „Schwenninger Mooses“ überziehenden Heidekräuter und der im Randbereich sich verdichtende Wald sind Anzeichen der Austrocknung. Um eine weitere Absenkung des Grund­ wassers zu verhindern, wurde am Moorab­ fluß ein Stauwehr errichtet, welches jedoch vor einigen Jahren aus Altersgründen seine Funktion aufgab. Die Auswirkungen waren eine zunehmende Verholzung. Seit kurzer Zeit staut ein neues Wehr das Wasser. Der ansteigende Wasserspiegel stoppte die Ver­ holzung. Der aufmerksame Beobachter kann heute erkennen, wie bereits einzelne Bäume absterben. Bei der Regenerierung eines Hochmoores ausnahmsweise einmal ein gutes Zeichen. Es bleibt zu hoffen, daß 247

Naturdenkmäler im Schwarzwald-Baar-Kreis wir endlich begriffen haben, welch ein Naturwunder ein Hochmoor mit seinen spe­ zialisierten Tier-und Pflanzengesellschaften darstellt. Die Zuwachsrate im Höhenwachs­ tum eines Moores beträgt in seiner Mitte 1 mm pro Jahr. Wenn wir den Regenerierungsprozeß Auch in diesem Jahrgang wird die Reise zu einigen Naturdenkmäkrn fortgesetzt. Der Weg führt zunächst nach Hochem­ mingen, einem Stadtteil der Stadt Bad Dürr­ heim. Auf der Anhöhe etwa 400 Meter nord­ östlich des Friedhofes stehen zwei Eschen, die im Jahre 1870 an dieser Stelle einge­ pflanzt wurden. Die beiden Bäume gehören Zeichnungen auf dieser und den folgenden Seiten: Helmut Heinrich nicht wieder stören, können vielleicht in 3000 bis 4000 Jahren die Wunden verheilt sein, die der Mensch dem Moor in nur 200 Jahren zugefügt hat. Die Unterschutzstel­ lung des Villinger Moorteiles am 15. 3. 1985 war deshalb ein Schritt in die richtige Rich­ tung. Roland Kalb demnach noch zur jüngeren Generation der Naturdenkmäler, wurden auch erst im Jahre 1969 in das Naturdenkmalbuch des Landrats­ amtes aufgenommen. Mit 17 und 15 Metern Größe, 13 und 12 Metern Kronendurchmes­ ser sowie 1,80 und 1,50 Metern Stammum­ fang, machen diese Eschen auf sich aufmerk­ sam. Sehr leicht erreicht man das durch die Eschen beim Friedhef von Hochemmingen 248

_die Suche nach ihr in kurzer Zeit zum Erfolg. Der Platz dieser Tanne liegt gerade noch auf Gemarkung Mönchweiler, nur wenige Meter von der Nachbargemarkung Peterzell ent­ fernt Am Straßeneck der B 33 und der nach Königsfeld im Schwarzwald führenden L 177, gegenüber dem „Gasthaus Rößle“, ist ein Parkplatz. Dort beginnt ein mit blau-wei­ ßem Rechteck markierter Weg in Richtung Königsfeld im Schwarzwald. Nach etwa 50 Metern auf diesem leicht ansteigenden Weg weist zur Rechten ein Schild auf den „Gro­ ßen Rotwaldrundweg“ und auf den Wander­ weg nach Mönchweiler hin. Diesem Weg fol­ gend trifft man nach etwa 200 Metern am rechten Wegrand auf das seit dem Jahr 1950 ausgewiesene Naturdenkmal. Das amtliche Kennzeichen fehlt, eine Holztafel macht aber mit dem geschützten Naturdenkmal „Schorentanne“ bekannt Tannen und Fich­ ten schützen diese über 40 Meter hohe „Schorentanne“. Ob wohl die vom Straßen­ verkehr auf der nahen Bundesstraße ver­ ursachten Schadstoffe mit dazu beigetragen haben. daß das Nadelkleid der 200jährigen Hörnlishoflinde Königsfeld 249 Schorentanne beim Bahnhof Peterzel/ Eschen gezierte Wiesengelände, das bei kla­ ren Sichtverhältnissen ein herrliches Pano­ rama bietet bis zum Landschaftsschutzgebiet bei Mühlhausen, zum Schwarzwald im Westen und zur Schwäbischen Alb im Osten, in die Baar, zum Wartenberg, Fürsten­ berg, ja bis zu den Alpen. Schutzlos allen Unbilden der Witterung sind diese Eschen auf der Anhöhe bei Hochemmingen aus­ geliefert, jedoch die robuste Natur dieser Bäume hat bisher standgehalten. Störend wirkt die Überlandleitung, aber schon wegen der schönen Aussicht lohnt sich ein Abste­ cher zu den beiden Naturdenkmälern. Obwohl sich die Weißtanne mit der Bezeichnung „Schorentanne“ im Wald auf dem Gewann „Schoren“ gut versteckt, führt

Tanne dünn geworden ist, daß die Tannen­ spitze sich beugt? Der mächtige Stamm mit vier Metern Umfang vermag den Stürmen noch zu widerstehen, die „Schorentanne“ hat noch eine Zukunft. Nein, nicht an der Television-Linden­ straße, sondern an der Lindenstraße im heil­ klimatischen Kurort und Kneippkurort Königsfeld im Schwarzwald wartet die ,,Hörnlishoflinde“ auf einen Besuch. Wohn­ häuser und die Lindenstraße, eine Neben­ straße der Schramberger Straße, umschlie­ ßen die gemeindeeigene Grünanlage mit der im Jahre 1750 gepflanzten und unter Num­ mer 1 im Naturdenkmalbuch verzeichneten Linde. Ihr Name geht zurück auf den alten Hörnlishof, der um die Jahrhundertwende durch einen Neubau in nächster Nähe dieser Linde ersetzt wurde. Die Gemeinde legt größten Wert darauf, diese alte mehrstäm­ mige Linde so lange wie möglich zu erhalten. Die vor wenigen Jahren durchgeführte und mit Zuschüssen der Gemeinde und des Lan­ des Baden-Württemberg finanzierte „ Thera­ pie“ für diesen altersgeschwächten Baum Alter Baumbestand an der lorettokapelle zeigt ihre Wirkung. Trotz der von der Natur geschlagenen Wunden und der danach not­ wendigen Eingriffe, erblüht die mit Drahtsei­ len und Eisenstangen gefestigte und stark vernarbte „Hörnlishoflinde“ immer wieder aufs Neue. Der Almanach 1985 (Seiten 145 bis 150) enthält einen Beitrag über die Geschichte der Loretto-Kapelle an der Hammerhalde im Stadtbezirk Villingen und über die diese Kapelle umgebende Grünanlage mit einem reichen Baumbestand. Unter den Bäumen befinden sich auch sieben Naturdenkmäler. Sie verdienen, hier erwähnt zu werden; 3 Lin­ den, 3 Bergahorne und 1 Esche, die im Jahre 1795 hier angepflanzt wurden, also 91 Jahre nach der erfolglosen Belagerung der Stadt Villingen durch den französichen Marschall Tallard mit einer 30.000 Mann starken Armee. Diese Bäume überlebten die Stürme der Zeit, erlitten aber einige Schäden. Die Stadt Villingen-Schwenningen hat sich die Sanierung dieser Bäume einiges kosten lassen. So konnten die geschützten Bäume als Bestandteil der wertvollen Grünzone im 250

Neubaugebiet »Hammerhalde den. “ gerettet wer­ “ Die letzte Station unserer Naturdenkmal­ Rundreise befindet sich bei einer Buche an “ , nur etwa der »Alten Vöhrenbacher Straße 300 Meter westlich vom „Gasthaus Auer­ hahn , bekannt auch unter der ehemaligen “ , entfernt. Man Bezeichnung „Neuhäusle passiert den Röthenlochweg zur Rechten, erreicht nach wenigen Metern die nächste Abzweigung, da steht die im Jahre 1735 ange­ pflanzte Buche. Hier kann man, wo Holz­ bänke und Tisch vorhanden sind, eine Vesperpause einlegen und dabei diese Buche, die seit dem Jahre 1950 zu den Naturdenk­ mälern gehört, näher betrachten. Besonders fällt der drehwüchsige und sehr knorrige Stamm dieser etwa 18 Meter hohen Buche auf, deren von bizarren Ästen getragene leuchtend grüne Baumkrone mit einem bewundernswerten Blätterdach sich deutlich von der dunkleren Fichtenfarbe im Umkreis abhebt und das Naturbild bereichert. Der Blick fällt auf eine formschöne, mächtige Weißtanne, die in der nördlichen Nachbar­ schaft dieser alten Buche steht. Buche an der alten Vöhrenbacher Straße Werner Heidinger Beobachtungen über das Auerhuhn Es ist April zwischen Villingen und Vöh­ renbach. Der Ort der Handlung ist eine grö­ ßere Lichtung, in deren Randbereich meh­ rere hohe Kiefern stehen. Föhnsturm und Regen haben den Schnee aus den Wäldern gewischt. Einern sonnigen Tag folgt eine wol­ kenlose Nacht. Der Mond steht am Himmel und beleuchtet die fast baumlose Fläche mit seinem kalten Licht. Die Gipfel der Kiefern heben sich gegen den hellen Mondhimmel silhouettenhaft ab. In der Feme heult ein Waldkauz, sonst wird die Stille des Waldes durch keinen Laut unterbrochen. Oder doch? Tack – tack – Ruhe. Dann wieder tack – tack. Der Laut kommt aus einer der großen Kiefernkronen am Rande der Lichtung. Ein großer Vogel sitzt auf einem starken Ast und dreht sich lang­ sam. Wieder ein tack- tack, anschließend ein „Schleifen“ und dann ein Laut, als wenn man einen Korken aus einer Flasche zieht. Diese Lautäußerungen wiederholen sich in immer kürzer währenden Abständen. 5,3 bis 6 Sekunden dauert jetzt die einzelne Gesangs­ strophe. Es ist der „Große Hahn“, das urigste Flugwild unserer Wälder, welches sich hier zur Balz einspielt. Das Knappen, der Triller, der Hauptschlag, das „Schleifen“, nun fast ohne Unterbrechung. Im Osten ahnt man den nahen Tag. Jetzt ist wieder Ruhe, der Hahn sichert. Im Minutenabstand ist nur ein einsilbiges tack zu hören. In dieser Phase 251

Die Hauptbalzzeit des Auerwildesfällt in den April, wobei es wetter- und biotopbedingte Verschiebun­ gen geben kann nimmt er den geringsten Laut wahr. Wäh­ rend der Zeit des „Schleifens“ ist er dagegen gegen Störungen, und mögen sie noch so laut sein, vollkommen unempfindlich. Das „Schleifen“ spielt deshalb bei der Pirsch auf den Auerhahn eine wichtige Rolle. Während dieses Lautes springt der Kundige schnell 3 bis 4 Schritte vor, um dann wieder lautlos ste­ hen zu bleiben, bis zum nächsten „Schlei­ fen“. So kann man bis auf kurze Distanz an den Hahn herankommen. Das tack erfolgt nun in immer kürzeren Abständen. Es kann sich bis zu 50 schnell hintereinander vorgetragenen Knapplauten (tack) steigern. Bald geht das Knappen in den Balzgesang über. Unser Hahn beginnt sich nochmals einzuspielen. Plötzlich Flügel­ schlag. Einige Auerhennen sind in der Nähe des balzenden Hahnes eingefallen. Der Auerhahn verstellt sich, das heißt, er fliegt auf einen anderen Ast. Wieder einige Balz­ strophen. Inzwischen dringt die Morgen­ dämmerung zur Waldlichtung durch und 252 das Morgenkonzert der Singvögel setzt ein. Mit lautem Flügelschlag verläßt der Hahn den Baum und geht zu Boden. Zwischen den einzelnen Kiefern der Lichtung wird die Balz fortgesetzt. Eine in der Nähe weilende Henne wird getreten und dann beginnt der Morgenputz des Gefieders. Die aufgehende Sonne beleuchtet das urige Schauspiel. Auf der Nahrungssuche verliert sich das Auer­ wild nun in der Weite des Waldrevieres. Die Äsung ist jahreszeitlich verschieden. Im Winter sind es Koniferennadeln, wobei die Nadeln der Kiefern deutlich vorgezogen werden. Im geringen Umfang kommen noch hinzu Knospen, junge Zapfen, vom Wachol­ der Früchte und Nadeln, Blätter wintergrü­ ner Pflanzen, unverholzte Triebe, Knospen, Blätter und Beeren von Zwergsträuchern. Im Frühjahr gibt es Zusatzkost: die Nadeln der Lärche, Blütenknospen und Blät­ ter von Buche, Eiche, Birke, Aspe; von Grä­ sern und Kräutern werden Knöterich, Löwenzahn, Klee, Wachtelweizen, Finger-

Balzender Auerhahn Ein noch junger Auerhahn auf der Futtersuche und Habichtskraut bevorzugt. Die Nadel­ äsung entfallt ab Ende Mai fast ganz. Später werden Preiselbeeren, Heidelbeeren, Brom­ beeren, Erdbeeren, Weißdorn- und Holun­ derbeeren aufgenommen. Im Herbst run­ den, wenn vorhanden, Eicheln und Buch­ eckern den Speisezettel ab. Auf dem Höhepunkt der Balz kann es der Hahn auf 1300 Strophen pro Tag bringen. Der Balzgesang, der vereinzelt auch außer­ halb der Balzzeit zu hören ist, dauert im Frühjahr während der Morgenbalz ca. 90 Minuten und abends ca. 30 Minuten. Im Herbst verstärkt sich das Balzverhältnis nochmals, nur werden die Zeiten kürzer. Morgens dauert in dieser Jahreszeit der Gesang ungefahr 80 Minuten und abends 17 Minuten. Starker Wind, Regen, oder beides zusammen wirken auch während der Hoch­ balz hemmend auf das beschriebene Verhal­ ten. Nicht selten kommt es zu Rivalenkämpfen zwischen den Auerhähnen. Sie können von einfachem Drohgehabe über das Schnabel­ fechten bis hin zu dem sogenannten Flügel­ kampf führen. Bei allen Kampfarten stehen sich die beiden Hähne gegenüber. Bei dem Schnabelfechten versuchen sie durch das Vorschnellen des Kopfes den Gegner mit dem Schnabel in der Nähe der Rosen am Kopf zu treffen. Beim Flügelkampf ist der Hahn Sieger, der den Rivalen an der Kopf­ partie zu fassen bekommt und ihn dann anschließend herunterdrücken kann. Ist das gelungen, wird der Unterlegene mit kräftigen Flügelschlägen vermöbelt. Lautlos geht so eine Auseinandersetzung nicht vor sich. Sie ist bei entsprechendem Wetter weit über 100 Meter zu hören und dauert ca. 2 Minuten. Sie endet mit der Flucht des Verlierers. Je nach Standort und Wetter, im Schwarz­ wald überwiegend Ende April, wenn sich das erste Buchenlaub durchschiebt, ist die Balz­ zeit des Auerwildes beendet. Ca. 500 Meter vom Balzplatz entfernt sitzt im Mai die Auerhenne dicht am Stamm einer großen 253

Die Tarnfarbe der am Boden brütenden Auer­ henne ist der einzige Schutz vor den vielen Feinden Die Auerhenne ist wesentlich kleiner als der Hahn Tanne. Dort hat sie eine flache Mulde gescharrt, in der 10 Eier liegen. Durch die Gefiederfarbung verschmilzt die Henne mit dem Waldboden und ist des­ halb nur schwer auszumachen. Trotzdem ist die Brut während dieser Zeit gefährdet. Mar­ der, Dachs, Wildschwein und Fuchs holen sich ihren Anteil. Nach 28 Tagen schlüpfen die Auerhuhn­ kücken aus den Eiern. Sie werden von der Auerhenne mit leisen Locklauten von der Nestmulde weggeführt. Bei einigem Glück kann man sie am Wegesrand sehen, wie sie sich an einer trockenen Stelle hudern. In den ersten drei Wochen ist die Sterblichkeit der Kücken besonders hoch. Niederschläge, star­ ker Wind und Bodentemperaturen unter 10 °C sind die Ursache. Dagegen ist der Aus­ fall bei trockenem und warmem Wetter gering. Ab Anfang September lösen sich die Gesperre auf. Dann wird es ruhig im Auerhuhnrevier. Außerhalb der Balzzeit führt es ein heimli- 254 ches Leben und nur gelegentliche Losungs­ funde verraten, daß die Rauhfußhühner noch im Revier heimisch sind. Auch der Pilz­ und Beerensammler kann auf ein Stück Auerwild aufmerksam werden, wenn es erschreckt durch die Störung davonpoltert. Gegen Störungen ist unser uriges Wild über­ haupt sehr empfindlich. Gerade die Unruhe, die in unsere Wälder in den letzten Jahren eingezogen ist, hat zu einem erheblichen Rückgang oder stellenweise sogar zum Ver­ schwinden der Auerhühner geführt. Eine Bestandsminderung setzte allerdings schon viel früher ein. Sie läßt sich bis Anfang des 19.Jahrhunderts zurückverfolgen. In den Alpenraum etwas später, in diesem Gebiet um die Jahrhundertwende. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Klimaschwankungen (zu kühle und nasse Sommer), eine zu starke Bejagung der Hähne, ab dem 20.Jahrhun­ dert durch eine intensive Forstwirtschaft, durch die Zunahme der Fichtenbestände und den Rückgang der Zwergstrauchheide.

Die Anlage von eingezäunten Forstkulturen. Nach dem 2. Weltkrieg kam noch eine starke Zunahme von Wildschweinen, Füchsen und Dachsen hinzu. Beunruhigungen durch den Wintersport und den Ausflugsverkehr ver­ stärkten die Bestandsabnahme weiter. Ursprünglich waren es Vögel der Taiga, die heute stille, zusammenhängende, natur­ nahe Nadel- und Mischwälder bevorzugen. Geschlossene Waldgebiete und reine Laub­ wälder werden gemieden. In Mitteleuropa leben die Auerhühner in ursprünglichen, naturnahen Wäldern der Gebirge und Mit­ telgebirge, meistens ab einer Höhe von 600 bis 750 Metern. In den Alpen beginnen die Auerhuhnreviere überwiegend erst ab 1000 Meter. Gerade bei den Auerhühnern ist es wichtig, daß Revierteile vorhanden sind, die ihren verschiedenen ökologischen Ansprü­ chen genügen. Dazu zählen die Sommer­ und die Wintereinstände, die Balzplätze mit Freiraum für die Bodenbalz, die Brut- und Aufzuchtgebiete. Es müssen Ameisenvor­ kommen vorhanden sein, Huderplätze zum Sandbaden, genügend Trinkwasser und Stel­ len, wo die lebenswichtigen Magensteinchen aufgenommen werden können. Die Auerhühner sind sehr standorttreu. Auch Jungvögel entfernen sich im Normal­ fall nicht weiter wie 30 km von ihrem Auf­ zuchtrevier. Fortpflanzungsfahig werden die jungen Auerhähne in freier Wildbahn erst mit drei Jahren. Zum Schlafen wird überwiegend ein aus­ ladender Ast in der unteren Kronenhälfte eines Bauines ausgesucht. Durch herunter- hängende Äste ist genug Deckung vor Greif­ vögeln vorhanden, und auch der Marder kann sich nicht unbemerkt anschleichen, da das Betreten eines solchen Astes nicht ohne Schwingungen abgeht. Bei großer Kälte und genügend Schnee graben sich die Auerhüh­ ner zum Schlafen in den Schnee ein. Beim Nahen eines Feindes verlassen sie sich auf ihre Tarnfarbung. Entweder sie drük­ ken sich eng an den Boden, oder sie stehlen sich ganz leise weg, wenn genug Deckung vorhanden ist. Sollte auch die geringste Fluchtdistanz unterschritten werden, dann benutzen sie ihre Flügel. Das Hauptvorkommen im Südschwarz­ wald liegt zwischen Zell, St. Blasien, Michel­ bach und Neuenburg. In unserem Kreisge­ biet sind die Auerhühner nur im Areal des Schwarzwaldes heimisch und das noch in zufriedenstellender Anzahl. Im Nord­ schwarzwald wird der Bestand auf 200 bis 250 Hähne und etwas mehr Hennen ge­ schätzt. Wenn wir das Auerhuhnrevier durchwan­ dern, kann es passieren, daß wir am hellen Tag einen balzenden Auerhahn sehen, der nicht flüchtet, sondern uns Menschen sogar angreift. Dieser Hahn hat nicht die Tollwut, sondern hier ist der Hormonspiegel etwas in Unordnung geraten. Nach der Balzzeit ver­ hält sich dieser Hahn wieder völlig normal. Sorgen wir dafür, daß er noch Waldwinkel findet, die die Ruhe ausstrahlen, die auch wir Menschen manchmal so nötig haben. Roland Kalb Aufgaben eines Naturschutzbeauftragten Seit fast 50 Jahren sind in den Ländern Baden und Württemberg die Beauftragten für Naturschutz tätig. Inzwischen hat sich allerdings die Stellung des Naturschutz­ beauftragten entscheidend verändert. Der Naturschutzbeauftragte ist ein Ehren­ amt. Es wird an Personen vergeben, die im Naturschutz fachkundig sind. Das Amt wird dem Betroffenen durch Wahl des Kreistages auf fünf Jahre verliehen. Seine Aufgaben sind sehr weit gespannt. Er ist sogenannter Träger öffentlicher Belange, wodurch er in allen den Naturschutz berührenden Fragen beteiligt werden muß. Seine Aufgabe ist es, 255

Bläßhuhn mit jungem auf dem Rohrmoos-Weiher (Schutzgebiet) die Untere Naturschutzbehörde fachlich zu beraten. Hierbei werden Bereiche berührt, die den Naturschutzbeauftragten als Träger öffentlicher Belange sehr schnell in das Pro­ blemfeld kommunalpolitischer Interessen gelangen lassen. Außerdem kann es sehr schnell zur Konfrontation manchmal jedoch auch zur Zusammenarbeit mit anderen Fach­ behörden kommen. Um Konflikte im Vor­ feld bereits abbauen zu können, benötigt der Naturschutzbeauftragte neben biologisch­ ökologischem Wissen, Kenntnis übergrei­ fender Zusammenhänge. Der Naturschutz­ beauftragte muß außerdem beispielhafte Modelle zur Verfügung haben, um an Fall­ beispielen die ökologischen Sachverhalte darzustellen. Eine Fülle von Aufgaben hat der Naturschutzbeauftragte zu bewältigen. Der Schutz und die Pflege von Bäumen in der Stadt gehören dazu. Er wirkt bei der Erstellung von Bebauungsplänen mit. Er beurteilt Ausbaumaßnahmen von Wasser­ läufen unter Naturschutzgesichtspunkten. Er arbeitet Vorschläge für Schutzgebiete aus und trifft Vorbereitungen zur Anlageschutz­ würdiger Bereiche, wobei hier vor allem an Feuchtbiotope gedacht ist. Dabei muß man 256 sich immer vor Augen halten, daß Natur­ schutz im eigentlichen Sinne die Erhaltung von Pflanzen und Tieren sowie deren Lebensräume bedeutet. Es müssen neue Schutzgebiete ausgewiesen und bestehende Schutzgebiete beobachtet werden. Hierbei sind Landschaftsschutzgebiete, Natur­ schutzgebiete oder flächenhafte bzw. ein­ zelne Naturdenkmale eingeschlossen, die überwacht werden müssen. Eine wichtige Aufgabe ist ferner die Land­ schaftspflege und Landschaftsplanung. (Sicherung, Pflege und Gestaltung der Land­ schaft -z. B. Findlinge im Schwarzwald – sowie landschaftsgebundene Bauweise -z. B. der Schwarzwaldeindachhof.) Im weiten Feld der Landschaftspflege liegen gerade im Flächenverbrauch für Straßen, Gas- und Wasserleitungen, wie für Siedlungs- und Industrieerweiterungen viele Hindernisse für den Naturschutz. Ganz allgemein verfolgt der Naturschutzbeauftragte das Ziel, die ver­ baute und durch Teer oder Beton versiegelte Fläche so gering wie möglich zu halten, das bedeutet, daß für manchen Planer aber auch für manchen Bauwilligen der Naturschutz mit ganz unerwarteten Wünschen und Auf-

Trollblumenwiese im flächenhaften Naturdenkmal „Rohrmoos“ lagen an ihn herantritt. Neben den bereits erwähnten Schutzgebieten sind es vor allem wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere, die der Naturschutz reklamiert. Hierzu gehören Standorte seltener Pflanzen, Brut­ gebiete für Vögel sowie Bereiche, in denen Amphibien sich aufhalten. Oft ist es für den Normalbürger nicht verständlich, daß scheinbar wertlose Bereiche wie Bachläufe und ihr Bewuchs oder andere Gebiete schutzwürdige Lebensräume sein können. Eine weitere Aufgabe ist die enge Zusam­ menarbeit in allen, den Vereinigungen im Lande, die sich dem Naturschutz verschrie­ ben haben, seien es der BUND oder der Bund für Vogelschutz, der Schwarzwald­ Verein, der Landesjagdverband, um nur em1ge zu nennen. Ausweisung von Schutzgebieten Die Erweiterung der Schutzgebiete ist ein vordringliches Anliegen des Naturschutzes. Besonders ökologisch wichtige Landschafts­ teile sind unter Berücksichtigung der Funk­ tion, die diese Gebiete in der Landschaft aus­ zuüben haben unter Abwägung der Belange der Landwirtschaft oder andere Interessen­ gruppen unter Schutz zu stellen. Oftmals handelt es sich bei diesen Gebieten um land­ wirtschaftliche Grenzertragsböden, wie z.B. das Schwenninger Moos oder das Gebiet Hübelwiesenweihers in Bad.Dürrheim oder das Achdorfertal. Oft gibt es dabei Probleme mit Land- und Forstwirten. Obwohl gerade in Schutzgebieten (vor allem in Landschafts­ schutzgebieten) Landwirtschaft und Natur­ schutz im Grunde gemeinsame Ziele haben. Als Hauptziel sei die Bewahrung der Flächen vor Fremdnutzung genannt. Dies kann durch entsprechende Unterschutzstellung erreicht werden und bringt damit auch für die Landwirtschaft gewisse Vorteile. Die Aus­ weisung dieser Schutzgebiete ist notwendig, um die leider oft stark eingeengten Lebens­ räume von Pflanzen und Tieren (Biotope) zu sichern. Einige Beispiele seien hier genarmt wie Blaustern, verschiedene Orchideen, Frösche und Kröten, EisvogeL Auerhahn. Durch Ausweisung der Biotope sollen gefährdeten Lebewesen Lebensräume ge­ währleistet werden, die ohne Unterschutz­ stellung durch verschiedenartige Einflüsse verloren gingen. Diese Verluste bedeuten 257

eine Verarmung unserer Umwelt an Einzel­ individien, die unbedingt erhaltungswürdig sind. Landschaftsplanung Unabdingbare Voraussetzung in der Landschaftsplanung ist, daß bei Planungen, sei es innerhalb von Bebauungsplänen oder bei Flurbereinigungen, der Naturschutz­ beauftragte frühzeitig eingeschaltet wird. Vor allen Planungsüberlegungen muß ein gesun­ der und wertvoller Landschaftshaushalt Vor­ rang haben. Jede Maßnahme muß dahinge­ hend überprüft werden, wie sie sich in der Landschaft einfügt. Als Beispiel seien hier Trassen von Hochspannungsleitungen, Stra­ ßenbaumaßnahmen oder Baumaßnahmen im Außenbereich genannt. In diesem Zu­ sammenhang sei auch auf evtl. negative Beeinträchtigungen der Landschaft durch Aufforstungen hingewiesen. Zu den Aufgaben des Naturschutzbeauf­ tragten zählt ferner die Untersuchung der Möglichkeiten für eine landschaftsbezogene Erholung. Nicht selten werden Bedürfnisse in die nichtbesiedelte Landschaft projeziert. Dabei wird vergessen, daß für manche Bür­ ger Volksfestrummel mehr bedeutet an wert­ voller Freizeit als Waldesstille oder morgend­ licher Gesang der Vögel. Öffentlichkeitsarbeit Für die in Zukunft zu bewältigenden Auf­ gaben des Naturschutzes ist es unerläßlich, verstärkt Kontakte zu den verschiedenen Organisationen sowie Arbeitskreisen und Gremien zu knüpfen, so daß der Natur-und Landschaftsschutz in der gesellschaftspoliti­ schen Auseinandersetzung endlich den ihm gebührenden Stellenwert einnehmen kann. Es ist sinnlos, sich immer über mangelndes Umweltbewußtsein insbesondere der ökolo­ gischen Belange bei der Bevölkerung zu beklagen, wenn der Naturschutz nicht selbst etwas dafür tut. 258 Ein Teich Das Amt des Naturschutzbeauftragten ist in besonderer Weise geeignet, die Unwissen­ heit hinsichtlich ökologischer Zusammen­ hänge sowie natürlicher Lebensgrundlagen darzustellen und in die Diskussion zu brin­ gen. Dies sind nur „Schlagworte“ von Auf­ gaben, die dem Naturschutzbeauftragten obliegen. Vieles bleibt ergänzungsbedürftig, aber ein Ziel sollte feststehen: Unsere heimische Landschaft mit all ihren Schönheiten und Kleinoden so zu erhalten, daß sie auch nach­ folgenden Generationen zur Verfügung ste­ hen können. Knut Wälde * Vorsichtig schimmernd am Morgen, hell widerstrahlend am Mittag, liegt der vereinsamte Teich am Rande des Dorfs in den Wiesen. Schön aber, wahrhaftig schön, ist er am Abend und in der Nacht, wenn die Geäste der Uferbäume sich zu bewahrenden Wänden verschränken und in dem inneren Raum die früheste Dämmerung sammeln, wenn jetzt der Teich seine sachteste Welle, aus Silber und Schwarz, an das andere Ufer über sich zieht und dort gurgelnd [ verschlingt, wenn drauf die Schilfrohre säuseln, leiser als rieselnder Regen, und wenn dann der Mond aus der [himmlischen Öffnung in die irdische Schale hinab sein leuchtendes Spiegelbild legt, zum Zeichen der Einheit. Gisela Mather

Landwirtschaft An der Spitze der Landjugend Beate Hauser aus Hüfingen-Hausen vor Wald ist Landesvorsitzende „Die Jugendorganisation des BLHV hat ein eigenes Selbstverständnis, das sich nicht nur auf die Ausrichtung von Erntedankfe­ sten beschränkt“. Dies ist eine Aussage Beate Hausers, die als Vorsitzende der Landjugend im Landesverband Südbaden im April 1987 für zwei Jahre wiedergewählt wurde. Sie teilt dieses Amt paritätisch mit Klaus Eble aus Hohberg/Ortenau. Die 24jährige Beate Hauser aus Hausen vor Wald, das heute zur Stadt Hüfingen zählt, ist schon sehr früh in die Arbeit der Landjugendgruppe ihres Heimatortes hin­ eingewachsen. Hier war sie zunächst Schrift­ führerin und übte bis 1984 das Amt der Orts­ vorsitzenden aus. Ein Jahr lang war sie außer­ dem Beisitzerin auf Kreisebene, um 1983 zur stellvertretenden Landesvorsitzenden ge­ wählt zu werden. Ein Jahr später wählten die Delegierten sie erstmals zur Landesvorsit­ zenden. Ihre vordringliche Aufgabe sieht die dun­ kelhaarige Beate Hauser, die selbst nicht in der Landwirtschaft tätig ist, sondern als Apo­ thekenhelferin arbeitet, darin, die Jugend im ländlichen Raum anzusprechen, ihr Bewußt­ sein für alle Lebensbereiche zu sensibilisieren und zu schärfen. Außerdem sollten ihrer Meinung nach Jugendliche, die auf dem Lande leben, ganz gleich, aus welchem Bereich sie kommen, Gemeinschaft erleben und erfahren dürfen. Die Struktur der Jugendlichen, die in der Landjugend zusam­ mengeschlossen sind, habe sich, so Beate Hauser, grundlegend gewandelt. Längst kommen nicht mehr alle aus landwirtschaft­ lichen Betrieben, sondern alle Berufsgrup­ pen sind darunter, Schüler, Angestellte, Handwerker und Studenten. Den Schwerpunkt ihrer Arbeit hat die Landjugend, so die Meinung der Landesvor­ sitzenden, im gesellschaftspolitischen Be­ reich, ohne politisch gebunden zu sein. Die Jugendlichen sollen, wie es die Landesvorsit­ zende ausdrückt, sich selbst ein Bild machen und eine eigene Meinung bilden, wenn etwa vor Wahlen Vertreter der einzelnen Parteien zu Forumsgesprächen eingeladen werden. ökologische Fragen werden mit namhaften Ansprechpartnern diskutiert. Es wird aber auch berufliche Weiterbildung von Landwir­ ten und Winzern vermittelt, zumeist in enger Zusammenarbeit mit der Bauern­ schule in Tiengen. Doch die Angebote im Programm der Landjugend sind noch weitaus vielseitiger. Freizeiten mit den verschiedenartigsten Schwerpunkten werden angeboten, Semi­ nare über Agrar-und Gesellschaftspolitik sowie Rhetorik, sportliche und spielerische Wochenenden sind im Programm sowie die unterschiedlichsten Jugendbegegnungen. 259

Hausers Wunsch geht nach mehr internatio­ nalen Kontakten, auch mit Jugendlichen aus dem Ostblock. Sehr positiv bewertet sie die wiederholte Begegnung mit Jugendlichen aus Polen. Mit Italien, Spanien und Frank­ reich werden Austauschprogramme auf fach­ licher Ebene veranstaltet, die jungen Land­ wirten die Möglichkeit bieten, auch Produk­ tionsmethoden anderer Länder kennenzu­ lernen. Für Hobbies bleiben Beate Hauser, deren Elternhaus das Engagement der Tochter sehr unterstützt, wenig Zeit. Nicht missen möchte sie allerdings den Reitsport, den sie seit früher Jugend betreibt. Die Freude am Reisen und fremden Ländern mag auch zu ihrem Entschluß geführt haben, sich beruf­ lich zu verändern. Sie strebt eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin an, was allerdings ihre Arbeit an der Spitze der süd­ badischen Landjugend nicht beeinträchtigen werde, wie Beate Hauser zuversichtlich meint. Käthe Fritschi UNESCO (Bildungsorganisation der UNO) und UNICEF (Kinderhilfswerk der Verein­ ten Nationen). Die damaligen Geschäftsführerinnen in Freiburg, Frau Brigitta Weiße und Frau Katzenmaier, letztere war Lehrerin an der Landwirtschaftsschule Donaueschingen, sind vielen Baaremer Landfrauen noch in liebens­ werter Erinnerung. Sie waren eine große Hilfe bei der Gründung der einzelnen Orts­ vereme. Eine der ersten Ortsvorsitzenden war Frau Elise Oschwald aus Döggingen (siehe Bild). Sie war eine der bemerkenswerten 5 Frauen, die den Landfrauenverband Südbaden grün­ deten und zwar am 23. Mai 1949. Sie war es, die den Grundstein für die Landfrauen­ vereine auf der Baar legte. So übernahm sie auch die Leitung des Ortsvereines in Döggin- Landfrauenarbeit im Wandel der Zeit Für Beate Hauser bedeutet das Amt der Landesvorsitzenden, das sie mit großem per­ sönlichen Engagement ausübt, neben der Repräsentation bei Veranstaltungen auf ver­ schiedenen Ebenen, auch die Teilnahme an regelmäßig stattfindenden Sitzungen. Von hier aus gehen die Impulse an die Basis, die 110 Ortsgruppen in neun Kreisverbänden mit ihren insgesamt 8000 Mitgliedern. Es gilt, zu organisieren, zu koordinieren und Themen aufzugreifen, die von aktuellem Interesse sind. Sie selbst schätzt vor allem die gruppenpädagogische Arbeit und versucht, geeignete junge Menschen in die Lage zu ver­ setzen, selbst eine Gruppe zu leiten. In monatlich stattfindenden Besprechungen mit dem Vorstandsteam kommt alles zur Sprache, was in den einzelnen Kreisver­ bänden abläuft. In Arbeitskreisen auf Landesebene wird Öffentlichkeitsarbeit der Landjugend betrieben, die so in die Lage ver­ setzt wird, sich selbst darzustellen. Zur Arbeit der Landjugend gehört auch die Organisation von Studienreisen. Beate Auf ein ansehnliches Alter von 39 Jahren können im Jahre 1988 die ersten Landfrauen­ vereine im Schwarzwald-Baar-Kreis zurück­ schauen. Heute umfaßt der Landfrauenver­ band, Bezirk Donaueschingen, 34 Orts­ vereine mit 1833 Mitgliedern. Dieser Bezirksverband ist ein Teil des Süd­ badischen Verbandes und unter anderem Mitglied beim Deutschen Landfrauenver­ band (DLV) und beim Weltlandfrauenver­ band (ACWW). Über diese großen und international anerkannten Frauenverbände ist er vertreten bei der FAO (Landwirt­ schaftsorganisation der UNO), CEA (Ver­ band der Europäischen Landwirtschaft), COP A (Ausschuß der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen der Europäischen Gemeinschaft), FIEF (Interna­ tionaler Verband für Hauswirtschaft), 260

frauenarbeit heute nicht mehr wegzudenken sind. Zu den unvergessenen Anfangen gehörte auch eine zweiwöchige Wanderberatung, die sich in etwa ein Dutzend Einzelreferate auf­ gliederte. Damals ging es den Landwirt­ schaftslehrerinnen um die Modernisierung alter Küchen, Vorratsspeicherung, zeitspa­ rendes Waschen und Mangen, das Garnieren von kalten Platten, das Verzieren von Torten, Schädlingsbekämpfungsmittel, Gesund­ heitspflege und Weben. Zwei Wochen so intensiv miteinander zu arbeiten und dafür die notwendige Zeit aufzubringen, das kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Nach wie vor können alle Frauen einer Gemeinde im Landfrauenverband Mitglied werden. Dieser Grundsatz ist heute eine wichtige Voraussetzung für die Erhaltung der Dorfgemeinschaft und für das Weiterge­ ben der christlichen Werthaltung, die ihrer­ seits die Arbeit des Landfrauenverbandes prägt. Sein Ziel ist die motivierende Unterstüt­ zung der Frauen im ländlichen Raum, bei deren Bemühen um die Mitgestaltung des Dorflebens und des Gemeinwesens. Lilly Veit, die Ehrenvorsitzende des Landfrauen­ verbandes, definierte den Begriff Dorf ein­ mal mit folgenden Worten: Das Dorf war von jeher nicht nur eine Wohn-sondern eine Lebensgemeinschaft mit besonderen sozia­ len Werten. Die Landfrauen möchten das in ihren Kräften stehende dazu beitragen, um diese besondere Lebensgemeinschaft den Erfordernissen entsprechend weiterzuent­ wickeln. Seit über 14 Jahren leitet Frau Cäcilia Dury aus Bräunlingen die Geschicke des Land­ frauenverbandes Bezirk Donaueschingen (vgl. Almanach 86, Seite 81-83). Außerdem war sie seit 23 Jahren auch noch Ortsvorsit­ zende. Zu den jährlich stattfindenden Kreis­ versammlungen in Bräunlingen kann Frau Dury zwischen 500 und 600 Landfrauen aus der ganzen Region begrüßen. Dies ist ein gro­ ßes Zeichen der gegenseitigen Verbunden­ heit. 261 Frau Elise Oschwald gen, der am 7. Dezember 1949 gegründet wurde, und dieses Amt hatte sie 23 Jahre mit sehr viel Engagement und persönlichem Ein­ satz inne. Zu den drei ersten Landfrauenvereinen auf der Baar gehörten noch Oberbaldingen, gegründet am 6. Dezember 1949, und Behla; dort fanden sich die Landfrauen am 6.Februar 1950 zum ersten Mal zusammen. Frau Oschwald war später auch Bezirks­ vorsitzende des damaligen Kreisverbandes Donaueschingen und die Seele vom Ganzen. Sie erkannte damals, daß es um die Land­ frauen nicht gut bestellt war und daß etwa� getan werden mußte. Als Referentinnen informierten die Lehrerinnen der Landwirt­ schaftsschule über Hühnerhaltung und Auf­ zucht, über Gartenbau und Säuglingspflege und versuchten so den Frauen zu helfen. 1959/60 wurde der erste Gymnastikkurs durchgeführt. Das war damals ein Novum und wurde entsprechend oft belächelt. Es ist dem Mut der Ortsvorsitzenden zu verdan­ ken, daß diese Gymnastikkurse aus der Land-

Ein praktischer Weg der Nächstenliebe ist die ehrenamtliche Tätigkeit jeder Ortsvorsit­ zenden und jedes Vorstandsmitgliedes, die sich für 3 Jahre wählen lassen. Die längste Amtszeit von 31Jahren hat Frau Windmüller aus Behla hinter sich, die heutige Ehrenvor­ sitzende ihres Ortsvereines. Ein wichtiges Anliegen und ein Schwer­ punkt wird auch in Zukunft die Erwachse­ nenbildung in der Landfrauenarbeit sein. Dazu gehören Themen wie: Gesellschaftspo­ litik, Altenpflege, das kulturelle Leben in der Familie und im Dorf. Weiter das Gesund­ heitsbewußtsein und die Gesunderhaltung, christliche Fragen, Lehrfahrten, Werken, die Pflege von dörflichen Anlagen und vieles mehr. Vorträge und Seminare werden im Winterhalbjahr durchgeführt. Für viele Baaremer Landfrauen ist ein Urlaub auch heute noch ein ferner Wunsch. So bildet der Verein einen notwendigen und willkomme­ nen Ausgleich. Hier ist besonders das Mit­ einander von allen Frauen wichtig. Die gegenseitige Information fördert das Ver­ ständnis füreinander und baut Vorurteile ab. Von vielen Ortsvorsitzenden werden die ein­ geheirateten und zugezogenen jungen Frauen persönlich besucht und finden dadurch sehr schnell Kontakt und Aufnah­ me in der Gemeinschaft. Besonders bemer­ ken darf man auch die Harmonie in den Ortsvereinen, deren Mitglieder zwischen 20 und 70 Jahre alt sind. Die beliebten Altennachmittage sind ein fester Bestandteil jedes Ortsvereines. Und was wäre so manches Dorffest ohne die Landfrauen. Seit drei Jahren beteiligen sich die Land­ frauen auch aktiv an der Südwestmesse in Schwenningen. Dieser mit viel Arbeit ver­ bundene Aufwand ist ein gelungener Weg der landwirtschaftlichen Darstellung. Mit dem Erlös wird eine soziale Institution unter­ stützt. Anfang des Jahres 1987 wurde von der Geschäftsstelle in Freiburg ausgehend eine wichtige Befragungsaktion nach pflegebe­ dürftigen Personen durchgeführt. Danach 262 Sanierung für einen Parkplatz befindet sich in jedem 7. Haushalt im länd­ lichen Raum ein pflegebedürftiges Familien­ mitglied und in rein landwirtschaftlichen Haushalten ist in jeder 4. Familie eine zu pfle­ gende Person. Diese pflegerische Aufgabe einer Landfrau neben Familie, Haushalt, Betrieb und Garten ist nicht immer leicht aber wird trotz größter Belastung für selbst­ verständlich erachtet. Ein Satz der Ehrenvor­ sitzenden Frau Lilly Veit verdeutlicht das am besten: „Der wichtigste Mensch im Leben ist derjenige, der einen gerade am notwendig­ sten braucht.“ Cäcilia Dury Uta Hertkorn * Jürgen Henckell Aus der Gedichtsammlung „Beschreibungen einer Randlage“ Dort wo das Haus stand ein dunkles Rechteck als Schorf gegenseitig zugefügter Verwundungen – mit Generationen multipliziert. Jetzt Asphalt als Pflaster der Wunden – Nur Namen irritieren noch eine Zeitlang durch verzeichnete Konturen – Die parkenden Autos bleiben standfest unbeteiligt. In der nahen Schweiz gibt es Lawinenhunde, die alles Verschüttete wittern. Könnten sie scharren, dann fanden sie etwas – und seien es nur ein paar rostige Nägel von täglichen Kreuzigungen.

Stätten der Gastlichkeit und Entspannung Sport- und Freizeitanlage am Schloßberg in Unterkimach Ein Sportlertreff im besten Sinne des Wortes als Stätte der Begegnung und des Sports, mit Clubräumen, vier Bundeskegel­ bahnen für die örtlichen Sportkegelclubs, Umkleide-und Duschräume für den Fuß­ ballclub und einer Speisegaststätte mit Päch­ terwohnung mit insgesamt 3 679 m3 umbau­ ten Raum wurde in einer fast dreijährigen Bauzeit als Ergänzung der gemeindlichen Sportanlagen durch Bürger der Gemeinde nahezu in Eigenarbeit errichtet. Vereine und Bürger der Gemeinde haben mit diesem Pro­ jekt auch für die nächsten Generationen ein Denkmal für die Gemeinsamkeit und ein Symbol für den gesunden Bürgersinn gesetzt und bewiesen, daß auch in der heutigen Zeit durch beispielhaften persönlichen Einsatz, Anlagen zum Nutzen und zum Wohle der Dorfgemeinschaft geschaffen werden kön­ nen. Da neben den Vereinen Fußballclub und Sportkegelclubs, die die Anlagen selbst nutzen, auch die Mithilfe aller übrigen Ver­ eine im Dorf erreicht werden konnte, wurde auch eine lobenswerte und vorbildliche Soli­ darität unter den Vereinen praktiziert und damit eine Festigung der Dorfgemeinschaft erreicht. Im September 1981 wurden die Bauarbei­ ten begonnen. Bereits ein Jahr später, am 17. September 1982, wurde Richtfest gefeiert. Mit einem Dorffest, bei dem alle örtlichen Vereine mitgeholfen haben und dessen Erlös zur Finanzierung des Projekts mitverwendet wurde, wurde die Aktion am 10. September 1984 abgeschlossen. In dieser Zeit wurden von 298 freiwilligen Helfern im Alter von 6 bis 74 Jahren insgesamt ca. 24 000 Stunden unentgeltlicher Arbeitseinsatz geleistet. Bei einer Gemeindegröße von ca. 2 400 Einwoh­ nern war somit jeder achte Einwohner im unentgeltlichen Arbeitseinsatz. Die Arbei­ ten wurden ausschließlich nach Feierabend, an Samstagen und in der Urlaubszeit er­ bracht. Einzelne Helfer stellten sich über 700 Stunden (der Listenführer brachte es auf 741,5 Std.) zur Verfügung. Bei einer 40-Stun-263

den-Woche wäre dies ein halbes Jahr Arbeits­ zeit. Vereinsgönner, die nicht selbst Hand anlegen konnten, unterstützten das Projekt in Form von Spenden; örtliche Firmen und Handwerksbetriebe durch die unentgeltliche Bereitstellung von Arbeitsgeräten und Maschi­ nen. Während der dreijährigen Bauzeit, wurden nahezu täglich Arbeitseinsätze abge­ wickelt. Für jedes Gewerk wurde ein Team unter Leitung eines erfahrenen Handwerkers als Vorarbeiter gebildet. Zum Zwecke der Errichtung des Betriebes des Sportlertreffs wurde zu Beginn der Arbeiten die Sportgemeinschaft als Gesell­ schaft des bürgerlichen Rechtes gegründet. Gesellschafter der Sportgemeinschaft sind der Fußballclub Alemannia Unterkirnach, die Sportkegelclubs Kegelfreunde und Rot­ Weiß und die Gemeinde. Geschäftsführen­ der Gesellschafter ist die Gemeinde. Sie stellte der Sportgemeinschaft einen Finanzie- rungszuschuß und das Grundstück zur Ver­ fügung. Im übrigen wurden die rund 1,5 Mio. DM Baukosten (in diesem Betrag sind die unentgeltlichen Eigenarbeiten nicht mit­ berechnet) aus Toto-Lotto-Mitteln, Spen­ den, Zuschüssen und der Restbetrag über ein Darlehen in Höhe von 300 000 DM, das die Sportgemeinschaft aus Pachterlösen für die Gaststätte aufbringt, finanziert. Ohne Ar­ beitseinsätze wäre es der Gemeinde nicht möglich gewesen, das Projekt zu finanzieren. Durch die ehrenamtlichen Helfer wurde ca. eine 3/4 Mio. DM eingespart. Für die sporttreibenden Vereine wurde eine Heimstatt mit idealen Bedingungen geschaffen. Darüberhinaus ist es möglich, aus den Ausschüttungen aus den Pachtein­ nahmen für die Gesellschafter eine wesent­ liche Finanzierungsgrundlage für die Errei­ chung der Vereinsziele zu sichern. Orientiert am Anteil der Eigenarbeiten erhalten die Ver- Die kommunale Bürgeraktion 1ourde durch Übergabe der Medaille an den 1. Vorsitzenden des Fuß­ ballclubs Alois Bähr (Mitte) und Bürgermeister Baumann (rechts) durch Ministerpräsident Lothar Späth (links) im Jahre 1986 ausgezeichnet 264

eine nach einem bestimmten Schlüssel jähr­ liche Ausschüttungen aus den Pachteinnah­ men. Zu erwähnen ist auch, daß es sowohl dem Planer, wie auch der Sportgemeinschaft ein großes Anliegen war, nicht nur einen reinen Zweckbau, sondern ein ansprechendes, in unser Orts-und Landschaftsbild passendes Gebäude zu errichten. Bereits bei der Einweihungsfeier stellte der Wahlkreisabgeordnete im Landtag und CDU-Fraktionsvorsitzende Erwin Teufel in seiner Festrede die außergewöhnliche Lei- Es steht seit dem 17.Jahrhundert immer noch an derselben Stelle, nämlich das Hotel „Kranz“ in Blumberg-Zollhaus, das im Mai 1987 mit seinem silbernen Jubiläum unter der Leitung des fachlich versierten Ehepaares Das Hotel „Kranz“ in Blumberg-Zollhaus Ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Auswärtige stung aller Beteiligten heraus. Beim Wett­ bewerb zur Auszeichnung kommunaler Bür­ geraktionen im Jahre 1985 wurde die Sport­ gemeinschaft durch die Landesregierung zum Hauptpreisträger erklärt. 5000 DM waren der Anerkennungsbetrag für ein vor­ bildliches Beispiel für nachahmenswertes Engagement, Gemeinschaftssinn, Uneigen­ nützigkeit, Verläßlichkeit und Fleiß. Initiato­ ren, Sportler und die ganze Einwohnerschaft sind stolz auf das gelungene Werk. Siegfried Baumann Manfred und Wendy Glatz seinen nach mehreren Umbauten bislang großzügigsten Erweiterungsausbau einweihte. Denn wer Gäste von zum Teil internationalem Zuschnitt beherbergt und beköstigt, der 265

Familie Glatz muß mit deren Erwartungen und Bedürfnis­ sen, die mit der Zeitentwicklung einherge­ hen, immer Schritt halten. Auch wenn das finanzielle Atmen heutzutage zuweilen schwerfällt. Denn die alteingesessene Hote­ lierfamilie lebt nicht mehr um die Jahrhun­ dertwende, als die Altvordern im bescheide­ neren Rahmen ein Biervesper noch für fünf Pfennige servierten oder um 1910 das Lamento der Stammtischrunde über sich ergehen lassen mußten, weil das Bier um einen Pfennig aufschlug, so daß es anstatt vier Pfennige unglaublicherweise deren fünf kostete. Da sind wir schon mitten in dieser gastronomischen Entwicklungs-Geschichte, deren Spurensicherung bis zu einer Schenke mit kleiner Landwirtschaft zurückreicht, die von Mathias Holzhauser und seiner Ehefrau umgetrieben wurde, bis ihre 1841 geborene Tochter Susanne den Hondinger Anton Glatz des Jahrgangs 1836 ehelichte. Hier be­ ginnt mit dem vertrauten »Es war einmal … die geradezu märchenhafte Entwicklung vom aschenbrödligen, „Wirtshaus Zum Kranz“ bis zum stattlichen, repäsentati­ ven Hotel in seiner heutigen Gestalt, das in nichts mehr an ein Herkommen aus der ein­ fachen, bäuerlichen Dorfschenke erinnert. 266 eigentlichen „Es war einmal ein Postkutscher mit Namen Anton Glatz, der fuhr noch eine sechsspännige Postkutsche von Donau­ eschingen nach Schaffhausen. Dabei mußte die alte, gefährlich steile Randenstraße über­ wunden werden. Diese besondere Anstren­ gung bedurfte einer Stärkung für Magen und Kehle, die gleich dem Wackeren hoch auf dem gelben Wagen alle Kutscher und Fuhr­ leute im Gasthaus Kranz fanden, wo sie auch übernachteten und ihre Pferde versorgten. Franz, der älteste, 1863 geborene Sohn des Anton Glatz, ging als Bäcker und Konditor nach Amerika, kehrte zwei Jahre später zurück, übernahm das väterliche Anwesen ,Kranz‘ und gründete gleichzeitig die erste Bäckerei in Blumberg-Zollhaus. Nachdem das Gasthaus im Jahre 1899 durch Brandstif­ tung eingeäschert worden war, wurde es von Franz Glatz vergrößert wieder aufgebaut. Dessen Sohn Anton, nachmaliger Stadtbau­ meister von Blumberg, erbte den ,Kranz‘ im Jahre 1950 und verpachtete ihn nach erfolg­ ter Renovierung von 1949 bis 1962 an die Witwe Frieda Valsechi. Das ,Dreimäderl­ (gast)haus‘ mit den Töchtern Rosemarie, Friede) und Margret war in diesen Jahren dank seiner gastfreundlichen, lebendigen

Atmosphäre ein gern besuchter Treffpunkt, und an die dort gefeierten Feste, erinnern sich nicht nur die älteren Blumberger … “ Hier schließt die traditionsbetonte Ge­ schichte der Familie Glatz nach einer Zäsur in der Rückbesinnung auf das Ererbte wieder an. Denn Seßhaftigkeit, familiäre Verbun­ denheit und Zielstrebigkeit zeichnen sie aus, deren Vorfahren Hans-Georg und Laurenz Glatz am 13. August 1471 in Regensburg von Kaiser Friedrich III. ein Wappen verliehen wurde, das heute noch in Ehren gehalten, die gewahrte Tradition unterstreicht. Nach formenden „Lehr-und Wanderjah­ ren“ übernahm Anton Glatz‘ Sohn Manfred im Jahre 1962 den im Vorjahr erneut umge­ bauten „Kranz“ mit seiner Frau Wendy. Obwohl er ab 1950 mit Lehre und Gesellen­ prüfung als Schreiner und Glaser im Blum­ berger Handwerksbetrieb Ludwig Keßler einen anderen Berufsweg eingeschlagen hatte, folgte er dem Drängen seines Vaters, die gastronomische Tradition fortzusetzen. So besuchte Manfred Glatz 1954/55 die Hotelfachschule Bad Wiessee, absolvierte die Kochlehre im Hotel „Adler“ von Mem­ mingen, kochte in Heidelberg, war 1956/57 im „Parc d‘ Eau Vivey“ von Genf Hotelkas­ sierer, 1958 ein Jahr „Commis de Rang“ in Paris, 1959 im „Grand Hotel“ von Stockholm „Chef de Rang“ und 1960/61 im Londoner „Hotel Liverpool Street“. Zwei Amerika­ Fahrten sahen ihn als Steward auf der hollän­ dischen „SS Rotterdam“, und Erfahrungen als Barkeeper sammelte er auf Hayling Island, wo er im September 1961 Wendy Pratt heiratete. „Du brauchst nur ,yes‘ zu sagen“, erinnert sich Manfred Glatz an Wendys Rat vor der sprachschwierigen Zeremonie. „Das tat ich und war schon verheiratet“. Schließlich war auch an die wachsende Familie zu denken, die den „Kranz“ mit den inzwischen 1962 und 1965 geborenen Töch­ tern Christine, Barbara und Martina wieder als neues „Dreimäderlhaus“ sah. Verfügte das Hotel anfänglich nur über acht Betten und SO Sitzplätze, so waren es zur Eröffnung Ostern 1962 schon 30 Betten und SO Sitz- plätze.1965 wurden zwei elektrische Bundes­ kegelbahnen eingebaut. Ein größerer Bauab­ schnitt erweiterte das Restaurant 1971 auflSO Sitzplätze, und 1977 wurde die eigene Woh­ nung eingebaut. Verwöhnte prominente Gäste, die den „Kranz“ nicht nach seiner dörflichen Umgebung einschätzten, logier­ ten und speisten dort schon durch die Jahre: Eine Regenbogenmischung, wie unter ande­ rem die blonden Jakob Sisters“, Minister­ präsident Hans Filbinger, Bundeskanzler Hans-Georg Kiesinger, die Mainzer Lerche Margit Sponheimer, „Inspektor Wanninger“ Beppo Brem, Bundesminister des Innern Werner Maihofer oder die Fußballheroen Netzer, Rahn und Liebrich. 1985 wurde der neueste Ausbau gestartet, dessen Ausführung nach den modernsten Gesichtspunkten beim Architekten Walter Glatz, dem Bruder des unternehrnungsfreu­ digen Hoteliers, lag und der seit Mai 1987 mit einer repräsentativen Neugestaltung des in allen Bereichen wesentlich vergrößerten und weiter verbesserten Hauses beeindruckt. „Fast ein Palast-Hotel“, schmunzelte Man­ fred Glatz bei der Einweihung. Tatsächlich bietet das Hotel „Kranz“ jetzt SO Betten in 27 auf den neuesten Stand gebrachten Zimmern und in den attraktiven Räumen des Restaurants 150 Sitzplätze an, die von der gesamten Besatzung eines Reise­ busses genutzt werden können. Einladende Außenanlagen mit Loggia, Treppenhaus­ Umgang, Pavillon und Gartenwirtschaft run­ den den Gesamteindruck mit der vorgezoge­ nen Fassade effektvoll ab. Blumbergs Bürgermeister Werner Gerber, der die beispielhafte Initiative würdigte, for­ mulierte das sichtbare Mut-und Fortschritts­ ergebnis treffend: „Hier wurde ein stabiles Lebens-Gebäude erstellt, das mit zu den füh­ renden Häusern der Stadt gehört.“ Dem kann nicht widersprochen werden. Man braucht für eine Bestätigung nur nach Blum­ berg-Zollhaus zu fahren, um zu sehen, wo sich die Straßen und Zeiten kreuzen. Jürgen Henckell 267

Sport Der Eishockey-Sport im Schwarzwald-Baar-Kreis Seine Entwicklung in den letzten zwei Jahren Als der ERC Schwenningen im Herbst 87 in seine siebte Saison in der höchsten Eishok­ key-Spielklasse ging, hatten die Verantwort­ lichen eine überraschend und erfreulich ruhige Sommerpause hinter sich. Keine spek­ takulären Transfers und vor allem keine Pau­ kenschläge wie in den beiden vorhergegange­ nen Jahren, als der Eishockey-Sport im Schwarzwald-Baar-Kreis zweimal kurz vor dem endgültigen Aus stand. Die erste Krise brockten sich die Vereins­ Verantwortlichen allerdings selber ein. Vor der Saison 85/86 prüfte das Finanzamt die Bücher des SERC und stieß auf Unregelmä­ ßigkeiten. Spielergehälter waren an der Steuer vorbei gezahlt worden, wohl in der ganzen Eishockey-Bundesliga üblich, des­ halb aber nicht minder rechtswidrig. Die Pleite schien unabwendbar. Sieben­ stellige Nachforderungen, abwandernde 268 Spieler und Negativ-Schlagzeilen in ganz Deutschland ließen das Schlimmste befürch­ ten. Doch die Vorstands-Mannschaft um den „Vater“ des Schwenninger Spitzen-Eis­ hockeys, Dr. Hermann Benzing, gab nicht auf. Mit viel Geld hafteten und büßten sie für ihre Fehler, die Stadt Villingen-Schwennin­ gen übernahm eine Bürgschaft, und ein neuer Hauptsponsor garantierte mit einem Blanko-Scheck für alle Fälle das überleben. Genau betrachtet verdankte es der SERC jenem Reiner Lang, Besitzer einer Maschi­ nen-und Anlagenbau-Firma in St. Georgen, daß die fünfte Bundesliga-Saison seit dem Aufstieg 1981 begonnen werden konnte. Sportlich spielte der SERC in dieser Sai­ son nur die zweite Geige. Platz acht nach der Doppelrunde, mit einer katastrophalen Aus­ wärts-Bilanz und einigen Glanzvorstellun­ gen vor eigenem Publikum. Unvergessen

bleibt dabei das 1:0 im restlos ausverkauften Bauchenberg-Eisstadion gegen den amtie­ renden Meister SB Rosenheim. In der Play-Off-Runde stand die Mann­ schaft von Trainer Billy Flynn dann doch kurz vor einer Riesensensation. In Köln ging es mit 3:3 in die Verlängerung, in der beim Eishockey bis zum „sudden death“, dem „plötzlichen Tod“ durch das nächste Tor, gespielt wird. Publikumsliebling Ray Cote „accu“ traf nur den Pfosten des Kölner Tores, dann schlug es auf der Gegenseite, hinter Matthias Hoppe, ein. Höhepunkt für das Image des Schwennin­ ger Eishockey bildeten aber die Länderspiele des deutschen Teams gegen die Schweiz in München und Zürich. Insgesamt vier Kufen­ künstler – Matthias Hoppe, Franz-Xaver Müller, Georg Holzmann und George Fritz – vertraten den SERC bei zwei Siegen und wurden in der Schweiz von über 1000 Schwenninger Fans frenetisch gefeiert. Der Verein plante die nächste Saison und wollte die Erfolgsleiter ein paar Sprossen höher klettern. Getreu der alten Schwennin­ ger Verbundenheit zu Kanada, dem Mutter­ land des Eishockeys, verpflichteten Manager Sana Hassan und der neugewählte Eishok­ key-Obmann Hans-Peter Reimer zwei Profis aus der nordamerikanischen Profi-Liga NHL. Doch dann kam, wenige Wochen vor Sai­ sonbeginn, der nächste Eklat. Hauptsponsor Reiner Lang kündigte dem Verein die Unter­ stützung auf. · Kennzeichnend für die Entwicklung: Der SERC erfuhr aus der Presse, daß im Etat für die Saison 86/87 plötzlich ein Loch von 200 000 Mark klaffte. In einer beispiellosen Aktion rettete der wohl bekannteste Export-Artikel des Kreises den wieder von der Pleite bedrohten Bundes­ ligisten. Vermittelt von Vorstandsmitglied Manfred Gruhl schrieb die Fürstenberg­ Brauerei aus Donaueschingen ihren Werbe­ Schriftzug auf die Trikots der Kufen-Cracks und ließ sich diese Ehre ebenfalls eine sechs­ stellige Summe kosten. Damit war der SERC zum zweitenmal innerhalb von weniger als einem Jahr knapp am Absturz ins Amateurlager vorbeige­ schliddert -der Sport konnte wieder die Hauptrolle übernehmen. Auf dem Eis zeig­ ten die Schwenninger dann, daß sie nicht län­ ger gewillt waren, die Punktelieferanten der höchsten deutschen Spielklasse zu sein. Zwar begann die Spielzeit mit einem 1:10-Nacken­ schlag in Landshut, doch dann lehrte die Truppe von Trainer Billy Flynn den Favori­ ten im heimischen Bauchenberg-Stadion gleich reihenweise das Fürchten. 3 :0 gegen Vizemeister Düsseldorf, 4:3 gegen Meister Köln -wäre die weiter eklatante Auswärts­ schwäche nicht gewesen, am Ende hätte mehr als der siebte Platz auf dem Papier ste­ hen können. Doch im Sport zählen eben nur die Punkte. Trotz der beiden überragenden Aus­ länder Tonie Currie und Don Dietrich – beide von den Fans sofort ins Herz geschlos­ sen, trotz eines wie immer treffsicheren George Fritz und des sicheren Matthias Hoppe im Tor, blieb wieder nur der in der Play-Off-Runde fast schon zur Routine gewordene Gang nach Köln. Der diesmal klaren Niederlage im Rhein­ land folgte ein nervenzerfetzendes Match im wieder einmal bis weit über die Grenzen sei­ nes Fassungsvermögens gefüllten Schwen­ ninger Eisstadions. Als die Schwenninger – wieder im „Sudden death“ -nach einer tollen Aufholjagd doch als Verlierer vom Eis gingen, war der Traum von einem zweiten Heimspiel wieder einmal geplatzt. Dabei sind es genau diese Heimspiele, die dem SERC die nötigen finanziellen Mittel für weitere sportliche Höhenflüge bringen sollen. Und genau in diesem Punkt sind in den nächsten Jahren die Verantwortlichen auf allen Seiten gefordert. Dem sportlichen Aus­ hängeschild des Schwarzwald-Baar-Kreises stünde ein größeres Stadion sicher gut zu Gesicht und könnte langfristig gesehen wei­ tere Existenz-Krisen des SERC vermeiden helfen. Andreas Lorenz 269

Hans-Peter Pohl Gold für einen Schwarzwälder Bub Den 19. Februar 1987, den 20. Tag nach sei­ nem 22. Geburtstag am 30. Januar, wird Hans-Peter Pohl aus Schonach nie vergessen. Und wenn in vielen Jahren jemand in den Annalen des Deutschen Skiverbandes oder der Geschichte der Weltmeisterschaften blät­ tert, dann wird er auf den Namen Hans-Peter Pohl zusammen mit Hermann Weinbuch und Thomas Müller stoßen: Deutschland wurde an diesem 19. Februar Weltmeister in der Mannschafts-Korn bination. Ein großer Tag, den zu rekapitulieren sich lohnt. Einen Tag zuvor hatten die Massen an der Schattenberg-Schanze schon gejubelt: Die deutsche Mannschaft war klarvor Norwegen in Führung gegangen. Und der überragende Springer war Hans-Peter Pohl, der zweimal 86,5 Meter in die Wertung brachte, durch seine Haltung bestach und 227,2 der insge- 270 samt 637,5 Punkte für das Dreigestirn des Deutschen Skiverbandes schaffte. 25,2 Punkte lag die Bundesrepublik vor Norwe­ gen, das bedeutete, daß sie am nächsten Tag 2.06 Minuten vor dem schärfsten Konkur­ renten auf die Strecke gehen konnte. In Fach­ kreisen wurde gerätselt: Würde der Vor­ sprung gegen die Klasseläufer aus dem Nor­ den, gegen Hallstein Boegseth, Trond Arne Bredesen und den überragenden Torbjörn Loekken ausreichen? Der Tenor der Meinun­ gen: Es wird, wenn überhaupt, ganz knapp. Hans-Peter Pohl war der schwächste Läufer im Trio, das wußte man. Von ihm, dem Jüng­ sten der Mannschaft, hing alles ab. Auch Hans-Peter Pohl wußte das. Seine Nerven waren angespannt wie die Sehne eines Bogens, ehe der Pfeil abgeschossen wird. Er mußte lange auf den „Abschuß“ warten. Zuerst war Hermann Weinbuch, der Weltmeister von Seefeld, auf die Strecke gegangen. Und der Berchtesgadener, im Ein­ zelwettbewerb noch unter den Folgen einer Infektion am Bein leidend, war in Topform. Als er nach der ersten 5-Kilorn eter-Runde im Skistadion vorbeikam, rannte Hans-Peter an die Strecke, feuerte ihn an wie die 40.000 begeisterten Zuschauer. Hans-Peter Pohl lief sich warm, versuchte, die Spannung in sei­ nem Körper zu verdrängen. Eine knappe Viertelstunde später: Hermann Weinbuch kam: ehe man ihn sah, hörte man den Jubel der Zuschauer. Bestzeit war er gelaufen, hatte Hallstein Boegseth 1,27 Minuten zusätzlich abgenommen. Als Hermann Weinbuch ihm den Klaps auf den Rücken gab, schnellte die Sehne des Bogens nach vorne. Vergessen war die Anspannung in Hans-Peter Pohl. Den Weg kannte er. Vom Training, aber auch von den Deutschen Meisterschaften kurz zuvor, bei denen er sich erstmals den nationalen Titel geholt hatte: Heraus aus dem Stadion, über die Stillach-Brücke zum Burgstall mit dem

ersten großen Anstieg, dann zur Viehweide, zu der es wieder bergauf ging, dann die Abfahrt über40 Höhenmeter zum Ried, rauf und runter wieder zur Stillach-Brücke, und dann der steilste Abstieg zum Freiberg und die längste Abfahrt zur Zimmeroy. Der Rest war problemlos bis ins Stadion -aber dann kam die gleiche Tour nocheinmal. Hans-Peter Pohl holte alle Reserven aus sich heraus. Die siebtbeste Zeit lief er auf sei­ ner Runde, behauptete die Spitze. Gegen den jungen Norweger Bredesen büßte er nur 1,42 Minuten ein, das beließ der deutschen Mannschaft weiterhin einen klaren Vor­ sprung vor Norwegen. Erschöpft, aber glück­ lich kam ein vom Publikum, darunter eine starke Schonacher Kolonie mit Bürgermei­ ster Albert Haas, Gunther Schuster und Ernst Sehmieder vom Ski-Club an der Spitze, begeistert gefeierter Hans-Peter Pohl ins Ziel. Thomas Müller machte mit der viertbesten Rundenzeit alles klar. Nur 41 Sekunden verlor die deutsche Mannschaft gegen Norwegen -nach dem großen Vor­ sprung beim Springen reichte das immer noch zu einem überlegenen Sieg mit fast 17 Punkten Vorsprung! Im Zielraum fieberte Hans-Peter Pohl dem Ende des Rennens entgegen. Für ihn gab es nach den 10 Kilometern kein Aus­ ruhen. Wieder rannte er zur Strecke, als Tho­ mas Müller von der ersten Runde zurück­ kam und noch klar in Führung lag. „Hopp Thomas, geh!“ feuerte er den Mannschafts­ kameraden an. Dann der unbeschreibliche Jubel, als es vorbei war. Hans-Peter Pohl war nur noch glücklich. Seine Worte sprudelten nur so in die Mikrophone der Reporter von Rundfunk und Fernsehen oder auf die Frage der Journalisten. Dann, als er endlich einmal allein war, als die Spannung endgültig aus dem Körper war, rannten ihm die Tränen über die Backen. Glückstränen waren es -sie mußten hinaus in diesem Moment des größ­ ten sportlichen Triumpfes eines so jungen Menschen. Es tat gut, sie los zu werden. Um so herzlicher konnte er hinterher, als es zur Siegerehrung ging, wieder lachen und seine spitzbübischen, aber nie ungezogenen Ant­ worten auf die tausend Fragen geben, die ihm gestellt wurden -darunter kluge und weniger kluge, fachliche und weniger fachliche. Hätte man eine Wahl nach dem sympa­ thischsten Sportler dieser Weltmeisterschaf­ ten veranstaltet – Hans-Peter Pohl wäre gewählt worden. Das Publikum hatte ihn ins Herz geschlossen, aber auch die strengsten Kritiker unter den Medienvertretern erfreu­ ten sich an diesem Bub aus dem Schwarz­ wald. Die Sympathiewelle, die ihm in Oberst­ dorf, erst recht natürlich nach den Weltmei­ sterschaften beim Empfang in seinem Hei­ matort, entgegen schlug, hat viele Gründe. Zunächst natürlich die sportliche Leistung. Erst zwei Jahre vorher war er Junioren-Vize­ weltmeister geworden, hatte den Sprung in die Seniorenklasse mit dem Wechsel von der 10-auf die 15-Kilometerstrecke sehr schnell geschafft, hatte vor allem als Springer ja auch gewonnen. Natürlich machten ihn diese Lei­ stungen schon zum großen Sportler in den Ergebnislisten. Sie brachten ihm Hochach­ tung ein. Doch man weiß: Nicht immer sind die Großen des Sports auch die Lieblinge der Zuschauer, der Anhänger einer Sportart oder einfach der Menschen, die Sport erleben. Zum Publikums-Liebling ist nach der Lei­ stung noch eine Hürde zu nehmen. Diese Hürde hat Hans-Peter Pohl auf Anhieb genommen. Nicht mit gekünsteltem Getue. Bei ihm ist alles echt: Das jungenhafte Lachen, der verschmitzte Witz, die Fröhlich­ keit, die er um sich verbreitet. Doch auch im Ernst wirkt er gewinnend. Zum Beispiel, als er nach dem Gewinn der Goldmedaille zuerst feststellte: „Es tut mir leid für Hubert Schwarz. Wäre er nicht krank geworden, säße er jetzt hier und nicht ich.“ Hubert Schwarz konnte in Oberstdorf wegen Pro­ blemen mit den Bronchien nicht starten. Ein ganzer Kerl, dieser „Bub“ aus dem Schwarzwald. Schonach kann stolz sein auf diesen Hans-Peter Pohl. Werner Kirchhofer 271

Siegfried Hirth Portrait eines Gewichthebers Am 4. 10. 1967 wurde Siegfried Hirth in Reschitz im Banat geboren. Sein Vater, Horst Hirth, war in Reschitz am Sportgymnasium als Diplom-Sportlehrer und Trainer der Gewicht­ heber beschäftigt und selbst aktiver Heber. Bis 1976 war die Familie in Reschitz und durfte am 13.12.1976 in die Bundesrepublik Deutschland als sog. Spätaussiedler ausrei­ sen, nachdem man 6 Jahre auf die Ausreise­ genehmigung gewartet hatte. Von Rumänien kam man über Lager in Zirndorf, Rastatt und Rottweil nach Donaueschingen. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit konnte Horst Hirth an der Realschule in Donaueschingen seinen Beruf als Diplom-Sportlehrer wieder aufneh­ men, den er heute noch ausübt. Anders ver­ lief der private Weg. Seitens der Gewichthe­ berabteilung des SV Donaueschingen, wurde man sehr schnell auf Horst Hirth aufmerk­ sam. Am 2. Tag nach seinem Zuzug in Donaueschingen, erschien er im Gewichthe­ berzentrum in Donaueschingen, seinen Sohn Siegfried im Gefolge, um dort zu trai­ nieren. Siegfried Hirth begann dann 1977 unter der Leitung seines Vaters mit dem regu­ lären Training. Dieses Training führte dann dazu, daß er bereits 1979 Deutscher Meister in der Schülerklasse über 45 kg Körperge­ wicht wurde. Es wurde damals nach einem Punktesystem gewertet und von 20 zu errei­ chenden Punkten erreichte Siegfried die 20, weit vor anderen Konkurrenten. Dieser Erfolg gab weiteren Ansporn, und 1980 reichte es zum 2. Platz bei der Deut­ schen Schülermeisterschaft.1981 wurde Sieg­ fried in der Kategorie über 168 cm Körper­ größe Deutscher Schülermeister. 1982 war er durch eine Nasenoperation gehandicapt und hatte nur vier Wochen Zeit zur Vorbereitung auf die Deutschen Meister­ schaften der B-Jugend. Trotz alledem er­ reichte er den 2. Platz mit einer Leistung von 96 kg im Reißen und 125 kg im Stoßen, bei einem Körpergewicht von 78 kg. 272 1983 wurde er in der Klasse bis 90 kg Kör­ pergewicht Deutscher Meister in der B­ Jugend und stellte 8 Deutsche Jugendre­ korde mit 125 kg im Reißen und 160 kg im Stoßen, bei einem Körpergewicht von 85,5 kg, auf. Nun wurde man seitens des Bundesver­ bandes Deutscher Gewichtheber auf ihn auf­ merksam, und seine Erfolge führten dann zu seiner Berufung in den C-Nationalkader. Von da an erfolgte seitens des B undesverban­ des eine lobenswerte Unterstützung. Man hatte es mit einem hoffnungsvollen Ge­ wichtheber zu tun. Es wird auch heute sei­ tens des Verbandes weitgehend Verständnis für ihn aufgebracht, wenn es um die persön­ lichen Belange von Siegfried Hirth geht, und er erfahrt von dort auch alle mögliche Unter­ stützung.

1984 wurde Siegfried Hirth in der A­ Jugend, das war eine andere Altersgruppe, Deutscher Meister und erzielte in der Klasse bis 90 kg bei einem Körpergewicht von 88 kg zwei Deutsche Rekorde mit 297,5 kg im Zweikampf und mit einer eigenen Verbesse­ rung auf 300 kg. Er hatte sich zwischenzeitlich im Deut­ schen Gewichthebersport einen Namen gemacht, und man hatte Respekt vor ihm. Im gleichen Jahr nahm er an der Junioren-Welt­ meisterschaft in Lignano/ltalien teil, wo er in der Europawertung den 8. und in der Welt­ wertung den 11. Platz belegte, zwei respek­ table Leistungen. 1985 folgte die Teilnahme an der Welt­ und Europameisterschaft in Edinburgh. Dort konnte er sich steigern und belegte mit einer Leistung vom 127 kg im Reißen und 172 kg im Stoßen in der Europawertung den 6. und in der Weltwertung den 8. Platz. Im Herbst des gleichen Jahres fanden die Deut­ schen Meisterschaften der Junioren statt, an der ihm die Teilnahme infolge einer hartnäk­ kigen Hauterkrankung versagt blieb. Diese Erkrankung klang wieder ab, so daß am 22. 3.1986 die Teilnahme an der Deutschen A-Junioren-Meisterschaft möglich war. Trotz eines enormen Trainingsrückstandes belegte er mit 142,5 kg im Reißen den 2. Platz hinter dem berühmten Gewichtheber Axel Stumpf, dem er dann im Stoßen mit gleicher Leistung von 185 kg bei geringerem Körpergewicht das Nachsehen gab. Diese Leistung zeugt von dem Talent und der Energie eines Sieg­ fried Hirth. Vom 24. 5. bis 2. 6.1986 fanden in Donau­ eschingen die Welt- und Europameisterschaf­ ten im Gewichtheben der Junioren statt. Für Siegfried Hirth, der an dieser Meisterschaft teil­ nahm, war das ein „Heimspiel“. Wer sich der Atmosphäre erinnert, wer die Stimmung beim Auftritt von Siegfried Hirth miterlebt hat, der wird das wohl nie vergessen. Mit 142,5 kg im Reißen und 180 kg im Stoßen zeigte er Nerven­ stärke und belegte in seiner Gewichtsklasse bis 90 kg in der Europawertung den 5. und in der Weltwertung den 7. Platz. Im Herbst des gleichen Jahres folgten die Deutschen Meisterschaften der B-Junioren in Neuaubing, und dort holte er sich den Titel des Deutschen Junioren-Meisters mit einer Leistung von 330 kg, und dieses gemei­ sterte Gewicht bedeutete gleichzeitig Deut­ schen Rekord, den er dann bei einem Kampf der l. Mannschaft der SV Donaueschingen in Mutterstadt am 7. 3.1987 auf 333 kg hoch­ schraubte. Im gleichen Kampf stieß er mit 190,5 kg Deutschen Rekord der Junioren. Am 2. 5.1987 startete er bei den Deutschen Meisterschaften der B-Junioren in Mutter­ stadt und wurde dort mit einer Leistung von 140 kg im Reißen und 180 kg im Stoßen Deutscher Junioren-Meister 1987, obwohl er an einer Grippe litt Bei voller körperlicher Fitneß, wären an diesem Tage 200 kg im Sto­ ßen drin gewesen. Siegfried Hirth ist aktives Mitglied der 1. Mannschaft der Gewichtheber des SV Donaueschingen. Mit seiner beständigen Form ist er einer der ersten Leistungsträger dieser Mannschaft Sein ständiger Betreuer ist sein Vater. Er hat einen auf Siegfried zuge­ schnittenen Trainingsplan entwickelt, der sechsmal in der Woche 4 112 bis 5 Stunden Training vorsieht, und das für einen Schüler, der ein Jahr vor dem Abitur steht Ohne die­ ses intensive Training, das schon fast an das eines Profis heranreicht, sind die von Sieg­ fried Hirth erbrachten Leistungen aber nicht zu erbringen. Mit dem Thema Schule ist schon die andere Seite des Siegfried Hirth angeschnit­ ten: In der Erich-Kästner-Schule in Donau­ eschingen besuchte er die Grundschule, und daran anschließend wechselte er in das Für­ stenberg-Gymnasium in Donaueschingen, wo er als guter Schüler gilt Der Zusammen­ hang von gesundem Körper und gesundem Geist, nach den Worten des Turnvaters Jahn, scheint doch zu stimmen, obwohl man sei­ nerzeit mit Sicherheit nie daran gedacht hätte, daß ein Mensch solche Lasten als Gewichtheber bewältigen wird. Das Abitur wird voraussichtlich 1988 folgen, dem sich dann der Wehrdienst bei der Bundeswehr 273

anschließen wird. Es bleibt zu hoffen, daß er zur Sportförderkompanie kommt und daß dort sein Talent weiter gefördert wird. Was treibt nun einen Gewichtheber wie Siegfried Hirth zu solchen Leistungen? Ist es Ehrgeiz, ist es persönliche Profilsucht? Bei ihm weit gefehlt. Wer ihn kennt, kennt ihn als einen freundlichen, fröhlichen jungen Mann, der stets ein Lächeln auf den Lippen hat, der bescheiden, höflich und zuvorkom­ mend ist, was ihn in seiner Persönlichkeit ganz besonders auszeichnet. Und dann ist da bei ihm noch ein außerordentliches Gefühl für Kameradschaft ausgeprägt, was ihn zu seinen sonstigen positiven Eigenschaften besonders wertvoll macht. Er hat immer einen Rat für Mannschaftskameraden bereit und ist trotz seines jugendlichen Alters in der Lage, anderen Mannschaftskameraden durch Aufmunterungen über ein Tief oder eine plötzliche Nervosität hinwegzuhelfen, wie es bei Gewichthebern in einem Kampf oder beim Training oft auftritt. Dazu kommt noch sein enormer Trainingsfleiß und sein absoluter Leistungswille, sein Kampfgeist, worin er vielen ein Vorbild ist. Er gibt nie auf. Es bleibt zu wünschen, daß Siegfried Hirth alle seine positiven Eigenschaften bei­ behält und daß ihm die Kraft und vor allem die Gesundheit erhalten bleiben, damit er von den Früchten seiner Mühen und Plage­ reien noch lange zehren kann. Anfang und Ende Anfang und Ende, das Stück in der Mitte, weit ist der Weg, viel tausend Schritte. Beginne das Spiel. Du siehst den Anfang, siehst nicht das Ziel. Die Gedanken sind bang, was wird es bringen, dies lange Leben? Lohnt sich das Mühen, lohnt sich das Streben? Zu tun ist vieles. Ein jeder Tag wird Arbeit bringen von früh bis spat. Freude und Lachen begleite den Menschen bei seinem Schaffen, bei seinem Denken … Die kleinen Dinge am Rande der Zeit sind die Schlüssel zum Tor der Ewigkeit. Margot Opp * Martin Stützler Der letzte Traum Begrab die Träume deines Lebens im tiefsten Dunkel jeder Nacht. Erfüllung, die erwartest du vergebens, dazu braucht’s nicht nur deine Kraft. Begrab dein Leben in den Träumen, wenn dir Erfüllung nicht vergönnt. Klage nicht, denn nicht versäumen wirst du deines Lebens End‘. Begraben werden Leib und Träume. Du wirst zu Staub, vom Wind verweht. Du findest Ruhe unter Bäumen, wo du geträumt, wo du gelebt. Margot Opp * 274

Erinnerungen Erlebnisse eines Badischen Soldaten bei dem Zuge Napoleons nach Moskau im Jahre 1812 Vorbemerkung: Dank einer zufälligen Begeg­ nung mit dem Lehrer Franz Xaver lsele wurde das leidvolle Schicksal des Dögginger Bürgers Kaspar Hasenfratz während des Rußlandfeld­ zugs Napoleons 1812 der Öffentlichkeit und Nachwelt bekannt. Von der Absicht geleitet, die grausame Wahrheit zum Nutzen für spätere Sol­ daten festzuhalten, zugleich als Wohltat für den Betroffenen und als Widmungfor Badens noch lebende Veteranen, schrieb lsele nieder, was ihm 1850 der 62jährige Invalide erzählte. Anläßlich der 100. Wiederkehr der Völkerschlacht bei Leip­ zig (1813) wurde 1914 das Andenken an den vom Krieg Gezeichneten zur Stärkung des Patriotis­ mus und des Gottvertrauens erneut wachgerufen. Ein Nachdruck des Werkchens wurde 1985 durch die Lackfabrik Emil Frei GmbH & Co., Bräunlingen-Döggingen ermöglicht. Von dem erschütternden, in seiner Ganzheit menschlichem Eifassen sich entziehenden Geschehen des Ruß­ landfeldzuges eifährt der Leser ein Einzelschick­ sal, das nachzuempfinden ihm möglich ist. Drei kurze Auszüge aus den Kapiteln: 1. „Die beiden Rekruten“ (S. 8 j), 7. „Das Schlachtfeld und der A ujbruch bei Witebsk „(S. 3 0) und II. ,,Der Über­ gang und die Schlacht an der Beresina“ (S. 42-47) werden im folgenden wiedergegeben. Karl Volk 1. Die beiden Rekruten. Eines Morgens hielt plötzlich vor unserm Hause ein berittener Gendarm, zog ein gro­ ßes Papier aus der Tasche und rief meinen Namen. Aus der nahen Scheuer, wo ich gerade Futter schnitt, sprang ich sogleich unter das Tor und erkannte in dem Strickrei­ ter einen Diener der Polizei, dem ich in unserm Gasthause früher schon oft das Pferd gehalten hatte. Sein finsteres Gesicht sagte mir sogleich, daß mir diesmal nichts Gutes bevorstehe, zumal mich dieser Mann noch nie mit dem eigentlichen Namen gerufen hatte. Auch erregte das unerwartete Zusam­ mentreffen mit Meßmer’s Bruder auf dem Kirchweg am Tage zuvor in mir schon eini­ gen Verdacht. Das Wetter war äußerst schlecht; schon längere Zeit lag über der Erde tiefer Schnee und jetzt regnete es gerade so stark, daß er zu einer spiegelglatten Fläche abschmolz, während in den Vertiefungen der Straße schmutziges Wasser stand. Bei solcher Witterung sollte ich verhaftet und transpor­ tiert werden. Der Strickreiter band mir beide Arme so fest über den Rücken, daß ich mich gar nicht mehr rühren konnte und die bluti­ gen Spuren seiner Unmenschlichkeit an mir lange noch sichtbar blieben. Er führte mich zuerst nach Horgen, woselbst meinen Bru­ der, der bei dem Schulzen dort diente, ein gleiches Schicksal erwartete. Unterwegs fiel ich mehrmals zu Boden, weil ich mich in den Banden fast gar nicht bewegen konnte. Der grausame Strickreiter kehrte sich indessen wenig daran. Im Wirtshause zu Horgen ange­ kommen, verfügte sich der Strickreiter eiligst zum Schulzen, um auch meinen Bruder zu binden, allein, als dieser mich an der Woh­ nung seines Herrn vorbeiführen sah, hatte er sich vor Schrecken in den Heustock ver­ steckt. Unterdessen reichte mir der Wirt ein Glas Wein-,-wdches-ich-abe–1′-nic:;ht-trinken konnte, da meine Arme noch immer gebun­ den waren. Es war aber ein alter Soldat da, welcher schon bei unserm Eintritte den Strickreiter gefragt hatte, ob ich vielleicht ein Dieb oder Mörder sei? Und als er erfuhr, daß ich bloß Soldat werden müsse, so band er mich auf, warf den Strick weg und sagte: „So behandelt man ja Mörder, nicht aber junge Burschen, die Soldat werden müssen.“ 275

7.Das Schlachtfeld und der Aufbruch bei Witebsk. Die kommende Nacht über biwakierten wir im Freien, so kalt und stürmisch es auch war. Am andern Morgen zogen wir über das Schlachtfeld. Gerechter Himmel, was sahen wir da! Tausende von Menschen lagen in ihrem Blute; viele davon waren schon ver­ schieden, andere starben erst jetzt. Man konnte es gut bemerken, daß viele erst in der Nacht infolge der heftigen Kälte und des Mangels an Hilfe gestorben waren. Ach! was mußten diese unschuldigen Opfer des napo­ leon’schen Ehrgeizes wegen nicht alles aus­ gestanden haben! -Kalt und stumm und starr lagen sie da, die gefalteten Hände und das entstellte Gesicht im Tode noch nach einer Kapelle gerichtet, welche sich, ein stum­ mer Zeuge solch‘ nie gesehenen Jammers, fast in der Mitte dieses Feldes erhob. Selbst die Tierwelt, könnte sie reden, müßte den Urheber solcher Szenen vor Gott anklagen; denn es sprangen noch Pferde ohne Reiter umher, denen ganze Körperteile wegge­ schossen waren und die in ihrem Schmerze wütend über Lebendige und Tote hinweg­ setzten. Auch Reiter, die noch im Sattel saßen, lagen samt den Pferden tot zu Boden. Doch, wenden wir den rnitleidsvollen Blick von dieser schauderhaften Szene, ihre Ver­ antwortung vor dem ewigen Richterstuhle Gottes demjenigen überlassend, der, wie Kinder ihrem Balle, fast ein halbes Jahrhun­ dert hindurch mit Menschenleben spielte. – 11.Der Übergang und die Schlacht an der Beresina. Nach so vielen Tagen der Drangsal komme ich endlich zu der Katastrophe mei­ ner Erzählung, zu dem schauervollen Über­ gang über die Beresina bei Sem bin oberhalb Borißow vorn 26. bis zum 29. November. Angekommen an den eisigen Ufern dieses ewig denkwürdigen Flusses, wurden sogleich einige Häuser abgerissen, um das nötige Bau­ holz zu den Brücken zu erhalten. Ich sah eine Abteilung Reiter durch die Wasser schwim­ men, welche mit ein paar hundert Mann 276 Infanterie, die auf eiligst zusammengeschla­ genen Flößen übergesetzt hatten, den Bau der Schiffbrücken sowie den nachherigen Übergang selbst gegen die rings auf uns ein­ dringenden Russen decken sollten. Herwärts des Flusses war unsere Artillerie aufgestellt. Die Pioniere standen bis an die Brust im Grundeis treibenden Wasser und kamen infolge dieser Erkältung in den folgenden Tagen meist alle ums Leben. Um 1 Uhr mittags war die erste Brücke fer­ tig, und sogleich setzte das zweite Armee­ korps hinüber und trieb die Russen in ver­ zweiflungsvollem Kampfe zurück. Für das grobe Geschütz und die schweren Muni­ tionswagen wurde eine zweite Brücke geschlagen. Durch die Last der übergehen­ den wurden die Brücken mehrmals un­ brauchbar und stürzten sogar ein, wodurch viele ihr Leben verloren. Am ersten Tage marschierten die Truppen in möglichst ge­ ordneten Reihen; am zweiten Tage aber ging alles durcheinander; ein fürchterliches Drän­ gen und Drücken entstand, und der verwirrte Knäuel von Menschen, Pferden und Wagen am Eingange der Brücken war schauderhaft. Jeder drang mit all‘ seiner Kraft vorwärts, kei­ ner wollte zurückbleiben, weil die Russen schon angefangen hatten, jenseits der Bere­ sina ihre Batterien aufzupflanzen. Der Starke stieß den Schwachen und wer fiel, wurde zer­ treten. Wir standen lange Zeit im Gedränge, bis wir auf die Brücke kamen und als es geschah, mußten wir uns tapfer wehren, um nicht über die Brücke gestoßen zu werden; denn statt eines Geländers waren nur runde Baumstämme auf beide Seiten gelegt. Ein vornehmer Oberst, der sich gerade mit mir auf die Brücke drängte, konnte mit seinem Pferde nur noch den Baumstamm erreichen, und da er nicht mehr umkehren konnte, so leitete er anfänglich sein Pferd ganz geschickt daraufhin, wurde aber durch einen gewaltigen Stoß der Hinüberziehen­ den endlich doch ins Wasser geworfen. Daß bei einer so grimmigen Kälte alle ins Wasser Gefallenen ihr Leben verloren, wird ein jeder sich leicht denken können, indem sie, wenn

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sie auch nicht ertranken, an den Folgen der Erkältung bald darauf starben. Kaum waren wir über die Brücke, so hob auch schon das Kanonenfeuer der Russen an und brachte den unauflösbaren Knäuel von Menschen vollends zur Verzweiflung. Noch in derselben Nacht wurde in einem niedrigen Gebüsche an der Beresina ein Lager auf­ geschlagen, welches die in ununterbroche­ nem Zuge Herübergekommenen aufnahm. Den 28. morgens mußten wir wieder über die Brücke zurück, dem Heere des russischen Oberbefehlshabers Ku tu so w entgegen. Die Brücke war immer noch gedrängt voll von Menschen. Wir stellten zwei Glieder auf und ließen niemand mehr herüber, bis wir übergesetzt hatten. Eine halbe Stunde von der Brücke wurden wir in Schlachtordnung gestellt, unser Bataillon, wie immer, auf den rechten Flügel. Vor uns stand ein Pferd an einem Wägelein angespannt, auf welchem ein Ball Sohlleder lag. Es trat ein Mann aus dem Gliede und wollte das Tier beiseite füh­ ren, aber indem er es am Zaume hielt, kam plötzlich eine Kanonenkugel und schlug dem Pferd zwei Füße und dem Mann ein Bein ab. Gleich darauf fuhr eine Granate daher und verwundete vier Mann an meiner Seite. Ich stand, das Gewehr bei Fuß, uner­ schütterlich; da kam plötzlich eine Flinten­ kugel und grub sich tief in den Schaft meiner Büchse ein. Unser Feind war in einem ganz nahen Gebüsche versteckt, weshalb wir ihn auch nicht sehen konnten. Zudem waren noch in einer mäßigen Entfernung auf einer kleinen Anhöhe die russischen Kanonen aufgestellt, aus denen fortwährend auf uns gefeuert wurde. Nachdem ein jeder von uns zu den fünfzig Patronen noch fünfzig wei­ tere gefaßt hatte, rückten wir sektionsweise in das Gesträuch vor. Da wurde mir eine zweite Kugel in den Tornister geschossen. Man machte wieder Halt und jetzt erhielt ich in den rechten Fuß einen Streifschuß, den ich jedoch zuerst kaum fühlte. Ich meinte bloß, der Nebenmann habe mich mit seinem Gewehre gestoßen. Mein Hintermann, wel­ cher P fa ff hieß, sah, daß ich blutete und 278 und rief: „Hasenfratz ist verwundet.“ Major Hauptmann Hufschmied Schwarz, welche in der Nähe standen, befahlen mir auszutreten und besichtigten schnell meine Wunde. ,,Dieser Mann hat sei­ nen Teil“, sagten sie, „er kann zurücktreten.“ Allein ich hielt den Schuß für nicht so gefährlich und blieb in der Schlachtreihe ste­ hen, um mich womöglich an dem Feinde zu rächen. Wir standen im Treffen von morgens 9 Uhr bis zum späten Abend. Ermunternd rief uns der brave Hauptmann von Zeit zu Zeit zu: „Nur tapfer vorwärts, meine Kin­ der!“ und gab auch durch seine eigene Uner­ schrockenheit den Soldaten ein gutes Bei­ spiel. Im Verlauf des Gefechtes kam ich ein­ mal, weil wir Jäger nicht in geschlossenen Gliedern, sondern nur zu zwei und zwei fochten, in den Schutz eines Gesträuches zu stehen, wodurch ich den Feind, der ganz gedrängt stand, immer näher auf uns anrük­ ken sah. Aber je näher er kam, desto schneller krachte meine Büchse und meine gutgeziel­ ten Schüsse streckten manchen voreiligen Russen jählings damieder. Ich kam in eine solche Hitze, daß ich mich um meine Mit­ streiter nicht mehr bekümmerte und daher ganz außerhalb der Linie beinahe ins Zen­ trum zwischen Freund und Feind zu stehen kam. Die Russen merkten endlich, woher die mörderischen Schüsse kamen und schickten zwei Kugeln an meinem linken Ohre vor­ über, worauf ich nun die Flucht ergriff und an dem Gewehre zu den Meinigen zurück­ stolperte, nachdem ich ihnen zugerufen hatte, daß sie auf mich nicht schießen sollten. Noch war aber der Kampf nicht beendet und dauerte mit steigernder Erbitterung bis zum Abend. Meine hundert Patronen waren bald verschossen, und ich war so gl�cklich, von einigen Kameraden noch einige zu erhalten; aber auch diese gingen bald wieder zu Ende, und ich hatte nun nichts mehr zu tun, als den müßigen Zuschauer zu spielen. Mit wahrer Kanibalenwut sah ich dem gegenseitigen Morden und Würgen zu, bis man endlich auf

dem rechten Flügel die Russen zum Weichen brachte, während wir auf unserem linken Flügel von ihnen zurückgeworfen wurden. Um nicht gefangen zu werden, zogen wir uns wieder an die Beresina zurück. Beim Vorbei­ marsch sagte der Hauptmann S c h w a r z zu mir: „Du bist ein braver Soldat, dir will ich helfen, wo ich immer nur kann.“ So sehr mich dieses öffentliche Belobigung auch freute, und so gut sie auch gemeint war, so konnte sie mir doch nur wenig nützen, weil derjenige, der sie sprach, selbst hilf- und rat­ los war und auf eine glückliche Zukunft ohnehin nicht mehr viel Hoffnung setzen konnte. Schon während des Treffens mußte ich mich, so oft ich vom Platze wollte, auf mein Gewehr stützen und bald darauf fing die Schußwunde an, mich immer heftiger zu brennen und zu schmerzen, daß ich zuletzt trostlos hinter meinem Bataillone zurück­ bleiben mußte; denn eiligst setzte es seinen Marsch zu den Brücken fort und ließ mich unbekümmert hinter sich zurück, indem ein jeder für seine eigene Rettung besorgt war. Erlebnisse eines Badischen Soldaten bei dem Zuge Napoleons nach Moskau im Jahre 1812. Nach mitgeteilten Notizen. Verfaßt und herausgegeben von Franz Xaver Isele, Lehrer. 1914 Druck und Verlag der Konkordia A. G. Bühl (Baden). 279

Prosa und Lyrik aus unserer Heimat Versuch einer Auflehnung im Offizierslager Ernst Roskothen erzählt: Dokument zu dem in Bad Dürrheim erschienenen Buch ,,Groß-Paris 1941-44. Ein Wehrmachtrichter erinnert sich“ Oktober 1944 wurde im POW-Offiziers­ lager Comrie (Schottland), das damals wie auch andere Camps durch eine Minderheit von NS-Fanatikern beherrscht wurde, der Kriegsrichter d. R. Ameis unerwartet zum britischen Lagerkommandanten gerufen. Dieser stellte ihm im Auftrag des Londoner Kriegsministeriums die Frage, ob er bereit sei, an einem britischen Pilotprojekt, nämlich der Errichtung eines ersten „Non-Nazi­ Camps“ für deutsche Offiziere mitzuwirken, die später beim demokratischen Aufbau ein­ gesetzt würden. Erst viel später hat Ameis erfahren, daß in London damals mehrere In­ terventionen für ihn wegen humaner Amts­ führung in Paris eingegangen waren. Ange­ sichts des zeitweise unerträglichen NS-Ter­ rors in den POW-Lagern, vor allem aber wegen der Bedeutung der ihm angebotenen Aufgabe nahm Ameis, ohne Einzelheiten über das neue Lager zu erfahren oder von den Briten zu irgendetwas Besonderem ver­ pflichtet zu werden, unter der Bedingung an, daß es im neuen Lager für die Teilnehmer keine Sondervorteile gebe. Er wurde gebeten, unter der Hand von 300 geeigneten Offizie­ ren eine Beitrittsunterschrift beizubringen. Mit einer Handvoll gleichgesinnter Kameraden ging Ameis mit der gebotenen Vorsicht ans Werk. Eine Aufdeckung konnte ihn, wie Beispiele aus jener aufgewühlten Zeit bewiesen haben, ebenso wie seine Helfer das Leben, jedenfalls schwere Mißhandlung kosten. Prüfstein seiner Auslese war die Frage nach der Toleranz gegenüber dem politi­ schen Gegner. Mitte November 1944 gelang es ihm, dem britischen Kommandanten die 300 Unterschriften zukommen zu lassen. Anfang Dezember wurden die Namensträ­ ger bei einem Appell ohne Nennung des Grundes aufgerufen und, ohne daß ein Ziel bekannt war, abtransportiert. Am Ort des neuen Lagers in Shap Wells an der westlichen Grenze von England zu Schottland (Cumberland) wartete auf die Ankömmlinge im Tal einer grünen, fast waldlosen Hügellandschaft ein altes, geräu­ miges Anwesen, einst gräfliches Jagdschloß, dann wegen der unweit gelegenen Schwefel­ quellen („Wells“) Bade-und Kurhotel, was es auch heute wieder ist. Man wußte nicht, daß Rudolf Hess hier eine Zeitlang interniert gewesen war. Doch die Freude wurde gleich nach Ankunft enttäuscht. Offenbar infolge einer Fehlleitung aus London war das Gebäude kurz vorher mit anderen deutschen Offizieren belegt worden, die erkennbar unter der üblichen politischen NS-Herr­ schaft standen und auf einen vorsichtigen Vorstoß von Ameis auch nicht bereit waren, die Ankömmlinge an der inneren Verwal­ tung des Lagers zu beteiligen. Ameis, der sich für den Auszug aus Com­ rie verantwortlich fühlte, nahm sich darauf ein Herz und ließ sich auf eigene Faust unter einem Vorwand beim britischen Verbin­ dungsoffizier des Hauses, Captain Henry, melden, um ihm mit allem Nachdruck dar­ zulegen, daß hier ein Irrtum vorliege. Schon in der Frühe des übernächsten Tages wurde die überaus mißhellige Lage durch Abtrans­ port der bisherigen Belegschaft bereinigt. Man atmete auf. Bei der nun folgenden Organisation des neuen Camps 13 schied Ameis, als Kriegs­ richter nicht mehr Offizier, sondern – 280

damals – Heeresbeamter, nach der Genfer Konvention für das Amt des Lagerleiters aus. Auf seinen Vorschlag wurde Major Fürst E.v.U., ein Verwandter der Windsors, zum Lagerleiter bestellt, ein schlanker, liebens­ würdiger Mann, der sich durch Gelassenheit und Stehvermögen auszeichnete. Ameis wurde sein Stellvertreter (Deputy); ihm blieb, schon wegen seiner Sprachkenntnisse und Auslandserfahrung, der ständige unmit­ telbare Verkehr mit den Briten vorbehalten. Seine Zusammenarbeit mit dem „Fürsten“ – so der damalige abgekürzte Sprachgebrauch – war ausgezeichnet. Die übrigen Funktio­ nen fielen an die „Mitarbeiter der ersten Stunde“, wobei das Verpflegungsamt unter Obtl. Wp. mit seinem Helfer Ltn. Wr. als Adjutanten von besonderer Bedeutung war. Der noch recht junge Ltn. der Lftw. Me. war als künftiger Ingenieur für alles Technische im Lager zuständig. Wie sich das gehört, bezog der Fürst „The Prince“, im jetzigen Hotelprospekt mit „Kronprinz von Würt­ temberg“ bezeichnet, mit einigen gleichaltri­ gen Offizieren, darunter dem bayrischen Obltn. Graf Ps., das „Fürstenzimmer“. Davon getrennt bewohnte sein „Deputy“ mit den Mitgliedern seines „Stabes“ die Stube 11. Dort liefen, einschließlich eines späteren kleinen Büroraums mit dem Ordo­ nanz-Offizier Bs., alle Fäden zusammen. Nach Belegung des Hauses um weitere 300 Mann trat noch Ltn. Graf Sehn. aus Preußen zur Stube 11 hinzu, in der, was auch sonst die Regel war, Kameradschaft, Disziplin, aber auch Humor herrschten. Bei der Fülle der Kapazitäten ließ sich schnell eine regelrechter Unterrichtsbetrieb in fast allen Sparten, etwa wie bei einer Volks­ hochschule, mit Abschlußzeugnis einrich­ ten. Es gab genügend Lehrkräfte und auch lernbegierige Schüler. Dazu gab es von Zeit zu Zeit Vorträge, u. a. von Prof Rr., musika­ lische Veranstaltungen, so vom Pianisten Li. und Violinisten Fr., „Bunte Abende“ und „Kasperltheater“. Man konnte hierzu die bri­ tischen Offiziere des Lagers als Gäste begrü­ ßen. Für Spiel und Sport war gut gesorgt. Auf Grund des Wehrsoldes, der in der Regel gut­ geschrieben wurde, konnte man sich durch einen Lagerbeauftragten wöchentlich Wünsche, vor allem für den Sport, erfüllen lassen. Innerhalb des Lagers galt die Zigaret­ tenwährung (Marke Chesterfield). Neben der Hilfe des CVJM, der eine Anschaffung von Büchern ermöglichte, sei noch der sonn­ tägliche Gottesdienst in einem eigens dafür hergerichteten Kapellenraum erwähnt. Die Verpflegung war gut und ausreichend; für die Betten gab es helle Bettlaken. In das interne Lagerleben griffen die Bri­ ten nicht ein. Es gab weder Zensur oder Beeinflussung noch Ersuchen um militä­ rische Auskünfte. So hat der Deputy nur sel­ ten den Kommandanten zu Gesicht bekom­ men, noch weniger der Fürst als Lagerleiter. Um so stärker war der tägliche Verkehr des Deputy mit dem Verbindungsoffizier Captn. Henry, einem gesetzten Schotten, dessen Einstellung von Verständnis und Wohlwollen getragen war. Vom Wehrkreis inspiziert wurde das Lager etwa alle 6 Wochen durch einen älteren Oberst , dessen Hauptanliegen es war, daß er in allen Räumen die Fenster halbgeöffnet vorfand. Etwa jedes Vierteljahr wurde das Lager ohne vorherige Bekanntgabe des Ter­ mins von Grund auf nach verbotenen Din­ gen wie Waffen, Munition oder Bargeld von einer Sicherungstruppe durchsucht, wobei die Insassen vorher das Gebäude zu verlassen hatten. Nach der Durchsuchung mußte sich die Truppe einer Leibesvisitation durch Vor­ gesetzte unterziehen. Erwähnt man noch die gelegentlichen Ausflüge in die Umgebung ab Ende Januar 1945 unter britischer Führung, zu denen ein einmaliges schriftliches Ehrenwort, nicht zu entweichen, erforderlich war, so stellt sich der berechtigte nachhaltige Eindruck ein, ange­ sichts des entsetzlichen Kriegsgeschehens zur damaligen Zeit an der Front wie in der Heimat sei Shap Wells ein wahres „Paradies“ gewesen, von dem man dem Durchschnitts­ Kriegsgefangenen gar nichts erzählen dürfe. Aber alles ist relativ; auch in Shap gab es 281

tan, der sich Offiziersrang wie Adelsprädikat zu Unrecht zugelegt hatte, mußte das Lager ebenso verlassen, wie einige junge Leutnants, die den britischen Offizier bei der morgend­ lichen Zählung in den Stuben trotz Verwar­ nung wiederholt mit dem Hitlergruß heraus­ gefordert hatten. Zweimal wurde der Deputy nach London zur Berichterstattung gerufen. Beim zweiten Besuch im März wurde ihm angedeutet, Lager 13 habe zu dem erhofften Erfolg geführt. In die Zeit der Einnahme des KZ Bergen-Belsen durch die Briten, von der man im Lager noch nichts wußte, fiel eine Inspek­ tion durch den schon erwähnten Oberst. Dieser hatte sonst bei der Verabschiedung, für die Briten keine Selbstverständlichkeit, dem Lagerleiter und seinem Vertreter stets die Hand gereicht. Bei diesem Besuch jedoch verweigerte er dies empört mit dem aus­ drücklichen Vergleich, wie grundverschieden Deutsche und die Briten, besonders in Shap, ihre Gefangenen behandelt hätten. Fürst und Deputy haben diesen beschämenden Auf­ tritt nie vergessen können. Bei seiner dritten Londoner Reise am 8. Mai 1945, dem „Viktory Day“, befand sich Ameis bereits auf dem Wege nach Paris. Dort bereitete die Regierung de Gaulle seine ehrenvolle Freilassung wegen humaner Amtsführung in Frankreich vor. So gelangte er zunächst nach Baden-Baden, dem Sitz der französischen Militärregierung, und nach Eheschließung dort mit einer Künstlerin auf dem Umweg über das Bonner Justizministe­ rium für immer ins badische Heimatland sei­ ner Frau mit Altersruhesitz in Bad Dürrheim. * Schattenseiten. Trotz der gemeinsamen Basis der Toleranz gab es, was sich sogar in den zwei Schichten des Mittagmahls deutlich abzeichnete, einen betont linken und rech­ ten Flügel, die sich untereinander und, vor allem im Anfang, auch der Lagerleitung erhebliche Schwierigkeiten bereiteten. Gemeinsam zu tragen waren Angst und Sorge um das Schicksal von Front, Heimat und Vaterland. Nur stand man, um mit Fried­ rich Bonhoeffer zu sprechen, vor der schrecklichen Wahl, entweder die furchtbare Niederlage der Nation, ohne defaitistisch der Gruppe in den Rücken zu fallen, mit Fassung hinzunehmen, damit die abendländische Weltanschauung bewahrt bleibe, oder aber den deutschen (End-)Sieg im Bewußtsein gleichzeitiger Vernichtung westlicher Kultur, vor allem persönlicher Freiheit zu wünschen. Etwa um die Zeit der Ardennenoffensive gab es noch einmal eine große Unruhe, nach­ dem ein älterer Stabsoffizier lauthals verkün­ det hatte, der Krieg sei noch nicht verloren, die Zugehörigkeit zu Lager 13 laufe auf Lan­ desverrat hinaus. Anlaß war eine britische freiwillige Fragebogenaktion, welche Maß­ nahmen zur Wiedererrichtung eines demo­ kratischen Deutschlands von den Insassen des Lagers für zweckmäßig gehalten würden. Nachdem die Lagerleitung hierzu erklärt hatte, das Lager gründe sich auf dem durch die Verfassung verbrieften Recht der freien Meinungsäußerung, jeder könne die Beant­ wortung der Fragen verweigern oder Über­ führung in ein anderes Lager verlangen, fiel der Aufstand wie ein Strohfeuer in sich zusammen. Glücklicherweise hatte die Lagerleitung schon im Dezember 1944, als sich allzu stürmische Auflösungserscheinun­ gen von links wie von rechts bemerkbar gemacht hatten, vom Lagerkommandanten ein Verbot von Änderungen an der Wehr­ machts-Uniform, wie Abtrennen von Rang­ abzeichen oder Anlegen von rot-weiß-roten Armbinden erwirkt. Ganz ohne Schwierigkeiten verlief das Leben von 600 Männern im besten Alter auf engem Raum auch sonst nicht. Ein Scharia- 282

Heidelbeeren Wer sammelt noch die Heidelbeeren? Ich meine nicht: am Rande des Waldweges im Vorbeigehen ein paar Heidelbeeren pflücken oder ein Kesselehen von der Größe, wie man es einem Kind zum Spielen mit Sand und Wasser schenkt, füllen, so daß sie für einen Kuchen reichen oder ein Dessert. Das meine ich nicht. Menschen meines Alters können sich noch des eher wehmütigen Gefühls erfreuen, zu den Letzten zu gehören, die aus eigenem Erleben in ihrer Erinnerung bewahrt haben, was Heidelbeeren holen bedeutete. „Holen“ hieß: eine wenn irgendmöglich größere als die erwartete oder sich selbst zum Ziel gesetzte Menge nach Hause zu bringen, einen Spankorb voll oder mehr, hieß für jede Familie, wenn Heu-und Getreideernte Zeit ließen, bis in den frühen Herbst hinein, mit der Mutter, später auch allein, in den Wald gehen, wenn Gras und Moos und Stauden noch die bloßen Füße und Schenkel benetz­ ten und man sich nirgends hinsetzen konnte, hieß im Wald ausharren, bis das „Geschirr“ gefüllt war, auch wenn es darüber Abend wurde. In sehr jungen Jahren konnte das „Zusam­ menmachen“ -so nannten wir es -zur Q!.ial werden. Die kleinen Kinderfinger waren für die endlos scheinende, gleichbleibende Arbeit ungeübt. Langeweile kann sich für Kinder zum Leiden steigern, wie es erst wie­ der in höherem Alter zu befürchten ist; wir suchten nach Tricks, stachelten unseren Ehr­ geiz an (,, Wer hat zuerst voll?j, halfen uns gegenseitig die Kännchen füllen, und es war am Ende doch nicht viel mehr als Selbsttäu­ schung. Da Heidelbeeren nicht alle zur gleichen Zeit reif werden, zupften wir die frühesten am Tag nach Peter und Paul einzeln mit den Fingern. „Beerlen“ nannten wir das, womit den vielen Beispielen ein weiteres dafür hin­ zugefügt wäre, welch differenzierte Sprache sich Menschen auf dem Lande für ihre Welt geschaffen haben. Wurden die grünen und roten Beeren seltener, nahmen wir die Raffel, wir raffelten aber mit Gefühl, wie man einem Kind die zerzausten Haare kämmt, ohne ihm wehtun zu wollen. Die Pflanzen sollten nicht leiden müssen, die Beeren nicht zwischen den Zähnen der Raffel und Blättern zer­ quetscht werden. Grobheit und Hektik nütz­ ten nichts, und wir fürchteten, die Fruchtbar­ keit der Stauden könne im nächsten Jahr gemindert werden. Wir liebten die Stauden, schon deshalb mißhandelten wir sie nicht, jeder von uns eine „anima naturaliter natura- li “ s . Dafür war uns auch die Natur gewogen. Ich erinnere mich nicht, daß die Hitze auf einem Kahlhieb uns zu schaffen machte, daß uns Gewitter aus dem Wald jagten, Schlan­ gen uns aufschreien ließen, wildernde Hunde uns erschreckten, Ameisen belästig­ ten uns kaum, den Stich einer Wespe über­ lebten wir, und die Wildtollwut kannten wir kaum dem Namen nach. Unser Naturver­ ständnis war, ohne daß wir es wußten, das Goethes. Uns war der Seelenfrieden von Hei­ ligenstatuen und die Gesundheit der Rehe geschenkt. Daß der Wald, unser Arkadien, einmal nicht mehr sein könnte, lag außer jeder Vorstellung. Seine Kraft, die Luft zu rei­ nigen, schien unerschöpflich, nichts konnte ihm gefährlich werden, geschweige denn ihm ans Leben gehen. So ungebunden wir uns auch verhielten: ohne einen Codex von Verhaltensweisen ging es nicht. Edle Wilde waren wir nicht, und die absolute Freiheit der Jäger und Sammler -wenn es sie denn gab -kehrte auch für uns nicht wieder. Nicht daß Grenz­ steine hätten beachtet werden müssen -eige­ ner Wald, Nachbars Wald, Gemeindewald, Sta.atswald: alles galt gleich, alles gehörte allen. So erlaubte es das ungeschriebene Gesetz. Da zur Sommerszeit die Wälder voll Menschen waren, achtete man jedoch das Revier (wir sagten: den Platz) der anderen und sah auf Abstand. Auch zu nahe an die Häuser ging man nicht. Nur mit den besten 283

Freunden räumte man einmal die gleiche Stelle ab, und auch nur ihnen verriet man die reichsten Plätze oder machte sich gemeinsam auf die Suche nach ihnen. Und glaubt man mir’s? Es kam vor:Junge Menschen begegne­ ten sich in den Heidelbeeren, schauten auf und wußten … Am Sonntag Heidelbeeren zu holen, hätte bedeutet, der eigenen Raff­ gier nachzugeben, sie aus Bequemlichkeit im Walde zu lassen, eine gütige Hand zurück­ weisen -könnte ein Winzer seine Reben im Weinberg verderben lassen? War uns im Wald der Mund nicht verbun­ den, so fanden die Beeren erst recht zu Hause als Marmelade und auf dem Mürbteig Ver­ wendung, in frischer Milch waren sie eine Delikatesse, sie wurden in Gläsern sterilisiert und im Winter zu Pfannkuchen gegessen, gedörrt wirkten sie als Medizin. Aus dem Saft wurde, manchmal mit dem der Brom­ beere vermischt, ein Wein, nach dessen selbst mäßigem Genuß das Gehen zu einer alle gei­ stigen Kräfte erfordernden, anstrengenden Angelegenheit wurde, das Reden dafür um so leichter fiel. Eine Jugenderinnerung von Max Rieple t Das alte Haus stand ein wenig von der Straße zurückgerückt auf einer Seite an einem kleinen Garten sich anlehnend. An seiner schlichten Front war eine Gedenktafel eingelassen, die daran erinnerte, daß der Schriftsteller Viktor von Scheffel einst hier wohnte. Oft bestaunte ich dieses Stück grauen Marmors mit geheimem Stolz, als ob es gleich einer hohen Auszeichnung unser Haus vor allen anderen hervorhöbe. Gleich neben der Tafel befand sich die schwere Haustüre. Schob man sie, die eigentümlich knarrte, auf, stand man in einem dunklen Hausflur, wie es unzählige gibt. Für mich barg er aber ein Stück Geheimnis, genauso wie die groben Hausdielen, bei denen ich Das alte Haus 284 Natürlich wurden die Beeren auch ver­ kauft. In einer Zeit, da selbst Handwerksmei­ ster ihr ganzes „Kapital“ im Geldbeutel tru­ gen, war die Sammelstelle im Dorf am Abend ein Treffpunkt für viele, das Heidel­ beergeld in vielen Familien eine notwendende Einnahmequelle, Mädchen kamen so zu ihrer Aussteuer. Als in unserer Jugend der Tauschhandel vorübergehend die Geldwirt­ schaft ersetzte, kamen in den Körben, in denen wir an Verwandte und Bekannte Hei­ delbeeren verschickten, Äpfel und Birnen zurück. Von den Flüchtlingen hörten wir in jenen trüben Tagen, sie äßen Beeren, um den Hunger zu stillen, da taten sie uns noch mehr leid, denn wir wußten, daß das nicht ging. Vieles von dem ist Vergangenheit, für alle Zeiten, wer kann es wissen? Nicht mehr allen würde es auffallen, gäbe es in einem Jahr überhaupt keine Heidelbeeren, sei es weil ein Reif ihre Blüte vernichtet hat oder sie sich nach einem überreichen Sommer im näch­ sten eine Pause gönnen. Müßten in zu dich­ ten Wäldern ihre Stauden ersticken, es wäre vielen kaum ein Achselzucken wert. Karl Volk genau wußte, welche heller knarrte und welche dunkler, und genauso wie die vielen Zimmer, die teils verschlossen und teils mir zugänglich waren. Eines davon, das kleinste, gehörte mir ganz allein. Da hing zwischen allerlei Bildern mein kleines Bolzengewehr an einer Mauer, und ein kleines Wolläffchen turnte an einer Gummischnur. Eine ganze Wand aber war beinahe zugedeckt mit Münchner Bilder­ bogen. Auf einem von diesen sägte sich das Bäuerlein munter den Ast ab, auf dem es sel­ ber saß. Dort jagte ein Schlittschuhläufer hocherhobenen Hauptes über das Eis, bis er, über seinen Hund stolpernd, in eine Spalte stürzte. Zwei Zauberer zeigten ihre Kunst-

stücke. Die Kerzen eines Lichterbaumes lie­ ßen ihr Wachs tropfen auf ein Schaukelpferd und auf die Nase einer Puppe, und bunte Kugeln spiegelten freudige Kindergesichter. Die Verse, die unter den Bildern standen, las mir mein Vater so oft vor, bis ich sie aus­ wendig konnte. Wie oft hatten er und ich in den vielen Zimmern des alten Hauses „Räu­ ber“ gespielt, mit unseren Flinten auf Feinde zielend, die nur in unserer Einbildung lebten und dabei manchmal eine Tasse oder ein Glas zertrümmerten. Und wie schön war es, am knisternden Ofen auf dem Kinderschemel zu Füßen des Vaters zu sitzen und ihn immer wieder zu bit­ ten: ,,Ach, Papa, noch so ein Märchen, bitte noch eins, aber weißt Du, eins, wo eine Hexe drin vorkommt und ein Räuber mit einem langen Gewehr.“ Kein Wunder, daß dann die Räuber auch des nachts in meinen Träumen waren und ich oft an meinem eigenen Schreien er­ wachte. Dann war die Traumwelt jäh versun­ ken. So versank auch eines Tages der Kinder­ traum des alten Hauses. Ein neues Haus sollte über der Straße drüben erstellt werden. Eines mit hohen Fenstern, Rolläden und Zentralheizung, wie mein Vater sagte. Die Neuerungen schienen mir fast ans Wunder­ bare zu grenzen, doch neben allem Staunen empfand ich eine unerklärliche Abneigung gegen diese Dinge. Nein, ich wollte über­ haupt nichts von diesem neuen Haus wissen, obwohl es mit seinen Sandbergen und Zie­ gelsteinhaufen ein herrlicher Spielplatz gewesen wäre. Drüben über der Straße wuchs es langsam empor, und ich belauerte es von der Speicherluke aus wie einen Feind. Die­ sen, meinen Speicher, in dem so geheimnis­ volle Kisten und Truhen standen, und um dessen Dachsparren emsige Spinnen ein schillerndes Netz gewoben hatten, wollte ich nicht hergeben. Hier oben würde ich mich verstecken, wenn meine Eltern mich in das neue Haus mitnehmen wollten. Dieser Tag kam früher, als ich dachte. Auf dem Dachfirst des neuen Hauses stand eines Morgens zum Zeichen des Richtfestes eine kleine Tanne, an der bunte Bänder wehten. Einen ganzen Tag lang wurde ein Fest gefeiert, bei dem jeder Maurer und jeder Zimmermann essen und trinken durfte, soviel er wollte. Es war kurz vor Weihnachten, da wurde für den Umzug auch mein Spielzeug ver­ packt: Der große graue Plüschreitesel, die Bälle, Säbel, Kreisel und das Gewehr. Nur die vergilbten Bilderbogen sollten an der Wand hängen bleiben. ,,Die passen nicht mehr in das neue Haus“, meinte meine Mutter. Ich wagte nicht zu widersprechen. Aber immer und immer wieder stand ich jetzt vor diesen geliebten Bildern, die ich verlieren sollte. Heute würde nun die erste Nacht sein, die wir in dem neuen Haus verbringen sollten. Ich drückte mich in allen Winkeln herum, immer wieder verstohlen in mein Kinder­ zimmer huschend. Vielleicht vergaßen mich meine Eltern. Es dämmerte schon in der klei­ nen Kammer. Die Bilder an der Wand waren nicht mehr zu erkennen, doch immer noch sah ich das Bäuerlein vor mir, den Schlitt­ schuhläufer und die Zauberer und den Christbaum. Und wie aus einer Retorte sich Seltsames erhebt, so sah ich noch einmal alles vor mir, was das alte Haus barg: den Keller, mit seinen Asseln und dem säuerlichen Geruch nach Schimmel, den dunklen Winkel unter der Treppe, den unheimlichen Speicher. Das Knarren der Dielen erklang mir wie ein zärt­ liches Lied. Auf einmal flammte das Stuben­ licht auf, und mit einem „Da ist ja der Bub! Das ganze Haus haben wir abgesucht!“ wurde ich fortgezogen. Wie fremd und kalt mein Zimmer war, obwohl es von einer Zentralheizung er­ wärmt wurde. Mit drohendem Donner ras­ selten die Rolläden nieder, während sich sonst die Fensterläden behaglich knarrend schlossen. Fremd schrillte die elektrische Hausklingel, wogegen die Flurglocke im alten Haus einen traulichen Klang gehabt hatte. Der frische Geruch von Farbe und Lack betäubte mich beinahe in jener ersten 285

Nacht. Lang lag ich schlaflos, bis endlich das alte Haus zärtlich seinen Giebel in meinen Schlummer neigte. Erst der Weihnachts­ abend versöhnte mich mit der neuen Umge- bung. Eine Mundharmonika lag unter dem Tannenbaum. Bald war das neue Haus erfüllt von Tönen. Hans und Franz – eine Humoreske Nach stürmischer Begrüßung und gegen­ seitigem Erkundigen, wie es gehe und stehe und ob auch in der Verwandtschaft alle gesund seien, lud der Gottesdiener den Eisenbahner zum Mittagessen ein. „Nicht mehr nötig“, lehnte Hans ab, ,,ich habe schon gegessen.“ ,,Ja, wann denn, wo denn?“ ,,Ha, bei dir!“ ,,Wie, bei mir?“ ,,An dem Tischehen da draußen.“ „Ja bist du noch gescheit? Was hast du da denn bekommen?“ Die ehrliche Haut wollte die Schwester nicht bloßstellen, andererseits aber doch der Wahr­ heit die Ehre geben: ,,Suppe, Gemüse und Kartoffeln“. ,, Was, kein Fleisch?“ ,,Nein, kein Fleisch.“ „Nicht möglich, in meinem Haus bekommen Hungrige kein Fleisch zu essen!“ Die Ansprache, die Franz daraufhin an die Schwester hielt, ist im Wortlaut nicht überlie­ fert, verbürgt ist aber, daß sie, als sie das Geschirr abräumte, neben dem Teller zwei Tafeln Schokolade fand – als Entschuldi­ gung und Dank von Hans. Karl Volk * Hans war Oberlokomotivführer und ein Original. Franz war Rektor einer Kloster­ schule, ebenfalls ein Original. Sie waren ver­ wandt, sogar gleichen Vaternamens. Hans besuchte Franz und zog die Glocke an der Pforte. Die ehrwürdige Schwester Pförtnerin fragte ihn nach seinem Begehren. Er wolle Herrn Pater Rektor besuchen. Wen sie ankündigen dürfe? Er heiße wie der Pater Rektor. Die Nonne meinte, sich mißver­ ständlich ausgedrückt zu haben, und fragte direkter, wenn auch in gleich freundlichem Ton: ,,Wie ist Ihr werter Name?“ ,, Wie der des Pater Rektor.“ Die fromme Frau wollte endlich wissen, mit wem sie es zu tun hatte, und wurde energisch: ,, Wie heißen Sie?“ ,, Wie der Pater Rektor.“ Aus diesem sonderbaren Heiligen war offensichtlich nichts Vernünftiges herauszu­ bringen; immerhin glaubte sie erkannt zu haben, daß er im Kopf nicht ganz klar war, vielleicht auch zum ziehenden oder fahren­ den Volk gehörte, wie es an Klosterpforten und Pfarrhaustüren nicht selten erscheint, und hoffte, dem Herrn des Hauses eine Pein­ lichkeit ersparen zu können und den Frem­ den am unauffälligsten wieder loszuwerden, indem sie ihn an das für solche Herrschaften bereitstehende Tischehen komplimentierte und ihm eilends eine Mahlzeit verabreichte. Gestärkt bedankte sich der merkwürdige Gast höflich, bat aber erneut, vom Pater Rek­ tor empfangen zu werden, er heiße nämlich wie dieser. Was blieb der armen, verwirrten Schwester anderes übrig, als den hartnäcki­ gen Fremden ins Besucherzimmer zu gelei­ ten und den hohen Herrn zu rufen? Mußte er eben sehen, wie er die Situation meisterte. Sie hatte getan, was sie konnte … 286

Eine Baumliebe auf der Baar Nicht daß ich mit meinem Lieblingsbaum gebrochen hätte. Von weitem grüße ich ihn noch wie einen alten Bekannten. Doch die Besuche sind seltener geworden. Aus der Feme will er mir unverändert erscheinen: Die kraftvolle Eichengestalt mit ihrer weitausla­ denden Krone, daneben die sanftgewölbte Silhouette des Magdalenenbergles, eines kel­ tischen Grabhügels. Beide zusammen, hin­ komponiert vor den lichten Horizont der Baarlandschaft, vor die Weißjuraberge der Alb oder vor das Nadelbaum-Meer des angrenzenden Schwarzwalds – von welcher Seite er in mein Blickfeld gerät, mein Baum versteht es immer noch, den Blick zu fesseln. Entdeckt hatte ich ihn auf einem meiner Streifzüge nach schönen alten Bäumen, Jahre bevor ich dem Beruf zuliebe dann in seine Nähe zog. Und schon die erste Begeg­ nung duldete keinen Zweifel mehr: Die Eiche am Magdalenenbergle gehörte zum Erlesensten, was meine Sammlung je zu bie­ ten haben würde. Bäume sammelte ich damals wie andere Leute Briefmarken, Bier­ deckel oder Schmetterlinge, freilich nicht nur als Liebhaber und zur eigenen Erbauung, sondern im Auftrag meines obersten Dienst­ herrn, des für Ernährung, Land- und Forst­ wirtschaft zuständigen Landesministers. „Bemerkenswerte Bäume im Großherzog­ tum Baden“ hatte bereits um die Jahrhun­ dertwende mit Unterstützung des Ministe­ riums der Justiz, des Kultus und Unterrichts der Großherzoglich Badische Geheime Hof­ rat und ordentliche Professor der Botanik Dr. Ludwig Klein gesammelt, und im Jahr 1911 hatte die Königlich Württembergische Forstdirektion ein „Schwäbisches Baum­ buch“ herausgegeben, bearbeitet von Forst­ rat Dr. Emil Speidel, »Mitglied des Kolle­ giums der Forstdirektion und bei derselben zur Vertretung der Sache des Heimatschut­ zes bestellt“, und Forstassessor Otto Feucht, einem der Begründer baden-württember­ gischer Naturschutzbewegung. Man hat sich die Bäume etwas kosten lassen hierzulande. 287

Die neuerliche Bestandsaufnahme sollte klären, was übrig geblieben war von den Baumoriginalen der Jahrhundertwende, von den“ Typen nahezu unverwüstlicher Lebens­ kraft“, von den »Kabinettstücken in ihrer Art vom wissenschaftlichen und vom künstleri­ schen Standpunkte“ (Ludwig Klein). Natur­ schutz, das war für Badener und Württem­ berger zunächst einmal und vor allem Baum­ denkmalschutz. Ihre Vorliebe für Altehrwür­ diges schloß Baumveteranen in sich ein. Schwarmgeister und Großgeister des Landes haben sie zu allen Zeiten besungen und bedichtet, und so finden selbst hinfälligste Baumgreise hier noch ihre Lobby. Baden­ Württem bergs Bäume heute: Verwendbar als hölzerne Hoffnungsträger der neuen Grü­ nen, als Bollwerke wider die Naturzerstö­ rung ebenso wie als Werbeträger für unsere Freizeitlandschaften, als solche bis unlängst fast so hoch im Kurs wie rote Bollenhüte. Damals auf meinen Streifzügen, als ich die Bäume aufzulisten, zu beschreiben und zu fotografieren hatte, war ich mir sicher, mit der Eiche am Magdalenenbergle meinen Idealbaum, den Baum schlechthin, gefunden zu haben. Die Eiche, Inbegriff ungebärdiger Natur inmitten einer uralten Kulturland­ schaft, Wächter am Fuße des hallstattzeit­ lichen Fürstengrabs, museales Relikt, Über­ bleibsel aus einer eichelmasttragenden Schweineweide der Zähringerstadt, jetzt Kontrapunkt in intensivst genutzter Feld­ flur, in Sichtweite ausufernder Siedlung. Bäume wie diesen hier glaubte ich aus Kind­ heitsträumen wiederzuerkennen. Einen ebensolchen hatte ich gezeichnet, als mich der Psychologe zwecks Vormerkung für den Staatsdienst einem Baumtest unterzog. Bäume wie dieser, so vertraute ich meinem Notizbuch an, verleihen einer Landschaft nicht nur räumliche, sondern auch histo­ rische Tiefe. Hatte man aus der Grabkammer nebenan nicht soeben sorgfältig behauene Eichenbalken geborgen und aus ihren Jahr­ ringen mit den Hilfsmitteln der Dendro­ chronologie das Todesjahr des Fürsten exakt datiert? Hatte sich nicht aus den pflanzlichen 288 Resten in den zum Hügel aufgeschichteten Wasen ein plastisches Bild derfrühgeschicht­ lichen Weidelandschaft rekonstruieren las­ sen? Ließ sich Heimatgeschichte bildhafter und sinnfälliger darstellen als in der Kompo­ sition von Eiche und Hügelgrab? Daß mein Baum auch einen Namen trug, erfuhr ich erst geraume Zeit nach meinem Zuzug. Bäume mit den Namen bedeutender Persönlichkeiten, zur bleibenden Erinne­ rung an Kriegs-und Friedensstifter, sind gewiß auch auf der Baar nichts Ungewöhn­ liches, wiewohl die allermeisten nach dem Zusammenbruch von 1945 bald wieder namenlos dastanden, sofern sie nicht gar im Eifer tätiger Reue gefallt und beseitigt wor­ den sind. Hätte man mir den Namen meiner Eiche sogleich nach meinem Wohnsitzwech­ sel hinterbracht, so wäre die Wiedersehens­ freude verhaltener ausgefallen: Mir Neubür­ ger hatte mein Baum geholfen, Wurzeln zu schlagen, mir die neue Umgebung wohn­ licher und behaglicher erscheinen zu lassen. »Poleneiche“, so stand es eines Morgens in der Zeitung, nenne der Volksmund meinen Baum. Eigentlich hätte ich gewarnt sein m üs­ sen. Bäume hatten ja nicht immer nur als Requisiten ländlicher Geborgenheit gedient. Spätestens die Gerichtseichen und -linden in meiner Sammlung hätten mich eines Schlim­ meren belehrt haben müssen. Hatten winter­ kahle Bäume den Malern nicht seit eh und je als Chiffren für Tod und Vergänglichkeit gegolten? Bäume von der Gestalt meiner Eiche, freistehend und mit reichlich Fern­ sicht ausgestattet, umflattert von schwarzen Unglücksvögeln, pflegten doch in üblen Zei­ ten stets auch dazu einzuladen, an ihren waagrecht streichenden Ästen Greuel und Gewalt, Justiz und Lynchjustiz zu praktizie­ ren. Man kennt die Bilder: Im Bauernkrieg, im Dreißigjährigen, im Hundertjährigen, in Kriegen zu allen Zeiten, standen derlei Bäume oft gerade recht, die Unterlegenen daran zu exekutieren. Bäume, Kronzeugen namenlosen Grauens. Mein Baum, von dem mir einst Idyllische­ res träumte,kannmirzum Alpdruck werden:

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und abrufbar gespeichert haben. Baumkultur, ausgehendes zwanzigstes Jahrhundert. trutzige Die jüngste Waldschadensinventur hat schließlich auch dies noch zu Tage gefördert: Der Zustand der Eichen hat sich, luftschad­ stoffbedingt, landesweit überdurchschnitt­ lich verschlechtert. Eiche, Sinnbild für Unbeugsamkeit, Lichtgestalt, urdeutscher Seelentröster: Sie, ausgerechnet, soll jetzt auch noch als Fiebermesser dienen für den angegriffenen Gesundheitszustand unserer Umwelt. Wie wird sich diese Gegen­ wart bloß im Innern meiner Eiche in Jahr­ ringfolgen niederschlagen? Erholt sich das Wachstum wieder, oder ist am Ende die Schwelle irreparabler Schädigung schon überschritten, im Baum schon angelegt? Die seltenen Besuche bei meinem Lieb­ lingsbaum gleichen mehr und mehr Kran­ kenbesuchen: Ein rascher, besorgter Blick in seine Krone, nach Dürrästen und Laubver­ färbung. Von Beileidsbekundungen ist vor­ erst abzusehen. Am liebsten grüße ich ihn derzeit aus der Feme. Wolf Hockenjos Ein Elendszug von Zwangsarbeitern, herbei­ getrieben aus den Arbeitslagern der Umge­ bung, erreicht die Anhöhe. Mitgeführt wird der Delinquent, dessen Verbrechen es war, in liebloser Zeit eine Bürgerstochter geliebt zu haben. Der Henker und seine Helfer sind Polen, die, willfährig gemacht durch Dro­ hung und Droge, den Landsmann abschrek­ kungshalber vor aller Augen in den Strick zu stoßen haben. Ein Gespräch über Bäume ist auch in die­ ser Stadt längst kein Verbrechen mehr. Doch frägt man nach der Poleneiche, so verstum­ men die Gespräche immer noch. Endlich unternimmt der Geschichts- und Heimat­ verein der Stadt einen Versuch zur Ehrenret­ tung meines Baumes: Frühzeitige Legenden­ bildung müsse zur Verwechslung des Schau­ platzes beigetragen haben. An einer Eiche, unter welcher Naziprominenz mit braunem Pomp nachweislich Vermählung, gefeiert habe, könne der Pole schlechterdings nicht gehangen haben; vielmehr müsse er an einer kaum minder kapitalen Eiche weiter west­ wärts gehenkt worden sein. Tut nichts – den mächtigen waagerechten Ast zuunterst in der Krone meines Baums hat unlängst einer abgesägt, weshalb das städtische Gartenamt Anzeige gegen Unbekannt erstattete. Die Eiche am Magdalenenbergle hat für mich seitdem nicht nur den Ast, sie hat auch an Gesicht verloren. Grillfreunde, auf der Suche nach Brennmaterial, haben den Stamm mit Äxten malträtiert. Jetzt hat sich auch der Technische Ausschuß des Stadtrats meines Baumes angenommen: Gegen Vandalismus war ein Exempel zu statuieren. Also rief man nicht nur den Baumchirurgen auf den Plan, sondern beschloß, das Baumdenkmal mit einem Schutzzaun zu versehen. Nun steht es, geschützt vor Freund und Feind, bis an den Kragen hinter Gitter. Übermannshohe Eisenstäbe, die Krallen nach außen gekrümmt, verströmen seither einen Hauch von Stammheim um den Stamm. Die Maße meines so geschützten Baumes, seine beson­ deren Kennzeichen, denke ich, werden sie bei der zuständigen Behörde datengerecht 290

Jürgen Henckell: Modeme Lyrik Aus der Gedichtsammlung: ,,Beschreibung einer Randlage“ Blick über die Grenze Uniformen davor und dahinter – Zoll für Zoll Europa: Seit Kreta auf der Hut vor dem Stier, vor Entführung und olympisch Vergewaltigung. [vermummter Dahinter wieder Grenzen mit Uniformen davor und dahinter. Umgekehrt aber das gleiche, um nicht dasselbe zu sagen. Bei weniger sagenhaftem Grenzverkehr werden unverzollte Worte eins zu eins gewechselt: Hallo! Grüetsi und Bon jour! Dahinter die durch eine Linie erdoberflächlich scharf fixierte Fremde, wörterbuchstäbliche Fremdheit. Dahinter Berge und alpenglühendes Mißtrauen vor Überheblichkeiten oder Unterwanderungen oder schlecht übersetzter Nachbarschaft. Bergreiche Rundhorizonte verführen – was kein Heimatblatt meldet – zur Froschperspektive. Die Pässe sind bestenfalls Übergangslösungen für ein ungenügendes Dahinterkommen. Flugzeuge kommen besser darüber hinweg. Bodenseestunde Inmitten des schwimmenden Goldes ein Boot – und lautlos geworfene Netze vergittern die gleißende Stunde der Perlen, Smaragde und Aquamarine, gezählt von den Wellen für endliches UferVergessen – bis Wolken die dort von der Sonne geöffnete Schatztruhe schließen. Die Blätter der Ruder verteilen die letzten Rubine – Dahinter Menschen mit ihrer selbstgewebten Geschichte dahinter, vor deren fadenscheinig gewordenen sie vergeblich gewarnt werden – Nicht erst seit dem Bilderteppich von [Mustern Ein Brückenlicht blinzelt: Dem Boot bleibt von allem Geschmeide nur schuppiges Silber, ein graues Erblinden des Tages und schmierig wie geizig gegebene Münzen. wird an solchen FortsetzungsTraumen von Frauen mit blutenden Fingern Kette um Kette weiter gestickt – – Verwandelte Hoffnung von Fischern, die Netze aus Wunschträumen knüpfen. [Bayeux 291

An die hermetische Lyrik Der Fremde will das Wort zurück, das ohne Umweg zu ihm spricht – denn eingeschlossen bleibt der Inhalt dunkel, jede angebotene Begegnung ohne Schlüssel Unbekanntschaft. Zeitgeist der verwirrten Botschaft – Zwischen Ausgangsort und unbestimmtem Ziel kein Ariadnefaden, bestenfalls ein Stück von ihm im Blattwerk des getarnten Zugangs wie der Nachlaß von gestörten Schlingenstellern hängend: Ungenutzte oder abgerissene Verbindung. Wortlos wendet sich der Fremde ab und geht davon – Aus unbetretnem Labyrinth blickt statuarisch ihm der Marmor nach und bleibt den Selbstgesprächen überlassen. Angesichts anderer Ufer (In einem Bodenseehafen) Die Masten der schlingernden Boote winken zur Überfahrt – aber durchkreuzen zugleich die anderen Ufer Segel markieren an Wendepunkten vor legendärer Weite die Grenzen geglaubter Freiheit. 292 Es kümmert die Möwen nicht, welches Ufer sie füttert, ihr Streit um die Brosamen kreischt unpolitisch. Nur die Kiele der Boote berühren zuweilen den Grund, der Länder verbindet und wirbeln den Schlamm des Verweslichen auf. Der See lügt das Blaue vom Himmel herunter und nährt einen geschmälerten Traum. Muschelkalkhöhle am Lehrpfad Zwölf Knabenlängen tief in versinterter Höhle kein Stalagmit, dem ein verkalkter Barbarossa anzudichten wäre – nur ein Stahlhelm von Fünfundvierzig ans Ohr gehalten läßt Kampfeslärm oder auch Herzklopfen hören – Die Rhythmen verfälschter Berichte. Es schweigt das Geröll zerfallener Jahre sich über verschüttete Irrtümer aus. Mit den fallenden Tropfen erhärten sich andre Beweise. Auf die Felswand des Einstiegs hoch über dem nutzlosen Wortspiel des Echos werden die Fiedern des Farns von der Sonne gezeichnet: als Rippen so dunkel wie Zeilen zu lesen – Es sei denn der moderne Rest des gerissenen Seiles erzählte schon alles.

Zur ersten Enttäuschung von Knaben gehört die Zerstörung der Sagen. Ganz einfache Zeichen Wenn die stille Flut der Schatten bis zum Rand der Berge steigt – und die Talfenster venetisch zu blinzeln beginnen, leuchten die Zeiger und Ziffern der Turmuhr über den Dächern schwebend gezirkelt herüber – Als das noch ganz neu war, sagte bei uns ein Kind: Da­ unsere Zeit hängt in der Luft! Am hellen Tag, der alles sichtbar erklärt, sieht es niemand. II Manchmal zeigt jedes der Zifferblätter rund um den Turm eine andere Zeit an, so daß auch dann niemand weiß, woran er ist. Als das einmal zutraf, sagte bei uns ein Mann: Da- jede Himmelsrichtung hat ihre eigene Stunde, aber durch einen Fehler im selben Triebwerk weiß keine von ihnen, welcher sie früher oder später schlägt. III Beide – das Kind und der Mann, empfanden das gleiche: Ein haltloses Schweben im Raum, die Ver-rücktheit der Zeit nur durch falsche Impulse oder schadhafte Unruhen als Regler. Manchmal sprechen ganz einfache Zeichen. Hinter dem Bergrücken nördlich (Manchmal das Früher) Diese Erinnerung – nur ein zerknittertes Foto: Da nistet der Torfrauch in Reetdächern über von Fachwerk gegliederten Mauern und einer im Torsturz verwitterten selten gelesenen Warnung für streunende Geister – Die Blüten des Holderbaums riechen wie immer nach Katzenverstecken Durch Fenster im Blattwerk der Linden tilgt goldgelber Honig der Sonne die Wunden geräderter Wege um Bienen für Tänze zu täuschen – Am brüchigen Zaun Noldes leuchtende BlumenSignale als Leihgaben vor dem von Wolkengebirgen erdrückten und nichtigen Fluchtpunkt verkrauteter Wege und Gräben. Ein über geklinkerte Straßen in Birkenbegleitung erreichbares Bild: Diese Wahrheit der einfachen Dinge als eine verschlissene MoorPastorale so alt wie die Frau die sich über den Ziehbrunnen beugt und im Eimer ein lange verrostetes Koppelschloß findet – sich aber an nichts als nur Arbeit erinnert. 293

Verschiedenes Personen und Fakten Dr. Hansjörg Häfele, Wahlkreisabgeord­ neter im Deutschen Bundestag, ist mit der Bildung der Bundesregierung Kohl am 12. 3.1987 erneut zum Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen ernannt worden. S.O. Joachim Fürst zu Fürstenberg ist am 29.10.1986 in Anerkennung seiner Ver­ dienste um die Universität Konstanz die Würde eines Ehrensenators verliehen wor­ den. Gerhard Hagmann, Bürgermeister von Bad Dürrheim, wurde am 29. 3.1987 für eine weitere Wahlperiode von 8 Jahren wiederge­ wählt. Für den Alleinkandidaten wurden 96,06 % der gültigen Stimmen abgegeben. Die Wahlbeteiligung betrug 46,09 %. Severin Kern, langjähriger Oberbürger­ meister der ehemaligen Stadt Villingen und Ehrenbürger der Stadt Villingen-Schwennin­ gen ist am 24. 12. 1986 im 87. Lebensjahr ver­ storben. Die Persönlichkeit des Verstorbenen, der sich auch um den Kreis verdient gemacht hat, wurde im Almanach 1981 auf Seite 151- 153 gewürdigt. Dr. Ralf-Dieter Krüger, seit März 1985 Leiter der Fachhochschule für Polizei in Vil­ lingen-Schwenningen, ist mit Wirkung vom 1.12.1986 zum Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Stuttgart beru­ fen worden. 294 Neuer Rektor der Fachhochschule für Polizei ist seit 1. 5.1987 Dr. Eduard Verman­ der, der zuletzt Präsident der Polizeidirek­ tion Stuttgart II war. Gottlieb Rombach, seit 1981 ehrenamt­ licher Kreisbrandmeister des Schwarzwald­ Baar-Kreises, wurde vom Kreistag für die Jahre 1986 bis 1991 erneut zum Kreisbrand­ meister bestellt. Das diesjährige Treffen mit einer Delega­ tion aus dem Kanton Schaffhausen unter Leitung von Herrn Regierungspräsident Ernst Leu fand am 19. 8.1987 im Schwarz­ wald-Baar-Kreis statt. Nach dem Besuch der neuen Schule für Körperbehinderte im Stadtbezirk Villingen stattete die Besucher­ gruppe in Begleitung von Vertretern der im Kreistag vertretenen Fraktionen einen Besuch im Franziskaner-Museum ab. Ein weiterer Besuchspunkt war die Stadtbiblio­ thek und die Kreisergänzungsbücherei im Stadtbezirk Schwenningen. Den Abschluß des Besuchstags bildete eine Information in Bad Dürrheim über die kurörtliche Entwick­ lung dieses nicht nur im Schwarzwald-Baar­ Kreis bekannten Kur- und Erholungsortes. Neben den fachlichen Gesprächen gab der Besuch Gelegenheit, die seit Jahren bestehen­ den freundschaftlichen Beziehungen zu ver­ tiefen.

Orden, Medaillen Nachstehende Personen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis wurden seit Juni 1986 ausgezeichnet: a) mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland: (Abkürzung: BVK I. Kl. = Bundesverdienstkreuz I. Klasse BVK a. B. = Bundesverdienstkreuz am Bande BVM = Bundesverdienstmedaille) Dr. Pfäffle, Helmut Roser, Rosa Günther, Karl Günther, Ekkehard Dury, Bernhard Frank, Johann Limberger, Anna Schreiber, Lydia Bomhauser, Rudolf Walter, Ria Hummel, Helene Dold,Josef 23. 06.1986 10. 07.1986 25. 07.1986 25. 07.1986 08.09.1986 09. 10.1986 05.01.1987 22.01.1987 22.01.1987 02.02.1987 27.02.1987 31.03.1987 BVK I. Kl. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVK a.B. BVM BVM b) Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg: Berberich, Adam 09. 05.1987 St. Georgen Triberg-Nußbach Donaueschingen Donaueschingen Bräunlingen Villingen-Schwenningen Donaueschingen Donaueschingen Vöhrenbach Villingen-Schwenningen Villingen-Schwenningen Vöhrenbach Villingen-Schwenningen Bevölkerungsentwicklung 7737 Bad Dürrheim 7712 Blumberg 7715 Bräunlingen 7734 Brigachtal 7735 Dauchingen 7710 Donaueschingen 7743 Furtwangen 7741 Gütenbach 7713 Hüfingen 7744 Königsfeld 7733 Mönchweiler 7732 Niedereschach 7742 St. Georgen 7741 Schönwald 7745 Schonach 7740 Triberg 7201 Tuningen 7731 Unterkirnach 7730 Villingen-Schwenningen 7741 Vöhrenbach Kreisbevölkerung insgesamt Stand Wohnbevölkerung 1.1.1987 1.1.1986 10.450 10.350 9.878 9.862 5.402 5.394 4.971 5.005 2.859 2.788 18.223 18.073 9.773 9.603 1.416 1.406 6.442 6.353 5.379 5.369 2.986 2.982 4.640 4.572 14.462 14.238 2.424 2.434 4.656 4.695 5.803 5.805 2.193 2.198 2.441 2.444 76.303 76.155 3.954 3.950 194.211 194.120 in % + 1,0 -0,2 -0,1 +0,7 +2,5 +0,8 -1,7 +0,7 + 1,4 +0,2 -0,1 + 1,5 -1,5 -0,4 -0,8 Veränderungen in Zahlen + 100 16 8 + 34 + 71 + 150 -170 + 10 + 89 + 10 4 + 68 -224 10 39 + 2 5 + 3 -148 4 – 91 0 -0,2 +0,1 -0,2 -0,1 -0,05 295

Ausländer in Zahlen Stand 31. 3. 1987 Gemeinde Ausländer davon insgesamt Türken Jugo- slawen Italiener Sonstige Ausländer- anteil in% 4,5 10,7 9,5 4,4 3,9 7,1 9,3 2,3 8,2 3,8 8,8 4,1 11,6 2,0 6,9 9,1 6,9 8,3 12,5 12,1 205 199 87 73 54 412 174 5 79 108 66 74 364 15 51 158 21 71 2.333 35 4.584 476 Bad Dürrheim 1.060 Blumberg 515 Bräunlingen 221 Brigachtal 114 Dauchingen Donaueschingen 1.309 901 Furtwangen 32 Gütenbach 530 Hüfingen 205 Königsfeld 263 Mönch weil er 191 Niedereschach 1.662 St. Georgen 49 Schönwald 322 Schonach 534 Triberg 152 Tuningen 173 Unterkirnach Villingen- Schwenningen 9.592 481 Vöhrenbach Gesamt 18.782 17 535 375 73 12 284 216 2 227 18 11 50 215 13 35 179 23 60 156 304 24 33 27 311 306 1 82 63 104 56 496 15 130 118 7 12 99 22 29 42 21 302 205 24 142 16 82 11 587 6 106 79 101 30 1.857 170 4.372 3.491 154 5.889 1.911 122 3.937 In Oberkirnach · Zeichnung Dr. Asifäller 296

Ergebnisse der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 im Wahlkreis Nr. 190 Schwarzwald-Baar Wahlberechtigte Wähler darunter mit Wahlschein davon Briefwähler ungültige Erststimmen gültige Erststimmen davon für Dr. Hansjörg Häfele Christa Lörcher Siegfried Papst Wolfgang Kaiser Jürgen Schützinger Bertram Herzog Eberhard Schaeufele ungültige Zweitstimmen gültige Zweitstimmen davon für CDU SPD FDP/DVP GRÜNE Zentrum Mündige Bürger FRAUENPARTEI MLPD NPD ÖDP Patrioten Wahlkreisabgeordneter: Dr. Hansjörg Häfele (CDU) CDU SPD FDP/DVP GRÜNE NPD Patrioten Kennwort: FRIEDEN 142.664 115.807 (81,18 %) 11.281 (9,74%) 10.987 (9,49 %) 1.801 (1,56 %) 114.006 (98,44 %) 64.101 (56,22 %) 30.344 (26,62 %) 6.162 (5,40 %) 10.029 (8,80 %) 2.893 (2,54 %) 115 (0,10 %) 362 (0,32 %) 1.421 (1,23 %) 114.386 (98,77 %) 55.730 (48,72 %) 30.712 (26,85 %) 14.026 (12,26 %) 10.356 (9,05 %) 146 (0,13 %) 140 (0,12 %) 338 (0,30 %) 63 (0,05 %) 2.403 (2,10 %) 390 (0,34 %) 82 (0,07 %) 297

Farbaufnahmen und Fotonachweis Die Farbaufnahme auf der Titelseite stammt von German Hasenfratz, Hüfingen. Motiv: Der Muslenplatz im Stadtbezirk Schwenningen. Beim Farbbild auf der Rück­ seite handelt es sich um die Ansicht der größ­ ten Kuckucksuhr der Welt in Schonach (vgl. auch gleichnamigen Beitrag von Herbert Dold im diesjährigen Almanach, S.195-197). Die Aufnahme auf Seite 21 entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung des Theiss­ Verlags dem Buch „Die Ge chichte Baden­ Württembergs“, herausgegeben von Reiner Rinker und Wilfried Setzler – Stuttgart: Theiss, 1986. Foto-Nachweis für die weiteren Aufnah­ men im Innern des Jahrbuchs: Soweit bei den einzelnen Beiträgen die Bildautoren nicht namentlich hier angeführt werden, stammen die Fotos jeweils vom Verfasser des betreffen­ den Beitrags. Mit Fotos sind ferner im Alma­ nach vertreten (die Zahlen nach der Auto­ renangabe beziehen sich auf die jeweilige Textseite}: Otto Kritzer 5, 7, 8, 31, 34, 45, 189; Archiv Stadtverwaltung Villingen-Schwen­ ningen 11, 12; Werner Müller 16; Pressestelle der Albert-Ludwig-Universität Freiburg 17; Bildarchiv Museum Altes Rathaus Villingen 20; Georg Goerlipp 25, 26, 27, 29, 130, 144, 145, 146, 147, 148; Archiv Fachhochschule Furtwangen 39, 41; Bildarchiv IHK 48; Revellio Foto-Studio 61, 62; Bildarchiv Papst-Motoren 63, 64; Manfred Braig 65, 101; Archiv Fa. ANUBA 67 (Aufn. freigegeben R WG Oberbayern G 4/29351), 68, 69; Foto­ Stötzel 93, 94, 217, 218; Bildarchiv der Bayeri­ schen Staatsbibliothek München 111; Stadt­ archiv Villingen 113, 118; Hauptstaatsarchiv Stuttgart 128; Eberhard Glatz 137; Archiv Aribert Hoch 139; Foto-Günter 150, 224, 225; Archiv Kath. Pfarramt Blumberg 154, 155; Ingo Dewald-Werner 201; Foto-Grill KG 229, 237, 261; Klemens Reiner 231; Werner Sasse 233; Uwe Berner 243; Dieter Reinhardt 268; Bildarchiv Bürgermeisteramt Schonach 270; Rolf Feser 272; Georg Güntert 287. 298

Die Autoren unserer Beiträge Althoff, Dr. Gerd, Professor, Domplatz 20-22, 4400 Münster Altmann, Gerhard, W ilstorfstraße 56, 7730 V i 11 in g e n -Schwenningen Baumann, Siegfried, Bürgermeister, Fohrenweg 16, 7731 Unterkirnach Benzing, Otto t, Weilerstraße 24, 7214 Zimmern-Flözlingen Biermaier, Ernst-Peter, Regierungsdirektor, Talstraße 30 A, 7710 Donaueschingen Bischof, Lucia, Bismarckstraße 14, 7744 Königsfeld Bühler, Hansjürgen, Dürrheimer Straße 36, 7710 Donaueschingen Conradt, Uwe, Friedrichstraße 36, 7737 Bad Dürrheim Dinius, Dr. Gerhard, Professor Ing., Rabenstraße 34, 7743 Furtwangen Dold, Herbert, Hauptstraße 19, 7741 Schönwald Dold, W ilfried, Redakteur, Waldstraße 13, 7741 Vöhrenbach Dreier, Rudolf-Werner, Markenhofstraße 9, 7815 Kirchzarten Dury, Cäcilia, und Hertkorn, Uta, Untere Gerbe 9, 7715 Bräunlingen Erdtrnann, Karin, Journalistin, Zum Hahnenberg 22, 5068 Odenthal-Glöbusch Faller, Robert, Rektor, An dem Sturmbühl 5, 7734 Brigachtal-Kirchdorf Falk, Helmut W., Bavariaring 44, 8000 München 2 Fehrenbach, Karl, Bregenbach 5, 7743 Furtwangen-Neukirch Fischer, Hans-Werner, Dipl. Bibliothekar, Hausacher Straße 5, 7730 Villingen-S c h w e n n i n g e n Friese, Klaus-Peter, Pforzheim er Straße 25, 7730 V i 1 1 i n g e n -Schwenningen Fritschi, Käthe, Karl-Bromberger-Straße 5, 7713 Hüfingen Gehring, Hans H., Oberstudienrat, Alfred-Delp-Weg 2, 7710 Donaueschingen Goerlipp, Georg, Archivar, Hindenburgring 10, 7710 Donaueschingen Gravenstein, Herbert, Jurastraße 1, 7730 VS-Pfaffenweiler Gutknecht, Dr. Rainer, Landrat, Kaiserring 2, 7730 V i 11 i n g e n -Schwenningen Hall, Ewald, Auwaldstraße 96, 7800 Freiburg-Landwasser Haller, Johann, Buchenberger Straße 30, 7744 Königsfeld Heidinger, Werner, Oberamtsrat, Geschwister-Scholl-Straße 22 a, 7710 Donaueschingen Heinzmann, Siegfried, Weilersbacher Straße 94, 7730 Villingen-S c h w e n n i n g e n Henckell, Jürgen, Schriftsteller, Buchbergstraße 3, 7712 Blumberg Hockenjos, Wolf, Oberforstrat, Kaiserring 8, 7730 V i 11 i n g e n-Schwenningen Honold, Dr. Lorenz, Redakteur i. R., Talstraße 41, 7710 Donaueschingen Huger, Werner, Oberstudiendirektor, Geschichts- und Heimatverein Villingen, Geschäftsstelle Romäusring 5, 7730 V i 11 in g e n -Schwenningen Huth, Volkhard, Oberscheibenrain 8, 7710 Donaueschingen-Aasen Kalb, Roland, Albstraße 7, 7735 Dauchingen Kiefer, Gerhard, Redakteur, Alemannenstraße 13, 7715 Bräunlingen Kirchhofer, Werner, Zasiusstraße 120, 7800 Freiburg Knaupp, Dieter, Christophstraße 36, 7730 Villingen-S c h w e n n i n g e n Kohler, Helmut, Polizeidirektor, Im Tannhörnle 7, 7730 VS-Pfaffenweiler 299

Krieg, Karl, Kälbergäßle 14, 7741 Vöhrenbach Lauffer, Günter, Bürgermeister, Sommerauer Straße 52, 7742 St. Georgen Leibold, Wilfried, Tuninger Straße 3, 7730 VS-Mühlhausen Letule, Hans, Rathausstraße 14, 7734 Brigachtal-Überauchen Liebetrau, Alfred, !HK-Präsident, Am Doniswald 4, 7744 Königsfeld Lorenz, Andreas, Stresemannstraße 17, 1000 Berlin 61 Mather, Gisela, Schertlestraße 2, 7730 V il I i n g e n -Schwenningen Melfi, Toni, Benediktinerring 7, 7730 Vi 11 in ge n- Schwenningen Möck, Erich, Journalist, Kirnachweg 13, 7742 St. Georgen Müller, Karl-Heinz, Waldstraße 21, 7740 Triberg Müller, Max, Dipl.-Ing., Vogelbeerweg 15, 7730 Vi l l i n g e n -Schwenningen Opp, Dr. Karl, Taunusstraße 5, 7741 Schönwald Opp, Margot, Taunusstraße 5, 7741 Schönwald Przewolka, Sabine, Am Affenberg 35, 7730 Vi l l i n g e n -Schwenningen Reinartz, Dr. Manfred, Museumsleiter, Beroldinger Straße 29, 7732 Niedereschach Renner, Rosemarie, Blauen weg 42, 7742 St. Georgen Rieple, Max t, Schriftsteller, Max-Egon-Straße 2, 7710 Donaueschingen Rimmele, Emil, Bürgermeister i. R., Ludwig-Uhland-Straße 8, 7741 Schönwald Rodenwaldt, Dr. Ulrich, Bötzenstraße 16, 7813 Staufen Rosenbusch, Werner, Rehweg 4, 7900 Ulm-Söfling Roskothen, Dr. Ernst, Finanzpräsident a. D., Breslauer Straße 7, 7737 Bad Dürrheim Scharping, Hans-].. Zinzendorfplatz, 7744 Königsfeld Schleicher, Hans, Kirnacher Straße 9, 7730 Vi l l i n g e n -Schwenningen Schmid, Rolf, Alemannenstraße 49, 7713 Hüfingen Schnibbe, Klaus, Professor, llbenstraße 50, 7743 Furtwangen Schnitzer, Dr. Ulrich, Professor, Kollegium am Schloß 1, 7500 Karlsruhe I Schubert, Dr. med. Wolfgang, Am Sehellenberg 1, 7710 Donaueschingen Schuler, Primus, Rektor, Grund- und Hauptschule, 7741 Gütenbach Siek, Friederike, Goethestraße 8, 7733 Mönchweiler Sommer, Michael T., Werbeagentur Schinke GmbH, Saarlandstraße 38, 7730 V i 11 i n g e n -Schwenningen Spintzik, Josef, Pfarrer i. R. u. Geist!. Rat, Tretenhofstraße 16, 7633 Seelbach Stamm, Bernhard, Alt-Regierungsrat, Barterweg 15, CH-8240 Thayngen Stromheck, Rosemarie, Freifrau v., Redakteurin, Abendtal 20, 7732 Niedereschach-Fischbach Stützler, Martin, Semmelweis-Straße 12, 7208 Spaichingen Volk, Karl, Realschuloberlehrer, Untertal 19, 7740 Triberg-Gremmelsbach Wälde, Knut, Oberreg. Landwirtschaftsrat, Vogelbeerweg 2, 7730 Vi l l i n g e n -Schwenningen Wegmann, Heinz, Redakteur, Sperberstraße 37, 7730 Vi l l i n g e n -Schwenningen Wentz, Martin, Obertal 3, 7742 St. Georgen-Brigach Wider, Verena, Egerstraße 14, 7730 Vi l l i n g e n -Schwenningen Wintern1antel, Barbara, Bräunlinger Straße 11, 7713 Hüfingen Wößner, Karl, Johann-Sebastian-Bach-Straße 13, 7742 St. Georgen Zimmermann, Karl-Hans, Bundesbahndirektion Karlsruhe, Lammstraße 19, 7500 Karlsruhe 300

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat und Alter/Zum Geleit – von Landrat Dr. Rainer Gutknecht Aus dem Kreisgeschehen Kreispolitik 1987 /Landrat Dr. Rainer Gutknecht Deponiegasnutzung in Tuningen/Rolf Schmid Unsere Städte und Gemeinden Das Oberzentrum braucht neue Impulse/Heinz Wegmann Das Wappen der Stadt Bräunlingen/Klaus Schnibbe Villingen und die Universität Freiburg Universität Freiburg zu Gast/Rudolf-Werner Dreier Mathäus Hummel/Werner Huger Die Zeichen/Gedicht von Gisela Mather Der Schwarzwald-Baar-Kreis und seine Nachbarn in der Schweiz Beziehungen des Hauses Fürstenberg zur nahen Schweiz/Georg Goerlipp Gute Nachbarn sein und bleiben/Bernhard Stamm Behörden und Organisationen Das Kreiswehrersatzamt Donaueschingen/Ernst Peter Biermaier Der freiwillige Polizeidienst/Helmut Kohler 3 Gedichte/Friederike Siek Schulen und Bildungseinrichtungen Die Fachhochschule Furtwangen/Gerhard Dinius Die neue Schule für Körperbehinderte im Stadtbezirk Villingen/Robert Faller 10 Jahre Kreisergänzungsbücherei/Hans-Werner Fischer Wirtschaft und Gewerbe Mit Dynamik in die Zukunft/ Alfred Liebetrau Metallwarenfabrik Johann Jäckle GmbH & Co. in Schwenningen/Rosemarie v. Strombeck Die Firma Emil Schmeckenbecher in Villingen/Klaus-Peter Friese Die Gießerei Hess in Villingen/Klaus-Peter Friese Max Stegmann GmbH, Donaueschingen/Hansjürgen Bühler/Michael T. Sommer Weltweit in Aktion: Motoren und Lüfter von PAPST-MOTOREN, St. Georgen/Lucia Bischof Aufbruch zu einem vielversprechenden Abenteuer/Erich Möck 1 2 3 4 4 7 10 10 14 16 16 19 23 24 24 30 33 33 36 38 39 39 42 46 48 48 SO 52 56 60 62 65 301

ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH, Vöhrenbach/ Hans J. Scharping Gasversorgung für die SüdbaarNerena Wider Persönlichkeiten der Heimat Karl und Ekkehard Günther/Gerhard Kiefer Dr. med. Hans Kohler/Siegfried Heinzmann Rosa Bächle – Ein Leben im Dienst am Nächsten/Max Müller Horst Groschwitz/Herbert Gravenstein Maria Hemmerle – die bekannteste Tierschützerin der Baar/Gerhard Kiefer Ernst Wilhelm Dumpert, die Erinnerung an ihn bleibt lebendig/Jürgen Henckell Hammersehtrumpf/Gedicht von Bertin Nitz Dr. med. Josef Laule/Gerhard Kiefer Gerhard Westphal/Johann Haller Hildegard Frey – mit Vöhrenbach eng verbunden/Wilfried Dold Herbert Dold – ein für Schönwald verdienter Bürger/Emil Rimmele Weltoffen und heimatverbunden – P. Heinrich Bliestle und P. Leo Hug/Karl Krieg Valentin Hofacker/Käthe Fritschi Museen Das neue Heimatmuseum in Bad Dürrheim/Sabine Przewolka Ritter St. Georg als Lindwurmbezwinger/Karl Wößner Archäologie Steinerne Zeugen der Vergangenheit/Hans Letule Das Hüfinger Römerbad/Barbara Wintermantel Geschichte, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte Warum erhielt Graf Berthold im Jahre 999 ein Marktprivileg für Villingen?/Gerd Althoff Das Kaufhaus in Villingen/Ulrich Rodenwaldt Schwenningen um 1800/0tto Benzing t Schwenningen um 1860 – Lithographie-Nachdruck/Manfred Reinartz Zur Entstehungsgeschichte der Landgrafschaft BaarNolkhard Huth Maidili, wem ghörsch?/Gedicht von Bertin Nitz Fürstenberg trennt sich von den Patronaten/Lorenz Honold Neues über die Ruine Waldau bei Königsfeld/Johann Haller Der Spittel in Niedereschach/Manfred Reinartz „Aby nach Hungaria“/Karl Fehrenbach Rätselhafte Wehr-Anlagen im Neckartäle/Dieter Knaupp Dr Steffa im Theater/Gedicht von Bertin Nitz Glocken, Kirchengeschichte Was alte Baaremer Glocken erzählen/Lorenz Honold Dr Vit in dr Kircha/Gedicht von Bertin Nitz Die Glocken der Wallfahrtskirche von Triberg/Karl-Heinz Müller Blumberg 400 Jahre Pfarrei/Josef Spintzik 2 Gedichte von Margot Opp Kunst und Künstler Die Galerie Heimar Keller/Toni Melfi Der Maler Josef Astfäller/Werner Rosenbusch Rolf Nickstadt: Uhrmacher, Drucker, Typograph, Historiker/Uwe Conradt 302 67 71 73 73 76 78 80 81 83 85 86 87 89 91 92 95 97 97 99 102 102 105 110 110 117 122 124 125 131 132 134 137 138 140 143 144 144 149 150 153 156 157 157 160 171

German Hasenfratz – Fotograf und Maler/Hans H. Gehring Der Uhrenschildmaler Alois Straub/Karin M. Erdtrnann Glückliche Zeit/Gedicht von Johannes Hawner Kunstdenkmäler St-Nikolaus-Kirche Buchenberg/Johann Haller Der Tannenhof in Königsfeld/Helmut W. Falk Blasmusik Zur Entwicklung der Blasmusik im badischen Raum/Karl Opp Dr gröscht Durscht/Gedicht von Bertin Nitz Geschichte des Blasmusikverbandes „Schwarzwald-Baar“ /Hans Schleicher Welt/Gedicht von Gisela Mather Heimat, Volkstum, Brauchtum Die größte Kuckucksuhr der Welt in Schonach/Herbert Dold Mosten wie zu Großvaters Zeit/Wilfried Leibold Silvester und Neujahr/Lorenz Honold ��rt Halb Oberrheiner, halb Schwabe, halb Südalemanne/Ewald Hall 3 Gedichte von Bertin Nitz Der Schwarzwald-Baar-Kreis in Farben (Einlage) Schneeglöckli us em Schwarzwald/Primus Schuler Die Sage von der alten Glocke Susanna im Klosterweiher/Rose Renner Stadt· und Ortssanierung Das Brigachhaus/Martin Wentz Das Uhrmacherhäusle in Vöhrenbach/Wilfried Dold Alte Wälderhöfe Der Reinertonishof ist restauriert/Ulrich Schnitzer Der Leutschenbachseppenhof in Gremmelsbach/Karl Volk Gesundheit, Soziales Das Städtische Krankenhaus St. Georgen im Schwarzwald im neuen Gewand/Günter Lauffer Die Rehabilitationsklinik Sonnhalde in Donaueschingen/Wolfgang Schubert Die Barmherzigen Schwestern in Triberg/Karl-Heinz Müller Verkehrswesen Zum lOOjährigen Jubiläum der Eröffnung der Höllentalbahn/Karl-Hans Zimmermann Verkehrserziehung der Jugend tut not/Gerhard Altmann Museumsbahn Museumsbahn Wutachtal/Karl-Hans Zimmermann Museumsbahnfest in Blumberg/Jürgen Henckell Landschaft, Naturdenkmäler, Umweltschutz Das „Schwenninger Moos“/Roland Kalb 175 180 182 183 183 186 190 190 192 193 194 195 195 198 200 w 203 208 208 209 212 214 214 216 221 221 223 226 226 228 230 233 233 235 238 238 242 245 245 303

Naturdenkmäler im Schwarzwald-Baar-Kreis/Werner Heidinger Beobachtungen über das Auerhuhn/Roland Kalb Aufgaben eines Naturschutzbeauftragten/Knut Wälde Ein Teich/Gedicht von Gisela Mather Landwirtschaft An der Spitze der Landjugend/Käthe Fritschi Landfrauenarbeit im Wandel der Zeit/Cäcilia Dury/Uta Hertkorn Sanierung für einen Parkplatz/Gedicht von Jürgen Henckell 248 251 255 258 259 259 260 262 Stätten der Gastlichkeit und Entspannung Sport- und Freizeitanlage am Schloßberg in Unterkirnach/Siegfried Baumann Das Hotel „Kranz“ in Blumberg-Zollhaus/Jürgen Henckell �� Der Eishockey-Sport im Schwarzwald-Baar-Kreis/ Andreas Lorenz Hans-Peter Pohl – Gold für einen Schwarzwälder Bub/Werner Kirchhofer Siegfried Hirth – Portrait eines Gewichthebers/Martin Stützler 2 Gedichte von Margot Opp 263 263 265 ™ 268 270 272 274 Erinnerungen Erlebnisse eines Badischen Soldaten/Karl Volk Prosa und Lyrik aus unserer Heimat Versuch einer Auflehnung im Offizierslager/Ernst Roskothen Heidelbeeren/Karl Volk Das alte Haus/Max Rieple t Hans und Franz – eine Humoreske/Karl Volk Eine Baumliebe auf der Baar/Wolf Hockenjos Jürgen Henckell: Modeme Lyrik – Aus der Gedichtsammlung „Beschreibung einer Randlage“ Verschiedenes Personen und Fakten Orden, Medaillen Bevölkerungsentwicklung Ausländer in Zahlen Ergebnisse der Bundestagswahl am 25.Januar 1987 Farbaufnahmen und Fotonachweis Die Autoren unserer Beiträge Inhaltsverzeichnis 304 275 275 280 280 283 284 286 287 291 294 294 295 295 296 297 298 299 301