Almanach 1992

Almanach 92 Schwarzwald-Baar-Kreis Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 16. Folge Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis Redaktion: Dr. Rainer Gutknecht, Landrat Dr. Joachim Sturm, Kreisarchivar Karl Volk, Realschuloberlehrer Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Nachdrucke sind nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Verlag, Druck und Gestaltung: Todt-Druck GmbH, Villingen-Schwenningen

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 1992 ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH, Donaueschinger Straße 2-6, Vöhrenbach Auer + Weber, Freie Architekten Dipl.-Ing. BOA, Königsträßle 2, Stuttgart-Degerloch Dr. Hanno Augstein, Hüfingen Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH+ Co. Heilbrunnen, Bad Dürrheim Baden-Württembergische Bank AG, Filiale Villingen-Schwenningen Bank für Gemeinwirtschaft AG, Kronenstraße 38, Villingen-Schwenningen Alfred Bausch, Rosen-Apotheke, Espenstraße 3, Blumberg Bezirkssparkasse Donaueschingen Binder Magnete GmbH, Villingen-Schwenningen Barbara und Albert Buchholz, Flushing, L.I.N.Y., USA Ingenieurbüro Horst Budde, Pestalozzistraße 65, Villingen-Schwenningen Burger Industriewerk GmbH & Co. KG, Schonach Eisengießerei Hans Dhonau, Triberg EGT Elektrotechnik GmbH, Steinkreuzweg 6/1, Villingen-Schwenningen Claus Eller, Zahnarzt, Neue Heimatstraße 2, Vöhrenbach Helmut W. Falk, Wirtschafts- und Unterneh­ mensberater, Fürstenfeldbruck Emil Frei GmbH & Co., Lackfabrik, Bräunlingen­ Döggingen S. D. Joachim Fürst zu Fürstenberg, Donaueschingen Walter Glatz, Blumberg Dipl.-Ing. Theo Greiner, Kolpingstraße 12, Donaueschingen Dr. med. Egon Hochmann, Triberg Hock GmbH, Schönwald-Triberg IEF Werner GmbH, Wendelhofstraße 6, Furtwangen Institut Dr. Jäger, Friedrichstraße 9, Villingen-Schwenningen Kraftwerk Laufenburg, Laufenburg Liapor-Werke, Lias Leichtbaustoffe GmbH & Co. KG, Tuningen MAICO Elektroapparate-Fabrik GmbH, Steinbeisstraße 20, Villingen-Schwenningen Vermessungsbüro Dipl.-Ing. Viktor Mandolla, Villingen-Schwenningen Mannesmann Kienzle GmbH, Villingen-Schwenningen 2 MEKU GmbH, Dauchingen Leopold MeSSiner, Dipl.-Ing. FH, Freier Architekt, Bühlhofstraße 8, Furtwangen Herbert Obergfell, St. Georgen Dr. med. Paul Obergfell, Villingen-Schwenningen Dr. Peter Pfaff, Frauenarzt, Villingen-Schwenningen Guido Rebholz, Architekt, Zehntstraße 1, Bad Dürrheim RICOSTA GmbH & Co. Schuhfabriken, Dürrheimer Straße 43, Donaueschingen Anne Rieple-Offensperger, Friedrichstraße 1, Bad Dürrheim Dipl.-Ing. Eckart Rothweiler, Freier Architekt, Karlstraße 63, Donaueschingen Dr. med. P. Samimi, Chefarzt der Chir. Abt. des Städt. Krankenhauses Furtwangen SCHMIDT Feintechnik GmbH, St. Georgen S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke Stiftung & Co., Bregstraße 1, Furtwangen Sparkasse Villingen-Schwennini;en mit Hauptanstalt in Villingen, Zweiganstalten in Schwenningen, St. Georgen und Triberg, Haupt­ zweigstellen in Bad Dürrheim, Königsfeld, Schonach und Vöhrenbach und weiteren 41 Geschäftsstellen Spar- und Kreditbank Donaueschingen-ViUingen eG Günther Stegmann, Donaueschingen Josef Stein GmbH, Villingen-Schwenningen Walter Steinbach GmbH & Co. KG, Werkzeug­ und Apparatebau, Dürrheimer Straße 41, Donaueschingen STRAUB-Verpackungen GmbH, Bräunlingen TRW Thompson GmbH & Co. KG, Präzisions­ ventile für die Motoren- und Automobilindustrie, Werk Blumberg Ueberle GmbH & Co. KG, Achsenfabrik, Im Winkel 1, Blumberg Reinhold Wauer, Uhrarmbandfabrik, Alte Randenschule, Blumberg F. K. Wiebelt – Buchhandlung, Bickenstraße 6-8, Villingen-Schwenningen Dr. med. Fritz Wilke, Obere Waldstraße 12, Villingen-Schwenningen Johann Wintermantel Verw. GmbH & Co. KG, Kies- und Transportbetonwerke, Pfohrener Straße 52, Donaueschingen Udo Zier GmbH, Furtwangen 11 weitere Freunde und Förderer des Almanach wünschen nicht namentlich genannt zu werden.

Heimat im vereinten Deutschland Dem Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 1992 zum Geleit Das im Jahre 1990 vereinte Deutschland ist Anlaß, die Beziehung von Heimat zu unserer neuen staatlichen Einheit herauszustellen. Mancher mag Heimat nur mit unserer engeren Heimat, d. h. mit der Gemeinde, in der er wohnt und arbeitet, und mit dem Heimatkreis in Verbindung bringen. Der Begriff der Heimat ist m. E. jedoch weiter auszudehnen. Befinden wir uns im Aus­ land, möglicherweise weit weg, verstehen wir unter Heimat das Land innerhalb seiner staatlichen Grenzen, aus dem wir herstammen. Seit der Vereinigung Deutschlands ist dies heute das um die fünf neuen Bundesländer vergrößerte Gebiet der Bundesrepu­ blik. Mit zunehmender Dauer wird das neue Vaterland sicher auch innerlich von sei­ nen Bürgerinnen und Bürgern als Heimat angenommen werden. Die Entwicklung des so verstandenen Heimatgefühls bedarf allerdings der Unter­ stützung und des Einsatzes der Menschen hüben wie drüben. Für uns im westlichen Teil gibt es im privaten Bereich viele Möglichkeiten zur Hilfe. Nicht wenige Städte und Gemeinden unseres Landkreises haben sich partnerschaftlich mit Kommunen der früheren DDR verbunden, um ihnen dringend notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Heimat im vereinten Deutschland bedeutet für uns, daß wir unsere Herzen öffnen für die Sorgen und Nöte unserer Landsleute drüben und nicht nur unsere oft kleinen Sorgen in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns stellen. Es liegt nicht zuletzt an uns, daß wir den mit uns nunmehr vereinten Mitbürgerinnen und Mitbür­ gern das Gefühl der echten, gemeinsamen Heimat vermitteln. Von dieser Betrachtungsweise ist es kein großer Schritt, wenn wir Heimat nicht nur im eigenen Vaterland, sondern auch in den europäischen Ländern sehen, mit denen wir wirtschaftlich und kulturell schon jetzt verbunden sind und künftig diese Bezie­ hungen noch mehr ausbauen wollen. Trotz der Schwierigkeiten, die auf diesem Weg noch zu überwinden sein mögen, wollen wir dieses Ziel fest im Auge behalten. Der Almanach möchte dazu beitragen, daß wir unsere kleine Welt im Schwarz­ wald-Baar-Kreis den in diesem Geleitwort geäußerten Gedanken öffnen und uns zu einer gemeinsamen Heimat in Deutschland und in Europa bekennen. Viele Freunde und Förderer haben auch die diesjährige Ausgabe unseres Heimat­ jahrbuches finanziell unterstützt. Mit meinem besonderen Dank verbinde ich die Hoffnung, daß auch das neue Heimatjahrbuch eine offene Aufnahme im Schwarz­ wald-Baar-Kreis und darüber hinaus finden möge! Dr. Rainer Gutknecht Landrat 3

Aus dem Kreisgeschehen Kreispolitik 1991 Die Schwerpunkte der Kreispolitik im Jahre 1991 sind im großen und ganzen die gleichen wie im Jahre 1990: Investitionen im Schulbereich und in den Neubau des Land­ ratsamtes, Müll und Öffentlicher Personen­ nahverkehr sowie die Altenhilfe aus dem gro­ ßen Bereich der sozialen Aufgaben. Fort­ schritte wurden erzielt, wenngleich die zuletzt genannten Themen unsere dauern­ den Bemühungen beanspruchen. Neubau Landratsamt Nach dem Richtfest am 4. Juli 1990 begann die 2. Hälfte des Bauvorhabens. Die Arbeiten gehen zügig voran, so daß das neue Verwaltungsgebäude planmäßig im Herbst 1991 bezogen werden kann. Die feierliche Eröffnung soll am 8. November 1991 stattfin­ den. Voraussichtlich kann der Bau im Rah­ men der Kosten- und Zeitvorstellungen abgewickelt werden. Erwin Teufel, langjähriger Abgeordneter des Wahlkreises Villingen-Schwenningen, wurde am 22.}anuar 1991 zum Ministerpräsidenten von Baden-Würllemberggewählt. Aufunserem Bild legt er nach seiner Wahl vor Landtagspräsident Erich Schneider den Amtseid ab. 4

RichifesL Neubau LandraLsamL Schulbereich Investitionen im Schulbereich stehen bei den Beruflichen Schulen in Furtwangen und bei der Schule für Körperbehinderle in Villingen­ Schwenningen an. Beim Furtwanger Bauvorhaben wird das Jahr 1991 für die weiteren Planungen benutzt. Mit dem Bau selbst soll 1992 begonnen wer­ den. Das Projekt wird federführend vom Land Baden-Württemberg mit einem Anteil von ca. 60 % durchgeführt. Der Landkreis mit einem restlichen Anteil von ca. 40 % möchte jedoch seine Rechte gewahrt wissen. Eine im Jahre 1991 abgeschlossene Vereinba­ rung zwischen den beiden Bauträgern soll die beiderseitige Rechte und Pflichten festle­ gen. Bei der Schule für Körperbehinderte soll im Sommer 1991 mit dem Erweiterungsbau begonnen werden. Inzwischen hat sich der Landkreis Tuttlingen zur Übernahme der Mitträgerschaft (mit ca. 12 Schülern pro Schuljahr) bereiterklärt, so daß außer dem geplanten Therapiebereich (Turnhalle und Therapieschwimmbecken) auch noch einige weitere Fachräume gebaut werden müssen. Die voraussichtlichen Kosten von nunmehr 8.150.000 DM verteilen sich nach Abzug der zu erwartenden Gesamtzuschüsse von 2.125.000 DM auf die drei Kreise wie folgt: Schwarzwald-Baar-Kreis 3.548.700 DM; Kreis Rottweil 1.488.200 DM; Kreis Tuttlin­ gen 988.100 DM. Aus dem Schulbereich verdienen drei wei­ tere Entscheidungen festgehalten zu wer­ den: Die Hauswirtschaftlichen Schulen in Donau­ eschingen bilden künftig mit den Kaufmänni­ schen Schulen in Donaueschingen einen Schulverbund. Die zurückgehende Schüler­ zahl im Hauswirtschaftlichen Bereich ließ die Selbständigkeit dieser Schule nicht mehr aufrechterhalten. Die andere denkbare Lö­ sung, die Donaueschinger Schulen den 5

Der Landkreis investiert für die Einrich­ tung dieser Fachklasse (Maschinen) insge­ samt rd. 100.000 DM. Müll Die Abfallbeseitigung ist nach wie vor das Thema Nr. l der Kreispolitik. Alle Bemühun­ gen dienen dem Ziel, Abfälle zu vermeiden bzw. wiederzuverwerten. Unsere Deponien in Tuningen und Hüfingen sollen möglichst sparsam verfüllt werden. Die Diskussion um die Frage, ob das Ein­ sammeln und Befördern des Abfalls wie bis­ her bei den Städten und Gemeinden verblei­ ben oder auf den Landkreis zurückübertra­ gen werden soll, ist durch Beschluß des Kreistags vom 6. Mai 1991 zu einem vorläufi­ gen Abschluß gekommen: Der Landkreis erklärt sich bereit, das Einsammeln und Befördern des Abfalls in seine Zuständigkeit zu übernehmen. Die Städte und Gemeinden können diese Aufgabe auch wie bisher selbst durchführen. In diesem Fall sind die erfor­ derlichen Vorgaben bzw. Rahmenrichtli­ nien des Kreises zu beachten. Vor der Entscheidung der Gemeinden müssen diese wissen, welche Aufgaben in der Trägerschaft des Kreises verbleiben und in welcher Weise diese Aufgaben vom Kreis erledigt werden. Es sind dies: Die Einrichtung einer Gewerbemüllsor­ tieranlage; einer Kompostierungsanlage für Grünab­ fälle und vegetabile Abfälle aus Haushal­ tungen; – einer Bauschuttrecyclingsanlage samt Restedeponie; – weitere Intensivierung von Problemstoff­ sammlungen aus Haushaltungen. Die Verwaltung arbeitet an der inhaltli­ chen Ausfüllung und praktischen Erledi­ gung dieses Aufgabenkatalogs, um einmal im Sinne des Abfallwirtschaftskonzepts des Kreises einen Schritt nach vorne zu kommen und zum andern in der Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden Klarheit über die gegenseitige Aufgabenerfüllung zu schaf­ fen. Öffentlicher Personennahverkehr Die Aufgaben des Öffentlichen Personen­ nahverkehrs (ÖPNV) gewinnen auch bei uns immer mehr an Bedeutung. Alle Welt ist sich einig, daß aus Gründen des Umweltschutzes und der Entlastung des Straßennetzes die Bemühungen um eine Verbesserung des ÖPNV verstärkt werden müssen. Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, daß in einem ländlichen Kreis wie im Schwarzwald­ Baar-Kreis der Individualverkehr eine bevor­ zugte Rolle einnehmen wird. Unsere bisherigen Bemühungen lassen sich im Angebotsbereich in der gebotenen Kürze wie folgt beschreiben: Mit der Einfüh­ rung der „Verkehrsgemeinschaft Bregtal“ wurde im Jahre 1982 das obere Bregtal besser an das Oberzentrum angebunden. Zur Zeit laufen Bemühungen, aus finanziellen Grün­ den das Angebot auf eine neue Grundlage zu stellen, wobei an der Verbindung zwischen dem Bregtal und Villingen-Schwenningen festgehalten werden soll. Seit dem Übergang der Zuständigkeit für die Schülerbeförde­ rung vom Land auf den Kreis im Jahre 1983 wurden nach und nach die Schülerbusse wei­ testgehend in die öffentlichen Linienver­ kehre integriert und somit das Fahrtenange­ bot kreisweit an Schultagen erheblich gestei­ gert. In den Jahren 1985/86 erfolgten Ange­ botsverbesserungen im südlichen Kreisge­ biet (Bereich Blumberg -Donaueschingen), wobei die abseits der Hauptlinien liegenden Ortschaften an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen wurden. Schwerpunktmäßig befassen wir uns seit einiger Zeit mit der Neu­ ordnung des sogenannten „Hintervillinger Raumes“. Die Verhandlungen mit den betroffenen Verkehrsunternehmen dauern noch an. Der Landkreis hat sich schon bisher bereit erklärt, falls notwendig, zusätzliche Fahrten einzurichten und zu finanzieren, um den „Hintervillinger Raum“ besser mit der Stadt Villingen-Schwenningen zu ver­ binden. Darüber hinaus muß geprüft wer­ den, ob auf bestimmten Linien aus dem Umland nach Villingen-Schwenningen innerhalb der gemeinsamen Stadt eine bes- 7

sere Abstimmung erfolgt, um eine lücken­ lose Transportkette aus dem Umland zu bestimmten Hauptzielen der Stadt Villin­ gen-Schwenningen (z. B. Bahnhof, Kranken­ anstalten, Industriegebiete} zu schaffen. Eine solche Abstimmung setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Landkreis voraus. Sie könnte beispiel­ haft auf die weitere Entwicklung im Land­ kreis wirken. Die neuesten Verbesserungen im Angebotsbereich betreffen die finanzielle Unterstützung von neuen Busverbindungen aus der Ostbaar über Bad Dürrheim nach Villingen-Schwenningen. Die für den Land­ kreis maßgebende Überörtlichkeit liegt in der unmittelbaren Anbindung der Ostbaar an das Oberzentrum. Im Tarifbereich haben sich die im letzten Bericht (vgl. Almanach 1991, Seite 7) erwähn­ ten Maßnahmen (Einführung des Umwelt­ jahres-Abo sowie der verbilligten Schüler­ monatskarte im Kurzstreckenbereich) be­ währt. Zwischen der Stadt Villingen­ Schwenningen und dem Kreis soll neben der Abstimmung im Angebotsbereich auch die Zu ammenarbeit im tariflichen Bereich (z.B. Möglichkeit des Umstiegs von Regio­ nalverkehr auf den Stadtverkehr mit einem Fahrschein) verbessert werden. Zwischen den Stadtbezirken Villingen und Schwen­ ningen ist auf den parallel bedienten Strek­ ken des Regionalverkehrs und des Stadtver­ kehrs eine gegenseitige Anerkennung der Fahrscheine anzustreben. Derzeit laufen Verhandlungen mit den Unternehmen über die Einführung eines Freizeit-Tickets, das insbesondere für Familien am Wochenende erhebliche Vergünstigungen bringen soll. Der dritte Bereich innerhalb des ÖPNV betrifft die Organisation. Bisher hat sich der Landkreis der vorhandenen Verkehrsunter­ nehmen bedient, um seine Zielvorstellun­ gen in Sachen ÖPNV zu erreichen. Die aktuelle Diskussion bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe des Almanach läßt erkennen, daß sich der Bund aus der Fläche immer mehr zurückzieht und die Verkehrspolitik regionalen Verkehrsgesellschaften, was im- 8 mer man darunter verstehen mag, überlassen möchte. Dies würde bedeuten, daß die Land­ kreise in noch viel größerem Umfang als bis­ her in die Verkehrspolitik einbezogen wür­ den: nicht nur als Zuschußgeber, sondern als Betreiber von Linien. Ohne finanzielle Unterstützung durch Dritte (Bund, Land) ist dies sicher nicht zu bewerkstelligen. Auf der anderen Seite sollte man dieser Diskussion auch eine gute Seite abgewinnen: Bahnstrek­ ken, wie zwischen Freiburg und Donau­ eschingen sowie zwischen Villingen und Rottweil könnten in eigener Regie betrieben und hoffentlich in ihrem Bestand gesichert werden. Ähnliches könnte auch bei den vom Bund über die Südbadenbus GmbH (SBG) betriebenen Buslinien gelten. Hier eröffnet sich ein neues Feld der Krei politik, das sicher noch manchen Stoff für Diskussionen liefern wird. Altenhilfe Die letzte Fortschreibung des Altenplanes fand im Oktober 1990 statt. Notwendig ist eine weitere Förderung bedarfsgerechter Pflegeplätze in Heimen (Fehl im Jahre 2000: voraussichtlich 375 Plätze). Ein weiterer Schwerpunkt ist die Stärkung und Bündelung der ambulanten Hilfen in überschaubaren Versorgungsbereichen. Dar­ unter fallen der weitere Ausbau der Sozialsta­ tionen, die Einrichtung von Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstellen für hilfebe­ dürftige Bürger und deren Angehörige sowie die Koordination der vorhandenen Dienste. Schließlich ist in diesem Zusammenhang der Aufbau der geriatrischen Rehabilita­ tionsangebote auf der Grundlage des Ge­ sundheitsreformge etzes zu nennen. Zur Unterstützung der häuslichen Pflege und der Pflegebereitschaft der Angehörigen wurde das Programm „Kurzzeitpflegeplätze“ (das ist die vorübergehende Heimaufnahme bei Ausfall oder Urlaub der Pflegeperson) fortgeführt und ausgebaut. Die bisherigen Erfahrungen -das Angebot gibt es seit zwei Jahren -sind positiv. Die Auslastung der 14 über das Kreisgebiet verstreuten Kurzzeit-

pflegeplätze beträgt über 70 0/o. Der Land­ kreis fördert die Maßnahme mit 10.000 DM pro Platz im Jahr. Ein Ziel fur die nächste Zeit ist die Schaf­ fung eines Angebots von Tagespflegeplät­ zen. Behindertenhilfe Zur außerstationären Versorgung psy­ chisch Kranker und seelisch Behinderter im Landkreis wurde eine Konzeption mit fol­ genden Schwerpunkten verabschiedet: Neben der Sicherung der Arbeit des sozi­ alpsychiatrischen Dienstes (Trägerschaft: Caritasverband) ist der Aufbau folgender Platzangebote vorgesehen: ca. 25 Plätze in einer Werkstatt fur psy­ chisch Behinderte (Trägerschaft: Lebens­ hilfe, Ort: Schwenningen) ca. 30 Plätze in einem therapeutischen Wohnheim (Trägerschaft: Caritasver­ band, VS-Villingen) ca. 20 Plätze in betreuten Wohngemein­ schaften, verteilt über das Kreisgebiet (Trägerschaft: Caritasverband) daneben Ausbau der Tagesstätte für psy­ chisch Kranke; Voraussetzung ist jedoch eine finanzielle Mitbeteiligung des Lan­ des und der Krankenkassen – Anschluß des Kreisgebiets an die Telefon­ seelsorge (,,psychologische Erste Hilfe“). Allen Organisationen, die sich diesen Neuer Bildband über den Schwarzwald­ Baar-Kreis Am 10. Oktober 1990 ist im Foyer des Theaters am Ring in Villingen-Schwennin­ gen der neue Bildband über den Schwarz­ wald-Baar-Kreis vorgestellt worden. Herr Hans Schleuning vom Theiss-Verlag, Stutt­ gart, konnte den Verfasser des neu gestalte­ ten Textes, Herrn Dr. Lorenz Honold, Do­ naueschingen, und den Bildfotografen, Herrn German Hasenfratz, Hüfingen, begrüßen. Die beiden vorangegangenen Ausgaben, die im Textteil vom bekannten Heimat­ schriftsteller Max Rieple, Donaueschingen, gestaltet wurden, sind vergriffen und es bot sich an, den Band im Text- und Bildteil neu zu überarbeiten. Es entstand ein gelungenes Werk, das den Schwarzwald-Baar-Kreis in seiner landschaftlichen und kulturellen Viel­ falt beschreibt und Herz und Auge erfreut. Unser Foto zeigt die Vorstellung des Bildbandes (von links nach rechts): Landrat Dr. Rainer Gutknecht, German Hasenfratz, Hans Schleuning, Dr. Lorenz Honold 9

nicht einfachen, aber notwendigen Aufga­ ben annehmen, sei auch an dieser Stelle ein herzliches Wort des Dankes und der Aner­ kennung ausgesprochen. Schuldnerberatung Angesichts ständig zunehmender Ver­ schuldung privater Haushalte und damit oft einhergehender oder drohender Sozialhilfe­ bedürftigkeit ist seit 1. April 1991 eine Schuld­ nerberatungsstelle im Landratsamt einge­ richtet. Die Aufgaben sind: Finanziell-recht­ liche und lebenspraktische Beratung über- schuldeter Bürger und ihrer Familien durch Hilfen zu einer planmäßigen Entschuldung, einer aktiven Lebensplanung und einer künf­ tig sinnvollen Haushaltsführung. Das Ange­ bot ist kostenlos. Die vorstehenden Ausführungen erheben keinen Anspruch aufVollständigkeit. Sie sol­ len wichtige Stationen der Kreispolitik 1991 festhalten und den interessierten Lesern die im Vergleich zur Gemeindepolitik etwas ent­ ferntere Kreispolitik näherbringen. Dr. Rainer Gutknecht, Landrat ,,Unser Dorf soll schöner werden“ Ein Bericht über die Kreiswettbewerbe seit 1974 In zweijährigem Turnus finden seit 1961 Bundes- und Landeswettbewerbe „Unser Dorf soll schöner werden“ statt, denen Bezirksentscheide und, in Jahren mit gerader Zahl, Kreisentscheide vorausgehen. Seit Bestehen des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses am 1.1.1973 fand der 1. Kreiswettbewerb im Jahr 1974 statt. Zu den bisher 9 Wett­ bewerben haben sich durchschnittlich 13 Gemeinden oder Gemeindeteile angemel­ det. Eine Fahrt durch das Kreisgebiet vermit­ telt Orts- und Landschaftsbilder, die vielfäl­ tigen Leistungen der Gemeinden und deren Bevölkerung in den vergangenen 19 Jahren erkennen lassen. Ideen, Initiativen, großer Fleiß, kontinuierliche Arbeit, Eigenmittel und Eigenarbeit spiegeln sich in den Ortsbil­ dern wider, die tatsächlich, auch dank zukunftsorientierter Planungen und Dorf­ entwicklungsprogrammen, schöner gewor­ den sind. Ein Wandel hat sich vollzogen. Legte man vor Jahrzehnten noch Wert auf großzügige Ortsdurchfahrten, so ist man heute dabei, verkehrsberuhigte Zonen zu schaffen. Pfla­ stersteine ersetzen an vielen Orten den Makadam. Und auf dem Bausektor? Es ent­ standen Schulgebäude, Festhallen, Freizeit- 10 anlagen, Schwimmbäder, neue Wohn- und Gewerbegebiete. In den Vordergrund rück­ ten immer mehr die Neugestaltung der Orts­ zentren und die Renovierung erhaltenswer­ ter Altgebäude und historischer Gebäude, ebenso Anpflanzungen im Ort und im Außenbereich sowie Rekultivierungsmaß­ nahmen. Vereinzelt wurden verdolte Bach­ läufe wieder freigelegt. Besondere Aufmerk­ samkeit widmeten die Gemeinden auch der Friedhofsgestaltung. Auch die Bevölkerung beteiligte sich auf vielfältige Weise an der Aktion „Unser Dorf soll schöner werden“. Hier nur ein kurzer Auszug aus der langen Liste bürgerschaftli­ cher Aktivitäten: Renovierung alter Privat­ häuser, Einrichtung von Museen, Freilegen von Stollen aus früheren Jahrhunderten, Vereinstätigkeit zugunsten der Allgemein­ heit. Daß in 2 Ortsteilen Eltern zu einem großen Teil Kindergärten finanziell tragen, verdient besondere Erwähnung. In manchen Gemeinden sind private Gemüse- und Zier­ gärten sowie der Blumenschmuck an den Häusern als vorbildlich zu bezeichnen. Und weitere Aktionen: Schaffung und Pflege von Biotopflächen; in einigen Ortsteilen sind in diesem Bereich auch Schüler aktiv. Aus

Fachwerkhaus in Mühlhausen Dunglegen wurden Blumenbeete. In erheb­ lichem Umfang leisteten Einwohner Eigen­ arbeit und setzen Eigenmittel für Maßnah­ men, die der Allgemeinheit zugute kommen, ein. Zur Verschönerung des Schwarzwald­ Baar-Kreises trugen auch die Landwirte durch eine mustergültige Landschaftspflege wesentlich bei. Die Bewertungskommission des Kreises war immer wieder beeindruckt, wie sich Bürgermeister, Gemeinde-und Ort­ schaftsräte, Verwaltungen und Bevölkerung engagiert haben, um erfolgreich aus den Wettbewerben hervorzugehen. Mühlhausen darf hier als ein Beispiel her­ ausgestellt werden. In diesem Ort wirkt seit über 20 Jahren der „Freundeskreis Dorf Mühlhausen“; sein Initiator ist Wilfried Lei­ bold. Diesem Freundeskreis ist es gelungen, durch Eigeninitiativen, Eigenmittel und Eigenarbeit mit Beistand der Stadt Villingen­ Schwenningen maßgebend den Ortskern neu zu gestalten und dennoch den länd­ lichen Charakter dieses Stadtbezirks der Großen Kreisstadt zu erhalten. Es lohnt sich, Mühlhausen zu besuchen und die Er­ gebnisse bürgerschaftlicher Aktivitäten zu besichtigen: Zum Beispiel Bauernmuseum, Schmiede, Backhaus, Mosterei und Göpel­ haus, das für Veranstaltungen genutzt wird. Über den Mühlbach führt eine neue Holz­ brücke. Brunnen zieren den Ortskern und neu angelegte Biotope bereichern die Mühl­ hauser Gemarkung. Bei den Landeswettbe­ werben erreichten Orte, in denen sich die Einwohner besonders aktiv im Sinne der genannten Kriterien eingesetzt haben, hohe Auszeichnungen. Die erste Goldmedaille in der jungen Geschichte des Schwarzwald-Baar-Kreises hat Mühlhausen bei der Teilnahme am Lan­ deswettbewerb 1989 erhalten. Das Landratsamt Schwarzwald-Baar-11

1979 1981 1983 1985 1987 1989 Tuningen Mühlhausen Mühlhausen Tuningen Mühlhausen Buchenberg Tuningen Gremmelsbach Mühlhausen Buchenberg Br Br S und Plakette Br s Br Br Br G Br Werner Heidinger Mosterei in Mühlhausen Kreis honorierte die Leistungen aller Teil­ nehmer an den bisher 9 durchgeführten Kreiswettbewerben mit Urkunden und Geldpreisen von insgesamt 77.000 DM. Die Kreissieger: 1974 Mönchweiler 1976 Tuningen 1978 Überauchen 1980 Tuningen 1982 Mühlhausen 1984 Mühlhausen 1986 Tuningen 1988 Buchenberg 1990 Nußbach Bei den Landeswettbewerben erhielten die Teilnehmer aus dem Schwarzwald-Baar­ Kreis folgende Auszeichnungen: (Br = Bronzemedaille; S = Silbermedaille; G = Goldmedaille) 1975 Unterkirnach 1977 Öfingen S Sonderpreis 12

Neubau Landratsamt Letzte Bilder über den Baufortschritt vor Redaktionsschluß 13

Unsere Städte und Gemeinden, Wappen Mundelfingen Ein liebenswerter Ort in der Landschaft der Baar Mundelfingen ist der größte Teilort der Stadt Hüfingen. Das stattliche Dorf mit sei­ nen etwa 640 Einwohnern grenzt mit seiner Gemarkung im Westen an den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, im Süden an den Landkreis Waldshut. Dort, wo Wutach und Gauchach sich vereinen, handelt es sich um eine geologisch hochinteressante Land­ schaft, die während des ganzen Jahres „Stein­ klopfer“ – Hobbygeologen – anlockt und deren Erde immer wieder bemerkenswerte Versteinerungen freigibt. Rathaus Munde!fingen, Vorderansicht. Im Untergeschoß befindet sich die Schule. 14

Rathaus Munde!fingen, Rückansicht. Das stattliche Gebäude mit Glocl«ntürmchen und Uhr sowie einem schönen Treppengiebel gehört zu den bemerl«nswertesten des Ortes. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei Mundelfingen um eine alemanni­ sche Siedlung. Der Ortsname geht auf den Gründer der Sippensiedlung – Munolf – zurück und entwickelte sich über Jahrhun­ derte zur heutigen Schreibweise. Erste urkundliche Erwähnung des Ortes datiert im Jahr 802. Damals gehörte das gesamte mitt­ lere Wutachtal zu einem Gebiet, das Graf Thiofried dem Kloster St. Gallen vermachte. So kam es, daß Mundelfingen vor rund 1190 Jahren eine Filiale der Pfarrei „Asolvinga“, dem heutigen Aselfingen war. Vermutlich hat das Kloster St. Gallen den Filialort Mun­ delfingen zur selbständigen Pfarrei erhoben, denn in einem Verzeichnis der St. Gallischen Patronatskirchen ist auch die Kirche von Mundelfingen erwähnt. Die prächtige Barockkirche, dem heiligen Georg geweiht, wurde in den Jahren 1750/51 von den berühmten Baumeister Peter Thumb errichtet. Ihr Turm ist weithin sieht- bar und beherrscht das Ortsbild. Ein weiteres Gotteshaus ist die St-Margareten-Kapelle. Sie ist Eigentum der katholischen Kirchen­ gemeinde und wurde vor wenigen Jahren gründlich renoviert. Den Altkatholiken steht sie für Gottesdienste zur Verfügung. Seit einigen Jahren ist die Pfarrei Mundei­ fingen nicht mehr selbständig, sondern wird von der Hüfinger Pfarrei St. Verena aus mit­ betreut. Bis vor etwa 20 Jahren war Mundelfingen ausschließlich landwirtschaftlich geprägt. Inzwischen wurden aus den meisten Voll­ erwerbsbetrieben Nebenerwerbslandwirt­ schaften. Immerhin wurden 1990 in SO Betrieben noch 1170 Stück Vieh gehalten, davon rund 500 Kühe. Die krasseste Umstrukturierung erfuhr das Dorf zwischen 1980 und 1990, als ein Vollerwerbsbetrieb nach dem andern aufgab. Einige weni­ ge expandierten, doch viele Landwirte schreckte der hohe Investitionsbedarf. 15

Schon in den neunziger Jahren des vori­ gen Jahrhunderts hatte Mundelfingen eine vielbeachtete Zuchtgemeinschaft für Sim­ mentaler Vieh, das später vom Höhenfleck­ vieh abgelöst wurde. Erbwertgeprüfte Bullen waren Garanten für hochwertige Tiere. Im Bereich Hüfingen hat Mundelfingen als letzte Gemeinde noch vier Bullen im Farren­ stall, doch geht auch hier der Trend zur künstlichen Besamung. Die Gesamtfläche der Mundelfinger Gemarkung beträgt 1530 Hektar. 900 Hektar davon sind landwirtschaftlich genutzt. An Waldflächen umfaßt die Gemarkung 438 Hektar Gemeindewald, 73 Hektar Staats­ wald und 70 Hektar Privatwald. Die Staats­ beforstung, vor Jahren eingeführt, hat sich bewährt. Die Viehweide im südlichen Gemar­ kungsbereich ist Landschaftsschutzgebiet und unter entsprechenden Auflagen an hei­ mische Landwirte verpachtet. Rund 200 Arbeitnehmer aus Mundelfin­ gen verdienen ihren Lebensunterhalt in den umliegenden Städten und Gemeinden. Ein metallverarbeitender Betrieb am Ort, so Ortsvorsteher Adolf Baumann, wäre wün­ schenswert. Mehrere holzverarbeitende Betriebe sind in Mundelfingen ansässig. Eine nachhaltige Zäsur in der Geschichte Mundelfingens bedeutete der Verlust der Selbständigkeit. Das Dorf stand vor der Not­ wendigkeit, sich freiwillig einer größeren Gemeinde anzuschließen oder eine zwangs­ weise Eingemeindung im Zuge der Gemein­ dereform hinzunehmen. Für die selbstbe­ wußten Bürger des Ortes war dies kein leich­ ter Entschluß. Donaueschingen, Bräunljn­ gen und Hüfingen warben um Mundelfin­ gen, doch schließlich entschieden sie bei einer Bürgerbefragung so: Einhundert von zweihundertzwanzig abgegebenen Stimmen für Hüfingen, 93 für Bräunlingen und 27 für Donaueschingen. Die Entscheidung war knapp, doch am 4. Mai 1974 wurde der Eingemeindungsver­ trag mit Hüfingen zwischen dem damaligen Bürgermeister Gilly und Hüfingens früheren 16 Bürgermeister Mäder unterzeichnet. Er trat am l.Januar 1975 in Kraft. Hüfingen erhielt damals von der Landesregierung 70.000 Mark. ,,Sterbegeld“ nannten die Mundelfin­ ger rucht ohne Bitterkeit diese Zahlung. Das Geld wurde später für den Anschluß an die Kläranlage verwendet. Das Verhältnis zwischen der Kernstadt und dem Ortsteil Mundelfingen nennt Ortsvorsteher Adolf Baumann „sachlich und korrekt“. Zwar war der Anschluß an Hüfingen gewiß keine „Liebesheirat“, son­ dern eine „Vernunftehe“, doch haben die Verantwortlichen aus der gegebenen Situa­ tion das Beste gemacht. Die Zusammen­ arbeit funktioniere und erweise sich als kon­ struktiv, wie der Ortsvorsteher versichert. Das Standesamt, das dem Stadtteil zunächst noch geblieben war, ging mit Wir­ kung vom 1. 1.1991 verloren. Trauungen wur­ den nunmehr vom Hüfinger Standesbeam­ ten vorgenommen, denn Ortsvorsteher Mäder, bislang ordentlicher Standesbeamter in Mundelfingen, ging inzwischen in den Ruhestand. Nach einem entsprechenden Lehrgang wurde Ortsvorsteher Adolf Bau­ mann stellvertretender Standesbeamter und kann nun im gesamten Stadtgebiet Trauun­ gen vornehmen. Der Verlust der eigenen Schule hatte Mundelfingen besonders schwer getroffen. Jahrelange hartnäckige Bemühungen, ver­ stärkt durch eine Bürgerinitiative, hinter der vor allem Ortsvorsteher Hermann Mäder stand, hatten das Ziel, die Schule wieder in den Ort zu bekommen. 1986 wurden die Bemühungen belohnt: Die drei unteren Klassen dürfen wieder „zu Hause“ die Schule besuchen, und inzwischen unterrichten zwei Lehrkräfte am Ort insgesamt 33 Kinder, wobei die zweite und dritte Klasse kombi­ niert sind. Einen Kindergarten hatte die Gemeinde bereits 1908. 1964 wurde allerdings ein ganz neuer Kindergarten gebaut, der zu 50 Pro­ zent von der Gemeinde und zur anderen Hälfte von der Kirche finanziert wurde. Er befindet sich in kirchlicher Trägerschaft.

vereinigung, Landjugend und Landfrauen, dazu Feuerwehr und Rotes Kreuz. Sie alle entfalten zahlreiche Aktivitäten und vertre­ ten selbstbewußt und stolz ihren Heimatort und damit auch die Stadt Hüfingen. Die Sportvereinigung erstellte 1976 mit Unterstützung der Stadt Hüfingen einen eigenen Fußballplatz, einen Trainingshart­ platz, der auch drei Tennisplätze beinhaltet, sowie ein Clubhaus. Was zunächst bei man­ chen Hüfinger Gemeinderäten auf Skepsis bezüglich der angesetzten Eigenleistung stieß, bewiesen die jungen Mundelfinger Sportler: Es geht gemeinsam vieles, wenn nur der feste Wille dazu vorhanden ist. 1990 wurden drei weitere Tennisplätze, die einen speziellen Belag aufweisen, in Betrieb genommen. Als vor Jahren der einzige „Tante-Emma­ Laden“ des Dorfes vor der Schließung stand, setzte sich auf Drängen von Ortsvorsteher Hermann Mäder Hüfingens Bürgermeister Gilly vehement für den Erhalt dieser Ein­ kaufsmöglichkeit auf dem Dorf ein. Die Stadt subventionierte über einige Jahre hin­ weg den Laden, und heute ist sein Bestand gesichert, obwohl die Subvention inzwi­ schen ausgelaufen ist. Die Mundelfinger Dorfgemeinschaft ist intakt, Gemeinschaftssinn wird großge­ schrieben. Dies zeigte sich eindrucksvoll bei dem geplanten großen Narrentreffen im Januar 1991, das kurzfristig wegen des Golf­ krieges abgesagt werden mußte. Ein Anruf des Ortsvorstehers genügte, und eine große Anzahl von Männern fand sich spontan bereit, das bereits aufgestellte Zelt wieder abzubauen. Der Entschluß, die­ ses lange geplante Ereignis abzusagen, fiel gewiß nicht leicht, doch niemand konnte sich den Argumenten verschließen, die zu jenem Zeitpunkt gegen die Veranstaltung sprachen. Für seine Bewohner ist Mundelfingen der Mittelpunkt ihres Lebensbereiches, liebens­ wert in seiner ländlich erhaltenen Struktur, die ein attraktives Neubaugebiet „Auf Brei­ ten“ -mit einer bezaubernden Fernsicht – harmonisch ergänzt. Käthe Fritschi 17 Mit Recht sind die Munde!finger stolz auf ihre schöne Kirche, ein Werk des berühmten Barock­ baumeisters Peter ‚Thumb. Ihr Turm beherrscht das Dorfbild. Die Festhalle, 1934/35 erbaut, entsprach längst nicht mehr den Anforderungen, als sie 1969 erweitert und saniert wurde. Inzwischen hat sich längst erwiesen, daß sie bei weitem die gestellten Anforderungen nicht mehr erfüllt, und daß eine Erweiterung wegen feh­ lendem Gelände nicht möglich ist. Ebenso fehlen Parkmöglichkeiten. Seit 1987 laufen Bestrebungen, bei den bestehenden Sport­ anlagen eine neue Halle zu bauen, deren Realisierung über Jahre hinaus trotz instän­ diger Bitten des Stadtteiles immer wieder aufgeschoben wurde. Mundelfingen hat nun jedoch eine feste Zusage, daß 1993 mit dem Baubeginn zu rechnen sei. Hohen Stellenwert haben die Mundelfin­ ger Vereine, Musikkapelle, Gesangverein, der Narrenverein „Kehrwieder“, die Sport-

Das Wappen von Mundelfingen Wappen: Von blau-silbernem Wolkenfeh-Schild­ rand umgeben, dreimal geteilt von Schwarz und Gold. Nachdem 1811 noch kein eigenes Siegel vorhanden war, wurden im gesamten 19. Jahrhundert nur Schriftsiegel ohne sonstige Symbole verwendet. – Erst 1903 schlägt das Großherzoglich badische Generallandesar­ chiv Karlsruhe das Schellenberg’sche Wap­ pen vor, umgeben vom Schildrand der Für­ stenberger, die 1616 die Herrschaft der Schel­ lenberger übernahmen. -Die Gemeinde war sofort damit einverstanden und führte dieses schöne Wappen bis zur Eingemeindung in die Stadt Hüfingen am 1. Januar 1975. Klaus Schnibbe Quellen und Literatur: Generallandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Bezirk u. Landkreis Donaueschingen. – GLA Wappenkartei, Schwarzwald-Baar-Kreis. – GLA Siegelkar­ tei� Schwarzwald-Baar-Kreis. – FF. Hefbi­ bliothek Donaueschingen, Donaueschinger Wappenbuch von 1433, betr. v. Fürstenberg, v. Sehellenberg. – W Merz u. F. Hegi, Die Wappenrolle von Zürich (Anf 14. jahrh.), Zürich-Leipzig 1930, betr. v. Fürstenberg, v. Sehellenberg. – K. Schnibbe, Gemeindewap­ pen im ehem. Landkreis Donaueschingen, in: Schriften des Vereins f Geschichte u. Natur­ gesch. d. Baar in Donaueschingen, Band 33 (1980). Waldhausen – eine alte Siedlung am Rande des Schwarzwaldes Im Westen eingerahmt von weiten, hohen Wäldern und im Osten geöffnet zur weiten Baar, so liegt Waldhausen, die alte Siedlung zwischen Schwarzwald und Baar, eine reiz­ volle, liebliche Gemeinde, die auch heute noch weitgehend landwirtschaftlich struktu­ riert ist. Waldhausen wird nach einer Urkunde, die sich im Stiftsarchiv von St. Gallen/ Schweiz befindet, im Jahr 769 erstmals als „Waldhusa“ erwähnt. Es handelt sich also um einen Ort, der weit über 1200 Jahre alt ist. Er war in früheren Jahrhunderten vornehm­ lich von Taglöhnern und abhängigen Land­ wirten in fürstlich fürstenbergischen Dien­ sten besiedelt. Um das Jahr 1444 erlischt Waldhausen vollkommen, die Bewohner fie­ len der Pest zum Opfer, um erst etwa 100 Jahre später wieder besiedelt zu werden. Die Geschichte des Kirchleins von Wald­ hausen ist mit dem Schicksal des Dorfes auf das Engste verbunden. Nachdem das Dörf­ lein im Jahre 1444 – wie oben erwähnt – durch die Pest ausgestorben war, nimmt Egon Graf zu Fürstenberg und Landgraf in der Baar aus der Kirche in „seinem Dorf Waldhausen“ zwei Glocken, da das Dorf an „Lüth und Guet abgangen und ödt worden ist, damit diese Glocken nicht verändert, zer­ brochen oder mißhandelt werden“ und ver­ bringt die eine Glocke auf Schloß Wartem­ berg und die andere Glocke in „unser Frauen Cappel gen Bregen under der neuen Fürsten­ berg“, dem heutigen Hammereisenbach. Im Jahre 1663 muß dann Waldhausen wieder ein neues Kirchlein erhalten haben, denn in einem fürstlichen Amtsbericht aus Hüfingen heißt es, daß die 1446 weggenommenen 18

Kirche St. Blasius, Waldhausen, erbaut 1899 durch Dekan Carl Alois Mez Glocken wieder nach Waldhausen zu brin­ gen seien. Ob dies jedoch geschehen ist, ist nicht nachgewiesen. Dieses im Jahre 1663 wieder errichtete Kirchlein stand unweit des heutigen Waldhauser Hofes, wo bis vor wenigen Jahren ein altes Steinkreuz inmitten eines Obstgartens den Standort markierte, deren Fundamente man heute noch teil­ weise ausmachen kann. Diese Kirche bestand bis zum Jahre 1899, als dann mit Genehmigung der F. F. Standesherrschaft die alte Kirche beim Waldhauser Hof abgetra­ gen und die neue Kirche in der Mitte des Dorfes errichtet wurde. Bei der im Jahre 1969/1970 erfolgten Renovierung des Kirch­ leins wurde der Altar restauriert, eine Holz­ decke eingezogen, ein Kreuzweg angeschafft und eine grundlegende Außensanierung vor­ genommen. Eine tiefgreifendere Verände­ rung und Renovierung erfolgte in den Jahren 1975/1976, wobei der Altar grundsätzlich verändert wurde und nach den Beschlüssen des Konzils ein Voraltar als Zelebrationsaltar eingebaut wurde; der Hochaltar wird nicht mehr als Zelebrationsaltar verwendet. Die hervorragend gelungene Renovierung wurde durch den Restaurator Klaus Sigwart aus Hüfingen und den zwischenzeitlich verstorbe­ nen Künstler Bruno Knittel aus Freiburg durch­ geführt. Der Voraltar wurde aus Bronze mit einer Marmorplatte in Form eines Kelches geschaffen. Das Gestühl des Kirchleins wurde als Mittelblock ausgestaltet, die Empore wurde verändert sowie eine elektrische Fußbodenhei­ zung eingebaut. Die gesamte Kirche wurde ringsum trocken gelegt. Viele Arbeitsstunden leisteten die Bürger Waldhausens und die große Spendenbereitschaft der Gläubigen halfen, um das Kirchlein zu einem herr­ lichen Schmuckstück umzugestalten. Das Patrozinium der Kirche „St. Blasiens“ gibt Hinweise auf Besitzungen des Klosters St. Blasien im Gebiet von Waldhausen. Ob allerdings dieser Einfluß des Klosters St. Bla- 19

Barockaltar St. Blasitts aus dem Jahre 1693, Künstler unbekannt St.-}osefs-Figttr, Künstler u. Alter unbekannt sien ausschlaggebend für das Patrozinium des Kirchleins war, ist nicht erhärtet. Das Dorf hat über viele Jahrhunderte hin­ weg ein ärmliches Dasein gefristet. Es hatte auch nie große Einwohnerzahlen. Das hing damit zusammen, daß hier relativ wenig Wasser als Quellwasser aufzufinden war und die Besitzverhältnisse schlecht waren. Fast die gesamte Flur war fürstliches Eigentum. Erst als das Fürstenhaus die Felder in Pacht gab oder verkaufte, konnten die Bauern selb­ ständig werden, die dann auch die relativ fruchtbare Feldmark intensiv bewirtschafte­ ten. Im Osten sind die Böden kalkhaltig und im Westen gehen sie bereits in Buntsand­ stein über. Dazwischen eingelagert finden sich da und dort Granitfelsen. Auf einem die- 20 ser Granitfelsen steht heute das Kirchlein. In den Jahren 1963/1964 erhielt Waldhau­ sen eine zentrale Wasserversorgung, die �eilen befinden sich im südwestlichen Bezirk der Gemarkung im Tal der Gauchach. Das �ellwasser muß zum Hochbehälter auf dem Bittelbrunn gepumpt werden, um von dort aus die Gebäude des Dorfes zu ver­ sorgen. Nachdem nun die Wassersorge besei­ tigt war, konnte Waldhausen im Jahre 1969/ 1970 ein bescheidenes Neubaugebiet mit 10 Gebäudeeinheiten ausweisen, das Gebiet ist zwischenzeitlich bebaut. Schmerzlich war für Waldhausen die Auf­ lösung der Schule. 1968 wurden die Klassen 5-8 und Ende 1970 die Grundschul-Klassen 1-4 nach Bräunlingen verlegt.

In den Jahren 1971/1972 wurde ein Ferien­ gebiet für Waldhausen konzipiert. Auch die­ ses Gebiet ist weitgehend überbaut. An die Groß-Kläranlage Donaueschingen wurde Waldhausen im Jahre 1972 angeschlossen. Zum 1. 4.1972 verlor Waldhausen seine Selbständigkeit und wurde ein Stadtteil von Bräunlingen. Im Jahre 1976 wurde die Post­ stelle in Waldhausen aufgelöst und im Jahre 1978 wurde ein zweiter Gasthof, der heutige Martinshof, errichtet. liegt in einer gesunden Höhenlage von 700-750 m. Es ist nahezu nebelfrei und ist Ausgangspunkt für schöne Wanderungen in den großflächigen Wäl­ dern, im Gebiet der Gauchach, zum Kirn­ bergsee und über den schluchtartigen „Hagelsboden“ nach Dittishausen an der Waldhausen Gauchach entlang über wunderschöne Wege durch Wiesen und niedrige Wälder. Über den Dellingerweg kann man geruhsam nach Bräunlingen, der alten Zähringerstadt, wan­ dern. Die Siedlungsstruktur Waldhausens als Straßendorf, aufgeteilt in Unter-, Mittel- und Oberdorf, schafft Probleme. Versuche, über Abrundungssatzungen bestimmte Bauab­ sichten zu verwirklichen, haben bisher leider nicht zum Erfolg geführt. Aufgabe der Zukunft muß sein, die Infrastruktur der heute knapp 200 Einwohner zählenden Gemeinde zu stärken, das rege Vereinsleben zu fördern und zu befruchten und die Eigen­ entwicklung der Gemeinde auch im gewerb­ lichen Bereich in ausreichendem Maße zu Elmar Schnetzler unterstützen. Das Wappen von Waldhausen Wappen: Von blauem Wolkensaum umgeben, in Silber eine abgeschlagene schwarze Tanne. Der Wolkensaum deutet den fürstenber­ gischen Wolkenfeh-Schildrand an, während die Tanne für den Namensteil „Wald-“ steht, der auf einem Siegel aus der Mitte des vori­ gen Jahrhunderts noch durch drei größere und zwei kleinere auf einem Boden stehende Tannen dargestellt wurde. Die Umschrift lautete GEMEINDE WALDHAUSEN, ob­ wohl der Ort in badischer Zeit (seit 1806) zusammen mit Mistelbrunn zur Gemeinde Bruggen gehörte. Erst am 1. Januar 1897 wurden Mistel­ brunn und Waldhausen selbständig. Bei die­ ser Gelegenheit schlug das großherzoglich badische Generallandesarchiv Karlsruhe für Waldhausen folgendes Wappen vor: ,,eine Tanne in silbernem Felde mit gleicher Umrah­ mung“ (wie Mistelbrunn). In der Zeichnung war die Tanne „natürlich“ wiedergegeben, dunkelgrün mit braunem Stamm. – Die Gemeinde stimmte zu. Erst 1960 wurde der Tanne die heraldische Farbe Schwarz gegeben. – Mit der Einge- meindung zum 1. April 1972 in die Stadt Bräunlingen ist das schöne Wappen als amt­ liches Zeichen erloschen. Klaus Schnibbe Quellen und Literatur: Generallandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Amtsbez. u. Land­ kreis Donaueschingen. – GLA Wappenkartei, Schwarzwald-Baar-Kreis. – GLA Siegelkar­ tei, Schwarzwald-Baar-Kreis. – K. Schnibbe, Gemeindewappen ehem. Landkreis Donaueschingen, in: Schriften des Vereins f Geschichte u. Naturgesch. d. Baar in Donau­ eschingen, Band 33 (1980). im 21

1200 Jahre Aselfingen im Wutachtal im 1200 Jahre Aselfingen lieblichen Wutachtal, wahrlich ein stolzes Alter. Der Ort wird erstmals im Jahre 791 urkundlich erwähnt. In der Schenkungsurkunde vom 22. Oktober 791 hat GrafBertold mit seiner Mutter Raginsind die gesamte Habe in Asel­ fingen und Mundelfingen dem Gotteshaus St. Gallen geschenkt. Sicherlich war die Gegend schon weit früher besiedelt, denn Funde zum Beispiel auf dem Bürglebuck, Gemarkung Eschach lassen auf Bewohner in der Jungsteinzeit, etwa 3000 Jahre vor Christi, oder Münzen und Mauerreste auf Gemarkung Überachen auf römische Siedlungen vor rund 2000 Jahren schließen. In Aselfingen entstand die Urkirche der Wutachmark. Zu ihr gehörten neben den Talgemeinden Achdorf, Überachen, Eschach, Opferdingen auch Riedböhringen und Mundelfingen. Um das Jahr 1200 wurde Achdorf selbständige Pfarrei. Schon 1275 hatten beide Gemeinden, also Achdorf und Aselfingen, einen gemeinsamen Pfarrer und 1432 kam Aselfingen zur Gesamtpfarrei Ach­ dorf, behielt aber einige Pfarr-Rechte. Vorge­ fundene Mauerfundamente bei Grabarbei­ ten hinter dem alten Schulhaus 1880 lassen Reste eines ehemaligen Gotteshauses ver­ muten. Politisch war Aselfingen ein Bestandteil der Herrschaft Blumegg und kam nach ver­ schiedenen anderen Herrschaftsbereichen 1448 beziehungsweise 1457 wieder an St. Blasien. Die heute noch vorhandene St.-Otmars­ Kirche wurde 1593 im Renaissancestil erbaut und 1595 durch Weihbischof Balthasar III. von Konstanz geweiht. An der südlichen Ase!fingen von Norden her, rechts oben Überachen 22

Außenwand ist das Wappen des Abtes Caspar II. von St. Blasien mit der Jahreszahl 1593 angebracht. Das Türmchen enthält zwei der ältesten Glocken von Baden aus dem 14.Jahrhundert. Der Hochaltar stammt aus dem Exerzitienhaus der Jesuiten zu Ried­ öschingen. Beachtenswert sind die Chorbo­ genfiguren 1680, Votivtafel 1763 und spätgo­ tisches Kreuz um 1560. Eine Innenrenova­ tion der Kirche erfolgte 1990. Auf dem die Kirche umgebenden Friedhof werden seit 1937 auch die Einwohner von Überachen beigesetzt. Nach der Herrschaft von St. Blasien kam Aselfingen an die Fürstenberger bzw. an das Großherzogtum Baden. In der Gemeinderechnung für 1861 ist vermerkt, daß die vormaligen Gemeinden Aselfingen und Überachen im Wege des Gesetzes zu einer Gemeinde vereinigt und der Gemeinderat am 29.Juni 1848 von der Großherzoglichen Seekreisregierung in Kenntnis gesetzt wurde. Nach den der 1858er Rechnung ange­ schlossenen Verhandlungen zwischen den Gemeinderäten beider Orte ist das Gemein­ degebiet in bezug auf das Gemarkungsver­ hältnis als getrennt zu betrachten. Dies betrifft die Anlegung und Unterhaltung der Wege, Brücken, Stege, Dämme, Gehalt der Feldhüter, Kosten für Grenz- und Bannbe­ richtigung sowie Wegweiser, die Lasten des Gemeinde- und Allmendgutes, Gemeinde­ gebäude, Steuern, Äcker, Wiesen und Wal­ dungen. Nach der allgemeinen Volkszählung im Dezember 1861 besaß Aselfingen 128 Seelen (Einwohner), darunter 35 in Gunst der bür­ gerlichen Rechte stehend. Die Ortsentfernungen sind wie folgt ange­ geben: Amtsort Bonndorf 3 Stunden, Kreis­ stadt Konstanz 15 Stunden, Residenzstadt Karlsruhe 43 Stunden. Von den drei Mitgliedern des Gemeinde­ rats mußten zwei von Aselfingen und einer von Überachen gewählt werden. Im Bürger­ ausschuß waren jeweils zwei von jedem Ort vertreten. Bis zur Errichtung der Schule St.-Otmars-Kirche 1848/49 unterrichtete der Lehrer die Schüler in Privathäusern. Das Gasthaus zur Traube wurde in den Jahren 1824/26 errichtet. Der Bauherr geriet in erhebliche, finanzielle Schwierigkeiten. Neuer Besitzer wurde der aus der Mühle Achdorf stammende Michael Bausch (Urgroßvater des heutigen Besitzers Karl Bausch). Der herrliche Kachelofen der Wirtsstube trägt die Jahreszahl 1826. Alte Fremdenbücher verweisen auf einen lebhaf­ ten Verkehr in der Gaststätte. Zu den Gästen zählten vielfach Händler, Geologen und Studenten, letztere sicherlich interessiert an den geologischen Verhältnissen des Wutach­ tales. Aselfingen hatte von jeher immer wieder mit Verwüstungen durch Hochwasser zu kämpfen. Genannt werden vor allem die Jahre 1758, 1778 und 1792. Die schlimmste Katastrophe ereignete sich zweifellos am 16. Mai 1924. Ursache war ein schweres 23

Gewitter, das sich zwischen Aselfingen und Mundelfingen entlud und innerhalb weni­ ger Minuten das sonst so ruhige Aubächle zu einem reißenden Fluß verwandelte. Mitge­ führtes Geröll, Baumstämme und sonstiges Gehölz verursachten kurzfristige Staus. Die Wassermassen rissen mit, was in den Weg kam, darunter Schuppen und Garagen und selbst die Unterkunft der Feuerwehr mit den vorhandenen Geräten. Ein vierjähriges Kind konnte in letzter Minute in der Wohnung gerettet werden. Die Schüler flehten betend um Hilfe im Klassenzimmer. Es vergingen Wochen, bis die Aufräu­ mungsarbeiten beendet waren und der ver­ bleibende Schaden bekannt wurde. Viele Helfer haben Unmenschliches geleistet. Auch die Schäden in der Flur waren durch Hagelschlag ganz enorm. Das Hochwasser am 15. Februar 1990 (vgl. Almanach 91, Seite 11-14), bei dem die Wutachbrücke (Verbindung Aselfingen – Überachen) weggerissen wurde, hat die Asel­ finger von größeren Schäden verschont. Das im Jahre 1907 von der Gemeinde errichtete Schulgebäude nahm nach dem Zusammenschluß der Talgemeinden zur Gesamtgemeinde Achdorf im Jahre 1934 auch die Schüler von Achdorf auf. Der Schulentwicklungsplan setzte der selbstän­ digen Schule Aselfingen ein Ende. Die Grundschüler fahren täglich nach Riedböh­ ringen, Haupt- und Realschüler werden in Blumberg unterrichtet. In der ursprüngl_ich fast ausschließlich landwirtschaftlich orientierten Gemeinde ist ein erheblicher Strukturwandel eingetreten. Aselfingen zählt noch ganze drei Nebener­ werbsbetriebe. Die meisten landwirtschaftli­ chen Flächen sind an Landwirte von Über­ achen und Achdorf verpachtet. Die Einwoh­ nerzahl ist innerhalb der letzten 130 Jahre von 122 auf 78 zurückgegangen. Seit 1. April 1972 ist die Gesamtgemeinde Achdorf und damit auch Aselfingen in die Stadt Blumberg eingegliedert. Nach dem Bau des Hauptsammlers der Gemeinde Ewattingen zum Blumberger Klärwerk in Achdorf wurden auch die Aselfinger Grund­ stücke an die Abwasserbeseitigung ange­ schlossen. Der Ausbau der Kreisstraße wurde dem vermehrten Verkehr im Wutachtal gerecht. Ob und wann der geforderte Geh­ weg zwischen Aselfingen und Achdorf gebaut werden kann, läßt sich noch keines­ wegs beurteilen. Die seit der 30er Jahre betriebene Gemischtwarenhandlung wurde in den 60er Jahren aufgegeben. Auch der 1948 gebaute Farrenstall für die Ortsteile Achdorf, Aselfingen und Überachen mußte nach Abschaffung der Vatertiere aufgrund der festgestellten Rinderseuche vor etwa über 20 Jahren einer anderen Nutzung zuge­ führt werden. Im Erdgeschoß ist die Moste­ rei des Obstbauvereins etabliert. Am 6. Juni 1775 bereiste der 26jährige Johann Wolfgang Goethe das Wutachtal auf seiner Fahrt nach Schaffhausen, und der letzte Postillion blies sein Horn auf der Weg­ strecke am 10. Mai 1913. Hans Müller Das Wappen von Aselfingen Wappen: In Silber auf grünem Schildfuß ein grüner Laubbaum. Die frühere Gemeinde Aselfingen hat eigentlich gar kein Wappen geführt. Aus dem vorigen Jahrhundert stammt ein Farb­ stempel mit der Umschrift BÜRGERMEI­ STERAMT ASELFINGEN, der im inneren Ring einen Laubbaum (wohl eine Linde) auf einem Boden zeigt. Um die Jahrhundert­ wende wird ein ähnlicher Gummistempel verwendet, darin ist der Baum jedoch kugel­ förmig dargestellt. Im Jahre 1903 schlägt das Großherzoglich badische Generallandesarchiv Karlsruhe eine „bessere Darstellung des bisherigen Sie­ gelbildes in Wappenform“ vor: ,,In silbernem 24

fingen eingegliederte Gemeinde Überachen vom GLA im Jahre 1904 für den Dienststem­ pel mit der Umschrift „NEBENORT UEBERACHEN · DER STABHALTER ver­ wendet und so auch geführt. Mit der Eingemeindung von Aselfingen (mit Überachen) am 1. April 1934 nach Ach­ dorf ist der amtliche Gebrauch dieses Wap­ Klaus Schnibbe pens erloschen. Quellen und Literatur: Generallandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Amtsbez. Bonn­ doif. – GLA Wappenkartez� Schwarzwald­ Baar-Kreis. – GLA Siegelkartez� Schwarz­ wald-Baar-Kreis. – K. Schnibbe, Gemeinde­ wappen im ehemaligen Landkreis Donau­ eschingen, in: Schriften des Vereins für Geschichte u. Naturgeschichte der Baar in Donaueschingen, Band 33 (1980). (weißem) Schild auf grünem Boden ein Laub­ baum in natürl. Farbe. “ – Der kugelförmige Baum „in natürlicher Farbe“ ist hellgrün mit hellbraunem Stamm wiedergegeben. -Doch nahm die Gemeinde den Entwurf nicht an. Dagegen wurde dieses Wappen (diesmal mit ganz grünem Baum) für die 1848 nach einer Abstimmung der 10 Bürger nach Ase!- Das Wappen der Stadt Furtwangen im Schwarzwald Wappen: In Silber auf grünem Berg eine rote Burgruine mit Zinnenturm und silbernen Öff­ nungen, begleitet von zwei grünen Tannen. Die Furtwanger Wappengeschichte soll hier kurz zusammengefaßt erzählt werden. Obwohl schon Mitte des 18.Jahrhunderts ein Marktrecht verliehen wurde, ist eine Sie­ gelführung in vorderösterreichischer Zeit nicht nachzuweisen. Erst nach dem Anfall an das Großherzogtum Baden 1806 wird das anders. Das älteste Siegel der VOGTEY FURT­ WANGEN AUF DEM SCHWARTZWALD ist noch ein reines Schriftsiegel, doch 1820 erscheint auf einem schön gestochenen Vog­ teisiegel (= Gemeindesiegel) die Darstellung des „Heidenschlosses“. Zunächst nur als ein­ facher Ruinenturm auf bewaldetem Berg. Der Turm bleibt während des gesamten 19.Jahrhunderts, trotz der Ernennung zum Marktflecken 1823 und der Stadterhebung 1873, ziemlich unverändert. Als im Jahre 1900 die Diskussion um ein Stadtwappen geführt wurde, wünschte die Stadt die Beibehaltung des Ruinenturms. Das Generallandesarchiv in Karlsruhe lie­ ferte mehrere Entwürfe und empfahl, ,,da Furtwangen Stadtgemeinde sei“, statt eines einfachen Halbrundschildes „eine etwas rei­ chere Schildform“. Damit war wohl die Begehrlichkeit geweckt; jedenfalls machte nun die Stadt ihrerseits den Vorschlag, den etwas dürftigen Turm durch eine umfangrei- 25

chere Burgruine zu ersetzen. Die beigelegte Zeichnung wurde dann, bis auf geringfügige Änderungen, zur Vorlage für das Furtwanger Stadtwappen. Doch woher kommt nun dieses „Heiden­ schloß“? -Tatsächlich hat ja in und um Furt­ wangen nie eine Burg gestanden. -Doch gibt es oben bei der Martinskapelle eine Flurbe­ zeichnung Heidenschloß, die sich wohl auf die „Güntherfelsen“ beziehen dürfte. Diese auf der früher unbewaldeten Höhe imposant aufragende Felsgruppe aus der zerfallenen Granitdeckschicht des Schwarzwaldes hat sicher seit alten Zeiten die Volksphantasie beschäftigt und zur Annahme geführt, daß hier früher „Heiden“ gehaust haben mögen. Das seit 1900 geführte Stadtwappen ent­ hält also keine reale Burg, sie ist aber für die Furtwanger ein liebgewordenes Symbol. – Zwar hat das Wappen seitdem einige Verän­ derungen erfahren, es wurde jedoch 1984 vom Gemeinderat wieder im Wesentlichen auf den im Jahr 1900 angenommenen Wap­ peninhalt zurückgeführt. So steht die Burg für Geschichte und Vor­ geschichte, der Berg für die Höhenlage – Furtwangen ist die höchstgelegene Stadt Deutschlands-, die Farben rot-weiß sind die vorderösterreichischen und die Tannen deu­ ten auf den Schwarzwald hin, der seit 1. Oktober1988 auch als Namenzusatz amt­ lich verwendet wird. Klaus Schnibbe Quellen und Literatur: Generallandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Bezirk Triberg. – GLA-Wappenkartei, Schwarzwald-Baar­ Kreis. – GLA-Siegelkarte1� Schwarzwald­ Baar-Kreis. – Stadtarchiv Furtwangen. – F. Frankhauser u. A. Krieger, Siegel der badi­ schen Städte, hrsgg. v. d. Bad. Histor. Com­ mission, 3. Heft, Heidelberg 1909. – 0. Hupp, Deutsche Ortswappen, hrsgg. v. d. Kaffee HAG, Bremen o. ]. (um 1927), Freistaat Baden. – E. Keyser, Badisches Städtebuch, Stuttgart 1959 (=Deutsches Städtebuch, Band IV, 2. Teilband Baden). – K. Stad/er, Deutsche Wappen, Bundesrepublik Deutsch- 26 land, Band 8, Die Gemeindewappen des Bun­ deslandes Baden-Württemberg, Bremen 1971. – K. Schnibbe, Furtwangens Wappen …, Furtwangen 1979. – K. Schnibbe, Gemeinde­ wappen im ehem. Landkreis Donaueschingen, in: Schriften d. Vereins f Geschichte und Naturgesch. d. Baar in Donaueschingen, Band 33 (1980). – K. Schnibbe, Die Wand­ lungen des Furtwanger „Heidenschlosses“ in den Siegeln und Wappen, in: Mitt. d. Geschichts- u. Heimatvereins Furtwangen 7 (1984) Nr. 13. – H.}ohn u. M. Heine, Kreis­ u. Gemeindewappen in Baden-Württemberg, Band 3, Die Kreis- u. Gemeindewappen im Reg.-Bez. Freiburg, Stuttgart 1989. Der lange Weg Ihre Beziehungen zueinander: Ein Nebeneinander und der Weg, den sie wie Bäume in ihre Mitte nahmen – ebenbildlich sich fortsetzend einem Fluchtpunkt entgegen, wo – das hofften sie – alles zusammenliefe: Eine perspektivische Täuschung bis dorthin, wo die Luftschlösser unter der Brache zerfielen. – Ihnen bleibt nur die Wahl zwischen Neubeginn oder dem Sichverlieren, wenn nicht die Umkehr zu den fallenden Blättern ihrer Erinnerungen – und bis in die Wurzeln. Jürgen Henckell

Behörden und Organisationen In Furtwangen zum 30. Mal: Die DGB-Ausstellung „Beruf und Freizeit“ anläßlich des Maifeiertages „Kulturarbeit ist … Teil einer gesellschaft­ lichen Arbeit, die darauf ausgerichtet ist, humane, sozial gerechte und demokratische Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen . . . . In diesem Maße, wie die Arbeits- und Produktionsbedingungen … verändert wer­ den … , in dem Maße vergrößert sich die Bereitschaft, … ja das Verlangen der Arbeit­ nehmer nach kultureller Betätigung und Entfaltung.“ So steht es in den aktuellen kulturpoliti­ schen Leitsätzen des Deutschen Gewerk­ schaftsbundes, und der Hauptredner der Jubiläumsveranstaltung im Jahre 1991, der DGB-Landesvorsitzende Siegfried Pomme­ renke, betonte in seiner programmatischen Eröffnungsrede – Ernst Bloch zitierend -, daß Kultur keine Sonntagsangelegenheit sei, sondern eine Gestaltungsaufgabe. Bereits in der Frühzeit der Arbeiterbewe­ gung tauchte der Wunsch bzw. die Forde­ rung nach „Teilhabe“ an Kunst und Kultur auf, doch die beiden Weltkriege und das „Tausendjährige Reich“ ließen lange Zeit keine Entfaltungsmöglichkeiten für Kunst und Kultur zu. Viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schlugen sich auch im Oberen Bregtal die veränderten Produktionsbedingungen nie­ der. Im Jahre 1961 tauchten im Kulturaus­ schuß des DGB-Orskartells Oberes Bregtal Überlegungen auf, in Furtwangen eine ,,Hobby-Ausstellung“ zu veranstalten. „Geistiger Vater“ dieses Gedankens war Egon Ketterer, Ortskartellvorsitzender von 1952 bis 1965. In den Mitgliedern des Kultur­ ausschusses fand er die aktiven und kreativen Von links Karl Wehrle, Ortskartellvorsitzender von 1971 bis 1978, Bürgermeister Hans Frank (Furtwangen), Kurt Weisser(bis 1976 Organisa­ tor der Ausstellung) bei der Ausstellungseröjfnung im fahr 1975 Kollegen, ohne die die beste Idee nicht umzusetzen gewesen wäre. Kurt Weißer war von Anfang an dabei, und sein Tod im Jahre 1976 riß eine schmerz­ liche Lücke in diesen Kreis, dem auch Albert Westphal und Alfred Weißer zeitweilig ange­ hörten. Bis heute dabei sind Franz Glunk, Arnold Kienzler und Karl Wehrle. Einen „glücklichen Gedanken“ nannte es Alfons Diemer in seinem Zeitungsbericht von der ersten Ausstellung im Jahre 1962, anläßlich des Maifeiertages. Die Ausstellung hatte zunächst das Motto „Gestaltete Freizeit“. Weil sich von Anfang an auch Professionelle wie Aribert Hoch und Grete! Stoll beteiligten, ja der Ausstellung zusätzliches „Gewicht“ gaben, vereinten die Organisatoren Professionelle wie Hobby­ künstler unter dem Dach „Beruf und Freizeit“. 27

Ein weiterer roter Faden läßt sich in der Zeitungsberichterstattung dieser dreißig Jahre erkennen: Was eigentlich ist „Kunst“? Man wolle ,,nicht der Staatsgalerie Konkurrenz ma­ chen“, heißt es irgendwo entschuldigend, oder den „Professionellen“, die es ja gelernt haben. So wird der „innere Wert“ der Frei­ zeitkunst beschworen. Aber Professionelle, wie Aribert Hoch und Grete! Stoll, standen von Anfang an in trauter Eintracht neben den vielen Hobby- und Freizeitkünstlern. Die Frage „was ist Kunst“, ist noch immer nicht schlüssig beantwortet worden, zum Glück vielleicht. Nach Stanislaw Jerzy Lee hat „Volks­ kunst“ nur den Nachteil des fehlenden Copyrights. Käthe Kollwitz schreibt: ,,Man mag tausendmal sagen, daß das nicht reine Kunst ist, die einen Zweck in sich schließt. Ich will mit meiner Kunst, solange ich arbei­ ten kann, wirken“. Ist Kunst nicht auf jeden Fall Mitteilung, Kommunikation? Was eigentlich ist an der Furtwanger Aus­ stellung dran, daß sie sich über einen so lan­ gen Zeitraum nicht nur gehalten – Schwan­ kungen durchaus inbegriffen -sondern eher noch gesteigert hat? Die Aussteller kommen ja nicht nur aus der näheren Umgebung! Die Ausstellung hat auch Anziehungskraft bis ins benachbarte Ausland,ja in einem Fall bis nach Australien. Sicher trägt dazu die Absage in jegliche Wett­ bewerberei bei, die unvermeidlich notwen­ dige Kriterien und damit Abgrenzungen und Verletzungen bei manchen Beteiligten nach sich gezogen hätte. Erfahrungsgemäß ist es gerade für Hobbykünstler nicht ganz ein­ fach, die Schwelle „nach draußen“ zu über­ winden, sich der Öffentlichkeit preiszuge­ ben. Es ist eine eigene Stimmung über der Furt­ wanger Ausstellung: Viele Aussteller kennen sich allmählich, man erfreut sich an gelunge­ nen Werken, trifft alte Bekannte, auch unter den Organisatoren. Die Aussteller gehören ,,zum Volk“ und kriegen auch ohne die De­ finition übers Geld Anerkennung zu spüren, Von links Kurt Weisser, Hedwig Mermann, SPD-MdB aus Tuttlingen, und Erich Markstah­ /er, bis 1972 DGB-Kreisvorsitzender, bei er Eröffnung 1967 So ist es bis heute geblieben. Die Ausstellung – tatkräftig unterstützt auch von der Stadt und früher von dem ehe­ maligen Bürgermeister Hans Frank – war zunächst in wechselnden Räumen unterge­ bracht (auf die Friedrichschule folgte die Festhalle und das Progymnasium). Seit 1972 hat sie nicht nur ihren „zeitlichen Ort“, den Tag der Arbeit, sondern auch ihren „räum­ lichen Ort“ gefunden – die Aula der Fach­ hochschule. Schon anläßlich der ersten Ausstellung im Jahre 1962 klang der Grundakkord dieser Veranstaltung an, der sich durch fast alle Eröffnungsreden zieht: Der entfremdete, d. h. der ausgerichtete Mensch des Industriezeitalters und seine Lebensverhältnisse. Der Mensch – so Bür­ germeister Herb in seiner Eröffnungsrede – der angeblich nichts anderes im Kopf habe als die „vier F’s, nämlich Fernsehen, Filzpantof­ feln, Flaschenbier und Faulenzen“ und der Mensch, der dieses Geschwätz Lügen straft. Brigitte Erler, die im Jahre 1976 die Aus­ stellung eröffnete, wies darauf hin, daß es eine unmittelbare Beziehung gibt zwischen eintöniger und stumpfsinniger (Erwerbs) -Arbeit und eintönig und isoliert verbrachter Freizeit. Doch in den Jahren der Rezession tauchte auch die Mahnung auf, wie glücklich der Mensch sei, der Arbeit habe. 28

wobei sicherlich das eine oder andere Stück in den vielen Jahren auch mal seinen Besitzer gewechselt hat. Der Kreis schließt sich: Die vielen Aus­ steller, die ihr Hobby meist im stillen Käm­ merlein pflegten, trafen auf einen DGB­ Kulturausschuß, der seinerseits Kreativität, Organisationstalent und eine Unmenge Frei­ zeit einsetzte, um das Werk jedes Jahr von neuem gelingen zu lassen. Selbstverständlich gehören in diesen Kreis auch die kleinen und großen Künstler der Jugendmusikschule. Anläßlich der 25. Ausstellung „Beruf und Freizeit“ nannte Matthias Manz vom DGB­ Landesbezirksvorstand die Ober-Bregtäler Ausstellung einen „Impuls für die gewerk- Maria Chmiel aus Wolterdingen demonstriert Goldstickerei bei der Ausstellung ’91 schaftliche Kulturarbeit in der ganzen Bun­ desrepublik“. Esther Strube Frühling Ölbild: Klaus Burk 29

Schulen und Bildungseinrichtungen Zum lSOjährigen Bestehen der Höheren Schule Schwenningen: Schuljubiläum des Gymnasiums am Deutenberg 1990 Welche Entwicklung die 1840 errichtete einklassige „Realschule“ im Laufe von ein­ einhalb Jahrhunderten quantitativ und qua­ litativ nehmen würde, hätten sich damals wohl weder Kirchenkonvent noch Gemein­ derat träumen lassen: ein vollausgebautes Allgemeinbildendes Gymnasium mit einem mathematisch-naturwissenschaftlichen und einem neusprachlichen Zug II, an dem 1990 69 Lehrkräfte 735 Schüler und Schülerinnen unterrichten und fast einhundert Abiturien­ ten entlassen wurden, steht heute da. Schwenningen im Mittelalter 30 Zur Zeit der Gründung verstand man unter „Realschule“ nicht dasselbe wie heute. Eine „Realschule“ im heutigen Wortsinn wurde erst 50 Jahre später als „Mittelschule“ in Schwenningen eingerichtet. Hinter der Gründung der alten württembergischen Realschule stand der Gedanke, dem „gewerblichen Bürgertum“ und seinem „wachsenden Kulturstande“ die Möglichkeit einer entsprechenden allgemeinen Bildung als „Grundlage aller höheren Berufsarten“ anzubieten (0. Benzing, S. 42). In Konkur­ renz zu den herkömmlichen „Lateinschu­ len“, von denen es im Dorf Schwenningen keine gab, sollten in diesen Realschulen ,,Professionisten“, beispielsweise für Inge­ nieurwesen und technische Wissenschaften, herangebildet werden. Zögernd nur wurden die ersten Schulen dieser Art 1783 in Ehingen und auch Nürtingen angenommen, dann aber ganz entschieden von den Landständen Württembergs 1835/36 gefordert und geför­ dert, ja es wurden sogar bisherige Lehranstal­ ten für alte Sprachen in solche für neue Spra­ chen und „Realien“ umgewandelt. Schwenningens wirtschaftliche Bedeu­ tung wuchs dank dem Uhrmachergewerbe damals zusehends; als Ortschaft ragte es mit seinen 3 800 Einwohnern schon über den Durchschnitt der württembergischen Land­ gemeinden hinaus. Folgerichtig griff der Kir­ chenkonvent des Dorfes, der zu jener Zeit für das Schulwesen der Gemeinde zuständig war, eine Anregung des Oberamtes Tuttlin­ gen auf, als der Pfarrer zusammen mit dem Schultheiß und einigen Gemeinderäten am 25. März 1839 eine Eingabe an die Regierung vornahm, in der um Errichtung einer Real­ schule nachgesucht wurde.

Nach langwierigen Verhandlungen mit der Landesregierung erklärte sich diese in der Entschließung vom 22. April 1840 bereit, der Gemeinde einen jährlichen widerruflichen Staatsbeitrag von 350 Gulden und eine Pau­ schalvergütung von 250 Gulden für Lehrmit­ tel zu bewilligen. Die Gemeinde mußte sich zur Übernahme des weiteren erforderlichen Aufwands bereit erklären. Hier ging es ein­ mal um die Anstellung und Besoldung eines Lehrers: sie wurde mit 600 Gulden neben freier Wohnung angesetzt. Zum anderen brauchte die Schule Räumlichkeiten. Dazu lesen wir im Gemeinderatsprotokoll vom 13. Mai 1840: ,,Von dem Gemeinderath und Bürgeraus­ schuß. Durch die Errichtung einer Real­ schule ist die Gemeinde in dem Fall, ein schönes, helles Lehrerzimmer anzuschaffen und dieses findet sich in der Wohnung des Knabenschulmeisters Beckh.“ (bei 0. Ben­ zing, S. 43) Das Datum dieses Protokolls wurde als eigentlicher Zeitpunkt für die Gründung der Schule aufgegriffen. Im März 1841 wurde mit dem Lehramts­ kandidaten Carl Weiß der erste Reallehrer verpflichtet, am 26. April desselben Jahres mit vermutlich sechzehn Schülern der Unterricht im alten Schulhaus, in dem auch die Volksschule untergebracht war, aufge­ nommen. Zwar wurden damals jährlich vier bis sechs neue Realschulen im Lande eröff­ net, unter den Dörfern war Schwenningen aber nach Ehingen und Schramberg erst die dritte Gemeinde mit einer solchen Anstalt. Von 1841 bis 1883 stand nun die Real­ schule als einklassige Anstalt für Jungen zwi­ schen 10 und 14 Jahren zur Verfügung. Nach vier Klassen Volksschule war der Übertritt möglich, der in weiteren vier Jahren eine ele­ mentare wissenschaftliche Ausbildung er­ möglichen sollte. Damit schlossen die Real­ schüler gleichzeitig mit den Volksschülern ihre Schulzeit ab, traten aber in das geho­ bene Berufsleben oder in die Oberklasse einer weiterführenden Realanstalt der weite­ ren Umgebung ein. Neben grundlegenden Fächern wie Deutsch, Religion, Geschichte und Erdkunde, Schönschreiben, Singen und Turnen, erlernten sie die französische Spra­ che und hatten ihre Schwerpunktfächer Geometrie, Naturkunde, Geometrisches Zeichnen, Freihandzeichnen sowie Rech­ nen. Die Schülerzahl bewegte sich in dem genannten Zeitraum zwischen den erwähn­ ten sechzehn und etwas über dreißig Schülern. Mädchen kamen erst nach der Jahrhundertwende auf diese Schule. Den Berichten nach war das erste Mädchen die Tochter des damaligen Pfarrers, die im Jahre 1905 mit Sondergenehmigung aufgenom­ men wurde. Ab 1883 konnte eine zweite Klasse, eine Kollaboraturklasse, eröffnet werden, und das Eintrittsalter wurde auf das 8. Lebensjahr gesenkt. Dem raschen Wachstum der Ortschaft im Gefolge der aufblühenden, zunehmend industriell betriebenen Uhrenfabriken ent­ sprach der schwunghafte Anstieg der Schü­ lerzahlen. Als 1893 über 80 Schüler angemel­ det waren, wurde eine 3. Klasse eröffnet; eine 4. Klasse schloß sich 1897 beim Stand von 116 Schülern an; schon zwei Jahre später machten 155 Zöglinge eine 5. Klasse nötig, und genau im Jahre 1900 wurde die Schule mit der Errichtung einer 6. Klasse, der „Ober­ klasse“, eine „Anstalt“ nach § 90, 2 C der Wehrordnung, an der das „Einjährige“ abge­ legt werden konnte. Verschiedenfarbige Schülermützen wiesen auf die Klassenstufen hin. Mit dem „Einjährigen“ ist gemeint, daß die Anstalt das Recht auf Ausstellung von Zeugnissen über die wissenschaftliche Befä­ higung für den einjährigen freiwilligen Mili­ tärdienst erhielt: „Wer die Prüfung bestand, hatte davon bedeutende Vorteile. Seine Militärdienstzeit verkürzte sich auf ein Jahr, er konnte sich Waffengattung und Standort selbst auswäh­ len und hatte im Heer schnellere Aufstiegs­ möglichkeiten. Er konnte in die landwirt­ schaftliche Hochschule in Hohenheim ein­ treten oder in die Baugewerbeschule in Stutt- 31

Realschule Schwenningen (Vorläuferin des heutigen Gymnasiums) bei der Einweihung 1902 (genutzt als Gymnasiumsgebäude bis 1965) gart, als außerordentlicher Schüler sogar in die Technische Hochschule. Er bekam Zugang zum niederen Justiz-, Verwaltungs­ und Finanzdienst. Überdies galt das Zeugnis als Empfehlung zum Eintritt in gewisse gesellschaftliche Schichten.“ (0. Benzing, S. 59 f.) Ein Problem stellte die ganze Zeit über die Unterbringung der wachsenden Schüler­ schar dar. 1873 siedelte sie vom alten Schul­ haus ins Knabenschulhaus nördlich der Stadtkirche über, war 1896 im Karlsschulge­ bäude und zwischenzeitlich auch teilweise in der Mauthe-Schreinerei einquartiert. 1902 allerdings erhielt die Anstalt ihr eigenes, für die damaligen Verhältnisse großzügig ange­ legtes Gebäude am Postplatz (heutige Janusz-Korczak-Schule), das bis 1965 im Dienste dieser Schulart stand, auch wenn sich ihre Bezeichnung (1928: Oberreal­ schule, 1937: Oberschule für Jungen, 1954: Gymnasium Schwenningen) mehrmals änderte. Das heutige Hauptgebäude des Gymnasiums konnte als Neubau 1965 bezo­ gen werden und erhielt 1972 den Namen ,,Gymnasium am Deutenberg“. Als Schwenningen 1907 zur Stadt erhoben wurde, hatte es bereits weit über 10.000 Ein­ wohner. Der Antrag, die Schule zu einer neunklassigen Vollanstalt auszubauen, wurde zwar schon 1919 gestellt, seine Ver­ wirklichung verzögerte sich – nicht zuletzt durch die Inflation – bis 1925, als ein Dut­ zend Schüler die weiterführenden drei Klas- 32

sen durchlief und 1928 als erste Abiturien­ tenklasse Schwenningens verabschiedet wurde. Mußten diese ersten Abiturienten noch ihre Prüfungen in Rottweil ablegen, konnte die darauffolgende Abiturienten­ klasse 1929 zu diesem Zweck im eigenen Gebäude bleiben. Natürlich erforderte die Ausdehnung und Differenzierung des Schulbetriebs, daß wei­ tere Lehrer eingestellt wurden. Neben einem „Kollaborator“ (hilfsweise angestellte Lehr­ kraft, oft in der Ausbildung) ab 1883, wurden ab 1895 zusätzliche Reallehrer eingestellt, die vor allem Bereiche wie Zeichnen, Sport, Musik abdeckten. Damit erhielt die Schule auch ihren ersten Rektor: der bis dahin allein tätige Reallehrer Johannes Heinz wurde mit diesem Amt betraut. In den zwanziger und dreißiger Jahren umfaßte das Lehrerkolle­ gium ungefähr ein Dutzend Lehrkräfte, überschritt in den fünfziger Jahren deutlich die Zahl zwanzig, verdoppelte sich bis zum Ende der sechziger Jahre und erreichte Mitte der siebziger Jahre den Höchststand mit über 70 Lehrkräften. Erst während des Zweiten Weltkriegs wurde die erste weibliche Lehr­ kraft eingestellt, heute stellen die Frauen ca. ein Viertel des Kollegiums. Die Weltwirtschaftskrise ließ zu Anfang der dreißiger Jahre die Schülerzahl deutlich zurückgehen; viele Eltern konnten das Schulgeld nicht mehr aufbringen. Die Ober­ stufe und damit die Möglichkeit, in Schwen­ ningen das Abitur zu machen, war gefährdet. Tatsächlich wurde die Oberrealschule zeit­ weise zur Realanstalt zurückgestuft. 1936 und 1937 gab es keine Abiturklassen, ab 1938 waren sie -nun schon nach 12 Schuljahren – wieder vorhanden. Der Zweite Weltkrieg riß große Lücken in die Zahl der Schulabgänger, und auch einige Lehrer verloren ihr Leben. Ein geordnetes Schulleben wurde zuneh­ mend undurchführbar. Ende April besetzten französische Truppen die Stadt. Nachdem das Schulgebäude anfangs als französische Kaserne diente, konnte der Schulbetrieb erst im Herbst 1946 wieder im alten Gebäude mühsam und unter vielen Einschränkungen aufgenommen werden. Säuberungen und Vorschriften der Besat­ zungsmacht, Flüchtlinge, materielle Not, Heizungs- und Lichtprobleme, die Entnazi­ fizierung und die geistige Umorientierung der Schüler warfen viele Probleme auf; die Schulakten waren von den Franzosen ver­ brannt worden. Ungefähr zur Zeit des Amts­ beginns von Oberstudiendirektor Dr. Max Frommer als Schulleiter im Jahre 1951 began­ nen die Verhältnisse sich in geordneten Bah­ nen zu bewegen. Zunehmend wurde der reguläre Unterricht von einem aktiven Schulleben begleitet. Eine regelmäßig er­ scheinende Schülerzeitung (,,Der Gefährte“) wurde begründet, die „Schülermitverwal­ tung“ und die Mitwirkung der Eltern fanden ihren organisatorischen Platz, Musik-, Thea­ ter- und Sportveranstaltungen, Schülerbälle und Studienfahrten sorgten für Engagement und Horizonterweiterung über die Stoffver­ mittlung hinaus. 1959 ist das Naturwissenschaftliche Gym­ nasium Schwenningen durch den neu­ sprachlichen Zweig II, der Latein ab Klasse 7 (heutige Zählung) als zusätzliche Fremdspra­ che anbietet, zur Doppelanstalt geworden. Anfang der sechziger Jahre verfügte es zudem einige Jahre lang über einen Aufbau­ zug, der auf das Studium an einer Pädagogi­ schen Hochschule vorbereitete. Seit 1964 wird die Schule in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Schulpädagogik in Rottweil zur Ausbildung von Referendaren als Lehramts­ kandidaten herangezogen. Der Umzug in das neue Schulgebäude am Deutenberg 1965 leitete eine neue Ära ein, die mit dem Namen des Nachfolgers von Dr. Frommer im Amt des Schulleiters, Oberstudiendirektor Dr. Rolf Mehne, verbunden ist. Sein Amtsantritt 1969 fiel in die Zeit gro­ ßen inneren Umbruchs im gesellschaftli­ chen, also auch schulischen Leben. Die Stu­ dentenunruhen („APO-Bewegung“) stellten vieles im bisherigen pädagogischen Selbst­ verständnis in Frage. Ein großer Teil außer­ unterrichtlicher Veranstaltungen wurde nun von Schülern abgelehnt oder kam mangels 33

Unterstützung zum Erliegen. Einer Veiwis­ senschaftlichung des Unterrichts wurde das Wort geredet. Aufgrund der damals allent­ halben um sich greifenden Bildungskampa­ gnen nahm der Ansturm auf das Gymna­ sium drastisch zu, wobei diese Schulform selbst wieder kritisiert wurde: Gesamtschu­ len wurden stattdessen gefordert. Die Bewältigung der Raumnot durch Nebengebäude, der Ausbau der Sportanla­ gen, die Integration vieler neu an die Schule gekommener Junglehrer, der geduldige und bestimmte Umgang mit den Schülern brach­ ten eine allgemeine Beruhigung mit sich. Eine neue Identifizierung mit der eigenen Schule läßt sich an den -vor allem in den achtziger Jahren -wieder stark anlaufenden Schulaktivitäten ablesen. Weitgehend auch auf Initiativen von Schülern zurückgehend seien hier Abiturfeiern und Abi-Zeitungen, Schülerzeitungen, Schuldiscos, Kleinkunst­ abende und Aktionswochen (Friedenswo­ che, Umweltwoche) genannt. Fast schon Schulhof Gymnasium am Deutenberg 1990 ihre eigene Tradition haben in diesem Zeit­ raum Veranstaltungen entwickelt, wie das jährliche Schulfest in Verbindung mit dem Aufbringen von Geldern für Patenschaften in der Dritten Welt, das Weihnachts- und Sommerkonzert, die Aufführungen der Theater-AGs, Ausstellungen und Aktionen des Faches Kunst, die Projektwochen, der ,,Treffpunkt Gymnasium“, das „Montagsse­ minar“, die Austauschprogramme mit Ren­ nes (früher mit Saintes) in Frankreich und Derby in England sowie das Hallensportfest. Überblickt man die Fülle von Veranstal­ tungen und Aktivitäten, die in den letzten Jahrzehnten angeregt, angenommen und immer wieder neu gewünscht wurden, so darf man ein neues Interesse aller am Schul­ leben Beteiligten an „ihrer“ Schule vermu­ ten. (Sicherlich entspricht diese Entwicklung auch dem Trend der Zeit und ist nicht allein eine Errungenschaft des Gymnasiums am Deutenberg.) Verbindet man damit die Tat­ sache, daß die Klassen kleiner geworden, die 34

Die Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe, Stadtbezirk Villingen Gesamt-Schülerzahl auf ein handliches Maß geschrumpft ist und ein Anfang gemacht wurde, der grauen Betonschule ein farben­ frohes Aussehen zu geben, so besteht wohl Grund genug, das 150jährige Schuljubiläum zum Anlaß für Freude, Dankbarkeit und auch ein klein wenig Stolz zu nehmen. Die Festwoche vom 7. bis 16. Juli 1990 fand jedenfalls vorwiegend Anklang und regen Zuspruch und zeugte vom harmonischen Miteinander von Schülern, Lehrern, Schul­ leitung, Eltern, Vertretern der Stadt und den Schulbehörden. Daß über die Schulzeit hinaus eine enge Verbundenheit vieler ehe­ maliger Schüler zu ihrer alten Lehranstalt vorhanden ist, kann man aus deren leb­ haften Anteilnahme, vielen Besuchen und der Mitarbeit an der umfangreichen Fest­ schrift schließen. -Werden und Wachsen einer berufsbegleitenden Schule – Die Einrichtung der Landesberufsschule geht auf das Jahr 193 7 zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt gingen die Lehrlinge des Hotel­ und Gaststättengewerbes in die örtlichen Gewerbeschulen und hatten den gleichen Lehrstoff wie die Handwerksberufe. Eine gezielte berufliche Bildung war auf diese Weise nicht möglich. Die Verantwortlichen des Hotel- und Gaststättenverbandes sowie die Industrie­ und Handelskammer machten sich deshalb Gedanken, wie man diesem Notstand abhel­ fen kann. Die Lösung war der Blockunter­ richt für alle Lehrlinge im Gaststättenge­ werbe. An der Höheren Handelsschule in Baden-Baden wurde ein Schulzug geschaf­ fen. Im Herbst 1937 wurde eine Anzahl Lehr­ linge dorthin einberufen. Acht Wochen dau­ erte der Kurs. Die Unterkunft war in der Jugendherberge, die Mahlzeiten wurden im Gasthaus „Grüner Baum“ in Baden-Oos ein- So bleibt zu hoffen, daß die günstige Ent­ wicklung, die das Gymnasium nach dem Krieg und besonders im letzten Jahrzehnt genommen hat, anhalten wird und beim nächsten Jubiläum eine ähnlich positive Rückschau ermöglicht. Raimund Fleischer Benutzte Literatur: Otto Benzing: 400 Jahre Schulwesen in Schwenningen a.N., Festschrift 1965. Fritz Rupp: Von der Realklasse zur Oberschule, in: „Schwenninger Heimatblätter“, Oktober 1952.Gymnasium am Deutenberg, Einhun­ dertfünfzig Jahre Höhere Schule in Schwenningen, 1990. genommen. Leiter der Schule war Oberstu­ diendirektor Kräßig. Nur Jungen besuchten diese Schule, weibliche Lehrlinge waren zu jener Zeit selten. Ein großes Pensum an Lehr­ stoff war zu bewältigen, morgens und nach­ mittags wurde unterrichtet. Um 22 Uhr wurde das Licht vom Herbergsvater ge­ löscht. Absolute Nachtruhe, Ausgang gab es nicht in dieser Zeit, wer sich nicht an die Ordnung hielt, wurde von der Schule verwie­ sen. Der Unterricht war rein fachlich bezo­ gen, englisch und französisch waren Pflicht­ fremdsprachen. Einmal in der Woche fand Turnunterricht statt. Servierkunde erteilte Direktor Günthör vom Hotel Zähringer Hof, Küchenunterricht ein Herr Müller von der gleichnamigen Pension. Beide Herren waren versierte Fachleute, die es verstanden, ihr reiches Wissen den Schülern zu übermit­ teln. Die Gastronomen von Baden-Baden nahmen sich in besonderer Weise den Schü-35

lern an. Direktor Schöllerer vom Kurhaus sei hier besonders erwähnt. Durch die lnitiative dieser Herren fanden Ausflüge an markante Punkte der Landesgastronomie und Braue­ reien statt, ebenso wurden Führungen durch Baden-Baden, eine Besichtigung der Spiel­ bank und der römischen Badruinen durch­ geführt. Spaziergänge in die nähere und wei­ tere Umgebung dienten ebenfalls der Frei­ zeitgestaltung.Baden-Baden war für die mei­ sten Teilnehmer ein besonderes Erlebnis. Die luxuriösen Hotels und die schönen Anlagen waren sehr beeindruckend. Im folgenden Jahr 1938 wurde der Block­ unterricht in gleicher Weise wieder in Baden­ Baden durchgeführt. Unter den Teilnehmern war eine gute kol­ legiale Atmosphäre, manche Freundschaft hielt noch Jahre. Ab 1939 fanden die Kurse an der Hotel­ fachschule in der Mönchhofstrasse in Heidel­ berg statt. Unterkunft und Verpflegung erhielten die Schüler im Gasthaus zum ,,Schwarzen Bock“ in der großen Mantelgasse. 36 Der Schwarze Bock war eine urige Studen­ tengaststätte. In den Tischen waren viele Namen und manches Zitat eingeritzt. Der Vorsitzende der Fachgruppe Hotels, Hote­ lier Fritz Gabler, hat es sich nicht nehmen lassen, sich persönlich um das Wohl der Schüler zu kümmern. Die Fachschule in der Mönchhofstraße fiel während des 2. Weltkrieges den Bomben zum Opfer. Damit war auch der Blockunter­ richt für die Lehrlinge im Gaststättenge­ werbe zu Ende. 1948 waren es wiederum beherzte Männer aus Wirtschaft und Ver­ band, die eine Schule für Blockunterricht ins Leben riefen. Aufgrund der früheren Erfahrung war man sich einig, daß der Unterricht an den Gewerbeschulen nicht ausreicht, den Lehr­ lingen des Gewerbes das richtige Fachwissen zu übermitteln. Sechs Wochen sollten die Schüler rein fachlich orientierten Unterricht erhalten und internatsmäßig untergebracht werden. Dies bedeutet, daß die Lehrlinge für diese Zeit aus den Betrieben herausgenom-

men würden, um am Blockunterricht teilzu­ nehmen. Die Frage stellte sich, wo kann man Schule und Internat unterbringen. Angebo­ ten hat sich zu der Zeit das Strand-Hotel auf der Mettnau. Es war Aufgabe des Stadtbau­ amtes Radolfzell, das Haus wieder herzu­ richten. Die erste Einberufung erfolgte, und der Unterricht lief unter Studienrat Herbert Klotz (früher Baden-Baden) und Fachlehrer Rudolf Kristeck hervorragend. Die Landesberufsschule wurde Pflicht­ schule für alle gastgewerblichen, männli­ chen Lehrlingen aus dem Regierungsbezirk Südbaden. Dadurch ging die Schülerzahl sprunghaft in die Höhe. Man war wieder gezwungen, nach größeren Räumen Aus­ schau zu halten. Das Strand-Hotel Löchnerhaus unter Paul Leisner bot sich für den Winterbetrieb an. Hierzu kam noch das Hotel Mohren der Familie Frommherz-Kunkel und das Wald­ hotel Jakob der Familie Sigel. Auch auf der Reichenau war die Schule den Handelslehr­ anstalten in Konstanz mit Oberstudiendi­ rektor Fridolin Müller angegliedert. Schullei­ ter war Studiendirektor Kamm, mit von der Partie Studienrat Güdemann. Beide haben ein Fachbuch geschrieben, das in Schüler­ kreisen großen Anklang fand. An Hans Rümmele, legendärer Küchenfachlehrer, sei besonders gedacht. Im Strand-Hotel Löchnerhaus wurden Gehilfenprüfungen für die Kammerbezirke Konstanz und Villingen durchgeführt. Die Abschlußessen waren für die geladenen Gäste stets ein kullinarisches Erlebnis. Die Gründung eines Schulvereins wurde notwendig, da die Verwaltung und Organi’sa­ tion der Schule immer größere Ausnahme annahm. Finanzielle Zuschüsse vom Staat waren dringend notwendig, um die Bewälti­ gung der Aufgaben zu meistern. Der Ver­ band als bisheriger Schulträger war alleine nicht mehr in der Lage, die finanziellen Bela­ stungen zu tragen. Erster Vorsitzender des Schulvereins für das Hotel- und Gaststätten- 38 gewerbe wurde 1955 AdolfBrütsch, damali­ ger Vorsitzender des Gaststättenverbandes Südbaden. Er hat sich um den Aufbau der Landesberufsschule besonders verdient ge­ macht. Auch auf der Reichenau wurde der Platz zu eng, es wurde wieder nach einer neuen Unterkunft gesucht. Die Hotels standen nur für den Schulbetrieb in den Wintermonaten zur Verfügung. So suchte man eine Möglich­ keit, wo ein Ganzjahresschulbetrieb abgehal­ ten werden konnte. Einen Neubau auf der Reichenau faßte man ins Auge. Da in Villin­ g_en das alte Krankenhaus leer stand, war die Überlegung nahe, die Schule samt Internat dort unterzubringen. Der damalige Kreisvorsitzende Erwin Kai­ ser vom Hotel „Blume-Post“ in Villingen hat sich sehr stark für diesen Vorschlag einge­ setzt, ebenso Kollege Adolf Ketterer, Hotel Ketterer in Villingen, Vorsitzender der Prü­ fungskommission, sowie Hans Diegner, Schwarzwaldhotel in Königsfeld, und Stu­ diendirektor Schill. Landrat Dr. Josef Ast­ fäller, Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhold Dietl von der Industrie- und Handelskam­ mer sowie Oberbürgermeister Severin Kern ist es mit zu verdanken, daß die Schule nach Villingen kam. Nachdem das Oberschulamt in Freiburg seine Zustimmung gegeben hatte, wurde mit dem Schulbeginn am 15. 9.1963 begonnen. Schulleiter war Stu­ diendirektor Schwenzel. Bald mußte man feststellen, daß Schule und Internat wieder zu klein waren. Der Landkreis entschloß sich deshalb, ein Schulgebäude und ein Mäd­ chen-Internat zu errichten. Der Unterricht konnte am 15. 4.1971 aufgenommen werden. Schulleiter war inzwischen Oberstudiendi­ rektor Franz Et püler. Am 11. 4.1972 war das Mädcheninternat bezugsfertig. Die Lehrlingszahlen gingen ab 1974 sprunghaft in die Höhe. Wieder mußte man an eine Erweiterung denken. Da die Unter­ rich tsdauer verlängert wurde, war die Kapazi­ tät der Schule zu klein geworden. Der Kreis­ tag beschloß, Klassenzimmer, Servierräume,

Lehrküchen, Übungskontor, Konferenzzim­ mer, Labor und eine Turnhalle zu schaffen. Beschlossen wurde ebenfalls, das Internat auf 600 Betten zu erweitern und eine Anzahl Freizeit- und Nebenräume zu errichten. Dadurch war eine Verbesserung des fachli­ chen Unterrichts gewährleistet. Für diese großzügige Leistung sei dem Schwarzwald­ Baar-Kreis besonders gedankt. Erwin Kaiser, Schatzmeister des Schulver­ eins, hat sich beim Ausbau der Schule sehr verdient gemacht. Als erfahrener Hotelier war es ihm möglich, wertvolle Vorschläge einzubringen. Nachdem die Verwaltung von Schule und Internat immer größere Ausmaße annah­ men, beschloß der Schulverein, die Träger­ schaft an den Landkreis abzugeben. Am 1. 1. 1972 übernahm der Landkreis die ge­ samte Verwaltung der Landesberufsschule. Neben dem üblichen Unterricht wurden auch Fachlehrgänge abgehalten zur Vorbe­ reitung von Meisterprüfungen. Die Gehil­ fenprüfungen fanden ebenfalls seit 1963 an der Landesberufsschule statt, seit geraumer Zeit auch Meisterprüfungen. Die Schülerzahl stieg in all den Jahren auf fast 3.000 an, wobei die weiblichen Teilneh­ mer inzwischen überwiegen. Durch die stets steigende Schülerzahl war man vor Jahren gezwungen, die Grundstufe, d. h. den ersten Kurs, an örtliche Berufsschulen zu verlegen. Inzwischen hat es sich erwiesen, daß es bes­ ser wäre, die Grundstufe wieder an die Lan­ desberufsschule zurückzuführen, da der Unterricht ist. Deshalb drängt der Landesverband des Hotel- und Gaststättengewerbes auf baldmöglichste Rückführung aller gastgewerblichen Ausbil­ dungsberufe. In einem ersten Schritt wurden im September 1990 bereits die Fachgehilfin­ nen zurückgeführt. fachbezogener Damit wäre die Chancengleichheit für alle Schüler geschaffen. Seit 3. 9.1990 be­ steht eine Fachschule für den Hausdamen­ bereich. 1993 werden es dreißig Jahre, daß die Schule in ViUingen besteht. Ein Grund, all denen zu danken und zu gedenken, die mit­ geholfen haben, die Schule aufzubauen und zu gestalten. Seit 1977 ist Peter Rengel Leiter des Inter­ nats. Ein Glücksfall für Schüler und Schule! Seine außerordentlichen pädagogischen Fähigkeiten machen es ihm leichter, die manchmal schwierigen Probleme zu lösen. Die Schule ist inzwischen ein Aushänge­ schild der Gastronomie des Landkreises und der gesamten Region geworden. Bei man­ chen Festlichkeiten konnten Fachlehrer und Schüler ihre Leistung unter Beweis stellen. Mögen in Zukunft Schulleiter und Lehr­ kräfte alles daran setzen, die Schule auf dem jetzigen, allseits anerkannten, guten Niveau zu halten, so daß deren Schüler draußen in der Welt als Botschafter deutscher Gastlich­ keit angesehen werden. Eduard Nobs Jugendzeit Wie gerne denk‘ ich noch zurück An meine Jugendzeit, War sie des Lebens schönstes Stück Liegt sie zurück, so weit. War auch nicht alles unbeschwert Auf dieser heiklen Welt, Doch Gutes war mir oft beschert, Wohl alles recht bestellt. Ich lebte in den Tag hinein Und spürte kaum das Glück, Nun aber bin ich so allein Und sehne mich zurück. Nur mein Bitten ist vergebens, Das alles ist vorbei, Doch die letzten Tage meines Lebens Mein Herr, mir gnädig sei. Johannes Hawner 39

Wirtschaft und Gewerbe Aufschwung Ost Betrachtungen zur Lösung der Wirtschaftsprobleme in den neuen Bundesländern aus der Sicht unserer heimischen Wirtschaft Im Jahre 1990 hat die im Schwarzwald­ Baar-Kreis ansässige Industrie ein Umsatzvo­ lumen iQ Höhe von 6,9 Milliarden DM reali­ siert. Damit wurde in den Jahren 1988 bis 1990 in ununterbrochener Folge ein jährli­ cher Umsatzzuwachs von mehr als 500 Mil­ lionen DM erzielt, während in den drei Jah­ ren zuvor dieser Zuwachs bei weniger als 100 Millionen DM jährlich lag. Das bedeutet, daß die heimische Industrie die Dynamik im Land Baden-Württemberg und in der Bun­ desrepublik weit übertroffen hat. Dabei wurde diese günstige Entwicklung schwergewichtig nicht etwa in Großbetrie­ ben herbeigeführt, sondern von den rund 300 mittelständischen Industrie-Unterneh­ men, die den Wirtschaftsraum Schwarzwald­ Baar prägen, mit ihren rund 40.000 Mit­ arbeitern. Ich stelle diese Tatsachen bewußt an den Anfang meiner Betrachtungen, weil sie in beispielgebender Weise den Weg zur Lösung der wirtschaftlichen und der daraus resultie­ renden menschlichen Probleme in den neuen Bundesländern weisen. Es ist erfreulich, daß in Ostdeutschland im vergangenen Jahr 1990 bereits etwa 300.000 neue Unternehmen gegründet wor­ den sind und dadurch mindestens 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen werden konn­ ten. Bei einer durchschnittlichen Beschäfti­ gungszahl von etwas mehr als 3 dürfte es sich überwiegend um neue Handwerks- und Dienstleistungs-Betriebe handeln. Die Masse der heute offen und – unter „Kurzarbeit Null“ – verdeckt geführten Arbeitslosen war jedoch in der Industrie tätig. Da es die einstmals dominierenden 40 Großbetriebe nicht mehr oder nur noch mit einem stark reduzierten Belegschaftsstand geben wird, kann hier eine neue Beschäfti­ gung kaum gefunden werden. Mittelständische Industrie-Unternehmen, vergleichbar mit den Unternehmen im Schwarzwald-Baar-Kreis, gab es in der frühe­ ren DDR nicht, und deshalb gibt es sie auch heute noch nicht in nennenswerter Zahl. Um in den neuen Ländern möglichst gleiche Verhältnisse wie bei uns zu schaffen, müssen mittelständische lndustrie-U nter­ nehmen in großer Zahl erst noch gegründet und sodann erfolgreich entwickelt werden. Der Bedarf an mittelständischen Indu­ strie-Unternehmen in den neuen Ländern läßt sich -ausgehend vom erreichten Niveau im Schwarzwald-Baar-Kreis – rein arithme­ tisch wie folgt quantifizieren: – Im Schwarzwald-Baar-Kreis mit einer Wohnbevölkerung von rund 200.000 Menschen produzieren 300 mit­ telständische Incl ustrie-U n ternehmen mit 40.000 Mitarbeitern. Daraus errechnet sich eine durchschnittliche Beschäftigten­ zahl von 133 pro Unternehmen. In den neuen Bundesländern mit einer Wohnbevölkerung von rund 16 Millionen Menschen müßten, um mit dem Schwarzwald-Baar-Kreis gleichzuzie­ hen, 24.000 mittelständische Industrie­ Unternehmen -bei 133 Beschäftigten pro Unternehmen -mit insgesamt 3,2 Millio­ nen Mitarbeitern produzieren. Dieser von der Realität im Schwarzwald­ Baar-Kreis abgeleitete Bedarf an mittelstän­ dischen Industrie-Unternehmen verdeut­ licht eindrucksvoll die Dimension der Pro-

blematik im industriellen Bereich der neuen Länder. Mehr als 20.000 mittelständische Indu­ strie-Unternehmen mit jeweils mehr als 100 Beschäftigten lassen sich unter marktwirt­ schaftlichen Bedingungen nicht aus dem Boden stampfen; schon deshalb nicht, weil jedes Unternehmen mindestens e i n e n Unternehmer braucht. Aber ihn, den mittel­ ständischen Unternehmer, hat es in-der frü­ heren DDR nicht gegeben, und deshalb ist er auch heute nicht verfügbar. Er wird auch kurzfristig nicht, und schon gar nicht in der benötigten Anzahl von mehr als 20.000, zur Verfügung stehen. Die Anforderungen, die heute unter den harten Bedingungen des internationalen Wettbewerbs an einen er­ folgreich wirkenden Industrie-Unternehmer gestellt werden, sind zu hoch, als daß diese Ansprüche nach nur kurzer Praxis, auch bei noch so großer Leistungsbereitschaft, erfüll­ bar sind. Nicht geringer sind die Anforderungen an erfolgversprechende Produkt-Ideen, die zu Beginn jeder unternehmerischen Betätigung in der Industrie vorhanden sein müssen – Industrie-Umsatz 1982-1989 im Vergleich 165 ·—�–�–�——�–�–�–�——‚, 160 —-t c: 150 145 1 155 J 140 .g l c: ‚- 135 130 125 120 115 110 105 100 ,! — —-1– -�—-� ———-+- —- —–+——+—· —-·-!·—-+—-+- –,- – – —- – 1983 1982 1984 –1—–1—–+—-+— — -f3,,a BW �BRD ·— – – – – – – – – – – -·1:: :.= :-: 1990 1987 1989 1985 1988 —-· —-1-+- SBK 1986 Jahre Industrie-Umsatz“· im Schwarzwald-Baar-Kreis Indexzahlen auf Basis 1982 Vergleich: Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 100 100 100 103 102 102 110 108 109 115 118 117 119 123 115 120 124 115 132 129 122 145 139 134 162 151 144 ,:- Umsatzvolumen, erfaßt in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes mit mehr als 20 Beschäftigten 41

Produkt-Ideen, die sich nicht nur produk­ tionsseitig verwirklichen lassen, sondern die nach ihrer Umsetzung in Produkte sich als absatzfähig erweisen und positive betriebs­ wirtschaftliche Ergebnisse einspielen. Aufgrund der Ausgangslage, in die der ,,real existierende Sozialismus“ geführt hat, und im Hinblick auf die erst noch zu erfül­ lenden Voraussetzungen für einen durch­ greifenden Wandel kann sich in den neuen Ländern ein mittelständischer Industriebe­ reich, in dem Millionen Menschen neue Arbeitsplätze finden, nur nach und nach ent­ wickeln. Es wäre ein großartiger Erfolg, wenn dies im Verlaufe eines Jahrzehnts geschehen würde. Daraus folgt, daß die größten Chancen für neue Arbeitsplätze vorerst nicht im Bereich der Industrie, sondern in den -beim Aufbau neuer Betriebe -weniger problema­ tischen Bereichen des Handwerks und des Dienstleistungssektors, Handel und Frem­ denverkehrsgewerbe eingeschlossen, zu se­ hen sind. Darüber hinaus werden neue Arbeits­ plätze in all den Fällen entstehen, in denen westdeutsche und ausländische Unterneh- mer sich industriell in den neuen Ländern engagieren. Die Appelle, in Ostdeutschland zu investieren, haben deshalb schon ihren Sinn. Nur darf man nicht übersehen: West­ deutsche Industrie-Unternehmen können – den ökonomischen Gesetzen folgend – in den neuen Ländern nur dann Produktions­ stätten errichten, wenn die vorhandenen Kapazitäten am westdeutschen Standort, mittel- und langfristig betrachtet, nicht aus­ reichen. Nach meinem Kenntnisstand ist diese Situation als Voraussetzung für Investi­ tionen in ostdeutsche Produktionsstätten gegenwärtig bei den Industrie-Unternehmen unseres Wirtschaftsraumes durchweg nicht gegeben. Ich bin sicher: Den so sehr wünschens­ werten „Aufschwung Ost“ wird es auch in der Industrie geben; er kann sich aber dort in der ganzen Breite nur in dem Maße vollzie­ hen, wie der anspruchsvolle Aufbau lei­ stungsfähiger mittelständischer Industrie­ Unternehmen in den neuen Ländern tat­ sächlich vorankommt. Alfred Liebetrau !HK-Präsident Tradition und Innovation: Mannesmann Kienzle und Digital-Kienzle Computersysteme Im Almanach 1981, Seite 31-34, wurde die Firma Mannesmann Kienzle GmbH in Villingen­ Schwenningen zum ersten Mal vorgestellt. Der nachfolgende Beitrag unterrichtet über die neueste Entwicklung. Seit Anfang 1991 gibt es zwei verschiedene Kienzle-Unternehmen im Stadtbezirk Vil­ lingen: Digital-Kienzle Computersysteme mit Sitz in der Villinger Waldstraße und Mannesmann Kienzle, deren Stammsitz nach wie vor das Werk A in der Heinrich­ Hertz-Straße, Stadtbezirk Villingen, ist. Das Stammwerk der Mannesmann Kienzle GmbH beschäftigt nach der Aus­ gliederung des Geschäftsbereichs Compu- 42 tersysteme rund 3000 Mitarbeiter und ist somit weiterhin ein bedeutender Arbeit­ geber im Landkreis. Hochqualifizierte Teams entwickeln, fertigen und vertreiben modernste Technologien rund um das Auto­ mobil. Eine über 60jährige Tradition und innovatives Know-how bürgen seit Genera­ tionen für höchste Qialität, die Maßstäbe setzt. Rund 40 000 Fahrtschreiber werden allein monatlich im Villinger Werk gefertigt

und in die ganze Welt verschickt. Die Kienzle-Produktpalette in und um das Kfz hat sich ständig erweitert -von den vielfach bewährten Fahrtschreibern über Bordrech­ ner für Lkw, die alle fahrzeugtechnischen Daten speichern und somit umfassende Informationen für eine kostensenkende Fahrweise liefern, bis hin zu elektronischen Dieselverbrauchsmeßsystemen, elektroni­ schen Fahrpreisanzeigen sowie Mikrocom­ puter zur Fahrpreisabrechnung im Taxi. Weitere Produkte gehören zur Infrastruktur des Kfz, wie zum Beispiel Tankdatensysteme für öffentliche und Betriebstankstellen, elek­ tronische Preisrechner sowie Stations-Mana­ gement-Systeme, die den Tankstellenbetrei­ bern die Möglichkeit eines modernen, EDV­ gestützten Tankstellenmanagements bieten. Kienzle-Parkuhren und -Parkscheinautoma­ ten, die wohl fast jeder kennt, tragen wesent­ lich zur effektiven Parkraumbewirtschaftung bei. Unter dem Motto „Automobiltechnik mit Rechnerintelligenz“ leistet die Mannes­ mann Kienzle GmbH mit diesen vielfältigen Produkten einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt­ verträglichkeit im Straßenverkehr. Hierbei setzt das traditionsreiche Unternehmen auf Neuentwicklungen bei der Unfalldatenerfas­ sung und -analyse sowie im Bereich Kfz­ Sensorik. Auch das neueste Kienzle-Produkt, der Unfalldatenspeicher, der die Länge eines Kugelschreibers oder die Größe einer Rasier­ box hat, steht unter diesem Motto. Die viel­ beachtete Neuheit ist ein objektiver und unbestechlicher Zeuge für jeden Autofahrer: Kommt es zu einem Crash, erfaßt der Unfall­ datenspeicher �er- und Längsbeschleuni­ gungen sowie die Rotation eines Fahrzeugs. Ebenso werden alle wichtigen Betätigungs­ merkmale wie Blinker, Bremsen, Zündung und Licht gespeichert. Das „Einfrieren“ von Meßdaten erfolgt nur dann, wenn tatsäch­ lich ein Crash stattgefunden hat. Solange kein Unfall (Aufprall) von dem Gerät erkannt wird, werden die Fahrzeugdaten nach jeweils einer Minute wieder gelöscht. Sachverständige werten die gespeicherten Daten des freiwillig installierten Geräts über Personalcomputer aus, wobei auf dem Bild­ schirm eindeutig interpretierbare Gesche­ hensabläufe nachvollzogen werden können. Der Unfalldatenspeicher ist ein weiteres intelligentes Produkt aus dem Hause Kienzle, das bei der Unfallrekonstruktion wegweisend sein wird. Mit einem der dichtesten Vertriebs- und Service-Netze für gewerblich genutzte Fahr­ zeuge in Europa (über 5000 Stellen) und als einer der führenden Zulieferer der Automo­ bilindustrie setzt die Mannesmann Kienzle GmbH verstärkt auf Wachstum; die einzel­ nen Geschäftsfelder werden in den nächsten Jahren systematisch weiter ausgebaut. Digital-Kienzle Computersysteme Mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1. Ja­ nuar 1991 waren die Digital Equipment Cor­ poration, Maynard, MA, USA, und die Mannesmann AG, Düsseldorf, übereinge­ kommen, das Computergeschäft künftig gemeinsam zu betreiben. Der Bereich Datensysteme von Kienzle, die Kienzle­ Tochtergesellschaften PCS Computersyste­ me, PROCAD GmbH und Kienzle Miete GmbH, das B.I.T.-Schulungszentrum in Donaueschingen sowie die in- und auslän­ dischen Vertriebs- und Servicegesellschaften für Datensysteme gingen in die neue Gesell­ schaft „Digital-Kienzle Computersysteme“ ein. Am Stammkapital dieser Gesellschaft ist die Digital Equipment Corporation mit 65 % und Mannesmann Kienzle mit 35 0/o beteiligt. Digital-Kienzle bleibt eine rechtlich selb­ ständige Firma und operiert als eigenstän­ dige Unternehmenseinheit neben den euro­ päischen Landesgesellschaften der Digital Equipment Corporation. Die Produktange­ bote des weltweit führenden Herstellers von Netzwerken und modernsten Produkttech­ nologien, Digital Equipment, und der neuen Digital-Kienzle ergänzen einander, so daß bedeutende Synergieeffekte erwartet wer­ den. In der mittelständischen Wirtschaft 43

Computer von Digital-Kienzle Neuer elektronischer Unfalldatenspeicher 44

wurden in den Marktsegmenten Fahrzeug­ industrie, Handel/Dienstleistung, Finan­ zenNersicherungen, Öffentliche Verwal­ tung Gesamtlösungen der Informations­ technik dargeboten. Hier verfügt Digital­ Kienzle über hohe Fachkompetenz, ausge­ prägtes Beratungs-Know-how und einen um­ fangreichen Kundenstamm. Auf der Grund­ lage der erfolgreichen Produktfamilie 9000, von der über 25 000 Systeme installiert sind, entwickelt sich eine rasch anwachsende Nachfrage für die UNIX-Systemfamilie 2000. Die Anwendungsarchitektur X.OMEGA gewährleistet den fließenden Übergang von herstellerspezifischen Betriebssystemen zu Standardbetriebssystemen. Damit setzt Digital-Kienzle Software-Maßstäbe für die Aufgabengebiete moderner Unternehmen. Die technikerprobte Kompetenz und die weltweite Operationsbasis von Digital Equipment passen genau zu dem, was Digi­ tal-Kienzle braucht. Der Zusammenschluß stellt deshalb die optimale Ergänzung der jeweiligen Konzepte dar. Barbara Kögler MAICO VENTILATOREN, Villingen-Schwenningen Eine Fabrik, gebaut für die Zukunft Ende 1988 ist die Firma MAICO inner­ halb von Schwenningen aus der Burgstraße 65 in ein neues Werk mit modernsten Ein­ richtungen für Produktion, Lagerung und Verwaltung in die Steinbeisstraße 20 im Industriegebiet Ost umgezogen. MAICO ist ein typisches Familienunter­ nehmen und die Firmengeschichte reicht weit hinter die Zeit des heutigen Standortes. Begonnen hatte alles im Jahr 1924, als der Schwenninger Christian Maier anfing, in der Uhlandstraße Spulen für Elektromotoren zu fertigen. Im Jahr 1928, das eigentlich auch als Gründungsjahr der Firma gilt, kaufte Chri­ stian Maier die Restbestände von Ventilato­ ren der damals in Konkurs gegangenen Firma ISARIA in Schwenningen auf. Für den Verkauf dieser Ventilatoren benannte er eine Firma mit dem Namen „Maier & Co.“. In dem kleinen Betriebsgebäude in der Uhlandstraße wurde 1929 die Eigenproduk­ tion von Ventilatoren aufgenommen. Nach weiteren 5 Jahren war das Gebäude in der Uhlandstraße zu klein geworden. Die Maier & Co. übernahm 1934 das Betriebsge­ lände mit einigen Fabrikationsgebäuden der Firma Stahlbau Haller in der Burgstraße 65 in Schwenningen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Betriebseinrichtung durch die französische Besatzungsmacht demontiert. Verbunden mit harter Arbeit war dieser Rückschlag bald überwunden und in den folgenden Jahren gelang es, das Ansehen der Firma, die im Jahre 1949 in MAICO Elektroapparate­ Fabrik GmbH umbenannt wurde, im In-und Ausland zu festigen. Der Grundstein dieser Erfolge waren -und sind-Produkte, die sich durch ihre hohe Qualität auszeichnen. Die Folge dieser Entwicklung war, daß immer wieder Erweiterungen und Modernisierun­ gen der Produktions- und Verwaltungsge­ bäude notwendig wurden. Nach dem Tode des Firmengründers im Dezember 1969 übernahmen seine Schwie­ gersöhne, Dipl.-Ing. Otto Müller und Ger­ hard Warnke, die Geschäftsführung. Das 50jährige Jubiläum des Unterneh­ mens wurde im November 1978 im Rahmen einer Festveranstaltung im Schwenninger Beethovenhaus gefeiert. Bereits Ende der 70er Jahre begann die Planung für eine Verlagerung des Betriebes. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten waren am bisherigen Standort nochmalige Erweiterungen nicht mehr möglich. Der erste Baubschnitt, das vollautomatische Hochregallager mit Packerei und Versand, wurde 1979 auf dem neuen Gelände in der Steinbeisstraße in Betrieb genommen. Im 45

Das alte MA/CO-Werk in der Burgstraße 65 Das neue MA/CO-Werk im Schwenninger Industriegebiet Ost 46

gleichen Jahr wurden die Auftragsbearbei- tung und die Buchhaltung auf elektronische Arbeitsplatz für die Ventilator-Endmontage Datenverarbeitung umgestellt. Materialbereitstellungfür die automatische Förderstrecke Die Planung des zweiten Bauabschnitts begann 1986. Baubeginn war im Juni 1987 und bereits im Oktober 1988 konnte das neue Bürogebäude bezogen werden. Nur zwei Monate später fand der Umzug in die neuen Fertigungshallen und Lager statt. Seit Januar 1989 läuft der Betrieb vollständig im neuen Werk. Natürlich gab es einige Anlauf­ schwierigkeiten, die aber angesichts der immensen Belastung, die eine solche Verla­ gerung der Betriebsstätte mit sich bringt, kaum zu vermeiden waren. Heute jedoch funktioniert alles reibungslos. Alle Unter­ nehmensteile sind nach neuesten Erkennt­ nissen miteinander verknüpft. Die Produk­ tion wird durch ein Produktions-Planungs­ und Steuerungssystem (PPS) effizient gesteu­ ert. Der Betrieb kann zweifelsohne als „Fabrik der Zukunft“ bezeichnet werden. Geplant, gebaut und in Betrieb genom­ men wurde das Objekt von dem zu dieser 47

Die automatische Montageanlage für Kleinraumventilatoren Zeit alleinigen Geschäftsführer Otto Müller, der es dann voll funktionsfähig zum 1. Mai 1990 an seine Nachfolger übergeben hat. Die Enkel des Firmengründers, Dipl.­ Wirtschaftsingenieur (FH) Hans Müller und Dipl.-Volkswirt Gerhard C. C. Warnke, füh­ ren heute die Geschäfte. Somit wird MAI CO nun in der dritten Generation als Familien­ betrieb geführt. Heute stehen im neuen Werk rund 27.000 m2 industrieller Nutzfläche zur Verfügung. Im Vordergund stand bei der Einrichtung und Ausstattung des gesamten Objektes ein­ deutig die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bereitstellung von Arbeitsmitteln, die einen optimalen Arbeitsablauf ermöglichen. Die Hochregallager mit über 6.500 Palet­ tenplätzen für Fertigwaren und Produktions­ teile stellen in Verbindung mit automati­ schen Förderstrecken die Materialbereitstel­ lung an den Kommissionierplätzen sicher. So wird der reibungslose Transport der Teile oder Baugruppen an die eigene Produktion 48 ebenso sichergestellt, wie die termingerechte Auslieferung der Fertiggeräte an die Kund­ schaft. Ein fahrerloses Transportsystem – kurz FTS genannt – schafft alle für die Bearbei­ tung eines Fertigungsauftrages nötigen Teile zu den Montageplätzen. Die Endmontage eines Ventilators, beginnend mit dem Zu­ sammenfügen der Einzelteile, bis hin zur Einzelverpackung, erfolgt jeweils durch eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter. Moti­ vation, Sorgfalt und Verantwortungsbe­ wußtsein werden dadurch gefördert und die selbstgesteckten hohen Q!ialitätsziele er­ reicht. Außerdem kommen hochwertige Meß­ und Prüfeinrichtungen zum Einsatz. Auch CNC- und SMD-Technik setzt MAICO bei zahlreichen Herstellungsprozessen mit Er­ folg ein. Für den Zusammenbau von Klein­ raumventilatoren wurde eine mit Robotern bestückte automatische Montageanlage angeschafft.

Bei all diesen technischen Neuerungen sind jedoch interessante und abwechslungs­ reiche Arbeitsinhalte oberstes Gebot. Dazu gehört auch die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze und deren Ausstattung mit modernen Maschinen und Vorrichtungen. Jedoch nicht nur Fertigung und Konstruk­ tion sind wichtige Elemente bei der Herstel­ lung von Ventilatoren; die Produkte müssen auch geprüft und getestet werden. Hierfür ist ein enormer technischer und finanzieller Aufwand erforderlich. Im eigenen Labor wird die Richtigkeit der technischen Daten der Ventilatoren ermittelt und überprüft. Neben vielen anderen Meßeinrichtungen kommen dabei täglich Luftleistungsprüf­ stände, ein Schallmeßraum und Klima­ schränke zum Einsatz. Darüber hinaus gibt es ein zertifiziertes und regelmäßig überwachtes Qpalitätssiche­ rungssystem, mit dem der gesamte Durch­ laufprozeß von der Materialbeschaffung bis zum Versand der fertigen MAICO-Produkte geregelt wird. Auch in den freundlich und hell gestalte­ ten Büros wird modernste Technik einge­ setzt. In den meisten Räumen haben EDV­ Bildschirme ihren Einzug gehalten -ein Merkmal, daß MAICO mit der Zeit geht. Kleinraumventilator MAICO-CABINET Typ ECA 11-1 CAD-und PC-Arbeitsplätze in Technik und Verwaltung stehen den Mitarbeitern als Hilfsmittel zur Lösung der vielfältigen Auf­ gaben zur Verfügung. Zu den Voraussetzun­ gen für eine optimale Verknüpfung aller Unternehmensbereiche gehört nicht nur ein schneller und termingerechter Materialfluß, sondern auch eine noch schnellere Informa­ tionsweitergabe und -verarbeitung. Dieser Anforderung wird mit einer leistungsfähigen EDV-Anlage Rechnung getragen. Zur Zeit sind bei MAICO ca. 250 Mitar­ beiter beschäftigt. Eine gute Mischung von jungen dynamischen und langjährigen erfahrenen Mitarbeitern sorgt für ein gutes Betriebsklima. Bester Beweis dafür sind die vielen Arbeitsjubiläen, die schon gefeiert wurden. Engagierten jungen Menschen wird bei MAI CO die Möglichkeit geboten, sich wäh­ rend einer intensiven Lehrzeit zu qualifizier­ ten Fachkräften ausbilden zu lassen. Ein mit moderner Präsentationstechnik ausgestatteter Schulungsraum wurde ge­ schaffen, um Mitarbeitern, Vertretern und Kunden aus Großhandel und Handwerk spezielle Schulung und Weiterbildung zu er­ möglichen. 350.000 Ventilatoren produziert und ver­ kauft MAICO jährlich. Und die Chancen sind gut, daß sich diese Zahl in den kommen­ den Jahren erhöhen wird. Überall auf der Welt kommen MAICO-Ventilatoren zum Einsatz, und die Öffnung der Grenzen im Osten Europas sowie der bevorstehende europäische Binnenmarkt erschließen neue Möglichkeiten. Modernisierung und Erweiterung sind die sichtbaren Zeichen für den Erfolg des Unter­ nehmens. Nach wie vor aber bleibt die von MAICO gewohnte Zuverlässigkeit, Sicher­ heit und hohe Qpalität wichtigste Zielset­ zung auch in Zukunft. Hans Müller 49

Die Turmuhrenfabrik Gebrüder Schneider in Schonach Nähert man sich, von Triberg her, durchs Untertal kommend, dem „Skidorf“ Schon­ ach, so fällt am Ortsrand, links der Triberger Straße, ein größeres Gebäude mit altertüm­ lichem Uhrentürmchen besonders wohl­ tuend ins Auge. Trotz neu verputzter Fassade sind Stil und Art einer Schwarzwälder Uhrenfabrik des ausgehenden 19. Jahrhunderts hier unver­ kennbar erhalten geblieben. Im Gegensatz zu den modernen Fabrik­ anlagen der Uhren- und feinmechanischen Industrie von Schonach, fühlt man sich bei diesem Anblick in die Jahre der Gründerzeit zurückversetzt. Ein zweites Gebäude jüngerere Bauart wird erst beim Betreten des geräumigen Vor­ hofes voll sichtbar. Ein dort angebrachtes, schlichtes Firmenschild gibt uns die Aus­ kunft, daß sich hier die Turmuhrenfabrik Gebrüder Schneider befindet. Unter den zahlreichen, in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts im Schwarzwald ge­ gründeten Uhrenfabriken, ist die Firma Schneider in Schonach als einzige aufT urm­ uhren spezialisiert. Der Turmuhrenfabrikant Benedikt Schneider (1828-1892) Benedikt Schneider erblickte am 21. März 1828 in Triberg das Licht der Welt. Er erlernte den Beruf des Uhrmachers, der seinen technischen Fähigkeiten voll ent­ sprach, und dem er sich auch mit ganzem Herzen widmete. Durch den Besuch der Gewerbeschule, der damals nur wenigen Lehrlingen und Gesellen vorbehalten war, wurde sein natürliches Talent geformt und gefördert. Der Uhrmacher Benedikt Schneider war dafür bekannt, daß er sein Handwerk nicht nur am Schraubstock glänzend beherrschte, sondern daß er die Probleme des Uhren­ baues auch rechnerisch und konstruktiv am Zeichenbrett zu lösen verstand. so Die peinliche Genauigkeit und Exaktheit, mit der er seine Arbeiten erledigte, muß ebenfalls Verwunderung hervorgerufen ha­ ben, was in einem Nachruf auf den 1892 ver­ storbenen Turmuhrenfabrikanten deutlich zum Ausdruck kommt. Die Zeitgenossen Schneiders würden ihn mit der knappen, aber doch recht vielsagen­ den Redewendung der Schwarzwälder: ,,Es isch halt en Exakte“, treffend charakterisiert haben. Im Jahre 1862 eröffnete Benedikt Schnei­ der in Schonach ein eigenes Geschäft und fertigte neben den damals üblichen Schwarz­ wälder Uhrensorten hauptsächlich Werk­ zeuge und kleine Maschinen für die sog. Hausgewerbler an. In seinem ihm eigenen Bestreben nach Verbesserung und Schaffung von Neuem kam er auf die Herstellung von verbesserten Turmuhren. Schon sehr früh sah er darin eine Möglichkeit, für den Schwarzwald eine neue Erwerbsquelle zu schaffen. Ein derartiges Werk muß Schneider schon in den fünfziger Jahren, also schon vor der Geschäftsgründung nach Triberg gelie­ fert haben. Der damaligen Großherzoglichen Regie­ rung blieben die hervorragenden Eigen­ schaften und Leistungen Schneiders nicht verborgen, so daß sie Schneider veranlaßte, eine Werkstätte speziell für Großuhren zu gründen. Benedikt Schneider, immer bedacht, die Funktionen der Turmuhren zu verbessern und damit betriebssicherer zu gestalten, ver­ zeichnete, auch hinsichtlich der eingehen­ den Bestellungen, bald die besten Erfolge. Seine Erzeugnisse waren nicht nur im Inlande sehr gefragt, sondern auch das Aus­ land stellte Schneider die glänzendsten Zeugnisse aus. Dafür sprechen die Auszeich­ nungen, die der kleine Gewerbebetrieb auf verschiedenen Gewerbeausstellungen errin­ gen konnte. Im Jahre 1887 lieferte Schneider

Gegründet 1162 II II “ ‚–‚ für Kircnen, Bahnhöfe, Fabriken, Kasernen, 5pitäier, 5cnulen und Rathäuser. Turmuhren bester Konstruktion Sohneider�Öl>n Shonah FABRIKATION YON THURM-ÜHREN fUR AU( ZWECKE. .��������������-‚-‚-���� Telegr·AdreM,e fer;s,r.:;:/;c�I�» LangJihr-ige Gar•n1,e Turmuhren mit gewöhnlichem Handaufzug Aufzug mittels Elektromotor. Turmuhren mit elektrischem automatischem Reparaturen von alten Uhren werden billigst übernommen, ebenso das Anbringen der Hammerwerke auf neue Glocken. A.usführflche Kataloge mll Abblfdungeon. Preisen und Zeugnissen werden auf Verfangen gratis und franko zugesandt. 51

Der Turmuhrenfabrikant Benedikt Schneider mit seinen Söhnen. Von links nach rechts: Benedikt,josef, Benedikt Schneider, Geselle, Valentin. Um 1880. eine komplette Turmuhranlage nach Argen­ tinien für die Stadt Parana. Diese Turm­ hauptuhr steuerte 120 Nebenuhren in der ganzen Stadt auf elektrischem Wege. Eine wahrhaft glänzende Pionierleistung des ein­ fachen Schwarzwälders, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1887 das Einschalten einer Glühlampe noch nicht zu den alltäglichen Gewohnheiten zählte. Auf Grund seiner Verdienste erhielt Be­ nedikt Schneider im Jahre 1886 von S. K. H. dem Großherzog den Titel „Großherzog­ licher Hoflieferant“ verliehen. Seine drei Söhne Josef, Benedikt und Valentin, die in ihrem Vater selbst den besten Lehrmeister fanden, waren auch bald seine geschicktesten und erfahrensten Mit­ arbeiter. Die Firma nannte sich dann „Bene­ dikt Schneider Söhne“. Zum Fabrikationsprogramm der Firma Schneider Söhne gehörten lange Zeit auch sogenannte „Perronuhren“, die im Bahnbe- trieb Verwendung fanden (perron, frz. = Bahnsteig). Benedikt Schneider befaßte sich eben­ falls, wahrscheinlich durch die Fabrikation dieser Uhren dazu angeregt, mit Stellwerk­ problemen und erfand auch auf diesem Gebiet beachtliche Neuerungen, die für die Sicherheit im Bahnbetrieb zukunftsweisend waren. Auf seine Verriegelungs-und Kontrollein­ richtung für die zentrale Weichen- und Signalstellung wurden ihm verschiedene In­ und Auslandspatente erteilt. Leider fehlten ihm die notwendigen Geld­ mittel und vermutlich ein ehrlicher Patent­ anwalt, um seine Konstruktionspläne zu realisieren und den Patentschutz aufrecht er­ halten zu können. Seine Ideen wurden später von anderen verwirklicht, so daß der zurückhaltende und allzu fleißige Wälder den Kürzeren zog. Nur ein von seiner Hand sorgfältig aus- 52

geführtes Holzmodell sowie eme Anzahl Konstruktionszeichnungen und Patent­ schriften blieben den Nachfahren als Zeug­ nis seiner schöpferischen Tätigkeit erhalten. Benedikt Schneider schloß am 18.Januar 1892 seine Augen für immer, und damit wurde auch seine Heimat um ein „Wälder­ genie“ ärmer. Die ursprünglichen Fabrikationsräume des Turmuhrenfabrikanten Benedikt Schnei­ der befanden sich in einem Gebäude, ober­ halb der Hauptdurchfahrtsstraße am Hang, in der Nähe des Hotels Rebstock. Seine Vorderfront ist noch heute mit dem Großherzoglich Badischen Wappen geschmückt und daher von der Straße aus deutlich erkennbar. Um die Wasserkraft des sog. Mühlenweiher nützen zu können, ver­ legte Benedikt Schneider im Jahre 1890 seine Werkstätte an den Mühlenbach und somit an den jetzigen Standort. Nach dem Tod von Benedikt Schneider übernahmen seine Söhne das Unternehmen und führten es unter dem Namen „Benedikt Schneider Söhne“ im Sinne ihres Vaters wei­ ter. Josef Schneider schied durch Tod schon sehr früh aus der Firma aus. Benedikt Schnei­ der jun. verstarb 1922 und Valentin Schnei­ der 1927. Durch die Söhne der beiden Inhaberfamilien Benedikt und Valentin Schneider war jedoch das Weiterbestehen der Firma in Familienbesitz gewährleistet. Mit dem Ausscheiden von Otto Schnei­ der, einem Sohn des Valentin Schneider, im Jahre 1950, übernahmen die Enkel des Benedikt Schneider jun. Bruno und Willi Schneider das Familienunternehmen, das ab diesem Zeitpunkt den Namen „Gebrüder Schneider Turmuhrenfabrik“ führt. Die Firma Gebrüder Schneider Die heutigen Inhaber der Firma Gebrüder Schneider, Willi Schneider und sein Sohn Thomas Schneider, verkörpern die 4. und 5. Generation des Familienunternehmens. Alte Tradition und modernste Technik werden hier, nach den strengen Forderungen des Denkmalschutzes, sinnvoll aufeinander abgestimmt. In der Belegschaft von 20 Mit­ arbeitern sind nahezu alle Berufe des Maschinenbaus, denn mit diesem ist ja der Turmuhrenbau nahe verwandt, vertreten. Die Firma Schneider verfügt über ca.1000 qm Produktionsfläche, die auf die beiden, bereits erwähnten Gebäude verteilt ist. Obwohl eine moderne Turmuhr der heu­ tigen Generation, entsprechend ihrer Größe, in einem Handköfferchen Platz finden könnte, sind für die Antriebselemente der Zeiger- und Schlagwerke immer noch schwere und solide Stahlkonstruktionen erforderlich, die den enormen Belastungen durch Wind und Wetter sicher standhalten. Das Fabrikationsprogramm umfaßt: – Turmuhrenanlagen in modernster Tech­ nik mit durch Funk ferngesteuerter Q!iarzuhr und elektronisch gesteuerter Regelanlage für Zeiger- und Schlagwerk der Uhr, elektrische Läutemaschinen mit elektro­ nischer Programmsteuerung für Kirchen­ geläute und Glockenspiele, – Glockenstühle in Stahl- und Holzkon­ struktion, – Armaturen und Klöppel für Glocken sowie Zifferblätter und Zeiger in moder­ ner Form, aber auch in oft geforderter stil­ gerechter Ausführung, spezielle und individuelle Sonderanferti­ gungen von repräsentativen Großuhren und Glockenspielen verlassen ebenfalls die Schonacher Werkstätten am Mühlen­ bach. Als Beispiele seien hier nur die ,,Kugeluhr“ im Progymnasium St. Geor­ gen/Schw. und das große Glockenspiel für eine Basilika in Guadalupe/Mexiko im Jahre 1931 genannt. Im eigentlichen Sinne ist jeder Auftrag für die Firma eine individuelle Neukonzeption, die konstruktiv den verschieden gearteten Verhältnissen und Erfordernissen angepaßt werden muß, obwohl serienmäßig herge­ stellte Bauelemente wie Antriebsmotoren, Seilzüge, Umlenkgetriebe etc. dabei Verwen­ dung finden. 53

Eine besondere Herausforderung an das Geschick und Können der Schwarzwälder Turmuhrenbauer bedeutet die Restaurierung und die Modernisierung alter, historischer und unter Denkmalschutz stehender Turm­ uhrenwerke. Hierbei müssen die modernen Aufzugs­ und Steuermechanismen für das Geh-und Schlagwerk so kunstfertig angebracht wer­ den, daß das oft sehr alte und daher sehr wertvolle handgeschmiedete Werk nicht durch diese Veränderungen beschädigt wird. Jeder unabänderliche Eingriff in den Urzustand würde den historischen Wert einer solchen Uhr beträchtlich mindern. Der ebenfalls sehr umfangreiche Dienst­ leistungssektor der Firma Schneider umfaßt Instandsetzung und Wartung eigener Fir­ menprodukte; aber auch T urmuhrenanlagen und Läutewerke anderer Produzenten wer­ den durch das Schonacher Unternehmen betreut. 25 Jahre Blähtonproduktion im Haldenwald Eigentlich hat alles schon etwas früher angefangen, nämlich 1965, mit dem Baube­ ginn für ein Blähtonwerk unter der Firmie­ rung „Süddeutsche Blähtonwerke“ am heuti­ gen Standort. Gleichzeitig wurde auch in Schömberg bei Balingen ein Werk errichtet, allerdings mit anderen Gesellschaftern. Dort wählte man als Firmennamen die Bezeich­ nung der geologischen Formation des Lias, aus der ein Teil des verwendeten Tones stammte. Folgerichtig wurde das zu erwar­ tende Produkt „Liapor“ genannt, eine Ver­ bindung der Worte Lias und Poren, was sich auf die Struktur im Inneren der Liapor-Per­ len bezieht. 1967 war es soweit: Beide Anlagen produ­ zierten, zuerst Schömberg und später im Jahr auch Tuningen. Die Ziele waren gleich: Man wollte einen Leichtzuschlag für die Herstel- 54 Liapor-Werk in Tuningen Obwohl die Firma Gebrüder Schneider in Baden dominierend vertreten ist, findet man ihre Erzeugnisse über das ganze Bundes­ gebiet verstreut. Der Export beschränkt sich hauptsächlich auf spezielle Sonderanferti­ gungen. Unter den zahlreichen Uhrenfabriken, die unseren Schwarzwald seit über 300 Jah­ ren weltbekannt gemacht haben, blieb die Turmuhrenfabrik in Schonach einziger Her­ steller dieser Großuhrenart im Schwarzwald. Im Jahre 1992 kann die Firma Gebrüder Schneider auf eine 130jährige Tradition im Turrnuhrenbau zurückblicken und gleich­ zeitig des 100. Todestages ihres Gründers Benedikt Schneider m dankbarer Erinne­ rung gedenken. Gerd Bender Quelle: Die Uhrenmacher des hohen Schwarz­ waldes und ihre Werke, von Gerd Bender, herausgegeben vom Verlag Müller, Villin­ gen, erschienen 1975. Jung hochwertiger Baustoffe produzieren, als Ersatz für Kies und Bims. Die Verfahren hingegen waren unterschiedlich: in Tunin­ gen wurde mit Rostvorwärmer, Blähofen und Sehachtkühler produziert, während man sich in Schömberg auf ein 3stufiges Rohrofensystem, ebenfalls mit Vorwärmer, Brennofen und Kühler entschieden hatte. Dieses System sollte sich in der Folge auch als das wirtschaftlichere erweisen. Nachdem sich beide Firmen 1969 zusammengeschlos­ sen hatten, wurde deshalb ab 1973 auch Tuningen nach längerer Betriebsruhe auf das Liapor-Verfahren umgebaut. 1974 dann pro­ duzierten beide Werke Liapor, bis 1975 Schömberg stillgelegt wurde. Für diesen schwerwiegenden Entschluß war der Markt verantwortlich: Die Baunachfrage hatte deutlich nachgelassen, und da Tuningen den

Ton auf eigenem Gelände in unmittelbarer Werksnähe abbauen konnte, fiel die Ent­ scheidung für diesen Standort. Apropos Standort. Umstritten war der schon zu Beginn der 60er Jahre, als die ersten Verhandlungen geführt wurden. Ein Bläh­ ton-Werk mitten im Wald, mit immensem Flächenbedarf? Und die Gegner schienen im Nachhinein sogar Recht zu bekommen, als sich 1981 herausstellte, daß einige Bäume in unmittelbarer Nähe der Ofenanlage braun gefärbte Nadeln aufwiesen. Das Thema Waldsterben bewegte damals in Deutsch­ land eine breite Öffentlichkeit und so war diese in der Folgezeit schnell alarmiert. Die Medien, sogar Funk und Fernsehen, berich­ teten ausführlich. Ihren Höhepunkt fand die ganze Angelegenheit in der Feststellung des Wirtschaftskontrolldienstes, daß für die Anlage in Tuningen nach dem eingangs erwähnten Umbau keine neue Betriebs­ genehmigung erteilt worden sei. Man habe sich wohl versehentlich lediglich auf eine Baugenehmigung beschränkt. Diese enthielt zwar alle damals rechtlich zwingenden Um­ weltschutz-Auflagen, genügte aber formal­ juristisch nicht! Nun, wenngleich au.eh die Ursache für die Schädigung einzelner Bäume bis heute nicht abschließend geklärt werden konnte, Behör­ den und Unternehmen meisterten auch diese Hürde: Dem Liapor-Werk wurde auf Antrag eine neue Genehmigung erteilt, mit strengen Auflagen, die alle erfüllt und auch eingehalten werden. Das betreffende Grund­ stück wurde käuflich erworben, mit der Maß­ gabe, hier einen Erdwall zu errichten und diesen entsprechend zu bepflanzen. Es war die Offenheit des Unternehmens im Um­ gang mit Medien, Behörden und den weni­ gen wirklich interessierten Bürgern, die schnell zu einer Entkrampfung der Situation beigetragen hat. Der zur Einweihung der Rauchgasreinigungsanlage 1989 durchge- 55

Glühende Liapor-Perle Liapor – Gebrannter Ton in Kugelform führte Tag der offenen Tür, mit fast 3.000 Besuchern ein voller Erfolg, hat dann auch einer breiten Bevölkerungsschicht gezeigt, daß im Haldenwald in Tuningen alles mit rechten Dingen zugeht. Aber was geht denn da nun wirklich vor? Nachfolgend soll näher auf den Produk­ tionsprozeß und das Produkt eingegangen werdei:i. Liapor ist, das haben wir schon gesagt, die Markenbezeichnung für einen Blähton aus reinem Ton. Zur Herstellung dieses Produk­ tes eignen sich nur Tone mit hohem Anteil organischer Bestandteile, also zum Beispiel Algenresten. Das Material im Haldenwald entstammt der Schicht Dogger-Alfa des Braunjura und ist ca.180 Mio. Jahre alt, wäh­ rend der Zusatzton aus dem Richtung Mühl- Wandbaustoffe aus Liapor – hochwärmedämmend und wohngesund 56

hausen gelegenen Hölzlebruch dem Lias­ Beta zugeordnet wird und ca. 200 Mio.Jahre zählt. Entstanden sind beide Tone aus Abla­ gerungen der Jurameere. Das weitgehend felsige Material wird im Tagebau gewonnen und in einer Mahltrock­ nungsanlage auf Mehlfeinheit zerkleinert. Unter Zugabe von Wasser erfolgt dann in sogenannten Granuliertellern durch Rota­ tion die Kugelbildung, und schließlich gelangen die Granalien in das Ofensystem. Hier werden sie im Vorwärmer getrocknet und im Blähofen bei ca. 1.200 °C gebrannt. Dabei schmilzt die Oberfläche der Granalie, die organischen Bestandteile im Ton ver­ brennen und die Kugel bläht auf. Im Kühler sintert die geschmolzene Oberfläche zu einer relativ harten Schale und die Liapor­ Perle mit poriger, luftdurchsetzter Innen­ struktur ist produziert. Täglich, die Anlage läuft rund um die Uhr, werden etwa 1.200 m3 dieses Naturproduktes hergestellt, und das Besondere am Liaporprozeß ist, daß sowohl Korngröße als auch Gewicht der Kugeln und damit ihre Festigkeit, gezielt produziert wer­ den können. Diese Flexibilität erlaubt dem Produkt eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkei­ ten. Mit Liapor, als Zuschlagsstoff im Leicht­ beton, wurden Bauwerke errichtet, wie z.B. das BMW-Hochhaus in München, die Flug­ schanze in Oberstdorf oder die Fußgänger­ brücke am Bahnhof in Villingen. In hoch­ wärmedämmendem und wohngesundem Mauerwerk, heute dem Hauptanwendungs­ bereich, finden wir Liapor ebenso wie in Pflanztrögen der Hydrokultur und als Sub­ strat für Dachbegrünungen. Liapor dient als Schüttrnaterial zur Sanie­ rung von Altbauten, wie zur Errichtung von Neubauten mit besonderen Anforderungen in Richtung ökologisches Bauen. Und damit wären wir beim Thema Um­ weltschutz und seinem hohen Stellenwert für die heutige Firmenpolitik. Mit Installa­ tion der Rauchgasreinigungsanlage wurden Grünes Dach mit Liapor 57

von Forchheim in Oberfranken produziert. Es ist in vielen Ländern Europas, insbeson­ dere bei unseren Nachbarn, dank des hohen �alitätsstandards unter Fachleuten bestens eingeführt. Das Hauptabsatzgebiet des Wer­ kes in Tuningen, in dem rund 60 Personen beschäftigt sind, umfaßt den südwestdeut­ schen Markt von Oberstdorf über Ulm bis nach Trier. In geringem Umfang wird Liapor aus Tuningen auch exportiert und zwar haupt­ sächlich nach Österreich, Frankreich und in die Schweiz. Seit Eintragung der jetzigen Firmierung ins Handelsregister und der erstmaligen Pro­ duktion 1967 sind 25 Jahre vergangen. Gewiß noch keine lange Zeit für das Bestehen einer Firma. Doch die in der Vergangenheit bewäl­ tigten Probleme und die gefundenen Lösun­ gen schwieriger Aufgaben sind Anlaß für optimistische Zukunftsperspektiven. Auch für ein Werk, das sich aufgrund seines Pro­ duktionsprozesses immer im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie bewegen wird. die von den Vorschriften der TA-Luft gefor­ derten Werte noch deutlich unterschritten. Die Tatsache, daß aus 1 m3 Rohton ca. 6 m3 Liapor produziert werden, zeigt, wie ressour­ censchonend man mit dem benötigten Roh­ stoff umgeht, wenngleich Eingriffe in die Landschaft nicht völlig vermieden werden können. Allerdings sind diese Eingriffe nur vorübergehender Art, denn strenge Auflagen zur Rekultivierung der abgebauten Flächen sorgen dafür, daß die Natur ihre Leihgabe wieder zurückerhält, nicht selten artenrei­ cher und wertvoller als vorher. Ein weiteres Beispiel sinnvoll praktizier­ ten Umweltschutzes bietet die Tatsache, daß im Liapor-Werk auch das Gas der nahegele­ genen Kreismülldeponie verbrannt wird, was ein Ende der wirtschaftlich unsinnigen, aber notwendigen Abfackelung auf dem Depo­ niegelände bedeutet. Auch wenn dieses Gas neben Heizöl und Kohle als dritte Energie­ komponente derzeit nur ca. 20 0/o des Gesamtenergiebedarfes des Werkes deckt, werden doch herkömmliche Energiequellen geschont und die Umwelt entlastet. Liapor wird noch von einem zweiten, rechtlich selbständigen Werk in der Nähe Joachim Gramsch Firma WIHA in Schonach und Mönchweiler Hersteller für Schraubwerkzeuge Wenn man vom Oberprechtal kommend über die Wilhelmshöhe nach Schonach fährt, liegt gleich am Ortseingang auf rechter Seite die Firma Wiha, Willi Hahn GmbH & Co. KG. Der gewachsene Betrieb fügt sich gut in die Landschaft ein und läßt, von außen betrachtet, kaum die innere Größe vermuten. Die Firma Wiha ist Spezialist für Schraub­ werkzeuge. Von ihr geht, als eines von ca. 1650 Produkten, der klassische „Schrauben­ zieher“ in alle Herren Länder. Die Geschichte der Firma liest sich wie ein Roman. Zu turbulent sind die Jahre nach der Gründung 1939 in Wuppertal. 58 Hätte der Gründer, Willi Hahn, das Unternehmen ins Leben gerufen, wenn er die totale Zerstörung geahnt hätte? 1943 wird die junge Schrauben-und Mutternfabrik völ­ lig ausgebombt. Improvisation und Flexibili­ tät sind gefordert. Man verlegt den Betrieb nach Schonach. 1947 wird mit der Produktion von Schraubwerkzeugen begonnen. Ein �ali­ tätsprodukt entsteht, das heute fast jeder Profi in seiner Werkzeugkiste hat. Erst in den frühen 50er Jahren entsteht der Neubau in der Obertalstraße in Schonach. An diesem Standort wird der Betrieb ständig erweitert und ist inzwischen fest im Dorfbild

Betrieb in Schonach / Betrieb in Mönchweiler

verwurzelt. Erweiterungsbauten finden 1970, 1974, 1979, 1985 und 1989 statt. 1965 wird in Mönchweiler ein Zweigbe­ trieb erworben. Bald wird dieser zu eng. Des­ halb kauft man 1989 im Industriegebiet Mönchweiler, Waldstraße, ein Grundstück von ca.13.000 qm. Ein Jahr später präsentiert sich Wiha der Öffentlichkeit mit einem neuen Gebäude. Der futuristisch anmutende Betriebsbau hat 2300 qm Nutzungsfläche. Alle Abteilungen sind großzügig und stilvoll gestaltet. Hier läßt sich’s gut arbeiten. Platz für weiteres Wachstum ist vorhanden. Die Werke in Obersasbach und Wupper­ tal (Form-und Gewindeteile) sind rechtlich und produktrnäßig getrennt von Wiha Scho­ n ach und haben nur einen Teil ihrer Geschichte gemeinsam. Die Schraubendreher-Produktion selbst hat eine lange Tradition. Ihre Wiege liegt in Schmalkalden, einem kleinen Ort am Süd­ hang des Thüringer Waldes. Schon im frü­ hen 16.Jahrhundert gab es hier eine Werk­ zeugproduktion. Fast parallel dazu entwickelte sich im Ber­ gischen Raum (Remscheid und Wuppertal) ein ähnliches Zentrum für Werkzeuge. Viele Betriebe, die heute ihren Sitz in Remscheid oder Wuppertal haben, wissen um ihre Wurzeln in Schmalkalden. Die Achse Schmalkalden/Thüringen, Wuppertal/Nordrhein-Westfalen und Scho­ nach/Schwarzwald erhält durch die politi­ sche Veränderung neue Aktualität. Bestimmte Personen sind von einer bewegten Geschichte nie wegzudenken. Sie sind doch die treibenden Kräfte, die das Rad der Entwicklung in Bewegung halten. Bei Wiha sind es neben dem Gründer und lang­ jährigen geistigen Beistand der Firma -der heute 82jährige Willi Hahn -Ernst Sehmie­ der und Wilfried Hahn. Ernst Sehmieder lenkte über 43 Jahre lang wie ein sicherer Steuermann die Firma durch einige Konjunkturgewitter. Unter seiner Federführung gedieh die Firma von einem anfänglichen Handwerksbetrieb zu einem kerngesunden, mittelstänclischen Unterneh- 60 men. Herr Sehmieder ging am 30. 6. 90 in den Ruhestand -mit einem Urlaubsgutha­ ben von ca.160 Wochen. Eine Ära mit einem Geschäftsführer der „alten Schule“ geht zu Ende. Seit 1977 ist Wilfried Hahn im Schon­ acher Werk. Als gelernter Wirtschaftsinge­ nieur und mehrsprachig kümmerte er sich wesentlich um die Einführung neuer Tech­ nologien und den Ausbau des Exportge­ schäfts. Seit dem Weggang des Herrn Sehmieder ist er alleiniger Geschäftsführer. Zu nennen sind weiterhin die vielen Fach­ arbeiter, Angestellten und Hilfskräfte, die der Firma treu gedient haben und auch heute ein wesentlicher Eckpfeiler für die ausge­ zeichnete �alität der Wiha-Produkte und damit den guten Ruf der Firma sind. Die Produkte der Firma Wiha sind im wesentlichen Schraubwerkzeuge und rück­ schlagfreie Schonhämmer. Daneben gibt es noch einige Auto-Spezialwerkzeuge und Werkzeuge nach Anfrage. (Bild) Unter Schraubwerkzeuge versteht der Volksmund den normalen Schraubenzieher. Das ist auch richtig. Im Fachjargon heißt es aber -Schraubendreher -Steckschlüssel -Bits für hand-und maschinenbetriebene Werkzeuge -Stiftschlüssel -Magazinschraubendreher. Die Schraubendreher selbst unterschei­ den sich in ihrer Spitze; und diese ist abhän­ gig von der Anwendung, d. h. der Schraube, die man damit drehen will. Da gibt es Schlitz-Schrauben, Kreuzschlitz-, Pozidriv-, 6kant-, TORX-Schrauben und vieles mehr. Wiha versteht sich als Spezialist für Schraub­ werkzeuge, d. h. für alle Schrauben hat Wiha den entsprechenden Dreher. Daß in solch einem Schraubendreher viel Technologie enthalten ist, merkt man erst so richtig, wenn man durch die Produktion geht. Da fallen einem gleich die modernen Automaten und CNC-gesteuerten Maschi­ nen auf.

Auf jeden Fall sind zu nennen die unter­ nehmerische Weitsicht in der Auswahl der Produkte, die richtigen Investitionen und das Geschick und der Fleiß aller Mitarbeiter. Wiha bildet aus in den Bereichen Indu­ striekaufmann, Werkzeugmechaniker und Kunststofformgeber und setzt so auf eigenen qualifizierten Nachwuchs. Eine weitere wichtige Säule im Erfolgs­ konzept ist der Vertrieb. Wiha-Werkzeuge sind gedacht für den professionellen Endverbraucher in der Indu­ strie und dem Handwerk. Über Eisenwaren­ und Werkzeughandel als qualifiziertem Fachhandel gelangen die Wiha-Werkzeuge zu diesem Endverbraucher. Wiha ist in der BRD im Fachhandel füh­ rend. Neben der Qualität der Produkte und dem breiten Sortiment schätzt der Händler besonders den exzellenten Lieferservice von Wiha. Darin ist Wiha auch alleinstehend. Ein Lieferservice von 99 OJo ist keine bloße Floskel, sondern „Evangelium“ bei Wiha. Im Auslandsgeschäft wurden die letzten Jahre starke Akzente gesetzt. So steigerte man den Exportanteil in den letzten Jahren von 10 auf heute 30 %. Die wichtigsten Länder sind Italien, Spa­ nien, Holland – generell gesagt – Westeu­ ropa. Niederlassungen bestehen in den USA, Spanien, England und Frankreich. Insge­ samt exportiert Wiha in 22 Länder. Ziel ist, einer der größten Hersteller von Schraubwerkzeugen in Europa zu werden. Die Zukunftsaussichten bei Wiha schei­ nen gut. Mit den Investitionen der letzten Jahre, dem Neubau in Mönchweiler und der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter, sind die Weichen gestellt. Die europäische und deutsche Vereini­ gung wird ihren Teil zum konjunkturellen Wachstum beitragen. Beides berechtigt zur Hoffnung auf eine gute Geschäftsentwicklung in der nahen Zukunft. Engelbert Walz 61 Produktpalette Investitionen in Maschinen und Anlagen werden bei Wiha groß geschrieben. Ein Kon­ zept, das die Firma wettbewerbsfähig hält. Im Werk Schonach sind untergebracht Das Schonacher Werk beschäftigt 195 Mitarbeiter, das Werk Mönchweiler 35. Die Tendenz ist steigend. Was hat diesen Betrieb bisher so erfolg­ reich gemacht? Wieso finden immer mehr Menschen bei Wiha ihren Arbeitsplatz? die Abteilungen: Fräserei Spritzerei/Druckerei Montage Lager Versand Technik/Werkzeugbau Verwaltung. Schleiferei Presserei Labor Härterei und eine kleine Verwaltung. Im Werk Mönchweiler befinden sich die

Emil Tritschler – ein Uhrmacher aus der guten alten Zeit Ein unscheinbares Haus im Schonacher Untertal, das nach außen hin nichts verrät von seinen verborgenen Schätzen. Ein älte­ rer Mann, 73 Jahre, öffnet nach dem Läuten die Tür und lädt zum Eintreten ein. Und da bleibt man zum ersten Mal mit Erstaunen stehen! Kaum eine Wandfläche, an der nicht eine Standuhr steht, nicht ein kleines freies Fleckchen, an dem nicht eine Uhr hängt; Bil­ qer vom Herstellungsort der ersten Schwarz­ walduhr, Uhrenteile, Schnitzereien und vie­ les andere mehr. Und hat man dann die steile Treppe zum ersten Stockwerk erklommen, an den Wänden auch des Treppenhauses Uhren und nochmals Uhren, so betritt man eine kleine Werkstatt, angefüllt mit Maschi­ nen, Handwerkszeug, Geräten, Ersatzteilen, Uhrwerken und wiederum Uhren; daneben Einzelteile, die gerade zu einer Waagbalken­ uhr zusammengebaut werden. 62 Wir befinden uns im Haus des Schon­ acher Uhrrnacherrnei ters Emil Tritschler, einem Handwerker aus echtem Schrot und Korn. Fast möchte es einem vorkommen, als sei er einer Legende entsprungen inmitten seiner mit Gerätschaften überfüllten Werk­ statt, in der wohl kaum ein altes Handwerks­ zeug fehlt, und in der fast kein Platz ist für sei­ nen Hocker an der Werkbank. Aus seinen Augen leuchtet Stolz auf sein Können, auf die Arbeit, die er verrichtet, ein Handwerker in unserer Zeit, aber dennoch schon fast ein Stück Vergangenheit. Lassen wir uns von ihm erzählen aus seinem Leben, aus seiner Jugend, dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus über das, was sich hinter diesem einfachen und anspruchslosen Mann verbirgt, der ein Könner in seinem handwerklichen Beruf ist, und der doch so gar nichts aus sich macht.

Wie zur damaligen Zeit üblich, besuchte er 8 Jahre die Volksschule in seinem Heimat­ ort Schonach. Seine &eie Zeit verbrachte er bei seinem Vater in der Hinterstube des elter­ lichen Hauses, einem Uhrmacher, der seinen Beruf wiederum von seinem Vater erlernt und übernommen hatte. Der Junge schaute ihm interessiert bei der Herstellung der Uhr­ werke zu und ging ihm auch dann und wann zur Hand; weniger aus Arbeitslust als aus Neugier. Die gefertigten Uhrwerke wurden einmal in der Woche in einer „Gräze“, einem Tragegestell auf dem Rücken, zum Bahnhof in Triberg gebracht und von der Mutter bei der Firma Mauthe in Schwenningen ver­ kauft. Diese Firma zahlte bar, und dies war in der damaligen Zeit außerordentlich wichtig. Durch den dauernden Umgang des Buben mit der Herstellung der Uhrwerke und deren Verkauf als Existenzgrundlage der Familie, wurde in ihm unbewußt das Interesse geweckt. Und so begann er nach dem Schul­ abschluß eine Lehre als Feinmechaniker bei der Firma Oskar Fleig in Triberg, wo zu dieser Zeit ebenfalls Uhrwerke hergestellt wurden. Der Beruf des Uhrmachers und der des Fein­ mechanikers waren damals von der Ausbil­ dung her kaum voneinander zu unterschei­ den. Fragt man Emil Tritschler, warum er gerade diesen Beruf erlernt hat, so erhält man zur Antwort: ,,Ich bin in diesem ,Gruschd‘ (altes Gerümpel) groß geworden und meine Eltern haben damit ihr Geld verdient!“ Unter der Woche lief in diesem feinmecha­ nischen Betrieb die normale Produktion der Uhrwerke, aber am Samstagnachmittag, wenn im Betrieb Ruhe eingekehrt war, wur­ den von seinem Meister und ihm für einen zusätzlichen Lohn von 5 Mark spezielle Muster für Uhrwerke angefertigt, und dabei, so berichtet Emil Tritschler, habe er mehr und auch das Besondere seines Handwerkes gelernt, was ihm später zugute kommen sollte. Dies war die Zeit, in welcher die Herstel­ lung der Uhrwerke, bedingt durch die immer größer werdende Nachfrage, mehr und mehr auf Massenproduktion umgestellt wurde. Die Anfertigung neuer und spezieller Muster war demzufolge für den Bestand und die Weiterentwicklung eines Betriebes von aus­ schlaggebender Bedeutung. Und dabei war Emil Tritschler in seinem Element! Der Krieg unterbrach seine berufliche Tätigkeit. Nach der Rückkehr aus der Gefan­ genschaft 1945 trat er wieder in den Betrieb des Oskar Fleig ein. Doch schon bald stellte sich die Frage, was nun eigentlich produziert werden sollte, da Uhrwerke derzeit nicht gefragt waren. Emil Tritschler war um eine Idee nicht verlegen: ,, Wir machen etwas, was die Bauern brauchen!“ Und dies waren Maulwurfsfallen. Nicht alle wurden auf dem heimischen Markt verkauft, so manche wurde gegen Butter eingetauscht. Als der Markt damit gesättigt war, wurden aus vor­ handenem Material Feuerzeuge hergestellt. Es folgte, und dazu waren zum ersten Mal nach dem Krieg wieder Aufträge eingegan­ gen, die Produktion von Schaltzylindern für die Post. In dieser Zeit übernahm Tritschler mehr und mehr die technische Leitung des Betrie­ bes, bis er zum Geschäftsführer avancierte mit 6 -8 Mitarbeitern und einigen Heimar­ beitern. Zunehmend aber stellte er fest, daß die Produktionsmethode dieses Betriebes not­ wendigerweise auch in die Massenproduk­ tion führte, und er spürte, daß das, was er jetzt tat, nicht mehr mit seinem handwerkli­ chen Können, mit seinem erlernten Beruf in Einklang zu bringen war. Und so begann er, sich mit dem Gedanken zu tragen, seine Anstellung als Geschäftsführer aufzugeben und in die Werkstatt seines Vaters zurückzu­ kehren, Uhrmacher zu werden und einen eigenen Betrieb zu gründen. Seine Frau, auf die er ganz besonders stolz ist und von der er immer wieder sagt, daß sie der eigentliche Initiator dieses Unterfangens gewesen sei, unterstützte ihn in diesem Vorhaben und begann selbst, als Mädchen für alles mitzu­ arbeiten, besonders was die Büroarbeiten betraf. Aus seinem Erzählen hört man heraus, daß er zwar ein wenig Angst hatte, die Werk- 63

statt seines Vaters als seinen eigenen Betrieb weiterzuführen, aber es lief doch besser, als er dachte, zumal er von den Burger-Fabriken in Schonach, wo man ihn als Könner auf sei­ nem Gebiet schätzte, den Auftrag zur Her­ stellung von Mustern bekam, wie er dies an den Samstagnachmittagen in seinem Lehr­ betrieb bereits getan hatte. Und damit war er wieder in seinem Element, sein handwerk­ liches Können unter Beweis zu stellen, zu basteln und zu tüfteln, lange gehegte Pläne und Ideen in die Tat umzusetzen. Vieles hatte er bisher bereits gearbeitet, aber seine jetzige Tätigkeit betrachtete er unter dem Gesichtspunkt, seine besonderen Fähigkei­ ten zu verwirklichen, nicht nur das zu zäh­ len, was unter dem Strich herauskommt, sondern die größte Befriedigung darin zu fin­ den, gute Arbeit zur Zufriedenheit seiner Kunden zu leisten. Die Anfertigung der Muster brachte ihm so viel ein, daß er, wieder auflnitiative seiner Frau, von ca. 1950 an begann, selbst Uhr­ werke herzustellen, um damit zu einer gesi­ cherten Selbständigkeit zu gelangen. Er ver­ suchte sogar, kleinere Exportaufträge anzu­ nehmen, aber seine Firma war eben doch zu klein, um voll in das Exportgeschäft einzu­ steigen. Es gab dafür aber noch einen ande­ ren Grund, der oben bereits angeklungen war: einen Betrieb der üblichen Art wollte er nicht, er wollte Bastler, T üftler bleiben und sich nicht einengen lassen durch eine maschinell ablaufende Produktion. Und, es darf vorweggenommen werden, er hat dies bis zum heutigen Tag durchgehalten und verwirklicht. Alles, was er anfing, alles, was er in die Tat umsetzte, geschah aus Interesse am Werkstück, aus Liebhaberei. Er blieb in sei­ nem Betrieb ohne Mitarbeiter, beschäftigte nur wenige Heimarbeiter, denn ein Tüftler, wie er es ausdrückte, verwirklicht seine Ideen viel lieber allein! Zu diesem Betrieb, den er trotz seines hohen Alters immer noch, wenn auch in beschränktem Maße, weiterführt – den Gedanken an ein Rentnerdasein weist er noch von sich – sagt er voller Stolz: „Tritschler macht gute Uhren, schöne 64 Waagbalkenuhr Uhren, aber man bekommt nie, was man bestellt – immer zu wenig!“ Was aber sind das für Uhren, die er her­ stellt? Es ist die Waagbalkenuhr, nach Tritschler eine der echtesten Uhren, in sämt­ lichen Teilen, auch die Räder, original in Handarbeit und fast vollständig aus Holz gefertigt, allerdings nur in kleinen Stückzah­ len. Der Name der Uhr rührt von der „Waag“ her, dem Gangregler, ein in waagrechter Ebene schwingender Holzbalken, der an sei­ nen Enden Einkerbungen trägt, damit die 2 Gewichte zur Regulierung der Schwingun-

gen verschiebbar eingehängt werden kön­ nen. Steine, ca. 1200 -1300 g schwer, in den Flüssen gesucht, auf Form sortiert und mit eingebohrtem Haken als Aufhänger – übri­ gens einem Echtheitsmerkmal – finden als Gewichte Verwendung. Damit erfolgt der Antrieb der Uhr, da die Gewichte, an einer Schnur hängend, über die Schnurnuß als Triebkraft auf das Walzenrad wirken. Die ganze Uhr ist dem Original so vorbildgetreu nachgearbeitet, daß Original und Nachbil­ dung nur schwer zu unterscheiden sind. Es war von Anfang an T ritschlers Wunsch, eine Uhr in all ihren Teilen selbst herzustel­ len, was ihm mit der Waagbalkenuhr gelun­ gen war. Diese Uhr wurde ein Marktschlager! Als die Nachfrage immer größer wurde, es war die Zeit des Export-Booms, bot man ihm an, die Produktion dieser Waagbalkenuhr in Holz einzustellen, um den Weg frei zu machen für einen Nachbau in Plastik. Dies wurde gegen seinen Willen auch ausgeführt, und ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Produktion auf Schilderuhren umzustellen. Das war für ihn die schwerste Zeit seines Lebens! Aber das Pendel schlug bald wieder zurück! Der Erfolg der Plastikuhr als Ver­ kaufsschlager blieb aus, und bald kamen die Kunden wieder zu ihm, um die echte, hand­ gefertigte Holz-Waagbalkenuhr zu erstehen. Blicken wir uns nun in seiner Werkstatt um! War man schon beim Anblick nur des Raumes in Erstaunen geraten, dann jetzt noch viel mehr, wenn man die Einrichtung bewußt im Detail betrachtet. Da stehen die alten Maschinen, dort ist das alte Hand­ werkszeug und -gerät aufgehängt oder unter­ gebracht, mit dem Emil Tritschler heute noch arbeitet. Wenn Besucher diese Werk­ statt betreten, hört man sie erstaunt ausru­ fen: ,Ja, gibt es denn noch so etwas, das ist wie in einem Museum!“ Und so ist es tatsäch­ lich, ohne Übertreibung. Zum einen hat er die alten Maschinen und Werkzeuge von sei­ nen Vorfahren übernommen, zum anderen, und das sagt er so: ,, … bin ich ein Sammler meines Berufes, voller Leidenschaft, ohne Kompromisse. Ich habe fast alles lasterhaft zusammengekauft, ich war der Sammler von allem, was andere verachtet haben, beson­ ders in den Jahren der Hochkonjunktur!“ Immer, wenn in der Zeitung von einer aufzu­ lösenden oder zu verkaufenden Uhrmacher­ werkstatt zu lesen war, war er einer der ersten, der kam, um Maschinen und Geräte auf­ zukaufen. Das waren Räderfräsmaschinen, Abrundmaschinen, Rolldrückbänke und anderes mehr. So kam Stück für Stück zusammen, ein Liebhaber wie er konnte nicht mitansehen, wie alte Maschinen und Werkzeuge verkommen. Und mit ihnen übt Emil Tritschler noch immer seinen Beruf aus, tagaus, tagein stellt er seine echten, kleinen handgefertigten Werke in Form der Waagbalkenuhr her. Er ist stolz auf seine meisterliche Arbeit, und er darf es auch sein; er geht gewissenhaft und ehrlich, trotz seines hohen Alters, seinem Beruf nach, er tut seine sich selbst auferlegte Pflicht, ohne darüber hinausreichenden Ehr­ geiz. Er tut dies aber auch, um die alten Ideale eines in den 30er Jahren erlernten Handwerks hochzuhalten. Werner Hamm So begann – mancher Tag begann mit einem Ziel, das die Ungeduld aus den Augen verlor – Erst in der Nacht war es für drei oder vier gezählte Pulsschläge unerreichbar nah. Jürgen Henckell 65

Im Steinbruch der Firma Riegger in Klengen Großbagger mit Ladeschaufel Die Sicherung und Bereitstellung von preisgünstigen Rohstoffen ist eine Aufgabe, die sich vordringlich für die heimische Bau­ wirtschaft stellt. Schon vor über 60 Jahren war es dem Bad Dürrheimer Unternehmer Karl Riegger, einem Sohn des Lindenwirts in Marbach, ein Anliegen, Kies und Schotter­ materialien zu gewinnen und aufzubereiten. So wurde bereits in den 30er Jahren im Steinbruch an der B 33 zwischen Marbach und Bad Dürrheim Muschelkalk-Gestein abgebaut. Pferdefuhrwerke brachten anfangs das aufbereitete Material, Schotter, Splitt und Sand, zu den Baustellen der näheren Umgebung. In der frühen Nachkriegszeit konnte süd­ lich von Villingen, in der Nähe des Um­ spannwerkes Laufenburg, ein Kieswerk eröff­ net werden, das den Bedarf an Betonkies und Sand abdeckte. Über lange Jahre wurde der 66 Kiesbedarf für den Raum Villingen und Umgebung aus dieser Grube gewonnen. Der mit Weitblick agierende Unterneh­ mer Riegger heimste sich sehr bald den Spitz­ namen „Sand-Karle“ ein und war in Stadt und Land wohlbekannt. Ein weiterer Abschnitt dieses Unterneh­ mens war die Wiederinbetriebnahme des Steinbruches an der B 33. In einem dem Fort­ schritt angepaßten Werk und unter Einsatz von Bagger und Lkws wurde die Gewinnung des Schottermaterials fortgesetzt. Die Bahn­ linie Villingen – Schwenningen stellte eine Abbaugrenze dar, was auch in späteren Jah­ ren zur Stillegung dieses Betriebes führte. Rechtzeitig war der Steinbruch des ehe­ maligen Kalkwerkes der Firma Stottmeister in Klengen aufgekauft worden, so daß nach der Erstellung eines leistungsfähigen Werkes die Produktion in verstärktem Umfange

erfolgen konnte. Der Abbau des Felsgesteins wurde durch Großbohrloch-Sprengungen vorgenommen. Das Material wird mit Bag­ ger geladen und mit Muldenkipper zum Werk gefahren. In das Lieferprogramm wurde die Herstellung von Mineralbeton aufgenommen. Dies ist ein Sand-, Splitt-und Schottergemisch, das Verwendung im quali­ fizierten Straßenbau findet. In der Zwischen­ zeit waren die Entscheidungen dem Sohn des Unternehmers und Nachfolger Helmut Riegger übertragen. Das Liefergebiet konnte auf den Bereich des heutigen Schwarzwald­ Baar-Kreises ausgedehnt werden. Die Anlage selbst, samt Maschinen und Geräte wurden immer wieder neuen Aufbe­ reitungstechniken angepaßt. Einen Höhe- punkt erreichte man mit der Anschaffung des ersten in Deutschland ausgelieferten Großbaggers mit Ladeschaufel vom Typ „Liebherr 994″. Dieses Gerät wurde im Juni 1990 unter Anwesenheit vieler Gäste, anläß­ lich eines Tages der offenen Tür, feierlich an den Firmenchef Helmut Riegger übergeben. Der 220 Tonnen schwere Koloß erhielt den Namen „Gigant“. Mit einer Reißkraft von 90 Tonnen und einem Löffelinhalt von 8,8 Kubikmeter ist er allen Anforderungen gewachsen. Der Bagger wird von einem 1000 PS starken Diesel-Motor angetrieben. Der anstehende Fels wird seither ohne Sprengarbeiten gelöst. Dies stellt einen Bei­ trag zu einer die Umwelt schonenden Abbauart dar. Max Hirt Riettor Villingen Aquarell: Rudolf Heck 67

Wirtschaftsgeschichte Von der Saline zum Kurort Wie es zur Entdeckung der Salzlager kam Ein Beispiel dafür, wie das Auffinden eines seltenen Bodenschatzes die Struktur einer Gemeinde nachhaltig und in die weite Zukunft hinein völlig verändern kann, ist das zu Anfang des 19. Jahrhunderts kleine Bau­ erndorfDürrheim. Salz war im Großherzog­ tum Baden in jener Zeit ein teures, weil selte­ nes Gut; es mußte eingeführt werden. Die erste Vermutung, daß man in Dürr­ heims Tiefen auf Salz stoßen würde, äußerte Konrad Heby gegenüber dem Amtmann der Johanniterkommende Villingen, Joseph Willmann. Heby kam 1780 als Sohn des Vil­ linger Küfers Silvester Heby und seiner Ehe­ frau Magdalena geb. Schleicher zur Welt. Er erlernte das Schreinerhandwerk, war begabt für verschiedenste Handfertigkeiten wie Metall gießen und gravieren. So wurde ihm 1810 die Fertigung der Siegel für das Groß­ herzogliche Bezirksamt und die Orte des ganzen Amtsbezirks übertragen. Seine Pas­ sion galt aber der Geognosie (Geologie) und Mineralogie. In der Bibliothek des Benedik­ tinerklosters Villingen durfte der junge Heby einschlägige Literatur studieren und konnte dadurch viel Wissenswertes für seine Nei­ gungen erfahren. Gleich in den Anfangsjah­ ren des 19. Jahrhunderts regte Heby die Aus­ beutung eines Gipsbruches an, dessen Gelände vor dem Kapfwald bis in die dreißi­ ger Jahre allgemein zugänglich war. Am 18. April 1806 erhielt Heby einen Schürfbrief und schloß zum Zweck des Betriebs einer Gips-und Mahl-(Mehl)Mühle am 30. April 1806 mit dem Johanniteramtmann Will­ mann und den Villinger Bürgern Karl Magnon und Joseph Neugart einen Gesell­ schaftsvertrag ab. Heby äußerte schon zuvor bei seinen Gesprächen mit Willmann: ,,Der 68 Joseph Wil/mann, Amtmann der johanniter­ Kommende Villingen (Ölgemälde in den Städt. Museen Villingen) Gipsbruch ist nicht die Hauptsache. Unter ihm liegt ein Schatz von unberechenbarem Werte verborgen. Hier glaube ich Salz zu finden.“ Im Juni 1806 erhielten die Gesellschafter zur Erleichterung der Baukosten für die Mühle das Tafern Recht (Taverne, Wirts­ haus). Als Willmann im September gleichen Jahres von Heby und Neugart 3000 Gulden an Baukosten erbat, erklärten beide, daß es ihnen nicht möglich sei, die Mittel aufzu­ bringen und verzichteten auf ihren Anteil

Gesamte Salinenanlage, Stand 1929, neuer Kurpark rechts oben am Fruchtmühlwerk und am Gebäude. Die Verpflichtung für das Gipsmühlwerk blieb jedoch bestehen. Zur damaligen Zeit brach­ ten die Bauern gemahlene Gipssteine als Dünger auf ihre Felder. Willmann führte den Mühlenbau mit Wirtshaus zu Ende. Dem Wirtshaus gab er den Namen „Zum Goldenen Löwen“. Die politischen Geschehnisse, die Napo­ leon in Europa auslöste, waren recht ungün­ stig, um die Vermutung des Konrad Heby auf Salzvorkommen weiter zu verfolgen. Im Zuge der Neuorganisation der badischen Verwaltung wurde Dürrheim mit Erlaß vom 5.Mai 1807 dem Bezirksamt Villingen zuge­ wiesen; Villingen selbst wurde zum Sitz des Donaukreis-Direktoriums erhoben. Dieser Behörde gab Willmann im Jahre 1810 einen Bericht und begründete darin die Vermu­ tung, daß in Dürrheims Boden Salz zu fin­ den sei. Er bat, die Großherzogliche Regie­ rung davon in Kenntnis zu setzen. Im glei- chen Jahr schickte die Regierung den für Bergwerk-und Salinengeschäfte zuständigen Referenten nach Dürrheim, um Untersu­ chungen anzustellen. Geheimer Referendar Volz, dem dieser Auftrag zuteil wurde, kam dem Ziel, ein Salzvorkommen zu entdecken, nicht näher. Es war Willmann, der in den Jahren 1811 bis 1822 dieses Ziel weiter verfolgte und sich durch die wenig aussichtsreichen Resultate von Volz nicht entmutigen ließ. Am 17. April 1818 schrieb Willmann an den Entdecker der württembergischen Salzlager, Professor Karl Christian von Langsdorf. Er beschrieb aus­ führlich den ausgedehnten Gipssteinflöz unter Dürrheim, verwies auf die salzhaltigen Gipssteine, die im Lande Württemberg zur Aufspürung der Salzlager geführt hatten und beendete den Brief mit folgenden Worten: „Wären wir so glücklich, für unser ohnehin salzarmes Land ein Salzwerk zu ergründen!“ Diesesmal hatte Willmann die entschei-69

dende Verbindung hergestellt. Nach drei Wochen antwortete von Langsdorf. Er schrieb ihm, daß Volz den „etwa anzustel­ lenden Versuchen auf Sole nicht günstig“ war und er schon seit sieben Jahren auf„eine beinahe zudringliche Weise“ solche Versu­ che empfohlen habe. Von Langsdorf kannte Dürrheim und hatte den Schwarzwald schon früher bereist; er gab dem Finanzministe­ rium von Willmanns Brief Mitteilung. Im Jahre 1920 gab der Fürstlich Fürsten­ bergische Bergrat Selb einen Bericht über seine Reise im oberen Schwarzwald heraus, worin er Dürrheim als einen Salz oder Sole versprechenden Ort bezeichnete. Diese Ver­ mutung war eine Rose, die er im Garten des Herrn Willmann gepflückt hatte, wie Steiger in seiner 1910 erschienenen Schrift „Dürr­ heim und seine Saline“ feststellte. Langsdorf verweist auf die von Selb erst nach wirklicher Erbohrung des Steinsalzes angegebenen geo­ gnostischen Bestimmungsgründe und dar­ auf, daß man fündig geworden wäre, wenn man „ohne weiteres sogleich Herrn Will­ manns Rat befolgt hätte“. Als Mitglied deutscher und ausländischer wissenschaftlicher Gesellschaften genoß Professor Karl Christian von Langsdorf internationales Ansehen. Mit seinem fünf­ teiligen Werk „Vollständige Anleitung zur Salzwerkskunde“ und zahlreichen Veröf­ fentlichungen zu mathematischen und phy­ sikalischen Problemen schuf er Grundlegen­ des für die Wissenschaft. So war es nahe­ liegend, daß die Großherzogliche Regierung im Frühjahr 1920 ihn beauftragte, das badi­ sche Oberland zur Auffindung von Sole zu bereisen. Der 63jährige von Langsdorf wollte zur Bereisung einen weiteren Fachmann mit­ nehmen, was zunächst schwierig verlief. Nachdem er im Herbst 1920 einige Bemer­ kungen zum Bericht des Bergrat Selb veröf­ fentlicht hatte, erhielt er von der Regierung den Auftrag, mit Selb die Bereisung vorzu­ nehmen. Mit Brief vom 30. März 1821 drängte Will­ mann erneut Langsdorf in Dürrheim nach Salzvorkommen zu suchen. Bereits am 4. 70 April antwortete Langsdorf und verwies auf die geplanten Bohrversuche am Kocher bei Heilbronn; erst danach im Folgejahr könne aus zeitlichen und personellen Gründen die Reihe an das Oberland kommen und fügte zweifelnd an, ob zuerst in Dürrheim sei frag­ lich. Langsdorf hielt den Bereich um Nieder­ eschach für geeigneter. Dem beharrlichen Streben Willmanns gab er jedoch eine Chance, als er in seinem Brief weiter aus­ führte: ,,Doch könnten Sie vielleicht dazu beitragen, daß auch ich zuerst auf Dürrheim anträge; wenn Sie uns nämlich gegen eine Vergütung von 80-100-120 fl (Florin=Gul­ den) ein Gebäude … anweisen könnten, das zur Anlage der Bohrmaschine und einer Schmiede Raum genug darböthe.“ Will­ mann konnte diese Voraussetzungen rasch erfüllen. Er hatte zu dieser Zeit die Scheuer eines Dürrheimer Bauern unter Verwaltung. Jetzt folgten die Ereignisse sehr schnell. Schon am 9. April erschienen Bergrat Selb und Gustav v. Langsdorf, ein Sohn des bekannten Salinisten, bei Willmann und eröffneten ihm, daß auf allerhöchsten Befehl sofort Bohrversuche angestellt werden müs­ sen. Für Willmann eine befreiend glückliche Stunde. Von Langsdorf eilte nach Dürrheim, ließ seinen besten Bohrarbeiter dorthin kommen und traf alle Vorbereitungen für den Bohrbe­ ginn. Am 21.Juni 1821 konnte mit dem ersten Bohrversuch begonnen werden. Die Stelle befindet sich in der sogenannten Sonnen­ anlage, neben dem früheren Gasthaus „Zur Sonne“, jetzt Standort der Kurklinik „Irma“. Seit 1929 liegt an dieser Stelle ein Gedenk­ stein. Die ersten Suchbohrung dauerte acht Monate, bis man endlich am 22. Februar 1822 auf die erste, aber erfolgversprechende Spur eines Salzlagers stieß. Wenige Tage dar­ auf schrieb Willrnann an v. Langsdorf: „Glück auf! Vom 25. auf den 26. Februar wurde in der Tiefe von 375 Fuß (ca. 116 Meter) auf ein ziemlich starkes Salzlager gebohrt, welches nach sogleich angestellter (Siede-)Probe ein vorzügliches Kochsalz

Gewölbekeller für die Ifannenheizung mit ursprünglich Holz und Torf, später mit Steinkohle Auszug von Salz aus der Pfanne und trocknen und lagern auf dem Ifannenmantel 71

resultierte, und erstattete unter Beilegung eines Salzmusters Bericht an das Großher­ zogliche Ministerium des Innern vom 28. Februar.“ Für das Großherzogtum war ein großer Schatz gefunden. Für Willmann, der sich für die Bohrungen am eifrigsten eingesetzt hatte, war die Uhr abgelaufen; er wurde ange­ feindet und verleumdet. Zwar bezeugte ihm v. Langsdorf in einer schriftlichen Darstel­ lung vom 7. März 1822, daß er als erster die Suche in Dürrheim nach Salzquellen emp­ fohlen habe, doch es half nichts. Selb nahm das Verdienst für sich in Anspruch und wurde mit dem Zähringer Löwenorden dekoriert. Willmann wurde sogar am 16. April 1822 jede Einmischung in das Bohr­ und Salinengeschäft untersagt; die Großher­ zogliche Verwaltung versetzte ihren Gefäll­ verwalter nach St. Blasien, wo er am 5. Dezember 1825 verstarb. Konrad Heby, des­ sen Spürsinn schon 15 Jahre vor Bohrbeginn in Dürrheims T iefen Salz vermutete, erlebte den Beweis der Richtigkeit nicht mehr; sein Leben endete 1816 tragisch in Villingen. Der Aufbau einer großflächigen Salinen­ anlage ging mit erstaunlichem Fortschritt vonstatten. Professor von Langsdorf entwarf im Auftrag von Großherzog Ludwig ein Gesamtkonzept und legte einen Kostenvor­ anschlag mit 226 000 f1 vor. Die Planung enthielt fünf Siedehäuser samt 10 Siede­ pfannen, fünf Salzmagazine, drei Solebehäl­ ter, fünf Bohrlöcher mit Einrichtung, ein großes Haus mit Windmühle, eine Schmie­ de, die Soleleitung, zwei Verwaltungsge­ bäude, Wohnhäuser für Beschäftigte und kleinere Baulichkeiten. Das Siedehaus I war schon elf Monate nach Auffindung des Salz­ lagers fertiggestellt; mit einer kleinen Feier wurde am 16. Januar 1823 der Betrieb eröff­ net. Architekt der Salinenanlage war der Militärbaudirektor Karl Friedrich Arnold. Er baute im Stil seines Onkels und Lehrers, des Großherzoglichen Baudirektors Friedrich Weinbrenner. Zurecht spricht man bei der Saline vom „Weinbrennerstil“. Zu Ehren Arnolds wurde der kleine Saal im neuen 72 Haus des Bürgers, früher Siedhaus III, nach ihm benannt. August Heinrich Freiherr von Althaus wurde 1823 mit 32Jahren zum Vorstand der neugegründeten Saline ernannt. Als junger Offizier hatte er an Napoleons Feldzug gegen Rußland teilgenommen; auf dem dra­ matischen Rückzug mußten 1812 badische Truppen den Brückenkopf über die Beresina für den Rest des rückflutenden Heeres frei­ kämpfen, dabei stand Althaus entscheidend im Brennpunkt. Von Napoleon erhielt er das Kreuz der Ehrenlegion und den Titel „Capi­ tain“ verliehen. Für den Aufbau der Saline hat Althaus tat­ kräftig gewirkt. Er war ein Glück für die junge Saline. Zur langfristigen Sicherung der Salz­ produktion wurden in seiner Amtszeit die zusätzlichen Bohrungen III, N, V und VI niedergebracht; die bereits begonnene Boh­ rung II wurde zu Ende geführt. Sein Eifer, seine Entschlossenheit und seine Mensch­ lichkeit ließen sein Andenken bei Mitarbei­ tern und Einwohnern viele Jahrzehnte lebendig bleiben. 1843 ging Althaus nach Freiburg. Die philosophische Fakultät der Universität Freiburg verlieh ihm später den Doktorgrad „honoris causa“. In den ersten Jahren des Salinebetriebes und in den folgenden Jahrzehnten stieg die Einwohnerzahl spürbar an. Zählte der Ort anfänglich 560 Einwohner, so waren es 1834 schon 645 zuzüglich 207 Bewohner im Sali­ nenbereich. Die Veränderungen brachten dem damaligen Vogt Josef Grießhaber (ein direkter Vorfahre von Fritz Grießhaber) allerhand Probleme. Der Salinenbetrieb gab aber auch manchem Arbeit und Brot, zumindest aber einen Zuverdienst zur Land­ wirtschaft. Eine Tabelle aus dem Jahre 1856 nennt die Zahl der ständigen Mitarbeiter der Saline mit 83 und beziffert die Zahl deren Familienmitglieder mit 281. Die Lohnverhältnisse der damaligen Sali­ nearbeiter waren nicht ehr günstig. Die Sie­ der im Siedhaus I (ehemals längs der Bahn­ hofstraße und 1933 abgebrochen) erhielten für 100 Zentner feinkörniges Kochsalz den

Betrag von 5 Gulden. Im Siedhaus II (seit 1977 Haus des Gastes) konnten die Sieder nur von einer Seite ausziehen; sie erhielten wegen dieser Erschwernis 18 Kreuzer mehr. Der Lohn im Siedhaus III (seit 1990 Eröff­ nung als Haus des Bürgers) betrug für die Sie­ der 5 Gulden und 6 Kreuzer. In dem Sied­ haus, in welchem am meisten Salz erzeugt und am wenigsten Holz verbraucht wurde, zahlte die Saline eine monatliche Prämie von 11 Gulden. Das war ein wirksamer Ansporn für die damalige Zahl von 33 Siedern. Das genannte Entgelt kam zum Jahreslohn von 250 Gulden. Die jährliche Besoldung des Salinevor­ standes belief sich aufl600 Gulden, der Kas­ sier erhielt 1200 Gulden, der Werkmeister 550 Gulden, ein Schicht-und Holzschreiber 350 Gulden, ein Wagenschreiber 350 Gul­ den, ein Schmied erster Klasse 400 Gulden, ein Schmied zweiter Klasse 360 Gulden, vier Obersieder je 300 Gulden mit freier Woh­ nung und Garten. Als im Jahre 1898 das ver­ größerte Handmagazin fertiggestellt war, Glätten von Vieh- und Gewerbesalz. im Siedhaus erhielt jeder Mann fünf Glas Bier für 50 Pfen­ nig, zwei Würste mit Kartoffelsalat für 40 Pfennig, zwei Zigarren für 10 Pfennig, macht zusammen 1 Mark. Analysiert wurde die Sole des Bohr­ loches I in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts von Geheimrat Professor Dr. Bunsen. Er ermittelte einen Chlor­ natriumgehalt von 25,5 Prozent. Die Saline führte weitere Bohrungen durch, zuerst im Geländebereich zwischen Gasthof „Blume“ und dem Salinensee nahe der Friedrichstraße. Diese Bohrungen VII und VIII brachten viele Wassereinbrüche mit der Folge, daß die Dorfbrunnen versieg­ ten. Eine üble Einbuße für Einwohner und Tierhalter. Beschwerden der Gemeinde bei der Saline folgten; die empörten Bürger schlugen an den Baulichkeiten die Scheiben ein. Schließlich wurden die Bohrungen ein­ gestellt und neue Bohrhäuser, gleichfalls mit der Numerierung VII und VIII beim Holz­ lagerplatz der Saline, jetzt Sportzentrum, errichtet und die Bohrungen bis zur Tiefe 73

von 175 Meter im Jahr 1896 vorgenommen. Bereits im Jahr 1895 bohrte man an der Lui­ senstraße die Nr. IX und 1897 die Nr. X; die letztgenannte Bohrung ist mit 209,3 Meter die bisher tiefste. Vereinzelt wurden schon 1830 Solbäder genommen, ab 1834 durfte Sole auf ärztliche Anordnung an Mitarbeiter der Saline unent­ geltlich abgegeben werden. Zuvor wurde Sole durch Sieden ausschließlich zu Salz ver­ arbeitet. Erst im Jahr 1851 eröffnete die Saline im Bohrhaus IV mit drei Badezellen den all­ gemeinen Badebetrieb; die Zahl der Zellen wurde im Jahr darauf um 4 vermehrt. Die Zahl der abgegebenen Bäder stieg so schnell an, daß das Badehaus II im römischen Stil errichtet und 1862 der Öffentlichkeit überge­ ben werden konnte. Auch die Einrichtung eines Dampfbades und eines lnhalationska­ binetts im Siedhaus II fällt in jene Zeit. Im Jahre 1883 wurde auflnitiative von Großher­ zogin Luise das Kindersolbad als Heilstätte für Kinder errichtet. Der allgemeine Kur­ betrieb kam langsam in Schwung. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die Grund­ lagen zum Aufbau eines großen modernen Bades. Das Ort bild veränderte sich vorteil­ haft durch die mit großem Geldeinsatz vor­ genommene Korrektur der „Stillen Muse!“. Es folgten die Einrichtung einer öffentlichen Wasserversorgung und eines Elektrizitäts­ werkes. Die Badeanstalten wurden den neue­ sten Bedürfnissen angepaßt. Alle diese lnfrastrukturmaßnahmen führte die Saline durch. Außerdem wurden die Grün- und Parkanlagen verbessert und erweitert und mit bequemen Promenadewegen durchzo­ gen; die schönen Aussichtspunkte mit Schutzhütten und Pavillons gekrönt. Für die Unterhaltung der Kurgäste sorgte der Kur­ verein durch Anstellung einer guten Kapelle und Veranstaltungen verschiedenster Art. Großes Lob ist dem Kurverein und dessen Gründer, Medizinalrat Johann Georg Huber, zu spenden, der in richtiger Erkennt­ nis der Zukunft des Solbades vielfältige Ini­ tiativen einbrachte und alle Mittel zur Hebung des Fremdenverkehrs aufwandte. 74 Viele neue Einrichtungen wurden geschaf­ fen. Im Bereich des heutigen Kurhauses ent­ standen zwei Tennisplätze, Boote wurden auf dem Salinenweiher ausgesetzt und eine Reihe neuer Spazierwege angelegt. In den Jahren 1900 bis 1901 wurde an das Salinewirtshaus (früher „Goldener Löwen“) das prächtige Kurhaus, das heutige Kurheim und Sanatorium, angebaut; damals in bau­ licher und badtechnischer Hinsicht als „Musteranstalt“ bezeichnet. Die jetzt noch vorhandenen Baulichkeiten bieten manche Kostbarkeit aus der Jugendstilzeit. Gleich­ falls um die Jahrhundertwende eröffnete das Hotel „Kreuz“. Hübsche kleine Hotels, Vil­ len, Pensionen und Privatunterkünfte folg­ ten in beachtlicher Zahl, die neben der vor­ handenen Gastronomie am Kurbetrieb ihren Anteil hatten. Dazu gehören das Gast­ haus „Zur Sonne“, ,,Hotel Viktoria“; Gast­ hof „Zum Rößle“, Gasthof „Zur Krone“, Gasthof „Zur Hirschhalde“, die Gastwirt­ schaften „Zum Adler“, ,,Zum Schwert“, ,,Zum Engel“, ,,Zur Traube“, ,,Limberger“ und „Meßmer“, ferner die Pensionen „Bäu­ erle“, ,,Heinemann“, ,,Rheiner“. Nach der offiziellen Statistik des Kurvereins stellte Dürrheim im Jahre 1909 insgesamt 641 Zim­ mer mit 877 Betten dem Kurbetrieb zur Ver­ fügung. So ist neben privater Initiative vor allem durch die Saline aus dem bäuerlichen Dürrheim in wenigen Jahrzehnten ein wirk­ liches BAD DÜRRHEIM geworden. Die Saline beging ihr lOOjähriges Betriebs­ jubiläum 1923 mit einem großen Fest, das mit einem Heimattag und Trachtenfest viele Gäste nach Bad Dürrheim brachte. Der far­ benprächtige Festumzug erfreute Einwoh­ ner und Gäste. In den Abendstunden bot der Gesellenverein im früheren Gipsbruch, wo zur Zeit Hebys und Willmanns Gips abge­ baut wurde, das Theaterstück „Wallensteins Lager“. Als Statisten kamen von der Reichs­ wehr aus den Kasernen in Donaueschingen 25 Mann nach Dürrheim; für die Darstellung des Lagerlebens erhielten sie ein Faß Bier. In der Zeit von 1919 bis 1951 leitete Bergrat Fritz Kirchenbauer die Saline. Er traf einen

Siedehaus veralteten Betrieb an und suchte nach Kräf­ ten das Unternehmen wieder voranzubrin­ gen. Kirchenbauer ließ in den Jahren 1930- 31 ein großes neues Siedhaus mit einem 80 Meter hohen Schornstein errichten. Die alten Siedhäuser wurden danach entbehr­ lich. Siedhaus I ist 1933 abgebrochen wor­ den, Siedhaus II bekam eine neue Verwen­ dung als Salzmagazin, Siedhaus III gab den sogenannten Handwerkerbau mit Schlosse­ rei, Schmiede, Malerei, Elektrowerkstätte u.a.m. Kriegsgefangene Franzosen und Russen ersetzten während des Zweiten Weltkrieges die zur Wehrmacht eingezogenen Arbeiter. Es ist wohl den vielen Lazaretten zu verdan­ ken, daß die Salinenanlagen vor Zerstörung verschont blieben. Nach dem Krieg ver­ langte die französische Besatzungsmacht von der Saline Salzlieferungen; um Salz zu sieden, wurde aber dringend Steinkohle benötigt, die es in Deutschland zu dieser Zeit fast nicht gab. Die Franzosen organisierten das benötigte Heizmaterial. Da es auch an Arbeitskräften fehlte, holten die Franzosen deutsche Kriegsgefangene zur Arbeit aus dem Lager Tuttlingen. Salinendirektor Re- gierungsoberbaurat Fritz Kirchenbauer trat 1951 in den Ruhestand. Auf ihn folgte Diplom-Ingenieur Otto Gern bis 1966. Nach Verhandlungen mit dem Land durch die Gemeinde wurde im Frühjahr 1958 zur Kommunalisierung des Kurbetriebes die Kur- und Bäder GmbH gegründet. Bürger­ meister und Kurdirektor Weissenberger wurde Geschäftsführer der Gesellschaft. Die Gemeinde übernahm den gesamten Bade­ und Kurmittelbetrieb von der Saline und am 19. Juli gleichen Jahres das vom Land Baden-Württemberg erbaute Kurmittelhaus. Damit war eine neue Epoche in der Entwick­ lung des Heilbades angebrochen. Der Betrieb der öffentlichen Wasserver­ sorgung ging 1963 von der Saline auf die Gemeinde über. In den Jahren 1903–04 hatte die Saline eine mustergültige Hochdruck­ wasserversorgung erbaut. Hauptlieferant des Wassers war die Entenfangquelle des Fürst­ lich Fürstenbergischen Hauses, die 1970 von der Gemeinde käuflich erworben werden konnte. In den Jahren 1905–06 ließ die Saline ein Elektrizitätswerk errichten. Seine Kapazität reichte aus, um bis 1926 die Saline und den 75

Ort Dürrheim mit Strom zu versorgen. Zur Stromerzeugung wurde eine kohlebeheizte Kolbendampfmaschine verwendet. Der zu­ nehmende Strombedarf gab Anlaß zu zu­ sätzlichem und später sogar überwiegendem Strombezug vom Kraftwerk Laufenburg. Die elektrotechnischen Bedürfnisse erforderten 1956 die Umstellung des Gleichstrom-Orts­ netzes auf Wechselstrom. Eine Notwendig­ keit zur Förderung von Gewerbe und Indu­ strie. Die Saline veräußerte das Ortsnetz 1972 an das Kraftwerk Laufenburg, das Gebäude wurde 1978 abgebrochen. Die Gewinnung von Salz in Siedepfannen war im Vergleich zum Vakuumverfahren nicht mehr rentabel. So wurde am 31. März 1972 die Saline Dürrheim, wie auch die in Rappenau, stillgelegt. Nach 150 Jahren war das Ende des für Dürrheim bedeutenden Betriebes gekommen. Die Gemeinde erwarb den Kern der vorhandenen Salinenanlagen. In den Verwaltungsgebäuden befindet sich heute die Stadtverwaltung; Siedhaus II wurde 1976-77 zum Haus des Gastes, Sied- haus III von 1988-90 zum Haus des Bürgers umgebaut. Die Kur-und Bäder GmbH über­ nahm ab 1. Mai 1972 die Soleförderung mit Bohrhaus IX und X und den Solebehälter in der Luisenstraße. Das 1931 erbaute große Siedhaus wurde 1974 abgebrochen und gab Raum für einen Parkplatz. Als letztes fiel der nach einem Blitzschlag auf 74 Meter gekürzte Salineschornstein durch Spren­ gung; einst Wahrzeichen für das Solbad. Im Zeichen besorgten Umweltschutzes ist man in Bad Dürrheim jetzt froh, die Feuerungs­ stätte der Saline wegzuhaben. Der therapeutischen Nutzen der kristall­ klaren Sole blieb ungeschmälert erhalten. Bereits vor 140 Jahren machte der Fürstlich Fürstenbergische Hofrat Dr. Rehmann in einem Arztvortrag auf die vortreffliche Dürr­ heimer Sole aufmerksam und ermahnte sei­ ne Kollegen, den Patienten die Heilkraft der Sole zukommen zu lassen. Seither haben Generationen von Badeärzten segensreich Fritz Grießhaber gewirkt. AdolfBury Solereservoire !, heutiger Standort von Cafe Räder, 1823 erbaut, 1977 abgebrochen 76

Archäologie Eine Turmhügelburg in St. Georgen-Langenschiltach Durch die Luftbildarchäologie des Lan­ desdenkmalamtes Baden-Württemberg wurde in St. Georgen-Langenschiltach in den Ge­ wannen „Dobelacker“ und „Hinter dem Haus“ eine Turmhügelburg entdeckt. Der etwa 3 Meter hohe Burghügel besitzt eine runde Grundfläche mit ungefähr 55 Meter Durchmesser mit „ohrenartigen“ Aus­ buchtungen im Westen und Osten. Der Hügel wird umschlossen von einem heute trockenen Graben. Die Anlage liegt an einem von Westen nach Osten abfallenden Hang unterhalb des Schwarzwaldkammes in einer Höhe von 900 m. das Areal als Viehweide genutzt, wodurch die Anlage nicht gefährdet war. Im Frühjahr 1989 wurde jedoch ein Teilbereich der Burg wieder unter den Pflug genommen, was die Außenstelle Freiburg des Landesdenkmal­ amtes veranlaßt hat, die Eintragung des Burgareales in das Denkmalbuch in die Wege zu leiten. Durch das Anpflügen des Randbereiches des Burghügels kam eine große Zahl von Keramikfragmenten an die Oberfläche. Es konnten bislang über400 Keramikfrag­ mente von privaten Forschem r:w. Neuß, K. Volk) und dem Landesdenkmalamt erfaßt werden. In den vergangenen Jahrzehnten wurde St. Gwrgtn-Langrnscbiltacb. Ansicbt der Turmhiige!burg von Osten. 77

Es handelt sich fast ausschließlich um Gefäßkeramik, um Scherben von Töpfen und Schüsseln. Da bis in jüngste Zeit bäuerliche Mistle­ gen allgemein als Abfallhaufen dienten, wurde in allen Zeiten zusammen mit dem Mist auch sonstiger Abfall auf den Feldern verteilt. Demnach sind Keramikfunde auf Äckern nicht im engeren Sinne als Sied­ lungsindikatoren in den betreffenden Berei­ chen anzusehen, vielmehr als Zeugnisse dafür, daß der jeweilige Acker in einer 78 Darstellung einer Turmhügelburg auf dem Teppich von Bayeux aus dem 11.jahrhundert. bestimmten Zeit gedüngt, d. h. bebaut wor­ den ist. Während ein Fragment mit horizontal ausgezogenem Rand wohl in das 11./12.Jahr­ hundert zu datieren ist, reicht das Gros des Materials nicht über das 14.Jahrhundert zurück. Demnach scheint die Bebauung des Ackers im Bereich der Burg erst im 14. Jahr­ hundert eingesetzt zu haben. Ob die wenigen vor diese Zeit zu datieren­ den Keramikfragmente als Reste der Burg oder als Relikte des frühen Ackerbaues zu

interpretieren sind, kann bislang nicht sicher entschieden werden. Mag der Typus der Burg die Anlage möglicherweise bereits in das frühe Mittelalter datieren, so sprechen sied­ lungshistorische Gründe eher für eine Datie­ rung um oder nach der Jahrtausendwende. In dieser Zeit vollzog sich im Hochschwarz­ wald zusammen mit der politischen Erfas­ sung die Aufsiedlung und der Beginn der wirtschaftlichen Nutzung. In diesem Zusam­ menhang muß die Turmhügelburg wenig unterhalb des Schwarzwaldkammes am wet- tergeschützten Osthang als ein Verwaltungs­ sitz von neu angelegten landwirtschaftlichen Besitzungen gesehen werden. Ohne daß dies vorerst sicher bewiesen werden kann, besteht die Vermutung, daß es sich hier um das bislang noch nicht überzeu­ gend lokalisierte sogenannte Huphenhaus handelt, das dem 1086 gegründeten Benedik­ tinerkloster St. Georgen mit der Gründungs­ ausstattung übergeben worden war. Für den Fall, daß diese Vermutung richtig ist, kann angenommen werden, daß das Kloster die 79

Das älteste Bauerndorf in der Baar Burg für die Verwaltung der diese umgeben­ den Ländereien bald nicht mehr benötigte, daß es nur knapp 4 Kilometer Luftlinie hier­ von entfernt lag und man die Burg offen ließ, so daß sie in den Schriftquellen keinen weite­ ren Niederschlag fand. Im Gewann „Dickenhart“, südöstlich von Schwenningen, nördlich des „Mooses“, liegt ein flacher, von Lößlehm bedeckter Höhen­ rücken, der der Ziegelei zur Tongewinnung diente. Werkzeuge aus Stein: ,,Schuhl.eistenkeile“ und Feuersteinklingen, gefunden in den Abfallgruben der Siedlung im „Dickenhart“. Die Burganlage stellt als archäologische Geschichtsquelle ein äußerst wichtiges Zeug­ nis für die Besiedlungsgeschichte des Hoch­ schwarzwaldes und möglicherweise auch für die Geschichte des Klosters St. Georgen dar. Dr. Michael Schmaedecke Als im Mai 1966 die Abbaukante der Zie­ gelei einen von H. Rupp 1912 ausgegrabenen, hallstattzeitlichen (,,frühkeltischen“) Grab­ hügel erreichte, nahm R. Ströbel, damals Lei­ ter des Schwenninger Heimatmuseums, dort sicherheitshalber eine Nachuntersuchung vor. Völlig überraschend konnte er unter dem Grabhügel zwei Pfostengruben -also Reste eines Holzgebäudes -und eine Lehment­ nahmegrube beobachten, die sich tief­ schwarz gegen den gelben Lößlehm abho­ ben. Diese Siedlungsreste mußten älter sein als der Grabhügel und konnten mit der hall­ stattzeitlichen Bestattung des 7. Jahrhun­ derts v. Chr. nichts zu tun haben. Das Fund­ material bestätigte diese Vermutung: R. Strö­ bel fand neben Silices (Feuersteingeräten) und anderem ortsfremdem Gestein Ton­ scherben der linearbandkeramischen Kultur (ca. 4400-3800 v. Chr.). Deshalb beobachtete er, unterstützt von einigen Freunden und dem Bund Deutscher Pfadfinder, die Baggerarbeiten jahrelang wei­ ter. Eine systematische archäologische Aus­ grabung war nicht möglich, alle Beobach­ tungen konnten nur notdürftig mit Planskiz­ zen dokumentiert werden. Vieles dürfte so unbemerkt dem Bagger zum Opfer gefallen sein, und weder die genaue Lage noch die Ausdehnung der Siedlung ist bekannt. Jedenfalls wurden von 1966 bis 1972 auf einer Fläche von ca.150 m Ost-West-und maximal 60 m Nord-Süd-Ausdehnung 16-20 Gruben und 7-10 Pfostengruben skizziert. Nach dem Tode RudolfStröbels im Som­ mer 1972 wurde die Abbaukante der Ziegelei weiter nach Westen vorgeschoben, die Fund- 1 _(JQ_o_ .. _ -o-n-� _ .. _ 1 -;-Q-J— 1 -@-iJ– 1 mcm 1 rr-n-r, 0 5 80

stelle jedoch nicht mehr systematisch beobach­ tet und keine Funde geborgen. Die Ergeb­ nisse der Fundstellenbeobachtung wurden nur in einer populärwissenschaftlichen „Miniatur“ in 0. Benzings „Geschichten vom Neckarursprung“ (1977) veröffentlicht. So wissen wir über die älteste bäuerliche Siedlung in der Baar leider nur wenig. Aller­ dings ist die linearbandkeramische Kultur relativ gut erforscht, so daß wir unsere Wis­ sensfragmente mit Erkenntnissen von ande­ ren Fundstellen ergänzen können. Schon die Lage der Siedlung ist typisch: sonnige, windgeschützte Hänge in der Nähe von Wasser und auf oder nahe bei fruchtba­ ren, leichten Lößböden wurden bevorzugt. Die Häuser waren häufig etwa 8 auf30 m groß, boten also einer Großfamilie samt Haustieren Obdach. Ihre drei Pfostenreihen, die die Dachkonstruktion trugen, blieben als Bodenverfärbungen erhalten. Die Wände bestanden aus dünnen, nicht tragenden Pfo­ sten, die mit Flechtwerk ausgefüllt und mit Lehm verputzt waren. Auch in Schwennin­ gen fand man Reste solcher im Feuer ange­ ziegelten Lehmbrocken mit Rutenabdrücken. Der Lehm für den Wandverputz wurde an Ort und Stelle abgebaut, die so entstandenen Lehmentnahmegruben benutzte man dann als Abfallgruben, deshalb liefern sie reichlich Fundmaterial. Die Häuser eines linearbandkeramischen Dorfes wurden planmäßig angelegt, in Schwenningen waren sie wohl einheitlich Ost-West ausgerichtet – der Hangneigung folgend und mit der Schmalseite zur Haupt­ windrichtung. Wie groß die Siedlung im „Dickenhart“ war und wie lange sie existierte, ist nicht mehr zu klären. Bedauerlicherweise ist außerdem ein Teil des Fundmaterials, das der Jahre 1966 und 1967, verschollen. Doch das verbliebene Fundmaterial ist immer noch sehr aussagefähig. Namengebend für die linearbandkerami­ sche Kultur ist ihre charakteristische Kera­ mik: kugelige Töpfe mit eingeritzten Spira- Jen und Wellenbändern, Mäandern und Winkelbändern, ergänzt durch Einstiche, gibt es in erstaunlicher Ähnlichkeit von Westungarn bis Holland. Man kann aber trotzdem zeitlich bedingte Unterschiede und Lokalgruppen mit speziellen Eigenhei­ ten erkennen. So weist die Keramik aus Schwenningen Einflüsse aus dem Mittleren Neckarraum und dem Oberrheingebiet auf und ist der Jüngeren Linearbandkeramik zuzurechnen. Sie ist von sehr guter Machart, dünnwandig, grau bis graubraun, in den Ver­ tiefungen der Verzierungen sitzen noch gele­ gentlich weiße Farbreste. Daneben gibt es gröbere, unverzierte Gefäße mit Schnur­ ösen, die wohl als Vorratsgefäße an dicken Schnüren aufgehängt wurden. Ebenfalls typisch sind die sogenannten ,,Schuhleistenkeile“, asymmetrisch gearbei­ tete Steinbeile, die wahrscheinlich zur Holz­ bearbeitung benötigt wurden. In Schwen­ ningen wurden nur zwei sehr kleine Exem­ plare gefunden, dafür zahlreiche Schleifplat­ ten aus Sandstein, Hämatit zur Gewinnung roter Farbe und Bruchstücke von Mahlstei­ nen zur Getreideverarbeitung. Das Inventar an Feuersteingeräten ist – verglichen mit dem der Mittelsteinzeit – gering: neben Abfallprodukten wie Abschlä­ gen und Kernsteinen findet man vorwiegend einfache Klingen, z. T. mit sogenannter ,,Lackpatina“. Diese entsteht beim Schnei­ den von siliciumhaltigen Getreidehalmen, Gräsern oder Schilf; es ist anzunehmen, daß die Klingen als „Zähne“ in Sicheln aus Holz oder Knochen eingesetzt waren. Damit erhalten wir ein weiteres Indiz für den Getreideanbau; Viehhaltung ist in Ana­ logie zu anderen Fundorten zwar zu vermu­ ten, konnte aber nicht nachgewiesen werden. Dafür gibt es für die Schwenninger Sied­ lung einen seltenen, direkten und deshalb um so gewichtigeren Beleg für die Tätigkeit dieser ersten Bauern: Bei einer Pollenprobe aus dem Schwenninger „Moos“ waren Getreidepollen und Pollen kulturbegleiten­ der Unkräuter festgestellt worden, die zu­ nächst Verwunderung auslösten, weil damals 81

I .. , . …. · •:: (@,, ) Scherben von Tongefäßen aus Schwenningen weisen die typischen Ritz- und Einstichverzierungen der linearbandkeramischen Kultur auf Günstigere klimatische Bedingungen – vor allem ohne die heute gefürchteten, wohl durch radikale Abholzung begünstigten Spätfröste -ermöglichten den Anbau der damals noch empfindlicheren Getreidear­ ten. Fruchtbarer Boden, die Nähe offener Wasserflächen im heutigen „Moos“ und die geschützte, siedlungsgünstige Hanglage machten den „Dickenhart“ offenbar zu einem akzeptablen Lebensraum für die Angehörigen der ersten bäuerlichen Kultur in Mitteleuropa. Dr. Beate Schmid in der Nähe keine Siedlung aus dem 4. vor­ christlichen Jahrtausend bekannt war. Das Auffinden der Siedlung im „Dickenhart“ brachte des Rätsels Lösung! Gleichzeitig kann mit Hilfe dieser Pollen­ analyse nicht nur die bäuerliche Tätigkeit bewiesen, sondern auch die damalige Um­ welt rekonstruiert werden. Aus den Pollen­ diagrammen kann der Bewuchs erschlossen werden, dieser läßt Rückschlüsse auf das Klima zu und spiegelt die vom Menschen verursachten oder auch „natürlichen“ Um­ weltveränderungen wider. 82

Geschichte, Siedlungsgeschichte „Vor uns liegt ein glücklich Hoffen Aspekte der Revolution von 1848/49 in unserem Kreisgebiet “ Bei der Revolution von 1848149 wurde das Gebiet des heutigen Landkreises wiederholt zu einem Brenn­ punkt der Geschehnisse im damaligen Großherzogtum Baden. Die Vie!falt und Komplexität des Revo­ lutionsthemas rechtfertigen es, den gesamten Beitrag in zwei in sich geschlossene Abhandlungen aufzu­ teilen. Während der erste Teil zu 1848 in dieser Ausgabe veröffentlicht wird, sollen die Auswirkungen der mili­ tärischen Revolution in Baden von 1849 in einer späteren Ausgabe zum Schwerpunktthema gemacht werden. Die Diskussionen im Frühjahr 1991 um die zukünftige Hauptstadt der Bundesrepu­ blik Deutschland werfen ein Schlaglicht auf die politische Lage der Nation. Sie zwingen den Volkvertretern deutliche – und daher vielleicht auch ungeliebte-Bekenntnisse ab, worin sie denn die vordringlichen nationa­ len Aufgaben sähen. Während derlei Stel­ lungnahmen vor dem Herbst 1989 nur selten zu hören und dann meistens auch nur retho­ rischer Natur waren, gilt es jetzt, p o 1 i t i s c h auf Probleme zu reagieren, die allgemein als drängend empfunden werden. Auch wenn die drückende ökonomische Krise in den neuen Bundesländern seit Monaten das poli­ tische Handeln bestimmt, wird doch nie­ mand ernsthaft bestreiten wollen, daß die Integration der ehemaligen DDR in einen neuen, weil dadurch erweiterten Staatsver­ band einen Anspruch an die Nation stellt, der weit über die Lösung wirtschaftlicher Strukturprobleme hinausweist. Das trifft sowohl für die internen Befindlichkeiten der Deutschen in Staat und Gesellschaft als auch für ihr Gewicht in der internationalen Politik zu. Daß in traditionell meinungsbildenden Kreisen vielfach der „Ideenmangel“ beklagt wird, unter dem sich die jüngste deutsche Vereinigung vollzogen haben soll, und man in diesem Zusammenhang einen neuen Mythos der „verpaßten Chance“ zu kultivie­ ren beginnt, hat durchaus Entsprechungen in der deutschen Geschichte dieses Jahrhun­ derts. Erinnert sei hier daran nur mit einem Hinweis aufZäsuren etwa der Jahre 1918 und 1945. Diese Zäsuren, aber auch die bismarck­ sche Schöpfung des kleindeutschen Reiches von 1870/71 ranken unter nationalen Gesichtspunkten in einem Ideengeflecht, das maßgebliche Kräfte aus dem Nährboden der Jahre 1848/49 zieht, d. h. aus der Revolu­ tion – und ihrem Scheitern. Ja, es läßt sich sagen und zeigen, daß diese Unterschiede a l l e auf ihre Weise zu den Ereignissen und Absichten von 1848/49 Stellung beziehen, gleichsam als eines archimedischen Punktes spezifisch deutscher Geschichte der letzten knapp anderthalb Jahrhunderte. Doch davon soll hier nicht weiter die Rede sein, sondern von einigen Spuren, die die Revolu­ tion von 1848/49 unmittelbar in unserem Landkreis zog. 1. Das vorrevolutionäre »Klima“ Die revolutionären Umwälzungen von 1848 erfaßten gerade im Kerngebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises eine Be­ völkerung, in deren Großteil sich bereits seit Jahren heftiger Unmut über die bestehenden Verhältnisse angestaut hatte. Keineswegs ge- 83

schah es nämlich unverwandt oder überra­ schend, daß sich „unser sonst so bedächtiges und schwer zu bewegendes alemannisches Volk“ in „tobenden Volksversammlungen“ drängte, wie noch ein Jahrhundert nach den Ereignissen der hochverdiente Villinger Geschichtsforscher Paul Revellio in diesem Punkt recht naiv feststellte. Da hatten schon Zeitgenossen wie die liberalen Politiker Karl von Rotteck, Carl Theodor Welcker oder Ludwig Häusser tiefer geblickt, wenn sie lange vor dem Ausbruch der Märzrevolution von 1848 in Baden das Fortbestehen der Feu­ dalrechte in den Standesherrschaften oder auch die Praxis der Zehntablösung anpran­ gerten, die viele kleine Grundbesitzer der Verschuldung aussetzte und damit der Ver­ elendung preisgab. Am heftigsten hatte sich der Widerstand gegen die Privilegien der „Standesherren“ ge­ regt, der einstigen fürstlichen oder gräflichen Landesherren, deren Staatsgebilde zwar im Zuge der Mediatisierung (,,Mittelbarma­ chung“, d. h. Verlust der eigenstaatlichen Souveränität) 1803-1806 aufgelöst worden waren, die sich aber unter dem Schutze des mächtigen österreichischen Staatskanzlers Metternich und des Deutschen Bundes erhebliche Standesvorrechte wußten garan­ tieren zu lassen. In Baden nahm ihre Interes­ sen die Erste Badische Kammer (in Karls­ ruhe) war, das quasi parlamentarische Gegen­ stück zur Zweiten Kammer, der eigentlichen Volksvertretung. Ihr herausragender Kopf und der wohl bedeutendste Standesherr Badens war Fürst Karl Egon II. zu Fürsten­ berg, dessen Besitzschwerpunkt eben gerade in unserem Raum lag, also auf der Baar und im östlichen Schwarzwald. In diesem rück­ ständigen, fast ausschließlich agrarischen Gebiet der einstigen Landgrafschaft Baar sahen sich die ehemaligen fürsten bergischen Untertanen nach wie vor in Abhängigkeit vom fürstenbergischen Grundherrn, den der badische Staat zudem mit Gerichts- und Polizeigewalt ausgestattet hatte. Dies bedeu­ tete etwa für einen Donaueschinger oder Hüfinger, daß er gegenüber einem Villinger 84 zusätzliche Steuern zu leisten hatte, eben die meisten der alten Feudalabgaben. Doch war es nicht nur diese materielle Zusatzbela­ stung, die den Baaremer oder Schwarzwälder Bauern erboste. In einer Zeit, die zumal in Baden vom erstarkenden politischen Libera­ lismus ideell geprägt wurde, mußte sich fast die gesamte Einwohnerschaft im standes­ herrlichen Gebiet als Bürger zweiter Klasse innerhalb des Großherzogtums Baden emp­ finden. Die gleichen Verhältnisse herrschten etwa auch in den standesherrschaftlichen-leinin­ gischen Gebieten des badischen Odenwal­ des, wo es unter dem starken Druck der Wirt­ schafts- und Versorgungskrise seit 1845 gärte; nicht zufällig brachen hier im Frühjahr 1848 unter der veränderten politischen Gesamtsi­ tuation sogleich schwere Agrarunruhen aus. Vorläufer hatte es in der Baar indes schon früher gegeben, als sich die Bauern in Aufen und Pfohren gegen den fürstenbergischen „Unterlandesherrn“ erhoben. Stein des Anstoßes war das fürstliche Jagdprivileg, das es den Bauern verbot, selbst das Wild zu erle­ gen, das sich über ihre Felder hermachte. In den schlimmen Hungerjahren 1845-47 griff diese Einschränkung ernstlich die Lebens­ grundlagen der Bauern an. Parallel zur Unruhe in der Landbevölke­ rung breitete sich allgemein in den Städten, auch denen des badischen Oberlandes, eine politische Proteststimmung aus. Zwar gab es in Baden, das keine Großstädte und kaum Industrie oder Handel größeren Zuschnitts aufwies, keine „große Bourgeoisie“ (Fried­ rich Engels), die sich zum einflußreichen Wortführer der maßgeblichen liberalen Ideen dieser Zeit hätte erheben können. Doch regte sich bis in die kleinen Landstädte liberal-fortschrittlicher Sinn, artikulierten sich bisweilen sogar als „radikaldemokra­ tisch“ empfundene Meinungen. Wortführer der kleineren, republikanisch gesinnten Opposition war im ganzen badischen See­ kreis die Zeitung „Seeblätter“, redigiert von dem als politischen Redner populären Joseph Fickler, einem Bruder des Donau-

Friedrich Hecker, Woriführer der radikalen Demokraten in Baden 1848, in romantischer Freischärler­ Tracht. Dieser Typus bestimmte das Bild vom Volkshelden Hecker, der noch lange nach dem Scheitern seines Putschversuches und der Flucht ins Ausland die Gemüter bewegte. eschinger Gymnasialprofessors Carl Borro­ mäus August Fideler (der ein politisch ganz anderes Temperament besaß). Daß es auch in Donaueschingen bereits über ein halbesJahrvor Ausbruch der März­ revolution 1848 radikale Kräfte gab, muß die späteren Revolutionäre Friedrich Hecker und Gustav von Struve ermutigt haben, hier für den 26. September 1847 eine Versamm- Jung im „Hirschen“ anzusetzen; der „Hir­ schen“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen heutigen Gasthaus in Donau­ eschingen) sollte 1848/49 zum revolutionä­ ren „Stammlokal“ in der Amtsstadt werden. Ein noch hitzigeres politisches Klima allerdings dürfte 1847 in Hüfingen ge­ herrscht haben, wo nach den Erinnerungen eines Zeitzeugen, des Kommerzienrates Karl 85

Eckhard, »in den Abendgesellschaften … bereits Worte gesprochen [wurden), die ich im Museum zu Donaueschingen nicht hätte wiederholen mögen“. In der damals dritten Amtsstadt auf der Baar, in Villingen, der einzigen Gemeinde des heutigen Landkreises, die gewachsene städtische Strukturen kannte, hielt sich das Kleinbürgertum politisch offenbar zunächst noch stärker zurück. Während es sich in Donaueschingen das „Wochenblatt“ leisten konnte, sogar für die Versammlung am 26. September 1847 mit Hecker und Struve im »Hirschen“ zu werben, erhielt Villingen erst im Zuge der Märzereignisse von 1848 eine Druckerei und damit auch eine am Ort her­ gestellte Zeitung, den „Schwarzwälder“. Gedruckt wurde das Blatt von Ferdinand Förderer, einem geborenen Villinger, der wegen administrativer Behinderungen in sei­ ner Heimatstadt seinem Gewerbe bis dahin im württembergischen Rottweil hatte nach­ gehen müssen. Seit dem 28. März 1848 konnte sich der wagemutige Drucker und Buchhändler in seiner Geburtsstadt dem Kampf für die republikanische Sache wid­ men. Alsbald erschienen in seiner Druckerei zahlreiche Broschüren und Flugschriften, die zu den politischen Forderungen der Stunde Stellung nahmen. Nach der Nieder­ schlagung der Revolution mußte Förderer dies mit einem neuerlichen Druckereiverbot bis 1856 büßen. Zwanzig Jahre später übri­ gens regte der Stadtrat Förderer die Grün­ dung einer Altertümersammlung Villingens an (1876). Der Funke, der die allgemeine politische Erregung in Deutschland, ganz besonders aber in Südwestdeutschland zu einem Flä­ chenbrand auflodern ließ, kam aus Frank­ reich. Dort war es im Februar zu einem Auf­ stand radikaler Republikaner in Paris, zu Demonstrationen und Erschießungen von Demonstranten gekommen. König Louis Philippe dankte ab, eine rasch eingesetzte provisorische Linksregierung führte die 86 II. Die Märzrevolution 1848 Republik ein. Rasch eskalierte auch in Baden, dem südlichsten Grenzland des Deutschen Bundes zu Frankreich, die politi­ sche Lage. Die Initialzündung ging hier von einer Volksversammlung in Mannheim am 27. Februar 1848 unter der Leitung des ent­ schlossenen Republikaners Struve aus. Die hier erhobenen Hauptforderungen galten der Pressefreiheit, einem deutschen Natio­ nalparlament, der Einsetzung von Schwur­ gerichten und der Volksbewaffnung. Diese Veranstaltung gab das Muster für eine Kette weiterer Volksversammlungen ab, deren erste in unserem heutigen Kreisgebiet am Sonntag, den 5. März 1848, in Villingen abgehalten wurde. Man verfaßte eine an die Mannheimer Forderungen angelehnte Peti­ tion, die, von 500 Bürgern unterzeichnet, in die Landeshauptstadt Karlsruhe abgeschickt wurde. Allerdings blieb diese Versammlung ausschließlich auf Villinger Bürger be­ schränkt. Demgegenüber lud man in Donau­ eschingen für den 8. März zu einer allgemei­ nen Volksversammlung, zu der sich Teilneh­ mer aus allen Gemeinden der Baar einfinden sollten. Tatsächlich strömten Tausende in der kleinen Amtsstadt zusammen, jedenfalls weit mehr Menschen, als der Ort damals an Einwohnern zählte. Da es für eine solche gewaltige Menschenmenge weit und breit nirgendwo ein hinreichend großes Ver­ sammlungsgebäude gab, mußte man sich unter freiem Himmel treffen: auf den „Rübäcker“ genannten Feldern, auf denen sich heute das Donaueschinger Bahnhofsge­ lände erstreckt. Die Kundgebungsteilnehmer zogen im schwarz-rot-goldenen Fahnenschmuck und unter Hochrufen (,,Es lebe die Freiheit“) auf das Gelände, wo eine Rednertribüne aufge­ stellt worden war. Auch hier machten sich die Redner die Mannheimer Forderungen zu eigen. Trotz einiger exaltierter Redner-Auf­ tritte dominierten aber die gemäßigten Stim­ men. So blieben die Ausschreitungen aus, die man seitens der fürstenbergischen Ver­ waltung befürchtet hatte. Gleichwohl zog der Fürst zu Fürstenberg die Konsequenzen

aus seinem Autoritätsverlust und verließ seine Residenz zwei Tage später, in die er erst 1853 eher widerwillig zurückkehrte. In seiner Hofbeamtenschaft stritten zwei Parteien darüber, ob man der aufgebrachten Bürgerschaft kompromißbereit oder aber gewaltsam gegenübertreten sollte. Zu diesem Zeitpunkt wie noch mehrfach im weiteren Verlauf der Revolutionsereignisse setzte sich jedoch die gemäßigte Gruppe um den fürst­ lichen Hofrat Sulger durch. Der Donaueschinger Gemeinderat hinge­ gen riß jetzt das Gesetz des Handelns an sich, indem er schon am Tage nach der Abreise des Fürsten alle Einwohner auf dem Markt­ platz vor dem Rathaus zusammenkommen ließ, um eine Volkswehr zu bilden. Sie umfaßte alle tauglichen Männer von 18 bis 55 Jahren; ihre bald darauf gewählten Offi­ ziere hatten sich allesamt als Vertreter der politischen „Linken“, d. h. als entschiedene Republikaner profiliert. Daß man in Donau­ eschingen soweit ging, sogleich auch die Volksbewaffnung durchzuführen (zwei Bür­ ger waren eigens zur Waffenbeschaffung nach Karlsruhe gereist), griff sogar einem Beschluß der Offenburger Versammlung vom 19. März 1848 vor. Auf ihr wurde die allgemeine Einführung der „Volksvereine“ zur Sicherstellung der Volksbewaffnung beschlossen. Mit dem Netz der Volksvereine wurde allmählich das ganze Großherzogtum Baden überspannt; geführt werden sollte sie von einem Zentralkomitee unter der Leitung von Friedrich Hecker. Weitere Volksversammlungen, politische Reden, Umzüge und Kundgebungen hatten in der Zwischenzeit auch in kleineren Gemeinden den Boden der Revolution bereitet. Am 14. März fand in Villingen eine zweite große Volksversammlung statt, dieses Mal für den gesamten Amtsbezirk. Nach der Berichterstattung des „Schwarzwälder“ sol­ len es um die 4000 Teilnehmer gewesen sein; ganz Villingen war demnach ein Farbenmeer in Schwarz-Rot-Gold. Die Besucher, die zum Teil auch aus nahegelegenen württem­ bergischen Gemeinden kamen, wurden namens des Volksausschusses von dem Arzt Karl Hoffmann empfangen, wie Buchdruk­ ker Förderer ein herausragender Verfechter der freiheitlichen Forderungen in Villingen. Die Versammlung, auf der sich mehrere (gemäßigte) Redner, darunter auch Geistli- .A�tt,J,•�Jf· 4�flp,.; �,41–:–���� 4i�tL-?ll.P“‚1h�� f 87

ehe, abwechselten, sollte noch Nachwehen bekommen, als nämlich nach offiziellem Verhandlungsende bekannt wurde, zwei Abgeordnete aus Karlsruhe beabsichtigten, zum Volk zu sprechen. Einer von ihnen war Karl Mathy, Führungskraft der konstitutio­ nellen Liberalen in Baden, der „Gemäßig­ ten“ also, die an Verfassung und Monarchie prinzipiell festhalten wollten und auf Refor­ men setzten. Dieser Mehrheitsgruppierung im Karlsruher „Ständehaus“ standen die „Demokraten“ um Hecker und Struve scharf gegenüber. Mathy hatte sich im Parlament gegen die radikalen Republikaner, aber auch gegen einen von diesen inszenierten Volks­ auflauf am 29. Februar in Karlsruhe behaup­ ten können; am 19. März verhinderte er in Offenburg die Ausrufung der Republik. Als Mann der Reform war er eben fünf Tage zuvor in Villingen für eine Verständigung mit dem Landesherrn und seiner Regierung, wichtige Konzessionen seien in Karlsruhe schon zugesagt worden. Mathys Verheißungen müssen die eher betulichen Villinger, die wohl in ihrer über­ wiegenden Mehrheit eine gewaltsame Durchsetzung ihrer politischen Wünsche zunächst noch ablehnten, nur allzugerne geglaubt haben. Im „Schwarzwälder“ schlug sich der Eindruck der Versammlung in begei­ sterten Versen nieder, die Geschmack und Erwartungen der meisten Leser über den Tag hinaus getroffen haben dürften: ,, Vor uns liegt ein glücklich Hoffen, liegt der Jugend goldene Zeit, steht ein ganzer Himmel offen, blüht der Freiheit Seligkeit“. Immerhin wies die Petition „die endliche Erfüllung der gerechten Forderung des Vol­ kes betr.“ dieses Mal über 1700 Unterschrif­ ten auf. Man hatte nicht nur in Freiheits­ seligkeit geschwelgt, sondern offensichtlich auch einige -vorsichtige -Entschlossenheit erkennen lassen. Auch in der fürstenbergischen Standes­ herrschaft gab es Anlaß zu „glücklich Hof­ fen“, wenn auch in bescheidenerem, dafür aber greifbarem Maße: Am 29. März verzieh- 88 tete Fürst Karl Egon II. von Fürstenberg ent­ schädigungslos auf alle Feudalrechte. Frei­ lich bedeutete dieser Schritt letztlich kaum mehr als eine ehrenvolle Geste, war doch schon Wochen zuvor durch die Regierung in Karlsruhe ein Gesetzentwurf zur Abschaf­ fung der Feudalrechte angekündigt worden; zwei Wochen nach dem fürstenbergischen Verzicht konnte dazu ein allgemeines Gesetz verkündet werden. Gleichwohl trug jener Schritt des Fürsten erst einmal zu einer Beruhigung der Ver­ hältnisse im Gebiet der fürstenbergischen Standesherrschaft bei. Auch die politische Großwetterlage schien sich aufzuhellen. Denn am Tage des offiziellen fürstenbergischen Verzichtserlas­ ses, dem 31. März, trat in Frankfurt am Main mit Zustimmung des Bundestages ein „Vor­ parlament“ zusammen, dessen 574 Mitglie­ der aus den einzelnen Landtagen entsandt worden waren. Dieses Vorparlament setzte einen „Fünfzigerausschuß“ ein, der die Wahl zu einer deutschen Nationalversammlung nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht im ganzen Bundesgebiet beschloß. Daß unsere Gegend dennoch vom Auf­ ruhr erfaßt wurde, hatte zwei andere Gründe. Zum einen hatte schon am 24./25. März der sogenannte „Blinde Franzosenlärm“ für helle Aufregung gesorgt. Auf das Gerücht einer französischen Invasion in die Ortenau hin, die alsbald auch das Gebiet des mittle­ ren Ostschwarzwaldes bedrohen werde, geriet die hiesige Bevölkerung in Panik. Während man sich in Villingen mit Muni­ tion versah und im übrigen einen Kund­ schafter aussandte, wurden anderen Orts – so in Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen -schon mobil gemacht. Das Gerücht, dessen Ursache bis heute nie restlos geklärt worden ist, scheint sich eigenartiger Weise zuerst von den östlich an die badi­ schen Kerngebiete unseres heutigen Land­ kreises angrenzenden württembergischen Bezirken Rottweil, Schramberg und Tuttlin- III. Der Heckerputsch

gen aus verbreitet zu haben, was den Ver­ dacht einer gezielten Provokation nahelegt. Wollte man etwa von Württemberg aus die politische Erregung in Baden durch einmar­ schierende Bundestruppen im Keim erstik­ ken lassen? In diese Richtung weist ein Vor­ gang, der schon zehn Tage nach Abebben des Gerüchts in Donaueschingen schon wie­ der für böses Blut sorgte. Hier traf am 5. April ein württembergischer Offizier ein, um die Q!iartiermöglichkeiten für Bundestruppen zu klären. Sofort rüstete sich die Bürgerwehr am Ort mit einem „Generalmarsch“. Erneut wurde zu einer Volksversammlung auf den »Rübäckern“ aufgefordert, zu der auch meh­ rere tausend Menschen erschienen, unter ihnen 475 bewaffnete Villinger. Dieses Mal wurden aber schärfere, ultimative Beschlüsse gefaßt als rund einen Monat zuvor an glei­ cher Stelle: Markgraf Wilhelm sollte als Kommandeur des badischen Militärs inner­ halb von drei Tagen entlassen werden, die Regierung auf die Heranziehung auswärti­ gen Militärs verzichten und überdies die (liberalen) Minister Bekk (er stammte übri­ gens aus Triberg) und Dusch umgehend zu entlassen. Eine Deputation ging sogleich nach Karlsruhe ab, um dort die Forderungen vorzutragen. Unterdessen gelang es dem Donaueschin­ ger Bürgermeister Johann Raus und dem Prinzen Emil zu Fürstenberg in Rottweil, die württembergischen Truppen von einem Eingreifen auf benachbartem badischen Ge­ biet abzuhalten, Prinz Emils Bruder Max erreichte dasselbe in Saulgau gegenüber den bayerischen Truppen des General Baligand. Dennoch betrachtete man hernach die bei­ den in Donaueschingen verbliebenen Für­ stensöhne als Gefangene des örtlichen Volksvereins. Einer weiteren Konfliktver­ schärfung schien dagegen vorzubeugen, daß am 10. April die politisch gemäßigteren Kräfte in Donaueschingen um die Anwälte Grüninger und Weite sich auf einer Gemein­ deversammlung von den radikalen „Rüb­ äcker“-Beschlüssen distanzierten. In dieser ohnehin heiklen Situation brach der „Burgfrieden“ mit dem Putsch Friedrich Heckers, der nach dem Scheitern seiner per­ sönlichen parlamentarischen Ambitionen in Frankfurt nun von Konstanz aus den offe­ nen Aufstand versuchte. Am 12. April pro­ klamierten er und Struve die Republik und riefen die Bevölkerung des badischen See­ kreises zum Kampf für diese deutsche Repu­ blik auf – zu einer Zeit, als sich ohnedies über die angesetzten Wahlen zur deutschen verfassungsgebenden Nationalversamm­ lung gewaltlose Veränderungen abzeichne­ ten. So wandte sich auch der „Fünfzigeraus­ schuß“ in Frankfurt gegen den Hecker­ putsch. Zwei Bevollmächtigte des Ausschus­ ses riefen die Bevölkerung und Umgebung über das „Wochenblatt“ auf, sich nicht dem Putsch anzuschließen. Hecker, der am Morgen des 13. April von Konstanz aus mit einem Häuflein von gerade 53 Getreuen aufgebrochen war, hatte nämlich für den 14. April die Bewohner der Ämter Donaueschingen, Engen, Blumen­ feld, Villingen, Bonndorf, Neustadt und Hüfingen aufgefordert, sich um die Mittags­ stunde bewaffnet und verproviantiert in Donaueschingen einzufinden. Sein enger Mitstreiter Struve agitierte hier schon vor dem Eintreffen des Hecker-Zuges gegen die Regierung und besonders gegen die fürstenbergische Beamtenschaft vor Ort. Mit knapper Not konnte durch Dazwischen­ kunft des Bürgermeisters Raus der offene Bürgerkrieg zwischen den Revolutionären und Hitzköpfen aus Kreisen der fürstenber­ gischen Verwaltung verhindert werden. Breiteren Rückhalt aber vermochten sich weder Struve noch Hecker unter der Baare­ mer Bevölkerung zu sichern. Statt der „gehofften Tausenden“ sammelte Hecker nur zwischen 200 und 300 Mann in Donau­ eschingen, das für ihn nach eigenem Bekenntnis hohen strategischen Wert für das weitere Vorgehen im Kinzigtal, Höllental, an Oberrhein und Bodensee besaß. Doch blie­ ben ihm nur Wut und Enttäuschung über das armselige „Philistertum“ dieser Gegend, als er mit seinen Republikanern unverrichte- 89

ter Dinge vor herannahendem württember­ gischen Militär aus Donaueschingen wei­ chen mußte. Nur dem von Struve ausgehan­ delten freien Abzug war es wohl zu verdan­ ken, daß Heckers kleine Schar nicht schon jetzt völlig aufgerieben wurde. Durch Pfoh­ ren, Sumpfohren und Riedböhringen zog Hecker über Stühlingen in den Südschwarz­ wald, wo er und seine Männer gegen die Truppen des Generals von Gagern (der dabei zu Tode kam) die entscheidende militärische Niederlage erlitten. Hecker flüchtete ins Ausland, blieb aber als romantischer Volks­ und Freiheitsheld im Bewußtsein breiter Bevölkerungskreise. Bewundernde Lieder und verklärende Bilder überwogen noch länger die auch bald aufkommenden Spott­ gesänge auf den Operettenrevoluzzer (s. Abb. auf Seite 85). Donaueschingen wurde am 15. April 1848 von württembergischen Truppen besetzt. Mehrere Bürger, unter ihnen auch der eher besonnene Bürgermeister Raus, wurden – gegen heftigen Protest aus der Bevölkerung­ in Haft genommen, die meisten von ihnen aber bald wieder gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Als man am 27. April 1848 die Wahl der Wahlmänner zur deutschen Natio­ nalversammlung abhielt, standen aber jetzt in Donaueschingen (wie etwa auch in Villin­ gen) keine Männer der republikanischen Linken mehr zur Wahl: sie waren alle entwe­ der geflüchtet, inhaftiert oder schlichtweg politisch kaltgestellt. Trotzdem erklärten sich die gewählten Wahlmänner im Wahlbe­ zirk Donaueschingen/ Aufen mit ihnen soli­ darisch insofern, als sie die Niederschlagung aller politischen Prozesse forderten. In Donaueschingen wurden sieben, in Villin­ gen acht Wahlmänner (allesamt Gemäßigte) bestimmt, die Wahl eines Abgeordneten für die deutsche Nationalversammlung vorzu­ nehmen. Am 18. Mai 1848 wurde das Deut­ sche Nationalparlament in der Frankfurter Paulskirche feierlich eröffnet. Dr. Volkhard Huth Die Entwicklung der Ämter und der kommunalen Selbstverwaltung im Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises Kommunale Selbstverwaltung und Land­ kreisorganisation, wie wir sie heute kennen, sind das Ergebnis einer fast zweihundertjäh­ rigen Entwicklung. Wenn die ideellen Ansätze zur Neugestaltung in die Jahre des Absolutismus und Frühliberalismus vor 1800 reichen, so ist die Zeit der praktischen Umsetzung das erste Jahrzehnt des 19.Jahr­ hunderts. Nach dem Beispiel der französi­ schen Zentralverwaltung versuchten die Rheinbundstaaten Baden und Württemberg in ihren nach 1803 um zahlreiche Territorien vergrößerten Länder wirksame Verwaltungs­ strukturen zu schaffen. Es galt dabei, die unterschiedlichsten Gebiete unter einer ein­ heitlichen Verwaltung zusammenzufassen, ohne mit althergebrachten Traditionen und Strukturen ganz zu brechen. Im jungen Kurfürstentum Baden war es der Geheime Rat Friedrich Brauer, welcher die Grundlagen einer aus den Kernlanden herrührenden, absolutistischen und patriar­ chalischen Verwaltung auf das gesamte Land zu übertragen suchte. Unter drei großen Provinzen wurden, wo immer möglich, kleine, auf die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Beamten abgestellte Ämter für 6000 – 8000 Einwohner errichtet. Die im Vergleich zu Württemberg noch vorsichtige Reorganisation gestaltete sich nach dem Anfall weiterer Territorien 1806 und der Erhebung Badens zum Großherzog­ tum stärker zentralistisch. Unter Aufhebung der meisten Landstände wie des vorderöster­ reichischen Vogteiamtes Triberg, des Johan­ niter-Besitzes Dürrheim und nach Anfall 90

von ehemals unabhängigen, habsburgischen oder vorübergehend württembergischen Städten wie Bräunlingen und Villingen wur­ den das Gebiet des heutigen Landkreises ämtermäßig neu gestaltet und unter die Pro­ vinz des Oberrheinkreises (Freiburg) gestellt. Insgesamt umfaßten die jetzt bestehenden drei großen Provinzialregierungen 65 landes­ herrliche Ämter und über 40 patrimoniale Ämter der Mediatisierten, die ab 1807 den benachbarten landesherrlichen Ämtern nachgeordnet wurden. Der tiefere Eingriff in das standesherrliche Ämterwesen geschah erst mit der Aufhebung der Patrimonialge­ richtsbarkeit 1813. Die Errichtung des Deut­ schen Bundes und das damit einhergehende Wiedererstarken der Standesherren beließ die Ämter der Mediatisierten oder errichtete sie teilweise neu. Erst in den Revolutionsjah­ ren 1848/49 wurden sie endgültig aufgeho­ ben. Die Ämtergründung und -einteilung unseres Gebietes, vor allem im ehemaligen Fürstentum Fürstenberg, spiegelt diese Ent­ wicklung getreu wider. Erst 1849 wurde das fürstenbergische Patrimonialamt Hüfingen endgültig in ein Bezirksamt mit Sitz in Donaueschingen umgewandelt, nachdem es erstmalig 1807-1810 Donaueschingen unter­ stellt, 1813 wiederum aufgehoben und 1818/19 erneut eingerichtet worden war. Das 1807 errichtete fürstenbergische Amt (Ober­ vogteiamt) Blumberg hingegen hielt sich bis 1824, dann wurde es nach Hüfingen einge­ gliedert. Das gleichfalls standesherrliche Amt Neustadt mußte 1813 -gewissermaßen als geographische Schmälerung seines Patri­ monialstatus – Linach, Schönenbach und Langenbach an Triberg abgeben, erhielt die Orte jedoch 1824 zurück. Erst 1850 kamen diese zusammen mit Vöhrenbach an das Bezirksamt Villingen. Daneben bestanden in teilweise wech­ selnder Form die landesherrlichen Ämter Villingen, Triberg und, mit Unterbrechun­ gen bis 1844, das Amt Donaueschingen. Zu erwähnen, weil für die Konstituierung des heutigen Kreisgebietes von Bedeutung, sind auch das 1824 geschaffene standesherrli­ che Amt Möhringen, das bei Auflösung 1844 mit seinem Westteil an das Amt Hüfingen fiel, sowie die für das nördliche Kreisgebiet bis 1972/73 bedeutenden württembergi­ schen Ämter (Oberämter/Landkreise) Rott­ weil und Tuttlingen. Ansätze kommunaler Selbstverwaltung bzw. Elemente landschaft­ licher Mitregierung überdauerten vor 1810 in den Stadtverwaltungen ehemals privilegier­ ter Städte und den württembergischen Ober­ ämtern. In den übrigen Gebieten waren die Ämter bis auf weiteres die unterste Stufe einer rein staatlichen Verwaltung. Die Verwaltungsreform des Barons von Reitzenstein 1809 ging in ihrer Konsequenz noch weiter als diejenige Brauers. Nach dem Vorbild der französischen Präfekturen schuf Reitzenstein zehn, meist nach Flüssen benannte „Kreise“ als Mittelinstanzen, denen die Ämter unterstellt wurden. Im Unterschied zu den württembergi­ schen Kreisen 1806/17 besaßen die personell besser ausgestatteten Kreisdirektorien grö­ ßere Befugnisse und einen kompetenten Referentenstab. Die weiterhin nur mit einem Beamten besetzten Ämter befaßten sich in reduzierter Zuständigkeit mit der Zivilge­ Instanz, einer stark richtsbarkeit erster beschränkten und einem Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Schwergewicht der Verwaltung und Poli­ zei verblieb beim Kreisdirektorium. Strafgerichtsbarkeit Die Reform Reitzensteins, die noch stär­ ker als die vorangegangene dem Rationalis­ mus, der Zentralität und der einheitlichen Verwaltung verpflichtet war, hatte für die weitere Entwicklung grundlegende Bedeu­ tung, da sie tendenziell auf eine Ausweitung der Befugnisse des Bezirksamtes zielte. So wurde das sich auch personell ausweitende Bezirksamt nach und nach zum eigentlichen Träger der staatlichen Verwaltung, das den sich wandelnden Gegebenheiten schnell angepaßt werden konnte. Hier lagen seine Stärken wie seine Schwächen. Während das württembergische Oberamt durch seine Dauerhaftigkeit ähnlich dem Staatsgefühl 91

Bezirksamt Villingen (in der linken Bildhä!fte) nach 1900. ein emotional getragenes „Kreisgefühl“ schuf, das dem sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt auf Kreisebene Vorrang ver­ schaffte, wurde das badische Bezirksamt mehr zum wirtschafts- und staatspolitischen Instrument. In seinen vielfachen Gebietsän­ derungen reagierte es flexibel auf die wirt­ schaftlichen und sozialen Veränderungen in einem sich dynamisch entwickelnden Groß­ herzogtum. Im Gebiet des heutigen Land­ kreises läßt sich dies an der mehrfachen Neu­ zuweisung zur Mittelinstanz belegen. Die seit 1809/10 dem Donaukreis (Villingen) unterstellten Ämter der Region gingen nach dessen Auflösung 1818/19 zum Seekreis (Konstanz) mit Ausnahme der Bezirksämter Triberg und Hornberg, die zum Kinzigkreis (Rastatt), ab 1832 zum Oberrheinkreis (Frei­ burg) geschlagen wurden. Die Verabschiedung der Verfassung von 1818 und die Tätigkeit einer mit starken Per­ sönlichkeiten liberaler Prägung besetzten Volkskammer waren der eigentliche Aus­ gangspunkt für den Wunsch nach (staats)­ bürgerlicher Mitbestimmung im engeren Lebenskreis. Bereits 1822 forderte der links- 92 liberale Abgeordnete Adam v. Itzstein, in den mittelinstanzlichen „Kreisen“ Landräte nach Pfälzer Vorbild einzuführen. Diese soll­ ten ein dem französischen Generalrat nach­ gebildetes Beratungsgremium von Ehrenbe­ amten sein. Der Antrag auf einen solchen Beraterkreis, der sich sowohl vom Kommu­ nalverband württembergischer Art als auch von der korporativen Selbstverwaltung älte­ ren Zuschnitts (Landstände) unterschied, wurde nach der Julirevolution 1831 von dem Freiburger Professor Karl Welcker erneut vorgetragen. Seine Forderung nach Volksab­ geordneten mit zeitweiligem Zusammentritt blieb ebenfalls unerfüllt. Doch gelang es der liberalen Kammer zumindest in der im glei­ chen Jahr verab chiedeten Gemeindeord­ nung Selbstverwaltungseinrichtungen zu etablieren. Damit war der Funke geschlagen, der in den folgenden Jahrzehnten auf die Ämterebene einer durch und durch bürokra­ tischen und zentralistischen Verwaltung überschlagen sollte. Wiederum war es Welcker, der 1842 eine umfassende Staatsreform im Sinne des Libe­ ralismus forderte, indem er auf das württem-

bergische Beispiel der Oberamtsversamm­ lungen und das der bayerischen Landräte als Mitwirkungsorgane auf Provinzebene ver­ wies. Er beantragte vom Volke gewählte Gre­ mien, die auf der Ebene der Provinzialregie­ rungen (Kreise) als Brücke zwischen Gemeinde und Ständeversammlung jene Beratungs-, Kontroll- und Bewilligungs­ funktionen wahrnehmen sollten, die wir heute auf allen Ebenen der Gemeinde-und Staatsverwaltung als selbstverständlich er­ kennen. Doch verschwand der Antrag in den Aus­ schüssen und erst das Revolutionsjahr 1848 sah die Verabschiedung eines neuen, weit in die Zukunft blickenden Gesetzes über Ein­ richtung und Geschäftskreis der Verwal­ tungsbehörden. Das Gesetz vom 10. 4.1849 beinhaltete die Aufhebung der Mittel-und Unterinstanz, d. h. der vier Kreise und neun­ undsiebzig Bezirksämter, die durch zwölf Großkreise mit etwa einhunderttausend Einwohnern ersetzt werden sollten. Alle Gemeinden eines Kreises bildeten den Kreis­ verband. Ihr Vertretungsorgan war die aus geheimen Wahlen hervorgehende Kreisver­ sammlung, die jährlich einmal zusammen­ treten sollte, um über Angelegenheiten des Kreisverbandes zu beschließen. Der aus der Versammlung durch Wahl bestimmte Kreis­ ausschuß unter Vorsitz eines von der Regie­ rung ernannten staatlichen Kreishauptman­ nes war das Vollzugsorgan der Kreisver­ sammlung. Infolge des Scheiterns der Revo­ lution kam das Gesetz jedoch nicht mehr zur Ausführung. Doch auch die Restauration lei­ stete ihren Beitrag zur Modernisierung der Amtsverwaltung, indem sie 1857 -vierzig Jahre nach Württemberg -Justiz und Ver­ waltung auf der untersten Stufe trennte. Die größte Reform nach den Jahren der Konstitutions-Edikte vor 1810 jedoch war das nach der Restauration von Innenminister August Lamey initiierte Gesetz über die Organisation der Inneren Verwaltung vom 5. Oktober 1863. Es hob die vier Kreisregie­ rungen als Mittelinstanz auf und ließ die Bezirksämter fortan von vier Landeskom­ missären überwachen, die im Grunde nichts anderes als besonders bevollmächtigte Mini­ ster mit kleinen Büros in Freiburg, Karlsruhe, Konstanz und Mannheim waren. Das Bezirksamt blieb auch weiterhin eine staatliche Institution. Weder bildeten die kreisangehörigen Gemeinden einen Bezirks­ verband noch sah das Gesetz eine körper­ schaftliche Selbstverwaltung wie im benach­ barten Württemberg vor. An die Forderung ltzsteins von 1822 anknüpfend gab man dem Bezirksamt jedoch nun einen „Bezirksrat“ (sechs bis fünfzehn ehrenamtliche Mitglie­ der) bei, der unter dem Präsidium des Bezirksamtmannes an gewissen staatlichen Aufgaben teilnahm. Auch der Schwarzwald und die Baar waren in dieser Zeit von der Neuorganisation betroffen. Schon 1850 hatte das Bezirksamt Neustadt Linach, Schönenbach, Langen­ bach und Vöhrenbach an das Bezirksamt Villingen abgetreten. Das Amt Blumenfeld (Nordhalden) wurde 1857 mit Engen, Tri­ bergmit Hornbergvereinigt.1864 mußte Tri­ berg schließlich auch Brigach, Buchenberg, Peterzell und St. Georgen an Villingen abge­ ben. Mit Ausnahme des Bezirksamtes Neu­ stadt, das dem Landeskommissär in Freiburg unterstand, kamen alle Ämter unter das Lan­ deskommissariat Konstanz. Das eigentlich „Revolutionäre“ am Gesetz Lameys 1863 war hingegen die Eta­ blierung einer korporativen Selbstverwal­ tung neben und über den Bezirksämtern, unabhängig von der staatlichen Verwaltung. Hauptorgan der elf neugeschaffenen ,,Kreise“ als körperschaftliche Verbände – Villingen umfaßte alle Bezirksamtsbezirke mit Ausnahme Neustadts, das zum Kreis Freiburg kam -war die Kreisversammlung, deren Mitglieder zum Teil aus geheimen und indirekten Wahlen hervorgingen, zum Teil Abgeordnete der Gemeinden oder begüterte Grundbesitzer waren. Vollzogen wurden die Beschlüsse der jährlich mindestens einmal tagenden Kreisversammlung durch den per­ manent arbeitenden Kreisausschuß. Tätig-93

keitsfelder dieser Kreisverbände -und hier zeigen sich große Gemeinsamkeiten mit den heutigen Landkreisen -war die Einrichtung gemeinnütziger Anstalten (Krankenhäuser, Sparkassen), hinzu kamen das Straßenwesen (1868 und 1884), das Landarmenwesen (1872) oder die Förderung der Landwirtschaft. Die Einführung einer von Bezirksamt und Landeskommissariat völlig geschiede­ nen Selbstverwaltungskörperschaft, die durch demokratischen Charakter, bezirks­ übergreifenden Wirkungskreis und ihre rela­ tive Finanzkraft bestach, war einmalig für das Deutsche Reich. In der Verwaltungsreform von 1863 (Einführung 1864) entstand damit jene Zweigleisigkeit von staatlicher Verwal­ tung und kommunaler Selbstverwaltung, die bis heute die baden-württembergische Kreis­ verwaltung kennzeichnet. Die vom Selbstverwaltungsgedanken des englischen Liberalismus beeinflußte Reform von 1863, die nur bedingt die Vorschläge der badischen Kammer vor 1849 verwirklichte, erwies sich bei der immer stärker werdenden Zusammenbindung der Einzelstaaten im Reich und den kriegsbedingten Militär-und Sozialaufgaben als unzulänglich. Vor allem die nicht räumliche Deckung von großen Kreisen und kleineren Amtbezirken ließ Überlegungen entstehen, wonach die elf Kreisbezirke auf vier, mit den Landeskom­ missariatsbezirken übereinstimmende Orga­ nisationen zurückgeführt werden sollten. Die praktische Umsetzung kam erst 1920. Vom Gedanken geleitet, nach dem Vorbild anderer Länder Staats-und Selbstverwaltung unter einem Dach zusammenzufassen, beantragte der badische Landtag den Ausbau · onaueschingen. Uez1rks ml 94

des Amtsbezirks zum Selbstverwaltungsbe­ zirk. Die Vorlage scheiterte nicht zuletzt angesichts einer immer schwieriger werden­ den Finanzlage, die tiefgreifende, d. h. auch kostspielige, Reformen verhinderte. Die Kreisordnung von 1923 bestätigte daher das Bestehen der elf Selbstverwaltungskreise, übertrug ihnen jedoch weitere, bisher von den Kommunen wahrgenommene Aufga­ ben. Die Wahlmodi der durch den größeren Zuständigkeitsbereich mit mehr politischem Gewicht versehenen Kreise waren wie in den Ämtern bereits im Zuge der Revolution 1919 revidiert worden. Wie fur die Kreisversamm­ lung hatte man auch fur den Bezirksrat jetzt die unmittelbare, gleiche und geheime Ver­ hältniswahl eingeführt. Ein nächster Schritt erfolgte 1924. Wäh­ rend die württembergische Regierung an einer Verminderung der Amtsbezirke schei­ terte, konnte Baden die Zahl der Bezirksäm­ ter von dreiundfünfzig auf vierzig reduzie­ ren. Für das Bezirksamt Triberg bedeutete dies die Aufhebung: es wurde zwischen Donaueschingen (Furtwangen, Gütenbach, Neukirch, Rohrbach), Villingen und Wolf­ ach (Hornberg) geteilt. Den Vorschlägen der Sparkommission der badischen Regierung 1931, die Kreis­ selbstverwaltungskörperschaften aufzuhe­ ben und in den noch einmal von vierzig auf siebenundzwanzig verminderten Am tsbezir­ ken deckungsgleich einzugliedern, war zunächst kein Erfolg mehr beschieden. Die nationalsozialistische Diktatur und die von ihr erzwungene Gleichschaltung ver­ änderten Wesen und Funktion der Selbstver­ waltungskörperschaften. Wenn das Verwal­ tungsgesetz von 1936 dann doch die Zahl der Kreise auf 27 verringerte, so geschah dies unter dem veränderten politischen Vorzei­ chen einer Straffung der Verwaltung. Es war die Vorstufe gewißermaßen zu jenem seit langem geforderten Zusammenschluß unter einem Dach der Selbstverwaltungskreise und der staatlichen Verwaltungsbezirke, wie sie die Landkreisordnung vom 24. 6.1939 schließlich vollzog. Auch das Gebiet des heutigen Landkreises blieb von dieser Neuordnung nicht unbe­ rührt. Grüningen wurde von Villingen an Donaueschingen überstellt, letzteres gab Fützen von 1936 bis 1939 an den Kreis Walds­ hut. Die Aufhebung des Amtes Engen brachte Donaueschingen einen größeren Gebietszuwachs im Osten, darunter Kom­ mingen. Nordhalden hingegen kam an den Landkreis Konstanz. Der Zusammenbruch 1945 und die Beset­ zung der badischen und württembergischen Landesteile durch Franzosen und Amerika­ ner wurde fur die Landkreise zur großen Her­ ausforderung. Der Untergang der Länder machte sie zu den eigentlichen Trägernstaat­ licher Autorität und Verwaltung. Wie es die Erinnerungen des Verwaltungsdirektors Karl Lienert des ehemaligen Landkreises Donau­ eschingen anschaulich schildern, entwik­ kelte sich die Landkreisverwaltung unter der Oberaufsicht eines alliierten Kommandan­ ten fast zu einem kleinen „Staat“, der sich um alle Belange der Bevölkerung zu sorgen hatte. Der Landrat übernahm neben seinen bisherigen Aufgaben die Aufsicht und Füh­ rung sämtlicher, in seinem Bezirk gelegener Staatsverwaltungen. Dann kam der Neubeginn. Während die in der amerikanischen Zone 1946 erlassene Kreisordnung sowohl den Verbandscharak­ ter der alten württembergischen Kreise als auch die unmittelbare Wahl nach Vorbild der badischen Selbstverwaltungskreise über­ nahm, beließ die Verordnung Nr. 60 des Oberkommandierenden der französischen Streitkräfte in Deutschland den badischen Landkreis als eine rein staatliche Verwaltung nach Vorbild der französischen Präfektur. Erst die Angleichung 1953 der unter­ schiedlichen Kreisordnungen nach Bildung des Südweststaates unter dem großen Rah­ men des Art. 28 des Grundgesetzes forderte eine Volksvertretung in Kreisangelegenheiten. Unterstrichen wurde diese noch einmal durch die Artikel 69 sowie 71-76 der Landesverfas­ sung, die das Prinzip einer überragend star­ ken Selbstverwaltung besonders hervorhob. 95

Für Art und Wesen der Selbstverwaltung brachte die erneuerte Landkreisordnung vom 10. Oktober 1955 eine Klärung im Sinne einer Scheidung von althergebrachten und bürgerlich-liberalen Selbstverwaltungsorga­ nen. Der aus allgemeinen Volkswahlen her­ vorgehende Kreistag ersetzte die traditionel­ len württembergischen Amtsversammlun­ gen wie die den durch Gemeinderäte gewähl­ ten Kreistag nach badischem Herkommen. Wenn auch in der Praxis Strukturen des ver­ gangenen Jahrhunderts durch die häufige Wahl von Bürgermeistern in den Kreistag bis heute fortdauern, so hat die Kreisordnung von 1955 diese theoretisch doch beseitigt. Die seit den 1960er Jahren begonnenen Überlegungen zur Kreisreform haben die in der Landkreisordnung von 1955 niedergeleg­ ten Prinzipien nicht angetastet, sondern wei­ ter ausgebaut. Im Kreisreformgesetz vom 26.Juli 1971, der letzten großen Neugestaltung der Land­ kreise, gingen Gebiets- und Verfassungsre­ form Hand in Hand. Am !.Januar 1973 ent­ stand der heutige Landkreis Schwarzwald­ Baar. Durch Zusammenschluß der Land­ kreise Donaueschingen und Villingen mit verschiedenen Gebietsbereinigungen an deren Rändern entstand ein vom Gesetz intendierter Großkreis, der die geistige Tradi­ tion der großen Selbstverwaltungskreise Badens von 1863 fortführt bzw. wiederauf­ nimmt. Mit Ausnahme von Tennenbronn, das an den Landkreis Rottweil kam, erhielt der neue Landkreis vom Landkreis Rottweil die Gemeinden Deißlingen (nur bis 1974) und Weigheim, vom Landkreis Tuttlingen die Gemeinde Tuningen und vom bisheri­ gen Landkreis Hochschwarzwald die Gemeinde Urach. Nach Abschluß der am 1.1.1975 in Kraft getretenen Gemeindege­ bietsreform umfaßt der Landkreis Schwarz­ wald-Baar heute 20 selbständige Gemeinden mit insgesamt 65 Ortsteilen. In diesen neuen Kreisen wurde der Kreisrat als drittes Organ neben Landrat und Kreistag nun abge­ schafft. An seine Stelle traten beschließende Ausschüsse. Die Neufassung vom 22. 12. 1975 gar erhob die Kreisordnung zum Voll­ gesetz. Noch einmal wurden im Sinne stärke­ rer Demokratisierung die Beteiligung der Einwohner und die Rechte des Kreistages ausgebaut, dessen Mitglieder von nun an „Kreisräte“ hießen. Dr.Joachim Sturm Gremmelsbacher wanderten nach Ungarn aus Die Entscheidung einiger Gremmelsba­ cher Untertanen um das Jahr 1760, nach Ungarn auszuwandern, ist in weltgeschicht­ lichen Zusammenhängen 1 l zu sehen und nur von ihnen her zu verstehen. Die damali­ gen Weltmächte suchten ihr Binnenland wie ihre Kolonien mit einer tüchtigen Bevölke­ rung zu besiedeln, wobei ihre Herkunft von untergeordneter Bedeutung war. Je dichter die Besiedlung, desto kraftvoller die Wirt­ schaft, desto höher die Steuern, desto schlag­ kräftiger das Heer und damit das Ansehen des Staates. Der Geist Colberts, der Merkan­ tilismus, bemächtigte sich ganz Europas. Was lag für Kaiser Karl VI. und Kaiserin Maria Theresia näher, als ihre in Ungarn und Rumänien während der Besetzung durch die Türken menschenleer gewordenen Gebiete durch Einwanderer aus den übervölkerten Teilen im Westen und Südwesten des Rei­ ches zu neuer Blüte zu führen? Freilich mußten, um Menschen für ein solches, ihre Existenz in jeder Hinsicht erschütterndes Unternehmen zu gewinnen, ,,Verheißungen“ gemacht und „Conditio­ nes“2l (=Vorteile, Privilegien) gewährt wer­ den, die es lohnend erscheinen lassen muß­ ten, die Enge der Schwarzwaldtäler und die familiären Bindungen, um nur diese zu nen­ nen, nach langer, gefahrvoller Reise mit einer ungewissen Zukunft in der Weite der Pußta zu vertauschen. Was die kaiserliche 96

Regierung durch Werber versprechen konnte, geht aus einem „ Werbepatent“ aus dem Jahr 1736 hervor. Der Kaiser wollte die Kosten für die Fahrt (nicht für die Verpfle­ gung) von Marxheim, drei Stunden unter­ halb von Donauwörth, bis Temesvar, der Hauptstadt des Banats, tragen. Zugesichert wurde weiter, ,,diese Leut an lauter solche Gegenden abzusetzen, wo es ihnen weder an frischem Wasser, noch an Fruchtbarkeit der Erden, im mündesten ermangeln soll“.3l Die Regierung in Wien konnte großzügig sein. Sie bot an, was jeder an Äckern, Wiesen, Weideland, Wald und Weingärten anzu­ bauen sich zutraute, sollte er bekommen. Doch wie auf freiem Feld mit der Landwirt­ schaft beginnen? Ein Startkapital von 200 Gulden wurde zur Verfügung gestellt: 47 Gulden für die Nahrung bis zur ersten Ernte sowie Kleinig­ keiten, für ein Haus 30, für Wagen, Pflug und Egge 14, für vier große Ochsen 44, für zwei Pferde 22, für vier Kühe und vier Kälber 40, für zwei Zuchtschweine 3 Gulden, alles in allem 200 Gulden. Es schien, als hätte auf diese Weise ein Leibeigener oder ein Hinter­ sasse leicht Großgrundbesitzer werden kön­ nen. Garantiert war die Steuerfreiheit für die ersten fünf Jahre. Die Siedler waren vom ,,Zehend und allen Beschwerden vollkom­ mentlich befreyet.“ Danach war neben dem gewöhnlichen Zehnten von den Feldfrüch­ ten, Wein, Bienen, ,,Lamblen“ (Lämmern) nicht mehr als 6 Gulden zu bezahlen. Ein Pferd, ein Ochse und eine „Kuhe“ war mit je 17 Kreuzern, ein Schaf mit 7 und ein Bienen­ stock mit 6 Kreuzern, ein großes Schwein mit 6, ein kleines mit 3 Kreuzern zu versteu­ ern. Auch für die Organisation der Reise war alles getan. Die Ausreisewilligen sollten sich beim kaiserlichen Kommissar Joseph Antoni Yogi in „Donau=Eschingen“ melden, so­ dann sich mit den „Kayserlichen Bannati­ schen Burgeren Heinrich Schwartz, Schult­ heissen von Uypetsch, oder Valentin Späth von Neu=Arrath“ besprechen, damit „die Flötz oder Schiffe auch zeitlich bestellt, und allforderliche Dispositionen vorgekehrt wer­ den möchten.“ Mitte März 1737, am 15.Juni und am 15. September werde von Marxheim ein Transport abgehen, zwei Tage zuvor soll­ ten sich die Auswanderer dort einfinden, sonst müßten sie sich bis zum nächsten Ter­ min gedulden. Der Erfolg dieses „ Werbepa­ tents“ war nicht so durchschlagend, daß das Land mit einem gewaltigen, einmaligen Menschenstrom hätte bevölkert werden können. Allein die Beschwernisse der Reise über­ schritten für viele die Grenze ihrer physi­ schen Belastbarkeit. Außer den Strapazen des weiten Weges hatten die Auswanderer, die ihre Habseligkeiten an Kleidung, Nah­ rung und Haushaltsgeräten auf das Notwen­ digste4l beschränken mußten, mit vielerlei Gefahren zu rechnen, mit der Ungunst des Wetters, mit ansteckenden Krankheiten, Sumpffieber und Pest, mit dem Räuberun­ wesen, mit Verschleppungen5l , sogar mit erneuten Türkeneinfällen. Für die von den Siedlern zu beziehenden Gebiete lagen zunächst nicht einmal detaillierte Pläne für die Anlage von Straßen und Dörfern vor. Diese Unsicherheit mag auch ein Grund dafür gewesen sein, daß sie unterwegs von privaten Grundherren abgeworben wur­ den.6l Die Gremmelsbacher Auswanderer schlos­ sen sich dem von Kaiserin Maria Theresia initiierten Unternehmen an, das, 1754 mit dem Ziel begonnen, Kameralorte in der Batschka zu besiedeln und den übervölker­ ten Breisgau zu entlasten, sich bis 1773 hin­ zog.7 l Die Werber (wir kennen die Namen Anton Akly, Anton Nuiberger (1755), Johann Bifahrth, Adrian Schmiezer und (1759/61)81 wirkten Jakob Straidmoder erfolgreich. 1748-1762 wurden etwa 1 000 deutsche Familien in der Batschka heimisch. Was in die Auswandererakten nicht ein­ floß und mit ihren Briefen, die in die Archive keinen Eingang fanden, unterging, sind die persönlichen Uberlegungen und die viel­ leicht übertriebenen Hoffnungen, der Abschiedsschmerz, die aus dem gegenseiti- 97

Hausgerätschaften, die von den Einwanderern aus ihrer Heimat mitgebracht und von späteren Genera­ tionen als Familienerbstücke in Ehren gehalten wurden. 98

gen Aufeinanderangewiesensein hervorge­ gangenen Freundschaften der Mitglieder einer Reisegruppe, die Erlebnisse auf der Reise, das Gefühl, mit dem sie die neue Hei­ mat begrüßten, das Heimweh, mit einem Wort: das Menschliche. Vielmehr vermer­ ken die Akten Dinge nüchterner, geschäfts­ mäßiger Art, die deshalb keineswegs für die Nachwelt uninteressant sind. Die Auswan­ derer hatten vor ihrem Wegzug ihre Schul­ den zu begleichen, ihre Fahrnisse zu veräu­ ßern, eventuelle Erbansprüche wahrzuneh­ men, Leibeigene mußten um ihre Manumis­ sion nachsuchen. Nicht eigentlich als Auswanderer -im Sinne eines Siedlers -istThomas Kienz­ I e r9> anzusehen. Bereits vor der Aktion Kai­ ser Karls VI. verließ er Gremmelsbach, um im kaiserlichen Heer gegen die Türken zu kämpfen. Sein Schicksal bleibt im ungewis­ sen. 1740 war er „bey 7 Jahr“ abwesend, und ist „Bey lezten Türken Krieg dem vernem­ men nach“ verstorben, einem Krieg (1737- 1739), in dem weite von Prinz Eugen eroberte Gebiete wieder an die Türken verlorengin­ gen, das Heer des Kaisers durch Krankheiten geschwächt war. Im Heer des großen Feld­ herrn konnte er nicht mehr gedient haben. Kienzlers Hinterlassenschaft betrug 96 Gul­ den, 13 Kreuzer und 3 Batzen, die unter seine vier Erben Katharina, Anna, Magdalena und Johann (Kienzler) zu verteilen waren. Nach Abzug der Schreibgebühren und des Leib­ falls verblieb eine Summe von 88 Gulden 6 Kreuzern, die Joseph Feyertag auszahlte. Sollte aber Thomas Kienzler „annoch bey Leben seyn und über kurz oder lang“ sein Vermögen in Besitz nehmen wollen, so sind „benamste Erben“ verpflichtet, es ihm zur Verfügung zu stellen. Hans Jörg Weinagger hatte das Recht (das „ Winkelrecht“), auf dem Hof des Joseph Grieshaber unterhalten zu werden, er „quittierte“ es, d. h. er nahm es nicht in Anspruch und entlastete so diesen Hof vom Leibgeding. Dafür bekam er 60 Gulden. Ver­ einbart wurde aber, daß, falls einer der bei­ den Ehegatten binnen Jahresfrist zurückkeh- ren sollte, die 60 Gulden zurückbezahlt wer­ den müßten. Bei späterer Rückkehr bestand kein Anspruch mehr darauf. 52 Gulden stan­ den ihm noch für seinen verkauften Hof gut. 40 Gulden „Erbschuld“ wurden ihm von Blasi Kienzler ausbezahlt. Alles geschah am 10.April 1760. Er wurde in Kolluth angesie­ delt.Ebenfalls am 10. April 1760 nahmen die beiden Schwestern Katharina und Ro­ sina Kienzler, die Ehefrauen von Joseph Rombach und Johann Rei­ ner, das Erbe ihrer verstorbenen Mutter Magdalena Clausmännin in Empfang. Diese war die Tochter des Andreas Clausmann. Mit ihm hatten sie sich bereits jetzt „wegen weither entfernung“ nach Ungarn, wo sie sich „haushäblich“ niederlassen wollten, auf je 15 Gulden geeinigt, weil die Abwicklung der Erbschaft „bey erfolgendem Absterben unseres lieben Großvatters“ schwierig gewor­ den wäre. Damit hatten sie ihn „feüerlichst“ von allen weiteren Verpflichtungen, für den Fall, daß das Erbe größer ausfallen sollte, befreit. Auch sie fanden in Kolluth eine neue Heimat. Einen Akt der Großzügigkeit können wir im Falle des Auswandererehepaars Hans Jörg Kienzler und Magdalena Hetti­ c hin feststellen. Magdalenas Brüder Philipp und Joseph und ihr Schwager Franz Förenba­ cher in Schönwald hätten, wenn Magdalena ohne Kinder sterben sollte, einen „Rückfall“ von 100 Gulden von ihr zu beanspruchen gehabt. Darauf verzichteten sie „wohlbe­ dächtlich und aus freyem willen vollkom­ men.“ So festgehalten in Triberg am 10. April 1760. Genauen Aufschluß über den Besitzstand des Hans Georg Pfaff geben die Eintra­ gungen ins Gerichtsbuch. ,,Pfaff will mit Weib und (einem) Kind in Hungern ziehen und verkauft dem Gabriel Clausmann für seinen Sohn Andreas sein Hab und Gut.“ Dieses bestand aus einem „Häußlein“ in Gremmelsbach, einer Hofstatt, einem Gärt­ lein, einem Stück Mattenfeld in Althorn­ berg, einem „Berg“ auf dem Lehenhof des 99

Hans Georg Haas, verbunden mit dem Recht, für die Entrichtung von 6 Batzen dort zwei Ziegen grasen zu lassen; alles, was er besessen und genutzt hatte, verkaufte er mit allen Rechten und Gerechtigkeiten für 395 Gulden, dazu kam das Inventar: die beiden Ziegen und alles Heu, Stroh, Öhmd, acht Bienenstöcke, ein Bauchkessel, ein eiserner Hafen, eine Sehrotaxt, ein Brandhaken, eine Hacke, eine Baumsäge, ein Mörsel, ein gro­ ßer Fruchtkasten, eine Arch (ein Schrank), ein Trog, ein Backzuber, alles hölzerne und irdene Geschirr, ein Weißkasten, alle Früchte, ein Ziehwagen, ein eisernes Schäu­ felein, vier Klafter Brennholz, 2112 Schragen Schindeln, Dielen und Tafeln, so daß Gabriel Clausmann der Kauf auf450 Gulden kam. Der Rechtsakt geschah im Beisein des Vogts Hans Faller am 3. Oktober 1761 und wurde am gleichen Tag von Andreas Claus­ mann beglichen. Der Grund für] o h a n n K i e n z l e r , nach Ungarn auszuwandern, war vermutlich räumliche Enge. 1749 hatte er ein „halbes �···················· … 100

Häußlein“ auf des Michel Schochen Lehens­ hof gekauft und seither genutzt. Hofstatt und Garten gehörten dazu. Ohne eine Ent­ schädigung zu bezahlen, durfte er eine Geiß »laufen“ lassen. Dies alles verkaufte er jetzt an Jacob Fehrenbach und dessen Tochter Maria für 237 Gulden. Er übergab außerdem zwei Ziegen, alles Hausgerät, Heu, Stroh, zwei Stückchen Reutfeld, die Erdäpfel, eine Hacke, eine Gabel, einen Herdkessel, alles irdene und sonstige „Kuchelgeschirr“, außer zwei Pfannen, alles Wagengeschirr, die Fel­ gen (Räder), alle Zuber und Kübel, eine ,,Arch“, einen Trog und den Deichelbohrer. Die Familie erhielt die Befreiung aus der Leibeigenschaft und einen Paß. Nach Abzug einer Nachsteuer von 29 Gulden, 2 Batzen und 4 Pfennig verblieben ihm 207 Gulden, 12 Batzen und 6 Pfennig. Gerichtlich wurde der Vorgang am 3. Oktober1761 abgewickelt. Wenig Sicheres vermitteln uns die �ei­ len über J o s e p h F e i s . Es ist nicht einmal sicher, ob er in Gremmelsbach oder Nuß­ bach geboren ist. Er erbat sich von Pfarrer Michael Duffner in Nußbach einen Tauf­ schein, den ihm dieser ohne amtliche Erlaubnis ausstellte. Dies meldete das Ober­ vogteiamt an die Vorderösterreichische Regierung. W. Hacker (S. 195/871) muß im ungewissen lassen, ob die Auswanderung überhaupt nach Ungarn erfolgte. Als Datum für die Ausstellung des Taufscheins gibt er den Juni 1769 an. Die Vorderösterreichische Regierung gab Anweisung, daß kein Pfarrer mehr „ohne Vorweisung eines Emigrations­ oder Heuratsconsenses“ einen Taufschein ·aushändigte. Dürftig sind auch die Angaben über den ledigen Gerbergesellen Ch r i s t i a n F a 11 e r . Die Kirchenbücher von Nußbach und Neu­ Arad halten fest, daß er am 17. Mai 1780 in Temesvar im Alter von 44 Jahren verstorben ist. Das Jahr der Auswanderung wird nicht genannt. Die Frage, ob Nachkommen dieser Aus­ wanderer feststellbar sind, ist noch nicht zu beantworten. Die Bindungen zur alten Hei­ mat, wenn sie denn erstrebt worden sind, wären für eine nationale Minderheit über zwei Jahrhunderte hinweg schwer aufrecht­ zuerhalten gewesen. Die Ahnenforschung würde aber heute nicht in jedem Falle erfolg­ los bleiben. Eine gute Voraussetzung dafür könnte das „Ungarndeutsche Museum“ in Backnang bieten. Erstaunlich ist trotz aller für die in Ungarn fremdstämmige Bevölke­ rung ungünstigen Entwicklungen, daß Über­ reste, die auf die deutsche Herkunft hinwei­ sen, bis heute erhalten und gepflegt worden sind, nicht nur die deutsche Sprache; Touri­ sten fanden noch eine Kuckucksuhr, ein Gemälde mit einer Schwarzwaldlandschaft und einer Mühle, Gräber mit deutschen Namen und eine „Tryberger Straße“ in Pilis­ vörösvar (westlich von Budapest), Trachten mit Mustern, die der Gutachter Tracht ähneln, auch Tanzelemente, die in Schwarz­ wälder Tänzen vorkommen.10, Anmerkungen: 1 l Vgl. Karl Franz Waldner, Perjanosch, Homburg, 1977, S.52 21 Vgl. Johannes Künzig, Saderlach, Karlsruhe 1937, S.26 3l Ebda, auch die folgenden Angaben •1 Ebda, S. 33 Sl Vgl. Franz Wilhelm, Josef Kallbrunner, Quellen zur in Südosteuropa, deutschen Siedlungsgeschichte München 1936, Vorwort S. III 01 Ebda 11 Werner Hacker, Auswanderungen aus dem südöstli­ chen Schwarzwald zwischen Hochrhein, Baar und Kinzig insbesondere nach Südosteuropa im 17. und 18. Jahrhundert München 1975, S. 28 ei Ebda, S. 28 91 Alle Auswanderer bei Werner Hacker, mit Ausnahme von Joseph Feis sind in den Akten des Generallan­ desarchivs in Karlsruhe, die jeweilige Standortnum­ mer ist bei W. Hacker genannt. Joseph Feis: Haupt· staatsarchiv Stuttgart (B 17/107:3 937) 10l0iese Angaben verdanke ich Herrn Günter Hacker, St. Georgen Karl Volk 101

Die Untere oder Haller-Mühle zu Burgberg Die älteste Mühle des Königsfelder Orts­ teils Burgberg ist die Untere Mühle am Glas­ bach. Im Volksmund heißt sie die „Haller­ Mühle“ nach der Müller-Familie Haller, die dieses Mühlengut seit dem Jahre 1835 besitzt. Sein einst so großer Grundbesitz beträgt heute nur noch zirka 11 Hektar Land. Auch wird seit 1972 kein Mehl mehr gemah­ len. Aber man kann heute noch zwei uralte Mühlräder im Mühlengebäude betrachten, die einstmals vom Wasser des Glasbachs angetrieben worden sind. In den Lagerbüchern des ehemaligen württembergischen Oberamts Hornberg, zu dem Burgberg bis 1810 gehörte, wird die Untere Mühle als „Mahlmühle unterm Schloß Burgberg“ bezeichnet. Sie tritt erstmals urkundlich in einer Verkaufsur­ kunde vom Jahre 1429 auf. Erhard von Fal­ kenstein, der hier als Verkäufer fast der gesamten Herrschaft Burgberg auftritt, hatte auch dieses Mühlengut in Besitz. Er hatte die Grundherrschaft 1425 von Hans von Burg­ berg, dem späteren Schultheißen in Villin­ gen, erworben. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß die Mühle unter Erhard von Falkenstein erbaut worden ist. Vermutlich hatte sie schon lange vorher unter den Herren von Burgberg Dienst getan. Das Mühlengut ist demnach mindestens 500 oder 600 Jahre alt. Das heutige Mühlengebäude soll etwa 250 Jahre stehen. Andernseits wissen wir auch, daß die Mühle 1634 abgebrannt und bald danach wieder aufgebaut worden ist. Die Herrschaft Burgberg kam 1472 an die Grafschaft Württemberg. Nach dem Verkauf durch den Falkensteiner war sie zunächst im Besitz von Villinger Bürgern gewesen, danach Eigentum der Freiherren von Geroldseck. Bei den Verkäufen wird die Mühle immer mit erwähnt. Unter Württembergs Herrschaft waren das Mühlen- und Schloßgut anfangs zwei getrennte Erblehen. 1491 war nach dem Burgberg mit Talburg(Wasserschloß), Untere Mühle und Schloßhof zu Zeiten von Balthasar Götz um 1530 102

Die Untere Mühle zu Burgberg, 1986 Hornberger Lagerbuch Simon Algewer In­ haber der Mühle, während das Schloßgut Erblehen des Meiers Zenlin gewesen ist. Simon Algewer mußte sich 1494 wegen eines Totschlags verantworten. Schon kurze Zeit danach war er erneut in eine Streitsache ver­ wickelt, so daß er in Haft des »iuncker Han­ sen von Nuwneck obervogt am Schwartz­ wald“ in Homberg kam, woraus er 1498 gegen Bedingung wieder freigelassen wurde. Nach ihm, im Jahre 1517, besaß Martin Wörnle die Burgberger Mühle. Auf dem Höhepunkt des Bauernkrieges finden wir Balthasar Götz auf dem Mühlen­ gut. Er war der erste Götz in Burgberg. Über seine Herkunft wissen wir soviel wie nichts. Im Hornberger Musterrodel von 1517 erscheint ein Hans Götz von Guttach, der mit einer Hellebarde zu erscheinen hatte. Ob er der Vater des Balthasar gewesen ist, läßt sich nicht nachweisen. Jedenfalls kom­ men vor 1517 im Hornberger Oberamt auch keine weiteren Nennungen des Namens Götz vor. Balthasar Götz zinste nach dem Hornber­ ger Herdstättenverzeichnis von 1525 bereits von der Mühle, wie auch vom Burgberger Schloßgut, das noch 1523 dem „alten Meier“ Christian Wöhrle gehörte. Es ist sehr wahr­ scheinlich, daß Götz entweder in die Mühle oder in das Schloßgut eingeheiratet hat. Bal­ thasar Götz hatte 2 Söhne, Asimus und Mel­ chior, sowie eine Tochter, deren Vornamen wir nicht kennen. 1542 verkaufte Balthasar 103

Motiv Burgberg Götz den zur Mühle gehörenden „Hörnle­ Brühl“ nach Erdmannsweiler mit der Bedin­ gung, daß jeder Inhaber der Mahlmühle das Vorkaufsrecht habe. Der Besitzer des Hörnle-Brühls mußte jährlich einen Zins von 2 Schilling Heller Villinger Währung an die Mahlmühle abfuhren. Noch zu Lebzei­ ten von Balthasar Götz wurden das Mühlen­ und das Schloßgut rechtlich zu einem einzi­ gen Erblehen zusammengeführt. Sein Sohn Melchior, als Besitzer des vereinigten Erble­ hens, betrieb ab 1557 die Mühle. Nach ihm war Caspar Götz, der als erster die Berufsbezeich­ nung Müller auf der Unteren Mühle führte, 1586 bis 1603 Lehensträger. Er war der Enkel des Balthasar und der Sohn des Melchior. Zur Zeit der Hornberger Lagerbuch­ Erneuerung 1591 hatte die Mühle drei Was­ serräder, außerdem gehörte eine Sägmühle zum Gut. Daraus zinste der Inhaber jährlich 7 Schilling Heller Villinger Währung an die Herrschaft Württemberg sowie an Abgaben 3 Sommerhühner und 100 Eier. Auf der Mühlstätte stand ein großes neues Haus mit Viehställen und oberhalb der Mühle noch ein kleines Haus mit einer Scheune. 104 Über den Winter durfte der Inhaber 10 Rinder halten. Auch ein „Schwein(e)atzstall“ war vorhanden. Schon 1600 war das Schloß­ gut innerhalb der Familie Götz in Unterle­ hen aufgeteilt. Im Jahre 1603 kaufte nun der Müller und Lehensträger Caspar Götz das Schloßgut um 2366 Gulden von Herzog Friedrich von Württemberg, um es anschlie­ ßend in 5 Teile aufzuteilen und 4 davon an Familienmitglieder weiterzuverkaufen. 1607 kommt er zum letzten Mal urkundlich vor mit einem Vermögen von 3210 Gulden, zu­ gleich bewohnte er die Untere Mühle. Er war der zweitreichste Mann im Stab Weiler! Isaak, Sohn des Caspar Götz, übernahm nach 1607 das Mühlengut von seinem Vater, vermutlich gerade zur Zeit seiner Verheira­ tung um 1612 mit Anna Mayer (1588-1654), die aus Langenschiltach stammte, wo ihr Vater Endris Mayer (gest.1629) Vogt gewesen ist. Isaak starb schon in ganz jungen Jahren, wohl kurz nach der Geburt seiner Tochter Eva 1614, seinem einzigen Kind. Da keine weiteren Nachkommen vorhanden waren, wurde Eva, die Enkelin des Schloßkäufers von 1603, zur Alleinerbin!

Ihre Mutter heiratete um 1615 in 2. Ehe den Müller Matthias Grettler, der den Müh­ lenbetrieb weiterführte. 1632 erscheint der Müller Grettler auch in der einzigen aus die­ ser Zeit erhaltenen Liste der Burgberger Schloßgutteilhaber. Unter den 5 Schloßgut­ teilhabern gab es in der Mitte des 30jährigen Krieges nur noch 2 Götz. Am 17. August 1634 kehrten die Villinger Reiter unverrichteter Dinge von einem Raubzug nach Waldmössingen zurück und verbrannten auf dem Rückweg zuerst das Dorf Weiler und dann Burgberg. Nur ein Taglöhnerhäuslein in Burgberg wurde vom Feuer verschont. Auch die Untere Mühle wurde ein Raub der Flammen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Müller Grettler bei dem Überfall der Villinger getötet worden ist. Urkundlich ist er zwar 1634 noch bezeugt, dann aber nicht mehr. 1638 ist Anna Mayer mit Theis Vetter verehelicht. Sie starb am 6.12.1654 in Burgberg. Ihre Tochter Eva Götz heiratete zwischen 1633 und 1636 den Müller Jacob Stortz (1609 -1697). Somit kam die Müller-Familie Stortz durch Einhei­ rat auf die Untere Mühle! Eines der Mühlräder von der Unteren Mühle zu Burgberg im Jahre 1986 105

Der Burgberger Müller Jacob Stortz ist der Ahnherr der meisten Tuttlinger Stor(t)z und der Storzen von Neuhausen ob Eck. Ein Urenkel begründete einen katholischen Storz-Zweig in Rottweil. Etwa 55 Nachkom­ men von diesem Burgberger Müller waren von Beruf Müller, so in Tuttlingen, Rosen­ feld, Rietheim, Dußlingen, Nagold, Scha­ benhausen, Trichtingen, Remmingsheim und natürlich in Burgberg selbst. 1642 kaufte Jacob Stortz zu seinem Schloßgutanteil der Mühle noch einen zwei­ ten, der dem ver torbenen Hans Jäcklin gehört hatte. Wenige Wochen vor dem Kauf wurde das Burgberger Schloßgut erneut, diesmal von der Blumberger Besatzung, aus­ geraubt. Auch nachdem der Westfälische Frieden 1648 verkündet worden war, dauerte es noch längere Zeit, bis die Franzosen und Schweden abgezogen waren. Im März 1649 verbreitete die Grausamkeit der Franzosen erneut Furcht und Schrecken unter der Schwarzwälder Landbevölkerung. An den Pässen errichteten die Bauern Sper­ ren mit gefällten Bäumen und viele flüchte­ ten wieder in die Wälder. Der Fähnrich des Regiments Fleckenstein rückte mit einem Schwadron Reiter nach St. Georgen aus, um von den Bauern 100 Taler zu erpressen. Anschließend ritt man nach Burgberg, wo man den Müller Jacob Stortz übel behandelte und drei Schweine seiner Zucht wegnahm und schlachtete. Jacob Stortz stand in hohem Ansehen. Er war 1677-1684 Burgberger Beivogt im Horn­ bergischen Stab Weiler, sowie 1686 Vertreter aller Gemeinden im Stabe. 1686 verkaufte er mit seinen Söhnen und Schwiegersöhnen das Mühlengut um 1400 Gulden an den jüngsten Sohn Georg (1654-1734), der später auch Beivogt von Burgberg wurde. Es war Georg auch erlaubt, in Burgberg das Back­ handwerk auszuüben. Auch hatte er das Recht, bei Wassermangel für die Mühlräder die Wasserfänge oder Wuhren der Bauern, die zur Bewässerung ihrer Wiesen dienten, aufzureißen. Der Weiher um das alte Schloß gehörte ihm und dem Beivogt Caspar Götz, 106 einem Nachfahren des Schloßgutkäufers von 1603. Maria Storz, die Enkelin des Müllers Georg Stortz, kam 1751 in den Besitz der Unteren Mühle. Ein Jahr später heiratete sie Hans Staiger, Sohn des Stabsvogts Matthias Staiger von Weiler. Maria, die letzte Storzin auf der Unteren Mühle, starb 71jährig als Witwe am 15. 2. 1807 um 19 Uhr. Das Kir­ chenbuch vermerkt dazu: ,,Um halb 5 Uhr vermißte man sie, und fand sie erst um 7 Uhr in der Wasserstube (der Mühle), wo das Was­ ser auf sie herunterschoß.“ Ihre Schwester Salome, die ihr wenige Tage zuvor im Tode vorangegangen war, ist mit dem Schloßhof­ bauern Johannes Götz verehelicht gewesen, dessen Sohn Jacob zwischen 1802 und 1805 die heutige Burgberger Getreidemühle Götz erbaut hatte. Die Enkelin der letzten Storzin, Maria Staiger, war wiederum die letzte Inhaberin der Unteren Mühle aus ihrer Familie. Sie hei­ ratete 1835 den angehenden Müller Andreas Haller aus Schabenhausen, dessen Haller­ Vorfahren auch einmal auf dem Königsfel­ der Hömlishof gesessen sind. Über einem kleinen Eingang in die Mühle ist noch heute in Holzbalken eingeritzt „Andreas Haller­ Maria Staiger“ zu lesen. Die Müller aus der Familie Haller betrie­ ben die Untere Mühle mehrere Generation hindurch bis ins Jahr 1972. Dieter Storz Fremder alles trennt – Raum – Geschichte Sprache – Religion Gesellschaft wie einfach Zuneigung einen Namen zu geben und zu leben jetzt Christiana Steger

Laubenhausen eine ehemalige Keltensiedlung? von 900 Metern. In entgegengesetzter Rich­ tung gruppiert sich im Norden von Hubertshofen um das Reichenbächle ein etwa siebzehn Hektar umfassender Waldteil mit der Bezeichnung „Bad Mühle“. Mit die­ sen Namen und Begriffen wäre hiermit das gesamte Gebiet, um das es sich bei der Behandlung des Themas „Laubenhausen“ handelt, umrissen. In den großen zusammenhängenden Waldgebieten des Donaueschinger „Ober­ holzes“ liegt ein Distriktteil mit der Bezeich­ nung „Laubenhausen“. Er erstreckt sich etwa drei Kilometer nordwestlich von Huberts­ hofen und rund zwei Kilometer in nördli­ cher Richtung von Mistelbrunn entfernt, im Dreieck Hochmark, Weißer Stein und Rim­ sen, in unmittelbarer Nähe der Fesenmeyer­ Hütte im Hubertshofer-Wald. Nach der Forstkarte umfaßt das besagte Gebiet, in dem auch der bekannte „Laubenhäuser Brunnen“ (893 m ü. d. M.) liegt, eine Waldfläche von 40 Hektar Größe. In der Nordwestecke die­ ses Raumes erhebt sich im Geländewinkel zwischen Bregtal und Krumpendobel das Was hat es mit den Mauerresten und den sogenannte „Krumpenschloß“, auch als „Alt zum Teil deutlich erkennbaren Grabenzü­ gen auf sich? Sind es Reste einer wirklichen Fürstenberg“ bezeichnet, auf einer Anhöhe Steinfelder, unter denen Keltengräber vermutet werden. Fundort Nähe Laubenhauser Brunnen, der mit einem ungewöhnlichen Grenzstein markiert ist. Er trägt die Aufschrift: 1589 TONES! ,,Laubenhausen“ ist keineswegs eine Ent­ deckung oder Erfindung unserer Tage. Zu keiner Zeit verstummten Erzählungen und Vermutungen um dieses Phänomen, beson­ ders bei den Bewohnern von Hubertshofen und Mistelbrunn. 107

Stadt, die weit vor Villingen bestanden hat, oder sind es Trümmer einer kleinen unbe­ deutenden Siedlung von Menschen, die weit vor uns gelebt haben? In Aufzeichnungen, die bereits einhundert Jahre alt sind, ist zu lesen, daß sich „wohl alte Leute erinnern“, wie vor Zeiten die Donaueschinger im Som­ mer ihr Vieh in diesen Gemeindewald trie­ ben. Alte Unterlagen im Fürstlichen Archiv berichten von einer Schutzfunktion von Laubenhausen, wo das Vieh vor den einrük­ kenden Franzosen während der Kriegsjahre am Ende des vorigen Jahrhunderts geborgen worden sei. ZuB: Aus Gründen eines besseren Überblicks ist der Komplex Laubenhausen in drei Einheiten, A – B – C, eingeteilt und nach dieser Buchstabenord­ nung beschrieben. ZuA: Umfang der äußeren Umgrenzung 2370 m = 35 ha Fläche CD = Stein Nr. 35 ® = Stein Nr. 32, Laubenhäuser Brunnen Umfang der ätef?eren Umgrenzung 3350 m = 55 ha Fläche Im Süden doppelter Wallverlauf aef einer Strecke von 1100 m, bis „Meßmer-Tanne“ ZuC: CD = Reihengräber: 7 im Norden 3 im Süden ® = Ehem. ThermaUJuelle in einer Tiefe von ca. 350 m, 27 °C Flußrichtung Ost-West Grabenbreite 3 m Grabentiefe 7 m (sollbis etwaJJOOn. Chr. überirdisch ausge­ treten sein) ® = Angenommenes Warmwasserbecken (Bad) © = Ehem. Badmühle (1684-1930) @ = Ehem. Beimühle @ = Ehem. Standort von „ Walters Hüsli“ (Z) = Der „Sandbrunnen“ mit Sandsteinen aus­ gemauert (floß noch zum Zeitpunkt der Aufnahme im Sommer 1990} Doch wie will man sich Steinmauern und Erdwälle in der Funktion der Umzäunung einer Viehweide in der Praxis vorstellen? Dieser Zweck hätte mit weitaus einfacheren Mitteln erreicht werden können. Beeindruk­ kender ist jedoch die Annahme, daß es sich bei Laubenhausen um eine Art von Höhen­ oder Fliehburg gehandelt haben könnte. Zunächst die bisher bekanntgewordenen Vorstellungen: Der in Hüfingen geborene Heimatschriftsteller Lucian Reich d. ]. (1817-1900) schreibt in seinem, von ihm ver­ faßten »Hieronymus“ von einem abgegange­ nen „Laubenhauser-Hof“, von Sitten und Gebräuchen der benachbarten Umgebung und von den Ereignissen um die Napoleoni­ schen Kriege. Einen Laubenhauser-Hof hat es jedoch nie gegeben, jedenfalls läßt er sich urkundlich in jenem Raum nicht nachwei­ sen. Auch Viktor von Scheffel, der in den Jahren 1857 bis 1859 als Archivar in Donau­ eschingen wirkte, schreibt über seinen Besuch an diesem Ort. Er nennt ihn „Lau­ benhausen-Olim“ und bringt ihn mit Mistel­ brunn, wo im vergangenen Jahrhundert in einem Acker ein „keltisches Kriegsbeil“ gefunden wurde, in engen Zusammenhang. Die beiden FF-Archivare Riezler und Baumann berichten in einer Schrift des „Ver­ eins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar“ im Jahre 1880 über die heute noch sichtbaren Funde. Ein Auszug aus dem Wortlaut: ,, Wir fanden im Nadelhochwald einen Steinwall aus regellos ohne Bindemittel übereinandergehäufien, unbehauenen Sandstei­ nen, wie sie auf der Höhe über dem Bregtal bre­ chen, teilweise mit einer mehr oder minder hohen Humusschicht bedeckt, teilweise bloßliegend. Die kenntlichen Reste ziehen sich anfangs in ziemlich gerader Linie, hie und da mit Vorsprüngen, von Südost nach Nordwest und gehen in der Gegend des Laubenhauser Brunnens in eine nach ein­ wärts gekrümmte Richtung über. Das Ganze ist etwa 1200 Meter weit zu verfolgen … “ Die damaligen Forschungsergebnisse gin­ gen von der Annahme aus, daß es sich bei den ausgedehnten Anlagen um Befestigun­ gen gehandelt haben muß, die älter als zwei- 109

Einzelne Findlinge fallen durch ungewöhnliche Ausformungen auf Vermutlich waren sie von Menschenhand zu bestimmter Zweckdienlichkeit zugerichtet. Fundort Nähe Wilddobel-Hütte . ,. ..,.. Erich Fesenmeyer bei seiner Wünschelrutenar­ beit über den Keltengräbem im Distrikt „Bad Mühle“ bei Hubertsho.fen hundert Jahre sein müßten. Die beiden Forscher setzten sich auch mit der Frage nach Form und Funktion dieser Befesti­ gungsanlage auseinander und machten sich Gedanken über die offenen Lücken im Ver­ lauf des Mauerwerks und den Verbleib der Steine. Greifen wir gar über zweihundert Jahre zurück, so finden wir einen Bericht des damaligen FF-Archivars Döpfer aus dem Jahre 1782. Döpfer fand eigenartigerweise auf dem damals wie heute dichtbewaldeten Höhenzug keine Spur von Mauern, „hinge­ gen in einem zirke!formigen Bezirk von 700 bis 800 Schritten ein Bollwerk, das aus einer unge­ heuren Menge aufeinandergetürmter Steine besteht. „Er vermutete, daß dieses Bollwerk in »Kriegsunruhen von Bewohnern des Schwarz­ waldes aus den Ruinen des Schlosses Alifürsten­ berg, teils zur Sicherheit ihrer Habe, teils zur Abwehr des Feindes aufgeführt ward. „Mit ,,Alt­ fürstenberg“ war wohl das Krumpenschloß gemeint. Vermutlich aber war dieses Krum­ penschloß Bestandteil der Gesamtanlage von Laubenhausen und diente als Sitz des Herrn über diese Siedlung und als Zufluchts­ ort in Zeiten der Gefahr für Leib und Leben der Bewohner. 110

Ergebnis der neueren Forschung Bereits vor elfJahren, am 25. August 1979, veröffentlichte SÜDKURIER-Mitarbeiter Franz Gottwalt aus Donaueschingen einen Zeitungsaufsatz über den Stand der damali­ gen Kenntnisse über Laubenhausen. Ange­ regt durch Erzählungen und Hinweise des ehemaligen Revierleiters Erich Fesenmeyer aus Hubertshofen über dieses Phänomen, befaßte sich Gottwalt intensiver mit diesem Thema, recherchierte nach den o. a. Schrif­ ten und verfaßte darüber einen ersten Auf­ satz im SÜDKURIER. Nach gründlicher Wertung aller Vorgänge und vermögens eigener Überlegungen ver­ mutete der Autor dort eine Keltensiedlung, die er zeitlich in die Epoche der Spät-La-Tene einordnete. Er wagte zusätzlich, mit einer Lageskizze die räumliche Ausdehnung dar­ zustellen, die jedoch nach dem heutigen Kenntnisstand als überholt gelten muß. Vor drei Jahren griff der Geschichtsverein auflnitiative des Vorsitzenden der naturwis­ senschaftlichen Abteilung, FF-Oberforstdi­ rektor Dr. Karl Kwasnitschka, dieses Thema aufgrund des Zeitungsaufsatzes auf Um den im Boden verborgenen Spuren der vermute­ ten vorzeitlichen Siedlung auf den Grund gehen zu können, bediente man sich der Wünschelrute. Es bildeten sich Konturen von Flächen heraus, die als Umrisse des ver­ muteten Siedlungsraums angenommen wer­ den können. Dabei wurde die Erfahrung gemacht, daß die Wünschelrute im Abstand von knapp fünf Metern jeweils ein zweites Mal ausschlug, woraus die Vermutung abge­ leitet wird, daß die Umfassungslinie doppelt verläuft. Man untersuchte auch „verdächtige“ Hügel und Erhebungen inner-und außer­ halb der äußeren Grenze mit der Wünschel­ rute, wobei in einem Fall eine interessante Entdeckung gemacht wurde. In einer als Grab angenommenen und von Steinen umstellten Erhöhung fand man einen rund­ lichen Stein in Form einer kleinen Bettfla­ sche. Bei diesem Stein handelte es sich um einen stark eisenhaltigen Quarzit maritimer Herkunft. Es ist daher anzunehmen, daß die Kelten ihren Toten einen metallhaltigen Stein als Grabgabe beigelegt haben. Dieser Stein, auf den die Wünschelrute anschlägt, sollte vermutlich der Nachwelt dazu dienen, den Bestattungsort der Vorfahren zu kenn­ zeichnen. Metall war wohl auch die eigentli­ che wirtschaftliche Grundlage zur Bildung und Prosperität dieser Vorzeitsiedlung. Was hätte wohl die Landwirtschaft auf dem Bunt­ sandsteinplateau in einer Meereshöhe von 900 bis 1000 Metern erbringen können, viel­ leicht abgesehen von den Erträgen durch Haltung von Schafen und Ziegen? Es liegt die Vermutung nahe, daß es das Eisenerz war, das die Kelten im nahen Eisenbach zu Tage förderten und in Laubenhausen schmolzen, verarbeiteten und Handel damit betrieben. Der „Krumpenweg“, eine uralte Nord-Süd-Verbindung, führte durch Lau­ benhausen und verband diese Art „Industrie­ stadt“ mit der damals bekannten Welt. Die­ ses „Krumpenschloß“, über dem Bregtal gelegen, gehörte, was mit ziemlicher Sicher­ heit anzunehmen ist, zur gesamten Anlage, die sich „Laubenhausen“ nennt. Sie war wohl Herrensitz und Zufluchtsburg zu­ gleich. Entgegengesetzt liegt am Ostrand Laubenhausens eine ehemalige Thermal­ quelle. Die Stelle ist heute noch bekannt. Man spricht von der „Bad Mühle“, die 1684 von einer Familie Knöpfle erbaut und ca. 1930 baufällig abgerissen wurde. Die Steine der Grundmauern sollen, nach Wissen von Fesenmeyer, zu Wegbauten verwendet wor­ den sein. In der Nähe stand auch eine Bei­ mühle und „S’Walters Häusle“. Die Stellen sind in der Karte festgehalten, ebenso die Plätze, wo sich die einstige Thermalquelle und das Bad befanden. In unmittelbarer Nähe davon konzentrieren sich zahlreiche Reihengräber, bei denen im Abstand von je 2,80 Metern die Rute auf eine angenom­ mene Grabstätte hinweist. So spricht durch die neuesten Untersu­ chungen vieles dafür, daß sich in Lauben­ hausen in frühester Zeit die Kelten angesie­ delt haben. Franz Gottwalt 111

Fischbachs erster Uhrmacher war der Sinkinger Kreuzwirt Am 18. März 1785 wurde der in Kon­ stanz gebürtige Franz Xaver Wagner Pfarrer in Fischbach und Sinkingen. Wenige Tage erst war er im Amt, da legte er ein sogenann­ tes „Seelenregister“ an. Darin notierte er fortan sorgfältig Jahr um Jahr, welche Fami­ lien in Fischbach, in Sinkingen und auf dem Pfaffenberg wohnten, nannte die Namen aller Familienangehörigen und ihr Alter, dazu Knechte, Mägde und sonstige Hausbe­ wohner, schließlich – wie es sich für ihn gehörte -die genaue Zahl derer, die regelmä­ ßig zur Kommunion gingen. Das „Seelenregister“ und zahlreiche andere Archivalien, die sich im Fischbacher Pfarrarchiv befinden, habe ich im Blick auf die für 1994 anstehende 900-Jahr-Feier Fisch­ bachs durchgeblättert und dabei manch Interessantes herausgefunden. Da wären z.B. die Familiennamen zu nennen. Pfarrer Wagner verzeichnet für das Jahr 1785 in Fischbach: Belser, Biswurm, Bodmer, Eitler, Emminger, Engeser, Heck­ ler, Holtzer, Hummel, Kammerer, Keller, Langenbacher, Linck, Ludwig, Mayer, Ohn­ macht, Pfister, Rist, Schaaf, Schueler, Stortz, Strasser, Weißer; in Sinkingen: Aigeldinger, Bantle, Baumann, Belser, Biswurm, Hall, Jörger, Krafft, Mayer, Ohnmacht, Riedlin­ ger, Rist, Siber, Staiger, Sulger, Weißer; auf dem Pfaffenberg: Flaig, Mayer, Schaaf. Manche der Namen von damals gibt es heute dort nicht mehr, andere, die heute ganz vertraut sind, kannte man zu jener Zeit noch nicht. Einer der bemerkenswertesten Figuren damals in Fischbach war Mathäus Hummel. Als seinen Herkunftsort nennen die Kir­ chenbücher „Waldum im Schwarzwald“, geboren wurde er allerdings wohl in Peterzell am 4. Mai 1749 als Sohn des Uhrenmachers Mathäus Hummel und seiner Ehefrau Aga­ the geb. Schwerer.1772, wie es scheint, heira­ tete er die ein Jahr jüngere Johanna Ganther (geb. am 3.Januar 1750). 112 Irgendwann zwischen 1773 und 1778 wird er nach Fischbach gekommen sein, denn seine beiden ältesten Töchter Ursula und Maria sind noch nicht in Fischbach geboren, wohl aber seine dritte Tochter Carolina: am 27. Oktober 1778 wird sie hier getauft. Über seinen Beruf sind zunächst keine Angaben zu finden, allerdings darf man ver­ muten, daß er von seinem Vater das Uhr­ macherhandwerk erlernt hat. Bis 1786 wohnt Mathäus Hummel in Fischbach, dann zieht er nach Sinkingen um. Als Pfarrer Wagner an Ostern 1787 die Hummel-Familie ins „Seelenregister“ ein­ trägt, fügt er bei Mathäus Hummel auch des­ sen Beruf hinzu: Uhrenmacher und Wirt. Und nicht nur das: Hummel beschäftigt jetzt auch einen „Lehrling der Uhrmacher­ kunst“ (tiro artis horologicae), nämlich den Fischbacher Anton Weißer, geboren 1767 als Sohn des Taglöhners Jakob Weißer. Drei Jahre lang geht Anton Weißer bei Hummel in die Lehre, dann verzieht er an einen unbe­ kannten Ort. Vielleicht heiratete er nach aus­ wärts und machte sich selbständig, möglich auch, daß er sich für’s Militär anwerben ließ und in irgendeinem Kriegsgeschehen jener Zeit ums Leben kam. Mathäus Hummel hat von 1790 an keinen Lehrling mehr; er konzentriert sich, so will es scheinen, seitdem hauptsächlich auf den Betrieb seiner Wirtschaft, obwohl er sogar 1824 noch einmal als „Uhrenmacher“ bezeichnet wird. Die Wirtschaft, von der hier die Rede ist, war damals und ist heute noch die einzige in Sinkingen: das Gasthaus ,,zum Kreuz“. Nach sechs Töchtern wird ihm am 25. Oktober 1791 sein erster Sohn geboren: Mathäus. Als dieser sich 1816 mit der Dun­ ninger Bauerntochter Luitgard Wrenz ver­ heiratet, wird er im Ehebuch als „Wirt“ ein­ getragen, was vermuten läßt, daß sein inzwi­ schen 67jähriger Vater ihm die Wirtschaft ,,zum Kreuz“ als Heiratsgut übergeben hat.

Beim Eintrag der Geburt seines dritten Kin­ des Andreas (geb. am 26. November 1819) wird Mathäus Hummel junior denn auch eindeutig „Kreuzwirt“ genannt. Von Uhren­ macherei ist bei ihm keine Rede mehr. Am 23. Februar 1846 heiratet Andreas Hummel, ,,lediger Bürger und Kreuzwirt“, die Bauerntochter Maria Bühl von Villin­ gendorf. Das haben seine Großeltern, der alte Uhrmacher und Wirt Mathäus Hummel und seine Frau Johanna, freilich nicht mehr erlebt. „Altkreuzwirt“ Mathäus Hummel starb am 8.Juli 1831 mittags um halb elf im Alter von 82 Jahren und wurde auf dem Gottes­ acker in Fischbach beerdigt. Seine Frau war ihm bereits 1824 74jährig im Tod voraus­ gegangen. ,,Sie hat“, schrieb Pfarrer Franz Joseph Fischer anerkennend ins Sterberegi­ ster, ,,etwa zu 50 Jahren mit ihrem Mann in friedlicher Ehe gelebet“. Dem Fischbacher Ortsarchiv ist ergän­ zend zu entnehmen, daß Andreas Hummel 1852 -nachträglich -die erforderliche Kon­ zession zum Betrieb der Realwirtschaft „zum Kreuz“ erhielt. Ihm folgten 1883 Wilhelm Frick, 1890 Friedrich Hahn, 1892 Johann Müller und 1929 dessen Sohn Benjamin Müller. Die weitere Geschichte des Gast­ hofes dürfte im Ort bekannt sein. Dr. Manfred Reinartz Steg bei Wolterdingen über die Breg 113

Persönlichkeiten der Heimat Dr. Hansjörg Häfele Er vertrat über 25 Jahre unseren Heimatwahlkreis im Deutschen Bundestag in Bonn Abgeordneten, die am läng­ sten dem Deutschen Bundes­ tag angehört haben – nur zwei sind im neugewählten Bundestag, die schon vor 1965 dabei waren -und in die­ sem Parlament alle bisherigen Bundeskanzler erlebten; auch noch Dr. Konrad Adenauer nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler im Jahre 1963 als Mitglied des Deutschen Bundestages bis zu seinem Tod im Jahre 1967. Bei der ersten Wahl am 19. September1965 im Wahlkreis Donaueschingen/Stockach/ Villingen erreichte er 56,2 0/o der Erststimmen und die CDU 55,4 0/o der Zweitstim­ men. 1972 kam noch die bisherige Stadt Schwennin­ gen zum Wahlkreis hinzu, und ab dem Jahre 1980 deckte sich der Wahlkreis von Dr. Häfele mit dem Gebiet des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses. Im Jahre 1975 verlegte er seinen Wohnsitz von Lud­ wigshafen am Bodensee nach Bad Dürrheim. Als der langjährige Bundestagsabgeord­ nete und Staatssekretär a. D. Dr. Hansjörg Häfele mit Ende der letzten Wahlperiode am 20. Dezember 1990 aus dem Deutschen Bun­ destag ausschied, waren es über 25 Jahre, in denen er ununterbrochen seinen Heimat­ wahlkreis als Abgeordneter im Deutschen Bundestag in Bonn vertrat. Bei der letzten Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 trat er nicht mehr an. Er gehörte damit zu den Insgesamt wurde Dr. Häfele sieben Mal in den Deutschen Bundestag gewählt: 1965, 1969, 1972, 1976, 1980, 1983 und 1987. Wie schon bei der ersten Wahl gaben ihm die Wähler jeweils mehr Erststimmen als Zweit­ stimmen für die Partei der CDU. 1987 waren es 56,2 0/o bzw. 48,7 0/o, ein Unterschied von 8.373 Stimmen. Dr. Häfele erzielte stets eines der bundesweit besten persönlichen Ergebnisse eines CDU-Abgeordneten. 114

Darauf war er zurecht stolz, weil dadurch die Beliebtheit des langjährigen Abgeordne­ ten in der Bevölkerung und das große Ver­ trauen, das er sich in den Jahren seiner Abge­ ordnetentätigkeit erworben hat, überzeu­ gend zum Ausdruck kamen. Dr. Häfele plädierte immer dafür, daß ein Abgeordneter einen festen beruflichen Grund unter den Füßen haben müsse und nicht allein von der Politik abhängig sein dürfe. Seine berufliche Ausbildung war solide angelegt: 1932 in Uttenweiler, Kreis Biberach, als Sohn eines Lehrers geboren, ist er in Wangen im Allgäu aufgewachsen, wo er 1952 am Humanistischen Gymnasium sein Abitur ablegte. Es folgte 1952 bis 1956 ein Studium von acht Semestern der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Tübin­ gen. Nach Ablegung der 1. juristischen Staats­ prüfung 1956 war er bis 1960 Gerichtsreferen­ dar. In dieser Zeit absolvierte er ein Studium an der Hochschule für Verwaltungswissen­ schaften in Speyer und war auch Assistent an der Universität Tübingen. Es folgten 1959 die Promotion zum Dr. jur. und 1961 die 2. juristische Staatsprüfung. Von 1961 bis 1965 war er Regierungsassessor und Regie­ rungsrat in der Innenverwaltung von Baden­ Württemberg. Dabei lernte er auch seine spä­ tere Frau Ingeborg beim Landratsamt Emmendingen kennen. Im Jahre 1978, also noch als Oppositions­ Abgeordneter, hat er die Zulassung als Rechtsanwalt erworben. Er wollte sich bewußt ein zweites Bein besorgen, um per­ sönlich unabhängig zu sein. Die Jahre im Deutschen Bundestag waren für Dr. Hansjörg Häfele sehr erfolgreich. Früh wandte er sich den Fragen der Finanz­ politik zu. Von 1972 bis 1976 war er Obmann der CDU/CSU im Finanzausschuß, danach Vorsitzender des wichtigen Arbeitskreises Haushalt, Steuern, Geld und Kredit der Frak­ tion. Als sich Franz-Josef Strauß 1978 als Ministerpräsident von Bayern nach Mün­ chen zurückzog, wurde Dr. Hansjörg Häfele sein Nachfolger als finanzpolitischer Spre­ cher der Fraktion. Den Höhepunkt seiner politischen Lauf­ bahn erlebte er als Parlamentarischer Staats­ sekretär bei Bundesfinanzminister Dr. Ger­ hard Stoltenberg in den Jahren 1982 bis 1989. Als Dr. Gerhard Stoltenberg vom Finanzres­ sort in das Verteidigungsressort wechselte, schied Dr. Häfele am 21. April 1989 auf eige­ nen Wunsch als Parlamentarischer Staats­ sekretär aus. Die aufgezeigten äußeren Stationen im politischen Leben von Dr. Hansjörg Häfele kamen nicht von ungefähr. Seine große Sachkenntnis, sein politisches und rhetori­ sches Geschick und seine Verbundenheit zu den Menschen prädestinierten ihn für höhere Aufgaben. Bei Versammlungen war er in seinem Element. Er beherrschte die Kunst der freien Rede und verstand es, aktuelle politische Entwicklungen in an­ schaulicher und verständlicher Sprache in einen größeren gesamtpolitischen Zusam­ menhang zu stellen. Nicht umsonst zählte Dr. Häfele zu den besten Rednern des Deutschen Bundestags, wie der Rheinische Merkur/Christ und Welt 1982 berichtete. Dr. Häfele wurde im Laufe der Jahre zu einem Volksvertreter im besten Sinne des Wortes, der dem Volk „aufs Maul schaute“, und wußte, wie es dachte. Dies gab ihm bei seiner politischen Tätigkeit großen Rückhalt. Die Kenntnis der Volksmeinung und seine innere, unabhängige Einstellung machten ihn zu einem Politiker von Format, der über die Parteigrenzen hinaus hohes Ansehen und großes Vertrauen genoß. In der eigenen Partei war er nie ein ,Ja-Sager“, son­ dern vertrat mit Vehemenz eine eigenstän­ dige Meinung. Auch politisch Andersdenkende haben ihm zu verstehen gegeben, daß man ihm vertraue, auf sein Wort baue und spüre, daß er bei seinem Einsatz stets das Wohl des ganzen Volkes im Auge hatte. Bei all seinem Tun war Dr. Häfele fest in der christlichen Wertordnung verankert. Dieses Funda­ ment gab ihm auch die Freiheit, andere Mei- 115

Finanzminister Dr. Gerhard Stoltenberg (l.i.) und sein Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hansjörg Häfele {re.) nungen zu respektieren und sich mit ihnen im positiven Sinne auseinanderzusetzen. Ein Mann seines Zuschnitts hob sich im politischen Alltag weit vom Durchschnitt ab. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb im Jahre 1985: ,,Häfele ist nicht nur ein ausgezeichneter Fachmann der Finanz­ politik, sondern zugleich ein Ordnungspoli­ tiker ersten Ranges. Leute seines Wuchses sind leider zunehmend Mangelware in Bonn. Sie gehören daher auf die Regierungsbank.“ Besonders stolz ist Dr. Häfele darauf, daß er als Parlamentarischer Staatssekretär die dreistufige Steuerreform 1986, 1988 und 1989 an entscheidender Stelle mitgestalten und mit beeinflussen konnte. Heute noch spre­ chen Experten in Bonn von dem 1990 einge­ führten „Häfele-Tarif“, der gleichmäßig und sanfter ansteigenden Progressionskurve. Solide Finanzen waren stets das Hauptanlie­ gen des Experten Dr. Häfele. Seine Devise lautete klar und unmißverständlich: ,,Stoppt den Ausgaben- und Steuerstaat“. Sein Ziel war weniger Staat und ein sparsamer Staat. Auf dieser Linie liegt auch die Äußerung von Prof. Dr. Ludwig Erhard, dem langjährigen und erfolgreichen Wirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler: ,,Ein Mann (ge­ meint ist Dr. Häfele), der in den gleichen Kategorien denkt wie ich“. „Man muß die Leute mögen, dann mögen sie einen auch“, konnte man oft von ihm hören, und dies nicht nur in Wahlkämpfen. Dr. Häfele setzte in seine Mitmenschen Ver­ trauen, hielt viel vom „mündigen Bürger“ und hatte es gerne, wenn man Selbstverant- 116

wortung und Leistungsbereitschaft zeigte. Er handelte nach der Devise vonJohnF. Ken­ nedy, der einmal den Satz geprägt hat: ,,Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, son­ dern frage, was Du für Dein Land tun kannst“. Häfele war immer der Auffassung, daß es der mündige Bürger hoch schätzt, wenn ihm Politiker auch unangenehme Wahrheiten sagen. Er litt gelegentlich darun­ ter, wenn Politiker ihr Handeln nur am kurz­ fristigen wahltaktischen Erfolg ausrichteten. Bei der feierlichen Verabschiedung von Dr. Hansjörg Häfele am 12.Januar 1991 im Bad Dürrheimer „Haus des Bürgers“ waren über 800 Vertreter aus allen Volksschichten gekommen. Auch sein langjähriger Bundes­ minister, Dr. Gerhard Stoltenberg, ließ es sich nicht nehmen, seinem ehemaligen Staatssekretär Worte des Dankes und der Anerkennung auszusprechen. Dr. Stolten­ berg nannte Dr. Häfele einen Freund, der an einer Reihe sehr bedeutender Gesetzesvor­ haben mitgewirkt habe. Vom ersten Tag der engen Zusammenarbeit an habe es ein sehr gutes, von gemeinsamer Überzeugung bestimmtes, menschlich vertrauensvolles Zusammenwirken gegeben. Der CDU-Kreisvorsitzende Klaus Pan­ ther bezeichnete Dr. Hansjörg Häfele als eine verläßliche Persönlichkeit, der es nicht liegt, ,,auf allen Hochzeiten zu tanzen“. Klare Zielvorstellungen, Überzeugungskraft und ein ausgeglichenes Temperament zeich­ neten ihn aus. Allen falle es schwer, ihm Lebewohl von der Politik zuzurufen. Der Kreisverband ernannte ihn zum Ehren-Vor­ standsmitglied. In seiner ihm stets eigenen prägnanten Art dankte Hansjörg Häfele für die warmherzi­ gen und ehrenden Worte. Die Konsolidie­ rung der Finanzen und die Steuerreform seien der wichtigste Beitrag des Staates für das Gedeihen der Wirtschaft und die Schaf­ fung von Arbeitsplätzen im letzten Jahr­ zehnt gewesen. Er habe jetzt in der Politik aufgehört, wie er dies schon seit 5 Jahren sei­ ner Frau versprochen habe. Nun wolle man sich, beide gemeinsam, an ein normaleres, freieres Leben gewöhnen. Der Dank an seine Frau lnge, die ihn bei vielen Anlässen, seien es Parteiveranstaltungen, Feiern, Firmenbe­ suche und Jubiläen, begleitet hat, kam von Herzen. ,,Meine Frau ist meine beste Kritike­ rin“, gestand der Abgeordnete gerne ein. Der Rechtsanwalt Dr. Hansjörg Häfele wird sicher bei diesen oder jenen Veranstal­ tungen auch künftig zu sehen sein, nicht als „Offizieller“ – diesen Aufgabenbereich hat jetzt der frühere Bürgermeister der Ge­ meinde Brigachtal, Meinrad Belle, als neuer Bundestagsabgeordneter übernommen -, sondern als Mensch wie „Du und ich“, der sich unbeschwert freuen kann. Seine Leutseligkeit wird ihm auch künftig den Weg zu den Herzen der Menschen öff­ nen, und alle, die ihn kennen, wünschen ihm und seiner Frau weiterhin gute Gesundheit, Schaffenskraft im Beruf und noch viele Jahre im Kreise seiner Mitbürger. Konrad Schade Der Zeitungsverleger Dr. Hans-Günther Ziegler Ein Förderer der heimatkundlichen und heimatgeschichtlichen Forschung Daß Schwenningens politische, wirt­ schaftliche, kulturelle und soziale Ge­ schichte in den letzten drei Jahrzehnten so intensiv wie nie zuvor erforscht und aufge­ schrieben wurde, ist der Neugierde und dem Fleiß einer Handvoll Autoren zuzuordnen. Daß viele ihrer Manuskripte gedruckt und in beachtlichem Maße auch zu Büchern wur­ den, das ist dem ganz persönlichen Interesse eines Mannes zu danken, dem Schwen­ ninger Zeitungsverleger Dr. Hans-Günther Ziegler. Zu einer stattlichen Reihe heimat­ geschichtlicher und heimatkundlicher Lite­ ratur gehören unter anderem nicht nur Otto 117

tungen in Rottweil, Tübingen, Freiburg und Schwenningen, Promotion zum Doktor bei­ der Rechte, 1938 Eintritt ins schwiegerelter­ liche Unternehmen, Verlag und Druckerei Hermann Kuhn, dem die Nationalsoziali­ sten· zwei Jahre zuvor die Verlagsrechte an der Tageszeitung „Die Neckarquelle“ streitig gemacht hatten, von 1941 bis 1945 im Krieg, zuerst in Mittel-und Südrußland, dann in Jugoslawien und Nordgriechenland, zuletzt als Kompanieführer, Wiederaufbau der Druckerei nach der Entlassung im Sommer 1945, 1949 Wiederherausgabe der 1880 gegründeten und sich fast ebensolang im Familienbesitz befindenden Tageszeitung ,,Die Neckarquelle“. Genau in jene Aufbau-und Aufbruchzeit fiel -eher zufällig-das erste Engagement als Buchverleger. Den Anstoß dazu gaben Auf­ träge der von dem Arzt Dr. Lovis Gremliza begründeten Lovis-Presse, die damals eini­ gen während der Nazizeit verfemten Künst­ lern erste Veröffentlichungen ihrer grafi­ schen Arbeiten ermöglichte, für einen einfa­ chen Prospekt und für den Erstdruck eines Holzschnittbandes „Die Seiltänzerin und ihr Clown“ von Originaldruckstöcken des Kirchner-Schülers Werner Gothein, der seit den dreißiger Jahren in Unteruhldingen am Bodensee ansässig war. Die Begegnung zwi­ schen Zeitungsverleger, Kunstfreund und Künstler hatte zur Folge, daß Dr. Hans-Gün­ ther Ziegler ab 1951 die wichtigsten Gothein­ Holzschnittwerke im Verlag Hermann Kuhn oder in seinem eigenen Hans-Günther-Zieg­ ler-Verlag herausbrachte: 1951 die Bildfolge ,,Der See“, 1953 den großformatigen Holz­ schnittband „Hiob“, 1954 den Bild- und Erzählband „Fabeln des Aesop“. 1955 die Zweitauflage von „Die Seiltänzerin und ihr Clown“, 1956 schließlich den großen Holz­ schnittband „Abraham“. Dr. Lovis Grem­ liza, heute in München lebend, erinnert sich: ,,Seit 1948 war des Künstlers Beziehung zu Schwenningen sehr stark von unermüdli­ cher Aktivität geprägt. In dieser Stadt bekam Gothein ,Boden unter die Füße‘, hatte Freunde, eine ihm gewogene Volkshoch- Benzings „Schwenningen am Neckar – Geschichte eines Grenzdorfes auf der Baar“ und seine Geschichten zur Geschichte, Sieg­ fried Heinzmanns „Alte Grenzen und Grenzsteine rings um Schwenningen“ oder der recht aufwendige Band von Manfred Reinartz „ Villingen-Schwenningen und Umgebung in alten Karten und Plänen“, sondern auch eher trockene, weil fachlich orientierte Sammlungen von Urkunden und Besitzverzeichnissen, Materialen zur Sied­ lungsforschung und Rechtsvorschriften aus dem 16.Jahrhundert. Es war keineswegs vorauszusehen, daß die Beschäftigung mit der Geschichte Schwen­ ningens am Neckar für Dr. Hans-Günther Ziegler einmal zu einer verlegerischen Auf­ gabe werden sollte. Sein Lebensweg zumin­ dest ließ das nicht vermuten: 1910 in Hatters­ heim bei Frankfurt geboren, mit 31/4 Jahren nach Schwenningen gekommen, weil der Vater die Leitung der Buchhaltung und spä­ ter der Finanzabteilung der Kienzle Uhren­ fabriken übernahm, nach dem Abitur 1929 Studium der Rechtswissenschaft in Frank­ furt, Freiburg und Tübingen, während der Referendarzeit bei Gerichten und Verwal- 118

schule, vor allem aber einen selbstlosen, interessierten Mäzen, der, bis an die Grenze des finanziell Möglichen, seine späten Holz­ schnittbände druckte und auch verlegte“. Diese „Grenze des finanziell Möglichen“ beendete schließlich die Zusammenarbeit zwischen Werner Gothein und Dr. Hans­ Günther Ziegler, wiewohl dieser nach wie vor von der Schnittechnik des Künstlers und von der technischen Umsetzung der Druck­ vorlage, dem Originalholzschnitt, in das Druckerzeugnis fasziniert war. Aber die Gotheinschen Bücher waren kaum abzuset­ zen, das Interesse an ihnen zwar vorhanden, aber kaum Käufer, obwohl die Bände preis­ wert waren. Die Restbestände – gedruckt wurden durchschnittliche Auflagen von jeweils 500 Exemplaren -schenkte der Verle­ ger dem Künstler schließlich zu dessen eige­ ner Verwertung. Auch der zweite Versuch als Buchverleger nach dem Umsteigen vom Kunst- auf das Jugendbuch überdauerte nur wenige Jahre. Zwar fanden sich gute Autoren und Illustra­ toren, und auch die Titel schienen zugkräf­ tig. Da gab es die mehrbändige Geschichte eines Fußballhelden namens Peng, abenteu­ erliche Schilderungen wie in „Chinesensärge nach Hongkong“ oder den kleinen Roman einer glücklichen Lehrzeit „Renate im Bücherland“. Aber der junge Schwenninger Verlag kam zu spät auf einen mittlerweile recht engen Markt; die alteingesessenen Jugendbuchverlage machten das Rennen bei den Buchhändlern, die Auflagen des Ziegler­ Verlages blieben zu klein, das Finanzrisiko am Ende zu groß. So konzentrierte sich Dr. Hans-Günther Ziegler nunmehr voll auf die Druckerei und die eigene Zeitung, ,,Die Neckarquelle“, die 1949 ganz von vom beginnen mußte. In guter Partnerschaft mit der Redaktion gab er ihr Profil und Gesicht, den an ihr tätigen Journalisten den nötigen Freiraum für eine selbständige und unabhängige Arbeit. Mit Überzeugung trat er für die Freiheit der Presse und der Information ein. Stolz ist Dr. Hans-Günther Ziegler auf sei- nen persönlichen Beitrag, den er für die Unabhängigkeit kleinerer Lokalverlage und für die Zeitungsgruppe SÜDWEST PRESSE insgesamt einbringen konnte: Er gehörte im Jahre 1949 mit anderen südwürttembergi­ schen Altverlegern und mit den Lizenz­ trägern des „Schwäbischen Tagblatts“ in Tübingen zu den Gründern der SÜDWEST PRESSE, einer Gemeinschaft südwestdeut­ scher Zeitungsverleger, deren Entwicklung von ihm über Jahrzehnte hinweg, unter anderem als Vorstandsmitglied und langjäh­ rigem Vorstandsvorsitzenden, mitgeprägt worden ist die SÜDWEST PRESSE, zu der zwanzig Jahre später u. a. auch die Ulm er Zeitungsgruppe stieß, mit 26 Tageszeitungen und einer Gesamtauflage von über 367.000 Exemplaren die größte Gruppe der regionalen Abonnementszeitun­ gen in Baden-Württemberg. ist. Heute Dem geschäftlichen Alltagsgetriebe im Zeitungsverlag hat sich der Achtzigjährige zunehmend entzogen, die Neigung zum Wandern, zu Studienreisen (zuletzt in den mittelasiatischen Sowjetrepubliken Usbeki­ stan und Tadschikistan), zur Pflege eines schönen Gartens (die Liebe dazu rührt wohl von Ferienaufenthalten in der großelterli­ chen Gärtnerei in Frankfurt-Hoechst her), zum Umgang mit Freunden (u. a. im Urschwenninger Kegelclub „Alte Stecher“) und mit ihm nahestehenden Menschen sind neben den Interessen für verlegerische Auf­ gaben geblieben, zu denen die Förderung der heimatkundlichen und heimatgeschichtli­ chen Forschung zählt, nach außen hin sicht­ bar in zahlreichen Beiträgen in der Zeitung und eben auch in den Büchern. Es gibt dabei gelegentlich Berührungspunkte mit seinen frühen Interessen an der Kunst, etwa in dem 1990 entstandenen Bildband über das Werk des aus Schwenningen stammenden Malers, Zeichners und Grafikers Hans Georg Müller­ Hanssen oder mit dem schon einige Jahre früher aufgelegten Band „Uffm Schwennin­ ger Moos“ mit Mundartgedichten von Otto Benzing und Bildern von Siegfried Heinz­ mann. 119

Die Heimatstadt hat Dr. Hans-Günther Ziegler zudem anderes zu danken. Im Ver­ einsleben war er an manchen Stellen aktiv tätig, und „seine Zehner“ wissen sein Engage­ ment als Jahrgangsvorsitzender hoch zu schätzen. Auch dem Ruf zur aktiven Teil­ nahme an der Kommunalpolitik folgte Dr. Ziegler. 1965 zog er in den Gemeinderat der Stadt Schwenningen am Neckar ein, war als Sprecher der Fraktion der Freien Wähler bei der Bildung der gemeinsamen Stadt Vil- lingen-Schwenningen auf einen fairen Inter­ essenausgleich bedacht und gehörte dem Parlament der Doppelstadt zwei weitere Wahlperioden bis 1980 an. In jenem Jahr und anläßlich seines 70. Geburtstages verlieh ihm der Gemeinderat „für hervorragende Verdienste um das Gemeinwohl“ einstim­ mig die Bürgermedaille. Mit dem Bundes­ verdienstkreuz war er schon früher ausge­ zeichnet worden. Karl Rudolf Schäfer Dr. med. Friedrich Bettecken 30 Jahre Chefarzt des Städtischen Kinderkrankenhauses Villingen von 30 Jahren handelt, in dem sich das Gesicht der klinischen Medizin ganz ent­ scheidend gewandelt hat, wobei die Kinder­ heilkunde geradezu exemplarisch für diesen tiefgreifenden Wandel steht. Fastl8Jahre hat der Verfasser dieser Zeilen mit Herrn Dr. Bettecken zusammengearbei­ tet und damit mehr als die Hälfte dieser 30 Dienstjahre miterlebt, mit der Einschrän­ kung allerdings, daß dies, zumindest dem Anschein nach, die einfacheren Berufsjahre für Dr. Bettecken waren, waren doch die äußeren Arbeitsbedingungen endlich geord­ net. Diese Bedingungen mußten aber erst ein­ mal geschaffen werden, denn das, was Dr. Bettecken am 1. 8. 1959 zu seinem Dienstan­ tritt hier vorfand, war schon für die damalige Zeit unzulänglich, aus heutiger Sicht gera­ dezu unbegreiflich. Bis zum Jahre 1939 wur­ den kranke Kinder im alten Städt. Kranken­ haus in der Herdstraße eher nebenher behandelt, insbesondere die Isolierung der ansteckend Erkrankten war kaum möglich, da alle baulichen Voraussetzungen hierfür fehlten. 1939 wurde deshalb durch die Stadt die heute noch sogenannte ,Junghans-Villa“ im Warenbachtal erworben, für 40 bis 50 kleine Patienten hergerichtet und am 11. 4. 1939 in Betrieb genommen. Am 31. 7. 1989 trat Dr. med. Friedrich Bettecken, seit 1959 Chefarzt des Städt. Kinderkrankenhauses Villingen, später Vil­ lingen-Schwenningen, in den Ruhestand. Eine alltägliche Nachricht: Erst derjenige, der Einblick in das Berufsleben des nunmeh­ rigen Ruheständlers hatte, kann erahnen, was für die Person und auch die betroffene Institution hinter diesem „alltäglichen“ Ereignis steckt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich, wie hier, um einen Zeitraum 120

Im Laufe des Krieges kam noch eine Arbeitsdienstbaracke im Garten des Kinder­ krankenhauses hinzu, zunächst als Infekti­ ons-/Isolierabteilung für Erwachsene ge­ dacht, später dann für Kinder. Dies war im wesentlichen der Zustand, den Dr. Bettecken am 1. 8.1959 hier vorfand und er schreibt selbst: ,,Idylle ja, aber kein Krankenhaus“. Es fehlte an vielem, vor allem aber an Platz, so daß z.B. aus Platzmangel nicht ein einziger Brutkasten aufgestellt werden konnte. Die Frühgeborenen wurden statt dessen in Weidenkörbchen aufgezogen, bis zu 8 Kinder mußten auflO qm Fläche unter­ gebracht werden. Die vorgegebenen 40 bis SO Betten reichten ebenfalls sehr schnell nicht mehr aus, die Überbelegung wurde zum Normalfall, so daß es auch „normal“ wurde, zwei Kinder in ein Bett zu legen oder aber, heute gern erzählte Erinnerung der „Alten“, in Kommodenschubladen. Hinzu kam noch die Entfernung zum eigentlichen Krankenhaus, was zusätzlich erhebliche Erschwernisse und auch Einschränkungen mit sich brachte. Schließlich mangelte es chronisch, also durchgehend an Pflege- und Ärztepersonal, in den 60er Jahren war wiederholt monate­ lang kein weiterer Arzt im Kinderkranken­ haus tätig: Eine schier unvorstellbare Bela­ stung, die Dr. Bettecken nach eigenem Zeug­ nis nur Dank seiner Frau überstehen konnte, die abwechselnd und gleichzeitig als Ehe­ frau, Mutter und Kollegin im Kinderkran­ kenhaus tätig wurde. Neben allem lief der Kampf um den immer dringlicher werdenden Neubau der Klinik, der schließlich 1965 vom Gemeinde­ rat beschlossen wurde (ein bemerkenswerter Entschluß, kamen doch nur 20 0/o der kran­ ken Kinder aus der eigentlichen Stadt, wei­ tere 20 0/o aus dem ehemaligen Kreis Villin­ gen), dann die Planungsphase, auf die Dr. Bettecken – wie könnte es auch anders sein – entscheidenden, bis in kleine Details reichenden Einfluß nahm. Seine Weitsicht auch in diesen Dingen erhellt zum Beispiel daraus, daß er bereits 1967 Mutter- und Kindzimmer konzipierte, also viele Jahre bevor diese Einrichtung geradezu zum Merkmal eines humanen Krankenhaus­ betriebes wurde. Im September 1967 erfolgte der Baube­ ginn, am 14. Mai 1971 konnte das neue Haus seiner Bestimmung übergeben werden. Der Neubau erst machte es möglich, nun­ mehr ungeschmälert an der Entwicklung der Kinderheilkunde teilzuhaben, sei es durch Ausbau un4 Komplettierung längst geübter, sei es durch Übernahme neu entwickelter und in der Praxis bewährter Verfahren von Diagnostik und Therapie. Beispielhaft sei hier die Neu- und Frühgeborenenaufzucht genannt, die aus den erwähnten 8 Weiden­ körbchen auflO qm Fläche heraus nunmehr auf 29 Spezialbetten bzw. Brutkästen auf einer eigens dafür eingerichteten Station herange­ wachsen ist. Ein eigener Abholdienst seit 1976 (im Einzugsgebiet kommen jährlich rd. 5000 Kinder zur Welt) in Krankenwagen oder Hubschrauber mit eigens für diese Zwecke konstruierter Behandlungseinheit (Brutka­ sten/Überwachungsmonitor/Beatmungsge­ rät/motorische Spritzen und lnfusionspum­ pen) holt jährlich knapp 400 gefährdete Neu-/Frühgeborene in die Klinik, deren Erfolgsrate auf diesem speziellen Sektor der Kinderheilkunde im übrigen deutlich gün­ stiger liegt als der Mittelwert für ganz Baden­ Württemberg, das wiederum in der Spitzen­ gruppe der alten Bundesländer liegt. Der „Fluch“ der guten Tat: Schon wieder ist dieser Bereich der Klinik ständig überbe­ legt, schon wieder ist eine Erweiterung (innerhalb des bestehenden Gebäudes) unumgänglich. Diese Daten umreißen eine – auf den Beruf bezogen – außerordentliche Lebens­ leistung, wobei Dr. Bettecken allerdings der Letzte wäre, sich allein das Verdienst daran zuzuschreiben, denn: ,,Kinderheilkunde ist eine große Gemeinschaftsleistung“. Die engstmögliche Zusammenarbeit aller Betei­ ligten (immer und überall gefordert, selten verwirklicht) war ihm unverzichtbare Vor- 121

aussetzung für seine Berufsausübung als Kin­ derarzt, er lebte sie vor. Keine an einen Ande­ ren gestellte Forderung, die er nicht längst an sich selbst gestellt hatte. So hatte er, auch in schwierigsten Zeiten, immer einen festen, dem gemeinsamen Werk verpflichteten Stamm von Mitarbeitern um sich, die Fluk­ tuation besonders des Pflegepersonals als fei­ ner Indikator für das Klima eines Hauses war (und bleibt hoffentlich) besonders niedrig. Dies war auch nicht anders, als Mitte der siebziger Jahre die Ordensschwestern vom heiligen Vincenz von Paul vom Mutterhaus zurückgezogen werden mußten. Für Dr. Bettecken war dies, auch ganz persönlich, ein schwerer Verlust, war doch der im christ­ lichen Glauben wurzelnde Dienst am Näch­ sten eine entscheidende Grundlage des gemeinsamen Tuns. Wir Kollegen der anderen Fachabteilun­ gen suchten und genossen gleichermaßen die Zusammenarbeit wie auch die Auseinan­ dersetzung mit einem außerordentlichen Kliniker, einen ebenso streitbaren -wenn es um „seine“ Kinder ging-wie warmherzigen und geradlinigen Kollegen. Die Gefühle des Kollegiums der Städt. Krankenanstalten Vil­ lingen-Schwenningen beim Ausscheiden des Kollegen Bettecken wurden nicht um- sonst mit den Begriffen Zuneigung, Respekt, Vertrauen beschrieben. Von ihm selbst formuliert lautet sein Ver­ ständnis der Kinderheilkunde: ,Jede Kran­ kenhausaufnahme eines Kindes bedeutet aber nicht nur Zahl, sondern individuelles Schicksal, auch Trauer und Schmerz, Angst und Sorge, im Kinde und seinen Eltern sogar vervielfacht. Sie bedeutet aber auch Mut und Hoffnung auf das Heute und die Zukunft, wiederum verstärkt und vervielfacht im Kinde und seinen Angehörigen. Das Wirken eines Kinderkrankenhauses geht damit weit über das eines Krankenhauses für Erwach­ sene hinaus“. Ein langwährender, aktiver, gemeinsam mit seiner Frau erlebter glücklicher Ruhe­ stand: Man wünscht es ihm in ganz besonde­ rem Maße. Dr. Christian Gülke, seit 1972 Anästhesist an den Städt. Krankenanstalten Villingen-Schwenningen Die Zitate und einige der beschriebenen Details wurden den Broschüren zur Einweihung der neuen Kinderklinik im Friedengrund bzw. zum 50jährigen Bestehen der Städt. Kinderklinik ent­ nommen. Walter und Lotti Späth aktiv in vielen Bereichen Volle Züge schaffen kaum erfreuliche Rei­ selust, wohl aber zufällige Begegnungen. Grad so wie Pfingsten 1942, als auf der Strecke Münster-Köln -Karlsruhe -Pforz­ heim zwei junge Menschen im Abteil saßen, die allenfalls die gleiche Richtung zusam­ menbrachte. -Sie -unterwegs zur Verwandt­ schaft, er-auf dem Weg ins Elternhaus, zum Heimaturlaub von seiner Einheit bei den Heerestruppen. Ungewohnte Spiegel an der Uniform machten Walter Späth auffälliger als andere 122 Soldaten. Ein Fahrgast bot den beiden Ziga­ retten an, die man auf dem Gang rauchte. Fräulein Charlotte fand Gefallen an dem sympathischen jungen Mann, der sich aller­ bestens an eine ihre ersten Fragen erinnert … Heute können Walter und Lotti Späth an ihrem Wohnsitz Villingen auf ein ereignis­ reiches Leben blicken, auf Jahre gemeinsa­ men W irkens in der regionalen und lokalen Politik, auf berufliche Erfolge, aufHarmonie in einer Partnerschaft derselben Gesinnung, auf Gemeinsamkeiten bei der Freude an

UKW-Sendungen und -Empfang ausheckte. Von 1968 leitete der Diplom-Ingenieur schließlich die Patent- und Lizenzabteilung im Hause SABA, und das auch unter den später neuen Inhabern und Eigentümern, nämlich den amerikanischen Bossen von GTE (General Telephon and Electronics). Politische Erfahrungen machte der 1914 geborene Walter Späth schon 1939 und 1944, als er sich wegen auffälliger Verhaltensweisen verschiedenen Verhören auch durch einen Führungs-Offizier stellen mußte. Der CDU trat Späth 1947 in Emmendin­ gen bei, von wo aus er nach seinem berufli­ chen Wechsel nach Villingen schließlich durch den Rektor und späteren Landtagsab­ geordneten Karl Brachat aufgenommen wurde. Wenig später wählte man den sach­ verständigen Villinger Bürger in den techni­ schen Ausschuß des Gemeinderates, für den er ab 1956 für sechs Jahre Mitglied wurde, und 1963 avancierte er zum Ortsvorsitzen­ den der CDU in Villingen. Aus dieser Posi­ tion war das Votum der Partei für Späths Vorsitz im CDU-Kreisverband Formsache. Walter Späth wirkte als Kreisverordneter auch im Finanz- und Verwaltungsausschuß, wo er das Ehrenamt bis 1979 inne hatte. Ob Bezirksausschuß oder Landesaus­ schuß, ob Beisitz im Bundesausschuß für Lastenausgleich, ob Mitglied im Schöffen­ ausschuß oder im Kuratorium für die Abendrealschule Villingen, Walter Späth war stets verfügbar, erreichbar, mit Engage­ ment bei der Sache, was ihm am 16.Juli 1974 mit dem Bundesverdienstkreuz gedankt wurde. Stolz erinnert sich Walter Späth an eine der frühen Bundestagswahlen, als es ihm gelang, erstmals einen Kanzler zu einem Wahlauftritt nach Villingen zu bekommen: Ludwig Ehrhard lockte 16.000 Zuhörer auf den Villinger Münsterplatz. Gleichermaßen zufrieden durfte sich Späth fühlen, als er gemeinsam mit Karl Bra­ chat den Kandidaten für den Bundestags­ wahlkampf, Dr. Hansjörg Häfele, in einer Kampfabstimmung gegen den Kandidaten 123 Kunst und Kultur, am Fußballsport und nicht zuletzt auf die Lust an der Parteiarbeit, für die beide in den Reihen der Christlich Demokratischen Union seit knapp 40 Jahren tätig waren. Walter Späth kam nach dem Studium der Elektrotechnik und Elektro-Akkustik und seinem Wehrdienst als Truppeningenieur, der ihn nach Afrika und an die Ostfront führte, in seine ersten Berufsjahre bei der Klangfilm in Emmendingen, wo er neue Techniken entwickeln sollte. Vom zweiten Arbeitsplatz bei Siemens wurde der gebür­ tige Freiburger mit Abitur in Lörrach schon 1952 von Hans-Jörg Brunner-Schwer zur Vil­ linger SABA abgeworben, um sich im Schwarzwald für die Wiedergabe von Stereo­ Aufnahmen bei Schallplatten und Tonbän­ dern einzusetzen. Ein Sitz im Fachausschuß für HiFi-Nor­ men machte ihn mitverantwortlich für die bindend festgelegten Ansprüche an alle Her­ steller elektro-akkustischer Geräte. Dies brachte Walter Späth schließlich auch in die Kommission, die ein deutsches System für

von Donaueschingen durchbrachte. Und auch Erwin Teufel, Nachfolger des Minister­ präsidenten Lothar Späth seit Anfang 1991, ist durch die CDU-Ortsgruppe Villingen einst als Kandidat für die Landtagswahlen nominiert und gegen den Wolfacher Kandi­ daten durchgebracht worden. Daß fast ganz nebenbei durch Walter Späth und Karl Bra­ chat auch noch die Abendrealschule initiiert und aus der Taufe gehoben wurde, ist nicht vergessen. Für den Sport setzte sich Walter Späth im Fußball ein – der FC 08 Villingen hatte es ihm für viele Jahre angetan. So führte er schließlich im Seniorenalter dessen Ge­ schäftsstelle, was ihm als Ehrenmitglied des Vereins seit 1981 so gut bekam wie dem Ver­ ein selbst. Bis 1983 widmete sich der aktive Ruhe­ ständler Späth immer wieder auch den Fäl­ len um Anerkennung als Kriegsdienstverwei­ gerer, die ihm als Mitglied des Prüfungsaus­ schusses begegneten. Walter Späth war all die Jahre gewohnt, sich immer äußerst präzise zu verständi­ gen, dem Gegenüber Standpunkte klar zu machen, die als Argumente Gewicht hatten. Wegen der aufgeopferten Lebenskraft zum Wohle der Gemeinschaft, wegen seiner Zuverlässigkeit und seiner Toleranz wurde ihm im Auftrag des Bundespräsidenten zum 60. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen: ausführender und erster Gratulant war Erwin Teufel, damals Staatssekretär im Innenministerium. Lebensfrohes Temperament, soziales Engagement, heiter und gewandt in der Unterhaltung, politisch starkes Interesse: dies sind Kennzeichen und Markenzeichen von Charlotte „Lotti“ Späth, die 1990 ihren 70. Geburtstag feierte. Die sympathische Jubilarin, gebürtig in Münster, lebt schon seit 4 Jahrzehnten in Villingen, wohin sie durch die berufliche Bindung ihres Mannes Walter zum Hause SABA gelangte. Lotti Späth verkörpert seit vielen, vielen Jahren den Typ von Frau und Dame, zu deren Alltag es gehört, nicht nur an Heim und Herd, son- 124 dem auch in der sozialen Gemeinschaft nach dem Rechten zu sehen und sich für sinnvolle, sozialbestimmte Veränderungen einzusetzen. So ist Lotti Späth derzeit nicht nur in ihrer dritten Amtsperiode als Kreisrätin, sie gilt auch als Gründungsmitglied des Kinder­ schutzbundes der Region, des Fördervereins für die Begegnungsstätte „Feldner Mühle“ und nicht zuletzt auch der christlich-demo­ kratischen Frauen-Union, deren Vorsitzende sie für 20 Jahre und bis 1989 war. Ihr sozial- und parteipolitisches Wirken während vieler Jahre würdigte der Bundes­ präsident mit der Verleihung des Bundesver­ dienstkreuzes, das Lotti Späth im Jahre ihres 60. Geburtstages aus der Hand von Regie­ rungspräsident Dr. Norbert Nothhelfer überreicht wurde. In der Lobrede vom Dezember 1980 stand auch, daß von Lotti Späth der Landesfrauenrat mitbegründet wurde, der 1967 /68 auflnitiative des damali­ gen Innenministers Krause zustande kam. Mit beiden Beinen stellte sich Frau Späth ins Leben, als nach dem Abitur familiäre ,,Stimmungen“ sie zu einer Lehre als Bank­ kauffrau veranlaßten. Dabei wäre ihr der Sport und die Naturwissenschaften viel eher gelegen – auch wenn sie heute Sonne und Lektüre einer Bergwanderung vorzieht. Lotti Späth, die gerne strickt, kocht und wenn, dann gern viel Gäste hat, stellt für sich fest, daß sie alles gern tut und wohl deshalb nie erschöpft ist. Dabei arbeitet, leistet und dient sie lieber im Stillen als im Rampen­ licht. Mußte sie dort gelegentlich stehen, dann sind nämlich auch bestimmt die Mikrofone ausgefallen. Auch sind in Ihrer Lebensbetrachtung alltägliche Tiefs nie aus­ geschlossen gewesen. Aus diesem Bewußt­ sein heraus konnte sie auch beim „Sorgente­ lefon“ engagiert im Dienst des sorgenvollen Nächsten stehen. So hat Lotti Späth es eigentlich immer mit der Devise gehalten: Jeder Tag ’ne gute Tat, auch wenn die „nur“ darin bestand, die Fußballer ihres engagier­ ten FC 08-Kämpen Walter zu Regional-Liga­ Zeiten zu Auswärtsspielen zu fahren.

Für die Gemeinschaft engagiert zu sein, habe sie wohl durch erhebliche Belastung erfahren, wobei sie auch durch tatkräftige Eltern und Großeltern zu der Überzeugung kam, daß keiner auf Dauer nur auf Rosen gebettet sei. So genießt Lotti Späth ihre Ansprüche maßvoll und in der Zufrieden­ heit, daß der Mensch in „seiner“ Stadt leben muß, kann und darf. Wenn heute das Seniorenehepaar Lotti und Walter Späth einen aktiven Ruhestand lebt, dann geschieht dies bei vielen gesellschaftli­ chen Begegnungen immer auch mit einer Prise Humor, den „die Lotti“ erst jüngst in zwei Zeilen zu einem Jubiläum „verdichtete“: Der Themen gab es stets nur zwei, das waren Fußball und Partei … ! Wolfgang Bräun Erwin Kaiser zum Gedächtnis Ein Hotelier alter Schule Im idyllischen Schwarzwaldstädtchen Schönau geboren, führte ihn der Weg nach dem Besuch des Realgymnasiums und zwei­ jähriger kaufmännischer Ausbildung nach Amerika, wo Eiwin Kaiser erstmals im Hotel­ gewerbe tätig wurde. Zunächst als Kochvo­ lontär im Hotel Shacrleans, anschließend Lagerist im Hotel Knickerbocker in Chi­ kago. Ebenfalls dort war er im Hotel „Drake“ als Inside-Steward tätig, gleichfalls daran im Athletik-Club. Hier avancierte er zum 1. Assistenten des Hotelrestaurantdirektors. 1939 kehrte Erwin Kaiser aus Amerika zurück, um im Schwarzwald ein Hotel zu erwerben. Leider kam der Kauf nicht zustan­ de, da am Tag der Übergabe der Zweite Welt­ krieg ausbrach und der Verkäufer vom Ange­ bot zurücktrat. Anschließend war er Chef­ stellvertreter beim Schwabenwirt in Berlin. Am 31. 8.1940 vermählte sich Erwin Kai­ ser mit seiner Frau Hilde. Aus dieser Ehe gin­ gen drei Töchter hervor. Als Dienstverpflichteter mußte er im Osten ein größeres Landhotel als Pächter übernehmen. 1943 kam die Einberufung zur Wehrmacht, seine Frau Hilde führte den Betrieb weiter. Nach fünfjähriger Kriegsge­ fangenschaft in Rußland (von 1945 bis 1950) bekam Erwin Kaiser durch Vermittlung des Hoteliers Ihringer vom Hotel Falken in Frei­ burg den Posten eines Geschäftsführers der Staatlichen Hotelbetriebe in Bad Wildun- gen. Da geraume Zeit später das Hotel Deut­ scher Kaiser in Villingen als Pachtobjekt angeboten wurde, entschloß er sich, das Haus von Hotelier Ernst Heyne pachtweise mit seiner Frau Hilde zu übernehmen. Im Jahre 1956 bot sich Erwin Kaiser wie­ derum eine große Chance. Das Hotel Blume Post stand zum Kauf an und am 28. Novem­ ber 1956 eiwarb er es von der Rhein-Main­ Bank. In kurzer Zeit war es ihm und seiner 125

Eine besondere Art der Wertschätzung und Kollegialität durfte er zum Ausscheiden aus dem Betrieb und als Kreisvorsitzender von den Bad Dürrheimer Kollegen erfahren. Mit Pferd und Kutsche fuhr man zur Blume Post, um dem geschätzten Kollegen für seine Verdienste für den Berufsstand zu danken. Bürgermeister und Kurdirektor Otto Weissenberger war mit dabei. In seiner Lau­ datio beim anschließenden Umtrunk hob er die Persönlichkeit von Erwin Kaiser und seine Verdienste um das Ansehen der Gastro­ nomie hervor. Auch Otto Weissenbergerwar immer gerne bei Erwin Kaiser zu Gast und spricht heute noch lobend von dem hohen Niveau der Gastlichkeit in der Blume Post. Durch den Verkauf der Blume Post an eine Handelskette wurde das Haus einem anderen Zwecke zugeführt. Erwin Kaiser erwarb das Gasthaus Falken in der Rietstraße und baute nach Abbruch an diesem Platz ein neues Haus mit Büroräu­ men und Wohnungen. Er selbst wohnte mit seiner Familie als Privatier auch dort. Sicher­ lich ist es ihm schwergefallen, sich von der Blume Post zu trennen.Trotzdem war es eine glückliche Fügung, daß er das Hotel auf diese Weise veräußern konnte, da größere Repara­ turen und Umbauten für den Fortbestand als Hotel notwendig wurden. Erwin Kaiser ist am 21. Juni 1991 gestor­ ben. Ein erfülltes Leben ist zu Ende gegan­ gen. In der Erinnerung vieler Villinger und weit darüber hinaus lebt er fort als eine Persönlichkeit, die viele Jahre die Villinger Gastronomie in hervorragender Weise ver­ treten hat. Eduard Nobs Frau gelungen, das Hotel Blume Post zu einem der ersten Häuser der Region zu gestalten. Nachdem die Tonhalle in Villingen nach gründlicher Renovierung zur Verpachtung anstand, übernahm er dieses Haus zusätz­ lich. Beide Betriebe führte er vorbildlich, bis ihm sein Arzt 1958 aus gesundheitlichen Gründen empfahl, die Tonhalle wieder abzugeben. Das Hotel Blume Post leitete er noch bis 1968. In all den Jahren war die Blume Post das Aushängeschild der Gastronomie in Villin­ gen und Umgebung. Wer von den Gästen erinnert sich nicht gerne an die kullinari­ schen Genüsse in der Poststube. Erwin Kai­ ser hat dem Haus Inhalt und Niveau verlie­ hen. Ein Fachmann alter Schule, wie man ihn heute suchen muß, immer bereit, für das Wohl der Gäste da zu sein. Die Stammtisch­ gäste sind ihm heute noch verbunden. Gerne saß auch Erwin Kaiser nach getaner Arbeit mit am Stammtisch bei einer Zigarre und einem guten badischen Viertele. Die Fastnachtstage waren in der Blume Post Höhepunkte für die Villinger Bürger. In allen Etagen wurde bis in den Morgen gefei­ ert und gestrählt. Erwin Kaiser hatte es ver­ standen, in seinen Räumen echte Villinger Fastnacht zu bieten. An einem dieser hohen Tage war der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kie­ singer, zu Gast in der Blume Post. Nachdem sich Erwin Kaiser in Villingen eingelebt hat, war es für ihn Ehrenpflicht, auch in seiner Berufsorganisation tätig zu sein. Lange Jahre war er Kreisvorsitzender des Hotel-und Gaststättenverbandes, Vorsit­ zender der Prüfungskommission bei der IHK für das Gastgewerbe und Schatzmeister des Schulvereins für die Landesberufsschule. Hierin hat er sich besondere Verdienste erworben, denn ihm war es mit zu verdan­ ken, daß die Landesberufsschule von der Reichenau nach Villingen kam. Durch sein fachliches Können und Organisationstalent hat er wesentlich zum Auf-und Ausbau der Schule beigetragen. 126

Ewald Huth- ein Opfer der nationalsozialistischen Diktatur burg, die er mit der Note „sehr gut“ abschloß. Der l. Weltkrieg begann. Wegen eines Sehfehlers wurde Ewald Huth nicht als Sol­ dat eingezogen. Er meldete sich jedoch frei­ willig als Sanitäter beim Deutschen Roten Kreuz und arbeitete in verschiedenen Laza­ retten. Er erhielt die Rotkreuz-Medaille in Bronze und das österreichische Verdienst­ kreuz. Der 29jährige Ewald Huth wurde 1919 als Musiklehrer am Erziehungsinstitut der Benediktiner im bekannten Kloster Ettal angestellt. Während dieser Tätigkeit bildete er sich mit Fortbildungskursen in Nürnberg und Maria Laach in liturgisch-musikwissen­ schaft:lichen Wochen weiter aus. Ende 1920 bewarb er sich auf die vakante Stelle eines Organisten und Chorleiters am Villinger Münster. Mit Telegramm vom 16. Novem­ ber 1920 wurde ihm vom damaligen Stadt­ pfarrer Wilhelm Kling mitgeteilt, daß er in die engere Wahl gekommen sei. In einem weiteren, noch erhaltenen Telegramm vom 17. Dezember 1920 ist zu lesen: ,,bitte sich sofort vorzustellen -fahrt dritter klasse wird bezahlt – pfarramt villingen“. Bereits zum l. Januar 1921 wurde Ewald Huth als Chor­ direktor und Organist an das Villinger Mün­ ster berufen. Dieses Amt hatte Ewald Huth 23 Jahre bis zu seiner Verhaftung 1944 inne. Er heiratete 1923 Maria Huth, geb. Gromann, aus dem damaligen Musikhaus in der Färberstraße 7. Aus der Ehe gingen 3 Töchter hervor, von denen Antonie mit 4 Jahren an einer perfo­ rierten Blinddarmentzündung starb. Während seiner Tätigkeit am Villinger Münster wurden unter seiner Leitung grö­ ßere Werke aufgeführt: 1926 das Oratorium „Odysseus“ von Max Bruch mit dem Mün­ sterchor und dem Männerchor, 1933 die „Missa laudete Dominum“ von Franz Phi­ lipp, an der Orgel als Gast war Franz Kaller aus Freiburg. Da Huth ein besonderer Ver- 127 Ewald Huth war ein Mann; „der sich der menschenverachtenden Diktatur nicht beu­ gen wollte … , der nicht wie die anderen rea­ gierte, sondern gleichsam das menschliche Gewissen einer Nation verkörperte“; so cha­ rakterisierte ihn der ehemalige Landtagsprä­ sident Camill Wurz 1972 in einem Geleit­ wort zur Broschüre der ehemaligen Musik­ schüler Ewald Huths. Wer war Ewald Huth, der einen Großteil seines Lebens in Villingen verbrachte? Er wurde am 11. Januar 1890 in Hersfeld/ Hessen geboren. Nach der Volksschulzeit kam er an die Lehrerbildungsanstalten in Fritzlar, Fulda und Olpe, um Lehrer zu wer­ den. Kurz vor dem Schlußexamen brach er das Studium ab, um sich dem Musikstu­ dium, speziell der Kirchenmusik, zuzuwen­ den. Nach anfänglich privatem Unterricht besuchte er die St.-Gregorius-Akademie der Benediktiner in Beuron, anschließend 1913/14 die Kirchenmusikschule in Regens-

ehrer von Anton Bruckner war, kam 1936 die „e-Moll-Messe“ zur Aufführung. Bei der Weihe der neuen Orgel in der Benediktiner­ kirche, die nur mit Spendengeldern ange­ schafft werden konnte – früher war in der Kirche nur ein Harmonium -, wurde 1939 das Werk „Sancta Elisabeth“ von Franz Phi­ lipp, in Gegenwart des Komponisten, aufge­ führt. Außer seiner kirchlichen Tätigkeit leitete Huth auch weltliche Chöre: so den Män­ nerchor Villingen mit 120 Sängern, den Werkschor Vereinigte Aluminium Gieße­ reien, den Liederkranz Trossingen, den Männergesangverein Frohsinn e. V. Schram­ berg, den Efka-Werkschor Fritz Kiehn Trossingen, den Männerchor des Arbeiter­ fortbildungsvereins St. Georgen und den Liederkranz St. Georgen. Huth warnt vor dem Nationalsozialismus Schon nach der „Machtergreifung“ er­ kannte Ewald Huth, daß vom Nationalsozia­ lismus große Gefahr ausging. Er versäumte es nicht, vor der Tyrannei, wo immer er konnte, zu warnen. Alle Tatsachen nannte er beim Namen und schwieg nicht. Sein Gerechtig­ keitssinn und sein christlicher Glaube ließen ihn auch nicht um den Preis des Überlebens seinen christlichen Idealen abschwören. Ständig wurde er und seine Familie bespit­ zelt und überwacht. So erfolgte – nach Denunziation von Nachbarn und eines Fah­ nenjunker-Feldwebels – am 19. Januar 1944 die Verhaftung und Einlieferung in das Gefängnis in Villingen. Zum Verhängnis wurde Huth, daß er am 13. September 1943 zur Gendarmerie eingezogen worden war, die der Gerichtsbarkeit der SS unterstand. Er wurde dann nach Stuttgart überführt, wo am 17. März 1944 die Anklageverfügung und der eigentliche Haftbefehl erfolgte. Ewald Huth war jetzt 54 Jahre alt. Das „Feldurteil im Namen des deutschen Volkes“ erging am 26. Mai 1944. Ewald Huth wurde wegen „Zerset­ zung der Wehrkraft“ zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 128 Lebenszeit verurteilt. Mit diesem Wissen mußte Huth noch über fünf Monate leben. In der Begründung des lOseitigen Urteils des SS- und Polizeigerichts XI in Stuttgart, unter Vorsitz des SS-Obersturmbannführers Hoff­ mann und vier weiteren Polizei- bzw. SS-Leuten, als Beisitzer warf man dem An­ geklagten im Todesurteil vor: ,,über Jahre hinweg in der Öffentlichkeit den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung gelähmt und zersetzt zu haben … Der Angeklagte ist in einer gera­ dezu verbrecherischen Weise kirchenhörig“. An anderer Stelle wird er als „schwarze Wühlmaus“ charakterisiert und, ,,daß es sich bei dem Angeklagten um einen ganz gefähr­ lichen Hetzer handelt, der bei jeder Gelegen­ heit sein Gift verspritzt“. Ein Gnadengesuch über den Rechtsan­ walt K. in Stuttgart wurde vom Reichsführer der SS in München abgelehnt, wahrschein­ lich auch als Folge des gescheiterten Atten­ tats auf Hitler am 18.Juli 1944. Nach Bom­ benangriffen auf Stuttgart und der Zerstö­ rung der Haftanstalt erfolgte im August 1944 die Verlegung nach Ludwigsburg und von dort nach Leonberg. W ie ein Vater für die Mithäftlinge Für die Mithäftlinge wurde „Papa Huth“, wie sie ihn nannten, aufgrund seiner religiö­ sen Überzeugung zum Vorbild. Von einem Mitgefangenen liegt ein Brief an die Ehefrau Maria Huth vor, dort steht u. a.: ,,Papa Huth wird mir und allen, die jene schreckliche Zeit überlebt haben, unvergeßlich sein. Wir hat­ ten alle wirklich etwas auf dem Kerbholz, so daß man jedem von uns sagen mußte, irgendwie hast du das verdient. Papa Huth hatte jedoch nichts angestellt, nur seine Mei­ nung gesagt. Als wir ihn beten sahen, da haben wir zuerst spöttisch gelächelt. Mehr und mehr ging uns jedoch auf, daß für ihn Gott wie eine Wirklichkeit war. Uns hat er dabei nie übersehen, hat uns stets Mut gemacht und zugeredet … Das letzte Stück Brot hat er weggegeben, wenn einer von uns

jüngeren Hunger hatte. Er war uns wie eine Sonne in jenen dunklen Tagen. Nie habe ich einen solch überzeugten Christen kennenge­ lernt wie ihn“. Dazu ist zu bemerken, daß Huth stets mit mehreren Häftlingen in einer Zelle war und nur die letzte Nacht vor dem gewaltsamen Tod in einer Einzelzelle zu­ brachte. Sein letzter Brief, den Ewald Huth einen Tag vor seiner Hinrichtung am 30. Oktober 1944 an seine Angehörigen schrieb, ist ein einzigartiges Vermächtnis für seine Familie. Seine letzte Bitte lautet: „Betet für unsere Feinde und tragt nicht Groll im Herzen. Der liebe Gott mag ihnen allen gnädig sein, so wie er mir selbst gnädig sein mag, das ist mein Wunsch und Gebet für sie schon immer gewesen und auch heute im Angesicht des Todes, den sie mir geben.“ Am 1. November1944, demAllerheiligen­ tag, erschossen sie ihn in Stuttgart-Dom­ halde morgens um 7.10 Uhr. Die Grablegung auf dem Hauptfriedhof Stuttgart-Bad Cann­ statt im Steinhaldenfeld geschah sofort nach der Erschießung um 8 Uhr, ohne Geistli­ chen, ohne Kreuz. Die Familie erfuhr erst am 3. November 1944 durch ein Telegramm des Rechtsanwalts von der Vollstreckung des Urteils. sem Sarg lag. Dieser wurde geöffnet, dabei ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, daß die darin liegende Leiche die des Herrn Huth sein konnte. Der Friedhofsinspektor konnte den Sachverhalt aufklären: Im Februar 1944 wurde die Leiche des ebenfalls erschossenen belgischen Barons J. D. , der in Brüssel wohn­ haft war, beigesetzt. Am 22. November 1945 durfte die Familie die Leiche des Barons aus­ graben und in einem neuen Eichen- und Zinksarg nach Brüssel überführen. Dort wurde er in einem Mausoleum bestattet. Infolge eines Irrtums (gleiche Grabnummer 287) war jedoch der Sarg von Ewald Huth gehoben und nach Brüssel überführt wor­ den. Dies geschah, obwohl bei der Exhumie­ rung der Bruder des Barons zugegen war und dieser den Sarg öffnen ließ. Der Verfasser und Herr Fritz Maier muß­ ten demnach im Juli 1946 mit leerem Lei­ chenwagen nach Villingen zurückfahren. Bis zur Auswechslung der beiden Leichen – die Witwe des Barons durfte von dem Irr- Letzter Wunsch im Angesicht des Todes Die Odyssee des toten Ewald Huth Nach dem Ende des Dritten Reiches ver­ suchte die Familie 1945, den Leichnam nach Villingen zu überführen. Dies stieß auf größte Schwierigkeiten. Laut Friedhofsver­ waltung Stuttgart waren Umbettungen we­ gen Mangel an Arbeitskräften und Trans­ portmittel (Benzin) nicht erlaubt. Erst am 17. Juli 1946 fuhr der Verfasser, nach langem Schriftverkehr, mit Fritz Maier von der Firma Bernhard Maier mit einem Leichen­ wagen zur Exhumierung und Überführung nach Stuttgart-Bad Cannstatt. Der aus dem geöffneten Grab gehobene Sarg war mit einem vergilbten Zettel versehen, auf dem sich die Aufschrift befand „Donny Jacques“. Es kamen Zweifel auf, ob Ewald Huth in die- 129

turn nichts erfahren – wurden 64 Schrift­ stücke mit den verschiedensten Stellen in Deutschland und Belgien hin und her ge­ wechselt. Erst am 6. August 1949 wurde durch einen belgischen Militärkonvoi die Leiche Ewald Huths kostenlos nach Villingen über­ führt und vom Verfasser nach Öffnung des Sarges anhand der Beigaben identifiziert. Im kleinsten Familienkreis wurde Ewald Huth am 8. August 1949, mit geistlichem Beistand vom früheren Orgelschüler des Verstorbenen, Pfarrer Karl Münch, beerdigt. 37 Jahre später-im Jahr 1986 -starb seine Ehefrau Maria Huth im Alter von 85 Jahren. Sie wurde bei ihrem Mann beigesetzt. Die Stadt Villingen ehrte das Andenken an Ewald Huth 1972 durch die Umbenen- nung derJahnstraße im Westen der Stadt in Ewald-Huth-Straße. Die Münsterpfarrei nannte zum 40jähri­ gen Todestag den „Kleinen Saal“ im Ge­ meindezentrum – dem Übungssaal des Münsterchores -zum Gedenken an den auf­ rechten Christen in „Ewald-Huth-Saal“ um. Mit Schreiben vom 14. und 30. Januar sowie vom 10. Februar 1947 an die Staats­ anwaltschaft im Landgericht Konstanz wurde Antrag auf Aufhebung des Urteils des SS- und Polizeigerichts XI in Stuttgart ge­ stellt. Durch Beschluß des Landgerichts Kon­ stanz vom 22. 4. 1947 wurde das Urteil auf­ gehoben. Dr. med. August Kroneisen Konrad Merk Ein Mann mit einem großen Herzen Als kurz vor Weihnachten 1990 die Nach­ richt vom Tode Konrad Merks in Bad Dürr­ heim die Runde machte, war wohl jeder­ mann betroffen. Konrad Merk war bekannt, wie wohl nur wenige in unserer Stadt. Seinen Lebensweg zu beschreiben hieße, den Versuch zu machen, die Geschichte Bad Dürrheims der letzten 70 Jahre nachzu­ schreiben. Bad Dürrheim, seiner Vatergemeinde, galt seine ganze Liebe. Für diese seine Liebe tat er buchstäblich alles. Am 5. August 1921 kam Konrad Merk hier zur Welt. Hier besuchte er erstmals die Schule, von hier fuhr er täglich mit der damals noch beste­ henden Dampfeisenbahn nach Villingen, wo er das Schriftsetzer-Handwerk erlernte. Von Bad Dürrheim aus mußte der junge Konrad Merk „zu den Waffen“. Wie sehr hat er seine Heimat vermißt, als er wie so viele andere -selber beinahe noch ein Kind -als Soldat in Afrika und später in Rußland kämpfen mußte. Auch die Zeit seiner Kriegs­ gefangenschaft, aus der er erst 1948 wieder 130 nach Hause kommen durfte, hat er, gesund­ heitlich gezeichnet, nur in der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Bad Dürrheim psy­ chisch unbeschadet überstanden. Oft hatte ich das Vergnügen, Konrad Merk zuhören zu dürfen, wenn er aus dieser Zeit berichtete. Er verstand es glänzend, allem die beste Seite abzugewinnen und die schwerwiegenden, bedrückenden Erlebnisse seiner Jugend im Krieg nicht zu unterdrük­ ken, vergessen konnte er sie wohl nie, aber mit einer geradezu verblüffenden Zuversicht in das Heute und Morgen zu überspielen. Trotzdem, auch wenn er in den heitersten Worten sprach, klang oft unmißverständlich die Anklage gegen die Sinnlosigkeit dieser Zeit und ihrer Ereignisse durch. Ganz anders, wenn er über seine Kindheit in Bad Dürrheim sprach. Für mich als hierher aus einer Großstadt zugezogenen „Neubürger“ war es nicht nur erfreulich und beglückend, mit welcher Selbstverständlichkeit der gereifte Konrad Merk auf mich zukam, es war für mich immer faszinierend, mit wel-

dung seines Betriebes aktiv im Handwerker­ und Gewerbeverein wurde. In den 25 Jahren seiner Tätigkeit als Vorsitzender dieses Ver­ eins hat Konrad Merk sich unendlich viele Verdienste um das Handwerk und natürlich -gewissenhaft wie er war-auch um Handel und Gewerbe in Bad Dürrheim erworben. Als einer der ersten hat er für die Schaffung eines Wochenmarktes gekämpft, die Grün­ dung des Christkindelmarktes von Bad Dürrheim ist mit auf seine Initiative hin erfolgt.Zwei große Gewerbeausstellungen hat Konrad Merk angeregt und verantwortlich durchgeführt. Hierin sah er die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit Bad Dürrheimer Betriebe einer großen Öffentlichkeit vor Augen zu führen. Der Erfolg gab ihm recht. Als einer der ersten erkannte er auch die Gefahren für den Bad Dürrheimer Handel und das Gewerbe, die sich durch die Ansied­ lung großer Filialbetriebe auf der grünen Wiese vor den Toren Bad Dürrheims ab­ zeichneten. Mit großem Eifer führte er in diesem Fall aber einen Kampf gegen Wind­ mühlen. Es hat ihn immer geschmerzt, daß ihm in diesem Fall der Erfolg verwehrt war. Trotzdem resignierte er nicht, er sah dann in den Ereignissen eine Herausforderung und war bestrebt, mit allen Mitteln auch hieraus für sein Bad Dürrheim das Beste zu machen. Als geselliger Mensch, der er in Vollen­ dung war, hat Konrad Merk sich in vielen Vereinen seiner Heimatstadt engagiert. Vier Jahre war er Vorsitzender des Heimkehrer­ verbandes, dessen 30jähriges Jubiläum er organisieren und ausrichten konnte. Sein Herz galt auch seinen ehemaligen Kameraden. Es ist nicht verwunderlich, daß diese Frohnatur Konrad Merk gleich nach dem Ende der Besatzungszeit und dem Wiederer­ leben der alemannischen Fasnet zu den Mit­ begründern der Bad Dürrheimer Narren­ zunft gehörte. Aber auch der Schwimm-und Skiclub ist durch ihn mitbegründet worden. Ein Beweis dafür, daß Konrad Merk sich immer ein gutes Verhältnis zur Jugend bewahren konnte. 131 eher Freude er sich an all die vielen kleinen und großen Begebenheiten seiner Kindheit, an die vielen Menschen dieser Zeit erinnern konnte. Er wußte aber auch wie nur wenige über die Geschichte Bad Dürrheims so genau Bescheid, daß er dem Zugezogenen Lehrmeister sein konnte und dies auch gerne war. Darüber hinaus war Konrad Merk ein sehr zielstrebiger und verantwortungsbewußter Mann. Mit großem Erfolg legte er nach dem Besuch der Meisterschule in Freiburg die Meisterprüfung im Schriftsetzer-Handwerk ab. Schon im Jahre 1958 gründete er dann eine Buchdruckerei in Bad Dürrheim und führte diesen Betrieb mit großem Sachver­ stand und hohem handwerklichen Können zur Anerkennung weit über die Region hin­ aus. Wohl mit Fug und Recht darf behauptet werden, daß Konrad Merk ein Handwerker mit Leib und Seele war. Er sah nicht nur bis zu dem Horizont seiner eigenen Betriebs­ stätte, vielmehr war ihm die Entwicklung des gesamten Handwerks eine Herzensangele­ genheit. Da war es eigentlich nicht verwun­ derlich, daß er schon bald nach der Grün-

Heimatverein. Er war der Vater dieses Ver­ Wenn man mit ihm aber über all „seine“ eins. Mit dessen Gründung erfüllte sich Kon­ Vereine sprach, klang deutlich durch, wel­ rad Merk einen Lebenswunsch. Hierdurch chem davon seine besondere Liebe galt, was konnte er seinem Bad Dürrheim ein Denk­ nicht heißt, daß er nicht jedem Verein mit der gebotenen Aufmerksamkeit und mit mal setzen, an dessen Schaffung er jahrelang gearbeitet hat. Er konnte damit aber auch Pflichtbewußtsein gedient hätte. Die Verlei­ dokumentieren, daß Konrad Merk eben ein hung der Ehrennadel des Landes Baden­ ,,aechter Dieremer“ war. Friedrich Dinger Württemberg ist hierfür Beweis genug. Seine besondere Liebe galt dem Geschichts-und Als Pflegedienstleiterin von Anfang an im Kreiskrankenhaus Donaueschingen dabei Sie habe es verstanden, mit ihrer Autorität die Mitarbeiter zu motivieren, und es sei ihr gelungen, eine wohltuende menschliche Atmosphäre auszustrahlen. Diese anerken­ nenden Worte sprach Landrat Dr. Rainer Gutknecht bei der Verabschiedung der lang­ jährigen Pflegedienstleiterin Annemarie Bühr im Juli 1990. Die gebürtige Donau­ eschingerin ging vorzeitig in den Ruhestand, um sich ganz ihrer kranken Mutter widmen zu können. Annemarie Bühr hatte 1952 in Waldshut ihre Au bildung begonnen und war nach dem Examen bis 1960 als Stationsschwester im dortigen Krankenhaus tätig. Als Aushilfe kam sie dann einige Monate ins Städti­ sche Max-Egon-Krankenhaus nach Donau­ eschingen, bevor sie als Stationsschwester nach Villingen ging. Von 1968 bis 1972 war Annemarie Bühr als Pflegedienstleiterin wie­ derum in Waldshut beschäftigt, ehe sie ihre Aufgabe beim Aufbau des Kreiskrankenhau­ ses in Donaueschingen übernahm. Daß sie beim Neuaufbau von Anfang an dabei sein konnte, das faszinierte die liebevoll Schwe­ ster Annemarie genannte am meisten: ,,Man identifiziert sich dann damit. Es ist meine Lebensaufgabe geworden“, betont sie nach­ drücklich. Schwergefallen ist es der passio­ nierten Krankenschwester vom Patienten wegzumüssen, als sie die Pflegedienstleitung übernahm. Denn von da an war sie ausgela­ stet mit Personalangelegenheiten. Die Auf- gaben der Pfl��edienstleitung, die zusam­ men mit dem Arztlichen-und dem Verwal­ tungsdirektor Mitglied der Krankenhaus­ leitung ist, immerhin fast zwei füllen DIN-A 4-Seiten. Den Mitarbeitern ein menschliches Mi­ lieu zu geben, das sie dementsprechend an die Patienten weitergeben, dies war eines der wichtigsten Anliegen für Schwester Anne­ marie. Sie habe die Belange der Mitarbeiter zu ihren Angelegenheiten gemacht, betont die frischgebackene Ruheständlerin, der vor den kommenden Jahren nicht bange ist, hat sie sich doch auch schon während ihrer intensiven beruflichen Tätigkeit vielen Hob­ bys gewidmet. Annemarie Bühr 132

Für die Einheitlichkeit der Pflegemethode setzte sich die Pflegedienstleiterin ein, die gegen Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis ankämpfte. So erinnerte sich der Ärzt­ liche Direktor, Professor Dr. Dieter Klemm, bei der Verabschiedung der verdienten Schwester, an einen „handfesten Streit“, mit dem seine Bekanntschaft mit Schwester Annemarie begonnen habe. Dies sei im Herbst 1973 bei der ersten Besprechung über organisatorische Probleme im neu zu eröff­ nenden Krankenhaus gewesen. Man habe sich schließlich geeinigt und die nächsten 17 Jahre gut vertragen. So Professor Dr. Klemm, der eine „uneingeschränkte Hochachtung“ für die Verdienste der Scheidenden aus­ drückte. Sie habe eine hervorragende pflege­ rische Mannschaft rekrutiert und geformt und sei „die richtige Frau an der richtigen Stelle gewesen“. Für rund 170 Mitarbeiter war Annemarie Bühr im Kreiskrankenhaus verantwortlich, in den Ambulanzen, in den Operationssä­ len, in der Endoskopie und im Narkose­ Bereich sowie für den Hebammen-Einsatz. Sorgen machten ihr die Personal-Engpässe beim Pflegepersonal. Die früher noch übli- ehe Warteliste ist inzwischen abgebaut und der Stellenmarkt leergefegt. Früher kamen noch 400 Bewerbungen auf 20 Ausbildungs­ plätze, heute werden nicht einmal die Kurse voll, bedauert Annemarie Bühr, die sich darum bemühte, mit einem Wiedereinglie­ derungskurs frühere Krankenschwestern in ihren Beruf zurückzuholen. Mit Erfolg, freut sich Schwester Annemarie, die dadurch elf neue Aushilfen gewinnen konnte. Annemarie Bühr schaut gerne auf ihre Jahre an der Spitze des Pflegedienstes zurück und würde diesen Beruf auch wieder ergrei­ fen. Dennoch freut sie sich jetzt, im Ruhe­ stand zu sein, sich neben ihrer Mutter auch ihren zahlreichen Hobbys widmen zu kön­ nen. Mit ihrer aktiven Mitarbeit bei der Kir­ chengemeinde St. Marien hat sie bereits begonnen, und mit der Kunstgeschichte will sie sich künftig nicht nur theoretisch, son­ dern auch praktisch beschäftigen. Reisen zu den Stätten der Antike und der Romanik ste­ hen auf ihrem Ruhestandsprogramm, zu dem außerdem die klassische Musik und das Basteln sowie zur körperlichen Ertüchtigung das Wandern und Radfahren gehören. Barbara Rimmele Fritz Lienhard Erfolgreich im Beruf und in der Kommunalpolitik Für viele Triberger Bürger ist er schon zu seinen Lebzeiten fast eine Legende. Im priva­ ten Lebensbereich war er ein weitsichtiger und erfolgreicher Geschäftsmann und Unternehmer mit richtungsweisenden Per­ spektiven. Er ist Respektsperson und volks­ nah zugleich. In seiner Gesellschaft gewin­ nen immer Humor und Heiterkeit sowie ver­ sonnene Verschmitztheit die Oberhand. Sein treffender Mutterwitz ist beneidenswert und ansteckend. Er selbst hat wohl viel dazu beigetragen, daß ihm die Bürger Tribergs treffsicher als Ausdruck von Hochachtung, Respekt und aufrichtiger Zuneigung den Ehrennamen „Frilitri“ verliehen. Dies soll heißen: Fritz Lienhard, Triberg. Fritz Lienhard, 1905 in Triberg geboren, besuchte acht Jahre lang dort die Volks­ schule, danach ging er beim Vater in eine Ofensetzerlehre und besuchte drei Jahre lang die Gewerbeschule. 1923 absolvierte er vor der Handwerkskammer Konstanz die Gesellenprüfung, arbeitete danach im väter­ lichen Unternehmen weiter bis 1926. Anschließend besuchte Fritz Lienhard die Fachschule in München und war danach bis 1929 in Duisburg, um dort den Zentralhei­ zungsbau zu erlernen. Die Meisterprüfung legte er vor der Handwerkskammer in Kon­ stanz ab. Zu jener Zeit verstarb Fritz Lien­ hards Vater an den Folgen seines im Welt­ krieg erworbenen Leidens. Am 19.Juli 1937 133

Triberg: Arbogast, Eduard, August, Fritz, Klaus. Von 1929 bis 1954 war Fritz Lienhard akti­ ves Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Tri­ berg, von 1946 bis zu seinem Ausscheiden deren stellvertretender Kommandant. Wäh­ rend des Krieges war er bei Katastrophenein­ sätzen nach Luftangriffen in Freiburg und Hornberg wiederholt an vorderster Stelle im Einsatz. Auch an große Waldbrände – vor allem durch Funkenflug der Lokomotiven im Seelenwaldgebiet – erinnert sich Fritz Lienhard: ,,Damals war immer eine Lok am BahnhofTriberg mit einem Brückenwaggon. Mit dem Löschfahrzeug konnte man auf die­ sen Waggon auffahren, zum Brandherd fah­ ren und das Löschwasser aus der Lokomotive entnehmen.“ Fritz Lienhard war jahrzehntelang ein exzellenter Kommunalpolitiker. Seine aus­ gesprochene Heimatverbundenheit und Liebe zu seiner Heimatstadt Triberg waren ihm dabei wichtige Stützen seiner unermüd­ lichen Einsatzbereitschaft. Von 1948 bis 1957, von 1959 bis 1963 und von 1971 bis zu seinem Ausscheiden im April 1978 war Fritz Lienhard zwanzigJahre Stadt­ rat (CDU), dabei 1956/1957 und seit Novem­ ber 1971 bis zu seinem Ausscheiden als Bür­ germeister-Stellvertreter. Er arbeitete in mehreren Ausschüssen mit. Seine fundier­ ten Kenntnisse und seine streng sachliche Art waren sprichwörtlich. Unvergessen ist ihm Bürgermeister Willi Faster, der mit wis­ sendem Lächeln einmal im Gemeinderat sagte: ,,Wenn der Herr Kollege Lienhard etwas sagt, und es ist wahr, dann kann man es glauben.“ Daran erinnert sich Fritz Lienhard heute noch mit einem verschmitzten Lächeln. Er hat sich mit ganzer Kraft für den Bau des „Alten- und Altenpflegeheimes St. Anto­ nius“ in Triberg eingesetzt und unvergessen sind auch seine vielfältigen Bemühungen um die seit den frühen Siebzigerjahren gehegten Hoffnungen der Gemeinde Nuß­ bach auf die Neugestaltung des Friedhofes in Nußbach. heiratete Fritz Lienhard Eisa Bläsi aus Tri­ berg. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Klaus, Gisela, Christei und Hans-Hubert. Fritz Lienhard führte nach dem Tod des Vaters für seine Mutter Anna, eine geborene Faller und gebürtige Tribergerin, das Unter­ nehmen weiter bis 1944. Dann hat Fritz Lien­ hard in der 4. Generation das elterliche Geschäft als Kachelofen- und Luftheizungs­ bauer-Meister übernommen. Die Kriegs­ jahre sind für ihn sehr schwer gewesen, er hat aber unter anderem auch zuverlässige Gefan­ gene in seinem Unternehmen beschäftigt, ein Franzose, ein Holländer, ein Pole -,,mit denen habe ich nach Kriegsende noch einige Wochen geschafft“ -dann mußte er seinen Weg allein weitergehen. Das Schwergewicht seiner Tätigkeiten bestand in der Folgezeit mehr und mehr im Heizungs- und Kachelofen bau sowie in Plat­ tenarbeiten. Mit der Zeit ging das Geschäft sehr gut und Fritz Lienhard beschäftigte zeit­ weise zwanzig Mitarbeiter in seinem Unter­ nehmen. 1973 legte Fritz Lienhard -nach mehr als fünfzig Berufsjahren – sein Lebenswerk in die Hände seines Sohnes Klaus. Dieser ist heute die fünfte, ununterbrochene Lien­ hard-Generation in der Gartenstraße 9 in 134

Achtzehn Jahre lang bekleidete Fritz Lien­ hard das verantwortungsvolle Amt eines Hauptschöffen beim Landgericht in Kon­ stanz (von 1950 bis 1964 und von 1971 bis 1975). Die Stadt Triberg hat die vielfältigen Ver­ dienste Fritz Lienhards als Kommunalpoliti­ ker sichtbar gewürdigt. Sie verlieh ihm am 2. November 1975 die Bürgermedaille der Stadt Triberg. Am 19. März 1976 verlieh ihm der damalige Bundespräsident Walter Scheel das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Bei der Verabschiedung aus dem Gemeindepar­ lament am 6. April 1978 ehrte ihn die Stadt Triberg mit einer Laudatio des damaligen Bürgermeisters Alfred Vogt und mit dem ersten Zinnteller der Stadt Triberg. Fritz Lienhard ist im November 1990 85 Jahre alt geworden; seine regelmäßigen Spaziergänge sind ihm wichtig und Aus­ gleich zugleich. Liebt er auch ein kühles Viertele? Verschmitzt sagt er: ,,Sofern es meine Frau erlaubt – schriewe Sie des dezue.“ Er genießt die Tage seines Alters in geruh­ samer Beschaulichkeit gemeinsam mit seiner Gattin Eisa, die ihren „Frilitri“ wegen seiner vielen Ämter und Verpflichtungen in frühe­ ren Jahren oft entbehren mußte. Fritz Lienhard hatte für seine Mitbürger immer ein offenes Ohr, half gerne bei Schwierigkeiten und war ein verständnisvol­ ler Zuhörer und Ratgeber. Fritz Lienhard ist ein versierter Kenner von alten Bauernhöfen. Seine berufliche Tätigkeit führte ihn oftmals in solche Höfe. Er erinnert sich schmunzelnd an eine Episode, in deren Mittelpunkt er vor vielen Jahren einmal stand. Es ging dabei um die Installierung einer Heizungsanlage in einem Bauernhof der Triberger Raumschaft. Die Bäuerin, robust und von rechter Art, stellte sich Fritz Lienhard in den Weg und ließ sich wie folgt verlauten: »Mir kenne doch nit jedem Hergloffene e Heizung uff unserm Hof ibaue losse.“ – Fritz Lienhard meint lächelnd: eine solch liebevolle Behandlung sei ihm in seinem langen Berufsleben nie sonst widerfahren. Ein besonderer Verdienst Fritz Lienhards liegt darin, daß er der Initiator und Begrün­ der der seit 1936 jährlich in Triberg stattfin­ denden Walter Buccerius-Kurse für das Kachelofen- und Luftheizungsbauernwerk („Ofensetzer-Seminare“) war, eine bedeu­ tende Vortrags- und Fachveranstaltung, die bundesweite Bedeutung hat. Fritz Lienhards Bekanntheitsgrad reicht in diesem berufli­ chen Bereich von Flensburg bis Bad Rei­ chenhall. Alexander Jäckle Hilde Kopp Leiterin des Altenclubs der Villinger Südstadt Es gehört schon einige Selbstwertschät­ zung dazu, um von sich zu behaupten: »Mir sin iberall gern g’sehe!“ Doch da es sich bei dieser Wertung um den Senioren-Club der Villinger Südstadt handelt, der seit über 20 Jahren von der inzwischen 8ljährigen Hilde Kopp geleitet wird, darf dies tatsächlich als zutreffende Selbstauskunft gewertet und gewichtet werden. Wer sich in seiner eigenen Lebenslage derzeit noch dem Mittelalter zurechnet, zwischen 35 und 60 Jahren wird’s wohl recht sein, der hält sich aller Wahr- scheinlichkeit immer noch für relativ jung. Wie aber schafft man es, sich auch darüber hinaus bis ins hohe Alter zumindest von der Lebenseinstellung jung, jugendlich, ver­ gnügt, bisweilen auch ausgelassen zu fühlen? Ganz einfach! Man gründet einen ,,Altenclub“, dessen Ziel es ist, Rentnern, Pensionären, alleinlebenden Seniorinnen und Senioren immer dann einige Stunden der Geselligkeit, der Unterhaltung und des Frohsinns zu bescheren, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet, wenn das Wetter 135

Für die Entwicklung der jungen Familie kam gerade recht, daß in Villingens Südstadt „Siedlungshäusle“ angeboten wurden, von denen die Kopps sich eines finanzierten. Konsequenz wie bei allen Nachbarn in den 30er Jahren: man mußte Klein-Viehhaltung treiben -fünf Geißen, zwei Sauen, so um die 15 Hennen. Drei Kinder wuchsen dort auf, bis die Kriegsjahre wie allzuoft die Familie trennte. Eugen Kopp geriet in Gefangenschaft und kehrte erst 1948 zurück, 71 Pfund schwer. „No han i de Mah erseht mol wieder i d’Heh‘ brocht!“, was ihr mit ihren segens­ reichen Händen auch bestens gelang. Wie schon in vielen Jahren der gegenseitigen Nach barschaftshilfe bei den Siedlern der Vil­ linger Südstadt, war Hilde Kopps Engage­ ment nicht zu bremsen. Sie wirkte für 30 Jahre im Siedlerbund-Vorstand, daneben noch 26Jahreim Vorstand der Arbeiterwohl­ fahrt und leistete sich und der ganzen Fami­ lie „den größten Schlager“: mit 42 Jahren bekam Hilde Kopp noch Zwillinge zu den drei Kindern, von denen das jüngste schon 13 Jahre alt war. So schmunzelt Hilde Kopp bei der Erin­ nerung an Familie, Ereignisse und Besonder­ heiten: Macht mir des onner noch?! Was vielen anderen Zeitgenossen auf ewig fremd bleibt, war für Hilde Kopp Alltag. Immer für andere da zu sein, ohne gleichzei­ tig Hilfe aufzudrängen. Und so stellt sie aus der Sicht des betagten und reifen Menschen fest: Wenn ich meine Aufgabe als Vorsit­ zende bei den Senioren aufgib, bin ich ver­ loren! Doch sie bekam schon früh auch die offi­ zielle Anerkennung durch die Verwaltung, auch wenn ihr Club keine offiziellen Statu­ ten hat, wie das Vereinsrecht dies vorsieht. Seit Jahr und Tag trifft man sich monat­ lich, gratuliert zu Geburtstagen mit Blumen und einer Einladung zu Kaffee und Kuchen, festet und feiert in der Alten-Tagesstätte am Romäusturm, veranstaltet Kaffeefahrten, arrangiert drei bis sechs Mal jährlich ein gemeinsames Essen meist außerhalb der tou- einen Ausflug vorschlägt oder wenn jahres­ zeitlich Besonderheiten anstehen, wie zum Beispiel die Fasnet, die Adventszeit oder eine Fahrt in den Mai. Hilde Kopp wurde 1910 in Klengen/Bri­ gachtal geboren, ging dort ihrer Schulpflicht nach und erfaßte im Kreis von zwei Brüdern und einer Schwester das intakte Familien­ leben bei den Herbergers. Vater Herbergerwar damals im sogenann­ ten Messingwerk Villingens als Heizer tätig und legte als Nebenerwerbslandwirtauch ein späteres Prinzip seiner Tochter Hilde: Schaffe un spare bis hit! Hilde ging nach einer kurzen Zeit der Fabrikarbeit bei Kaiser-Uhren „in Stellung“ bei einer Arzt-Familie in Hockenheim, wo sie auch mit sehr freizügigen „städtischen“ Erziehungsidealen konfrontiert wurde. Nach den Jahren in der Fremde zog es sie jedoch wieder in heimische Gefilde und erneut zu Kaiser-Uhren, wo man sie als Mit­ arbeiterin in guter Erinnerung hatte. Als mit Eugen Kopp dann auch eine Her­ zensangelegenheit in ihr Leben trat, stand einer Hochzeit mit 21 Jahren nichts im Wege. Damit wurde sie auch Schwägerin des in Villingen ansässigen Gärtners Heinrich Kopp. 136

ristischen Hauptsaison irgendwo im Kreisge­ biet, leistet sich einen Osterausflug, einen am Muttertag und das alles finanziert aus Beiträgen der ungebundenen Mitglieder, grad wie deren Geldbeutel dies verträgt oder auch schon regelmäßig zuläßt. Zwischen all dem Schriftverkehr, der unerläßlich ist bei einer Seniorenschar von etwa 50 Personen, führt Hilde Kopp ihren Haushalt, in dem sie auch einen Sohn mitversorgt, widmet sich der Arbeit in ihrem großen Garten, erledigt die Hauswäsche und findet viel Zeit für den Dienst am Nächsten. Hierzu gehört auch die Aufgabe des Kondulierens, wenn der Kreis der Senioren einen seiner Mitglieder verliert -zweiundsechzig Todesfälle seit Hilde Kopp ihrer Gemeinschaft vorsteht. „Wo’s guet isch, gommer iberall nah!“ ist eine der Devisen, nach denen die Senioren handeln. Und wenn auch noch gesungen werden kann bei solchen Anläßen, dann zählt das Ergebnis der Unterhaltung dop­ pelt. Dies wissen auch die Senioren zu schät­ zen, zu denen der „Club“ aus Villingen als Besuch kommt: St. Lioba Altersheim, Hei­ lig-Geist-Spital, Altenheim St. Georgen. Und gesungen wird natürlich liebend gern, auch auf allen Ausflugsfahrten. Der Hit ist dabei das Lied „Du alte Flasche“, dessen Text einem (un-)bekannteren Volkslied auf­ gesetzt wurde und für dessen „Urheber­ Rechte“ man dem Altenclub der Südstadt schon mal hundert Mark geboten hat. Doch Hilde Kopp war standhaft und der Interes­ sent gab den Hunderter für den rührigen Senioren-Club n. e. V. (nicht eingetragener Verein) trotzdem. Musikalisch ließen sich die Senioren um Hilde Kopp viele Jahre von Alfons Merz ver­ wöhnen, jetzt haben der „Kupfer-Schorsch“ und der „Donnemarti Gerhard“ den Takt­ stock übernommen. Zum Alltag für Hilde Kopps Senioren­ arbeit gehören natürlich auch Haus- und Krankenhaus-Besuche, denn wenn Senioren auch geistig recht rüstig sind, ,,gon d’Fiäß nit immer wie mer will!“ Lebenstüchtig, humorig, unterhaltsam, sozial engagiert und ausgestattet mit einer positiven Lebenseinstellung – dermaßen ausgestattet erinnert sich Hilde Kopp an ihre Goldene Hochzeit, die ihr noch vergönnt war, aber auch an Situationen, wenn beim Besuch der beschützenden Werkstätte 140 Tafeln Schokolade nicht reichten und die Fehlmenge spontan beschafft wurde … Läßt sich die anfangs benannte Wertung der Senioren ausweiten: nicht nur sie alle sind bei ihren Zusammenkünften beliebt, auch Hilde Kopp ist beliebt und das gibt die Kraft für weitere Jahre der Seniorenarbeit auch ohne Satzung. Wolfgang Bräun Roswitha Schafbuch Mit ihrer Heimatstadt Hüfingen eng verbunden Als junger Mensch hatte es sich Roswitha Schafbuch wohl nicht träumen lassen, daß sie einmal Leiterin einer Schule sein werde. Nun, sie wurde es im Zuge ihrer beruflichen Laufbahn, und als sie 1985 aus gesundheitli­ chen Gründen vorzeitig in den Ruhestand trat, bedauerten dies nicht nur ihre Kollegin­ nen und Kollegen, sondern auch viele junge Menschen, vornehmlich Mädchen, denen sie nicht nur Wissen und Kenntnisse vermit- telte, sondern die sich auch zu der mütterli­ chen Frau hingezogen fühlten, die für das schwierige Alter ihrer Schülerinnen und die oft damit verbundenen Probleme stets Ver­ ständnis zeigte. Roswitha Schafbuch blickt gern zurück auf ihr berufliches Wirken. Auch der Abstand von Jahren – immerhin hat sie „ihrer“ Schule bereits vor sechs Jahren valet gesagt, ließ ihren beruflichen Alltag in der 137

tenübermittlung. Freude an der Hauswirt­ schaft hatte Roswitha Schafbuch immer schon. Nach verschiedenen Praktika in Küche, Säuglings-und Krankenpflege ent­ schied sie sich nach dem Krieg zum Besuch des Lehrerseminars in St. Ursula in Freiburg mit dem Berufsziel Hauswirtschaftslehrerin. Hier schloß sie 1950 ihre Ausbildung, die auch ein Praktikum beinhaltete, ab und trat im gleichen Jahr ihre erste Stelle als junge Hauswirtschaftslehrerin in Blumberg und Fützen an. Im Sommer fuhr sie mit dem Fahrrad, im Winter mit dem „Postauto“ nach Blumberg. Die schulischen Bedingun­ gen waren zu dieser Zeit, um nicht zu sagen, primitiv und armselig. Oft mußte improvi­ siert werden. Das, was an Zutaten zur Verfü­ gung stand -Milch und Eier mußten die Mädchen von zu Hause mitbringen – mußte so eingesetzt werden, daß möglichst schmackhafte Mahlzeiten daraus entstan­ den, und das erforderte Phantasie und Krea­ tivität. Die Zeiten, wo alles, was Rezepte vor­ schrieben, im Supermarkt nebenan zu haben war, waren noch längst nicht angebrochen. Den Ofen mußten die Schülerinnen selbst heizen, und kein pünktlicher Pausen­ gong unterbrach die Schulstunden. Doch bei den meisten der Mädchen war der Schul­ tag beliebt, brachte er doch eine willkom­ mene Abwechslung vom täglichen Einerlei zu Hause. An jene Zeiten erinnert sich Ros­ witha Schafbuch besonders gern und gerät geradezu ins Schwärmen, wenn sie Gelegen­ heit hat, über die Anfange einer hauswirt­ schaftlichen Unterrichtung auf dem Lande zu sprechen. Zahlreiche Anekdoten weiß sie über jene Zeit zu berichten. 1951 wurde eine entsprechende Stelle vom Landkreis in Donaueschingen ausgeschrie­ ben, die Roswitha Schafbuch dann auch erhielt. Fünf weitere Ortschaften zählten zu ihrem Aufgabenbereich, wo sie die Mädchen zu unterrichten hatte. Oft fand dieser Unter­ richt in einem Probelokal der örtlichen Musikkapelle statt, in Donaueschingen selbst wurde im Kurhaus „Schützen“ unter­ richtet. Roswitha Schafbuch bei einer Lesung aus Werken ihres Vaters Erinnerung kaum verblassen. Sie war wohl Lehrerin aus Passion, die im Kollegium geschätzt und als Vorgesetzte anerkannt war. Als Älteste von fünf Geschwistern wuchs Roswitha Schafbuch als Tochter des Rats­ schreibers und Heimatdichters Gottfried Schafbuch in Hüfingen auf. Die Eltern betrieben neben einem Kohlenhandel auch einen „Kolonialwarenladen“, wo es all jene Dinge des täglichen Bedarfs gab, auf die ein Haushalt auf dem Lande vor rund 50 Jahren nicht verzichten konnte: »Zigori, Häpf, Bindseäli, Muusfalle, Karrisaalb und Bad­ wänneli“, wie es Gottfried Schafbuch in sei­ nen Erinnerungen anschaulich beschrieb. Hier lernte Roswitha Schafbuch schon früh, mit Hand anzulegen. Auch das damals vor­ geschriebene »Pflichtjahr“ absolvierte sie in der eigenen großen Familie. Später besuchte sie die Höhere Handelsschule in Donau­ eschingen. Bislang hatte sie noch kein festumrissenes Berufsbild, doch immerhin folgte nun der Besuch der Frauenfachschule in Freiburg, wobei allerdings der Abschluß ausbleiben mußte: Bomben zerstörten die Schule und setzten damit zunächst allen Überlegungen zur beruflichen Orientierung ein Ende. Der obligate Arbeitsdienst folgte, dann ein soge­ nannter Kriegshilfsdienst in der Nachrich- 138

Ende der sechziger Jahre wurden die klei­ nen Schulen auf den Dörfern im Zuge einer Zentralisierung aufgelöst, und 1967 konnten die Gebäude der neuen Hauswirtschaftli­ chen Schulen in Donaueschingen bezogen werden. Die Schülerinnen mußten nun aus ihren Heimatdörfern, die sich über den ge­ samten Landkreis erstreckten, nach Donau­ eschingen fahren. Hier waren nun optimale Voraussetzungen für einen effektiven Unter­ richt gegeben. An dieser Schule, deren erste Leiterin Margret Arand wurde, war Roswitha Schafbuch eine „Frau der ersten Stunde“. Das schulische Angebot umfaßte einmal die dreijährige Berufsschule, eine ein- und zwei­ jährige Berufsfachschule sowie das Berufs­ kolleg. In die Zeit ihrer Verantwortung für die Lehranstalt, die sie 1977 stellvertretend und 1980 eigenverantwortlich übernahm, fiel auch der Erweiterungsbau im hinteren Schulkomplex. Er war notwendig geworden, weil die Schule praktisch aus allen Nähten platzte und bereits Aufuahmeprüfungen eine gewisse Auslese erforderlich machten. In dieser Zeit, welche als ein Höhepunkt der Hauswirtschaftlichen Schulen in Donau­ eschingen galt, besuchten zwischen 300 bis 400 Schülerinnen die Schule. Im fast ausschließlich männlichen Kreis der Schulleiter des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses, die sich regelmäßig zu Konferenzen tra­ ten, habe, so ihr Nachfolger im Amt, Roswi­ tha Schafbuch mit weiblichem Charme stets ausgleichend gewirkt. Einige Jahre in ihrem Leben haben sich Roswitha Schafbuch besonders tief einge­ prägt: Von 1960 bis 1964 hat sie in Portugal gelebt und gearbeitet und zwar als Sekretärin der Gemeinde deutschsprachiger Katholi­ ken in Lissabon. An der dortigen Schule gab sie auch Religionsunterricht. Später leitete und betreute sie ein auf dem Lande gelegenes Haus Schönstattbewegung. Die Umgangssprache des Landes lernte sie in kurzer Zeit, und mit der Bevölkerung baute sie Verbindungen auf, die zum Teil heute noch bestehen. Für diesen Auslandsaufent- der halt hatte sie sich – auch weil damals die Schülerzahlen rückläufig waren – vom Schuldienst auf Zeit beurlauben lassen. Als nach dem Kriege wieder eine kirchli­ che Jugendarbeit möglich wurde, hatte sich für Roswitha Schafbuch ein weiteres Betäti­ gungsfeld aufgetan. Sie wurde Pfarrjugend­ führerin und bekleidete dieses Amt zeitweise auch auf Dekanatsebene. Damals trat sie auch dem Kirchenchor bei, dem sie – mit Unterbrechungen -nun schon seit mehr als 45 Jahren die Treue hält. Die ersten Jahre ihres Ruhestandes waren recht unruhige Jahre. Die alten Eltern waren zu pflegen, und viele Aufgaben, die ihr ein­ fach zuwuchsen, bestimmten ein Gutteil ihres Lebens. Heute ist ihr Alltag ruhiger geworden. „Ich möchte so vieles tun, aber oft fehlt mir einfach die Kraft dazu“, meint sie bedauernd. Doch Roswitha Schafbuch ist ja keineswegs untätig. Bereits seit 20 Jahren begleitet sie die Gottesdienste in der Hüfin­ ger Landesheimkapelle auf dem „Örgeli“, wie sie das schöne Instrument liebevoll nennt, sorgt, wie schon früher ihre Mutter, für prächtigen Blumenschmuck in der Stadt­ kirche und kümmert sich um Einsame, wo Angehörige fehlen. Viel Freude bereitet ihr auch der eigene große Garten, von dem sie hofft, ihn noch recht lange selbst versorgen zu können. Und sie verwaltet den literarischen Nach­ laß ihres Vaters, der sich um die Hüfinger Mundart verdient gemacht und ihr in zahllo­ sen „Gedecht!i und Gschechtli“ ein Denk­ mal gesetzt hat. Die Stadt Hüfingen hat ihn dafür zum Ehrenbürger ernannt. Vieles aus Gottfried Schafbuchs Feder ist noch unver­ öffentlicht, doch hin und wieder läßt die Tochter bei Vorträgen manches lebendig werden, was der heimatverbundene Vater hinterlassen hat. Roswitha Schafbuch ist tief im Religiösen verwurzelt. Natur und Übernatur, Schöpfer und Schöpfung sieht sie in lebendigem Zusammenhang. Und sie ist ein Kind ihrer Heimatstadt Hüfingen, der sie sich, wie ihren Menschen, tief verbunden weiß. 139

Nicht die Vermittlung von Wissen bestimmte das berufliche Leben Roswitha Schafbuchs. Der menschliche Umgang mit­ einander, die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse denen anderer unterzuordnen, waren ihr wichtig, und dies versuchte sie auch ihren Schülern zu vermitteln, nicht durch „Ein­ pauken“ sondern durch eigenes Beispiel, durch eine Autorität, die im christlichen Glauben ihre Wurzeln hat. Nie hat sie von ihrer Person ein Aufhe­ bens gemacht, und den Titel „Studiendirek­ torin“ trug sie nicht als Trophäe, sondern eher als unbequemes, verzichtbares Beiwerk. Den Titel hat sie abgelegt und fühlt sich freier. ,,Ich bin nur noch die Roswitha“, sagt sie fröhlich, wenn die Rede darauf kommt. Das „nur“ ist untertrieben. Ihre Geschwister und deren Familien schätzen es sehr, daß Roswitha Schafbuch das Elternhaus am Wagrain in Hüfingen immer für sie offen­ hält. Das gilt in besonderer Weise auch für den Bruder, Pater Gerold, der gern die unauf­ dringliche Fürsorge seiner Schwester ge­ nießt, wenn ihn der Weg in die Heimatstadt führt, wo er meistens seinen Urlaub ver­ bringt. Käthe Fritschi Paula Fuchs Ein Leben für die Gemeinschaft ihrem Wirken im Betriebs- und Aufsichtsrat hatte für Paula Fuchs immer das Wohl­ ergehen aller Mitarbeiter höchste Priorität. Menschliche Wärme, Ehrlichkeit und ihr Sinn für Gerechtigkeit prägten die Arbeit von Paula Fuchs. In Radolfzell am 21. September 1931 gebo­ ren, bestimmten die bald einsetzenden Kriegsjahre entscheidend Paula Fuchs‘ Kind­ heit. Ursprünglich wollte sie einmal Tierärz­ tin oder Musikerin werden, doch die Kriegs­ wirren zwangen sie schon früh selbständig zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen. Zunächst arbeitete sie als Näherin bei der Firma Schiesser und später als Spinnerin bei der Firma Rami. Im Jahr 1961 kam sie dann zu Mannesmann Kienzle, der damaligen Kienzle Apparate GmbH, wo sie anfangs als Bohrerin sowie als Einrechnerin für Büroma­ schinen tätig war. ,,Die erste Mitgliedschaft 1965 im Betriebsrat war eher zufällig“, erin­ nert sich Paula Fuchs, ,,obwohl ich zu jenem Zeitpunkt schon einige Jahre Mitglied der IG Metall war“. Da in jenem Jahr Kandidaten zur Aufstellung für die Betriebsratswahlen fehlten, hatte ihr Mann, der auch bei Kienzle arbeitete, sie vorgeschlagen. Überrascht war Paula Fuchs dann schließlich, als sie schon Im Februar 1991 wurde Paula Fuchs das Bundesverdjenstkreuz am Bande überreicht. Damit wurde ihr soziales Engagement gewürdjgt, mit dem sie sich während ihrer 25jährigen Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bei der Firma Mannesmann Kienzle stets für das Wohl der Mitarbeiter einsetzte. Bei 140

beim ersten Anlauf prompt mit hoher Stim­ menzahl gewählt wurde, da sie damals als einzige weibliche Kandidatin für den Betriebsrat aufgestellt worden war. Auch in den kommenden Jahren wurde sie während ihres 2Sjährigen Wirkens als Betriebsratsmit­ glied stets mit den höchsten Stimmzahlen immer wieder in ihrem Amt bestätigt. Mit der Expansion des Betriebes und der wachsenden Zahl der Mitarbeiter wuchs die Arbeit des Betriebsrats kontinuierlich und so wurde Paula Fuchs 1970 als erstes weibliches geschäftsführendes Betriebsratsmitglied zu­ nächst halbtags, wenig später ganztags, frei­ gestellt. Es galt, sich umfassend in neue Gesetze einzuarbeiten, wie zum Beispiel in Arbeitsrecht, Sozialrecht und neue Betriebs­ verfassungsgesetze. Doch, so weiß Paula Fuchs aus ihrer langjährigen Erfahrung, Theorie kann die Praxis niemals ersetzen. Die eigene Durchsetzungskraft, Ehrlichkeit und vor allem Glaubwürdigkeit, weiß die verdiente Betriebsrätin, sind für eine erfolg­ reiche und kontinuierliche Arbeit notwen­ dig. Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und der Blick für das Machbare zeichneten die engagierte Tätigkeit von Paula Fuchs im Betriebsrat aus. Die Belegschaft der Mannes­ mann Kienzle GmbH brachte ihr stets größ­ tes Vertrauen und hohen Respekt entgegen. Paula Fuchs zeigte in vielen Situationen außerordentliches Verständnis für die Mitar­ beiter und bewies oft unaufgefordert ihre große Hilfsbereitschaft. Während ihrer lang­ jährigen Tätigkeit bei dem Villinger Indu­ strieunternehmen konnte sie den Wandel des einstigen Familienbetriebs Kienzle Apparate GmbH hin zum größten Techno­ logieunternehmen des Schwarzwald-Baar­ Kreises mitverfolgen. Der Übergang von der Mechanik hin zur Elektronik, die Produk­ tion von Buchungsautomaten sowie später von elektronischen Fakturierautomaten und kompletten EDV-Gesamtlösungen waren nur Teil dieser Entwicklung. Auch die Über­ nahme von Kienzle in den Jahren 1981/82 durch den Düsseldorfer Mannesmann Kon­ zern und die mit dieser Entwicklung einher- gehenden Sanierungsmaßnahmen erlebte Paula Fuchs mit. Während dieser Zeit war ihr soziales Engagement um die Mitarbeiter besonders gefordert. Einer der größten Erfolge des Kienzle-Betriebsrats war 1970 die Einführung der Gleitzeit für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte, die auch heute noch in der gesamten Region als vor­ bildlich gilt. Auch die erste Arbeitszeitver­ kürzung gestaltete Paula Fuchs gemeinsam mit den anderen Betriebsratsmitgliedern mit. Nicht nur im Betrieb war Paula Fuchs überaus aktiv und erfolgreich. In ihrer Frei­ zeit unterstützte sie ihren Mann bei der Gründung der ersten SPD-Ortsgruppe in Niedereschach, ihrem heutigen Wohnort. Als Ausgleich zu ihrer Arbeit spielte sie viele Jahre lang Minigolf und beteiligte sich an Punktspielen in der Landesliga, an denen sie immer siegreich teilnahm. Darüber hinaus ist Paula Fuchs begeisterte Fußballanhänge­ rin. Bei jedem Spiel in Niedereschach ist sie als Zuschauerin mit von der Partie. Nach einem erfüllten Berufsleben trat Paula Fuchs 1990 in den Ruhestand. Die Ver­ dienste des ehemaligen Betriebsratsmitglieds um die Mitarbeiter der Mannesmann Kienz­ le GmbH sind beispielhaft. Die Betriebsan­ gehörigen verdanken ihr viel und wünschen ihr auch für ihren Ruhestand weiterhin En­ gagement und Vitalität. Barbara Kögler Wahnsinn Wurden Kriege nicht verherrlicht, Als Zeichen großer Tapferkeit Der Geschichte überliefert Für Zeit und alle Ewigkeit. Ach, es war nicht Mut und Stärke, Es war nur Morden überall, Das weiß wohl heute jedermann; Bewahr‘ uns Gott vor neuem Fall. Johannes Hawner 141

Franz Sibold – Ein Leben für das Handwerk Es gibt im Handwerk immer wieder Per­ sönlichkeiten, die neben dem Beruf ihre Zeit, ihre ganze Kraft für andere, für ein gemeinsames Wirken einsetzen. So auch Franz Sibold. In eine kinderreiche Familie am 21. Sep­ tember 1930 hineingeboren, in einer Zeit also, die weder Wohlstand noch Sattheit kannte, in der die Annehmlichkeiten, in denen wir heute leben, minimal – wenn überhaupt vorhanden waren -, war seine Jugend nicht auf Rosen gebettet. Es waren seine Kindheitstage, in denen die Eltern froh waren, die Münder von 7 Kin­ der zu versorgen. Es war die Zeit der großen Arbeitslosigkeit, in der man im damaligen Deutschland 6 Millionen Arbeitslose zählte. Im Alter von 9 Jahren, in dem das Umfeld einen jungen Menschen entscheidend prägt, brach der Zweite Weltkrieg aus. Die Schul­ zeit wurde oft unterbrochen, viele Lehrer wurden eingezogen, eine höhere Bildung war durch die äußeren Umstände nicht gege­ ben. Die unterschiedlichen Beschränkungen der Nachkriegszeit, die mangelhafte Versor­ gung mit Lebensmitteln machten das Leben nicht gerade angenehm. Unter diesen Lebensumständen trat Franz Sibold 1945 als Betriebselektriker in Löffingen in die Lehre ein und hat 1948 mit Erfolg die Gesellenprüfung abgelegt. Das Jahr 1948 war auch das Jahr der Währungsre­ form, der Tag „Null“, an dem die meisten Menschen der damaligen Zeit vor ihren zer­ störten Häusern standen, aber es war auch ein neuer Anfang, ein Beginn einer Aufbau­ phase in einer nicht geahnten Dimension. Es zeigt sich am Lebensweg von Franz Sibold, daß Lebenswille und Energie nicht durch Überfluß und „Dolce Vita“, sondern vielmehr durch den Willen, den kargen Lebenskreis zu durchbrechen, den Blick auf eine bessere, auf eine lebenswertere Zukunft zu richten, von entscheidender Bedeutung sind. 142 Dieser Wille war begleitet von seinem Streben und der inneren Einsicht und Erkenntnis, welche unübersehbare Felder von Wissensgebieten vor ihm lagen und so wurde ihm auch bewußt, wie vieles im Bereich des Wissens er nachzuholen hatte. So brachte ihm das Studium der klassischen Literatur neue Gesichtspunkte und eine Erlebniswelt, die ihn ebenso fesselte, wie die Liebe zur Musik und die Freude am Chorge­ sang. Im Jahre 1958 legte Franz Sibold die Mei­ sterprüfung im Elektroinstallateur-Hand­ werk ab. Er spürte, daß in der Selbständigkeit seine persönliche „Selbstverwirklichung“ liegt. Nach der Übernahme der Elektrofirma Fritz Mark konnte Franz Sibold mit seiner Frau Hanna gemeinsam verwirklichen, was schon lange in ihm schlummerte, den Weg zu einer besseren Lebensqualität, den Weg zum Erfolg. Mit dem Eintritt in die Elektroinnung Donaueschingen beginnt ein neuer Ab-

schnitt, der gerade im Handwerk eine beson­ dere Bedeutung hat. Die Berufsorganisation bietet allen weiterstrebenden jungen Mei­ stem eine große Palette von Möglichkeiten, den Gesichtskreis zu erweitern. Die ideelle Einstellung des Franz Sibold wurde bald sichtbar und so sehen wir ihn als Vorsitzenden des Gesellenprüfungsausschu­ ßes, als stellvertretenden Obermeister der Elektroinnung Donaueschingen, und nach der Kreisreform 1973 als Obermeister der neu gegründeten Elektroinnung Schwarz­ wald-Baar, der er heute noch vorsteht. Und wie dies bei tatkräftigen Menschen der Fall ist, war die Innung nicht die letzte Station seiner außerbetrieblichen Tätigkeit. Bald sehen wir ihn im Meisterprüfungsaus­ schuß der Handwerkskammer Konstanz. Von 1974 bis 1984 und von 1989 bis heute ist Franz Sibold Mitglied der Vollversammlung der Handwerkskammer Konstanz. Im Berufsbildungsausschuß der Kammer wirkt er ebenso für die berufliche Bildung wie im Handwerksrat der Kammer für die gesamt­ handwerklichen Geschehnisse. Der Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter war er von 1975 bis 1979 am Amtsgericht Vil­ lingen verpflichtet. Als Vorstand der Innungskrankenkasse Schwarzwald-Baar vertritt er bis heute die Interessen ihrer Mitglieder. Er ist Mitglied des Kuratoriums der Stein­ beis-Stiftung, die unter anderem die Förde­ rung und Entwicklung neuer Techniken und ihrer Anwendung in den Betrieben sich zur Aufgabe gestellt hat. Im Alter von 43 Jahren begegnen wir Franz Sibold als Vorstandsmitglied des Lan­ desinnungsverbandes der elektrotechni­ schen Handwerke Baden-Württemberg und ab 1979 ist er bereits stellvertretender Landes­ innungsmeister des Verbandes. In einer Zeit der sich stets wandelnden technologischen Entwicklung, die sich mehr und mehr beschleunigt, in der Innovationen in immer kürzeren Zeitabschnitten auf den Markt kommen, die neuen Techniken kom­ plizierter werden und den ganzen Mann im selbständigen Betrieb erfordern, ist es gera­ dezu erstaunlich, Männer wie Franz Sibold zu finden, die ihre ganze Zeit den Ehrenäm­ tern widmen und Verantwortung in der Handwerksorganisation übernehmen. Am 7.Juni 1985 wurde Franz Sibold zum Landesinnungsmeister des mit 5 Elektro­ handwerken und 4300 Elektrobetrieben umfassenden Verbandes der elektrotechni­ schen Handwerke Baden-Württemberg gewählt. Diese zusätzliche Aufgabe eines so großen Verbandes können nur Männer mit einer beispielhaften ethischen Grundeinstel­ lung bewältigen. Als Vorsitzender des Landesinnungsver­ bandes wurde Franz Sibold in den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Fachverbände, in den Baden-Württembergischen Hand­ werkstag und in den Vorstand des Zentralver­ bandes der deutschen Elektrohandwerke gewählt. Hinter allen diesen Tätigkeiten für andere, für die Allgemeinheit verbergen sich Ausdauer, Selbstdisziplin und Verantwor­ tungsbewußtsein. Mit seiner Arbeitsfreude, seiner freundli­ chen Art und seiner Ausgeglichenheit bewäl­ tigt er den großen Arbeitsbereich von Aufga­ ben und die nicht immer leichten Interessen­ gegensätze, die ein Wirtschaftsbereich mit sich bringt. Neben einer Reihe von Aus­ zeichnungen erhielt Franz Sibold für seine selbstlose Arbeit, für die Verdienste um die Berufsorganisation und das Handwerk vom Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker das Verdienstkreuz am Bande des Verdienst­ ordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Herr Staatsekretär Dr. Eberhard Leibing vom Ministerium für Wirtschaft, Mittel­ stand und Technologie Baden-Württemberg übergab Franz Sibold an seinem 60. Geburts­ tag am 21. 9.1990 diese hohe Auszeichnung. Damit wurde ein verdienstvoller Hand­ werksmeister geehrt, der sein Leben der Tra­ dition und dem Fortschritt gleichermaßen widmet. Karl-Friedrich Debold 143

Dr. Theo Wilhelm Ein Arzt aus Berufung Wer hätte mit größerer Berechtigung von sich sagen können, er habe leidenschaftlicher, mit häufigerem und selbstloserem Einsatz seiner letzten Kräfte, ja seines Lebens unter der „unsichtbaren Flagge“ -der Menschlich­ keit – gekämpft als Dr. Theodor Bernard Wilhelm, Arzt in Triberg von 1930 bis 1960. Am 13.Januar 1897 in Frankfurt am Main geboren, besuchte der begabte Junge dort das humanistische Lessing-Gymnasium, dem er seine tiefe Bildung verdankte, meldete sich, ganz Kind seiner Zeit wie alle seine Schulka­ meraden, um „kein Feigling“ zu sein, 1914 freiwillig zum Kriegsdienst und, Pferdelieb­ haber, der er war, wrude er mit 18 Jahren zunächst Meldereiter in Rußland. An der Westfront erlitt er bei Verdun 1916 einen Kopfschuß, verlor sein linkes Gehör und war nach dieser schweren Verwundung nicht mehr frontdiensttauglich. Die Zeit seiner Genesung nutzte er, um Medizin zu studie­ ren und in Trimestern das Physikum zu machen; er war in Lazaretten eingesetzt und wurde als „Feldunterarzt“ aus dem Militär­ dienst entlassen. Trotz Krieg und Verwun­ dung war er mit 24 Jahren Arzt mit Approba­ tion und Promotion, wobei ihm seine rasche Auffassungsgabe und sein phantastisches Gedächtnis zustatten kamen. Er war zunächst Privatassistent in Gießen, arbeitete in der Chirurgie in Duisburg, war Volontärarzt bei Professor Treupel (bekannt durch die von ihm entwickelten schmerzstil­ lenden „Treupel“tabletten), war zwei Jahre in Mainz Assistenzarzt, kam für vier Jahre ans Städtische Krankenhaus in Offenburg, er absolvierte, für diese Aufgabe beurlaubt, in der Klinik „Bergmannsheil“ in Bochum eine Spezialausbildung als Unfallarzt – und vor die Wahl gestellt: Kehl oder Triberg, ent­ schied er sich für das Schwarzwaldstädtchen, wo er mit Ehefrau Elisabeth, seiner treuesten Helferin, im heutigen Hause Neef seine Pra­ xis aufbaute. 144 Eine seiner frühesten Erinnerungen in Tri­ berg betraf einen Telefonanruf aus Grem­ melsbach in der Nacht zum Aschermitt­ woch, ärztliche Hilfe bei einer Entbindung sei dringend erforderlich; er machte sich auf den Weg -ohne genaue Ortskenntnisse und voller Zweifel, ob es sich nicht noch um einen späten Fastnachtsscherz handelte. Wenn das so sein sollte, dem wollte er … Da kam ihm der werdende Vater nächtlicherweil mit einer Laterne entgegen: ,,Sind Sie der Doktor?“ Und der blieb bis zum späten Vor­ mittag. Bald nach der Etablierung der Naziherr­ schaft wurde in Triberg der Vorschlag dis­ kutiert, die Vinzentinerinnen im Kranken­ haus durch „NS-Schwestern“ zu ersetzen. Dr. Wilhelm hielt dagegen: ,,Wenn Sie mir für jede Nonne drei ,freie‘ Schwestern schik­ ken.“ Damit war das Thema vom Tisch. So

war auch die Stelle der ausgebildeten Opera­ tionsschwester Rita (im Lazarett „Löwen National“) bis 1946 gerettet. Der Zweite Weltkrieg brach aus, durch eine Übung 1938 vorbereitet, wurde Dr. Wil­ helm im Oktober 1939 zur 78. Infanterie­ Sturmdivision eingezogen, die 1940 nach Frankreich verlegt wurde, seine Tätigkeit war in Feldlazaretten zu leisten. Ganz anders auf dem Rußlandfeldzug! Er erlebte den historischen Augenblick des deutschen Angriffs auf Rußland am 22.Juni 1941 am Bug mit und blieb in vorderster Reihe, bis der Angriff vor Moskau zum Ste­ hen kam. Als Angehöriger einer „fliegenden Chirurgengruppe“ wurde er da eingesetzt, ,,wo es brannte.“ Nur durch seine Entschlos­ senheit, einmal rechtzeitig seinen Wagen wenden zu lassen, weil er den vorausfahren­ den im Staub verloren hatte, entging er den feindlichen Linien. Er war vom Willen zu helfen besessen, und wie kamen von jetzt an den Verwundeten seine Kenntnisse in der Unfallchirurgie zugute! Im harten Wechsel von 16 Stunden Operation – 8 Stunden Pause gab Dr. Wilhelm das Letzte. Operiert wurde in Zeiten, bei Artilleriebeschuß in Bunkern, auch in verwanzten Häusern; behandelt wurden deutsche wie russische Soldaten, Fleckfieberkranke, Gasbrandver­ letzte. Ein Kriegskamerad erinnerte sich, Stabsarzt Dr. Wilhelm auf einem Kanister sitzend in tiefer Beunruhigung das Risiko für das Leben eines Soldaten bedenken sehen, dessen durchschossenes Bein retten zu kön­ nen oder es abnehmen zu müssen. Er ent­ schied sich gegen die Amputation und ret­ tete Bein und Leben des Soldaten, was ihm dieser später durch einen Besuch bestätigte. Doch der psychischen Belastung hielt seine Gesundheit nicht stand, die lastende Verantwortung für das ununterbrochene Entscheidenmüssen: Amputation eines Annes, eines Beines – ja oder nein, und nie einen Heilungsprozeß beobachten zu dür­ fen, nicht einmal erfahren zu können, ob die Entscheidung die richtige war, das ging über seine Kräfte. Gesundheitlich schwer angeschlagen, erholte er sich in einem Lazarett in Bad Rei­ chenhall und übernahm dann die chirurgi­ sche Abteilung, die im Hotel „Löwen Natio­ nal“ in Triberg untergebracht war. (Die Oberleitung über alle vier Lazarette – Schwarzwaldhotel, Löwen National, Adler, Sonne -hatte Dr. Oskar Wintermantel.) Wie vor dem Krieg versah Dr. Wilhelm zusätzlich seine Praxis, oblag ihm die Behandlung seiner Patienten im Städtischen Krankenhaus, Entbindungen und Hausbe­ suche von Schönwald und Schonach bis Nußbach und Gremmelsbach gehörten dazu. Der Landarzt besaß von Anfang an ein Auto, lange Jahre einen offenen Wagen, denn der gebürtige Frankfurter wollte, so­ weit es ging, die Fahrten durch Feld und Flur zur Entspannung ausnutzen. Sie mußten ihm Ferientouren ersetzen. Der Andrang zu ihm war ungeheuer, eine Blinddarmopera­ tion erledigte er, wie man sich erzählt, zwi­ schen zwei Zigaretten, das Vertrauen der Menschen in die Richtigkeit seiner Diagnose und Therapie blieb immer unerschütterlich. Wie hätte sonst Frau Wilhelm einen Tages­ rekord von 124 Besuchern seiner Sprech­ stunde zählen können? Der selbstbewußte, souveräne, ja robuste Mann, dem die Gabe eines urwüchsigen Humors geschenkt war, liebte Umschweife nicht und ging die Pro­ bleme direkt an, wozu er nicht immer das Hörrohr brauchte. Ein junger Patient klagte über Kopfschmerzen, Herzstechen, Schlaf­ und Appetitlosigkeit. Der Arzt, der dies alles sogleich als Symptome einer bestimmten Krankheit erkannte: ,,Hasch Liebeskum­ mer?“ -,Ja, sie wen sie mir nit gei.“ (Sie wol­ len sie mir nicht geben.) Einen anderen, der mit der Aufzählung seiner Beschwerden vom Kopf bis zum Magen gekommen war, unterbrach er kurz: ,,Aber an den Füßen fehlt dir nichts?“ Menschen, die er mochte, duzte er bald, die andern nicht. Mancher ehemalige Frontsoldat wird noch heute dankbar Dr. Wilhelms geden­ ken, da er ihm zuerst durch seine Behand­ lung das Leben rettete, danach Hitlers 145

unmenschlichen „Führerbefehl“, Verwun­ dete seien nach ihrem Lazarettaufenthalt ohne Heimaturlaub an die Front zurückzu­ schicken, ignorierte. Einer wenigstens kam auf diese Weise auf sein Schiff zu spät, das mit seiner gesamten Mannschaft versenkt wurde. Er veranlaßte 1943 auf der Badinsel die Einrichtung einer Entlausungsanstalt mit Wäscherei durch Bauunternehmer Bern­ hard Kammerer (Nußbach) – Spielarten unorthodoxen Verhaltens eines ganz und gar Unpolitischen, wie sie noch durchführbar waren. Während des Aufenthaltes des „Reichs­ führers SS“ Heinrich Himmler (1944/45) in Triberg machten auch SS-Angehörige einen Besuch im Lazarett, doch ihre Ausdrucks­ weise war so brutal, daß darüber helles Ent­ setzen herrschte. Himmlers Leibarzt, der bei seiner Inspektion die Riesenarbeit Dr. Wil­ helms nicht übersehen konnte, fühlte sich immerhin zu der Frage gedrängt: ,,Machen’s dös alles alloa?“ Für das letzte Kriegsviertel­ jahr wurde ihm daraufhin ein Assistenzarzt zugewiesen. Im Zusammenhang mit dem Einmarsch der französischen Besatzungsmacht bat Frau Elisabeth Wilhelm um eine Richtigstellung: „Als Bürgermeister Keil mit Offizieren zum Rathaus ging, stand vor dem Lazarett ,Löwen‘ dessen Chefarzt Dr. Wilhelm in voller Uniform, sich auf seinen Säbel stüt­ zend, in Erwartung der bereits auf der Haupt­ straße anrückenden Hauptmasse der Spahis (Marokkaner), um die Lazarette zu über­ geben.“ (Hermann Riedel: ,,Ausweglos .. . „! Villingen-Schwenningen, 1974, S. 172.) Weder war Dr. Wilhelm Chefarzt im Laza­ rett „Löwen“ noch besaß er einen Säbel. Die Uniform freilich war obligatorisch. – Fünf Tage vorher hatte er von der Vollmacht Gebrauch gemacht, ambulant zu behan­ delnde Soldaten aus der Wehrmacht zu ent­ lassen. Als später unangemeldet eine französi­ sche Kommission im „Löwen“ erschien, um genesene Verwundete aufzu püren und sie als Gefangene nach Frankreich zu verschlep- 146 pen, und vor dem Eintreffen Dr. Wilhelms im ersten Saal (Frau Wilhelm hatte ihn in aller Eile telefonisch herbeigerufen) schon zwei Unglückliche ausfindig gemacht hatte, was er erst nach ihrem Weggehen erfuhr, da rannte er den Kommissionären nach, hielt sie auf der Straße an, und es gelang ihm mit seinen guten Französisch-Kenntnissen, sie von der Schwere der Verwundungen bei bei­ den zu überzeugen. Vorsorglich hatte er den Soldaten gezeigt, da man mit dieser Kom­ mission rechnen mußte, wie sie „richtig“ am Stock gehen mußten, um sie vor der Gefan­ gennahme zu schützen. Zwar war der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende, die Wunden der Kriegsversehrten waren jedoch noch nicht verheilt, viele noch pflegebedürftig. Das Lazarett im „Löwen“ wurde erst 1946 aufgelöst. Die Anstrengung ohne jedes Maß hatte die Gesundheit des Arztes ein wiederholtes Mal ernsthaft geschädigt. Nachdem der größte Druck von ihm genommen war, erlitt er einen schweren Herzinfarkt. Hinzu kam die Kränkung durch ein drohendes Entnazifizierungsverfahren. Seine Patienten erwiesen ihm ihr Vertrauen und ihre Dankbarkeit dadurch, daß sie, solange er von den Krankenkassen ausge­ schlos en war, für Arztrechnungen und Medikamente selbst aufkamen. Vom Herz­ infarkt erholte er sich so, daß er seine Praxis noch 14 Jahre aufrechterhalten konnte. Sein ärztliches Ethos verließ ihn bis zum Ende nicht. Nur noch langsamen Schrittes konnte er seine Patienten besuchen, oft mußte er ste­ hen bleiben, schaffte er nur noch mit Mühe eine Treppe. Er starb am 21.10.1960, nach­ dem er vier Tage zuvor noch mit letzter Kraft seine Praxis versehen hatte. Es erscheint nahezu ausgeschlossen, daß ein von seinen ärztlichen Aufgaben so in Anspruch genommener Mensch, er war ja auch Bereitschaftsarzt des DRK im Land­ kreis Villingen, die Vielfalt der Welt noch in den Blick zu nehmen vermochte. Ganz im Beruf aufzugehen war nicht Sache dieser dynamischen Persönlichkeit. Schon der Gymna iast leidenschaftlich gern trieb

Sport, er gewann damals eine Schwimm­ medaille, war (wie gesagt) begeisterter Reiter, spielte Hockey, war in Triberg Mitglied des Bobclubs, wirkte 1936 bei der Einweihung des Waldsportbads mit. In vorgerückten Jah­ ren mußte er auf aktive sportliche Betätigung verzichten, sein Interesse galt aber der Welt des Sports insgesamt, und er war jeden Augenblick durch die Zeitung, später durch das Fernsehen über das Sportgeschehen informiert. Im Gasthaus „Geutsche“ war für ihn zur Zeit der Sportberichte ein Stuhl vor dem Fernsehapparat reserviert. Mehr noch. Ihm lag auch Kunst und Kultur am Her- zen. Er war es denn, der mit Frau Mina Wehrle im Hotel „Wehrle“ die „Ochsen­ abende“, Konzerte und Theateraufführun­ gen, ins Leben rief, von Künstlern und Kon­ zertmeistern, vom Bläserquintett des Süd­ westfunks, vom Bach-Ensemble in Heidel­ berg, von Schauspielern des Wallgraben­ theaters in Freiburg gestaltet. Den letzten noch von Dr. Wilhelm organisierten „Och­ senabend“ erlebte er nicht mehr; ihm die letzte Ehre zu erweisen, spielten dieselben Künstler bei seiner Begräbnisfeier in der Aus­ segnungshalle in Triberg. Karl Volk Mönchweilers zweiter Ehrenbürger – Ernst Haas Am 12. Oktober 1920 in Stockburg, dem Mönchweiler Kirchensprengel, geboren, kam Ernst Haas ein Jahr später mit seinen Eltern nach Mönchweiler, wo er nach dem Besuch des Kindergartens und der Volks­ schule den Beruf des Metzgers bei Metzger­ meister Lehmann in Königsfeld erlernte. Später arbeitete er als Geselle in Freiburg. Am 3. 10. 1940 wurde Ernst Haas zur Wehr­ macht eingezogen. Er hatte das große Glück, bereits im Juli 1945 aus der Gefangenschaft in seinen Heimatort entlassen zu werden. Nachdem er im Jahre 1946 die Meisterprü­ fung abgelegt hatte und weiterhin als Metz­ germeister tätig war, übernahm er zusammen mit seiner Frau Bert! im Jahre 1949 das Gast­ haus Ochsen in Mönchweiler. Die daneben liegende Metzgerei eröffnete er nach not­ wendigen Umbaumaßnahmen. Unermüdli­ chem Fleiß des Ehepaares Haas war es zu ver­ danken, daß der Ochsen bald weit über Mönchweilers Grenzen hinaus den Ruf eines ausgezeichneten und trotzdem preis­ werten Speiselokals erreichte. Seinerzeit war der Ochsen das einzige Gasthaus mit einem Nebenraum, der groß genug war, um nahezu alle Vereinsveranstaltungen und Versamm­ lungen stattfinden zu lassen und dement­ sprechend für das Gastwirtspaar Haas oft- mals die Nacht zum Tage wurde, bis auch der letzte Besucher den Heimweg antrat. Im Jahre 1959 stieg Ernst Haas dann mit 39 Jah­ ren in die Gemeindepolitik ein, als er auf einer Wählervereinigungsliste kandidierte und auf Anhieb in den Gemeinderat gewählt wurde. Es zeichnete ihn in all den folgenden Jah­ ren im Gemeinderat aus, daß er zum Vorteil 147

für die ganze Gemeinde das Miteinander mit Rat und Bürgermeister Günter Siek suchte. Von 1959 bis 1989 hat Ernst Haas alle Entscheidungen maßgeblich mitgetragen. Gerne hörte man auf sein Wort, das allein dadurch schwer wog, daß er bei allen Gemeinderatswahlen als Spitzenkandidat der CDU stets die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte. So war es auch nicht ver­ wunderlich, daß er von 1978 an in ununter­ brochener Folge bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1989 erster stellvertretender Bürger­ meister war. Was ihn auszeichnete, war und ist sein Witz, seine Art, gegensätzliche Mei­ nungen überbrücken zu helfen, aber auch seine Standfestigkeit, wenn er von einer Sache überzeugt war. Neuem gegenüber war er immer offen, aber auch kritisch eingestellt. Er ließ sich nie durch „Schnellschüsse“ in die Ecke drängen. Seine Diskussionsbereitschaft und -freude erwarb er sich nicht nur in Gemeinderatssitzungen, sondern mehr noch an den Stammtischen, wo er den Leu­ ten, um mit Martin Luther zu reden, ,,aufs Maul schaute“ und deren Meinungen mit als Entscheidungsfindungen verwertete. Wäh­ rend seines 30jährigen kommunalpoliti­ schen Wirkens wuchs die Bevölkerung von 1800 auf heute knapp 3000 an. Investitionen von rund 30 Millionen Mark begleiteten sei­ nen politischen Weg. Straßen, Aussiedlungs­ und Baugebiete wurden erschlossen, die Hauptschule, die Mehrzweckhalle (Aleman­ nenhalle) wurden erstellt. Wege- und Stra­ ßenbau, Kanalisation, Wasser- und Strom­ versorgung, Friedhofskapelle, Sportplatz, Kindergarten waren Maßnahmen zur Ver­ besserung der Infrastruktur und führten letztendlich zum Prädikat „Staatlich aner­ kannter Erholungsort“. Ernst Haas vertrat zusammen mit Bürgermeister Günter Siek die Gemeinde Mönchweiler in der Verwal­ tungsgemeinschaft Villingen-Schwenningen, nachdem Mönchweiler 1972 gegen eine frei­ willige Eingemeindung in die Kreisstadt mit überwältigender Mehrheit gestimmt hatte. Ernst Haas verhehlte nie, daß er diese Ent­ scheidung·gewollt und mitgetragen hatte. In 148 seine Zeit fiel auch die Besiegelung der Part­ nerschaft mit der südfranzösischen Ge­ meinde Chabeuil im Jahre 1983. Bevor es soweit war, weilte das Ehepaar Haas mehr­ mals in Chabeuil, um zu ammen mit dem Initiator der Partnerschaft, Verwaltungsdi­ rektor i. R. Theodor Arnold und dessen Frau, Land und Leute kennenzulernen und die ersten Freundschaftsbande mit dem damali­ gen Bürgermeister und dessen Mitarbeiter zu knüpfen. Die beiden Musikvereine hatten ebenfalls maßgeblichen Anteil an der heute bestehenden Patenschaft. Am 23. April 1988 fiel es Ernst Haas sehr schwer, den vom Gemeinderat erteilten Auf­ trag der Verabschiedung des langjährigen Bürgermeister Günter Siek in der Aleman­ nenhalle zu übernehmen. In treffenden und herzlicher Wei e hielt er die Laudatio. Nicht schwer fiel ihm die Verleihung der Ehren­ bürgerrechte und die Übergabe der neu geschaffenen Bürgermedaille an seinen lang­ jährigen „Chef“, Herrn Bürgermeister Siek; hatte der Gemeinderat diese Auszeichnun­ gen doch einstimmig beschlossen nach den überragenden Leistungen des Scheidenden während der 30jährigen erfolgreichen Tätig­ keit in Mönchweiler. Trotz Bittens seiner politischen Freunde nahm Ernst Haas keine erneute Kandidatur für die Gemeinderatswahlen 1989 an. Er wollte sich mit fast 70 Jahren ganz seiner Familie widmen, wofür die Mitbürger volles Verständnis entgegenbringen. Am Sonntag, dem 11. November 1990, fast ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus der Kommunalpolitik, wurde Ernst Haas in der Alemannenhalle zum zweiten Ehren­ bürger nach Bürgermeister a.D. Günter Siek ernannt und mit dem Bundesverdienst­ kreuz ausgezeichnet. Aus allen Ansprachen jenes Tages ging hervor, welch hohes An­ sehen und große Anerkennung der so Geehrte in seinem Heimatort als Kommu­ nalpolitiker und erfolgreicher Geschäfts­ mann genießt. Dieter-Eberhard Maier

Hedwig Stegk Über 40 Jahre beim Roten Kreuz Mit über 40 Jahren beispielhaften Einsat­ zes in verantwortlicher Position beim Roten Kreuz Blumberg im Rücken, ist dessen Bereitschaftsführerin Hedwig Stegk, zusätz­ lich noch langjährige Vorsitzende des evan: gelischen Pfarrgemeinderates, eine Persön­ lichkeit, die wegen ihrer freiwilligen Hilfsbe­ reitschaft eine besondere Würdigung ver­ dient. Mußestunden gibt es für die jetzt 63jährige auch heute kaum, denn dem umfassend Humanitären voll verpflichtet hat sie das Wort „Muße“ durch das verant­ wortungsbewußte „Muß“ ersetzt. Dieses im besten Sinne eingefleischte Helfenmüssen resultiert aus den Erfahrungen eigener schwerer Jahre, da Hedwig Stegk, die 1956 geheiratet hatte, viele Jahre allein für zwei Töchter und einen Sohn sorgen mußte. So wurden die Kinder schon von klein auf mit den freiwillig übernommenen Dienstaufga­ ben der Mutter in Berührung gebracht und bei wachsendem Verständnis der vorgeleb­ ten Hilfsbereitschaft für den in Not gerate­ nen Nächsten zur frühen Selbständigkeit erzogen. ,,Die Kinder litten nicht unter der Einteilung für helfende Tag-und Nachtbe­ reitschaft mit zusätzlichem Wochenend­ dienst“, meinte sie bei einem Gespräch. ,,Doch sie merkten durch meinen Einsatz all­ mählich, daß die eigenen Probleme den fremden oftmals untergeordnet werden müs­ sen:“ Diese Einstellung scheint die Familie auszuzeichnen, denn Hedwig Stegks jüngste Schwester Gerlinde Hoffärber ist Kreisbe­ reitschaftsführerin beim Deutschen Roten Kreuz. 1928 im luxemburgischen Düdelingen als Hedwig Hoffärber geboren, kam sie im Jahre 1939 nach Blumberg und erlebte bei beende­ ter Schneiderlehre 1945 gerade im Monat, in dem ihre Berufsprüfung vorgesehen war, die französische Besetzung der Eichbergstadt. Elf Jahre arbeitete sie in der Stumpenfabrik „ Villiger Söhne“. Ihren ersten Lehrgang beim damals noch „Badischen Roten Kreuz“ -sie trat dort am 25. Oktober 1949 ein – absolvierte sie im Blumberger Rathaus. „Ich kam als jugendlicher Neuling zu den Gestandenen“, erinnerte sie sich. ,,Unsere Bereitschaftsabende fanden vierzehntägig statt. Der damalige Dienst war selbstver­ ständlich mit der heutigen Organisation noch nicht zu vergleichen, er entwickelte sich umfassender und straffer, als ein Kran­ kenwagen zur Verfügung stand und die Ein­ teilung für Tag-und Nachtbereitschaft sowie für den Dienst am Wochenende festgelegt wurde.“ Da stand nach dem alarmierenden Nachtanruf der Dienstwagen mit laufendem Motor bald vor dem Haus, so daß kaum Zeit blieb, sich den verdienten Schlaf aus den Augen zu reiben und sich bis zum Start rich­ tig anzuziehen. (Was früher, als sie noch kein Telefon besaß, nicht immer möglich war.) So lernten ihre Kinder schon früh den Wert der helfenden Unterstützung kennen und spran­ gen sofort dort ein, wo die Mutter überfor- 149

dert schien. Über 40 Jahre ständige Einsatz­ bereitschaft, welche Fülle von Entschei­ dungsbegegnungen, von ungenannten Lei­ stungen und persönlichen Opfern! Beispiel­ hafte Menschlichkeit in unzähligen Stunden des geforderten Über-den-Dingen-Stehens und dabei doch in unmittelbarer Problem­ nähe geschult reagieren zu müssen, das alles zusammen unterstreicht überzeugend: Wer sich selbst so lange aktiviert, der muß mit einem inneren artesischen Kraftborn geseg­ net sein. Tatsächlich strahlt Hedwig Stegk diese Kraft als positive Lebenseinstellung in nahezu fröhlicher und deshalb ansteckender Selbstsicherheit aus. Das alles braucht sie, um ihre geleistete Hilfe wirksam abzurunden. ,,Vor vielen Jahren“, übte sie auch Kritik, „da ging es mit der freiwilligen Aktivität bergab, und wir machten uns Sorgen, wie es weitergehen sollte. Viele wollten nicht mehr so richtig, es fehlte an Helfernachwuchs. Aber da aktivierte meine Schwester Gerlinde die Jugend, und so ging es wieder aufwärts.“ Das ist nun schon lange her. Aber die Arbeit ist geblieben. Wie zufällig legte Hedwig Stegk bei der informativen Unterhaltung Hermann Mäder Zimmermann und Kommunalpolitiker 25 Jahre stand er an der Spitze von Mun­ delfingen, davon zehn Jahre als Bürgermei­ ster einer selbständigen Gemeinde und 15 Jahre als Ortsvorsteher, nachdem sich Mun­ delfingen im Zuge der Gemeindereform der Stadt Hüfingen angeschlossen hatte. Hier gehörte er auch dem Gemeinderat an. Am 1. Februar 1990 trat Hermann Mäder in den Ruhestand. Ganz leicht mag dem damals 62jährigen vitalen Zimmermeister der Entschluß zum Aufhören nicht gefallen sein, doch reifliche Überlegungen und ein sorgfältiges Abwägen des Für und Wider gaben schließlich den Ausschlag. In einer bewegenden Abschiedsveran tal­ tung am 31.Januar 1990 in der Mundelfinger 150 ihre Hand auf einen Stapel Aktenordner. Das wies auf zusätzliche Beschäftigungen hin: Organisatorisches, lnstruktionsabende, Einsätze bei vielerlei Massenveranstaltun­ gen, Bereitschaftsdienste; täglicher Pflege­ dienst auf Mehrstundenbasis; zweimal im Jahr Hilfsdienst bei der Blutspende-Aktion mit der Betreuung von jeweils rund 250 Per­ sonen und einer organisierten Arbeitseintei­ lung. Die Organisation von Straßen- und Haussammlungen des DRK. Seit einiger Zeit auch die schwierige Betreuung der zugewie­ senen Asylbewerber und anderer. Da hat Hedwig Stegk alle Hände voll zu tun. Selbst ohne ihr Engagement damals im evangelischen Kirchenchor-25 Jahre -und jetzt noch im Pfarrgemeinderat sowie im Frauenkreis, fächert sich ihre Mitarbeit im Humanitären breit genug, so daß sie ihre Hände nicht in den Schoß legen kann. Das scheint ihr auch nicht zu liegen. Die vielfälti­ gen Aufgaben füllen einen ganzen Katalog, und deshalb dankt ihr der so hilfreich betreute Nächste für den unermüdlichen Einsatz. Jürgen Henckell Festhalle, an der zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens und viele Weggefährten Hermann Mäder teilnahmen, stellte Adolf Baumann, Mäders Nachfolger im Amt, fest, daß man mehr als 200 Jahre zurückgehen müsse, um auf eine solche Persönlichkeit wie die Hermann Mäders zu treffen, der Mun­ delfingens Geschichte so nachhaltig mitbe­ stimmt habe. Bei allen Laudationes für Mäder wurde deutlich, daß dieser sich um seinen Heimat­ ort verdient gemacht und mehr als nur seine Pflicht erfüllt hatte. 1965 war Hermann Mäder mit überwälti­ gender Mehrheit der Mundelfinger Bevölke­ rung zum Bürgermeister der damals noch

die Ausschreibungen selbst getätigt, sondern auch die Bauleitung übernommen, was der Gemeinde erhebliche Kosten ersparte. Als letzte Gemeinde hatte sich Mundei­ fingen im Zuge der Gemeindereform 1975 der Stadt Hüfingen angeschlossen, in der Gewißheit, daß dies die letzte Möglichkeit auffreiwilliger Basis war. Als wohlgeordnetes Gemeinwesen war es für Mundelfingen und seinen Bürgermeister Hermann Mäder gewiß nicht einfach, eine Selbständigkeit aufzugeben, die bislang bestens funktioniert hatte. Rückblickend meinte Mäder bei sei­ nem Abschied, der Zusammenschluß habe seinem Stadtteil kaum Vorteile gebracht, doch wolle er über Hüfingen nicht klagen. Als Gemeinderat hat Hermann Mäder stets das Wohl der Gesamtstadt im Auge behalten. Sein Wort hatte Gewicht, sein Sachverstand war gefragt. Mit Genugtuung hatte Mäder vor einigen Jahren erleben können, daß sein Einsatz für die Wiedereröffnung der Mundelfinger Schule von Erfolg gekrönt war. Seither wer­ den die Jüngsten wieder am Ort unterrichtet. Allerdings blieb der Verlust der Selbständig­ keit Mundelfingens ein bitterer Wermuts­ tropfen in Hermann Mäders kommunalpo­ litischer Karriere, die er mit Hingabe neben seinem Beruf als selbständiger Unternehmer betrieb. Zahlreiche Ehrenämter bekleidet er noch heute. Seit 1980 ist er Sachverständiger für das Zimmererhandwerk, über 20 Jahre lang hatte er im Verwaltungsrat der Bezirksspar­ kasse Sitz und Stimme. Beim Mundelfinger Roten Kreuz war er bis 1990 Vorsitzender und bekleidet seither das Amt des Stellvertre­ ters. Zum Mitglied der Vollversammlung der Handwerkskammer wurde Hermann Mäder ebenfalls berufen. Seitl988 ist er ObermeisterderZimmerer­ innung im Schwarzwald-Baar-K.reis. Seit Bestehen seines Meisterbetriebes hat Mäder rund 20 Lehrlingen das Rüstzeug für den Beruf vermittelt. Seine Frau Irene, mit der er seit 1956 verheiratet ist, steht ihm im kauf­ männischen Bereich zur Seite. Der Sohn 151 selbständigen Gemeinde Mundelfingen gewählt worden, obwohl er gar nicht kandi­ diert hatte. Seine Wiederwahl nach acht Jah­ ren fiel ebenso eindeutig aus. Mäder war nie ein Mann, der viel Aufhebens um seine Per­ son machte, sondern einer, der zupackte, in seinen Entscheidungen Weitsicht und Sach­ verstand bewies und der Impulse setzte. In seine Amtszeit fielen zahlreiche Inve­ stitionen, und mehr als 3,7 Millionen Mark wurden während dieser Zeit verbaut. Die Renovierung des Rathauses fiel darunter, der Bau von Grüne-Plan-Wegen, die Erneuerung der Ortsstraßen, des K.riegerehrenmals, von Friedhofskapelle und -mauer. Die Festhalle erhielt einen Anbau, eine Bühne und sani­ täre Anlagen wurden installiert. Die Flurbe­ reinigung wurde durchgezogen, der Wasser­ und Bodenverband gegründet, dessen Vor­ sitzender Mäder über 20 Jahre lang war. 350 Hektar Fläche wurde drainiert, Baugebiete wurden erschlossen, Sportplatzgelände er­ worben, der Aubach ausgebaut, Waldwege angelegt und drei Brücken über den Aubach gebaut. Das örtliche Wassernetz wurde erneuert sowie die Kanalisation gebaut. Für Baumaßnahmen, die während der Selbstän­ digkeit Mundelfingens in Angriff genom­ men wurden, hat Hermann Mäder nicht nur

Gerold, welcher die Meisterschule für Zim­ merer besucht, soll den Betrieb einmal wei­ terführen. Vorerst jedoch steht Hermann Mäder, der in der Regel zehn Mitarbeiter beschäftigt, noch voll im Beruf, an dem er sehr hängt und dem er sich nun wieder mehr als bisher widmen kann. Nie, so Hermann Mäder, habe er bereut, Zimmermann gewor­ den zu sein. Sein Rückzug vom Amt des Ortsvorste­ hers und aus dem Gemeinderat bedeutet sicher nicht, daß Hermann Mäders Interesse an kommunalpolitischen Fragen erloschen wäre, „dafür war ich zu lange damit befaßt“, meinte er selbst einmal. Aus der Distanz wird er sicher aufmerksam auch weiterhin die Geschicke und die Entwicklung seines Hei­ matdorfes weiterverfolgen, dem er in zwei­ einhalb Jahrzehnten seine ganze Tatkraft gewidmet hatte. Käthe Fritschi Herta Weiling-Schlotterbeck Sie war immer eine Idealistin Im Jahre 1961 kaufte sie den alten Hänsle­ hof in Bad Dürrheim, der dringend einen restaurierungsbereiten Besitzer brauchte. Frau Weiling-Schlotterbeck wollte mit dem Turniersport aufhören und sich mit ihren Pferden aus Stuttgart nach Bad Dürrheim zurückziehen. Der frühere Bürgermeister und Kurdirektor Weissenberger hatte die Verhandlungen geführt und auch seine Hilfe angeboten. Vieles war am Hänslehof zu tun: Das Dach war neu zu decken, das Mauerwerk war verwittert und die Fensterläden mußten erneuert werden. Nach einem halben Jahr, zur ersten Reitjagd, stellte sich das Anwesen im neuen Glanze dar. Die Pferde waren schon von Kindheit an ihre große Liebe gewesen. Den Umgang mit ihnen hatte sie von ihrem Vater geerbt, der kaiserlicher Rittmeister in Potsdam gewesen war. Mit ihm kam sie auf das württembergi­ sche Landgestüt nach Marbach. Der Vater war mit dem dortigen Landstallmeister befreundet. Bei einer Sportreportage, die sie über das Gestüt machte, kam der Gedanke auf, für die dortige Araberzucht, die um die Jahrhundertwende die bedeutendste in Europa war, einen Distanz- und Leistungsritt durchzuführen. Mit dem Gestütsveterinär suchte man vier passende Stuten aus, die Herta zwei Monate täglich trainierte. Sie bevorzugte die Schimmelstute Jasma. 152 Der Ritt nach Rom wurde ein großer Erfolg. Es wurden soviele Araberschimmel bestellt, daß Marbach sie zunächst nicht lie­ fern konnte. Sie bekam eine Ehreneskorte der österreichischen Sicherheitspolizei und ab dem Brennerpaß der italienischen Carabi­ nieri. Im Jahre 1956 hatten sich die europä­ ischen Reiter geweigert, mit ihren wertvollen Pferden zur Olympiade nach Melboume (Australien} zu reisen. Das schwedische

Königshaus erklärte sich daraufhin bereit, die ersten Olympischen Reiterspiele in Stockholm auszutragen. Der hannoversche Zuchtverband fragte bei ihr an, ob sie bereit wäre, einen Ritt nach Stockholm durchzu­ führen. Spontan stimmte sie zu. Sie war ja mit ihren Turnierpferden laufend im Trai­ ning und sattelfest geblieben. Auf der Verde­ ner Auktion ersteigerte der Verband für sie eine Stute. Nach vierwöchigem Training startete sie in Verden durch die Lüneburger Heide bis Travemünde, über die Ostsee nach Dänemark und von Hälsingborg nach Stock­ holm. Sie war täglich zehn Stunden im Sat­ tel. Mit einer Pergamentrolle und einem Sie­ gel der Reiterstadt Verden ritt sie wie ein Kurier durch die Lande, immer mit demsel­ ben Pferd. Rechtzeitig erreichte sie Stock­ holm. Nach der Eröffnung der Spiele über­ reichte sie im Stadion die Grußbotschaft der deutschen Reiter und Pferdezüchter an den Präsidenten Every Brundage. Auch dieser Ritt war ein großer Erfolg, zumal die deut­ schen Reiter siegreich abgeschnitten hatten. Bei beiden Ritten übernahm der deutsche Zuchtverband die Schirmherrschaft. Herta Luise Jung wurde 1925 in Tuttlingen geboren. Ihr Vater ging nach dem Ersten Weltkrieg zu Zeiss nach Jena und machte dort seinen Optikermeister. 1919 heiratete er die Tochter eines Uhrmachermeisters, der ein Geschäft im Zentrum der Stadt hatte, und baute dort ein Optik- und Juwelierge­ schäft auf. Herta Luise machte eine kauf­ männische Lehre und wurde Goldschmie­ din. Nach dem Kriegsabitur meldete sie sich als Bereiterin des Heeres und wurde auf die Heeresreit- und Fahrschule in Aalen einge­ zogen. Dort mußte sie junge Pferde zureiten und für den Kriegseinsatz vorbereiten. Dann kamen die Franzosen und holten Herta Luise zum Bereiten der Pferde in die be­ schlagnahmte Reithalle in Tuttlingen. Durch die groß angelegten Reitturniere in Bad Dürrheim kam sie in die Kurstadt, wo sie schon lange mit den erfolgreichen Turnier­ reitern Lorenz Fehrenbacher und Helmut Riegger befreundet war. 1957 zog sie durch Heirat mit dem Unternehmer Hans Schlot­ terbeck nach Stuttgart. Leider war die Ehe nur von kurzer Dauer; ihr Mann starb an einem Krebsleiden. So suchte sie eine neue Heimat in Bad Dürrheim. Nach dem Aufbau des Hänslehofes mußte sie wegen eines Reit­ unfalls den Stall aufgeben. Nach eigenen Entwürfen entstand das Restaurant Hänsle­ hof, welches an die Familie Ketterer in Neu­ stadt verpachtet wurde. Eine Freundin holte sie nach Kanada, wo sie eineinhalb Jahre als Sportjournalistin für die Reiter-Revue wirkte und als Privatreitleh­ rerin an großen Ställen unterrichtete. Sie führte dort auch das medizinisch-therapeu­ tische Reiten ein, wofür sie sich beim Erfin­ der dieser modernen Therapie ausbilden ließ. 1977 wurde der Hänslehof verkauft, sie behielt den ersten Stock des Gebäudes mit lebenslangem Wohnrecht. Im selben Jahr fand die Hochzeit mit dem Arzt Dr. Weiling im Hänslehof statt. Dann verzog sie mit ihrem Mann nach Bonn. Die Ehe währte nur kurz, auch dieser liebens­ werte Mann starb an Krebs. Sie kehrte in den Hänslehof nach Bad Dürrheim zurück. Dann kam das große Unglück. Im Dezember 1985 brannte der geliebte Hänslehof völlig nieder und mit ihm alle Erinnerungen des vergangenen Lebens. Einen Teil der wertvol­ len alten Möbel hatte sie ein Jahr zuvor in die Heimatstube des Geschichts- und Heimat­ vereins gegeben. Heute ist sie 1. Vorsitzende des Vereins. Sie betreute die historische Ausstellung, die aus Anlaß der 1100-Jahr-Feier von Bad Dürr­ heim im Jahre 1990 ausgerichtet wurde. Eine weitere große Aufgabe steht noch vor ihr: Die aus dem Jahre 1626 stammende Zehnt­ scheuer soll zusammen mit dem Trachten­ verein als Vereinsheim und Museum für die Stadt ausgebaut werden. Frau Herta Weiling-Schlotterbeck ist in all‘ den Jahren bescheiden geblieben, ein disziplinierter Mensch mit der angeborenen Liebe zu Tieren und zu Menschen. Erna Hirt-Grießhaber 153

Herta Herrmann Mutter für mehr als 80 Kinder Eine einfache Frau, die von sich selbst nie ein Aufhebens machte, wurde im Mai 1990 im Ludwigsburger Schloß durch den damali­ gen baden-württembergischen Ministerprä­ sidenten Lothar Späth mit der Landesver­ dienstmedaille ausgezeichnet. Es handelt sich um Herta Herrmann au Donaueschin­ gen, die ihr ganzes Leben in den Dienst von Kindern gestellt hat. Die heute 65jährige hat nicht nur zwölf eigene Kinder großgezogen, sondern im Laufe von gut 20 Jahren an mehr als 70 weiteren Kindern zeitweise Mutter­ stelle vertreten, die sich bei Herta Herrmann wohlfühlten und sich gut entwickelten. Eines der vielen Kinder, die Herta Herr­ manns Fürsorge genossen, war insgesamt 14 Jahre in ihrer Obhut. Die Familie Herrmann war nie auf Rosen gebettet. Der Ehemann, ein Kriegsversehr­ ter, war jahrelang bei der Post tätig. Als die Herrmanns noch zur Miete wohnten, erfuh­ ren sie von seiten der Nachbarschaft aber auch durch viele alteingesessene Donau­ eschinger wegen ihres Kinderreichtums Ablehnung und Unverständnis. Die Stadt hätte sie gern -und der Gedanke läßt Herta Herrmann heute noch zornig werden – in einer Baracke untergebracht, doch dagegen wehrte sich die vielfache Mutter mit aller Kraft. Sie befürchtete, daß ihren Kindern der Stempel „asozial“ aufgedrückt werde und so führte sie einen erbitterten Kampf um einen Bauplatz, den sie mit Hilfe des Regierungs­ präsidiums auch gewann. Mit viel Eigenlei­ stung konnte das Haus in der Schillerstraße schließlich 1966 gebaut werden, ohne jede Hilfe von Behörden oder kirchlichen Ver­ bänden, wie Herta Herrmann sich mit eini­ ger Bitterkeit erinnert. Als sie sich 1969 entschloß, Kinder in Pflege zu nehmen, tat sie dies auf Vermitt­ lung des Jugendamtes, mit dem sie im Laufe vieler Jahre gut zusammenarbeitete. Drei ita­ lienische Kinder kamen zunächst ins Haus, 154 wo es zwar keinen Luxus gab, dafür aber viel menschliche Zuwendung durch eine warm­ herzige Frau mit einem mütterlichen Her­ zen. Noch viele weitere Ausländerkinder, aber auch solche aus Problemfamilien, kamen hinzu. Sie nannten Herta Herrmann liebevoll „Mutti“ -und heute ist sie bereits die„Omi“. Viele der Kinder hatten nie die Fürsorge einer intakten Familie kennengelernt -man­ che Eltern, auch das gab es, kümmerten sich über Jahre nicht um ihre Kinder. In Tagen der Krankheit pflegte die gelernte Krankenschwester „ihre“ Kinder, wie es eine leibliche Mutter nicht aufopfe­ rungsvoller hätte tun können. Um bei den Hausaufgaben helfen zu können, befaßte sie ich in den sechziger Jahren mit der Mengen­ lehre. Belastender als jede persönliche Sorge für die Kinder waren für die Pflegemutter die Probleme mit den leiblichen Eltern der ihr anvertrauten Kinder. Oft wurden sie einfach

abgeholt, ohne daß dabei berücksichtigt worden wäre, daß das betreffende Kind der eigenen Mutter, die nicht selten in proble­ matischem sozialen Umfeld lebte, ableh­ nend gegenüberstand. Oft wurde Herta Herrmann das Herz schwer, wenn sie ein sol­ ches Kind weinend weggehen sah. Wenn es dann zurückkehrte, waren psychische Stö­ rungen nicht selten die Folge, und nur behutsames Trösten konnte die ärgsten seeli­ schen Wunden heilen. Wieviele Vesperbrote sie in all den Jahren gerichtet, wieviel Hosen sie geflickt, wieviel Nasen sie geputzt und wieviel Tränen sie getrocknet hat, darüber hat Herta Herrmann nicht Buch geführt. Ganz ohne Aufhebens und in der Stille hat sie ihre selbstgestellte Aufgabe erfüllt. Sicher, sie bekam Geld dafür, aber davon, und das wußte sie schon vorher, konnte sie nicht reich werden. „Ich mag halt Kinder einfach“, sagt Herta Herrmann. ,,Ich habe nie einen Unterschied gemacht zwischen eigenen und fremden. Alle wurden gleich behandelt, ob in Lob oder Tadel“, und das glaubt man ihr aufs Wort. Zu der umfangreichen Sorge für eigene und fremde Kinder – der Tag begann mor­ gens um fünf Uhr -kam Ende der sechziger Jahre die Pflege ihres Mannes, der nach einem langen Krankenlager1975 starb. Doch damit nicht genug: Einer der Söhne erkrankte an Krebs, und auch ihn pflegte Herta Herrmann bis in seine letzte Stunde, ohne daß den zu betreuenden Kindern etwas abgegangen wäre. Die Erinnerung an jene schweren Wochen und Monate läßt Herta Herrmann immer noch mit den Tränen kämpfen. Wenn die „Pflegemutter aus Passion“ heute zurückblickt, so kann sie mit Genug­ tuung feststellen, daß die meisten ihrer Schutzbefohlenen sich gut entwickelt haben. Mit vielen hat sie noch Kontakt und immer noch steht ihr Haus offen für jene, die ihren Rat suchen. Zu zwölf eigenen Kindern noch die Sorge für 70 weitere zu übernehmen, ist wohl eine einmalige Lebensleistung. Herta Herrmann hat bewiesen, daß solches möglich ist. Sie hat es verstanden, Kindern das Gefühl zu ver­ mitteln, geliebt und angenommen zu sein. Gesundheitliche Gründe zwangen Herta Herrmann dazu, die Pflege von fremden Kindern aufzugeben. Die eigenen sind inzwischen erwachsen, und eine stattliche Enkelschar sorgt immer wieder für Leben im Hause Schillerstraße. Nun muß Herta Herrmann einmal an sich selbst denken. Jetzt, da diese Zeilen geschrieben werden, befindet sie sich in einer Freiburger Klinik, wo eine ernsthafte Erkrankung behandelt wird. All jene, die jemals ihre Liebe und Fürsorge genossen haben, wünschen ihr baldige und vollstän­ dige Genesung. Käthe Fritschi An der ehemaligen Trasse der Bregtalbahn am Ortseingang von Vöhrenbach aus Richtung Hammereisenbach 155

Kirchen, Glocken, Mission, Wallfahrtswesen P. Josef Arnold (1902-1984) Ein Gremmelsbacher Missionar in Kolumbien Leben und Arbeit in der christlichen Mis­ sion kann sehr unterschiedlich sein, je nach­ dem, ob sie in der Primitivkultur einer Süd­ seeinsel, in Chinas alter Hochkultur oder in einem seit seiner Entdeckung und Erobe­ rung mit aller Energie christianisierten Land wie Kolumbien betrieben wird und wie in letzterem auch von den Einwohnern bereit­ willig angenommen wurde. So war die Tätig­ keit von P. Josef Arnold nicht Werbung für die römische Kirche, nicht neue Mitglieder waren ihr zuzuführen, sondern Christen in der Kirche waren zu betreuen -in allen ihren Sorgen – und sie zum religiösen Leben anzuhalten, sowie ihnen, den Ärmsten der Armen, im Sinne des Ordensstifters Don Bosco geistlicher Führer zu sein. P.Josef Arnold wurde am 2. Oktober 1902 in Gremmelsbach geboren. Während seiner Kindheit und frühen Jugendzeit wohnte er im Elternhaus an der Bundesstraße, nahe der Grenze zu Schonachbach. Nach den Vor­ stellungen seines Vaters war das Schneider­ handwerk auf den schwächlichen Jungen „zugeschnitten“ (wie er selbst sagte), aber es fand sich 1917 kein Meister, der ihn hätte in die Lehre nehmen können. Ein Jahr machte er für die Uhrenwerkstätte Eble, danach für die Firma Tränkle Heimarbeit, bis ihn diese als Mechanikerlehrling aufnahm. Als Ge- �– · ·, . ·. . • , ,., . .. t .. …1··‘: 1…-_ … (,, / � Venezuela • Bogo:�····,,, ___ 7 Kolumbien :, .. •..,,.. r··· �‘-… ·‘ ) t ••••• __ i_-.,vi ATLANTIK Aquator Brasilien PAZIFIK SÜDAMERIKA 156

seile ging er ein Jahr lang mit seinem Bruder Adolf, ein zweites mit Bruder Heinrich „auf die Walz“. Sie kamen bis München und Kochei am See. Im „Heiligen Jahr“ 1925 ließ er es sich nicht nehmen, eine Pilgerreise nach Rom zu machen. Die Strecke von Singen bis zum St. Gotthard legte er zu Fuß zurück. Die Generalaudienz bei Papst Pius XI. blieb ihm zeitlebens in Erinnerung. Nach München zurückgekehrt, mußte er wieder einen Arbeitsplatz suchen, Unter- kunft fand er im Haus des Gesellenvereins. Dort wurde jeden Montag ein Vortrag reli­ giösen Inhalts gehalten, und einmal warb der Referent für die Teilnahme an Exerzitien. Der von frommen Eltern erzogene junge Mann fühlte sich angesprochen und nahm an dem dreitägigen Kurs teil. Der Exerzitien­ leiter, ein Spätberufener, begeisterte ihn für den Priesterberuf, so daß der Mechaniker es wagte, mehrere Klöster anzuschreiben. Doch was da an Antworten kam, war alles 157

nicht das Richtige. Da fiel wie durch Zufall sein Blick auf eine Annonce im „Rosen­ hain“, der Zeitschrift der Ordensgemein­ schaft der alesianer Don Boscos, die Spätberufene zum Studium einlud. Der gerade wieder Arbeitslose besorgte sich Bücher für Latein und Mathematik und eig­ nete sich ihren Inhalt bis Mitte August 1926 an. Dann kam er nach Hause, um seinen Eltern die Entscheidung, den Priesterberuf zu ergreifen, mitzuteilen. In ein Missions­ land zu gehen, beabsichtigte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nach einem Jahr Studium in München und zwei weiteren in Fulpmes in Tirol hörte er einen Vortrag von Missionsbischof Met­ terlet aus dem Elsaß, der für die Mission warb. Wieder ließ sich Josef Arnold begei­ stern und erklärte sich bereit, in einem Mis­ sionsland zu wirken, und als der Salesianer­ orden zur Seligsprechung des Giovanni Bosco am 1. November 1929 in heroischer Weise ein leuchtendes Zeichen setzen wollte und 120 Missionare in die Welt hinaus­ sandte, war auch der Student Josef Arnold darunter. Sein Ziel war Kolumbien, seine erste Station Mosquere, wo er im Noviziat neben theologischen Studien her die Lan­ dessprache (Spani eh) erlernte. Am 31.Januar 1930, dem Don Bosco-Fe t, fand die Einkleidung durch Bischof Comin statt, es folgten weitere Jahre mit Studien und Praktika, bis er am 3. Dezember 1939 in der Kathedrale von Bogota, der Landes­ hauptstadt, die Priesterweihe empfing. Er verwaltete verschiedene Ämter, war Assi­ stent im Salesianerhaus, Ökonom und Vikar an der Wallfahrtskirche vom Kinde Jesu in Bogota. Tugenden, die sich der junge Mecha­ niker angeeignet hatte, Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, kamen jetzt zum Tragen. Für die Pfarrei von 40 000 Menschen standen nur drei Priester ständig zur Verfügung. Um so viele Menschen geistlich besser betreuen zu können, faßte man den Plan, vier Kirchen zu bauen. Zur Ausführung kam nur eine, die Santa-Ines-(Agnes-)Kirche in einem Vorort von Bogota, und sie erbaute P. 158 Die von P. Josef Arnold erbaute Santa-lnes­ Kirche in einem Vorort von Bogota Josef Arnold. In jahrelanger, mühevoller Arbeit, die nur in kleinsten Schritten voran­ kam, entstand sein Lebenswerk. Die Gelder wurden dadurch aufgebracht, daß der „Bau­ herr“ von Haus zu Haus betteln ging, Basare veranstaltet wurden, und al der Chorraum stand, dort Filme gezeigt wurden. Volle zehn Jahre wurde an dieser Kirche gebaut, 1951 war der Rohbau fertig, der Gottesdienst wurde bereits dort gehalten, als erst der Chorraum überdacht war, bei schlechtem Wetter reg­ nete es auf die Gläubigen im Kirchenschiff. Die Glocke mußte ein Pflugschar ersetzen, auf die man mit einem Eisen schlug. Erst am 15. Dezember 1975 konnte der Bischof die Kirche weihen. Doch war die Sorge um den Kirchenbau nur eine. Der Geistliche widmete seine Kraft, manchmal die letzte, dem religiösen Leben der ihm Anvertrauten und ihrer unvorstell­ baren sozialen Not. Früh begann der Tag, sehr früh. Beichtgelegenheit war am Sonntag von 5 bis 8 Uhr. Die Bereit chaft der Kolum­ bianer dazu war in unerhörtem Maße gege­ ben. Sie beichteten in einem Winkel der Kir­ che, in jeder Kirchenbank, im Freien, wo immer sie einen Priester trafen. Ein großer Teil des Sonntagmorgens war bei der Kinder­ freudigkeit dieser Menschen mit Taufen

ausgefüllt. Die von der Volksfrömmigkeit geprägten Formen der Religionsausübung waren die gleichen wie die in der Heimat: Messen, Andachten, Rosenkränze, Prozes­ sionen, Novenen zu Maria Immaculata. Der Jünger Don Boscos gab sich besonders der Marienverehrung hin. Gottesdienste wur­ den auch in Häusern und Hütten abgehal­ ten. Unterstützung fanden die Salesianerpa­ tres durch engagierte Laien: die „Vinzenz­ konferenz“, eine Organisation von Män­ nern, die sich um die Lage der Ärmsten küm­ merten und diesen mit kleinen Geldspenden zu helfen versuchten, und die „Legio Mariae“, Frauen und Mädchen, die Fami­ lienbesuche machten, Brautpaare zur kirch­ lichen Trauung, Eltern zur Taufe ihrer Kin­ der anhielten. Hinzu kam, wie es schon die Ordensregel vorsah, der aufopfernde Dienst P. Arnolds an den Armen und Ärmsten, an deren Vorfahren so schrecklich gesündigt worden ist. Die Menschen der Vorstadt leb­ ten in unsäglicher Armut. Die Eltern sahen sich außerstande, ihre Kinder zu kleiden und zu ernähren. So erschienen diese im Pfarr­ haus, erhielten Frühstück-, Mittag- und Abendessen, wenn es nötig war, auch eine Hose und ein Hemd. In der Familie waren diese Kinder meist nur nachts. Den Priestern gegenüber waren sie anhänglich. Ihr ständi­ ger Gruß: ,,Padre, benedicere me!“ (Pater, segne mich!). P.Josef Arnold nannten sie lie­ bevoll „Pepito“ (kleiner Josef). Gewiß große Überwindung kostete die Betreuung der Aussätzigen, zu denen er, da sie von Gesetzes wegen in schwer zugänglichem Gelände weit außerhalb bewohnter Gebiete untergebracht waren, reiten mußte. Ihnen galt seine beson­ dere Hingabe. Wahrhaftig eine glaubwür­ dige christliche Mission! So hielt der Sohn Gremmelsbachs von 1929 bis 1958 in einem Land maßloser Gegensätze aus, in einer Großstadt mit ihrer Mischbevölkerung in 2600 m Meereshöhe, in tropischem Klima, das keine Jahreszeiten kennt, was ihm am meisten zu schaffen machte, oft mit einer geschwächten Gesund­ heit ringend, aber auch nie ernsthaft erkrankt -und die Heimat nie vergessend. Das Bild der Gremmelsbacher Kirche begleitete ihn immer. Für einen Ferienaufenthalt kehrte er im Sommer 1951 für einige Wochen in die Heimat zurück, feierte festliche Nachprimiz und hielt zur Glockenweihe die Predigt. Dem älter gewordenen Menschen wurde der zweite Abschied nach Amerika bitterer als der erste, aber er nahm ihn wieder auf sich. Gegen Ende seines zweiten Aufenthaltes in Bogota kam es zu einem Zwischenfall. Ein Bräutigam stellte P. Arnold mit einer Mord­ waffe nach, weil er meinte, der Geistliche habe seine Braut davon abgebracht, ihn zu heiraten. Solchermaßen bedroht, wollte er mit der Rückkehr in die Heimat nicht mehr länger zögern. Vor seinen Ordensoberen in Deutschland äußerte er den Wunsch, in einer Gegend, die seiner Heimat ähnlich ist, sein Leben beschließen zu dürfen. Da bot sich das Dominicus-Savio-Haus, das Noviziat der Norddeutschen Salesianerprovinz in Jünke­ rath in der Eifel an. Der aus der Weite der Weltkirche heimgekehrte, alte Missionar ordnete sich nun wieder in eine kleine Haus­ gemeinschaft ein. Aber es hätte nicht seinem Wesen entsprochen, jetzt die Hände in den Schoß zu legen: dafür war er zu tief beunru­ higt von der Profanierung des öffentlichen Lebens und zu sehr bewegt von der Sorge um das Seelenheil seiner Mitmenschen. Er wurde Beichtvater nicht nur für die Novizen im eigenen Haus, sondern auch für viele Gläubige in der Umgebung. Seine „Gute­ Nacht-Ansprachen“ waren von den Mitbrü­ dern hochgeschätzt. Menschen, wo immer sie ihn brauchten, wollte er zur Verfügung stehen. ,,Seine“ Pfarrgemeinde wurde Schönfeld in der Nähe Jünkeraths. Dabei kam ihm außer seiner Menschenfreundlichkeit, die seine Pfarrkin­ der sogleich fühlten, sein feinsinniger, güti­ ger Humor zustatten, der seine Zuhörer nie auf Kosten anderer schmunzeln ließ. Den Beginn einer Predigt formulierte einmal so: Jhr habt schon viele guten Predigten (mei­ nes Vorgängers) gehört, heute hört ihr ein- 159

mal eine schlechte.“ Die Aufmerksamkeit der Gottesdienstbesucher war ihm sicher. Nie, sagen seine Zuhörer heute noch, waren seine Predigten langweilig, immer anschau­ lich und wohlüberlegt. Bei der „stillen“ Seel­ sorge, der Betreuung Schwerkranker und Sterbender, der Tröstung der Hinterbliebe­ nen, war ihm die Gnade des helfenden Wor­ tes geschenkt. Manche Sterbenden verlang­ ten nur nach seinem Beistand. Neben geistlichen hinterließ er auch kon­ krete Spuren: Seine Idee war es, an dem sanft ansteigenden Gelände oberhalb des Ordens­ hauses im Wald auf dem „HerrenkopP‘ die 14 Kreuzwegstationen aufzustellen, einen Weg, den er in Gebet und Betrachtung versunken, selbst sehr oft ging. Er hielt durch briefliche Kontakte Verbindung zu einigen hundert Förderern der Salesianer. Geliebt von seinen Ordensbrüdern, ge­ achtet von allen, die ihn kannten, ein Vor­ bild, o verbrachte P. Josef Arnold seine letz­ ten Jahre. Immer ausschließlicher wurde die Gnade um eine gute Sterbestunde sein Anlie­ gen, die Heilige Schrift und das Brevier seine Beschäftigung und der Rosenkranz sein betrachtendes Gebet. Die Beschwernisse des Alters nahm er gottergeben an und ertrug mit Geduld auch alles Unangenehme der not­ wendigen Pflege. Schließlich kam am Palm­ sonntag, dem 15. April 1984, seine Stunde. Bestattet wurde er neben der 14. Station „sei­ nes“ Kreuzweges am folgenden Gründon­ nerstag, zwei liturgisch herausragenden Tagen des Kirchenjahres, was von seinen Ordensbrüdern als Vorzug empfunden und gedeutet wurde. Karl Volk Das Villinger Benediktinerkloster auf zwei alten Zeichnungen Im Villinger Stadtarchiv (Abt. Karten und Pläne, Sammelmappe ohne Signatur) wer­ den zwei mjt Text versehene Zeichnungen aufbewahrt, die anscheinend noch recht wenig bekannt sind. In derselben Mappe lie­ gen übrigens auch Kopien von Darstellun­ gen der Belagerung Villingens im Januar 1633 und der Niederbrennung Schwennin­ gens im Februar 1633. Auf eine der beiden Zeichnungen hat Paul Revellio in seinem Buch „Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen, 1964″ hin­ gewiesen und dazu bemerkt (S. 177, Anm. 2), es handle sich um „ei11e auf Dekan Athanas Stöhr (1810-1877) zurückgehende Kopie eines alten Bildes“ und zeige den Zustand des Klosters von 1633. Die zweite Zeichnung stammt offensicht­ lich von derselben Hand. Beide Abbildun­ gen mögen für sich selber sprechen, ich gebe hier nur noch die Beschriftungen wieder, die den Zeichnungen beigegeben sind: Die erste lautet: ,,Das Benediktiner Kloster anno 1633. / A. Pfleghof. / B. Capelle, erbaut 1487. / C. Thurm an der Stadtmauer. / D. Stadtmauer.“ Die Zeichnung, die einen späteren Zu­ stand des Klosters zeigt, ist wie folgt erläu­ tert: ,,B. Ringmauer. Hier wurde der nörd­ liche Flügel des Klosters erbaut anno 1662. / A. Pfleghof / C. Kirche ohne Chor und Thurm, eingeweiht 1719. / D. Innere Stadt­ mauer, wo im Jahre 1729 der westliche Flügel des Klosters hingebaut wurde. / E. Chor der Capelle, welcher nach völliger Erbauung des Klosters wieder abgebrochen wurde.“ Wenn nun, wie Revellio meint, die eine Zeichnung (mit dem Zustand von 1633) tat­ sächlich die „Kopie eines alten Bildes“ ist, wie sollte es nicht die andere ebenfalls sein? Und wenn es so wäre: wer könnte jene „alten Bilder“, die vielleicht Zeichnungen waren, angefertigt haben? Vielleicht war eine dieser Vorlagen der 160

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Bauentwurf des Architekten Michael Thumb, den jener anläßlich seines Besuchs bei Abt Georg III. Gaisser in Villingen im Jahr 1687 fertigte und der „zum Leidwesen der For­ schung verschollen“ ist.1 Vielleicht war’s auch eine Zeichnung des Laienbruders Kilian Stauffer, der, wie Revellio dartut, dem berühmten Baumeister zuarbeitete. Da sind noch mehr Fragen als Antworten. Dr. Manfred Reinartz ‚ Regina Willner: .Villingen. Benediktinerkirche“, in Südwest Presse/Die Neckarquelle vom 12. Nov.1988 125 Jahre Lorenzkirche St. Georgen völlig neu gebaut worden. Die Kirche selbst hingegen war im wesentlichen in ihrer mit­ telalterlichen Gestalt erhalten geblieben. Somit wurde beim Brand vom September 1865 einer der letzten Zeugen der klösterli­ chen Zeit zerstört. Schon bald ging man daran, einen Neu­ bau zu planen. Da die alte Kirche ohnehin zu klein geworden war, hatte man schon in den Jahren zuvor des öfteren über einen Neubau nachgedacht. Es existierten sogar fertige Pläne, einen Neubau über den Ruinen der ehemaligen Abteikirche zu errich­ ten. Der Karlsruher Oberbaurat Heinrich Hübsch hatte dazu die Pläne für eine präch­ tige neuromanische Kirche gefertigt. Nach dem Brand entschloß man sich dann aber, aus Kostengründen den Neubau wegen des noch vorhandenen Turmes am Platz der alten Kirche zu errichten. Der evan­ gelische Oberkirchenrat in Karlsruhe beauf­ tragte daraufhin Bauführer Kessler aus Emmendingen, Pläne zu entwerfen. Nach einigen kleinen Änderungen wurden die Pläne schließlich gutgeheißen. Am 20.Juni 1866 war die feierliche Grundsteinlegung. Die Arbeiten gingen zügig voran und bereits am Kirchweihtag des folgenden Jahres, am 27. Oktober 1867, konnte das neue Gottes­ haus eingeweiht werden. Und am 14.11.1867 berichtet Dekan Schmidt dem Evangelischen Oberkirchen­ rat: »Am 27.10.1867 hat sich der gehorsamst Unterzeichnete morgens frühe nach St. Ge- 163 Am 27. Oktober 1867 eingeweiht Als in St. Georgen der Morgen des 19. Sep­ tember 1865 dämmerte, konnte noch nie­ mand ahnen, daß an diesem Tag eine der größten Katastrophen in seiner Geschichte über den Ort hereinbrechen würde. Es war ein Dienstag. Der Tag war für die Jahreszeit ungewöhnlich heiß. Es war gegen halb neun Uhr früh. Die meisten gingen gerade ihrer täglichen Arbeit nach, als plötzlich in dem Gäßchen zwischen dem Haus des Christian Haas und dem der Witwe Rieger ein Haufen Reiswellen in hellen Flammen stand. Durch den Rauch angelockt, eilten gleich mehrere zur Brandstelle. Doch die ersten Löschversu­ che kamen zu spät. In Windeseile hatte das Feuer das Haas’sche Haus erfaßt, das sofort in Flammen stand. Da auch die Nachbarhäu­ ser überwiegend aus Holz gebaut waren, brei­ tete sich der Brand rasch aus. Die Feuerwehr war machtlos. Ein kräftiger Wind trieb das Feuer weiter und bald hatte es den gesamten Ortskern erfaßt. Gegen 10 Uhr stand der rote Hahn auch über der Lorenzkirche. Das Kir­ chengebäude fiel den Flammen zum Opfer, nur der Turm konnte unter größten Anstren­ gungen gerettet werden. Nach dem das Feuer erloschen war, lagen 22 Wohnhäuser und die Kirche in Trümmern. Die Lorenzkirche war ursprünglich wohl noch zur Klosterzeit als Gottesackerkapelle für die Bewohner, die außerhalb der Kloster­ mauern wohnten, gebaut worden. Erst spä­ ter, nach dem Brand der Abteikirche, wurde sie Pfarrkirche. Der Turm war, nachdem er baufällig geworden war, im Jahre 1680 fast

Kirchengemeinderath besorgte, sind ca. 2500 Personen versammelt gewesen … . . . unterdessen begab sich der Dekan mit den Geistlichen und Kirchengemeinderä­ then, welche die hl. Gefäße trugen, an den Altar und nahm den Weiheakt vor. Seiner Ansprache lag Bar. 3, 24 zu Grunde … Die Predigt des Ortsgeistlichen über Ps. 74, 2. Nach Absingen des letzten Verses hielt Pfr. Martini eine Ansprache von der Kanzel. Das Schlußgebet hielt Pfr. Fath am Altare … Die Redner auf der Kanzel sagten aus, daß etwas schwer zu sprechen sei, am Altar ist gut zu sprechen. Ein Mann mit starker Stimme und guter Brust wird allenthalben gut verstanden werden. Stärender Widerhall ist nicht vor­ handen. Die ganze Feier war eine sehr erhe­ bende.“ Doch schon bald bemerkte man, daß beim Kirchenneubau etwas Wesentliches übersehen worden war: Der alte Turm und die neue Kirche standen in keinem guten Größenverhältnis zueinander. Der Turm war im Vergleich zum hohen Kirchen chiff viel zu niedrig und so war auch das Geläute in weiten Teilen des Kirchspiels nicht zu hören. So wurde der Wunsch nach einem hohen, weithin sichtbaren Turm immer lebhafter geäußert. Zu Beginn der 90er Jahre wurde die Frage jedoch immer dringlicher, da die Ober­ geschosse des alten Turms baufällig gewor­ den waren. Nachdem langwierige Verhand­ lungen im Spätherbst 1899 zum Abschluß gebracht worden waren, wurde beschlossen, die baufälligen Stockwerke des alten Turms abzutragen und dann „auf den erwiesener­ maßen bausicheren Stumpf aufzubauen“. Die Pläne zeichnete der Vorstand der evang. Kirchenbauinspektion, RudolfBurkhard aus Karlsruhe. Über den Turmbau heißt es in einer alten Urkunde: Am 28. Mai wurde mit dem Aufschlagen des Gerüstes begonnen; mit den Abbruchs­ arbeiten am 12.Juli; mit dem Aufbau am 3. August. Das Jahr 1900 war ein gesegnetes Jahr, Handel und Gewerbe blühten; Feld­ früchte, Obst und Wein gab es reichlich; orgen begeben, um H. Auftrage zu entspre­ chen. Um 10 Uhr versammelte sich die Gemeinde in dem als Betsaal benützten Saale des Gasthauses zum Bären, wo Gesang, Ansprache des Ortsgeistlichen und Gebet die Feier eröffneten. Den Festzug eröffnete die Schuljugend, welche unterwegs, bis zur Kirche, einen Choral sang, dann folgten der Dekan mit dem Stadtpfarrer Martini von Sulzburg und Pfarrer Fath zur Seite. Die Geistlichen von Tennenbronn, Buchenberg, Mönchweiler, die beiden Oberamtmänner Bader von Villingen und Engelhorn von Tri­ berg schlossen sich an, und dann folgten Kir­ chengemeinderäthe, Männer und Frauen in großer Zahl. An der Thüre überreichte Bau­ führer Kessler dem Dekan den Schlüssel, und dieser übergab ihn dem Ortspfarrer, wel­ cher die Thüre aufschloß, wobei jeder einige passende Worte redete … die große Men­ schenmenge strömte in die große, helle und schöne Kirche. Nach einer Zählung der Bänke und darauf sitzende Personen, die ein 164

selbst auf unserer Höhe trugen die Bäume Äpfel und Birnen in seltener Menge. Trotz allerlei Unruhen und einem häßlichen Krieg draußen in wichtigen Absatzgebieten und obgleich das deutsche Reich sich genötigt sah, eine größere Truppenmasse nach China zu entsenden, war die Lage doch friedlich und hier am Ort fehlte es nie an Arbeitsgele­ genheit und regelmäßigem Verdienst. Unser Bau aber war im allgemeinen von gutem Wetter begünstigt; vor allem war es eine günstige Fügung, daß die Witterung noch im Oktober und November ohne grö­ ßere Unterbrechung zu arbeiten gestattete. Vom 17. bis 20. Oktober richteten die Zim­ merleute die Turmspitze auf; am 1. Novem­ ber wurde das Mauerwerk fertiggestellt; abends wurde das Mauerwerk um 5.30 Uhr durch Versehen des letzten Hausteines (Gie­ belkreuzblume) vollendet. So darf noch vor Ablauf des alten Jahrhunderts die Vollen­ dung des Werkes erhofft werden. Gepriesen sei Gottes Gnade, daß bisher kein Unfall vor­ gekommen ist! Bis zur Oberkante des Kreuzes erreicht der Turm eine Höhe von 57 m und zählt damit zu den höchsten Türmen unserer Hei­ mat. Im Jahre 1914 wurde die Lorenzkirche renoviert und innen ausgemalt. Bereits 1913 hatte der Kirchengemeinderat im Zusam­ menhang mit der bevorstehenden Renova­ tion beschlossen, die Reste des alten Hochal­ tars, die beim Brand gerettet werden konn­ ten, zu verkaufen. Es handelte sich um einen Altarflügel und die fünf fast lebensgroßen Figuren der hl. Laurentius, Georg, Maria, Barbara und Katharina aus dem 16.Jh. All diese Werke kamen in die staatliche Kunst­ halle in Karlsruhe, wo sie sich noch heute befinden. In beiden Weltkriegen verlor die Lorenz­ kirche ihre Geläute. Bereits 1949 konnten vier neue Glocken angeschafft werden; eine von 1921 war noch vorhanden. Zwei der neuen Glocken waren jedoch aus dem Ersatzmaterial Weißbronze hergestellt wor­ den und darum nicht von guter Klangquali- tät. So wurden diese und die altersschwach gewordene Glocke von 1921 bereits 1964 wie­ der vom Turm geholt. Zu den beiden verblie­ benen kamen vier neue, so daß seit der Glok­ kenweihe an Pfingsten 1964 sechs Glocken zu Gebet und Gottesdienst rufen. Im Jahre 1954 wurde die nordöstliche Ecke des Kirchenschiffs durchbrochen, um den Gehweg entlang der Straße hindurch­ führen zu können, 1956 wurde das Gemein­ dehaus erbaut. In den Jahren 1961/62 wurde das Innere gründlich renoviert. Dabei wurde auch die Ausmalung von 1914 entfernt. Auch die alten Chorfenster mußten neuen aus Glasbeton weichen. Im Jahre 1968 erhielt die Lorenzkirche eine neue Orgel mit 46 Registern und über 4700 Pfeifen. Diese zählt zu den größten und klanglich schönsten im weiten Umkreis. Seit einigen Jahren wird das Gotteshaus nun Schritt für Schritt renoviert. Zuerst mußten die Konsolen der Empore durch neue ersetzt werden, ebenso die Sockel der Pfeiler im Kirchenschiff. 1989 wurde dann mit der Außenrenovierung begonnen. Das Dach wurde neu eingedeckt, der teilweise verwitterte Sandstein mußte saniert werden, ebenso sämtliche Fenster. 1990 war dann der Turm von Gerüsten verhüllt. Auch hier stand die Sanierung des Sandsteins an. Außerdem mußten Glockenstuhl und Glok­ kenarmaturen saniert werden. Das Turm­ dach erhielt anstatt der Schindeln eine Kup­ ferhaut. Als man dabei die Weltkugel hoch droben öffnete, kam auch die Urkunde aus dem Jahre 1900 zum Vorschein, die uns Aus­ kunft über dem Turmbau gibt. Der Wunsch, der darin zum Ausdruck gebracht wird, hat auch heuer, im 125jährigen Jubiläumsjahr, noch Gültigkeit: Möge der Turm, wie er weithin sichtbar ist, und der Schall der Glocken, der über Berg und T hal geht, den späteren Geschlechtern zeugen von der Treue und Liebe, mit der ihre Vorfahren, wie zu Kaiser und Reich, so auch zum evangelischen Glauben standen; möge das Werk, das hier vollendet worden ist, alle­ zeit rühmen die Ehre Gottes und die 165

Gemeinde mahnen, daß alle gute Gabe für Leib wie Seele von oben her kommt, vom Vater des Lichts. Das walte Gott. Jochen Schultheiß Q!iellen: 1) Eduard Martini „Geschichte des Klo­ sters und der Pfarrei St. Georgen“, 1859 (Nachdruck 1979). 2) Karl Theodor Kalchschmidt „Ge­ schichte von St. Georgen“ 1895 (Nach­ druck 1988). 3) 100 Jahre Lorenzkirche, Festschrift 1967. 4) Eigene Aufzeichnungen. 5) Urkunde aus der Turmkugel, Repro­ duktion 1990. Zum Heil der Verbrecher und Verdammten Auf dem Schächer bei Fürstenberg steht seit Jahrhunderten eine eigenartige Kapelle Am Fuße des „fürdersten Berges“, des Für­ stenberges, aber noch hoch über der welligen Hochfläche der Baar und dem Jugendlauf der Donau, stehen einige Häuser, die unter dem Namen „Schächer“ bekannt sind. Über seinen Dächern thronte einst die Stamm­ burg der Fürstenberger, die als Grafen von Urach nach Freiburg im Breisgau kamen, um dann nach der Erbteilung auf diesem mar­ kant aufragenden Gipfel Wohnung zu neh­ men und den kommenden Geschlechtern den Namen dieses Berges zu geben. Erst Jahr­ hunderte später zogen die fürstlichen Hohei- ten an den Zusammenfluß von Brigach und Breg und erbauten dort neben der „Donau­ quelle“ ihr Prunkschloß, von dem aus sie ihren großen, weitv.erzweigten Besitz regier­ ten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg zerfiel die Stammburg und 1845 wurde die Stadt auf dem Berge, die durch Wälle, Mauern und Tore geschützt war, durch eine Feuersbrunst in kürzester Zeit ein Raub der Flammen. Als eine der kleinsten Städte Deutschlands wurde sie am Fuße des geschichtsträchtigen Berges wieder aufgebaut (vgl. Almanach 90, Seite 21-24). Die Stadt Fürstenberg auf dem ,jürdersten Berg“ nach einer alten Darstellung. Am Fuß des linken Abhangs (Pfeil) der kleine Weiler Schächer 166

Zu ihr gehört aber auch der Schächer, der auf dem Sattel zwischen der Länge und dem Fürstenberge steht. Während die Menschen heute freudig ihre Schritte nach diesem herr­ lichen Aussichts- und Ausflugsziel lenken, so schauten sie früher nur mit Grausen und Angst nach diesem Orte und vennieden es sorgsam, diese Stelle zu betreten. Hier oben wurden einst die vom Landgericht der Baar zum Tode verUiteilten Schwerverbrecher hingerichtet. Nicht ohne Absicht dürfte man diesen gut sichtbaren, aus dem Tal aufragen­ den Platz gewählt haben, um so ein warnen­ des, mahnendes und zugleich abschrecken­ des Zeichen für das Volk um den Oberlauf der Donau zu sein. Doch die Richter konnten ihr Urteil nur für die irdische Welt fällen, im Jenseits wird mit anderen Maßen und nach anderen Gesetzen gerichtet. Deshalb wollte man den Todgeweihten auf der Schwelle zwischen Zeit und Ewigkeit den christlichen Trost und die Versöhnung mit dem Herrgott nicht ver­ sagen. Aus diesem Grunde erbaute man nahe der Richtstätte nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Kapelle, die nach einer Seite hin geöffnet war, so daß man von außen her das große Kreuz mit dem Erlöser sehen konnte. Links und rechts von Christus hängen die Kreuze der mit Christus einst hingerichte­ ten Verbrecher. Der Zusammenhang zwi­ schen der Richtstätte und der Schächerka­ pelle ist sehr leicht zu verstehen: Der Todes­ kandidat sollte, bevor sein Lebenslicht durch den Henkersknecht ausgelöscht wurde, nochmals dieses Bild vor Augen haben, um zu erkennen, daß der Weltenrichter selbst dem reuigen Mörder, dem von allen Men­ schen verdammten Schwerverbrecher, Ver­ zeihung gewährt, wenn er nur seine Schuld bereut wie der Schächer zur Rechten des Gekreuzigten. Ihm versprach der sterbende Heiland an jenem ersten Karfreitag auf Gol­ gatha: ,, … noch heute wirst du bei mir im Paradiese sein.“ Eingedenk dieser Verhei­ ßung des sterbenden Heilandes hat später die Kirche den einsichtigen Schächer als St. Dis­ mas in den Heiligenkalender aufgenommen. 168 Aber auch das Bild des verstockten und damit ewig verstoßenen Schächers erblickte der Todeskandidat als Aufforderung zu Umkehr und Reue. Interessant ist nun bei dieser Kreuzigungsgruppe in der Schächer­ kapelle, daß Jesus vollkörperlich dargestellt ist, während die beiden Schächer auf zuge­ sägten Brettern, also fast nur bildhaft an ihren Kreuzen angebracht sind. Auch haben beide die gleiche Blickrichtung, ohne zum ,,Heil der Welt“ aufzuschauen. Auf einer eingelassenen Sandsteinplatte ist zu lesen: ,,Die Schächerkapelle stammt aus der Zeit nach dem 30jährigen Krieg und wurde errichtet zum Troste für die vom Landgericht der Baar Verurteilten, die hier hingerichtet wurden. – Herr gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst. – Luk. 23.42″ Die Kreuzigungsgruppe ist also im 17. Jahrhundert entstanden, die Kapelle selbst soll aber bereits 1585 erstmals urkundlich erwähnt worden ein. Sie gab aber nicht nur der kleinen Häusergruppe ihren Namen, sondern will auch den heutigen Besucher, der der Hast und dem Lärm der lauten, ruhe­ losen Welt entronnen ist, zur stillen Besin­ nung und Einkehr mahnen und einladen, wenn auch die Zeiten, da hier oben das Tor zum Jenseits gewaltsam aufgestoßen wurde, schon längst entschwunden sind. Kurt Klein En guete Fang Des Fischersfranze Bua, er sitzt am Bach un [fischt, En Turischt goht nebenum un frogt: ,,Wa [he eh jez scho verwischt?“ „Wenn i den han, uff den i paß, und no ein [drzua“, Sait dr Klei, ,,derno han i zwi, dno han i [gnua!“ Bertin Nitz

Die St.-Wendelin-Kapelle in Oberkimach In früherer Zeit ein bekannter und gern aufgesuchter Wallfahrtsort Als 1496 die St-Wendel-Kapelle geweiht wurde, handelte es sich nicht um die erste Kapelle an dieser Stelle. Über die Größe und das Aussehen der Vorgängerin wissen wir noch weniger, als von der 1496 eingeweihten Kapelle. Sie wurde wahrscheinlich anfangs des 15. Jahrhunderts von den viehzüchten­ den Bauern des Oberkirnacher Tales und der näheren Umgebung errichtet und wurde keine 100 Jahre alt, bis sie abgerissen und durch eine größere Kapelle ersetzt wurde, deren spärliche Reste sich heute, nach erfolg­ ter Freilegung in den 70er Jahren, dem Besu­ cher präsentieren. Der Abbruch der ersten Kapelle, sie ist nicht etwa abgebrannt oder durch Naturgewalten zerstört worden, kann nur aus Platzgründen, d. h. aus Raumman­ gel, erfolgt sein. Im 15. Jahrhundert kam auch die Vereh­ rung des heiligen Wendelins immer stärker auf und griff rasch um sich. St. Wendelin gilt als alemannisch-fränkischer Volksheiliger. Er wurde weit verbreitet verehrt, im Laufe der Zeit in zunehmendem Maße, dies vor allem im ländlichen Raum. Franken und die alemannischen Lande waren Hauptgebiete dieser Verehrung, dazu gehörte auch das Elsaß. Es ist erstaunlich, daß der Rhein als ungezügelter Strom über Jahrhunderte hinweg keinen trennenden Charakter hatte und daß Glaube, Brauch­ tum, Sprache und Kultur stets, und das bis heute, ihre Brücken schlugen und zur ande­ ren Seite Zugang fanden. St. Wendelin galt und gilt als der Schutz­ heilige des Viehs, der Hirten, der viehzüch­ tenden Bauern. Die Blüte seiner Verehrung wurde im 16. Jahrhundert erreicht, sie dau­ erte bis ins 18. Jahrhundert. Die Existenz dieser ersten kleineren 169

Kapelle muß sich schnell herumgesprochen haben. Man kann annehmen, daß vielleicht eine Viehseuche aktueller Auslöser für die­ sen ersten Kapellenbau war. Und schon in dieser Zeit fanden die ersten Wallfahrten statt, deren Umfang zugenommen haben muß im gleichen Maße, wie die St.-Wende­ lin-Verehrung im allgemeinen zunahm. Und wenn überregional die St.-Wendelin­ Verehrung um 1500 herum erste Höhe­ punkte erreichte, so deckt sich dieses Datum mit dem Zeitpunkt des Kapellenneubaus. Die Weihe erfolgte, wie der 1987 errichtete Gedenkstein verrät, am 4. Oktober 1496, also vor nunmehr beinahe 500 Jahren. Sie wurde von dem Konstanzer Weihbi­ schofDaniel Zehender durchgeführt, der zu dieser Zeit ohnehin für ein paar Tage im St. Georgener Raum weilte. Anlaß für sein Kommen war freilich nicht primär die St.-Wendelin-Kapelle. Denn in St. Georgen waren die wieder erstellte Klosterkirche und die Klostergebäude, die 1480 abgebrannt waren und nach 16jähriger Bauzeit neu erstellt worden waren, zu weihen. Vielleicht, ja es ist anzunehmen, waren der St. George­ ner Abt Georg von Ast und etliche Kloster­ brüder dabei, als die St.-Wendelin-Kapelle geweiht wurde. Der obere Teil des Kirnachta­ les gehörte ja zum Kloster St. Georgen, auch das Gewann St. Wendel. Die Weiheurkunde der St.-Wendelin­ Kapelle befindet sich heute im Stadtarchiv Villingen. Interessant aber ist auch, sich zu vergegen­ wärtigen, daß sich in einer Zeit, als es noch keine Nachrichtenübermittlungstechniken gab, der Ruf dieser St.-Wendelins-Kapelle verbreitete. Die Wallfahrer kamen sogar u. a. aus dem Elsaß. Zu diesen Wallfahrten gehörte auch ein entsprechendes Verkehrs­ system, sprich Wegenetz, dazu. Ein derarti­ ges Netz gab es in der Tat zu jener Zeit schon, sicherlich auch wegen der Bedeutung des St. Georgener Klosters. Nahe St. Wendel kamen politische Gren­ zen zusammen: Vorderösterreich, Fürsten­ berg und das Herzogtum Württemberg, auf 170 dessen Territorium St. Wendel lag. Am Schlempen, in nächster Nähe, war ein Stra­ ßenknotenpunkt samt Zollhaus. So lag St. Wendel in früheren Jahrhunderten nicht so einsam und bedeutungslos wie heute. Diese günstige Verkehrslage kam sicher den Pilgern aus dem Breisgau, dem Elsaß und den Vogesen entgegen. Jedenfalls berichtet Abt Gaißer, der von 1595 bis 1655 lebte, in seinen Tagebüchern, daß viel Volk aus diesen genannten Regionen herbeige­ strömt sein soll, um den Heiligen Wendelin zu verehren. Und man muß auch sehen, daß das einfache Volk schon von einer starken Triebkraft und tiefen Glaubensüberzeugung beseelt gewesen sein muß, wenn es die Beschwerden eines mehrtägigen Unterneh­ mens auf sich nahm. Anreise, Aufenthalt und Rückkehr waren mit Strapazen und Ent­ behrungen verbunden. Und was wir uns heute in wenigen Stunden leisten, war damals mühsam, zeitraubend und langwie­ rig. Und dennoch: Das Volk strömte. Von den Vogesen hierher war es ein Fuß­ marsch von vielleicht 4 Tagen in einfacher Richtung. Fahrzeuge waren unüblich, für Pil­ ger erst recht. Sicherlich ist man in Gruppen gezogen, schon der Sicherheit wegen. Sicher­ lich gab es unterwegs hin und wieder Betreu­ ung am Wege durch Einsiedler. Dennoch: Das Pilgern war ein Abenteuer. Höhepunkte der St.-Wendelin-Vereh­ rung während des Jahresablaufes waren der St.-Wendels-Tag am 21. Oktober und der Sonntag Exaudi, also der 6. Sonntag nach Ostern, und der 5. Juli als weiterer Wende­ linsfeiertag. Der hauptsächliche Wallfahrtstag, an dem sich viel Volk einfand, dürfte jedoch der Sonntag Exaudi gewesen sein, schon von der Jahreszeit her gesehen. Im Sommer nächtigt es sich im Freien leichter. Wie sah nun die St.-Wendelin-Kapelle aus? Ihre rekonstruierte Grundrißforrn auf­ grund der Ausgrabungen nach ziemlich zuverlässigen Erkenntnissen kann man heutzutage ansehen. Die Kapelle ist 11,8 m lang und 6,3 m breit.

Der Chorraum hat die Form eines halbierten Sechseckes, allerdings stimmt die Symmetrie doch nicht ganz. Diese Form des Chorrau­ mes habe ich bei mehreren Wendelin-Kapel­ len, die ich aufgesucht habe, vorgefunden. Die Wände sind etwa 80 cm dick. Nach der einzigen, allerdings nicht unbedingt zuver­ lässigen bildlichen Überlieferung gab es ein Glockentürmchen, welches über dem Chor­ raum angeordnet war, also am östlichen Ende der Kapelle. Die Architektur der Kapelle war, nebst durch das Türmchen, durch die gotischen Maßwerkfenster in den Längsfassaden geprägt. Wir haben bei den Ausgrabungsarbeiten solche Fenstereinfas­ sungen gefunden und sichergestellt. Am westlichen Ende der Kapelle war möglicher­ weise ein Haupteingang, jedenfalls nach der eben erwähnten bildhaften Darstellung, die übrigens aus der St. Georgener Klosterge­ bietskarte stammt, die etwa um 1600 gezeich­ net wurde. Dieser Haupteingang hatte einen Überbau und mag recht einladend und repräsentativ gewirkt haben. Allerdings fan- den wir für diesen Haupteingang bei unseren bisherigen Ausgrabungen keine Anhalts­ punkte. So kommt es, daß wir uns heute mit einem festgestellten Seiten- oder vielleicht doch Haupteingang begnügen müssen. An sich ist das bedauerlich, wir hätten sehr gerne den Westeingang entdeckt, schon wegen der dort angeblich befindlichen beiden Leichen­ steine, von denen Pfarrer Breuninger 1719 in seinem Buch „Über dem Urquell des Do­ nauestromes“ schreibt. Mit diesen Steinen sind auch wiederum Sagen verbunden. Wir wissen, daß die Außenwände nach außen als schlichtes Sandsteinsichtmauer­ werk ausgeführt waren und innen mit einem feinkörnigen, durchgefärbten, gelblichen Putz versehen waren. Wir wissen ferner, in welcher Höhe der Fußboden lag, daß der Chorraum etwa um 10-15 cm erhöht war und wir können auch aus verschiedenen Anhalts­ punkten die Raumhöhe in etwa rekonstruie­ ren. Die jetzige Höhe der Außenwände ist zum großen Teil zurückzuführen auf Aktivitä­ ten des Städtischen Bauhofes im Jahre 1982. 171

nacher Bauern nicht gerade beliebt. Lange noch nach Einführung des Protestantismus in Württemberg wurden in St. Wendel noch Gottesdienste nach katholischem Brauch gehalten. Der St. Georgener Heimatforscher Heinemann berichtet, daß an Exaudi 1564, also drei Jahrzehnte nach Herzog Ullrichs Regierungsantritt, noch eine katholische Wallfahrt stattfand. Aber das Schicksal der Kapelle war nicht aufzuhalten. Der St. Georgener Pfarrer, so wird vermutet, hat sich beim reformierten Landesherrn eine Vollmacht erbeten zur Bekämpfung der katholischen Bräuche. Her­ zog Ullrich reagierte zunächst vorsichtig. Er wolle prüfen lassen, auf wessen Grund und Boden -hier kommt das Problem der Grenz­ nähe zum Ausdruck-die Kapelle stehe und wer die Macht habe, sie abzubrechen. Im Jahre 1569, so wird berichtet, war in der Kapelle immer noch ein Opferstock, in den Besucher Geld einlegten. Sie war für An- Es muß noch ein Wort zur Inneneinrich­ tung gesagt werden: Sie war nicht weniger stattlich als die äußere gotische Erschei­ nungsform, so klein die Kapelle auch war. Nachdem man von dem würdevollen Weiheakt 1496 weiß und von der Tatsache, daß die Prie ter von St. Georgen oft hier Messe gehalten haben, kann man davon aus­ gehen, daß sich hier an dieser Stätte nicht nur Pilgerleben abgespielt, sondern auch eine gewisse Form von Gemeindeleben ent­ wickelt hat. Diese These findet in zwei Punkten ihre Bestätigung: 1. Die Kapelle war sehr reich ausgestattet, wie es bei einem seltener gebrauchtem Raum nie der Fall gewesen wäre. 2. Bei dürftiger Nutzung hätte der Landes­ herr, Herzog Ullrich von Württemberg, sein Sohn Christoph und der junge Her­ zog Friedrich nie mit derartigem Nach­ druck auf die Unterbindung der Nutzung der Kapelle und auf deren Abbruch beste­ hen müssen. In dem Inventarium von 1569 werden genannt: Weihkessel, Opferbecken, Fahnen, Leuch­ ter, Altartafel, Wandelstangen, Meßbuch, Tücher und Decken, Kruzifix, Kelche, Meß­ gewänder u. a. m. Bei der Bedeutung und der allgemeinen Beliebtheit der Kapelle und der Kostbarkeit der Ausstattung wundert es nicht, daß die Oberkirnacher ihre St.-Wendelin-Kapelle lieb hatten und sich nicht von ihr trennen wollten. Wie kam es nun zu ihrer Zerstörung, um das Jahr 1605 herum, wie der Gedenkstein aussagt? Im Jahr 1517 begann die Reformation. Der schon erwähnte Herzog Ullrich, der seit 1534 regierte, führte sie in Württemberg ein. Der beginnende Wandlung prozeß war langwie­ rig und der Weg von Stuttgart bzw. dem Rotenberg (ehemal. Wirtemberg) bei Unter­ türkheim nach Oberkirnach weit. Aber St. Wendel war beim Landesherrn bekannt und auch wegen der Beharrlichkeit der Oberkir- 172

dachtssuchende geöffnet. 1585 war noch­ mals eine große Wallfahrt, wie in fürstenber­ gischen Aufzeichnungen vermerkt ist. Im gleichen Jahr, also 1585, begann dann die Ausplünderung der Kapelle durch Amt­ mann Müller aus St. Georgen. Sein Vorgän­ ger, Amtmann Vollandt, hatte dies bereits versucht, aber er gab sein Vorhaben auf, ohne Gewalt anzuwenden, im Gegensatz zu Amtmann Müller. Graf Heinrich von Für­ stenberg beschwerte sich daraufhin bei Graf Eberhart von Tübingen in der Meinung, die Kapelle stünde in seinem Herrschaftsbe­ reich. Dabei weist Graf Heinrich nochmals auf die Kostbarkeit der Ausstattung hin. Die­ ser Brief ist überliefert; der Einspruch wurde jedoch vom württembergischen Herzog nicht anerkannt. Immerhin hat die territoriale Unklarheit dem Kirchlein zu längerem Leben verholfen. Selbst nach der vollständigen Ausplünde­ rung fanden noch heimlich kleinere Wall­ fahrten statt. Katholische Untertanen aus dem fürstenbergischen und vorderösterrei­ chischen angrenzenden Gebieten pilgerten zur St.-Wendelin-Kapelle. Das muß um die Zeit 1590 herum gewesen sein. Man bedenke: Herzog Ullrich hatte bereits 1536 das Wallfahrten verboten. Breuninger weiß 1719 noch zu berichten, daß, so lange das Kirchlein stand, auch die evangelischen Bauern des Oberkimacher Tales dort immer noch ihren Viehheiligen verehrten und Geldgaben opferten. Es ging eine Weile, bis die Bauern merkten, daß nicht der Heilige Wendelin, sondern die Oberkirnacher Hirtenbuben die Opferga­ ben einzogen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts befahl dann Herzog Friedrich nachdrücklich den Abbruch der Kapelle. Halbherzig und wider­ willig brachen die zur Zerstörung gezwunge­ nen Oberkirnacher Bauern das Glockentür­ mchen ab und rissen den Dachstuhl ein. Die verschiedenen vom Landesherrn ergange­ nen Abbruchforderungen brachten immer nur Teilerfolge. Der erwähnte Amtmann Müller aus St. Georgen ging daraufhin gewaltsam vor, indem er die Bauern, aber auch Gastarbeiter aus den angrenzenden Gebieten zwang, das Abbruchwerk voranzu­ treiben. Der Gesinnung der Oberkirnacher Bauern entsprach der Abbruch nicht, sie wollten die Kapelle ihres Heiligen geschont und erhalten wissen. Man kann davon ausge­ hen, daß nach den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende die Kapelle so weit zer­ stört war, daß sie sich nicht mehr nutzen ließ. Abgesehen von den Abbruchschritten nach 1600 haben wir einen Hinweis aus der Linacher Chronik. Das nahe Linach gehörte zum fürstenbergischen Bereich; dort wurde 1608 eine neue St.-Wendelin-Kapelle gebaut. Der St. Georgener Heimatforscher Heine­ mann meinte, daß in dieser Kapelle der Ersatz für das Oberkirnacher Wallfahrtshei­ ligtum zu sehen sei. Der St. Georgener Abt Gaißer hat 1629 die Ruine besichtigt. Es wird spekuliert, daß er Wiederaufbauabsichten gehabt haben soll. Pfarrer Breuninger beschreibt 1719 die Ruine so, daß die beiden Längsmauern noch ziemlich hoch seien und daß auch der Ein­ gang – welcher? – noch ganz zu sehen sei. Den Rest hat dann der Zahn der Zeit besorgt. Im 18. Jahrhundert ging dann aber auch ganz allgemein die St.-Wendelin-Verehrung zu­ rück und verlor an Bedeutung. Aber in ihrem Kampf um die Erhaltung ihrer Kapelle haben die Oberkirnacher Bau­ ern Standfestigkeit und Heimatverbunden­ heit bewiesen, verbunden mit tiefer Religio­ sität; sie haben ein Stück nunmehr wieder­ entdeckte Heimatgeschichte geschrieben. Im Jahre 1987 hat der St. Georgener „Ver­ ein für Heimatgeschichte“ den oben schon erwähnten Gedenkstein gestiftet und setzen lassen. Er war die Krönung der Initiativen, die in den 70er Jahren unter der Regie des Verfassers in gemeinsamer Arbeit mit Mit­ gliedern des St. Georgener Vereins für Hei­ matgeschichte zu Grabungen und Freilegun­ gen geführt hatten. Georg Rosenfelder 173

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Ein frommer Priester, Joseph Honold, von 1792 bis 1800 Pfarrer der fürstlichen Patronatspfarrei Blumberg, seiner Verpflich­ tung eingedenk, Hüter der göttlichen Ord­ nung zu sein, klagt den Obervogt an, Geneh­ migung zur Sonntagsarbeit gegeben und die Autorität des Pfarrers nicht respektiert zu haben. Man hätte sich ja an ihn wenden müs­ sen. Für dringende Fälle habe er die Voll­ macht zu dispensieren. So schreibt er: ,,Honolds Beschwerde bei der Hochfürst!. Hochpreis!. Regierung und Hochlöbl. Hof, weil das Fürstl. Obervogteiamt Blumberg die Abmessung der Früchte ab dem herrschaftli­ chen Kasten (gemeint ist der herrschaftliche Fruchtkasten im Städtle) an einem Sonntag gestattet hatte. DerJud Kusel hat ein �anturn Frucht ab dem herrschaftlichen Kasten dahier an sich verkauft. Mit Messung dieser Früchte wurde am 9. currentis nemlichen ann. (also am 9.Sept. ds.Js. an einem Samstag) der Anfang gemacht. Mir fiel nichts weniger ein, als daß am Sonntag darauf mit dem Messen fortge­ fahren werden sollte. Dieses geschah aber dennoch gegen all meine Erwartung, zum Ärgernis des Volkes, zur Entheiligung des Sonntags und zu meiner offenbaren Herab­ setzung. Meinem Amt und Pflicht war ich es schuldig, diese knechtliche Arbeit durch den Mesner dem Kastenknecht und den 6 Zehendtröschern, welche die Frucht gemes­ sen, untersagen zu lassen. Der Mesner kam aber mit der Antwort zurück, daß es der Herr Obervogt vor der Abreise nach Donau­ eschingen und Villingen befohlen habe. Und das Messen der Frucht wurde nicht unterbrochen. Nun vermuthete ich bey mir, daß die Sache sehr pressieren mußte und kei­ nen Aufschub leide, somit die Frucht noch am nemlichen Sonntag abgeführt werden sollte, welches aber nicht geschah, folglich …. An der jungen Eschach Ein Pfarrer verklagt den Obervogt noch Zeit genug gewesen wäre, die Früchte am Montag zu messen. Der Sonntag ist also ohne Noth entheiligt worden. Gesetzt aber auch, es hätte wirklich Gefahr auf einem Ver­ zug gehaftet, so wäre es dem Herrn Obervogt obgelegen gewesen, mir als Seelsorger die Notwendigkeit der Sache anzuzeigen. Eine Hochfürst!. Regierung und Hoch­ löbl. Hofkammer erbitte daher unterthänig, dem Herrn Obervogt zur Beobachtung sei­ ner hinkünftigen Schuldigkeit anzuweisen, daß er in dergleichen Fällen mit mir als Orts­ pfarrer communiciren (sich in Verbindung setzen) solle. In tiefstem Respect verharrend Eurer Hochfürst!. Regierung und Hochlöbl. Hofkammer unterthänig gehorsamster Josef Honold, Pfarrer Blomberg, den 12. Sept. 1793″ Die Antwort Es ehrt die F. F. Regierung, was sie in ihrer prompten Antwort vom 14. Sept. 1793, die sicher auch den Pfarrer befriedigt hat, schreibt: ,,Wir können nicht wohl glauben, daß die Abmessung der an den J ud Kusel ver­ kauften Früchte ab dem Herrschaftskasten absichtlich von dem dasigen Amt zur Ent­ heiligung des Sonntags verfügt worden seyn solle, und wir zweifeln nicht, es werde uns ebenfalls einsehen, daß bei gegenwärtigen Kriegszeiten und Anlaß der sich immer häu­ figer in diesen Gegenden aufhaltenden Trup­ pen manches absolute (unbedingt) gesche­ hen muß, welches sonst unterblieben seyn würde, besonders wenn es auf die Verprovi­ antierung derselben ankommt, wo öfters Gefahr auf dem Verzug haftet. Damit aber die göttliche Ordnung soweit möglich beobachtet und die wechselseitigen Verhältnisse (gemeint sind die guten Bezie­ hungen zwischen Regierung und Pfarramt, bzw. Kirche) nicht gestört werden, haben wir das Fürst!. Obervogteiamt angewiesen, in 175

ähnlichen Fällen und wo die Umstände eine Abweichung von der gesetzlichen Ordnung erfordern, mit dem Ortspfarrer übereinkom­ men und, wenn Gefahr auf dem Verzug haf­ tet, eine kurz mündliche Anzeige hiervon bei unserem Amt machen zu lassen.“ Könnten und müßten nicht viele Diffe­ renzen, die es zu jeder Zeit gibt, durch eine solche die Interessen und Rechte beider Par­ teien anerkennende und berücksichtigende offene und sachliche Aussprache sich in Wohlgefallen auflösen lassen? In unserem Fall war keiner Sieger und keiner Unterlege­ ner. Und keiner hat sich etwas vergeben. Josef Spintzik D’Gmondrotswahl ,Jörgli, hitt muescht du gi wähle, gwählt word jetzt de Gmonderot. Wähl mer aber nu on inni, wo au zu iis Berger schtoht!“ ,,Ha z’vill Arbet und bi lappig, ’s letschtmol ghandlet gar nitt gschiit. Wenn ech kinnt on u u ß i wähle, Bebbi, jo, noo niemdi Ziit!“ Gottfried Schafbuch Dopplet gneiit D’Fränz duet gosche und duet deebre, ’s Muul lauft‘ all, wie grad frisch gschmiert. D’Feischter clont sogar no schättre, wenn sie Krach im Huus verfiehrt. Der Schwarzwald-Baar­ Kreis in Farben 1. Das im Frühjahr 1990 reichlich angefal­ lene Sturmholz mußte wegen der Borken­ käfergefahr dauernd bewässert werden. Der Frost verursachte eine seltsame Eis­ landschaft. (German Hasenfratz, Hüfingen) 2. Winter in der Baar (German Hasenfratz, Hüfingen) 3. Regenbogen (Otto Geggus, ,,Engelwirt“, St. Georgen­ Brigach) 4. Kirche von Hondingen (Raimund Fleischer, Schwenningen) 5. Blick vom Brend Richtung Neueck ­ Gütenbach (Erwin Kienzler, Schonach) 6. Im Schwarzenbachtal, Schönwald (Erwin Kienzler, Schonach) Eren Hans hätt jo ninnt z’lachit, hört des Gschroa driißg Johr scho aa. „D’Fränz“, so seit er, ,,hät e Gosche und e Muul no nebetdra!“ 7. Otmarshof (Weissenbach), Schönwald (Monika Eckerle, Schönwald) 8. Schönwälder Trachten Gottfried Schafbuch (Monika Eckerle, Schönwald) 176

Die Glockenlandschaft der Baar Ein geschichtlicher Überblick Beiträge über Glocken sind schon in früheren Ausgaben des Almanach veröffentlicht worden. Mit der nachfolgenden Abhandlung aus der Feder des Glockensachverstän�zien des Erzbistums Freiburg wird das Glockenthema weiter vertieft, zunächst in einem geschichtlichen Uberblick und in späteren Beiträgen zu einzelnen herausragenden Glocken. Wer sich der Mühe unterzieht, die verschiedensten Glockenlandschaften auf­ merksam mit offenem Ohr zu durchwan­ dern, wird sehr schnell charakteristische Klanggebilde entdecken, die von den Tür­ men unserer Kirche herabklingen. So wie unsere Dörfer und Städte einen Großteil ihrer Identität aus der Unverwechselbarkeit ihrer Silhouette, geprägt durch die Türme der Kirchen, Dome und Kathedralen, schöpften und schöpfen, ebenso unverwech­ selbar war und ist das Klangbild, das von die­ sen Türmen über die Dächer flutet, eine unverwechselbare Klangsilhouette. Die Glockenlandschaft der Baar hat in den letzten hundert Jahren herbe Verluste erlitten. Von über 100 historischen Glocken haben gerade noch 53 die gnadenlose Aus­ lese der Kriege überdauert. Bemerkenswert, daß wir bei der Nennung bedeutender Glocken des 13.-16. Jahrhunderts immer wie­ der auf die gleichen Ortsnamen, auf die gleichen Pfarrkirchen stoßen. Aselfingen St. Otmar, Bräunlingen alte Pfarrkirche St. Remigius, Hausen vor Wald St. Peter und Paul, Hüfingen St. Verena und St. Gallus und verschiedene Kirchen in Villingen. Die älteste Glocke der Baar läutet in St. Otmar zu Aselfingen. Sie ist wohl zwischen 1250 und 1300 gegossen worden. Ihr herber, sehr charaktervoller Klang ist typisch für die Übergangsglocken, eine Entwicklungsstufe zwischen der Bienenkorbglocke (10.-12. Jh.) und der gotischen Dreiklangglocke, die etwa ab 1300 gegossen wird. In dieser gotischen Rippe wurde die zweite und gleichzeitig größte Glocke des Aselfinger Turms, die Frie­ densglocke, in der Mitte des 14.Jh. gegossen. Ihre Inschrift weist ihr die Aufgabe zu, vom Frieden zu künden: 0 · REX · GLORIE · CHRISTE · VENI · CVM · PACE. Diese Inschrift lesen wir auf fast allen Glocken des 14. und 15. Jh. auf der Baar; sie ist die älteste auf Glocken eingegossene Inschrift. Diese Glocke ist der Reichenauer Gießschule von Niederzell zuzurechnen. Dort wurde bei neueren Grabungen eine Gießgrube zutage gefördert. Reichenau-Oberzell (Reichenauer Schule) Ende 13. Jhdt. Hiifingen (Reichenauer Schule) um 1300 177

Der ältesten Glocke der Baar den Rang streitig macht die kleine Glocke in der ev. Kirche von Buchenberg/Königsfeld. Sie ist ebenfalls im 13. Jh. gegossen, hing aber ursprünglich in Bretzheim in der Nähe von Bad Kreuznach. Ihr Weg nach Buchenberg ist noch ungeklärt. Eine dritte Glocke des 13. Jh., kurz vor oder um 1300 gegossen, läutet in der kath. Pfarrkirche St. Verena und St. Gallus in Hüfingen. Als einzige dieser drei Glocken des 13. Jh. trägt sie als Inschrift den Friedens­ gruß, ergänzt durch die Namen der vier Evangelisten Lukas, Markus, Johannes und Matthäus. Die Glocke dürfte ebenfalls der Reichenauer Gießschule zuzurechnen sein, ihre Übereinstimmung mit der großen Glocke von Oberzell ist in Form und Klang unverkennbar. Aus dem 14. Jh. sind uns in der Baaremer Glockenlandschaft sechs Glocken erhalten. Fünf rufen von den Kirchtürmen herab bis zum heutigen Tag die Gläubigen zum Gebet, eine steht im Museum. Die Glocke von Asel­ fingen wurde oben bereits genannt. St. Ve­ rena und St. Gallus in Hüfingen beherbergen gleich zwei Glocken dieser Zeit. Vermutlich wurden sie Anfang bis Mitte des 14. Jh. von den Brüdern Ulrich und Hug aus Schaffhau­ sen gegossen. Die größere der beiden Glok­ ken trägt auf der Glockenschulter friesartig aufgereihte hohe Arkaden mit kleeblattför­ migem Abschluß über Kapitellen. In eine der Arkaden ist eine Kreuzigungsgruppe einge­ gossen. Nach dem lateinischen Friedens­ gruß: ,,0 rex gloriae . .. “ ist eine weitere Inschrift eingegossen, die der Glocke eine weitere Aufgabe zuweist, sie solle läuten bei jedweder Gefahr. Die zweite Glocke aus der Gießhütte Schaffhausen trägt ebenfalls die Friedensinschrift, aber ohne Fortführung wie auf der großen Glocke. Auch die Kreuzi­ gungsgruppe ist auf dieser Glocke eingegos­ sen. Die alte Pfarrkirche St. Remigius in Bräun­ lingen, Gottesackerkirche genannt, beher­ bergt ebenfalls eine Glocke der Brüder Ulrich und Hug aus Schaffhausen. Sie ähnelt 178 Pfarrkirche St. Verena und Gallus in Hefi,ngen: Glocke Anf!Mille 14.Jh. aus der Schajfhausener Gießhütte in Inschrift und Zier der kleinsten Glocke von Hüfingen aus dem 14. Jh. Sie ist die kleinste des historischen Dreiergeläutes. Die weiteren Glocken der Bräunlinger Gottes­ ackerkirche sollen hier nur in aller Kürze erwähnt werden. Über sie und die gelungene Sanierung des gesamten Geläutes wird ein eigener Beitrag geschrieben werden. Die größte der Glocken stammt aus der im Mit­ telalter sehr bekannten Gießhütte Klain in Rottweil. Neben der schon oft zitierten Frie­ densinschrift trägt sie die Namen der vier Evangelisten und das Gußdatum 1425 sowie im Anschluß daran den marianischen Gruß Ave Maria. Die mittlere Glocke stammt aus der ersten Hälfte des 15. Jh. und trägt weder Inschrift noch Zier. Am Ende der Karwoche 1991 läuteten die Glocken nach über hundert Jahren des Schweigens erstmals wieder gemeinsam das Osterfest ein.

Die Glocken der Gottesackerkirche St. Remigius in Bräunlingen, der Mutterkirche der Baar, bei der Feier nach der Restaurierung Die Zähringerstadt Villingen kann auf zwei besonders seltene Glockenexemplare verweisen. Auf dem unzugänglichen Dach­ reiter des Südturms hängt die kleine Vesper­ oder Vigil-Glocke, etwa um 1400 von einem unbekannten Meister gegossen. Als Beson­ derheit trägt sie als Schuterinschrift das Alphabet. Viele Forscher haben sich mit die­ ser recht seltsamen Art der Inschrift befaßt. Die plausibelste aller Erklärungen scheint mir, daß mit dem eingegossenen Alphabet alle möglichen und denkbaren Inschriften gemeint gewesen sein könnten. Daß in Vil­ lingen gleich zwei dieser Glocken anzutref­ fen sind, ist eine absolute Einmaligkeit in Deutschland. Ob es Zufall ist, niemand weiß es. Die größere der beiden steht im Museum Altes Rathaus in Villingen und ist nach Art der Glockenform und den Typen des Alpha­ bets dem gleichen Gießer zuzuordnen wie das Vesperglöckchen. Abgesehen von der außergewöhnlichen schmuckbandartig an- gebrachten Inschrift tragen beide keine Zier. Dem Glockenguß in Villingen wird eben­ falls ein eigener Beitrag gewidmet. Die Stadt Villingen kann zusammen mit Konstanz auf die längste Glockengießtradition in Baden verweisen. Im Jahre 1580 begründete Hans Reblin die Glockengießerdynastie der Fami­ lie Grüninger, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf allerdings unrühmliche Art enden sollte. Villingen erlangte noch in anderer Hinsicht als Glockenstadt Bedeu­ tung, wenn auch durch schicksalhafte Ereig­ nisse. Von 19 historisch bedeutenden Glok­ ken auf den verschiedenen Kirchen und Kapellen haben gerade fünf die gnadenlose Auslese von Revolutionen und Kriegen überdauert. Nur zwei von ihnen tun bis zum heutigen Tage das, wozu sie eigentlich beru­ fen sind, die Menschen zum Gebet mahnen oder zum Gottesdienst rufen. Drei stehen im Museum. Es wäre sicher der Überlegung wert, die Glocken des Museums so zu prä- 179

Alphabetglocke um 1400, Museum Altes Rathaus Villingen und auf dem Dachreiter des Südturmes des Münsters sentieren, daß nicht nur ihre Form und bild­ hauerische �alität zu sehen, sondern auch ihr ebenso wichtiger Klang zu hören ist. Die Glockengießer aus Schaffhausen hin­ terließen auch noch im 15. Jh. in der Baare­ mer Glockenlandschaft Spuren. So läutet in der kath. Pfarrkirche von Epfenhofen seit dem Anfang oder der Mitte des 15. Jh. das Totenglöckchen aus einer nicht näher bekannten Schaffhausener Gießhütte. Ver­ mutlich waren die Gießer die Vorgänger von Heinrich Hafengießer und Balthasar Kirch­ heim, von denen Glocken z. B. in Hilzingen oder Saig erhalten sind. Die Friedens­ inschrift der Glocke in Epfenhofen gleicht diesen bei fast allen Schrifttypen. Sie dürf­ ten jedoch älteren Datums sein. Dies recht- 180 fertigt die Einordnung dieser Glocke in Anfang bis Mitte 15. Jh. Das Selbstbewußtsein der Glockengießer­ stadt Villingen hatte sicher großen Einfluß darauf, daß wir im gesamten Mittelalter und bis in die Mitte des 19. Jh. in der Baaremer Glockenlandschaft keine Glocke aus der wohl bedeutendsten Glockengießerstadt Konstanz vorfinden. Mit einer einzigen Aus­ nahme. In Hammereisenbach-Bregenbach läutet in der kath. Friedhofskapelle eine Glocke aus Konstanz aus dem Jahre 1537. Die Glocke ist ohne Gießerinschrift. Ihre Zuschreibung zu einem der bedeutendsten Konstanzer Glockengießer, Nicolaus Ober­ acker, er goß einige Glocken für das Konstan­ zer Münster, die bis heute erhalten sind, ist

jedoch aufgrund des Schmuckfrieses zwei­ felsfrei möglich. Der Schmuckfries besteht aus Kleeblattbögen mit Kreuzblumen, die zungenförmig enden. Außer der Jahreszahl 1537 trägt die Glocke keine Inschrift. Im 16. Jh. beginnen verstärkt die aktivitä­ ten der lothringischen Wandergießer in Baden. Auf erste Hinweise stoßen wir bereits Mitte 15. Jh. Alle drei Glocken, über die wir nun zu sprechen haben, wurden im Jahre 1552 von Mitgliedern einer lothringischen Wandergruppe vor Ort geformt und gegos­ sen. Dies war im Mittelalter durchaus nicht außergewöhnlich. Der Gießer brachte ledig­ lich seine reiche Erfahrung, sein handwerk­ liches Können und sein Werkzeug mit. Die zum Formen und Gießen notwendigen Materialien wurden vor Ort zur Verfügung gestellt. Dies hatte mehrere Gründe. Der wichtigste Grund war wohl das Transport­ problem, ein weiterer, daß viele Auftrag­ geber den umherziehenden Glockengießern mit Mißtrauen begegneten. So stammt die Bezeichnung „Silberglöckchen“ nicht nur vom hellen Ton der Glocke, sondern auch vom Irrglauben, daß durch Hinzufügen von Silber in die Bronzelegierung der Ton der Glocke klarer und heller würde. Das für den Guß gespendete Silber floß in den Geldbeu­ tel der Gießer und wohl niemals in die Guß­ masse. Den lothringischen Wandergießern ver­ danken wir musikalisch oft problematische, aber bildhauerisch meist vortrefflich gestal­ tete Glocken. Zwei dieser Glocken hängen in der kath. Pfarrkirche St. Peter und Paul in Hausen vor Wald, die dritte in der kath. Pfarrkirche St. Georg in Mundelfingen. Die größere der beiden Hausener Glocken trägt die Inschrift: MENTEM SANCTEM SPONTANEAM HONOREM DEO ET PATRIE LIBERATIONEM. Die Glocke ist geschmückt mit einer runden Plakette und einer Darstellung von Christus und der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Hausen vor Wald: Die beiden Lothringer Glocken aus dem Jahre 1552 im historischen Glockenstuhl und an historischen Holzjochen 181

A Detail der großen Lothringer Glocke zn Hausen vor Wald ..,.. Hausen vor Wald: Glocke von Franz Anton Grieshaber aus dem Jahre 1745. Franz Anton Grieshaberwar Gießer der großen Fridolinsglocke von Bad Säckingen und Vater des gleichnamigen Sohnes, welcher das berühmteste und größte Barockgeläute Europas für das Kloster in Sahn goß. Samariterin am Brunnen, einer Kreuzigungs­ gruppe, dem hl. Sebastian und der hl. Anna Selbtritt. Alle Reliefs stammen von Modeln, die auch für andere Glocken wieder Verwen­ dung fanden. Die zweite der lothringischen Glocken in Hausen erhält mit ihrer Inschrift auch ihren Auftrag. A FVLGVRE ET TEM­ PESTATE LIBERA NOS JESV XPE 1552. Die Mundelfinger Glocke dürfte in ihrer Gestaltung wohl die schönste dieser drei sein. Ihre Inschrift: ihs maria xp s vincit xp s 182

re(g)nat xp s imperat xp s ab o(m)ni malo nos defendat 1552. Die Flanke der Glocke ist geschmückt mit einer Kreuzigungsgruppe, zweimal sich gegenüberstehend der hl. Georg im Kampf mit dem Drachen, dazwischen die thronende Madonna unterhalb der vor­ genannten Kreuzigungsgruppe. Der lothringische Wandergießer Peter Rossier, Levecourt, hatte 1699 für die ev. Kir­ che in Öfingen eine der Überlieferung nach prächtig geschmückte Glocke gegossen, die alle Wirren und Kriege überdauerte, um dann 1952 dem Zeitgeist zum Opfer zu fal­ len. Die Glocke war geschmückt mit dem herzoglich-württembergischen Wappen, dem Wappen von Johannes Casparus Bal­ denhofer, dem Wappen des Heiligenvogts Augustinus Rebstockh und dem Wappen des Georgius Fridricus Beer aus Tuttlingen. Aus dem 16. Jh. läutet noch eine Glocke in der kath. Pfarrkirche St. Martin in Hondin­ gen. Ihre Inschrift zwischen Steg und Fries­ band aus Rankenvoluten lautet: SIT NOMEN DOMINI BENEDICTVM EX HOC NV ANNO DOMINI MDL. Pfarrkirche St. Martin in Hondingen: Grünin­ ger-Glocke aus dem Jahre 1550 Aus der im Mittelalter ebenfalls bedeuten­ den Glockengießerstadt Reutlingen finden wir in der Baaremer Glockenlandschaft ebenfalls nur eine Glocke vor. Die Glocke läutet in der kath. Pfarrkirche St. Urban in Schonach und ist von Jos Eger im Jahre 1501 gegossen. Die lateinische Inschrift gleicht mit einigen Abwandlungen einem Teil der Inschriften der Freiburger Hosanna-Glocke aus dem Jahre 1258: me resonante pia populo memento maria ano xvc ain iar do gos ios ege(r). In der Glockenlandschaft der Baar läuten noch viele geschichtlich hochinteressante, bildhauerisch herausragende Glocken. Viele von ihnen sind geschmückt mit Wappen bedeutender Fürstenhäuser und Städte. Eine andere Gruppe von Glocken sind Kuriositäten aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Entstehungsgeschichte. Diesen Glok­ ken ebenso wie den Geläuten der Gottes­ ackerkirche von Bräunlingen, der Pfarrkirche von Hüfingen, der Wallfahrtskirche von Tri­ berg und den Glocken der Stadt Villingen wird in den nächsten Folgen dieses Heimat­ buches ein eigener Beitrag gewidmet. Glockenkenner werden nun fragen: ,,Und wo bleiben die Glocken der Gießerfarnilie Reble/Grürunger aus Villingen? Die Ge­ schichte einer der bedeutendsten Glocken­ gießergeschlechter Süddeutschlands, das weit über die Glockenlandschaft Badens hin­ aus Bedeutung erlangt hat, muß und wird in einem eigenen Beitrag aufgearbeitet werden. Die Inschrift auf einer nicht mehr vorhande­ nen Glocke, von Grüninger im.Jahre 1853 gegossen, soll am Ende dieses Uberblickes stehen. Sie hing bis zum Ersten Weltkrieg in der evang. Pfarrkirche St. Markus in Villin­ gen: Hallt laut durch Tal und Höhn ihr Glocken­ [klänge wider, denn Gott schaut gnadenreich auf diesen [Bau hernieder. Hallt laut zu seiner Ehr, dringt mächtig [himmelan und preiset fort und fort, was er an uns getan. Kurt Kramer 183

Musik Zum 200. Todestag von Wolfgang Amadeus Mozart aufbewahrten Originalbriefe und -Noten Mozarts und in Verbindung mit der ein­ schlägigen Literatur ist man in der Lage, den Zeitpunkt und die Dauer des Aufenthaltes sowie Details über seine musikalischen Akti­ vitäten am fürstenbergischen Hofe zu rekon­ struieren. Man erhält dadurch nicht nur auf­ schlußreiche Einblicke über das Leben und die Gepflogenheiten in einer kleinen Für­ stenresidenz in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, man erfährt auch kleine und wichtige Ausschnitte aus dem bewegten Leben des bedeutenden Künstlers während seiner Konzertreisen. Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), sein Taufname war Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb, befand sich zusammen mit seinem Vater Leopold Mozart, der Vize­ kapellmeister der erzbi chöflichen Kapelle in Salzburg war, und seiner fünf]ahre älteren Schwester Maria Anna (genannt „Nannerl“) während der Jahre 1763-1766 auf seiner ersten großen Konzertreise. Sie führte durch Bayern, die Rheinprovinzen, die Nieder­ lande, Frankreich, England und die Schweiz. Auf der Rückreise, Ende Oktober 1766, kehrten sie von Winterthur über Schaffhau­ sen kommend, aufEinladung auch am fürst­ lich fürstenbergischen Hofe in Donau­ eschingen an. Regierender Fürst war damals Joseph Wenzel Fürst zu Fürstenberg (1728- 1783), der seit 1748 mit Maria Josepha Erb­ truchsessin in Waldburg, Gräfin zu Fried­ berg-Scheer verheiratet war. Der damalige Kammerdiener der Fürstin, Sebastian Win­ ter, der noch im Jahre 1764 als Diener und Friseur in Diensten der Familie Mozart wäh­ rend ihres Aufenthaltes in Paris stand, war sicherlich der Initiator dieses Besuches. Sebastian Winter wird als gebildeter und Sein Aufenthalt in Donaueschingen Die Ausstellungen und Konzerte, die aus Anlaß des 200. Todestages von Wolfgang Amadeus Mozart im Jahre 1991 in aller Welt gezeigt und gegeben werden, sind ein Grund dafür, den Spuren des „Wunderknaben“ auch in unserem Landkreis nachzugehen. Es ist nachweislich bekannt, daß sich dieser Künstler in einem Ort des Landkreises wäh­ rend einer seiner Konzertreisen aufhielt und musizierte: im fürstlich fürstenbergischen Residenzort Donaueschingen. Aufgrund der in der Fürstlich Fürstenber­ gischen Hofbibliothek in Donaueschingen Wo!fgang Amadeus Mozart (1756-1791) im Knabenalter 184

Das fürstlich fürstenbergische Schloß in Donaueschingen – erbaut ab 1723, umgebaut von 1892 bis 1896 – wie es Wolfgang Amadeus Mozart im fahre 1766 während seines zwölftägigen Besuches bei Hofe erlebt hat. Im Vordergrund ist eine.frühere Fassung der Donauquelle abgebildet. gewandter Mann beschrieben, er führte die musikalische Korrespondenz des Fürsten, welcher selbst als ein vorzüglicher Klavier­ und Violoncellospieler und als eifriger Lieb­ haber der Tonkunst bekannt war. Nach dem Tode seines Vaters, des baufreudigen Fürsten Joseph Wilhelm Ernst (1699-1762), hatte Fürst Joseph Wenzel im April 17 62 die Regie­ rung der reichsfürstlichen Linie des Hauses Fürstenberg übernommen und die Musik­ ausübung gleich auf eine höhere Stufe gestellt. Der Vater hielt sich lediglich eine eigene kleine Kammermusik und gab durch­ reisenden Virtuosen Gelegenheit, ihre Kün­ ste im Festsaal des Schlosses zu zeigen. Durch den Wunsch, auch größere Werke aufführen zu können, erweiterte Fürst Joseph Wenzel die Schar der Musikanten, der Anfang der späteren bekannten fürsten- bergischen Hofkapelle war somit gemacht. An deren Spitze stand als Musikdirektor der fürstenbergische Rat Franz Anton Martelli, der bis zum Jahre 1770 in Donaueschingen wirkte. Nun bot sich im Jahre 1766 durch die bereits genannten Beziehungen die Gelegen­ heit, die Familie Mozart für 12 Tage als Gast bei sich haben zu können. Es wurde ein Besuch, der für das spätere Musikleben am fürstenbergischen Hof und für das seit 1775 vom fürstenbergischen Hofbaumeister Franz Joseph Salzmann (vgl. Almanach 1989, Seite 122-128) in der ehemaligen Win­ terreitbahn konzipierte barocke Hoftheater nachhaltig positive Folgen haben sollte. Über Empfang und Aufenthalt der Mozarts im Schloß in Donaueschingen gibt ein Brief Auskunft, den Leopold Mozart am 185

In der Musikabteilung der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen befindet sich das Original dieses Mozart-Autographs. Es handelt sich um den Kanon:,, Gehn wir in den Prater,gehn wir in’d Hetz“ in der Handschrift Mozarts. 10. November1766 von München aus an sei­ nen Freund Leopold Hagenauer in Salzburg schrieb: ,,Sr. Durchlaucht der Fürst empjieng uns ausser­ ordentlich gnädig; wir hatten nicht nöthig uns zu melden. Man erwartete uns schon mit Begierde, herr Meisner ist zeuge davon, und Herr Rath M sie Director Rath Martelli kam gleich uns zu complimentieren, und einzuladen. Kurz, wir waren 12. Täg da. 9. Täg war Music von 5. abends bis 9. Uhr; wir machten allzeit etwas besonders. Wäre die ]ahrszeit nicht so weit vorge­ rücket, so würden wir noch nicht loos gekommen seyn. Der Fürst gab mir 24. Louis d’or, und iedem meiner Kinder einen diamantenen Ring; Die Zächer (Tränen) Jloßen ihm aus den Augen, da wir uns beurlaubten, und kurz, wir weinten alle beym Abschied … “ In Donaueschingen legte der erst zehn­ jährige Wolfgang Amadeus auch einige Pro­ ben als Komponistentalent ab, wie aus einem Pariser Verzeichnis seiner Jugend­ werke hervorgeht. Er selbst berichtet in einem Brief: ,, … verschiedene Solisji’ir die Vio­ line und das Violoncello, in Gegenwart des Für­ sten komponiert.“ Diese Kompositionen, die unter Nr. 33 b in das Köchelverzeichnis, dem 186 vollständigen Verzeichnis aller Mozart­ werke, aufgenommen wurden, gelten heute als verloren. Leider kam es zu keinem weiteren Besuch Mozarts in der fürstenbergischen Residenz in Donaueschingen. Man korrespondierte zwar noch nach 20 Jahren lebhaft miteinan­ der und Mozart bot mehrfach seine „neue­ sten Werke“ an, so auch drei Klavierkonzerte und sechs Sinfonien. Auch Vater Mozart schickte Notenmate­ rial an den Kammerdiener Winter, der den jeweiligen Ankauf für die Hofkapelle mit dem Fürsten besprach. Im Jahre 1784 waren es sechs Klaviersonaten, ,,. . . die nicht be­ kannt, sondern nur für uns geschrieben sind . .. „. Da für das kulturelle Leben am fürsten­ bergischen Hof in Donaueschingen im aus­ gehenden 18. Jahrhundert und für die Ver­ bindungen zu Mozart auch die weiteren vor­ handenen Briefe Mozarts wichtige Einblicke vermitteln, sollen sie auszugsweise im Origi­ nalwortlaut wiedergegeben werden. Qiese Briefe und die ebenfalls noch vorhandenen handschriftlichen Notenwerke Mozarts so­ wie viele gedruckte Partituren sind Bestand­ teil der umfangreichen „Musikabteilung“

Rückseite mit dem Kanon: ,,Ave Maria . . . “ der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbiblio­ thek in Donaueschingen. In einem Brief von Wolfgang Amadeus Mozart vom 8. August 1786 an Sebastian Winter, der noch immer für die Anschaffung der Musikalien zuständig war, wird dieser wie folgt angesprochen: ,,Liebster freund! gesellschafter meiner Jugend!“ fW. A. Mozart war sieben Jahre alt, als Sebastian Winter für die Mozarts in Paris tätig war!). Mozart schreibt weiter: „Mit ausnehmenden Vergnügen erhielt ich ihr schreiben, und nur unaufschiebliche geschäfte hin­ derten mich ihnen eher zu antworten. – mir ist sehr lieb daß sie sich an mich selbst gewendet haben, ich hätte längst ihrem Verehrungswürdigen fürsten – welchem ich bitte mich zu füssen zu legen, und in meinem Namen für das mir zugeschickte geschenk gehorsamst zu danken – etwas von meiner gerin­ gen arbeit geschickt, wenn ich gewusst hätte, ob und was mein Vater vielleicht schon dahin geschickt hat. ich setze am Ende deswegen eine liste von meinen Neuestengeburten bry, woraus Seine Durch!.: nur zu wählen belieben möchten, um daß ich Hochdieselben bedienen könne. – ich werde, wenn es S: D: gefällig sryn wird, in zukunft immer mit allen neu veifertigten Stücken aufwarten. überdies unterstehe ich mich S.D: einen kleinen Musikalischen Antrag zu machen, und bitte sie mein freund, denselben ihrem fürsten vorzutra­ gen. – Da S:D: ein Orchester besitzen, so könnten H ochdieselben eigens! nur für ihren Hof allein von mir gesetzte stücke besitzen, welches nach meiner geringen Einsicht sehr angenehm sryn würde. – wenn S:D: mir die gnade anthun wollten, mir eine gewisse Anzahl Sinfonien, Quartetten, Con­ certen auf verschiedene instrumenten oder andere Stücke nach belieben das Jahr hindurch anzu­ schaffen, und eine bestimmte Jährliche Belohnung defür auszusprechen, so würden S:D: geschwin­ der und richtiger bedient werden, und ich, da es eine sichere arbeit wäre, ruhiger arbeiten . . . in Erwartung einer baldigen Antwort und der befehle Ihres schätzbaren fürsten bin ich auf immer Wien den 8ten August 1786 ihr wahrer freund und Diener Wolfgang Amade Mozart. “ Sebastian Winter schrieb darauf die Notiz: „Erhalten den 18. August 1786 und beantwortet mit Übersendung der gewählten Musique Thema den 13. Sept. d.a.“ Mit einem weiteren Brief vom 30. Sep- 187

tember 1786, den W. A. Mozart von Wien aus an Sebastian Winter schickt, sendet er auch ein Angebot von Konzerten, Klavier­ stimmen und Sinfonien. Er vermerkt die Zahl der von ihm beschriebenen Bogen Papier, gibt die einzelnen Preise an und berechnet dabei noch fur „Mauth und Porto drei Gulden“. Dieser Brief lautet: »liebster freund! – morgen gehet mit dem Postwagen die Verlangte Musique von hier ab;- den betrag der Copie wer­ den sie zu ende des briefes finden. – es ist ganz natürlich daß einige Stücke, welche ich ganz geflis­ sentlich in die Welt kommen lasse – und habe zhnen die themata davon nur geschickt, weil es doch möglich wäre, daß sie nicht dahin gelanget wären. Die Stücke aber die ich für mich, oder für einen kleinen zirkel Liebhaber und kenner – mit dem versprechen sie nicht aus händen zu geben – zurückbehalte, können ohnmöglich auswärtig bekannt sryn, weil sie es selbst hier nicht sind; so ist es mit den 3 Concerten so ich die Ehre habe S:D: zu schicken; ich war diesfalls bemussiget über den betrag der copie annoch ein kleines honorarium von 6 Dukaten für Jeder Concert anzusetzen, wobry ich doch noch seine D: sehr bitten mzif?, gedachte Concerte nicht aus handen zu geben. – bry dem Concert ex A sind 2 clarinetti. – sollten sie selbe an ihrem Hofe nicht besitzen, so soll sie ein geschickter Copist in den gehörigen ton übersezen, wodann die erste mit einer Violin, und die zwote mit einer bratsche soll gespiellt werden. – was meinen Antrag, so ich mir diefrryheit genommen ihrem würdigen fürsten zu machen, angelangt, so ist zu erst für mich nöthig zu wissen, was für gat­ tung von komposizion S:D: am besten und am nöthigsten brauchen können und wie viel sie jähr­ lich von jeder gattung von mir zu besitzen verlan­ gen, welches ich genau zu wissen wünschte, um meinen Calcul machen zu können. – ich bitte mich S:D: zu fassen zu legen, und höchstderoselben meinen Wunsch deswegen bekannt zu machen. – und Nun, liebster freund! – gesellschafler meiner Jugend! da ich Natürlicherweise die vielen Jahre durch schon oft in Rickan war, und noch niema­ len das Vergnügen hatte sie aldort anzutreffen, so wäre in der that mein grösster Wunsch daß sie mich in Wien, oder ich sie in Donaueschingen besuchen könnte. – Das letztere, verzeihen sie, wäre mir fast noch lieber!- da ich nebst dem Ver­ gnügen sie zu umarmen, auch die gnade hätte zhrem gnädigsten fürsten meine aufwartung zu machen, und mich noch lebhafter der vielen gna­ den, so ich in meinen jüngeren Jahren an ihrem Hofe genossen, zu erinnern, welche ich in meinem leben nie vergessen werde. – in erwartung einer baldigen antwort, und in der schmeichelhaften Hofnung sie doch vieleicht noch einmal auf dieser Welt zu sehn, bin ich Ewig Wien den JOten sept. 1786 ihr ergebenster freund und Diener Wolfgang Amade Mozart.“ Unterschrift von Wolfgang Amadeus Mozart »· . . ihr ergebenster freund und Diener Wolfgang Amade Mozart‘: aus dem Bestand der Musikabteilung der Fürstlich Fürstenbergischen Hefbibliothek in Donaueschingen 188

Anhang zu diesem Brief Nota Die 3 Concerte, ohne Clavier Stimme 109 bogen. zu 8 Xer (Kreuzer) Die 3 Clavier Stimmen 33 und 1/2 bogen zu 10 xer Gulden Kreuzer 14 32 5 35 honorarium für die 3 Concerte 18 Ducaten. zu 4 fl. (Gulden) 30 X Die Sinfonien 116 und 1/2 bogen zu 8 xer Mauth und Porto 81 15 3 32 Summa: 1 19jl. 39x Obwohl Wolfgang Amadeus Mozart selbst nicht mehr an den Hof der Fürsten zu Fürstenberg nach Donaueschingen kam, so blieb er hier doch stets lebendig. Beim Hof­ theater an der Pfohrener Straße standen neben Werken vieler anderer Komponisten fast in jedem Jahr Opern oder Singspiele von Mozart auf dem Spielplan. ,,Die Entführung aus dem Serail“ wurde achtmal gespielt, ,,Die Zauberflöte“ dreimal, ,,Don Juan“ fünfmal, ,,Cosi fan tutte“ zweimal und „Titus“ einmal. „Die Hochzeit des Figaro“ wurde im Jahre 1785 am fürstenbergischen Hoftheater in deutscher Sprache und auf deutschem Boden uraufgeführt und bis zum Jahre 1842 noch fünfmal in den Spielplan aufgenom­ men. Die vielen vollständigen Partituren, die heute der Musikabteilung der fürstenbergi­ schen Hofbibliothek einverleibt sind (2800 Manuskripte und 3300 Druckwerke), wur­ den zu Ende des 18. Jahrhunderts und im frühen 19. Jahrhundert für das Hoftheater angeschafft. Sie konnten beim Brand am 28. April 1850, der das endgültige Aus für das Hoftheater bedeutete, glücklicherweise gerettet werden. Georg Goerlipp Bregbrücke bei Bruggen-Bräunlingen 189

Heiteres aus dem Klosterleben St. Ursula in Villingen Schwester Lucia Betting 1868-1947 Keine Schule im Land kann trotz bestem und qualifiziertestem Lehrpersonal erfolg­ reich sein, besäße sie nicht eine ganze Schar guter Geister, die diesem zur Seite steht, damit das Werk der Erziehung gelingt und die gesteckten Ziele erreicht werden können. Dies galt und gilt zu allen Zeiten auch für das Lehrinstitut St. Ursula. Es muß also außer den Lehrfrauen – heute zumeist weltliche Lehrerinnen und Lehrer – auch solche dienstbaren Helfer geben, die Hausmeister­ arbeiten verrichten: Schüler sind zu beauf­ sichtigen, Hausaufgabenbetreuung zu lei­ sten -und damals, als das Institut noch Inter­ nat war, mußte für die Zöglinge gekocht, deren Schlafräume gereinigt und vieles mehr getan werden. In der kalten Winterszeit waren Klassenzimmer, Fachräume und Schlafgemächer des Klosters zu heizen – nicht wie heute durch moderne Zentralhei­ zungsanlagen, sondern durch die Feuerung zaWreicher Kachelöfen. Für diese Aufgabe war in St. Ursula jahrelang Sr. Maria Lucia Betting zuständig. Und weil diese Arbeit eine Einzelperson allein nicht geschafft hätte, wurden anno dazumal selbstverständlich die Internatsschülerinnen zum Holztragen ein­ gespannt. Dabei stellte sich heraus, daß Sr. Lucia, obwohl keine Lehrfrau, durchaus pädagogi- 190 sehe Qyalitäten entwickelte und es verstand, die jungen Damen auf besonders amüsante Weise für diese Arbeit zu gewinnen. Davon soll später noch in Reimen die Rede sein. Blättern wir zunächst im Lebenslauf die­ ser guten und tüchtigen Klosterfrau: Sie wurde am 15. November 1868 in Den­ kingen nahe Spaichingen auf der Schwäbi­ schen Alb geboren. In ihrer Jugend hatte sie es nicht leicht, und stete Sorgen waren zu Gast in ihrem Elternhaus. – Schon gleich nach der Schulentlassung mußte sie eine Stelle als Dienstmädchen bei einer Villinger Familie antreten und später in gleicher Eigenschaft eine solche im Kloster St. Ursula. Nach mehreren Jahren fleißigen Schaffens begab sie sich nach Freiburg i. Br. ins Mutterhaus der Vinzentinerinnen; denn es war ihr Herzenswunsch, sich dort zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Ihr Vorhaben ging jedoch nicht in Erfüllung, weil sie gesundheitlich den Anforderungen nicht gewachsen war. Der Herrgott wollte sie halt auf einen anderen Platz gestellt wissen, und so kehrte sie wieder nach Villingen ins Kloster zurück. Hier begann Sr. Lucia 1897 ihre Probezeit als Kandidatin der Ursulinen und legte am 30. Oktober 1900 ihre heiligen Gelübde ab. Danach war sie anfangs in der Küche, auf

dem Feld und überall dort eingesetzt, wo Hilfe nötig war. Später betraute man sie mit der Reinhaltung und Heizung des Pensio­ nats bis zu dessen Aufhebung im Jahre 1940. An dieser Stelle sei die Protokollführung des Klosters vermerkt: ,,Sr. Lucia erfüllt dieses Amt gewissenhaft und zu jedermanns Zufrie­ denheit.“ Jahrelang besorgte sie auch die dem Kloster übertragene Wetterstation und half erfolgreich in der Krankenpflege der dem Kloster anvertrauten Kinder. Bei ihnen war sie besonders beliebt. Nie ruhten ihre fleißigen Hände, viele Worte machte sie nie, obgleich sie eigentlich eine Frohnatur war und mitunter auf recht seltsame und originelle Ideen kam. Eine sol­ che will ich am Ende meines Berichtes zum besten geben. Sr. Lucias Heimgang war so still und geräuschlos wie ihr ganzes Leben. Sie ent­ schlief nach kurzer Krankheit in der Nacht auf den 9. Dezember 1947. ,,Möge sie, die stets Zuverlässige uns lehren, die von Gott geschenkte Zeit zu unserem und aller Men­ schen Wohlergehen zu nutzen.“ So endet die Chronistin ihre Lebensgeschichte. Jetzt aber zu den angekündigten Reimen: Sie handeln davon, wie Sr. Lucia vor über einem halben Jahrhundert mit einem humorvollen Trick die Schülerinnen zum Holztragen für die Feuerung der klösterli­ chen Riesenkachelöfen gewinnen konnte. Alle Pennälerinnen wollten sich diese ein­ malige und sehenswerte Gaudi nicht entge­ hen lassen. Sr. Lucia hatte sich nämlich etwas ganz Besonderes für die übliche und prakti­ sche Arbeitskleidung für Klosterfrauen ein­ fallen lassen. Sie, lieber Leser, dürfen darüber unbekümmert schmunzeln und sollten Sie noch der Melodie von „0 Schwarzwald, o Heimat“ mächtig sein, dürfen Sie jetzt sogar nach Belieben in gewählter Stimmlage und Lautstärke den nun folgenden Text mitsingen. O Schwarzwald, o Heimat, wie bist du so schön, wie locken die Herzen die schwarzdunkeln Höh’n zum fröhlichen Wandern in Hochsommer­ zeit, . .. “ so singen die „Maidli“, ihr höret sie weit im Kloster und draußen in Gottes Natur, „o Schwarzwald, o Heimat, wie schön bist du nur!“ O Schwarzwald, o Heimat, du kannst noch viel mehr, mit köstlichen Wundern hilft Lucia sehr, wenn hochgeschürzt ist bei ihr hinten zu seh’n: „0 Schwarzwald, o Heimat, wie bist du so schön,“ wie schleppen die „Maidli“ flugs Brennholz herbei, Frau Lucias Kissentrick wirkt einwandfrei! – 191

Sr. Lucia war ein Original. Sie hatte alle Morgen in der Schule die Öfen zu heizen.jedes Klassenzimmer besaß damals noch seine eigene „Heizanlage“. Zur Freude der Mädchen hatte sie ihren Unterrock mit einem ausrangierten, bestickten Sofakissen geschmückt – geflickt, gerade dort, wo es gut zu sehen war, wenn sie bei ihrer Arbeit den Rock hoch­ schürzte, wie es damals Sitte war. Ein jedes will schauen den „Schwarzwald“, so schön aufLucias Unterrock aufgenäht seh’n. Im Ofen glüht’s Feuer, die Stube wird warm und Klosterfrau Lucia der Zöglinge Schwarm. – O Schwarzwald, o Heimat, wie bist du doch gut, im Sommer zum Wandern, im Winter als ,,Glut!“ – O Schwarzwald, o Heimat, bleib‘ du uns noch lang, mit Krankheit und Sterben machst du uns so bang. O Lucia, selig -o bitte bei Gott, sei uns’re Patronin in unserer Not für’n Schwarzwald -und sag‘ ihm: ,,Die Bäume sind krank“, erhör‘ unser Flehen -wir sagen Dir Dank! Helmut Groß 192

Sylvester Monsignore Adalberts gestörtes Mittagsschläfchen ’s Johr isch alt und sott uff d‘ Liibding, ’s schnuufet herb und herchlet luut, dreaset d‘ Stege uff und abi. ’s ischt ihm z’eng si wiiti Huut. Vu de Stube goht’s i d‘ Kammer, neane find es hitt si Rueh. ’s beischtet no uff d‘ Biini uffi; liisli macht es d‘ Derre zue. ’s lortschet dert a d‘ Schitti änni, wunderfitzig griift’s i d‘ Doot, ’s will nu gucke, we’s im Huus drinn ’s näschtJohr mit em Fese schtoht. Ho, wa ischt, s’word ihm zmol schwindlig, sterbensmied sinkt’s schnell uff’s Schtrau. ’s gesperrt’s ’s ischt Matthe jetz am letschte, ’s Herz ischt krank, s‘ will nimme gau. ’s schliicht i’s Stübli, sitzt an Ofe, nimmt si Nischter no i d‘ Händ. d‘ Kralle gont dor kalti Finger, langsam, langsam kunnt’s zum End. ’s Wälderührli duet zmol hinke, d‘ Gwecht schtond fast am Bode a. Grad wo ’s Johr will’s Ührli uffzieh fangt es zmol a Zwölfi schlaa. ’s Johr keit um, si Herz ischt broche. Kummer hätt es g’ha und Not … No baar Schnuufer duet es mache. – d‘ Uhr schleet uus … und ’s Johr ischt dot. Gottfried Schafbuch Doof =Fach Fese = Korn (Brotfrucht) Alle Jahre wieder beehrt Monsignore Adalbert Simon, ein gebürtiger Villinger, seine einstige Hei­ matstadt Villingen und das Kloster St. Ursula mit seinem Besuch. Er kommt aus Brasilien, wo er seit über fünfzig fahren als Priester wirkt und verschiedenen Schulen als Leiter vorstand. Zu­ letzt betreute er an seinem brasilianischen Wohn­ sitz Sacra-Familia-Do-Tingue ein Internat für heimatl.ose Kinder. – Wenn der freundliche ältere Herr aus seinem Leben erzählt, versetzt er seine Zuhörer in Spannung und Staunen, und alles ist ganz Ohr. So erging es auch dem Karikaturist, der folgende lustige Begebenheit im Bild festhielt: 193

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Kreuze im Schwarzwald-Baar-Kreis In einem neuen Kapitel sollen in dieser und in den kommenden Ausgaben herausragende Kreuze vor­ gestellt werden. Feld- und Wegekreuze vor allem, aber nicht ausschließlich. Das Kapitel erhält deshalb die allgemeine Bezeichnung: Kreuze im Schwarzwald-Baar-Kreis. Das Tierstein-Kreuz im Bregtal Demjenigen, der durch das Bregtal in Richtung Donaueschingen fährt, dem fällt in einer engen Linkskurve auf der rechten Seite des Bregflusses am unteren Waldrand unwillkürlich ein kleiner Felsvorsprung auf, der von einem Kreuz gekrönt wird. Es ist der sogenannte „Tierstein“ bei der früheren „Fischersäge“ auf der ehemals selbständigen Gemarkung „Bregenbach“ zwischen Ham­ mereisenbach und Zindelstein. Bregenbach wurde Ende des letzten Jahrhunderts nach Hammereisenbach eingemeindet, die ehe­ mals ebenfalls selbständige Gemeinde Zin­ delstein ist im Jahre 1924 zur Gemeinde Wol­ terdingen gekommen. ,,Der Tierstein“ ist ein bekannter und fest­ stehender Begriff, ist vermerkt auf alten und neuen Karten und wird durch sein Kreuz bei der Bevölkerung der Gegend in Verbindung gebracht mit einer historischen Begebenheit, um nicht zu sagen mit einer Sage. Erkundigt man sich bei älteren Bewoh­ nern des Bregtales nach dem Grund und dem Jahr der Errichtung dieses Kreuzes, erhält man die Auskunft, daß hier vor langen Zeiten ein Graf von Fürstenberg auf der Flucht war und, um sich vor seinen Verfol­ gern zu retten, sei er mit seinem Pferd von diesem Felsen ins Tal gesprungen. Es sei ihm dadurch nichts geschehen, er habe sich auch nicht verletzt und aus Dankbarkeit habe seine Mutter hier ein Kreuz errichten lassen. Das sei aber schon vor einigen Jahrhunder­ ten gewesen! Wenn man sich von der Hangseite her über einen schmalen Pfad auf diesen Felsvor­ sprung begibt und zum Fuße des Felsens ins 196 Tal hinunterschaut, so ist man von der beachtlichen Höhe beeindruckt. Man wun­ dert sich, daß hier ein flüchtender Reiter unversehrt ins Tal springen konnte. Es sei hier vermerkt, daß es schon jeweils nur 10-20 Meter rechts oder links des Felsens ganz leicht gewesen wäre, dieses Hindernis zu umgehen und ins Tal zu reiten. Nach einer handgezeichneten Karte des fürstlichen Geometers Bourz von Seethaal vom Jahre 1791, auf welcher die Waldungen von Wolterdingen und Zindelstein mit ihrem Grenzverlauf eingezeichnet sind, gab es einen großen und einen kleinen Tierstein. Auf jener Karte und zu jener Zeit allerdings ,,Thürstein“ geschrieben. Der hier behan­ delte Tierstein, der von der Bregtalstraße gesehen werden kann, ist demnach der kleine, der zweite, der dahinterliegende und von hohen Tannen heute verdeckte, ist der große Tierstein. Er ist auch etwa 3mal so hoch. Beide „Felsen“ sind fast kahl, nicht üppig bewachsen, früher sagte man hierzu „durr“, wie „dürr“, und auf einem „Dürrstein“ wur­ den ältere Bäume wegen Humusmangel dürr, sie standen ab. Ob hier aus „Dürrstein“ im Laufe der Jahrhunderte „ Thürstein“ und daraus „Tierstein“ wurde? Interessant ist, daß unmittelbar neben dem „Kleinen Tierstein“ auf der oben erwähnten Karte von 1791 eine „Wolfsgrube“ eingezeichnet ist. Hierbei handelt es sich um eine künstlich angelegte tiefe Grube, die mit dünnen Stangen und mit Reisig abgedeckt war, so daß man Wölfe oder andere Tiere in die Falle locken konnte. Hing der ursprüng-

Tiersteinkreuz (einige Schritte oberhalb der ehe­ maligen Bregtaltrasse zwischen Kilometer 16 und 17), Blick von der Straße Rechts: Blick von der rückwärtigen Seite liehe Namen doch mit „ Tier“ zusammen? Die Deutung des Namens „ Thierstein“ oder „Thürstein“ läßt viele Möglichkeiten offen und könnte zu fantasiereichen Auslegungen führen. Das heutige metallene Kreuz auf dem kleinen Tierstein hat eine Höhe von etwa 6 Meter, ist rotbraun gestrichen und hatte bis vor wenigen Jahren etwa in Augenhöhe eine gegossene Inschrift- oder Widmungstafel. Diese wurde bedauerlicherweise von Souve­ nirjägem abmontiert und entwendet. Die Löcher zur Befestigung derselben sind noch sichtbar. Versucht man nun aus den Archivalien des Fürstlich Fürstenbergischen Archives in Donaueschingen Näheres über den „Tier­ stein“ oder das „ Tiersteinkreuz“ zu erfahren, ist man überrascht, wie spärlich die Hinweise oder Fakten sind. Aus einem eigens angeleg­ ten Aktenfaszikel „Die Errichtung eines Kreuzes auf dem Tierstein“ erfahrt man, daß das Kreuz aus e’inem 201/z Fuß (6,15 Meter) langen Eichenstamm von Zimmermeister 197

Reproduktion nach einer Fotografie aus der zweiten Hä!fte des letzten Jahrhunderts, welche die heute nicht mehr vorhandene gegossene Tafel zeigt Segi aus Allmendshofen für 32 Gulden und 52 Kreuzer gefertigt wurde. Auf Anordnung des Präsidenten Prestinari von der fürstli­ chen Domänen-Kanzlei mußte die Forstei Unterhölzer den Stamm dem Zimmermann zur Verfügung stellen. Der Maurer Stoffier aus Hammereisenbach erhielt den Auftrag, für das Fundament eine Vertiefung in den Fels zu hauen und einen Fußweg auf den Felsen anzulegen, wofür er 28 Gulden und 45 Kreuzer vergütet bekam. Von Maler Wilhelm Jäckle aus Donau­ eschingen, der die Malerarbeiten übernom­ men hatte, ist noch eine Rechnung vorhan­ den, aus der zu entnehmen ist, daß er das Kreuz, eine Kniebank und eine Sitzbank dreimal geölt und gefirnißt hat und dafür 8 198 Gulden berechnete. Dies alles geschah nach dem 6. September des Jahres 1866! Interessante Aufschlüsse über den Grund der Aufstellung des Kreuzes geben nun die weiteren noch erhaltenen Briefe, denn es wurde mit einem Graveur namens L. Seitz in Augsburg korrespondiert. Dieser erhielt den Auftrag für 52 Gulden eine Inschrifttafel für das Kreuz nach einem vorgegebenen Text zu gießen. Glücklicherweise ist den Akten eine heute noch gut erhaltene Fotografie der gegossenen Tafel aus dem Jahre 1866 beigege­ ben, deren Text nun das ganze Geheimnis preisgibt. Der Text lautet: „Zum ewigen unaussprechlichen Dank gegen unsern allgütigen dreieinigen Gott, Vater Sohn und heiliger Geist,

für die gnädige Erhaltung meines innig geliebten Sohnes. Emil Egon Prinz zu Fürstenberg in schwerer Kriegsgefahr im Sommer 1866. Gewidmet von Amalie verwittwete Fürstin zu Fürstenberg geborene Prinzessin von Baden.“ Es ist demnach genau nachzuweisen, daß das Tiersteinkreuz erst seit dem Jahre 1866 auf dem Tierstein steht und die Stifterin die Fürstin Amalie zu Fürstenberg war. Sie, aus dem großherzoglichen Hause Baden stam­ mend, hatte sich im Jahre 1818 mit Karl Egon II. Fürst zu Fürstenberg vermählt. Der Fürst verstarb im Jahre 1854, die Fürstin 1869. Das Ehepaar hatte 3 Söhne und 4 Töch­ ter. Der älteste Sohn, Karl Egon III. (1820- 1892), wurde nach dem Tode des Vaters Chef der sogenannten schwäbischen Linie des Hauses mit Sitz in Donaueschingen, der zweitälteste Sohn Maximilian Egon I. (1822- 1873), wurde der Inhaber der böhmischen Linie mit Sitz in Lana und Prag. Emil Egon (1825-1899), der jüngste Sohn, der auf der Widmungstafel genannt ist, war der Stifter des Fideikommisses Königshof in Öster­ reich. Beim Versuch etwas über sein Leben, zumindest über seine militärische Laufbahn in Erfahrung zu bringen, findet man fol­ gende Nachrichten: ,, … Im Jahre 1866, als es zum Kriege zwi­ schen Österreich und Preußen kam, ent- schloß sich der Prinz, wieder in die aktive Armee einzutreten. Als Ordonanz-Offizier des General Clam-Gallas machte er die Kämpfe an der Jser bei Podol und den Rück­ zug auf Königgrätz mit. Eine Woche nach dem Abschluß des Prager Friedens trat der Prinz aus dem Heere wieder aus. Am 20. Sep­ tember 1866 verlieh ihm Kaiser Franz Joseph den Majors-Charakter ,ad honores‘. Am 15. Oktober erhielt er vom österreichischen Kriegsministerium ein Schreiben, durch wel­ ches ihm im Namen des Kaisers eine Belobi­ gung für seine verdienstlichen Leistungen im Feldzug gegen Preußen ausgesprochen wurde.“ Von einer Verwundung oder von einem Unglück, die ihm während des Krieges 1866 zugestoßen sein könnten, ist in den Akten nichts zu finden. Das Kreuz auf dem Tier­ stein hat seine Mutter sicherlich aus Dank­ barkeit für eine glückliche Heimkehr ihres geliebten Sohnes aus dem Kriege errichten lassen. So ist der Mär ein Ende und auch hier wie­ derum zu beobachten, daß in der mündli­ chen Überlieferung zwar noch ein wahrer Kern steckt, daß aber der wirkliche Grund der Errichtung nicht mehr geläufig ist und der Zeitpunkt derselben in eine graue Vorzeit verlegt wurde. Den Tierstein gibt es schon lange, das Tiersteinkreuz aber erst seit dem Jahre 1866. Georg Goerlipp Feldkreuz und Soldatengrab Das Nockenkreuz über Nußbach bei Sommerau Verläßt man genau auf der Wasserscheide bei Sommerau die Bundesstraße 33 und wandert oder fährt das schmale Sträßchen in Richtung Süden, auf dem man durch das Tiefenbachtal nach Nußbach kommt, dann begegnet man auf dem höchsten Punkt dem sogenannten Nockenkreuz. ,,Gestiftet von Josef Nock im Jahr 1886″ steht unübersehbar am Sockel des eindrucks- vollen Feldkreuzes aus Stahl und Gußeisen mit vergoldetem Corpus. Ich habe von Her­ mann Nock, einem Urenkel des Stifters ein paar Informationen erhalten über das Kreuz und das Grab davor: Josef Nock (1822-1904) war ein tiefgläubi­ ger Bauer auf dem Obertiefenbacherhof in Nußbach. Es war sein Herzenswunsch, auf eigenem Grund und Boden als Segenszei- 199

chen über der Feldflur ein dauerhaftes Kreuz zu errichten. Mehrmals in seinem Leben ist er in die Schweiz nach Einsiedeln gepilgert und hat wohl dort stets seinen Vorsatz erneu­ ert. Im Jahr 1886 konnte er sich seinen Wunsch erfüllen und das meisterhaft gegos­ sene und mit den Leidenswerkzeugen Chri­ sti geschmückte Kreuz aufstellen. Leider ist im Jahr 1954 der Hof mit allen Bildern und Unterlagen ein Raub der Flam­ men geworden, so daß die Gießerei, aus der das Kreuz stammt sowie die hohen Kosten, die Josef Nock aufbringen mußte, nicht mehr genannt werden können. Es hat sich auch kein Bild des BauemJosefNock erhal­ ten, aber sein Kreuz hält die Erinnerung an ihn wach und bringt manchen Wanderer auf einen guten Gedanken. Seine Nachkommen und die Gemeinde Nußbach halten das Kreuz in Ehren. 1986 hat Karl Nock, ein Enkel des Stifters, das Kreuz renovieren lassen, und 500 Nußba­ cher haben mit einem Gottesdienst und 200

Das Feldkreuz auf dem Öschbergbuck Hornecker aus Kenzingen und Feldwebel einem fröhlichen Fest das lOOjährige Jubi­ Heinz Neidhard aus Lück bei Tannenberg läum des „eisernen Kreuzes“ gefeiert. in Ostpreußen. Kameraden haben am Nach­ Besondere Beachtung verdient auch das mittag die beiden Gefallenen an würdigem schlichte Soldatengrab vor dem Kreuz. Es Platz vor dem Kreuz bestattet. Ein Birken­ bewahrt die Erinnerung an die letzten, leid­ kreuz mit Stahlhelm kennzeichnete die vollen Tage des Zweiten Weltkriegs. Am Freitag, den 20. April 1945, rollten die ersten Grabstätte. Ernst Hornecker wurde später umgebettet französischen Panzer durch die Straßen von auf den Friedhof seiner Heimat Kenzingen. St. Georgen. In den Wäldern um Sommerau Heinz Neidhard durfte oder mußte bleiben, lagen in Unterständen noch viele deutsche Soldaten. In einem Gegenangriff am Sonn­ es gab keine Heimkehr mehr nach Ostpreu­ tag, den 22. April, vertrieben sie die Fran­ ßen. Die Familie Nock hat das Grab gepflegt zosen wieder aus St. Georgen. Der Montag, und nach Jahren auch das Birkenkreuz der 23. April, war ein naßkalter Frühlingstag, erneuert. Mit Zustimmung des Volksbundes vormittags noch mit Schneeregen auf den Bergen. Deutsche Soldaten wärmten sich an der deutschen Kriegsgräberfürsorge wird das Einzelgrab an diesem stillen Ort verbleiben. einem rauchenden Feuer etwa 200 Meter Die Stadt Triberg sorgte für das Steinkreuz, vom Nockenkreuz entfernt. Französische sie übernahm auch für die Zukunft die Grab­ Beobachter müssen die kleine Rauchwolke pflege. bemerkt haben. Sie lenkten von weither Kurt Müller Artilleriefeuer in den Wald. Die Granaten brachten den Tod für Unteroffizier Ernst Gestiftet 1990 als Dank für Hilfe in schwerer Zeit Ein durch viele Generationen im Dorf nach­ Es bringt Unglück, ein Feldkreuz verküm­ mern oder an geweihter Stätte gar für immer weisbares Geschlecht, ursprünglich im Orts­ verschwinden zu lassen. So ein alter Volks­ kern ansässig, bis im Frühsommer 1966 dem angestammten Bauernhof ein Blitzschlag glaube auf der Baar und im angrenzenden ein Ende setzte. Am 20.Juni des genannten Schwarzwald. In der Ostbaar, die an volks­ Jahres, zündete im Verlauf eines schweren tümlichen Feldkreuzen und Bildstöcken Unwetters der Blitz gegen 15.40 Uhr auf der wahrhaft keinen Mangel hat, drohte das Ein­ gehen über kurz oder lang einem alten, ver­ Giebelseite des Anwesens. Die fast voll­ ständig eingefahrenen Heuvorräte standen fallenen Steinkreuz auf der Aasener Gemar­ sofort in Flammen, so daß die Feuerwehren kung, über dessen Herkunft und Geschichte im Dorf niemand mehr genaue Auskunft zu aus Aasen und Heidenhofen nur noch ein geben wußte. Jetzt, seit über einem Jahr, Übergreifen des Feuers auf benachbarte Anwesen verhindern konnten. Der Semm­ erhebt sich an der Stelle des vergammelten ler-Ökonomiebau war vollständig niederge­ Steinkreuzes ein repräsentatives Holzkreuz. brannt und vom Wohnteil standen nur noch Errichtet auf dem Öschbergbuck, zieht es die Außenmauern. weithin die Blicke der Auto-und Radfahrer sowie der Fußgänger, die auf der Straße von Alois Semmler mit seiner Familie befand Donaueschingen in die Ostbaar unterwegs sich auf dem Felde, als der Blitz den Hof sind, auf sich. einäscherte. Nachbarn hatten die Feuerwehr Gestiftet hat das neue Feldkreuz die Fami­ alarmiert und trieben das Vieh des Landwirts lie Alois Semmlervom Aasener Siedlerhof2. aus den Ställen in eine nahe Koppel. Außer 201

10. April im genannten Jahr -so zu lesen in Paul Willimskis „Chronik von Aasen“ – wurde der Aasener Bürger Johannes Bühler außerhalb des Dorfes von einer Horde schwedischer Soldaten grausam zu Tode geschleift. Feier eingefunden. Am dritten Oktobersonntag 1990 fand die Weihe des Semmlerkreuzes auf dem Ösch­ bergbuck statt. An die SO Bürger und Bürge­ rinnen aus Aasen und der Nachbarschaft hatten sich mit der Stifterfamilie zu der schlichten Pfarrer Dr. Otto Scheib von St.Johann in Donau­ eschingen, assistiert von vier Ministranten, vollzog den Weiheakt. Gebet, Gesang und die Ansprache des Geistlichen waren abge­ stimmt auf die Liturgie des Kirchweihsonn­ tags. Der Corpus des neuen Erinnerungs­ mals stammt aus der Werkstatt des Bild­ schnitzers Willmann in Pfaffenweiler. Den Kreuzesstamm mit Q!ierbalken hat der Aasener Schreinermeister Kurt Romer aus Fohrenholz geschaffen. den landwirtschaftlichen Geräten konnten auch Teile des Hausrats noch aus Küche und Wohnung geborgen werden. Somit hielt sich der Schaden, der auf80.000 bis 100.000 DM geschätzt wurde, dank der Nachbarschafts­ hilfe, in Grenzen. Die Aussiedlerfamilie Semmler, die un­ weit des Dorfes einen neuen Hof erstellte, versteht die Stiftung des Feldkreuzes auf dem Öschberg als ein Zeichen des Dankes fur glückliche Fügungen und nachbarschaft:li­ che Hilfe in schwerer Zeit. Der Auftrag für das neue Kreuz -so die Semmlerbäuerin am Tag der Weihe des vier Meter hohen Mahn­ mals -fiel der Familie auf dem Weg über die inzwischen abgeschlossene Flurbereinigung in Aasen zu. Der Zustand des alten Stein­ kreuzes hatte ohnehin eine Renovierung ausgeschlossen. Der Standort des geschichtsträchtigen Flurkreuzes ist gut gewählt. Auf der anderen Seite des Feldweges, nur ein Steinwurf weit entfernt, hat sich ein alter Bildstock mit der Jahreszahl 1634 erhalten. Er erinnert an eine Geschichte aus dem Schwedenkrieg. Am 202

Ein geheimnisvolles Steinkreuz in Flitzen Rundum an schönen Herbsttagen gut zu erkennen die bis auf 1000 Meter ansteigen­ den Randberge der Baar: Eichberg und Buchberg, Fürstenberg, Wartenberg. Fern im Westen begrenzen der Hochfirst und dahin­ ter der Feldberg den Horizont. Dr. Lorenz Honold wollte, ein Steinkreuz gesetzt werden. Damit dieses nicht zu klein ausfiel, wurde die Größe genau festgelegt und in Fuß angegeben. Manchmal mußte der Verurteilte es selbst in die Erde graben, auf den Knieen „zu Kreuze Auch der Naturfreund kommt bei einem Spaziergang auf den Öschbergbuck voll auf seine Kosten. Unten, an den vordersten Hang der J uraschwelle, schmiegt sich Aasen, das „königliche Dorf‘. Westwärts dehnt sich die Hochfläche der Baar. Am Fuße des Sehel­ lenbergs breitet sich Donaueschingen aus. Am Kommenbach in Fützen, unweit der Bundesstraße 314 nach Grimmelshofen, fin­ den wir auf einer Obstwiese ein einfaches, aus heimischem Stein grob gehauenes Kreuz. Im Sommer versinkt es fast im Gras und ist meist nur Ortskundigen bekannt. Die Fützener nennen es „Schwedenkreuz“ und respektieren seinen Standort, ahnend, daß hier wahrscheinlich früher etwas Unheimli­ ches geschah. Keine Urkunde, keine Eintra­ gung im Kirchenbuch verrät uns den Grund seiner Errichtung. Man erzählt sich im Dorf, daß an dieser Stelle im Dreißigjährigen Krieg ein Schwede erschlagen worden sei, aber man weiß es nicht genau. – Das wuchtige Steinkreuz schaut ca. 90 cm hoch aus dem Boden, ist ca. 60 cm breit und 25 cm tief. In seinen Maßen erinnert es uns an die Längenmaße, die im Fürstenbergi­ schen Gebiet früher üblich waren (1 Fuß = 30,375 cm). Das Kreuz ist also 3 Fuß hoch, 2 Fuß breit und ungefähr 1 Fuß tief-eine har­ monische Aufteilung. Aus vielen alten Gerichtsurkunden wissen wir, daß im Falle eines Totschlages das Urteil meist dreischichtig aufgebaut war: 1) Bestra­ fung und Buße des Mörders, 2) Sorge für das Seelenheil des Opfers und 3) Vorsorge, daß nicht weiteres Unrecht geschah. Der Täter hatte zunächst eine genau festgelegte Ent­ schädigung an die Familie des Toten zu zah­ len, war ihr doch der Ernährer genommen. Zudem mußten für sein Seelenheil Kerzen, Messen und Jahrtagsämter gespendet und die Pfarrer dafür entlohnt werden. Damit man sich noch lange an den Getöteten erin­ nerte, mußte dort, wo es dessen Familie Das in Pützen am Kommenbach stehende Stein­ kreuz wird von vielen fälschlicherweise Schweden­ kreuz genannt. Es ist dort mit Sicherheit auch kein schwedischer Soldat begraben. Mit großer Wahr­ scheinlichkeit ist es ein mittelalterliches Sühne­ kreuz, dessen Aefstellung ein Teil der damaligen Rechtsprechung war. 203

kriechen“, dazu eine Lichterprozession spenden und sich so öffentlich demütigen. Um der Rache der Familie des Toten zuvor­ zukommen, wurde er häufig noch auf eine Wallfahrt geschickt, die kostspielig war und manchmal sehr lange dauerte (z.B. bis nach Santiago de Compostela in Spanien). Oft war der Pfarrer dafür verantwortlich, daß die Auflagen des Sühnevertrages erfüllt wurden. Auch in unserer Gegend wurden Sühne­ kreuze erstellt. Dies beweist eine Urkunde im F. F. Archiv II, 345 in Donaueschingen aus dem Jahr 1574: Der Blumberger Forstmeister Yesinger wurde von 2 Männern, vermutlich Wilde­ rern, ermordet. Die Täter wurden ermittelt, es waren Heinrich Kramer aus Münchingen und Christian Heldin aus Opferdingen. Das Landgericht Fürstenberg verkündete folgen­ des Urteil: Innerhalb von 14 Tagen müssen sie vom geistlichen Richter die Absolution empfan­ gen, innerhalb eines Monats in der Kirche nach Anweisung des Priesters Besserung schwören. Die Witwe des Försters muß vor­ her davon benachrichtigt werden. An die- De Pfarrer froget in dr Schuel: ,,Ein Christ, Wer kann mir sagen, was das ist?“ Jez stoht dr kugelrund Xaverli uff: ,,Dös sin zwi Balke une Brett druff!“ Bertin Nitz ’s kunnt a Wetter Sait der Kätter. ’s isch no wit Sait der Vit. ’s wird scho kumma Sait der Dumma. ’s isch scho do Sait d‘ Appolo. 204 sem Tage müssen sie von 4 Priestern Messen und Ämter halten lassen (die sie natürlich bezahlen müssen). Jeder Verurteilte muß dabei eine Kerze von einem Vierling Wachs tragen und 4 andere Männer eine Kerze von 112 Vierling Wachs. Dort wo die Obrigkeit es befiehlt, muß ein Steinkreuz gesetzt werden, 4 Fuß hoch und 3 Fuß breit. Die beiden müs­ sen die Kosten des Landgerichtes zahlen, der Witwe als Entschädigung für ihren verlore­ nen Mann 125 Gulden und die gleiche Summe dem Grafen Heinrich zu Fürsten­ berg für seine Ansprache beim Gerichtster­ min. 4 Bürgen müssen für die Erfüllung des Urteilsspruches sorgen. Wir wissen heute nicht mehr, wo das Yesingerkreuz stand, aber ein weiteres Stein­ kreuz wurde 1975 bei der Straßenerweiterung zwischen Hondingen und Fürstenberg gefunden und vom Mesner Eisele auf den Kirchplatz von Hondingen gebracht. Im Kirchturm wartet es zur Zeit noch auf einen neuen, würdigen Platz. Die Vermutung liegt nahe, daß das Fützener Steinkreuz eine ähn­ liche Geschichte wie das Yesingerkreuz hat. Bernhard Prillwitz Wer die Freiheit für grenzenlos hält, den fesselt sie bald mit der Wahrheit der eigenen Grenzen: Freiheit bedeutet nicht, daß man alles tun kann, was man will – sie will, daß man alles, was man kann, für sie tut. So hält sich die Freiheit immer in Grenzen des gegebenen Bertin Nitz Horizonts. Jürgen Henckell W etterprofeta Was isch e Christ? Grenzen der Freiheit “­‘

Baudenkmäler Eine Fabrik als herausragendes Beispiel der Baukunst Egon Eiermanns Taschentuchweberei in Blumberg Funktionalismus in Reinkultur: was funktioniert, ist auch schön Man kann es sich heute nicht mehr vor­ stellen, welches Aufsehen Anfang der SOer Jahre der Neubau der Taschentuchweberei in Blumberg erregt hat. Auf die jungen Archi­ tekten damals wirkte die Fabrik, die Egon Eiermann hierl949/50 errichtet hat, „wie das Fanal einer neuen kommenden Baukunst“. So jedenfalls hat es Jürgen Joedicke in einem Rückblick formuliert. Eine Fabrik als heraus­ ragendes Beispiel der Baukunst? Aber in der Tat ist dieses betont nüchterne, fast schmuck­ lose Gebäude in die Geschichte der deut­ schen Nachkriegsarchitektur eingegangen. Zu verstehen ist die damalige Begeiste­ rung aus der Situation nach 1945, als Deutschland nicht nur wirtschaftlich poli­ tisch, sondern auch moralisch an einem Nullpunkt angelangt war. Das geistige Leben lag danieder, die besten Köpfe waren in der Emigration, viele, die dageblieben waren, hatten sich unter dem Einfluß der nationali­ stischen Kulturpolitik diskreditiert. Die Ver­ bindungen zum Ausland waren durch Zen­ sur und Überwachung abgebrochen. Am Pomp und Protz der Dritten-Reich-Architek­ tur konnte man nicht weiterarbeiten. 205

Zu den wenigen, die sich ihre schöpferi­ sche Freiheit nicht hatten nehmen lassen, gehörte der junge Eiermann (1904-1970). Er, der in den Zwanziger Jahren den strengen Formenkanon des Neuen Bauens erlernt hat, hatte sich der stilistischen Gleichschaltung dadurch entzogen, daß er sich aufindustrie­ bauten verlegte, bei denen er mit seinem Funktionalismus gewissermaßen ungescho­ ren blieb. So konnte er seine architektoni­ sche Formensprache ohne Bruch fortsetzen. Was er gerade in den ersten Nachkriegsjah­ ren schuf, sollte für die nächsten Jahrzehnte in Deutschland Maßstäbe setzen. Zu seinen ersten großen Aufträgen gehörte dabei die Blumberger Taschentuch­ weberei (neben dem zwischen 1948 und 1952 entstandenen Fabrikations- und Verwal­ tungsgebäude der Ciba AG in Wehr). Daß Eiermann nach Blumberg kam, ist ein Glücksfall gewesen. Er geht auf die Bekannt­ schaft zurück, die Helmut Winkler aus der Industriellenfamilie der Firma Lauffen­ mühle während seiner Studienzeit in Berlin mit Eiermann machte. Aus der Bekannt­ schaft wurde eine dauernde Freundschaft: zusammen brachten sie die neue Fabrik zustande, für die Winkler als Bauherr und Eiermann als Architekt 1969 mit dem Hugo­ Häring-Preis ausgezeichnet wurden. Zwei Punkte mögen zu der vergleichsweise späten öffentlichen Wertschätzung geführt haben: der strenge, technisch bedingte konstruktive Funktionalismus und das seinerzeit erstmals verwirklichte Prinzip der Hallenarchitektur, das sich später nicht nur bei Industriebauten durchgesetzt hat, sondern auch bei der Haus-in Haus-Idee nachwirkte. Das Projekt in Blumberg, für dessen Reali­ sierung in dem damaligen Notstandsgebiet sich Staatspräsident Leo Wohleb persönlich eingesetzt hatte, hieß offiziell „Taschentuch­ weberei und Kesselhaus“. Das Gebäude, das 1963 in einem zweiten Bauabschnitt noch­ mals um 100 Meter erweitert wurde, ist heute noch eine Weberei, in der im Schichtbetrieb rund um die Uhr über 300 Mitarbeiter im Monat 1,8 Millionen Baumwolle-, Viskose- 206 und Leinenstoffe für den internationalen Markt herstellen. Die Fabrikationshalle, vor den Toren Blumbergs gelegen, ist insgesamt ein 200 Meter langes, 52 Meter breites und 11 Meter hohes zweigeschossiges Gebäude mit einem nur vier Grad geneigten Flachdach. Auf den beiden Stirnseiten sind gleichsam als archi­ tektonische Spangen zwei Treppenhäuser als eigene Elemente hervorgehoben; auch sie waren, wie der gesamte Baukörper, mit Eter­ nitwellplatten bedeckt, die durch beschich­ tetes Trapezblech inzwischen ersetzt wur­ den. Der Baukörper insgesamt hat einen nahezu geschlossenen Mantel, der jeden architektonischen „Trick“ unmöglich macht und, wie später bei anderen Projekten Eier­ manns, die Großform betont. Schmale Fen­ sterbänder, die nicht in erster Linie der Belichtung, sondern dem Ausblick der hier arbeitenden Menschen dienen, gliedern die Längsseiten. Dazu kommt, daß das Erdge­ schoß durch schwarze Fließen abgesetzt ist. Eine weitere Gliederung stellen die vorgela­ gerten Stahlstützen dar, in einem Raster von 12,50 Meter. Das wär’s dann schon eigent­ lich. Eine große Fabrikationshalle, die ihre Größe nicht verheimlicht und vertuscht, sondern sie geradezu herausstellt. Eine Halle, die nichts als eine Halle sein will, ein sehr konzentrierter Bau ohne alle Schnörkel, in sich geschlossen, ja abweisend, in keiner Weise nach außen hin auf Kommunikation angelegt. Daneben das ebenfalls rechteckige Kesselhaus mit seinem Schmetterlingsdach als Kontrapunkt gesetzt, das, zur Westseite hin, eine fein strukturierte Glasfassade besitzt und im Gegensatz zum Hauptge­ bäude offen wirkt. 1958/59 kam, ebenfalls von Eiermann entworfen, auf der anderen Seite ein Bürotrakt dazu, ein Bau von beste­ chender Einfachheit, eine der berühmten ,,Kisten“ der Funktionalisten. Eiermann ist in der Tat einer der radikalen Vertreter des Funktionalismus der 50er und 60er Jahre gewesen. Er distanzierte sich vom subjektiv tätigen Baukünstler, von der emo-

tional bestimmte Ästhetik. Die Expressivität von Ronchamps etwa war für ihn nichts wei­ teres als ein verzichtbarer Effekt. Ordnung, Rationalität, Klarheit und Wahrheit waren für ihn die Hauptkriterien. Der Architekt als Techniker im Maschinenzeitalter. Den hohen Stellenwert, den dabei die Fabrik in Blumberg in seinem Werk besitzt, unterstrich Eiermann selbst, als er in einem Aufsatz von 1971 exemplarisch sie noch ein­ mal hervorzog: „Derjenige, der die bauliche Hülle errichtet, soll genauso streng und red­ lich vorgehen, wie der, der die Maschine baut. Aus der gedanklichen Durchdringung und Koordinierung aller Zusammenhänge entsteht die gültige Form im Industriebau. Alles andere ist lediglich Dekoration. Es erscheint mir nicht nötig, daß man die Blum­ berger Weberei schön findet; es würde mich freuen, wenn man sie richtig findet. Denn viel, zu viele Dinge, die zur Form geführt haben, entstammen Überlegungen techni­ scher Art. Aber sicher ist der Versuch, in allen Dingen richtig, das heißt, fotgerichtig zu sein, der Ausgangspunkt einer Ubereinstim- mung, die wir dann und am letzten Ende mit Harmonie als einen Begriff des Schönen bezeichnen.“ Auch für einen modernen Architekten sind diese Äußerungen von besonderer Radi­ kalität: Der Architekt, der sich als Ingenieur versteht, der seine Aufgabe technisch löst und dabei an die Kraft und Schönheit der Technik glaubt. Was funktioniert, ist richtig und damit auch schön. Schön im Sinne einer strengen konstruktiven Ratio. In der Tat muß die Blumberger Fabrik der Lauffenmühle, die sich um die Erhaltung des Objekts verdient gemacht hat, als eine besonders konstruktive Leistung begriffen werden. Sie ist eine Stahlkonstruktion, die bis auf zwei Stützreihen in der Mitte einen riesigen Raum überspannt, also eine Halle schafft, die für eine Weberei notwendig ist. Das Dachgeschoß, in dem alle Versorgungs­ einrichtungen untergebracht sind, ist eine tragende Konstruktion, die auf den vor der Fassade liegenden Stahlstützen ruht: auf eigenen Fundamenten – wegen des Grund­ wassers wurde auf einen Keller verzichtet – 207

tragen sie das ganze Gebäude. Eine weitere Idee Eiermanns war es, in diesen Stützen das Regenwasser des Daches abzuleiten (deshalb ist auch eine Dachrinnenbeheizung nötig). Der heute mit der Bauunterhaltung betreute Ingenieur Karlhans Schweizer ist des Lobes voll über diese Konstruktion. Wegen Produktionsveränderungen mußten 1970/71 die, wie sich zeigte, hauptsächlich aus Bauschutt zusammengesetzten Decken herausgeholt und ersetzt werden. Die Halle bestand damals nur noch als Skelett, in das eine stärkere Konstruktion eingehängt wurde. Das Hallenprinzip hatte sich be­ währt, es erlaubte Einbauten nach der Not­ wendigkeit der neuen Produktion. Die kon­ struktive Funktionalität erwies sich auch noch als variabel: die „alte“ Architektur erfüllte ihre neue technische Aufgabe. Eier- mann, hätte er es noch erlebt, wäre darüber sicher glücklicher gewesen als über jeden Schönheitspreis. Eiermann begriff die Welt technisch ratio­ nal und reagierte darauf mit der Ästhetik des Funktionalismus. Vielleicht wäre es gut, wenn heute der eine oder andere Architekt erneut nach Blumberg pilgern würde: zu einer Besichtigung der Weberei. Er könnte dort die große klare Form erkennen, die uns heute in der zunehmend postmodernen Stil­ losigkeit abhanden gekommen ist. Ist es nicht so, daß uns wieder der Schwulst einzu­ holen droht? Wir sollten uns desto mehr auf die Disziplin, Präzision und Ordnung Eier­ manns besinnen und uns weniger roman­ tisch als vielmehr rational verhalten. Dr. Hans Otto Fehr Das Kapuzinerkloster zu Villingen Denkmalpflege heute Niemand kannte inzwischen das Haus anders als eine gewöhnliche Liegenschaft, die größenmäßig noch nicht einmal den Rahmen der benachbarten Häuser sprengte: ein Wohn- und Geschäftshaus wie viele. Immer wieder umgebaut, mit den üb­ lichen Wohnungsfenstern in der Fassade und den großen Ladenscheiben im Erdge­ schoß, hätte bestenfalls der Giebel zur Straße daran erinnern können, daß es mit diesem Hause einmal eine besondere Bewandtnis gehabt haben mußte. Aber selbst die schein­ bar aus der Zeit der Renaissance des 16. Jahr­ hunderts stammenden Voluten mit ihrem eingerollten Ornament täuschen, sie waren und sind ein Kind der Modeme, kaum 90 Jahre alt. Die Rede ist von dem Haus Niedere Straße 88 in der mittelalterlichen Stadt Villingen. Es ist das steinerne Zeugnis einer ge­ schichtlichen Epoche in Deutschland und Europa. Es ist im 17.Jahrhundert der Ort, wo sich in der Stadt in den Jahren nach der Glau­ bensspaltung die Erneuerung des religiösen Lebens verwirklicht. 1653 erhielten die Kapuziner, neben den Jesuiten der zweite große Orden der Gegenreformation, von ihrem Ordenskapitel die Erlaubnis, sich in Villingen niederzulassen. Dort, wo einst mehrere Hofstätten aneinanderstießen und die Kapelle des Heiligen Wendelins zum Gebet mahnte, zog am 16. August 1654 erstmals eine Prozession an den Ort, der ,,von nun an dem Heiligen Franziskus gewid­ met und die Hofstätte für den Bau eines Kapuzinerklosters bestimmt sei“. Ein höl­ zernes Kreuz wurde als weihendes Zeichen errichtet. Der Abbruch der alten Gebäude begann. Vor ein paar Jahren haben die Archäologen Spuren eines siedlungsgeschichtlichen Zu­ sammenhangs nachgewiesen, der in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts weist. Anfangs November 1655 zogen die ersten Patres ein. 1664 wurde das Kloster dann 208

geweiht. In jener Zeit, nach dem Dreißig­ jährigen Krieg, war es die Hauptaufgabe dieses Ordens, Missionen abzuhalten sowie in der regelmäßigen Seelsorge und bei den Gottesdiensten auszuhelfen. Von ihrem neuen Domizil aus versorgten die Villinger Patres sogar 30 Dörfer, daneben das Städt­ chen Bräunlingen sowie die Flecken Triberg und Donaueschingen. Dabei betätigten sich die Kapuziner einer­ seits auch als die Gewissensräte der Fürsten- berger in Donaueschingen, andererseits waren die Mitglieder dieser noblen Familie die großzügigen und einflußreichen Förde­ rer des damals so bedeutenden Reformordens. Das architektonische Programm von Kirche und Kloster war vom franziskani­ schen Grundsatz nach äußerster Einfachheit und Schlichtheit bestimmt. Es war „gebaute Armut“. Die von der Armutsforderung abge­ leiteten Bauvorschriften sind heute noch ablesbar. 209

Nach dem einheitlichen Bauplan der Kapuziner­ klöster hat auch die Villinger Anlage so ausgese­ hen: Kirche, als Saalkirche für die Gemeinde, Al­ tarraum und dahinter der „innere Chor“für die betende Klostergemeinschaft. Links von der Kir­ che der dreijlügelige Konventstrakt mit den Zel­ len, der mit zwei Giebelseiten an die Kirche stößt. Heute existiert nur noch das ehemalige Kirchenge­ bäude. Der Kreuzgangbereich wurde modern architektonisch nachempfunden. Von der Niederen Straße betrat man den Kirchenraum, eine bescheidene Saalkirche, kaum 180 qm groß. Hier fand sich die üb­ liche Einteilung in zwei Bankreihen, dem „Männerstühl“ und „Weiberstühl“. Durch den Chorbogen betrat man den kleinen Al­ tarraum, hinter dessen Altarwand sich noch einmal ein ebenso kleiner Raum von rund 45 qm befand, der sogenannte „Innere Chor“, der von der Kirchengemeinde nicht eingesehen werden konnte. Hier versammel- 210 . l • ten sich die Patres und Brüder. Ihr Chorgebet entfaltete sich nicht im festlich liturgischen Zeremoniell, und es wollte auch keine in der Kirche versammelte Gemeinde ansprechen. Diese einzig bei den Kapuzinern anzutref­ fende intime Chorlösung dient dem eremi­ torisch-kontemplativen Charakter der be­ tenden Mönchsgemeinschaft. An der Südseite stieß von außen das drei­ flügelige Klostergebäude mit zwei Giebel­ seiten an die Kirche. Die zweigeschossige

Anlage wurde im 19.Jahrhundert abgerissen und die Fläche teilweise überbaut. Was bis auf heute überkam, ist vor allem das ehema­ lige Kirchengebäude. Das Kloster wurde mit dem Anfall Villin­ gens an das Großherzogtum Baden im Jahre 1806 aufgehoben. 1820 wurden Kirche und Klostergebäude samt dem großen Garten durch den Staat an 6 Villinger Bürger um 2500 Gulden verkauft. In der ehemaligen Kirche wurde eine Bierbrauerei installiert. Eine neue Geschichte des Hauses begann, diesmal als reines Vermögensobjekt. Wech­ selvolle Jahre, bestimmt vom Nutzen und Ertrag, ließen das Haus allmählich verkom­ men. Glücksfall oder Fügung: auf jeden Fall ein wenig vom Herzschlag eines Mannes für seine Villinger Heimatstadt, als Helmut Falk und seine Frau, heute Inhaber einer Unter­ nehmensgruppe in München, das Haus 1986 erwarben. Dazu kam ein Architekt, der als gebürtiger Villinger das Gespür für Maß und Form schon seit der Kindheit mitbekommen hat. Anspruch der Denkmalpflege und die Bereitschaft, der historischen Dimension Inhalt, Form und Farbe zu geben, gingen eine Symbiose ein. Nach 180 Jahren gestaltet sich ein neues Bild: Der Kreuzgang wurde auf der Grundlage der historischen Grundrißaufteilung rekon­ struiert. Die frühere Form des Klostergartens wurde in dem Plattenbelag des jetzigen atri­ umförmigen Hofes übernommen. Kirchen­ halle und Chor erlangten wieder ihre ursprüngliche Form und zwar nach dem Modell „Haus in Haus“. Auch die Kirchen­ fenster wurden entweder in originaler Form herausgearbeitet oder in historischer Manier nachgestaltet. Als barocke Zierde, begleitet von stilecht empfundenen runden Fenster­ chen, sogenannten Ochsenaugen, schmük­ ken sie die Nordwand und die Schauseite des Giebels zur Niederen Straße hin. Gewiß, es ist kein neues Kloster entstan­ den. Auch heute steht die wirtschaftliche Nutzung im Vordergrund. Dennoch, ein Denkmal wurde gepflegt, das heißt, zumin­ dest seiner äußeren Gestalt wurden Würde und Ästhetik zurückgegeben. Auch unsere Zeit ist fähig, aus geschicht­ lichem Bewußtsein kulturelle Verantwor­ tung zu tragen. Werner Huger Qu e l l e : Werner Huger, Die Kapuziner und das Kapuzinerkloster zu Villingen … Jahres­ broschüre des Geschichts- und Heimat­ vereins Villingen, XIII, 1988/89 S. 44 ff. Das sanierte Amtsgerichtsgebäude in Donaueschingen Die Stadt Donaueschingen ist seit ca. 400 Jahren mit der Gerichtsbarkeit verbunden. Schon 1588 tagte in Donaueschingen das gräflich fürstenbergische Hofgericht als Appellationsgericht jährlich einmal in einer mehrtägigen Sitzung. Um 1620 ist urkund­ lich belegt, daß Donaueschingen Landge­ richtsstätte wird und 1629 dort das Landge­ richt der Baar zumindest dreimal jährlich tagte. Die Fürstlich-Fürstenbergische Justiz­ hoheit wurde 1806 beendet. Bis dahin war sie eine Abteilung in der Verwaltung des Für- stenbergischen Hofes, die in der heutigen Hofbibliothek untergebracht war. Von 1806 bis 1857 war die amtsrichterliche Justiz unge­ trennt mit der Verwaltung des Großherzog­ tums Baden verbunden. Durch Gesetz vom 18. 7.1857 wurden in Baden Amtsgerichte eingerichtet. Am 1. 9.1857 tauchte als erster Amtsrichter in Donaueschingen Herr Eugen Wolf mit einem Jahreseinkommen von 800 Gulden auf Das Amtsgericht befand sich im 2. Stock des früheren Rathauses. 211

Grossh. Amtsgericht, Donaueschingen 212

Beim großen Brand in Donaueschingen am 5. 8.1908 wurden auch das Rathaus und sämtliche Akten des Amtsgerichts vernich­ tet. Durch notariellen Kaufvertrag vom 17.10.1908 kaufte derGroßherzogliche Badi­ sche Landesfiskus von Donaueschinger Bür­ gern mit den heute noch bekannten Namen Käfer, Mall, Ilg, Wullich, Hölderle und Grießhaber verschiedene Grundstücke, die zusammengelegt das heutige Grundstück des Amtsgerichts ausmachten. Darauf wurde das jetzige Amtsgerichtsgebäude im neuba­ rocken-wilhelminischen Stil in den Jahren 1908 bis 1909 errichtet. Bis zur Generalinstandsetzung in den Jah­ ren 1976 bis 1983 wurden außer dem Einbau einer Zentralheizung keine nennenswerten Renovierungen durchgeführt. Der Bauantrag zur Sanierung wurde am 4.10.1976 über die Oberfinanzdirektion Freiburg beim Finanzministerium Stuttgart gestellt, der am 23.12.1976 im Einverneh­ men mit dem Justizministerium genehmigt wurde. Noch im Dezember 1976 begann die Sanierung der Registratur. Damals glaubte man noch, mit den Kosten unter 1 Million zu bleiben. Anfang des Jahres 1978 hoffte der Direktor des Amtsgerichts, daß die Renovie­ rung nach jahrelangem Bemühen nunmehr zügig und rasch mit einem Aufwand von 2,3 Millionen durchgeführt werden könnte. Da wurde das ganze Vorhaben mit dem Rotstift des Finanzministers Gleichauf gestrichen. Das Schreiben des Chefs des Amtsgerichts an den Finanzminister persönlich vom 23. 6.1978 und weitere Schritte hatten den Erfolg, daß der Finanzminister mit Schrei­ ben vom 25. 8.1978 mitteilte, nach gründli­ cher Überprüfung sei für die gesamte Instandsetzung des Amtsgerichts Donau­ eschingen ein Einzeltitel in den Entwurf des Staatshaushaltsplanes 1979 eingestellt wor­ den, wonach die Bauarbeiten ab 1979 durch­ geführt werden könnten. Am 4.10.1978 wurde der OFD die Baupla­ nung mit 2,8 Millionen DM zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt. Damit sofort mit dem Bauvorhaben begonnen werden konnte, wurde von der OFD die Planung auf 2,45 Millionen DM gekürzt und als soge­ nannter Bagatellfall in den Staatshaushalt etatisiert. Am 18. 7.1979 hat die OFD den geänderten Plan genehmigt. Am 17. 8.1979 erteilte die Stadt Donaueschingen die örtli­ che Baugenehmigung, worauf am 19. 9.1979 der Rote Punkt ausgegeben wurde. Darauf hat man die Dacharbeiten ausgeschrieben und in Angriff genommen. In den Winter­ monaten 1979/80 erfolgten weitere Aus­ schreibungen. Am 20. 2.1980 begannen die Roharbeiten im Kellergeschoß. Im Frühjahr 1980 gab es noch harte Meinungsverschiedenheiten über die Standsicherheit des Gebäudes. Der Chef des Amtsgerichts verlangte den Namen des Mannes, der für die Statik und die Stand­ festigkeit des Amtsgerichts geradestehe. Schließlich gab die OFD grünes Licht für eine Behelfsbaracke, die während der Bauar­ beiten den Amtsgerichtsbetrieb aufnehmen sollte. Am 20. 6. 1980 wurde die Baracke im Garten des Amtsgerichts aufgestellt, mit Strom, Wasser, Heizung und allen sanitären 213

Anlagen versehen und anschließend wurde da der Betrieb des Amtsgerichts und Nota­ riats durchgeführt. Jetzt konnten im Hauptgebäude un­ gestört die Baumaßnahmen fortgesetzt und Stahlträger mit einem Gesamtumfang von SO Tonnen eingezogen werden. Am 12. 4.1983 wurde der 1. Nachtrag der OFD vorgelegt, der am 15. 6.1983 mit 3,95 Millio­ nen DM genehmigt wurde. Am 6.10.1983 konnten Amtsgericht und Notariat in das fertiggestellte Gebäude einziehen. Das Gebäude strahlte in neuem Glanz. Dabei war die Denkmalspflege besonders beachtet und der neu barocke Stil der Wilhel­ minischen Zeit wieder voll zum Ausdruck gekommen. Neue Türen, neue Treppen, neue Bodenbeläge und Installationen und besonders der große Sitzungssaal waren für Publikum und Bedienstete eme Augen­ weide. Am 4.11.1983 wurde das sanierte Ge­ bäude in einem Festakt der Öffentlichkeit vorgestellt. Der als Vertreter des Justizmini­ sters anwesende Staatssekretär Dr. Volz war wie alle erfreut über das gelungene Werk und versprach, daß auch in Zukunft das Fami­ liengericht und die 4 Richterplanstellen beim Amtsgericht Donaueschingen verblei­ ben werden. Der Direktor des Amtsgerichts versi­ cherte, daß in diesen schönen Räumen mit Eifer und mit frohem Herzen dem recht­ suchenden Bürger Hilfe angeboten, Gerech­ tigkeit gegen jedermann geübt und das Recht gewahrt werde. Karl Günther Kaiserhüsli/Oberkirnach (Kesselbergweg) 215

Das „Haus des Bürgers“ in Bad Dürrheim … . . . aus der Sicht des Bürgermeisters und Kurdirektors Anfang der 70er Jahre konnte die Stadt Bad Dürrheim die stillgelegte Ludwigssaline erwerben und damit das bedeutende Indu­ striewerk mit dem für Bad Dürrheim ortsbil­ denden Charakter erhalten. Nach der Ver­ waltungsreform befaßte sich der Gemeinde­ rat und die Verwaltung mit der künftigen Nutzung der ehemaligen Salinengebäude. Mit dem Beschluß, das Kernstück der ehe­ maligen badischen Staatssaline zum Verwal­ tungs- und Stadtzentrum umzugestalten, fand das städtebauliche Konzept mit der Eröffnung des von 1988-1990 umgebauten und wieder instandgesetzten Siedhauses III­ als „Haus des Bürgers“ -am 6. Juni 1990 sei­ nen krönenden Abschluß. Die Saline Bad Dürrheim ist ein bedeu­ tendes Kulturdenkmal der ersten Industria­ lisierung im Regierungsbezirk Freiburg. Barocke Schloßbau-Architektur in Verbin­ dung mit technischen Organisationsvorstel­ lungen läßt sich aus den von dem Weinbren­ ner-Schüler Arnold errichteten Bauwerken erkennen. Diese ist die einzige ihrer Art in Südwestdeutschland, die in ihrer charakteri­ stischen Eigenart heute noch erhalten ist. Die Anlage ist nur mit der berühmten Sali­ nenanlage des Architekten Ledoux in Chaux vergleichbar. An der Erhaltung der Salinen­ anlage bestand aus wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen ein öffent­ liches Interesse, so daß die Salinenbauten seit 1978 unter Denkmalschutz gestellt sind. Das Siedhaus III ist Bestandteil der zwi­ schen 1823 und 1826 durch den großherzog­ lichen badischen Baumeister Friedrich Arnold (1786-1854) errichteten Salinenan­ lage. Man war sich von Anfang an im klaren, daß der Umbau bzw. die Sanierung nicht bil­ lig werden würde. Vorsichtig geschätzt wur­ den zunächst etwa 4,5 Mio. DM. Die Frage, 216 woher die finanziellen Mittel fließen sollten, gewann daher existenzielle Bedeutung für die Erhaltung und Sanierung dieses für die kulturelle Seite der Stadt so eminent wichti­ gen Gebäudes. Da kam das neu geschaffene Denkmal­ nutzungsprogramm des Landes gerade recht. Mitte der 80er Jahre als Konjunkturhilfe geschaffen, bot sich der Stadt hier die ideale Chance, ihre Probleme bezüglich des Haus des Bürgers zu lösen. Nachdem die Stadtver­ waltung im „Geschwindschritt“ die notwen­ digen Planungsunterlagen fertiggestellt und eingereicht hatte, fand das „Haus des Bür­ gers“ damals als einziges Objekt im Schwarz­ wald-Baar-Kreis sofort Aufnahme in das För­ derprogramm. Einige Zeit später kam Bad Dürrheim auch im Stadtsanierungsprogramm des Lan­ des zum Zuge, und auch hieraus entfielen dann Mittel auf das „Haus des Bürgers“. Nachdem die Finanzierung weitgehend gesichert war, konnte die Stadt an die kon­ krete Umsetzung der Pläne gehen. Alle gesellschaftlichen Gruppen der Stadt – Jugend, Vereine, Senioren usw. – sollten von der neu zu schaffenden Einrichtung pro­ fitieren. Deshalb wurden alle diese Gruppen nach Möglichkeit auch schon im Planungs­ stadium angehört, da man sich von ihren Vorschlägen wertvolle Hinweise für die Gestaltung versprach. Der große Saal im Zentrum des Gebäudes, der „Siedersaal“, stellt jetzt das Kernstück des „Haus des Bürgers“ dar. An seiner Stirnseite wurde ein Raum für eine Altenbegegnungs­ stätte vorgesehen, der auch als Mehrzweck­ raum genutzt werden kann. Er erhielt den Namen „Großherzogin-Luise-Raum“, in Er­ innerung an die großzügige Förderin von Bad Dürrheim um die Jahrhundertwende. Die Jugend erhielt im Zuge der Planungen

ein neues Domizil zugewiesen. Sie fand im Bohrturm VII neben der Narrenzunft eine neue Stätte, die im Jahre 1989 eröffnet wurde. Im Obergeschoß des „Haus des Bürgers“ dient ein schöner großzügiger Raum, der „Friedrich-Arnold-Saal“, benannt nach dem Erbauer des Gebäudes, als Treffpunkt von Vereinen, Ausschüssen sowie für Ausstel­ lungszwecke. Beim Umbau zeigte sich bald, daß die Bausubstanz viel schlechter als angenom­ men war und sehr viel saniert werden mußte. Auch bedingt durch die vorgesehenen viel­ fältigen Nutzungsmöglichkeiten mußte daher „tief in die Tasche“ gegriffen werden. Die gesamte Innen- und Außensanierung der ehemaligen „Siedepfanne“ dürfte sich auf knapp 8 Mio. DM belaufen. Im Juni 1990 war es dann soweit. In einer festlichen Einweihung wurde diese neue Begegnungsstätte von Bürgern und Gästen im Siedersaa1 unter Teilnahme zahlreicher prominenter Ehrengäste, wie Herrn Frak­ tionsvorsitzenden Erwin Teufel, dem heuti­ gen Ministerpräsidenten, Herrn Regierungs- präsidenten Dr. Nothhelfer u. a. eröffnet. Seither gingen viele Veranstaltungen über die Bühne. Von der Operette bis zum Tanz­ sportturnier, von großen Tagungen bis zu Ausstellungen des K.Jeintierzüchtervereins, von großen Vereinsjubiläen bis zur Ausstel­ lung des örtlichen Künstlerkreises fand alles im „Haus des Bürgers“ seinen Platz und konnte ausgezeichnet abgewickelt werden. In akustischer, technischer und organisa­ torischer Hinsicht wird das „Haus des Bür­ gers“ allen Anforderungen gerecht, die heute an eine moderne, qualifizierte Kultur- und Veranstaltungsstätte gestellt werden. Das „Haus des Bürgers“ ist eine große Be­ reicherung für Bad Dürrheim. Das kulturelle Leben der Stadt hat damit einen neuen Schwer­ punkt gefunden, um den sich neue Ideen und Taten nunmehr entwickeln können. Die hohen Zuschüsse des Landes haben sich als außerordentlich positiv erwiesen. Mit diesen Zuschüssen, für die die Stadt sehr dankbar ist, ist eine wertvolle und bleibende Verbesse­ rung der Gesamtstruktur der Stadt Bad Dürr­ heim erreicht worden. Gerhard Hagmann 217

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… aus der Sicht des Planers Jeder, der nach Kriegsende die Entwick­ lung des kleinen Ortes Dürrheim zur heuti­ gen Kurstadt Bad Dürrheim unmittelbar erlebt hat, betrachtet staunend die unge­ wöhnlich dynamische Entfaltung dieses Gemeindewesens in der Region. Das Geheimnis des erfolgreichen Aus­ baues beruht auf einer glücklichen personel­ len Konstellation und dem Fleiß der Bürger dieser Gemeinde. Zu jeder Zeit hatten die Stadtväter ein klares Ziel und ein entspre­ chendes Konzept, durch das sie auch den Rückhalt bei der Landesregierung gewan­ nen. Die Bürgermeister und Kurdirektoren Otto Weissenberger und Gerhard Hagmann verfolgten in steter Abstimmung mit den Stadträten langfristig und zugleich kontinu­ ierlich die Ziele der Kurortpolitik. Und diese war – und ist -, für jedermann erkennbar, erfolgreich. Doch das Rathaus hat nicht nur die Be­ lange des Kurgastes zu berücksichtigen, Wün­ sche und Erwartungen, die der Gast bedingt durch die Zeit seiner Kur, seiner Freizeit und dem Wunsch nach Geselligkeit an den Kur­ ort stellt. Auch der Bürger des Kurortes, der durch seine stete Fürsorge am Gast mithilft, das gute Klima zu gestalten, wünscht seiner­ seits die Erfüllung seiner eigenen geselligen Bedürfnisse. Im Interesse des Ausbaues des Kurortes mußte über lange Jahre hinweg der Schwer­ punkt der Investitionen einer guten Infra­ struktur zugemessen werden. In diesem Sinn entstanden in den frühen fünfziger Jahren das damals richtungswei­ sende Kurmittelhaus und Solebad, der Aus­ bau des Kurhauses mit Kurpark; es folgten später der Neubau des Sportbades sowie der Bau des „Hauses des Gastes“ (vgl. Almanach 70, S. 102 ff.) im Rahmen der historischen Salinengebäude. Der Höhepunkt kurörtlicher Attraktivität gelang der Gemeinde durch das großange- legte Konzept des „Solemar“ (vgl. Almanach 89, S. 226 ff.). Diese Bäderanlage erschließt dem Kurgast weit über die therapeutische Funktion hinaus ein einmalig erfreuliches Badeerlebnis. Nachdem nunmehr die entscheidenden Bausteine zum Ausbau des Kurortes gelegt waren, beschloß der Stadtrat die berechtig­ ten und langgehegten Interessen der Bürger der Stadt zu berücksichtigen. Es wurde der einmütige Beschluß gefaßt, den Ausbau und die Sanierung der historischen Siedepfanne für das „Haus des Bürgers“ in Angriff zu neh­ men. Zur Geschichte dieses unter Denkmal­ schutz stehenden Gebäudes ist zu vermer­ ken, daß das Siedhaus III als Teil der großher­ zoglichen Ludwigssaline im Jahre 1823 nach den Plänen des bekannten Architekten und Baudirektors Arnold, eines Schülers des klas­ sizistischen Baumeisters Friedrich Wein­ brenner aus Karlsruhe, erbaut wurde. Von der ehemaligen Gesamtanlage sind nach Abriß zweier weiterer Siedegebäude, der Bohrtürme und Magazine, nur die bei­ den den zentralen runden Platz flankieren­ den Verwaltungsgebäude, heute Rathaus, und die symmetrisch angeordneten langge­ streckten Siedepfannengebäude erhalten geblieben. Diese historisch wertvolle städte­ bauliche Komposition prägt heute die Mitte des Kurortes Bad Dürrheim. Erst 1928 erfolgte die Instandsetzung der Siedepfanne. Nach dem Bau eines neuen Siedhauses im Jahre 1931 wurde das ausge­ diente alte Gebäude seiner Funktion beraubt. Es wurde als Werkstätte und Lager genutzt, später für begrenzte sportliche und bürgerliche Nutzung verwendet. Im Jahre 1970 konnte die Stadt die stillge­ legte Ludwigssaline erwerben und damit das für Bad Dürrheim so bedeutsame Kultur­ und Baudenkmal auf Dauer bewahren. Angesichts der Bedeutung der Aufgabe beriefen Bürgermeister und Stadtrat eine 221

Baukommission, die alle zu treffenden Maßnahmen beratend begleiten sollte, als Grundlage für die im Gemeinderat zu tref­ fenden Beschlüsse. Erste Untersuchungen an der Bausub­ stanz der Siedepfanne machten deutlich, daß es höchste Zeit war, das im Verfall befindliche Gebäude zu retten: Das Mauer­ werk war durchfeuchtet und viele Gewölbe­ teile nicht mehr tragfähig. Die Erdgeschoß­ decke zeigte unterschiedliche Höhen und das großräumige Gefüge der Holzkonstruk­ tion zeigte sich in vielen Teilen vermorscht und nicht mehr tragfähig. Witterung und Salzreste hatten dem Bauwerk hart zuge­ setzt. Der Ausbau in Verbindung mit einer Grundsanierung waren unumgänglich ge­ worden. Dieser kritische Tatbestand machte eine gründliche Vorbereitung der Baumaßnahme in drei Ebenen erforderlich: – Absicherung von Gebäudeteilen und ingenieurmäßige Erfassung des Istzustan­ des im ganzen und im Detail. – Abstimmung mit dem Denkmalamt mit dem Ziel, die neuen Nutzungsbedürfnisse des Saalbaues mit der historischen Bau­ substanz in Einklang zu bringen. – Untersuchung der Frage, wie sich das zu erhaltende Baugefüge räumlich optimal nutzen ließe, so daß die unterschiedli­ chen Anforderungen der Vereine und der Gemeinde zu erfüllen seien. Die Untersuchungsergebnisse und ihre Folgerungen wurden in zahlreichen Sitzun­ gen der Baukommission ausdiskutiert und die in vielen Varianten erarbeiteten Pla­ nungsgrundlagen überprüft. Das Endergebnis der Beratungen hat ihren Niederschlag in der Fertigstellung des Gebäudes gefunden. Von außen stellt es sich von Grund auf saniert vor. Das Erschei­ nungsbild hat insgesamt eine deutliche Auf­ wertung erhalten, wobei die axial angeordne­ ten Haupteingänge zum Bürgersaal beson­ ders hervorgehoben sind. Im Inneren überrascht die räumliche Dominanz des festlichen Saales durch seine 222 Größe und gute Proportion. Der Rhythmus der historischen Stützenordnung ist über­ nommen, doch die kräftigen Holzstützen wurden zur Verbesserung der Sichtverhält­ nisse offener plaziert. Das aus historischer Zeit übernommene Holzwerk konnte in die neuhinzugefügten Teile sichtbar einbezogen werden. Die den Raum breit umrahmende Empore vermittelt dem Bürgersaal eine eigenständige Kraft. Die volle Breite des Raumes bestimmt die Größe der Bühne. Sie ist vielfältig mit Hilfe des Hubpodiums nutzbar. Der Architekt entwarf einen farbigen Bühnenvorhang, der dem ganzen Saal eine festliche Note verleiht. Zwei kleinere Säle, Küche, Foyer und Nebenräume ergänzen die Nutzungsmög­ lichkeiten in vielfältiger Weise. Im „Haus des Bürgers“ ist eine glückliche Synthese gelungen zwischen dem Bewahren der historischen Bausubstanz als Bild der Geschichte Bad Dürrheims und der Erfül­ lung gesellschaftlicher Bedürfnisse unserer Zeit. Durch die natürliche Verbindung von alt und neu gewinnt der Bürgersaal seine Unverwechselbarkeit und die Eigenart seiner ansprechenden Atmosphäre. Das alte Sali­ nengebäude ist in unser heutiges Leben voll einbezogen und zur Attraktivität der Region geworden. Für Bad Dürrheim bedeutet es einen wichtigen Baustein für die Stärkung des Gemeinsinnes seiner Bürger. Der Kurort steht erneut vor einer großen Herausforderung. Im Jahre 1994 wird sich die Landesgartenschau in Bad Dürrheim präsen­ tieren. Dies ist ein guter Anlaß, die land­ schaftlichen Werte des Kurortes, vor allem im Bereich des Kurparks, weiter auszubauen. Für die Region und den gesamten Land­ kreis bedeutet die Landesgartenschau in Bad Dürrheim und die damit verbundene Ent­ wicklung des Kurortes einen großen Gewinn und eine zusätzliche Attraktivität, die allen Bewohnern des Landkreises zugute kommt. Prof. Dr. Horst Linde

Der Villinger Aussichtsturm Eisernes Wahrzeichen des Stadtbezirks Villingen Ein Turm mit 104 Jahren Die Idee war schon im Jahre 1887 gereift, doch für den Bau eines Aussichtsturmes auf der Wannenhöhe in Villingen war auch die Genehmigung durch den Großherzoglichen Bauinspekteur Mayer von der Inspektion in Donaueschingen maßgebend. Und als der schließlich aus detaillierten Plänen wußte, was die „Turmbau-Genossenschaft“ vor­ hatte, gab dieser die Pläne nicht ohne ironi­ sche Bemerkung zurück: ,, … beehren wir uns … unter Rückgabe der Akten und Pläne ergebenst zu erwidern, daß wir es dem dorti­ gen Ernste überlassen müssen, aufgrund der von Herrn Oberförster Ganter und Herrn Grüninger gemachten Angaben, die Bauge­ nehmigung zum Thurmbau zu ertheilen“ – Donaueschingen, den 7.Juni 1888. So war es also den Beamten der Baubehör­ den nicht ganz wohl, als sie vor 104 Jahren den Bau eines eisernen Aussichtsturmes frei­ geben sollten, obwohl dazu eigens eine Genossenschaft gegründet wurde, über deren Geschäftsanteile man den Turm finan­ zierte, für dessen Besteigung man Eintritts­ geld kassierte, aus deren Summe man dann wieder Dividende zahlte. Schließlich wurde der Turm an die Stadt­ gemeinde Villingen verkauft – zum halben Wert der Baukosten. Heute nun ist der Turm als technisches Baudenkmal eingestuft, er wird von Zeit zu Zeit aus Mitteln des tech­ nischen Dezernats der Stadt Villingen­ Schwenningen gewartet und er ist wohl täg­ lich Ziel von Spaziergängern und Ausflüg­ lern: der 30 Meter hohe Turm auf der Wan­ nenhöhe – eisernes Wahrzeichen des Stadt­ bezirks Villingen. Mit 30 Genossen, die meisten wohl dem vermögenderen Teil der Villinger Bevölke­ rung zuzurechnen, wollte die „Aussichts- Winterstimmung turm-Genossenschaft“ den Bau eines Tur­ mes ermöglichen, der viel dazu beitragen sollte, ,,den landschaftlichen Ruf der Stadt und der Gegend vortheilhaft zu gestalten“. Federführend für die Genossen war die damalige Oberförster Hubert Ganter (1848- 1885). Er unterzeichnete auch den Auftrag an die Glockengießerei der Gebrüder Grü­ ninger, in deren Werkstätten am Bickentor die Teile für den Turm gefertigt wurden. Die Baugenehmigung vom Juni 1888 brachte jedoch auch die Auflage, daß der Turm auf dessen Belastbarkeit geprüft werde, 223

was als technische Aufgabe ein Kontrolleur namens Glöckler vornahm, Oberwerkmei­ ster der F. F. Maschinenfabrik in Immendin­ gen. Und weil die Eröffnung des Turmes bereits im September bevorstand, brachte Glöckler sein Gutachten zunächst mündlich vor: der „lange Lulatsch“, wie der Turm spä­ ter im Volksmund genannt wurde, konnte nach damaliger Auffassung eine Belastung von 29.000 Kilogramm verkraften. Das bedeutete schon für die feierliche Eröffnung, daß gleichzeitig 50 Personen auf drei Platt­ formen die Tragfähigkeit belasten durften. Feurige Grüße zum Himmel Es war ein Volksfest, das nach dem 16. September 1888 auch die Zeitungsbe­ richte bestimmte: ,,Die gestern stattgefun- V I t. t. .% ff C:: 3 ff Lage ulld Klima. Schcnswurd15:ke1t..en im badischen Schwarzwald. !).�»:. • „.;““1,,“‚CfoU), _……._ …. ,��,1.i..,,k 11.-.. JlilOuter ,1,-.., n J,1„1 … „“‚ ,t,• Rath&u.1 lH … _..,, – bf.rQhmlclr AHertQ.mor8aatmhat1f, .. ,.MtionJ…,.““-‚ ,………,. b1utlacbea lkhwanwaldbabn …. Krl!J.qlllll Im Spital…. „“, ,. I .,..,,t .,.,, ,h -.j l·-..k,,-., ,l.t nrtL obeR NecllUhalbahn. J““ 00 Romehuiturm. ,W Al‘-il.&lltkhd11, ,. • .,, 1,.. ln,#0. • l,b,,,, …….. l““. 1,..-t ….. 1 ….. _,,.,.“‚….,.\•-.:• .t, ElHmer Aualchlatum -‚ ,,., \ .,_“‚ ,. f:1• •I , , .. …, Jn ln,:..-h. 8Kb1obl,vü.llma; -‚•‘-,-hhr r,,.,.. .. … 1t,tw.,,.,. .. 1 .. h, …… , .. ••.1,. …. i:.. … \, … , �J ·-� … ,11,…_ …… 1,, ….. 1 .. l …. tl‘-‚·–··� .. ,l, ‚,,.,t.,�-n … 1.._t,.,,.,., 1\, … ,t …. Jn..l wt„ A ,l dto x ….. ., !111 � ._ .,,_, llhw, „‚·““‚ ll,,,, ….. ,.f“l,1 .. t … …._ ……….. 01,1. ‚“• .,,…l,fl·r�. 1, „‚“‚-“ 1,1-l••ft �., • ,cJr,L…. ,.,.,,,._II tH-·1.M I h ‚orzu5:e Rls lufikurorL AusflUllC! L, TM•““• .,h,.,p,.1 … tN““� ….. , ,., ,� ,1,,1 J.rh, … ,1 , .. , ,1, i. :,,,._._,“° M…,,…, ,i.. ,…..111 �+. IL , • I.._ • • 1 .,., 111,. 1″ W. • ,, 1 ““ ,; M,,. 1 .. ��l 1) (,,.14,: s. … l t…fl t-, ….. � ,…!.,, …… ,. ..t. … , ‚“‚“ lt l.,,, , .J J,,, , …… -l „ ‚ • .,. � 1„1,, ……. „‚lhL..,.‘ I‘ � ,.,. � R1:• … �:.rn�1�;:-�;.:�:�.t11���:,J,;n,,· • 1),,1.,,…\.il, hlAU011 KllrD•dl. ,,., ,.._ � …… .i.. Oocb••ld.,. w�·‘-·• , … 1. , .,, ,,.,i.., .. ll l…;lh1″‚•�l•““°1,-.. ,,.1 ••M•‘-rll�lfo ……_\ .i..w1..i.. ,,.,,;,,•w .. :-…,,lt,,,l.t.·,,•,. r,“““-\,. .. „“0- 1 ,.._, .• T,·� …. .,.,.. 1 .. � ..J 1 , �·1·• , .. .u,1,. II·• · 1 \. , 1 ·,t.• .. ,1.� !>-, 1..,11J>..,i.. t· ,l h, t., � .. :.-.::·=“�·’�t,:.:: .. ,� .. 1.“� 1 �·.�·: …. ,;-;::· :�· o;:: : •, „“‚ ._, .. \·““‚ .. �� ……. i, ….. u,11,,..,> ,.,, · „‚l „“‚““· ‚“““““ k,.,,.){j·.· :;…,:._:,:,,,i’f::..�:·:;��‘ :‘.;, � !:!;� , .. -s-.,, ·-… , o…i 111·1 ..,, •• �… 1 �1i,,-,..,,, 11Jw-……J, „,J,..,,Qu „ jkf..f“,f-� ‚“““‚-· ,11�1•““1, � „·� •tn., .. � .. �,..,, Xrelaboupt.ttadt.. VIIUqen, „-‚·• 1.-. �,. • 11 •1t.,. IW ..S….,. -..l, …… ,, …… � U.uppl•ta ·“• lcbwarzwllder Jndulrl• -l.lwuo. o,.t,,.un,…,. t, ._, .. “ -L““‚1 l ,….J.i -•bwtc:ba.luD.pritit.heo. 11qmetunn 1111d doch n&hiltD Aul•11tbalL � -:.��·· � „{„�“‚:�.‘ … :..:.�� ;.,“;.:.··:s:; ��,, !�t.n::•re�;:.��ii:.:.7′.�,· .� :,i……..-,; �· 224

dene Eröffnungsfeier brachte die ganze Stadt in Bewegung und auch von auswärts war eine bedeutende Anzahl von Besuchern einge­ troffen.“ Schon in der Frühe verkündeten Böllerschüße vom wichtigen Ereignis. Hubert Ganter hielt die Festrede, nachdem man mit Vorantritt der Feuerwehr-Musik zum Turm gezogen war. Am Abend wurden feurige Grüße zum Himmel gesandt, der Turm wurde bengalisch illuminiert und ein Brillantfeuerwerk wurde abgebrannt, wie es schon die Plakate verheißen hatten. Das Schauspiel brachte die ganze Stadt auf die Beine – die Besichtigung des Spektakels hatte man sehr bequem -sie konnte von der Stadt aus geschehen. Plakate: noch heute käuflich! Auch nach dem Spektakel am Turm war man in der Bevölkerung stolz auf das eiserne Gebilde auf der Wannenhöhe, für das man als Sehenswürdigkeit die Attraktion noch steigern wollte. Eine Broschüre, frei von jeder reklamehaften Anpreisung, könnte der ganzen Stadt von Vorteil sein. War man doch in jenen Jahren grad dar­ an, den Plan für einen Bahnhof und ein eigenes Amtsgericht zu realisieren. Doch die Stadtkasse blieb für diesen Zweck ver­ schlossen! Statt einer solchen Broschüre wollte man allenfalls in die Reihe der „Europäischen Wandbilder“ finanzieren. Das waren plaka­ tive Darstellungen bestimmter Städte und Regionen, über die auch die Bedeutung Vil­ lingens bekannt gemacht werden sollte. Aus Überschüssen der Spar- und Leihkasse half man, die Aktion zu finanzieren. Die „Artisti­ sche Anstalt Orell, Füssli & Co. Zürich“ hatte nach ihrem Angebot diese Art Plakat schließlich mit 3.000 Exemplaren für 60 Pfennig je Stück „wirkungsvoll, wahrheitsge­ treu und geschmackvoll“ ausgeführt, wie in der Korrespondenz zu lesen war. Selbstverständlich war auch der Turm mit abgebildet, was man den Genossen zunächst als Selbstdarstellung ankreidete. Auf Bahn­ höfen im ganzen Land Baden und darüber Turm zu verkaufen! Der plötzliche Tod Hubert Ganters im Jahre 1895 brachte allerdings den Turmbau­ Genossen zur finanziellen Not auch noch den persönlichen Verlust des ersten Vorsit­ zenden. In späteren Jahren wird gar vermutet und spekuliert, Hubert Ganter könnte wegen seiner unüblich betriebenen Forstwirtschaft und dem Geldbedarf hierfür einem gewaltsa­ men Tod zum Opfer gefallen sein. hinaus sollten die Plakate die Fremden lok­ ken, damit deren Aufenthalt in der Zährin­ gerstadt dem wirtschaftlichen Allgemein­ wohl der Stadt und der Bevölkerung diene. Als der erste Rost dem Turm zu schaffen machte, wird Heinrich Dold, bislang Schrift­ führer der Genossen, deren erster Vorsitzen­ der. Er engagiert sich in seinem Amt, doch Dividende auf die Geschäftsanteile, wie in den Jahren 1888/89 über drei Prozent, gab’s keine mehr. Der Turm hatte nämlich seine erste Attraktivität trotz Plakaten eingebüßt, die Einnahmen aus den Eintrittsgeldern – 20 Pfennig für Erwachsene, 10 Pfennig für Kinder – blieben zu gering. Was lag näher, als den Turm zu verkaufen. Zu Beginn des Jahrhunderts war C. Görla­ cher sen. neuer Vorsitzender geworden. Er machte der Stadt deutlich: Die Mitglieder unserer Gesellschaft sind ältere Herren, die sich altershalber und teilweise geschäftswe­ gen mit der Kontrolle der Geschehnisse zum Turm nicht mehr befassen können. Doch der hauptberufliche Bürgermeister Dr. Brau­ nagel lehnte es ab, daß die Stadt den Turm kaufe. Es sei denn, so versuchte Braunagel zu feilschen, man könne den Turm zum hal­ ben Preis des Genossenschaftsvermögens haben. Die Genossen kamen außerordentlich zusammen und noch vor Ende des Jahres 1910 waren die Würfel gefallen: der Turm kam in’s Eigentum der Stadt zum Kaufpreis von 3.500 Goldmark. Bierbrauer Faller, als möglicher Interessent für Turm und ein Aus­ flugslokal benannt, hatte zuvor noch recht­ zeitig abgelehnt. 225

Dem Schutzmann entwischt! Eine wichtige Person am Turm wurde in den folgenden Jahren Amtsdiener Albert Oberle. Er hatte die Aufgabe übernommen, das Eintrittsgeld am Turm zu kassieren, wofür ihm bei seinem Dienst eine Schutz­ hütte am Fuß des Turmes gebaut wurde. Abzurechnen hatte er mit der Stadtkasse … Weniger zuverlässig als Amtsdiener Oberle waren die damaligen Wirtsleute „zum Hohenzollern“ (heute „Panorama Night-Bar“). Ihnen lag das Wohl der Wirts­ hausgäste näher als die Aufgabe, gleichzeitig auch als Verkaufsstelle für die Eintrittsbil­ lette zu gelten. Nur so war es möglich, daß gar ein Frem­ der am Turm unberechtigt Eintrittsgeld kas­ sierte und sich danach aus dem Staube machte … Unerkannt auch von Schutzmann Dürr­ hammer, dem zwei Buben als Zeugen das Protokoll diktierten. Rund-um-Sicht mit Fernrohr Während der Kriegsjahre 1914/18 sind die Protokolle zum Geschehen am Turm spär- lieh. Nur manchmal wird erwähnt, daß das Gelände am Turm „Tummelplatz der Jugend und Ort für allerlei Unfug“ sei. Im März geht der Auftrag ans Stadtbau­ amt, den Turm zu verschließen und entspre­ chend zu verwahren, wie auch immer man sich eine solche Handlung vorzustellen hat . .. Nachdem man 1921 feststellt, daß der Turm noch immer ausreichend stabil ist, meldet man erneut regen Besuch und fordert gleichzeitig, man möge doch der zunehmen­ den Zerstörung Einhalt gebieten. Ein unbekannter Erwin Pfeiffer will wenig später den Turm von der Stadt mieten, aber bei der Verwaltung kann man darin keinen Sinn erkennen: Abgelehnt! Im Mittelpunkt steht der Turm 1938: 50 Jahre ist er alt geworden. Redakteur „r .r.“ zitiert Ereignisse von 1888 und betont das Werk jener Männer mit Weitblick, die den Turm damals ermöglicht hätten. Der Journa­ list schlägt ein Freudenfeuer vor … ein Jahr später brannte Feuer in ganz Europa, der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen. Wolfgang Bräun Loblied Wit d’Hoemet mol vu obe säeh, wie us de Vogelschau, no bruchsch dezue ko Flugzeug näeh, kasch nuf uf d’Wanne gau. Dert guckt is Land ganz uschiniert, trotz Rege, Schnee und Sturm, und word so wenig äschtemiert, de guet, alt Aussichtsturm. Er schtoht so stolz dert ob em Roeh, scho über 100 Johr, bi Dag und Nacht so ganz eloe, jetzt isch es nimmi wohr. Frühr hät mer dert de Schoo&nischt gschmeckt und d’Sutte uf em Feld; zmols hond si Gold im Dreck entdeckt, jetzt stinkt es dert no Geld. 226 De Aussichtsturm, der sait kon Ton, denkt a di guet alt Ziit. Dert hät mern baut als Sensation, wos wiit und broet nit giit. Trotz Vatermörder und Korsasch und eme Iitrittsgeld sind d’Liit dert nuf, hond mit Kurasch en Blick riskiert i d’Welt. Der Blick isch wellwäeg gwaltig gsii vu obe rab ringsrum; de Schwenninger i d’Karte nii, an suure Wase num, Ge Diire und is Brigetal und bis an Kesselberg. Türm, Tor und Hiiser uni Zahl, und älles wie fer Zwerg.

(“ ( -r ·� ——–:::::—– ‚-………_ Sait ’s Wetterloch, ’s dät Rege gäe so pünktlich wie e Uhr, und hät mer gar no d’Alpe gsäeh, no ischs om dur und dur. E Reis i d’Welt mit ihre Pracht hät frühr nit intressiert; en Neckermann, wos migli macht, hät no nit existiert. Hit bringt iis ’s Femsäeh äll mitnand di ganz wiit Welt is Huus; vum Nordpol bis gi Feuerland kennt jedes Kind sich uus. Doch frogsch, wo ’s Sachsewäldli liit, guckt mancher ganz verstört, und daß es e Krummränkli giit, hät er no gamie ghört. So armi Chaibe duuret om, stond do im kurze Hemd, sind i de ganze Welt dehom, bloß i de Hoemet fremd. ’s isch duß nit älles Gold wa glänzt; ’s hät manchs de Brägel gschmeckt und godig, weil es frühr hät gschwänzt, si Hoemet mol entdeckt. Und duets de Wäeg uf d’Wanne näeh, no isch es zmols ganz platt: Wo kamer so i d’Wiiti säeh, wo giits der Blick uf d’Stadt? Wer so lang scho dert obe stoht, oezächt bi Schnee und Sturm, ischs wert, daß mem hoch lebe loot: De Villinger Aussichtsturm! Elisabeth Neugart

Ortssanierung Der Friedhof in Nußbach in neuer Gestalt Die Bestattung der Toten ist aus gesund­ heitlichen Gründen, vor allem aber aus Gründen der Pietät seit unvordenklicher Zeit üblich. Ursprünglich war sie eine kirchliche Angelegenheit. Seit dem letzten Jahrhundert wurde sie zu einer Aufgabe der Gemeinden. Friedhöfe sollen als öffentliche Einrichtun­ gen im Dienste der Allgemeinheit eine geordnete und würdige Bestattung der Toten sowie ihre Ehrung ermöglichen und sichern. In jüngster Zeit war die Ruhe des Fried­ hofes im Stadtteil Nußbach durch umfang­ reiche Bauarbeiten wiederholt stark beein­ trächtigt. Über ein Jahrzehnt bestimmten Bauarbeiten und Baumaschinen das Bild auf dem Friedhof. Dazu kam der Baulärm. Die Sanierung des Friedhofes war haupt­ sächlich notwendig geworden, weil keine 228 Bestattungsmöglichkeiten mehr vorhJnden waren. Ein weiterer Grund waren Mängel hinsichtlich der Verkehrssicherheit. Letzt­ endlich ging es aber auch darum, das Gesamtbild des Friedhofes zu verbessern. Zwischenzeitlich ist die Würde des Friedho­ fes wieder hergestellt; es herrscht wieder Ruhe an diesem Ort, die hoffentlich nie wieder gestört werden muß. Die Bürger aus Nußbach können stolz sein auf den neu gestalteten Friedhof. Am Ortseingang – aus Richtung St. Georgen kommend – gelegen, bietet er heute ein ansprechendes Bild, das jedem Vergleich standhält. Dazu tragen in besonderem Maße auch die gut gepflegten Gräber bei. Blättert man in alten Aufzeichnungen, so ist zu erfahren, daß bis zum Jahre 1857 der

Friedhof – wahrscheinlich über einige Jahr­ hunderte hinweg – in der Mitte des Dorfes bei der Pfarrkirche lag. Ebenso wie heute unterlagen Friedhöfe bereits damals besonderen Anforderungen und Gesetzen. Wen wundert es daher, daß sich schon die Verlegung des Friedhofes an den jetzigen Platz äußerst schwierig gestal­ tete und über viele Jahre hinzog, obwohl die Friedhofsmauer, wie es heißt, in einem ver­ wahrlosten Zustand war und die Kirche und das Bezirksamt Triberg unter Androhung von Zwangsmaßnahmen darauf drängten, daß etwas geschieht. Die Kirche hatte seiner­ zeit, was Friedhöfe betraf, ein entscheiden­ des Wort mitzureden, waren doch Beerdi­ gungen ihr alleiniges Privileg. Die Gemeinde war nun gezwungen zu handeln. Sie tat dies auch und erwarb von „Kaiserwirt“ Augustin Armbruster am 13. Oktober 1856 einen Teil des jetzigen Friedhofgrundstückes (Eintrag im Grund­ buch). Schon im März 1857 erhielt Pfarrver­ weser Lenggenhager die Vollmacht, die „untere Hälfte des daselbst neu errichteten Gottesacker nach Vorschrift des Diözesan­ rituales einzusegnen und künftighin als Begräbnisstätte zu benützen“. Damit hatte der Friedhof Nußbach seinen jetzigen Platz gefunden. Doch bereits 1874 war der Fried­ hof wieder zu klein, die Gemeinde kaufte für die Friedhofserweiterung ein angrenzendes Grundstück dazu. In den Folgejahren beschränkt sich der Inhalt der Friedhofsakten auf allgemeine Dinge, wie z.B. Veränderungen in der Aus­ übung des Totengräberdienstes sowie Rege­ lungen und Anordnungen in bezug auf die Friedhofsunterhaltung bzw. Gräberpflege. 1930-31 wurden dann erstmals größere Renovierungsarbeiten durchgeführt. In die­ sem Zusammenhang erfolgten auch mehrere Umbettungen. Bis Ende der 50er Jahre wurden dann lediglich die notwendigsten Instandsetzun­ gen durchgeführt. Und wieder einmal war es soweit, es waren kaum noch freie Grabstellen vorhanden. Dieses Mal half die Familie Obenauer, die der Gemeinde ein kleines Grundstück zwischen Kapelle und Kreisbach­ straße überließ. Damit war das Platzproblem auf dem Friedhof zunächst wieder gelöst. Doch bereits 1970 machte die Belegung erneut Sorge. Dem Gemeinderat war klar, daß die Beseitigung dieser Schwierigkeiten nur durch einen grundlegenden Umbau erreicht werden kann. Kurzfristig gab es zwar Überle­ gungen, den Standort überhaupt zu verän­ dern. Dieser Gedanke mußte jedoch bald wieder aufgegeben werden -ein anderer orts­ naher Platz gab es und gibt es nicht. Nun galt es darüber nachzudenken, was am bisheri­ gen Standort geschehen kann und vor allem, wie können möglichst viele zusätzliche Grabstellen geschaffen werden. Mehrere Alternativen wurden untersucht. Die Hang­ lage, d. h. die schwierige Topographie und andere Zwänge erschwerten das Vorhaben. Folgender Situation stand man gegenüber: schwer zugängliche Grabstellen (Steilhang)­ uralte baufällige Treppenaufgänge – nur schiefe Ebenen -viele Gräber waren zu klein -Belegung insgesamt ungeordnet und ohne System; alles in allem Zustände, die so nicht mehr tragbar waren. Spötter behaupteten damals: In Nußbach würde man stehend beerdigt.1975 erfolgte dann der erste Bauab­ schnitt im hinteren, oberen Teil. Damit war auch der Anfang gemacht für eine totale Neurenovierung. Bis 1977 war auch der zweite Bauabschnitt fertiggestellt. Eine wei­ tere Stützmauer entstand, und so konnten ober- und unterhalb davon ebene Grabrei­ hen angelegt werden. Der gesamte Bereich unterhalb des Mit­ telweges wurde in einem dritten Bauab­ schnitt saniert. Die Arbeiten dazu begannen 1985. Um das Gesamtbild zu verbessern, wollte man im Friedhof von weiteren Stütz­ mauern absehen. Doch ganz ohne ging es nicht. Entlang der Bundesstraße war eine längere Mauer mit Böschung erforderlich. Durch grünen Bewuchs konnte diese aber anschaulich gestaltet werden. Auch im Inne­ ren des Friedhofes wurden die verschiedenen Terrassen durch Böschungen geschaffen. 229

Diese wurden ebenfalls bepflanzt, und so entstand ein wirkungsvolles Gesamtbild. Die Sanierung und der Umbau des Fried­ hofes forderte von den betroffenen Angehö­ rigen viel Verständnis und Entgegenkom­ men. Nicht immer war es leicht, einer not­ wendigen Grababräumung oder Umbettung zuzustimmen. Doch es war unumgänglich, zumal auch die Belegmöglichkeiten des Friedhofes zu Ende gingen. Diese ist jetzt über Jahrzehnte hinaus gesichert. Insgesamt mußten durch die Bauarbeiten von 1975 bis 1985 17 Doppelgräber und 42 Einzelgräber umgebettet werden. Diese Gräber haben alle einen würdigeren Platz erhalten. Zwischen dem zweiten und dritten Bau­ abschnitt wurde die Aussegnungshalle er­ stellt. Mit dieser Maßnahme ist es gelungen, ein Bauwerk zu schaffen, das sich vorteilhaft in die landschaftliche Umgebu’ng einfügt. Bis dahin mußten die Aussegnungen unter freiem Himmel auf der Straße vor dem Fried­ hof durchgeführt werden. Dieser unwürdige Zustand fand damit auch ein Ende. Nun ist wieder Stille und Frieden auf dem Nußbacher Friedhof eingekehrt. Außer zum Gebet an den stets gepflegten Gräbern lädt die gesamte Anlage zur Betrachtung ein. Priska Dold Die Uracher Eulogiuskapelle in neuem Gewand Wer durch das landschaftlich reizvolle Urachtal von Hammereisenbach zur Kalten Herberge fährt oder von hier talwärts mit dem Auto oder – heute seltener – zu Fuß wandert, begegnet auf Höhe des Willmann­ schen Sägewerks zu Urach einem schmuk­ ken Kleinod, der Eulogius-, oder wie im Volksmund genannt, der Roßkapelle. Dieses kleine, unmittelbar an die Talstraße angren­ zende Schmuckstück, übrigens ein vielbe­ gehrtes Fotomotiv, wäre 1985 im Zuge der Straßenverbreiterung bzw. -verlegung um ein Haar der Spitzhacke zum Opfer gefallen, hätte es da den Uracher Hans-Jörg Willmann nicht gegeben, der bekannt ist für seine Liebe zur Heimat und der ein gutes Auge dafür hat, was unserem Schwarzwald erhalten bleiben muß. Für ihn und einige von seiner Idee begei­ sterte Uracher gab es da kein Zaudern mehr, nach alten Zeichnungen das ziemlich herun­ tergekommene und verfallene Kapellchen von Grund auf zu restaurieren. Und weil sowohl das Denkmalamt als auch der Land­ kreis dieses Vorhaben Willmanns gut hie­ ßen, unterstützten sie dieses mit einem finanziellen Zuschuß. Auskunft über die zeitliche Entstehung der Kapelle gibt die in einem der Straße zuge- 230 wandten Balken eingeschnitzte Jahreszahl 1687, die auch schon vor der Restaurierung vermerkt war. Der eigentliche Anlaß zur Errichtung des über dreihundert Jahre alten Kirchleins soll, wie einige chronikkundige Talbewohner zu berichten wissen, das Pech des einstigen Oswaldbauern gewesen sein, welches dieser damals mit seinen Pferden hatte. Er ließ deshalb die Kapelle bauen und dem heiligen Eulogius weihen, der auch Eli­ gius genannt wird, zu deutsch „der Er­ wählte.“ Dieser 588 im französischen Chatelac geborene Bischof gehörte im Mittelalter zu den beliebtesten und volkstümlichsten Hei­ ligen -auch in unserer Schwarzwaldheimat. Kein Wunder, denn er war nicht nur der Schutzpatron zahlreicher Gewerbetreiben­ der, sondern auch der Bauern, Hufschmiede und Pferdehändler, die sich seines Beistan­ des versicherten. Dabei muß man bedenken, welche bedeutende Rolle damals dem Pferd als praktisch einzigem Zugtier zukam, mit dem die schweren Langholzstämme zu Tale transportiert werden konnten, wo sie entwe­ der zu Bauholz und Brettern in den Säge­ mühlen geschnitten oder mit Floßen in weit entfernte Städte und Länder transportiert wurden.

Am 6. November 1988 konnte Pfarrer Anton Schätzle die fertiggestellte Kapelle fei­ erlich weihen und sie wieder ihrem alten Schutzheiligen anvertrauen. Den Männern aber, die unserer Schwarzwaldheimat das kostbare Schmuckstück erhalten haben, gebührt Anerkennung und Dank. Übrigens: Ein Blick in das schlicht und fromm ausgestaltete Innere des Kirchleins lohnt sich. Sollte die Kapellentür verschlos­ sen sein, so kann der Schlüssel im Haus Nr. 22, ein paar Schritte oberhalb des Kirch­ leins, abgeholt werden. Helmut Groß 231

Jürgen Henckell Vor einem Bild von Machu Picchu (Alte Inka-Festung) Über dem Rio Urubamba webten die Sonnenjungfrauen in den Mantel des Sapa Inka fur die Nacht der Legende das Gleichnis aus dunkler Vicufia-Wolle. Gehäutet hat sich die Schlange des Himmels, die ihr brüchiges Kleid auf dem Stein hinterließ. Die Fremden zählen die Stufen bis zum unverstandenen Heiligtum – und legen die Hand in den Rachen des Jaguars, der die Straße der Könige zahnlos bewacht. Der Berg wölbt die Wolkenbrauen und läßt den Regen erzählen: Jede Legende hat ihren Ursprung im Fleisch. 232 Tunlichst Ich denke, manchmal denke ich: Erst das Denken zwischen Tun und Lassen läßt mich das tun, was ich überzeugt nicht lassen kann. Ohne Fluchtpunkt Der Horizont kommt nicht ins Tal – und Fernsehn hat mit Weitblick nichts gemein. Der Berge Hochmut weist das Umgesetzte in die Schranken ihrer Schattenspiele: Mit der Sonne wandern auch die Grenzen, jedes Zögern vor den Höhenwegen wird von ihnen eingeholt. Die Nacht verspricht mit den von ihr erfundnen Lauten unbegrenzte Weite – Ohne Fluchtpunkt aber wendet die Enttäuschung heimlich sich am Tag erneut den Horoskopen zu. Der Horizont kommt nicht ins Tal – Erst jenseits selten nur benutzter Pässe bietet er den Fluchtpunkt neuer Perspektiven an.

Kunst und Künstler Anselm Kiefer – des Malers Atelier, Photographie, übermalt, Postkarte: Gebrüder König, Breite Straße 93, 5000 Köln 1 233

In Donaueschingen 1945 geboren Anselm Kiefer In der Geschichte spiegelt sich Erinnerung und Aktualität Ein Mann steht im Zentrum eines Schwarz-Weiß-Fotos einer Fotoserie, starr und aufrecht, die Hände in den Taschen sei­ nes langen Mantels vergraben (Abb. 1). Er schaut nach links, scheinbar unberührt von allem, was um ihn herum vorgeht. Im Hin­ tergrund schichtet sich eine Landschaft auf: ein schmaler Streifen Boden, auf dem sich die Figur befindet wie auf einer Plattform, Wasser, eine dichte Baumreihe, leicht ver­ schwommen, auf der gegenüberliegenden Uferseite. Der Kopf des Mannes im Vorder­ grund reicht genau bis zu den Wipfeln der Bäume. Darüber der graue Himmel, und der macht zwei Drittel des Fotos aus. Mit Blei­ stift auf das gelbliche Papier geschrieben, auf dem das Foto klebt: ,,am Rhein“. Der hand­ schriftliche Hinweis erlaubt uns anschei­ nend eine Lokalisierung. Eine Beunruhi­ gung für den Betrachter bleibt. Ein Amateur­ foto, aber zu deutlich wird der Charakter des Inszenierens, des Gestellten hervorgehoben, den ein Amateur eher zu verbergen suchen würde. Die Figur ist erkennbar, aber sie nimmt keinerlei Kontakt auf zum Betrachter des Fotos. Die Haltung scheint leger zu sein und wirkt trotzdem denkmalhaft erstarrt. Die präzise geographische Lokalisierung ,,am Rhein“ erweist sich bei genauerem Hin­ sehen als nur scheinbare Genauigkeit. Bilder und Fotos vom Rhein stellen „Sensationen“ heraus, das Besondere, die Loreley, den Dra- Abb.]: Am Rhein, aus: Heroische Sinnbilder, Privatbesitz Anse/m Kiefer; Katalog Kunsthalle Tübingen 234

chenfelsen, eine Burg … Nichts davon ist hier zu sehen. Eintönig, fast archaisch und unbe­ rührt wirkt diese Gegend. Welche Stelle des Rheins ist hier gemeint, welches Ufer? Was ist überhaupt wichtig auf diesem Bild? Der Mann, weil er im Zentrum steht? Der Fluß, weil in der Beschriftung ausdrücklich darauf verwiesen wird? Der Himmel, weil er den größten Teil des Bildes einnimmt? Gerade die Einfachheit des Fotos provo­ ziert die Fragen. Und diese Einfachheit pro­ voziert auch die Assoziationen des Betrach­ ters, die weit über das Foto hinausgehen. Der Rhein als Grenzfluß, als Schauplatz deut­ scher und französischer Geschichte. Kaum einen Ort gibt es auf der Welt, bei dem sich Geschichte und Mythos so sehr verzahnen. Kaum ein Fluß ist so sehr Sinnbild nationa­ ler und nationalistischer Euphorie geworden zwischen pittoresken Burgen und Kriegs­ schrecken. Der Fluß der Nibelungen, der Märchen und Sagen. Ein Fluß als Denkmal. Der Rhein als Motiv deutscher Volkslieder und weinseliger Schlager. Ein Fluß als Grenze und Verbindung. Dazu kommt der Symbolgehalt des Wassers – Geburt und Tod, Leben und Vergessen, Fruchtbarkeit und Verwüstung. Greifen diese Assoziationen nicht viel zu weit bei so einem kleinen, beliebig anmuten­ den Foto? Die folgenden Fotos in diesem Buchobjekt beweisen, daß die Assoziationen gar nicht weit genug gehen können. Auf die Totale des ersten Fotos folgt die Nahauf­ nahme des zweiten (Abb. 2). Die Kamera aus der Draufsicht und näher an die Figur heran­ gerückt. Der Himmel ist verschwunden. Obere Bildgrenze und Wipfel der Bäume fal­ len jetzt zusammen. Viel stärker wird jetzt der Mann ins Bedeutungszentrum gesetzt, gerade weil der dunkle Körper mit dem hel­ len Wasser kontrastiert. Die linke Hand ist aus der Manteltasche genommen und hängt nun herunter. Der rechte Arm ist ausge- Abb. 2: Am Rhein, aus: Heroische Sinnbilder, Privatbesitz Anselm Kiefer; Katalog Kunsthalle Tübingen 235

streckt, die Handflächen nach unten. Der Kopf gesenkt und fast zwischen den Schul­ tern eingegraben. Obwohl die Figur näherge­ rückt ist, die Aufsicht dem Auge Überlegen­ heit verspricht, tritt zugleich eine Distanzie­ rung ein. Eine Richtung, die gewiesen wird, jetzt deutlich „gegen den Strom“? Ein Zei­ chen von Abwehr? Der gesenkte Kopf spricht dagegen. Dagegen spricht auch die flach ausgestreckte Hand. Eine Haltung von Unterwerfung? Der faschistische Gruß etwa gar? Weil wir diesen Bezug nicht sehen wol­ len, sträuben wir uns dagegen, obwohl sich der Eindruck immer wieder aufdrängt. Immerhin ließ sich der elbe Künstler am Anfang seines künstlerischen Weges auf sei­ nen Reisen durch Frankreich, Italien und der Schweiz vor geschichtsträchtigen Orten in ,,Sieg-Heil-Pose“ fotografieren. Daraus ent­ stand ein Buch: ,,Besetzungen“. Erinnerun­ gen, eigene oder vermittelte, an die Nazis, die quer durch Europa „besetzten“, zerstör- ten, mordeten? Oder „besetzt“ hier jemand selbst Orte in der Nachfolge großdeutscher Weltrnannssucht? Das deutlich heraus­ gestellte Imponiergehabe der Pose, ihre demonstrierte Aggressivität ist natürlich auch Provokation. Aber zugleich wird sie durch die Inszenierung als Unsinn desavou­ iert. Auf der dritten Seite des Buches zwei Fotos: Auf dem oberen ist der Mann in weite Feme gerückt (Abb. 3). Nur noch als kleiner Schattenriß auf einer Anhöhe und aus dem Zentrum gerückt ist er zu sehen. Daß wir ihn überhaupt wiedererkennen, liegt an den Bil­ dern vorher. Der ausgestreckte Arm wieder­ holt sich. Über Hügel und Figur wölbt sich ein schier unendlicher Himmel. Dieses Motiv kennen wir: Caspar David Friedrich, ,,Der Mönch am Meer“. Was fehlt, ist das schmale Wasserband bei Friedrich, aber das hat der Betrachter auf den Fotos zuvor wahrgenommen. Caspar David Fried- Abb. 3: Am Rhein, aus: Heroische Sinnbilder, Privatbesitz Anselm Kiefer; Katalog Kunsthalle Tübingen 236

rich, der romantische Künstler, der „deut­ scheste aller deutschen Künstler“, der nach der Zeitschrift „Die Kunst im Deutschen Reich“ von 1940 „innerste Züge unseres nationalen und volklichen Wesens“ reprä­ sentiere. Kaum ein Künstler, der ideologisch so mißverstanden, für nationale Identität so mißbraucht worden ist. Bei Friedrichs „Mönch am Meer“ stellt sich das Gefühl von Einsamkeit ein, bedingt schon allein formal dadurch, daß diese Figur als einzig vorhan­ dene Senkrechte die Horizontalen durch­ schneidet. Hinzu kommt das Gefühl von Unendlichkeit und Isolierung. Als Selbst­ bildnis hat man Friedrichs Bild verstanden, als Bild des in der Gesellschaft einsamen Künstlers. Diese Motive bei Friedrich klin­ gen auch in den Fotos an. Aber die Pose der Foto-Figur ist viel demonstrativer, gekünstel­ ter. Vermittelt wird eher Heroisches als Ein­ samkeit, auch wenn beides sicher nur schwer voneinander trennbar ist. Die Fotoserie stammt von Anselm Kiefer, sie stammt aus dem Buchobjekt „Heroische Sinnbilder“ von 1969. Die Figur auf dem Foto ist Anselm Kiefer selbst. Die ausführ­ liche Beschreibung eines eher kleinen Wer­ kes am Anfang einer Betrachtung über einen Künstler, den Zeitungen und Zeitschriften als „Ereignis“ feiern? Den bestimmte Publi­ kationen als „Kapitalanlage“ hervorheben, weil seine Objekte die teuersten auf der „Hit­ liste“ zeitgenössischer Kunst sind? Wie wich­ tig ist das Thema? Der „Rhein“ (Abb. 4), 14 Jahre später taucht er in einer Holzschnittfolge wieder auf (Abb. 5), und erneut handelt es sich um ein Buchobjekt. Daß es sich überhaupt um den Rhein handelt, akzeptiert der Betrachter durch den Titel. Auf den Holzschnitten selbst weist kein Detail auf eine geogra­ phisch-lokale Präzisierung. Handelt es sich wirklich um einen Fluß, sogar speziell um den Rhein? Die Frage ist nicht wichtig, denn Abb. 4: Der Rhein, Holzschnitt, Marian Goodman Gallery, New York; Katalog Kunsthalle Tübingen — – –�,.;.. ——;.,- . ,::,:.._ — .,._ – ;_ ·• ·-:—-‚-� ·? -ir „“:“ 237

Abb.5: Der Rhein, Col/.ection Saachi, London, Postkarte Art Unlimited, Amsterdam, Overtoom 31 allein um künstlerische Fiktion handelt es sich hier. Eingefangen werden wie in einer Detailaufnahme. Uferböschungen, Sträu­ cher oder Baumstämme setzen Akzente. Manchmal ist das gegenüberliegende Ufer als schwarzes Band zu sehen. Wie die Mase­ rung des Holzes fließt das Wasser vorbei. Am Anfang der Holzschnittfolge ist eine Fluß­ biegung zu sehen, über der eine riesige Kiefer thront. Anspielung auf den eigenen Namen, sicher, es gibt nichts Zufälliges im Werk eines Anselm Kiefer. Außerdem charakterisiert der Baum die Gegend. Diese Kiefer ist der ein­ zige feste Bezugspunkt auf den Blättern. Ein Kameraauge, das Teile heranzoomt oder in der Totale einen Überblick verschafft. Manchmal kommt das Auge so nahe an den Gegenstand heran, daß es unmöglich wird, in den schwarzen Flecken Gegenständliches zu isolieren. Verwischte Formen, der Ein­ druck eines schnellen Vorbeifahrens ergibt sich, eine Zug- oder Autofahrt entlang des Flusses. Wer auf einer Reise ist und das Band der Landschaft betrachtet, das an ihm vor- 238 überzieht, kommt ins Träumen. Bewußt oder unbewußt stellen sich Assoziationen ein: die Volks- und Kunstmärchen mit ihren Feen und Wassergeistern, die alten Sagen, natürlich wieder glückliche oder leidvolle Geschichte, die ganz private Geschichte sein kann oder die Geschichte der beiden an den Rhein angrenzenden Länder Frankreich und Deutschland. Die Bilder huschen schnell vorbei wie die Gedanken. Reise. Das Licht flirrt auf der Wasseroberfläche; der Kontrast von Schwarz und Weiß, durch den Druck schon vorgegeben, wird zur beherrschenden suggestiven Lichtwirkung. Man könnte die Folge als Serie einzelner Blätter begreifen. Wäre da nicht die Tat­ sache, daß der Druck -außer dem Titelblatt – jeweils zwei Seiten umfaßt, so daß der „Buchknick“ in der Mitte wie eine scharfe Linie zwei Hälfte voneinander trennt und damit den Charakter Buch und Druck her­ ausstellt. Das Klebeband in der Mitte, um die einzelnen Seiten zusammenzuhalten, potenziert diesen Eindruck. Vergessen wird

zu leicht, daß Anselm Kiefer ein Maler ist, vorrangig an malerischen Problemen interes­ siert ist. Die Assoziationen stellen sich in­ haltlich her, aber die Art der künstlerischen Gestaltung scheint bei Anselm Kiefer wichti­ ger zu sein als das „bloß“ Inhaltliche. Für den Betrachter ist es häufig sogar einfacher, sich zuerst mit der „Machart“ zu beschäftigen. Buchdruck ist eine alte Technik, die an die Anfange der Modeme erinnert. Das Buch ist nicht mehr Einzelstück, sondern sucht nach Öffentlichkeit, nach Verbreitung. Die Seiten dieses Buches von Anselm Kiefer sind roh geschnitten, sie sind rauh, das suggeriert nicht nur Alter, sondern auch das handwerk­ lich Gemachte. An manchen Blättern haftet Stroh und Erde. Auf einer Seite ist ein Schuhabdruck zu sehen. Stroh und Erde – Bestandteile der Landschaft, die auf den Bil­ dern „durchfahren“ wird. Der Schuhabdruck als Zeichen für Bewegung, eine Landschaft wird „durchwandert“. Peter Schjeldahl be­ schreibt seinen Eindruck beim Durchblät­ tern des Buches anläßlich seiner Präsenta­ tion in der Kunsthalle Tübingen: ,,Das Ganze erscheint auf eine schlichte, derbe, ländliche Art vertraut -wie gehacktes Holz, Rauch, umgegrabene Erde und ein Hauch von Regen in später Morgenluft. Darin ist die Vertrautheit von harter, aber nicht ange­ strengter Handarbeit. Ich spüre den Künst­ ler, wie er grob in das Holz fahrt, Tinte und Papier in der Nähe, den Künstler, der etwas sehen will.“ Holz, Erde, Stroh -immer wie­ der greift Anselm Kiefer auf diese Materia­ lien zurück, denen der Geruch des Erdhaf­ ten, einer frühen Bewirtschaftung und von Arbeit anhaftet. Und das Wort „Geruch“ ist in diesem Fall nicht einmal falsch gewählt, denn diese Materialien sind zu „riechen“, lange noch, wenn sie das Atelier des Künst­ lers schon längst verlassen haben. Das Mate­ rial, der deutliche Hinweis auf das Gemachte läßt mindestens so viele Assoziationen zu wie „Inhalte“ oder Titel. Diese „Inhalte“ (Uferböschung, Bäume, Licht) sind nichts anderes als das verwendete Material: Erde, Stroh, Druckerfarbe. „Will ich Assoziationen -allgemeine und persönliche Farben und Fragmente der Erin­ nerung -in meine Trance einbringen las­ sen?“ fragt Peter Schjeldahl. ,Ja, das kann ich tun. Wenn ich mir das Singen der ihres Gol­ des beraubten Rheintöchter vorstellen möchte, dann ist das in Ordnung. Oder das Dröhnen der Artillerie bei Düsseldorf im Jahre 1945, warum nicht? Das fast Nachläs­ sige, Werkstattmäßige des Buches ist mehr auf Machen als aufZeigen aus. Das ermutigt mich.“ Das „Machen“ vor dem „Zeigen“ ist vielleicht das wesentliche Charakteristikum im Werk Anselm Kiefers. ,,Wenn sie das sehen, ist das in Ordnung“, sagt Anselm Kie­ fer. Und: ,,Ein Bild oder eine Skulptur kann ja nie eindeutig sein … ich mache ja keine politische Kunst, keine Wahlwerbung.“ Das Publikum, und das künstlerisch inter­ essierte Publikum macht da keine Aus­ nahme, lechzt nach Informationen über den Künstler selbst. Fast scheint es manchmal, als sei die Biographie eines Künstlers, anek­ dotenhaft angereichert, soziologisch und psychologisch seziert, wichtiger als das Werk selbst. Wer an Vincent van Gogh denkt, erin­ nert sich an das abgeschnittene Ohr, an Irrenhaus und Selbstmord. Auf die Ausein­ andersetzung mit den Bildern glaubt derje­ nige verzichten zu können, der von den psy­ chischen Defekten und Skandalen eines Künstlers alles zu wissen glaubt. Der be­ zahlte Preis wird wichtiger als das Werk selbst. Und so ganz unschuldig sind gewisse Künstler an dieser Entwicklung nicht, wenn sie ihr Leben in der Öffentlichkeit zelebrie­ ren, es zum „Erfolg“ wird, wenn der Name in den Klatschspalten der Illustrierten auf­ taucht. Anselm Kiefer hat sich bis heute hin jeder ,,Vermarktung“ seiner Person strikt verwei­ gert. Zu sehr erinnert es ihn an das rein wirt­ schaftliche Funktionieren einer Gesellschaft, der Profit oder ein „Immer-Mehr“ wichtiger geworden ist als Phantasie und kreatives Mit­ einanderleben. Das Wort selbst ist ihm zum Begriff einer sinnentleerten Welt geworden. Das zu akzeptieren, fallt um so schwerer, als 239

der Künstler Anselm Kiefer längst zu einer ,,öffentlichen Institution“ geworden ist. Noch so ein Wort, das er haßt. ,,Anstellen“ muß man sich, will man heute überhaupt ein Objekt von ihm bekommen. Und „anstel­ len“ tun sich viele, Museen und Privatperso­ nen. Diese Verweigerung schließt das Biogra­ phische im besonderen ein. ,,Ich wollte nicht vernascht werden“, betont er. Kein „Appe­ tithappen“ für Journalisten und Publikum wolle er sein. ,,Wie ich aussehe, ist sowieso ganz unwichtig … Als Mensch bin ich doch jeder!“ Der Tübinger Katalog von 1990 über die Ausstellung seiner „Buchobjekte“ verspricht ein Kapitel „Biographie“. Ganze drei Zeilen sind diesem Thema gewidmet: ,,1945 in Donaueschingen geboren. Arbeitet in Buchen, Odenwald.“ Das reicht. Geburtsort und Arbeitsort. Dabei gibt auch Anselm Kiefer offen zu, daß „alles, was mich umgibt, in die Arbeit eingeht“. Aber: ,,Ich geb‘ nicht gern Daten prei .“ 1981 stellte die Royal Academy of Arts in London zum ersten Mal die sogenannte „neue deutsche Malerei“ einer breiteren Öffentlichkeit vor, darunter natürlich Anselm Kiefer. Der Katalog damals infor­ mierte auch über weitere biographische Details: Jura- und Romanistikstudium, Hin­ wendung zur Malerei. Schüler bei Peter Dreher in Freiburg von 1966 bis 68 und in Karlsruhe bei Horst Antes (1969). Reisen durch die Schweiz, durch Frankreich und Italien. Beuys-Schüler von 1970 bis 1972. Später wird er einmal feststellen: ,,Ich bin Beuys-Schüler, wie ich Rilke-Schüler, Rodin­ Schüler oder Dreher-Schüler bin … Bei Beuys habe ich nichts Handwerkliches gelernt, sondern Erkenntnisse, Einstellungen zum Leben, Einstellungen zur Arbeit.“ Anselm Kiefer hätte die Reihe seiner „Lehrer“ fortset­ zen können, eine ganze „Ahnenreihe“ deut­ scher und europäischer Kultur. Auf dem 6,82 mal 3,07 Meter großen Bild mit dem Titel ,,Deutschlands Geisteshelden“ tauchen auf: Hans Thoma, Friedrich ll, Richard Wagner, Arnold Böcklin, Theodor Storm, Nikolaus 240 Lenau, die Mystikerin Mechthild von Mag­ deburg, Richard Dehmel, Josef Weinheber und viele andere. Da der Raum nach vorne zu offen ist, läßt sich die Folge ergänzen. Die Reihe ließe sich auch an Hand anderer Bilder fortsetzen: Klopstock, Kleist, Grabbe, Stefan George, Martin Heidegger … ,,Deutschlands Geisteshelden“ in einem düster geheimnis­ vollen Bretterverschlag mit wuchtigen Stütz­ balken (Abb. 6), viel zu groß scheinbar für die Bretter der Decke, ein Dachboden, mit mystisch rätselhaften Feuern, die in den Fen­ stern brennen. Die Funktion des „Dach­ bodens“ wird wörtlich genommen. Er ist Zufluchtsort und der Speicher für überkom­ menes Erbe. Auf dem Speicher hebt man auf, was gerade nicht gebraucht wird, von dem man sich aber nicht trennen will und nicht trennen kann. Aber auch das ist nur eine „Ahnenreihe“, die so vielfältig und unterschiedlich ist, daß sie kaum zu konkre­ ten Aussagen führen kann; ungeachtet der Tatsache, ob dieser dunkle Verschlag eher Zustimmung oder Ablehnung repräsentie­ ren soll. Und das schmale Zahlengerüst wird den am Biographischen Interessierten wohl kaum „befriedigen“ können. Als ich begann, einen Bericht über Anselm Kiefer zu schreiben, da kamen eine Reihe von Donaueschingern mit dem Ange­ bot, etwas über ihn zu erzählen, über seine Lebensumstände von damals, als er noch ein kleiner Junge war, als der Schüler Anselm Kiefer in Donaueschingen lebte. Ist das wirk­ lich wichtig, oder befriedigen solche „Infor­ mationen“ nicht nur ein voyeuristisches Interesse, das von seiner Arbeit ablenkt? Bio­ graphische Details mögen „Anlässe“ für bestimmte Werke sein, in der Arbeit selbst spielen sie keine Rolle mehr, sind kaum noch wiedererkennbar. Anselm Kiefers Verweige­ rung des Biographischen sollte nicht nur respektiert, sondern als Möglichkeit eines ganz anderen, direkteren Zugangs zu seinem Werk begriffen werden. Etwas müßte man der Biographie trotz­ dem anfügen, auch wenn es ganz offen­ sichtlich erscheint: ,,in Donaueschingen

Abb. 6: Notung, Collection Museum Boymans-van Beuningen, Postkarte Art UnlimitedAmsterdam, a.a. 0. (Deutschland!) geboren“. Anselm Kiefer ver­ leugnet seine Herkunft nicht – ganz im Gegenteil. Ein Blick auf das Werk genügt, die vorherrschenden Themen dieses Künstlers wahrzunehmen: Anspielungen auf deutsche Geschichte und deutsche Gegenwart, auf die Ideologie des deutschen Faschismus, auf Deutschtum und Deutschtümelei, Anspie­ lungen auf deutsche Kultur, auf Bildende Kunst, Literatur, Musik. Und noch etwas anderes verrät diese T hemenliste: Anselm Kiefer fühlt sich als deutscher Künstler, als ein Teil dieser deutschen Geschichte und Kultur, die er nicht müde wird, mit immer neuen Werken zu beschwören. Niemandem kann entgehen, wie intensiv sich Kiefer mit dem „deutschen Wesen“ beschäftigt. Strittig ist nur bei Publikum und Kritik, wie denn die Haltung des Anselm Kiefer zu diesen ach so gern verdrängten Themen aussieht. Gerade ein Künstler, der sich mit der Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzt, muß sich der Frage nach dem Wie der künstlerischen Vermittlung stellen. Da reicht die Skala der Interpreten von „Belege einer ideologischen Propaganda“ bis zur „ironischen Distanz“. Einfacher wäre es für Betrachter und Kriti­ ker, wenn Anselm Kiefer bestimmte Teile der deutschen Geschichte ganz einfach ignorie­ ren würde. Wenn er zumindest ganz eindeu­ tig die faschistische Vergangenheit verdam­ men würde. Aber so leicht macht es ein Anselm Kiefer seinen Rezipienten nicht. Nur ein Beispiel für dieses Unbehagen: „Kiefer eliminiert die (der deutschen Psyche eigenen) arroganten Strukturen, indem er sie zersetzt, indem er sie gegen sie selbst wendet, so daß ein neuer Anfang gemacht werden kann im Sinne der Erschaffung eines neuen menschlichen Selbst“. Er »ist im klassisch­ psychoanalytischen Sinn dabei, sich durch 241

den Alptraum des Deutschseins , hindurch­ zuarbeiten‘ hin zum Tageslicht des Mensch­ seins“, schreibt noch 1984 David Kuspit. Aber dann fallt er zurück in den Vorwurf des arroganten Nationalismus. ,,Seine Kunst ist eine exhibitionistische Demonstration künstlerischer Macht im Namen allgemeiner Humanität und deutscher Stärke, im Namen einzigartigen Deutschseins.“ Es ist immer noch nicht einfach, sich öffentlich dazu zu bekennen, Deutscher zu sein, ohne zugleich lautstark Abscheu ge­ genüber einem Teil seiner „deutschen Ge­ schichte“ zu bekunden, will man nicht vor­ schnell in die hinterste nationalistische Ecke verdammt werden. Die Beschäftigung mit deutscher Geschichte ist mit Tabus verbun­ den, die nicht nur in Deutschland selbst immer noch virulent sind. Die Auseinander­ setzung um Anselm Kiefers Arbeiten wurde vorwiegend -aber nicht ausschließlich -in Deutschland selbst geführt. Die Royal Aca­ demy in London befand schon 1981 ohne Vorbehalte, daß Titel wie „The Nibelungs‘ Ordeal‘.‘ keineswegs zufällig gewählt seien. ,,In seinem gesamten Werk bis heute hin ver­ bindet Kiefer Symbolisches mit seinem Interesse an rein malerischen Problemen; der wichtigste Aspekt seines Werkes ist sicherlich die Art und Weise, wie er teil­ nimmt an historischen Prozessen und Ereig­ nissen, wie er sich einläßt auf die Geschichte seines Landes.“ Anselm Kiefer ist vor allen Dingen Künst­ ler, Maler. Genau das wird all zu leicht ver­ gessen, wenn Interpreten sich auf die Werke einlassen. Der Prozeß des Maiens selbst, die verwendeten Materialien, das interessiert ihn mindestens so stark wie die gewählten Motive und Bildinhalte. Rauh und schwer­ fällig, manchmal brüchig oder schlammig ist die verwendete Farbe. Gemalte Gegenstände -wieder Farbe! -drücken sich mühsam als grobstrukturierte Materie durch die Oberflä­ che. Oft verwendet er Emulsionen, Shellack, eingeklebte Holzstücke, Erde, in die Farbe eingemischten Sand, damit sie noch körni­ ger, noch brüchiger wird. Es gibt den kon- 242 ventionellen und „akademischen“ Pinsel­ strich, aber der ist eher die Ausnahme, er ist nur eine von vielen Möglichkeiten des Farb­ aufstrichs. Gespachtelt kann die Farbe wer­ den, mit den Händen aufgetragen … Eine materielle Malerei aus Erdigem. Dieser Mal­ weise entspricht das Inhaltliche. Der Betrachter ist frei in seinen Assoziationen, Anselm Kiefer hat das immer wieder betont. Diese Assoziationen schließen Inhaltliches und Formales ein. Die sogenannte Freiheit des Betrachters in seinen Assoziationen, die natürlich in bestimmte Richtungen gelenkt werden, sollen und können dann aber auch nicht zu ideologischen Vorwürfen gegen das Werk werden. Was der Betrachter „frei“ asso­ ziiert, hat zunächst einmal etwas mit ihm selbst zu tun. Die Auseinandersetzung mit dem III. Reich ist zwangsläufig zu einem zentralen inhaltlichen Punkt seiner Arbeit geworden. Natürlich hat er diese Zeit nicht persönlich erlebt. Aber nichts empfindet er „grotesker“ als beschwichtigende Worthülsen, die von der „Gnade der späten Geburt“ sprechen oder von der „Stunde Null“. Es geht nicht darum, daß sich da jemand, der „nicht dabei war“, ,,verantwortlich“ fühlt für das, was „im Namen des deutschen Volkes“ geschehen ist. Aber „ich fühle mich dem, was da passiert ist, zugehörig, weil ich mich dem Volk zugehö­ rig fühle … Ich gehöre dazu … Ich habe mir den Ort ja ausgesucht … Man sucht sich das, glaube ich, aus, wo man hinwill … „. Das mag absurd klingen, aber präziser läßt sich der Sachverhalt kaum fassen. Die heutige Manie, angesichts nationalsozialistischer Verbrechen seine „Betroffenheit“ zu bekun­ den, nach Rechtfertigungen oder gar Ent­ schuldigungen zu suchen, ist nur die Kehr­ seite der Verdrängung. Anselm Kiefer bekennt sich dazu – und das ist wahrlich ungewöhnlich genug, ,,deutsch“ zu sein. Und das schließt selbstverständlich alle Pha­ sen der Geschichte ein. Mit „Nationalismus“ hat das am allerwenigsten zu tun. Die Auseinandersetzung mit der Ge­ schichte ist bei Anselm Kiefer nicht bloße

Abb. 7: Innenraum, Stedelijk Museum Amsterdam Beschreibung, die zu irgendeiner Form distanzierter Rechtfertigung führen kann, indem bestimmte Ereignisse in einen „histo­ rischen Prozeß“ gestellt werden. Sie ist kein Akt der Befreiung, um sich“ von seinen Vätern“ loszusagen. Und niemals hat er durch Formen von Ästhetisierung Ereignisse dieser Geschich­ te relativiert. Ironie, Trivialität – und das ist nicht negativ gemeint – und die Grob­ schlächtigkeit seiner Arbeitsweise und seines Materials verweigern sich aller ästhetischen Distanz. Stattdessen wird Vergangenes aktuali­ siert und damit gebrochen. Gegenwart wird aus der Vergangenheit interpretiert, und die Vergangenheit durch das Wissen von der Gegenwart neu beleuchtet. Geschichte ist kein abgeschlossener Prozeß. Anselm Kiefer geht nie von etwas bereits Vollendetem aus. Gegenwart ist nur Zwischenstation auf dem Weg in eine Zukunft, die ebenfalls von dem bereits Gewesenen bestimmt sein wird. Im Bewußtsein dieser Entwicklung, die auch seine eigene Kunst einschließt, überarbeitet er auch seine eigene Werke. Innenräume tauchen im Werk Anselm Kiefers immer wieder auf, sei es der Dach­ bodenverschlag, sei es die gemauerte und bewußt gestaltete Architektur. Innenräume der Architektur sind immer auch „Innen­ räume“ der Seele. 1981 entsteht „Innenraum“ (Abb. 7), ein Werk, das sich heute im Amsterdamer Stede­ lijk Museum befindet. Ein riesiger Saal, fast völlig symmetrisch, menschenleer und düster. Schwarze, hochrechteckige Felder, „Fenster“, an den Seiten und an der dem Betrachteter gegenüberliegenden Schmal­ seite. Eine harte, kantige Architektur, der etwas Gewaltiges, „Großartiges“, aber auch etwas „Größenwahnsinniges“ anhaftet. Ver­ stärkt wird das durch den ockerfarben­ schwarzen Farbbrei, der verwendet wird, dem etwas „Schlammiges“, „Mörtelhaftes“ anhaftet. In der Saalmitte glimmt ein Feuer wie auf einem Scheiterhaufen, ein Holzstoß, aus dem Flammen schlagen. Das Feuer ist die einzig wahrnehmbare „Handlung“ im Bild, sonst geschieht nichts. Das Feuer erleuchtet 243

diesen Saal nicht, so wenig wie das gewaltige, vergitterte Oberlicht. Ein eigentümlich, un­ heimliches Licht, weil weder das Feuer noch die Helligkeit von draußen im Raum einen Widerhall finden. Die Lichtpartien sind nur heller als ihre Umgebung, mehr nicht. Bei einem solchen Raum drängen sich die Parallelen geradezu auf: Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“ aus dem Refektorium des Klosters von S. Maria della Grazie in Mailand: Christus und die Apostel in einem Saal von ähnlich bis gleicher Gestalt. Auch hier ein Raum, der symmetrisch in die Bild­ tiefe führt, den Betrachter wie bannend in diese Tiefe hineinsaugt. Die dunklen Flek­ ken links und rechts, bei Leonardo waren es einmal Gobelins an den Wänden, die im Lauf der Geschichte verblaßt und zerstört wurden. Die Rückwand bei Leonardos „Abendmahl“ allerdings, drei Felder wie bei Anselm Kiefer, wird durch drei helle Fenster­ öffnungen betont. Die Kassettendecke bei Leonardo findet ihre Entsprechung in der Vergitterung bei Anselm Kiefer. Aber Leonardos Raum ist nur das „Ge­ häuse“, der äußere Rahmen für das eigent­ lich wichtige Ereignis. Bei Anselm Kiefer gibt es keine Personen und kein Ereignis. Der Raum ist nackt und leer, ist nur Kulisse. Er scheint zu warten auf die Personen, die die­ sem Raum erst seinen Ereignischarakter geben werden. Aber vielleicht haben diese Personen den Raum auch schon verlassen, ist das „Ereignis“ längst erfolgt? Schon einmal hat ein Künstler Leonardos Raum für das Abendmahl von allen Perso­ nen, von aller Handlung befreit. Rund 500 Jahre nach Leonardo malte Ben Willikens sein „Abendmahl“, ein klinisch reiner Raum, ein harmonisches, aber nur noch funktio­ nal bestimmtes, menschenleeres Ambiente unserer Zeit (Abb. 8). Leonardo da Vinci hat einen fiktionalen Raum entworfen, bei Anselm Kiefer ist der Abb. 8: Ben Willikens, Abendmahlraum nach Leonardo da Vinci, Staatsgalerie Stuttgart 244

Raum Realität: der Mosaiksaal von Adolf Hitlers Neuer Reichskanzlei in Berlin, erbaut 1938/39 nach den Plänen von Hitlers Lieb­ lingsarchitekten Albert Speer. Nach der Kapitulation von 1945 wurde die Neue Reichskanzlei dem Erdboden gleichge­ macht. Die Wirkung der Reichskanzlei lag vor allem in der propagandistischen Verwer­ tung der Repräsentationsräume in Zeitschrif­ ten, Fotografien und Filmen. Eine solche Fotografie hat auch Anselrn Kiefer verwen­ det. In diesen Veröffentlichungen wurden die Räume fast immer menschenleer gezeigt -es gibt keinerlei sprachliche oder bildliche Informationen über die Arbeitsbedingungen in diesen Räumen, so daß der Denkmalscha­ rakter dieser Architektur noch einmal gestei­ gert wurde. Die Neue Reichskanzlei, die Befehlszentrale des III. Reiches, war konzi­ piert als Folge von Hallen, die von vomeher- ein einen einschüchternden Eindruck ver­ mitteln sollten: Ein langer „Diplomaten­ gang“ bis hin zum Mosaikraum, dann eine 145 Meter lange Galerie bis zu Hitlers „Emp­ fangsraum“, ein Kuppelraum. „Macht und Größe des Reiches“ sollte der Besucher bei diesem Gang empfinden. Der „Mosaiksaal“ bestand aus Ostmärkischem Marmor und Mosaiken an den Wänden und Saalburger Marmor mit Goldeinlagen am Boden. Den herrisch-frontalen Eindruck der foto­ grafischen Vorlage des Saales hat Anselm Kiefer übernommen. Aber das Gemälde wählt im Gegensatz zur Fotografie ein schmaleres Querformat, das den Tiefensog noch verstärkt. Auf die kleinteiligen Mo­ saiken verzichtet Anselm Kiefer, an ihre Stelle treten dunkle Wandfelder. Dabei han­ delt es sich um eingeklebte schwarze Holz­ schnitte, die auch die Rückwand des Raumes Abb. 9: Dein goldenes Haar Margarethe, Sammlung Sanders, Amsterdam 245

besetzen. Infolgedessen gibt es keine Tür, der Raum endet, hat kein Ziel mehr, ist nicht mehr Durchgangsstation. An der Rückwand hängen fahnenähnliche Gebilde in der schwarzen Farbe der Anarchie oder der SS. Nur gar zu gern vergessene, ver­ drängte Geschichte, die beim zeitgenössi­ schen Betrachter höchstens noch ein Achsel­ zucken hervorruft? Aber das Feuer in der Mitte des Bildes glimmt immer noch! In den frühen achtziger Jahren entstand die Folge der „Margarethe-Sulamit“-Bilder. Diese Bilder behandeln eines der grauen­ vollsten Kapitel der deutschen Geschichte: die Massenvernichtung der Juden in den deutschen Konzentrationslagern. Nach Au­ schwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, hat Theodor W. Adorno festge­ stellt. Vielleicht aber sind Gedichte, Bilder, Kunstobjekte die einzige Möglichkeit, ,,nach Auschwitz“, nach dem Untergang aller Zivi­ lisation und Menschlichkeit, Geschichte, und sei sie auch noch so unmenschlich, das Unfaßbare und Unbegreifliche, was gesche­ hen ist, aufzuarbeiten. Ist etwas unbegreif­ bar, dann fehlen dafür die Begriffe. ,,Bilder“ könnten anschaulich machen, was sich dem intellektuellen Begreifen entzieht. Die Titel von Anselm Kiefers Bildern, die auch als geschriebener Bestandteil des Bildes auftauchen, greifen auf Sprach-Bilder des bekannten Gedichts „Todesfuge“ des deutsch-rumänischen Dichters Paul Celan zurück: ,,Dein goldenes Haar, Margarethe“ (Abb. 9, 10) und „Dein aschenes Haar, Sula­ mit“ (Abb. 11). Paul Celan arbeitet in seiner Fuge mit sprachlichen Bildern, die sich im Spannungsbereich zwischen konkreter Anschauung und abstrakter Verallgemeine­ rung bewegen. Abb.10: Dein goldenes Haar Margarethe, Postkarte Gebrüder König, Köln, a. a. 0. 246

Abb.11: Dein aschenes Haar Sulamit, Sammlung Sanders, Amsterdam (Bild wurde inzwischen über­ arbeitet) 247

„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken … “ Margarethe steht für die „arische“ (deut­ sche), Sulamit für die jüdische (deutsche) Frau. Den Frauen wird die Farbe ihrer Haare zugeordnet: Goldenes Haar für Margarethe, aschiges Grau für Sulamit. Hinter dieser kon­ kreten Beschreibung steht die abstrakte Ver­ allgemeinerung. Auf der einen Seite steht Macht, Reichtum, Licht, Tag, Jugend, und auf der anderen Seite stehen Ohnmacht, Armut, Dunkelheit, Nacht, Alter. Hinter allen Farben des Gedichts steht das Gegen­ satzpaar Leben, Lebenkönnen und Tod, Ver­ nichtetwerden. Vier Figuren werden erleb­ bar: die Frauen, die die Antithesen national­ sozialistischer Rasse -und damit Vernich­ tungsideologie verkörpern. Gleichzeitig ver­ körpern die Frauen den Schritt vom Alten zum Neuen Testament. Dazu kommt der Tod, der „Meister aus Deutschland“, und der Erzähler selbst. Dieser Erzähler ist beiden Frauen nahe, auch und gerade wenn er den Tod der einen beklagt. Das sprachliche Bild wird bei Anselm Kiefer direkt und unmittelbar umgesetzt. Der Unterschied des Mediums -hier Spra­ che, dort Malerei -führt aber zu entschei­ denden Unterschieden. Im sprachlichen Bild bleibt die Figur jeweils imaginär, exi­ stiert nur in der Vorstellung des Lesers. Paul Celan beschwört die Frauen, Anselm Kiefer ,,zeigt“ sie. ,,Sulamit“ (Abb. 11): der Körper einer sit­ zenden, nackten Frau, dessen Gesicht, Arme und Teile ihres Oberkörpers von einer Fülle herabfallender schwarzgrauer Haare ver­ deckt wird. Wie eine Hülle fallen die Haare über die Frau. Obwohl diese Figur nackt ist, ist kein Anzeichen von Erotik spürbar. Starr, fast erstarrt und aufrecht sitzt die Figur auf einer Art Divan, der aber nur durch aufgetra­ gene, verwischte Farbe erkennbar ist. Etwas schräg versetzt sitzt sie, aber mit leicht auf den Betrachter zugedrehtem Oberkörper, so 248 daß wir dieser Sulamit, wenn die Haare es nicht verhindern würden, ins Gesicht schauen könnten. Die Oberschenkel sind fest verschlossen und nach rechts gedreht, die Füße verschwinden unter der Farbe des Sitzmöbels. Der Farbauftrag ist spröde, fast brüchig und heftig, mit der Verletzlichkeit des nackten Körpers kontrastierend. In dem umgebenden Raum findet sich ein Betrach­ ter nur schwer zurecht. Das beginnt bei der Frage nach dem Sitz der Sulamit, dessen Dimension und Ausdehnung nur durch die Haltung der Nackten erahnbar ist. Zwischen Oberschenkel und Oberkörper öffnet sich ein Raum in stumpfem Winkel, und ohne Distanz zur Figur nehmen wir drei hochauf­ gerichtete Wohnhäuser wahr: dunkle Flä­ chen mit hellen Lichttupfen als Fenster. Die Schriftzeile „Dein aschenes Haar, Sulamit“, zugleich der Titel, befindet sich oberhalb, vielleicht auch hinter der Frau; er paßt sich dem Schwung der herunterfallenden Haare an, ist anfangs parallel zur linken Hochseite des Bildes geschrieben und wölbt sich dann parallel zu den langen Haarsträhnen. Das Gegenstück: ,,Dein goldenes Haar, Margarethe“ (Abb. 9). Keine Figur ist erkenn­ bar. Das gleiche Format, das aber jetzt vom Hoch- ins �erformat gedreht ist. Eine „hochgeklappte“ Landschaft mit einem ,,Fluchtpunkt“ in der oberen linken Ecke, von dem zerfetzte, flüchtig und breit aufge­ tragene Linien in schwarzer, weißer und grauer Farbe wie Ackerfurchen in einer Linienschaar ausgehen. Der Eindruck von „Ackerfurchen“, der aus der Distanz stärker wirkt als aus der Nähe, wird einmal natürlich durch die Annahme einer „Landschaft“ her­ vorgerufen. Auf der anderen Seite ist die Leinwand nicht grundiert. Die aufgetragene Farbe zeigt Risse. Ganz hochgesetzt ist der Horizont, der Betrachter erhebt sich also scheinbar weit über diese Gegend, nur ein ganz schmaler Streifen „Himmel“, schmut­ zig grau-blau, bleibt übrig. Der Horizont wird begrenzt: ein paar Bäume, die Andeu­ tung eines Waldes, in der linken oberen Ecke, ein paar Häuser mit roten Dächern,

vielleicht ein Dorf, gegenüber. Blickfang und im Zentrum: ein dickes Büschel goldgel­ ben Strohs, in das Bild hineingeklebt. Dieses Büschel deutet ein nach unten und nach rechts zu offenes Oval an. Seiner Herkunft nach bezieht sich das Stroh auf den Ackerbo­ den. Mit der groben Materialität der Farbe dieses Bodens bildet es eine Einheit. Wieder eine Schriftzeile, der Titel, das Zitieren des Celan-Gedichts: „Dein goldenes Haar Mar­ garethe“. Aber während sich der Schriftzug beim Sulamit-Bild fast zärtlich um das „aschene Haar“ schmiegt, folgt hier ein Bruch. Der Anfang des Schriftzuges verläuft zunächst in steigender Linie quer zu den „Ackerfurchen“, bricht dann ab, indem er seine Richtung nach unten verändert. Der Name „Margarethe“ scheint sich zunächst der Richtung der Furchen anpassen zu wol­ len, verstärkt dann aber den Trend nach unten und fallt fast abrupt ab. Nur dieser Titel läßt den Betrachter das Stroh auch als „goldenes Haar“ deuten. Ein Gesicht findet sich nicht einmal als Andeutung; das Stroh oder das Haar umschreibt eine Leerform. Kein Kopf, dafür aber eine mit schwarzer Farbe geformte Palette über den Furchen des Bodens. Die Palette als Symbol hat Anselrn Kiefer erstmals 1974 eingeführt, und sie taucht bis heute immer wieder auf. Sie steht für geistige Arbeit, zeigt zugleich die Distanz des Betrachtenden, des Künstlers. In unmit­ telbarer Nachbarschaft des Strohs zündeln zwei kleine rote Flammenpunkte. Das hin­ eingeklebte Stroh erfüllt also mannigfaltige Aufgaben: einmal hat es einen Eigenwert als Material, das im Gegensatz zur aufgetrage­ nen Farbe steht, dann stellt es den Bezug zur Erde her; außerdem wird es durch die Schrift zum Haar. Beide Bilder sind natürlich keine Illustra­ tionen zum Gedicht Celans. Anselm Kiefer ist kein Illustrator. Celans Gedicht bezieht sich auf eine bestimmte historische Situa­ tion. Anselm Kiefers Bilder sind nicht histo­ risch und nicht geographisch fixierbar. Die Bildlichkeit des Gedichts wird an Hand von zwei Zitaten aus dem Gedicht aufgenom- men. Sind diese Zitate bekannt, ist das Gedicht bekannt, dann drängen diese Zitate die Assoziationen des Betrachters in eine bestimmte Richtung. Die Assoziationen sind grundsätzlich frei, aber Malweise, Mate­ rialien, Bildmotive oder Zitate drängen eine bestimmte Richtung dieser Assoziationsket­ ten auf Alle Mittel der Collage und Montage, nicht erst seit der Zeit der Surrealisten genutzt, werden verwendet. Farbe, Schrift­ zug und Stroh -das sind „Materialien“, die eigentlich nicht zusammenpassen. Mensch­ liche Gestalt und Stadt, ohne literarisch­ erzählerischen Bezug miteinander verbun­ den -im traditionellen Sinn bildet das kein Bildganzes. Auge und Gehirn des Betrach­ ters kombinieren die nicht „zusammengehö­ renden Teile“ miteinander. Erst auf diese Weise wird ein Zusammenhang hergestellt. Auf dieser Ebene, in der Zerstörung der sogenannten „Einheit des Bildes“, ist Anselm Kiefer ein Künstler ganz in der Tradi­ tion der Klassischen Modeme des zwanzig­ sten Jahrhunderts. Aber diese Einschätzung reicht nicht aus. Zugleich greift er auf mittel­ alterliche Emblematik zurück-zum Beispiel im Schriftzug. Solche schriftlichen Zusätze finden sich auf alten Tafelbildern. Aber auf diesen Tafelbildern erläuterte der Schriftzug das Geschehen im Bild, kommentierte es. Hier bezieht sich der Text auf etwas, was außerhalb des Bildes liegt, auf die Figur der Margarethe zum Beispiel, oder konfrontiert das Material mit einer neuen Bedeutung: aus dem aufgeklebten Stroh wird das Haar. Anselm Kiefers Bilder leben aus diesen Span­ nungen, die unauflösbar erscheinen. Anselm Kiefer ein Historienmaler -und das bezieht natürlich auch die literarische Historie mit ein? Ulrich Krempel hat den „Fall: Historienmaler Anselm Kiefer“ auf einen einfachen Nenner gebracht: ,,Kiefer verweigert einen traditionellen Schritt des bildenden Künstlers; er stellt nicht das allge­ meine historische Thema in einer besonde­ ren Fassung vor. Er faßt das allgemeine Thema in Bilder, wie sie allgemeiner, 249

bekannter, neutraler und doch urtypischer nicht sein könnten.“ Das ist das genaue Gegenteil von einem „Historienmaler“. Und dann zitiert er Anselm Kiefer selbst: ,,Die ganze Malerei, aber auch die Litera­ tur und alles, was damit zusammenhängt, ist ja immer nur ein Herumgehen um etwas Unsagbares, um ein Schwarzes Loch oder um einen Krater, dessen Zentrum man nicht betreten kann.Und was man an Themen auf­ greift, das hat immer nur den Charakter von Steinchen am Fuße des Kraters – das sind Wegmarken in einem Kreis, der sich hoffent­ lich immer enger um das Zentrum legt … Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Methoden: Man kann vom Allgemeinen ins Einzelne gehen, oder man geht vom Einzel­ nen ins Allgemeine, und das tue ich. Meist wähle ich einen ganz banalen, trivialen oder sogar vulgären Ausgangspunkt … Vom Rand des Lochs in die Nähe des Zentrums … Aber ich kann nicht von etwas Vollendetem aus­ gehen. Darum mache ich auch keine Kunst über Kunst, wie das etwa in der postmoder­ nen Architektur geschieht. (Ein schönes Kapitell zu nehmen und irgendwo reinzuset­ zen – das wäre für mich ein tautologischer Vorgang. So etwas mache ich nicht.)“ Deutsche Vergangenheit, deutsche Ge­ schichte, deutsche Mythen als Ausgangs­ punkt für die Arbeit. Und die Gegenwart im Werk Anselm Kiefers? 1989 entstand das Objekt: ,,60 Millionen Erbsen“, eine Ausein­ andersetzung mit dem Thema „Volkszäh­ lung“, einem Thema, das nach Anselm Kiefer vergessen sei und gerade deswegen für ihn interessant werde. Die Medien, die Öffentlichkeit habe das Problem der Volks­ zählung hochgeputscht. Aber so schnell wie es hochgekommen sei, so schnell sei es auch schon wieder aus den Schlagzeilen ver­ schwunden, eine Eigenschaft der Medien, der Politiker, der Bundesbürger. Die „ Volks­ zählung“ als Anlaß. ,,Das war einfach eine L’art pour l’art-Veranstaltung, und da mache ich nicht mit.“ Den Fragebogen damals habe er ausfüllen wollen – so wie andere Bundes­ bürger auch. ,,Als Mensch bin ich doch 250 jeder.“ Aber dann habe er von den Strafen gehört, die „Diskrepanz der scheinbaren Harmlosigkeit der Fragen“ und der „drakoni­ schen Strafen, die bis zur Existenzvernich­ tung gehen“, die habe ihn aufhorchen lassen. „Nach 40 Jahren muß man ja mal wieder wissen, ob die Deutschen gehorchen.“ Die meisten haben gehorcht. ,,Und das finde ich bedenklich.“ Auch wenn die Beantwortung der Fragebögen nur Scheingehorsam gewe­ sen sei, hätten die meisten gelogen oder zumindest ein wenig geschummelt. Eine Eigenschaft der Deutschen: ,,Wir sind nun mal sehr diszipliniert und ordent­ lich.“ Eine Tugend, ganz sicher. Aber genau diese Verbindung von Ordnungssinn und Disziplin habe den deutschen Faschismus ,,so katastrophal“ gemacht. ,,Gehorsamsver­ weigerung“, die müsse man hin und wieder üben. Die Volkszählung wäre eine Möglich­ keit dazu gewesen, aber die Bürger hätten einfach Angst gehabt. Und natürlich fallt einem Anselm Kiefer zur Gehorsamsverwei­ gerung ein Bild, ein mögliches Kunstobjekt ein: Richter, die in einem Wust von Einsprü­ chen und Protesten, in einem Berg von Papier ersticken. ,,Ein schönes Bild.“ Anselm Kiefer hat den Fragebogen zur Volkszählung nicht ausgefüllt, ist gerichtlich belangt wor­ den, hat den Prozeß verloren. Aber bestraft hat man ihn dann doch nicht. Das hat ihn viel mehr gestört als die ganze Prozedur der Befragung. Zuerst das staatliche Imponier­ gehabe, die Drohgebärden, dann der Rück­ zug. Das „Bild“, das der Staat hier von sich selbst vermittelt, dieses Bild entsetzt ihn. Anselm Kiefer stellt zeitgeschichtliche Beziehungen her, die andere nicht sehen oder nicht sehen wollen. Einerseits die Meineide und „Ehrenworte“ eines Minister­ präsidenten in Schleswig-Holstein. ,,Da wur­ den wir massiv belogen.“ Zur gleichen Zeit die Aufforderung von Politikern „Vertraut uns“ anläßlich der Volkszählung. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun? Für Anselm Kiefer gibt es keine Zufälligkeit in der Parallelität der Ereignisse, alles fließt zusammen in einem Bild, konkretisiert in

einem Kunstobjekt. „Mir geht es immer um ein klar herausgearbeitetes Bild“, stellt er fest und meint seine eigene Arbeit. Das Objekt zur Volkzählung: 60 Millio­ nen Erbsen in einem Container aus Blei. „Es sind wirklich 60 Millionen Erbsen drin.“ Erbsen in einem Umfeld, das ihrer natürli­ chen Umgebung alles andere als entspricht. Erbsen gezählt, sortiert, verstaut, gequetscht. Manchmal isoliert, manchmal in Gruppen zusammengepreßt. Ein Gegenbild zu dem, „wie man es sich wünschen würde“. Und das Material Blei ist ja durchaus mehrdeutig. Blei fließt und erstarrt, aus Blei gißt man Figuren in der Hoffnung, etwas über die eigene Zukunft zu erfahren, Blei ist giftig, in den Bleikammern Venedigs schmorte ein Casa­ nova, und Blei stelle zum Beispiel Schutz gegen Strahlungen dar, sagt Anselm Kiefer. Die gezählten und „gewogenen“ Bundes­ bürger als Erbsen. Ein paralleles Bild dazu: Anselm Kiefer in einer Pariser Metro-Station – Rolltreppen, lange Gänge, ein Laufband. Menschen hasten vorwärts, nehmen den anderen nicht wahr, streben Ziele an, die nur sie selbst kennen. ,,Ist alles voller Erbsen hier.“ Aber diese Parallele wäre nur eindi­ mensional. Das Kunstobjekt „60 Millionen Erbsen“ hat sich von seinem Anlaß, der Volkszählung, gelöst. Es geht um mehr als allein um diesen Anlaß. ,,Uber allen Dingen liegt eine Ebene, die es für uns nicht gibt … In allen Dingen liegt ein Zusammenhang verborgen … , man könnte auch sagen, eine andere Schicht, die uns verborgen bleibt.“ Wir geben uns im Alltag mit der bloßen Zahl zufrieden, erliegen ihrer Faszination. Aber in der Zahl 60 Millionen sei nichts enthalten. Niemand könne sich wirklich etwas darunter vorstellen. Aber der Magie der Zahl erliegen nicht nur die Statistiker. 50 Milliarden DM Umsatz gebe es heute allein in der Touris­ mus-Branche. Aber wenn die Bundesbürger verreisen, dann ist die scheinbare Feme so wie das Zuhause. ,,Da gibt’s nur die Zahl!“ So viel habe es gekostet, so lange war ich da … Nicht die Zahl sei wichtig, nicht das bloße Funktionieren; wichtig sei allein, was jeder einzelne für Vorstellungen entwickle, was er daraus mache. Kiefer als grundsätzlicher Gegner einer Volkszählung? ,,Der Staat kommt immer dann, wenn’s zu spät ist … , und das ist zu wenig Staat.“ Fordert hier jemand mehr Staat, mehr Bürokratie gar? Ganz im Gegen­ teil. ,,Ich seh‘ den Staat auch einfach nicht schöpferisch tätig.“ Der Staat und seine Bür­ ger auf den immer wieder gleichen, eingefah­ renen Wegen, ohne Phantasie, letztlich ohne Perspektive. Wer querdenkt, ist höchstens verdächtig, das ,,Auf-Nummer-sicher-Ge­ hen“ wird zur Doktrin für das Verhalten aller. „Die Freiheit wird propagiert, zwischen Opel oder Ford zu wählen … Das ist doch keine Freiheit!“ Das Thema Buch ist für Anselm Kiefer von Anfang an ein Mittel gewesen, um grundlegende Themen, Techniken und Materialien zu erproben. Das Buch ist das entscheidende Medium der Vermittlung von Geschichte und Ideologie, von Mythen und Bewußtseinsprozessen. Der Charakter des Lesens ist zugleich ein „Eingreifen“ in das geschriebene Wort. Mit dem Wissen aus der Gegenwart wird das Geschriebene oder das Illustrierte angeeignet und verarbeitet. Das Lesen ist ein privater Vorgang, der sich eigentlich der Öffentlichkeit entzieht. 1963 erschien ein etwa 150 Seiten dickes geographisch-politisches „Handbuch“ mit dem Titel „Räume und Völker in unserer Zeit“. Ein „Handbuch“ des Kalten Krieges, voller militärstrategischer Überlegungen und Demonstrationen. Anselm Kiefer er­ warb ein Exemplar des Buches in einem Antiquariat, ,,überarbeitete“ und veröffent­ lichte die Bearbeitung. Der Vorgang des „Lesens“, des „Sich-an-Eignens“ durch künstlerisch-kreative Arbeit, wird deutlich. ,,Lesen“ wird zu einem dem Buch über­ gestülpten Kommentar. So gut wie alle Sei­ ten sind mit Schraffuren, Farbstiften, Zeich­ nungen bedeckt. Bei dem Titel „Räume und Völker“, da denke man ja zunächst, ,,da ist alles drin. 251

Räume, Völker, Zeiten. Man merkt dann natürlich ziemlich schnell, daß gar nichts drin ist. Und das dürfte der tiefere Grund sein, weshalb ich es gekauft habe. Denn wo nichts ist, da kann ja noch etwas werden … In einem leeren weißen Buch ist alles enthalten, was soll man da noch machen. Aber diese Nato und der Warschauer Pakt, das ist schon so was Festes, Sperriges, Klotzartiges, da kann man etwas machen, abfeilen, kratzen, in Säure tauchen. Das sind ja so Gebilde, die kann man nur besser machen, wo immer man das Gerät ansetzt.“ Aneignung eines Buches als „Auslö­ schung“? Worte wie „abfeilen“ oder „in Säure tauchen“ weisen darauf hin. Anselm Kiefer hat schon früh seine Abneigung gegen die „Bilderflut“ der Gegenwart deutlich gemacht. Ein „leeres weißes Buch“ als Ziel aller Arbeit? Und trotzdem produziert er selbst immer wieder neue Bilder. Anselm Kiefer geht es nicht um die Ablehnung des Bildlichen, sondern er wendet sich gegen alles Festgefügte, Einbetonierte, scheinbar „Gesicherte“. Auf einem weißen Blatt Papier ist alles enthalten. Jeder Strich, jeder Farb­ fleck engt kreative Phantasie ein. Das Ziel ist nicht das Festgefügte, sondern der ständige Wandel, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließt, nicht das Nichts, son­ dern das Alles. ,,Etwas anderes als Verwand­ lung gibt es gar nicht. -Alles, was Sie anse­ hen, verwandeln Sie. Eine ständige Wand­ lung. Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut.“ Ein Künstler ist kein „Mahner“ und kein „Prophet“, es ist jemand, der den Prozeß des stetigen Wandels verstanden hat und in sein Werk mit einbezieht. Und insoweit wird er dann doch wieder zum „Propheten“, denn „die Propheten sagen das, was sie gleichzeitig sehen. Also: Über einer blühenden Stadt sehen sie schon das Gras wachsen und die Schakale heulen. Und dieses Bewußtsein der Gleichzeitigkeit macht sie zu Ungleichzeiti­ gen in den Augen der Menschen“. Auf diese Weise eignet sich Anselm Kiefer das Buch an. Kapitelüberschrift „Europa“ in fetten Lettern oben auf der rechten Seite. Ein 252 paar geopolitische Daten lassen sich unter einem Gespinst von schwarzen Graphit­ linien erkennen, Linien, die sich bündeln zu pflanzlichen Teilen, Tannennadeln an dün­ nen Stämmen, vielleicht Ähren, Gräser. Die beiden Buchseiten „wachsen zu“, werden überlagert durch die Natur, die doch wieder künstlerische Zeichen sind. Der Künstler­ Prophet sieht das „Gras wachsen“ über einem Erdteil, der noch in voller industriel­ ler Blüte steht. Dieses Überwuchern mit Pflanzen setzt sich auf den nächsten Seiten fort, hochaufgerichtete Stämme beim Stich­ wort „Asien“, beim Stichwort „Orient“ Was­ ser, ein Segelboot, und im „Uferschilf“ sitzt aufrecht eine nackte Odaliske. ,,Amerika“: natürlich die Umrisse von Hochhäusern, die den oberen Teil der Doppelseite so überzie­ hen, daß ein Vorne und ein Hinten nicht mehr erkennbar ist, aufrecht stehende lange Rechtecke mit schwarzen Flecken als Fen­ ster. Aber vor dieser Skyline wuchern bereits die Pflanzen, nichts ist ewig, auch wenn wir Zeitgenossen es glauben mögen. Anselm Kiefer: ,,Die immer wiederkeh­ rende Formel ,über Euren Städten wird Gras wachsen‘ heißt eigentlich: Das Gras wächst schon. Und die Umkehr heißt: Siehe, wie das Gras schon wächst. Es ist doch schön, jetzt schon die Städte in Staub verfallen zu sehen, worüber dann das Gras zu wachsen beginnt. Die Stadt unter der Staubschicht oder der Grashaut ist doch viel mehr als nur die Stadt ohne ihre Bedeckung durch Gras, dieser ständig wiederkehrende variierte Refrain: ,Über Euren Städten wird Gras wachsen‘ ist also eine Erweiterung, eine vielschichtige Schönheit gegenüber dem Einseitigen im jetzt Vorhandenen.“ Das Übermalen, das Verdecken als Steige­ rung dessen, was darunterliegt. ,,Gras-wach­ sen-lassen über eine Sache“ -das kennen wir als Redensart. Aber unter dem „Gras“ sind weiter Bruchstücke des alten Textes zu lesen. Der künstlerische Prozeß von Übermalung, der psychische Prozeß von Verdrängung geht nie so weit, daß nicht Teile des Alten unter der neuen Oberfläche durchschimmern.

,,Europas Weltlage“ (Abb. 12), der Verfas­ ser von „Räume und Völker“ der Vorlage hat eine Kartenprojektion gewählt, die Europa ins Zentrum rückt, vom roten Rußland und den blaugrauen Vereinigten Staaten umrahmt. Anselm Kiefer betont zusätzlich die zentrale Lage, indem er einen schwarzen Kreis um Europa setzt und die Karte links und rechts durch hektisch-nervöse Linien begrenzt. Über Europa steht das Wort „Vater“, über den USA „Sohn“, dazwischen der Atlantik mit der Kennzeichnung „heili­ ger Geist“. In die schon von der Vorlage her rote UdSSR setzt er das Wort „Satan“. Ein Buch aus der Zeit des Kalten Krieges, und gerade indem dieser ideologische Charakter demonstrativ herausgestellt und noch ein­ mal unterstrichen wird, wird die Groß­ mannssucht ironisiert und überhaupt erst einmal bewußt gemacht. Abb.12: Über Räume und Völker ROPAS WELTLAGE– / Anselm Kiefer: ,,Vater, Sohn, Heiliger Geist, das kommt auch vor in dem Buch. Europa ist der Vater, Amerika der Sohn, und der Atlantik der Heilige Geist, und die So­ wjetunion der Satan. Da denkt man natür­ lich an das ,Reich des Bösen‘ von Ronald Reagan … In einer Zeit, da alles von der Geschwindigkeit und nicht mehr vom Terri­ torium abhängt, ist es fossiles Denken, man könne ein Land mit einem Schutzschild umgeben. Wenn selbst der Wald anfangt zu wandern, kann man mit materiellen Mauern nichts mehr ausrichten.“ In den letzten Jahren dringt der Prozeß des Erinnerns bei Anselm Kiefer in immer tiefere Gründe der Archäologie ein. Seine grundsätzlichen Zweifel an den Erkenntnis­ möglichkeiten heutiger Wissenschaft, an den sogenannten Errungenschaften des Fortschritts, vielleicht auch das Wissen, 253

daß wissenschaftliche Erkenntnisse nicht umschlagen in kreatives, phantasievolles Tun, läßt ihn zurückgehen bis zu den Ursprüngen der Kultur im frühen Ägypten oder ins „Sintflut-Land“ Mesopotamien. Bruchstückhaft erfahrenes Heute korrespon­ diert mit bruchstückhafter Überlieferung. 1989 beendet Anselm Kiefer die Skulptur „Zweistromland“, eine riesige Bibliothek aus Bleibüchern, cirka 200 Bleibücher in einem Eisenregal aus Glas und Kupferdraht. Meso­ potamien, das Land zwischen Euphrat und Tigris, der südliche Teil Babyions, beher­ bergte einst die bedeutendste Bibliothek der Antike. Das ganze Wissen der damaligen Welt war dort auf Tontafeln aufgezeichnet. Mesopotamien gilt als Paradiesgarten und gleichzeitig in den Offenbarungen des Johannes als die dem Untergang geweihte „Mutter der Huren“. Anfang und Ende des Mythos fallen an diesem Ort zusammen. Für Anselm Kiefer: schwere Bleibücher in einem abgestellten Regal, das Material Blei, das die ,,Buchseiten“ wie in einem Prozeß des Vergil­ bens sich aufrollen läßt, gleichzeitig eingegos­ sen, verfestigt wie für ein ewiges Angedenken. Bereits vor 1900 stellte Paul Gauguin die Frage, die er als grundlegend für die moderne Kunst betrachtete: ,,Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir?“ Vielleicht sind diese Fragen, die nicht voneinander zu tren­ nen sind, fast 100 Jahre später und nach den Erfahrungen zweier vernichtender Welt­ kriege, nach dem Grauen von Faschismus und Nationalsozialismus wichtiger als je zuvor. Dabei bleibt für Anselm Kiefer die Beschäftigung mit der Geschichte immer ein subjektiver Vorgang. „Wie es war, wissen wir ja alle nicht, denn es gibt eigentlich keine Geschichtsschrei- The world-Ash, Postkarte, Staatsgalerie Stuttgart 254

bung, nur Verarbeitung von Geschichte. Und dabei geht der Künstler ganz anders vor als etwa ein Wissenschaftler. Ich versuche, auf eine unwissenschaftliche Art in die Nähe des Zentrums zu kommen, von dem die Ereignisse gesteuert werden.“ Geschichte wird auf den Bildern und Objekten Anselm Kiefers nicht erzählt. Geschichte ist Vergangenheit, also unwider­ bringlich verloren. Was Kunst nach Anselm Kiefer aber kann, ist, diese Geschichte wieder zurück ins Bewußtsein rufen. In der Kunst, in ihren Inhalten und ihren Materialien, spiegelt sich dann nicht mehr Geschichte, nicht Erinnerung, sondern Aktualität. Mag ein Anselin Kiefer noch so sehr Themen und Motive aus der Zeit des Faschismus aufgrei­ fen und verarbeiten, der Betrachter wird mit seinem Wissen, seiner eigenen Gegenwart konfrontiert. ,,Wir leben in einem verhält­ nismäßig freien Staat“, sagt er. Aber seine Objekte beweisen, daß unter dieser Ober­ fläche die Geschichte mit allen Tendenzen von Grauen und Zerstörung genau so prä­ sent ist wie die Gegenwart. Wir müssen ler­ nen zu „kommunizieren mit allen mögli­ chen Gedanken, auch mit denen, die schon einmal waren … „. Das ist seine Art, um sich mit der „Umweltverschmutzung“, die für ihn besonders eine „Gedankenverschmut­ zung“ ist, auseinanderzusetzen. Uwe Conradt L i t e r a t u r : Adriani, Götz (Hsg.): Anselm Kiefer Bücher 1969 bis 1990, Katalog Kunsthalle Tübingen / Kunstverein München / Kunsthaus Zürich, o.J. (1990). Brock, Bazon: Ästhetik als Vermittlung. Arbeitsbiographie eines Generalisten, hsg. von Fohrbeck, Karla, Köln 1977. Dokumenta 8, Kassel 1987. Faust, Wolfgang Max / Vries, Gerd de: Hunger nach Bildern. deutsche malerei der Gegenwart, Köln 1982. Hutchinson, John: Kiefers Wette, in: Anselm Kiefer Jason, Ausstellungskatalog Douglas Hyde Gallery, Dublin, 1990. Kiefer, Anselm: Über Räume und Völker (mit Gespräch und Nachwort von Gall­ witz, Klaus), Frankfurt am Main 1990. Krempel, Ulrich: Spurensuche und Ver­ gangenheitsbewältigung. Immendorff, Kitaj, Kiefer, in: Modeme Kunst 2. Das Funkkolleg Kunst zum Verständnis der Gegenwartskunst, hsg. v. Wagner, Moni­ ka, Reinbek 1991. Maur, Karin von / Inboden Gudrun (Bearbeiter): Staatsgalerie Stuttgart. Male­ rei und Plastik des 20. Jahrhunderts, Stutt­ gart 1982. Nowald, Karlheinz: Anselm Kiefer, Innenraum, in: 1000 Meisterwerke aus den großen Museen der Welt, TV-Film, WDR 1989. Osterwold, Tilman: Bilder-Streit, in: Anselm Kiefer, Ausstellungskatalog des Württembergischen Kunstvereins Stutt­ gart, Stuttgart 1980. Royal Academy of Arts London (Hsg.): A new Spirit in Painting, London 1981. Rosenthal, Mark: Anselm Kiefer, Aus­ stellungskatalog für Art Institute of Chi­ cago, Philadelphie Museum of Modem Art, Museum of Contemporary Arts Los Angeles und Museum of Modem Art New York, Chicago and Philadelphia 1987. Spieß, Werner: Gebrochener Zauber. Der Fall Kiefer, ein Maler-Problem und seine zwiespältige Wirkung, in: Frankfurter All­ gemeine Zeitung, 28. Januar 1989. Smerling, Walter (Autor): 60 Millionen Erbsen. Anselm Kiefer und die Volkszäh­ lung, TV-Feature, West 3, 1989. Zeitgeist. Katalog der internationalen Kunstausstellung Berlin 1982. 255

Karl Rieber Bildhauer und Maler „Wenn Du schnitze witt, muesch Du zeichne könne!“ So sagte Karl Rieber zu einem jungen Mann, der Anfang der siebzi­ ger Jahre einen seiner Schnitzkurse besuchte, um etwas über den Umgang mit Schnitz­ eisen und Klüpfel zu lernen. Schnitzen und Zeichnen -Karl Rieber beherrscht beides mit Meisterschaft, obwohl die Wege, die zu dieser Meisterschaft in den beiden Künsten führten, ganz verschieden waren. Die Bildhauerei lernte er von der Pike auf bei seinem Vater. In dieser Kunst durch­ schritt er die Stadien des grundsolid ausgebil­ deten Handwerkers: Lehrling, Geselle, Mei­ ster. Modellieren, Zeichnen, Anatomie und Kunstgeschichte kamen auf der Furtwanger Schnitzerschule zur handwerklichen Ausbil­ dung dazu. Die Entwicklung zum Land­ schaftsmaler und Portraitisten erfolgte aber auf viel verschlungeren Pfaden, in einem über viele Jahre andauernden Prozeß. Als Bub hat sich auch Karl Rieber mit dem Gedanken getragen, dies oder jenes zu wer­ den, dann übten aber doch die duftenden Hölzer und die verschiedenartigen Werk­ zeuge in der Werkstatt seines Vaters Rudolf die entscheidende Wirkung aus und zogen ihn in einen Bann, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Und wenn dann gar der berühmte JosefFortwängler, der „Schnit­ zersepp“ aus Triberg bei seinem Vater in der Werkstatt plauderte, dann konnte der kleine Karl mit hochroten Ohren zuhören, Zeit und Raum vergessen und wohl auch einmal die Schule schwänzen -wegen „Halsweh“. Obwohl Karl Rieber in der künstlerischen Reife seiner Jahre zu einem persönlichen Stil gefunden hatte, hat ihn die Begegnung mit dem „Schnitzersepp“ und dessen subtiles Verhältnis zum Werkstoff Holz entschei­ dend geprägt. Und so kann man auch heute noch über den Bildhauer Karl Rieber und sein Reifen zur Meisterschaft nichts anderes sagen, als was der Verfasser dieses Beitrages 256 schon 1969, zu Riebers sechzigstem „Geburts­ tag schrieb: ,,Nach der Lehrzeit sah sich Karl Rieber in der Welt um, besuchte Ausstellun­ gen, begegnete anderen Künstlern. Dabei legte er ab, was einengte, weitete seinen Blick. Wie das Holz, das er bearbeitete, in der Zeit seines Wachstums Jahr für Jahr seine Ringe ansetzte, so reifte er künstlerisch heran.“ „Gunst geht vor Kunst“. Für den frei schaffenden Künstler hat dieses Wort zuzei­ ten schon seine Bedeutung. Für Karl Rieber bedeutete es aber nie, daß er seinen Stil nach dem Publikumsgeschmack ausgerichtet hat, wenn auch die Arbeit in seiner Werkstatt oft dem harten Broterwerb diente, dienen mußte. So ist er auch nie ein „Moderner“ gewe­ sen. In seinem plastischen Schaffen lassen

Clown (Tonmodell) Hob.plastik: junges Paar (60 cm) Portrait (Hob., 26 x 40 cm) Das andere Gesicht (Beton, nat. Größe) 257

sich aber deutlich zwei Richtungen unter­ scheiden: Schlichtheit und Abstraktion bei den religiösen Schnitzwerken, romanischer Duktus bei den profanen Plastiken, nämlich als Träger einer Idee zu fungieren, Ausdruck zu sein eines bewegenden inneren Gesche­ hens. Fürs erste stehen vor allem seine zahl­ reichen Krippenfiguren, die Darstellungen der Heiligen Familie, auch Madonnen und andere Plastiken großer Heiliger. Dabei war Karl Rieber das figürliche Schnitzen eigentlich nicht in die Wiege gelegt. Jugend, Lehre und Gesellenjahre fie­ len eigentlich nur in schlechte Zeiten. So ging es in der Werkstatt des Vaters zuallererst darum, das tägliche Brot zu verdienen mit dem Schnitzen von Ornamentik für Möbel und Uhren. Als sich der junge Rieber im zweiten Lehrjahr an einen Korpus heran­ wagte, fand das erst die Begeisterung seines Vaters, als das Ergebnis nach nur zwölfstün­ diger Arbeit vorlag. Als Karl Rieber schließ­ lich im Jahre 1934 überraschend zur Meister­ prüfung zugelassen wird, muß auch das Mei­ sterstück in Tag-und Nachtarbeit rasch ange­ fertigt werden. Mit dem noch beizefeuchten Schnitzwerk und kaum Geld in der Tasche trat er die Reise vor die Handwerkskammer in Konstanz an. Dort hat das Meisterstück – der Schmied am Amboß hat gerade eine Pause eingelegt und teilt sein Vesperbrot mit einem Kind -so großen Gefallen gefunden, daß es vom Präsidenten der Handwerkskam­ mer Konstanz von der Stelle weg aufgekauft wurde. Und der frischgebackene Bildhauer­ meister war für die nächste Zeit finanziell flott … Dieses Meisterstück ist heute noch in Konstanz zu sehen. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten – Karl Rieber machte sich Hof in der Baar 258

t Der Bernhardenbauer (Kreide) 1946 als Bildhauer selbständig -sollten noch viele Schnitzwerke aus dem Bildhaueratelier im ehemaligen Braukeller des Gasthauses „Krone“ in die Welt hinausgehen: ein lebensgroßes Kruzifix nach Philippsburg, ein Kriegerdenkmal nach Kappel, eine Schutzmantelmadonna nach Stuttgart, ein St.Josef nach Dorsten, ein heiliger Nepo­ muk nach Brakel, ein Hanselbrunnen nach Wellendingen, Krippenfiguren nach Sunt­ hausen, ins Neustädter Münster, nach Sus­ sex/England -nur um einige wichtige öffent­ liche Aufträge zu nennen. Eine lange Auf­ listung ergäben auch die privaten Aufträge, Brunnenfiguren, Beerenfrau, Tierplastiken, Fuhrmann und immer wieder Kinderdarstel­ lungen, alleine, in Gruppen, in deren Aus­ führung Karl Rieber oft seiner Freude am Skurilen, Hintergründigen, Originellen, Charaktervollen nachgab. Damit sind wir beim Zeichner und Maler Karl Rieber angelangt. Am Anfang stand der unvergessene Lehrer Bareth, der die Bega- Waldarbeiter (Kohle) bung des Jungen erkannte und sie nach Kräf­ ten förderte. Ein Aquarell für die Mutter mit dem großartigen Vorwurf „Mariä Verkündi­ gung“ stand am Ende dieser ersten Bemü­ hungen. Fortan wurde skizziert „was über den Weg lief“. Selbstkritisch genug, suchte Karl Rieber überall Anregungen aufzuneh­ men. Er ließ, über den Gewerbeschulunter­ richt hinaus, die Skizzen und Zeichnungen von Jakob Rommel kritisch beurteilen, vom Direktor der Gewerbeschule, von einem – Zufallsbekanntschaft -Maiprofessoren und als der junge Rieber zum Militärdienst geholt, entwickelte sich auch dies zum Glücksfall, denn er gerät in die „Ulmer Zei­ chenschule“ (1941-1942) und portraitiert „seine ganze Umgebung“. Versuche am großen Ölportrait hat es bereits 1939 (Schwarzwälder Bauer) und 1940 (Am Schraubstock) gegeben. In einer Zusam­ menschau dieser und späterer Portraits (Uhrenträger 1974, Furtwanger Trachten­ mädchen 1951, Bauer 1968, Waldarbeiter 259

1980, Bernhardenbauer 1986) wie man sie gelegentlich auf eine der vielen Ausstellun­ gen hatte (die von 1950 an Karls Riebers Werke zeigen), wird die Wandlung vom Blut­ und Boden-Stil, den Karl Rieber virtuos beherrscht hätte, evident: Die Durchzeich­ nung wird weniger und weniger aufdringlich, die Farbhandhabung virtuoser. Bei den Bau­ ernportraits etwa vermeint man, die Rauheit Deichschlucht (Gütenbach) Uhrenträger (Portrait in Öl) ….. Leo (Port mit) der Lodenstoffe verspüren zu können. Diese Portraits strahlen Bodenständigkeit und see­ lisches Gleichgewicht aus, die Augen wis­ send um die Mühsal des Lebens, aber nicht ohne ein Fünkchen Humor (Uhrenträger). Die Spuren eines harten, aber nicht freudlo­ sen Arbeitsleben hat Karl Rieber auch immer wieder in seinen vortrefflichen Blei­ stift- und Kohlezeichnungen festgehalten, ob dieses Leben nun im Schwarzwald -man 260

hat da die beiden Dorer vor Augen -oder im Tessin (Bauernbildnis) gelebt wurde. Der ganze Rieber – dazu gehören auch seine Landschaftsbilder, subjektiv, aber großartig empfundene Stimmungen. Man muß sie gesehen haben, die Wucht der stür­ zenden Hänge (Deichschlucht), die beäng­ stigende Finsternis des „schwarzen Waldes“, aber auch die Symphonien in Grün oder die in warmen Farben gehaltenen freundlichen Gegenstücke wie „Rankmühle“ (1965), ,,Nonnenbach“ (1960) oder „Obersimons­ wald“. So trifft auf ihn in ganz besonderem Maße der Ausspruch von Ludwig Richter zu: ,,Kunst ist beseelter Widerschein der Natur.“ Neben dem Bildhauer, Maler und Zeich­ ner gilt es aber auch den guten Pädagogen Karl Rieber zu würdigen. Zwar war die Lehr­ tätigkeit an der Staatlichen Schnitzerei­ schule Furtwangen nur von kurzer Dauer (1938), aber zehn Jahre lang leitete er Schnitz- und Zeichenkurse an der Volks­ hochschule Furtwangen (1969-1979). Daraus entwickelte sich schließlich ein Schülerkreis, der über ein Jahrzehnt zu einer verschwore­ nen Gemeinschaft wurde, die sich, immer unter der Anleitung von Karl Rieber, dem Malen und Zeichnen verschrieb und gemeinsame Fahrten an die Stätten großer Kunst unternahmen. Karl Rieber kann heute auf ein reiches Werk blicken, das ihm 1970 die Mitglied­ schaft der „Haute Academie Litteraire et Artistique de France“, 1980 die Mitglied­ schaft der ,,Accademia Italia delle Arti de! Lavoro“ eingetragen und 1983 ihn zum Mit­ glied des „Centro Studi e Ricerche delle Nazioni, Salsomaggiore“ gemacht hat. Und das Werk wächst noch, denn der inzwischen 81jährige scheint noch kein bißchen müde. Miirzmhöfle (Katzrnsteig) 261

Täglich noch verbringt er Stunden vor der Staffelei oder im Atelier. Und so steht Karl Rieber in der Fülle sei­ ner Jahre mit vollen Händen da: Ein um­ fangreiches bildhauerisches und malerisches Werk, fünfKinder, die in seinem Hause groß geworden sind und von denen zwei das Erbe von Großvater und Vater angetreten haben, eine angesehene Position in seiner Vater­ stadt. Denn mit seiner ruhigen, abwägenden Bedachtsamkeit war er im Rat der Stadt so gut wie im Rat der Kirchengemeinde eine respektierte Persönlichkeit. Die Liebe zur sacralen Musik hält ihn seit Jahrzehnten im Kirchenchor, dessen Ehrenvorsitzender er auch ist, fest. Und schließlich gibt es irgendwo auch noch den Schalk in Karl Rieber, der das Brauchtum der heimischen Narrenzunft mit seinen Ideen bereicherte. Robert Scherer Gasthaus „ Warteck ‚: ehemalige Bahnhofsgast­ ställe in Vöhrenbach 262 Alemannischer Aschermittwoch Geschlagen die Konfetti-Schlacht, do liet des Häs vum Wuescht. D’Fasnet isch rum un dir wird klar, daß wieder schaffe muesch. G’sait hät de Narro, wieso er strählt, g’rad dir, un so verruckt. Bisch Glonki oder Stachi gsi, no isch de Krage sehen verdruckt. Im Ohr häsch no des Fasnet-Lied, vum Schunkle, dert im „Ott“. Wer war die Maid, die mich hät druckt? Vergesse isch se – Saperlott! Wenn ich gli wißt, wo’s Auto stoht, no wär mer glih no wohler. Doch wie’s so isch am Dag denoch, de Kopf isch noch ein hohler. Schorle, Bier un Kuttel-Supp‘, min Mage schwätzt, oh Graus! Mir zwei hän g’schafft die drei, vier Tag was rie kunnt, mueß au wieder naus. Z’Nacht um Zwelfe han ich’s no g’het, so e Halstuch, so e blau’s. Doch glih druf na, warsch wie k.o., do zellsch dich selber aus. Ä schene Fasnet sei des gsi, so saget d’Liet des Johr. Doch b’sinnsch dich, no kunnsch selber druff, au älter bisch, au seil isch wohr! Wolfgang Bräun

Brauchtum, Mundart Die Schwarzwaldtrachten im Gebiet um Triberg Die Redaktion des Almanach hat die Trachtenberaterin Frau Ursula Siebler-Ferry gebeten, in Fort­ setzung ihres Beitrages „Baaremer Tracht heute“ (Almanach 90, Seiten 234-239) auch die Schwarz­ waldtrachten unseres Kreisgebiets vorzustellen. Unsere Volkstrachten zeichnen sich in ihrer Erscheinungsweise durch eine ausge­ sprochene Vielfalt aus, die den Laien, der bei Schwarzwälder Trachten nur an den Bollen­ hut denkt, in Staunen versetzen kann. Dabei decken sich die heutigen politi­ schen Grenzen natürlich keinesfalls mit den alten Grenzen der Trachtengebiete, die zum einen bestimmt waren durch die unter- schiedlichen Grundherren, eng damit ver­ bunden durch die Religionszugehörigkeit: Die Untertanen hatten den Glauben ihrer Obrigkeit anzunehmen: ,,Wes Brot ich eß, des Lied ich sing“. Zum anderen aber spielten auch land­ schaftliche Gegebenheiten eine Rolle: In vom Verkehr unberührten Tälern konnten sich Eigenheiten ungestört entwickeln und Vie!fiiltige Trachtenformen aus Furtwangen 263

An ein altes Schwarzwälder Gewerbe erinnert der Uhrenträger aus Furtwangen länger erhalten als auf dem flachen Land. Erst die größere Beweglichkeit durch Stra­ ßen-und Eisenbahnbau brachte Einflüsse aus benachbarten Regionen und teilweise Verwischung der alten Grenzen der Trach­ tengebiete mit sich. So sind die früheren ört­ lichen Eigenheiten bedauerlicherweise zum Teil verloren gegangen. Trotzdem finden wir im Schwarzwald­ Baar-Kreis auch heute noch eine Vielzahl von verschiedenen Trachtenformen. Da ist einmal die Katholische Baar-Tracht, die im Almanach 1990 (Seiten 234-239) aus­ führlich beschrieben wurde. Dann die Evan­ gelische Baar-Tracht in den Gebieten um Schwenningen -Trossingen. Besonders ma­ lerisch die St. Georgener Tracht, getragen auch in den evangelischen Dörfern im Umland, vor allem bekannt durch die besonders gro- 264 Alte Schäppelform aus Furtwangen ßen Schäppel (Schapel) der Mädchen. Nicht zu vergessen die Städtische Tracht der Villin­ ger Bürgerinnen mit der goldenen Radhaube. Die nachfolgenden Ausführungen sollen der Tracht der alten Kameralherrschaft Triberg gewidmet sein, die neben der Stadt Triberg die Vogteien Niederwasser, Grem­ melsbach, Nußbach, Rohrbach, Furtwan­ gen, Neukirch, Gütenbach, Schönwald, Rohrhardsberg und Schonach umfaßte. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts mag man dort mit der Kleidung einen ziemlichen (besser „unziemlichen“) Aufwand getrieben haben. Denn im Jahr 1748 erließ Ober­ vogt von Pflummern eine „Obrigkeitliche Kleiderordnung“, durch die dem zuneh­ menden Luxus Einhalt geboten und Rück­ kehr zur alten Einfachheit empfohlen wer­ den sollte.

Mädchen aus Furtwangen mit neuem Schäppel Haube mit besticktem „Kappenblätz“ aus Schön­ wald Hier einige Auszüge daraus:1) – Die Weiberröcke oder Juppen durften nicht mehr mit Bäuschen unterlegt wer­ den. Alle vorhandenen Bausehröcke mußten abgeändert und die Bäusche dar­ aus entfernt werden. Der Ehrbarkeit wegen mußten die Juppen so lang ge­ macht werden, daß sie die Unterröcke überdeckten oder zum mindesten über die Waden hinabreichten. Bei erwachse­ nen Weibsleuten durfte das Rockende höchstens eine halbe Elle Abstand vom Boden haben. – Wollene Weiberkittel durften nicht mehr aus feinen und teuren Stoffen hergestellt werden, sondern nur noch aus dauerhaf­ tem und gewöhnlichem Wolltuch sein, dessen die Elle 20 bis 25 Groschen kostete. Gänzlich verpönt war das Aus- schmücken der Weiberbrusttücher mit echten oder falschen Borten. Überflüssige Bänder, Spitzen und ähn­ liche Zieraten waren an den Fürtüchern (Schürzen), Strohhüten, Brusttüchern, Halsmäntelchen und dergleichen zu ver­ meiden. Halsmäntelein oder Goller durf­ ten die ehrbare Größe nicht übersteigen und mußten auf den „alten lieblicheren und wohlfeileren Modus“ zurückgeführt werden. Mannsbildern, insbesondere aber den ledigen Söhnen und Knechten war es bei hoher Strafe verboten, sich allzu enge Buxen oder Hosen machen zu lassen, wie man sie etliche Jahre zuvor „ärgerlicher Weis“ eingeführt hatte. Usw usw.! Zum Schluß wurden „alle Vögte und Vorge­ setzte andurch ermahnet, daß sie nach 265

Schönwälder Frauentrachten – nach altem Vorbild neu erstanden obhabenden ihren Pflichten auf gegen­ wärtige Kleiderordnung genau Obacht tragen, hierauf fleißig halten und die Übertreter nicht allein vor sich rufen und ihren Unfug ihnen vorhalten, sondern auch zur weiteren Abstrafung solche der Obrigkeit ohnverweilet anzeigen sollen “ Ohne diese Reglementierungen, die wohl zumindest für geraume Zeit eingehalten wurden, hätten sich die Volkstrachten in diesem Gebiet zweifellos anders entwickelt. Aber heute – nach mehr als 240 Jahren – ist doch festzustellen, daß die Freude an den verschiedenen Schmuckelementen wie Bor­ ten, Seidenbändern, Stickerei sich nicht auf die Dauer unterdrücken ließ. Seit langem totgesagt, sind die Trachten heute noch – oder besser gesagt: wieder – da, sorgfältig nach alten Vorbildern nachgeschneidert. Auf eine Beschreibung der Männertracht möchte ich verzichten; sie unterscheidet sich nicht wesentlich von der in anderen Trachtengebieten. Was bei Frauen- und Mädchentrachten zu allererst ins Auge fällt, sind die typischen Kopfbedeckungen. Hierzu möchte ich Charles Lallemand zitieren, der sie 1860 wie folgt beschreibt: 2l „Der gelbe Hut … , dessen Material zu bestimmen oder zu erraten im ersten Augen­ blick schwierig ist, weil er unter einer dicken, chromhaltigen gelben Farbe verschwindet, ist ein Strohhut. Die Zylinderform ist überall gleich, Abwandlungen finden sich nur an den Krempen, die einmal gerade, ein ander­ mal gewellt sind. Diese Hüte haben die ganz spezielle Eigenschaft, jedem auswärtigen 266

Reisenden . .. einen Schrei der Verblüffung zu entreißen, wenn er sich zum erstenmal einer solchen Bedeckung des Kopfes gegen­ übersieht. Die Haube, die wir nach Triberg benennen, und der man -neben dem gelben Hut – in der gesamten Gegend ansichtig wird, ist eine elegante Kopfbedeckung mit flachem, goldbesticktem Boden und um­ geben von Bändern, die hinter dem Rücken flattern und sich mit Haarflechten mischen.“ Bleibt nachzutragen, daß die Haube ursprünglich die Kopfbedeckung der Ledi­ gen ist, während von den verheirateten Frauen über der Haube der Strohzylinder getragen wird. Nicht erwähnt hat Lallemand den Hochzeitsschäppel, in unterschiedli­ chen Formen aus vielerlei Glitzer- und Per­ lenmaterial kunstvoll angefertigt. Vielfältig ist auch das Material des Mie­ ders: Weit verbreitet war früher der sog. gepreßte Samt in verschiedenen Farben, aber auch Blumenmuster in Gold- und Silber­ stickerei, Brokatteile, Ausschmückung mit Bändern und Borten zieren Mieder, Brust­ latz und Halsmäntele. Mit Seiden- oder Moire-Bändern, die unter den Armen durch­ gelegt werden, wird das Halsmäntele fest­ gehalten. Vom weißen Leinen- oder Halbleinen­ hemd sind nur die großen, unter dem Arm mit weißen Bändern gebundenen Puffärmel zu sehen. Dazu gehört ein weiter, langer Rock (,,Hippe“ genannt, früher Juppe“), teilweise mit andersfarbigem Vorstoß, in viele Fält­ chen gelegt, zuweilen auch plissiert. Der darunter getragene Unterrock war früher aus dickem, rotem Filz (oft waren es auch mehrere übereinander), heute kann auch ein weißer Baumwollstoff verarbeitet werden. Einen großen Teil des Rockes bedeckt die Schürze, meist aus einfarbiger oder changie­ render Seide; ein besonderes Schmuckstück sind mit Perlen oder Goldfaden bestickte Gürtel. An kühlen Tagen wärmt ein kurzes Jäck­ chen ( ,,Schobe“ genannt), aus meist schwar- zem Tuch, manchmal mit farbigem Futter. Schwarze Halbschuhe und weiße Strümp­ fe (heute Strumpfhosen) vervollständigen die festliche Frauen- und Mädchentracht. Dazu paßt eine aus Stroh geflochtene Tasche oder ein Körbchen. Aus dieser Beschreibung mag entnom­ men werden, daß die Tracht weder früher noch heute eine Einheitskleidung war und ist; sie hat vielmehr -in der durch die Über­ lieferung vorgegebenen Form – vielerlei Variationsmöglichkeiten. Sicher gab es frü­ her nicht zwei genau gleiche Trachten. An der mehr oder weniger aufwendigen Aus­ schmückung konnte man den Reichtum der Trägerin ablesen, auch die Länge und Breite der Kappen- und Hutbändel soll darüber Aufschluß gegeben haben. Diese Vielfalt sollte nach Möglichkeit auch bei heute neu angefertigten Trachten im Auge behalten werden. Sicher wird dies erschwert dadurch, daß manche Zutaten von früher nicht mehr zu bekommen sind; bei gründlicher Suche -oft auch in Nachbarlän­ dern – läßt sich aber im allgemeinen doch das Richtige und Geeignete finden. Ein Bei­ spiel: Für die vor kurzem in Schönwald nach einem alten Original angefertigte Frauen­ tracht mußte eine Firma gefunden werden, die den mit einem ganz besonderen Muster versehenen Samt eigens herstellen konnte. Sie wurde gefunden. Ursula Siebler-Ferry A n m e r k u n g e n : 1> Siehe Wilhelm Fladt, die obrigkeitliche Kleiderordnung der Herrschaft Triberg vom 1. April 1748, eine Studie zurTrach­ tengeschichte des Schwarzwalds, in ,,Mein Heimatland“, Heft 11/1935. 2) Charles Lallemand, Les Paysans Badois, Strasbourg 1860; neu herausgegeben, aus dem Französischen übersetzt und kommentiert von Wolfgang Kuhl­ mann, Moritz Schauenburg Verlag, Lahr, 1987. 267

Was heißt hier „närrsch“? Das ist auch eines von jenen Wörtern, die man bald nur noch im Lexikon für Dialekte wird finden können. Dabei müßte, wären die Naturanlagen der Menschen genau nach der Temperamentenlehre verteilt, jeder vierte ein „Närrscher“, ein Choleriker sein, schon äußerlich an der Zornesader auf der Stirn erkennbar. Dies ist wohl eine Übertreibung, denn wie sich das Temperament auswirkt oder sich auswirken darf, das kommt auf die Umstände, die sozialen Verhältnisse, auch auf das Lebensalter an. Dennoch: Großen Seltenheitswert hat er nicht, der junge Mann, der Mann auch noch in mittleren Jahren, selbst der ältere Herr, der „närrsch‘ Kerli“, dem keine Arbeit schnell genug vorankommt, keine Pflanze schnell genug wächst, der mit Stolz auf den Blitz und die Worte „Tempo! Tempo!“ und „DaJli! Dalli!“ in seinem Wappen hinweist, dessen höchste Verpflichtung es ist, die Tradition seines Geschlechtes aufrechtzuerhalten und fortzuführen. Nach seiner Meinung verläuft alles viel zu langsam: das Familienleben, die Produktion im Betrieb, die Politik und erst recht die Weltgeschichte. Er hat etwas von der Art eines Eiferers, eines Zeloten. Er ist der Mann der Rekorde. Wenn er arbeitet, scheint er beweisen zu wollen, daß Rom sehr wohl an einem Tag hätte erbaut werden kön­ nen, hätten sich nur alle so angestellt wie er. Mit ihm zusammenzuarbeiten bringt dich zunächst außer Atem, dann zur Verzweif­ lung; mit ihm zu Tisch zu sitzen, wird nicht zum Genuß, denn „wie man schafft, so ißt man“. Langsamkeit ist ihm ein Greuel, Behaglichkeit ein Fremdwort. Diese „Närr­ schi“, eine Form der Nervosität, ist ein Dauerzustand, sie ist angeboren; wer so ist, kann nichts dafür. Ist er bei jedweder manuellen Beschäfti­ gung immer der flinkste, so nicht minder im Denken und Diskutieren. Seine Meinung hat er sich im Hau ruck-Verfahren vor allen anderen gebildet, sie ist natürlich die richtige 268 und einzig vernünftige, Gegenargumente sind nicht erlaubt, wären auch zwecklos, wagt man sie trotzdem, werden sie hitzig und mit Stimmgewalt, notfalls auch mit Faustschlägen auf den Tisch – sonst mit nichts -widerlegt. Die fixen Ideen, sie sind seine liebsten. Etwas anderes ist das „Närrschwerden“ vom leichten Indigniertsein bis zum Tob­ suchtsanfall. Der Dialekt ist in der Lage, allen Variationen, vom linden Gesäusel bis zum Orkan gerecht zu werden. ,,Halber närrsch“ (will sagen: leicht verstimmt) machte mich doch tatsächlich vor kurzem jemand, der – in gutem Glauben an die Kräfte des Über­ sinnlichen -mich hartnäckig auf die weni­ gen, mir stets widerwärtig erschienenen, meist negativen Charaktereigenschaften der im T ierkreiszeichen des Skorpions Gebore­ nen festlegen wollte, wonach ich gar nicht anders sein könne als gewalttätig, vom Widerspruchsgeist beherrscht, ja hinterhäl­ tig und zur Konzilianz nahezu unfähig. Handfester Zorn, Entrüstung, Empörung, gar eine Wut wird mit „elend närrsch“, ,,mordsnärrsch“, ,,viehmäßig“ oder „saumä­ ßignärrsch“ umschrieben, je nach Hitzegrad. Die beiden früher in ihrer Heimat nicht als anstößig, sondern durch ihre häufige Ver­ wendung nachgerade als salonfähig einge­ stuften Adjektive „viehmäßig“ und „saumä­ ßig“ halfen den Jähzorn, die blinde, besin­ nungslose Wut, zweifelsfrei zu definieren. Für Betrachtungen, wo da noch ein Plätz­ chen für den „heiligen Zorn“ sein könnte, bleibt in solchen Situationen wenig Raum. Hält ein stärkerer Zorn auch noch länger an, Tage, Wochen, so ist der davon· Betrof­ fene „durenärrsch“. Beim Erben zu kurz gekommen zu sein, könnte den Grund dafür abgegeben haben. Vom „närrsche Mache“, wenn Alkohol geflossen ist, braucht hier nicht die Rede zu sein. Das kennt man. Mancher brüstet sich auch gern, wie sehr er närrsch werden könne, eigentlich verrät er

nur, wie wenig er sich in der Gewalt hat: „Herrgott, wur i au do närrsch“, oder „bin i au do närrsch wore“ (weil kein Bier mehr im Keller war). Hinter seinem Rücken heißt es dann: ,,Der hat auch immer ‚e närrschi Macherei.“ Läßt einer seine Wut an völlig Unbeteilig­ ten aus und ist ihm das Rechte nicht mehr recht, so sagte man von ihm: ,,Der ist auf die ganze Welt närrsch.“ Reagiert einer ohne erkennbare Ursache unwirrsch auf die Frage eines anderen, kann dieser nur vermuten: „Der ist, denk i, närrsch uf mich.“ Närrsch machen kann man auch ein Roß, eine Kuh, einen Hund, durch unsachgemäßes Behan­ deln auch Bienen. Dann aber aufgepaßt! „Närrsch dehinderni“ (halber närrsch bis stockhagelnärrsch) kann man sein, wenn irgendeine Entwicklung nicht im gewünsch­ ten Sinne verläuft, etwas anderes als berech­ net das Ergebnis ist, man zum Beispiel den ausgesuchten Bauplatz nicht erhält, die Steuerrückzahlung nach der eigenen subjek­ tiven Meinung viel zu niedrig ausfällt, die Tochter nicht standesgemäß heiratet und so weiter und so fort. Der des Dialekts Mächtige ist in der Lage, sich so auszudrücken, daß Mißverständnisse ausgeschlossen sind. Drollig wird es oben­ drein, wenn sich der Kindermund seiner bedient: ,,Mi großi Schwester het g’meckeret und goschet und närrsch g’macht“ (weil sie abends nicht ausgehen durfte). ,,Närrsch“ hat aber auch die ganz harm­ lose Bedeutung von „sehr“, ,,arg“, ,,übertrie­ ben“, ,,außergewöhnlich“. Ein Berg von 1000 m Höhe ist nicht so „närrsch“ hoch, ein Garten von 50 �adratrnetern Fläche ist nicht so „närrsch“ groß. Gibt es „nicht so närrsch viel“ Obst, so muß man mit dem Most haushalten. War irgendeinmal vor Generationen in der Verwandschaft oder zwischen zwei Nachbarn ernster Streit ent­ standen, so daß das Verhältnis nie mehr ganz unbefangen wurde, so kann man sagen hören: ,,Sie mögen sich heute noch nicht so närrsch.“ Auch im Ausdruck höchster Verwunde­ rung und striktester Ablehnung findet sich dieses Wort. Die Ehefrau zum Gatten, der bei viel zu geringen Ersparnissen ohne Vor­ warnung einen Ferienaufenthalt in der Kari­ bik anordnet: ,,Bisch jo närrsch!“ Eine Belei­ digung ist das nicht, obwohl sie eigentlich sagen wollte: ,,Du bist verrückt!“ Im Sinne von „toll“, ,,ausgelassen“ wird es verwendet, wenn Kinder einmal außer Rand und Band geraten, sich aufführen „wie die Närrschen“, die Irren, die Wahnsinnigen, was am peinlichsten ist, wo man es am wenigsten dulden kann: im Bus, bei Ver­ wandten, an Familienfesten, in der Kirche. Am Ende sind die Erwachsenen närrsch. In manchen Gegenden ist man „fasnet­ närrsch „, erwartet die Fastnacht mit Unge­ duld, nimmt an allen erreichbaren Sitzun­ gen teil, geht auf alle Bälle, kann nicht genug bekommen. Junge Mädchen, die ihre Gedanken in der Hauptsache auf gleichaltrige Burschen rich­ ten, bezeichnet man als „männernärrsch“ oder „mannsnärrsch“; auf Casanovas paßt der Ausdruck „wiebernärrsch“. Nicht genug damit. ,,Närrsch uf ebbis“ sein heißt, einem unwiderstehlichen Verlan­ gen nachgeben, auf etwas versessen sein, auf das Sammeln alter Pistolen, auf die Sport­ schau, aufs Holzhacken, Bergwandern, Jagen, selbst auf Spezialitäten der Küche, etwa gekochte Ripple oder Hühnerfrikassee: also etwas leidenschaftlich besitzen, sehen, unternehmen, erleben oder genießen wol­ len. Erreicht die Bedeutungsweite unseres Wortes noch alles Überspannte, Extrava­ gante in Mode, Musik, Aktionfilmen, Thril­ lern oder was weiß ich, so heißt es auch ganz einfach „unmöglich“, ,,gegen die Tradition“. Erfuhr man, daß ein Mann einem andern einen Liebesbrief schrieb, so hieß der Kurz­ kommentar: ,,Ganz närrsch“. Fertig. Und was ist „die letzt‘ Närrschi“, man­ cherorts auch „die zweite Närrschi“ ge­ nannt? Mehr als der Johannistrieb, nach aller Erfahrung ist sie noch einmal ein Aufbäu­ men von Gemüt und Natur in vorgerücktem Alter, die Beschwörung einer zweiten Ju- 269

gend, ein Verzweiflungsverhalten, ohne daß es als solches empfunden wird, im Gegenteil, in einer Art Torschlußpanik das Leben noch einmal genießen, noch einmal Vergnügun­ gen nachgehen wollen, die viel jüngeren Jahrgänge entsprächen, sich in den Vorder­ grund spielen, ein letztesmal seine Grenzen weiterziehen wollen. Der von der „letzten Närrschi“ Angesteckte arbeitet vorüberge­ hend „wie närrsch“, wie er es einst in jungen Jahren konnte. Man lacht darüber, und der Betroffene, in seiner Absicht durchschaut, lacht mit. Doch ist es nicht nur eine Angele­ genheit von Männern. Daß Menschen – namenlose wie hoch­ berühmte -,,närrsch“, ja „stockhagelnärrsch“ werden konnten und ihre Beherrschung ver­ loren, weiß man aus Literatur und Lied. Mose, mit Respekt gesagt, zertrümmerte, die Gesetzestafeln, wie er das Kalb sah, das statt Jahwes sein Volk aus Ägypten geführt haben sollte. Das erste Wort der gewaltigen Ilias von Homer schlägt den Akkord des Werkes an: den Zorn des Achilleus beim Kampf um Troja. Götz von Berlichingen war ganz gewiß ,,närrsch“, bevor er das Fenster zuschmiß. Nicht viel weniger war es Schneidermeister Böck, als die bösen Buben, der Max und der Moritz, sein Blut mit ihrem „Meck, Meck, Meck“ in Wallung brachten. Dasselbe gilt auch vom bekanntesten aller Fahrgäste auf den „Schwäb’schen Eisenbahnen“, der am Ende seiner Reise dem Kondukteur den Kopf des Ziegenbocks „an Ranze na“ warf Auf schwäbisch: Der ist narred gweä. Kein Geheimnis ist, daß auch Staatsmän­ ner „närrsch“ werden können. Bei der „Kai­ sergeburt“ 1871 hatte Bismarck „mehrmals das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen, daß der ganze Bau in Trüm­ mer gegangen wäre“ (Otto von Bismarck, DOKUMENTE SEINES LEBENS 1815 bis 1898, Leipzig 1986, S. 265). Das ließ er aber in einem Brief nur seine Frau Johanna wis­ sen. Nina dagegen konnte mit Millionen Zuschauern ihren Nikita im Fernsehen beobachten, als er, närrsch, wie er war, mit seinem Schuh auf dem Tisch im UNO-Sit­ zungssaal herumhämmerte. Sie wird sich ihr Teil gedacht haben. Es ist im Ernst keine Frage: Der Zorn eines Mächtigen kann Menschen im weitem Umkreis Angst und Schrecken einjagen. Sel­ ten aber ist Zorn ein Zeichen von Stärke, noch weniger Hast und Aufgeregtheit. Es muß an der Ohnmacht dessen liegen, der ,,närrsch macht“, sich auch leicht dazu pro­ vozieren läßt, daß sein aufgeregtes Getue meist unwiderstehlich zum Lachen reizt, es den „Närrschen“ -je weniger er Anlaß für seine „närrschi Macherei“ hat-in die Nähe der Witzfigur rücken kann, und da er schon den Hohn hat, nicht auch noch für den Spott zu sorgen braucht. Karl Volk Fasnacht 1991 fand nicht statt Eine kritische Nachbetrachtung In den Wochen der Golfkrise wurde bei uns, je näher die Fasnacht 1991 heranrückte desto lauter, darüber diskutiert, ob sie statt­ finden dürfe. Als am 17. Januar 1991 schließ­ lich ein mehrwöchiger Krieg am Golf aus­ brach, war das Schicksal der Fasnacht besie­ gelt: sie durfte nicht stattfinden. Die Frage muß gestellt werden: Konnten die Verantwortlichen in den Zünften wirk- lieh frei entscheiden oder sind sie Opfer einer Medienkampagne geworden, die sich. bemerkenswerterweise dann ins Gegenteil verkehrte, als auch die letzte Fasnachtsver­ anstaltung abgesagt war? Sie konnten nicht, die „betroffene Öffentlichkeit“ stand dage­ gen. Wir alle, besonders aber wir Narren, müs­ sen darüber nachdenken, wie es dazu kom- 270

Bilder der diesjährigen Fasnacht 271

men konnte, daß ein tiefverwurzelter Brauch Opfer einer Medienkampagne wurde. Wir müssen uns fragen, warum haben wir uns von einigen Meinungsmachern das Heft aus der Hand nehmen lassen? Wie konnte es geschehen, daß wir nicht in der Lage waren, darzustellen, daß Fasnacht ein erhaltenswer­ tes Kulturgut ist, fest eingebunden in den kirchlichen Jahresablauf, wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten, ja daß das Wesen der Fasnacht nicht aus einem plumpen Tingel­ tangel, sondern im Ausgleich zu den dunk­ len Seiten des Lebens besteht? Hat die Fas­ nacht nicht auch die Funktion, die Unvoll­ kommenheit des menschlichen und politi­ schen Handelns aufzuzeigen? Hätte nicht gerade die sprichwörtliche Narrenfreiheit als Satire und närrische Kritikmöglichkeit an den herrschenden Zuständen 1991 ihre volle Daseinsberechtigung gehabt? Man wird uns fragen, welche Maßstäbe wir künftig anlegen. Sind Hunderte von Kin­ dern, die täglich in der Dritten Welt verhun­ gern, zu wenig, um die Fasnacht abzusagen? Wo waren wir, als in Korea, Vietnam, im Afganistan- oder im Iranisch-Irakischen Krieg Hunderttausende ihr Leben lassen mußten? Wie konnte es 1991 zu dieser neuen Sensibilität oder besser gesagt zu diesem ,,Betroffenheitskult“ kommen? Als in den Notjahren nach dem 1. Welt­ krieg die badische und württembergische Regierung immer wieder Fasnachtsverbote aussprachen, zogen sie den Volkszorn auf sich und es wurde erkennbar, daß besonders in Notzeiten das Bedürfnis nach Fasnacht besonders groß war. Dies führte 1924 zur Gründung der Vereinigung schwäbisch-ale­ mannischer Narrenzünfte mit dem Ziel, das historisch gewachsene, bodenständige Fas­ nachtsbrauchtum zu pflegen. Viel Mut und Rückgrat bewiesen unsere Großväter und Großmütter, unsere Väter und Mütter, als sie Anfang der 20er Jahre trotz der bedrückenden (kriegsbedingten) Notlage und des bestehenden Verbotes ihre Fasnacht feierten. Mehr noch, die Betroffen­ heit der durch die Notlage gekennzeichne- 272 ten Bevölkerung war eine der wesentlichen Triebfedern für das fasnächtliche Handeln. Daß es auch damals eine öffentliche Diskus­ sion gab, zeigt eine beachtenswerte Veröf­ fentlichung in den Furtwanger Nachrichten, in denen wir am 24. Februar 1922 folgendes lesen: ,, Wenn auch die Faschingslust in dieser schwe­ ren Zeit so manchem ernst veranlagtem Men­ schen begreiflicherweise gegen den Strich geht, so dürfen im Gegensatz hierzu, den zur Lebenslust und Heiterkeit hinneigenden die paar Tage nicht mißgönnt werden. So uraltes Herkommen und so tief im Volk eingewurzelte Gebräuche haben Anspruch darauf,fortgesetzt und auf die Nach­ kommen vererbt zu werden. Damit mögen sich jene alfinden, die über das närrische Treiben den Kopf schütteln. “ In der Fasnacht 1991 hätten wir uns solche erklärenden und ermunternden Darstellun­ gen durch die Presse gewünscht. Doch die bundesdeutsche Presse hatte sich die Narren als Golfskriegs-Büßer ausgesucht. Eine diffe­ renzierte, objektive, vor allem aber tolerante Berichterstattung war kaum mehr möglich. Karnevalisten und Fasnachter sind sich einig, daß die Fasnacht 1991 ein Opfer der Medien wurde. Aus Mainz, das am direkte­ sten mit den Medien verbunden ist, kam am 8. Januar 1991 die Mitteilung, daß im Kriegs­ fall keine Narrenzüge und Festsitzungen stattfinden werden. In den folgenden Tagen und Wochen wurden zunächst die Narren­ vereinigungen, dann die Zünfte und später auch die einzelnen Vereine,ja zum Teil sogar Schule und Kindergärten, so lange bedrängt, bis sie ihrerseits alle Fasnachtsveranstaltun­ gen absagten. In unserem schwäbisch-alemannischen Raum waren 4 Phasen zu beobachten: Der Stimmungsmache durch die Presse bis etwa 20. Januar 1991 folgte eine Phase der lähmen­ den „Betroffenheit“, die Ende des Monats abgelöst wurde von einer mehr kritischen Betrachtung der sogenannten Betroffenheit und die schließlich Anfang Februar 1991 und insbesondere während der Fasnachtstage in eine profasnächtliche Stimmung (wie z.B. in

Furtwangen) umschlug, allerdings nur dort, wo es gelang, die Fasnacht aus der Zone der Angst herauszuholen. Festzuhalten bleibt, daß durch die totale Konzentration der Medien auf das Kriegsge­ schehen am Golf, die Art der Berichterstat­ tung und die Auseinandersetzung „Krieg und Fasnacht“ eine ängstlich-hysterische Stimmung in der Bevölkerung entstanden ist. Diese verstärkte sich mit dem Ausbruch der Golfkrise am 17. Januar 1991, indem Rundfunk und Fernsehen in 24stündigen Sendungen das Geschehen live übertrugen. Die sich immer mehr zu einem „Betrof­ fenheitskult“ verändernde Stimmungslage wurde der eigentlichen Situation kaum mehr gerecht, die „Betroffenheit“ immer diffuser. Dies führte Ende Januar 1991 auch dazu, daß ein differenziertes Nachdenken über die Funktion, das Wesen und den Ursprung der Fasnacht einsetzte. Auch mehrten sich die Stimmen, die fragten, ob wir das Recht haben, den Kindern, Alten und Kranken die Fasnacht zu nehmen? Neben der Brauch­ tumspflege besannen wir uns besonders auf die soziale Dimension der Fasnacht, die nicht nur Heiterkeit und Festivität bedeutet, sondern auch Besuche in Kindergärten, Schulen und Altenheimen. Wenige Tage vor der eigentlichen Fas­ nacht war der Stimmungsumschwung deut­ lich zu spüren. Für viele Narren war es aber offensichtlich zu spät. In Furtwangen planten wir für den ,,Schmutzigen Dunschdig“ einen Friedens­ gottesdienst, einen Besuch im Altenheim und statt des normalen großen Kinderum­ zuges einen Heische-Umzug. Und dann war er endlich da, der „Schmut­ zige Dunschdig 1991″, der nicht sein sollte. Begonnen hat er mit einem besinnlichen Gottesdienst, der uns an Elend und Leid in der Welt und an die Menschen am Golf erinnern sollte. Nicht vergessen sind die Dankbarkeit und die Freude der alten Men­ schen, die uns im Häs im Altenheim begeg­ neten. Interessant war auch unser Besuch in der Grundschule. Wir Narren hatten zum ersten mal seit vielen Jahren wieder das Gefühl, den Kindern und alten Menschen eine echte Freude bereitet zu haben. Bei der Nachmittagsveranstaltung mögen es an die 400 Kinder und Erwachsene gewesen sein, die freudig und fröhlich durch die Straßen zogen und dankbar waren, daß für sie die Fas­ nacht 1991 nicht ganz ausgefallen war. Der für Fasnachtmontag angesetzte Kinderball im katholischen Pfarrzentrum konnte kaum alle Kinder aufnehmen. Zwischenzeitlich war der Bann des Schweigens und Zurückhaltens gebrochen. Immer mehr Veranstaltungen wurden spon­ tan angesetzt und das nicht nur in Furtwan­ gen. Auch in Rottweil, Villingen, Donau­ eschingen, Hüfingen und weiteren Narren­ orten ließ sich die Fasnacht nicht mehr unterdrücken. Wir Fasnachter müssen uns kritisch fra­ gen lassen, warum wir es nicht verstanden haben, ein Brauchtum wie die Fasnacht als ein soziales, sprich gemeinschaftliches Han­ deln darzustellen, das eingebunden in den kirchlichen Jahresablauf wichtige psycho­ hygienische Funktion erfüllt, und daß unser Brauchtum ein lebendiger Spiegel von alten Sitten, Gebräuchen und Traditionen sein muß, und schließlich daß sie ihre Daseins­ berechtigung gerade in schwierigen Zeiten hat. Vielen mag es sicherlich so ergangen sein, wie jenem Narr, der schrieb: ,,Mir fehlt ein Teil des Jahresablaufs und ich fühle mich bestohlen“. Oder wie es Pfarrer Joseph Beha, Furtwan­ gen, in seiner Predigt ausdrückte: ,,Ein ganzes Jahr Fasnacht wäre unerträglich. Ein ganzes fahr ohne Fasnacht ist es aber auch!“ Roland Wehrle 273

Sagen der Heimat Der Almanach möchte aus Anlaß des 90. Geburtstages unseres verstorbenen Heimatschriftstellers Max Rieple (13. 2. 1992} die Erinnerung an ihn durch den Abdruck seiner Beiträge“ Vom Hüfinger Baptistle“ und der „Hölzlekönig“ bei Schwenningen am Neckar, erschienen im Buch „Die vergessene Rose‘: 2. Auflage 1961, wachhalten. Die Redaktion dankt an dieser Stelle dem Verlag Stähle & Friede!, Stuttgart, für die freundliche Abdruckgenehmigung. Vom Hüfinger „Baptistle“ War da einst für das Fürstlich Fürstenber­ gische Herrschaftsgebiet Landestrauer ange­ ordnet und somit auch jedes Fasnettreiben strengstens untersagt worden. Das war für den Baptistle, der zu Hüfingen ein Torstüb­ lein bewohnte, eine bittere Pille, die gar nicht hinunter wollte. Sollte er sich wirklich ein ganzes Jahr vergeblich auf die Fasnet gefreut und sein Narrenhäs aus erbettelten bunten Lappen und Läppchen umsonst zusammen­ geflickt haben? Wenn jedoch das Narrenlau­ fen von Amts wegen verboten war, mußte man sich wohl oder übel fügen. Vielleicht aber konnte es nichts schaden, dem Herrn Amtsrat persönlich eine Aufwartung zu machen und die Bitte vorzutragen, sich wenigstens zu Hause maskieren und so den Kopf zum Fenster hinausstrecken zu dürfen. Obwohl der Herr Amtsrat zuerst ablehnend war, durfte der Baptistle schließlich doch die erbetene Sondergenehmigung, die ja „unbe­ schadet des Ansehens obrigkeitlicher Verfü­ gung“ erteilt werden konnte, mit untertänig­ sten Bücklingen entgegennehmen. Als am nächsten Morgen – es war ,,schmutziger Donnerstag“ -der Herr Amts­ rat, seine Pfeife schmauchend, zum Fenster hinausblickte, wunderte er sich sehr, als da unten auf der Straße sich Kinder zusammen­ rotteten und ein Lärm entstand, der verdäch­ tig nach Fastnachtstreiben klang. Und schon stürzt der Büttel zur Türe herein und berich­ tet atemlos: ,,Der Baptistle erfrecht sich, mit Verlaub zu sagen, narrenzulaufen!“ Erbost läßt der Herr Amtsrat den Verbre- 274 eher vorführen, und siehe da, dieser hat wirk­ lich sein schönstes Narrenhäs angetan und hat sich überdies das ausgehängte Stuben­ fenster al Halskrause über den Kopf gestülpt. „Wer hat ihm das erlaubt?“ herrscht der Amtsrat den Baptistle an. ,,Ihr selber, hoher Herr“, entgegnet der Delinquent, ,,habt mir allergnädigst ja die Erlaubnis gegeben, mich zu maskieren und den Kopf so zum Fenster hinauszustrecken. Hab‘ ich etwas anderes getan, wo ich doch nur zu diesem, meinem eigenen Stubenfenster hinausschaue?“ Vor diesen überzeugenden Argumenten mußte sich selbst der gestrenge Herr Amtsrat geschlagen geben, und warnend meinte er nur: ,,Für diesmal soll er ungestraft davon­ kommen, aber hinfüro lasse er sich nicht mehr so auf der Gasse blicken! Hat er ver­ standen?“ Und der Baptistle hatte nur zu gut verstan­ den. Denn am zweiten Fastnachtstag war er heimlich zum Sehellenberg hinaufgeschli­ chen, hatte auf einer Wiese rasch sein Nar­ rengewand übergestreift und vollführte so vor der begeisterten Jugend seine Narren­ streiche. Was wollte der Herr Amtsrat schon dage­ gen tun? Eine Wiese ist nun eben einmal keine Gasse, und aus einem Narren einen Weisen zu machen, ist selbst der gestreng­ sten Obrigkeit nicht möglich. So ließ man denn schließlich den Baptistle ungestraft gewähren, und auch heute lebt er noch fort in der Hüfinger Fastnacht.

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Der „Hölzlekönig“ bei Schwenningen am Neckar 276

— —···s….,_ — —— 277

Im Walde, der zwischen Villingen und Schwenningen sich hinzieht, steht ein ural­ ter, mächtiger Baumriese, gegen den die anderen hochgewachsenen Bäume wie Zwerge wirken. Es ist Deutschlands höchste Tanne, der 42 Meter hohe „Hölzlekönig“, der unumschränkter Herrscher in seinem Reiche ist. An die 400 Jahre soll der Riese alt sein, und wahrscheinlich stimmt dieses Alter auch, wenn man der Sage glaubt, die folgen­ des zu berichten weiß: Im Jahre 1522 kam der König der Zigeuner mit Frau und Kind und seinem ganzen Stamm durch die Baar gezogen. Als die fah­ renden Leute in die Nähe von Schwennin­ gen kamen, wurde das königliche Elternpaar von einem tückischen Fieber plötzlich hin­ weggerafft. Das kam dem herrschsüchtigen und finsteren Bruder des Zigeunerkönigs gerade recht. Was kümmerte es ihn, daß nach Fug und Recht der Fürstensproß, der weinende Waisenknabe, einmal „König“ werden sollte. Dieser Rang gebührte ihm, dem Bruder des Verstorbenen, wohl eher als einem unmündigen Knaben. So setzte er die­ sen kurzerhand im finstern Tann aus und machte sich selber zum Zigeunerkönig. Das Schicksal aber wollte es, daß das aus­ gesetzte Kind von dem Schwenninger Vogte aufgefunden wurde, der es aufzog, als wäre es sein eigen Fleisch und Blut. Die Jahre vergin­ gen. Als aus dem Zigeunerbüblein, das den Namen Michel erhalten hatte, ein schmuk­ ker junger Mann geworden war, kam der­ selbe Zigeunerstamm, dem der Knabe einst angehört hatte, wieder in die Schwenninger Gegend. Immer noch waltete der unrecht­ mäßige König seines Amtes, und auch die Großmutter des ausgesetzten Kindes lebte noch und genoß bei den Ihren ein großes Ansehen. In der Nähe von Schwenningen lagerten die Zigeuner. Sie hatten ihre Wagen an einem Waldrand abgestellt, die buntbe­ bänderten Pferde abgeschirrt, und während die Frauen auf loderndem Lagerfeuer das Essen zubereiteten, ließen die Männer sich untätig die Sonne auf den Rücken scheinen. Es war ein buntes Bild. Kein Wunder, daß 278

die Schwenninger Mädchen und Burschen, darunter auch Michel, der Zigeunersproß, zum nahen Walde kamen und das fahrende Volk bestaunten. Als schließlich der Mond sein silbernes Horn in die Bäume hing und eine Geige aufschluchzte, hub ein Fest an, bei dem sich die Burschen mit den schlanken Zigeunerinnen eifrig im Tanze drehten. Doch auf einmal, keiner wußte recht wie, war es zu einem Streit gekommen.Und so, als sei plötzlich sein wildes Blut erwacht, schlug Michel einen der Zigeuner zu Boden. Als er deswegen von seinem ergrimmten Pflegeva­ ter, dem Vogte, vom Platz verwiesen wurde, schlich die Altmutter des Stammes dem jun­ gen Manne heimlich nach. Es war, als spüre sie die geheimen Bande des Blutes, und an einem Muttermal erkannte die Großmutter den Enkel wieder. Er müsse sogleich mit­ kommen, meinte sie, denn er allein sei der rechtmäßige König der Zigeuner. Michel willigte ein und kehrte ins „Hölzle“ zurück. Als die Altmutter den jungen Burschen dem Stamme als ihren Enkel vorstellte und for­ derte, daß man den unrechtmäßigen König absetzen und Michel mit der hohen Würde bekleiden solle, jubelten ihm alle zu und hoben ihn auf ihre Schultern. Während des Jubels war der bisherige König geflohen. Grimmig hatte er geschwo­ ren: für die erlittene Schmach solle Michel und der ganze Stamm büßen! Im Schutze der Nacht kam er zu den ersten Häusern von Schwenningen, und bald stand der rote Hahn auf den Schindeldächern. ,,Das haben die Zigeuner getan“, hieß es im Dorf, und einer rief: ,,Kein anderer kann das gewesen sein als der Michel, den wir aufgezogen haben. An seinem Pflegevater wollte er sich rächen. Totgeschlagen gehört solch ein Bur­ sche!“ Mit Sensen und- Dreschflegeln bewaffnet rannte die aufgebrachte Menge hinaus zum „Hölzle“, stürzte sich auf den soeben gekrönten Michel und erschlug ihn. Das Fest war verrauscht, und statt zum Tanze aufzuspielen, weinte nun die Geige um einen Toten. Die Zigeuner begruben ihren jungen König im dichten Tann, und die Großmutter ließ ihrem Enkel auf den Grabhügel ein Tännlein pflanzen. Dieses wuchs und wuchs und überragte alle seine Nachbarn. Die Menschen aber konnten es sich nicht erklären, warum gerade dieser eine Baum so stolz sein Haupt erhob. Sie wußten ja nicht, daß er aus einem Königsgrab seine Kraft sog und so zum „Hölzlekönig“ ward. “­,, Äschemittwoch Grau und näblig schliift de Morge us em Fasnethäs in Dag. lisig ischt’s, e bissig Lüftli pfiifet iber’s Schtudehaag. A de Bämmli clont no pfladdre ganzi Bändel grell Bapiir und en Wearchschnauz samt de Nase geitschet dert, a sell’re Tiir. I de Ohre heerscht all schuusre, Narremarsch und Hanselgschell. Duescht mit Gwalt dech ummidrille; ’s kunnt en Walzer uff de Sehteil. Magscht dech wehre no so selli geget ’s Fasnetgjugs und Gschroa. Bringscht’s nitt loos, du muescht es heere, siehscht dezue no ’s närrisch Doa. Endli duet de Schloof mol kumme. Droome duet es dier reacht glii, daß du uhni Hemd und Hose sei-ischt bi de Fasnet gsii. D’Liit schtond doo, clont uff dech diite; lachet, daß du näckig bischt. ’s giit en Ruck! jetz bischt verwachet, freischt dech, daß ’s verloge ischt. Niini schleet jetz d‘ Uhr im Schtübli, d‘ Fasnet ischt verbei des Johr. … Äsche schtreut mer grad dim Gretli i de Kerch uff’s Gruselhoor. Gottfried Schafbuch 279

Gesundheit, Soziales Über- und Aussiedler in Maria Tann – eine Herausforderung für die Gemeinde Unterkimach Das Areal Maria Tann in Unterkirnach, ehemalige Klosteranlage, nach dem Wegzug der Ordensbrüder für verschiedene schuli­ sche Zwecke mit Internatsbetrieb (Progym­ nasium, Polizeifachschule, übergangsweise Polizeifachhochschule, anschließend als pri­ vate Akademie) genutzt, in landschaftlich idyllischer Lage (vgl. Almanach 86, Seiten 125-130), bot sich geradezu für die Unter­ bringung von Über-und Aussiedlern an. Nachdem das Land den größtenteils unter Denkmalschutz stehenden Gebäude­ komplex mit einer sanierungsbedürftigen Bausubstanz aus Kostengründen nicht über­ nehmen konnte, fand sich schließlich mit Herrn Werner Löbert aus Sindelfingen ein privater Investor mit guten Referenzen und Erfahrungen bei der Aussiedlerunterbrin­ gung. Ende Juni 1989 zogen die ersten Aussied­ ler in Maria Tann ein, heute wohnen dort über 600. Das Areal wurde Zug um Zug umgebaut, ansprechende Appartements mit Küchenzeile zur Selbstversorgung und Dusche/WC wurden eingerichtet. Bereits beim Kauf wurde unkonventionel­ les kommunalpolitisches Handeln gefor­ dert. Um das finanzielle Risiko für den Inve­ stor zu mindern, hat die Gemeinde eine Aus­ fallbürgschaft in Höhe von 600.000 DM übernommen. Bei einer Ausgangslage von ca. 2100 Ein- 280

wohnern löste eine Zahl von 600 Aussied­ lern große Probleme aus. Kurzfristig mußten hohe Investitionen getätigt werden. So wur­ den z.B. für die Schulhauserweiterung 2,8 Millionen, für die Erweiterung der Kläran­ lage 1,7 Millionen und für die Wasserversor­ gung ca. 320.000 DM ausgegeben, eine wei­ tere Million ist für die Kindergartenerweite­ rung vorgesehen. Doch mit der Bereitstellung von Versor­ gungsanlagen, Schulen und Kindergarten ist den in einem fremden Kulturkreis aufge­ wachsenen Menschen, überwiegend Volks­ deutsche aus Rußland, mit schwerem Schicksal hinter sich, viele nach dem Kriege nach Sibirien verschleppt, zu Zwangsarbeit verurteilt und schließlich mit einem Leben im kommunistischen Regime mit wenig Ent- scheidungsfreiheit für den einzelnen, nicht geholfen. Sie wurden in ihrem Herkunfts­ land wegen ihrer deutschen Abstammung als Außenseiter behandelt, sie sollen bei uns keine Fremde bleiben. Formulare ausfüllen, Leistungen beantra­ gen, westliche Freiheit, nach der man sich ein Leben lang sehnte, die aber andererseits von jedem einzelnen selbstverantwortliche Entscheidungen und Eigeninitiative fordert, waren für sie fremd. Die Gemeindeverwal­ tung hat daher in Maria Tann eine Außen­ stelle eingerichtet und speziell für die Aus­ siedlerbetreuung eine zusätzliche Verwal­ tungsfachkraft eingestellt. Bereits bei der Anmeldung werden die Aussiedler auf die zu erledigenden Anträge persönlich im Ge­ spräch und zusätzlich durch Arbeitszettel und auf die Einrichtungen im Dorf hinge­ wiesen. Anfangs wurden auch Sprechstun­ den anderer Behörden und Institute (Umsiedlungs- und Aussiedlungsamt, Ar­ beitsamt, Banken, Fotograf für Paßbilder) organisiert. Die Bediensteten der Gemeinde­ verwaltung sind bei der Ausfüllung von Anträgen und Vordrucken von Behörden behilflich bzw. füllen diese mit den Aussied­ lern aus, geben Hilfestellung, wenn sie das für sie oft schwere Amtsdeutsch nicht verste­ hen und beraten und helfen, so gut es geht, auch bei persönlichen Problemen. Alle Mit­ arbeiter auf dem Rathaus nehmen sich der Aussiedler im besonderen an. Doch die wichtigste kommunalpolitische Aufgabe war es, die Bevölkerung aufzuklären und für diese Aufgabe zu gewinnen. Durch einen Bürgerbrief konnte Bürgermeister Baumann Vorurteile ausräumen. Aufklä­ rungsarbeit leisteten auch der katholische und der evangelische Pfarrer, beispielsweise in der Sonntagspredigt. Schließlich wurde gemeinsam durch die politische Gemeinde und die Kirchengemeinden zum „Bürger­ treff“ in Maria Tann eingeladen, bei dem sodann erste Kontakte zur einheimischen Bevölkerung zustande kamen. Von einer anfänglichen Skepsis hat sich dank dieser Aufklärungsarbeit eine große Hilfs-und Aufnahmebereitschaft im Dorf entwickelt. Neben intensiver Bemühung der Gemeindeverwaltung und der Kirchen en­ gagieren sich nun Vereine und Gruppen, aber auch sehr viele Familien und Einzel­ personen, um die Aussiedler in der neuen Heimat zu integrieren. Der katholische Pfarrer hielt anfangs Frühschoppengespräche mit den Aussied­ lern, an denen der Pfarrgemeinderat und interessierte Bürger teilnahmen, ab. Monat­ lich werden Glaubensgespräche durchge­ führt. Zwei Religionslehrerinnen haben ehrenamtlich sowohl Kinder wie auch Erwachsene im Glauben und zur Erstkomm­ union vorbereitet. Diese Frauen werden seit­ her von den Aussiedlern bei persönlichen Problemen zu Rate gezogen. Von den Einladungen des Frauenkreises, die insbesondere durch persönliche An­ sprache erfolgt, zu den monatlichen Tref­ fen (Basteln, Theaterfahrten, Adventsfeiern u.a.) wird regelmäßig Gebrauch gemacht. Junge Mütter, die wegen Erziehung der eige­ nen Kinder zur Zeit ihren Beruf als ausgebil­ dete Erzieherinnen nicht ausüben, sind nach Maria Tann gegangen und haben mit den Kindern gespielt. Ein in der Gemeinde wohnhafter Studienrat hat sich in den Ferien der Kinder angenommen. Die katholische281

Jugend hat einen „Einladungstreff“, an dem viele jugendliche Aussiedler teilnahmen, veranstaltet. Krankenhausbesuche werden von einheimischen Frauen durchgeführt. Die vom Gemeindehilfeverein, einem gemeinnützigen Verein, dem Caritas-Ver­ band angeschlossen, u. a. mit dem Vereins­ zweck Kranken- und Altenpflege, angestellte diplomierte Krankenschwester betreut auch regelmäßig die pflegebedürftigen Aussiedler. Die politische Gemeinde und die Katho­ lische Pfarrgemeinde teilen sich die Kosten des nicht gedeckten Aufwands. Im gleichen Umfang ist auch die evangeli­ sche Kirchengemeinde tätig. Es wurde eigens ein Vikar für die Jugendarbeit in Maria Tann eingestellt. In der ,Jungschar“ treffen sich regelmäßig wöchentlich einheimische und Aussiedler-Jugendliche. Für die Aussiedler­ Schulkinder wurde eigens eine Hausauf­ gabenbetreuung organisiert. Es bestehen offene Hausbibelkreise. Der evangelische Frauenkreis veranstaltet unter dem Motto „Frauen laden ein“ mit den Aussiedlerfrauen 282 Kaffee-Nachmittage, ältere Frauen machen Geburtstagsbesuche bei den Senioren. Unabhängig von der Konfession haben viele Familien, insbesondere in der Anfangs­ phase, durch den sog. ,,Bürgertreff“ sich angespochen gefühlt, mit Aussiedlern Kon­ takte geknüpft, die teilweise heute noch gepflegt werden, zu sich nach Hause eingela­ den und sind bereit, bei Problemen so gut es geht zu helfen. Auf Vorschlag der Gesamtelternvertre­ tung der Roggenbachschule nehmen Grund­ und Hauptschüler regelmäßig Aussiedler­ kinder mit nach Hause zum gemeinsamen Lernen und Spielen. Viele Freundschaften wurden zwischen einheimischen und Aus­ siedler-Kindern geknüpft. Spielsachen und Kinderkleider wurden gesammelt und bereit­ gestellt. Im Kindergarten werden Bastel­ abende u.ä. durchgeführt, an denen auch die Eltern der Aussiedlerkinder teilnehmen und so mit den Einheimischen ins Gespräch kommen. Auch der Caritasverband hat auf Initia-

tive von Bürgermeister Baumann einen aus­ gebildeten Sozialpädagogen ausschließlich für Maria Tann eingestellt, der schwerpunkt­ mäßig Betreuungsprogramme organisiert. Regelmäßig werden in Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk der Erzdiözese Weiterbil­ dungsveranstaltungen, auch für Erwachsene angeboten, die eine große Resonanz finden. Bildungsfreizeiten für Erwachsene und Som­ merfreizeiten für Jugendliche stehen ebenso auf dem Programm wie auch die regelmäßi­ gen wöchentlichen Kindergruppenstunden. Eine weitere ausgebildete Sozialpädagogin von der Sozialstation hat sich der Jugendar­ beit für die 14- bis 17jährigen angenommen. Alle Sporteinrichtungen der Gemeinde stehen auch den Aussiedlern offen. Auch sei­ . ns der Vereine besteht, insbesondere beim te Fußballclub und bei der Damengymnastik, Aufnahmebereitschaft. Die kulturellen Ver­ eine (Musikverein und Harmonikaspielring) laden auch in Maria Tann zu ihren Konzer­ ten ein. Es wurde auch schon für solche Ver­ anstaltungen ein kostenloser Bustransfer ein- gerichtet. Die aktiven Vereinsmitglieder lei­ sten ehrenamtlich musikalische Ausbildung, was auch den Aussiedlern angeboten wird. Unter Mitwirkung des Musikvereins hat die Gemeinde für die Aussiedler eine Weih­ nachtsfeier in der Schloßberghalle durchge­ führt. Beim Areal Maria Tann wird die Ge­ meinde einen Kinderspielplatz anlegen. Die Kosten in Höhe von 30.000 DM teilen sich der Investor, die Sparkasse und die Ge­ meinde. Schließlich ist es der politischen Gemein­ de in Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirchengemeinde als Kindergartenträger ( den nicht gedeckten Aufwand teilen sich die politische Gemeinde zu 2/3 und die Katholi­ sche Kirchengemeinde zu 1/3) gelungen, für jedes Aussiedlerkind einen Kindergarten­ platz zur Verfügung zu stellen, was für die Integration besonders wichtig ist, weil dadurch die Kinder beispielsweise die deut­ sche Sprache „spielend“ erlernen können. Von insgesamt 110 Kindergartenkindern sind 283

58 Aussiedler. Die Gruppenzahl wurde von drei auf fünf erhöht, die Gruppenstärke wegen fehlender Sprachkenntnisse aus päd­ agogischen Gründen verkleinert und das Personal verdoppelt. Das Vereinsheim, Übungsraum für die kulturellen Vereine, wurde übergangsweise zum Kindergarten­ gruppenraum umfunktioniert, die Vereine aus den gewohnten Räumlichkeiten aus­ quartiert, Doppelnutzung von Schulräumen für Unterricht und Vereinsübungsstunden wurden eingeführt. Die Kindergartenerwei­ terung ist inzwischen in Angriff genommen. Die Kindergartenkinder werden mit der öffentlichen Linie zum Kindergarten beför­ dert. Die Gemeinde trägt die Beförderungs­ kosten. Aber auch im schulischen Alltag galt es, große Probleme zu lösen. Von den 290 Grund- und Hauptschülern sind 103 Aus­ siedler. Ausgangslage war eine einzügige Grundschule und Klassenstärken zwischen 10 bis 15 Kindern in der ebenfalls einzügigen Hauptschule. Seit der Belegung von Maria Tann mit Aussiedlern ist die Grundschule doppelzügig, die Klassenstärke der Haupt­ schule bewegt sich in der Nähe der Höchst­ zahl. Durch den hohen Anteil der Aussied­ lerkinder, in manchen Klassen mehr als die Hälfte, und die fehlenden deutschen Sprach­ kenntnisse befürchteten die Eltern der ein­ heimischen Kinder, daß der Lehrplan nicht eingehalten werden könne und dadurch ihre Kinder benachteiligt würden. Es bedurfte großer Anstrengungen, auch seitens des Leh­ rerkollegiums, die Eltern aufzuklären und um Verständnis für diese besondere Lage und für die damit zusammenhängenden Unzulänglichkeiten zu bitten. Andererseits hat sich aber auch durch den allgemeinen Rückgang der Schülerzahlen ein positiver Aspekt durch die Belegung von Maria Tann im schulischen Bereich herausgestellt. Es zeigt sich nunmehr, daß durch die Aussied­ lerkinder und in der Hauptschule durch die geringe Kinderzahl Kombinationsklassen vermeiden lassen, so daß die derzeitigen Schulverhältnisse nach Meinung der Päd- 284 agogen sich auch für die einheimischen Kin­ der positiv auswirken. Für die Aussiedlerkin­ der sind drei Förderklassen (zwei für die Grund- und eine für die Hauptschule) einge­ richtet. Sobald es die Deutschkenntnisse zulassen, werden die Kinder in die Regelklas­ sen übernommen. Übergangsweise mußten die Unterrichts­ räume auf vier Gebäude (Roggenbachschule, alte Schule, Pfarrhaus und Maria Tann) ver­ teilt werden, was auch organisatorisch im Schulalltag Probleme mit sich brachte. Inzwischen konnte jedoch die Schulhaus­ erweiterung, vorwiegend ausgelöst durch den großen Aussiedlerzustrom, abgeschlos­ sen werden. Zusammengefaßt: Die Unterbringung von über 600 Aussiedlern im Verhältnis zur Einwohnerzahl von zuvor 2100 stellt eine außergewöhnliche Situation dar. Bürgermei­ ster Baumann ist es gelungen, unter Einbin­ dung aller gesellschaftlichen Gruppen im Dorf nicht nur die damit zusammenhängen­ den Probleme zu lösen, sondern auch die Dorfgemeinschaft zur Aufgeschlossenheit zu gewinnen, um auch die lntegrierung die­ ser Menschen gemeinsam zu lösen. In der Tat wurde eine Herausforderung angenom­ men und beispielhaft bewältigt. Elfriede Dufner Apokalypse hoher Sommer im Herbst Reben und buntes Laub im Winter zur Kirschblütenzeit gefrorene Knospen – Liebe steht am Pranger, Zärtlichkeit ist begraben; Farben des Regenbogens gewechselt Rotverschiebung Jetztzeit Christiana Steger

Feldner Mühle Heimstatt für die Behinderten Behinderte sind ein Teil unserer Gesell­ schaft. Sie sind Aufgabe und Herausforde­ rung, passen damit aber nicht fur jeden in das leistungsorientierte Schema unseres Alltags. Behinderte sind eigene Persönlichkeiten, die zugleich in weit stärkerem Maße als andere aufVerständnis und tätige Hilfe angewiesen sind. Die ihnen beistehen, meist Eltern oder Geschwister, übernehmen stellvertretend fur die Gesellschaft eine Aufgabe, die weder den Feierabend noch den Urlaub kennt. Nur wer selbst betroffen ist, kann sich ein Bild machen von der umfassenden Konsequenz, die sich aus der Betreuung Behinderter ergibt. Gefordert ist dabei der ganze Mensch mit all seinen psychischen und physischen Kräften. Beim Förderverein fur das körperbehin­ derte Kind Villingen-Schwenningen e. V. erkannte man schon Mitte der achtziger Jahre, welch ungeheurer Belastung Behin­ derte wie Betreuer ausgesetzt sind, wenn sie versuchen, den Alltag zu meistern. So ent­ stand der Wunsch, eine Stätte zu schaffen, in der Behinderte fur Stunden wie auch für Tage aufgehoben sind. Für die Behinderten ein Ort, der ihm neue Eindrücke schenkt, für die sie betreuenden Angehörigen soll er die Möglichkeit schenken, zur Ruhe zu kom­ men, zu sich selbst zu finden und neue Kraft zu schöpfen. Dieses Ziel, das sich der Förderverein und sein engagierter Vorsitzender Walfried Bal­ lof stellten, waren so Ferien nicht von, son­ dern in der Behinderung. Die Gelegenheit, diese schöne Idee zu ver­ wirklichen, bot sich mit dem Erwerb der Feldner Mühle, die fast versteckt zwischen 285

Büschen und Bäumen an dem alten Mühle­ kanal in Villingen liegt. Das Gebäude mit dem ganzen Areal wurde fur 1,3 Millionen umgebaut und renoviert. Für den Förderver­ ein war dies eine gewaltige Aufgabe, ebenso wie die Übernahme der Trägerschaft. Nur der drängende Wunsch vieler Angehörigen von Behinderten, in ihr Leben ein Stück Normalität zu bringen und ihnen das Gefuhl der Mitsorge anderer zu geben, ließ die kleine Schar der Hilfswilligen und vor allem des Vorsitzenden Ballof diesen Schritt wagen. Im Mai 1987 war mit der Einweihung des Hauses ein erster großer Schritt auf dem noch langen Weg getan. Glückwünsche und die von vielen Seiten gegebene Zusicherung, den Förderverein für das körperbehinderte Kind e. V. Villingen-Schwenningen bei sei­ nem mutigen Projekt zu unterstützen, mach­ ten Mut, auch wenn die Versprechungen mancher Gäste, unter ihnen Vertreter politi­ scher Gremien, an diesem Tage doch wohl­ feil waren. Es bedurfte für das Projekt Feldner Mühle mehr als nur eine in der Stunde der 286 Feier erwachsene Begeisterung, denn man­ che Welle des Mitgefühls war bald wieder verebbt. Doch bei der Sache blieb der Förderver­ ein, und die Feldner Mühle wurde inzwi­ schen zu einer Heimstatt für die Behinder­ ten, die dort liebevolle Aufnahme finden und ein Haus, das den besonderen Anforde­ rungen auch voll genügt. Die Natur bietet dazu als ihren Beitrag eine Umgebung, die zur Ruhe und Entspannung wie auch zu Spiel und Sport einlädt. Das ruhig fließende Wasser des Mühlekanals, in dem sich die Kronen alter Bäume speigeln, wird gesäumt von dem Grun der Talaue. Ein schmaler Weg verbindet mit der Landesstraße an der gegen­ überliegenden Talseite. Ein plätschernder Brunnen und das Spielgerät auf dem weiten Platz vor dem Haus erinnern daran, daß hier die Zeit nicht stillsteht, sondern nur ein biß­ chen langsamer geht und den Besuchern, Ge unden wie Behinderten, ein entspanntes Durchatmen gönnt. Das langgestreckte zweistöckige Gebäude

mit dem schützenden Ziegeldach hat sein äußeres Bild behalten. Im Innern jedoch wurden zwanzig Plätze für Behinderte und Betreuer geschaffen. Dazu kommen Aufent­ haltsräume, eine geräumige Küche, ein Gymnastikraum sowie Bäder mit aufwendi­ ger Einrichtung, denn die Wohn- und Schlafräume alleine genügen nicht für diese Gäste der Feldner Mühle. Sicherheitsein­ richtungen wurden geschaffen und dazu gehört auch eine Alarmeinrichtung. Sie sind Garant dafür, daß außer den Betreuern eine Vielzahl von professionellen Helfern zur Stelle ist, so ihre Hilfe benötigt wird. Das reicht von der Polizei bis zu den Ärzten in den Städtischen Kliniken. So ist die Feldner Mühle zu dem geworden, was als Idee am Anfang stand, nämlich zu einem Heim für die, die sonst nur wenig mehr als ihr eigenes Zuhause und die nächste Umgebung ken­ nen. Hier geniessen sie all die Abwechslung, die eine neue Umgebung bietet, und dies in einer Atmosphäre der Sicherheit und Gebor­ genheit. Der Förderverein für das körperbehin­ derte Kind hat sich an eine große Aufgabe gewagt, die auch heute noch jeden Tag neu gemeistert werden muß. Bei allem guten Willen und der zielstrebigen Tatkraft von Walfried Ballof wäre dieses kleine Paradies nicht zu verwirklichen gewesen, hätten nicht die öffentliche Hand und hilfswillige Orga­ nisationen das Projekt mitgetragen. Denn der Förderverein hatte nur ein Eigenkapital von 180 000 Mark, als der große Entschluß zum Kauf und dem Umbau des Anwesens gefaßt wurde. Dies war angesichts der veran­ schlagten Kosten von 1,35 Millionen Mark ja nicht viel mehr als der Ausdruck des Willens, den Behinderten ein Feriendomizil zu ver­ schaffen. Das Geld war mühsam, Mark um Mark, zusammengebracht worden. Die wirk­ samste finanzielle Unterstützung kam von der „Aktion Sorgenkind“, die mit der Summe von 600 000 Mark fast die Hälfte der Kosten finanzierte. Diese Mittel waren Aus­ druck der Hilfsbereitschaft vieler Bürger unseres Landes. Beachtliche 370 000 Mark 287

steuerte das Land Baden-Württemberg bei. Die Stadt Villingen-Schwenningen enga­ gierte sich mit einem Zuschuß von 150 000 Mark, die Lebenshilfe mit SO 000 Mark. So konnte der Förderverein denn auch das Wag­ nis des Kaufes und des Umbaues eingehen. In einer Bauzeit von zwei Jahren war das Haus bezugsfertig. Das Angebot an die Behinderten ist viel­ seitig und auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten. Da gibt es das Ferienpro­ gramm, das sich an Behinderte und Eltern zugleich wendet. Wer Urlaub mit seinem behinderten Kind machen will, für den ste­ hen gemütliche Zimmer bereit. Der Tag in der Feldner Mühle kann auf vielfältige Weise verbracht werden. Da ist die Umgebung, die zu Wanderungen und Radtouren einlädt. Die Fahrräder dazu können ausgeliehen wer­ den. Eine Besonderheit sind sicher die lammfrommen Ponys, die bei kleinen Aus­ ritten oder Kutschfahrten sehr schnell zu den Lieblingen der Kinder werden. Es gibt einen kleinen Reitplatz und gleich daneben für die, die sich doch nicht auf den Rücken der kleinen, zutraulichen Pferdchen wagen, ein reich ausgestatteter Spielplatz. Das ganze Jahr über ist das Haus das Ziel auch für Sonderschulen aus ganz Baden­ Württemberg und aus Bayern. Diese Land­ schulaufenthalte verbringen die vertrauten Lehrer und Betreuer mit den Klassen und sorgen für abwechslungsreiche Tage. Dann gibt es das Wochenendprogramm, das Eltern und all denen, die mit einem Behinderten den Alltag erleben, eine Entlastung ver­ schafft. Denn die Kinder werden in der Feld­ ner Mühle rund um die Uhr betreut und von fachkundigem Personal versorgt. Im Rah­ men der offenen Hilfe wird auch eine stun­ denweise Betreuung angeboten, was Eltern eigenen Arztbesuch oder andere wichtige Besorgungen ermöglicht. Kurzfristig kann dies gewünscht werden. Insgesamt arbeiten in der Feldner Mühle fünf fachkundige Mitarbeiter. Der Sozial­ pädagogin Jeanette Eckert und der Eniehe­ rin Ursula Klemmer stehen zwei Zivildienst- 288 leistende zur Seite. Um die Ponys und ums ganze Haus kümmert sich ein weiterer Mit­ arbeiter. Diese Aufwendungen machen im Jahr etwa 300 000 Mark aus, so weiß der Vor­ sitzende des Fördervereins, Walfried Ballof, der die Bücher führt. Die Einnahmen kom­ men in erster Linie durch die Pflegesätze von 70 Mark pro Tag herein, die damit deutlich unter den Sätzen anderer vergleichbarer Ein­ richtungen liegen. Doch damit läßt sich der Betrieb nicht voll finanzieren und so ist der Förderverein als Träger auf die Spenden hilfs­ williger Bürger angewiesen. Dazu kommt als unfreiwilliger Betrag von manchen Verkehrs­ sündern das ihnen auferlegte Bußgeld, das wohl dann auch lieber entrichtet wird, wenn die Gerichtskasse es der Feldner Mühle zukommen läßt. Eine weitere Einnahmequelle des Hauses ist das alljährliche Sommerfest und hinzu kommen ein Weihnachtsbasar und ein klei­ ner Wirtschaftsbetrieb für Wochenendaus­ flügler. Hierbei wechseln sich über die Som­ mermonate die Vereinsmitglieder im The­ kendienst ab. So mühsam die Art der Finanzierung auch sein mag, sie hat auch ihre positive Seite. So macht sie deutlich, daß die Gesell­ schaft sich für die Behinderten mitverant­ wortlich fühlt. Durch eine ehrenamtliche Mithilfe wie durch Spenden wird diese bei­ spielhafte Einrichtung getragen. Den Behin­ derten gibt sie das Gefühl, nicht allein zu ste­ hen und nicht nur auf die nächsten Angehö­ rigen angewiesen zu sein. Das Geld ist sicher nötig, aber fast wichtiger noch sind die Men­ schen, die immer wieder ihre Anteilnahme bezeugen, auch wenn sie nur zu kurzer Rast in der Feldner Mühle haltmachen und sich dabei dem einen oder anderen Kind zuwen­ den oder wenn sie zu den kleinen Festen kommen und mitfeiem. Oft genügt schon ein Lächeln oder ein kleines Gespräch, das dazu verhilft, dem behinderten Kind sein schweres Schicksal leichter zu machen und das ihm das Gefühl gibt, angenommen und aufgenommen zu sein. Klaus Peter Friese

Verkehrswesen Klangvolle Namen bei Triberg: Himmelreich und Zuckerhut Weitere Tunnelbauwerke an der B 33 Im August 1986 begannen an der Bundes­ straße 33 auf der Strecke zwischen Triberg und Hornberg umfangreiche und aufwen­ dige Umbau- und Erweiterungsarbeiten. Die Planungen für diesen bedeutenden Straßen­ umbau reichen bei den zuständigen Behör­ den bis in das Jahr 1960 zurück. Endziel dieser langandauernden Baumaßnahmen ist eine deutliche Verbesserung der Straßen­ verhältnisse in diesem kurvenreichen Ab­ schnitt der wichtigen Bundesstraße und Verkehrsader von Offenburg und dem Rheintal zum Bodensee. Die Bauarbeiten begannen bevorzugt im Beginnender Anschlag des Himmelreichtunnels an seiner Südseite ([riberger Seite) 289

Bereich der Umfahrung Sägewerk Fink­ beiner und bis zur Einmündung in die beste­ hende Bundesstraße 33 oberhalb des Anwe­ sens „Uhren-Weißer“ auf Gemarkung Tri­ berg-Gremmelsbach. Im Almanach 1989 wurden diese Baumaßnahmen unter dem Titel „Der Steinbistunnel“ (Seiten 233-236) ausführlich dargestellt. Im Zuge jener Baumaßnahmen wurde in der Zwischenzeit auch eine Fußgänger­ brücke beim „Uhren-Weißer“ (an der Ab­ zweigung der Straße nach Gremmelsbach) erstellt, ein vorzugsweise aus Holz gefertigtes Brückenbauwerk mit breiten Treppenauf­ gängen, das sich harmonisch – die neue B 33 überspannend -in die Landschaft einfügt. Zwei weitere Tunnelbauten Die Gesamtplanungen sahen zwei weitere Tunnelbauwerke vor; zum einen sollte die viele Jahre lang unfallträchtige, berüchtigte ,,Himmelreichkurve“ in der Nähe der Glas­ trägerbrücke wegfallen. Zum anderen war es dringend geboten, die ebenso gefährliche Durchfahrt durch den Ortsteil Schonach­ bach zu beenden. Das eine Ziel wurde durch den Bau des „Himmelreichtunnels“ erreicht, das andere durch den Bau des „Zuckerhut­ tunnels.“ So entstand der Himmelreichtunnel Die Bauarbeiten für den „Himmelreich­ tunnel“ hatten Mitte Oktober 1988 begon­ nen. Am 7. April 1989, einem Freitag, fand am Südportal (Tunnelausgang Richtung Tri­ berg) die „Anschlagsfeier“ für den Tunnel statt. Unter Anschlagsfeier versteht man den Beginn des bergmännischen Vortriebs in den Berg. Der „Durchschlag“ erfolgte am 24. Juli 1989. Am 15. Februar 1990 war der Tun- Zuckerhuttunnel nach Ausbruch der Kalotte und Strosse 290

nel fertig. Seine Baukosten betrugen 5,1 Mil­ lionen Mark. Die Länge der bergmännischen Vortriebsstrecke betrug 96 Meter, die Länge der fertiggestellten Tunnelröhre 130 Meter (im First gemessen) und die Gesamtlänge beläuft sich heute auf 151,50 Meter. Die Gebirgsüberdeckung beträgt maximal vier­ zig Meter. Die bergmännischen Vortriebsarbeiten, sowohl beim „Himmelreichtunnel“ wie auch beim später erbauten „Zuckerhuttun­ nel“, verliefen technisch nach den Maß­ gaben der Neuen Österreichischen Tunnel­ bauweise (NÖT) mittels Sprengvortrieb mit anschließender Spritzbetonsicherung. Der Ausbruch erfolgte zuerst in der „Kalotte“, danach in der „Strosse“. Die Kalotte ist der obere Teil des zu erstellenden und auszu­ räumenden Gewölbes; die Strosse ist der seit­ liche und untere Teil des Gewölbes. Im Bereich des „Himmelreichtunnels“ trafen die Tunnelbauer auf geklüfteten und gebankten Triberger Granit (gebankt = Schichtgestein). Die Sprengladungen wur­ den nicht „gebündelt“ gezündet, sondern – im Millisekundenbereich – zeitversetzt. Diese Art zu sprengen ermöglichte, den Explosionsdruck „nach innen“ zu richten. Damit wurden auch unnötige Erschütterun­ gen im Fels verhindert. Während der Vor­ triebsarbeiten wurden zudem Konvergenz­ messungen durchgeführt, um festzustellen, ob eventuell eintretende Verformungen – solche kann es von einem bis zwei Millime­ tern geben -abklingen. Parallel zu den Vor­ triebsarbeiten mußten am 14. und 15. Januar 1989 auf der Nordseite des Steilhanges über dem Nordportal des Himmelreichtunnels herausragende Felsformationen, d. h. gefährli­ che Vorsprünge, heruntergesprengt werden. Am Nordportal sind abgestufte Betonsegmente zu erkennen, die im Zuge der Rekultivierung mit Natur­ steinverblendungen versehen und Landschaftsverbunden gemacht werden. 291

liegt Der Aushub der Voreinschnitte Süd und Nord beim „Himmelreichtunnel“ betrug 5500 Kubikmeter, der Ausbruch (Kalotte und Strosse) selbst 8000 Kubikmeter. An Felsankern wurden 3400 lfd. Meter verarbei­ tet, an Spritzbeton 500 Kubikmeter. Der für die Tunnel-Innenschale verwendete Beton­ stahl betrug 170 Tonnen und der aufge­ brachte Beton 2600 Kubikmeter. Der „Him­ melreichtunnel“ (in Fahrtrichtung Hornberg-Triberg) in einer Linkskurve; seine Steigung in Richtung Triberg beträgt sechs Prozent. Er führt zwei Fahrspuren von je vier Metern Breite und beidseits verlau­ fende Notgehwege von jeweils einem Meter Breite. Der Zuckerhuttunnel ist der längste von allen Hatten die Firmen Mattem aus Heiden­ heim a. d. Brenz und die „Fels-und Tunnel­ bau GmbH“ aus Netphen an der Sieg den ,,Steinbis-“ und den „Himmelreichtunnel“ gebaut, so baute die Firma „Thyssen­ Schachtbau GmbH“ aus Mülheim/Ruhr den „Zuckerhuttunnel“ im Bereich der Eisengiesserei Dhonau in Schonachbach. Die Baukosten für diesen Tunnel belau­ fen sich auf 6,3 Millionen Mark, sein Bau­ beginn war Mitte November 1989. Am 29.März 1990 erfolgte der „Anschlag“ am Nordportal (Hornberger Seite) und die Fer­ tigstellung des Tunnels (Verkehrsübergabe) ist für den Herbst 1991 vorgesehen. Die Gebirgsüberdeckung beim „Zucker­ huttunnel“ beträgt maximal siebzig Meter, die Steigung im Tunnel von Nord nach Süd (von Hornberg nach Triberg) beläuft sich auf 5,5 Prozent, seine �erneigung beträgt gleichbleibend fünf Prozent. Auch dieser Tunnel führt zwei Fahrspuren mit je vier Metern Breite und zwei Notgehwege beid­ seits von je einem Meter Breite. Links und rechts des Tunnels verlaufen die Bergwasser­ Drainagen, deren Wasser direkt in die Gut­ ach einfließen. Die bergmännische Vortriebsstrecke-wie in den anderen Tunnels mit Sprengvortrieb 292 und Spritzbeton- und Ankersicherung – beträgt 160 Meter, die Tunnel-Gesamtlänge 195 Meter. Die Gesamthöhe des Tunnels beträgt sieben Meter. Der Aushub und die Sicherung des Voreinschnittes Nord (Horn­ berger Seite) dauerte von Mitte November 1989 bis Ende März 1990. Der Ausbruch und die Sicherung der Kalotte und Strosse da�­ erte von Mitte März 1990 bis Anfang Juli 1990. Die Innenschale einschließlich Ab­ dichtung, Fundament und Entwässerung entstanden zwischen Anfang Juli 1990 und Ende Januar 1991. Die Bauwerkshinterfül­ lung (die Wiederfüllung der Voreinschnitte) und Herstellung der Fahrbahnen erforderte die Zeit von Anfang Februar 1991 bis Ende April 1991. Die Aushubmassen in den Vor­ einschnitten (das ist der Beginn der Tunnel­ röhren) Nord und Süd betrugen 11500 Kubikmeter, der Ausbruch im Tunnel (Kalotte und Strosse) betrug 14 000 Kubik­ meter. Für die Innenschale wurden 2400 Kubikmeter Beton und 160 Tonnen Beton­ stahl verarbeitet. In der Kalotte erfolgte der Durchschlag am Samstag, den 9. Juni 1990, genau um 15 Uhr. ,,Wir sind von zwei Seiten in den Berg eingedrungen und wir haben uns hundertprozentig getroffen“, sagt Dipl.-Ing. Roland Riesle vom Straßenbauamt Donau­ eschingen. ,,Ich mußte die letzte Sprengung vornehmen“; die Baufirma meinte (humo­ rig) dazu, wenn jetzt noch etwas schiefgehe, ,,dann sei der Bauleiter Riesle daran schuld“. Es verlief alles beispielhaft; zuletzt blieben drei Meter übrig, die mit dem letzten Schuß herausgeschossen wurden -eine vermes­ sungsstechnische Glanzleistung. Bei den Tunnelbauarbeiten waren außer deutschen Mineuren auch Österreicher, zwei Sowjet­ mineure, zwei ehemalige DDR-Bürger und Türken beschäftigt, eine Werkmannschaft, die nach den Worten von Dipl.-Ing. Roland Riesle hervorragend harmonierte. Der Durchschlag der Strosse erfolgte im ,,Zuckerhuttunnel“ am Mittwoch, den 11. Juli 1990, und damit war das Gebirge mit 14 000 Kubikmeter weggeräumt. Für die Sprengungen im Tunnel wurden vierzehn

Tonnen Sprengstoff verbraucht; dabei be­ nötigte die Kalotte 11,4 Tonnen Sprengstoff für 76 Sprengungen und die Strosse 2,6 Ton­ nen Sprengstoff für 52 Sprengungen. Es wur­ den überall Sprengpatronen (etwa 30 cm Länge und angemessene Dicke) mit Zünder verwendet. Der Sprengstoff war übrigens ,,Amon gelit zwei“. Von großer Bedeutung: die Bewetterung Von großer Bedeutung beim Bau beider Tunnels war die „Bewetterung“. Solange die Kalotten und Strossen noch nicht „durch­ schlägig“ waren, mußte die Frischluftzufuhr gewährleistet sein. Wird die Kalotte „durch­ schlägig“, entsteht im entstehenden Tunnel ein Luftzug (Schornsteinwirkung). Bei bei­ den Tunnels wurde eine „blasende Bewette­ rung“ angewendet; Frischluft wurde vor Ort geblasen und die verbrauchte Luft dadurch in Richtung Tunnelportal nach außen ge­ drückt. Nach erfolgter Isolierung der Tunnel­ wand mit einer verschweißten Folie wurden die Tunnelfundamente hergestellt. Hernach trat der riesige „Schalwagen“ im Tunnel in Aktion. Er schalte die Tunnelblöcke ab, die danach ausbetoniert wurden. Die Innen­ schale wurde in langen Blöcken aus bewehr­ tem Spezialbeton gefertigt. Die Strecke behält ihren romantischen Reiz Die überaus romantische Strecke – im engen Tal der Gutach verlaufen dann Schwarzwaldbahn, Bundesstraße und Gut­ ach einträchtig nebeneinander – wird von ihrem landschaftlichen Zauber, dem Reiz des engen Gutachtales und der Freude, diese wundervolle Straße auch noch durch drei moderne Tunnels gefahrlos befahren zu können, nichts verloren haben. Im Gegen­ teil: Der Zugewinn ist „Meter für Meter erfahrbar“. Siebzig Millionen Mark wird der Gesamtausbau dieser sechs Kilometer am Ende gekostet haben. Eine sinnvolle Investi­ tion in die Zukunft! Alexander Jäckle Mit der Postkutsche unterwegs im südlichen Kreisgebiet ,,Trara die Post ist da … ,“ dieses nostalgi­ sche Kinderlied erlebte zur 500:Jahrfeier der Post im Jahre 1990 fröhliche Urständ. Etwas Besonders hatte sich die Bundes­ post in ihrem Jubiläumsjahr einfallen lassen, und so ritten die Postreiter auf historischen Strecken und machten an den alten Posthal­ tereien Halt, dazu waren Postkutschen im Einsatz, mit Vierergespann, dem Postillion in schmucker Uniform mit dem Posthorn und Fahrgästen in zeitgenössischer Klei­ dung. Stilecht wurden die Reisenden aus dem mitgeführten Fundus in weite Pelerinen nach alten Schnittmustern gehüllt, um so den sich vielleicht einstellenden Wetter­ unbilden zu trotzen, denn auch auf den Dächern der Kutschen befanden sich Sitz­ plätze, dazu gab es den Zylinder für den 293 Kutscher

Herrn und den blumengeschmückten oder rüschenbesetzten Biedermeierhut für die Dame. Auf dem Kurs der Sternfahrt von Lindau nach Frankfurt durchquerten zwei Postkut­ schen auch den Amtsbereich des Postamtes Villingen-Schwenningen und im August 1990 war es dann soweit, die Postkutschen wurden vor dem Blumberger Postamt erwar­ tet. Bis die von Tengen kommend dort aller­ dings eintrafen, war erst einmal die Weg­ strecke zurückzulegen. In die nostalgischen Kleidungsstücke gehüllt, bemerkten die Fahrgäste gleich zu Beginn der historischen Fahrt die Enge in der Kabine. Mit Schulterschluß und Knie an Knie ließen sie die nächsten Kilometer über sich ergehen, wohl wissend, daß zu Postkut- Historische Kleidung – Pelerine mit „Lebemann­ hl(t“ 294 schenzeiten die Reisekörbe ja auch noch irgendwo deponiert gewesen sein mußten. Gemächlich nahmen die „Vier PS“ den Weg unter die Hufe und während die Fahrgäste im Inneren des Kutschwagens mit der Enge kämpften, waren die auf dem Dach unterge­ brachten Passagiere nicht mit mehr Freiraum gesegnet, dafür aber noch mit Fliegen und Mücken. Geographisch ist die Landschaft inner­ halb des Randengebietes sicherlich nicht einfach, sie mit zwei Vierergespannen, auch bei heutigen guten Straßen, zu bewältigen bedarf großen Könnens. So versuchte der führende Postillion, mit dem Gespann bestens vertraut, aber nicht wegkundig, über die Ortschaft Talheim die Strecke abzukür­ zen. Von der staunenden Bevölkerung, die ein so nostalgisches Fortbewegungsmittel nicht erwartet hatte, mußte er erfahren, daß ein Weiterkommen schwierig sei. Freundlich standen dann allerdings die Dorfbewohner mit Rat und Tat zur Seite und mit kundiger Führung gelangten die beiden Postkutschen zur Randenhöhe hinauf. Um die Pferde zu schonen, mußte die Reisegesellschaft das letzte Stück der Steigung allerdings zu Fuß bewältigen. Das war zu aktiven Postkut­ schenzeiten normal, oftmals mußte auch geschoben werden und nur die „First-class­ Passagiere“ hatten das Privileg sitzenbleiben zu dürfen. Bis auf einige Äste, die darauf aus waren, „Lebemannhüte“ vom Dach der Kutsche festzuhalten, war die Fahrt bis zum Ort Kommingen problemlos und von dort ging es weiter bis hinauf nach Randen. Auf dem alten Randensteig, der ehemaligen Ver­ bindung nach Zollhaus, hatte der mitfah­ rende, unentbehrliche „Conducteur“ etliche Schwierigkeiten, den raschen Wagenlauf bergab zu bremsen und öfter sprang er ab, um die nachfolgende, zweite Kutsche zu war­ nen. Mit Hornsignalen fuhren die Postkut­ schen dann an der alten Poststation in Zollhaus vorbei, um nach Blumberg zu kommen. Weil es bei der Post nun wirklich nicht ,,immer gleich und auf der Stell“ gehen kann,

Kutsche bei Einfahrt in Blumberg warteten die vielen interessierten Zuschauer an der Blumberger Post schon geraume Zeit, bis sie die klaren Töne des Postsignals hören konnten und die Kutschen auf dem Vorplatz ausrollten. Vertreter der Postdirektion und der Stadtverwaltung begrüßten Postillione, Conducteure und mitreisende Gäste und nach dem Tränken der braven Braunen ging nach kurzem Aufenthalt, zum Teil mit neuen Fahrgästen, die Reise weiter bis nach Achdorf. Hilfsfahrzeuge begleiteten die beiden Kutschen den steilen, tückischen Gampen hinunter und mancher Fahrgast mochte wohl schon ein ungutes Gefühl im Magen gehabt haben, angesichts des steilen Abfalles der Strecke. Die Bremsen hielten und die erfahrenen Postillione schafften den schwie­ rigen Streckenabschnitt ohne jeden Zwi­ schenfall. Seit 1905 ist die „Scheffellinde“ in Ach­ dorf Poststation, und Posthalter und Gast­ wirt Gustav Wiggert begrüßte die Reisege­ sellschaft freundlich. Nach gebührender 295

Pausenzeit, die Gespanne brauchten Ruhe zum Erholen, setzten die Postkutschen ihre Fahrt in Richtung Bonndorf fort. Beim Auf­ stieg nach Ewattingen, die Rösser hatten anstrengend zu schaffen, schreckte ein krei­ schendes Geräusch die Reisenden aus ihren Träumen auf. Das Rad einer der Kutschen schleifte und der Schaden wurde vom beglei­ tenden Troß behoben. Früher bedeutete so ein Mißgeschick Aufenthalt und große Schwierigkeiten, mußten doch erst die näch­ ste Poststation, Schmied und Wagner be­ nachrichtigt werden. Ohne weiteren Zwischenfall erreichten die beiden Postkutschen mit ihren vergnüg­ ten Passagieren am späten Nachmittag Bonndorf. Dieses nostalgische Reiseerlebnis vermit­ telte ganz direkt Exclusivität und Anstren­ gung des Wechsels von einem Ort zum ande­ ren, wurde doch zu damaliger Zeit das Reisen nur als dringende Notwendigkeit akzeptiert oder als Privileg genossen. Reisen zu Postkut­ schenzeiten war lang, unbequem und nicht billig, allerdings die einzige Möglichkeit, von hier nach da zu gelangen. Viel längere Zeit als heute üblich brauchten die Ge­ spanne, um die Kilometer zwischen Tengen und Bonndorf zu bewältigen. Dazu war die Fahrt in den kaum gefederten, historischen Postkutschen sehr viel unbequemer als im Auto -aber in der Gelassenheit des Pferde­ schrittes mitsamt der Enge zum Nebensitzer einfach herrlich. Christiana Steger Die muntre Alte … Johrzehnte hen am Bei mir hange. Wo sin dea Jährli all‘ nagange? Mer het viel gschaffet, glehrt un gschuftet, Un d’Jugenzit dea isch verduftet. Jetzt -wo mer’s ruahiger kennt ha, Jetzt fange scho d’Wehwehli a. Mer g’hört au nimmi zu dea Flinke. Gar viele mean scho ganz schö hinke. S’Guat höre -des loaßt au scho no. Au d’Auge -dea wen nimmi so. Un wen mer will weng schneller gau – Jo, dro klopft s’Herz. Gern bliebt mer stau. Mit einem Wort: Mer sieht es i, Lang isch es her, daß zwanz’g bisch gsi. Doch des trifft uns im Herze nit. Wo’s lustig isch – do mach mer mit. Drum wenn mir s’Treffe so gestalte, Daß jedes sait: ,,D i e m u n t r e A l t e!“ Gertrud Mager Erfahrung bevor du wieder eintauchst in Zukunft wirst du den kleinen Tod in meinen Armen sterben mich zurücklassen mit dem Wissen dir schon einmal begegnet zu sein und meinem Erinnern 296 aus „Handschriften“ v. Christiana Steger

Völkerverbindende Donau Die sieben Donauländer Eindrücke einer Radtour von der Quelle bis zum Schwarzen Meer Ermutigt durch mehrere ausgedehnte Radreisen in den vergangenen Jahren, mach­ ten wir, der Verfasser und seine Frau, uns Ende Mai 1990 auf, um die Anrainerländer der Donau von der Q!ielle bis zum Schwar­ zen Meer ebenfalls mit dem Rad zu bereisen. Wir hatten uns vorgenommen, nicht nur die Landschaften entlang der Donau kennenzu­ lernen, sondern auch mit möglichst vielen Menschen – insbesondere in den uns unbe­ kannten Ländern hinter dem früheren ,,Eisernen Vorhang“ -ins Gespräch zu kom­ men. Da wir den Verlauf der Donau von der Q!ielle bis Wien von früheren Reisen her kannten, wählten wir eine neue Route über meist sehr verkehrsarme, dafür aber land­ schaftlich sehr reizvolle Gebiete durch Schwaben, Oberbayern und das lnnviertel. Erst nach einigen Tagen sahen wir die nicht immer „blaue Donau“ im Gebiet der viel besungenen Wachau wieder. Um auch den Großstadtbereich von Wien nicht zu berüh­ ren, wählten wir eine nördliche Umfahrung, die uns durch das uns unbekannte Gebiet des Marchfeldes, der österreichischen Korn­ kammer, führte. Beeindruckend für uns war das Überque­ ren der Donau im Bereich Hainburg mit dem Blick in die dschungelähnlichen Auwäl­ der der weiträumigen Uberschwemmungs­ gebiete mit einer vielfältigen hier im Bereich der Hainburger Pforte noch heimischen Tier- und Pflanzenwelt. Es wäre jammer­ schade, wenn dieses Naturreservat tatsäch­ lich durch das ungarisch-tschechische Stau­ kraftwerk überschwemmt und damit unwie­ derbringlich zerstört würde. Nach der Abwicklung der seinerzeit noch erforderlichen Visaformalitäten waren wir bald in Bratislava, allerdings ohne der Preß­ burg einen Besuch abzustatten. Wir wählten für unsere Tour absichtlich die tschechoslo­ wakische Seite, um auch hier dem großen Verkehrsstrom auszuweichen. Auch wenn uns ein heftiger Wind entgegenblies, so hat­ ten wir doch wie geplant außerordentlich ruhige Straßen entlang des im Bau befindli­ chen Dammes für den erwähnten Stausee. Allerdings sind bereits jetzt Ausblicke in die ausgedehnten Donauaue kaum mehr mög- lich. Bei Komarno zwang uns jedoch die Ver­ kehrsführung endgültig auf die rechte Seite der Donau d. h. nach Ungarn. Wir waren überrascht, wie problemlos die Grenzüber­ schreitung möglich war. An diesem Tag hat­ ten wir allerdings einen ersten totalen Regen­ tag, so daß wir gerne die Gelegenheit wahr­ nahmen, in Esztergom in einem netten Hotel direkt an der Donau unsere Sachen trocknen zu können. Nach ausgiebiger Besichtigung der Stadt und der alles überragenden Kathedrale dran­ gen wir nun in den Bereich des Donauknies vor, um dann das nächste Tagesziel Budapest anzusteuern. Doch unsere ursprüngliche Absicht, einige Tage in der ungarischen Hauptstadt zu bleiben, verwarfen wir sehr schnell, nachdem wir vom Krach, der schlechten Luft und der Suche nach einer Bleibe über Gebühr gestreßt waren. So zogen wir es vor, südlich von Budapest in Rackeve einen Pausentag einzulegen. Die nächsten Tage hatten wir dann die schier unendliche Weite der pannonischen Tiefebene zwischen Donau und Theiß zu überwinden. Abwechslung in die Eintönig­ keit der heute fruchtbaren Ebene mit kilome­ terlangen Korn-, Mais- oder Rapsfeldem 297

Kon Italien Jugoslawien brachten interessante Ortsdurchfahrten mit liebevoll angelegten Gärten, immer noch häufig auftretende Störche sowie gelegentli­ che riesige Gänseseharen, die uns mit ihrem ohrenbetäubenden Geschnatter begrüßten. Ein Vergleich mit der Donaueschinger Stadt­ kirche drängte sich beim Anblick der doppel­ türmigen Kirche von Kalosca auf. In dieser südungarischen Stadt hält ein Paprikamu­ seum die Erinnerung an frühere Anbauwei­ sen des ungarischen Nationalproduktes Paprika aufrecht und verdeutlicht, daß wir im Hauptanbaugebiet der roten Schoten sind. Immer seltener wurden nun westliche Autokennzeichen. Sie bleiben nach Über­ schreiten der jugoslawischen Grenze im Bereich von Sombor schließlich völlig aus. Die Beschriftungen an den amtlichen Gebäuden zeigte uns deutlich, daß wir nun bereits im kyrillischen Schriftbereich, d. h. im serbischen Teil Jugoslawiens waren. Ort- 298 schaften und Städtchen wie Vukovar oder Novo Selo, die in diesen Tagen bei Ausein­ andersetzungen zwischen Serben und Kroa­ ten leider traurige Berühmtheit erlangen soll­ ten, lagen vor einem Jahr völlig verschlafen in der Mittagsonne. Auffallend das Fehlen der mittleren Generation. In Gesprächen klärte sich dieser Umstand sehr schnell auf: Diese hält sich bis auf wenige Wochen im Jahr in einem westlichen Land auf. Bereits die Rentnergeneration lebt, wie man uns bereitwillig zu erklären suchte, von Renten­ zahlungen aus früheren Arbeitsverhältnissen im Westen, wobei es ihnen durch den Kauf­ kraftgewinn bereits mit für unsere Verhält­ nisse geringen Einkommen zu ordentlichem Auskommen reicht. Beim Durchfahren der Wojwodina nörd­ lich von Belgrad sucht man meist vergeblich nach Spuren, die die „Donauschwaben“ hier in der „Batschka“ hinterlassen haben. Nur in alten Atlanten sind noch deutsche Städte-

6SFA UdSSR I Vldln , � ‚ �,. Belogratschlk ‚ 6„ ‚, 1r,,, Walachei Bukare•t • Bulgarien Schwarz•• Meer namen wie Neustift (Novi Sad) oder Maria­ Theresien-Stadt (Subotitza) zu finden. Zu einem unvergeßlichen Erlebnis wurde für uns das Durchfahren des sog. ,,Eisernen Tores“, d. h. des gewaltigen Durchbruchs, der von der Donau beim Aufeinandertreffen von Balkan und Karpaten geschaffen wurde. Auch wenn seit der Inbetriebnahme des 35 m hohen Staukraft- und Schleusenwerkes bei Tumu Severin im Jahre 1972 die Gefähr­ lichkeit für die Schiffahrt genommen wurde, so hat die 150 km lange Felsenlandschaft kaum etwas von der Ursprünglichkeit einge­ büßt. Geradezu begrüßt wird der Durchfah­ rende von den Ruinen der einst mächtigen Türkenfestung bei Golubac. Danach er­ scheint nach fast jeder Straßenbiegung eine andere Landschaftsform: schroffe Kalkfel­ sen, herrliche Aussichten in die noch immer wilden Karpaten, liebliche Abschnitte und Verengungen der Donau auf weniger als 100 m wechseln sich ab. Wir sind erstaunt, zumindest auf der jugoslawischen Seite eine wunderbar ausgebaute Straße vorzufinden und haben das Gefühl, ziemlich allein unter­ wegs zu sem. Mit besonderer Spannung fuhren wir nach runden 14 Fahrtagen auf die bulgari­ sche Grenze zu und waren angetan, wie gast­ freundlich wir dort empfangen wurden. Die­ ser Eindruck sollte sich in den folgenden Tagen und Wochen noch oft bestätigen. In Vidin, der ersten Stadt in dem uns so frem­ den Land, mußten wir uns erst einmal an die Armut und die Rückständigkeit dieses Lan­ des gewöhnen. Da in diesen Tagen das erste freie Parlament gewählt wurde, konnten wir uns gelegentlichen politischen Diskussionen nicht entziehen. Immer wieder wollte man von uns erfahren, wie wir über Bulgarien denken und was wir über ihr Land wissen. Wir waren außerordentlich überrascht, wie schnell und offen unsere Gesprächspartner uns ihre politischen Ansichten anvertrauten. 299

Wir sind guter Dinge beim Start zur Donautour in Donaueschingen Die Ruinen der ehemaligen Türkenfestung Golubac am Eingang zur Djerdap­ Schlucht, dem Beginn des Großen Donaudurchbruches zwischen Karpaten und Balkan Sonnenuntergang bei Lepenski Vir, wo bereits vor rund 20.000]ahren Höhlen­ menschen wohnten und vor etwa 8.000 Jahren eine eigene Kultur der Menschen von Lepenski Vir entstand 300

Die Donau zwischen den Karpaten (links) und den Ausläufern des Balkan Nördlich der rumänischen Stadt Hirsova teilt sich die Donau noch einmal in mehrere Arme auf, um etwa 100 km weiter bei Braila wieder zusammen zu kommen Die Fischer im Donaudelta freuen sich über unseren Besuch 301

Nach einem Abstecher zu den Felsformatio­ nen von Belogratschik fuhren wir auf der bulgarischen Seite weiter donauabwärts. Bedingt durch das geringe Gefälle von weni­ ger als 4 cm pro Kilometer fließt die Donau unendlich träge durch die Walachei; nicht selten kleinere oder größere Inseln bildend. Da die Ausläufer des im Süden liegenden Balkans bis an den Fluß heranreichen, sind ständig mehr oder minder hohe Bergrücken zu überwinden, so daß sich immer wieder faszinierende Aussichten ergeben. Da Hotels in dieser Gegend nur in sehr großen Abständen zu finden sind, müssen sich unsere Tagesleistungen danach richten. Und so konnte es fast nicht ausbleiben, irgendwann einmal ohne Quartier auf der Straße zu stehen. In Orjahovo, einem klei­ nen Städtchen auf drei Terrassen an der Donau gelegen, nahmen wir deshalb gerne die Gastfreundschaft einer bulgarischen Familie an. Das Eiserne Tor ist bekanntlich nicht das letzte Hindernis, das der ganz und gar nicht mehr „blauen Donau“ den direkten Weg zum Schwarzen Meer unmöglich macht. Obwohl nur noch SO km vom Meer entfernt, zwingt der Baragan, ein östlicher Ausläufer des Balkan, die Donau zu einer großen Schleife nach Norden. So verließen auch wir in Silistra das liebgewonnene Bulgarien und setzten die Reise in Rumänien fort. Hitze, Staub, unbeschreibliche Luftemmissionen von an der Donau liegenden Chemiewerken und zumindest teilweise schier unbefahrbare Straßen, verbunden mit anhaltenden Stu­ dentenunruhen im nahe gelegenen Buka­ rest, ließen bei uns Gedanken des Aufgebens aufkommen. Doch mit dem Ziel so nahe vor Augen war der Durchhaltewille schließlich stärker. Stolz und glücklich, es geschafft zu haben, trafen wir nach runden 3000 Fahr­ kilometern, drei Wochen nach dem Start auf der Baar, in Tulcea am Donaudelta ein. Von mehreren in Erwägung gezogenen Rückreisemöglichkeiten entschlossen wir uns zu einer Fortsetzung der Radtour zunächst entlang des Schwarzen Meeres über Constanza nach Varna. Von dort aus steuerten wir die bulgarische Hauptstadt Sofia an, um per Flug Zürich zu erreichen. Ein kalter Regenschauer im Bereich des Für­ stenberg machte deutlich, daß wir wieder auf der rauhen Baar angekommen waren. Helmut Wider Ich stamme aus der Bukowina … dem nördlichsten Teil Rumäniens, der bis 1918 als Kronland zur Donaumonarchie Österreich-Ungarn gehörte. Die Bukowina ist ein sehr schönes und fruchtbares Agrar­ land, dem die Moldau und die bewaldeten Höhenzüge der Karpaten einen besonderen Reiz verleihen. – Seit sechs Jahren wohne ich mit meiner Familie in Villingen, wo wir uns vollkom­ men heimisch fühlen, zumal wir inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt haben. Natürlich gibt es Stunden des Heim­ wehs, aber das Tröstliche ist dann immer, daß der Schwarzwald große Ähnlichkeit mit der Bukowina hat und daß in der Nachbar­ stadt Donaueschingen die Donau ihren Lauf beginnt und in Rumänien ins Schwarze Meer mündet, also beide Länder, Deutsch­ land und Rumänien, gleichsam verbindet. Aber wenn wir im Donaueschinger Schloß­ park vor der wunderbaren Plastikgruppe „Mutter Baar zeigt ihrer jungen Tochter Donau den weiten Weg nach Osten“ stehen, so beschleicht uns doch ein Gefühl tiefer Ergriffenheit. – Rumänien hat eine erstaunlich reiche und dramatisch bewegte Geschichte. Interessant ist, daß seine Könige aus dem schwäbischen Fürstenhaus Hohenzollern-Sigmaringen stammten. Zusammen mit den Abgeordne­ ten der Kammer bestimmten sie von 1866 bis 1947 die Geschicke Rumäniens. Der letzte 302

König war Michael II. Er wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem gebieterischen Einfluß der sowjetischen Besatzungsmacht zur Abdankung gezwun­ gen. Was dann folgte, war Diktatur mit wirt­ schaftlichem Niedergang. Michael lebt heute als Geschäftsmann in Genf … Bemerkenswert ist übrigens, daß Königin Elisabeth, die Gemahlin Carols 1., eine geschätzte Dichterin war, die unter dem Pseudonym „Carmen Silva“ tiefempfun­ dene Gedichte und geistvolle Prosa veröf­ fentlichte, ferner daß am Hofe und in den vornehmen Häusern der Bojaren die franzö­ sische Sprache vorherrschte. – Das größte Ereignis der neueren Ge­ schichte Rumäniens aber waren, wie mir meine Mutter vor ihrem Tode mit wehmüti­ gem Rückblick erzählte, die Feierlichkeiten anläßlich der Königskrönung Michaels 1. im Jahre 1936. Es war das letzte vaterländische Fest, an dem das Volk ohne Zwang, aufrich­ tig und freudigen Herzens teilnahm – ein wahres Volksfest. Elena Coca 303

Landschaft, Heimische Tierwelt Mineraliensammeln im Schwarzwald-Baar-Kreis im Kalkgestein in der Hauptsache Calcitkri­ stalle, die sich in Spalten und Hohlräumen gebildet haben, aber auch in den hohlen Kammern von Versteinerungen sind zuwei­ len interessante Mineralien, wie Goethit, Siderit und Pyrit zu finden. Im unteren Muschelkalk kommt es an manchen Stellen zu bankigen Einlagerungen von Bleiglanz, Zinkblende und Kupferglanz. Kupfererze, die der Verwitterung ausgesetzt sind, bilden farblich schöne Kupfercarbonaten, den grü­ nen Malachit und den blauen Azurit. Als nächste Schicht kommt darunter dann der Buntsandstein, welcher durch feinst verteil­ tes Eisen seine braune Farbe bekommt. Er Feldspatkristalle nach dem Karlsbader-Gesetz, verzwi//ingt. J cm, Kirnbergsee Das Sammeln von Mineralien ist in den letzten Jahren zu einer weit verbreiteten Frei­ zeitbeschäftigung geworden, die immer mehr Freunde findet. Dazu trägt zum einen die vermehrte Freizeit wie auch das wach­ sende Interesse an der Natur bei. Der Schwarzwald-Baar-Kreis bietet für den Mineraliensammler einige Fundstellen, wenn auch nicht in dem Maße wie andere weitbekannte Orte im Schwarzwald. Durch den Mangel an verwertbaren Rohstoffen sind die Orte, an denen diese abgebaut wer­ den, im Kreisgebiet gering. Es gibt einige Steinbrüche, die aber mehr oder weniger nur geologisch von Interesse sind. Im Mittelalter wurden im Gebiet um Eisenbach und Ham­ mereisenbach Bergwerke auf Eisen und Manganerze betrieben, welche in Hammer­ eisenbach an Ort und Stelle verhüttet wur­ den. Auch in Vöhrenbach gab es früher Berg­ bau auf Eisenerz. Ebenso wurde auch im Raum Kesselberg bei St. Georgen ein Berg­ bau auf Eisenerz versucht. Bei Gremmels­ bach wurde ein Manganvorkommen in Angriff genommen. Im Gelände sind von der alten Abbautätigkeit nur noch wenige Spuren zu sehen, was das Sammeln in der Hauptsache auf Straßenbaustellen oder Bau­ gruben beschränkt. Dabei sind jedoch immer einmal überraschende Funde mög­ lich, wie es sich beim Bau des Steinbistun­ nels gezeigt hat. Geologisch gesehen kom­ men im Schwarzwald-Baar-Kreis verschie­ dene Gesteinsarten vor, was eine Vielzahl von Mineralienbildungen möglich macht. Ein großer Teil des Kreisgebietes ist von Kalkstein bedeckt. Er reicht von Nieder­ eschach im Norden bis zur Wutachschlucht im Südwesten. Die Kalksteine gehören zu den Sedimentgesteinen (Ablagerungsge­ stein). Als Mineraliensammler findet man 304

Bergkristalle 3 mm, Steinbruch Hirzwald breitet sich von St. Georgen in Richtung Süden aus. Der Buntsandstein gehört ebenfalls in die Gruppe der Sedimente. Für Sammler sind die Buntsandsteine aber unergiebig, die ein­ zigen Ausnahmen sind die an manchen Stel­ len eingelagerten Karneolen, welche ange­ schliffen zu den Halbedelsteinen gezählt werden. Im westlichen Kreisgebiet kommt dann das Grundgebirge zum Vorschein, in wel­ chem die älteren Gesteine aufgeschlossen sind. Zum einen sind da die Gneise, welche zu den Metamorphgesteinen zählen, d. h. es sind wiederaufgeschmolzene Sedimentge­ steine. Sie sind im Raum um Furtwangen ver­ breitet. Im Gneis kommen kaum samm­ lungswürdige Mineralien vor, wenn man ein­ mal von kleinen Pyritkristallen absieht, die hin und wieder anzutreffen sind. Auch wurde von Osam in seinem Werk „Die Mine­ ralien Badens“ von einem Wollastonit-Vor- Apatitkristal/2 mm mit Zinnstein und Glimmer, Steinbistunnel Gremmelsbach kommen im Grundtal bei Furtwangen berichtet. Das andere Grundgebirgsgestein ist der Granit, er gehört zu den Plutomiten. Das sind Schmelzgesteine, die von unten in den Gneiskörper eingedrungen sind. Im Kreisgebiet gibt es zwei verschiedene Granit­ körper; zum einen den Eisenbacher Granit im Raum Vöhrenbach-Hammereisenbach und zum anderen den Triberger Granit. Vom sammlerischen Standpunkt aus gesehen sind die Granite am interessantesten, denn sie bringen eine Vielzahl von verschiedenen Mineralien hervor. Zu den Fundpunkten im Kalkstein gehört die Gegend um Fützen. In den aufge­ schlossenen Gesteinen gibt es Calcitadern, in denen Calcitkristalle von beachtlichen Größen vorkommen. Sie erreichen eine Länge von bis zu 5 cm. Bei Achdorf gibt es ein Vorkommen von Septarien, die ange­ schnitten und poliert sehr schön aussehen. Auch findet man in den Sehrumpfrissen die-305

ser Septarien kleine Calcitkristalle. In dieser Region wurde früher auch Gips abgebaut, der manchmal kristallin als sogenanntes Marienglas angebildet ist. Ein weiterer Fund­ punkt für Calcitkristalle ist der ehemalige Steinbruch bei Niedereschach. Er liegt an der Landstraße von Niedereschach nach Dauchingen. Obwohl der Betrieb eingestellt ist, kann man auch heute noch brauchbare Kristalle finden. Ebenfalls im Bereich Nie­ dereschach-Kappel gibt es im unteren Muschelkalk eingelagert ein Vorkommen von Blei- und Kupfererzen, welche im Neu­ baugebiet von Kappel zutage treten. Beim Ausheben von Baugruben wurden ganze Platten freigelegt, die mit grünem Malachit und blauen Azurit belegt waren. Kupfermi­ neralien werden auch im Raum Villingen gefunden. So schreibt auch wieder Alfred Osan von Cornwallit und Leukrochalhit (Olivenit}, als intensiv grüne Überzüge auf Spaltflächen des mittleren Buntsandsteins in den Steinbrüchen bei der Sommerwirt­ schaft. An der Sommertshauserhalde, im Villinger Ziegelwerk, kommen sporadische Kupfermineralien vor. Es sind hier auch wie­ der Azurit, zum Teil in schönen Kristallen, Malachit und Kupferglanz. Bei Grabarbei­ ten an der Villinger Wöschhalde besteht die Möglichkeit, Bleiglanz und Zinkblende zu finden, mit etwas Glück in Hohlräumen Calcitkristall mit lyrit 5 mm aus dem Schrumpf riß einer Septarien, Wartenberg bei Geisingen lyrolusit pseudomorphos nach Manganit 3 cm, Gremmelsbach 306

auch schön ausgebildete Kristalle. Beim Erkalten des ehemals flüssigen Granit kommt es unter bestimmten Umständen dazu, daß sich in der Schmelze die einzelnen Bestandteile (Feldspat, �arz und Glimmer) als Kristalle ausbilden, die sich dann schwe­ bend in der Schmelze halten. Dies ist in Granitrandsteinen oft schön zu beobachten. Man kann die eingewachsenen Feldspatkristalle sehen, die je nach Lage der Spaltflächen an der Oberfläche glänzende regelmäßige Formen erkennen lassen. An einer kleinen Stelle am Kirnbergsee ist der Granit durch die Verwitterung so morsch, daß sich die einzelnen Feldspatkristalle aus dem Gestein brechen lassen. Beim intensi­ ven Absuchen des Ufers findet man sie auch im Gesteingrus. Die Feldspäte bilden fast ausschließlich Zwillingskristalle nach dem Karlsbader Gesetz, selten sind Einzelkri­ stalle, noch seltener sind Zwillingskristalle nach dem Bavenoergesetz. Auch eingewach­ sene Quarzkristalle lassen sich finden, die beidseitig ausgebildet sind und fast keine Prismenflächen aufweisen. Allerdings sind sie wesentlich kleiner als die Feldspäte. Das Eisen- und Manganerz-Revier von Eisen­ bach und Hammereisenbach liegt ,zwar in der Hauptsache auf dem Gebiet des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald, aber auch in den Wäldern von Hammereisenbach, in Richtung Fahlenbach sind noch alte Erzgänge zu erkennen. Dort lassen sich Belegstücke von Eisenerz, in der Hauptsache Hämatit und Manganerz wie Pyrolusit, Psilo­ melan und Braunit finden. Am Ortsausgang von Hammereisenbach in Richtung Eisen­ bach ist ein Steinbruch auf Granit angelegt. Dabei wurde in der Mitte der 70er Jahre eine Kluft angeschossen, in welcher sich, für Schwarzwälder Verhältnisse außergewöhn­ lich, Schörlstufen (gemeiner schwarzer Tur­ malin) bergen ließen. Bergbau aufEisen wurde auch in Vöhren­ bach betrieben, wovon aber heute fast keine Spuren mehr zu erkennen sind. Die einzige Fundmöglichkeit besteht hier beim Aushe­ ben von Baugruben in der Nähe des Friedho- fes, dabei lassen sich Hämatit und Goethit bergen. Eine andere Fundmöglichkeit ergibt sich, wenn Aushubmaterial aus den genann­ ten Gebieten auf der Erdmülldeponie gela­ gert wird. Auf dem Hirzwald bei St. Georgen wurde auf einen verquarzten Tuff ein Stein­ bruch angelegt, dessen hartes Material zum Einschottern von Wegen verwendet wurde. Leider ist der Betrieb eingestellt und der Steinbruch wird mit Erdaushub verfüllt. Zu finden sind durch Eisenspuren gefärbte und gemaserte Steine, die entfernt an Achate erinnern, aber keine sind. In den Hohlräu­ men des Gesteins kommen kleine Bergkri­ stalle sowie Hämatit und Sideritkristalle vor. Außerdem kann man das unscheinbare Mineral Sudoit finden, welches weltweit nur von zwei Fundpunkten bekannt ist, eben am Hirzwald und in der Kamakitamine in Japan. Auch findet man im ganzen Bereich am Kes­ selberg Steine, die Spuren von Eisenerz ent­ halten. Zu den Fundstellen, die unter Samm­ lern über den Schwarzwald hinaus einen guten Ruf haben, gehört das Manganvor­ kommen in Gremmelsbach. Während der Zeit der Glasbläserei im Schwarzwald wurde ein Abbau versucht, um mit dem Mangan die Glasschmelze zu reinigen. Es kommt in der Hauptsache Pyrolusit vor, der zum Teil wunderschöne bis zu 5 cm lange Pseudomor­ phosen nach Manganit bildet. Des weiteren findet man Braunit, welches in kleinen Okta­ ederkristallen (Achtflächner) vorkommt. Im Körper des Triberger Granits gibt es Hohl­ räume, die mit �arz, Feldspat und Schörl ausgekleidet sind. Diese Hohlräume sind über die ganze Raumschaft verteilt, so daß sich genauen Fundortangaben machen lassen. Sie sind in der Regel an Peg­ matitgänge gebunden, kommen aber auch regellos im Gestein vor. Auch hier gilt wie­ der, daß man an Baustellen ein offenes Auge hat. So konnten beim Tunnelbau am Stein­ bis bei Gremmelsbach Mineralien gefunden werden, die sonst selten aufgesc;hlossen sind. Es sind dies Zinnstein (Kassiterit) ein Zinn­ erz, das in sehr schönen, dunkelbraunen, gut ausgebildeten Kristallen vorkommt, sowie keine 307

Apatit ebenfalls in gut ausgebildeten Kristal­ len. Des weiteren ein für diese Paragenesen außergewöhnlichen Fund von Gipskristal­ len. Bei den gefundenen Quarzkristallen handelt es sich teilweise um Rauchquarz, der sich gelegentlich zum Schleifen eignet. Da im Raum Niederwasser – Hornberg (Orte­ nau-Kreis) auch schon Beryllkristalle in die­ sen Paragenese gefunden wurden, wäre es denkbar, daß diese auch im Raum Grem­ melsbach vorkommen. In Nußbach wurde bei Messungen eine radioaktive Anomalie festgestellt, welche zu Probebohrungen führte. Dabei wurden einige Uranmineralien gefunden, die aber sehr klein sind und sich nur auf die Bohrkerne beschränken. Zum Abschluß noch einige Worte zum Sammeln selbst. Beim Sammeln von Mine­ ralien sollte man natürlich beachten, daß die Fundpunkte im Gelände irgendeinen Be­ sitzer haben, und es gebietet schon der Anstand, daß man sich mit dem jeweiligen Besitzer in Verbindung setzt und um Geneh­ migung nachfragt. Leider muß hinzugefügt werden, daß es bei den Mineraliensammlem Der Rotfuchs Der Fuchs ist zwar ein alltägliches Tier, doch es wird nur wenige Menschen geben, die ihn aufgrund seiner überwiegend nächt­ lichen Lebensweise in freier Wildbahn über längere Zeit beobachten konnten. Der Rotfuchs gehört zu der Familie der Hunde. Er erreicht eine Körperlänge von 60 bis 90 cm. Bezieht man seinen Schwanz mit ein, bringt er es auf 95 bis 130 cm. Seine Schulterhöhe beträgt 35 bis 45 cm und sein durchschnittliches Gewicht 7 kg. Doch auch hier gibt es Tiere, die sich nicht an diese Durchschnittswerte halten und wesentlich größer und schwerer sind. Endet der rötliche Schwanz mit seiner schwarzen, grauen oder gelben Schattierung in einer weißen Spitze, ist es von dieser Farbvariante her ein Birkenfuchs. Ist das 308 wie auch in anderen Sparten der Freizeitge­ staltung schwarze Schafe gibt. Durch rück­ sichtslose Ausbeutung von Fundstellen haben sie den Ärger der Eigentümer auf sich gezogen, worunter auch die Allgemeinheit der Sammler zu leiden hat. Deshalb sind nicht mehr alle Stellen zugänglich. Dieser Artikel erhebt natürlich keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Vollständigkeit. Er gibt nur eigene Erfahrun­ gen wieder und soll dazu dienen, den Interes­ sierten das Sammeln von Mineralien und das Beobachten der Natur zu erleichtern. Herbert Schuler Q}iellennachweis: Alfred Osam, Die Schweizerbart’sche lung, Stuttgart 1923. Mineralien Badens, Verlagsbuchhand- Werner Oppelt, Die Mineralien der Gegend um Triberg, Der Erzgräber, Heft 2, 1988. Schwanzende schwarz, handelt es sich um einen sogenannten Brandfuchs. Doch bei der Farbgebung schlägt die Natur manch­ mal Kabriolen. Dann erscheint ein Fuchs mit insgesamt schwarzem oder weißem Haarkleid. Seine Lautäußerungen entspre­ chen der jeweiligen Stimmungslage. Der Schmerz- aber auch gleichzeitig der Ranz­ laut ist ein weit hörbares Kreischen. In bedrohlichen Lagen ist es ein lautes Keckern. Mit leisem Winseln, Kläffen oder Knurren verständigen sich Fähe und Junge. Kein Tier spielt neben dem Wolf in Mär­ chen und Fabeln eine größere Rolle als der Fuchs. In seinem gesamten Verbreitungsge­ biet, in Europa, Asien, Nordafrika und Nordamerika nehmen Redewendungen auf Meister Reineke Bezug. Aus der Spätantike

stammen die ca. 300 Asopschen Fabeln, in denen unter anderen schon die List und Schlauheit dieses Tieres eine Rolle spielen. Aufgrund dieser Eigenschaften bekam er im 11.Jahrhundert den Beinamen Reinhart, was „der durch seine Schlauheit Unüberwind­ liche“ bedeutete. Am Ende des 15.Jahrhun­ derts war er der Held in einem niederdeut­ schen Tierepos „Reineke de Vos“, welches Goethe wieder zu seinem Werk „Reineke Fuchs“ inspirierte. Eines unserer Kinderlie­ der beginnt mit „Fuchs du hast die Gans gestohlen.“ Hier, wie so oft bei dem Fuchs, verwischen sich Sage und Wirklichkeit: Die Hauptbeute Meister Reinekes sind Mäuse. Bei dem Fang dieser Nager ist er ein wahrer Meister. Da hat er im Gras ein leises Rascheln gehört, langsam schiebt er sich an diese Stelle heran. Alles an ihm ist gespannte Aufmerk­ samkeit. Mit allen vier Läufen schnellt er plötzlich in die Höhe und schnappt noch im Der Altfuchs verbringt den Tag überwiegend im Schutz einer Dickung. Die Fähe sucht den Bau außerhalb der ]ungen­ aufzucht nur gelegentlich auf. Mit diesem Kurz­ besuch will sie ihren Besitz beanspruchen. Niedergehen nach der Maus. Im Winter ist dieser Fang für den Betrachter viel lustiger. Bei entsprechenden Schneeverhältnissen steckt er mit dem Kopf voran mit einem Großteil seines Körpers in der weißen Pracht, um anschließend mit einer Beute im Fang wieder voll auf der Bildfläche zu erscheinen. Doch nicht nur die kleinen Nager stehen auf seinem Speisezettel, bei denen die Wühl­ mäuse als Beutetiere eine Spitzenstellung einnehmen. So liest er alle Arten von Käfern auf, in entsprechenden Jahren besonders Maikäfer, er fängt Heuschrecken, Schnecken und Eidechsen und gräbt nach Engerlingen. Bei Regenwürmern hat er eine besondere Art der Vorratshaltung entwickelt. Kommen bei entsprechenden Wetterverhältnissen genü­ gend an das Tageslicht, landen einige in sei­ nem Magen, anderen beißt er den Kopf ab und rollt sie zu einer Kugel zusammen, um sie dann in einem Versteck zu deponieren. Dieses Nahrungsspektrum wird von den Menschen noch akzeptiert. Doch weniger erfreut sind sie, wenn er sich ausnahmsweise einmal ein Rebhuhn, ein Karnickel, einen Hasen, ein Auerhuhn, ein Wildschwein­ frischling oder gar ein Rehkitz greift. Wird der Fuchs allerdings bei dem Fang eines Bambis von der Rehgeiß wahrgenommen, dreht sie umgehend den Spieß um und es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd. 309

Vennenschlicht ausgedrückt könnte das heißen: ,,Oh diese Frühjahrsmüdigkeit“. Vorsichtig schiebt sich ein Jungfuchs aus dem Schutz der Röhre und prüfi, ob er sie ohne Gefahr verlassen kann. Dann befindet sich der Jäger in der Rolle des Gejagten. Neben der tierischen Nahrung ver­ achtet er auch Pflanzenkost nicht, wobei ihr Anteil zur Gesamtnahrung 18,3 O/o betragen soll. Das ist Fallobst und viele Arten von Bee­ ren. Dazu zählen im Spätherbst, wenn die Früchte reif sind, unter anderem Äpfel, Pflau­ men und Hagebutten. Auch die Trauben, die ihm angeblich nicht schmecken, weil sie zu hoch hängen, sind für einen richtigen Fuchs meistens doch erreichbar. Nicht alle Vegeta­ bilien werden direkt aufgenommen. Ein Teil ist im Magen gefressener Tiere deponiert. An die in dem Kinderlied besungene Gans traut er sich übrigens in den seltensten Fällen heran und auch ein angriffslustiger Haushahn hat schon manchen Fuchs in die Flucht geschlagen. Aas nimmt ebenfalls einen beachtlichen Teil seines Nahrungs­ �pektrums ein. Doch nicht alle Tiere, deren Uberreste man am Fuchsbau findet, kom­ men auf sein Konto. Oft sind es aufgelesene Kadaver, die er in der Aufzuchtzeit der Jun­ gen hierher transportiert. Die oft gepriesene Schläue Meister Reinekes beruht auf seiner guten Lernfähigkeit. Das von dem Men­ schen nachgeahmte Mäuseln lockt ihn nur einmal heran. Anschließend weiß er genau, wenn die falsche und wann die echte Maus ihr dünnes Pfeifen hören läßt. Im ersteren Fall räumt er in schneller Flucht das Feld. Interessant ist der Mäusefang bei der Auf- 310 zucht der Jungen. Die Nager, die er in dieser Zeit erbeutet, trägt er meistens nicht einzeln zum Bau. Sie werden an einer bestimmten Stelle abgelegt. Am Ende der Jagd nimmt er sie alle in den Fang und trägt sie so seinen Jungen zu. Der Aufenthaltsort des Fuchses am Tag ist ein Waldversteck. Die Baue werden zwar immer wieder aufgesucht, jedoch meistens nur, um Kot- oder Urinmarkierungen vorzu­ nehmen. Schläft er dann wirklich einmal in der unterirdischen Wohnung, soll das wahr­ scheinlich nur seinen Besitzanspruch gegen­ über Artgenossen deutlich machen. Auf­ grund seiner Fellstruktur ist er auf die Höhle als Wetterschutz nicht angewiesen. Er ver­ schläft den Tag zusammengerollt in einer Dickung, ohne sich hier von Regen oder Schnee stören zu lassen. Wo es geeignete Nahrung gibt, ist auch der Fuchs zu Hause. Das kann im Bereich des Wattenmeeres sein oder in den Alpen, wo man noch in 1800 Meter Höhe seine Bauten gefunden hat. Er lebt in waldreichen Gebieten, wobei er gro­ ßen geschlossenen Wäldern nach Möglich­ keit aus dem Weg geht, und in baumlosen Gegenden, wie zum Beispiel auf der Nord­ seeinsel Langeoog. Seinen Bau kann sich der Fuchs selbst gra­ ben. Sein Standort liegt überwiegend im Wald, in tiefgründigen Böden, deren Struk­ tur nicht zu fest sein darf. Doch gibt es auch

Überwiegend frißt der Fuchs zwar Mäuse, doch wenn er es erwischt, zählt auch einmal ein Rehkitz zu seinem Beutespektrum. Röhrensysteme, die im felsigen Gelände angelegt sind. Hier war aber mit Sicherheit Meister Grimbart als Baumeister tätig. Für die Anlage von Höhlen sind Dolinenhänge gern angenommene Grabungsareale, da es hier infolge der Bodenstruktur keine Stau­ nässe gibt. Im hügeligen Gelände befinden sich die Baue zu zwei Drittel in bester sonni­ ger Wohngegend, das heißt, auf der südöst­ lichen, südlichen oder südwestlichen Hang­ seite. Sind es Röhrensysteme, die sich über mehrere Etagen hinziehen, war ebenfalls der Dachs am Werk. Sie sind weitläufig angelegt und haben mehrere Wohnkessel. Hier können Fuchs und Dachs nebenein­ ander leben, wobei sich Meister Reineke mit den Röhren im Randbereich begnügen muß. Doch kann der Fuchs den Dachs auch ver­ treiben, indem er das Gebot der Sauberkeit, auf welches Meister Grimbart besonders ach­ tet, in dem Röhrensystem außer Kraft setzt. Sind die lästigen, artfremden Mitbewohner vertrieben, können in einer solch großen Wohnanlage auch 2 Fähen ihre Jungen groß­ ziehen. Weiter im Wald liegende Baue wer­ den nur angenommen, wenn die in Wald­ randnähe bereits alle besetzt sind. In einem Optimalbiotop des Fuchses können in einem Waldgebiet von 100 Hektar 5 bis 10 Baue ihren Standort haben. Der Aktionsraum eines Fuchses umfaßt je nach Lage 5-12 und 20-50 km2. Ein Territo- . Im Februar, während der Ranzzeit, ist der Fuchs auch tagsüber auf den Läufen. rium wird in der Regel von einem Rüden und mehreren Fähen bewohnt. Das Revier wird durch Duftstoffe markiert, die durch Drüsen an den Branten, an dem After und an der Schwanzwurzel ausgeschieden werden. Harn- und Kotstellen dienen dem gleichen Zweck. Naht die Ranzzeit und streifen fremde Männchen in das von einem Rüden bereits besetzte Revier, werden sie umgehend ver­ jagt. Auch die Weibchen, die in dieser Zeit die zukünftige Kinderstube besetzt haben, dulden keine anderen Fähen in ihrem Ak­ tionsbereich. Schon bevor die Fähe läufig wird, folgt ihr der Rüde, um die nur kurze Zeitspanne ihrer Paarungsbereitschaft nicht zu verpassen. Gesellen sich noch andere Freier zu diesem Paar, folgen sie ihr allesamt. Kommt es unter ihnen wegen der Dame zum Streit, läßt sich vermenschlicht sagen: „Wenn zwei sich streiten ist es Sitte, freut sich meistens schon der Dritte“. Dabei ist es so, daß die Kopulationen in den ersten ein bis zwei Tagen nicht zur Befruchtung füh­ ren. Die Ranzzeit fällt je nach Gegend in die Monate Dezember bis Februar. In diesen Monaten sind die Füchse auch während der Tageszeit auf den Läufen. Geradeaus zieht sich die Fuchsspur im Schnee, er „schnürt“. Dabei setzt er den Tritt des Hinterlaufes in den Tritt des Vorderlaufes. Sind mehrere Rüden hinter einer Fähe her, so tritt jeder in 311

den Trittsiegel des vor ihm laufenden Tieres. In der Schneedecke ist dann auch hin und wieder der Abdruck des Schwanzes als leich­ ter Wischer auszumachen. Hier sagt die Mär, auf seine Schlauheit Bezug nehmend, er wolle mit ihm seine Spur verwischen. Gerade in dieser Zeit sind seine viel begangenen und ausgetretenen Wege, die sogenannten Pässe, unübersehbar. Führt jetzt eine Fuchsfährte auf das Neueis eines zugefrorenen Gewässers oder in ein Moorgebiet, kann ihr der Mensch unbedenklich folgen nach dem Motto: „Wenn es den vorsichtigen Meister Reineke trägt, bricht auch der weit schwerere Zweibei­ ner nicht ein“. Nach einer Tragzeit von 51 bis 53 Tagen bringt die Fähe ihre 4 bis 6 Jungen zur Welt, deren Geburtsgewicht zwischen 80 und 150 g liegt. In den ersten 3 bis 4 Wochen ist Mut­ termilch ihre einzige Nahrung. Im Alter von 12 bis 14 Tagen öffnen sie ihre Augen und nach 8 Wochen ist die Säuglingszeit zu Ende. Die erste Fleischnahrung erhalten sie in der Form von vorverdauten Mäusen, die von der Fähe herausgewürgt werden. An der Nahrungsbeschaffung sind beide Partner beteiligt. Bringt der Rüde Beute, legt er sie in der Nähe des Baues ab, wo sie von der Fähe und später auch von den Jungen aufgenom­ men wird. Haben die Welpen die ersten Wochen überlebt und verlieren sie dann ihre Mutter, kann der Rüde allein die Beutebe­ schaffung übernehmen. Es ist nicht immer ein Fuchs, der die Vaterschaft eines Gehek­ kes für sich beansprucht. Das dokumentiert sich dann in ihrer Verhaltensweise gegen­ über den Jungen, denen sie in solchen Fällen auch Futter zutragen. Dabei hat die Fähe diese Hilfe gar nicht nötig, denn das Futter kann sie ohne weiteres auch allein aufbrin­ gen. An den Röhreneingängen des Baues erscheinen die jungen Füchse im Alter von einem Monat Ende April/Anfang Mai. In dieser Zeit sind sie noch sehr schreckhaft. Schon der Warnruf einer Amsel oder das Rätschen des Eichelhähers veranlaßt sie umgehend zum Rückzug in die schützende 312 Röhre. Schon bald laufen sie den beutebrin­ genden Altfüchsen entgegen. Sie springen an der Fähe hoch und versuchen mit ihr zu spie­ len. Legt sich die Mutter neben den Bau um auszuruhen, klettern sie auf ihr herum, bis sie müde sind. Der Ruheplatz ist dann neben oder auf ihr. Auch untereinander üben sie sich spie­ lend im Anschleichen und Anspringen. Dabei balgen sie sich und schlafen auch ein­ mal neben der Röhre ein. Außerhalb des Baues sind die jungen Füchse zu jeder Zeit anzutreffen, je nach Wetter und Hunger, wobei sie die ersten Sonnenstrahlen genauso genießen wie wir Menschen. Uns gegenüber sind sie nicht besonders scheu, wenn wir uns vorsichtig bewegen. Sie lassen den Beobach­ ter bis auf wenige Meter herankommen, ehe sie in ihrem Bau verschwinden. Sollte bei dieser Gelegenheit ein Altfuchs in der Nähe sein, genügt ein kurzes heiseres Bellen und sie verschwinden fluchtartig in der nächsten Röhre. Das Jagdverhalten müssen die jungen Füchse nicht erlernen, das ist ihnen angebo­ ren. Wenn sie im Herbst das heimatliche Revier verlassen, wandern manche 100 km weit, wobei Flüsse und Straßen kein Hinder­ nis darstellen. Nur große zusammenhän­ gende Waldgebiete werden nach Möglich­ keit gemieden. Im Durchschnitt liegt die neue Heimstatt, die sie erst nach wochenlan­ gem Suchen finden, 30 km vom elterlichen Revier entfernt. Einige kehren jedoch wieder an ihren Geburtsort zurück und wieder andere haben die gewohnte Umgebung erst garnicht verlassen. Drei Sinne sind bei dem Fuchs bestens entwickelt. Sein Geruchs- und Gesichtssinn (Augen) und sein Gehör. Wenn es nicht gerade regnet, wittert er zum Beispiel die menschliche Spur noch nach mehreren Stunden und geht dann sofort auf Distanz. Der Fuchs hat, vor allen Dingen in der Ranz­ zeit, einen scharfen Moschusgeruch an sich, der auch an seinem Wechsel haften bleibt. Der geruchsempfindliche Naturfreund kann solche Duftfahrten ohne weiteres erriechen.

Die Aufgabe des Fuchses im Haushalt der Natur ist die Säuberung des Revieres von krankem und verendetem Wild sowie, mit den anderen Mäusejägern zusammen, die Eindämmung der Mäusepopulation. Das Gleichgewicht in diesem Haushalt ist jedoch oft nicht mehr vorhanden oder zumindest wesentlich gestört. Seine natürlichen Feinde, Wolf und Luchs, sind in Mitteleuropa weit­ gehend ausgerottet. Nur in den Alpen über­ lebte ein erfolgreicher Fuchsjäger: der Stein­ adler. Der in manchen Gegenden wieder auf­ lebende Uhubestand zählt ebenfalls zu den Vögeln, vor denen sich Meister Reineke in Acht nehmen muß. Doch noch immer ist es der Mensch, der die Fuchspopulation in Grenzen hält. Tut er es nicht, wird diese Funktion von Seuchen übernommen. Die Tollwut, die sich in den letzten Jahrzehnten von Osten her ausbreitete, hat das mit aller Deutlichkeit gezeigt. Da der Fuchs sehr große Entfernungen zurücklegt, breitet sich die gefährliche Seuche rasch aus. Ein an Toll­ wut erkranktes Tier verliert in der Regel vor dem Menschen jede Scheu. Darum äußerste Vorsicht vor einem Fuchs, der ein solches abnormes Verhalten zeigt. Dazu noch einige Ratschläge, falls es doch einmal zu einer Begegnung mit einem erkrankten Fuchs kommt: Zuerst versuchen, Distanz zwischen sich und das erkrankte Tier zu bringen, je mehr desto besser. Einen Angriff mit einem Stock oder Prügel abwehren. Bei einem Biß oder sonstiger Berührung sofort einen Arzt aufsuchen. Beobachtungen, die auf ein kran­ kes Tier schließen lassen, umgehend dem Jäger oder der Polizei mitteilen. Doch keine Tollwut und keine noch so strenge Jagdausübung haben es bis heute ver­ mocht, den Fuchsbestand ernsthaft zu gefährden. Immer wieder finden wir seine Losung auf einem Grenzstein, sehen im Schnee seine schnurgerade Fährte oder hören in klaren Winternächten sein heiseres Bellen. Roland Kalb Winter Sommerlied Da sitzt man in der Sonne und träumt so vor sich hin. Genießt den Duft der Rosen, die hier so herrlich blühn. Die Wolkenberge türmen sich weiß in Himmels blau. Die Vogelseharen stürmen hin über Feld und Au. Die Möven schreien kreisend, es rauscht von fern das Meer. Die Blätter wiegen leise, der Wind weht sacht. Ach hört, wie tausendfaches Singen die Luft erbeben macht. Hoch oben Enten schwingen mit ihren Flügeln sacht. Das sind des Sommers Lieder, stets alt und ewig neu. Auch wenn wir alt und müde, dies Lied wird immer sein. Margot Opp Erstarrt im weichen Kleid aus Schneeflocken liegt die Winterwelt verborgen zugedeckt mit glänzendem Weiß und Licht auf dem Wasser darunter Steine schwarz geneigte Äste zum schimmernden Bach hin die dunkleren Stämme der Bäume verzaubert verwunschen seh ich sie vor mir die Schöpfung aus Eis und Schnee tief leuchtend so still als hielt alles den Atem an ich höre es und singe ein Lied des Friedens. Hanna Jäckle 313

Stätten der Gastlichkeit und der Entspannung Erinnerungen an die „Sonne“ in Tannheim Die „Sonne“ in Tannheim war immer ein Kinderparadies. Es gab eine Zeit -Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre, wo wir zumindest jedes Jahr einmal, bei beson­ derem Anlaß auch öfter, dort Aufenthalt machten. Meine Mutter ist eine Schwester der „Sonne“-Wirtin Maria Riegger, wir selbst kamen aus dem nordbadischen Tauberbi­ schofsheim. Bis Tannheim waren es damals mit dem Auto ca. 300 km -es gab nämlich noch keine direkte Autobahnverbindung. Die Entfernung war nach damaligen Maß­ stäben groß genug, um eine solche Reise als eine bedeutende Unternehmung im Jahres­ lauf erscheinen zu lassen. Andererseits war der Schwarzwald, war Tannheim ja ein eher bescheidenes Urlaubs- Gasthaus Sonne mit Brauhaus (1917) ziel. Damals standen Reisen nach Italien oder Spanien bereits hoch im Sehwange, und ich weiß noch heute, wie ich nach Abschluß der Ferien, am ersten Schultag, wenn wir berichten mußten, wo wir den Urlaub verbracht hatten, mitunter verlegen wurde, weil ich auf solche Fragen immer nur sagen konnte, daß wir wieder in Tannheim gewesen seien, was mir beim dritten Mal den Spott der Mitschüler eintrug. Wir verließen diesen gastlichen Ort, der für uns zu einer Art zweiter und schönerer Heimat geworden war, immer nur mit Weh­ mut, ja Traurigkeit im Herzen. Die Ferientage in Tannheim boten dem aufgeschlossenen Sinn eine Welt voller Wunder. Selbst den scheinbar nebensäch- 314

Gasthaus „Zur Goldenen Sonne“ heute lichsten Dingen kam in diesem Kosmos eine eigene Bedeutsamkeit zu. Da gab es den schwarzen, ehrwürdigen Daimler 170 V fur gemächliche Überlandfahrten, es gab einen ausgedienten, ölrußverschmierten „Lanz“­ Bulldog, der wie ein vorweltliches Unge­ heuer in der dämmrigen Remise stand, den mächtigen, grünglasierten Kachelofen in der Bauernstube -er schien wie für die Ewigkeit gemauert, ein Sinnbild Schwarzwälder Ge­ mütlichkeit – den Funkenschwall und das Geprassel in der Ofentür, wenn er von der Küche aus mit Fichtenscheiten beheizt wurde, die man einer alten Holzkiste ent­ nahm, die dampfende Geschäftigkeit in der Küche, das alte, leicht verstimmte Klavier auf der Empore im „Saal“, an das ich mich aus Schüchternheit aber kaum herantraute, und schließlich konnte man sich, wenn es einmal ausnahmsweise tatsächlich langwei­ lig war, immer noch den Bierfilzen einer bekannten Donaueschinger Brauerei be­ schäftigen, die man, wenn man sie zu einer Art Walze zusammengeschichtet hatte, so schön übers Parkett rollen konnte, bis sie sich nach kurzem Lauf plötzlich auffächer­ ten, zerstreuten und in die verschiedensten Richtungen zu liegen kamen. Aus der Geschichte Das Gasthaus „Zur goldenen Sonne“ taucht zum ersten Mal 1791 in den Tannhei­ mer Urkunden auf und ist seit 1873 im Besitz der Familie Riegger. Daß die Wirtschaft Zeit ihres Bestehens immer eine Sonderstellung im Ort einnahm, dafür liefert der zweispra­ chige Portalstein über dem Eingang mit sei­ ner schön geschwungenen Goldschrift zumindest ein deutliches Indiz. Er verleiht der Frontseite des ohnehin stattlichen Vier­ eckbaus mit dem mächtig aufstrebenden Walmdach zudem ein ausgesprochen reprä­ sentatives Gepräge. Die „Sonne“ war nun einmal eine Institution, weit über die Gren­ zen Tannheims hinaus bekannt und beliebt, geschätzt und geachtet. Auf nachdrücklich 315

Wirtshausschild – bestehend aus einer großen Steinplatte mit deutscher und.französischer Aufschrift komische Weise wurde einem diese Sonder­ stellung in den sechziger und auch noch siebziger Jahren ins Bewußtsein gerückt-zu jener Zeit also, als die Gaststätte auf dem Höhepunkt ihrer Anziehungskraft angelangt war und man zu manchen Zeiten sowohl mittags wie abends zu beiden Seiten des still und bescheiden plätschernden Brunnen­ trogs eine ganze Reihe gepflegter Karossen einer bereits erwähnten Stuttgarter Nobel­ marke bewundern konnte. Was nun die auf den Betrachter recht ungewöhnlich und bedeutsam wirkende Inschrift „Auberge au Solei! d’or“ anbelangt, so liegt es nahe, ihre Entstehung jener unru­ higen Zeit Ende des 18., Anfang des 19. Jahr­ hunderts zuzuordnen, als der östliche Schwarzwald mehr als einmal französischen Revolutionstruppen wie auch ihren Gegnern aus dem kaiserlichen Lager als Durchzugsge­ biet diente. Zu den geheimnisvollen Bestim­ mungen der „Sonne“ scheint es zu gehören, daß sie im Lauf ihrer Geschichte mehrfach 316 ungebetenen Gästen von jenseits des Rheins Unterkunft gewähren mußte. Der letzte Fall dieser Art trug sich in der Zeit zwischen Früh­ ling und Herbst 1945 zu, als de Gaulles freie französische Streitkräfte in dieser Gegend ihre Fahne aufpflanzten und sich bei den Tannheimern nicht gerade viel Sympathien erwerben konnten. Tempi passati … Auberge au Soleil d’or ,,Auberge“ heißt auf deutsch Herberge, und mit diesem heimeligen Wort wird man dem Sinn, der tiefen Bestimmung des Gast­ hauses am Rand des Schwarzwaldes gewiß am ehesten gerecht. Seit ich sie kenne, war die „Sonne“ für mich immer wie eine Oase der Wärme und des goldenen Behagens an der Grenze rauher, urwüchsiger und eher unwirtlicher Natur – denn so wurde der Schwarzwald ja von früheren Generationen noch empfunden. Am schönsten deutlich wurde dies naturgemäß während der dunk­ len Jahreszeit. Unvergeßlich bleibt mir, wie

wir einmal nach einer langen und anstren­ genden Fahrt durch Nacht und Nebel von Neustadt herkommend hier eintrafen und sogleich eine dampfende Schüssel Fleisch­ brühe mit Backerbsen auf den Ecktisch gestellt bekamen -welch köstliche Labsal an einem naßkalten Winterabend! Ganz zu schweigen vom herzhaften Wurstsalat, dem Zwiebelrostbraten, den unvergleichlichen geräucherten Bratwürsten mit Kraut – und all dies in stets überreichlich bemessenen Portionen. Was Wunder-in der „Sonne“ leben eben nur gute Menschen, walten freundlich sor­ gende Geister, und dabei hatte jedes seinen angestammten Platz im System: Nehmen wir zunächst das Schwarzwaldkind, die kleine Martina, die vortreffliche Viehpflege­ rin, die – einst völlig unersetzlich in ihrem Bereich – mit wieselflinker Geschäftigkeit den Stall versah und heute ihren wohlver­ dienten Ruhestand genießt. Für die Tiere war sie der gute Dämon, der ihre Bedürfnisse kannte wie niemand sonst und sich mit ihnen so gut wie mit den Menschen unterhielt. Für die Behaglichkeit in der Stube, fur die gefällige Ansprache waren natürlich die drei Riegger-Geschwister zuständig, nicht nur dem Herkommen nach, sondern weil sie ihrem Wesen nach einfach dafür wie geschaf­ fen waren. Hier wird jeder Stammgast zunächst das Bild des „Seniorchefs“ Riegger – fur uns der „Onkel Willi“ – vor Augen haben, wie sich der stämmige, stets heiter­ geruhsame Mann wohlgefällig dem Kreis der Gäste zugesellt, mit seinem blühenden, luft­ geröteten Teint noch im Alter ein Denkmal urwüchsiger Gesundheit, wie er „bime Gläsli Wii“ eine unvergeßliche Atmosphäre zeitlo­ sen, sonnigen Behagens und hausväterlichen Friedens um sich her zu verbreiten weiß, ohne daß er viel dazu sagen braucht. Unterstützt wurde er dabei von seinen Schwestern Emilie und Elis, die sich beide unverdrossen und mit ansteckender Herz­ lichkeit ums Wohl der ihnen Anvertrauten bemühten. Emilie, von würdigem und ge­ setztem Wesen, dabei mit einem trockenen, gelassenen Humor gesegnet und eine begabte Anekdotenerzählerin, spielte dabei mehr die Rolle der Ordnungsmacht, sah überall nach dem Rechten, gab mit freundli­ cher Bestimmtheit ihre Anweisungen und achtete darauf, daß nichts Ungehöriges geschah. Doch wie entspannt und verklärt war dann ihr Lächeln, wenn sich etwa heraus­ stellte, daß ein Bedenken zu eng gefaßt war, ein anfänglich noch vorhandenes Miß­ trauen sich als völlig unbegründet herausge­ stellt hatte. Elis war von Natur aus mehr zur Nach­ sicht geneigt. Aus leichtestem Anlaß sah man milden Sonnenschein über ihre Züge huschen, die durch die Altershülle immer noch das junge Mädchen durchscheinen lie­ ßen. Nach meinem Empfinden war es ihr größtes Bestreben allen, die ihr nahestanden, etwas zuliebe zu tun, sie zu erfreuen oder zu trösten, wenn sie einen Kummer haben. Wer bleibt noch? Natürlich die „Son­ nen“-Mutter, meine Patentante Maria Rieg­ ger, die wir nach Landesbrauch immer nur „die Gotte“ nannten. Im Dunkeln, wie man so sagt, den Blicken der Gäste meist entzo­ gen, tat sie ihre Pflicht und fragte nicht nach Dank und Lohn, der ihr doch in allererster Linie gebührte. Ihr Reich war die Küche, und wer sie einmal selbst dort beobachtet hat, wie sie an einem der nicht seltenen „Großkampf­ tage“, einer Hochzeit etwa, einem Vereins­ fest, bei der hundert und mehr verköstigt sein wollten, bis tief in die Nacht hinein oder gar bis zum frühen Morgen die Schlacht schlug und trotz möglichster Hilfe von außen Aufgaben bewältigte, die eigentlich über die Kraft eines einzelnen gehen, weiß, was ich damit meine. Sie tat dies alles mit guter und gottergebener Miene, die Selbst­ losigkeit war ihre zweite Natur, sie hat eben ein großes und reiches Herz. Ihr Tagwerk -wie auch das der anderen – ist nun getan, eine Epoche zu Ende gegan­ gen. So merkwürdig es klingt: Was aus der „Sonne“ werden wird, steht erst einmal in den Sternen. Möge ihr Feierabend würdig und gesegnet sein! Thomas Hess 317

Sport und Wettkämpfe 25 Jahre Schwarzwald-Pokal in Schonach Schonach und Furtwangen haben sich – vor 25 Jahren vielleicht noch unbewußt – große Verdienste um den internationalen Skisport erworben. Die Nordische Kombi­ nation war einst die Krone des Skisportes, weil sie Lauf und Sprung vereinte, also den totalen Athleten erforderlich machte. Im Zuge der Spezialisierung, die auch vor dem nordischen Skisport nicht haltmachte, ver­ lor sie an Bedeutung. Veranstaltungen, die nur aus der Kombination bestanden, gab es praktisch nicht, die Zahl der Aktiven ging in aller Welt zurück. Auch in Deutschland und im Schwarzwald. Georg Thoma aus Hinter­ zarten beendete 1966 in Oslo mit dem Gewinn des Weltmeistertitels seine große Karriere, die ihm sechs Jahre zuvor in Squaw Valley in USA schon den Olympiasieg gebracht hatte. Er fand zwar in Franz Keller aus Nesselwang 1968 in Grenoble als Olym- 318

Hans-Peter Pohl beim Schwarzwald-Pokal 1991 in Aktion (links unten und rechts oben) piasieger noch einen bundesdeutschen Nachfolger, von da an aber verschob sich die Weltspitze in die damalige DDR. Die Kom­ bination schien in der Bundesrepublik zum Stiefkind des Skisports zu werden. Man muß diese Vorgeschichte kennen, um zu verstehen, warum die Gründung des Schwarzwald-Pokales vor 25 Jahren so große Bedeutung hat. Der Wettbewerb hatte damals noch den bescheidenen Namen „Kombination Schonach-Neukirch“ und basierte auf dem traditionellen Langlauf­ Wettbewerb „Rund um Neukirch“, den die Skizunft Brend in jedem Jahr als ein wahres Langlauf-Volksfest veranstaltete. Da kam die Idee auf, die Veranstaltung um eine Kom­ bination zu erweitern. Da Neukirch über keine Schanze verfügte und die alte Kohl­ hepp-Schanze in Furtwangen internatio­ nalen Ansprüchen damals nicht genügte, Schonach im Langenwald aber einen Sprung­ hügel hatte, kam die Partnerschaft zwischen der Ski-Zunft Brend und dem Ski-Club Schonach zustande. Man redete nicht lange um die Idee herum, sondern verwirk­ lichte sie. 1967 wurde die Kombination Schonach-Neukirch aus der Taufe geho­ ben. Die Partnerschaft der beiden im Schwarzwald bedeutenden Vereine hielt bis 1972. Dann geboten die immer größer wer­ denden organisatorischen Aufgaben für eine solche inzwischen groß gewordene Veranstal­ tung eine Trennung. Sie erfolgte in aller Freundschaft. ,,Schwarzwald-Pokal“ hieß die Veranstal­ tung in Schonach fortan, und sie wurde zur bedeutendsten Kombination der Welt. Es ist leicht nachzuweisen: Außer Olympischen Winterspielen und Weltmeisterschaften weist kein Kombinations-Wettbewerb eine Besetzung wie Schonach auf. Man spricht in der ganzen Skiwelt von Schonach. Daß es dazu kam, hat verschiedene Ursachen. Zuerst muß man da die Männer der ersten 319

Stunde nennen. Einen Otto Pfaff und Eugen Scherer zum Beispiel, die in guter Gesund­ heit das Jubiläum im Januar 1991 mitfeiern konnten, aber auch die leider zu früh verstor­ benen Franz Grieshaber, Arthur Schyle, Adolf Petrino senior und junior oder Paul Feiß. Und natürlich Ernst Sehmieder. Er war zwar jüngstes Mitglied jenes Kreises, der den Grundstein legte, wurde aber das wichtigste. Sein Organisationstalent, seine weitreichen­ den Verbindungen, seine Beharrlichkeit machten ihn zum Kopf der Veranstaltung. Und er bekam in Heidi Spitz eine Mitarbei­ terin, die unentbehrlich wurde. Ohne sie wäre der Schwarzwald-Pokal undenkbar. Aber da war noch eine zweite Kompo­ nente: Die Gemeinde mit Bürgermeister Albert Haas an der Spitze. Der Ski-Club allein hätte es nicht schaffen können, die Veranstaltung zur Weltgeltung zu bringen. Albert Haas schenkte dem Ski-Club seine volle Unterstützung, die bis zur persönli­ chen Mitarbeit im Wettlaufbüro reichte, und er wußte, daß sein Gemeinderat mit großer Mehrheit hinter ihm stand. Das Wort „unlösbar“ gab es in Schonach nie, wenn Probleme im Zusammenhang mit dem Schwarzwald-Pokal auftauchten. Nicht nur Bürgermeister und Gemeinderat sorgten dafür, sondern eigentlich die ganze Bevölke­ rung. Und damit sind wir beim dritten Punkt der Weltgeltung des Schonacher Wettbe­ werbs: Zum Zusammenwirken zwischen Gemeinde und Ski-Club kommt die Schon­ acher Atmosphäre. Die Sportler treffen im ,,Skidorf“ auf Gastfreundschaft und Weltof­ fenheit wie kaum irgendwo in der Welt. Ob in Skandinavien oder Übersee oder in den Alpenländern: Wenn der Name Schonach auftaucht, leuchten die Augen derer auf, die schon dort waren. Das ist, am Rande des Sports, für Schonach die wohl wertvollste Anerkennung. Man läßt glanzvolle Namen des interna­ tionalen Sportgeschehens Revue passieren, wenn man einen Streifzug durch die Ergeb­ nisse der25 Jahre Schwarzwald-Pokal macht. 1967 eröffnete Edi Lengg aus Reit im Winkl 320 den Reigen der Sieger. Nur 24 Starter ver­ zeichnete man damals -nicht einmal die Hälfte der Starterfelder der letzten Jahre. Ihm folgte 1968 Alois Kälin aus Einsiedeln in der Schweiz -einer der großen Rivalen von Georg Thoma, der seine Laufbahn beendet hatte. Ralph Pöhland, der 1968 aus der dama­ ligen DDR geflüchtet war und in Hinterzar­ ten seine neue Heimat fand, war der Sieger 1969, ein Jahr später bestätigte Franz Keller seinen Olympiasieg mit dem Erfolg in Schonach und Neulcirch. Er hätte schaffen können, was in den 25 Jahren niemand gelang: Den Pokal endgültig zu gewinnen. Das Reglement schreibt nämlich vor, daß nur der den großen (und wertvollen) Pokal behalten darf, der ihn dreimal nacheinander oder insgesamt fünf Mal gewinnt. Franz Kel­ ler fehlte 1971 (Hans Rudhart aus Isny im All­ gäu gewann), damit verhalfen ihm die Siege 1972 und 1973 nicht zum ganzen großen Erfolg. Nach ihm war ein Finne dem endgül­ tigen Gewinn nahe: Rauno Miettinen. 1974 und 1975 gewann er, beim dritten Anlauf wurde er von einem gestoppt, der zum erfolgreichsten Kombinierer aller Zeiten wurde. Uli Wehling aus Oberwiesenthal. 1976 und 1977 gewann er-1978 revanchierte sich Rauno Miettinen und verhinderte Weh­ lings dreifachen Sieg. Ein neuer Finne stand 1979 erstmals auf dem Siegerpodest: Jorma Etelaelahti. Er gewann auch 1981. Dazwi­ schen und nach ihm kam Uwe Dotzauer aus der damaligen DDR zu zwei Erfolgen. 1983 mußte der Schwarzwald-Pokal erstmals wegen Schneemangel abgesagt werden. 1984 begann eine neue Serie des Deutschen Ski­ verbandes der Bundesrepublik. Thomas Müller aus Oberstdorf eröffnete sie, Her­ mann Weinbuch setzte sie mit zwei Erfolgen fort, dann war Hubert Schwarz aus Oberau­ dorf an der Reihe. Sie alle wurden Mann­ schafts-Weltmeister bzw. Olympiasieger in der Kombination . . . und jedesmal war Hans-Peter Pohl aus Schonach mit dabei, dem in seinem Heimatort jedoch noch kein Einzelsieg gelingen konnte. Den hat er noch auf seiner Wunschliste stehen!

Klaus Sulzenbacher, der Tiroler aus Kitzbü­ hel und Weltcupsieger 1989/90, Hippolyt Kempf, der Schweizer aus Luzern, Olympia­ sieger 1988, und nach dem Ausfall 1990 Fred Börre Lundberg, der Norweger aus dem hohen Norden, waren die letzten Sieger im Kampf um den Schwarzwald-Pokal -eine stolze Serie von großen Namen fand im Jubi­ läumsjahr ihren vorläufigen Abschluß. Namen, die deutlicher als alle Worte die Bedeutung dieses Wettkampfes im Schwarz­ wald unterstreichen. Ein Leben für den Skisport Ernst Sehmieder Ernst Sehmieder, der Initiator des „SCHWARZWALDPOKAL-Weltcup, Nor­ dische Kombination“ ist im Skidorf Schon­ ach und darüber hinaus im Deutschen Ski­ verband eine bekannte Persönlichkeit. Schon früh hat er sich dem Skisport ver­ schrieben. Mit 10 Jahren ist er dem Skiclub Schonach beigetreten. Seit der Wiedergrün­ dung des Vereins im Jahre 1947 arbeitete er Und vielleicht noch ein Satz, den Her­ mann Weinbuch dem Autoren am Holmen­ kollen in Oslo nach seinem Sieg im „Mekka des Skisports“ sagte: ,,Nach meinem Sieg in Schonach war für mich nur noch Holmen­ kollen von Bedeutung.“ Schonach und Hol­ menkollen in einem Atemzug -für jeden, der die Bedeutung der Skispiele am „Kollen“ (Berg) über Oslo kennt, ist das höchste Aner­ kennung. Damit gestärkt, geht Schonach die zweiten 25 Jahre Schwarzwald-Pokal an. Werner Kirchhofer als Schriftführer und war über 40 Jahre im Vorstand und als Organisator der großen Skiveranstaltungen tätig. Für den Skiclub holte er im Jahre 1981 die Nordische J unioren-Skiweltmeisterschaft nach Schonach. Auch hier zeichnet Ernst Sehmieder sich als der verantwortliche Orga­ nisator aus. Diese einmaligen Winterspiele konnten nur deshalb so erfolgreich sein, weil Gemeindeverwaltung, Skiclub und Ernst Sehmieder -letzterer stellte als damaliger Geschäftsführer der Firma Willi Hahn alle nur erdenklichen Kommunikationsmittel zur Verfügung -gut zusammenarbeiteten. Dies waren die Voraussetzungen für den gro­ ßen Erfolg. Aus Anlaß der Weltmeisterschaf­ ten konnten der Ausbau und die Finanzie­ rung der Langlaufloipen, des Skistadions und insbesondere der Ausbau der heuti­ gen Langenwaldschanze für 2,7 Mill. DM ermöglicht werden. Dies sind Voraussetzun­ gen, um als Weltcuport aktuell zu bleiben. Seit über 20 Jahren ist Ernst Sehmieder Schatzmeister im Skiverband Schwarzwald und bei der FdS (,,Freunde des Skisports“) im Deutschen Skiverband. Durch sein großes Engagement und sein Verhandlungsge­ schick bei den Behörden und Verbänden ist es ihm gelungen, den Skisport in den Win­ tersportorten Schonach, Schönwald, Furt-321

wangen und Neukirch aufzuwerten. Ernst Sehmieder war ein wirksamer Werbeträger nicht nur für den Skisport, sondern auch für die Kurorte unserer Region. Für seine außerordentlichen Verdienste um den Skisport im Skiclub Schonach wurde er 1975 zum Ehrenmitglied ernannt. Die Wiege von Ernst Sehmieder stand in Schonach, wo er 1925 geboren wurde. Hier besuchte er die Volksschule und anschlie­ ßend die Handelsschule. Seine Berufsaus­ bildung erhielt er als kaufmännischer Lehr­ ling bei der Firma Rombach und Haas in Schonach. 1943 zum Arbeits- und Wehr­ dienst eingezogen, war er im Fronteinsatz. Im Westen geriet er in amerikanische Gefan­ genschaft, aus welcher er 1945 entlassen wurde. Ernst Sehmieder trat nach seiner Heim­ kehr als Industriekaufmann bei der Firma Willi Hahn, Schraubwerkzeuge in Schon­ ach, ein. Sein fachliches Wissen war in der Firma gefragt und geschätzt. Der Seniorchef setzte ihn nach wenigen Jahren als Prokurist und später als Geschäftsführer ein. Über 43 Jahre hat Ernst Schmjeder die Geschicke der Firma Willi Hahn als sicherer Steuermann geführt. Der Firma hat er seinen persönli­ chen Stempel aufgedrückt. Am 30.Juni 1990 ist Ernst Sehmieder in den Ruhestand getreten. Sich von dieser Aufgabe zu lösen, ist ihm sicherlich nicht leicht gefallen. Mit Stolz kann er aber auf eine erfolgreiche Tätigkeit zurückb]jcken und so wünscht er sich, daß auch sein Nach­ folger eine glückJjche Hand haben möge zum Wohle der Firma und seiner Mitarbei­ ter. Ernst Sehmieder war auch über viele Jahre als aktiver Turner im Turnverein Schonach tätig. Aufgrund seiner langjährigen aktiven Mitgliedschaft wurde er 1970 zum Ehrenmit­ glied ernannt. Seit 1973 ist Ernst Sehmieder Aufsichtsrat der Volksbank Triberg. Um nach Eintritt in den Ruhestand nicht ganz untätig zu sein, kandidjerte Sehmieder im Jahre 1989 auf der CDU-Liste in den Gemeinderat. Aufgrund seiner großen Wert­ schätzung wählte ihn die Bürgerschaft in das Gremium. Der Gemeinderat bestellte ihn zum Bürgermeisterstellvertreter. Auch hier stellt er seine Sorge um die Mitbürger in den Mittelpunkt seiner politischen Arbeit. Aus persönlichen Gründen ist er am 8. Juli 1991 aus dem Gemeinderat ausgeschieden. Die Person Ernst Sehmieder wäre unvoll­ kommen, wenn seine Familie nicht mitein­ gebunden werden würde. Er ist müJuJje geb. Duffner verheiratet und hat 5 funder. Ernst Sehmieder meint, daß das Leben mit all sei­ nen Unwägbarkeiten und Erfordernissen nur mit einer intakten Familie gemeistert Emil Rjmmele werden kann. Mit eisernem Willen zum Erfolg Behindertensportler Walter Kubas Ein Behindertensportler aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis geht mit eiserner Disziplin seinen Weg. Jede freie Minute steht er in seinen Laufschuhen und dreht unverdrossen seine Runden in den Wäldern rings um seine Heimatgemeinde Körugsfeld­ Burgberg. Zehn, fünfzehn oder zwanzig fulometer – vermischt mit Tempoläufen -, so trainjert er auf seine großen Ziele: Deut­ sche Meisterschaften, Europameisterschaf- ten, bis hin zu den Weltmeisterschaften für Behinderte. Walter Kubas heißt dieser Athlet aus Burgberg. In der Zwischenzeit eine bekannte Größe unter den Läufern und Fachleuten im Lande. Er gehört zu den Contergan-Geschä­ digten und machte nicht nur bei Behinder­ tenwettkämpfen auf sich aufmerksam, als er Zeiten über 1500 m, über 5000 m, 10000 m und auch über 400 m erlief, die zu großen 322

verbuchte er bei den Württembergischen Meisterschaften 1988 mit 4:32:7 Min. Seine bisher größten Erfolge brachte im das Jahr 1990. Wiederum war er bei den Deutschen Meisterschaften erfolgreich und verteidigte seine im Vorjahr errungenen Titel souverän. Er war bestens gerüstet für die Weltmeisterschaften in den Niederlanden. Mit zwei Vizemeistertiteln war Walter Kubas überaus erfolgreich. In den Staffelwettbewer­ ben über 4 x 100 und 4 x 400 Meter errang er mit seinen Kameraden jeweils den zweiten Rang. Auch bei seinen Erfolgen ist Walter Kubas auf der Erde geblieben. Er wollte nie anders sein, er wollte keine Extratouren für sich in Anspruch nehmen. Als jüngstes von neun Kindern der Familie wuchs er auf-eine gera­ dezu ideale Art der Integration. Mit seiner Behinderung hatte er kaum Schwierigkeiten, weder in der Schule, der Ausbildung oder im Sport. Begonnen hat Walter als Fußballer. Probleme hat es da nie gegeben, er hat, genau wie seine Sportkameraden, ausgeteilt und natürlich auch eingesteckt in der Hitze des Gefechts. Nach einer Verletzung verlegte er sich aufs Laufen, und da kam ihm zugute, daß er schon neben dem Fußballtraining seine regelmäßigen Waldläufe absolviert hatte. Wichtig für ihn ist es, daß es Spaß macht. Nach dieser Eigenmotivation trai­ niert er bis zu fünfmal die Woche zwischen 10 und 20 Kilometer. Vor bedeutenden Wett­ kämpfen forciert er die Trainingseinheiten, so daß er in einer Woche auf120 -130 Kilo­ meter kommt. Für ihn gilt heute immer noch der alte Wahlspruch: Ohne Fleiß kein Preis! Sein größter Wunsch, bei der Behinder­ ten-Olympiade 1992 dabei zu sein, ist für Walter Kubas in greifbare Nähe gerückt. Die Voraussetzungen für dieses sportliche Aben­ teuer bringt er auf jeden Fall in vollem Umfange mit. Werner Jörres 323 Hoffnungen Anlaß gaben. Bundesleistungs­ lehrgänge für Behinderte waren der Lohn für seinen enormen Trainingsfleiß. Auf Anhieb schaffte er dort den Sprung in den A-Kader der Nationalmannschaft mit für einen Behinderten fantastischen Zeiten. Fast wäre ihm im Olympiajahr 1988 der Sprung nach Seoul geglückt, doch letztend­ lich waren administrative Gründe ausschlag­ gebend für seine Nichtnominierung. Walter Kubas hat dies mit Fassung ertragen und sich in seiner Einstellung nicht beeinflussen las­ sen. Daß er richtig lag, bewies sein Deutscher Meistertitel über 1.500 Meter 1988. Außer­ dem erlief er sich die Vizemeisterschaft über 5000 und 10000 Meter. Das Jahr 1989 war für Walter Kubas dank seines eisernen Willens mit Erfolg gepfla­ stert. Auch der Deutsche Behindertensport­ verband förderte nun systematisch das außergewöhnliche Lauftalent durch Einla­ dungen zu Bundeslehrgängen. Wer Walter Kubas kennt, weiß, daß er mit allen zur Ver­ fügung stehenden Mitteln seine vorgegebe­ nen Ziele zu realisieren versucht. Seinen ersten Deutschen Rekord über 1500 Metern

Prosa aus unserer Heimat Pfeifendeckel oder Die Bahn beförderte kein Düpplerschanzenpapier Otto von Bismarck fuhr für sein Leben gern mit dem Zug. Der Reichsgründer besaß schon 1871 einen eigenen Salonwagen, den ihm der „Verein der Privatbahnen im Deut­ schen Reiche … zur unumschränkten Be­ nutzung“ und „unter Ausschluß jeder Con­ trole … mit Vergnügen“ zur Verfügung stellte und kostenlos „cursieren“ ließ, selbst wenn nur seine Freunde mit ihm fuhren, sogar wenn er leer war. Sehr zuvorkommend wurden auch die Angehörigen der deutschen Fürstenhäuser auf ihren Bahnfahrten be­ dient. Die Freude am Zugfahren teilten die fürstlichen Herrschaften mit vielen ihrer Zeitgenossen und deren Nachkommen bis heute. Das damals noch neue Spielzeug wollten sie alle haben. Auch in jedes Schwarzwaldtal sollte ein Züglein dampfen. Jedem Tälchen sein Bähnchen! Da nun der Eisenbahn die Zukunft gehörte, sie große Menschenmassen und Güter aller Art zu befördern hatte, die neue Geschwindigkeit auch neue Gefahren mit sich brachte und überhaupt im Interesse eines geregelten Ablaufs eine Menge organi­ satorischer Maßnahmen erforderlich wur­ den, mußte 1872 auch im Großherzogtum Baden eine Reihe gesetzlicher Bestimmun­ gen erlassen werden, von denen viele so lie­ benswürdig zopfig und schrullig biedermei­ erlich anmuten wie die Gestalten Ludwig Richters und Carl Spitzwegs. Schon an die charakterlichen Eigenschaf­ ten eines jeden Bahnwärters wurde ein stren­ ger Maßstab gelegt. Treue, Eifer, Fleiß, Pünktlichkeit waren die Voraussetzungen in seinem Dienst, er mußte „stets nüchtern und sittlich seyn und sich gegen Jeder­ mann höflich betragen. Trunkenheit und Untreue wird unnachsichtlich 324 mit Entlassung bestraft.“ Versah er seinen Dienst nach Vorschrift, so gab es vie­ les zu tun: ,,vor Beginn des Tagdienstes“, den er nur in Uniform antreten durfte, hatte er seine Strecke abzugehen (in der Regel nicht mehr als 500 Ruthen -etwa 1850 m), Beschä­ digungen sofort wieder herzurichten, Wind­ bruch auf den Schienen zu entfernen, auch Graswuchs auf der Krone des Bahndammes, auch Maulwurfshügel. Und er hatte seine Vorgesetzten militärisch zu grüßen. Daß ihm der Gehorsam geboten und die Wider­ rede verboten war, wen wundert das! Selbstverständlich hatte sich das Bahn­ personal bescheiden und höflich, aber auch entschieden dem „Publikum“ gegenüber zu verhalten. Sollte dieses dennoch das Bedürf­ nis empfunden haben, sich über dessen Ver­ halten zu beklagen, so lag in jeder Station ein „Beschwerdebuch“ auf, in das die „genaue Bezeichnung nach dem Namen, der Num­ mer oder einem Uniformmerkmale“ des Bediensteten eingetragen werden sollte, der den Anlaß dazu gegeben hatte. Das Reglement mußte an alles denken: Für die Personenbeförderung galten die aus­ gehängten Fahrpläne, für die Abfahrtszeiten waren „die auf den Bahnhöfen befindlichen Stationsuhren maßgebend.“ Diese mußten ,,nach der mittleren Zeit des Ortes gestellt“ werden. Außerdem waren „Zugführer, Loko­ motivführer, Bahnmeister und Bahnwärter verpflichtet, … iin Dienst beständig eine richtig gehende Uhr bei sich (zu) tragen.“ Fünf Minuten vor der Abfahrt des Zuges mußte mit bereitgehaltenem, abgezähltem Geld das „Fahrbillet“ gelöst sein. ,,Zwei unterschiedliche Schläge auf die Glocke“ forderten zum Einsteigen auf, nach dem Abfahrtszeichen durch die Dampfpfeife der

„Locomotive“ konnte „Niemand mehr zur Mitreise zugelassen werden“ … ,,Verboten und strafbar“ war jeder Versuch, den fahren­ den Zug besteigen zu wollen, auch jede Hilfeleistung dazu, auf die Sitze zu treten, sich an die Türe anzulehnen, erst recht, „sich seitwärts aus dem Wagen (zu) biegen.“ Um jeder denkbaren Gefahr vorzubeugen, war es den Reisenden nicht einmal erlaubt, eigen­ händig die Türen zu öffnen oder zu schlie­ ßen. Dies war allein Sache des Dienstperso­ nals. -Sicherheit über alles! Vom Mitfahren ausgeschlossen waren „trunkene Personen“, sie durften sich auch in Wartesälen nicht aufhalten. Waren sie unbemerkt in den Zug gelangt, wurden sie ehemöglichst ausgewiesen. Dasselbe galt auch für )ästige Personen“. „Rauchercoupes“ gab es (außer in der ,,Ersten Wagenklasse“, wo nur mit der Ein­ willigung aller Anwesenden geraucht werden durfte) in allen Zügen. Allerdings: „Die Tabakspfeifen müssen mit Deckeln versehen sein.“ Platzkarten waren noch unbekannt, dafürwardas Personal verpflichtet, den Fahr­ gästen, wenn sie es wünschten, die Plätze anzuweisen. Besonderen Vorzug genoß das weibliche Geschlecht. „Allein reisenden Damen sollten aufVerlangen möglichst nur mit Damen in ein Coupe zusammengesetzt werden. In jedem Zug muß sich mindestens je ein Damencoupe für die Reisenden der zweiten und dritten Wagenclasse befinden.“ So war es schicklich. Kinder unter 10 Jahren fuhren zu ermäßigten Preisen. Etwaige Zwei­ fel über ihr Alter beseitigte „der Ausspruch des bei der Revision anwesenden obersten Beamten.“ Kleinkinder durften unentgelt­ lich mitgenommen werden. Längere Reisen machen hungrig. Auch daran war gedacht. Bei 300 Bahnhöfen in Baden gab es 44 Bahnhofsrestaurationen (in Pacht), von diesen 37 an Wechselstationen.“ Auch hier sah man auf strenge Trennung von vornehm und gering. Reisende der ersten und zweiten waren von denen der übrigen beiden Klassen räumlich geschieden, wenig­ stens an den frequentierteren Bahnhöfen. Bei einer unterbrochenen Fahrt mußte der Stationsvorsteher das Billet „mit dem Ver­ merk der verlängerten Gültigkeit versehen.“ Die Ordnung stand hoch im Kurs. Hunde, Schoßhunde ausgenommen, und selbst diese nur mit dem Einverständnis der Mitreisenden, hatten in den Abteilen nichts zu suchen. Sie reisten „in abgesonderten Behältnissen . . . gegen Lösen eines Schei­ nes.“ Für die übrigen Tiere standen Viehwa­ gen zur Verfügung, die Begleiter hatten dort ebenfalls ihren Platz. Ausnahmen konnten zugelassen werden. „Zum Transport wilder Thiere ist die Eisenbahn nicht verpflichtet.“ Als Reisegepäck galten Koffer, kleine Kisten und Hutschachteln, für die Reisen­ den der 4. Klasse auch Handwerkszeug, Tor­ nister, Tragelasten in Körben, Säcken, Kie­ pen usw., in keinem Falle gehörten dazu: ,,Bäume, Betten und Bettfedern, unge­ schnürt; Figuren aus Gyps; Hüte von Filz, Seide, Stroh; Thiere ausgestopfte; Wolle in losen Bündeln.“ Ebensowenig ein geladenes Gewehr, wenn schon ein Gewehr mitgenommen wurde, so mußte sein Lauf „nach oben gehal­ ten werden.“ Die Eisenbahn verweigerte auch die Beförderung von „Schießpulver … Schießbaumwolle, Knallsilber, Knallqueck­ silber, Knallgold, Dynamit, Pyropapier (sog. Düpplerschanzenpapier) … “ Karl Volk O!iellen: Reich, Staatsministerium Deutsches Eisenbahnen, Salonwagen des Fürsten Bismarck 1971 GLA 233/11491. Die Salonwagen fürstlicher Personen, deren Taxierung 1861-1863 GLA 233/ 11302. Gesetzes-und Verordnungsblatt für das Großherzogthum Baden, Bekanntma­ chung des Handelsministeriums: das Poli­ zeireglement für die Eisenbahnen Deutschlands betreffend, 1872 GLA 234/ 6866. 325

Verschiedenes Personen und Fakten Meinrad Belle ist bei der ersten gesamt­ deutschen Bundestagswahl am 2.12.1990 als Wahlkreisabgeordneter des Schwarzwald­ Baar-Kreises gewählt worden. Sein Vorgän­ ger, Dr. Hansjörg Häfele, der den Wahlkreis über 25 Jahre in Bonn vertreten hatte, hat nicht mehr kandidiert. HorstZiegler wurde am 3. 2.1991 auf wei­ tere acht Jahre zum Bürgermeister von Königsfeld gewählt. Auf den bisherigen Amtsinhaber, der noch einen Mitbewerber hatte, entfielen 76,10/o der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 54,6 %. Die neue Amtsperiode hat am 16. 3. 1991 begonnen. Richard Krieg wurde am 23. 9. 1990 als Bürgermeister von Gütenbach für eine wei­ tere Amtsperiode wiedergewählt. Der Amts­ inhaber, der ohne Gegenkandidat antrat, erhielt 98,77 0/o der gültigen Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 69,97 %. Die neue Wahlperiode hat am 1. 12. 1990 begonnen. Georg Lettner ist am 21. 10. 1990 zum Bürgermeister von Brigachtal gewählt wor­ den. Er setzte sich im 2. Wahlgang unter drei Konkurrenten mit 53,63 0/o der Stimmen durch. Die Wahlbeteiligung betrug 58,9 %. Der neue Bürgermeister hat sein Amt am 3. 1. 1991 angetreten. Der Vorgänger im Amt des Bürgermei­ sters, Meinrad Belle, hat sich um das Amt nicht mehr beworben. Bernhard Kaiser wurde am 11. 12. 1990 vom Gemeinderat der Stadt Donaueschin­ gen als Erster Beigeordneter auf weitere acht Jahre wiedergewählt. 326 Prof. Dr. Walter Zahradnik ist vom erweiterten Senat der Fachhochschule Furt­ wangen auf weitere vier Jahre zum Rektor wiedergewählt worden. Die neue Amtszeit hat mit dem 1. 3. 1991 begonnen. Theo Kühn, seit 1. 5. 1983 1. Bürgermei­ ster der Stadt Villingen-Schwenningen, wurde am 17. 4. 1991 vom Gemeinderat der Stadt Villingen-Schwenningen auf weitere acht Jahre zum 1. Bürgermeister gewählt. Die neue Amtszeit hat am 1. 5. 1991 begonnen. Der langjährige Leiter der Landesberufs­ schule für das Hotel- und Gaststättenge­ werbe im Stadtbezirk Villingen, Oberstu­ diendirektor Franz Etspüler, ist mit Wir­ kung vom 31. 7.1991 in den Ruhestand getre­ ten. Sein Nachfolger ist Herr Regierungs­ schuldirektor Herbert Motz, der bisher im Ministerium für Kultus und Sport, Stuttgart, tätig gewesen ist.

Orden, Medaillen Nachstehende Personen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis wurden seit Juni 1990 ausgezeichnet: a) mit dem Verdienstorden (Abkürz.: BVK a. B. = Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland: = Bundesverdienstmedaille) Villingen-Schwenningen Mönchweiler Niedereschach Donaueschingen Villingen-Schwenningen Villingen-Schwenningen Stadtbezirk Tannheim Donaueschingen Villingen-Schwenningen Königsfeld Schonach Dr. Bettecken, Friedrich Haas, Ernst Fuchs, Paula Sibold, Franz Heitzmann, Robert Werne,Johann Bieger, Roland Müller, Max Gebauer-Trumpf, Ilse Rombach, Franz BVM 21. 08.1990 BVK.a. B. 21. 08. 1990 BVK a. B. 23. 08.1990 BVK a. B. 23. 08. 1990 BVK a. B. 17.01. 1991 BVK a. B. 12. 02.1991 BVK.a. B. 21. 03.1991 21. 03.1991 28. 05.1991 28. 05.1991 BVK.a.B. BVK.a.B. BVM BVK a.B. b) mit der Pro-Musica-Plakette: Musikverein „Harmonie“ e. V. Niedereschach Trachtenkapelle Kappel c) mit der Theodor-Heuss-Medaille: Kessler, Willi 07. 06.1990 10. März 1991 10. März 1991 Donaueschingen Bevölkerungsentwicklung 7737 Bad Dürrheim 7712 Blumberg 7715 Bräunlingen 7734 Brigachtal 7735 Dauchingen 7710 Donaueschingen 7743 Furtwangen i. Schw. 7741 Gütenbach 7713 Hüfingen 7744 Königsfeld i. Schw. 7733 Mönchweiler 7732 Niedereschach 7742 St. Georgen i. Schw. 7741 Schönwald i. Schw. 7745 Schonach i. Schw. 7740 Triberg i. Schw. 7201 Tuningen 7731 Unterkirnach 7730 Villingen-Schwenningen 7741 Vöhrenbach Kreisbevölkerung insgesamt Stand der Wohnbevölkerung 30. 9.1989 30. 9.1990 11.132 10.872 10.300 10.055 5.621 5.504 4.943 4.871 2.958 2.949 19.154 18.384 10.140 9.913 1.537 1.491 6.638 6.540 5.906 5.706 2.983 2.986 4.928 4.761 14.199 14.016 2.791 2.506 4.605 4.534 5.775 6.143 2.3?5 2.332 2.740 2.407 76.943 78.056 4.065 4.139 201.298 196.610 Veränderungen in Zahlen 72 9 46 98 + 260 + 245 + 117 + + + 770 + 227 + + + 200 + 167 + 183 + 285 + + 368 + + 333 + 1.113 + + 4.688 53 74 3 71 in 0/o + 2,39 + 2,44 + 2,13 + 1,48 + 0,31 + 4,19 + 2,29 + 3,09 + 1,50 + 3,51 + 3,51 + 1,31 + 11,37 + 1,57 + 6,37 + 2,27 + 13,83 + 1,45 + 1,82 + 2,38 0,10 327

Ausländer in Zahlen Gemeinde Ausländer davon insge amt Türken Jugo- slawen Italiener Son tige Jahr: 1991 Ausländer- an teil in 0/o Bad Dürrheim 564 1.277 Blumberg 567 Bräunüngen 228 Brigachtal 96 Dauchingen Donaueschingen 1.648 1.018 Furtwangen 65 Gütenbach 667 Hüfingen 255 Königsfeld Mönch weil er 257 Niederescha h 215 1.728 St. Georgen 53 Schönwald 338 Schonach 544 Triberg 232 Tuningen 228 Unterkirnach Vilüngen- Schwenningen 10.749 517 Vöhrenbach Gesamt 21.246 26 652 382 48 10 357 237 2 295 22 26 64 265 10 48 178 52 73 173 320 19 25 17 309 290 8 82 64 109 40 525 17 135 104 14 23 102 28 32 43 15 380 263 47 153 13 44 16 628 8 87 85 112 44 263 277 134 112 54 602 228 8 137 156 78 95 310 18 68 177 54 88 2.179 208 5.134 3.574 145 5.993 2.116 128 4.344 2.880 36 5.775 Arbeitslose in Prozentzahlen Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Land 4,60/o 3 70/o 3 50/o 4,20/o 3,9 0/o 3,4 0/o 30. 6.1989 30. 6.1990 30. 6.1991 328 5,3 11,8 10 1 4 6 3,1 8,5 9,8 4,3 10,1 4,5 8,6 4,4 12,1 1,9 6,5 8,9 9,8 8,4 13,8 12,6 10,5 Bund 7,4 0/o 6,9 0/o 9,5 0/o

Ergebnisse der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 im Wahlkreis 190 Schwarzwald-Baar Wahlberechtigte Wähler darunter mit Wahlschein davon Briefwähler ungültige Erststimmen gültige Erststimmen davon für Belle, Meinrad CDU Lörcher, Christa SPD FDP GRÜNE Martens, Jürgen Müller, Gerhard REP NPD ÖDP Hauser, Eduard Schützinger, Jürgen Hohn, Harald Grauer, Michael Kennwort: Der Springende Punkt ungültige Zweitstimmen gültige Zweitstimmen davon für CDU SPD FDP/DVP GRÜNE LIGA Christliche Mitte DIE GRAUEN Die Republikaner NPD ÖDP PDS/LINKE LISTE Patrioten Wahlkreisabgeordneter: Meinrad Belle CDU absolut 147.031 109.917 9.733 9.601 1.879 108.038 57.867 28.501 8.372 6.801 2.148 2.873 1.077 399 1.606 108.311 53.905 28.999 13.394 5.197 244 182 1.063 2.175 1.997 926 187 42 in Prozent 74,76 8,85 8,73 1,74 53,56 26,38 7,75 6,30 1,99 2,66 1,00 0,37 1,48 49,77 26,77 12,37 4,80 0,23 0,17 0,98 2,01 1,84 0,85 0,17 0,04 329

Farbaufnahmen und Fotonachweis Die Farbaufnahme auf der Titelseite stammt von German Hasenfratz, Hüfingen. Motiv: Hinterstadt Hüfingen. Zum Farbbild auf der Rückseite: Süddeut­ sche Wanduhr mit Eisenwerk und bemalter Blechfront: Drei Marien unter dem Kreuz. Um 1780. Das Bild wurde uns freundlicherweise vom Deutschen Uhrenmuseum Furtwangen zur Verfügung gestellt. Abbildungsnachweis zur Seite 85: Hans Blum, Die deutsche Revolution 1848- 49. Eine Jubiläumsausgabe für das deutsche Volk, Florenz/Leipzig 1898, S. 225. Die Bilder auf den Seiten 233-254 wurden aus dem Katalog »Anselm Kiefer -der Kata­ log“, Marc Rosenthal organised, Art Institut ofChicago and Philadelphia Museum of Art 1987 entnommen. Die Zeichnungen auf den Seiten 156 und 298/299 wurden von Herrn Wienhart Prigge, Villingen-Schwenningen, angefertigt. Reproservice Rolf Kötz, VS-Schwenningen 330 Fotonachweis: Soweit bei den einzelnen Beiträgen die Bildautoren nicht namentlich hier angeführt werden, stammen die Fotos jeweils vom Verfasser des betreffenden Bei­ trages. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Autoren­ angabe beziehen sich auf die jeweilige Text­ seite): Andreas Weise 4; Daniel Melfi 5; Bemward Damm 6; Klaus-Peter Friese 9; Gerhard )anke 13; DGB-Ortskartell Oberes Bregtal 27, 28, 29; Archiv Gymnasium am Deuten­ berg 30, 32, 34; Sokolowski (Aufn. freigeg. Reg. Präs. Freiburg 38/3379-11) 36; Archiv Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis 37; Archiv Mannesmann Kienzle GmbH 44; Archiv MAICO Ventilatoren 46, 47, 48, 49; Archiv Liapor-Werk 55 (Aufn. freigeg. Reg. Präs. Stuttgart 2/62933 C), 56, 57; Archiv WIHA 59, 61; Erwin Kienzler 62, 64; Archiv Riegger GmbH 66; Archiv Bury 68, 69, 71, 73, 75, 76; Archiv Landesdenkmalamt Baden-Württemberg 77, 78; Hans Georg Müller-Hanssen 87; Archiv R. Adamczyk 92; Sammlung Hönle, Donaueschingen 94; Günther Hacker 98, 100; Helmut Groß 113, 155, 174, 189, 194, 195, 197 rechts, 215, 227, 262, 275, 276, 277, 278; dpa 116; Archiv Heimatmuseum Villingen-Schwenningen 161, 162; Dury 179; Atelier Hugel 180; Otto Kritzer 202; Archiv Lauffenmühle GmbH (Aufn. freigeg. Bez. Reg. Weser-Ems 16/19494-23) 205; Jörg Michaelis 207, 293, 295; Georg Goerlipp 212 oben; Otto Huber 212 unten, 213, 214; German Hasenfratz 217, 218,219,220,263,264,265,266,280,282, 283, 303; Verkehrsamt Villingen-Schwen­ ningen 226; Robert Scherer 256, 257, 258, 259, 260, 261; Foto-Fischer 171 unten; Archiv des Fördervereins für das körperbehinderte Kind e. V. 285, 286, 287; Riegger 314, 315, 316; Archiv Kurverwaltung Schonach 318, 319.

Die Autoren unserer Beiträge Sender, Gerd, Sommerbergstraße 21, 7743 Furtwangen i. Schw. Bräun, Wolfgang, Dipl. rer. pol., Auf der Wanne 55, 7730 Villingen-Schwenningen Bury, Adolf, Unter Lehr 5, 7737 Bad Dürrheim Coca, Elena, Alemannenstraße 21, 7730 Villingen-Schwenningen Conradt, Uwe, Friedrichstraße 36, 7737 Bad Dürrheim Debold, Karl-Friedrich, Richard-Wagner-Straße 60, 7800 Freiburg i. Br. Dinger Friedrich, Viktoriastraße 9, 7737 Bad Dürrheim Dold, Priska, Sommerbergweg 2, 7740 Triberg-Nußbach Dufner, Elfriede, Hauptamtsleiterin, Rathaus, 7731 Unterkimach Fehr, Dr. Hans Otto, Schönbergstraße 16, 7801 Wittnau Fleischer, Raimund, Oberstudiendirektor, Eschachstraße 28, 7730 Villingen-S chwenningen Friese, Klaus-Peter, Pforzheimer Straße 25, 7730 V i II in g e n -Schwenningen Fritschi, Käthe, Karl-Bromberger-Straße 5, 7713 Hüfingen Goerlipp, Georg, Hindenburgstraße 10, 7710 Donaueschingen Gottwalt, Franz, Dipl.-Ing., Hermann-Fischer-Allee 28, 7710 Donaueschingen Grarnsch, Joachim, Schwarzwaldstraße 27, 7214 Zimmern 1 o. R. Grießhaber, Fritz, Willmannstraße 1, 7737 Bad Dürrheim Groß, Helmut, Am Schwalbenhaag 1, 7730 Villingen-Schwenningen Gülke, Dr. Christian, Zentrale Anästhesie-Abteilung, Kliniken der Stadt V i 11 in gen -Schwenningen Günther, Karl, Direktor des Amtsgerichts a. D., Bregstraße 59, 7710 Donaueschingen Gutknecht, Dr. Rainer, Landrat, 7730 Villingen-Schwenningen Hagmann, Gerhard, Bürgermeister, Rathaus, 7737 Bad Dürrheim Hamm, Werner, Albrecht-Dürer-Straße 12, 7745 Schonach Hawner, Johannes, Bad Dürrheim (verst.) Heidinger, Werner, Regierungsrat, Geschwister-Scholl-Straße 2, 7710 Donaueschingen Henckell, Jürgen, Schriftsteller und Grafiker, Buchbergstraße 3, 7712 Blumberg Hess, Thomas, Dietigheimer Weg 1, 6972 Tauberbischofsheim Hirt, Max, Arenbergstraße 32, 7734 Brigachtal Hirt-Grießhaber, Erna, Am Waldrain 6, 7737 Bad Dürrheim Honold, Dr. Lorenz, Talstraße 41, 7710 Donaueschingen Huger, Werner, Oberstudiendirektor, Färberstraße 1, 7730 Vi II in g e n-Schwenningen Huth, Dr. Volkhard, Erbprinzenstraße 20, 7800 Freiburg i. Br. Jäckle, Alexander, Bergstraße 10, 7740 Triberg Jäckle, Hanna, Postillionstraße 19, 7000 Stuttgart-Stammheim Jörres, Werner, Hochstraße 48, 7730 Villingen-Schwenningen Kalb, Roland, Albstraße 7, 7735 Dauchingen Kirchhofer, Werner, Sportjournalist, Zasiusstraße 120, 7800 Freiburg i. Br. Klein, Kurt, Haselwanderstraße 11, 7613 Hausach Kögler, Barbara, PR-Referentin, Mannesmann Kienzle GmbH, Heinrich-Hertz-Straße, 7730 Vi 11 in ge n-Schwenningen Kramer, Kurt, Erzbischöflicher Glockeninspektor, Ständehausstraße 4, 7500 Karlsruhe 1 Kroneisen, Dr. August, Romäusring 6, 7730 V i II i n gen -Schwenningen Liebetrau, Alfred, Präsident der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Saar-Heuberg, Romäusring 4, 7730 Vi llingen-Schwenningen Linde, Prof. Dr. h. c. Horst, Schlierbergstraße 33, 7800 Freiburg i. Br. Mager, Gertrud, Auf dem Bühl 20, 7743 Furtwangen i. Schw. Maier, Dieter-Eberhard, Schillerstraße 3, 7733 Mönchweiler Müller, Hans, Geschäftsführer, Steinbeisstraße 20, 7730 Villingen-S c h wenn in gen Müller, Hans, Martin-Reinemann-Straße 3, 7712 Blumberg Müller, Kurt, Dekan, Münsterpfarramt, Kanzleigasse 10, 7730 Villingen-Schwenningen Neugart, Elisabeth, Langstraße 4, 7730 Villingen-Schwenningen Nitz, Bertin, Gütenbach (verst.) Nobs, Eduard, Hotelier, Am Salinensee 1, 7737 Bad Dürrheim 331

ÜP.P, Margot, Weiherweg 10, 7800 Freiburg i. Br. Pnllwitz, Bernhard, Schwimmbadstraße 1, 7712 Blumberg Reinartz, Dr. Manfred, Museumsleiter, Beroldinger Straße 2, 7732 Niedereschach Rieple, Max, Donaueschingen (verst.) Rimmele, Barbara, Ebermannstraße 26, 7715 Bräunlingen Rimmele, Emil, Bürgermeister i. R., Ludwig-Uhland-Straße 8, 7741 Schönwald i. Schw. Rosenfelder, Georg, Freier Architekt, Schwarzwaldstraße 7, 7742 St. Georgen i. Schw. Schade, Konrad, Redakteur, Schillerstraße 10, 7730 Vi 11 in ge n-Schwenningen Schäfer, Karl Rudolf, Eckener Straße 8, 7730 Villingen-S c h wenn in gen Schafbuch, Gottfried, Hüfingen (verst.) Scherer, Robert, Am Bodenwald 24, 7743 Furtwangen i. Schw. Schmaedecke, Dr. Michael, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Ref. Inventarisation, Sternwaldstraße 14, 7800 Freiburg i. Br. Schmid, Dr. Beate, Alte Poststraße 2, 7730 Villingen-S eh wen ni nge n Schnetzler, Elmar, Ortsvorsteher i. R., Dellingerweg 2, 7715 Bräunlingen-Waldhausen Schnibbe, Prqf. Klaus, Ilbenstraße SO, 7743 Furtwan�en i. Schw. Schuler, Herbert, Rabenstraße 30, 7743 Furtwangen 1. Schw. Schultheiß, Jochen, Blauenweg 25, 7742 St. Georgen i. Schw. Siebler-Ferry, Ursula, Kuckucksbadstraße 3, 7801 Bollschweil Spintzik, Josef, Pfarrer, Geistlicher Rat, Tretenhof-Straße 16, 7633 Seelbach Steger, Christiana, Birkenweg 8, 7712 Blumberg Storz, Dieter, Schlörstraße 11/III, 8000 München 19 Strube, Esther, Am Hofrain 8, 7743 Furtwangen i. Schw. Sturm, Dr. Joachim, Baarstraße 12, 7710 Donaueschingen-Pfohren Volk, Karl, Realschuloberlehrer, Untertal 19, 7740 Triberg-Gremmelsbach Walz, Engelbert, R.-Schumann-Straße 26, 7741 Schönwald i. Schw. Wehrle, Sommerbergstraße 16, 7743 Furtwangen i. Schw. Wider, Helmut, Egerstraße 14, 7730 Villingen-Schwenningen 332

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat im vereinten Deutschland/Landrat Dr. Rainer Gutknecht Aus dem Kreisgeschehen Kreispolitik 1991/Landrat Dr. Rainer Gutknecht „Unser Dorf soll schöner werden“ – Ein Bericht über die Kreiswettbewerbe seit 1974/Werner Heidinger Neubau Landratsamt Unsere Städte und Gemeinden, Wappen Mundelfingen -Ein liebenswerter Ort in der Landschaft der Baar/Käthe Fritschi Das Wappen von Mundelfingen/Klaus Schnibbe Waldhausen – eine alte Siedlung am Rande des Schwarzwaldes/Elmar Schnetzler Das Wappen von Waldhausen/Klaus Schnibbe 1200 Jahre Aselfingen im Wutachtal/Hans Müller Das Wappen von Aselfingen/Klaus Schnibbe Das Wappen der Stadt Furtwangen im Schwarzwald/Klaus Schnibbe Der lange Weg/Gedicht von Jürgen Henckell Behörden und Organisationen In Furtwangen zum 30. Mal: Die DGB-Ausstellung „Beruf und Freizeit“ anläßlich des Maifeiertages/Esther Strube Schulen und Bildungseinrichtungen Zum lSOjährigen Bestehen der Höheren Schule Schwenningen – Schuljubiläum des Gymnasiums am Deutenberg 1990/Raimund Fleischer Die Landesberufsschule für Hotel- und Gaststättengewerbe, Stadtbezirk Villingen – Werden und Wachsen einer berufsbegleitenden Schule/Eduard Nobs Jugendzeit/Gedicht von Johannes Hawner 1 2 3 4 10 13 14 18 18 21 22 24 25 26 27 30 35 39 Wirtschaft und Gewerbe Aufschwung Ost -Betrachtungen zur Lösung der Wirtschaftsprobleme in den neuen 40 Bundesländern aus der Sicht unserer heimischen Wirtschaft/Alfred Liebetrau, !HK-Präsident Tradition und Innovation: Mannesmann Kienzle und Digital-Kienzle Computersysteme/ Barbara Kögler 42 MAI CO Ventilatoren, Villingen-Schwenningen -Eine Fabrik, gebaut für die Zukunft/Hans Müller 45 Die Turmuhrenfabrik Gebrüder Schneider in Schonach/Gerd Bender 50 54 Liapor-Werk in Tuningen -25 Jahre Blähtonproduktion im Haldenwald/Joachim Gramsch Firma WIHA in Schonach uncf Mönchweiler -Hersteller für Schraubwerkzeuge/Engelbert Walz 58 Emil Tritschler – ein Uhrmacher aus der guten alten Zeit/Werner Hamm 62 So begann -/Gedicht von Jürgen Henckell 65 66 Im Steinbruch der Firma Riegger in Klengen -Großbagger mit Ladeschaufel/Max Hirt Wirtschaftsgeschichte Von der Saline zum Kurort – Wie es zur Entdeckung der Salzlager kam/ Adolf Bury und Fritz Grießhaber Archäologie Eine Turmhügelburg in St. Georgen-Langenschiltach/Dr. Michael Schrnaedecke Das älteste Bauerndorf in der Baar/Dr. Beate Schmid 68 77 80 333

Geschichte, Siedlungsgeschichte „Vor uns liegt ein glücklich Hoffen … “ – Aspekte der Revolutiq!l von 1848/49 in unserem Kreisgebiet/Dr. Volkhard Huth Die Entwicklung der Amter und der kommunalen Selbstverwaltung im Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises/Dr. Joachim Sturm Gremmelsbacher wanderten nach Ungarn aus/Karl Volk Die Untere oder Haller-Mühle zu Burgberg/Dieter Storz Fremder/Gedicht von Christiana Steger Laubenhausen -eine ehemalige Keltensiedlung?/Franz Gottwalt Fischbachs erster Uhrmacher war der Sinkinger Kreuzwirt/Dr. Manfred Reinartz Persönlichkeiten der Heimat Dr. Hansjörg Häfele -Er vertrat über 25 Jahre unseren Heimatwahlkreis im Deutschen Bundestag in Bonn/Konrad Schade Der Zeitungsverleger Dr. Hans-Günther Ziegler – Ein Förderer der heimatkundlichen und heimatgeschichtlichen Forschung/Karl Rudolf Schäfer Dr. med. Friedrich Bettecken – 30 Jahre Chefarzt des Städtischen Kinderkrankenhauses Villingen/Dr. Christian Gülke Walter und Lotti Späth -aktiv in vielen Bereichen/Wolfgang Bräun Erwin Kaiser zum Gedächtnis -Ein Hotelier alter Schule/Eduard Nobs Ewald Huth -ein Opfer der nationalsozialistischen Diktatur/Dr. August Kroneisen Konrad Merk -Ein Mann mit einem großen Herzen/Friedrich Dinger Annemarie Bühr -Als Pflegedienstleiterin von Anfang an im Krankenhaus Donaueschingen dabei/Barbara Rimmele Fritz Lienhard -Erfolgreich im Beruf und in der Kommunalpolitik/ Alexander Jäckle Hilde Kopp – Leiterin des Altenclubs der Villinger Südstadt/Wolfgang Bräun Roswitha Schafbuch -Mit ihrer Heimatstadt Hüfingen eng verbunden/Käthe Fritschi Paula Fuchs -Ein Leben für die Gemeinschaft/Barbara Kögler Wahnsinn/Gedicht von Johannes Hawner Franz Sibold – Ein Leben für das Handwerk/Karl-Friedrich Debold Dr. Theo Wilhelm -Ein Arzt aus Berufung/Karl Volk Mönchweilers z�_eiter Ehrenbürger -Ernst Haas/Dieter-Eberhard Maier Hedwig Stegk -Uber 40 Jahre beim Roten Kreuz/Jüq�en Henckell Hermann Mäder -Zimmern1ann und Kommunalpolttiker/Käthe Fritschi Herta Weiling-Schlotterbeck -Sie war immer eine ldealistin/Erna Hirt-Grießhaber Herta Herrmann -Mutter für mehr als 80 Kinder/Käthe Fritschi Kirchen, Glocken, Mission, Wallfahrtswesen P. Josef Arnold (1902-1984) -Ein Gremmelsbacher Missionar in Kolumbien/Karl Volk Das Villinger Benediktinerkloster auf zwei alten Zeichnungen/Dr. Manfred Reinartz 125 Jahre Lorenzkirche St. Georgen -Am 27. Oktober 1867 eingeweiht/Jochen Schultheiß Zum Heil der Verbrecher und Verdammten – Auf dem Schächer bei Fürstenberg steht seit Jahrhunderten eine eigenartige Kapelle/Kurt Klein En guete Fang/Gedicht von Bertin Nitz Die St.-Wendelin-Kapelle in Oberkirnach – In früherer Zeit ein bekannter und gern aufgesuchter Wallfahrtsort/Georg Rosenfelder Ein Pfarrer verklagt den Obervogt/Josef Spintzik D’Gmondrotswahl/Gedicht von Gottfried Schafbuch Dopplet gneiit/Gedicht von Gottfried Schafbuch Der Schwarzwald-Baar-Kreis in Farben (Einlage) (in Fortsetzung des Kapitels „Kirchen, Glocken … „) .. Die Glockenlandschaft der Baar -Ein geschichtlicher Uberblick/Kurt Kramer 334 83 90 96 102 106 107 112 114 117 120 122 125 127 130 132 133 135 137 140 141 142 144 147 149 150 152 154 156 160 163 166 168 169 175 176 176 176 177

Musik Zum 200. Todestag von Wolfgang Amadeus Mozart – Sein Aufenthalt in Donaueschingen/Georg Goerlipp Heiteres aus dem Klosterleben St. Ursula in Villingen Schwester Lucia Betting (1868-1947)/Helmut Groß Sylvester/Gedicht von Gottfried Schafbuch Monsignore Adalberts gestörtes Mittagsschläfchen/Helmut Groß Kreuze im Schwarzwald-Baar-Kreis Das Tierstein-Kreuz im Bregtal/Georg Goerlipp Feldkreuz und Soldatengrab -Das Nockenkreuz über Nußbach bei Sommerau/Kurt Müller Das Feldkreuz auf dem Oschbergbuck – Gestiftet 1990 als Dank für Hilfe in schwerer Zeit/Dr. Lorenz Honold Ein geheimnisvolles Steinkreuz in Pützen/Bernhard Prillwitz Was isch e Christ?/Gedicht von Bertin Nitz Wetterprofeta/Gedicht von Bertin Nitz Grenzen der Freiheit/Gedicht von Jürgen Henckell Baudenkmäler Eine Fabrik als herausragendes Beispiel der Baukunst – Egon Eiermanns Taschentuchweberei in Blumberg – Funktionalismus in Reinkultur: was funktioniert, ist auch schön/Dr. Hans Otto Fehr Das Kapuzinerkloster zu Villingen -Denkmalpflege heute/Werner Huger Das sanierte Amtsgerichtsgebäude in Donaueschingen/Karl Günther Das „Haus des Bürgers“ in Bad Dürrheim … . . . aus der Sicht des Bürgermeisters und Kurdirektors/Gerhard Hagmann … aus der Sicht des Planers/Prof. Dr. Horst Linde Der Villinger Aussichtsturm Eisernes Wahrzeichen des Stadtbezirks Villingen – Ein Turm mit 104 Jahren/Wolfgang Bräun Loblied/Gedicht von Elisabeth Neugart Ortssanierung Der Friedhof m Nußbach in neuer Gestalt/Priska Dold Die Uracher Eulogiuskapelle in neuem Gewand/Helmut Groß 3 Gedichte von Jürgen Henckell Kunst und Künstler In Donaueschingen 1945 geboren -Anselm Kiefer – In der Geschichte spiegelt sich Erinnerung und Aktualität/Uwe Conradt Karl Rieber – Bildhauer und Maler/Robert Scherer Alemannischer Aschermittwoch/Gedicht von Wolfgang Bräun Brauchtum, Mundart Die Schwarzwaldtrachten im Gebiet um Triberg/Ursula Siebler-Ferry Was heißt hier „närrsch“?/Karl Volk Fasnacht 1991 fand nicht statt -Eine kritische Nachbetrachtung/Roland Wehrle Sagen der Heimat Vom Hüfinger „Baptistle“/Max Rieple 184 190 193 193 196 199 201 203 204 204 204 205 208 211 216 221 223 226 228 230 232 233 256 262 263 268 270 274 335

Qer „Hölzlekönig“ bei Schwenningen/Max Rieple Aschemittwoch/Gedicht von Gottfried Schafbuch Gesundheit, Soziales Über- und Aussiedler in Maria Tann – Eine Herausforderung für die Gemeinde Unterkirnach/Elfriede Dufner Apokalypse/Gedicht von Christiana Steger Feldner Mühle – Heimstatt für die Behinderten/Klaus-Peter Friese Verkehrswesen Klangvolle Namen bei Triberg: Himmelreich und Zuckerhut – Weitere Tunnelbauwerke an der B 33/ Alexander Jäckle Mit der Postkutsche unterwegs im südlichen Kre1sgebiet/Christiana Steger Die muntre Alte .. ./Gedicht von Gertrud Mager Erfahrung/Gedicht von Christiana Steger Völkerverbindende Donau Die sieben Donauländer – Eindrücke einer Radtour von der Quelle bis zum Schwarzen Meer/Helmut Wider Ich stamme aus der Bukowina .. .!Elena Coca Landschaft, Heimische Tierwelt Mineraliensammeln im Schwarzwald-Baar-Kreis/Herbert Schuler Der Rotfuchs/Roland Kalb Sommerlied/Gedicht von Margot Opp Winter/Gedicht von Hanna Jäckle Stätten der Gastlichkeit und Entspannung Erinnerungen an die „Sonne“ in Tannheim/Thomas Hess Sport und Wettkämpfe 25 Jahre Schwarzwald-Pokal in Schonach/Werner Kirchhofer Ernst Sehmieder – Ein Leben für den Skisport/Emil Rimmele Mit eisernem Willen zum Erfolg – Behindertensportler Walter Kubas/Werner Jörres Prosa aus unserer Heimat Pfeifendeckel oder Die Bahn beförderte kein Düpplerschanzenpapier/Karl Volk Verschiedenes Personen und Fakten Orden, Medaillen Bevölkerungsentwicklung Ausländer in Zahlen Arbeitslose in Prozentzahlen Ergebnisse der Bundestagswahl am 2. 12. 1990 im Wahlkreis 190 Schwarzwald-Baar Farbaufnahmen und Fotonachweis Die Autoren unserer Beiträge Inhaltsverzeichnis 336 276 279 280 284 285 289 293 296 296 297 302 304 308 313 313 314 318 321 322 324 326 327 327 328 328 329 330 331 333