Almanach 2007

Almanach 2007 Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 31. Folge

Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis www.schwarzwald-baar-kreis.de landratsamt@schwarzwald-baar-kreis.de Redaktion: Karl Heim, Landrat Dr. loachim Sturm, Kreisarchivar Wilfried Dold, Redakteur Karl Volk, Realschuloberlehrer Hans-Werner Fischer, Dipl.-Bibliothekar Willi Todt, Geschäftsführer Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Nachdrucke und Vervielfältigungen jeder Art werden nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Gestaltung und Verlag: doldverlag, Vöhrenbach www.doldverlag.de Druck und Vertrieb: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Villingen-Schwenningen ISBN: 3-927677-53-1

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2007 Willi A k e rjrib e rg AGVS Alum inium Werke GmbH Villingen ANUBA AG, Vöhrenbach Bad Dürrheimer M ineralbrunnen GmbH + Co. KG, Bad Dürrheim BIW Burger Industriewerk GmbH & Co. KG Präzisionstechnik, Schonach EGT Energievertrieb GmbH, Triberg EGT Gebäudetechnik GmbH Triberg Hezel GmbH, Entsorgungsfachbetrieb Mönchweiler IMS:GEAR GmbH Donaueschingen KBS-Spritztechnik GmbH Schonach Kendrion Binder Magnete GmbH Villingen-Schwenningen LISI Autom otive Mohr + Friedrich GmbH Vöhrenbach Vermessungsbüro M andolla + Gilbert Villingen-Schwenningen Edgar u. Sibylle Friedrich Eisenmann Druckguss GmbH, Villingen Spedition Julius Mayer Bräunlingen Energiedienst AG, Rheinfelden Leopold und Poldi Messmer, Freie Architekten Furtwangen Energieversorgung Südbaar GmbH Blumberg ebm-papst St. Georgen GmbH & Co. KG St. Georgen Emil Frei GmbH & Co. – Lackfabrik Bräunlingen-Döggingen Günter Helmut Papst St. Georgen Fürstlich Fürstenbergische Brauerei GmbH & Co KG, Donaueschingen PAPST LICENSING GmbH & Co. KG St. Georgen Dipl.-Ing. Marcus Greiner Donaueschingen Ernst Reiner GmbH & Co. KG Furtwangen Bauunternehmung Hermann GmbH Furtwangen SBS-FeintechnikGmbH & Co. KG Schonach Hess Form + Licht GmbH Villingen-Schwenningen Alfons Schlenker GmbH + Co. KG Schotterwerk, Dauchingen 3

Anton Schneider Söhne GmbH + Co. KG Schonach Top-Bauträger GmbH Villingen-Schwenningen S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke OHG, Furtwangen Siemens AG Siemens VDO Automotive Villingen-Schwenningen Sparkasse Schwarzwald-Baar mit 55 Geschäftsstellen STEIN Automation GmbH Villingen-Schwenningen Sternplastic Hellstem GmbH & Co. KG Villingen-Schwenningen Rainer Trippel, Karlsbad TRW Automotive GmbH Blumberg Volksbank Triberg eG Wiha Werkzeuge GmbH Schonach Johann W intermantel Verwaltungs-GmbH & Co. KG Kies-, Schotter- u. Betonwerke Donaueschingen ThyssenKrupp Industrieservice GmbH Villingen-Schwenningen Neun weitere Freunde und Förderer des Alma­ nach wünschen, namentlich nicht genannt zu werden. Markt und Ringwald-Brunnen – Impression vom Münsterplatz in Villingen. 4

Heimat und Sicherheit Dem Heim atjahrbuch 2 0 0 7 des Schw arzw ald-Baar-Kreises zum G eleit Heimat g ib t Sicherheit. Diese Aussage ist si­ cherlich nicht falsch. In einer sich immer schnel­ ler verändernden globalen Welt m it ständig wechselnden Anforderungen an die Menschen im wirtschaftlichen aber auch privaten Bereich, in einer Welt, deren Konfliktpotenzial uns jeden Tag via Medien ins Haus transp ortie rt wird, gibt der überschaubare Bereich der engeren Heimat, wo man Land und Leute, wo man die Gepflogen­ heiten, wirtschaftlichen Gegebenheiten und so­ zialen Normen kennt, Geborgenheit und dam it auch Sicherheit. Aber Sicherheit ist ein weites Feld. Die Ge­ borgenheit der vertrauten Heimat ist kein Schutz vor Naturgewalten m it ihren Gefahren, vor w irt­ schaftlichen Existenzängsten z. B. bei Arbeitslo­ sigkeit oder vor Gefahren durch Kriminalität. Naturgewalten sind w ir m ehr oder weniger au sgeliefert und auch im Schwarzwald-Baar- Kreis sind w ir davor, wie das verheerende Hagel­ unw etter im ju ni 2006 in Villingen-Schw ennin­ gen gezeigt hat, nicht gefeit. Aber im Vergleich zu den Naturkatastrophen durch Sturmflut, Wir­ belstürm e oder Erdbeben, denen andere Regio­ nen im mer wieder ausgesetzt sind, beschränken sich die Gefahren durch Naturgewalten bei uns bislang zum Glück weitgehend au f m aterielle Schäden. Zur Sicherheit gehört auch, dass man sich auf die Folgen solcher Naturgewalten vorberei­ tet und sie m öglichst m in im ie rt. Dass w ir im Schwarzwald-Baar-Kreis darauf nicht unvorbe­ reitet sind, zeigt der Bericht über die große Kata­ stroph en schutzü bun g 20 06 in diesem Alma- nach. W irtschaftliche Sicherheit ist sicherlich eine der größten Bedürfnisse der Menschen. Dies zu gewährleisten ist in Zeiten des Umbruchs in ei­ ner globalen Marktwirtschaft immer schwieriger. Bei allen wirtschaftlichen Problemen, die w ir im Schwarzwald-Baar-Kreis natürlich auch haben, sind w ir aber im bundes-, europa- oder gar w e lt­ weiten Vergleich in einer guten S ituation. Die Arbeitslosenquote liegt im Durchschnitt unseres nach wie vor wirtschaftsstarken Landes Baden- W ürtte m be rg und da m it w e it unter dem Bun­ desdurchschnitt. Wir haben eine breit gefächer­ te, m ittelstän disch ge­ prägte Wirtschaftsstruk- t ur m jt vielen hoch in- Auch in Zukunft novativen Betrieben. Trotz Permanentem An­ passungsdruck an die weltweiten wirtschaftli- ch en Veränderungen und die d a m it verbun- werden die Men- schen im Schwarz- wald-Baar-Kreis in der Summe ein hohes Maß an wirtschaftlicher Sicherheit haben. denen Auswirkungen auf den A rbe itsm arkt bin ich überzeugt, dass in der Summe die Men­ schen im Schwarzwald-Baar-Kreis auch künftig ein hohes Maß an wirtschaftlicher Sicherheit ha­ ben. Was die Sicherheit im engeren Sinne, der Schutz vor Kriminalität und Terror, anbelangt, ist der Schwarzwald-Baar-Kreis zwar auch keine In­ sel der Glückseeligen, aber doch vergleichswei­ se ein sehr sicherer Landkreis. Vor Terrorakten ist man, wie uns die Erfah­ rung der letzten Jahre b itte r gele hrt hat, n ir­ gends gefeit. Aber wegen der angestrebten öf­ fentlichen Aufm erksam keit konzentrieren Terro­ risten ihre Aktivitäten erfahrungsgemäß auf Bal­ lungsgebiete bzw. Zentren, so dass die W ahr­ scheinlichkeit einer terroristischen A ktivität im Landkreis eher unwahrscheinlich ist. Und die jährliche K rim inalstatistik beweist, dass der Schwarzwald-Baar-Kreis zu den sichers­ ten Landkreisen in Baden-Württemberg gehört. 5

Z u m G eleit Landrat Karl Heim, dritter v. rechts, Bürgermeister Georg Lettner (hinter Landrat Heim), Brigachtal, und MdB Siegfried Kauder (Mitte hinten) bei der Kata­ strophenschutzübung „Stürmischer Frühling“. Das mag strukture lle Gründe haben, ist aber sicher auch ein Erfolg der guten Arbeit unserer Polizei. Aber die Polizei allein kann Straftaten nicht verhindern. Eher ist die M ith ilfe von uns allen gefordert. Eine Aufgabe, der sich auch die Landkreisverwaltung gemeinsam mit der Polizei im Rahmen der kommunalen Krim inalpräventi­ on annimm t. Den Menschen eine sichere Heimat Autoren es nun schon im 31. Jahr gelungen ist, ein Jahrbuch Uber das vielfältige Geschehen im Schwarzwald-Baar-Kreis herauszugeben. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den vie­ len Firmen und treuen Freunden des Almanach, ohne deren großzügige Förderung die Heraus­ gabe dieses Jahrbuches nicht möglich wäre. Herzlichen Dank auch den vielen Autoren und Fotografen, die dazu beigetragen haben, dass w ieder ein ansprechendes, inform atives Heimatjahrbuch entstehen konnte. Herzlichen Dank vor allem aber auch den treuen Lesern des Almanach. Was wäre ein Jahr­ buch, wenn es nicht gelesen w ird? Ich würde mich freuen, wenn ihnen auch die 31. Ausgabe eine anregende Lektüre bietet und der Almanach noch viele neue lesefreudige Freunde finden würde. Insgesamt kann man feststellen, dass der Schwarzwald-Baar-Kreis neben vielen anderen Vorzügen den Vorteil hat, den Menschen in vie­ lerlei Hinsicht eine sichere Heimat zu bieten. Ein Standortvorteil, der uns gar nicht richtig bewusst ist; den man gerade in der heutigen Zeit aber nicht hoch genug einschätzen kann. Ihr Nicht hoch genug einzuschätzen ist auch, dass dank vieler treuer Förderer und fleißiger Karl Heim, Landrat 6

l . Ka p i t e l A u s d e e K r e i s g e s c h e h e n Mehr Gewerbesteuer für Gemeinden Das Jahr 2006 war kreispolitisch von vorsichtigem Optimismus geprägt – Belastungen durch Sozialhilfe sind weitaus höher als befürchtet ausgefallen Das Jahr 2006 war geprägt von vorsichtigem Optimismus. Die Konjunktur fasste Tritt, die Arbeitslosenzahlen gingen zurück. Und die meisten Gemeinden konnten als Folge deutlich bessere Gewerbesteuereinnahmen verzeichnen. Die Fußballweltmeisterschaft im Supersommer tat ein Übriges, die Stimmung aufzuhellen. Auch bei den Kreisfinan­ zen zeichneten sich Verbesserungen ab, die allerdings durch einen einzigen Faktor wie­ der egalisiert wurden, über den bereits im Almanach 2005 und 2006 berichtet wurde: Die Belastungen der Kreiskasse durch die Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe – besser bekannt als Hartz IV – waren noch weit höher als bei der Verabschiedung des Haushalts 2006 befürchtet. Rund 12,5 Mio. Euro – 2,5 Mio. Euro mehr als im Haushaltsplan veranschlagt – muss der Schwarz- wald-Baar-Kreis 2006 allein für die Unterkunfts­ kosten der Bezieher des A rbe itslosengeldes II (früher A rbe itslo senh ilfe) aufwenden. G leich­ w o hl ist bei o p tim istisch e r Betrachtung davon auszugehen, dass die vielen kleinen und großen Verbesserungen an anderen Stellen diese Mehr­ ausgaben ausgleichen und am Jahresende – erstmals nach vier Jah­ ren – für den Kreis kein Fehlbetrag entsteht. Die wirtschaftliche Aufbruchsstim­ die vielen Bau­ vorhaben des Kreises mung im Jahr 2006 verdeutlichen auch Schwarzwald-Baar- Die A u fb ru ch stim ­ m ung w ird auch d e u t­ lich an vielen Bauvor­ haben des Kreises, die 2006 in die Wege gelei­ tet oder abgeschlossen werden konnten. So er­ warb der Landkreis im Frühjahr das Gebäude des früheren A u sb il­ dungszentrum s der Firma Kienzle Apparate in Donaueschingen m it dem Ziel, dieses zu einem neuen Behördenzentrum auszubauen. Nach Auf­ stockung und Umbau werden im Frühjahr 2007 in diesem Gebäude alle Kreisbehörden in Do­ naueschingen konzentriert. Dies sind das Land­ w irtsch aftsa m t, das Kreisforstam t, das Veteri­ näramt, die Donaueschinger Außenstelle derZu- lassungs- und Führerscheinstelle des Landrats­ amtes sowie die Außenstelle des Jugendamtes. Außerdem wird in dieses Gebäude auch das Ver- messungs- und Flurneuordnungsam t, das zur Zeit noch in einem eigenen Gebäude in Villingen untergebracht ist, einziehen. Damit sind dann alle Ämter des Dezernats „Ländlicher Raum“ un­ ter einem Dach, was die Z usam m enarbeit und Effizienz der Arbeit erheblich verbessert. Die Unterhaltung eines großen Gebäudes an Stelle vieler kleiner b rin g t darüber hinaus er­ hebliche Einsparpotenziale. Das größte Einspar- potenzial ergibt sich jedoch dadurch, dass sich der Landkreis damit hohe Mietkosten für die bis­ lang in staatlichen Gebäuden untergebrachten Behörden spart. Die vom Landkreis für den Kauf und den Umbau des Gebäudes aufzubringenden Kosten von rund 4,5 Mio. Euro werden dadurch mehr als ausgeglichen. Neuer Stützpunkt der Straßenmeisterei Eine weitere durch die Verwaltungsreform (vgl. Almanach 2005 und 2006) initiie rte Maßnahme ist der Bau eines Straßenmeistereistützpunktes in Furtwangen-Neueck. Bereits vor über 20 Jah- 7

Die neue Sporthalle der Robert-Gerwig-Schule in Furtwangen ist eine gelungene architektonische Lö­ sung, die Dank der Zusammenarbeit m it der Stadt auch den Vereinen und dem Skiinternat Furtwangen dienen kann. aus pro fitie rt von dieser neuen Halle auch das bekannte Skiinternat, das ganz in der Nähe im Don-Bosco-Heim untergebracht ist. Für die Feintechnikschule und das Techni­ sche Gymnasium in Schwenningen g ing 2006 Aus d e m K reisgeschehen ren plante das Land Baden-Württemberg einen Neubau der Straßenm eisterei in Furtwangen. Realisiert wurden die Bauabsichten aber nicht. Die U nte rbrin gu ngssitu atio n verschlechterte sich in der Zwischenzeit im m er mehr. Im Zuge der Verwaltungsreform wurde auch das Straßen­ bauamt mit den Straßenmeistereien in das Land­ ratsamt eingegliedert. Die Straßenmeistereien Furtwangen und Villingen wurden zu einer neu­ en Straßenm eisterei Villingen-Furtw angen zu­ sammengefasst und in diesem Zuge der Neubau eines Straßenmeistereistützpunktes in Furtwan- gen-Neueck in A ng riff genom m en. Bereits im Spätherbst können die Gebäude bezogen w er­ den. Die offizie lle Einw eihungsfeier w ird dann nach Fertigstellung der Außenanlagen im Früh­ ja hr 2007 sein. Der Schwerpunkt der Baumaßnahmen lag 2006 im Schulbereich In Furtwangen Im A pril konnte an der Robert-Gerwig-Schule in Furtwangen endlich die neue Turnhalle m it w ei­ teren Klassenräumen eingeweiht werden. Diese Turnhalle wurde beim Neubau der Schule im Jahr 1995 aus Kostengründen zurückgestellt. Das Land Baden-Württemberg und der Schwarz- wald-Baar-Kreis sind gemeinsam Träger der Robert-Gerwig-Schule. Deshalb waren Bund und Land auch gemein­ sam Bauherr der neuen Turnhalle. Auf Wunsch der Stadt Furtwangen wurde eine zw eiteilige Halle gebaut, d a m it den Belangen des Ver­ einssports Rechnung getragen werden kann. Die Mehrkosten steuerte die Stadt Furtwangen bei. Damit wurden in Furt­ wangen für den Schul- und Vereinssport hervor­ ragende Möglichkeiten geschaffen. Darüber hin- hervorragende Möglichkeiten für Vereinssport sowie den Schul- und das Skiinternat geschaffen Eine Skizze zum Bau des Zentralklinikums in Villin­ gen-Schwenningen. Das neue Groß-Krankenhaus war auch im )ahr 2006 ein zentrales Thema der Kreispolitik. 8

ein großer Wunsch in Erfüllung. Nach ja hrelan­ gen kom m unalpolitischen Diskussionen und in­ tensiven Verhandlungen m it dem Land wurden im Haushalt 2006 M ittel für einen Erweiterungs­ bau eingestellt und Anfang des Jahres 2006 ein Architektenw ettbew erb ausgeschrieben. Im März 2006 sprach sich die Jury unter 30 eingereichten Arbeiten für den Entwurf des Ar­ chitekturbüros PKT Pfaff Koczor Teuchert GbR in Rottweil aus. Diesem Votum schloss sich der Kreistag an. Auch diese Baumaßnahme wird in gemeinsamer Trägerschaft des Kreises und des Landes realisiert. Nach Fertigstellung und Ge­ nehm igung der Baupläne soll m it der Maßnah­ me im Frühjahr 2007 begonnen werden. Was lange währt, wird manchmal doch noch wahr. Nachdem der Umbau der Turnhalle an der Kaufmännischen Schule in Villingen aus finanzi­ ellen Gründen immer wieder verschoben werden musste, w ird nun im S pätherbst 2006 endlich Baubeginn sein. Der Hauptteil der A rbeit wird aber im Jahr 2007 stattfinden. Schließlich war 2006 auch der Startschuss für eine bre it angelegte A ktion zur Förderung regenerativer Energien. Im Juli wurde auf dem Dach der Hans-Kraut-Gewerbeschule in Villingen Aus d e m Kreisgeschehen eine Photovoltaikanlage mit 50 KWp installiert. Weitere Anlagen m it einer Gesamtfläche von 2 5 0 0 0 m 2 auf verschiedenen Schuldächern im Kreisgebiet werden im Jahr 2007 folgen. Großvorhaben Schwarzwald-Baar-Klinikum ist in Vorbereitung – Planung läuft Das mit Abstand größte Bauvorhaben „in Vorbe­ reitu ng“ ist das in Villingen-Schwenningen ge­ plante neue Zentralklinikum der gemeinsam von Kreis und Stadt getragenen Schwarzwald-Baar- Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH. Nach­ dem der Kreistag und der S tadtrat Villingen- Schwenningen bereits 2005 mit großer Mehrheit dem von einem renommierten Fachbüro ausge­ arbeiteten Masterplan zugestimmt haben, konn­ te die Planung zügig in Angriff genommen werden. Im Februar 2006 erteilte der Aufsichtsrat ei­ nem im Krankenhausbau sehr erfahrenen Archi­ te ktu rb ü ro den Planungsauftrag. Im Frühjahr konnten der Öffentlichkeit bereits die ersten Plan­ entwürfe vorgestellt werden. Die Fachingenieure wurden beauftragt. Wenn alles plangemäß ver­ läuft ist die Genehmigungsplanung Ende 2006

Aus d e m K reisgeschehen abgeschlossen und Anfang 2007 kann bereits der Zuschussantrag beim Sozialministerium Ba­ den-W ürttemberg gestellt werden. Überschattet wird diese positive Entwicklung Die ohnehin abschlüssen weiter verschärft zielle Situation der Krankenhäuser hat schwierige finan­ sich nach den Tarif­ durch die allgem eine Entwicklung im Kranken­ hauswesen. Die ohnehin schwierige finanzielle Situation der Krankenhäuser unter den Bedin­ gungen eines gedeckel- ten Budgets hat sich durch die Tarifabschlüs­ se, die nach w ochen­ langen massiven Streiks vor allem der Ärzte, ab­ geschlossen wurden, weiter verschärft. Dazu kommen Kostensteige­ rungen in verschiede­ nen Bereichen, die bei einem gedeckelten Budget durch die Pflegesätze nicht weitergegeben wer­ den können. Und schließlich zeichnen sich gra­ vierende M ehrkosten durch die geplante Ge­ sundheitsreform auf Bundesebene ab. Die sich im m er w e iter öffnende Schere zwischen s te i­ genden Kosten und gedeckeltem Budget wird zunehmend zu einer existenziellen Bedrohung vieler Krankenhäuser. Umso dringlicher ist es, w irtschaftliche Strukturen zu schaffen, wie dies m it dem Neubau des Z entratklinikum s ange­ strebt wird. Flugbelastungen beschäftigten auch 2006 Verwaltung, Politik und Bevölkerung Die von der B un desrepublik Deutschland im August 2002 erlassene Durchführungsverord­ nung zur Begrenzung der Anflüge zum Flugha­ fen Zürich an den Tagesrandlagen (morgens und abends) sowie an Sonn- und Feiertagen hat zwei­ fellos zu einer spürbaren Verbesserung auch im Schwarzwald-Baar-Kreis geführt. Der Luftwarte­ raum RILAX wird seither w e it w eniger intensiv und vor allem in größerer Höhe genutzt. Gleich­ wohl bleibt das Ziel, RILAX in die Schweiz zu ver­ legen, auf der Tagesordnung. Insbesondere zeigt sich aber, dass von Sei­ ten der Schweiz auf allen Ebenen große Anstren­ gungen unternom m en werden, die Einschrän­ kungen dieser Verordnung aufzuweichen. Die Planungen zur weiteren Entwicklung des Flug­ hafens Zürich im Rahmen des „SIL“ -Verfahrens („Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt“ – ein Ko­ ordinierungsprozess, der die Grundlagen für den künftigen Betrieb des Flughafens definieren soll) lassen erkennen, dass die Schweiz auch kü n ftig an einer Nordausrichtung des Flugha­ fens festhalten will. Auf gerichtlichem Weg waren die verschie­ denen Schweizer Stellen bei dem Versuch, die Rechtmäßigkeit der Durchführungsverordnung in Frage zu stellen, bislang nicht er­ folgreich. Umso stärker ist das Be­ streben erkennbar, auf politisch er Ebene zum Ziel zu kommen. Erfreuli­ cher Weise hat sich das Land Baden- Württemberg klar positioniert und ei­ ne Begrenzung der Anflüge auf maxi­ mal 80 000 pro Jahr gefordert. W ichtig ist nun, dass auch die B undesregierung bei den weiteren Gesprächen e in d e u tig Position be­ zieht und gegenüber der Schweiz für das laufende „SIL“ -Verfahren unmiss­ verständlich kla rste llt, in welchem Rahmen die deutsche Seite (nur) be­ reit ist, Flugbelastungen durch den Flughafen Zürich zu akzeptieren. Um hier sow ohl gegenüber der Schweiz als auch der Bundesregierung ein deutliches Signal zu geben, haben Die Anflüge au f den Flughafen Zürich – hier eine Maschine im Landeanflug über der Riedbaar – s in d zwar spürbar begrenzt, das Thema Fluglärm ist fü r den Schwarzwald-Baar-Kreis aber noch lange nicht vom Tisch. 10

am 12. S eptem ber 2006 alle Landräte der be­ troffenen Kreise, Bundes- und Landtagsabge­ ordnete aller Parteien sowie viele Bürgermeister und Vertreter verschiedener Institutionen im Bei­ sein des Regierungspräsidenten ein gemeinsa­ mes Manifest unterschrieben, das die Geschlos­ senheit der ganzen betroffenen südbadischen Region in dieser Frage eindrucksvoll dokum en­ tiert. Ein weiteres „h e iß e s Eisen“ in diesem Zu­ sam m enhang ist die vom Bundestag beschlos­ sene Privatisierung der Deutschen Flugsiche­ rung (DFS). Es ist zu befürchten, dass die Bun­ d esrepublik dam it ein w ichtiges Steuerungsin­ strument aus der Fland gibt und sich die Schwei­ zer Skyguide in die private DFS einkauft. Ein vom Landkreis W aldshut in A uftrag ge­ gebenes Gutachten kom m t zu dem Ergebnis, dass die vom Bundestag beschlossene Privati­ sierung der DFS verfassungswidrig ist. Der Bun­ de spräsident hat deshalb das Gesetz bislang nicht unterzeichnet und fordert eine weitere ver­ fassungsrechtliche Überprüfung. Der Ringzug erfreut sich weiter großer Beliebtheit, im Bild die Haltestelle Brigachtal-Kirchdorf. Der Ringzug hat sich in allen Bereichen sehr positiv entwickelt Im Schnitt benutzen täglich 9 000 Fahrgäste den Ringzug, an einzelnen Werktagen sind es über 12 000. Die Kosten haben sich für die Landkreise so g ü nstig entw ickelt, dass fü r die Jahre 2003 und 2004 die kalkulierte Kostenbeteiligung der Kreise nicht erforderlich ist. Das Land Baden- Württemberg, das sich finanziell am Ringzug be­ te ilig t, w ünscht deshalb eine m od ifizie rte Ver­ te ilu n g der Kosten. Hierüber w ird zur Zeit ver­ handelt. Ein „H ig h lig h t“ des Kreisgeschehens im Jahr 2006 war der Besuch des Kreistages in unserem ungarischen Partnerschaftskomitat Bäcs-Kiskun anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Part­ nerschaft (siehe S. 30 in diesem Almanach). Karl Heim, Landrat 11

Aus d e m K reisgeschehen Vogelgrippe und kein Ende Planung ist erste llt: W ie sich der S ch w arzw ald -B aar-K reis au f die Tierseuche und eine G rippepandem ie vorbereitet hat Die Vogelgrippe, eine hoch ansteckende Virus­ infektion, die insbesonders bei Wildvögeln und Geflügel au ftritt, wurde ausgehend von der Re­ gion um Hongkong erstm als 1997 festgestellt. Danach zwischen Dezember 2003 und Sommer 2004 gab es in mehreren Staaten in Südost- und Ostasien w iederholt große Ausbrüche des Virus unter Zuchtgeflügel. Im Jahr 2005 w urden im asiatischen Raum mehrere große Ausbrüche un­ ter frei lebenden Vögeln beobachtet. Vogelzüge oder G eflügeltransporte werden dafür vera nt­ wortlich gemacht, dass sich die Seuche im Jahr 2005 im m er w eiträum iger ausbreiten konnte. Der Schwarzwald- Baar-Kreis hat sich auf die Vogelseuche Nachdem die Vogelgrippe im Herbst 2005 Europa und im Februar 2006 Deutschland und den Bodensee erreicht hat, müssen sich auch die deutsche Bevölke­ rung sowie die Behör­ den unseres Landes verstärkt m it einer in der Zukunft fortwähren­ den Tierseuche und der M ög lich keit einer sich daraus entwickelnden G rippepandem ie auseinandersetzen. Während bereits seit Ende 2005 das heimische Geflügel im Stall bleiben muss und in anderen Regionen Europas unvorstellbare Mengen möglicherweise in fizierter Tiere getötet und verbrannt werden, hat sich auch der Landkreis auf die Tierseuche und die mögliche Gefahr einer G rippepandemie vorbereitet. und die Gefahr einer eventuellen Grippepandemie vorbereitet Das Amt für Veterinärwesen und Lebensmit­ telüberwachung war und wird zukünftig w e iter­ hin gefordert sein, die Verbreitung der Tierseu­ che auf die Geflügelbestände u. a. durch laufende Probenahmen zu bekämpfen, um die M öglichkeit der Übertragung vom Tier au f den Menschen schneller kappen zu können. Das G esundheits­ amt wird w eiterhin vor der Aufgabe stehen, die 12 Bürger über die Gefahr einer Grippepandem ie aufzuklären, um vor einer Hysterie zu schützen, und für den Fall einer auftretenden Pandemie gerüstet zu sein. Glücklicherweise ist der Schwarz­ wald-Baar-Kreis bisher von einer Vogelgrippe- Erkrankung bei Mensch und Tier verschont ge­ blieben. Dennoch müssen w ir davon ausgehen, dass w ir mit dieser Tierseuche noch längere Zeit, selbst über Jahre konfrontiert sein werden. Die Vogelgrippe, auch Geflügelpest genannt, hatte seit Beginn des W inters 2 0 0 5 /2 0 0 6 eine starke Ausbreitungstendenz gezeigt und über Asien und Russland auch Europa erreicht. Nach Befall von Rumänien, Griechenland, Türkei, Kro­ atien und Großbritannien wurde am 15. Februar 2006 das Influenzavirus von Subtyp H5N1 bei ei­ nem verendeten Schwan auf der Insel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern erstmals in Deutsch­ land festgestellt. Nur wenige Tage später am 24. Februar 2006 ist dann in Baden-Württemberg bei einer Tafel­ ente in Überlingen am Bodensee ebenfalls die Vogelgrippe dia g n o stizie rt worden. In den fo l­ genden Tagen w urden gleich bei mehreren im Wasser lebenden W ildvögeln des Landkreises Konstanz und des Kantons Schaffhausen das Vi­ rus festgestellt. Damit waren direkt an den Land­ kreis angrenzende Gebiete zu Schutz- bzw. Be­ obachtungszonen mit den entsprechenden Sperr- maßnahmen erklärt worden. Wegen der erhöh­ ten Bedrohung des Landkreises m it der Vogel­ grippe suchten zahlreiche besorgte Geflügelhal­ ter aber auch Verbraucher Inform ation und Rat im Landratsamt. Fast ausschließlich eine Tierseuche Durch weitere zahlreiche Vogelgrippenachweise bei W ildvögeln aber auch bei Katzen und einem Steinm arder (ca. 390 Fälle in acht Bundeslän­

dern), wurde die Angst geschürt, die sich aus­ breitende Vogelgrippe bei Tieren könnte auch zu Opfern bei Menschen führen. Bei der Vogelgrip­ pe ha ndelt es sich aber tatsächlich fast aus­ schließlich um eine Tierseuche. Eine Infektions­ gefahr für den Menschen m it dem Influenzavirus besteht nur durch sehr engen Kontakt m it in fi­ zierten Vögeln, wie sie praktisch nur im Bereich der G eflügelhaltung oder bei der G eflügel­ schlachtung bestehen. Deshalb sind von der Vo­ gelgrippe in der Hauptsache Geflügelhalter, Schlachtpersonal oder Tierärzte gefährdet. Welt­ w e it sind bisher an der Vogelgrippe mehr als 200 M illionen Hühner im Rahmen der Seuchen­ bekäm pfung getötet worden. Das Risiko einer Infektion des Menschen durch Geflügelprodukte wie Geflügelfleisch, Eier etc. existiert praktisch nicht. Allerdings wird von Experten davor gewarnt, dass das Vogelgrippevirus sich möglicherweise zu einem für Menschen hochgefährlichen Virus verändern könnte. Dies wäre der Fall, wenn sich Stallpflicht fü r Hühner musste im Zuge der Vogel­ grippe von Februar bis Mai 2006 auch im Schwarz- wald-Baar-Kreis verhängt werden. Die freilaufenden Hühner sind in Nußbach fotografiert. eine Mischform aus dem Vogelgrippevirus und dem menschlichen Virus bilden würde. Diese Er­ regermischform könnte unter Umständen dann von Mensch zu Mensch übertragbar sein und ei­ ne w eltw eite Erkrankungswelle (Pandemie) ver­ ursachen. Solche Grippeepidem ien sind in der Vergangenheit mehrfach aufgetreten, letztmals 1968 als Hongkonggrippe. Ausarbeitung eines allgemeinen Grippepande­ mieplanes für den Schwarzwald-Baar-Kreis Seit 1997 wurden, ausgehend von Hongkong, ca. 150 Personen beobachtet, die an Vogelgrip­ pe (aviäre Influenza A) erkrankten, die Mehrzahl 13

Aus d e m Kreisgeschehen Am Pandemieplan davon verlief tödlich. Immer war ein Zusammen­ hang m it G eflügelhaltung nachweisbar. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung wurde nie be­ wiesen. Die W eltgesundheitsorganisation, WHO, forderte alle Regierungen auf, Pandemiepläne für den Fall zu erstellen, dass sich ein neues, sehr ansteckungsfähiges und virulentes Grippe­ virus bilden würde. Auch für Deutschland wurde 2005 ein Pandemieplan erstellt. Nachdem das Land Baden-Württemberg im August 2005 eine Planung vorlegte, konn­ te der Kreis mit der Um­ setzung und Planung vor Ort beginnen. Das Gesundheitsamt stellte in Zusammenarbeit mit dem Ordnungsamt, zu­ für den ö rt­ stän dig lichen Katastrophen­ schutz, und vielen wich­ tigen Institutionen des G esundheitswesens einen Pandemieplan für den Kreis auf. Daran beteiligten sich auch M i­ krobiologen und Vertreter der Ärzteschaft des Schwarzwald-Baar-Klinikums, der Rehakliniken sowie der niedergelassenen Ärzte und Apothe­ ker. kliniken und auch für den Landkreis haben M ikrobiolo­ gen, Ärzte, Kran­ kenhäuser, Reha­ die Apotheker mitgewirkt Der Pandemieplan sieht dabei vor, im Kata­ strophenfall auf bewährte Strukturen zurückzu­ greifen. So soll die ambulante Versorgung durch niedergelassene Ärzte und öffentliche Apothe­ ken sichergestellt werden. Die benötigten an ti­ viralen M edikamente werden gemäß WHO-Emp- fehlung vom Land für 2 0 % der Bevölkerung ge­ ordert, von Lohnunternehm ern zentral p o rtio ­ niert und den niedergelassenen Apothekern auf dem üblichen Weg über den Apotheken-Groß- handel geliefert. Um die Versorgungssicherheit im klinischen Bereich zu gew ährleisten, soll zum einen die stationäre Aufnahme von (Grippe-)Kranken über Sichtungsstellen in Donaueschingen und VS- Schwenningen erfolgen. Diese werden vom Schwarzwald-Baar-Klinikum Villingen-Schw en­ ningen GmbH in Kooperation m it den Hilfsorga­ nisationen betrieben. Ziel der Sichtungsstellen ist es, den zu erwartenden Ansturm auf die Be­ trieb sstä tte n des Schwarzwald-Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH abzufangen, die 14 Patienten versorgungsgerecht an niedergelas­ sene Ärzte zur am bulanten Versorgung zu ver­ weisen oder bei statio näre r Behandlungsbe­ dü rftigkeit auf die mitwirkenden Kliniken zu ver­ teilen. Zum anderen wird durch die M itw irkung von Rehakliniken eine deutliche Erhöhung der Bet­ tenkapazität erreicht. Insgesamt können so im Schwarzwald-Baar-Kreis zunächst ca. 850 Bet­ ten für Grippekranke, im Gipfel der Pandemie je­ doch ca. 1300 Betten, bereitgestellt werden. Die nicht dringliche Patientenversorgung (so ge­ nannte Wahleingriffe) in Klinik und Praxis muss in Pandemiezeiten (ca. 6 – 8 Wochen) reduziert werden. Notfälle und andere dringliche Erkran­ kungen müssen jedoch auch in Pandemiezeiten ausreichend versorgt werden. Sobald ein Im p fsto ff gegen das verursa­ chende Virus verfügbar ist, w erden fläch en­ deckend Impfungen der Bevölkerung durchge­ führt. Die Pandemieplanung muss auch zukünf­ tig je nach Bedrohungslage und internationaler Einschätzung m odifiziert werden. Vorsorgemaßnahmen gegen die Tierseuche Bereits seit Herbst 2005 w urden vom Am t für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung zahlreiche Maßnahm en ergriffen, um die Ein­ schleppung eines Vogelgrippevirus in Nutzge­ flügelhaltungen zu verhindern. Der Viruseintrag der Vogelgrippe durch W ildvögel in den Land­ kreis ist vom Zufall bestim m t und kann nicht vor­ hergesagt oder d ire k t ve rh in d e rt werden. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind ca. 800 Geflügel­ haltungen mit rund 121000 Nutzvögel gemeldet. Um einen Eintrag des Virus in den Landkreis m öglichst frühzeitig erkennen zu können, w u r­ de als erste Maßnahme ein W ildvogelmonitoring eingeführt. Dabei werden säm tliche to t aufge­ fundenen w ildlebe nd en Wasservögel (z.B. Schwäne, Enten), Greifvögel (z.B. Falken, Bus­ sarde) oder Rabenvögel (z.B. Dohlen, Elstern) au f Vogelgrippe untersucht. Im Amt für Veteri­ närwesen und Lebensm ittelüberw achung w u r­ den bei bisher ca. 200 Vögeln aber auch Hüh­ nern und Katzen die erforderlichen Proben zur Virusuntersuchung aus der Kloake der Vögel ent­

nommen und im Chemischen- und Veterinärun­ tersuchungsam t in Freiburg untersucht. Stallpflicht für Geflügel Kurz nach dem Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland wurde M itte Februar von der Bun­ desregierung wiederum die S tallpflich t für Ge­ flügel vorgeschrieben, um den Kontakt zu W ild­ geflügel zu verm eiden. Damit durften Hühner, Puten, Enten und Gänse etc. egal ob aus Hobby- haltung oder landwirtschaftlichen Betrieben nur noch in Ställen gehalten werden. Geflügelaus­ stellungen und -m ärkte w urden verboten. Die Gefahr einer Vogelgrippeinfektion beim Nutzge­ flügel durch W ildvögel ist nicht nur bei direkten Kontakt sondern auch durch Kotrückstände im Futter, Tränke oder Einstreu gegeben. Erst am 10. Mai 2006 konnte mit einer Allge­ meinverfügung des Landratsamtes die Freiland­ haltung im Schwarzwald-Baar-Kreis w ieder frei­ gegeben werden. Über die vorgeschriebene Stall­ p flich t aber auch der A ufhebung wurde vom Landratsamt jeder G eflügelhalter d ire k t ange­ schrieben. Deshalb gab es in diesem Zeitraum im Landkreis nur wenige Verstöße gegen die Stallhaltungspflicht. Ferner w urden säm tliche Geflügelhalter im Schwarzwald-Baar-Kreis über Hygienemaßnah- men wie beispielsweise Betretungsverbot, Des­ in fe ktio n sm a tte n , S chutzkleidung, Futter- und Einstreubehandlung schriftlich informiert. Große H ühnerhalter im Landkreis w urden vor Ort von den Amtstierärzten aufgesucht, um die vorbeu­ genden Schutz- und Hygienemaßnahmen direkt im Bestand zu besprechen. Dabei wurden die Betriebe auch einer Bestandsuntersuchung un­ terzogen. Um bei einem tatsächlichen Ausbruch der Geflügelpest in Nutzgeflügelbeständen für die notwendigen Seuchenbekämpfungsmaßnahmen gut gerüstet zu sein, wurde zusätzlich zu den seit 2001 im Landkreis bereits mehrfach durch­ geführten praktischen Übungen zur Tierseuchen­ be käm p fu ng fü r den Schwarzwald-Baar-Kreis ein Tierseuchenalarmplan aufgestellt. Eine effektive T ierseuchenbekäm pfung ist aber nicht nur wegen der Tierseuchenbekämp­ V ogelgrippe Wenn im Schwarzwald-Baar-Kreis Stallpflicht für Ge­ flügel herrscht, sind auch Veranstaltungen wie der Taubenmarkt in Fischbach-Sinkingen unmöglich. fung, sondern auch für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung unerlässlich. Gerade Seuchen­ ausbrüche in der jüngsten Vergangenheit wie BSE, Scrapie aber auch Vogelgrippe haben ge­ zeigt, dass Tierseuchen, die auf den Menschen übertragbar sind (Zoonosen), eine zunehmende Rolle spielen. M it dem Tierseuchenalarmplan ist ein Hilfsm ittel geschaffen worden, m it dem eine schnelle Elem inierung des Seuchenherdes be­ w e rkstelligt werden kann. Von der Erstmaßnah­ me bei Seuchenverdacht, Einrichtung eines Sperr­ bezirkes, Tötungs- und D e sinfe ktionsm a ßn ah­ men bis hin zum koordin ie rte n Vorgehen aller Behörden ist darin alles geregelt. Die Gefahr einer V ogelgrippeinfektion im Landkreis ist in der Zukunft fortw ährend gege­ ben. Deshalb müssen bereits in der seuchen­ freien Zeit alle denkbaren Schutzmaßnahmen zur V erhinderung einer Übertragung des Erre­ gers auf Mensch und Tier ergriffen werden. Dr. M ichael Langer / Dr. Burghardt Ehler 15

Aus d e m K reisgeschehen Übung „Stürmischer Frühling“ im Schwa rzwald-Baar-Kreis Der Landkreis probt mit rund 900 Rettungskräften den Katastrophenernstfall Starkniederschläge, Hochwasser, Sturm und eine Reihe weiterer Unglücksfälle, wie ei­ ne Gebäudeexplosion in Brigachtal und ein Zugunglück in Donaueschingen, führten am Samstagvormittag, den 13. Mai 2006, zur Feststellung des Katastrophenfalles für den gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis. Mehr als 900 Rettungskräfte von Polizei, Ret­ tungsdiensten, Feuerwehr und THW waren im Einsatz. Zum Glück handelte es sich nicht um einen tatsächlichen Katastrophenfall, sondern um die bislang größte Katastro­ phenschutzübung im Schwarzwald-Baar-Kreis. Bei der bislang größten K atastrophenschutz­ übung des Schwarzwald-Baar-Kreises, b e tite lt m it dem Namen „S tü rm isch e r Frühling 2 0 0 6 “ , übten am Sam stagvorm ittag mehr als 900 Ret­ tun gskräfte den Katastrophenernstfall. Feuer­ wehren, Rettungsdienste, Polizei, Bundespolizei und Technisches H ilfsw erk waren an vier ver­ schiedenen Schadensstellen vor Ort. Die Ein­ satzkräfte in der Einsatzleitung, wie dem Füh­ rungsstab und dem Verwaltungsstab, übten in den Gebäuden des Landratsamtes in Villingen. Ziel der Übung war es, das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Einsatzkräfte vor Ort unter Verwendung der vorhandenen K om m u nika ti­ onswege und -m ittel sowie die Abstim m ung und Zusam m enarbeit m it dem Führungs- und dem Verwaltungsstab zu üben. Erstmals sollten auch die neuen Führungsstrukturen des Katastro­ phenschutzes unter Einbindung aller beteiligten Organisationen in den Führungsstäben erprobt werden. Für die sehr anspruchsvolle Übung, die, wie sich zeigte, alle Beteiligten herausfordern soll­ te, wurde vom Ordnungsamt – Sachgebiet Brand- und Katastrophenschutz ein umfassendes Scha­ densszenario entwickelt. Vier größere Schadens- Die bislang größte Katastrophenschutzübung im Schwarzwald-Baar-Kreis verlangte das perfekte Zusam­ menspiel der ca. 900 Rettungskräfte. Die Einsatzleitung befand sich im Landratsamt, rechts ein Schaubild, das aufzeigt, welche Feuerwehren bereits im Einsatz sind und welche noch abgerufen werden können. 16

Ü b un g „S tü rm is c h e r Frühling“ Ein angenommenes schweres Zugunglück beim Bahnhof Donaueschingen konfrontierte die Helfer Dank der realistischen Szenerie m it Aufgaben, die einem Ernstfall sehr nahe waren. fälle waren in eine allgem eine Schadenslage, welche sich mit Starkniederschlägen, Sturm und schließlich Hochwasser auf den ganzen Schwarz- wald-Baar-Kreis erstreckte, eingebunden. Die angenom m ene kritische Hochwasser- und Un­ w etterlage erstreckte sich bereits seit Freitag­ vorm ittag über den gesamten Landkreis. In den frühen Morgenstunden des Samstag kam es zu Überschwemmungen, Erdrutschen, Stromausfall und zu Sturmschäden durch umgestürzte Bäu­ me. Gebäude waren teilweise stark beschädigt. Diese Situation erforderte die B ildung einer kreisbezogenen Einsatzleitung durch den Füh­ rungsstab der Feuerwehr und den Verwaltungs­ stab in der Kreisverwaltung. Von dort wurde die gesamte Übung geleitet und ko o rdin ie rt. Ge­ nauso wie es auch im Ernstfall ablaufen würde. Aus dieser allgem einen Schadenslage en t­ wickelten sich vier weitere Schadensfälle, w e l­ che sim u lie rt und real vor Ort da rgestellt w u r­ den. In Brigachtal explodierte ein zweigeschos­ siges W ohnhaus, welches vö llig in sich zusam­ m enstürzte und neun Personen verschüttete. Hierzu wurde eigens im Steinbruch der Gemein­ de Brigachtal ein Trümmerkegel, versehen m it sechs eingegrabenen Holzpuppen, nachgebaut. Die Einsatzkräfte vor Ort mussten sich der schwierigen Aufgabe stellen, die verschütteten Personen zunächst zu suchen, zu orten, zu ret­ ten bzw. zu bergen und letztendlich medizinisch zu versorgen. Die Rettungskräfte waren hier be­ sonders gefordert und mussten anfangs teils mit bloßen Händen Stein für Stein die Trümmer ab­ tragen, um die verschütteten Personen zu retten. „Schweres Zugunglück“ in Donaueschingen Die Feuerwehren und Rettungskräfte in Donau­ eschingen hatten fast zur selben Zeit m it einem schweren Zugunglück zu kämpfen. Die Übenden wurden an diesem Schadensort von der Übungs­ leitung mit einem sehr komplexen Szenario kon­ frontiert. Eine Vielzahl verletzter Bahnreisender sowie verunfallter Bahnarbeiter und weitere be­ teiligte Personen mussten in unmittelbarer Nähe zu einem entgleisten Güterzug m it Gefahrgut aus einem verunglückten Regionalexpress ge­ rettet, versorgt und betreut werden. Der Zug war m it einem LKW k o llid ie rt und dadurch fü r die Rettungskräfte nur erschwert zugänglich. Aus dem Gefahrgutzug entwichen unbekannte Flüs- 17

Aus d e m Kreisgeschehen Impressionen von der groß angelegte Katastro­ phenschutzübung „Stürmischer Frühling“: Bei VS- Tannheim fiel ein Baum au f ein Auto, giftige Gase machten beim Zugunglück in Donaueschingen den Einsatz unter Atemschutz erforderlich, in Bad Dürr­ heim galt es demenzkranke Senioren zu retten und beim Steinbruch in Brigachtal wurde die Rettung von Menschen aus einem eingestürzten Haus simu­ liert. Täuschend echt hergerichtet waren bei der Übung die Dutzenden von „Verletzten“. sigkeiten und Dämpfe. Die Situation war eine große Herausforderung für die Rettungskräfte vor Ort. Vor allem das Aufeinandertreffen von unterschiedlichsten Problemlagen wie die Ret­ tung von Menschenleben in der Nähe zu giftigen Dämpfen erforderte eine umsichtige Vorgehens­ weise. So galt es die verletzten Personen schnellstm öglich – unter Beachtung seines Ei­ genschutzes – aus dem Dunstkreis m öglicher giftiger Gase zu retten und an einem eingerich­ teten Behandlungsplatzzu registrieren und not­ fallm edizinisch zu versorgen. Demenzkranke Senioren „gerettet“ Für einen unbeteiligten Übungsbeobachter bot sich am Haus Hohenbaden in Bad Dürrheim, welches für den Übungstag in ein Altenheim mit bettlägerigen und dementen Bewohnern um ­ fu n k tio n ie rt wurde, ein recht lebhaftes und tu ­ multartiges Treiben. Ältere Menschen waren ein­ gehüllt in Decken. Verzweifelte Senioren wollten ihr Zuhause nicht verlassen. M änner sangen 18 Weihnachtslieder und ein M itbewohner half sich selbst, indem er sich m it einem Bettlaken aus dem zweiten Stockwerk abseilen wollte. Diese insgesamt sehr hektische Atm osphä­ re machte den Rettungskräften vor Ort sehr zu schaffen. Das Altenheim war im Laufe des Früh- lingsunw etters sehr stark beschädigt worden. Aufgrund eines Dacheinsturzes drang Wasser in das Gebäudeinnere. Die sechzig Bewohner muss­ ten evakuiert und in Notunterkünfte verteilt wer­ den. Für die Rettungsmannschaften war es keine leichte Aufgabe, die verwirrten und verängstig­ ten Bewohner, die hervorragend ge m im t w u r­ den, aus dem Gebäude zu befreien, zu versorgen und zu betreuen. Besonders w ichtig war auch in diesem Schadensfall die Registrierung der eva­ kuierten Personen, was sich bei Unglücksfällen im m er als eher schw ierig darste llt. Gerade in einem großen Gebäude m it vielen W inkeln, Schränken und ausreichend Versteckm öglich­ keiten, gepaart mit Bewohnern, die eine Gefahr nicht erkennen, sind solche Evakuierungen auch eine logistische Herausforderung. Hinzu kom ­ men noch die Angehörigen, die ihre Verwandten einfach schnell m itnehm en und retten wollen. Nichts ist schlimmer als die Gewissheit, dass 60 Personen auf der Liste stehen und am Ende nur 59 Bewohner registriert wurden. Verletzte verhielten sich „täuschend echt“ M aßarbeit leisteten die M itarb eite r des Kreis­ forstam tes, als es bei der Ü bungsvorbereitung zur Simulierung eines schweren Verkehrsunfalls riesige Bäume punktgenau auf drei m it Puppen

Ü b u n g „S tü rm is c h e r Frühling“ besetzte Fahrzeuge fallen ließ. Auf der Gemein­ deverbindungsstraß e zwischen VS-Tannheim und Bregtal in Höhe des Zindelsteines ereignete sich ein folgenschwerer Unfall mit mehreren ver­ letzten Personen, die unter umgestürzten Bäumen in ihren Fahrzeugen eingeklemmt waren. Der Zu­ gang zum U nfallort war beiderseits aufgrund quer liegender Bäume versperrt. M it schwerer Handarbeit, nur ausgestattet m it M otorkettensägen, mussten sich die Ret­ tungskräfte zunächst den Zugang zu den Verletz­ ten schaffen. M it Rettungsschere und -spreitzer wurden die Personen aus den Autowracks geret­ tet und schließlich Notärzten und Rettungssa­ nitätern übergeben. Mehrere schreiende Schwer­ verletzte, die zur Übung täuschend echt ge­ schm inktw urden, machten den Rettungskräften die Arbeit nicht einfach. So konnte man trotz der Übungsszenarien bei allen Rettungskräften an al­ len Schadensstellen die Anspannung deutlich er­ kennen. Führungsstab im Landratsamt stark gefordert Diese fast unüberschaubare Schadenslage im K reisgebiet fü h rte letztendlich im Laufe des Sam stagvorm ittags zur Feststellung des Kata­ strophenfalles durch den Landrat. Der Führungs­ stab und der Verwaltungsstab waren zu dieser Zeit mit der komplexen Schadenslage ebenfalls sehr gefordert. So hatte der Führungsstab als Ein­ satzleitung den Einsatz m it Unterstützung des Verwaltungsstabes insgesamt zu koordinieren. Letzterer kämpfte auch mit einer starken Medien­ präsenz. Die Medien- und Ö ffentlichkeitsarbeit ist ein Bereich in der Katastrophenbewältigung, der immer mehr an Bedeutung gewinnt und im ­ mer schwieriger zu bewältigen wird. Im Rahmen der Übung wurde das Problem durch die Anbe­ raum ung einer gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Stäbe professionell angegangen. Zahlreiche Pressevertreter konnten som it den Ausführungen zur kom pletten Schadenslage, dem Ausmaß des Unwetters im Kreisgebiet und den präzisen Schadensbilanzen folgen und Fra­ gen stellen. Die Pressekonferenz und ein ge­ meinsames Mittagessen für alle Beteiligten be­ endeten einen interessanten und an strengen­ den Übungstag. In Nachbesprechungen mit allen beteiligten Organisationen konnte unter anderem festge­ halten werden, dass das Zusam m enspiel der Einsatzkräfte sehr gut verlief und ein erheblicher Bedarf an Kommunikationsmitteln gefordert war. Die veränderten Strukturen hatten sich bewährt. Alle Übungsbeteiligten waren m it außerordent­ lichem Engagement und enormem Leistungsver­ M ichael Bulander mögen bei der Sache. 19

Aus d e m Kreisgeschehen Hilfe für Schwerbehinderte nach schwedischem Vorbild Hilfe soll nicht fürsorglich sein, sondern unterstützen und die Kom petenzen stärken „M enschen m it Behinderungen sin d zuerst Bür­ ger. Als Teil der Gesellschaft s in d sie m it en t­ sprechender Unterstützung in der Lage, an der Gemeinschaft teilzunehmen, wie je d e r andere auch. Sie müssen die Kompetenz zur Partizipa­ tion n icht nachweisen. Dies is t vielm ehr eine Konsequenz aus ihren Grundrechten. “ gen, bis hin zur Gewährung eines persönlichen Budgets, m it dem die benötigten Hilfen selbst eingekauft werden können. Helmut: Ein Beispiel von vielen Dieses Zitat von Kent Ericsson, dem wohl w ich­ tigsten Vertreter der „neuen B eh indertenhilfe“ in Nordeuropa und vor allem in Schweden, be­ schreibt die m oderne Sichtweise, das so ge­ nannte Norm alisierungsprinzip. Die Grundlage der neuen Hilfeorganisation für behinderte Men­ schen in ganz Europa ist verm e hrt die konse­ quente A usrichtung an der S elbstbestim m ung der Betroffenen und den M öglichkeiten in ne r­ halb der W ohnortgem einden und Landkreise. Auch der Schwarzwald-Baar-Kreis w ird seine Förderung und Unterstützung behinderter Men­ schen in Zukunft am N o rm alisierungsprinzip ausrichten. Die im Frühjahr 2006 vom Kreistag verab­ schiedete Planung zur „H ilfe fü r schw erbe hin­ derte M enschen“ be rücksich tigt die positiven schwedischen Ergebnisse in der B ehin derten­ hilfe und setzt konsequent auf die Gewährung personenzentrierter Hilfen, m öglichst im Land­ kreis oder sogar in der gewünschten W ohnortsge­ meinde. Eine veränderte Haltung gegenüber b e h in ­ derten Menschen und ihren Angehörigen kommt zum Ausdruck. Hilfe soll nicht fürsorglich, son­ dern die eigenen Kompetenzen und Wünsche unterstützend, organisiert und gewährt werden. Die Selbstbestim m ung des einzelnen behinder­ ten Bürgers ist der Leitfaden bei der Zusammen­ stellung der benötigten Unterstützungsleistun­ 20 Helmut ist auf einen Rollstuhl angewiesen und – wie w ir bisher so sagen – ge istig behindert, m oderner ausgedrückt, ein M itbü rge r m it be­ sonderen Lernschwierigkeiten. Komplexe Zu­ sammenhänge zu begreifen, macht ihm Proble­ me, seinen Alltag kann der 40-jährige Mann je­ doch gut alleine gestalten. Nach einigem Üben ist die weiße Wäsche Behindert und doch auch tatsächiich weiß selbständig: Ein­ w ieder aus der Wasch­ maschine gekommen und der Kühlschrank immer mit dem gefüllt, was das A bendbrot schm ackhaft macht. Die Zugfahrt nach Frei­ burg ist – abgesehen von der mangelnden Barrierefreiheit an vielen Stellen – kein Problem mehr und in der Stadt kennt er sich gut aus. Weiß, wo es die größte Aus­ wahl an CDs gibt und wo er auch als Rollstuhl­ fahrer Hilfe bekommt, wenn er ein neues Hemd kaufen möchte. Freiburg sind kein Problem mehr käufen, Wäsche waschen oder die Zugfahrt nach Anfangs hatten seine Eltern sein Konto be­ aufsichtigt, hatten nicht geglaubt, dass er den Überblick behalten werde, aber auch das ist längst Vergangenheit. M it Hilfe seines Integrati­ onshelfers, der ihm vom Sozialam t als Unter­ stützung für eine gewisse Zeit zur Verfügung ge­ s tellt w orden war, hatte er m it fast 40 endlich sein Leben selbst in die Hand genommen. Jetzt w o h n t er in der Nähe seiner A rbe itsstelle, der W erkstatt für behinderte Menschen, in einer

kleinen W ohnung m it Terrasse. Hilfe kom m t von der Sozialstation oder auch mal von seiner Fa­ milie. Ein Betreuer besucht ihn regelmäßig und bespricht auch seine finanziellen Angelegenhei­ ten mit ihm, hilft beim Ausfüllen schwieriger For­ mulare oder bei der Suche nach einem Kochkurs an der VHS. Lesen ist immer noch schwierig für Helmut, Kochen dagegen seine absolute Lei­ denschaft. Im nächsten Jahr möchte Helmut sich eine neue Arbeit suchen: „das wird schwer“ , hat sein Betreuer gesagt. Arbeit ist knapp und einfache Arbeit noch dazu, aber Helmut ist zuversichtlich, schließlich hatte anfangs auch kaum jemand ge­ glaubt, dass er in seiner Wohnung so gut allei­ ne zurecht kommen wird. Und sein Nachbar Herr Friedrich a rb eite t ja in einer großen Firma im Büro – ihn w ird er fragen – fragen kostet ja nichts. Herr Friedrich hat auch gesagt, er könne immer kommen oder anrufen und fragen, wenn er was nicht versteht oder Hilfe braucht oder auch nur Gesellschaft sucht. So einen netten Nachbarn bräuchten noch andere aus seiner W erkstattgruppe, da hatte er Glück. So, oder so ähnlich könnten sich die Ge­ schichte auch von anderen „H e lm u ts“ oder „L i­ sas“ entwickeln. Immer mehr rücken ambulante Hilfeformen in den Vordergrund, der Wunsch be­ hind erter Menschen, nicht in vollorganisierten Formen des W ohnens und der A rbeit zu leben wird aktiv auch vom Landkreis als Kostenträger un terstützt. Immer häufiger sollen Familien, Freunde und Nachbarn, S ozialstationen oder a m bulante Dienste einen Teil der U n te rstü t­ zungsleistungen übernehmen und das Hilfenetz erweitern, dam it selbstbestim m tes Leben auch für behinderte Menschen machbar wird. „Orte zum Leben“ – neues Projekt der Caritas Eine ganze Palette unterschiedlicher Hilfeange­ bote gab es bisher im Schwarzwald-Baar-Kreis, neue Hilfen entstehen. Seit Übernahme der Ver­ a n tw o rtu n g für die Hilfe für behinderte M en­ schen durch den Landkreis haben sich neben der Lebenshilfe und dem Fischerhof, die eine lange Tradition der Hilfe für behinderte M en­ schen aufweisen, auch die W ohlfahrtsverbände Hilfe für S c h w e rb e h in d e rte Kompetente Hilfe zur Selbsthilfe durch einen Inte­ grationshelfersoll Behinderten nach schwedischem Vorbild ein selbständiges Leben ermöglichen. und in Zusammenschluss m it der Feldner Mühle die St. Gallushilfe im Landkreis engagiert. „O rte zum Leben“ heißt ein neues Projekt des Caritas-Verbandes, das die U nterstützung behinderter Menschen in der Gemeinde sichern soll, in der behinderte Menschen gerne leben möchten. Ein Umzug, w e il bspw. nur in Villingen ein W ohnheim existiert, soll nicht mehr unbe­ dingt nötig werden. Über familienunterstützende Dienste und Betreutes Wohnen, das alle Anbie­ ter im Programm haben, sollen ebenfalls am bu­ lante Hilfen ausgebaut werden. „Ein w enig unübersichtlich ist die Hilfe ge­ worden, differenzierter und auch au f unsere Be­ dürfnisse zugeschnitten, aber auch für den, der Hilfe sucht, mit mehr Auswahl und Entscheidung verb un den“ , so eine M utter, die sich m it ihrer behinderten Tochter aufmacht, deren Zukunft zu planen. Über Beratungsangebote oder die Hilfe­ planerin im Sozialamt erhält sie Unterstützung. Ein neu gegründetes Elternforum un terstützt Eltern(gruppen) und baut Bildungsangebote auf. Die Planung und Gewährung no tw endiger Hilfen gehört zum Aufgabenspektrum der Ein­ gliederungshilfe, die Hilfeplanung im Einzelfall stellt sicher, dass die Bedürfnisse des einzelnen Menschen im M ittelpunkt der Suche nach Unter- 21

Hilfe für S c h w e rb e h in d e rte Stützung stehen. So viel wie nötig, so w enig wie m öglich Hilfe soll die öffentliche Hand be reit­ stellen, eigene Kompetenzen und Kräfte behin­ derter Menschen und ihrer Angehörigen, aber auch des sozialen Umfeldes sollen m it einbezo­ gen werden. Ambulante Hilfen werden, wenn im ­ mer möglich bevorzugt gewährt. Eltern sind zu ­ nächst oft besorgt: zu überblicken ger Schutz und mit m ehr Freiheit ist nicht im m er einfach Ein Leben mit w en i­ Manchmal macht die Öffnung der Hilfen Be­ troffenen und Angehörigen auch ein wenig Angst, so unsere ersten Erfahrungen. Die Sicher­ heit der Institutio n hat auch im m er ein w enig der Besorgnis Einhalt geboten, die Eltern na­ türlicherw eise haben. Ein Leben m it weniger Schutz und m ehr Frei­ heit ist nicht immer ein­ fach zu überblicken. Kleine Schritte müssen gegangen werden, mit Begleitung und Hilfe der Einrichtungen und Anbieter können positive Lebensgeschichten geschrieben werden. Auch im Vorzeigeland Schweden, in dem M itte der neunziger Jahre die letzten Heime geschlossen wurden und Hilfen konsequent dezentral, in kleinen Einheiten oder am bula nt org anisiert wurden, waren anfangs 50 – 8 0 % der Angehöri­ gen verunsichert und gegen eine Schließung der Heime. Heute sind über 8 0 % der Betroffenen und ihre Familien von der neuen Lebensqualität der gemeindeorganisierten Hilfen absolut über­ zeugt. Die Eingliederungshilfe für behinderte Men­ schen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe für die Landkreisverwaltung, aber auch eine kost­ spielige. Wirksame und sparsame Hilfen einzu­ setzen, die den Einzelnen da unterstützen, wo er selbst sich nicht helfen kann, ist uns Ver­ pflichtung gegenüber behinderten, wie nicht be­ hinderten Bürgern. Wesentliche Planungsdaten und Bedürfnisse im Überblick 0,4% der Bürger im SBK erhalten Hilfen zur Ein­ gliederung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben über den Landkreis – das sind (Ende 22 2005) fast 900 Menschen. Davon sind 15,9% we­ sentlich seelisch, 28,3% w esentlich körperlich und 55,8% wesentlich geistig behindert. Bundesweit wird m it einer Steigerung der Hilfebedarfe zwischen 3 – 6 % gerechnet. Dies liegt vor allem daran, dass viele ältere M en­ schen im Hilfesystem leben, jüngere noch dazu­ kommen. Der A nteil be hinde rte r Menschen an der Bevölkerung bleibt dagegen relativ kon­ stant. Erstmals nach dem Zweiten W eltkrieg tre­ ten behinderte Menschen ins Seniorenalter ein, neue Hilfen müssen zu k ü n ftig aufgebaut w e r­ den, um Behinderten auch im Alter ein selbst­ bestim m tes Leben zu ermöglichen. 383 behinderte Frauen und Männer arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen im und außerhalb des Landkreises. Neben der tra d itio ­ nellen Arbeit in Werkstätten gibt es Bestrebun­ gen, neue Formen der Arbeitsmöglichkeiten bspw. Integrationsfirmen aufzubauen. Von den 612 erwachsenen Personen, die über die Eingliederungshilfe Unterstützung er­ halten wohnen Ende 2005 • 53% in stationären Wohnformen, • 12% in Betreutem Wohnen, • 31% bei Ettern oder (wenige) alleine, • 4 % in sonstigen Wohnformen Ziel ist es den A nte il des Betreuten Wohnens und die Hilfe zum Alleine Leben zukü nftig aus­ zubauen. Nur 16,4% der Bewohner in Wohnheimen le­ ben im SBK, 83,6% leben außerhalb des Land­ kreises. Im Landkreis selbst sollen zukü n ftig mehr W ohnm öglichkeiten für behinderte Men­ schen entstehen. Ein wichtiger Faktor ist die M ob ilitä t: Lang­ fristig sollen mehr behinderte Menschen als bis­ her den Ö ffentlichen Nahverkehr nützen (kön­ nen). Voraussetzung dazu ist unter anderem die Barrierefreiheit in umfassendem Sinne (Aufzü­ ge, Rampen, Beschilderung für Lernbehinderte, Signale für Blinde, Taube und Hörgeschädigte sowie weitere Erleichterungen). Ulrike Gfrörer

Aus d e m K reisgeschehen Ganztagesschulen: Die Schule als Lebensraum erfahren Vier Schulen im Schwarzwald-Baar-Kreis bieten erstmals ein Ganztagesangebot Die schwarze Plastikplane wird von emsi­ gen Kinderhänden liebevoll eingeseift. Jetzt noch ein kräftiger Schuss Wasser aus dem Gartenschlauch hinzu, und schon kann die zünftige Sommerrutschbahn in Betrieb genommen werden. Sie befindet sich kei­ nesfalls auf privatem Gelände, sondern auf einer Grünfläche zwischen den Pavillons der Goldenbühlschule. Die Kinder haben an diesem heißen Sommer-Schultag vorsorg­ lich Badekleidung mitgebracht. Das Schmieren m it Seife und Wasser, das Rumrutschen und Plantschen sind nicht verbo­ ten. Hier dürfen sich Kinder und )ugendliche nach Herzenslust austoben, ja sie werden gera­ dezu aufgefordert, das auch zu tun. Im Innern des Pavillons strecken sich einige ältere Schüler gemütlich auf Sitzsäcken aus, im Nachbarraum basteln andere jugendliche an einer Patchwork­ arbeit. Körperliche und geistige Betätigung, spie­ len und basteln, aber auch Ruhe und Gespräch sind Teil des pädagogischen Konzepts der Gol­ denbühlschule, eine von vier Ganztagesschulen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Umgebung behindert die Entwicklung oft Kinder und Jugendliche haben es oft nicht leicht, in einer Umgebung, die häufig die Entwicklung grundsätzlicher, für die Lebensbewältigung un­ umgänglich notwendiger Werte und Verhaltens­ muster be hinde rt, ihren Platz zu finden – und dies auch in wörtlichem Sinn. Da gibt es die Kin­ der, die tagsüber allein zu Hause sind, oder die, denen trotz A nw esenheit eines Elternteils die notwendige Zuwendung versagt bleibt. Kinder, Ganztagesschulen sind eine spannende Alternative zur Förderung der Entwicklung von Kindern und lu- gendlichen, die nun auch sinnvolle Freizeitangebo­ te wahrnehmen können, die über das Lernen hin­ aus betreut sind. Das Klettern ist ein Angebot der Bickebergschule. die keinerlei Anregung fü r eine sinnvolle Frei­ zeitgestaltung erhalten; die der Dauerberiese­ lung des Fernsehers ausgesetzt sind oder die ih­ re Nachmittage nahezu ausschließlich an der S pielkonsole oder dem Computer verbringen. 23

Aus d e m K reisgeschehen Jk Gemeinsam den Unterricht, aber auch gemeinsam die Mittagspause und die Freizeit verbringen, als Ganztagesschulen bewähren sich im Landkreis bereits vier Schulen. Oben links der Mittagstisch und rechts eine Szene aus dem Unterricht an der Hauptschule am Deutenberg in Villingen-Schwen­ ningen. Nicht w enige Kinder erhalten keine oder nur w en ig Anleitung Lebensweise, groß Vielen Kindern fe h lt der natürliche Raum für soziale Kontakte innerhalb oder außerhalb der Familie, in denen sich das Erlernen adäquater Verhaltensweisen oder das Einüben von Rück­ sichtnahm e und Tole­ ranz quasi von selbst einstellen. Nicht w e n i­ ge Kinder erhalten kei­ ne oder nur geringe An­ leitun g für ein gesun­ des Leben in Hinsicht a u f Ernährung, Bewe­ gung und der A bleh­ nung von Suchtmitteln. Und nicht zuletzt gibt es insbesondere in Schu­ len m it einem hohen A nteil an Kindern aus Mi- g ra ntenfam ilien die S prachproblem atik: Auch Kinder, die hier geboren sind, verfügen oft nur über einen unzureichenden Wortschatz, beherr­ schen die G ram m atik nicht, unterhalten sich außerhalb des Unterrichts sowohl in der Schule als auch zu Hause ausschließlich in der M utter­ sprache. Wichtige Lebenszeit, in der gelernt wer­ den kann, bleibt ungenutzt, wenn Schule über­ zu ein er gesunden ist vor allem die S prachproblem atik 24 wiegend nur vormittags stattfindet und die Nach­ mittage in wenig anregender oder gar schädlicher Umgebung verbracht werden. Alles in allem keine guten Voraussetzungen, um nach der Schule eine Lebens- und Berufs­ perspektive zu haben und nicht die oft typische „L o o se r“ -Karriere zu durchlaufen. Eine große H erausforderung für die Schule, wenn sie den Anspruch, Kinder und )ugendliche fürs Leben stark und fit zu machen, ernst nimmt. Die Schule als „Lern- und Lebensort“ Vier Schulen haben auf diese Herausforderung aktiv reagiert, w eitere werden im Schuljahr 2 0 0 6 /0 7 oder später hinzukom m en: Sie gehö­ ren zum Kreis der Schulen mit Ganztagesange­ bot. Die schon erwähnte Goldenbühlschule, die Bickebergschule und die Hauptschule am Deu­ tenberg – alle in Villingen-Schwenningen – so­ wie die Eichendorffschule in Donaueschingen erproben den ganztägigen Schulbetrieb seit mehreren Jahren und sind im Laufe der Zeit zu Schulen geworden, die das Prädikat „Lern-und Lebensort“ in besonderer Weise verdienen. An diesen Schulen ist fü r viele Hauptschüler der Besuch einer Ganztagesschule bereits Alltag. Allen vier Schulen gemeinsam ist die Tatsa­ che, dass es sich um so genannte „ge bundene“ Ganztagesschulen handelt. Schülerinnen und Schüler, die sich in Klassenstufe 5 für die Ganz­ in dieser tagesschule entscheiden, bleiben

Schulform fü r die gesamten 5 bzw. 6 Haupt­ schuljahre. Im Gegensatz hierzu gibt es auch die Form der „o ffe n e n “ Ganztagesschule, bei der die Schülerinnen und Schüler sich nicht für die gesamte Dauer der Schulzeit entscheiden müs­ sen, sondern das nachmittägliche Angebot zeit­ weise besuchen, sich aber nicht für die gesamte Schulzeit festlegen müssen. Die offene Form w ird zukü nftig verstärkt an Schulen angeboten werden. Meist bleibt man der Ganztagesklasse treu An der G oldenbühlschule sowie an der Eichen­ d orffschule gibt es pro Jahrgang jew eils eine Ganztagesklasse und eine „n o rm a le “ Klasse. Wenn jem and aus dem Ganztagesbetrieb aus­ steigen will, muss er auch die Klasse wechseln. Da das bei Kindern und Jugendlichen extrem un­ beliebt ist, bleiben die meisten während der ge­ samten Schulzeit der gewählten Form treu. Das ist eine wichtige Regelung, um bei Schülerinnen und Schülern, für die in den oberen Klassenstu­ fen der frei verfügbare Nachm ittag überaus a ttra k tiv ist, den Hang zum Ausstieg zu brem ­ sen. An der Bickebergschule ist der Ganztages­ betrieb die Normalform. Wer hier sein Kind an­ meldet, hat keine W ahlm öglichkeit. Die Haupt­ schule am Deutenberg hat in den oberen Klas­ sen derzeit noch das Nebeneinander beider For­ men, beginnt aber ab Schuljahr 2006 in der Klasse 5 ebenfalls mit der Ganztagesschule als Normalform. Was macht nun die Besonderheit einer Ganz­ tagesschule aus? Keinesfalls bedeutet „G anzta­ gesschule“ nur, dass die Schülerinnen und Schü­ ler nun eben den ganzen Tag in der Schule sind. „G anztagesschule“ ist mehr. Zu jeder Ganzta­ gesschule gehört ein ausgefeiltes pädagogisches Konzept, ohne dessen Vorhandensein die Ge­ ne hm igung fü r den Ganztagesbetrieb nicht er­ te ilt wird. Auch bei den pädagogischen Konzepten gibt es Gemeinsamkeiten bei den vier Schulen: Alle enthalten folgende Elemente: M ittagessen in der Schule, Freizeitangebot, U nterricht sowie Stütz- und Förderangebote am Nachmittag. Die Unterrichtszeit erstreckt sich in der Regel bis ca. G an ztag esschulen 16.00 Uhr. Die Unterschiede liegen vor allem in der Art, wie diese Elemente organisiert bzw. mit welchen Inhalten sie gefüllt sind. „Was machst Du denn schon um 13.00 Uhr hier auf dem Schulgelände? Dein Unterricht be­ ginnt doch erst um 14.00 Uhr?“ „Ich will zum Frei­ zeitangebot und da muss ich pü nktlich se in !“ Nicht alle Schülerinnen und Schüler essen m it­ tags in der Schule. Wenn ein Schüler, der zu Hause isst, dennoch versucht, w ieder pünktlich zur Mittagspausengestaltung wieder da zu sein, muss das Angebot w o h l a ttra k tiv sein: An der Eichendorffschule können die Kinder und Ju­ gendlichen in der Zeit unmittelbar nach dem M it­ tagessen ein Sportangebot nutzen, sich im Schul- bistro aufhalten (das auch m it Dartscheiben und Fußballautomat bestückt ist) oder im Ruheraum ausspannen. Die Schülerinnen und Schüler der Goldenbühlschule benutzen für die m ittägliche Freizeitphase die verschiedenen Räume und An­ gebote im oben beschriebenen Pavillon für den Ganztagesbereich. An der Bickebergschule gibt es Jahrgangsbereiche, die ebenfalls die M ög­ lichkeiten zu Bewegung, Sport, Spiel, Ruhe, Reden und Arbeiten am Computer bieten. Auch in der Hauptschule am Deutenberg werden Be­ w egung, K om m unikation, Beschäftigung m it Kunst und Sprache in den M itte lp u n kt gerückt. An dieser Schule ist noch Bedarf für die Erweite­ rung der Räume für den Freizeitbereich, insbe­ sondere für ruhige Rückzugsmöglichkeiten. Die Erziehung und Anregung zu sinnvoller Freizeitgestaltung ist nicht nur eine Art Beschäf­ Von Schülern für Schüler: „WM-gerechte“ Verpfle­ gung gab es an der Donaueschinger Eichendorff­ schule zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft. 25

Aus d e m K reisgeschehen Die Ganztagesschule ermöglicht gemeinsame Pro­ jekte wie das Anstreichen von Wänden in Freizeit­ räumen (Deutenbergschule) oder Freizeitgestaltung m it Einradfahren (Goldenbühlschule). m öglich. Gemeinsam planen und organisieren die nicht-lehrenden pädagogischen M itarbeite­ rinnen und M itarb eite r die Angebote und die Aufsicht im Freizeitbereich. tigu ng sth erap ie . Sie schafft persönliche Kon­ takte, macht in spielerischer Weise den Blick des pädagogischen Betreuungspersonals auf die Stärken und Schwächen eines Kindes mög­ lich und bietet Gelegenheiten zur Beschäftigung m it neuen und fü r die Kinder sonst nicht zu­ gänglichen Lernfeldern. Bezugspersonen für den Freizeitbereich sind im Allgemeinen Erzieherinnen und pädagogisch ausgebildetes Personal. Ausnahmen gibt es nur bei den Sportangeboten, die m eist von Lehrern geleitet werden. Es ist wichtig, dass der Freizeit­ bereich nicht von Lehrkräften besetzt w ird, da nur so die Kinder und Jugendlichen anders wahr­ genommen werden können und ein vom Unter­ richt abgekoppelter Einfluss gegeben ist. Jede Erzieherin ist als eine Art Tutorin e n t­ w eder einer Klassenstufe oder der jew eiligen Ganztagesklasse einer Stufe zugeordnet. Da­ durch kennt sie „ih re “ Kinder und Jugendlichen besonders gut. Sie kann als Beraterin zu Eltern­ gesprächen hinzugezogen werden, w ird bei Klassenkonferenzen an ge hört und be gleitet eventuell – wie an der G oldenbühlschule üblich – die Klasse bei Ausflügen und ins Landschul­ heim. Selbst unterrichtliche Arbeit in Kleingrup­ pen bei Förderung oder Projektbetreuung ist Gemeinsames Mittagessen ein zentraler Punkt „Können Sie noch ein bisschen rutschen? Dann kann ich mit meiner Freundin auch mit im Schat­ ten sitzen.“ Das kleine Mädchen, das so gekonnt und sicher mit seinem Tablett von der Essenaus­ gabe kom m t und sich gerne an den schattigen Tisch im Freien vor der Mensa setzen möchte, rutscht an die Seite der S chulleiterin und be­ ginnt, sich mit ihr zu unterhalten. Auch die Schul­ leiterin isst heute – wie häufig – hier in der Schul- mensa zu M ittag. Sie ist nicht die Einzige aus dem Lehrerkollegium. Das gemeinsame M ittag­ essen der Schülerinnen und Schüler ist ein zen­ traler Punkt im pädagogischen Konzept. An der Goldenbühlschule ist die Teilnahme für die Ganz­ tagesschüler Pflicht, an den anderen Schulen fre iw illig . Es ist derzeit organisatorisch noch nicht machbar, allen Schülerinnen und Schülern der Schulen die M öglichkeit zum Mittagessen zu bieten. Zwischen 30 (Eichendorffschule) und 150 (Goldenbühlschule) Essen werden täglich aus­ gegeben – das erfordert nicht nur eine gute Lo­ gistik bei der Anlieferung und Ausgabe, sondern hat auch Konsequenzen für die Unterrichtsge­ staltung, da m it das Essen im „S ch ich tb e trie b “ möglich wird. 26

G an ztag essch u len Außer der Hauptschute am Deutenberg ha­ ben alte Schulen eine neu eingerichtete Mensa. Helte, freundliche Räume mit bunten Stühlen, in denen der Aufenthalt Spaß macht sowie eine fu n ktio n e lle Theke für die Essenausgabe. Das Essen kom m t in Villingen-Schwenningen jeweils von einem Catering-Unternehm en, in Donau- eschingen kocht der Koch der ebenfalls in der Stadt beheimateten Kart-Wacker-Schule (Schule für Geistigbehinderte) für die Eichendorffschule mit. Zwei bis drei Menüs g ib t es zur Auswahl, dazu ein kleines Salatbuffet und freie Getränke (Tee oder Mineralwasser). Alles ist ernährungs­ wissenschaftlich ausgewogen, frisch gekocht und, wie sich die A utorin selbst überzeugen konnte, ausgesprochen lecker. Das Angebot ent­ spricht dem Geschmack der Kinder. Die Rück­ meldung, ob das Essen gut war, kom m t sofort. Die Kinder haben kein Problem damit, zu sagen, wenn ihnen etwas nicht geschmeckt hat. Dann kom m t dieses Menü z u kü n ftig nicht mehr auf den Tisch. Fröhlich und entspannte Atmosphäre „Trink bitte dein Glas aus, dam it Du heute genü­ gend getrunken hast.“ Bevor die Kinder und ju ­ gendlichen der Bickebergschule ihr Tablett mit dem schmutzigen Geschirr auf den Wagen stel­ len, schaut die aufsichtsführende Erzieherin, ob die Kinder genügend getrunken und gegessen haben. Gemeinsam essen bedeutet auch, dass Mittagessen m it Freunden oder Freundinnen in der Bickebergschule und Fußballmatch der Schüler an der Donaueschlnger Eichendorffschule: Die Ganz­ tagesschule bietet umfassende Konzepte. Umgangsformen und Tischsitten eingehalten werden. Die Erzieherinnen kennen die meisten der Kinder persönlich und m it Namen. Sie sor­ gen dafür, dass ordentlich gegessen w ird und dass sich alle anständig benehmen. Die Atm os­ phäre ist fröhlich und entspannt. Die Kinder s it­ zen in kleinen Gruppen zusammen – manchmal auch gemeinsam an einem Tisch m it Lehrerin­ nen oder Lehrern, unterhalten sich ruhig und ge­ nießen offensichtlich die gute Verpflegung. Ein heikler, ausgesprochen arbeitsintensiver Punkt ist die Abrechnung. Hier haben die Schu­ len unterschiedliche Formen gefunden, die vom vorherigen Kosteneinzug durch die Stadt Uber die schulinterne Bezahlung bis zum Verkauf von Bons durch den Hausmeister reichen. Zwei Pro­ bleme g ib t es in Zusam m enhang m it dem M it­ tagessen: Zum einen kann nicht jede Familie die drei Euro für die tägliche M ahlzeit aufbringen, obwohl es die einzige warme M ahlzeit wäre, die das Kind an diesem Tag bekommt. Die Erziehe­ rinnen wissen, um welche Kinder es sich han­ delt und haben keinen Fond, aus dem sie diese Kinder unterstützen könnten. Zum anderen gibt es ein von den Schulen ungern gesehenes Ver­ halten in den Fällen, bei denen sich in un m itte l­ barer Nähe der Schule ein Supermarkt oder ein 27

Gan ztag esschulen Fast Food-Anbieter befindet. Flier werden die Schülerinnen und Schüler im m er w ieder in Ver­ suchung geführt, den Betrag, den sie von zu Hause für das M ittagessen bekom m en, für Chips, Fast Food und ungesunde Getränke aus­ zugeben. „Selbstorganisiertes Lernen“ M ittagessen, Freizeitgestaltung, und danach? Nachmittags, meist ab 13.30 Uhr oder 14.00 Uhr, ist Unterricht, allerdings häufig in veränderter Form. Jetzt ist Zeit für besondere A rbe itsge­ meinschaften im Bereich von Naturwissenschaf­ ten, Kunst, Sport oder Inform ationstechnik. In dieser Zeit können Projekte in Ruhe durchge­ fü h rt werden, fin d e t „se lb sto rg a n isie rte s Ler­ nen“ oder „W ochenplanarbeit“ statt, gibt es För­ derstunden oder eine Hausaufgabenhilfe. Häu­ fig arbeiten Lehrerteams zusammen, teilw eise auch gemeinsam mit den Erzieherinnen. Der ein­ zelne Schüler, die einzelne Schülerin erfährt in den Nachmittagsstunden mehr Aufmerksamkeit und persönliche Zuwendung als im Vorm ittags­ unterricht. Gegen 16.00 Uhr ist Schluss – und wenn al­ les gut gelaufen ist, haben die Schülerinnen und Schüler einen großen Teil oder gar alle Hausauf­ gaben erledigt. Ein entspannter Rest-Nachmit­ tag und Abend m it der Familie kann beginnen. Ganztagesschulen bieten eine derartige Fül­ le von Vorteilen für Erziehung und Unterricht, dass sich die Frage stellt, warum sie nicht zur Normalform von Schule werden. Als Antwort sei­ en drei von mehreren Gründen genannt: Nicht alle Eltern möchten, dass ihr Kind den ganzen Tag in der Schule ist. Sie möchten den Nachm ittag m it ihrem Kind gestalten, ihm die Teilnahme an S portkursen oder m usischer Er­ ziehung ermöglichen oder einfach nur die Jahre m it ihrem Kind intensiv nutzen. Für viele Schüler (und Eltern!) bedeutet es eine Einschränkung der persönlichen Freiheit, wenn sich die Kinder den größten Teil des Tages an einem festgelegten Ort aufhalten müssen und dort ein von der Schule festgelegtes Programm absolvieren. 28 Zudem gibt es Ganztagesschuten nicht zum Nulltarif. Das Land gibt eine erhebliche Zahl an zusätzlichen Lehrerstunden (bis zu 5 Stunden pro Klassenstufe) an die Ganztagesschulen, die Kommunen müssen die sächlichen Kosten (u.a. für die Mensa und Ausstattung des Freizeitbe­ reiches) erbringen und kom plett oder zu einem erheblichen Teil für die Personalkosten für das begleitende Personal aufkommen. Es geht nicht ohne Profis – ob für die Essenzubereitung oder die pädagogische Betreuung. Ehrenamtliche können zwar zusätzlich unterstützen, aber nur dann, wenn sie zuverlässig, dauerhaft und w äh­ rend der Schulzeiten eingesetzt werden können und wenn sie einen „D ra h t“ zu den Schülerin­ nen und Schülern haben. Diese Personalkosten können teilweise von privaten Trägern übernom m en oder von Zu­ schüssen unterstützt werden, ein großer Teil w ird aber in der Regel vom Schulträger zu er­ bringen sein. Daher ist er es auch, der den An­ trag auf Einrichtung einer Ganztagesschule letzt­ endlich stellen muss. Bis zum Jahr 2016 möchte das Land Baden- W ürttemberg die Zahl der Ganztagesschulen im Bereich der Grund-und Hauptschuten auf 40 % anheben. Diese sollen so verteilt sein, dass je­ de Schülerin und jeder Schüler, der eine Ganz­ tagesschule besuchen möchte oder sollte, die­ se in erreichbarer Nähe zum W ohnort vorfindet. „Unsere“ vier Ganztagesschulen, von denen zwei den Antrag auf Ausw eitung auf den Grund- schulbereich gestellt haben (Bickebergschule und Goldenbühlschule) haben erkannt, dass der A uftrag an Schule, zu lehren und zu erziehen, m it der herkömmlichen Organisationsform nicht immer ausreichend zu erfüllen ist. Sie haben ein engagiertes Kollegium, das bereit ist, die Mehr­ belastung dieser Ganztagesschulform und die veränderten Arbeitszeiten m it zu tragen, haben Schulleitungen, die im mer wieder durch innova­ tive Ideen und Durchsetzungsvermögen auffal­ len, sind in der Lage, zu kooperieren und kon­ zeptionell zu denken. Daher bieten diese Schu­ len, die die Bereiche lernen und lehren, zuwen­ den und erziehen, essen und Freizeit gestalten abdecken, echte „Lebensräum e“ für Kinder und M arion Becker-Schwier Jugendliche.

Kulturerlebnis zum Sonderpreis Der KULTURPASS eig net sich bestens als kleines Geschenk Aus d e m Kreisgeschehen Seit Jahren haben Museen, Sammlungen und andere Kul­ tureinrich tung en m it zurück­ gehenden Besucherzahlen zu kämpfen. Um diesem Trend ent­ gegenzuw irken, w andte sich Prof. Alexander Doderer, Ge­ schäftsführer der Werbeagen­ tur GRUPPE DREI, Ende 1996 m it der Idee des Kultursponso­ rings an Landrat Heim. Aus dieser Idee entwickel­ te sich im Jahr 1997 der Kultur­ pass, der erstm alig im Herbst desselben Jahres für 1998 her­ ausgegeben wurde. 2007 er­ scheint er bereits zum zehnten Mal. Ein Beleg dafür, dass der Kulturpass inzwischen zu einem festen Bestandteil des Kul­ turangebotes in unserem Land­ kreis geworden ist. Landrat Karl Helm wirbt für den Kul­ turpass 2007. Über viele Käufer wür­ de ersieh freuen. 28,00 DM gespart werden. Da die Verkaufszahlen des Kultur­ passes dennoch hinter den Er­ w artungen zurückgeblieben sind, wurde das Konzept für den Kulturpass erneut überar­ beitet. Seit 2002 bis heute ist er als Scheckheft zum Preis von 4,50 Euro erhältlich. Inner­ halb eines Jahres können mit dem Scheckheft m ittlerw eile 16 Einrichtungen im Landkreis zu einem bis teilw eise um 50% reduzierten Eintrittspreis besucht werden. In dieser Form hat sich der Kulturpass bewährt. Ein w eite­ rer Vorteil: Der Kulturpass, und som it die einzelnen Eintritts- Schecks, sind übertragbar. Nach wie vor eignet sich der Pass bestens als kleines Ge­ Bis zu seinem 10. Geburtstag hatte der Kul­ turpass verschiedene Gesichter. In den Jahren 1998 und 1999 konnte der Pass zunächst nur von Firmen und öffentlichen Einrichtungen zum Preis von 9,00 DM gekauft und an Geschäfts­ partner, Gäste oder M itarbeiter verschenkt wer­ den. Der Beschenkte hatte die M öglichkeit, im Laufe eines Jahres elf im Kulturpass aufgeführ­ te Einrichtungen zu besuchen. Abgerechnet hat die betreffende Einrichtung den bis um 50% reduzierten Eintrittspreis mit dem Unternehmen, das den Kulturpass verschenkt hat. Um den Kulturpass auch der Ö ffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde das Konzept ge­ ändert. In den Jahren 2000 und 2001 konnte der Pass von Jedermann zum Preis von 49,00 DM er­ worben werden. Der Besitzer eines Kulturpasses hatte dann die M ög lich keit, e lf Einrichtungen kostenlos zu besuchen. Ohne den Kulturpass wären Eintrittskosten in Höhe von 77,00 DM an­ gefallen. Als Kulturpass-Besitzer konnten somit schenk für Freunde und Bekannte. Sind Sie neugierig geworden, dann möchten Sie be stim m t wissen, wo es den KULTURPASS 2007 gibt. Sie erhalten ihn • bei allen KULTURPASS-Einrichtungen • bei Ihrer örtlichen Tourist-Info • bei Ihrem Bürgermeisteramt • beim Landratsamt Schwarzwald-Baar- Kreis und • bei den Verkaufsstellen des VSB Ver­ kehrsverbund Schwarzwald-Baar. Übrigens: Auch im Internet finden Sie unter w w w .kulturp ass-sb k.d e alle Infos zum Kultur­ Isolde Mackwitz pass. 29

Aus d e m Kreisgeschehen Ungarnbesuch des Kreistages 10 Jahre Partnerschaft des Schw arzwald-Baar-K reises m it dem Kom itat Bäcs-Kiskun Eine neue Dimension hat die Partner­ schaft des Schwarzwald-Baar-Kreises mit dem ungarischen Komitat Bäcs-Kis­ kun in diesem Jahr gewonnen: Die Kon­ takte werden au f die Bereiche Hoch­ schulen, Gesundheitswesen sowie Tou­ rismus ausgeweitet. Zum zehnjährigen Bestehen der deutsch-ungarischen Völ­ kerfreundschaft Unterzeichneten Land­ rat Karl Heim und K om itatspräsident Dr. Läszlo Balogh in Kecskemet die er­ weiterte Partnerschaftsurkunde im Rah­ men der Kom itatsversam m lung, die dem Kreistag entspricht. Eine 40-köp fige Delegation von Kreisräten, unter ihnen sämtliche Frak­ tionsvorsitzende und über 30 M itg lie ­ der unseres Freundeskreises Schwarz- wald-Baar/Bäcs-Kiskun, nahmen an der Feier teil. „Ich d a rf m it Stolz sagen, dass sich die Partnerschaft hervorra­ gend entwickelt hat“ , erklärte der Land­ rat, der dem ungarischen Präsidenten zur W iederwahl gratulierte. Eine inten­ sive freundschaftliche Beziehung in vie­ len Lebensbereichen, mit vielen Institu­ tionen und vor allem m it vielen M en­ schen habe sich entw ickelt, seit vor zehn Jahren die Partnerschaftsurkunde zwischen dem Kom itat Bäcs-Kiskun und dem Schwarzwald-Baar-Kreis im Kreishaus von dem damaligen Landrat Dr. Rai­ ner G utknecht, und Dr. Läszlo Balogh feierlich unterzeichnet wurde. Hotelfachschulen geben Partnerschaftsimpuls Als „K eim zelle“ der Partnerschaft bezeichnete Heim die beiden Hotelfachschulen in Kecskemet und in Villingen-Schwenningen, deren Leiter beim anschließenden Besuch der Hotelfachschule in 30 Aus Anlass des io-jährigen Bestehens der Partnerschaft m it dem ungarischen Komitat Bäcs-Kiskun weilte eine Abordnung des Kreistages und der Freundeskreis Schwarzwald-Baar/Bäcs- Kiskun unter Führung von Landrat Karl Fleim in Ungarn. Kecskemet die Freundschaftsbeziehung ihrer Ein­ richtungen vertiefen konnten. Agnes Nitschmann begleitete w ieder als Dolmetscherin die Gruppe w ährend des gesamten viertägigen Besuchs. Ganz besonders freue ihn, so Heim, dass da­ rüber hinaus zahlreiche Treffen zwischen Schü­ lerinnen und Schülern aller Schularten aus dem Komitat und dem Schwarzwald-Baar-Kreis statt­ fanden. Ein Höhepunkt sind dabei die alle zwei Jahre stattfinde nd en „In te rn a tio n a le n Kinder- und Jugendtreffen“ in Kecskemet. Seit Jahren

schon gibt es gute Kontakte zwischen der Breg- talschule und einer Schule in Kecskemet. Anlässlich der Reise der Kreisräte wurde ei­ ne neue Ebene der Freundschaft begründet. Pro­ fessor Werner Ruoss, Prorektor der Hochschule Furtwangen und Professor Istvan Sztachö (Tech­ nische Hochschule Kecskemet) Unterzeichneten am gleichen Nachm ittag eine Partnerschafts­ urkunde. Damit wurde ein Studentenaustausch begründet, der schon in diesem Jahr begonnen hat. Von dieser Vereinbarung, dass vom eu­ ropäischen Sokrates-Programm gefördert wird, werden auch Dozenten der beiden Hochschulen profitieren. Die Berufsakademie Villingen-Schwen­ ningen gehört ebenfalls zu den Partnerhoch­ schulen der Technischen Hochschule Kecske­ met. „Ich bin glücklich, dass wir innerhalb von zwei Jahren so w e it sind, diese K ooperations­ vereinbarung zu unterschreiben“ , sagte Ruoss. Eine w ichtige Voraussetzung war die M ö g lich ­ keit, an der Einrichtung in Kecskemet auch in deutscher und englischer Sprache studieren zu können. Landrat Heim: „In hohem Maße profitiert.“ Bei der Unterzeichnung des Partnerschaftsver­ trages betonte der Landrat: „Nach zehn Jahren kann ich für den Schwarzwaid-Baar-Kreis sagen: Wir haben in hohem Maße davon p ro fitie rt.“ Und darüber hinaus habe das deutsche Volk dem ungarischen viel zu verdanken. M it der Öff­ nung der Grenzen im Jahr 1989 hätten die Un- Die Berufsakademie Villingen-Schwenningen, ver­ treten durch Prorektor Werner Ruoss (rechts), Unter­ zeichnete ein Partnerabkommen m it der Techni­ schen Hochschule Kecskemet. P artnersch aft m it Ungarn Landrat Karl Heim und der ungarische Komitatsprä- sident Dr. László Balogh beim Festakt aus Anlass des 10-jährigen Bestehens der Partnerschaft m it dem Schwarzwald-Baar-Kreis. garn den ersten Stein aus der Mauer zwischen Ost und West herausgebrochen, m it der Folge, dass die Mauer bald in sich zusam m enfiel und die deutsche Wiedervereinigung möglich wurde. „Eine weitere Konsequenz war ein Europa, das die Trennung zwischen Ost und West überwand und die europäischen Völker unter einem ge­ meinsamen Dach zusammenführte.“ Neben dem verbindenden Band der Donau gebe es viele Ge­ meinsam keiten zwischen dem Schwarzwald- Baar-Kreis und dem Komitat Bäcs-Kiskun: eine gemeinsame europäische Geschichte, eine de­ mokratische Staatsform, eine freiheitliche W irt­ schaftsordnung und die Liebe zur Heimat. „U n ­ sere Partnerschaft könnte ein europäisches M o­ dell sein. Die Stärke Europas liege in seiner Viel­ falt, seinen unterschiedlichen Kulturen und Tra­ ditionen.“ Der Landrat lud die M itglieder der Ko- m itatsversam m lung in den Schwarzwald-Baar- Kreis ein. Schon im Juni 2006 reiste wie in den Vorjah­ ren eine Delegation zur Südwestmesse, um dort am Stand des Kreises ungarische Spezialitäten zu präsentieren. Für diese M öglichkeit sei man besonders dankbar, erklärte László Balogh: „Die Südwestmesse ist größer als unsere ungarische Landesmesse.“ V ielfältig e Kontakte sind auch schon zwischen den Industrie- und Handels­ kammern entstanden. Nun wollen auch die Ge­ sundheitsäm ter im Komitat und Kreis zukünftig Zusammenarbeiten. Dies sieht die neue Partner­ schaftsvereinbarung vor. Darüber hinaus wird es einen Austausch zwischen dem Schwarzwald- 31

Aus d e m Kreisgeschehen A u f dem Gestüt in Tanyacsarda Lajosmisze gab es die traditionellen ungarischen Reitervor­ führungen. Baar-Klinikum und ei­ nem Krankenhaus in Kecskemet geben. Der Präsident der K o m ita ts v e rs a m m lu n g betonte in seiner An­ sprache ebenfalls die freundschaftlichen Be­ ziehungen zum Kreis und bedankte sich für die Hilfe bei den Vorbe­ reitungen zum Beitritt in die Europäische Union. „Es ist nicht schwer, zu euch freundschaftliche Kontakte herzustellen, denn ihr seid freundliche und ehrliche M enschen“ , so Balogh. Beim Abendessen am Vortag, als die Delegation an­ reiste, hatte er sich gewünscht, „dass euer Opti­ mismus auf uns überspringt“ . Auch der Freundeskreis in Ungarn Zur gleichen Zeit waren ungefähr 50 M itglieder des deutsch-ungarischen Freundeskreises für ei­ ne Woche zu Gast im Komitat. Sie hatten die Rei­ se so geplant, dass sie zum Jubiläumsfest dabei sein konnten. Der Vorsitzende Wolfgang Lämmle überreichte bei einem Besuch im Kinderheim Fa- ragö Bela 1 0 0 0 Euro an H eim leiter Sändor Szeczeny. Dieses Geld haben die V ereinsm it­ glied er m it dem Verkauf von ungarischen Spe­ zialitäten auf dem W eihnachtsmarkt in St. Ge­ orgen gesammelt. Günther Lauffer, ehemaliger Bürgermeister von St. Georgen, zeigt seit Jahren besonderes Engagement beim Verkauf von Tom- bola-Losen auf diesem M arkt. Jugendliche aus dem Heim hatten kleine Gegenstände gebastelt, die beim W eihnachtsm arkt ebenfalls reißenden Absatz fanden, ln dem Haus, das die Delegation nach der Unterzeichnung der Partnerschaftsver­ einbarung besuchte, betreuen mehrere Erzieher 32 zw ö lf Jugendliche im A lterzw ische n 14 und 20 Jahren. Die Geldspende wird als Taschengeld für sie verw endet. M it dem Hüfinger Kinderheim Maria Hof wird künftig eine Partnerschaft aufge­ baut werden. Nach diesem anstrengenden Tag rundete den Abend ein Folkloreprogram m ab. Schließ­ lich hatten sich alle in Abendkleidung gewandet, um m it den M itgliedern der Komitatsversamm- lung eine vielseitige Veranstaltung zu erleben. Tänze, deutsche Volkslieder, Komödianten bo­ ten die Gastgeber auf. Für das deutsche Pendant sorgten die Rock V Roll-W eltmeister Regina Nach einer Weinprobe zeigte die Roma-Minderheit in Kiskunhalas Folklore.

Benz-Mini und Ludwig M ini, die das Publikum m it Kostproben ihres Könnens begeisterten. Am nächsten Tag hatten die K reista gsm it­ glieder Gelegenheit, bei frühlingshaften Tempe­ raturen den ungarischen Nationalpark Opusz- taszer zu besuchen. Ein großes Rundgemälde von Ärpäd Feszty zeigt d o rt die Landnehm ung der Magyaren. Im 55 Hektar großen Freigelände sind, ähnlich, wie in deutschen Freilichtmuseen, historische Gebäude und natur- und technikge­ schichtliche Ausstellungen zu sehen. In Kiskun- halas, der Heimat von Käroly Szabö, der S tell­ vertreter von Läszlö Balogh ist, stand anschlie­ ßend das 36. Internationale CSI Reitturnier auf dem Programm. Nach einem Zwischenstopp an einer katholischen Kirche, wo der Pfarrer spon­ tan eine Kostprobe seines Orgelspiels gab, w u r­ de das Spitzenmuseum in Kiskunhalas besich­ tigt. Nach einer Weinprobe zeigte die Roma-Min- derhe it in Kiskunhalas Folklore. Abgerundet wurde der Abend m it einer großen Feier m it 250 Gästen in derTurnhalle der Stadt. Puszta-Besuch unvergessliches Erlebnis Zu einem unvergesslichen Erlebnis wurde für die Kreisräte am nächsten Tag die Puszta. Auf dem Gestüt in Tanyacsarda Lajosmisze gab es die tra­ ditionellen ungarischen Reitervorführungen, bei denen der Reiter stehend ein Gespann m it m eh­ reren Pferden im Galopp fü h rt. Dass auch im Schwarzwald-Baar-Kreis Kutsche gefahren wird, stellte Lukas Duffner vom R einertonishof an­ schließend unter Beweis, der einen Esel elegant durch Hindernisse dirigierte. Das Programm wurde von allen Mitreisenden au f der anschließenden Heimreise als sehr gut und v ie lfä ltig bewertet. Die Fraktionsvorsitzen­ den, allen voran Jürgen Guse, bedankten sich bei Landrat Karl Helm und O rganisator Walter Dold. Auch der Landrat sprach von einer sehr wertvollen Reise, die alle Teilnehmer bereichert und den persönlichen Horizont erw eitert habe. Und den ungarischen Gastgebern wird die­ ser Besuch ebenfalls unvergesslich bleiben. Dafür sorgt schon das Geschenk, das die Dele­ gation mitbrachte. Angesichts der handgearbei­ teten Tischuhr, hergestellt von der Schwennin- P artnersch aft m it Ungarn Eine vergoldete, wertvolle Uhr überbrachte Landrat Karl Heim dem Komltat Bäcs-Kiskun als Zeichen der Verbundenheit. Hergestellt hat sie die Schwennin- ger Feintechnikschule. ger Feintechnikschule, rief Präsident Läszlo Ba­ logh gerührt, er wünsche sich, dass diese Stun­ de „e w ig dauern möge“ . Die vergoldete w ertvolle Uhr, die der Land­ rat dem Präsidenten bei der Partnerschaftsver­ einbarung als „Zeichen der zeitlosen Verbun­ denheit“ überreichte, steht auf einem anthrazit­ farbenen Sockel m it dem Wappen der beiden Partner. Die Quetlflüsse der Donau sind eingra­ viert, das Ziffe rbla tt der Uhr bewegt sich auf dem Fluss, der Komitat und Kreis verbindet. Die Uhr wird in Kecskemet einen schönen Platz er­ halten, so wie die Büste des ungarischen Reform­ politikers Graf Istvän Szechenyi, die als offiziel­ les Geschenk des Komitates das Kreishaus Felicitas Schück schmückt. 33

2 . Ka p i t e l St ä d t e u n d G e m e i n d e n Riedöschingen – heimeliges Dorf Der „Kompromissbach“ mitten im Ort erinnert noch heute an frühere Grenzstreitigkeiten Bis ins 19. Jahrhundert be­ stand der deutsche Südwes­ ten aus unzähligen Einzel­ territorien, in denen meist mehrere Adlige, Klöster oder Kirchen Rechte über Land und Leute hatten. Die Landeshoheit übten hier höhere Adlige, Landgrafen oder Fürsten aus. Bei der im 13. Jahrhundert ent­ standenen Landgrafschaft Nellenburg im Hegau war der Grenzverlauf im Westen um stritten. „D a m it war unklar, wer in M au­ enheim, Stetten, Tengen, Nordhalden, Kommin- gen, Riedöschingen und Leipferdingen die Lan­ deshoheit ausübte“ , so ein Beitrag von Eveline Dargel in der Festschrift zur 900-Jahr-Feier von Riedöschingen im Jahr 2000. Fürsten berg beanspruchte die Landeshoheit im späteren K om prom issgebiet nachweislich erstmals 1412. Als Österreich 1465 Landesherr im Hegau wurde, kam die Angelegenheit neu zur Sprache. Im 16. Jahrhundert spitzte sich dieser Grenzstreit w eiterzu. „Neuen Nährboden erhielt der Konflikt durch die intensiven territorialen Be­ strebungen, die sow ohl auf habsburgischer, als Ganz im Süden des Schwarz- wald-Baar-Kreises befindet sich ein Ort, der sich sei­ nen heim elig wirkenden Dorfcharakter noch w e it­ gehend bew ahrt hat: Ried­ öschingen. Alte Häuser und nicht zuletzt das historische Pfarrhaus und die St. M artinskirche künden von einer gewachsenen Struktur. Den heutigen Blumberger Stadtteil durchfließt der Kompromissbach. Kein anderer Ort w eit und breit liegt an ei­ nem Fluss m it einem derartigen Namen. Der Name „Kompromissbach“ stammt aus dem 16. Jahrhundert. In einem Grenzstreit über die Frage der Hochgerichtsbarkeit zwischen den Grafen von Fürstenberg als Landgrafen der Baar und den Inhabern der Landgrafschaft Neltenburg im Hegau schlossen beide Parteien einen Kompro­ miss, den sie 1535 m it einem Vertrag besiegel­ ten. Das Besondere daran war: Die Parteien hat­ ten sich auf ein „K om prom issgebiet“ geeinigt, in dem sie die Landeshoheit gemeinsam ausüben wollten. Es umfasste das nellenburgische Gebiet m it den Dörfern M auenheim, Biesendorf, Bar­ gen, Stetten, Leipferdingen, Zimmerholz, Utten- hofen, Nordhalden und Teile Kommingens und Riedöschingens sowie einzelne Höfe und Ge­ m arkungsteile. Der Kompromissbach war von seiner Quelle unterhalb des Randendorfes bis zur M ündung in die Aitrach nahe der heutigen Bahnstation Riedöschingen Teilstück der Grenze zwischen der Landgrafschaft Baar im Westen und dem Kompromissgebiet im Osten. Riedöschingen liegt geschützt in einer Talsenke zwi­ schen dem Blumbergerberg und dem Hummelberg. Der Blumberger Teilort hat 831 Einwohner, seine Ge­ markungsfläche umfasst 1 861 Hektar. 34

auch auf fürstenbergischer Seite zu beobachten w aren“ , heißt es in der bereits zitierten Fest­ schrift weiter. Fürstenberg konnte seinen te rri­ torialen Einfluss in der Region erheblich aus­ bauen, vor allem seit König M aximilian an Graf Fleinrich im Jahr 1500 die Landgrafschaft Baar verliehen hatte. 1535 kam es schließlich zu dem Kompromissvertrag. Gräberfunde aus der Merowingerzeit Riedöschingen ist ein Ort m it Tradition. Im Jahr 2000 wurde in einem größeren Rahmen die 900- Jahr-Feier begangen. Alt-Ortsvorsteher Hermann Barth hatte im Staatsarchiv Schaffhausen eine entsprechende Urkunde entdeckt. Wie häufig der Fall, handelte es sich um eine Schenkungs­ urkunde, bei der Ortsnamen erw ähnt wurden. M it der Urkunde verm achte Burkart, Graf von Nellenburg, am 27. Februar 1100 das Gut Hem- m ental samt Wald Randen m it allem Dazu­ gehörigen dem Kloster „S ant Salvator“ in Schaff­ hausen. Ausgestellt ist das Dokument in „villa eschingen im Dorf“ , geschrieben wurde es von Mönch Giselbert zu „S a n t Salvator“ . Die Urkunde ist allerdings nur die erste schriftliche Erwähnung, die Siedlung selbst be­ stand sicher schon wesentlich länger. Dies bele­ gen Gräberfunde im Jahr 1883 im Gewann Lebe- ren („Lebera“ ), die der „M ero w in ger Zeit“ oder noch früher zuzurechnen sind. Aus der Aleman­ nenzeit stammen mehrere Waffenfunde, darun­ ter ein verziertes Kurzschwert. Aus der Römer- R iedöschingen – he im e lig e s Dorf Der Kompromissbach, hier im Jahr 195/, macht sei­ nem Namen alle Ehre, er markierte einst die Grenze der Landeshoheit zwischen dem Fürstentum Fürs­ tenberg und den Nellenburgern im Hegau. zeit gibt es Funde wie eine Haarnadel, ein versil­ bertes Löffelchen und einen Silberdenar. Orte m it den Namensendungen „in g e n “ gel­ ten allgemein als „z u r ältesten O rtsnam ens­ schicht“ gehörig, hält Alt-O rtsvorsteherr Her­ mann Barth fest, der sich intensiv m it der Ge­ schichte des Dorfes befasst hat. Wobei das Be­ stim m ungsw ort „esch“ auf eine niedergelasse­ ne Sippe hinw eise und „R ie d “ dem Ried im Aitrachtal gleichzusetzen sei. Der Historiker Dr.

S tä d te und G em e in d e n W arnkönig kam bei seinen Forschungen über Riedöschingen um 1900 zur gleichen Deutung. Für W arnkönig bestand auch kein Zweifel, dass vom Donautal über das A itrachtal und Ried­ öschingen eine römische Straße führte und Ried­ öschingen zu dieser Zeit eine römische M ilitä r­ kolonie gewesen sein muss. Nach der erwähnten Urkunde von 1100 w u r­ de der Ort im m er w ieder genannt. In einer Schenkungsurkunde an das Kloster Allerheiligen zu Schaffhausen erscheint im Jahr 1275 der Na­ me „Rieteschingen“ . In diesem Jahr wird auch Riedöschingen als Dekanatssitz im Steuerbuch der Gemeinde Konstanz erwähnt. Unter wessen Hoheit oder Besitz Riedöschingen zurZeit seiner ersten urkundlichen Erwähnung und zwei Jahr­ hunderte danach stand, sei nicht nachzuweisen, so Fiermann Barth. In Betracht kommen dafür die Herren von Blumberg und das Stift Lindau. Die Geschichte und das Schicksal der Ried- öschinger in jener Zeit waren sehr wechselhaft. Wurden sie doch „m ehrfach verpfändet, verlie­ hen, verkauft oder als Vogtei vergeben“ und ge­ rieten im m er w ieder unter eine andere O brig­ keit. Dadurch gab es viele Streitigkeiten über das Auslegen von Pflichten und Rechten. So kam es schließlich am 1. April 1428 zur Aufstellung einer Gem eindeordnung. Im Jahr 1499, im „S chw ei­ zerkrieg“ , zerstörten plündernde Soldaten das nahegelegene Aitlingen und einige Häuser im Ort selbst. Die Bewohner Aitlingens, deren Zahl allerdings nicht bekannt ist, zogen nach Ried­ öschingen. Seither ist Aitlingen erloschen. Für Riedöschingen war der Zuzug einer der Gründe, dass die Kirche im Jahr 1523 vergrößert werden musste. Zur Beilegung der vielen Streitigkeiten veräußerte schließlich das S tift Lindau seine Vogteirechte über Riedöschingen am 18. Sep­ tem ber 1613 an Graf Christovzu Fürstenberg. An das Schweizer Kloster Muri verpfändet Im Dreißigjährigen Krieg wurden die Menschen von plündernden Soldaten und Krankheiten heimgesucht. Riedöschingen erholte sich davon nur langsam. Es folgten weitere schwierige Jah­ re mit Hungersnöten, Besatzungen m it Verkösti­ gung und immer wieder Plünderungen. Von 1702 bis 1789 verpfändeten die Fürstenberger Ried­ öschingen aus Geldmangel gar an das Kloster Muri in der Schweiz. Erleichterung und Rechtssi­ cherheit brachte erst das 19. Jahrhundert m it sei­ nen Reformen. Spannend auch die B eteiligung von Ried- öschingern an der 1848er Revolution: Der Ried- öschinger Johann Baptist Schey hielt als Ober­ amtmann in Säckingen den Revolutionär Struve Riedöschingen nach einem Gemälde aus dem Jahr 1917. 3 6

Das Wappen von Riedöschingen In B la u ein g o ld e n e r S c h rä g lin k s b a lk e n , b e ­ le g t m it e in e r sch w a rze n H irschstang e . Das Wappen ¡steine Kombination des Wappens eines M itglieds des Hauses der Herren von Randegg (in Blau ein goldener Schrägbalken), die einen Löwen rum pf im Wappen führten, und des Wappens der Herren von Landau (in Gold drei liegende schwarze Hirschstan­ gen – die Landauer waren m it dem Haus W ürttem berg verwandt). Die Randegger besaßen im 15. Jahrhun­ dert die Vogtei über Riedöschingen, verkauf­ gefangen. M indestens zw eim al müssen Frei­ schärler im Ort gelagert haben, der Konstanzer Schieber berichtet: „D ie W eiber da in Ried-E- schingen, m it ihren roten Kopftüchern, machen trübe G esich ter…. Die Bauern sperren erstaunt und blass den Mund auf.“ Auch war Riedöschin­ gen eine Station des Struve-Zuges, wie Hecker berichtet, bevor der Rückzug der Revolutionäre, die Flucht vor den Preußen begann. Sich das dörfliche Eigenleben bewahrt Die Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 unterstell­ te Riedöschingen der Markgrafschaft Baden und 1807 dem Amt Blumberg. 1824 kam Riedöschin­ gen zum Amt Hüfingen. Schließlich kam es 1849 zum Landkreis Donaueschingen. M it der Ge­ m eindereform wurde Riedöschingen durch ei­ nen M ehrheitsbeschluss der Bevölkerung und des Gemeinderates ein Stadtteil von Blumberg und dem neugegründeten Landkreis Schwarz- wald-Baar zugeordnet. M it der Eingemeindung endete jedoch nicht das dörfliche Eigenleben. Riedöschingen hat ei­ nen katholischen Kindergarten und eine Grund­ schule m it stolzer Tradition. Hatte Riedöschin­ gen doch im Jahr 1723 das erste Schulhaus im Bezirk der Obervogtei Blumberg erhalten, Jahr­ R ie döschingen – he im e lig es D o rf ten diese jedoch 1483 an die Herren von Lan­ dau (bis 1529). Seit 1537 fürstenbergisch. Im 19. Jahrhundert wurden nur Schriftsiegel und – Stempel geführt. Auf Wunsch der Gemeinde en tw arf das Generallandesarchiv 1898 das Wappen. Die Gemeinde kam bei Auflösung des fürstlich fürstenbergischen Bezirksamts Blum bergzum Am tsbezirk Hüfingen, da der Am tssitz des fürstlich fürstenbergischen Bezirksamts Blum bergzum Am tsbezirk Hü­ fingen verlegt wurde. Am 1. April 1972 w u r­ de Riedöschingen in die Stadt Blumberg ein­ gemeindet. Das Wappen ist dam it erloschen. Aus: Landkreis Villingen (Hrsg.):„Wappenbuch des Landkreises Villingen“. zehnte vor den Umlandgemeinden. Zu verdan­ ken hatten sie dies Pfarrer Frobenius Ferdinand Thomsin, nach dem die heutige Schule benannt wurde. Thomsin übernahm die Pfarrei 1719, sein Vater war Obervogt in Blumberg. Thomsin be­ klagte sich, dass in Riedöschingen „w o h l 50 Jah­ re kein ordentlicher U nterricht“ mehr gehalten worden sei. Er bemühte sich beim Fürsten von Fürstenberg und bei der Gemeinde um die Ver­ besserung des Unterrichts. Von Anfang an streb­ te er den Bau eines eigenen Schulhauses an. Dass er hierzu auch eigenes Geld in Aussicht stellte, trug sicher zum Beschluss bei, ein Schul­ haus zu bauen. Im Jahr 1723 war es so weit: Die Schule entstand zwischen dem Pfarrhaus und Der große Brand von 1926 veränderte den Ortskern erheblich, e lf Häuser wurden dabei zerstört. 37

Städte und Gemeinden Die St. Martinskirche von Riedöschingen darf sich zu den schönsten Kir­ chen bauten der Baar zählen, ihr markanter gotischer Turm wurde 1988 saniert. der Kirche. Die Kirche stellte den Platz zur Ver­ fügung, PfarrerThomsin stiftete je 150 Gulden zum Bau und Unterhalt d e s S c h u l h a u s e s . Der Fürst gab 45 Gulden, die G em e in d e 8 0 . Die Bür­ ger gab e n 3 0 Gulden und Frucht. Der Unter­ richt g e d i e h , doch d a s S c h u lh a u s mit s e in e n zwei Räumen wurde all­ mählich zu klein. Gut 100 Jahre später wurde hinter der Kirche in der heutigen B o g e n g a s s e 4 ein n e u e s Schu lhaus g e ­ baut, in dem bis 1 96 4 unterrichtet wurde. Fleute ist e s ein Wohnhau s. Das dritte Schulhaus, da s im D ezember 1964 im Gewann „Im Sch u b is“ ein ­ ge w e ih t wurde, diente z unächs t als Grund- und Flauptschule für die Riedöschinger Kinder. Nach der Eingemeindung und dem dam aligen Schul- entwicklungsplan, der die Trennung in Grund- und Flauptschulen beinhaltete, wurde au s der Riedö sc hing er Volksschule e in e Grundschule. Seit he r b e s u c h e n auch die Grundschüler aus Nordhalden, Neuh aus, Kommingen und Hondin- gen die Riedöschinger Einrichtung. Auch für die kleineren Kinder wird gesorgt. Während d e s Dritten Reiches gab e s einen Kin­ dergarten der Nat ionalso ziali st isc hen Volks­ wohlfahrt. Nach dem Zweiten Welt­ krieg hat Pfarrer Josef Batsching den Kindergarten als katholischen Kindergarten weiter betrie­ ben. Als Erzieherinnen wirk­ ten O rdensschw estern aus St.Trudbertim Untermüns­ tertal im Schwarzwald. Doch die Räume waren klein und einfach. Pfarrer Marcellus Harterd hatte dann die Idee e in e s Neu­ baus. Es gab ein e g roß e Diskussion, der Pfarrer initiierte ein e Volksbefragung. Letztlich konnte die katholis ch e Kirche ng emeind e au f ihrem Grundstück den Kindergarten bauen. Der Pfarrer schaffte es, vom Ordinariat in Freiburg und von der Gem einde einen Zu sch us s zu erhalten. Als der Orden keine weiteren Erzieherinnen mehr stellen konnte, wurden ab 1974 weltliche Kräfte eingestellt. Betrieben hat den Kindergarten zunächs t der Elisabethenverein, der heute ein Förderverein der Kirchlichen Sozialstation ist. Er unterstützte den Kindergarten finanziell und be z ahlte die Krankenschwestern am Ort, w obei hier die Ge­ m e in d e einen Z u s ch u s s gab. Nach der Einge­ mein du ng 1972 brachten Reformen und die e rs­ ten K in de rg arteng ese tz e ein en weit er en Ent­ wic klun gssc hu b. Nun wurden auch die Kinder von Nordhalden, N euh aus und Kommingen der Riedöschinger Einrichtungzugeordnet. Die Räu­ me wurden allmählich zu klein. So kam e s für fast eine Million Mark zu einem Anbau mit zwei Gruppenräumen. Die St. Martinskirche stolzer Mittelpunkt Stolz sind die Riedöschinger auf ihre St. Mar­ tinskirche. Das ortsprägende Gotteshaus ist wohl mehr als 1 2 0 0 Jahre alt. Bereits 748 soll e s als Holzkirche be st an de n haben. Im Zehntbuch von 1275 wird eine im 11. Jahrhundert erbaute Ste in­ kirche erwähnt. Von die se r Zeit z e u g e n heute noch der untere Teil d e s Turmes so w ie ein gut erh alte ne s Sak ra m entshäusch en . Um 1300 wird die Kirche zum Teil auf den alten Fundamenten im go tischen Stil neu und größer errichtet. 1423 erfolgte ein weiterer Neubau. Für d a s Dach d e s h a u s e s war die Äbtissin von Lindau zuständig, zu deren Stift Riedöschin­ ge n g e h ör te, für da s Anbetung der Heiligen Drei Könige in der Pfarr­ kirche zu Riedöschingen, geschaffen um 1560.

Riedöschingen – heimeliges Dorf Prächtig ist der Altar der St. Martinskirche mit Schnitzereien zum Leben Jesu im Stil der Renaissance (ca. 1900). Um 1500 entstanden ist die Madonna (unten Mitte), eine beste oberrheinische Arbeit. Die Kanzel der Riedöschinger Kirche ist mit Apostel-Darstellungen geschmückt. Rechts der um 1530 ent­ standene Kirchenpatron St. Martin, den Mantel teilend.

Städte und Gemeinden Turmdach aber die Gemeinde. Im jahr 1523 wird ein größerer Neubau errichtet, worauf e n tsp re ­ c he nde Jahreszahlen an der Leibung der Sakris­ teitüre und an der Außentüre d e s Turmes hin- w e i s e n . Der Turm behält s e in e n Standort, die neue Kirche wird nach Norden verlegt. Der Turm se lb st diente in früherer Zeit als Fluchtturm und konnte „nur von außen durch ein e heute noch vorha nd en e Öffnung im zweiten Stockwerk“ b e ­ treten werden. Der e h e m ali ge Chor unter dem Turm wird al s Sakristei genu tz t, der heutig e Chorraum st ammt noch von damals. Mehrfach wurde die Kirche vers chönert und te il w e i s e u m ge bau t. So wu rde in den Jahren 1904 bis 1913 d as Langhaus um zwei Meter er­ höht. 1962 folgte e in e größere Innenr enov ie­ rung, 1 988 wurde der Turm renoviert. Den Ab­ s c h lu s s der jüngsten Renovierung, bei der unter anderem die Heizung und Elektrik erneuert wur­ den, feierte die Kirchengemeinde im März 2 0 0 4 . Das Fest war eine der letzten Amtshand lung von Pater TomislavQacik, der in s e i n e b o s n isc h e Hei­ mat zurückkehrte. Danach kam Riedöschingen e b e n s o wie da s von Pater Tomislav mitbetreute Kommingen z u r S e elso r g ee in h eitB lu m b e r g . Mit Vikar Peter Walter, der den Blumberger Stadt­ pfarrer Edgar Wunsch unterstützt, w o h n t im Rie dösc hin ge r Pfarrhaus aber weiterhin ein Geistlicher am Ort. Rie dösc hingen hat noch e in ig e s an Infra­ struktur. Neben dem Lebensmittelgeschäft Wie­ gand als fest em Treff ge hören dazu drei Gast­ häu se r und e in e Bäckerei, e in e kleine Wein­ ha n dlun g s o w ie die Volksbank. Arbeitsplätze bieten auch eine Baufirma, e ine Schreinerei, ein Fliesenleger und ein Kfz-Service. Zugpferd am Ort ist die Schweizer Firma Elvedi, ein namhafter Hersteller für R egalsy st em e und Lagertechnik. Der 1 988 von Walter Elvedi in der Schw eiz g e ­ gründete Betrieb begann 1989 mit der Produkti­ on und dem Verkauf in Riedöschingen. Mit mitt­ lerweile 4 9 Beschäftigten hat d a s Unternehmen europaweit e ig e n e Häuser und Handelspartner. Elvedi ist bisher die einzige Schw eizer Firma im Schwarzwald-Baar-Kreis. Vereine tragende Säule der Gemeinschaft Doch d e r O r tleb tv o ra llem auch durch s e i n e Ver­ eine. Jeder Zweite der rund 8 0 0 Einwohner ist in ein em Verein. Bereits 1845 wurde als ältester Verein im Ort der Kirchenchor gegründet. Er g e ­ staltet die G ottes dien st e und kirchlichen Feste mit. Den 18 Mitgliedern unter dem Vorsitzenden Rainer Hauptvogel ist Geselligkeit wichtig, Sie liefern auch Beiträge für Fastnacht und andere Veranstaltungen. Mit Thomas Keller werden sie von einem C-Musiker dirigiert. Mehr als 100 Jah­ re ber eichert der Musikverein R iedö sc hing en da s dörfliche Leben bei allen Anlässen. Mehr als 30 Jahre, nämlich seit 1974, heißt der Dirigent Riedöschingen mit Blick vom Kirchturm, 1988. 4 0

Bernhard Reiske. Der 77-Jährige, dem der Almanach (200 5) s c h o n ein en extra Beitrag ge w i d m e t hat, dirigiert 32 akti­ ve Musiker. Wie sehr der Verein im Ort in­ tegriert ist, zeig en 2 2 0 Mitglieder mit einer Alt ers sp an ne von 9 bis 76, so der Vorsitzen de Engel­ bert Zeller. Bei den vielen Auftritten tre­ ten auch die Bari- Combo und ein Quin­ tett al s Un terabtei­ lungen auf. An die bäuerliche Tradition erinnern die Viehtränken im Ort. Um die O rts gem e in sc h aft b e m ü h e n sich rund 70 Landfrauen, die unter Ingrid Scheyer ein breites und vielfältiges An gebot bieten, darunter auch Se n ior en gym n astik . Dabei binden die Landfrauen z u ne hm e nd Kinder und Jugendliche mit ein. Das Brauchtum pflegt die Trachtengrup­ pe, zu der eine Kindergruppe gehört. Die 4 8 Mit­ glieder unter Gerd Martin vertreten Riedöschin- gen und Blumberg regelm äßig bei offiziellen An- Der Martinsbrunnen mitten im Dorf. Riedöschingen – heimeliges Dorf lä sse n . Die Ortsverbundenheit prägt auch den Seppelwaldverein. So sp e n d e n die 25 Mitglieder um Thorsten Frank den Erlös ihres Weih nachts­ marktes s t e t s für woh lt ätige Zwecke im Dorf. Wenn e s brennt, ist seit mehr als 75 Jahren eine Freiwillige Feuerwehr vor Ort. Die 32 Aktiven um ihren Kommandanten Alexander Effinger k o o p e ­ rieren mit der Blumberger Stadtwehr und brin­ gen sich auch in d a s D or fgescheh en mit ein. Auf r ege s Interesse stie ß im Se p te m b e r 2 0 0 5 der erste Seilzieh wettbewerb auf dem Schabelhof. Eine fe ste Größe ist der Narrenverein „Blauer Ste in“. Die 6 0 Aktiven um den Präsident Ingfried Rothermund stellen e in ig e s auf die Beine, bei großen Narrentreffen hilft da s ga nz e Dorf mit. In e in e Marktlücke s ti e ß e n die Narren mit ihrer Apres-Ski-Party. Zu den Attraktionen Rie dö sc hing ens zählen auch ein Tigergehege, da s die als „Habillo und Sibill“ auftretenden Künstler Sibille Höft und Hansjörg Biesle beim e hem alig en Bahnwärter­ häuschen eingerichtet haben. Und dazu zählt die Straußenfarm auf dem Steppach er Hof. (Über die Strauße stand im Kreisalmanach 2 0 0 2 ein a u s ­ führlicher Bericht). Der TTC Riedöschingen stellt bei 25 Aktiven um Daniel Reichte eine Schüler­ mannschaft, ein Jugendteam und drei Herren­ mann sc hafte n. Am Kom promissbach liegt der Fußballplatz. Mit 3 4 0 Mitgliedern istder FC Ried­ ösc hingen der größte Verein am Ort. Mit zwei Herrenteams, den Damen und Alten Herren s p i e ­ len vier Mannschaften aktiv, dazu kommen Ju­ ge ndm an ns ch aften von der F- bis zur B-Jugend, zum Teil in S p i e l g e m e i n s c h a fte n mit dem SV Hondingen. Der Vorsitzen de Dieter Werhan nennt stolz e ig e n e Abteilungen für Volleyball, Jazzgymnastik, Nordic Walking und eine e ig e n e Theatergruppe. Die Vereine arbeiten z usa m m en. Das gute Klima der Vereins gemein scha ft zeigt sich beim Pro grammabend an Fastnacht und beim be lie bten Isidori-Dorffest, d a s in z w e i ­ jährigem Rhythmus stattfindet. Auf d i e s e Dorfgemeinschaft kann auch der Ortsvorsteher Markus Keller bauen. So hat die Dorfgemeinschaft bereits d as Dach und die Fas­ s a d e d e s Rath auses erneuert. Und d a s nächste Ziel steht bereits fest: Der Ortsvorsteher will die Stützmauern und da s Bachbett d e s Kompromiss­ Bernhard Lutz bac h e s verschönern. 4i

Städte und Gemeinden Kirchdorf – ältestes Dorf der Baar Beliebter W ohnort m it Charme – Die um 6 0 0 erbaute Kirche St. M artin g ilt als eines der frühesten Zeugnisse der C hristenheit im Schw arzwald-Baar-Kreis Hier blieb die Kirche nicht nur in ein em Dorf, s o n ­ dern gleich in dreien. Das Kirchspiel in St. Martin verband die M en sc hen von Kirchdorf, Klengen und Überauchen sc hon viele Jahrhunderte bevor sich die Orte als Brigachtal zur ne uen G es a m tg em e in d e vereinten wurden…). Das war vor rund 30 Jah­ ren, 1974, doch trotz äußerer wie innerer Annäherung haben die Dörfer im Tal der Brigach ein en individuellen Charakter behal ten. Und Kirchdorfs b e s o n d e r e Konturen liegen ge nau in der Balance zwisc he n Integration und eigene r Identität. (res pektive vereint Das älte ste Dorf auf der Baar war sc ho n im frühen Mittelalter ein Anziehungspunkt für die Nachbarn. Hier stand weit und breit die erste Kir­ che nach dervon den Franken verordneten Chris­ t i a n i s i e r u n g – d i e Ale man­ nen waren Heiden, der christliche Glaube fasste nur langsam Fuß auf der Baar. Anno 793 wird Kirchdorf erstmals in ei­ ner Sc he nk ungsurku nde d e s Klosters St. Gallen er­ wähnt, dam als hieß e s al­ lerdings noch „Eiginhova“ und hat seither d e s öfteren s e i ­ nen Namen g e w e c h se l t. Ob Chil- dorf wie im frühen Mittelalter, Kirchen­ dorf oder Kirchdorf wie heute – d a s ers te Got­ te s h a u s , d a s hier um d a s Jahr 6 0 0 herum auf der Baar entstand, war namens – und bis heute auch si n n geb en d und machte Kirchdorf zu ein em der bede ut end st en Kirchenstandorte zwischen Stutt­ gart und B o d e n s ee . Manch uralte Bräuche wie Kilbig und Ernte­ dank haben sich bis heute erhalten und bei den schw ierigen Anfängen der Fusion mit Klengen Blick auf Kirchdorf das seit 1974 mit Klengen und Überauchen zur Gemeinde Brigachtal zusammenge­ schlossen ist. Der Ort ist stark gewachsen – vor allem Dank der Nähe zu Villingen-Schwenningen. 42

Das Wappen von Kirchdorf In Silber auf grünem Boden eine rote Kirche — DfU Kirchdorf g e h ör te zur Fürstenbergi- sc he n Landgrafschaft Baar, die durch die Rh einbundakte von 1 8 0 6 an d a s Großhe rzogtum Baden kam. Die Ge­ mein de war dem Amt Hüfingen unter­ stellt. Durch die Verordnung d e s Minis­ teriu ms d e s Innern über die Be gre nz un g ein iger Ämter d e s S e e k r e i s e s vom 13. D ez em be r 1 842 wurde Kirchdorf dem Bezirksamt Villingen zugeteilt. Seither f? zählt Kirchdorf zum Amtsbezirk bzw Landkreis Villingen. Kirchdorf – ältestes Dorf der Baar Die Huldigungsliste von 1811 ist unbesie- gelt. Das um 1830 benü tzte Prägesie gel (Um­ schrift: SIG. KIRCHDORFF) zeigt eine Kirche, wie die Abbildung unten zeigt. Eine ähnliche Darstellung findet sich in einem ovalen Farb­ s te m p e l der G emeinde, der um die Mitte d e s 19. Jahrhunderts g e sto c h e n wurde. In den späteren Farbstempeln ersch eint die noch h e u te v e r w e n d e te Darstellung der Kirche. 1901 wurde d a s heute bek an nte Gemein­ d e w a p p e n beantragt und g e n e h m i g t. Mit Gründung der G e s a m t g e m e in d e Brigachtal ist d a s Wappen erloschen. Aus: Landkreis Villingen (Hrsg.): „Wappen­ buch des Landkreises Villingen“. und Überauchen war St. Martin die erste verbin­ d e n d e Institution im Tal der Brigach. Aus dem einst sakralen Mittelpunkt ist ein Konzerthaus und Museum ge worde n, d as die M enschen aus Brigachtal und in ein em gr ößeren Radius z u ­ sammenführt. Bei der renommierten Konzertrei­ h e „Kultureller Herbst“ zum Beispiel und bei vie­ len Sonde rveranstaltun gen wie der Ausstellung im v e r g a n g e n e n Juni, bei der unter der Über­ schrift „Ästhetik am Altar“ Paramente und litur­ g isc h e G ew änd erau sv ie rj ah rh under ten geze ig t wurden. Die St. Martinskirche stolzer Mittelpunkt Allein die Vorstellung ist berührend, d a s s sich bereits im Jahr 8 8 8 (der ersten urkundlichen Er­ w ä h n u n g St. Martins) Men sc he n in d ie se m klei­ nen, d e n n o c h w uch tig en G o tte s h a u s v e r s a m ­ melten, um für reiche Ernte zu danken und Hilfe zu erflehen bei Kriegen und Naturkatastrophen. Bis 1974 blieb St. Martin Versammlungsstätte für die kath olis ch e G em e in d e , doch inzwisc hen platzte si e bei manchen G ottesdiensten fast au s den mittelalterlichen Nähten. So wurde zunächst ein Teilabriss diskutiert, w o g e g e n d a s Landes­ den kmalamt ein he ftig es Veto aussp rach – zum Glück. Die Geschichte die se r Kirche ist imposant: Der Fund einer römischen Münze von 9 6 / 9 8 n. Chr. zeu gt von römischen Sie dlun gs sp ur en . Im 6 . / 7- Jahrhundert nach Christus m u s s unter der Kirche ein alamannischer Bestattungsplatz g e l e ­ gen haben. Funde a u s dem 7. Jahrhundert b e l e ­ g en, d a s s e s sich hier um e in e der älte s te n christlichen B e stattu n gsstätte n im Schwarz- wald-Baar-Kreis handeln m uss. Über einer früh­ mittelalterlichen Kapelle wurde e in e einfache Saalkirche erstellt, wie si e in der No rdo st­ s chw eiz im 8 -/ 9 . Jahrhundert weitverbreitet w a ­ ren. Daran wurde ein Altarhausanbau angefügt. Aus dem Hochmittelalter st am m en noch w e ­ s e n tlich e Bauteile der heutigen Kirche. Der Kirchturm stand ursprünglich frei vor der S ü d ­ wand. Mehrere Brandschäden im Spätmittelal­ ter boten Anlass zu weiteren Umbauten. Nach 1 60 0 wurden d as Kirchenschiff und die Vorhalle zu einem durc hg ehe nd en Raum z u s a m m e n g e ­ fasst. Die Innenwände wurden um 1616 mit S z e ­ nen a us der Heilsgeschi chte und aus dem Toten­ tanz so w ie den 12 Aposteln ge schmückt. Teile d i e se r Malereien sind noch h e u te zu s e h e n . Auch Fragmente früherer Zeit, so Wandmalerei­ en aus hochromanischer Zeit, sind erhalten. Um 1700 wird d as ro m anisc he Altarhaus durch den noch heute b e st e h e n d e n Chor ersetzt, eine Sakristei an ge füg t und der Turm mit dem 43

Städte und Gemeinden Der um das Jahr 1200 erbaute Turm der Kirchdörfer St. Martinskirche, die heute als Museum und Ver­ anstaltungsraum dient. Kirchenschiff verbunden. Um 1819 wird nach Ab­ bruch der romanischen Westwand d a s Kirchen­ schiff um rund 4 m verlängert. Kostbar ist auch die Ausstattung der Kirche, so finden sich in ihr drei Altäre au s der be ka nn­ ten Villinger Werkstatt Schupp. Als Besonderheit gilt der Jugendstil-Hochaltar. Älteste Skulptur dürfte die d e s Kirchenpatrons St. Martin aus dem 16. Jahrhundert sein. Die einzige Alternative für Kirchdorf war vor di e s e m Hintergrund der Erhalt der alten Kirche und ein Neubau. Dieser entstand am Ortsrand von Kirchdorf, d a s inzwische n noch näher an Klengen herangerückt war, s o d a s s die 1983 ein- ge w e ih te Allerheiligen-Kirche neuer Mittelpunkt der jungen G e s a m t g e m e in d e wurde und Herz der neuen Dorfmitte mit Rathaus (das hier Be­ hördenzentrum heißt) und F eu erw ehrg erä te­ haus. Die ehrwürdige Martinskirche blieb zwölf Jahre lang in Obhut von Archäologen und Res­ taurateuren, bis sie 1991 wieder eröffnet wurde. Zwar nicht mehr als G otteshaus für die w a c h ­ 44 s e n d e Schar an Gläubigen, doch seither verbin­ det si e die Menschen als überkonfessionelle und kulturelle B e gegn ungsst ätt e . Kirchdorf ist schnell gewachsen Ein Spaz ie rg an g von hier hinüber zur neuen Ge­ meindem itte verrät viel von Kirchdorfs Charakter und seiner geschich tlichen Prägung. Der Mar­ tinsbrunnen lädt mit ein em gemütlichen Bänk- lein zum Verweilen ein, er erzählt in doppelter Sym b olik die Legende vom Schutzpatron derGe- meinde, der seinen Mantel mit einem Bettler teil­ te. Das lauschige S c h w e s te r n g ä s sl e erinnert an die 1987 aufge löst e Schwesterns tation in Kirch­ dorf und den s e l b s t l o s e n Dienst, den Nonnen rund 9 0 Jahre lang an ihren Mitmens chen v e r s e ­ hen hatten. Gemütlich, beschau lich, großz üg ig und indi­ viduell: so stellt sich Kirchdorf dem sc hlendern­ den Besucher dar. Alte, trutzige Bauernhäuser au s Stein, wie sie auf der rauhen Baar üblich w a ­ ren, setzen markante architektonische Akzente, die ersten Siedler hier waren Landwirte. Die meisten Gehöfte wurden zu schmucken Wohn­ häusern umgebau t, wie in der g e sa m te n Nach­ barschaft gibt e s auch in Kirchdorf nur noch w e ­ nige Vollerwerbsbetriebe. 1976 wurde der Kirchdörfer Farrenstall g e ­ s c h l o s s e n , ob w oh l e s d am als immerhin noch fast 100 Bauern in der G e s a m tg e m e in d e gab, heute sind e s weniger als ein Drittel, die meisten bewirtschaften ihre Betriebe im Nebenerwerb. Geblieben sind die bunten Bauerngärten mit ih­ rer farbenfrohen M i s c h u n g a u s G e m ü s e und Blu­ menpracht. Die Men sche n, die hier leben, lie­ ben ihr Heim, am Sam sta gn achm ittag wird über­ all eifrig gewerkelt, gejätet und geputzt. Kirchdorf ist schnell g e w a c h s e n . Bei einer Volkszählung im Jahr 1956 wurden gerade mal 417 Einwohner registriert. Allein in den ersten z eh n Jahren nach der Einge m eind un g z ogen 1 0 0 0 ne u e Bürgerinnen und Bürger hierher, um ihre Wohnträume nahe beim Oberzentrum Vil­ lin gen -Schwenningenzuverwirklichen. Die Neu­ bauten eroberten bald die östlichen Anhöhen, von wo a u s sich gr andio se Blicke in die weite Baarlandschaft bieten.

Kirchdorf – ältestes Dorf der Baar 45 Die Kirche St. Martin in Kirch­ dorf-Brigachtal. Die Innenwän­ de wurden um 1616 mit Szenen aus der Heilsgeschichte und aus dem Totentanz sowie den 12 Aposteln geschmückt, rechts Tod und Blutvogt. Kost­ bar ist auch die figürliche Aus­ stattung, links eine Martins­ figur, 16. Jahrhundert. Unten: Blick zur Vorhallen-Nordwand mit romanischer Malerei (12. Jh.), die nur noch in Fragmen­ ten erhalten ist. Rechts: Ge­ simsstein mit Schachbrettfries.

Städte und Gemeinden Heute hat sich die Größe Brigachtals auf knapp 5 5 0 0 Einwohner e i n g e p e n d e lt, rund 2 0 0 0 davon leben in Kirchdorf. Die Entwicklung der Arbeitsplätze konnte freilich mit der d e s Wohnraums nicht Schritt halten. Es gibt zwar eine ans eh nliche M is c h u n g a u s Handwerk, Han­ del und Gewerbe, die m eisten Erwerbstätigen fahren jedoch ins nahe Villingen oder nach Do- nau es ch in gen , um ihre Brötchen zu verdienen. Am Wohnen in Kirchdorf sc h ätz e n si e die ländliche Idylle im alten Ortskern, der dank pri­ vater und öffentlicher Anstrengungen – bis 1998 wurden g e m eins am rund zwölf Millionen Mark in die San ierun g der Ortsmitte mit B e se it igu n g 4 6 Die Kirchdörfer sprich Brigachtäler Mitte mit Martinsbrunnen. stä d teb aulic her M is s­ s tä n d e und v e r b e s s e r ­ tem Str aßenn et z i n v e s ­ tiert. Es gibt Kindergar­ ten, Grund- und Haupt­ schule, da s Bildungszen­ trum St. Martin. Die In­ frastruktur ist überhaupt gut, zum soliden Dienst­ l e istu n gsfu n d am en t g e ­ hören Geschäfte, Hand­ werker, Gaststätten, Ärz­ te und e in e Ap othe ke , die in der alten Kirchdörfer Schule untergebracht ist. Sie entstand 1909 und wurde früher zugleich als Rat- und Feuerwehrhaus genutzt. Der Schut­ t e s von einst m u s ste mit einem gar kargen Amts­ zim mer vorlieb n e h m e n , d a s im Keller neben Waschküche und Spritzenraum eingerichtet wur­ de und d as er sich auch noch mit Ratschreiber und Gemeinderec hner teilen m u s s te – eine fast ärmliche B e s c h e id e n h e it mit Se l te n h e its w e r t auch für damalige Verhältnisse. 1972 gi nge n 79 Kinder in die Kirchdörfer Schule, s o d a s s sich zwei Klassen einen Raum teilen m usst e n – die Schu le war e ndg ültig zu klein ge w or de n. Es ents tan d ein Pavillon, g e ­ dacht al s Üb er ga ng slö – su ng, doch si e hat bis heute Bestand, worüber die Kirchdörfer auch sehr froh sind. Zu weiter­ führen den Sc hu len in der U m g e b u n g fahren die Mädchen und Jungen mit de m Ringzug, der seit 2 0 0 3 am z w i sc h e n ­ durch stillgelegten Kirch- Wo indische Wasserbüffel grasen – auch das gibt es im Brigachtaler Ortsteil Kirchdorf.

dorfer Ba hn hof hält. Die W i ed er b e leb u n g der S c h i e n e durch d a s s c h ö n e Tal der Brigach ist auch eine wertvolle Entlastung der Hauptstraße, die trotz U m ge hu ng nach wie vor recht stark fre­ quentiert wird. Und als w a s fühlen sich die Bewohner hier nun, als Kirchdörfer oder als „Brigedäler“? Die Frage kann nicht e inde utig beantwortet werden, wenn auch in den verg angen en Jahren Gemein­ schafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl de ut­ lich g e f e s ti g t wurden. Das sa h bei der Einge­ m ein dun g vor 3 0 Jahren ganz ander s aus, die Zerstrittenheit der Ortsteile war regelrecht sprichwörtlich. Der Konkurrenzkampf sp ie gelt e sich in der Presse wieder, gleich drei s e l b s t ä n ­ dig e Tag esz ei tun gen wollten die M ed ie n lan d ­ schaft im Brigachtal neu aufmisc hen, allein in Kirchdorf su ch te n drei Lokalredakteure nach Schlagzeilen. Die Vereine als verbindendes Element „Jetzt haben wir g e w o n n e n !“ So kommentierte Meinrad Belle (von 1974 bis 1990 Bürgermeister der jungen G es am tg em e in de ) den integrativen Effekt d e s ersten Heimatfestes, d as 1975 mit al­ len Ortsvereinen in Kirchdorf, Klengen und Über- Kirchdorf – ältestes Dorf der Baar auchen gefeiert wurde. Bis heute sind die Verei­ ne da s Verbindende zwische n den Men sc he n – und zugleich auch da s Trennende. Brigachtal ist ein e a u s g es p r o ch en s an ges fre u d ig e Gemeinde, aberVolks- und Kirchenlieder werden in eigenen Chören ge schm ette rt. Das ist verständlich und auch g u t s o , ein biss chen Konkurrenz im e igene n Haus beleb t da s Geschäft. Das gilt e b e n s o für die vielen leb endigen Sport-, Kultur- und Sozialver­ ein e und b e s o n d e r s für die Kicker. Zwar grün de­ ten die drei Fußballvereine 1978 eine S p iel er ge­ meinschaft für ihre drei Jugendmannsch aften , a n s o n s te n aber erwacht beim Kicken im sportli­ chen Wettkampf der Lokalpatriotismus. Die Kirchdörfer sind jedenfalls dankbar für j e d e s kommunale Engage me nt in d ie se n finanz­ klam men Zeiten, zur Diskutierfreude hier ge hören auch Einsicht und Akzeptanz von Argu­ menten. So war Brigachtal auch die ers te Ge­ m ein de im Schwarzwald-Baar-Kreis, die sich für die Abschaffung der unechten Teilortswahl a u s ­ sprach – und damit für ein g e m e i n s a m e s Bri­ Christina Nack gachtal. Kirchdorfmit Ortsmitte (unten rechts) und den Neu baugebieten, die 1 000 neue Einwohner brachten. 47

3. Ka p i t e l P e r s ö n l i c h k e i t e n Dr. Bernhard Everke Den Donaueschinger O berbürgerm eister a. D. zum Ehrenbürger ernannt Seit 1973 beharrlich die großartige Fortentwicklung von Donaueschingen vorangetrieben Bernhard Everke fährt an einem grauen, w olk e n ­ verhangenen Sams tagnachmittag beharrlich s e i ­ nen Weg, tritt kraftvoll in die Pedale. Kalter Wind peitscht unen tw egt Regen in sein Gesicht. Doch der Radler verliert sein Ziel nicht au s den Augen und gibt erst auf, wenn er den Zielstrich über­ fahren hat. Es sind scho n ein paar Jahre verg an­ gen, als er auf der alten B un de ss tra ße zwischen Don auesc hingen und Bad Dürrheim auf und ab fuhr, wo sich zur parallel verlaufenden vierspuri­ gen Trasse an so n n ig en Tagen Dutzende Inline­ sk ater tum meln. Doch weil so schreckliches Wet­ ter war, kann er sich auch heute, al s 67-jähriger Pensionär noch gut daran erinnern. Irgendwie ist d i e s e S z e n e auch symptomatisch für d a s Leben d e s M an nes, der sich und se in e r Stadt immer ne u e Ziele g e s e tz t hat und erst Ruhe gab, w enn das Gewollte erreicht war. Auf dem Rad ging e s Bernhard Everke einst nur um ein e Etappe auf dem W egz um Deutschen Sportabze ich en, von de nen er sich mittlerweile mehr als zwei Dutzend a n s Revers heften könn­ te, doch m eist g i n g e s nicht um private Ideale, sondern um ein Stück b e s s e r e s Donaueschingen. Eine mehr als beachtliche Bilanz Und die Bilanz unter de m Arbeitsleben Everke, der von 1973 bis 2 0 0 4 die Geschicke im Donau­ e sc hing er Rathaus lenkte, ist beachtlich. Aus ei­ ner Stadt, die der Verlust d e s Landkreises bei der Kreisreform in den frühen Sie bzigern d e s ver­ gangenen Jahrhunderts beinahe in Lethargie ver­ fallen ließ und a n g e sic h ts einer ho hen Pro-Kopf- 4 8 Dr. Bernhard Everke Verschuldung kaum h a n d lu n g sfä h ig war, hat Everke z u sam m e n mit se in e m Rathausteam und dem Gemeinderat eine Stadt geformt, die immer wie der neidische Blicke erntet. Ohne Zweifel, auch andere Städte haben sich weiter entwickelt und e tw a s a u s sich ge mach t in den verg an gen en drei Jahrzehnten, doch zu w e l ­ chem Preis. Vielfach sind vergleichbare Kommu­ nen hoch verschulde t. Everke und der G em e in­ derat haben d a g e g e n immer auf eine Reihenfol­ g e ge ach tet. Erst die Pflichten, dann die Kür. Bei­ sp iel Eigenkontrollverordnung: Sie schreibt seit 1 98 9 die stän dige Modernisierung der Kanalisa­ tion und den Bau von mehr als ein em Dutzend million ens ch werer Regenr üc khaltebe ck en vor. Don au eschinge n hatte gleich mit der Um setz un g b e g o n n en und verfügt he ute über ein m odernes Kanalnetz und ein mit den Nachb arg em ei n den

betrieb enes Klärwerk, da s zu den modernsten im Land überha upt zählt. Damit ble iben heute Freiräume für weitere Investitionen. Andere Kom­ munen haben mit die se r Infrastruktur m a n g e ls Geld noch nicht einmal be g o n n en . Dabei w ardie Ba us telle groß, die der Jurist und promovierte S ta a ts w i s s e n s c h a ftle r 1973 angetroffen hatte. „Die Stadt befand sich durch h oh e Schulden in einer Finanzmisere. Auf der anderen Sei te waren noch h o h e A u ß e n s t ä n d e z u verzeichnen. B e dau­ erlich war auch, d a s s die Stadt in keinem der Lan­ desförderprogramme war“, blickt Bernhard Ever­ ke zurück. Entsprechend bot sich auch d a s Bild der Stadt. Viele triste Bauten und graue Asphalt­ pisten und auch die internen Verwaltungsstruk­ turen waren von gest ern . Offensichtlich waren auch die D on aue sc hinge r d a m a ls mit ihrer S i­ tuation alles andere als zufrieden. Denn Neuling Everke punktete bei der Bürgermeisterwahl 1973 im ersten Wahlgang mit 42,5 Prozent und setz te damit Amtsinhaber Robert Schrempp ( 3 9 , 6 Pro­ zent) auf Rangzwei. SPD-Kandidat Kurt Flartwich erreichte 17,9 Prozent. Im zweiten Wahlgang e nt­ sc hie d Everke, der bis dahin St adtre cht sd irek­ tor und Wirtschaftsförderer in Idar-Oberstein war, d a s Duell g e g e n Schrempp klar mit 59 Pro­ zent für sich. Die Phase der„W ir-Politik“ beginnt Recht schnell war die he iß e Wahlkampfschlacht um den B ü r g e r m e i ste r se ss e l , der die S t a d t g e ­ meinschaft fast spaltete, Geschichte. Everke hol­ te den oft parteipolitisch zerstrittenen Gemein­ derat durch die Bildung der Fraktionssprecher­ runde vor den G em einderatssitzungen näher an die Verwaltung heran. In d i e s e m intimen Kreis konnte Everke s e i n e Ideen vorschlagen und Hal­ tungen einbringen. So wurde zu vielen Themen sc ho n vor den Ratssitzungen Konsens gefunden. V ieles konnte o h n e l ä h m e n d e Disk us sion den Gem einde rat pas sier e n. Es blieb Platz für De ­ batten um die wirklich wichtigen Belange. Und immer mehr schaffte e s d a s CDU-Mitglied Ever­ ke, den Gemeinderat von der Parteipolitik we g, hin zu einer Wir-Politik für die Stadt zu lenken. Verwaltungsintern wu rde ein ne ue r Sp or t­ stättenleitplan, ein Generalverkehrsplan und ein Dr. Bernhard Everke S tadtsan ie ru ng sko nz ept erarbeitet. Auch wurde verstärkt darauf geachtet, Bau- und G ew er be ge ­ b ietev orrä tigzu haben, damit sich d i e S ta d t s t e ­ tig fortentwickeln konnte. Die „Folgen“ die se r Veränderungen – unter andere m mit markanten Firmenansiedlungen – lassen sich freilich erst heute abseh en . Und wenn Everke in einer seine r letzten Reden b e ha uptete, die Stadt habe ihre Hausaufgaben gemacht, gibt e s w e n i g Widerspruch. Bis auf den Bau e in e s neuen Konzertsaals bei den Donauhallen blieben in der Stadt und in den sie be n Stadtteilen kaum große Wünsche offen. Die Stadt präsentiert sich als m odernes Zentrum der Baar mit übersichtli­ chen Schulden. Von 1974 bis zu se in e m Abschied 2 0 0 4 vermehrte sich da s Stad tverm ögen von 37 auf stolze 223 Millionen Euro. Die Pro-Kopf-Ver- sc h u ld u n g d e s Kernhaushalts (ohn e Eigen be ­ triebe Wasser und Abwasser) wurde deutlich g e ­ senkt auf 22 Euro pro Kopf. Zu diese m Kunststück verhalten Everke s e i n e guten Drähte nach Stutt­ gart, Bonn und später Berlin. Und Everke war als „beharrlicher Hausierer“ viel unterwegs. Zuschüs­ s e für Wunsch-Projekte wurden dann beantragt, so d a s s die Bauvorhaben die Stad tk as se nicht zu sehr strapazierten. So zahlte b e is p i e ls w e is e da s Land 2,4 Millionen Mark für die Beton-Ränge im Reitstadion, nur 1 0 0 0 0 0 Mark die Stadt. Hier sparte die Stadt gleich zweimal, denn die Kosten für die jährlich notw en dige n Tribünenaufbauten brauchte die Stadt nicht mehr aufbringen. Und mit jeder Millioneninvestition brachte Everke den Do naueschingern ein Stück S e l b s t b e w u s s t s e in zurück, da s mit der einschneidend en Kreisreform 1972 verloren g e g a n g e n war: Große Teile d e s Durchgan gsverk ehrs wurden vor die Stadt ver­ bannt. Das Zentrum um die Karlstraße neu g e ­ staltet. Neue Brücken, reizvolle Plätze wurden g e ­ baut, die Infrastruktur von Wohnsiedlungen m o­ dernisiert. Eine moderne Kläranlage zählt e b e n ­ so dazu wie ne u e Sporthallen oder d a s ge ne ra l­ sanierte Schw immbad mit einer tollen Rutsche, auf da s Everke bis heute stolz ist. Der B usbah n­ hof ist neu. S c h u ln e u b au ten und Kindergärten s t e h e n e b e n s o in der Bilanz wie n e u e Orts­ durchfahrten in den sie be n Stadtteilen, moder­ ne Feuerwehren, Gemeinschaftshallen, d as Ried­ se e -N ahe rh olungsze ntr um in Pfohren oder gar ein Schw im mbad in Wolterdingen. Verkehrsbe- 49

Persönlichkeiten ruhigung in vielen Teilen der Stadt und gute Fern­ verkehrsverbindungen sind heute selbstverständ­ lich. Der Regionalflugplatz – wertvollster Faktor für die Wirtschaft – ist auf dem n e u e ste n Stand, Verkehrskreisel halten den Autoverkehr flüssig, und so gar mit ihrer „Öko-Siedlung“ machte die Stadt lan desw eit auf sich aufmerksam. Stark hat sich Everke g e m a ch t für die Einrichtung der bi- nationalen Brigade, währe nd w o a n d e rs die Ka­ serne nt or e län gst dicht sind. Auch die Jugend­ musik- und Jugendkunstschule und die Stadtju­ g e n d p f le g e mit Juge nd ha us – in sanierten und neuen Gebäuden – lagen ihm am Herzen. Hinzu kommen viele ge se ll sc h a ftl i c h e Ereignisse mit großer Außenwirkung für die Stadt. Dazu zählt d a s von Everke initiierte Regionalgespräch mit prominenten Gästen, unter andere m auch Bun­ d e sp räsid en t Roman Herzog, Everkes Jazznacht, d a s Reitturnier, mit dem e in e Dressur-EM 1991 und eine Springreiter-Europameisterschaft 200 3 nach D o n a u e sc h i n g e n ge h o lt wurde. Auch die Weltmeisterschaften der Gewichtheber für Junio­ ren und später für Frauen und Männer bleibt da un ver gess en, e b e n s o die Landesgymnaestrada. Ein Meilenstein war die Erhebung zur Großen Kreisstadt 1993, mit der a u s dem Bürgermeister Everke ein Oberbürgermeister Everke wurde. Internationale Kontakte gepflegt Internationale Kontakte g e n o s s e n hö c h s te Prio­ rität. Die Städtepartnerschaft mit Saverne im Ei­ s a s s b e s t e h t se it über 4 0 Jahren, und se it den i99oer-Jahren b e ste h e n die Partnerschaften ins ungarisc he Väc und gar ins ja pan is ch e Kami- noyama. S e lb st die Kunst blieb nicht auf der Strecke. Über 2 0 0 Kunstwerke hat die Stadt in seine r Ära erworben. Der Musikantenbrunnen vor dem Rat­ ha us und die Pferdeskulptur im Verkehrskreiset g e h e n au f s e i n e Initiativen zurück. Vom ersten Tag an war er fast 20 Jahre im Vorstand der Kunst­ stiftung Hohenkarpfen. Die Landeskunstwochen waren ein Höhepunkt im Rahmen der 1100-Jahr- Feier der Stadt 1989. Natürlich lief nicht immer alles so, wie Ever­ ke e s ge rne g e s e h e n hätte. Echte Niederlagen waren rar ge sä t, aber e s gab si e für den Harmo­ 50 nie m en sc he n Everke: 1 98 4 hatte er sens ationell die „La nd es gart ensch au 1 9 9 0 “ nach Do n au­ e s c h i n g e n ge holt, doch die Widerständ e g e ­ genü ber d ie se m Millionenprojekt waren größer als gedacht, so d a s s die Schau letztlich wieder a b g e g e b e n wurde. Auch d a s von ihm forcierte „Holiday-Inn“ zur B e le b u n g der Don auhallen wurde auf dem heutigen Marktplatz an der Bri- gach nie ge ba ut, e b e n s o wie der von ihm a n g e ­ strebte Japan-Garten ne b e n dem Amtsgericht. 1999 m u s ste der ste ts souverän wieder g e w ä h l­ te Oberbür germeister e in e bittere Wahlnieder­ lage e inst eck en : Die Bürger brachten in einem Bü rgerentscheid den g e w ü n s c h te n Bürgersaal mit Stadtarchiv neben dem Rathaus zu Fall. „Da wurden taktische Fehler gemacht. Aus einem pro­ visor isch en , unattraktiven Modell im A n fangs­ stadium der Planungen wurde schnell ein ‘Schuh­ karton’. Das m usst e letztlich schief g e h e n “, blickt der Ex-OB h e u te zurück. Ein „Fehler“, den man ihm aber in D on au esc hing en rasch verzieh, un­ terlief ihm s e l b s t z u Beginn deri98oe r-Jahre, als sich der am 12. Februar 1939 in H agen/Westfalen g e b o r en e Everke auf die Stelle d e s Oberbürger­ meisters in Konstanz als Ersatzkandidat nach ei­ ner Wahlaufhebung bewarb. In d e r S t a d t a m Bo­ d e n s e e , in der Everke ab 1942 aufwuc hs und sein Abitur machte, holte er sehr gute 42 Prozent der Stim men, ob w ohl ihm als „Neuem im Ring“ nur fünf Wochen Zeit für se ine n Wahlkampf blieben. Everke blieb in D o n a u e sc h in g e n – und d a s mit Leib und S e e le . Er wurde 1981 und auch bei den nac h folge n d e n Wahlen kon kurrenzlos klar b e ­ stätigt. Eigentlich keine Selbstverständlichkeit, bei ihm aber scho n. Denn er machte nie Pause, wenn Positives für die Don austad t in Aussic ht stand oder e s Be si tzs tä nde zu verteidigen galt. So ließ er sich gar hinreißen, ein „Buch“ zu ver­ fass en . Sein ein zige s. Es sollte stol ze zwölf S e i ­ ten um fas se n, auf denen er wiss enschaftlich b e ­ gründete, w e s h a lb die Don au q uelle in Do n au­ e sc hinge n entspringt und nicht in Furtwangen. Abläufe wurden ständig optimiert Stillstand kannte er bis zu seinem Au ss che iden nicht. Zirkel mit S p ez ia lis ten und Bürgern wur­ den gebildet, um weitere Verbe sserungen zu er-

Dr. Bernhard Everke reichen und Abläufe zu op timieren. Und überall, wo Leute mit Problemen an ihn herantraten, sei e s auch nur w e g e n e i ­ ner defekten Stra­ ß e n la te rn e ode r e i ­ n e s klappernden Ka­ n al d ec kels , zückte Everke Zettel und Bleistift. Abgehakt wurde erst, wenn das Problem kein Problem mehr war. Dr. Bernhard Everke bei der Ernennung zum Ehrenbürger von Donaueschingen. Fürderlei Engage­ m ent über d a s Nor­ malmaß e in e s Stadt­ o b e r h a u p ts hinaus erhielt Everke schon 1993 an e in em Tag das Bundesverdienstkreuz, und als achter Träger den Wappenring der Stadt, den er einst s e lb st für außergewöhnlich engagierte Kommunalpolitiker initiiert hat. Das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, d as Ehrenkreuz der B un de sw eh r in Gold und viele weitere Auszeichn ungen folgten am 28. Oktober 2 0 0 4 , nachd em Bernhard Everke im März für alle überraschend, „aber zum richtigen Zeitpunkt“, wie er heute sa gt, s e i n e n Rücktritt bekannt g e g e b e n hatte. Randvoll mit 1 100 G äs­ ten war die Donauhalle dam als. Viele Donau- esc hing er, Gäste und Wegbegleiter von überall her waren ge kom m e n, um Bernhard Everke ein ­ fach „Danke“ zu sa g e n , der sich dann prompt mit einer brillant-amüsanten Rede von der S ta d t­ b ü h n e v e r a b s c h i e d e te und jedem der Zuhörer noch einmal klar machte, d a s s Everkes Adieu mit einem großen Verlust fürdieStadtve rbun den ist. Die Freizeit gehört der Kunstgeschichte Und dan ach? Den Ruhestand hat er se in e r An­ sicht nach gut verkraftet, weil er ihn quasi noch nicht in sein Fleim hat einkehren las se n. Everke ist unterwegs, nicht unbedingt mit dem Ehrgeiz früherer Jahre, doch man sie h t den Ende 2 0 0 5 zum Ehrenbürger ern annten Mann mit se in e r Frau Charlotte stets bei wichtigen Anlässen in der S t a d t – und eigentlich noch viel mehraußerhalb. Denn s e i n e Kinder Claudia und Johannes leben in Stuttgart respe ktiv e in Hamburg. Und sein Sohn besche rte Bernhard Everke mit Clemens Jo­ h a n n e s Maria Bernhard im Dezember 2 0 0 5 auch den ersten Enkel, den der Opa natürlich öfter s e ­ hen will. Und er hat erlebt, w a s er in 31 Jahren als Rathauschef nicht geschafft hat: Er war bei ei­ ner Audienz beim Papst in Rom. Viel von seiner „Freizeit“ sc he nk t er nun der Kun stgeschichte. D ie se s Fach hatte er eigentlich ursprünglich s tu ­ dieren wollen, dann aber doch als „brotlos“ fal­ len g e l a s s e n und 1958 d a s Jura-Studium in Tü­ bingen bego nn en . In der Staatsgalerie und in den Graphischen Sam mlungen in Stuttgart ist er öf­ ters und er lässt sich per Fernleihe Bücher in die Hofbibliothek nach D o n a u e sc h in g e n kommen. Von den politisch motivierten Karikaturen von Honoré Daumier (1808 bis 1879) l ässt er sich b e ­ geistern. Und dann ist da noch sein Mandat als CDU-Kreistagsmitglied und auch der Sport: „Ich h a b e e in e gu te Ausd au er und keine Talente“, sa gt er über sich. Dennoch hat er Sp aß daran und d as a n s t e h e n d e 29. Sportabzeichen will er sich w ieder hol en, sicher auch au f de m Rad, aber nicht mehr unbedingt bei Wind und Wetter. Günter Vollmer 51

Persönlichkeiten Eva von Lintig Soziales und ku lturelles Engagem ent prägten ihr W irken als S tadt- und Kreisrätin Die Römerstadt Hüfingen verdankt der Kommunalpolitikerin auch das Stadtmuseum Wenn Eva von Lintig vom Balkon ihres H auses in der Hüfinger Altstadt blickt, freut sie sich j e d e s Mal, d a s s d a s g e g e n ü b e r l i e g e n d e Haus in der G ra b en gass e erhalten blieb. Rechts st eht ein ur­ alter Apfelbaum, links ein 100-jähriger Holunder. Im Frühling erlebt sie eine Farb-Sinfonie von Zie­ gelrot und Blattgrün. St e t s hat die h e im a tv er b u n d e n e und g e ­ schicht sb ew us ste Kommunalpolitikerin ein Stück altes HUfingen vor Augen. Dass dieser älteste Teil der Stadt zwisc hen der G ra ben ga ss e, dem Burg­ platz und der Breg s o erhalten blieb und unter En sem b lesc hu tz ge st e ll t wurde, ist auch ihr zu verdanken. Drei Jahrzehnte en gagier te sie sich als Stadträtin, z eh n Jahre auch al s Kreisrätin. Das s Hüfingen ein S tad tm u se u m für Kunst und Geschichte hat, ist im Wesentlichen ihr Verdienst. Im Jahr 199 6 erhielt si e für ihr Lebenswerk da s Bun desverdien stkreu z. Als si e beim Hüfin­ ger Neujahrsempfang 2 0 0 6 aus dem G em e in d e ­ ratverabschiedet wurde, kamen neben dem Wirt­ sc haftsm in is ter Ernst Pfister und de m Landrat Karl Heim fast alle ihre Weggefährten und Freun­ de a us Politik und Bürgerschaft. Wichtige Prägungen für ihr soziales und politi­ s c h e s Engage ment erfuhr sie schon in ihrem El­ ternhaus. IhrVater, der Arzt Dr. Erwin Sumser, war ein bekannter Naturschützer. Seine Begeisterung galt beso n ders den Orchideen, zu deren Schutz er auf eigene Kosten Wiesen kaufte, ein damals unge­ wöhnliches Verhalten, denn der Naturschutz wur­ de erst später zu einer staatlichen Aufgabe. Ihre W e lt an sc hauu ng wurde, wie bei vielen ihrer Generation, von den Kriegserlebnissen g e ­ prägt. An den Ausbruch d e s Zweiten Weltkrieges erinnert sie sich heute noch. Im Hotel „Schützen“ 52 Eva von Lintig in D o n a u e sc h in g e n war e in e Hochzeit, si e und ihre S c h w e s te r waren „Kränzlejungfern“. Am Abend, während der Feier, wurde plötzlich ver­ kündet, der Krieg sei au sgeb roc he n. „Mein Vater m u s s te sich noch in derse lben Nacht in Freiburg meld en, er ritt mit dem Pferd dorthin.“ Die Kin­ der heulten. Eines w eiß die Tochter noch genau: „Im Bekanntenkreis unserer Familie war über den Kriegsausbruch niemand be ge is ter t.“ Der Vater hatte sich scho n früh von der brau­ nen Ideo lo gie a b g e w a n d t und brachte nach Kriegsausbruch Soldaten zu sich nach Hause, die beim Fronteinsatz körperlich oder psych is ch e Schä den davongetragen hatten. Der Vater m u s s t e nach Frankreich, wurde aber a u s gesundh eitliche n Gründen dann in die Reserve ab ge ste llt. Nach se i n e m Aufenthalt im Lazarett kam er als O berstabsar zt zurück nach D o n a u e sc h in g e n in die Barbara-Kaserne, wo heute die Franzosen-Kaserne untergebracht ist. Der Krieg wirkte sich auch auf den Schulall- tag aus. Wegen d e r Ti eff l i e g e r-A n gr i ff e hatten die

Gymna sias te n m orgen s und a b e n d s Unterricht im e v a n g e li sc h e n Vereins ha us . Die Sc hu le war besetzt. Als die Tiefflieger-Angriffe ge gen Kriegs­ e n d e Zunahmen, brachte der Vater die s i e b e n Kinder in d a s Achdorfer Tal nach Aselfingen. Die Kinder kamen vom Regen in die Traufe. Im Ach­ dorfer Tal s a m m e l te n sich die d e u t s c h e n Trup­ pen, und die Franzosen stie ße n vor. Das Kampf­ g e s c h e h e n w o g t e hin und her, die Franzosen starteten wiede r Tiefflieger-Angriffe. Die Deut­ sc hen wurden von den Franzosen e i n g e s c h l o s ­ se n. Als die de utsch en Soldaten sich nicht e rg e­ ben wollten, hiss te der Lehrer Karl Schweickert, ein Anti-Nazi, unter Lebensgefahr auf dem Asel­ finger S chu lhaus die w e iß e Fahne. Von den Na­ zis hab e keiner g e w a g t, tatsächlich auf ihn zu sc h ie ß e n , wie sie e s a ng edroht hatten. Der Lehrer habe mit s e i n e m Mut d a s Tal g e ­ rettet, die Deutsch en hätten sich ergebe n. „Die­ ser Mut hat mich sc h on mit 13 Jahren se h r b e ­ eindruckt.“ Ausbildung zur Krankengymnastin Scho n früh traf Eva von Lintig e ig e n e Entschei­ dungen. Dass sie 1951 für 15 Monate als „Mothers Help“ (he ute „Au Pair“) nach England ging, er­ zählte sie ihrem erstaunten Vater erst, als sie al­ les geregelt hatte. Nach der Rückkehr absolvier­ te sie in Freiburg eine Ausbildung zur Kranken­ gymnastin. Dort lernte si e ihren späteren Mann Flarm-Dietrich von Lintig kenn en. Nach and ert­ halb Jahren Arbeit in einer Dü sse ldor fer Klinik kehrte sie nach Donau esc hing en zurück, weil ihr Mann dort eine Stelle als Assistenzarzt gefunden hatte. Einer Heirat stand nichts mehr im Wege. Dr. Harm-Dietrich von Lintig übernahm nach seiner Facharztausbildung die Praxis s e i n e s S c h w ie ­ gervaters Dr. Erwin Sumser. Vier Kinder und in­ zwisc hen vier Enkel bereichern die Familie. „Wir haben Anfangs unter b e sc h e i d e n e n Be­ din gungen im Rathaus g ewohn t, dort, w o heute da s Bauamt ist, war früher die Arztw ohn ung“, schildert Eva von Lintig. Das Haus war ihr ver­ traut. „Wir sind sc ho n als Kinder im Rathaus aus- und e in gegan gen . Wo heute die Rathausgalerie ist, waren unsere Schlafräume und der Speicher Eva von Lintig mit einem Haufen Holz. Damals wurde alles mit Holz befeuert.“ Später z o g die Familie in da s Hü- finger Neub au gebiet, wo si e ein m o d e r n e s Ein­ familienhaus baute. Sow ohl ihre berufliche Eigenständigkeit als auch die Kriegserlebnisse trugen dazu bei, d a s s sich Eva von LintigeherzurSPD hin ge zog en fühl­ te, s o d a s s sie nach ihrer Wahl zur Stadträtin g e ­ meinsam mit ihrem Mann der SPD beitrat, als der damalige Bundeskanzler willy Brandt den Dialog mit dem Osten suchte. Mit 1165 Stimmen zur Stadträtin gewählt In die Politik kam die vierfache Mutter und Arzt­ frau durch ihren inzwischen verstorbenen Mann Harm-Dietrich von Lintig. Er wurde 1975 von der Hüfinger SPD e rs tm als auf e in e Kandidatur für den Gemeinderat ang e sp roc he n. Da er a u s Zeit­ gründen ab lehnen m usst e , schlug er s e i n e Frau vor. Eva von Lintig, die noch parteilos war, willig­ te ein, bat aber um einen unteren Listen platz. Am Wahlabend kümmerte sie sich auch nicht um das Ergebnis. Am nächsten Tag erschien im Rathaus ein Sonde rbl att, si e hatte 1165 St im m en b e ­ kommen und hatte a ls ein zige Kandidatin der SPD ein Direktmandat erhalten. D ie se s Ergebnis ve rb es se rte sie mehrfach, ihr b e s t e s Votum w a ­ ren 3174 Stimmen bei der Wahl 1994. Se lbst bei ihrer letzten Kandidatur 2 0 0 4 erhielt s i e noch respektable 1 918 Stimmen. Damals war s i e z u s a m m e n mit Isolde Wei­ de nb ach von der FDP die zwe it e Frau im Ge­ meinderat. Die CDU hatte von 22 Sitzen die ab­ solute Mehrheit, Bürgermeister war der be ka nn­ te parteilose Max Gilly. Später war sie fünf Jahre lang die ein zige Frau im Gemeinderat. Eva von Lintig verstand ihr Mandat als Pflicht zur Bürgernähe. Da si e als alte Hüfingerin und Mitarbeiterin ihres Mannes die Menschen und ih­ re Sorgen kannte, fand sie zu einer unmittelba­ ren und direkten Politikauffassung über die Par­ teigrenzen hinweg. Ein weiterer Vorteil für Eva von Lintig war die Situation al s Einzelkämpferin der SPD: Sie war keiner Fraktion verpflichtet, „ich konnte m eine eige ne n Ideen frei vortragen“. 53

Persönlichkeiten Wie haben die Männer auf die Vorstöße der SPD-Frau reagiert? „Sie mochten mich, aber sie haben auch öfters g e g e n mich g e s c h o s s e n . “ Manchmal sei sie auch e tw a s sehr oppositionell g e w e s e n , aber „ich habe mich immer gut infor­ miert und mirdadurch auch Respekt verschafft“. Zugute kam ihr auß er de m , d a s s die Press e die a n fa n g s e in zige SPD-Stadträtin aufmerksam wohlwollend be oba chtete : „Ich hatte immer e i ­ ne gute P r e ss e.“ Für den Erhalt von Alt-Hüfingen gekämpft Trotz ihrer politischen U n vore ingenom m enheit lagen Eva von Lintig immer drei Themen b e s o n ­ ders am Herzen: Der Naturschutz s o w i e Kultur und G es ch ic hte der Stadt Hüfingen. Mitte der i97oer-Jahre bega nn in Hüfingen die Altstadtsa­ nierung. „Ich war für den Erhalt von m ögl ichst vielen alten Gebäuden und habe ge gen jeden Ab­ riss gekämpft!“ Der „gr assierenden Abrisswut“ in der Hüfin- ger Altstadt b e g e g n e t e die Gemeinderätin, in­ dem sie ihren Mann überredete, ein al te s Stadt­ bauern haus zu erwerben und zu renovieren. Ge­ m einsam mit ihrem Bruder und Architekten Her­ mann Su m se r entstand s o ein vorbildliches Ob­ jekt, in dem die Praxis ihres M annes und eine g r o ß z ü g ig e Wohnun g Platz fa nd en . Eine Bau­ m aßn ahm e, die Dank Steuervorteilen und staat­ licher Z usch üsse durchaus finanzierbar war. Vor zeh n Jahren z ogen sie s e lb st in das Haus ein und verkauften ihr 19 66 g e b a u t e s Haus in der Gier­ hald e. Die alten Möbel, fast alle s Erbstücke, p asst e n gut in da s ne u e Domizil. Das Engagement der Sozialdemokratin zahl­ te sich au s. Bei der Kommunalwahl 1979 errang die SPD drei Sitze und damit auch Fraktionssta­ tus mit Eva von Lintig als Vorsitzende. Die Zahl w u ch s auf bis zu sie be n Mandate, derzeit sitzen s e c h s Sozia ldem okra te n im Hüfinger Stadtpar­ lament. Und seit 1992 hat Hüfingen außerdem ei­ nen Bürgermeister mit dem SPD-Parteibuch. Hat ihre Arbeit den Weg ge e b n e t, so d a s s nach dem altgedienten MaxGilly mit Anton Knapp erstmals ein Soz ia ldem ok ra t Bürgermeister in Hüfingen werden konnte? Eva von Lintig überlegt ein en Augenblick: 54 „Ich glaub e sc h o n . “ Sie hab e den M enschen im­ mer Toleranz gepr ed igt und g e s a g t , jede Partei sei wählbar. Es ko mme auf den Kandidaten an. Als er zum Stadtoberhaupt gewählt wurde, war das für die SPD-Stadträtin ein b e s o n d e r e s Ereig­ nis. Für si e wurde der n e u e Bürgermeister ein wichtiger Wegbegleiter: „Ich hab e parteimäßig viel von ihm gelernt.“ Nach der Altstadtsanierung fand Eva von Lin­ tig einen weiteren Grund, sich für die kulturellen Belange ihrer Heimatstadt stark zu machen. Als si e 1975 in den Gemeinderat kam, wurde si e Mit­ glied in e in em A u s s c h u s s , der die Au ss te llu ng d e s Hüfinger Künstlerkreises in der Festhalle vor­ bereitete. „Isolde Weidenbach und ich haben die ganze n Künstlermappen du rch geschaut.“ Schon dam al s hat sie g e sagt, man m ü s s e dringend ein M useum einrichten. Ein Gedank e, den auch scho n andere vor ihr geäu ße rt hätten. Dann kam die 900-Jahrfeier. Eva von Lintig war wie de r im vorbereitenden A u ss c hu ss . Als sie Rektor Erwin Mayer ihr Leid w e g e n d e s fe hlen de n M u se u m s schilderte, riet er, einen Förderverein zu gründen und bot s e in e Hilfe an. Die beiden Initiatoren gingen strategisch vor: Sie aktivierten von allen Parteien wichtige Per­ s o n e n : Lukas Riedlinger von der CDU und Kurt Kneusslin von der FDP. Um die Vereinsstatuten kümmerte sich Rolf Schmid. Zur Gründungsver­ sam m lun g 198 6 kam auch der damal ig e Bürger­ meister Max Gilly und 50 Bürgerinnen und Bür­ ger. Die Bürgerinitiative erfuhr breite Unterstüt­ zung, die Zahl der Mitglieder w u ch s von 50 auf 100 und 2 00. Der Bürgermeister kaufte für da s Museum ein Haus. Fünf Jahre kämpften Eva von Lintig und ih­ re Mitstreiter für ihr Ziel. Mit Unterstützung durch die Stadtverwaltung wurde zum ersten Mal alles katalogisiert. Die Initiatorin war erstaunt: „Ich h ab e vorher noch nie erfahren, d a s s ein Verein für ein e ga nz e Stadt so b e de ute nd sein kann.“ Ihre Gefühle b e ­ schreibt sie in einem Satz: „Für mich ist d a s eine gr oße Freude, d a s s Hüfingen ein M us eum b e ­ kommen hat.“ In dem Haus sind auch die Vor- und Frühge­ schic hte der Bregstadt aufbereitet. „Es ist wic h­ tig, d a s s man s e in e Wurzeln kennt. Ich warsc hon als Kind stolz auf Hüfingen.“ Die Römerstadt Hü-

Eva von Lintig fingen war ein wichtiger Kreuzun gspunkt von Berlin nach Rom und von Paris nach Wien, mein­ te bereits ihr Vater nicht o h n e einen Anflug von Ironie. Liebezu Hüfingen b e de ute tauc h Liebezur Landschaft. „ B e s c h l ü s s e in der Politik m ü s se n immer im Einklang mit den M en sc he n und der Natur g e fa s s t w erden“, schildert sie ihre innere Überzeugung. „ B e s o n d e r s vom Fürstenberg a u s kann ich die ganz e Baar überblicken.“ Oft g e n o s s sie mit ihrem Mann z u s a m m e n d i e s e s Panorama. Er starb Anfang 2 0 0 6 . Im Jahr 2 0 0 7 hätten sie Gol­ d e n e Hochzeit gehabt. Für Eva von Lintig begann ein ganz neuer Lebensabschnitt. Doch trotz ihres A u s s c h e i d e n s a u s der Kommunalpolitik nimmt si e noch immer aktiv am Leben der Hüfinger Ge­ m e in d e teil. Sei e s an Fronleichnam oder wenn e s um d as S tad tm us eum geht. Die Familie hatte ihr immer den Rücken g e ­ stärkt. IhrMann und die Kinderhatten ihrMutge- macht, sich zu engagieren. Eva von Lintig sah sich nie als Einzelkämpferin. „So vielfältige Aufgaben kann man nur schaffen, wenn andere Menschen mitarbeiten.“ Das habe sie immer wieder auch in vielen guten Freundschaften erfahren. Als vor läufig es Fazit ihrer Le bensleistun g sieht sie ihre Fähigkeit, Men sc he n und Interes­ sen zu vereinigen und sich gleichermaßen für ver­ meintlich N e b e n s ä c h li c h e s zu engagier e n. Das g e la n g ihr be ispielhaft, als si e Unterschriften s am m e lte für den Erhalt der beiden Kastanien an der Hüfinger Stadtkirche St. Verena. Trotz der Kri­ tik von Gemeinderatskollegen ließ sie sich nie be­ irren. Jedes Frühjahr schaut sie hoffnungsvoll, ob die K as tan ienb äum e w ieder blühen. Und sie Bernhard Lutz blühen. Hüpngen – Am Manenbrunnen

Persönlichkeiten Prof. Dr. Dieter Jauch Der Schw enninger hat als Direktor der S tu ttgarter W ilh elm a die Grenzen von Zoo, Garten und M useum aufgehoben – einen Ökozoo geschaffen Großvater und Uhrenfabrikant Karl Jauch und derVater Hans Jauch als Vorbild: Un­ beirrt seinen Weg gehen! „Eigentlich bin ich gar kein richtiger Zoodirek­ tor.“ Der s o spricht, spielt in Worten mit der Ein­ zigartigkeit s e i n e s Amtes. Denn als Direktor der Staatlichen Anlagen und Gärten ist Prof. Dr. Die­ terjauch, ein Sprössling d e s alten Schwen ninger Geschlechts der Megserbecken, stromabwärts in der Landeshauptstadt ja unter anderem Chef der weltberühmten Wilhelma. Ein leidenschaftlicher Tiergärtner ist er ge w iss , doch eben auch der Vor­ st e h e r e i n e s botan is ch en Gartens von Weltruf, Leiter einer Stätte der Erholung und Bildung, Ökologe und Fachmann für Umwelttoxikologie; Spezialist für publikumswirksame Präsentation und artgerechte Haltung; Chef e i n e s immerhin m ittelstä n disc he n Un ter ne hm e ns, De nk mal­ schützer in Sac hen (Garten-) Architektur – und Bauherr, der mit Heini Hediger, dem Zürcher Be­ gründer der moder nen Tiergartenbiologie, „den Architekten als ge fäh r li c h ste s Tier im Zoo“ zu fürchten gelernt hat; wortmächtiger Vertreter s e i ­ ner Interessen und Experte in Fragen der Öffent­ lichkeitsarbeit. Die Vielfalt der Aufgaben fordert den vielfach Begabten, der „immer tut, w a s ihm S p aß mac ht“, w a s se ine n Werdegang erklärt. Am 27. Juni 1947 erblickt Dieter Jauch da s Licht derWelt: Prägend fürden Knaben sind sein Großvater, der Uhrenfabrikant Karl Jauch, der ihn am eig e ne n Vorbild lehrt, unbeirrt seinen Weg zu ge h e n s o w ie derVater Hans Jauch, Feinmecha­ niker, Tüftler und Denker: ein Techniker, dem Er­ finde rge ist fordernde Aufträge mehr b e d e u te n als wirtschaftlicher Erfolg, der sich gleichw ohl einstellt. 1954 wird d as „Fabrikle“ in der Johan­ n e ss tr a ß e ge ba ut. Getragen vom Glück der frü- 56 Prof. Dr. Dieter Jauch hen Jahre, genieß t Dieter Jauch die Geborgenheit der Großfamilie. Auf der Such e nach d e s Lebens Sinn m ü s se n die Verwandten freilich mit w e c h se l n d e n Berufs­ w ü n sc h e n rechnen, so Bauarbeiter und S c h a u ­ spieler. 196 6 immatrikuliert er sich an der Juris­ tische n Fakultät der Tübinger Universität. Da schlägt ihn kurz vor dem S taats exam e n die Wil­ helma mit ihrem neuen weltberü hm ten Aquari­ um in den Bann. Wieder erwacht, brennenderdenn je, die alte Liebe zu den Fischen. Die Wahl der L e b e n sw is se n sc h a ft be d e u te t Lebensglück für Dieter Jauch, derinTübingen und Gießen von 1970 an s e i n e biologisch en Studien

treibt, um sie 1979 mit der Promotion in der Ab­ teilung für ph ysi ologis ch e Ökologie abzuschtie- ßen. Die umwelt-toxikologische Dissertation Dieter Jauchs, der sich zuvor mit einer Arbeit über die Fischatmung als hoffnungsreicher W issenschaft­ ler erweist, „Über den Einfluss d e s Insektizids Le- bayzid“ ge ht der Sc häd ig un g d e s ökol og ische n Gleichgewichts durch die Einbringung von Giften, die nicht zie lgen au den (Zwischen-) Wirt d e s krankheitserregenden Parasiten bese itig en, auf den Grund. Die beachtliche Arbeit stö ßt d as Tor zu e in er ak ad em ische n Karriereauf, doch Dr. Die­ terjauch m agnichtzu Forschungszwecken Fische v e r g i fte n . … Wem freilich an der Flochschule die Lehre fast mehr Freude bereitet al s die For­ s chu ng , den wird e s an Flöheren Schulen zu un­ terrichten vielleicht reizen. Jauch tut e s … nicht lange. Im zweiten Anlauf erhält er die e rs eh nte Stelle al s Kurator für d a s Aquarium der Wilhel- ma, die ihn von 198 0 bis 1 98 9 ausfültt. Ab 19 88 zugleich Stellvertreter d e s Direktors der Staatli­ chen Anlagen und Gärten, wird er 1989 deren Di­ rektor und leitet den richtungsweisenden Umbau d e s zoologisch-botanische n Gartenszum moder­ nen Ökozoo. Hinzu kommt seit 1991 der Lehrauf­ trag für Zoologie an der Universität Stuttgart. Die Wilhelma galt schon bald als Deutschlands schönste Gartenstadt Perspektiven bietet die Wilhelma wirklich immer neue: Ein Park zum Verlieben ist sie; ein kleines Paradies, d a s im Zu sam m en sp iel von Pflanzen, Tieren, maurischer Märchenwelt und moderner Architektur in einer historischen Anlage im Stil d e s italienischen (und d a s heißt streng achsial ge gliederten) Gartens auf der Erde, die hier ein Stelldichein der si e b e w o h n e n d e n Arten feiert, n i c h tse i n e sg l e i c h e n findet. Den Zauber e in e r a l ­ ten Zeit atmet sie – und wenn der Direktor vom Balkon s e i n e s Amtssitzes den Blicküber Europas größten Magnolienhain zum Seerosenteich schwei­ fen lä sst, mag er sich als (ungekrönter) König fühlen: ein Schlossherr auf Zeit in der Märchen­ welt au s Tausendundeiner Nacht, wie der je d e s Publikum a u s s c h l i e ß e n d e König Wilhelm I. sie sich ers ehnte. Die Wilhelma, im Vormärz d e s Mo­ narchen Refugium, galt bald als „Deuts chlands Prof. Dr. Dieter Jauch s c h ö n s t e B a g d s c h e s e r a i “ (Gartenstadt). Nach 1918 als botanischer Garten Besuchern z u g ä n g ­ lich gemacht, wurde sie 1944 fast völligvernich- tet. Als n e u e s Leben blühen so llte a u s Ruinen, verfiel Direktor Albert Schö chle auf den glänz en­ den Gedanken, Tiere in die Anlagen zu bringen: der Auftakt zur Entwicklung der Wilhelma zum z oo lo gisc h-b ot an isc hen Garten, zu dem Landes­ regierung und Landtag von Baden-Württemberg sie 196 1/1962 aus zu ba u en b e s c h l o s s e n . Dieter Jauch w eiß um die se l te n e Chance, die sich bietet, wenn in einem ganzheitlichen Ansatz die Grenzen von b otan is ch em Garten, Zoo und M us eum fallen; Tiere, Pflanzen und u n be leb te U m g e b u n g miteinander g e z e i g t we rde n. Unter seine r Ägide wird der Ausbauplan von 1959 voll­ s tän dig a bgetragen , nicht o h n e d a s s er e ig e n e G e d a n k e n g e b ä u d e errichtete. So l äss t die Vo­ ge lfreifluganlage den Be sucher dank b e ge hba- rerVolieren seit 1993 in die Lebenswelt derTiere eintauchen. Im s e l b e n Jahr kann der „S c hau bau er nh of“ termingerecht zur Internationalen Ga rtenb au ­ a usst ellu ng fertig gestellt werde n. Im Jahr 2 0 0 0 wird nach zeh njähriger Planungs- und Bauzeit d a s A m az onie nhau s eröffnet. Jauch gelingt mit der Nachbildung e in e s südamerikanischen Berg- r eg e n w a td es ein großer Wurf: d a s Be st e, w as Europa in seiner Artzu bieten h a t – und zwar, wa s Konzeption, tech nisc he Ausstattung und A u ssa­ ge wert anb ela ngt. Der D enk anst öß e bedarf es, wo d ie se m durch s e i n e Bedeutun g für das Welt­ klima wichtigen Lebensraum von Men sc he n Ge­ fahren drohen, die die unwiederbringlichen Wäl- d e r a u s b e u t e n und da s Land a u f d e r S u c h e nach Bod ens ch ätze n verwüsten. In die Welt der Gliederfüßer führt d as 2 0 0 2 der Öffentlichkeit üb er ge be ne Insektarium. Nach Ab schluss d e s äußeren Au sbaus d e s z o o lo g i sc h ­ b otanisch en Gartens kann sich Dieter Jauch an den inneren machen: Didaktische Konzepte m ü s­ se n weiterentwickelt werden auf dem Weg zum Ökozoo als einer freudvollen „Volkshochschule“; d as Denkmal Wilhelma verdient volle Aufmerk­ samkeit; die bauliche Su bstanz ist zu erneuern. Eine ne u e Anlage für afrikanische M en sc he naf­ fen soll der Wilhelma 2 0 0 6 zur Zier gereichen, d e ­ ren Jungtier-Aufzuchthaus inzwisc hen e u r o p a ­ weit als Menschenaffen-Kinderstube dient. Die 57

Persönlichkeiten Wilhelma beteiligt sich e n tsc h lo ss en am Feldzug d e s Europäischen Zooverbandes g e g e n den Han­ del mit Wildtierfleisch. Die W and er ausst ell un g über „Gorillas im Kochtopf“ se h e n Millionen. Und ist nicht bei Pelzen, Edelhölzern, Erzen der Ein­ ze l n e gefordert, Verzicht zu üben? Die Fragen stellt ein Überzeugungstäter, der mehr erreichen will, al s in a b g e z ä u n t e m G elä nd e tiergärtneri­ sc h e Kostbarkeiten zeigen. Im Europäischen Zooverband Was Wunder al so, wenn Dieter Jauch in „se iner“ Wilhelma mehr sieht al s ein e kleine Arche Noah. Wiewohl si e die s auch ist, wie der in der Evange­ lischen Landeskirche in Württemberg engagier ­ te Professor w eiß, der, wenn er nicht als Hoch­ schu llehrer auf die Kanzel st eig t, gern über Schöpfung und Sintflut s p r i c h t – a u c h d e sw e g e n , weil da s siebte Kapitel der G en esis dem Biologen zum Be w e is dafür wird, d a s s offenbar Jahrtau­ s e n d e vor Gregor Mendel ein fundiertes Wissen Mit einer Orchidee im botanischen Garten: der Schwenninger Prof. Dr. Dieter Jauch. 58 in Populationsgenetikvor handen war. Wer w ü s s ­ te da heute b e s s e r Bescheid als der Vollblutbio­ loge, dervon 1994 bis 2 0 0 0 d a s Komitee d e s Eu­ ropäischen Erha ltun gszu chtpro gramm es leitet und zur Wahrung der ge ne ti s ch en Vielfalt für die weltweite Zucht in Zoos eintritt? Um s e i n e n Teil zur Erreichung hehrer Ziele beizutragen, hat Dieter Jauch Ämterzu üb er neh­ men sich nie g e sc h e u t: Neben dem bereits g e ­ nannten Aufgabengebiet wirkt er als de utsch er Vertreter im Europäischen Zooverband von 1 988 bis 2 0 0 0 mit; im g e sc h äfts fü h r en d e n Vorstand d e s Verba nd es Botanische r Gärten sitzt er von 1992 bis 1998; an vorderster Front st e h t er als Präsident d e s Verbandes Deutscher Zoodirekto­ ren von 1996 bis 2 0 0 0 . Da sind oft auch bei heik­ len Fragen die Kameras auf ihn ge richtet – wie bei der Tötung von nicht vermittelbaren Jungtie­ ren. Den Maßstab für artgerechte Haltung liefert ihm der Vergleich von Verhattensmustern in frei­ er Wildbahn und im Zoo – und w o keine krank­ hafte Veränderung oder Verarmung festzustellen sei, könne beruhigt davon a u s g e g a n g e n werden, d a s s Tiere ihr Gehege nicht als Kerker empfinden, sondern als Heimat, in der für Gäste Platz ist. Rund zwei Millionen Besucher Rund zwei Millionen Be su che r zieht die Wilhel­ ma Jahrfür Jahran und g e be n ihrem Direktordas Gefühl, der enorme Einsatz lohn esich. Ü b er sie b ­ z ig Prozent der Kosten kö nnen durch Eintritts­ gelder und Pachteinnahmen s e l b s t erwirtschaf­ tet werden: ein hoher Ei gendeckungsgrad. Den fehlenden Rest sc hießt d a s Land zu, ist die Wil­ helma doch ein Wirtschaftsbetrieb d e s B u n d e s­ l an des Baden-Württemberg. So wird d e s s e n Fi­ nan zminister zum ob e r ste n Chef e i n e s z o o l o ­ g i sc h-b ota n is ch en Gartens: e in e Konstruktion, w elch e in der Welt s o einzigartig sein dürfte wie die Kombination von Tieren, Pflanzen und hi st o­ rischem Garten, der in jeder Hinsicht ein Ge­ sa m tk unstwerk darstellt, d e s s e n ein he it lich es Erscheinungsbild durch keinen Eingriff ( ä s t h e ­ tisch) beeinträchtigt werden darf, beispiellos und unersetzlich. Und s o einmalig wie die Wilhelma mit ihren t a u s en d Tier- und s e c h s t a u s e n d Pflanzenarten

ist ihr Direktor Dieter Jauch, der auf Reisen rund um den Globus Anregungen für „sein Reich“ foto­ grafisch festhält. Auch vergisst er unterwegs s e i ­ ne Nahrungss pezialisten nicht – und so kann e s Vorkommen, d a s s er an der Nordsee zum Garne­ lenfischer auf Zeit wird. Vielseitigkeit ist nie ein Fehler! Ein Schwenningervom besten Schlage Ein S c h w en n in ge rvom be st e n S c hlag e ist Dieter Jauch, w eit läufig und he im atver bu nden. Gern hält er, der mehr al s e in e sc h w a c h e Ahnung davon hat, d a s s ein Mann von Prinzipien und klaren Vorstellungen sich auch Feinde mac he n kann, auf der Baar zu Flause Flof, im ererbten Dauchinger Domizil den Freunden ein guter Freund, w ozu viele „g eistig Be weglic he re “, wie z. B. der Künstler Emil Kies, zä hlen – und auch den gu te n Bekannten e in e Bereicherung, wie z. B. dem Kabarettisten Christoph Stählin. Fürsie ist e s keine Drohung, wenn e s heißt: „Flier kocht der Chef s e l b s t . “ Leiden lässt den Familienvater hier nur die Krise se in e r Vaterstadt, die Unter­ h öh lung d e s S e l b s t b e w u s s t s e i n s ihrer Bürger und die Vernichtung der Architektur, in der e s Stein gewor de n ist. S o b e zei chnet er den Abriss stolzer Bauten wie d e s Bürgerheims als nicht wie­ de rgu tzum achende Sünde. Die Sorgen freilich ge win nen nicht die Ober­ hand über die Freude am Leben, w e l c h e er mit Ehefrau Beate (geb. Fischer) a u s der Familie d e s Uhrenfabrikanten Jakob Palmtag teilt. Wenn Die­ ter Jauch von „Verbr echerh unden“ spricht, so meint er Max und Moritz, s e i n e „Schätzte“: Jack- Russel-Terrier, die ihm d a s Leben ve rs ch öne n. Wie die (schw äbisc h-al em annisc he ) Fasnet. Die Fastnacht auf der Baar ist für den Arbeitsamen, dem eine ernste Aufgabe die wahre Freude (res severa gaudium) ist, der fröhliche Ausgleich für die Mühen d e s Alltags. Seit se in e r Stu dien ze it ge ht er in der Zähringerstadt „uff d ’ G a ss“. Vier­ zehn S c h e m e n nennt der Mann sein eigen – und sorgt sich um die Hochkultur fastnächtlicher Bild­ hauerei „häna und dä n a“. Da gibt e s tatsächlich e in en , der „VS: d a s d o p p e l te V ergnügen“ zu sc hätzen w e iß – und in der Hoffnung, sich damit vor der Geschichte nichtzum Narren g e m a c h tz u Prof. Dr. Dieter Jauch Prof. Dr. Dieter Jauch ist der Heimat Schwenningen eng verbunden – vor allem auch der Fasnet. haben – sa p ie n te s stulti aliquando! – 1969 Un­ terschriften für die Doppelstadt g e s a m m e l t hat: Ein Grenzen überschreitender Geistesaristokrat von m ensc hlich er B e s c h e id e n h e it, die e n g mit der Achtung vor der ge istigen Leistung anderer z u sa m m e n g e h t, wie der Protozoologe Karl Gott­ lieb Grell sie ihn lehrte, derweil er von Erwin Kul- zer üb ern ah m, d a s s gründlic he s Arbeiten kein Ausdruckvon Engstirnigkeit ist, Anstand, m ens ch­ liche Zuw endung und Fürsorge für die einem An­ vertrauten a b e r nich tw e niger w ich tigsind a l s d i e Forschung. Wie sollte einen solchen Mann selbst jenseits d e s Sc hlagb aum s am Hölzlekönig ein Paradevil- lin g er v o m Sc hlage d e s meisterlichen Manfred Merz nicht loben, mag er auch schmunzeln dar­ über, d a s s Narrenmasken, von Volkskundlern als A u sw e is katholischen Brauchtums g e n o m m e n , bei Dieter Jauch im bemalten Bauernschrankder e va ng elis che n Vorfahrin ihren Platz haben? Gibt e s ein s c h ö n e r e s Sinnbild ve rsöhnter Verschie­ de nh eit von Kon fe ssion en und Kulturen? Möge Michael J. H. Zimmermann e s nicht trügen. 59

Persönlichkeiten Gerhard und Liselotte Gebauer Der frühere O berbürgerm eister von Viüingen Schwenningen und seine Ehefrau auch im hohen A lter für die Doppelstadt aktiv Mit Gerhard und Liselotte Gebauer ein en g e ­ m e in sa m e n Termin zu vereinbaren, ist eine mitt­ lere G ed uldspr obe – die be iden haben w e n i g Zeit. Sie ist wie eh und je als rührige G es ch äfts­ führerin d e s Vereins „Lebenshilfe“ aktiv, die sie von kleinsten Anfängen zu ein em soz iale n Un­ tern ehm en mittelständiger Größe aufgebaut hat. Er w urd e zwar 1995 als Oberb ürgermeis ter Vil­ lin ge n -Schwenn inge ns nach 35 (!) Dienstjahren verabschied et, danach packte er aber e ine ä h n ­ lich zeit- und arbeitsintensive n e u e Aufgabe auf e hrenam tlicher Ba sis an: Planung, Bau und Finanzierung der Geriatrischen Reha-Klinik am Klosterwald. 199 8 wurde si e gebaut, seither ist der promovierte Jurist ihr Geschäftsführer. Lise­ lotte und Gerhard Gebauer haben ihr Leben s o ­ zial- und gese lls chaf tspol itischen Herausforde­ rungen g e w i d m e t, die ihnen bis zum heutig en Tag ihre ganz e Kraft und pro fession elle Kompe­ tenz abverlangen. Kurz vor Weihnachten werden b eide 8 0 Jahre alt, sie am 13., er am 15. D e z em ­ ber. Und allmählich w a g e n si e hin und wiede r den Gedanken z um inde st a n s Kürzertreten. Sie sei gerade intensiv mit dem Aufbau einer „Wohnschule“ beschäftigt, in der M enschen mit ge istig er Beeinträchtigung lernen so llen , s e l b ­ s tä n d ig in e ig e n e n W ohn un ge n zu leb en , e n t­ schuldigt Liselotte Gebauer ihre „derzeitige Zeit­ knapp heit“. „Du bist immer mit dem Aufbau von etwas intensiv beschäftigt“, ist hingegen die Wahr­ n e h m u n g ihres Gatten, der s e l b s t sein Leben nicht in „Freizeit“ und „Arbeit“ einteilen kann. Es Liselotte und Gerhard Gebauer 6 0

ist altes ein s, d a s war sc hon immer s o , auch während seine r langen Ära als OB und Architekt der g e m e i n s a m e n Stadt. Als Beigeordneter nach Schwenningen Der gebürtige H esse kam nach Jura-Studium und Promotion i 9 6 0 als erster B eigeordneter nach Schw en ning en und wurde zwei Jahre später na­ hezu e inst im mig von den Bürgerinnen und Bür­ gern zum Oberbürgermeister gewählt. Zehn Jah­ re später riefen ihn die Wahlberechtigten von Vil- lingen und Schw en ning en an die Spitze d e s neu­ en Städtekonstrukts, d e s s e n Integration für Ger­ hard Gebauer zur Lebe nsaufgabe werden sollte. Die Vision e i n e s nicht nur politischen, son dern auch räumlichen Z u s am m en sc h lu s ses allerdings m u s ste er w e g e n veränderter land espolitischer Zielvorgaben zunächst in den Hintergrund rücken. Stattdessen galt es, die beiden Kernstädte gleich- ge w ich tig zu entwickeln und erst längerfristig eine stä dtebau lic he Konzentration auf die neue Mitte einzuleiten. Immerhin w ie se n die Standort­ entsc he idun gen für Polizeifachhochschule, n e u ­ e s Landratsamt, Mikroinstitut, Erschließung d e s Industriegebiets Herdenen und d e s Wohngebiets Schilterhäusle in die richtige Richtung. G ebauer vers tand unter oberzentraler Ent­ wicklung s te ts nicht nur die Stärkung Villingen- S c h w e n n i n g e n s als Wirtschaftsstandort, s o n ­ dern auch als kultureller Hauptstadt von Kreis und Region. In se ine r Regie wurde die Volks­ h oc hs ch ule ausge bau t, Meilen steine waren Aus­ bau von Theater am Ring und Franziskaner Mu­ s e u m , die vielen Clubs und Vereine etablierten sich in der bunten Kulturlandschaft, nichtzu ver­ g e s s e n die vielen Museen und die feine, kleine Städtische Galerie. Von Beginn seiner langen Amtszeit an hatte G ebauer e in e Fülle von Ehrenämtern, die ste ts ein g e m ein s a m er Zweck verband – die Integrati­ on von Villingen-Sch wenningen. Dies nicht nur im eng ere n Sinn als äu ß er e s und vor allem inn e­ res Z u s a m m e n w a c h s e n der Stadtbezirke, s o n ­ dern auch in übergeordnetem Kontext. 1972 wur­ de G ebauer Präs idium smitglied im D eut sch en Städtetag (und 1995 zum Ehrenmitglied ernannt, welch h ohe Ausz ei chnu ngau ßeri hm nurnoch ei­ Gerhard und Liselotte Gebauer nem Kollegen zuteil wurde, Alt-Oberbürgermeis­ ter Rommel a u s Stuttgart). 1985 wu rde er zum Präsidenten der D euts ch en Sektio n im Rat der Gemeinden und Region Europas gewählt, bis d a ­ hin hatte Gebauer zur Festigung von Völkerver­ stä n d i g u n g und -freundschaft nach wie vor l e ­ b e n d ig e Partnerschaften z w isc h e n Villingen- S c h w en n in g e n und den fran zös ische n Städ ten Pontarlier und La Valette, mit dem saar lä nd i­ schen Friedrichsthal, mit Savona in Italien, Zittau in Sac hsen und Tula in Russland initiiert. Geb auer ist mit Leib und S e e l e Kommunal­ politiker, der sich dahei m auf vielen Baustellen um Stadt- und Regionalen twick lung verdient m ac hte und noch immer macht, i 9 6 0 wurde er in den Rottweiler Kreistag ge wä hlt und hat seit 1972 ununterbrochen ein Mandat im Kreistag Schwarzwald-Baar. Er e ng agi er te sich nicht nur auf administrativer und politischer Ebene, s o n ­ dern auch an der Basis, unter den M ensche n, d e ­ nen er nahe sein, ihnen Ideen und Visionen von ge m e i n s a m e n Perspektiven vermitteln wollte. In wievielen Vereinen er Mitglied war und ist, w eiß er nicht zu s a g e n . Freie W oc h e n e n d e n , Freizeit überhaupt waren Fremdwörter während der lan­ gen offiziellen Amtszeit, doch er h ab e sich nie a u s g e l a u g t, üb ea rbeitet und sc hon gar nicht überfordert gefühlt: „Ich h a b e immer alle s auf mich zukomme n lassen und dann hat sich immer irgendetw as ergebe n und entwickelt.“ Die „Lebenshilfe“ geschaffen Die Frage nach einem Privatleben in all den Jah­ ren erübrigt sich fast, „wir hatten k e i n e s “, kon­ statiert der Alt-OB oh n e Bedauern in der Stim me. Liselotte Gebauer w u s s t e sich mit d i e s e m öf­ fentlichen Leben zu arrangieren. Sie begleit ete ihren Mann bei vielen Terminen und knüpfte Kon­ takte, die ihr von großem Nutzen waren, als sie mit dem Aufbau ihres e ig e ne n Mammutprojekts begann . Das war 1964, als sie in Sc hw en ning en einen Ortsverein der Lebenshilfe ins Leben rief. Für die Probleme und Bedürfnisse geistig Behin­ derter war sie durch nachbarschaftliche B e g e g ­ nungen sens ibilisiert worden, „d am al s wurden be hin dert e Kinder ja fast in den Familien ver­ steckt, weil allen noch der m ensch enverachten- 6 1

Persönlichkeiten de Um gan g mit Behinderten während der Nazi- Zeit im Gedächtnis war“. Mensche n vom Rande der Gesellschaft in d e ­ ren Mitte zu holen, warvon Anfang erklärtes Ziel. 1 966 wurde als ers te derartige Einrichtung der Region eine private So n ders ch ule für Bi ldungs­ sc h w ach e ge grü nd et und 1973 durch einen S o n ­ derschulkindergarten für Behinderte ergänzt. Be­ reits 1970 wurde eine provisorische Werkstatt für z eh n Behinderte in einer Baracke d e s alten Sch wenninger Krankenhauses eingerichtet, fünf Jahre sp äter wurden e i g e n e Räumlichkeiten im e hem alig en Büdo-Werkan der Rietenstraße b e ­ z ogen , 1979 war der Anbau fertig gestellt. Seither arbeiten hier rund 2 0 0 g e is tig g e ­ handic apte Männer und Frauen. Analog zu sich ändernden Bedürfnissen und Erkenntnissen ver­ feinert die Lebe nshilfe bis h e u te s tä n d ig ihre Konfiguration. So wu rde 1 9 8 4 in der Schlu ch ­ s e e s t r a ß e ein Wohnheim für 4 8 Werkstatt-Mit­ arbeiter ein gew ei ht, in den Folgejahren kamen ein drittes W ohn hau s mit 2 4 weiteren Plätzen hinzu und eine Betreuungsgruppe für schwer und mehrfach be hin de rte M en sc he n mit 3 0 T age s­ plätzen. In der neuen Reha-Werkstatt am Steinkirch- ring entstan den 52 weitere Arbeitsplätze für psy­ chisch Kranke, i n s g e s a m t können inzwischen rund 250 Arbeits- und mehr als 100 Betreuu ng s­ plätze angebot en werden. Die Lebenshilfe se lbst hat sich in all den Jahren zu ein em nicht u n b e ­ d eu te n d en Arbeitgeber entwickelt: Sie b e s c h ä f­ tigt in ihren diversen Einrichtungen rund 6 0 S o ­ zialpäd agogen , Fleilerziehungspfleger (die hier auch a usgeb il d et werden), Meister, Arbeitsfach­ kräfte und Ver w altu ngsange st e ll te. Auße rdem werden bis zu 14 Zivildienstleistende eingesetzt. „ N ie m als “ hätte si e vor 4 0 Jahren gedacht, welch beachtlic he s Unternehmen aus kleinsten Anfängen e n t s t e h e n würde, s a g t Liselotte Ge­ bauer, der Management-Erfahrung und Fach­ k e nn tniss e a u s früherer Tätigkeit als Einkäufe­ rin der Flimmelwerk AG in Tübingen gut z u p a s s kamen. Schlaflose Nächte w e g e n der ständigen Neub auten und investiven Kraftakte haben sie nie g e h ab t. Schließ lich se i alle s immer se r iö s durchgeplant g e w e s e n , für die Finanzierung sei im Land es wohlfa hrtsv erba nd ein verlässlicher Partner gefunden worden, innerbetrieblich konn­ 6 2 te sparsam gewirtschaftet w erden, unter a n d e ­ rem, weil sie s e lb st auf ein Geschäftsführeringe- halt verzichtete. Aufbauarbeit hieß in den ersten Jahren nebs t politischer Überzeugungsarbeit Sp en d e n – und vor allem Auftragsakquise. Die Gru ndidee der Werkstätten war ja die Integration von b e e i n ­ trächtigten M en sc he n in die G es el lsc haft und zwar als deren vollwertige Mitglieder – auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht. „Wir wollten sie dazu be fähige n, ein e i g e n s t ä n d i g e s Leben zu führen und auch zu finanzieren.“ Zunächst m u s s ­ te erst einmal die he im isch e Wirtschaft von der Leistungsfähigkeit und den b e s o n d e r e n Quali­ täten der Lebenshilfe-Klientel überzeugt werden. „Also habe ich die Industriebetriebe a b g e k la p ­ pert und gefragt, w a s sie brauchen.“ Diese m Bedarf g e m ä ß wurden die Arbei ts­ plätze mit kon ven tion ellem Werkzeug a u s g e ­ stattet und h o c h m o d e r n e CNC-Maschinen für Montage-, Löt- und Spritzarbeiten angeschafft. Eindrücklich lieferten die Männer und Frauen mit Down-Syndrom und anderen, oft erblich b e d in g­ ten Erkrankungen den Beweis für Leistungswil­ len, -fähigkeit und and er en A rbe it st ug end en . „Sie arbeiten gern, z uve rläs sig und hoch moti­ viert.“ Und si e führen ein w e itg eh en d eigenv er­ antwortliches, s e lb st finanziertes Leben: im ver­ g a n g e n e n Jahr b e z ogen die ersten Lebenshilfe- Schützlinge Renten, die sie selbstverdient haben. Aus „Schützlingen“ wurden „Mitarbeiter“ Im Laufe der Jahre veränderte auch die Lebe ns­ hilfe immer wieder ihre Perspektiven und Bezie­ hungen zu den ihr anvertrauten Men sche n. Aus „Schützlingen“ wurden „Mitarbeiter“, die mit g e ­ w a c h s e n e m S e l b s t b e w u s s t s e in über ein e e i g e ­ ne Interessenvertretung verfügen. 1975 wurden die Arbeitsverhältnisse als sozia lversic her un gs­ pflichtig anerkannt, „endlich hatten s i e damit auch einen offiziellen Status, durften e ig e n e Exis­ tenzen gründen und ihre Familien e ntlast e n“. Liselotte G ebauer räumt zwar ein, d a s s sie der Lebenshilfe ihr Leben gewidmet hat, dennoch will sie ihr Tun nicht als „ s e l b s t l o s “ bezeichnet s e h e n , auch mit dem Adjektiv „ s to l z “ kann sie in Bezug auf die e ig e n e Person w e n i g anfangen.

Als Sohn und Tochter noch klein waren, habe sie sich allmählich von daheim au s hineingearbeitet in die Materie, späterer Umfang und Eigendyna­ mik se ie n damals nicht erahnbar g e w e s e n . Sie s e l b s t hab e lediglich au f Anfragen und Aufgaben reagiert, die ihrem Organisationstalent und ihrer Freude an ge se ll sc haftlich er Mitge­ st al tun g e n t g e g e n k a m e n . „Dank der Position m e in e s M annes hatte ich auch die wirtschaftli­ chen Freiräume d a z u . “ je w e n ig e r Zeit die Kin­ der brauchten, d e sto mehr kniete sie sich in den Aufgabe nkomplex hinein. Ihr aktuel les Arbeits­ pe nsum beschreib t sie als „maßvoll, täglich gut acht Stu nd en .“ Lächelnd korrigiert Ehemann Gerhard erneut: „Du g e h st morgen s um sie be n aus dem Haus und ko mmst a b e n d s um sie be n wiede r heim…“ Zum Glück haben die beiden in ihren ehrenamtlichen P ro fess io n en viele Berü hrungspu nkte und Ge­ m ein sa m keiten : „Wir haben uns immer gut er­ gä n z t“, sa g e n beide . Als promovierter Jurist ist Gerhard G ebauer se it 1965 Justitiar und Vor­ standsmitglied der Lebenshilfe. Die wiederum er­ weiterte 1996 ihren Vereinszweck auf die Unter­ st ützung alter M enschen und wurde Mitglied im Schw enninger Bürgerheim e.V., w o auch Pflege­ plätze beansp rucht werden können. Außerdem i std i e Lebenshilfe Gesellschafterin der„ProVita Gesellschaft für Ges undheit und so z i a le s Leben GmbH“, die wiederum Trägerin der Geriatrischen Reha-Klinikam Klosterwald ist. Auch Gerhard Gebauer hat nicht d a s Gefühl, persönlich zu kurz ge k o m m e n zu sein in einem Leben, in dem sich Haupt- und Ehrenamt s t e t s v erm ischt en. „Das bin ich“, s a g t er schlicht. Er braucht eine Aufgabe, er m u s s sich einmischen, wenn er mit g e se ll sc h aftlich en Defiziten kon­ frontiert wird und die s i e h t er mit Blick auf die d emogr afis ch e Entwicklung im Um ga ng mit der älteren und alten Generation. „Unruhestand“ : Wandern, Lesen und Singen im Chor – vor allem aber arbeiten Das s er allmählich s e lb st älter ist als so mancher Patient in „ s e in e r “ Klinik, registriert er mit ver­ schmitzter Belustigung und ist davon überzeugt, d a s s ihn die Arbeit jung und agil gehalten hat. Gerhard und Liselotte Gebauer „Ich kann doch nicht zu Hause herumsitzen und Däu mchen dr ehe n…“ Und au f die Frage, ob er sich nicht mit der Vorstellung e in e s ge ru hs am en Rentnerlebens auf Mallorca anfreunden könnte, antw ortet er mit v e r s tä n d n is lo s e m Kopfschüt­ teln: „Das wäre für mich keine Beglückung. Ich m u s s e tw as Sinnvolles tun.“ In seiner Freizeit wandert er gelegentlich und liest gern, vor allem Biografien und geschichtli­ che Dokum entatio ne n. Auch Liselotte Gebauer si ngt gern in ihrer Freizeit, im Sc hw en ninge r Bachchor und größeren oratorischen Projekten. G em e insa m b e s u c h e n si e A u ss te llu nge n, n e h ­ men überhaupt gern am kulturellen und g e se ll i­ gen G es ch eh en teil und sind zufrieden mit ihrem Leben. Und wann z ie he n si e sich nun au s der a u s ­ füllenden ehr enamtlichen Tätigkeit in den w oh l­ verdienten Ruhestand zurück? Die beiden s c h a u ­ en sich e tw a s ratlos an. „Sol che Fragen b e sc h ä f­ tigen uns nicht“, sa gen sie und verweisen auf ak­ tuell a n s te h e n d e Projekte. Behinderten-Arbeitsplätze und 50-Betten-Haus Liselotte Gebauer konzentriert sich neben dem Bau der W ohn sc hu le in e ig e n e r Regie au f die Schaffung weiterer Behinderten-Arbeitsplätze in Lebensmittelmärkten. Vorbild ist der im Vorjahr eröffnete Cap-Markt in Bad Dürrheim (siehe Ka­ pitel „ S o z ia le s“), wo drei Vollkräfte mit s e c h s g e ­ handicapten Angestellten beschäftigt sind. Und auch Gerhard Gebauer brütet über neuen Plänen. Das 50-Be tten-Haus ist gut a u s g e la ste t, e s soll um einen Anbau und weitere Reha-Einrichtungen erweitert werden. Zwei Leben, die von Pflichterfüllung und Dienst an der G es el lsc haft gepr ägt sind, doch A u fhe­ b e n s um ihre Personen mögen beide Gebauers nicht. „Wir haben s te ts d a s N ah eliege nd e getan und sind dankbar dafür, d a s s uns d a s möglich war“, sa ge n sie. Gleichwohl freuen sie sich über ge se ll sc h a ftl i c h e Anerkennung, und e in e der h ö c h s te n A u sz eic h n u n ge n , die unser Staat zu vergeben hat, wurde Gerhard Gebauer anlässlich s e i n e s Ab sc hied s als Oberbürgermeister bereits zuteil: D ieV erl ei h ungd es Bundesverdi enstkreu­ Christina Nack z e s Erster Klasse. 6 3

Persönlichkeiten Paula Straub Eine en g ag ierte Pädagogin und bekannte Kom m unalpotitikerin in Villingen Die erste Villinger Lehrerin, der in den i96oer-jahren eine Schulleitung übertragen wurde Paula Straub stand ja hrzeh ntela n g in der Öf­ fentlichkeit Villingens und ist bis heute vielen Be­ wohnern der Stadt als „Straula“ bekannt. Sie war die ers te Rektorin an einer st ä d ti­ sche n Schu le in Villingen und eine der wenig en Frauen, die sc hon in den frühen i96oer-Jahren ein p o litis ch es Amt be k le id ete n . Sie war Ge­ meinderätin und K re ist agsa b geor dn ete und m eis te rte darüber hin aus viele ehr en amtliche Aufgaben. Ihre Biografie gibt neben persönlichen Daten i n te re ss a n te Einblicke in die b e s o n d e r e n Zeit­ um stände der jüngsten Vergangenheit. Paula Straub wurde 1922 als ältes te Tochter e i n e s R e ich sb ah nb eam te n in Mannheim g e b o ­ ren. 1931 z og die Familie nach Villingen, wo der Vater ein e Anstellung als Lokomotivführer fand. IhrWohnsitzwardieObrist-Äscher-Straße, in der Paula Straub bis 1999 immer w o h n e n bleiben soll te. Ihre Eltern, im B e so n d er e n ihre Mutter, z ogen Paula und ihre weiteren fünf Geschwister Wolfgang, Ruppert, Raimund, Käthe und Bern­ hard mit äuß er st e r Sp ars am keit und Disziplin auf. Trotz geringer finanzieller Mittel konnten vier Kinder später auf die höher e Schule g e he n und alle erhielten Klavierunterricht. So be su ch te Paula Straub selbstverständlich das Gymnasium in Villingen, im Dritten Reich lm- m elm an nsc hu le genannt. Sie war dam als e in e s von nur vier Mädchen in ihrem lahrgang. Die m e is ten höheren Töchter Villingens be su ch ten seinerzeit das Progymnasium im Kloster St. Ursu­ la. Von ihren Mitschülern sollte nur noch ein ein ­ ziger junger Mann mit d ie se n vier Mädchen 1941 d a s Abitur mac he n, alle anderen Jungen waren 6 4 Paula Straub bei einer Schulveranstaltung. Sie lei­ tete 20 Jahre lang die Mädchenschule am Kioster- ring, war zudem als Stadt- und Kreisrätin der CDU sehr geschätzt. seit Kriegsbeginn nach und nach einberufen wor­ den. Die junge Abiturientin e nt sc hied sich, Volks­ schullehrerin zu werden. Nach ihrer Ausbildung in Karlsruhe s c h l o s s sich der obligator ische Reichsarbeitsdienst an. Obwohl ihr als erste Stel­ le Linach z u g e w i e s e n war, wurde si e sofort nach Kerzfeld bei Straßburg abgeordnet. Sie teilte die ­ s e s Schicksal mit vielen badischen Lehrern, denn die Schüler d e s wiede r eroberten Eisass sollten natürlich im Sin ne d e s Dritten Reich es von in Deutschland ausgebildeten Lehrern in deuts chem Geiste erz ogen w erden. 1945 konnte Paula Straub gera de noch rechtzeitig vor der Rücker­ obe r ung d e s Eisass durch die Alliierten zur Er­ leichterung ihrer Familie da s de u ts ch e Rheinufer

erreichen und sich nach Villingen durchschlagen. Dort m u s s t e si e zunäc hst a uf der Schr eibstu be d e s R eichsa rbe its dien stes arbeiten. Eine engagierte Pädagogin im Villinger Schuldienst Atssich dieVerhältnisse nach Kriegsende wieder normalisierten, trat Paula Straub ihre nächsten Dienststellen in Unterkirnach und später in Riet- heim an, wohin sie so m m e rs wie winters mit dem Fahrrad radelte und w o si e auch als Organistin und Chorleiterin ihre Dienste tat. 194 8 kam si e an die Knabenschule in Villin­ gen, die so ge nann te „Buebe-Schul“ und heuti­ g e Karl-Brachat-Realschule, am Benediktiner­ ring. Fast 20 Jahre sollte sie an dieser Schu le ar­ beiten und bei vielen Schülern un verg esslich bleiben. Sie unterrichtete alle Fächer, b e son d e rs gern Musik und Sport. Mit ihrer resoluten, aber hum orvollen Art fand si e ein en gute n Draht zu den Schülern, die in die se r Nachkriegszeit eine streng e Fland gebrauchen konnten. So engagier ­ te si e sich, damit „ihre B u e b e “ Lehrstellen fan­ den und au f den rechten Weg kamen. Auch der spätere VillingerSparkassendirektor Klaus Haub- ner erinnert sich gerne, wie die Lehrerin ihn mit der Aufforderung „Klaus, du kannsch doch gut rechne, willsch nit zur S p a r k a ss ? “ den Weg zu se in e r sp äter en beruflichen Laufbahn e b n e te . Flaubner schildert Paula Straub als eine resolu­ te junge Frau, die ihnen m itStren ge d a s Arbeiten beibrachte. „Im Villinger Dialekt, g eradeheraus, aber herzlich traf si e genau unseren Ton.“ Er er­ innert sich auch an ihre anf än gli che Empfind­ lichkeit, wenn Schüler ihren Sp itznamen „Strau- la“ nannten. Es hage lt e Arrest! (Aber der Name verbreitete sich trotzdem in der ganzen Stadt und s o lernte sie ihn mit der Zeit als Sympathiebeweis zu sc h ätz e n .) Der harte Kern d i e s e s Jahrgangs 1939 blieb seiner Lehrerin bis heute in Dankbar­ keit verbunden und traf sich mit ihr immer w ie ­ der zu v ers ch ie densten Anlässen, so l a n g e e s ih­ re Ges undheit erlaubte. 1967 bewarb sich Paula Straub um die Schu l­ leitung an der da m aligen M äd c h e n sc h u le , der he utig en Grund- und Flauptschule am Kloster­ ring; ein g e w a g ter Schritt für die i96oer-Jahre, Paula Straub denn e s gab an den Villinger Schulen zwar schon ge nügend Lehrerinnen, aber geleitet wurden die ­ s e Schulen au ssc hließ li c h von Rektoren. Die Schu lv erw altun g prüfte ihre Be werbung, er­ kannte ihre p äd agogisch en Fähigkeiten und ihr e n t s p r e c h e n d e s Du rc hsetz un gsv e rm öge n und ernannte sie zur ersten Schulleiterin an einer öf­ fentlichen Villinger Schule. In den fo lg en de n 20 Jahren führte Paula Straub die Schule mit großem Engagement und Erfolg. Es galt Verwaltungsum­ strukturierungen – die reine M ädchenan stalt wurde z u n äc h s t g e m is c h t e Volksschule, dann Grund- und Hauptschule – u m zuset zen . Außer­ dem st an d e n zahlreiche Bi ldungsreformen an. Sie be w ie s eine glückliche Hand im Um ga ng mit den ihr Anvertrauten. Obwohl die Klientel der Schule sich wandelte, immer mehr Kinder der zu­ z ie h e n d e n Ausländer, d am als Gastarbeiter g e ­ nannt, mit ihren s p ez iellen Problemen in die Klassen kamen und der Erziehungsstil sich unter dem Einfluss der 68 e r stark veränderte, w u s s t e sie sich in ihrer direkten und offenen Art den Res­ pekt der Schüler, Eltern und Lehrer zu vers chaf­ fen. „Straula war immer streng, aber gerecht!“, war die einhellige Meinung. Im Kreis ihrer m än n­ lichen Schulleiterkollegen w u s s t e si e sich b e s ­ te n s du rchzusetzen und kämpfte mit äußerster Tatkraft für ihre Schule. 198 6 ging sie nach fast 20 Jahren als Rektorin in den verdienten Ruhe­ stand. Neben der reinen Schularbeit leitete si e bis 1976 Sportfortbildungen für Lehrer und gab zahl­ reiche Kurse in Stenografie. Sie dirigierte Chöre und spie lte die Orgel in vielen G ottesd ien sten in Rietheim, später auch in St. Ursula und im Alten­ heim St. Lioba. Bekannte Vertreterin der Bürger in Stadt und Kreis Es gab in den frühen i96oer-Jahren nur w e n ig e Frauen in Villingen, die sich ein öffentliches Amt zutrauten. Paula Straub, inzwischen sc hon als Lehrerin stadtbekannt, zögerte nicht, als die CDU ihr ein e Kandidatur für den Gemeinderat anbot. Sie stand die se r Partei von Hause au s nahe. Ihr Vater war Mitglied der Zentrumspartei g e w e s e n und sie hatte sich von Jugend auf in der katholi- 6 5

Paula Straub se h e n G em e in d e enga gi ert. Das W ahlergebnis 1962 und alle folgenden in den nächsten 33 Jah­ ren machten sie zur Spitzenkandidatin der CDU. Sie e n g a g ier te sich im soz iale n Bereich, aber auch im Finanz-, Bau- und P e r so n a la u ssc h u ss . Sie ging auf die M enschen zu und erfuhr, w o sie der Schuh drückte. Im G em einde rat vertrat sie dann b e s t e n s informiert, v e h e m e n t und sehr schlagfertig ihre Meinung und kämpfte für die In­ te r e sse n der Bürger. So konnte sie zum Beispiel einer älteren Villingerin, die ihr auf der Straße ihr Leid klagte, d a s s sie auf dem Weg zum Friedhof immer erst fast um die g a n z e Friedhofsmauer herummarschieren m ü s se , weil e s keinen Durch- ga n g z u r S ta d th in gäbe, im B auau ss ch uss Gehör vers chaffen und e in e e n t s p r e c h e n d e Lösung durchsetzen. 1994 wurde Paula Straub nach 33 Jahren erfolgreicher Rats zugehörigkeit mit der G olden en Verdien stm edai lle für Gem einde räte a u s g e z e ic h n e t und mit Bedauern au s dem Gre­ mium v erabschi edet. 30 Jahre lang ein kompetentes, geschätztes Mitglied im Kreistag 1965 kandidierte Paula Straub e b e n s o erfolg­ reich für den Kreistag. Sie war als kom p ete nte s Mitglied d e s Kultur-, d e s Verwaltungs-, d e s Fi­ nanz- s o w i e d e s K r a n k e n h a u s a u s s c h u s s e s an vielen Projekten beteiligt: dem Ausbau der b e ­ ruflichen Sc hu len , dem Neubau der G e i s ti g b e ­ h in d e rte n sc h u le und der K örperbehi nderten­ schu le s o w ie der Entwicklung d e s Krankenhaus­ w e s e n s . Be sond er s h oh e Anforderungen stellte letztlich der Neubau d e s Landratsamtes. Kreis­ tagsmitglieder erinnern sich gern daran, wie Pau­ la Straub in den dabei a n s t e h e n d e n Disk ussio­ nen die A u se in and er se tzu ng durch ihre offene, s t e t s sehr pointiert vo rgetr agen e M einu ng b e ­ lebte. Sie sprach sich ehrlich aus und v e rs ch on­ te auch die e ig e n e Partei nicht, wenn si e a n d e ­ rer Meinung war. Dafür zollten ihr die Kreisräte Respekt und nur ungern ve ra b sc hied et en sie die langjährige Kollegin 1994 nach 30 Jahren unun­ terbroc hener Kreistagstätigkeit a u s ihrem Gre­ mium. „Es ist Zeit zum Aufhören und jüngeren e n ­ gagierten Frauen Platz zu m ac he n“, sa g te sie bei ihrer Verabschiedung. 6 6 Paula Straub war e in e s ta d tb e k a n n te Per­ sönlichkeit ge wor de n. Neben ihrer sch ulis chen und politischen Arbeit engagierte sie sich im Ver­ waltungsrat der Sp ar k ass e und im Vorstand der Jugendmusikschule.VieleVillinger erinnern sich noch, wie ungeniert und treffend si e zur Fast­ nacht die pr om ine nten Größen d e s Landes als Staa tsanw äl tin d e s Narrengerichtes an klagte od er bei fastn achtliche n Veranstaltungen g e ­ reimte Beiträge vortrug. Ihr schlagfertiges Mund­ werk war ihr Markenzeichen und machte si e fast zum Original der Zähringerstadt. Heute ist e s ruhiger um sie geworden. Sie lebt mit 8 4 Jahren zurüc kgezogen in der Villinger S e ­ nio ren re side nz , also mitten in ihrer ge li e bte n Stadt, in der sie m a n c h e s bewirken konnte und ihre Spuren in der Erinnerungvieler Schüler und Mitbürger hinterlassen hat. Gesine Bammert Vor dem Gewitter Gewitterhimmel st eht über dem Wald kein Windhauch Bäume sc hw ei gen erwarten wurzelverankert den Angriff S chw äch e wird sich jetzt zeigen und Nachgeben fol gen schw er im Wettersturm Erkenntnis na chd em ich Träume b e ne nn en konnte fand ich Worte reihte Sätze und interpunktierte mit Zärtlichkeit Christiana Steger

Stadtpfarrer Josef Beha Persönlichkeiten Der katholische Geistliche und Ehrenbürger von Furtwangen im 76. Lebensjahr verstorben Ein vorbildlicher Hirte seiner Pfarrge- meinde und zugleich dem Leben zugewandt Als Stadtpfarrer und Geistlicher Rat Josef Beha am S on n tag, 4. Dez em be r 2 0 0 5 , währe nd der Frühmesse am Altar der Pfarrkirche St. Cyriaktot z u sa m m e n b r a c h , da war d i e s nicht nur für die G ot te sdien st be su ch er und die katholische Pfarr- g e m e i n d e ein Schock. Ganz Furtwangen trauer­ te um einen hervorragenden S e e ls o r g e r und Geistlichen, der in seine r Amtszeit nicht nur sehr viel bew egt, sondern sich auch immer wieder als Anwalt der Stadt und ihrer Be woh ner erw iesen hatte. In Anerkennung seine r Verdienste war er 1997 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt worden. Geboren wurde Josef Beha am 29. Mai 1930 in Gutach, er be su ch te da s Gymnasium in Wald- kirch und e n ts c h l o s s sich dann zum Studium der Theologie in Freiburg. Hier wurde er im Jahr 1957 zum Priester geweih t. Es folgten Kaplansjahre in Mingolsheim, Ober- kirch und St. Georgen im Schwarzwald sowie eine Pfarrstelle am B o d e n s e e . 1972 trat er die Pfarr­ stelle in der Furtwanger Pfarrei St. Cyriak an, der er bis zu seinem plötzlichen Tod treu blieb. Damit war er in der 800-jährigen G eschichte der Pfarrei der Stadtpfarrer mit der bei w e ite m lä ng ste n Dienstzeit. 1995 hatte ihn Erzbischof Saier zum Geistlichen Rat ad honor em ernannt. Sei t dem 20. Oktober 2 0 0 2 hatte er zudem die Verwaltung der Seelsor ge einhe it Linach, Rohrbach und Schö­ nenbach inne. Stadtpfarrer Josef Beha. nahm sich st e ts Zeit für ein Gespräch, um die Sor­ gen der M enschen zu erfahren und b emüh te sich um b e d a r fsg e r ec h te Lösungen mit A u gen m aß. D ie se s vielfältige soziale Wirken von Josef Beha, d a s im Stillen ge le ist e t nur we nige n bekannt ist, kommt auch anderweitig zum Ausdruck. Als mit Tamilen die ersten „exotisc hen“ Flüchtlinge nach Furtwangen kamen, se tz te er sich unbeeindruckt von der damaligen Diskussion um Asylbewerber nachdrücklich dafür ein, d a s s sie am Ort nicht nur eine Bleibe, sondern auch Arbeit fanden. Und er war persönlich sehr großzügig: Wer in einer s o ­ zialen Notlage bei ihm anldopfte, dem half er oft aus s e in e m eig e ne n Geldbeutel aus. Der Stadtpfarrer und Ehrenbürger prägte da s G em eindeleb en ganz ent sc he ide nd im Sinne der christlichen Nächstenliebe und d e r S o r g e um die S ch w ach en und benachteili gten M en sc h e n . Er Josef Beha hat wäh re nd se i n e r 33-jährigen Tätigkeit in Furtwangen au ß er ge w öh n li c h viel bewegt, w as die äußeren Zeichen s e i n e s Wirkens dokumentieren. So lag ihm die Infrastruktur der 6 7

Persönlichkeiten kirchlichen Einrichtungen am Herzen. Er e n g a ­ gierte sich für den Bau d e s Altenheims St. Cyriak mit a n g e s c h l o s s e n e m Pfarrzentrum in Träger­ schaft d e s A ltenheimverein es. Er initiierte aber auch den Bau d e s Kindergartens St. Martin am Kussenhof, gründete zu sa m m en mit Bürgermeis­ ter Hans Frank die Sozialstation Oberes Bregtal und ve ra nlasste die Totalsanierung ihres Domi­ zils in der Lindenstraße. Weitere M ei len st e in e waren der Umbau und die Modernis ierung d e s Kindergartens Maria Goretti und nicht zuletzt der Umbau und die komplette Sa nierung der Pfarr­ kirche St. Cyriak. Auch die küns tle rische A u sg e sta ltu n g der Kirche lag ihm sehr am Herzen. Josef Beha war ein Sammler und großer Kenner sakraler Kunst. In ganz Südd eu tschland beschaffte er Kunstge­ ge nst än de für se in e Stadtkirche, beriet aber auch andere Kirchengemeinden in Kunstfragen. Dem Leben zugewandt Stadtpfarrer Josef Beha war ein Mann, der in vielen Bereichen wirkte – und der dabei immer Mensch blieb. Urlaub kannte er nicht, dafür hat­ te er einige Hobbys, denen ersieh mit großer Hin­ g a b e wid m ete. Eines davon war die Herstellung von hochwertiger Sc ho kola de und von Pralinés, ein e Kunst, die er im Lauf der Jahre immer mehr vervollkommnet hatte und die er zug un ste n s e i ­ ner Pfarrgemeinde im großen Stil betrieb. Den Anstoß hatte g e g e b e n , d a s s er von einer frühe­ ren Furtwanger Konditorei die Utensilien erhielt, die zur Herstellung von Sc ho kola de erforderlich waren. Alles andere hatte er sich se lbst a n g e e i g ­ net und dazu auch die e in e oder a nd er e Fach­ m e s s e für Bäcker und Konditoren besucht. Verkauft wurden die be gehrten Süßigkeiten vor allem auf dem Weihnachtsmarkt der Pfarrge­ meinde. Aber auch auf Ostern hin gab e s Oster­ ha sen und ähnliche Motive. Alle Einnahmen sind in gera de laufende Projekte g e flo s s e n , e in e s der letzten war im Jahr 2 0 0 4 die Sanierung der Klais- Orgel in der Kirche. B eze ich nend ist, d a s s Josef Beha den früher in der Gem einde tätigen O rdensschw estern, die im Kloster Hegne ihren Le bensab end verbrach­ ten, s t e t s auf Weihnachten und Ostern hin eine 6 8 Stadtpfarrer Josef Beha beim Verkauf der selbstge­ machten Schokolade für wohltätige Zwecke auf dem Weihnachtsmarkt der Pfarrgemeinde St. Cyriak. Kostprobe a u s der Schok oladenfabri kation z u ­ k om men ließ. Wobei der Nikolaus deutlich als Bischof zu erkennen war, denn e s l a g d e m Stadt­ pfarrer s t e t s daran, die M en sc h e n auf die tat­ sächlichen Wurzeln der Feste zu verw eisen. Aber auch als Bäcker von „Sprin gerle“ b e ­ tätigte sich Pfarrer Beha hö chs t erfolgreich; bei ein em H au sfrau enw ettb ew er b d e s Rundfunks gewann e r s o g a r e i n m a l d e n z w e i t e n Preis. Erbe­ sa ß eine große Zahl von se lten en Springerle-Mo- del, die er ein Leben lang g e s a m m e l t hatte. Zuallererst ein Seelsorger Daneben ve rn ach lässigte er freilich s e i n e Aufga­ be als S e e ls o r g e r und Pfarrer k e i n e s w e g s . Be­ kanntwar Pfarrer Beha w e g e n seine r prägnanten Predigten, die sich oft dr änge nd en Fragen der Zeit und d e s G la u bens z uw an dte n. Josef Beha war der Ansicht, ein e Predigt dürfe nicht länger als zehn Minuten dauern, damitman ihraufmerk- sam folgen könne. Bis zu se in e m Tod las er n e ­ ben der S a m s t a g a b e n d m e s s e je den S o n n ta g

drei heilige M es se n in der Pfarrkirche, damit ja niem and Termingründe Vorbringen konnte, um den G o tte s d i e n st nicht zu b e s u c h e n . Auch für Trauernde und Kranke fand er die richtigen Wor­ te. Dabei war er s te ts Tag und Nacht telefonisch zu erreichen. Und bis zu seine m Tod kochte und versorgte er sich selbst, ein e Haushälterin hatte er nie. Bekannt und beliebt war Josef Beha auch w e ­ gen s e i n e s Humors. So w areri m Herzen der Fast­ nacht zuge ne ig t und p a s si v e s Mitglied der Furt- wanger Narrenzunft. Er hatte auch eine Narren­ m e s s e am „Schmutzige Dunschdig“ eingeführt, die noch vor Tagesanbruch die Narren im Häs in der Kirche ve rsam melte. Die Predigt hielt er auf Alemannisch und in gereimter Form, ihrThema, oft auch zu aktuellen Fragen, war Stadtgespräch. Die M e s s e für Narren von Josef Beha knüpfte an die christlichen Wurzeln der sc hw äbisc h-al em an­ nischen Fastnacht an und machten teils l a n d e s ­ weit von sich reden. Seine Initiative sorgte dafür, dass nach mittelalterlicherTradition auch and ern ­ orts verstärkt Narrenmessen gehalten wurden. Vor dem Stockacher Narrengericht Legendär ist, w a s sich 1984 zutrug: Pfarrer Josef Beha wurde vor da s Stockacher Narrengericht g e ­ laden, Thema war der Streit um die Donauquelle. Im Rahmen einer F er nseh se ndu ng vertrat Josef Beha einzigartig die In teressen der Stadt Furt- w an gen in der Donauquellenfrage. Sein Kontra­ hent war kein geringerer als S. D. Joachim Fürst zu Fürstenberg. „In seiner 45-minütigen Ankla­ gere de hatte Pfarrer Josef Beha dem Stockacher Narrengericht in seine r unnachahmlichen Art mit Geist und Witz dargetegt, w e sh alb die Donau nur bei der Martinskapelle entsp ringen kann“, ver­ merkt eine Broschüre der Narrenzunft zu der Ge­ richtsverhandlung. Als Ze ug e war Erwin Teufel, d a m a ls Frakti­ onsvors it zender der CDU im Landtag, geladen . Und d a s war kein Zufall, denn die beiden Männer schätzten sich: Auf Einladung d e s Pfarrers kam Erwin Teufel oft privat, ge le ge n tlic h auch mit Familie, nach Furtwangen, um etwa bei der Mar­ tinskapelle einen S p a zie rg a n g zu unternehmen. Auch am Requiem für Pfarrer Beha nahm Erwin Stadtpfarrer Josef Beha Teufel teil. Pfarrer Beha war Mitglied der CDU, freilich kein b e q u e m e s . Auch s o n s t z eigte Pfar­ rer Beha gerne Flagge und nahm öfters einmal in den Zuschauerreihen d e s Gem einderates Platz, wenn ein Thema auf de rT agesordnungstand, das die Kirchengemeinde betraf. Für s e in e Anliegen konnte er dabei elo q uent werben. Als Ausgleich für die anstre nge nd e Tätigkeit die nte ihm am Abend, falls einmal Zeit blieb, die Lektüre historischer Werke oder da s Blättern in Bildbänden d e s Barocks, jener Epoche, der er sich sehr verbunden fühlte. Sehr ge schätzt waren s e i ­ ne äu ßerst ko mpetenten kirchen- und kuns tge ­ schichtlichen Führungen und s e i n e Vorträge im Rahmen d e s Katholischen Bildungswerkes. Bürgermeister Richard Krieg über d i e s e s Wir­ ken d e s Furtwanger Ehrenbürgers: „Er ma chte uns ste ts auf die würdigen Anlässe im Jahresab­ lauf aufmerksam und lehrte uns, b e so n d e r e Er­ e ig n is s e gebüh ren d zu würdigen und a n g e m e s ­ sen zu feiern. Feste waren für ihn aber auch Mit­ tel zum Zweck, denn er wollte mit den vertretba­ ren Erlösen Einrichtungen der Pfarrgemeinde un­ terhalten. Aus seiner Verantwortung um Brauch­ tum und Geschichte arbeitete er mit uns die ak­ tuellen Themen von Kircheund Heimatauf. Erver- anstaltete mit dem Bildungswerk Vortragsreihen und führte uns zu den Se he ns wür digkeiten und Besonderheiten der näheren Umgebu ng. Durch ihn ist uns die Kunst der Heimat offenbar gewor­ den und er hat uns da s Kunstschaffen der Men­ sche n dieser Gegend erklärt.“ Oft wurde Pfarrer Beha gefragt, ob und wann e r s ie h denn zur Ruhe se tz en wolle. „Ich bleibe, so lange der Papst im Amt ist“, lautete s e i n e Ant­ wort – g e m e i n t war J ohannes-Paul II. Als nach d e s s e n Tod mit Kardinal Ratzinger ein Wu nsch­ kandidat Be ha s an die Spitze der Kirche gewählt wurde, mein te er: „Jetzt kann ich doch nicht a b­ treten, der Papst ist ja noch drei Jahre älter als ich und hat viel mehr zu tun…“ So ist Stadtpfarrer Josef Beha an jener Stelle verstorben, um die sich sein g a n z e s Denken, Handeln und Fühlen drehte: im Glauben – beim Gottesdienst in seine r Pfarrkirche St. Cyriak. Die Stadt Furtwangen und die ka th olisch e Pfarrge­ me inde haben mit ihm einen großen Fürsprecher Matthias Winter und Freund verloren. 6 9

Persönlichkeiten Horst Siedle Zuhause in der W elt, Europäer, Deutscher und Badener ab er im Herzen Furtwanger Der Unternehmer, Kommunal- und Kreispolitiker ist auch Sponsor, Stifter und Kunstsammler „Ich bin Weltbürger, Europäer, Deutscher und Badener – aber im Herzen bin ich Furtwanger.“ So hat Horst Siedle einmal auf die Frage g e a n t­ wortet, w o er sich zu Hause fühlt. Und al s ein Re­ porter der Financial Times Deutschland von ihm w iss en wollte, w as den idealen Mitarbeiter a u s ­ z ei chnet, bekam er von Firmenchef S ie d l e zu hören: „Er ist nicht nur mit dem Kopf im Unter­ ne hm e n, sonde rn auch mit dem Herzen.“ Im Herzen und mit dem Herzen: B e sse r als mit se ine n e ig e n e n Worten ist der Unternehmer, Kommunalpolitiker, Sponsor, Stifter und Kunst­ sammler Horst Siedl e nicht zu charakterisieren. Was S iedle anpackt, tut er mit Engagement und Leidenschaft – mit ganz em Herzen. Und er han­ delt s t e t s a u s Üb er zeu gung, im Einklang mit Werten und Vorstellungen, die tie fvera nke rtsind – im Herzen. Nur s o ist zu erklären, d a s s sein Unternehmen ausschließlich in Furtwangen fer­ tigt und dort auch bleiben wird, ob w oh l e s a n ­ de r sw o k o s te n g ü n stig e r produzieren könnte. Und so kommt es, d a s s sich der Unternehmer seit 35 Jahren als Kommunalpolitiker und in zahlrei­ chen Ehrenämtern für s e i n e Heimat enga giert, o b w o h l er s e i n e kn app e Freizeit g e w i s s a n g e ­ nehm er zu verbringen w ü s s te . Er, der s o viel b e ­ wegt, ist se lbst ein Getriebener. Und w e nig treibt ihn so stark wie die Bindung an s e i n e Heimat. Von Geburt ein Berliner Dabei ist Horst Siedle zwar S p ros s einer altein­ g e s e s s e n e n Schw arz wäl de r Familie, aber ein w asch ec hter Berliner von Geburt. Sein Vater ver­ 7 0 Horst Siedle trieb die Produkte d e s h e im is ch en Un terne h­ m e n s in der Hauptstadt, dort kam Horst Siedle 1938 zur Welt. Sein e ersten Lebensjahre erlebte er in Berlin. Als Badener, wie sein Vater Max zu s a g e n pflegte, natürlich an einer bad isc h en Adresse: Die S i e d les wohnten in der Zähringer­ straße, wo der kleine Horst, wie er sich bis h e u ­ te erinnert, mit Kindern sp ielte, die ein en gelben Stern an der Jacke trugen. Dass Max Siedle s e i ­ nen Sohn mit jüdischen Nachbarskindern s p i e ­ len ließ, war nicht o h n e Risiko, aber mit den Nationalsozialisten wollte Max Siedle auch son st nichts zu tun hab en . 1 944 m u s s t e er für d i e s e Haltung mit einem Berufsverbot büße n, denn er war al s e in z i g e s Mitglied d e s Elektrogroßhan- d e l s v e r b a n d e s nicht Mitglied der NSDAP – und gab lieber sein Geschäft auf, als P art eig en os se

zu werden. So ging die Berliner Zeit zu Ende, und Horst S i e d l e wu rde mit s e c h s Jahren zum Furt- wanger; s e i n e Familie b e z o g j e n e s Haus in der B aum an ns traß e, d a s er fast s e c h z ig Jahre s p ä ­ te rau fw änd ig sanier e n und in den damaligen Zu­ stan d zurückversetzen ließ. Heute residieren d a ­ rin die G esch äftsführu ng und die D e si g n a b te i ­ lung s e i n e s Unternehmens . Abriss und Neubau wären fraglos billiger g e w e s e n und hätten der unter chr onischem Platzmangel leidenden Firma mehr Raumgewinn gebracht. Doch wie s o häufig fällte Horst Siedle s e in e Entscheidung nicht au s nüchternem Kalkül allein. Siedle-Logistikzentrum: Das markanteste und modernste Firmengebäude Eine zweite Siedle-Immobilie unterstreicht d ie se Einstellung. Das 1994 in Betrieb g e n o m m e n e Logistikzentrum am Furtwanger Stadtrand ist das m o d e r n ste und marka nteste Firm engebäude. Noch bevor mit der Planung b e g o n n e n wurde, s e tz te der Firmenchef g e g e n d a s Votum von Führungskräften d e s e ig e ne n Un terne hm ens ei­ Horst Siedle ne G rundsatzentscheidung durch: Eine A u sl age ­ rung an einen Dienstleister oder ein alternativer Standort kamen nicht in Frage. Nicht nur die rund 50 Arbeitsplätze im Logistikzentrum selbst, auch die Bauarbeiten und die g e sa m te Wertschöpfung mus st en so w eit als möglich in Furtwangen blei­ ben. Als sichtbarer Glaube an die Zukunft sollte d a s neue Gebäud e ein Zeichen setz en für die Ver­ bund en he it mit dem Standort. Zudem m u s s te e s sich harm onisc h in die Landschaft e infügen. Sie dle stellte h oh e Anforderungen an die plane­ rische und bauliche Umsetzung, an deren Ende ein Industriebau von außer ge wöhn lic he r archi­ tektonischer Qualität stand. Das Logistikzentrum hätte an einem anderen Ort, und e s hätte e rh eb­ lich k o s te n g ü n sti g e r errichtet werde n können. Dem stand nur eines entgegen: Horst S ie d les Be­ ke nntnis zum Standort Furtwangen, d a s b e ­ triebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Kalkulatio- nen d e s s o n s t s o scharfen Rechners m a n c h e s Mal außer Kraft setzte. Sc ho n leg end är ist der Millionenkredit zu be st en Konditionen, mit dem Siedl e in den 1980- er-Jahren der quasi z a h lu n g su n fä h ig en Stadt Furtwangen half, die Gemeindefinanzen wieder Das Siedle-Logistikzentrum in Furtwangen. 71

Persönlichkeiten ins Lot zu bringen und eine schwierige P ha se zu überstehen. Woher stammt d i e s e b e so n d e r e Verbunden­ heit mit der Heimat? Si e d l e begreift Stan do rt­ treue als Teil einer Verantwortung, die je d e s Un­ te rn eh m en zu tragen hat. Ob ein Un ternehmer gut wirtschaftet, ist für den überzeu gten Mittel­ stän dler nicht nur eine Frage der Bilanzen, o b ­ woh l er keinen Zweifel daran lässt, d a s s ein Un­ ternehmen zuallererst profitabel arbeiten mus s. AberGewinn darf nichtzum Sel bstzweck werden, sondern soll Zielen dienen: den Men sc he n und der Welt, in der sie leben. Den Begriff Sharehol- der-Value schätzt er e b e n s o w e n i g wie Manager, die ihn zur o bersten Maxime ihres Handelns er­ klären. Sie d le sie h t in ihm den I n b e g riffe in es W irtschaftsegoi smus, der nur zwei Ziele kennt: die persönliche Be re ich er un gde s Managers und die persönliche B e r e ich er u n g d e s Aktionärs. „Wenn es dem Siedle gut geht, geht es auch seinen Leuten gut.“ In der S. Siedl e & S ö h n e Telefon- und Telegrafen­ werke OHG, wie die Firma vollständig und korrekt heißt, herrschen a nd er e Prinzipien. „Wenn e s dem Sie d le gut geht, g e h t e s auch s e i n e n Leu­ ten gut“, sa g te v e r g a n g e n e s ja h r e i n Siedle-Fach- arbeiter in die laufende Kamera e in e s Fernseh­ te am s, und dieZahlen be stä tigen ihn. Keinerder rund 530 Mitarbeiter kann sich an eine betriebs­ bedingte Kündigung erinnern, alle erhalten Weih- nachts- und Urtaubsgeld. Seit 1977 beteiligt Si ed­ le alle Mitarbeiter am Unterne hm ens ge winn, s o ­ fern e s die Ertragssituation zulässt. Wer m i n d e s­ t e n s 10 jahre in der Firma ist, erhält e in e Be­ triebsre nte, finanziert vom Un ter nehm en. Und wer de m Betrieb 25 jahre die Treue hält, wird nicht nur geehrt; er wird Mitglied im „Club der Jubilare“, der sich jährlich zum Ausflug trifft. Noch wichtiger als die altged ienten sind die jungen Mitarbeiter. Die A u sb i l d u n g sq u o te bei S ie d le liegt s e it jahren zwische n 6 und 7,5 Pro­ zent. Das ist deutlich über dem Durchschnitt. Wie wic htig Horst S ie d l e s e i n e „ S i e d l e a n e r “ sind, verkündet er nicht nur in Reden. Sie erleben es, wenn er an Be triebsfesten und jubilarfeiern teil­ nimmt oder die Kollegen im Werk mit Handschlag 7 2 med. H. Naturheifverfähren u n d C h ir o th e ra p ie Horst Siedle – nach der Übernahme der Geschäfts­ führung in den 19/oer-Jahren ging es mit dem Un­ ternehmen steil bergauf. SSS Siedle ist heute Markt­ führerin Deutschland und Teilen Europas. be grüßt. Nicht w e n i g e sind se it Generationen „beim S ie d l e “, mit einigen ist er per Du. Die Mitarbeiter danken die au ß e r g e w ö h n li ­ che Z uw en du ng mit e b e n s o s e l te n e r Loyalität und Treue. Wer nicht als bloßer Kostenfaktor b e ­ handelt wird, verhält sich auch nicht so. Es ist ein großer Unterschied, ob die Men sche n einem g e ­ si c htsl ose n Konzern ihre Arbeitskraft verkaufen oder ob sie ihren Beitrag zum Gedeihen e in e s Un-

t e r n e h m e n s leisten, dem si e sich z u ge h ör ig fühlen und an d e s s e n Erfolg sie teilhaben. Diesen Z usam m en han g hat Horst Siedl e früh g e s e h e n , und d e sh a lb ist er e be n nicht nur „der gute Men sch von Furtwangen“, wie ihn ein re­ gionales Wirtschaftsmagazin b ezei chnete, s o n ­ dern auch ein kluger Unternehmer, der weiß, wie man mit dem Wirtschaftsfaktor Men sch um z u­ g e h e n hat. Vertrauen z w isc he n Firmenleitung und Be le g sc h a ft kann nicht verordnet werden; sie m uss wac hsen . Die be so n de re Verbundenheit mit den Mitarbeitern hat Siedle seit den 1970er- Jahren geschaffen und gepflegt, bis sie zum Teil der Unternehmenskultur wurde. Heute kann er die Früchte ernten: in Form von motivierten, loya­ len und engagierten Mitarbeitern. SSS Siedle: Vom Glockengießer zum Marktfüh­ rer in der Hauskommunikation Vor mehr al s 25 0 Jahren wu rde ein „Mathäus S ie d le , G lo c k e n gie ß e r “, urkundlich erwähnt – Horst S i e d les Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater. Aus der kleingewerblichen Gießerei für die Schwarzwäl­ der Uhrenmanufaktur wurde im 19. Jahrhundert eine Fabrik. Siedle w an de lt e sich zu einem Pio­ nier der Elektrotechnik und war einer der ersten Telefonhersteller in Deutschlan d. Im 20. Jahr­ hundert spezialisierte sich d a s Unternehmen auf die Haus- und Türtelefonie, die bis h e u te d a s H auptgeschäftsfeld g eblie ben ist. Über die Jahr­ hunderte und alle Wandlungen h in weg blieb das Unternehmen s te ts im Besitz und unter der Lei­ tung der gl eichen Familie. Horst S ie d le trat ein weit z u rückrei chendes Erbe an – aber in den S choß wurde e s ihm nicht ge legt . Wie viele s e i ­ ner Vorfahren hat auch er nicht in der Führungs­ e tage ang efangen, als er 1957 als Praktikant ins Un ternehmen eintrat. Von den Mitarbeitern, d e ­ nen e rs p äte ralsG es ch äftsfü h re r vors teh en sol l­ te, hat er d as Löten, die Herstellung von Kabel­ b ä u m e n , die M ont ag e von Netzgleichrichtern oder Telefonen und v ieles mehr gelernt. Höhere Weihen erwarb er sich bei derSchweizerTochter Siedle Electric, die er vom Ein-Mann-Betriebzum florierenden Unternehm en aufb aute und zehn Jahre lang leitete. Geschäftsführer der Mutter­ firma wurde er schließlich 1970, nach langwieri­ Horst Siedle gen und teil weise bitteren familiären A u se inan ­ d e r se tz u n g e n . G esch en kt be ka m er nichts. Im Praktikum, bei se i n e m Karriereeinstieg in der Schw eiz und auch während der ersten Jahre als Geschäftsführer – Horst Siedl e m u s s te sich im­ mer durchsetzen. Und der Erfolg gab ihm Recht. Unter seiner Leitung wurde a u s einem soliden, aber stagn ierenden Unternehmen eine Firma mit Weltruf, deren Um satz sich in den ersten zehn Jahren seine r Geschäftsführung verfünffachte. In den darauffolgenden 15 Jahren stie g er abermals um d a s Vierfache. Heute ist S iedle Marktführer in Deutschland und Teilen Europas. Eine solc h e Bilanz gibt Anlass zu ber echtig­ tem Stolz. Aber noch mehr als da s Ergebnis freut Horst Sie dle, wie er e s erreicht hat – und wo. Denn der Weltbürger ist als Unternehmer ein Patriot a u s Ü ber zeu gung. Für ihn ist D e u ts c h ­ land, allen Problemen zum Trotz, nach wie vor ein Traumstandort mit h o h e m A u sb ildu ngss ta nd , großer politischer und sozialer Stabilität und per­ fekter Infrastruktur. Dies alles sie ht er gefährdet, w enn Konzerne ihre Wertschöpfung dorthin ver­ lagern, w o si e die w e n i g s t e n Steuern oder die niedr igsten Löhne z ahlen . Wer über Stan do rt­ qualität lamentiert und gleichzeitig alles tut, sie durch Steuerflucht und Produktionsverlagerung weiter zu verschlechtern, kann von Horst Siedle kein Verständnis erwarten. Zwar spürt auch sein Unternehmen Globalisierung, verschärfte Kon­ kurrenz und Kostendruck. Doch er sieht darin kei­ nen Anlass, in Billiglohnländerzu flüchten, s o n ­ dern die Aufgabe, die Produktion in Hoch lohn­ ländern rentabel zu machen. Den S c h l ü sse l dazu sie h t er in ho chq ualifi­ zierten, e n gagier ten Mitarbeitern, die Wert­ s c h ö p fu n g und Produktivität s tä n d ig e rh öh en. Dass d a s möglich ist, hat er gleich mehrfach b e ­ w ie se n: Neben dem Furtwanger Familienunter­ n e h m e n b e s t e h t die Siedle-Gruppe a u s der Kunststoff- und Elektrotechnik GmbH im 25 Kilo­ meterentfernten Mönchweiler so w ie den beiden Sensorherstellern Contelec im sc hw eizerischen Biel und Novotechnik in Ostfildern bei Stuttgart. Insge samt beschäftigt die Unternehmensgruppe rund 1 0 0 0 Mitarbeiter. Was er sich vornimmt und se in e m Unterneh­ men vorgibt, ist wahrlich keine kleine Heraus­ forderung. Dennoch m a g der 68 -jährige Horst 73

Horst Siedle S ie d le a n s Altenteil noch lang e nicht de nk en . Zwar überträgt er seit einer schweren Erkrankung z une hm e nd mehr Aufgaben an s e i n e Frau Gabri­ ele, mit der er sich se it 2 0 0 0 die G e s c h ä fts­ führung teilt. Aber a ls Motor, Motivator und Vi­ sionär bleibt er s e i n e m Un ternehmen erhalten; auch wenn die U mset zun g heute andere leisten. Mit Recht betrachtet Horst Siedle d a s Unterneh­ men als sein Lebenswerk, und erzählt dazu nicht nur die wirtschaftliche Erfolgsbilanz, so n de rn auch die Arbeitsplätze und den Beitrag zum Er­ folg seine r Heimatstadt. Um d i e s e s Lebe nsw er kz u sichern, inklusive der Verpflichtung g e g en ü b e r dem Standort Furt- wangen und Mitarbeitern, hat sein Unternehmen unlängst s e in e Werte und Überzeugungen in ein Leitbild e inflie ße n la s s e n und für die Zukunft festgeh alten . Auch die längerfristige Nachfolge ist in den Statuten nie de rge sc hr ieb en . Alles sche int al so geregelt, und auch mit dem Umsatz geht e s 2 0 0 6 nach einer längeren Durststrecke erstmals w i e ­ der nach oben – ist jetzt die Zeit g e k o m m e n für einen ge ru hsam e n Lebe nsaben d? Engagierter Furtwanger Stadt- und Kreisrat Wer s o denkt, kennt Horst Siedle schlecht. Schon immer hat sich der Unternehmer weitere Betäti­ g u n g s fe ld e r g e su c h t. Den Fraktionsvorsitz der lokalen FWV-FDP hat er nach 25 Jahren a b g e g e ­ ben, aber nach wie vor ist er Furtwanger Stadtrat, Mitglied d e s Kreistags, Beirat der Stiftung „Wirt­ schaft hilft Hungernden“, in diversen Verbänden ehrenamtlich tätig und in be rufsständisc hen Or­ ganisationen aktiv. Das Unternehmen wie der Pri­ vatmann Siedle unterstützen eine Vielzahl örtli­ cher Vereine und Einrichtungen, vom Sportverein bis zum Kindergarten. Anlässlich s e i n e s 6 0 . Ge­ burtstags gründete Horst Siedle e in e nach ihm b e n a n n te Stiftung und sta tte te s i e mit einem gr oß züg ig en Gründungskapital au s – anstatt ei­ ne große Geburtstagsfeier auszurichten. Auch zu seinem 6 s s t e n gab er kein rau sc hend es Fest; das ge spar te Geld f loss wiederum in die Horst-Sied- le-Stiftung, die sich der Förderung von sozialem , kulturellem und sportlichem E ngagem ent ver­ schrieb en hat, nicht nur, aber hau ptsächlich in 74 Furtwangen. So viel Einsatz bleibt nicht oh n e An­ erkennung: Neben anderen Auszeichnungen er­ hielt Siedle 1999 da s Bundesverdienstkreuz, und auch die Bürger se i n e r S t a d t w i s s e n zu schätzen, w as sie an ihm haben. Regelmäßig erreicht Horst Siedle bei G emeinderatsw ahlen mit Abstand die meisten Stimmen, und wie ernst er sein Mandat nimmt, hat er in zahlreichen Initiativen und lei­ denschaftlichen Debatten b e w i e s e n . S e lb st se i ­ ne politischen Gegner zollen dem Politiker S i e d ­ le großen Respekt. Der hätte im Übrigen auch auf größeren Bühnen aktiv werden können. Die We­ g e in die Landes- und Bun de sp olitiksta nde n ihm offen, doch er hat e n tsp re c h e n d e A nge bot e im­ mer abg elehnt. Wichtiger waren ihm immer sein Unternehmen, seine Mitarbeiter und seine Heimat. Eine Stiftung für die Kunst Wie sein Vater Max, der s e l b s t malte, und sein Großonkel Robert hat Horst Sie d le e in e a u s ­ ge p r ägte N e igung zur bildend en Kunst. Se in e Sam m lu n g enthält b e d e u te n d e Werke der klas­ si sc hen Moderne und d e s de utsch en Expressio­ nismus. Ein großerTeil ist allerdings stä n dig un­ t e rw e g s, rund um die Welt. Sie d le g e h t mit An­ fragen von Auss tellungs mac her n sehr w oh lw ol­ lend um. Er ist Sammler au s Leidenschaft, aber keiner, der seine Schätze wegschließt. Den Kunst- g e n u s s teilt er gern und mit der Über zeu gu ng , d a s s herausragende Werke der Öffentlichkeit zu­ gänglich sein sollten. Damit d a s s o bleibt, hat er vorgesorgt: Nach se in e m Tod wird die g e s a m t e Sam m lun g auf die e ig e n s zu d i e s e m Zweck ge grü nde te Horst-und- Gabi-Siedle-Kunststiftung üb ergehen. Seiner Sa m m lun g möc hte er in Zukunft mehr Zeit und Aufmerksamkeit w idm en, als e in zig e s Z u ge stän d n is an sein „Pen si onär sa lter “. Man darf g e s p a n n t se in, w a s dabei herau sk om mt, wenn sich HorstSiedle verstärkt seiner geliebten Kunst widmet. Eines jedenfalls ist sicher: Er wird e s mit Le idenschaft und Engage m e nt tun mit PeterStrobel ganzem Herzen. Rechte Seite: Blick auf die Hochschulstadt Furtwan­ gen mit der Stadtkirche St. Cyriak und der Fatima- kapelle vom Großhausberg aus.

Aus dem Wirtschaftsleben Straub-Verpackungen steht seit 125 Jahren für hochwertige Produkte Das Unternehm en erzielt in Bräunlingen und Blum berg m it über 4 0 0 M itarb eitern einen Um satz von m ehr als 6 6 M illion en Euro W enn W e llp a p p e neu erfunden w erden m üsste, dann w ä re dies sicherlich ein P rivileg des B räu n lin ger U n te rn eh m e n s S traub-V erpackungen G m bH . S eit 182 Jahren s te h t das F am ilien u n tern e h m en unter d er Führung von Dr. S teffen W ürth (K a u f­ m änn ischer G eschäftsführer) und A lex an d er W ürth (Technischer G eschäftsführer) für in­ dustriell q u a litativ hochw ertig e Lösungen und Produk­ te. W er nach dem U rsprung des U n tern e h m en s forscht, s tö ß t unw eig erlich a u f das M ü h lg e b ä u d e am straub V E R P A C K U N G E N W E L L P A P P E N W E R K E B räunlinger S tad tein g a n g . M it dem Kauf dieses G ebäudes am 17. Juli 1 8 2 3 leg te M ü lle r­ m eister Franz Anton Straub aus Neudingen den G rundstein eines prosperierenden Fam ili­ en u ntern eh m ens. 18 2 8 sc h e n k te der Un terne hm ens grü nd er die Mühle seiner Tochter Kreszentia, die sie z u s a m ­ men mit ihrem Ehemann weiter betrieb. 1842 ging d a s G eb äud e an Josef Straub, den Onkel von Kreszentia Straub. Der Mühle war bereits damals ein Sägewerk angegliedert und sie wurde im Laufe der Jahre zur Kunstmühle au s geb au t. Ges teig erte Kapazitäten machten den Betrieb zu einerTauschmühle mit umfangreichem Mehl­ handel. Konkurrenzdruck durch die rheinischen Mühlenwerke zw a n g e n auch die Bräunlinger Unternehmerfamilie Straub zum Handeln. 1905 wa g t si e den ersten Schritt in die Produktion von Verpackungen und Transportschutz – eine Holzwollefabrik wurde angeglieder t. Das Unter­ ne h m e n profitiert vom Holzreichtum der Ge­ ge n d , liegt Bräunlingen doch an der O st abd a­ chun g d e s Sü d s ch w arz w ald e s. Eine Trans­ portflotte in Form von Pferden und Wagen stand bereits a u s der Mühlenzeit zur Verfügung. Der Mühlenbetrieb wurde schließlich 1911, der Ge­ treide- und Mehlhandel 1919 eingestellt. Im Großherzoglichen Badischen Amtsgericht Don aue sc hinge n ließ sich Josef Straub am 11. April 1 906 die Einzelfirma al s K un stm üh lenb e­ sitzer und Hotzwollefabrikant eintragen. Nach dem Tod von Josef Straub am 19. Juni 190 9 führ­ te d e s s e n Witwe Maria den Betrieb al s Allein­ inhaberin weiter. Am 26. Juli 1912 verkaufte sie schließlich den Besitz zu gleichen Teilen an ihre 8 8

S ö h n e Friedrich und Josef. Josef Straub starb am 29. März 1932 o h n e Nachk om­ men. Im Oktober 1931 hei­ ratete Margareta, die ä ltes­ te Tochter von Friedrich Straub, Otto Würth. Der große Einsatz Würths wur­ de am 1. Januar 1937 mit der Teilhaberschaft am Fa­ m i li e n u n ter n e h m e n , die ihm sein Schwiegervater übertrug, gewürdigt. Wellpappe als Konkurrenz zur Holzwolle Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war auch für d as Unternehmen Straub mit Schwierigkeiten verbunden: Man spürte die Konkurrenz der Well­ pap pe zur Holzwolle als Verpackungsmittel. Mit der Einführung der Rentenmark 1923 und dem unter ne hm erisc hen Mut der Brüder Friedrich und Josef Straub, sich der Wellpappe zu z u w e n ­ den, ging e s dem Betrieb wie de r b e ss er . 1924 wurde erheblich investiert in Maschinen für die Wellpappenproduktion und deren Verarbeitung. Da d a s Geld für einen Fabrikneubau fehlte, ent­ Straub-Verpackungen GmbH Erfolg mit Wellpappe, die Straub-Geschäftsführer Dr. Steffen Würth und Alexan­ der Würth. im sc h l o s s sich die Familie, den Betrieb alten M ü h le n g e b ä u d e über der Wohn un g der Inhaber e in ­ zurichten. Am 2. April 1925 wurde d as n e u e Gewerbe bei der Stadt Bräunlingen unter der Beze ich nun g „Josef Straub Söh n e , Herstellung von Wellpappe und Kartonagen“ ein getragen. Hergestellt wurden mittels einseitiger Well­ pap penm asch in e mit Kaschierwerk, Trockenpar­ tie und Quers chneider z un äc hs t Durchzugskar­ to n s und S c h ie b e sc h ac h te ln – und d i e s unter erschwerten Be dingungen im vierten Stock d e s G eb ä u d es. Bearbeitet wurde d a s Material w e i ­ ter mit Rill- und Kreisschere s o w i e Heftmaschi­ nen. Jede Rolle Papier und je d e s Fass Wasser- Straub-Verpackungen: Am Standort Bräunlingen wurden 1905 die ersten Verpackungen hergestellt. Dank dem M u t der Brüder Friedrich und jo s ef Straub, sich der W ellp ap p e zuzuw enden, ging es m it dem Betrieb ab 1923 steil aufw ärts. Heute b eschäftigt das U nternehm en 4 0 0 M itarbeiter. Der Slogan d erW e llp a p p e n w e rk e lautet: „W ir packen es“ .

Aus dem Wirtschaftsleben Blick in die Produktion bei Straub, die Wellpappe wird hochwertig veredelt. glas als Klebstoff m u s ste n über ein en Aufzug dorthin gebracht werde n und die Produktion auf dem gleiche n Wege wieder hinab. Die heute ge läu fige Wellkiste (früher Schlitz- oder ameri­ kanische Verpackung) konnte damals noch nicht produziert werden. Energetisch versorgt wurde d a s Werk durch bereits 189 9 e in g e b a u te Turbi­ nen und ein Dampflokomobil mit Generator. Viel Pionierarbeit m u s s te von den Inhabern persönlich ge le i ste t werde n, damit sich die Wellpappe am Markt du rch setzen konnte. Ne­ ben Verwaltung und Produktion stand A u ß e n ­ dienst an. Die Weltwirtschaftskrise ereilte 1929 auch Bräunlingen und se tz te dem Unternehmen Straub zu. Nach 1933 gi ng e s jedoch wirtschaft­ lich bergauf, die Firma konnte sich w e g e n w ac h­ se n d er Kundenaufträge vergrößern. 1935 folgte die Anschaffung der ersten Schli tzm aschine zur Herstellung von Wellkisten so w ie eine Druckma­ schine für Verpackungen. Straub arbeitete in je­ nen Jahren maßgeblich an der Substitution von Holzkisten durch Wellpappverpackungen mit, Um hochwertige Produkte zu erzeugen, braucht es neben einer ausgeklügelten Entwicklung und vielen Tests, darunter der Falltest (unten, 2. Bild v. rechts), auch eine gut eingespielte Logistik. die sich vor allem in der Schwarzwälder Elektro- und Phonoindustrie bemerkbar machte. Eine neue Fabrikhalle entsteht 1936 war e s dann sow eit: Es konnte e in e ne u e Fabrikhalle errichtet werden. Am 10. August 1936 erfolgte der Umzug der Maschinen aus dem vier­ ten Stock der alten Mühle in die n e u e Halle. An­ geschafft wurde eine zweite Wellpappenmaschi­ ne. Dies ermöglichte dem Unternehmen den Ein­ stie g in veränderte Produktionstechniken: ohn e Riffelwalzenwechsel war nun die Produktion fein- oder grobwelliger Wellpappe möglich. Zudem konnte erstmals zweiw el lig e (Doppel-Doppel) Wellpappe hergestellt werden. Die i93oer-Jahre liefen für d a s Unternehmen Straub gut. So b e ­ gann man 1939 im Norden d e s b e ste h e n d e n Fa­ brikgebäu des einen Erweiterungsbau. Friedrich Straub z o g sich a u s ge su n d h e i tl i ­ chen Gründen Ende 1939 völlig au s der G es el l­ schaft zurück. Er starb am 25. März 1940. S chwieg ers oh n Otto Würth wurde Alleineig en­ tümer d e s Unternehm ens durch Übernahme der G es ch äft sa nt eile s e i n e s Schw iege rv aters und derjenigen der restlichen Familienmitglieder.

Straub-Verpackungen GmbH Straub Verpackun­ tra ges si e d e lte sich d as Un ternehmen sc h l i e ß ­ lich mit einer e ig e ne n Produktionsstätte auf 3,5 Hektar am Ostrand Blumbergs an. 1961 entstand die ers te 2 0 0 0 Quadratmeter gr oße Produk­ tionshalle. In einem zweiten Bauabschnitt er­ folgte 196 6 die Verdop­ pelung der Produktions­ fläche. Bereits 1967 wurde d as Blumberger Werk durch eine e ig e n e Wellpappenproduktions- anlage in ein em groß ­ z ügi ge n Ausbau te c h ­ nisch selbstä ndig. 1961 auf 3,5 Hektar großen Halle am gen siedelt sich m it einer 2 000 Quadratmeter Ostrand von Blum­ in sich berg an. Das Unternehmen p a s s t e den i96oer-Jahren weiter den Markterfordernissen an. 196 6 wurde d a s Liefer­ programm mit der Fertigung von S c h au m stoff­ form- und Verpackungsteilen im Werk Blumberg a u fg e n o m m e n . 196 9 erfolgte der Bau einerweiteren großen Lagerhalle. Straub Verpackungen investierte jedoch auch in Bräun­ lingen weiter. Die Wellpappenfertigung wurde (WÜRIPOR) Blick in die Fertigung des Blumberger Werkes. j ¡P M ü h „Josef Straub S ö h n e “, Inhaber Otto Würth, hieß der Betrieb ab Januar 1940. In den Kriegsjahren blieb die Produktion von Holzwolle und Well­ pa p pe unter erschwerten Beding ung en b e s t e ­ hen. Zw angsbewir tsc ha ftun g und ein e vermin­ derte Belegschaft belasteten d a s Familienunter­ ne hm en. Mit Kriegsende verschärfte sich die Situati­ on durch die fran zös ische Besa tzungsm ach t, die im April 1945 sämtlich e G ebäu de und Ma­ schinen be sc hla gn ah m te und so dem Unterneh­ men eine m ehr mon at ig e Z w a n g s p a u s e verord- nete. Schließlich floss die später produzierte Holzwolle als Reparati onsleistung nach Frank­ reich und in den Export. Erst viel später konnte die Wellpappherstellung wie de r a ufg e nom m e n we rde n – allerdings waren Rohstoffe in der französische n B e satz ungs zon e nicht erhältlich. Nach ein em Brand in der Be triebsabteilung Holzwolle Anfang August 1950 en tsc h ie d sich die Unternehmensführung, di e se n Produktions­ z w e ig au fz u ge b e n . Die Produktion und Verar­ beitung von Wellpappe nahm zu, w a s den zu­ n äc hs t ein treten den Umsatzeinbruch im Be­ reich Holzwolle we itgeh en d wettmachte. Inves­ titionen in den Maschinenpark und die Wasser­ kraftanlagen s o w ie die Gründung der Josef Straub S ö h n e GmbH ließen d a s Un ternehmen weiter w a c h s e n . Am 10. März 1952 war Otto Würth Initiator und Mitbegründer einer e igene n Papierfabrik im w e stfälisc h e n Vreden. Damit wollte er die Rohstoffversorgung d e s Bräunlin- ger Werks w e i tg e h e n d absichern. Immer b e ­ dacht, auf m ode r nst e m Stand der Technik und in e n g ste m Kontakt zu den Kundenwü nschen zu sein, ging im Oktober 1953 eine Hochleistungs- W ell pap penan la ge mit drei ein se it ige n Aggre­ gaten in Betrieb. Weitere größere und leist ung s­ fähigere Maschinen folgten. Produktion in Blumberg beginnt Arbeitskräftemangel in Bräunlingen ließ die Jo­ s e f Straub S ö h n e GmbH schließlich in den leer s t e h e n d e n Räumen der Doggererz-AG in Blum­ berg ein e ne u e Produktionsstätte gründen. Die Produktion wurde am 10. Oktober 1956 au fg e ­ nommen. Zum Ende d e s fünfjährigen Pachtver­

Aus dem Wirtschaftsleben Verpackungsbeispiele aus der Produktion bei Straub an den Standorten Bräunlingen und Blumberg. Zu den Kunden gehören namhafte große Marken – weit über den Landkreis hinaus. e b e n s o a u s g e b a u t wie die Dampf- und Strom­ versorgung. Neue Verpackungsformen ging die Firma an, verbessert wurden die Druckverfahren und der Mehrfarbendruck. Der LKW-Fuhrpark wurde a u s g eb a u t. Ges teig erte Produktion und moderne Technik benötigten ent sp re che nde Ver­ waltung. Straub kam die se r Entwicklung mit dem Bau e ines Verwaltungsgebäudes 1969 nach. Otto Würth z o g sich end gü ltig 1973 a u s der Geschäftsführung zurück. Seine S ö h n e Wolfram und Friedrich führten die steile Entwicklung d e s U n ter nehm ens fort. Erfolgreiche Jahre folgten, bis sich Wolfram Würth Ende 1995 a u s der Ge­ schä ftsfüh run g zurück­ zog. Sohn Steffen Würth folgte ihm als kaufmän­ nischer G esch äftsf üh­ rer. Bräunlingen w urde enorm investiert: Auch ins W erk Straub verbesserte bendruck. und den M eh rfa r­ die Druckverfahren Nachdem sich Fried­ rich Würth Ende 1997 a u s de m Un ternehmen zur üc kg ezo gen hatte, folgte ihm sein Sohn Alexander Würth. Er übernahm die te ch nisc he Geschäftsführu ng. Als Technischer Leiter der Werke in Bräunlingen und Blumberg wurde Volker Würth, ein weiterer Sohn von Friedrich Würth, e in g e s e tz t. Im November 1 9 8 6 stellte sich d a s Unternehmen au f organisatorischer Ebene modernen Anforderungen. Die Straub-Ver- packungen GmbFI wurde aufge sp alt e n in Pro­ duktions- und Betriebsgesellschaft unter bish e­ riger Geschäftsführung und densel ben Gesell­ schaftern. Die Firma Josef Straub S ö h n e GmbH fungiert ab Januar 1987 weiter als Besitzfirma. Konsequente Qualität und Weiterentwicklung sichern stetiges Wachstum 1974 erfolgte unter andere m die Installation ei­ n e s Rollbahnsystems für den innerbetrieblichen Transport im Werk Blumberg. 1975 nahm man sich den Ausbau der W ellpa ppe na nlage in der Eich- bergstadt vor. 1977 b e w i e s Straub Verpackun­ gen mit der ersten Zweifarben-BOBST-Autopla- tine SPO 2 0 0 0 in Deutsch land erneut innovati­ ven Geist. Dem Trend zur anspruchsvollen Welt­ pappverpackung für Transportschutz so w ie wer­ bewirksamer Aufmachung und Ausstattung folgte Straub k o n s e q u e n t weiter. Dies g e s c h a h über Stanzautoplatinen, Inlinemaschinen sowie 4- und 6-Punktklebea utomaten. Erweitert wurde die Produktpalette im Bereich Faltschachteln und Displays durch den Ankauf der Mehrheitsanteile an der Firma EFKADRUCK GmbH in Trossingen. EFKADRUCK befindet sich seit Oktober 2 0 0 5 im Insolvenzverfahren, der Betrieb läuft jedoch we i­ ter. In der Schw ei z erwarb Straub die Aktien­ mehrheit an der Firma Werner Beer AG (heute Beer-Verpackungen AG), um auch auf dem e id ­ g e n ö s s i s c h e n Markt Fuß zu fas sen . 9 2

Den Großkunden-Forderungen nach Just-in- Time-Lieferung kam Straub durch den Bau einer Fertigwarenlagerhalle 1987 nach. Die Fertigwa­ renlagerhaltung, Versand und Logistik in Bräun­ lingen wurden 1 9 9 8 / 9 9 baulich erweitert und ve rb esse rt. Grundstücks- und Gebäud ek äufe von rund 2 8 0 0 0 Quadratmetern auf dem Gelän­ d e der Firma Coats-MEZ AG ve rb es se rte n 1999 die Lagermöglichkeiten weiter. 1991 gi ng e in e ne u e Produktionsstätte im Werk 1 in Bräunlingen in Betrieb, na chd em zwei Jahre zuvor ein dem bisherigen Betriebsgelände benachbartes Grundstück erworben werden konn­ te. 2 0 0 5 wurde der rund 1 0 0 0 0 Quadratmeter gr oße Erweiterungsbau in Blumberg 1 von ins­ g e s a m t drei Bau maßna hmen in Betrieb g e n o m ­ men. Weitere sind in den nächsten Jahren g e ­ plant. Blumberg ist Fokus d e s W achstum s, da s heißt, Bräunlingen ist baulich nicht mehr s in n ­ voll erweiterbar. Ins Werk Bräunlingen wurde trotzdem weiter investiert und die Produktpalet­ te um offset-kaschierte Wellpappverpackungen erweitert. Das Engagement von Straub findet sich zunehmend auch im Papier-Vertrieb Einen wichtigen Schritt w a g te Straub-Verpa­ ckungen 2 0 0 3 mit der Gründung der Wellstar- Packaging GmbH in Bräunlingen. Das Tochter­ Straub-Verpackungen GmbH E n tsorgung (s ortie rt u. Straub bietet seine Verpackungsleistungen im ökolo­ gischen Kreislaufan, verarbeitet wird zu 100 Prozent recyceltes Papier. Gerade als Hersteller von Verpa­ ckungen sieht man sich in der Pflicht, auf die Belange der Umwelt in allen Phasen der Produktion besonde­ re Rücksicht zu nehmen. unternehmen st eht für Spezialverpackungen im Versandhand el und Konfektionierung aller Art. Ein weit er es unterne hm erisch es Standbein fin­ det sich im Tochterunternehmen Idee Display GmbH in Trossingen, d a s als Spezialität POS- Displays mit be wegl iche n, op tische n und aku s­ tischen Impulsen anbietet. 2 0 0 6 wurde schließlich die A&S Verpa­ cku ngsser vice GmbH als weitere Tochterunter­ nehmung gegründet. Diese steht als Zulieferer von Spezialverpackungen im Obst- und G e m ü s e h e r ­ s te llu ng sb er eich und Konfektio­ nierungen s o w ie Die nstleistun­ gen jeglicher Art. Das Engage­ ment der Straub Verpackungen GmbH findet sich zudem in Pa­ pier v erarbei tend en und vertrei­ bend en Unternehmungen. Das Straub-Werk in Blumberg, wo das Unternehmen den Fokus seines Wachstums sieht. 2 005 weist die Unterneh­ m ensgrup pe ein en Umsatz von etwa 100 Millionen Euro auf, den rund 6 0 0 Mitarbeiter erwirtschaf­ teten. Im gleichen Jahr erzielte die Straub-Verpackungen GmbH mit Sitz samt Standort Blumberg mit über 4 0 0 Mitarbeitern ein en Umsatz von 6 6 Millionen Euro. Stefan Limberger-Andris in Bräunlingen 93

Aus dem Wirtschaftsleben Kinderfüße: Kunstwerke der Natur – Kinderschuhe Kunstwerke der Technik Einer der innovativsten und erfolgreichsten Kinderschuh-Hersteller der W elt sitzt in Donau- eschingen Rennen, springen, hüpfen, klettern – Kinder sind echte Hochleis­ tungssportler, ihre Füße eine Meisterleistung der Natur. Viele Fra­ gen müssen daher beantwortet werden, bevor ein guter Kinder­ schuh für diese Wunderwerke entste- CT A ® i hen kann: Rollen kleine Kinderfüße g e n a u s o ab ■* – * ^ w je g roße? Wann sind weiche oder feste, dicke oder Schuh, wo brauchen si e aus re ichen d Spielraum? Wie können Kinderschuhe die kindlichen B e w e ­ gun gsa b lä u fe fördern, statt si e zu behindern? Bei RICOSTA, Europas größtem Marken-Kinderschuh- Hersteller, beschäftigt man sich täglich mit d ie se n Fragen und findet täglich Lösungen. dü nn e So hlen richtig? Wo brauchen Kinder Halt im Das Herz von RICOSTA schlägt in Donaueschingen 1955 wurde RICOSTA gegrü ndet, heute be sc h ä f­ tigt d a s Unternehmen in Deutschland, Ungarn, Polen und Rumänien rund 1 2 0 0 Mitarbeiter und ist immer noch Inhaber geführt. Am Stam msitz Don au esc hing en arbeiten in den Bereichen Pro­ duktion und Verwaltung über 2 0 0 Mitarbeiter. Design und Musterfertigung haben hier ihren Sitz, e b e n s o wie die Produktion extrem kurzfris­ tig be nötigter Ware. Auch d a s m ode rne , hoch l eist u ngsf äh ige Logistikzentrum wird von Do­ n a u es ch in g en a u s g e m an agt. Vertrieben wer­ den die hochwertigen Kinderschuhe in den Kernländern Europas: Deutschland, Sc hw eiz und Österreich, Niederlande, England, Ungarn, Polen und neuer dings auch in Russland. Überall dort, w o Eltern robuste, funktionale und g e s u n ­ de Schu he für ihre Kinder wollen. Unter Beachtung hö chs ter Qualitätsan­ sprüche produziert RICOSTA jährlich rund zwei Millionen Paar Kinderschuhe und erwirtschaftet damit ein en G esam t­ umsatz von knapp 55 Millionen Euro. Gut ein Drittel d e s An­ g e b o t e s sind Pepino 9 4 Kleinkinder- und Lauflernschuhe, der Rest sind nach dem so genann ten WMS-System gefertig­ te Jungen- und Mädchenschuhe, die immer öfter auch von den jungen Müttern s e l b s t getragen werden. Im Rahmen der Entwicklung d e s WMS- S y s t e m s wurden in den i95oer-Jahren Weite, Breite und Länge der Kinderfüße g e m e s s e n und in Maßtabellen einge tr ag en . Die M es sd ate n sind Grundlage für die Leistenentwicklung, über die sp äter die Kinderschuhe gefertigt werden. Dabei sie h t ein Leisten a u s wie ein richtiger Kinderfuß; e s gibt Leisten für breite, mittlere und s c h m ale Füße. Über WMS-Leisten fertigen WMS-Hersteller seit B e ste he n d e s S y s te m s ihre pa ssform gerechten Kinderschuhe. Investieren in die eigene Kompetenz In Fachkreisen gilt WMS als d a s zu v e rlä ss ig s te M e s s i n ­ strument für Kinderfüße. Denn d a s Sy stem gibt einer­ s e i t s dem WMS-Hersteller Richtlinien für s e i n e Ferti­ gu n g an die Hand. Darüber

hin aus hilft e s , Fachhändlern und Eltern einen passform gerechten Kinderschuh im Geschäft zu finden. Trotz der ho hen Akzeptanz fertigt ind es nur e in e Handvoll Hersteller nach WMS. Der Grund: Ein WMS-Leisten ko stet ein Vielfaches e i n e s normalen Kinderschuh-Leistens und ist damit e in e langfristige Investition in Produkti­ on s stan d ort und Herstellerkompetenz. Eine In­ vestition, die immer w enige r Kinderschuh-Her­ steller wage n. Bekenntnis zum Produktionsstandort Europa Zur Herstellerkompetenz von RICOSTA zählt aber nicht allein die Investition in ein en um ­ fangreichen WMS-Leistenpark. Eine wichtige In­ vestition in die e ig e n e Kompetenz ist auch d a s Festhalten an den bewährten europäisc hen Pro­ du kti on sst and or ten. In einer Branche, die zu den loh ninten sivst en überhaupt zählt, und in der innerhalb der letzten Jahre fast alle Herstel­ ler ihre Fertigung mit dem Lohnkostenargument nach Asien verlagert hab en , e in e überr aschen­ de Stando rtentscheidun g. Für RICOSTA, so Ralph Rieker, ge sc häf tsf ü hren der Gesellschafter von RICOSTA, sei d i e s e Entscheidung, so ungewöhnlich sie auch er­ scheinen möge, richtig. „Für uns ist e s langfristig kein st im m iges Konzept, in Fern­ o s t zu produ zi ere n“, so Ralph Rieker. „Auch wenn der Rest der Karawane um die Welt zieht, immer dem billigsten Stund en lohn auf der Spur, produzieren wir weiter in Europa.“ Desh alb investiert RICOSTA k o n s e ­ quent und nachhaltig in die v o r h a n d en en Standorte: 2 0 0 5 wurde in Polen ein n e u e s P ro duktionsge­ bä u de erstellt; nach langjähriger Zusammenar­ beit übernahm RICOSTA im April 2 0 0 6 eine Schuhproduktion in Rumänien als Tochterfirma. Alle a usländische n Fertigungen sind umweltzer­ tifiziert, in Ungarn und Polen ge lte n die Werke Ralph Rieker, ge­ schäftsführender RICOSTA-Gesell- schafter: „ Wir pro duzieren in Europa. “ RI CO STA von RICOSTA als Vorzeigeuntern ehmen in Fra­ gen der Arbeits- und Um weltbedingungen. Lederschuhe sind Handarbeit Ein Blick in die Produktion zeigt, warum moder­ ne, umw eltge re ch te Ar be itsbeding ung en ge ra ­ de in der S chu hh er st ell u ng s o wichtig sind: Lederschuhe sind Handarbeit. Jedes e in ze lne Lederteil e i n e s noch so kleinen Kinderschuhs wird auch in Zeiten der H oc htechn ologi e an großen Industriemaschinen von Hand z u s a m ­ men genäht. Joachim Schmid, Geschäftsleitung Produktion bei RICOSTA: „Es gibt bis heute kei­ ne Au tomatisie rungstech niken, die d i e s e n m a­ nuellen Teil der Sc huhfertigung zuve rlässig üb er n e h m e n .“ Zwar wird d a s millimetergenaue Ausstanzen der Leder und Innenfutter bei RICOSTA längst nicht mehr per S ta n z m e ss e r , son dern von e i ­ nem modernen Wasserstrahlschneider erledigt. Was danach aber mit den bis zu 30 einzelnen Leder- und Futterteilen e in e s Sch u h s g esc hieh t, ist heute nicht and er s als bei der Unterneh­ mensgr ü n d u n g 1955. Joachim Schmid: „Die Le­ der und Futterteile m ü s s e n in einer ganz b e ­ stimmten Reihenfolge z u s a m m e n g e n ä h t wer­ den. Und je kleiner der Schuh, d e s t o genauer m u s s jeder Stich ins w e ich e Leder sitz en .“ Kinderschuhe entstehen bei RICOSTA in sorgfältiger Handarbeit. Die Qualitätsschuhe halten vielfältigen Belastungen stand. 95

Aus dem Wirtschaftsleben Handverlesene Partner sichern Qualität Doch e s sind nicht nur handw erkliches Können, Sorgfalt und die hoh en An sprüche an um w el t­ gere ch te Fertigung und m en sc h e n w ü r d ige Ar­ b e i tsb e d i n g u n g e n , die RICOSTA au sze ich ne n. Das Unternehm en se tz t auch M aßst äb e in Ge­ su nd he itsfra ge n. Statt s e in e n großen Lederbe­ darf b e is p i e ls w e is e billig auf dem Weltmarkt zu de cke n, bezieht RICOSTA alle Oberleder a u s ­ schließlich au s au s g e s u c h te n europäi­ sc h e n Gerbereien in Italien, Sp ani­ en, Portugal, Polen und D e utsch­ land – ein e Investition in die ge- Wenn Kinder toben, braucht es einen optimalen Schutz für die Füße. sund he itliche Unbedenklichkeit der v e r w e n d e ­ ten Leder. Denn in Gerbereien werden viele Zu­ sa tz st offe verw en de t. B e so n d e r s im Kinderbe­ reich em p fe h len sich daher st renge Auflagen und r eg elm äß ig e Prüfungen. Alle Partner-Gerbereien von RICOSTA sind daher anspruc hsvollen Qualitätskontrollen un­ terworfen. Die einzelnen Lieferungen werden von einem unabhängigen Prüfinstitut auf Schad­ stoffe und Rückstände untersucht, e s werden Selbstverpflichtu ngen der Zulieferer verlangt, Dampfdurchlässigkeitsprüfungen und r eg elm ä­ ß i g e Funktionstests werden durchgeführt. Und erst wenn alle U n be denk lic hk eit sn ac hw eise ei­ ner Lieferung in der Zentrale in Donaueschingen au f dem Tisch liegen, werden die Leder für die Produktion fr eigege be n und an die Tochterfir­ men zur Weiterverarbeitung geschickt. In der Preiszange Qualität hat ihren Preis, europ äisc he Leder von Ökologie- und q u a lit ä tsb ew u s sten Gerbereien liegen am o berst en Ende der Preisskala. Die Entscheidung, a u s g e s u c h te Leder und hochw er­ tig st e Funktionsmaterialien zu verw en den, kol­ lidiert daher nicht selten mit den Preiserwartun­ gen d e s Marktes und der Selbstverpflichtu ng d e s Herstellers, Kinderschuhe zu fertigen, die sich so viele Eltern wie möglich leisten können. Doch trotz Preisdruck und Globalisierung gilt RICOSTA in der Sc hu hb ra nch e als Vorreiter technologischer Innovationen. Das in den 1990er- Jahren entwickelte und patentierte Anschäumver- fahren der 2-Komponenten-PU-Sohle b e i s p i e ls ­ w e i s e ist eine Innovationsleistung, die Bestand hat. Mittels sp ez ieller Sohlensp rit za utomat en werde n beim RICOSTA-Schuh die So hlen direkt an den Schaft a n g e sc h ä u m t. Auf d i e s e Weise sind die Schuhe auffallend leicht, extrem robust und frei von Klebstoffen und Lösungsmitteln. Kinderfüße wollen gut „verpackt“ sein.

Heute bestellt, morgen geliefert V t M PH H Möglich ist die Vorreiterrolle d e s Do- nau esch in ger U n ter nehm ens nicht zuletzt de sh alb , weil man hier auch in Zeiten von Expansion und Globalisierung auf kur­ ze Wege, h o h e Flexibi­ lität und die prompte Erfül­ lung von Kun denw ünschen setzt. Während a n ­ dere Kinderschuh-Hersteller ihre Waren w o ­ chenlan g kreuz und quer über den Globus schif­ fen, ist der Weg e i n e s RICOSTA-Schuhs überra­ sc h e n d kurz: Zwei bis fünf Tage dauert e s , bis ein RICOSTA-Schuh au s einem der Tochterunter­ n e h m e n , über die Zentral-Logistik in Donau- e sc h i n g e n , am Ort se in e r Bestim mung, beim Händler, ankommt. Zusätzlicher Vorteil der kurzen Wege: Bei RICOSTA kann jeder Händler innerhalb der lau­ fenden Saiso n nachordern. In der Modebranche e n ts c h e i d e t ein solcher Service bisweilen über Gewinn oder Verlust d e s Händlers. Denn oft RICOSTA stellen sich die Verkaufs-High­ lights ja erst im Laufe der Saison heraus, da ist e s gut, wenn man als Händler flexibel ist und nachordern kann. Händ­ ler, die ihre g e s a m t e B e st e l­ lung zu Beginn einer Sai so n I P “ a u fg e b e n , g e h e n ein h o h e s Risiko ein, auf Teilen ihrer Ware sitzen zu bleiben. Sonderverkäufe und Rabatte zeu ge n von dieser falschen Einkaufspolitik. Den so genann ten Nachlieferservice von RICOSTA honoriert die Branche daher mit ein em Höchst­ maß an Loyalität. Fachhändler wie Endkunden im In- und Ausland, die RICOSTA einmal ken­ nen- und schätzen gelernt haben, greifen immer wieder gern zu dem bewährten Markenschuh. Mode fängt beim Schuh an Dem nationalen und internationalen Fachhan­ del werde n die neuen Kollektionen zweimal jährlich präsentiert. Renommierte Plattform Einblicke in die Fertigung bei RICOSTA: Entworfen werden die Schuhe mit einem CAD-System, ihre Fertigung erfolgt größtenteils von Hand. Stolz ist man auf die 2-Komponenten-PU-Sohle, die in den iggoer-Jahren entwickelt wurde. Im RICOSTA-Shop begrüßt manchesmal sogar ein Clown die Kinder.

Aus dem Wirtschaftsleben dafür ist die GDS, D e ut sch lands größte Schuh- und Lede rw are nm e ss e in Düsseldorf. Dort und in den so g e nann ten SOC’s, den Schuh-Order­ zentren in Deutschland und dem benachbarten e ur opä ische n Ausland, ordern die Fachhändler ihre Schu he für die jeweils nä chs te Saison. Die Herbst- und Winterkollektionen werden im März, die Frühjahr- und Sommerkollektion im S e p t e m ­ ber präsentiert. Der Startschu ss für die Fertigung der neuen Kollektionen fällt jeweils nach den M e s se n . Lai­ en, die dann einen Blick hinter die Kulissen der Produktion werfen, wundern sich: Mitten im he iß e ste n Som m e r werden hier dick gefütterte Winterboots gefertigt, während bei Eis und Sc hnee draußen, drinnen, in der Fertigung, mun­ ter Flip Flops und San dalen e n tste h e n . Und pa­ rallel zur aktuellen Produktion ist d a s h a u s e i g e ­ ne Designteam immer schon dabei, die Kollekti­ on für die jew ei ls üb er nä chs te S aison zu e n t­ werfen. Lederwarenpreise für Design und Entwicklung gewonnen Der Chef-Designer bei Europas größtem Mar- ken-Kinderschuh-Hersteller hält dem Unterneh­ men se it 35 Jahren die Treue. Robert Vannier: „Die Anregungen für unsere Kollektionen holen wir uns a u s den Mode-Metropolen der ganze n Welt. Stolz sind wir aber darauf, d a s s RICOSTA S chu he seit jeher ihren eig e ne n Stil haben und im Regal von den Kunden erkannt w e r d e n . “ Das s d a s Design-Team mit die se r Strategie richtig liegt, zeigen nicht nur w a c h s e n d e Ver­ kaufszahlen in einem schrump­ fenden Markt, son dern auch die Tatsache, d a s s RICOSTA regelmäßig mit dem b egehr­ te sten Preis der Branche, dem Deutschen Lederwaren Beliebt – nicht nur bei Kindern: das Rico Girl. 9 8 RICOSTA in Zahlen 1955: Gründung von RICOSTA. 1970: Lösung vom Mutterkonzern; RICOSTA wird selbstä ndig. 1978: Einführung der Marke Pepino. 1993: RICOSTA wird zum ersten Mal mit dem Deuts chen Lederwarenpreis aus gez e ic hn et. 1999: Erneute Au sz ei chnu ng mit dem Deut­ sc h e n Lederwarenpreis und Zertifizierung nach DIN EN ISO 1400 1 und der EG Öko-Au- dit-VO als e rstes d e u t s c h e s Unternehmen. 2003: RICOSTA gewinnt erneut den Deutschen Lederwarenpreis, d ie sm a l für die Entwick­ lung von F.U.N.C., dem ersten entwickl ungs­ gerechten Kinderschuh. 2 0 0 6 : Start der Aktion Kinderfuß, der w e lt­ weit ersten repräsentativen M essung von Kin­ derfüßen in der B ewegu ng . preis au s g e z e ic h n e t wird. Den letzten Lederwa­ renpreis ge wa nn d a s Design-Team von RICOSTA für ein en ech ten Meilen stein in der Unterneh­ mensgeschichte: Für den so genannten F.U.N.C.- Schuh, den ersten e ntwic klungsger ech ten Kin­ derschuh der Welt. Ein neuer Traum von Kinderschuhen Möglich war die Entwicklung von F.U.N.C. durch die Kooperation mit der Universität Freiburg (jetzt Potsdam). Im Rahmen der Zu sa mmenarbeit mit einem Team von Sportmedizinern wurden ers tmals M essv e r ­ fahren bei Kinderfüßen a n g e w e n d e t , die man bislang nur a us der Ent­ wicklung von Hochleis­ tungssportschuhen kann­ te. Statt wie bisher im S te ­ hen, erfasste RICOSTA erst­ mals Kinderfüße und deren Abrollbe we­ gu n g im Gehen und Laufen und wertete die Daten aus.

RICOSTA gewertet werden sollten. Weltweit gilt die Ak­ tion Kinderfuß als erste repräsentative Bewe­ gungsmessung von Kinderfüßen überhaupt. Welche Möglichkeiten sich hier für die Zu­ kunft der Kinderschuhe auftun, lässt sich der­ zeit nur erahnen. Denn Kinder bewegen sich ja nicht nur viel mehr als Erwachsene. Das Bewe­ gungsverhalten von Kindern korrespondiert auch genau mit dem Stand ihrer Entwicklung, wobei es signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersstufen gibt. Besonders spannend und folgenreich aber scheint die Er­ kenntnis zu sein, dass sich Kinder in den einzel­ nen Entwicklungsphasen sehr identisch bewe­ gen. In der Folge bedeutet das, dass es mit die­ sem Wissen erstmals möglich ist, Kinderschuhe zu produzieren, mit der sich Entwicklung aktiv fördern lässt. Neue Antworten auf alte Fragen Neue Antworten gab die Aktion Kinderfuß auf zahlreiche bis dahin offene Fragen: Wo brau­ chen Kinder festen Halt im Schuh, wo muss der Schuh ausreichend Bewegungsspielraum bie­ ten? Wie bewegt sich ein Kinderfuß im Schuh tatsächlich, wie groß, breit und weit sind Kin­ derfüße am Anfang des 21. Jahrhunderts? Die vielen Fragen haben viele Antworten und noch mehr Interessierte auf den Plan geru­ fen: Mütter, die mehr Sicherheit beim Kauf von Kinderschuhen wollen, Fachhändler, die ihre Zukunft in der kompetenten Beratung beim Kin­ derschuhkauf sehen, Krankenkassen, die Bewe­ gungsmangel bei Kindern als wichtigste Ursa­ che für Übergewicht und Zivilisationskrankhei­ ten identifiziert haben. Für alle könnte ein Kin­ derschuh, mit dem sich Entwicklung aktiv för­ dern lässt, manches Problem lösen. Der entwicklungsgerechte Kinderschuh – da­ rüber herrscht indes bei RICOSTA Konsens – kann nur ein kleiner Schritt sein auf dem langen Weg, die Bedeutung des Faktors Bewegung für eine gesunde Entwicklung von Kindern ins Be­ wusstsein der Verantwortlichen zu rücken. Aber jeder noch so lange Weg beginnt ja bekanntlich mit einem ersten Schritt. Und sei er auch noch so klein. A n g e la Im d a h l 99 Bei einer von RICOSTA in itiie rte n bundesweiten M essaktion, wurden die biom etrischen Daten von 5 o oo Kinderfüßen erfasst. Die neuen Messverfahren, die so genannten biometrischen Messungen, weckten den Traum einer neuen Generation von Kinderschuhen: RICOSTA sollte den ersten Kinderschuh herstei­ len, der ein entwicklungsgerechtes Abrollver- halten von Kinderfüßen erlaubte. Im Jahr 2003 wurde die erste so genannte F.U.N.C.-Sohle ent­ wickelt. In die Sohle waren, entsprechend der sportmedizinischen Daten, spezifische Längsril­ len in Abrollrichtung sowie besondere Dämp­ fungselemente integriert worden. Die kleine In­ novation zeigte große Wirkung. Weil die Sohlen das Gehverhalten der Kinder genau reflektier­ ten, funktionierten sie wie ein gesunder nackter Fuß. Der Fuß ist doch nicht so weit weg vom Kopf Weitere Schritte folgten: 2005 wurde in Anleh­ nung an WMS der erste dynamische Kinder­ schuh-Leisten der Welt entwickelt. Die Sport­ wissenschaft hatte die Daten geliefert, RICOSTA die Erkenntnisse umgesetzt. Nach drei Jahren Pionierforschung startete RICOSTA im Frühjahr 2006 zusammen mit der Uni Potsdam und aus­ gewählten Schuh-Fachhändlern die Aktion Kin­ derfuß: Eine bundesweite Messaktion, bei der die biometrischen Daten von 5000 Kinderfüßen im Alter zwischen drei und 13 erfasst und aus­

5. Ka p i t e l G e s c h i c h t e Ein richtiger Villinger meldet seine Kinder schon gleich nach der Geburt in der Narrozunft an 125 Jahre Historische Narrozunft Villingen – Fasnet Jahrhunderte alt Wer an Villingen denkt, der kom m t natürlich an der historischen Fasnet nicht vorbei: M it dieser Fastnacht verbinden die Kenner ein Brauchtum , das bereits seit vielen Jahr­ hun d erten besteht. Und so m ag es m anchen Zeitgenossen erstaunen, dass die His­ torische N arrozunft als Verein „erst“ 125 Jahre alt ist. Natürlich feiern die V illinger ihre Fastnacht schon wesentlich länger. Die WuTzeln sind m indestens 500 Jahre alt. Das Brauchtum veTeinsmäßig zu organisieren, dieser Aufgabe stellten sich einige V illin ger Bürger aber erst im letzten Q uartal des 19. Jahrhun­ derts. Aus kleinsten Anfängen heraus entw ickelte sich in den ver­ gangenen 125 JahTen ein NarrenveTein, der h eu te über 3 500 M it­ g lie d e rh a t u n d ein Ende dieses Booms ist nicht erkennbar. Ein rech­ te r (richtiger) VillingeT m eldet seine Kinder bereits m it dem Tag der G eburt in der Zunft an. D am it ist nicht n u r der Nachwuchs im m it Ab­ stand größten (Narren-)Verein in der Region gesichert, sondern das Brauch­ tu m , das aus der Vergangenheit kom m t, h a t d am it auch eine Zukunft. Die nachweislich ersten Hinweise auf die Fastnacht in Villingen führen bis in das Jahr 1494 zurück. Am damaligen 13. Februar hielt der Franziskanerpater Jo­ hannes Pauli vor den Non­ nen des Bickenklosters ei­ ne Predigt, die er am Vor­ tag bereits in ähnlicher Wei- Villinger Narro m it Schwert, se vor den Franziskaner- kolorierte Postkarte, 1920er Mönchen des Villinger Mi- noritenklosters gehalten Jahre. hatte. Eine der Nonnen im Bickenkloster schrieb die Ausführungen des Pa­ ters nieder und erhielt sie somit der Nachwelt. In dieser Predigt taucht zum ersten Mal für Villin­ gen überhaupt das Wort Fastnacht nachweislich gleich mehrfach auf. Die Original-Handschrift der Klosterfrau existiert noch und sie befindet sich heute in der Berliner Staatsbibliothek. Weshalb es dann fast 400 Jahre dauerte, bis sich die Fasnet in Villingen vereinsmäßig zu­ sammenfand, darüber kann nur spekuliert wer­ den. Vermutlich bestand aber lange Zeit über­ haupt kein Interesse an einem geordneten Fast­ nachtsspektakel und zudem war die Fastnacht in Villingen, wie in vielen anderen Städten und Ge­ meinden auch, immerwieder strengen Vorschrif­ ten und auch Verboten durch die so genannte Obrigkeit unterworfen. Ein „Komitee“ organisiert die Umzüge Erst etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich erste Spuren eines in Ansätzen organisier­ ten fastnächtlichen Brauchtums für die Zähringer­ stadt nachweisen. Immer wieder mal tritt ein „Komitee“ zusammen, das für die damalige Zeit Narro m it M o rb ili beim „M a schgerelauf“. 10 0

Geschichte gewaltige Fastnachtsumzüge auf die Beine stellt. „Die Eröffnung des Suezkanals, verbunden mit einem orientalischen Maskenzug und Empfang asiatischer und europäischer Diplomaten“ , „Wal­ lensteins Lager“ , „Der Einzug des Schahs von Persien“ oder die „Reisen des Prinz von Wales in Indien“ lauteten die Titel der farbenprächtigen Züge durch die Stadt. Die eigentliche Geburtsstunde der Histori­ schen Narrozunft schlug aber erst 1882. Am 18. Februar, einem Fastnachtssamstag, erschien in dem Wochen- und Verkündigungsblatt für den Badischen Amtsbezirk Villingen „Der Schwarz­ wälder“ , folgende Anzeige: N a rro -V e rsa m m lu n g im „ F e ls e n “ S o n n ta g A b e n d p u n k t h a lb s ie b e n !! Daß A lle s k la p p t, d aß ja N ich ts fe h lt, A u f p ü n k tlic h e s E rscheinen zählt. Die N arro-Zunft. u n d V illin ge n . In diesen Anzeigen wird der Name Narrozunft zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Angesehene und meist wohlhabende Bürger fungieren als Gründungsmitglieder Richtig ernst mit der Vereinsgründung wurde es mit der „feierlichen Ansprache“ und der „Enthül­ lung der neuen Narro-Fahne“ auf dem Markt- platzam Fastnachtsmontag 1882. Dies siehtauch Albert Fischer (1874 -1952) so, langjähriger Zunft­ meister, Präsident der Vereinigung Schwäbisch- Alemannischer Narrenzünfte und Hobby-Histori­ ker der Narro-Zunft. 1922 verfasste er eine 100- seitige Broschüre mit dem Titel „Villinger Fast­ nacht von einst und heute“ , die er der Zunft zu ihrem 40. Jubiläum widmete. In seinem Vorwort erinnerte Fischer an diese Zeremonie 1882: „In beträchtlicher Zahl hatten sie sich eingefunden, all* die Narros jener Tage, und mit dem zu Pferde paradierenden Narrovater an der Spitze, beweg­ te sich unter allgemeinem Glockengeläute (Rol­ lenschütteln) der Zug durch die Niederestraße nach dem Marktplatz, wo zunächst der humor­ 10 2 volle Obernarro jener Tage, Fabrikant August Bracher, nach einer der Würde des Tages ent­ sprechenden Ansprache dem Narrovater (Singer, gen. „Nagler – Xaveri“ ) das neue Zunftbanner übergab. Auf seinem blinden Schimmel reitend, trug der Narrovater das neue Banner der Zunft an der Spitze der Narros durch die Straßen der Stadt, und Groß und Klein freute sich, daß durch die Gründung der Zunft der Fortbestand des al­ ters her beliebten Villinger Narros gesichert war.“ So weit Albert Fischer in seiner Jubiläums­ broschüre. Die erste Zunftfahne der Historischen Narro­ zunft ist heute noch im Original erhalten. Sie be­ findet sich als Dauerleihgabe in der Fastnachts­ abteilung des Villinger Franziskaner-Museums. Die Fahne ist nach einer fachmännischen Textil­ restauration in einem sehr guten Zustand. Die Gründungsmitglieder waren allesamt an­ gesehene und meist auch wohlhabende Bürger der Stadt. So befanden sich unter ihnen ein Fa­ brikant August Bracher der quasi als „Obernar­ ro“ so etwas wie der erste Zunftmeister war, ein Landwirt, ein Steinbildhauer, ein Wirt, ein Bäcker, ein Metzger, ein Schumacher, ein Schreiner, ein Maler, ein Uhrmacher oder ein Zimmermann. Ein Glanzpunkt im Gründungsjahr bildete übrigens die historische Darstellung der „Belagerung der Stadt durch Marschall Tallard“ . Auch in den Fol­ gejahren gab es immer wieder spektakuläre Um­ züge, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu­ nehmend militärische Themen nachstellten wie die Titel „Die deutsche Expedition in Ostafrika“ , „Die Völkerschlacht bei Leipzig“ oder „Die Tür­ ken vor Wien im Jahre 1683“ belegen. Strenge Auflagen für Umzüge Bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts hi­ nein betrachtete die Obrigkeit das Villinger Fast­ nachtstreiben immer noch mit viel Argwohn und gerade für die Umzüge erteilten die Behörden strenge Auflagen. 1911 wurde der Zunft z.B. fol­ gendes auferlegt, wie der heutige Zunftarchivar Hansjörg Fehrenbach, der die Vereinsgeschichte sehr umfangreich für das Jubiläumsjahr aufge­ arbeitet hat, herausfand: „Es ist dafür Sorge zu tragen, daß sich keine Mißstände zutragen; für

V illinger Fasnetimpressionen aus dem Jahr 1928. Großartige Ereignisse waren die traditionellen Umzüge aus Anlass der Kinderfasnet und am Fastnachtsdienstag, h ier „D e r alte Rom äusturm “ .

Geschichte diesen Fall behalten wir uns vor den Zug eventu­ ell polizeilich aufzulösen.“ Dass aber dennoch bei diesem Umzug etwas passierte, ist dem Sit­ zungsprotokoll vom )anuar 1912 zu entnehmen. Der Vorsitzende (entspricht dem heutigen 1. Zunftmeister) Benjamin Grüninger wurde aufs Großherzogliche Bezirksamt vorgeladen, um zu einer Beschwerdeschrift des Polizeiwachtmeis­ ters Stellung zu nehmen. In dieser Schrift ver­ langte der Polizist, den Narros künftig das Aus­ werfen zu verbieten. Begründung: „Dem Polizei­ wachtmeister ist im vorigen Jahr eine gefrorene Orange aufs Maul geworfen worden.“ Dank der Einsicht von einem Oberamtmann mit Namen Bauer kam es aber nicht zu einem Auswurfver­ bot, da es sich „beim Auswerfen um eine alther­ gebrachte Sitte“ handele, wie Vorsitzender Grü­ ninger nachhaltig versichern konnte. Der Zunft­ meister musste aber versprechen, in der nächs­ ten Sitzung den Narros zu untersagen, auf Per­ sonen mit voller Wucht zu werfen. Die erste „Narrozeitung“ erscheint 1912 gab die Zunft die erste „Narrozeitung“ he­ raus. Unter Leitung des späteren Zunftmeisters Albert Fischer hatte die „Pressekommission“ witzige Vorkommnisse während des Jahres in der Stadt aufgespürt und diese über die Zeitung in die Öffentlichkeit gebracht. Die „Narrozei­ tung“ erscheint bis zum heutigen Tag noch ein­ mal jährlich vor Fastnacht. Während in den An­ fangsjahren das Blatt 20 Pfennig kostete, müs­ sen heute dafür 1.50 Euro bezahlt werden. Der Erste Weltkrieg legte ab 1914 fast für sechs Jahre die organisierte Fasnet in Villingen lahm. Ganz untätig war die Narrozunft in dieser Zeit allerdings nicht, wie Hansjörg Fehrenbach zu berichten weiß. Die nicht zum Kriegsdienst eingezogenen älteren Mitglieder des „Verwal­ tungsrates“ (Vorstandes) schickten den an der Front eingesetzten Zunftmitgliedern 1915 ein so genanntes „Aschermittwochpaket“ , später folg­ te noch eine weitere wörtlich „Liebesgabe“ in Form von Paketen. Diese enthielten Tabak, Pfei­ fen, Zigarren, Zigaretten, Feuerzeuge, Zigaret­ tenetuis, Schokolade, Ölsardinen und als wich­ tigsten Bestandteil Narrobilder und Narro-An- sichtskarten, wie noch vorliegende Rechnungen belegen. Ab 1920 liefen wieder Umzüge, doch bereits zwei Jahre später ging es erneut bergab. Die w irt­ schaftliche Krise in Deutschland, die Inflation und nicht zuletzt die Besetzung des Ruhrgebie­ tes durch die Franzosen, bewirkten einen Erlass der Badischen Regierung zum vollständigen Fastnachtsverbot für das Jahr 1923.

Die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte gründet sich Aber bereits 1924 feierten die Villinger ihre Fast­ nacht größer und schöner denn je. Berichtet wird von einem regelrechten Aufschwung. Noch ein weiteres wichtiges Ereignis prägt das Jahr 1924: Am 16. November trafen sich im Gasthaus „Stifts­ keller“ 54 Vertreter aus zwölf Narrenzünften. Sie gründeten den Gauverband der Badischen und Württembergischen Narrenzünfte, den Vorläufer der heutigen Vereinigung Schwäbisch-Aleman­ nischer Narrenzünfte (VSAN). Seinen Sitz nahm der Verband in der Narrenstadt Villingen. Zum ersten Präsidenten wählte die Versammlung den Villinger Zunftmeister Benjamin Grüninger, zum KassierTheodor Glatz und zum Schriftführer Karl Hässler, beide ebenfalls Mitglieder des „Verwal­ tungsrates“ der Villinger Narrozunft. Durch den Zusammenschluss wollten sich die Vereine ge­ genüber der Regierung ein größeres Gewicht ver­ schaffen. Kurz vor der Fastnacht 1927 starb Zunftmeis­ ter Grüninger nach einem Schlaganfall. Seine Po­ sitionen als Zunftmeister bei der Narrozunft und auch als Präsident der Vereinigung der Schwä­ bisch-Alemannischen Narrenzünfte, übernahm der Oberlokomotivführer Albert Fischer, der sich vor allem auch einen Namen als Amateur-Brauch- 125 Jahre Historische Narrozunft Villingen 9inra * oiinii Gillingen. S n m sfo ci, bcn 12. 3 a n n a r 8■/> llf;r-flb en ö s 202 in bcr g efflia llc in ‘S iU in gcn ffiomnlrtiitn »uilttltn btt 26 imbiidicn unt icurtlcni‘ btroiirfitn Junitc in ita t Jtütorürficn Srntftl unb älorfübruno btt Jaitnnifiligt. bcäutbe btt timtlntn Stilntbinttgtncttn. m w l 4 M u s ikk ap ellen . eintrillstattEH Mt. 2.- Sctccrtnuf bei S. Micilsrtc, ISionebnuS, »itbttciit. 15. B A L L . S o n n t a g , beit 13. 3 a n a a t , nachm ittags 2 Uhr ©rejjtr hiftorilAcr ftefHuo btt bobiidien u. reütltembtraiiifien iHatttnjünilt in ihren uralten Irntfiltn. s Das erste Narrentreffen der Vereinigung S chw ä­ bisch-Alem annischer Narrenzünfte fand 192g in Vil­ lingen statt. tumsforscher machte. Eines seiner großen Pro­ jekte war das erste Narrentreffen der Vereini­ gung Badischer und Württembergischer Narren­ zünfte 1929 in Villingen, an dem sich 21 Fast­ nachtsvereine beteiligten. Flöhepunkt bildete ein großer Umzug durch die Stadt. „Riesige Men­ schenmengen sparten nicht mit Beifall, als der Umzug, angeführt von einer stattlichen Anzahl von AltvUlingerinnen, an ihnen vorbei zog“ , war danach in der Lokalpresse zu lesen. 1932 kam es für die Narrozunft zu einem ein­ maligen Vorgang in ihrer gesamten Vereinsge­ schichte: Die Villinger erhielten eine Einladung der Narrenzunft Bräunlingen, die ihr 40-jähriges Bestehen feierte. Und so gingen die Villinger am Mittag des Fastnachtsmontag zur „Schauspiel- Fastnacht“ nach Bräunlingen. Bis zum heutigen Tag wollten sie danach aber nie wieder an Fast­ nacht aus der Stadt, da es für die Villinger Fasnet selbst „einen zu starken Abbruch bedeutete“ , wie es in einer kritischen Nachbetrachtung hieß. Schon bald anfangs der i93oer-Jahre spürte auch die Zunft die Auswirkung der neuen NS-Re- gierung. Bestärkt durch den Willen des neu ge- Wuescht-Gruppe, ig2oer-Jahre. 105

Geschichte A ltvillingerinnen beim ersten N arren­ treffen a u f d e r Straße ü b erhaupt im Jahr 1929 a u f dem Münsterplatz. gründeten Trachtenvereins in Villingen, sollte die Altvillin- gerin als Begleiterin des Nar- ros von der Regierung in Karls­ ruhe verboten werden. Dies ver- anlasste Zunftmeister Albert Fi­ scher, einen Brief an den Ministerial­ rat im Kultusministerium, Dr. Eugen Fehrle zu verfassen. Fischerteilte Fehrle, den derVolks- kundler und Fastnachtsforscher Professor Wer­ ner Mezger als berüchtigten NS-Wissenschaftler bezeichnet, die Ansichten der Villinger Narro- zunft zum Thema Altvillingerin umfassend mit. Nach Zunftarchivar Flansjörg Fehrenbach muss­ te Albert Fischer in der Folgezeit, auch in seiner Eigenschaft als Präsident der Vereinigung, mit Fehrle (später Inhaber eines Lehrstuhles für Volkskunde an der Universität Heidelberg) nicht nur wegen der Villinger Tracht, sondern häufig auch wegen des Diktates der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ Schriftwechsel führen. Im­ mer mehr nahmen die braunen Machtha­ ber das Fastnachtsbrauchtum für die Ideologie des NS-Regimes in Beschlag. Einige Villinger Narros hatten schon frühzeitig keine Lust mehr an der Fastnacht. Bedingt durch die schlechten wirtschaftlichen Ver­ hältnisse oder auch durch an­ dere Gründe, die Zahl der Zunftmitglieder nahm rapide ab, die Teilnahme am Fast­ nachtsumzug 1934 ebenso. Treffend stellte der Bildhauer Robert Neukum (1882 – 1971) die Situation des Narros in der damaligen Zeit künstlerisch dar. DerMund einervon ihm geschaf­ fenen Surhebelscheme ist mit ei­ nem Vorhängeschloss versehen. Neukum wollte andeuten, dass es für den Narro besser war, nichts zu sagen als den Falschen zu „strählen“ (ihm die Meinung durch die Narrenbrille zu sagen). Landesweit fand der Villinger Narro aber weiterhin Beach­ tung, wie Zunftarchivar Hans- jörg Fehrenbach weiß. Die Zunft beteiligte sich 1934 mit mehreren Narrenfiguren an der „Landesfastnachts-Aus- stellung“ in Karlsruhe und zwei Jahre später, beim Rah­ menprogramm zu den Olympi­ schen Spielen in Berlin, bei einer großen Ausstellung im Historischen Muse­ um der Stadt München. Villingen erhält den Narro-Brunnen Zusätzlich zu den eigenen Fastnachtsveran­ staltungen (Umzüge an drei Tagen und Zunftbäl­ le) mit allen finanziellen Belastungen, schulter­ te die Narrozunft in den i93oer-Jahren den Be­ such sämtlicher Narrentreffen der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen war selbstverständlich. 1935 legten die Verantwortlichen für die Saalfast­ nachtfest, die so genannten Zunft­ bälle immer 14 Tage vor Fastnacht stattfinden zu lassen. Dieses Ge­ bot gilt bis zum heutigen Tag. Im Sommer 1937 erhielt Villingen seinen heute noch existierenden Narro-Brunnen (siehe Bild). Schöp­ fer der Brunnenfigur war der Holz­ bildhauer Eugen Merz, Vater des bekannten Schemenschnitzers Manfred Merz. Der für lange Jahre letzte Fast­ nachtsumzug 1939 hatte als Motto „Die Welt im Narrenspiegel“ . Ver­ anstaltet wurde der Zug gemeinsam mit den beiden anderen großen Vil­ linger Fastnachtsvereinen „Katzenmu­ sik“ und „Glonkigilde“ . Die Zunft erin­ Der Villinger Narro-Brunnen aus dem Jahr 1937.

nerte dabei mit einigen Gruppen an das Fast­ nachtsverbot von 1849. Eine Narro-Gruppe hat­ te Fensterflügel umgehängt und sie wollten zei­ gen, wie anno 1849 das Fastnachtsverbot um­ gangen wurde. Gnädigerweise sei damals von der Regierung die Erlaubnis erteilt worden, zum Fenster hinaus zu juchzen, erinnert Archivar Feh- renbach. Wenige Monate danach waren mit dem Aus­ bruch des Zweiten Weltkrieges die Fastnachts­ planungen für das nächste Jahr rasch beendet. Die letzte Aktion des Vorstandes 1940 bestand darin, pünktlich zu dem eigentlichen Fast­ nachtstermin jedem Mitglied, das bei derWehr- macht diente, ein kleines Päckchen zu schicken. Der genaue Inhalt ist nicht bekannt, jedoch drei Postkarten mit Narrobildern, eine alte Narren­ zeitung und ein an Fastnacht traditioneller „Bir- rewecke“ waren dabei. 122 Soldaten machten die Zunftverantwortlichen mit den Päckchen ei­ ne große Freude, wie aus den zahlreichen Dan­ kesschreiben zu entnehmen ist, die sich heute noch im Archiv der Zunft befinden. Fast jedes Mitglied hatte die Hoffnung, bereits im Jahr da­ rauf wieder in Villingen ins Narrohäs schlüpfen zu können. Doch das war eine Illusion, wie sich bald herausstellte. Der Krieg schlug erbar­ mungslos zu, auch in Villingen. Die Menschen hatten ganz andere Sorgen, als sich mit der Fast­ nacht zu beschäftigen. Wiedergründung nach dem Krieg Die Wiedergründungsversammlung der Narro­ zunft fand am 11. Januar 1947 statt. Bereits 1946 bemühten sich einige unbelastete Getreue unter Vorsitz von Albert Fischer „das Kind wieder auf die Beine zu bringen“ , wie aus dem Zunft-Jah­ resbericht von 1947 hervorgeht. Im Oktober 1947 folgte die Wiedergründung der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Sitz blieb Villingen, das Präsidentenamt übernahm nochmals Zunftmeister Albert Fischer. 1948 feierte Villingen erstmals wieder eine richtige Fastnacht mit Umzug. Aus Dankbarkeit für diese Möglichkeit überreichte Zunftmeister Fischer dem damaligen französischen Gouver- neurderStadtaufdem Münsterplatz ein Präsent 125 Jahre Historische Narrozunft Villingen Sie waren Z unftm eister der Narrozunft und Präsi­ denten der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte: 1. VSAN-Präsident Benjam in Grünin- g e r(i9 2 4 -1927 gest.) und 2. VSAN-Präsident A lbert Fischer (1927 -1952). der Narrozunft. 1949 übernahm Franz Kornwachs die Führung der Zunft von dem 75-jährigen Albert Fischer, der sich aus der Verantwortung zurück­ zog. 1950 erklang zum ersten Mal das Villinger Schunkellied „Wa trummiet au und bloset, wer macht au so än Krach…“ . Gesungen wurde es erstmals vom Zunftmeister Franz Kornwachs höchst persönlich. Er war es auch, der den Text schrieb und sein Bruder Karl Kornwachs kompo­ nierte für den fünfstrophigen, bis heute extrem populären Villinger „Fastnetschlager“ die Melo­ die. Von Kindesbeinen an eng m it der Fasnet vertraut: V illinger Narrensamen, verkleidet als A ltvillingerin- nen und Narro. 107

Geschichte Anfangder 1950er Jahre häuften sich die Nar­ rentreffen und die Villinger Zunft wurde jedes Jahr zu mehreren der so genannten Freund­ schaftstreffen eingeladen. Da in Villingen nach wie vorderSitz der Vereinigung Schwäbisch-Ale­ mannischer Narrenzünfte war, fiel eine Absage natürlich schwer. Gleichzeitig wurde die Zunft­ kasse durch die hohen Kosten für die zahlrei­ chen Teilnehmer an den Treffen in Radolfzell, Stockach und Rottenburg stark strapaziert. Und so stellte die Narrozunft Villingen bei der Verei­ nigung den Antrag, nur noch alle fünf Jahre ein Narrentreffen abzuhalten. Beschlossen wurde ein Vierjahres-Rhythmus. Erste Stimmen wurden zwei Jahre später innerhalb des Rates laut, die Zunft solle aus der Vereinigung austreten – „wir machen unsere Fastnacht in Villingen und wer uns sehen will, der soll hierher kommen“ , hieß es immer wieder (eine Ansicht, die übrigens bis heute unstrittig ist). Nach internen Streitigkeiten schloss die Zunft 1955 den 2. Zunftmeister und Präsidenten der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Nar­ renzünfte, Weibert Zehnder (er hatte 1952 die Nachfolge von Albert Fischer als Präsident ange­ treten), aus dem Verein aus. Die Unstimmigkei­ ten endeten 1955 mit dem Austritt der Villinger Narrozunft aus der Vereinigung. Die Villinger folgten mit ihrem Schritt den Traditionsvereinen aus Rottweil, Oberndorf, Elzach und Überlingen, die ebenfalls die Vereinigung verließen. Seit die­ ser Zeit nimmt die Villinger Narrozunft auf kei­ nem Narrentreffen mehr teil. Aus den ganzen Tur­ bulenzen ging Franz Kornwachs als Zunftmeister gestärkt für die nächsten Jahre hervor. Brauchtumsausschuss entsteht Bis 1972 blieb Franz Kornwachs an der Spitze des Vereins. Nach 23 Jahren gab er sein Amt ab, Nachfolger wurde Arnulf Wunderlich. 1974 grün­ dete die Zunft auf Anregung von Zunftrat Man­ fred Merz den Brauchtumsausschuss, der sich selbst so einordnete: Brauchtumspflege ist Ge­ staltung und Erhaltung der historischen Villinger Fasnet, aber auch Abwehr, wenn nötig auch Ab­ bau fremder und schlechter Einflüsse bei Dar­ stellung und Ablauf unserer Fasnet. Der Brauch­ 10 8 tumsausschuss gilt noch heute neben dem ei­ gentlichen Zunftrat als wichtigster Kreis inner­ halb des Vereins. Der Ausschuss zeichnet unter anderem für regelmäßige Zusammenkünfte mit Häsmalern und Schemenschnitzern oder für die Kontrollen von Häs und Scheme am Fastnachts­ montag beim Umzug verantwortlich. Nach nurdrei Jahren an der Spitze trat Zunft­ meister Arnulf Wunderlich kurz nach der Gene­ ralversammlung 1975 zurück. Bei dieser Ver­ sammlung versuchte Wunderlich die Mitglieder dazu zu bewegen, bei dem achtTage vor der Fast­ nacht stattfindenden Ringtreffen der Vereini­ gung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte in Schwenningen teilzunehmen. Nachdem sich der gesamte Rat der Zunft und 75 Prozent der an­ wesenden Mitglieder dagegen aussprachen, entschloss sich ArnulfWunderlich zum Rücktritt. Neuer 1. Zunftmeister wurde Christian Fluonker, der als Vater des 1976 ins Leben gerufenen Maschgerelaufes gilt. Der Lauf, der aktuell am frühen Nachmittag des Fasnetmontag durch die Obere Straße und die Rietstraße führt und als reine Brauchtumsveranstaltung konzipiert ist, zieht jährlich viele tausend Zuschauer an, die sich alle an dem Vorbeimarsch der historischen Villinger Narrenfiguren erfreuen. Zunftstube im Romäusturm Ebenfalls auf Anregung von Christian Huonker begann im Frühjahr 1976 der Ausbau der ehe­ maligen Stadtküche neben dem Romäusturm zur Zunftstube. Viele Mitglieder halfen mit, um die Baumaßnahmen in nurfünfMonaten abzuschlie­ ßen. Die Zunftstube ist jeden Freitagabend und SamstagvormittagTreffpunkt fürdie Freunde der Fastnacht, die Sitzungen des Zunftrates und die Zusammenkünfte der verschiedenen Ausschüs­ se finden ebenfalls regelmäßig in den Räumen statt. Einige Jahre später genehmigte die Stif­ tungsverwaltung des Spitalfonds als Besitzer auch die Nutzung der Räume im nahen Elisa­ bethenturm, einem Wachturm aus dem 15. Jahr­ hundert. Dort fand das Archiv der Narrozunft VillingerFasnet-Im pressionen: Narrovater, Wuescht beim Fasnetverbrennen und M o rb iti beim Strählen.

Geschichte eine Bleibe. Zuletzt baute die Zunft den früheren Vorratskeller des Spitals aus, in dem vielerlei Veranstaltungen des Vereins in uriger Atmos­ phäre stattfinden. In den i97oer-Jahren wurde die Historische Narrozunft immer begehrter und schon bald be­ grüßte der Zunftmeister das 2000. Mitglied. 1977 fand das erste große Sommerfest im Spitalgar­ ten nahe dem Franziskanermuseum statt. Seit­ her steht das Sommerfest alljährlich im Juli im Terminkalender. Das Fest ist bei den Villingern sehr beliebt. Dies beweisen große Besucher­ zahlen eindrucksvoll. 1991: Die „ausgefallene“ Fastnacht 1989 gab Christian Huonker nach über 13 Jahren als 1. Zunftmeister sein Amt an seinen Stellver­ treter Karl-Heinz Fischer ab. Im Jahr darauf fiel erstmals seit Menschengedenken ein Fastnachts­ umzugwegen schlechten Wetters aus. Der Orkan „Vivian“ wütete und so sagte die Zuggesell­ schaft auf Anraten der Polizei kurzfristig den großen Umzug am Fastnachtsdienstag ab. 1991 machte der Krieg im Irak den Narren einen Strich durch die Rechnung und die Villinger Vereine ver­ zichteten – wie fast alle Karnevalsvereine im Rheinland und die Narrenverbände im Südwes- 110 Die Wuescht beim Umzug, durchs Obere Tor g e h t es hinein in die Stadt. ten – auf die Fastnacht. Schwe­ ren Herzens entschieden sich die Vorstände der Villinger Fast­ nachtsvereine nach längerer Diskussion keine Bälle und kei­ ne Umzüge zu veranstalten. Die Realität sah aber an den Fast­ nachtstagen in Villingen völlig anders aus. Bereits am Montag­ morgen formierte sich zur ge­ wohnten Zeit ein kleiner Fast­ nachtszug. Teilweise kamen die Teilnehmer im kompletten Nar- renhäs, andere trugen Zivil mit närrischen Abzeichen an der Brust und wieder andere kamen in diversen Ver­ kleidungen. Dass in der Stadt trotz abgesagter Fasnet etwas geboten war, sprach sich schnell herum und am Dienstagnachmittag gab es ganz ohne Organisation einen großen bunten Umzug, der einen besonderen Stellenwert besitzt. 1995 schied Karl-Heinz Fischer aus berufli­ chen Gründen aus seinem Zunftmeisteramt. Zum Nachfolger wählte die Generalversammlung Klaus Hässler. Auch er hatte bald knifflige Pro­ bleme zu lösen. Vor allem als der Katzenmusik­ verein „M iau“ zu seinem 125. Jubiläum 1997 von der Zuggesellschaft genehmigt bekam, den großen Umzug am Fastnachtsdienstag anzu­ führen, was bis dahin traditionell das Privileg der Narrozunft war. Die Zunft mutmaßte, künftig könne bei jedem Jubiläum der anderen Narren­ vereine in der Stadt solch ein Antragzu ihren Un­ gunsten wiederholt werden und sie entschied sich, einen eigenen Umzugbereits um 12 Uhram Dienstagdurchzuführen. Nach einstündiger Pau­ se folgte dann der Umzug der anderen Vereine. Nach längerer Planung eröffnete im Januar 2000 das Villinger Franziskanermuseum eine at­ traktive Fastnachtabteilung. Die Narrozunft steu­ erte interessante Exponate bei, wie zum Beispiel die wertvolle Schemen-Sammlung und die be­ reits erwähnte Originalfahne aus dem Grün­ dungsjahr 1882.

Dass ein so wichtiger Verein entsprechende Öffentlichkeit braucht, schlägt sich auch im In­ ternetnieder, wo die Zunft seit 2001 mit einer ei­ genen Webseite vertreten ist. Rund 50 000 Zu­ griffe innerhalb von vier Jahren zeugen von großem Interesse an der Webadresse www.nar­ rozunft.de. Weit über die Grenzen der Stadt hinaus fand 2003 die Ausstellung „Häser, Kleidle, Rollen und Gschell – Weißnarren im schwäbisch-alemanni­ schen Raum“ Beachtung, durchgeführt in Zu­ sammenarbeit mit und in dem Villinger Franzis­ kanermuseum. Gemeinsam mit den Narrenzünf­ ten aus Bad Dürrheim, Bräunlingen, Donauesch- ingen, Geisingen, Hüfingen, Möhringen, Obern­ dorf, Rottenburg, Rottweil, Schömberg, Schram­ berg und Schwenningen zeigte die Schau die un­ terschiedliche Art der Bemalung auf den Leinen- häsern und Kleidle sowie die verschiedenen Gschell- und Rollenarten. Nach zehnjähriger Amtszeit als erster Zunft­ meister gab Klaus Hässler 2005 das Amt an den knapp 40-jährigen Joachim Wöhrleweiter. Schon in den Jahren davor gab es einen sanften Gene­ 125 Jahre Historische Narrozunft Villingen rationswechsel im rund 30-köpfigen Zunftrat. Nach und nach wurden jüngere Zunfträte in die Verantwortung genommen, sodass die Vereins­ spitze heute aus einer gesunden Mischung aus erfahrenen und Leuten mit vielen neuen Ideen besteht, welche die Historische Narrozunft Vil­ lingen in das Jubiläumsjahr 2006 führen. Eine große Schemen- und Maskenausstellung, an der sich wieder zahlreiche Narrenvereine aus dem schwäbisch-alemannischen Raum beteiligen, ein Vortragsabend mit dem Brauchtumsforscher Professor Werner Mezger, ein besonderer Fest­ ball und zahlreiche weitere Veranstaltungen sind die öffentlichen Zeichen des 125-jährigen Beste­ hens. Zudem erscheint ein reich bebildertes Buch der historischen Fasnet. Die Historische Narrozunft ist ein Großverein mit zwischenzeitlich über 3 500 Mitgliedern, der sich mitmodernerOrganisations- und Führungs­ strukturen dem Erhalt des überlieferten Fast­ nachts-Brauchtums mit voller Kraft und Leiden­ schaft widmet. D ie te r W acker Butzesel m it Treibern.

Geschichte Das Uhrengewerbe im Spiegel volkstümlicher Bilder Die klassischen Schw arzw älder U hrm acherm eister arbeiteten in kleinen Räumen In einem französischen Bericht über die Villinger Industrie-Ausstellung von 1858 versucht der Verfasser in der Einleitung einige Missverständnisse und Vorurteile anzu­ sprechen, die damals in Frankreich gegenüber dem Schwarzwald verbreitet waren. So sei dieses Bergland keineswegs ein Tummelplatz für Räuberbanden, wie Theaterstücke suggerieren, und auch der gute Rat im Refrain eines bekannten Liedes, bloß nicht dort­ hin zu gehen, sei völlig u nberechtigt.1 Im Gegenteil, auch wenn es ein Höllental (Val d’Enfer) gibt, der Schwarzwald ist ein reizvolles Gebirge mit fleißigen Bewohnern, die sich intensiv mit Uhrmacherei und Strohflechten befassen. Dieser Verfasser liefert einen interessanten Reisebericht mit zusätzlichen Informationen über die Wirtschaft, wobei allerdings auch er alle aus dem Schwarzwald stammenden Uhren unter dem Oberbegriff „Coucous“ zusammenfasst, ob­ wohl etwa nur jede 100. nach Frankreich gelie­ ferte Uhr tatsächlich eine Kuckucksuhr war! Zu diesem Beitrag hat Gustave Jundt, damals ein bekannter Illustrator, eine Bildkomposition ge­ staltet, die eine Werkstatt, einen wandernden Uhrenhändler und ein sonntägliches Tanzver­ gnügen zeigt (Abb.i). Eine Montage bekannter Motive Da man es damals mit Urheberrechten nicht so genau nahm, baute er sein Bild aus verschiede­ nen vorher schon bekannten Motiven zusam­ men. Das (farbige) Original für den oberen Teil von Jundts Darstellung findet man erstmals in ei­ nem Bildband von Aloys Schreiber mit dem Titel „Trachten, Volksfeste und charakteristische Be­ schäftigungen im Großherzogtum Baden“ , der 1823 in Freiburg erschienen war. Diese Neustäd­ ter Musikuhrmacher-Werkstatt hat ursprünglich Christian Meichelt nach einer Vorlage von K. Voll- mar in Aquatinta Manier gestaltet, also in einem 112 Reproduktionsverfahren, das farbige Kupfersti­ che wie Tusch- oder Sepiazeichnungen ausse- hen lässt. Es gibt keine Abbildung des Schwarzwälder Uhrengewerbes, die so häufig publiziert worden ist wie Meichelts Neustädter Werkstatt. Biswei­ len wurde das Bild leicht abgewandelt, so konn­ te etwa aus dem Strohzylinder der Schwarzwäl- derin die Schwenninger Kappe werden, relativ häufig hat man auch die Seiten vertauscht. Doch fast zwei Jahrhunderte hindurch prägte dieses Bild im In- und Ausland die Vorstellungen von der alten Schwarzwälder Uhrmacherei. Typisch für das Gewerbe war diese Abbildung jedoch nie, denn hier arbeiten in zwei hohen Räumen im­ merhin sechs Personen. So vermerkt auch der Reiseführer von Fleunisch 1837: „… eigene Werk­ stätten sind nur bei den Spieluhrmachern vor­ handen.“ Die zuverlässige Statistik von 1841/1843 ver­ zeichnet 28 selbständige Spieluhrmacher ge­ genüber 886 sonstigen Uhrmachern, das ent­ spricht einer Relation von 1:32. Schwarzwälder Meister arbeiteten in kleinen und kleinsten Räu­ men, oft in den Wohnstuben, und sie fertigten billige Wanduhren mit Gewichtsantrieb und kei­ ne teueren Musikuhren. Doch ein Hersteller von Schottenwerken im niederen Zimmer präsentiert

Das Uhrengewerbe im Spiegel volkstümlicher Bilder Abb. i B ildkom position aus bekannten Motiven, Holzstich. Zusam m engestellt von Gustave Jundt (1830 – 1884). Aus einem französischen Beitrag über die V illinger Industrie-Ausstellung 1858. Später auch von einer deutschen Zeitschrift übernommen. 113

Geschichte sich nicht so dekorativ wie der genannte Neu­ städter Betrieb. Auch wenn Abb. 2 für den Schwarzwald be­ ansprucht wird, es handelt sich um einen säch­ sischen Dorfuhrmacher: Dieser Reparatur-Hand­ werker, erkennbar an den Taschenuhren im Wandschrank und an den fertigen Uhren an der Wand, wurde jedoch bereits vom Lahrer „H in­ kenden Boten“ von 1862 zum „Schwarzwälder 114 Abb. 2 Uhrm acher bei der Repara­ tu r einer Lackschilduhr. Veröffent­ lic h t 1857 in einem Jugendkalender m it der Unterschrift „D o rf-U h rm a ­ cher“. Der Künstler, Wilhelm Hahn (182g -1887) stam m te aus der Lau­ sitz. Hat in Dresden studiert, lebte sp ä ter in D ü sseldorf u nd starb in Dresden. Doch im „H inkenden Bo­ te n “ aus dem Jahr 1862 w ird aus dem Sachsen ein Schwarzwälder. Uhrmacher“ umgewandelt, und eine Reihe von Autoren folgte dieser Auslegung.2 Der klassi­ sche Schwarzwälder Hausge- werbler war jedoch Produktions­ handwerker, er stellte Uhrwerke her. Die Schilder hat dann der auswärtige Händler je nach Kun­ denwunsch angebracht. DieWerk- statteinrichtung hingegen könn­ te auch im Schwarzwald gestanden haben. Abb. 3 wurde in die Bilderfolge aufgenom­ men, weil sie ein Beleg ist für die Zeit, als die Lackschilduhr sich so stark auf Europas Märkten durchgesetzt hatte, dass eine Reihe örtlicher Produktionszentren nicht mehr mithalten konn­ te. In den ersten beiden Auflagen dieses Buches ist nur eine einzelne Gewichtsuhr abgebildet, in der dritten Auflage von 1835 hängt eine ganze Werkstatt voll mit Schwarzwald­ uhren. Doch die didaktische Ziel­ setzung wird trotzdem deutlich, denn der Lernende erkennt auf dem Bild zusätzlich eineTurmuhr samt den dafür notwendigen großen Zahnrädern, ebenso eine Abb. 3 Städtische Uhrm acherwerk­ sta tt m it vielen Lackschilduhren. Lithographie. Aus einem m ehrspra­ chig abgefassten Lehrbuch von Eberhard Gailer: Neuer Orbis pic- tus fü r die Jugend, 3. Aufl., Reutlin­ gen 1835.

Sanduhr und verschiedene Sonnenuhren. 3 Auch in den Fibeln der Zeit tritt zur Erläuterung des Buchstabens „U “ wie Uhr zunehmend die Lack­ schilduhr in Erscheinung. Abb. 4 stammt aus einer Zeit, als die letzten hausgewerblichen Uhrmacher nur noch existie­ ren konnten, wenn sie industriell vorgefertigte Bauteile eingebaut haben. Während früher jeder Uhrmacher seinen eigenen Rädersatz beim Gießer liegen hatte und das Verzahnen der Roh­ linge hochgeschätzte „echte“ Uhrmacherarbeit war, haben jetzt Bestandteilfabriken, besonders in Triberg und Furtwangen, vorgezahnte und standardisierte Räder in großen Stückzahlen be­ reitgestellt. So hat denn die Maschine erreicht, was Belehrung nicht vermochte, die Verwendung einheitlicher Zahnradformen bei bestimmten Uhrentypen, schreibt Schott im Begleitheft zur Wiener Weltausstellung 1873. Karl Gustav Fleine aus Furtwangen liefert realistische Bilder vom Alltagsleben Realistische Bilder vom Schwarzwälder Gewer­ beleben verdanken wir Karl Gustav Heine (Abb. 5). Er stammte aus einer Schildmalerfamilie, deswegen waren ihm die Arbeitsgänge gut be­ kannt. Der Mann im Hintergrund verwendet of­ fenbar eine Schablone für das Zifferblatt, die Frau am Arbeitstisch malt freihändig. Die Schild­ maler waren im Übrigen, neben einigen Spezia­ listen für Kuckucksuhren, die einzigen Gewerb- leralterArt, dieauch um 1900 noch ihr Auskom­ men fanden, denn Uhrenfabriken haben zwar die Gehäuseproduktion in eigener Regie durchge­ führt, nicht aber die Schildmalerei. Wenn auch mengenmäßig eingeschränkt, die Lackschilduhr blieb bis 1914 gängiger Handelsartikel. Stärker als die Uhrmacher in der Werkstatt erregten die ambulanten Schwarzwälder Uhren­ händler das Interesse von Öffentlichkeit und Künstlern. Die früheste dem Verfasser bekannte Abbildung eines Holzuhrenhändlers stammt 1751 aus Zürich, wahrscheinlich ist es ein Schweizer, der Waaguhren mit Stunden- und Viertelstunden-Zifferblatt feilgeboten hat (Abb. 6). Auch für den Schwarzwald, kann die Bildun­ terschrift gelten: „Die Wahr ist gut, obschon von Das Uhrengewerbe im Spiegel volkstümlicher Bilder Abb. 4 W erkstattbild aus dem Jahre 1895. „U h rm a ­ cher beim Zusam m ensetzen“ . Farbdruck. S igniert Fritz Reiss (1857 -1916). Holz, es kommt nicht an auf kostbarn Stolz.“ Holzräderuhren wurden im 18. Jahrhundert in vielen Gegenden Mitteleuropas gefertigt – übrigens bis in die i83oer-Jahre hinein auch in den USA – aber nur den Schwarzwäldern ist es gelungen, die Entwicklungvon der Waaguhr über die Uhr mit Vorderpendel bis zum Ankergang er­ folgreich durchzustehen. Damit war produkti­ onstechnisch die Grundlage geschaffen, auf der die aktiven Uhrenhändleraufbauen konnten. Sie haben, bisweilen als Einzelne, meist aber orga­ nisiert in kleinen „Compagnien“ , Europa und manche überseeischen Gebiete mit dem Netz ih­ rer Verkaufsbezirke überzogen. Solange der Einzelhandel in Ladengeschäf­ ten noch unterentwickelt ist, müssen ambulante Händler die Versorgung der Bevölkerung in Stadt und Land übernehmen. Wer wissen will, wer da- 115

Geschichte mals alles auf den Straßen herum lief, brüllte und gestikulierte, findet unter dem Stichwort „Kauf­ rufe“ eine Reihe von Veröffentlichungen mit vie­ len Bildern. Uhrenhändler tauchen auf bei den Kaufrufen von Zürich (1751), Nürnberg (1797), Wien (1810), Hamburg (1812) oder Paris (1822).^ Bei der Anbahnung von Verkäufen hatten die Händler nur zwei Musteruhren dabei Die Künstler der damaligen Zeit beobachteten genau (Abb. 7): Bei der Anbahnung von Verkäu­ fen hatten die Händlernurzwei Musteruhren da­ bei, eine vorne und eine hinten, und bei der vor­ deren nutzten sie zur Erregung von Aufmerk­ samkeit auch den Schlag der Glocke. Mit vielen Uhren behängte Händler gehören ins Reich spä­ 116 Abb. 5 Blick in die Werkstatt Schwarzwälder U hrenschild­ maler. Realistische D arstel­ lung. Holzstich nach einer Ori­ ginalzeichnung von Karl Gus­ tav Heine, geb. 1855 in Furt- wangen. Ende 19. Jahrhundert. terer Phantasie (Abb. 8). Es gab den Uhrenmacher, der seine im Winter gefertigten Uhren in den Sommermona­ ten selbst im Umland ver­ hökert hat, aber das war eher eine Kümmerform des Gewerbes. Als gängige Praxis galt, größere Partien, Uhrwerke und Schilder, getrennt in große Kisten verpackt, direkt an den Hauptort der jeweili­ gen Händler zu schicken. Der Wert solch einer Sendung lag bei 800 bis 1200 Gulden, das entsprach vier bis sechs lahreslöhnen eines Hand­ werksgesellen. Diese großen Lieferungen bildeten den zentralen Lagerbestand der auswärtigen Händler, von dem sie dann wiederum ein Sortiment ausge­ sucht haben, um es auf örtlichen Jahrmärkten anzubieten, aber wetterfest verpackt mussten diese Uhren sein. Einen wandernden Händler, der seine Uhren ungeschützt außen am Gestell befestigt hatte, traf damals wohl kaum jemand an. Doch bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts wird diese Art der Darstellung üblich, ein rastender Uhrenhändler mit ausgepackten bunten Lackschilduhren, umgeben von Trach­ tenmädchen in romantischer Landschaft, das entspricht ästhetischen wie heimatkundlichen Vorstellungen. Im späten 19. Jahrhundert, wohl auch unter dem steigenden Einfluss der Werbung für den Fremdenverkehr, präsentieren auf den Abbil­ dungen die Händler ihre Produkte stets offen und ungeschützt, selbst wenn sie auf schmalen

Waldwegen ge­ hen. Doch in die­ sem Zusammen­ hang noch ein weiterer Hinweis. Die Art, Lasten auf dem Rücken in „Krätzen“ zu befördern, war damals gängige Praxis. Die meis­ ten erhalten ge­ bliebenen Trage­ gestellehaben al­ so nicht Händler auf Pfaden ins ferne „Uhren­ land“ begleitet, sondern dienten dazu – um beim Gewerbe zu blei­ ben – Uhrenschil­ der zum Schild­ maler zu bringen Ka u e f e t g b t e ü h r e s V i v w a h r t / l g i l t . o b f c h o t i v o n d C o h , fs ko m tn ich t a n aufko/B arndtoiz, Abb. 6 Sehr frühe A bbildung eines Holzuhrenhändlers, w ohl ein Schweizer. Kupfer­ stich, altkoloriert. Aus: Herrli- berger, David, – Zürcherische Ausrufbilder, Band 3, Nr. 112, Zürich 1751. oder fertige Uhrwerke zum „Packer“ . Schwarzwälder Uhrenhändler haben alte und neue Kunden ihres Verkaufsbezirks regel­ mäßig besucht, auch Raten einkassiert, denn eine Schwarzwalduhr galt damals als „große“ Anschaffung, die man meist nicht voll in bar bezahlt hat. Der Kunde konnte darauf vertrauen, dass seine Uhr im Notfall repariert wurde, und der Händler freute sich, wenn er für die eine oder andere technische Handreichung im Haushalt unentgeltlich eine Mahlzeit bekam. Robert Gerwig, der erste Direktor der Uhrmacherschule, musste sich mit Schülern herumärgern, die nach ei­ nem jahr Schulbesuch, sich bereits zugetraut haben, in England gutes Geld mit Reparaturen von Taschenuhren zu ver­ Abb. 7 Eines von 100 Blättern aus den „C ris de Pa­ r is “ (Pariser Kaufrufe) von 1820/1822. A ltkolorier­ te Lithographie von Carle Vernet (1758 -1826). Der Künstler war bekannt fü r seine Pferde- undSchlach tenbilder. Das Uhrengewerbe im Spiegel volkstümlicher Bilder dienen. Auch der Uhrmacher von Abb. 9 hatte of­ fenbar diese Qualifikation. Üblich auf vielen Dar­ stellungen ist es, den Fachmann umlagertvon in­ teressierten Familienmitgliedern abzubilden, als Eigenwilligkeit dieses Künstlers muss gelten, dass die im Vordergrund rechts liegenden Uhren eigentlich ins 18. Jahrhundert gehören. Wer in einer „versie­ gelten“ Landschaft lebt, kann sich kaum mehr vorstellen, welche Rolle der Staub im täglichen Leben gespielt hat. Es ist also kein Gag, son­ dern Notwendigkeit, dass das Uhrwerk erst mit Hilfe eines Blase­ balgs „freigelegt“ wer­ den muss (Abb. 10). Abb. 8 Schwarzwälder Uhren­ händler. Teil einer Bilderfolge „Costum es B a d o is“ . ü ber Holzstich nach einer Zeich­ nung von M. Gerlier, geb. 1826. Auch veröffentlicht im B ildband zu r Pariser Weltaus­ Schwarzwalduhren waren robuste Zeitmes­ ser, so haben etwa die Laternenbetriebe be­ wirkt, dass Schmutz nach unten herausfallen konnte. In welchem Um­ fang einfache Wartungs- aufgaben damals auch von Laien wahrgenom­ men wurden, belegt Abb. 11. Federkiel und ein Fläsch­ chen mit Öl haben offenbar in vielen Fällen ausgereicht, eine stehen geblie­ bene Uhrwiederin Gangzu set­ zen. Im Übrigen fällt auf, wie oft Ver­ gleiche mit der Medizin bei den Bildunterschriften auftauchen. Bei Abb. 9 wird vom „Uhrendoktor“ ge­ sprochen, bei Abb. 10 heißt es „doc- toring old tim e“ und bei Abb. 11 „Die stellung 1867. kranke Uhr“ . Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehört die Schwarzwälder Uhr auch bei ärmeren Familien zum Hausrat und bleibtvorden Risiken des Alltags nicht verschont. Porzellan zerbricht, Uhren können herunterfallen. In Abb. 12 ist ein

G eschichte alter Mann betroffen, auf einer anderen Darstel­ lung ein vorwitziger junge. Man findet auch Bil­ der, auf denen Hausherr und Dienstmagd ver­ blüfft auf das herausquellende Räderwerk star­ ren, und bei Wilhelm Busch hat der Unglücksra­ be Huckebein bei seinem vorletzten Streich ganz nebenbei noch eine Wanduhr ruiniert. Ergiebig, aber auch langwierig ist die Aus­ wertung von illustrierten Familienzeitschriften, die in Deutschland nach 1850 aufkamen, im Jahr 1853 „Illustrierte Welt“ und „Gartenlaube“ , 1859 118 Abb. 9 Zusätzli­ cher Service für den Kunden: Ein am bulanter Uhrenhändler, der auch etwas von Taschenuhren versteht. Gemälde von G. Hoesch, Stahlstich von C. Strunz. Ge­ druckt in Triest, um 1860. „Über Land und Meer“ und 1864 „Daheim“ . Bei den Abbildungen handelt es sich meist um Holz­ stiche. Dieses Verfahren erlaubte den gleichzei­ tigen Druck von Text und Illustration, während andere Reproduktionsverfahren – etwa Kupfer­ stich-Lithographie oder Stahlstich – getrennte Arbeitsgänge forderten. Erhöht wird die Chance, auf Bildmotive zur Schwarzwälder Uhrmacherei zu stoßen, durch den Umstand, dass Szenen aus dem täglichen Leben damals von vielen Künstlern favorisiert wurden. Die Genremalerei, die lange im Schatten stand von anderen Malereigattungen – Historie, Portrait, Landschaft oder Stillleben – entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einer selbständigen Disziplin. Das Schwarzwälder Hausgewerbe passte ins Konzept einer Reihe Abb. 10 K om plim ent an die robuste Schwarzwalduhr. London 1877. Holzstich nach einem Gemälde von Henry Benjamin Roberts (1831 -1915).

von Künstlern, es hatte sich – so glaubte man je­ denfalls – ohne äußere Hilfe aus dem Volk her­ aus entwickelt, wurde in dörflicher Umgebung praktiziert und fertigte Produkte, die in den Stu­ ben des Volkes heimisch werden konnten. Es gibt kaum eine Veröffentlichung über Schwarzwälder Uhren oder Schwarzwälder Uhr­ macherei, bei der nicht auch auf Gebrauchsgra­ phik zurückgegriffen wird, allerdings ohne bei der Auswahl der Bilder die gleiche Sorgfalt an­ zuwenden, wie sie bei den gleichfalls abgebil­ deten Uhren als selbstverständlich gilt. Man fin­ det häufig falsche Datierungen, und auch frühe­ re Bildunterschriften werden ungeprüft über­ nommen. Wer darauf achtet, kann einen wan­ dernden Uhrenhändler finden, vor dessen Beine schwere Gewichte baumeln, oder einen anderen, so mit Uhren behängt, dass er sich kaum mehr regen kann. NichtimmeristdasGeflechtausver- sucht realistischer Darstellung, unbewusst ideo­ logischer Zielsetzung und künstlerischer Freiheit Das U h re n g e w e rb e im S p ieg e l v o lks tü m lich e r Bilder leicht zu durchschauen. Trotz der gewählten Überschrift, Bilder spiegeln bisweilen auch ver­ zerrt die Wirklichkeit.5 H e lm u t K a h le rt Anmerkungen 1 Roger, Paul – Exposition de l’industrie de la Forêt-Noi­ re, ouverte a Villingen le 22 août. Zeitschrift unbekannt, 1858. Der genannte Liedvers lautet: Amis, si vous vou­ lez m’en croire, N’allez pas dans la Forêt-Noire! 2 Roquette, Otto/Bürkner, Hugo – Deutscher Jugend­ kalender 1858, Leipzig 1857. 3 Orbis pictus (Die Welt in Bildern), ein von Comenius bereits 1658 geschaffenes belehrendes Bilderbuch, dessen Konzept häufig aufgegriffen und an die jeweili­ ge Zeit angepasst wurde. Im Jahre 1835 erfahren also die Jugendlichen, wie weit verbreitet die Lackschilduhr tatsächlich ist. 4 Vgl. Beall, Karen F. – Kaufrufe und Straßenhändler, Hamburg 1975. 5 Gaehtgens, Barbara (Hrsg.) – Genremalerei, Berlin 2002, S. 13. Abb. 11 Ein häufiges Sujet der Genremalerei: der erfahrene Alte und der interessierte Junge. Gemälde von Otto Piltz (1846 -1910) aus dem Jahre 1877. Holzschnitt von Johann W eixlgärtner (1846 -1892). Die Heimat, um 1890. Abb. 12 Hängt an der Wand, m acht Tic-Tac – u n d wenn sie run te r fällt, ist die Uhr kaputt. Auch das Thema M alhe u r m it Uhren haben Künstler gern aufgegriffen. Holzstich nach einem Gemälde von Wilhelm Ernst Rogge (1829 -1908), um 1885. 119

G eschichte Die Nebenbahn von Marbach (Baden) nach Bad Dürrheim Bereits ab den i95oer-Jahren war die Rentabilität nicht mehr gegeben Dass einstmals das Pfeifen von Dampflokomo­ tiven im Kurort Bad DUrrheim zu hören war, ist heute nur noch Geschichte. Von der 5,37 km lan­ gen ehemaligen Nebenbahn Marbach (Baden) nach Bad Dürrheim finden sich heute kaum noch Spuren, nachdem diese vor 40 Jahren abgebaut worden ist. 62 Jahre lang, von 1904 bis 1966 hatte die Stadt einen eigenen Bahnanschluss. Noch An­ fang des 19. Jahrhunderts war das Dorf Dürrheim verkehrsmäßig ohne jede Bedeutung: Nach einer Karte von 1798 gab es von hier aus nur lokale Wege nach Kirchdorf, Villingen und Schwenningen. Nach dem Übergang Dürrheims an Baden im Jahre 1806 wurden Bohrungen nach Salz 1822 fündig und der Staat errichtete die Ludwigssaline. Fürdie Regierungdesständigan Salzmangel leidenden Groß­ herzogtums war der Solefund Eine Dam pflok bei der Saline Bad Dürrhelm, ipsoer-Jahre. von außerordentlicher Bedeutung. 1851 richtete man die ersten Badezellen ein, mit dem Bau ei­ nes Kindersolbades 1879 begann der Aufstieg zum modernen Badeort und die verkehrsmäßige Erschließung wurde notwendig. 1904 fuhr die erste Eisenbahn Auf zwei Eingaben der Gemeinde Dürrheim aus den Jahren 1890 und 1899 befürwortete die Großherzogliche Generaldirektion der Staatsei­ senbahnen vor diesem Hintergrund im Jahre 1901 den Bau einer normalspurigen Nebenbahn Marbach-Dürrheim, die Genehmigung für Bau und Betrieb wurde durch Gesetz vom 30. Juni 1902 erteilt und im Staatshaushalt 1902 und

Bad Dürrheim, höchstgelegenes Solbad Europa’s. Total uon Westen. Die N eb enbahn M arbach (Baden)-Bad Dürrheim Saline-Uerwaltungsgebäude und S iedhaus. G asthof eum Rosste. Der Salzfund machte fü r den Ort Bad Dürrheim auch eine Eisenbahn m öglich. So war das höchstgelegene Solebad Europas von 1904 an über M arbach auch p e r Eisenbahn erreichbar. 1903 die erforderlichen Mittel von insgesamt 355000 Mark vorgesehen. Am 1. August 1904 wurde die Bahnlinie für den Personenverkehr eröffnet, am 15. August für den Güterverkehr. Im Jahre 1906 beantragte der Kurverein Dürrheim die Stationsbezeichnung „Bad Dürrheim“ , was am 1. Oktober 1906 ge­ nehmigt wurde. Nach der Ortsdurchfahrt Marbach führte die Linie zunächst zwischen Wiesen durch das an­ fangs weite Talbachtal, dann mit kleinen Krüm­ mungsradien durch das enger gewordene Tal. Von der Wegeeinmündung bei der Station Zoll­ haus ging es entlang der Linie Donaueschingen- Villingen-Rottweil, schließlich in gerader Linie entlang der heutigen Bundesstraße nach Bad Dürrheim. Kaum mehr bekannt ist, dass es zeitweise ei­ nen Haltepunkt „Waldeck“ gegeben hat. Dieser ist in den Kursbüchern vom 15. Juni 1907 bis En­ de des Sommerfahrplans 1913 in den Fahrplan­ tabellen aufgeführt. Wie auf anderen Nebenbahnen der Badi­ schen Staatseisenbahnen sah man zunächst täglich fünf Zugpaare vor, von 1906 an sechs, während der Sommersaison zusätzlich ein bzw. zwei Zugpaare. Ab Sommerfahrplan 1927 finden sich werktags neun Zugpaare, von 1935 an zehn Zugpaare. Im Zweiten Weltkrieg fuhren an Werk­ tagen außer Samstag sogar elf Zugpaare. Die Kursbücher der Nachkriegszeit lassen nur einen mühsamen Aufbau des Zugangebots erkennen. Bahn überprüft Wirtschaftlichkeit Bis zur Einstellung des Personenverkehrs ist der Güterverkehr immer von Personenzügen mitbe­ dient worden. War vor dem Zweiten Weltkrieg zu­ mindest der Personenverkehr ansehnlich gewe­ sen, entwickelte sich dieser in der Nachkriegs­ zeit schlecht. Hatte die Deutsche Reichsbahn vor dem Zweiten Weltkrieg nur in besonders gravie­ renden Einzelfällen Nebenbahnen stillgelegt, ließ die Deutsche Bundesbahn nun alle Neben­ bahnen auf deren Rentabilität hin untersuchen. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung für die Neben­ bahn Marbach-Bad Dürrheim ergab im Ge­ schäftsjahr 1950 folgende Zahlen: Gesamtein­ nahmen: 25528 DM, Ausgaben: 137588 DM, 121

G eschichte Fehlbetrag: 112 060 DM. Als Konsequenz wurde ab 19. Mai 1952 nur noch der Berufsverkehr auf der Schiene befördert, der restliche Verkehr mit Bussen. 1953 überprüfte die Bundesbahndirektion Karlsruhe die Strecke auf weitere Kosteneinspa­ rungen. Im Sommerfahrplan zählte man jeweils 80 Reisende, im Winterfahrplan 140 bzw. 150, die Züge der Gegenrichtung waren nahezu leer. Für einen Berufszug Bad Dürrheim-Villingen fährt der nahezu leere Gegenzug von Villingen nach Bad DUrrheim, entsprechend ist für einen Berufszug Villingen-Bad Dürrheim der Gegenzug Bad Dürrheim-Villingen praktisch leer gewesen. Wegen Absatzschwierigkeiten der staatli­ chen Saline warauch der Güterverkehr schwach; im Mittel ein Wagen im Empfang und ein Wagen im Versand, ein Wagen Stückgut alle zwei Tage. Um die Betriebskosten der Nebenbahn wei­ ter zu senken, ersetzte man ab 4. Oktober 1953 die restlichen Dampfzüge des Personenverkehrs durch Bahnbusse. Den Güterverkehr (im Mittel nur noch zwei Wagen/Tag) bediente man von da an durch einen Übergabezug. Nachdem es im darauffolgenden Winter an einem der zahlreichen unbeschrankten Bahn­ übergänge im Ortsetter Bad Dürrheim zu einem Zusammenstoß zwischen der morgendlichen Übergabefahrt und dem Anhänger eines Bahn­ busses gekommen war, nahm dies Bürgermeis­ ter Weissenberger, unterstützt durch den Badi­ schen Fremdenverkehrsverband, zum Anlass, statt der Straßenbusse den Einsatz eines Schie­ nenbusses zu fordern, was die Bundesbahndi­ rektion Karlsruhe ablehnte. Ein Bahngleis mitten im Ortsetter Am 8. Augsut 1955 begann der Bau der Umge­ hungsstraße Bad Dürrheim. Mit deren Freigabe am 7. September 1957 wurde am Bahnübergang eine neue Blinklichtanlage in Betrieb gesetzt – die einzige dieser Strecke, was Bürgermeister Weissenberger zu folgender Stellungnahme ge­ genüber der Bahndirektion veranlasste: „Es gibt u.E. keine andere Möglichkeit mehr, als klar zu entscheiden, ob der Verkehr auf der Straße blei­ ben soll oder ob die Benützung der Schiene auch 122 Ein Güterzug a u f dem Weg nach M arbach: 1960er- Jahre, kurz vor der Stilllegung. für den Personenverkehr wieder in Gang gesetzt wird … Die weitere Entwicklung unseres Bades läßt es nicht zu, daß falls die Bundesbahn die Schiene nicht wieder aktiviert, die Linienführung der Bahn weiterhin den Ortsetter zerschneidet und die bauliche Entwicklung damit stärkstens behindert. Wir glauben, daß man sich nunmehr wirklich entscheiden sollte, was man w ill.“ Die BD Karlsruhe antwortete am 4. Oktober 1957: „Auf das Verkehrsaufkommen der Saline können wir unter keinen Umständen verzichten. Die Her­ ausnahme des Gleises aus dem Ortsetter kann doch auch von Ihnen praktisch erst erwogen wer­ den, wenn einmal die Saline ihren Betrieb schlie­ ßen würde.“ In den darauffolgenden Jahren arbeitete Bür­ germeister Weissenberger konsequent auf die­ ses Ziel hin. In der nichtöffentlichen Sitzung vom 22. Juni 1962 teilte er dem Gemeinderat mit, das Finanzministerium habe mit Schreiben vom 30. Mai d. J. zugesagt, „daß e s … dem Vorhaben (der Stillegung der Saline) nicht mehr hinderlich im Wege stehen würde, sofern es der Gemeinde ge­ lingt, die Bundesbahn von dem zwingenden Er­ fordernis der Stillegung zu überzeugen.“ Das Ergebnisprotokoll einer „Besprechung über weitere Rationalisierungsmaßnahmen auf Nebenbahnen am 21. Oktober 1963“ notiert zur Nebenbahn Marbach-Bad Dürrheim: „Das Re­ gierungspräsidium Südbaden hat der BD Karls­ ruhe die Pläne für die Straßenbauvorhaben im Raum Villingen-Bad Dürrheim vorgelegt. Falls die Bahn bestehen bleibt, entstehen der DB durch die Kostenbeteiligung nach dem Kreu-

Die N e b e n b a h n M a rb a c h (B ad e n)-B ad Dürrheim Bad Dürrheim, d a s H ö hensolbad i Schwarzwald 7 M.,vom‘ Flugzeug aus Dass die Eisenbahn m itten durch den Ortsetter führte, oben eine Aufnahm e aus den ip3oer-Jahren, war der H auptgrund aufS eiten der Stadt Bad Dürrheim, a u f die S tilllegung zu drängen, die 1966 beschlossen w ur­ de. Es folgte im September 1966 der Rückbau der Gleisanlage, h ier im Ortskern von Bad Dürrheim. 123

Die N e b e n b a h n M a rb a c h (B ade n)-B ad Dürrheim zungsgesetz Aufwendungen, die bei dem gerin­ gen Verkehrsaufkommen der Nebenbahn nicht vertretbar sind. Falls der Bahnhof, wie vom Bür­ germeister der Gemeinde Bad Dürrheim ange­ regt, an den Ortsrand verlegt würde, ginge der DB der größte Teil des Güterverkehrs verloren. Die Strecke wäre dann auch unter Berücksichti­ gung des Zubringerwertes unwirtschaftlich. Un­ ter diesem Gesichtspunkt ist, falls die DB nicht eine Entschädigung für das entstandene Be­ triebsdefizit erhält und von jeder Kostenbeteili­ gungentbunden wird, die Stilllegung der Strecke einzuleiten.“ Eine weitere Erörterung am 27. )anuar 1966 im Kurhaus Bad Dürrheim kam schließlich zu fol­ gendem Ergebnis: „Alle an der Besprechung be­ teiligten Behörden und Stellen haben keine Ein­ wendungen gegen die Stilllegung.“ Am 3. Januar 1966 stimmte das Innenminis­ terium Baden-Württemberg einem Stilllegungs­ antrag der BD Karlsruhe zu, am 18. März 1966 der Verwaltungsrat der DB, schließlich am 3. Ju­ ni 1966 der Bundesminister für Verkehr, worauf die Hauptverwaltung der DB die Anordnung zur „dauernden Einstellung“ zum 27. September 1966 verfügte. Die im Jahre 1966 veröffentlichten Pressebe­ richte dokumentieren, dass die zum Winterfahr­ plan erwartete Streckenstilllegung mit dem Gleisabbau im darauffolgenden Jahr dazu ge­ nutzt werden sollte, zwischen Marbach und Bad Dürrheim einerseits die B 33 auszubauen, da „die kurvenreiche sechs Kilometer lange Straße … zwischen Bad Dürrheim und Villingen die un­ fallreichste im gesamten Kreisgebiet“ sei, ande­ rerseits im Ortsetter Bad Dürrheims die Trasse der Bahnlinie künftig als Spazlerwegzu nutzen. In der Folge gelang es Bürgermeister Weissen- berger, das 2,6 Hektar große Bahngelände von der Bahnhofstraße bis zur Gemarkungsgrenze Bad DUrrheim/Marbach einschließlich des Bahn­ hofsgebäudes kostenlos in den Besitz der Ge­ meinde zu bringen, weiter das gesamte Salinen­ gelände einschließlich der Gebäude. Nach dem Erwerb der früheren Verwaltungsgebäude der Salinenverwaltung durch die Stadt und deren Nutzung als Rathaus wurde unweit des Endes der früheren Gleisanlage ein neuer Busbahnhof eingerichtet. 124 M it Spezialm aschinen baute die Bundesbahn am Ende der i?6oer-Jahre die Nebenstrecke Marbach nach Bad Dürrheim zurück. Nach dem Abbau der Nebenbahn Marbach- Bad Dürrheim hat man die Bundesstraße B 33 mit erheblichem Aufwand unter weitgehender Nutzung der Trasse der Bahnlinie verbreitert und begradigt. Diese ist durch einen als „Umgehung Marbach“ bezeichneten Neubau Villingen-Bad Dürrheim in gestreckter Linienführung ersetzt worden. Seither ist der Abschnitt Marbach-Bad Dürrheim der alten Bundesstraße als Kreis­ straße l 5734 klassifiziert. Von der früheren Trasse der Nebenbahn vermag man heute östlich des Ortsteils Marbach einen 550 m langen niedrigen Damm zu erken­ nen, auf dem ein Feldweg verläuft. Schließlich findet man im Ortsetter von Bad Dürrheim noch einen 150 m langen Einschnitt mit einem befes­ tigten Fahrweg. G eorg S chw ach Literaturhinweise und Quellen Jenrich, F.: Früher pfiff die Dampflok im Kurort / Alma­ nach 81, Schwarzwald-Baar-Kreis, 5 (1981). Kuntzemüller, A.: Die badischen Eisenbahnen 1840 – 1940, Freiburg i. Br. und Heidelberg 1940. Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe, GLA. 237 No. 32112, Bl. 60 f. Gemeinde Bad Dürrheim, Verwaltungssachen, Speziali- ta, XVII. Straßen, Wege und Eisenbahnen AZ 1240. Stadtarchiv Bad Dürrheim: Akten-Faszikel Nr. XVII AZ 1239 -1246.

Das Gasthaus „Museum Arche“ Dank des Einsatzes des Geschichts- und Heimatvereins Furtwangen wurden einzigartige Einblicke in die Lebensverhältnisse der 1950er- und i96oer-Jahre möglich 6 . Ka p i t e l M u s e e n Was tun mit einem großen alten Haus? 20 Jahre lang hatte es nur noch als Alterssitz der ehema­ ligen Wirtin Martha Fleig gedient, 40 Jahre lang hatte sie nichts mehr in Renovierung oder gar bauliche Veränderungen investieren können. Was tun also, mussten sich die Stadtväter von Furtwangen fragen, als die alte Dame kurz vor ihrem Tod im Jahr 1999 die Stadt testamenta­ risch zum Erben des Anwesens erklärte, freilich mit der Auflage, es museal zu nutzen. Nun gab es seit 25 Jahren bereits einen – so­ zusagen wohnsitzlosen – Geschichts- und Hei­ matverein, der längst ein Gebäude für die eige­ nen Schätze, Ausstellungen und Veranstaltun­ gen suchte. Ein Wunschtraum würde sich also er- Das Gasthaus „A rc h e “ in Furtwangen ist Dank des Engagements vieler Bürger als M useum zum Gast­ stättenwesen erhalten geblieben. füllen, wenn man das Objekt dem Verein anver­ traute. Doch bei näherem Augenschein musste sich die Sache eher wie ein Danaergeschenk aus­ nehmen, denn die Instandsetzung der Bausub­ stanz, Sanierungder Elektro- und Kanalisations­ anlagen würde immense Geldsummen erfor­ dern, ganz abgesehen von derTatsache, dass in den Räumen vom Keller bis unters Dach Jahr­ zehnte lang nichts mehr entsorgt worden war, d.h. es war angefüllt mit „altem Kram“ . Wer könnte derartige Kosten tragen? LEADER Plus bot sich an, eine Einrichtung, die zur Entwicklung des ländlichen Raums gera­ de im südlichen Schwarzwald europäische Gel­ der bereitstellt, sofern ein Vorhaben als sinnvoll und aussichtsreich angesehen werden kann. Um als „fördernswürdiges“ Projekt Anerkennung zu finden, galt es also erst einmal, sich konkrete Vorstellungen über eine Nutzung und zweck-

M u s e en mäßige Ausgestaltung eines „Museumsgebäu­ des“ zu bilden. Zu entscheidender Einsichtverhalf der Leiter der Freilichtmuseen in Baden-Württemberg, Dr. Axel Burkarth (Stuttgart). Bei einer ersten Be­ sichtigung begeisterte er sich geradezu ausge­ rechnet an dem „alten Kram“ und erklärte, dass kein Museum des Landes derart lückenlos über Wohnverhältnisse, Gebrauchsgegenstände aus der Zeit der 1950er und i96oer-jahre Auskunft geben kann, wie dieses „verkommene“ Gebäu­ de. „Stellt doch einfach dieses Haus aus!“ war sein Rat. Gleichzeitig versicherte er, dass ein weiteres Bollenhutmuseum mit rauchgeschwärz­ tem Balkenwerk und stilreiner Stube aus dem 18. Jahrhundert ganz sicher nicht als fördems- 126 A rche-W irtin M artha Fleig beim Bestücken ihres Orchestrions. Unten die „A rche “ kurz nach der Eröff­ nung im fa h r 1904. wertes Objekt anerkannt werden würde, davon gebe es bereits genug im Land. Konkrete Pläne für die Instandsetzung und Nutzung des Gebäudes kristallisierten sich in der Folge, nachdem auch Dr. Wolfram Metzger (Universität Freiburg) bestätigt hatte, dass hier anhand „der hundertjährigen Geschichte des Wirtshauses „Arche“ hundert Jahre Geschichte des Gaststättenwesens in Furtwangen und gleich­ zeitig auch die Geschichte des Fremdenverkehrs in einer wichtigen Phase seiner Entwicklung im Schwarzwald authentisch“ dokumentiert wer­ den könne. Auch er bezeichnete es als einen Glücksfall, dass an der Arche die Modernisie­ rungswellen der 1970er und i98oer-Jahre vor­ beigegangen sind. „So ist als Höhepunkt der Modernisierung nur der Einzug des elektrischen Lichts und des fließenden Wassers in den Zim­ mern nach dem Zweiten Weltkrieg zu benennen.“ Endgültige Aufnahme ins LEADER Plus Pro­ gramm gelang schließlich mit der inzwischen ausgereiften Nutzungsplanung, in der dargelegt wird, wie die „Arche“ einerseits museale Be­ wahrung des Gastraums und der Fremdenzim­ mer sichern soll, dass sie zusätzlich Räume für Wechselausstellungen bietet und darüber hi­ naus in speziellen Veranstaltungen die Ess- und Trinkkultur der Schwarzwälder Gastlichkeit pfle­ gen wird. Tatkräftige Hilfe durch die Furtwanger Damit über LEADER Plus Mittel fließen, muss sich satzungsgemäß auch die Gemeinde zur Über­ nahme der halben Kosten verpflichten. Einen ge­ wichtigen Anteil davon hatte der Geschichts- und Heimatverein selbst zu tragen. In einer beispiel­ losen Bürgeraktion gelang es, nicht nur die benötigten Gelder in Form von Spenden zu ge­ winnen, sondern auch viele Bürger zu tatkräfti­ ger Hilfe zu animieren. So begann im Jahr 2003 unter der Leitung des Furtwanger Architekten Poldi Patrick Meß-

mer die Sanierungsarbeit, für die heimische Fir­ men hinzugezogen wurden, die aber auch durch „handgreifliche“ ehrenamtliche Mitarbeit vieler Vereinsmitglieder und interessierter Furtwanger entscheidend vorangetrieben wurde. Neben der kostspieligen und langwierigen Instandsetzung von elektrischen und sanitären Anlagen, Fußbö­ den und Wänden galt es die vier Gästezimmer soweit freizulegen und zu reinigen, dass der be­ wohnbare Zustand aus den i95oer-)ahren zu er­ kennen blieb. Und dass man 50 Jahre alte Vor­ hänge nicht einfach in die Waschmaschine stecken kann, versteht sich. Unwiederbringlich (es sei denn für viel Geld bei Spezialfirmen) ist schließlich das Design derartiger Stoffe! Drei Räume des oberen Stockwerks, die frü­ her von der Wirtin privat genutzt worden waren, mussten entrümpelt, stabilisiert und zu Ausstel­ lungsräumen umgerüstet werden. Auch hierver- suchte man weitgehend auf das im Haus vor­ handene Mobiliar zurückzugreifen, um das Flair eines alten Wohnhauses zu erhalten. Tempo war geboten, denn die Bewilligung derGeldmittel waran ein festesTerminraster ge­ bunden. Etwa 800 freiwillige unbezahlte Arbeits­ stunden wurden geleistet, aber auch mehrere einheimische Firmen wurden mit einschlägigen Aufgaben beauftragt. So konnte das Haus an der Katzensteiger Straße Nr. 1 also am 15. Oktober 2005 feierlich eröffnet und eingeweiht werden. Im Rahmen des Festakts wurde die ehemalige Wirtin für kurze Zeit wieder lebendig: in ihrer charakteristischen Kittelschür­ ze trat sie aus dem Hausund be­ grüßte ein Touristenpaar als Gäste, die – natürlich in Klep­ permantel, bzw „Kostümchen“ gekleidet – auf einem Motorrad mit Beiwagen angereist waren. Ein „Tag der offenen Tür folg­ te“ und zog Hunderte von Besu­ chern aus der gesamten Region an, seither steht das Haus jeden Sonntagnachmittag zwischen 14 und 17 Uhr für Gäste offen. Die gem ütliche Gaststube m it dem elektrischen Klavier. Das G as tha us „ M u s e u m Arche“ in Furtw angen Führungsdienste im Museum und Bedienung im Lokal leisten auch hier wieder freiwillige Helfer aus dem Verein. Typisch: holzvertäfelte Gaststube Wenn die Gäste bei einem gemütlichen Kaffee­ stündchen in der holzvertäfelten Gaststube das Haus besichtigen wollen, erleben sie hautnah seine wechselvolle Geschichte. Zunächst betre­ ten sie einen Stalltrakt, den das Äußere des An­ wesens durchaus nicht erwarten lässt – Zeugnis für die ursprüngliche Bestimmung als Leibge- ding eines größeren Bauernhofs. Das schlichte Badezimmer, das sich daran anschließt, lässt er­ kennen, wie konsequent der Gastwirt Christian Bob, der das Haus 1904 erworben hatte, aus ei­ ner Schankwirtschaft einen Beherbergungsbe­ trieb entwickelte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1934 war es ihm gelungen mit Attraktionen wie einem Orchestrion, einem Billardtisch und einer Frei­ luft-Kegelbahn ein Wirtshaus zu schaffen, das die Gäste „sehr gerne aufsuchen“ zumal „die Fremdenzimmer sehr schön ausgestattet und beheizbar sind“ . So jedenfalls wurde das Unter­ nehmen beurteilt, als es darum ging, derTochter Martha, verheiratete Fleig, die Fortführung zu gestatten. Während des Krieges war das Gasthaus vorü­ bergehend geschlossen, doch die Gaststube und die Waschküche im Untergeschoss dienten 127

M u s e en Im S til der ipsoer-Jahre haben die Fremdenzimmer überdauert: Oben braun m ariniert, unten Nieren­ tisch m it Cocktailsessel. zeitweise den französischen Kriegsgefangenen als Küche. Einige Museumsbesucher erinnern sich beim Blick aus dem Badfenster gelegent­ lich, dort hinter dem Haus die ersten Pommes frites ihres Lebens gegessen zu haben, wenn sie sich als neugierige Kinder an die „Franzosen­ küche“ herangemacht hatten. Als ob die Zeit in den 1950er Jahren des 20. Jahrhunderts stehen geblieben wäre, so erleben die Besucherden Gangdurch dieZimmerim ers­ ten Stock: Das Einbettzimmer Nr. 3 z.B. zeigt sich ganz in lindgrün möbliert, mit Fließwasserbe­ cken ausgestattet, einem Schrank, einer Kom­ mode – für einen Tisch ist freilich kein Platz mehr. Zimmer Nr. 4 ist in brauner „Marinierung“ gehalten, einem Anstrich in Bierfarben, wie er damals in Mode war. Im kleinsten Zimmer Nr. 5 fehlt zwar das Fließwasser, dafür ist der Weg zum 128 kombinierten Putz- und Toiletten raum nicht weit. Zu zahlen war für die Übernachtung hier 4,50 Mark, für das Frühstück 3,50 Mark, wie ein ma- schinengeschriebenerZettel neben derTür noch verkündet. Auch Martha Fleig war bestrebt, wie einst ihr Vater, in der Ausstattung ihrer Gästezimmer mit der Zeit zu gehen, so finden sich in einem Gäs­ tezimmer im Dachgeschoss Cocktailsessel um einen Nierentisch gruppiert. Spätestens dann, wenn sie die Zimmer be­ treten und das Raumgefühl erlebt haben, gera­ ten die älteren Besucher ins nostalgische Schwärmen, die jüngeren fangen an zu staunen, können nicht fassen, dass Touristen sich einst mit diesem gastronomischen Standard zufrie­ den gegeben haben. Wenn dann noch die Preis­ listen von damals in Betracht gezogen werden, die man ebenso wie Souvenirs, Fahrpläne und „Freizeitangebote“ ausgestellt findet, dann wer­ den Schüler von heute durchaus nachdenklich. So geschehen beim Besuch einer Abiturklasse, die für das Fach Geschichte Anschauungsmate­ rial in Sachen „Lebensverhältnisse im Nach­ kriegsdeutschland“ suchte. Aber auch für Schü­ ler der Unterstufe ist es immer wieder lehrreich (und heilsam) zu erfahren, bzw. an Hand der vor­ liegenden Unterlagen zu errechnen, wievielGeld beispielsweise die Generation ihrer Großeltern für Urlaub ausgeben musste. Was tut sich sonst noch in diesem „lebendigen Museum“? An Wintersonntagen genossen zahlreiche alt­ eingesessene Furtwanger Bürger in der Gaststu­ be außer Kaffee und Kuchen einen Film aus den i95oer-Jahren, der einen Festzug sämtlicher Furt­ wanger Vereine zeigt. Eine ehemalige Furtwangerin las aus ihrem Buch vor, das ihre Kindheit als Lehrerstochter in diesem Städtchen schildert. Ähnliche Autoren­ lesungen, auch von Mundartdichtung, stehen re­ gelmäßig auf dem Programm. An Adventsonntagen gab es Stubenmusikzu hören, die auch Gelegenheit zum Mitsingen bot. Das traditionelle „Brettle“ -Spiel konnte un­ ter Anleitung Erfahrener erlernt werden. Auch ei-

ne Unterweisung im „Zego“ -Kartenspiel ist ge­ plant. Was die Gastronomie betrifft, so bot sich während der Ausstellung zum Thema „ Wohnen und Reisen vor 50 Jahren“ eine Veranstaltung an mit dem Motto „Wohnen, Reisen und Speisen wie vor 50 Jahren“ . Dieses Abendessen, das natürlich u.a. Leipziger Allerlei, Kalten Hund und Ananasbowle bot, war bereits wenige Tage nach der Ankündigung ausgebucht. Größere Gästescharen können jeweils beim jährlichen Heidelbeerfest bewirtet werden. In diesem Jahr war hierbei zum ersten Mal das neue Orchestrion zu hören, das in der Bevölkerung nach wie vor „das elektrische Klavier“ genannt wird und sehnsüchtig erwartet wurde. So man­ cher ehemaligerGastausalten Zeiten kann noch die Titel der Stücke hersagen, die von den ge­ stanzten Walzen abgespielt wurden. Das Jahr 2006 hat der Geschichts- und Hei­ matverein zum Anlass genommen, den bedeu­ tendsten Maler der Stadt zu seinem 200. Ge­ burtstag zu ehren. Unter dem Titel „natürlich gemalt“ (Kunst in Furtwangen zwischen 1840 und 1940) sind in den Ausstellungsräumen m itt­ lerweile Gemälde und Grafiken des großen Jo­ hann Baptist Kirner zu sehen. Ihm zugeordnet sind Gemälde seines älteren Bruders Lukas, der über die Region hinaus zwar weniger bekannt geworden ist, der jedoch durch seine zahlrei­ chen Porträts, die er von Furtwanger Bürgern, Bauern und Fabrikanten gemalt hat, in beson­ ders enger Beziehung zur Bevölkerung steht. Einfach m it Waschgelegenheit präsentieren sich die Gästezimmer der Furtwanger „A rch e “ . Das G asth au s „ M u s e u m Arche“ in Furtw angen Und was wäre bildende Kunst in Furtwangen ohne die Persönlichkeiten, die zur Zeit der Hoch­ blüte der Uhrmacherei sich als Schildermaler oder Lehrer an der Schnitzerei- und Uhrmacher­ schule profiliert haben: Gezeigt werden Werke von J.B. Laule, der u.a. als einstiger Lehrer des großen Hans Thoma bekannt geworden ist, von Hermann Daur, einem Südbadenerund späteren Meisterschüler von Thoma. Zu Unrecht fast ver­ gessen war Karl Lederle, dessen vielseitige Fä­ higkeiten als Maler und Grafiker zur Zeit das Pu­ blikum in Erstaunen versetzen. Abgerundet wird die Schau mit dem Frühwerk zweier Furtwanger Landschaftsmaler, denen der Geschichts- und Heimatverein bereits vor 20 Jahren bereits eine gemeinsame Ausstellung gewidmet hatte: Rolf Kämmerer und Heinrich Gutjahr. Station der „Orchestrion-Tour“ Ohne dass den Museumsbesuchern die histo­ rischen Gästezimmer und wichtige Dokumenta­ tion des Fremdenverkehrs vorenthalten werden, sind in den drei südöstlichen Räumen im Ober­ geschoss in etwa halbjährlichem Wechsel immer neue Ausstellungen geplant. Den Malern werden die Schnitzer und Holz­ bildhauer folgen. Das Vereinsleben der Stadt verdient dokumentiert zu werden, insbesondere das der kulturellen Vereine, die heute zum Teil nicht mehr existieren. Des Weiteren ist eine Schau geplant, die „Kindheit in Furtwangen“ , und damit auch die Schulgeschichte zeigt. Seit das Orchestrion wieder seinen Platz in der Gaststube eingenommen hat, bildet das Museum „Gasthaus Arche“ eine Station der so genannten „Orchestrion-Tour“ , die von Unterkir- nach ausgehend überVöhrenbach und das Furt­ wanger Uhrenmuseum führt und die interessan­ testen Objekte vor Ort zeigt. In einem Oldtimer Autobus reisen jeweils bis zu 20 Gäste an und erleben hier – bei Kaffee und Vesper – musikali­ sche Unterhaltung wie anno dazumal. Trotz aller Abwechslung im Programm wird eine Funktion die „Arche“ immer lebendig halten: Hier ist ein Ort, wo man sich trifft zum Erzählen und Austauschen von Erlebnissen aus „alten Zeiten“ . Elke Schön 129

M u s e en „Um Aug’ und Ohr zu ergötzen“ Das Schw arzw ald-M useum in Triberg: Einzigartig w e it und breit „Wir schauten die gerade, breite Straße von Triberg hinauf“, schrieb ein reisender Universitätsrat 1836 über das Schwarzwaldstädtchen, „u n d wie alles uns hier überraschen sollte, so in hohem Grade der A nb licke in e s m ächtigen Wasserfalls, der am Ende des Städtchens m itten aus einer hohen Fichtenwand h e rabstürzt.“ Auch heute sind die Wassermassen der Gutach, die sich über sieben Stufen m it einer Fallhöhe von 163 Metern ins Tal wälzen, nicht w eniger beeindruckend, zum al ein neuer N aturerlebnispark m it S piel­ m öglichkeiten, Lehrtafeln und N aturtribüne den Triberger W asserfall noch a ttra ktive r macht. Nur ein paar Schritte entfernt steht es, das Schwarzw ald-M useum : 1 6 0 0 Q uadratm eter voller Leben, M usik, Spaß und Tradition. Dort können die Besucher entdecken, wie im Schwarzwald gearbeitet, gelebt und gefeiert wurde. Zu sehen sind die Anfänge der U nterhaltungsindustrie, die vollautom atischen Orchestrien und die ersten Radios der W eltfirm a „SABA“ , die in Triberg ihre Wurzeln hatte. * h Außerdem sind Schwarzwälder Trachten, Fast- nachtshäser und ein Modell der berühmten Schwarzwaldbahn bei ihrer Fahrt durch die zahl­ reichen Tunnels und Kehrschleifen zu bestau­ nen. In einem Bergwerksstollen mit farben­ prächtigen Mineralien können sich die Besucher in die Zeit zurückversetzen, als Bergmänner im Schwarzwald noch Silbererz gruben. Die Rennschlitten lassen den Nerven­ kitzel erahnen, den Bobfahrer hat­ ten, als sie einst die Triberger Na­ turbobbahn am Sterenberg hin­ abrasten. In seiner Vielfalt bietet das Schwarzwald-Museum, das in den letzten Jahren um einige neue Aus­ stellungsbereiche erweitert wurde, al- Einblicke in die w irtschaftliche und kulturelle Ent­ w icklung unserer Region g e w ä h rt das Schwarz­ w aldm useum Triberg. Von SABA-Radios bis zu r Schnitzkunst von Josef Fortwängler, des „S chnitzer­ sepps“, reicht die Bandbreite. len Besuchern etwas, seien es Einheimische, Schulklassen aus der Region oder die zahlrei­ chen Touristen aus aller Welt, die in Triberg nicht nur Natur erleben, sondern auch Schwarzwälder Kultur entdecken wollen. Am 30. Mai 1936 wurde das neue Fleimatmuseum Triberg feierlich eröffnet. Es war aus der früheren Gewerbehalle entstanden. Der Ge­ werbeverein Triberg hatte dieses 130

Das S c h w a rz w a ld -M u s e u m in Trlberg Partie b. d. Gewerbehalle Die Triberger Gewerbehalle (rechts) in den ip2oer-Jahren. Ausstellungsgebäude 1873 aus eigenen Vereins­ mitteln errichtet. Hier wurden Erzeugnisse der Triberger Gewerbebetriebe ausgestellt. Uhren, Orchestrien, Möbel und Strohwaren aller Art ver­ mittelten ein Bild des heimischen Handwerks. Das Haus wurde auch immer mehr zum Zen­ trum wirtschaftlicher und kultureller Veranstal­ tungen in der Stadt Triberg. Der im Unterge­ schoss eingebaute große Saat diente als Fest­ saal für Feiern und wurde jahrelang der evange­ lischen Kirchengemeinde für die Abhaltung der Gottesdienste zur Verfügung gestellt. 1898 be­ schloss man, eine Abteilung„Historische Uhren“ einzurichten, beschäftigte sich mit der Ausstel­ lung Schwarzwälder Trachten und dachte an die Errichtung einer alten Uhrmacherwerkstätte. Unverwechselbarer Charakter Durch die Ausgestaltung der Gewerbehalle mit Werken des Triberger Holzschnitzers Josef Fort- wängler, des „Schnitzersepps“ , bekam die Aus­ stellung 1926 ihren unverwechselbaren Charak­ ter. Im gleichen Jahr schuf der eigenwillige Künstler auch den bekannten, in Kiefernholz ge­ schnitzten, Rathaussaal, der neben den Wasser­ fällen, dem Schwarzwald-Museum und der hoch­ barocken Wallfahrtskirche „Maria in der Tanne“ mit Priestergebäude und Messmerhäusle eine weitere Sehenswürdigkeit Tribergs darstellt. Inflation und Krisenjahre lähmten zunächst die Weiterentwicklung der Ausstellung, aber in den i93oer-Jahren reifte dann der Gedanke, die Präsentation in der Gewerbehalle zu verbessern, um damit dem geschwächten Handwerk und der Uhrenindustrie neue Impulse zu verschaffen. Pläne, ein „Haus der Heimat“ zu errichten, das neben großzügigen Gesellschaftsräumen, einer Schwimmhalle und medizinischen Bädern auch die Ausstellungen der Gewerbehalle auf- M iniatur-Trachtenpuppen – eine Leihgabe der B rü­ dergem eine aus Königsfeld. 131

M u s e en Ein Triberger Fastnachtszug als W andmalerei des „Schnitzersepps“, die Werkstatt eines „Schneßers“ und Schwarzwalduhren aller Epochen. nehmen sollte, ließen sich aus finanziellen Grün­ den nicht verwirklichen. Der Triberger Bürgersohn und Gründer der SABA-WerkeVillingen, Hermann Schwer und sei­ ne Frau Johanna, setzten sich daraufhin dafür ein, alleine ein neues Heimatmuseum zu bauen. Nach kurzer Planung ging man daran, die Ge­ werbehalle umzubauen und zu erweitern. Die In­ neneinrichtungwurde neu gestaltet und der Aus­ stellung wertvolle Objekte hinzugefügt. Schon am 30. Mai 1936 konnte das neue „Heimatmu­ seum“ eröffnet werden. Um die Bedeutung des Hausgewerbes für die Vorfahren zu illustrieren, richtete die „Triberger Heimatgemeinschaft“ (von den Nazis zwangs­ weise umbenannter Gewerbeverein) eine Stroh­ flechterstube ein. Die Strohflechterei half den Menschen in Notzeiten,ein paarGulden hinzuzu verdienen. In einer weiteren Handwerkerstube sitzt ein „Schnefler“ , bei der Herstellung von Dachschin­ deln, Trögen, Tellern und Butterfässern. Einem Feilenhauer können die Besucher in der eigenen Werkstatt zuschauen. Feilenhauer und Löffel­ schmiede waren in Triberg die Vorläufer späterer Mechaniker und Uhrmacher. Die aus der Gewer­ behalle übernommene Uhrmacherwerkstätte wurde verbessert und ergänzt. Schwarzwälder Trachtenschau Johanna Schwer schuf die SchwarzwälderTrach- tenschau mit Volkstrachten aus Triberg und Um­ gebung. Strohzylinder aus Triberg und den ehe­ maligen Orten der Herrschaft Triberg und der Bollenhut aus Gutach durften dabei nicht fehlen. Ein Brautpaar aus St. Georgen mit dem typischen „Schäppel“ , Trachten aus dem Prechtal, Kinzig- und Glottertal sind in Lebensgröße zu sehen. Im Jahr 2002 konnte die Sammlung noch durch ei­ ne weitere St. Georgener Hochzeitstracht und durch 62 Miniaturtrachten- und Fastnachtsfigu­ ren der Umgebung ergänzt werden, die das Mu­ seum als Dauerleihgabe der Königsfelder Brü­ dergemeine erhielt. Der Zweite Weltkrieg schränkte die Tätigkeit des Heimat- und Gewerbevereins Triberg e. V. (Vereinsname ab 1946) erheblich ein, jedoch konnte man zum 100-jährigen Bestehen des Ver­ eins (gegr. 1853) einen neuen Flügel anbauen, der die umfangreiche Uhrensammlung aufnahm. Im Untergeschoss richtete der Verein eine Doku­ mentation zur Geschichte der Stadt Triberg ein. Die für Triberg charakteristischen Fastnachts­ masken, der„Federeschnabel“ , der „Rote Fuchs“ , Eine lebensgroße Wachspuppe als Erinnerung an den Linacher Uhrenschildm aler Karl Straub.

der „Triberger Teufel“ und das „Spättlehansele“ sind mit den Originalmasken zu sehen, die 1952 vom Villinger Bildhauer Manfred Merz geschaf­ fen wurden. Die Fasnetshäser der Triberger Teil­ orte Nußbach und Gremmelsbach ergänzen die Fastnachtsausstellung. Im gleichen Jahr entstand auch ein großes, naturgetreues Diorama der Schwarzwaldbahn zwischen Niederwasser und Sommerau mit fah­ renden Modeltzügen. Es zeigt, wie der Erbauer der Schwarzwaldbahn, Robert Gerwig, mit der genialen Idee der „Doppelschleife“ den Flöhen­ unterschied von 448 m zwischen Flornberg und Sommerau in der extremen Gebirgslage des Mittleren Schwarzwalds überwand. Allein auf dem 26,1 km langen Abschnitt (Luftlinie 11 km) zwischen Flornberg und Sommerau liegen 37 Tunnels mit einer Gesamtlänge von 9 5 5 2 . 7 7 m- Die Flerzen der Eisenbahnfreun­ de schlagen höher beim Besuch des Triber­ ger Museums, denn seit Ende 2004 ist dort eine Sammlung mit 92 historischen Loko­ motiven zu bewundern, die das Museum aus dem Nachlass Rudolf Kleins als Leihga­ be erhielt. 1958 ergänzte der Fleimat- und Gewer­ beverein die Ausstellung der Werke des „Schnitzersepps“ mit einer Schnitzersepp- Werkstatt, die aber inzwischen neuen Toi­ lettenanlagen und einem Baby-Wickelraum weichen musste. Das Museum erwarb 1968 eine bedeu­ tende Mineraliensammlung und erbaute 1969/70 für ihre Präsentation einen eige­ nen Bergwerksstollen. Seltene Schätze aus dem Schwarzwald leuchten dem Besucher in magischem Licht entgegen – eine Fund­ grube, nicht nur für den Fachmann. 1978 entstand für die historischen Uh­ ren ein neuer Saal mit einer Uhrenschilder- Malerwerkstatt. Die in ihrer Art einmaligen Uhren der ehemaligen Triberger Jahresuh­ renfabrik, August Schatz und Söhne, wer­ den seit der neuesten Erweiterung des Prachtstück der O rchestrionsam m lung ist das eigens fü r das M useum gebaute M usikw erk des Villinger Tobias Heizmann. Das S c h w a r z w a ld -M u s e u m in Triberg Schwarzwald-Museums neben dem SABA-Aus- stellungsbereich gezeigt. Mechanische Musikwerke Der Mittlere Schwarzwald war auch führend im Bau von Orchestrien, deren Melodien das ganze Museum erfüllen. Das Prachtstück des Hauses ist eine Konstruktion der Firma Tobias Heizmann, Villingen, das speziell für die Triberger Gewer­ behalle gebaut wurde. Es ersetzte damals ein Orchester von 50 Musikern. Die Firmen Blessing (Unterkirnach), Imhof 81 Muckle (Vöhrenbach), Ketterer(Furtwangen) und Gebrüder Weber (Wald- kirch) sind mit eigenen Modellen vertreten. 133

M u s e en Im Schwarzwaldmuseum is t Vielfalt angesagt, das A usstellungsangebot reicht von der Geschichte der Schwarzwaldbahn und Trachten aus dem Schwarz­ w ald bis hin zu den Sportgeräten des tra d itio n s­ reichen Bob- und Rodelclubs Triberg. Große Aufmerksamkeit verdient die Bauern­ kapelle der Firma Blessing (Unterkirnach). Sie wird von einem automatischen Klavier der Firma Welte (Vöhrenbach), dem Welte-Mignon gesteu­ ert. Michael Welte, der Erfinder dieses Klaviers, war schon 1867 auf der Pariser Weltausstellung mit seinen großen Orchestrien aufgefallen. Eine der um fangreichsten D rehorgelsam m lungen Europas wurde dem Schwarzwaldmuseum von Kurt Niem uth vermacht. 1979 richtete der Enkel Hermann Schwers, Hans Georg Brunner-Schwer (1927 – 2004), eine Dokumentation zur Entwicklung der Rundfunk­ technik mit Rundfunkgeräten der SABA-Werke Villingen ein. Um sich gegenüber den überall neu entstan­ denen „Heimatmuseen“ abzugrenzen, wurde das Museum 1980 in „Schwarzwald-Museum“ um­ benannt. 1994 ging der Heimat- und Gewerbeverein als Träger daran, das Museum gründlich zu sa­ nieren. Das Dach, die Heizung und die sanitären Anlagen wurden erneuert. Man entfernte die Decke der Eingangshalle, so dass nun die ur­ sprüngliche, originelle Spannkonstruktion des Dachstuhls der alten Gewerbehalle wieder zum Vorschein kam. Der zu enge Eingangsbereich 134

bekam mit einer zeitgemäßen Stahl-Glas-Kon- struktion ein neues Gesicht und die notwendige funktionelle Verbesserung. Ausstellungsfläche von 16 00 Quadratmetern Im September 1999 konnte der große Anbau des Museums offiziell eröffnet werden. Zusammen mit dem Altbau verfügt das Schwarzwald-Mu­ seum heute über eine Ausstellungsfläche von 1600 qm. Auslöser für die Erweiterung war unter anderem der Erwerb einer Drehorgelsammlung, die zu den umfangreichsten Europas zählt. Fast 100 Instrumente von derTisch- biszurjahrmarkt- orgel wurden aus Berlin in den Schwarzwald ge­ bracht. Kurt Niemuth, leidenschaftlicher Samm­ ler, hat diese Schätze dem Museum als Stiftung vermacht. Nach seiner Vorstellung sollten die Instrumente nicht steril in Vitrinen, sondern mit Leben und Klang ausgestellt werden. Ende 1999 löste sich der traditionsreiche Bob- und Rodelclub Schwarzwald auf und stifte­ te sein Vermögen neben einigen Renn- und Bob­ schlitten dem Schwarzwald-Museum, in dem heute eine eigene Abteilung die Entwicklung des Wintersports im Schwarzwald veranschaulicht. Übrigens stand in Triberg auch der erste elek­ trisch betriebene Ski- und Rodellift der Welt. In der restaurierten Eingangshalle kann seit Mai 2000 auch eine umfangreiche Sammlung zum Thema Schwarzwälder Glas bestaunt wer­ den, die Johann Birk aus Freiburg dem Museum hinterlassen hat. Rund 1000 Exponate des Schwarzwald-Mu­ seums mussten im Dezember 2002 von Schäd­ lingen befreit werden, da der Flolzwurm sich breit gemacht hatte. Den Schädlingen wurde in einer speziellen Stickstoffkammer bei einer Tempera­ tur von 24,8 Grad Celsius, einer Luftfeuchtigkeit von 64 und einem Sauerstoffanteil von 1,1 der Garausgemacht. Mit der erfolgreich verlaufenen Aktion konnten die überwiegend hölzernen Exponate konserviert und so für die Zukunft gesichert werden. An der Wahl der „Schwarzwalduhr des Jah­ res“ beteiligten sich im Sommer 2004 zahlreiche Besucher des Schwarzwald-Museums. Von den europäischen, amerikanischen und asiatischen Das S c h w a r z w a ld -M u s e u m in Triberg Eine Turmuhr aus dem Schwarzwald. Gästen wurden über3500 Stimmen abgegeben, die den Uhrenherstellern Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen erlau­ ben. Seit Oktober 2004 ist zusätzlich die Tourist- Info des Ferienlandes (Triberg, Schonach, Schön­ wald, Furtwangen und St. Georgen) im Schwarz­ wald-Museum untergebracht, da das Museum zentral liegt und als Aushängeschild für die Stadt Triberg und die ganze Region wirbt. Selbstverständlich gehört das Schwarzwald- Museum zu den kulturellen Einrichtungen, bei denen der Kulturpass des Schwarzwald-Baar- Kreises ermäßigten Eintritt ermöglicht. Vor allem Touristen, die ihren Urlaub im Landkreis ver­ bringen, und junge Leute können so in den Fe­ rien die heimische Kultur entdecken. Zu den Besonderheiten des Triberger Mu­ seumszählen auch die speziellen Kinderführun­ gen und die alljährlichen Brauchtumstage, die meist an ein Museumsfest mit verkaufsoffenem Sonntag in Triberg gekoppelt sind. F otografie: M ic h a e l Kienzier, Text: K laus N a g e l 135

7- Ka p i t e l K i r c h e n g e s c h i c h t e Augustin Kardinal Bea- Kardinal der Einheit Aus Anlass des 125. G eburtstages – Am 2 8 . M ai 1881 in Riedböhringen geboren Augustin Bea wurde am 28. Mai 1881 in Ried­ böhringen geboren. Der spätere Kardinal stammt aus einfachen Verhältnissen, er war der Sohn ei­ nes Zimmermanns, der eine Nebenerwerbsland­ wirtschaft betrieb. Als einziges Kind erfuhr er die intensive Zuwendung seiner Eltern, die ihn in geistiger und religiöser Hinsicht besonders för­ derten. Schon früh wurden die Ortspfarrer auf seine außergewöhnliche Begabung aufmerksam, so dass ihm der Weg zum Abitur geebnet werden konnte. Dieses bestand er im Jahre 1900 in Rastatt mit Auszeichnung. Danach studierte er 1900 bis 1902 in Freiburg Theologie, bis er seinem Wunsch zum Eintritt in den Jesuitenor­ den nachgehen konnte, den er seinen Eltern ab­ ringen musste. Der Ein­ tritt in den Jesuitenorden bedeutete für seine El­ tern ein langer Abschied von ihrem Sohn, da die­ ser Orden damals in Deutschland verboten war und Bea daher seine Ordensausbildung in den Niederlanden absolvieren musste – bei dem Fest­ akt zum 125-jährigen Geburtstag des Kardinals stellte Prof. Dr. Hugo Ott diesen Entscheidungs­ prozess und die ganzen Umstände des Ordens­ eintrittes Beas in beeindruckender Weise dar. A ugustin Kardinal Bea Der Eintritt Beas in den Jesuitenorden be­ deutete ferner, dass eine von seinen Eltern spä­ ter erhoffte Versorgung in alten Tagen in einem Pfarrhaus bei ihrem Sohn nicht möglich war. Als Bea seine Primiz im Jahr 1912 in seiner Heimat­ pfarrkirche feiern konnte, war dies für den gan­ zen Ort ein herausragendes Ereignis. Von be­ sonderer Bedeutung war dieser Tag jedoch für 136 seine Eltern. Sein Vater konnte an der Messe selbst nicht mehr teilnehmen und hat die Primiz seines Sohnes nicht lange Zeit überlebt. Bea hat seinen Eltern ein dauerndes Geden­ ken bewahrt und seiner späteren Beisetzung in der Kirche von Riedböhringen nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die Gebeine seiner Eltern in die Kirche überführt werden. Er blieb auch während seiner Tätigkeit für den Je­ suitenorden und die römische Kurie seiner Hei­ matgemeinde verbunden, die ihn zum Ehren­ bürger ernannte. Während seines Kardinalates hat sich seine Bindung an seine Heimat sogar noch intensiviert. Herausragende Aufgaben im Jesuitenorden und der römischen Kurie Nach seiner Priesterweihe durchlief Bea eine un­ gewöhnlich schnelle Ordenslaufbahn. Zunächst zu vertiefenden Studien freigestellt, wurde er 1917 Professor für alttestamentliche Exegese in Valkenburg und bereits mit 40 Jahren Provinzial der Oberdeutschen Ordensprovinz in München, eine in seinem Alter ungewöhnliche Herausfor­ derung. 1924 wurde Bea nach Rom berufen und zum Professor für alttestamentliche Exegese an der päpstlichen Universität Gregoriana und 1930 zum Rektor des päpstlichen Bibelinstituts er­ nannt. Die Leitung des päpstlichen Bibelinstitu­ tes hatte er bis 1949 inne. Diese 25 Jahre bilden den wissenschaftlichen Kern des Lebenswerkes Beas und begründen seine Reputation als Bibel­ wissenschaftler. Neben seiner Leitungs-und Vor­ lesungstätigkeit trat er mit 126 Publikationen hervor. Zugleich kamen auf Bea zahlreiche zu­ sätzliche Aufgaben für den Jesuitenorden und in den römischen Kongregationen zu. Er wurde zum wichtigen Berater der Päpste Pius XL, Pius XII., JohannesXXIII. und PaulVI.

Papst Pius XII. berief Bea zu seinem Beicht­ vater, was eine außerordentlich verantwortungs­ volle Aufgabe darstellte, die die große Wert­ schätzung dieses Papstes für Bea zeigt. Die zahl­ reichen Funktionen, die Bea – nun schon im ge­ hobenen Alter – ausübte, forderten ihn bis an die Grenzen der Belastbarkeit, zumal sie durch eine rege publizistische Tätigkeit begleitet wurden. Berufung zum Kardinal – Maßgeblicher Wegbereiter des II. Vatikanischen Konzils Auf Bea kam im hohen Alter von 78 Jahren eine neue Aufgabe zu, als ihn Papst Johannes XXIII. im Jahre 1959, im Alter von 78 Jahren, zum Kardinal berief und ihn i960 zum ersten Präsidenten des Sekretariates für die Einheit der Christen er­ nannte. Das Vertrauen des Konzilpapstes stellte Bea vor ganz neue Herausforderungen, deren Lö­ sung seine eigentliche geschichtliche Bedeu­ tung ausmacht. Mit Recht hat daher Kardinal Kasper beim Gottesdienst zum 125. Geburtstag Bea als „eine der herausragenden und der prä­ genden Gestalten der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts“ genannt. Bea war mit seinem Sekretariat intensiv in die Vorbereitungsarbeiten für das II. Vatikani­ sche Konzil einbezogen. Dem Einheitssekretari­ at kam die Aufgabe zu, den Dialog mit den ge­ trennten Brüdern und Schwestern zu führen. Bea war in hervorragender Weise für diese Aufgabe geeignet, weil er aufgrund seiner Arbeiten als Bibelforscher ein großes Ansehen bei den ande­ ren Konfessionen besaß. Während des II. Vati­ kanischen Konzils galt er als einer der einfluss­ reichsten Theologen. Seine Liebenswürdigkeit, Kompetenz und Geduld führte dazu, dass die Zahl der Beobachter anderer Kirchen während des Konzils stetig angewachsen ist. Von großer Bedeutung sind Beas Bemühun­ gen zur Aussöhnung mit den Juden. Auf ihn geht wesentlich die Konzilserklärung „Nostra aetate“ zurück, die das Konzil in seiner Schlussphase am 28. Oktober 1965 verabschiedete. Bea setz­ te diese Erklärung gegen zahlreiche Widerstän­ de, insbesondere auch von außerhalb des Kon­ zils, durch. Sie muss als eine der Marksteine der Konzilsarbeit bezeichnet werden. Flohes Anse- A u gu stin Kard inal Bea – K ardinal d e r E inheit Papst Johannes XXIII. ernennt A ugustin Bea 1959 im A lter von 78 Jahren zum Kardinal (oben). Kardinal Bea wirkte als enger Berater der Päpste, diente Papst Pius XI. und Papst Pius XII. (unten), dessen Beicht­ vater er zugleich war. hen besaß Bea nicht nur bei den protestanti­ schen Kirchen, sondern auch bei derorthodoxen Kirche. Er besuchte den Patriarchen in Konstan­ tinopel und war wesentlich mitbeteiligt an der 137

Kirchengeschichte Ebnung des Weges zur Aufhebung der gegensei­ tigen Bannbullen der orthodoxen und römisch- katholischen Kirche. Nach dem Abschluss des Konzils setzte Bea trotz seines hohen Alters unverändert seine Be­ mühungen um die Ökumene fort. Er hat im ho­ hen Alter noch wichtige Werke geschrieben und zahlreiche Vortragsreisen unternommen. Kardinal Bea starb am 16. November 1968 und wurde danach in der Pfarrkirche in Ried­ böhringen beerdigt. DerevangelischeAltbischof von Wien, Gerhard May, gab damals der Auffas­ sung Ausdruck, dass nebst Papst Johannes XXIII., keine andere Persönlichkeit eine so rückhaltlo­ se Verehrung und Dankbarkeit innerhalb des Protestantismus genossen habe wie der verstor­ bene Kardinal. Der Amerikanische Jüdische Kon­ gress erklärte, dass die Erinnerung an Kardinal Bea im jüdischen Volk auf der ganzen Welt geehrt und gesegnet bleiben wird. Feier zum 125. Geburtstag und anschließender Festakt in Riedböhringen Auch nahezu 40 Jahre nach dem Tod Kardinal Be- as ist seine Bedeutung für die Ökumene unver­ ändert hoch einzuschätzen. Dies kam beim Ge­ dächtnisgottesdienst zum 125. Geburtstag des Kardinals in der Pfarrkirche in Riedböhringen, 138 Wegweisend: K ardinal A u gustin Bea trifft in Konstantinopel m it dem Patriar­ chen Athenagoras der orthodoxen Kir- che zusammen. Kardinal Bea g ilt als einer der m aßgeblichen Väter der Ökumene. den Kardinal Walter Kasper in Konze- lebration mit Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof em. Dr. Oskar Saier, Bischof Dr. Gebhard Fürst von Rottenburg-Stuttgart, Weihbischof Rainer Klug und Weihbischof Dr. Bernd Uhl feierte, lebhaft zum Aus­ druck. An dem beeindruckenden Gottesdienst nahmen viele bedeu­ tende Persönlichkeiten des öffentli­ chen Lebens teil, darunter der frü­ here Baden-Württembergische Ministerpräsi­ dent Erwin Teufel. In seinem Predigtwort wies Kardinal Kasper darauf hin, dass Weltmission und Sorge für die Einheit der Kirche zusammengehören. Sie ver­ halten sich wie Zwillinge. Kardinal Kasper beton­ te, dass die Gemeinde Riedböhringen mit Augustin Bea der Kirche ein großes Geschenk gemacht habe. Bea sei einer der herausragen­ den Persönlichkeiten der Kirchengeschichte ge­ wesen. Die Begegnung mit Papst JohannesXXIII. habe ihn gewissermaßen verwandelt und Züge seinesWesenszum Vorschein und Saiten zu klin­ gen gebracht, die bis dahin nicht so deutlich wa­ ren. Mit Nachdruck habe sich der Kardinal der Wiederversöhnung der getrennten Christenheit und einem neuen partnerschaftlichen Verhältnis zum Judentum nach der Katastrophe des Holo­ caust gewidmet. Nicht eine neue, aber eine er­ neuerte Kirche wäre sein Ziel gewesen. Kasper wies darauf hin, dass die Ökumene nicht über billige Kompromisse laufe, sondern über die Treue zum ursprünglichen Wort Gottes. Über die Bibel hätten wir uns getrennt, über die Bibel müssten wir uns auch wieder einigen. Der Same, den Kardinal Bea gesät habe, sei aufgegangen und wachse. Er sei schon zu einem großen Baum geworden, der eines Tages reiche Frucht tragen würde.

Aug u stin K ardinal Bea – Kardinal d e r Einheit Kardinal A ugustin Bea besucht in den ip6oer-Jahren einm al m ehr die Heim at­ gem einde R iedböhringen. Oben als Gast in der Dorfschule, unten die Wohn­ stube im Haus der Eltern. Im anschließenden Festakt in der vollbesetzten Festhalle in Riedböh­ ringen wurde das Andenken an den Kardinal vertieft. Erzbischof Dr. Zol- litsch wies darauf hin, dass Bea, ge­ rade, weil er im Glauben an Christus so tief verankert war, fähig gewesen sei, auch auf andere zuzugehen und im Gespräch auf andere Meinungen einzugehen. In derTreue zur eigenen Überzeugung und der Wertschätzung der Meinung des Anderen, habe sich in besonderer Weise die Weisheit und Güte von Kardinal Bea verdich­ tet. Bea lade uns ein, auch unser Leben im Vertrauen auf Gottes Nähe und Führung zu gestalten und er fordere uns heraus, unseren eigenen Glauben zu bedenken. Erzbischof Dr. Zollitsch wies darauf hin, dass dieses Jahr das „Jahr der Berufung“ sei. Unter dessen Leitwort „dein Weg bewegt“ , könnte auch der Lebens­ weg des Kardinals gestellt werden. Bea habe ein bewegendes und be­ wegtes Leben geführt, das ihm aus der Hand Gottes zuteil wurde. Im Anschluss hielt Prof. Dr. Hugo Ott aus Freiburg einen Festvortrag unter dem Thema „Augustin Bea – Herkunft und Entschei­ dung für die Gesellschaft Jesu“ . Dieser Vortrag, der im Freiburger Diözesanarchiv abgedruckt werden wird, war ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltung. Prof. Dr. Ott gelang es in beein­ druckender Weise den Entwicklungsprozess Be- as bis zu dessen Eintritt in den Jesuitenorden – und die zeitbedingten Schwierigkeiten für diese Entscheidung herauszustellen. Begrenzt auf die­ sen Zeitabschnitt gelang es dem Redner vorzüg­ lich ein Bild des Wesens des Kardinals und der damaligen Zeitumstände zu zeichnen. Die Wert­ schätzung Kardinal Beas im ökumenischen, staatlichen und kommunalen Bereich kam durch Grußworte von Prälat Dr. Hans Pfisterer, Staats­ minister Willi Stachele, dem Ersten Landesbe­ amten Joachim Gwinner und Bürgermeister Mat- tias Baumann zum Ausdruck. Museum und Grabstätte Durch die Grabstätte in der Kirche in Riedböh­ ringen und sein Geburtshaus, in dem ein Mu­ seum über den Kardinal eingerichtet worden ist, 139

Augu stin K ardinal Bea – Kard in al d e r Einheit ist Bea in seiner Heimatgemeinde in dauernder Weise präsent geblieben. Sein Wirken ist darü- berhinaus weiterhin nicht nur für die Kirche von Bedeutung, sondern gegenwärtig. So sprach Papst Paul VI. nach dem Tod Beas davon, dass Kardinal Bea als dauernd anwesend zu betrach­ ten ist. Der große Fortschritt, den die Ökumene auf dem II. Vatikanischen Konzil und danach er­ zielte, wäre ohne seine Persönlichkeit und die Unterstützung durch die Konzilspäpste nicht er­ reichbar gewesen. Der ökumenische Fortschritt dieser Zeit trägt uns auch heute noch bei allen Höhen und Tiefen, die die ökumenische Ent­ wicklung zeichnet. Durch das Geburtshaus und das Museum wird Riedböhringen für immer ein besonderer Ort der Ökumene bleiben. Jeder, der sich dieses 140 Im G eburtshaus von Kardinal Bea in Riedböhringen befindet sich heute ein M useum . Eine B esichtigung is t n u r nach Vereinbarung m öglich. Kontakt: Tel.: 07702/664 o d e r 07702/3436. Das M useum verm ittelt ein lebhaftes Bild von der Persönlichkeit von Kardinal Augustin Bea. Anliegens annimmt, wird auch zu­ künftig sich dem Werk des Kardinals verpflichtet fühlen. Zugleich sollten wir uns stets daran erinnern, dass der Kardinal alle Christen zur Geduld auf dem langwierigen Prozess der Zusammenführung der Konfessio­ nen gemahnt hat. Das Geburtshaus mit dem Kardinal-Bea-Museum in Riedböhringen verm ittelt uns ein lebhaftes Bild derPersönlichkeitdes Kardinals. Die zahlreichen dort aus­ gestellten Exponate rufen uns die Zeit des ökumenischen Aufbruchs in Erinnerung. Ein Besuch des Muse­ ums kann daher immer wieder eine erneute Anregung sein, dem Ziel der Ökumene treu zu bleiben. Die Feier des 125. Geburtstags von Augustin Kardinal Bea war ein großer Tag für Riedböhringen. Es war aber auch ein Tag, der Hoffnung gab mit Beas Geduld weiterhin den Weg zur Einheit der Kirchen zu beschreiten. B e rn d M a th ia s K rem er Literatur (in Auswahl) Stjepan Schmidt, Augustin Bea, Der Kardinal der Ein­ heit, Graz/Wien/Köln 1989; Maria Buchmüller (Hrsg.), Augustin Kardinal Bea, Wegbereiter der Einheit, Augs­ burg 1972; Bernd Mathias Kremer, Augustin Kardinal Bea, Zum Lebenswerk des Kardinals der Einheit und zum Kardinal-Bea-Museum in Riedböhringen, Freiburger Diözesan-Archiv 123. Bd. (2003) S. 125 ff.; ders., Augus­ tin Kardinal Bea (1881 -1968), Vorkämpfer der Ökume­ ne und der Aussöhnung mit den Juden, Freiburger Rund­ briefe 13. Jhrg. (2006), S. 81 ff.; Kardinal-Bea-Museum Riedböhringen, Schnell, Kunstführer, Regensburg 1996.

Aus Sorge um das Seelenheil Die Geschichte der Hüfinger „Unserer-lieben-Frauen-B ruderschaft und großen Jahrzeit“ Kirchengeschichte Deshalb veranstaltete er das Sühnopfer fü r die Verstorbenen, um sie von ihrer Sünde zu erlösen. 2 MakkabäerXII, 45 Durch die verheerenden Pestwellen des 14. Jahr­ hunderts, vor denen auch dasGebietdesSchwarz- wald-Baar-Kreises nicht verschont blieb, wurde die im gesamten Mittelalter ohnehin schon latent vorhandene Angst der Menschen vor den A lta r der Bruderschaft in der H üfinger Stadtkirche. Qualen ihrer Seele im Fegefeuer nur noch ver­ stärkt. Und so nimmt es nicht Wunder, wenn sich im Spätmittelalter für den Bereich der Baar zahl­ reiche Stiftungen von großen Jahrtagen nach- weisen lassen. Bei diesen großen Jahrtagen oder Jahrzeiten handelte es sich um einmal oder mehrmals pro Jahr wiederkehrende Gottesdienste für das See­ lenheil der Verstorbenen, aber ebenso für das­ jenige aller Teilnehmer einer solchen Jahrzeltmesse. Um große Jahrtage mit mög­ lichst vielen Messen wie auch möglichst vielen mitzele­ brierenden Priestern aus­ statten zu können und de­ ren Finanzierung langfristig zu sichern, schloss man sich zu Jahrzeitbruderschaften zusammen. Fürden Schwarz- wald-Baar-Kreis lassen sich zu diesem Zweck gegründe­ te Bruderschaften für Pfoh- ren, Kirchdorf, HUfingen und Donaueschingen nachwei- sen. Verdankten die eben genannten Bruderschaften zwar ihre Entstehung den gleichen Motiven, so unter­ schieden sie sich doch hin­ sichtlich der Zusammenset­ zung ihrer Mitglieder sowie der räumlichen Ausdehnung ihres Wirkungskreises. Am 28. Februar 1480 stif­ teten die Brüder Ritter Kon- rad III. und Burkhard III. von Schellenberg gemeinsam mit dem Schultheißen und dem Rat der Stadt Hüfin- gen sowie den Hüfinger Flandwerksleuten mit Gunst und Willen des Kirchher- 141

Kirchengeschichte ren, des Pfarrers und der übrigen in der Pfarrkirche zu Hüfingen bepfründeten Pries­ ter die Bruderschaft „Unserer lieben Frau und großen Jahr­ zeit“ . Die Errichtung dieser Bruderschaft sollte dazu die­ nen, die bereits von den „A lt­ vorderen“ des schellenbergi- schen Brüderpaares gestiftete große Jahrzeit in ihrem Be­ stand zu erhalten und darüber hinaus zu vergrößern und fest­ licher auszugestalten. Hierzu sollten zusätzlich zu den fünf Priestern, welche eine zur Hü- finger Pfarrkirche gehörige Pfrün­ de besaßen, gemeint sind ne­ ben dem Pfarrer die vier Kaplä- ne der Kaplaneien St. Blasius, St. Barbara, St. Jakob und St. Georg, drei Priestervon außerhalb hinzuge­ zogen werden. Der Ursprung ist ungewiss Auf welches Jahr die große Jahrzeit zurückgeht und wer von den Vorfahren der Schellenberger als deren Stifter anzusprechen ist, lässt sich aufgrund mangelnder urkundlicherZeugnisse hie­ rüber nicht mehr exakt feststellen. Es ist aber durchaus möglich, dass sich hinter der unspezi­ fischen Wendung der schellenbergischen „A lt­ vorderen“ die früheren Hüfinger Stadtherren, die Herren von Blumberg, verbergen, welche ja zu­ gleich die Ahnen mütterlicherseits von Konrad III. und Burkhard III. von Schellenberg waren. Fundiert wurde die Bruderschaft „in unserer würdigen Pfarrkirche Unserer lieben Frau zu Hü­ fingen“ auf dem neuen Altar, der zu Ehren der Hl. Anna und der Hl. Odilia geweiht war, und an dem zuvor bereits die große Jahrzeit gefeiert wurde. Diese im Stiftungsbrief von 1480 verwendete Nennung der „Pfarrkirche Unserer lieben Frau zu Hüfingen“ erfordert einige Überlegungen hin­ sichtlich des ursprünglichen Patroziniums die­ ses Gotteshauses. Die Herkunft des heutigen Pa­ troziniums St. Verena und St. Gallus gilt in der 142 Fahne (18. Jh.?) der Bru­ derschaft U.L.F., P farr­ haus Hüfingen. bisherigen Forschung als ungeklärt. In den Quel­ len lässt es sich erstmals für das Jahr 1662 bele­ gen. In diesem Jahre leg­ te die Unserer-tieben-Frau- en-Bruderschaft dem Gra­ fen Franz Christoph von Fürstenberg ein Verding über die Neugestaltung ei­ nes Altares vor. Zuvor ist lediglich unspezifisch von der Kirche bzw. Pfarrkirche zu Hüfingen die Rede. Sei­ ne erste Erwähnung findet das Hüfinger Gotteshaus in einer Urkunde des Konstanzer Bischofs Hermann II. aus dem Jahre 1183, in welcher dieser dem Augustiner­ chorherrenstift St. Märgen das Recht bestätigt, die Pfarrei Hüfingen mit Kanonikern aus dem ei­ genen Stift zu besetzen. Der erste urkundlich fassbare Patronatsherr der Hüfinger Kirche ist somit die Chorherrenge­ meinschaft von St. Märgen, deren Name selbst von der Gottesmutter Maria abgeleitet ist. In ihrem Stiftungsbrief von 1480 bezeichnen sich die Schellenberger als „Schirmherren der Pfarrei und Lehensherren der verpfründeten Kapläne“ . Aus dieser Wendung lässt sich schließen, dass den Schellenbergern zwar das Patronatsrecht über die einzelnen Kaplaneien zustand, Patro­ natsherr der Pfarrkirche aber offensichtlich noch immer das Stift St. Märgen war. Die Hüfinger Kirche war ursprünglich also eine Marienkirche. Der Patrozinienwechsel zu Verena und Gallus kann frühestens nach dem Übergang des Patro­ natsrechtes von St. Märgen an die Schellenber­ ger bzw. Fürstenberger stattgefunden haben, ist aber wahrscheinlich erst nach dem Dreißigjähri­ gen Krieg anzusetzen. Als zentrales Stiftungsmotiv der Hüfinger Bruderschaft lässt sich aus der langen Aufzäh­ lung in der Fundationsurkunde herausschälen,

dass sich deren Gründer zwar bewusst waren, nicht dem „zeitlichen Tod (…) in dieser falschen Welt“ entgehen zu können, aber hofften durch das „gute Werk“ Ihrer Stiftung doch dem „ew i­ gen Tod“ , sprich der ewigen Verdammnis, zu ent­ rinnen. Zur Patronin ihrer Bruderschaft erwähl­ ten sie die Himmelskönigin Maria, die ihnen als eine „Gnadenerwerberin aller Sünder und Sün­ derinnen“ galt. Mitglied konnte jeder werden Mitglied in der Hüfinger Bruderschaft konnte je­ der werden, der bereit war, den Bruderschafts­ pflegern bei seinem Eintritt 15 Pfennig zu über­ geben und lebenslang in allen vier Quatember­ wochen 2 Pfennig zu zahlen. (Die Quatember­ wochen sind eine alte Vierteilung des Jahres: die 1. Quatemberwoche ist nach dem Sonntag Invo- cavit, die 2. nach Pfingsten, die 3. nach Kreuz­ erhöhung, 14. September, und die 4. nach Lucie, 3. Dezember), jeder Ehemann durfte seine Gat­ tin, wenn diese es wollte, mit in die Bruderschaft bringen. Wer zwar an der Bruderschaft teilhaftig, aber die jährlichen Zinsen nicht zahlen wollte, musste ein Beitrittsgeld von 30 Schilling auf­ bringen. Beim Tod eines Bruderschaftsmitglie­ des hatten die Erben einen so genannten Leibfall in Höhe von 5 Schilling Haller zu entrichten. Die große Jahrzeit sollte an allen Donners­ tagen der Quatemberwochen gefeiert werden. Vom Pfarrer war sie stets am Sonntag m zuvor von der Kanzel zu verkündigen. An der Vigil, d. h. am jewei­ ligen Mittwochabend, zogmanhinterdemVor- ‚ tragekreuz in einer Pro­ zession mit Weihrauch betend und singend unter Glockengeläut um die Kir­ che, das Beinhaus und den gesamten Fried­ hof. Anschließend feierte man bei angezün­ deten Kerzen eine Vigilmesse. Der nächste Morgen wurde mit der großen Glocke ein­ geläutet und begann mit einem gesunge- Vj nen Seelenamt zum Trost der Seelen aller ™ Vortragekreuz der Bruderschaft (?), Pfarrhaus Hüßngen. f ^ – N . R . i Die H üfin g er Uns e re r-L ie ben -Frau en -B ru ders c h aft verstorbenen, aber auch der noch lebenden Bru­ derschaftsmitglieder. Während dieser Seelen­ messe sollten die Priester die Namen aller ver­ storbenen und lebenden Verbrüderten von der Kanzel verkünden. Darauf schloss sich eine ge­ sungene Lobmesse zu Ehren Mariens an. Be­ schlossen wurde der Jahrtag mit einer Prozessi­ on, so wie er am Vorabend eröffnet worden war. Alle Verbrüderten waren gehalten an den Jahr­ zeiten teilzunehmen, niemand sollte ohne trifti­ gen Grund fehlen. Auch sollte sich jeder von ih­ nen die Zeit nehmen, anlässlich der Jahrzeit 15 Vaterunser und 15 Ave Maria zum Lob und zur Ehre des Leidens Jesu und zum Trost der Seelen aller Mitverbrüderter zu beten. Starb ein Bruderschaftsmitglied, so wurde sein Begräbnis mit einer Vigil- und einer Seelen­ messe begangen. Auch wenn ein Verbrüderter außerhalb Hüfingens verstarb und begraben wurde, sollten Vigil- und Seelenmesse gefeiert werden, als ob sein Leichnam zugegen wäre. Wahl der Bruderschaftspfleger An jedem Jahrtag in derersten Quatemberwoche setzten der Kirchherr und ein Amtmann, welcher Mitglied der Bruderschaft sein musste, einen Wahlausschuss von sechs Mitbrüdern fest. Die­ ses Sechsergremium wählte dann aus der Anzahl aller Verbrüderten drei neue Bruder­ schaftspfleger. Die drei Pfleger des Vorjahres hatten sodann vor dem 6er-Ausschuss den neugewählten Bruderschaftspfle- gern die Rechnung über Einnahmen und Ausgaben des abge­ laufenen Jahres zu legen. Bei strittiger Rechnungs­ lage konnten beliebig viele weitere Mitverbrüderte hinzugezogen werden. Aus den Einkünften der Bruderschaft sollte ein Hängeleuchter mit einer großen und vier kleinen Kerzen für die Pfarrkirche angeschafft werden. Zu Weihnachten, Os­ tern, Pfingsten, Fronleichnam, Allerheili­ gen und Allerseelen sollten alle Kerzen des Leuchters zur Vorabend- und Nachtmesse sowie zum Hochamt brennen. An allen Mari­ en-, Apostel- und Evangelistenfesttagen soll- 143

Die H ü fin ger U n s e re r-ü e b e n -F ra u en -B ru d e rsc h aft Bürger und A ngehörige d e r Bruder­ schaft stellen sich u n ter den Schutz der M adonna. Gemälde von Franz Jo­ s e f Weiß, 1780, Pfarrhaus Hü fingen. te die große und bei allen übrigen Hochämtern sollten die vier kleinen Kerzen entzündet werden. Darüber hinaus sollten vier weitere Kerzen zu den Jahrzeiten sowie zu den Be­ gräbnissen der Bruderschaftsmit­ glieder gestiftet werden. Der Rest der Bruderschaftsein­ nahmen sollte für die Ausrichtung der Jahrzeiten sowie den dazu not­ wendigen liturgischen Geräten (Kel­ che, Messgewänder, Bücher etc.) Verwendung finden. Blieb danach ein Restbetrag übrig, sollte dieser gegebenenfalls in den Kirchenbau investiert werden oderan dieärms- ten Kaplaneien fallen. JederMitbruder sollte sich auch von einem halben LotSilberein Bru­ derschaftszeichen anfertigen las­ sen, welches er an allen Jahrtagen zu tragen verpflichtet war. Solange er diese Bru­ derschaftszeichen angesteckt hatte, sollte er sich bei Strafandrohung von Glücksspielen, öf­ fentlichen Tanzveranstaltungen und sonstigen Ausschweifungen fernhalten. Nach seinem Tod fiel das Abzeichen an die Bruderschaft. Auf die Stadtgemeinde bezogen Die Hüfinger Bruderschaft stellte somit eine „kommunale Kommunität“ , d. h. eine im wesent­ lichen auf die Stadtgemeinde selbst bezogene Gemeinschaft dar, in welcher sich aus Sorge um das Seelenheil die für das städtische Leben kon­ stitutiven Glieder, nämlich Stadtherren, Schult­ heiß und Rat, Handwerker sowie deren Ehefrau­ en und die Geistlichkeit zusammengeschlossen hatten. Als anders geartetes Beispiel sei hier aus dem benachbarten Raum die Pfohrener Bruder­ schaft der Elenden-armen-Seelen-Jahrzeit ge- 14 4 nannt, in welcher sich als „grenzüberbrückender Gemeinschaft aus Sorge um das Seelenheil“ den Dorfetter weit überschreitend in großer Zahl auch Verbrüderte aus den umliegenden Gebie­ ten der fürstenbergischen Landgrafschaft zu­ sammenfanden. Thom as H. T. W ieners Literaturhinweise Vetter, August: Hüfingen. Das einstige Brigobanne, bedeutende alemannische Siedlung, ehemaliger Herr­ schaftssitz, fürstenbergische Oberamts- und badische Amtsstadt, die Künstlerstadt im Herzen der Baar, Hüfingen 1984. Wieners, Thomas H. T.: Grenzüberbrückende Gemein­ schaft aus Sorge um das Seelenheil. Die Pfohrener Bruderschaft der Elenden-armen-Seelen-Jahrzeit, in: Emst Zimmermann (Hrsg.): Pfohren – Das erste Dorf an der jungen Donau. Aus der Geschichte einer Baar- gemeinde, Donaueschingen 2001, S. 268 – 290.

Die Bruder-Konrad-Kapelle Niedereschacher Pilgerstätte, Kriegserinnerung und M ah n m al vor 6 0 Jahren errichtet Kirchengeschichte Etwa 500 Meter östlich des Gustav-Strohm- Sportzentrums, auf 700 Metern Höhe, steht über dem Längental und der Kreisstraße nach Deiß­ lingen seit 1946 im Gewann Brandshalde die Bruder-Konrad-Kapelle. Am Andachtsort, zu dem die Niederescha­ cher seit langem ein ureigenes Verhältnis pfle­ gen, befanden sich seit 1937 zwei Bildstöcke und ein an einer Tanne befestigtes Kreuz. Vorausge­ gangen ist diesem Kreuz am Baum ein Heiligen­ bildchen des am 20. Mai 1934 heilig gesproche­ nen Altöttinger Laienbruders Konrad, das den eigentlichen Ursprung der Kapelle darstellte. Dem Baum fehlte seinerzeit ein Stückchen Rin­ de, das austretende Harz hielt das Bildchen fest. Immer wieder wurde der Papierdruck erneuert, von wem, wusste man nie. Stifter des späteren Kreuzes mit Korpus war die Familie des als „Post­ karle“ in die Niedereschacher Geschichte einge­ gangenen Karl Wipf. Die langjährige Verehrung des am 22. De­ zember 1818 in Parzham (Diözese Passau) unter dem Namen Johann Birndorfer geborenen Klos­ terpförtners Konrad, der bis zu seinem Tode am 21. April 1894 im marianischen Wallfahrtsort Alt- ötting wirkte, gab damit einen ersten Anstoß zur Erbauung der Kapelle und der Namensgebung. Hinzu trat schließlich die große Dankbarkeit der Niedereschacher, dass die letzten Kriegsta­ ge trotz mannigfacher Gefährdungen ohne allzu große Schäden vorübergegangen waren. Es gab sicher viele andere Dorfschicksale während und nach dem Zweiten Weltkrieg, die dem Nieder- eschachs ähnlich sind. Es verdient aber beson­ dere Beachtung, dass sich Bürger bewusst wur­ den, nur Gott könne es sein, der seine rettende Hand während der letzten Kriegstage im April 1945 über ihre Heimat gehalten habe und zum Dank in Zeiten großer existentieller Not eine Kapelle im Andenken an das Geschehene zu er­ richten beschließen. So darf man den gesamten Bau unter dem Titel „Ex Voto“ sehen, also aus einem Gelöbnis heraus. Nach dem Beschluss zum Bau der Bruder- Konrad-Kapelle durch den Stiftungs- und Ge­ meinderat seitens der Pfarr- und Zivilgemeinde erfolgte die Grundsteinlegung am Pfingstmon­ tag des Jahres 1946 gegenüber dem Kreuz. Gleichzeitig wurde ein Feldkreuz eingesegnet, das am neu benannten Bruder-Konrad-Weg Auf­ stellung fand. Auch gelobte man, jährlich am „Sonntag vor der Getreideernte“ eine Dankpro­ zession zu Ehren der Gottesmutter und des Hl. Bruder Konrad durchzuführen. Diese Prozession war schon Brauch vor dem Kapellenbau. In Zeiten der Not und des Hungers war es schwierig, das Baumaterial für die Kapelle her­ bei zu schaffen. Von überall her hat es Pfarrer Heinrich Krieg ( geb.11. März 1903 in Rotenfels bei Gaggenau, gest. 2. Juli 1984 in Gaggenau) im Tausch gegen die ihm gespendeten Naturalien wie Speck, Eier, Butter und Mehl erbettelt. In Re­ gie zusammen mit hiesigen, zum Teil aber auch mit auswärtigen Handwerkern – die meisten ha­ Beginn der Bruder-Konrad-Verehrung: Die Einwei­ hung des Bildstocks bei der heutigen Kapelle (1937). 145

Kirchengeschichte ben umsonst gearbeitet – ging er ans Werk. So trugen viele Helfer zum Gelingen bei, indem sie unter anderem auch ihre Fahrdienste anboten. Nicht nur Handwagen und Pferdewagen kamen zum Einsatz, es war der Pfarrer höchst persön­ lich, der auf seinem Leichtmotorrad Marke Zün- dapp-Wanderer mit Handgas so manchen Bal­ ken oder Zementsack zum Bauplatz im Brands­ haldenwald transportierte. Sogar die evangeli­ schen Schwenninger spendeten den Katholischen Baumaterial. In einer Niederschrift über die Ein­ weihung der Kapelle am 8. Dezember 1946 heißt es hierzu: „Unser Seelsorger H.H. Pfr. Krieg dank­ te allen Handwerkern, Handlangern, überhaupt Allen, wer nur je etwas beitrug an der Kapelle zu leisten. Besonders den Schwenninger Handwer­ kern, welche bereits noch die wichtigsten Ge­ genstände machten, wie Gipser, Schlosser usw., aus einer Stadt, wo ja nicht gerade solch guter Geist am meisten weht.“ Das Gipsgewölbe der Kapelle ist auf biegsa­ men Wabenmatten aufgebaut, und so war es die Gipserfirma Weinmann, die zunächst einmal die­ ses Drahtgerüst für die Aufnahme des Gipses herstellen musste. Da der Abstand in der Run­ dung zwischen Drahtgerüst und Dach sehr ge­ ring war, fanden die Gesellen dort keinen Platz. Da war guter Rat nicht teuer, denn man übertrug das Zusammennähen der schmalen Drahtbah­ nen mit Draht zwei damals 11-jährigen Kindern, Die Bruder Konrad Kapelle in Niedereschach. 146 die gut gearbeitet haben, denn bis heute hat sich noch kein Riss gezeigt. Das Wasser, das die Handwerker zum Mau­ ern und Gipsen benötigten, transportierte man in einem Güllefass, gezogen von zwei Kühen, zur Baustelle. Die Einweihung oder Benediktion des Kirch­ leins im Holzblockstil, mit Schindeldach und Spitztürmchen, fand dann am 8. Dezember 1946 statt. Zwei )ahre später erhielt die Kapelle ihr Geläut. Das eiserne Turmkreuz schmiedeten Adal­ bert Glatz (Niedereschach) und sein damals 15- jähriger Sohn Siegmund. „Durch schneebedeckte Felder in den Wald „Um zwei Uhr zog die Prozession mit dem Aller­ heiligsten durch die schneebedeckten Felder hinaus in den Wald“ , so beschreibt der Nieder- eschacher Alban Jäger diesen 8. Dezember. „Die Einweihung nahm Dekan Chrysostomos Fauth aus St. Georgen vor. Anwesend und mitwirkend waren die Herren Geistlichen von Weilersbach (Richard Herberich Pfr.) und Dauchingen (Adolf Böhler Pfr.) mit unserem Hochw. Pfr. Krieg. Nach der feierlichen Einweihung nahm Benediktiner­ pater Tutilo aus Beuron die Ansprache vor und erklärte die von ihm gemalten Bilder… Mit dem Lied ‘Großer Gott wir loben Dich’ schloß die Fei­ er. Trotz der großen Kälte und Glatt­ eis versammelte sich die Gemeinde dennoch zu der würdigen Feier des neuen Kirchleins. Am Montag, den 9. Dezember 1946, fand die erste Hl. Messe statt, der 140 Personen beige­ wohnt haben ….“ Die Ausstattung wie die Ausma­ lung der Kapelle weisen einige Be­ sonderheiten auf, die einen Besuch der über Niedereschach thronenden Kapelle auch für den Fremden reiz­ voll und lohnenswert machen. In sechs Medaillons seitlich entlang der Decke hat der aus dem Kloster Beu­ ron stammende Malermönch Tutilo Gröner (1899-1977) Leben und Wir­ ken des Heiligen Konrad aufgefäch­ ert. Die meisten der dargestellten

Personen tragen die Gesichts­ züge der mit dem Kapellenbau in Verbindung stehenden Nie- dereschacher. Und dem Deckengemälde des von seinem Heimatort Parz- ham nach Altötting wandern­ den Konrad sollen die Züge von Pfarrer Krieg verliehen worden sein, unter dessen Ägide das kleine Gotteshaus entstand. Erinnerung an die Wir­ kungszeit des Namensgebers sind auch die Statuen der Ma­ donna und des Bruder Konrad in der Kapelle, die Pfarrer Krieg aus Altötting geholt hatte. Die Verbindung zum Gnadenbild von Altötting zur Madonna in der Niedereschacher Kapelle ist gegeben, nur dass letztere kei­ ne Bemäntelung trägt, wie dies in Altötting seit 1518 nachweis­ bar der Fall ist. In den i98oer-Jahren ver­ griff sich ein Dieb an der Ma­ donna der Kapelle, dem die Statue glücklicher­ weise an der Schweizer Grenze wieder abge­ nommen werden konnte. Die Außenstatuen wur­ den von Pilgern aus Altötting mitgebracht. Gerät­ selt wird derzeit über den Verbleib eines Kreu­ zes, das vor ]ahren von Sr. Rosebia aus der Eschach nahe der alten Brücke an der Straße nach Fischbach, unter Schlingpflanzen verbor­ gen, aus dem Wasser gezogen wurde. Das nach der Instandsetzung für einen Wohnraum viel zu große Kreuz fand zunächst Im alten Kindergarten Aufstellung, bis es gegen das Kreuz in der Bruder-Konrad-Kapelle ausgetauscht wurde. Deckengemälde mit aktuellem Bezug Aktuellen, d.h. zeitgenössischen Bezug haben nicht nur die Malereien zum Leben Konrads, sondern vor allem die Deckengemälde. Während das vordere rechte Gemälde der Intention der Erbauer gemäß das lokale Kriegsgeschehen mit Die B rud er-K o n rad-K apelle in Niedereschach Links: Trägt er die Züge eines ö rt­ lichen Heim kehrers? Detail des Deckengemäldes. Oben: Krieg und Tod verschonen das Dorf. De­ tail des Deckengemäldes. Unten: A u f dem Weg von Parzham nach A ltötting: Der Heilige Konrad m it den Zügen von Pfarrer Krieg. Detail des Deckengemäldes. Flugzeugen, Bombenabwürfen und trauernden wie bittenden Frauen zeigt, ist auf einem wei­ teren Gemälde die „Heimkehr aus dem Kriege“ in Form eines mit kleinem Bündel heimkeh­ renden Mannes zu sehen, dem Frau und Kind entgegen kommen und in dem ebenfalls wie in der zuvor benannten Decken­ malerei zwei Niedereschacher Einwohner por­ trätiert sind. Nicht nur um Altötting herum wurden zahl­ reiche Kapellen Bruder Konrad gewidmet. Weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus finden sich solche Wallfahrtsstätten, bei denen zu die­ sem Fürsprecher der Menschen mit sorgen­ schwerem Herzen gebetet wird und dessen An­ betung Linderung und Heilung verspricht. So verwundert es im Grunde nicht, dass kaum ein Jahr nach der Einweihung 1946 eine solch ungewöhnliche Heilung für das Nieder­ eschacher Kapellchen vermerkt Ist, welche Anna Schmieder am 20. April 1947 während des Ab­ schlussgottesdienstes eines Triduums erfuhr. Unter großer Beteiligung der Gläubigen aus der ganzen Umgebung leitete der damals 80 Jah­ re alte Altöttlnger Kapuzinerpater Anton Keßler diese Tage der Andacht. Drei Jahre lang hatte er mit Bruder Konrad im Kloster St. Anna in Altöt­ ting zusammen gelebt und war maßgebend für 147

wurde das Dach instand gesetzt und die Außen­ anlagen neu gestaltet. Eine besondere Heraus­ forderung war dabei die Restauration der alten Malereien, da die mit dem Casein von zusam­ mengebetteltem Bibiliskäs bindefähig gemach­ ten Farben von Pater Tutilo durch die modernen Farben chemisch und farblich nicht beeinträch­ tigt werden durften. Und so, wie schon vor 60 Jahren, standen viele Menschen zusammen, um das Projekt ge­ meinsam zu schultern, ein Projekt, das sogar im fernen Afrika seinen Niederschlag fand, indem bei der Neueinweihungsfeier am 7. September 2003 ein stolzer Betrag von über 5 000 Euro für den gebürtigen Niedereschacher Pater Edgar Weinmann zusammen kam, der seit Jahrzehnten in MosambikdieÄrmsten derArmen betreut. Mit der Renovation haben die Niedereschacher ein weiteres Mal ihr Versprechen erfüllt, das sie sich am Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben hat­ ten. So manche Pilgertradition zur Kapelle hat zwar leider ihr Ende durch den zunehmenden Autoverkehr gefunden, die Verehrung des Heili­ gen aber ist ungebrochen. Nur die Bittprozessi­ on am Pfingstmontag findet noch von der Kirche zur Bruder-Konrad-Kapelle statt, die hoffentlich noch lange den Pilger grüßt und durch Anrufung des Namenspatrons der kranken Seele Linde­ rung gewährt. D oris S chreger-B enz / Joachim S tu rm Die B ru der-K on rad-K apelle in Niedereschach dessen Lebensbeschreibung„lm Dienste Gottes und der Menschen“ . Zeitzeugen berichten, dass die schwer gehbehinderte Anna Schmieder zur Kapelle gebracht worden war, nach dem Gottes­ dienst dann aber selbst den ganzen Weg zu Fuß zurück nach Hause gehen konnte. Eine Tafel mit ihrer Leidensgeschichte und die Beglaubigung der Wunderheilung durch Pfarrer Krieg und den Arzt Dr. Erwin Zoller befindet sich in der Kapelle. Zwei Monate später am 20. Juni 1947 ehrte der Freiburger Erzbischof Dr. Konrad Gröber die Kapelle mit seinem Besuch, wie es ein Bild in der Türfüllung dokumentiert. Es ist anzunehmen, dass die Kunde von Anna Schmieders Heilung bis nach Freiburg drang und Anlass zum Besuch des Erzbischofs war. Jeden Sonntag auch hörte die Kapelle das Gebet von Johann Rist, der um die Heimkehr seines in Russland gefangenen Sohnes Rupert bat. Und wirklich, nach Adenauers Moskaube­ such kehrte dieser am 20. Oktober 1955 nach 13 Jahren Krieg und Gefangenschaft als einer der Letzten in seine Heimat zurück. Einen schweren Tag erlebte der Gebetsort im Frühjahr 1990, als der Sturm die mächtige Tanne mit dem Wipf-Kreuz wie ein Streichholz knickte und den Corpus zu Boden schleuderte. Viele der alten Tannen rings um die Kapelle fielen damals dem Sturm zum Opfer, und es grenzte an ein Wun­ der, dass die Kapelle unversehrt blieb. Dasselbe galt auch für den Orkan Lothar an Weihnachten 1999, der die Wälder, da­ runter ein großer Teil der Brandshalde, reihenweise vernichtete. Auch diesmal überlebte die Kapelle. Wie eine Siegerin ragte sie, nur leicht am Dachrand ver- sehrt, mitten aus dem Tohu­ wabohu zerfetzter Stämme auf. Dann begann eine Pha­ se der Renovation, finanzi­ ell getragen und gefördert von vielen Helfern und Spendern, von ansässigen Geschäftsleuten und örtli­ chen Vereinen. Neben dem Innenausbau der Kapelle 14 8 Lädt z u r A ndacht ein: Das Innere d er Kapelle.

Fotowettbewerb des Landkreises zum Jahrhundertwinter 2005/2006 1. Preis – Karin Griesau: St. Georgen, Hirzwald, Stuhl im Schnee. Die Wintersaison 2005/06 war in jeder Hin­ sichtungewöhnlich – seit vielen jahren gab es endlich wieder einmal eine mehrere Mo­ nate lang geschlossene Schneedecke. Dieser ganz besondere Winter bildete den Rahmen für einen Fotowettbewerb des Schwarzwald-Baar- Kreises, zu dem im Sommer 2006 zahlreiche Ein­ sendungen eingingen. Gesucht wurden die 50 eindrucksvollsten Winterbilder aus dem Land­ kreis, eine sechsköpfige Jury kürte die Sieger, die mit Sachpreisen bedacht wurden. Den ersten Preis vergab die Jury mit großer Einmütigkeit an Karin Griesau, die für ihren Stuhl im Schnee, fotografiert beim Hirzwald, die von den Stadtwerken Villingen-Schwenningen ge­ stiftete digitale Compact-Kamera erhielt. Der tragbare DVD-Player, gestiftet vom Kreismedien­ zentrum, ging an Rolf Wehrle für seine stim ­ mungsvolle Nachtaufnahme mit Katze. Fotozu­ behör nach Wahl, gespendet von Foto-Singer, darf sich Franz Maus für seine „Schneesahara bei Döggingen“ aussuchen. Weitere Preise in Form von Büchern, Muse­ umsführern und Kulturpässen wurden vom Landratsamt Schwarzwald-Baar, vom dold.ver- lag sowie den Stadtwerken Villingen-Schwen­ ningen gestiftet. Im Rahmen einer Ausstellung präsentierte der Schwarzwald-Baar-Kreis die prämierten Bil­ dern im Foyer des Landratsamtes. Landrat Karl Heim zeigte sich beeindruckt von der fotografi­ schen Vielfalt und Qualität der Einsendungen. Insgesamt hatten 89 Fotografen mit 535 Aufnah­ men an dem Wettbewerb teilgenommen. Eine AuswahlderSiegerbilderwird aufden folgenden Seiten bunt gemischt vorgestellt. 149

F o to w e ttbew e rb 2. Preis – RoIfW ehrle: Katze in der Winternacht, a u f dem Raben bei Furtwangen 3. Preis – Franz M aus: Bräunlingen-D öggingen, Schneesahara bei Döggingen 150

Fotow e ttb ew e rb 4. Preis – Gerhard Krieger: VS-ViUingen, Villinger M ünster 5. Preis – Blasius Willmanri: Schönwald, wunderschöne Loipen 151

Fo to w e ttbew e rb Wolfgang A rm bruster: Unterklrnach, perfekt getarnt, verschneite Futterbälle im U nterkirnacher Grund Hans-Jürgen Böhm: Unterkirnach, der Weg zu r Woh- nung w ird freigeschaufelt Ulrich Fleig: Triberg-Gremmelsbach, m ounted Erhard Büttner: VS-Pfaffenweiler, guten A p p e tit im (Kategorie „S chnappschuss“) Schnee (Kategorie „S chnappschuss“) & % M onika Burger: VS-Villingen, M ülleim er in derS ebas- Irene Dewald: VS-Villingen, im ehem. Familienfreizeit- tian-Kneipp-Straße (Kategorie „S chnappschuss“) park, zugeschneit (Kategorie „S chnappschuss“) Gerd Emmert: St. Georgen, Flieder m it Häubchen Inge Emmert: St. Georgen-Langenschiltach, Eiszeit in Langenschiltach

F o to w e ttbew e rb Antje Härter: Königsfeld-Buchenberg, Jungbauernhof Josef Hirt: Donaueschingen, schwungvolles Balkon­ in Buchenberg (Kategorie „Schnappschuss “) geländer H ubert Hum mel: VS-Villingen, M orgenspaziergang – Rauhreif am Waren berg Jörg Kieninger: St. Georgen-Oberkirnach, Oberkirnach am Sägberg Otto Kritzer: Donaueschingen-Neudingen, im M orgen- Peter Lutz: VS-Schwenningen, Blick von der Schwennin- licht, Donau unterhalb von Neudingen g e r Steige, A bendstim m ung Hanna M oser: Königsfeld-Buchenberg, W interzauber Sebastian M üller: VS-Villingen, M ünsterbrunnen in Vil- am Tonishof, Königsfeld-Buchenberg lingen (Kategorie„S chnappschuss“)

Fo to w e ttbew e rb Arno Pfaff: Furtwangen, Sonnenaufgang a u f dem Brend, Furtwangen Bettina Pfaff: Furtwangen, Brendhof, die Brendkinder a u f der Schaukel (Kategorie „S chnappschuss“) M arita Rodehorst: VS-Zollhaus, Schuppen beim Zoll- U li Saupe: Schönwald, Untertiefenbach haus Sabine Solak: Brigachtal, Schneeräum ung (Kategorie „S chnappschuss“) Steffen Sturm: VS-Weilersbach, Letzter Schnee am 31. M ai 20 0 6 zwischen Weilersbach und Schwenningen Karin Wiedel: VS-Villingen, Baum in Wintergarderobe

F o to w e ttb ew e rb Walter Brack: B räunllngen-D öggin- gen, Licht und Schatten Hermann Fehrenbach: Vöhrenbach- Urach, Holzstapel Doppelpack Susanne Funk: Furtwangen, A bend­ sonne a u f der Schnabelhöhe Richard Ganter: Furtwangen, Son- nenschein Imke Lücken St. Georgen-Brigach, B latt im Garten Barbara Noack: Königsfeld-Buchen- berg, Frauchen h a t uns vergessen Sina Renata: Furtwangen-Schönen- bach, Wassertürme in der Breg Jörg Schlenker: Vöhrenbach-Ham- mereisenbach r. i W M ichael Tocha: VS-Pfaffenweiler, beim M agdalenenberg

8 . Ka p i t e l M u s i k Bregi House Band – „Cover“ als voluminöses Live-Musikerlebnis Die Bräunlinger Formation besteht heute aus 19 M u siker und M usikerinnen Die BREGI HOUSE BAND aus Bräunlingen w urde im Jahr 2 0 0 0 als spontane Formation für ei­ nen einzigen A u ftritt beim Bräunlinger S traßenm usik-S onntag gegründet. M ittle rw e ile h a­ ben sich die 19 M itg lie d e r der Band in m ehreren viel beachteten A uftritten einen guten Ruf auch über die Region hinaus erspielt. Ihre M u sik reicht von Clapton bis Zappa, das Reper­ toire deckt den Rock, Soul und Blues der späten i96oer-Jahre bis hin zu aktuellen Titeln ab. Die ausgezeichneten Solo- und Rhythm us-Träger w erden von ein er starken Bläser-Form ati­ on und dem stim m gew altig en Background-Chorus unterstützt. Das Ergebnis ist m ehr als „Cover“ – es ist ein volum inöses Erlebnis, die Band live zu erleben. Ihr S paß an der M usik schlägt schnell au f das Publikum über und eine to lle S tim m ung ist garantiert. Irgendwie könne es keiner der 19 Musikerinnen so richtig fassen – doch noch immer mache es Spaß wie am ersten Tag. Hilmar Lutz, der vor sie­ ben Jahren einer derjenigen war, der die Initial­ zündung zur Gründung der Bregi House Band gab, lehnt sich zurück. Mehr aus einer Laune her­ aus war im Jahre 2000 die Bräunlinger Musik- Die Bregi House Band beim Hohentwiel-Festival im Jahr 2005.

Bregi House Band Einer der Höhepunkte in der noch jungen Geschichte der Bregi House Band war der A u ftritt bei der Stall- wächter-Party2005 des Landes Baden-W ürttemberg in Berlin. Links: D ieSängerinnen der Gruppe m it M in is ­ terpräsident Günther Oettinger, der zu den Klängen der B räunlinger „C over“ -Band bis in die M orgenstun­ den hinein tanzte. gruppe gegründet worden, um Geld durch einen Auftritt beim „Straßenmusiksonntag“ für den Verein „KULTurlNItiative im Bregtäler“ zu erspie­ len. „Irgendwie, dachte ich damals, muss es doch möglich sein, eine Handvoll Musikinteres­ sierte zusammen zu bekommen“ , erinnert sich Lutz. „Es gingen so viele Musiker aus und ein im Bregtäler.“ Und auf ein­ mal hatte er 15 Frauen und Männer beieinander – soviel, wie er sich nicht zu träumen gewagt hat­ te. Aus dem einen Auftritt wurden zwei und das gemeinsame Musizieren macht allen soviel Lau­ ne, dass es bis heute anhält. Was daraus gewor­ den ist, hat erste Güte. „Unser Geheimnis ist der Freiraum“ Gibt es ein Geheimrezept, 19 unterschiedliche Charakteure, sieben Frauen und zwölf Männer im Alter von 19 bis 53 Jahren, vom einfachen An­ gestellten über die Mutter, die einen Babysitter suchen muss, bis hin zum Unternehmer, unter einen Hut zu bekommen? „Vielleicht ist es der persönliche Freiraum, den jeder hat“ , wirft Band­ leader Hilmar Lutz die Stirn in Falten. Vielleicht auch der Maßstab, den man an das Projekt legt: „Wir machen die Musik, die uns gefällt, fernab von jedem Mainstream.“ Und: „In der Band ist je­ der ein bisschen mehrals er wirklich ist. Töchter und Söhne lernen plötzlich ihre Väter von einer etwas anderen Seite als gewohnt kennen. Und die gemeinsame Sache macht eben einfach ei­ nen Höllenspaß! Es ist eine ganz einzigartige Band.“ Was sich noch immer bewahrheitet: Die alten Musikstücke, von der Bregi House Band meist als nahezu identische Cover-Versionen präsen­ tiert, haben bis auf den heutigen Tag nichts von ihrem Reiz verloren. Aus den Stücken resultiert das Publikum: „30 plus“ sei der Altersrahmen, so Hilmar Lutz, der die Arrangements der Stücke schreibt, die er meist irgendwo im Radio hört und dann geschwind auf einen Zettel notiert, da­ mit er sich ihnen in einer ruhigen Minute widmen kann. Hilmar Lutz: „Aber mittlerweile hören uns auch die ‘ganz Jungen’ immer wieder zu. Erken­ nen sie doch in den Stücken der Bregi House Band oft die Originalversionen ihrer Hip-Cover- Versionen von heute. Und da kommt dann bei unseren Gigs auch mal Alt und Jung zusammen. Einfach schön.“ Mehr als zwölf Auftritte im Jahr möchte die Bregi House Band nicht absolvieren. Alles darü­ ber hinaus könnte in Richtung inflationär gehen und sei nicht der Stil der Gruppe: „Der Spaß soll bleiben.“ Die schönsten und interessantesten 157

Bregi House Band vor einigen tausend Leuten. Doch nicht die Masse allein macht’s. In die Ru­ brik „Unglaublich“ stuft Lutz auch das Burgfest in Hausen vor Wald und manch anderen kleine­ ren Gig ein, zu dem zwar wesentlich weniger Menschen kommen, wo jedoch auch der Funken überspringt zum Publi­ kum. Viele Bands können heute mit einer eigenen CD aufwarten, doch auch hier geht man bei der Bräunlinger Formation eigene Wege: „Eine Mu- sik-CD ist vorerst nicht geplant, weil sie nicht unbedingt sein muss“ , so Lutz. In Produktion sei vorerst eine Demo- CD. Ausschließen möchte der Bandleader jedoch eine Musikscheibe nicht völlig: Letztlich sei dies auch eine Frage der Disziplin der Bandmitglie­ der, denn gerade bei einer so großen Formation bedeute die CD eine langwierige Probenphase. Und da wolle man niemanden unter Druck set­ zen. Lutz: „Der Spaß an der Musik steht im Vor­ dergrund, solange uns unsere Fans gerne hören.“ Dass der Funke überspringt, dafür sorgt bei der Bregi House Band allein schon die Freude an der M u s ik Auftritte? „M it Sicherheit gehört die Stallwäch­ ter-Party 2005 in Berlin dazu“ , sinniert Lutz. Da­ mals spielte die Bregi House Band auf Einladung des Schwarzwald-Baar-Kreises in der Landes­ vertretung von Baden-Württemberg in Berlin vor zwei ehemaligen Bundespräsidenten, der heuti­ gen Bundeskanzlerin Angela Merkel und vie­ len ranghohen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur. Auch Ministerpräsident Gün­ ther Oettinger schwang mit Frau Inken das Tanz­ bein bis in die Morgen­ stunden. Die Presse ti­ telte: sogar Minister­ präsident Günther Oet­ tinger legte mit Frau In­ ken eine kesse Sohle aufs Parkett. Der Funke sprang zweifelsohne über.“ Und weiter: ,,‘Bre- gis’ erobern Berlin – Diplomaten bekommen bei Stallwächter-Party im Juli was zu hören. Die Mu­ siker der Bregi House Band klettern seit Jahren kontinuierlich die Erfolgsleiter empor.“ M usik! „Nicht die Masse allein macht’s“ Doch es gibt natürlich weitere Höhepunkte: „Ach ja – und das Hohentwiel Festival.“ Da spielte die Nach sieben Jahren bewegt sich die Bregi House Band in immer größeren Umlaufbahnen um ihren Gründungsort Bräunlingen. Damit ist Die Bregi House Band g e h ö rt zu den größten „C over“ -Bands der Region. 158

Bregi Hou se Band : Die Bregi House Band in Aktion. Wenn die n u n m e h r igköpfige F orm ation die Bühne betritt, be g inn t ein tolles Live-Spektakel – zu r Freude der vielen Fans. der Reiz für jeden immer wieder aufs Neue da. Und das macht eben die Bregi House Band aus – immer wieder Spaß wie am ersten Tag – „am liebsten bis zur Rente“ . Die Musiker und Musikerinnen der Band Zur Bregi House Band gehören derzeit sage und schreibe 19 Musikerinnen und Musiker, die da wären: Heike Anja Baumeister (vocals), Thomas Baur (E-bass), Franz Benz (tenor sax), Jürgen Bruckner (tenor sax), Elmar Dold (trumpet), Juli­ ana Hirt (vocals), Bernadette Kämmerer (sopran sax), Iris Gojowczyk (alt- und sopran sax), Nor­ bert Kämmerer (guitarre), Dieter Kraus (lead-gui- tarre), Nina Lösch (vocals), Hilmar Lutz (key­ bord), Manfred Müller (Posaune, trumpet), Se­ bastian Manuel Müller (trumpet), Sarah Preug- schat-Garcia (percussion), Bernd Schaupp (vo­ cals), Harald Seidler (percussion), Ellen Will- mann (vocals) und Steffen Würth (drums) sowie die Firma Käfer PA, Villingen, Sound- und Licht­ technik. Außerdem haben schon mitgespielt: Thomas Groß, Klaus Flösser, Andy Cramer, Dieter Schnit­ zer, Eva Schilling, Sigi Barth, Arpi Ketterl, Jochen Braun, Gerhard Eberl, Irene Neininger und Gert Winterhalter. Wer mehr über die Bregi House Band erfah­ ren will, bevor ersieh zum nächsten Live-Konzert auf den Weg macht, erhält im Internet unter www.bregihouseband.de eine Fülle von Infor­ mationen. Dort findet sich neben einem Gäste­ buch mit Stimmen der Fans auch folgende Kriti­ ker-Meinung, die von einem bekannten Musik- Event der Region Rottweil handelt: „Satter Sound – Bregi House Band beim Rottweiler Ferienzauber…von EricClapton bis FrankZappa … reicht das große Repertoire der ‘Bregi House Band’ … beste Stimmung ist da praktisch garan­ tiert.“ Stefan L im b e rg e r-A n d ris 159

9 . K a p i t e l K u n s t u n d K ü n s t l e r Ein Meister aus dem Schwarzwald K l a u s R i n g w a l d u n d s e i n W e r k Der unvergessliche Carlo Schmid hat einmal erzählt, wie er dem Bildhauer Klaus Ring­ wald begegnete und wie er sofort wusste: „das ist kein gewöhnlicher Künstler, das ist einer, der sich auferlegt hat, was er schafft, fertigzumachen“ 1 – also einer, der seine Werke vollendet, der vollendete Werke schafft. Dieses Lob wiegt schwer; denn Carlo Schmid war nicht nur ein großer Politiker, sondern auch ein großer Kenner der Künste. Sein „Römisches Tagebuch“ enthält, nur zum Beispiel, wunderbare Bemerkungen zu den Büsten der Cäsaren, die er in den römischen Museen sah; etwa über die des Augus- tus als „Spiegelungen der Weltkräfte, die in diesem Menschen versammelt waren und in ihm in Erscheinung traten“ 2. Solche Spiegelungen sind dann auch die beiden Büsten, die Ringwald von Schmid schuf. Der Schonach- er Bildhauer Klaus Ringwald m it einer Büste von Carlo Schmid. Der große SPD- Politiker war ein Kenner der Künste, meinte über Ringwald: „E r ist einer, der vollendete Werke schafft. “ Der Weg zum Werk Im ersten Buch der Bibel, im Buch Genesis, heißt es, dass Gott den Menschen „nach seinem Bilde“ schuf; doch auch das Umgekehrte ist, in gewisser Weise, wahr. Denn wenn es weiter heißt, dass Gott den Menschen „aus Erde“ form te, und aus ihr auch „a lle Tiere des Feldes und alle Vögel des Him m els“ – dann haben die Menschen sich ihn, den Unvorstellbaren, als einen Bildhauer vorgestellt. Man versteht, warum die Menschen sich den, der sie schuf, nach diesem Bilde Alte Bäuerin schufen, wenn man einen Bildhauer, wenn man Klaus Ringwald bei der Arbeit sieht; wenn man sieht, wie er zwar nicht nach seinem Bilde, sondern nach dem von Rohrhards- berg. 160

Klaus Ringwald l 6 l

Links: Lothar Späth, früherer Minis­ terpräsident von Baden- Württemberg und Vorstands­ vorsitzender der Je n optik AG. Entstanden in den Jahren 2003-2004. Kunst und Künstler eines anderen schafft, wenn er also po rträtiert (und wenn man sogar selber der ist, der po rträtiert wird). Wenn man es nicht selber sähe, würde man es nicht für möglich halten. Ringwald arbeitet direkt in das Material hinein, oder aus ihm he­ raus; und dieses Material ist Erde, Ton. Er arbeitet m it den bloßen Händen, allen­ falls m it einem kleinen Spachtel oder Spatel; aber diese Hände setzen nur um, was die Augen sehen; Augen, denen nichts entgeht, unter deren Blick man fast vergeht. Nie nim m t Ringwald den Weg über die Zeichnung, die Skizze, der ja ein Umweg ist. Und der Kopf aus Ton wird abgeformt und um geform t in Gips, und dann in Wachs, und endlich in Bronze; m ithin in einem Material, dessen „unendliche B ild­ sam keit“ sich, wie Hegel sagt, „m it allen Arten der Darstellung vertragen kann“ 3. Erde und Wasser, Feuer und Luft – also alle Elemente – bewirken das Werk, das aber an jeder Stelle w ie d e ra u f dem Spiel steht, gelingen oderauch miss- lingen kann; nicht anders als, nach Schiller, die bronzene Glocke. Oder wie der alte Eugène Rudier, bei dem Rodin, M aillol, Bourdelle gießen ließen, zu Carl Jacob Burckhardt sagte: „Im m er war es eine Spannung, eine Sorge bis zuletzt; wie leicht kann beim Guß etwas geschehen!“ ^ i i » W I I r ’ Doch die Werke, die Ringwald schuf, sind gelun- gen, in künstlerischer und in handwerklicher Hinsicht. Zwar kann man, nach einer Bemerkung von Hegel, diese handw erkliche Seite des Bronzegießens als etwas ansehen, „da s m it dem eigentlich Künstlerischen nichts zu schaffen habe; aber jeder Künstler arbeitet in einem sinnlichen Stoff, und es ist die Eigenheit des Genies, dieses Stoffes vollständig Meister zu werden, so dass die Geschicklichkeit und Fertigkeit im Techni­ schen und Handwerksmäßigen eine Seite des Genies selbst ausm acht“ 5. Und auch die Handwerker selber sind nicht zu vergessen, die dem Künstler in der Gießerei immer so sorgfältigzuarbeiten. Aber gäbe es nicht einen kürzeren, ungefährdeteren Weg zum wahren Abbild? Etwa durch eine Abformung direkt vom Objekt? Nein; insofern nicht, als sich durch den Auftrag der Formmasse die Gesichtszüge verziehen und verzerren. (Auch des­ halb können Totenmasken trügen, ja in die Irre führen.) Und insofern nicht, als ein solches Verfahren, wie das fotografische Porträt, einen einzigen, zufälligen, be­ liebigen Augenblick festhält, wogegen das bildhauerische Porträt den langen Um­ gang des Bildhauers m it dem Porträtierten in sich versammelt, vereinigt, gleich­ sam auf den Punkt bringt. Immer weiter, und höher hinauf Und wer sind nun die, die Ringwald auf diese Weise porträtiert? Es sind nicht die „G roß kopfeten“ , wie man sie auf bayrisch so bezeichnend nennt; oder nicht nur sie; oder sie nur dann, wenn ihr Kopf dem Bildhauer auffällt, sein Gefallen findet, ihn herausfordert. Dann kann er sehr hartnäckig sein und dem Zögernden, sich Zierenden so langezusetzen, b is e rs ic h in sein Schicksal fügt. Aber auch aufeinen scheinbar Unbedeutenden, einen Unbekannten kann der Blick des Bildhauers Rechts: Dr. Wilhelm Binder, Unter­ nehmer aus Villingen, ent­ standen in den Jahren 1 9 7 5- 1977’■ 162

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Kunst und Künstler fallen – so wie auf die schöne Nubierin, der er einmal in der Londoner Unter­ grundbahn gegenübersaß, die er gleichsam auswendig lernte und zuhause, im Atelier in Schonach, aus seinem so ungeheuer genauen Gedächtnis nachformte. Goethe spricht im „W ilhelm M eister“ davon, dass die Bildhauerkunst ihren Gegenstand in den „Bildnissen bedeutender Menschen“ 6 habe; also bedeuten­ der, und nicht bloß bekannter oder berühm ter Menschen. Wer diesen Unterschied nicht sieht oder macht, gleicht dem sonst so großen Johann Heinrich Dannecker, der als H ofbildhauer am Hof von Stuttgart wirkte; der zwar Schillers schöne Büste schuf, aber auch, wohl w eil er musste, allerhand Aufträge ausführte, die unter seiner Würde waren; und dem deshalb sein Freund Georg Scharffenstein aus Mömpelgard oder M ontbeliard gründlich die Leviten las: „Noch eins, ich habe Dich nicht betrüben wollen, aber jetzt muß es heraus: Dein vieles Porträtieren ärgert mich. Werden Dich denn die M olchköpfe au f die Nachwelt bringen, wenn Du sonsten nichts gemacht hättest? Es ist Profanation der Skulptur, wenn sich unbe­ deutende Vornehme oder reiche Tropfen und erzgemeine Gesichter so haben w o l­ len; diese miserablen Egoisten sollen sich in Gips, in Wachs mit Haut und Haaren abformen und den Guß anstreichen lassen, das sieht ja noch viel gleicher.“ ? Ringwald hingegen hat sich diejenigen, die er darstellte, gut ausgesucht, und er hat sie gut dargestellt. Das erste Bildnis, das er noch als Schüler schuf, war das der Mutter; es folgten, unter anderen, der Vater, die Tochter und die beiden Söh­ ne, die Enkelin; die alte Bäuerin von Rohrhardsberg; die Künstlerkollegen Adolf Feudel und Emil Wächter; die Sänger Kurt Böhme, Hermann Prey, Dietrich Fischer- Dieskau; die Sängerinnen Ingeborg Hallstein und Silke Marchfeld; die Malerin Vera von Buch; die Professoren Karl Bosl und Rudolf Marx; die Politiker Carlo Schmid, FlavioCotti, Walter Gut und Lothar Späth; die Industriellen Dieter Grässlin, Wilhelm Binder und Klaus Leier; der Sportfunktionär Marc Hodler; der Bronzegießer Hans Mayr; der Schriftsteller Hans Flesch von Brunningen; der Kunsthistoriker Rolf Leg­ ier; der Theologe Jörg Zink; der Freiburger Generalvikar Robert Schlund; und, im Rückblick und im Rückgriff auf die bildliche Überlieferung, die Freiburger Erz­ bischöfe Eugen Seiterich und Hermann Schäufele; der Kölner Kardinal Joseph Höffner; die Philosophin Edith Stein; der Schauspieler Paul Verhoeven. Dann gibt es noch die ebenfalls retrospektiven Porträts im Relief (Erasmus von Rotterdam, Damian Hugo von Schönborn, Johannes de la Salle, Rupert Mayer, Heinrich Feur- stein, Heinrich Magnani, Johannes XXIII.) und diejenigen, die Ringwald, oft mit einer gewissen spitzbübischen, schalkhaften Freude, anderswo, etwa an Brunnen und Türen, angebracht hat … so wie sich die Bekannten eines Schriftstellers manchmal in dessen Büchern w iede rfind en.8 Das erste Bildnis war, wie gesagt, das der Mutter, und es gab gleichsam schon den Ton an. Dieser Kopf ist glatt und rund, gerundet; wie ein Kiesel, der im Bach­ bett seit Jahrzehnten glattgeschliffen wurde. Aber die rissige, schrundige Ober­ fläche spricht ihre eigene Sprache, und so auch der schmale, dünnlippige, ein wenig eingezogene Mund sowie die steile Stirnfalte über der Nasenwurzel, die von der Härte eines langen Lebens zeugen und von der Härte, die ihm entgegengesetzt wurde. Ringwald sagt, dass seine M utter lange leiden musste – wie Dürers Mutter, die nach dem Zeugnis ihres Sohnes viele „schw ere bemerkliche Krankheiten“ 9 ertrug. Dass das Bild von Dürers M utter sich hier aufdrängt, w ill viel heißen; näm­ lich dass auch Ringwald seine M utter ungeschönt so formte, wie das Leben, wie der Kampf m it diesem Leben sie geformt hatten. Und dennoch ist dieses Bild schön. „Denn die natürliche Tiefe, welche dem Verhältnis jedes wahren Sohnes zu 164 Portraitkopf der Mutter.

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Kunst und Künstler seiner M utter innewohnt, bringt es mit sich, dass der Sohn, wo er ein Künstler ist und die M utter abschildert, eben aus der unvergleichlichen menschlich-lebendi­ gen Stärke dieses Verhältnisses heraus die Kräfte der Begabung bis zum höchsten Grade aufwendet, um rein das Beste hervorzubringen, dessen seine Anschauung und sein Handwerk fähig sin d.“ 10 (So schrieb Wilhelm Hausenstein über das Bild­ nis, das Dürer von seiner M utter schuf.) Über das erste Bildnis, das Rodin schuf, schrieb Rilke, der sein Sekretär war und ihn gut kannte: „In diesem Werke ist seine Art, durch ein Gesicht zu gehen, schon ganz ausgebildet, man fü h lt seine unbegrenzte Hingabe an das Vorhande­ ne, seine Ehrfurcht vor jeder Linie, die das Schicksal gezogen hat, sein Vertrauen zu dem Leben, das schafft, auch wo es en tste llt.“ 11 Dies trifft auch auf Ringwalds erstes Bildnis zu; und auf ihn auch, was Rilke weiter über Rodin schrieb: „Aber im mer wissender, immer erfahrener und größer kam er zu den Gesichtern der Men­ schen zurück.“ 12 Von Bildnissen, die so vollkom m en sind, hat Hegel gesagt, sie seien „g le ic h ­ sam getroffener, dem Individuum ähnlicher als das wirkliche Individuum selbst“ 1?. Denn ein solches Bildnis zeigt den Einzelnen nicht, wie er sich selber sieht, im Grunde auch nicht, wie er aussieht, sondern wie er wirklich ist. Der Bildhauer – aber auch der Maler – stellt dar und stellt bloß; legt frei; verdeutlicht und ver­ schärft; enthüllt. „So the painter painted the portrait as he saw it, and he put the man’s whole (…) so u lo n the canvas for everybody to see.” 11* Das Porträt enthüllt, ähnlich wie das des Dorian Gray bei Oscar Wilde, was die Person enthält, aber verbirgt. Kein Wunder also, dass es nicht immer gefällt. Immer w ieder kreist Ringwald um die Gestalt des Menschen, und um sein Gesicht. (Aber es geht ihm, wie er selber sagt, eigentlich nicht um das Gesicht, son­ dern um den Kopf über dem Rumpf, den Schädel auf den Schultern; weshalb er, der Porträtist, die Porträtierten bei den so genannten Sitzungen auch nicht sitzen, sondern stehen lässt: aufrechter Stand, aufrechter Gang! Nur so kann er ihnen gänzlich gerecht werden, nur so ihre Gestalt gleichsam ins Gesicht verdichten.) Auch die Gestalt des Tieres hat ihn immer w ieder angezogen. Von den Tieren, die er schuf, haben manche etwas Menschliches, und von den Menschen manche etwas Tierisches, etwa etwas Affiges, Füchsisches, S c h w e in isch e s-ja sogar etwas Molchköpfiges. Aufs Ganze gesehen Es da rf aber nicht vergessen werden, dass Ringwald nicht nur Porträtist ist; ja nicht einmal zuerst. Sein Werk umfasst viele Plastiken im kirchlichen und öffentlichen Raum; Brunnen etwa in Villingen, Hechingen, Waghäusel und Karlsruhe-Durlach; die Geschichtssäule in Säckingen; die Benediktsstatue im Kloster Neuburg, die aber wiederum die Züge des damaligen Abtes Maurus Berve trägt; die Chorräume der Kirchen in Karlsruhe-Mühlburg, Singen und Staufen; den Chorraum der M ann­ heimer lesuitenkirche; die Kapelle im Kloster Neusatzeck; die Türen am Villinger Münster; und die große Christusfigur am Pilgrims’ Gate der Canterbury Cathe­ dra l.1? In Villingen steht ein romanisches Münster, das man lange durch Türen betrat, die seiner nicht w ü rdig waren, jetzt hat es, dank Ringwald, als Haupteingang im Westen ein zweiflügeliges Portal, das Maria, der Patronin der Kirche, gewidmet ist; Die große Christusfigur am Pilgrims’ Gate der Canterbury Cathedral. 166

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Kunst und Künstler Die bronzenen Südportale des Villinger Müns­ ters, über ihnen in Stein gehauen das österliche und das apokalypti­ sche Lamm. und im Süden zwei Portale, die in äh nlicher Weise Johannes den Täufer und Johannes den Evangelisten m iteinan de r in Beziehung bringen; über ihnen erscheint, in Stein gehauen, das österliche und das apokalyptische Lamm. Die Bildtafeln au f den Toren sind in Bronze gegossen, so wie ihre großen Vorbilder in alter Zeit, und sind doch ganz anders, ganz neu. Sie sprechen die Sprache derGegenwart, bringen aber in ih rden ganzen Reich­ tum der Geschichte, der Heilsgeschichte zum Ausdruck. Schon der unbefangene Betrachter wird – nur zum Beispiel – bemerken, dass die Bildtafeln des Haupt­ portals fast spiegelbildlich aufeinander bezogen sind, und dass dieser formalen Beziehung eine inhaltliche entspricht, nämlich die zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. So sieht er nebeneinander etwa die Szenen, in denen Jakob die Geburt Isaaks und Maria die Geburt Jesu verkündet wird, oder in denen das jü d i­ sche Volk aus Ägypten und die heilige Familie nach Ägypten flie ht; oder, ganz oben, Eva unter dem Baum, von dem derTod kam, und Maria unterdem Baum des Lebens, dem Kreuz. Diese Bilder können sich nicht nur sehen lassen – sie wollen auch zu denken geben.16 (Und dasselbe trifft auch auf den Villinger M ünster­ brunnen zu, der auf jeder seiner acht Seiten, inhaltlich wie formal, auf einen an­ deren Abschnitt der Stadtgeschichte anspielt, und überdies dem fließenden Was­ ser, dem er ja dient, im m er andere, überraschendere Wege öffnet.) In Canterbury geht man, bevor man den Bereich betritt, in dem sich die ältes­ te und eine der schönsten Kathedralen Englands erhebt, durch ein großes Torge­ bäude, das aus den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts stam m t und dem um die M itte des 17. Jahrhunderts die Figur abhanden kam, die seine m ittlere Nische besetzte. Fast 350 Jahre nach diesem Verlust wurde, nach schon mehreren vergeblichen Versuchen, beschlossen, die störende Lücke zu schließen, die Leere w ieder zu füllen – und zwar nach einem Entwurf von Ringwald, auf den, unter 70 Mitbewerbern aus mehreren Ländern, die Wahl gefallen war. Der große und noch größer w irkende, sitzende oder eher thron en de Christus, der, göttlich und menschlich zugleich, einladend seine Arme öffnet, hat seither die Blicke von zahl- 168 Hauptportal des Villinger Münsters m it den Motiven „Eva Mutter des Lebens“, „M aria Mutter des Erlösers“, „Debora Rich­ terin in Israel“ und „Hochzeit zu Kana“ .

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Kunst und Künstler losen Pilgern und Besuchern auf sich gezogen, hat zu ihnen gesprochen in der Sprache der Kunst. Diese Werke zeigen deutlich, worin Ringwalds besondere Stärke besteht: in der einfühlsamen Einfügung in einen vorgegebenen baugeschichtlichen Bestand, d.h. ohne ihn zu beherrschen, aber auch ohne sich von ihm beherrschen zu lassen.’7 Die Einordnung ist es, auf die es ihm ankommt, und auf die Ordnung über­ haupt; darauf, dass alles seinen rechten Ort und Wert, sein richtiges Gewicht hat, in der Kunst und außer ihr. Gegen den Strom Doch nun, nach so vielen Worten überdasW erk, auch noch einige wenige über das Leben dessen, der es schuf. Klaus Ringwald wurde am 6. August 1939 in Schonach im Schwarzwald geboren; kurz bevor der große Krieg begann, der seinen Schat­ ten auch über die sonst so friedliche Heimat warf. Das stille, schlichte, harte Leben in eben dieser Heimat hat den kleinen Klaus (der die Kühe hütete, der mit der G roßmutter Pilze und Beeren sammelte) auf Dauer geprägt. In Schonach ging er auch zur Schule, zur so genannten Volksschule, und begann dann in Triberg eine Lehre als Schnitzer, die er, noch nicht 17 )ahre alt, m it der Prüfung zum Gesellen abschloss. Als solcher arbeitete er erst einmal weiter, ging aber m it 21 fahren auf ein gutes Jahr an die Kunstschule Wolkenstein im Grödnertal, in Südtirol, wo sich ihm der Süden öffnete, die Welt am Mittelmeer. Über München, wo er zwei Jahre lang bei Prof. Karl Baur m itarbeitete, kam er nach Nürnberg zu Prof. Hans Wimmer, dessen Schüler, dann sogar M eisterschüler er wurde. Das waren wieder vier und nochmals zwei Jahre. W immer war ein großer Meister, aber eigentlich kein guter Lehrer; jedenfalls war er einer, der es seinen Schülern sehr schwer machte, der sie eher abstieß als anzog. Auch e rw a ra u s d e r Provinz, der niederbayerischen nämlich, nach München gekommen und dort in die Welt der großen Kunst eingetreten, wie sie sich in den berühmten Sammlungen auftat und darbot; aber auch in die Welt der Musik, ja des Geistes überhaupt. Viele von denen, die in ihr Rang und Namen hatten, hat W im m er gekannt, viele auch in konzentrierten, aufs W esentliche reduzierten Bildnisbüsten porträtiert. Und darin ist Ringwald, als einer von wenigen, Wimmer gefolgt. Längst ist er selber ein Meister geworden; er hat seinen Weg gefunden und ist ihn unbeirrt gegangen. Man begegnet ihm bei der Arbeit in dem hohen und hellen, von klassi­ scher Musik erfüllten Atelier, das er sich im Wald oberhalb von Schonach, seinem Heimatort, erbaut hat. Von seinen vielen Reisen, die ihn nach Frankreich, Italien und Spanien, nach Griechenland, Ägypten und Indien und Mexiko führten, ist er immer wieder hierher zurückgekehrt. Aber immer wieder hat er auch erfahren müs­ sen, dass ein Prophet nirgends so wenig gilt wie in seiner Heimat, dass er gerade dort ein Rufer in der Wüste ist. Ringwald hat immer m it offenem Visier gekämpft; hat sich nie gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen, den Finger auf die Wun­ den zu legen, selbst wenn es wehtat. Deshalb hat er auch – man darf es nichtver- schweigen – Gegner, die sich oft nicht einm al als solche zu erkennen geben; die dafür sorgen, dass er einen Auftrag nicht bekommt, oder, wenn es ihnen nicht ge­ lingt, wenigstens dafür, dass das ausgeführte Werk missachtet und misshandelt w ird .18 So ist es den Künstlern nur zu oft ergangen (vor allem denen, deren Werke 170 Der Münster­ brunnen er­ zählt au f heiter­ besinnliche Weise die Ge­ schichte der Stadt Villingen, wie bei den Münsterporta­ len sind Perso­ nen der Zeitge­ schichte inte­ griert.

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Kunst u nd Künstler nicht für die private Sammlung, sondern für den kirchlichen und öffentlichen Raum b estim m t sind). Im Hinblick auf Lorenzo Ghiberti, den Schöpfer der Türen am Bap­ tisterium von Florenz, schrieb Giorgio Vasari schon vor 450 )ahren: „W eil es in­ dessen nur selten ist, dass das Talent nicht vom Neide verfolgt wird, so muß man sich anstrengen, so viel wie möglich ihn durch größte Vortrefflichkeit zu besiegen, oder mindestens stark und tapfer genug zu werden, um seine Stürme zu ertragen.“ ^ Als Schwarzwälder, der er ist, und der er sehr bewusst ist, hat sich Ringwald, der akademische Bildhauer und Professor, bei aller W eltgewandtheit noch etwas Knorriges, Uriges bewahrt; auch etwas Unzeitgemäßes. In jener Rede zu seinem 40. Geburtstag hat Carlo Schmid, der ihm so etwas wie ein Vater und ein Freund gewesen ist, zu Recht gesagt, dass er, Ringwald, darunter leide, „dass die Dinge nicht so sind wie sie sein könnten, wie sie mit unseren M itteln gemacht sein könn­ ten, wenn wir guten Willens wären“ 20. Derselbe Carlo Schmid hat, bei derselben Gelegenheit, auch gesagt, dass Ringwald ein Mann, ein Mensch ist, „d e r bei sich daheim ist, und das ist, glaube ich, m it das Beste, das man jemandem sagen kann, und das vielleicht nur einer sagen darf, der sehr alt geworden ist, der durch viele Fremden gegangen ist, bis er gespürt und gesehen hat, was das heißt: Heimat“ 21. Johannes Werner 1 Rede Prof. Carlo Schmid. In: Klaus Ringwald (Hrsg.), Carlo Schmid im Palais B eauharnais . Reden a n l ä s s ­ lich d er feierlichen Enthüllung d er Carlo Schmid-Büste – eine D auerleih gabe d e s Landes Baden-Württem ­ berg – im Palais B eauharnais , Paris. 27. April 2001. O.O., o.J. [2003], S. 23 – 26 ; hier S. 24. 2 Karl Schmid, Römisches Tagebuch. Tübingen und S tu ttgart 1946, S. 103. 3 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Ästhetik. Hrsg. von Friedrich B assenge. Bd. 2., 2. Aufl. Frankfurt a.M. o.J., S. 154. W ien/S tuttgart o.J., S. 190 – 201; hier S. 195C 4 Carl J. Burckhardt, Rodin. In: C.J.B., Reden und Aufzeichnungen. Zürich 1952, S. 253 – 290; hier S. 260. 5 Hegel, a.a.O. 6 Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Meisters W anderjahre. In: J.W.G., Werke Bd. 8 (=Roman e und Novellen Bd. 3). 11. Aufl. M ünchen 1982, S. 7 – 48 6 ; hier S. 291. 7 Zit.n. Christian von Holst, Johann Heinrich Dannecker. Der Bildhauer ^ A u sste llu n g sk a ta lo g ). Stuttgart 1987, S. 80. 8 Vgl. Rolf Legier, Menschenbild er. Klaus Ringwald, der Porträtist. Lindenberg 1999; Jo h an n es Werner, Ei­ ner, d er Bilder von Menschen macht. Hinweis au f Klaus Ringwald. In: Badische Heimat 4 / 2 0 0 0 , S. 693 – 699; Rolf Legier, M enschen gesta lte n – M ensch en g estalten . B ronzeporträts von Klaus Ringwald. Stuttgart 2004. 9 Albrecht Dürer, T agebücher und Briefe. M ünchen 1927, S. 106. 10 Wilhelm H ausenstein, Albrecht Dürer (mit einem Exkurs: Dürers Mutter, vom Sohn gezeichnet). In: W.H., Meißel, Feder und Palette. Versuche zur Kunst. M ünchen 1949, S. 20 – 45; hier S. 41. 11 Rainer Maria Rilke, Rodin. Leipzig 1921, S. 49. 12 Ebd. S. 50. 13 Hegel, a.a.O. S. 239. 14 Dorothy L. Sayers, The Unsolved Puzzle of th e Man with No Face. In: D.L.S., Lord Peter. A Collection of All th e Lord Peter Wimsey Storie s. Hrsg. von Jam es S andoe. New York u.a. 1990, S. 212 – 241; hier S. 236. 15 Vgl. u.a. Klaus Ringwald, Bronze portale am Villinger Münster. Stuttgart/Zürich 1985; ders., Der Marien­ brunnen in W aghäusel. Stuttgart/Zürich 1990; ders., Der M ünsterbrunnen in Villingen. Stuttgart/Zürich 1992; Rolf Legier, Der Welcoming Christ in Canterbury von Klaus Ringwald. In: Das M ünster 3/1 994, S. 253 – 259; ders., Das W under von Mannheim. Festschrift zur Altarweihe d er Jesuitenkirche Man nheim. Linden­ berg 1997. 16 Vgl. Wolfram von den S te inen, Homo Cae lestis. Das Wort der Kunst im Mittelalter. Bd. 1. Bern und Mün­ ch en 1965, S. 39 – 54 („Die Bernw ardstü r in Hildesheim “). 17 Dass Ringwald „d e r größte , e in fü h lsa m ste “ Künstler sei, d er ihm je b e g e g n e te , h a t ihm d er Theologe Eu­ gen Biser e rs t unlä ngst in ei nem Brief (22. März 2006) b ek a n n t und sich dabei b e s o n d e r s au f die Figur von Canterbury berufen. 18 Auch darf man nicht verschw eig en, d a s s sein Verhältnis zu den Amtsträgern der Region, in d e r e r lebt und die er liebt, lange ze rrüttet war, d a s s e s sich inzwischen a b e r zum Guten g e w e n d e t hat; w esh alb er au ch der vorlieg en den Veröffentlichung – in einem für ihn e h e r ungewöhnlichen Umfeld – z uge stim m t hat. 19 Giorgio Vasari, L e bensbeschreibunge n d er a u s g e z e ic h n e tste n Maler, Bildhauer und Architekten d er Re­ naissanc e. Hrsg. von Ernst Jaffé. Berlin o.J., S. 70. 20 Rede Prof. Carlo Schmid, S. 25. 21 Ebd. S. 25C – Dieser Beitrag beru h t z.T. au f einer Rede, die d er Verf. am 6. August 2 004 im Prinz-Max-Pa- lais in Karlsruhe geha lte n hat: nämlich zur Eröffnung der A usste llung „Klaus Ringwald. Köpfe und Viecher unserer Zeit“ . 172 Großartig auch die Tier-Plasti­ ken, hier Kuh und Ziege.

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Kunst und Künstler Ein Kunstraum für St. Georgen DIE VIEL BEACHTETE SAMMLUNG GRÄSSLIN IST IN DER HEIMAT GEBLIEBEN Die Kunstlandkarte muss korrigiert werden. Spätestens seit am 10. Juni 2 006 der Kunst­ raum der Sammlerfamilie Grässlin in St. Georgen mit einem überwältigenden Publi­ kumszuspruch eröffnet wurde, gibt es auch abseits der etablierten Kunstzentren, inmit­ ten des Schwarzwaldes, zeitgenössische Kunst auf hohem Niveau zu sehen. Die Kunst w arzw ar auch schon zuvor in der Stadt, denn schließlich ist die Familie Grässlin hier be­ heimatet, und so w ie die Eltern – Anna und der 1976 verstorbene Dieter Grässlin – schon früh Arbeiten des Informel gesamm elt haben, begannen ihre vier Kinder seit 1981 mit dem Sammeln von zeitgenössischen Kunstpositionen. Ihr Augenm erk richtete sich erneut auf die Kunst der unm ittelbaren Gegenwart. „M an hätte die Sam mlung natürlich auch nach Berlin oder Frankfurt geben können“ , sagte Thomas Grässlin zu Beginn des Bauvorhabens, „aber er wolle in seiner Fleimatstadt eben nicht in einer Kulturwüste enden“ . Dass dies in den nächsten ]ahren nicht dazu kommen wird, hat er mit dem ehr­ geizigen und durchaus stimmigen Projekt eindrucksvoll unterstrichen. Die Fami­ lie Grässlin erhielt das Gelände zwar zu günstigen Konditionen, aber mit der Auflage, es für 50 Jahre ausschließlich für kulturelle Zwecke zu nutzen. Für die Aufrecht­ erh altu ngd esla ng fristigen Museumsbetriebs gründete Anna Grässlin m it den vier Kindern Thomas, Bärbel, Sabine und Karola eine Stiftung. Allein durch die Erträ­ ge der Stiftungssum m e sollen die Betriebskosten des Ausstellungshauses ge­ deckt werden. Überhaupt scheint das Sammeln und die Beschäftigung m it Kunst eine Fami­ lienaffäre zu sein. Die Fam ilienm itglieder betätigen sich dabei sehr erfolgreich als IMetzwerker in eigener Sache. Thomas betreut nun als Vorsitzender der Stiftung Grässlin die umfangreiche Sammlung, Bärbel besitzt die renommierte Frankfurter Galerie Grässlin und ist regelmäßig auf den wichtigsten Kunstmessen vertreten. Karola ist Leiterin der Kunsthalle Baden-Baden und Sabine schließ­ lich betreibt das nach dem Freund der Familie M artin Kippenberger benannte Restaurant Kippys. Teile der m ittlerw eile rund 1500 Einzel­ werke um fassenden Sam m lung w urden zwar schon an verschie­ densten Orten im Stadtraum ge­ zeigt. Aber durch diesen neu ge­ schaffenen Kunstraum bekom m t V A Kunstraum, beim Ausstel­ lungshaus Grässlin.

S a m m lu n g Grässlin -•j – ‚ * – Die Sammlerfamilie Grässlin – Baubeginn zum Kunstraum in St. Georgen. Hinten Bärbel und Thomas Grässlin, vorne Karola, Anna und Sabine Grässlin. 175

Kunst und Künstler die hochwertige Sammlung eine museale Weihe, die durchaus angebracht ist. Vor fü n f Jahren hat das auf der 4 000 qm großen Fläche der Hamburger Deichtorhal­ len bestens fun ktioniert. In der Heimatstadt der Familie Grässlin kann dies nur noch besser werden, auch wenn die Kunst sich durchaus sperrig, schräg, zynisch und provokant dem Betrachter gegenüberstellt. Denn Kunst gehört in die Ö ffent­ lichkeit, unterstreicht Thomas Grässlin sein Anliegen, die private Sammlung öf­ fentlich zugänglich zu machen. So soll die zentrale Ausstellungshalle m it dem großen Vorplatz „ n u r“ der Ausgangspunkt für einen Kunstspaziergang durch St. Georgen sein. Thomas Grässlin bei einer Führung. Er betreut als Vorsitzender der Stiftung zugleich die Sammlung Grässlin. Kunst vernetzt mit der lokalen Stadtstruktur Das Konzept der Sammlungspräsentation setzt auf eine Vernetzung m it der loka­ len S tadtstruktur und hier zeigt sich auch der wesentliche Vorteil, dass sich die bodenständige Sam m lerfam ilie zu ihrem Standort bekennt. Insgesamt g ib t es für die bevorstehende Ausstellungsperiode 20 solcher Zusatzräume in St. Georgen. M it dem Neubau und den „Räumen für Kunst“ , die sich im Bahnhof, in leerste­ henden Ladengeschäften, in Privathäusern, in der Familienvilla, im Rathaus oder auch in Geld­ instituten befinden, kom m t man auf beachtliche 1 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche, also mehr als die Stuttgarter Staatsgalerie bieten kann. Beginnen w ir den Rundgang beim Neubau, der g le ic h z e itig als Info rm a tio n sze n tra le fü r den Kunstspaziergangdient. Drei autonom evom Köl­ ner Architekten Lukas Baumewerd entw orfene Baukörper, der 200 Quadratmeter große, schnör­ kellose, schlichte Kunstraum, das 300 Quadrat­ m eter große Lager, das für w issenschaftliche Zwecke zugänglich ist, und das m it Kunst aus der Sammlung bestückte Restaurant Kippy’ s fügen sich hier zu einem harmonischen Ensemble zu­ sammen. Mike Kelley, M artin Kippenberger, den Gräss- lins schon lange vor seinem in ternationalen Durchbruch gefördert haben, und Albert Oehlen, alle drei zentrale Künstler der achtziger und neunziger Jahre, sind bei der Premierenausstel­ lung mit wichtigen Arbeiten dort vertreten. Kip­ penbergers „T ransportabler Lüftungsschacht“ , der im Rahmen des globalen Metronetzes, der letzten umfassenden Werkgruppe des Künstlers, entstand, begrüßt die Besucher und reckt dem Betrachter sein Saugrohr wie einen Rüssel entgegen. Es geht hier um das Sicht­ barwerden und Freilegen der U nterw elt im transp ortab len Zustand oder das Unbewusste, das vor dem Bewusstsein unter Repräsentationsdruck gerät. Die zehnteilige Serie der „zuerst nicht gekauften Bildern“ von Martin Kippenberger, die im benachbarten Restaurant hängen, beziehen sich ebenso au f vorerst „Birkenwald“, Martin Kippenberger. 176 Sabine Grässlin in ihrem Kunst- Restaurant „Kippys“ . Es ist nach dem Freund der Familie, dem international bekannten Künstler Martin Kippenberger benannt.

Kunst u nd Künstler Unsichtbares, die sich aber als konzeptuelle Kalenderblätter durchaus kritisch m it Haltestelle von Ina Weber. A uf Deutschland und deutscher Kunst beschäftigen. der Bank lässt slch’s mitTho- Auch bei Albert Oehlens malerischem Querschnitt ist der dunkle Schatten kol- lektiver Erinnerung stets latent. Den Bildern „A d o lf Hitler Brücke Krefeld“ und „Z im m er m it Ö“ ist der „B är m it Auszeichnung“ gegenübergestellt. Dieses durch mas Grässlln und durch graue Gemälde find et seine Fortsetzung in der Serie „B erlin bei Nacht“ von Kippenberger. Die grauen und öden Selbstinszenierungen zeigen wie Leben, Fantasien und Erinnerungen Zusammenhängen. Diesen deutschen Positionen mit ihrer hintersinnigen S ku rrilitä t und Groteske fin d e t seine Steigerung ins Alp- traum hafte und Subversive bei dem Amerikaner Mike Kelley. Bei seinen Sadoma- so-Bildideen geht er w e it über das assoziative Moment hinaus und betätigt sich als Tiefen Psychologe unter der Verwendung von Archetypen, die den Kreis zu Kip­ penberger und Oehlen schließen. vortrefflich über Kunst sinieren. Direkt in unm ittelbarer Nähe an der Bahnhofsstraße geht es weiter mit Kunst, Rechte Seite, oben: Installation von Kai Althoff. auch wenn die aus Abfalleimer, Pollern und schräger Parkbank bestehende „Hai- testelle“ von Ina Weber nicht sofort als solche erkennbar ist. Aber wenn Thomas Grässlin quasi als Teil dieser sozialen Plastik auf der roten Bank Platz nim m t – und das kann durchaus oft Vorkommen, denn schließlich hat er im Haus dahinter mit seiner Familie einen mit modernster Kunst ausgestatteten Loft bezogen – dann kann sich ein erkenntnisreiches Gespräch über Kunst entwickeln. Im Rahmen einer Führung, die der Hausherr an jedem letzten Samstag im M onat selbst durchführt, kann auch die Grässlin’sche W ohnung besichtigt werden. Der Diwan von Franz West, der schon mal auf einer Documenta weilte, die kraftvolle abstrakte Malerei von Günther Förg oder die über dem Schreibtisch schwebende aus Kleidungs­ stücken der Familie bestehende Installation von VincentTavenne: Die Wohnung er- Porsche von weist sich als begehbares Kunstwerk. Das entspricht auch dem Selbstverständnis Thomas der Sam mlerfamilie. Sie sperren ihre Kunst, die weniger als Spekulationsobjekt Rehberg. 178

„The Library for the Birds of Antwerp“ von Mark Dion. Installation m it lebenden Finken. Kleines Bild links: Installati­ on von Cosima von Bonin. Kunst und Künstler denn mehr als Trophäe gesehen wird, nicht in den Tresor oder ins Depot, sie leben m it ihren Erwerbungen und setzen sich tagtäglich dam it auseinander. Das sollte auch der Besucher, am besten bei einer Führung, denn som it sieht er die Kunst m it anderen Augen. So wird etwa „Der Bau“ von Reinhard Mucha, der sich im Erdgeschoss unter dem Loft ausbreitet, nicht nur aufgrund seiner enormen Größe als sperrige künstlerische Position gesehen. Man erfährt, dass dieses aus über 50 000 Schraubverbindungen bestehende Monstrum auch einen Bezug zu den Ingenieurleistungen aus der Ära der Bauzeit der Schwarzwaldbahn und ihren Tunnels hat. Der Spaziergang fü h rt den Betrachter w eiter zu der sinnlichen Arbeit „The Library for the Birds of Antwerp“ von Mark Dion. Der New Yorker befragt in seiner Installation m it lebenden Finken die kulturelle Repräsentation von Natur. M it den M itteln der Allegorie und Ironie stellt Mark Dion die Methoden des Sam­ melns und akribischen Archivierens von Tieren und Pflanzen in Frage. Denn die Ordnungssysteme sagen weniger etwas über die Natur selbst aus, als über ge­ sellschaftliche Wertesysteme. Um solche Systeme in ihrem globalen, wirtschaftlichen Zusammenhang geht es auch einige hundert Meter w eiter im Schal­ terraum der Sparkasse. Hier wird der Kunst­ spaziergänger m it einem von Tobias Rehberger in Thailand in Auftrag gegebenen Plagiats ei­ nes Porsches ko n fro n tie rt. Die plum pe Fäl­ schung m it dem schönen Titel „Kao Ka M oo“ entstand freilich nicht nur zum Selbstzweck, das Gefährt fordert den Besucher in der Pro­ vinz zum Dialog heraus, so wie es die übrigen Arbeiten, ob nun von Georg Herold, Meuser, Franz West oder Christopher W illiams geschaf­ fen, natürlich auch können. Genauso w ichtig wie das Besitzen und das Präsentieren ihrer Kunst ist Grässlins auch der persönliche Kon­ takt zu den jeweiligen Künstlern, die „m an ja h ­ relang um kreist“ . Das alles zeigt: Die Samm­ lung Grässlin ist mehr als ihre Präsentation, aber auch mehr als nur eine Famili­ enangelegenheit. Die Sammlung genießt m it ihren sehr dezidierten Schwerpunk­ ten in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf. „M an sammle zwar am mainstream vorbei“ , erklärt Thomas Grässlin. Aber wie es scheint m it einem guten Gespür für zukünftig angesagte Kunst. Die Arbeiten von Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner oder Franz West sind zwar auch heute noch sperrig, aber w e ite st­ gehend anerkannt und salonfähig. Junge Positionen wie die von Kai A ltho ff oder Cosima von Bonin, die ebenfalls gesellschaftliche Verhältnisse su b til und auf ironische Weise hinterfragen, sind auf dem besten Wege dorthin. Ob die Kunst nun arriviert oder noch entdeckungswürdig ist, ein Kunstspaziergang durch St. Geor­ gen lohnt sich auf alle Fälle. Stefan Simon Infos: Sammlung Grässlin, St. Georgen Museumstraße 2. Donnerstag 17 bis 21 Uhr, Samstag und Sonntag 12 bis 18 Uhr. Führungen: jeden letzten Samstag im Monat von Thomas Grässlin. Tel.: 07724 / 8598297. www.sammlung-graesslin.eu Gemälde von Albert Oehlen. 1 8 0

Kunst und Künstler Hans Wolf Stegmann – Keramiker I n t e r a k t iv e Ku n s t w e r k e a l s A u f f o r d e r u n g z u m D i a l o g Zuerst einmal gilt es, sich von einem alten Vorurteil zu befreien. Keramische Kunst sei nur Kunsthandwerk und den anderen Kunstgattungen nicht ebenbürtig, ist so ein w eit­ verbreitetes Vorurteil. Aber irgendwie scheint auch Hans Wolf Stegmann als ernsthafter Künstler dieses Vorurteil zu nähren: Sucht man ihn in dem idyllischen Ortskern von Mundeifingen auf, so prangt an der Fas­ sade des vor rund zehn Jahren zur Wohn- und Arbeits­ stätte umgebauten Farrenstalls der Hinweis „Keramik­ werkstatt“. Vielleicht ist diese Bezeichnung verkaufs­ fördernder und weniger hemmend zum Besuch als das Schild „Künstleratelier“ ? Eigentlich eine Marginalie, denn von Hinweis- schildern sollte man sich nicht täuschen las- sen. Spätestens wenn man das liebevoll res- tau rierte Haus b e tritt, ist man auch in der Kunstwelt Stegmanns angelangt. Natürlich findet man Drehscheiben, Brennöfen und eine Menge Ton vor, denn schließlich sind wesentliche Elemente von Stegmanns Arbeiten aus keramischem Werkstoff, vor allem find et man im ganzen Gebäude die Kunstwerke, die die alten Graben­ kämpfe zwischen Gebrauchskunst und freier Kunst vergessen machen. Hans Wolf Stegmann m it Keramik- Installation. Kaum hat man sich auf das facetten reiche Panoptikum eingestellt und sich die ersten Fragen zu den Kunstwerken überlegt, wird man m it der Aussage Stegmanns überrascht, dass er eigentlich nicht viel über sich als Künstler und über seine Arbeiten sagen wolle. Stattdessen geht es in die kunstfreie Zone des Hauses zum Kaffee trinken. In der stilvollen, reduzierten Küche wird über Gott und die Welt geredet, die Vor- und Nachteile des Dorflebens werden diskutiert, die Vorzüge der alten Sozialstrukturen mit der Selbstversorgung werden beleuchtet. Man redet über das Drachenfliegen, über Hunde und die erholsamen Wanderungen in der nahen Gauchachschlucht. Das bringt einem doch bei aller anfänglichen Skepsis viel weiter als gedacht. Und so gibt es doch noch einen Versuch, etwas auf die Künstlerpersönlichkeit biografisch Relevantes in Erfahrung zu bringen. Hans Wolf Stegmann, 1952 in Schwenningen geboren, war von früh an von dem Bastei- und Farbengeschäft seiner Eltern geprägt. So erlernte er auch den Beruf des Kauf­ manns. Zur erwünschten Übernahme des elterlichen Geschäfts kam es aber nicht. Stattdessen gab es in dem Betrieb auch einen Brennofen, der bei dem angehen- mitzwei Köpfen. den Kaufmann die Leidenschaft zur Keramik entfachte. Flaschenfigur 182

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An der Töpfer­ scheibe in der Werkstatt in Mundeifingen. Kunst und Künstler Er bildete sich autodidaktisch und in verschiedenen Seminaren weiter und seit 1975 ist er als freischaffender Keramiker und in den darauf folgenden Jahren zu­ nehmend als freier Künstler tätig. An Töpfermärkten nim m t Stegmann kaum mehr teil. Gerade noch in Hüfingen. Die Atmosphäre gefalle ihm ganz gut dort und außerdem läge das ja vor der Haustüre, so Stegmann. Seine freien Arbeiten kom­ men im musealen Umfeld und in Galerien ehedem b e sse rzu rG e ltu n g a lsin m itte n der Straßenstände m it der Vielfalt der keramischen Erzeugnisse. Aber auch bei die­ ser Form von Ö ffentlichkeit macht es sich Stegmann nicht einfach. Er macht sich rar, lässt sich oft zu Ausstellungen überreden. Im Hüfinger Rathaus, in der Tutt- linger Galerie Artefakt, im „K langgarten“ in Darmstadt oder im Museum in Steinheim, waren Stegmanns Werke in den letzten Jahren zu sehen. Jedes Mal aber mussten die Galeristen und Kuratoren Überzeugsarbeit zur Teil­ nahme leisten. Manchmal sucht er aber die Herausforderung und be­ w irb t sich bei jurierten Ausstellungen im Kreis. So war er zum Beispiel auf der ersten „Regionale“ in Donaueschin- gen vertreten oderauch mit großen Arbeiten im Foyer des Landratsamtes bei der vergangenen Kreiskunstausstel­ lung. So viel zur Person, das muss reichen! Reicht natür­ lich auch, denn die Kunstwerke sprechen für sich, und besser noch, m it dem Betrachter. Passt ja auch zu einem kritisch denkenden Künstler, der von sich behauptet, als Künstler hätte er eine Botschaft, aber sich dabei so schwer tut, sein eigenes Werk zu erklären. Er bedient sich einfach der Kunst als verm ittelnde Kom m unikationsform . So heißt es also: Berühren nicht nur erlaubt, sogar unbedingt erbeten. Interaktive Werke: drehen, aufpumpen… Falls man sich den Arbeiten Hans W olf Stegmanns m it dem üblichen Respekt vor Kunst nähert, wird lediglich der ästhetische Teil des Kunstwerks sichtbar und der erforderliche Dialog bleibt aus. Über diesen ästhetischen Gehalt hinaus, sprechen die Objekte jedoch noch ganz andere Sinne an: erst indem die im besten Sinne des Wortes interaktiven Keramikobjekte benutzt werden, entfalten sie ihre volle W ir­ kung. Die Werke sind nicht nur beweglich, noch wichtiger, sie sind bewegbar und som it werden die intendierten Botschaften verm ittelt und eigene Vorstellungen ausgelöst. Man kann die installativen Werke (vorsichtig) betreten, drehen und auf­ pumpen. Hans W olf Stegmann hat dafür für jedermann erkennbar die entspre­ chenden Hilfsm ittel eingebaut: M ittels Pedalen, Pumpen, Klistiers und Kurbeln lassen sich die Herz- oder besser Kopfstücke, die auf der Drehscheibe herge­ stellten und anschließend in die gewünschte figurative Form gebrachten Körper, in Bewegung setzen. Die Aufforderungen sind eindeutig. Kinder lassen sich da nicht zweimal bitten. Bei Erwachsenen dauert diese Form von Kunstrezeption oft länger. Dafür bleibt der Kunstgenuss, die daraus gewonnene Erfahrung nachhal­ tiger als bei der traditionellen Kunstannäherung im Gedächtnis. Um was geht es nun dem Künstler bei diesen bewegbaren Arbeiten? Die Aufforderung zum Spiel, zur Einmischung ist mehr als nur reiner Selbstzweck, der zur Auseinandersetzung Rechte Seite, v. oben: Installation mit 59 Gefäßen, Kinderwagen und „Schma­ rotzer“. Letzte­ rer verfügt über einen bewegli­ chen Mund, beim Hüfinger Töpfermarkt z. B. angetrie­ ben durch ein Wasserrad am Marienbrun­ nen. 184

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Kunst und Künstler m it den ungewöhnlichen Konstruktionen dient. Die Form, die Bauart, die einge­ baute Mechanik finden ihre thematische Entsprechung. Die glotzenden Köpfe in der Installation „P edal“ entpuppen sich bei der spielerischen Kunstannäherung als gruppendynamische Wendehälse, die au f Kommando ihre Richtung wechseln. Das „H erz“ lässt sich in sei­ nem starren keramischen Korsett zur vollen Größe aufblasen oder es bleibt bei Nichtbenutzung als schlaffer Sack liegen. Die „L ö ffle r“ sperren in Reih und Glied bei der „Fütterung“ des me­ chanischen Elements den Mund auf. Bei der Arbeit die „K u rb e l“ lassen sich die Figuren in den wabenförmigen Ge­ hirnen in einer Art Reihenschaltung manipulieren. Die embryonalen Gebilde auf den „B ahren“ sind schon im frühesten Stadium beschrieben. Ein Hinweis, dass alles vom Schicksal abhängt oder das In­ dividuum aus der normierten Gesellschaft nicht ausbrechen kann? Flaschenfiguren, Bahren und „Schmarotzer“ Außenseiter gibt es aber bei Stegmanns Installationen durchaus auch. Zum Bei­ spiel bei der aus 59 Gefäßen (hier wurde bewusst eine nicht teilbare Anzahl ge­ nommen) m itd a rin eingelassenen Körpern bestehenden Arbeit wurden einige Tei­ le ausgelagert und stören som it die serielle Ordnung. Das Objekt wird in diesen Kunstwerken im m er selbst zum Subjekt. Fast bei allen Exponaten, sogar bei den bemalten und m it kryptischen Wortspielen wie „Wesen auf Leere“ oder „Leben auf Inhalt“ beschrifteten Flaschenfiguren mit den abnehmbaren Köpfen, ist aus Künst­ lersicht eine Funktion vorgesehen. Eine Handhabung, die bei den schiebbaren Kar­ ren offensichtlich ist. Stegmann hat aber keine freundlichen Kinderwagen ge­ schaffen, seine Vehikel sind m it Sensen und Sägeblättern ausgestattet. Bei einem Objekt, dem „Schm arotzer“ , jedoch kann man als Betrachter gar kei­ nen Einfluss nehmen, man kann nur schauen, staunen und schmunzeln. Bei der Eröffnung des Töpfermarktes im Jahre 2002 kam Stegmanns „Schm arotzer“ zum ersten Mal zum Einsatz. Ohne öffentlichen Auftrag hat sich Stegmann an den Ke­ ramiktagen beteiligt. Der Schmarotzer wurde im Brunnen direkt vor dem Rathaus installiert, nährte sich vom städtischen Wasser und brachte über die mechani­ schen Elemente den keramischen Parasit zum sprechen. Das rhythmische Ge­ schnatter hat die Eröffnungsreden auf humorvolle Weise begleitet. Der experi­ m entierfreudige Künstler sieht sein Kunstschaffen als Reflexion auf eigene Be­ findlichkeiten, als Kommentar auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Im besten Falle bringen sich die Betrachter in diesen Kommunikationsprozess nicht nur ge­ danklich sondern auch körperlich m it ein. Dabei geht es auch um die schwierige Ü berw indung ko n d itio n ie rte r Um gangsform en m it Kunst. Man muss die Bot­ schaften des Künstlers sicherlich nicht teilen, aber je nach Bereitschaft sich da­ rauf einzulassen und je nach Erfahrungsschatz werden individuelle Assoziationen freigesetzt. Und das macht die Kunst von Hans W olf Stegmann so faszinierend. Stefan Simon 186 Die „Löffler“ sperren bei der „Fütterung“ in Reih und Glied ihre Mäuler auf. Rechte Seite, v. oben: Embryonale Gebilde au f der Bahre, das „Pe­ da l“ zur Steue­ rung von „ Wen­ dehälsen“, ei­ ne Flaschenfi­ gur sowie die Arbeit „Kugel­ segmente“.

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10. Ka p i t e l G e s u n d h e i t u n d S o z i a l e s Zwischen Werkstatt und Wettbewerb Lebenshilfe VS betreibt CAP-Markt mitten in Bad Dürrheim M itten in Bad Dürrheim w irb t seit Oktober 2004 ein etwas anderer Lebensmittel-Markt um Kun­ den: In dem CAP-Markt – der Name ist vom eng­ lischen Wort handicap abgeleitet – arbeiten be­ hinderte und nicht behinderte Men­ schen zusammen. Gemeinsam bieten sie Einwohnern und Gästen des Kurorts auf knapp 4 0 0 Quadratm etern Verkaufs­ fläche ein volles Superm arkt- Sortim ent mit rund 6 0 0 0 Artikeln an. Obst und Gemüse stammen aus regionalem Vertrieb. Im Angebot sind aber auch Waren, die es aus­ schließlich in CAP-Märkten gibt. Dazu zählen Tees aus Werkstätten für behinderte Menschen CAP und CAP-Eigenmarken bei Nudeln, Saft und Sekt. Betrieben wird der Markt von den Behinderten­ werkstätten des Lebenshilfe-Ortsvereins V illin ­ gen-Schwenningen. 1999 eröffnete der erste CAP-Markt in Herrenberg. Seitdem entwickelt sich das von der Genossen­ schaft der W erkstätten für be­ hinderte Menschen in Sindel- fingen m itverantw ortete soziale Franchise-Konzept zu einer kleinen Erfolgsge­ schichte. Inzwischen gibt es bundesweit 35 sol­ cher Märkte, und die Zahl wächst weiter. Ziel ist es, Menschen m it Behinderungen zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten im kundeninten­ siven Dienstleistungsbereich anzu­ bieten. Ganz nebenbei wird so die In­ tegration b e hinde rte r Menschen in die Gesellschaft vorangetrieben. Au­ ßerdem gewinnen Gemeinden oder Stadtteile durch einen CAP-Markt an A ttraktivität. Sie erhalten einen „Le­ bensm ittelpun kt“ , der es den Bürgern ermöglicht, Waren des täglichen Be­ darfs günstig zu Fuß einzukaufen. In den Märkten selbst steht der Service im M ittelpunkt. Sämtliche Waren kön­ nen auch telefonisch bestellt und nach Absprache frei Haus geliefert werden. Träger stoßen in eine M arktlücke M it den CAP-Märkten stoßen Träger gem einnütziger Einrichtungen in eine schmale Marktlücke. Der heftige Wett- Integration für behinderte Menschen, CAP-Märkte stoßen in eine schmale Marktlücke. 188

bewerb im Lebensmitteleinzelhandel hat in den vergangenen Jahrzehnten flächendeckend zum Sterben so genannter Tante-Emma-Läden ge­ führt. Und sogar die Verkaufsflächen der in den i97oer-Jahren entstandenen Supermärkte sind großen Lebensmittelketten vielfach zu klein ge­ worden. Die do rt zu erzielenden Gewinnspan­ nen gelten nicht mehr als ausreichend. Aufgrund des Strukturwandels hält der Lebensm ittelein­ zelhandel inzwischen beim Neubau eines ver­ brauchernahen Marktes eine Verkaufsfläche von 1500 Quadratmetern für notwendig. Und selbst bei der Erweiterung bestehender Märkte gelten eigentlich 900 Quadratmeter als Mindestmaß. Das Ziel ist eine „schwarze Null“ Doch die alten, wohnortnahen Supermarkt-Stand­ orte, die von CAP-Märkten übernommen werden, können auch heute noch wirtschaftlich betrie­ ben werden. Voraussetzungen sind ein Einzugs­ gebiet von gut 3 000 Einwohnern und eine Ver­ kaufsfläche, die in der Regel über 400 Quadrat­ meter liegen sollte. Eine goldene Nase verdient sich derTräger m it einem solchen Lebensm ittel­ geschäft freilich nicht. M eist erzielt er unter dem Strich eine schwarze Null. Dieses Ziel erreicht die M e h rh e itd e ru n te rd e m Dach einerW erkstatt für behinderte Menschen oder als eigenständi­ ge Integrationsunternehmen betriebenen CAP- Märkte aber bereits nach kurzer Zeit. Und das trotz eines Personaleinsatzes, der höher als in den meisten vergleichbaren privat betriebenen Märkten ist. Alleine im Bad Dürrheimer CAP-Markt arbeiten drei in Vollzeit festangestellte Einzel­ handelskaufleute m it sechs behinderten M en­ schen zusammen. Die Arbeitsbedingungen sind voll auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Um niemanden zu über­ fordern, werden die behinderten M itarb eite r langsam und ohne den in der freien W irtschaft üblichen Druck an ihre neuen Aufgaben heran­ geführt. Der freundliche Umgang mit Kunden muss dabei genauso erlernt werden wie Waren ein­ räumen, Obst und Gemüse ansprechend präsen­ tieren oder auf M in desthaltbarkeit und Sauber­ keit achten. Nach einer Einarbeitungszeit bedie­ nen behinderte Beschäftigte in den CAP-Märkten C A P -M ark t in Bad Dürrheim Arbeiten ohne Druck, für behinderte Menschen bie­ ten die CAP-Märkte optimale Bedingungen. selbst moderne Scannerkassen. So werden sie entsprechend des gesetzlichen Auftrags der Werkstätten möglichst gut ins Arbeitsleben ein­ bezogen und gefördert. Ziel istzudem , sie enger ins Leben in der Gemeinschaft einzubinden. Tatsächlich ist die Zusammenarbeit m it nicht be­ hinderten Kollegen und der tagtägliche Umgang m it Kunden für eine gelungene Integration von besonderer Bedeutung. Außerdem h ilft die Be­ schäftigun g im CAP-Markt, die Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Durch die vielfältige Arbeit wird das Selbstwertgefühl gestärkt und langfris­ tig die Selbständigkeit erhöht. Lebenshilfe plant weitere CAP-Märkte Die Lebenshilfe Villingen-Schwenningen ist von dem Konzept inzwischen so überzeugt, dass sie im Schwarzwald-Baar-Kreis weitere CAP-Märkte als Integrationsunternehmen plant. Diese Märk­ te wären dann nicht mehr wie der in Bad Dürr­ heim Teil der W erkstätten, sondern eigenständi- 189

C A P -M ark t in Bad Diirrheim ge Betriebe, die zum allgemeinen Arbeitsm arkt zählen. Die Lebenshilfe möchte dadurch die Chancen behinderter Menschen auf einen festen Arbeitsplatz weiter erhöhen. Auch die ö ffe n tli­ che Hand sieht in Integrationsfirm en einen Weg, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Rechtlich stehen Integrationsbe­ triebe daher inzwischen auf einer soliden Grund­ lage. In einem als Integrationsunternehm en ge­ führten CAP-Markt der Lebenshilfe Villingen- Schwenningen werden behinde rte Menschen kün ftig in einem regulären Arbeitsverhältnis mit tarifgerechtem Lohn beschäftigt. M in d e s t e n s ^ 190 Mitten in der Stadt, nah am Verbraucher, das ist ein Erfolgsrezept der CAP-Märkte, die wie jeder andere Lebensmittelmarkt professionell geführt sind und wirtschaftlich sein müssen. Prozent der Beschäftigten sollten schw erbehin­ dert sein. Zielgruppe sind aber nicht nur Men­ schen m it einer seelischen oder geistigen Be­ hinderung. Zusätzlich können auf dem A rbeits­ m arkt schwer zu verm ittelnde Menschen m it Be­ hinderungen sowie behinderte Schulabgänger eingestellt werden, die besondere U n te rstü t­ zung benötigen. Da ein solcher CAP-Markt nicht wie W erk­ stätten dauerhafte Betriebskostenzuschüsse er­ hält, muss er von Anfang an m arktorientiert ge­ fü h rt werden. Nach dem Auslaufen einer pro­ jektbezogenen Anschubfinanzierung unterliegt der Markt den selben Bedingungen wie andere Unternehmen auch. Deshalb zählt er offizie ll zum allgemeinen Arbeitsm arkt. Der CAP-Markt erhält dann für die Beschäftigung seiner behin­ derten M itarb eite rd ie gleiche Unterstützung wie jeder andere Betrieb. Ein dritter Weg für eine kleine Gruppe Ein als Integrationsfirm a geführter CAP-Markt muss sich som it w irtsch a ftlich dauerhaft am M arkt behaupten und geeigneten behinderten Menschen eine reale berufliche Chance bieten. M it dieser doppelten Aufgabenstellung verfolgt die Lebenshilfe Villingen-Schwenningen wie an­ dere Betreibervon Integrationsunternehmen ein anspruchsvolles Ziel. Allerdings sollte niemand dem Irrglauben verfallen, möglichst viele solcher Projekte könnten die Probleme arbeitssuchen­ der behinderter Menschen lösen. Integrationsunternehmen bieten alleine der kleinen Gruppe Schwerbehinderter eine zusätz­ liche Beschäftigungsmöglichkeit, die zwischen der Werkstatt für behinderte Menschen und dem allgemeinen A rbeitsm arkt stehen. Sie sind da­ m ite in d ritte r Weg, eine Art Bindeglied zwischen d e rW e rksta ttfü r behinderte Menschen und dem „n o rm a le n “ Arbeitsmarkt. Hans-Joachim Gebauer

Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild Neujahrsschießen im Villinger Hubenloch fo to g ra fie rt von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler Heißluft-Ballon-Festival Bad Dürrheim fo tog rafiert von M ichael Kienzier, Gremmelsbach Winterabend auf der Ladstatt bei Gütenbach fo tog rafiert von R olf Wehrte, Furtwangen Mundeifingen mit Blick zum Feldberg fo to g ra fie rt von W ilfried Dold, Vöhrenbach Mühlenwanderweg in Königsfeld, beim Kornspeicher Lauble fo to g ra fie rt von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler Eiche auf dem Villinger Magdalenenberg fo tog rafiert von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler Kindertrachtengruppe Schönwald beim G ab riele nh ofin Schönwald, fo tog rafiert von W ilfried Dold, Vöhrenbach Weihnachtsstimmung in Hüfingen fo tog rafiert von Roland Sigwart, Hüfingen A uf dem Donauradwanderweg – fotografiert von Gerhard Krieger, Pfaffen weiler.

11. Ka p i t e l U m w e l t u n d N a t u r Immer mehr Schwarzkittel W ildschw eine im Schw arzwald-Baar-Kreis Die Wahrscheinlichkeit, dass einem in den hiesigen Wäldern ein Wildschwein über den Weg läuft, ist nach wie vor denkbar gering. Das erleben die Berliner im stadt­ nahen Grunewald mittlerweile ganz anders, denn dort, zumal in jagdrechtlich befriedeten Bezirken, machen sich die Wildtiere mitunter sogar zum Stadtgang auf. Und doch wissen die Landwirte und Jäger neuerdings auch im Schwarzwald-Baar- Kreis ein Lied zu singen von den überhand nehmenden Borstentieren. Klagen über Wild­ schäden haben auf der Baar, vorzugsweise auf den standesherrschaftlichen Jagden, gewiss eine lange Tradition. Zuweilen führten sie unter der verarmten Landbevölkerung sogar zu revolutionären Umtrieben und zur Selbsthilfe. Doch stöhnten die Baaremer Jahrhunderte lang unter immensen Rotwildschäden, nach Aus­ rottung des Rotwilds im frühen neunzehnten Jahr­ h u nd ert verm e hrt über Verbissschäden durch Rehe. Schwarzwildschäden hingegen, umgepflüg­ te Äcker und Wiesen, waren offenbar kaum der Erwähnung wert. Neuerdings hingegen wird selbst im Lokalteil unserer Tageszeitungen im m er häufiger über Flurschäden durch W ild­ schweine wie auch über die M ühsal der S chw arzw ildbejagung berichtet, vorzugsweise in der B erichterstattung aus den öffentlichen G em einderatssitzungen zum Tagesordnungs­ punkt „Neuverpachtung des gemeinschaftlichen Jagdbezirks“ . Wo Schwarzwild gehäuft vor­ kom m t, ist die Jagd, wie es aussieht, nur noch nach zähen Preisverhandtungen zu verpachten. Ganz offensichtlich haben w ir es da m it ei­ ner neuartigen Zeiterscheinung zu tun. Denn ursprünglich haben au f der Baar die sibirisch langen und kalten Winter, aber auch der hohe N a delw aldanteil dafür gesorgt, dass sich die Schwarzwildverbreitung in Grenzen hielt. Selbst in der Nachkriegszeit, als – nach der Entwaff­ nung der deutschen Jägerschaft durch die A lli­ ierten – die Vermehrung der Wildschweine land­ a u f landab zur Plage ausartete, gaben sie hier oben keinen Anlass zu gesteigerter Aufgeregt­ heit. Strenger Frost verh ind erte zuverlässig, dass die W ildschweine im W inter beim Umbre­ chen der Grasnarbe an ihre Lieblingsnahrung, an eiw eißhaltige Engerlings- und W ürmerkost, gelangten. Eicheln und Bucheckern fanden sich allenfalls am A lbtrauf oder im Unterhölzer Wald bei Pfohren. Doch auch sie waren bei hoher Schneelage oft nicht mehr auffindbar; der w in ­ terliche Nahrungsengpass erfüllte dazumals noch seine ihm von der Natur zugedachte Funktion als Regulator von Pflanzenfresserbeständen. Waren es also vorwiegend die allzu milden W inter des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts, waren es die mutmaßlichen Vorboten der men­

schengemachten Klim averänderung, die dazu führten, dass sich in den alljährlich dem Villin- ger Kreisjagdamt vorzulegenden Streckenlisten mit einem Mal auch im Schwarzwald-Baar-Kreis eine wundersam e Schw einverm ehrung abzu­ zeichnen begann? Oder hatten die ebenso ausgedehnten wie unzugänglichen Dickungs­ komplexe daran Schuld, die zwischenzeitlich auf den Sturmflächen der 1968er Stürme und des verm eintlichen „ja h rh u n d e rto rk a n s W iebke“ herangewachsen waren? Buchstäblich „ka n n ib a ­ lisch w o h l“ und ungestört fühlen sich die „S a u ­ en“ (Jägersprache) dort bekanntermaßen, wo im Zuge des ökologischen W aldum baus, im Zei­ chen der naturnahen W aldw irtschaft, auch zu­ nehm end Laubhölzer Verw endung gefunden hatten. Waren es in den frühen i98oer-Jahren also noch vereinzelte Zufallstreffer, die Eingang in die Abschussstatistiken des Kreisjagdamtes ge­ funden haben, so wuchs sich die Schwarzwild- bejagung in der Folge zu einer jagdlichen Dau­ eraufgabe aus, geeignet, vielen Baaremer Jägern den Nachtschlafzu rauben. Schwarzwild war aus „Wechselwild“ (Jägersprache), das auf der Suche nach schneeärmeren W interquartieren gele­ gentlich von der Alb durch die Baar in Richtung Schwarzwaldvorberge „wechselte“ , zum ständig hier stationierten „S ta n d w ild “ geworden. In den Schadensersatzberechnungen der von geschä­ digten Landwirten im mer häufiger zu Hilfe geru- S c h w a rz k itte l im S chw a rzw ald -B aa r-K re is Ein stolzer Keiler. fenen amtlich bestellten Wildschadensschätzer spiegelt sich ein erstaunlicher w ildbiologischer Vorgang w ider; fallen die Rechnungen m ittle r­ weile doch gleich einmal so gesalzen aus, dass sich die Jagdpächter die Flaare raufen und manch einer versucht ist, sein Hobby aus Kosten­ gründen endgültig an den Nagel zu hängen. Von Hause aus eigentlich nützlich Dabei sind W ildschweine von Hause aus – im Wald nämlich – eher Nützlinge als Schädlinge, denn der von ihnen umgebrochene W aldbo­ den samt sich besser an als ein vergrastes Keimbett. Das w ühlende W ildschwein leistet dem Forstwirt mithin (Pflanzkosten ersparende) Kulturvorbereitungsarbeit, liefert bodenständi­ ge Naturverjüngung an Stelle teurer Forstkultu­ ren. Bei allzu hoher Populationsdichte kann es freilich auch im Wald zu Schäden kommen, zu­ m indest zu ökologischer Verarmung, w eil etwa bodenbrütenden W aldschnepfen und Auerhen­ nen durch die stöbernden, m it vorzüglichem Ge- Bache mit Frischlingen, die Zahl der Wild­ schweine ist auch bei uns im Steigen begriffen.

U m w e lt und Natur ruchssinn ausgestatteten Sauen der Nachwuchs abhanden kommt. Und doch stellt Schwarzwild für den Jäger auch eine w illkom m ene Bereiche­ rung dar, nicht nur in der Pfanne oder als W ild­ breterlös. Der bloße, zum eist unverhoffte An­ blick einer Rotte W ildschweine wird – Schwein gehabt – selbst für hartgesottene Nimrode noch im m er zu einem starken, oft w a h rh a ft urigen Erlebnis. Der starke Keiler m it seinen Furcht ein­ flößenden „Flau em “ , auch die kaum m inder w ehrha fte Bache, sie nötigen ihm noch immer gehörigen Respekt ab, Achtung auch vor ihrer Intelligenz, vor ihrem ausgeprägten Sozialver­ halten und ihrer scheinbar ungebrem sten Ver­ m ehrungsfähigkeit im Gefolge der winterlichen „R auschzeit“ (Jägerdeutsch). In Acht nehmen mussten sich einst selbst die natürlichen Feinde des Schwarzwilds, Luchs, Bär und Wolf, zumal vor der Frischlinge führenden Bache. Desto größer ist heute die Herausforderung für den in einer stark veränderten K ultu rla nd­ schaft jagenden Zeitgenossen. Nicht zuletzt exzessiver M aisanbau hat dazu geführt, dass das zum indest periodische Nahrungsüberange­ bot die Vermehrungsrate der W ildschweine w ei­ ter hochschnellen ließ. M it Mais und anderen Leckerbissen decken auch die zunehmend unter Erfolgsdruck geratenen Jagdpächter meist zu­ sätzlich noch den Tisch für die nächtens so un­ stet um her vagabundierende V ierbeinergesell­ schaft: sie pflegen dam it ihre „Kirrungen“ zu be­ schicken, um beim nächtlichen Daueransitz dem Jagdglück etwas auf die Sprünge zu helfen, auch um das Schwarzwild ortsfester zu machen. Drück- jagden alter Art, m it brauchbaren Hunden und über mehrere Jagdbezirke hinweg, gerieten da­ bei leicht aus der Übung, waren sie doch auch mit beträchtlichem schießtechnischem Geschick und mit organisatorischem Aufwand verbunden. Schwarzwild wird immer „heimlicher“ Ein Teufelskreis, wie sich unterdessen heraus­ gestellt hat. Denn der zunehmende „Jagddruck“ , der Daueransitz in der Kanzel frühm orgens und spätabends bis zum letzten Büchsenlicht, zu­ dem in mondhellen Nächten, lässt das Schwarz­ w ild noch he im licher werden. Was an der Kir­ rung überlebt, wird durch die dort verabreichte Kampf der Keiler. 202

Wildschwein-Impressionen, vor allem fotografiert im Unterhölzer Wald bei Donaueschingen. Die Jagd auf Wildschweine soll intensiviert werden. Z ufütterun g zu noch erfolgreicherer Fortpflan­ zung angespornt. Um solcherlei Übertreibungen vorzubeugen, sah sich im Jahr 2002 die oberste Jagdbehörde, das Stuttgarter M inisterium Länd­ licher Raum, gezwungen, die gesetzlichen Füt­ terungsregelungen einzuschränken und zu ver­ schärfen. Ob dam it die weitere „Verhausschwei- nung“ (Horst Stern) der Wildschweine, die „M as­ s e n tie rh a ltu n g “ im Wald unterbunden werden kann, b leib t abzuw arten. Schonzeit, die waid- männnische Errungenschaft des 19. Jahrhun­ derts, genießt ohnehin nur kurzzeitig noch die führende Bache, deren Frischlinge oft im ersten Lebensjahr schon Geschlechtsreife erlangen. Weil bei Massenvermehrungen von Schwarzwild auch die gefürchtete Schw einepest d ro h t und weil die Schäden in der Feldflur landesweit im ­ mer bedrohlichere Ausmaße annehmen, fallen die Aufrufe und Appelle der Jagdbehörden, des Landesjagd- wie auch des Bauernverbands zur Intensivierung der Schwarzwildbejagung derzeit von Jahr zu Jahr dringlicher aus. Ob es der Jägerschaft gelingen w ird, die Schw arzw ildbestände w ieder au f ein öko n o ­ misch und ökologisch vertretbares Niveau zu re­ duzieren, steht derweil in den Sternen. Nicht nur der schlauen Intelligenz und Lernfähigkeit der Schwarzkittel wegen, sondern w eil die Freizeit­ jagd heutiger Prägung an ihre Grenzen zu stoßen droht. Weil W ildtiere, erst recht W ildschweine, sich nicht zählen lassen, muss die weitere Ent­ wicklung der Jagdstrecken, müssen die Abschuss­ zahlen darüber Aufschluss geben, ob es gelingt, der „B evölkerungsexplosion“ Einhalt zu gebie­ ten. Sollte jedoch der Maisanbau weiter zuneh­ men, wie es die wachsende Zahl der Biogasan­ lagen und der sich abzeichnende W andel vom Land- zum Energiewirt befürchten lassen, so ste­ hen dem Schwarzwild w o hl auch im Schwarz­ wald-Baar-Kreis, allen jagdlichen Bemühungen zum Trotz, rosige Zeiten bevor. WolfHockenjos Literatur: Hockenjos, W.: Waldpassagen, doldverlag, Vöhrenbach, 2000. S. 61 ff. S ch w a rz kittel im S chw a rzw ald-B aa r-K re is | g i f 203

U m w e lt und N a tur Der Silberreiher – eine neue Noch in den i99oer-Jahren waren Beobachtungen von Silberreihern in Mitteleuropa eine absolute Besonderheit. Neuerdings kann dieser attraktive weiße Reiher auch bei uns regelmäßig im Herbst und Winter beobachtet werden. Was ist geschehen? Wahrscheinlich sind eine positive Entwicklung der Brutbestände und mehrere milde Winter in Mitteleuropa in Folge die Ursache dafür, dass der einst sehr sel­ tene Vogel nun bei uns verstärkt auftritt. Am Riedsee wurden im Dezember bereits 25 Silberreiher gesichtet, nachdem eine Erstbeobachtung eines einzelnen Silber­ reihers im Winter 1984/1985 an der Donau bei Gutmadingen erfolgt war. Danach hatte es viele Jahre nur vereinzelte Beobachtungen gegeben. Brutvorkommen Der S ilberreiher ist eine w e ltw e it verbreitete Reiherart. Er brütet in weiten Bereichen Asiens, Afrikas und Amerikas. In Europa kom m t er vor allem im südöstlichen Teil des Kontinents als Brutvogel vor. Uns am nächsten sind die Brutge­ biete in Österreich am Neusiedler See und in Ungarn. Dort brütet er in ausgedehnten Schilf­ gebieten. Um 1900 wurde der S ilberreiher in seinen südosteuropäischen Brutgebieten fast ausgerottet. Wegen der in Mode gekommenen Reiherfedern wurde die Art stark bejagt. Nach dem Verbot der Jagd setzte in den 1970er Jahren eine deutliche Bestandserholung in Ungarn ein. Auch in Österreich nahm der Brutbestand des S ilberreihers danach deutlich zu. Die Zahl der Brutpaare in den beiden Ländern wird derzeit auf etwa 10 00 geschätzt. N euansiedlungen in der Slowakei deuten auf eine Ausdehnung des Brutareals nach Westen hin. Zugverhalten Ihrem Zugverhalten nach sind die europäischen S ilberreiher als Kurzstreckenzieher oder gar Stand­ vögel zu bezeichnen. Das heißt sie legen auf dem Weg in ihre Ü berwinterungs­ gebiete nur relativ kurze Strecken zu­ rück oder sie versuchen, in ihrer Brut­ heim at zu überwintern. Ihre tra d itio ­ nellen Hauptüberw interungsgebiete liegen im nördlichen M itte lm e e rb e ­ reich und an der Schwarzmeerküste. In neuerer Zeit g ib t es offen­ sichtlich Silberreiher, die ein ande­ res Zugverhalten zeigen: Ab der M itte der i98oer-Jahre wurde am Bodensee und in anderen Teilen Deutschlands eine deutliche Zu­ nahme von Silberreiher-Beo- Der Silberreiher tritt auf der Baar neuerdings als Durchzügler und Wintergast in Erscheinung. 204

Der Silberreihe r – eine n e u e Vogelart am Himmel der ß a a r Vogelart am Himmel der Baar Großes Bild: Silberreiher beim Flug. Kleine Bilder: Eisfreie Entwässerungsgräben bieten den Silberreihern selbst bei minus 18 Grad noch genügend Nahrung. Unten: Zehn Silberreiher trotzen im Januar 2006 in der Ried baar bei Neudingen den extremen Witterungsbedingungen.

U m w e lt und Natur bachtungen außerhalb der Brutzeit registriert. M ittlerw eile liegen aus nahezu allen Teilen Ba­ den-W ürttem bergs Herbst- und W interfeststel­ lungen vor. Seit 1993 gibt es regelmäßige Über­ winterungsnachw eise für das Bodenseegebiet. Auch au f der Baar tritt der S ilberreiher neuer­ dings jährlich als Durchzügler und Wintergast auf. Silberreiher auf der Baar Im Winter 1984/85 wurde erstmals ein Silberrei­ her au f der Baar bei Gutm adingen gesichtet. Über mehrere Tage hinweg war er dort am Ufer der Donau zu beobachten. Aus den darauf folgenden Jahren liegen nur wenige Beobach­ tungen vor. Seit Ende der i99oer-Jahre gibt es allerdings regel­ mäßige Feststellungen von Silberreihern zw i­ schen Septem ber und April im Bereich der Riedbaar. Die Vögel hielten sich jeweils nur einige Tage hier auf. Ein durchgehender Be­ obachtungsnachweis eines Silberreihers für die Monate Februar und März liegt aus dem Jah­ re 2002 vor. Der Vogel konnte während dieses Zeitraums regelmäßig an der Donau bei Neudin­ gen beobachtet werden. Bereits im W inter 2 0 0 2 /2 0 0 3 überw interten dann erstm als zwei Silberreiher im Bereich der Riedbaar, nachdem im Herbst dort über 20 Exemplare für kurze Zeit rasteten. Der W inter 2 0 0 2 /2 0 0 3 war zunächst ein „m ild e r W inter“ . Bis Anfang Januar gab es kaum Tage m it Frost und die Temperaturen lagen bis Ende Januar etwa 6°C über dem langjährigen M ittelw ert, obwohl M itte Januar für einige Tage Dauerfrost m it T iefsttem peraturen um minus i8°C herrschte. Bis M itte O ktober suchten die S ilberreiher fast ausschließlich Wiesen zur Nahrungsaufnah­ me auf. Aufgrund einer hohen Dichte der Feld­ maus fanden sie hier reichlich Nahrung. Ein ge­ nauer beobachteter Silberreiher hat im Bereich 206 Die Riedbaar bei Neudingen ist zum Überwinterungs­ gebiet des Silberreihers geworden. des Ankenbucks innerhalb von 15 Minuten drei Mäuse erbeutet. Derartige Beobachtungen w ie­ derholten sich in den da rau ffolgen de n Tagen. Wassergräben als Nahrungshabitate Ab Anfang Dezember nutzten die anwesenden Vögel vor allem die nicht zugefrorenen Gräben der Riedbaar als N ahrungshabitate. Am 12. Ja­ nuar 2003 erbeutete ein S ilberre ihe r in einem Graben beim Ö schberghof bei -16 Grad in ne r­ halb von 20 Minuten sieben kleinere Beutetiere. Darunter waren mit Sicherheit kleine Fische. Es kommen aber auch Larven von Wasserinsekten als Nahrung in Frage. Der Silberreiher konnte bis zum 25. Januar regel­ m äßig an diesem Gra­ ben beobachtet w e r­ den. Dabei teilte er sich das N ahrungsangebot mit einem Eisvogel, der hier zur gleichen Zeit w ie d e rh o lt bei der er­ folgreichen Jagd auf Fi­ sche beobachtet w e r­ den konnte. Nachdem Mitte März der Unterhölzer Weiher auftaute, hielten sich die S ilberre ihe r nahezu ausschließlich hier auf. Die anwesenden Silber­ reiher verhielten sich sehr ortstreu. Sie hielten sich über mehrere Tage oder gar Wochen hinweg als „Einzelgänger“ im gleichen Gebiet auf, man könnte von „Rastrevieren“ sprechen. Vor allem am Ufer der Donau und in Entwässerungsgräben zwischen Pfohren und Gutm adingen konnten jetzt die Silberreiher auf der Jagd nach Wasser­ insekten und Fischen beobachtet werden. Es ist denkbar, dass die Zunahme der Beo­ bachtungen von S ilberreihern in M ittele uro pa die Folge der deutlichen Erhöhung der B rutbe­ stände im südöstlichen Mitteleuropa ist. Einiges de utet auf eine A realausdehnung der Art in westlicher Richtung hin. Allerdings könnte auch die Abfolge mehrerer „m ild e r W inter“ während der letzten Jahre das Zug- und Rastverhalten der Silberreiher verändert haben. Text u n d Fotografie: H elm ut Geh ring

De r S ilb e rre ih e r – ein e n e ue V o g e la rt am H im m e l d e r Baar Bildfolge zur Jagdstrategie des Silberreihers: Abschreiten, Orten der Beute durch „Hören“, „Lauern“ und „Zustoßen“. Zur Beute gehören Feldmäuse, Larven von Wasserinsekten aber auch kleine Fische. Bevorzugtes Jagdrevier ist das Umfeld der jungen Donau bei Neudingen und Gutmadingen. 207

Umwelt und Natur Iris – Göttin des Regenbogens Im Garten von Christian Muthmann finden sich von der faszinierenden Blume 125 Sorten Die Iris, auch Göttin des Regenbogens genannt, faszin ie rt ihn seit etwa 20 Jahren. Schon als Kind fiel Christian Muthmann die in unzähligen Farben im Garten des Vaters vertretenen Blumen auf. Auf späteren Reisen, vorwiegend nach Süd­ frankreich und Korsika, en t­ deckte er diese Blumen erneut in Gärten, Parkanlagen – aber auch w ild wachsend selbst an kargen Berghängen der Pro­ vence und auf dem Plateau des Caumes, in den A lpilles. Bei uns im Schwarzwald-Baar-Kreis ist sie ebenfalls eine beliebte Pflanze in den Bauerngärten. Zeichnungen und Farbkom binationen, die der Iris die unvergleichliche Eleganz verleihen.“ Nicht in den Erbanlagen vorhanden ist die Farbe signalrot. W eltweit waren bis 1995 insge­ samt etwa 42 000 Sorten registriert und jährlich kommen bis zu 1 0 0 0 Neuzüch­ tungen hinzu. Die weitaus meis­ ten Züchtungen stammen aus den USA. An der Spitze steht die Gärtnerei Robert Schreiner aus Salem /O regon m it 100 Hektar Iris, die für ihre Spitzensorten die höchsten Auszeichnungen er­ hielt. Christian Muthmann, der im Brigachtaler O rtsteil Überau- chen lebt, befasste sich mit die­ ser Pflanze näher, sammelte Ableger (so genannte Rhizome) und pflanzte diese im eigenen Garten, in dem inzwischen über 125 verschiedene Sorten wach­ sen. Christian M uthm ann, in ­ m itten seiner Irisblüten ste­ hend, über sein Hobby: „Es gibt w ohl keine Blume, die die Far­ benvielfalt der Iris erreicht. Nicht nur die Farben von Weiß über Creme, Gelb, Ocker, Oran­ ge bis Dunkelbraun und Och­ senblutrot, von Hellblau, M ittel­ und Dunkelblau bis Violett, von Rosa bis Lila und sogar Schwarz – es sind vor allem auch die Wohl keine zweite Blume erreicht die Farbenvielfalt der Iris, welt­ weit g ibt es ca. 42 000 Sorten. Im Garten von Christian Muthmann blühen mittlerweile rund 125 verschiedene Arten. 208 Zur Kulturgeschichte der Iris Die Iris hatte in allen Z ivilisatio­ nen des M ittelm eeres eine v ie l­ fältige Bedeutung. Erste Darstel­ lungen der Pflanze finden sich bereits im 17. Jahrhundert v. Chris­ tus. Im Palast des M inos von Knossos au f Kreta entstand in dieser Zeit eine W andmalerei, au f der ein kön ig lich er Prinz durch ein Irisfeld schreitet. Für die Ägypter der A ntike war die Iris ein Symbol der M ajestät und Würde. Von Thutmosis I. ist über­ liefert, dass er Zwiebeln und Knollen der Iris von seinen Feld­ zügen nach Syrien als Kriegsbeu­ te m itbrachte. In Europa brach­ ten im M itte la lte r die Ritter o ft­ mals von ihren Kreuzzügen Rhi­ zome der Irispftanzen m it und sorgten somit für die Verbreitung in Europa. In der griechischen M yth o lo ­ gie war Iris die Botin der Götter,

Iris – G öttin des R e genbogens Christian Muthmann in seinem Iris-Garten in Brigachtal-Überauchen. die durch das A useinanderfalten ihres Schals den Regenbogen „p ro d u z ie rte “ . Sie waren so vom Farbenreichtum der Irisblüte berührt, dass sie ih r den Namen der Göttin gaben. Die Grie­ chen benutzten sie auch als Heilpflanze gegen Sommersprossen, zur Heilung von Geschwüren, zur Verjüngung der Haut und gewannen aus den Rhizomen Essenzen für ihr Parfüm. Noch heute ist sie w ichtige r B estandteil in einigen der berühmtesten Parfüms, z.B. L’ homme (Versace), Anais Anais (Cacharel), Chloe (Lagerfeld) und Chanel Nr. 5. W einwürze und W appenblume der Könige Die Römer würzten mit den Essenzen ihren Wein und warfen getrocknete Rhizomstücke in die Glut, dam it Wohlgeruch durch die Räume zog. In Frankreich trugen die Könige die Iris im Wappen. Man berichtet, dass der fränkische König Chlod­ w ig I. an einem Rheinarm bei Köln von den Go­ ten eingeschlossen war. Er entdeckte die weit in den Rheinarmen wachsende Iris und schloss daraus, dass das Wasser hier seichter sein muss­ te. So gelang es ihm, seine Armee in Sicherheit zu bringen, daher wählte er die Irisblüte als Em­ blem, was sie bei allen späteren französischen Königen blieb. So haben etwa die französische Die Iris im Wappen von Grüningen Die Iris fin d e t sich auch im Wappen von Grüningen, Orts­ te il von Donaueschingen. Die offizie lle Beschreibung des 1971 m it der Eingliede- rung erloschenen Wappens lautet: „In Rot eine silberne Kugel, über­ höht von einer goldenen Lilie.“ Das Wap­ penbild w ird au f ein altes Dorfzeichen zu­ rückgeführt, das erste bekannte Siegel stam m t aus dem Jahr 1811. 209

U m w e lt und N a tur Stadt Lille und Regionen wie An­ jou, und Saintonge die Iris in ihrem Wappen. In Jordanien indes ist über­ wiegend eine pechschwarze Iris beheimatet. Sie ist Nationalzei­ chen und auch au f den Geld­ scheinen abgedruckt. Das Aus­ graben der Pflanze ist dort streng verboten und wer zu w i­ derhandelt, erh ält hohe Geld­ strafen. In der Kunst finden w ir zu al­ len Zeiten Darstellungen der Iris, ganz besonders zur Geltung kom m t die Iris in den herrlichen Blum enstillleben der Maler des 16. bis 19. Jahrhunderts (Jan Brueghel, Claude Monet, Emil Nolde usw.). Vincent Van Gogh (1853 – 1890) hat mehrere Iris­ bilde r gem alt, die heute m it zu den Hauptwerken in seinem Schaffen zählen. Die Künstler des Jugendstils liebten die Iris ebenfalls. Man fin d e t sie au f M öbeln, Tapeten, Kacheln, Glasfenstern und auch auf berühmten Vasen. Einteilung und Botanik Die Iris, die zur Familie der Schw ertliliengew ächse gehört, ist eine mehrjährige Pflanze und hat ihren Platz in der großen Gruppe der Liliengewächse. Sie lässt sich grob zwei Gruppen zu­ ordnen: der Rhizomiris und der Z w iebeliris. Die Rhizomiris un­ terscheidet sich in die bartlose Iris und in die Bartiris. Im Garten von Christian M uthm ann ist überwiegend die Bartiris angepflanzt, deshalb steht sie in diesem Beitrag auch im M ittelpunkt. Charakteristisch für sie ist der „B a rt“ , ein Band von Haaren in der M itte der Hängeblätter, des­ sen Farben von Weiß über Gelb, Orange, Braun und Blau bis hin zu Violett-Tönen reicht. Die Nar- 210 Farbenprächtige Irisblüten, von oben: Bartiris, Batik und Proven- cal. ben m it Griffeln und S taubblät­ tern sitzen geschützt in der Blü­ te. Die Bartiris wird wiederum in drei Gruppen u n te rte ilt, in die niedrige Bartiris (Iris Barbata- Nana Hybriden, 15 – 30 cm hoch, ab M itte A pril blühend), die m it­ telhohe Iris (Iris Barbata-Media Hybriden, 40 – 70 cm hoch, ab Mai blühend) und die hohe Iris (Iris Barbata-Elatior Hybriden, 70 – 120 cm hoch, ab Juni b lü ­ hend). Die Iris im Garten Die Bartiris lieben trockene Bö­ den; sie gedeihen am besten in voller Sonne und kommen m it wenig Niederschlägen aus. Gie­ ßen und Beregnen sind daher unnötig. Humusreiche und schwere Lehmböden sollte man mit Sand mischen oder unter die Pflanze eine Schaufel Kies oder S plitt geben, d a m it keine Stau­ nässe entsteht und das Wasser abziehen kann. Iris w ollen frei stehen und nicht von anderen Pflanzen überw uchert werden. Die beste Pflanzzeit für die Bart­ iris ist von Ende Juli bis Anfang Oktober. Eine F rühling spfla n­ zung ist indes nicht günstig, denn sie geht auf Kosten der Blüte. Vermehrung durch Teilung der Rhizome Man hebt die so genannten Irisfladen mit einer Grabegabel heraus, um m öglichst w enig Rhizo­ me zu verletzen und trenn t m it einem scharfen

Iris – G öttin des R e genbogens Messer die äußeren Rhizome an der dünnsten Stelle. In der Regel gibt die Teilung so viele Pflanzen,so dass man die inneren blattlosen Rhizom teile kom postieren kann. Die erste Blüte der som it gewonne­ nen Ableger erfolgt erst im zweiten Jahr nach der Teilung. Die Verm ehrung kann auch durch Aussaat der Samenkapseln erfolgen. Häufig kom m t es vor, dass sich gleich zeitig blühende Irisarten untereinander kreuzen. Dies kann auch künstlich erfolgen, indem man m it einem Pinsel den Samen der einen Blüte auf die an­ dere überträgt. Der Nachteil ist, dass etwas Pollen von der vorh er­ gehenden Kreuzung noch am Pin­ sel haftet oder eine Bestäubung be­ reits erfolgt ist. Die Ergebnisse sind so nicht vor­ hersehbar. Um die selbe Sorte zu erhalten, muss die Iris un be din gt vegetativ verm ehrt werden, d.h. so­ bald sich die Blüte der M utterpflanze öffnet, müssen die drei Hängeblätter abgebrochen wer­ den, um zu verhindern, dass die Holzbiene auf diesen landen kann und die Narbe m it irg end­ welchen Pollen bestäubt. M it einer Pinzette holt man sich dann Pollen der Vater­ pflanze und trä g t diese vorsichtig au f den Narben der M utterpflanze auf. Die einzelne Blüte muss um Verwechslungen auszuschließen unbedingt etike ttiert werden. Nach ca. vier bis fü n f Wochen wächst ei­ ne Sam enkapsel in Form einer Es­ siggurke heran. Der Fruchtkörper ist zunächst grün und verfärbt sich bräunlich. Sobald die drei Segmen­ te sich von oben her öffnen, nim m t man sie ab, trocknet die darin ent­ haltenen Samen. Wenn die Samen vo llstä n d ig trocken sind, können sie noch im Herbst oder im Frühjahr zum Keimen gebracht werden. Black Magic Bei der Aussaat im Herbst müs­ sen die noch zarten Pflänzchen an einem hellen Platz frostfrei überwintern. Die Vermehrung der Iris erfolgt durch Teilung der Rhizome. In der Regel kann man aus einer Pflanze etliche weitere gewinnen. Die Iris auf der Baar Irispflanzen gibt es auch im Schwarzwald Baar- Kreis – vorw iegend in Bauerngärten. Sie sind leicht zu kultivierende Pflanzen und gedeihen auch in einem raueren Klima. Sollte doch einmal bedingt durch Staunässe die Rhizomfäule auf- treten, so schneidet man das faulende Teil ab, lässt das gesunde Stück einige Tage trocknen und pudert die Schnittstel­ le vor der Pflanzung mit et­ was Holzkohle ein. Glücklicherweise werden durch Züchtungen Qualität und Größe der Einzelblüten alljä hrlich verbessert, so- dass es m ittlerweile Sorten gibt, die auch auf der Baar unbeschadet selbst som ­ merliche Hagelstürme über­ stehen. Die Iris sind nicht nur et­ was Besonderes im Garten, sie eignen sich ebenso gut für die Vase. Die Blüte in der Vase kann bis zu einer Woche dauern, allerdings müssen täglich die verb lüh ten Blüten entfernt Christian M uthm ann werden. 211

U m w e lt und Natur Baumoriginale im Schwarzwald und auf der Baar Einführung und Teil i: Tannenriesen Vom b au m a rm en Zentrum der Baar aus betrach te t, w ill uns das Them a d ie ser Serie fast etw as a b w e g ig erscheinen. Denn von a lte h rw ü rd ig e n , das L an dsch aftsbild be­ h e rrs c h e n d e n B a um ve teran e n fin d e t sich h ie r w e it und b re it keine Spur! Die „Wei­ te der Baar“ , das him melbetonte Bild des Altsiedellandes, ist wohl zu allen Zeiten mehr durch Offenland, auch durch Sümpfe, und weniger durch Bäume geprägt gewesen. Viel­ leicht verdankt diesem Umstand ja die „Bertoldisbara“ (die erste schriftliche Erwähnung aus dem jahr 760 n. Chr.) sogar ihren auf keltische Wurzeln zurückreichenden Namen: die Baar, ein eher unwirtliches Quellen- und Sumpfland. Das durch das regelmäßige Auftre­ ten von Spät- und Frühfrösten gekennzeichnete, kontinental getönte Klima dieser „K a lt­ luftwanne“ , die der Volksmund mit dem Schimpfnamen „Badisch Sibirien“ belegt hat, dürf­ te sich seit den ersten jungsteinzeitlichen Rodungen noch weiter verschärft haben. Besonders baum freundlich ist die Landschaft um den „K ä lte p o l des Landes“ also wahrlich nicht zu nennen; allzu oft legt sich Raureif über Baumblüten und Maitriebe, lei­ den junge Bäume unter dem Kälte­ schock. Verzwieselungen und Knos­ pensucht sind die sattsam bekann­ ten Folgen. Weshalb hier nicht ein­ mal m it Streuobstw iesen recht viel Staat zu machen ist, den sonst land­ auf, landab obligaten G rüngürteln um bäuerliche Siedlungen. Dass die arktische Strauchbirke (Betula hum ilis) als Eis­ zeitrelikt ausgerechnet auf der Baar – und sonst nirgends in Baden-W ürttem berg – überdauern konnte, ist für Baumfreunde nur ein schwacher Trost. Wen wundert es da noch, wenn im Herzen der Baar den Kartografen zu allen Zeiten die Baumsignaturen ausgegangen zu sein scheinen. Nein, als idyllisches Arkadien, als ein m it Schat­ ten spendenden, form schönen Baumgestalten bestandener Park, ist diese Kulturlandschaft selbst von den überschw änglichsten Heim at­ dichtern nie besungen worden. w ärts angrenzenden, schier en dlo­ sen Nadelwaldm eere des Baar- schwarzwalds. Baum reichtum im Überfluss kann m itunter auch als be­ drückend erlebt werden. Manch ei­ ner atm et förm lich auf, wenn er den Wald des Buntsandsteinschw arz­ w alds endlich h in te r sich gelassen hat und vor sich den geweiteten Ho­ rizont der waldfreien Baarhochmul- de m it Alb, W artenberg und Länge genießen darf. Gefiederte Nutz­ nießer des Offenlandes sind die Wei­ hen, vor allem Rot- und Schwarzmilane, die von unseren kom m unalen Planungsträgern neuer­ dings so vermaledeiten Wappenvögel der Baar, denen das EU-Recht hier großräumige Schutzge­ biete zugestehen will. Erst recht die seltene W ie­ senweihe mag es baumarm, benötigt sie Bäume doch nicht einm al als Nistgelegenheit. Und es profitierten auch Feldlerchen, Braunkehlchen, Rebhuhn, Wachtel und W achtelkönig (in den Do­ nauniederungen der Riedbaar bis unlängst auch noch der Brachvogel) von dieser Landschaft. Zu- Die Baumarmut hat dennoch auch ihre Lieb­ haber, zum al unter den Bewohnern der w e st­ Weit reicht der Blick. Baumarme Baar im Spiegel der Jahreszeiten, fotografiert bei Heidenhofen. 212

B a u m o rig in ale – Teil i 213

U m w e lt und Natur Weite Baar – nur da und dort findet sich am Fuß des Fürstenbergs ein Baum als Blickfang. In der Ferne indes ist der dicht bewaldete, immergrüne Schwarz­ wald auszumachen. m indest bis in die Nachkriegsjahre, bis sich die Flurbereiniger ans Werk machten, um die „K orn­ kammer Badens“ auf die Intensivlandw irtschaft der Neuzeit vorzubereiten, sie um zukrem peln, zu entwässern und vollends auszuräumen. Wie gründlich man dabei vorging, wie schwer die Verluste an A rte n vie lfa lt auch nach der Ein­ fü h ru n g von „landschaftspflegerischen Begleit­ plänen“ noch wogen, hat G. Reichelt1 säuberlich dokum entiert. Konnte die Baar bis in die Fünfzi­ gerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts da und d o rt im m erhin noch als „p a rk a rtig “ gepriesen werden, so steht sie heute vielerorts auf der Kip­ pe zur Agrarsteppe. In ihr haben die verbliebe­ nen Bäume ihr Überleben zumeist purem Zufall zu verdanken. Schutz bieten allen falls noch Feldkreuze oder, der winterlichen O rientierung wegen, Weggabelungen und das „B eg le itgrün“ der Straßenränder. Ob in der Feldflur noch ein Baum als Blickfang stehen geblieben oder ver­ schwunden ist, daran entscheidet sich vielfach die Frage, wie die Landschaft letztlich erlebt w ird: noch als Kulturlandschaft oder schon als Kultursteppe? Besser sieht es erst „ a u f des Teufels Hirn­ schale“ , auf den flachgründigen Standorten des Oberen Muschelkalks aus, wo in den Lesestein­ riegeln Nischen für artenreiche Hecken und demzufolge auch für bescheidenen Baumwuchs verblieben sind. Sofern die Lesesteine nicht plötzlich (wie auf Gemarkung Döggingen schon im Zuge des Eisenbahnbaus) andernorts Ver­ w e nd ung gefunden haben. Wegen der kargen W uchsbedingungen und weil Bäume obendrein landwirtschaftlicherseits unerwünschten Schat­ ten werfen, reicht es im verkarsteten Kalk fre i­ lich kaum irgendwo zu mehr als zu Bäumen „zw e ite r Ordnung“ , schon gar nicht zu spekta­ kuläreren Baumgestalten. Wo also sollen in einer solchen Landschaft Baum persönlichkeiten heranreifen, wo sollen sie überdauert haben? Naturschutz war in sei­ nen Anfängen vorwiegend Baumdenkmalschutz. Und so hatten sich bereits im frühen 20. Jahr­ hu ndert zwei Autoren, je w eils landesweit, auf die Suche gemacht, hatten die vaterländischen Naturdenkmale, vorweg die Baumoriginale, ab­ gelichtet und beschrieben: der Forstbotanikpro­ fessor und Geheime Hofrat Ludwig Klein (in: „B em erkensw erte Bäume im Großherzogtum Baden“ . Herausgegeben mit Unterstützung des Großherzoglichen M inisteriu m s der Justiz, des Kultus und U nterrichts. Heidelberg 1908) und Forstassessor Otto Feucht (in: „S chw äbisches Baumbuch“ . Herausgegeben von der Kgl. Württ. Forstdirektion. S tuttgart 1911). Die beiden für Baum freunde noch heute lesenswerten Nach­ schlagewerke unterstreichen den damaligen S tellenw ert des Naturdenkm alschutzes. Fast 214

möchte man den unteren Naturschutzbehörden unserer Tage den Rat geben, sich an den Baum­ büchern ein Beispiel zu nehm en: N aturdenk­ m alschutz w ird derzeit klein geschrieben bei den Behörden und Infolge allgem einer A rbeits­ überlastung oft eher stiefm ütterlich behandelt. Zuletzt Im Jahr 1975 hatte das für Naturschutz zuständige Stuttgarter Landw irtschaftsm iniste­ rium einen jungen Forstakademiker beauftragt, der Frage nachzugehen, was eigentlich aus den Prachtexemplaren der Jahrhundertw ende ge­ w orden ist. Sein B ild te xtb a n d 2 kam trotz man­ cher Neuentdeckung zu einem ernüchternden Befund; die zwischenzeitlich erfolgte Verarmung der Landschaft ließ sich kaum mehr kaschieren. Der „H ö lzle kö n ig – Tannen-Superlative Das badische Zentrum der Baar hatte – fast er­ w artungsgem äß – schon 1908 nicht mehr viel vorzuweisen. Fündig geworden ist Ludwig Klein damals erst w eiter schw arzwaldeinwärts, etwa eingangs des Villinger Stadtwalds, und auch da nur m it ein paar ihm bem erkensw ert erschei­ nenden, wenngleich kurzlebigen Fichten. Keine davon hat bis heute überlebt. Dafür wartete das „Schwäbische Baumbuch“ hart jenseits der Landesgrenze auf Schwennin- ger Gemarkung, im Gewann Saubühl, m it einem alles überragenden B aum superlativ auf: mit dem „H ö lz le k ö n ig “ , seiner Zeit Deutschlands m ächtigster W eißtanne. O bwohl der gefeierte, ursprünglich zweiwipfelige Riese mit seinen 64 (!) Festmetern Stam m inhalt und seinem Umfang in Brusthöhe von 6 Metern um die Jahrhundert­ wende schon stark durch Blitzschlag (1876) und Sturm ram poniert war (zuvor war eine Höhe von 50 m gemessen worden), w ü rd ig te ihn das Schwäbische Baumbuch m it ganzen zwei Text­ seiten und vier Abbildungen. Ludwig Klein, der im Badischen keine auch nur halbwegs eben­ bürtige Tanne aufzuweisen hatte, muss neidvoll über die Landesgrenze hinüber geblickt haben. Ja, er wagte es sogar, die Maße des auf ein Alter von 400 Jahren geschätzten Rekordhalters an­ zuzweifeln: „Sein Umfang ist zwar mit 6 Metern angegeben, doch ist dies wohl eine auf zukünf­ tigen Zuwachs rechnende, lokalpatriotische Über- B a u m o r i g i n a l e – T e il 1 Der Hölzlekönig bei Schwenningen um 1891. treibung.“ Zum Vergleich: Deutschlands stärkste Tanne der Gegenwart, die „Großvatertanne“ bei Freudenstadt im Nordschwarzwald, m isst gera­ de mal 37 Festmeter. Dass ausgerechnet a u f der rauen und nie­ derschlagsarmen Baar eine Weißtanne zu solch außergewöhnlichem Riesenwuchs fähig war, ist dennoch kein Zufall. Im „na tü rlich en Wald von ein st“ der forstlichen S tandortskunde, wie er sich aus den pollenanalytischen Befunden der Baarmoore rekonstruieren lässt, waren Tannen (und nicht etwa Fichten) die unum schränkten Herrscher. Was erstaunlich erscheint angesichts 215

U m w e lt und Natur Der Stammumfang des „Hölzlekönigs“ war beacht­ lich, was diese undatierte Fotografie der Tanne gut erahnen lässt. der Frostempfindlichkeit junger Weißtannen. Wo überhaupt in der langen Rodungsgeschichte der Baar und des Baarschwarzwalds M ischw älder aus Buchen, Tannen, Kiefern und – ursprünglich nur sehr wenigen – Fichten überlebt haben, muss das Bestandesdach jeweils noch für ausreichend Frostschutz gesorgt haben. Aufgrund ihrer Fähigkeit, Schatten zu ertra­ gen, wachsen junge Tannen in Naturwäldern zu­ meist viele Jahrzehnte lang unter dem schützen­ den Schirm der M utterbäum e heran, bis sie im fortgeschrittenen Jünglingsalter, bei zunehmen­ dem Lichtgenuss, dann ihre volle Leistungs­ fä h ig k e it ausspielen können: W eißtannen ver­ mögen so die höchsten Holzzuwachsleistungen unter Europas N adelbaum arten zu erreichen. 216 Dem extrem engringig erwachsenen Holzkern in ihrem Inneren, der den Befall holzzerstörender Pilze erschwert, verd an kt die W eißtanne ihre arteigene Langlebigkeit. Tief reichende Senker­ wurzeln verleihen ihr überdies ein hohes Maß an S turm festigkeit. Beste Voraussetzungen für eine risikoarm e, ertragreiche W aldw irtschaft, möchte man meinen. Der rückläufige Tannenan­ te il bundesw eit, ih r Rückzug auf gerade noch zehn Prozent ihres einstigen Verbreitungsgebiets, sprechen leider eine ganz andere Sprache. Recht viel Holz ist dem greisen „H ölzlekö- n ig “ in seinen letzten Lebensjahren (und nach der H uldigung im Schwäbischen Baumbuch) nicht mehr zugewachsen. Schon 1915 hatte der Monarch in einem Hagelsturm den Rest seiner grünen Krone eingebüßt, der Anfang vom natür­ lichen Ende des Baumes. Der Nachruf findet sich in einem Schwenninger Heimatlied, gedichtet in den Hunger- und Elendsjahren nach dem Ersten Weltkrieg: Freundlich g rü ß t a u f grünem Flügel Deutschlands g rö ß te r Tannenbaum, hiebt die altersgrauen Flügel Floch em p or zum Wolkensaum; Sah Jahrhunderte verfließen Und nach tiefster Schmach und Not M ög d e r Sterbende noch grüßen Deutschlands neues M orgenrot! An den einstmals so populären, sagenumwobe­ nen Baum erinnert gegenwärtig nur noch ein Ge­ wannname, und auch die dem König beigesell­ te „H ö lzle kö n ig in “ ist im Jahr 1937 durch Blitz­ schlag dahin gerafft worden. M it ihren Maßen (einem Stam m volum en von ca. 36 Festmetern bei einer Höhe von 42 m) w ürde sie sich heute unter die allerstärksten Tannen des Landes ein­ reihen. Auf dem Saubühl, wo die beiden resi­ dierten, dröhnen heute die Baumaschinen, denn es grenzt der „Zentralbereich“ an, die Bauland­ reserve der Doppelstadt. Sterben die Originale aus? Kapitale Weißtan­ nen, wenngleich nicht unter den heutigen S pit­ zenreitern des Landes zu finden und auch in kei­ nem Baumbuch m ehr verzeichnet, lassen sich auch heute noch vereinzelt in den W irtschafts­ wäldern des Schwarzwald-Baar-Kreises finden.

Dinosauriergleich, als ob sie aus fernen Zeiten üb rig geblieben wären, trotzen sie Wind und Wetter. Manchmal tragen sie sogar einen Namen oder doch das am tliche Täfelchen des Natur­ denkm als. In jü ng ste r Zeit erst verschieden ist eine mit 26,5 Festmetern kapitale Tanne im Wald des Linacher Hansenhofs. Im Gewittersturm zer­ borsten ist 1999 die „S cho ren ta nne“ (22 Fest­ meter) im Gemeindewald M önchweiler. Sogar den Jahrhundertorkan „L o th a r“ überlebt haben indessen im Triberger Staatswald die „M ü h le ­ bühlta nne“ (26 Fm), die „Johann Ulrich Zasius- tanne“ (27 Fm) die „K ohlplatztanne“ (2 i Fm), die ,,Jägertanne“ (22Fm), im St. Georgener Stadtwald die „S c h ille rta n n e “ (20 Fm) und im Brigacher Privatwald Weisser eine nam enlose Tanne (22 Fm). Die Tanne wird im Wald gebraucht Tannenfreunde mag überraschen, dass ein w e i­ teres kreisrekordverdächtiges Exemplar im äußersten Südzipfel des Landkreises üb erlebt hat: im vorm aligen Fützener Gem eindewald, dem heutigen Stadtw ald von Blumberg, im D istrikt „H o ch w a ld “ , versteckt in einem Tobel unweit der Schweizer Grenze. Optimale Wasser- und Nährstoffversorgung haben dazu beigetra­ gen, dass die langkronige, noch sehr v ita l er­ scheinende „H ochw aldtanne“ es in kaum mehr als zw eihundert Jahren zur Kirchturmshöhe von ca. 50 m gebracht hat, zu einem Umfang von 440 cm und damit zu einem geschätzten Stamm­ volumen von 25 Fm. Möge die neuerdings unter die Obhut des Landratsamtes genommene Forst­ verwaltung dafür sorgen, dass es dem (noch im ­ mer nicht förm lich ausgewiesenen) N aturdenk­ mal nicht noch so ergeht wie seinen – nicht sehr viel schm ächtigeren – Schwestern rundum, die kürzlich gefällt worden sind. Bleibt zu hoffen, dass auch unter dem Druck leerer Kassen und bei allen betrieblichen Zwän­ gen der W aldeigentümer im Stande sein sollte, für die Zukunft sicher zu stellen, dass ausreichend Tannenriesen nachwachsen, auch wenn sie längst die gerade m arktgängigen Erntedimensionen sprengen. Den A llerstärksten von ihnen sollte schließlich das Gnadenbrot zustehen. Denn für B a u m o rig in ale – Teil 1 Stattliche Tannen finden sich auch im Großraum Triberg, hier bei Gremmelsbach, nah der Kletterfel- sen. die Erlebniswelt der Waldbesucher, auch unse­ rer Kinder und Kindeskinder sind sie – Wilhelm Hauffs Kaltes Herz lässt grüßen – ebenso unver­ zichtbar wie unbezahlbar, wachsen sie doch zu w a h rh a ft m ärchenhafter Statur, zu kraftvollen Sinnbildern des Lebens heran. Wir brauchen sie, um beim Waldspaziergang das Staunen nicht zu W olf Hockenjos verlernen! Literatur Reichelt, G.: Die Baar 1945 bis 1995 – Landschaft im Wandel. 1995. Verlag Hermann Kuhn, Villingen-Schwen­ ningen. Hockenjos, W.: Begegnung mit Bäumen. DRW-Verlag, Stuttgart. 1975 Hockenjos, W.: „Waldpassagen“ , doldverlag, Vöhren- bach. 2000 217

Umwelt und Natur Der Hüfinger Orchideenwald Forstwirtschaft im Einklang mit Artenschutz und natürlicher Waldentwicklung Zwischen Hüfingen und Döggingen, am Rand der Baar-Hochmulde, liegt ein ganz besonderer Teil des Hüfinger S tadtw aldes, der O rchideen­ wald. Die Bundesstraße 31 tre n n t ihn in zwei Teile: die W aldgewanne „D eggenreuschen“ im Süden und der „Rauschachen“ im Norden. Wer sich nicht auskennt, sieht im Vorbeifahren ver­ m utlich nur die ausgedehnten Fichtenwälder links und rechts der Straße. Die Waldflächen be­ herbergen allerdings einen besonderen Schatz, der vielen Reisenden nicht bekannt ist. Der Na­ me weist darauf hin: neben vielen anderen sel­ tenen Pflanzenarten kom m t hier eine Vielzahl wertvoller und besonders schützenswerter Orchi­ deenarten vor. Geologie und Böden Die besonders günstigen Lebensbedingungen für bestim m te Pflanzenarten im Hüfinger Orchi­ deenwald haben sich aus einem Zusammenspiel natürlicher Ausgangsbedingungen und mensch­ licher Einflussnahme entwickelt. Geologisch lie­ gen die W aldflächen fast v o llstä n d ig au f den Böden des oberen Muschelkalks. Bodenkundler bezeichnen diese kalkhaltigen, an vielen Stellen flachgründigen und trockenen Böden als Rend- zina. Das sprichw ö rtliche raue Klima au f der Baar macht natürlich auch vor dem Orchideen­ wald nicht halt. Die niedrige Jahresmitteltempe­ ratur von 7° C, relativ geringe Niederschläge und Rotbrauner Frauenschuh – Der Frauenschuh (Cypripedium calceolus) wächst au f Kalkböden, gerne in lich­ ten Fichtenwäldern. 218

Oben: Korallenwurz (Coralliorrhiza triflda), unten: Das besonders seltene rote Waldvögelein (Cepha- lantera rubra). vor allem häufige und strenge Spätfröste stellen hohe Anforderungen an die A np assungsfähig­ keit der Pflanzenarten. Waldgeschichte und Vegetation Der natürliche Wald im Gebiet des heuten Orchi­ deenwaldes vor Beginn der Beeinflussung durch den Menschen war verm utlich ein Buchen-Tan- nenwald m it einzeln beigem ischten Kiefern, Eichen und anderen Laubbaum arten. Alte Ge­ wannnam en weisen darauf hin, dass diese Ur­ w ä lde r schon früh gerodet w orden sind, die Flächen dann land w irtscha ftlich genutzt oder beweidet wurden. Die W iederaufforstung dieser, durch die la n d w irtscha ftliche Nutzung ausge­ m agerten Böden w ar sicherlich m ühsam . Zur Sicherung der Holzversorgung waren relativ an­ spruchslose, wuchskräftige Baumarten gefragt, und so w urden die heutigen Fichten- und Kie­ fernbestände begründet. Erst in jü ngerer Zeit, m it beschleunigt durch die Sturm w ürfe durch die Orkane Wiebke und Lothar, sind durch An­ pflanzungen verm ehrt Laub- und Tannenwälder entstanden. Vermutlich ist es gerade das Zusammenspiel des natürlichen S tandorts, der früheren la nd­ w irtschaftlichen Nutzung und die anschließen­ de Aufforstung mit Fichte und Kiefer, durch das ideale W uchsbedingungen für bestim m te Orchi­ deenarten entstanden sind. Die bekannteste ist der Frauenschuh m it der unverwechselbaren, gelb blühenden schuhförm igen Blüte. Neben dem Frauenschuh kommen die Fliegen-Ragwurz, fünf Knabenkrautarten, drei Arten Waldvögelein, das große Zweiblatt, der besonders seltene Wi­ derbart und zahlreiche weitere Orchideenarten im Orchideenwald vor. Schutzgebietsstatus, Verordnung Der Orchideenwald wurde bereits im Jahr 1941 unter Naturschutz gestellt. Ein Schutzzweck war Der H ü fin g er O rch id e e n w a ld nicht fo rm u lie rt worden, der Hinweis darauf, dass es verboten sei, „Pflanzen zu beschädigen, auszureißen, auszugraben oder Teile davon ab­ zupflücken, abzuschneiden oder abzureissen“ schien aus dam aliger Sicht ausreichend. Das Naturschutzgebiet ist 125 ha groß und umfasst d a m it fast die gesamte W aldfläche des O rchi­ deenwaldes. Naturschutzverwaltung und Forst­ verw altun g sind sich einig, dass die B ew irt­ schaftung der Waldflächen in enger Zusammen­ arb eit und gegenseitiger Inform ation erfolgen soll. 219

U m w e lt und Natur Die Waldentwicklung Unter den spezifischen Standortbedingungen im Orchideenwald würde sich mittel- bis langfristig ein Buchen-Tannenwald mit anderen beigemisch­ ten Baumarten wie der Esche, dem Bergahorn, Kiefer und Fichte entwickeln. Diese naturnahen W aldbestände bieten auch die beste Garantie dafür, dass Sturm würfe oder Insektenschäden keine katastrophalen Auswirkungen auf die Wald­ entwicklung haben können. Allerdings muss in dem besonderen Fall des Orchideenwaldes auch auf die spezifischen An­ sprüche der vorkom m enden Orchideenarten Rücksicht genommen werden. Frauenschuh oder W ide rbart gedeihen unter Fichtenwäldern auf Kalkstandorten. Ein ganz spezifisches Wechsel­ spiel aus Licht und Schatten ist erforderlich, um den em pfind lich en Pflanzenarten optim ale W uchsbedingungen zu verschaffen. Einen s o l­ chen Zustand künstlich zu erhalten, ist fast nicht möglich. Eschen, Bergahorne und Buchen wach­ sen natürlich nach. Ältere Fichtenbestände w u r­ den au f großen Flächen vom Sturm geworfen, a u f den entstandenen Freiflächen sind die Le­ bensbedingungen für viele Orchideenarten nicht ideal. Trotzdem ist es erklärtes Ziel des W aldbe­ sitzers und der Forstleute, im Orchideenwald die Lebensbedingungen und som it das Vorkommen der Orchideenarten zu erhalten und zu fördern. Wie kann so etwas geschehen? Eine m ögli­ che Antwort auf diese Frage liefert die Beobach­ tung der Natur und des Wachstums der Waldbe­ stände. Im Orchideenwald kommen Nadelholz­ bestände jeden Alters vor. Im Bereich des heuti­ gen Orchideenlehrpfades und des größten Frau­ enschuhvorkom m ens d ire k t südlich der Bun­ desstraße 31 lösen sich die alten Fichtenbestän­ de auf, darunter wachsen bereits junge M isch­ wälder, die jedoch fü r die Orchideen weniger ideale Lebensbedingungen bieten. An genau diesem Standort ist zu erw arten, dass in den nächsten Jahren weniger Orchideen Vorkommen werden. Nördlich der Straße jedoch verbessern sich nach und nach die Standortbedingungen. Bisher geschlossene und dunkle Fichtenwälder w urden durchforstet, Licht und Wärme kom m t auf den Boden. Ganz sicher werden sich in sol­ chen Bereichen, auch wenn viele Jahre keine Orchideen zu Blüte gekommen sind, w ieder Pflanzen einstellen. Im gesamten O rchideen­ wald bleiben also noch auf viele Jahre und Jahr­ zehnte hinaus gute bis optim ale Lebensbedin­ gungen für Orchideen und andere kalk- und wär­ meliebende Pflanzenarten bestehen. Gezielte Bejagung erforderlich Im Orchideenwald kommen viele einheim ische Wildarten vor. Auf die Entwicklung der Vegetati­ on haben dabei in erster Linie Rehe und Flasen Reckhölderle (Daphne cneorum) 220

Oben: Hinweistafeln und Beschilderungen führen den Besucher durch den Orchideenlehrpfad. Unten: Der Sumserstein erinnert an Dr. Erwin Sumser. Er war praktischer Arzt in Donaueschingen und über 40 Jahre profunder Kenner und Beschützer des Orchideenwaldes. Einfluss. A n gep ass te Beständ e vor allem der Re­ h e sind e in e wichtige Grund vo ra uss etzung dafür, d a s s sich die vor handen e Vegetation w e i ­ ter entwickeln und etablieren kann. Die Insella­ g e der Waldflächen führt ve rs tän d lich er w e ise dazu, d a s s sich im Winter, wenn die u m liege n­ den Felder abgeern tet sind, Rehe im Orchideen­ wald konzentrieren und e n t sp re c h e n d Verbiss auch an jungen Bäumen entst eht. Die Aufgabe der Jägerschaft ist e s hierbei, durch eine g e zie l­ te Bejagung sicherzustellen, d a s s sich die Schä­ den an der Vegetation in e in em vertretbaren Rahmen halten und keine nachhaltige Störung der Waldentwicklung entsteht. Der Orchideenlehrpfad: Erholung, Besucherlenkung Bereits vor vielen Jahren z eig te sich, d a s s ein unge le nk ter Zu gang zum Orchideenwald ver­ s c h i e d e n e Schwierigkeiten birgt. Nicht alle in­ te re ss ie rt en Naturfreunde kannten den g e n a u ­ en Ort der Vorkommen, und m anc he Pflanze mag unabsichtlich „unter den Wanderschuh“ g e ­ kommen sein. Auch ist nicht jeder Wanderer ein profunder Kenner der seltenen Pflanzenarten im O rchide enw ald. Aus d i e s e m Grund hatte die Stadt Hüfingen bereits um d a s Jahr 1970 b e g o n ­ nen, einen einfachen Orchideenlehrpfad anzule­ ge n, der in den Folgejahren Zug um Zug a u s g e ­ baut wurde. Mit der Anlage d e s Pfades soll der Besucher an b e s o n d e r s attraktive Artenvorkom­ men heran geführt werden, ohn e die Pflanzen zu beeintr äc ht ig en. Hinw eis schilder g e b e n Aus­ kunft über die Pflanzenarten nach dem Motto: Nur w a s man kennt, kann man schützen! Die Stadt Hüfingen, Forstverwaltung und Natur­ sc hu tz s t e h e n zum Erhalt und zur Pflege d e s Orchideenlehrpfades. Der alte Lehrpfad war von e in em Parkplatz an der B 31 erreichbar g e w e s e n . Nach deren Der HUfinger Orchideenwald Naturpfad Deggenreuschen BUK K M Sw auf dom rruikwilo« Weg dreispurigen Ausbau läuft der Zugang jetzt über Dög gi ng en und künftig auch von Hüfingen au s Uber Feldwege. In der Zeit der Orchideenblüte sind die Zug änge zum Orchidee nwald b e s c h i l ­ dert und auf jeden Fall einen Besuch wert! Frieder Dinkelaker 221

Klimawandel i Wenn es im Sommer“ plötzlich Winter wird..

Reko S chneefa! H a g e lk a ta s tr – 3 , 8 Grad – d; 1 2 . K a p i t e l W e t t e r u n d K i Sind „Jahrhundertwinter“, Schneefall am letzten Mai­ tag, „Jahrhundertsommer“ oder Hagelunwetter wie im Juni 2006 im Schwarzwald-Baar-Kreis seltene Aus­ reißer oder künftig die Regel? Vorhersagen lässt es sich nicht, doch das gegenwärtige Klima könnte in der Tat eine Trendwende markieren. Die P rognose der Forscher: Die Winter sollen im Schwarzwald-Baar-Kreis wärmer und niederschlags­ reicher werden. Die Folge: Schneefall wäre seltener, Regen h in ge ­ gen häufiger. Die S om m er in d es sollen heißer und trockener sein – mit verstärkter Unwettergefahr. Und „normal w erden“ könnte künftig auch, w a s im Juli 2 0 0 6 gesc ha h: Flitzerekorde jagten sich, e s gab bis zu 34 Grad, dann stürzte die Temperatur an der Wende zum August im Oberzentrum Villingen-Schwenningen auf gerade noch 12,1 Grad, im Bergland bei Sch on ach und Furtwangen nachts so gar auf Werte um 6 Grad. Auch d a s belegt: Die Extreme häufen sich. Der Almanach nimmt die un gew öh n li chen Wetterereignisse d e s Jahres 2 0 0 6 zum Anlass, die Klimaentwicklung zu beleuchten. Und er berichtet über die Ereignisse der letzten 12 Monate, die im Flageiunwetter am 28. Juni 2 0 0 6 im Oberzentrum Villingen- Schw en ningen einen katastrophalen Höhepunkt hatten. Bild: Am 31. Mai 2006 in Schwanenbach bei Vöhrenbach.

Wetter und Klima Klimawandel | Teil 1: Die „Wetterprognose“ für den Landkreis: Weniger Regen im Sommer, mehr Niederschlag im Winter M it einem neuen R echenm odellversuchen Forscher künftige Klim averänderungen auch regional zu sim ulieren Der zeitweise trockene und heiße Sommer 2006 hat erneut einen Vorgeschmack auf die Klimazukunft im Schwarzwald und auf der Baar gegeben. Vor allem für die Land- und Forstwirtschaft im Landkreis sind die Aussichten kaum erfreulich: Ver­ mutlich werden die sommerlichen Niederschläge im deutschen Südwesten in den kommenden Jahrzehnten großflächig abnehmen. Wissenschaftler haben errechnet, d a s s e s bis zum E n d e d ie s e s)a h r h u n d e r ts im Vergleich zu den heutigen Niederschlägen sogar einen Rück­ ga n g der sommerlich en Regenfälle von bis zu 3 0 Prozent g e be n kann. Folglich dürfte e s in S ü d ­ deuts chland künftig mehr Dürren g e be n mit w a c h s en d e r Waldbrandgefahr und z u n e h m e n d e n Ein­ schränkungen für die Schifffahrt auf dem Rhein und der Donau. Aber wohl auch ein e größere Un­ wettergefahr und damit verbunden auch die Gefahr, d a s s sich Hagelunwetter wie d a s im Großraum Villingen-Schwenningen im Juni 2 0 0 6 öfter ein stellen könnten. Auch wenn uns das „Wetterdurcheinander 2 0 0 6 “ noch alle Bandbreiten des Klimas be­ scherte, vom Jahrhundertwinter, über Hitze bis Dauerregen: Unser Klima der Zukunft soll trockener sein, mit kaum noch Schnee im Win­ ter. Der Wissenschaftsjournalist Bernward Jan- zing beleuchtet au f Basis regionaler Simula­ tionsmodelle die Hintergründe der künftigen Weiterentwicklung. Simulationen gleichw ohl ein riesiger Fortschritt. Denn bislan g gaben alle Modelle nur recht grob Auskunft über die b e v o r ste h e n d e Kllmaentwick- lungin Deutschland. Die neuen Rechnungen hin­ g e g e n z eig e n auch präzise reg io na le Unter­ sc hie de , wie sie bisher kein Klimamodell welt­ weit abbilden konnte. Auch für den Schwarzwatd-Baar-Kreis ko m­ men auf d i e s e Weise sehr inte ressante Details zu Gleichzeitig werden die Winterniederschläge in Sü db ade n voraussichtlich z une hm e n, und d a ­ mit an der ers eits d a s Hochwasserrisiko erhöhen. Vor allem in den Mittelgebirgen Süd- und S ü d ­ w e st-D e u ts ch la n d s sei im Winter künftig über ein Drittel mehr Niederschlag zu erwarten als heute, h e i ß t e s i n eineraktuellen Untersuchung, die im Auftrag d e s Um w eltb u n d e sam te s (UBA) vom Klimarechenzentrum d e s Max-Planck-Insti- tuts in Hamburg ge m ach t wurden. Es sind keine erfreulichen Resultate, die das im Frühjahr vorges tel lte Re che nm od ell hervor brachte. Aus wiss enscha ftlicher Sicht sind die Das Klima 2006 im Bild: Auf den Jahrhundertwinter mit dem Abräumen vieler Flachdächer, so des Furt- wanger Gymnasiums (oben links), folgte eine lange Schneeschmelze, selbst in Villingen gab es noch im März stattliche Schneeberge. Viel Wind und Regen brachte der Mai – in der Mitte links ein Blick zum Fürstenberg. Dann gab es am 31. Mai Schneefall bis in die Täler (bei derLinachtalsperre in Vöhrenbach). Dauerhitze folgten im Juni und Juli mitRekordbetrleb am Hüfinger Riedsee. Katastrophaler Höhepunkt war am 28. Juni der Hagelsturm über Villingen-Schwen­ ningen. Schließlich folgte auf die Dauerhitze ein nass­ kalter August (Straßenmusikfest in Bräunlingen). 224

Tage. So errechneten die Forscher zum Beispiel, d a s s die N ie de rsch lä ge an der W e stse i te d e s Schw arzwalds in den kom m e nd en Jahrzehnten in der Jahressu mme e tw a s a b n eh m en werden, während e s an der Schw arzwald-Osts eite t e n ­ denziell mehr Niederschlag g e be n wird. Konkret: Weniger Regen und S c h n e e im Raum Furtwan- gen, Triberg, St. Georgen, dafür mehr Nieder­ sc hläge auf der Baar, etwa bei Bad Dürrheim, D onaue sc hing en oder Flüfingen. Ein Grund für die ge än de rten Niederschläge im Schwarzwald b e s t e h t darin, d a s s Wetterlagen mit Ostwind zukünftig mehr Regen bringen, da die mitgeführ­ te Luft wärmer ist und d e s w e g e n mehr Feuchtig­ keit enthalten kann. Vor allem im Süden und S ü d o s ten Deut sch­ lands werden die Wintermonate zugleich d e ut­ lich wärmer. Bis zum Jahr 2100 werden die Win­ tertemperaturen hier um mehr als 4 Grad höher liegen als im Zeitraum 1961 bis 1990, fanden die Wissenschaftler heraus. Für den Wintersport im Schwarzwald dürfte d as fatale K onse qu en ze n haben, e b e n s o wie für die Alpen. Der Schneefall 226 Sind mediterrane Temperaturen wie im Hitze-Som­ mer 2003 und zuletzt im Juli 2006, als es auch bei uns selbst nachts nicht so rechtabkühlen wollte – im Schwarzwald-Baar-Kreis künftig eher die Regel? Die angenehme Seite: Im Straßencafe oderauf dem Bal­ kon kann man dann auch bei uns wie hierin VS-Vil- lingen bis spät in der Nacht zusammensitzen. könnte sich in manchen Regionen, s o in den b e ­ kannten S k ig eb ie ten wie Furtwangen, S c h ö n ­ wald, Sc honach oder Triberg, auf die Hälfte d e s heutigen Wertes reduzieren. Auslöser d i e s e s Klimawandels ist die Anrei­ cherung von Kohlendioxid in der glo ba len At­ mosp hä re. Das Gas entst eht bei jeder Verbren­ nu ng fossiler Energien (Kohle, Öl, Erdgas), und wirkt wie da s Glas e in e s Treibhauses: Es lässt die S o n ne ne inst r ahlun g durch, reduziert aber die Wärmeabstrahlung der Erde – wom it sich die Er­ de aufheizt. Seit Beginn der Industrialisierung ist der Kohlendioxidgehalt der Erdatmosphäre bereits um ein Drittel g e s ti e g e n , und er nimmt

Weniger Regen im Sommer – mehr Niederschlag im Winter heißen Juni und einem e b e n s o extremen August, so w ie der Juli 2 0 0 6 pas se n da gena u ins Bild: Die Monate waren jeweils um vier bis sie be n Grad zu warm. Anders als bei den Temperaturen zeigen die Messungen der Niederschläge im Landkreis noch keine eind eutig en Veränderungen. Rein rec hn e­ risch ergibt sich zwar au s den Furtwanger Re­ g e n m e s s u n g e n ein minimaler Rückgang der jährlichen Nieders chläge in den letzten 27 Jah­ ren, doch die se r Effekt liegt im Rahmen zufälli­ ger statistischer Schwankun gen. Eher auffallend ist die Zunahme der Nie de rsch lags tage um etwa ein en Tag jährlich. Beim Sc hn ee fall h in g eg e n z eigt sich auf­ grund der g e s t i e g e n e n Temperaturen eine sogar de utlich e Veränderung: Statistisch betrachtet hat die N e u s c h n e e m e n g e in Furtwangen seit Be­ obac htu ngsbe gin n 1979 jährlich um s e c h s bis si e be n Zentimeter (entsprechen d etwa drei Pro­ zent der Jahressumme) a b g e n o m m e n . Da neben dem grundsätzlich global stattfin­ de n d en Trend der Erwärmung die Veränderun­ gen lokal recht unterschiedlich ausfallen kön­ nen, arbeiten Klimaforscher an immer präzise­ ren Rechenmodellen. Entsprechende Simulatio­ nen wurden nun erstmals mit dem neuen Modell möglich, d a s den Namen Remo trägt – w a s schlicht für „Regionalm odell“ steht. Da die Forschungen aus dem Etat d e s Bun­ d esu mweltministe riums finanziert wurden, s t e ­ hen die Ergebnisse allen interessierten Nutzern kosten lo s zur Verfügung. Hydrologen zum Bei- derzeit um 0 ,4 Prozent pro Jahr weiter zu. Dass d i e s Auswirkungen auf d a s Weltklima hab en m u s s, liegt auf der Hand. Im Westen weniger, im Osten mehr Regen Die Wetterbe obachtungen der ve rg angen en Jah­ re de ute n darauf hin, d a s s der Klimawandel längst im Gange ist. Weltweit betrachtet waren die i99oer-Jahre d a s wärmste Jahrzehnt der letz­ ten t a u s en d Jahre. Sei t i 9 6 0 sind die Winter­ temperaturen im Südschwarzwald nach einerak- tuellen Untersuchung d e s Institutes für Physi­ sc h e Geographie der Universität Freiburg bereits um 2,5 Grad g e s ti e g e n . Entsprechend nahm die Zahl der S c h n e e t a g e ab. Da war der Winter 2 0 0 5 / 2 0 0 6 der sich als recht b e stän d ig zeigte, ein e Ausnahme: Er war schn ee reich wie zuletzt 198 1 /1 9 8 2 . Die durchschnittliche Jahrestemperatur steigt Doch trotz d e s letzten Winters de uten auch die M es su n gen der Wetterstation in Furtwangen, die bis 1979 zurückreichen, bereits auf den b e g o n ­ ne nen Klimawandel hin. Seit Messbeginn stieg die Jahresmitteltemperatur pro Jahrzehnt um durchschnittlich 0,6 Grad. Dieser Anstieg resul­ tiert vor allem aus milderen Wintern: Der Januar wurde im Schnitt sogar um 0,9 Grad pro Jahr­ zehnt wärmer. Die Zahl der Frosttage – im langjährigen Durchschnitt bei 147 pro Jahr – nah m im B e o ­ bachtungszeitraum im Mittel um 1,4 jährlich ab. Die Zahl der Hit­ z eta g e mit m i n d e ste n s 3 0 Grad im Schatten nahm un terde ss en um 0,1 jährlich zu. Der Som mer 2 0 0 3 mit ein em unge wöhn lic h Frühjahr in Hausen vor Wald. Windig, regenreich und kalt war der Mai 2006 – von einer allge­ meinen Erwärmung war zumin­ dest im Frühjahr noch nichts zu spüren.

Die Winterniederschläge sollen auch im Schwarzwald-Baar-Kreis zunehmen, allerdings prognostizieren die Forscher mehr Regen als Schnee. Hier Schneebruch und Schneechaos auf der B 33 bei Mönchweiler. ringer sein als heute, währe nd die Winternie­ der schläge z unehm en werden. Aus klimatologi- scher Sicht sind da s gleichwohl beachtliche Er­ kenntnisse. Je berechenbarer d a s künftige Klima wird, u m s o g e n a u e r la s s e n sich natürlich auch die ökonomischen Schäden ermitteln, die durch künf­ tige Klimaextreme auftreten werden; Dürren und Üb er sc hw em mun gen kosten die Volkswirtschaft schließlich enorme Mengen Geld. Während sich in Deutschland in den ve rg an ge nen zeh n Jahren die S c h ä d e n durch extreme W e tter er eign isse in sg e sa m t auf etwa 16,5 Milliarden Euro belie- spiel, die künftige Hochwasserrisiken simulie ­ ren wollen, werden nun auf die Daten der Ham­ burger M eteor ologen zurückgreifen könne n. Ebenso Forstwissenschaftler, die sich um dieZu- kunft d e s Waldes in ihrer Region sorgen. Sommerniederschläge werden geringer Der Prognosezeitraum reicht bis in d a s Jahr 2100 – w obei d a s Klimamodell nicht mit einer Wetter­ vorhers age zu verwec hseln ist. Ob zum Beispiel der Som m er 2 0 8 0 im Schwarzwald trocken oder aber verregnet sein wird, lässt sich daher auch mit dem neuen Modell nicht ermitteln. Die Aus­ s a g e heißt lediglich: Die S o m ­ mernieders chl äge im Schwarz- wald werde n in der zweiten Hälfte d i e s e s Jahrhunderts g e ­ j i Beim Hinterbauernhof in Linach. Heißere und damit trockenere Sommer sind für die Landwirt­ schaftschlecht. In Hitzejahren fällt der Ertrag drastisch schlech­ ter aus, dann stehtauch kaum Gras auf den Weiden. 228 ■

Weniger Regen im Sommer – mehr Niederschlag im Winter Das „böse Jahr“ 1816: Schnee, Regen und Kälte Wetterkapriolen hat e s schon immer gege­ ben. Aufzeichnungen hierüber begegnen ei­ nem in vielen Ortschroniken und teils auch in Kirchenbüchern. Ein Bericht ist aus dem Blumberger Ortsteil Riedöschingen überlie­ fert. Am 13. Januar 1817 notierte der Ried- öschinger Vogt Augustin Fuhrerim Rückblick au f das Jahr 1816: „Im Jahre 1816 ist ein s o b ö s e s Jahr, daß im Winter und im Frühjahr ein so großer Schnee g e w e s e n , d aß man lang nit hat können ins Feld zur Frühlingsaussaat, d aß der S c h n e e gr oben Sc h ad en ge tan hat, d aß man viele Acker, über Winter ange sä t, nit hat können sc hn eide n oder viele nur Gigis-Haber g e g e ­ ben. Auch der Som mer war b ö s mit Regen und Üb erschwemmun g, daß man den Brachösch, mit Noth nur 2 mal hat können fahren. Viele Jauchert hat man w e g e n der N ässe keinmal hatfahren können und der Fleuet war sp ät und b ö s w e g e n N ä s se , da man an Micha­ eli (29. Sept.) noch zu heuen ge habt hat. Da e s über Winter sollte a n g e s ä t werden, wie e s Zeit war, hat man noch kein Korn zum sä e n . Der Kornösch war noch nit reif, ich mußte am Heilig-Kreuz-Tag noch Samenkorn holen in der Sc hw eiz zu Altdorf und Hofen. Viele an­ dere haben erst an Michaeli und Rosenkranz­ s on ntag a ng esä t. Am 19. Oktober wurde der G e m e i n d s ­ acker mit Korn ge sc hnitte n und g e bun de n. Den G em einds ha ber hat e s e in g es ch n e it und ist eingefroren, daß man erst am 14. D e z em ­ ber hat können binden und den S c h n ee her- abs chiddlen. Auch etliche Bürger haben erst den 2. Januar 1817 den Haber g e bun de n. Vie­ le Erdäpfel bleiben im Feld und hats e in g e ­ schneit, daß man im Winter hat m ü s se n bei großer Kälte den S c h n ee abräumen um die Erdäpfel können a u s n e h m e n , auch viele wur­ den erfroren. In d ie se m Jahr war ein e große Noth w e g e n Lebensmittel, weil e s s o sp ät wurde, daß man die Früchte schier nit mehr um d a s Geld be ko mmen hat. Der Fruchtpreis war g e sti e g e n , der Kernen bis 2 0 und 22 Gul­ den, die Gersten und Zwicki 12 bis 16 Gulden der Muth.“ Und für den Schwarzwald ist unter a n d e ­ rem d a s Jahr 1879 als ein » b ö s e s Jahr“ über­ liefert. In Furtwangen hatte e s auf dem 1149 Meter hoch g e le g e n e n Brend mit Ausnah me d e s Augusts in jedem Monat geschneit. Wieder hatte e s in der ge sa m ten Region Kälte, Regen wd und S c h n e e zuhauf g e g e b e n . fen, könnten die Kosten d e s Klimawandels nach Sc hätzungen d e s UBA bis 2 0 5 0 auf jährlich 27 Milliarden Euro st eigen . So werde „j e de s Zögern beim Klimaschutz te ue r“, heißt e s von Seiten der Umwelt-Fachbehörde. Nicht a us zu sc hließ en ist, d a s s auch d as Ha­ gelunwetter in Villingen am 28 . Juni 2 0 0 6 – da s sc h w e r s te der Region se it e s Aufzeichnungen gibt – in se in e r Zerstörungskraft bereits eine K onsequ enz d e s Klimawandels ist. An d ie se m Tag gingen nach 19 Uhr Hagelkörner mit bis zu 12 Zentimeter Größe auf die Stadt nieder. Die S c h ä ­ den an Häusern und Autos lagen bei ge schätzten 150 Millionen Euro. Entsprechend resümiert auch d a s Umwelt­ b u nd es am t, d a s s nur eine Begrenzun g d e s g lo ­ balen Temperaturanstiegs auf zwei Grad die wirt­ schaftlichen und sozialen Folgen d e s Klimawan­ de ls abfedern könne. Doch d a s setz t politisches Handeln voraus: Bei Fortschreibung der heuti­ gen Energievers ch wen du ng erwarten die Wis­ sens chaftler in einigen Regionen Deutschlands ein en An stieg der Mitteltemperatur um bis zu vier Grad. Damit hat d a s neue Reche nmodell natürlich auch eine starke politische Komponente. Und so forderte d a s UBA im April bei der Vorstellung der Forschungsresultate, d a s s Deutschland bis zum Jahr 2 0 2 0 s e in e T r eibh aus ga semissio ne n um 4 0 Prozent und bis 2 0 5 0 um 8 0 Prozent reduzieren m ü s s e . Das se i „technisch möglich und wirt­ Bernward Janzing schaftlich tragfähig“. 229

Unberührte Winterwelt – wo die „Fallers“ zu Hause sind, auf dem Fallengrund bei Neukirch/Gütenbach. 230

Klimawandel | Teil 2: Ein ganzer Landkreis schippt und fräst… Winterzauber i wenn die weit über Nacht im Schnee versinkt… Es ist die zweite Seite des Winters, seine zauberhafte. S c h n ee knirscht unter den Schuhen, die Landschaft ist in frisch gefallenen „ S c h n ee verpackt“: Links und rechts d e s W e ges türmen sich S c h n ee b e r g e zwei Meter hoch. Man durchwandert ein e Winterzauberwelt, vergisst die Mühen damit – staunt über die Macht der Natur. Der Jahrhundertwinter 2 0 0 5 / 2 0 0 6 hatte im Schwarzwald-Baar-Kreis eine Winterpracht im Gefolge, wie si e zuletzt 1 9 8 1 /1 9 8 2 anzutreffen war. Der Rekordwinter b escherte einzigartige Naturerlebnisse – aber auch d a s S c h n e e c h a o s im März 2 0 0 6 , d a s die Region so gar in der Tage sschau der ARD zu einem Hauptthema machte. Da wäre sie dann, die zweite, die andere Se it e d e s Winters. Die Seite, die bei nicht we nige n Z eit genosse n reg elm äßig „Fluchtgedanken“ in wärmere Regionen nährt, in G ege nd en oh n e derart lange Winter.

Wetter und Klima Und sogar die Schwarzwaldbahn steht. Der jahrhun­ dertwinter 2005/2006 schreibt Geschichte: In der Nacht zum Sonntag, den 5. März, gibt es für rund 100 Bahnreisende kein Weiterkommen mehr. Und d a s ist an d i e s e m Wintertag längst nicht alles: Überall im Landkreis sind Winterimpressionen aus Furt- Straßen w e g e n umgestürzter Bäume gesperrt, werden Flachdächer wangen, Schönwald und Triberg. freigeräumt oder freigefräst, weil man ihren Einsturz befürchtet. Das öffentliche Leben ist so stark ein geschränkt wie se it langem nicht mehr, auch weil gerade Nebenstraßen z eitw e is e nicht mehr vom S c h n ee zu befreien sind: e s schneit und schn eit unaufhörlich. Meterhohen S c h n ee in Furtwangen, Triberg, Schonach ode r St. Ge­ orgen ist man ja g e w öhn t – aber in Villingen? In Villingen wurde ein e S c h n e e h ö h e von 9 0 Zentime­ tern g e m e s s e n ! Zum Vergleich: 1978 waren e s 8 0 Zentimeter. aufzutauchen. Mit S o n n e n s ch ein sieht d a s g a n ­ ze schon wiede r ganz p a s s a b e l aus. Die März­ s o n n e taut auch sofort die ers te Schicht ab, mal Wo bis zu einem Meter Schnee auf dem Dach liegt, ist es an derZeit, ihn abzu ­ schaufeln. So in Vöhrenbach, wo man auf Skiern sogar mit­ ten durchs Städtle gleitet. Unten rechts: An der Breg in Schönenbach. im März 2 0 0 6 Sicher liegt e s daran, d a s s die Hochschule Furtwangen b e s o n d e r s gut „vernetzt ist“ und sich ihre Studenten via Internet und Weblog rund um die Uhr aus tausc hen: Wer n a c h l e se n will, w e l c h e Ge­ müt ssc hwan ku nge n der jahr­ hundertwinter 2 0 0 5 / 2 0 0 6 so a u s lö s te, wird im Umfeld der Hochschule in Hülle und Fülle fündig. S e b a s t ia n au s Köln schreibt ins Web: „Gott sei Dank keine ein ­ ge st ür zte n Flachdächer und ein e kurze S c h n e e p a u s e , seit einer Woche pr ass elte e s förmlich vom Himmel. Die Hände voller Blase n vom Schaufeln und Slide-Manö- vern mit der Hand bremse, so nah be ieinander liegen Arbeit und Vergnügen. Nach dem Erdbeben im Winter 2 0 0 4 auch wiede r die G el e gen he it für Furtwangen, im Fernsehen 232

Sogar die Schwarzwaldbahn steht. Der Schnee auf den Gleisen in Triberg signalisiert: „Nichts geht mehr“.

Wetter und Klima s e h e n w a s noch kommt. Vielleicht fällt heute Nacht ja der Jahrzehnte alte Schneerekord von 4,30 m auf dem Feldberg.“ Nicht nur die St udenten der Fachhochschule Furtwangen ste h e n stau ne nd vor d ie se r Winter­ macht, die sie mit b ö s e n und sc hön en Worten beschreiben und quasi rund um die Uhr mit all ihren Facetten fotografieren ( s i e h e Nachtauf­ nahme rechte Seite). Auch g e s t a n d e n e Schwarz­ wälder haben mit d i e s e m Winter ihre Probleme: A bges ch nitten von der Au ße nw elt wird ein em b e w u sst, wie sehr man auch in unserer h o c h ­ technisierten Welt von der Natur a b h ängig ist. Hier nun eine Si tuationsbeschreib ung für den Schwarzwald-Baar-Kreis: Winter in Furtwangen: Schnee von November bis Ende April! Endlich einmal wieder einen „richtigen Winter“ zu erleben, darüber freuten sich die einen. Die anderen s töhnten über S c h n e e m a s s e n und zahl­ reiche Einschränkungen für Autofahrer wie Fuß­ gänger. Ältere Be wo hn er der Uhrenstadt erin­ nerten sich freilich an ähnlich harte Winter in früheren Jahren. Tatsächlich war e s vor allem die außerordentlich lange Periode oh n e Tauwetter, die den Winter 2 0 0 5 / 2 0 0 6 zu etw as B e s o n d e ­ rem machte. Schneereich war etwa auch der Win­ ter 1 9 8 5 / 1 9 8 6 , doch da begann e s erst Ende De­ zem ber zu sc hn ei en. Und im Jahr darauf fiel ein großerTeil d e s S c h n e e s auf einmal, und die s erst im März. In d i e s e m Winter d a g e g e n be gann e s im No­ vembe r zu sc hn ei en und hörte erst wieder Mitte April auf. Tauwetterperioden gab e s nur w enige – unter anderem um Silvester herum – und sie waren kurz. Die Folge: Der S c h n ee , auch auf den Dächern von Schulen, Hallen und Häusern ver­ dichtete sich, zuunterst bildete sich meis t eine Eisschicht. Und die war extrem schwer. Da e s immer weiter sc hn eite , sind die Stra­ ßen „über Nacht z u g e w a c h s e n “: die Räumfahr- z e u g e m usst e n den S c h n e e an die Straßenrän­ der drücken und die rasch a n w a c h s e n d e n S c h n e e b o r d e ve re n gte n die Straßen immer mehr. Häufige Einsätze der Schn ee fräse n waren daher unabdingbar. Und schließlich: Auf Grund 234 der starken Temperaturunterschiede zwisc hen Sonnenschein-Tagen und eiskalten Nächten gab e s kaum einen Morgen, an dem nicht Salz g e ­ streut werden m usst e. Daher war e s auf jeden Fall ein extrem teurer Winter. Se inen Höhepunkt erreichte d a s „ S c h n e e ­ c h a o s “ in Furtwangen am ersten Märzwochen­ e nde. Bereits am S a m s ta g m u s ste die Feuerwehr ausrücken, da e in e Glasfront z w isc he n Otto- Hahn-Gymnasium und Sporthalle Oberer Bühl eingedrückt zu werden drohte. Das Hallendach s e lb st m u s s übrigens ohn ehi n r egelm äß ig vom Ha us meiste r der Schu le ge rä umt we rde n. Am S on ntag sah en sich Schulleitung und Stadtver­ waltung dann genötigt, die Freiwillige Feuerwehr zu rufen. Sie hatte d a s g e s a m t e Schuldach zu­ m inde st te ilweise von der mittlerweile 2,50 Me­ ter starken S c hn ee sc hic ht zu befreien. Eine S c h n e e f r ä s e wurde mit der großen Drehleiter auf d as Schuldach gehievt, rund 50 Feuerwehrleute waren den ganzen Tag im Ein­ satz. Am Nachmittag gab e s einen Sc hic htwech­ sel, Feuerwehrleute der Abteilungen Neukirch, Linach und Rohrbach waren bis zum Einbruch der Dunkelheit auf den Schuldächern tätig. Nicht geräumt werden konnten hin ge gen an d i e s e m Tag die Fluchtbalkone, s o d a s s der Un­ terricht am Montag, 5. März, für die Klassen fünf bis zeh n an Gymnasium und Realschule a b g e ­ s a g t wurde. Auch die Flachdächer der llben- schulen so w ie d as Vordach d e s K rankenhausge­ b ä u d e s m u s s te n von der Feuerwehr ge rä umt werden. An b e sa g te m W ochenende waren bereits ab Freitag sämtlich e verfügbaren Schn ee fräs en der Stadt rund um die Uhr im Einsatz, um die Straße offen zu halten. Einige kleinere Straßen, etwa d i e z u m Brend, m usst e n kurzzeitig gesperrt wer­ den, da die Räumfahrzeuge nicht mehr nachka­ men. Zum Wochenbeginn wurden außer dem Bau- Rechte Seite: Nachtaufnahme von Furtwangen, aufgenommen von den Studentenwohntürmen am Furtwanger Großhausberg aus. Unten: Beim Gabri elenhofin Furtwangen. Entlang der Katzensteiger Straße türmt sich links und rechts mächtig der Schnee.

Wetter und Klima Die zwei Seiten des Winters: Spaß bei der Schneeballschlacht und Dauereinsatz für die Hilfsdienste. Viele Dächer im Landkreis droh­ ten unter der Schneelast einzustürzen, sie mussten wie hier das Dach der Schule in Scho nach vom Schnee befreit werden. Sprungturm s e l b s t blieb s te h e n , wu rde aber durch d a s hera bstü r­ z en de G eb älkebenfalls beschädigt. P er so nen kam en dabei nicht zu Schad en – die Schanzenzufahrt war durch den hohen S c h n e e blockiert. Zwei Wochen zuvor herrschte hier freilich noch regerTrainingsbetrieb. Über 800 000 Euro an Kosten Ein Fazit in Zahlen: Die Kosten für den Winterdienst der Sai so n 2 0 0 5 / 2 0 0 6 sind exorbitant. Sie wur­ den im S o m m e r auf 8 1 2 2 2 9 Euro beziffert, im Vorjahr betrugen sie le­ diglich 4 7 6 9 3 5 Euro und im Winter 2 0 0 3 / 2 0 0 4 waren e s 4 0 2 210 Euro. Alleine die Kosten für Streusalz und Splitt beliefen sich auf 73 585 Euro, d a s Doppelte einer durchschnittli­ chen Saison. Dafür war man sich allgemein d a ­ rüber einig, d a s s die stä d tis c h e S c h n e e r ä u m u n g den Um stän den e n tsp r e c h e n d hervorragend funk­ tioniert hat. Gefreut haben sich d a ­ g e gen vor allem die Kinder über den Schneereichtum. So hatte etwa die Stadtverwaltung auf dem Platz vor dem Rathauseinen riesigen „Schnee­ berg“ errichten l ass e n, auf dem e i ­ ne Schlittenbahn a n g e leg t war, die von den Kleinen bis in den April hi­ nein eifrig genutzt wurde. Und die Skifahrer, ob nordisch oder alpin, werden einen „Bilderbuch- Winter“ in Erinnerung behalten, wo dem „w ei­ ß en Sport“ kaum wit te ru ng sb ed ingte Grenzen Matthias Winter g e se tz t waren. „Seit ich in Schonach lebe, habe ich so einen Winter noch nie erlebt“ Es war ein Winter, wie man ihn se lte n erlebt. „Seit ich in Schonach lebe – und da s ist bereits seit über 50 Jahren der Fall – hab e ich solch ei­ nen Winter noch nie erlebt“, lautet die A u ssa g e W , hof auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung in die Sc h n e e r ä u m u n g auf den Dächern mit e i n g e ­ spann t, s e l b s t für eine s c h n e e g e w o h n t e Stadt wie Furtwangen ein s e l t e n e s Ereignis. Auch Firmen begann en nun mitder Räumung ihrer Flachdächer, e b e n s o Privatleute, die vor­ si c h tsh alb er ihre Dächer von e in em Teil der Sc hn ee – und Eislast befreiten. Erfreulich: Bisher war e s aber nicht zum Einsturz e in e s D aches g e ­ kommen. Eine A u sn ahme bildete dann aus ger e ch ne t die Spru ng sch anz e, wo um den 4 . /s- März h e ­ rum die g e s a m t e Anlaufkonstruktion unter den S c h n e e m a s s e n zusa mmenb ra ch. Lediglich der 236

Winterzauber – Wenn die Welt über Nacht im Schnee versinkt Endstation: Im Wald bei St. Georgen „parkt“ die Schwarzwaldbahn – zu groß war die Schneebruchgefahr. Die Passagiere wurden mit Bussen weiter befördert oder mussten im Hotel übernachten. e in e s Sc ho nac her s, der gerade mit der S c h n e e ­ sc hipp e dabei ist, se ine n Parkplatz zum dritten Mal an d ie se m Tag frei zu schipp en. Rudolf Feh- renbach au s Schön wald erinnerte sich an den Winter im Jahr 1983, in dem e s innerhalb w e n i­ ger Tage enorm stark ge sc h n e it hatte. „Damals hatten wir ähnlich viel S c h n ee , allerdings nicht über einen solch langen Zeitraum h in w eg.“ Gärten versanken im S c h n ee , H äusereingän­ g e wurden durch die S c h n e e b e r g e links und rechts zur gerade malnoch mannsbreiten G asse, Parkplätze wurden immer kleiner, weil die Leute nicht mehr w u s s t e n , w o si e den S c h n e e noch hinschippe n sollten. S c h n e e s c h i p p e n galt g e ­ zwungenermaßen als „Volkssport“. Von November an bis in den Mai hinein hat­ te ein e dicke S c h n e e d e c k e die Schwarzwaldorte Sc honach, Schönwald, Triberg und St. Georgen fest in ihrem Griff. Zeitweise war dort, wo der S c h n e e einfach liegen blieb, eine S c h n e e h ö h e von über zwei Metern erreicht. Ein Jahrhundert­ winter also , der in diese r Form noch nie da war. Z eitw eise war die Fahrt der Sc hw arz wald­ bahn z w isc he n Triberg und St. Georgen nicht mehr möglich. Zu hoch lag der S c h n ee auf den Schiene n, zu gefährlich wäre der Schneebruch entlang der Schie nen g e w e s e n . In Triberg stand mehrere Tage lang ein Zug, der nicht mehr vom Fleck w egk am . S c h n e e in Hülle und Fülle. Wie e in g a n g s erwähnt, war einmal auch St. Georgen die Endstation einer Bahnfahrt. Die B 500 ein „Winter-Radiostar…“ Für die Autofahrer war der Winter e in e He­ rausforderung. Steig un ge n m usst e n mit Allrad­ antrieb hinter sich ge bracht we rde n oder gar nicht. Einmal mehr waren die B 50 0 zwischen Triberg und Furtwangen so w ie die Sommerau bei St. Georgen „Radiostars“, denn unen tw egt ka­ men die Warnungen vor dem S c h n e e c h a o s in d ie se n Teilbereichen über den Äther. Die Was­ se r fall ste ige – a l s o die Verbindung z w isc he n Schönwald und Triberg – m u s s te tage la n g g e ­ sperrt werden, weil der viele S c h n ee die Bäume am Rande der Straße einfach umknicken ließ. Sc hn ee , wohin da s Auge blickte. 2 3 7

Wetter und Klima Autos m usst e n unter Sc hn ee be r gen g e su c ht werden, die zei tw e is e nicht mal mehr vermuten ließen, d a s s sich darunter überhaupt ein Fahr­ z e u g verbarg. Für Fußgänger war e s nicht selten „ein Graus“, m orgen s d a s Haus zu ve rlass en . Durch einen halben Meter S c h n e e zu stapfen und sich einen Weg zur Arbeitsstätte zu bahnen, war ein Abenteuer, da s nicht jeder lustig fand. Die Räumkräfte kamen z eitw e is e gar nicht mehr nach, die S c h n e e m a s s e n bis zum Arbeitsbeginn früh morgens zu beseitigen. Es war einfach zuviel. Und dann wurde irgendwann die Traglast der Hausdächer in Frage gestellt. Ob Schule, Hallen­ bad oder Probenlokal – alles, w a s ein Flachdach be sa ß , wurde intensiv begu tachtet und zur Not in Arbeitseinsätzen abgesc ha ufelt. Der Musik- J U fh ä M Super-Wintersportverhältnisse im Schwarzwald- Baar-Kreis -u n d das über Monate hinweg – der Re­ kordwinter 2005/2006 machte es möglich. Hier beim Snowboarden in Oberkirnach. verein und derSch ützenv ere in in Schönwald rie­ fen ihre Mitglieder d i e s e s Mal nicht zum Musi­ zieren oder zum S c h ie ß e n , sondern zum Dach- abschaufeln auf und mehrere Dutzend kamen mit S c h n e e h e x e und Schi ppe bewaffnet, um das Dach von der Last d e s tonn en sc hweren S c h n e e s zu befreien. Und d a s war kein leichtes Unterfan­ gen – schließlich ha ndelte e s sich nicht nur um Pulverschnee, sondern auch um eine meterdicke Eisschicht, die durch den kurzen aber heftigen 238 Regen und die a n s ch li e ß e n d e Kälte um Silvester herum en ts tan den war. Ähnlich erging e s den Fußballclubs der Raumschaft – Scho nac her und S c hön w älde r s c hipp ten im Frühjahr, w a s d a s Zeug hergab, denn die Saiso n sollte starten, w as aber auf einem Platz, der mit ein em Meter har­ tem und gefrorenem S c h n ee bedeckt war, ein ­ fach unmöglich erschien. Nur durch harte Kno­ chenarbeit und den Einsatz von Schn ee fräs en und Schaufelladern war d i e s e s Hindernis in S a ­ chen Fußball zu be se itig en. Für die Stadt St. Georgen se ie n hier be isp ie l­ haft einige Zahlen genannt: 217 Räumeinsätze gab e s , an 12 Tagen war „Dauerräumung“ a n g e ­ sagt. Rund 7 0 0 0 S c h n e e p fä h le wurden a n g e ­ bracht, ca. 171,3 Straßenkilometer geräumt, ins­ ge sa m t mus ste man für den Win­ terdienst rund 5 0 0 0 0 0 Euro auf­ we nd en . 107 von 166 Räumtagen waren im Übrigen Frosttage. Beste Wintersportverhältnisse Was d e s einen Leid war, war d e s anderen Freud. Für Skifahrer hät­ ten keine bess er e n Bedingungen herrschen können. Die Lifte w a ­ ren o h n e Unterbrechu ng in Be­ trieb. Rössle, Dobel, Winterberg und wie sie alle heißen mö ge n lie­ fen ununterbrochen, beförderten zig ta u s en d e Skifahrer hinauf und ließen sie den Winterspaß auf ei­ nem od er zwei Brettern g e n i e ß e n . M anche schnallten sich auch die Bretter auf un be fes tig ­ ten Hängen unter und fuhren Tiefschnee, w as nach ihrer A u ssa g e einen wa h nsi n nige n Sp aß bereitete. Die Langläufer konnten die kilometerlangen Loipen auskoste n und sich teilweise bei strah­ lendem S on n e n s ch ein und blauem Himmel glei­ tend durch ein e „Winterzauberwelt“ b e w e g e n . Erst recht die nicht auf Loipen a n g e w i e s e n e n Schn eeschuhläufer. Die Kinder waren mit dem Rodel u n ter w e gs, bauten sich S c h n e e h ö h l e n , veranstalteten Sc hn eeballsc hlachten und tollten in der w e iße n Pracht umher – für sie war dieser Winter einfach grandios. Wolf-Wilhelm Adam

Winter-Impressionen: Winterfreuden bei Schönwald (oben links), stehen tief verschneite Dächer (Scho- nach) und Gehwege (Schönwald) entgegen. Die Schneefräse scheint im „Schneemeer“ fast zu ver­ schwinden. Nicht nur in Nußbach (Mitte links) waren große und kleine Schneefräsen im Dauereinsatz. So mancher besorgte Blick ging da nach oben: „Achtung – Schnee v. Dach“ scheint einfach die „vornehme“ Umschreibung für „Dachlawine“.

Wetter und Klima Elf Stunden mit dem Schneepflug unterwegs: Kein Verständnis für Räumdienst Es ist der 5. März, 2.3 0 Uhr. Noch e in e halbe Stunde, dann werde ich neben Horst Hummel im Führerhaus d e s S c h n e e p flu g e s sitzen. Keine Ah­ nung, w as mich erwartet. Nur d a s Ziel ist klar: elf Stunden lang erleben, w a s für die Mitarbeiter der Technischen Dienste Villingen-Schwenn in­ gen (TDVS) seit Wochen Alltag ist: S c h n e e c h a o s auf einer 100 Kilometer langen Tour durch da s Stadtgebiet. Schon die Fahrt mit de m Taxi zum Bauhof lässt keinen Zweifel daran, d a s s die Räummann- schaft dringend ge br auc ht wird. Der Wagen schlingert, die Räder drehen durch, der Fahrerist an ge sp an n t. „Ab jetzt ko mme ich nicht mehr in Nebe nstraß en , d as hat keinen Sinn“, schimpft er. Auch für die Mitarbeiter d e s Räumdienstes herrscht der A u sn ah m ez u s tan d . Zumindest in den ersten zwölf Wochen d e s Jahres haben sie ihre Dienstfahrzeuge öfter g e s e h e n als ihre Fa­ milien. Letzte Nacht war Horst Hummel gerade einmal fünf Stu nden zu Hause. Jetzt, um 2.50 Uhr, beginnt die n äc h s te Schicht im „Bigfoot“, dem größten LKW d e s Bau­ hofs. 310 PS b e w e g e n da s 16-Tonnen-Fahrzeug durch die Straßen. Eine r ie se ngr oße Schaufel s c h ie b t die S c h n e e m a s s e n mal an die linke, dann wieder an die rechte Seite. Viel ist davon au s der hoh en Fahrerkabine nicht zu s e h e n . Die e in zige n Anha ltsp un kte sind ein ro t-weißes Fähnchen an der linken Kante d e s Pfluges und ein b la u es Tuch über die g e s a m t e Länge d e s Schie bers. Es soll verhindern, d a s s S c h n ee auf die Wind sch utzsc heib e ge sc hleu de rt wird. Bis jetzt läuft alles nach Plan. „Wir räumen zuerst die Hauptstraßen, dann kommen Buslinien und die wichtigen Über gä ng e“, erklärt Hummel unsere Route. Die Vorrichtung, in der sich Salz mit Lau­ ge vermischt, ist noch außer Betrieb. Solan ge e s s o stark schn eit, wäre e s sinn lo s zu streuen. Gut e in e hal b e Stu nd e fährt der 42-Jährige nun schon hinter einem anderen Räumfahrzeug her. „Alleine braucht man zu viel Zeit. So be ko mmen wir auf einen Schlag eine größere Breite.“ Für Horst Hummel ist der Räumdienst inzwi­ s chen zur Routine ge wor de n. Seit zehn Jahren sitzt er hinterm Steuer d e s bulligen LKWs. Noch 240 nie hat er einen sol che n Winter erlebt. So viel g e ­ sc hn eit wie in den letzten Wochen hat e s seit den i98oer-Jahren nicht mehr und auch die Ar­ beitszeiten sind rekordverdächtig. Langsam ent sp ann t sich die Lage ein wenig. Die Autofahrer m ü s ste n wie de r b e s s e r voran­ kommen, wenn sie am Vormittag trotz allerWar- nungen a u s dem Radio die Straßen bevölkern werden. Dankbarkeit, da s hat Horst Hummel mit den Jahren gelernt, werden die Bürger wohl auch die smal nicht empfinden. „Manche beschimpfen dich, zeigen dich an, oder werfen dir die S c h a u ­ fel hinterher.“ Kein Durchkommen in den Nebenstraßen In den Nebenstraßen ist d as Durchkommen b e ­ s o n d e rs schwierig. Von oben a u s dem Führer­ ha us kann man gena u s e h e n , wie gering der Ab­ stand zwischen dem Räumfahrzeug und den g e ­ parkten Autos ist. Oft p a s st gera de noch eine Hand dazwisc hen, manchmal m ü s s e n wir den Rü ckwärtsgang e in le g e n , weil die Straße zu schmal ist. Das ist heute aber da s kleinere Pro­ blem. Es ist kurz vor halb acht, wir liegen gut in der Zeit. Doch dann, Hummel hat gerade e in g e ­ lenkt um die Kreuzung zu pas sieren, kommt der LKW ins Rutschen. Der hintere Teil d e s Raumfahr­ z e u g s hat sich in einem silbernen Renault ver­ keilt. Hummel wirkt g e str ess t. So e tw as ist ihm

Winterzauber – Wenn die Welt über Nacht im Schnee versinkt Rekordschneemassen stellten sich auch in Villingen-Schwenningen ein, es war im sonst eher „schneearmen“ Oberzentrum Dauer-Räumen und Dauer-Schippen ange­ sagt. Im „Bigfoot“ (links), dem größten Raumfahrzeug der Doppelstadt, unterwegs zu sein, ist dabei ein besonderes Erlebnis. auch am Profisport gi ng der e iser ne Win­ ter nicht sp urlo s vorüber. Obscho n die Eishockeyspieler der Schw en ning er Wild Wings Glatteis von Berufs w e g e n g e ­ w o h n t sind, ha ben die S c h n e e m a s s e n auch ihnen ein en Strich durch den Ter­ minkalender gemacht: Die Zweitligapar­ tie g e g e n München, die am 5. März hätte stattfinden sollen, wurde a b g e sa g t, um mit Blick auf die Tragfähigkeit d e s Dac hes je de s Risiko auszu sc hließ en . Allerorts wurden Exper­ ten damit betraut, die Sicherheit öffentlicher Ein­ richtungen zu überwachen. Erfolgreich verliefen die Einsätze auf den dop pelst ädtisc hen Straßen. Nahezu alle 135 Be­ schäftigten derTDVS waren im Dauereinsatz, um dem S c h n ee Herr zu werden. Obschon die Ver­ hältnisse auf den durch die Witterung stark in Mitleidenschaft g e z o g e n e n Straßen nicht immer einfach waren, ließen die Rä umdienste nichts unversucht, d a s Durchkommen s e l b s t in den Nebenstraßen zu ermöglichen. Weil si e gar nicht and er s konnten, als die G eh wege m it S c h n e e m a s s e n zuz uschütten, wur­ d e in manc he n G em e inde n die Räum- und Streupflicht zeitw e is e ausges etzt, um e s den Bür­ gern nicht noch schwerer zu mac hen, als e s o h ­ nehin scho n war. Weil die Nachfrage nach Streusalz in d ie se m Winter s o groß und die Lager in den Salz be rg ­ werken leer waren, wurde d as kostbare Gut rati­ oniert. Die Vertragspartner lieferten an je de Kommune nur noch einen Teil der Tagesproduk­ tion, eg al wie groß der individuelle Bedarf nor­ mal erwe ise ausfallen würde. Für die TDVS b e ­ de utete dies, d a s s sie im Oberzentrum mit ei­ nem Lastzug eine Woche la ng a u sk o m m e n m u s s ­ ten. Sparen war al so a nge sagt, obw ohl zu Be­ ginn d e s Winters alles ganz anders a u s g e s e h e n Philipp Jauch hatte. 241 sc hon lange nicht mehr pas siert. Den An wo h­ nern ist der Aufprall nicht verborgen ge bliebe n. Einige sc h a u e n a u s dem Fenster, keiner hilft. Auch nicht, als wir ve rsuchen, den 16-Tonnen- LKW a u s dem Kotflügel d e s Kle inwa ge ns zu s c hie be n. Wenige Minuten später ist Unterstüt­ z ungi n Sicht. Ein RäumfahrzeugderTechnischen Dienste ist g e k om m e n , um den LKW mithilfe ei­ ne s Stah lse ils auf den richtigen W e g zu bringen. jetzt atmet Horst Hummel erst einmal kräftig durch, jetzt gilt e s die Formalitäten zu klären. „Die Nebe ns traßen sind für heute erledigt. Das hat keinen Sinn“, schimpft er. Noch eine letzte Kontrollrunde, dann ist die Schicht wie de r ein ­ mal geschafft. Als er den Bigfoot um kurz nach 14 Uhr in der Garage d e s Bauhofs abstellt, hat er in elf Stunden rund 100 Kilometerzurückgelegt und drei bis vier Tonnen Salz verbraucht. Streusalz wurde rationiert Der jahrhundertwinter 2 0 0 5 / 2 0 0 6 hat auch im Oberzentrum Villingen-Schwenningen einen blei­ b end en Eindruck hin terlassen. Bei den Techni­ sc he n Dienste Villingen-Schwenningen (TDVS), weil im Salzlager z eitw e is e derart Ebbe herrsch­ te, d a s s die Mitarbeiter im Bauhof „jeden Krümel einzeln zusammenk ratzen m u s s t e n “; bei der Po­ lizei, weil sie an nur einem Vormittag kreisweit 25 Unfälle im Berufsverkehr registrierte. Und

I Donaueschingen und Südbaar: Mehrfach starke Behinderungen auf der B 27 DerWinterim Großraum Donaue sc hing en und in der Südbaar zeigte erst ab Februar starke Aus­ wirkungen auf Straßenverkehr, M enschen, Forst und Wild. Auf der B 27 ging nach starken S c h n e e ­ fällen am Ran denaufstieg am 9. Februar zeitwei­ s e nichts mehr. Doch nicht nur auf der B 27 lag d e r S c h n e e z e n ti m e te r h o c h – auch die B 314 und and er e Straßen war mehrfach na h ez u u n p a s ­ sierbar. Weitere starke Schneefälle vom 3. bis 5. März ließen den Verkehr auf der B 27 und B 314 bei Blumberg und auf dem Randen erneut w e i tg e ­ hend zum Erliegen ko mmen. Viele Lkws fuhren 242 Tief verschneit präsentiert sich die Karlstraße, auf der eine Donaueschingerin sogar mit ihren Lang­ laufbrettern unterwegs war-Einkäufen mal auf eine ganz andere Art. Oft genug galt allerdings auch in der Baar-Metropole Donaueschingen: Wersein Fahr­ zeug liebt, der schiebt… Kälte ist die Baar gewohnt – Schnee in diesen Mengen allerdings nicht! Parkplätze an, um Sc h n ee k e tt e n aufzuzieh en. Am 4. März kam e s zu zeitweiliger Vollsperrung der Bun desstraßen w e g e n quer ste he nd er Lkws. Auch der Zollübergang Neuh aus/ B ar gen war g e ­ sperrt und Verbindungsstraßen wie der „Well­ b l e ch w e g “ zwisc hen Fützen und Achdorf we ge n Schneebruchgefahr nicht mehr befahrbar.

Die starken S c h n ee fä lle am zweiten April- W oc he ne nde nach vor he rge gange ne m Tauwet­ ter trafen b e s o n d e r s die Südbaar. An der Behla- er Höhe ging am Vormittag auf der B 27 nichts mehr, da Fahrzeuge in den S c h n e e m a s s e n s t e ­ cken blieben. In der Nacht auf den 10. April fiel derart viel Sc hn ee , d a s s e s zwisc hen Hammerei­ se n b ach und Wolterdingen zu Schneebruch kam und die Straße gesperrt werden m usst e. Die B 27 zwischen Hüfingen und Blumberg war s p i e g e l ­ glatt, auf der B31 zwischen Hüfingen und Dög- gi ngen gab e s ein en Unfall. Beide B u n d e s ­ straßen m usst e n gesperrt werden. Auch der Öffentliche P er so nen na hv erke hr hatte zu kämpfen. So blieb die Ringzugstrecke Bl um berg-Im mendingen b e i s p i e l s w e i s e am 5. März g anz ta gs unbefahrbar. Durch die starken Schn ee fälle in den ersten Märztagen vers anken die Kommunen vollend s im Weiß. Vom 3. bis 5. März fiel rund ein Meter Neusch ne e. Vielerorts wurden Flachdächer von den S c h n e e m a s s e n freigeschaufelt, um der Ein­ sturzgefahr vorzubeugen. B e is pielsw eise s c h a u ­ felte die Feuerwehr die S c h n e e m a s s e n von der K om pr om issbachh alle Rie dösc hinge n. Bei e i ­ nem Feuerwehreinsatz an der Aral-Tankstelle an der B 27 wurden vorsorglich bis zu 6 0 Zentime­ ter S c h n ee vom Flachdach geschaufelt. In Epfenhofen, Neuh ause n, Kommingen und Randen so r gte n die S c h n ee fä lle für Leitungs­ sc h ä d en am Energienetz und e s kam zu Strom­ ausfällen. Nachd em in den frühen Morge nstun­ den d e s 9. März vom Dach d e s Alten Schulhau- s e s in Hondingen eine Lawine auf den Kinder­ ga rte n anbau a b g e g a n g e n war, sc h au felte die Feuerwehr da s Pultdach vorsorglich frei. B eso nd er s hart wurde d a s Wild von der lan­ gen Kälte und den S c h n e e m a s s e n getroffen. Zu ungew öhnlichen M aßnahmen griff b e isp ie ls w e i­ s e Ekkehard Jeserich, Leiter d e s Hegerings Blum­ berg, um die Futternot zu lindern. Am 9. März ließ er mit einem S c h n ee p flu g W aldw ege räu­ men. Dadurch sollte die Zufahrt zu den Wildfüt­ terungen wieder möglich ge m ach t werde n. Zu geringen S c hn ee br uc hsch äde n im Wald führten die rund 3 0 Zentimeter N a s s s c h n e e , die am 10. April fielen. Die Forstbetriebsstelle Baar d e s Kreisforstamtes Don au esc hing en registrierte et­ wa 8 0 0 Erntefestmeter Schn eebruch in jüngeren W i n t e r z a u b e r – W e n n die W e lt Uber Nacht im S chn ee vers inkt Fichtenbeständen. Schwerpunkte lagen auf der Länge bei Fürstenberg (300 Erntefestmeter), in Bestä nd en bei Achdorf (250 Erntefestmeter) und bei Hüfingen (250 Erntefestmeter). Stefan Limberger-Andris Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat 670 Kilometer Straßen freigehalten – 600 000 Euro an Kosten Der Winterdienst im Schwarzwald-Baar-Kreis wurde im Winter 2 0 0 5 / 2 0 0 6 von den drei Stra­ ße n m e iste re ie n D on au esc hing en, Villingen und Furtwangen auf insg esa m t 670 Straßenkilometer auf den Bundes-, Landes- und Kreisstraßen im Kreisgebiet ausgefü hrt. Elf e ig e n e Räum- und Streufahrzeuge sta nde n den Str aße nm eistere i­ en zur Verfügung. Mit 6 0 Mann wurde in drei Schichten ge arbeitet. Darüber hinaus hat da s S tr aße nb auam t noch 2 0 Fremdfahrzeuge mit Sc hn ee pflügen und Streugeräten au sge stat te t. Rund 25 km hatte je d e s Fahrzeug bei Schneefall zu räumen bzw. bei Straßenglätte zu streuen. Mit Kosten von über 4 3 0 0 Euro pro km Stra­ ß e erreichte der Landkreis erneut d as Vorjahres­ niveau. Hatte man in der Vergangenheit in mil­ den Wintern nur 3 0 0 0 bis 4 0 0 0 Tonnen Salz benötigt, so waren e s in den beiden letzten Win­ tern über 1 2 0 0 0 Tonnen. Dies ergibt jährliche Salzkosten in Höhe von 7 0 0 0 0 0 Euro. Die Kos­ ten für die Fremdunternehmer erreichen die glei­ che Größenordnung. Die se Kosten sind vom Bund, Land und dem Landkreis als Baulastträger d e s klassifizierten S tr aße nn etz e s aufzubringen. Aber e s sind nicht nur die Winterdienstkos­ ten, die die Kassen der öffentlichen Haushalte sprich d e s Schwarzwald-Baar-Kreises belasten: Die vielen Frost- und Tauwechsel im Z u s am m en ­ sp ie l mit dem Schwerverkehr verursachen vor allem am Ende der Winterperiode zahlreiche Frostaufbrüche. Diese Schadstellen m ü s se n zu­ nächs t provisorisch geflickt und a u s g e b e s s e r t werden, um die Verkehrssicherheit zu gew ähr­ leisten. Im Laufe d e s Jahres wird dann versucht, die größeren Sch ad stellen flä ch en ha ftzu s a n ie ­ ren. Wirkliche Abhilfe kann aber oft nur ein n e u ­ er Belag oder auch ein frostsicherer Ausbau der HerbertSteidler Straße bringen. 2 4 3

Bärengasse Vor Schmerzen schreiend durch­ waten diese Frauen die Hageldecke in der Villinger Bickenstraße. In wenigen Minuten wurden rund 120 Menschen verletzt und verursachte das Hagelwetter ca. 150 Mio. Euro Sachschaden – zerstörte ca. 18 000 Hausdächer und andere Bauten. Auch keines der im Freien geparkten Fahrzeuge überstand die Hagelkata­ strophe unbeschädigt. Es hatte sich am 28. )uni 2006 das schlimmste Unwetter ereignet, das bislang für den Schwarzwald-Baar-Kreis bekannt geworden ist. Klimawandel | Teil 3: Hagelkatastrophe in Villingen-Schwenningen Wenn es mitten im Juni 10 cm dicke Eisklumpen hagelt „Ich dachte, je tz t geh t die W elt unter“ – „So hört sich Krieg an“ – Voller Angst erleben die V illin ger und S ch w en n in g erw ie.ih re H eim atstad t verw ü stet wird „Da können einem die Tränen kommen“ , sagte Vittingen-Schwenningens Oberbürgermeister Rupert Kubon nach erstem Augenschein der Verwüstungen, die das hochsommerliche Hagelge­ witter am 28. Juni in weiten Teilen unseres Landkreises anrichtete. In Villingen-Schwenningen wurden in kürzester Zeit 35 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gemessen. Die Hagelkörner hat­ ten einen Durchmesser von bis’zirzehn Zentimetern. Auf der A 81 war.en winterliche Raumfahrzeu­ g e im Einsatz, um die bis zu 3 0 Zentimeter hoh e Eisschicht von der Fahrbahn zu bese iti gen. Nach Hochrechnungen liegt der G esam ts c hade n im Kreisgebiet bei rund 180 Millionen Euro. Das Unwet­ ter war heftiger als je ne s, d a s am 8. Juli 2 0 0 4 im Kreisgebiet ebenfalls Schä den in Millionenhöhe verursacht hatte, betroffen sind t a u s e n d e von Einwohnern d e s Landkreises. ;:N v . t – ■f f ‚

W e tte r und Klima „S o tiefschw arz h ab e ich den H im m el noch nie geseh en . Er w irk te so bedrohlich, als w ie w enn jed en A ugenblick ein W irb e ls tu rm losbrechen w ürde. Bei R ieth eim drückte ich un­ w illkü rlich aufs Gas. Nur w e g hier! In P faffen w eiler p rasselte dann S tarkreg en d urchsetzt m it kleinen H agelkörnern n ieder, e x ak t beim G rillp latz im W ald an d er K reisstraß e nach Vöhrenbach w ar der S p uk vorbei: es regn ete zw a r noch, ab er das G anze w irkte nicht m ehr so bedrohlich. Ich h ab e ang eha lten, hinüber nach Villingen-Schwenningen ge sc h au t und sofort g e ­ se h e n , d a s s dort etwas Sc hlim mes gesc hieh t. Dort ‘stand eine Wetterwand in der Luft’, wie eine Gren­ ze a u s Regen – aber e s war Hagel. Wenige Minuten später berichteten die Radiosender von einem verheerenden Unwetter.“ So ein Autofahrer au s Vöhrenbach, der auf seine r Heimfahrt von S c h w e n ­ ningen kommend den Beginn d e s Unwetters a u s der Ferne erlebte. Hagel entsteht, wenn Wassertröpfchen au s den niedrigen Schichten von Gewitterwolken durch starke Aufwinde in die Frostzonen der Wolken transportiert werden und dort gefrieren. Danach fallen die neu en tsta n d e n e n Eiskristalle in t ief e­ re Luftschichten und nehm en n e u e s Wasser auf. Die Aufwinde bewirken, d a s s die Eiskristalle g e ­ gen die Schwerkraft in der Luft gehalten werden und erneut in die kalten Luftschichten befördert werden. Dieser Vorgang kann sich sehr oft w i e ­ derholen. Mit jedem Aufsteigen verdichtet sich d a s Hagelkorn durch Eisanlagerungen zu einer immer größer w erde nd en Eiskugel. Sobald die Hagelkörner so schw er sind, d a s s sie von den Aufwinden nicht mehr getragen werden können, stürzen s i e in einer ge waltigen Sturmböe au s den Wolken hinab. Da ihre Fallgeschwindigkeit sehr groß ist, reicht die Zeit bis zum Aufprall nicht aus, um d a s Eis vollständig zu sc hm elze n. Allgemein ist eine klare Zunahme von Hagel­ e re igniss en zu verzeichn en. Den Grund für den deutlichen Anstieg s e h e n Meteorologen und Kli­ maforscher in der Erwärmung der Erdatmosphä­ re. Sie rechnen mit einer weiteren Zunahme von Naturkatastrophen, auch durch Hagel. Eine Chronologie des Schreckens Die Chron ologie d e s Sc hr e ck en s beginnt mit dem Abend d e s 28. Juni, der in die Nacht d e s Grauens m ün dete. Das Hagelunwetter an jenem Mittwoch forderte ein M en sc henleb en , 120 Män­ ner und Frauen allein in Villingen-Schwenningen wurden beim Versuch, ihr Hab und Gut zu retten, verletzt. Außerdem: 18 0 0 0 b e sc häd ig te und zer­ störte Dächer, t a u s e n d e zerbeulte Autos mit ka­ putten Sche iben, 1 5 0 0 0 0 Millionen Euro Versi­ che ru ngss ch ade n nur fürs Oberzentrum – das ist die materielle Kurzbilanz. Das wahre Ausmaß der Hagelkatastrophe lässt sich nicht so leicht in Worte fa ss en . Manch unterversicherter Garten- und Landwirtschaftsbetrieb ist jetzt in se in e r Existenz bedroht. Die Ernte ist mancherorts kom­ plett vernichtet, die G ew äch sh äu se r sind bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Viele Firmen auch an­ derer Branchen wurden schwer gesc hädigt, weil tags danach neuer Hagel und Regen durch die „Ich dachte, jetzt geht die Welt unter“, erlebte eine Schwenningerin das Hagelunwetter. Rechts Momentaufnahmen aus der Innenstadt. 246

stand e s d as unmittelbare Nachbarsgrundstück annähernd oh n e Schaden. „Da habe ich angefangen, zu beten…“ „Ich dachte, jetzt geht die Welt unter“, erinnert sich eine ältere Schwenningerin an den b e s a g ­ ten Abend, den si e allein in ihrer Wohnun g verbrachte, an dem sie verkrampft im S e s s e l sa ß und angstvoll auf d a s Fenster starrte. „So hört sich Krieg a n “, h ab e si e g e d a c h t, als H agel­ brocken von Taubenei- bis Tennis ballgröße g e g e n die Sc he ibe n krachten. Nach e n d l o s e n Minuten klirrte Glas, Hagelbälle und Glassplitter flogen ins Wohnzimmer. „Da hab e ich a n ge fa n ­ gen, zu b e te n “, s agt die Frau mit einer Stimme, die noch Wochen nach dem Unglück bei d e s s e n Schilderung zittrig wird. Der Horror beginnt a b e n d s kurz nach halb acht und dauert nur eine knappe halbe Stunde: Die M enschen in den betroffenen Innenstädten fliehen panikartig vor den vom Himmel pr as­ se lnde n Eisbrocken, der Krach ist o hr e nbe täu­ bend , in den Woh nun gen ist d a s e ig e n e Wort nicht zu vers teh en , s e l b s t da s Klirren von bers­ tend en Sc heiben und zer brechend em Glas geht in dem Lärm unter. Nach w e nige n Minuten sind die Straßen von dicken Schichten a u s Laub und Eis bedeckt – Winterchaos mitten im Sommer. Weil die Gullys verstopft sind, steht da s Was­ ser an m an chen Stellen 50 Zentimeter hoch. Etliche P assan ten riskieren e in e Rutschpartie und su ch en Unterschlupf in Tiefgaragen. „Es war ein bis sch en wie im Luftschutzbunker während d e s Krieges“, besc hreib t ein A u g en ze u g e d a s Warten auf ein Ende d e s H agelbo mbar dem ents. Das gleicht dem Erwachen nach ein em b ö s e n Traum. Manche M enschen sind wie geläh mt, sie befinden sich im Schockzustand. Andere werden sofort aktiv, holen die Sch n ee sc h au fel aus dem Keller hervor und ba hnen den Weg zum d e m o ­ lierten Auto frei. Die Feuerwehr hatte 120 Mann mobilisiert, allein in S chw en ning en wurden 5 0 0 Einsätze b e ­ wältigt. In Villingen wurden zwei Feuerwehrleu­ te am Kopf verletzt, als s i e von Hagelkugeln getroffen wurden, die Behörden sprachen von 120 Verletzten im g e sa m te n Stadtgebiet. An der Am Tag danach, noch immer liegen Hagelberge in der Villinger Innenstadt, hierin der Nähe der Volks­ bank. durchlöcherten Dächer strö mte und Lagerbe­ s t ä n d e und P ro duktionsräum e in Mitleid en­ sc h a ftz o g . Wer d a s Unglück hautnah miterlebte, be k o m m t noch h e u te A n g s tz u s tä n d e bei sich verfinsterndem Himmel. Während e s in Königsfeld, St. Georgen und Triberg nur heftig regnete und e s in Furtwangen sog ar völlig trocken blieb, hinterließen die Ha­ gelkörner in Villingen -Sch wenn ingen , M önc h­ weiler, Trossingen und Dauchingen e in e S p u r d e r Verwüstung. Die lokale Abgrenzung d e s Hagels glich einer scharf konturierten Wand, sichtbar etwa in Villingens SUdstadt. Während d a s Un­ wetter den einen Garten völlig vernichtete, über­ 248

Bilder oben: Die Pauluskirche in VS-Schwenningen mit schwer beschädigtem Dach. Die Soforthilfe der Feuerwehr war eminent wichtig, die Wehrmänner befanden sich rund um die Uhr im Einsatz. Unten: Der Lichtmast „Lima“ macht die Nacht zum Tag, rechts wird eine Plane zum Abdichten der Schad­ stellen für den Transport aufs Dach vorbereitet. Peripherie un se re s Landkreises, in der Nähe von Haslach, ertrankein 66-jähriger Landwirt in einem reißenden Bach, als er sein Vieh retten wollte. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt Nach dem Hagelschlag begann mit notdürftigem Reparieren der Wettlauf mit der Zeit, bereits ein en Tag sp äter sp ü lte unerbittlicher Regen durch die durchlöcherten D äc he rW ass erm asse n in die Häuser hinein. Von 250 städtischen Gebäu­ den wurde die Hälfte stark be schä digt, b e s o n ­ ders heftig in Schw en ningen. H a g e l g e s c h o s s e trafen durch d a s Dach d e s Luftfahrtmuseums wertvolle A u sste llu ngs stü c ke , die Kunstwerke der städtischen Galerie konnten noch rechtzeitig vor dem Regen in Schutz gebracht we rde n, da s Dach erlitt „Totalschaden“, s o die Dia gnose von Handwerkern. Das B e eth oven h au s hat’s schwer erwischt, gleich drei Schulen mussten in Schw en ­ ningen g e s c h l o s s e n w erden, die z en tim e ter ­ dicken Glaskuppeln der Polizei-Fachhochschule s ah en aus wie von Gewehrkugeln zersiebt. Tage später erzeu gte ein Spazie rg an g durch die hage lges ch äd igten Innenstädte bei 3 0 Grad im Schatten und grellem Sonnenlicht die trost­ lose Stim mun g e in e s düsteren Novembertags. Keine Blume blühte, Bäume und Sträucher e nt­ laubt wie im Herbst, Fenster und Dächer n ot­ dürftig mit Planen ab g e d e c k t, e b e n s o Au to­ scheiben. Die Gutachter hatten Hochkonjunktur, doch längst nicht alle Schäd en wurden von den Versicherungen üb ernom men. Die demolierten Flugzeuge im Luftfahrtmuseum waren nicht ver­ sichert, alle 9 4 Ampelanlagen im Oberzentrum waren kaputt, auch sie sind w e g e n der hohen 249

W e tte r und Klima Kein Dach ohne Schaden, das Hagelunwetter hat in Schwenningen verheerende Spuren hinterlassen. Noch immer arbeiten die Handwerker mit Hoch­ druck, es gilt die Dächer winterfest zu machen. Selbst dickes Glas hielt dem Hagel nicht stand, rechts eine Überdachung beim „Bären-Park“. Beiträge nicht versichert, 140 0 0 0 Euro kostet die Reparatur. Allein die Abfuhr d e s Laubbruchs wird mit 4 0 0 0 0 Euro veranschlagt, für 35 0 0 0 Euro wird der Schlam m a u s den Deutenberg- Sportanlagen entsorgt. „Ich w eiß nicht, w i e ’s w eiter geh en soll“, s agt Jo­ s e f Huber von den Bertholdshöfen in Villingen. Se in e komplette Kartoffelernte ist zerstört, der Raps stark in Mitleidenschaft g e zo g e n . Ähnlich deprimierend sind die Perspektiven für Gärtnereien. „Bei uns ist al les platt“, fasst Wolfgang Fischer d a s Au sm aß der Sc hä den in der Gärtnerei in Sc hw en ninge n z u sa m m e n , die er mit s e in e m Bruder Wolfgang betreibt. B e s o n ­ ders bitter: Die Gärtnereien m ü s se n innerhalb weniger Jahren gleich drei Verwüstungen ihrer Landwirte und Gärtner hart getroffen Hart getroffen sind Landwirte und Gärtner, die vereinigte Hagelversicherung spricht von 4,5 Mil­ lionen Euro als Sch ad en svolu m e n , die tatsäc h­ lichen S c h ä d e n sind nach Eins chätzung von Reinhard Schu lze, Sac hge bie tsleite r für Pflan­ zen ba u beim Landwirtschaftsamt, viel höher. „In der Regel“ se ie n die Betriebe unterversichert, erfasst se ie n „vielleicht 70 Prozent“. Unterver- sichert se ie n in sb e s o n d e r e hochw ertige Kultu­ ren wie Getreide und Kartoffeln, die Folgen w a ­ ren für die Betriebe nie ders ch m et tern d: Der Hagel bohrte sich in Äcker und Früchte, wo er da s Grünland erdrückte, fiel die Heuernte aus. Die Bauern m u s ste n also Futter zukaufen, d a s Ist knapp In d ie se m Jahr, folglich st ie gen die Preise. 250 Schwere Schäden erlitt das Internationale Luftfahrt­ museum in Schwenningen, die Restaurierung der Flugzeuge ist nur mit Spenden machbar.

H a g e lk a ta s tro p h e in V illin ge n-S ch w e n ning e n G ew äch sh äu se r verkraften. Nach Orkan Lothar im Jahr 2 0 0 0 kam zwei Jahre später ein s c h w e ­ res Hagelgewitter, das ebenfalls alle Glashäuser zerstört hatte. Die einzige Gärtnerei, die damal s mit Hagelschutzglas neu ge baut hatte, war die Firma Späth, und sie ist denn auch die ein zige im Stad tgeb ie t, die „lediglich “ die Verwüstung ihres dam als frisch bestückten Freigeländes zu beklagen hatte. Die getroffenen Betriebe m usst e n Pflanzen zukaufen, um die Abwanderung von Kunden zu mildern. Privatleute wie derum be m üh ten sich fieberhaft, zerstörte Gärten und auch Gräber auf den gleichfalls sc hw er getroffe nen Friedhöfen neu zu richten, w a s wiederum bei den ve rsch on­ ten Gärtnereien für Umsatz sorgte. Die Wochen nach dem Unglück waren von unermüdlichen Reparaturarbeiten, Liefereng­ p ä s s e n , Auftragsstaus geprägt. Nach einem Auf­ ruf der Handwerkskammer Konstanz meldeten sich innerhalb einer Woche 5 0 0 H andwerksbe­ triebe a u s dem Süden Deutschlan ds und boten unter der flugs eingerichteten Hagelhotline Hil­ fe an. Die Kehrseite der Medaille: „Notsituatio­ nen locken leider auch un se riöse G es ch äftem a­ cher an, die ihre Leistungen zu überhöhten Prei­ se n a n b ie te n “, konstatierte Peter Schürmann, der die von der Stadt Vil lingen-Schwenningen zur Handwerkskammer verlagerte Hagelhotline betreute. So schlugen etliche schwarze Schafe i n sb e s o n d e r e in den ersten Tagen ihren Profit aus der Katastrophe, Polizei und Kammer warn­ ten vor einer regelrechten „Dach-Mafia“. Aller­ din gs räumt Schürmann ein: „Bei 18 0 0 0 un­ dichten Dächern konnten wir nicht ernsthaft em pfehlen , erst mehrere A nge bot e einzu holen, bevor man einen Dachdecker aufs Dach läss t.“ Handwerker schuften rund um die Uhr Die meisten Betriebe freilich arbeiteten seriös und schufteten annähernd rund um die Uhr. Eine Autoglasfirma in D on au esc hing en zum Beispiel bewältigt e in z eh n Tagen 3 0 0 Verg lasung en, s o n s t üblich sind 20 Sc heib en pro Woche. Eine Dachdeckerfirma a u s Nie de re sc hac h war im Dau ereinsatz, d a s s e c h s k ö p f i g e Team wurde durch acht kurzfristig an ge w or b e n e Mitarbeiter verstärkt. Ziegelhersteller hatten Lieferproble­ me, Spedition en kamen nicht hinterher, e s wur­ de viel improvisiert. Interne Irritationen im K rise nm an ag em ent hier und da wichen bee indruckender Hilfs- und Einsatzbereitschaft auf allen Ebenen. Noch sind die umfangreichen Sanierungsarbeiten nicht b e ­ wältigt, s p ä t e s t e n s bis Weihnachten wollen die Firmen ihren Auftragsstau ab gearbeitet haben. Für die Rekordschufterei während der ersten Wo­ chen z o g Kammerpräsident Bernhard Hoch eine positive Bilanz: „Das Handwerk hat hervorra­ Christina Nack g e n d e Arbeit g e le i s te t. “ 251

13. K a p i t e l S t ä t t e n d e r G a s t l i c h k e i t Das „Berghüsli“ in Schonach Die b elieb te G aststätte der Familie Kaiser hat auch regionale S p ezialitäten im Angebot Das „Be rghüsli“ in Sc honach trägt se ine n Na­ men zurecht! Hoch ob en über Schon ach thront d a s beliebte Ausflugsziel, von der Terrasse aus bietet sich ein grandioser Blick auf die Schwarz­ w ald ge m e in d e . Wer hätte beim Bau d e s G ebäu­ d e s gedacht, d a s s daraus einmal ein derart b e ­ liebtes Restaurant und Café werden würde? 1 9 4 9 / 1 9 5 0 wurde d e r ä l t e s t e T e i l d e s H auses erstellt. „Damals war e s d a s erste Fertighaus im ga nzen Schwarzwald-Baar-Kreisl“, erklärt Peter Kaiser, der den Gastronomie-Betrieb von se ine m Vater übernahm. Als s e i n e Eltern, August und Henny Kaiser bauten, schüttelten viele B e w o h ­ ner Sc h on ach s den Kopf. Wie kann man an einer derart exponierten Stelle ein Haus bauen? Denn e ine Straße führte dam als nicht an den Lauben­ berg hoch. „Die Bauteile m usst e n per O ch se n ­ schlitten an die Baustelle transportiert werden, denn der Wintereinbruch 1949 kam sehr früh“, weiß Peter Kaiser noch heute. 1952 kam dann die erste gr oß e Veränderung. Im Keller d e s Gebäu ­ de s, ursprünglich als Wohnhau s gedacht, wurde e in e Kuckuckspfeifen- und M u s i k s p i e ld o s e n ­ werkstätte eingerichtet. Bis i 9 6 0 wurde im „Berg­ hüsli“ die Produktion aufrecht erhalten. 1955 folgte der erste Anbau an d a s Haus. Pa­ rallel zur Pfeifen-Produktion wurde am 1. Mai 1959 ein Gastraum eröffnet. „Damals gab e s in Schonach schon einige Touristen, und viele nutz­ ten die S o m m e r seite d e s Ortes zu Sp azierg än­ g e n . “ Warum al so, s o dachten die Senior-Kai­ sers, nicht Kaffee und Kuchen s o w ie kleine V es­ per anbieten? 25 Sitzplätze bot der Raum, und man hatte einen großen Zulauf, aufgrund d e s s e n man die Produktion von Pfeifen und Musikdosen 1960 einstellte. Der Zuspruch wurde so groß, d a s s August und Henny b e s c h l o s s e n , noc hm als zu vergrö­ ßern. 1961 kam ein weiterer Raum dazu, die Platz­ zahl stie g nun auf 45. Auch eine Terrasse wurde angebaut. Diese wurde 1971 überdacht, das Haus wurde nochm al s umgebaut. 8 0 Sitzplätze drin­ nen und 30 Sitzplätze auf der Terrasse bietet da s Restaurant-Café heute. Der letzte Umbau erfolg­ Das „Berghüsli“ in Schonach ist eine viel besuchte Gaststätte. 252

Das „B e rg h ü s li“ in Schonach Rosi und Peter Kaiser (rechts) werden bei der Führung des „Berghüsli“ seit Herbst 2004 durch Sohn Timo und dessen Frau Gesine unterstützt (links). g T l da s Café z u sam m e n mit den Eltern führte, übernahmen e s die beiden 1995 dann komplett. Seit Herbst 2 0 0 4 werden Rosi und Peter Kai­ ser von Sohn Timo und d e s s e n Frau Gesine in Küche und Service unterstützt. Timo lernte sein Handwerk im Gasthof „En­ g e l “ in Vöhrenbach, s e i n e Frau Gesin e ist ge bür­ tige Villingerin und gelernte Restaurantfachfrau. Weitere Stationen der beide n waren d as „ S e e ­ ho tel“ in Konstanz, da s Hotel „Waldhorn“ in Ra­ vensburg, der „Almhof Rupp“ im Kleinwalsertal, der Gasthof „Adler“ in Oberprechtal und da s Res­ taurant „Ikarus“ auf der kanarischen Insel Lanza- rote. In sgesamt elf Jahre sa m m elten die beiden z u sa m m e n Berufserfahrung, bevor e s mit der vierjährigen Tochter Malena zurück in den hei­ matlichen Schwarzwald ging. Das neue Konzept Mit der dritten Generation Kaisers z o g im „Berg­ h ü sli“ auch ein erw eite rte s G es ch äft sk on ze pt ein. Das für Vesper, kleinen Gerichten und das vielfältige An gebot an hau sge m ach ten Kuchen bekannte Haus bietet se it de m auch Spezialitä­ ten an. Mit dem neuen Konzept änderten sich auch die Öffnungszeiten. Hatte man vorher erst nachmittags geöffnet, findet man nun schon ab 11.30 Uhr Einlass. Hier m ü s se n als ers tes die ha u sg e m ach te n Kuchen erwähnt werden. Schwarzwälder Kirsch­ torte, Heidelbeer- oder Himbeerkuchen. Je nach­ dem , w a s die Saiso n hergibt. Und natürlich darf der „Berg ge ist“ nicht fehlen! Dieser Kräuterlikör wird, h o c h p r o z e n ti g w i e e r i s t, brennend und mit e inem Sprüchlein am Tisch serviert und sod ann heiß getrunken. Allerdings nicht in einem Schluck, sonde rn in Drei. Dabei wird, in Reimform vorge ­ tragen, auf die Gesundheit, das Herz und ein lan­ 253 te 1977, da s Haus wurde aufgestockt und erhielt d a s heutig e Schwarzwaldhaus-Dach. Ein erfolgreicher Familienbetrieb August und Henny Kaiser waren die Erbauer de s „Be rghüsli“. Der „Berghüsli-August“, der 1997 75-jährig verstarb, war weit über die Kreisgren­ zen hinaus bekannt. Das Schonach er Urgestein war fa sn ets b e geiste rt und ein g e s c h ä tz te s Mit­ glied d e s Elferrates. Bekannt und gesc hätzt war er auch w e g e n seiner „Tätigkeit“ als Nikolaus! Bei Firmen, Vereinen und Familien gab er den bärtigen G esellen . Henny, die noch heute im „Berghüsli“ wohnt und sich ihr gast ronom isches Rüstz eug in einem Hotel in Reit im Winkel er­ warb, arbeitete bis 2 0 0 5 tatkräftig mit. Sie back­ te im Alter von dam al s 81 Jahren noch im m er die Kuchen für den Cafe-Betrieb. „Auch heute hilft sie noch mit wo e s g e h t “, freut sich Sohn Peter. Der war übrigens gleich nach der Schule, 1964, in den elterlichen Betrieb e i n g e s p a n n t . 1969 kam dann noch s e in e Frau Rosi mit dazu. Kennen gelernt hatten sich die beiden übrigens in einem anderen legend ären Gastronomiebetrieb Scho- nachs: Dem „ S c h l o ss b e r g “. Nachdem man seit Das „Berghüsli“ ist nicht nur seit langem ein be­ kanntes Gasthaus, es war auch zugleich das erste im Schwarzwald-Baar-Kreis errichtete Fertighaus.

Das „ B e rg h ü s li“ in Schonach g e s Leben getrunken. Seit den i9öoer-Jah- ren wird d a s w o h l ­ sc h m e c k e n d e Gebräu speziell für d a s „Berg­ hüsli“ gebrannt. Auch die F eu er za n ge n bo w­ le ist bei den Gästen im wahrs te n Sin ne d e s Wortes heiß b e ­ liebt. Die se wird nicht still und heimlich s o n ­ dern direkt vor den Augen der Gäste z u ­ bereitet. „ B e s o n d e r s reizvoll ist“, s o w e iß Vater Peter, „eine Win­ terw anderung zu ma­ chen und dann bei uns eine Feuerzangen­ bow le zu g e n i e ß e n “. setzt Timo Kaiser auf Produkte a u s der Region. „Vor allem beim Fleisch macht sich d a s bemerk­ bar. Es ist sehr kernig im G es ch m ack “, verrät er. Auch zu Fuß gut zu erreichen! Das „Be rghüsli“ bietet sich als idealer Endpunkt oder Zwisc henstopp für Wanderungen und S p a ­ ziergänge rund um Schonach an. Als Beispiel sei hier der Schalenstein-Pfad genannt. Dieser vor w e n ig e n Jahren e n t s t a n d e n e Pfad be sc hä ftig t sich mit den geheim nisv olle n Sc hal ens te inen. Er startet am Haus d e s G astes in der Ortsmitte d e s Schwarzwalddorfes und führt über den Mühlen­ berg, Holzeck, Viertelberg zum „Berghüsli “, wo sich auch der Endpunkt d e s 2, 4 Kilometer langen Wanderpfades befindet. Bei den Kaiser’s finden die Wanderer auch ein e Info-Mappe zum Weg. Neben den Klassikern bietet Timo Kaiser auch Bärlauchschaum­ süppchen oder Perlhuhn­ brust auf Olivenjus. Mit dem neuen Geschäftskonze pt d e s Juniors wurde auch die Sp e i se k a r te a u s ­ g e w e it e t. Wie wä r’s zum Beispiel mit Bär­ lau c h sc h au m sü p p ­ chen oder Salat vom grünen und w e iße n Spargel mit Estragonvinai­ gr ette al s Vor sp eise? Danach em pfieh lt sich kross g e b r a ten e Perlhuhnbrust auf Olivenjus, auf der Haut ge br aten e Zanderfilets oder dem Besten vom Kalb. Und als N achspeis e gä b e e s et­ wa die h a u sg e m a ch te Panna cotta mit Himbeer- sorbet. Aber auch die „Berghüsli“-Ilassiker bleiben den Gästen erhalten. Da gibt e s dann Weinberg­ sc hn ec ke n, Straßburger Wurstsalat, w ah lw eise auch mit Bratkartoffeln und „Bibiliskäs“, oder Schwarzwälder Schäufele. Und für den kleinen Hunger empfiehlt sich die Vesperkarte mit dem Sc h o n a c h e r Bauernkorb, gerä uch er tem Wild­ schweinschinken oder der Räucherkammerplatte. Daneben gibt e s auch die kulinarischen Er­ lebnisw oche n. Fisch vom B o d e n s e e , h e im is ch es Wild oder b a d i s c h e Winters pezialitäten und Köstlichkeiten a u s der regionalen Küche w e c h ­ seln sich monatlich ab. Sow ei t e s möglich ist, Das „Berghüsli“ und der Wastl-Comic Schreibt man über d a s „Be rghüsli“, so d arfe ine ganz b e s o n d e r e G es ch ic hte nicht fehlen . Die vom „Wastl und die Kuckucksuhrendiebe“. Der Wastlein mus kelbepackter Comicheld der s e c h ­ ziger und siebzig er Jahre st am mt au s der Feder d e s Belgiers Willy Vandersteen und wurde vom Bastei-Verlag a us Bergisch Gladbach h e r a u sg e ­ g e b e n . Dieser Comiczeichner weilt e 1 969 in Schonach zu einem Urlaubsaufenthalt im Hotel Schlo ss berg . „Damals w u s s t e noch keiner, d a s s er eine Geschichte mit Wastl zeichnen würde, in denen Sc honach vorkommt. Aber als d as Heft dann herauskam, war innerhalb von einem Tag von Sc hon ach bis St. Georgen kein e in z i g e s mehr zu kriegen“, lacht Peter Kaiser. Der Comic han de lt vom Wastl und s e in e n Freunden, die in der „Kuckucksuhrenstadt S c h o ­ nach“ Uhrendieben auf der Spur sind. Auch da s „Berghüsli“ und der dort a u s g e s c h e n k t e „Berg­ g e is t “ s pielen ein e große Rolle in der G eschich­ te. Dort wird da s Getränk allerdings als „Stein­ g e is t “ bezeichn et und d a s Café, sehr un sc hm e i­ chelhaft, als „Bruchbude am Waldrand“! Aller­ dings gibt der Wastl w e n i g s t e n s zu, d a s s e s dort verführerisch nach Leckereien duftet! Claudius Eberl 25 4

„Im Kuhstall“ in Döggingen S tä tte n der Gastlichkeit ln einer G aststätte m it Flair wird auch die badische A ntw ort au f Pizza und Pasta gegeben In der Ortsmitte von Döggingen liegt d a s Gast­ h au s „Im Kuhstall“ und e s ist wirklich und wahr­ haftig ein Kuhstall, der sam t S c h e u n e zu einem G asth au s u m ge stalte t wurde, d a s mit einem ganz speziellen Flair überzeugt. Ingrid und Ger­ hard Hölderle haben im januar 1995 ihre Vorstel­ lungen wahr gem ach t und als Gastronomen die so r g sa m und individuell a u s g e s t a lt e t e n alten bäuerlichen Räumlichkeiten als gast lich es Haus in Betrieb g e n om m e n . Beruflich sind b e i d e erstmal gan z ander e Wege g e g a n g e n . So hat Gerhard Hölderle, der aus einer alten Dögginger Bauernfamilie stammt, deren Geschichte bis in die Jahre vor dem 30- jährigen Krieg reicht, in der elterlichen Land­ wirtschaft gear beitet. Damals üb erstand da s An wesen mit nur w enige n anderen Häusern in Dö ggi ngen die Kriegswirren, w a s so gar in Ge­ schichtsbüchern zu l es en Ist, war doch damals die Brandschatzung ga n g und gäbe. 1953 wurde der Hof dann doch ein Raub der Flammen und neu errichtet. 1983 übernahm Ger­ hard Hölderle den landwirtschaftlichen Betrieb Seit 1995 betreiben Ingrid und Gerhard Hölderle in Döggingen im alten bäuerlichen Anwesen ihr Gast­ haus. und verdiente ein n o tw en d ig es Zubrot als Mitar- beiter in der ZG-Filiale. S e in e Frau Ingrid stammt aus dem Blumberger Ortsteil Fützen, ist gelern­ te Industriekauffrau und hat zudem einen Titel als Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Ein DerKuhstall in Döggingen bietet neben einer ausgezeichneten Küche ein ganz besonderes Flair. 255

„Im Ku h stall“ ln Döggingen Mann, der, wenn nicht Landwirt, dann Koch geworden wäre, eine Fachfrau und Räum­ lichkeiten, au s denen sich e tw a s machen läss t – alle s hat gut z u s a m m e n g e p a s s t. Mit dem „Dünna“ bietet man die badische Ant­ wort auf Pizza und Pasta. Mittlerweile ist das Gasthaus „Im Kuh­ stall“ so e tw as wie ein Geh eim tipp für alle, die die b o d e n s t ä n d i ­ ge Küche mit frischen Zutaten aus der Regi­ on sc h ätz e n und lie­ ben. Ingrid Hölderle hat d a s Küchenressort über­ nommen und Gerhard Hölderle sorgt an und vor der Theke für den Service. So finden Familienfeiern von der Kindstaufe bis zur Goldenen-Hochzeit e b e n s o statt wie Ge­ burtstage und Jubiläen. Natürlich kommen auch Wandergruppen und B u s g es ellsc h a fte n in die liebevoll und individuell dekorierten Gasträume und ge n i e ß e n neben dem gepflegte n Ambiente die Sp ez ia litäten d e s H ause s. Und e in e ganz unübliche Speisekarte bieten Ingrid und Gerhard Hölderle an. Hier ist mit den originalen „Dünnä“, den dünnen bäuerlichen Hefeteigfladen und den Spätzlevarianten die bad isch e Antwort auf Pizza und Pasta g e g e b e n . Vielfältig ist das An gebot auf der Sp ei se kar­ te und so gibt e s zur klassischen „Dünna“ mit Rahm, Sp ec k und Zwiebeln, auch s o l c h e mit Zucchini, Schinken, Tomaten, Bergkäse oder Spi­ nat und dazu exquisite Kreationen mit Lachs und Shrimps. Ein Hit der Küche ist die Apfeldünne, sü ß und köstlich mit Zimt und Zucker zum D e s­ sert. Natürlich fällt den Gästen bei ein em s o l ­ chen An gebot die Wahl mehr als schwer. „Kein Problem, lacht Ingrid Hölderle, dann servieren wir ganz un terschiedliche ‘Dünna’ einfach nach­ einander. Das ist ein R i e s e n s p a ß für größere Gruppen und satt wird jeder, garantiert!“ Aber auch das Sp ätzl eangebot lässt da s Herz e i n e s jeden höh er s c h la g e n , gan z b e s o n d e r s natürlich bei den s ü d d e u t s c h e n S p ä tz l e li e b ­ habern. Auch hier bietet Ingrid Hölderle a u s ihrer Küche b o d en stän dige, dazu feinste, ideenreiche 256 und vielfältige Interpretationen an. „Man kann halt a us der Grundlage mit ve rs ch ie de ne n Zuta­ ten immer wieder e tw as N e u e s mac hen und ich experimentiere gern“, s o Ingrid Hölderle, die in der Küche mit Begeisterung den Löffel schwingt. So gibt e s „Speckpfännle“, „Erbsenpfännle“ und „Spinatpfännle“ und d a s ist nur ein kleiner köst­ licher Hinweis auf die vielfältigen Varianten und alle Spätzle werden von Ingrid Hölderle frisch von Hand gemacht. Bodenständige, frische Küche Hier werden e b e n s o h eim is ch e Zutaten v e rw en ­ det wie beim Salatbüffet. „FürdieS alate nehmen wir das, w a s in der Jahreszeit in Garten und Feld an frischen Zutaten ansteht“, erläutert Ingrid Höl­ derle und so gibt e s zu Reis-, Nudel- und Wal­ dorfsalat auch Rote Bete, Karotten, Zucchini- und Kohlrabisalat. Der Favorit vieler S ta m m g ä s te ist der sommerliche Brokkoli-Blumenkohlsalat „und der wird oft scho n telefonisch vorbestellt, dann reserviere ich die e ntsp re c he nde n Portionen“, Ingrid Hölderle w eiß, w as ihre Gäste lieben. Zum boden st än digen S p e i s e a n g e b o t pas se n „Im Kuhstall“ natürlich auch die Getränke. Zum g e p fl e g te n frisch geza p fte n Bier gibt e s eine große Auswahl an unterschiedlichsten Weinen au s badischen und württe mbergischen An bau­ ge biete n. Und als ein b e s o n d e r e s An gebot steht Most auf der Getränkekarte, g e p r e s s t au s fri­ sche n Äpfeln und Birnen harmoniert er hervor­ ragend zu „Dünnä“ und S p ä tz l e g e n ü ss e n . Aber noch e in e B e so n d e r h e i t gibt e s „Im Kuhstall“. In allen Räumen sind im Rahmen einer Dauerausstellung Arbeiten der Dögginger Male­ rin Irene Huber zu s e h e n . Unter dem Titel „Kunst im Kuhstall“ zeigt sie wo früher die Kühe ein ­ sta n d e n , e in fü h ls am e Landschaftsb ilder und Blumen interpretationen. In der ehe m ali ge n Sc he un e, dort wo früher Heu und Stroh lagerten, befindet sich hell und freundlich jetzt ein Saal mit vielen Plätzen für größere Ges ellschaften. Das Dögginger G ast ha us „Im Kuhstall“ ist von Freitag bis Mittwoch täglich von 16 Uhr bis 2 2 .3 0 Uhr geöffnet. Donne rstag ist Ruhetag. Christiana Steger

Augen- und Gaumenschmaus Das V illin g e r „Tafelhaus“ überzeugt m it exquisiter Küche und Kunst S tä tte n d e r G astlichkeit Ins Restaurant geht man eigentlich d e s Essens und nicht der Kunst w e g e n . Aber zuweilen ist die Kunst nicht nur das Entree und der Begleiter für eine gute Mahlzeit, sonde rn auch der Appetitan­ reger und Türöffner zugleich. Denn s o mancher mittlerweile zum Sta m m gast arrivierte Besucher d e s in der Nähe d e s Villinger Münsters g e l e g e ­ nen „Tafelhauses“ ist zuallererst über die Kunst auf d i e s e s Kleinod in der regionalen Gastrono­ mielandschaft aufmerksam gewor de n. Seit 1999 betreibt der gebürtige Schramber­ ger Karl-Heinz Ott z u s a m m e n mit se i n e r Frau Claudia Winter d as „Tafelhaus“ in der Villinger Altstadt. G enauso lange gibt e s die jährlich zwei Mal w e c h s e l n d e n Kunstausstellungen auf den beiden durch ein e Wendeltreppe ve rbundenen Etagen d e s Restaurants. Claudia Winter, die für den ko mpletten kreativen Part auß er ha lb der Küche in dem 4 0 0 Jahre alten Gebäu de verant­ wortlich ist, greift bei d i e s e n Veranstaltungen teils auf beka nnte Künstler der Region zurück, teils bringt si e mit Künstlern vom B o d e n s e e oder au s Stuttgart n e u e Positionen in d a s lokale Kun stgeschehen. Die Ausstellungen werden je­ we ils mit einer Vernissage eröffnet, bei denen dann auch die kreative Sei te von Karl-Heinz Ott zum Ausdruck kommt. Stets kreiert der Hausherr für d i e s e n ä s t h e t i s c h e n An lass ein Überra­ schu ngsbüffet. Er lässt sich dazu von der Kunst, die in den kleinen Räumen zwar einen deutlichen Akzent se tz t aber aufgrund der darauf a n g e p a s ste n De­ koration nie zu stark dominiert, inspirieren. Für Fotografien a u s der Provence zum Beispiel ver­ leiht er dem Abend mit seiner Kochkunst eine zu­ sätzliche französische Note, manchmal wird Ott Das Tafelhaus in der Villinger Innenstadt bietet eine hervorragende Küche, begleitet von Kunst. 257

Das V U lm g er „T a fe lh au s “ leicht variiert. Ve ga ne Gerichte, wie S c h m o r g e m ü se mit Kuskus, und V ege­ tar isches, wie Aubergineröllchen g e ­ füllt mit Kräuterquark auf grünem Berg­ linsencurry, s t e h e n e b e n s o auf der Karte wie Fleischgerichte, zum Beispiel argentinisches Rumpsteak in Rotwein­ s o ß e mit frischen P e s to b o h n e n und Kartoffelgratin, oder Meeresfrüchte, wie gebratene Jakobsmuscheln auf Gram Marsala S o ß e mit Brokkoligemü­ s e und Basmatireis. Stets werden S a ­ late der S a i so n dazu gereicht. Und dann gibt e s natürlich noch als eine weitere Attraktion d e s H au ses die tä g ­ lich w e c h s e l n d e n M itta gs m en üs , die zusätzlich neben dem ä la carte-Ange- bot offeriert werden. H ierhatsic h Karl- Heinz Ott ebenfalls eine Stam mk undschaft er­ worbe n, die j e n s e i ts von de m üblichen Fast- Food-Angebot in der Stadt e tw a s G e s u n d e s auf dem Teller haben will. Der K üc henche f kennt s e i n e Klientel, die m e is te n s ein e sitzen de Tätigkeit ausübt, und die kann sich auf sein Gefühl und Können für a u s ­ g e w o g e n e Ernährung verlass en. So läuft e s wie bei Muttern: G e g e s s e n wird, w a s auf den Tisch kommt und die Gäste sind gesättigt, aber nicht übersättigt und können sich daraufhin wieder gestärkt an die Arbeit im Büro mache n. Die Kar­ te mit den H a u p ts p e isen s o w ie die M ittag s­ m e nüs, bei denen selbstverständlich ein Salat inbegriffen ist, zeigen eine deutliche Grundhal­ tung in Otts Küche: Es geht dem innovativen und wiss be gie r ig e m Koch, der für s e in e Kreationen Erfahrungen a u s der g e h o b e n e n Gastronomie g e n a u s o wie die lehrreiche Zeit als Kü chenmeis­ ter in v e r s c h ie d e n e n Fachkliniken einbringen kann, bei aller Freude für d a s Kochen um A u s g e ­ w o g e n h e i t auf dem Sp eise plan g e n a u s o wie um g e s u n d e s Essen aus ernährungs physiologischer Sicht. Dass die Gerichte bei allem Blick auf den g e ­ sund heitlichen Aspe kt der Nah rungsaufnahm e auch noch durch ihren a u s g e z e i c h n e t e n Ge­ sc h m a c k ü b e r z e u g e n , unterstreicht den Ste lle n­ wert, den das „Tafelhaus“ in der Region genießt. Stefan Simon Claudia Winter und Karl-Heinz Ott betreiben in der Villinger Alt­ stadt seit 1999 das „ Tafelhaus “. von den Bildern zu einem italienischen Gericht ang e r egt oder er stimmt die Farbenpracht a b ­ strakter Kunstwerke mit einer raffinierten Gem ü­ se platte ab. Das Auge isst schließlich immer mit. Ein Motto, d as die Gäste natürlich auch im All­ ta g sge sc h äft d e s Restaurants s o unterstreichen können. Eine kleine, aber feine Speisekarte Aber d a s g e lu n g e n e Ambiente von den blühe n­ den Kübetpflanzen, die die Terrassentische auf der Fußgängerzone in der K ron engasse e ingre n­ zen über d a s w e c h s e l n d e Dekor auf den Fens­ ters imsen und den Tischen bis hin zu dem kom­ munikativen Austausch über bildende Kunst und Kochkunst ist nur ein Teil der Erfolgsgeschichte d e s Restaurants, d a s längst über den Status ei­ n e s G eheim tipps hinaus g e w a c h s e n ist. Das Re­ zep t für z u frie dene Gäste, ob si e nun vorerst über die Kunst oder w e g e n dem Essen hier ver­ weile n, daraufhin in der Regel immer w ie d e r ­ kehren und s om it die b e s t e Werbung für d as Lokal sind, ist denkbar einfach. Im „Tafelhaus“ stimmt nicht n u rd a sÄ u ß e re , der ge sc hm ac kvol­ le Rahmen findet vor allem auch s e i n e inhaltli­ che Entsprechung. Die Karte ist klein aber fein und damit e s den Gästen und dem experimentierfreudigen Koch nicht zu langweilig wird, wird si e immer wieder 258

VitalCenter – die Kraft der Gegensätze 11. K a p i t e l F r e i z e i t Bad Dürrheim er G esundheitskom petenz verb ind et sich m it m odernster Technik Mit de m n e u e n W e ü n e ss b e re ich im G e s u n d ­ heitszentru m Sole mar, dem Bad Dürrheimer VitalCenter, wurde ein vollkommen neuartiges Konzept geschaffen: Eine so lc h e Einrichtung mit die se m speziellen Fokus gibt e s in ganz Deutsch­ land kein z w e it e s Mal. In einem Gemeinschaftsprojekt mit der Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbEI und Co. wur­ de ein innovatives Produkt entwickelt, w e lch es auf die beiden Säulen Salz und Wasser ais originäre Heilkräfte d e s Kurorts baut. Dabei wird moderne Technik mit ja hr hundertelanger Tradition ver­ bunden. Durch die „Kraft der G e g e n s ä tz e “ – S o ­ le und kochsalzarmes Heilwasser – werden die B e su cher je nach individuellen Be dürfnissen sanft zu mehr Lebensvitalität, Entspannung und innerer A u sge glic he nheit geführt. Das B eso nd er e liegt hier in der Nutzung ei­ ner äuß er st s e l t e n e n geo gra fisc hen G e g e b e n ­ heit: Das Heilwasser, d as au s der Bertolds-Quel­ le ge sc höpft wird, ist durch e ine b e s o n d e r s dich­ te Erdschicht getrennt von den darunter liege n­ den Sa lzstöcken au s Urzeitmeeren, die für die G ew innu ng der Bad Dürrheimer S o le genutz t werden. Somit ist d as Heilwasser str eng koch­ salzarm, obwohl e s aus demselben Boden stammt, aus dem die Sole gefördert wird. Weiterhin be merk en sw ert ist die Tatsache, d a s s sow ohl die Schw arzwaldsauna im Solemar im Jahre 20 01 als auch da s Bad Dürrheimer Vi­ talCenter 2 0 0 5 ausschließlich mit der Unterstüt­ zung regionaler Firmen g e b au t wurden und s o ­ mit die heim atverb undene Philo so ph ie der Ge­ samteinrichtung unterstützt wurde. Das Bad Dürrheimer VitalCenter fügt sich hervorragend in da s G es am tange bot Bad Dürr­ h e i m s e in . Die Kurstadt ist e in e s der beiden Heil- Das Bertoldsbad im Bad Dürrheimer VitalCenter – ein Gemeinschaftsprojekt der Bad Dürrheimer Mine­ ralbrunnen GmbH und Co. KG und der Kur- und Bä­ der GmbH. bäder in Baden-Württemberg mit dem Doppel­ prädikat „Heilbad“ und „Heilklimatischer Kur­ ort“. Diese dop p e lte Basis b e d e u te t auch d o p ­ pelte Chancen für Gesundheit, Fitness und Wohl­ befinden. Die Kombination beider Möglichkeiten, von Heilklima und Solekur in Bad Dürrheim, wird in ihrer v orbeugenden, lindernden und heilenden Wirkung als besonde rs effektiv ange se he n. Denn hier ergän zen sich zwei natürliche Wirkmecha­ nism en g e g e n s e it i g und erzeugen stän dige Sy­ nergie-Effekte. Bad Dürrheim st eht seit über 150 Jahren für geballte Gesundheitskompetenz. DasZusammen- sp ie l der kräftigenden Wirkung von Heilklima und Sole ist bei Erkrankungen der Ate mwege , bei Rheuma, Herz- und Kreislauferkrankungen bekannt. Aus 3 0 0 m tiefen Sa lzstöcken wird die heils am e Sole , d a s flüssige Salz der Erde, geför­ dert und für B ew e g u n g s b ä d er und bei Inhalatio­ nen genutzt. Wirbelsäule und Gelenke werden entlastet, die Muskulatur gelockert, Gew eb e und Haut gesun dh eitsfördern d ang ereg t und die At­ mun g gekräftigt und befreit. Ergänzt wird die heiltherapeutische Wirkung der Sole durch Trink­ kuren mit dem Heilwasser der Bertolds-Quelle. In der Bad Dürrheimer Höhenlage von 7 0 0 bis 259

Bad D ü rrh e im e r V italC en ter Auch die Thalasso Anwendungen in einerspeziellen Softpackwanne gehören zum Angebot Unten: Das VitalCenter verfügt über eine spezielle Kosmetikka­ bine, in der alle Anwendungen zur Haut- und Ge­ sichtspflege gebündelt werden. 9 4 0 m wirken d i e s e Faktoren stärkend und leis­ tungs steig er nd auf den menschlich en G esam t­ or ganism us. Das Wellness- und Gesundheitszentrum Das Wellness- und G esun dhe itszentrum Sole- mar ist schon aufgrund seiner im po santen Archi­ tektur eines der schönsten Bäder in ganz Deutsch­ land. Mehrfach preisgekrönt präsentiert e s sich mit se ine n Kuppeldächern – einer Konstruktion a u s Holz und Glas – die der Feder d e s s e l b e n Architekten e ntst am m e n, der sc ho n d a s Münch­ ner Olympiastadion entworfen hat. Au f4 0 0 0 m2 bietet die giga ntisc he Erlebnis-Badelandschaft eine Vielzahl von woh ltu en de n Attraktionen im Innen- und Außenbereich. Ein w eit er es Highlight im Solemar ist die t h e ­ matisch perfekt a u s g es ta lt e te Schw ar zwa ldsa u­ na. Die urige Schwarzwaldmü hle im Freibereich, die e in em Original von 1777 na c he m pfu nd en wurde, beherbergt zwei gr oß e komfortable S a u ­ nen und bietet eine erfrischende Dusche nach dem Sau na bad unter dem mächtigen Mühlrad. Kennzeichnend ist die groß züg ig e G es am tanla­ ge auf 3 2 0 0 m 2 mit hochm od er ne n Einrichtun­ gen, gemütlichen Stuben und in sg e sa m t s e c h s Saunakabinen und einem Dampfbad. In dieser Form existiert die Anlage se it 2001. Die Eröffnung d e s VitalCenters im Herbst 2 0 0 5 stellt e in e stilvolle Abrundung d e s Ge­ s a m ta n g e b o ts dar. In sie be n thematisc h p a s ­ se n d und anspr ec he nd dekorierten Kabi­ nen ge n i e ß e n die Gäste ihre W elln ess ­ anwendungen. Hierbei kann aus einer Palette von bis zu 85 ve rs ch iedenen An geb oten au s gew äh lt werden. Das Bad DürrheimerVitalCenter Die Hotstone-Massage – eine der meist gebuchten Anwen­ dungen im VitalCenter. verfügt über einen Wartebereich mit der Natur nachem pfu nd en en Elementen, wie etwa einem kleinen Bach mit Felsquelle – die s symbolisiert die „Bertolds-Quelle“, au s der d a s Bad Dürrhei­ mer Fleilwasser entspringt. In Vitrinen werden die Geschichte der S o le g ew in n u n g und traditio­ nelle Utensilien aus ge stellt. Das Highlight unter den Kabinen ist sicher­ lich da s Felsenbad oder auch Bertoldsbad g e ­ nannt. Auch hier we rde n natürliche Elemente verwendet, wenn sich der Gast in der Wanne lie­ gend in einer G esteinshöhle m itSt ern en himmel wie de r findet. Doch auch die Thalasso Kabine hat eine ganz sp ez ielle Be so nd er he it zu bieten: die Softp ackwanne. Dies ist eine Art Wasserbett, gefüllt mit körperwarmem Wasser, auf d a s sich der mit einer r egeneri ere nd en A lge npacku ng eingec rem te Gast legt. Die Wärme bewirkt eine Tiefenwirkung der Maske, die somit opti­ mal in die Poren eindringen kann. sich be fi ndet Im so gena nn ten „S al zst üb le “, der Kabine für die S a l z a n w e n d u n g e n , ein ü b er d im e n ­ sionaler, künstlicher Salzkristall, der in e i s fa r b e n e s Licht g e ­ ta u c h te in e a n g e n e h m e A tm osphäre verbrei­ Thomas Bank tet.

Der Klosterweiher in St. Georgen Zur Geschichte einer heute vie ls eitig genutzten Freizeitanlage Freizeit Die Entstehungszeit d e s Klosterweihers ist ur­ kundlich nicht feststellbar. Wahrscheinlich wur­ de er in den Anfangszeiten d e s 1 0 8 4 g e g r ü n d e ­ ten, aber längst untergegangenen Klosters St. Ge­ orgen a nge legt . Er wird von derBrigach g e s p e i s t und die nte einst der klösterlichen Fischzucht. Der Weiherdamm war ein gern genutzter Über­ g a n g über d a s sumpfig e Tal. Als am 10. Mai 1525 die aufständisch en Bau­ ern, unterihrem Hauptmann Hans Millervon Bul­ genbach, von Triberg kommend da s Kloster zer­ stören wollten, gingen ihnen die Mönche und der Abt Nikolaus bis auf die Sommerau e n t g e ­ gen. Sie bereiteten den Bauern aus g e sc h l a c h ­ teten Ochsen ein Essen. Der Abt schenk te dem Hauptmann einen Wagen mit Wein, und ließ den Fischweiher ab. In derVillinger Chronik heißt e s dazu, die 3 0 0 Karpfen, „die fraßens ihm auch“. Mit Gelage und einer Zahlung von 6 0 0 Gulden konnten sich der Abt und da s Kloster loskaufen und blieben verschont. In dem 1719 veröffentlichten Buch „Die Ur- Quelle d e s Weltberühmten D on austr om e s“ de s St. Geor gene r Pfarrers Breuninger he ißt es: „Endlich na chd em die Donau auff d ie se m ersten Weg … ne b s t dem Sommer-Auer Wässerlein zu sich g e n o m m e n fa nge t si e sc hon an Grossen Herren zu diene n und läßt ihrem ersten Landes- Herren dem Durchläuchtigsten Herzog von Wür- tem berg zu gefallen zur A n sc hw e m m un g e in es unten an dem St. G eorgisc hen Closter-Berg ligenden und vierzehen Morgen Felds b e s t e h e n ­ den sc h ön en Weyhers gebrauchen in welchem die w o h lg e sc h m a c h te ste Fische an Karpfen b e ­ son de rs auch Hechten sich e nthalten.“ Die nahe Stadt im Wasser zeigend… 1794 verzeichn et ein Bericht über St. Georgen: unweit der Kloster Mühle, unten am südli­ chen Fuße d e s Klosterberges ein S e e … der g e ­ rade auf der Mittagsseite mit mehreren schatti­ gen Bäumen bekränzt ist, die ihm ein s c h ö n e s dunkel grünliches Ansehen ge ben, und sein Ufer- Damm zu e inem sehr an g e n e h m e n Sp aziergang machen, w e l c h e s einem Zeichner noch von grö­ ße r em Werth se yn dürfte, der die Kirche und mehrere Häuser, die sich sehr malerisch vom Berg herab im W asser zeige n, aufn eh m en könnte. Den S e e braucht der jeweilige Mühlen-Inn- haber, die Fische womit dieser S e e gewöhnlich b e s e t z t wird, sind m e is te n te i l s Karpfen und Hechte, weil die kleinere Art derselb en, die Forel­ len, Weisfische vor d ie se n ihren größeren Brü­ dern in die angr e nz en de Bäche fliehen m ü s se n . Der Inhaber der Mühle muß dafür jährlich 13 Gul­ den Erblehen Besta nd zin nß reichen und bei je- Der Klosterweiher nach einer kolorierten Lithographie um 1900. 261

Eine viel genutzte Freizeitanlage ist der Klosterwei­ her in St. Georgen. Er ist ein Freibad und Erlebnis­ parkzugleich. dem Fischen – d as gewöhn lich alle 3 jahr ge- sc h ie h e t – dem Beamten, Pfarrer, Kloster-Amts­ schreiber, Oberamtei Substitut und de n e n w e i ­ teren Klosters Officianten, so auch zur Schirm­ vogtei Homberg: dem Oberamtmann, Spezial, Physiko, Helfer und Stadtschreiber, jede m eine g e w iß e A n z a h l … F is c h e , … a b g e b e n . “ Nach der Aufhebung d e s Klosters verstärkte sich die Meinung, d a s s d a s G ew ä sse r unnütz und entbehrlich sei. Am 16. Oktober 1798 ver­ fasste die württembergische Regierung ein Schrei­ ben: „ d a s s der herrschaftliche Weyher allhier au fz ug ebe n und stü ck w eis e zu verkaufen ist“. Wegen der schlechten Witterung konnte damals der Weiher nicht gleich aus getrocknet werden. Kriegsunruhen im Frühjahr 1799 ließen ein e Trockenlegung ebenfalls nicht zu. Der damalige Oberamtmann Mauchert schrieb am 7. April 1 8 0 0 an die Regierung in Stuttgart, 262 und setzte sich für die Erhaltung d e s Weihers ein. Er schrieb, d a s s der Weiher als Wasserreservoir für die Klostermühle unabdingbar sei und d a s s d e r W a sse r sp e i c h e r g r o ß g e n u g sein m ü s se , um auch im Falle einer Dürre den Betrieb der Mühle zu sichern. Die jahrhunderte alten Privilegien der Klostermühle und der Klostersäge kompli­ zierten die Rechtslage. Dass weder in St. Georgen noch in der U mgebu ng g e e i g n e t e Leute für die Arbeiten zurTrockenlegung d e s Weihers gefunden wurden, lässterkennen, welch große Widerstände g e g e n da s Projekt dam als vorhanden waren. Austrocknung des Weihers wird aufgegeben Nach derAn gl ied eru ngSt. Geor ge nsa n das Land Baden im Jahr 1810 wurden die Au strocknungs­ pläne a u fg e g e b e n . Die St. Georgener sind froh, d a s s der damalige Widerstand der Bevölkerung ihnen noch ein Überbleibsel a us der Klosterzeit und einen sc hön en Badeweiher erhalten hat. Um 1900 kauften die Gebrüder Heinemann, Maschi­

nenfabrik in St. Georgen, den Klosterweiher. Nun m u s s t e d a s Wass er der Brigach und d e s Weihers der Industrie dienen. Die Firma Heine­ mann nutzte den Mühlenkanal und baute neben der Klostermühle ein Kraftwerk, mit dem s i e d e n elektrischen Strom für ihre Maschinen erzeugte. Die n e u e Anlage ersetz te die bisher g e nutz te Dampfmaschine. Nach und nach entwickelt sich ein Badebetrieb Nach und nach entwickelte sich am Klosterwei­ her der Badebetrieb. D e s w e g e n p ac hte te die Stadt St. Georgen d a s G ew ä sse r und erstellte die für ein Bad notw en dige n Anlagen, wie Um­ kleidekabinen und Li egewiese. Ein Bootsverleih und ein Floß in der Weihermitte kamen später dazu. Im Dezember 1979 gi ng dann d a s ganze Areal in den Besitz der Gem einde über, w elch e nun endlich ein e i g e n e s Schw immbad hatte. Mit Anlagen für Kinder, Wassertrampolin, Eisberg, Spielplatz oder Beachvolleyballplatz lockt da s s c h ö n e Naturs chwimm bad vi ele Badefreu nde und Familien an. Geschützte Au-Wiesen, w e lch e von der Bri­ gach du rchfloss en werden, bilden den w e s tl i ­ chen Abschlus s d e s Klosterweihers. Die östlich d e s Weih erdamms ange glie derte Skate-Anlage mit Einrichtungen fürdie vers ch iede ne n Skating- Arten verstärkt die Anziehung der Badeanlage. So ist der au s wirtschaftlichen Gründen a n g e ­ l egte und über Jahrhunderte auch nur wirt­ schaftlich ge nu tz te Klosterweiher, heute Mittel­ punkt einer sehr beliebten Freizeitanlage. Ein a b s o l u t e s Highlight st ellt e in den ver­ ga n g e n e n Jahren ste ts d a s „ S e e n a c h tsfe st am K losterw eiher“ dar. Die Veranstalter sind b e ­ müht, d i e s e s bel iebte Fest auch künftig anbieten zu können. Kleinere Events, so z.B. Beach-Votley- ballturniere und d a s „Anba defest“ zum S a i s o n ­ beginn runden da s Veranstaltungsangebot ab. Die W ass er fläch e um fas st drei Hektar mit ab ge tr en n te m Nichtschw immerb ere ich . Das Naturfreibad ist in der Regel von Pfingsten bis Anfang S e p t e m b e r bei e n tsp r e c h e n d e r Witte­ rungtäglich von 10. 00 bis 2 0 . 0 0 Uhr geöffnet. Das Café-Restaurant „ S e e h a u s “ gilt als Geheimtipp, um den Tag bei einem guten Essen Ein Eisberg im Sommer: Für Kinder und Jugendliche zählt der Kletterberg im St. Georgener Klosterweiher zu den Höhepunkten. nach italienischer Art und ein em Glas Wein a u s ­ klingen zu las se n. Der Klosterweiher St. Georgen wird von der Werb eg emeins ch aft „Ferienland“ der fünf gastfreu nd lic he n Nac hb arge m ein de n Triberg, Sc ho nac h, Schönwa ld, Furtwangen und St. Georgen als besonderes touristisches Sommer­ highlight vermarktet. Aus dem einstigen Fisch­ we iher d e s Klosters St. Georgen wurde inzwi­ sche n e in e s der attraktivsten Freibadziele u n s e ­ rer Region in schön st er Naturlage. Willi Meder 263

darund bilden eine beein druckende Kulisse. Die Gäste erwartet ein to lle s Pogramm mit Show- und Musikdarbietungen von nationalen und in­ ternationalen Künstlern. Atemberaubend ist die einm alige Feuershow d e s Triberger Feuerschluckers Johannes Schwarz alias „Saraph“, w e lch e direkt über dem Haupt­ fall d e s Wasserfalls vorgeführt wird. Ein Genuss für Augen und Ohren. Für Aha-Effekte sorgen die Lichterallee, ein 2 6 m langer Lichtertunnel mit 50 0 0 0 Lämpchen so w ie viele weitere Elemente zum Thema Licht. Während auf der Naturbühne im ne uen Na­ turerlebnispark unterhatb d e s Wasserfalls d e ut­ sc h e und internationale Weihnachtslieder live vorgetragen we rde n, können die Be su che r im Weihnachtsdorf mit se ine n funkelnden Christ­ bäumen traditionelle schwarzwälder Handwer­ ker wie Schnitzer, Strohflechter und Uhrenschil­ dermaler bei ihrer Arbeit erleben. Als Souvenirs können winterliche Sofortbilder und viele indivi­ duelle Weihna chtsz aub er -G es ch en ke mit nach Hause g e n o m m e n werden. Kinder ve rgnügen sich auf dem Kinderkarus­ sell oder be st au ne n die „ leb en d e Krippe“. Ein­ mal s e l b s t einen Bratapfel über dem großen La­ gerfeuerz u grillen ist eine weitere Attraktion, die gerne von den jungen Gästen genutzt wird. An­ g e re g t lausc he n nicht nur Kinder den w e i h ­ nachtlichen Geschichten in warmer, behaglicher Atmosphäre, vorgetragen von G es ch ic hte ne r ­ zählern in originalSchwarzwälderTracht. S e lb st­ verständlich ste h e n der Uhrenträger oder auch die Drehorgelspieler jederzeit für einen S c h n ap p ­ s c h u s s fürs private Foto-Album gerne bereit. Die Idee d e s Triberger W eihna chtsz au ber s stam m tvo n den beiden Initiatoren Thomas Weis- ser und Rainer Huber. Seit der Erstauflage im Jahr 2 0 0 4 hat sich d i e s e ganz b e s o n d e r e Veran­ staltung bereits als überregional be de ute nd er Weihnachtsevent so w o h l bei Urlaubsgästen als auch bei Einheimischen a u s der näheren und weiteren Umgebu ng etabliert. „Ein Erlebnis, da s man nicht ve rs ä u m e n so l l te “ s o die Rückmel­ du ng der vom feurigen Spektakel begeisterten und von den unzähligen Weihnachtslichtern b e ­ Nikolaus Arnold eindruckten Besucher. Weitere Informationen unter: www.triberg.de Weihnachtsstimmung: Der Esel in der lebenden Krippe lockt die Kinder an. Bei winterlichen Tempe­ raturen erfreut man sich am Glühwein, und der Holz­ schnitzer zeigt, wie Schwarzwälder Uhrenschilder entstehen. Eine ein m ali ge W eih n a c h tss tim m u n g können die B e su cher d e s „Triberger W e ih n ac h tsz au ­ b ers“ erleben, der jeweils in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester direkt an Deut sch­ lands höchs ten Wasserfällen stattfindet. Für ein weihnachtlich es Ambiente sorgen dabei über 2 5 0 0 0 0 Lichter, die sich zu einem gigantischen Lichtermeer z usa m m e nfü gen . Die Triberger Was­ serfälle stellen gerade in die se r Jahreszeit mit S c h n ee und Eis ein großartiges Naturschauspiel 266

Georg Hettich Gold, Silber, Bronze!

15. K a p i t e l S p o r t Das Skidorf Schonach feiert: d e s O ly m p ia s ie g e r s in der N ordisc hen Kombination f a s s e n , noch G es ch w ist er, Freundin o d e r Freun­ de. G e m e i n s a m mitzittern im „Volltreffer“ h i e ß e s da „für halb S c h o n a c h “, die a n d e r e Hälfte s a ß zu Hause vor dem Fernseher – und da nach stan d g e m e i n s a m Feiern s a m t Festzu g durch d a s Dorf auf dem Programm. ZDF-Kommentator Peter Leissl: „Er ist vorn, er ist vorn. Georg Hettich ge w in n t Gold. Ein sp o r tl i c h e s Wi ntermärchen wird w ahr.“ Die Eltern, Hedwig und Lothar Hettich: „Wir freuen un s s o für d en Georg, er hat e s sich verdient! Schonachs Bürgermeister Jörg Frey freute sich: „Wahnsinn. Ich krieg jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich an die W ettkämpfe denke. Es ist nur wenigen Sportlern vergönnt, bei Olympia alle drei Medaillen zu gewinnen.“ Gold und Silber hatte ihr Sohn Georg bei den Olympischen Winterspielen schon gewonnen, jetzt fiebern die Ettern Lothar und Hedwig Hettich zusammen mit rund 150 weiteren Schonachern im „ Volltreffer“ der Bronzemedaille im Sprint-Wettkampf entgegen. Als die Medaille dann gewonnen war, jubelten einmal mehr ganz besonders die Schwestern Sonja, Susanne und Evelyn (oben rechts). Mutter Hedwig indes hatte alle Mühe damit, all die Hände zu schütteln, die sich ihr da entgegenstreckten. Zu den Gratulanten zählte auch der frühere Ministerpräsidentvon Baden-Württemberg, Erwin Teufel, und erneut Schonachs Bürgermeister Jörg Frey (Bild unten rechts). _ i ( j |“0 n Z G n l O S G r j LID 0 1 . ■ I 269

S p o r t Für G eorg H ettich zäh len nicht nur Ski und S chanzen. Der Schonacher O ly m p iasieg er g e h t offenen Auges durchs Leben. Die einen schreien nach dem Olympiasieg ihre Freude hi­ naus, andere vollführen Veitstänze. Georg Het­ tich stand nach se in e m sensatio n el len Triumph im Gundersen-Wettbewerb der Kombinierer nur da und gestand: „Ich kann’s einfach nicht fas­ s e n . “ Als die Nationalhymne im Langlaufstadion von Pragelato verklungen war, wischte sich der Held d e s T a g e s ein e Träne aus dem Augenwinkel, blickte strahlend hinüber zu den Fans und g e ­ n o s s sichtlich gerührt deren Ovationen. Zeitsprung zurück: „Dem Schorsch f e h l t e i n ­ fach der Killerinstinkt“, grantelte Hermann Wein­ buch im sonne nü be rflute ten Val di Fiemme. Man schrieb d a s Jahr 2 0 0 3 , und Georg Hettich hatte so w ohl im Gundersen-Wettbewerb als auch im Sprint als Vierter die WM-Medaillenränge hau ch­ dünn verpasst. Der Schon ac her haderte mit sich und dem Schicksal. Das Urteil d e s Bundestrai­ ners schm erzte – die Silbermedaille mit der Staf­ fel brachte da kaum Linderung. A b ges tem p elt fühlte er sich, der dam al s 24- Jährige, als einer oh n e Biss und Schneid, zum Sie ge n gänzlich unge eig ne t. G ottseidank können auch die größten Exper­ ten dann und wann irren. Weinbuch tat’s im Fal­ le Hettich gerne – und der demonstrierte im w e i ­ teren Verlauf der Turiner S p ie ­ le nachhaltig, d a s s sein Hun­ ger nach Top-Platzierungen längst nicht gestillt war: Silber mit der d e u ts ch en Staffel und Bronze im Sprint-Wettbewerb – der o ly m p isc h e M ed aillen­ satz war komplett, und in der Kombinierer-Hochburg Scho- nach nahmen die Jubelfeiern kein Ende. Neuerliche Rückblende: „In m e in em n äc hste n Leben lerne ich ein Instrument und w erde Musiker.“ Diesen Satz sprach Hettich vor den Welt­ meis terschaften 2001 im finni- Georg Hettich beim Empfang in der Heimat Schonach. 270 sehen Lahti aus. Die erhoffte Leistungsexplosion hatte sich bis zu jenem Zeitpunkt beim hochta­ lentierten Schwarzwälder noch nicht eingestellt, und der Turiner Olym piasieg lag Lichtjahre e nt­ fernt. A u ß e n s t e h e n d e hätten a u s die se r Anmer­ kung durchaus ableiten können, der dam als 22- Jährige zweifle an der Richtigkeit s e i n e s Tuns. Wer Hettich kannte, der w u s s t e e s besser: Der Schwarzwälder ist kein Zauderer. Hettich über Hettich: „So bin ich halt“ Was er sich vorgenommen hat, zieht er durch, g e ­ radlinig, zielstrebig, ehrlich und o h n e Kompro­ m isse . „So bin ich halt“, pflegt der sy m p athi­ sc h e Sc honacher zu sa g e n – und dann packt er die Dinge d e s Lebens an. Der Sport steht dabei zwar im Vordergrund. Doch Hettich ist keiner, der mit Scheuklappen durch die Welt hechelt. Se in e Interessen gelten nicht nur Sc ha nze , Ski und Wachs. Er liest viel, hört Musik, ist ein gebildeter und witziger Ge­ sprächspartner, wie die Nation s p ä t e s t e n s am Abend d e s großen Triumphs in Pragelato bei s e i ­ nem Auftritt im Aktuellen Sportstudio erfahren konnte. dem Doch g l e i ß e n d e s Scheinwerferlicht und Fern­ s e h s t u d i o s sind nicht wirklich s e i n e Sac he . Schon ehe r b e ­ ha gen Fam ilienmen­ sche n die Stunden, die er mit Freundin Birgit in Kappel bei Freiburg verbringen kann. Het­ tich liebt die Geb or ge nh eit. Das kommt nicht von u n g e ­ fähr. In derSchonacher Albert- Schweitzer-Straße, wo sein El­ ternhaus steht, gab e s davon reichlich. d a s s dafür, Mutter Hedwig, die alle nur Hedi nenn en , und Vater Lothar sor gten der „ S c h o r sc h “ gut b e h ü te t und mit dem nötigen Rüstzeug ins Leben starten konnte. Durch­ s e t z u n g s v e r m ö g e n war g e ­ fragt, aber auch Rücksichtnah-

Wenn Schonach feiert: Der erste Festzug formierte sich spontan nach dem Gewinn der Goldmedaille (oben), der zweite nach der Heimkehr von Olympia. Tausende waren auf den Beinen, um im Kurpark Georg Hettich zuzujubeln.

Sport Talent war in Hülle und Fül­ le da, b e s o n d e r s Im Springen, d a s inzwischen h in zu gek om ­ men war. Der Schub kam, als der Teenager nach der Scho- nacher Grund- und der Triber­ ger Realschule auf d as Ski-In­ ternat nach Furtwangen w e c h ­ se lte, wo Schule und Sport in Einklang ge bracht we rde n konnten. Die Richtigkeit der E ntsch eidu ng manifestierte sich in immer b e s s e r w e r d e n ­ den Leistungen und den damit e in h e rge h e n d en Erfolgen. Bei der Junioren-WM 1997 gab’s mit Staffel-Silber die ers­ te „große“ Medaille. Auch im Weltcup etablierte sich Hettich schnell und verbuc hte in der S ai so n 2 0 0 0 / 0 1 se ine n ersten Top-Sechs-Platz (5. in Kuopio). Ein Jahr später folgten Trepp­ chenplä tz e in Liberec (2.) und Trondheim (3.) so w ie Rang elf im Gesamtweltcup – d e r Schwarzwälder ge hörte endgültig zur Welt­ elite und be w ie s d i e s e Tatsache mit konstanter Regelmäßigkeit. Auf einen S ie g m u s s te er aller­ dings noch lange warten. Den hatte er sich für ei­ nen b e s o n d e r e n Anlass a u fg e h o b e n – a u s g e ­ rechn et d a s o ly m p isc h e Rennen in Pragelato. Wenn da s kein Timing ist! Ein Telefon- und SMS-Gewitter… Sorgen, der Georg könne nun unter der Last d e s O ly m p ia s i e g e s einknicken, macht sich s e i n e e n g s t e Um gebu ng nicht einmal a n s atzw eise . „Er ist ein e Frohnatur, aber auch stan dh aft“ urteilt MutterHedi, und Freundin Birgit w eiß genau: „Er ruht in sich und ist s o gefestigt, er hält d a s a u s . “ Und aus zuhalten hatte er nach den triumphalen Tagen in Italien ein ig es. Zunächst brach ein w a h ­ res Telefon- und SMS-Gewitter über ihn herein, dann hage lte e s Einladungen aller Art, und schließlich gilt e s noch, die Autogrammwü nsche der Fans zu erfüllen, die seit Turin nicht geringer g e w or de n sind. Dieser Pflicht kommt der in Beim Eintrag ins Goldene Buch der Gemeinde Schonach. Vorne Minis­ terpräsident Günther Oettinger, hinten v. links Georg Hettich, Landrat Karl Heim und Schonachs Bürgermeister Jörg Frey. me – in einem Acht-Personen-Haushalt, zu dem ne ben Georg noch d e s s e n Schwestern Evelyn, Sonja und S u sa n n e so w ie die Brüder Andreas und Seba stia n gehörten. M it drei, vier Jahren erstmals auf Skiern Zum Skifahren brachte den Ste pp ke der Papa. „Wir haben ihn, als er so drei, vier Jahre alt war, einfach auf die Bretter g e s te ll t“, erinnert sich da s Familienoberhaupt. So macht m an’s halt im Schwarzwald, w o die Winter in aller Regel hefti­ ger ausfallen als ander sw o. Gedanken an mögli­ c herw ei se späteren Leistungssport wurden d a ­ bei nicht vers ch wen det, zumal der Kleine nach ein paar Kinder-Langlaufrennen k e i n e s w e g s an­ deutete, einmal ein ganz Großer werden zu w o l­ len. „Es gab zwar einige zweite und dritte Plätze, aber er hat nicht s o gerne trainiert“, erinnert sich der Vater schm unz elnd an Be su c he der Verant­ wortlichen d e s SV Rohrhardsberg, für den der kleine Georg an den Start ging. „Der Schorsch m u s s mehr trainieren, wenn er vorwärts kom­ men will“, lautete deren Einschätzung. 272

S c h w e n n i n g e n Medizintechnik s tu dier e nde Sympathieträger nurzu gerne nach. „Es ist doch toll, wenn einer eins von mir will“, lautet d a s Cre­ do e in e s Vorzeigesportlers, der nach dem Olym­ pi asi e g nicht satt ist und bereits im kommend en Jahr bei der WM im japanischen Sapporo erneut Peter Hettich angreifen will. Wir sind Hettich – Wir sind Olympiasieger S ie lagen sich in den A rm en, sie jub elten und sie w o llten g ar nicht m e h r au fh ören . W as in Schonach los w ar, als G eorg Hettich d ie G o ld m ed a ille in der Nordischen Kom bi­ nation h o lte, ist schier unbeschreiblich. Jeder schie n Teil d e s Erfolges zu sein, Schon ach hätte am liebsten die ga nz e Welt umarmt und sie alle waren stolz. Stolz auf einen von ihnen, stolz auf den jungen Athleten, der e s der ga nzen Welt ge ze igt hat, stolz auf ihren Georg Hettich. Die Leute lagen sich in den Armen und s a n ­ ge n Jubellieder. Innerhalb von einer halben St u nd e hatte Bürgermeister Jörg Frey den gan zen Musikverein z u sam m e n ge trom m e lt und so ging e s durch den Ort – die Fahnen wurden g e s c h w u n g e n , Lieder g e s u n g e n und der Jubel fand schier kein Ende. Noch bis tief in die Nacht hinein ließ die se r Jubel die Sc h o n a c h e r nicht schlafen. Und bei d ie se m Erfolg verzichtete ger­ ne jeder auf se ine n Schlaf. Auch Erwin Teufel fiebert mit G emeinsam hatte man die Goldmedaille vor dem Fernsehschirm erlebt und w e n i g e Tage später war wiederum Treffpunkt im Schonacher „Voll­ treffer“ a n g e sa g t, wo nun auch der Ministerprä­ si dent a. D. Erwin Teufel z u ge gen war. Lächelnd marschiert er in die Gaststätte und reicht jedem die Hand. Die Freude über die Goldmedaille von Georg Hettich war dem ehe m ali ge n Ministerprä­ sidenten ins Gesicht gesc hrieben. Er sprach s e i ­ ne H ochachtung für d i e s e n S i e g d e s Sc hona- O lym p ia s ie g e r G eo rg Hettich Eine großartige Erinnerung an seine Olympiaerfol­ ge erhielt Georg Hettich vom Skiverein Rohrhards- berg mit dieser geschnitzten Tafel. Skispringen und Skilaufen sind vor heimatlicher Kulisse verewigt, im Hintergrund ragt Schonachs Kirchturm auf. chers a u s und gratuliert Georg Hettichs Eltern. „Das ist eine großartige Leistung. Für mich ist und bleibt die Nordische Kombination die Kö­ nigsdisziplin.“ Taktik, Strategie, Ausdauer und Fleiß brauche man, um gut springen und gut lau­ fen zu können, und se tz te noch eins drauf: „Ihn kann man nur be w u nd er n“, richtete er an die Ad re ss e von Georg Hettich. „Das war für mich die Krönung in d ie se m Jahr“, st elltT eufelzudem die ­ s e s Olympiagold über alles andere, w a s er so n st erlebt hat. Er dankte und gratulierte nicht nur dem Sportler und den Eltern, sondern auch dem 273

Sport kampf. Dennoch war sie unheimlich stolz auf ihren Bruder: „jetztfehltnur noch die Bronzem eda ille. Und so, wie Georg drauf ist, kann er die auch noch holen“, p r oph ez e it e sie. Bür­ germ eis terjörg Lrey be z eic hne te den Wettkampf al s „p h ä n o m e n a l “. Sein Herz sei ihm „schier zur Brust raus­ g e h o p s t “, derart s p a n n e n d se i der Wettkampf g e w e s e n . Unter den rund 2 0 0 be geisterten Lans waren auch w ie d e r die Eltern und G es ch w ist er d e s O ly m p ia sie ­ gers . Hedwig Hettich m ein te nach dem Wettkampf: „Ich bin froh, wenn ich jetzt ein paarTage Ruhe habe. Das ist alle s zu viel für mich .“ Doch nichtsdestotrotz freut sich die Mutter unwahr­ scheinlich über die zweite Medaille ihres S o h ­ ne s, betonte: „Ich freue mich s o für Georg. Er hat e s sich verdient.“ Und auf Gold folgt Silber— Und w e n ig e Tage später trafen sich wieder alle Sc honacher im „Volltreffer“. Und e s schien so, als würden von Mal zu Mal mehr ju belnd e Fans in der doch relativ kleinen Gaststätte Platz fin­ den. Und wieder hatten die Schonach er Grund zum jubeln: „Welcher Sportler kann von sich b e ­ haupten, bei einer Olympiade Gold, Silber und Rechte Seite: Bild oben: Olympiasieger und Medaillengewinner unter sich, von links: Der Schonacher Hans-Peter Pohl (Goldmedaille in der Mannschaft, Nordische Kombi­ nation, 1988), Georg Thoma (Goldmedaille in der Nordischen Kombination, i960), Stefanie Böhler (Silbermedaille Staffel Skilanglauf, 4×5 km), Jens Gaiser (Silber mit dem Team der Kombinierer), Georg Hettich sowie Moderator Hans-Reinhard Scheu. Mitte und unten: Schonachs Bürgermeister Jörg Frey hatte für die Olympioniken eine „Olympiauhr made in Schonach“ als Geschenk dabei. Zur Feier im Kur­ park waren Tausende von Fans erschienen. Glück­ wünsche gab es auch von den Vereinen aus der Nachbarschaft, wie die Transparente zeigen. Der Ski-Nachwuchs grüßt den Olympiasieger – mit strahlenden Augen beim Fest im Kurpark. Skiteam und allen, die irgendwie daran beteiligt waren. „Schonach st eht für den g e sa m te n Ski­ verband Schwarzwald.“ „Das ist p h änom e nal für Schon ach und da s g e s a m t e Ferienland, ein e b e s s e r e Werbung gibt e s nicht“, so der euphor ische Rathauschef Jörg Frey zum Olympiasieg. Täglich ginge n bei ihm viele Glü ckwünsche per E-Mail ein: „Die ko m­ men a u s N e u s e e l a n d , a u s Italien, a u s Öster­ reich, kurz g e s a g t aus der ga nzen Welt.“ „Wir haben olympisches Silber ge wo nn en und nicht Gold verloren!“ Dies s c h o s s dann einen Tag später vielen beim Teamwettbewerb in der Nor­ dischen Kombination durch den Kopf. Rund 2 0 0 Leute waren bei der Langlauf-Übertragung im „Volltreffer“ mitvon der Partie. Eigentlich hätten die Deutschen und an ihrer Spitze Sc h on ach s Georg Hettich auch über die Distanz beflügelt w erden m ü s s e n , s o sehr fieberten die Scho- nacher mit. Sie schrien, johlten und grölten, sie klatschten, feuerten jeden der Deutsch en an und fieberten bis zum Sc hlu ss mit. Das de u ts ch e Team führte ja nach dem Sprin­ gen und ging mit zeh n Sek und en Vorsprung auf die Loipe. )ens Kircheisen baute den Vorsprung aus, Georg Hettich erweiterte Ihn dann sogar auf 4 8 Sekund en. „Bis dahin haben wir alle noch mit Gold geliebäugelt. Al sd ann aber Ackermann den Vorsprung rapide auf derStrecke liegen ließ, war e s mir klar, d a s s e s für Gold nicht reichen wird“, schilderte S u s a n n e , e in e von Georg Hettichs Sc h w es ter n , ihren Eindruck nach dem Wett­ 27 4

# ■ ° ‚ e ^ t o d der Ä .| S pUKÍLBREND 9r»Jßt ‚ unsere /fymp¡afe¡inehme!

S p o rt Bronze ge ho lt zu haben? Das ist der reine Wahn­ sinn, der uns S c h o n a ch er unheimlich stolz macht.“ Das waren die Worte von Bürgermeister Jörg Frey zum dritten Triumph von Georg Hettich. Der Sc hon acher hatte im Sprint-Wettkampf die Bronzemedaille geholt. Die Stim mun g im „Volltreffer“ war wieder gi ­ gantisch. Über 2 0 0 M enschen hatten sich e in g e ­ funden, um den Langlaufwettkampf zu verfol­ gen. Zwei F ernsehteam s waren a n w e s e n d , um die Stim mu ng im Heimatdorf d e s Olympioniken ein zufang en und später in die Welt h in ausz u­ se n d e n . Als Georg Hettich den letzten Angriff ge laden – doch waren e s die Mitglieder der bei­ den örtlichen Skiclubs, das Rathausteam um Bür­ germeister Jörg Frey und nicht zuletzt die vielen Bürger Sc h on ach s und der ganzen Region, die den Kurpark in eine gr oß e Fest-Meile ve rwandel­ ten. Die Kulisse – einfach grandios. Ganz stimmungsvoll geriet der Auftakt, der Umzug vom Rathaus in den Kurpark. Begleitet von den Klängen d e s Musikvereins und flankiert von Fackelträgern marschierten die drei baden- württembergischen Medaillengewinner von Tu­ rin durchs Dorf, an ihrer Seit e Ministerpräsident Günther Oettinger, Bürgermeister Jörg Frey und Landrat Karl Heim. Von Bai­ konen, Fenstern und Dach­ terrassen a u s grüßten die S c h o n a ch er ihre Olympia- Helden und d i e s e b e d a n k ­ ten sich für die Bravo-Rufe „ D a s g a n z e L an d is t b e e in d ru c k t v o n ih re n g r o ß a r tig e n L e is tu n g e n in T u rin .“ Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger startete, saß keiner mehr auf se in e m Stuhl – al­ le waren a ufgesprungen und feuerten „ihren Ge­ org“ bis ins Ziel an. Dann brach der Freudentau­ mel aus. Die Fans johlten und schrieen sich förm­ lich die S e e l e aus dem Leib. Evelyn Hettich, Ge­ orgs ältes te Schwester, brachte die Stimmung auf den Punkt: „Gold brauchen wir gar nicht, da s haben wir schließlich s c h o n . “ Sie hatte den Aus­ g a n g d e s Wettka mpfes v o r a u s g e s a g t . Martin Hettich, Georgs Taufpate, war den Tränen nahe: „Georg ist solch ein super Typ, ich g ö n n e e s ihm von ga nzem Herzen und freue mich wahnsinnig, ihn endlich wieder in den Arm ne hm en zu kön­ n e n .“ Ein phänomenaler Empfang in der Heimat, Tausende versammeln sich in Schonach Die Sc honacher erwiesen sich dann w e n ig e Tage nach Ende der olymp isc hen Sp iele als hervorra­ g e n d e Gastgeber, als der Olympia-Empfang für die Teilnehmer au s Baden-Württemberg im Ski­ dorf stattfand. Am Fastnachts montag gab e s e i ­ nen Festzug durch d a s g anz e Dorf, eine Feier im Kurpark und schließlich den Nachklang im Haus d e s Gastes. Zwar hatte formal d as Land Baden-Württem­ berg zu der großen S a u s e mit den Sportassen Georg Hettich, Jens Gaiser und Steffi Böhler ein ­ 276 mit strahlenden Gesichtern. Am Pavillon dann die Rede von Ministerprä­ sid ent Günther Oettinger. Dieser würdigte den „jugendlichen Charme“ von Georg Hettich und lobte die Leistung aller drei baden-württember­ gischen Medaillengewinner. Gut aufge legt e Wintersportler präsentierten die Moderatoren Jens Zimmermann und Hans- Reinhard Scheu. Jens Gaiser, s o klärte Reinhard Scheu auf, hab e s c h w ä b isc h e Skig eschichte g e ­ schrieben. Er sei der erste Medaillengewinner bei Olympischen Winterspielen aus d ie se m Lan­ desteil. Im Mittelpunkt der Interviews stand aber Georg Hettich, der sich schlagfertig zeigte. Ob der Olympiaerfolg ihn nun zu einem Siegertyp g e ­ macht habe, wollte der SWR-Reporter Scheu w is­ sen. Hettich e n tg e g n e te, d a s s auch für Olympia­ gewinner die Berge nicht flacher werden. Neben Ministerpräsident Günther Oettinger gehö rte zudem Landrat Karl Heim zu den Gratu­ lanten. Landrat Heim überreichte dem so erfolg­ reichen Sc hon acher Wintersportler voller Stolz einen Wappenteller und übermittelte die Glück­ w ü n sc h e d e s Schwarzwald-Baar-Kreises. In Sc honach herrschte während der Olympi­ sc h e n Sp iele und kurz danach „A u sn a h m ez u ­ st a n d “. Es war phantastis ch – b e s s e r lässt sich die Zeit nicht besc hr eiben . Es wird wohl e in m a­ lig bleiben, d a s s ein Schonach er drei Olympia­ Wolf-Wilhelm Adam medaillen gewinnt!

S p o rt Eine Erfolgsstory auf schnellen Rollen Rasanter Aufstieg bis in die 1. Bundesliga: Inlineskaterhockeyclub Hotdogs Bräunlingen Es ist e in e kleine Erfolgsstory, die in den ver­ g a n g e n e n zwölf Jahren die Inlineskaterhockey- Spieler der Hotdogs Bräunlingen gesc hr ie be n haben. Aus einer kleinen Spaßgemeinschaft wur­ d e in der Zähringerstadt ein Verein, der b u n d e s ­ weit für Aufsehen sorgt. In der Saison 2 0 0 6 spiel­ ten die Hotdogs ers tmals in der 1. Bundesliga und krönten damit ein en s e n s a t io n e l l e n Auf­ stie g, der 1994 mit einigen Hobbyspielern und sp äter vereinzelten Turnierteilnahmen begann. Inzwischen sind die Inlineskaterhockey-Spieler in Bräunlingen anerkannt, haben einen eig e ne n Platz, viele treue Fans, ein e aktive Jugendarbeit und ein traditionsreiches Inlinehockey-Festival, da s längst internationalen Charakter besitzt. Trendsetter waren die ersten Bräunlinger Jungs, die 1994 den Sp o r ta u f den Rollen für sich erkannten. Martin Lange und Martin Apperger sind die Väter der Hotdogs Bräunlingen, die sich zunäc hst Lions Bräunlingen nannten und sich erst später in Hotdogs umtauften. Zu Lange und Apperger kamen bald Se b a s tia n Schmid, der heutige Spielführer, so w ie Thomas Hutmacher und Dominik Müller hinzu. Um d i e s e s Quintett wurde die erste Mannschaft aufgebaut, die 1996 bei ein em Turnier in Ludwigshafen erstmals an den Start ging. „ D ie se s Turnier war so e tw as wie die Initialzündung. Da war uns klar, d a s s wir den Inlineskaterhockeysport in Bräunlingen populär machen wollen. Wir alle hatten die Sportart g e ­ funden, die zu uns p a s s t e “, erinnert sich Torhü­ ter Dominik Müller. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich war­ ten. Schon 1996 ge la n g noch unter dem Namen Lions Bräunlingen ein vierter Platz bei den d e ut­ sc h e n U i8-M eiste rs ch aften in Köln. Bei Cup- Wettbewerben zwische n dem Allgäu und Nord­ rhein-Westfalen wurden vordere Plätze errungen und auch in den Punktspielen lehrten die Bräun­ linger ihren Gegnern da s Fürchten. Die ganz großen Siege aber gelangen erst mit der Namens­ umstellung. Aus den Lions wurden die Hotdogs. 278 Unter dem Namen Lions g e la n g kein Sieg, als Hotdogs aber folgten Aufstiege und Cupgewin­ ne. Einen großen Schritt zu noch mehr Profes­ sionalität war der Wech sel von einer reinen Tur­ niermannschaft in eine Liga. Als sich im Herbst 2 0 0 3 die Möglichkeit für den Eintritt in den Deut­ sc he n Inline-Verband öffnete, griffen die Bräun­ linger zu. Von da ab spielten die Hotdogs in der D eutsch en Sk aterhockeyliga Deutschlan d (IS- HD). Die Aufnahmekriterien erfüllten die Hot­ d o g s und sind nunmehr einer von rund 6 0 0 Ver­ einen im ISHD-Ligenverband. Welch starkes Team sich in die ISHD eingliederte, wurde gleich in der ersten Saison deutlich. Verlustpunktfrei sicher­ ten sich die Bräunlinger die Meisterschaft in der Regionalliga S ü d w e s t Gruppe A und erspielten sich somit d a s Recht zur Teilnahme an den Auf­ st i e g ssp ie l e n zur 2. Bundesliga. Hier wurde zu­ nächs t Bad Friedrichshall a u s g e s c h a lte t und im Playoff Finale lernten die IHC Shamrock Wörth die Überlegenheit der Hotdogs kenn en, die nach zwei Siege n die Qualifikation für die z w e it h ö ch s­ te d e u ts c h e Liga in der Tasche hatten. Durchmarsch in die erste Liga Es folg te d a s ers te Jahr in der z w e ith ö c h ste n deutsch en Liga. Was keiner für möglich hielt, traf ein: Den Hotdogs Bräunlingen g e la n g als Auf­ steiger der Durchmarsch in die erste Liga. In 20 Sp iel en fuhren die Bräunlinger 16 S i e g e ein, sp ie lten einmal U n e n tsc h ied en und m u s ste n sich nur in drei Partien g e sc h l a g e n g e b e n . 33 Punkte b e de ute te n Platz eins, aber auch Punkt­ gleichheit mit dem ärgsten Verfolger Langenfeld Devils. Im direkten Vergleich zwische n beiden Teams hatten die Bräunlinger die Nas e vorn und stie gen s o direkt in die Eliteliga auf. Dort weht e zu Beginn der Saiso n 2 0 0 6 zunä chs t ein rauer Wind. Die ersten s e c h s Au swärtss piele blieben

Hotd ogs B räunlingen Das große Ziel ist erreicht, die Hotdogs aus Bräunlingen sind in die 1. Bundesliga aufgestiegen. o h n e Punktgewinn. Das 5:5-Unentschieden a n ­ s c h l i e ß e n d beim HC Köln-West aber war die Trendwende. Eine Woche später folgte ge gen die U e de sh eim Chiefs der erste Erstliga-Sieg über­ haupt. In der neun Teams u m fas se nde n Liga ist jetzt Rang s e c h s d a s Ziel. Er wäre die sichere Qualifikation für e in e weitere Erstliga-Saison. Während derTabellenletzte direkt abs teigt, m ü s­ se n die Teams auf den Rängen sie be n und acht noch durch e in ig e R e l e g a ti o n s sp i e le mit den Teams aus der Nord-Liga und der zweiten Liga g e h e n . Das wollten die Bräunlinger mit Rang s e c h s vermeiden und haben d i e s e s große Ziel auch erreicht. G ew ach se n sind die Hotdogs in den ve rgan­ g e ne n Jahren nicht nur sportlich und im Mitglie­ derbereich. Ein Meilenschritt war im Jahr 200 1 die Eröffnung d e s eig e ne n Platzes. Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse persönlich s e tz te sich in den Beratungen d e s Geme inderats dafür ein und auch Bürgermeisterstellvertreter Otto Brugger, ein Mann, der kaum ein Heimspiel ver­ passt, war einer der Befürworter. Die Stadt inves­ tierte einen h oh en fünfstelligen Betrag. Dazu ka­ men un zä hlig e Stu nd en an Eigenleistungen durch die Sportler, bevor sich die Anlage in der heute bekannten Art erstmals präsentierte und damit ein großer Schritt für den sp äteren sport­ lichen Erfolg war. Der größte Wunsch ist eine Halle Auf Unterstützung der Stadt dürfen die Inline- skaterhockey-Spielerauch bei ihrer ge genwärtig größten Sorge bauen, für die sich freilich noch 279

Sport Der eigene Platz in Bräunlingen war für die Inlineskaterhockeyspieler ein Meilenstein. keine Lösung abzeichnet. Die Hotdogs benö ti­ gen eine Halle, um bei schle ch tem Wetter ihre Heimspiele unter dem sc hü tze nd en Hallendach aus zutragen. Schon in der 2. Bundesliga wurde vom Verband ein e Halle erwünscht, in der 1. Bun­ d e sl i g a ist si e prinzipiell Vo rau sse tzung . Für 2 0 0 6 haben die Bräunlinger eine Au sn ah m er e­ ge lu ng erhalten. Trainiert haben die Hotdogs b e ­ reits in der RVS-Arena der Badgers Spaichingen. Eine Notlösung, falls e s regnet. Die Verbands­ vorgaben sind in diesem Fall knallhart. Setzt w ä h ­ rend einer Freiluftpartie Regen ein, wird das Spiel abg ebr oc he n und da s Heimrecht wandert sofort zum Gegner. Rund 100 aktive Mitglieder Seit der Vereinsgründung ist die Zahl der Mit- glie d e r au f überizjo a n g e w a c h s e n . Rund 100 d a ­ von sind aktiv, spielen bei den Hotdogs, den Hot­ d o g s II oder der Jugendmannschaft Barracudas. Zusätzlich gibt e s noch eine Damenmannschaft, die „Crash Cats“. Für Spieler ab s e c h s Jahren 280 wurden die An aco nda s gescha ffen . Und die „Al­ ten Herren“, die Grauen Panther, sind gleichfalls auf Rollen aktiv. Die zw eite Seniorenmannschaft spielt in der „WRIV-Landesliga“. Der größte Anteil der Mitglieder kommt au s Bräunlingen selbst, ein ige weitere au s den S tä d ­ ten der Umgebung. Gleiches gilt bei den Zuschau­ ern der Heimspiele, wozu die Hotdogs im Schnitt bis zu 250 Fans be grüßen. Die ganz groß e Be­ ge is te r u n g h in g eg e n entfacht d a s jährliche Bräunlinger Intinehockey-Festival, im Juli 2 0 0 6 zum se c h s te n Mal au sgetrag en. An drei Tagen halten sich über 5 0 0 Besuche r am Platz der Hot­ d o g s auf, wenn neben sportlichen Turnieren viel Sp aß und Unterhaltung so w ie manch Musik- und Mottoparty g e b o t e n wird. Teams a u s ganz Deutschland, de r Sc hw e iz, Österreich und Liech­ te nste in bereichern d a s Festival, bei dem die Vereinsmitglieder s e l b s t viel Arbeit an allen möglichen Stellen leisten und s o d a s Festival s te ts zu einem großen Erfolg wird. Nicht zuletzt fördern gerade d i e s e Aktivitäten bei den S p ie ­ lern Gemein- und Kameradschaft. Ein echter Hingucker sind un ter dess en die

beiden aktuellen Trikots der Hotdogs. Auf die w e iß e Grundfarbe mische n sich blaue und rote Elemente. Dazu d a s Logo der Hotdogs, ein Löwe au f Inlinern mit e in em H ockeyschläger in der Hand. Das rote Trikot hat schwarze und w e iß e Streifen. Für ihre Meistertitel 2 0 0 4 und 2 0 0 5 dürfen die Inlineskaterhockeyspieler jetzt auch zwei Meistersternchen tragen. Nicht ganz billig ist un ter dess en die Ausrüstung: Mit Helm, Hand­ sc h u h e n , Körperschutz und Inlinern kommen da schnell 45 0 bis 50 0 Euro z u sa m m e n . Torhüter m ü s se n gar mit A usg ab en von bis zu 2 0 0 0 Euro rechnen. Ein sehr körperbetonter Sport Inlineskaterhockey ist eine sehr körperbetonte Sportart, die im G egensatz zum Eishockey mit ei­ nem Ball über dreimal 20 Minuten g e sp ie lt wird. Wie im Eishockey gibt e s auch Strafzeiten, aber kein Ab seits. Die S c h ü s s e erreichen schon ein ­ mal 120 bis 130 Stundenkilometer. Zwei Torhüter und zwölf bis 14 Feldspieler ge hören zu einer Mannschaft. Die Bräunlinger um ihren Spieler­ trainer Thomas Hutmacher sind im Durchschnitt 22 bis 24 Jahre alt und haben somit die sportli­ che Zukunft noch vor sich. Mit Philipp Rosen- stihl, inzwischen in Göppingen aktiv, brachten die Hotdogs gar einen Spieler hervor, der zwi­ schenzeitlich zum erweiterten Kader der de ut­ sc he n Nationalmannschaft zählt. Martin Lange und Michael Rosenstihl erfül­ len unterde ss en die Schiedsrichterauflagen. Das Duo ist neben eig e ne n Einsätzen in der ersten Mannschaft an den Woche ne nden oft als Sp iel­ leiter un terwegs. Nicht minder wichtig ist da s mehrköpfige Zeitnehmerteam. Bei den Heimspie­ len hat da s Team die Aufgabe, alle Entscheidun­ gen der Schiedsrichter festzuhalten. Mit viel Begeisterung betreiben die Hotdogs- Akteure ihren Sport. Vorsitzender S e bas tia n Schmid und d e s s e n Stellvertreter Thomas Hut­ macher führen den Verein. Sie alle lieben die Faszination a u s Action, Tempo, einem g e su n d e n Körperspiel und doch viel Fairness. So unter­ schiedlich wie sich die Charaktere der Spieler darstellen, so unterschiedlich sind auch die von ihnen ge wählte n Berufsbilder. Maurer, Mecha- Ho td og s B räunlingen Inlineskaterhockey ist ein sehr körperbetonter aber dennoch fairer Sport. niker und vor allem viele St udenten ge hören zu den Hotdogs, deren Name übrigens nichts mit den gl ei chnam ige n Würstchen zu tun hat, die freilich bei Heimspielen gern serviert werden. Vielm ehr haben die Spieler bei der Nam ensuche sich die Dogs, die Hunde, au s ges u c h t. Treue S p o n s o re n helfen den e hr ge iz igen Sportlern, ihre Ziele zu erfüllen. Der Start von ganz unten mit dem große n Aufschwung bis in die 1. B un de slig a imponiert Fans, Sp on s ore n und Gönnern. Helfen ist gleichzeitig eine Eigen­ schaft, die auch für die Spieler gilt. Bei allen Ent­ scheidun gen im Verein, aber auch beim eigenen Festival oder bei Bauaktivitäten. Und nicht zu­ letzt reichen die Spieler auch potenziellen Neu­ einsteigern die Hand. Wer d a s schn el le Mann­ schaftsspiel s e lb st einmal ausprobieren möchte, so llte einfach ein mal beim Training vo r be i­ schau en. Mitzubringen sind Inliner, Handschuhe und Helme. Vor allem der Kopfschutz ist ganz Dietmar Zschäbitz wichtig. Weitere Informationen: www.hotdogsweb.de 281

Sport Tribergals Radsport-Hochburg Das Straßenrennen im Schwarzwald lockt auch die Elite-Fahrer an Im Jahr2oo2 setzten Kai und RikSauserihre Idee um, im Schwarzwald ein Straßenrennen für Pro­ fis und Jedermänner durchzuführen. Mit dem Startort Bad Krozingen und Ziel auf dem Feld­ berg hatte diese Veranstaltung von Beginn an etwas Spektakuläres und Außergewöhnliches. Die Idee, das Rennen jedes jahr mit wechseln­ dem Start- und Zielort im Schwarzwald durchzu­ führen, wurde jedoch im jahr 2003 wieder ver­ worfen und Triberg als Ausrichterstadt ausge­ wählt. Der Standort Triberg stellte sich für die Ver­ anstaltung als großen Gewinn dar und fortan ver­ folgte man zusammen mit der Stadt Triberg, an der Spitze Bürgermeister Dr. Gallus Strobel, gemeinsame Ziele, um die Veranstaltung ständig zu forcieren und auszubauen. Jedes Jahr im Juni verwandelt sich dieSchwarzwaldstadtTribergan diesem Wochenende zur Radsport-Hochburg. Profifahrer, Hobbyradler und radsportbegeister­ te Zuschauer geben sich ein Stelldichein, wenn in der idyllischen Wasserfallstadt eines der här­ testen Eintagesprofiradrennen Deutschlands stattfindet. Zahlreiche nationale und internatio­ nale Stars aus der Radsportszene gehen jedes Jahr an den Start, um sich sieben Mal durch den anspruchsvollen Rundkurs von 23,2 Kilometern zu quälen. So haben beispielsweise bereits Jan Ullrich, Fabian Wegmann, Georg Totschnig und Jörg Ludewigerfolgreich am GPTriberg-Schwarz- wald teilgenommen. Direkt nach dem Start in Tribergs Innenstadt geht es hinauf zur „Geutsche“ . Danach weiter durch den Schwarzwald in Richtung Brigach und St. Georgen, wo jedes Jahr der Bergpreis ausge­ tragen wird. Von St. Georgen führt die Strecke auf der Bundesstraße im Höllentempo zurück nach Triberg. Sieben mal müssen die Radprofis 561 Höhenmeter und Anstiege bis 18 Prozent auf sich nehmen, bis sie in Triberg die Ziellinie pas­ sieren. Tausende Zuschauer erleben am Straßen­ rand hautnah, welche Strapazen die Fahrer aus­ 282 S tart zum Schwarzwald-Straßenrennen am Triber­ g e r Marktplatz. Die Begeisterung der Fans ist groß. Ein Küsschen durch Schwarzwälder-Trachtenfrauen g ib t es fü r den Sieger, 2005 war das Fabian Weg­ mann. halten müssen bis sie endlich im Ziel sind und belohnen Wegmann, Fothen, Wesemann und Co jede Runde mit kräftigem, lautstarkem Ansporn und Jubel. Während die Profis ihre anstrengende Arbeitverrichten, findet auf dem Triberger Markt­ platz ein Volksfest statt. Ortsansässige Vereine

Radsport-Hochburg Triberg sorgen für Bewirtung und auch die musikalische Unterhaltung kommt nichtzu kurz. Als besonde­ res Highlight wurden im vorigen Jahr Hubschrau­ berrundflüge angeboten. Die Zuschauer hatten so die einmalige Gelegenheit das gesamte Fah­ rerfeld aus der Vogelperspektive zu beobachten. Der GP Triberg-Schwarzwald ist ein Erlebnis beispielsweise Fabian Wegmann begeistert nach seinem Sieg beim GP Triberg-Schwarzwald 2005: „So könnten von mir aus alle Rennen sein, mein schönster Tag in meiner Laufbahn als Radprofl, geniale Veranstaltung, absolut klasse Atmos­ phäre, riesige Zuschauermassen und perfekte Organisation, trotz Schmerzen ein großer Spaß, ich bin glücklich.“ Radmarathon für Jedermänner Nicht nurdie Profis kommen an diesem Wochenende zum Zug. Einen Tag nach ihnen können die Jedermänner bei ei­ nem Radmarathon kräftig in die Pedale treten. Die Hobbyfahrer haben die Wahl zwischen drei verschiedenen Strecken unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Die Spitze bietet dabei die „Feldberg­ runde“ mit 258,2 Kilometern und 5 500 Höhenmetern. Weniger anspruchsvoll, jedoch ebenfalls nicht zu unterschätzen sind die „Kandelrunde“ mit 180 Kilo­ metern und 3500 Höhenmetern sowie die „Hexenlochrunde“ mit 114,5 Kilo­ metern und rund 2 000 Höhenmetern. Damit den Fahrern unterwegs die Kräf­ te nicht ausgehen, werden sie an meh­ reren Verpflegungsdepots mit Essen und Trinken versorgt. Veranstalter des Radsportspekta­ kels sind die Brüder Kai und Rik Sauser von der Agentur Sauser Sport & Event Management. Bereits in ihrer Kindheit gab ihr Vater Ihnen die Leidenschaft zum Radsport weiter. Mit ihm waren sie auf zahlreichen Radrennen und nach und nach entstand der Wunsch, selbst ein Radrennen auf die Beine zu stellen. 1999 organisierten sie erstmals die Schwenninger Radnacht und erfüllten sich somit einen langgehegten Traum. Inzwischen organisieren sie jedes Jahr mehrere Sportveranstaltungen und haben sich in der Sportszene etabliert und einen Namen gemacht. Über die Entwicklung des GP Triberg-Schwarz­ wald zeigen sich die Brüder sehr erfreut: „Die Veranstaltung hat sich prächtig entwickelt und 283 der besonderen Art. Es ist immer wieder beein­ druckend zu erleben, wie die Fahrer Anstiege wie die Geutsche in Triberg nicht nur einmal sondern sieben Mal hlnaufjagen. Doch nicht nur den Zu­ schauern, auch den Profis selber nötigt dieser schwere Rundkurs Respekt ab. So äußerte sich

Radsport-Hochburg Triberg Beim Aufstieg a u f die Geutsche m itla n Ullrich im Feld. Unten rechts: Beifall fü r den Sieger. hat ihren festen Platz im internationalen Rad­ sportkalendergefunden. Wir kommen jedes Jahr gerne wieder nach Triberg. Die Highlights der Jahre 2003 – 2006 2003: Eine riesige Begeisterung herrscht bei der ersten Austragung in Triberg. Der junge Torsten Hiekmann vom Team Telekom erringt an dieser Stelle den ersten bedeutenden Profisieg seiner Karriere und schafft den Durchbruch im Profi­ radsport. 2004: Zum ersten Mal wird das Rennen auf dem 23,2 km langen Rundkurs mit Start und Ziel in Triberg ausgetragen. Als weiteres Highlight und Zuschauermagnet wird in St. Georgen eine Berg­ wertung abgenommen. Zigtausende Zuschauer säumen die Strecke und sehen mit Markus Fothen wie im Jahr zuvor wieder ein junges Rie­ sentalent, das in Triberg seinen bisher größten Sieg feiert und klangvolle Fahrer auf dem schwe­ ren Rundkurs hinter sich lässt. 2005: Das Ullrich-Jahr. Mit dem Start von Jan Ull­ rich gelingt den Sauser-Brüdern der Super-Coup in Triberg. Die Zuschauer und Medien strömen an die Wasserfallstadt und Triberg wird an die­ sem Juni-Wochenende überfallen. Alles dreht sich um Ullrich, alleine sieben TV-Stationen tum­ meln sich rund um den Wasserfall. Sportlich 284 macht ein anderer Schlagzeilen: Fabian Weg­ mann vom Team Gerolsteiner demonstriert seine Klasse und gewinnt mit einer Galavorstellung im Alleingang das Rennen. Spätestens seit diesem Jahr ist diese Veranstaltung und Triberg auch in­ ternational in aller Munde. 2006: Ein neuer Teilnehmerrekord sowohl im Profirennen als auch beim Radmarathon sind für die Veranstaltung eine hohe Auszeichnung. Auch ohne Jan Ullrich drehen sich die Räder in Triberg erfolgreich weiter. Das Niveau im Profirennen steigt jedes Jahr ein bisschen mehr. Triberg hat sich im internationalen Radsport einen Namen erarbeitet, was die Breite bei den Weltklasse­ athleten aufzeigt. K ai S auser

Bühne 94 – engagiertes Theater Zehn Jahre „Lampenfieber“ und Erfolge auf der Donaueschinger Bühne i 6 . Ka p i t e l T h e a t e r Im Sommer 1994 schlug in Donaueschingen die Geburtsstunde für eine muntere Theatertruppe. Sie ist inzwischen zehn Jahre alt und hat sich un­ ter dem Namen Bühne 94 einen guten Ruf als Amateurtheater erarbeitet. Aus einem kleinen Häufchen von sechs bis acht Hobby-Schauspie­ lern ist heute eine Gruppe mit knapp 20 aktiven Theaterleuten geworden, deren Arbeit zuneh­ mend Aufmerksamkeit findet. Jedes Jahr bringt die Bühne 94 ein neues Stück zur Aufführung. Je­ des Jahr im Herbst gibt es ein halbes Dutzend Vorstellungen vor zahlreichem Publikum und je­ des Jahr heimst die Bühne 94 Erfolge ein, zuletzt im Jahr 2004 mit Agatha Christies „Zeugin der Anklage“ . Inszenierung und Regie liegen in der Regel in der Hand von Georg Egender. Aber auch Sylvia Klauser beherrscht das Regiefach und zeichnet für bisher zwei Stücke verantwortlich. Vater der Bühne 94 war Karl-Heinz Naumann, der damalige Leiter der Jugendmusikschule Donaueschingen. Er hatte ein Jugendtheater aufgebaut. „Ich arbeitete gerne mit Kindern und Jugendlichen und habe noch immer eine Schwäche für das Theater“ , blickt Karl-Heinz Naumann zurück. Mit seinen Jugendlichen brach­ te er Musicals oder Märchen wie der „Der ge­ stiefelte Kater“ und ähnlich fantasievolle The­ aterkost auf die Bühne. „Ich hatte damals eine gute Gruppe mit jungen Theaterleuten zusammen“ , erinnert sich der Schulleiter im Ruhestand. Diese Gruppe löste sich allerdings nach einiger Zeit auf, weil Berufsausbildung oder Studium anstanden. So machte Naumann sich dann auf die Suche nach Erwachsenen, die Lust am Theaterspielen hatten und er fand zum Beispiel Ingrid Smolik, Monika Mönch, Sylvia Klauser, Georg Egender, Gisela Wyen-Schemmel, Brigitte Schirrmeister, Ludwig Thallemer, Detlef Feichtinger und Sabine Haf­ tung. Sie bildeten die einstige Kerntruppe, die auch heute noch der Aktivposten des Donau­ eschinger Amateurtheaters ist. Später kamen Annette Kümmel, Hans Bär, Bernhard Limberger, Thorsten Preyer, Martin Zwosta, Johannes Kutt- ruff und andere hinzu, die heute bei der Bühne 94 wichtige Rollen übernehmen. „Das Theater war schon immer meine Lei­ denschaft“ , sagt Nau­ mann. Aber es war nicht so sehr das Schauspie­ lern, das ihn interessier­ te: „Mich reizte vor al­ lem die Regie, die Insze­ nierung, die Gestaltung von Stücken“ . Und so besuchte er an der Uni­ versität Konstanz ein mehrwöchiges Theater­ seminar. Er lernte den Umgang mit der Spra­ che, die Bewegungsabläufe, das Theaterspielen in der Praxis, kurz: Er lernte, wie man ein Stück zur Aufführung bringt und wie man Schauspieler auf ihre Rollen vorbereitet. Es dauerte allerdings bis zum März 1996, bis sich die Bühne 94 an die Öffentlichkeit wagte: Nach eineinhalbjähriger harter Probenarbeit, dievorallem die Grundlagen desSchauspielerns vermittelte, kam also „Bunbury“ von OscarWilde auf die Donaueschinger Bühne. Das erste Stück, das sich die Gruppe erarbeitet hatte, handelt von den zwei Junggesellen Jack und Algernon, die dem tristen Alltag entfliehen wollen. Sie führen ein Doppelleben, geben vor, zu verreisen. In Wirklichkeit treffen sie sich mit ihren Geliebten. Ein Verwirrspiel, an dessen Ende sich zwei Paa­ re finden. Oscar Wilde hat mit „Bunbury, oder es ist wichtig, ernst zu sein“ im Jahr 1895 ein humor­ volles Werk geschrieben, eine „triviale Komö­ die“ , die nicht mit bissigen Seitenhieben auf die feine Gesellschaft spart. 285

Theater Mit dem Stück wurde 1996 Karl-Heinz Nau­ manns kleines Theater sozusagen aus der Taufe gehoben. Die erste Aufführung war geglückt. Es folgte im Frühjahr 1997 Heinar Kipphardts „Shakespeare dringend gesucht“ , eine Satire auf den Theaterbetrieb der ehemaligen DDR und schließlich 1998 „Ein Inspektor kommt“ , von )ohn B. Priestley 1946 geschrieben. Es wurde ein eindrucksvolles Stück unter Naumanns Regie, ein Kriminalstück mit Tiefgang. Vordergründig geht es um einen Selbstmord, den Inspektor Goole (Georg Egender) aufklären soll. Aber hinter der Maske untadeliger Moral lauern Abgründe. Die enge Atmosphäre des Ge­ wölbekellers der Musikschule bietet den richti­ gen Rahmen für diese finstere Komödie. Inspek­ tor Goole nimmt allen Beteiligten die vermeint­ lich saubere Maske ab. Hautnah beobachtet durch das Publikum, zwingt er sie dazu, ihr wah­ res Gesicht zu zeigen, ein profitgieriges, harther­ ziges und ausbeuterisches Gesicht. „Karl-Heinz Naumann wurde zum ‘spiritus rector’ unserer Theatergruppe“ , sagt Georg Egen­ der, der die Bühne heute leitet. Der Deutschleh­ rer, talentierte Schauspieler und begeisterte 286 Szene aus „B u n b u ry “ von Oscar Wilde, das erste Stück, aufgeführt 1996. Theaterfreak führte 1998 in Neil Si­ mons Stück „Ein ungleiches Paar“ erstmals selbst Regie. Obendrein übernahm er noch die wichtige Rol­ le eines spanischen Kavaliers. Die Aufführung wurde zum bisher größ­ ten Erfolg der Theatergruppe, der Spiegelsaal des „Schützen“ war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die chaotische Olive (Ingrid Smolik) und die pedantische Florence (Brigitte Schirrmeister) sorgen für aberwitzige Verwicklungen, die mit komischen Dialogen und falsch verstandenen Worten zu einem herrlichen Stück Theater wer­ den. In einer Geschichte, mit viel Sprach- und Situationskomik gewürzt, lauern die Überra­ schungen am Ende: Theater, so richtig nach dem Geschmack der Zuschauer. „Das Gedächtnis des Wassers“ In zwei Stücken zeichnete Sylvia Klauser für die Regie verantwortlich: Ihre erste Inszenierung „Schlafzimmergäste“ von Alan Ayckbourn im jahr 2000 wurde zu einem witzigen mit viel Bei­ fall bedachten Erfolg. „Das Gedächtnis des Was­ sers“ 2003 befasst sich mit dem aktuellen und ernsten Thema der Alzheimer-Krankheit. So führt der Tod ihrer Mutter am Tag vor der Beerdigung drei sehr unterschiedliche Schwestern wieder zusammen. Da kommen längst verschüttete Er­ innerungen aus der Kind heit wieder an die Ober­ fläche und führen zu teils komischen, teils leiden­ schaftlichen Auseinandersetzungen: Es ist, wie mit dem Wasser, das die Heilkraft eines Stoffes enthält. Auch wenn die Dosierungen immer feiner und dünner werden, „Das Gedächt­ nis des Wassers“ bleibt bestehen. „Es reizt mich, Regie zu führen“ , sagt Georg Egender, „aber es ist „E in In sp ekto r k o m m t.“ Z w eiter von links: Georg Egender, dann Ludwig Thallemer und In g rid Smolik.

„Das Gedächtnis des Wassers“ befasste sich m it der Alzheimer-Krankheit. sehr schwierig, dann auch noch eine große Rolle zu übernehmen, wenn man sich nicht selbst auf der Bühne sehen kann“ . Komische Stücke in­ dessen haben es ihm angetan, „heute brauchen wir mehr denn je etwas zu lachen“ , ist der Theater­ mann überzeugt. Es bestehe eine gewisse Scheu vor allzu experimen­ tellen Werken, räumt Egender ein, „in einer kleinen Stadt wie Donau- eschingen ist es ein Problem, böse und zynische Stoffe aufzuführen“ . Ohne Anspruch w ill es die Büh­ ne 94 aber nicht machen. Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ zum Beispiel, war „unsere bisher größte Herausfor­ derung“ , glaubt Egender. Dabei geht es um die morbide Zeit der Wende vom 19. ins 20. Jahr­ hundert, um Melancholie und Resignation, um den Untergang des russischen Bürgertums zwei Jahrzehnte vor der russischen Revolution. „Die­ ses Stück war am Besten ausgeführt“ , meint Egender, wenngleich es nicht leicht fiel, die dif­ ferenzierte Stimmung dieses Zeitgemäldes mit sparsamen Requisiten „rüberzubringen“ . Aber 1999 im Spiegelsaal gab es großen Applaus. Heute kann die Bühne 94 bereits eine be­ achtliche Liste von Aufführungen vorweisen. „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt, oder „Zum Henker mit den Henks“ von Norman Rob- bins oder Agatha Christies „Zeugin der Ankla­ ge“ . Von den ambitionierten Theaterleuten, die da regelmäßig in der Donaueschinger Karl- Wacker-Schule zum Proben und Theaterspielen zusammen kommen, wurden zum Teil schwieri­ ge Stücke gemeistert. Zahlreiche Zuschauer, ein paarHundertwenn nichtgarTausende wurden in den zehn Jahren erreicht. „Es ist uns gelungen, immer wieder etwas anderes auf die Beine zu stellen“ , zieht Egender Bilanz überein Jahrzehnt Theaterarbeit mit der Bühne 94. Meist bekam die Truppe am Ende viel Beifall, meist, wenn auch nicht immer, gab es glänzen­ de Kritiken. Aber immer wieder gab es den nöti­ gen Schub an Motivation für die Schauspieler. Bühne 94 – engagiertes Theater Schon das Aussuchen derTexte ist mit ungeheu­ er viel Arbeit verbunden. Da heißt es, viel lesen, das Stück diskutieren, eine Entscheidung tref­ fen. Ist sie dann getroffen, geht es erst richtig los mit der Arbeit. Nach wochenlangen Proben und harter Theaterarbeit auf der Bühne, an den Kos­ tümen oder an den Kulissen, meist mit reichlich Lampenfieber und Nervosität, steuert die Truppe auf die neue Premiere zu. Das Ziel ist klar: „Wir wollen das Beste aus dem Stück herausholen.“ Eines der Lieblingsthemen der Bühne 94 ist das intelligent gemachte Kriminalstück, das sich um fiese und hinterhältige Morde dreht, um menschliche Abgründe. Hinter der Maske des wohlanständigen Lebens verborgen, liegen be­ freiender Witz und Humor, die das Leben gerade noch erträglich machen. Ob nachdenkliches, iro­ nisches, hintergründiges oder ganz einfach be­ freiendes Lachen: Intelligente Komödien, das ist das heimliche Steckenpferd der Bühne 94. Dazu kommen Ehrgeiz der Akteure, Engage­ ment in den Rollen und Ideenreichtum in der Regie, großes Improvisationsvermögen, aber auch eine Menge Können, das die Bühne 94 aus­ zeichnet. Und obendrein: „Wir sind froh, dass wir ein unabhängiges und absolut selbständi­ ges Theater sind“ , sagt Georg Egender. Und wei­ ter: „Wir spielen die Kosten selbst herein und bleiben so unser eigener Herr, Sponsoring ist nicht unser Thema“ . M a n fre d B e a th a lte r 287

Theater Burgspektakel in der Ruine Waldau Seit 1997 ist die Burgruine bei Königsfeld der Schauplatz eines sommerlichen Festivals Viel länger als hundert Jahre hat der Dornrös­ chenschlaf der mittelalterlichen Ruine Waldau gedauert, bis sie buchstäblich von der Muse wach geküsst wurde und als Schauplatz des Kö­ nigsfelder Burgspektakels zu neuen Ehren ge­ langte. Das war 1997, seither findet das som­ merliche Festival mit einer ausgewogenen Mi- schungan eingekaufter und selbst gemachter Kul­ tur jedes Jahr auf der idyllischen Freilichtbühne statt. Dies mit bemerkenswerter Eigendynamik: Aus der Theatergruppe um Markus Stöcklin als Motor und Spiritus rector hat sich ein Verein ent­ wickelt, der den jährlichen Turnus des Burgspek­ takels sicherstellt. Der war gefährdet, als sich die Gemeinde aus der Bezuschussungzurückzog und das Festival abspecken wollte. Der kühne Gedanke lag schon lange in der Luft, doch Veronika von Flochberg sprach ihn schließlich gelassen aus: die alte, verfallene Burg gleichsam authentisch zu beleben, mit Gesang, Musik und kurzweiligem Klamauk – so wie sich einst ihre Bewohner verlustiert haben mögen. Beim Debüt des Burgspektakels sorgten Spiel­ leute und Gaukler aus Freiburg für mittelalterli­ ches Flair, vor vier Jahren begab sich die Burg­ theater AG selbst mit ihrer turbulenten Eigen­ produktion „Minne – Memmen – Mittelalter“ auf In den M auerresten der Ruine Waldau fin d e t jeden Som m er das Königsfelder Burgspektakel statt. 288 die Fährte der Vergangenheit. Dies allerdings oh­ ne Anspruch auf historische Echtheit, wie die Programme überhaupt einen weiten stilistischen Radius haben, dessen Grenzen die Burg selbst steckt. Mitarbeiter des Königsfelder Bauhofs kon­ struierten zwar eine maßgeschneiderte Bühne, deren spieltechnische Möglichkeiten sind aller­ dings begrenzt. Platz für aufwändige Bühnen­ bilder gibt es nicht, „die Burg ist Kulisse genug“ , sagt Markus Stöcklin, der die Eigenproduktio­ nen denn auch auf die Gegebenheiten abstimmt. Der Turm, die verfallenen Mauern und Schieß­ scharten, der wunderschöne alte Baumbestand in und um den Burghof herum – all das wird als romantische Naturkulisse in die Produktionen integriert. Mittendrin sitzt das Publikum, der von schützenden Mauern umgebene Burghof ist mit seiner hervorragenden Akustik wie geschaffen alsZuschauerraum unterfreiem Himmel, der auf harten Bierbänken Platz für rund 200 Menschen bietet. Seit dem zurückliegenden Sommer muss sich dort übrigens niemand mehr den Allerwer­ testen verkühlen; auf Vermittlung von Peter Schulte spendierte eine Firma Thermokissen. Unkomplizierte Zusammenarbeit Von Königsfeldern für Königsfelder – nach die­ sem Motto funktioniert auch die Logistik. Die ersten acht Jahre haben sich Buchenberger Ver­ eine um die Bewirtung der Gäste verdient ge­ macht, zogen sich aber im Sommer 2006 aus or­ ganisatorischen Gründen zurück. In Gestalt der Burgnachbarn Elke und Fritz Beck bekam die Gas­ tronomie auf der Burgruine ein neues Gesicht. Und die Ausweitung des kulinarischen Angebots mit Abstimmung auf die kulturelle Speisekarte kam beim Publikum bestens an. Für schmack­ hafte Appetitanreger vor den Vorstellungen und kommunikative Schmankerl danach, hat die Weih-

„D o n Q u ix o te “ s ta n d 2 0 0 6 a u f d e m S p ie lp la n des K ö n ig s fe ld e r B u rg sp ekta ke ls. Die E ig e n p ro d u k tio n b o t auch fe u rig e F olkloretänze. In d e r H a u p tro lle g lä n z te Götz Knieß.

Theater nachtsmarkt AG eine Hütte zur Verfügung ge­ stellt – die unkomplizierte und bedarfsgerechte Zusammenarbeit untereinander hat sich gerade im Königsfelder Geburtsjahr immer wieder be­ stätigt und gefestigt. Durch den ehrenamtlichen Einsatz auf allen Ebenen und das neue duale System mit Förderverein für die inhaltliche Ge­ staltung und Touristinfo als offizielle Veranstal- tungs- und Marketingadresse kann inzwischen auch kostendeckend kalkuliert werden. Generationenübergreifendes Kulturmenü Anfangs war das bunte Spektakulum im his­ torischen Ambiente noch ein Geheimtipp, inzwi­ schen hat es sich auch in einem größeren Radius herumgesprochen, die Vorstellungen sind meis­ tens ausverkauft. Serviert wird ein generationen­ übergreifendes Kulturmenü, das auf drei Wochen verteilt wird und von Oma bis Enkel alle Alters­ gruppen berücksichtigt, fast alle Geschmäcker befriedigt und zwar auf künstlerisch überra­ schend hohem Niveau. Das liegt wesentlich an der Qualität des eige­ nen Potenzials. Hans Haller ist ein Vollblutmusi­ ker, der Profis und versierte Amateure zu unter­ schiedlichen Ensembles formt und mit diversen Percussion- und jazzcombos eine musikalische Säule für das Burgspektakel geworden ist. Eben­ so Götz Knieß, der zwischen den kreativen Fron­ ten turnt, Musikerzieher an den Königsfelder Zinzendorfschulen, die wiederum als regelrech­ te Kaderschmiede für künstlerischen Nachwuchs gelten. Die Schulen steuern zuverlässig begeis­ ternde Rock-, )azz- und Vokalensembles zum Spektakel bei, haben auch opulente Theaterin­ szenierungen in den Burghof verlegt. Im Som­ mer 2005 war der sogar einzige Spielstätte für die große musikalisch-szenische Gemeinschafts­ inszenierung, das Musical „Anatevka“ . Qualitätsgarant für die Eigenproduktionen der Burg-Theater AG ist Markus Stöcklin, im Hauptberuf Lehrer, zudem ausgebildeter Schau­ spieler und Theaterpädagoge mit langjähriger Erfahrung. Er versteht es, die heterogene The­ atergruppe zusammenzuhalten, immer wieder neu zu motivieren und zu Leistungen anzuspor­ nen, die die Mitglieder selbst überraschen. 290 Gleich bei der ersten Inszenierung – angelehnt an das Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff – wurden Amateure gänzlich ohne The­ atererfahrungen integriert und dabei ungeahnte Talente mobilisiert. Die Schwarzwälder Geschichte mit Köhlern und Glasbläsern berührt nebenbei ein noch fühl­ bares Stück eigener Vergangenheit, die Buchen­ berger Trachtentanzgruppe passte darum eben­ so in die Inszenierung wie der damalige Pfarrer Albert Schönleber als Wanderprediger. Seither sind Uschi Biebinger, Volker Federte, Peter Kram­ ny, Veronika von Hochberg und weitere Männer und Frauen der ersten Stunde in unterschied­ lichsten Rollen zu erleben, stets mit von der Par­ tie auch Traudel Stöcklin, die früher mit Ehe­ mann Markus und einer rollenden Theaterbühne über’s Land zog und im vergangenen jahr den Vorsitz des 2004 gegründeten Fördervereins an Uschi Biebinger abgab. Fast 40 Akteure bei „Amors Pfeilen“ Bei „Amors Pfeilen“ wirkten fast 40 Akteure mit, Hausfrauen und Berufstätige, Rentner und Kin­ der, die meisten mit gut gefüllten Terminkalen­ dern, so dass die zeitliche Abstimmung bei den Proben ein Hauptproblem war. Alle aber haben sich enorm entwickelt bei der szenischen Arbeit, sichtbar gerade bei den Kindern. Hanna Scholz entfaltet akrobatische Raffinesse mit ihrem Dia­ bolo, Simone Schulte, Theresa Link und andere Jungakteure bewegen sich inzwischen auf der Bühne wie alte Hasen, versichert Regisseur Stöcklin. Zwei Elemente zurückliegender Insze­ nierungen haben sich verselbständigt, Gunter Schwarz als abstrus-schriller Moderator und das von ihm so getaufte „Fleisch gewordene Mütter­ genesungswerk“ , eine sangesfreudige Truppe munterer Königsfelder Frauen, die durch die Auf­ tritte enorm an Selbstbewusstsein, technischer Sicherheit und Ausstrahlung gewonnen haben. Mit Rücksicht auf die 200-jahr-Feier Königs­ felds erstreckte sich das zurückliegende Som­ mer-Festival nur über zwei Wochen; beim zehn­ ten Geburtstag im kommenden jahr soll dann wieder geklotzt werden. Mit „Don Quixote“ als Eigenproduktion entführte die Burgtheater AG

Regisseur Markus Stöcklin (unten links als Barbier Enzo) hatte es geschafft, die Rollen unter den 22 Darstellern p erfekt aufzuteilen. Sei es der verprügelte Knecht (Paul Dannert), der besonnene Pastor (Volker Federte) – alle zeigten ein ungeheures Maß an S piel­ freude. In der Don-Quixote-Inszenierung gab es auch ein Stück im Stück: Eine Puppenspielerin (M itte links) füh rte eine kom prim ierte Fassung dertragischen Ge­ schichte vor. Götz Knieß schien die Rolle als Don Quixo­ te a u f den Leib geschrieben zu sein. Peter Horn (Bild unten rechts, links) brillierte als sein getreuer, ein wenig depperter und nicht w irklich m utig e r Knappe. Alle spielten m it einer solchen Glaubwürdigkeit, dass der Schwarzwald w irklich zu Kastilien-La Mancha m utierte.

Burgspektakel in der Ruine Waldau ihr Publikum nach Spanien; dazu passte die Sal­ sa-Party, die wieder mit der Königsfelder Band „Compadres“ unter Hans Haller als bewährtem Leiter gefeiert wurde. Die Zinzendorf-Theater AG war mit dem Gaukler-Märchen von Michael Ende von der Partie; in Kooperation mit dem Villinger Guckloch gab’s wieder eine Filmnacht, zum großen Finale ließ es die legendäre Real Blues Band fetzig krachen. Ein literarischer Spaziergang Weil die Königsfelder offenbar nicht genug von selbst gemachter Kultur bekommen können, startet die Burgspektakel AG ihre „Saison“ seit einiger Zeit bereits im Frühjahr mit einem litera­ rischen Spaziergang, der das zuverlässig zahl­ reiche Publikum mit einer Mischung aus Poesie, Tanz und Musik bezaubert. Hier wie auch in allen Inszenierungen auf der Ruine Waldau werden Kinder integriert – Nachwuchssorgen hat das Generationen verbindende Freiluft-Festival nicht. Wenn auf einer der diversen kreativen Bau­ stellen jemand fehlt, wird improvisiert und „Per­ sonal“ ausgetauscht. Pfarrer Hans-Beat Motel – sonst eher in der Kirchenmusik zu Hause – ist mit der Posaune bei fetzigen Jazzsessions zu erle­ ben, Alt-Bürgermeister Horst Ziegler begeistert das Publikum am Akkordeon. „Königsfeld ist ei­ ne richtige Künstlergemeinde“ , sagt Markus Stöcklin, bei dem die kreativen Fäden zusam­ menlaufen. Er lockt auch prominente Kabarettis­ ten auf die Ruine, die das Programm abrunden und von der inspirierenden Atmosphäre schwär­ men. Zugpferde wie Bernd Kohlhepp und Uli Keuler waren schon dort, Heiner Kondschak ist Stammgast. Der einzige Risikofaktor für das Burgspektakel ist die unberechenbare W itte­ rung, doch selbst zum Wettergott haben die Königsfelder Kulturmacher einen guten Draht. In den vergangenen Jahren musste wegen Dauer­ regens nur einmal eine Veranstaltung ins Haus des Gastes verlegt werden. C h ristin a Nack Von oben: Compadres Hans H aller und Götz Knieß, das Freiburger Cargo-Theater spielt. Und: Auch Blues – konzerte g ib t es in der Burgruine. 292

Kraftpaket mit kreativer Ader Karin Pittner findet mit ihrem Brennpunkt-Theater breite Anerkennung Theater Mit 17 hatte sie eine Szene. Spielte die stumme Rolle der Hure in Camus’ Drama „Caligu- la“ . Karin Pittner durfte bei ihrer ersten dramatischen Bühnen- vorstellungzwar nur Körper und Mimik sprechen lassen, das Pu­ blikum war dennoch hingeris­ sen und jubelte der jungen zier­ lichen Frau zu. Der Vorhang fiel, der Beifall ebbte ab. Ihr Ent­ schluss stand fest: „Ich möchte Schauspielerin werden.“ Heu­ te, fast 25 Jahre später nach die­ sem einschneidenden Erlebnis, spielt sie alles, was auf den Brettern, die die Welt bedeuten können, im Dreh­ buch steht: Regisseurin, Schauspielerin, Coach und Kleinkunst-Macherin. Während das Prädikat Allround-Talent häufig inflationär gebraucht wird, trägt das Energiebündel diesen schmeichelhaf­ ten Titel zu Recht. Karin Pittner Kreativität hat die mittlerweile 41-Jährige im Überfluss, die nach diesem entscheidenden „kick“ bald das heimelige Schwäbisch Gmünd hinter sich ließ und in Berlin und Köln ihre Theaterar­ beit fortsetzte. Mit Tourneebühnen zog sie als­ dann durchs deutsche Land, um auf der Bühne das zu tun, was sie am liebsten macht: die emo­ tionale Leiter und den Charakter einer Figur er­ arbeiten. Seit dem Ende der neunziger Jahre ist sie auch den Villinger-Schwenningern ein Be­ griff. Nach Schauspiel-Ausbildung in Köln und diversen Engagements als Aktrice, etablierte sie sich im Oberzentrum und begründete bald ihren Ruf, bevorzugt Tabu-Themen wie Gewalt und Rechtsradikalismus aus ihrem verschämten Schattendasein zu holen und ins Scheinwerfer­ licht zu rücken. weißen Mann“ Furore machte. Ein schöner Erfolg für die engagierte wie agile Theaterfrau aus Schwäbisch Gmünd, weil sie mit dem Rockthe­ ater gegen rechts auch ihre erste Ei­ genproduktion auf die Bühne brach­ te. Ihr Erstlingswerk wurde im Som­ mer 2002 zum ersten Mal aufgeführt zusammen mit den insgesamt 40 Brennpunkt-Theater-Leuten und dem Theaterprofi Bernd Neunzling. Das Theater gegen Rechtsradika­ lismus fand bei seiner Premiere großen Anklang und zieht gerade Schulklassen zu den Aufführungen, nicht nur in der Region. An die40oZuschauerzähltdie Macherin fast immer, erzählt sie nicht ohne Stolz. Jugendprojekte stehen am Anfang Mit Jugendprojekten fing Karin Pittner 1998 an, fast acht Jahre später liegen bereits zehn Pro­ duktionen hinter ihr, allesamt Brennpunkt-The­ men, die nicht nur von den Darstellern einiges abverlangen. So beispielsweise das Stück „Am Ende des Tunnels ist Licht“ . Oder: „Die kleinen Tode im Leben“ , eine Collage mit Gedichten, Bil­ dern und Geschichten über Männer und Frauen, die Opfervon sexuellem Missbrauch wurden. Ein Stück, das vor allem auch deshalb so unter die Haut ging, weil es durch das Mitwirken einer Be­ troffenen nur um so authentischerwirkte: Eine Frau aus der Region, die vom eigenen Vater miss­ braucht worden war, hatte alle ihre in jungen Jah­ ren erlebten Erniedrigungen in Gedichten nieder geschrieben und sich mit den erschütternden Texten in die Öffentlichkeit gewagt. Seit fünf Jahren gibt es nun das Brennpunkt- Theater, das vor allem mit den Stücken „Mensch was bist Du blöd“ oder: „Wer hat Angst vorm Mit dem Projekt „Bravo-Girl“ wollten Karin Pittner und ihre Theatergruppe in die Abgründe der Model- und Glitzerwelt blicken und auf dem 293

Theater Karin Pittner inm itten ihres Ensembles, das Brennpunkt-Theater g ib t es nun seit fü n f Jahren. Große Erfolge feierte man m it „B ravo-G irl“ (unten), das sich m it M obbing und der M odel- und Glitzerwelt befasst. 294

Schauplatz einer großen Schneiderei Mobbing im Alltag drastisch darstellen: Von den Chefs unter Druck gesetzt, verbünden sich die Nähe­ rinnen nicht etwa miteinander und zeigen sich kämpferisch solidarisch, sondern geben sich im­ mer härter werdenden Konkurrenzkämpfen hin. Mobbing eines der nächsten Themen Gewalt in all ihren Fassetten, das ist Karin Pitt- ners Thema. Eine ihrer wichtigsten Botschaften ist es denn auch, über Demütigungen und Er­ niedrigungen, über all die schwer zu ertragenden Schattenseiten des Lebens zu reden, statt solche Nischen-Themen tot zu schweigen. Auf dieser Zielgeraden geht sie auch konsequent weiter. Mobbing in der Schule ist eines ihrer nächsten Brennpunkt-Themen. Nicht von ungefähr hat sich das geborene „Schwobe-Maidli“ der hoch sensiblen Thematik verschrieben: Verbale Gewalt, im Neudeutschen eben Mobbing, hat sie genau in jenen Jahren er­ fahren, als sie für Camus’ Drama probte. Der dunkle Sarkasmus und die ständigen Piesacke- reien ihres damaligen Englischlehrers haben sich auch in ihrer Seele eingebrannt. Seither hat sie sich ständig mit dem Gedanken getragen, et­ was zu tun, um Gewalt „erfahrbar zu machen“ . Gewalt erfahrbar machen, auf Alltagssitua­ tionen übertragen und die Theaterbühne brin­ gen, diesem Anspruch hat sie sich voll und ganz verschrieben. Aus einer überaus ambitionierten Überlegung heraus: „Das Theater ist ein gutes Medium, um Gewalt eindämmen zu helfen. Das zeigen auch die Erfahrungen, die Pädagogen ge­ macht haben.“ Kein Zuckerschlecken, wie sie zu­ gibt, spielt doch auch die Erziehung eine große Rolle für das Aufkeimen von Gewaltbereitschaft. Besonders fatal nicht nur in ihren Augen: Noch immer werden gerade selbst von einigen Müt­ tern kleine Buben nach dem Üralt-Schema erzo­ gen: Ein Bub weint nicht, der muss stark sein. Für ihren nicht immer ganz einfachen Weg im Kulturleben hat sie auch sehr schnell weitere Vernetzungen geknüpft: Brennpunkt-Theater e.V. arbeitet mit diversen kirchlichen Gruppen, so­ zialen Vereinen und Jugendämtern von Stadt, Kreis und Schulen zusammen. „Rollenverhalten Karin Pittner – Brennpunkt-Theater zu trainieren, ist eben nicht nur Theaterarbeit“ , findet Pittner. Erfolgreiche Arbeit als Coach So mit einem Bein fest im Theaterleben derStadt verankert, arbeitet Karin Pittner mittlerweile auch erfolgreich als Coach, will sagen als Leite­ rin von Kursen zum Persönlichkeitstraining und Schulung der Präsenz. Auch Studenten der Poli­ zeifachhochschule in Schwenningen hat sie schon einige Lektionen gegeben, bei denen die angehenden Polizisten vor allem eines mitbe­ kommen sollten: Wie kann ich vor allem meine Emotionen in Stresssituationen zurückhalten und meine Körpersprache auch besser beherr­ schen? Fürdie Firma Kendrion Binder-Magnete GmbH schult sie unter anderem Azubis und BA/FH-Stu- denten für Präsentationen. Auch entstehen erste Ansätze in diesem Jahr mit der IHK für eine Art Unternehmenstheater. Neuland zu betreten, das war schon immer ihr begehrtestes Reiseziel. So geht Karin Pittner mit ihren Brennpunkt-Theaterleuten nicht nur ei­ nen eigenwilligen wie erfolgreichen Weg im Be­ reich der Gewaltprävention. Seit einigen Jahren steht auch das Siebenschläfer-Festival im Juni dick im Kultur-Terminkalender der Stadt, ange­ füllt mit Produktionen, Kabarett und Coaching- Angeboten. Kleinkunst ist ein weiteres Genre, dem sich das Kraftpaket verschrieben hat: Seit 2001 holt sie Größen aus Kabarett und Comedy insTheateram Ringund neuerdings auch in den Schwenninger Ostbahnhof. Wie sie es geschafft hat, Dieter Nuhr nach VS zu bringen? „Ich habe eben meine guten Beziehungen“ , lächelt sie viel­ sagend. Reichtümersind nicht zu machen Reichtümer sind mit ihrem vielseitigen wie span­ nenden Job-Mixzwar nicht zu machen. Doch die herbsten finanziellen Zeiten hat Karin Pittner wohl hinter sich gebracht. Noch vor einigen Jah­ ren hörte man schon das Totenglöcklein läuten, stand das Schicksal des jungen Brennpunkt- 295

Theater Theaters auf der Kippe: Hohe Mietschulden für die Nutzung des Theaters am Ring besiegelten fast das Aus der kleinen Bühne. Doch das kleine Ensemble arbeitet stetig weiter von Produktion zu Produktion. „Es gibt ja auch noch Zuschuss-Chancen nach sieben Jah­ ren Jugendprojekten“ , gibt sich die Theaterfrau zuversichtlich. „Unsere Teilnehmer sind unter anderem auch in künstlerischen Berufen gelan­ det“ , freut sich Pittner über die Entwicklung mancher ihrer Jung-Akteure. Zudem gibt es einen beträchtlichen Licht­ blick am städtischen Horizont: Im Laufe des Jah­ res 2006 sollen die Fördermittel der Stadt Villin­ gen-Schwenningen an die Kulturvereine neu ver­ teilt werden. Die Gemeindeprüfanstalt hatte die Vergabepraxis in VS moniert: Nun mussten alle Vereine einen neunseitigen Fragebogen beant­ Theater-Verein nicht nur in Villingen-Schwennin­ gen und der gesamten Region einen Namen. Auch landesweit wurde ihr Respekt gezollt. So gab es nicht nur Fördermittel von der Landes­ stiftung Baden-Württemberg und der Robert- Bosch-Stiftung. Auch einige namhafte Firmen würdigen die aufwändige und fast ausschließ­ lich auf ehrenamtlicher Basis ablaufende Pro­ jektarbeit der Brennpunktier. Kulturpreis Schwarzwald-Baar erhalten Mit ihrer Kleinkunstreihe hat die Theaterfrau seit sechs Jahren einen weiteren weißen Fleck hier vor Ort beackert. Kabarett, das zeigen ihr die Pub­ likumszahlen, widerspiegle das Gegenstück zur Spaßgesellschaft und damit auch der „ober­ flächlich seichten Comedykultur“ . Flimmerten über die Bildschirme ei­ ne Zeit lang fast nur noch ärmliche Karikaturen einer blühenden Kaba­ rett-Kultur, sieht Karin Pittner den bil­ ligen Effekt heischenden Klamauk mittlerweile auf einem absteigenden Ast: „Die Leute fangen wieder zum Nachdenken an.“ Sicherlich bedient sie sich auch ein wenig aus der so genannten „Come- dy“ -Truhe, aber getreu ihres hohen Anspruchsauch nurso, „dass es kaum weh tut“ . Und gerade wegen ihrer An­ sprüche und ihrer beispielhaften en­ gagierten Jugendarbeit hat sie nicht nur Stiftungsmitglieder und Firmen für sich gewinnen können, sondern auch auf viel Anerkennung in der Lan­ des- wie Regionalliga erzielt. So er­ eilte das Brennpunkt-Team bereits im Jahr 2002 die freudige Nachricht aus dem Kreisjugendamt, dass der Brenn­ punkt-Theaterverein nun auch als Trä­ ger der freien Jugendhilfe anerkannt sei. „Dafür gib t’s zwar nicht mehr Geld“ , scherzte Karin Pittner, „aber gut fürs Pres­ tige ist so etwas allemal“ . Ebenso Balsam fürs Renommee war auch anderes: Unlängst erhielt das Theater für das Stück „Sekretärinnen“ den Kulturpreis Schwarzwald-Baar. Was Dr. Walter Das Rocktheater „W e r h a t A ngst vorm weißem M a n n “ , Theater g e ­ gen rechts, w ar die erste Eigenproduktion von Karin Pittner. worten. Mittels dieser Daten sollen die künftigen Kriterien für die Vereinsförderung ermittelt wer­ den. Dank ihrer ambitionierten Produktionen machte sich Karin Pittner mit ihrem Brennpunkt- 296

Für engagiertes Theater, das vor allem auch Jugendliche anspricht, steht das Brennpunkt-Theater. Hier „ Ir r lic h te r “ , a u fge fü h rt a u f dem S chwenninger Muslen platz. Eichner, ehemaliger renom­ mierter wie populärer Kultur­ amtsleiter der Stadt Villingen- Schwenningen und Ehrenpräsi­ dent der Interessengemein­ schaft der Städte mit Theater­ gastspielen e.V. damals bei der Laudatio über das Brennpunkt- Theater sagte, das dürfte den Akteuren noch heute wie Cho­ pin in den Ohren klingen: „Der zweite Erste Preis in Höhe von 3 750 Euro fiel auf die musikalische-szenische Revue ‘Sekretärin­ nen’ von Franz Wittenbrink, dargeboten vom En­ semble des in Villingen-Schwenningen angesie­ delten Brennpunkt-Theaters unter der Leitung von Karin Pittner. Das Verdienstvolle und Reizvolle an diesem Feuerwerk von Musik, Gesang, Pantomime, Hu­ mor und Esprit in der Inszenierung des Brenn­ punkt-Theaters ist die Tatsache, dass sie auf der Kooperation von Laienspielern mit professionel­ len Schauspielern und Musikern basiert. Im heterogen zusammengesetzten Ensemble sind nahezu alle Generationen, unterschiedliche Be­ rufsgruppen und gesellschaftliche Schichten vertreten. Diese integrative Arbeit ist denn auch das herausragende Merkmal des Brennpunkt- Theaters, das unter Leitung der Schauspielerin Karin Pittner mit bemerkenswerter Dynamik Schulen, öffentliche Einrichtungen und Selbst­ hilfegruppen vernetzt. In ihrer pädagogischen Arbeit bündelt Karin Pittner Persönlichkeitstrai­ ning mit sozialer Kompetenz, Vortragstechnik, Improvisation, Reflexion und Körperarbeit. Die Teilnahmekriterien des Kulturpreises wurden insofern erfüllt, als Theater begeisterte Men­ schen aus allen Schichten an die Welt der Bühne herangeführt werden und wagemutig den Weg auf die Bretter, die die Welt bedeuten, beschrei­ ten.“ Soweit Dr. Eichner, auf dessen Lob sich ein Ensemble wirklich etwas einbilden kann. Karin Pittner — Brennpunkt-Theater Musiktheater oder Shakespeare? Doch Arroganz und ein Hang zur peinlichen Selbstdarstellung sind der 41-Jähngen eher fremd. Lieber macht sie sich weiter an die Arbeit und plant das nächste Projekt. Träumt dann noch so nebenbei von einer ihrer Glanzrollen, die der Lola Blau: „Bei der Musik-Revue konnte ich mich in alle Richtungen entfalten.“ Oder an ihre Dop­ pelrolle als Gretchen und Mephisto im Faust, in ihren Villinger Anfangszeiten. Und überlegt sich so en passant noch, in welche Rolle sie künftig am liebsten schlüpfen würde. Shakespeare’s Dramen wäre sie natürlich nicht abgeneigt, „aber für die Hosenrollen bin ich nun einfach zu alt“ . Vorerst fühlt sie sich beruflich bestens in VS aufgehoben. Zieht’s sie nicht doch ein wenig in die großen Metropolen München oder Berlin? Die Antwort kommt prompt und klingt – wie im­ mer – glaubwürdig. „Diese Hysterie kenne ich nicht.“ Dort, wo sie ihre eigenen Ideen entfalten und umsetzen und zudem noch ein paar Spon­ soren von ihrer Arbeit überzeugen kann, dort fühlt sie sich zu Hause. Auch ihr privates Glück hat Karin Pittner in Villingen-Schwenningen ge­ funden: Mittlerweile ist dieses auch perfekt. Seit September 2005 ist sie in eine zusätzliche Rolle geschlüpft, die sie nie mehr loslassen wird: Lau­ ra Maria heißt die junge Dame, die zumindest jetzt im Hause Pittner/Greiner die Regie führt. E va-M aria H u b e r 297

17. K a p i t e l L i t e r a t u r Rosen und Rostlauben Aus der M itte gerückt – Geschichten unserer Zeit Der Tank meines alten Autos war durchgerostet. Bei jedem Halt und in jeder Kurve schwappte das Benzin oben an die Roststelle, unerträglich der Gestank. Ja, sagte der Meister in meiner Schwen- ninger Werkstatt, so was komme schon vor nach fast zweihunderttausend Kilometern, ein neuer Tank müsse her, das koste 280 Euro plus Mehr­ wertsteuer und plus Einbaukosten. Ich telefonierte zu verschiedenen Schrott­ plätzen – nein, für meinen alten Autotyp hatten sie leider keinen passenden Ersatz. Aber beim x-ten Versuch fand ich einen Er­ satzteilhändler, der mir beschaffte, was ich brauchte -1 5 0 Euro billiger als meine Werkstatt. Wie einbauen? Ich wusste, da hinten im Indus­ trieviertel gab es eine kleine türkische Werkstatt. Ein kleiner und zierlicher Mann, vielleicht Mitte vierzig. Kurzer grauer Stoppelhaarschnitt. Würdevoll betrachtete er die Angelegenheit, sprach knapp und sachlich, leicht gebrochenes deutsch mittürkischem Akzent. Ja, es ließ sich ma­ chen, er nannte einen bescheidenen Preis. Mor­ gen Früh könnte ich den Wagen bringen, morgen 298 Nachmittag würde er fertig sein. Ich tat wie ver­ abredet. Am Nachmittag erhielt ich einen Anruf: es sei ein Problem aufgetreten, auch der Schwim­ mer im Tank sei verrostet, man brauchte Ersatz, sie würden auf einigen Schrottplätzen für mich danach suchen. Und sie schafften es: um sechs Uhr war mein Auto fertig. Ich holte es ab, und natürlich war es nötig, den neu eingebauten Tank zu füllen. Danach zeigte sich, dass die Benzin-Anzeige nicht funk­ tionierte: trotz vollem Tank zeigte sie auf leer, keinerlei Kontrolle. Am Morgen danach rief ich die Werkstatt an. Die sachlich-würdevolle Stimme entschuldigte sich für den Fehler, der wohl wegen des besorg­ ten Ersatz-Schwimmers unterlaufen sei. Am Nach­ mittag sollte ich vorbeischauen, man hoffte, die Angelegenheit schnell in Ordnung bringen zu können. Die Werkstatt war eine offene, ein bisschen primitiv anmutende Halle – und doch waren alle Einrichtungen vorhanden, alle Werkzeuge rasch zur Hand. Die Fehlersuche erwies sich als schwieriger als gedacht. Die Männer erklärten meiner Frau und mir, wo wir mit einem schönen Spaziergang die Wartezeit überbrücken könn­ ten – am Waldfriedhof. In Rei­ hen dort die Gräber zwischen den Bäumen, deutsche Ord­ nung. Hitze brütete über der Stadt. Als wir nach einer Stun­ de wieder in die Werkstatt ka­ men, betrachtete derChef ge­ lassen den Schwimmerin sei­ ner Hand. „Hier die Feder klemmt, wir müssen sie machen bewegli­ cher! Es wird dauern noch ein M itten im Schwenninger Indus­ trieviertel ein Garten.

Rosen und Rostlauben Weilchen, bitte nehmen Sie Platz dort im Schat­ ten. Im Kühlschrank sind kalte Getränke, bitte bedienen Sie sich!“ Wir fühlten uns als Gäste, nicht als Kunden. Ein offener Sitzplatz – nur eine leicht erhöhte Plattform mit drei Bretterwänden und Dach – ein hölzerner Brunnentrog, bepflanzt mit blau, weiß und gelb blühenden Kräutern. Über mannshoch eine Pflanze, kräftige Stiele mit riesigen Blät­ tern, exotisch in Deutschland. In Makramee-Net- zen hängend Amphoren aus rotem Ton. Bizarr verdrehte Wurzelholzstücke wie eigenwillige plastische Gebilde, erinnernd an Fabelwesen und Luftgeister. An den Wänden postkartengroße Spruchbildchen in türkischer Sprache, leider verstanden wir sie nicht. Autositze auf kleinen Podesten, sehr bequem, um einen Tisch aus ei­ ner großen runden Glasplatte auf einem dicken Reifen. Ausblick über rostende Schrottwagen in die sonnen-flirrende Landschaft. Der Chef werkelte an meinem Auto herum. Sein Mechaniker, ein freundlicher, großer und dünner Mann, etwa fünfzig Jahre alt, kam mit dem Hund aus der offenen Halle, goss dem Tier aus einer großen Kanne Wasser über das Fell, der Hund genoss es sichtlich. Eine Gartenlaube ganz anderer Art, m it Autositzen und drei Bretterwänden. Wir zeigten unsere Freude an Blumen und Schmuck, man lud uns ein, auch den kleinen Garten hinter der Werkstatt anzuschauen. Auch dort fremdartige Pflanzen, weitere Holzstücke, riesige Rosen in allen Farben. Auf rohen Holzklötzen kleine Teppiche, einfache Sit­ ze um ein weiteres primitives Tischchen – wie viel Zauber im kleinen Winkel zwischen den In­ dustriebauten! Uns war es, als hätten wir eine Sommerreise gemacht ins heiße Hinterland des türkischen Mittelmeers. Schließlich, nach fast zwei Stunden, wurde unser Auto fertig. Nein, sagte der Chef, das sei ein Fehler der Werkstatt gewesen, das koste nichts; aber wenn wir etwas geben wollten für die Blu­ men. Im Wegfahren freuten wir uns noch mehr über den schönen Nachmittag als über die Er­ sparnis bei der Reparatur. W olfg a n g T rib u ka it A u s : W o lfg a n g T rib u k a it: A u s d e r M itte g e rü c k t. G e sch ich te n u n s e re r Zeit, V illin g e n , 2 0 0 4 . 299

i 8 . Ka p i t e l Ly r i k d e r H e i m a t Die Weiberzahnsage Um Gemäuer wie die Burg von Burgberg ranken sich viele Sagen und Geschichten Um viele Burgen und Klöster unserer Heimat, um ihre Ruinen und Reste ranken sich Sagen. So auch um die Burgtrümmer auf dem Däplisberg bei Burgberg. Vor vielen, vielen )ahren, so erzählt man sich in den Höfen rings um das Gemäuer, als das Geschlecht der Herren von Burgberg noch dorfauf dorfab herrschte, soll einmal ein schwe­ res Unwetter aus Richtung Nägelesee zur Burg hin gezogen sein. Da humpelte vor Anstrengung ächzend und auf ihren Stock gestützt vom Schlosswald her in der Abenddämmerung eine alte, arme Frau auf das große Tor zu. Leise und bescheiden an die schwere, hölzerne Nebenpforte mit dem kleinen Holzlädchen klopfend, begehrte sie beim Pfört­ ner Einlass zum Schutz vor dem nahenden Gewitter. Pechschwarz war schon der Himmel, wild zuckten die Blitze, furchtbare Donnerschlä­ ge ließen sie jedes Mal zusammenfahren und der Himmel war dabei, seine Schleusen zu öff­ nen. Wie ein Sturzbach begann der Regen herabzuströmen. Die Alte bat um Einlass und um ein beschei­ denes Nachtlager, da sie bei diesem furchtbaren Wetter nicht mehr heimgehen könne. Doch ohne Erlaubnis konnte der Wärter sie nicht herein- und übernachten lassen. Gerade wollte er zum Burgherren gehen, um ihn zu fra­ gen, da erschien dieser selbst am Tor. Die Hartherzigkeit, m itdererdieflehentliche Bitte ablehnte, ließ selbst die Steine erschauern und den Donner innehalten. Mit groben, un­ flätigen Worten wies er die arme Frau ab und ver­ höhnte sie noch dazu wegen ihres hässlichen Aussehens und besonders wegen ihres ein­ zigen, weit hervorstehenden Zahnes. Als sie nun draußen im herabstürzenden Regen stand, dem furchtbaren Unwetter schutz­ los ausgesetzt und mit bösen Worten über­ schüttet, stieß sie ihren Stock in den Boden und 300 schrie: „Verflucht sollt Ihr und Euer ganzes Ge­ schlecht sein! Euere Burg soll verfallen bis auf einen kleinen Rest, der so aussehen soll wie mein Zahn, über den Ihr so gespottet habt!“ Und so geschah es. Das Geschlecht derer von Burgberg starb aus, die Burg verfiel und Ge­ strüpp wuchs an der Stelle des einst stolzen ritterlichen Wohnplatzes. Doch bis zum heutigen Tag reckt sich zur Erinnerung an die Worte jenes herzlosen Burgherren der Rest eines Turmes himmelwärts, der aussieht wie ein spitzer Zahn. n a c h e rz ä h lt von Joachim S turm Die Weiberzahnsage, Illustration von H elm ut Groß.

19- K a p i t e l L a n d w i r t s c h a f t Landfrauen – vielfältig engagiert Die Landfrauengruppen genießen überall hohes Ansehen, sind unverzichtbar Aufgeschlossen – K om petent – Flexibel, so h eißt es au f dem Flyer der Landfrauen und d afü r steh en sie seit d er G rü n d u n g des sü db a d isch en L a n d fra u e n v e rb a n d e s 1949 bis h eu te. Im jungen Schwarzwald-Baar-Kreis haben die gemeindlich wie gesellschafts­ politisch engagierten Landfrauengruppen ein hohes Ansehen, die beiden nach den alten Landkreisgrenzen strukturierten Bezirksverbände indes eine sehr unterschiedliche Ge­ schichte und Prägung. Während der Kreisverband Donaueschingen bereits fünfzigjähriges Ju­ biläum gefeiert hat, kann man im Kreisverband Viltingen auf über dreißig Jahre zurück­ blicken. Die Vorstandschaft des Landfrauenbezirksverbandes Donaueschingen, v. rechts: Christa Schrenk, Waltraut Lauster, Christine Harms-Höfler, Heidrun Suchalla, Vorsitzende In g rid Hasenfratz, Elfriede M artin, Andrea Cut, Isabelle Olveira-Müller, Ingeborg Kropp und Traudel Münzer. Die Fotografie zeigt die Landfrauen am von ihnen verw irklichten Geographischen N aturlehrpfad beim Fürstenberg. B egonnen hat alles 1949, als sich nach den wirren Nachkriegsjahren und der Gründung der Bundesrepublik gesellschaftspolitisch vie­ les neu ordnete. Im Südwesten wurde der Land­ frauenverband Südbaden (LFVS) gegründet, sehr weitsichtig als „Interessensvertretung der auf dem Land lebenden Frauen“ und als Zielgrup­ penbeschreibung, die bei immer weniger land­ wirtschaftlichen Betrieben zukunftsfähig bleibt: Bäuerinnen mit ihren berufsständischen Anlie­ 302

gen wie Frauen aus dem ländlichen Raum fühlen sich mit ihren gesellschaftspolitischen Anliegen vom Landfrauenverband gleich gut vertreten. Darüber hinaus bieten die Ortsvereine in ihren kreativen Gruppen Austausch und Kommunika­ tion, Teilnahme an Leben der Dorfgemeinschaft und an deren Entwicklung, Horizonterweiterung über Familie und Hof hinaus und gezielte und zeitgemäße Weiterbildung. Im ansprechenden Flyer des Landesverban­ des werden die gemeinsamen Ziele punktgenau benannt: Die Landfrauen wollen die Situation von Frauen und Familien verbessern, gleichbe­ rechtigte Mitgestaltung und Mitsprache auf allen gesellschaftlichen Ebenen erreichen, Frauen zur Übernahme von öffentlichen Ämtern und bür- gerschaftlichem Engagement motivieren, Hilfe­ stellung geben durch Fördern der beruflichen und persönlichen Weiterbildung, das Dorf als Le­ bensraum mit einer lebendigen Gemeinschaft mitgestalten und die Wertschätzung der heimi­ schen Landwirtschaft verbessern und regionale Wirtschaftskreisläufe fördern. Die Frauen in den Ortsgruppen und Bezirksvorständen erfüllen dieses Programm fantasievoll und engagiert mit buntem Leben. Der Bezirksverband Donaueschingen Elise Oschwald aus Döggingen war am 4. Januar 1949 eine von acht Gründungsmitgliedern des LFVS. Nachdem das Versammlungsverbot in der französischen Zone aufgelöst und die Entnazifi­ zierungen zum Abschluss gekommen waren, gründeten sich Ende 1949/Anfang 1950 im Alt­ kreis Donaueschingen die ersten Landfrauen- Ortsvereine in Oberbaidingen, Döggingen, Behla und Heidenhofen. Landwirtschaftslehrerin Rosel Katzenmeierwardabei eine zentrale Persönlich­ keit. Sie unterrichtete die Baaremer Bauern­ töchter, motivierte zur Vereinsarbeit und half in den Baaremer Bauernstuben etlichen Ortsvereins­ gründungen auf den Weg. Auch eine Frau der ersten Stunde war Agathe Windmüller. Sie gründete mit neun anderen Frau­ en 1950 den Ortsverein Behla. „Die Frauen waren nach den harten Kriegsjahren ausgehungert nach frohen Erlebnissen“ , heißt es in der Festschrift Landfrauen – vielfältig engagiert zum 50-jährigen Bestehen des Bezirksverban­ des. Lehrfahrten und Ausflüge, beispielsweise zur Gartenschau auf den Killesberg, waren da­ mals herausragende Ereignisse im arbeitsrei­ chen Alltag der Bäuerinnen und Familienfrauen. Mit dem beginnenden Höfesterben Ende der i96oer-Jahre begann auch für die Landfrauen ei­ ne Zeit des Umbruchs. Cäcilia Dury, seit 1964 Ortsvorsitzende in Bräunlingen, stellte sich Mitte der i97oer-Jahre als Bezirksverbandsvorsitzende in der Nachfolge von Elise Oschwald den sich wandelnden Aufgaben in der Landfrauenarbeit. 500 Frauen beim Bezirkslandfrauentag Das Potenzial des Landfrauenbezirksverbandes wurde erstmals so richtig deutlich, als sich 1974 ca. 500 Frauen aus 30 Ortsvereinen zum Kreis­ landfrauentag im Sternensaal in Donaueschin­ gen trafen. Seit 1975 in die Bräunlinger Stadt­ halle verlegt, ist der Bezirkslandfrauentag im Ja­ nuar zu einem fixen Termin in der Region gewor­ den. Ein Ort, an dem aktuelle gesellschafts­ politische Fragen erörtert werden und regionale Vertreter aus Kommunalpolitik und Landwirt­ schaft es nicht versäumen, sich ein Stelldichein zu geben. Seit 1988 führt Ingrid Hasenfratz den Be­ zirksverband Donaueschingen. Die auch auf Lan­ desverbandsebene agierende Bäuerin hat mit ihrer engagierten und kreativen Vorstandschaft die Arbeit in der Region Schwarzwald-Baar ge­ prägt: Die Landfrauen haben eine Meinung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen. Selbst­ bewusst und fundiert beziehen sie immer wieder Stellung, wenn es beispielsweise darum geht, über die Risiken gentechnisch veränderter Le­ bensmittelzu informieren, mit Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan über Bildung zu diskutieren, um Altersvorsorge für Frauen zu kämpfen oder mit Klischees über die Frau am Herd aufzuräumen. Am 13. Mai 1999 konnten die Landfrauen vom Bezirksverband Donaueschingen den Geogra­ phischen Naturlehrpfad auf dem Fürstenberg einweihen. Er ist einerseits ein schönes Land­ schaftslehrstück für Spaziergänger und Wande­ rer. Finden sich doch auf der Baar im Umkreis 303

Landwirtschaft von vierzig Kilometern sämtliche Gesteinsfor­ mationen Süddeutschlands wieder. Andererseits dokumentiert der Pfad die Verwurzelung der Landfrauen in der Region. „M it dem Lehrpfad in der Urgesteinsregion, in der unsere Ackerböden entstanden sind, haben wir uns und der Bevöl­ kerungein Geschenk gemacht“ , erzählt Bezirks­ vorsitzende Ingrid Hasenfratz und er solle mah­ nen, „achtsam mit der Natur umzugehen“ . Der Lehrpfad zeigt die Zusammenhänge von Land- und Forstwirtschaft auf und erläutert geschicht­ liche und landschaftsökologische Aspekte. Der Fürstenberg, historischer Mittelpunkt der Regi­ on, erschien den Landfrauen als geeigneter Standort für diese außergewöhnliche Dokumen­ tation. Neues gewagt hat der Donaueschinger Be­ zirksvorstand 1996 mit dem LandFrauen)ournal, das alljährlich zum Bezirkslandfrauentag er­ scheint. Auch diese Idee wurde im Umfeld der Landesgartenschau in Bad Dürrheim geboren. Auf fünfzig Seiten geht es informativ und ab­ wechslungsreich um Politik für Frauen und Fa­ milien, Kultur, Gesundheit, Ernährung, Bildung und um Informationen aus der Bezirkslandfrau­ enarbeit mit rund 2500 Mitgliedern in 35 Orts­ vereinen. Der Landfrauenbezirksverband Villingen Viel jünger, erst in den i97oer-]ahren gegründet, aber immer noch deutlich landwirtschaftlich ge­ prägt, ist der Bezirksverband Villingen. Erstaun­ lich viele der 700 Mitglieder sind hier noch akti­ ve Bäuerinnen und etliche leben mit ihren Fami­ lien auf abseits gelegenen Schwarzwaldhöfen. Ohne die Angebote der Landfrauen gäbe es für sie kaum Kontakte und Erfahrungsaustausch. Als erste Vorstandsvorsitzende übernahm vor dreißig Jahren Margarethe Kornhaas aus Mar­ bach Leitungsverantwortung. Ihr folgten Inge- borg Weisser aus Buchenberg und Christa Stro­ bel aus Brigachtal bis im Jahr 2004 ein Vor­ standsteam gewählt wurde. Mit der Teamlösung wird Verantwortung und Arbeit auf verschiedene Schultern verteilt. Das macht die Entscheidung für so ein Amt leichter. Und um praktikabel in dem großflächigen Bezirk arbeiten zu können, wurde der Bezirk in drei Raumschaften aufgeteilt: FUrden Bereich St. Ge­ orgen ist derzeit Gisela Bader zuständige Vor- standsansprechpartnerin, für Triberg Lauritta Dieterle und für Viltingen Susanne Schwörer. Al­ le drei Frauen sind praktizierende Vollerwerbs­ bäuerinnen, haben noch Kühe im Stall und ste- Seit 25 Jahren sin d die Land­ frauen a u f der Südwestmesse m it regionalen Produkten vertreten. 304

Landfrauen – v ie lfä ltig e n g a g ie rt gen in fünfzig Jahren Beachtliches auf die Beine gestellt haben. Als erstes sind das die Fortbil­ dungsangebote vor Ort. Das fing einst an mit Kochkursen und Haushaltsführung. Aberda sind die Landfrauen nicht stehen geblieben. Häusli­ che Krankenpflege, Gesundheitsvorsorge und Erziehungsfragen stehen schon lange auf der Tagesordnung. Moderne Kulturtechniken ma­ chen sie sich schnell zu eigen. Dazu gehörte mal das heute selbstverständliche Schlepper- wie Autofahren, längst aber auch der sichere Um­ gang mit dem Computer. Über Fortbildungskur­ se wie Agrarmanagement oder Agrar-Büro-Orga- nisation schafft sich die Bäuerin eine immer wichtigere Position im landwirtschaftlichen Fa­ milienbetrieb. Die Computerkurse sind regelmä­ ßig ausgebucht und werden von Frauen besucht, die sich den gekonnten Umgang mit der moder­ nen Bürotechnikfür Landwirtschaft, Familie oder Beruf zugänglich machen wollen. Die Landfrauen haben Bewusstsein dafür ge­ schaffen, wie gesunde Ernährung aussieht und wie wichtig für die Wirtschaft wie für die Ökolo­ gie in der Region der Kauf von Nahrungsmitteln aus heimischer Produktion ist. Seit 25 Jahren ist die Südwestmesse in Villingen-Schwenningen der Ort, an dem das erfolgreich kommuniziert wird. Auf dem Stand der Marketinggesellschaft Baden-Württemberg machen die Landfrauen aus den Bezirksverbänden Donaueschingen, Villin­ gen, Rottweil und Tuttlingen unter hohem ehren­ amtlichen Personaleinsatz und in guter Zusam­ menarbeit das mit leckeren landschaftstypi­ schen Gerichten und dem obligatorischen üppi­ gen Salatteller für alle Sinne erfahrbar. „M it die­ sen Speiseangeboten stellen wir uns ganz be­ wusst in den Dienst der Werbung für Lebensmit­ tel aus der Region“ , sagt Ingrid Hasenfratz. Als Herausforderung ergriffen die beiden Be­ zirksverbände ihren gemeinsamen Auftritt auf der Landesgartenschau 1994 in Bad Dürrheim. „M it Herzblut legten die Frauen dort einen Bau­ erngarten an“ , erinnert sich Ingrid Hasenfratz, wie ersieh heute nur noch vereinzelt in den Baar- und Schwarzwalddörfern findet und an dem sich Anliegen und Liebhabereien der Landfrauen sinnfällig ablesen lassen: Bewahrung von Tradi­ tionen und Dorfbildern, Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten, Pflege landschaftstypischer 3 0 5 Das Vorstandsteam des Bezirksverbandes Villingen, v. links: Gisela Bader, St. Georgen, Lauritta Dieterle, Prisental Schönwald und Susanne Schwörer, V illin­ gen. hen mit ihren persönlichen Biografien für ihren Berufsstand und ihr Verbandsengagement. Gisela Bader machte eine kaufmännische Ausbildung, bevor sie den elterlichen Hof in St. Georgen-Sommerau übernahm. Lauritta Dieterle ist gelernte Hotelfachfrau aus Niedersachsen und heiratete auf einen Schwarzwaldhof im Pri­ sental bei Schönwald. „Nurdaheim sein, daser­ füllt mich nicht“ , sagt Susanne Schwörer. Die junge Bäuerin suchte Kontakte und gründete den Ortsverein Pfaffenweiler/Herzogenweiler. Beim Gesprächsabend im Gasthaus in Peter­ zell erzählen die drei Vorstandsfrauen, denen man nicht ansieht, wie viel Arbeit in Haus und Stall sie eben hinter sich gebracht haben, aus ihrem Alltag und was sie an der Landfrauenar­ beit reizt: Es ist der Ausgleich zur Arbeit auf dem Hof und in der Familie, sie bringt Kontakte, Aus­ tausch und Gemeinschaft. „Das Ehrenamt pro­ voziert Organisationstalent“ , sagt Gisela Bader im Rückblick auf ihr Landfrauen-Engagement, „es vermittelt Selbstbestätigung und erweitert den Horizont“ . Und organisiert wird bei den Landfrauen ständig, die Gruppenabende im Ort, Weiterbildung, Feste, Ausflüge und Reisen und das gekonnte Bewirten bei großen Veranstaltun­ gen. Etliche Fortbildungsangebote vor Ort in den Kein Wunder, dass die Landfrauen Bezirksverbänden Donaueschingen und Villin­

L a ndfrauen – v ie lfä ltig e n g ag ie rt M it großem Erfolg haben die Land­ frauen ih r regiona­ les Kochbuch „W ir essen uns durchs G artenjahr“ aufge­ legt. Wir essen uns durchs Gartenjahr Gemüse- und Obst­ sorten, der Um­ gang mit Küchen­ kräutern und die Liebe zu den Blumen. Im Vor­ feld besuchten die Landfrauen Gartenbaukurse und betreuten den sich im Zuge der Landesgar­ tenschau zu voller Schönheit entwickelnden Gar­ ten ein halbes Jahr lang. Es zeichnet die Landfrauen aus, dass bei so viel gesellschaftspolitischem Engagement auch der soziale Bereich nicht zu kurz kommt. Orts­ gruppen und Bezirksverbände pflegen dazu überschaubare Beziehungen vor Ort. So wird beispielsweise alljährlich an einem Sommer­ sonntag in der Feldner Mühle zugunsten dieser Behinderteneinrichtung gewirtet. Gemeinsam haben die Bezirksverbände Donaueschingen und Villingen eine große Spendenaktion für das Tumorzentrum Freiburg realisiert. Mit ca. 10 ooo Euro wurde die Entwicklung eines neuen Medi­ kaments für die Behandlung von Brustkrebs fi­ nanziert. Inzwischen ist das Medikament in der klinischen Erprobung. Sehr gerne hat schließlich Landrat Karl Heim im Jahr 2004 den Wunsch der Landfrauen nach einem „Runden Tisch für Frauenfragen“ aufge­ griffen. Im Sitzungssaal des Landratsamtes wer­ den mit Multiplikatorinnen aus Frauenverbän­ den und Frauengruppen aus der Region regel­ mäßig Frauenanliegen erörtert und für die Kom- munalpolitikaufbereitet. Ein Anliegen, das Land­ rat Heim sehr wichtig ist und ein Weg, auf dem er sich mehr Frauenbeteiligung in Ortschafts- und Gemeinderäten und im Kreistag erhofft. Schritte auf diesem Weg sind u.a. ein erfolgreich durch­ geführtes Mentorinnenprojekt, in dem erfahrene Kommunalpolitikerinnen interessierte Frauen in diese Arbeit eingeführt und auf dem Weg in die kommunalpolitische Arbeit und parteipolitische Gruppierungen begleitet haben. 306 Großes soziales Engagement Geradezu ein Bestseller ist den Landfrauen vom Kreisverband Donaueschingen mit ihrem Koch­ buch „Wir essen uns durchs Gartenjahr“ gelun­ gen. Die Idee entstand – wie so viele andere – im Umfeld der Landesgartenschau. Ziel war, aus der Fülle der Lebensmittel aus dem eigenen Garten eine vielseitige und vollwertige Ernährungzu ge­ stalten. Darum ist das Buch auch jahreszeitlich aufgebaut. Als man dazu in den Ortsgruppen nach erprobten Rezepten fragte, erinnert sich In­ grid Hasenfratz, war die Auswahl aus der Fülle der Zusendungen das einzige Problem. Das erste Exemplar erhielt Ministerpräsident Erwin Teufel zur Eröffnung der Landesgartenschau in Bad Dürrheim. Aus dem Verkaufserlös, inzwischen ist die fünfte Auflage auf dem Markt, wurden so­ ziale Institutionen in der Region großzügig un­ terstützt. Darüber hinaus wurden 8 000 Euro zur Finanzierung des geographischen Lehrpfades eingesetzt. In g rid Hasenfratz Ingrid Hasenfratz aus Unterbaidingen vertritt die Region Schwarzwald- Baar als Beisitzerin im Vorstand des Landesver­ bandes, der in 300 Verei­ nen ca. 20000 M itglie­ der zählt. Als allseits ge­ schätzte Bezirksvorsit­ zende genießt die erfah­ rene Bäuerin hohes Ver­ trauen. Im Eingebunden­ sein in die große Ver­ bandsgemeinschaft sieht sie die Stärke der Landfrauen, der größten Frauenorganisation in Deutschland. Ihr sinnfälliges Symbol, die Biene, steht nicht allein für Fleiß, sondern gleichwohl für staatsbürgerliches Verantwortungsbewusst­ sein, Gemeinschaftsgeist und soziales Engage­ ment. Verständnis zu wecken für die Zusam­ menarbeit und den Zusammenhalt der Genera­ tionen und für die Vermittlung hauswirtschaftli­ cher Kenntnisse und Fertigkeiten auch in den Schulen, darin sieht Ingrid Hasenfratz eine wich­ tige Zukunftsaufgabe. E lisabeth W in k e lm a n n -K lin g s p o rn

Zeichen von Sühne, Gewalt und Tod 2 0 . Ka p i t e l K l e i n d e n k m a l e Die zu den Kleindenkmalen zählenden Steinkreuze finden sich in ganz Mitteleuropa Oft unscheinbar stehen sie heute an Feldrain, Waldsaum oder Wegesrand. Klein und leicht zu übersehen sind sie, sprachlos, da zumeist ohne Inschrift. Düstere Geheimnisse scheinen von ih­ nen auszugehen und man zieht nicht ohne leich­ ten Schauder an ihnen vorüber. Um manche rankt sich eine Sage, andere haben ihren Platz in den Erzählungen der Alten von Krankheit, Krieg und Uber gewaltsamen Tod. Die Rede ist von den zur Gruppe der Klein­ denkmale zählenden Steinkreuzen, die volks­ tümlich auch oft als Franzosen-, Russen-, Schwe­ den-, Pest- oder SUhnekreuze bekannt sind. Sie finden sich in ganz Mitteleuropa, allein in Baden- Württemberg zählt man über 1100 dieser stei­ nernen Zwerge, die unbeholfen ihre Kreuzarme dicht über den Boden recken. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie an eine Gewalttat oder ein Unheil (Seuche) erinnern. Steinkreuze stehen oft für sich allein Ohne ausgeprägte regionale Unterschiede sind sie über das ganze Land verteilt. Sie finden sich auch in Gegenden, wo Hochkreuze (Flurkreuze, Wegkreuze) selten sind oder fehlen. Sie stehen oft allein, zuweilen aber auch in kleinen Gruppen von zwei oder drei Exemplaren. Eine Ausnahme bildet heute nur die Kreuzgruppe von Wertheim- Reicholzheim (Main-Tauber-Kreis), die 14 Kreuze umfasst. Schon ihre Machart und ihre Inschriftslosig- keit verrät, dass sie zeitlich vor den viel beredteren Flur- oder Feldkreuzen, auch späteren Steindenk­ malen zur Erinnerung an Gewalttaten stehen. Dies alles sind Hinweise darauf, dass Stein­ kreuze aus anderer Wurzel entstanden sind und die ihnen zeitlich folgenden Hochkreuze außer der Grundform wenig mit ihnen gemein haben. Hochkreuze sind Zeugen der Gegenreformation und dem darin angefachten noch lange fortdau­ ernden christlichen Glaubenseifer. Die unbehol­ fenen kleinen Steinkreuze hingegen entspringen dem Rechtsverständnis und der Rechtspraxis in einem vom frühen Christentum beeinflussten wohl hauptsächlich germanischen Siedlungs­ raum. Von anderen Orten weiß man, dass der Errichtung der Steinkreuze Sühneverträge zu Grunde liegen. Diese im Mittelatter und bis in die Neuzeit ausgehandelten Vereinbarungen zur Abgeltung einer Missetat mit Todesfolge legten dem Täter außer einer Buß(wall)fahrt und einer Seelgerätstiftung neben anderem die Errichtung eines (Sühne-)Kreuzes auf. Auch im Fürstlich- Fürstenbergischen Archiv hat sich ein solcher Sühnevertrag aus dem Jahre 1574 erhalten, in dem die Errichtung eines Kreuzes als Teil der Sühne für die Ermordung des Blumberger Forst­ meisters Yesinger festgeschrieben wurde. War es der Mörder selbst, welcher das Kreuz bei Volkertsweiler fertigen musste? Die rohe, un­ behauene Art und die deutlich sichtbaren Dis­ proportionen des Korpus lassen jedenfalls den­ ken, dass kein Steinmetz hier Hand anlegte. Pestkreuze, d.h. Kreuze, die einer vorüberge­ gangenen Pestepidemie gedenken und zugleich als Abwehr kommender Seuchen dienen mögen, sind in der Regel feiner ausgearbeitet und tragen oftmals bereits eine Inschrift. Erinnerung an dramatische Ereignisse Als Erinnerung an ein dramatisches Ereignis le­ ben die Steinkreuze heute in den kleinen Kreu­ zen am Straßenrand weiter, die ebenfalls von stattgehabtem Unheil – zumeist tödliche Unfäl­ le – künden. Hier steht jedoch das Gedenken im Vordergrund, wenngleich auch der Gedanke der Sühne mitschwingen mag. DerSühnezuerstund dann dem Andenken an die Tat dient aber das kleine Kreuz, welches der Geschichts- und Hei­ 307

K le in d e n k m a le matverein Villingen unter jener Eiche bei Pfaf­ fenweiler am Sandwegle errichten ließ, an der man den polnischen Zwangsarbeiter Marian Lewicki im März 1943 ob seiner Liebe zu einer Villingerin hängte. Das Steinkreuz an der Rotkäppelehalde Der Villinger Forstdirektor und Heimatforscher Dr. Ulrich Rodenwaldt hatte in den i95oer-Jahren nach Hinweisen versucht, bei Wegearbeiten an dem von Villingen nach Unterkirnach ziehenden alten Kirnacher Kirchweg steinerne Relikte der einstigen Siedlung zu entdecken. Am Waldsaum und Wegrand hoffte er Reste menschlicherTätig- keit und Wohnens aus dem Mittelalter zu finden. Die erhofften steinernen Zeugen sollten einer­ seits zu einem bereits im 19. Jahrhundert aufge­ lassenen Steinbruch gehören, welcher dem Ge­ wann entlang des Weges den Namen Steinbruch­ äcker gegeben hatte. Andererseits wären sie Hö­ fen der abgegangenen Siedlung Volkertsweiler zugehörig, wo das Kloster Tennenbach bis zum Ankauf durch die Stadt Villingen 1506 Besitz hat­ te. 1906 bis 1908 wurde das ganze Gelände auf­ geforstet, so dass die heutige Häusergruppe Volkertsweiler kein Abbild des ursprünglichen Zustandes mehr bietet. Dr. Rodenwaldt fand die von ihm gesuchten steinernen Reste nicht, jedoch ein kleines Stein­ kreuz unweit der Stelle, wo der „Schwaigerweg“ vom Unterkirnacher Kirchweg hin zur Brücke über die Kirnach abzweigt. Das vom Althochdeut­ schen „sweiga“ abgeleitete Wort „Schwaige“ trägt die Bedeutung „Viehherde“ , „Viehhof“ oder „Sennhof“ . Unweit des Sühnekreuzes stand denn auch der Sennhof des einstigen Weilers. Der Aufstellungsort des Kreuzes an einer viel begangenen Straße nahe eines wohl noch in Betrieb befindlichen Steinbruches kam sicher nicht von ungefähr, sondern war gewählt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dem Vorüberge­ henden sollte eine Tat oder ein Ereignis ins Gedächtnis gerufen werden, das die Bewohner und die Umgebung tief getroffen hatte. Doch um welches Ereignis könnte es sich ge­ handelt haben? Aus Sandstein und roh behauen, scheint das Kreuz älter als das an der L 181 beim 308 Der Sühne zuerst g ilt das Steinkreuz bei der Polen- eiche nah des Sandwegle bei Pfaffenweiler, wo der polnische Zwangsarbeiter M arian Lewicki im März 1943 wegen seiner Liebe zu einer Villingerin gehängt wurde. Unten das Stein kreuz an der Rotkäppelehalde. Geistmoosweg kurz vor Pfaffenweiler. Es ähnelt in seiner Art dem Steinkreuz am Kommen bach in FUtzen oder dem in der Kirche von Hondingen la­ gernden Kreuz. Es ist ohne erkennbare Inschrift, hat augen­ scheinlich auch nie eine solche oder gar ein Zei­ chen besessen. Wäre eine Berufsmarke einge-

meißelt, so wäre dies ein deutlicher Hinweis auf einen Mord. Gerade dieser Kreuztyp trägt oft Symbole, an Hand derer sich der Beruf des ums Leben Gekommenen erkennen lässt. Somit fehlt ein Hinweis auf das Motiv der Errichtung und es ist aufgrund mangelnder Indi­ zien bis heute unmöglich, die Errichtung des Kreuzes mit einer bestimmten Tat oder einem bestimmten Ereignis in Verbindungzu bringen. Das Steinkreuz an der L181 Rechts an der in den Jahren 1972 bis 1974 erbau­ ten neuen Straße, unweit der Abzweigung der al­ ten Landstraße nach Pfaffenweiler an der Ein­ fahrt des Geistmoosweges zwischen den Ge­ wannen Kiebitzenmoos und Danneckers Wäldle, steht ein weiteres kaum einen Meter hohes ein­ zelnes Steinkreuz. Doch ist dies nicht sein ursprünglicher Platz. Noch im Jahre 1800 stand es näher der Stadt Vil- lingen zu, auf der Westseite eines spitzwinklig im Danneckers Wäldchen auf die alte Neustädter Straße treffenden Weges. Im Zuge des Straßenneubaues wurde das Kreuz geborgen und in die Obhut des Franziska­ nermuseums gegeben. Dort, im Garten des Osi- anderhauses, fand es Anfang der i99oer-Jahre derVillingerGeschichts-und Heimatfreund Man­ fred Ganter wieder und regte die Aufstellung einige Jahre später in der Nähe seines alten Stammplatzes an. Auch dieses Kleindenkmalistaus Bundsand­ stein, weist jedoch im Gegensatz zu dem bei Volkertsweiler verborgen am Waldrand stehen­ den Kreuzes auf der Stirnfläche des rechten Armesein Dreieckszeichen auf. Dieses ist allerdings keinem Berufsstand zu­ zuordnen. So behält auch dieses Kreuz wohl für immer sein Geheimnis, schweigt sich aus über das Ereignis, welches zu seiner Errichtung ge­ führt hat. Beide Steinkreuze, dasjenige von der Rot- käppelehalde wie das rechts der Straße nach Pfaffen weiter an der Einfahrt zum Geistmoosweg gehören wohl zur Kategorie der SUhnekreuze, wenngleich ihnen bis heute weder ein Sühne­ vertrag oder ein Sühne heischendes Begebnis Zeichen von S ü h n e , G e w a lt und Tod Steinkreuz an der L 181. Es g e h ört w ohl zu r Katego­ rie der Sühnekreuze. zugeordnet werden können. Sie sind in ersterem Falle Zeugen der allgemeinen Rechtspraxis längst vergangener Zeiten, als „handfeste“ Zeichen auch dem Leseunkundigen vor Augen führten, dass Schuld nicht vergeht, sondern in Stein ge­ meißelt auch den Kindeskindern von geschehe­ nem und gesühntem Unrecht erzählt. Oder aber die Kreuze sind Mahnmale an die Pest, die GeißelGottes, mit welchem dieSünden der Men­ schen bestraft wurden. In diesem Falle sind es Zeichen gesellschaftlicher Sühne. Joachim S tu rm Literaturhinweis G ü n te r M e ie r, S te in k re u z e -Z e ic h e n d e r S ü h n e u nd des G e d e n k e n s , In: L ah re r H in k e n d e r B o te 2 0 0 5 (V e rla g Ernst K a u fm a n n , Lahr) m it d e m Ja h re s th e m a K le in d e n k ­ m ale. B e rnh a rd P rillw itz : Ein g e h e im n is v o lle s S te in k re u z in Fützen, In: A lm a n a c h 92. H e im a tja h rb u c h d es Schwarz- w a ld -B a a r-K re is e s , 1991, S .203 – 2 0 4 R ainer H. S c h m e is s n e r, S te in k re u z e in d e r O b e rp fa lz , R egensburg, 1977 M e in D a n k g il t H errn M a n fre d G a n te r, V illin g e n , d e r m ich w ie d e r e in m a l als K e nner des V illin g e r R aum es zu d en S ta n d o rte n d e r K le in d e n k m a le g e fü h r t hat. 309

Almanach-Magazin ■ Notizen aus dem Landkreis „Spielfelder“ – Kunstpro­ jekt zur Fußball-WM 2006 Die Initiative ging vom Dauchin- ger Kunsterzieher Axel Heil aus. Um die Fußball-WM 2006 lokal künstlerisch aufzugreifen, hatte die Schwennlnger Firma Mieg im Auftrag des Kunstvereins Villin­ gen-Schwenningen über 100 Tipp- Kick-Spielesets an interessierte Künstler In ganz Deutschland verschickt, die als Grundlage oder Anregung für Werkstücke rund um das Thema Fußball herhalten sollten. Ufo-Fußballfeld – Kunst zur WM. In derparallelzurWM laufen­ den Ausstellung vom 8. Juni bis 6. Juli im Foyer der Schwennin- ger BKK unter dem Titel „Spiel­ felder“ waren dann über 70 äu­ ßerst vielgestaltige Exponate zu sehen, die oft sehr witzige Trans­ formationen der Tipp-Kick-Spiel- felder und -figuren darstellten oderauch nurdasThema Fußball spielerisch In äußerst phantasie­ vollen Collagen, Skulpturen, Ge­ bilden und sonstigen Kreationen widerspiegelten. 310 w i W ‚ i Der weithin bekannte R einertonishofim Weißenbachtal is t durch Brandstiftung vernichtet worden. Kulturdenkmal „Reiner- tonishof“ abgebrannt Dank des Landkreises an zwei verdiente Abgeordnete Am Samstag, den 21. Januar 2006, wurde der denkmalgeschützte, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte und bei Einhei­ mischen wie Gästen sehr belieb­ te Reinertonlshof von Brandstif­ tern eingeäschert. Der Hof, der seit 387 Jahren fast unverändert viele Epochen überstanden hat­ te, brannte innerhalb weniger Stunden bis auf die Grundmau­ ern nieder. Der Sachschaden beträgt mehr als eine Million Euro – der Verlust eines einzigartigen Kul­ turdenkmales wiegt jedoch be­ deutend schwerer. Das von ju­ gendlichen Brandstiftern entfach­ te Feuer zerstörte das Lebens­ werk der Inhaberfamilie Lukas Duffner, die den Hof aus klein­ sten Anfängen heraus zu einem Anziehungspunkt aufgebaut hat­ te und die zum größten Teil ihre Existenzgrundlage verloren hat. Am 4. Mai 2006 dankte der Schwarzwald-Baar-Kreis mit ei­ nem Festakt den beiden schei­ denden Landtagsabgeordneten Erwin Teufel und Franz Schuh­ macher. Ex-Ministerpräsident Teufel erhielt für seine 34-jährige Ab­ geordnetentätigkeit für den Schwarzwald-Baar-Kreis und die Region die goldene Verdienst­ medaille des Schwarzwald-Baar- Kreises verliehen. Auch die Ver­ dienste Schuhmachers, derzehn Jahre erfolgreich den SUdtell des Kreises im Parlament vertreten hatte, wurden entsprechend ge­ würdigt. Landrat Karl Heim betonte im Rahmen eines Festaktes, dass sich beide Parlamentarier auf vielfäl­ tige Weise Verdienste um den Landkreis erworben haben. Das Wirken von Erwin Teufel wurde Im Almanach 2006 gewürdigt.

M a g a z in Spektakuläre Baustelle im Linachtal Die wohl gegenwärtig spekta­ kulärste Baustelle im Land­ kreis hatVöhrenbachs Bürger­ meister Robert Strumberger im Linachtal aufgemacht: Die Sanierung der denkmalge­ schützten Linachtalsperre ist voll angelaufen. Schon diesen Winter ist mit einem Anstau des Wassers zu rechnen, da die wasserseitigen Gewölbe mit einer Schutzfolie überzo­ gen sind. Im Einsatz waren da­ bei italienische Spezialisten (Bild unten). Wenn die Witterung mit­ spielt, soll die Sanierung der Linachtalsperre im Herbst 2007 abgeschlossen sein. Sport-Highlights Am 23. August 2006 gewann der Brigachtaler Armin Rothmund den Titel im Kleinkaliber-Drei- stellungswettbewerb 3×20 bei den deutschen Meisterschaften in München. Dort hatten zuvor Claus Hildebrand am 19. August 2006 zwei Silbermedaillen und die Mannschaft der Sportschüt­ zenvereinigung Brigachtal mit Armin Rothmund, Alexander Effinger und Christoph Häßler am 18. August 2006 die deut­ sche Team-Vizemeisterschaft im KK-Dreistellungskampf 3×40 ge­ wonnen. Jürgen Schaaf vom Bogenschüt­ zenclubVillingen-Schwenningen holte am 13. August 2006 je eine Silber- und eine Bronzemedaille bei den deutschen Meisterschaf­ ten in Garz an der Oder. Bianca Knöpfle aus Hubertsho­ fen gewann am 13. Juli 2006 bei derZeitfahr-EM (Ü23) im nieder­ ländischen Valkenburg die Bron­ zemedaille. Matthias Schwierz aus Weilers­ bach siegte am 21. Mai 2006 bei der deutschen Hatbmarathon- Meisterschaft der Speedskater im hessischen Einhausen und holte sich auch den Titel bei den deutschen Meisterschaften am 25. Juni 2006 über 300 Meter in Groß-Gerau. Constantin Schenk aus Fürsten­ berg errang am 1. April 2006 bei den Kata-Einzel-Junioren-Europa- meisterschaften in Konstanz zum zweiten Mal die Goldmedaille, nachdem er schon bereits 2005 Junioren-Europameister war. Raphaela Sieber aus Vöhren- bach siegte bei den deutschen Skimeisterschaften der Junioren im Langlauf am 23. März 2006 in Balderschwang im Allgäu. Am 12. Februar 2006 wurde der 16-jährige Finn Zeller aus St. Ge­ orgen beim Schlittenhunderen­ nen in Frauenwald am Rennsteig Weltmeister im Skijöring. Kristin Jauch aus Unterkirnach wurde Vize-Weltmeisterin in derselben Disziplin. 311

A n h a n g Bevölkerung im Vergleich zum Landesdurchschnitt leicht älter Vergleicht man die Bevölkerung des Schwarz- wald-Baar-Kreises nach vier Altersgruppen mit dem Landesdurchschnitt, so zeigt sich eine leichte Überalterung bei der Gruppe der über 65-Jähngen, aber auch mit 19,18 % ein minima­ ler Vorteil bei den unter 18-Jährigen (18,99%). Sind die Bezugsgrößen bei der Gruppe der 40- bis 65-Jährigen mit ca. 33,5 sprich 33,9 Pro­ zent auf Landesebene fast identisch, so liegt man bei den 18- bis 40-Jährigen mit 26,9 Pro­ zent fast zwei Prozentpunkte unter dem Lan­ desdurchschnitt. Diese Differenz erklärt sich mit Blick auf die Gruppe der über 65-Jährigen: Beträgt der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe an der Gesamtbevölkerung in Baden-Württem­ berg 18,2 %, so beläuft er sich im Schwarzwald- Baar-Kreis auf 20,34 Prozent. Die Zahl der alten Menschen ist also deutlich höher als auf Lan­ desebene. Größte Bevölke­ rungsgruppe ist im Übrigen die Gruppe der 40- bis 65-Jährigen mit 33,54 Prozent. Bevölkerung des Landkrei­ ses nach vier Altersgrup­ pen. Wahlergebnisse der Landtagswahl vom 26. März 2006 Wahlkreis 54 Villingen-Schwenningen Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen Wahlberechtigte Wähler insgesamt Ungültige Stimmen Gültige Stimmen Wahlvorschläge CDU SPD FDP GRÜNE ADM WASG REP NPD ODP PBC 1 1 8 . 3 0 8 5 9 . 7 4 5 8 2 4 5 8 . 9 2 1 2 9 . 1 2 2 1 2 . 6 8 5 6 . 2 2 6 5 . 8 4 3 3 4 9 1 . 3 3 2 7 7 8 1 . 5 3 3 3 0 6 7 4 7 5 0 ,5 % 1,4 % 9 8 ,6 % 4 9 ,4 % 2 1,5 % 10,6% 9 ,9 % 0,6% 2 ,3 % 1,3 % 2,6% 0 ,5 % 1,3 % 1 2 8 . 1 9 3 6 6 . 5 1 8 9 7 1 6 5 . 5 4 7 3 0 . 1 1 9 1 3 . 3 5 1 1 0 . 7 6 0 6 . 1 2 7 5 6 1 1 . 5 4 6 1 . 3 1 8 8 5 5 2 9 5 6 1 5 5 1,9 % 1,5 % 9 8 ,5 % 4 6 ,0 % 2 0 ,4 % 1 6 ,4 % 9 ,3 % 0 ,9 % 2 ,4 % 2,0% 1,3 % 0 ,5 % 0 ,9 % G e w ä h lt w u rd e n : VS – Karl R om bach (CDU) = = TUT/DS – G u id o W o lf (CDU), Fritz B u schle (SPD), Ernst P fis te r (FDP Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen Stichtag Schwarzwald- Baar-Kreis 6 ,3 % 7,0 % 6 ,3 % 3 0 .6 . 2 0 0 4 3 0 .6 . 2 0 0 5 3 0 .6 . 2 0 0 6 312 Baden- Württemberg 5 , 9 % 6,8 % 6 ,3 % Bundesrepublik Deutschland 10,2 % 11,3 % 1 0 , 5 %

Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Gemeinde Stand der Wohnbevölkerung Veränderungen in Zahlen in Prozent Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen GUtenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler Niedereschach St. Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen Unterkirnach Villingen-Schwenningen Vöhrenbach Kreisbevölkerunginsgesamt 31.12.2004 1 2 7 0 7 10 6 2 1 6 1 5 4 5 3 4 8 3 6 1 3 2 1 4 9 6 9 6 7 3 1 3 2 8 7 8 0 3 6 1 2 9 3 1 9 3 5 9 9 8 13 7 1 9 2 5 0 6 4 2 7 6 5 3 0 2 2 8 3 5 2 9 5 9 8 1 9 1 3 4 1 3 9 2 1 1 7 1 2 31.12.2005 12 8 0 6 1 0 5 2 0 6 1 8 4 5 3 6 3 3 6 3 3 2 1 4 3 9 9 6 2 2 1 3 2 2 7 8 2 3 6 1 6 6 3 1 9 3 6 011 13 6 6 2 2 4 8 8 4 2 3 4 5 2 1 2 2 8 6 5 2 9 0 2 8 1 7 7 8 4 0 9 7 2 1 1 3 2 0 Schonach 4 2 3 4 Schönwald 2 4 8 8 Furtwangen 9 6 2 2 Unterkirnach 2 9 0 2 « Mönchweiler « 3 1 9 3 Villingen- Schwenningen 8 1 7 7 8 Gütenbach 1 3 2 2 Vöhrenbach 4 0 9 7 Brigachtal 5 3 6 3 Bräunlingen 6 1 8 4 A n h a n g 9 9 -101 3 0 15 20 – 5 7 -51 -6 20 3 7 0 13 – 5 7 – 1 8 – 4 2 – 9 0 3 0 – 5 7 – 1 3 5 – 4 2 – 3 9 2 0 , 7 7 -0 , 9 6 0 , 4 9 0 , 2 8 0 , 5 5 -0 , 2 7 -0 , 5 3 -0 , 4 5 0 , 2 6 0 , 6 0 0,00 0,22 -0 , 4 2 -0 , 7 2 -0 , 9 9 -1 ,7 3 1 , 0 5 -1 , 9 6 -0 , 1 7 -1 , 0 3 -0 , 1 9 lereschach L 6 011 Dauchingen t l 3 , 6 3 3 Bad Dürrheim 1 2 8 0 6 Tuningen 2 8 6 5 Donaueschingen 2 1 4 3 9 Hüfingen 7 8 2 3 Blumberg 1 0 5 2 0 313

Im Blickpunkt ■ N amen und Nach­ richten Mit 93,54% der abgegebenen Stimmen wurde am 16. Okto­ ber 2005 Robert Strumberger auf eine zweite Amtszeit als Bürgermeister von Vöhrenbach wiedergewählt. Am 19. November 2005 wurde Oberbürgermeister a. D. Dr. Bernhard Everke zum Ehren­ bürger der Großen Kreisstadt Donaueschingen ernannt. Bernhard Dury, Mitglied des Kreistages 1973 bis 1994, wur­ de am 20. Dezember 2005, die Ehrenbürgerwürde der Stadt Bräunlingen verliehen. Am 15. ]anuar 2006 wurde Eva von Lintig der Ehrenteller der Stadt Hüfingen verliehen. Frau von Lintig gehörte dem Kreis­ tag von 1989 bis 1999 an. Am 15. Januar 2006 verstarb Mönchweilers Altbürgermeis­ ter Günter Sick, der bis 1988 Mitglied des Kreistages war. Im Kreistag des Schwarzwald- Baar-Kreises hat es folgende personelle Änderungen gege­ ben: Für Roland Thurner, (Grü­ ne), der zum 31. Dezember 2004 aus dem Gremium ausschied, ist zum 28. Februar 2005 Kor­ dula Kugele nachgerückt. Für den am 15. Dezember 2005 verstorbenen Rolf Bal­ thasar (CDU) wurde als Nach­ folger am 27. März 2006 Joa­ chim Dittrich verpflichtet. Fürden am 21. Januar 2006 zurückgetretenen Harald Mat- tegitt (FDP) wurde am 27. März 2006 Helmut Ochs in das Gre­ mium berufen. Die Verdienstmedaille des Schwarzwald-Baar-Kreises ha­ ben erhalten: Harald Mattegitt am 27. März 2006 und Erwin Teufel am 4. Mai 2006. Am 22. Mai 2006 wurde Paula Fürstin zu Fürstenberg 80 Jah­ re alt. Altlandrat Dr. Rainer Gutknecht konnte am 1. Juni 2006 seinen 75. Geburtstag feiern. Georg Lettner wurde am 15. Oktober mit 96,12 Prozent der Stimmen im Amt des Bürger­ meisters von Brigachtal bestä­ tigt. Bei der Wahl ohne Gegen­ kandidat betrug die Wahlbetei­ ligung 31,8 Prozent. Lettner ist seit 16 Jahren im Amt. Orden und Ehrenzeichen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2005 ausgezeichnet: Heinz Ummenhofer, Villingen-Schwenningen, Otmar Müller, St. Georgen, Karl Schmid, Villingen-Schwenningen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2006 ausgezeichnet: Josef Schwanz, Brigachtal, Günter Bosch, Brigachtal, RudolfWeber, Brigachtal, Heidi Rapp, Königsfeld, Ingrid Scheyer, Blumberg, Siegfried Alt, Blumberg, Gustav Wiggert, Blumberg, Siegfried Lämpe, Villingen-Schwenningen Das Bundesverdienstkreuz haben 2005 erhalten: Manfred Broghammer, Königsfeld, Frieda Kloock, Bräunlingen, Roland Wehrte, Furtwangen Das Bundesverdienstkreuz hat 2006 erhalten: Eberhard Kutzner, Donaueschingen 314

Bildnachweis Almanach 2007 Motiv Titelseite: Stadtbrunnen von Blumberg. Kleine Bilder von links: Linachtalsperre, Hagelkorn, Schwennin- ger Häuserzeile. Die Aufnahmen stammen von Wilfried Dold, Vöhrenbach Motiv Rückseite: AufderDonaueschingerSchützenbrücke. Die Auf­ nahme stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Fotogra­ fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref­ fenden Beitrages oder sind die Bildautoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 4,10/11,13,15, 34/35 u., 38 ob., 3 9,41/42,44 – 47, 55, 68,75,101,106 u., 169, 209, 211 ob., 214, 217, 222/223, 225 M. ob. L, 225 M. u. L, 225 ob. r., 225 M. r., 226/227, 228 u., 230/231, 232 Bilder unten, 235 u. I., 235 u. r., 246 r., 250/251,262/263,288,3 i° ob., 311 – Kreisarchiv SBK, VS-Villingen: 6, 8/9 u. 16 -18, 19 u.r., 21, 33 – Jung, Robert-Gerwig-Schule, Furtwangen: 8 ob. – Felicitas Schück, Unterkir- nach: 19 ob. L, 19 ob. r., 30/31, 32 ob. – Gruppe Drei GmbH, VS-Villingen: 29 – Wolfgang Schyle, Schonach: 32 u. – Hermann Barth, Blumberg- Riedöschingen: 35 ob., 36/37, 40 – Franz Krickl, Donaueschingen: 48, 51, 242 – doldverlag (Archiv), Vöhrenbach: 34 ob., 38 u., 42 ob., 100, 103 -105,106 ob., 107,131 ob. – Archiv Pfarramt Furtwangen: 67 – Touratech AG, Niedereschach: 76 – 81 – U-Turn, VS-Schwenningen: 82 – 87 – Straub-Verpackungen GmbH, Bräunlingen: 88 – 93 – RICOSTA, Donaueschingen: 94 – 99 – Tho­ A n ha n g mas Herzog-Singer, VS-Villingen: 109 – 111 – Archiv Jürgen Kauth, Bad Dürrheim: 120/121,123 – Hans Maier, Riedböhringen: 136 -139 – Hans- Werner Fischer, VS-Villingen: 140 – Pfarramt Hüfingen: 141 -144 – Bregi House Band, Bräun­ lingen: 156 -159 – Felix Wächter, Karlsruhe: 162, 163,173 – Sammlung Grässlin, St. Georgen: 175, 177,179,181 – Erich Marek, VS-Schwenningen: 200 – 203 – Stadtarchiv, VS-Villingen: 215/216 – Roland Sigwart, Hüfingen: 218, 225 u. r. – Mat­ thias Winter, Furtwangen: 225 ob. l„ 232 ob. I. – Jürgen Dreher, Südkurier VS-Villingen: 225 u. t., 244/245 – Michael Kienzier, Triberg-Gremmels- bach: 130 -135, 228 ob., 236 u., 237 – 239, 241, 264 – 266,269 – 275,277,293 – 297 – Wolf-Wilhelm Adam, Schönwald: 232 ob. M., 232 ob. r., 233,236 ob., 239 ob. I. – Stefan Ihringer, Stuttgart: 235 ob. -Jochen Schwillo, Neckarquelle VS-Schwennin­ gen: 246 l „ 246 M., 24 – Heiko Hogg, Feuerwehr und Katastrophenschutz, Villingen-Schwennin­ gen: 248/249 – Tourist-Info, Triberg: 267 – Tou­ rist-Info Schonach – Sammy Minkoff, München: 2 6 8 – Hotdogs, Bräunlingen: 278-281-S te p h a ­ nie Wetzig, Niedereschach: 289, 291, 292 M. – Joachim Sturm, Niedereschach: 298/299 – Dire- vi Fotopress, VS-Villingen: 304 – Stefan Simon, Marbach: 310 315

A n h a n g Die Autoren unserer Beiträge Adam, Wolf-Wilhelm, Triberger Straße 12, 78141 Schönwald Arnold, Nikolaus, Hauptstraße 57, 78098 Triberg Bammert, Gesine, Lalblestraße 13, 78050 Villingen-Schwenningen Bank, Thomas, Luisenstraße 4, 78073 Bad Dürrheim Beathalter, Manfred, Wiesenstraße 29,78166 Donaueschingen-Pfohren Becker-Schwier, Marion, Am Hoptbühl 2,78048 Villingen-Schwenningen Bulander, Michael, Am Hoptbühl 2,78048 Villingen-Schwenningen Dinkelaker, Dr. Frieder, Am Hoptbühl 2,78048 Villingen-Schwenningen Dold, Wilfried, Unteranger 3,78147 Vöhrenbach Eberl, Claudius, Turntalstraße 37, 78136 Schonach Ehler, Dr. Burghardt, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Gebauer, Hans-]oachim, Rietenstraße 30,78054 Villingen-Schwenningen Gehring, Dr. Helmut, Königsberger-Straße 30,78052 Villingen-Schwenningen Gfrörer, Ulrike, Am Hoptbühl 2,78048 Villingen-Schwenningen Heim, Karl, Landrat, Am Hoptbühl 2,78048 Villingen-Schwenningen Hettich, Peter, Lindenstraße 11, 78050 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Huber, Eva-Maria, Benediktinerring 11, 78050 Villingen-Schwenningen Imdahl, Angela, Josefstraße 10,78166 Donaueschingen Janzing, Bernward, Wilhelmstraße 24a, 79098 Freiburg Jauch, Philipp, Stuttgarter Straße 83, 78054 Villingen-Schwenningen Kahlert, Dr. oec. Prof. Helmut, Am Bodenwald 4, 78120 Furtwangen Kremer, Dr. jur. Bernd Mathias, Lerchenstraße 27, 79104 Freiburg Langer, Dr. Michael, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Limberger-Andris, Stefan, Mühlenstraße 7,79877 Friedenweiler-Röthenbach Lutz, Bernhard, Seemühle 14c, 78183 Hüfingen Mackwitz, Isolde, Am Hoptbühl 2,78048 Villingen-Schwenningen Meder, Willi, Goethestraße 3a, 78112 St. Georgen Muthmann, Christian, Im Belli 44,78086 Brigachtal Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7,78126 Königsfeld Nagel, Dr. Klaus, Mozartstraße 20,78098 Triberg Preuß, Stefan, Hoher Rain 22, 78052 Villingen-Schwenningen Sauser, Kai, Schulstraße 4,78166 Donaueschingen Schön, Elke, Am Hofrain 26,78120 Furtwangen Schreger-Benz, Doris, Föhrenweg 7,78078 Niedereschach Schück, Felicitas, Kirnacher Höhe 16, 78089 Unterkirnach Schwach, Georg, Am Affenberg 31, 78050 Villingen-Schwenningen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 VS-Marbach Steger, Christiana, Birkenweg 8, 78176 Blumberg Steidler, Herbert, Am Tiefen Weg 17,78166 Donaueschingen Strobel, Peter, Beethovenstraße 10, 79100 Freiburg Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32,78078 Niedereschach Tribukait, Wolfgang, Hochkopfweg 21, 78050 Villingen-Schwenningen Vollmer, Günter, Donaustraße 21,78166 Donaueschingen-Pfohren Wacker, Dieter, Max-Stromeyer-Straße 178, 78467 Konstanz Werner, Dr. Johannes, Steinstraße 21, 76477 Elchesheim Wieners, Thomas H. T„ Merzhauser Straße 147 A, 79100 Freiburg Winkelmann-Klingsporn, Elisabeth, Kreidenweg 28, 78166 Donaueschingen Winter Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Zimmermann, Michael J. H., Karlstraße 119, 78054 Villingen-Schwenningen Zschäbitz, Dietmar, Königsberger Straße 1,78166 Donaueschingen 316

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat und Sicherheit / Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Mehr Gewerbesteuer für Gemeinden – Das Jahr 2006 war kreispolitisch von vorsichtigem Optimismus geprägt – Belastungen durch Sozialhilfe sind weitaus höher als befürchtet ausgefallen / Karl Heim Vogelgrippe und kein Ende – Planung ist erstellt: Wie sich der Schwarzwald-Baar-Kreis auf die Tierseuche und eine Grippepandemie vorbereitet hat / Dr. Michael Langer / Dr. Burghardt Ehler Übung „Stürmischer Frühling“ im Schwarzwald-Baar-Kreis – Der Landkreis probt mit rund 900 Rettungskräften den Katastrophenernstfall / Michael Bulander Hilfe für Schwerbehinderte nach schwedischem Vorbild – Hilfe soll nicht fürsorglich sein, sondern unterstützen und die Kompetenzen stärken / Ulrike Gfrörer Ganztagesschulen: Die Schule als Lebensraum erfahren – Vier Schulen im Schwarzwald-Baar-Kreis bieten erstmals ein Ganztagesangebot / Marion Becker-Schwier Kulturerlebnis zum Sonderpreis – Der KULTURPASS eignet sich bestens als kleines Geschenk / Isolde Mackwitz Ungarnbesuch des Kreistages – 1 0 Jahre Partnerschaft des Schwarzwald-Baar- Kreises mit dem Komitat Bäcs-Kiskun / Felicitas Schück 2. Kapitel / Städte und Gemeinden Riedöschingen – heimeliges Dorf – Der „Kompromissbach“ mitten im Ort erinnert noch heute an frühere Grenzstreitigkeiten / Bernhard Lutz Kirchdorf – ältestes Dorf der Baar – Beliebter Wohnort mit Charme – Die um 600 erbaute Kirche St. Martin gilt als eines der frühesten Zeugnisse der Christenheit im Schwarzwald-Baar-Kreis / Christina Nack 3. Kapitel / Persönlichkeiten Dr. Bernhard Everke – Den Donaueschinger Oberbürgermeister a. D. zum Ehrenbürger ernannt / Günter Vollmer Eva von Lintig – Soziales und kulturelles Engagement prägten ihr Wirken als Stadt- und Kreisrätin / Bernhard Lutz Prof. Dr. Dieter Jauch – Der Schwenninger hat als Direktor der Stuttgarter Wilhelma die Grenzen von Zoo, Garten und Museum aufgehoben – einen Ökozoo geschaffen / Michael J. H. Zimmermann Gerhard und Liselotte Gebauer – Der frühere Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen und seine Ehefrau auch im hohen Alter für die Doppelstadt aktiv / Christina Nack Paula Straub – Eine engagierte Pädagogin und bekannte Kommunalpolitikerin in Viltingen / Gesine Bammert Stadtpfarrer Josef Beha – Der katholische Geistliche und Ehrenbürger von Furtwangen im 76. Lebensjahr verstorben / Matthias Winter Horst Siedle – Zuhause in der Welt, Europäer, Deutscher und Badener aber im Herzen Furtwanger / Peter Strobel A n h a n g 2 3 5 7 12 16 20 23 29 30 34 42 48 52 56 60 64 67 70 317

Inh altsverzeich nis 4. Kapitel / Aus dem Wirtschaftsleben NiedereschacherTouratech AG: Erfolg mit Touring-, Rallye- und Renn-Technologle -V o n der Vision zum Marktführer bei Navigationssystemen für Motorräder, gefragtem Spezialisten für Reisezubehör und Umbauten von Enduros der Marken BMW und KTM / Stefan Preuß U-Turn im Steigflug – ein junges Unternehmen wächst rasant – Der einzige Gleitschirm­ hersteller in Baden-Württemberg hat seinen Sitz in Villingen-Schwenningen / Stefan Preuß Straub-Verpackungen steht seit 125 Jahren für hochwertige Produkte – Das Unternehmen erzielt in Bräunlingen und Blumberg mit über 400 Mitarbeitern einen Umsatz von mehr als 66 Millionen Euro / Stefan Limberger-Andris Kinderfüße: Kunstwerke der Natur – Kinderschuhe Kunstwerke der Technik- Einer der erfolgreichsten Kinderschuh-Hersteller sitzt in Donaueschingen / Angela Imdahl 5. Kapitel / Geschichte 125 Jahre Historische Narrozunft Villingen – Fasnet Jahrhunderte alt— Ein richtiger Villinger meldet seine Kinder schon gleich nach der Geburt in der Narrozunft an / Dieter Wacker Das Uhrengewerbe im Spiegel volkstümlicher Bilder – Die klassischen Schwarzwälder Uhrmachermeister arbeiteten in kleinen Räumen / Dr. Helmut Kahlert Die Nebenbahn von Marbach (Baden) nach Bad Dürrheim – Bereits ab den i95oer-Jahren war die Rentabilität nicht mehr gegeben / Georg Schwach 6. Kapitel / Museen Das Gasthaus „Museum Arche“ – Dank des Einsatzes des Geschichts- und Heimatvereins Furtwangen wurden einzigartige Einblicke in die Lebensverhältnisse der 1950er- und i96oer-Jahre möglich / Elke Schön „Um Aug’ und Ohr zu ergötzen“ – Das Schwarzwald-Museum in Triberg: Einzigartig weit und breit / Dr. Klaus Nagel 7. Kapitel / Kirchengeschichte Augustin Kardinal Bea – Kardinal der Einheit – Aus Anlass des 125. Geburtstages – Am 28. Mai 1881 in Riedböhringen geboren / Dr. Bernd Mathias Kremer Aus Sorge um das Seelenheil – Die Geschichte der Hüfinger „Unserer-lieben- Frauen-Bruderschaft und großen Jahrzeit“ / Thomas H. T. Wieners Die Bruder-Konrad-Kapelle – Niedereschacher Pilgerstätte, Kriegserinnerung und Mahnmal vor 60 Jahren errichtet / Doris Schreger-Benz / Dr. Joachim Sturm Fotowettbewerb des Landkreises zum Jahrhundertwinter 2005/2006 8. Kapitel / Musik Bregi House Band – „Cover“ als voluminöses Live-Musikerlebnis – Die Bräunlinger Formation besteht heute aus 19 Musiker und Musikerinnen/ Stefan Limberger-Andris 9. Kapitel / Kunst und Künstler Ein Meister aus dem Schwarzwald – Klaus Ringwald und sein Werk / Johannes Werner Ein Kunstraum für St. Georgen – Die viel beachtete Sammlung Grässlin ist in der Heimat geblieben / Stefan Simon Hans Wolf Stegmann – Keramiker – Interaktive Kunstwerke als Aufforderung zum Dialog / Stefan Simon 318 7 6 82 88 94 100 112 120 125 130 136 141 145 149 156 160 174 182

In h altsverzeich n is 10. Kapitel / Gesundheit und Soziales Zwischen Werkstatt und Wettbewerb – Lebenshilfe VS betreibt CAP-Markt mitten in Bad Dürrheim/ Hans-Joachim Gebauer DerSchwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild 11. Kapitel / Umwelt und Natur Immer mehr Schwarzkittel – Wildschweine im Schwarzwald-Baar-Kreis / Wolf Hockenjos Der Silberreiher – eine neue Vogelart am Himmel der Baar / Dr. Helmut Gehring Iris – Göttin des Regenbogens – Im Garten von Christian Muthmann finden sich von der faszinierenden Blume 125 Sorten / Christian Muthmann Baumoriginale im Schwarzwald und auf der B a a r- Einführung und Teil 1: Tannenriesen / Wolf Hockenjos Der Hüfinger Orchideenwald – Forstwirtschaft im Einklang mit Artenschutz und natürlicher Waldentwicklung / Dr. Frieder Dinkelaker 12. Kapitel / Wetter und Klima Klimawandel – Wenn es im „Sommer“ plötzlich Winter wird Klimawandel Teil 1: Die „Wetterprognose“ für den Landkreis: Weniger Regen im Sommer, mehr Niederschlag im Winter – Mit einem neuen Rechenmodell versuchen Forscher künftige Klimaveränderungen auch regional zu simulieren / Bernward Janzing Das „böse Jahr“ 1816: Schnee, Regen und Kälte / Wilfried Dold Klimawandel Teil2 : Ein ganzer Landkreis schippt und fräst… Winterzauber – Wenn die Welt über Nacht im Schnee versinkt… / Matthias Winter „Seit ich in Schonach lebe, habe ich so einen Winter noch nie erlebt“ / Wolf-Wilhelm Adam Elf Stunden mit dem Schneepflug unterwegs: Kein Verständnis für Räumdienst / Philipp Jauch Donaueschingen und Südbaar: Mehrfach starke Behinderungen / Stefan Limberger-Andris Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat 670 Kilometer Straßen freigehalten / Herbert Steidler Klimawandel Teil3 : Hagelkatastrophe in Villingen-Schwenningen – Wenn es mitten im Juni 10 cm dicke Eisklumpen hagelt / Christina Nack 13. Kapitel / Stätten der Gastlichkeit Das „Berghüsli“ in Schonach – Die beliebte Gaststätte der Familie Kaiser hat auch regionale Spezialitäten im Angebot / Claudius Eberl „Im Kuhstall“ in Döggingen – In einer Gaststätte mit Flair wird auch die badische Antwort auf Pizza und Pasta gegeben / Christiana Steger Augen- und Gaumenschmaus – Das Villinger „Tafelhaus“ überzeugt mit exquisiter Küche und Kunst / Stefan Simon 14. Kapitel / Freizeit VitalCenter – die Kraft der Gegensätze – Bad Dürrheimer Gesundheitskompetenz verbindet sich mit modernster Technik / Thomas Bank 188 191 200 204 208 212 218 223 224 229 231 236 240 242 243 245 252 255 257 259 319

Inh altsverzeich nis Der Klosterweiher in St. Georgen – Zur Geschichte einer heute vielseitig genutzten Freizeitanlage / Willi Meder Vom Triberger Weihnachtszauber – Das Weihnachtsdorf am Wasserfall ist mit 250 000 Lichtern ¡Kümmert / Nikolaus Arnold 15. Kapitel / Sport Georg Hettich -Gold, Silber, Bronze! / Peter Hettich Wir sind Hettich – Wir sind Olympiasieger / Wolf-Wilhelm Adam Eine Erfolgsstory auf schnellen Rollen – Rasanter Aufstieg bis in die 1. Bundesliga: Inlineskaterhockeyclub Hotdogs Bräunlingen / Dietmar Zschäbitz Triberg als Radsport-Hochburg – Das Straßenrennen im Schwarzwald lockt auch die Elite-Fahrer an / Kai Sauser 16. Kapitel / Theater Bühne 94 – engagiertes Theater – Zehn Jahre „Lampenfieber“ und Erfolge auf der Donaueschinger Bühne / Manfred Beathalter Burgspektakel in der Ruine Waldau – Seit 1997 ist die Burgruine bei Königsfeld der Schauplatz eines sommerlichen Festivals / Christina Nack Kraftpaket mit kreativer Ader – Karin Pittner findet mit ihrem Brennpunkt-Theater breite Anerkennung / Eva-Maria Huber 17. Kapitel / Literatur 261 266 269 273 278 282 285 288 293 Rosen und Rostlauben – Aus der Mitte gerückt – Geschichten unserer Zeit / Wolfgang Tribukait 298 18. Kapitel / Lyrik der Heimat Die Weiberzahnsage – Um Gemäuer wie die Burg von Burgberg ranken sich viele Sagen und Geschichten / nacherzählt von Dr. Joachim Sturm 19. Kapitel / Landwirtschaft Landfrauen – vielfältig engagiert – Die Landfrauengruppen genießen überall hohes Ansehen, sind unverzichtbar / Elisabeth Winkelmann-Klingsporn 20. Kapitel / Kleindenkmale Zeichen von Sühne, Gewalt und Tod – Die zu den Kleindenkmalen zählenden Steinkreuze finden sich in ganz Mitteleuropa / Dr. Joachim Sturm Gedichte Vor dem Gewitter / Christiana Steger Erkenntnis / Christiana Steger 300 302 307 66 66 Anhang Almanach-Magazin 310 Der Landkreis im Spiegel der Statistik tagswahl 2006 312 Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen 312 Bevölkerungsentwicklung im Schwarz- wald-Baar-Kreis 313 Namen und Nachrichten 314 Orden und Ehrenzeichen 314 Bildnachweis 315 Die Autoren unserer Beiträge 316 312 Wahlergebnisse der Land­ Inhaltsverzeichnis 317 320

M em ories – Erinnerungen an die Stadt am Beginn der Donau A u f der Donaueschinger Schützenbrücke F o t o g r a f i e r t v o n W i l f r i e d D o l d