Almanach 2009

Al ma nach 2009 Hei mat jahr buch des Schwarz wald-Baar-Krei ses 33. Fol ge

He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Re dak ti on: Karl Heim, Land rat Julia Weiss, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Wil fried Dold, Re dak teur Hans-Wer ner Fi scher, Dipl.-Bib lio the kar Dr. Joa chim Sturm, Kreis ar chi var Wil li Todt, Ge schäfts füh rer Karl Volk, Re al schul ober leh rer Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung und Verlag: dold ver lag, Vöh ren bach www.dold ver lag.de Druck und Ver trieb: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen EAN-ISBN: 978-3-927677-55-5

Eh ren lis te der Freun de und För de rer des Al ma nach 2009 Wil li Aker, Schonach KBS-Spritztechnik GmbH, Schonach AGVS Alu mi ni um Wer ke GmbH, Vil lin gen-Schwen nin gen LISI AUTOMOTIVE Mohr + Friedrich GmbH, Vöhrenbach ANUBA AG, Vöhrenbach Vermessungsbüro Mandolla + Gilbert, Villingen-Schwenningen BIW Bur ger In dust rie werk GmbH & Co. KG Prä zi si ons tech nik, Scho nach Spe di ti on Ju li us May er, Bräun lin gen ebm-papst, St. Georgen GmbH & Co. KG, St. Georgen Leo pold und Pol di Mess mer, Freie Ar chi tek ten Furt wan gen EGT Ener gievertrieb GmbH, Tri berg Gün ter Helmut Papst, St. Ge or gen EGT Ge bäu de tech nik GmbH, Tri berg Ernst Reiner GmbH & Co. KG, Furtwangen Ener gie dienst Netze GmbH, Rhein fel den Emil Frei GmbH & Co., Bräun lin gen Fürst lich Fürs ten ber gi sche Brau e rei GmbH & Co. KG, Do nau esch in gen Dipl.-Ing. Mar cus Grei ner, Do nau esch in gen Bau un ter neh mung Her mann GmbH, Furt wan gen Hess AG Form + Licht, Vil lin gen-Schwen nin gen Hinzsch Schaumstofftechnik GmbH & Co. KG, Mönchweiler RENA GmbH, Gütenbach SBS-Feintechnik GmbH & Co. KG, Schonach SCHMIDT Technology GmbH, St. Georgen An ton Schnei der Söh ne GmbH + Co. KG, Scho nach Schwarzwaldhof Fleisch- u. Wurstwaren GmbH, Blumberg S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke OHG, Furtwangen Spar kas se Schwarz wald-Baar mit 52 Ge schäfts stel len IMS Gear GmbH, Donaueschingen Stadtwerke Villingen-Schwenningen GmbH 3

STEIN Au to ma ti on GmbH + Co. KG, Vil lin gen-Schwen nin gen Volks bank Tri berg eG F. K. Wiebelt GmbH + Co. KG, Villingen-Schwenningen Jo hann Win ter man tel Ver wal tungs-GmbH & Co. KG Kies-, Schot ter- u. Be ton wer ke, Do nau esch in gen Stern plas tic Hells tern GmbH & Co. KG, Vil lin gen-Schwen nin gen STRAUB-VERPACKUNGEN GmbH, Bräunlingen ThyssenKrupp Industrieservice GmbH, Villingen-Schwenningen Rai ner Trip pel, Karls bad Albin Vogt Transport GmbH, Donaueschingen 11 wei te re Freun de und För de rer des Al ma nach wün schen, na ment lich nicht ge nannt zu wer den. Lebendig und beliebt: Das Oberzentrum VS-Villingen. 4

Schwarzwald-Baar – Das Quellenland Dem Jahrbuch 2009 des Schwarzwald-Baar-Kreises zum Geleit Unser Schwarzwald-Baar-Kreis hat viele Vorzü- ge: eine wunderschöne, intakte Landschaft, eine gesunde mittelständische Wirtschaftsstruktur mit vielen Hightech-Betrieben und attraktiven Arbeitsplätzen, eine gut ausgebaute Bildungs- landschaft sowohl im allgemeinbildenden sowie im beruflichen Bereich bis zur Hochschulausbil- dung, ein vielseitiges Kulturangebot sowie Sport- und Freizeit- möglichkeiten, die fast keine Wünsche offen lassen. Uns, die wir hier leben, ist dies häufig selbst nicht bewusst. Insbesondere fällt es uns aber schwer, diese unsere Stärken nach außen sicht- bar zu machen. In einer Zeit des Wettbewerbs um interes- sante Industrieansiedlungen, Fachkräfte und junge Familien ist genau dies aber unabdingbar, um die Zukunftsfähigkeit eines Landkreises mit- tel- bis langfristig zu sichern. Deshalb hat der Kreistag beschlossen, ein Marketing-Konzept für den Landkreis zu entwickeln. Was aber ist das unverwechselbare Marken- zeichen des Schwarzwald-Baar-Kreises? Was hebt uns von anderen Landkreisen ab? Die oben genannten Attribute können ande- re Landkreise mehr oder weniger in der Regel auch geltend machen bzw. tun dies. Nur durch die Unterscheidung von anderen, möglichst durch ein Alleinstellungsmerkmal, hebt man sich hervor und wird wahrgenommen. Der Schwarzwald, den der Landkreis im Na- men führt, ist weltweit ein Begriff, aber eben kein Alleinstellungsmerkmal des Schwarzwald- Baar-Kreises. Wir sind Teil dieses reizvollen Mittelgebirges. Aber ein Alleinstellungsmerkmal, das prägend für den ganzen Landkreis ist, ha- ben wir, das kein anderer Landkreis in Baden- Württemberg und wohl auch in ganz Deutsch- land vorweisen kann: In keinem anderen Land- kreis entspringen so viele und vor allem so viele bedeutende Flüsse wie im Schwarzwald-Baar- Kreis. Im Schwarzwald-Baar-Kreis entspringt der zweitlängste und bedeutendste Fluss Europas, die Donau, mit der historischen Donauquelle in Donaueschin – gen und den Quel- len der Quellflüsse Brigach und Breg im Schwarzwald. Der Fluss der Schwaben, der Neckar, hat seinen Ursprung mit Schwenninger Moos im Schwarz- wald-Baar-Kreis. Und nicht zu vergessen, die Quellen der Eschach, der Elz, der Gutach und der Schiltach; sie alle entspringen im Schwarz- wald-Baar-Kreis. Die europäische Wasserscheide durchzieht fast den ganzen Landkreis. Das Alleinstellungsmerkmal: Landkreis be- deutender Quellen lässt sich im übertragenen Sinne in vielfältiger Weise vermarkten. Eine Quelle ist etwas Ursprüngliches, Echtes, Natür- liches, Frisches. Etwas Neues, aus dem sich viel entwickeln kann. Im wörtlichen Sinne zum Bei- spiel ein mächtiger Fluss, im übertragenen Sinne kann man dies auf viele andere Bereiche anwen- den. Wer an der Quelle sitzt, hat immer mit dem Ursprung, dem Original zu tun: Erfindergeist, Innovation, Kreativität und der Mut, der aus dem gesicherten Dasein entspringt – das ist der Schwarzwald-Baar-Kreis. Über die natürlichen Quellen hinaus ist der Schwarzwald-Baar-Kreis in vielfältiger Weise ein „Quellenland“. Ideen- quellen, Naturquellen, Gesundheitsquellen jeg- licher Art, Innovationsquellen, Bildungsquellen, Kulturquellen und vieles mehr. Schließlich ist die Gegend hier auch eine Quelle für Familien, die ihr Leben individuell und selbstbestimmt einrichten möchten. 5

Zum Ge leit Der Kreistag hat deshalb beschlossen, unter dem Label „Schwarzwald-Baar – das Quellen- land“ ein umfassendes Marketing-Konzept für den Schwarzwald-Baar-Kreis zu entwickeln, mit dem wir unsere Vielseitigkeit, aber auch Einma- ligkeit aufzeigen wollen. Wichtig für jedes Produkt ist aber, dass der Inhalt das hält, was die Verpackung verspricht. Und dies können wir im Schwarzwald-Baar-Kreis nicht nur im naturräumlichen Sinne, sondern auch im übertragenen Sinne für alle oben ge- nannten Bereiche unterlegen. Ein klassischer Beweis hierfür ist der Kreis- almanach, der jedes Jahr in den verschiedensten Bereichen (Wirtschaft, Kultur, Sport, Bildung etc.) aufzeigt, wie vielfältig, spannend und le- benswert unser Schwarzwald-Baar-Kreis ist. Auch der Almanach 2009 leistet hierfür einen wichtigen Beitrag. Ich bedanke mich bei den vie- len Autoren und Fotografen, die dazu beigetra- gen haben, dass wieder ein ansprechendes, in- formatives Heimatjahrbuch entstehen konnte. Herzlichen Dank auch in diesem Jahr den vie- len Firmen und treuen Freunden des Almanach, ohne deren großzügige Förderung die Heraus- gabe dieses Jahresbuches nicht möglich wäre. Herzlichen Dank vor allem aber auch den treuen Lesern des Almanach. Ich würde mich freuen, wenn auch die 33. Ausgabe viele lese- freudige Freunde finden würde. Ihr Karl Heim Landrat An der historischen Donauquelle in Donaueschingen. 6

1. Kapitel Aus dem Kreisgeschehen Hohe Einnahmen dank guter wirtschaftlicher Entwicklung Schuldenabbau, hohe Investitionen und moderate Senkung der Kreisumlage Die gute wirtschaftliche Entwicklung setzte sich erfreulicherweise auch im Jahr 2008 fort. Die Arbeitslosenquote reduzierte sich im Juli 2008 noch einmal auf 4,1 % gegen- über 4,5 % im Juli 2007. Besonders erfreulich ist, dass sich diese Entwicklung auf die Ausbildungsverhältnisse positiv auswirkt und damit nahezu alle jungen Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis, die die persönlichen Voraussetzungen mitbringen, eine Ausbildungsmöglichkeit haben. Die gute wirtschaftliche Entwicklung wirkte sich auch positiv auf das Steueraufkommen und damit auf die Einnahmen des Landkreises aus. Gleichzeitig war bei den Sozialausgaben eher eine rückläufige Tendenz festzustellen. Dies ermöglichte im Kreishaushalt einen Drei-Klang, wie er seit vielen Jahren nicht mehr möglich war: Hohe In ves titionen, Schuldenabbau und gleichzeitig ei ne moderate Senkung der Kreisumlage. Der Investitionsschwerpunkt war auch 2008 der Schulbereich. Im Frühjahr konnte der sehr gut gelungene Erweiterungsbau an der Fein- technikschule in Schwenningen seiner Bestim- mung übergeben werden. Im Sommer konnte die völlig neu gestaltete Turnhalle an unserer Kaufmännischen Schule in Villingen wieder in Betrieb genommen werden. An der Hotelfach- schule wurde die Sanierung der Servierräume sowie die Erweiterung und Neugestaltung des Eingangsbereichs zu den Servierräumen in An- griff genommen. Das größte Vorhaben aber ist die Total- sanierung der Werkstätten an der Gewerblichen Schule in Villingen. In einem Kraftakt wurde die gesamte Werkstatt in ein Ausweichgebäude verlagert, bis die Umbauarbeiten abgeschlos- sen sind. Für die Erweiterung der Albert-Schweitzer- Schule und der Kaufmännischen Schule in Vil- lingen wurden die Planungsaufträge vergeben. Der Schulbereich wird auch 2009 ein Schwer- punkt der Kreispolitik sein. Darüber hinaus konn- ten viele wichtige Straßenbauvorhaben, insbeson- Der Erweiterungsbau der Feintechnikschule Schwen- ningen konnte im Frühjahr 2008 seiner Bestimmung übergeben werden. dere notwendige Be lagsarbeiten, im ge samten Schwarzwald-Baar-Kreis in Angriff genommen werden. 7

Aus dem Kreisgeschehen Kreistag verabschiedet Gesamtkonzept „Zu- kunftschancen des Schwarzwald-Baar-Kreises“ Gesamtkonzept zu den Zukunftschan – Kreispolitisch blickte der Kreistag weit über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus. Ausge- hend von der Klausurtagung des Kreistages im Januar 2007 wurden Arbeitsgruppen gebildet, die für die verschiedensten Aufgabenfelder mit tel- bis langfristige Ziele und daraus abge- leitet konkrete Maßnahmen entwickelten. Die se Vorschlä ge wurden in intensiven Beratungen in den Aus schüssen und im Kreis tag zu einem Ge – samtkonzept „Zukunftschancen des Schwarz- wald-Baar-Kreises“ zusammengefasst. Schwer- punkte waren dabei eine bessere Ver- marktung des Land- kreises (siehe Vor- wort), die Stärkung des Schwarzwald- Baar-Kreises als Bil- dungsstandort sowie die nachhaltige Wei- terentwicklung der Familienfreundlich- keit im Schwarzwald-Baar-Kreis. Um der Bedeu- tung der Familienfreundlichkeit Nachdruck zu verleihen, wurde beschlossen, eine Familienbe- auftragte zu benennen, die sich speziell dieser Aufgabe annimmt. entwickelt – auch die cen des Landkreises Familienfreundlich- keit soll weiter verbessert werden Über die konkrete Umsetzung dieser Ziele und Maßnahmen wird in den nächsten Ausga- ben des Kreisalmanachs berichtet werden. Evaluation der Verwaltungsreform beendet Die Evaluation der zum 1. Januar 2005 wirksam gewordenen großen Verwaltungsreform, in de- ren Folge eine Vielzahl unterer Sonderbehörden in das Landratsamt eingegliedert wurden, wur- de 2008 abgeschlossen. Die Forstverwaltung bleibt beim Landrats- amt. Für die Flurneuordnung werden kreisüber- greifende gemeinsame Dienststellen eingerich- tet. Der Schwarzwald-Baar-Kreis und der Land- kreis Rottweil haben einvernehmlich festgelegt, dass diese gemeinsame Dienststelle in Rottweil eingerichtet werden soll. 8 Eine bittere Pille und nicht nachvollziehbar ist, dass das Schulamt wieder aus dem Land- ratsamt herausgelöst wird und eigenständige regionale staatliche Schulämter für mehrere Kreise gebildet werden. Für den Schwarzwald- Baar-Kreis wird gemeinsam mit dem Landkreis Rottweil ein regionales staatliches Schulamt in Donaueschingen gebildet. Allerdings wird das Schulamt räumlich vorläufig im Landratsamt bleiben, bis das vorgesehene Gebäude in Do- naueschingen saniert ist. Gerade im Bereich des Schulwesens gab es viele Synergieeffekte in der Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem Jugend- amt, dem Sozialamt, unserer Erziehungsbera- tungsstelle und der Schülerbeförderung. Es ist unser großes Anliegen, die in den letzten drei Jahren aufgebauten intensiven Kontakte der Ämter des Landratsamtes mit dem Schulamt auch in der neuen Struktur zu erhalten. Kostensteigerungen beim Klinikneubau Eine faustdicke Überraschung gab es beim größten und bedeutendsten Bauvorhaben im Landkreis, dem Bau des neuen Zentralklini kums in Villingen-Schwenningen. Nachdem die Vor- bereitungen planmäßig verlaufen waren, die Ge- nehmigungsplanung fertiggestellt war und die Förderzusage des Landes vorlag, wurde das Vor- haben im Februar 2008 europaweit zur Vergabe an einen Generalunternehmer ausgeschrie ben. Sieben Unternehmen interessierten sich für die Ausschreibungsunterlagen, aber nur zwei Gene- ralunternehmer gaben schließlich ein Angebot ab. Und dann kam die böse Überraschung: Ein Angebot lag um 50 %, das zweite Angebot gar um 100 % über der Kostenschätzung. Damit stell- te sich die Frage, wie so etwas möglich ist und ob das Vorhaben überhaupt finanziert werden kann. Ohne Zweifel haben die allgemeinen Preisstei- gerungen auf dem Bausektor und insbesondere die exorbitante Steigerung der Stahlpreise und der Energiepreise zu einer Verteuerung geführt. Dies erklärt aber nicht die um 50 % bzw. um 100 % höheren Angebotspreise. Nach der Analyse der Architekten und Pro- jektsteuerer ist dies darauf zurückzuführen,

dass es in Deutschland derzeit offensichtlich keinen echten Wettbewerb unter den Generalun- ternehmern für solche Projekte gibt. Aufgrund des weltweiten Baubooms engagieren sich die großen Generalunternehmer eher an lukrativen Objekten im außereuropäischen Ausland. Da- raus resultiert die Erwartung, dass bei einer gewerksweisen Vergabe des Bauvorhabens bessere Wettbewerbsbedingungen herrschen und damit auch auskömmlichere Preise erzielt werden können. Diese Erwartung gründen die Fachleute auf konkrete, in den letzten Wochen und Monaten abgeschlossene ähnliche Bauvor- haben. Der Aufsichtsrat des Klinikums hob deshalb die Generalunternehmerausschreibung auf und beschloss, die Bauarbeiten nach einer aktua- lisierten Kostenberechnung gewerksweise zu vergeben. Eine Hochrechnung der Baukosten unter Be- rücksichtigung der voraussichtlichen Preisstei- gerungen während der Bauphase ergaben hö- here Kosten gegenüber der bisherigen Kosten- berechnung von rund 35 Mio. Euro, die nachfi- nanziert werden müssen. Es wurden deshalb Verhandlungen mit dem Land Baden-Württem- berg wegen eines höheren Landeszuschusses aufgenommen. Hierfür müssen noch viele De- tailfragen geklärt werden. Frau Sozialministerin Dr. Monika Stolz machte bei ihrem Kreisbesuch am 1. September 2008 aber deutlich, dass das Land nach wie vor hinter diesem auch landespoli- tisch wichtigen Projekt steht und die Realisierung im Rahmen des rechtlich Möglichen unterstützt. Einen Teil der Mehrkosten soll das Klinikum er- wirtschaften. Es stellt sich aber vor allem auch die Frage, ob der Landkreis und die Stadt Vil- lingen-Schwenningen als Gesellschafter bereit und in der Lage sind, sich an den Mehrkosten zu beteiligen. Die Gremien der Stadt Villingen- Schwenningen und des Landkreises werden darüber in den nächsten Wochen beraten. Ins- besondere sind die Planer aber aufgefordert, das gesamte Bauvorhaben auf Einsparmöglich- keiten sehr kritisch zu überprüfen. Trotz der in dieser Form nicht vorhersehbaren Kostensteigerungen sind Stadt und Landkreis als Träger des Klinikums aber entschlossen, an der Realisierung dieses für die medizinische Versor- Aus dem Kreisgeschehen Sozialministerin Dr. Monika Stolz und Landrat Karl Heim führen Christa Lörcher (Mitte) am 1. September 2008 offiziell in das Amt als Kreisbehindertenbeauf- tragte des Schwarzwald-Baar-Kreises ein. gung unserer Bevölkerung wichtigen Vorhabens festzuhalten. Christa Lörcher Kreisbehindertenbeauftragte Für unsere behinderten Menschen im Schwarz- wald-Baar-Kreis wurde 2008 eine wichtige Ent scheidung getroffen. Der Kreistag bestellte die frühere Bundestagsabgeordnete und lang- jährige Kreisrätin Christa Lörcher zur Kreisbe- hindertenbeauftragten. Frau Lörcher war bereits Be hindertenbeauftragte für die Stadt Villingen- Schwenningen und ist nun für das ganze Kreis- gebiet zuständig. Im Rahmen des Kreisbesuches von Sozialministerin Dr. Stolz wurde Chris ta Lör cher offiziell in ihr Amt eingeführt. Der Ringzug feiert Geburtstag Schließlich konnte im September 2008 noch ein schöner Geburtstag gefeiert werden. Seit September 2003, also seit fünf Jahren, ist in den drei Landkreisen Schwarzwald-Baar-Kreis, Tuttlingen und Rottweil der Ringzug auf der Schiene – ein Erfolgsmodell der regionalen Zu- sammenarbeit und ein Quantensprung im Ange- bot des öffentlichen Personennahverkehrs. Der Zweckverband Ringzug nahm dies zum Anlass, in Villingen-Schwenningen, in Rottweil und in Tuttlingen zu einem Jubiläumsfest einzuladen (siehe Almanach-Magazin) Karl Heim, Landrat 9

Aus dem Kreisgeschehen Landratsamt hat neue Außenstelle Das Domizil in der Humboldtstraße in Donaueschingen ist auch für die Bürger optimal Mit der Eingliederung der unteren Sonderbehör- den im Januar 2005 haben sich Aufgabenspek- trum und Mitarbeiterzahlen der Landkreisver- waltung erheblich erweitert. Eine besondere Herausforderung bei der Eingliederung war vor allem die räumliche Unterbringung der neu zum Landkreis gekommenen Bediensteten. Zum Teil konnten die ehemals selbstständigen Behörden in ihren bisherigen Gebäuden verbleiben, zum Teil mussten sie aber in bestehenden Gebäuden des Landkreises oder in neu angemieteten Ge- bäuden untergebracht werden. Dies ist erfolg- reich gelungen: Alle Bediensteten konnten ver- nünftig untergebracht werden, dabei wurden auch noch hohe Einsparungen erzielt. Unbefriedigend war allerdings die räumliche Situation im neu gebildeten Dezernat V, das Ver- messungs- und Flurneuordnungsamt, Landwirt- schaftsamt und Forstamt umfasst. Diese Ämter waren auf vier Gebäude in drei Städten verteilt. Dies erschwerte die Erzielung von Synergie- effekten deutlich. Hinzu kam auch noch die Er- kenntnis, dass die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaftsamt und Vermessungs- und Flur- neuordnungsamt intensiver war als ursprünglich erwartet. Zusätzliche Probleme bereitete auch die Versorgung unserer Gebäude in Donaueschin- gen mit der notwendigen Infrastruktur im Be- reich der Informations- und Kommunikations- technik. Ziel war es daher von Anfang an, die Situa- tion der Unterbringung zu verbessern und die Anzahl der Verwaltungsgebäude zu reduzieren. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, bot sich dann im Herbst 2005. Das Gebäude in der Humboldtstraße 11 in Donaueschingen, erbaut 1987 von Mannesmann-Kienzle, später genutzt von living systems, war zu erwerben. Nachdem erste Verhandlungen Erfolg verspra- chen, befasste sich im März 2006 dann der Kreistag mit einem möglichen Kauf. Die Vorteile Die neue Außenstelle des Landratsamtes in der Humboldtstraße in Donaueschingen. 10

lagen klar auf der Hand: hier konnten die bisher auf drei Verwaltungsgebäude verteilten Ämter in der Irmastraße problemlos untergebracht werden. Finanziell stellte sich dieses Projekt gut dar. Entsprechend positiv war die Resonanz im Kreistag. Eine weitere Überlegung schloss sich an: Konnte nicht auch noch das Vermessungs- und Flurneuordnungsamt dort untergebracht wer- den? Damit wäre das komplette Dezernat V in einem Haus vereinigt, damit wären noch größe- re Synergieeffekte zu erzielen. Für diese „große Lösung“ reichte jedoch die vorhandene Büroflä- che in der Humboldtstraße nicht aus. Nach einer Prüfung dieses Vorhabens stellte sich dann he- raus, dass auch eine Erweiterung oder Aufsto- ckung des Gebäudes für die Unterbringung des Vermessungs- und Flurneuordnungsamtes fi- nanzielle Vorteile versprach. Die wirtschaftlichen und organisatorischen Vorteile für den Landkreis waren offensichtlich. Darüber hinaus brachte das Gebäude mit seiner guten Verkehrsanbindung und den besseren Parkmöglichkeiten auch eine deutliche Verbes- serung für die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises mit sich. So konnte der Kreistag dem Vorschlag der Verwaltung leichten Herzens folgen. Der Erwerb des Gebäudes und die Auf- stockung eines Gebäudeteils wurden mit großer Mehrheit beschlossen. Gebäude in der Irmastraße aufgegeben Nachdem damit der Startschuss für das Projekt gefallen war, ging es mit Macht an dessen Um- setzung. Den Auftrag für die Planung von Um- bau, Erweiterung und Sanierung des Gebäudes erhielt Architekt Thielsch aus Donaueschingen. Die Ausschreibung der ersten Gewerke folgte, und bereits im Herbst 2006 konnte dann der Umbau des Gebäudes beginnen. Für die Aufstockung waren statische Pro- bleme zu lösen, denn diese sollte aus optischen Gründen nicht auf die Außenwände aufgesetzt werden, sondern etwas nach innen versetzt lie- gen. Dadurch konnte eine gefälligere Außenan- sicht des Gebäudes erreicht werden. Im Mai 2007 war es dann soweit: die ersten Einheiten Außenstelle Donaueschingen In der Außenstelle Donaueschingen ist auch das Vermessungs- und Flurneuordnungsamt unterge- bracht, das beim „Tag der offenen Tür“ die Möglich- keiten der Vermessung mit GPS demonstrierte. im Verwaltungsgebäude Humboldtstraße waren fertiggestellt. Straßenverkehrsamt, Jugendamt und das Amt für Veterinärwesen und Lebensmit- telüberwachung konnten als „Pioniere“ in das Gebäude einziehen, am 24. Mai war Eröffnung. Damit wurde gleichzeitig die langjährige Außen- stelle des Landratsamts in der Irmastraße 11 aufgegeben. Ungeachtet dessen gingen die Bauarbeiten in der Humboldtstraße weiter. Im Juli folgte dann zunächst das Forstamt, wenig später zog das Vermessungs- und Flurneuordnungsamt ein. Damit konnten zwei weitere Gebäude, eines ebenfalls in der Irmastraße Donaueschingen, das andere am Bickeberg in Villingen, aufgege- ben werden. Zuletzt wurde der Gebäudeteil B fertigge- stellt, in dem das Landwirtschaftsamt und die Fachschule für Landwirtschaft untergebracht sind. Planmäßig konnte dort der Unterricht nach den Sommerferien in modernen und technisch gut ausgerüsteten Räumlichkeiten beginnen. Die Verlagerung der Schule in die Humboldt- straße ist durchaus auch als Stärkung der Land- wirtschaftsschule zu betrachten. Über den Jahreswechsel und im Frühjahr 2008 war dann noch die Fassade fertig zu stel- len. Ein Vollwärmeschutz wurde aufgebracht, und mit einem neuen Putz und kräftigen Farben 11 11

Aus dem Kreisgeschehen zeigt sich die Außenstelle des Landratsamtes in Donaueschingen modern, gefällig und funktio- nell. Rechtzeitig zum Tag der offenen Tür am 27. April 2008 konnte das Gerüst abgebaut werden. Bei sehr gutem Wetter und mit zahlreichen At- traktionen haben die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises die neue Heimat der Außenstel- le durchweg positiv erlebt. Die Landkreisbediensteten fühlen sich in ih- rem neuen Domizil inzwischen wohl. Für viele brachte der Umzug eine Verbesserung der räum- lichen Situation mit sich. Die Umzugskartons sind alle ausgepackt, das neue Haus ist für die meisten schon Alltag geworden, unsere öffent- lichen Aufgaben können wieder in gewohnt qua- lifizierter Weise erledigt werden. Auch bei unserer Kundschaft findet die Au- ßenstelle des Landratsamtes in Donaueschin- gen große Akzeptanz. Die ursprünglichen Ziele sind damit erreicht. Der Erwerb und der Umzug in das Gebäude in der Humboldtstraße 11 haben sich aus finanzi- eller Sicht gelohnt. Durch die Zusammenfas- sung der Ämter aus vier Gebäuden in einem Haus können Synergien erschlossen werden. Die Zusammenarbeit der in der Humboldtstraße untergebrachten Ämter, insbesondere zwischen Landwirtschaftsamt, Vermessungs- und Flur- 12 12 neuordnungsamt sowie dem Forstamt lässt sich nun effektiver gestalten. Die günstige Lage, die gute Verkehrsanbindung und die Parkmöglich- keiten bringen deutliche Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises. Ein Projekt mithin, das sich in jeder Beziehung ge- lohnt hat! Georg Seiler „Tag der offenen Tür“ am 27. April 2008 Nach dem Abschluss der Baumaßnahmen und vollständiger Belegung der Außenstelle des Landratsamtes wurde für eine breite Öffentlich- keit am 27. April 2008 ein „Tag der offenen Tür“ durchgeführt. Unter dem Motto „Erlebnistag Amtsstube“ ging es vor allem da rum, in den neuen Räumlichkeiten eine moderne Verwal- tung informativ vorzustellen und zu zeigen, dass das Bild verstaubter Amtsstuben mit peniblen Beamten längst durch ein zeitgemäßes Dienst- leistungsverständnis mit bürger- und familien- freundlicher Orientierung abgelöst worden ist. Vielen Bürgern ist noch zu wenig bewusst, dass mit Inkrafttreten der Verwaltungsreform im Jahr 2005 auf unterer Ebene mit dem Land- ratsamt eine Behörde entstanden ist, die mit Ausnahme der Polizei nahezu alle Verwaltungs- bereiche abdeckt. Deshalb ging es am Tag der offenen Tür schwer- punktmäßig darum, am Beispiel der Außenstelle Einblicke in dieses vielfältige Aufgabenspek- trum zu geben und zu zeigen, wo durch fachübergreifende Zusam- menarbeit unter einem Dach Vor- teile für die Arbeit und den Bür- gerservice entstehen. Mit dabei waren außerdem die ebenfalls im Gebäude unter- Setzen eines historischen Grenz- steins aus dem Jahr 1764, v. links: Bundestagsabgeordneter Siegfried Kauder (CDU), Landrat Heim, Land- tagsabgeordneter Karl Rombach (CDU) und Donaueschingens Ober- bürgermeister Thorsten Frei.

Aus dem Kreisgeschehen Vielfältig war das Informations- und Unterhaltungs- programm am „Tag der offenen Tür“. Geboten wurde unter anderem Ponyreiten, Jugendverkehrsschul- Training und ein Fußballmatch. Mitgewirkt haben unter anderem die Verkehrswacht, das Forstamt, das mit Kindern Tore aus Holz gebaut hatte, und Clown Beppo sowie viele freundliche Mitarbeiter, die über ihre Fachbereiche informierten. gebrachte Ringzug-Geschäftsstelle, die gemein- sam mit dem Verkehrsverbund Schwarzwald- Baar über den Personennahverkehr im Land- kreis informierte, die Jugendverkehrsschule mit einem Fahrradparcours und der Gefahrgutzug des Landkreises mit einer umfangreichen De- monstration seiner Ausrüstung und seiner Auf- gaben. Neben zahlreichen Stationen mit Informati- onen und Vorführungen im und rund um das Gebäude war die Veranstaltung von weiteren attraktiven Programmpunkten umrahmt. Schon zum Eröffnungsakt mit viel politischer Prominenz kamen so viele Besucher, dass im großen Sitzungssaal bei weitem nicht alle Gäste Platz finden konnten. Im Anschluss daran wurde durch Landrat Karl Heim, dem Bundestagsabge- ordneten Siegfried Kauder, Landtagsabgeord- neten Karl Rombach sowie Oberbürgermeis ter Thorsten Frei aus Donaueschingen ein histo- rischer Gemeindegrenzstein aus dem Jahre 1764 vor das Gebäude gesetzt. Dieser Stein von der ehemaligen Grenze der Stadt Villingen zu Som- mertshausen und Obereschach wurde vor 40 Jahren durch den Straßenbau entbehrlich und stand bislang vor dem Vermessungsamt in Vil- lingen-Schwenningen. Kunst am Bau aus Eichenstamm Ein weiterer Höhepunkt war die Enthüllung der eigens für die Außenstelle angefertigten Holz- plastik von Zeljko Rusic, einem jungen Künstler, der im Hauptberuf als Forstfacharbeiter beim Landratsamt tätig ist. Die Plastik wurde aus einem heimischen, massiven Eichenstamm mit Motorsäge und Schnitzwerkzeug herausgear- beitet und stellt in Dioramen symbolisch die in der Außenstelle vertretenen Ämter sowie an ih- rer Spitze die Bürgerschaft als deren Auftragge- ber dar. Am Nachmittag stand ein Fußballspiel zwi- schen Schülern der benachbarten Erich-Käst- ner-Schule, einer Schule mit bewegungserzie- 13 13

Außenstelle Donaueschingen herischem Schwerpunkt, und Mitarbeitern des Forstamts an. In einem gemeinsamen Projekt wurden dazu im Vorfeld der Veranstaltung von den Schülern unter Anleitung des Forstamts Ba- lancierpfosten und mobile Holzfußballtore an- gefertigt und am Tag der offenen Tür von Rekto- rin Renate von Witzleben und Landrat Heim ihrer Bestimmung übergeben. Überhaupt waren die Angebote für die Kinder das Herzstück des Ge- samtprogramms. Informationen aus allen Fachbereichen Aber auch das fachliche Programm kam nicht zu kurz. Das Landwirtschaftsamt zeigte im Außen- bereich zwei Kälber des Vorderwälder-Rindes aus dem Betrieb Roman und Martina Braun in Linach und den Versuchsfeld-Mähdrescher für Kleinparzellen. Im Haus gab es anschauliche Informationen zur Tierhaltung und zum Acker- bau, dem Antragsverfahren sowie dem geogra- fischen Informationssystem in der Landwirt- schaft. Zusätzlich konnten sich die Besucher über Schädlinge und Nützlinge im Hausgarten aufklären lassen. Das Vermessungs- und Flurneuordnungsamt demonstrierte sein modernes Geräteinventar im praktischen Einsatz, darunter auch ein GPS- Empfänger zur satellitengestützten, hochge- nauen Positionsbestimmung. Zu sehen gab es außerdem Vermessungs- und Kartenwesen ges- tern und heute und die Arbeit der Flurneuord- nung. Das Forstamt war vorwiegend im Außenbe- reich aktiv und informierte dort über Holzernte, Holzverwendung und Holzenergie. Ein großer Anziehungspunkt war dort auch der Motorsä- gen-Künstler Zeljko Rusic, der mit seinem Ge- schick so manchen Zuschauer zum Staunen brachte. Im Straßenverkehrsamt konnte man sich Auskünfte über die „Aktion Fahrkarte statt Füh- rerschein“, Kennzeichenarten und Fahrerlaub- nisklassen einholen. Außerdem war es möglich, an Ort und Stelle Wunschkennzeichen zu reser- vieren, oder in der Schilderwerkstatt etwas an- fertigen zu lassen. Im Veterinäramt gab es Neues zur Lebens- mittel- und Fleischhygiene zu erfahren. An einem speziellen Projekt wurde die ämterübergreifen- de Zusammenarbeit bei den Kontrollverfahren in der Landwirtschaft aufgezeigt. Hierbei muss bei den Landwirten von der Lebensmittelsicher- heit über Düngerlagerung, Tierhaltung, Pflan- zenschutz bis hin zum Naturschutz die Einhal- tung von 19 EU-Richtlinien überprüft werden. Das Jugendamt präsentierte Informationen zum Jugendschutz, der Tagespflege und den Be- ratungsstand „Impuls“. Ein Großteil der in der Außenstelle beschäf- tigten 154 Personen war am Tag der offenen Tür auf den Beinen, um das Gelingen sicherzustel- len. Die musikalische Umrahmung der Veran- staltung wurde ebenfalls von Bediensteten mit- gestaltet, und zwar den forstlichen Jagdhorn- bläsern und der Combo „Just Friends“ mit Man- fred Nietsch. So konnten am Ende alle auf einen gelungenen Tag mit etwa 4.000 Besuchern zu- rückblicken. Reinhold Mayer Informationen zum Thema Holz gab es durch das Forstamt, groß war das Interesse auch an einer Be- sichtigung des Gebäudes. Immerhin wurden fast 4.000 Besucher gezählt. 14

Gefahrgutzug der Feuerwehren Gefährliche Stoffe sind eine besondere Herausforderung und erfordern viel Spezialwissen Aus dem Kreisgeschehen Einsätze im Zusammenhang mit ge- fährlichen, radioaktiven, biologischen und chemischen Stoffen und Gütern stellen für die Feuerwehren eine be- sondere Herausforderung dar. Da nicht jede Feuerwehr in der Lage ist, die erforderliche Spezialausrüstung vorzuhalten und nicht jeder Feuer- wehrangehörige die notwendige Aus- bildung in diesem Bereich absolvie- ren kann, steht für Gefahrguteinsätze der Gefahrgutzug Schwarzwald-Baar- Kreis zur Verfügung. Dieser Zug wur- de 1994 ins Leben gerufen und unter- stützt die örtlichen Feuerwehren bei Einsätzen mit Gefahrgut. Der Gerätewagen-Gefahrgut: auf ihm ist die Spezialausstattung für Gefahrguteinsätze verlastet. Der Gefahrgutzug setzt sich aus den Feuerwehren Blumberg, Donau- eschingen und VS-Villingen zusammen. Er hat eine Mannschaftsstärke von ca. 50 Mann und ist in drei Gruppen gegliedert: In Donaueschingen ist die Gefahrgut- und in VS-Villingen die Strah- lenschutzgruppe stationiert. Die Aufgabe der Dekontamination – Beseitigung einer radioak- tiven, biologischen oder chemischen Verunrei- nigung von Personen und Geräten – wird von der Feuerwehr Blumberg übernommen. Ausgebildete Atemschutzträger Die einzelnen Gruppen üben in ihrem Aufgaben- gebiet einmal monatlich, zusätzlich finden meh- rere Übungen des gesamten Gefahrgutzuges gemeinsam mit den örtlichen Feuerwehren statt. Zum Jahresprogramm zählt auch immer eine ge- meinsame Übung mit der Chemiewehr der Feuer- wehr Schaff hau sen/Schweiz. Alle Mitglie der sind ausgebildete Atemschutzgeräteträger, viele ha- ben Speziallehrgänge im Bereich Gefahrgut, ABC-Einsatz und Strahlenschutz an der Landes- feuerwehrschule in Bruchsal absolviert. Bis nicht zweifelsfrei feststeht, um welchen gefährlichen Stoff es sich handelt, richten sich die Maßnahmen der Feuerwehr nach der größt- möglichen Gefahr. Bei der Erkundung der Scha- denslage sind eine frühe Feststellung von Art, Eigenschaft und Menge des Stoffes, sowie seine Auswirkung auf Menschen, Tiere und Umwelt von großer Bedeutung. Eine weitere Methode ist der Gefahrstoffnachweis an der Einsatzstelle, beson- ders dann, wenn keinerlei Informationen vorhan- den sind. Hier leistet der Fachberater Chemie Klaus Lachner wertvolle Unterstützung. Mit sei- nem Fachwissen – er hat Biologie und Chemie studiert – ist er bei einem Gefahrguteinsatz nicht mehr wegzudenken. Mit einem Minilabor im Kof- fer, sowie Gefahrstoffdatenbanken auf einem PC, werden von ihm Stoffproben analysiert und das Vorgehen des Einsatzes mit festgelegt. Für das Aufspüren und Messen von Gefahr- stoffen dient der Gerätewagen-Mess bzw. ABC- Erkundungswagen, welcher vom Katastrophen- schutz des Bundes zur Verfügung gestellt wird. Mittels einer chemischen und radiologischen Messeinheit und weiteren Messgeräten ist er eine Komponente im Gefahrgutzug. 15

Gefahrgutzug der Feuerwehren Eine wesentliche Aufgabe ist es, Gefahr- stoffe aufzufangen und aufzunehmen. Für diese Maßnahmen steht der Gerätewagen-Gefahrgut (GW-G), welchen der Landkreis beschafft hat und der in Donaueschingen stationiert ist, zur Verfügung. Darauf sind Chemikalienschutz an- züge, Atemschutzgeräte, diverse Säure- und Umfüllpumpen, Edelstahlbehälter und viel wei- teres Spezialwerkzeug verlas tet. Mit diesem Fahrzeug werden Aufgaben wie z.B. das Abdich- ten von leckgeschlagenen Tankfahrzeugen oder das Bin den und Neutralisieren von Stoffen mit Chemikalienbindern durchgeführt. Einsätze im Bereich radioaktiver Stoffe be- dürfen einer sorgfältigen Abarbeitung. Die Strah- len schutzgruppe der Feuerwehr VS-Villingen ist für diesen Aufgabenbereich speziell ausgebil- det. Hier steht auch der Gerätewagen-Atem- schutz/Strahlenschutz des Landkreises, auf dem sich Schutzanzüge, Atemschutzgeräte und Messgeräte befinden. Die Aufgaben bestehen im Messen der Strahlung, dem Sichern des ra- dioaktiven Materials in dichten Behältern oder gegebenenfalls den radioaktiven Stoff behelfs- mäßig abzuschirmen. Für Messungen steht auch hier der in VS-Villingen stationierte Gerätewa- gen-Mess bereit. Nach jedem Einsatz mit Gefahrgut ist eine Dekontamination von Einsatzkräften sowie von Geräten erforderlich. Die dafür zuständige De- kon-Gruppe wird von der Feuerwehr Blumberg gestellt. Hierfür stellt der Bund den Feuerweh- ren einen Dekontaminations-LKW „Person“ (Dekon-P) zur Verfügung. In den darauf verlas- teten Schnelleinsatzduschzelten oder einer Ein- Personen-Dusche erfolgt mit Wasser und evtl. Zusatzstoffen die Reinigung der Chemieschutz- anzüge und der Personen. Bei all den Einsätzen ist zum Schutz der Ein- satzkräfte die entsprechende Schutzausrüstung zu tragen, die sich vom leichten bis zum schwe- ren Chemikalienschutzanzug und dem Kontami- nationsschutzanzug für Einsätze im radioak- tiven Bereich erstreckt. Zugführer des Gefahrgutes ist Brandmeister Edgar Schiesel/Donaueschingen, sein Stellver- treter Brandmeister Werner Morath/VS-Villin- gen; der Dekon-Gruppe Blumberg steht Grup- penführer Jörg Waimer vor. Manfred Bau, Kreisbrandmeister Bilder unten, v. links: Messung auf Verstrahlung einer mit radioaktivem Material in Verbindung ge- kommenen Person. Das Fahrzeuginnere mit dem Arbeitsplatz am Messcontainer. Einbringen eines Gefahrstoffes in ein resistentes Überfass durch Feu- erwehrangehörige unter Chemikalien-Vollschutz- anzug. 16

Attraktives Kreismedienzentrum Leiter Martin Toth verstand es immer, das Angebot den Bedürfnissen anzupassen Aus dem Kreisgeschehen Ob Dokumentation für den Geschichtsunter- richt, literarisches Portrait für Deutsch oder An- schauungsmaterial für naturwissenschaftliche Fächer: Es gibt kaum einen Lehrerwunsch, den das Kreismedienzentrum nicht erfüllen kann. Hier gibt’s für jeden Zweck den passenden Film und die passende Software. Schulen sind die größte Zielgruppe, bei weitem nicht die einzige. „Wenn neue Medien sinnvoll genutzt werden, können sie ein Segen für alle Generationen sein, von Kindergartenkindern bis zu Senioren“, sagt Martin Toth, der das Kreismedienzentrum fast 30 Jahre lang geleitet und den sich wechselnden Bedürfnissen der Nutzer angepasst hat. Zum Ende dieses Schuljahres verabschiedete er sich aus dem Berufsleben und damit auch von sei- nem zweiten Arbeitsplatz unter dem Sitzungs- saal des Landratsamts. Der gebürtige Donauschwabe ist 1977 auf Umwegen in Villingen-Schwenningen gelandet, 1980 kam er zur damaligen Kreisbildstelle und wurde ein Jahr später deren Leiter. Diese Positi- on ist an eine Anstellung als Lehrer gekoppelt, von dessen Deputat ein paar Stunden abge- zwackt werden. Dass Martin Toth überhaupt Lehrer werden und an der Pädagogischen Hoch- schule in Karlsruhe studieren konnte, hat er in- direkt der „Ost-Priesterhilfe“ zu verdanken. Die half enteigneten und mittellosen Fami- lien, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre deut- schen Dörfer auf dem Balkan verlassen muss- ten. Die Familie Toth fand 1955 bei Verwandten in Baden-Württemberg Zuflucht, Martin Toth kam nach Österreich ins Internat des Benedik- tinerstifts Seitenstetten. Hier wurde ihm wie anderen Flüchtlingsbuben eine humanistische Bildung zuteil, dies zwar für Gottes Lohn, aber mit dem Hintergedanken, aus den Zöglingen später priesterlichen Nachwuchs rekrutieren zu können. Martin Toth studierte auch folgsam drei Semes ter Theologie, außerdem Philosophie; beides fand er „spannend“, aber die einseitigen Martin Toth, der das Kreismedienzentrum fast 30 Jahre lang leitete, verstand es stets, das Angebot attraktiv zu halten und den wechselnden Bedürfnis- sen der Nutzer anzupassen. beruflichen Perspektiven waren dann doch zu wenig verlockend. An der PH in Karlsruhe wurden Deutsch, Re- ligion und Biologie Studienschwerpunkte. Nach Stellen in Pforzheim und Ettlingen zog der Jung- lehrer mit seiner Familie nach Villingen um und zwar der guten Luft wegen. Martin Toth unter- richtete an verschiedenen Schulen in Stadt und Umland, zuletzt an der Grund- und Hauptschule in Pfaffenweiler. Er war natürlich stets darum be- müht, Medien in den Unterricht zu integrieren, 17

Aus dem Kreisgeschehen schließlich saß er in der Kreisbildstelle an der Quelle. Er hat früher leidenschaftlich gern im Super-8-Format gefilmt und ist bis heute bren- nend an der technologischen Entwicklung filmi- scher Medien interessiert. Früher war die Unterbringung all der vielen Filmrollen und Videokassetten ein Dauerprob- lem. Die Kreisbildstelle war ständig auf Wander- schaft, zog von der Saarlandstraße in den Kai- serring und Goldenbühl und platzte überall räumlich aus den Nähten. Beim Neubau des Landratsamts wurde sie konzeptionell berück- sichtigt und zeitgemäßer in Kreismedienzen- trum umgetauft. Obwohl inzwischen dank der handlicheren DVDs der Platzbedarf geringer ist und Martin Toth immer wieder „ausmistet“, quel- len die Räume über an Material. Rund 16.000 Me- dien – Filme, Videos, DVDs – lagern in den langen Regalen. Mit Enthusiasmus und viel Gespür für den Bedarf initiierte Martin Toth immer wieder be- sondere Projekte, die manchmal ein Eigenleben entfalteten. So war das Mitte der 80er-Jahre, als der Film- und Medienfan die Kinder- und Jugend- videothek ins Leben rief, aus der später die Vi- deo-Werkstatt wurde. Hintergrund war der be- ginnende Boom an Gewalt- und Horrorfilmen; Toth erinnert sich mit Grauen an die inflationäre Produktion von Zombie-Filmen: „Es war eine Mutprobe, sie anzuschauen.“ Seit Jahren wird die kreative Video-Werkstatt von Dietrich Dank- sin fachlich und pädagogisch betreut, inzwi- schen erweitert um das Audio-Musik-Studio, das in der Christie-Brown-Schule untergebracht ist. Junge Bands produzieren hier unter semi- professionellen Bedingungen ihre ersten CDs. Hauptaufgabe ist Versorgung der Schulen Hauptaufgabe des Kreismedienzentrums bleibt freilich die Versorgung der Schulen mit Medien im Kreis. Die Resonanz wächst und ist gut, nach Toths Geschmack könnte sie aber besser sein. Von rund 100 allgemeinbildenden Schulen ge- hören 40 Prozent zu den Stammkunden, die an- deren bedienen sich nur gelegentlich aus dem breit gefächerten Medienangebot. Manche Lehrkräfte seien nach wie vor zurückhaltend bei 18 der Mediennutzung. „Sie haben das Potenzial nicht erkannt und sind gehemmt, dafür kopieren sie immer noch wie die Weltmeister.“ Dabei ha- be schon Leonardo da Vinci gewusst: „Der Mensch, ein Augenwesen, braucht das Bild“ und dieser Satz ist auch das Motto des Kreismedienzen- trums. Ob digitale Fotografie, Internet-Recher- che oder Powerpoint-Präsentation, das selbst- ständige Experimentieren und Üben begeistere die Jugendlichen, wecke ihre Kreativität und sor- ge für Erfolgserlebnisse und Kompeten zen. „Die Schüler dort abholen, wo sie stehen“ Als nachgerade „revolutionär“ hat Toth die Ent- wicklung der DVD, der Digital Video Disc, emp- funden und wirbt insbesondere für didaktische DVDs. Sie könnten das Lernen und Lehren enorm erleichtern, das hat er selbst in seiner langjäh- rigen Unterrichtspraxis immer wieder erlebt. Und: Neue Medien können nach seiner Überzeu- gung in jedem Fach verwendet werden, auch in Musik und Religion. „Wir müssen die Schüler dort abholen, wo sie stehen.“ 1996 hat er als Lehrer an der Roggenbachschule Unterkirnach eine „Lernwerkstatt“ initiiert, die mit Hilfe des Fördervereins aufgebaut wurde und das medi- engestützte Lernen fördern soll. Die Lernwerkstatt stellt hierfür PC-Arbeits- plätze mit Internet-Zugang, Filmprojektoren, Audiostationen, Fernsehecke etc. und nicht zu vergessen – eine reichhaltig ausgestattete Schülerbücherei zur Verfügung. Die Lernwerk- statt kommt bei den Schülern und Schülerinnen bestens an und motiviert zu eigenverantwortli- cher Arbeit. Inzwischen sind Schulnetzwerke fast über- all etabliert, auch dabei leistet das Kreismedi- enzentrum wertvolle Hilfestellung. Dies in Ge- stalt von Bernhard Eisele, der als Schulnetzbe- rater alle an einem Schulnetzwerk Beteiligten betreut. Er kümmert sich um die Hardware und empfiehlt Programme, die die Kollegen im klei- nen Schulungsraum des Medienzentrums ken- nenlernen und ausprobieren können. Bei der Auswahl der Lernsoftware ist Martin Toth gern behilflich, sie ist sein Steckenpferd. Als er während seiner Tätigkeit in der Unterkir n-

Attraktives Kreismedienzentrum Dias und einer Kinderge- schichte in Buchform. Die- se Medien können dazu anregen, in der Gruppe ei- ne Geschichte zu erzäh- len, die danach gemalt oder nachgespielt werden könnte. Es geht immer um das Prinzip: „Hilfe zur Selbsthilfe.“ Das hat sich auch bei den Senioren im Landkreis herumgesprochen, die das Kreismedienzentrum vor allem als filmische Fundgrube schätzen. Die enthält nebst Reiserepor- tagen und historischen Filmen auch kleine cineas- tische Schmankerl aus den Anfangszeiten der bewegten Bilder; beliebter Klassiker ist „Dick und Doof“. Zu besonderen Anlässen wird immer wieder der Kreisfilm „An den Quellen von Donau und Neckar“ im 16-Milli- meter-Format entliehen, überhaupt befassen sich viele Ältere gern mit Heimatkunde und an- gestammten Traditionen. Medien werden zeitgemäß im Internet bestellt Früher mussten dicke Kataloge gewälzt werden, um sich Material aus der Kreisbildstelle leihen zu können, im Kreismedienzentrum wird zeitge- mäß im Internet bestellt. Ein Passwort ermög- licht den Zugang zum Recherche-Programm, via E-Mail wird das gewünschte Medium dann re- serviert. Für Verwaltung und Verleih sind vier Halbtagskräfte im Sekretariat zuständig, Aus- wahl und Anschaffung der Medien ist Aufgabe des Leiters. Martin Toth vertraut auf anerkannte Institute mit strenger Qualitätskontrolle, etwa auf das Institut für Filme in Wissenschaft und Unterricht (FWU) in München und auf die Emp- fehlungen der Begutachterkommission des Lan- desmedienzentrums Baden-Württemberg. Sei- nen Ruhestand kann er sich übrigens noch nicht recht vorstellen, nur eines ist sicher: „Ich werde aktiv bleiben.“ Christina Nack 19 Mit Begeisterung sind die Schüler beim Trickfilm- workshop dabei, ein Angebot der „Lernwerkstatt“. acher Roggenbachschule die unzureichenden Deutschkenntnisse vieler Aussiedlerkinder be- merkte, führte er Lernprogramme für Deutsch ein. Die bewährten sich so gut, dass Toth eine Lerngruppe initiierte, die sich seit einigen Jah- ren im Kreismedienzentrum trifft. Jeden Mitt- woch- und Freitagnachmittag kommen Kinder, deren Muttersprache russisch ist. Unterrichtet werden sie von Natalia Rogow, einer aus Russ- land ausgesiedelten Lehrerin, die die sprach- lichen Fortschritte der Schüler bei einem be- liebten Spaziergang durch die Stadt testet. Un- terwegs müssen Aufgaben gelöst werden, wozu die Kinder und Jugendlichen mit Passanten oder Geschäftleuten ins Gespräch kommen sollen. Das ist eine kleine Herausforderung, die viel Spaß und Fortschritte unmittelbar erlebbar macht. „Kinder lernen Bücher lieben“ „Medien geben Impulse“, stellt Martin Toth fest, bereits im Kindergarten habe sich ihr Einsatz bewährt. „Kinder lernen Bücher lieben“ heißt eine von ihm geschätzte Bilderbuchreihe mit

Aus dem Kreisgeschehen Schwenningen bekommt einen neuen Stadtpark Der Güterbahnhof – eine Industriebrache wird Landesgartenschaugelände 2010 Im Januar 2008 ging es los: Eine ganze Armada von Baumaschinen rückte an, um der Güterbahn- hofsfläche in VS-Schwenningen ihr zukünftiges Gesicht zu geben. Die bis dahin brachliegende Fläche blickte auf eine lange und intensive in- dustrielle Nutzung zurück, denn mit der aufstre- benden Industrie in Schwenningen Anfang des letzten Jahrhunderts wurde der Bereich des Gü- terbahnhofes zu einem zentralen Umschlag- und Lagerplatz auch für eine Vielzahl umweltge- fährdender Stoffe. So wurden zum Beispiel zur Entfettung der Metalle bei der Uhrenherstellung Lösungsmittel (chlorierte Kohlenwasserstoffe – CKW) umgeschlagen und gelagert. Der Um- gang mit solchen Stoffen war im Hinblick auf mögliche Boden- und Grundwasserverunreini- gungen bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts relativ sorglos. Zudem wurden während des Zweiten Weltkriegs bei einem Luft- angriff der alliierten Streitkräfte mit mehr als 100 Bombenabwürfen die vorhandenen Tankla- ger komplett zerstört, gefährliche Stoffe ge- langten so in den Untergrund und Kampfmittel- reste verblieben im Boden. Abb. 1: Geologische Situation 20 Erkundung, Planung, Sanierung Sowohl die Kriegseinflüsse als auch der jahr- zehntelange Umgang mit Chemikalien haben auf der Fläche ihre Spuren hinterlassen. Um- fangreiche Erkundungen über sechs Jahre wa- ren notwendig, um sich ein Bild über die Verun- reinigung von Boden und Grundwasser zu ma- chen. Im Auftrag der Deutschen Bahn AG und der Stadt Villingen-Schwenningen wurde von fachkundigen Ingenieurbüros gemeinsam mit dem zuständigen Amt für Wasser- und Boden- schutz beim Landratsamt das umfangreiche Er- kundungskonzept erarbeitet und durchgeführt. So mussten für die Erkundung über 600 Boden- sondierungen durchgeführt, 65 Grundwasser- messstellen gebaut und entsprechende Grund- wasserpumpversuche, Boden- und Wasseranaly- sen ausgeführt werden. Insgesamt waren mehr als 6.000 Analysenergebnisse zu interpretieren. Dabei wurden die Erkundungen in diesem Bereich zum Teil durch den komplexen geolo- gischen Aufbau des Untergrundes erschwert. Doch mit jedem Erkundungsschritt wurde die geologische Situation und die zum Teil massive Boden- und Grundwasserbelastung deutlicher. In der Abb. 1 sieht man einen Blick in den geolo- gischen Untergrund und die grundwasserfüh- renden Schichten. Die festgestellte Belastungssituation war teilweise erschreckend. So wurden im Grundwas- ser Belastungen mit chlorierten Kohlenwasser- stoffen (CKW) von bis zu 540.000 µg/l festgestellt. Dies entspricht einer 54.000-fachen Überschrei- tung des zulässigen Grenzwertes von 10 µg/l. Mineralöle waren bis zu 3.400.000 µg/l im Grund- wasser nachzuweisen. Der Grenzwert liegt hier bei 200 µg/l. Aufbauend auf den Erkundungsergebnissen, die im Wesentlichen drei Schadensschwerpunkte

(Abb. 2) und die Notwendigkeit von flächiger Ent- sorgung von belastetem Boden ergab, konnte die Sanierung der Güterbahnhofsfläche geplant werden. Bei der Sanierungsplanung musste beachtet wer den, dass das Areal in eine sensible Nutz- fläche zur Freizeitgestaltung mit Kinderspielbe- reichen und zukünftigen Wohnzwecken entwi- ckelt werden soll. Durch die Bombardierung im Krieg musste neben den Verunreinigungen zudem mit Blind gängern gerechnet werden. Für die Pha- se der Bauarbeiten waren weiterhin umfang- reiche Planungen zum Schutz der Bevölkerung, der auf der Baustelle Beschäftigten sowie der angrenzenden Bebauung erforderlich. Diese Pla- nungen mündeten in einen vom Landratsamt für verbindlich erklärten Sanierungsplan, der seit Januar 2008 durch die Deutsche Bahn AG und die Stadt Villingen-Schwenningen umgesetzt wird. Der Sanierungsplan sah vor, dass im Schutz einer Grundwasserhaltung mit nachgeschalte- ter Wasseraufbereitung und Versickerung von sauberem Grundwasser ein Bodentausch in den drei hoch belasteten Schadensbereichen durch- geführt werde. Insgesamt mussten dafür über 50.000 m³ Boden aufgenommen, gut achterlich beurteilt und ordnungsgemäß entsorgt werden. Mit Abschluss der Bodensanierung im Septem- ber 2008 wird sich ab Anfang 2009 eine mehr- jährige Sanierung des Grundwassers anschlie- ßen. Hierzu wird das Grundwasser über zehn Grundwasserbrunnen aus zwei Grundwasser- stockwerken gefördert, über eine Aktivkohle- anlage gereinigt und an- schließend in den Neckar eingeleitet. Neben dieser eigent- lichen Altlastensanierung waren auf dem restlichen Abb. 2: Sanierungsgebiet mit drei Schadensherden (Lage siehe Ziffern 1-3). Stadtpark Schwenningen Gelände Erdarbeiten in der gleichen Größenord- nung von ca. 60.000 m³ erforderlich, um die Fläche an ihre zukünftige Nutzung anzupassen. Auch hier musste belasteter Boden untersucht und entsprechend entsorgt werden. Auch für den Neckar wurde das zukünftige Profil im Zuge der Bodensanierung vorbereitet. Der Neckar soll hier, wie im gesamten Stadtge- biet, wieder offen durch das zukünftige Landes- gartenschaugelände fließen und einen wichti- gen Akzent in der Landesgartenschau setzen. Außer einer nachhaltigen Verbesserung der Boden- und Grundwasserqualität wird durch die Sanierung der ehemaligen Brachfläche rund um den Güterbahnhof Schwenningen, dieses Ge- lände wieder einer sinnvollen städtebaulichen Nutzung zugeführt – das ist ganz im Sinne des Flächenrecyclings. Es entsteht in Schwenningen ein wertvoller Erholungsraum in Form von Park- anlagen sowie Flächen für eine spätere Wohnbe- bauung. Die Sanierung Schritt für Schritt Die nachfolgenden Bilder geben einen Eindruck über die im Jahr 2008 durchgeführten Arbeiten. Das Luftbild in Abb. 2 ist vor der Sanierung entstanden. Im hinteren Bildbereich vor dem Gebäudekomplex der Uhrenfabrik Jäckle ist eine befestigte Parkplatzfläche zu erkennen. Der mittlere Bildbereich zeigt die bereits bis auf die 21

Aus dem Kreisgeschehen Bodenplatten abgebrochenen Gebäudekom- plexe der ehemaligen Lösemittelzulieferer. Dort sind bei den Erkundungsarbeiten insgesamt drei sehr schwere Schäden mit Boden- und Grund- wasserverunreinigungen festgestellt worden. Die beiden blauen Container in der Bildmitte sind Grundwasserreinigungsanlagen, die instal- liert waren, um das Grundwasser bis zum Be- ginn der Sanierung zu sichern. Damit war sicher- gestellt, dass bis zur eigentlichen Sanierung kei- ne Schadstoffverschleppung mit dem Grundwas- ser erfolgen kann. Im vorderen Bildbereich sind noch vier La- gerhallen und ein Tankstellengelände zu erken- nen. Die hinteren beiden Hallen wurden im Lauf der Sanierung entfernt. Die vorderen beiden Hal- len bleiben als Ausstellungshallen für die Lan- desgartenschau erhalten. Das Tankstellengelän- de liegt wie das Gelände der ehemaligen Uhren- fabrik Jäckle außerhalb der hier beschriebenen Sanierungsmaßnahme. Beide werden allerdings bis zum Beginn der Landesgartenschau eben- falls zurückgebaut. Zu sehen sind auch die ers- ten Arbeiten im Möglinspark im Bildvordergrund. Die Abb. 3 zeigt beispielhaft, welchen Zu- stand die Fläche vor dem Beginn der Sanierung hatte. Im linken Bildteil sind noch Reste von ehemaligen Gebäuden zu erkennen. Die Boden- platten wurden beim Abbruch der Gebäude ab- sichtlich belassen, um auszuschließen, dass Abb. 3: Der Zustand vor der Sanierung. 22 Nie derschlagswasser bis zur Bodensanierung zu einer Schadstoffmobilisierung führen kann. Der rechte Bildteil zeigt einen unbefestigten Ge- ländeteil mit Bauschutt und Grüngutablage- rungen und im hinteren Bildbereich sind bereits erste Erdbewegungen zu sehen. Die Sanierungsarbeiten begannen mit einem Rückbau der noch vorhandenen Bodenplatten, um überhaupt an die Schäden heranzukommen. Bereits bei der Freilegung der Fundamente wur- den die ersten Boden- und Grundwasserverun- reinigungen sichtbar. Im weiteren Verlauf der Sanierung wurde hoch belasteter Boden ausgegraben, der auf LKW aufgeladen und zu Sonderabfallbehand- lungsanlagen transportiert wurde. Dabei wurde auch das ganze Ausmaß der Grundwasserverun- reinigung sichtbar. Exemplarisch dafür zeigt Abb. 4 im Vordergrund den freiliegenden Grund- wasserleiter mit aufschwimmender Ölphase. Die schwarze Erde im Hintergrund ist Erdmate- rial, das wie ein Schwamm mit Öl vollgesaugt ist und deshalb entsorgt werden musste. Die blauen Container im Hintergrund stellen die Ab- wasserbehandlungsanlage dar. Dort wurde das schadstoffhaltige Grundwasser über einen mehr- stufigen Abscheide-/Filtrationsprozess bis auf Trinkwasserqualität vorbehandelt und das sau- bere Grundwasser versickert anschließend wie- der an Ort und Stelle. Rechts des Ölsees ist ein bereits sanierter und wiederverfüllter Bereich (helles Erdmaterial) zu sehen. Über die dicken grauen Rohrleitungen, die im Bildhintergrund zu sehen sind, wurde die schadstoffhaltige Abluft abgesaugt und ebenfalls mehrstufig gefiltert, bevor sie in die Atmosphäre abgegeben wurde. Neben diversen unterirdischen Tanks, die im Vorfeld zur Sanierung bereits bekannt waren, hat man bei der Sanierung auch mehrere vergra- bene Fässer gefunden. Nach Abschluss der Bo- densanierung wurde die Sanierungsbaugrube mit sauberem Erdmaterial verfüllt. Profilierung Landesgartenschau – Die Offen- legung des Neckars Die Abb. 5 dokumentiert die Umgestaltungsmaß- nahmen für die Landesgartenschau mit Offenle-

Abb. 4/5: Die Sanierungsarbeiten laufen, die Neckarprofilierung hat begonnen. Erhalten blieb dabei ein Bahn-Stellwärterhaus, das auf dem Bild in der Mitte im Hintergrund zu sehen ist. gung des Neckars. Ein Bagger hat den künftigen Neckarverlauf aus- gehoben. Das Besondere daran war, dass der Bagger mit einem GPS-System ausgerüstet und das zukünftige Rohprofil im Bagger digital abgespeichert war. Ein Display im Bagger zeigte dem Fahrer genau an, wo sich der Bagger gerade befand und wie tief die Baggerschaufel in den Untergrund greifen muss, um das geplante Rohprofil herzu- stellen. Rechts und links des Neckarverlaufs ist bereits das fertige Rohplanum auf Höhe der Uhrenfabrik Jäckle zu sehen. Der Bildhintergrund zeigt ein Stell- wärterhaus, das unter Denkmal- schutz steht und erhalten bleibt. Kampfmittelproblematik Die bekannten Bombentrichter aus einem Luftangriff während des Zweiten Weltkriegs sind in Abb. 6 zu sehen. Der Fund eines 250 kg Bombenblindgängers sorgte am 18. Juni 2008 dafür, dass bei der Entschärfung zum Schutz der Bevölkerung eine Eva kuierung im Umkreis von 150 m durchgeführt werden musste. Abb. 7 zeigt den Bombenblind- Abb. 6: Eine besondere Problema- tik waren die Bombentrichter aus einem Luftangriff im Zweiten Welt – krieg, die auf der Darstellung ein- gezeichnet sind. Stadtpark Schwenningen 23

Stadtpark Schwenningen Abb. 7/8: Ein Blindgänger wurde in der Neckarböschung entdeckt, rechts der Abtransport. ist nun soweit vorbereitet, dass die Grünplaner und Gärtner im kommenden Jahr dem Gelände das endgültige Gesicht für die Landesgarten- schau geben können. Aus Sicht der Behörden stellt die Sanierung nicht nur einen erheblichen Gewinn für die Um- welt dar. Auch die Bevölkerung wird durch den Erholungscharakter, den die Fläche inmitten des Stadtzentrums erhalten wird, in großem Maße gewinnen. Thomas Lewandowski / Michael Koch gänger, wie er bei Grabarbeiten in der Neckar- böschung entdeckt worden ist. Links oben am Blindgänger ist der noch intakte Zündmechanis- mus zu sehen. In Abb. 8 ist der Abtransport der entschärften Bombe dargestellt. Am Vormittag des 19. September 2008 stie- ßen Bauarbeiter auf dem künftigen Landesgar- tenschaugelände bereits zum zweiten Mal auf eine rund 250 Kilogramm schwere amerikani- sche Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. In unmittelbarer Nähe der BP-Tankstelle, die wegen der Gartenschau in die Nähe des Süd- westmessegeländes umgesiedelt werden soll, lag die Bombe mehr als zwei Meter tief im Erd- boden. Etwa 100 Anwohner der benachbarten Neckarstraße mussten in einem Radius von 300 Metern um den Fundort aus Sicherheitsgründen evakuiert werden. Insgesamt etwa 200 Kräfte des THW, der Po- lizei und der Rettungsdienste waren vorsorglich im Einsatz. Am Spätnachmittag konnten dann zwei Spezialisten eines Kampfmittelbeseiti- gungsdienstes aus Stuttgart Entwarnung geben: die US-Flieger-Bombe war entschärft. Ein erfreuliches Fazit Die Sanierungs- und Umgestaltungsmaßnahmen liefen im Jahr 2008 auf Hochtouren. Nach weni- ger als einem Jahr ist die Fläche schon nicht mehr wiederzuerkennen und die über Jahr- zehnte entstandenen Verunreinigungen konn- ten entscheidend minimiert werden. Die Fläche Abb. 9: Sanierung am 30. Mai 2008. 24

Aus dem Kreisgeschehen Bei der ersten Einbürgerungsfeier im Schwarzwald-Baar-Kreis wurde 17 Personen, durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde, die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. Mit der Verleihung der deutschen Staats angehörigkeit wurden im Zeit- raum vom 1. Januar 2007 bis 30. Juni 2008 im Schwarzwald-Baar-Kreis 323 Men- schen in den Kreis der deutschen Staatsbürger aufgenommen. Die Einbürgerung bringt zum Ausdruck, dass die Menschen sich nachhaltig in die rechtlichen, sozialen und gesellschaftli- chen Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet haben und sich zu den Werten der freiheitlichen Grundordnung bekennen. Die Einbürgerung ist somit erfolg- reicher Abschluss und höchste Stufe eines gelungenen Integrationsprozesses. Die deutsche Staatsangehörigkeit anzuneh- men ist mehr als nur eine Formalie, die man nebenbei auf dem Amt erledigt: Die Neubürger haben sich bewusst zu Deutschland als ihrem Land bekannt und übernehmen damit alle Rechte und Pflichten, die für alle Deutschen gelten. Um der hohen Bedeutung der Einbürge- rung Ausdruck zu verleihen und um den gelun- genen Integrationsprozess zu dokumentieren, führte der Schwarzwald-Baar-Kreis erstmals in seiner Geschichte am 17. Juli 2008 eine Einbür- gerungsfeier durch. Im großen Sitzungssaal konnte Landrat Heim 140 Neubürger samt An- gehörigen sowie weitere 17 Einbürgerungsbe- werber und Gäste aus dem politischen Leben willkommen heißen. Bundestagsabgeordneter Siegfried Kauder (CDU) ging in seiner Festrede ebenfalls auf den wichtigen Integrationsge- danken ein. Während der Einbürgerungsfeier wurden 17 Personen durch Aushändigung der Einbür- gerungsurkunden durch Herrn Landrat Heim eingebürgert. Zusammen haben sie feierlich den Eid geleistet, das Grundgesetz und die Ge- setze der Bundesrepublik Deutschland zu ach- ten und alles zu unterlassen, was ihr schaden könnte. Erste Feier zur Einbürgerung Sehr berührt waren die Anwesenden, als Francisco-Javier Orive stellvertretend für alle Neubürger seine Lebensgeschichte vom Weg- zug aus seinem Geburtsland Spanien bis zu seiner Einbürgerung erzählte. Zum Abschluss der offiziellen Feier sang der Saal gemeinsam die deutsche National- hymne. Für die anwesenden Neubürger gab es ei- nen Kulturpass zum Kennenlernen der Sehens- würdigkeiten des Schwarzwald-Baar-Kreises und ein Grundgesetz. Beim gemütlichen Aus- klang der Feier wurden Erfahrungen ausge- tauscht und viele Kontakte geknüpft. Fünf aus- ländische Vereine boten hierzu Spezialitäten ihrer Herkunftsländer an und bereicherten die Verköstigung durch die Internatsküche der Hotelfachschule. Ulrike Straub 25

Aus dem Kreisgeschehen Kulturfestival aller Schulen in Villingen „Internationale Musische Tagung – IMTA“ versammelt über 3.000 Pädagogen Mit einem beeindruckenden Kulturereignis spreng- ten über 90 Schulen des Schwarzwald-Baar-Krei- ses die Kreis- und Landesgrenzen und luden ein zur 52. Internationalen Musischen Tagung nach VS-Villingen. Über 3.000 Pädagogen aus den angrenzenden Landkreisen, aus Bayern, Öster- reich, Liechtenstein und der Schweiz folg ten den Einladungen des Schulamtes in die alte Zähringerstadt. In den sonnendurchfluteten Stra- ßen und Gassen wurde ein Kulturfest voll sprü- hender Lebendigkeit inszeniert. Die Internationale Musische Tagung hat ihre Wurzeln in der Bodenseeregion. Nach den Kriegs wirren des Zweiten Weltkrieges standen mutige Pädagogen aus dem Kanton Thurgau (CH) ihren deutschen Kollegen im Bodensee- kreis mit ideeller und materieller Hilfe zur Seite, um schulisches Arbeiten und Unterrichten wie- der zu ermöglichen. Daraus entwickelte sich ei- ne internationale Gemeinschaft rings um den Bodensee. Mit der ersten Internationalen Mu- sischen Tagung 1956 in Kressbronn am Boden- see wurde der Grundstein dieser jährlich an ei- nen anderen Ort rings um den Bodensee wieder- kehrenden Großveranstaltung gelegt. Das Ziel, länderübergreifend Unterrichtsinhalte und Akti- vitäten der künstlerischen Fächer und Fächer- verbünde der Öffentlichkeit zu präsentieren und einen Überblick über neue Entwicklungen zu ge- ben, wird nun von Schulräten, den sogenannten IMTA-Räten, ohne Statuten, ohne Reglement weitergegeben. Ein gewählter IMTA-Präsident leitet die Ratssitzung des Gremiums. Die IMTA-Idee begeistert sofort Ein Glücksfall für die künstlerisch aktiven Päda- gogen ergab sich mit der Bestellung von Georg Bucher, Schulamtsdirektor a.D., vom damals Staatlichen Schulamt Konstanz zum Leitenden Schulamtsdirektor des Staatlichen Schulamts Villingen-Schwenningen. Georg Bucher brachte aus der Bodenseeregion die Idee für die Durch- führung der Internationalen Musischen Tagung in den Schwarzwald-Baar-Kreis. Zum ersten Mal war die Stadt VS-Villingen 1986 Austragungsort, 1996 die Stadt Donaueschingen und 2008 mit der 52. Internationalen Musischen Tagung wie- der die Stadt VS-Villingen. Begeisterte Zuhörer und Zuschauer fanden die Programmpunkte der IMTA auch bei den Ehrengästen, da- runter (von links) Schulrat Victor Schellinger, Schulrat Hans-Joachim Hartung, Schulamtsdirektorin Marion Becker-Schwier, Landrat Karl Heim, Dr. Rupert Kubon, Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen sowie CDU-Landtagsabgeordneter Karl Rombach. 26

Aus dem Kreisgeschehen 27 An die hundert Flaggen, jede von einer anderen Schule des Schwarzwald-Baar- Kreises, wurden zur Eröffnung der IMTA durch die Villinger Innenstadt getragen. In der Neuen Tonhalle begeisterte bei der Eröffnung der IMTA das Musical der Brig achtäler Schüler, das die Freund- schaft zwischen einem Zebra und einer Giraffe zum Thema hatte.

Aus dem Kreisgeschehen Nahezu 90 Schulen präsentieren sich „Tore auf! – Wir zeigen Flagge“, unter diesem Motto präsentierten sich nahezu 90 Schulen des Schwarzwald-Baar-Kreises einem internati- onalen Publikum aus nah und fern. In wochen- und monatelangen Vorbereitungen wurde ein imposantes, abwechslungsreiches Programm für ein großes Kulturfestival mit Kunst, Musik und Theater aus Grund-, Haupt-, Real- und Sonder- schulen und auch Gymnasien und Privatschulen von einem IMTA-Kernteam zusammengestellt. Die verschiedenen Begegnungsorte der IMTA wurden in die Villinger Altstadt mit ihren histo- rischen Gebäuden und Innenstadtschulen ge- legt. Dieser sogenannte IMTA-Weg war das Herz- stück der Veranstaltung. Neben den musischen Fächern (Musik, Bildende Kunst, Sport und Tanz) waren ebenso außerschulische Partner (Musik- akademie, Kindergärten, Museumspädagogik etc.) mit ihrer Vielfalt vertreten. Angefangen von einem Großprojekt (Silogestaltung) im Indu- striegebiet Vockenhausen, Musikaufführungen, Theaterstücken, Fahnengestaltung, Sessions, Umzüge bis hin zum Zirkusprojekt, wurde ak- tives, lebendiges Schul leben in einer ungeheuren Fülle gezeigt. Über 200 verschiedene Ausstel- lungen, Mit-Mach-Aktionen, Vorführungen und Die IMTA bot in der Villinger Altstadt eine Vielzahl von Orten der Begegnung – 90 Schulen aus dem Landkreis beteiligten sich. 28 Konzerte luden die Besucher aus dem gesamten IMTA-Einzugsgebiet ein, sich von der Arbeit der Schulen des Kreises inspirieren zu lassen. Die Vorbereitungen zu diesem Tag began- nen vor ca. zwei Jahren. Das Kernteam (Schellin- ger, Dr. Eppler, Hirt, Graf, Jäger und Todt) entwi- ckelte den Rahmen und befasste sich mit der Logistik, suchte Sponsoren, gestaltete den In- ternetauftritt, ließ Flyer, Plakate und Kurzpro- gramm drucken. Über eineinhalb Jahre wurde in zahlreichen und regelmäßigen Treffen diese Groß- veranstaltung intensiv vorbereitet. Was aus einer solchen, vor über 50 Jahren ge borenen Idee werden kann, wurde eindrucks- voll bei strahlendem Frühlingswetter am 8. Mai 2008 präsentiert. In der Eröffnungsveranstal- tung in der Tonhalle gestand Landrat Heim: „Es geht einem ans Herz, welches Potenzial an den Schulen vorhanden ist.“ Er begrüßte in der Ton- halle die Pädagogen der Bodenseeregion sowie zahlreiche Besucher „zum größten Kulturevent nördlich der Alpen“. Auch der Präsident der IMTA, Beat Benkler (Kanton Thurgau), stellte den Wert der Musischen Bildung in den Mittelpunkt sei- ner Begrüßungsworte: „Musische Bildung ist kein Randfach, sondern Kernkompetenz, weil sie den ganzen Menschen erfasst.“ Durch sie erst, so Benkler, könnten junge Menschen sich selbst und ihre besonderen Gaben, aber auch die Fähigkeiten des Anderen entdecken. Ein IMTA-Weg mitten durch die Stadt Nach der ca. einstündigen Eröffnungsveranstal- tung verwandelte sich die Villinger Innenstadt in ein buntes Kaleidoskop schulischer, schöpferi- scher Tätigkeiten, welche im Unterricht erarbei- tet und in Szene gesetzt wurden. Der IMTA-Weg führte von der Tonhalle mit weiteren Veranstal- tungen über die Gerberstraße zu einer Vernissa- ge in den Schalterräumen der Sparkasse hin zu Theateraufführungen im Thea ter am Turm. Wei- ter ging es durch die Niedere Straße zum La t- schariplatz mit Kunstaktionen, welche die Villin- ger Bürger mitreißen sollten für das Spektakel dieses Tages. In den St. Ursula Schulen wurden das Ergebnis des Silowettbewerbes präsentiert, das Musical „Tuishi und Pamoja“ oder „Tom

Farbenprächtig und aus drucksstark: Schü- ler der Villinger Bicke- bergschule zeigen mit- ten in der Villinger Alt- stadt eine Performance zum Thema Verkehr. Unten: Rhyth mische Sportgymnastik mit vielen Schwierig- keiten präsentierten bei der Eröffnungsveranstaltung 25 Schülerinnen und Schüler der 7. bis 10. Klassen der Realschule Blumberg in einer fetzigen Show. Aus dem Kreisgeschehen 29

Aus dem Kreisgeschehen Traum“ aufgeführt, daneben tanzte die Grundschule Mönchweiler den „Kampf der Farben“. Von dort ging es zur Kloster- ringschule mit Bewirtungsangebo- ten und den unterschiedlichs ten Ausstellungen aus Kunst, Textilem Werken, einer musikalischen Rei- se um die Welt oder einer Darstel- lung verschiedener Musikstile. An- schließend folgte man dem Weg zum Münsterplatz, hier mit den Sta tionen Bücherei und Altes Rat- haus, welche sich mit Streicher- klassen oder einem Hundertwas- serprojekt der Grundschule Schönwald präsen- tierten. Im Hummelsaal wurde man in die Modell- welt der Sauschwänzlebahn versetzt und durch Krachmaschinen inspiriert. In der größten Schule der Villinger Altstadt, der Karl-Brachat-Realschule mit ihren verschie- denen Gebäuden, präsentierten sich fast 40 An- gebote von der Grundschule, Realschule, Gym- nasium bis hin zur Sonderschule für Geistig- und Körperbehinderte mit den vielfältigsten Veran- staltungen. Da wurde gezaubert, dokumentiert, Theater gespielt, getrommelt, Linol gedruckt, Rock und Pop durch die Schulband der Realschu- le dargeboten und vieles mehr. Überragende Kunstpräsentationen Besinnlich wurde es dann in der Benediktiner- kirche, gefolgt vom Münsterzentrum mit Theater- auf füh run gen, Bläserkonzert und Kunstausstel- lungen. Einen Höhepunkt des We ges bot das mit- telalterliche Franziskaner-Museum mit ei nem mittelalterlichen Theaterprojekt der Grundschule Steppach und den überragenden Kunstpräsen- tationen der Realschule St. Georgen. Man konnte den Eindruck gewinnen, das gehöre immer hierhin, da wurde Hervorra- gendes im richtigen Rahmen ge- zeigt. Das bunte Treiben fand auf dem Die Schüler von über 90 Schulen aus dem Landkreis waren bei der IMTA begeistert bei der Sache. 30 Alle Schulen im Landkreis hatten zur IMTA prächtige Fahnen geschaffen, hier die der Schule in Brigachtal mit dem Motto: „Unsere Schule, ein Stück Leben gemeinsam gestalten.“ Vorplatz des Franziskaners seinen Höhepunkt zu Klängen der Rock- AG St. Georgen und dem bunten Beachfahnen-Meer, welches spon- tan die Besucher der Stadt zum Verweilen aufforderte. Der IMTA-Weg folgte nun der Stadtmauer Villingens zum Gym- nasium am Romäusring, wo Windspiele, Riesen- insekten und Sportaktionen bewundert werden konnten und das Blasorchester der Zinzendorf- schulen aufspielte. Vielfalt überall, wo sich die IMTA zeigte. Auf dem weiteren Weg lud das Jugendhaus in der Nachbarschaft ein zu Schneewittchen, Musik-Contest, Filmen oder Drum Circle. Es ging zurück zum Anfangspunkt des IMTA-Wegs, zur Tonhalle mit Zwischenstation St. Fidelis. Hier gab’s Mode der Zukunft, Musik von Mozart bis DJ Ötzi, Skulpturen, Workshops und vieles mehr zu sehen und zu hören. Bis 17.00 Uhr herrschte in der ganzen Innen- stadt Villingen ein munteres Treiben, Staunen und Fröhlichkeit, wie sie der Stadt gut tut. Ne- ben all diesen Veranstaltungen kümmerten sich Schüler voller Hingabe um das leibliche Wohl, Orientierung oder Fragen der Besucher. Pünktlich um 17.00 Uhr nahm die Abschluss- veranstaltung in der Tonhalle die Stimmung dieses wunderschönen Tages auf und die Veran- stalter von 2008 übergaben symbolisch die Fah- ne der IMTA an den nächsten Veranstalter Blu- denz für das Jahr 2009. Was die Lehrer und Schüler aus dem Landkreis auf die Beine gestellt hatten, beeindruckte viele tau- send Besucher, die zu den Ver- anstaltungen strömten. „Wir ha- ben einen großartigen Tag in Villingen erleben dürfen“, bi- lanzierte Beat Benkler aus der Schweiz. Victor Schellinger / Bernd Jäger

Aus dem Kreisgeschehen 31 Impressionen von der IMTA: Schüler aus Königsfeld- Burgberg spielten „Der gestiefelte Kater“, Akrobatik zeigte die Anne-Frank-Schule aus Furtwangen, origi- nelle Bilderrahmen trugen die Schüler rechts durch die Villinger Innenstadt. Geradezu atemberaubend ist die Gelenkigkeit der Schüler der Zirkusschule.

2. Kapitel Städte und Gemeinden Grüningen – attraktive Wohngemeinde auf der Baar Der Donaueschinger Ortsteil feiert sein 900-jähriges Bestehen Der durch Brigach und Bahnlinie zweigeteilte Ort Grüningen war über Jahrhunderte hinweg eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinde – in jüngerer Zeit hat er sich zu einem außerordentlich attraktiven Wohn- ort entwickelt. Den alten Ortsteil von Grüningen schmücken Baaremer Bauernhöfe, teils mit den typischen Stufengiebeln geschmückt. Sie liegen am Berghang rechts über der Brigachniederung um die burgartig aufragende Kirche. Erweitert wurde die Gemeinde um das Bauge- biet „Nachthof“ in Richtung Aufen, das nächste Baugebiet „Weidenäcker“ soll hinter dem Fried- hof und der Grundschule entstehen. Gegenüber, auf der anderen Seite der Brig- ach, entwickelte sich seit 1955 ein großes Wohn- gebiet aus modernen Einfamilienhäusern, dicht besiedelt ist heute der Rebberg. nie und ein Naturschutzgebiet. Der landschaft- liche Reiz Grüningens liegt im Wechselspiel der Wiesen in der Talaue um die Brigach mit den schmalen Flurstreifen auf den sanft geneigten Hängen. Bäume, Sträucher, Gärten und Wiesen in allen Teilen des Dorfes sorgen in den Som- mermonaten für eine grüne und blühende Land- schaft, nicht von ungefähr heißt die Gemeinde Grüningen liegt im unteren Brigach- Grüningen. tal, eingebettet auf beiden Seiten der allmählich ansteigenden Hänge fast 700 m ü.M., der Ort weist eine Gemarkungs – fläche von 610 ha auf. Die- se gliedert sich in 165 ha Wald und 390 ha landwirt- schaftliche Nutzfläche, die übrige Fläche verteilt sich auf Gewässer, Wege, Hof- flächen, Ödungen, Bahnli- 32 Aus dem Jahre 1109 stammt die ers te urkundliche Erwähnung der Ge meinde bei der Schenkung Konrads von Waldkirch an das Hauskloster der Zähringer, St. Peter im Schwarzwald, in Gegenwart von Herzog Ber- told II und seines Sohnes Rudolf. Die erste Besiedlung, eine ale man nische Streusied- lung zwischen 700 und 900

Städte und Gemeinden 33 Blick auf den alten Ortsteil von Grüningen mit seiner aus dem 13. Jahrhundert stammenden Kirche und den alten Baaremer Bauernhäusern. Der „neue Ortsteil“ von Grüningen liegt links von Schwarzwaldbahn und Brigach (unten). Grüningen ist eine lebendige Wohngemeinde mit vielen Mög- lichkeiten der Begegnung – samt Pfarrfest und Seifenkistenrennen.

Städte und Gemeinden Die Fresken in der Grüninger St. Mauritiuskirche stammen aus dem 14. Jahrhundert. An der Südwand ist der Einzug in Jerusalem dargestellt (links), an der Nordwand das Marty- rium der Heiligen Katharina. Insgesamt 54 Reste der Bema- lung aus dem 14. Jahrhundert sind in Grüningen zu sehen. überstanden hat. Dem Gra- fen Gebhard zu Fürstenberg, Domherr zu Konstanz und Pfarrrektor für Grüningen, ei nem adeligen Geistlichen also, wird die Entstehung der bemerkenswerten Wand- fresken in der Grüninger St. Mauritius-Kirche aus dem 13. und 14. Jahrhun- dert zugeschrieben, der Künstler selbst ist unbe- kannt. Obwohl die Fresken mehrfach übermalt wurden, lässt sich die Motivvielfalt der aus dem beginnen den 14. Jahrhundert stammenden Wand- malereien noch gut erkennen: An der Nordwand sind die Erschaffung von Adam und Eva sowie der Sündenfall, die Hl. Katharina vor Gericht und ihr Martyrium und an der Ostwand eine Reiter- schar der Thebäischen Legion dargestellt. Weitere Motive sind die Mantelteilung durch St. Mar tin, Anbetung der Könige, Christus am Ölberg oder Gefangennahme. Da die Secco-Lasuren durch das Übertün- chen und Wiederaufdecken verloren sind, beste- hen die Malereien heute in der Hauptsache aus Rot (Rötel) und Ocker, dazu ein wenig Grün und nach Christi, wird durch mehrere Gräberfunde nachgewiesen. Am Rebberg schlummert unter der Erde eine Burgruine, welche dem Freiherrn „Gru- no“ ritterlichen Standes, Wohnsitz und künftiger Ortsname Gröningen zugeordnet wird. Ein niedriger Ortsadel ist von 1109 bis 1183 oftmals erwähnt. 1179 kommt die Siedlung zum Kloster St. Georgen, dann über die Herzöge von Zähringen nach 1200 zum Hause Fürstenberg. 1306 schenkte Graf Egon zu Fürstenberg unter Billigung seines Bruders, Graf Gebhard zu Fürs- tenberg, die Pfarrei mit Widumshof und die gan- ze Vogtei dem Johanniterorden in Villingen. Die Grüninger Kirche – vermutlich im 13. Jahrhundert erstmals erbaut – wurde 1551 neu in die Mauern gebracht und ist ein Baudenk- mal, welches die Veränderungen der Zeit gut 34

Grüningen – attraktive Wohngemeinde auf der Baar Das Wappen von Grüningen In Rot eine silberne Kugel, überhöht von einer goldenen Lilie. Das Wappenbild, aus einem Siegelbild genom- men, dessen Bedeutung nicht geklärt ist, mag auf ein altes Dorfzeichen zu- rückgehen. Im Jahre 1811 wurde die Huldigungsliste besiegelt mit einem Siegel der VOGTEI GRUININGEN, das das damals geltende badische Wap- pen zeigt. Erst um 1820 dürfte dann das hochovale Siegel mit der Umschrift VOG- TEI GRUNINGEN eingeführt worden sein, das umgeben von Palmzweigen in einem ovalen Schild Lilie und Kugel aufweist. Ebenso in spä- teren Farbdruckstempeln der GEMEINDE GRÜ- NINGEN. – Im Jahre 1901 schlug das General- landesarchiv die Wappenfarben dazu vor, die auch angenommen wurden. Kugel und Lilie er- schienen in wechselnden Größenverhältnissen. Am 1. Oktober 1836 kam Grüningen vom Amtsbezirk Villingen zum Amtsbezirk, 1939 Landkreis, Donaueschingen und wur- de am 1. Januar 1972 in die Stadt Do- naueschingen eingemeindet. Das Wappen ist damit erloschen. Q.: GLA Entnommen: „Gemeindewappen des ehemali- gen Landkreises Donaueschingen“, Klaus Schnippe, 1980. Blau. Ursprünglich bedeckten die Malereien in zwei Szenenreihen übereinander alle vier Wän- de der dem Heiligen St. Mauritius geweihten Kir- che, geblieben sind nach vielfältigen baulichen Veränderungen ca. 54 Reststücke des kostbaren Kunstwerkes. Auf dem höchsten Punkt des Dorfes Grüningens Kirche steht auf dem höchsten Punkt des Dorfes: Der im 13. Jahrhundert er- stellte Bau krönt den Kirchberg mit dem direkt angrenzenden schön angelegten Friedhof. Ne- ben einer aus dem 17. Jahrhundert stammenden Statue des Kirchenpatrones St. Mauritius, einer prachtvollen Madonna und anderen Figuren wurde sie berühmt, als 1890 bei einer Restau- rierung die bereits erwähnten Freskenmalereien entdeckt wurden. Wegen der wertvollen Barock- figuren und auch der Fresken wurde die Grünin- ger Kirche unter Denkmalschutz gestellt. Bereits seit 1967 ist die Kirchengemeinde Grüningen verwaist, zumindest was den Pfarr- herrn am Ort anbelangt. Doch nicht nur die Grü- ninger Kirche lädt zum Beten und Verweilen ein, zahlreiche Feldkreuze und Gedenksteine rund um die Grüninger Gemarkung geben Einblicke in die Gedanken der Gründer und Stifter. Ein be- sonderes Kleinod ist die 300 Jahre alte Kapelle auf der Höhe zwischen Donaueschingen und Brigachtal; für das Überstehen einer Viehseuche war sie im Jahre 1707 vom „Bauern Faller“ errichtet worden, noch heute wird sie von den Angehörigen unterhalten und gepflegt. Da die Andacht bei der vom „Bauern Fal ler“ gestifteten Kapelle auf der Höhe zwischen Donaueschingen und Brigachtal. 35

Städte und Gemeinden Grüninger Dorf-Impressionen: Alter Baaremer Stu- fengiebel und Neubaugebiet links der Brigach. Rechts: Der Ortskern von der Drehleiter der Feuer- wehr aus. Kapelle mit dem schönen Altarbild der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht wurde, findet dort im Mai stets eine Maiandacht statt. Aufständische Bauern plündern Grüningen Oft wechselte im Laufe der Jahrhunderte Grü- ningen seine Besitzer. 1326 verkauften die Vil- linger Johanniter ihre Grüninger Besitztümer an Albert von Österreich. Mehrfach wurde der Ort verpfändet. 1466 kam er wieder an die Jo- hanniterkommende Villingen. Im Frühjahr 1525 plünderten aufständische Bauern der Baar das zur Johanniterkommende Villingen gehörende Grüningen. Im Jahre 1806 wurde Grüningen zu- nächst Württemberg und noch im gleichen Jahr dem Großherzogtum Baden zugeordnet. Einschneidend für die weitere Aufwärtsent- wicklung des Dorfes war die Ablösung der bäu- erlichen Lasten und Zehnten 1833 und 1845. In- folge von Missernten geriet 1851 die bäuerliche Bevölkerung des Ortes in eine große Notlage, Bauernhöfe wurden versteigert, mehrere Fami- lien wanderten nach Amerika aus. Mit dem Bau der Schwarzwaldbahn in den 1870er-Jahren hielt das technische Zeitalter Einzug in Grüningen. Am 12. September 1911 zerstörte ein Groß- brand große Teile des Dorfes, innerhalb weniger 36 Stunden brannte der alte historische Ortskern von Grüningen nieder. Beim sofortigen Wie- deraufbau wurde der Ort durch eine weiträu- mige Bebauung aufgelockert, die Besiedelung dehnte sich auf das links der Brigach gelegene Gebiet aus. Zahl der Einwohner steigt auf rund 800 Nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine stete Aufwärtsentwicklung. Die Gemeinde erschloss am Rebberg und beiderseits der Landstraße neue Baugebiete. Entsprechend wuchs die Bevölkerung nach 1955: Zählte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur knapp zweihundert Ein wohner, so waren es 1900 fast dreihundert, 1955 stieg die Zahl auf 385 an und im Jahre 1984 zählte man 730 Einwohner. Heute leben etwas weniger als 800 Personen in Grünin- gen. Nach dem Zweiten Welt- krieg ging die Erwerbstätig- keit in der Landwirtschaft stark zu rück, viele Landwirte gaben ihre Hofstellen auf. Grüningen vor dem Brand im Jahr 1911, der große Teile des Dorfes zerstörte.

Städte und Gemeinden Die Zahl der Pendler, die vorwiegend im Raum Villingen-Schwenningen ihren Arbeitsplatz ge- funden haben, stieg sprunghaft an. Ihnen steht mit dem Ringzug ein leistungsfähiges, effizientes Nahverkehrsmittel zur Verfügung, das eine ra- sche und zeitnahe Verbindung zu den Zentren zur Verfügung stellt. So wandelte sich das ehema- lige „Bauerndorf“ in kurzer Zeit zum „Dorf der Pendler“. Heute sind einige Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen in Grüningen zu finden. Eine lebendige Dorfgemeinschaft Grüningen feiert oft und gerne: dank der Vereine und Einrichtungen, die aus der Gemeinde eine lebendige Gemeinschaft machen. Die 900-Jahr- Feier steht im Mittelpunkt des Jahres 2009, man feiert die erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahre 1109. Auf einem Festgelände an der Brigach veran- staltet der Musikverein Grüningen seit 30 Jahren sein Straßenfest und seine Jubiläumsveranstal- tungen. Verbunden damit ist seit 1978 das weit über den Ort hinaus bekannte Seifenkistenren- nen; seit dreißig Jahren sausen die Kisten den Grüninger Bergring hinunter und überwinden eine Distanz von 370 Metern. Bereits 24 Mal wurden hier Wertungsläufe um die Baden-Würt- tembergischen Meisterschaften und viermal Wertungsläufe um die Deutschen Meisterschaf- ten im Seifenkistensport ausgetragen. Die mu- sikalischen Aktivitäten von Musikverein und Bläserjugend sind vielfältig, kirchliche und welt- liche Anlässe innerhalb der Gemeinde sowie Ju- biläumsfeste und Unterhaltungskonzerte in der näheren und weiteren Umgebung sorgen für ei- nen vollen Terminkalender der Aktiven. Sie un- terhalten auch freundschaftliche Beziehungen zum gleichnamigen Ort im Zürcher Oberland, seit Jahrzehnten gibt es eine lebendige Partner- schaft zwischen Grüningen in Deutschland und in der Schweiz. Nicht nur im Musikverein wird Jugendarbeit gepflegt und gefördert, auch im mitgliederstärks- ten Grüninger Verein, dem 1921 gegründeten Fußballclub, hat man den Fokus auf die Jugend- arbeit gerichtet mit mittlerweile zahlreichen Jugendmannschaften. Und auch Frauenfußball hat in Grüningen Einzug gehalten mit sehr guten sportlichen Erfolgen. Eine schöne Sportanlage mit Hart- und Rasenplatz, Kinderspielplatz und einem von eigenen Kräften betriebenen Club- heim gilt es für die Vorstandsmitglieder zu un- terhalten und zu pflegen. Weitere sportliche Aktivitäten kann man in der 1976 gegründeten Grüninger Tischtennisge- meinschaft pfle gen, die sich dem großen Turn- verein angegliedert hat. Zweiter Kulturträger in Grüningen ist der Kirchenchor. Bereits vor 120 Jahren gab es in Grüningen eine starke Lösch- mannschaft, die Freiwillige Feuerwehr gründete sich dann im Jahre 1902, zeitgleich mit der Fertig- 37

Städte und Gemeinden Wo Grüninger Geschichte lebendig wird, Blick ins Heimatmuseum. stellung des Grüninger Wasserleitungsnetzes. 1981 wurde das heute noch genutzte Feuerwehr- gerätehaus umgebaut, das erste Feuerwehrauto (TSF 8) erhielten Grüningens Wehrmänner im Fe- bruar 1983. Im Zuge der Gemeindereform wurde die Grüninger Wehr Anfang 1972 Ortsteilwehr von Donaueschingen. aus den Reben am Rebberg an das Kloster in St. Georgen abliefern, zu dem die Grüninger zeitweise gehörten. Doch die listigen Bauern lieferten nur die schlechten Weintrauben ab, die guten behielten sie für sich selbst. Die Holzmas- ke der Rebberghexe ist vor diesem Hintergrund entstanden: Wegen der sauren Traube im Mund wird ein Auge zugedrückt, doch das andere Auge zeigt die Verschmitztheit. Durch ihre schmucke Narrenkleidung geben die Hexen ein schönes Bild. Das ehemalige Milchhäuschen, ein Relikt aus der Zeit der landwirtschaftlichen Hochkon- junktur und seit langem nicht mehr in Gebrauch, gestalteten die Hexen in mühevoller Arbeit um in ein schmuckes, kleines Vereinshaus. In Grüningens einziger großen Gaststätte, dem Gasthaus „Krone“, treffen sich nicht nur die Einheimischen; auch viele Fahrradfahrer genießen die ausgezeichnete italienische Kü- che von Maria und Armando Andreotti, die seit mehr als 20 Jahren das Lokal erfolgreich bewir- ten. Der nahegelegene Fahrradweg entlang der Bahnlinie bringt Familie Andreotti viele Gäste, die bei angenehmen Temperaturen in den Som- mermonaten gerne im malerischen Grüningen verweilen und das gut ausgebaute Fahrradnetz in beide Richtungen für ihre Touren nutzen. Grüninger Rebberghexe Festplatz am „Alten Bach“ Grüningens Narrenfigur erinnert an die Sage von der Rebberghexe: Nach Aufzeichnungen aus dem 12. Jahrhundert mussten die Bauern die Ernte Nehmen die zahlreichen Fahrradfahrer und Spa- ziergänger den linken Weg der Bahnlinie, die Altwasserstraße, so stoßen sie am Ende der ge- teerten Straße auf einen schönen idyllischen Platz, den die Grüninger seit vielen Jahren als „Alten Bach“ bezeichnen. Es ist ein Altarm der Brigach, der durch den Bahnbau entstand. Die Renaturierung dieses Brigacharmes nahm Grü- ningens Ortsvorsteher Dr. Hans-Günter Buller vor mehreren Jahren bereits in Angriff; heute darf man hier ein Stück „heile Welt“ genießen, ein renaturiertes, naturbelassenes Areal, ein ge- pflegtes, pflanzenreiches Biotop mit Flachwas- ser und einer Tiefwasserzone, das im letzten Das Biotop am „Alten Bach“ dient den Grüningern im Winter auch als Schlittschuhweiher. 38

Winter sogar als neue Eisfläche den Schlitt- schuhläufern diente. Dieser Weg an der Bahnlinie entlang bringt die Spaziergänger und Fahrradfahrer nach Au- fen und Donaueschingen. Wer sich nicht länger bewegen möchte, nimmt den Ringzug mit den Haltestellen in den beiden Gemeinden. Wer län- ger am „Alten Bach“ verweilt, wirft seinen Blick auf den „historischen Teil“ von Grüningen: Die schöne Kirche, das angrenzende Mesnerhaus und das alte Schulhaus, in dem seit geraumer Zeit im oberen Stock die Grüninger Heimatstu- be untergebracht ist. Viele Gegenstände aus dem früheren Dorfleben, aus Haushalten und der Landwirtschaft wurden hier zusammenge- tragen; der Arbeitskreis Heimatstube betreut die vielen wiederhergestellten Gegenstände in liebevoller Weise, mehrmals im Jahr werden den Besuchern bei Ausstellungen alle Exponate präsentiert, Vorträge und Dias sorgen immer für großen Besucherandrang. Ebenfalls im Oberge- schoss der Schule tagen Grüningens Ortschafts- räte mit Ortsvorsteher Dr. Hans-Günter Buller an der Spitze. Nicht weit vom historischen Kern entfernt findet man die Grüninger Grundschule und den Kindergarten. War man früher als Außenstelle der Erich-Kästner-Schule in Kooperation mit der Grundschule Allmendshofen regelmäßig mit dem Bus unterwegs, genießen die Grünin- ger Grundschulkinder heute das Privileg einer eigenständigen Grundschule mit zwei eigenen Lehrkräften. Im angrenzenden Kindergarten mit weitläufigem Areal und naher Anbindung an das Grüningen – attraktive Wohngemeinde auf der Baar Gedenkstein zum Bau der Brigachbrücke. schöne Sportplatzgelände tummeln sich Grü- ningens Jungen und Mädchen in ihrer drei- bis vierjährigen Kindergartenzeit. Und auch einen eigenen Dorfladen gibt es wieder in Grüningen: Für die Grundversorgung sorgt das Lebensmit- telgeschäft mit Bäckerei am Grüninger Bergring. Für viele ist das nicht nur ein Ort zum Einkaufen, sondern auch ein eigenes, kleines „Kommunika- tionszentrum“. Reinhilde Limberger Wo man sich trifft, Service am Ort: Beim Einkaufen im Grünin- ger Dorfladen. 39

Städte und Gemeinden Herzogenweiler – das alte Glasmacherdorf Der 205 Einwohner kleine Ort feiert sein 800-jähriges Bestehen Blick zum einstigen Schul- und Rathaus von Herzogenweiler, rechts die St. Wendelinskapelle. Glück und Glas, wie leicht bricht das. Diese Redensart könnte in Herzogenweiler entstanden sein, wenn der Urheber dieses Sinnspruchs unter Glück ausschließlich ma- terielle Werte verstand. Zwei Mal in seiner acht Jahrhunderte alten Geschichte hatte das Dorf süd- lich von Villingen eine Blütezeit erlebt; bei seiner zweiten Renaissance waren Glasmacher die Architekten des Wohlstandes. Beide Male blieb am Ende nicht mehr viel übrig: Die letzte Glasmanufaktur schloss 1880 ihre Pforten. Zurück blieb ein Hau- fen Scherben, die der Sammler Konrad Wekenmann in stundenlangen Spaziergängen zwischen Ernte und Aussaat auf den Feldern rund um das Dorf Herzogenweiler aufsammelt. 40

Städte und Gemeinden Er benötigt sie als Re fe renz für seine Samm- lung von Glas aus ver schiedenen Teilen des Schwarzwal des, die auch etliche Ex ponate aus Her zogenwei ler beinhaltet. An hand der Scher ben kann er die Gläser regional und zeitlich einordnen, denn jeder Glas macher hatte seinen eigenen Stil und sogar sein eigenes Re zept. Stundenlang streift Kon- rad Wekenmann um das Dorf, die Augen dabei fest auf den Boden geheftet. Am liebsten sind ihm ein bedeckter Himmel und ein mög lichst nicht zu mat schiges, aber auch nicht gefrorenes Feld. „Wenn die Sonne scheint, funkelt es an allen Ecken, Historische Abbildung oben: Die Glasfabrik Her- zogenweiler von Süden, Ende des 19. Jahrhunderts. Gläser auf dieser Doppelseite: Becher, Mostkrug und Vase aus der Glasfabrik Herzogen- weiler (19. Jahrhundert). dann reflektiert jedes Steinchen.“ Mit einem kleinen Eimer in der Größe, wie sie Kinder haben, wenn sie am Strand Sandburgen bauen, zieht er los. Seine Streifzü- ge dauern zwei bis drei Stunden, dann ist der Eimer halb voll mit 41

Städte und Gemeinden Andenkenglas mit Emailbema- lung innen und außen, Aufschrift „Gedenke mein“, um 1840 – 1850. zumeist münzgroßen bunten und durchsichtigen Scherben und die Augen sind ermüdet. Als „Ackerläufer“, wie sich der Glas- sammler gerne nennt, ist Wekenmann bei den Dorfbewohnern längst akzeptiert. Seit 1985 durchforstet er die Erde, etwa zehn Mal kommt er in jeder Saison und sucht Quadratzentime ter für Quadratzentimeter ab. „Die haben damals in den Drainagegräben ihren Schrott entsorgt“, weiß er. Nach jeder Ernte periode kommen immer neue Scherben ans Licht, weil die mo- dernen Ackergeräte immer tiefer pflügen – Wekenmann selbst gräbt nie. „Ich kann nicht mehr schlafen, wenn Sie mir nicht sa- gen, was Sie suchen“, meinte einst eine neu- gierige Dame zu ihm. „Um Himmels Willen, wer putzt Ihnen denn die Schuhe?“, sorgte sich eine andere. Ackerfunde, Glasscher- ben der Glashütte Herzo- genweiler. Prächtige Gläser zeugen von der Glanzzeit des Ortes Herzogenweiler Die prächtigen Gläser von Konrad Wekenmann zeugen von der Glanzzeit des Ortes. Sie wurde am 31. Oktober 1721 besiegelt, als Fürst Joseph Wilhelm Ernst zu Fürstenberg mit den Glaser- meistern Philipp Mahler, Hans-Georg Mahler, Hans Michael Eckmann, Balthasar Krieger, Pe- ter Sigwarth und Christian Steinhardt einen Ver- trag abschloss. Erst vor wenigen Jahren hatte der damalige Leiter des Schwenninger Heimat- museums, Manfred Reinartz, diese Urkunden 42 entdeckt. Die Glaser kamen aus Rotwas- ser bei Lenzkirch, das damals zur Glaspro- duktion in großen Mengen benötigte Holz wurde dort knapp. Zwei Kubikmeter Holz brauchte man da mals, um ein Kilo Glas herzustellen. Davon wurden nur drei Pro- zent zum Anfeuern der Glas öfen benötigt, aus dem Rest wurde Pottasche gemacht – die neben Quarzsand die wichtigste Zutat war. Auch Wasser war wichtig, um den Sand zu waschen und Mühlen zu betreiben. Am Wolfbach gab es Granit und jede Men- ge Bäume, und die Glaser, die damals von dem nach einem Brand wiedererrichteten Meier- hof aus den heutigen Ort besiedelten, brach- ten neuen Wohlstand. 48 Menschen haus ten damals auf dem Hof, bis ihre eigenen Häuser und die Arbeitsstellen fertig waren. 1772 lebten 137 Tiere und 138 Einwohner in 20 Haushalten. Die Landwirte waren ein bisschen neidisch auf die Glaser, denn diese betrieben neben ihrem Hobbyarchäologe und Glassammler Konrad Weken- mann beim Suchen von Glasscherben auf einem Acker in Herzogenweiler.

Glasmacherdorf Herzogenweiler Das Wappen von Herzogenweiler In Schwarz ein silberner Pokal, darüber eine rotgefütterte silberne Herzogskrone mit aufge- setztem goldenen Reichsapfel. Herzogenweiler gehörte zur Fürsten- bergischen Landgrafschaft Baar, die durch die Rheinbundakte von 1806 an das Großherzogtum Baden kam. Die Gemeinde war dem Amt Hüfingen un- terstellt. Durch die Verordnung des Ministeriums des Innern über die Er- richtung eines Bezirksamts in Donaueschin- gen wurde 1844 Herzogenweiler dem neu ein- gerichteten Bezirksamt Donaueschingen zu- geteilt und durch Verordnung vom 6. Februar 1851 dem Bezirksamt Villingen zugewiesen. § 2 der Verordnung über die Vereinfachung der inneren Verwaltung vom 18. Januar 1924 trenn te die Gemeinde Herzogenweiler vom Amtsbezirk Villingen und wies sie auf 1. April 1924 dem Bezirksamt Donaueschingen zu. Diese Änderung trat aber nicht in Kraft, denn in § 1 der Verordnung vom 19. März 1924 heißt es: Die Zuteilung der Gemeinde Herzogenweiler zum Amtsbezirk Do- naueschingen wird zurückgenommen. Die Hul- digungsliste von 1811 ist nicht besiegelt. Die von der Gemeinde im 19. Jahrhundert verwen- deten Prägesiegel und Farbstempel zeigen nur die Inschrift BURGERMEISTER AMT HERZOGEN- WEILER. Im April 1895 erbat der Gemeinderat den Entwurf eines den Ursprung oder die sonstigen Verhältnisse der Gemeinde symbo- lisch darstellenden Wappens. Zur Erin- nerung an die im 18. Jahrhundert in Herzogenweiler errichtete Glashütte schlug das Generallandesarchiv vor, in das Wappen einen Pokal aufzuneh- men und das Wappen durch die Beifü- gung eines Herzoghuts „redend“ zu machen. Der Gemeinderat hat im Oktober 1895 dem Vorschlag zugestimmt. Die Dienstsiegel mit dem neuen Wappen wurden 1896 in Gebrauch genommen. Belege: GLA Karlsruhe, Siegelkartei und Wap- penakten Villingen, ferner 236/1682 (1811); 230/Herzogenweiler. Literatur: Krieger I, 952. Kunstdenkmäler II, 75. Ludwig Heizmann, Die Gemeinden des Amts- bezirks Villingen in historischer Dar- stellung 1932 (darin: S. 8 – 9 Herzo- genweiler). Siegel der Gemeinde Herzogenweiler (19. Jahrhundert) Entnommen: Wappenbuch des Land- kreises Villingen Handwerk auch noch Landwirtschaft und hatten somit ein doppeltes Einkommen. Ihr Geld gaben sie nur zu gerne aus. „Machet Platz, d’Glaser kummet“ war damals ein ge- flügeltes Wort – und ist heute noch der Spruch der 1985 gegründe- ten Glaserzunft. Die damaligen Glasmacher, denen das Häs Herzogenweiler liegt nah am Rand großflächiger Wälder zwischen Pfaffenweiler und der Stadt Vöhrenbach. der heutigen Narren nachempfunden ist, fuhren oft vierspännig und hatten sogar eine eigene Musikkapelle, die dafür bekannt war, Schwung in die Bude zu bringen. Die Glaser waren gern gesehene Gäs te, denn sie hat- ten immer etwas zu erzählen und durch ihren Handel von fernen Ländern zu berichten. Ihr sicheres Einkommen durch Massenware wie Fla- schen und Bier gläser für die Wirtschaften verschaffte ihnen eine finanzielle Unab- hängigkeit, aus der heraus 43

Städte und Gemeinden Andenkenglas der Glasfabrik Herzo- genweiler aus dunkelkobaltblauem Glas mit der Aufschrift „Vergies nicht mein“, um 1840 – 1850. besonders schöne Unikate nach Art böhmischer Glaskunst entstan- den. In der Biedermeierzeit arbei- tete auch ein böhmi scher Schleifer in Herzogenweiler. Die Prunkstücke, die Konrad Wekenmann auf Floh- und Antikmärkten im süddeutschen Raum zusammengetragen hat, wurden größtenteils in die Städte verkauft. Freiwilliger Anschluss an Villingen Die meisten der 205 Einwohner verrichten ihre Arbeit in den nahen Städten, viele von ihnen in Villingen-Schwenningen, an das sich Her- zogenweiler 1972 mehr oder weniger freiwillig angeschlossen hatte. Es war klar, dass der Ort seine Selbstständigkeit nicht halten konnte und bevor eine Fusion mit einer anderen Stadt ange- ordnet wurde, entschieden sich die Bewohner für Villingen – der Stadt, zu der ohnehin gute Beziehungen bestanden. Die Schüler und die Berufstätigen sind tags- über weg, selbst in den Kindergarten werden die Jüngsten ins benachbarte Tannheim gebracht. Der Ort bietet gerade mal ein knappes Dutzend Arbeitsplätze – 1870 waren es allein 70 durch die Glasfabrik. Der Krämerladen hat bereits nach dem Ersten Weltkrieg geschlossen, die Schule im Jahr 1966, genau 111 Jahre nach ihrer Grün- dung. In der alten Schule ist seit 30 Jahren eine Heimatstube eingerichtet und manchmal hält hier auch ein Bus. Zwei Vollerwerbs-Bauernhöfe gibt es noch, von Kartoffeln und Schweinen lebt der des Ortsvorstehers, Milchkühe und Getreide sind die Schwerpunkte des anderen. „Der Nie- dergang der Glasfabrik war eine soziale Katas- trophe“, sinniert Gerhard Blessing. Der Lehrer, der hier geboren wurde und außer während sei- nes Studiums schon immer hier gelebt hat, gilt als Vater der Dorfchronik, die zur 800-Jahr-Feier erschienen ist. 44 Herzogenweiler ist ein über- schaubares Dorf geblieben, es wur- de vom Bau-Boom der Nachkriegszeit verschont, weil es bis heute als Nah- erholungsgebiet gilt und nicht ex- pandieren darf. Ein beeindruckendes Netz an Wander- und Radwegen um spannt den Ort. Herzogenweiler liegt am Radwanderweg Baden- Würt temberg, auch der Main-Neckar- Rhein- Wanderweg sowie der Querweg Schwarzwald-Kaiserstuhl-Rhein füh ren hier vorbei. 169 Meter liegen zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Punkt des Ortes, der sich bis auf 949 Meter über Normal- null in den Himmel reckt. 1.002 Hektar Land um- fasst die flächenmäßig zweitgrößte Gemarkung Villingen-Schwenningens, ein Großteil davon ist auch heute noch mit Bäumen bewachsen. Eines der sechs Gewässer, die dort fließen, heißt Mörderbächle. Woher der Name kommt, ist unklar. „Das wüsste ich auch gerne“, sagt Gerhard Blessing, „aber einen Mord hat es hier nicht ge- geben“. Er vermutet, dass der Name von etwas Harmlosem wie Mörtel stammt und im Laufe der Zeit durch Überlieferung verändert wurde. Früher waren die Wälder um Herzogen- weiler für ihre ergiebige Ernte an Heidel- und Preiselbeeren bekannt. Der Sage nach haben eifrige Sammlerinnen ihre Konkurrenz mit Schil- dern vertreiben wollen, die vor Giftschlangen warnten. Der in Villingen als „Eiermann“ be- kannte Richard Säger kam noch vor zwei Jahr- zehnten hierher, um Heidelbeeren zu pflücken, die er auf dem Wochenmarkt verkaufte. Heute geben die Wälder nicht mehr viel an Beeren her, „es gibt zu wenig Lichtungen“, erklärt Gerhard Blessing. Dörflicher Mittelpunkt ist der Gasthof „Hir- schen“, der einzig verbliebene von dreien, die zur Zeit der Glaser eine Konzession hatten. Sauber, gepflegt, hell und freundlich ist es hier – keine Spur mehr von der Zeit, in der Herzo- genweiler auch „Klein-Paris“ genannt wurde. „Der ‚Hirschen‘ war eine Spielhölle“, berichtet Blessing. „Hier wurden ganze Höfe verspielt.“ Zwicken und Wälder-Cego waren der Zeit- und Geldvertreib Vieler und brachte Etliche inner- halb kurzer Zeit an den Rand der Zahlungsun-

Städte und Gemeinden Ein besonderes Schmuckstück am Dorfplatz ist der Brunnen vor dem Gemeindehaus, der an die große Zeit Herzogenweilers als Glasmacherdorf erinnert. nen Gottesdienst, im Sommer lassen sich gerne Braut paare in der idyllischen Kapelle trauen. fähigkeit oder sogar darüber hinaus. Einzig der 20-Ender an der Wand des „Hirschens“ ist der letzte Zeuge dieser Zeit. Seine 800-Jahr-Feier beging der 203-Seelen- Ort im Juli 2008. Alle packten mit an, auf jeden Einwohner kamen beim Fest rund 25 Besucher. In den Monaten zuvor hatten sie 10.000 Euro für die umfangreiche Dorfchronik gesammelt, die nach zweijähriger Fleißarbeit einer engagierten Arbeitsgemeinschaft pünktlich zum Jubiläum erschienen war. 800 Jahre sind eine beeindru- ckende Zahl, auch wenn das Datum – wie meist in solchen Fällen – nicht ganz korrekt ist. Denn das kleine Dorf mit dem großen Panorama ist eigentlich viel älter – und viel jünger zugleich. 1208 wurde Herzogenweiler zum ersten Mal im Zusammenhang mit seiner Kirche urkundlich erwähnt. Die Kirche stand damals auf dem Areal des heutigen Friedhofs. Die Kirche wurde längst abgerissen, am Ortseingang baute man 1908 ei- ne neue Kapelle, St. Wendelin. Sie gehört heute zur St. Konrad-Gemeinde in Villingen, alle vier Wochen kommt der Pfarrer und zelebriert ei- Herzogenweiler verschwindet fast vollständig Im späten Frühmittelalter, im 9. oder 10. Jahr- hundert, hieß das Dorf, das an anderer Stelle lag, einfach Weiler und gehörte den Herzögen von Zähringen. Im Zuge einer Gebietsreform gaben sie einen Teil davon an das Klos ter Sa- lem ab. Dieser im Tal gelegene Ortsteil bekam den Namen Pfaffenweiler, der weltliche Teil, der weit oben im Wald lag, den Namen Herzogen- weiler. Der Ort war reich und bedeutend. Woher der damalige Wohlstand rührte, kann heute nicht einmal mehr der Stadtarchivar von Villingen- Schwenningen, Heinrich Maulhardt, sagen. 1244 wurde die Stadt Vöhrenbach gegründet und das war der Anfang vom Ende des kleinen Dorfes. Die Bewohner von Herzogenweiler zogen der bes- seren Lebensbedingungen wegen in die Stadt, 1275 folgte ihnen sogar der Pfarrer. Die Häuser verfielen, der Meierhof in der Nähe des Fried- hofs war das Einzige, was von Herzogenweiler noch übrig blieb, bis auch dieser im 30-jährigen Krieg abbrannte. Herzogenweiler war praktisch nicht mehr existent – bis die Glaser kamen. 45

Städte und Gemeinden Der alte Ökonomieteil des 1961 neu erbauten Gasthauses „Hirschen“ stammt noch aus der Zeit des Glasmacherdorfes. Auf dem Friedhof erinnern kunst- und lokalgeschichtlich wertvolle Grabsteine an die Glasmacher von Herzogenweiler. Kostbar ist der Barockaltar der St. Wendelinskapelle. lang selbstständig gearbeitet hatten, gründeten eine Genossenschaft mit zehn Teilhabern. Der Aufschwung war von kurzer Dauer: Die Eisen- bahn brachte Waren der Konkurrenz auch in entlegene Orte, die Fabrik musste 1856 verkauft werden. Die Firma Josef Faller & Co aus Lenz- kirch übernahm zunächst die Geschäfte, aber 1880 war dann endgültig Schluss. „Liebenswerte Dorfgemeinschaft“ In den Leitz-Ordnern, die im Stadtarchiv zu Herzogenweiler angelegt wurden, sind die Ak- ten zum Thema „Fremdenverkehr“, „Öffentliche Einrichtungen“, „Schulen“, „Vereinswesen“ und vie le andere leer. Eine Homepage hat der Ort auch noch nicht – immerhin ist schon mal ein Name dafür reserviert und eine Startseite ange- legt. Das Wesen von Herzogenweiler lässt sich ohnehin nicht an solchen Werten festmachen. Seine Qualitäten liegen ganz woanders und las- sen sich vor allem genießen, wenn man ein we- nig Zeit hat. „Als ich noch in Villingen gearbeitet hatte und durch den Sportverein dort oft meine Freizeit verbrachte, ist mir gar nicht so bewusst geworden, wie schön es hier ist“, sagt Renate Dieterle, die ebenfalls zum Team der Chronisten gehörte. „Bei guter Fernsicht kann man die Burg Hohenzollern auf der Schwäbischen Alb und sogar die Schweizer Alpen sehen“, schwärmt Sie ließen sich an der Stelle des heutigen Dorfes nieder, das damals mitten im Wald ge- legen hatte. Mit dem Abholzen des Waldes er- schlossen die Glaser die Fläche für die Land- wirtschaft. Das Haus von Florian Sigwarth zeugt noch heute davon, auch der Ökonomieteil des Gasthauses „Hirschen“ stammt aus der Zeit, das Haupthaus wurde jedoch 1961 neu gebaut. Ansonsten erinnern noch die Straßennamen wie „Glaserstraße“ und „Floriweg“ sowie die auf wen- digen Grabplatten auf dem Friedhof an die Zeit des materiellen Reichtums. Ihr Ende zeichnete sich schon Anfang des 19. Jahrhunderts ab. Die Glasmacher, die 100 Jahre 46

sie. „Besonders wenn im Herbst und Winter der Nebel in den Tälern liegt und die Alb deutlich zu sehen ist, das ist einfach unbeschreiblich.“ Wenn sie in der Abendsonne vor ihrem El- ternhaus sitzt, in dem sie auch geboren wur- de, kann sie die Hühner vom Nachbarn in ihrem Auslauf sehen. Wer durch den Ort geht, hat es nicht eilig, es ist immer Zeit für ein paar Worte. „Danke fürs Rasen mähen“, sagt sie zum Feuer- wehrkommandanten Herbert Lienhard. Er lagert seine Brennholzvorräte auf ihrem Grundstück und wenn er mal etwas im Trockenen unterstel- len muss, kann er dafür ihre Scheune nutzen, als Gegenleistung mäht er ihr den Rasen. Zu löschen gibt es für die 1939 gegründete Freiwil- lige Feuerwehr glücklicherweise nicht viel: „Der letzte größere Brand ist etwa zwei Jahrzehnte her“, erinnert er sich. Die 20 Floriansjünger sind daher vor allem bei technischen Einsätzen ge- fragt oder wenn mal wieder ein Sturm die Bäu- me umknickt. Bei Feuerwehrfesten ist eine ge- pflegte historische Handpumpe die Attraktion für Besucher und Kollegen. „Es ist eine liebens- und lebenswerte Dorf- gemeinschaft“, hat Renate Dieterle festgestellt. „Ich genieße die gute Nachbarschaft. Der Unter- schied zu einer anonymen Stadtwohnung ist schon deutlich.“ Diese Meinung teilt sie mit vielen Dorfbewohnern, die sich gar nicht vorstellen könnten, woanders zu leben. „Zweieinhalb Vereine“ gibt es hier: Die Freiwillige Feuerwehr, die Glaserzunft und einen Landfrauen- verein, der dorfübergreifend auch für Pfaffenweiler gilt. Die Narren haben sich zur Glaserzunft zu- sammengeschlossen, der fast 100 Mitglieder angehören – für ein Dorf mit einer Einwohnerzahl von gut 200 eine beachtliche Zahl. Sie haben ihre Zunftstu- be im ehemaligen Kühlhaus zum Dorfjubiläum noch verschönert. Der Glasmacher – die Narrengestalt von Herzogenweiler schmückt als Wand- malerei auch das kleine Zunfthaus. Glasmacherdorf Herzogenweiler Zur 800-Jahr-Feier trugen die Feuerwehren des Landkreises mit der historischen Handpumpe von Herzogenweiler einen Wettkampf aus. Der Verein, der Mitglied der Schwarzwälder Nar- renvereinigung ist, stellt nicht nur in der Fast- nacht einiges auf die Beine. Auch das jährliche Weihnachtsbaumfällen mit Festcharakter wird immer beliebter. Der Landfrauenverein zählt 56 Mitglieder, die allerdings nicht ausschließlich aus dem Dorf kommen, sondern aus Herzogenweiler und Pfaffenweiler. Auch die Jugendlichen haben sich einen wetterfesten Treffpunkt gestaltet. Ein ausran- gierter Bauwagen dient als Jugend- zentrum. Ein Mofa ist quasi Pflicht für jeden Heranwachsenden, denn samstags fahren zwei Busse, davon einer nur auf Bestellung und sonntags gar keiner. Aber eigentlich ist es auch gar nicht nötig, von hier wegzukommen und die Idylle zu verlassen, die schon dem Be- sucher aus jedem Winkel signalisiert: Im Gegensatz zum Glas ist das Glück hier nicht so zerbrechlich. Stephanie Wetzig Die neue Ortschronik „Herzogenweiler 1208 – 2008 – Auf der Suche nach Ge- schichte und Geschichten“ (ISBN 978-3- 939423-10-2) kostet 20 Euro. 47

Städte und Gemeinden Zwischen Tradition und Fortschritt Obereschach hat sich zu einem beliebten Wohnort entwickelt Obereschach ist schön: Das empfindet der Besucher schon von weitem, wenn er einen Blick auf das idyllisch ins Eschachtal einge- bettete Dorf wirft. Es ist ringsum großzügig von Wiesen und Feldern umgeben, denn nach wie vor ist die mittelalterliche Siedlung land- wirtschaftlich geprägt, obwohl es längst nicht mehr so viele Bauern wie früher gibt. Von 1956 noch 105 Betrieben sind im Jahr 2008 nur sechs Haupterwerbler geblieben, etliche Ober- eschacher treiben die Land wirtschaft freilich nach wie vor im Nebenerwerb um. Dominanter Mittelpunkt und weithin sichtbares Wahrzei- chen ist die spätbarocke St. Ulrichskirche, die die Betrachter mit ihrem unverkennbaren Kirchturm persönlich zu grüßen scheint. Mitten durch das schmucke Dorf plätschert wie seit Jahrhunderten das Flüsschen Eschach, nach dem es benannt ist. Auch seinen ländli- chen Charme hat sich der nördlichste Stadtbe- zirk des Oberzentrums Villingen-Schwen ningen bewahrt. Er ist wegen seiner ausgezeichneten Infrastruktur eine beliebte Wohngemeinde, in der Zuge reis te dank der Offenheit und Gesellig- keit ihrer angestammten Bewohner schnell heimisch werden. Aufgeschlossenheit und Weltoffenheit der Obereschacher spiegeln sich auch in den Verbindungen, die im Rahmen der Städtepartnerschaft mit Savona gepflegt werden. Wer in den 1950er-, 1960er-Jahren jung war, sieht im Bild der Erinnerung überall Misthaufen an den Straßen und Kühe, die durchs Dorf ge- trieben werden. „Bei der heutigen Feuerwehr war früher die Milchsammelstelle, dorthin ha- ben wir jeden Abend unsere Milch gebracht“, erzählt Kurt Weiß, stellvertretender Ortsvorste- her und Ehrenvorsitzender des Sportvereins und überhaupt rührig im geselligen Leben der 48 48

Obereschach – Zwischen Tradition und Fortschritt Obereschach ist tradi- tionell und modern zu- gleich … vielen Vereine. Er ist ein Obereschacher Urge- stein, hier geboren, der Vater war Waldarbeiter, nebenher betrieb die Familie wie so viele wei- tere Selbstversorger eine kleine Landwirtschaft. Fünf Kühe und zwei Schweine mussten versorgt werden, die Kinder halfen täglich mit. „Und als Schüler mussten wir zwei Mal in der Woche in den Schü- lergottesdienst und anschlie- ßend im Kanonenofen der Schule Feuer machen.“ Die- se Zeiten sind freilich längst vorbei und statt dem Muhen der Kühe ist in Ober eschach nun Autolärm zu hören – die Kreuzungsstraßen mit ihrem Durchgangsverkehr sind ein Wer- mutstropfen in der nach wie vor dörf- li chen Idylle, „aber der einzige“, wie Orts- vorsteher Klaus Martin und sein langjähriger Vorgänger Ernst Matthes versichern. 1269 erstmals urkundlich erwähnt Anno 1269 wird Obereschach erstmals urkund- lich erwähnt. Der Bischof Eberhard II. von Kons- tanz beurkundete damals die letztwillige Verfü- gung des Pfarrers Berthold (genannt Schamel) von Mönchweiler zu Gunsten des Klosters Sa- lem. In der Siegelumschrift heißt es „…de obr. ezza“. Der Pfarrer von Mönchweiler war auch Pfar- rer von Obereschach und es geht aus verschie- denen Quellen hervor, dass Obereschach bereits im tiefen Mittelalter als soziales, wirtschaftliches und rechtliches Gebilde mit eigener Kirche exis- tierte. Stumme Zeugen der frühen Besiedelung auf Gemarkung Obereschach sind die im Ge- wann Baschenbühl 1906 freigelegten drei Grab- hügel, die Alemannengräber. Sie stammen aus dem 7. und 8. Jahrhundert von dem ver- schwundenen Dorf „Ebenhausen“; die wenigen Grabbeilagen sind leider verloren gegangen. Die Johanniter herrschten 415 Jahre über Obereschach, bis die Zeit des Feudalismus 1803 vorbei war und das Kir- chengut säkularisiert wurde. 1806 kam Obereschach offi- ziell in die Obhut des ba- dischen Staats; die ehemaligen Lehensgüter wurden den jeweiligen Inhabern zum Kauf angeboten. Die größ- te Krise, die das Dorf bis dahin überstanden hat- te, war ein Überfall durch württembergische Reiter im Dreißigjährigen Krieg. Am 24. April 1633 setzten sie den Ort in Brand, 14 Häuser wurden vernichtet. Durch dendrologische Unter- suchungen wurde nachgewiesen, dass manche nach dieser Katastrophe wieder aufgebaut wur- den, meist mit Kiefernholz. St. Ulrichskirche ein Kleinod Ein kulturhistorisches Kleinod und Wahrzeichen von Obereschach ist die St. Ulrichskirche, die auf dem Kirchberg thront. Ihr markanter Zwie- belturm fällt jedem Besucher sofort ins Auge, 49

Städte und Gemeinden 50 Ein Prachtstück ist die katholische Kirche von Obereschach mit ihrer kostbaren barocken Ausstattung. Die Meisterwerke stammen meist aus anderen Kirchen wie Bräunlin- gen oder Kirchdorf. Bei den Al tären und der Kanzel handelt es sich um Werke des bekannten Villinger Bildhauers Johann Anton Schupp. Renoviert wurde auch die präch- tige Orgel mit ihren 19 Registern und 1.116 Pfeifen.

Obereschach – Zwischen Tradition und Fortschritt Das Wappen von Obereschach In geteiltem Schild oben in Rot ein silbernes Malteserkreuz, unten in Blau ein silberner Fisch. Obereschach gehörte der Johanni- terkommende Villingen. 1805 nahm Württemberg die Gemeinde in Besitz, trat sie aber im Vertrag vom 17. Oktober 1806 an das Großherzogtum Baden ab. Durch das General-Ausschreiben über die Einteilung des Großherzogtums Baden in Bezirke vom 22. Juni 1807 wurde die Gemeinde Obereschach dem Obervogteiamt (später: Bezirksamt) Villingen zugewiesen. Das Huldigungsprotokoll vom 15. August 1811 ist mit einem ovalen Prägesiegel versehen. Es zeigt das damals gel- tende badische Staatswappen (In schräglinks geteiltem Schild oben in Gold ein roter Schrägbalken, unten ein gol- dener Löwe). Die Umschrift lautet VOGTEI OBER- ESCHACH. Ein ovaler Farbstempel aus der Zeit um 1840 zeigt in einem von Blütenranken umgebenen Wappenschild einen Fisch, auf diesem ein Zweig mit fünf Blättern. Um 1860 beschaffte die Gemeinde neue Siegel, die über dem Fisch statt des Zweiges die Buchstaben „O E“ zeigen. Seit den 90er-Jahren be- saß die Gemeinde einen runden Farb- stempel, der einen Fischkopf, von Blütenranken umgeben, darüber die Buchstaben „O E“ zeigte. Im Juli 1902 empfahl das General- landesarchiv der Gemeinde, den Fisch aus den alten Siegeln mit einem Hinweis auf die Johanniter in einem neu zu schaffenden Ge meindewappen zu kombinieren. Der Ge- meinderat stimmte dem Vorschlag zu. Die von dem Karlsruher Graveur Knapp gelie- ferten Dienstsiegel mit dem neuen Wappen wurden im März 1903 in Ge- brauch genommen. Siegel der Gemeinde Obereschach (um 1840) Entnommen: „Wappenbuch des Land- kreises Villingen“ egal aus welcher Richtung er ins Dorf hinein- fährt. Das Gotteshaus wurde 1821 gebaut, der Turm entstand allerdings fast hundert Jahre spä- ter. Die Inneneinrichtung ist ein Konglomerat aus Kostbarkeiten heimischer Handwerkskunst. Der größte Teil stammt aus der Johanniter- und Benediktinerkirche in Villingen, wo die Kunst- schätze Opfer der Säkularisation geworden wa- ren. Die Meisterwerke wurden von barocken Schnitz- und Schreinerkünstlern gefertigt, da- runter der Villinger Johann Anton Schupp, aus dessen Werkstatt auch der Hochaltar stammt. Der stand ursprünglich in Bräunlingen und ge- langte über eine Zwischenstation in Kirchdorf nach Obereschach. In der gründlichen Renovierung zwischen 1913 und 1916 ließ der kunstsinnige Pfarrer Hef- ter die Kirche durch den Bildhauer Wilhelm Füg- lister und durch den Barockmaler Mario Kitsch- ker weiter ausschmücken. In diese Zeit fällt auch der Bau des Kirchturmes mit seinen vier großen Zifferblättern und dem Kupferhelm, in dem die fünf Glocken untergebracht sind, die die Gläu- bigen mit harmonischem Geläut zum Gottes- dienst rufen. Von 1978 bis 1981 wurde die Kirche erneut umfassend saniert, dabei wurde auch eine Fuß- bodenheizung eingebaut und der Zelebrations- altar aus dem Hochaltar herausgelöst. 1985 und 1986 wurde der alten Kastenorgel mit zwei Ma- nualen, Pedalen, 19 Registern und 1.116 neuen Pfeifen eine akustische Verschönerungskur ver- ordnet. 2001 wurde die Kirche neu eingekleidet, da Dach, Wände und Turm im Laufe der Jahr- zehnte arg unter den Witterungseinflüssen ge- litten hatten. Die Obereschacher widmeten ihrem Gottes- haus also „schon immer“ viel Aufmerksamkeit, was auch auf eine tiefe, innere Verbindung mit der Kirche hindeutet. Und die war „schon im- 51 51

Städte und Gemeinden Obereschach in Kürze Die Gemarkung von Obereschach umfasst 1.146 Hektar, davon liegt rund ein Drittel im Muschelkalk (Baar), zwei Drittel gehö- ren zum Schwarzwald mit seinem Buntsand- stein. In den vergangenen Jahrzehnten wuchs die Bevölkerung enorm: Im Jahr 1800 zählte der Ort 450 Einwohner, 1900 waren es 606, 1975 wurden 1.221 Einwohner regis- triert und 2008 sind es 1.835. Die Obereschacher gehören gern zum Oberzentrum, bei der Bürgerbefragung vor der Fusion im Jahr 1971 votierten 70 Pro- zent für die Eingemeindung. 1999 wurden die unechte Teilortswahl und damit der Garantiesitz im Gemeinderat Villingen- Schwenningen abgeschafft. Im Gegenzug erhielt die Ortschaft eigene Finanzmittel und wurde somit gestärkt. Das Demo- kratieverständnis ist ausgeprägt in Ober- esch ach, die Beteiligung am offenen Dia- log über die weitere Entwicklung des Dorfes ist rege, auch die gemeinsame Marketing- Of fensive „Obereschach präsentiert sich“ erfreut sich guter Resonanz. Alte Steinbrücke an der Eschach. mer“ katholisch: Bis zum Jahr 1945 war keine einzige evangelische Familie im Einwohnerbuch vermerkt. Das änderte sich erst mit dem Flücht- lingsstrom der Nachkriegszeit; in den 50er-Jah- ren kamen die ersten Protestanten, die sich zum Kirchgang erst nach Villingen aufmachten, spä- ter nach Mönchweiler und das ist bis heute so geblieben. Von der ausgeprägten Frömmigkeit früherer Zeiten erzählen auch die vielen Kapellen, Bild- stöcke und Feldkreuze, vor denen die Bauern um reiche Ernte und gutes Wetter baten. Bis heute genießen die sakralen Schmuckstücke lebendi- ge Verehrung in Obereschach. So werden die St.-Anna-Kapelle, die Augenkapelle, die Birlis- Kapelle (nach dem Hofnamen), die Sommertshau- ser Kapelle und die Sonnenwirts-Kapelle, eben- so wie die Bildstöcke und Feldkreuze von ihren Besitzern liebevoll geschmückt, gepflegt und mit hohem finanziellem Aufwand auch renoviert. Ortsvorsteher Klaus Martin: „In Obereschach versteht man zu feiern“ Die Balance zwischen Tradition und Fortschritt, Heimatverbundenheit und Offenheit für Neues prägt nicht nur das Ortsbild mit seinem harmo- nischen Miteinander von alten Bauernhäusern und moderner Architektur in den Neubauge- bieten, sondern ist auch typisch für die „Ober- esch acher“ Mentalität. „Hier versteht man zu feiern“, stellt „Neubürger“ Klaus Martin schmun- zelnd fest und erinnert sich an die zünftigen Ortsfeste, die er mit der Dorfgemeinschaft gefeiert hat. Längst ist dem Ortsvorsteher Obereschach liebens- und lebenswerte Heimat geworden, und so geht es vielen Zugezogenen. Am schnellsten und einfachsten integrieren sie sich über die Vereine, die die Bevölkerung mit ihren kulturellen und sportlichen Aktivitäten durchs Jahr begleiten. Erster und bedeutendster 52

Höhepunkt ist die Fasnet, wenn fröhliche rot- schwarze „Fähnele“ die Straßen schmücken und während der Hohen Tage der Schlachtruf der Gay- ser-Gilde durchs Dorf schallt: „Gayser-Knochäää!“ Im späten Frühjahr stellt die Freiwillige Feuer- wehr den Maibaum vor dem Feuerwehrhaus auf. Gymnastik-, Volleyballgruppe, Tennisclub, Fuß- ballverein – es gibt sogar eine Frauenfußball- gruppe – und weitere sportliche Abteilungen sorgen übers Jahr für gesellige Akzente, das mit der beliebten Theaterinszenierung des Männer- gesangvereins zur Weihnachtszeit ausklingt. Der bereichert, wie weitere weltliche und kirch- liche Chöre, Musik- und Trachtenkapelle und sons tige Instrumentalensembles mit ihren Kon- zerten das Kulturleben im Ort, das auch durch gelebtes Brauchtum geprägt ist. Was zum Bei- spiel wäre die Adventszeit ohne das stimmungs- volle „Adventsfenster“, zu dem sich die Ober- eschacher im Dezember täglich vor der alten Schule treffen und gemeinsam zu einem jeweils anderen Haus ziehen, wo ein Fenster besonders festlich geschmückt ist. Davor wird dann ge- meinsam gesungen, gebetet und ein Gedicht rezitiert. Alte Schule wird Vereinshaus Für Verbundenheit und Gemeinschaftssinn in Obereschach spricht auch die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Einsatz über die Grenzen des eigenen Vereins hinaus. Das hat sich etwa beim Umbau der alten Schule zum Vereinshaus ge- zeigt, wo viel mit Eigenleis- tung geschafft wurde, ebenso bei der Erweite- rung und Sanierung von Turn- und Festhalle. Die wird von allen Generati- onen genutzt, wie über- haupt das lebendige Ver- Die Obereschacher Vereine haben gemeinsam das alte Schulhaus bei der Kirche zum Vereinshaus umgestal- tet. Obereschach – Zwischen Tradition und Fortschritt Die Gayser-Gilde von Obereschach gehört der Schwarzwälder Narrenvereinigung an. einsleben für konstante Kontakte zwischen Alt und Jung sorgt. Für Kinder und Jugendliche wird im Sommer zudem ein eigenes Ferienprogramm initiiert, als ganzjähriger Treffpunkt hat sich das Jugendcafé bewährt. Keine Frage: In Obereschach lässt sich’s gut leben. Die Lebensqualität ist hervorragend, auch wegen der im Proporz zur Größe des Orts ungewöhnlich guten Infrastruktur, der ihn gera- de für junge Familien attraktiv macht. Es gibt genug Kindergartenplätze – mit verlängerten 53

Städte und Gemeinden Obereschacher Impressionen: Das Wahrzeichen des Ortes ist die St. Ulrichskirche. Mitte: Johanni- terhof und Schule. Unten: Nach wie vor gibt es in Obereschach Haupterwerbslandwirte und wird im Herbst der Apfelbaum im Garten abgeerntet. Öffnungszeiten und Aufnahme auch von Zwei- jährigen. Wichtiger Standortfaktor ist auch die 54 1964 eingeweihte Grund- und Hauptschule, die 1986 und 2001 erweitert wurde, und seit 1995 kann hier mit Einführung des zehnten Schul- jahres auch der mittlere Bildungsabschluss er- worben werden. Die Werkrealschule wird auch von Schülerinnen und Schülern aus Dauchin- gen, Niedereschach, Königsfeld und Mönchwei- ler besucht und ist eine gute Basis für anschlie- ßende Berufsausbildung oder den Wechsel zu

einem Beruflichen Gymnasium. Im zu Ende ge- henden Schuljahr wurden in Obereschach mit der Außenstelle in Weilersbach 261 Schüle – rinnen und Schüler unterrichtet. Der gute öffentliche Nahverkehr ermöglicht den Verzicht aufs Auto, die rührige freiwillige Feuerwehr vermittelt den Menschen Sicherheit, die Ortsverwaltung bietet ihnen unbürokrati- schen Service vor der eigenen Haustür. Auch Einkäufe und Besorgungen können zu Fuß erle- digt werden, es gibt Bäckerei, Lebensmittella- den und Poststelle, Arztpraxis, Bank, leistungs- fähige Handwerksbetriebe, Auto-Reparaturwerk- stätten, Friseur, Sportgeschäft und Landhandel. Natürlich darf im Reigen der Dienstleis tun gen die Gastronomie nicht fehlen, gleich drei Gast- stätten verwöhnen die Gäste mit regionaler Kochkunst und familiärer Gastlichkeit. Naturschutz wird großgeschrieben Wie sensibel die Obereschacher für den Reich- tum der intakten Natur um sie herum und eben- so für ökologische Belange der Erde insgesamt sind, zeigt sich in vielen Facetten. Die Schule wird überwiegend mit Pellets beheizt und auf dem Dach speichert eine Photovoltaikanlage die Ener- gie der Sonne, die Bürgergemeinschaft „Son- nenschein Obereschach GbR“ erzeugt umwelt- freundlichen Strom, der dem Bedarf von mehr als acht Haushalten entspricht. Das Sportheim versorgt sich mit seiner Solaranlage selbst mit warmem Wasser. Auch die Landwirte zeigen mit ihren drei Biogasanlagen Aufgeschlossenheit für umweltbewussten technologischen Fort- schritt. Das dankbare Bewusstsein, auf einem be- sonders schönen Fleckchen Erde leben zu dür- fen, äußert sich in vielen kleinen Aktivitäten. Im Frühjahr helfen Obereschacher Naturschützer den Kröten sicher über die Straße, die sie auf ihrem Weg ins Laichgewässer überqueren müs- sen. Unvergessen ist das unermüdliche Engage- ment des vor einigen Jahren verstorbenen Kon- rektors Klaus Blöhe, zu dessen ehrendem An- denken im Juli 2008 eine Stele aufgestellt wur- de. Er hat die agile und weithin beachtete Vogel- AG ins Leben gerufen, mit Schülern unzählige Obereschach – Zwischen Tradition und Fortschritt Ein großes Motorsporttalent ist Marcel Schlenker, der in der Formel 3 fährt. Nistkästen gebaut und aufgehängt, die Jugend- lichen mit der heimischen Vogelwelt vertraut gemacht und mit ihnen ein Feuchtbiotop ent- wickelt: das „Weiherle“, das bis heute magneti- scher Anziehungspunkt für große und kleine Naturliebhaber ist. Immer wieder verblüffen Obereschacher Per sönlichkeiten mit derlei vorbildlichen Einzel- initiativen und herausragenden Leistungen. Ne- ben Berthold Rottler, dem letzten Fürstabt von St. Blasien und den Ehrenbürgern Karl Kammer- er, Oskar Joos und Pfarrer Emil Rudolf Hefter ist wohl der Skilangläufer Klaus Weiß das bekann- teste Obereschacher Eigengewächs. Mit seinem großen Talent und seinem unbändigen Ehrgeiz hat der heute 64-Jährige, der in Obereschach ein Sportgeschäft betreibt, alles erreicht, was er sich vorgenommen hat. Vier Mal war er Weltmeis- ter, zwölf Mal Silbermedaillengewinner, sechs Mal gewann er Bronze und viele Einzelrennen wie den 100 Kilometer-Rucksacklauf von Schon- ach zum Belchen. Erst im März dieses Jahres erfüllte er sich einen Traum und nahm an der Masters-WM in Idaho/USA teil. Dort war er der erfolgreichste Sportler des Deutschen Ski Ver- bandes und kehrte mit einer Goldmedaille und drei Silbermedaillen in die Heimat zurück. Marcel Schlenker ist ein rasanter Senkrecht- starter der jungen Generation, der auf den Fuß- stapfen seines großen Vorbilds Michael Schu- macher wandelt. Der schnelle Junge ist jetzt sogar in die Formel 3 geflitzt, in der von 24 Nach- wuchsrennfahrern nur drei Deutsche am Start sind. Christina Nack 55

3. Kapitel Persönlichkeiten Prof. Dr. Knud Eike Buchmann Alles für ein gelingendes Leben Hoch geachteter Trauma-Experte und Psychologe, dessen Bücher vielen ein Ratgeber fürs Leben sind Was macht Leben aus? Diese Frage bewegt Prof. Dr. phil. Knud Eike Buchmann seit er denken kann. Das Nachdenken über das Leben und das, was ein gelingendes Leben auszeichnet, zieht sich wie ein roter Faden durch den an Stationen reichen Lebensweg des in Bad Dürrheim leben- den Psychologen, Pädagogen, Professors und bekannten Autors. Gelingendes Leben als Lehrer Knud Eike Buchmann wird 1941 in Naumburg/ Saale geboren. Nach Flucht und Auslandsauf- enthalt hat er als Schüler kurzfristig den Berufs- wunsch, „Stadtjugendpfleger“ zu werden, aber das erscheint ihm als etwas unerreichbar Gro- ßes. So denkt er bescheiden an eine mögliche Laufbahn als „Hilfsschullehrer“ (heute Sonder- pädagoge). Sein geheimer Wunsch allerdings ist eine Karriere als Opernsänger, motiviert von den Erfolgen – auch als Solist – im Schulchor und inspiriert durch den legendären Film „Der große Caruso“ mit Mario Lanza in der Hauptrol- le. Diesen Film schaut er sich 22 mal auf dem Schiff an, mit dem er nach fast zweijährigem Aufenthalt aus den USA zurückkehrt. „Brotlose Kunst“, wehrt der Vater, ein Kunsterzieher, ab. Und so beginnt Buchmann nach dem Abitur in Lüneburg ein Studium an der Pädagogischen Hochschule. Sein Hauptfach: Sport. Parallel setzt der begabte Tenor Buchmann den Gesangsunterricht bei einem alten Gesangs- pädagogen, einem Weggefährten von Caruso, 56 56 Prof. Dr. Knud Eike Buchmann fort. Allerdings „traut“ er sich nicht, den Beruf des Sängers zu verfolgen. Nach der ersten und zweiten Staatsprüfung für das Lehramt erhält Knud Eike Buchmann ein Stipendium für die Deutsche Sporthochschule in Köln. Mit seiner späteren Frau Ingrid, einer Grund- und Haupt- schullehrerin, die ebenfalls ein Aufbaustudium in Sport absolviert, plant er das zukünftige, ge- meinsame Leben. Das junge Paar zieht in die Lüneburger Hei- de. Buchmann beginnt, 24-jährig, als Dorfschul- lehrer: „Ein für mich ehrwürdiges Amt, das zwin- gend ein täglich frisches blütenweißes Hemd mit Fliege erforderte“, sagt er heute schmunzelnd. Neben dem Unterricht trainiert der „Herr Leh- rer“ die heimische Jugend-Handballmannschaft und die jungen Leichtathleten der Schule. Er wird von seinem Professor als wissenschaftlicher As- sistent der Sportwissenschaft nach Lüneburg „gerufen“ und wird gewählter Vertreter der wis- senschaftlichen Assistenten auf Landesebene.

Parallel beginnt Buchmann ein Zweitstudium in Psychologie an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Verhaltensmodifikation (kli- nische und pädagogische Psychologie), das mit dem Diplom abschließt. Zugleich studiert er Phi- losophie und absolviert ein Studium zum Diplom- Pädagogen sowie die weitere Ausbildung zum Gesprächs- und Verhaltenstherapeuten. Ehrenamtlich arbeitet er in dieser Zeit als Ausbilder in der DLRG (Lehrabzeichen) und beim DRK (Sanitätskurse) mit. Gelingendes Leben als Psychologe „Bauen Sie eine psychologisch-therapeutische Ab- teilung auf.“ Diesem Angebot der BfA-Klinik Hütten- bühl in Bad Dürrheim (heute Reha-Zentrum Bad Dürrheim Klinik Hüttenbühl) folgt Knud Eike Buch- mann. 1973 zieht er mit Frau und Tochter Ilka in den Schwarzwald. Mit Elan widmet er sich der neuen Aufgabe an der Klinik, etabliert parallel eine psy- chologische Privatpraxis und schreibt an seiner Doktorarbeit an der Universität Osnabrück zum Schwerpunktthema „Seelische Gesundheit“. „Zu einem gelingenden Leben gehören Auf- gaben, an denen man wachsen kann, persön- liche Herausforderungen und der Mut, neue We- ge zu beschreiten“, verrät Knud Eike Buchmann sein Credo. Mit Wissen, Weisheit und Wärme begleitet Knud Eike Buchmann die Menschen und Patien- ten, die bei ihm Rat suchen. Eine herzliche Of- fenheit, die Fähigkeit, zuzuhören und dabei auch die leisen Zwischentöne zu hören – das zeichnet den Psychotherapeuten und Menschen Buch- mann aus. Hinzu kommen als weitere Qualitäten die Gelassenheit und die Gabe, auf die innere Stimme zu hören und zu vertrauen. Diverse, wissenschaftliche Publikationen ent stehen in dieser Zeit im Anschluss an Vorträ- ge bei nationalen wie auch internationalen Kon- gres sen. Gelingendes Leben als Professor 1980 folgt eine neue Station: Als erster berufe- ner Professor beginnt Buchmann an der Hochschu- Prof. Dr. Knud Eike Buchmann le für Polizei in Villingen-Schwenningen mit der Forschung und Lehre der Polizei-Praxis. Seinen Lehrauftrag erhält er für Psychologie und Perso- nalführung. Ein besonderes Spe zialgebiet ent- wickelt sich: Krisen- und Konfliktmanagement. Als in den achtziger Jahren der sogenannte „Hammermörder“ in Baden-Württemberg für Entsetzen sorgt, gewinnt die Bewältigung von Streß und Belastung für Polizeibeamte zuneh- mende Bedeutung. Prof. Dr. Buchmann erarbei- tet greifende Konzepte und begründet das „In- stitut für Konfliktmanagement und Kriseninter- vention“ mit Ansiedlung dieser renommierten Einrichtung an der Hochschule für Polizei in Schwenningen. Er besucht Kurse für Psycho- traumatologie und ist bald ein gefragter Fach- mann für Vorbeugung und Nachsorge von Ex- trembelastungen. Der Trauma-Experte Buchmann und sein Team sind nach dem schweren Busunglück, das am 6. September 1992 am Autobahndreieck Bad Dürrheim unzählige Tote und Schwerverletzte fordert, ebenso gefragt wie nach dem Flugzeug- absturz am 1. Juli 2002 bei Überlingen. Die Auf- gabe: die psychologische Betreuung der oftmals selbst traumatisierten Polizisten, Retter und Helfer und auch der Angehörigen der Verletzten und Toten. Als Ausbilder und Betreuer deutscher Poli- zisten im Ausland, insbesondere in Krisengebie- ten wie dem Kosovo oder in Kroatien, ist Buch- mann geschätzt und vielfach gefragt. Immer wieder ruft man ihn auch als Berater zu heiklen Polizeieinsätzen wie Geiselnahmen, schwierige Vernehmungen oder zur Betreuung traumatisier- ter Beamtinnen und Beamte. Seine jahrzehnte- langen Erfahrungen vermittelt er auch als inter- nationaler Dozent und Fachbuchautor. Am neu- en Institut für Pädagogikmanagement in Bad Dürrheim (gegründet von der Steinbeis-Hoch- schule und der Off Road Kids Stiftung) unterrich- tet Prof. Dr. Buchmann im Bereich Wirt schafts – kommunikation. Er ist unter anderem Supervi- sor der regionalen Krankenhaus-Sozialdienste und Coach bei Führungskräften in Politik und Wirtschaft. Bei einem namhaften Schweizer Manage- ment-Institut wirkt er regelmäßig bei diversen Seminaren und Veranstaltungen mit. 57

jekt. Im Jahr 2006 gibt er den Anstoß zur 2008 erfolgten Gründung der Bad Dürrheimer Bürger- stiftung „Gelingendes Leben“ – eine Initiative von engagierten Menschen für die Bürger der Stadt und ihren Lebens(t)raum. Seit vielen Jahren wirkt Buchmann auch als Sportabzeichen-Obmann für Bad Dürrheim. Er selbst legte diesen persönlichen Leistungstest bereits 47 Male ab. Mit Skilanglaufen, Klettern in den Alpen und auch außerhalb Europas, Tennis und Golf hält sich der passionierte Sportler fit. Zum gelingenden Leben gehören für Knud Eike Buchmann Toleranz, Frieden und der acht- same Umgang mit sich selbst, mit anderen und mit der Natur. In seinem Buch „Von ganzem Her- zen wünsche ich Dir“ schreibt er: „Selbstach- tung befähigt uns erst, andere zu achten; nur wer sein eigenes Werk und Denken wertschätzt, vermag auch Werken und Gedanken anderer Menschen Respekt entgegenzubringen.“ Knud Eike Buchmann – ein lebendiges Bei- spiel für gelingendes Leben. Dagmar Schneider-Damm Prof. Dr. Knud Eike Buchmann Gelingendes Leben als Autor Augen, Ohren und Herzen öffnen. Anrühren, be- rühren, aufrühren. Das bewirkt Knud Eike Buch- mann auch als Autor. Seine inzwischen über 40 Bücher sind Hoffnungszeichen. Sie ermuntern zu einer optimistischen Gelassenheit und zum Annehmen dessen, was ist. Bereits in der Schulzeit hatte Knud Eike Buchmann kleine Texte und Gedichte verfasst: „Die Lust am Fabulieren ist mein Begleiter durchs Leben.“ Die schriftstellerische Karriere beginnt 1973, als er anfängt, Texte für seine Patienten zu schreiben. Das Anliegen: in Zeiten der Depressi- on und Angst, Mut zu machen. „Aus jeder Krise gehen wir verändert und stärker hervor“, schreibt er. Es sind nachvollziehbare Texte mit prakti- schen Beispielen – eine ganz neue Form des the rapeutisch-literarischen Ansatzes, die aus den USA stammt. Aus diesen ersten Schriften entstehen spä- ter fachlich orientierte Taschenbücher zu psy- chologischen Themen. Dann folgen „Menschen- geschichten“ – inspirierende Bücher über das Leben, Nachdenkliches, Heiteres, Philosophi- sches. In Zusammenarbeit mit namhaften Künst- lern und Fotografen entstehen mehrere, media- tive Text-Bildbände in verschiedenen Verlagen. Seit 1998 schreibt Knud Eike Buchmann die regelmäßige Kolumne in der heimischen Pres- se: „Der Mensch und seine Seele.“ Sie beleuch- tet die menschliche Komplexität des Erlebens und Verhaltens – die Essenz dessen, was gelin- gendes Leben ausmacht. In vielen der Beiträge und Bücher spiegelt sich die große Liebe zur Natur und zur Meditation wider. „Das ist meine Kraftquelle“, sinniert Buchmann. Bei Spazier- gängen mit seinem Irish Terrier „Jaro“ tankt er auf und lässt sich inspirieren zu neuen Ideen und genießt das Glück der Stille: „Einverstanden, stimmig und achtsam im Augenblick zu sein.“ Gelingendes Leben als engagierter Bürger Das bürgerschaftliche Engagement ist eine wei- tere Facette dieser bekannten Persönlichkeit. Im aktiven Un-Ruhestand engagiert sich Knud Eike Buchmann nun für ein neues Herzens-Pro- 58 58

Persönlichkeiten Karola Grässlin Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden Angesehene Kunsthistorikerin, die mit viel Energie neue Impulse in der internationalen Kunstszene setzt Grässlin – der Name verpflichtet: zu Qualität, innova tivem Unternehmertum und Marktführer- schaft. Der Name ist bekannt auf unterschied- lichsten Gebieten, je nach Interessenlage, aus der man die Sache betrachtet. Da gibt es zum einen das St. Georgener Unternehmen Grässlin, das weltweit für Zeitschalt technologien, Licht- und Tem peratursteuerung bedeutend ist. Die Firma wurde 1956 von Dieter und Anna Grässlin gegründet und als solides Unternehmen vor einigen Jahren verkauft. Da gibt es zum anderen die Marke Grässlin, die in der internationalen Kunstszene eine führende Rolle spielt. Den jüngsten Coup landete Karola Grässlin, als sie am 1. Juli 2006 zur Direktorin der Staatli- chen Kunsthalle Baden-Baden berufen wurde. Wenn man den Lebensweg der 1961 als jüngste Tochter des Unternehmerpaares geborenen Ka- rola Grässlin betrachtet, dann scheint diese Karriere beinahe zwangsläufig, zwar nicht di- rekt in die Wiege gelegt, aber bereits in frühen Jahren vorgezeichnet. Denn schon 1970 began- nen ihre Eltern eine stattliche Sammlung des Karola Grässlin

Persönlichkeiten deutschen Informel aufzubauen. Karola Gräss- lin erinnert sich: „Es gab praktisch kein Wo- chenende, an dem nicht irgendwelche bekann- ten Künstler wie Emil Schumacher, Gerhard Höhme oder Karl Otto Götz in der Bergstadt zu Gast waren.“ Ihre wichtigste Bekanntschaft hin- sichtlich ihrer Karriereplanung war jedoch Mar- tin Kippenberger. Das temporäre Familienmit- glied, der mittlerweile als der prominenteste Künstler der Sammlung Grässlin in St. Georgen zählt, hat die Abiturientin dazu überredet, die Bildende Kunst zu ihrem Beruf zu machen. Und das hat sie der Familien tradition folgend auch konsequent in die Tat umgesetzt. Der Weg zur Kunst Von 1982 bis 1990 absolvierte sie das Studium der Kunstgeschichte, der Neueren deutschen Literatur und der klassischen Archäologie, zu- erst in Stuttgart und danach in München. Der Titel ihrer Magisterarbeit zum Abschluss des Studiums bei Prof. Dr. Uwe M. Schneede lautet „Wols. Das Frühwerk im Vergleich zum Surrea- lismus“. Die Studentin bekommt durch ihre praktischen Tätigkeiten wichtige Erfahrungen für den vielschichtigen Berufsalltag einer Kunst- historikerin. Umfassend gestaltet sich auch die Berufspraxis der jungen Kunsthistorikerin. Von der Projektassistenz bei der Berliner Ausstel- lung „Metropolis“ – zuständig für Leihverhand- lungen, Versicherungs- und Transportabwicklun- gen, Ka talogredaktion, Koordination des Auf baus, Reiseplanung für die beteiligten Künstler – über die Leitung des nicht kommerziellen Ausstel- lungsraumes K-raum Daxer in München bis hin zur Erarbeitung der Logistik für die halbjährlich stattfindenden Ankaufssitzungen der Deutschen Bank AG, Frankfurt/Main, reicht ihr Aufgaben- spektrum. Durch diese Tätigkeit, bei denen eine Kunstkommission die Auswahl der Werke für die Sammlung der Deutschen Bank trifft, habe sie sich einen sehr guten Einblick in die Kunst deutschsprachiger Länder von der jüngeren Ge- neration bis zu etablierten Künstlern erarbeitet, so Karola Grässlin. Dieser Tätigkeit folgte die zweijährige Pro- jektmitarbeit bei der Künstlerin Katharina Sie- 60 verding, bei der sie unter anderem für die Orga- nisation und Pressearbeit für die Ausstellung im Deutschen Pavillon der XLVII. Biennale in Vene- dig zuständig war, bevor sie von 1999 bis 2006 als Direktorin den Kunstverein Braunschweig leitete. Vom Kunstverein zur Museumsdirektorin Leiten bedeutet für Karola Grässlin keineswegs nur verwalten. So hat sie neben der Erarbeitung eines Ausstellungskonzepts, der Organisation und Realisierung von Ausstellungen mit interna- tionalen Künstlern, vor allem auch an der Au- ßenwirkung der Institution Kunstverein gefeilt. Dazu gehörte der Umbau der klassizistischen Vil- la „Haus Salve Hospes“, die Erarbeitung eines neuen Erscheinungsbildes des Kunstvereins, die Gestaltung des Kassen- und Cafeteria-Bereichs durch den österreichischen Künstler Heimo Zo- bernig, die Erstellung einer Website, der Entwurf eines neuen Logos und einer Corporate Idendity für Einladungskarten und Kataloge. Der Karlsruher Professor Klaus Gallwitz, der in den 70er-Jahren als Direktor der Kunsthalle Baden-Baden Kunstgeschichte geschrieben hat, bezeichnet Grässlins Engagement in Braun- schweig folgendermaßen: „Sie hat das Haus mit Energie und Fortune geführt und durch ihre Akti- vitäten den Kunstvereinsmitgliedern in einer eher konservativen Stadt ein neues Selbstgefühl ver- schafft.“ Gallwitz war vor zwei Jahren selbst Mitglied der Findungskommission, die sich aus einem großen Bewerberkreis einstimmig für die gebür- tige Bergstädterin entschieden hat. So freute er sich natürlich über Grässlins Wahl, vielleicht mit dem Hintergedanken, dass ihre Erfahrungen sei- ner einstigen Wirkungsstätte zugute kommen. Auch die Entscheidungsträger aus der Politik sind voll des Lobes für die designierte Direktorin. „Ihre Vorbildung und beruflichen Kompetenzen prädestinieren die neue Leiterin der Staatlichen Kunsthalle für diese wichtige Funktion in der Kunstlandschaft Baden-Württembergs“, so Staats- sekretär Michael Sieber. Ministerpräsident Gün- ther Oettinger sagte: „Einer Persönlichkeit wie Ka- rola Grässlin wird es gelingen, mit ihrem Haus

der nationalen und regionalen Kunstszene ein weithin sichtbares Forum zu bieten und darüber hinaus die Kooperation mit dem Museum Frie- der Burda noch mehr zu stärken und ihr neue Impulse zu geben.“ Angetan über die Berufung Grässlins war auch der Minister für Wissen- schaft, Forschung und Kunst, Peter Frankenberg: „Karola Grässlin besitzt die Sachkompetenz und die Fähigkeit, dieses einzigartige Ausstel- lungshaus für zeitgenössische Kunst zu leiten, neu zu strukturieren und neu zu positionieren.“ Damals lobende Anerkennung von allen Sei- ten, aber wie sieht es nun zwei Jahre nach Amts- antritt aus? Man kann sagen, der Vertrauensvor- schuss war durchaus berechtigt. Die hohen Er- wartungen wurden durchweg erfüllt. Mehr noch: Lob bekommt Karola Grässlin nun auch noch von ganz anderen Seiten. Einmal von der Kunst- kritik, die ihr bei der Ausstellungskonzeption erstklassige Arbeit auf hohem Niveau beschei- nigt und dementsprechend erhält sie auch von den Besuchern hohen Zuspruch. Zum anderen von den Mitarbeitern, und das ist oft nicht selbst- verständlich. Grässlin sieht sich als kollegiale Team arbeiterin und das hat sie in der ehrwürdi- gen Kunsthalle gleich einmal in gewohnter Wei- se in die Tat umgesetzt. Die Kunsthalle im Wandel Bevor sie mit der Realisierung des Ausstellungs- programms im Sommer 2007 begann, wurde zuerst einmal ein Großraumbüro für sie und ihre Mitarbeiter, die zuvor außerhalb des Hauses ge- arbeitet hatten, eingerichtet. Dass es sich dabei um ein Kunstwerk handelt, kann vermutet wer- den, denn das Großraumbüro wurde nach dem Entwurf des österreichischen Künstlers Heimo Zobernig gestaltet. Ansonsten gab es für das Renommee der Kunsthalle angemessene weitere Renovierungs- maßnahmen: Die Elektrik, die Verdunkelung, die Oberlichter und der Fußboden der neoklas- sizistischen Kunsthalle wurden bereits erneuert sowie die rauen Wände geglättet. Im Café Kunst- halle ist in den Alltag dank der Stühle von Franz West und einer Wandmalerei von Günther Förg ebenfalls Kunst eingezogen. Karola Grässlin weiß, Karola Grässlin dass die Kunsthalle ihr hohes Ansehen im inter- nationalen Kunstkontext aber nicht nur den au- ßergewöhnlich schönen Räumlichkeiten ver- dankt, sondern auch dem konsequenten Enga- gement für die zeitgenössische Kunst und der engen Zusammenarbeit mit Künstlern und inter- nationalen Kooperationspartnern, der sich alle Leiterinnen und Leiter seit der Übernahme des Hauses durch das Land Baden-Württemberg im Jahre 1952 verpflichtet fühlten. So ist die Kunsthalle seit vielen Jahrzehnten ein Glanzstück der Avantgarde. Und dort möch- te sie Grässlin auch wieder hinführen. Hier hat- ten Künstler, die später weltberühmt wurden, ihre ersten großen Aus stellungen. Große Überblicksausstellungen Mit großen Überblicksausstellungen von Ells- worth Kelly, Bruce Nauman, Imi Knoebel und Dan Flavin wurde die Kunsthalle zu einem An- ziehungspunkt für die internationale Kunstsze- ne. Mit ihrer Debütausstellung „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue? Positionen der Farbfeld- malerei“ und der folgenden Ausstellung „André Cadere – Peinture sans fin“ knüpfte Grässlin an diese Tradition an. Auch künftig werden Positio- nen der konzeptuellen, minimalistischen und kontextuellen Kunst im Verhältnis zu wegwei- senden Perspektiven der Kunst des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts gezeigt. Zu ihrem 100-jährigen Jubiläum zeigt die Staatliche Kunsthalle im Herbst 2008 eine Lan- desausstellung rund um das Werk von Kasimir Malewitsch, der ein Vorläufer der von Grässlin favorisierten Kunsttendenzen war. Die erhoffte Kooperation mit dem benach- barten Museum Frieder Burda ist auch gelun- gen. Die Besucherzahlen sind aufgrund der Kom- bitickets deutlich gestiegen. Eine gemeinsame Ausstellung beider Häuser von Georg Baselitz ist geplant. Grässlin: „Aber es muss nicht im- mer passen, auch Gegensätze ziehen sich an.“ Ganz wichtig seien die Synergieeffekte. Das Museum Frieder Burda mit seiner Sammlung tue der Kunsthalle gut, aber auch die Kunsthalle mit ihrem aktuellen Programm dem Museum. Stefan Simon 61

Persönlichkeiten Lukas Duffner Hoch verdienter Land- und Forstwirt sowie Politiker aus Schönwald Lukas Duffner konnte von Ministerpräsi- dent Oettinger das Bundesverdienstkreuz entgegennehmen Lukas Duffner wurde am 6. September 1929 in der Barockstadt Ettenheim geboren. In der fruchtbaren und warmen Rheinebene war er das dritte und jüngste Kind des Landwirts und Blech- ners Anton Duffner und seiner Frau Karoline, geb. Stöhr. Seine Mutter stammte aus Schweig- hausen im Schuttertal vom Schmiedehof. Mitten in der Weltwirtschaftskrise wuchs er auf. Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs war er zehn Jahre alt. Während des Krieges musste der Vater in die Rüstungsindustrie, sein Bruder und seine Schwester wurden eingezogen. wirtschaft mit Obstbau, Getreide und Reben zu betreiben. Bei Kriegsende wurde der Fünfzehn- jährige mit anderen Gleichaltrigen zur Wehr- ertüchtigung zum Schanzen ins Elsass eingezo- gen. Als die französische Front näher rückte, gelang es ihm, sich in Sicherheit zu bringen und nach Hause zu kommen. Sein Vater kehrte heim. Ludwig, der Bruder ist auf dem Rückzug der Ar mee mit 19 Jahren gefallen. Ettenheim hatte französische Besatzung und Lukas Duffner hatte seine Probleme damit. Sich unterzuordnen war niemals seine Stärke. 1947 folgte er einem Schonacher in den Schwarz- wald. Er ahnte nicht, dass dieser auch seine Hei- mat werden sollte: Er lernt seine Frau Alma Dold vom Schneiderjockenhof in Schönwald kennen Lukas Duffner war zu jung für den Krieg, aber alt genug, um mit seiner Mutter die kleine Land- Lukas Duffner vor der Hofmühle mit dem im Januar 2008 verliehenen Bundesverdienstkreuz. 62

und schon 1950 ist er verheiratet und Vater von Otto – dem ersten Kind einer heute ganzen Kin- derschar. Es wird berichtet, dass die Taufe ein größeres Fest war als die Hochzeit. Lukas Duff- ner lernte von seiner Frau das Skifahren und gewöhnte sich an lange kalte Winter. Er übte ein- fach auf dem verschneiten Dach des Heidenhofs die Abfahrt. Lukas Duffner als Unternehmer Der Schneiderjockenhof ist seit 1756 in Fami- lienbesitz. Das große Hofgebäude war ein Hei- denhof alter Form mit einer Rauchküche. Die Familie bewirtschaftet den Hof mit 49 ha Grün- land und Wald. Die Milchviehhaltung und die Waldwirtschaft bestimmen das Leben von Otto und Mathilde Dold und von Lukas und Alma Duffner. Die junge Familie wird immer größer. Beide lieben Kinder und 1965 waren es bereits sechs an der Zahl, fünf Söhne und eine Tochter. Der alte Hof wurde immer wieder repariert, aber damals war der Denkmalschutz noch nicht so üblich. Der Schwiegervater Otto Dold hatte in Schönwald den Milchhandel mit Pferd und Wa- gen. Beide fuhren Sommer wie Winter die Milch aus, die sie vorher bei den anderen Höfen einge- sammelt hatten. Im Jahr 1953 zieht der Altbauer Otto Dold in ein neues Altenteilhaus und verpachtet den Hof an die jungen Leute. 1954 kauft Lukas Duffner den ersten Unimog und fährt die Milch motori- siert aus. Gleichzeitig ermöglicht ihm der Uni- mog ein Zusatzeinkommen im Güternahverkehr. Lukas Duffner zeigte schon bald sein Talent als Unternehmer. 1958 übernimmt Lukas Duffner mit seiner Frau Alma den Schneiderjockenhof. Die beiden waren die vierzehnte Generation auf dem Hof. Lukas Duffner gibt den Milchhandel auf und über- nimmt als Erster in Schönwald die motorisierte Schneeräumung. Bis dahin wurde in Schönwald der Schnee mit Ochsenschlitten geräumt. Es war ein lohnender Zusatzverdienst für ihn. Der alte Hof wurde langsam brüchig und zu klein. Deshalb plante die Familie einen Hofneu- bau. Nachdem die Gemeinde Schönwald ein Stück Gelände der Familie Duffner gekauft hat- Lukas Duffner te, um einen Schulsportplatz zu erstellen, war es möglich, einen neuen Hof zu bauen, mit viel Eigenleistung durch die Familie, mit eigenem Holz und gespaltenen Granitsteinen vom Hof. Endlich wurde 1970 der neue Schneiderjo- ckenhof bezogen. Nun war das Vieh nicht mehr unter dem gleichen Dach wie vorher, sondern separat in einem neuen Stall und auch für das Heu gab es einen separaten Bergeraum. Außer- dem gab es eine zentrale Ölheizung. Ein großer Fortschritt und Arbeitserleichterung, aber auch eine große Umstellung im Alltag für alle! Revolutionäre Ansätze Als Landwirt zeigte Lukas Duffner Mut und stell- te von der Milchviehhaltung um auf Mutterkuh- haltung. Das war damals eine Sensation, die nicht überall auf Verständnis gestoßen ist. Lu- kas Duffner züchtet Angusrinder und stellt auf Fleischproduktion um. Im neuen Hof gibt es nun Gästezimmer und die Familie bietet Übernach- tungen mit Frühstück an. Schönwald als heilklimatischer Kurort in 1.000 m Höhe und Wintersportort bietet damals rund 1.000 Gästebetten an. Schönwald lebt von Landwirtschaft, Gewerbe und Tourismus. Der Schneiderjockenhof liegt im Landschaftsschutz- gebiet Schwarzenbach inmitten eines Hoch- moors. Viele Bauernhöfe haben Feriengäste. Lukas Duffner macht wieder etwas völlig Neues, er kauft Ponys und bietet Ponyreiten an. Zuerst nur für die Hausgäste, später macht er in Dorf- nähe Ponyreiten und lockt die Feriengäste in das Schwarzenbachtal. Daraus entwickelt sich im Laufe der Jahre Ponyverleih und Reiterferien auf dem Bauernhof für alleinreisende Kinder, sowie für viele kirchliche Jugendgruppen. Lukas Duff- ner war immer ein fester Christ mit grenzenlo- sem Gottvertrauen. Politische Ambitionen In den 1960er-Jahren spürten die Bauern manch- mal bürokratischen Widerstand, wenn sie wich- tige Vorhaben verwirklichen wollten. Ein Grund für Lukas Duffner, sich der Kommunalpolitik zu- 63

Persönlichkeiten zuwenden. Schon sein Vater war Sozialdemo- krat und war um die Jahrhundertwende als Handwerksgeselle für einige Zeit in Berlin. Dort hat man damals das Fünffache verdient im Ge- gensatz zu Süddeutschland. Sein Vater sah den Kaiser und den Zar gemeinsam durch das Bran- denburger Tor reiten. 1965 kandidierte Lukas Duffner bei der Wahl für den Kreistag des damaligen Kreises Villingen. Er wurde gewählt und zog als zweitjüngster Kreis- rat in das Gremium unter dem damaligen Landrat Dr. Robert Astfäller ein. Konsequent setzte sich der junge Kreisrat für den Straßenbau in seinem Kreis ein. Immer ein Anwalt der Bürger, nicht im- mer diplomatisch, aber oft er folgreich, setzte er sich ein. Man muss kämpfen, verrät Lukas Duff- ner; ein Erfolgsrezept für Nachwuchspolitiker. Mit der Kreisverdienstmedaille in Silber wurde Lukas Duffner 2004 ausgezeichnet. Er gründete 1966 den SPD Ortsverein Schön- wald und wurde der erste Vorsitzende. Er zieht in den Gemeinderat von Schönwald ein. Diesem ge- hört er mit einer Unterbrechung für insgesamt 26 Jahre an. Von nun an pendelt Lukas zwischen Bauernhof und Sitzungsterminen hin und her. Sein vielfältiges Engagement macht ihn über die Landesgrenzen hinaus als „d’rote Bur“ bekannt. Als 1963 die Gemeinde Schönwald eine Part- nerschaft mit der französischen Stadt Bourg- Archard in der Normandie schließt, ist Lukas Duffner mit den Gründern in Frankreich. Diesmal als Freund. Viele junge Leute aus Bourg-Archard verbringen ihre Ferien auf dem Schneider- jockenhof und erfüllen die Partnerschaft mit Leben. 1985 wird Lukas zum Ehrenbürger von Bourg-Archard ernannt. Eine Familie hält zusammen 1971 wurde das siebte Kind geboren, Angela- Maria. Pate war, wie damals üblich beim siebten Kind, der Bundespräsident – das war zu dieser Zeit Gustav Heinemann. Ein schwerer Schlag für die Familie war 1974 der frühe, unerwartete Tod von Ehefrau Alma Duffner. Gemeinsam mit seinen Kindern bewältigte Lukas Duffner den Verlust nur langsam. Sein ältester Sohn Otto versorgte ne- ben seinem Studium an der damaligen Fachhoch- 64 schule Furtwangen die Hausgäste. Seine Tochter Sieglinde, die in der Krankenhausverwaltung Furt- wangen arbeitete, kümmerte sich um den frauen- losen Haushalt. Sein Sohn Siegfried, staatlich geprüfter Wirtschafter für Landbau, blieb auf dem Hof und hielt seinem Vater den Rücken frei. Er ermöglichte seinem Vater, weiter in der Politik zu bleiben. Sein Sohn Ludwig war Zimmermann und ging durch seinen Beruf schon früh aus dem Haus. Gerold und Lukas waren Schüler und Ange- la-Maria ein Kindergartenkind. Eine schwierige Zeit im Leben der Menschen auf dem Schnei- derjockenhof, auch für die Großeltern auf dem Hof, die ihre einzige Tochter verloren. Heirat mit Marianne Duffner Inzwischen macht Lukas Duffner Kutschfahrten für die Kurgäste aus dem Dorf. 1976 lernt Lukas Duffner dabei seine zweite Frau Marianne als Kurgast aus Düsseldorf kennen. Im Jahr 1979 heiraten die beiden und die Familie vergrößert sich um zwei Kinder aus Düsseldorf – Ute und Ulrich Warden. Auch diese Hochzeit war poli- tisch angehaucht. SPD Bürgermeister Werner Gerber traute die beiden in Blumberg. Trauzeu- gen waren Frau Paula Straub, Rektorin aus Vil- lingen (CDU) und Harald Mattegit, Steuerberater aus Donaueschingen (FDP). Gefeiert wurde bei CDU Bürgermeister Otto Weißenberger im Wein- brennersaal in Bad Dürrheim. Nicht immer einfach, so eine Patchwork- familie mit schriftdeutsch sprechenden Düssel- dor fern. Aber es war immer etwas los und sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Die große Familie schweißt sich zusammen und schafft die ganze Arbeit und alle Kinder errei- chen mit Erfolg eine Berufsausbildung. 1981 vergrößert sich die Familie noch ein- mal. Nichte Susanna aus Düsseldorf kommt mit elf Jahren auf den Hof und Mark-Anton der jüngste Sohn wird geboren. Otto, der Ingenieur, heiratet als erster und macht sich später selbst- ständig mit einem Industriebetrieb. Seine Fami- lie und er wohnen in Schönwald. Bei so einer Großfamilie will auch erzählt sein, welchen Lebensweg die Kinder eingeschla- gen haben: Sieglinde heiratet und lebt mit Fami-

lie als selbstständige Unternehmerin in Vöhren- bach. Ludwig der Zimmermann macht sich selbst- ständig und wohnt mit Familie in Schönwald. Gerold lernt Elektro-Installateur, heiratet früh und lebt in Schönwald. Lukas lernt Schreiner, heiratet früh, macht sich selbstständig und lebt mit seiner Familie in Schönwald auf dem Bühl- hof. Ute wird Verwaltungsfachangestellte und zieht vom Hof, um Platz zu machen für Susanna und Mark-Anton. 1985 kommt Ute zurück auf den Hof als Ehe- frau von Siegfried, dem Jungbauern. Ulrich lernt Groß- und Außenhandelskaufmann und wohnt bis zum Wehrdienst auf dem Hof. Heute lebt er mit seiner Familie in Triberg. Angela, die jüngste Tochter aus erster Ehe, lernt Pferdewirtin auf dem Hof und arbeitet lange mit den Ponys und Ferienkindern. Sie macht sich selbstständig und lebt heute in Triberg-Nußbach. Susanna lernt Erzieherin und lebt heute als Bäuerin in Schönwald auf dem Dreierheinerhof. Mark-Anton studiert Ing.-Wissenschaft an der Fachhochschule Furtwangen und steht vor dem Abschluss. Der Reinertonishof 1980 wagt die Familie eine Ausweitung des Be- triebes und kauft den nur 400 Meter entfernt liegenden Reinertonishof mit einem Teil der Flä- chen von der Witwe Veronika Kuner. Das alte Hofgebäude von 1619 wird zum Stall für die Ponys. In der alten Rauchgewölbeküche werden – wie seit Jahrhunderten – Schinken und Speck geräuchert, eine weitere Einnahmequelle für die Familie. Das Haus ist stark renovierungs- bedürftig und nicht mehr bewohnbar. Beson- ders das große Holzschindeldach ist stark be- schädigt. Mit großer Unterstützung des Landesdenk- malamtes Baden-Württemberg und des Land- kreises wurde in den Jahren 1983 bis 1986 das Heidenhaus in alter Form renoviert und strahlte bald in alter Form. Als Kulturdenkmal von 1619 wurde der Heidenhof in das Denkmalbuch Ba- den-Württemberg eingetragen. Prof. Dr. Ulrich Schnitzer, Architekt aus Karlsruhe und seine Mitarbeiter waren maßgeblich verantwortlich Lukas Duffner Man kennt und schätzt sich sehr: Der frühere Minis- terpräsident Erwin Teufel im Gespräch mit Lukas Duffner. dafür, dass der Hof, im Rahmen eines For- schungsprojekts über „Bauernhöfe von ges tern für die Landwirtschaft von heute“ im Originalzu- stand erhalten werden konnte. Für Lukas Duffner bedeutet die Erbringung von Eigenleistungen eine große Herausforde- rung. Aber mit Hilfe von seinen Kindern und Freunden gelingt es. Der Hof wird zum viel be- suchten Museumsbauernhof. Viele auswärtige Touristen und einheimische Besucher erleben historische und traditionelle Landwirtschaft ei- nes Bergbauernhofes. Lukas Duffner macht vie- le unvergessliche Führungen mit den Gästen. Für diese Gäste baut Siegfried neben dem alten Backhaus einen Imbiss mit Sitzgelegenheiten. Damit haben der Jungbauer und seine Frau eine eigene Existenzgrundlage. 1989 wird das Vesperstüble eröffnet. 1997 wird es erweitert um einen Gastraum. 1995 übergibt Lukas Duffner den Erbhof Schneiderjockenhof an seinen Nachfolger Sieg- fried und zieht mit seiner Frau Marianne und dem jüngsten Sohn ins Altenteil. Siegfried bleibt in den Fußstapfen seines Vaters und züchtet weiter Deutsch-Angusrinder mit eigenem Deck- bullen. Er behält auch den Ponybetrieb und ver- mietet u.a. an Jugendgruppen für Reiterferien. Nun hilft der Altbauer Lukas Duffner dem Bauern Siegfried. Aber all das genügt dem umtriebigen Lukas Duffner nicht. Seit 2002 pflegt er in seiner Heimat 65

Persönlichkeiten Der im Januar 2006 abgebrannte Reinertonishof. In Schwarzwaldtracht Ehefrau Marianne Duffner. Ettenheim Rebland. Mit Verwandten und Freun- den aus der „Rentnerliga“ fährt er häufig nach Et ten heim. Obwohl die Duffners inzwischen eine große Familie sind – acht Schwiegerkinder und acht- zehn Enkelkinder – halten alle zusammen. „Mei- nungsverschiedenheiten und große Diskussi- onen gibt’s natürlich auch schon mal“, verrät der Patriarch Duffner, der auf ein ereignisreiches und schönes Leben blickt. Schlimme und gute Tage liegen nahe bei- einander. Im Januar 2006 wird durch Brandstif- tung das schöne alte Kulturdenkmal Reinerto- nishof in Schutt und Asche gelegt. Ein herber Schlag für die Familie Duffner. Aber nach jedem Ende gibt es einen neuen Anfang. Duffners planen einen Wiederaufbau und im Februar 2008 wurde ein neues Bauern- haus im Schwarzwaldstil vom Gemeinderat ge- nehmigt. Das neue Haus soll ein Haus der Be- 66 gegnung werden und es wird wieder Landwirt- schaft sichtbar und öffentlich gemacht werden. Zum Beispiel mit einer Schauräucherei, der re- novierten Mühle und dem erhaltenen Getreide- speicher. Wenn alles gut geht, wird der 80. Ge- burtstag von Lukas Duffner am 6. September 2009 dort gefeiert. Bundesverdienstkreuz erhalten Eine besondere Überraschung gab es für Lukas Duffner im Januar 2008. Da erhielt er in Stuttgart aus der Hand von Ministerpräsident Günther Oettinger das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland, verliehen von Bundespräsident Horst Köhler. Viele Verwand- te, Weggefährten und Freunde begleiteten ihn nach Stuttgart. „Das war ein toller Tag“, blickt er stolz zurück. Felicitas Schück

Persönlichkeiten Frieda Kloock Die wohl meist dekorierte Bräunlingerin hat die Bundesverdienstmedaille erhalten Seit Jahrzehnten für die Belange des Deutschen Roten Kreuzes und das Wohl ihrer Mitmenschen aktiv von dieser Kraft gibt sie gerne immer wieder ein Stückchen ab. Weil auch die Kraft, wie es ein altes Sprichwort über das Lächeln sagt, nicht weniger wird, wenn man sie anderen schenkt. Man könnte nicht meinen, gerade im Wohnzim- mer jener Frau zu sitzen, die wohl die meistde- korierte Bräunlingerin ist. Sie hat unzählige davon erhalten, aber keine der Urkunden, Aus- zeichnungen und Medaillen ziert ihre schlichten Wände. Frieda Kloock lacht herzlich, als man sie verwundert auf diesen Umstand hinweist. „Wis- sen Sie“, sagt sie, „ich bin nicht scharf auf so eine Nadel oder Ehrung. Wenn jemand schön ‚Danke- schön‘ sagt, ist das für mich eigentlich mehr wert.“ Frieda Kloock – wie sie leibt und lebt. Eine Ehrenbürgerin. Eine Trägerin der „Verdienstme- daille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Eine DRK-Frau durch und durch. Eine, der der Bräunlinger Bür ger- meis ter Jürgen Guse bereits im Jahr 1994 die Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg ver- leihen durfte. Natürlich, es sei schön, wenn ehrenamtliche Arbeit öffentlich ge würdigt werde. Aber das gebe für sie noch lange nicht den Aus- schlag dafür, überhaupt ehren- amtlich tätig zu sein. „Mir liegt der Mensch einfach am Herzen“, be- kennt die 69-Jährige, die auch durch das Alter nicht zu bremsen ist. „Ich mache das noch gerne. Noch habe ich die Kraft dazu.“ Und Frieda Kloock hat für ihre großen Verdienste um das DRK und ihr soziales Engagement die Bun desverdienstmedaille verliehen bekommen. Karriere beim Roten Kreuz Ihre ehrenamtliche Karriere hat Frieda Kloock übrigens nie geplant. Und sie ist auch keines jener Vereinskinder, die im Windelalter von den Eltern in einen Verein gesteckt werden und mit diesem irgendwie ungefragt aufwachsen, die einfach so ein Teil dessen werden. Nein, bei Frie- da Kloock war das anders. Sie ist erst mit 35 Jahren dem Deutschen Roten Kreuz beigetreten, das sie später noch so deutlich prägen sollte und das sie im Laufe ihrer DRK-Karriere mit un- zähligen Ehrungen und Orden auszeichnen 67

Persönlichkeiten sollte. An die Situation, die letztlich zum Vereins- beitritt geführt hat, erinnert sich Frieda Kloock noch genau. „Ich war bei einem Todesfall dabei. Einem Sterbenden. Da haben die sich so be- müht. Und ich war irgendwie unbeholfen.“ Wäh- rend die Rettungskräfte versuchten, ein Men- schenleben zu retten, habe sie sich „irgendwie im Weg“ gefühlt; hilflos, weil sie nichts habe tun können. „Ich war so tatenlos nebendran“, sagt sie und schüttelt nachdenklich den Kopf. Ein Ge- fühl, das die damals junge Frau nicht mehr los- lassen sollte. Da traf die Frage aus dem Bekann- tenkreis später ins Schwarze: „Willst Du nicht ins DRK eintreten?“ – „Doch!“ Frieda Kloock be- antwortete diese Frage mit Bestimmtheit. Und es dauerte gar nicht lange, bis sie min- destens genauso unverhofft zur Amtsträgerin für das Rote Kreuz werden sollte. Sie war gerade froh, den Posten als Schriftführerin des Motor- sportclubs in Bräunlingen abgegeben zu haben. Dem blieb sie zwar treu verbunden und sie ist noch heute eine motorsportbegeisterte Frau, die die Männerwelt verblüfft, weil sie erklären kann, wie ein Motor funktioniert – aber das Ehrenamt in dem Verein, das war dann doch nichts für sie. Man war damit so abhängig und es ärgerte sie immer schrecklich, wenn bei einer Versammlung mal wieder keiner pünktlich kam. Das Schicksal aber hatte wohl damals schon andere Pläne mit Frieda Kloock. Gründerin der Seniorengymnastik Sie saß ganz hinten in einer Generalversamm- lung des DRK, feixte und lachte mit einer Neben- sitzerin, als Anne Marie Imo plötzlich zu ihr trat und herzlich gratulierte. Wozu? „Du bist gerade Schriftführerin geworden“, sagte Anne Marie Imo und lachte. Jetzt lacht Frieda Kloock, wäh- rend sie auf ihrem Sofa sitzt und dieses Frühjahr 1974 Revue passieren lässt: „Ich kam eigent lich dazu, wie die Jungfrau zum Kinde.“ „Nun ja“, er- zählt sie nachher, noch immer lächelnd, irgend- wie habe da das Prinzip „Kleiner Finger – ganze Hand“ wohl auch bei ihr funktioniert. Nach und nach nahm Frieda Kloock immer mehr Aufgaben im Roten Kreuz wahr. Sie wurde 1985 beispiels- weise Bereitschaftsführerin, 1988 Leiterin der 68 Sozialarbeit im DRK Bräunlingen und war ohne- hin immer in Bewegung. Da passt es prima ins Bild, dass Frieda Kloock 1976 die Seniorengym- nastik beim DRK in der Region mitgründete. Seniorengymnastik – das kannte man da- mals vor allem in der Schweiz. Dort waren Kurse für die Älteren schon längst angesagt, und Anne Marie Imo – auch so eine DRK-Legende der Baar, welche 2008 in hohem Alter verstorben ist – hatte einen Narren an der Idee gefressen, so etwas auch hierzulande einzuführen. Sie fragte Frieda Kloock, ob sie nicht Lust hätte, einen Lehr- gang mitzumachen. Kurz darauf war Frieda Kloock angemeldet. In Bonn. Davor hatte die Bräunlingerin ein bisschen Bammel. Ob sie in der damaligen deutschen Hauptstadt auch jeder verstehen würde? „Das war mir eigentlich das Schlimms te. Mir schwätzet alemannisch und das bliebt au so“, fügt sie ihren Erinnerungen im sympathi schen Dialekt erkläre nd hinzu. Bewegung auch im Alter Mit reichlich Lampenfieber im Gepäck fuhr Frie- da Kloock also nach Bonn und kam mächtig mo- tiviert als Fast-Profi in Sachen Seniorengymnas- tik zurück. Ihre Mutter war damals weit skep- tischer. „Jesus Maidle, mir sind doch uff’m Land, das ist doch in der Stadt ganz anders“, habe die sie gewarnt. Doch das Bewegungsangebot für Senioren unter dem Titel „Bewegung bis ins Al- ter“ trat nach der Gründung der ersten Gruppe in Bräunlingen am 4. März 1976 seinen Sieges- zug auf der Baar an. Mittlerweile leitet Frieda Kloock sage und schreibe sieben dieser Gruppen – in Bräunlin- gen, Pfohren, Döggingen, Neudingen und Aasen beispielsweise. In Spitzenzeiten kamen bis zu 36 Teilnehmer in so eine Gruppenstunde, auch wenn deren Anzahl heute demographie-bedingt etwas rückläufig ist. „Die Leute werden älter, gebrechlicher“, meint Kloock, aber die Senioren seien auch immer dankbar. Wie die ältere Dame, die Frieda Kloock erst neulich ihr Herz ausschüt- tete: „Ich muss einfach noch ein bisschen bei den Leuten sein“, erklärte ihr diese. „Die älteren Menschen sind dann froh, dass sie noch irgend- wo dazu gehören, noch Aufgaben haben.“ Die

Frieda Kloock Gymnastikstunden sind dabei übrigens noch längst nicht alles, was Frieda Kloock und ihre Helfer zu bieten haben. Auch Ausflüge wie zum Landtag oder nach Unteruhldingen gehören da- zu. Irgendwie scheint Kloocks Tag ein bisschen mehr Stunden zu haben als der anderer Leute. Es wirkt, als packe sie eine ganze Woche in nur einen Tag hinein. Im Gespräch aber wird deut- lich, dass Frieda Kloock trotzdem keine ihrer Aufgaben in übertriebener Hast und Eile wahr- nimmt. Sie denkt viel nach. Über das Leben und all die schönen, aber auch schweren Momente, welche sie als Mitarbeiterin des DRK erlebt hat, aber auch als Mensch, der für viele in seinem Umfeld eine feste Stütze ist. Sie kennt Facetten des Lebens, die manch anderem wohl immer verborgen bleiben werden. Sie begleitet bei- spielsweise Sterbende, stand schon öfter Fami- lien bei, wenn sich ein Familienmitglied freiwil- lig aus dem Leben verabschiedet hat oder dieses ankündigte, und immer wieder sieht man die en- ga gierte Frau im Seniorenheim in Bräunlingen, wie sie manch einsamem Bewohner aufmerk- sam lauscht oder ihn im Rollstuhl durch die Landschaft schiebt. „Es gibt viele ältere Men- schen, die haben niemanden mehr“, setzt sie nachdenklich hinzu. Zwei Minuten später strahlt Frieda Kloock begeistert. Das Gespräch ist bei ihrer Familie angelangt. Keine Spur mehr von rund 70 Lebens- jahren, als Frieda Kloock die Frage beantwortet, ob sie, die zwei Buben großgezogen hat, denn mitt- lerweile auch Oma sei: „O ja, sogar fünfmal – und sehr gerne!“ Und klar, sie habe auch noch viele Hobbys – Motorradfahren zum Beispiel, auch wenn sie „keine eigene Maschine“ besitze, sie wandere auch oft und gehe gerne auf Reisen, wie zuletzt auf eine Nilkreuzfahrt. „Und dann habe ich ja auch noch einen Garten“, erzählt sie strahlend und es wird klar, dass ihr erfülltes Le- ben, ihr Umfeld, ihre Familie das sind, woraus Frieda Kloock die Kraft schöpft, um zu sein, wie sie ist. Cornelia Schlecht Blick auf Bräunlingen und die Baar mit Wolterdingen und Tannheim im Hintergrund. 69

Persönlichkeiten Klaus Peter Karger Ein Filmemacher und sein Schwenninger Moos Bekannter Radiomoderator und leidenschaftlicher Regisseur – Ein Leben ohne Drehbuch Viele Almanach-Leser kennen seine Stimme aus dem Radio, wenn er über Neuigkeiten aus unse- rer Region informiert. Manche erinnern sich auch noch an das Kürzel „pet“, unter dem er für die Badische Zeitung schrieb. Theaterfreunde ken- nen ihn als Macher auf und hinter der Bühne im Theater am Turm und Cineasten verbinden mit seinem Namen eigenwillige Dokumentarfilme: Die Rede ist von Klaus Peter Karger, Leiter des SWR-Studios in Villingen-Schwenningen, davor BZ-Redakteur, in der Freizeit Schauspieler und Regisseur, im Nebenberuf Filmemacher. Sein neuestes Werk ist sein bislang längs tes – in Bezug auf Spieldauer und Produktionszeit von zwei Jahren. „Moosgeschichten – Begeg- nungen am Ursprung des Neckars“ heißt die 90-minütige Liebeserklärung ans Schwenninger Moos. Der Film ist zum einen die erste umfas- sende Dokumentation über das sensible Natur- schutzgebiet, zum anderen erzählt er persönli- che Geschichten von Menschen mit besonderer Beziehung zu dem uralten Moorgebiet. Dessen berührendes Portrait verrät zwischen den Zei- len, respektive zwischen Bild und Ton auch viel von der Persönlichkeit des Filmemachers, der keine Drehbücher mag, sondern seine Filmidee im Prozess des Drehens verwirklicht. Diese Vor- gehensweise beinhalte auch Unsicherheiten und die Möglichkeit des Scheiterns: „Aber ich finde es spannend so.“ Alltag und Traumwelt Klar, er hat schon mal davon geträumt und auch versucht, hauptberuflich das Metier zu wech- 70 Klaus Peter Karger seln und eine Filmhochschule zu besuchen. Im Nachhinein ist er froh, dass es nicht geklappt hat: „Ich will mich nicht anpassen, nicht in ein Format pressen lassen.“ Dass es bei dokumen- tarischen Sendeplätzen im Fernsehen streng definierte Formate gibt, die den multimedial zu- nehmend überfütterten Hörern und Zuschauern die Orientierung erleichtern sollen, weiß er be- reits seit seiner Hospitanz beim SDR-Fernsehen in Stuttgart vor fast zwanzig Jahren und vor allem aus langjähriger Praxis als Rundfunkredakteur und Moderator. 1989 ging er zum damaligen Südwestfunk, war davor 13 Jahre lang Redak- teur bei der Badischen Zeitung. Klaus Peter Kar- ger ist ein alter Hase, ein Vollblutjournalist, der gleichwohl ein Gegengewicht zu wachsendem Tempo und Druck seiner Branche braucht und im Filmemachen gefunden hat. Im Alltag muss immer alles schnell, schnell, schnell gehen, möglichst kurz und bündig sol- len die Beiträge sein, drei Minuten sind schon

eine lange Sendezeit in öffentlichem Film und Funk. Bei seinen eigenen Produktionen hin- gegen kann Karger ein Thema vertiefen, kann intensiv recherchieren und sich beim Drehen selbst von der Gunst der Stunde und der Ins- piration des Moments leiten lassen. Zwei Jahre reine Drehzeit hat er für die „Moosgeschichten“ benötigt, hat dafür seine Arbeit beim SWR redu- ziert. Allein der Schnitt hat sich über sechs Mo- nate hingezogen, weil er zwischendurch immer wieder Distanz brauchte, sich nicht entscheiden konnte. Aus 54 Stunden Material mussten 90 Minuten werden, manchmal war Karger „nah an der Verzweiflung“, weil Sequenzen nicht zusam- menpassten. Seine Filmkarriere Sein Faible für die Kraft der Bilder hat der 1955 in Essen geborene und in Lörrach aufgewach- sene Filmemacher von Kindheit an konsequent entwickelt. Zehnjährig schon vergrößerte er Schwarzweißbilder in der Besenkammer da- heim, die der Vater zur Dunkelkammer umfunk- tioniert hatte. 1963 drehte der kleine Klaus Pe ter mit Papas Kamera seine ersten Filme im Super-8-Format, darunter ein abstruser Trick- film mit einem selbst gebastelten Skifahrer, der einen Hang hinunter fährt. 1977 war Klaus Peter Karger Mitbegründer des Kommunalen Kinos Villingen-Schwenningens, 1984 stieg er mit „Eine einmalige Sache“, ein 65-minütiger Dokumen- tarfilm über ein Ju gend- festival, in die Film szene Ba den- Würt tembergs ein. Ein Jahr später folg- te sein bislang größter Erfolg – gemessen an der Resonanz auf Film- festivals und im Kino: Der Publikumsliebling „Weihnachten satt“, ein satirischer Kurzfilm über Nebelstimmung im Schwenninger Moos. Klaus Peter Karger die Metamorphose von Schokoladenweih- nachts männern. Die Themen kommen im Alltag auf ihn zu, sagt Karger, manchmal liegen sie im Wortsinn auf der Straße. „Straßen des Wahnsinns“ (1987) ist Titel einer gesellschaftskritischen Dokumen- tation über den geplanten Bau des sogenann- ten Nordzubringers in Villingen-Schwenningen und den Bürgerprotest dagegen. „Zwillinge“ (1993) heißt das behutsame, persönliche, aber nicht demaskierende Portrait über stadtbekann- te Zwil lingsschwestern aus Villingen. In „Das Käuzchen schreit ganz fürchterlich“ dokumen- tierte Karger 2001 eine Theaterinszenierung, basierend auf eigenen Erfahrungen als Schau- spieler und Regisseur. Ein Highlight besonderer Art war das 70-mi- nütige „Das Gaskugel-Projekt“, zu dem ihn 2003 Kollege Jochen Bruche inspiriert hatte. Drehort war das Innere der 20 Meter hohen Stahlkugel an der B31 bei Villingen, die mit ihrer phäno- menalen Akustik phantastische Kulisse für ein experimentelles Konzert war. „Tatort Feldberg“ (2004) ist ein szenischer Kurzfilm für eine Aus- stellung über Schwarzwälder Geigenbau. Die Filme fanden auch über unsere Region hinaus Interesse, liefen in Freiburg, Offenburg und anderswo. „Die treibende Kraft oder: Leben und Arbeiten für die Kunst“ ist ein Dokumentar- film über eine Künstlerin aus Trossingen. Das Kommunale Kino Pforzheim zum Beispiel hatte die Aufführung in die Werkhalle des dortigen Bildhauers René Dantes verlegt. „Die Vorstel- 71

Persönlichkeiten lung war ausverkauft und es war eine tolle Be- gegnung mit den Zuschauern. Das ist es, was zählt.“ Einen wieder ganz anderen Charakter hat die Dokumentation „Refugio Villingen-Schwen- ningen – Arbeit mit traumatisierten Flüchtlin- gen“. Sie entstand 2007 als Auftragsprodukti- on, die mit EU-Mitteln finanziert wurde. Klaus Peter Karger ist zwar Autodidakt, hat sich aber in Seminaren, Hospitanzen und Dreh- buchcamps mit anerkannten Regisseuren, Cut- tern und Kameramännern weitergebildet. Er hat sich mit Lichtgestaltung beschäftigt und Strate- gien gelernt, wie man authentisch bleibt, ohne die Protagonisten zu entblößen. „Du hast den Personen gegenüber eine große Verantwortung und musst dir beim Schnitt stets überlegen, ob du sie so zeigen darfst.“ Ein Moor und seine Geschichten Das Schwenninger Moos beschäftigt Klaus Peter Karger seit 1974, seit er nach Villingen-Schwen- ningen kam, um nach dem Volontariat bis 1989 als Redakteur für die Badische Zeitung zu arbei- ten. Insbesondere die mystische Morgenstim- mung faszinierte ihn, so dass er sich manchmal mitten in der Nacht aufmachte, um sie mit der Kamera festzuhalten. Mit Bildern von goldenen Nebeln, die im Licht der aufgehenden Sonne über das dunkle Wasser und märchenhafte Moosteppiche wallen, beginnen die „Moosge- schichten“ denn auch. Auf die Idee, einen Film über dieses beson- dere Fleckchen Erde zu drehen, kam Karger erst 2006 bei einer Führung am „Tag der Schöp- fung“, die der Bad Dürrheimer Umweltberater Klaus-Peter Koch gestaltet hatte. Eine Teilneh- merin erzählte von ihrer Kindheit am Rand des Moores. Wenn sie nicht artig war, wurde ihr ge- droht, sie werde ins Moor gebracht und würde dann nie mehr herausfinden. Längst hat die Schwenningerin ihre Kindheitsangst überwun- den und fühlt sich stattdessen von der archa- ischen Schönheit des Moores angezogen. Die Ambivalenz ihrer Beziehung zum Moor inspi- rierte Klaus Peter Karger: „Ich fand diese Ge- schichte erzählenswert.“ Er registrierte, dass es bislang noch keinen umfassenden Dokumentarfilm über das Schwen- ninger Moos gab; in den wenigen Fernsehbei- trägen tauchte es nur kurz als Ausgangspunkt für eine Neckar-Reise auf und wurde in der SWR-Landesschau als ehrgeiziges Renaturie- rungsprojekt vorgestellt. Doch für Karger stand fest, dass er keinen rein naturwissenschaftlich- Klaus Peter Karger bei Dreharbeiten im Schwenninger Moos. 72

Klaus Peter Karger Experte Dr. Markus Röhl mit Studenten der Hochschule Nürtingen-Geislingen bei Bodenuntersuchungen im Moos. historischen Film machen, sondern auch die emotionale Bindung vermitteln wollte, die die Menschen hier zu „ihrem“ Moos haben. Die Recherche in Bibliotheken und Archiven ergänzte er durch die Recherche nach Menschen, die eine „Moosgeschichte“ erzählen wollten. Er gab eine Suchanzeige in den Lokalzeitungen auf und verteilte in Geschäften eigens gedruck- te Postkarten. Es meldeten sich eine Reihe von Moos-Fans, einige werden in dem Film vorge- stellt: Da ist die Tanzpädagogin, die sich vom Rhythmus der Natur bei ihren Choreographien inspirieren lässt. Der Künstler, der in einer Per- formance die Brücke zwischen Ursprung und Mündung des Neckars in den Rhein schlägt. Es gibt den Naturliebhaber und -forscher, den das Entdecken von verschwundenen und mit der Re- naturierung wieder aufgetauchten Pflanzenar- ten begeistert. Der Jogger, der hier regelmäßig Kraft schöpft, kommt zu Wort und die Amateur- fotografin, die ihre ganze Wohnung mit Moos- bildern geschmückt hat und sich immer noch nicht satt gesehen hat. Die persönlichen Perspektiven und subjek- tiven Portraits sind eng verwoben mit der zweiten, gleichsam objektiven Erzählebene, in der es um Fakten geht. Karger rekapituliert die Ent stehungsgeschichte des Moorgebiets, re- flektiert seine Beschädigung und Gefährdung durch den Torfabbau, der vom 18. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fort- gesetzt wurde. Bei den Dreharbeiten sei deut- lich geworden, dass viele Leute gerade über „Moosgeschichten – Begegnungen am Ursprung des Neckars“ Konzeption, Bildgestaltung, Ton, Regie: Klaus Peter Karger Kameraassistenten: Jürgen Haller, Gertrud Cammerer-Karger, Heinz Lörcher, Jürgen Haltmaier Musik: Frank Meyer Drehzeit: September 2006 bis August 2008 Uraufführung: November 2008 im Schwen- ninger Kino Capitol und im Kommunalen Gucklochkino Villingen-Schwenningen Laufzeit: 94 Minuten Weitere Informationen: www.moosgeschichten.de und www.karger- kultur.de 73

Klaus Peter Karger den Torfabbau nichts wissen. Der hängt mit den württembergischen und badischen Salinen in Schwenningen, Rottweil und Bad Dürrheim zusammen, denn der im Moos gestochene Torf wurde im Wesentlichen unter den Siedepfan- nen dieser Salinen verfeuert. „Also erzählen wir auch diese Geschichte, um sie ins Bewusstsein zu rufen.“ Der „objektive“ Erzählstrang mündet in die spektakuläre Renaturierungsoffensive, mit der in den 80er-Jahren begonnen wurde. Die sys- tematische Vernässung des Moores wurde ein Vorzeigeprojekt des Umweltschutzes in Baden- Württemberg, das von der damals visionären Offenlegung des Neckars gekrönt wurde, der in den 60er-Jahren ins unterirdische Kanalsystem von Schwenningen verbannt worden war. Durch das Pendeln zwischen beiden, einander kontras- tierenden Ebenen entstehen Spannungsbögen; sachliche Informationen und humorvolle, an- rührende Menschen-Geschichten werden durch die filmischen Bilder von poetischer Schönheit illustriert. Der Autor bezeichnet seine „Moosgeschich- ten“ als Baden-Württemberg-Film. Der Neckar ist der Landesfluss von Baden-Württemberg, der sei nen Ursprung im Schwenninger Moos hat, als Bach an Deißlingen vorbeifließt, in Tübingen ein respektables Flüsschen ist und in Mannheim als mächtiger Fluss auftaucht, der begradigt und schiffbar gemacht wurde. „Die Gegensätze zwi- schen Ursprung und Endpunkt können kaum grö- ßer sein, auch das wollte ich zeigen.“ Das Projekt wurde nicht mit öffentlichen Geldern gefördert. Zur Finanzierung hat Karger stattdessen private Filmförderer gesucht und gefunden, die das Projekt durch den Erwerb von Bausteinen ideell mitgetragen haben. Denn obwohl der Film als „Low Budget“ produziert wurde und Karger seine eigene Arbeitsleistung nicht in die Kalkulation hineingerechnet hat, entstehen Kosten von einigen tausend Euro. Dies durch die Miete von Spezialobjektiven, ei- nes Kamerakrans, den Kompositionsauftrag für eine Filmmusik an Musiker aus Südbaden und anderes mehr. Und welches Thema hat sich der filmische Eigenbrötler als nächstes vorgenommen? Klaus Peter Karger lacht. „Erst einmal muss ich Pause machen.“ Und dann wird er wieder in seinen Zettelkasten gucken, in dem er seine Ideen sammelt. Christina Nack Im Schwenninger Moos, wo der Ursprung des Neckars liegt. 74

4. Kapitel Aus dem Wirtschaftsleben Bei der nasschemischen Prozessierung von Solarzellen und Solarwafern: RENA ist Weltmarktführer – allein in Gütenbach 380 Arbeitsplätze Eine schier atemberaubende Erfolgsgeschichte kann die Firma RENA GmbH in den lediglich 15 Jahren ihres Bestehens vorweisen: Das mittelständische Unterneh- men im Gütenbacher Gewerbegebiet Neueck begann im Jahr 1993 mit gerade ein- mal zehn Mitarbeitern, heute sind es an verschiedenen Standorten rund 900, im Gütenbacher „Headquarter“ alleine gibt es etwa 380 Arbeitsplätze. Der Firmen- name, ein Kunstwort, ist bereits Pro- gramm, es sind die Anfangsbuchsta- ben von Reinraum, Equipment, Nass- chemie und Automatisierung. Groß geworden ist das Unternehmen in der Halbleitertechnologie. Im Jahr 2000 aller- dings kam es zu einem „Halbleiterknick“ und RENA musste sich nach weiteren Geschäftsfeldern und Kunden umsehen. Die Entscheidung, in die Solartechnik einzusteigen, erwies sich aus heutiger Sicht als goldrichtig. Denn dafür war die Firma durch ihre Erfahrungen im Halbleiterbereich gut gerüstet. Heute ist die RENA Weltmarktführer für die nasschemische Prozessierung von Solarzellen und Solarwafern. Dahinter verbirgt sich, vereinfacht aus- gedrückt, die Reini- gung und Oberflä- chenbehandlung von Siliziumwafern. Dies sind quadratische Si- liziumsubstrate, die das Herz von Solarzel- len darstellen. Dazu gehört das Ätzen, Trocknen und Galvanisieren der Oberfläche. Durch diese Prozesse wird beispielsweise die effektive Ober- fläche vergrößert oder es werden Leiterbahnen leitfähiger gemacht. Nassprozessierung von Siliziumwafern mit einer Anlage von RENA. Das wiederum sind Voraussetzungen für die effektive Stromerzeugung der Photovoltaikzel- len. Heute generiert das Unternehmen 70 Pro- zent seines Umsatzes aus dem Solarbereich. RENA selbst stellt übrigens keine fertigen Solar- 75

Aus dem Wirtschaftsleben zellen her, das tun vielmehr die Kunden der Fir- ma, darunter die Großen der Solarbranche. „Wir sind gut aufgestellt, 60 Prozent aller weltweit hergestellten Solarzellen haben einmal wäh- rend ihrer Prozessierungszeit die Anlagen von RENA durchlaufen“, betont Geschäftsführer Jür- gen Gutekunst. 250 Millionen Euro Umsatz anvisiert Der Solarmarkt wächst jährlich um rund 30 Pro- zent, das Wachstum von RENA liegt sogar noch darüber, was den Solarbereich betrifft. Dafür stehen auch die nüchternen Umsatzzahlen des Unternehmens, deren sprunghafter Anstieg in der Region wohl einmalig sein dürfte: Lag der Umsatz im Jahr 2004 noch bei 25 Millionen Euro, so waren es 2006 bereits 60 Millionen, 2007 erfolgte ein Sprung auf 150 Millionen und für 2008 werden 250 Millionen Euro anvisiert. Ein großer Teil des Umsatzes wird übrigens in Fernost erzielt, in China, Taiwan oder Korea, 20 Prozent in Deutschland. Dabei ist die erwähnte Reinigung und Oberflä- chenbehandlung alles andere als einfach und er- fordert eine hohe Kompetenz des Herstellers, un- ter anderem, weil die Siliziumwafern lediglich 0,2 Millimeter dick sind und extrem leicht brechen. Ein noch neuer Produktionsbereich ist die Herstellung von Dünnschichtmo- dulen, wo Glas oder Folien beschichtet werden. Sie sind zum Beispiel für Sonderlö- sungen in der Gebäu- detechnik gedacht. Solarzellen können aber auch in Gebieten ohne Stromversor- gung eingesetzt wer- den, um Kleingeräte Geschäftsführer Gutekunst Jürgen mit elektrischer Energie zu versorgen. Ob Silizium oder Dünnschichtsubstrate, es handelt sich in jedem Fall um ein Produkt, das eine hohe Herstellungskompetenz erfordert. Da her benötigt RENA stets Fachkräfte, Fachar- beiter, Techniker und Ingenieure. Zahlreiche Auszeichnungen erhalten Kein Wunder, dass die Firma 2007 und 2008 Ge- winner bei der Auszeichnung „Job-Motor“ war, die von der Badischen Zeitung, der IHK und dem Wirtschaftsverband WVIB für die Schaffung von 76 Inline Anlage zur Prozessierung von Solarzellen.

Firma RENA 100 neuen Arbeitsplätzen in Südbaden verlie- hen wird. Ebenfalls 2007 gab es für RENA den Titel „TOP 100“, der den besten 100 mittelstän- dischen Arbeitgebern in ganz Deutschland ver- liehen wurde. Das Mittelstandsprojekt würdigt damit den Erfolg von RENA in den fünf zentralen Kategorien „Innovationserfolg“, „Innovations- klima“, „Innovative Prozesse und Organisati- on“, „Innovationsförderndes Top-Management“ sowie „Innovationsmarketing“. Vor allem im Be- reich „Innovationsklima“ verdienten sich die Schwarzwälder, die bereits zum fünften Mal in Folge den Sprung unter die Innovationselite ge- schafft haben, Bestnoten. Hier kam der Mittel- ständler sogar unter die besten zehn Teilneh- mer. Begründet ist dieser Erfolg in der Firmen- ideologie von RENA: Für den Anbieter von Pro- zesstechnologie für nasschemische Anwendun- gen sind die Mitarbeiter – genauer deren Ideen – das wichtigste Kapital. Jüngste Ergebnis se der Innovationskraft des Mittelständlers sind die neue Galvanikanlage CupCellPlate, die neue „Dotierstoffaufbrin- Von der Fertigung der komplexen Solaranlagen bei RENA, hin zur Produktion beim Kunden. gungsanlage InDop“ und die „Solar Wafer Reini- gung InWaClean“: Mit dieser neu entwickelten Anlage ermöglicht die Maschinenbaufirma ei- nen umweltfreundlichen Prozess für die Feinrei- nigung von Silizium-Solar-Wafern. Das Automa- tisierungskonzept von „InWaClean“ maximiert dabei den Durchsatz und bietet so entschei- dende Wettbewerbsvorteile. Dank erheblich re- duzierter Bruchrate bei den Wafern entsteht während der Reinigung deutlich weniger Aus- schuss – angesichts immer knapperer Silizium- Ressourcen kein unwesentlicher Faktor. Auch weitere Innovationspreise gingen be- reits an das Gütenbacher Unternehmen, das seit 2006 auch einen Produktionsstandort in Bräun- lingen mit rund 100 Mitarbeitern aufweist; da- mit konnte die Produktionsfläche verdoppelt werden. Zusätzliche Standorte finden sich in Berg und Roth bei Nürnberg, in Herrenberg sowie in Polen. Auch in China hat RENA eine hundertpro- zentige Tochter. Im Juni 2007 wurde die Höllmül- ler GmbH, kurz HMS, übernommen, ein Unter- nehmen, das Anlagen für die Leiterplattenher- stellung produziert und daher das Spektrum der RENA-Kompetenz gut ergänzt. 77

Im 2006 eröffneten Produktionsstandort in Bräun- lin gen arbeiten heute mehr als 100 Mitarbeiter. RENA ein gutes Beispiel für die Impulse, die von der Hochschule Furtwangen ausgehen Neben der Solar- auch in der Halb- technik bleibt RENA Neben der Solartechnik bleibt die RENA übrigens in der Halbleitertechnik aktiv, weitere Standbeine sind die Mikrosystemtechnik sowie die Medizintechnik und die Leiterplattentech- nik. Ein wichtiges Plus der Firma ist auch ein weltweites Servicenetz. Am Standort Neu- eck hat sich das Unter- nehmen durch Zukäufe benachbarter Gebäude enorm vergrößert, da- bei wurde nicht nur ein angrenzendes Firmen- gebäude erworben, sondern auch das tra- ditionsreiche „Hotel Neueck“, wo im ehema- ligen Gastraum im Un- tergeschoss jetzt die Betriebskantine untergebracht ist, die übrigens auch für Außenstehende zugänglich ist. Oben im Gebäude sind Büros für Konstruk tion und Vertrieb untergebracht. Die Gemeinde Güten- bach hat die Erweiterungsabsichten stets wohl- wollend begleitet. temtechnik und die leitertechnik aktiv, weitere Standbeine sind die Mikrosys- Medizintechnik. Die Entstehung und Entwicklung der Firma RENA ist auch ein gutes Beispiel für die positiven Im- pulse, die von der Hochschule Furtwangen Uni- versity (HFU) auf die Wirtschaft der Region aus- gehen. Denn sowohl Jürgen Gutekunst wie sein Partner, mit dem er das Unternehmen 1993 gründete, hatten an der damaligen Fachhoch- schule Feinwerktechnik studiert. Und nach wie vor ist die Zusammenarbeit von Hochschule und Unternehmen eng, nicht nur, was Themen für Diplomarbeiten oder Praxissemester für Studie- rende betrifft. Auch an technischen Problemlö- sungen und Entwicklungen ist die HFU betei ligt, vor allem in der Mikrosystemtechnik. Chef und Motor des Unternehmens ist Jürgen Gutekunst, Jahrgang 1961, seit 2005 alleiniger Geschäftsführer. Er ist ein Mann der Praxis, der zunächst Werkzeugmacher gelernt hatte, dann Maschinenbautechniker, bevor er sich zum Stu- dium an der HFU entschloss. Er ist verheiratet, hat drei Kinder. Seit dem Jahr 2005 ist er allei- niger Geschäftsführer von RENA. Für seinen Part- ner, der die Firma verließ, sprang die L-EA ein, die zur Landesbank gehört und herausragende mit- telständische Unternehmen unterstützt. 78

Gleich geblieben ist die Unternehmensphi- losophie von Jürgen Gutekunst: „Konsequente Orientierung am Kunden, Innovation, Begeiste- rung, globale Präsenz sowie Respekt im Um- gang mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Das sind Werte und Ziele, die unser Denken und Handeln lenken.“ Es sind auch diese Werte, die das Unternehmen von Erfolg zu Erfolg führten, das den Ehrgeiz hat, an der Spitze des jewei- ligen Marktes zu stehen. Deshalb steht auch Innovation an erster Stelle des eigenen Leit- bildes, gefolgt von Kundennähe, Vertrauen und Verantwortung. Und die Lage der Firmenzentrale auf rund 1.000 Metern Höhe und der Wasserscheide zwischen Rhein und Donau, sie hat sich bisher nicht als Nachteil erwiesen. „Hier oben finden wir den Frei- raum zum Denken“, ist in einem Firmenpros pekt festgehalten. Darüber ein Foto, das den Blick über nebelverhangene Täler und Schwarzwaldhöhen zeigt, darauf steht: „Weitblick“. Den wird das Unternehmen auch in Zukunft benötigen. Und dafür ist der erhöhte Standort gewiss ein Plus. Matthias Winter Nasschemische Reinigungsanlage für 300 mm Halb – leiterwafer. Firma RENA Die Entwicklung von RENA Mitarbeiter. Anlage. Gebäude. integriert. 1993 | Gründung des Unternehmens, zehn 1994 | Bau der ersten vollautomatischen 1997 | Die Firma bezieht ein neues 1997 | RENA entwickelt die erste Solar-Processing-Anlage. 2002 | „astec“ wird als Schwesterfirma 2004 | Die weltweit 300. Anlage wird installiert, 25 Mio. Euro Umsatz. 2006 | Der Standort Bräunlingen kommt hinzu, die Produktionsfläche wird verdoppelt, Kauf des Hotels „Neueck“, 250 Mitarbeiter. 2007 | ISO Zertifizierung, Übernahme 2008 | Anvisierter Umsatz: 250 Millionen der Höllmüller GmbH. 150 Millionen Euro Umsatz. Euro. Mitte des Jahres 980 Mitar- beiter, Tendenz weiter steigend.

Aus dem Wirtschaftsleben Schwenninger BKK: Nah am Geschehen Seit mehr als 110 Jahren setzt sich die Krankenkasse mit innovativen Leistungen, guten Arbeitsbedingungen und sozialem Engagement für die Region ein Nein, die Uhr blieb am Vorderen See in Villingen-Schwenningen wahrlich nicht stehen. Im Gegenteil: Wer einen Fuß in die Hauptverwaltung der Schwenninger BKK setzt, sieht der Zukunft in die Augen. Die Grenzen zwischen innen und außen gehen durch die zahl- reichen Glaswände fließend ineinander über, das moderne Gebäude scheint seiner Zeit fast schon ein kleines Stück voraus. 80

Die Schwenninger BKK Überhaupt spielt Zeit in der Spittelstraße schon seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle. Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte Schwenningen zu den größten und berühmtesten Uhrenstädten der Welt. Die Krankenkasse hat sich für ihren Neubau im Jahr 2001 deshalb ein Grundstück ausgesucht, das wie kein anderes für die Wirt- schaftsgeschichte der Stadt im Schwarzwald- Baar-Kreis steht. Das Areal beheimatete lange Zeit einen Teil der Kienzle Uhrenfabriken GmbH. Aus deren Betriebskrankenkasse, 1896 gegründet, ging 100 Jahre später die Schwen- ninger BKK hervor. Sie ist heute mit 250.000 Kunden, annähernd 450 Mitarbeitern und einem Haushaltsvolumen von rund 660 Millionen Eu- ro (2007) eine der größten Betriebskranken- kassen Deutschlands. Seit der Fusion mit der BKK J. Schlenker-Grusen ist die Kasse außer für Baden-Württemberg auch für Kunden in Bayern, Hessen und Thüringen geöffnet. 81 81

Aus dem Wirtschaftsleben „Mit der Spittelstraße haben wir den idealen Standort gefunden, in zentraler Lage und daher für Bürger aus der ganzen Region einfach zu erreichen“, sagt Siegfried Gänsler, Vorsitzen- der des Vorstandes der Schwenninger BKK. Er steht zusammen mit Thorsten Bröske seit Ende 2006 an der Spitze der Krankenkasse. Beide sind ausgewiesene Gesundheitsexperten. Sieg- fried Gänsler hat Betriebswirtschaft studiert, zwischen 1991 und 1999 arbeitete er bei der Techniker Krankenkasse. 1999 wechselte er zur 82 Ein Blick auf die Friedrich-Ebert-Straße – und auf Schwenninger Geschichte: Rechts vorne (Eck – haus) das Kienzle Uhrenmuseum, heute die Städtische Galerie. Im Flachbau dahinter die Kienzle-Fabrikation, heute befinden sich hier Ab teilungen der Hochschule Furtwangen Uni- versity. Das ehemalige Fabrikgebäude links im Vordergrund beheimatet mittlerweile die Be- rufsakademie. Das Gebäude dahinter wurde ab- gerissen, hier steht heute der Berufsakademie- Neubau. Am Ende der Straße zu sehen: die Uhrenfab- rik Mauthe. Die Schwenninger BKK befindet sich nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt auf einem Grundstück in der Spittelstraße, das frü- her ebenfalls von Kienzle genutzt wurde. Schwenninger BKK. Thorsten Bröske studierte Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Gesundheitssysteme/Ökonomie, Betriebswirt- schaft und Organisationspsychologie. Seine be rufliche Laufbahn begann in einer auf das Gesundheitswesen spezialisierten Unterneh- mensberatung in den USA. „Den traditionsreichen Standort haben wir nicht ohne Grund gewählt. Auch die Kienzle Uhrenfabrik war ihrer Zeit immer einen Schritt voraus. Erfolgreiche Innovationen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Unternehmensge- schichte. Diese Tradition bewahren wir bei der Schwenninger BKK bis heute“, sagt Siegfried Gänsler. Die Natur bestmöglichst in das Baukonzept des Verwaltungsgebäudes integriert Das hat die Krankenkasse schon beim Verwal- tungsgebäude bewiesen. Von Anfang an sollte die Natur bestmöglich in das Baukon- zept inte griert werden – was auch gelungen ist: Modernste Technik sorgt dafür, dass die Kraft der Natur bestmöglich und umweltscho- Gemeinsam stark: Eine Doppelspitze mit Sieg- fried Gänsler (Vorsitzender, links) und Thorsten Bröske bildet den Vorstand der Schwenninger BKK.

Die Schwenninger BKK Rückblende: Blick in die Einsetzerei der Kienzle Uhrenfabriken GmbH. Aus der Betriebskrankenkasse von Kienzle ist die BKK hervorgegangen. 280 Bürgern aus der Region einen modernen Arbeitsplatz bietet. Damit gehört die Schwenninger BKK zu den größten Arbeitgebern im Schwarzwald-Baar-Kreis. Alle Arbeitsplätze sind mit modernen Kommunikationsmedien ausge- stattet und ergonomisch einge- richtet. Sie lassen sich zudem be- hindertengerecht anpassen – wie nend eingesetzt wird. Ein computergesteuerter Sonnenschutz und die sogenannte Betonkern- aktivierung regulieren das Klima im Inneren des Gebäudes. Es steht auf Bohrpfählen, die gleich- zeitig als Energielieferanten dienen. Die Ener- gie der Erde kühlt das Gebäude im Sommer: Die Kühle aus dem Erdreich wird durch ein Leitungs- system an die Betondecken der einzelnen Bü- ros abgegeben. Sie kühlen ab, das Raumklima wird reguliert. An heißen Tagen ersetzt dieses System sogar eine Klimaanlage. Im Winter funk- tioniert der Energiespender gerade umgekehrt, die gespeicherte Sonnenwärme unterstützt das Heizsystem. So wird die Temperatur in den Räu- men dauerhaft angenehm empfunden. Einer der größten Arbeitgeber Entstanden ist ein funktionaler Bau, der sich har- monisch in die Region integriert – und heute fast jüngst in der Poststelle geschehen. Die guten Arbeitsbedingungen machen die Schwenninger BKK über die Grenzen Villingen- Schwenningens hinaus zu einem interessanten Arbeitgeber: „In unserer Hauptverwaltung in Vil- lin gen-Schwenningen und in den Landesge- schäftsstellen in Ansbach (Bayern), Arnstadt (Thü ringen) und Fulda (Hessen) bilden wir jähr- lich mehrere junge Nachwuchskräfte zum Sozial- versicherungsfachangestellten aus“, weiß Thors- ten Bröske. Überhaupt legt die Kasse großen Wert auf Fortbildung. „Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, das Niveau der Wirtschaftsregion Schwarz- wald-Baar-Kreis wei terhin hoch zu halten. Wei- terbildung ist ein Standortfaktor und damit eine der wichtigsten Voraussetzun gen, um im Wettbewerb zu bestehen“, sagt Sieg fried Gäns- ler. Die Schwenninger BKK geht mit gutem Bei- spiel voran. In der „Akademie der Schwenninger BKK“ machen sich verschiedene Berufsgruppen fit für die Zukunft. Die Kasse bietet unterschied- lichste Seminare, beispielsweise für Ärzte, die wertvolle Tipps für Die maßgeschneiderte Beratung der Kunden kommt an: 2008 wurde die Schwenninger BKK bei einem Han- delsblatt-Wettbewerb als einer der kundenorientiertesten Dienstleister Deutschlands ausgezeichnet. 83

Aus dem Wirtschaftsleben eine effiziente Praxisorganisation bekommen. Mitarbeiter des Landrats amts waren ebenfalls schon zu Gast bei einer Fortbildung. „Schwenninger Forum“ im Atrium Auch in anderen Bereichen macht sich die Kran- kenkasse für die Stadt am Neckarursprung und für die Region stark: Kulturelle Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen wie das „Schwen- ninger Forum“ im Atrium der Schwenninger BKK locken immer wieder Besucher aus nah und fern in die Spittelstraße. Das Programm VIPHits und die Young Card für 16- bis 27-Jährige, eine spezielle Versichertenkarte, machen Einkaufen, Ausgehen und Sport treiben bei zahlreichen Einzelhändlern und Freizeiteinrichtungen aus der Region billiger – gleichzeitig wird durch den Verbund mit regionalen Partnern die Wirtschaft ge- stärkt. Darüber hinaus will die Krankenkasse mit Expertenvorträgen und Podiumsdiskussionen die Bevölkerung in der Region für das Thema Gesundheit sensibilisieren. Die Resonanz der Besucher zeigt, dass die Angebote ankommen. „Unser Credo heißt ‚Mit Sicherheit gesün- der LEBEN‘. Deshalb setzen wir uns in und um Schwenningen und in den drei anderen Bundes- ländern dafür ein, dass das Thema Gesundheit noch mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt wird“, sagt Thorsten Bröske. Die Voraussetzun- gen im Kreis sind optimal: Zahlreiche Kur- und Bäder-Angebote, Bad Dürrheim mit seinem Soleheilbad und viele weitere Gesundheits- einrichtungen bieten ideale Bedingungen. Die Krankenkasse trägt ihren Teil dazu bei, die Re- gion ein kleines bisschen gesünder zu machen. 84 Regelmäßig lädt die Schwenninger BKK beispielsweise Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien zur Podiums diskussion „Schwenninger Forum“ ein. „Wir kooperieren beispielsweise mit Fitness-Studios, mit ausge- wählten Wellness-Einrichtungen aus der Region oder auch mit den lokalen Medien, um gemeinsam mehr zu errei- chen“, sagt Thorsten Bröske. Wer selbst etwas für seine Gesundheit unternehmen will, rennt bei der Schwenninger BKK offene Türen ein. Nor- dic Walking, Aquafitness, Rückentraining oder Ernährungskurse – Möglichkeiten gibt es genug. Jeder Versicherte bekommt bare Unterstützung: Ein persönliches Gesundheitsbudget von bis zu 560 Euro jährlich steht jedem für Kurse aus den Bereichen Bewegung, Ernährung, Stressredukti- on und Entspannung zur Ver fügung. Zudem ler- nen gesundheitsbewusste Bürger bei Gesund- heitstagen in der Hauptverwaltung und in den anderen Landesgeschäftsstellen immer wieder, wie es sich gesünder leben lässt. Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen Besonders wichtig sind der Schwenninger BKK die Kleinsten. „Kinder sind wissbegierig und lern- willig“, weiß Siegfried Gänsler. „Was in jungen Jahren gelernt wird, prägt und bleibt langfristig im Gedächtnis.“ Die Krankenkasse zeigt der Generation Fast-Food, dass auch ein Leben mit weniger Burgern und Softgetränken Spaß macht – und vor allem fit hält. Denn zwei Millionen Kin- der und Jugendliche sind übergewichtig oder leiden im schlimmsten Fall unter Adipositas. Jedes fünfte Kind beziehungsweise jeder fünfte Jugendliche weist Essstörungen auf. Siegfried Gänsler: „Hier möchten wir ansetzen und Alter- nativen aufzeigen, den Kindern das Thema auf spannende und verständliche Art und Weise schmackhaft machen.“ Die Schwenninger BKK fördert die Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen aus der Region ganz gezielt. Spezi-

elle Programme für Kindergartenkinder wie das Programm „Fit von klein auf“ zielen darauf ab, das Gesundheitsbewusstsein der Kinder schon früh in die richtige Richtung zu lenken und so ein gesundes Ernährungsverhalten zu fördern. Bei den Kleinen fängt es an, bei den Gro ßen geht es weiter. Siegfried Gänsler ist Senatsmit- glied der Ernährungskommission des Bundes- verbands für Wirtschaftsförderung und Außen- wirtschaft. Der Verband leistet deutschlandweite und gesamtgesellschaftliche Aufklärungsarbeit zum Thema Prävention. „Ich mache mich bei meiner Arbeit in der Kommission weiterhin für einen Ansatz stark, der alle Bevölkerungsgrup- pen integriert. Nur dann wird sich der gewünschte Erfolg einstellen.“ Interne Abläufe konsequent optimiert Zahlreiche Präventionsangebote, ein konstant hohes Niveau bei den angebotenen Leistungen und das bei zunehmend schwierigen politischen Rahmenbedingungen: Die Schwenninger BKK hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie mit den herausfordernden Vorgaben der Politik umzugehen weiß. Trotz des engen gesetzlichen Handlungskorridors ist es der Schwenninger BKK in den vergangenen Jahren stets gelungen, solide zu wirtschaften, unter anderem aufgrund einer konsequenten Optimierung der internen Abläufe. Ergebnis ist eine auf die Kundschaft be- zogene Produktentwicklung, eine konsequente Eine intelligente IT-Unterstützung ist die Vorausset- zung für effiziente Prozesse. Die Server der Schwen- ninger BKK arbeiten Tag und Nacht auf Hochtouren. Die Schwenninger BKK teil beträgt aktuell 3,8 Prozent. tur der BKK zeigt Wirkung, der Ver- waltungskostenan- Die schlanke Struk- Prozess-Ausrichtung mit intelligenter IT-Unter- stützung, eine gestraffte Organisation mit fla- chen Hierarchien sowie verbesserte Leistungen und gesteigerter Kunden-Service. Ein Beispiel dafür ist das digitale Dokumenten management. Schriftliche Dokumente oder auch mündliche Anfragen von Kunden werden sofort nach Eingang digitali siert und umgehend oh ne Zeitverlust an den pas- senden Berater elektro- nisch weitergeleitet. Er kann unverzüglich die richtigen Schritte in die Wege leiten und der Kunde bekommt die Hilfe, die er von der Schwenninger BKK erwartet. Die schlanke Struktur zeigt Wirkung: Der Verwal- tungskostenanteil beträgt aktuell 3,8 Prozent. Damit liegt die Schwenninger BKK deutlich un- ter dem Bundesdurchschnitt der gesetzlichen Krankenkassen (5,6 Prozent). „Unser Ziel ist es, den Bürgern in der Region die bestmögliche me- dizinische Versorgung zu bieten“, sagt Thorsten Bröske. Die Gestaltung der Angebote wird dazu wie bei den BKKTarifHits exakt auf die Kundenwün- sche angepasst. Außerdem werden die Versi- cherten zusätzlich finanziell entlastet. Bis zu 675 Euro Rückerstattung pro Jahr sind bei den BKKTarifHits möglich. Dass die Kasse auf einem guten Weg ist, bestätigen sowohl die Kunden als auch mehrere unabhängige Experten: Als einzige deutsche Kasse haben die Schwennin- ger sich vom TÜV als Gesamtunternehmen nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifizieren lassen. 2008 wurde das im sechsten Jahr nach der Erstzertifi- zierung erneut bestätigt. Als erste Körperschaft des öffentlichen Rechts bekam die Schwenninger BKK für ihr Prozess- management in Amsterdam den europaweiten „Business Process Ex cel lence Award 2006“ ver- liehen. Beim Wettbewerb „Deutschlands kunden- orientierteste Dienstleister 2008“ von der Wirt- schaftszeitung Handelsblatt, der Universität St. Gallen, der Agentur ServiceRating und der Unter- nehmensberatung Steria Mummert Consulting ge- hörte die Schwenninger BKK zu den besten Kran- kenkassen Deutschlands. Andreas Dölker 85

Aus dem Wirtschaftsleben 50 Jahre Präzisionstechnik aus Schonach – Innovation und Kompetenz: Burger Industriewerk – geschätzter Partner vieler Weltfirmen Hoch qualifizierter Zulieferer für Dreh-, Fräs- , Schleif- und Verzahnungsteile, komplette Baugruppen und einbaufertige Module – Systemlieferant ers ter Güte für Firmen mit Weltruf: Die Burger Industriewerk GmbH (BIW) aus Schonach hat sich den Ruf eines innovativen Unternehmens erworben, ist ein „Hidden Champi- on“ – ein versteckter Meister. Geschäftsführer Wolfgang Förtsch betont, es seien vor allem die 280 Mitarbeiter, die für die hohe Qualität bei BIW bürgen, die 2008 mit 30,3 Millionen Euro den höchs ten Umsatz der Unternehmens- geschichte erreichten. Dass sich BIW auf dem Weltmarkt sehr erfolgreich be- hauptet, hat auch mit seiner über Jahre hinweg hart erarbeiteten Stellung als Speziallieferant von BMW oder John Deere zu tun – weltgrößter Hersteller von Landmaschinen und größter Kunde von BIW. Ohne das Know-how von BIW läuft kein BMW-Motorrad vom Band – ähnlich verhält es sich mit den Landmaschinen von John Deere Beispiele für die komplexen Dreh-, Fräs- , Schleif- und Verzah- nungsteile sowie komplette Baugruppen und einbaufertige Module von BIW. Die Burger Industriewerk GmbH & Co. KG (BIW) in Schonach ging vor 50 Jahren aus der Teilung eines Un- ternehmens hervor, dessen Wurzeln nochmals über 100 Jahre zurückrei- chen: 1856 gründete der aus Yach bei Elzach stammende Josef Burger in 86 oder AGCO-FENDT. Die Präzi- sions technik von BIW ist unverzichtbar. einem gemieteten Haus in Scho n- ach eine Messinggießerei zur Herstellung von rohen Guss- teilen. Die dazu nö tigen Kenntnisse hatte er bei Josef Siedle in Schönwald erwor- ben, von Vinzenz Siedle in

Aus dem Wirtschaftsleben Die Burger Industriewerk GmbH feierte ihr 50-jähriges Bestehen. Geschäftsführer Wolfgang Förtsch zeigte beim Festakt auf, was den Systemlieferanten aus Schonach auszeichnet, der 280 Mitarbeiter beschäftigt und wei- ter auf Wachstumskurs ist. 87 87

Aus dem Wirtschaftsleben Triberg übernahm er die Technik der Weiterverar- beitung der Gussstücke zu Uhrenbestandteilen. Für diese Neuerung war 1874 im Schonacher Untertal ein erstes Fabrikgebäude errichtet und mit teils selbst konstruierten, wasserkraftge- triebenen Maschinen bestückt worden. Großes Aufsehen erregte die im Folgejahr installierte Dampfmaschine als neue Energiequelle – wohl die erste in der ganzen Region. 1886 ging die Firma auf die beiden Söhne Hermann und Hart- mann über und nannte sich nun: Jos. Burger Söhne (ab 1910: GmbH). 139 Personen waren 1893 beschäftigt. Mit der Verlegung der Gießerei aus dem Dorf ins Untertal war dort ab 1906 die gesamte Pro- duktion konzentriert. 1911 setzte man mit dem Turmbau ein markantes architektonisches Wahr- zeichen. Die rund 250 Mitarbeiter stellten neben Historischer Briefkopf von Jos. Burger Söh- ne aus der Zeit kurz nach 1900. Uhrenbestandteilen zunehmend Dreh- teile aus Eisen und Messing sowie Ge- triebe und Laufwerke insbesondere für Grammofone her, im Ersten Weltkrieg mit halbierter Belegschaft mehr und mehr sogenannte Kriegsartikel. Geleitet wurde die Fabrik von Hartmann Burger sowie seinem, in späteren Jahren ge- sundheitlich ange schlagenen Bruder Her- mann und dessen Schwiegersohn Franz Kra mer, welcher allerdings kurz nach Hermanns Tod (1920) ebenfalls verstarb. Ge schäfts führer wurde anschließend neben Hartmann Burger dessen Sohn Ernst, welcher die Fabrik in den folgenden schwierigen Jahrzehnten zu erhalten und zu ver- größern wusste. Unterstützt wurde er ab 1927 von seinem Bruder Eugen. Inflationszeit, „goldene 20er-Jahre“, Wirt- schafts depression und „Drittes Reich“ hinterlie- ßen Spuren in der Unternehmensentwicklung. Immerhin wurde während der Inflation mit der Erstellung eines großen Fabrikgebäudes und der zentralen Wasserversorgung begonnen. All- Blick auf Schonach und die Burger-Fabrik mit ihren bereits zahlreichen Bauten (Mitte links). Kolorierte Ansichtskarte aus der Zeit um 1910. 88

gemein ist das Unternehmen mo- dernisiert und die Produktionspa- lette mit Heizungs- und Sanitärar- maturen erweitert worden. Die Burger Industriewerk GmbH In den 1930er-Jahren sowie im Zweiten Weltkrieg trat die Ferti- gung von Uhrenzubehör zuguns- ten von Dreh- und Pressteilen zu- rück, die für die militärische Auf- rüs tung eingefordert wurden. Die Belegschaft, die während der De- pression von 400 auf 300 reduziert werden musste, überstieg während des Krie ges die Zahl von 500 Per- sonen einschließlich Fremdarbei- tern; allerdings waren die jüngeren Mitarbeiter eingezogen. BIW startet 1958 mit sechs Gesellschaftern Nach Demontage aller modernen Maschinen profitierte die Firma in der Nachkriegszeit vom Uhrenboom. Steuerliche Überlegungen führten aufgrund der großen Zahl von Gesellschaftern im Jahre 1953 zur Gründung der Schwarzwälder Uhrwerke Fabrik Burger KG als Dachgesellschaft. Diese übernahm bei der Teilung des Unterneh- mens 1958 den Bereich Uhren und Getriebe (SBS), während Dreh-, Press- und Armaturen- teile zur neu gegründeten Burger Industriewerk KG kamen. BIW startete mit sechs Gesellschaf- tern, darunter den drei Geschäftsführern Eugen Burger, Heinz Falke und Klaus Leier. Die Unternehmensteilung war indessen kein einmaliger Akt. Endgültig abgeschlossen wurde sie 1962/63, nachdem bislang zusammen ge- nutzte Einrichtungen wie Heizung, Lager u.ä. sowie die von der gemeinsa men Eigentümerge- sellschaft angemieteten Gebäude und die Mehr- zahl der Maschinen den neuen Firmen zuge- ordnet worden waren. 1963 bezog BIW einen ei genen Bürotrakt an der Stirn- front von Bau 23. Geklärt wurden damals auch die Zugehörigkeit ei- Motorrad-Hinterradachse für BMW. Blick in einen Werkssaal der Burger-Fabrik, wohl 1950er-Jahre. nes Zweigwerkes sowie die Außendienstvertre- tung. Während des Zweiten Weltkrieges hatte man Ausweichquartiere gesucht, um zumindest ei- nen Teil der Produktion fortführen zu können, falls die Fabrik in Schonach beschädigt würde. So wurde 1942/43 der Tanzsaal des „Schwarzen Adlers“ in Steinach/Kinzigtal zum Ausgangs- punkt eines Filialbetriebes. Nach 1945 konzen- trierte man sich dort auf Heizungsarmaturen, sodass das Werk 1958 automatisch an BIW fiel. Zwei Jahre später bezogen die rund 15 Beschäf- tigten ein neues Produktionsgebäude im Nach- barort Welschensteinach. Hinsichtlich des Au- ßendienstes gab es bereits seit 1949 eine Ko- operation mit der Fa. Façon/Mannheim. Wäh- rend SBS bald nach der Teilung ausscherte, lässt BIW bis heute den kompletten Außendienst von diesem kompetenten Partner abwickeln. Umsatzsteigerung auf 8 Millionen Mark In den ersten 25 Jahren BIW-Geschichte konnte der Umsatz von 2 auf ca. 8 Mio. DM gesteigert werden. In der Produktion arbeitete man schwer- punktmäßig mit Einspindeldrehautomaten, noch in den 60er-Jahren kamen Mehrspindeldreh- automaten hinzu. Umbauten verbesserten die Betriebsabläufe. Grundstücke wurden erworben und Unterkünfte für Mitarbeiter geschaffen. Aber es gab auch Schwie- rigkeiten. So musste in den 70er- Jahren im Haupt- und Zweigwerk 89

Aus dem Wirtschaftsleben kurzgearbeitet werden. Trotzdem ist niemand entlassen worden – stattdessen hat man einige sehr alte Betriebs angehörige zum Aufhören er- muntert. 1975 verstarb Eugen Burger, und Heinz Falke erreichte wenig später das Pensionsalter. Zwei daraufhin als technische Leiter 1978 bzw. 1981 eingestellte Experten erfüllten leider nicht die Erwartungen, hatten offensichtlich auch Pro- bleme mit der Schwarzwälder Mentalität. Wolfgang Förtsch mit Kompetenz und Weitsicht seit über 25 Jahren an der Spitze von BIW Als nachhaltig erwies sich hingegen der Eintritt von Wolfgang Förtsch in die Firma, ab 1982 als Betriebsleiter, ab Ende 1984 neben Heinz Falke und Klaus Leier als – erster familienfremder – Geschäftsführer. Da Heinz Falke im Folgejahr verstarb, leiteten nun Klaus Leier und Wolfgang Förtsch gemeinsam das Unternehmen. Seit dem Rückzug von Klaus Leier im Jahre 1993 ist Wolf- gang Förtsch alleiniger Geschäftsführer. Er hat die Unternehmensentwicklung in den nun mehr als 25 Jahren Betriebszugehörigkeit mit Weitsicht, technologischer Kompetenz, mit großem persönlichen Engagement und einem offenen Ohr für die Anliegen der Be- legschaft gesteuert sowie eine Vertrau- ensbasis zu Lieferanten und Kunden auf- gebaut. Die Unterstützung durch die Ge- sellschafter – derzeit zwei Ge sell schaf- terfamilien mit zwei bzw. drei Ge sell- schaftern – war dabei stets gesich ert. Baulich erfuhr die Fabrik mehrere Er- weiterungen, außerdem innerlich und äu- ßerlich eine Aufwertung. 1988 erfolgte die Aufstockung der Zahnerei. 1991 er- stellte man den zweige- schossigen Automaten- bau mit Parkdeck; hierbei wurden die to pografischen Nachteile für Schwarzwälder Betriebe – neben den be- Links Steuerventil für Gabelhubwagen, rechts Kugelgewinde- trieb für GESIPA. 90 Geschäftsführer Wolfgang Förtsch schwerlichen Zufahrten – augenscheinlich, denn wegen fehlender Erweiterungsflächen musste per Sprengung Platz „im Berg“ geschaf- fen werden. Ein Schock war der Brand des Wel- schensteinacher Zweigwerkes 1992: Gesamt- schaden 7 Mio. DM. Als kaum ein Jahr später der dortige Neubau eingeweiht wurde, hatte keiner der 25 Mitarbeiter seinen Platz verloren. 1999/2000 wurden im Schonacher Hauptwerk die Traditionsbauten aus den Jahren 23 und 37 komplett saniert und 2001 die Produktionsflächen der aufgege be nen Press tei lefe rti gung um gestaltet. 2005 erfolgten die Sanierung und der Ausbau der Montageabteilung. Als Produk tionsflächen stehen jetzt 7.000 qm in Schonach, 800 qm in Welschensteinach zur Verfügung. Bekanntlich gehört zu den Imagefaktoren eines Unternehmens auch dessen äußeres Er- scheinungsbild mit an- sprechenden Empfangs- räumen: Bei der Umgestal- tung des Eingangsbereichs im Bürotrakt setzte der dem Haus verbundene Fotograf und Maler Na- vigo alias Olaf Müller-Hanssen so- gar künstlerische Akzente. Im Info-

zentrum, dem früheren „Pferdestall“, können Geschäftspartner und sonstige Gäste in ange- messenem Rahmen informiert und bewirtet wer- den. Dass Informationen entgegen dem üblichen nüchternen Stil durchaus lebendig übermittelt werden können, zeigt der von Navigo konzipierte Firmenprospekt des Jubiläumsjahres 2008. BIW fertigt immer komplexere Teile Kontinuierlich wurde in die maschinelle Aus- stattung investiert. Einfache Produkte und Her- stellungsverfahren sind von immer komplizier- teren abgelöst worden. Schon seit Mitte der 80er-Jahre konzentrierte man sich auf die CNC- Drehtechnik, während die traditionelle Kern- kompetenz der Automatentechnik in den Hinter- grund trat. Die Nachfrage nach ständig komple- Welche Teile BIW den Weltfirmen BMW und John Deere zuliefert, war beim Hoffest aus Anlass des 50-jährigen Bestehens im Jahr 2008 zu sehen, wo die Produkte und das Original-Fahrzeug präsen- tiert wurden. John Deere hat BIW als Zulieferer auch mehrfach preisgekrönt und in die „Hall of Fame“ aufgenommen (kleines Bild rechts oben). Die Burger Industriewerk GmbH Künstlerische Akzente setzt der mit BIW eng verbundene Fotograf und Maler Navigo, der auch diese Ölgemäl- de der früheren Geschäftsführer Eugen Burger, Heinz Falke und Klaus Leier geschaffen hat. xeren Drehteilen förderte die Einrichtung von Bearbeitungszentren und zwang zu Großinvesti- tionen wie zur Anschaffung des ersten von heute drei Index-Mehrspindeldrehautomaten mit Kos- ten von 940.000 Euro (2001). Von einfachen zu komplexeren Teilen in kleinen Baugruppen bis zu einbaufertigen Modulen – Beispiele sind die Hinterradachse von BMW-Motorrädern oder die Antriebsgelenkwelle in den allradangetriebenen Traktoren von Fendt – zeichnen den Weg vom einfachen Zulieferer zum heutigen Systemliefe- ranten nach. Die Produktpalette ist so umfangreich wie die Stückzahlen: Von der Einzelanfertigung bis zu Fertigungslosen von 200.000 Stück reichen die Serien. In den letzten zehn Jahren wurden rund 15 Mio. Euro in Maschinen, Gebäude, Anla- gen, in die EDV usw. investiert. Allein 70 % des im Geschäftsjahr 2007/2008 auf 30,3 Mio. Euro 91

weitaus größte Teil der Belegschaft kommt aus der angestammten Raumschaft Triberg bzw. Steinach. Eine minimale Fluktuation sowie nicht selten eine Firmenzugehörigkeit in vierter Gene- ration zeugen von harmonischem Betriebskli- ma. Hierher gehört auch die Auszeichnung als behindertenfreundliches Unternehmen mit deutlich über dem Durchschnitt liegender Be- schäftigungsquote. Die mittelstands typische in- tensive Ausbildung ermöglich te allen Absol- venten der letzten 25 Jahre die Weiterbeschäfti- gung an Ort und Stelle. Das soziale Engage- ment des Unterneh- mens reicht weit über Das soziale Engagement, hinter dem die Ge- sellschafter stehen, reicht weit über den Betrieb hinaus: Der Bogen spannt sich von der Unter- stützung der örtlichen Vereine oder der Nach- sorgeklinik für krebskranke Kinder auf der Ka- tharinenhöhe bis zu lehrreichen Kontakten mit Studenten eines Freiburger Universitätsinsti- tuts. In eine ähnliche Richtung zeigt der Einsatz des Ge- schäftsführers Wolf- gang Förtsch als lang- jähriger Schon acher Gemeinderat und stell- vertretender Bürger- meister ebenso wie seine Tätigkeit als Schöffe am Landge- richt Konstanz (1997 bis 2005) sowie als ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Freiburg, Kammer Villingen- Schwen ningen, seit Anfang 2008 am Landesar- beitsgericht Freiburg. Förtsch ist auch stell- den eigenen Betrieb hinaus, Wolfgang vertretender Bürger- meister. Er setzt damit eine Tradition des Hauses fort, denn Klaus Leier kann in seiner Funk tion als Ge- sellschafter und ehemaliger Geschäftsführer auf eine jahrzehntelange Beisitzertätigkeit am Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen, außer- dem im Verwaltungsausschuss des Arbeitsamtes sowie im Prüfungsausschuss der IHK am gleichen Ort zurückblicken. Die Verlei- hung der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg an Klaus Leier im Jahre 1990 würdigt all diese Verdienste. Den Mitarbeitern von BIW bieten sich ein harmoni- sches Betriebsklima und sichere Arbeitsplätze. gestiegenen Umsatzes werden mit Firmen aus dem Bereich Fahrzeugbau-Zulieferer, Landma- schinenbau sowie PKW- und Motorrad-Fahr- zeugbau erzielt. Mit weiteren fast 15 % folgen Unternehmen, die Pumpen und Verdichter oder Elektrowerkzeuge herstellen. Um bei der extre- men Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Kon- junktur als Unternehmen und speziell als Zu- lieferer bestehen zu können, sind Qualitätspro- duktion, reibungslose Logistik, Liefertreue und Kundennähe – über die Fa. Façon bestens ver- mittelt – unabdingbar. Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001:2000 und das Umweltaudit nach DIN EN ISO 14001 belegen, dass die hohen An- sprüche eingehalten werden. 280 Mitarbeitern bieten sich beste Arbeits- bedingungen und Optionen für die Zukunft Letzteres ist nur zu schaffen mit einem Team engagierter und kompetenter Mitarbeiter: Ins- gesamt sind es 280 an der Zahl, davon 42 im Zweigwerk Welschensteinach. Ihr Altersdurch- schnitt liegt nach einem Verjüngungsprozess in den 90er-Jahren unter 39 Jahre. Als Unterneh- men der Metallindustrie ist BIW zwar ein Män- nerbetrieb, dennoch spielen Frauen außer in der Verwaltung (insgesamt 27 Mitarbeiter) auch in verschiedenen Pro duk tionsabteilun- gen, in der Montage sowie bei der Qualitätssicherung und in der Ver- sandabteilung eine maßgebli che Rolle (Frauenquote: 29 %). Der Mitnahmeflansch für FENDT. Dr. Bernhard Mohr 92

Aus dem Wirtschaftsleben Zukunft braucht Weitsicht: Zweckverband Gasfernversorgung Baar macht warm und mobil Gelbe Trassenmarkierungen verraten, wo Erdgas entlang läuft auf der Baar. Mehr sieht man nicht von dem inzwischen rund 183 Kilometer langen Gasnetz des Zweck- verbands Gasfernversorgung Baar (ZVB), das die Bewohner der Baar mit einer um- weltschonenden Energie versorgt: mit Erdgas – und seit kurzem auch mit Bio-Erdgas. Denn das kommt jetzt eben- falls durch die Gasleitung ins Haus. Rund 3.800 Kunden zählt der ZVB in Donaueschingen, Bad Dürrheim, Bräunlin- gen, Hochemmingen und Wolterdingen. Und es werden mehr – denn durch seine jüngsten Investitionen haben jetzt weitere sieben Ortschaften auf der Baar Erdgas: Öfingen, Sunthausen, Biesingen, Ober- und Unterbaldingen, Heidenhofen, Aasen und Pfohren. In diese Netzerweiterun- gen hat der Verband in 2007 und 2008 rund zwei Millionen Euro investiert: für 19,5 Kilo- meter Fernleitung, die Ortsverteilnetze und Hausanschlüsse. Nach Aussagen des ZVB ist auch in den neu angeschlossenen Kommunen das Interesse an einem Gasanschluss groß. „Der Netzausbau auf der Ostbaar ist eine wichtige Investition in die Zukunft“, sagt Jürgen Guse, Verbandsvorsitzen- der des ZVB und Bürgermeister von Bräunlin- gen. „Damit haben wir auch außerhalb der Kern- städte eine gute Grundlage geschaffen, um die Bevölkerung nachhaltig zu versorgen – und zwar mit einer umweltschonenden Zukunftsenergie.“ Für den ZVB zählt besonders, dass Erdgas sau- ber verbrennt und deutlich geringere Emissi- onen verursacht als Heizöl, Kohle oder Holz. Jür gen Guse betont: „Wir haben mehr Lebens- qualität direkt vor unserer Haustür, wenn aus un- seren Schornsteinen weniger Abgase kommen.“ Diese Kriterien sind dem ZVB nicht erst heu- te wichtig. Sie waren für Donaueschingen und Bad Dürrheim schon ausschlaggebend, als am 22. August 1935 der Zweckverband gegründet Aufbau der Gasfernversorgung auf der Ostbaar, Fotografie aus den 1930er-Jahren. 93

Bad Dürrheim, Bräunlingen, Villingen-Schwennin- gen und Donaueschingen, hier mit seinen bekann- ten Erdhügelhäusern, sind die Gesellschafter des Zweckverbands Gasfernversorgung Baar. wurde. Sieben Tage später begann der Bau der Ferngasleitung zwischen dem Gaswerk Villingen und den Gemeinden Bad Dürrheim und Donau- eschingen. Für die Menschen in den beiden Städ- ten begann damit eine neue Zeitrechnung: Mit Gas war Heizen plötzlich einfach, bequem und sau- ber. Man brauchte keine Kohle mehr zu schleppen, keine Öfen mehr zu rußen, und die Luft in den Stra- 94 ßen wurde deutlich besser. Das Militär, die Fürst- lich Fürstenbergische Kammer mit ihren Beamten- wohnungen sowie das Schloss gehörten 1935 zu den ersten Großkunden des ZVB in Donaueschin- gen. In Bad Dürrheim entschieden sich private Kur- anstalten und viele Pensionen für die neue Energie – Kunden, die bis heute dem ZVB die Treue halten. Heute hat der Zweckverband Gasfernversor- gung Baar vier Gesellschafter: Donaueschingen hält 31,73 Prozent der Anteile, Bad Dürrheim 17,63 Prozent, Bräunlingen 4,81 Prozent und die Stadtwerke Villingen-Schwenningen GmbH (SVS) 45,83 Prozent. „Der Ausbau des Gasnetzes ist eine wichtige Investition in die Zukunft. Er erschließt der Be-

völkerung zwei klimaschonende Energieträger: Erdgas und Bioerdgas.“ Erdgas ist gut fürs Klima, und der Brennstoff wird optimal ausgenutzt tige Investition in die Zukunft. Er erschließt der Bevölkerung zwei und Bioerdgas. klimaschonende Der Ausbau des Gas- netzes ist eine wich- Erdgas produziert bei der Verbrennung den ge- ringsten Kohlendioxid-Ausstoß aller fossilen Brennstoffe. Zahlreiche Studien, etwa des Ham- burgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), kommen deshalb zu dem Ergebnis, dass ein verstärkter Einsatz von Erdgas den Ausstoß von Kohlendioxid deut- lich verringern kann. Die Bundesregierung hat sich nämlich zum Ziel gesteckt, dieses klimaschädliche Treib- hausgas bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Ein weiterer Vorteil: Moderne Erdgas- Brennwertheizungen nutzen den Brenn- stoff optimal aus, in- dem sie auch die Wärme im Wasserdampf des Abgases verwenden. „Bei neuen Erd gas heizun- gen mit Brennwertkessel zum Beispiel entstehen bis zu 60 Prozent weniger Kohlendioxid“, betont ZVB-Geschäftsführer Ulrich Köngeter. „Außer- dem sparen Brennwertkessel im Vergleich zu ei- ner alten Ölheizung gut 40 Prozent Energie ein.“ Wer noch mehr sparen will, kombiniert Erdgas- Brennwertgeräte mit einem Sonnenkollektor zur Warmwasserbereitung. Für diese Kombination gibt es Fördergelder nicht nur vom ZVB und von Partnern, sondern auch vom Staat. Bürgermeister Jürgen Guse, Bräunlingen Energieträger: Erdgas Zweckverband Gasfernversorgung Baar schon kann Biogas, das dezentral etwa aus Fut- terpflanzen, Gülle oder Schlachtabfällen gewon- nen wird, auf Erdgasqualität aufbereitet werden. Dann wird es dem Erdgas beigemischt und durchs Gasnetz transportiert. So lässt sich ein nachhal- tig aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugter Energieträger einfach und zuverlässig nutzen – überall, wo ein Erdgasnetz liegt. Zum anderen schreibt das Erneuerbare-Energien-Wärmege- setz bundesweit ab Januar 2009 vor, was in Ba- den-Württemberg bereits seit April 2008 gilt: Eigentümer neuer Gebäude werden verpflichtet, einen Teil ihres Energiebedarfs mit erneuerba- Netzerweiterung der Erdgasversorgung Ostbaar. ren Energien zu decken. Erlaubt sind Geothermie, Solar- und Umweltwärme sowie Biomasse. Seit April 2008 hat der ZVB daher auch Bioerdgas im Angebot. Biogas aus der Erdgasleitung bietet aber noch weitere Vorteile: Es lässt sich aus heimi- schen Rohstoffen erzeugen – jedes Jahr wieder. Das macht auch ein Stück weit unabhängiger von Erdgasimporten. Was für den Privathaushalt von Vorteil ist, gilt auch für Gewerbe und Industrie. Dort setzt man Erdgas auch direkt in der Produktion ein, weil sich damit die Temperatur schnell und sehr fle- xibel regeln lässt – was beispielsweise bei sen- siblen Beschichtungsprozessen von Bedeutung ist. Zudem verbrennt Erdgas sparsam und ist somit kostengünstig im Einsatz. Noch attraktiver wird der Anschluss ans Erd- gasnetz, wenn man in die Zukunft blickt. Heute Erdgas so vielseitig einsetzbar wie Strom, der Anschluss ist denkbar einfach Was man mit Erdgas alles machen kann, wird von vielen noch immer unterschätzt – denn es ist deutlich mehr als Heizen und Kochen. Durch moderne Installations- und Gerätetechniken ist Erdgas heute so vielseitig einsetzbar wie Strom. Und mit der Erdgassteckdose geht das auch so 95

Aus dem Wirtschaftsleben „Energie und Umwelt sind ent- scheidend für die lassen, wirkt sich Lebensqualität in einer Region. Was wir heute tun oder auf unsere Zukunft einfach wie beim Strom. Ein mit Erdgas betrie- bener Geschirrspüler oder Wäschetrockner braucht dabei rund ein Drittel weniger Energie als seine mit Strom be- triebenen Verwandten. Komfortabel sind auch ein Erdgas-Kaminofen, eine mit Erdgas be- heizte Sauna oder der Grill und Infrarotstrah- ler für die Terrasse. Der Anschluss ans Erdgas- netz ist durch neue Ver- lege- und Anschluss- techniken noch einfa- cher. Praktisch ist für Neubauten der Mehr- spartenanschluss: Über einen kleinen Kasten kommen kompakt geordnet und sicher Wasser, Strom, Telefon und Erdgas ins Haus. Für alles braucht es nur noch einen ein- zigen Mauerdurchbruch. Bürgermeister Walter Klumpp, Bad Dürrheim ZVB mitverantwort- Nachkommen aus. Wir fühlen uns als lich für Land und und die unserer Leute.“ Erdgas fördert die Zukunft daheim „Wer die Vorzüge von Erdgas in ihrer deckt hat, will Erd- ganzen Vielfalt ent- gas nicht mehr mis- Der Zweckverband sieht seine wichtigste Aufga- be darin, den Menschen vor Ort weiterhin zuver- lässig wertvolles Erd- gas und Bioerdgas zu liefern. Dazu gehört auch, Kunden und Inte- ressenten nicht nur über neue Erdgastechniken, Geräte und Gesetze zu informieren, sondern auch Zu kunfts techni ken und effizientere Energie- nutzung zu fördern. Der ZVB ist dazu auf zahl- reichen Messen und Ge- wer be ausstellun gen in seinem Netzgebiet prä- sent. Seine Förderpro- gramme las sen sich auch im Internet nachle- Ulrich Köngeter, Geschäftsführer mit Erdgas vollver- sorgtes Industrie- Energie braucht.“ weiß, wie wenig ein sen. Und erst recht unternehmen an nicht einer, der 96 Im Solemar Bad Dürrheim – mit Erdgas beheizt. sen. So unterstützt der Verband zum Beispiel Hausbesitzer, die ihre alte Heizung gegen ein modernes Erdgas-Brennwertgerät mit Solar- thermie ersetzen. Und er bezuschusst die An- schaffung von Erdgasautos. Auch die Fürstenberg-Brauerei nutzt Erdgas.

Zweckverband Gasfernversorgung Baar Auch bietet er seinen Kunden Thermografie- Aktionen zum Selbstkostenpreis. Die Aufnah- men mit der Wärmebild-Kamera decken auf, wo ein Gebäude Energie verliert. So kann der Haus- besitzer gezielt die Energieschlupflöcher stop- fen. Immerhin verschlingen Heizung und Warm- wasserbereitung bis zu 80 Prozent der Energie- kosten eines Privathaushalts. Thermografie ist deshalb auch ein optimaler Anfang, um das ei- gene Haus für gute Noten im Energieausweis fit zu machen. Den brauchen Hausbesitzer neuer- dings, wenn sie ein Gebäude vermieten oder verkaufen wollen. Für den ZVB, ein Unternehmen mit mehrheit- lich kommunalen Eigentümern, stehen die Kun- den in der Region im Mittelpunkt. Um wettbe- werbsfähige Preise bieten zu können, geht der ZVB äußerst wirtschaftlich vor: So arbeiten bei- spielsweise die Mitarbeiter der SVS gleichzeitig für den ZVB. Das sichert eine hohe Fachkompe- tenz und spart zugleich Kosten. Priorität“, betont Ge- schäftsführer Ulrich Kön- geter. So sind beispiels- weise in den letzten Jah- ren alle gusseisernen Leitungen saniert oder erneuert worden. Heute besteht das Erdgasnetz entweder aus kunst- stoffummantelten Stahl- leitungen oder gleich di- rekt aus Kunststofflei- tungen. Die haben meh- rere Vorteile: Kunststoff kann nicht korrodieren und ist wesentlich schneller verlegt. Damit alles dicht bleibt, wird ständig doppelt kontrolliert: Regelmäßig gehen Mitarbeiter mit sogenannten Gasspürgeräten zu Fuß das gesamte Leitungsnetz ab. Die Sonde saugt die Luft über der Erde an und spürt selbst kleinste Undichtigkeiten auf. Schlägt das Gerät Geschäftsführer Ulrich Köngeter Vor allem sicher muss es sein: Erdgasnetz wird kontinuierlich geprüft und gewartet Der ZVB prüft, wartet und modernisiert seine Erd- gasnetze kontinuierlich. „Sicherheit hat oberste „Gasschnüffler“ auf der Suche nach einer eventuell undichten Stelle im Netz des Zweckverbandes Gas- fernversorgung Baar im Kurpark von Bad Dürrheim. Sicherheit hat oberste Priorität, betont Geschäfts- führer Köngeter. 97

ist per Gesetz garantiert: Bis zum 31. Dezember 2018 gilt ein deutlich geringerer Mineralölsteu- ersatz. Und durch die Einführung der DIN 51624 ist nun auch eine einheitliche technisch hohe Qua- litätsnorm für alle Erdgastankstellen eingeführt. Das gibt zusätzliche Sicherheit, überall einen Aus dem Wirtschaftsleben „Wir wollen, dass immer mehr Men- schen für weniger Geld schadstoffarm fahren – und zudem Steuervor- teile genießen. Deshalb fördert der ZVB den Kauf von Erd gasautos.“ Oberbürgermeister Thorsten Frei, Donaueschingen Alarm, wird rasch gehandelt – also aufgegraben und repariert. Für zusätzliche Sicherheit sorgen die Netzleitstelle und ein 24-Stunden-Bereit- schaftsdienst. Von der Netzleitstelle aus wird das gesamte Gasnetz rund um die Uhr über- wacht und gesteuert. Tritt mal irgendwo eine Störung auf, wird von dort sofort der Bereit- schaftsdienst informiert und vor Ort geschickt. Dass die Sicherheitsstandards des ZVB und sein Netz tipptopp in Ordnung sind, hat ein freiwilli- ger Zertifizierungs prozess nach den Regeln des Technischen Sicherheitsmanagements (TSM) gezeigt: Der Zentralverband bestand den Quali- täts-Check mit Bravour. Mobil sein zum halben Preis Mit Erdgas fährt man in etwa zum halben Preis Auto. Und das Abgas enthält deutlich weniger Schadstoffe als bei Fahrzeugen, die mit Benzin betrieben werden: 20 Prozent weniger Kohlen- dioxid, 75 Prozent weniger Kohlenmonoxid, 60 Prozent weniger Stickoxide und so gut wie kei- nen Feinstaub. Gründe genug für den ZVB, den Kauf eines Erdgasautos oder die Umrüstung eines Benziners auf Erdgas zu fördern – für Pri- vatleute ebenso wie für gewerbliche Fuhrparks: Das Kontingent mit 30 Autos war im Sommer 2008 ausgeschöpft. Dass Erdgas langfristig ei- ne preisgünstige Kraftstoff-Alternative bleibt, 98

Zweckverband Gasfernversorgung Baar „sauberen Kraftstoff“ zu tanken. Der ZVB enga- giert sich auch dafür, dass das Tankstellennetz in der Region weiter ausgebaut wird. An seiner eigenen Erdgastankstelle in Donaueschingen steigt der Absatz stetig. Das zählt mehr als der nackte Erdgaspreis.“ So hat der ZVB in mehreren Verbandsversammlungen der letzten Jahre beschlossen, sein Leitungsnetz sukzessive zu erwei- tern. „Wir investieren in Das Regionale zählt: Entscheidungen für die Region auch in der Region treffen Auch wenn der Wettbewerb im Gasmarkt natio- nal schärfer wird und international der Preis- druck steigt: Für den Zweckverband Gasfernver- sorgung Baar zählt ausschließlich die Region. Er will, dass Entscheidungen für die Region auch künftig in der Region getroffen werden. „Wir in- vestieren in die Zukunft der Baar“, erläutert Ulrich Köngeter. „Und die Leute hier wissen das. das, dazu gehört mehr als der nackte die Zukunft der Baar, die Leute hier wissen Erdgaspreis. Das Lei- tungsnetz wird durch Immer mehr Men- schen soll die umwelt- schonende Energie zugänglich werden – und das natürlich zu einem möglichst güns tigen Preis. Zu- gleich investiert der ZVB regelmäßig das in der Region verdiente Geld auch konsequent zurück in die Region. Regionale Bauun ternehmen etwa profitieren von Aufträgen, das stärkt die Wirtschaftskraft des ganzen Schwarzwald-Baar- Kreises. den ZVB ständig erweitert.“ Die Gasfernversorgung der Baar macht ihr Lei – tungsnetz mit gelben Trassenmarkierungs pfäh len deutlich. Das Netz umfasst bereits 185 Kilo meter an Gasleitungen, hier die Trasse bei Hü fingen. Geschäftsführer Ulrich Köngeter fasst vor die- sem Hintergrund zusammen: „Die Lebens qualität hier ist uns wichtig, weil wir hier zu Hause sind – den fernen Konzernzentralen großer Versor- ger ist die Baar egal.“ 99

Aus dem Wirtschaftsleben Antidröhn-Beschichtung für ICE und TGV sorgt für weltweite Nachfrage: griwecolor ein starker Partner für umweltfreundliche Farben und Lacke „Döggingen macht die Welt bunter“: Diese These kann der Bräunlinger Ortsteil durchaus für sich in Anspruch nehmen, tragen Farben und Lackprodukte den Na- men des Baardorfes Döggingen doch seit Jahrzehnten in alle Welt hinaus. Seit nunmehr zwölf Jahren ist die Firma griwecolor dabei, diesen Ruf als Standort der Farben- und Lackindustrie zu untermauern. Die griwecolor Farben und Beschich- tungen GmbH ist starker Partner für die Bereiche umweltfreundliche Farben und Lacke. Aus den ursprünglich kleinen An- fängen mit Dispersions- und Künstlerfar- ben ist inzwischen ein hoch spezialisier- tes Lieferprogramm mit den Schwerpunkten Haus und Wohnen, Antidröhn, Creativ, Markiersysteme, Industrieservice und Pflanzenhilfsmittel geworden. Was vor zwölf Jahren mit der Herstellung von Dispersionsfarben be- gann, entwickelte sich zwisch enzeitlich zu ei- nem wahren Erfolgs- modell. Als der Lackla- borant Jörg Grieshaber und der Techniker für Farben und Lacke, Franz Wehinger, vor circa 15 Jahren erste Gedanken fassten zum mutigen Entschluss, den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen und mit der Firma griwecolor GmbH (Grieshaber-Wehinger) ein eigenes Unterneh- men zu gründen, konnten sie eine solch posi- tive Geschäftsentwicklung, wie sie die Firma 100 Jörg Grieshaber (l.) und Franz Wehinger, Firmengründer und Geschäftsführer der Firma griwecolor in Bräunlingen- Döggingen. inzwischen genom- men hat, nur erhof- fen. Als erster pro- duzierender Betrieb im neuen Gewerbe- gebiet Döggingens hatte man nach reiflicher Überlegung, mancher Marktanalyse und unter dem Zuspruch zahl- reicher Interessenten an qualitativ hochwertigen

griwecolor – Farben aus Döggingen inzwischen nicht nur die Linien in den WM-Sta- dien von Herta BSC Berlin oder Schalke 04 zieht, ge radezu flächendeckend ist man mit dieser Markierfarbe in griechischen Stadien und auf Sportplätzen vertreten. Über diesen Weg leis tete Gleich ob Bundesligaspiele, Fußball-WM 2006 oder die Europameisterschaft 2008: Mit seiner Markier- farbe ist griwecolor europaweit auf vielen Fußball- plätzen vertreten. 101 Rund 1.200 Tonnen Farbe werden im schmucken Industriegebäude der Firma griwecolor jährlich produziert. Dispersionsfarben im Sommer 1997 die neuen Verwaltungs, Produktions- und Lagerräume im Gewann „Wieselbrunnen“ bezogen. Bereits fünf Jahre später erforderte der positive Geschäfts- verlauf die Erweiterung der Produktions- und Lagerräumlichkeiten, heute produzieren die in- zwischen 15 Mitarbeiter der Firma griwecolor auf 2.000 m² jährlich rund 1.200 Tonnen. Knapp 50 Prozent des Firmenumsatzes entfallen auf Creativ- und Bastelfarben Die Firmenphilosophie war von Anfang an darauf ausgelegt, nicht mit Massenware in Konkur- renz zur Großindustrie zu gehen, sondern sich sein Kundenklientel mit Nischenprodukten zu erobern. Und dies gelang recht bald mit Creativ- und Bastelfarben, knapp 50 Prozent am Firmen- umsatz entfallen derzeit auf diesen Bereich. Nicht ohne Stolz sieht sich die Firma heute als einen der deutschlandweit größten Hersteller dieser Produktgruppe. Die Palette des Künstler- und Hobby-Programms umfasst viele Spezialitäten, so Acryl-, Glas- und Textilfarben, aber auch Kon- turenpaste und verschiedene Arten von Klebern, Spachtel oder Strukturpasten. Europaweite Bekanntheit erreichte die Fir- ma mit ihrer Rasenmarkierfarbe, mit der man

Aus dem Wirtschaftsleben :: Lieferprogramm-Produktgruppen: Haus & Wohnen Modernste Anstrichstoffe für Haus, Fassade, Innenräume in höchster Handwerkerqualität Golf plätze, für Natur- und Kunstrasen in ver schie- densten Konzentrationen und Ausführungen. Antidröhn Entdröhnungsmassen für Schienenfahrzeuge, Stahlhochbau, Fassaden, Aufzüge, Rolltreppen, Maschinenbau und viele andere Anwendungen, wärmeisolierend, mit Kondenswasserschutz. Industrieservice Abziehlacke, Abdecklacke, Unterbodenschutz Creativ Künstler- und Hobbyfarben für alle erdenklichen Anwendungen Markiersysteme Rasenmarkierfarben für Stadien, Sportplätze, Pflanzenhilfsmittel Baumschutzfarben, Weißkonzentrate Motivierte Mitar- beiter sorgen für gute Produkte und zufriedene Kunden. Links: im Labor von griwe- color, wo auch die Anti dröhn- Beschichtung erfunden wurde. Rechts: beim Mi- schen von Farbe. Dass der ICE geräuscharm über die Schie – nen gleitet, ist zu einem großen Teil der Antidröhn- Beschichtung von griwecolor zu verdanken. 102

Markierfarbe „made by griwecolor“ auch ihren Beitrag zum „Fußball-Sommermärchen“ 2006 und zum Vizeeuropameisterschaftstitel 2008 in der Schweiz und Österreich. Mit dieser Vielfalt an Produkten überstand man auch unbescha- det manche kritische Phase lahmender Bau- konjunktur. Fühlt man sich längst wohl auf dem Parkett des internationalen Marktes, so hat das Management derzeit verstärkt die Staaten der ehemaligen Sowjetunion im Fokus neuer Ge- schäftsbeziehungen. Als Partner für Spezialanwendungen warf die Entwicklungsabteilung der Firma ihre fach- liche Kompetenz auch bei der Renovierung der katholischen Pfarrkirche in Döggingen in die Waagschale. So erntete man großes Lob vom Renovierungsteam der Firma Lorch aus Sigma- ringen für eine Antikfarbe, die neben weiteren besonderen Eigenschaften zum einen keine Spuren auf den Textilien der Kirchenbesucher hinterlässt und zum andern leicht mit Wasser abwaschbar ist. Die Antidröhn-Beschichtung von griwecolor ist eine weltweit beachtete Eigenentwicklung Doch dass gute Farbe bei griwecolor längst nicht alles ist, zeigt der prall gefüllte Ordner mit Prüf- berichten aller Art. Diese Prüfungsverfahren wa- ren besonders intensiv und nervenaufreibend beim jüngsten Spross der griwecolor-Familie, der Antidröhn-Beschichtung, wie sie beim ICE und TGV zum Einsatz kommt. Unzählige Labor- versuche und kundeneigene Prüfungen, länder- spezifische Zulassungsver fahren und Genehmi- gungsprozeduren gingen dem hart erarbeiteten Durchbruch zum Lieferantenpool der Weltfirmen Siemens, Alstom, Bombardier und Stadler vo- raus. Und wenn heute in modernsten Schienen- fahrzeugen vom ICE über den französischen TGV und den österreichischen Railjet, Straßenbahn- waggons sowie U- und S-Bahnen geräuschar- mes Gleiten zur Selbstverständlichkeit gewor- den ist, so beruht dies zu einem großen Teil auf der erfolgreichen Forschungsarbeit im Labor der Firma griwecolor und der daraus resultierenden Antidröhn-Schicht. Auch in den neuen Straßen- bahnen in den Verkehrsbetrieben Stuttgart und griwecolor – Farben aus Döggingen griwecolor stellte seine Kreativität mit einer neuar- tigen Antikfarbe auch bei der Renovierung der Dög- ginger Pfarrkirche unter Beweis. Karlsruhe, aber auch in Belgien und den Nie- derlanden weiß man inzwischen das Produkt aus Döggingen zu schätzen. Bis zu einer Tonne griwecolor auf einen Blick Firmengründung: 1996 Geschäftsführer Jörg Grieshaber und Gesellschafter: Franz Wehinger Mitarbeiter: 15 Jahresumsatz: 2 Mio. Euro Fertigungskapazität: 1.200 Jahresto. Prod./Lagerfläche: 2.000 m² Mehr Informationen: www.griwecolor.de 103

Der Versand von bis zu 1.200 Tonnen Farbe im Jahr erfolgt bei kürzesten Lieferzeiten – eu – ropaweit. gangenen Jahr eine neue Produktionsma schine in Be- trieb, das Rohstoff lager wur- de um zwei je 20 m³ fassende Tanks erweitert. Weitere Investitionen sind zur Zeit in Planung. Somit ist man jetzt in der Lage, Chargengrößen bis 4.000 kg zu fahren und in der Folge daraus mit kürzerer Lieferzeit punkten zu können. Die Firma verfügt zurzeit über acht Fer- tigungs-Dissolver unterschiedlicher Größe für Fertigungsmengen von 50 kg bis 4.000 kg. Über halbautomatische Pump-, Sieb- und Filtersys te- me wird in die jeweils vorgegebenen Gebinde unterschiedlichster Größe abgefüllt. Der Versand erfolgt ausschließlich palettiert und in Folie eingeschweißt per Spedition auf Euro- Paletten zu den in- und ausländischen Kunden. „Trotz manch schwieriger Phasen habe ich noch keinen Tag meiner Selbstständigkeit bereut“ schaut der kaufmännische Geschäftsführer Franz We hin ger stolz auf die noch kurze Fir mengeschichte und deren rasante Entwicklung zurück. „Und nach wie vor ist in so einem Klein unternehmen wie dem unsrigen automatisch jeder Auftrag Chef- sache“ unterstreicht Jörg Gries haber die allseits geschätzte Nähe zur Kundschaft. Besonders freute sich das Unternehmen über die Verleihung eines Innovationspreises 2008 durch die Sparkasse Villingen-Schwenningen. Manfred Minzer dieses Materials wird beispielsweise in einem einzigen Straßenbahnwaggon verarbeitet. Es handelt sich dabei nicht „bloß um Farbe“, son- dern es wird eine 5 mm dicke, pasteuse Masse aufgetragen. Ständige Innovationen und Investitionen sichern die Position auf einem hart umkämpften Markt Die beiden Unternehmer und Geschäftsführer Jörg Grieshaber und Franz Wehinger wissen sehr wohl, dass nur ständige Innovations- und Inves- titionsbereitschaft die Position auf dem hart um- kämpften Markt sichern kann. Entwickelt wird ausschließlich im eigenen Labor. So kann man stets schnell und zielgerichtet auf die Problem- stellungen der Kunden reagieren und die ent- sprechenden Rezepte vor Ort umsetzen. In einer hauseigenen Aufbereitungsanlage werden die Abwässer geklärt, die ausgefilterten Feststoffe können dann auf normalem Weg entsorgt wer- den. Überhaupt genießt die Umweltverträglich- keit einen hohen Stellenwert. Die Produkte kom- men überwiegend ohne organische Lösemittel aus, ein gewichtiges Argument bei Verkaufsge- sprächen. Um künftig dem steigenden Auftragsvolu men gewachsen zu sein und den oft kurzfristigen Terminwünschen der Kunden ge recht zu werden, ging im ver- Ein kontinuierlich vergrößerter Ma- schinenpark erlaubt heute Chargen- größen bis 4 Tonnen. 104

5. Kapitel Archäologie Spannende Spurensuche im Großraum Fohrenwald/Pappelntal: „Liembergdunum“ – Eine Siedlung aus der Bronzezeit in Nußbach? Ende der 1980er-Jahre machte ein Pilzsammler im Gewann Fohrenwald/Pappelntal bei Nußbach eine höchst interessante Entdeckung. Er stieß auf etwa 40 Steinhügel, die vom Landesdenkmalamt in Freiburg nach einer Ortsbegehung als „über Körper- oder Brandbestattung errichtete Steinhügel aus nicht näher bestimmbarer vor- oder frühgeschichtlicher Zeit“1 klassifiziert und in die Liste der archäologischen Kultur- denkmale aufgenommen wurden. Dafür, dass die Steinansammlungen im Fohrenwald vor- oder frühgeschichtliche Hügelgräber sind, spricht neben der Form und Größe auch ihre Ausrichtung nach Osten bzw. Süd osten, denn die aufgehende Sonne war schon in vorchristlicher Zeit ein Symbol für die Gläubigen. Wenn es sich aber tatsächlich um Grabstät- ten handelt, dann muss es in nicht allzu weiter Entfernung eine dazugehörige Siedlung – ein „Liem bergdunum“ – gegeben haben. Hügelgrä- ber ge stand man nur den Toten zu, die irgendei- nen Vorrang genossen. Berücksichtigt man diese Tat sache, dann sprechen die ca. 40 noch erhalte- nen Grabhügel für eine nicht ganz unbedeuten- de Dorfgemeinschaft, zumindest aber für eine längere Besiedlungszeit. Tatsächlich fanden sich bei näherer Untersu- chung der Umgebung mehrere Hinweise auf eine Rund 40 Grabhügel im Wald bei Nußbach lassen im Raum Triberg eine frühgeschichtliche Siedlung vermuten. frühere Besiedlung. So zeichnet sich das Gelän- de bzw. die Geländeform vor Ort durch eine ho- he Lagegunst aus. Durch die Kesselbergverwer- fung2 rutschte eine beinahe ebene Geländeschol- le von der „Geutschehöhe“ in ca. 910 m ü. M. um etwa 100 m ab. Die Tiefenerosion des „Schelmen- lochbächleins“ im Norden und des „Pappelntal- bächleins“ im Süden arbeitete bzw. erodierte ei- nen natürlichen Geländesporn mit steil abfallen- den Hängen heraus. Diese Hochebene auf dem Ge- ländesporn mit nach drei Seiten abfallenden Hän- gen war ein idealer Standort für eine sichere Ansiedlung von Menschen. So finden sich denn auch dort am Rand, wo das Geländeplateau zum „Schelmenloch“ bzw. 105

Aus dem Kreisgeschehen Im Großraum Triberg muss sich schon in frühge- schichtlicher Zeit eine Siedlung, ein „Liemberg- dunum“ befunden haben. „Pap pelntal“ hin abfällt, Wallreste aus Steinen. Besonders deutlich sind diese Steinhaufen im Wäldchen beim „Jockenbauer-Feldkreuz“, dem sogenannten „Schächle“ (alemannisch Schä’chli = kleine Baumgruppe), wo sich den Spuren im Ge- lände nach einst auch ein Durchgang befunden haben könnte. Die Siedlungsfläche auf den Ge- wannen „Leimacker“ und „Fohrenwald“ war al- so vermutlich von einer Steinmauer umgeben. Diese bestand wohl aus fest miteinander ver- 106 106 bundenen Holzkäs ten in Blockbauweise, die innen mit Erde und Stei nen aufgefüllt waren. Auf diesem Erd- und Steinwall befand sich wahr- scheinlich zusätzlich zum Schutz der Siedlung eine Holzpalisade. Heute finden sich im Gelände natürlich nur noch die zerfallenen Reste der Steinwälle. Steinmaterial zum Auffüllen konnte problem- los von dem nahe gelegenen Felsen beschafft werden, der in Klettererkreisen wegen seines Aussehens als „Dromedar“ bekannt ist. Dieser Härtling, der aus verkieselter Gangbreccie be- steht, entstand im Zusammenhang mit der Kes- selbergverwerfung. Damals stieg entlang der Kesselbergspalte aus dem Erdinnern heißes Wasser auf mit gelösten Mi- neralien, Schwerspat, Eisen- erz und Kieselsäure und durchtränkte den lockeren Schutt in der Spalte. Die nahe gelegenen Erz- vorkommen könnten neben der genannten Lagegunst Anlass für die Besiedlung von „Liembergdunum“ gewe- sen sein. Die dort ansässi- Steinpackung in einem Hügel- grab beim Gewann Fohren- wald/Pappelntal.

Aus dem Kreisgeschehen Vom Felsen „Dromedar“ konnten sich die Men- schen der Bronzezeit Steinmaterial für die verschie- densten Bautätigkeiten beschaffen. gen Menschen erschlossen sich vermutlich mit ersten kleinen Bergwerken die Erzquellen.3 Als formbares Baumaterial, zum Beispiel zum Bau von Hüttenwänden, waren die roten Letten (le) im Unterrot liegenden (ru) bei der Schelmenloch- quelle geeignet.4 Aus jüngerer Zeit ist bekannt, dass die Triberger Bürger nach dem Stadtbrand von 1826 das lehmartige Material nutzten, um da- raus beispielsweise Ziegel zu brennen. Der mund- artliche Ortsname „Liemet“ bzw. das schrift- deutsche „Unterliemberg“ weisen noch heute darauf hin. Für den Acker zwischen „Schächle“ und „Fohrenwald“ (Fohre = Kiefer), der zum Grund- stück des „Jockenbauer“ gehört, ist der Name „Leimloch acker“ überliefert und im „Fohrenwald“ haben sich bis heute kleinere „Löcher“ erhalten, die die einstige Suche nach dem Baumaterial „Lehm“ bezeugen. Siedlung der Hügelgräberkultur Die Steinhügelgräber deuten darauf hin, dass es sich bei „Liembergdunum“ um eine bronzezeit- liche Siedlung der Hügelgräberkultur aus der Zeit um 1700 bis 1400 vor Christus handeln könnte. Typisch für die Hügelgräberkultur war, dass die Toten (wohl nur der Oberklasse) unter Grabhügeln mit Beigaben von Waffen und Schmuck bestattet wurden. Wirtschaftliche Grundlage dieser Kultur war die Viehzucht.5 Die Funde von Amphibiolit (Hornblende) auf Nußbacher Gemarkung zwischen Oberdill und Tiefenbach lassen aufhorchen, sind doch die „Steinhacke von der Geutsche“ und die soge- nannte „Stein-Streitaxt von Schonachbach“ aus diesem Material. Beide Funde belegen, dass unsere Gegend spätestens in der Bronzezeit we- nigstens episodisch besiedelt war. Die „Stein-Streitaxt“ wurde bei Grabarbei- ten an der Landstraße gegenüber dem Triberger Bahnhof in zwei Metern Tiefe gefunden.6 Das Stück wird als bronzezeitlich angesehen, da seine Form Metallhämmer nachahmt.7 Aller- dings wäre eine bronzezeitliche Siedlung im Schwarzwald zumindest ungewöhnlich. So schreibt Professor Konrad Spindler in der Chro- nik des Schwarzwald-Baar-Kreises: „Die Besied- lung des Kreisgebietes während der Bronze zeit

Archäologie Beispiele für Funde aus der Bronzezeit im Schwarzwald-Baar-Kreis – hier Werkzeuge, gefunden in VS-Villingen. beschränkt sich ebenso wie in den äl- teren Epochen ausschließlich auf das Altsiedelland östlich der Buntsandstein- platte. Funde aus dem Schwarzwald feh- len völlig. Dabei darf man aber auf gar keinen Fall annehmen, die Höhen seien wirtschaftlich bedeutungslos gewesen. Sicher ist der Wald wie zuvor in der Steinzeit auch während der Bronzezeit begangen worden; nur ist natürlich die Überlieferungschance für Metallgegen- stände wegen des Wiederverwendungs- wertes erheblich geringer als für Stein- gerät, das nach Erfindung der Bronze nahezu wertlos wurde. Gerade die Be- wohner der wenig begünstigten Baar waren auf die Ergänzung des Wirtschafts- potentials angewiesen. Doch hinterlassen z.B. Waldweide, Eichelmast, Jagd, Fallenstellerei, Pech- sammeln und Zeidlerei (Wildhonigsammeln) in der Regel keine archäologi schen Spuren.“8 Die „Steinhacke von der Geutsche“ wurde 1924 gefunden und – fälschlicherweise? – der jün geren Steinzeit (5000 v. Chr. bis 2000 v. Chr.) zugeordnet.9 Der Fund belegt, dass in vorgeschichtlicher Zeit auf der Geutschen- höhe Ackerbau betrieben wurde. Nun hat sich aber das Bild der südwestdeutschen Kulturlandschaft zwischen Neolithikum und Bronzezeit kaum verändert. Soweit aus Bodenfunden zu er- schließen, hat sich näm- lich die bäuerliche Wirt- schaftsweise gegenüber dem vor hergehenden Neolithikum (Jungsteinzeit, 5000 – 2000 v. Chr.) nicht verändert. Auch die Anlage der bron zezeitlichen Dörfer entspricht weitgehend derjenigen der Jung- Steinbeil, Fundort Freiamt, und eine Steinhacke von der Geutsche – Belege für eine vorgeschichtliche Be- siedelung der Raumschaft Triberg? 108 108 steinzeit. Selbst die großen spät bronze zeit li- chen Fliehburgen waren dem Prinzip nach schon in der Jungsteinzeit vorhanden.10 So gesehen schließt es die Steinhacke von der Geutsche nicht aus, sie einer vermutli chen „Fliehburg Liembergdunum“ zuzuord- nen, da auch die bronzezeitlichen Bauern eventuell noch Steinwerk- zeuge benutzten. Die Hügelgräber von „Liemberg- dunum“ haben sich wahrscheinlich nur an ihrem Standort erhalten, weil dort der Boden für landwirtschaftliche Nutzung zu karg bzw. zu feucht ist, ein Überpflügen also nicht stattfand. Lediglich Kiefern wachsen hier, die einen natürlichen Schutz bieten. Die Steinhacke von der Geutsche belegt aber, dass auf der Geutschenhöhe Acker- bau betrieben wurde. Und wenn es Ackerbau dort oben gab, dann musste sich in der Nähe auch eine Siedlung befinden, was wieder für die Existenz von „Liembergdunum“ spricht. Auch die umliegenden Täler wurden von den dama- ligen Menschen genutzt, worauf der bronzezeit- liche Steinaxtfund von Schonachbach hindeu- tet. „Liembergdunum“ könnte dann das Sied- lungszentrum für die umliegenden Bauern ge- wesen sein.

Ein „Betplatz“ mit sieben Opfersteinen soll sich auf der Nußhurt bei Triberg befunden haben. Die Zeichnung ist der Chronik von Triberg entnommen. Betplatz mit sieben Opfersteinen Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren wichtigen archäologischen Hinweis, der in Verbindung mit „Liembergdunum“ gebracht werden könnte. In der „Geschichte der Stadt Triberg“ befindet sich eine Zeich- nung mit der Beschriftung „Ehema- liger Betplatz auf der Nußhurt mit 7 Opfersteinen“.11 Heute findet man oberhalb der Nußhurtkapelle am Weg Richtung Stöcklewald nur noch einen ein- geebneten Platz, die Steine sind inzwischen entfernt worden. Die archäologische Denkmal- pflegerin Marieluise Ubeländer machte sich vor einigen Jahren auf die Suche nach dem besagten Platz. Sie beschreibt ihre Suche in einem Typo- skript wie folgt: „Vor wenigen Jahren gelangte eine Kopie dieser Abbildung auf Umwegen an das Archäologische Denkmalamt in Freiburg, wo sie Erstaunen auslöste, denn solche runden Set- zungen gibt es zwar in größerer Zahl in der Bre- tagne, in England, auch Norddeutschland. Man rechnet sie zu den megalithischen Anlagen der Jungsteinzeit. Frau Dr. Nübling, die dafür zuständige Archä- ologin, versuchte vergeblich, die genaue Lage des Platzes festzustellen. Von den umliegenden Anwohnern wußte niemand mehr etwas über die- sen Betplatz. Die Verfasser der Triberger Chronik konnte man nicht mehr befragen, da beide zwi- schenzeitlich verstorben sind. Josef Schneider, Kreisbeauftragter des Archäologischen Denk- malamtes und Mitglied des Förderkreises für Ur- und Frühgeschichte, wußte, daß ich aus Triberg stamme (Fam. Paul) und so wandte man sich an mich. Aus Erzählungen meiner Mutter und Groß- mutter wußte ich, daß sich auf der Nußhurt ein alter Kultplatz befand. Die genaue Lage war mir aber nicht bekannt. So begannen Josef Schneider und ich mit unseren Nachforschungen… Bronzezeitliche Siedlung in Nußbach? Nach vielen Befragungen erfuhren wir durch Fritz Lienhard, Hafnermeister und früherer Stadtrat von Triberg, die ungefähre Lage des ‚Betplatzes‘. Er konnte sich auch an die Steinsetzung erinnern. Später wurde uns dies durch Franz Saier aus der Nußbacherstr. bestätigt. Natürlich hat sich das Gelände immer wieder verändert, besonders in den letzten 50 Jahren. Die Steine sind nicht mehr vorhanden und so kann man die genaue Stelle nur noch erahnen. Ich selbst kann mich noch erinnern, daß wir bei Wanderungen zum Galgen, zur Fuchsfalle oder zum Hirzwald an der von den beiden Herren angezeigten Stelle jedes Mal Rast machten. Wir saßen dann auf Steinen. An die Anordnung derselben kann ich mich nicht mehr erinnern, aber wir saßen nicht nebeneinander, sondern uns gegenüber. Der Ort befindet sich hin- ter der ‚Nußhurtkapelle‘, kurz vor dem im Volks- mund benannten ‚Wurzelwäldele‘ beim ‚Winter- gschächle‘.“ 12 Eher astronomische Zwecke? Ob es sich beim beschriebenen Platz tatsächlich um einen Betplatz gehandelt hat oder ob die sie- ben „Opfersteine“ an exponierter Stelle nicht eher astronomischen Zwecken dienten, bleibt sicherlich ein Rätsel. Aus dem nordischen Kul- turkreis der Bronzezeit weiß man, dass die bron- 109

Archäologie Geheimnisvoller Wald – im Fohrenwald/Pappeln- tal bei Gremmelsbach deutet vieles auf eine vorge- schichtliche Besiedlung hin. zezeitlichen Menschen religiös waren und einem Sonnenkult nachgingen. Der Platz oberhalb der heutigen Nußhurtkapelle könnte so als religiö- ses „Sonnenobservatorium“ gedeutet werden, an dem die Steinsetzungen nach bestimmten Punkten der jährlichen Sonnenbahn ausgerich- tet waren. Sinn macht ein solcher Kultplatz bzw. Beobachtungsort jedoch nur, wenn es in der Nä- he auch Menschen gab, die ihn aufsuchten – ein weiterer Hinweis auf die Siedlung „Liemberg – du num“. Umstritten ist, ob die ehemaligen Schalen- fel sen am einstigen Skihang oder die im Bereich der benachbarten Wanne als Kultplätze gedeu- tet werden können, oder ob sie auf natürliche Art und Weise durch Verwitterung entstanden sind. Der Vollständigkeit halber seien die Scha- lensteine an dieser Stelle aber auch genannt. Schalensteine gibt es beispielsweise auch in der Felsenburg zwischen Mozartstraße und Drei- kaiserfelsen in Triberg oder am Rappenfelsen in Gremmelsbach. Keltischer Ursprung nicht ausgeschlossen Obwohl die angeführten Überlegungen für eine Siedlung „Liembergdunum“ in der Bronzezeit sprechen, kann ein keltischer und somit eisen- zeitlicher Ursprung nicht ausgeschlossen wer- den. Erwähnt werden muss in diesem Zusam- menhang die Lage in der Nähe der Brigachquel- le, einem der Quellflüsse der Donau. Diese Do- nauquelle am „Scheitel Alemanniens (Vertex Alemanniae)“, wie es im Gründungsbericht des St. Georgener Klosters heißt, wurde auch schon unter den Kelten aufgesucht, worauf der kel- tisch-römische Reliefstein von der Brigachquel- le hinweist. Michael Buhlmann schreibt über das Relief: „Wohl in die römische Zeit, in das endende 1., das 2. oder 3. Jahrhundert, gehört ein gallo-römisches Steindenkmal an der Brig- achquelle bei St. Georgen, das mit einem Quell- 110 110 heiligtum in Verbindung gebracht werden kann. Der Reliefstein hat eine Länge von 0,56 m, eine Höhe von 0,27 m und ist mit einem Bildfeld auf der Vorderseite versehen. Dieses zeigt, in einen Rahmen eingefasst, im Zentrum frontal einen Kopf auf einem Kandelaber, der links und rechts an den Bildrändern von zwei weiteren Köpfen flankiert wird, die sich dem Kopf in der Mitte zuwenden. Zwischen den drei Köpfen finden sich Tiere, und zwar links ein von links nach rechts laufender Hirsch, rechts ein Hase, der sich nach links wendet, darüber ein Vogel, viel-

Aus dem Kreisgeschehen leicht eine Taube. Der Kopf in der Mitte wird in- terpretiert als Abnoba, die römische Personifi- kation des Schwarzwaldes, der Kopf mit dem Hirsch als Cernunnos, als römischer Silvanus, der rechte Kopf als Astarte, Aphrodite, Venus; der Hase ist das Attribut der Abnoba. Eine ande- re Deutung geht von einer keltischen Quellgott- heit Brigia aus.“ 13 Für die Auffassung eines Quellheiligtums spricht auch der nachfolgende Auszug aus dem Buch „Das Wissen der Kelten“ von Steve Rabey: „Da es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, kann man nicht genau sagen, was die frühen Kelten glaubten. In Irland, Schottland, Wales und anderen Teilen Europas hat man… Skulp- turen und andere Darstellungen von schätzungs- weise vierhundert verschiedenen kelti schen Gottheiten freigelegt. Zu den bekannteren Göt- tinnen und Göttern gehört Danu, eine Muttergöt- tin, von der die Donau (engl. Danube) ihren Na- men hat… Die meisten von ihnen waren Götter, die mit einer geographischen Besonderheit ver- bunden waren, etwa einem Berg oder einem Fluß. Folglich wurden sie vermutlich nur von einem 111

Archäologie Hügelgräber, Siedlungsreste: vielleicht war der Schwarzwald wesentlich früher besiedelt als viel- fach angenommen. kleinen Teil der Bevölkerung, einer Familie oder einem Stamm verehrt.“14 Die nächste keltische Siedlung ist für den „Kapf“ in der Nähe des Kirnacher Bahnhöfles be- legt. Der zur Siedlung gehörende frühkeltische Fürstengrabhügel des 6. Jahrhunderts, also aus der älteren Eisenzeit (Hallstattzeit/850 – 450 v. Chr.) dürfte der bekannte „Magdalenenberg“ ge- wesen sein. Die keltischen Siedler setzten mit dem Grabhügel ihrem Herrn im Jahr 551 v. Chr. ein Denkmal, wie es üblich war. „Als die Kelten um 600 v. Chr. in die Gegend um Villingen einwan- derten, waren sie schon den Umgang mit Eisen gewohnt. Erz im Gebiet der Flüsse Brigach und Breg (Hammereisenbach) und Salz bei den heu- tigen Städten Schwenningen und Bad Dürrheim waren wohl der Anlass für die Ansiedlung.“ 15 Die Eisenerzvorkommen entlang der Kessel- bergverwerfung, die in Verlängerung der Brig- achquelle liegen, könnten auch für die Kelten vom Kapf interessant gewesen sein. Dann wäre „Liembergdunum“ eine „Zweigstelle“ der Sied- lung vom Kapf gewesen. Außer den großen hall- stattzeitlichen Grabhügeln von der Heuneburg, von Hochdorf und von Villingen ist bei Kappel- 112 Grafenhausen auch ein Grabhügelfeld bekannt. Diese Grabhügelfelder gab es also nicht nur in der Hügelgräberbronzezeit. „Genannt seien die Einzeltumuli von Fürstenberg, Öfingen, Über- auchen, Pfaffenweiler und der Judenbühl von Neuhausen. Kleinere Hügelnekropolen liegen bei Mundelfingen, Neudingen, Aasen und Tunin- gen. Schwenningen allein kann insgesamt fünf Hügelgräberfelder vorweisen, von denen sich jenes im Fesenwald südlich des Türnleberges bis auf Hochemminger Gemarkung erstreckt. Die mit 26 Einzelhügel umfassendste Nekropole breitet sich im Forst westlich von Waldhausen aus.“ 16 Auffällige Häufung von „Heiden-Namen“ Neben den aufgezeigten archäologischen Funden existieren noch namenkundliche bzw. kulturelle Hinweise auf vorgeschichtliche Menschen in un- serer Gegend. Gerade in der Nähe von „Liemberg- dunum“ kommt es zu einer auffälligen Häufung von „Heiden-Namen“, z.B. „Hydenbächlin“ und „Hydnisch Stein“.17 Gebräuchlich ist heute noch der Ortsname „Heidenstein“ für den Härtlings- felsen in der einstigen Kesselbergspalte. Da unsere Vorfahren sich nicht erklären konnten, warum ein Fels wie der „Heidenstein“ aus der

Landschaft ragt, schoben sie seine Entstehung direkt dem Wirken heidnischer Kräfte oder gar dem Teufel, zu. Solch heidnische Namensge- bung ist weit verbreitet, z.B. „Teufelsfelsen“ in Gremmelsbach, „Heidengraben“ bei Tarodunum (Zarten). Der Volksmund deutet also durch die „Heidennamen“ das lange Voralter und verweist auf vorchristliche Zeit. Fazit: Die Vielzahl der geografisch, topogra- fisch, geologisch, archäologisch und kulturellen Hinweise spricht für die Existenz von „Liemberg- dunum“. Die archäologischen Funde aus seiner näheren Umgebung weisen eher darauf hin, dass es sich bei „Liembergdunum“ um eine bron- zezeitliche Siedlung gehandelt haben könnte und nicht um eine keltische Siedlung aus der Ei- senzeit. Ausgrabungen ohne konkrete Funde Erst konkrete Ausgrabungsfunde würden eine genaue zeitliche Zuordnung von „Liembergdu- num“ ermöglichen. Bisher sind allerdings keine weiteren Funde bekannt, und es ist mehr als fragwürdig, ob sich eventuelle Grabbeigaben aus Metall in einer Höhe von 800 m über NN im Schwarzwald über zweitausend Jahre erhalten konnten. Eine Ausgrabung eines Grabhügels durch das Landesdenkmalamt brachte zumin- dest nichts mehr zu Tage. So oder so zeigen die Steinhügelgräber und die vermeintliche „Flieh- burg“ vom „Fohrenwald“ bei Nußbach, dass unse- re Gegend auch schon vor Christi Geburt zumin- dest episodisch besiedelt war. Erfreulich wäre es, wenn die Steingrabhügel und die vermut- lichen Siedlungsreste wissenschaftlich erfasst und aufgearbeitet werden könnten. Vielleicht vermag dieser Beitrag dazu den Anstoß zu ge- ben. Klaus Nagel Fußnoten 1 Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Liste der archäologischen Kulturdenkmale. Entwurf, 4: Fohren- wald/Pappelntal, Stand: 1. 6. 1988, AZ: 34/Nü 2 Als Verwerfung bezeichnet man „die tektonische Stö- rung einer ursprünglich intakten Gesteinslagerung, wobei diese an einer Bewegungsfläche (Bruchfläche) in zwei Schollen zerbrochen wird und diese gegeneinan- der verschoben werden“. Meyers Grosses Taschenlexi- kon in 24 Bänden, 1995 Bronzezeitliche Siedlung in Nußbach? 3 Nachgewiesen ist ehemaliger Bergbau in vorderös- terreichischer Zeit im Bereich Heidenstein/Hirzwald, am Kesselberg, in Gremmelsbach/Rötenbach (Eisenerz und Mangan), in Nußbach/Falkenberg („Die Schlange am Baum auf dem Falkenberg“) und in Nußbach/ Hirschrank („Der Weg zum Achat auf Hirsch“) mit Sil- ber-, Blei- und Kobalterz und Schwerspatgänge mit eingesprengtem Kupferwismuterz, vgl. Wilhelm Maier und Karl Lienhard, Geschichte der Stadt Triberg im Schwarzwald, Rombach Verlag, Freiburg 1964, S. 97 ff. 4 Sauer, A. (1899): Erläuterungen zu Blatt Triberg.-Geol. Spec.-Kt. Großherzogtum Baden: 48 S.; Heidelberg. – (unveränderter Nachdruck als Geol. Kt. 1 : 25000 Ba- den-Württemberg, Bl. 7.815 Triberg, Stuttgart 1984 5 dtv-Atlas zur Weltgeschichte, 23. Auflage Januar 1989, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1964, S. 19 6 Die Axt ist 14,5 cm lang, hat eine größte Dicke von 5,7 bis 4,2 cm, die Bohrung hat einen Durchmesser von 2,6 bis 2,8 cm. Der Fundort liegt 600 m ü.M. auf dem Grund- stück der Firma Anton Tränkle, Schonachbach, unter- halb der Stadt Triberg, wo sich die Gemarkung Schon- ach bis zur Gutach erstreckt. Die Axt befindet sich heu- te im Schwarzwald-Museum Triberg. 7 So Prof. Dr. Deecke von der Universität Freiburg 1922, Schwarzwald-Museum Triberg, Exponatbeschilde- rungen der Steinhacke von der Geutsche und der Stein- axt von Schonachbach 8 Konrad Spindler, Vor- und Frühgeschichte, in: Dr. Rainer Gutknecht (Hg.), Der Schwarzwald-Baar-Kreis, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart und Aalen 1977, S. 63 9 Das Bruckstück einer Steinhacke (8,7 cm lang, 6,3 cm breit, 2,5 cm dick) aus Amphibiolith (Hornblende) wur- de 1924 bei Grabarbeiten zwischen dem alten und neu- en Geutschen-Höhengasthaus 8 m östlich der Straße in 80 cm Tiefe von Hotelier Jakob Aberle gefunden. Die Fundstelle liegt 900 m ü.M. Die Steinhacke, die sich heute im Schwarzwald-Museum befindet, ist an der Bohrung zerbrochen. 10 Siegfried Kullen, Baden-Württemberg, 2. Auflage, Klett Verlag, Stuttgart 1984, S. 28 11 Wie Anm. 2, S. 215 12 Marieluise Ubeländer, Typoskript, 5. Seiten, o. D. 13 Michael Buhlmann, St. Georgen und Südwest- deutschland bis zum Mittelalter, Quellen zur mittelal- terlichen Geschichte St. Georgens, Teil I, in: Schriften- reihe des Vereins für Heimatgeschichte St. Georgen, Heft 2, St. Georgen 2002, S. 15 14 Steve Rabey, Das Wissen der Kelten, Patmos Verlag, Düsseldorf 2002, S. 20 15 Hermann Burkhardt u. a., Baden-Württemberg – Eine Heimat- und Landeskunde, Klett Verlag, Stuttgart 1988, S. 284/285 16 Wie Anm. 4, S. 67/68 17 Tagebuch des Abts Michael Gaisser vom Mai 1628 Hinweis: Der Autor dieses Beitrags wurde von der eh- renamtlichen Beauftragten der archäologischen Denk- malpflege, der gebürtigen Tribergerin Marieluise Ube- länder, geb. Paul aus Staufen im Breisgau auf die „Grabhügel vom Unterliemberg am Fuße des Geut- schenberges“ im September 2002 aufmerksam ge- macht. 113

6. Kapitel Geschichte Am 5. August 1908 ereignete sich der letzte große Stadtbrand in Deutschland „Donaueschingen brennt!“ – eine Stadt verliert über 300 Gebäude Etliche tausend Menschen erleben am 2. August des Jahres 2008 historische Feuer wehrübungen, besuchen die hervorragende Ausstellung zum Stadt- brand in der Donauhalle und bestaunen die nächtliche, feuer rote Illuminati- on der Innenstadt. All diese Menschen können nur erahnen, was vor 100 Jah- ren in Donaueschingen tatsächlich geschah. Wie es kommen konnte, dass am 5. August 1908 beim bislang letzten großen Stadtbrand in Deutschland in knapp fünf Stunden ein Drittel der Gebäude von Donaueschingen in Schutt und Asche lag: 160 Wohnhäuser und fast 170 landwirtschaftliche Anwesen. 220 Familien mit ca. 600 Personen waren obdachlos geworden. 114 Brandruinen in der Käferstraße, noch ist man mit dem Wegräu- men des Schutts beschäftigt. Kleine Bilder unten: Impres- sionen von der Stadtbrand-Aus- stellung in der Donauhalle.

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„Feurio, Feurio“, diese und andere ängstliche Hil ferufe der Anwohner der unteren Käferstra- ße in Donaueschingen erreichten am 5. August 1908 um 14.30 Uhr im Rathaus den damaligen Stadtbaumeister Mack. Dieser sah auch schon in der Unterstadt Rauch aufsteigen und ließ im Rathausturm die Feuerglocke schlagen, ein bekanntes und alarmierendes Signal für die Bürgerschaft. Die Glocken der katho- lischen und evangelischen Stadtkirche schlugen ebenfalls Feueralarm und die Feuerwehrhornisten eilten durch die Stra ßen – „Es brennt, es brennt.“ Was war geschehen und wie konnte es kom- men, dass bis zum Abend, in knapp fünf Stun- den, ein Drittel der Gebäude der Stadt in Schutt und Asche lag? Rund 160 Wohnhäuser und fast 170 landwirtschaftliche Anwesen, Scheunen, Werkstätten und Kleinbetriebe lagen in Trüm- mern und dadurch waren 220 Familien mit ca. 600 Personen ob- dachlos gewor- den. Viel Vieh musste aus den Stallungen gerettet werden. Es ist bekannt, dass Großvieh nicht verbrannt ist, Kleinvieh da- gegen sehr viel. Menschenleben waren an die- sem Tag glücklicherweise nicht zu beklagen. Der 5. August 1908 war ein sehr heißer Tag, eine lange Trockenperiode ging voraus, es hatte schon lange nicht mehr geregnet und es herrschte ein sehr starker Wind, der alles ausgetrocknet hatte. Der mit einem Ochsen aus der Schmie- de heimkehrende Sohn der Witwe Engeßer, die in der unteren Käferstraße ein mächtiges, typi- sches Baaremer Treppengiebelhaus mit Wohn- und Ökonomieteil unter einem Dach bewohnte, hatte in einem angebauten hölzernen Schopf um 14.15 Uhr Feuer entdeckt. Der sofortige Ver- such, zusammen mit dem Wirt Kuttruff von der benachbarten Restauration „Zum Roten Ochsen“, mit eimerweise herbeigeschafftem Wasser die Flammen zu löschen, schlug fehl. Da auch frisches Heu in dem Schopf gelagert war, wurde das Feuer immer größer. Eine wertvolle Zeit, die Viertelstun- de bis zur Alarmierung der Feuerwehr, war verlo- rene Zeit. Die in der Stadt arbeitenden Handwerker und Bürgersleute eilten sofort zum Spritzenhaus 116 116

in der oberen Lehenstraße, um sich mit Pum- pen, Schläuchen und anderen Feuerwehrgerät- schaften auszurüsten und rannten zum Brand- platz. Als sie dort ankamen, stand das große Schindel dach der Rückseite des Engeßer’schen Bauernhauses schon total in Flammen. Bis die Hydranten angeschlossen und die Schläuche verlegt waren, brannte bereits das ganze Dach des mit frischem Heu vollgefüllten Hauses. Zum Entsetzen der Löschmannschaften kam aus den Strahlrohren kaum Wasser Zu allem Unglück und zum großen Entsetzen der Löschmannschaften kam aus den Strahlrohren kaum Wasser, es fehlte seit Wochen an Regen, die Wasserleitungen und die Wasserreservoirs wa- ren fast leer und die Feu erwehrmänner machtlos, um nicht zu sagen ohnmächtig. Bis aus der na- hen Brigach Wasser durch „Eimerketten“ herbei- geschafft war, brannten durch Fun- kenflug und herumfliegende brennende Schindeln auch schon die ausgedörrten Mit einer nächtlichen Illumination veranschaulichte die Feuerwehr Donaueschingen aus Anlass des 100. Jahrestages des Stadtbrandes von 1908 und ihres 150-jährigen Bestehens, dass damals nahezu der gesamte Stadtkern in Flammen stand. Schindeldächer der angebauten Bauernhäuser der Familien Mäder und Stromeyer, das Haus von Sattler meister Heinrich Cron und die Restaura- tion „Zum Roten Ochsen“. Die vielen Schindeldächer in diesem hauptsächlich von Landwirten bewohnten Teil der Stadt, erwiesen sich als sehr gefährlich und nachteilig, denn die glü- h en den, ausgetrockneten Schindeln wurden von der Hitze und den Flammen hoch getragen und von dem herrschenden Sturm auf Nachbar- dächer geweht, sodass auch diese gleich zu brennen anfingen. Die Brandgiebel der meist zusammenhängend gebauten Häuser und die Der Plan rechts zeigt die vom Stadtbrand betroffenen Häu- ser der Innenstadt. Seinen Ausgang hatte das Feuer im Rot eingefärbten Gebäude unten links. Nr. 2 ist die Sparkasse, Nr. 3 das Amts- gefängnis, Nr. 4 das Rathaus und Amtsgericht, die Nr. 5 das Finanzamt.

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Bildseite links: Ein besonderes Lob gab es nach der Brandkatastrophe von Donaueschingen für die Ein- satzbereitschaft der Bräunlinger Feuerwehr. Sie war auch mit Feuereifer dabei, als es am 2. August 2008 galt, die Löscharbeiten mit historischen Löschgerä- ten nachzuspielen. Oben die Feuerleiter, Mitte links der Feuermelder, oben rechts die Löschweiber, die die Eimerkette zur Pumpe Mitte rechts bilden. Mit be- sonderem Beifall begrüßt wurde das Löschfahrzeug der Feuerwehr Donaueschingen (unten). darüber abschließenden, für unsere Gegend so typischen Treppengiebel, boten in solch einem Extremfall auch keinen Widerstand. Feuerwehrkommandant Carl Mayer und Bür- germeister Hermann Fischer waren auch am Brand- platz und mussten mit ansehen, wie ein Haus nach dem anderen in Flammen aufging. Hochge- rechnet bei über 300 verbrannten Häusern und einer Spanne von fünf Stunden, in denen das Feuer am Ärgsten wütete, fing jede Minute in verschiedenen Straßenzügen ein neues Haus an zu brennen. Die verantwortlichen Männer waren sich einig, dass es ohne fremde Hilfe kein Halten mehr gab und sie ließen über den Telegrafen des Großherzoglich Badischen Bezirksamtes die Feuerwehren der benachbarten Städte und Dörfer alarmieren. Diese waren teilweise sehr schnell mit ihren Pferdegespannen, ihren Was- serfahrzeugen und Mannschaften in der inzwi- schen brennenden Innenstadt angekommen und konnten mit ihren Saug- und Druckpumpen die Wasserversorgung aus der Brigach überneh- men. In einer nachträglichen Manöverkritik wur- de hier besonders die Bräunlinger Löschmann- schaft gelobt. Die Feuerwehren kamen mit dem Löschen nicht nach – ein Haus nach dem anderen brannte! Das Gasthaus „Zur Traube“, kaum 200 Meter vom Brandherd entfernt, stand auch schon nach 30 Minuten in Flammen, ein Teil der Löschmann- schaften musste nun dorthin abgeordert wer- den. Nach einer weiteren Viertelstunde wurde dem Kommandanten Mayer gemeldet, dass in der Karlstraße, schräg gegenüber der Hofapo- 100 Jahre Stadtbrand Donaueschingen theke, die drei Anwesen: von Landwirt Anton Schelling (auch mit Schindeldach), Hut- und Schuhhändler Johann Schelble und von Metz- germeister Widmann, auch schon brennen. Da inzwischen die ganze Käferstraße, die Herdstra- ße, die Rosenstraße, die Wasserstraße und die obere Mühlenstraße ein Flammenmeer waren, hätte man auch hier überall Feuerwehrmänner mit Ausrüstung, vor allem mit Wasser benötigt. Auch in der Karlstraße sollte gelöscht werden, damit sich der noch verhältnismäßig kleine Brand nicht noch weiter ausbreiten konnte. Von der Käferstraße und der Rosenstraße her wurde durch den starken Wind die ganze damalige Bierstraße, die heutige Zeppelinstra- ße, angesteckt sowie zwei Häuser in der Eisen- bahnstraße, der jetzigen Max Egon-Straße, (u.a. das Kolonialwarengeschäft Amalie Hauser), un- terhalb des Rieple’schen Hauses, das damals gerade zwei Jahre fertiggebaut war und wegen seiner Hartbedachung vom Funkenflug nicht entzündet wurde. Etwa nur eine Stunde nach dem Brandausbruch erfassten die Flammen von der Käferstraße her die Sparkasse, das Gefängnis, das Rathaus und das erst zehn Jahre zuvor erbaute Finanzamt, (das damals „Großherzoglich-Badische Steuer- Obereinnehmerei“ hieß). Auch wurden einige Privathäuser in der unteren Lehenstraße und der unteren Villingerstraße (oberhalb des Rat- hauses) ein Raub der Flammen. Ganz schlimm wütete die Feuersbrunst nun auch von der Zeppelinstraße her in der Karlstra- ße (früher Hauptgasse oder Schmiedgasse ge- nannt, weil hier die Schmiede stand). Auf der einen Seite das Gasthaus „Adler“, das heutige Haus Mall (früher Gasthaus „Zum Hirschen“), die Drogerie Rasina, das Eckhaus zur Zeppelin- straße hin, die frühere Wirtschaft „Zur Schmie- de“ der Familie Conzelmann, (später „Badischer Hof“ und „Cafe Fürstenberg“ der Familie Heuber- ger), sowie das „Gasthaus zum Engel“. Auf der anderen Straßenseite waren es vom Finanzamt her das „Gasthaus Krone“, die Kronen-Metzig, das Gasthaus „Zum Auerhahn“, früher „Restau- ration Boll“, das heutige Geschäftshaus Thedy (früher Eisenhandlung Beda-Seidel) und nach 119

Donaueschingen ist zu großen Teilen vernichtet, die Brandkatastrophe von 1908 erschütterte ganz Deutsch- land. Auch für die Sanitätskolonnen bedeutete das Feuer einen Großeinsatz (unten). 120

rechts alle Häuser (Friseur, Buchbinder etc.) bis zum Haus des Arztes Dr. Hauger, später Bau- platz der „Villa Schedl“. Das alte und mächtige, gegenüberliegende Gasthaus „Zur Linde“ war in der Karlstraße nach Osten hin das letzte von den Flammen vernichtete Haus. Inzwischen waren, weil man befürchten muss- te, dass die ganze Stadt zerstört werden könnte, weitere Feuerwehren angefordert worden und auch eingetroffen, so auch mit Sonderzügen der Bahn die Wehren aus Villingen, St. Georgen, Tri- berg und Löffingen. Mit ihren Wasserfuhrwerken und ihren Saug- und Druckpumpen konnten sie Wasser aus der Brigach, aus der Donauquelle, von der Brauerei und aus Güllengruben herbei- schaffen, damit dem wütenden Element endlich Einhalt geboten werden konnte. Die Stadt Donaueschingen hatte zwar eine 1892 fertiggestellte Hochdruck-Wasserleitung von den städtischen Waldungen „Oberholz“ bei Hubertshofen bis zu dem Wasserreservoir auf dem Schellenberg und auf dem Buchberg sowie durch die Stadt zu den Brunnen und in die Haushaltungen. Wenn aber wegen Regen- mangel kaum Wasser im Boden und in den Reservoirs ist, dann ist auch kein Wasser zum Löschen vorhanden. 210 Donaueschinger Feuerwehrmänner kämpften einen aussichtslosen Kampf Die Freiwillige Feuerwehr von Donaueschingen, gegründet im Jahre 1858 nach dem Brand des Gasthauses „Zum Adler“ 1856, hatte 1908 einen Stand von 210 Mann inklusive sieben Offizie- ren und 32 Obmännern. Hinzu kam noch eine Hilfsmannschaft (die sogenannte Pflichtfeuer- wehr) mit 140 Mann, welche normalerweise die Handpumpen bedienen und Wasser beischaf- fen mussten. Auch war sie, dank Bürgermeister Hermann Fischer, der sehr viel Verständnis hatte und von 1883 – 1899 selbst Kommandant der Feu erwehr war, gut ausgerüstet. Es standen die gleichen Löschgerätschaften zusätzlich und im Notfall auch noch die von der Brauereifeuerwehr zur Verfügung. Beim großen Stadtbrand 1908 aber mussten sich die Feuerwehrmänner meist auf das Retten von Mensch und Vieh und des 100 Jahre Stadtbrand Donaueschingen wichtigsten Hab und Gutes aus den brennenden Häusern beschränken. Oft mussten sie selbst flüchten oder Gerätschaften zurücknehmen, weil durch den starken Wind der Funkenflug, die Hitze und der Rauch zu stark waren. Ein großer Nachteil am Brandtag war auch die Tatsache, dass viele Bauern mit ihren Fami- lien und ihren Gespannen bei der Erntearbeit auf dem Schellenberg oder auf dem Buchberg tätig waren und es lange dauerte, bis sie in die Stadt zurückgekehrt waren. Sehr schlimm und tragisch war für die löschenden Wehrmänner auch, wenn sie von ihren Kindern gesucht und informiert wurden, dass das eigene Haus – in einer anderen Straße – auch schon brenne und die Mutter alleine zu Hause sei, um das Vieh zu retten. Insgesamt waren am 5. August 1908 von Donaueschingen und von auswärts 1.725 Feuerwehrleute und Löschmann- schaften mit ihren Löschgerätschaften im Einsatz. Es waren dies die Feuerwehren aus Aasen, Allmendshofen, Blumberg, Bräunlingen, Döggingen, Bad Dürrheim, Geisingen, Grünin- gen, Hochemmingen, Hubertshofen, Hüfingen, Kirchdorf, Klengen, Löffingen, Mundelfingen, Marbach, Oberbaldingen, Öfingen, Pfohren, Sunthausen, Schwenningen a. N., St. Georgen, Triberg, Unadingen, Villingen, Wolterdingen und Zindelstein. Löschmannschaften waren anwesend von Aufen, Behla, Fürstenberg, Gut- madingen, Hausen vor Wald, Neudingen, Ried- böhringen und Sumpfohren. Zusammen hatten sie 40 Saug- und Druckpumpen, 31 Wasserfuhr- werke mit Fuhrleuten und Gespannen dabei, sie hatten 4.725 Meter Schläuche im Gebrauch und sonst noch viele notwendige Hilfsgerät- schaften, wie Hydrantenwagen, Hydrophore, Standrohre, Leitern usw. im Einsatz. Ohne Hilfe der auswärtigen Feuerwehrkameraden, wofür ihnen von Seiten der Stadt Bürgermeister Her- mann Fischer großes Lob und innigsten Dank für ihre unermüdliche, aufopferungsvolle und gute Arbeit aussprach, wäre die Katastrophe und die Not noch viel größer geworden. Großes Glück im großen Unglück hatten die Feuerwehrmänner und die Bürger, als zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr ein ziemlich starker Ge- 121

Impressionen von der außergewöhnlichen Stadtbrand-Ausstellung in der Donauhalle, die etliche tau send Besucher aus der gesamten Region faszinierte. 122

witterregen mit Hagelschlag einsetzte und sich als sehr willkommener Verbündeter der Helfer erwies. Die Dächer der noch stehenden Häuser waren dadurch nicht mehr so anfällig gegen Funkenflug und in den nicht brennenden und glimmenden Häuserruinen wurden die Flammen und die Glut eingedämmt. Die Verantwortlichen konnten aufatmen und die Gefahr weiterer Brän- de als gebannt ansehen. Aus der Garnison von Konstanz kam noch am Abend des Brandtages mit der Eisenbahn eine Kompanie Soldaten gegen 21.00 Uhr an, um die erschöpften Feuerwehrmänner abzu- lösen und Brandwache zu halten. Ein Pionier- kommando aus Kehl wurde einige Tage später angefordert, um die noch stehen gebliebenen hohen und gefährlichen Giebel zu sprengen oder einzureißen. Noch am Abend des wohl schwärzesten Tages in der Geschichte von Donaueschingen, setzten sich verantwortungsbewusste und kom- petente Männer zusammen, um zu beraten, wie es mit Donaueschingen weitergehen sollte. Sie dachten an einen schnellen Wiederaufbau und wie dieser bewältigt werden könne. Sie gründe- ten ein Gremium, dem von der Stadt Donaue- schingen Bürgermeister Hermann Fischer, von der Badischen Regierung, dem Großherzoglich Badischen Bezirksamt Donaueschingen Ober- amtmann Dr. Lukas Strauß sowie der evange- lische Stadtpfarrer K. Bauer, der katholische Stadtpfarrer Dr. Heinrich Feurstein und der fürst- liche Kammerpräsident Dänzer angehörten. Für 600 0bdachlose Donaueschinger mussten ganz schnell Notquartiere beschafft werden Zuerst allerdings musste den Opfern des Brandes geholfen werden, denn von den rund 220 betrof- fenen Familien mussten für etwa 600 Personen Notquartiere organisiert werden und es musste schnell für Verpflegung und für Kleidung ge- sorgt werden. Obdachlose Familien kamen auch bei Verwandten und Bekannten unter. Für die anderen wurde in der städtischen Festhalle an der Brigach, im Museumsgebäude und in den diversen Schulen vom Badischen Roten Kreuz eine vorübergehende Bleibe eingerichtet. 100 Jahre Stadtbrand Donaueschingen Max Egon II., Fürst zu Fürstenberg, stellte in seinen Häusern ebenfalls Wohnraum zur Verfü- gung, auch ließ er in seiner großen Reithalle Not- stallungen einbauen für das Vieh von Landwirten und stellte aus der fürstlichen Gutsverwaltung Heu und Stroh zur Verfügung. Andere Landwirte konnten mit ihrem Vieh in den umliegenden Ortschaften unterkommen. Auf Veranlassung der Fürstin Irma wurde im Karlshofgebäude für Obdachlose, Helfer und Handwerker eine soge- nannte „Suppenküche“ eingerichtet. Fürst Max Egon übergab dem eingerichteten Hilfsfonds der Stadt spontan eine erste Spende in Höhe von 40.000 Mark, damit den abgebrannten Fa- milien eine erste und schnelle finanzielle Hilfe übergeben werden konnte. Kaiser Wilhelm II., ein Studienkollege und Freund des Fürsten Max Egon II., weilte als Gast insgesamt 14 Mal am Hof in Donaueschingen, um an Hofjagden und Familienfesten teilzu- nehmen. Dem Kaiser schickte der Fürst noch am Brandtag ein Telegramm nach Berlin mit folgendem Wortlaut: „Seiner Majes tät dem Kaiser, Melde Euer Ma- jestät alleruntertänigst mit tiefbeküm- mertem Herzen, daß eben unsere Stadt Donaueschingen fast zur Hälfte nieder- gebrannt ist. Hunderte von Menschen sind obdachlos. Schloß, Brauerei und andere Ge- bäude bisher unberufen Gottlob unversehrt ge- blieben. Euer Majestät in tiefster Ehrfurcht treu gehorsamster Diener Max Egon Fürstenberg.“ Aus Stockholm, wo sich der Kaiser gerade aufhielt, kam am 6. August ein Telegramm an den Bürgermeister Hermann mit folgendem In- halt: „Erfahre soeben von dem schweren Brand- 123

Tapfer gekämpft – noch Schlimmeres verhindert, ein Feuerwehrtrupp rückt vom Brandplatz ab. Unten: Donauhallen-Ausstellung mit Motorrad aus der Zeit des Stadtbrandes und großartigen Bildkulissen. 124

unglück, welches die Stadt Donaueschingen betroffen hat und spreche Ihnen und der Bür- gerschaft meine wärmste Teilnahme aus.“ Der Kaiser ließ umgehend in den Zeitungen von Berlin einen Aufruf veröffentlichen und bat um Spenden. In Berlin wurde auf seine Ini- tiative hin das „Norddeutsche Hilfskomitee für Donaueschingen“ gegründet. Das Ergebnis war enorm, denn schon nach rund zwei Monaten ka- men fast 160.000 Mark zusammen, die an den Donaueschinger Hilfsfonds überwiesen werden konnten. Auch Mobiliar, Kleider und Lebens- mittel wurden zahlreich gespendet, welche die Berliner Spediteure kostenlos abholten und die Königliche Eisenbahn kostenlos nach Donau- eschingen transportierte. Im ganzen Deutschen Reich berichteten die Tageszeitungen über die große Brandkatastrophe von Donaueschingen und riefen ebenfalls zu Spenden auf. Sie be- richteten gleichzeitig darüber, dass am 5. Au- gust auch das Luftschiff des Grafen Zeppelin in Echterdingen auf dem Landeplatz trotz Veran- kerung von dem starken Sturm an den eisernen Haltemast geschleudert wurde und verbrannt ist. In Deutschland wurde überall gesammelt und gespendet und in Theater- und Konzert- sälen Benefizveranstaltungen gemacht. Selbst der Hauptmann von Köpenik verkaufte in Berlin Postkarten mit Ansichten der Brandruinen zu- gunsten der Abgebrannten in Donaueschingen. Vier ledige Maurergesellen aus Berlin hatten sich angeboten, beim Wiederaufbau zu helfen. Die Gesamtschadenssumme belief sich auf rund 2.000.000 Mark, über die Hälfte kam durch Spenden zusammen (allein aus Berlin der zehn- te Teil!), sodass den brandgeschädigten Bürgern beim Wiederaufbau von Hilfsfonds Zuschüsse zur Verfügung gestellt werden konnten. Noch vor Jahresende konnten viele Bürger in ihre neuen Häuser einziehen Der Wiederaufbau lief sehr schnell an, der ge- gründete Bauausschuss hatte sich vorgenom- men, dass möglichst viele – hauptsächlich die Landwirte – noch vor Jahresende in die neuen Häuser einziehen konnten. Dies wurde auch erreicht, denn einer zusätzlich gegründeten Stadtbrand-Ausstellung: Feuerwehrmann mit der Handdruckspritze der Feuerwehr von Aufen aus dem Jahr 1868. Ortsbaukommission stand gerade für die Bau- ernhäuser von der Landwirtschaftskammer und der Landwirtschaftlichen Bauberatungsstelle aus Freiburg Architekt Carl Luckscheiter zur Be- ratung für zweckmäßiges Bauen zur Verfügung. Die Regierung in Karlsruhe leistete insofern eine wichtige und gute Hilfe, als sie vom Großherzog- lichen Ministerium des Innern zur Unterstützung und fachmännischen Beratung der Ortsbaukom- mission den bautechnischen Referenten, Prof. August Stürzenacker an die Hand gab, was sich in baulich-ästhetischen Fragen sicherlich ge- lohnt hat. Wie Phönix aus der Asche ist Donau- eschingen innerhalb von nur drei Jahren neu und schöner erstanden. Rund 25 Ar- chitekten aus ganz Baden richteten sich in diversen Häusern Filialbüros ein, um die Bauwilligen direkt vor Ort schnell zu beraten und die Baupläne fertigen zu können. Das Großherzoglich Badische Bezirks amt musste diese allerdings im Hinblick auf Höhe, Zweckmäßigkeit, Frontgestaltung und Verzierungen am Bau gutheißen. 125

städtisches Gebäude das Rathaus in nur 18 Mo- naten erbaute. Die Pläne dazu stammten von dem Karlsruher Architekten Eugen Beck, der bei einem vorausgegangenen Architektenwettbe- werb dafür mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Die Bauleitung hatte Architekt Wilhelm Vittali übertragen bekommen, der sonst eben- falls in Karlsruhe arbeitete, aber aus Donau- eschingen stammte. Die Grundsteinlegung fand am 19. Mai 1910 statt. Bei der feierlichen Einwei- hung am 4. Dezember 1911 war der Landesherr, Großherzog Friedrich II. von Baden, anwesend. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 275.000 Mark. Als allerletztes Haus aber errichtete die Baufir- ma Mall ihr mächtiges und auffallend schönes Wohn- und Bürohaus in der Karlstraße. Alle zogen an einem Strang, damit die Spu- ren des katastrophalen Großbrandes beseitigt werden konnten und die Jahre zuvor verzwei- felten Donaueschinger Bürger in ihre neuen Häuser einziehen konnten. Ihnen allen und den vielen Spendern sind die drei sinnigen Worte gewidmet, die über dem Hauptportal des Rat- hauses in Stein gemeißelt zu lesen sind: „Durch Aller Hilfe.“ Georg Goerlipp Sitzungssaal mit prächtigen Jugendstilfenstern und Majolika-Brunnen mit Frau in Baaremer Festtags- tracht im neuen Donaueschinger Rathaus. Skizze zum Wiederaufbau der Innenstadt. Obwohl diese Architekten fast alle in der Ju- gendstilzeit ihre Ausbildung erhielten, wendeten sie in der nun schon ausgehenden Jugendstil- epoche den reinen und klassischen Jugendstil nicht mehr an – auch aus Kostengründen – jeder plante die Fassaden nach seiner Fantasie. So entstand im Zentrum der für die Stadt typische und „eigene Donaueschinger Ju gendstil“. Für drei Jahre eine einzige Baustelle Der Wiederaufbau zog auch viele auswärti- ge Maurerbetriebe und andere Handwerker in die Stadt, die schnelle und gute Arbeit abliefern wollten. Die Innenstadt war für drei Jahre eine ein- zige Baustelle. Das größte Baugeschäft aller- dings war die hiesige Firma Mall, die als letztes 126

Die historische Feuerwehrübung aus Anlass der 100. Wiederkehr des Stadtbrandtages und des 150-jährigen Bestehens der Feuerwehr Donau- eschingen lieferte authentische Eindrücke vom Geschehen am 5. August 1908. Von oben links sind die Feuerwehren aus Riedböhringen, Donaueschingen und aus Pfohren im Einsatz.

Geschichte Gemeinsame Wurzeln – getrennte Wege Historische Betrachtungen anlässlich der 1250-jährigen urkundlichen Ersterwähnung von Biesingen und Heidenhofen Ferre wege, lange jare scheyden nit liebe freunde. Johannes von Tepl: Der Ackermann, Kap. 23 Denkt man heutzutage an die Vergangenheit der beiden Orte Biesingen und Heidenhofen, so fällt einem spontan zunächst mehr Trennendes als Verbindendes ein. Über Jahrhunderte hinweg gehörten die beiden Dörfer zu verschiedenen Herrschaften, Biesingen zu Württemberg und Heidenhofen zu Fürstenberg. Durch diese Herr- schaftszugehörigkeiten sind auch die bis heute noch dort prägend gebliebenen, unterschied- lichen konfessionellen Ausrichtungen bedingt worden, Biesingen ist evangelisch und Heiden- hofen katholisch. Und seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts sind die beiden, einst eigenständigen Gemeinden Stadtteile zweier verschiedener Städte, Biesingen gehört heute zu Bad Dürrheim und Heidenhofen zu Donau- eschingen. Ihre erste schriftliche Erwähnung hingegen finden beide gemeinsam in ein und derselben Traditionsnotiz des Klosters St. Gallen. Die un- datierte Schenkungsnotiz wird nach bisheriger Tradition ins Jahr 759/60 gesetzt, wonach sich Biesingen und Heidenhofen zu den ältesten schriftlich genannten Orten des Schwarzwald- Baar-Kreises zählen dürfen. Durch seine Über- gabeurkunde von 759/60 übertrug Wachar sei- nen gesamten Besitz zu Biesingen mit Ausnah- men des Wittums (Morgengabe) seiner Ehefrau Waldrada und eines Jucharts Ackerfeld, dem Galluskloster als Seelgerät. Das heißt Wachar erwartete als Gegenleistung für seine Schen- kung die Aufnahme ins Gebetsgedenken der Gallusmönche für sein Seelenheil. Gegen einen jährlichen Zins von 10 Malter Spelt, 20 Malter Hafer und einem kräftig gemästeten Frischling 128 128 erhält er die Güter als Leibgeding zurück. Aus- stellungsort dieses Schenkungsaktes ist Hei- denhofen. Der Grund hierfür wird darin zu sehen sein, dass sich in Heidenhofen eine der Urkir- chen der Baar befand, zu welcher Biesingen wie auch Aasen als Filialorte gehörten. Heidenhofener Kirche schon 857 erwähnt Die Heidenhofener Kirche wird bereits 857 und nicht erst 1275 bzw. 1324, wie von der bisherigen Forschung angenommen, erwähnt. Am 28. April 857 übertrug König Ludwig der Deutsche auf Bit- te seiner Tochter Irmingard hin zwei in Dorf und Gemarkung Heidenhofen gelegene Hufen an das Kloster Reichenau. Die an das Inselkloster vergabten Güter zu Heidenhofen werden in der Urkunde explizit als königliche Eigengüter Lud- wigs des Deutschen, welche bisher aus seinem Recht zu der dort befindlichen Königskirche ge- hörten, charakterisiert. Im Gegenzug empfing der König von Abt Folkwin von der Reichenau vier Zins- leute zu Saulgau samt ihren Abgaben zugunsten des seiner Tochter Irmingard übertragenen Klos- ters Buchau. Mit diesem frühen Beleg des Got- teshauses zu Heidenhofen als Königskirche ist zugleich auch die bisher unbekannte Herkunft des erst im Jahre 1451 erwähnten Heidenhofener Patroziniums des fränkischen Heiligen Hilarius geklärt. Neben den Königsgütern zu Heidenhofen erlangte die Abtei Reichenau nach der Chronik des Gallus Öhem dort auch noch Besitzungen des 973 verstorbenen Alaholfinger Herzogs Bert- hold. Biesingen wird erst wieder im Jahre 1284 urkundlich erwähnt, anlässlich des Verkaufs des Ortes durch Herzog Heinrich von Urslingen und seinen Bruder Rainhold für die Summe von 150 Mark Silber an die Brüder Berthold, Hermann, Heinrich und Konrad von Sunthausen. Dass Hei-

Biesingen (oben) und Heidenhofen haben gemeinsame Wurzeln und sind doch getrennte Wege gegangen: Biesingen ist evan- gelisch und gehört zu Bad Dürrheim, Heidenhofen ist katholisch geprägt und Stadtteil von Donaueschingen. Die dortige Kirche ist eine der Urkirchen der Baar. denhofen gleichfalls für eine gewisse Zeit zur Herrschaft der Herren von Sunt- hausen gehört hat, erhellt aus einer Urkunde von 1477. Mit diesem Diplom wird der Verkauf Heidenhofens von Kaspar von Sunthausen an die Grafen von Fürstenberg beurkundet. Biesin- gen war bereits 1386 von Johannes von Sunthausen an die Pfalzgrafen von Tübingen verkauft worden, kam 1440 käuflich an Heinrich von Blum- berg und Ste fan von Emershofen, welche es aber schon 1444 weiter an Württemberg veräußerten. Kloster Alpirsbach als neuer Besitzer Auch der Kirchensatz und das Patro- natsrecht der Heidenhofener Hila rius- kirche hatte sich im Besitz derer von Sunthausen befunden. Am 9. No vember 1463 allerdings vermachten Wolf Truchseß von Waldeck und seine Frau Agnes von Sunthausen ihr gesamtes Eigentum dem Kloster Alpirsbach. Un- ter den vergabten Gütern und Rech- ten befanden sich neben anderen der Kirchensatz zu Heidenhofen, einige

Biesingen und Heidenhofen Zehntrechte zu Biesingen sowie Zinsen von der dortigen Mühle. tantische Filiale der Mutterkirche Öfingen zuge- wiesen. Ab dem Jahre 1534 setzte unter Herzog Ulrich von Württemberg auf der Baar in den Orten, in denen Württemberg die Ortsherrschaft und nie- dere Gerichtsbarkeit innehatte, die behördlich betriebene Einführung der neuen Glaubensleh- re ein. Zu diesen Ortschaften zählte auch Bie- singen, welches allerdings zunächst weiterhin Filiale der katholischen Pfarrei Heidenhofen blieb. Mit der Durchführung der Reformation der Ge- meinden der Ostbaar wurde der nach Tuttlingen gesandte Ambrosius Blarer beauftragt. Bevor sich Ambrosius Blarer der neuen Lehre zuge- wandt hatte, war er Konventual und sogar Prior des Klosters Alpirsbach gewesen. Also eben je- nes Klosters, welches zu jener Zeit das Patro- natsrecht der Kirche zu Heidenhofen innehatte. Zweierlei Herren Alpirsbach selbst gehörte gleichfalls zum Herr- schaftsgebiet Württembergs. Abt und Konvent versuchten allerdings lange Zeit, sich der von Seiten der Herrschaft angeordneten Reforma- tion zu entziehen. Für Heidenhofen wurde die Lage kritisch, als 1557 die Verwaltung des Klos- tervermögens von Alpirsbach und die Beset- zung der Klosterpfarreien an Herzog Christoph von Württemberg übergegangen war. Damit ent- stand in Heidenhofen die auf Dauer untragbare Situation, dass die Ortsherrschaft beim katho- lischen Fürstenberg, das Recht der Einsetzung des Pfarrers hingegen beim protestantischen Württemberg lag. Eine ähnlich problematische Konstellation gab es im benachbarten Öfingen. Dort lag die Ortsherrschaft bei Württemberg, das Patronats- recht der Kirche dagegen bei Fürstenberg. Dies hatte zu heftigen Auseinandersetzungen zwi- schen dem katholischen Pfarrer und der evan- gelischen Bevölkerung Öfingens geführt. Um diesen Verwicklungen zu begegnen und für die Zukunft hier klarere Verhältnisse zu schaffen, tauschten die Herrschaften Fürstenberg und Württemberg am 4. März 1558 die Kirchensät- ze und Patronatsrechte von Heidenhofen und Öfingen. Biesingen wurde dann 1588 als protes- 130 130 Reformation trennt die Wege Die Geschichte der beiden vor 1.250 Jahren erst- mals zusammen erwähnten Orte Biesingen und Heidenhofen war über Jahrhunderte hinweg weit- gehend von gemeinsamen Schicksalen geprägt. Erst die Reformation trennte nachhaltig und ein- schneidend die weiteren Schicksalswege der bei- den Ortschaften. Dass Heidenhofen beim Tausch der Patronatsrechte zwischen Fürstenberg und Württemberg beim katholischen Glauben ver- blieb, verdankte es aller Wahrscheinlichkeit nach lediglich seiner geographischen Lage. Denn das weiter östlich gelegene Öfingen lag für die Herr- schaft Württemberg günstiger, als das westlichere Heidenhofen für Fürstenberg. Anderenfalls hät- ten sich die beiden Herrschaften 1558 statt des Tausches der Patronatsrechte wohl auf einen Austausch der Ortsherrschaft und niederen Ge- richtsbarkeit über Heidenhofen und Öfingen geeinigt. In diesem Falle wäre Heidenhofen würt- tembergisch und evangelisch geworden. Zugleich wäre es Mutterkirche von Biesingen geblieben und die zukünftigen Wege Heidenhofens und Biesingens wären weiterhin gemeinschaftlich verlaufen. Sicherlich Grund genug, sich an- lässlich der 1250-jährigen Ersterwähnung der beiden Orte in Biesingen und Heidenhofen der gemeinsamen Wurzeln zu erinnern. Thomas H. T. Wieners Literaturhinweise Frey, Hermann: Heidenhofen. Eine kleine Heimatkunde (= Schriftenreihe des Landkreises Donaueschingen, H. 20), Freiburg 1968. Glatz, Karl J.: Geschichte des Klosters Alpirsbach auf dem Schwarzwalde, nach Urkunden bearbeitet, Straß- burg 1877. Lauer, Hermann: Kirchengeschichte der Baar und des einst zur Landgrafschaft Baar gehörenden Schwarz- waldes, Donaueschingen 1928. Reil, Karl: Biesingen. Gottes kleine Lehen, Ettlingen 1987. Wieners, Thomas H. T.: Zinsen für die Ewigkeit. Die Vergabungen im Schwarzwald-Baar-Kreis an das Klos- ter St. Gallen in fränkischer Zeit, in: Almanach 2006. Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises, F. 30, S. 157 – 159.

1717: Ein Freudenfest in Triberg? Prinzengeburt führt zur Anordnung eines Freudenfestes in den österreichischen Erblanden Geschichte Im Kaiserhaus in Wien herrschte große Freude, denn nach acht kinderlosen Jahren gebar Elisa- beth Christine Kaiser Karl VI. am 13. April 1716 den ersehnten Prinzen Erzherzog Leopold Johann, ihm sollten noch Maria Theresia und Maria Anna und Maria Amalia folgen. Die Freude war des- halb so groß, weil damit ein vorauszusehender quälender Erbfolgekrieg (mit ungewissem Aus- gang) vermieden schien. Wien feierte das Ereig- nis, und soweit Habsburgs Macht reichte, sollte gefeiert werden. Von der Regierung ging des- halb am 25. April die Weisung aus, in den ös- terreichischen Erblanden ein Freudenfest „über die gepurth des Kayserl. Printzens“ abzuhalten. Dies brachte die Herrschaft Triberg in einige Verlegenheit, denn weder Obervogt Franz Xaver Noblat noch Schultheiß Mathias Ketterer, weder Bürgermeister Johann Storz noch die Vögte in den Gemeinden wussten, „auf was weiß solches anzustellen sein möchte“. So steht es im Proto- koll der Sitzung des Obervogts mit Schultheiß, Bürgermeister und den Vögten am 5. Mai 1716. Mehrmals mussten die Vögte einberufen wer- den, die die ältesten Einwohner ihrer Gemein- den befragen sollten, wie nach ihrer Erinnerung solche Feste gefeiert wurden. Das Verfahren nahm bisweilen amüsante Züge an, die Durchführung des Festes und der Treue-Eid erweitern unser Wissen über das Ver- halten der Obrigkeit in Triberg und die Verhält- nisse in der Herrschaft um äußerst wertvolle Einzelheiten, die in aller Umständlichkeit in den Amtsprotokollen festgehalten sind. In der genannten Konferenz wurde beschlos- sen, am kommenden Sonntag „bey der Wall- fahrt“ ein Dankfest in Anwesenheit der Vögte abzuhalten, ebenso „in allen Vogteyen, wo Kir- chen sind“ … für (die) Erhaltung dises Kayserl. Prinzen“ sind Messen zu lesen, nach denen die geistliche Obrigkeit und die Vögte „gespisen werden“ sollen. In einer weiteren Konferenz (ohne Datums an gabe, das Datum „8. Mai“ ist durchgestrichen) wurde besprochen, wie bei der Erbhuldigung, zu der die Anordnung von der Kommission (bestehend aus Statthalter von Rost, Baron von Greuth, Baron von Wittenbach und Herrn de la Breche) kam, früher verfahren wurde. Neukirchs Vogt Hans Dilger hatte bis dahin noch nichts in Erfahrung bringen können, wol- le sich aber noch bei einem 80-jährigen Mann erkundigen. Der Vogt von Schonach Thebus Het- tich kam ohne jedes Wissen. Der Vogt von Nuß- bach Mathis Pfaff berichtete, Jacob Reiner und Christ Hilser, alte Männer, hätten angegeben, eine Huldigung sei vorgenommen worden, man habe „ziemlich stark mit Gewöhr aufgewartet“, jedem Schützen sei ein halbes Maß Wein ver- abreicht worden. „Es hetten fast alle Leüth ge- schworen.“ Der Vogt von Schönwald Jakob Kuoner konnte noch keine genaue Nachricht erhalten, bemühe sich aber, von etlichen Alten etwas zu erfahren. Der Vogt von Rohrbach Georg Dold gab die Erin- nerung David Wehrles wieder, man sei auf der Gutach zusammengekommen (die meisten mit einem Gewehr) und habe einen Eid geschworen. Nach Meinung der Vögte handelte es sich da- mals um die Vereidigung von Truppen und nicht um eine Erbhuldigung. „60 Mann seien mit Gewehr gekommen“ Der Vogt von Niederwasser Gerg Ferenbach wusste vom 80-jährigen Thomas Hockh, der an der Huldigung teilgenommen habe, „60 Mann seien mit Gewehr gekommen, einer habe eine Rede gehalten des Inhalts, sie sollten bei ihren alten Rechten und Gerechtigkeiten schwören“, danach hätten sie den Eid geschworen. Furtwangens Vogt Philipp Epting stützte sich auf die Erinnerung des 82-jährigen Jacob Kunst, der wisse zwar von der Huldigung, erinnere sich aber nicht mehr genau an den Ablauf, „wohl aber, dass mann ziemblich starkh mit gewöhr habe erscheinen müssen“. 131

informirt“. Auch Kuoner war der Meinung, der Schultheiß sei Mann genug, „ihre rechten der Kommission vorzutragen“. Doch so unproble- matisch war die Sache nicht. Es erhob sich sofort darüber ein Streit, weil Zweifel entstanden, ob dieses vorhandene Urbar ohne Siegel das rech- te sei. Sie „bitteten dahero dass die obrigkeit so guet sein wollte, denselben (Urbar) gegen der gepühr solches auf ein Zeit abzulesen (=abzu- schreiben)“. Die Abschrift geschah am 13. und 14. Mai in Anwesenheit des Schultheißen und der Vögte von Nußbach, Schönwald und Grem- melsbach, sowie der Ausschüsse Jacob Ketterer und Hans Ferenbach. Am 19. Mai 1717 wurde in der nächsten Kon- ferenz den Vögten das übertragene Urbar zur Meinungsäußerung vorgetragen, auch was man der kaiserlichen Kommission gegenüber vorzu- bringen habe. Die Vögte waren der Meinung, der Schultheiß solle bei der Huldigung den Vorbe- halt anbringen, dass man die Herrschaft bei ih- ren alten Rechten und Gerechtigkeiten belassen solle, zum Beispiel beim freien Einkauf von Salz, Brot, Mehl und Grieß, das Letztere aber sollten die Ausschüsse vortragen. Der Herrschaft „trew und hold zu sein“ Nach Auseinandersetzungen über Urbar und Pri- vilegien und einem „Abstand“ (Unterbrechung der Sitzung zur Beratung) wurde den Aus schüssen auf ihr Verlangen der Schönwälder Vogt (der eine Vorrangstellung genossen zu haben scheint) als Beistand beigegeben. Dieser trat mit dem Vorschlag vor die Versammlung, was der Kai- serl. Erbhuldigung vorgetragen werden sollte, nämlich „dass die Unterthanen willig und bereit seyen allergnädigster Herrschaft gehorsamb, trew und hold zu sein, und hierauf der Commis- sion zu schwören“. Gefordert wurde aber, dass auf dem in Triberg vorhandenen Wochenmarkt auch jedermann Zugang habe, etwa fremde Bä- cker, da von den Einheimischen das Brot „gar zu leicht gebacken werde“. Hiesi gen Metzgern soll nicht erlaubt sein, ohne (vor herige) Barzahlung (an die Bauern) Vieh an Fremde zu verkaufen. „Winkel- und nebenwürthe“ sind abzustellen. Für Leibeigene ist eine Regelung über das Hei- Kaiser Karl VI. Der „Vogteiverwalter“ von Gremmelsbach Hans Faller konnte als Einziger eine Besonder- heit vortragen. Vom 86-jährigen Michel Haber- stroh hatte er gehört, dieser sei als „junger Kerl“ dabei gewesen, habe aber nicht besonders da- rauf geachtet, wie viel „Gewöhr“ man gehabt habe. In Erinnerung blieb ihm lediglich, dass man einem jeden ein halbes Maß Wein verab- reicht habe. Gütenbachs Vogt Philipp Faller wird nicht erwähnt. Wie ernst die Erbhuldigung genommen wur- de, zeigt in der Konferenz am 11. Mai, an der alle Vogteien durch ihre Vögte (Rohrbach und Gütenbach durch die Vertreter der Vögte) und durch einen Ausschuss vertreten waren, die Erörterung der Frage, „ob ein advocat zu be- stellen“ sei, der die „Angelegenheit“ der Herr- schaft Triberg bei der bevorstehenden Erbhul- digung vortragen würde. Dabei setzte sich die Mehrheit der Anwesenden durch, „dass Herr Schultheis Mann genug seye, solches ambt zu verrichten“. Notfalls solle er „einen Vogt zu sich nemmen“. Die Ausschüsse beantragten jetzt ei- ne Unter brechung der Sitzung, um sich beraten zu können. Das Ergebnis trug Christ Falkh vor. Sie wollten einen „Fürsprech“ in der Person des Schönwälder Vogts (Jakob Kuoner). Das Begeh- ren fand Zustimmung. Kuoner bestätigte die Meinung Falkhs und fügte hinzu, „der Urbar“ könne der beste Advo- kat sein. Außerdem sei der Schultheiß „darinnen 132

raten zu treffen, „damit sie nicht an ihrem Glück gehindert werden.“ Der freie Salzkauf ist zuzulas- sen. In den beiden nächsten Forderungen ist von größerer Ordnung in der Buchführung und Kon- trolle von Waren und neuem Umgeld (für Wein) die Rede. Schließlich solle dafür gesorgt wer- den, dass die Arbeit des Schultheißen reduziert werde, das Bauamt solle ihm abgenommen wer- den, er könne dann sein Schultheißenamt besser versehen. Von der Obrigkeit ist den Aus schüssen bewilligt worden, mit Wissen der Vögte aus je- der Gemeinde einen Mann auszuwählen, der dann zwischen Sonntag und Donnerstag die Punkte zu Papier bringen sollte, wobei es ihm unbenom- men sein sollte, einen Advokaten hinzuzuziehen. Ob dies geschehen ist, bleibt unerwähnt. Das Fest der Erbhuldigung fand statt. Am Abend dieses Tages, am 9. Juni 1717, trug Ober- vogt Franz Xaver Noblat einen drei Seiten langen Bericht ins Protokollbuch ein. Vom 28. Mai datiert die Benachrichtigung, dass eine Kommission von Freiburg, bestehend aus Ägidius Freiherren von Greuth und Franz Heinrich von Wittenbach am 8. Juni in Triberg einträfen und tags darauf die Erbhuldigung durchführen würden. Sache der Herrschaft würde sein, alle Untertanen, ver- heiratet oder nicht, vom 15. Lebensjahr an bis ins höchste Alter nach Triberg zusammenzurufen. In Schonach standen „60 mann in gewöhr“ Und dies war der Ablauf: Obervogt Noblat und Schultheiß Ketterer ritten der Kommission bis Elzach entgegen und begleiteten sie über den Rensberg, beim sogenannten strittigen Riedis- feld wurden sie mit sieben Schüssen „so in ei- nen großen Felsenstein gebohret waren“, emp- fangen. Vor dem Schonacher Tor standen 60 „mit Ober und undergewehr (Säbel) versehene alle in rothen röckh oder wollen hemdern beklei- dete mann in gewöhr“. Die Mannschaft bildete zwei Reihen, durch die die „hochansehnliche Kommission“ hindurch ritt. Sie bezog im Amts- haus Quartier. Vor dem Schonacher Tor und vor dem Betreten des Amtshauses gab es je eine „Salve“. Geschossen wurde auch auf der Höhe von verschiedenen Felsensteinen. Vor dem Be- Ein Freudenfest in Triberg? treten des Amtshauses wurde die Kommission vom Schultheißen, von allen Vögten und vom ganzen Gericht „in mänteln beneventiert“ (in ihrer Amtskleidung willkommen geheißen). Vor dem Amtshaus hatte eine doppelte Wache Stel- lung bezogen. Am eigentlichen Tag, dem 9. Juni, gegen ½ 9 Uhr, ging die Kommission zur Wallfahrtskir- che, begleitet wurde sie vom Schultheißen, vom Bürgermeister, von allen Vögten und Richtern, wieder in Mänteln, „die 60 bewöhrte Mann“ er- warteten sie in zwei Reihen bei der Wallfahrts- kirche „im gewehr“, im Chor nahmen sie „auf ei nem etwas Erhöhten Stuhl ihren plaz“ ein. Mit dem Segen „mit dem Hochwürdigen“ (der Monstranz) wurde der Gottesdienst eröffnet, ei- ne Salve wurde von den 60 Mann und verschie- denen gebohrten Steinen aus abgegeben. Da- rauf „wurde ein musicirtes Ambt abgesungen.“ Nach dem Amt und nochmaligem Segen wurde wieder geschossen. Die Zeremonie der Eideshandlung ging fol- gendermaßen vor sich: Die Untertanen wurden alle in die Kirche gebeten. „Von der Kaiserlichen Kommission (wurde) die Praeposition gethan“ (wohl: Text und Bedeutung erklärt), von Sekretär Benz wurde der Eidestext vorgelesen, „von dem erstern Herrn Commissario den Underthanen vor- gesprochen“, von diesen nachgesprochen „und die Huldigung abgelegt“. Das abschließende „Te Deum laudamus“ („musicaliter abgesungen“) be gleitete wieder eine Salve. Die Honoratioren schritten dann von der Wallfahrtskirche „in erster Ordnung“ zum Amtshaus. Jetzt konnte Schultheiß Ketterer wieder seines Amtes walten, indem er namens der Herrschaft der Kaiserlichen Kommis- sion ein „Memorial“ übergab. Von einer Erklärung, für die er hätte „Mann genug sein“ müssen, ist nicht die Rede. Die Kommission versicherte, es dem Kaiser vorzulegen. Danach schritt man zur Tafel, 18 Personen, meist Geistliche, wobei zu jeder „Gesundheit“ eine Salve abgegeben wur- de. Am dritten Tag, dem 10. Juni, besuchte die Kommission noch einmal eine Messe, darauf reis- te sie ab, zum Abschied wurde eine letzte Salve abgeschossen. Ob dieses Fest die Bezeichnung „Freuden- fest“ verdient, ist mehr als zweifelhaft. In kei- nem Bericht wird mehr der Name des Prinzen 133

Ein Freudenfest in Triberg? / Geschichte genannt. Dieser lebte nämlich schon gar nicht mehr. Er war am 4. November 1716 gestorben. Gerüchte über den Tod des Kindes machten in Wien die Runde, als wahrscheinlichster Grund wurde zu frühe Entwöhnung angegeben. Vielsa- gend ist auch, dass die Bezeichnung „Freuden- fest“ am 5. Mai 1716 letztmalig verwendet wird, der Ausdruck „Erbhuldigung“ bleibt jedoch. Un- denkbar, dass die Kommission ein halbes Jahr später vom Tod des Prinzen nichts wusste und die traurige Kunde nicht auch nach Triberg ge- kommen sein sollte. Schon war am 13. Mai 1717 Maria Theresia geboren. Doch die Kaisertochter, die eine wahrhaft große Frau werden sollte, wird mit keinem Wort erwähnt. So blieb von der Freu- de statt der Gratulation an das glückliche Eltern- paar mit der Verbindung an den Untertaneneid die Forderung an die Regierung, nur ja nicht an die alten Freiheiten und Privilegien zu rühren, im Gegenteil mehr Freiheiten zu gewähren, um das Glück der Untertanen zu mehren. Nicht das Glück der kaiserlichen Familie stand für die Herrschaft Triberg im Vordergrund, sondern das eigene. Karl Volk Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe 61/12950 Literatur: Dorothy Gies McGuigan, Familie Habsburg 1273 bis 1918, Wien München 1978, S. 239 Hellmut Andics, Die Frauen der Habsburger, München 1985, S. 174 Der Villinger Johanniterkomtur Johann Philipp Lösch von Mühlheim Im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis unterstan- den die früheren Gemeinden Dürrheim, Weig- heim, Obereschach und Neuhausen bis zum Be ginn des 19. Jahrhunderts nicht Vorderöster- reich, Fürstenberg oder der Reichsstadt Rott- weil, sondern gehörten dem Johanniterorden und wurden vom Komtur seiner Kommende Villingen regiert. Meist weiß man über die adeligen Herren wenig, welche dieses für die genannten vier damaligen Dörfer recht bedeutsame Amt beklei- deten, sodass es durchaus auf schlussreich sein mag, beispielhaft einmal einen solchen Johanni- terkomtur vorzustellen, für den die historischen Quellen etwas üppiger fließen – Johann Philipp Lösch von Mühlheim1. Im Rahmen der Geschichte der Johanniter- kommende Villingen fällt Komtur Johann Philipp Lösch von Mühlheim mit einer Amtszeit von im- merhin dreißig Jahren auf, denn nur Franz von Sonnenberg bekleidete von 1648 bis 1682 das Amt an der Spitze des Villinger Ordenshauses länger als Johann Philipp Lösch von Mühlheim. Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass Lösch von Mühlheim am Ende des 16. Jahrhunderts in Villingen sicher zu den bedeutenderen und wohl auch bekannteren Persönlichkeiten der Stadt 134 Teil der Grabplatte von Lösch von Mühlheim, aufbe- wahrt in der Villinger Johanniterkirche. zählte; dies geht auch aus seiner erhaltenen Leichenpredigt hervor.2 Ein junger Protestant wird Ordensritter Johann Philipp Lösch von Mühlheim stammte nicht aus Südwestdeutschland, sondern aus einem hessischen Geschlecht, das seit dem 13. Jahrhundert im Raum um Wetzlar und Giessen begütert war.3 Das „Mühlheim“ in seinem Namen ist das heutige Hermannstein bei Wetzlar an der Lahn. Johann Philipp Lösch von Mühlheim wur de

1536 geboren. Von seinem Geburtsort und sei- ner Jugend ist wenig bekannt. Sein Vater Marx Lösch von Mühlheim schickte ihn im Alter von noch kaum zehn Jahren an den Hof des Land- grafen Wilhelm IV. von Hessen, wo er bereits die krieger ischen Auseinandersetzungen der Jahre 1545 und 1546 im Schmalkaldischen Krieg miterlebt hat. Ein paar Jahre älter, diente er bei Kriegen in Italien und Frankreich sowie „wider den Erbfeind der Christenheit“, die Türken. Am 13. November 1565 trat der junge Ade- lige auf Malta in den Johanniterorden ein, kurz nach Ende jener denkwürdigen Belagerung, bei welcher der Orden Angriff und mehrmonatige Belagerung durch die Türken unter Sultan Sülei- man II., Heerführer Kara Mustafa und seinen Ad- miralen Dragut und Piale siegreich abgewehrt hatte. Dies lässt daran denken, dass sich Johann Philipp Lösch von Mühlheim als Freiwilliger auf der Seite der Ordensritter an den schweren Kämpfen beteiligt hat und dem Orden unter dem Eindruck des Erlebten beigetreten ist. Vom Orden selbst hatten an der Belagerung Maltas von der deut- schen Zunge nur 13 Ordensritter und ein Waffen- knecht teilgenommen. In den folgenden Jahren dürfte Johann Phi- lipp Lösch von Mühlheim am Sitz des Ordens sein Noviziat gemacht und selbstverständlich zur deutschen Zunge des Ordens, der an des- sen Zentrale eine eigene Herberge unterhielt, in besonders nahe Beziehung getreten sein. Da er von Haus aus Lutheraner war, muss er um diese Zeit auch zur katholischen Konfession konver- tiert sein. 1568 erscheint der junge Ordensrit- ter beim Consilium completum, dem höchsten Ratsgremium des Ordens, als Rat bei der deut- schen Zunge. Noch im gleichen Jahr erhielt er die Komturei Sulz im Elsass westlich von Geb- weiler, 1570 die benachbarte Komturei Colmar und bis spätestens 1571 auch das Ordenshaus von Villingen übertragen.4 Großbailli und Komtur von Villingen, Colmar und Sulz i. E. Von dieser Zeit an wird Johann Philipp Lösch von Mühlheim regelmäßig als Komtur von Villingen, Colmar und Sulz im Elsass angesprochen. Wenn Johann Philipp Lösch von Mühlheim er mit der Verantwortung für gleich drei Ordens- häuser betraut wurde, dann sicher im Blick auf Amt und Würden, welche er im Johanniterorden erreichte und die erhebliche finanzielle Aufwen- dungen erforderlich machten: Er wurde unter dem 23. November 1571 zum Stellvertreter des Großbailli der deutschen Johanniter bestimmt, ihres Sprechers unmittelbar am Sitz des Groß- meisters des Ordens in Malta, und 1598 sogar selber zum Großbailli. Auch wenn er die Ämter des Großbailli und seines Stellvertreters nur bis 1599 bekleidet hatte, so bedeutete dies, dass er in den genann- ten Jahren und anscheinend vor allem vor 1580 viel Zeit auf Malta verbringen musste und die Besitzungen „seiner“ drei Ordenshäuser durch andere deutsche Ordensritter oder Beamte des Ordens wie Schaffner verwalten lassen musste, zumal beispielsweise auch noch die Kommende Rottweil in dieser Zeit aus Personalmangel viel- fach von seinem Ordenshaus Villingen aus ge- führt wurde. Am 10. Mai 1589 wurde Johann Phi- lipp Lösch von Mühlheim auch zum ersten Ti tular- Bailli von Brandenburg berufen, und war damit zumindest formal für jenen Teil der deutschen Johanniter verantwortlich, der in der Reforma- tion geschlossen protestantisch geworden war. Nach der Aufgabe seines Amtes als Großbailli wurde er unter dem 20. August 1599 deutscher Großprior, dessen Stellvertretung er nachweis- lich bereits 1595 übernommen hatte und erhielt auch noch die Schweizer Kommende Bubikon. Seine letzten beiden Lebensjahre hat er ziem- lich ausschließlich in Villingen verbracht, unter- stützt von Johanniterschaffner Daniel Sartorius und seinem Kaplan Franz Döttling. Für die Villinger Johanniterkirche hat Johann Philipp Lösch von Mühlheim offensichtlich in den Chor ein großes Kruzifix gestiftet. Weiter stiftete er auf der Evangelien-Seite einen Altar, der die Kreuzerhöhung zeigte, das Wappen des Komturs trug und später anscheinend auf die Epistel-Seite versetzt wurde. Es fällt auf, dass für seine religiöse Welt offenbar die Lehre vom Gekreuzigten eine zentrale Rolle gespielt hat. Im „politischen“ Bereich ging es Johann Phi- lipp Lösch von Mühlheim offensichtlich um die Sicherung und den Ausbau der Rechte seiner Villinger Kommende. Sie war bekanntlich seit 135

Schwäbisch Hall um das Jagdrecht im Dorf Affal- trach, welches den Haller Johannitern gehörte. Persönliche Schwächen und gute Seiten Die Beziehungen von Komtur Lösch von Mühl- heim nach Rottweil, dessen Johanniterhaus er vertretungsweise betreute, waren nicht ganz unproblematisch. Über Jahre führte der Komtur, wie dargestellt, mit der Reichsstadt Auseinan- dersetzungen um die Hochgerichtsbarkeit in den Dörfern Neuhausen und Obereschach, ei- nen Streit, welcher 1585 sogar dem Reichskam- mergericht in Speyer vorgelegt werden sollte. Sehr energisch pochte er 1595 gegenüber dem Rottweiler Rat mit einem ausführlichen Schrei- ben auf die Steuerfreiheit des Johanniterhauses in Rottweil. Andererseits machte der Ordensrit- ter eine junge Rottweilerin so offen zu seiner Ge liebten, dass der Rottweiler Magistrat der Angelegenheit nicht mehr länger zusehen und den Eltern der jungen Frau ihre Zulassung als „Für- käufler“ absprechen wollte; dem ist hinzuzufügen, dass es damals fast alltäglich war, dass Angehöri- ge des Johanniterordens ihr Keuschheitsgelübde nicht ganz so ernst genommen haben. Freundlich gegen jedermann Alles zusammen genommen hatte der Komtur zu Villingen, zu Rottweil und auch sonst trotzdem einen guten Namen. Er war freundlich gegen je- dermann und trug weder Samt noch Seide, son- dern „mehrertheils Läder und gemeine Tücher“ – im Gegensatz zu manchem „Pfeffersack, Tinten- fresser, Stadtjunker oder Stiefelschmierer“. Nie habe er es, so ist seiner Leichen-Predigt weiter zu entnehmen, auch einfachen und armen Leuten abgeschlagen, für ihre Kinder die „Christliche Gefatterschafft“ zu übernehmen. Aus angebore- ner Demut habe er ferner – und dabei gehörte der Johanniter Ende seines Lebens immerhin dem Reichsfürstenstand an – niemand mit bloßem Haupt vor sich stehen und reden lassen. Und aus der gleichen Bescheidenheit heraus habe der hohe Herr „seine Underthanen und Bauren zum offtermahl an seiner Tafel mögen leiden“. Deckengemälde in der Villinger Johanniterkirche. langem im Besitz der Verwaltungshoheit über die Dörfer Dürrheim, Weigheim, Obereschach und Neuhausen. Um diesen vergleichsweise be- scheidenen Besitz vollends zur Herrschaft aus- zubauen, versuchte der Komtur vor allem, die Hochgerichtsbarkeit über die genannten Dörfer in seinem Sinne zu klären. Dies führte naturge- mäß zu Auseinandersetzungen mit an deren Inte- ressierten, welche ähnliche Ziele ver folgten – der vorderösterreichischen Stadt Villingen mit ihrem Pürschbezirk, den Grafen von Fürstenberg, im Fall von Obereschach und Neuhausen aber auch mit der Reichsstadt Rottweil. Seit 1580 und im Laufe der nächsten 20 Jahre bemühte Komtur Johann Philipp Lösch von Mühlheim mit diesem Problem alle denkbaren Gerichte und Instanzen – in Villingen, Speyer, Ensisheim und Innsbruck, in Rottweil das kaiserliche Hofgericht und sogar Kaiser Rudolf II. selbst, freilich ohne durchschla- genden Erfolg und von Seiten des Kaisers schließ- lich mit der Auflage, der Stadt Villingen als Pro- zessgegnerin ihre Auslagen zu erstatten.5 Noch zehn Monate vor seinem Tod musste der Komtur seinen Schaffner Daniel Sartorius auch zu rechtlichen Schritten auffordern, nach- dem fürstenbergische Beamte drei Tage zuvor bei Nacht in seinem Dorf Weigheim eingefallen waren und dort zwei Untertanen des Johanni- terhauses Villingen festgenommen und abge- führt hatten, welchen Ehebruch zur Last gelegt wurde6. Prozessiert hat er um die gleiche Zeit als „obers ter Meister des Johanniterordens in deutschen Landen“ auch noch gegen die Grafen von Löwenstein für die Johanniterkommende 136

Auch Martin Digasser selbst lässt anklingen, dass er zu Lebzeiten des Ordensritters dessen „Taffel offt besucht und des rohten und weissen Elsessers wol genossen“ habe. Mit Zucht und Disziplin sei Johann Philipp Lösch von Mühlheim andererseits mit seinem Personal umgegangen, sei gegen das Fluchen und Schwören eingeschritten und habe seine Bediensteten mit Essen und Trinken so versor- gen lassen, dass es für sie keinen Grund gab, „alle Winckel und Wirtsheuser auszulauffen“. Persönlich verrichtete er zu drei festen Zeiten seine täglichen Gebete in der Johanniterkirche, in der Kirche von St. Clara oder „in seinem Ge- mach“. Seit 1695 widmete er sich verstärkt der Lektüre religiöser Bücher und erklärte, dies solle künftig sein „einig studium sein“, weil er bisher „ein böser, mutwilliger Bub gewesen“ und seine „zeit übel und unnütz zugebracht“ habe. Aus- drücklich bedauerte er auch, dass „er viel wider die Kirch geredt und gethan hab“, und legte gerade in seinen letzten Lebenswochen immer wieder das katholische Glaubensbekenntnis ab. Nach Neujahr 1601 empfing der Komtur die Sterbesakramente und ertrug seine nicht eindeu- tig beschriebene, sich rasch verschlimmernde Krankheit, die er vom Rottweiler Stadtarzt Dr. Venerand Gabler behandeln ließ, mit Geduld und Gottvertrauen; er bat seinen Schöpfer da- rum, er wolle ihm „genad und Barmhertzigkeit, ein seligen Todt und nach diesem das ewig leben ge- ben“. Mehrmals legte er eine Generalbeichte ab und bereute, was er mit Gedanken, Worten und Werken „und bösen Exempeln“ gedacht, gere- det und getan hatte. Er bat auch ausdrücklich Bruder Martin Digasser, den Vikar der Straß- burger Provinz der Franziskaner – Konventualen und damaligen Villinger Pfarrer, nach seinem Ableben alles „mit Predigen, Singen und Mess- lesen“ in der Kirche zu ordnen, und zwar unter Verzicht auf „prächtige Caeremonien“. Dagegen ordnete der Komtur noch an, man solle an alle Armen, Einheimische und Fremde, zu seiner Beisetzung eine Brotspende austeilen. Schon zu Beginn seiner letzten Krankheit hatte er an die Armen in und vor der Stadt auch ein Almosen ausgeben lassen. Wie er sich selbst angesichts seines Todes sah, verdeutlicht sein Ausspruch „Ich bin ein ar- Johann Philipp Lösch von Mühlheim mer Bettler, Gott sey mir gnädig“. Unmittelbar vor seinem Tod ließ sich der Johanniter in die Kirche seiner Komturei tragen und verabschie- dete sich danach von seinem Sterbebett aus bei seinem Nachfolger als Großbailli und dem Kanzler der deutschen Johanniter. Am anderen Morgen zwischen drei und vier Uhr ist Johann Philipp Lösch von Mülheim „miltiglich in dem Herren entschlafen“. Wenige Tage später, wahrscheinlich am 12. Februar 1601, wurde Johann Philipp Lösch von Mühlheim, zu Lebzeiten des Johanniterordens Meister in Deutschen Landen, im Chor der Villin- ger Johanniterkirche „zur Erden bestattet“. Die Leichenpredigt, die Frater Martin Digasser für ihn hielt, wurde kurz darauf bei Martin Böckler in Freiburg im Breisgau gedruckt. Digasser wid- mete sie dem Nachfolger des Verstorbenen als Johanniterordensmeister in Deutschen Landen, Weiprecht von Rosenbach. Winfried Hecht Fußnoten 1 vgl. W. Hecht, Der Johanniterorden. Ehemalige Or- densniederlassungen in Baden-Württemberg. Johan- niterkommende Villingen. In: Villingen im Wandel der Zeit. Geschichts- und Heimatverein Villingen. Jahrgang, 2007, S. 74). 2 (vgl. Ein Predig von dem Generallgewalt des Tods uber alle Menschen und von der vorbereitung zum se- ligen End. Gehalten im Ritterlichen Johanniterhaus zu Villingen bey der Begräbnus des Hochwürdigen Fürsten und Herren, Herren Johann Philippsen Löschen von Mülheim, des Johanniter Ordens gewesnen Meisters in Deutschen Landen, der den 12. Februarii dis 1601. Jahrs Christlichen zur Erden ist bestattet worden. Durch F. Martinum Digasserum, Franciscanorum Conventualium in Argentinischer Provintz Vicarium, dieser zeit Pfarherr zu Villingen. Gedruckt zu Freyburg in Breysgaw durch Martin Böckler. Stadtarchiv Villingen B e 39 3 vgl. W. G. Rödel, Die deutschen (Gross-)Prioren. In: Helvetia Sacra Abtl. IV Bd. 7 (2006), S. 66 4 vgl. P. Revellio, Die Kirche der Johanniterkommende. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen. Villingen (1964), S. 117 5 vgl. Inventar über die Bestände des Stadtarchivs Vil- lingen I (1970) S. 302, Nr. 1.602 und Nr. 1.603, S. 304, Nr. 1.612, S. 305, Nr. 1.619 und Nr. 1.620, S. 306, Nr. 1.621 sowie II S. 1, Nr. 1.923, S. 25, Nr. 2.045, S. 26, Nr. 2.056, S. 29, Nr. 2.075 und S. 31, Nr. 2.092 sowie Stadtarchiv Rottweil II. A. I. Abtl. L.XX Fasz. 5, Nr. 1 von 1582, Dez. 8) 6 vgl. Mitteilungen aus dem F. Fürstenbergischen Archi- ve II. Bearb. von F. L. Baumann und G. Tumbült. Tübingen 1902, S. 741, Nr. 1.018 137

7. Kapitel Kunstgeschichte Gustav Heine (1855 – 1944) Ein lange vergessener Maler aus Furtwangen In den 1990er-Jahren wurde in Furtwangen ein Holzstich bekannt, der bereits 1890 in der da- mals weit verbreiteten „Illustrierten Chronik der Zeit“ erschienen war (siehe Seite rechts). Dem Zeichner, einem G. Heine, schenkte man keine Aufmerksamkeit, obwohl Aribert Hoch heraus- gefunden hatte, dass es der Sohn eines Furt- wanger Schildmalers war. Doch das Interesse richtete sich ausschließlich auf den Bildinhalt. Als entscheidende Frage blieb, hatte die Abbil- dung einen Be zug zu Furt wangen? Die Bildunter- schrift „Fastnachtsvergnügen im Schwarzwald“ ließ Raum für Spekulationen, das gleiche gilt für den kurzen Begleittext. Im Buch zur Furtwanger Fasnet „Hanseli, He- xe, Spättle…“ von 2001 wird die Diskussion zu- sammengefasst. Fazit: Selbst wenn die Gebäu- de bei der Straßenszene nicht zwingend auf Furtwangen hinweisen, die Kleidung der darge- „Ein Kleeblatt vom Schwarzwald, 1874.“ Rechts mit Bart Oskar Furtwängler, in der Mitte wohl Heine, links möglicherweise ein Schwarzwälder namens Löhr. 138 stellten Narren lässt sich historisch belegen. So hat denn der Furtwanger Künstler Gustav Heine – den kaum jemand gekannt hat – durch eine Zeichnung dazu angeregt, dass über hundert Jahre später am Ort eine neue Narrenfigur ent- stand sprich wiederbelebt wurde, das „Hanse- li“, der Furtwanger Weißnarr. Es musste noch ein zweiter Impuls kommen, damit Gustav Heine aus der Anonymität heraus- treten konnte. Auslöser war der Nachlass von Oskar Furtwängler (1850-1908), der im Bewusst- sein der Heimatfreunde präsent geblieben war, als erfolgreicher Unternehmer, als „Turnvater des Schwarzwaldes“, besonders aber als Autor seines Alterswerkes, eine im Dialekt verfasste Prosaschrift von literarischem Rang über die Ju- gendjahre als „Uhrenmacher im Schwefeldobel“.1 Dem Gütenbacher Heimat- und Geschichts- verein verdankt die Region nicht nur ein Dorf- und Uhrenmuseum, sondern auch anregende Veran- staltungen. In einer Matinee vom 26. Juni 2005 wurden Verse von Oskar Furtwängler und korres- pondierend dazu Federzeichnungen von Gustav Heine einer interessierten Öffentlichkeit vorge- stellt. Von jetzt an gab es den Kunstmaler Gustav Heine nicht nur als Eintrag im Kirchenbuch, son- dern als Mensch von Fleisch und Blut. Man kann sagen, die Gütenbacher haben den Furtwangern einen bedeutenden Künstler beschert. „Um ihre Freundschaft zu besiegeln – die Darstellung folgt hier den Aufzeichnungen von Renate und Otto Hofmann für die Matinee – be- schlossen die beiden im Jahre 1874 ein ‚Illus- triertes Tagebuch‘2 zu gestalten. … Solche illus- trierten, poetischen Tagebücher hatten im 19. Jahrhundert Tradition. Eines der Schönsten ist das Tagebuch von Bettina von Brentano mit dem Zeichner Ludwig Grimm, dem jüngeren Bruder der Gebrüder Grimm. Auch Kaiserin Sissi führte ein poetisches Tagebuch.“ „Oskar reimte und dichtete. Gustav Heine zeichnete zu den meisten gemeinsamen Erleb-

„Fastnachtsvergnügen im Schwarzwald“ – sprich in Furtwangen, wie histo- 139 rische Brauchbeschreibungen und Teile der Stadtarchitektur aufzeigen.

Kunstgeschichte nissen, Tagebuchtexten und Liebesliedern ein Bildchen, und das mit spitzer Feder nicht ohne eine gewisse Ironie…“ Der Holzstich dominierte Der folgende Beitrag versucht, weitere Bau- steine zu Gustav Heines Biographie zusammen- zubringen. Auch die Abbildungen zeigen nur einen Ausschnitt seines Schaffens, Federskiz- zen, die um 1875 entstanden und Zeichnungen aus der Zeit um 1890, die als Holzstiche in Print- medien erschienen. Doch die Beschäftigung mit dem Nachlass von Oskar Furtwängler führte zu „Vorstellung meines Bruders bei meinen Stief- schwestern“, so nennt Heine die drei Töchter seiner Zimmerwirtin. Ausschnitt aus dem „Begrüßungs- blatt“, 1874. 140 Rechte Seite: Das „Frohnen“ im Schwarzwald, für die jungen Furtwanger oft auch eine Freude, wie die Zeichnung unschwer zu erkennen gibt. Aus: Illustrierte Chronik, 1891. einem wichtigen Zufallsergebnis, denn auch ein weiterer Sohn der Familie Heine, Adalbert, hat den Aufstieg vom Schildmaler zum anerkannten Landschaftsmaler geschafft. Offenbar hat Gustav Heine später als Illus- trator für populäre Zeitschriften und Jahrbücher gearbeitet. Als Reproduktionsverfahren domi- nierte damals der Holzstich, der es – im Gegen- satz zu Kupferstich, Lithografie oder Stahlstich – erlaubt hat, auch die Rückseite eines Blattes zu bedrucken. Auf den klargegliederten Zeich- nungen ist zwar der Name G. Heine recht deut- lich zu erkennen, aber die übliche Signatur des Xylografen fehlt. Vermutlich war damals das Gewerbe bereits anonymisiert3, so hatte 1888 die Stuttgarter Union eine eigene Abteilung eingerichtet, die 70 Holzstecher beschäftigte. Eine Reihe auflagen- starker Publikationen konnten mit Abbildungen versorgt werden, so auch die hier interessieren- de „Illustrierte Chronik“ oder „Das Buch für Al- le“. Zeichner und Holzstecher waren zusammen in der Lage, relativ rasch auch auf aktuelle Ereig- nisse einzugehen, allerdings gegen die um 1900 im Rasterdruckverfahren hergestellten Fotogra- fien hatten sie keine Chancen mehr. Sohn eines Schildermalers Carl Gustav Heine wurde am 18. Dezember 1855 in Furtwangen geboren und noch am gleichen Tag getauft. Pfarrer Seyfried hat protokolliert: „Ehelicher Sohn des Gregor Heine, hiesigen Bürgers und Uhrenschildmalers, und der Beatrix Hindelang. Zeugen: Benedikt Ketterer, Uhren- macher, und Meinrad Moser, Mesner.“ Benedikt Ketterer, Gründer der heutigen Firma Ketterer Söhne (BKS), war zugleich Taufpate. (Kirchen- buch Furtwangen, Jahr 1855, No. 77) Über Gustavs Jugendjahre ist nichts bekannt, wahrscheinlich arbeitete er mit in der elterlichen Werkstatt. Der Vater, Gregor Heine (1823 – 1870), erscheint in den Steuerakten des Stadtarchivs

Kunstgeschichte

Kunstgeschichte Furtwangen erstmals mit 625 fl Gewerbekapital, was auf einen Zwei-Personen-Betrieb hinweist, in einem Ausstellungsbericht von 1873 wird 1850 als Datum der Betriebsgründung genannt. Der Furtwanger Chronist Romulus Kreuzer er- wähnt, Heine habe sich mit drei anderen Uhren- gewerblern zusammengeschlossen, doch die Gesellschaft wurde bereits im Spätjahr 1854 wieder aufgelöst. Zwei der Beteiligten, Albert Dold und Gordian Hettich, führten das ursprüng- liche Geschäft erfolgreich weiter, Gregor Heine und Romulus Kreuzer gingen künftig eigene Wege. Doch auch Gregor Heines Schildmalerwerk- statt entwickelte sich positiv. Auf der Schwarz- wälder Industrie-Ausstellung in Villingen 1858 präsentierte er ein Sortiment von Blechuhrschil- dern, in Karlsruhe 1861 Glasuhrenschilder und abermals Blechuhrenschilder. „Beide werden durch Übertragen von Zeichnungen gemacht, wel- che mittelst der lithographischen Presse vervielfäl- tigt werden.“ Doch konnten diese „modernen“ „Selbst bei schlechtem Wetter eine reizende Aus- sicht“, 1874. Hier sind nicht nur die Knöchel, son- dern sogar die Waden der jungen Frau zu sehen! 142 Schildformen die Firma allein tragen? Die Ver- mutung liegt nahe, dass auch die herkömm- lichen Holz-Lackschilder noch in großen Stück- zahlen gefertigt wurden. Im Jahre 1865 zählte Heine mit 875 fl Gewerbs- steuerkapital zu den ersten fünf der insgesamt 16 Furtwanger Schildmaler, im Jahr seines Todes 1870 lag das Gesamt-Steuerkapital bei 1.830 fl, auf das Grundstück entfielen 830 fl, auf das Gewerbe 1.000 fl, was auf vier bis fünf Beschäftigte hin- weist. Die Witwe Beatrix, geb. Hindelang, führte mit Hilfe ihres Sohnes Adalbert das Gewerbe fort. Im Katalog zur Weltausstellung 1873 in Wien ist vermerkt: ”Heine Adalbert, Div. Uhrenschilder und Glasgemälde. Vorm. Gregor Heine. Glas- und Blechschildmaler. Errichtet 1850. 5 Arb.“ Doch die Mutter blieb als Betriebsinhaberin eingetragen. Einen gravierenden Einschnitt brach- te das Jahr 1875, auch Adalbert Heine siedelte im Dezember nach München über. Im Jahr 1876 wur- de abgewickelt, 1877 ist die Schildmalerei Heine nicht mehr unter den Gewerbebetrieben aufge- führt. Doch in diesem Jahr kumulierten auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Es bestand die Gefahr, dass Mutter Beatrix das Haus nicht halten konnte. Auch wenn es ihm sehr schwer gefallen ist, Gustav Heine musste seinen Freund Furtwängler bitten, eine Bürgschaft zu übernehmen, denn die beiden Söhne hatten mit dem eigenen Lebens- unterhalt zu kämpfen. Oskar Furtwängler hatte zwischen 1866 und 1869 in Furtwangen eine Lehre als Holzschnitzer absolviert, haben sich die beiden damals schon kennengelernt? Der Altersunterschied von fünf Jahren spricht dagegen. Plausibler erscheint, dass sie sich erst in München näher kamen, viel- leicht im Umfeld der Kunstgewerbeschule, die Furtwängler im WS 1873/74 besucht hat. Lands- leute rücken in der Fremde gerne zusammen. Während 1873 der damals 18-jährige Gustav sei- ne Berufsentscheidung bereits getroffen hatte, er wollte Kunstmaler werden, suchte der 23-jäh- rige Oskar noch nach einer Lebensaufgabe. „Er leidet unter den Zwängen der Gesellschaft und den überkommenen Ansichten der Leute. Er sieht sich als schwach und unverstanden.“ (Hof- mann) Beide Freunde respektierten einander, auch wenn Einstellungen und Ansichten voneinander

abwichen. Dies gilt besonders mit Blick auf Furt- wangen. Gustav Heine wollte auf keinen Fall mehr die Einschränkungen und sozialen Zwän- ge einer Kleinstadt erleben, „die durch die Län- ge der Zeit selbst der stärksten Natur ihr Antlitz aufpresst“. Er wollte auch nicht mehr unter öko- nomischem Zwang „Sechs-Batzen-Schilder“ pro- duzieren bis abends nach 8 Uhr“. Nach der „mecha- nischen Arbeiterei“ sehnte er sich danach, wieder „seine Fantasie“ zu erproben. Das sind Auszüge aus Briefen an Furtwängler, nachdem Heine einen längeren Aufenthalt im Frühjahr 1875 in Furtwan- gen hinter sich hatte. Liebenswert-realistisch Heines Aversion richtete sich jedoch gegen den Ort und nicht gegen die Landschaft, so lässt sich jedenfalls eine Textstelle vom 23. August 1877 verstehen. „Mit Umgehung Furtwangens hätte ich Heines Werk ist vielfältig und hat oft mit der Heimat Schwarzwald zu tun. Der Stich zeigt „Das Sammeln der Tannenzapfen im Schwarzwald“ und ist dem Werk „Das Buch für Alle“ entnommen. Zum „Zapfen- sammeln“ brauchte man eine Genehmigung. Gustav Heine (1855 – 1944) zwar schon eine kleine Sehnsucht nach dem Schwarzwald, doch das ist dieses Jahr nicht mög- lich.“ Dafür spricht auch, dass er viele Schwarz- waldszenen liebenswert-realistisch gezeichnet hat. Bei Oskar Furtwängler hingegen bestanden keine Zweifel, dass er nach den Wanderjahren (Ende 1875) wieder in die engere Heimat zurück- kehren würde, allerdings erwarteten ihn in Furt- wangen als Teilhaber an einer aufstrebenden Uhrenfabrik gute Lebenschancen und Arbeits- bedingungen. Eine Bewerbung als Leiter der Schnitzereischule Furtwangen wurde abschlä- gig entschieden, Freund Gustav hatte ihn brief- lich schon darauf vorbereitet, es gab informelle Beziehungen zwischen Karlsruhe und München. Oskar Furtwängler hat insgesamt 50 Briefe seines Freundes Gustav Heine gesammelt und zeitlebens aufbewahrt, sie stammen aus den Jah- ren 1874 bis 1877. Hinzu kommen noch einige (spätere) Postkarten, zeitlich letztes Dokument ist eine Visitenkarte mit Grußwort vom 3. Dezem- ber 1882. Die Durchsicht dieser oft recht schnell und undeutlich geschriebenen Briefe erlaubt es, zumindest einige Hinweise auf Heines Lebens- verhältnisse, seine wirtschaftliche Situation und vor allem auf seine Ausbildung zum Maler aufzu- spüren. 143

Kunstgeschichte Deutlich wird erkennbar, dass Privataufträ- ge, häufig verbunden mit Termindruck, einen kontinuierlichen Besuch von Ausbildungsstät- ten erschwert haben. Hinzu kamen von Zeit zu Zeit finanzielle Engpässe, zumal er seinen Bru- der Adalbert unterstützt hat, damit dieser in München Fuß fassen konnte. Gustav Heine fin- det einige seiner Zeichnungen auf der Ausstel- lung Deutscher Kunstgewerbeschulen 1876 in München wieder, doch mehr noch freut ihn eine Auszeichnung der Kunstakademie. Am 6. April 1877 schreibt er an seinen Freund Oskar: „Am Gründonnerstag war die feierliche Medaillen- verteilung, welche eigenhändig durch Piloty (Di- rektor der Akademie seit 1874. Der Verf.) und in Gegenwart des ganzen Professorenkollegiums stattfand. Ich werde dieselbe im Laufe der nächs- ten Woche meinen Angehörigen schicken.“ 27-mal die Wohnung gewechselt Aus den polizeilichen Meldebögen, heute im Münchner Stadtarchiv, wird der Lebensweg von Gustav Heine aus Behördensicht erkennbar. Im Jahr 1870, im Todesjahr seines Vaters, kam er als 15-Jähriger nach München, als Zweck seines Aufenthalts wird „Besuch der Kunstschule“ ge- nannt. Gemeint ist wahrscheinlich die Kunstge- werbeschule, denn an der Münchner Akademie der Bildenden Künste ist er seit 28. März 1876 immatrikuliert. Wahrscheinlich wurde Gustav in den ersten Jahren vom Elternhaus unterstützt. Im Zeitraum zwischen 1870 und 1910 hat Gus tav Heine in München 27-mal die Wohnung 144 gewechselt, verzeichnet ist auch 1885 eine drei- monatige Studienreise ins Pustertal (Südtirol). Von 1903 bis 1934 wohnte er in der Baaderstra- ße Nr. 7 zur Miete. Eine Heirat mit Frau Therese, geb. Haberl, ist 1889 registriert, zwei Töchter ka- men 1891 und 1892 zur Welt. Gustav Heine starb am 14. Februar 1944 in München. In den Steuerakten wird Gustav Heine als Kunstmaler, Lithograf und Zeichner ausgewie- sen. In dem 25-bändigen Allgemeinen Lexikon der Bildenden Künste von Thieme/Becker ist er nicht verzeichnet, wohl aber sein Bruder Adal- bert: „Heine, Johann Adalbert, Landschaftsma- ler in München. Malte 1885/86 mit Jos. Krieger die Landschaft zu Piglheins Panorama der Kreu- zigung Christi und stellte 1890 in der Münchner Jahresausst. aus (Partie am Seekofel). Zwei Ar- beiten in der Gemäldesamml. der Stadt Bautzen (Bockmusik, Auf der Alm, Kat. 1912 Nr. 70 f.)…4 Das bedeutet: Zu Furtwangens Künstlern zählten künftig nicht nur die Brüder Johann Bap- tist und Lukas Kirner, sondern auch die Brüder Gustav und Adalbert Heine. Helmut Kahlert Anmerkungen 1 Furtwängler, Oskar – Die Uhrenmacher im Schwefel- dobel, herausgegeben von Ernst Ochs, Freiburg 1924. Den Text hat später Oswald Scherzinger ins Hochdeut- sche umgeschrieben, die neue Fassung erschien in Gütenbach 1991. Eine weitere „Übersetzung“ stammt von dem Neukircher Karl Fehrenbach (Archiv Ge- schichts- und Heimatverein Furtwangen). 2 Liste von Objekten aus dem Nachlass von Oskar Furt- wängler (1850 – 1908) übernommen von Lorenz und Christa Furtwängler am 12. Juli 2001 in Waldbronn für das Deutsche Uhrenmuseum (Furtwangen). Insgesamt 21 Positionen, hier besonders relevant Nr. 2001 – 51 (Il- lustriertes Tagebuch 1874) und Nr. 2001 – 55 (Konvolut Briefe von Freund Gustav (Heine). 3 Graf, Andreas – Familien- und Unterhaltungs-Zeit- schriften der Kaiserzeit (1870 – 1918) in: Jäger, Georg (Hrsg.) – Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Band 1, Teil 2, Frankfurt 2003, S. 409 – 522. 4 Johann Adalbert Heine wurde am 2. Juni 1851 in Furt- wangen geboren. Eltern Schildmaler Gregor Heine und Beatrix, geb. Hindelang (Kirchenbuch 1851, Nr. 42). Links: „Australische Tänze, eingeführt bei den Trup- pen – Exerzitien in Deutschland“, 1874. Rechts: Schwarzwälder Jahrmarkt in Schwarzkunst.

Gustav Heine (1855 – 1944)

8. Kapitel Museen Phono Museum zeigt 70 Exponate Ein Arbeitskreis bemüht sich engagiert um die europaweit einmalige Sammlung Einst beherbergte St. Georgen die größte Kon- zentration an Phonoherstellern auf dem Europä- ischen Kontinent. Doch die großen Zeiten gehö- ren spätestens seit dem Konkurs von Dual im Jahre 1982 der Vergangenheit an. Heute zeugen in St. Georgen nur noch einige Gebäude und das Deutsche Phono Museum im Rathaus von der einst so großen Vergangenheit. Rund 100 Jahre Geschichte – von den ersten Schritten auf dem Gebiet der Phonotechnik bis hin zu den Hi-Fi- Anlagen – werden im Deutschen Phono Museum mit den verschiedensten Ausstellungsstücken präsentiert. Gepflegt wird das Museum vom „Arbeits- kreis Phono Museum“, dem ehemalige Mitarbei- ter der St. Georgener Phonoindustrie angehören und die alle vom Phonovirus befallen sind. Zum „harten Kern“ gehören sechs Phonoliebhaber, die die Ausstellungsstücke pflegen, Interessier- te durch das Museum führen und Kontakte mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt pflegen. Bereits seit 1972, als das Deutsche Phono Mu- seum in den unteren Räumen des St. Georgener Rathauses eingerichtet wurde, widmen die Mit- glieder des Arbeitskreises einen Großteil ihrer Frei- zeit dem Museum und ihrer Phonoleidenschaft. Heute beherbergt das Museum auf engem Raum 70 Exponate, die nicht nur Zeugnis über die St. Georgener Phonogeschichte mit den zwei Unternehmen Perpetuum-Ebner (PE) und Dual ablegt, sondern sich auch mit den Anfän- gen der Phonogeschichte und dem technischen Fortschritt beschäftigt. Den Grundstein für das Phono Museum legten zwei Personen, die eine private Sammlung mit historischen Phonogerä- ten besaßen. Gottlob Weißer, der als Elektro- techniker bei der Firma PE tätig war, hatte Mitte der Fünfziger Jahre mit dem Zusammentragen von Phonoapparaten begonnen und auch bei seinem Arbeitgeber ein Werksmuseum initiiert. Als der „Grammofon-Weißer“, wie Gottlob Wei- ßer im Volksmund auch genannt wurde, 1964 starb übernahm sein Neffe Jürgen Weißer, der 146 Führung durch das Deutsche Phono Museum. heute noch dem Arbeitskreis Phono Museum angehört, die Sammlung. Der zweite St. Georgener Sammler war Wal- ter Grießhaber, der bei Dual als Feinmechaniker- meister angestellt war. Auch er sammelte histo- rische Phonogeräte und deren Zubehör. Schon vor der offiziellen Einrichtung des Phono Muse- ums stellten die beiden Sammler ihre Stücke gemeinsam aus, wie beispielsweise beim Jubi- läum der St. Georgener Gewerbeschule. Obwohl Weißer und Grießhaber bei den Konkurrenzun- ternehmen tätig waren, herrschte zwischen den beiden Sammlern ein enger Kontakt. Als ab 1970 mit der Sanierung des St. Geor- gener Stadtkerns begonnen wurde, ermöglichte sich mit dem Neubau des Rathauses die Möglich- keit, ein Museum einzurichten. „Walter Grießha-

ber hatte gute Beziehungen in die Kommunal- politik“, blickt Jürgen Weißer zurück. So habe der Sammler die Idee gehabt, einen Raum der Phonoindustrie zu widmen. Für die unteren Räu- me im Rathaus habe damals noch kein Verwen- dungszweck festgestanden. Und so wurde in diesen Räumen, in denen das Phono Museum noch heute zu finden ist, Anfang 1972 mit dem Einrichten der Ausstellungsräume begonnen. Der Grundstock für das Museum bildeten die beiden Privatsammlungen, die noch heute von der Geschichte von Dual und PE zeugen. „Die St. Georgener Phonoindustrie hat sich vornehmlich zurückgehalten“, sagt Jürgen Weißer. Weder von PE noch von Dual habe man Unterstützung für die Einrichtung des Deutschen Phono Muse- ums erhalten. „Phonograph“ das älteste Gerät Den Anfang der ausgestellten Phonogeräte macht der 1877 von Thomas Edison entwickelte „Pho- nograph“, auch bekannt unter dem Namen „Sprechmaschine“. Mit diesem Gerät können Schallwellen mechanisch auf eine Walze aufge- zeichnet werden. Jürgen Weißer gibt eine Kost- probe: Edisons Phonograph ist zwar voll funkti- onsfähig, dennoch kommt aus dem Trichter ein ungeheuerliches Gerausche und Gekrächze. Für ungeübte und Hi-Fi verwöhnte Ohren ist es schwer zu erkennen, welches Lied auf die Ton- walze geprägt wurde. Doch es gibt auch Phono- geräte, bei denen die musikalischen Kostproben deutlich mehr Wiedererkennungseffekt haben, denn quer durch die ganze Phonogeschichte sind im Museum Geräte der verschiedenen Epo- chen zu finden und dem Besucher wird durch zahlreiche Hörproben die Verbesserung des Klan ges mit der fortschreitenden technischen Entwicklung der Geräte verdeutlicht: vom Trich- tergrammofon über Musiktruhen bis zu den letz ten Zeugnissen der St. Georgener Phonoge- schichte. Besonderer Blickfang sind zwei Tischgram- mofone in der Form eines Schwarzwaldhauses aus dem Jahre 1929. Während das eine Phono- gerät für den amerikanischen Markt gefertigt wurde und auch ungeübte Augen sofort erken- Deutsches Phono Museum Phonograph von Edison und ein Grammofonunikat in Form eines Schwarzwaldhauses. nen, dass die Parallelen zu den typischen Höfen im Schwarzwald sehr gering sind, besticht das andere Schwarzwaldhof-Grammofon durch sei- nen detailgetreuen Nachbau. Vom Scheunentor, hinter dem der Grammofontrichter versteckt ist über das aufklappbare Dach, unter dem der Plat- tenteller zu finden ist, bis zur Wäscheleine, auf 147

Museen der Miniaturkleidungsstücke hängen, fügt sich alles zu einem einheitlichen Bild eines originalen Bauernhofes, wie er überall im Schwarzwald zu finden ist – in Miniaturausfertigung. Insgesamt wurden drei dieser Geräte von einem St. Geor- gener Bürger in mühevoller Heimarbeit gefer- tigt. Eines wird im Phono Museum ausgestellt, das andere befindet sich im Lager des Museums und vom dritten fehlt jede Spur. Doch auch die neueren Geräte ziehen viele Blicke auf sich. Besonders vor den Dual-Geräten, die durch ihr außergewöhnliches Design auf- 148 148 Die Grammofone aus St. Georgen, zumal die Unikate im Schwarzwaldhausstil, sind viel bestaunte Ausstellungsstücke. Für die historische Phonotechnik interessieren sich auch junge Besucher. fallen, bleiben viele Museumsbesucher begeistert stehen. 1963 präsentierte das Unternehmen auf der Funkausstellung den Plattenspieler Dual 1009. Der Plat- tenteller hängt kopfüber an vier langen Federn. Während das Gerät hoch und runter schwang, war der Plattenspieler nicht in seiner Funktion eingeschränkt und Schallplatten konnten einwandfrei abgespielt werden. Ein anderes Bei- spiel für die Erfindungskraft bei Dual in der damaligen Zeit ist das Modell „Ring in Ring“: In der Mitte kreist ein Platten- spieler um seine eigene Achse und um ihn herum drehen sich zwei Ringe. Die- se außergewöhnlichen Geräte sollten den Beweis liefern, dass man bei dem St. Georgener Unternehmen alle Kräfte im Griff hat. Den CD-Spieler unterschätzt So dachte man noch in den 1970er-Jah- ren. Doch eine Kraft hat man damals unterschätzt: die Durchsetzungskraft der CD-Spieler. Zwar hatte man ver- sucht, noch einen CD-Spieler von Sony unter dem Markennamen Dual auf den Markt zu bringen. „Da es sich aber um ein qualitativ schlechtes Modell handelte, konn- te sich der Dual-CD-Spieler nicht durchsetzen“, erklärt Weißer. Das Unternehmen sei technisch immer mit dabei gewesen, habe dann aber in den letzten Jahren einige Entwicklungen ver- schlafen. Aus diesem Grund musste Dual 1982, als letzter Phonohersteller der Bergstadt, Kon- kurs anmelden. Beide Unternehmen, PE und Dual, waren An- fang des 19. Jahrhunderts gegründet worden und hatten sich von kleinen Familienbetrieben zu gro ßen Unternehmen entwickelt. PE war schon

ein Jahrzehnt vor dem Konkurrenz-Unternehmen Dual von der Bildfläche verschwunden. Aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatte man sich 1971 entschieden, eine engere Zusammen- arbeit mit dem ehemaligen Konkurrenten Dual anzustreben. Zwar sollte die Marke PE zunächst selbstständig bleiben, doch die Gesamtleitung lag bei Dual. Zwei Jahre später wurde PE ganz von Dual übernommen. Noch wurden weiterhin Plat- tenspieler unter dem Namen PE vertrieben. Diese enthielten jedoch Dual-Technik. 1974 kam dann das endgültige Aus für den Markennamen – es wurden keine PE-Plattenspieler hergestellt. Dual wurde mit dem Zusammenschluss, den man auch als Übernahme ansehen kann, mit mehr als 3.000 Mitarbeitern zu einem der größten Hersteller von Plattenspielern. Gerade die Modelle der letzten Entwicklungs- phase rufen bei den Museumsbesuchern Erinne- rungen an längst vergangene Zeiten wach. Worte wie „So ein Gerät hatte mein Vater früher“ oder „Das stand auch mal bei uns im Wohnzim- mer“ sind zu vernehmen. Die jüngeren Besucher ken nen die großen, schwarzen Scheiben, auch bekannt als Schallplatten, oft nur noch aus Er- zählungen der Eltern. Heute findet man nur noch in wenigen Wohnzimmern einen Plattenspieler – schon lange haben die kleinen, silberglän- zenden CD-Scheiben Einzug gehalten. Das Museum platzt aus allen Nähten Das Deutsche Phono Museum hingegen hat die Zeit überdauert. Heute platzt es aus allen Näh- ten. Dicht an Dicht reihen sich die Ausstellungs- stücke aneinander. Zum Teil werden die Geräte in mehreren Reihen übereinander präsentiert. Jedes noch so kleine Plätzchen des Museums wird genutzt. Die in den Vitrinen ausgestellten Stücke zeugen noch vom ursprünglichen Umfang des Museums. Am Tage der Eröffnung wurden noch deutlich weniger Exemplare ausgestellt als heu- te. Doch im Laufe der Zeit sind zahlreiche Phono- geräte hinzugekommen, die auf dem Boden, auf Regalen und auf jedem sich noch bietenden freien Raum einen Platz gefunden haben. Obwohl die Ausstellungsräume schon zum Bersten gefüllt sind, warten im Lager des Muse- Deutsches Phono Museum Bis zu den jüngsten Produkten von Dual und PE reicht die Palette der Ausstellungsstücke im Deut- schen Phono Museum. ums viele interessante und auch seltene Phono- geräte darauf, dass man einen Platz für sie fin- det. „Wir haben noch gut 600 weitere Ausstel- lungsstücke, von denen es mindestens 200 wert wären, gezeigt zu werden“, berichtet Weißer. So hat man die meisten Produkte, die je bei den St. Georgener Unternehmen Dual und PE hergestellt worden sind, mittlerweile zusam- mengetragen, doch der Platz in den unteren Räumen des Rathauses ist zu begrenzt, um sie alle zu zeigen. Stephanie Jakober Infos: Das Deutsche Phono Museum befindet sich im St. Georgener Rathaus in der Hauptstra- ße 9. Es hat montags bis freitags von 9 Uhr bis 12.30 Uhr und von 14 Uhr bis 17 Uhr. Von Mai bis September hat das Museum auch samstags von 10 Uhr bis 12 Uhr geöffnet. Jeden ersten Samstag im Monat bietet der Arbeitskreis Phono Museum um 10.30 Uhr Führungen an. Informationen gibt es bei der Tourist-Information unter der Telefon- nummer 07724/87-194 oder im Internet unter www.deutsches-phono-museum.de 149

9. Kapitel Musik Inzwischen eine kulturelle Institution Lange Schwenninger Kulturnacht mobilisiert rund 30.000 Gäste Ist diese Nacht tatsächlich immer wieder lang? Die nunmehr dritte „Lange Schwenninger Kultur- nacht“ bewies einmal mehr, wie sehr Zeit dem subjektiven Empfinden unterliegt. Zehn Minu- ten Warten auf den Zug kann endlos lange sein, neun Stunden geballte Kultur in der halb-dop- pelstädtischen Neckarmetropole können hinge- gen als äußerst kurz empfunden werden: Kaum hatte die Kulturnacht gegen 18 Uhr begonnen, da war sie auch schon wieder zu Ende und es startete um 3 Uhr in der Frühe das Kulturnachts- Frühstück. Um die 30.000 Besucherinnen und Besucher waren es diesmal, die am Samstag, 5. Juli 2008, Schwenningens Innenstadt vom Jugendhaus Spektrum in der westlichen Alleenstraße bis zur Schwenninger BKK am Vorderen See im Osten, vom Bahnhof im Süden bis zum Galerietheater im Norden bevölkerten und sich entlang der vielfältigen kulturellen Angebote meist einfach treiben ließen. Gezieltes Aussuchen einzelner Events war selbstverständlich auch möglich, doch angesichts der rund 70 Auftritte von 1.000 Akteuren an mehr als 40 verschiedenen Veran- staltungsorten, brechen irgendwann die besten Vor- und Grundsätze zusammen und die Unmit- telbarkeit des kulturellen Genusses gewinnt ge- genüber der seriellen Abarbeitung vorgenom- mener Programmpunkte die Oberhand. Sie ist nunmehr eine feste Institution in der Region. Tausende Schwenninger strömen all- jährlich in die kulturelle Nacht der Nächte, und natürlich auch tausende Villinger. Nicht zuletzt der eigens hierfür eingerichtete Direktpendel- Busverkehr im Viertel- und später Halbstunden- takt zwischen dem Bahnhof der Zähringerstadt und dem Schwenninger Hockenplatz hilft hier jeweils kräftig mit. Und sogar die Oldtimer-Ta- xifahrten zwischen den einzelnen Eventpunk- ten lieferten einen Beitrag. Doch auch aus dem ganzen Schwarzwald-Baar-Kreis und sogar da- rüber hinaus waren Gäste unterwegs und betei- ligten sich am Gelingen jenes Events, das es so in der Region an keinem zweiten Ort gibt. Auftritt über Auftritt – Kultur über Kultur Was wurde diesmal geboten? Bereits um 18 Uhr ging es auf dem zentralen Muslenplatz los. Die Buffalo Chips, ein von der Deutschen Popstif- tung ausgezeichnetes Trio, eröffneten die Kultur- nacht und Unmengen Auftritte allerlei Klein- und Großkünstlerinnen wie -künstler folgten. So beispielsweise der faszinierende Doppelbei- trag von Nessi Tausendschön, sicherlich einer der bekanntesten Künstlerinnen des Abends. Was sie von sich gibt, hat Stil, selbst wenn es an Pub li kumsbeschimpfung grenzt: die Trägerin des Deutschen Kabarettistenpreises wie auch des re nommierten Salzburger Stiers, trat zweimal in der dritten langen Schwenninger Kulturnacht auf – dies sogar mit jeweils unterschiedlichem Programm: einmal auf dem Muslenplatz und ein zweites Mal im Mauthepark. Beide Male waren Zuhörer und -schauer begeistert. Ein Programm das be- geistert: 70 Auftritte, 40 Veranstaltungsorte und ca. 1.000 Akteu re werden bei der Schwenninger Kulturnacht geboten. 150 150 Tausendschön spielt mit den Wör- tern, formt daraus skurrile Poesie, versetzt ihr Pub- likum in höhe re Sphären und lässt es dann

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Musik auch mal kräftig aus der Höhe plumpsen. Ganz anders und doch ein Stück weit ähnlich war der Vortrag eines Herrn, der vom Publikum normalerweise in einer völlig an- deren Rolle wahrgenommen wird: Villingen-Schwenningens Oberbür- germeister Dr. Rupert Kubon. Er hät- te auch drei Akten Haushaltspläne neben das Rednerpult stellen, vielleicht sogar mittels zwanzig derselben ein Rednerpult erstellen und mit meisterlichem, sogar bür- germeisterlichem, noch besser: oberbürgermeis- terlichem Können aus dem Verwaltungs- oder Vermögenshaushalt des kommenden Jahres zi- tieren können. Er tat es nicht. Vielmehr griff Dr. Rupert Kubon sowohl um 20 als auch 21.30 Uhr zu Texten von Ernst Jandl und hauchte, sprach und schrie den Sprachwitz des Wiener Schriftstellers meisterhaft ins Mikrophon. Das Publikum war be- geistert. Kein Wunder, denn es musste zweifelsfrei feststellen: Der Oberbürgermeister der Doppel- stadt kann nicht nur „so ein bisschen“ lesen, sondern mit eindrücklichem Ausdruck. Da wa- ckeln die Wände – selbst im tristen Quadrat des Schwenninger Rathaus-Innenhofs. OB Rupert Kubon glänzte bei der Kulturnacht mit Texten von Ernst Jandl. trommeln des in der Narrenzunft der Neckarstadt integrierten Zu- ges ringen dem Publikum jedes Mal aufs Neue ein Staunen ab, benötigen die Musikerinnen und Musiker mit ihren mittelalterlich wirkenden Instrumenten doch keinerlei Mikrofon und Lautspre- cher, um den ganzen Platz zum Schwingen zu bringen. Leise kam indes Lieselotte Motte mit ihrem Regenschirm- Konzert daher. Sie gehörte in die sem Jahr zu den „Walk-Acts“, also zu den Künstlern, welche an verschiedenen Stellen ohne feste Vortragsorte ihre Kunst zum Besten geben. Wer Mottes Klänge hören wollte, musste sich in ihren Dunstkreis begeben. An ei nem Schirm hing jeweils ihr Klanginstrumen- tarium – Gabeln und Löffel aller Art. Leicht ange- schlagen erzeugen sie Töne, die aber nur hör bar sind, wenn man sich die übertragenden Schnü- re ans Ohr hält – es entwickelt sich jeweils ein Gruppenprozess zwischen der Akteurin und ih- ren Zuhörerinnen und Zuhörern. Kultur im Klei- nen mit gegenseitigem Lächeln. Großes Feuerwerk am Vorderen See Auch einheimische Akteure auf der Bühne Eindrücklich in Quantität und Lautstärke des Auf- tritts nutzte auch in diesem Jahr wieder der Fan- farenzug Schwenningen die Freilichtbühne des Mus lenplatzes. Die Fanfaren und Landsknechts- Zu den Walk-Acts gehörte bei der Kulturnacht Lieselotte Motte. Bis tief in die Nacht hinein ist die Schwenninger Innenstadt dicht bevölkert, die Kul- turnacht ist ein Mega-Event. Dass das Wetter so fürsorglich ist: Drei Minu- ten bevor der dritten Schwenninger Kulturnacht mit dem großen Feuerwerk am Vorderen See ein Glanzlicht aufgesetzt wurde, begann es zu regnen. Dabei bestand gar keine Brandgefahr, weder beim ersten kleineren Feuerwerk mitten auf dem See, noch beim zweiten, nachfolgenden Spekta- kel mit riesigen Feuerbällen am Himmel über der Neckarstadt. Jede der explosiven Lichtinszenie- rungen machte indes deutlich, wie sehr die Pyrotechniker ihr Handwerk beherrschten. Dies 152

Schwenninger Kulturnacht Mit viel Spielfreude: die „big band vs“. nahm dann wohl auch das Wetter so wahr und ließ nach Minuten vom präventiv-löschenden Re gen ab. Um immer dann, wenn das aus unzähligen Wachgebliebenen und wieder Wachwerdenden bestehende Publikum mit einem lauten „Ahhh“ sein Entzücken gegenüber einem himmlischen Licht kundtat, kam auch schon der nächste nächt- liche Schein und übertraf den vorherigen in Schön- heit und Komplexität noch ein klein wenig. Glanzlicht im kulturellen Treiben War das Feuerwerk das Schlusslicht der langen Nacht? Nein! Weiter ging es: DJ El Tiburon machte im Jugendhaus Spektrum weiter, die Band Debo setzte ihr Konzert im Innenhof des architekto- nisch interessanten Baus der Schwenninger BKK fort, Irrlichter II, eine Aktion des Brennpunkt- Theaters, war dort auch noch einmal zu sehen, Frank Heinkel griff erneut zum Didgeridoo und die drei stimm- und instrumentengewaltigen Mit- glieder der Furtwanger Band „Mini-Rock“ rissen bis gegen zwei Uhr in der Frühe ihre Fans im Bistro „C‘est la Vie“ immer wieder mit ihrem Markenzeichen, ausgefallenem Stilmix samt mehr- stimmigem Gesang und handgemachter Musik, von den Sitzen. Kein Zweifel, auch diese Lange Schwen- ninger Kulturnacht war ein Glanzlicht im kultu- rellen Treiben der Doppelstadt. Verschiedenste musikalische Gattungen trafen aufeinander, ohne sich zu stören. Hier tönte eine Deutsch- rock-Röhre, dort erklang die Röhre eines Instru- ments australischer Ureinwohner, an einer Stelle blies die Stadt- und Bürgerwehrmusik Villingen oder das Große Blasorchester der Stadtmusik Schwenningen in ihre Instrumente, an anderer Stelle war die Latin-Love-Affair-Combo zu hören – eine äußerst bunte Vielfalt, mit der auch eine außergewöhnliche Durchmischung der Genera- tionen einherging. Was im Jahr 2006 als Experiment startete und im vergangenen Jahr im Rahmen der 100-Jahr-Fei- erlichkeiten zum Schwenninger Stadtrecht erneut veranstaltet wurde, wird künftig immer als toller Kultur-Event am jeweils ersten Samstag im Juli eines jeden Jahres stattfinden. Kulturamtschef Andreas Dobmeier und Projektleiter Artur Repp haben gemeinsam mit rund 20 ehrenamtlichen Kräften eines vorbereitenden Arbeitskreises ganze Arbeit geleistet. Wolfgang Trenkle 153

Musik Die Villinger Kantorei Die Erfolgsgeschichte des Kirchenchores ist eng mit dem Namen Bernd Boie verknüpft Am Anfang war die Musik. Die Villinger Kantorei, deren erster Auftritt ins Jahr 1977 datiert, erhob sich nicht wie Phoenix aus der Asche. Es gab be- reits den Singkreis der Markuskirche, von Wolf- gang Berweck ins Leben gerufen und geleitet vom Dirigenten Peter Glitsch. In der Johannes- kirche wirkte als Kantor Max Werner. Dennoch war „Villingen für mich ein weißer Fleck, was Kirchenmusik betraf“, sagt Bernd Boie, Kirchen- musikdirektor im Ruhestand und Gründungs- mitglied der Kantorei. Zusammen mit Erika Co- pitzky erinnert er sich an die Anfänge. Mit der baden-württembergischen Kreisre- form zu Beginn der 70er-Jahre ging auch ein Umbau der Kirchenbezirke einher. Das Dekanat Hornberg, das sich vom Oberrhein bis auf die Baar erstreckte, wurde 1975 aufgeteilt in die De- kanate Villingen und Offenburg. Bezirkskantor Boie hatte mit seinem Chor bereits zwei Konzerte in der brachliegenden Villinger Benediktinerkir- che Villingen gegeben und so viel Aufmerksam- keit erregt, dass der Redakteur und Musikkriti- ker Lorenz Husenbeth im Schwarzwälder Boten forderte, Boie müsse nach Villingen kommen. Auch die Offenburger wollten den talentierten Chorleiter und Organisten haben. Die Villinger Kulturfreunde unter Führung von Dieter Fürst, Vorsitzender der Evangelischen Kir- chengemeinde Villingen, besaßen die größere Überzeugungskraft, 1976 trat Boie seinen Dienst in der Zähringerstadt an. Er führte sogleich et- 154 was Neues ein, das auch heute noch existiert: die Adventsmusiken in der Markuskirche. Zur Auf- führung kamen Johanneskirchenchor und Sing- kreis erstmals auf dem Goldenbühl zusammen. So begann die Erfolgsgeschichte der Villin- ger Kantorei, bis heute einer der wenigen Chöre in der Region, der seit seiner Gründung unter der Leitung eines hauptamtlichen A-Kirchenmusikers steht. „Wir haben den Johanneschor wiederbelebt und die Chorarbeit in Markus neu gegründet“, erinnert sich Bernd Boie. Er konnte sich dabei nicht nur auf das tatkräftige Auftreten Wolfgang Berwecks als Sponsor verlassen, sondern auch auf eine Basis von Männern und Frauen, denen geist- liches Liedgut und Musik nicht fremd waren. Mit dem Wechsel des Dekanatssitzes an die Johanneskirche zog auch der Kantor um. Im Mar- tin-Luther-Haus fand die Kantorei ihren Ort zum Proben und Vorbereiten der Auftritte. Am 17. Januar 1977 traf man sich erstmals im Gemeindesaal der Johanneskirche. Geprobt wurden Antonio Vivaldis Magnificat und die Kan- tate „Unser Mund sei voll Lachens“ sowie Bachs Matthäuspassion. Boie hatte eingeladen zum offenen Mitsingen und zahlreiche Männer und Frauen folgten diesem Aufruf. Auch Erika Copitzky schwelgt ger ne in Erin- nerungen. Sie habe sich gemeldet, als Sänger für den neuen Markuschor gesucht wurden. Boie als Chorleiter habe sie erstmals er lebt, als seine Hornberger Singgemeinschaft in der Markuskir- che auftrat. Dort war ihr Mann Manfred bis 1969 Hausmeis ter; danach übernahm er das Kirchengemeinde amt, die Verwal- tungszentrale aller Villinger Kirchenge- meinden. Erika Copitzky und Bernd Boie zählen zu den Gründungsmitgliedern der Villinger Kantorei. In zahlreichen Ordnern und Fotoalben ist die Geschichte der Chorgemeinschaft dokumen- tiert.

Die Villinger Kantorei. Erika Copitzky wurde aufgrund ihrer Aus- bildung alsbald für die Finanzen der Kantorei zuständig. „Anfangs war das nur der Noten- verkauf, dann kam in den 1980er-Jahren die Abendkasse im Franziskaner hinzu, schließlich noch der Kartenvorverkauf.“ Auch die Auszah- lung von Gagen fiel in ihre Zuständigkeit. Die erfolgte in den Anfängen noch in Bargeld. „Ich bin manchmal mit Tausenden von Mark in einer Plastiktüte zur Bank gelaufen.“ Zuschüsse er- hielt die neue Chorgemeinschaft damals vom Regierungspräsidium Freiburg; dafür hatten sich Kulturamtsleiter Walter Eichner und Oberbürger- meister Gerhard Gebauer eingesetzt. Bis zur Eröffnung des Franziskaner Konzert- hauses 1982 ging die evangelische Kantorei auf Rundreise durch die katholischen Kirchen: St. Bruder Klaus und St. Konrad waren die Spiel- orte. Auswärts war der Chor unter anderem in Bad Dürrheim und Tuttlingen zu Gast. Mit den Jahren wuchs nicht nur die Zahl der Kantoreimitglieder, sondern auch der künstle- rische Anspruch. 1985 stand erstmals Johann Sebastian Bachs gewaltige Messe in h-Moll auf dem Programm. Zum ersten Mal begleitete der Trompeter Ludwig Güttler mit seinem Ensemble die Sängerinnen und Sänger der Kantorei. Aus dieser ersten Einladung entstand über die Jah- re eine innige Verbindung des weltberühmten Trompeters aus der DDR mit der Chorgemein- schaft aus dem Schwarzwald. Kein Wunder, dass Güttler, tatkräftiger Mit- initiator des Wiederaufbaus der Dresdner Frau- enkirche, in Villingen zahlreiche Unterstützer fand, die auch mal tiefer ins Portemonnaie griffen. Über die Kontakte zu Güttler vermochte die Kantorei auch andere Sänger und Musiker aus dem deutschen Osten zu gewinnen. Nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989 vertieften sich auch die Beziehungen nach Zittau, Partnerstadt Vil- lingen-Schwenningens. Dort half Bernd Boie, der zum Orgelspiel eingeladen war, auch bei der Gründung eines Chors nach dem Vorbild der Kan- torei mit. Kirchenmusikalische Akzente gesetzt „Wir suchten auch stets nach Anlässen für be- stimmte Aufführungen“, erinnert sich Bernd Boie. 1989, 50 Jahre nach Ausbruch des Zwei- ten Weltkriegs, erklang das „War Requiem“ von Benjamin Britten. Die Aufführungen im Vil- linger Franziskaner und im Freiburger Münster bestritten 200 Musiker und 200 Chorleute, da- runter Instrumentalisten aus Freiburg und der Knabenchor des Münsters. Auch die Jubiläen der Kantorei waren allen Beteiligten immer be- sondere Anstrengungen wert: 1987 zum Zehn- jährigen erklangen Händels „Messias“, 1997 „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy und Bachs „Weihnachtsoratorium I-IV“, 2007 seine „Johannespas sion“, Gustav Mahlers „Zweite Sym- phonie“, Francis Poulencs „Gloria“ und Leonard Bernsteins „Chi chester Psalms“. Zum Jubiläum 155

Villinger Kantorei der Villinger Marktrechtsverleihung erlebten die Zuschauer im Franziskanergarten die Uraufführung „Im Schatten Tallards“ von Paul Bär zur Erinnerung an die Belagerung Villingens durch die Franzosen während des Dreißigjährigen Krieges. Heike Hastedt neue Chorleiterin Das Jahr 1997 war nicht nur das zwanzigste seit Gründung der Kantorei, sondern auch das durch ei- nen Generationenwechsel geprägte: Der amtieren- de Kirchenmusikdirektor und Chor-Mitbegründer Bernd Boie steuerte den Ruhestand an, und die Vil- linger A-Kirchenmusikstelle war sehr begehrt. Die Wahl fiel auf Heike Hastedt, die seit knapp drei Jahren eine hauptamtliche Kirchenmusikerstel- le in Lingen an der Ems erfolgreich führte. Sie brachte all das mit, was die Kantorei und ihr musikalisches Umfeld unter Boie geprägt hat te: Erfahrung mit Chorarbeit, Konzerten, Or- chesterleitung und den liturgischen Aufgaben. Am 3. März wurde sie, kurz nach Antritt der neuen Stelle, im Schwarzwälder Boten wie folgt zitiert: „Für neue Ideen, die sich im Laufe der Zeit aus der Zusammenarbeit mit Kulturamtsleiter Her- bert Müller und Stefan Rommelspacher, meinem Kolle gen aus der Münsterpfarrei, entwickeln, wer- de ich sicher offen sein.“ „Das ist genau die Rich- tige“, erinnert sich Boie an seine ersten Eindrücke von seiner Nachfolgerin. Und Erika Copitzky erkannte: „Sie hat ein Mordstem- perament.“ Trotz dieser Charakterisierung warf Hastedt nicht alles um, was ihr Vorgänger in 20 Jahren aufgebaut hatte. Sie führte die Arbeit wei- ter mit eigenen Akzenten. Boie und seine Frau tra- ten als einfache Chormitglieder der Kantorei bei und haben ihren Entschluss nicht bereut. Chorleiterin Heike Hastedt. Durch die regelmäßigen großen Oratorien- konzerte verfügt die Kantorei über ein ausge- sprochen vielseitiges Repertoire, das von nahe- zu allen klassischen Messen und Oratorien bis 156 hin zur klassischen Moderne reicht. Auftrittsorte sind zumeist Kirchen in der Region Schwarz- wald-Baar-Heuberg und das Franziskaner Kon- zerthaus in Villingen. Zwei bis drei Aufführungen umfangreicher Chor werke stehen jährlich auf dem Programm; außerdem werden zwei bis vier Kantaten erar- beitet. Zu den regelmäßigen Orchesterpartnern gehören beispielsweise das namhafte Barockor- chester L’arpa Festante München, die Süddeut- schen Kammersolisten, das Kantatenorchester Villingen und kleinere Ensembles. Kooperationen mit dem Chor der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen, dem Hoch- schulorchester und dem Ensemble Polyphonie T zählen laut Heike Hastedt „zu den besonders interessanten Erfahrungen“. Ferner gehört auch das musikalische Miteinander mit Chören aus der Region als wesentliches Element zu ihrer Arbeit. Vier Kinderchorgruppen aufgebaut Der musikalischen Nachwuchsarbeit mit Kin- dern räumt die Bezirkskantorin breiten Raum ein. Anfang Juni trafen mehr als 800 Jungen und Mädchen beim Kindersingfestival der Evange- lischen Landeskirche in Villingen zusammen. Es gibt vier Kinderchorgruppen, die mit der Vor- schule ab vier Jahren beginnen. Derzeit ist der Kinderchor in mehreren Projekten engagiert. Ein Kindermusical oder -singspiel wird einmal im Jahr erarbeitet und aufgeführt. 2006 war „Max und die Käsebande“, 2007 „König Drosselbart“ im Theater am Ring zu sehen. Die Vorschul- kinder und Schulkinder gestalten drei Mal im Jahr Familiengottesdienste mit. In der Advents- zeit geben sie gemeinsam ein Konzert, das von einem Instrumentalensemble der Villinger Kan- torei unterstützt wird. Konzerte mit Kindern und für Kinder erweitern das Angebot. Am Schluss steht die Frage, was die Arbeit mit der Villinger Kantorei prägt? „Ein hoher musikalischer Anspruch, ein sympathischer Zu- sammenhalt, eine immer positive Grundstim- mung und der Mut, jederzeit etwas Neues zu wagen“, lautet die Antwort von Heike Hastedt. Andreas Wende

800.000 Sonnenblumen Das Sonnenblumen-Projekt der Firma Wildi begeistert Tausende von Menschen 10. Kapitel Da leben wir Die Sonnenblumen bei den Bertholdshöfen in Villingen-Schwenningen erlebten nach dem fu- liminanten Start im Jahr 2007 eine Neuauflage, sie waren „der Renner des Jahres 2008“: Rund 800.000 Blumen haben Claudia und Dietmar Wildi auf zehn Hektar gepflanzt. Zur Freude von Tausenden von Menschen, die sich an den im Wind wiegenden fröhlichen Sonnengesichtern auf den Feldern er freuten. Schon im Jahr 2007 lösten Claudia und Diet- mar Wildi mit ihrem ersten Sonnenblumen-Pro- jekt überaus positive Reaktionen aus. Entwickelt hatten das Projekt drei Auszubildende der Firma Wildi, die „mal was anderes“ machen wollten und zu den Sonnenblumen 64 rotlackierte Stäbe als Kunstobjekte stellten. Ihr landschaftskünst- lerisches Projekt, viele Sonnenblumen, garniert mit mehreren kunstvollen Installationen und Ar- rangements, lockten Besucher in Scharen. Die 500.000 Sonnenblumen waren allerdings zur Stromerzeugung gedacht, sie wurden schließ- lich der Biogasanlage in VS-Obereschach zu- geführt. Das Sonnenblumenfeld war aber noch bis in den September auf dem Gelände bei den Bertholdshöfen zu besichtigen. Spaziergänger, Radler und Reiter durchquerten lustvoll das Wegenetz des riesigen Sonnenblumenfeldes, andere ließen sich zum Picknick nieder, Hobby- Fotografen nutzten die malerische Kulisse für kunstvolle Aufnahmen, und sogar ein Senioren- heim chauffierte seine Bewohner mitten ins gel- be Feld. Die riesige Gartenbank ermöglicht den einmaligen Blick über 800.000 Sonnenblumen hinweg.

Aus dem Kreisgeschehen Im Spätsommer 2008 verhalfen die Sonnenblumen- fans den Pflanzen zu witzigen Gesichtern und Fratzen. Die Gartenschaukel im Zentrum des Wege- netzes und der Picknicktisch, den die Wildis dort einfach stehen lassen, waren ständig be- legt. „Alle Leute haben gestrahlt, das war rich- tig toll“, freut sich Claudia Wildi noch heute an diesen Reaktionen aus dem ersten Jahr des Son- nenblumenfeldes. Und, noch besser: Es gab kei- nerlei Ärger mit Sachbeschädigungen oder Müll. Stattdessen viele Anrufe und Dankesschreiben von Menschen aus der gesamten Region, die es einfach schön fanden, dass jemand auf diese Weise ein Labsal für Auge und Seele schafft. „Es war für uns eine schöne Erfahrung, dass sich die Leute nach so etwas Schönem sehnen“, berich- tet Dietmar Wildi. 10 Hektar mit Sonnenblumen Und so war für das Ehepaar, das dafür allerhand Mühen, Zeit und Geld investiert, schnell klar: Das Sonnenblumen-Projekt wird auch 2008 fort- gesetzt. Firmenchef Dietmar Wildi hat die An- baufläche von 6,5 auf zehn Hektar vergrößert und auch das Wegenetz innerhalb des Feldes erweitert. Auf rund zwei Kilometern konnten die Spaziergänger nun zwischen abertausenden Sonnenblumen lustwandeln. Erweitert wurden auch die künstlichen Installationen im Feld. Ne- ben dem bekannten Holzturm und einer Instal- lation mit 64 rot bemalten Pfosten thronten nun auch zwei überdimensionale Sessel am Rand des Blumenfeldes. 158 Jeweils auf einem aufgeschütteten Hügel ste- hend erlauben sie dem, der hinaufsteigt, einen horizontweitenden Blick über hunderttausende Sonnenblumen, über die Baar bis zur Schwäbi- schen Alb und bei klarem Wetter weit in die Al- pen hinein. Eine kleine Allee von Pappeln run- dete dieses Gesamt-Arrangement ab, das der Gartenbaubetrieb Wildi gemeinsam mit dem Büro K 3 des Villinger Landschaftsarchitekten Martin Kuberczyk ausgearbeitet hatte. In den nächsten beiden Jahren, zumindest bis zur Landesgartenschau 2010, wollen die Wildis die Lust an den Sonnenblumen jährlich wieder neu erblühen lassen – nebst mancher be reits im Kopf existierenden zusätzlichen Über- raschung. Eberhard Stadler Sonnenblumen über Sonnenblumen – die Initiative von Claudia und Dietmar Wildi (unten) begeisterte Tau- sende von Menschen, die ihr Sonnenblumenfeld auch beim Frühstück genossen haben. Zumindest 2009 und 2010 soll es wieder ein Sonnenblumenmeer geben.

Aus dem Kreisgeschehen

11. Kapitel Kunst und Künstler Zeichner Ulrich Schanz Sozialpädagoge und anerkannter Künstler „Ich bin kein Künstler, das sind andere!“ Der Villinger Ulrich Schanz meint es offenbar richtig ernst mit seiner Feststellung. Darin keine Spur von Koketterie im Sinne des oft gehörten unnötigen Ausspruchs „Ich bin nur Handwerker und doch kein Künstler“ und das hat auch nichts mit seiner ihm eigenen Bescheiden- heit zu tun. Wie kommt der 1961 in Aalen geborene und in Villingen aufgewach- sene, erfolgsgewohnte Ausstellungsteilnehmer nun zu dieser Selbsteinschät- zung? Diese hängt wahrscheinlich mit seiner Biografie zusammen: Ulrich Schanz studierte eben nicht Kunst, sondern von 1983 bis 1986 Sozialpädagogik an der Berufsakademie VS, wo er ein von dem Furtwanger Bildhauer Hubert Rieber ange- botenes Kunstseminar belegte. Nach dem Zivildienst in einer Jugendhilfeeinrichtung in Tuttlingen ist er seit 1988 als Sozialpädagoge im Kinder- und Familienzentrum tätig. Nach verschie- denen Stationen, wie etwa dem Bereich „Betreutes Wohnen für Jugendliche“, arbeitet Schanz heute in der sozialpädagogischen Familienhilfe und an der Ganz- tagesschule der Villinger Bickebergschule. Schanz ist lediglich zu 40 Prozent beschäftigt. Der Rest der Zeit sei er Vater von zwei Kindern und Hausmann und nebenbei gehöre er noch zum Mit- arbeiterteam des Villinger Jazz-Clubs, ergänzt Schanz gewissen- haft die biografischen Angaben. Aber da hat er doch wohl etwas vergessen. Denn Ulrich Schanz – auch wenn er sich nicht so bezeichnet – wird in der Außenwirkung sehr wohl als Künstler wahrgenom- men und irgendwann muss dieses aufwendige Werk auch entstehen. Es wird in der verbleibenden Zeit neben dem Beruf als Sozialpädagoge und der Tätigkeit im Haushalt geschaffen. Und diese künstlerische Ausübung macht Ulrich Schanz äußerst effektiv: Seit 15 Jahren beteiligt er sich als Mitglied des Kunstvereins Villingen- Schwenningen an den Jahresausstellun- gen, ist regelmäßig bei den jurierten Ausstellungen des Schwarzwald-Baar- Kreises dabei, wurde für die Ausstellung „Donaueschinger Regionale für Neue Kunst“ ausge- wählt, macht bundesweit erfolgreich bei Kunstwettbewer- ben mit und hatte im Museum Engen und in der Galerie KulturZeit in 160 160 Ulrich Schanz beim Zeichnen. Chaos in der Ordnung, Tusche- zeichnung, Dispersion, 80 x 60 cm, 2002

Kunst und Künstler Königsfeld umfangreiche Einzelausstellungen mit jeweils neuen Werken. Seine Arbeiten befinden sich in privaten Sammlungen und wurden unter anderem an- gekauft vom Regierungspräsidium Freiburg, den regionalen Sparkassen und der Stadt Engen. Diese Auflistung bedarf sicherlich keines Kommentars, um zu beweisen, dass Ulrich Schanz seinen professionellen, akademisch ausgebildeten Kollegen im Bereich der Kunst ebenbürtig ist. Seine ganze bisherige berufliche Entwicklung stört die künstlerische Beschäftigung keineswegs. Denn zum einen kann sich der Künstler Schanz bei seinen Zeichnungen voll und ganz auf sein Metier einlassen und den Alltag abschalten, zum anderen werden die täglich gewonnenen Einflüs- se und Erlebnisse wie beim Vorgang des Träumens künstlerisch verarbeitet. Traumhaus, Tuschezeich- nung, 30 x 40 cm, 2007 Der Appetit kommt beim Essen – Das Bild kommt beim Zeichnen Der Geschäftsführer des Kunstvereins VS, Bernhard Fabry, hatte bei der Laudatio anlässlich der Ausstellung „Lebenszeichen“ in der Königsfelder Galerie KulturZeit analog zu Heinrich von Kleists Zitat „Die Idee komme beim Sprechen“ treffend festgestellt, dass Ulrich Schanz’ Bilder beim Zeichnen entstehen. Die Zeich- nungen sind also Notierungen eines von ihm durchlaufenen Gedanken- oder auch Assoziationsprozesses. So einfach verhält sich das: Der Appetit kommt beim Essen, die Idee beim Sprechen und das Bild eben beim Zeichnen. Klingt eigentlich logisch und nicht besonders spektakulär. Ein Kunstwerk, ob eine Zeichnung, ein Gemälde oder eine Skulptur entsteht eben in der zeitlichen Eva, Permanentstift auf Kunststoff, 2000 162

Ulrich Schanz 163

Kunst und Künstler Abfolge von Arbeitsschritten. Nur bei Ulrich Schanz sind diese nicht im Vorfeld festgelegt. Irgendwo fängt er mit seinen Werkzeugen, den feinen Tuschestiften, auf dem weißen Karton an, eine Spur zu setzen. Das kann in der Mitte des Bildträ- gers oder auch in dessen Ecken geschehen und dann wird die zeichnerische Ar- beit zum Selbstläufer. Die spontanen Einfälle, die Ideen formen sich zu klaren Linien. Wer dem Zeichner bei dieser Tätigkeit, die er mal auf dem Fußboden oder am Arbeitstisch ausführt, einmal über die Schulter schaut, ist überrascht von der Seelenruhe mit der Schanz ans Werk geht. Der Vorgang hat einen meditativen Charakter. Gegenständliches, eindeutig Erkennbares wird in die- sen „Kunst-Meditationen“ wie aus sich selbst heraus konstru- iert und mit Ornamenten umwoben. Irgendwann während dieses langwierigen Arbeitsprozesses weiß Ulrich Schanz in welche Richtung sich das Bild entwickelt. Aus den Versatzstücken der Erinnerungen wird ein Roh-Ma- nuskript, das mit immer weiteren Details angereichert und verdichtet wird. Ein Freund habe ihm einmal unterstellt, im früheren Leben ein Aborigine gewesen zu sein, aufgrund der Ähnlichkeit seiner Zeichnungen zu Höhlenmalereien. Ein ganz plausibler Vergleich. Denn Schanz’ Zeich- nungen sind lebensbezüglich wie die Höhlenmale- reien, sind teils durch ihre gegenständlichen Ele- mente leicht zugänglich, verwehren sich aber durch die kryp- tischen Botschaften einer zu schnellen Interpretation. Vor allem: Beide, ob die Zeichnungen von Ulrich Schanz oder die frühesten Zeugnisse in den Höhlen notierter Lebenserfahrungen, brauchen sehr viel Zeit zur Auseinandersetzung und zur Interpretation. Randgespräch, Tuschezeich- nung, 50 x 70 cm, 2001 Links: Majestät, Tuschezeich- nung, Schrott- teile auf kaschierter Pappe, 88 x 68,5 cm 1999 Kunst braucht Zeit Bei Schanz’ eigenwilligem Bildkosmos ist kein schneller Kunstkonsum angesagt, sondern im besten Sinne ein intensiver Dialog mit den ausgestellten Werken. Ein Austausch mit der gezeichneten Gedanken- und Lebenswelt eines sensiblen Künstlers, der sich mit der Tuschefeder offenbart und den Betrachter oder besser Leser an seinen detaillierten Tagebucheinträgen, die sich freilich aufgrund der aufwendigen Technik über Wochen und Monate hinziehen können, mit einbe- zieht. Hat man sich einmal eines dieser Lebenszeichen genähert, das geschieht aufgrund der besseren Lesbarkeit zwangsläufig, dann steckt man schon mitten drin in der auf den ersten Blick fremd anmutenden Welt aus floralen, ornamentalen, abstrakten und figurativen Einzelbildern, die in ihrem Zusammenspiel vorerst wie verwirrende Vexierbilder erscheinen. Aber der erste Blick reicht bei der Beurteilung von Kunst ohnehin nicht aus. Der Inhalt, die intendierte Botschaft, die Qualität lässt sich oft erst auf den zwei- ten, dritten Blick erahnen. Bei Schanz’ Bildern bedarf es eben ein Vielfaches dieser Annäherungen. Das macht es so zeitaufwendig, aber somit umso span- nender und vor allem nachhaltiger. Denn, was der Zeichner mit seinen dünnen Strichen, die sich oft zu schier unentflechtbaren Bildelementen vereinen, zu er- 164 Bildung, Tuschezeich- nung/Filzstift, 30 x 40 cm, 1986/1987

Kunst und Künstler zählen weiß, das hat er so tatsächlich auch erlebt oder sich zumindest vorgestellt. Der Betrachter kann sich, einem Forscher gleich, mit umgekehrtem Vorzeichen durch das verworrene Dickicht des Schanz’schen Formenvokabulars kämpfen, den ausgelegten Spuren folgend versuchen, den Grund zu erreichen. Ob er dies schafft, ist letztlich egal, denn schließlich ist der Weg das Ziel. Durchbruch, Tuschezeich- nung, 50 x 65 cm, 2005 Der Künstler gibt mit seinen Titeln wie „Fortschritt“, „Lebensweisheiten“ oder „Gefühl trifft Verstand“, die markanterweise erst nach Vollendung der Zeichnung entstehen, die Wegbeschreibung vor. Der Betrachter kann sie als Orientierung nehmen, dabei kommt er aber oft genug von dem einmal eingeschlagenen Pfad ab und findet sich in seiner ganz eigenen Welt wieder. Wie in „Brittas Welt“ kann er bei der Lektüre eines guten Buches analog zu der Vorgehensweise des Künst- lers ganz „Versunken in Gedanken“ auf „Auf- und Abwege“ gehen, durch den Künstler angeregt sein „Traumhaus“ bauen und sich nach all den „Verwick- lungen“ und „Schnittstellen“ seine persönlichen „Freiräume schaffen“. Die Viel- schichtigkeit der Zeichnungen lässt je nach Bereitschaft, wie man an der Gedan- ken- und Erlebniswelt des Künstlers teilhaben will, eine Vielzahl von Betrach- tungsweisen und Lesarten zu. Wem dies alles noch nicht genügt, kann sich an die Interpretation und Entschlüsselung der von dem Künstler entwickelten Zeichen- sprache, quasi als Schanz für Fortgeschrittene, wagen. Aber wie erwähnt, viel Zeit mitbringen, denn die vergeht bei der Auseinandersetzung mit den rätselhaften Zeichnungen wie im Fluge, was bekanntlich ein untrügliches Qualitätsmerkmal für gute Kunst ist. Stefan Simon 166

Zeichensprache, Tuschezeichnung, 30 x 40 cm, 2007 In Memoriam II, Tuschezeichnung, Dispersion, 45 x 45 cm, 2003 Ulrich Schanz 167

Kunst und Künstler Ein Bild der Wirklichkeit?! Die Fotokunst des Horst Willi Kurschat Wer ist oder was ist der 1950 in Celle geborene Künstler Horst Willi Kurschat? Ein Maler, ein Grafiker, ein Fotokünstler, ein Kunstfoto- graf? Alle diese Fragen muss man mit „Ja“ beantworten. In den Jahren 1972 bis 1976 studierte Horst W. Kurschat an der Fachhochschule Hannover Freie Malerei, Freie Grafik und Fotografie. 1976 war er Gründungsmitglied der „Lister Werk- statt“, Produzentengalerie Hannover. Schon damals war es die Idee, über den Tellerrand hinauszuschauen, sich unabhängig vom etablierten Kunstbetrieb zu machen. Im selben Jahr übernahm er für fünf Jahre die Leitung der Druckwerkstatt für Radierungen von Prof. Peter Redeker, Fachhochschule Hannover. Doch wieder entzog er sich der Etablie- rung und ging nach Braunschweig an die Hochschule für Bildende Künste, um noch einmal sechs Jahre das Studium der Freien Kunst zu betreiben und mehrere Studienrei- sen nach Ägypten zu unternehmen. Ihre Aner- kennung erfuhren diese Arbeiten 1989 auch durch den Projektpreis „Experimentelle Druck- grafik“ des BBK Südbaden. Horst Willi Kurschat lebt und arbeitet in Villingen- Schwenningen. „Es ist allemal fast gerade das, was es nicht scheint“, sagt Peter Hille. Das gilt im ho- hen Maße für die Arbeiten Horst W. Kurschats. Auf den ersten Blick erscheinen sie wie Foto- grafien und man fragt sich, wie sie entstan- den sind und was sie abbilden? Doch schon stockt der Betrachter. Hat sich die moderne Kunst nicht befreit vom reinen Abbilden oder ist sie schon wieder zurückgekehrt mit der Neuen Leipziger Schule und wie passen die „Magnifikationen“ Horst W. Kurschats in diese Fragestellung? Wenn seine Arbeiten kein Abbild der Wirklichkeit sind, so stehen sie doch bildhaft für diese, sind ein gesetztes Zeichen unseres Lebens, unserer Kultur. Anlässlich der Donaueschinger „Regionale 2007“ formulierte Horst W. Kurschat selbst: „Meine Arbeiten behandeln den Themenkreis: Mensch – Krankheit – Medi- kation. Magnifikation 4-07 zeigt die aufgebrauchte Pillenverpackung (Blister) eines Herzmittels, das bei Bluthochdruck verordnet wird. 2 x 7 mehr oder weniger deutlich zu erkennende Rundformen verweisen auf eine zweiwöchige Zeitspanne, in der ein an Hypertonie leidender Mensch mit einer Tablette pro Tag therapiert wurde und durch eine minimale stoffliche Invasion Linderung seines Leidens erfahren hat.“ 168 Magnifikation 13-2003, 90 x 120 cm

Horst Willi Kurschat 169

Kunst und Künstler Plötzlich werden die Arbeiten lesbar. Scheinbar sinnlose, zerdrückte Formen, die man allein in der klaren Schönheit ihrer geometrischen Form stehen lassen wollte, werden plötzlich zum Attribut, zum Träger des Inhalts. Wie im christlichen Heiligenbild der Turm auf ihrem Arm die dargestellte Frau untrüg- lich zur Heiligen Ursula macht, erzählen die Formen der zerdrückten Folie und ihre Anzahl und Anord- nung von einem Menschen und seinem Leiden. Man beginnt, die Arbeit zu hinterfragen, will er- forschen , was sie uns noch zu erzählen vermag, und die Frage nach der Technik, dem Bildgebenden Ver- fahren, schiebt sich in den Vordergrund. Die Magnifikationen erscheinen stark reduziert, minimalisiert, konzentriert. Was sich zuerst als Schwarzweiß-Fotografie vor- stellt, wird bei längerem Betrachten ein Graustufen- bild voller Variationsreichtum. Bei den Arbeiten der letzten Jahre verstärkt sich die Wahrnehmung noch. Nach und nach tritt eine Farbenvielfalt vor das Auge, die es sich zu ersehen gilt. Durch Direktbelichtung: Blister als Bildgebendes Material Seit dem Jahr 2002 benutzt Horst Willi Kurschat Blister, Tablettentableaus als Bild- gebendes Material durch Direktbelichtungen. Damit wird der Blister selbst zum Medium. Es bedarf nicht des Zwischenschritts eines Fotos, Dias oder Negativfilms! Doch in einer unbearbeiteten Form ließe die abdeckende Silberfolie eine Durch- leuchtung gar nicht zu. Daher muss er sie verändern, sie lichtdurchlässig werden lassen. Der Blister wird in ein Säurebad (Königswasser) gelegt und die verbleibende Alufolie anschließend weiterbearbeitet. Dieses ist der erste Schritt einer Aneig- nung. Doch die Auswirkungen, das Ergebnis unterliegt vielen Bedingungen und ist nicht bis ins Detail vom Künstler zu steuern. Magnifikation 6-2003, 100 x 70 cm Magnifikation 4-2007, 110 x 140 cm Als sei er eine Radierplatte, wird der Blister im Anschluss durch Ein- ritzungen verändert. Dieses ist der zweite Schritt der Aneignung, er ge- schieht unter vollkommener Kontrol- le des Künstlers. Vorhandene Buch- staben werden zu Schriftzeichen oh ne konkrete Semantik. Sie haben nur noch Verweischarakter. Das Er gebnis wurde in der Bildbühne eines Großbildvergrößerungsgerä- tes durchleuchtet und das so auf Fotopapier projizierte Bild in ana lo- gen Verfahren entwickelt. 170

Horst Willi Kurschat Die Verfremdung des Gegenstandes geht bei dieser Projektion sehr weit. Wie geschlif- fene Diamanten erscheinen nun manche Blis- ter und der Betrachter muss sich in Acht neh men, Assoziationen von Reichtum und Armut, Me- dikamentenverwendung und -verschwendung nicht gar zu ungezügelt ausufern zu lassen. Horst W. Kurschat geht es nicht um das schnelle, das schnelllebige Sehen und Wahr neh- men. Das Werk steht für sich als Kunstwerk und nur langsam offenbart es im Wahrnehmen durch den Betrachter die vielschichtige Wirk- lichkeit, die es sinnbildhaft spiegelt, nicht ab- bildet. Zuvor hatte der Künstler bereits extremste Formen der Reduktion erkundet, bis der ehe- malige Gegenstand sich in reine Linien-Grafik aufzulösen schien oder gar drohte? Doch die Projektion des Gegenstandes in seiner Reduktion auf grafische Elemente ge- nügt ihm nicht. Ein weiterer Schritt der Aneig- nung ist das Befüllen der leeren Blister, der bereits verwendeten Tablettentableaus. Glo- buli, kleine Kügelchen, homöopathische Heilmittel, die längst anerkannt sind in ihrer Heilkraft auf vielen Gebieten und hier nun Ei-Zellen gleich, erscheinen, wie um neues Leben zu spenden, beflügeln eine reiche Assoziationskette, die alle Schritte des biologischen und psychologischen Lebens und Leidens eines Men- schen und damit der Menschheit insgesamt umfasst. Damit hatte sich der Künstler von mindestens zwei Thesen entfernt, die der Fotograf Floris M. Neusüss als Grundbedingungen einer Fotografie formulierte. Horst W. Kurschats Arbeiten sind keine Fotografie, da sie nichts dokumentie- ren, es sei denn einen künstlerischen Aneignungsprozess und in diesem Sinne wäre jede Form der Bildenden Kunst Fotografie. Darüber hinaus sind seine dama- ligen Arbeiten Unikate, kein Massenmedium im Sinne der massenhaften Repro- duzierbarkeit oder des massenhaften Konsums. Der Maler Horst W. Kurschat behielt, trotz der an Fotografie erinnernden Technik, die Oberhand. Die digitale Bildbearbeitung folgt Zwei Jahre später, 2004, wagte Horst W. Kurschat den nächsten Schritt der Aneig- nung und bewies damit, über die Tragfähigkeit der ersten Arbeiten, das Potenzial für ein mehrjähriges Ausarbeiten dieses formalinhaltlichen Arbeitsprozesses. Statt des analogen Vergrößerungsgerätes, verwendete er einen hochauflösenden Durchlichtscanner zur direkten Erzeugung digitaler Daten. Ist er ein Fachmann computergesteuerter Bildbearbeitungsprogramme? „Ein genau dosiertes Durchlicht, nicht das übliche Auf-, Seiten- oder Gegenlicht, dient mir dabei zur Erstellung einer Bilddatei, die abschließend mit den unzähligen Werk- zeugen der digitalen Bildbearbeitung grundlegend umgestaltet wird.“ Horst W. Magnifikation 8-2003, Variation 9, 40 x 30 cm 171

Kunst und Künstler Magnifikation 3-2003, 100 x 70 cm 172

Horst Willi Kurschat Kurschat, 2007. Ausgehend von seinem Wissen, seinen Erfahrungen mit den analogen Verfahren der Fotografie, schuf er sich die Grundlage einer wohl uner- schöpflichen Variantenvielfalt und, obwohl die Ergebnisse seiner Arbeiten nun malerischer wirken und sich stärker von wahrgenommener Form und vom Ausse- hen des ursprünglichen Blister entfernt haben, hat sich damit der als Fotograf denkende Künstler durchgesetzt. Und er hat zu einer formalen Bild-Sprache ge- funden, die er als „Integrale Grafik“ bezeichnet und mit der er seine Arbeitsweise, die grafische, fotografische, druckgrafische und digitale grafische Mittel und Werkzeuge miteinander verbindet, beschreibt. Kunst schafft kein Abbild der Natur. Doch kann man sie als Synonym begrei- fen. Sie will das System unseres Lebens, unserer Kultur, unserer Wahrnehmung hinterfragen und offenbaren oder dem offenen, dem zum Sehen und Wahrneh- men, zum Fragen, Staunen und Suchen bereiten Betrachter einen neuen Blick, vielleicht Einblick ermöglichen. Horst W. Kurschat geht es um Wahrnehmung und Wahrgenommenes, um die Sinnhaftigkeit von Zeichen und Formen, um das geomet- risch Zeichenhafte im normalen Alltag. „Die Natur hasst die Gleichförmigkeit und liebt die Vielgestalt“, schreibt Ber- nard Werber, in „Die Ameisen“. Entlang einer Grenze zwischen Alltag, Gewohn- heit und Reproduktion geht es um Kunst und deren Bedingungen. Es geht um ei- nen Blick auf unser Umfeld, das Aufgehen in einer Form, die wir selbst erschaf- fen. Es geht um ein serielles Konzept, das all unserem Leben, Sein, Denken und Wirken zugrunde zu liegen scheint. Und dieses erfahren wir in Magnifikation, in überdimensionierter Vergr-ößerung des Details. Damit sich der Betrachter nicht entziehen kann, sondern sehen, hinterfragen und vielleicht erkennen muss, über den Umweg der Verfremdung. Dr. Anja Rudolf Links: Magnifikation 5-2003, Variation 9, 100 x 70 cm Rechts: Magnifikation 6-2003, Variation 9, 100 x 70 cm 173

Kunst und Künstler Bildhauer Zeljko Rusic Beeindruckende Skulpturen ohne Plan und Skizze Seit einigen Jahren fallen bei Ausstellungen in der Region und im öffentlichen Raum des Landkreises Holzskulpturen auf, die man nicht einem der „üblich verdächtigen“ heimischen, etablierten Kunstschaffenden zuordnen kann. Das Credo, dass ein Kunstwerk immer ohne große Erklärung sei- nes Erschaffers den Betrachter ansprechen muss, gilt natürlich auch bei diesen anziehenden figurativen Arbeiten. Sie stammen von Zeljko Rusic, 1967 in der Nähe von Split in Kroatien geboren und seit 1990 in Königsfeld beheimatet. Er ist der Erschaffer von Kopfstelen, hölzernen Kugeln mit Innenleben und diverser Menschenbildnisse. Und die Kunst von Zeljko Rusic ist vermehrt auch im öffent- lichen Raum zu entdecken – ganz aktuell an der Landratsamt-Außenstelle in Donaueschingen oder im Königsfelder Kurpark. Am besten, man besucht den Bildhauer in seiner Werkstatt, die er in einem idyllisch gelegenen Blockhaus in einem Waldstück vor Königsfeld betreibt. Der Besucher kommt dann nicht so schnell über das Staunen hinweg. Da ist als erstes natürlich das auf einer Waldlichtung gelegene Haus, das Rusic ganz alleine gebaut hat, und da sind seine Skulpturen, die um das reizvolle Kleinod gruppiert sind. Und schließlich gibt es selbst- verständlich noch den Künstler, mit dem man unkompliziert über Kunst, in der Hauptsache über zeitgenössische Bildhauerpositionen, auch über Gott und die Welt, diskutieren kann. Aber bei seinen Werken ist er, zumindest beim ersten Kontakt, sehr zurückhaltend und lässt somit dem Betrachter größtmögliche Freiheit bei der Interpretation, der Deutung des Inhalts und dem Nachvoll- zug der technischen Herstel- lung gleichermaßen. In der ak- tuellen Bildhauer szene, die ei- gentlich mit der der zweiten Hälfte des vergangenen Jahr- hunderts identisch ist, ist al- les möglich, wenn es um das Öffnen, das Sprengen des Ele- mentarwertes „Skulptur“ und zu wei len um die Raumergrei- fung geht. Eichensäule, 420 cm, 2008. Kunst am Bau, Stele vor der Landratsamt- Außenstelle in Donaueschin- gen. Links: Stelenfigur, Douglasie, 170 cm, 2007 Zeljko Rusic bei der Ar- beit. 174

Zeljko Rusic

Kunst und Künstler Doch die, die sich „Bild- hauer“ nennen, sind im Wort- sinne meist keine. Rusic ist einer, und das ganz ursprüng- lich. Er ist Meißelarbeiter, auch wenn sein fa vorisiertes Arbeitsgerät die Kettensäge ist, das Handwerkszeug, das er wie kaum ein Zweiter virtu- os beherrscht. Er weiß, auch ohne detaillierten Plan: Was vom Holz weggeschlagen, weggeschnitten, entfernt wird, ist endgültig verloren. Das gibt seinem plastischen Denken, seinem bildhauerischen Arbeiten eine Besonnenheit, eine Weitsicht, die man als Augenzeuge bei der Entstehung einer Skulptur nicht auf Anhieb nachvoll- ziehen kann. Denn bei aller Akribie und perfekter Ausführung der Arbeit ist Rusic ein überaus schnell vorgehender Bildhauer, wohlwissend, dass bei diesen gegen- ständlichen Arbeiten jeder Schnitt sitzen muss. Was bei abstrakter Bildhauerei ohne weiteres funktioniert, denn ein falscher Schnitt kann kaschiert und variiert werden, um später als wohl durchdachter Eingriff interpretiert zu werden – bei fi- gurativen Arbeiten, die einen festen Plan bedürfen, ist er indes fast unmöglich. Aber Rusic macht vor, dass auch dies möglich ist und vor allem, wie es vor sich geht: Aus einem Rohling entsteht in kurzer Zeit ein Kopf, eine Figur, eine Stele, ein Relief. Und dies tatsächlich ohne Bildhauerzeichnung. Alleine aufgrund sei- nes genialen räumlichen Vorstellungsvermögens entspringen diese Werke. Die Skulpturen formen sich bei jedem Schnitt und Hieb, alleine der dialoghafte Pro- zess von handwerklicher Ausführung und Überlegung ersetzt die Skizze. Beim Detail aus Relief, Douglasie, 40 x 220 cm, 2008 Selbst ent- worfen und gebaut: Das Blockhaus in idyllischer Waldlage, das Zeljko Rusic als Atelier dient. 176

Nachdenken und bei der gleichzeitigen Handarbeit wächst die plastische Form unter den Händen. Künstler aus Berufung und Leidenschaft Und warum lohnt sich eine Begegnung mit dem Bild- hauer außerdem? Weil er so unprätentiös anders ist! Anders als viele seiner Mitstreiter, die sich nach zwei Wochen Volkshochschulkurs als Jung-Picasso, in die- sem Falle eher als Henry Moore, fühlen. Nicht einmal einen solchen Kurs und noch weniger eine akade- mische Ausbildung hat Rusic aufzuweisen. Er ist schlicht und einfach Autodidakt und dies im besten Sinne des Wortes. Rusic ist also ein ganz und gar unakademischer Künstler, was er zwar nicht aus- drücklich bedauert, aber dennoch erwähnt. „Die Zeit- umstände waren einfach nicht danach“, wie er sagt. In dem kleinen Dorf in Kroatien, in dem er aufge- wachsen ist, hat sich der junge Rusic zwar schon lei- denschaftlich für Kunst interessiert. Er war als Schü- ler Leiter der Kunst-AG und hat seine ersten Schnitz- arbeiten hergestellt, aber durch die familiäre Situati- on war der Drang zur Kunst untergeordnet, er war Lichtjahre von dem Beruf des Künstlers entfernt. So hat er noch in Kroatien ganz bodenständig eine Aus- bildung als Dreher absolviert und ab 1987 in Schaff- hausen in einem Holz verarbeitenden Betrieb gear- beitet. Seit 1991 nun ist er als ausgebildeter Forstwirt im Forst des Landkreises Schwarzwald-Baar beschäf- tigt und zudem für die Weiterbildung im Umgang mit der Kettensäge zuständig. Aber warum sollte der Autodidakt das Fehlen eines akademischen Nachweises auch bedauern? Seine Akademie, seine Schule ist viel wertvoller und nachhaltiger zugleich, denn es ist das wahre Leben. Natürlich hat Zeljko Rusic gelernt, Erfahrungen gesammelt. Letzteres ist Grundvoraussetzung, das Erstere geschieht eher beiläufig, denn Kunstmachen ist unlernbar. Entweder ist man Künstler oder nicht, so einfach verhält sich das. Talent kann man ohnehin nicht studieren. Kunst wächst nicht im luftleeren Raum, keimt nicht aus der hohlen Hand heraus. Es bedarf der Auslöser und Vorbilder. Rusic arbeitet mit und gegen Vorbilder, die er als leidenschaftlicher Kunstinteres- sierter und Ausstellungsbesucher zwangsläufig kennenlernt. Rusic profitiert von seiner Erfahrung im Forst Aber er hat trotz aller Einflüsse seine ihm eigene Methode entwickelt. Wie alle, ist auch seine Kunst keine zeitlose. Aus ihr spricht, reflektiert ihre Entstehungszeit, mal parallel, mal quer zum tatsächlichen Leben. Wie es für einen Autodidakten oft selbstverständlich ist, schafft Rusic seine Kunstwerke neben dem Hauptberuf, Zeljko Rusic Detail aus Eichensäule, 180 cm, 2008 177

Zeljko Rusic ist ein Meister mit der Ketten- säge, mit ihr schafft er die meisten seiner Kunstwerke. Kunst und Künstler was übrigens auch für sehr viele akademisch ausgebil- dete Künstler gilt. Was aber für Rusic nicht unbedingt ein Nachteil ist. Denn er hat in seinem Brotberuf permanent mit dem Medium zu tun, das er in seiner gesamten Frei- zeit, die er nach eigener Aus- sage, „voll und ganz der Kunst widmet“, künstlerisch bearbeitet. Der Bildhauer Ru- sic profitiert aus seiner lang- jährigen Erfahrung aus dem Forstbetrieb: aus den Kennt- nissen des zu bearbeitenden Werkstoffs, von der Dougla- sie über Linde bis hin zur Eiche und deren technischen Bearbeitung mit der Kettensäge. In diesem Element zeigt sich der Königsfelder als wahrer Meister seines Faches. Der geniale handwerklich-technische Aspekt ist somit immer der Blickfänger und der erste Einstieg in den Kunstkosmos von Zeljko Rusic, der nicht nur mit seiner Handwerkskunst überzeugt, son- dern auch mit den Inhalten. Menschenbilder – Spiegelbilder der Gesellschaft Das Wesentliche der Menschenbilder ist ihre, im besten Sinne des Wortes, eingeschriebene Gewöhnlichkeit. Aber seine ge- wöhnlichen Figurencharaktere berichten auch von Existen- tiellem. Sie spiegeln auf unmittelbare Art und Weise Freude, Trauer, eigentlich die ganzen Facetten des Menschseins wider. Dabei gleitet der Bildhauer weder in die gegenständliche Anek- dote noch in die aufgesetzte Ästhetik des Dekorativen ab. Figur wird in dieser Bildhauerei ein Abstraktum und umgekehrt macht die damit verbundene geometrische Form die Figur erst möglich. Zeljko Rusic hat wie jeder souveräne Künstler das Bestreben, einzigartig zu sein. Das gelingt ihm trotz der mannigfachen Einflüs- se, denen er sich aussetzt, auf eindrucksvolle Weise. Zum Beispiel mit den formvollendeten Kugeln. Was wie skelettierte Erdkugeln aussieht – allein deren Herstellung ist schwierig genug – birgt bei der näheren Auseinandersetzung ein mit der Außenhülle fest ver- bundenes Arsenal an Figuren. Über den Nachvollzug der raffinier- ten Herstellungsweise wird der Betrachter zur Interpretation der Gebilde angeregt. Der Künstler lässt dem Betrachter dabei, wie so oft, größtmögliche Freiheit der Interpretation. Bei anderen Arbeiten gibt er mit eingearbeiteten Textfragmenten wie „Gegenwart“, „Begreifen“ oder „Geben“ eine eventuelle Denk- Figur, Douglasie angekohlt, 200 cm, 2005 178 178

Zeljko Rusic richtung vor. Was der Betrachter daraus macht, bleibt letztlich ihm überlassen. Das hat auch immer etwas mit der jeweiligen Be- findlichkeit des Betrachters und dessen Erfahrungsschatz zu tun. Man kann die Figuren, die mal als einsame soli- täre Kopfstelen, mal als Familiengruppen auf Säulen und zuweilen als bedrohlich anmutende, dicht ge- drängte Körper auf extrem querformatigen Reliefs erscheinen, immer auch als Spiegelbild der Ge- sellschaft sehen. Einer Gesellschaft, deren Ver- haltensweisen der Künstler genau beobachtet. Genau hingeschaut hat der Bildhauer auch für die Auftragsarbeit der Außenstelle des Landrats- amtes in Donaueschingen. Die vier Meter hohe Eichensäule symbolisiert mit ihren geschnitzten Fenstern auf reduzierte Weise hierarchiefrei die dort ansässigen Ämter. Die Spitze jedoch wird von einer Figurengruppe gekrönt, für das die verschiedenen Ämter als Dienstleister da sind: für den Bürger. Stefan Simon „Kugel“, Tanne, Durchmesser 80 cm, 2005 Detail aus Relief, Douglasie, 40 x 180 cm, 2007 Liegende Figur, Douglasie, 180 cm, 2007 179

Kunst und Künstler In Memoriam Waltraud Oloff Vom Zauber der einfachen Dinge – „Aus geringen Mitteln Fülle erzeugen“ Sie hatte noch so viel vor, die Malerin Waltraud Oloff, die trotz ihrer 81 Jahre noch voller Schaffenskraft steckte und voller Ideen. Mit Pinsel und Pastellstift wollte die beliebte und geschätzte Künstlerin aus Unterkirnach noch viele Wünsche der Menschen erfüllen, die auf ein Oloff-Bild warteten. Doch das Schicksal wollte es anders: Mitten in die Gespräche für diesen Bericht im Almanach 2009 ereilte sie der Tod. Waltraud Oloff schuf viele Portraits, von pro- minenten Zeitgenossen, von einfachen Menschen, Originalen, die ihren Lebens- weg kreuzten, von Häusern, Städten und Landschaften. Ein letztes soll dieser Bericht sein, der ganz wesentlich ihre Handschrift trägt. Sie selbst hinterließ aussagekräftige Passagen zu ihrer Arbeit. Was sie zu Papier brachte, ist so etwas wie ein Vermächtnis an ihre Nachwelt. „Ich möchte das zum Ausdruck bringen, was mir wichtig ist“, hatte sie gesagt, als ihr der Vorschlag gemacht wurde, ihr Le- ben und Werk im Almanach zu würdigen. Und sie verwies dabei auf einen Kernsatz zu ihrem Schaffen, auf ihr erstrebtes Ziel, „aus geringen Mitteln Fülle zu erzeugen“ – den Leitsatz des Impressionisten Auguste Renoir. Waltraud Oloff in ihrem Unterkirnacher Atelier mit einigen Lieblingsbildern. Rechte Seite: Über verschneiten Dächern – Altstadt von Villingen, Pastellzeichnung. 180

Waltraud Oloff

Schwenningen, im Muslen, Mischtechnik Kunst und Künstler „Aus Land, Stadt und Leuten ein Portrait gestalten – dieser Wunsch erwachte bald, als wir 1951 unser erstes Zuhause, die kleine Dachwohnung am Waldrand in Unterkirnach bezogen“, sagte Waltraud Oloff beim Gespräch in ihrem Wohnzim- mer. Inzwischen war sie länger als ein halbes Jahrhundert in der Region künstle- risch tätig. Sie hat in dieser Zeit ein Stück Schwarzwälder Heimatgeschichte samt dem Wandel im Stadtbild von Villingen zeichnend und malend festgehalten und auch kritisch miterlebt. Als z.B. der Plan auftauchte, den Stadtring vierspurig auszubauen, gründete sie mit Mitstreitern die Bürgerinitiative „Grüne Stadt Villingen“. Ein Ahornblatt machte darauf aufmerksam. Sie schrieb es dem Enga- gement dieser Gruppe zu, dass der breite Baumgürtel als Anlage um die Stadt- mauer erhalten blieb. Die beginnende Television hatte ihren Mann in das Fernsehlabor von SABA nach Villingen gebracht und die Familienbande seiner Mutter, der bekannten Orchestrion-Dynastie Blessing aus Unterkirnach entstammend, hatten den Wohn- ort bestimmt. Das Dorf bedeutet den drei Kindern bis heute eine glückliche Kind- heits- und Jugenderinnerung. Bei ihrer Bürgerehrung 2001, aus Anlass ihres 75-jährigen Geburtstages, drückte Waltraud Oloff der Gemeinde auch ihre Dankbarkeit aus, dass sie hier gleichzeitig so harmonisch die Aufgaben für Familie und Beruf verbinden konnte. Lebens- und Berufsweg maßgeblich durch die Zeitumstände geprägt Natürlich fand sie in der ganzen Umgebung lohnende Motive. Vom Schwarzwald und Hegau bis zum Bodensee hat sie mit ihrer unverkennbaren Handschrift Men- schen, Landschaften und Städte portraitiert. 1926 in Stuttgart-Feuerbach gebo- ren, wurde auch ihr Lebens- und Berufsweg maßgeblich durch die Zeitumstände geprägt. Nachdem ihr Vater mit der Familie 1932 eine Landarztpraxis bei Reutlin- gen übernommen hatte, kamen nach der Oberschule statt Studienjahren das so genannte „Pflichtjahr“ und der Arbeitsdienst. Das erste Semester an der Kunstakade- mie Stuttgart war nur ein kurzes Zwischenspiel, weil danach kriegsbedingt alle Hochschulen geschlossen wurden. „Heute sehe ich diesen Umweg als glückliche Fügung an“, erklärte die Malerin. „Das Pflichtjahr in einer Familie mit drei Kindern hat mich un- bewusst auf meine spätere Familienaufgabe vorbereitet. Die wegen der Luftangriffe nach Seitingen unter dem Hohen Karpfen in der Baar verlegten Studienmonate, haben mich diese Landschaft Arnim von hinten, Mischtechnik 182

Waltraud Oloff

Schuhfamilie, Mischtechnik Kunst und Künstler kennen und lieben gelehrt. Der Arbeitsdienst schließlich im letzten Kriegshalb- jahr in Zell im Wiesental ließ mich den Südschwarzwald noch in seiner ursprüng- lichen Ländlichkeit erleben. Wer kennt z.B. heute noch das ‚Erdeumfahren‘ mit den Zugochsen unterm Joch?“, fragte sich erinnernd die Künstlerin. Aus dieser Verbundenheit mit der Natur und dem interessierten Beobachten der Umgebung sprechen die Bilder von Waltraud Oloff unmittelbar an. Sie brau- chen keine erklärenden Texte und sie malt auch mit Vergnügen den „Schnee von gestern“. „Sie laden ein zu Ruhe und Muße und sind ein grundlegender Stim- mungswert ihrer Kunst“ heißt es in dem Buch: „Waltraud Oloff – Das malerische Werk.“ Dieses Buch wurde von der den Druck vorbereitenden Firma VSO-MERK & STEITZ zu ihrem 20-jährigen Betriebsjubiläum der Öffentlichkeit in der Sparkasse Villingen vorgestellt (heute vergriffen). Darin wird auch verständlich gemacht, woraus die Vielseitig- keit in ihrem Werk stammt. „Ich bin besonders meinem familiären Erbe dankbar“, berichtete sie. Von beiden Eltern sind ausgeprägte musi sche Neigungen den fünf Töchtern weiter gegeben worden. Die Mutter war die Schülerin von Vaters Schwester an der Stutt- garter Malschule für Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts (zur Zeit des Jugendstils und der Freilichtmalerei). So war es schon von Kind an eine Selbst- verständlichkeit, dass man sich allein mit Stift und Pinsel, mit Knetmasse und allerlei anderen Materialien „kreativ“ beschäftigte ohne Kindergarten und viel Anleitung von außen. „Vom Beobachten habe ich in meinem Leben das meiste gelernt“, bekennt die Malerin als Jüngste der Familie; die beiden Ältesten wurden nach der Ausbildung in Stuttgart selbstständige Graphikerinnen. „Die Schule des Sehens“, von Oskar Kokoschka nach Kriegsende an der Salz- burger Sommerakademie gegründet, war dann auch für Waltraud Oloff eine hoch willkommene Gelegenheit, 1966 und 1967 sich nachträglich in verschiedenen Techni- ken weiterzubilden (Lithographie bei Prof. Souceck und Prof. Otte, Aquarell bei Prof. Moldowan, Wien und Bildhauerei und Bronzeguss bei Prof. Kirchner, München). „Künstlerische Arbeit ist für mich Erholung und Anspannung zugleich“ Mit Feuereifer richtete sie sich eine eigene Lithowerkstatt ein. Doch die volle Verantwortungsübernahme für ihre Familie führte daneben notwendigerweise immer mehr zu äußerster Konzentration und Zeiteinteilung. „Sich einer künstle- rischen Arbeit widmen zu dürfen, ist für mich Erholung und Anspannung zugleich“, erklärte sie – „Fleiß und Ausdauer sind Grundlagen dafür“. In der Öffentlichkeit stand sie nicht gerne und sie hielt sich, was Ausstellungen betrifft, auch weitge- 184

Waltraud Oloff hend zurück. Vom Villinger Kunstverein, dem sie 35 Jahre aktiv angehörte, und vom Unterkirnacher Künstlerkreis, den sie mitgestaltete, hatte sie sich verab- schiedet. Aber nicht von der Kunst und nicht von den Menschen, die ihre Arbeiten lieben, wobei sie oft schon Kinder in der dritten Generation einer Familie portrai- tiert hat. Bei Unter- kirnach, Heimat der Künstlerin, Pastelltechnik „Ich habe meine Nische gefunden und hoffe, dass sie mir hilft, meine Selbstständigkeit zu erhalten,“ sagte sie. Und in ihrem Buch schreibt sie: „Vielleicht mache ich es dem Betrachter zu leicht mit meiner der Tradition ver- bundenen Art, weil ich, in einer zuneh- mend verwirrener werdenden und zer- störten Umwelt nach Klarheit und Ver- ständlichkeit suche. Meine bildliche Aus sage ist daher weder bewusst ver- schlüsselt noch verfremdet. Es gibt vie- le Möglichkeiten, in der Kunst seinem An liegen Ausdruck zu verleihen.“ Waltraud Oloff ist tot. Aber ihre Bil- der, die viele öffentliche Gebäude im Schwarzwald-Baar-Kreis schmücken und die Wohn zimmer unzähliger Bürgerhäuser zieren, werden die Erinnerung an eine große Künstlerin und eine liebenswerte Frau lebendig halten. Hermann Colli Portrait der Schwester, Tempera 185

Donaueschingen | Ulm | Regensburg | Passau | Linz | Wien | Bratislava | Budapest | Novi Sad | Belgrad | Or Donaukilometer: 2780 2586 2400 2250 2150 1950 1850 1650 1250 1150 95 Aus dem Kreisgeschehen „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg…“ Schwarzwald und Baar: Wo die Donau beginnt Eine Flussreise beschrieben und fotografiert von Wilfried Dold 186 Geburt eines europäischen Stromes: Am Zusammen- fluss von Brigach (rechts) und Breg in Donaueschingen.

ad Orsova | Rousse | Brãila | Tulcea | Sulina (Schwarzes Meer) 0 950 500 175 100 0 Aus dem Kreisgeschehen Dem Ursprung der Donau gelten Untersuchungen, Vermu- tungen und Bemerkungen von Herodot, Strabon, Cäsar oder Plinius – bis hin zu Jacques Ives Cousteau oder Claudio Magris. Letzterer ist italienischer Essayist und Kolum nist und hat mit seinem Buch „Donau“ einen Bestseller ge- landet. Oft zitiert ist sein Vergleich zwischen Donau und Rhein: „Seit dem Nibelungenlied stehen sich Rhein und Donau voller Misstrau- en gegenüber, der Rhein ist Sieg- fried, germanische Tugend und Reinheit. Die Donau ist Pannoni- en, das Reich Attilas, orientalische Flut.“ Und die Donau ist Dank ihrer Quellflüsse auch eine Lebensader des Schwarzwald-Baar-Kreises: Brigach und Breg, die die Donau zuweg bringen, durchziehen den gesamten Landkreis, fließen vom Schwarzwald in die Baar. 187

Aus dem Kreisgeschehen Historische Donauquelle im Schlosspark der Fürstenberger. Der Donaubach entspringt neben dem Fürstlich Fürstenbergischen Schloss in Donaueschingen, er vereinigt sich nach wenigen hundert Metern mit der Brigach. Die historische Donauquelle ist eine weltweit bekannte Touristenattraktion und stammt in ihrer heutigen Form aus dem Jahr 1895, geplant wurde sie von Architekt Adolf Weinbrenner. Die Figurengruppe hat der Vöhrenbacher Bildhauer Adolf Heer geschaffen, sie stellt die Baar dar, die ihrer Tochter Donau den Weg weist. 188 188

Aus dem Kreisgeschehen

Junge Donau Die historische Donauquelle im Schloss- park von Donaueschingen, der Donau- beginn – die Quellen von Brigach und Breg: wie die Triberger Was serfälle, das deutung von Donauursprung und Donau für Euro- pa aufgearbeitet und in einen wirtschaftlich- und kulturgeschichtlichen Gesamtzusammenhang ge- stellt, der die Wahrnehmung des nach der Wolga zweitlängsten Flus ses in Europa bis heute prägt. Deutsche Uhrenmu seum oder die Villin- ger Altstadt gehören diese Sehenswür- digkeiten zu den am meisten besuchten Orten im Schwarz wald-Baar-Kreis. Das kunst voll eingefasste Quellenmonument beim Schloss der Fürsten zu Fürs tenberg fasziniert Menschen aus aller Welt: Sie kommen dorthin, wo mit der Donau der einzig wirklich europäische Fluss seinen Anfang nimmt. Und der einzige, der von Westen nach Osten fließt. „Die Skulptur an der Donau quelle in Donau- esch ingen zeigt die Donau als ein zartes Kind auf den Knien einer weiblichen Figur, welche die Baar darstellt, das liebliche Hügelland, das sich rings- herum erstreckt. Die kindliche Gestalt ist in der Ikonographie des großen Flusses un gewöhnlich, der sonst als Figur von mächtiger und majestä- tischer Reife abgebildet wird, beispielsweise in der Brunnenskulptur, welche die Vor derseite der Albertina in Wien schmückt.“ Die Quellenanlage hat viele Schriftsteller ins- piriert, diese Zeilen stammen vom „Biografen der Donau“ Claudio Magris. Er hat in seinem 1986 er- schienenen Buch wie kein zweiter Autor die Be- Furt- wangen Kilometer 38 Bregquelle Kilometer 45,43 Martinskapelle Dass die his tori- sche Donau quelle neuerdings vom Schloss park „aus- gegrenzt“ und ein- zig über die Treppenanlage bei der Stadtkirche erreichbar ist, hat Magris noch nicht erleben können. Wer die Stu- fen hinuntergestiegen ist, be staunt eine imposante Anlage – findet Gefallen an der nach den Triberger Wasserfällen bekann- testen Bild marke des Schwarzwald-Baar-Kreises: Unter der hoch aufragenden Figu rengruppe des Vöhrenbacher Bildhauers Adolf Heer posieren nahezu zu jeder Jahreszeit Reisende aus aller Welt, darunter auffallend viele junge Menschen. Mutter Baar, die junge Donau zu Füßen, der nach Osten ausgestreckte Arm – unter ihnen Einzelrei- sende oder eine Gruppe Touristen stehend: dieses Motiv ist hunderttausendfach auf Film und in jüngerer Zeit auf die Speicherkarten von Digi- talkameras und Fotohandys fixiert worden. In die steinerne Um randung der Quellenan- lage sind zahlreiche allegorische Dar stellun gen eingearbeitet – und unzählige „Zeitzeichen der Ge genwart“: das Ku gelschrei ber-, Mes ser- und Bleistift-Gekritzel überwiegend junger Quellen- besucher, die sich an einem bedeutenden Ort verewigt sehen wollen. Ein „Zeit zeichen“ ande- rer Art ist das „Plastikgeld“ am Grund des Quell- beckens. Neben Münzgeld, das begleitet von Donauquelle im Schlosspark: Mutter Baar zeigt der Donau den Weg. Rechts: Ins Quellbecken geworfene Münzen sollen Wünsche erfüllen helfen, dazwischen finden sich Kredit- und Kontokarten.

Hirzbauernhof Brigachquelle St. Georgen Peterzell Kilometer 40,26 Brigach Kilometer 32 Kilometer 35 Kilometer 38 „Brigach und Breg…“ Brigach | Einzugsgebiet: 195 km² Länge: 40,26 Kilometer Breg | Einzugsgebiet: 281,2 km² Länge: 45,43 Kilometer Villingen-Schwenningen Kilometer 20 Schönenbach Kilometer 35 Vöhrenbach Kilometer 30 Kilometer 23 Marbach Kilometer 12 Kirchdorf Brigachtal Klengen Hammereisenbach Grüningen Kilometer 7 Wolterdingen Aufen Wünschen und Hoff- nungen ins Becken gewor- fen wurde, spiegeln sich Kredit- und Kontokarten im Wasser – alle sind sie selbstredend längst ungültig geworden. Eine zunehmend virtuelle Welt braucht für ihre Hoffnungen und Wünsche offensichtlich ei- ne „virtuelle Währung“. Kilometer 14 Kilometer 11 Donaueschingen Bruggen Bräunlingen Allmendshofen Kilometer 2 Kilometer 2.780: Am Beginn der Donau Kilometer 5 Hüfingen Von der historischen Donauquelle aus sind es durch den Schlosspark hindurch und teils an den Ufern von Brigach und Breg entlang gut zwanzig Minuten bis zum Zusammenfluss der beiden Flüsse nahe der Bundesstraße 31. Hier, wo die Donau beginnt, versammeln sich weniger die Touristenströme, hierher kommen die wirk- lichen Flussliebhaber: Bei niedrigem Was ser- stand stehen und picknicken sie auf ei nem Kies- bett mitten im Fluss, begleiten die junge Donau mit ihren Gedanken. So wie an diesem Sonntag- nachmittag eine Mutter von zwei Jungen: „Wie immer“ hat sie die Heimfahrt nach Frei burg auf dem Donau-Parkplatz an der B 31 unterbrochen, um „nach ihrem Fluss zu sehen“. Es ist ein hei- ßer Tag im Juli, die Jungs waten barfuß im Was- ser, begegnen dabei einem mit fünf Padlern besetzten Schlauchboot. Diese „Donaurei se“ führte von Allmendshofen ein Stück die Breg ent lang und dann bis Gutmadingen. 191

Junge Donau Donaueschinger Impressionen. Von links: Nah bei der Brigach steht der Diana-Brunnen, wo man in Blickwei- te zur Brigach gemütliche Sommerabende verbringen kann. Mitte: Entenfüttern an der Brigach. Rechts: Die vielen Touristen sind die Käufer der Quellen-Souvenirs. Hier, wo die Donau beginnt, fühlt man sich im Geiste mit Persönlichkeiten der Weltgeschichte verbunden: Diesen Donaubeginn hat der spätere römische Kaiser Tiberius gesucht, als er 15 v. Chr. vom Bodensee aus aufbrach, um in ei nem Tages- marsch die Quelle zu finden. „Nahe“ beim Zusam- menfluss von Brigach und Breg befand sich im Jahr 368 zudem das Feldlager des römi schen Kai- sers Valentinian I. Der Dichter Decimus Magnus Ausonius gehörte zu seinen Begleitern und ver- liebte sich in eine gefangen genommene Sklavin, Von links: Wo die Donau ihren Weg beginnt, folgen die Menschen in Gedanken dem Lauf des Wassers. Mitte: Junge Do nau am Schoße der Baar, Sandstein- gruppe beim Zusammenfluss. Rechts: Beliebter Treff- punkt bei den Donau freunden ist die Kiesbank beim Donaubeginn. ein Sueben-Mädchen, das er Bis sula nannte. In Rom schenkte ihr der 60-jäh rige Dichter den Stand einer freien Frau, sie war nun seine Gelieb- te. Die schöne Sklavin war fortan Germanin und Römerin, ihr hatte der Fluss zu einem neuen Le- ben fern der Heimat verholfen, ohne dass sie ih- ren Ursprung verleugnen musste (Claudio Magris). Ein aus dem Blickwinkel von römischen Sklaven betrachtet sicher mehr als seltenes Schicksal. Eine Reise durch zehn Länder Beim Zusammenfluss endet die amtliche Län- genmessung der Donau. Von hier aus bis zur Mündung ins Schwarze Meer sind es 2.780 Kilo- meter – auch wenn bekannte Lexika und andere Publikationen eine Flusslänge von 2.840 Kilo- meter angeben. Woher diese Dif ferenz in den Messungen stammt, ist ungewiss. Vielleicht ist sie in Fluss begradigun gen begründet, die im Lauf der Zeit erfolgten oder in der Be stimmung des Mündungspunktes im Donaudelta, ei nem einzigartigen, riesigen Sumpfgebiet. 192

Und weil aufgrund des Quellenstreites nicht für alle Beteiligten klar ist, wo die Donau nun wirk lich beginnt, wird sie rückwärts gemessen. Den Schlusspunkt der Donau „kann so jeder selbst bestimmen“. Legt man die Ansicht zugrun de, dass aus geographischer Sicht die Bregquelle die Do- nau quelle ist, dann hätte der Fluss eine Länge von 2.888 Kilometern, wie es auf einer Bronze- tafel in Furtwangen zu lesen steht. Die Länge der Breg wäre in diesem Fall zur amtlichen Donau- länge dazuzuzählen. Am Donaukilometer 2.780, dem Zusammen- fluss von Brigach und Breg und offiziellen Schluss- punkt, beginnt der Fluss hingegen völlig unbe- stritten seine Reise durch zehn Länder: Deutsch- land, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kro atien, Ser- bien, Rumänien, Bulgarien, Moldawien und die Ukraine. Ein riesiges Naturreservat ist der End- punkt – im rumäni schen Sulina findet sich ein Schild mit der Aufschrift: „Sulina, Kilometer 0“. Der Mess punkt an einem Leuchtturm ist nur per Schiff über den mittleren Donauarm erreichbar und markiert den Übergang ins Schwarze Meer. Nimmt man die Quellflüsse Brigach und Breg „Brigach und Breg…“ hinzu, dann fließt die Donau 285 Kilometer lang durch Baden-Württemberg, wo sie ein Einzugs- gebiet von 6.500 Quadratkilometern besitzt, in dem rund eine Million Menschen leben. Die deut- sche Donaulänge beträgt von Donaueschingen aus gemessen 663 Kilometer. Weitere Zahlen zur Donau: Die Donau entwässert 817.000 Quadrat- kilometer, der Rhein dagegen nur 225.000. Die Fläche, aus der die Donau ihr Wasser „schöpft“, entspricht in etwa einem Zwölftel der Fläche von Europa. Und auch wenn der Vergleich „hinkt“, aber er verdeutlicht die gewaltigen Dimensio nen: Der Donauquellfluss Breg entwässert gerade 281,2 Quadratkilometer, die Brigach 195! Von den etwa 300 Neben flüssen sind über 30 schiffbar. In Deutschland ist der Inn der wasser- reichste Zufluss, der mehr Wasser beisteuert, als die Donau selbst mitzubringen vermag. Die wich- tigsten Nebenflüsse finden sich zwischen Buda- pest und Belgrad: die Drau, die Theiß und die Save. Wer mehr über die Donau wissen mag, wird im Internet umfassend fündig – auch in Sachen Mutmaßungen zur Donauquelle. Eine Schülerin orakelt gar, dass die Donau im Keller des fürst- lichen Schlosses entspringt… Berühmte Quellenbesucher Die Geschichte der Donau ist ein riesiges Mosaik, eine schicksalhafte Zeitreise, die Künstler jeder Richtung inspiriert. Von Anselm Kiefer, berühmter Sohn der Stadt Donaueschingen, stammt das Bild mit Blei „Die Donauquelle“, das sich im Besitz des Fürsten zu Fürstenberg befindet. Zu den prominenten Besuchern gehörten Mozart, Kaiser Wilhelm II., Albert Schweitzer oder Jacques Ives Cousteau. Cousteau befasste sich auch intensiv mit der Quelle in Furtwangen, wo er auf der Martinskapelle im „Kolmenhof“ sein Basislager bezogen hatte. Der weltberühmte Meeresforscher drehte 1991 über die Do nau eine Filmdokumentation. Weiter hat mit Mokichi Saito 1924 ein inter- national bekannter und in Japan verehrter Dich- ter den Donauursprung besucht. Seine Eindrü- cke sind in Gedichten ver ewigt, was das Interes- se ungewöhnlich vieler ja pa nischer Besucher an der Donau erklärt. Der Heimatort Kaminoyama 193

Junge Donau Auf dem viel befahrenen Donauradweg bei Neudin- gen. Rechte Seite: Wenn der Winter geht, Donau bei Neudingen. des Dichters ist heute Part nerstadt von Donau- eschingen: im Zweijahres rhythmus reisen Do- nau esch inger nach Japan und nehmen an einem Austausch teil. So verbindet der Fluss weltweit Menschen – über Kontinente hinweg. Welche Bedeutung dem Donauursprung in- ternational beigemessen wird, dokumentieren die Gedenktafeln aller zehn Anliegerstaaten, die an der gewaltigen Mauer, die die Schlossanlage von der Donaueschinger Stadtkirche trennt, zu sehen sind. Das slowakische Zitat lautet: „Donau, die Du Zeiten, Völker und Staaten scheidest, sei Du ihr Band in den kommenden Jahrtausenden.“ Ein „Mekka“ der Radwanderer Jahr für Jahr kommen Zehntausende von Men- schen nach Donaueschingen, um den Ort zu se- hen, an dem „ihr Fluss“ seinen Anfang nimmt. Immer mehr Radwanderer sind darunter, für sie ist die Donau „zu einem Mekka geworden“. Die Beliebtheit des viel befahrenen Donauradweges erinnert schon an die des Jakobswanderweges, eine Entwicklung, die auch im Ursprungsgebiet der Donau verstärkt ins Bewusstsein rückt: Denn die Rad be geis terten aus ganz Europa brechen von Donaueschingen oder Furtwangen aus zu ih- ren Touren entlang des Flusses auf. In Budapest beispielsweise hat sich ein Reisebüro darauf spezialisiert, Radfahrer in acht Ta gen von der Quelle zurück in die Heimat zu begleiten. Ein 194 Kleinbus transportiert derweil alles, was es für so eine sportliche Reise braucht (siehe Foto S. 218). Auch viele deutsche Radsport be geis terte ab- solvieren den Donau radweg, der in seinem ersten Abschnitt bei leichtem Schwierigkeitsgrad von Do- naueschingen nach Ulm führt und 231 Kilometer lang ist. Im Schwarzwald-Baar-Kreis kommt man auf diesem Radweg von Donauesch ingen aus bis Gutmadingen. „Heftig umworbenes Flusskind…“ Doch bekanntlich ist der zweitlängste Strom Europas „ein heftig umworbenes Flusskind“, was im Quellenstreit zwischen Donaueschingen und Furtwangen zum Ausdruck kommt. In Furt- wangen nämlich wird in Sachen Donauquelle auf die Breg verwiesen, die bei der Martinska- pelle im Katzensteig in 1.078 Meter Höhe ent- springt, wenige Meter von der europäischen Was- serscheide entfernt. Mit einer Länge von 45,43 Kilometern ist die Breg um ca. 5,2 Kilometer län- ger als der zweite Donau-Quellfluss, die 40,26 Kilometer lange Brigach. Die Furtwanger Sicht, dass der längste Quellfluss der Donau zugleich als die geographische Quelle anzusehen sei, ist umstritten, sie hat jedoch auch Fürsprecher. Der Streit zwischen den Donaueschingern und Furtwangern um die Donauquelle ist viele Jahrzehnte alt und heute „weltweit“ ein Begriff, er erhitzt die Gemüter und ein Ende scheint nicht absehbar. Selbst das Stockacher Narrengericht wurde in dieser Angelegenheit dereinst um Auf- klärung bemüht. Das Urteil aus dem Jahr 1973 geriet salomonisch: „Dieser Streit ist zu schön, als dass er durch ein Gerichtsurteil beendet wer- den sollte.“ Auffallend war die Heiterkeit und der geist- reiche Witz, mit dem Furtwangens katholischer Stadtpfarrer und spätere Ehrenbürger Josef Beha und Joachim Prinz zu Fürstenberg in der Aula der Fachhochschule Furtwangen um das Recht der Donau quelle „stritten“ – flankiert durch den früheren baden-württembergischen Ministerprä- sidenten Erwin Teufel, damals noch Fraktions- sprecher der CDU im Landtag. Eine Sternstunde der Quellenstreiter!

Aus dem Kreisgeschehen

Aus dem Kreisgeschehen Der Hirzbauernhof in Brigach bei St. Georgen ist in jedem Weltatlas zu finden! Im Keller des 450 Jahre alten Bauernhofes entspringt mit der Brigach einer der beiden Quellflüsse der Donau. Eine Drainage leitet das Wasser ins Freie, von einem Quellbecken aus in einen Fischteich. Ins Auge fällt die Kopie einer Steinplatte mit der Darstellung von Hirsch, Hase und Vogel sowie drei Köpfen, der ein keltischer Ursprung bescheinigt wird. Ihr Original befindet sich im Heimatmuseum von St. Georgen. Der Stein könnte der Rest eines Quellheiligtums mit Göttersymbolen sein, er wird auf ein Alter von 2.000 Jahren geschätzt. „Ohne Mühe kann also das Dreigötterrelief als echtes Zeugnis eines kleinen keltisch-römischen Heiligtums an der Brigachquel- le gewertet werden“, schreibt Dr. Konrad Spindler in einem Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte des Schwarzwald-Baar-Kreises. Der Hirzbauernhof in Brigach bei St. Georgen. 196

Aus dem Kreisgeschehen Entlang der Brigach Brigachquelle 930 m ü.M. Lage: vier Kilometer westsüdwestlich von St. Georgen, im Keller des Hirzbauernhofes. Länge: 40,26 Kilometer Der Name „Brigach“ ist keltischen Ursprungs und bedeutet „helles, lauteres Wasser“. Unten: Das Dreigötterrelief zeigt Hirsch, Hase, Vogel sowie drei Köpfe. Vermutet wird, es könnte sich dabei um den Rest eines Quellheiligtums handeln.

Aus dem Kreisgeschehen Wie die Breg entspringt auch die Brigach im „Win- terland“: Blick zum Hirzbauernhof in Brigach, wo der Fluss im Keller seine Quelle hat. Als die Brigach der „Donau-Ursprung“ war – histo- rische Ansichtskarte des Hirzbauernhofes um 1900. Heute ist der Hirzbauernhof ein Ferienparadies für Kinder und Quellenbesucher. 198 „Die unauffällige Hinweistafel spricht nicht von der Donau, es ist ein ruhiger Ort an einer großen Wiese, in einer friedlichen Atmosphäre. Einen Gasthof gibt es hier nicht, nur eine Bank, die, wie die Inschrift erklärt, von der Landesbausparkas- se gestiftet worden ist. Die kleine Quelle entfließt dem Erdreich und mündet in einem kleinen Tümpel, auf dessen Grund ein Eisenrohr das Wasser sammelt, es wiederum unter der Erde entlangführt und es we nige Meter weiter abermals entspringen lässt, von wo aus es bergab fließen kann. Auch in diesem Falle würde ein geringfügiger Schaden an dem einfachen Eisenrohr die Physiognomie der Donau verändern… So viel Ruhe ist hier, ein sanfter, frischer Wind kommt auf, als wolle er daran erinnern, wie das Leben auch sein könnte, ein gespanntes Segel, und hinter ihm eine Spur von Schaum und Gischt.“ Claudio Magris über die Brigachquelle beim Hirzbauernhof in Brigach. Entnommen aus „Donau – Biografie eines Flusses“, Hanser, 1986, ISBN 3-446-14970-8 Die Brigach ist weltweit einzigartig: kein zweiter Fluss entspringt wie sie im Keller eines Bauernhauses. Der Hirzbauernhof im St. Geor- gener Ortsteil Brigach liegt geologisch gesehen im Triberger Granit – 930 m ü.M. nah der europä- ischen Wasserscheide von Donau und Rhein. Und er ist ein Fe rienparadies: Kinder überqueren den Brandweiher voller Brigachwasser mit einem Floß, andere spielen rund um den Hof mit Tieren – ein Ort wie er für die Quelle eines bedeutenden Flusses nicht idyllischer sein könnte. Die Brigach ist ein Quellfluss der Donau – als „Do nau quelle“ aber wurde sie nur gelegentlich und wenn doch, einzig unter lokalpatriotischen Vor- zeichen bezeichnet. So 1719 durch Vikar Breu n inger in seinem Buch „Die Ur-Quelle des Weltberühmten Do nau stro mes“. Um die Jahrhundertwende hat man in Brigach außerdem eine kolorierte An- sichtskarte des Hirzbauernhofes mit der Auf- schrift „Do nau -Ur sprung“ vertrieben. Seitdem darf die Brigach einfach die Brigach sein – der nur 5,2 Kilometer kürzere, zweite Quellfluss der Do- nau, aber der keineswegs unbedeutendere.

Entlang der Brigach Die in den 1870er-Jahren im Zusammenhang mit dem Bau der Schwarzwaldbahn errichtete Brücke bei der Stockburger Mühle. Unten: Bahnübergang mit Gegensprechanlage in Stockburg. Auf den ersten Kilometern nach der Quelle bleibt die Brigach unscheinbar, plätschert ver- steckt zwischen Büschen und Feuchtwiesen den Hang in den Ortskern von Brigach hinunter. Dass die Menge des Wassers doch nicht so gering sein muss wie es den Anschein hat, zeigt sich beim Klosterweiher in St. Georgen: Das Naturschwimm- bad ist ein mächtiger See, mit Brigachwasser ge- füllt. Hier haben früher die Mönche des Klosters St. Georgen ihre Fischzucht betrieben. Ab Flusskilometer 33/34 – die Flusslänge wird rückwärts gezählt – hat die Brigach so viel Wasser aus der Landschaft aufnehmen können, dass sie am Ausgang der Stadt St. Georgen in Richtung Pe- terzell deutlich als Gewässer in Erscheinung tritt. Ab dem Zinken Stockburg ist sie dann ein wirk- licher Bach. Und der lässt sich vielfältig nutzen – nicht nur, was die Wasserkraft anbelangt: Die Bäu- erin auf der über 300 Jahre alten Stockburger Müh- le bei St. Georgen treibt ihr Vieh in die Brigach hin ein, dem das kühle Wasser an einem heißen Sommertag sichtlich gut tut. Die Menschen hier leben mit dem Bach und nutzen ihn so gut es geht: Auch das Wasser im Mühlenkanal ist der Brigach „abgezwackt“. Ein Mühlrad klappert hier längst nicht mehr, vielmehr erzeugt im Keller des Bauern- hauses eine Turbine mit der Wasserkraft der Brig- ach elektrischen Strom. Neben der Stockburger Mühle führt eine wohl in den 1870er-Jahren erbaute, kunstvolle Brücke mit schmiedeeisernem Geländer über die junge Brigach zu den Gleisen der Schwarz- waldbahn. Dort findet sich eine Gegensprechan- lage und es prangt unübersehbar der Hinweis für Bauern und Langholzfahrer, dass sie mit ih- rem Vieh oder ihrer Holzladung die Bahngleise ohne Genehmigung nicht überqueren dürfen. Auf dem Weg nach Villingen Die Brigach fließt von Stockburg aus auf weiten Strecken nahezu parallel zu den Gleisen der Schwarzwaldbahn durchs Groppertal dem Ober- zentrum VS-Villingen entgegen. Das ist kein Zu- fall: Beim Bau der Schwarzwaldbahn wurden die gesamte Bahnstrecke entlang immer wieder Ab- schnitte ihres Bettes verlegt, weil sie dem Eisen- bahnbau im Weg waren. Ähnliches ist später auch bei Straßenbauten oder der Erschließung von Neu- bau- und Gewerbegebieten geschehen. Doch die Verdolung und Begradigung von Bächen hat land- auf, landab die Hochwasserproblematik verschärft sowie Tieren und Pflanzen wertvollen Lebensraum geraubt. Heute steht deshalb der Erhalt und die Schaffung naturnaher Fließgewässer und Auen im 199

Aus dem Kreisgeschehen „Im Knie der Brigach angelegt“ – die Zähringer- stadt Villingen im Luftbild. Mittelpunkt der Gewässerbewirtschaftung, sind die Prioritäten grundlegend andere. Radfahrer, Wanderer, Inliner oder Angler – das Groppertal ist eine Freizeit oase. Und wer beim dortigen Grillplatz unmittelbar neben der Brig- ach rastet, der kann sich an einer flusstech- nischen Besonderheit erfreuen: Für die Brigach wurde hier ein ca. 50 Meter langer Felsentunnel angelegt, der das Wasser unter den Gleisen der Schwarzwaldbahn hindurchführt (s. Seite 213). Ein gutes Stück weiter, wo das Groppertal nah der Gemarkungsgrenze von Villingen und Unter- kirnach seinen Anfang nimmt, vereinigt sich die Brigach mit der Kirnach. Am Zusammenfluss sitzt ein junges Paar, spielt mit seinem Hund. Die bei- den kommen oft hierher, erzählt der Mann, der diese Stelle faszinierend findet. Auch, weil er sich der Geschichte des Ortes bewusst ist: Vier Kilome- ter entfernt liegt in südlicher Richtung das Villin- ger Magdalenenbergle mit seinem Fürstengrab aus der Hallstattzeit. Hier an der Brigach haben die Kelten einst Eisenerz abgebaut. Weil sie das 200 begehrte und neuartige Eisen gewinnen und schmie- den konnten, sind sie so zu einem wohlhabenden Stamm geworden. „Kirnach“ bedeutet Mühle, erklärt ein Schild an einer Brücke. Dank ihres Zuflusses wächst die Brig- ach kurz vor Villingen schlagartig zu einem Fluss heran, der von Westen kommend durchs Kur ge biet und am Krebsgraben vorbei die Stadt erreicht. Im Oberzentrum schlägt der Brigach viel Sympathie entgegen: Die Bürger der Zähringerstadt nennen sich „Brigachstädter“ und ha ben „ihren Fluss“ ins Stadtwappen aufgenommen: Dort, wo Narro, Sur- hebel und Morbili zu Hause sind, kommt das einem Ritterschlag gleich. Die Wertschätzung des Flusses zeigt sich auch im Kleinen, so an Kunstwerken wie der Keramikfigur „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“ im Kurpark. Schon bei der Anlage von Villingen um das Jahr 1119 nützte man den Fluss geschickt aus: Wo die Brigach „ein Knie macht“, ihren bis dahin westöstlichen Lauf in südliche Richtung ändert, „legte man die Stadt dazwischen“. So konnte man an der Westseite des Ortes den so wichtigen, mit Brigachwasser gefluteten Gewerbekanal ent- langführen, wie Paul Revellio in der Villinger Chronik schreibt. Und man vermochte von die-

sem Kanal das für Zähringerstädte so typische Stadtbächle abzuleiten, das Villingen noch heute durchfließt. Der Schwedendamm DIe Brigach schlängelt sich seit eh und je die Alt- stadt entlang: prächtige Gründerzeit- und Jugend- stilvillen grenzen ans Ufer – mit so manchem Pavil- lon im Garten und Balkon zur Brigach hin. Etliche Trepple zum Fluss hinab zeugen davon, dass man sich von ihm das Wasser für den Garten borgt, auch Wäsche wurde hier früher selbstverständ- lich gewaschen. Diese Nähe zum Fluss war nicht nur ein Vor- teil: Bei ihrer dritten Belagerung versuchten die Schweden im Jahr 1634, die Villinger durch das Anstauen der Brigach zu bezwingen. Sie errich- teten dazu über Monate hinweg einen gewalti- gen Erddamm. Der Schwedendamm bei der „Müh- le“ war in etwa dort aufgeschichtet, wo sich die Kompostieranlage des Schwarzwald-Baar-Krei- ses befindet. Noch vor 50 Jahren war der mehre- re hundert Meter breite Damm als markante An- lage im Landschaftsbild zu erkennen. An dieses Ereignis erinnert in der Villinger Innenstadt ein Gedenkstein mit Nepomuk-Skulp- tur, der heute in der St.-Nepomuk-Straße zu finden ist und 1957 erneuert wurde. Der Gedenkstein fungierte als Säule für eine um 1710 durch Bild- hauer Johann Schupp geschaffene Nepomuk- Statue, die man „40 Schritt südlich des Markt- brunnens in der Niederen Straße aufstellte“. Bis dorthin soll 1634 das „Schweden wasser“ vorge- drungen sein, bis ihm endlich der Brückenheilige St. Nepomuk Halt gebot. Am 2. August 1827 wur- de das Nepomuk-Standbild dann zur Langen Mühle versetzt. Noch heute legen die Villinger am Denkmal Blumen nieder – aus Dankbarkeit, dass ihre Stadt unbesiegt geblieben ist. Der Fluss war oft genug „im Weg“ In der Geschichte der Zähringerstadt ist die Brig ach städtebaulich eine feste Größe: Wegen der Lage Villingens in der Talebene waren bei der Stadtanlage und beim weiteren Ausbau zwar Entlang der Brigach Nepomuk-Statue des Bildhauers Johann Schupp in der St.-Nepomuk-Straße. keine größeren Planier maßnahmen nötig; doch wegen des hohen Grundwasserstandes fehlen mittelalterliche Keller. Dafür wurden zwei Gewer- bekanäle angelegt, die Mühlen, Schleifer, Färber oder Gerber mit Wasser und Wasserkraft ver- sorgten. Heute führen die Kanäle das Wasser meist unsichtbar unter der Stadt hindurch, die im Übrigen auch den Eisweiher speisen. Die Brigach bedeutete für die Villinger aber auch ein stetes Problem – war oft genug im Weg. So kam es zwischen 1868 und 1883 – als Julius Schupp Bürgermeister war – zur Brigach-Kanali- sation und Trockenlegung des sumpfigen Stadtge- ländes im Osten. Die Brigach wurde zu dieser Zeit in ihr heutiges Bett gezwungen. 201

Aus dem Kreisgeschehen Die Brigach vor Grüningen. Fisch-faunistisch gese- hen wechselt der Fluss im Brigachtal von der Eschen- in die Barbenregion. Viele positive Auswirkungen auf das Leben in der Stadt Die renommierte Forschungsgesellschaft „empi- rica Delasasse“ testete für das Nachrichtenma- gazin „FOCUS“ die 105 größten deutschen Städ- te und kam zum Ergebnis: „Villingen-Schwen- ningen ist die Stadt mit der besten Umwelt. Wer auf saubere Luft, kla res Wasser und Natur Wert legt, für den ist die Stadt im Schwarzwald-Baar- Kreis die Nummer eins.“ An diesem Ergebnis hat auch die Brigach ihren Anteil, sie ist für Villingen ein gro ßes Stück Le bens qualität, unter anderem, weil sich an ihren Ufern ein weitläufiges Netz aus Spazier- und Radwegen erstreckt. Und natürlich rückt der Fluss bei der Lan des- gar tenschau 2010 verstärkt ins öffentli che Inte- resse: Dank einer großzügigen, terras sen för mi gen Stufenanlage kann man bei der Paradiesbrücke direkt an der Brigach sitzen und seine Füße im Wasser baumeln lassen. Wege am Wasser und ein Kletterspielplatz machen den Fluss noch er- lebbarer als bisher. Krimitechnisch gesehen sollte man dabei allerdings „Vorsicht walten las- sen“. Denn im VS-Krimi „Eiszeit – Hummels ers- ter Fall“ findet sich am Ufer der Brigach gar ein bewusstloser Mann… Oder man kann dort auf ein Meer von über 5.000 gelben Plastik enten treffen – untrügliches Zeichen, dass das vom 202 „Round Table 76“ veranstaltete Entenrennen ge- startet wurde. Dazu kippt man über 5.000 Spiel- zeugenten in den Fluss, die für einen guten Zweck die Brigach hinunter schwimmen. Der Fluss spielt auch in das örtliche Brauch- tum hinein: Seit 1973 ist die Figur des „Brigach- blätzle“ an der Villinger Fasnet anzutreffen. Und das Wasser des Narrobrunnens ist natürlich Brig achwasser – wie auch das Wasser anderer Brunnen in der Stadt. Die Brigach jedenfalls ist aus Villingen nicht wegzudenken. Vom Schwarzwald auf die Baar Folgt man dem Fluss von Villingen aus ins Brig- achtal, vom Schwarzwald in Richtung Baar also, tut sich bei der Kutmühle im Bereich des Unteren Dammweges teils unwegsames Gelände auf, das allein dem Fluss zu gehören scheint. Am südöst- lichen Ausgang der Stadt trennen sich deshalb Rad- und Jakobswanderweg vom Flusslauf, die ihm ein gutes Stück folgten. Die Brigach mäan- dert nun abseits von Wegen durch das nach ihr benannte Brigachtal, wo sich Kirchdorf, Klengen und Überauchen zur Gemeinde Brigachtal zusam- mengeschlossen haben. Blieb der Oberlauf der Brigach von kleineren Eingriffen abgesehen mehr oder weniger unange- tastet, änderte sich der Flusslauf im Bereich der Städte St. Georgen und Villingen in den ver- gangenen Jahrhunderten mehrfach. Bei Marbach und im Brigachtal erfolgten die Begradigungen und Verlegungen unter anderem mit dem Ziel, die

Fließgeschwindigkeit des Wassers zu erhöhen. Bis hierher hat die Brigach auf ihrem Weg von der Quelle zum Zusammenfluss mit der Breg in Do- naueschingen den größten Höhenunterschied bereits bewältigt: 250 Meter sind es insgesamt. Die Brigach sorgt bei Klengen, Kirchdorf oder Beckhofen immer wieder auch für Uferabbrüche – und nicht nur dort. Im Gegensatz zu früher aber gilt heute: Was sich der Fluss er obert hat, gehört ihm auch. Die Grundeigentümer erhalten für die- sen „Landraub“ zwar eine Entschädigung, aber keinesfalls ihr Grundstück zurück, was oft für Unmut sorgt. Da die Brigach ab dem Brigachtal als ein Gewässer erster Ordnung gilt, sind alle Kos ten der Gewässerpflege und des Gewässer- baues Sache des Landes Baden-Württemberg. Die Pflanzen- und Fischwelt Im Brigachtal kann man vom Haselbuck bei Klen- gen aus mit seinen Augen so weit wie nirgends sonst dem Lauf des Flusses durch die Landschaft folgen. Die Felder links und rechts der mäandern- den Brigach sind bis nah an die Ufer landwirt- schaftlich genutzt. Bachufer nahe Feuchtwiesen gibt es wenige, fast überall ist das Gewässer von Hochstaudenfluren und Brennnessel-Herden ge- säumt – teils finden sich Pestwurz-Fluren, Wald- binsen-Sumpf und Waldsimsen-Wiese. Auffal- lend ist der Baumbestand – und zwar den gesam- ten Flusslauf bis Donaueschingen entlang: Schwarz erle, Berg ahorn, Fichte, Zitterpappel, Esche, Stiel eiche, Traubenkirsche, Grau weide, Bruchweide bis Schwarzer Holunder, Eberesche oder Gemeiner Schneeball säumen die Ufer. Brigachtal mit Blick nach Beckhofen und Grüningen. Die Baumlinie markiert den Verlauf der Brigach. Entlang der Brigach Am Dorfbrunnen von Aufen – mit Brigachwasser gespeist, dient er im Sommer auch als „Freibad“. Ab Villingen fällt eine Pflanze besonders auf: der Flutende Hahnenfuß. Er liegt in den als „kri- tisch belastet“ eingestuften Bereichen stellenwei- se wie ein riesiger Teppich auf dem Fluss. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Gütezustand der Brigach weitgehend verbessert hat und das Oberzentrum Villingen-Schwenningen und die Große Kreisstadt Donaueschingen nach- haltige Anstrengungen unternommen haben, um durch eine noch intensivere Klärung ihrer Abwäs- ser dem Fluss zu noch mehr Reinheit zu verhelfen. Immerhin zählt die Brigach zum Einzugsgebiet der Bodensee-Was serversorgung! Auch Fisch-faunis tisch ist die Brigach ein in- teressantes Gewässer, in deren Oberlauf sich in der Hauptsache Bachforellen, Groppen, Schmer- len, Rotauge oder Döbel finden. Eine rätselhafte Forellensituation gibt es im Stadtbereich Villin- gen, wo die Bachforelle als ausgestorben gilt und ihr Bestand komplett durch die Esche ersetzt ist. Dieses Phänomen kann man auch in anderen Or- ten in Deutschland beobachten, eine Erklärung gibt es hierfür bis heute nicht.

Entlang der Brigach Fischtechnisch ist die Brigach in die – weni- gen Spezialisten vorbehaltene – obere und untere Forellenregion, dann die Eschen- und schließlich bis zum Zusammenfluss Barbenregion eingeteilt. Auch Fische aus der Roten Liste des Landes Ba- den-Württemberg finden sich in ihr, so Elritze, Groppe, Esche oder Bachneunauge – im Zufluss Warenbach wimmelt es geradezu davon. Als man zwischen Do nauesch ingen und Pfohren im August 2008 eine biologische Bestandsaufnah- me vornimmt, finden sich unter 15 Fischarten auch Döbel, Hecht und Barsch. Fisch-faunistisch gilt: um so naturnaher der Fluss, um so fischrei- cher ist er. Die Brigach – ein Stück Donaueschingen Hat die Brigach den Weiler Beckhofen mit seiner malerischen Kapelle aus dem Jahr 1717 beim Maier-Hof hinter sich gelassen, erreicht sie Grü- ningen und Aufen. Unter der Schwarz waldbahn hindurch nimmt der Fluss dann einen großen Bo gen: Breit fließt die Brigach danach in die Fürs tenstadt am Donauursprung hinein, pas- siert die Große Kreisstadt, die den Fluss geschickt in ihre Architektur integriert. Zum Schlosspark ge- langt die Brigach die Hermann-Fischer-Allee ent- lang – schließlich unter der Schützenbrücke hin- durch, die wohl imposan tes te Brigach-Brücke. Die Schützenbrücke war am 21. April 1945 von deutschen Truppen auf ihrem Rückzug vor den heran rück en den Franzosen gesprengt und nach Kriegsende wieder neu aufgebaut worden. Dass der Schlosspark der Fürstenberger als „Grüne Lunge“ der Stadt gilt, ist der am südlichen Rand des Parks vorbeigeleiteten Breg und der Brig- ach zu verdanken. Letztere fließt mitten hindurch, die Breg hingegen liegt am Rand des Parks „ver- steckt“, ihr Wasser ist wegen des Kraftwerks der Fürstenberger teils sogar der Brigach zugeleitet. Bachläufe, Seen, viele Vögel und ein mächtiger Baumbestand machen den Park einzigartig. Früher befand sich hier ein großes Sumpfgebiet, das man im 18. Jahrhundert trockenlegte. Erst als das insek- tenreiche Sumpfgebiet entwässert und zum Schloss- park um ge wandelt war, verlor es seinen Schrecken als Hort für vielerlei Krankheiten, wie es in der Donaueschinger Chronik heißt. 204 Brigach, Breg und Donau als Klangwelt Die Quellflüsse Brigach und Breg – dann natür- lich die Donau – sind immer wieder neu Gegen- stand künstlerischer Auseinandersetzungen. Und sie werden schon immer mit Musik in Verbindung gebracht. In Höhe der his torischen Donauquelle findet sich am Ufer der Brigach der „Do nautempel“ von 1910, den Entwurf dazu fertigte Kaiser Wilhelm II. Diese wilhelminische Symbolarchi- tektur ist bereits in ihrer Urgestalt ein Klangkör- per, in dem sich das in die Brigach fallende Was- ser der historischen Donau quelle bricht. So ver- wundert es nicht, dass der Wiener Architekt und Klangkünstler Bernhard Leitner diese Klänge bei den Donaueschinger Musiktagen 1999 durch Spie- gel „fokussierte“, damit verstärkte und so eine faszinierende Klang-Installation schuf. Flüsse sind Musik, an diesen Gedanken knüpft auch der Donaueschinger Dichter Max Rieple an, er schreibt in seinem Buch „Land um die junge Donau“: „Donaueschingen ist nicht nur seit Jahr- hunderten eine Pflegestätte der Musik, es ist auch irgendwie selbst musikerfüllt. Vielleicht liegt es auch daran, daß die Stadt von den beiden Quell- flüssen der Donau, der Brigach und Breg, deren Wasser den dunklen Gesang des Schwarzwaldes mit sich tragen, durchflossen und umspült wird.“ Löschwasser, Viererzug und Bachmarsch In Donaueschingen erinnert die Brigach im Jahr 2008, im Jahr der 100-jährigen Wiederkehr des verheerenden Stadtbrandes, auch an eine an- dere Funktion der Bäche und Flüsse: die Bereit- stellung von Löschwasser. Die Brigach führte am 5. August 1908 jedenfalls zu wenig Wasser, um damit den letzten großen Stadtbrand in Deutsch- land im Keim ersticken zu können, wie es in zeit- genössischen Berichten heißt. Wasserarme Flüs- se waren in früherer Zeit auch in anderer Hinsicht problematisch, sie verwandelten sich nämlich rasch zu „Kloaken“. Die Brigach ist im öffentlichen Leben der Stadt Donaueschingen auf vielfache Weise prä- sent, besonders spektakulär ist das bei den Vie- rerzug-Fahrprüfungen mit ihrer Wasserdurch- fahrt beim Donaueschinger Reitturnier der Fall.

Aus dem Kreisgeschehen Aber auch bei Events ganz anderer Art: Im Som- mer 1987 wagten sich die Musiker der Stadtka- pelle Donaueschingen aufgrund einer Wette in die Brigach hinein und marschierten spielend mit „Hoch Badnerland“ durch das Flussbett. 2007 gab es eine Neuauflage des „Brigach-Bach- marsches“ unter Beteiligung zahlreicher weite- rer Musikvereine. Reitturnier und Brigach-Bachmarsch, beides spielt nur wenige hundert Meter vom Zusammen- fluss entfernt. Dort, wo die Brigach mit der Breg in Donaueschingen am Ausgang des Schloss- parks die Donau bildet, endet ihre 40,26 Kilome- Von links oben: An der Schützenbrücke in Donau- eschingen. Donautempel, 1910 nach den Vorstellun- gen von Kaiser Wilhelm II. im antik-griechischen Stil im Schlosspark von Donaueschingen am Ufer der Brigach errichtet. Donaueschinger Reitturnier – ein Viererzug durchfährt die Brigach. ter „kurze“ Geschichte. Der Brigach setzt jeden- falls ein weltweit bekanntes Sprüchle ein groß- artiges Denkmal. Wie lernt es doch jedes Kind in der Schule? „Brigach und Breg bringen die Do- nau zuweg“. 205

Aus dem Kreisgeschehen 206

Entlang der Brigach | Kilometer 40 – 37 Aus dem Kreisgeschehen Plätschernd und gluckernd :: Als Bach ist die Brigach nach einer Länge von gerade Mal zwei Kilometern nur schwer auszumachen. Die Pflanzen am Rand des Gewässers zeigen, dass da Wasser ist, das zwischen Blüten, Blättern und Ästen hindurch gluckert und glitzert, wenn man sich nähert. Doch auch so (noch) unscheinbare Fließgewässer wie die junge Brigach sorgen dafür, dass die Landschaft mit einem Netz von Biotopen durchzogen ist. Teils selte- ne Pflanzen stehen am Ufer. Auffallend sind links und rechts der Brigach die alten Bauernhöfe, so im Gewann Obertal das Rappenweber Häusle und der Jäckleshof, wo der stattliche Hofbaum beeindruckt, ein 300 Jahre alter Ahorn. 207

Aus dem Kreisgeschehen Auf dem Weg nach St. Georgen :: Ab Kilometer 35 begleiten verstärkt Bäume den Verlauf der Brigach. Kurz vor dem Natur- schwimmbad Klosterweiher in St. Georgen (kleines Bild rechts) unterquert die Brigach die Gleise der Schwarzwaldbahn (kleines Bild links). Das große Foto zeigt den nach dem Fluss benannten Ort Brigach, im Hintergrund St. Georgen, drittgrößte Stadt im Landkreis. Typisch für die Bergstadt ist der Turm der evangelischen Kirche, rechts davon steht der katholische Kirchturm. 208 208

Entlang der Brigach | Kilometer 35 – 32 Aus dem Kreisgeschehen 209

Aus dem Kreisgeschehen In Stockburg :: Auf ihrem Weg durch den Zinken Stockburg dient die Brigach bei der „Stockbur- ger Mühle“ auch als Viehtränke (großes Foto). Von den wenig mehr als 100 Einwohnern betreiben in Stockburg noch etliche Viehzucht und Milchwirtschaft. Gewannbezeichnungen wie „Stockbur- ger Mühle“, „Stockburger Säge“ oder „An der Säge“ bezeugen, wie intensiv man in diesem Tal die Wasserkraft nutzte und nutzt. Von Stockburg fließt die Brigach ins Groppertal, dort findet sich die unter Denkmalschutz stehende Brücke oben rechts, die aus den 1870er-Jahren stammt, als die Schwarzwaldbahn erbaut wurde. Unten rechts: Die Brigach im Gewann „An der Halde“, es geht dem Zusammenfluss mit der Kirnach entgegen.

Entlang der Brigach | Kilometer 28 – 22 Aus dem Kreisgeschehen 211

Aus dem Kreisgeschehen Kirnach und Brigach :: Kurz vor Villingen vereinigen sich die Kirnach (links) und die Brigach – die Brigach schwillt merklich an. An einem Brückengeländer erläutert ein Schild, dass der Name „Kirnach“ germanischen Ursprungs ist und „Mühle“ bedeutet. Die Wichtigkeit der Flüsse für die Besiedelung unserer Region wird einem in knapp vier Kilometer Entfernung zum Villinger Magdalenenberg mit seinem Fürstengrab aus der Keltenzeit besonders deutlich: Die Kelten galten als „Eisenherren“, suchten auch kleine Vorkommen an Eisenerz, um das kostbare, neue Metall ge- winnen zu können. Dazu zogen Prospektoren durch die Gegend und fan- den Vorkommen im Umfeld von Brigach und Breg. So siedelten sich zwi- schen 600 – 550 v. Chr. auf dem Magdalenenberg, dem „Kapf“, keltische Bergleute an. Rechts: Modell der Grabkammer des Magdalenenberges aus dem Franziskanermuseum in Villingen. Rechte Seite: Das Felsen- türmle – eine künstliche Felsgrotte leitet die Brigach beim Grillplatz im Groppertal unter der Schwarzwaldbahn durch. Außen: Keramikskulptur im Villinger Kurpark, „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“.

Entlang der Brigach | Kilometer 23,5 Entlang der Brigach | Kilometer 23,5 Aus dem Kreisgeschehen 213

Aus dem Kreisgeschehen Die Brigach in Villingen :: Entlang der Luisenstraße stehen prächtige Bürgerhäuser am Flusslauf, an dessen Ufer überall schattenreiche Wege entlangführen, die die Brigach erlebbar machen, so wie unten Mitte entlang der Friedrichstraße. Unten links: die Brigach mit Blick zur „Insel“. Unten rechts: Brigach-Brücke beim Unteren Dammweg. 214

Entlang der Brigach | Kilometer 19 Aus dem Kreisgeschehen

Entlang der Brigach | Kilometer 17 Aus dem Kreisgeschehen Beim alten Schlachthof in Villingen :: Der Herbst spiegelt seine Farbenpracht in der Brigach. 216

Entlang der Brigach | Kilometer 10 Aus dem Kreisgeschehen Majestätische Silberweide :: Bei Beckhofen neigt sich malerisch eine Weide über die Brigach. 217

Aus dem Kreisgeschehen „Tour de Donau“: Vier Un- garn starten zur 8-tägigen Radtour Furtwangen – Budapest mit einer Länge von ca. 1.050 Kilometern. Die Bregquelle bei der Martinskapelle in Furtwangen ist die mündungsfernste Quelle der Donau und sei deshalb geogra- fisch gesehen der Donauursprung, so die Verfechter der Furtwanger Donauquelle. Das Einzugsgebiet der Breg beträgt 281,2 km², ihre Quelle liegt rund 100 Meter von der großen europäischen Wasserscheide Rhein/Donau entfernt. Überhaupt ist das Quellgebiet der Breg ein „Quellenland“: Nur rund 900 Meter nördlich entspringt die Elz, die in den Rhein mündet. Die Bregquelle ist ein Naturdenkmal, das schon viele berühmte Besucher hatte, darunter den Meeres forscher Jacques Yves Cousteau, der hier 1991 seine Filmarbeiten zur Donau-Dokumentation begonnen hatte, die weltweit im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Quelle der Breg liegt nah beim Gasthaus „Kolmenhof“ unmittelbar beim Kulturdenkmal Martinskapelle. Ob hier ein Zusammenhang besteht, man gar von einem Quellheiligtum sprechen könnte, wie immer wieder einmal gemutmaßt wurde, ist indes unwahrscheinlich. 218 218

Aus dem Kreisgeschehen Entlang der Breg Breg 1.078 m ü.M. Lage der Quelle: sieben Kilometer nördlich von Furtwangen im Katzensteig Länge: 45,43 Kilometer Der Name „Breg“ ist keltischen Ursprungs und bedeutet Hang, auch Rain sowie natürlich Wasser.

Entlang der Breg „Ich gehe die wenigen Meter von meiner Bank zur Bregquelle hinunter und steige dann die Wiese hinauf zu jenem Haus, wobei ich mir nas- se Strümpfe und Schuhe hole. Das Wasser glänzt zwischen dem Gras, die Quelle fließt ruhig hinab, das Grün der Bäume ist von guter Farbe, und es riecht auch gut. Der Reisende fühlt sich etwas schwerfällig und armselig und spürt die höhere Objektivität dessen, was ihn umgibt. Ist es mög- lich, daß diese Rinnsale auf der Wiese die Do nau sind, der Strom der Superlative, wie er mit sei- nem Flußbett von 817.000 Quadratkilometern und 200 Milliarden Kubikmetern Wasser, die er jedes Jahr in das Schwarze Meer ergießt, genannt wird? Der Bach, der einige hundert Meter weiter talwärts glänzt und rasch dahinfließt, verdient bereits hier den Namen ‚schönströmend‘, womit Hesiod den Ister bezeichnet.“ Claudio Magris über die Bregquelle beim Kolmenhof in Furtwangen. Entnommen aus „Donau – Biografie eines Flusses“, Hanser, 1986, ISBN 3-446-14970-8 Jacques Yves Cousteau, bekanntester Meeres- forscher der Welt, seine Schwiegertochter Anne- Ma rie, Geologe Willi Paul, Taucher, Kameraleute, wissenschaftliche Berater und Hubschrauber- pilot Ron aus Neuseeland – alle samt Mitglieder der Donau-Expedition der Cousteau Society im Januar/Februar 1991 – unterhalten sich mit dem „Hoch Marile“ über den Ursprung der Donau. Ma- ria Hoch (1922 – 2000) lebt in ihrem Lukasenhäus- le bei der Martinskapelle ohne Heizung in mehr als 1.000 Metern Höhe, karg – aber geschichts- bewusst. Von der Besichtigung des aus dem Jahr 1705 stammenden Bauernhofes mit seinem ge- mauerten Herd durch Touristen lebt die Frau. Ih- rem Vater gehörte einst die Breg- sprich Donau- quelle. Vom „Hoch Marile“ ist das welterfahrene Forscherteam fasziniert: Alles schmunzelt, als die alte Frau versichert, nein, die Donau quelle beziehe ihr Wasser nicht von einem Wasserhahn oder aus einem gehei men Rohr, das aus ihrem Haus hinunter zur Quelle führe. Derlei Mutma- ßungen waren immer wieder mal zu hören. Franz Dold, Wirt des Kolmenhofs und eifriger Kämpfer für die Furtwanger Donau quelle, folgt der Unter- haltung mit steigender Begeisterung. So eine Donau-Gesprächsrunde wird sein Berggasthaus wohl nie wieder vereint sehen. Am nächsten Morgen beginnen die Filmauf- nahmen: Cousteau spricht vor dem Lukasenhäus- le mit Maria Hoch, dann startet er zu einem Rund- flug über das Quellgebiet der Breg – einer der be- rüh m testen Franzosen der Welt hat seinen eigenen Helikopter dabei. Am Nachmittag testen die Tau- cher im Fischweiher des Reinerbauern ihre Aus rüs- tung – Vorbereitung auf einen Tauchgang im Feld- see am Feldberg, einst Quelle der Ur-Donau. 1991 drehte der weltberühmte Meeresforscher Jacques Cousteau eine Dokumen- tation über die Donau, filmte auch in Furtwangen und tauchte im Feldsee am Feldberg. Oben Mitte: Eine Expertenrunde diskutiert den Verlauf der Ur-Donau, links Cousteau, daneben stehend Franz Dold vom „Kolmenhof“ und Geologe Prof. Willi Paul aus Vöhrenbach. Rechts: Maria Hoch (1922 – 2000) am Eingang zu ihrem einst viel besichtigten Lukasenhäusle. 220

Aus dem Kreisgeschehen An der jungen Breg beim Schwarzbauernhof im Katzensteig bei Furtwangen.

Entlang der Breg Einzugsgebiet von 281,2 Quadratkilometern Weil es sich bei der Breg mit ihren 45,43 Kilome- tern um den längeren der beiden Quellflüsse han- delt, wird die Bregquelle in Furtwangen von vie- len als geografische Donauquelle angesehen. Doch der vor diesem Hintergrund entstandene Disput mit Donaueschingen, weithin bekannt als Donau quellenstreit, soll nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein – vielmehr geht es um das Por- trait eines Flusses mit „bergigem Charakter“, der auf vielfache Weise in das Leben der ungefähr 40.000 Menschen hineinspielt, die in den Städ- ten und Gemeinden links und rechts seiner Ufer zuhause sind. Die Breg besitzt ein Gesamtein- zugsgebiet von 281,2 Quadratkilometern, ihre größten Zu flüsse sind Vorderschützenbach, Hin- Die Breg im Vorderkatzensteig bei Furtwangen. 222 tere Breg, Rohrbach, Langenbach, Linach, Ham- merbach, Weiherbach und Brändbach. Die Breg entspringt 1.078 Meter ü.d.M. auf der Martinskapelle im Katzensteig bei Furtwan- gen nah der Wasserscheide Rhein/Donau. Die Martinskapelle, der nahe Brend, der Katzensteig und der Schützenbach bilden ein großflächiges, urwüchsi ges Na tur schutzgebiet. Die Nasswiesen links und rechts der jungen Breg beim Reinerhof oder Schwarzbauernhof sind wertvolle Rückzugs- gebiete für selten gewordene Pflanzen- und Tier- arten. Ihre zu mindest teilweise Bewirtschaftung ist mühsam: sie lassen sich nur in Handarbeit mä- hen. Hier blühen Mädesüß, Gelb-Weiderich, Eisen- hutblättriger Hahnenfuß, Trollblume oder das Breit blättrige Knabenkraut. Im Sommer sind auch Binsen typisch, dazwischen finden sich Sumpf- Ver giß meinnicht, Sumpf-Hornklee, Sumpf-Pippau, Sumpf-Veilchen oder Kuckucks-Lichtnelke. Im Kat- zensteig bei der Mühle des Schwarzbauernhofes an der jungen Breg zu stehen, sich auf die Natur einzulassen, die Pflanzenvielfalt zu betrachten und dem Plätschern des Bachs zuzuhören, ist ein fried- voller Augenblick – hier scheint die Natur im Gleich- klang zu sein. Ortsnamen widerspiegeln Besiedlungsabfolge Furtwangen, Schönenbach, Vöhrenbach, Hammer- eisenbach oder Bregenbach – die Breg spielte entlang ihres Flusslaufes eindeutig in die Bildung der Ortsnamen hinein. Ortsnamen mit „-bach“ deuten auf eine Gründung zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert hin und sind im Schwarzwald sehr häufig. Sie wechseln sich mit der noch häu- figeren Form „ach“ ab, das wie „bach“ mit „flie- ßendes Wasser“ zu übersetzen ist. In den Ortsna- men widerspiegelt sich auch die zeitliche Abfolge der Besiedelung der Breg, die ausgehend vom Zusammenfluss bei Donaueschingen nach und nach den Fluss herauf bis zur Quelle erfolgte. Denn im Unterlauf der Breg sind die Ortsnamen mit dem wesentlich älteren Zusatz „-ingen“ ge- bildet, sie stehen wohl im Zusammenhang mit dem Namen des Grundherrn einer Siedlergruppe oder -sippe. Ge mutmaßt wird, dass sich Ortsna- men mit „-ingen“ bis in die Zeit der Völkerwande- rung zurückverfolgen lassen. Jedenfalls sind sie

ein Hinweis auf eine sehr frühe Besiedelung des Unterlaufs der Breg – im Fall von Hüfingen schon zur Keltenzeit. Ein Wasserspielplatz mitten in der Stadt Durch den Schützenbach schlängelt sich die Breg im naturnahen Bachbett in südlicher Richtung der Hochschulstadt Furtwangen entgegen. Ein Stadtname, der eine Sonderrolle einnimmt, we- der „-bach“ noch „ingen“ enthält. Doch ist die Bezeichnung „furt“ gleichfalls ein eindeutiger Verweis auf das Wasser sprich die Breg, und mit „wangen“ findet sich ein Bezug zu den Bergen. Am Stadt eingang von Furtwangen passiert das Was ser eine energiegeschichtlich interes- sante Stelle: Fabrikant Felix Ket terer hat hier mit Hilfe der Breg als Erster weit und breit elektri- schen Strom erzeugt. Vom Turbinenhaus neben der Roten Mühle hat man 1890 dann eine Freilei- tung über den Friedhofsberg hinweg zur Ketterer- Fabrik in die Bregstraße geführt: „Es war die erste elektrische Kraft übertragung in Baden“, berichten die Historiker. Furtwangen hat die Breg geschickt in seinen Stadtkern integriert: Ein Fußgängerweg führt am Ufer entlang zum Quartier beim Rathaus. Dort schräg gegenüber fällt ein Wasserspielplatz mit seinem Netzwerk aus Pumpgeräten und Schleu- sen auf. Eine Schar von Kindern pumpt auf mecha- nischem Wege das Wasser der Breg in kleine Ka- näle. Sind diese geflutet, werden die Schieber ge öffnet und das Wasser strömt zurück in den Fluss. Und ähnlich den Stadtbächen in den Zährin- gerstädten Freiburg und Villingen hat auch Furt- wangen ein kleines Stadtbächle – das natürlich Bregwasser führt. Unter der Hochschule Furtwangen hindurch, am Deutschen Uhrenmuseum und der evangelischen Kir- che vorbei, macht sich die Breg auf ihren Weg in Rich- Wasserspielplatz an der Breg in Furtwangen. Aus dem Kreisgeschehen Auch Furtwangen hat sein Stadtbächle. tung Schönenbacher Tal. Diese Talaue ist groß- flächig unbebaut geblieben, weil sie von der Breg bei der Schneeschmelze im Frühjahr oder bei extremen Wetterereignissen regelmäßig über- schwemmt wird. Das Schönenbacher Tal fungiert bei Hochwasser als der erste Puffer für alle fluss- abwärts liegenden Städte und Gemeinden, es hat diese Funktion als Überschwemmungsfläche seit Jahrhunderten inne. Sogar ein Gewerbegebiet „auf Stelzen“ war in den 1980er-/1990er-Jahren eine Überlegung, um die eigentlich güns tig gele- genen Flächen mitten im Tal einer Nutzung zufüh- ren zu können. Im Schönenbacher Tal Ungewöhnlich artenreich ist die Fauna und Flora der Breg immer dort, wo der Fluss mög- lichst naturnah belassen ist, meist ist das im Bereich jener Überschwemmungsgebiete der Fall, die sich der menschlichen 223

Aus dem Kreisgeschehen Die Breg erreicht Vöhrenbach, eine mächtige Mauer aus Natursteinen schützt die Häuser vor dem Fluss. Naturnah, sich selbst überlassen: Das „Vöhren- bacher Ried“ im Schönenbacher Tal oberhalb von Vöhrenbach. 224 Einwirkung widersetzen konnten, so auch im Schönenbacher Tal kurz vor Vöhrenbach, im „Vöhrenbacher Ried“. Das Ried mit seinem Breg- Altarm vermittelt eine Vorstellung davon, wie früher die meis ten Talauen im Bregtal ausgese- hen haben könnten. Der Bereich soll unter Natur- schutz gestellt werden – dort kommen so seltene Vögel wie der Wachtelkönig oder das Braunkehl- chen vor. Am Rand der Talaue wächst die Arnika, es gibt Trollblumen bestände und besonders be- achtlich ist die Schmetterlings-Fauna: Lilagoldfeu- erfalter, Baldrian-Scheckenfalter oder Brauner Feuerfalter sind zu beobachten. Die ökologische und gewässerdynamische Entwicklung der Breg ist in einem Leitbild definiert: Bruchwei den- Aubuschwälder oder Hainmieren-Schwarz- erlenwälder mit Schwarz erle, Esche und Berg- ahorn wären in ihrem Mittellauf die ideale bach- begleitende Vegetation. Sumpfige Gebiete wie das „Vöhrenbacher Ried“ trockenzu le gen, etwa als es um den Bau der 1244 durch die Fürsten zu Fürstenberg gegründe- ten Stadt Vöhrenbach ging, war eine gewaltige Herausforderung. Durch Trocken legungen hat man dem Fluss das Land zur Besiedelung förmlich abgerungen. Das wasserreiche Vöhrenbach, die Stadt der Linachtalsperre, ist auf vielfache Weise mit der Breg verknüpft: Mehrere Mühlen am Ort verweisen auf eine Nutzung der Wasserkraft seit eh und je, darunter Braunstein- und Ölmühlen, als Besonderheit wohl auch eine Papiermühle. Ange- trieben wurden die Mühlräder durch die Breg und den Langenbach. Letzterer fließt gleichfalls mitten durch den Ort. Alle Flussanlieger versuchten seit jeher, sich die Kraft des Wassers nutzbar zu machen. Auch die Vöhrenbacher bauten vom Oberanger aus ei- nen Gewerbekanal, der Messerschleifern, Schrei- nern, Wagnern, Nagelschmieden oder den Orches- trionfabrikanten Imhof und Muckle den Antrieb der Maschinen sicherstellte. Reiches Fischwasser Vöhrenbach gilt als fischreich, was die Forelle im Stadtwappen aussagt, die 1802 bewilligt wurde, weil man die Spötteleien über das bisherige Wap- pentier, den Esel, nicht länger erdulden wollte.

Aus dem Kreisgeschehen Beim Fischen in Hammereisenbach – die Breg gilt als ein „Eldorado für Fliegenfischer“. Unterhalb von Vöhrenbach – zwischen Hammer- eisenbach und Wolterdingen – ist die Breg ein Eldorado für Fliegenfischer, die im Internet von „kampfstarken Forellen“ schwärmen und einem Fluss, der schwierig zu befischen sei. Fisch-faunistisch ist die Breg außergewöhn- lich: Im Oberlauf finden sich Groppe, Bachforelle, Bachneunauge und Elritze. Die Eschen region be- ginnt ab Wolterdingen und reicht bis Bräunlingen. Es kommen neben der Esche und Bachforelle Ar- ten wie Schmerle, Döbel, Barbe, Hechte, Kar pfen, Zander und sogar der Aal vor, der allerdings nicht erwünscht ist, da er als Laich- und Bruträuber in Erscheinung tritt. Einzeln sind auch Gründling, Barsch, Rotauge oder Hasel zu beobachten. Ins- gesamt handelt es sich bei der Breg um ein fisch- artenreiches Gewässer, das über gu te Bestände an geschützten oder seltenen Fischen verfügt. Wichtig sind die Vorkommen von Bachneunauge, von Trüsche und Nase im Mittel- bzw. Unterlauf, die andernorts als gefährdete Arten gelten. Die reichhaltige Flora und Fauna der Breg darzustellen, dazu wäre ein eigener Beitrag er- forderlich – ein „junger“ Flussbewohner aber soll erwähnt sein: der Biber. Im Bereich Wolterdingen und Bräunlingen sowie Hüfingen sind die Tiere bereits aktiv, das zeigen die typischen Na ge- spuren an den Bäumen. Etliche Wasserkraftwerke Ab Vöhrenbach wird die Wasserkraft der Breg vielfältig zur Stromerzeugung genutzt: Das Kraft- werk der Firma ANUBA, der Familie Heini beim Bernreutehof, das Wasserkraftwerk Zwick bei Bregenbach, mehrere Anlagen bei Wolterdingen, Bräunlingen, Hüfingen und das E-Werk der Fürs- ten zu Fürstenberg im Schlosspark dokumentie- ren, wie sehr die Anwohner „ihre“ Breg „für sich arbeiten lassen“. Auch recht findige Ansätze gibt es: Das Kraftwerk der Fürstenberger beispiels- weise nutzt den Höhenunterschied von ca. 1,4 Meter von der Breg zur Brigach. Das Wasser der Breg wird mit ca. 2,7 Kubikmetern pro Sekunde durch eine Turbine in die Brigach „geschossen“. Mit dem erzeugten Strom könnte man rund 60 Haushalte versorgen. Weil der Breg zu diesem 225

Entlang der Breg Zweck viel Wasser entnommen und der Brigach zugeführt wird, kommt es, dass die Brigach am Zusammenfluss mit der Breg zur Donau wasser- reicher als die Breg wirkt. Ein Wasserkraftwerk an der Breg verdient be- sondere Beachtung – das des Wolterdinger Zim- mermanns Ernst Zwick. Das Laufwasserkraftwerk entstand in den Jahren 1993/94 durch ca. 8.500 Arbeitsstunden in Eigenleistung, allein die Ge- nehmigungsphase dauerte vier Jahre. Und fast hätte das Wasser der Breg die An lage vernichtet: Ein Hochwasser verursachte ca 125.000 Euro Sachschaden. Die rund 1,4 Mio. Kilowattstun- den Strom im Jahr erzeugen eine Francis- und eine Kaplanturbine mit einer Maximalleis tung von ca. 480 kW, die aber nur selten erreicht wird. Was beim Bau der nahen Linach talsperre nachhaltige Probleme bereitete, ist in Zindelstein gelungen: Die Druckrohrleitung aus Holz, von Ernst Zwick selbst gebaut, ist bis heute dicht. 530 Kubikmeter Holz und 44 Tonnen an Stahl für die Ummantelungen wurden verbaut. (Ein Hinweis: Das Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen hat zum Kraftwerk Zwick und weiteren Wasser- kraftwerken der Region sowie zu den Flüssen im Landkreis unter www.fg.vs.bw.schule.de interes- sante Details zusammengetragen.) Das Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen Wer dem Lauf der Breg folgt – was übrigens her- vorragend mit dem Fahrrad möglich ist, der hat 226

bei Wolterdingen die größten Probleme damit, sich dem Fluss zu nähern. Ein Netzwerk aus Ne- ben- und Altarmen, Auwäldern und Überschwem- mungsgebieten führt einem vor Augen, wie ur- sprüngliche Flussland schaften einst überall ausge- sehen haben müssen. Dieses naturnahe und völlig unbebaubare Über schwem mungs gebiet steht gegenwärtig be- sonders im Blickpunkt, es ist der Rückhaltebe- reich für das Hochwasserrückhaltebecken Wol- terdingen/Breg. Das Trockenbecken mit seinem 460 Meter breiten und bis zu 18 Meter hohen Ab- sperrdamm vermag zirka 4,7 Mio. Kubikmeter Hochwasser zurückzuhalten, indem es eine Fläche von ca. 70 Hektar überstaut. Seit Juli 2005 laufen die Bauarbeiten, mit der Inbetriebnahme ist im Jahr 2011 zu rechnen. Das Hochwasserrückhalte- Entlang der Breg becken ist die wirksamste Hochwasserschutz- maßnahme im Rahmen des Integrierten Donau- programmes: Die Abflussspitze eines Hochwas- sers, wie es nur alle 100 Jahre auftritt, kann von 176 Kubikmeter pro Sekunde auf 75 Kubikmeter pro Sekunde reduziert werden. Das Trockenbecken soll ab einem Hochwasser, das ei nem 5-jährlichen Ereignis entspricht, eingestaut werden. Die Breg als kostbares Naherholungsgebiet In Wolterdingen tritt die Breg vom Schwarzwald in die Baar über, gibt es naturnahe Fluss räu me, fischreiche Gewässer und die schönste Bregbrü- cke: Bei der „Insel“ führt eine denkmalgeschützte, 1906 erbaute Betonbrücke über den Fluss. Kurz Bei den Kraftwerken Zwick (Bregenbach) und Hei- ni (Hammereisenbach). An der Breg vor Hammer- eisenbach mit Blick zum Winterhof. Info-Tag zum Bau des Hochwasserrückhaltebeckens in Wolterdin- gen – auch der Biber war zu sehen. Unten Mitte: Auf der Bregbrücke beim „Schwarzen Buben“.

Entlang der Breg danach lenkt die Breg ihren Lauf nach Süden, an Bräunlingen vorbei, das die am Ortsrand liegende Breg im Rahmen einer Hochwasserschutzmaßnah- me zu einem naturnahen Erholungsbereich aus- baute. Eine Hochwasserschutzmulde, die paral- lel zur Breg verläuft, wird die historische Altstadt von Bräunlingen vor einem Hochwasser wie das des Jahres 1990 künftig besser schützen. Reten- tionsflächen, naturnahe Auen, bewegliche Ab- sperrvorrichtungen und der Bau kleiner Deiche bieten Bräunlingen und dem benachbarten Hü- fingen weiteren Schutz. Dass Flüsse nicht nur wertvolle Naturräume, sondern auch kostbare Naherholungsgebie te sind, offenbart sich besonders an heißen Som- mertagen: Im Untertal von Schönenbach baden Jugendliche im Bach, genießen die selbst im Sommer eher kühle Breg. Unterhalb von Hammer- eisenbach haben sich bei der Pegelmessstelle in Höhe des Kraftwerkes Zwick etliche Sonnenan- beter versammelt, auch Kanu- und Schlauch- bootfahrer sind ab Wolterdingen auf dem Fluss unterwegs. Bei Bräunlingen genießen Jugendli- che auf Bänken und Steinstufen am und im Fluss einen Sonntag im Juli. In Hüfingen campiert eine Familie mit Kindern und Hund auf einem Kiesbett in der Breg. Der Vater fischt nah der imposan ten Stahlbrücke, die die Altstadt mit den Neubauge- bieten Griesweg und Hohen verbindet, mit Erfolg nach dem Sonntagsessen. Hüfingen – alte Stadt an der Breg Villingen ist die Stadt der Brigach, das kunstsin- nige und ökologisch orientierte Hüfingen nennt sich stolz „alte Stadt an der Breg“. Das Leben in Hüfingen war und ist eng mit der Breg verflochten – das widerspiegelt die Stadtgeschichte in vielen Details. Bei Hüfingen teilt sich die Breg zeitweise in drei Flussarme und sie hat eine geologische Beson- derheit zu bieten: zwischen Seemühle und Fried- hof verliert sie bis zu 600 Sekundenliter an Was- ser. Für diese Versickerung sind Karsthöhlen im An der Breg bei Bräunlingen. 228 228

Entlang der Breg arme der Breg überquerte. Das erklärt, dass sich an der St. Leonhardskapelle gleich mehrere Hochwassermarken befinden. Das mächtigste Hoch wasser stellte sich am 24. Oktober 1778 ein. Die Macht der Breg bei Hüfingen hat im Lauf der Zeit zu etlichen Korrekturen an ih- rem Bett geführt, die wohl größte erfolgte in den 1930er- Jahren. Hüfingen und die Breg – es wäre ein Kapi- tel für sich. Besonders imposant ist der Mühlen- kanal mit dem Kunstwerk „Das Paar“ mitten im Flussbett. Wie nah man dem Fluss ist, zeigt sich auch daran, dass es die Menschen oft zur Breg hi- nunterzieht. Ein Kiesbett nah der Altstadt lädt zu bald jeder Jahreszeit zu Flusserkundungen ein. Ab Hüfingen sind es noch vier Kilometer bis zum Zusammenfluss mit der Brigach – dem fließt die Breg an Allmendshofen vorbei nun schnur- stracks entgegen. Hochwassermarken an der Hüfinger St. Leonhardskapelle. Muschelkalk verantwortlich. Auf diesem Weg gelangt ein Teil des Bregwassers schließlich in die Gauchach. Das bedeutet: Die Breg lässt somit im Zu sam menspiel mit der Brigach nicht nur die Donau entstehen, sondern schickt auch dem Rhein „ihre Grüße“. In unmittelbarer Nähe zur Breg haben in Hüfin- gen bereits die Kelten gesiedelt, das legt der eins- tige Ortsname „Bri go ban ne“ nahe, den die Römer später so übernommen haben. Inwieweit sich die Kelten die Was serkraft der Breg bereits für hand- werkliche Tätigkeiten nutzbar machten, ist unbe- kannt. Die drei Arme der Breg bei Hüfingen speisen den Kofenweiher, der heute als Naherholungsge- biet gilt, geben ihr Wasser ans Stadtbächle ab, das mitten durch den malerischen Baar-Ort fließt, an den Weiher mit Kraftwerk bei der Seemühle und natürlich an den Mühlenkanal, der zur Stadtmühle führt. Neben der Burg gab es in „Brigobanne“ auch die Burgstadt, die von einer Ringmauer umgeben war. Entlang dieser Mauer verlief als zusätzlicher Schutz vor Feinden ein mit Bregwasser ge- füllter Graben. Die Verbundenheit von Stadt und Fluss widerspiegelt auch eine Sage im Zusam- menhang mit der 1479 erbauten Leon- hardskapelle. Ein Fuhrmann, der wie durch ein Wunder gerettet wurde, als unter der Last seines Fuhrwerkes die hölzerne Breg- brücke am Stadteingang von Hüfingen ein- stürzte, soll die Ka pelle gestiftet haben. Eine Kette aus geschmiedeten Hufeisen erinnert da ran, dass man früher St. Leon- hard zu Ehren die jungen Pferde um die ihm geweihte Ka pelle führte. Ein Ölgemäl- de von Menrad aus dem Jahr 1682 zeigt die Kapelle am Beginn einer großen, bogenrei- chen Brückenanlage, die gleich zwei Fluss- Seit jeher hat Hüfingen ein Stadtbächli – eine kleine Breg mitten in der Stadt.

Aus dem Kreisgeschehen 230

Entlang der Breg | Kilometer 31 Aus dem Kreisgeschehen Klirrend kalt – die Breg im Untertal bei Schönenbach. 231

Aus dem Kreisgeschehen Vor Wolterdingen trifft man auf den natürlichsten Abschnitt der Breg. Dort, wo das Hochwasserrückhaltebecken ent- steht, fungierten die Wiesen und Auwälder links und rechts des Flusses seit eh und je als Überschwemmungsfläche, ein altes Wehr zeugt davon. Eine der schönsten Breg- brücken steht in Wolterdingen, sie wurde 1906 erbaut. 232 232

Entlang der Breg | Kilometer 48 Entlang der Breg | Kilometer 17 Aus dem Kreisgeschehen 233

Aus dem Kreisgeschehen Auf dem Bregtalradweg kann man die gesamte Breg entlang ra- deln, hier vor Wolterdingen-Bruggen. Einer der kleinsten Orte ent- lang der Breg ist Bruggen mit seinem Kirchlein, um das nicht nur Ziegen grasen, sondern wo auf der nebenan liegenden Wiese auch die Feste im Ort gefeiert werden. Vor Bräunlingen findet sich eine unter Denkmalschutz stehende Eisenbahnbrücke aus Zeiten der Bregtalbahn. 234 234

Entlang der Breg | Kilometer 12 Aus dem Kreisgeschehen

Aus dem Kreisgeschehen Die Breg schmiegt sich bei Hüfingen an die Altstadt. Wenn sie wenig Wasser führt, ist das Kiesbett im Flussbett ideal für eine Bachwande- rung – sei es, um Köder fürs Angeln zu fangen. Mit dem Wasser der Breg speist sich auch der Kofenweiher, ein beliebtes Sommer-Ausflugsziel der Hüfinger. Über den Mühlekanal treibt das Wasser der Breg auch die Stadtmühle an, im Kanal findet sich das Keramik-Kunstwerk „Paar“. 236 236

Entlang der Breg | Kilometer 4 Aus dem Kreisgeschehen

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Entlang der Breg | Kilometer 1,5 Aus dem Kreisgeschehen Die Breg hat Allmendshofen erreicht, wo ein weitläufiges Radwegenetz auch die dortige Bregbrücke integriert. Von links unten: Wohnen nah der Breg, schnurstracks fließt die Breg von Allmendshofen aus dem Zusammenfluss ent- gegen. Unten Mitte: Wehr bei der Wasserkraftanlage im Park der Fürstenberger und Eisenbahnbrücke am Rand des Schlossparks in Donaueschingen. 239

Brigach und Breg bringen die Donau zuweg… Eine Kanufahrt auf der jungen Donau | von Julia Weiss „Wollt ihr lieber ein Einfach- oder ein Doppelpaddel?“ – diese Frage bildet den Auf- takt zu einem nicht ganz alltäglichen Sonntag auf der Baar. Es ist sonnig, ein paar Wölkchen am Himmel, angenehme Temperaturen, perfektes Wanderwetter – doch statt in die Berge zu gehen, klettern wir heute in bunte Plastikboote, um auf der Do- nau zu paddeln. Ob das mal gut geht? Rot und grün liegen die Kanus am Brigachufer beim Donaueschinger Freibad. „Ihr werdet sehen, das geht ganz einfach“, heißt es. Und: „Haltet euch immer in der Strömung.“ Kurz nach neun Uhr sind wir also in unsere Kanus geklettert, seither kämpfen wir tapfer um Stabilität und Richtung. Noch sind wir auf der Brigach unterwegs, die sich für unseren Ausflug mit prächtigen weißen Blüten geschmückt hat. Beinahe die gesamte Wasseroberfläche ist von Flutendem Hahnenfuß bedeckt – so herrlich er anzusehen ist, so anstrengend ist es aber auch, mit dem Kanu durch so ein Hahnenfußfeld hin- durchzufahren. Immer in der Strömung bleiben, so hieß es doch. Wo Hahnenfuß ist, gibt es kei- ne Strömung. Wir lernen schnell. Für die Um- gebung habe ich kaum ein Auge, Hauptsache wir kommen voran. Die Vorstellung zu kentern verursacht ein komisches Gefühl in der Bauch- gegend, wer will schon in Hahnenfußgestrüpp 240 240

Aus dem Kreisgeschehen ertrinken? Wirklich Sorgen machen müssen wir uns aber nicht, obwohl wir Kinder dabei haben. Schließlich ist die Strecke zwischen Donau- e sch ingen und Gutmadingen, das schon im Nachbarlandkreis Tuttlingen liegt und zur Stadt Geisingen gehört, ein beliebter Flussabschnitt – Schulklassen machen hier ihre Ausflüge, ganze Geburtstagsgesellschaften genießen die Baar- Landschaft aus ungewohnter Perspektive. Wer ins Wasser fällt, holt sich allenfalls nasse Füße. Während meine Gedanken übers Wasser glei- ten, achte ich nicht aufs Paddeln –und schon hän- gen wir im Flutenden Hahnenfuß fest. Eigent- lich hätte ich steuern sollen – wer hinten sitzt, ist Steuermann. Dieses Kanu will aber nicht so wie ich – und mein Begleiter, der vor allem fo- tografieren möchte, muss aussteigen, um den Plastikkahn ins offene Wasser zurückzuziehen. Am Anfang hatte ich seine Gummistiefel noch belächelt … ich paddle angestrengt, um dem Ka- Für den kleinen Florian gibt es eine Schwimmwes- te – zwar sind die Kanufahrten auf der Donau eine sehr sichere Sache, aber Thomas Heine vom Furt- wanger Unternehmen „bootbike“ nimmt es bei der Sicherheit ganz genau. Oben rechts: der Flutende Hahnenfuß, Freude und Last zugleich, denn oft ge- nug erschwert er das Vorankommen. Unten: Blick auf Pfohren mit Entenburg. nu wieder Fahrt zu geben. Es gelingt, nur leider in die falsche Richtung. Unsere Nasen zeigen wieder nach Donaueschingen, die Strömung zieht uns nach hinten. Umkehren, drehen, paddeln. Das Abenteuer scheint anstrengend zu werden. So geht es in kurzen Abständen noch zwei Male. Wir beschließen die Plätze zu tauschen. Die Kiesbank gleich hinter der Brü- cke scheint der geeignete Ort. Diese Kiesbank steuern wir bewusst an. Wir steigen aus dem

Kanufahrt auf der jungen Donau Kanu und lassen erst einmal die Umgebung auf uns wirken: Gerade eben haben wir eine ganz wesentliche Stelle passiert – den Ort, an dem die Donau beginnt, wo Brigach und Breg ihre Wasser zusammentun. Wir stehen am Ursprung der Donau! Bewacht von einer eindrucksvollen Skulptur wird dieser Ort, doch könnte die Sze- nerie kaum gegensätzlicher sein: zur Fluss po- esie gesellt sich profaner Verkehrslärm. Franz Xaver Reichs Werk „Die junge Donau als Kind am Schoße der Baar“ hätte einen stilleren Platz verdient. Bewusst blende ich die Bundesstraße aus und konzentriere mich auf den gerade erst ent- standenen Fluss Donau. Und auf seine Steine. Während die Kamera leise surrt, greife ich ins seichte Wasser und nehme einen Kie- selstein heraus. Wo der wohl herkommt? Hat ihn die Breg im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Schwarzwald herangeschleppt? Oder ist er mit der Brigach auf die Baar ge- langt? Schwer und glänzend liegt er in meiner Hand. Wenn er sprechen könnte, was würde er erzählen? Wie es damals war, als Hochwasser eine Felswand unterspülte und riesige Granit- blöcke ins Flussbett stürzten? Vielleicht habe ich ja auch ein Stück Buntsandstein oder Gneis aus dem Wasser gefischt? Unwesentlich die Der Zusammenfluss ist erreicht, die ersten Fluss- meter sind bewältigt. Antwort, wenn ich mir vorstelle, dass bald nur Sandkörner von meinem Kiesel übrig sein wer- den – spätestens im Schwarzen Meer wird alles eins. Den Kiesel werfe ich zurück ins Wasser, weiter geht die Fahrt! Immer in der Strömung bleiben Nach dem Platzwechsel scheint es etwas bes- ser voranzugehen, und ich lasse meine Blicke über die Ufer schweifen. An das gleichmäßige Schaukeln des Kanus habe ich mich gewöhnt, dass aber die Strömung uns meistens dorthin trägt, wo die Weidenzweige am weitesten über den Fluss reichen, damit muss ich mich erst anfreunden. Immer in der Strömung zu bleiben und gleichzeitig den Zweigen auszuweichen, das will auch gelernt sein. Abwechslungsreich die Vegetation auf beiden Seiten der Donau: Mal fahren wir in einem grünen Tunnel, bei nahe dämmrig wirkt das Licht durch dichte Vorhänge aus Weiden und Erlen, dann versteckt Schilf die Ufer, da zwischen die roten Kerzen des Blutwei- derichs. Ein richtig großer Haufen aus Zweigen liegt vor dem Ufer im Wasser, ob hier der Biber wohnt? Nahezu ausgerottet, erobert er sich nach und nach seinen früheren Lebensraum zurück. Ein Milan kreist hoch oben am Himmel, prachtvoll leuchtet sein fuchsrotes Schwanzgefieder, wäh- 242 242

Aus dem Kreisgeschehen Die Brücke in Pfohren ist erreicht. Eine willkommene Pause wird eingelegt – stilecht im „Café an der Donau“ mit seiner schönen Wandmalerei von Fecit Lehmann. Danach heißt es auch für Autorin Julia Weiss wieder „Ärmel hochkrempeln – weiter geht ’s“. rend er über uns eine Ehrenrunde dreht. Der Rote Milan gilt als „heimlicher Wap penvogel der Baar“, verdanken wir doch ihm eines der ausgedehntesten Vogelschutzgebiete von eu- ropäischer Bedeutung. Weiße Blüten verhüllen noch immer den Fluss, machen das Fortkommen anstrengend. Doch die langsame Art sich fort- zubewegen, hat auch ihr Gutes – wir lösen uns aus der Eile des Alltags und passen uns einer Geschwindigkeit an, die uns die Umgebung wie- der erleben lässt. Feine Wellen schimmern in allen Tönen von schwarzblau bis gleißendweiß, dazwischen grün- lich und türkis, ich glaube fast, es zieht die Welt an uns vorbei. Zauberfische gleiten durch die Zweige alter Bäume, silbrig glänzend huschen sie durch die Luft. Ein Kreuz, ein Grab vielleicht, liegt leicht erhöht unter den Bäumen, eine Bank am Ufer. Das Blinken der Fische holt mich in die Realität zurück – es sind Metallobjekte, in die Zweige gehängt, von einem Künstler vielleicht? Die Kinder im zweiten Kanu jedenfalls sind ganz begeistert. Sie sind sowieso die besseren Flusskapitäne. Meist sind die Kids und ihr Papa ganz vorne, während wir anderen immer hinterher fahren müssen. Sie haben auch sofort unse ren ersten Rastplatz erspäht – gleich nach der Pfohrener Donaubrücke liegt ein „Café an der Donau“ mit Aussichtsterrasse am Ufer. Auf in Richtung Entenburg Gestärkt gehen wir die nächste Etappe an, hof- fen auf einen schönen Blick auf die Entenburg, in der sich 1516 Kaiser Maximilian zu einem Jagd- ausflug aufgehalten haben soll. Trutzig steht

Kanufahrt auf der Donau An einem Sommertag ist man an und auf der Donau selten allein: Neudinger brechen mit Schlauchboo- ten zur Bootspartie auf, am Ufer ist Sonnenbaden angesagt und die Kanutour führt in respektvollem Abstand an einer Schwanenfamilie vorbei. sie mit ihren vier Rundtürmen und dem mäch- tigen Walmdach in der Uferwiese, bewacht von alten Pappeln. Eine richtige Märchenburg. Ob der Kaiser tatsächlich Enten erlegt hat, ist nicht überliefert. Gesperrt ist der Fluss mit einem Mal – über die ganze Breite erstreckt sich eine Bar- riere aus dünnen Holzstämmen, in der Mitte ein Hinweisschild „Ziel“. Ein Mann ruft uns vom Ufer aus zu, wir sollen aussteigen und auf die Seite gehen, hier finde gleich das Entenrennen statt. Was Kaiser Maximilian wohl zu Plastikenten ge- sagt hätte? Wir ziehen es vor, die Kanus über die Barriere zu ziehen und weiterzupaddeln. Plastikenten haben wir auf unserem Weg nicht gesehen, aber vielerlei andere Tiere. Wie die Tierwelt am Wasser überhaupt sehr vielfältig ist. Einen Biber erspähen wir leider nicht, dafür huscht mal eine Bisamratte ins Ufergestrüpp, mal ruft ein Blässhuhn die Schar seiner Küken in Sicherheit. Graureiher stolzieren elegant im seichten Uferwasser umher, doch sie dürfen wir nur von ferne ansehen, sie sind sehr scheu und ergreifen rasch die Flucht. Auch Schwäne leben an der Donau, und einige zeigen sich wenig er- freut über unseren Besuch. Ein Schwanenvater plustert sich effektvoll auf und bauscht seine Schwingen, hinter ihm die elegante Schwä- nin mit drei grauen Jungtieren. Der Alte zischt hörbar ärgerlich übers Wasser; wir machen ei- nen großen Bogen um die Schwanenfamilie und paddeln weiter. Ganz süßlich duftet die Luft, Mädesüßwiesen säumen die Ufer, bieten zahl- 244

Aus dem Kreisgeschehen reichen Insekten Nahrung und Schutz. Schwarze, großflügelige Libellen und die schlanken azur- blauen huschen übers Wasser. Bei den Blauen ist heute Hochzeitstag, sie sind fast alle im Dop- pelpack unterwegs. Seine Düfte schickt auch das Indische Springkraut, das sich unhaltbar an Gewässern ausbreitet, übers Wasser. Kein Wunder, dass die rosenfarbenen Blüten in der Insektenwelt hoch im Kurs stehen. Doch leider verdrängt es unsere heimischen Pflanzen immer mehr. Hoch recken sich die knotigen Stängel übers Ufer. So hoch, dass unser Blick das „Drau- ßen“ nur sporadisch erhascht, das „Drinnen“, das gemütliche Vorwärtsgleiten unserer Kanus, das ist heute unsere Welt. Friedrich Smetanas musikalische Reise mit der Moldau kommt mir in den Sinn, als – weit über Schilf und Spring- kraut – in der Ferne das früher fürstenbergische Schloss auf dem Wartenberg aufleuchtet. Bevor die Moldau jedoch majestätisch unterm Hrad- schin, der Prager Burg, dahinströmen kann, muss sie viele Hindernisse überwinden, auch die Stromschnellen von St. Johann. Wir haben Gott sei Dank nicht Stromschnellen vor uns, nur das große Wehr bei Neudingen. Im Schwemmland der Donau Beschaulich liegt Neudingen heute im Schwemm- land der Donau, überragt von der eindrucksvollen Kuppel der Fürstenbergischen Grablege. An die große Geschichte des Mittelalters erinnert nur Blick vom Fürstenberg aus zur jungen Donau, de- ren Verlauf in der Ferne die Baumlinie markiert. Im Hintergrund der Wartenberg.

In Neudingen ist die junge Donau be- sonders vielfältig. Wo man die Kanus um das Wehr oben Mitte herumtragen muss, hat sich die Dorfjugend ein Sommer-Schwimmbad eingerichtet. Ideal für Radfahrer ist der Donaurad- weg, der im Schwarzwald-Baar-Kreis beginnt. Sümpfe, hat ein schwarzweiß Röcklein an, trägt auch rote Strümpfe“, so lau- tet ein altes Kinderlied aus Zeiten, da es noch viele Störche gab. Hier auf der Baar, da finden sie noch und auch wieder Lebensraum, die feuchten Wiesen, die Überflutungsflächen, die ihnen Nahrung bieten. Und manches Stor- chennest, in Pfohren wie in Neudingen, hat seit einigen Jahren wieder dauerhafte Bewohner. Die Donau mit all ihrem Zauber erleben Die Schlussetappe liegt vor uns, bis nach Gutma- dingen ist es nicht mehr weit. Führt uns der Fluss zunächst noch parallel zur Bahnstrecke und im- mer genau nach Osten – die rote Schwarzwald- bahn unterbricht nur kurz die Stille – so zeigt die Donau plötzlich Launen. Unsicher scheint sie, wohin weiter sie wohl ziehen will. Ihre weiten, vor und zurück sich neigenden Schlingen kenne ich bislang nur aus der Vogelperspektive. Von oben, vom Wartenberg, einem der schönsten Aussichtsplätze, kann man die Donau und mit ihr die Baar in all ihrem Zauber erleben. Am noch die von einem verwunschenen Friedhof umgebene Kirche. Nachgewiesen ist eine mittel- alterliche Kaiserpfalz, in der Karl der Dritte, ge- nannt „der Dicke“, einige Zeit lebte. Geherrscht hat er von hier aus nicht mehr: Neudingen war der Ort seiner Verbannung, nachdem er seine Macht 887 bei kriegerischen Auseinanderset- zungen hatte abgeben müssen. Wenig später starb der entmachtete Frankenkaiser in Neudin- gen, begraben ist er aber auf der Insel Reiche- nau. Auch das im 13. Jahrhundert gegründete, be- deutende Frauenkloster „Maria Hof“ hatte einst seinen Sitz in Neudingen. Eindeutig neuzeitlich jedoch ist das Wehr, das dem Mühlenkanal Was- ser zuleitet und uns den Weg versperrt. Wir zie- hen die Kanus mühevoll über die Uferböschung und tragen sie einige Meter weiter wieder ans Ufer. Während wir noch eine kurze Rast einle- gen, beobachten wir auf den Wiesen gegenüber einige gravitätisch einherschreitende Störche. „Auf uns’rer Wiese geht etwas, watet durch die 246

Aus dem Kreisgeschehen späten Nachmittag, wenn die Landschaft in die- sem warmen Licht badet, leuchten die kräftigen Mäander der jungen Donau am intensivsten, wie flüssiges Gold die Schlingen der Altarme. Heute sauge ich den Zauber aus der um- gekehrten Perspektive in mich auf, fühle mich ganz klein vor der unerwarteten Höhe des War- tenbergs. Die leuchtende Schlossfassade wirkt wie ein Wachposten kurz vor der Stelle, wo die Donau im Kalkgebirge der Schwäbischen Alb verschwinden wird. Majestätisch beherrscht er diese Landschaft, der Wartenberg, nördlichster der Hegauvulkane. Tatsächlich bilden Basalt- massen auf seinem Gipfel den Untergrund für eine Burgruine, Vorgängerin des kleinen, aber markanten Schlosses. Über Schilf- und Weidendickicht ragt auf der anderen Seite der Fürstenberg empor – ein wei- terer geschichtsträchtiger Berg der Baar. Er ist nicht vulkanischen Ursprungs, er ist ein „Zeu- genberg“, aus den gleichen Kalkschichten wie die benachbarten Höhenzüge aufgebaut. Erosi- on legte seinen Gipfel frei – und so ist er „Zeu- ge“ eines früheren Landschaftsbildes. Eine Burg krönte auch den Fürstenberg, sie gab dem Ge- schlecht der Fürsten zu Fürstenberg den Namen. Auf seiner Hochfläche lag eine kleine Siedlung, nach einem vernichtenden Brand 1841 wurde das Dorf weiter unten wieder aufgebaut. Auf unserer Flussreise begegnet uns nicht nur Natur – auch die Geschichte unserer Heimat zeigt sich bei jedem Paddelschlag. All das geht mir während des Paddelns durch den Kopf, die Arme bewegen sich im Takt, etwas langsamer als zu Anfang, müde geworden von der unge- wohnten Anstrengung. So habe ich wieder Au- gen für meine direkte Umgebung: Erst hier, im letzten Drittel unserer kleinen Reise, gibt es einige steiluferartige Bereiche, an denen die Böden offen und ohne Bewuchs zu Tage tre- ten. Leben hier vielleicht die schönen Eisvögel? Möglich, dass die runden Öffnungen unterhalb der Grasnarbe zu ihren Bruthöhlen führen. Auch Eisvögel schätzen die Ruhe des Flusses. Ich kann mich dem sanften Gleiten des Kanus überlassen, dem Fließen von Wasser und Zeit. Direkt vor uns jetzt das vertraute Trapez des Fürstenbergs – halt, war der nicht eben noch rechts, und links der Wartenberg? Die Donauschlingen scheinen orientierungslos auf ihrem Weg nach Osten, drehen und winden sich. Jetzt gabelt sich der Fluss sogar – wo geht es weiter? Wir erinnern uns an den Anfang: im- mer der Strömung nach – die Entscheidung ist richtig, die andere Seite ist ein Altarm. Spätes- tens jetzt wird uns klar, dass unsere Paddelstre- cke wirklich 21 km misst – Fluss-Kilometer. Da wird es Zeit, dass die Kanutour zu Ende geht, und tatsächlich dringt das Rauschen der vorbeifah- renden Autos auf der immer näher kommenden Bundesstraße bis zu uns hinab. Wir nähern uns dem Zielort Gutmadingen. Kurz vor der Holzbrücke ziehen wir die Kanus auf die Wiese. Während wir unsere „Donau- schiffe“ auf den Hänger des Kanuverleihers la- den, kommt eine kleine Gruppe Radler ans Ufer. „Kurze Pause“, schnauft der eine. Die Donau fasziniert jeden. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, gehe ich noch einmal ans Ufer und hole einen Kieselstein aus dem Wasser. Auf Wieder- sehen, Donau. 247

Brigach und Breg bringen die Donau zuweg… Fauna und Flora der jungen Donau Vorkommen des Roten und Schwarzen Milans ist einzigartig in Deutschland Flora und Fauna der jungen Donau sind außergewöhnlich interessant – hier tref- fen Extreme aufeinander: Da sind ein- mal die Feuchtgebiete im Mäander areal der Donau anzuführen, und zweitens die sich an dieses Areal anschließenden Hänge mit ihrer Fülle von unterschied- lichen Vegetationsgesellschaften. Text und Fotografie von Roland Kalb Unter der Einbeziehung des Schlossparks in Donaueschingen, der Donauuferbereiche, des Unterhölzer Waldes und der Streuobstwiesen am Fürsten- und Wartenberg ist die gesamte Vielfalt der in Deutschland heimischen Baumar- ten bis auf wenige Ausnahmen vertreten. Be- sonders zu erwähnen ist die Streuobstwiese am Wartenberg mit ihren alten Obstbaumsorten, die der BUND ständig ergänzt, pflegt und betreut. In der Donau selbst bildet von Juni bis August stellenweise der Flutende Wasserhahnenfuß (Ranunculus fluitans) mit seinen weißen Blüten große, unübersehbare Teppiche. Die hellgrüne Pflanze erreicht unter Wasser eine Länge von bis zu sechs Metern. An einigen Stellen des Uferbereiches und Blüten, die vom Mai bis Anfang Juli erscheinen, halten sich leider nur wenige Tage. An gleichen Standorten blüht von Juni bis September mit einer Höhe von 50 – 1,50 m der Gewöhnliche Blutweiderich (Lythrum salica- ria). Die Blüten bilden mit dicht aufeinander folgenden Quirlen eine Ähre, die mehr als 100 Einzelblüten umfassen kann. Sie dient den Rau- pen aus der Familie der Nachtpfauenaugen als Futterpflanze und Tagschmetterlingen als Nek- tarspender. An den Ufern der Gräben und an den Wald- rändern wächst der 50 bis 175 cm hohe Gewöhn- liche Wasserdost (Eupatorium cannabinum). Er blüht zwischen Juli und September. Die Ufer von Gräben und feuchte Wiesenare- ale sind der Standort von dem von Juni bis Au- gust blühenden Wiesengeißbart (Spiraea ulma- ria) und dem Echten Mädesüß (Filipendula ulma- ria). Die sehr kleinen, cremweißen Einzelblüten angelegt in dichten fedrigen Rispen der 50 bis 150 cm hohen Pflanze erscheinen von Juni bis August und verströmen besonders am Abend einen intensiven, honig- bis mandelartigen Ge- ruch, der vor allen Bienen, pollenfressende Flie- gen, Schwebefliegen und Käfer anlockt. In den wechselfeuchten Moor- und Nasswie- sen des Donaubereiches heben sich von Juni bis August die roten Blüten des 60 bis 150 cm hohen an den Wassergräben, die das Mäanderareal durchzie- hen, sind Schilf (Phragmites australis) und Rohrkolben (Typhaceae) auszumachen. An den Wassergräben und abgeschnittenen Alt- armen wächst und blüht eine bis 1,20 Meter hohe at- traktive Pflanze, die Sumpf- Schwertlilie (Iris pseudaco- rus). Ihre schönen gelben 248 Der Gewöhnliche Blutweiderich und die Sumpf-Schwertlilie (rechts).

Aus dem Kreisgeschehen Großen Wiesenknopfes (Sanguisorba officina- lis) von dem Grün der Umgebung deutlich ab. Er ist eine eurasische Art mit einem Einzugsgebiet, welches sich von der französischen Atlantikküs- te bis nach China erstreckt. Die Blüten gehören zu den Lieblingsplätzen der Moorbläulinge, die hier ihre Eier ablegen. Dort wo die Wiesen in trockenere Bereiche übergehen, doch auch die anschließenden Waldränder und lichten Waldareale, sind das Reich der zu den Primelgewächsen gehörenden Echten Schlüsselblume (Primula veris, Syn: primula officinalis). Ihr Name bezieht sich auf die Ähnlichkeit mit dem Bart eines Schlüssels. Bestäubt wird die Pflanze von langrüsseligen Insekten wie Hummeln oder Faltern. Die Samen verbreitet der Wind. Die unterschiedlichen Bodenverhältnisse im Bereich der Donau lassen Pflanzen hoch- kommen, die hier etwas variabel sind und dazu gehört als Orchidee die Mücken-Händelwurz (Gymnadènia conopsea). Ihre Höhe schwankt zwischen 10 und 60 cm und ihre Blütezeit um- fasst die Monate Mai bis August. Im Gegenlicht wird in dem langen Sporeneingang der reichlich vorhandene Nektar sichtbar. Zur vielfältigen Fauna entlang der jungen Donau gehören von oben links: Schlüsselblumen, Bie- nen-Ragwurz, Diptam, Wald- oder Gemeine Akelei, Helm-Knabenkraut, Türkenbundlilie, Reck hölderle und Felsenblümchen. Türkenbundlilie in weißen Varianten Ein Waldareal, welches sich fast bis zur Donau hinzieht, ist der Standort von einigen Pflanzen, die zwar in ihren Vorkommen nicht ganz selten sind, in der hier gezeigten Färbung jedoch eine äußerste Rarität darstellen. Es ist die Türken- bundlilie (Lilium màrtagon) in weißen Farbva- rianten. In Sichtweite der Donau wächst an Hängen eine weitere, seltene Pflanze: Es ist der 5 bis 30 cm hohe Kleinstrauch des Rosmarin-Seidelbasts (Daphne cneorum), besser bekannt als Reck- hölderle. Die purpurroten, außen behaarten Blüten, die nach Nelken duften, erscheinen von Mai bis Juni. Die Steinfrüchte haben eine röt- liche oder bläulich gelbe Farbe und beginnen ab August zu reifen. Alle Pflanzenteile enthalten das sehr giftige Mezerin. 249

Aus dem Kreisgeschehen Der aufmerksame Beobachter findet in Um- feld des Reckhölderle noch weitere nicht allzu häufige Pflanzen und eine davon ist das Helm- Knabenkraut (Orchis militaris). Die 25 bis 50 cm hohe Orchidee, die von Mai bis Juni blüht, ist in der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen ver- merkt. Eine weitere Pflanze, die hier als dichter Strauch ihren Standort hat, ist die Waldakelei (Aquilègia vulgaris), eine alte Heilpflanze, die durch ein Blausäure-Glykosid schwach giftig ist. Während die Waldakelei humosen Boden bevor- zugt, ist die Schwarzviolette Akelei (Aquilègia atràta) mehr auf gestörte Böden (Bahndämme) angewiesen. Zum Ökosystem der jungen Donau gehört auch die angrenzende Hügellandschaft und ein Ausschnitt aus deren Pflanzenspektrum, welches hier nur als Aufzählung folgt, soll die hohe Wertigkeit und auch Schutzbedürftigkeit des Gesamtgebietes deutlich machen: Fliegen- Ragwurz (Ophrys insectifera), Spinnen-Ragwurz (Ophrys sphegades), Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera), Hummel-Ragwurz (Ophrys fuciflora), Frauenschuh (Cypripedium caceolus), Weißer Diptam (Dictamnus albus), Korallenwurz (Co- rallorrhiza trifida), Gewöhnliche Kuhschelle (Pul satilla vulgaris), Maiglöckchen (Convallaria majalis), Märzbecher (Leucojum vernum), Im- mergrünes Felsenblümchen (Draba aizoides). Der Rote und der Schwarze Milan Am Anfang dieser beschreibenden Aufzählung der Tierwelt stehen Vögel, die in einer Zahl hier leben, die bundesweit kein anderer Landkreis aufweisen kann und denen ein Großteil unseres Kreisgebietes seine Ausweisung als Vogel- 250 Roter und Schwarzer Milan – durch das Vorkom- men dieser Vögel ist ein Großteil des Schwarzwald- Baar-Kreises zum Naturschutzgebiet ausgewiesen worden. schutzgebiet verdankt: Gemeint sind der Rote und Schwarze Milan. Es ist ein großartiges Bild, wenn ein ganzer Pulk Roter Milane über der Baar seine Kreise zieht. Rote Milane schließen sich Ende August bis Mitte Oktober zu großen Flügen zusammen, die 100 Vögel umfassen können, die gemein- same Schlafplätze aufsuchen, die aber nur zum Flug gehörende Artgenossen in diesen Schlaf- gemeinschaften dulden. Ihren Horst legen sie mit Lumpen aus, die sie irgendwo in ihrem Revier auflesen. Es kommen Mischgelege von Schwarzen und Roten Milan vor. In einem Mi- lanhorst wurden drei eigene Junge zusammen mit einem Turmfalken großgezogen. Die nörd- lichsten Überwinterungsgebiete liegen bereits in Elsass-Lothringen. Der Schwarze Milan hat gegenüber seinem größeren Vetter nur eine drei Zentimeter tiefe Schwanzgabelung und ist außerdem ein Weit- streckenzieher, dessen Winterheimat sich bis Zentral- und Südafrika erstreckt. Als Thermikflie- ger kann er das Mittelmeer nicht direkt überque- ren, sondern muss die Meerenge am Bosporus oder die von Gibraltar benutzen. Genau wie der Rote Milan legt er seinen Horst mit aufgelesenen Lumpen aus. Die jungen Milane verlassen ihr Heimatrevier, sobald sie selbständig geworden sind, das ist etwa Mitte Juli. Die Altvögel folgen ihnen spätestens Ende August. Ein Greifvogel, der auch im Winter über der jungen Donau seine Kreise zieht, ist der Mäu-

Fauna und Flora der jungen Donau sebussard. Seiner Nahrung, die überwiegend aus Mäusen besteht, lauert er von einer Warte aus auf, die ein Feldstein, ein Ast oder ein Heu- haufen sein kann. In seinem Horst liegen immer frische Zweige und kurz vor dem Schlüpfen der Jungen werden um das Gelege als Geburtstags- geschenk erbeutete Mäuse gruppiert. Zum Jagd- revier des Mäusebussards gehören die offene Landschaft, Waldlichtungen und Waldwege. und versuchen zu fliehen. Für einen von ihnen kommt dieser Versuch zu spät. Ganz andere Jagdmethoden haben die drei Falkenarten, die ebenfalls an der jungen Donau Jagd auf Beute machen: der Turm-, Baum- und Wanderfalke. Der Turmfalke, dem man Nisthil- fen in Form größeren Nistkästen anbieten kann, streicht im Suchflug über die Wiesenlandschaft. Plötzlich hat er in einem Wühlmaushaufen eine Ein weiterer Bussard, der aller- dings nur wenige Sommermonate im Suchflug besonders die Waldbereiche an der Donau durchkämmt, ist der Wespenbussard. Seine überwiegende Nahrung besteht aus Wespennestern, die er ausgräbt und mit Inhalt vertilgt. Neben Larven und Puppen von sozi- alen Wespen zählen zu seiner Nah- rung noch Würmer, Frösche, Schlan- gen, Jungvögel und Mäuse. Greifvögel auf der Jagd Zwei Greifvögel, die in der Busch- und Waldlandschaft an der Donau versu- chen, in einem Überraschungsangriff ihre angepeilte Beute zu schlagen, sind der Habicht und sein kleiner Vet- ter der Sperber. Zum besseren Ver- ständnis hier die Schilderung eines sol- chen Angrifffluges: In Waldrandnähe sitzt das Männchen des Habichts, der Ter zel, auf einem Baumast. Plötzlich vernimmt er in einiger Entfernung au- ßerhalb des Waldes das Rätschen von Eichelhähern. Vorsichtig steuert er einen Baum am Waldrand an, um die Lage zu sondieren. An einer feuchten Stelle der angrenzenden Wiese entdeckt er die Eichelhäher bei der Nahrungs- suche. Wie ein Stein lässt sich der Habicht von seiner Warte fallen und streicht mit wuchtigen Flügelschlägen, dicht über den Boden auf die Eichelhäher zu. Kurz vor dem Erreichen des an- gepeilten Vogels punktet der Habicht die Beu- te nochmals an und geht mit vorgestreckten Fängen in einen schnellen Gleitflug über. Jetzt haben die Eichelhäher den Angreifer entdeckt Vielfältige Vogelwelt, von oben links: Steinadler, Sperber, Habicht im Alterskleid, Wanderfalke, Wes- penbussard, Kormoran und Weißstörche. Erdbewegung bemerkt. Der Suchflug geht etwa 20 bis 30 m über dem Boden in einem Rüttel- flug über, ehe er im rasanten Flug auf den Wühl- maushaufen stürzt und dort seine Fänge in das Erdreich schlägt, ohne die Maus gesehen zu haben. Und doch hat er sie erwischt. Ein Biss ins Genick beendet ihr Leben. Entweder wird sie 251

Brigach und Breg bringen die Donau zuweg… Waldkauz, Waldohreule, Uhu und Schleiereule. Die offenen Feldscheunen entlang der Do- nau sichern im Winter der Schleiereule das Überleben. gleich gekröpft oder er steuert mit ihr eine Warte an, von der er auch beim Fressen den Überblick über seine Umgebung behält. Der seltene Baumfalke weiß die teilweise deckungslose Landschaft entlang der Donau ebenfalls zu schätzen. Er ist ein reiner Luftjäger und sein Beutespektrum reicht von Libellen bis zu Kleinvögeln. Da er bis weit in die Dämmerung hinein jagt, erwischt er auch Fledermäuse. Der Wanderfalke ist ebenfalls ein reiner Luft- jäger, dessen Verfolgungsjagd sich über 30 Minuten hinziehen kann. Ein Greifvogel des Nordens und des Ostens, der sich den Donau- bereich als Überwinterungsgebiet ausgesucht hat, ist die Kornweihe, die hier in mehreren Exemplaren in einem Schilfgebiet übernachtet. Im niederen Suchflug gaukelt sie dicht über den Boden der Donauwiesen dahin. Sie schlägt ih- re Beute nur am Boden, wo sie teilweise auch zu Fuß verfolgt wird. Im Frühjahr kann man ihre Balzspiele auch über der Baar bewundern. Greifvögel, die bei uns nicht zu den Alltäg- lichen gehören waren ebenfalls schon Besucher des Donaubereiches. Dazu zählen Fischadler und ein junger Steinadler, der sich mehrere Monate lang im Umfeld des Unterhölzer Weihers aufhielt. Feldscheunen als Heimat von Eulen Die offenen Feldscheunen entlang der Donau bieten im Winter nicht nur Nagern einen Unter- schlupf, sondern sie sichern auch der Schleier- eule das Überleben. Sie ist überwiegend auf Mäuse angewiesen und die kann sie unter einer 252 Schneedecke nicht mehr ausmachen. Sie ver- legt ihr Jagdrevier während dieser Zeit in die genannten Scheunen und dort findet sie ein ausreichendes Nahrungsangebot. Vor der Waldohreule, die ihre Nester nie selbst baut, sondern überwiegend verlassene Krähennester bezieht, müssen sich die Mäuse und Maulwürfe der Donauwiesen ebenfalls in Acht nehmen. Lautlos schwebt sie dicht über den Boden dahin. Plötzlich vernimmt sie ein lei- ses Geräusch und schon knickt sie nach unten weg um mit einer Maus in den Fängen umgehend den nächsten Ast aufzusuchen. Ein Genickbiss beendet das Leben des Nagers. Eulen jagen überwiegend nach dem Gehör, so dass bei Wind und Regen Schmalhans Küchenmeister ist. Eine weitere Eule des Donaubereiches frisst zwar auch Mäuse und Maulwürfe, daneben er- beutet sie auch in nicht geringem Maße Vögel. Es ist der Waldkauz, der auf Grund seines breiteren Beutespektrums mit kleineren Revieren aus- kommt. Es ist bei uns der einzige Greifvogel, der den Menschen direkt angreift, wenn er seinen Jungen zu nahe kommt. Der bekannte englische Tierfotograf Hoskins büßte bei einem solchen Angriff ein Auge ein. Die größte unserer Eulen, der Uhu ist bei uns die einzige Eule, die Igel erbeuten kann, weil das Stachelkleid gegenüber den langen Fängen keinen Schutz bietet. In den Donauwiesen ist fast immer ein Vogel auszumachen, dessen Brutkolonie sich in einem in der Nähe liegenden Waldareal befindet. Es ist der Graureiher, der mit einigen Individuen hier auch den Winter verbringt. Hält er länger an und

Fauna und Flora der jungen Donau verhindert eine Schneedecke den Mäusefang, müssen die Tiere verhungern. In den letzten Jahren gehören, bedingt durch die Klimaerwärmung, Silberreiher zu den Vögeln der Donauwiesen und des Unterhölzer Weihers. Es ist zwar ein Vogel, der auch in anderen Konti- nenten zu Hause ist, seine Vorkommensgebiete in Europa lagen aber bis vor noch nicht all zu langer Zeit hauptsächlich im äußersten Süd- osten unseres Kontinents. Silberreiher haben weitgehend die gleiche pirschende Jagdweise und in etwa auch das gleiche Nahrungsspek- trum wie die Graureiher. Auf der Baar nistet und lebt ein weiterer Vo- gel, der in den Donauwiesen nach Reptilien, Am- phibien und Mäusen jagt: Es ist der Weißstorch, der in immer größerer Zahl zu beobachten ist. Die Enten, die die Donau bevölkern sind un- Fischen, Schnecken, Frö- schen, Molchen und Was- serinsekten gilt legt er die Flügel an und benutzt als Fortbewegungsmittel die Füße. Das Nest, welches mehrere Zentner schwer werden kann und aus einem Haufen abgestor- bener Wasserpflanzen be- steht, ragt nur zu einem kleinen Teil aus dem Wasser. Die Jungen benut- zen den Rücken der Altvögel zum Ausruhen und können ihre Eltern unter deren Flügeldecken auf ihren Tauchgängen begleiten. Der Haubentaucher Mit wuchtigen Flügelschlägen, tollen Flug- kapriolen und laut rufend vertreiben mehrere Vögel eine Rabenkrähe, die ihrem Brutgebiet zu ter anderen Stock- und Reiherenten. Während der Zugzeit kann man auch einen Flug Enten beobachten, die mit melodischen Pfeifen auf sich aufmerk- sam machen. Es sind Pfeifenten und die Pfeifer sind die Erpel. Die Bruthei- mat dieser kleinen Enten liegt in Euro- pa in den nordöstlichen Regionen. Weitere Wintergäste auf der Donau sind eine größere Zahl Gänsesäger. Ih- re nächsten Brutreviere lagen an der Wutach. Sie brüten meistens in höher liegenden Baum- oder Felsenhöhlen. Die noch kleinen, flugunfähigen Jun- gen verlassen bald ihre Bruthöhle und wagen den hohen Sturz nach unten. Den Jungen, die nicht so mutig sind und den Sturz verweigern, verhilft ihre Mutter auf ihren Rücken zum ersten Flugerlebnis, hinunter in ihr nasses Element. Häufig anzutreffende Vögel auf der Donau sind Blässhühner, oder richtiger Blässrallen, die ihre Jungen auf Floß- oder Schwimmnestern ausbrüten. Der Haubentaucher ein Unterwasserjäger Ein Vogel, der jährlich die vertrauten Brutge- biete an der Donau wieder aufsucht, ist der Haubentaucher. Bei der Unterwasserjagd, die Oben: Rabenkrähe und Kiebitz. Nähern sich Ra- benkrähen einem Kiebitz-Gelege, werden sie ge- meinsam vertrieben. Unten: Stockente mit Jungen und Singschwäne. nahe gekommen ist: Es sind Kiebitze, die als Kolonien- und Bodenbrüter gemeinsam jeden Feind vertreiben, der sich ihrem Gelege nähert. Der Brutbeginn liegt im März und schon Anfang Mai schlüpfen die Jungen, die, kaum wenn ihr Flaum trocken ist, ihr Nest verlassen. Ein be- sonders raffinierter Nahrungserwerb ist das 253

Aus dem Kreisgeschehen Ein Neubürger an der jungen Donau und ihren Quellflüssen ist der Biber. Selten zu beobachten ist die Ringelnatter, rechts eine Gebänderte Prachtli- belle. „Boden-Klopfen“. Sie schlagen mit dem Fuß auf den Boden und das lockt Regenwürmer aus ihren Röhren direkt in den Schnabel des Fress- feindes. In den Donauauen fehlen natürlich auch die Rabenkrähen nicht. Sie fressen tierische und pflanzliche Kost und können ein Alter von bis zu 70 Jahren erreichen. Seit die Kolkraben wieder im Kommen sind, ist ihr Ruf auch im Donaubereich zu hören. Kolk- raben leben in Dauerehe und das will bei einem Höchstalter von 70 Jahren etwas heißen. Der Flötenruf eines typischen Vogels einer solchen Landschaft ist jedoch seit einigen Jahren nicht mehr zu hören. Es ist der Ruf des Großen Brachvogels, den vermutlich die Entwässerung großer Wiesengebiete und die darauffolgende landwirtschaftliche Nutzung, so wie die Verfül- lung Wasser führender Mulden aus seinem an- gestammten Reich vertrieben hat. Biber sind reine Pflanzenfresser Ein Neubürger, der Biber, ist inzwischen bis in den Bereich der jungen Donau vorgedrungen. Biber sind reine Pflanzenfresser, die sich in Deutschland nur an der Elbe bei Dessau halten konnten. Inzwischen haben sie, durch Ausset- zungen unterstützt, viele ihrer alten Siedlungs- gebiete wieder besetzt. Biber bauen übrigens nur dort Dämme, wo die Wassertiefe nicht ihren Ansprüchen genügt. In der weiträumigen und übersichtlichen Donaulandschaft der Baar sind fast immer Rehe auszumachen, die hier jede Annäherung eines wirklichen oder vermeintlichen Feindes schon auf große Entfernung erkennen und ihm deshalb auch rechtzeitig ausweichen können. 254 Weniger gut auszumachen ist hier Meister Lampe, der Hase, der den Tag überwiegend in der sicheren Deckung seine Sasse verbringt. Das gleiche Sicherheitsbedürfnis wie die Re- he veranlasste Meister Reineke, den Fuchs, hier in Heuhaufen seine Jungen zur Welt zu bringen. Ein gutes und reichhaltiges Nahrungsangebot war vorhanden, zu dem zwar überwiegend Mäu- se zählen, aber auch die hier vorkommenden Frösche. Ringelnattern und Blindschleichen dürften das Nahrungsspektrum sicher ergänzt haben. Eine Wasserlandschaft wie an der Donau ist die Heimat der Iltisse. Sie jagen meistens in der Dämmerung oder in der Nacht u. a. nach Mäu- sen, Schermäusen und kleinen Wasserratten. Sie können gut schwimmen und tauchen. Wildschweine, die in den umliegenden Wäl- dern leben, können ihre nächtliche Nahrungs- suche bis in die Donauaue ausdehnen. Ihre zu nehmende Zahl, die besonders auf Feldern großen Schaden anrichtet, kann auch die Beja- gung bislang nicht wesentlich eindämmen. Die natürlichen Gegebenheiten, die dieses vermö- gen, sind ein beschränktes Nahrungsangebot in Form von Bucheckern und Eicheln, so wie lan- ge und schneereiche Winter und diese werden in Anbetracht der Klimaveränderungen sicher nicht zunehmen. Eine sehr schöne Libelle, die überwiegend an den Altarmen zu finden ist, soll nicht uner- wähnt bleiben. Es ist die Gebänderte Prachtlibel- le. Das Unterwasserleben der Libellen beträgt im Durchschnitt zwei Jahre. Damit wäre der Streifzug durch die Fauna und Flora entlang der jungen Donau beendet. Diese Beschreibung kann nicht mehr als eine unvollständige Bestandsaufnahme sein – zu vielfältig ist die Tier- und Pflanzenwelt dieser einzigartigen Flusslandschaft in unserem Land- kreis, als dass sie auf wenigen Seiten darstell- bar wäre. Eine große Aufgabe ist es, diese Viel- falt zu erhalten!

Brigach und Breg bringen die Donau zuweg… Flussbegleitende Baumarten Baumoriginale im Schwarzwald und auf der Baar (Teil 3) Im Almanach-Jahrgang 2009 dreht sich fast alles um die junge Donau, wes- halb diesmal auch die den jungen Fluss begleitenden Baumarten vorgestellt werden sollen. Mit besonders bemer- kenswerten Baumpersönlichkeiten wird da freilich nicht viel Staat zu machen sein. Denn die üblichen Flussbegleiter, Baumweiden und Pappeln, sind nun einmal vergleichsweise kurzlebige Ge- wächse, und in jungen Jahren wird man bekanntlich noch nicht so bald zum Ori- ginal; die lassen sich nun einmal eher unter knorrigen Alten finden. Text und Fotografie von Wolf Hockenjos zu auch Pappeln gehören) zu tun haben, ist noch eine Vorbemerkung angebracht: Unter den Wei- den herrscht eine verwirrende Vielfalt vor, so dass deren exakte botanische Bestimmung oft sogar Spezialisten schwer fällt: In Mitteleuropa gibt es immerhin 29 Weidenarten nebst ca. 400 Unterarten, von Bastardisierungen ganz zu schweigen! Der Ungeduld des Lesers zuliebe muss die Botanisierfreude also gezügelt wer- den. Ohnehin wurden die Pappeln längs der Do- nau gepflanzt. Diese „Wirtschaftspappeln“ sind zumeist Hybride, also Einkreuzungen der heimi- schen Schwarzpappel mit nordamerikanischen, kanadischen oder gar chinesischen Arten und Unterarten, die bestenfalls von Pappelspezia- listen noch auseinander gehalten werden kön- nen. Und weil wir es am Fluss vorwiegend mit der botanischen Familie der Weidengewächse (wo- Baumweiden mögen es nass. Blick vom Wartenberg auf die überfluteten Donauschlingen. 255

Aus dem Kreisgeschehen Wirtschaftspappeln an der Stillen Musel. Versuchen wir uns auf unserer Baumtour einen ersten Überblick zu verschaffen und blicken wir vom Wartenberg auf die Riedbaar hinab: Die der Donau verbliebenen, wasserführenden Schlin- gen werden fast durchgängig noch von einem lockeren Baumschleier begleitet. Auch der bota- nisch weniger Bewanderte wird sich von hier oben nicht schwer damit tun, die Bäume und Sträucher als Weiden zu identifizieren. Arten müssen es jedenfalls sein, die in der Lage sind, die periodischen Überstauungen durch die Do- nau-Hochwässer zu überdauern. Von den Pap- peln in Ortsnähe abgesehen, scheinen die Baumweiden Überreste eines natürlichen Aue- waldgürtels zu sein, denn Spuren vormaliger Nutzung sind nicht zu erkennen. Nicht einmal die bei Weiden einst so verbreitete Kopfholz- wirtschaft, das Köpfen und Schneiteln der Bäu- me zu Brennholzzwecken oder zur Gewinnung von Flechtwerk aller Art, ist noch auszumachen. Oder sollte das Fehlen von Kopfweiden eher auf die Kurzlebigkeit der Weiden zurückzuführen sein? Vorwiegend Silberweiden Bei näherer Betrachtung der Baumweiden fällt uns da und dort der mattsilberne Glanz an der Unterseite der „schmal-lanzettlichen“ Blätter auf und verrät uns, dass es sich vorwiegend um Silberweiden (Salix alba) handeln muss. 1999 ist die Silberweide zum Baum des Jahres gekürt 256 worden in der Hoffnung, dass die Art und ihr Lebensraum von solcher Prominenz profitieren würden. Denn wie sehr die Auewaldstandorte auf dem Rückzug sind, das deuten die sich nur noch bei Überschwemmung abzeichnenden Alt- arme an, die uns nach Jahrhunderten noch einen Eindruck davon verschaffen können, welchen Raum der noch frei mäandrierende Fluss einst für sich beansprucht hat. Die Silberweide war es vor allem, die im 18. und 19. Jahrhundert in den Stromauen im gro- ßen Stil als Kopfholz bewirtschaftet wurde, weil man sich in jener Energiekrise, als das „Ge- spenst der Holznot“ umging, von der Austriebs- fähigkeit der Weiden eine Entlastung für die ausgebeinten Wälder versprach. Nichts wächst rascher nach als die geschneitelten Triebe der Weiden, eine Besonderheit, die man sich neuer- dings auch im Zeichen der Biomasse-Produktion wieder zunutze machen will. Auch die Faschinen zur Grünverbauung der Flüsse wurden so ge- wonnen. Die bizarren Strünke der Kopfweiden mit ihren charakteristischen Struwwelköpfen waren es, die in Goethes „Erlkönig“ den armen Knaben zu Tode erschreckt haben. Lässt man Silberweiden hingegen ungehindert wachsen, können sie bis zu 35 m hohen, auch erstaunlich dickleibigen Exemplaren heranwachsen, doch davon sind wir in der Riedbaar weit entfernt, wo wir es zudem überwiegend mit Bastarden zu tun haben, mit Kreuzungen mit der unscheinba- reren, meist strauchförmigen Bruchweide (Salix frágilis). Zumeist ist es die Dynamik des mäandrie- renden Flusses, der in der Galerie der „Weich-

Flussbegleitende Baumarten Ein Neubürger macht auf sich aufmerksam: Bi ber – schaden an Pappel. (Bild G. Reichelt) Eine kapitale Silberpappel steht am Ortsrand von Biesingen. holzaue“ Alter und Stärke der Bäume begren- zen. Baumweiden sind einerseits auf regelmä- ßige Überflutungen angewiesen, andererseits mildern sie die Gewalt der Hochwässer ab und dämmen die Erosion ein mit ihrem Wurzelwerk. Ökologisch nicht minder bedeutsam sind die Weiden als Frühblüher für die Insektenwelt, auch bieten sie für vielerlei Vogelarten Nistgele- genheit. Ganz besonders angewiesen auf Baum- weiden ist ein Baaremer Neubürger – der Biber, eigentlich eher ein Spätheimkehrer. Weiden- holz ist für ihn Nahrungsquelle und Baumaterial zugleich, und wie es sich in seinem wieder- eroberten Lebensraum anlässt, ist er durchaus im Stande, im flussbegleitenden Baumbestand empfindliche Lücken zu verursachen. Zu Zeiten, als der Auewaldstreifen längs der Donau noch breiter und intakter war, sind Biberschäden fraglos noch leichter zu verkraften gewesen, denn es wuchs ja genügend nach. Doch wer weiß schon Genaueres über den Flussauewald auf der Baar? Ob sich im Altsiedelland nicht viel- leicht schon zu Zeiten, als Karl der Dicke auf der Neudinger Pfalz seinen Ruhestand verbrachte, „Öschen“, Grünland und Äcker zwischen Pfohren und Gutmadingen bis hart an die Donauufer he- rangedrängt und den Baumgürtel eingeengt ha- ben? Kapitale Silberpappeln Schauen wir uns etwas um im einstigen „Sumpf- und Quellenland“ der Baar, die von der Land- wirtschaft nicht erst seit gestern so intensiv genutzt wird, dass sie mancherorts zur Agrar- steppe zu verkommen droht: Oft sind es nur noch ein paar Wirtschaftspappeln, die noch auf längst drainierte Sümpfe und auf korrigierte Wasserläufe verweisen. Doch am Ortsrand von Biesingen, an der Brücke über die Kötach, ste- hen noch zwei Originale: Zwei kapitale Silber- pappeln (Populus alba), die uns bei unserer Suche nach besonderen Baumpersönlichkeiten ein Erfolgserlebnis bescheren. Die stärkere der beiden gegen vierzig Meter hohen Pappeln weist in Brusthöhe einen Umfang von deutlich über sechs Metern auf; sie zählt damit zu den volumi- nösesten Bäumen der Baar. Unlängst standen

Aus dem Kreisgeschehen Reste der arktischen Tundrenvegetation im Natur- schutzgebiet Birken-Mittelmeß: Kriechweiden (Sa- lix repens) und die seltene Strauchbirke (Betula humilis), Bild unten. 258 hier noch ein paar Bäume mehr davon. Nach de- ren Fällung will man an der Stirnseite eines der Pappelstämme 250 Jahrringe gezählt haben. Sil- berpappeln, eigentlich eher im Rheinauewald zuhause, stellen die Ausnahme von der Regel dar, wonach die Weidenartigen kein hohes na- türliches Alter zu erreichen vermögen: bis zu 400 Jahre alt können sie werden! Wohl müssen sie sich hier gefühlt haben, sonst hätten sie die- se Dimensionen nicht geschafft. Ob sie freilich einst zum natürlichen Inventar der Baarland- schaft gehörten und mit den schwindenden Aue waldresten an Brigach und Breg, am jungen Neckar und an der jungen Donau verschwunden sind, darüber lässt sich nur spekulieren. Soviel ist klar: auch die beiden verbliebenen Pappel- Methusalems haben die Biesinger mal vor einem Vierteljahrtausend gepflanzt. Verweilen wir noch kurz bei den Weidenar- tigen: In Strauchform sind es beileibe nicht nur Bruch- und Grauweiden (Salix cinérea) oder die Allerwelts-Salweide (Salix cáprea), die die Baar besiedeln. Im Naturschutzgebiet Birken-Mit- telmeß nahe dem Unterhölzer Wald, aber auch im Zollhausried (im Tal der Ur-Donau), lassen sich noch heute, bescheidene Überreste der nacheiszeitlichen Tundrenvegetation besichti-

gen, arktische Kriechweiden (Salix repens), die dort (zusammen mit der ebenfalls arktischen Strauchbirke) unser Vorurteil vom „badisch-si- birischen“ Klima zu bestätigen scheinen. Ver- schollen ist unterdessen noch 1889 beschrie- bene Tundraweide (Salix livida), wiewohl das Klima dort noch immer dem von Moskau ent- spreche, wie 1970 der Botaniker Werner Krause behauptete (veröffentlicht in den Schriften der Baar dieses Jahrgangs). Dass auch die Lorbeer- weide (Salix pentándra) hier in Strauchform ge- deiht, ist dagegen durchaus nicht als Hinweis auf die zwischenzeitlich um sich greifende Kli- maerwärmung zu werten. Weiden brauchen Überflutungen Bewegen wir uns vom Zusammenfluss von Brig- ach und Breg schwarzwaldeinwärts, so begeg- nen wir noch einer weiteren Weidenart, der Pur- Weidenauewaldrest an der Breg bei Bruggen. Flussbegleitende Baumarten purweide (Salix pupurea), wohingegen an den Oberläufen der beiden Quellflüsse, wo es bei zunehmendem Gefälle allenfalls noch zu kurz- fris tigen Überschwemmungen zu kommen pflegt, erst Roterlen, dann Eschen und Bergahorn zu- nehmend die Rolle der Weiden übernehmen. Bleibt zu hoffen, dass die Renaturierung der Donau zum Nutzen der Gewässerrandstreifen, des Hochwasser- wie des Artenschutzes weiter vorankommen wird. Was freilich auch bedeutet, dass der vollautomatische „Schleusenwärter“ am Wolterdinger Jahrhundertbauwerk tatsäch- lich auch so funktionieren wird, dass nicht schon jedes mittelprächtige Frühjahrshochwasser im Stauraum zurückgehalten wird. Denn ohne re- gelmäßige Überflutungen keine Weichholzaue und kein Baumweidensaum längs der Donau. Es bliebe dann womöglich nur noch die gärtne- rische Ziervariante übrig: die Trauerweide (Salix babylonica) mit ihren traurig durchhängenden Zweigschnüren, jene züchterische Kreuzung der Silberweide mit einer südasiatischen Subspezi- es. Zumindest die Freunde der Riedbaar-Land- schaft hätten darüber Grund zu trauern.

12. Kapitel Bildungseinrichtungen Die Zinzendorfschulen feiern ihr 200-jähriges Bestehen Wo die Lehrkräfte „Bruder“ und „Schwester“ sind, herrscht ein besonderes Miteinander Der Schultag beginnt mit den „stillen fünf Minuten“, die pädagogischen Kräfte wer- den als „Bruder“ und „Schwester“ angesprochen und der Kirchensaal fungiert als Aula: In den Königsfelder Zinzendorfschulen ist manches anders als in staatlichen Schulen. Ungewöhnlich ist auch die enge Bindung ehemaliger Schülerinnen und Schüler an das private Schulwerk, die sich augenfällig beim traditionellen Altschü- lertreffen am ersten Advent zeigt. Und wer baut in diesen Zeiten des demografischen Wandels und somit Rückgangs der Schülerzahlen schon eine neue Schule? Im ver- gangenen Juli weihte das Schulwerk das neue Schulhaus Katharina von Gersdorf ein, das als Passivenergiehaus bundesweit ökologischen Modellcharakter hat. 2009 – drei Jahre nach dem 200. Geburtstag von Königsfeld – feiern die Zinzendorfschulen ihr 200-jähriges Bestehen. Wenn einer Kommune im Landkreis das Attribut „Schulge- meinde“ gebührt, dann ist es si- cher auch Königsfeld. 1.900 Menschen leben im Kernort, rund 1.200 Schülerinnen und Schüler besuchen die Zinzen- dorfschulen – allein die ser Proporz deutet die enge Beziehung zwischen Gemeinde und privatem Schulwerk an. Es ist das größte private Schulwerk in Baden, die Schule ist der größte Arbeitgeber in Königsfeld und ein Magnet für junge Familien, die im, ansonsten von Senioren dominierten, Kernort ein demografisches Gegengewicht schaf- fen. In Ferienzeiten wirkt Kö nigsfeld regelrecht ausgestorben, in Schul zeiten hingegen herrscht quirlige Lebendigkeit im Ort. Der ist auch archi- tektonisch von den Schu len und ihren fünf Inter- naten geprägt. Gleich nach der Ortseinfahrt auf der Mönch- weiler Straße zieht das neue Haus Katharina von Gersdorf unweigerlich die Blicke an, denn der großflächig bunt be malte Kopfbau und die scheinbar schwerelos schweben den Seitenflügel in klarem Rot leuchten schon von weitem. Die 260 260 signalhafte Farbigkeit ist vom niederländischen Künstler Piet Mondrian inspiriert und will auf Vielfalt und Buntheit der Schulen aufmerksam machen. Mit einem Investitionsvolumen von gut drei Millionen Euro ist das Haus Katharina von Gers- dorf ein enormer finanzieller Kraftakt für die kleine Herrnhuter Brüdergemeine als Trägerkir- che. Ein Drittel der Kosten für den Modellbau in Passiv haustechnologie wird mit Hilfe öffent- licher Haushalte finanziert, allein das ist ein In- diz für die öffentliche Wertschätzung, die das Schulwerk weit über die Grenzen unseres Land- kreises hinaus genießt. Neues schulisches und geistliches Zentrum Königsfeld gäbe es ohne die Zinzendorfschulen gar nicht, denn die Gemeine wurde anno 1806 als Kolonie der evangelischen Freikirche ge- gründet, die im Einzugsgebiet zwischen Stutt- gart, Straßburg und Basel ein neues schulisches und geistliches Zentrum schaffen wollte. Seit- her war und ist die Entwicklung Königsfelds eng

Vorbildliches Miteinander: An der Zin- zendorfschule in Königsfeld herrscht ein besonderer Geist. Architektonisch besonders auffällig ist das neue Passiv- energiehaus, dessen Äußeres durch das Schaffen von Piet Mondrian inspiriert ist. 261

Bildungseinrichtungen Die Zinzendorfschule um 1820. Die Darstellung mit dem Titel „Anstaltskinder auf dem Platz“ ist der Chronik von Königsfeld entnommen. Die Zeichnung und die Fotografie zeigen den Kirchensaal der Herrn- huter Brüdergemeine in Geschichte und Gegenwart, er ist noch heute ein Mit- telpunkt des schulischen Lebens. und unmittelbar mit der Entwicklung des Schul- werks verbunden, das nicht zuletzt auch in wirtschaft- licher Hinsicht eine ent- scheidende Rolle in Kö- nigsfeld spielt. Mit 160 Mit- arbeitern (davon rund 110 in pädagogischen Diens- ten) sind die Schulen der größte Arbeitgeber der Ge- meinde, sie sorgen für Kaufkraft und sind mit ih- rer Fülle an kreativen Akti- vitäten (Konzerte, Theater- inszenierungen, Ausstel- lungen) eine un verzicht bare Säule in der Kultur- landschaft von Gemeinde und Landkreis. Eigentlich beginnt die Geschichte des Schul- werks bereits im Jahr 1807. Noch kein Kind war in der jungen Gemeine geboren und es gab auch noch keine Zusagen für die Gründung von Schu- len, doch in den Grundriss der späteren Gemein- de Königs feld wurden bereits großzügige Bau- plätze für die Mädchen- und Knaben anstalt eingezeichnet. Es ist kennzeichnend, dass sich die An trags- stel ler von Anfang an ein Mäd ch enpensionat gewünscht hatten – bereits Amos Comenius, der letzte Bischof der alten Brüder unität und große Pädagoge, hatte im frühen 17. Jahrhundert 262 262 eine gleichberechtigte Bildung und Ausbildung für Jungen und Mädchen propagiert. Kurz nach Gründung der neuen brüderischen Kolonie im Schwarzwald wurde denn auch 1809 als drittes Gebäude (noch vor dem Kirchensaal) die „Mäd- chenanstalt“ (heute Erdmuth-Dorotheen-Haus) gebaut und startete mit sechs „Pen sionä- rinnen“. Ein Internat für Knaben genehmigte die würt- tembergische Regierung in Stuttgart nicht, weil ihre eigenen Professoren selbst Pensionskin der beherbergten und unliebsame Konkurrenz fürch- teten. 1810 wurde Königsfeld badisch und mit Erlaubnis des neuen Landesvaters Großherzog Carl Friedrich durfte 1813 mit dem Bau der „Kna-

Königsfeld und die Zinzendorfschulen sind eine untrennbare Verbindung: Die Foto- grafien um 1900 zeigen die Schüler bei einer Schlittenfahrt und einen Blick auf den Ort mit Schülern im Vordergrund. benanstalt“ begonnen werden. Die wei- tere Entwicklung war ein Auf und Ab im Strudel gesellschaftlicher und histo- rischer Entwicklungen. Das Schulwerk blüht auf In den ersten Jahrzehnten blühte das Schulwerk. Die Mädchen zogen im Jahr 1862 ins heutige „Haus Früauf“, die Jun- gen ins heutige „Spangenberg“. Die Schü- ler blieben auch in den Ferien und unter- nahmen Studienreisen in die nähere Um- gebung. Stets wurde die Welt wandernd erobert, Übernachtungen wurden spon- tan organisiert. Das führte dazu, dass zum Beispiel bei einem Ausflug auf den Feldberg sieben Löffel für 30 Jungs rei- chen mussten und ein enges Kämmerchen als Nachtlager auf Heu. Ziel war der Son- nenaufgang auf dem Gipfel, wo dann der ge wohnte Morgensegen gefeiert wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer bedrohlichen Krise, die Schule schrumpfte, im Ort wurde ein Sanatori- um für lungenkranke Schüler eingerichtet. Dann kamen die Nazis und wollten die kirchliche Pri- vatschule in eine deutsche Heim schule verwan- deln, das wurde sie auch für kurze Zeit, um nach dem Krieg auch offiziell wieder angestammte pä- dagogische Konturen anzunehmen. Der Besuch Albert Schweitzers Bis heute erzählen Altschüler vom Besuch Al- bert Schweitzers, der 1949 auf Einladung des „Olymps“, wie die Stube der Oberprimaner ge- nannt wurde, ins Internat kam und lange, inten- sive Gespräche mit den Schülern führte. Eine ernsthafte Krise war der große Brand 1953, der Zinzendorfschulen Königsfeld beim Wiederaufbau eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft bei Lehrern, Schülern und Eltern in Gang setzte. Bereits nach vier Tagen wurde der Unterricht wieder aufgenommen, im ganzen Ort wurden Klassenräume improvisiert, Abitur wurde im Heim Doniswald geschrieben. Die 1960er-Jahre sind vom Aufbau der beruf- lichen Schulen geprägt, die seither konsequent verfeinert wurden. Bis in die 1980er-Jahre hinein führten die beiden Zweige nahezu ein Eigenle- ben, es gab zwei Küchen, zwei Kollegien und wenig Berührungspunkte innerhalb der Schüler- schaften. Die Internate waren immer weniger aus gelastet, die Zinzendorfschulen gerieten in eine existenzbedrohliche Krise. Der begegnete die Schulleitung gleichsam mit der Flucht nach 263

Bildungseinrichtungen Die geistigen Väter: Amos Comenius Der wichtigste Protagonist bei der Entste- hung der Herrnhuter Brüdergemei ne war zweifellos Jan Amos Comenius, letz ter Bischof der alten „Unitas Fratrum“. In Königsfeld be- gegnet man ihm quasi auf Schritt und Tritt. Ein Schulhaus ist nach ihm benannt, bis heute beziehen sich die Pädagogen des Zinzen- dorf-Schulwerks auf ihn. Gelebt hat er von 1592 bis 1670, in einer unru- higen Zeit al so, Europa war im Auf- und im Um- bruch. Comenius (in sei- ner tschechischen Mut- tersprache „Komens ký“) erlebte den 30-jährigen Krieg hautnah mit, der mit dem Aufstand in seiner Heimat Prag be- gonnen hatte und im Westfälischen Frieden mündete, der auch das Ende der Unität der Brüder bedeutete, die 1457 in Zusammen- hang mit der Glaubensbewegung um Johann Hus entstanden war. Das didaktische Vermächtnis von Come- nius ist enorm und bis heute beeindruckend aktuell. Er lehnte körperliche Züchtigung (überhaupt Gewalt) kategorisch ab und plä- dierte für spielerisches und freiwilliges Ler- nen – ihm ist das erste illustrierte Schulbuch („Orbis pictus“) zu verdanken. Bei seinen vie len Reisen suchte er geistigen Austausch, etwa mit René Descartes. Comenius mischte sich auch in die theologischen Diskussionen Europas ein und war um Versöhnung der Konfessionen und Völker bemüht. vorn – mit der Fusion und Integration aller Schul- arten. Die Spangenberg-Küche wurde geschlos- sen, bis heute versorgt die Schulküche im Erd- muth-Dorotheen-Haus die wachsende Schar der Esser mit frischer und gesunder Kost. Nicht nur die Küche wurde vereinheitlicht, auch das Kolle- gium – die Lehrkräfte unterrichten in allen sie- ben Schulzweigen. Dass die Abschlüsse in allen sieben Schular- ten staatlich anerkannt sind, versteht sich fast von selbst, ebenso, dass im Unterricht all das vermittelt wird, was offizielle Lehrpläne verlan- gen. Doch die besondere Stärke der Zinzendorf- schulen liegt in ihrer Flexibilität und Durchläs- sigkeit, die sich an den individuellen Bedürfnis- sen und Fähigkeiten der Schüler orientiert. Wer zum Beispiel an die Realschule oder Berufsfach- schule kommt, kann später immer noch Fachhoch- schulreife oder Abitur machen und wird da bei in vertrauten Gebäuden von vertrauten Lehrkräften unterrichtet. Genauso unproblematisch ist der Wechsel von einem der drei Gymnasien viel- leicht an die Fachschule für Sozialpädagogik, um Erzieherin oder Erzieher zu werden, zu der wiederum auch die Berufsfachschule für Kinder- pflege führen kann. Letztere wird vorwiegend von jungen Erwachsenen mit Hauptschulab- schluss besucht, die sich beruflich und zugleich schulisch weiter qualifizieren wollen. Schüler, für die der tägliche Schulweg zu weit ist, können in einem von fünf Internaten ein zweites Zuhause finden, die sich als Übergangs- domizil auf dem Weg ins Erwachsenenleben Das Schulleben in Königsfeld ist gekennzeich- net durch Leben und Lernen in Gemeinschaft und Partnerschaft, von links: bei den Hausaufgaben, im Fitnessraum und beim Kochunterricht. 264

Ob Wohnbereich oder Klassenzimmer: Die freund- liche Atmosphäre in den Zinzendorfschulen wider- spiegelt sich im gesamten Alltag – viel Raum bleibt der eigenen Kreativität. ebenso bewährt haben wie das Tagesinternat. Hier können insbesondere Fahrschülerinnen und -schüler den Unterrichtsstoff in kleinen Lerngrup- pen vertiefen. Die behutsame pädagogische Be- gleitung erstreckt sich auch auf Freizeitange- bote, die das Gemeinschaftsgefühl stärken und zugleich die individuelle Entwicklung der jun- gen Persönlichkeiten fördern. Überhaupt nehmen außerunterrichtliche kul- turelle, soziale und sportliche Angebote einen breiten Raum im Schulwerk ein, das bei aller Mo- dernität und Offenheit den zeitlos gültigen Grund- sätzen seines Namensgebers Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700 – 1760) verpflichtet bleibt. Der Begründer der Herrnhuter Brüder ge- meine war ein Fürsprecher freier Entfaltungsmög- lichkeiten und verständnisvoller Zuwendung: „Man soll die Kinder nicht zu Kopien machen.“ Ausstrahlung auf die gesamte Region Das Schulwerk ist nicht nur mit dem gesellschaft- lichen und kirchlichen Leben Königsfelds eng ver woben, seine Ausstrahlung umfasst die ge- samte Region. Täglich machen sich 800 Fahr- schü ler aus den Landkreisen Schwarzwald-Baar, Rottweil und Tuttlingen nach Königsfeld auf, 200 Jun gen und Mädchen aus noch weiter ent- fernten Heimatorten leben in den fünf Interna- ten und Wohnheimen. Spannend und gelegent- lich auch spannungsvoll sind die vielen genera- tionenverbindenden und -übergreifenden Be- gegnungen in Posaunenchor und Ältes tenrat, bei Konfirmationen, Kirchen- und Jugendarbeit. Königsfeld mit seiner urbanen Struktur, sei- ner intakten Natur und ebenen Spazierwegen wird von vielen Senioren als Altersitz geschätzt. Und es sind gerade die älteren Menschen, die das lebendige Kulturleben genießen, das maß- geblich von den Zinzendorfschulen mit ihren The atergruppen, Kunst-AGs, Chören und Orches- tern gestaltet wird. Auch die Fülle an sozialen Projekten kann nur angedeutet werden. „Soziales Engagement“ ist an der Realschule als Lernfeld etabliert; die Schü- lerinnen und Schüler kümmern sich um ältere und bedürftige Mitbürger oder helfen in Kinder- gärten und kinderreichen Familien. „Cangurito“ hieß ein Projekt, das Schülerinnen selbst initi- ierten und sich während eines ganzen Schul- jahres dafür einsetzten. Ein Container sollte mit Hilfsgütern für ein argentinisches Kinderheim gefüllt und verschickt werden; das gelang dank unermüdlicher Sammelaktionen, Informations- nachmittagen mit Verkauf von selbst gebacke- nem Kuchen und mehr. Ebenfalls aus der Schü- lerschaft kam die Idee, schulintern eine Spen- denaktion für Leukämiekranke zu veranstalten. Die Resonanz war enorm, ebenso bei den „Staub – engeln“, wohinter sich eine Initiative der deut- schen Kindernothilfe verbirgt, an der sich seit einigen Jahren die Fünft- und Sechstklässler be- teiligen. Sie putzen, waschen Autos, fegen Stra- ßen, handeln dafür mit ihren „Auftraggebern“ einen „Lohn“ aus, den sie für weltweite Projekte der Kindernothilfe spenden. Begehrte Altschülertreffen Auch ohne Blick in den Kalender kann in Königs- feld niemand den ersten Advent verpassen, denn dann ist Altschülertreffen angesagt, alle Jahre wieder. Suchende und sich gefunden ha- bende Schüler prägen das Bild auf den zuge- parkten Straßen um die Zinzendorfschulen he- rum. Wer ist da, wer nicht? Wer ist wo und mit wem unterwegs? Beim abendlichen Wiederse- hensfest im großen Schulgebäude herrscht 265

Zinzendorfschulen Königsfeld Die geistigen Väter: Graf Zinzendorf Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf ist der Erneuerer der Brüder-Ünität; nach ihm sind der Platz vor dem Königsfelder Kir- chensaal und das Schulwerk benannt. Auf sei- nem Gut Berthelsdorf in der Oberlausitz nahm er anno 1722 Glaubensflüchtlinge aus Mäh- ren auf, Nachkom men der alten böhmisch- mährischen Brüder- Unität, die im habs- burgischen Reich stän- digen Verfolgun gen ausgesetzt und auf der Suche nach ei- nem neuen Zuhause waren. Sie gründeten in Zinzendorfs Herr- schafts bereich eine Siedlung, die sie unter die „Obhut des Herrn“ stellten und die bald regen Zuzug aus Böh- men und Mähren, aber auch aus Deutsch- land hatte. Unter der Leitung Zinzendorfs fanden sich hier überzeugte Christen aus verschiedenen Konfessionen zu einer Le- bens- und Glaubensgemeinschaft zu- sammen. So entstand die „Herrnhuter Brü- dergemeine“, die viele Traditionen der alten Brüder-Unität bewahrte. Zinzendorf wurde wegen seiner Aktivi- täten 1736 aus Kursachsen verbannt. Er in- terpretierte sein Exil als Gottes Auftrag zur „Pilgerschaft“ und reiste als Prediger des Evangeliums durch Europa und sogar nach Amerika. Viele neue Stützpunkte der Brüder- gemeine wurden während seiner elfjährigen Verbannung gegründet, auch in England, wo er fast fünf Jahre verbrachte. Er starb 1760 in Herrnhut. Zinzendorf gehörte als Reichsgraf zum europäischen Hochadel, als Christ und Bruder stellte er sich mit Bauern und Hand- werkern auf eine Stufe. Er wollte die Standes- wie die Konfessionsgrenzen überwinden, er setzte sich für die Gleichstellung der Frauen in der Gemeine ein – gedankliche Anstöße, die in seiner Zeit revolutionär wirkten. 266 dann zuverlässig ein fröhlicher Ausnahmezu- stand – das Gedränge ist unbeschreiblich. Das Bedürfnis, zur ehemaligen Schule auch nach dem Abschluss Kontakt zu halten, ist bei den Zinzendorfschulen auffallend stark ausge- prägt, auch und gerade bei den älteren und al- ten Jahrgängen. Einmal im Sommer – weil am ersten Advent so viel los ist und weil viele eine weite und beschwerliche Anreise in Kauf neh- men – treffen sich die Jahrgänge 1920 bis 1930 in Königsfeld. Sie haben die Zinzendorfschulen vor und während des Zweiten Weltkriegs be- sucht, bis zur Übernahme durch die Nazis. 1943 wurde die Mädchenanstalt geschlossen, ein Jahr später die Knabenanstalt verstaatlicht, Schul- leiter „Bruder Wedemann“ entlassen. Bis zu 60 Kinder in einem Schlafsaal Die Tiefe der emotionalen Bindung zur Schule ihrer Jugend ließ sich auch in den Gesprächen erahnen, die die damaligen Schüler bei ihrem zurückliegenden Treffen mit heutigen Internats- schülern führten. Die konnten sich kaum vor- stellen, dass „die Früheren“ zu sechzigst in ei- nem Schlafsaal geschlafen haben und die Mäd- chen zum sonntäglichen Kirchgang Häubchen trugen, dass überhaupt die Geschlechter streng getrennt wurden. Und die „alten Knaben und Mäd chen“, wie sie sich selbst gerne nennen, staunten über den „Luxus“ von heutigen Ein- und Zweibettzimmern. Gemeinsam ist den weit auseinander liegenden Generationen, dass sie in ihrer „Königsfelder Zeit“ lebensbedeutsame Erfahrungen gemacht haben. Man spürt in Königsfeld im Alltag, dass die Brüdergemeine den jungen Menschen mit der für jeden einzelnen bestmöglichen Erziehung und Schulbildung helfen will, in der Welt von heute und morgen zu bestehen, wie die Schul- leitung in der Imagebroschüre der Einrichtung hervorhebt. Die renommierte Einrichtung ver- steht sich als eine „Werkstätte der Menschlich- keit“, die Bildung vermittelt, aber eben auch Engagement, Verantwortungsbewusstsein und Zivilcourage fördert. Christina Nack

Die „Freie Schule Brigach“ Auch ohne Stundenplan und Noten stellen sich gute Lernerfolge ein Bildungseinrichtungen Keine Klassen, kein Stundenplan, keine Noten – und dennoch („deswegen“, sagen die pädago- gischen Protagonisten) gute Lernerfolge: so ei- ne Schule scheint zu schön, um wahr zu sein. Gleichwohl gibt es eine solche bei uns und zwar in St. Georgen. Vor zwei Jahren gründeten Eltern die „Freie Schule Brigach“ und sie entwickelt sich in jeder Hinsicht mit ungeahnter und wach- sender Dynamik. Der Andrang aus dem Schwarz- wald-Baar-Kreis und seiner Peripherie ist so groß, dass im kommenden Schuljahr eine zwei- te Grundschulgruppe eingerichtet werden soll. Darum muss das Schulhaus saniert, umgebaut und erweitert werden. Fast eine Million Euro werden dafür veranschlagt – ein enormer Kraft- akt für den verantwortlichen Elternverein, der Eigenmittel mobilisiert und Schulden gemacht hat und an den vielen Benefizaktionen beteiligt ist, mit denen sich die freie Schule selbst für ihre eigene Zukunft engagiert. Die Landesbehörden beobachten ihr Wer- den aufmerksam und anerkennend, doch bis staatliche Zuschüsse fließen, muss sich die Schule drei Jahre lang bewähren. Die „Probe- zeit“ ist hart, denn die Beiträge sind sozial ver- träglich gestaffelt und darum nicht kosten- deckend. Von den Eltern wird zwar erhebliches, aber ein in der Regel verkraftbares Engagement erwartet (ein Monatsbeitrag von 180 Euro je Kind, zudem 1.500 Euro als zinsloses Darlehen, das nach vier Jahren zurückgezahlt wird). „Wir sind keine Eliteschule“, sagt Mitinitiatorin und Elternvereinsvorsitzende Petra Rist, die finanzi- elle Situiertheit der Familie sei nicht entschei- dend für die Aufnahme eines Kindes. Es ist kurz nach 8 Uhr, allmählich sind die 27 Schülerinnen und Schüler eingetrudelt, Schul- leiter Daniel Sommereisen und Kollegin Birgit Dogor schenken Kräutertee aus. Die Kinder trin- ken und wärmen sich die kalten Finger an den heißen Tassen, fröhliches Geplapper liegt in der Luft. Dann ist Zeit für den Kinderrat, alle schnap- pen sich einen Stuhl und bilden einen Kreis. Jetzt wird nach Regeln und sehr diszipliniert ge- sprochen, alle müssen sich melden, auch die Lehr- kräfte. In dieser Woche ist Zweitklässler Martin der Kreisleiter, er erteilt allen der Reihe nach das In der „Freien Schule Brigach“ – der Schultag be- ginnt mit einer Sitzung des Kinderrates. 267

Bildungseinrichtungen Gemeinsame Vorführung mit den Eltern und Schü- lerinnen im Mal-Fieber: Die Gemälde sollen verkauft werden, der Erlös ist für die Schulsanierung und den Anbau bestimmt. Wort, es geht um Reflexion des vergangenen Schultags und Gestaltung des bevorstehenden. Die Emotionen schlagen hoch an diesem Mor- gen, das aktuelle Kunstprojekt sorgt für Zünd- stoff. Die Schüler sind zur Zeit im Mal-Fieber; die gelungensten Bilder werden verkauft, der Erlös ist für Schulsanierung und Anbau bestimmt. Mit fieberhaftem Ehrgeiz versuchen die Kinder, eine möglichst große Summe zu „erwirtschaften“. Ein Junge hat einen Malstil entwickelt, der so gut ankommt, dass er kopiert wird. Darüber ist er sauer, er will seine kreativen Ideen für sich be- halten. „Ihr habt die Kunst verraten“, schreit er wütend und kämpft mit den Tränen. Die Nachah- mer rechfertigen ihre Plagiate. „Wir wollen dei- ne Bilder nachmachen, weil sie schön sind, nicht zum Ärgern“, sagt Eva besänftigend. Schul leiter Daniel (die Kinder nennen ihn beim Vornamen) meldet sich zu Wort. „Die Malaktion darf nicht zum Konkurrenzkampf werden. Ihr habt selbst be- schlossen, dass jeder alles malen darf.“ Schließ- lich wird abgestimmt. Danach ist auch an die- sem Vormittag schwerpunktmäßig Kunst ange- sagt, der Mal-Künstler ist mit der Kopie seines Stils einverstanden. Die meisten Kinder ziehen sich eine Kittel- schürze über, breiten Zeitungspapier auf den Tischen im großen Klassenzimmer aus und ver- teilen die Maluntensilien. „Wie geht noch mal Grün?“, will ein Mädchen vom Lehrer wissen. 268 Die Schüler mischen die Farben selbst, sie sol- len durch Ausprobieren lernen. Bald herrscht ein wörtlich kunterbuntes Durcheinander im großen Schulraum. Ab und zu kramt ein Kind in den diversen Kisten mit Informationsmaterial, die zur Inspiration und selbstständiger Recher- che bereitstehen. Die Überschriften verraten die Inhalte, „Mensch/Körper“, „Tiere“, „Natur“, „Fahr- zeu ge“, „Lexika“ und mehr. An den Wänden hän- gen Plakate, die Selbstverständnis und pädago- gische Konzeption der Schule skizzieren. „Wer- de, der Du bist!“ ist das Leitmotiv, das den Schü- lern so vermittelt wird: „Wir haben Vertrauen in Deine Fähigkeiten! Versuche, alles selbst zu schaffen! Wenn Du nicht mehr weiter weißt, fra- ge erst ein anderes Kind, bevor Du zu uns Lehrern kommst.“ Unterdessen hat sich Zweitklässler Carsten in ein Lernzimmer zurückgezogen, er will lieber rechnen statt malen und brütet über Aufgaben mit Zahlen. Am Tisch daneben sitzen Jann (4. Klas- se) und Simon (2. Klasse) und schreiben. „Wir überlegen uns Überschriften für die Kapitel in unserer Geschichte“, erklären sie. Der Obertitel steht schon fest „Die Schlümpfe und das vergif- tete Essen“, steht in Schönschrift auf dem phan- tasievoll illustrierten Hefteinband. Ausführliche Gutachten statt Noten Statt Buchstaben in Endlosschleifen zu malen, schreiben die Kinder der Freien Schule von An- fang an eigene Texte, erfinden Geschichten. Täglich gibt es zwei Lernzeiten, jeder trägt auf einem Wochenplan ein, was er wann zu tun ge-

denkt. Freitags wird bilanziert – was wurde ge- schafft, was nicht? Im Kinderrat kommen Ver- meidungsstrategien auf den Tisch, werden Lö- sungen gesucht, wie auch unangenehme Aufga- ben bewältigt und wie aus Schwächen Stärken werden können. Die Leistungen werden nicht benotet, das Kollegium formuliert hingegen aus- führliche Gutachten, beschreibt Potenziale und die Annäherung daran. Die Kinder wiederum fül- len Selbsteinschätzungsbögen aus, in denen sie die eigenen Kompetenzen in den diversen Fä- chern und ihr Sozialverhalten beurteilen. Es sei erstaunlich, wie treffsicher sie sich ein- schätzen, sagt Daniel Sommereisen, der aus dem westfälischen Paderborn stammt und zur Ver- wirklichung der pädagogischen Vision in den Schwarzwald gezogen ist. Erfahrungen mit dem „Druck“ an Staatsschulen haben ihn dazu bewo- gen, das Konkurrenzdenken dort hat ihm miss- fallen: „Wer im Gleichschritt lernt, vergleicht.“ Das Konzept der Freien Schule Brigach basiert auf Erkenntnissen anderswo und wird gemäß eigener Erfahrungen und in enger Abstimmung mit den Eltern ständig weiterentwickelt. Die Selbstwirksamkeit erleben „Wir wollen nicht polarisieren“, betont Petra Rist. „Für manche Kinder ist die Regelschule gut, für andere nicht.“ Die Heilpädagogin aus St. Georgen hat früher in einer Erziehungsbera- tungsstelle gearbeitet und dort Kinder erlebt, die enorm im staatlichen Schulsystem gelitten hätten. „Sie wurden nicht in ihrer Persönlichkeit gefördert, sondern in eine Schablone gepresst.“ In der Freien Schule hingegen sollten sie an sich selbst wachsen, nicht an einer Norm. „Sie erle- ben ihre Selbstwirksamkeit.“ Mit dem Selbstbe- wusstsein wachse auch die Selbsteinschätzung, die Schüler entwickelten ein zunehmend sich e – reres Gespür für ihren persönlichen Lebens- und Lernrhythmus, könnten eigene Ziele formulie- ren und auch den Bedarf an Unterstützung. „Sie sehen einen Sinn im Lernen.“ Freie Schule Brigach müssen, geht Lernfreude verloren“, ist ihre Er- fahrung. „Stattdessen setzen wir auf die natür- liche Neugier, die alle Kinder haben. Sie geht nur leider im schablonenhaften Schulsystem allzu leicht verloren.“ Die Dritte im Kollegium ist Conny Widmer, die Bewegungsunterricht erteilt, Tänze und The- aterstücke umsetzt, gern in Kombination mit Ma- thematik. Fächer werden hier nicht streng abge- grenzt, die Lehrkräfte verstehen sich als An- sprechpartner und Moderatoren für alle Kinder in allen Belangen, sie wollen ausdrücklich nicht belehren, sondern beraten. „Entscheidend ist die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern“, sa- gen die Kollegen, „sie basiert auf Respekt, Ver- trauen und Verlässlichkeit“. Bewegungsunterricht, Tänze einstudieren oder Theater spielen gehört bei der Freien Schule gleich- falls zum Stundenplan. Im Mittelpunkt steht das einzelne Kind, das gemäß seinen individuellen Möglichkeiten und Bedürfnissen gefördert werden soll. Nicht die Defizite sind im Focus der pädagogischen Ar- beit, sondern die Stärken der jungen Persönlich- keiten. „So, wie Du bist, bist Du richtig und wich- tig“, das solle den Schülern vermittelt werden. Das Prinzip konsequenten Respekts vorei- nander gefällt auch Birgit Dogor, die die „Ziffern- bewertung“ im Regelschulsystem nicht mochte. „Wenn alle das gleiche zur gleichen Zeit lernen Die Botschaft kommt offenbar an, die Mäd- chen und Jungen wirken an ihren unterschied- lichen Lernorten aufmerksam und zufrieden, fragen und helfen einander. „Hier lerne ich lie- 269

Freie Schule Brigach Aus dem Schulalltag: Selbst Schulleiter Daniel Sommereisen muss sich zu Wort melden. Gelernt wird nach eigenen Regeln und beim Ausbau ihrer Schule haben die Kinder begeistert mitgeholfen. ber“, stellt Viertklässler Sebastian fest, der sei- ne ersten beiden Schuljahre an einer staatlichen Grundschule verbracht hat. „Jetzt darf ich mich auch einmal in eine Ecke setzen und Pause ma- chen, wenn es mir nicht gut geht.“ Auch Zweit- klässler Lorenz findet es toll, „dass hier nicht al les vorgeschrieben ist“. Konflikte klären die Kinder selbst Das bedeutet keineswegs, dass in der Freien Schule Laisser-faire angesagt ist und ständig Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung herrscht, im Gegenteil, bisweilen wird heftig gekabbelt und gestritten. Konflikte klären die Kinder unter- einander, sie haben verbindliche Regeln für den Umgang miteinander festgelegt. Das war an- fangs nicht einfach, weil selbst kleinste Verstö- ße nachgerade begeistert geahndet wurden, erinnert sich Petra Rist lächelnd an die basisde- mokratischen Anfänge. Da konnten die wech- selnden „Streitchefs“ den diversen „Delikten“ mit Strichlisten und Bestrafungen kaum folgen, doch inzwischen hat sich die Atmosphäre der Aufgeregtheit beruhigt. Raufereien seien selten, was Petra Rist mit der Institution des Kinderrats erklärt. „Im Kreis ist Raum für Emotionen, da 270 270 kommt alles auf den Tisch, nichts soll unter- drückt werden.“ Im Plenum tragen die Jungen und Mädchen Konflikte offen aus, „eine Schlä- gerei in der Pause ist dann nicht mehr nötig“. Besonders wichtig laut Simon ist die „Stopp- Regel“. Wenn ein „Nein“ missachtet wird, kann das „Opfer“ einen Streitchef einschalten, bei Wiederholungen wird der Verstoß im Kreis vor- gebracht und über die Bestrafung entschieden. Besonders hart ist Pausenverbot. Die Freiheit von schematisierten Lehrplänen – das eigenverantwortliche Lernen – ist anstren- gend, räumt Petra Rist ein und erinnert sich an eine längere Lernkrise ihrer Tochter Hanna. Nach dem Tod eines geliebten Haustieres habe sie sich in der Schule völlig verweigert. Sie habe nicht am Unterricht teilgenommen, war vermeint- lich gleichgültig, hat sich auch daheim zurück- gezogen. Die besorgten Eltern und schulischen Pädagogen tauschten ihre Beobachtungen aus und ließen das Mädchen konsequent in Ruhe. „Ihre Trauer brauchte einfach Zeit“, sagt die Mut- ter. Nach langen zwei Wochen war die schwere Phase offenbar vorbei und Hanna mühte sich mit doppeltem Eifer und rührender Begeisterung, so dass sie die Lernpause schnell ausgeglichen hatte. „Kinder sollen ihren Rhythmus leben und lernen dürfen.“ Christina Nack

13. Kapitel Landwirtschaft Urlaub auf dem Bauernhof In den 1960er-Jahren erlebte man im Schwarzwald-Baar-Kreis den großen Aufschwung Schon vor dem Zweiten Weltkrieg konnte man in Schönwald seinen Urlaub auf dem Bauernhof verbringen, z. B. in den Gästezimmern der Familie Duffner im „Haus am Berg“. Als die Kriegsschä- den beseitigt waren, es den Menschen wieder etwas besser ging, erlebte „Urlaub auf dem Bau- ernhof“ in den 1950er- und besonders in den 1960er-Jahren seinen großen Aufschwung. Als Pioniere kann man im Schwarzwald-Baar-Kreis den Jäckleshof der Familie Wentz in St. Ge orgen nennen, den Betrieb Schneider in Blumberg- Fützen oder den Hof der Familie Messmer in Blumberg-Aselfingen. Wer in den 1950er- und 1960er-Jahren Zim- mer vermietete, der brauchte Selbstsicherheit und Mut. Zu oft musste er von seinen Berufskol- le gen hören, dass er dumm sei, wenn er vor Fremden auch noch den Rücken krumm mache. Dieses Wort „Fremde“ drückt wenig Sympathie für Fe riengäste aus und hat sich lange gehalten. Aufgrund der größeren Höfe, des besseren Be- kanntheitsgrades und der geringeren Mithilfe der Bäu erin im Feld lag der Schwerpunkt für Urlaub auf dem Bauernhof im Schwarzwald-Baar-Kreis eindeutig im Schwarzwald, insbesonders in den Gemeinden St. Georgen, Schönwald, Schon ach und Triberg. Das ist noch heute so. Herzliche Gastfreundschaft Einfach möblierte Zimmer wurden von mutigen Bäuerinnen und Bauern an Erholungssuchende vermietet. Gastfreundschaft war groß geschrie- ben. Anfangs räumten Bauern sogar ihre eigenen Wohn- und Schlafzimmer in den Sommerwochen frei, um sie an Gäste zu vermieten. Teilweise rich- teten die Schwarzwaldbauern auch die Gesinde- kammern über dem Viehstall für die Erholungs- suchenden her. Je nachdem, wie weit der Hof Auf dem Kernenhof der Familie Bähr in Oberkirnach, begeisterte Ferienkinder beim Traktorfahren. 271

Landwirtschaft von der Gastronomie entfernt lag, wurde Früh- stück oder sogar Vollpension geboten. Der Gast war mit seinem Tapetenwechsel zufrieden. „Wir haben Gäste, die kommen 2009 das 40. Jahr, das 55. Mal zu uns. Die können sich noch daran erinnern, wie ich 1964 auf den Hof einheiratete“, weiß Käthe Duffner aus Schönwald. „Wie wir ih- nen Wasser ins Lavabo füllten, 6,50 Mark koste- te die Übernachtung mit Frühstück. Die Gäste da- mals waren zufrieden, auch mit Eta genbad und Gemeinschaftstoiletten, Telefon und Fernseher gab es nicht“, fügt sie hinzu. „Fließend kalt Wasser“, passende Möbel und eine neue Matratze im Gästezimmer gal ten bald schon als gute Ausstattung, lebten andere Mitbür- ger auf dem Lande doch noch bis in die 1970er- Jahre mit einem Plumpsklo. Je nach Quartier hat- te man zwar Strom, aber wenig Leis tung, sodass man nur mit Gas- oder Holzherden kochen konn- te. So mancher Hof war im Winter von der Au- ßenwelt abgeschnitten. Beispielsweise bedien- ten die Schneepflüge Farnberg bei Schönwald erst ab 1965 – aber nur bei Bezahlung durch die Anlieger. Wer heute über die Loipen gleitet, kann sich dies kaum mehr vorstellen. Ebenso wenig, dass die letzten Höfe im Kreis erst in den 1990-er-Jahren einen Stromanschluss bekamen und noch ein offenes Feuer in ihrer Rauchküche hatten. Welch schöneres Zeichen von Wertschätzung und Gastfreundschaft hätte es geben können, als in der bäuerlichen Wohnung willkommen zu sein und das dortige Schlafzimmer belegen zu dürfen? Heute kommt das vielen zu nahe vor. Da müssen wir erst in ein Entwicklungsland reisen, um das begeistert anzunehmen. Die Landwirtschaftsämter unterstützen Die Landwirtschaftsämter in Villingen und Do nau- eschingen bemühten sich, die Hemmschwellen für dieses neue Standbein herab zusetzen. So stellte man in den 1960-er-Jahren auf der Südwestmes- se ein Gästezimmer aus: Schmuck sah es aus mit seinen im Stil der Bauernmalerei selbst bemalten Möbeln und war doch finanziell erschwinglich. Auch die wirtschaftliche Schulung der Bäuerinnen, sie davon zu überzeugen, über Preise und Kos ten nachzudenken, war eine wichtige Aufgabe der Ämter. Thora Walther und Hannelore Meinzer vom Landwirtschaftsamt Vil lingen mussten Über- zeu gungsarbeit leisten, auch diesbezüglich, dass die Belegungstage allein noch keinen wirtschaft lichen Erfolg darstellten: „Bargeld war auf vielen Höfen knapp. Die Einnahmen aus dem Tourismus waren für viele Betreiberinnen das ‚persönliche Haushaltsgeld‘. Welche Ausgaben dem gegenüberstanden, wollte manche Bäuerin zunächst nicht wissen. Die Bäuerinnen unter- boten sich teilweise gegenseitig mit ihren Prei- sen“, so beschreibt Hannelore Meinzer die Si- tuation. Sie ergänzt: „Die Frauen mussten erst lernen, dass die Produkte des Hofes wie Milch, Butter und Marmelade und die eigene Arbeits- zeit etwas kosten.“ Mit dem Bauern auf dem Acker die Kartoffeln set- zen und Badeferien am Schwarzwaldbach: Die Fotos zeigen Urlaub auf dem Kernenhof in Oberkirnach, 1960er-/1970er-Jahre. Außerhalb der Beratungsarbeit förderte der Staat den aufkommenden Tourismus auf den Höfen zuerst mit Zuschüssen für Warmwasser, spä- Förderungen für den Tourismus

ter für die Heizung. Dann kam die Bedingung hinzu, dass der Hof im anerkannten Erholungs- gebiet liegen musste – für den Schwarzwald kein Problem, für die Baar teilweise. „Durch Gäs te von der Straße, die einfach nicht mehr fortgingen, wurden wir im Jahr 1961 zu Vermie- tern von Zimmern auf dem Bauernhof“, erinnert sich Elisabeth Ketterer vom idyllisch gelegenen Sepp jockelshof in Rohrbach. „Früher war es ein- facher. Da passte ich mal auf die Gästekinder auf oder die Gäste mal auf meine kleinen Kinder.“ In vielen Gesprächen mit Pionieren klingt es durch: Damals kümmerte man sich ums Menschliche, heute je nach Typ mehr ums Rechtliche. Als in den 1970er- und 1980er-Jahren im Schwarzwald im großen Umfang Leibgeding- häuser gebaut wurden, entstand im Kinzigtal fast ein Überangebot und ein Preiskrieg unter den Höfen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis war dies so nicht der Fall. Dafür sorgte allein schon die restriktive Baugenehmigung für Leibgedinghäu- ser zum einen und für den Einbau von Ferienwoh- nungen zum anderen. Ein weiterer Höhepunkt dieser Entwicklung: Nach der Grenzöffnung kam 1990 bis etwa 1994 eine Reisewelle aus den neuen Bundesländern in den Schwarzwald und sorgte für nie dagewesene Belegungszahlen. Die Gästeansprüche steigen In den Anfangsjahren von Urlaub auf dem Bau- ernhof konnten sich die Bäuerinnen verstärkt der eigenen Arbeit und den Gästen widmen. An- fangs brachten die Gäste sogar ihre eigene Bett- wäsche mit. Das erleichterte die Arbeit ungemein, hiel ten doch erst in den 1960er-Jahren die Wasch- maschinen in vielen Haushalten Einzug. Die Wer- bung war einfach und brauchte wenig Zeit. Die Urlaub auf dem Bauernhof meisten Gäste buchten ihre drei Wochen Som- merurlaub bis März mit der Post. Da wusste die Bäuerin, wo sie dran war. In den 1960er-Jahren stiegen die Ansprüche der Gäste oftmals schneller als es die Vermieter wahr haben wollten: Fließend warm Wasser im Zimmer brauchte man, um mithalten zu können, bald darauf sogar die Dusche. Und die sollte nur fürs eigene Zimmer sein, eine Gemeinschaftsdu- sche war nicht mehr erwünscht. Jetzt musste auch die Heizung her – und ein Balkon. Spätes- tens zu diesem Zeitpunkt haben viele Höfe die Vermietung von Gästezimmern eingestellt. Noch etwas später wünschte sich der Gast eine eige- ne Wohnung mit eigener Küchenzeile oder Kü- che. Sat-TV in der eigenen Wohnung, Spiel- und Grillplatz am Hof waren die Erwartungen in den 1980er- und 1990er-Jahren. Gästekinder wollen etwas erleben, wollen berühren und füttern. So gibt es kaum einen Hof, der nicht der Gäste wegen zusätzliche Tiere hält, egal ob Stallhase oder Pony. Waren es früher vereinzelte Höfe, die für ihre Gäste ein spezielles (Schlechtwetter-) Pro- gramm bereithielten, wie Hildegard Neumaier vom abgelegenen Holzbauernhof in Schonach, so bieten heute fast alle Höfe ihren Gästen min- destens ein gemeinsames Grillen, Kuchenessen oder Vespern an. Die Kunst der Bauersleute be- steht dann darin, zu gehen, wenn es spannend ist, um für das morgendliche Melken wieder fit zu sein. In den 1990er-Jahren kam die Klassifizie- rung für Urlaubsquartiere auf. Viele Urlauber Urlaub auf dem Bauernhof in den 1970er-Jahren bedeutete nicht nur Ausspannen, sondern wie hier in Rohrbach beim Seppjockelshof auch Hilfe beim Heuen.

Landwirtschaft Landwirtschaft orien tieren sich daran. So ließen sich beispiels- weise fast 80 % der Höfe im Ferienlandkatalog (Schonach, Schönwald, Triberg, St. Georgen, Furtwangen) klassifizieren, 96 % von ihnen hat- ten 2008 das 3- oder gar 4-Sterne-Niveau. Außer einer hochwertigen Ferienwohnung mit kompletter Ausstattung wünschen sich die Gäste jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das Verwöhntwerden in Form von Brötchenservice oder Frühstück. Auch mit Sauna und Wellness- bereich können Bauern zusätzliche Gäste auf den Hof locken. Am liebsten natürlich wünschen sich dies die Gäste zum Nulltarif. Glaubt man den Tourismusmanagern, die für die Zertifi- zierung von Ferienquartieren zuständig sind, dann erwartet der Gast auch auf dem Bauern- hof einen Hotelservice. Muss es all das wirklich sein, fragt sich da die Autorin und Fachberaterin für Urlaubsbauernhöfe, selbst beim Landwirt- schaftsamt Donaueschingen tätig? Nicht jeder Hof sollte sich bei seinen Investitionen an den 4-Sterne-Ferienwohnungen orientieren. Auch die- se Kriterien unterliegen ei ner ständigen Verschär- fung. Und dabei will doch der Gast besonders eines: Entspannung und „Abenteuer“, Zuwendung und Anteilnahme. Ausstattung und Einrichtung können auch die größte Exklusivität nur scheinbar vermitteln, wenn das Menschliche auf der Strecke bleibt. Werbung muss sein Für die Werbung war man zunächst in einem schlichten Schwarz-Weiß-Katalog eingetragen, zuerst ohne, später mit Bild. Aufzeichnungen fürs Finanzamt brauchte man noch keine zu füh- ren. „Das war eine große Erleichterung, als wir 1976 den Telefonanschluss am Hof bekamen“, weiß Frau Ketterer. Da Mundpropaganda allei- ne nicht ausreicht, werben heute viele Höfe in Katalogen und im Internet. 1998 war Anneliese Duffner von Farnberg 1 in Schönwald die erste Bäuerin des Schwarzwald-Baar-Kreises im In- ternet mit eigener Homepage. Heute gehört die eigene Homepage ebenso zum Standard wie der zweimalige Blick ins E-Mail-Postfach am Tag. Die Urlauber fragen bei vielen Höfen an, fragen viel nach und buchen manchmal trotzdem nicht. Da lohnt es sich, außer Bäuerin auch gute Büro- Organisatorin zu sein. Arbeitsleistung der Bäuerin für Urlaub auf dem Bauernhof ändert sich drastisch Die Bauernfamilie hatte in den 1950er-Jahren den Sommer mit 3 – 5 Gästefamilien je Zimmer be legt. Bei so wenig Gästewechseln war auch die Zeit für die Zimmerreinigung überschaubar. Nach dem Melken wurde das Frühstück für die Gäs te gerichtet, hatte man Vollpension, muss- ten die Kochtöpfe ein paar Wochen lang beson- ders groß sein. Heute ist vieles anders: Wer Glück hat, emp- fängt heute eine Familie je Wohnung mit drei Wochen Aufenthaltsdauer. Ansonsten reisen die Gäste im Durchschnitt nach 8 Tagen wieder ab. Fühlten sich die Höfe gut, hatten sie in den 1960er- Jahren oft 80 bis 100 Tage im Jahr belegt. Die heutigen Belegtage im Schwarzwald-Baar-Kreis bei guten Höfen liegen bei 180 bis 250 Tagen je Wohnung. Bei zwei bis drei Ferienwohnungen Urlaub auf dem Bauernhof öffnet den Kindern eine tolle Erlebniswelt, wie hier auf dem Tudisenhof in Vöhrenbach. Jede Menge Katzen, Hasen, Hühner, Kühe oder ein Spielplatz im Grünen – für die Kinder sind das die schönsten Ferienattraktionen. 274

auf einem Hof bedeutet das im Schnitt heutzu- tage 180 Gäste pro Jahr und 60 Endreinigungen im Jahr. Die Arbeitsbelastung aus dem Betriebs- zweig Urlaub auf dem Bauernhof liegt dann bei etwa 500 Arbeitsstunden, davon allein 250 Stunden für Reinigung und Wäschepflege. Dies entspricht etwa einer 30 %-Arbeitsstelle in der Industrie. Wie früher sind Stammgäste und Mund-zu- Mund-Propaganda die wichtigsten Werbemittel. So wird viel Energie und Zeit darauf verwandt, dass sich die Gäste wohlfühlen. Ob das liebe- voll gestaltete Quartier mit frischen Blumen zum Empfang, ob die Mappe für Ausflüge in die Um- gebung oder das gemeinsame Gespräch, Grillen oder Füttern der Tiere – viele Gäste schätzen die Individualität des Bauernhofurlaubs. „Bei mir fühlen sich die Gäste wohl. Da erfahre ich oft ihren ganzen Lebenslauf und ihre aktuellen Sor- gen“, sagt die Kernenhofbäuerin Elke Bähr von Oberkirnach. Und wenn man ihr dann bei der abendlichen Stallzeit zusieht, wie sie im Beisein von 15 Gästekindern melkt und diese auf deren Wunsch ins Geschehen mit einbezieht, dann spürt man: Hier zählt der Gast. Hier ist er keine Nummer, sondern Mensch. Neben dem Landwirtschaftsamt treten auch andere Fortbildungsanbieter in Aktion. Es war der Verdienst von Hildegard Neumaier, Ausschuss- Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof (LAG), Schulungen zur Fachfrau für Gästebetreuung in den 1990er- Jah- ren nach Schonach zu holen. So konnten erst mals viele Bäuerinnen daran teilnehmen, denn zwei Schulungswochen abseits vom Hof in Waldshut- Tiengen zu verbringen, ließ sich auf Höfen mit Milchvieh schlecht verwirklichen. Zwanzig Bäu- erinnen nutzten auch das Angebot des Regio- nalverbandes Schwarzwald-Baar-Heuberg, ihre PC-Fähigkeiten zu schulen. Aufgrund der Schnelllebigkeit unserer Zeit und Gesetze werden sich die Bäuerinnen auf ih- rem Niveau nicht ausruhen. So bot z. B. das Tou- rismusbüro des Ferienlandes im Schwarzwald im Winter 2008 einen Lehrgang für Tourismus- Englisch an und die LAG eine zehntägige „Fit- Schulung“: Ob Kräuterkunde oder Feng-Shui für die Ferienwohnung oder Menschenkunde – die erfolgreichen Vermieterinnen von heute sind mit Landwirtschaft Schneemannbauen und Besuch im Stall beim Kie- ningerhof in Langenschiltach – Urlaub auf dem Bau- ernhof bietet auch im Winter viel Abwechslung. ihrem Wissen bei Gästen und Familienmitglie- dern gleichermaßen geschätzt. Und da sich die Gäste mit ihrem Wissen und ihren Fragen jedes Jahr ein bisschen ändern, lernen ihre Gastgeber jährlich hinzu. Und die Gäste? Nirgendwo sonst können sie die Produktion von Lebensmitteln hautnah mit- erleben, nirgendwo sonst können sie so praxis- nah das gelingende Miteinander verschiedener Generationen auf engem Raum miterleben. „Ich glaube, unser guter Umgang in der Familie be- eindruckt meine Gäste am meisten“, brachte es 275

Landwirtschaft ein mal die Schäflehofbäuerin aus dem Gutach- tal bei einer Lehrfahrt auf den Punkt. Ob Umsatzsteuerpflicht für praktisch jeden Anbieter von Ferienquartieren ab 2007, oder die jährliche Pflichtuntersuchung bei Eigenwasser- versorgung auf vielen Schwarzwaldhöfen, ob An schlusszwang vieler Höfe an die Abwasserlei- tung, wo früher der eigene Klärteich ausreichte, die Liste der hinzugetretenen Vorschriften ist lang. Vielleicht kommt als nächstes der Erste- Hilfe-Kurs oder … Denken wir lieber nicht nach, was als nächstes kommt. Das werden schon an- dere besorgen, leider. Es wäre eine ernsthafte Untersuchung wert, ob die Höfe heute mehr verdienen mit diesem Betriebszweig als früher. Und ob sie dies auch je Arbeitsstunde tun. Die Baukosten sind sehr gestiegen, die Ansprüche ebenso, die Umsatz- steuer ist abzuführen. So verwundert es Insider kaum, dass nach freiwilligen Aufzeichnungen von 55 Ferienhöfen in Baden-Württemberg die Höfe für eine Ferienwohnung 27 Euro je Belegtag im Jahr 2007 investierten, die eigene Arbeitszeit noch nicht mit eingerechnet. Und des öfteren rät die Fachberatung Bauernhöfen vom Einstieg in den Betriebszweig Urlaub auf dem Bauernhof ab – da dies nur zu Verlusten führen würde. Angebotsvielfalt hat zugenommen – der Schwarzwald-Baar-Kreis ist gut gerüstet Es war das Verdienst des Landwirtschaftsam- tes, bei einer Fortbildung im Jahr 1997 durch die Au torin des Beitrages nach den speziellen Gäs tegruppen der Höfe zu fragen und das Be- wusstsein dafür zu wecken. Als Folge davon ent- standen 1998 zwei spezialisierte Arbeitskrei se, die sich die Kinderfreundlichkeit und die Na tur- verbundenheit potenzieller Gäste auf die Fahnen schrieben. Unter www.kinder-bauernhoefe.de und www.schwarzwaldkuh.de findet man das Angebot beider Gruppen heute noch weltweit. Die 24 Kinderbauernhöfe des Schwarzwald- Baar-Kreises bieten von der kostenlosen Baby- und Kleinkindausstattung über besondere Frei- zeithinweise für diese Altersgruppe bis hin zur Waschmaschinennutzung fast alles, was Eltern am Urlaub mit kleinen Kindern lieben. Sie sind der einzige, derartige Arbeitskreis in Baden- Württemberg. Wer den Schaubauernhof der Wilhelma be- sucht, kann dort seltene Nutztierrassen wie das Hinterwälder Rind besichtigen und auf Werbung für diese „Schwarzwaldkuh“ stoßen. 13 der 33 Mitglieder im Arbeitskreis „Auf Du und Du mit der Schwarzwaldkuh“ stammen aus dem Schwarz- wald-Baar-Kreis. Hochwertige Urlaubsquartiere, Familienfreundlichkeit, echte Bauernhöfe mit ei- ner einzigartigen Kuhrasse und Weidegang der Tiere sind die Kennzeichen dieser Höfe. Werbung für die Höfe gibt es auch in engli- scher Sprache. Als das Internet immer verbrei- teter wurde, entstand bereits 2001 als dritter spezialisierter Arbeitskreis „tourists-on-farms“. Da haben die Bäuerinnen des Schwarzwald- Baar-Kreises als erste in Baden-Württemberg die Chance ergriffen, sich als innovative Maßnahme im ländlichen Raum mit EU- und Landesmitteln zum Multitalent zu qualifizieren, haben compu- tern gelernt, englisch gebüffelt und erste Mails auf englisch geschrieben. Unter „www.blackfo- Ob Deckerhof in Brigach oder der Kernenhof in Oberkirnach: Urlaub auf dem Bauernhof ist ein ab- wechslungsreiches Ferienerlebnis, überall bemüht man sich intensiv um den Gast. 276

Landwirtschaft restfarms.de“ können Englischsprachige bei 23 Anbietern im Schwarzwald-Baar-Kreis buchen. Je nach Hof kommen heute über zehn Prozent der Gäste aus dem Ausland. Andere Höfe wiederum stellen die Eigen- jagd, die rollstuhlgeeigneten Ferienwohnungen oder den Wellnessbereich in zielgruppenspezi- fischen Zeitschriften werbewirksam heraus. Seien wir froh um jeden erfolgreichen Bau- ernhof. Er hilft, die Erholungslandschaft unseres Kreises zu stärken. Seien wir froh um jeden der über 100 Bauernhöfe im Landkreis, der Ferien- Im Heidenstein bei Nußbach: Über 100 Bauernhöfe im Landkreis bieten Ferienwohnungen in idyllischer Lage an. gäste in gutem Quartier beherbergt. Die Gäste lassen mehrere Millionen Euro im Landkreis und fördern so unsere Gastronomie und Wirtschaft. Und sie tragen zum Fortbestand vieler dieser Höfe bei. Als Wanderer fallen einem das ge- pflegte Anwesen und der üppige Blumenschmuck an guten Urlaubshöfen angenehm auf. Birgit Schwarzmeier 277

Landwirtschaft Erinnerungen an die „Vorstadt“ Lioba und Josef Ruf besitzen den heute wohl ältesten Bauerngarten von Vöhrenbach Ganz bestimmt nicht zum Prunken vor der Nach- barschaft ist dieser Garten angelegt, denn von der Straße am Unteranger aus nimmt man ihn kaum wahr, wie er sich an die Südwest-Ecke des Wohnhauses anlehnt. Da, wo schon seit je das „Grünzeug“ angebaut wurde, als hier noch Land- wirtschaft betrieben wurde. Einst war dies einer der größten Höfe von Vöhrenbach, dessen Acker- land sich weit über die „Vorstadt“ erstreckte, wie das Gebiet außerhalb der früheren Stadtmauern heute noch genannt wird. Die ehemalige Tennenausfahrt zur Kranken- hausstraße oben wird heute begrenzt von dich- tem Gebüsch. Hier gibt’s jetzt im Juli die meiste Lioba und Josef Ruf in ihrem Bauerngarten, dem der- zeit wohl ältesten Garten von Vöhrenbach, der im Gewann Unteranger, sprich der Vorstadt, mindes- tens seit dem 18. Jahrhundert überdauert hat. Arbeit für Lioba und Josef Ruf: die „Wiibeerle“ wol- len geerntet sein, denn die frühe Sorte ist schon reif. Im Nu ist ein Eimerle gefüllt und zufrieden steigt Josef Ruf den schmalen Pfad herunter, um es seiner Frau zu überreichen, die natürlich längst die se Köstlichkeiten auf dem Speisezet- tel für die tägliche Familienmahlzeit eingeplant hat. Auch zu Mus und Gelee wird es in dieser Saison reichen, da ist sich der Gärtner sicher, obwohl er gar keine Schutznetze über die Sträucher gelegt hat. Getrost gönnt er auch den Vögeln noch etwas. Spärlicher ist dieses Jahr allerdings der Erd- beerertrag ausgefallen, da hat der Mairegen die jungen Fruchtansätze verfaulen lassen, bevor die Sonne sie zur Reife gebracht hätte. So werden halt die Freiburger Enkel nicht so viel Marme lade bekommen, die doch nirgends so gut schmeckt, wie aus Oma Liobas Küche. Vielleicht aber reichen 278 278

Landwirtschaft Bis in die 1990er-Jahre war das Anwesen Ruf ein Bauernhof, oben ein Foto um 1900, links der Garten. Auf historischen Orts- ansichten findet sich der „Rufe-Hof“ eher selten, denn er liegt am Rand des eigentlichen Stadtkerns, in der „Vorstadt“. Josef Ruf mit Phlox. Am Gartenzaun strecken sich die Dahlien der Sonne entgegen. auch die Ableger nicht so recht, und es müssen ein paar neue Pflanzen her, gibt der Hausherr zu bedenken. Aus jahrzehntelanger landwirtschaftlicher Erfahrung schöpfen die beiden Rufs und wählen die geeigneten Standorte für die Anzucht ihrer Nutzpflanzen. Ein ausgedehntes Beet entlang der Ostwand des Nachbarhauses ist den Erbsen vorbehalten, die sich bereits an ihren knieho- hen Stützen hinaufranken und eine Menge zarte Hülsen erkennen lassen, während die Busch- bohnen noch in Blüte stehen. Im flacheren, der Sonne zugewandten Teil des Gartens stehen, prall wie die Rokoko-Väs- chen, frischgrün und von federndem Blattwerk gekrönt, die Kohlrabi und laden zur Ernte ein, ebenso wohl gediehen wie die Salatköpfe, die, einst in Frühjahrstagen von Folien geschützt, im betongerahmten Frühbeet sitzen. Und hier hat sich neuerdings ein „Gastarbeiter“ eingenistet, die Rauke, die – in heimischen Gärten längst vergessen – nun als Rucola bis in den Frühsom- Ein Garten mit Wurzeln im frühen 18. Jahrhundert Schon aus Sicherheitsgründen war in Vöh- renbach das Bauen außerhalb der Stadt- mauern lange Zeit nicht gern gesehen, doch im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die Untere und die Obere Vorstadt, weil es in den Stadtmauern selbst nicht mehr genügend Flächen für Neubauten gab. So entstanden Häusergruppen, in denen sich vorzugsweise Hand werker, aber auch einzelne Bauern nie- derließen. Auf der Bannkarte von 1787 findet sich der Bauernhof der Familie Ruf bereits, na- türlich mit Garten, denn dieser gehörte damals zu jedem Haus in der Stadt – man war ja schließlich überwiegend Selbstversorger. Die alten Vöhrenbacher Gärten waren nicht nur Gemüsegärten, dort zog man stets auch Heilkräuter heran, die im Krankheitsfall so- wohl dem Menschen als auch dem Vieh helfen konnten. So findet sich in diesen überkom- menen Gärten „altes Wissen“, ihre Pflege und die Anleitung dazu wurde von Generation zu Generation weitergegeben. wd

Landwirtschaft mer am Gemüsemarkt nicht fehlen darf. Die Rufs haben den Samen dazu einmal aus Südtirol mit- genommen und freuen sich jetzt am üppigen Wuchs der würzigen Blätter. Auch der Meerrettich wächst heran Aufs Blühen wartet unten am Zaun noch eine hohe Staude Echinacea; längst hat ein Hobby- Pharmazeut aus der Nachbarschaft das Recht, sich dann von den Korbblüten zu bedienen, wenn sie so weit sind. Auch vom Beifuß, der noch blü- tenlos daneben steht, holen sich gerne die Tür- kinnen etwas ab, wohl, um daraus Wermutwein zu gewinnen. Dicke raue Blattzungen künden vom Meerrettich, der bald seine Stangenwurzeln frei- geben wird, unentbehrliche Grundlage für die „Soß“ zum Rindfleisch, dem Badi schen „Samsch tig esse“. Viele sol- cher Gewürzstauden sind jedenfalls Überbleibsel aus der Bauerngartenzeit. Heu- te kauft Herr Ruf durchaus auch gezielt neue Pflanzen, die ihm gefallen, wie den tiefblauen Rittersporn, der stolz vor der Rosenkulisse des Nachbarhauses prangt, zu Füßen eine rosa Poly- antha gruppe. Derart kraftvoll wäre er wohl nicht aufgewachsen ohne die unermüdliche Bewässe- rung, für die hier gesorgt wird. Wohl dem, der wie Rufs noch über einen ei- ge nen Tiefbrunnen verfügt und nicht mit dem Wasserwerk abrechnen muss. Der Brunnen die- ses Anwesens reicht drei Meter in die Tiefe und kommt sogar noch den Nachbargärten zugute. Allein den Naturgegebenheiten kann einfach kein Garten überlassen werden. Da muss einer schon bereit sein im Finstern mit der Taschen- lampe auf die Pirsch nach den Nachtschnecken zu gehen und wenn die Zeit der Landwirtschaft vorbei ist, die noch jederzeit Düngemist bereit hielt, bleibt nichts anderes übrig, als dass man die eigenen Blumenstrünke und Laubabfälle häckselt, kompostiert und als Dünger aufbringt. Besonders bewährt haben sich zu diesem Zweck die Dahlien, die bei Rufs an allen Ecken zu fin- den sind und spätsommerliche Farbenpracht versprechen. Und wie viel Arbeit diese Stauden erfordern, weiß jeder Hausgärtner: Im Herbst wollen sie ausgegraben und sorgsam im Keller zum Überwintern gelegt werden. Aber was zählt die viele Mühe angesichts der Rosenpracht im Rufschen Paradiesgärtlein! Lioba Ruf erntet Meerrettich für das „Samschtig- esse“, Josef Ruf kümmert sich derweil um die Pflan- zen im „oberen Garten“.

In allen Farb- und Höhenvarianten prangen sie den Sommer über, die Rosensträucher mit be- hutsam gebändigten Zweigen. „Bei uns passen halt die Edelrosen nicht so dazu“, meint Frau Ruf und zeigt auf das einzige Exemplar, das sich in eher dekadentem Blassrosa tapfer an der äußers- ten Ecke des Vorgartens hält. Im Frühjahr hört das Blühen nicht auf Dort, wo einst gegenüber dem Hauseingang der hölzerne Brunnentrog gestanden haben muss, lehnt sich die Sonne an und hier, vor Ostwind geschützt, hört vom zeitigen Frühjahr an das Blü hen nicht auf. Hier sprießen als erstes die Narzissen und die Tulpen, um dann den Horn- veilchen und Blaukissen Platz zu machen, die endlich von den Rosenbüschen überrankt wer- den. Schon melden sich dahinter die ersten Blü- ten des Phloxes, dessen hohe Stiele mit dem dunklen Blattwerk, längst sorgsam gebunden, bereitstehen. Überhaupt, das Hochbinden zum Schutz vor Wind und Regengüssen erwarten so viele der Stauden, nur beim „Tränenden Herzen“, weiter oben am steilen Hang hat er das nicht rechtzei- tig geschafft, meint Herr Ruf entschuldigend, da hat ihm die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Gar nicht leicht fällt es den beiden Garten- liebhabern, sich einzugestehen, dass so man- che Arbeit einfach nicht mehr zu bewältigen ist, wenn sich die Leiden des Alters einstellen nach lebenslanger Plackerei in der Landwirtschaft. So musste in diesem Jahr das erste Mal auf den Geranienschmuck an den Fenstern verzichtet werden, das Gießwasserschleppen bis in die oberen Stockwerke ist einfach nicht mehr zu leis ten. Einer prachtvollen Trompetenblume al- lerdings konnte keiner widerstehen – beinah mannshoch steht sie vor der Eingangstür mit ihren großen orange-rosa Blütenglocken, in ei- nen Tonkübel gepflanzt, der bei drohendem Frost ins Haus geschleppt werden muss. Wer eigentlich die meiste Arbeitslast trägt, ist wohl nie ausgemacht worden. Stillschwei- gend übernimmt immer der die Handgriffe im steileren Gelände, den die Rückenschmerzen Landwirtschaft Die Dahlien sind bei den Rufs besonders beliebt, im Herbst kann sich Lioba Ruf an den Astern erfreuen. gerade weniger plagen, und einig sind sich die Rufs auch darin, dass um vier Schluss sein darf mit dem Schaffen, da gönnt man sich’s, auf der Bank vor dem Haus zu rasten und den Ausblick auf die Gartenpracht zu genießen. Nicht auszu- denken, wenn sich dort eine Garagenwand hin- drängen würde, soweit sollte es zu seinen Leb- zeiten nicht kommen, meint Herr Ruf. So ist wenigstens ein echter Bauerngarten erhalten, der aus den Zeiten herüberreicht, als in Vöhrenbach noch die Landwirtschaft blühte. Elke Schön 281

14. Ka pi tel Freizeit und Erholung Pilgern in der Heimat Neue und schöne Jakobuswege im Landkreis laden zur Selbstbesinnung ein Das ständige Unterwegssein ist kein Zeichen der modernen Welt. Von den in die Ödnis ziehenden Einsiedlern der ersten christlichen Stunde bis zu den heutigen Pilgerreisen nach Lourdes zieht sich die Spur derjenigen, die auf der Suche nach sich selbst oder nach dem Seelenheil zu nahen und fernen Stätten unterwegs waren und sind. Santiago de Compostela im alleräußersten Wes ten Europas zählte dabei viele Jahrhunder- te zu den bevorzugten Wallfahrtszielen. Dort findet sich der Legende nach die im 9. Jahrhun- dert wiederentdeckte Grabstätte des Apostels Jakobus des Älteren, der in Jerusalem unter Kö- nig Herodes Agrippa I. hingerichtet wurde. Im Hochmittelalter erlebte der nun nach Jakobus benannte Ort einen kometenhaften Aufstieg zu Wohl so gut wie jeder Jakobus-Wanderer im Schwarz- wald-Baar-Kreis besucht das Villinger Münster mit seiner Plastik „Jakobus krönt zwei Pilger“. 282 einer geistlichen Metropole und Ort der Heili- genverehrung. Santiago de Compostela wurde zum Inbegriff der Fernwallfahrt und die von den Pilgern verbreitete Muschel zum „Marken- zeichen“. Der Besuch der Kirche mit dem Jako- busgrab stand als Wallfahrtsziel gleichwertig neben den beiden anderen großen Pilgerorten Rom und Jerusalem. Je mehr die Santiagowallfahrt die Menschen in Sorge um ihr Seelenheil in Bewegung brach- te, je mehr entstanden auch auf dem Gebiet des heutigen Landkreises vielerlei religiöse Werke, die mit dem Jakobuskult in Verbindung zu set- zen sind. Noch heute finden sich deshalb hier in den Kirchen und Kapellen Statuen und Gemäl- de, in Hüfingen die Zunftfahne einer einst leben- digen Bruderschaft zu Ehren des heiligen Jako- bus oder wie in Allmendshofen, Marbach und Niedereschach zu Ehren des Jakobus benannte Kirchen. Hinweise in Tagebüchern, wie die des Abtes Georg Gaisser von St. Georgen, verweisen auf einst über die Baar und durch den Schwarz- wald ziehende Pilger ebenso, wie die im Unter- grund der Kapelle St. Markus in Mistelbrunn bei Grabungen gefundene Muschel. Die Reformation bedeutete einen großen Einschnitt im Pilgerwesen, das sich jedoch in den katholischen Regionen und unter dem Ein- fluss der Gegenreformation noch einmal erhol- te. Für viele zur Pilgerfahrt Entschlossene traten jetzt nähere Wallfahrtsziele in den Vordergrund. Einsiedeln (Schweiz) wurde zu einem beliebten Pilgerort, jedoch auch örtliche, kleinere Wall- fahrtskirchen wie Maria in der Tanne in Triberg oder die heute verschwundene Wendelinska- pelle bei Oberkirnach.

Pilgern in der Heimat Das Jakobus-Wanderwege netz im Schwarzwald-Baar-Kreis. Weitere In- formationen gibt ein kostenloser Flyer, erhältlich beim Landratsamt. Eine erstaunliche Wiedergeburt Ganz verschwunden war das Pilgern nach Santi- ago allerdings nie und in den letzten Jahren hat das Wandern auf Jakobswegen und die Pilger- fahrt nach Santiago eine geradezu erstaunliche Wiedergeburt erlebt. Zahllos sind die modernen „Pilger“, welche auf Sinnsuche nicht nur auf dem großen Jakobsweg nach Santiago unterwegs sind, sondern welche auch auf jenen stillen Pfaden zu sich selbst finden möchten, wo vor ihnen bereits die Pilger des Mittelalters die vorwiegend als Buße verstandene Reise zum Apostelgrab an- traten. 1987 wurden die Wege der Jakobuspilger zur europäischen Kulturstraße erklärt; seit 1993 bzw. 1998 zählen die Hauptwege in Spanien und Frankreich zum Weltkulturerbe. Seit 1993 wurde auch der große Nord-Süd- weg durch den Landkreis, von Rottweil kom- mend über Villingen und Blumberg in zwei Äs- ten nach Süden gehend ausgeschildert. Doch gingen im Mittelalter die Pilger nicht nur von Nord nach Süd und nur auf diesem Hauptwe- ge wie die inzwischen bekannten Kulturdenk- male des Jakobuskultes zeigen. Ein Teil der Pilger überstieg von Villingen her auf einem weiteren größeren Weg den Schwarzwald in Richtung Frei- burg. Einzeln oder in kleinen Gruppen sickerten andere über kleinere Pfade aus dem Schwarz- wald oder aus dem Aitrachtal und verstärkten den Pilgerstrom auf den großen Achsen. So war es nur konsequent, die wiederentdeckten oder durch historische wie auch moderne Jakobus- symbole sich abzeichnenden Pfade ebenfalls zu kennzeichnen. Seit Jahresbeginn besteht ein ausgeschildertes und mit Anschlüssen in alle Richtungen versehenes Wegenetz von zwei grö- ßeren Jakobuswegen und vier Wegen, mit auf diese zuführenden Pilgerwegen im Landkreis. 283

Freizeit und Erholung Schwarzwaldrand-Pilgerweg Wer den von Rottweil her kommenden und bei Dauchingen dem großen Zentrum der Jakobus- verehrung Villingen zustrebenden Neckar-Baar- Jakobsweg gerne einmal mit einem stilleren Pfad vertauschen möchte, geht vielleicht auf dem Schwarzwaldrand-Pilgerweg. Er führt eigentlich vom Kinzigtal bei Schiltach herauf und erreicht die Kreisgrenze bei Buchenberg. Auf dem „Schei tel Alemanniens“, so die alte Beschreibung des Gebietes durch die St. Geor- gener Mönche, findet der Pilger nach Durch- queren des einstigen klösterlichen Rastplatzes St. Georgen auf den von Villingen in Richtung Freiburg ziehenden Hochschwarzwald-Jakobus- weg. Wer sich nach rechts wendet, gelangt über die Wallfahrtsstätte Bruderkirchle bei Vöhren- bach bald auf die Höhen über dem Urachtal und wird beim Weitergehen mit einem die Seele öff- nenden Blick auf die schon näher bei Freiburg liegenden ehrwürdigen Klöster St. Märgen und St. Peter belohnt. Wer wieder zurück zum Neckar-Baar-Jako- busweg und von da vielleicht über Schaffhau- sen nach dem großen, hergebrachten Pilgerhalt Einsiedeln möchte, den empfängt nach kaum zwei Stunden das Villinger Münster mit der be- rühmten Plastik „Jakobus krönt zwei Pilger“. 284 Dem jedoch vom Schwarzwaldrand-Pilger- weg herbeiwandernden, weiterhin nach stiller Selbstbesinnung dürstenden Jakobus-Anhän- ger, sei der Mistelbrunn-Pilgerweg ans Herz gelegt, der unweit von Hammereisenbach über Mistelbrunn nach Bräunlingen und kurz darauf bei Hüfingen wieder auf die große Nord-Süd- Achse führt. Hohe Tannenwälder wechseln mit sonnigen Abschnitten, und nach Betrachtung der seit dem Mittelalter als Pilgerhalt dienen- den St.-Marcus-Kapelle, kommt die Belohnung in Form zweier dicht beieinander liegender his- torischer Städte: Bräunlingen und Hüfingen. Vor allem letztere ist ein an Zeugnissen der Jakobus- verehrung überquellender Schatz. Über Blumberg nach Schaffhausen Auch im südlichen Bereich des Landkreises ste- hen dem Pilger die Wege offen. Hier geleitet der Neckar-Baar-Jakobusweg nach Blumberg auf den Höhen oberhalb des romantischen und geolo- gisch unruhigen Krottenbachtales, um nach dem Anstieg auf den Randen sich bald aus dem Lan- de in Richtung Schaffhausen zu verabschieden. Vorher jedoch, bei Hausen v. Wald, steht der Pilger vor der Entscheidung, ob er sich nicht lieber entlang der Wutach talabwärts Basel und damit Frankreich zuwenden sollte. Der Wutach-Pilgerweg als kleinster Abschnitt des neuen Wegenetzes hat durchaus seine Reize, führt er doch beispielsweise beim recht steilen und heute eher ungefähr- lichen Abstieg über die Kreisgren- ze zum Bruderkirchlein, nahe der Ewattinger Wutachmühle, dem Ja- kobuswanderer die Unbilden des einstigen Pilgerlebens vor Augen. Wer auf etwas mehr Gesellig – keit hofft und Pilger aus den östlicher gelegenen Landesteilen tref fen möchte, sollte auf der Blum- Die Zunftfahne der Jakobusbruder- schaft, Fronleichnamsprozession, Hüfingen.

Die St.-Marcus-Kapelle in Mistelbrunn. berger Strecke bleiben. Denn in der dor tigen Stadtmitte, oberhalb eines Tunnels der Museumsbahn („Sauschwänzlebahn“), mündet der von Riedöschingen von Beu – ron herankommende Donau-Ran – den-Pilgerweg in den Weg aus Villingen. Seinen Ursprung fin- det der Donau-Randen-Pilger- weg un weit des Klosters Beuron, welches sich seit einigen Jahren wieder zu einem bedeutenderen Zentrum des Jakobuskultus und des Wanderns auf dem Jako- busweg entwickelt hat. Zahlreiche Kulturdenkmale Alle den Landkreis durchziehenden Wege stehen im größeren Zusammenhang eines Wegenetzes, das sich zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald erstreckt. In dieser Region, an der Grenze zwischen einstmals Württem- berg, Hohenzollern und Baden lassen sich noch zahlreiche Kul- turdenkmale entdecken, welche dem Betrachter die historische Bedeutung des Jakobuspilger- wesens, der Wallfahrtsstätten und des Wallfahrtswesens sinn- fällig vor Augen führen. Die in ei- ner Zusammenarbeit von Kennern des regionalen Jakobuskultes und den Landkreisen Zollernalb, Rottweil, Tuttlingen, Schwarz- wald-Baar-Kreis und Zollernalb- kreis wieder entdeckten und neu erschlossenen We ge lehnen sich in ihrem Verlauf oftmals an Handelsstraßen an und geleiten den Pilger und Wanderer zu Wall- fahrtsstätten und Kulturdenkmä- lern mit Bezug zur Jakobusver- Der Apostel Jakobus aus der Villinger Bildhauerwerkstatt Ignatius Schupp schmückt einen der Seitenaltäre der St. Jakobuskirche in Marbach. Pilgern in der Heimat ehrung. Alle diese Wege sind zugleich in das europäische Wegenetz der Jakob(u)spilger ein- gebunden, das sich auf den Hauptwallfahrtsort Santiago de Compostela ausrichtet und welcher übrigens in nicht allzu großer Entfernung von der Niedereschacher Partnergemeinde Arzua gelegen ist. Deshalb zeigt auch die als Wegmarkie- rung angebrachte und als Symbol europaweit verwandte Jakobsmuschel auf den Wegen in Richtung Süden hin zu dem Orte der Verehrung des Heiligen Ja- kobus maior. Neben einem Faltblatt zur Erstinformation über die Jakobuswege im Landkreis und in der Region zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, welches in allen Touristinfostellen zu erhalten ist, sind weitere und detailliertere Angaben im Internet abrufbar (www. jakobuswege-schwarz wald- alb.de). Gegen Mitte 2009 wird auch ein über 200 Seiten starker Führer mit genauer Beschreibung der Wege und der Sehenswürdigkeiten er- scheinen, der in keiner Pil- gertasche fehlen sollte. Joachim Sturm 285

Freizeit und Erholung Das Abenteuer „Schluchtensteig“ Auf 118 Kilometern führt der Wanderweg von Stühlingen über Blumberg nach Wehr Vor uns plätschert munter die Wutach, auf der hohen Brücke über uns dampft gemächlich die Sauschwänzlebahn. An beiden Seiten der Wut ach- flühe leuchtet am Hang das Blattgrün der Laub- bäume. Es ist Sommer. Wir befinden uns inmitten des neu eingerichteten Schluchtensteigs, auf der ersten Etappe von Stühlingen nach Blumberg. Wanderfreunde aus dem Raum Blumberg kann- ten diesen idyllischen Fleck schon. Er liegt nur wenige Gehminuten vom Bahnhof Lausheim- Blumegg entfernt, zu dem viele Na tur liebhaber gerne fahren, um von dort in rund zwei Stunden nach Blumberg zurückzuwandern. 286 Seit Ende 2007 ist dieser Abschnitt durch die Wutachflühe ein Teil des Schluchtensteigs. Dabei handelt es sich um einen neuen Fernwan derweg im Naturpark Südschwarzwald, der be reits im ersten Jahr für eine spürbare Belebung gesorgt hat. Auf 118 Kilometern führt der Schluchten- steig von Stühlingen in die Wutachflühe und weiter über Blumberg zu den Schleifenbach- Wasserfällen und zur Wutachschlucht nach Lenz- kirch, zum Schluchsee, St. Blasien, überquert die sanften Hochflächen von Dachsberg und Ibach und windet sich von Todtmoos durch das dra- matische Wehratal dem Ziel in Wehr entgegen. Mit Blumberg und seinem Stadtteil Achdorf par- tizipiert auch der Schwarzwald-Baar-Kreis am Schluchtensteig, der ansonsten hauptsächlich durch den Landkreis Waldshut führt. Bei Fützen und Epfenhofen Auf Blumberger Gemarkung führt der Weg nach dem Ausstieg aus den Wutachflühen ein paar Meter auf der Landstraße von Achdorf Richtung Fützen und schlängelt sich nach der Bahnun- terführung den Buchberg-Südhang hinauf. Der Pfad bietet einen schönen Blick zurück auf die bereits passierten Wutachflühe und die beiden Blumberger Ortsteile Fützen und Epfenhofen inmitten von sattgrünen Hängen und Streuobst- wiesen. Über die Ottilienhöhe und den Buch- bergstutz folgt die Route nach Blumberg. Hier bietet sich die Möglichkeit zu übernachten. Wer möchte, kann auch noch durch die Schlucht mit den Schleifenbach-Wasserfällen bis nach Ach- dorf laufen. Für den Abschnitt von Blumberg bis zu den Wasserfällen gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder vom Schlossbuck aus auf Serpentinen und einer fast senkrechten Leiter mit Rundspros- sen hinunter, oder am Blumberger Gänseliesel Die Schleifenbach-Wasserfälle.

Der Schluchtensteig-Wanderweg ver- läuft nur im Großraum Blumberg durch den Schwarzwald-Baar-Kreis. an der Ecke Hauptstraße/Friedhofs- straße über die Friedhofstraße, die Straße Im Winkel und den Feldberg- weg auf Waldboden hinunter und von dort problemlos weiter nach Achdorf. Beide Abschnitte wie der Schluchtensteig überhaupt sind nur für geübte Wanderer gemünzt, sie erfordern Trittsicherheit, Kondition und Konzentration. Die Chancen sofort erkannt Blumbergs Bürgermeister Mat thias Baumann sah gleich die Chance für seine Stadt. Passt die neue Attrak- tion doch nahtlos zur Blumberger Werbemarke als BahnWanderLand. Baumann hatte zuvor schon die Forst- leute gebeten, Vorschläge für einen Rundweg im Bereich der Wasserfälle zu entwickeln. Als die ersten Überlegungen anstanden, den Schluch- tensteig eventuell über Blumberg zu führen, kümmerte er sich persönlich darum. Er hatte dann die Idee, die Route über den Buchberg-Südhang zu legen, „weil man von dort einen Ausblick über die Wutachflühe hat, durch die man gelaufen ist“. Die Stadt Blumberg machte daraufhin die Schluchtensteig Schleifenbach-Wasserfälle wieder begehbar. Und das lohnt sich. In diesem Bereich, mit dem rutschfreudigen Opalinuston als Untergrund, sind die Erdschichten gerade oberhalb des Wasserfalls an der Brücke zum Greifen nahe. „Die Geologie ist hier ständig in Bewegung“, erläutert Revierleiter Wolfgang Schelb. Im Zusammenhang mit dem Herrichten des Schleifenbachweges wurde gemeinsam mit dem Die Stadt Blumberg richtete für den Schluchtensteig den Weg zu den Schleifenbach-Wasserfällen her und erneuerte die Brücke. Auch für Kinder ist die spannende Wanderung geeignet. 287

Freizeit und Erholung Impressionen von den Schleifenbach-Wasserfällen der Stadt Blumberg. Forst auch die rund 25 Jahre alte Holzbrücke über den Schleifenbachtobel erneuert. Sie hat- te ihre Lebensdauer erreicht. Nun leuchtet dort eine neue, 8,5 Meter breite und 1,1 Meter hohe Brücke aus Douglasie. Sie soll mehr als 30 Jahre halten. Von den rund 30.000 Euro, die für Blum- berg im Rahmen des Projektes Schluchtensteig kalkuliert wurden, flossen 5.000 Euro in die neue Brücke. Wobei der Naturpark Südschwarz- wald die Hälfte der Kosten übernimmt. Darüber hinaus wurde die Schleifenbachschlucht in Ret- tungssektoren eingeteilt und wird nun – wie die Wutachschlucht – von der Bergwacht Wutach mit Sitz in Ewattingen betreut. Schluchtensteig ist ein Renner Die Blumberger Etappe war für das vom Land- kreis Waldshut initiierte Projekt wichtig. Mit dem Schluchtensteig strebten der Landkreis Waldshut und der Naturpark das Gütesiegel 288 „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ des Deutschen Wanderverbands und des Deutschen Tourismusverbands an. Doch ohne Blumberg hätte der Schluchtensteig dieses Zertifikat nicht erhalten, erklärt Tourismusleiter Klaus Nieke im Waldshuter Landratsamt. Nach der ursprünglich angedachten Strecke wäre der Schluchtensteig zwischen dem Ausgang der Wutachflühe beim Wanderparkplatz Friedrichsblick und Achdorf mehr als zwei Kilometer auf der Verbindungs- straße Fützen-Achdorf verlaufen. Da dieser so- genannte „Wellblechweg“ als „befahrene Stra- ße“ zu werten ist, hätte der Schluchtensteig das Zertifikat nicht erhalten. Dafür seien maximal 300 Meter am Stück auf so einer befahrenen Straße erlaubt, sagt Klaus Nieke. Die Mühen der Stadt Blumberg und des Land- kreises Waldshut haben sich gelohnt. Schon bei der ersten öffentlichen Präsentation des Schluchtensteigs im Januar 2008 auf der großen Freizeit- und Tourismusmesse CMT in Stuttgart war der Schluchtensteig ein Renner. Die erfreu-

lichen Auswirkungen waren auch in Blumberg zu spüren. Die Nachfrage nach Übernachtungen war bis März 2008 bereits so stark wie im ge- samten Vorjahr, sagte Bürgermeister Matthias Baumann. Durch den Naturpark Südschwarzwald Der Schluchtensteig führt in sechs Etappen durch den Naturpark Südschwarzwald und ist von Anfang Mai bis in den November begeh- bar. Die erste Etappe Stühlingen-Blumberg hat 19 Kilometer, (bis zur Wutachmühle sind es 26 Kilometer). Die zweite Etappe Blumberg-Schat- tenmühle hat 20 Kilometer. In Blumberg bieten das Hotel „Hirschen“ sowie die Scheffellinde in Achdorf Pauschalangebote zum Schluchten- steig an. Informationen gibt es bei der Tourist- info Blumberg unter Telefon 07702/51-203 und bei der Buchungszentrale Schwarzwald unter Telefon 07721/846410. Ausführliche Informati- onen mit schönen Farbfotos stehen im Internet auf der vorbildlich gepflegten Homepage unter www.schluchtensteig.de. Wie anschaulich die Texte im Internet sind, zeigt eine kleine Kostprobe: „Wasser rauscht, Gischt stäubt durch eine nass glänzende Klamm, Der Schluchtensteig streift auch den Ort Fützen. zieht an grün bemoosten Felswänden lange, in der Sonne glitzernde Fäden und springt mun- ter von Stufe zu Stufe talwärts. Wutachschlucht, Lo tenbachklamm, Schleifenbachfälle, Haslach- schlucht, Windbergwasserfall, Hochwehraschlucht und Wehratalschlucht sind Ziele für all jene, die es ans Wasser zieht, die gerne durch uner- gründliche Tobel steigen, dramatische Talland- schaften lieben, tosende Wasserfälle bestaunen wollen und sich für eine Woche aus dem Alltag ausklinken möchten.“ Bernhard Lutz Blick auf das malerische Achdorf. 289

Freizeit und Erholung Freizeit und Erholung Auf dem Neckarweg Schwenningen Vom Schwenninger Moos bis nach Mannheim: Ein 445 Kilometer langer Wanderweg Wandern, ob leicht oder intensiv, ist Bewegung in frischer Luft, im Wald, auf Wiesen, an Bächen und Flüssen. Nachdem die Fernwanderwege ein immer größeres Wanderpublikum anzogen, be- mühte sich auch die Ortsgruppe Schwenningen/ Neckar des Schwäbischen Albvereins, den Tou- rismus in seinem Vereinsgebiet mit einem wei- teren Fernwanderweg zu stärken. Mit dem Neckarweg, nicht zu verwechseln mit dem Neckartalradweg, wurde im Jahr 2005 vom Schwäbischen Albverein ein 445 km langer Wanderweg vom Ursprung im Schwenninger Moos bis zur Mündung bei Mannheim eingeweiht. Es dürfte sich um einen der wohl schönsten Fernwan- derwege im Süden Deutschlands handeln, ver- bindet dieser Weg doch nicht nur Naturschön- heiten, sondern ist ein Kulturweg ersten Ranges, reich an römischer und südwestdeutscher Ge- schichte mit Städten wie Rottweil, Rottenburg, Tübingen oder Stuttgart. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist übrigens in der glücklichen Lage, ein Drehkreuz bedeutender Fern- wanderwege zu sein, verlaufen doch Mittelweg, Westweg und der Querweg Lahr-Rottweil in sei- nem Gebiet. Allein in der gemeinsamen Stadt Villingen-Schwenningen kreuzen sich zusätz- lich der Ostweg und der Querweg Schwarzwald- Jura-Bodensee des Schwarzwaldvereins, dazu der Baden-Württemberg-Weg sowie seit dem Jahr 2005 der Neckarweg des Schwäbischen Albver- eins. Der Neckar selbst ist mit 367 km der längste Fluss Baden-Württembergs. Sein Name ist kel- tischen Ursprungs. Als Schwenningen noch ein Bauerndorf war, führte er noch so reichlich Was- ser, dass er mehrere Mühlen treiben konnte. Mit Der Neckar inmitten der Parkanlage auf der Möglingshöhe. 290 290

Neckarweg Bezeichnung der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde er als Abwasserkanal missbraucht. Heute, in Zeiten eines gesteigerten Umweltbewusstseins, ist sei ne Of fenlegung und Sanierung in vollem Gange. Am geeignetsten beginnt man den Neckarweg an der Haltestelle „Eisstadion“ des Ringzuges. Hier bestehen auch genügend Parkmöglich- keiten, sodass einer Rückkehr mit dem Zug nichts im Wege steht. Wir folgen nun dem Wegezeichen, einem blauen stilisierten „N“, in das Schwen- ninger Moos. Hier, im Naturschutzgebiet „Schwen- ninger Moos“ liegt der Ursprung des Neckars. Eine Quelle, in der sich das Wasser sammelt, ist nicht zu entdecken. Als Naturschutzgebiet von hohem Rang ist das Moor inzwischen als europaweit bedeut- sames Schutzgebiet anerkannt. Seine Einmalig- keit fasziniert Besucher aus der ganzen Welt. Ei- ne reiche Flora mit Wollgras, Moor- und Rausch- beere, Sumpf-Blutauge, Zweiblatt, Moosbeere, Sonnentau und Sumpf-Rosmarin entdeckt der Wanderer bei der Umrundung des Sees. Woll- gras und Rohrkolben als typische Moorland- schaft nicht zu vergessen. Die Tierwelt ist mit Fröschen, Fischen, Enten, Blässhuhn, Grünfü- ßigem Teichhuhn, Zwergtaucher, Krickente, Rei- herente, Stockente, Graureiher, Silberreiher und einigen Spechtarten reichlich vertreten, auch der Storch lässt sich manchmal sehen. Der Weg, der das Schwenninger Moos umrundet, bildet in seinem westlichen Teil gleichzeitig die ehemalige Landesgrenze zwischen dem König- reich Württemberg und dem Großherzogtum Baden sowie die Hauptwasserscheide zwischen Donau und Rhein. Auf der Möglingshöhe Über die Geschichte des Moores, dessen Pflan- zen- und Tierwelt, aber auch über des 1748 ein- setzenden Torfabbaues und den damit verbun- denen Entwässerungsmaßnahmen ist Gelegen- heit, sich anhand von Hinweistafeln zu informie- Neckarweg Schwenningen ren. Unter Mithilfe aller Naturschutzverbände wurden inzwischen 45 Wassersperren gebaut, die nun die Entwässerungsgräben verschließen und so dem Moor die lebensnotwendige Feuch- tigkeit wiedergeben. Der be- zeichnete Weg führt anschlie- ßend durch die städtische Anlage „Möglingshöhe“, und erstaunt steht man an der ge- fassten Neckarquelle mit ei- nem Stein und einer Buntsand- steintafel. Die Inschrift darauf lautet „Herzog Ludwig von Württemberg errichtete hier im Jahr 1581 einen Stein mit der Inschrift ‚Da ist des Neckars Neckarursprung‘. Die Quelle versiegte jedoch und wurde im Jahr 1907 zur Stadterhebung Schwenningens 1907 neu gefasst“. Derzeit ist die Möglingshöhe nicht zugänglich. Die gesamte Parkanlage wird auf- grund der im Jahr 2010 stattfindenden Landes- gartenschau umgestaltet. Eine Umleitung steht zur Verfügung. Entlang der Erzbergerstraße gelangen wir vorerst zum Schwenninger Bahnhof. Nach Ende der Gartenschau führt der Wanderweg entlang des wieder an der Oberfläche fließenden Ne ckars zum Bahnhof und dem Bahndamm ent- lang zur Talstraße. Die steile Talkante rechts von unserem Weg zeugt vom früheren Bachbett des Neckars. Umfangreiche Renaturierungsarbeiten erlauben dem Neckar, wieder offen durch den Stadtbezirk Schwenningen zu fließen. Der Wan- derweg bis zur Firma Helios wird sich im Zuge Feierliche Banddurchschneidung bei der Einwei- hung am 15. Mai 2005. 291

Freizeit und Erholung Lage/Ausgangspunkt: (Anfahrt mit Bus oder Bahn schont die Umwelt) ÖPNV, Halte- punkt Schwenningen/Eisstadion oder Bahn- hof Schwenningen/Neckar. Rückfahrt von Haltepunkt Deißlingen/Mitte mit Ringzug zum Bahnhof Schwenningen/Neckar oder zum Haltepunkt Schwenningen/Eisstadion. Karten/Literatur: Freizeitkarte 507, Villin gen- Schwenningen, LVA Baden-Württemberg, ISBN 3-89021-600-5, Führer: Oberer Neckar-Baar und Baaralb, W. Jauch und F. Schray, Reihe Na- tur und Wandern, Schwäbischer Alb verein, Stuttgart 1999, ISBN 3-8362-1459-X. Das Schwenninger Moos, Roland Kalb, ISBN 3-87450-031-4 Wanderzeit: Ab Neckarursprung 4,5 – 5 Stun- den, ab Bhf. Schwenningen/Neckar 3 – 3,5 Std. der Freilegung des Neckars nochmals ändern. Es empfiehlt sich deshalb, bei Sperrungen den Umweg entlang der Rottweilerstraße bis zur Lupfenstraße zu benützen. Ab hier folgen wir dem natürlichen Verlauf des Neckars bis zur L 173. Eine Unterführung leitet uns unter der L 173 hindurch zur anderen Seite. Auf einem Wiesen- weg streben wir zum Wald und zur ehemaligen Landesgrenze zwischen Baden und Württem- berg. Dem blauen „N“ folgend überqueren wir ein weiteres Mal die ehemalige Landesgrenze und gelangen wieder auf württembergisches Ge- biet. 292 Rast im „Neckartäle“. Die alte Römerstraße Kurz vor Erreichen des Bahnhofs Trossingen, der rechts, jenseits von Neckar und Bahnlinie liegt, führt der Wanderweg links in den Wald und un- terhalb der Bioabfallvergärungsanlage zu einer Brücke. Hier befand sich eine Furt der ehema- ligen Römerstraße, die von Vindonissa (Win- disch bei Brugg in der Schweiz) über Brigobane (Hüfingen) nach Arae Flaviae (Rottweil) führte. Diese Straße in das Neckargebiet hatte strate- gische Bedeutung und wird 74 n. Chr. datiert. Verbindung nach Rottweil brachte aber auch die Bohrung nach Salz durch Franz Karl Alberti. Im Auf- trag der württembergi schen Regierung suchte Alberti bei Schwenningen nach Steinsalz und wurde schließ- lich im Juli 1823 zwischen Dürrheim und Schwennin- Fleißige Helfer: Wege- arbeiten der Ortsgruppe Schwenningen/Neckar des Schwäbischen Albvereins am Neckarweg.

gen fündig. Die Sa line Wilhelmhall (benannt nach dem damaligen württembergischen König Wilhelm I.) mit Soleförderung in Rottweil und Schwenningen stellte Salz für die Schweiz her, deren alleinige Belieferung sich Württemberg vertraglich gesichert hatte. Unterwegs im Neckartäle Dem Flusslauf folgend unterqueren wir die Stra- ßenbrücke (Dauchingen-Deißlingen) und gelan- gen ins Neckartäle. Hier hat sich der Neckar in den Oberen Muschelkalk eingegraben und ein romantisches enges Tal gebildet. Dies war je- doch nur möglich, als der Sprengmeister Frost während der Eiszeiten den Boden im Bereich des bis zum Boden gefrorenen Flusses lockerte und die Niederschläge des ganzen Jahres in den ein bis zwei Sommermonaten auftauten und als gewaltiges Hochwasser das Lockermaterial mit sich rissen. Dies gilt auch für die gesamten wei- teren Täler des Neckarverlaufes. Auf schmalem Hangweg folgen wir auf hal- ber Höhe dem Neckar, der sich tiefer unten durch den bewaldeten Talgrund schlängelt. Eine Fahrstraße wird überquert und kurz darauf erbli- cken wir von oben die Neckartalmühle. Wir blei- ben oben auf dem Hangweg und steigen erst später in einer Spitzkehre hinunter zum Neckar. Eine Fußgängerbrücke bringt uns zum gegensei- tigen Ufer und zum Festplatz der Gemeinde Dau- chingen. Hier benützen wir den Weg rechts, der uns zum ehemaligen Steinbruch führt. Im ehemaligen Betriebsgebäude des Stein- bruchs befindet sich heute das Vereinsheim der Albvereins ortsgruppe Deißlingen. Bewirtet wer- den die Wanderer am 1. Mai und an vier Sonnta- gen in den Schulferien im Juli/August. Nach dem neuen Pumphaus der Keckquel- len-Trinkwasserversorgung von Schwenningen, Deißlingen und Trossingen benützen wir den neuen rechten Hangweg zum Endziel Deißlin- gen. Vor Erreichen des Ringzug-Haltepunktes lohnt sich nach einer erlebnisreichen Wande- rung eine Einkehr im Gasthof „Bären“ mit regio- naler Küche. Das Gasthaus ist in einem denk- malgeschützten und frisch sanierten Fachwerk- haus untergebracht. Fritz W. Lang Freizeit und Erholung Der Neckarweg oberhalb der Talmühle mit ihrer ma lerisch gelegenen Hofkapelle. Bild unten: Die gefasste Neckarquelle auf der Mög- lingshöhe. 293 293

15. Kapitel Sport Schwarzwald-Bike-Marathon Das anspruchsvollste Bike-Rennen in Deutschland wirbt für den gesamten Landkreis Wenn morgens die Kirchturmuhr Punkt 7 Uhr anzeigt und es durch die Lautspre- cher dröhnt „Guten Morgen, Furtwangen“, dann wissen die Einwohner in der Uhren- stadt: Heute ist wieder Schwarzwald-Bike- Marathon. Immer am zweiten Sonntag im September, und das schon seit über elf Jahren. Der Schwarzwald-Bike-Marathon ist mittlerweile einer der größten Wettkämpfe für Profi- und Hobby-Biker in Deutschland und ge- hört zu den Top-Sportveranstaltun gen im Schwarzwald. Der „Bike-Marathon“, wie er von den Schwarzwäldern selbst genannt wird, führt quer durch den Mittelschwarzwald und fand in diesem Jahr bereits zum 12. Mal statt. 1997 feierte der Schwarzwald-Bike-Marathon Premiere. Wie es damals war, kann man in einer Broschüre nachlesen, die 2006 aus Anlass des 10-jährigen Bestehens aufgelegt wurde: Wil fried Straub, MTB-Pionier, zweifacher Sieger der „MTB-Top-Ten-Serie“ der Senioren sowie mehr- facher WM-Teilnehmer, und Andreas Mutterer, Förster in Bernau, planen 1996 einen Bike-Mara- thon von Furtwangen über St. Blasien nach Bernau. Ihre Vision ist, der im Schwarzwald im- mer populärer werdenden Sportart eine attrak- tive Wettkampf-Plattform zu bieten. Und natür- lich auch, der Region zu einem weiteren High- light zu verhelfen, denn der Schwarzwälder Ski- marathon kann angesichts schneearmer Winter immer seltener ausgetragen werden. Der Schwarz- wald-Bike-Marathon (SBM) soll zugleich dem Tourismus neue Impulse geben – jüngere Aktiv- Urlauber an sprechen. In Bürgermeister Richard Krieg finden die beiden einen engagierten Mitstreiter der ersten Stunde: Ohne die Hilfe der Kommunen entlang der Bike-Strecke, in diesem Fall an erster Stelle der Stadt Furtwangen im Schwarzwald, von Sponsoren und ehrenamtlichen Helfern, ist das 294 294 Die Initiatoren des Schwarzwald-Bike-Marathons sind Wilfried Straub und Thomas Mutterer. Verwirk- lichen konnten sie ihre Idee Dank der Unterstützung des Furtwanger Bürgermeisters Richard Krieg (un- ten links, im Gespräch mit dem Rothaus-Team). Großereignis nicht zu schultern. Mit dieser Un- terstützung im Rücken zeichnet sich der Erfolg der Idee ab: Die Bürgermeis ter-Versammlung im Schwarzwald-Baar-Kreis signalisiert Zustim- mung, zumal man im Furtwanger Bürgermeister Richard Krieg einen engagierten Fürsprecher hat. Der Schwarzwald-Baar-Kreis und die Forst- verwaltung geben gleichfalls „Grünes Licht“.

1.890 Starter die Bestmarke Die ersten vier Jahre ertönte der Start- schuss noch im Furtwanger Bregstadi- on, seit 2001 befinden sich Start und Ziel in der Innenstadt. Bereits bei der 3. Auflage 1999 wurde erstmals die 1.000er-Marke geknackt. Die Bestmar- ke datiert aus dem Jahr 2005 mit 1.890 Startern. In den gut elf Jahren Schwarz- wald-Bike-Marathon summiert sich die Teilnehmerzahl auf rund 16.000. Sie alle sorgten nicht nur für beachtliche sportliche Leistungen auf der Strecke, sondern auch für einen be eindrucken- den Spendenbetrag. Fast 40.000 Euro konnten die Veranstalter des Schwarz- wald-Bike-Marathons bislang an die Krebsnachsorgeklinik auf der Kathari- nenhöhe überweisen. Unter dem Mot- to „Biken für einen guten Zweck“ flie- ßen von der Startgebühr jedes Einzel- nen immer 2,60 Euro direkt an die Ka- tharinenhöhe. Jahr für Jahr versucht der Veranstal- ter den Schwarzwald-Bike-Marathon attraktiver zu machen. Dazu gehören auch die Streckenführung, die stetig optimiert wird, und die Streck en län- gen. Anfangs waren es noch drei, seit 2003 gibt es sogar vier verschiedene Distanzen (42, 60, 90, 120 km). Vor zwei Jahren wurde erstmals eine Fir- menwertung eingeführt, seit 2007 gibt es eine separate Wertung für Vereine und Gruppen. Entscheidend sind dabei nicht die Zeiten, sondern die Anzahl der Starter. 2008 wurde erstmals mit dem Kids-Cup am Samstag ein Wettbewerb für Kinder ins Pro- gramm genommen. Jeder, der in Furtwangen an den Start geht, hat ein ordentliches Pensum abzuliefern – egal auf welcher der vier Strecken. Als erstes werden um 7 Uhr die Fahrer der Königsstrecke über 120 Kilometer losgeschickt. Sie machen sich auf in Richtung Linacher Staumauer, dann weiter nach Urach und kehren nach 30 km Wegstrecke zu rück nach Furtwangen. Von dort steht den „120ern“ auf den nächsten 33 Kilometern derselbe Kurs Das Hauptfeld startet – beim Furtwanger Robert-Gerwig-Platz drängen sich Hunderte von Fahrern im Startraum. bevor, wie den Bikern der anderen drei Stre- cken. Ihr gemeinsamer Weg führt zunächst Rich- tung Neukirch-Brennersloch, hoch zum Neueck, dann zum Brend, weiter zum Katzensteig und hoch zur Katharinenhöhe. An diesem Punkt trennt sich die Strecke. Die Fahrer über 60 km und 42 km biegen ab in Rich- tung Stöcklewaldturm. Die 90 km- und 120 km- Biker machen sich auf den Weg Richtung Schon- ach, weiter über Triberg und St. Georgen und danach wieder zurück ins Bregtal. Wenige Kilometer vor Vöhrenbach, am Breg- häusle, treffen sich die beiden Streckenverläufe 295

An den Verpflegungssta tionen werden rund 22.000 Geträn ke rationen ausgegeben, wie hier in Schon- ach und bei Gremmelsbach. wieder. Die 42 km-Fahrer machen sich von hier aus direkt auf die letzten zwölf Kilometer in Richtung Ziel nach Furtwangen. Die anderen drei Fahrerfelder müssen zuvor noch eine Schlei- fe durch Vöhrenbach drehen. Erholung gibt es auf diesen Strecken nur selten. Das ständige und schweißtreibende Auf und Ab ist eines der Merkmale des Schwarzwald-Bike-Marathons. Nur wenige Fahrer geben auf Doch die Fahrer lassen sich Jahr für Jahr (fast) von nix und niemandem aufhalten. Stürze, ge- platzte Reifen, gerissene Ketten – nur selten sind das Gründe, um vorzeitig das Rennen zu beenden. Von ländlichen Gegebenheiten lassen sich die Biker ebenso nicht beirren. Auch nicht, als 2006 ein Landwirt während des Rennens ei- genmächtig die Strecke für einige Minuten sperrte, um seine Kuh-Herde auf die Weide zu treiben. Selbst die Schlammschlacht im Jahre 2005 zwang nur wenige zur Aufgabe. Die Fahrer hatten dabei mehr mit Strecken-Verhältnissen als der Streckenlänge zu kämpfen. Knöcheltie- fer Matsch, strömender Regen und Wolkenbrü- che machten den Marathon zu einer echten Qual. Doch voller Schlammspritzer im Gesicht und völlig durchnässt, demonstrierten die Radsport- ler Durchhaltevermögen. Mit Stolz fuhren sie in Furtwangen über die Ziellinie, zugleich erleich- 296 296 tert, endlich die Tortur hinter sich zu haben – Profis genauso wie Hobby-Biker. In den zwölf Jahren schrieb der Schwarz- wald-Bike-Marathon unzählige und unvergess- liche Geschichten, viele schöne aber auch weni- ger schöne. Seine bitterste Stunde erlebte die Veranstaltung im Jahre 2004, als im Bereich Fuchsfalle ein Fahrer zusammenbrach und we- nig später aufgrund eines Herzstillstandes ver- starb. Von den Tausenden von Startern in den ver- gangenen zwölf Jahren ragen zwei besonders heraus. Alexandra Rosenstihl und Jörg Schei- derbauer. Rosenstihl legte in Furtwangen eine grandiose Erfolgsserie hin. Die Gengenbacherin siegte sieben Mal in Serie – ein Mal über 60, ein Mal über 90 und fünf Mal über 120 km. Scheider- bauer ist der Bike-König: Der Offenburger trium- phierte drei Mal in Folge (2003 bis 2005) auf der 120er-Strecke. Das Teilnehmer-Feld besticht nicht nur durch Quantität. Weltcup-Starter und Olympia-Teil- nehmer sorgen jährlich dafür, dass auch die Qualität sehr hoch ist. Die Siegerzeit von etwas mehr als viereinhalb Stunden für die 120 Kilo- meter unterstreicht dies deutlich. Und auch prominente Starter aus anderen Sportarten sind im Fahrerfeld immer wieder an- zutreffen. Olympiasieger Georg Thoma stieg in Furtwangen schon einige Male in den Sattel. 2007 meisterte die Hinterzartener Ski-Legende die 60 Kilometer-Strecke und dies nur wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag. Auch das ge- hört zum Schwarzwald-Bike-Marathon, genauso wie der jährliche Weckruf „Guten Morgen Furt- wangen“.

Über 600 ehrenamtliche Helfer Möglich ist der „Bike“ nur Dank der Hilfe von über 600 ehrenamtlichen Helfern aus den Rei- hen etlicher Vereine und der Unterstützung der an der Strecke liegenden Kommunen. Möglich macht das eine breit aufgestellte Organisations- struktur mit dem „Schwarzwald-Bike-Marathon e.V.“ als Dachorganisation. Vorsitzender und Bike-Mitinitiator Bürgermeister Richard Krieg unterstreicht: „Ohne dieses nun 12 Jahre wäh- rende ehrenamtliche Engagement ist unser Rad- sportevent undenkbar. Dieser Einsatz der Helfer trägt maßgeblich dazu bei, dass eine landschaft- lich reizvolle Strecke geboten und Karussell- fahrten vermieden werden können. Jede Route des Bike-Marathons hat so ihren eige- nen Reiz!“ Schwarzwald-Bike-Marathon führer des „Schwarzwald-Bike-Marathons e.V.“ war Nikolaus Arnold. Gegenwärtig ist Heidi Spitz von der Tourist-Information in Schonach in die- ser Funktion tätig. Aber es braucht viele weitere Helfer: Lange bevor die Biker auf die Ultra-Distanz starten, klärt Streckenchef Axel Gasche, wie sich der Ma- rathon am besten fahren lässt. Die vier Wett- kampfrouten ergeben insgesamt 140 Kilometer Strecke, die von ca. 300 Streckenposten aus 10 Vereinen betreut werden. Ein wichtiger Aspekt der Bike-Organisation ist zudem die Verpfle- gung, für die Günter Hermann zuständig ist: 6.000 Ener gie-Riegel-Stücke und rund 22.000 Geträn kerationen werden verteilt, die meisten da- von auf dem Brend. Vorbereitet und ausgegeben Helfer aus rund 50 Sportvereinen, Institutionen wie der Hochschule Furt- wangen, Feuerwehren, DRK-Ortsverei- nen und der Bergwacht ermöglichen zu- sammen mit Polizei, Forst äm tern, Land- ratsamt sowie Mitarbeitern von Städten und Gemeinden das Radsport-Groß- ereignis. Im Rettungszentrum der Stadt Furt- wangen kommen rund drei Monate vor dem Ereignis an die 60 Personen zu- sammen: Strecke, Zeitnahme, Anmel- dung, Rettungsdienste, Verpflegung, Straßensperrungen, die Nudelparty am Vorabend des Bikes, Sponsoring und Werbung – das alles will organisiert sein, dazu braucht es viele fleißige Hände. Geschäftsführung hauptamtlich Ohne hauptamtliche Mitarbeiter wäre ein Sport ereignis dieser Dimension trotz der vielen ehren amtlichen Helfer je- doch nicht umsetzbar. Erster Geschäfts- Aufstieg nach Neukirch, das Hauptfeld durchfährt im Morgennebel das Hohtal bei Furtwangen. Der Bike-Marathon führt auch durch eine einmalige Landschaft.

Schwarzwald-Bike-Marathon wird die Verpflegung durch 200 Helfer. Optimie- ren konnte der Bike-Marathon auch die Ausgabe der Startnummern, für die Günter Reiner verant- wortlich zeichnet. Und auch die Finanzen sind eine gewaltige Aufgabe, die seit Anfang an Lothar Dilger meistert. Fünf Notärzte im Einsatz Unter der Regie von Dr. Christian Schlegel sind beim Bike-Marathon fünf Notärzte, Dutzende von DRK-Helfern und Aktive der Bergwacht im Einsatz, um im Fall der Fälle so rasch wie mög- lich Hilfe leisten zu können. Ein Arzt steht im Start- und Zielraum zur Verfügung, vier sind ent- lang der Strecke positioniert, die mit Gelände- motorrädern oder ca. acht Allradfahrzeugen der Bergwacht rasch an jede Stelle der Marathon- strecke gebracht werden können. Die Bergwacht Schwarzwald e.V. ist mit weit über 30 Helfern im Einsatz, die Leitung obliegt der Schwarzwald- Landesleitung. Damit die Kommunikation zwi- schen Start, Streckenposten, Arzt oder Verpfle- gungspersonal funktioniert, baut die Bergwacht gleich zwei Relaisstationen auf. Sponsoren sind unverzichtbar Der Bike-Marathon ist auch Dank zahlreicher Sponsoren zu einem Event für die gesamte Regi- on geworden. Allen voran die EGT-Triberg, die bereits seit 1997 als Sponsor und seit 1999 als Hauptsponsor fungiert. Richard Krieg, Bürger- meister von Furtwangen und Vorsitzender des Schwarzwald-Bike-Marathon e.V., betont, der Bike-Marathon wäre ohne diese Unterstützung nie zum anspruchsvollsten Bike-Rennen in Deutsch land aufgestiegen. Und er dankt den weiteren Hauptsponsoren, so der Rothaus AG, tw-elektric, ebm-papst, Bad Dürrheimer, Ultra Sports sowie „Natürlich Holz“ und der Sparkasse Schwarzwald-Baar. Jedenfalls spricht Richard Krieg auch im Namen dieser Sponsoren, wenn er festhält: „Gäbe es unseren Schwarzwald-Bi ke- Marathon nicht schon längst, man müsste ihn umgehend neu erfinden! Christof Kaltenbach/Wilfried Dold 298 Von oben links: Bike-Vorsitzender und Bürgermeis- ter Richard Krieg dankt Geschäftsführerin Heidi Spitz und Finanzchef Lothar Dilger. In Neukirch drängen sich die Fahrer dicht an dicht, nah der Staude bei St. Georgen hat sich das Feld bereits gelichtet. Rechte Seite Mitte: Durchfahrt durch St. Ge orgen. Wer die Marathonstrecke fährt, überquert auch die Linach- talsperre. Eine große Menschenmenge wohnt der Siegerehrung auf dem Robert-Gerwig-Platz in Furt- wangen bei.

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Sport Ein großes Fest der Pferde Reitturnier auf den Immenhöfen zum „besten Turnier in Baden-Württemberg“ gewählt Man braucht weder Reiter zu sein noch ein aus- gesprochener Pferdenarr, um die besondere Atmo- sphäre ländlicher Reitturniere zu genießen. Wenn es in der hochsommerlichen Hitze dezent nach Pferden und Stroh duftet, der Turniersprecher Zeit und Fehlerpunkte ansagt und in Momenten atemloser Spannung nichts als der Dreitakt der Hufe, das Knirschen des Sattels und das Schnau- ben der Tiere zu hören ist, dann sind alle Sinne angesprochen. Zu einem „Fest der Pferde“ und einem Ge- heimtipp der bundesweiten Reiterszene hat sich in den letzten 13 Jahren das Turnier des Reitzent- rum Frese auf den Immenhöfen gemausert. Da- bei standen die Zeichen zunächst gar nicht auf Pferd, als Christian Freses Eltern 1952 den Hof mit 13 Hektar Land übernahmen. Sie kamen aus dem Baltikum, die Bushaltestelle vor dem Anwe- sen der Freses heißt bis heute „Baltenhof“, aber „die Landwirtschaft war nicht so ihr Ding“, wie sich der jetzige Hausherr lachend erinnert. Sie hatten ja zuvor für alles ihre Angestellten gehabt, Zu einem Geheimtipp unter den deutschen Reitern hat sich in den letzten 13 Jahren das Reitturnier von Christian und Ursula Frese auf den Immenhöfen entwickelt. sodass ihnen hier so manches Mal die Kartoffeln erfroren waren, weil sie nicht wussten, wann der Zeitpunkt für die Ernte gekommen war. In den 1960er-Jahren kam mit dem Norweger „Dorle“ das erste Pferd auf den Hof. Christian Freses Schwester hatte es als Entlohnung für ihre hauswirtschaftliche Ausbildung bekommen. Dor- le bekam ein paar Fohlen, aber von einem Reit- betrieb war der Hof noch weit entfernt, obwohl manchmal die baltischen Kinder, die zum Schul- landheim herkamen, auf den Ponys ritten. Erst nachdem im Zuge der Flurbereinigung 13 Hektar Land arrondiert wurden, kam das ers- te Großpferd in den Stall. Eine Reiterin aus der Nachbarschaft hatte gefragt, ob sie ihr Tier un- terstellen könne. Irgendwann wurden die Kühe und Schweine ausgelagert und mittlerweile bil- den die 48 Pensionspferde die Existenzgrundla- ge des Hofes. „Wir haben die Anlage immer weiter verbessert und modernisiert“, sagt Christian Frese, „jetzt gibt es hier alles, von der Führan lage über Waschplätze bis zum Pferdesolarium“. 1982, als er den elterlichen Hof übernahm, baute er den ers- ten Stall mit 13 Boxen. In den kommenden zwölf Jahren wurden diese auf 40 aufgestockt. Es folgten Offen- und Außenboxen, 1986 kam eine Reithalle hinzu, die sechs Jahre später erweitert wurde.

Vor 25 Jahren das erste Reitturnier Ihr erstes Turnier veranstalteten Christian und Ursula Frese bereits vor 25 Jahren – allerdings nur für die Einsteller. „Das war eher so eine Art Reitertag“, erinnern sie sich. Bevor sie 1995 das erste offizielle, bei der Reiterlichen Vereinigung (FN) angemeldete Turnier organisierten, haben sie dafür einen Reitverein gegründet, sonst wäre es gar nicht erst genehmigt worden. „Wir hatten damals überhaupt keine Ahnung“, erzählt Ursu- la Frese, die selbst nicht reitet, aber Pferde sehr mag und wie sie gesteht, früher „tierische Angst vor Pferden“ hatte. Auch ihr Mann, der als Kind in Schwenningen Reitunterricht bekam und spä- ter in Nordstetten bei Richard Eckjans Springstun- den nahm, hat mittlerweile kein eigenes Pferd mehr und widmet sich komplett der Organisa- tion des Betriebes und natürlich des Turniers. „Von Anfang an hatten wir gute Leute, die uns unterstützt haben“, sagt Christian Frese. Die Infrastruktur hat er von Jahr zu Jahr verbessert: Mal kam eine Flutlichtanlage dazu, dann wurden Wälle gebaut. 2005 wurde die Veranstaltung zum besten Turnier in Baden-Württemberg ge- wählt, seit 2007 ist das Turnier der Immenhöfe Teil des Baden-Württemberg-Cups, der am Ende der Saison in der Stuttgarter Schleyer-Halle aus- getragen wird. Über 1.000 Starts bei 24 Prüfungen Jedes Jahr reisen etwa 60 bis 70 Berufsreiter an, dazu rund 30 Amateure aus dem ganzen Bun des- gebiet und 50 aus der Region. Es gibt mehr als 1.000 Starts bei 24 Prüfungen – darunter acht in der schwersten Klasse S. Einer der Höhepunkte ist ein Jackpot-Springen, bei der sich von 28 Teil nehmern zehn für die Endrunde qualifizieren müssen. Sie zahlen je 100 Euro in den Jackpot ein, dem Gewinner winkt ein Auto. „Einmal war einer so aufgeregt, er hat vergessen, sein Start- geld zu zahlen“, erinnert sich Christian Frese. „Der Sprecher hat ihn in letzter Minute vor der Startglocke gefragt, ob er denn nicht etwas ver- gessen habe. Zum Glück zahlte er noch ein, denn sonst hätte er seinen Gewinn nicht bekommen – er wurde nämlich Sieger.“ Immenhöfe Christian Frese (rechts) und Frau Ursula besprechen den Turnierverlauf. Auch beim Rahmenprogramm ist Christian Frese dabei (unten). Die Besucherzahl hat sich von rund 1.000 auf mittlerweile mehr als 15.000 hochgeschraubt. „Als das Showprogramm hinzukam, hat sich der Besucherandrang entscheidend verändert. Au- ßerdem haben wir den Termin vom Mai auf den Sommer verlegt.“ Die Preisgelder betragen in- zwischen mehr als 70.000 Euro, in diesem Jahr gibt es zwei Autos zu gewinnen, das Umsatz- volumen liegt bei 200.000 Euro. Allein die Miete für die Zuschauerzelte verschlingt 12.000 Euro, die Zelte, in denen die Pferde untergebracht werden, ebensoviel. Der Unterschied zu anderen ländlichen Tur- nieren ist das Rahmenprogramm. „Andere klap- pen abends um sieben die Bänke hoch, da geht 301

es bei uns erst richtig los“, sagt Frese. Feuer- werk, Flutlichtspringen, Party und Verkaufsaus- stellung für ländliche Lebensart und Reitsport – es gibt eine Menge zu sehen. 30 bis 40 Aus- steller vom Imker über den Korbmacher präsen- tieren schöne und nützliche Dinge wie Geschirr für das ländliche Festmahl oder für die Kutsch- fahrt über die Baar. Dabei legen die Freses gro- ßen Wert darauf, dass das Rahmenprogramm regional bleibt. „Das ist es auch, was es für die Sponsoren so attraktiv macht“, vermutet Chris- tian Frese. Rund 250 Partner aus Wirtschaft und Gesellschaft sind inzwischen dabei. „Wir sind plötzlich in einer Größenordnung, in der die Leu- te Fehler sehen würden“, sagt Ursula Frese und wirkt dabei, als sei ihr der Erfolg fast ein wenig unheimlich. Attraktiv ist das Turnier auch für die Zu- schauer. Die müssen nämlich nicht auf Bierbän- ken sitzen, sondern können auf bequemen Stüh- len an Tischen Platz nehmen. Die Tischdecken sind selbstverständlich aus Stoff. Das Catering 302 wird seit 2008 vom Öschberghof übernommen, zuvor hatte Günther Kummerländer aufgetischt. Neu ist ein „All-inclusive-Paket“, in dem die Gäste pauschal für gehobenes Essen und Ge- tränke zahlen können. Wer sich dafür entschei- det, bekommt Speis und Trank aus organisato- rischen Gründen in einem separaten Zelt. „Das ist aber kein VIP-Bereich“, betont Ursula Frese. „Jeder hat die Möglichkeit, sich für dieses Zelt den Eintritt zu erkaufen.“ Die Bratwurst auf die Hand gibt es natürlich weiterhin. Ein Treffpunkt für alle Pferdefreunde Dass der Reitlehrer aus einem der benachbarten Vereine hier neben der Fürstin zu Fürs tenberg steht, der Landwirt mit dem Banker fachsimpelt, die Unternehmerin mit dem Facharbeiter – da- rauf legen die Gastgeber wert. „Gerade, weil es kein internationales Turnier ist, lockt es weniger das weit gereiste Fachpublikum an. Dafür tref- fen sich hier alle, die sich für Pferde interessieren“, sagt Ursula Frese, die für die Turnierorganisation zu- ständig ist. Und damit ist sie gut beschäftigt, denn nach dem Tur- nier ist vor dem Turnier. Schon im Herbst gibt es die erste Vorbespre- chung für das kommende Jahr, ab Januar geht es dann richtig mit der Vorbereitung los. Dabei helfen dann alle aus der Familie und viele aus dem Verein. Das Rahmenprogramm begeistert ein breit interessiertes Publikum, hier eine Western-Reiterin.

Ein prächtiges Holz- fuhrwerk wird beim Immenhöfe-Reitturnier genauso bestaunt wie die Sprungakrobatik des Fürstenberg-Fall- schirmteams. Bekannte Namen am Start Während des Turniers sind 50 bis 60 Helfer nötig für Parcoursdienst, Fahrdienst, Einkäufe und Parkplatzeinweisung. „Viele nehmen extra Ur- laub, um hier dabei zu sein.“ Hier können sie nämlich Reiter aus dem ganzen Bundesgebiet hautnah erleben und bei der Prüfung die Schweißperlen auf der Stirn der Reiter zählen. „Im Fernsehen sehen die immer ganz schick aus, aber wenn man hier abends an der Bar ne- ben ihnen steht, kann man sehen, dass sie auch mal dreckige Fingernägel haben, wenn sie ge- rade aus dem Stall kommen. Die Vize-Eu ro pa- meis terin im Springreiten, Christine Liebherr, war schon hier, ebenso wie Hauke Luther oder Samantha McIntosh.“ „Die guten Reiter kommen gerne mit ihren Nachwuchspferden, um sie an die vielen Besu- cher und die Lautsprecher, eben das Turnierle- ben zu gewöhnen“, weiß Christian Frese. Ob- wohl er sich über die Top-Reiter freut, weigert er sich, ihnen Antrittsgeld zu zahlen, wie es bei einigen anderen Turnieren üblich ist. Bei allem Flair des großen Sports soll es wei- terhin ein regionales Turnier bleiben. „Das ist für die Sponsoren das wichtigste Argument.“ Daher kommen die Attraktionen des Rahmen- programmes, wie die „Bregi House Band“ oder die Kutschengespanne der Fuhrhalterei Böhnisch, aus der Region. Auch ist der Eintritt traditionell frei. Nur für die abendliche Party wird ein mode- rater Obolus erhoben – und der fließt in die Kas- sen von „Helfen hilft“. Auch im Behinderten- sport engagiert sich das Reitzentrum Frese: Be- reits am Mittwoch gab es in diesem Jahr die Qualifikation für die Special Olympics 2010. Das Turnier der Immenhöfe ist ein schrankenloses Fest der Pferde – und das eben nicht nur in ge- sellschaftlicher Hinsicht. Stephanie Wetzig Hochkarätigen Reitsport bietet das Immenhöfe- Turnier bei 1.000 Starts.

16. Kapitel Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Miniköche Schwarzwald-Baar Dem Geheimnis des guten Geschmacks auf der Spur Der Startschuss fiel am 10. Oktober 2006: Insge- samt 22 Mädchen und Jungs aus dem Schwarz- wald-Baar-Kreis wurden mit gestärkter, weißer Kochjacke, Spätzlebrett und eigenem Küchen- messer ausstaffiert, um bei einheimischen Kü- chenmeistern für 24 Monate in die Lehre zu ge- hen. Zehn Gastronomie-Betriebe aus der Region unterstützten den Kinderkoch-Club. Initiatorin Ingrid Limberger aus Bad Dürrheim gewann Landrat Karl Heim als Schirmherr für die Regio- nalgruppe der Miniköche. Die zweite Auflage ist aktuell in vollem Gange und weiterhin ist geplant, die Miniköche als feste Institution im Schwarzwald-Baar-Kreis zu etablieren. Teilnehmer im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren in den Startlöchern. Spätzle schaben, Ge- müse schnippeln, Tomaten-Rosen schnitzen und leckere Gerichte brutzeln, stand ab sofort einmal monatlich auf dem Programm. „Eure El- tern werden vor Neid erblassen“, versprach der Miniköche-Erfinder, Jürgen Mädger, den wis- sensdurstigen Sprösslingen schon im Vorfeld. Die Idee stammt aus dem Jahr 1989 Der erfahrene Hotelier und Gastronom Jürgen Mädger aus Bartholomä hatte im Jahr 1989 dem Wunsch seines eigenen Sohnes nachgegeben und für das örtliche Kinderferienprogramm ei- nen Tag lang Spaß in der Profiküche geboten. Die Resonanz war überwältigend und die Idee zu den „Miniköchen“ war rasch geboren. Mittler- weile gibt es bereits 28 Gruppen, die europaweit den Profis über die Schulter schauen und kräftig Sie haben geschnippelt, geschabt, geputzt, geraspelt und nicht zuletzt geschwitzt: Neugie- rig und gespannt standen zu Beginn die jungen Die Miniköche aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis sind 24 Monate lang in die Lehre gegangen. 304

Miniköche Schwarzwald-Baar mitrühren in den Töpfen. „Gesundheit durch rich- tige Ernährung in einer intakten Umwelt“, lautet bis heute die „Bartholomäische Drei-Säulen- Theorie“. Der gesellschaftliche und politische Aspekt der Miniköche war dem Ideen geber so- fort klar: Hier werden Kinder auch mit der Bedeu- tung einer beruflichen Ausbildung konfrontiert. Unter der fachkundigen Anleitung von Er- nährungsberatern, Chefköchen und Servicekräf- ten wird den Kindern gleichermaßen Theorie als auch Praxis rund um Koch- und Essvergnügen serviert. Gleichzeitig wollen die Macher die Schü- ler und Eltern für eine gesunde Ernährung sensi- bilisieren. Ingrid Limberger aus der gleichnami- gen Klinik in Bad Dürrheim und Projektleiterin der Miniköche Schwarzwald-Baar, weiß aus ih- rem Berufsalltag, wie wertvoll und gesundheits- fördernd qualitativ hochwertige Ernährung ist. Bei den Gruppentreffen steht die Be deutung re- gionaler Produkte sowie Umweltschutz im Mittel- punkt. Wissen rund um die Gastronomie sowie Begeisterung für die Berufe dieser Branche soll an die Kinder weitergegeben werden. Doch nicht nur Spaß an der Kunst des Ko- chens und der regionalen Küche, sondern auch die „hohe Schule“ der Dienstleistung „Service“ wird den Sprösslingen über zwei Jahre hinweg eindrucksvoll vermittelt. Mal in der Hotelfach- schule Villingen zu Gast, mal im schicken Restau- rant, in einer Klinik-Küche, einem Landgasthof oder aber auf einem Hühnerhof – die Mini köche erlebten eine spannende Rundreise durch ver- schiedene Themenwelten und Jahreszeiten. Viele weitere besondere Anlässe wie das gemeinsame Wie man Spätzle macht, lernten die Miniköche im Gasthaus „Schweizerhof“ in Obereschach. Schirm- herr Landrat Karl Heim demonstrierte dem Koch- nachwuchs, dass er diese Kunst gleichfalls perfekt beherrscht. Servieren für 240 Gäste in der Neuen Tonhalle in Villingen mit Fernsehkoch Ralf Zacherl etwa, oder der Auftritt beim Neujahrs empfang der Industrie- und Handelskammer, rundeten die „Ausbildung“ der einsatzfreudigen Nachwuchs- köche ab. Landrat Karl Heim als Schirmherr „Da erziehen die Kinder ihre Eltern gleich zu ge sunder Ernährung“, ist Landrat Karl Heim, der den Miniköchen mehrfach einen Besuch abstat- tete, überzeugt. Und weil die Kids wissen wollten, ob ein Landrat auch Spätzle schaben kann, ließ sich der erste Mann des Landkreises nicht lan- ge bitten. Flugs wurde das Jackett gegen eine schnieke Kochschürze getauscht und „zappza- rapp“ das Brettchen geschnappt. Wie am Fließ- band schabte er den Teig zu formschönen Nudeln – zum Erstaunen der Kinder. Und der „Tausend- sassa“ schmunzelte: „Gelernt ist eben gelernt.“ „Wenn sie mal wieder Zeit haben, dann dürfen sie gleich hier anfangen“, scherzte ein Küchen- chef beeindruckt und im Nu wurde Karl Heim zum „Spätzle-Chefle“ ernannt. Ja, früher als Stu- dent habe er häufig am Herd seiner damaligen Wohngemeinschaft ge standen, plauderte Heim 305

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis aus dem Nähkästchen. „Da sieht man gleich das Ergebnis, von dem, was man macht, anders als in meinem Beruf“, erzählte Heim augenzwinkernd. Heute komme er nur selten dazu. Zu seinen Leib- speisen zählen Tessiner Schweinebra ten mit 13 Gewürzen, Speckbohnen und Kartoffel-Gratin oder aber Rehbraten mit Spätzle. „Heimische Küche mag ich sehr gerne“, gestand der Land- rat und deshalb sei das Projekt Miniköche unter anderem so besonders wertvoll: „Den Kindern wird ein Bezug zu heimischer Produktion vermit- telt und sie lernen den Wert von Lebensmitteln schätzen“, betonte der Schirmherr weiter. Wichtig: Die Kinder sollen Produkte auch selbst erzeugen und daraus nach regionalen Re zepten leckere und gesunde Gerichte kochen lernen. Selbstredend wird im Anschluss an einem schön gedeckten Tisch gemeinsam gespeist. Auch in den elterlichen vier Wänden wurde die Tisch- und Esskultur auf eine „harte Probe“ gestellt, denn die kleinen Profis beobachteten mit Argusaugen das Küchenprozedere am heimi schen Herd und nahmen gerne hier und da kleine Korrekturen vor und bereicherten das Zuhause gerne und tatkräf- tig um angewandtes Wissen. „Die Kinder werden so zu wissenden und mün digen Verbrauchern. Und wir brauchen Menschen, die wissen, was gesund ist, und was Qualität und Genuss bedeuten“, beschreibt Initi- alzünder Mädger die weitreichenden Ziele des Miniköche-Projektes. Die Berufe des Gastgewer- bes eignen sich besonders gut, um die Themen Gesundheit, Ernährung und Umwelt miteinander zu verknüpfen. „Die Kinder werden spielerisch Stolz auf Auszeichnungen wie „Schafferle-“ und „Schlaule-Knopf“. Wie man Desserts perfekt anrich- tet, lernte der Nachwuchs in der Hotelfachschule. Stolz auf die eigenen Krea- tionen – die Miniköche zeigten sich talentiert. nicht nur mit verschie- denen Themen, sondern auch mit der Bedeutung einer beruflichen Ausbil- dung konfrontiert“, weiß Mädger aus Erfahrung. Der „Knöpfe-Ansporn“ Ein wahrlich ausgeklügeltes Konzept steht hinter den „Europa-Mini köchen“. Grü- ne oder gar goldene Knöpfe zierten nach und nach die Revers der Miniköche-Kochjacken, denn die werden für be sondere Leistungen an die Kinder verliehen. Es gibt einen „Schafferle- und einen Schlaule-Knopf.“ Bei jedem Monatstreffen der Miniköche kann je ein Spross aus dem Service und aus der Küche diese Auszeichnung für besondere Leistungen erhalten. Und das sieht nicht nur besonders edel aus, sondern ist ein echter Ansporn obendrein: Hatte ein Minikoch drei goldene „Handwerker- Knöpfe“ eingeheimst, dann durfte er seine Fa- milie zu einem Dreigang-Menü in ein Minikoch- Restaurant einladen und die Rechnung wurde bis zu einem Wert von satten 100 Euro erstattet. Und wer drei grüne „Wissens-Knöpfe“ am Revers vorzuweisen hatte, durfte seine Freunde zum „größten Eisbecher“ der Region einladen. Kein Wunder, dass sich schon die ersten 22 „Premiere- Miniköche“ ganz besonders große Mühe gaben, wenn sie gemeinsam mit regionalen Küchenmeis- tern ihre leckeren Gerichte zauberten. 306

Den einzigen Knopf, den die jun- gen Lehrlinge um keinen Preis haben wollten, ist der so genannte „Säcke- le-Knopf“ – ein hässlicher roter, der einer „Roten Karte“ gleich kommt. Den gibt’s, wenn jemand die Gruppe ständig durcheinan- der bringt, häufig das Werkzeug vergisst oder aber die aufgetra- genen Aufgaben nicht erledigt. Bei drei roten Knöpfen würde man aus der Gruppe ausge- schlossen werden. Doch die Mini- köche mussten keinerlei rote Knöpfe einstecken. Die Halbzeit bei den Miniköchen Nach knapp zwölf Monaten war es soweit und ei nes hatten alle Erwachsenen gemeinsam: Fun- kelnde Augen und ein nicht zu übersehendes Lächeln auf den Lippen. Der Stolz stand den Eltern und Angehörigen der Miniköche ins Ge- sicht geschrieben, denn die Regionalgruppe Schwarzwald-Baar hatte zum ersten großen Abendessen in die Hotelfachschule in Villingen geladen. Und es waren alle, samt Schirmherr Landrat Karl Heim nebst Gattin, gekommen: 22 frisch gestärkte Miniköche hatten bereits mit- tags gemeinsam mit dem Küchenchef-Team der Hotelfachschule mit den überaus aufwendigen Vorbereitungen begonnen, um dann abends ab 18 Uhr mehr als 50 geladene Gäste zu verkös- tigen. Und schon beim Lesen der Speisekarte lief den Eltern und Sponsoren das Wasser im Munde zusammen. Nachdem genüsslich der ers- te Cocktail geschlürft worden war, nahmen die Gäste Platz an den professionell eingedeckten Miniköche Schwarzwald-Baar Tischen, die mit zauberhafter Dekoration einla- dend gestaltet waren. Kredenzt wurden im Laufe des kulinarischen Abends sommerliche Blattsalate an Kräuterdres- sing, eine Flädle-Kraftbrühe, Putenzöpfle an wei- ßer Champignonrahmsoße mit frischem Markt- gemüse und handgemachten Spätzle sowie eine Joghurtterrine an Fruchtspiegel mit Waldbeeren und Mandelbogen – alles selbst gekocht von den Miniköchen, versteht sich. Alle haben mit Bravour bestanden Am Ende des zweijährigen Projektes, wurden die Kinder mittels eines Tests auf ihr Wissen ge- prüft und eines sei gleich vorweggenommen: Alle ha ben mit Bravour bestanden. Die schriftliche Prü fung umfasste das Abfragen von Hygienevor- schriften sowie die Erklärung von Fachbegriffen wie „Bouillon“, Proteine, Fructose oder aber das korrekte Einzeichnen von Besteck. Ein regiona- les Cocktailrezept war ebenso gefragt wie Um- weltmaßnahmen, die zu Hause in der Küche täg – lich umgesetzt werden können. Beim großen Abschlussabend wurde nach zwei Jahren schließlich ein echtes IHK-Zertifikat von Landrat Karl Heim an die fleißigen Minikö- che verliehen. Und hier und da floss die ein oder andere Krokodilsträne bei den Kindern, die un- tereinander viele Freundschaften geschlossen hatten. Ein Nachtreffen der Miniköche sorgt für ein großes Wiedersehen. Marion Peters Wie sieht ein perfekter Blumenkohl aus, wie richte ich einen schmackhaften und gesunden Salat an – in 24 Monaten lernten die Miniköche die Grund- lagen des Kochberufs. 307

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Heimelige Hüttenatmosphäre Das Moscht-Schöpfli bei Hüfingen beliebtes Ziel auch für Fahrradfahrer und Wanderer Für Wanderer und Fahrradfahrer ist er längst ein Geheimtipp, der Schosenhof oberhalb von Hü- fingen. Jahr für Jahr pilgern sie auf die Anhöhe, die den Blick freigibt über die Baar mit den glit- zernden Baggerseen und dem markanten War- tenberg bei Geisingen bis hin zur Schwäbischen Alb. Mit seinen blühenden Feldern und Streu- obstwiesen ist der Schosen, wie das Gewann heißt, heute noch ein landschaftliches Idyll, das dem Betrachter das Gefühl vermittelt, frei atmen zu können. In dieses Bild passt das „Moscht- Schöpfli“, wie die Wirtschaft heißt. Inhaber Wal- ter Hauser ist es gelungen, aus seinem ehemals landwirtschaftlichen Gut eine Gaststube mit Hüt- tenatmosphäre zu schaffen, die den Gast in ihren Bann zieht. Gemütlich und urig, das Moscht-Schöpfli auf dem Schosen bei Hüfingen ist viel besucht. Besonders begehrt ist der Platz am Kachelofen. Der Blick fällt auf den alten Kachel ofen in der Mitte, um den sich Holztische und Stühle grup- pieren. Der Boden und die Decke sind aus Holz, auf einem kleinen Podest steht ein Klavier. An der Decke hängen Mistgabeln, Distelstecher, Besen, eine Heusäge, ein Pleuel, mit dem die Pflugscha- ren gereinigt wurden; im Raum stehen alte Holz- und Weinfässer. So originell wie die Wirtsstube sind auch die Toiletten eingerichtet. „Das war der Tisch, an dem der Bauer saß …“ Walter Hauser hat in seiner Gaststube die Räu- me eines früheren Bauernhauses gestaltet. Wir sitzen an einem Tisch beim Fenster. „Das war der Tisch, an dem früher der Bauer saß“, erklärt Walter Hauser. Der runde Tisch vor dem Kachel- ofen stellt das Wohnzimmer dar, der Tisch vor der Theke die Wirtschaft, der Tisch im anderen 308

Moscht-Schöpfli bei Hüfingen Eck sei der Tisch für die Knechte. Ein paar Quadrat- meter Ziegel stellen den Keller dar. In einem wei- teren Zimmer, dem Nicht- raucherzimmer, hat Hauser eine Nähecke eingerichtet, in einem Küchentrakt steht ein alter emaillierter Kohle- herd mit Wasserschiff. Da- zu kommt noch eine Wohn- stube mit zwei Nischen, in einer steht eine Figur: Ma- ria mit dem Jesuskind. Ines Vosseler und Walter Hauser, die Inhaber des Moscht-Schöpflis. bot sich Walter Hauser an. Schon beim Scheu- nenfest, das er seit Jahren regelmäßig auf seinem Hof veranstaltete, hatte er bereits öf ters ge dacht, „man sollte so etwas hier auf dem Schosen ma- chen“. Die konkrete Idee kam ihm dann nach der Hofaufgabe. Von Anfang an war ihm klar, dass es „etwas Uriges, Rustikales“ werden sollte. Im ehe- maligen Viehstall begann er den Umbau zu einem Lokal. Walter Hauser wollte etwas Heimeliges schaffen, wollte ein Stück Geborgenheit. Die Gäs- te sollten sich in die Zeiten ihrer Urgroßeltern ver- setzt fühlen. Vier Jahre werkelte Walter Hauser an dem Umbau und machte eine schöne Erfahrung: „Die Der Hof wurde im Jahr 1824 von einem Herrn Cour- da gebaut, weiß Walter Hauser. Die Besitzer wech- selten mehrfach, bis jetzt gab es keinen männ- lichen Nachfolger, schilderte Walter Hauser. Sein Vater Max Hauser hat im November 1947 auf den Hof eingeheiratet, seine Frau hieß Hele- ne, geborene Münzer. Der Vater hat den alten Hof saniert, berichtet der Sohn, doch im Sep- tember 1957 brannte das ganze Anwesen ab. Die Eltern ließen sich dadurch nicht entmutigen, „im Februar 1958 stand der Hof wieder“. Die Eltern hatten fünf Kinder, Walter ist das jüngste Kind, er hat noch einen Bruder und drei Schwestern. Walter Hauser pachtete den Hof 1977 von seinem Vater, 1991 übernahm er ihn ganz. Er ist der Erste, der den Besitzernamen in die zweite Generation trägt. Nach der Übernahme erging es ihm ähnlich wie dem Vater. Auf dem Hof grassierte eine Tier- seuche, 4.500 Schweine starben, „das schlug mir auf’s Gemüt“. Drei Jahre lang versuchte er, den Hof noch einmal hoch zu wirt- schaf ten, doch es gelang nicht. Im Herbst 1994 gab er die Schweinezucht ganz auf. Bis 2004 hatte er noch 100 Hektar Ackerland. Der Wechsel von der Landwirtschaft zu einem anderen Wirtschaftsbetrieb „Zum Moscht-Schöpfli“ – auch das Äußere weiß zu überzeugen. 309 309

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Ideen sind mir nur so zugeflogen.“ Spannend und interessant fand er, dass er nur alte Materi- alien zur Verfügung hatte. Den Kachelofen in der Mitte des Raumes hatte er selbst in einem alten Bauernhaus in Döggingen abgebaut. Sein Werk kann sich sehen lassen. Und von der Umbau- phase schwärmt er noch immer: „Für mich war das die schönste Zeit in meinem Leben.“ Fast alle haben Walter Hauser abgeraten Über die Reaktionen der Umwelt muss Hauser heute noch schmunzeln. Von der Idee, auf dem abgelegenen Schosen über Hüfingen eine Wirt- schaft einzurichten, hätten ihm fast alle abgera- ten, sagt er. Walter Hauser ließ sich nicht be- irren. Er war von Anfang an überzeugt, „dass der Betrieb einer Gastwirtschaft hier funktio- niert“. Und er hatte auch einige wichtige Für- sprecher wie Hüfingens Bürgermeister Anton Knapp, der sich voll für seine Idee eingesetzt ha- be. Als Walter Hauser dann den Antrag stellte, auf seinem Hof eine Wirtschaft zu eröffnen, „haben das der Gemeinderat und der Bürger- meister einstimmig genehmigt“. Klar war von Anfang auch, dass der Name seiner Wirtschaft mit Most zu tun haben musste. Er nannte sie Moscht-Schöpfli. Der Hüfinger Hei- matforscher Bernhard Wintermantel habe im Archiv entdeckt, dass der Gründer des Schosen- hofes den Obstbau auf die Baar gebracht hatte, schildert Hauser. Kurz vor der Eröffnung im Juni 2001 kam ein Fernsehteam des Südwestfunks. Sie wollten über Hüfingen und das neue Lokal einen Film für die Sendung „Abendmelodie“ drehen. Für die Aufnahmen im Moscht-Schöpfli kam extra eine Abordnung der Hüfinger Trachtengruppe, sang und machte Musik. Etwas Besseres hätte Walter Hauser kaum passieren können. Die Sendung wurde ein paar Tage vor der Eröffnung abends um 19 Uhr ausge- strahlt. „Um 20 Uhr kamen schon Autos hier- her“, weiß Hauser heute noch. Bei der Eröffnung – an einem Mittwoch – „war die Wirtschaft voll“. Die Gäste kamen aus zahlreichen Orten in der ganzen Region, und diese Anziehungskraft hat das Moscht-Schöpfli nach wie vor. Das Einzugs- gebiet ist groß, es reicht bis Stuttgart, Freiburg, Waldshut-Tiengen und in die Schweiz. Auch namhafte Firmen in der Region kommen mit ih- Eine einmalige Atmosphäre, die Gäste aus der ganzen Region anlockt. 310

Seit 2003 bietet das Moscht-Schöpfli seinen Gästen auch begehrte Sitzplät- ze im Freien an. ren ausländischen Gästen zu ihm. Walter Hauser hat viele Gäste aus Villingen-Schwenningen, überhaupt alles, was der Ringzug erfasst. Die Gäste steigen in Hüfingen oder Bräunlingen aus und wandern zum Beispiel am Hüfinger Römerbad vorbei hinauf auf den Schosen. Das Angebot ist der Lokalität angepasst. „Es muss einfach sein, so wie es früher im Bauernhaus war“, beschreibt Walter Hauser. Auf der Speisekarte stehen Vesper, Speck, Wurstsalat, selbst gebacke- nes Brot, geräucherte Bauernwurst und angemachter „Stinkerkäs“. Bei den Getränken legt der Wirt na- türlich auch Wert auf den Most, Most aus Äpfeln und Birnen. Eine urige Atmosphäre Der Wirt passt zu der urigen Bau- ernhausatmosphäre, die er ge- schaffen hat. Walter Hauser ist ehr- lich, gradlinig, schnörkellos: er ist auch eigen. Er mag Gäste, die das urige Ambiente zu schätzen wis- sen. Umsatz um jeden Preis lehnt er ab. „Wir füllen keinen ab, wenn einer blöd wird, fliegt er raus“, schildert er tro- cken. Wer ihn kennt, weiß, dass er es ernst meint. Buben erhalten bei ihm keine Zigaretten, „es muss einfach eine Linie da sein“. Und Walter Hauser, der den Wirtschaftsbetrieb zusammen mit seiner Lebensgefährtin Ines Vosseler be- treibt, steht hinter seinem Personal. Wenn ein Gast sich über eine Bedienung beklagt, liest er nicht der Bedienung die Leviten, sondern dem Gast. Walter Hauser hat eine klare Hausordnung: „Hier ist jeder willkommen, der sich zu benehmen weiß.“ Im Moscht-Schöpfli ist alles stimmig. Die Bedienungen, zu denen auch Walter Hausers Moscht-Schöpfli bei Hüfingen älteste Schwester Waltraud Stark zählt, tragen im Sommer stilvolle Strohhüte und farbenfrohe Kleider. Und das Moscht-Schöpfli bietet seit 2003 im Innenhof auch Sitzplätze im Freien an. Die Gäste, die meisten davon Stammgäste, wis- sen das Ambiente zu schätzen. Und wenn dann in launiger Runde ein Gast zum Akkordeon greift und Lieder zum Mitsingen spielt, wird das Moscht- Schöpfli vollends ein Stück Heimat. Das Moscht-Schöpfli hat wie folgt geöffnet: vom 15. März bis 15. Januar, Mittwoch bis Sams- tag ab 15 Uhr, Sonntag ab 13 Uhr. Bernhard Lutz 311 311

Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Ein Geheimtipp für Feinschmecker Das Café Rapp in Königsfeld-Buchenberg hat mit Alexander Rapp einen begehrten Koch Es hat sich herumgesprochen bei Wanderern, Liebhabern feinster Backwaren und Freunden von familiärer Gastlichkeit: Das Café Rapp in Königsfeld-Buchenberg trägt seit einiger Zeit den Zusatztitel „Restaurant“ und ist ein Ge- heimtipp für Feinschmecker geworden. Das liegt daran, dass Alexander Rapp vor fünf Jahren in den elterlichen Betrieb eingestiegen ist. Sein Handwerk hat der 31-Jährige in der legendären Traube-Tonbach in Baiersbronn gelernt und wur- de von dort an die vornehmsten Gourmettempel Deutschlands weitergereicht. Gleichwohl ist er auf dem Teppich geblieben, Alexander Rapp kocht ein raffiniertes Fischgericht mit gleicher Hingabe und Sorgfalt wie eine Kartoffelsuppe und hat auch gegen deftigen Wurstsalat nichts einzuwenden, im Gegenteil: „Den musst du erst einmal gescheit hinbringen.“ Sternekoch Harald Wohlfahrt hat ihm das Ein- maleins der gehobenen Küche beigebracht, da- nach war Alexander Rapp in den ersten Häusern von der Nordsee bis in die Alpen unterwegs, hat für Promis in den Bergen gekocht und für Schi- ckimickis auf Sylt. Eine lehrreiche Station war zum Beispiel das Gourmet-Restaurant Schloss Berg in Nennig an der Mosel, wo Chris tian Bau das Zepter respektive den Kochlöffel schwingt. Wann ist ein Risotto gar? Über diese schein- bar harmlose Frage wurden in Baus Küche hit- zige Wortgefechte ausgetragen, die der Meister mit einem einfachen Test beendete. Er legte ein gekochtes Reiskorn auf den Tisch und strich es mit dem Finger über die Fläche. Wenn es dabei zerquetscht wurde, hatte der Proband den Streich-Test nicht bestanden. So erging’s Alexander Rapp einmal, als er ein köstliches Saf- ran-Risotto ansetzte, das seiner Meinung nach „genau richtig“ war. Der Drei-Sterne-Koch be- hauptete hingegen, es sei „total verkocht“, sein Eleve musste noch einmal von vorne anfangen. Das Café Rapp in Königsfeld ist auch ein Geheimtipp für Feinschmecker. 312

Im Nachhinein hat er Verständnis für die uner- bittliche Strenge seines Lehrmeisters. Der run- de Risotto-Reis sei tatsächlich empfindlicher und „ruckzuck“ verkocht. Außerdem: „Wenn du in so einer Liga kochst, musst du schon ein biss- chen verrückt sein.“ Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann ist sein großes Vorbild, „weil der erkannt hat, dass we- niger oft mehr ist und das auch mit Überzeugung vermittelt“. „Wenige Komponenten, die perfekt miteinander harmonieren, seien oft besser als viel „Schnickschnack“. Genau das aber war in den Häusern gefragt, in denen Alexander Rapp seine Wanderjahre verbrachte, noble Sterne- Häuser, deren Kunden „Tamtam auf dem Teller und Theater am Tisch“ erwarten – und auch be- kamen, der Kunde ist bekanntlich König. Doch „der junge Rapp“ – wie ihn die Buchenberger bis heute nennen, erkannte bald: „Das will ich nicht, das ist nicht meine Welt.“ Endlich wusste er, was er wollte: heimkommen und die eigenen Ideen verwirklichen. Solide Management-Kenntnisse Kochen allein ist dazu nicht genug, hat er sich gedacht und erst einmal für zwei Jahre die Hotel- fachschule in Hamburg besucht, um sich auch solide Management-Kenntnisse anzueignen. Im Jahr 2003 dann wurde die Küche im elterlichen Betrieb umgebaut und seither tobt sich Alexan- der Rapp hier aus und verwöhnt ganz „normale“ Gäste. Dies zwar nach allen Regeln gehobener Kochkunst, die gleichwohl fest verwurzelt ist in angestammter Tradition und sich bäuerlicher Herkunft verpflichtet fühlt. Ob Rehrücken oder Wurstsalat: regionale Rezepturen auf Basis fri- scher, hochwertiger Ware werden mit Fantasie und Raffinesse zubereitet – das ist das Erfolgs- geheimnis. Bislang war das Restaurant-Café Rapp vor allem wegen der feinen Backwaren von Vater Ernst bekannt und geschätzt, der nach wie vor täglich leckere Brote, Kuchen und Torten backt. Außerdem gibt’s jetzt eine Mittags- und Abendkarte, die Feinschmecker auch aus der weiteren Umgebung nach Buchenberg lockt. Die Buch en berger selbst haben die Veränderungen Café Rapp in Königsfeld-Buchenberg Alexander Rapp (hinten) mit seinem Team. im „Rapp“ anfangs ein wenig misstrauisch be- o bach tet. Doch seit sie wissen, dass der Junior kein überheblicher Großstadtstiefel geworden ist, sondern bescheiden und herzlich wie eh und je geblieben ist, kommen sie um so lieber zu ihrem „Beck“. Ausbildung bei Harald Wohlfahrt Als sich Alexander Rapp nach dem Abitur am Königsfelder Zinzendorf-Gymnasium zur Koch- Lehre entschloss, wollte er einfach „etwas Ver- nünftiges lernen“. Den richtigen Biss hat er erst während der Ausbildung in der Tonbacher Trau- be bekommen. „Unheimlich viel“ habe er schon in den ersten beiden Lehrjahren gelernt, da er in der Hotelküche „Masse auf hohem Niveau“ kochen musste. Pro Mahlzeit gingen 300 Essen raus, „da muss jeder Griff sitzen, das lief wie am Schnürchen“. Anschließend hat er gelernt, à la carte zu kochen, individuell also, mit anderen Mengeneinheiten und anderem Zeitmanagement. Eine wieder andere Erfahrung war Wohl- fahrts Catering bei hochkarätigen Anlässen für hochkarätiges Publikum. Die Medienpreis- 313 313

Café Rapp in Königsfeld-Buchenberg Blick in die gemütliche Gaststube. Verleihung in Baden-Baden zum Beispiel: Da beginnt der Arbeits- tag nicht selten um 5.30 Uhr und hört gegen 23 Uhr auf. „Und nach Feierabend saßen wir Lehrlinge dann zusammen und haben uns die Köpfe heiß geredet, es ging immer um’s Kochen.“ Das war die Zeit, in der Ale- xander Rapp verstanden hat, dass Koch ein Beruf mit Beru- fung ist. „Das musst Du wollen, sonst gehst Du kaputt.“ Etliche Wohlfahrt-Lehrlinge haben Druck und Stress auch nicht ertragen und kapitulierten. Nicht der Hitzkopf aus dem Schwarzwald, der sich durch- kämpfte und bewährte im harten Geschäft, wert- volle Erfahrungen sammelte und erkannt hat: „Kochen ist eine Lebenseinstellung.“ Die hat viel mit Respekt und Verantwortung zu tun. Respekt vor den Lebensmitteln, die vor al lem frisch sein müssen, und verantwortlichem Umgang damit. „Natürlich“ stehen immer wie- der auch Jakobsmuscheln und von weither im- portierte Seefische auf der Karte, die genauso liebevoll und sorgfältig behandelt werden wie Wild aus den Wäldern und vor der Haustür und Kartoffeln aus dem eigenen, malerischen Garten hinter der Buchenberger Dorfkirche, die dieses fruchtbare Paradies mit ihrem guten Geist zu beschützen scheint. Das kleine Schlaraffenland wird von Mutter Christel mit viel Liebe gepflegt. Ernst und Christel Rapp, die Begründer des Cafés Rapp in Königsfeld-Buchenberg. 314 314 Es liefert wunderbare Kürbisse, Salate, Bohnen und anderes Gemüse, Beeren, ein wenig Obst, natürlich jede Menge Kräuter, die den Gerich- ten unverwechselbaren Pfiff verleihen. Som- merblumen wie Malven und Cosmeen blühen mit Rosen und Stauden um die Wette. Christel Rapp arrangiert sie zu verschwenderischen Sträußen, bei deren Anblick den Gästen das Herz aufgeht. Zu den edlen Blüten gesellen sich im Herbst schlichte Gräser, filigrane Dillblüten und dornige Zweige mit knallroten Hagebutten, welcher Kontrast die berührende Schönheit der herbstlichen Gartenpracht unterstreicht und zu- dem sinnliche Vorfreude auf die kulinarischen Genüsse weckt. Das Restaurant-Café Rapp ist ein echter Fa- milienbetrieb. In der anheimelnden, holzvertä- felten Gaststube, deren verglaste Fensterfront einen atemberaubenden Blick ins romantische Glasbachtal erlaubt, fühlen sich die Gäste denn auch auf Anhieb wie zu Hause. Christina Nack Restaurant-Café Rapp Alexander Rapp Dörfle 22 78126 Königsfeld-Buchenberg Tel. 07725/91510 Fax 07725/915116 www.cafe-rapp.de E-Mail: info@cafe-rapp.de

Erfolg über Erfolg: VS-Krimis Für Hubertus Hummel und Klaus Riesle interessieren sich nun auch große Verlage 17. Kapitel Literatur Die immer noch wachsende Fangemeinde der Schwarzwald-Krimis muss eine schwere Nach- richt verdauen: In diesem Jahr wird zu Weih- nachten keine neue Ausgabe an Abenteuern der beiden Amateurkriminologen Hubertus Hummel und Klaus Riesle auf dem Gabentisch liegen. Al- lerdings liegt das nicht daran, dass dem Auto- ren-Duo Stefan Ummenhofer und Alexander Rieckhoff der Stoff ausgegangen ist. Im Gegen- teil! Die beiden sprühen noch immer vor Ideen und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Ursache für die einjährige Unterbrechung liegt vielmehr daran, dass die Schwarzwald-Krimis immer be- kannter und erfolgreicher geworden sind. So ist auch ein großer deutscher Verlag auf die Reihe aufmerksam geworden und im Mai haben Um- menhofer und Rieckhoff einen Vertrag mit dem Münchner Piper-Verlag geschlossen, der künf- tig die Romanreihe verlegen wird. Allerdings Die Macher der VS-Krimis: Stefan Ummenhofer und Alexander Rieckhoff. sind hier die Vorlaufzeiten für Planung, Druck und Marketing länger als im eigenen Romäus- Verlag, in dem bisher die Krimis erschienen sind. Und so wird der nächste Fall, den Hummel und Riesle aufzuklären haben, erst zu Weih- nachten 2009 erscheinen. So viel verraten die beiden Autoren schon heute: Dann wird sich der Krimi ganz um die Landesgartenschau aufbau- en, die wenige Monate später in Villingen- Schwenningen ihre Pforten öffnen wird. Damit die beiden Autoren während der lan- gen Wartezeit nicht aus der Übung kommen und bei ihren treuen Fans nicht in Vergessenheit ge- raten, wird es zu Weihnachten 2008 doch ein Gemeinschaftswerk der beiden Journalisten ge- ben. Im eigenen Romäus-Verlag soll ein Band erscheinen über die spektakulärsten echten Kriminalfälle im Schwarzwald. Außerdem arbei- ten Ummenhofer und Rieckhoff auch an einem Buch mit, das aus Anlass des 100-jährigen Be- stehens des FC 08 Villingen im Herbst erschie- nen ist, übrigens ebenfalls im Romäus-Verlag. 315

Literatur Als Stefan Ummenhofer vor nunmehr fast zehn Jahren zunächst nur vage mit dem Gedan- ken an einen regionalen Krimi gespielt und nach einem Co-Autor Ausschau gehalten hatte, hätte selbst er, dem es an Glauben an den Erfolg einer solchen Sache nicht mangelte, nicht mit einem solch nachhaltigen Erfolg gerechnet. Auch als schließ lich Alexander Rieck hoff ins Boot stieg, schie nen die Voraussetzungen alles andere als optimal: Stefan Ummenhofer, 39, lebt und arbei- tet in Freiburg, sein gleichaltriger Kollege Ale- xander Rieckhoff rund 270 Kilometer weiter nörd- lich in Mainz. Dennoch sind die beiden Journalis – ten in den vergangenen sechs Jahren zu einem eingespielten Team zusammengewachsen, ihre Schwarzwald-Krimis wurden von Jahr zu Jahr er- folgreicher, die Fangemeinde immer größer. Die Krimis spielen nun im ganzen Schwarzwald Der Erfolg hängt neben der Tatsache, dass die beiden Autoren tatsächlich eine erfolgsverspre- chende Nische gefunden haben, auch damit zu- sammen, dass die beiden Hobby-Detektive, der etwas verpeilte Studienrat Hubertus Hummel und dessen Freund, der chaotische Lokaljourna- list Klaus Riesle, ihr Betätigungsfeld längst ver- größert haben. Spielten anfangs die VS-Krimis weitestgehend in Villingen-Schwenningen, so liegen die „Tatorte“ der Schwarzwald-Krimis in einem weitaus größeren Einzugsgebiet. Dahinter stecken natürlich auch Marketing- gründe. Zum einen ist der Schwarzwald eine weitaus bekanntere Marke als VS es ist, zum anderen vergrößert sich mit dem Einzugsgebiet na türlich auch die potenzielle Leserzahl. „Der Bulle von Tölz lebt auch nicht nur von Bad Tölz allein“, erklärt Stefan Ummenhofer selbstbe- wusst die räumliche Erweiterung der Einsatzge- biete seiner beiden Detektive. Marketing ist ohnehin eine der großen Stär- ken der beiden Freunde. Bereits nach dem ersten Werk „Eiszeit“, mit dessen Vermarktung sie nicht zufrieden waren, gründeten Ummenhofer und Rieckhoff in Villingen-Schwenningen den Romä- us-Verlag (www.schwarzwald-krimi.de; www.ro- maeusverlag.de) und brachten fortan ihre Krimis selbst auf den Markt, was den eigenen Zeitauf- 316 wand natürlich immens vergrößert. Und so wird es in der Weihnachtszeit auch regelmäßig hek- tisch um die beiden: Die Familien – beide sind verheiratet und haben kleine Söhne – und Freun- de, die vorher noch fürs Redigieren der Texte ein- gespannt waren, müssen zurückstehen. In Buch- handlungen, an Ständen in Innenstädten, sogar in Schulen sind die Beiden zu Vorlesungen und Autogrammstunden unterwegs. Sechs Wochen lang ist das Team dann jeweils unterwegs, um den neuen Krimi zu vermarkten. Die Früchte ihres Fleißes dürfen Um menhofer und Rieckhoff zwi- schenzeitlich ernten: Über 50.000 Exemplare ih- rer bisher sechs Werke konnten sie an den Mann bringen, die Auflagenzahlen sind noch immer im Steigen begriffen. Dass Erfolg interessant macht, durften inzwi- schen auch die beiden Journalisten erfahren. Mehrere Verlage haben bereits ihr Interesse be- kundet, die Schwarzwald-Krimis in ihr Programm aufzunehmen, mit dem Piper-Verlag ist nun ein ganz großer eingestiegen. Auch mehrere Produkti- onsfirmen prüfen derzeit, ob Hubertus Hummel das Zeug hat, um als „Bulle vom Schwarzwald“ Fernsehkarriere zu machen. Schmunzelnd weist Stefan Ummenhofer auch darauf hin, dass Hum- mel- und Riesle-Fans sogar in Afghanistan, Chi- na, Mexiko und den USA zu Hause sind. Nach zwei Sitzungen steht der rote Faden Mit der Idee, „dass Krimis nicht immer nur in Großstädten spielen müssen“, ging Stefan Um- menhofer schon länger schwanger. In Alexander Rieckhoff, den er seit seiner Redakteurszeit beim Schwarzwälder Boten kennt, fand er schließlich den idealen Partner. Bei einer guten Flasche Wein trifft man sich jeweils im April zum Brainstor- ming über den nächsten Band. Nach spätestens zwei Sitzungen steht der rote Faden, danach be- steht der Kontakt zwischen den beiden Autoren weitestgehend über Telefon und In ternet. „Einer übernimmt das erste Kapitel und dann schrei- ben wir aufeinander zu“, erklärt Stefan Ummen- hofer das ungewöhnliche Vorgehen. Jeweils im Oktober muss das Werk vollendet sein, soll es doch zur Weihnachtszeit auf den Markt kom- men. Die Handlungsstränge entwickeln die bei-

den Autoren jeweils aus einem Leitthema, das einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Wie das Erstlingswerk „Eiszeit“ sich um den Schwennin- ger Eishockey-Bundesligisten Wild Wings auf- gebaut hatte, so ging es im dritten Buch „Nar- rentreiben“ um die Villinger- und Schwenninger Fastnacht. Ein heikles Thema übrigens, wussten Ummenhofer und Rieckhoff doch, dass beson- ders die Villinger Narren recht empfindlich zu reagieren pflegen, wenn man ihre Fasnet „durch den Kakao zieht“, wie es der Ehrenzunftmeister Karl-Heinz Fischer einmal ausdrückte, als ein Bienz le-Krimi in der Zähringerstadt gedreht wer- den sollte. Solchen Problemen gingen die beiden Autoren mit dem klugen Schachzug aus dem Weg, die Zunftoberen von Anfang an einzuwei- hen und den Text auf historische Plausibilität nachprüfen zu lassen. So konn ten diese leichter verschmerzen, dass sowohl Opfer als auch Täter im traditionellen Narrenkleid daherkamen. Auch das Leitthema für den nächsten Krimi hat einen hohen Bekanntheitsgrad, geht es doch um die Landesgartenschau 2010 in Schwenningen. Realistische Handlungen und Orte Neben einem nachvollziehbaren und spannen- den Handlungsstrang ist mindestens ebenso die jeweilige Ortskenntnis der Schauplätze ge- fragt, an denen die Handlung spielt. Hier können sich die beiden Autoren auf eine ganze Anzahl an kritischen „Lektoren“ verlassen – allen voran die beiden Ehefrauen – die sogar peinlichst auf- passen, dass die Romanhelden, wenn sie wie- der einmal einer Spur nachgehen und mit dem alten Auto von Riesle unterwegs sind, auf geo- grafisch nachvollziehbaren Strecken unterwegs sind. Da kann es dann schon einmal eine kriti- sche Anmerkung geben: „Von der A- in die B- Straße kann man nicht abbiegen, weil das eine Einbahnstraße ist.“ Auf solche Details achten übrigens auch viele Fans, die die Schwarzwald- Krimis wie einen Stadtplan lesen. Ein spannender Aspekt sind jeweils auch die Personenbeschreibungen. „Allein für die Charak- teristik von Hubertus Hummel“, so Stefan Um- menhofer schmunzelnd, „kommen inzwischen mindestens zwei Dutzend lebende Per sonen in VS-Krimis Die Autoren Stefan Ummenhofer, Dr. phil. (Jahrgang 1969) ist in Villingen und Schwenningen aufge- wachsen. Nach dem Abitur am Villinger Romäus-Gymnasium folgte eine Ausbildung und Tätigkeit als Redakteur, dann ein Studi- um für Politikwissenschaft und Geschichte in Freiburg, Bonn und Wien. Derzeit ist Ummen- hofer in Freiburg als Journalist tätig. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Alexander Rieckhoff, (Jahrgang 1969) ist in Villingen aufgewachsen. Dem Abitur folgte zunächst eine Ausbildung zum Bankkauf- mann, danach eine Ausbildung und Tätigkeit als Redakteur bei einer Tageszeitung. In Kon- stanz und Rom studierte Rieckhoff Geschich- te und Politikwissenschaft und ist jetzt als Redakteur beim Zweiten Deutschen Fernse- hen in Mainz beschäftigt. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Villingen in Frage“. Regelmäßig kommt es bei ihren Signierstunden denn auch vor, dass ein Besucher augenzwinkernd auf die beiden zu- kommt: „Der Hummel, das ist doch eindeutig der …, oder?“ Die beiden nehmen es jeweils amüsiert zur Kenntnis, denn ein einziges Vorbild hatte Hummel ebenso wenig wie Riesle. „Natür- lich fließen Eigenschaften von bekannten Per- sönlichkeiten in unsere Figuren mit ein“, erklärt Alexander Rieckhoff, „meistens aber von mehre- ren“. Oder aber es sind reine Kunstfiguren, was viele Leser dennoch nicht davon abhält, nach Ähnlichkeiten zu suchen. „Das macht die Sache umso spannender“, so beide Autoren. Die Schwarzwald-Krimis sind beim Romäus- Verlag inzwischen übrigens nicht mehr allein. Stefan Ummenhofer hat ein Standardwerk über Eduard Zimmermann und dessen legendäre Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ ge- schrieben und im eigenen Verlag unter dem Ti- tel „Kriminalität, Kontroverse, Kult – Aktenzei- chen XY … ungelöst“ herausgebracht. Neuestes Werk ist das Jubiläumsbuch „100 Jahre FC 08 Villingen“, an dem die beiden Autoren ebenfalls mitgewirkt haben. Wolfgang Gerster 317

Literatur Die „Grammatik der Schmerzen“ Werner Dürrson und die Ästhetik des Widerstands Wer gibt der Verwundung Namen, richtet Ernied- rigung auf, schenkt der Fassungslosigkeit Form, leiht dem Aufstand die Stimme? Wer, wenn nicht der Schöngeist vom Schlag eines Werner Dürr- sons? Trotz oder wegen seiner Kompromisslosig- keit erreichte er in lebendiger Zwiesprache die Menschen, übersetzt in viele Sprachen dieser Erde, zu deren Wohl statt Weh er mit bedeuten- den Kulturschaffenden seiner Zeit Brücken bau- te zur Versöhnung: Werner Dürrson, der Schwen- ninger Schriftsteller und Weltbürger. Am 17. April 2008 starb im Alter von 75 Jahren der die Welt durchdenkende Dichter, mit ihm einer der wichtigsten Schriftsteller deutscher Zunge, der sich politisch eingebracht und ausgesetzt hat in Zeiten, „da die Schönen Künste nicht mehr schön sind, sondern Ergebnisse dessen, was man ei- nem antut – und wie man sich wehrt“: Seine Heimatstadt trauert beim Requiem für einen Li- teraten um den genuinen Lyriker, geborenen Erzähler, genialen Essayisten, gehinderten Dra- matiker und „romanesken Biographen“, der, mit Nietzsche zu sprechen, der „Dichter eigenen Lebens“ auf Augenhöhe mit sich selbst wurde, um einen Aphoristiker auch von brillanter Schär- fe. Über den Schriftsteller von Weltrang nicht zu vergessen ist der Bildende Künstler. Auch des- sen Werk verspricht Dauer. „Himmel ringsum“: der „Sterngewinn“ für einen, dem die Unend- lichkeit unendlich plausibler schien als ihr Ge- genteil. Auch Musiker, Maler, Philosoph Preisenswert war der vielfach begabte gebilde- te Bildner, ein Dichter mit den Ohren eines Mu- sikers, den Augen eines Malers, dem Scharfsinn eines Philosophen – zudem mit der seltenen Fä- higkeit zur Erkenntnis, wie sie Geschichte (nach) gestaltenden Historikern eignet, die den Dingen auf den Grund geht und preisgekrönt. Erinnert 318 Werner Dürrson sei nur an den Schu- bart-Preis 1980, ge- rahmt vom Deut- schen Kurzge schich- tenpreis 1973 und 1983. Der Literatur- preis der Stadt Stutt- gart ereilte ihn 1978; über dem Großen Teich wurde ihm 1982 der New Yor- ker Preis für Litera- tur zugesprochen; der Bodensee-Lite- raturpreis folg te 1985, der Schiller- Preis 1997, der Eichendorff-Preis 2001. 2003 er- kor ihn das International Bibliographical Centre in Cambridge zum International Writer of the Year; 2004 lud ihn die Deutsche Akademie zu Rom als Ehrengast in die Villa Massimo. Preis- würdig war auch der Vermittler und Übersetzer, der zwischen Frankreich und Deutschland als angeblichen „Erb- und Erzfeinden“ fruchtbar Beziehungen knüpfte: 1993 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz bedacht, welches den Vorkämpfer für Frieden in Freiheit, die ohne Ge- rechtigkeit sich sowenig denken lässt wie ohne Unteilbarkeit der Menschenrechte, nicht minder auszeichnen mag. Am 12. September 1932 in Schwenningen a. N. geboren, durchlitt der Empfindsame das Drit- te Reich, das ihn zum volksdienlichen „Tauge- was“ abrichten wollte, wie die Prügel des Vaters, der ihn zurichtete, seine Liebe in der Züchtigung übertrieb, Lichtbringer nur als Elektrotechniker. In die Fluchtburg der Schönen Künste zog er sich zurück mit Hilfe des Großvaters, dem er Musik dankte und Poesie: Lebensrettungsanker für ei- nen, der den Kopf woanders hatte, in den Fluten der „Normalität“ der größten Uhrenstadt der Welt samt ihren (bürgerlichen) Zwängen. Nach

der mittleren Reife in den Beruf des Dentisten geworfen, floh er vom Handwerk mit goldenem Boden ins Bodenlose, lebte dank datierter Ge- dichte in „dadurch geretteten Tagen“. Als er, der es 1954 in Straßburg mit virtuosem Spiel zum Harmonika-Weltmeister bringen sollte, zum Ende der gelebten Groteske seiner Stuttgarter Lehr- zeit das Stipendium für ein veritables Musikstu- dium in Trossingen erhielt, war sein Vorbild schon geboren: Hermann Hesse. Rasch musste der verklingende Ton dem Wort weichen, das bleibt: Der nach dem Wesen der Musik in der Dichtung suchte, fand in Hesse, dem pazifisti- schen Emil Sinclair des „Demian“, seinen väter- lichen Freund und Förderer: Dem Unberatenen wurde der Calwer Nobelpreisträger zum „ei- gentlichen Vater“. Den Umweg über dessen ver- lorenen Jugendfreund, den Rosendoktor, brau- nen Spatzen oder (Ludwig) Finckhen, scheute der Suchende dabei nicht. Beiden dankte er, oh- nehin durch Gewalt sensibilisiert für Gerechtig- keit, die politische Bewusstwerdung, die ihn nicht gefangen hielt im Tübinger Elfenbeinturm der Wissenschaften. Erstling über Hermann Hesse Bereits im Jahr, da Dürrson mit 25 Jahren als Ex- ternist in Schwenningen sein Abitur nachholte und das Studium der Germanistik, Romanistik, Musikwissenschaft in Tübingen und München aufnahm, lobte die Fachwelt seinen Erstling in höchsten Tönen: „Hermann Hesse. Vom Wesen der Musik in der Dichtung“. Gedichten in der Art des Vorbilds folgte die Ausbildung eines eige- nen Stils abseits abgenutzter Phrasen, zeiter- zwungener Sprachlosigkeit, die Wendung zu neuer Lyrik: Gedichtbände erschienen schon wäh rend des Studiums, das mit dickleibigen „Untersuchun- gen zur poetischen und musikalischen Metrik“ und der Verleihung der Doktorwürde seinen Ab- schluss fand, worauf der Lernende zum Lehren- den sich wandelte – in Zürich, zuvor in Poitiers, Lektor und Dozent, später in Saarbrücken, Tü- bingen, Weingarten. Denn auch ein Lyriker muss leben, sei es in Frankreich oder Schwaben. Am Formbewusst- sein der großen Franzosen schulte sich der Werner Dürrson Der Musicus erspielt mit Hohners Chromonica 1954 in Straßburg die Weltmeisterschaft – mit Johann Sebastian Bach, virtuos wie ein Geiger. Hochbegabte, doch gab der Empfangende auch: als kongenialer Übersetzer von Stéphane Mal- larmé, Arthur Rimbaud, René Char, Henri Michaux. Hier Paul Celan vergleichbar, dessen Wirkung in wunderbaren Gedichten Dürrsons sich zeigt, die, ohne ihn so nicht denkbar, nie (epigonenhaft) Nachklang nur wären, sondern Leben aus Innerstem bei einem aus eigener Kraft Großen, der allerdings, ein gebildeter Bild- ner und daher anspielungsreich, als poeta doc- tus gelten darf. Die Erfahrung des Wortes als Rhythmus, Klang und Bild kann mit ihm teilen, wer seine Werke auf dem weiten Weg von den „Blättern im Wind“ bis zu den „Rumänischen Elegien“ oder den „Pariser Spitzen“ liest, Bücher eines Meis- ters des Worts, der von der Sprache her dichtet. Sie war Daseinsmitte des engagierten Literaten, der wie ein philosophierender Politologe die Welt denkend erfasste, Erkanntes aber dazu ins Gewand der Dichtung kleidete. Früh bekannte 319

Literatur der Sprachmeister, dass ihm in der Mitteilung an Mitmenschen die (Mit-)Welt zu rühmen ers- ter Impuls zur Dichtung gewesen sei – und die Zweideutigkeit ihm dabei zum Rettungsversuch geworden, auf dass „hinter dem Gesicht noch ein Gesicht“ (Nelly Sachs) aufscheine. Wer frei- lich an die Dichtung so sein Leben setzt, den mag der Weg von der Lust zu rühmen zur Not zu tadeln führen, von ererbtem Reim zu harter Fü- gung, vom Lyrischen zum Lakonischen: Mär- chenhaft schwer sind die Melodien der Melan- cholie; ihr wohnt ein besonderer Zauber inne. Gewalt wurde dem denkend Leidenden wie dem leidend Denkenden zum Thema. Mehr als ein Widerspruch gegen den „Alltag“ mit all sei- ner Gemeinheit hin zur kosmischen Befreiung zum „All-Tag“, der einen wieder atmen lässt, ist die „Gegensprache“ des Mannes, der fürchtete, die „Grammatik der Schmerzen“ könnte ungeschrie ben bleiben: „Laien entbehrlich, The- oretikern irrelevant; Eingeweihten sich erschlie- ßend überm Verstummen.“ Mehr als nur Wider- worte braucht es im Kampf gegen jede Art von Menschen verdinglichender, unterwerfender, entwürdigender Herrschaft, im Einsatz für die (nicht von selbst) schwindende Natur, in Hin- wendung zur gefährdeten Liebe. Aus Sorge ums Sein erhebt der homme de lettres engagé seine Stimme, der aus Liebe zur Wahrheit wie den Menschen sich dem Verstellten stellt, es im Wortsinn zu entstellen: Kaum ein deutscher 320 Die erste Post von Her- mann Hesse an Werner Dürrson bezeugt den Be – ginn einer wunderbaren Freundschaft zum Calwer Nobelpreisträger als vä- terlichem Freund. Schriftsteller hat die Taten des Nationalsozi- alismus, den nationa- len Konsens des Be- schweigens hiernach und seine Gründe in solch atmosphärischer Dichte gefasst wie Dürr- son in der „Aschenmär“ oder in „Grafeneck“. Kaum einer die Unfreiheit auch roter Diktaturen und ihrer Folge für die aus ihr Entlassenen scho- nungsloser in Worte gegossen. „Ist Wahrheit Revolte?“ Hoffnung auf Besserung beflügelte ihn, nicht nur als Prinzip. Das Zutrauen in die Macht des Dichters hatte er als 68er wie die Künstler, mit denen er zusammenarbeitete und von denen Erich Heckel (Schattengeschlecht), HAP Grieß- haber (Flugballade), Klaus Staeck (Dreizehn Ge- dichte) beispielhaft genannt seien. Doch blieb es nicht unangefochten; Dürrson wusste, dass „schiere Brutalität jedwede Kulturleistung rela- tiviert“. Ihn trieb gleichwohl die ungestillte Sehn- sucht dessen, der Worten ihren Wert belässt. „Ist Wahrheit Revolte, sobald sie sich äußert?“ Der wie in beiden Schubart-Büchern diese Frage aufwirft, schlägt gesellschaftskritische Töne an. Der sich die Antwort gab, ist und bleibt der jun- ge Kriegsdienstverweigerer, der als Kind die Schnecken auf der Straße rettete, sie barg in si- chereren Gefilden, in der „Ehrfurcht vor dem Leben“, wie Albert Schweitzer sie lehrte. Stets war der entschiedene Pazifist auf Seiten derer zu finden, mit denen – zumindest die längste Zeit ihres Lebens – kein Staat zu machen war: So demonstrierte er für Frieden und Abrüstung

Schroff ragen Berge auf, zum Gebirge sich fügend in erdwarmen Brauntönen. Den Gedichtband „Aus – leben“ ziert das bildneri- sche Werk. mit Günter Grass, Luise Rinser, Alfred Mech- tersheimer … Worte nur füg(t)en sich ihm zu Spreng-Sätzen, die den Weg öffnen zur „Huma- nität, die über die Nati- onalität zur Bestialität“ nie entarten dürfe – wie es Johann Nepomuk Nestroy allerdings nicht ohne triftigen Grund befürchtete. Was kann der Literat, vom starken Staat gern überwacht, bewegen? „Den Finger in die Wunde legen“, oft verzweifelt. Zeichen zu- mindest lassen sich setzen. Und Anstöße geben, auch „der deutschen Krankheit, dem Mangel an geistiger Auseinandersetzung“, ab zu helfen. Ein autobiografischer Roman Dies versuchte der poeta laureatus mit unwi- derstehlichem Hang zu Transgression ins We- sentliche, zu Kondensierung und Reduzierung, auch mit unübertrefflichen Portraits von Schrift- stellern, Bildenden Künstlern, Komponisten. Für Radiohörer waren seine „Profile“ an jedem ersten Sonntag im Monat unvergessen beglü- ckende Höhepunkte: Licht selbst an düsteren Tagen. Ein Lebensbild freilich fehlt in der lan- gen Reihe: das des Schwenninger Schriftstel- lers, der es am besten von sich selbst entwirft – im autobiografischen Roman: „Lohmann oder die Kunst, sich das Leben zu nehmen“. Nicht von Selbstmord handelt er. Er erzählt eine so große wie schmerzhafte Vater-Sohn-Geschich- te, die hochpoetische und zutiefst politische Biografie dessen, der mit allen Farben des Seins wortmächtig Bilder zu malen versteht, der Mi- niaturen zaubert von dauernder Symbolkraft – Werner Dürrson und der sich selber sein Leben nimmt (und die Liebe). Die „Grammatik der Schmerzen“ ist nun ge- schrieben. Sie bleibt – wie die ausdrucksstarken Monotypien, entstanden während der sechziger und siebziger Jahre in Begegnung mit Max Ernst und Auseinandersetzung mit dem Surrealismus. Kein Zeichner, arbeitete Dürrson mit verschie- denen Techniken, eigene Möglichkeiten entde- ckend, selbst Rußbilder schaffend. Wie urweltli- che Wälder wachsen Strukturen des Grün ins Schwarz lichtlosen Anfangs. Schroff ragen Ber- ge auf, Monolithen, zum Gebirge sich fügend in erdwarmen Brauntönen. Silbern aber wie Seen reglos ruhen im Mond, fließt entgrenzt der zeit- lose Strom für den, der da auf Wasser blickt. Wellen, stehend bewegt in gebrochenem Spie- gel. Allem lichtvoll entbunden ist nun der Dich- ter, der als Bildender Künstler experimentierte und oft das Elementare besang, wenn er nicht schreiben konnte: er, der Zeitgeschichte be- trachtend, „Zeitgedichte“ schrieb und in gewähl- ten Worten Heimat fand – eher als am Neckar- quell oder zu Poitiers am Clain. Nach all den Taten blieb ihm die Kunst französisch, der in Schloss Neufra lebte im Wechsel mit Paris, am Bodensee zu Zeiten seines Schwanengesangs: „Hier dämmert Deutschland am Schönsten“, reg los wie der See, selten sublimer beschrie- ben. Michael J. H. Zimmermann 321

18. Kapitel Film und Fernsehen Traumberuf: Schauspielerin Die Schauspielerin Susanne-Marie Wrage Jahrgang 1965, Haarfarbe blond, Augenfarbe grün, Größe 1,62 m, Wohnort: Zürich, Führer- schein Klasse 3 – weiter ist im Internet zu le- sen, dass sie Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch spricht, Geige, Querflöte und Klavier spielt, ferner in Kunstturnen, Tennis und Ballett ausgebildet wurde. Hätten sie gewusst, dass diese Vita auf der Homepage einer Schauspielagentur zu einer Künstlerin aus der Schwarzwald-Baar-Region gehört? Susanne-Marie Wrage, in Freiburg ge- boren, ist in Furtwangen als jüngstes von drei Kindern eines Mathematik-Professors aufge- wachsen und hat sich als Schülerin im Otto- Hahn-Gymnasium nicht nur literarisch, sondern auch musikalisch und sozial engagiert. Bei der Mutter im Heimathaus am Kussenhof ist sie noch heute gelegentlich zu Besuch. Es scheint freilich, als werde in der Provinz ein Künstler nur wahrgenommen, wenn er im Fernsehen zu sehen ist, möglichst in einem Kri- mi. So erschien in der Lokalpresse ein Bericht über Susanne-Marie Wrage erst im Jahr 2007, als sie in der Reihe „Tatort“ als Ines Winterberg zu sehen war. Dabei hatte sie bis dahin bereits acht Auszeichnungen für ihre Darstellungen im Theater, im Film und im Fernsehen erspielt, hat- 322 te Regie geführt, Features im Rundfunk verfasst. Die Liste ihrer Auftritte kann nur in Auszügen wiedergegeben werden, im Fernsehen: „Peer Gynt“, „Wo bleibst du, Baby?“, „Kilimanjaro“; im Film: „Der Kick“, „Nachbeben“, „Das Ver- langen“; im Theater: „Endstation Sehnsucht“, „Hedda Gabler“, „Ein Sommernachtstraum“, „Drei Mal Leben“, „Wahlverwandschaften“, „Faust 2“, „Top Dogs“ u.v.a.m. Mit „Leidenschaft“ nahm alles seinen An- fang: Als Jenny in Brechts Dreigroschenoper hatte das Schulmädchen einst gesungen: „Die Leidenschaft hat uns so weit gebracht – benei- denswert, wer frei davon.“ Nun, Susanne-Marie Wrage fing Feuer, gerade bei dieser Aufführung der Theater-AG, die mit erstaunlich geringen bühnentechnischen Mitteln – ganz im Sinn des Brechtschen epischen Theaters – alljährlich mit großen Werken aufwartete. Seit dieser Zeit war Susanne-Marie Wrages Berufsziel klar: sie wollte zur Bühne. Ausbildung in Berlin Gleich nach dem Abitur beginnt sie ihre Aus- bildung in Berlin mit Tanz und Gesang an der Schule für Bühnenkunst, Schauspiel in der Fritz-Kirchhoff-Schule. Hier genießt sie nach der 13-jährigen „Kopfarbeit“ in der Schule die ungeheuer vielseitige, d.h. alle Sinne heraus- fordernde Ausbildung. Schon bald findet man Susanne-Marie Wrage in der Gruppe der Eleven, die bereits kleine Rol- len im Schillertheater übernehmen dürfen. Schließlich nimmt sie noch die Gelegenheit wahr, an der Hochschule der Künste „Szenisches Bei den Aufführungen am Furtwanger Otto-Hahn- Gymnasium entbrannte bei Susanne-Marie Wrage die Liebe zum Theater.

Film und Fernsehen

Film und Fernsehen Schreiben“ zu lernen und 1990 folgt bereits das erste Engagement ans Stadttheater Wuppertal, wo sie Erfahrungen im „üblichen“ Bühnenreper- toire sammeln kann. Dort wird sie 1992 als beste Nachwuchsdarstellerin des Landes Nordrhein- Westfalen ausgezeichnet. Das blonde Mädchen ist natürlich prädesti- niert für Goethes Gretchen-Rolle. Und gerade diese Gestalt hat sie wenig später in Zürich aus einer völlig neuen Perspektive wahrnehmbar zu machen: In „Imperial Motel“, einem Stück, das Goethes Faust-Texte paraphrasiert und in ameri- kanische Gegenwart transportiert, erscheint Susanne-Marie Wrage als „Zimmermädchen Maggie“. Am „Theater am Neumarkt“ Das Zürcher „Theater am Neumarkt“ wird vom Jahr 1993 an Susanne-Marie Wrages neue Welt. Und dieses Theater hat nicht nur das Kulturle- ben der Stadt geprägt, sondern auch ihre Schau- spielkunst; hier muss also das Konzept dieses Hauses, wie es vom Intendanten-Duo Müller/ Hesse zusammen mit den sechs Schauspielern entwickelt wird, näher beleuchtet werden: Ziel der Theatertruppe ist es, „sich einzumischen, sich mit den aktuellen Problemen von Zürich auseinanderzusetzen … Theater soll zu einem urbanen Treffpunkt werden, ein Ort, in dem ge- gen die Kälte und Fremdheit in dieser Stadt an- gegangen wird. Und das gelingt! Bereits nach der ersten Spielzeit schwärmt die ‚Züriwoche‘: „… das totgesagte Theater am Neumarkt erhob sich wie der Phoenix aus der Asche.“ Worin liegt das Erfolgsrezept? Dieses klei- ne Haus veranstaltet bewusst unterschiedliche Ereignisse: Stücke und Projekte, viele kleine Events wie etwa Gesprächsreihen, Autorenle- sungen, Nachtcafes. Es gibt keinerlei Abonne- ments, „bei uns muss jede Aufführung ihr eige- nes Publikum erobern“. Und aus der Sicht der Schauspielerin selbst ist es: „Ein Theater, wo wirklich am Puls der Zeit etwas passiert. Auftragswerke zu aktu- ellen Themen, aus dem Nichts gestampft … Wir sind eine kleine Gruppe und haben eine große Gesprächskultur. Jeder kann sich wirklich ein- 324 324 bringen; wir sind am Findungsprozess für neue Stücke und Produktionen beteiligt, an der Dra- maturgie – das alles geht weit über die schau- spielerische Arbeit hinaus.“ (Weltwoche Nr. 46) Der Regisseur Volker Hesse schildert die äußeren Arbeitsbedingungen, die offenbar die Fantasie besonders anstacheln: „Der Saal ist klein, die eigentliche Bühne putzig, die Decke niedrig … die Fensterfront macht geschlossene Illusionen zunichte … wir haben uns auf das be- sonnen, was das Medium Theater allen anderen Medien voraushat, nämlich die Live-Präsenz von Schauspielern.“ An anderer Stelle bekennt er: „In einem Theater, das sich das Experiment zum Ziel setzt, sind alle Mitwirkenden Zehnkämpfer mit hoher Reflexionskultur, mit hoher Verant- wortung.“ „Verantwortung ist ein Zauberwort hier und bewirkt, dass wir uns lieber kaputt- schuften, als dass ein Stück bachab geht“, be- stätigt Susanne-Marie Wrage selbst. Immer wieder wird gerühmt, mit welch seis- mo grafischem Gespür die Neumarktleute The- men direkt „von der Straße“ nehmen und um- setzen. So gelingt ihnen bravourös im Jahr 1994 das Stück „In Sekten“, mit dem sie bereits 1995 zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen wer- den und europaweite Beachtung erreichen. „Hier wird ein aktuelles Großstadtthema auf- gegriffen, aber keinesfalls nur als Sozialreportage abgehandelt … Dieses Projekt ist das Resultat ei- ner intensiven Recherche der Theatertruppe. Das Hauptinteresse der Nachforschungen war es, herauszufinden, wie Menschen in den Bann von Sekten hineingeraten oder wieder herausfinden. Mit Mitgliedern und Exmitgliedern verschiedener Gruppierungen wurden mehrstündige Gespräche geführt. Das Ensemble entwickelte nun Figuren und Fiktionen, die alle um dies- oder jenseitige Erlösungsfantasien und Manipulation kreisen.“ Auf ähnliche Weise „aus dem Leben gegrif- fen“ wurde das Stück „Top Dogs“ von Urs Wid- mer, mit dem das Theater sich endgültig an die Spitze der deutschsprachigen Bühnen spielte. Es wurde zu dem Treffer auf dem Berliner The- atertreffen von 1997, erhielt den „3sat Innova- tionspreis“ und wurde in der Folge (allein bis 1999) sage und schreibe 123-mal von deutschen, schweizerischen, finnischen, österreichischen und niederländischen Bühnen nachgespielt.

Gerhard Jörder, Juror beim Festival, bei der Preisverleihung am 23. Mai 1997: „… das alles aber, Urs Widmers intelligenter Text, Volker Hesses ironisch funkelnde Inszenierung und Michael Schaltenbrands ingeniöse Bühne, kann den Erfolg der Zürcher Top Dogs zwar erklären, doch möglich wurde er erst durch dieses exzel- lente Ensemble … Im Zentrum des Abends ste- hen schauspielerische Erfindungen. Die Schau- spielerInnen beschwören Geschichten, Rituale, Bilder – mit nichts als ihrer Körperlichkeit, ihrer Phantasie, ihrer Denkenergie.“ Sie haben das Stück noch nicht auf der Büh- ne, im Fernsehen oder in der (längst käuflichen) Videofassung gesehen? Lassen wir Urs Widmer erzählen: „Im Januar 1996 begann ich mit der Arbeit an einem Projekt des Theaters, dessen Motor Volker Hesse war und das wir ‚Top Dogs‘ tauften. Es sollte von der Arbeitslosigkeit spre- chen, von einer besonderen allerdings, der von Managern, Top Dogs eben, die, im Gegensatz zu Underdogs, vor ihrer Entlassung beträcht- liche Summen verdient hatten … Wir wollten mit möglichst vielen entlassenen Machtaus- übenden sprechen. Am meisten unterstützten uns zwei Outplacement-Firmen in Zürich, die ja keine Stellenvermittlung bieten, sondern logis- tisch und affektiv den Stellensuchenden un- terstützen.“ Der Regisseur wiederum erinnert sich: „Urs Widmer als ‚Feldforscher‘ schrieb das Stück, verdichtete, überhöhte, komprimierte, erfand. Und er schrieb das Stück auf die Darstel- ler zu.“ So erlebt der Zuschauer auch Susanne- Marie Wrage als Frau Wrage, Beraterin der „New Challenge Company“, die Herrn Deer in Empfang nimmt, der lange nicht kapiert, dass er bereits entlassen ist. Große Erfolge in der Sparte Film Auf Zürich folgt für Susanne-Marie Wrage ein En- gagement ans Theater Basel, wo zunächst mehr klassische Bühnenliteratur im Vordergrund steht: Viel Aufsehen erregt hier ihre Interpretati- on von Ibsens „Hedda Gabler“. Von Shakespeare über Tschechow, von Tennessee Williams bis Yasmina Reza erwarten große Frauenrollen die junge Schauspielerin, die sich so eindrucksvoll Susanne-Marie Wrage „auf die Feinabstimmung der Seele versteht“ (Basler Zeitung, 18. Oktober 2002). Daneben aber stellt sie sich bereits einer neuen Herausforderung: dem Film. Nach eini- gen Fernsehauftritten gelingt der absolut spek- takuläre Erfolg mit dem Film „Das Verlangen“. Dieses Werk errang beim 55. Filmfestival in Locarno den Goldenen Leoparden, bekam den Drehbuchpreis von Baden-Württemberg, wurde für die beste Regie ausgezeichnet und Susanne- Marie Wrage wurde preisgekrönt: Für ihre Inter- pretation in der Rolle der Lena durfte sie den Preis Mlle. Ladubaye in Angers (Frankreich) aus den Händen von keiner Geringeren als Jeanne Moreau entgegennehmen. Worum geht es in diesem Film? Lena, eine duldsame, unterdrückte Pfarrersfrau, erwacht aus der Enge ihres Alltags zu einer leidenschaftlichen Liebe, die sie jedoch ins Verderben treibt. Weshalb dieser Film den Leoparden bekam, bei aller Kargheit, Stille, das erklärt sich für An- dreas Kilb von der FAZ nur, „wenn man von der Schauspielerin Susanne-Marie Wrage spricht, die die Lena verkörpert, von der Lesbarkeit und zugleich Verschlossenheit ihres ruhigen, schö- nen, wie von weither in sich hineinlauschenden Gesichts, von der vorsichtigen Demut ihres Kör- pers, der die Unterwürfigkeit selbst ist, bis er anfängt, sich den Ansprüchen seiner Umgebung zu verweigern und seinen eigenen Impulsen nachzugeben“. Im „Blickpunkt:Film spezial“ ist am 24. Juni 2002 zu lesen: „Susanne-Marie Wrage, als in Sprachlosigkeit erstarrte Frau, gehört wohl zu den Entdeckungen des Filmfests München.“ Auf die Frage, wie sie die Drehsituation im Studio im Vergleich zur Theaterarbeit erlebt, gibt sie zu bedenken, dass die Bühne als „Schutz- raum“ wegfällt, dafür kommt die Kamera sozu- sagen als weiterer Beobachter dazu und rückt dem Spieler auf den Leib, gnadenlos nah; nie ist zu spüren, wann sie auf Großaufnahme geht. – Womöglich ist Susanne-Marie Wrage dieser Situation gerade seit der intimen Enge des Neu- markt-Theaters problemlos gewachsen. Dem so erfolgreichen „Das Verlangen“ folgte im Jahr 2004 das „Nachbeben“, eine Schweizer Produktion, die den Schweizer Filmpreis errang. In einer völlig anderen Welt spielt dieser Film: Es 325

Film und Fernsehen geht um Banker, die den Börsencrash überstan- den zu haben glauben. Wie die „NZZ am Sonn- tag“ urteilt, wird „rasant und detailscharf dieses fast Ibsensche Sittenbild von heute erzählt“. Die Regisseurin Stina Werenfels hatte die (gleichaltrige) Schauspielerin bereits übers The- ater kennengelernt und ihr die Rolle der Karin, der Gattin eines Investment-Bankers zugedacht. In einem Interview erläuterte Susanne-Marie Wrage ihre Arbeit an der Rolle: „Schon ein Jahr vor dem Drehbeginn hatten wir einen Vordreh, bei dem wir das noch ungeschriebene Dreh- buch testeten. Ich habe es immer verglichen mit einem Gedicht, das man auch nur, wenn man es laut liest, auf seine Stimmigkeit prüfen konnte. Wenn man es nur vor sich hin liest oder nur ge- druckt sieht, kann man nicht wirklich erkennen, ob das ein gutes Gedicht ist. Bei dieser Arbeit war das genauso.“ 326 326 Plakat zum erfolgreichen Film „Nach- beben“, der den Schweizer Filmpreis errang. Die Wrage wäre nicht die Wrage, hätte sie nicht gerade dank dieser Drehbedingungen die Gelegenheit genutzt, die Figur der Karin diffe- renziert zu erfassen: „Sie strahlt eine elegante, aber gedämpfte Un- nahbarkeit aus“, heißt es dann in einer Filmkritik. Besonders nachhaltig beein- druckt hat die Schauspielerin selbst die Arbeit an dem Dokumentarstück „Der Kick“, unter der Regie von An- dres Veiel 2005 in Basel uraufge- führt, erfolgreich beim Theatertref- fen in Berlin, wurde es 2006 bereits verfilmt. Hier war Schauspiel- und Sprechkunst intensivst gefordert: Ohne Illustration durch Bühnenbild oder Kostüme musste sie mit ihrem Partner Markus Lerch nahezu 20 Rollen verwirklichen. Nur Gestik, Mimik und Körpersprache ziehen den Zuschauer in Bann. Das Stück geht auf einen Mord an einem Ju- gendlichen zurück, der in Branden burg im Jahr 2002 von zwei Gleichaltrigen begangen wurde. Dass die Täter der „rechten Ecke“ zugeordnet wurden, genügte dem Regisseur Andres Veiel nicht als Erklärungsmuster, er recherchierte die Hintergründe und entwickelte aus Interviews mit den Tätern, den Freunden und Angehörigen sowie den Vernehmungsprotokollen ein Stück, das gerade durch das Mittel der Verfremdung Entsetzen und Ratlosigkeit auslöst. Diese Inszenierung aus Basel, die im Berliner Maxim Gorki Theater 2005 den Friedrich-Luft- Preis der Berliner Morgenpost gewann, erregte auch als Verfilmung 2006 großes Aufsehen. Der Start als Regisseurin Erfolge über Erfolge – aber für Susanne-Marie Wrage ist das nicht genug, denn, wie sie einst in

Susanne-Marie Wrage Susanne-Marie Wrage – Rollen und Auszeichnungen Film 2007 Vertrauensfrage, Arte-Kurzfilm, Hauptrolle, 2006 Peer Gynt, Kinofilm (Theaterverfilmung), Rolle: Aase Autopiloten, Kinofilm 2005 Madonnen, Kinofilm 2004 Nachbeben, Kinofilm, Hauptrolle: Karin 2003 Sonntagmorgen, Kinofilm 2002 Das Verlangen, Kinofilm, Hauptrolle: Lena 1999 Summertime, Kinofilm 1998 Tobias, Kinofilm Kampf um Troja, Rolle: Klytämnestra Drei Mal Leben, Rolle: Sonja Ein Sommernachtstraum, Rolle: Titania Strike up the Band, Rolle: Joan Quartett, Rolle: Marquise de Merteuil 1993 – 1998 Theater am Neumarkt, Zürich: Wahlverwandtschaften, Rolle: Charlotte Bérénice, Rolle: Bérénice Top Dogs, Rolle: Frau Wrage Vom Atmen unter Wasser, Fernsehfilm Fernsehen 2007 Post Mortem, Fernsehserie 2006 Tatort Frankfurt, Fernsehreihe 2005 Millionenschwer verliebt, Fernsehfilm 2004 Wo bleibst du, Baby?, Fernsehfilm 2000 Lieber Brad…, Fernsehfilm Kilimanjaro, Fernsehfilm Theater (Auswahl) 2007 Jacky (aus den Prinzessinendramen), Rolle: Jacky seit 1998 am Theater Basel: Endstation Sehnsucht, Rolle: Blanche Onkel Vanja, Rolle: Jelena Der Kick, Hauptrolle, Theater Basel und Maxim Gorki Theater Berlin Alice Reise in die Schweiz, Rolle: Alice Hedda Gabler, Rolle: Hedda Gabler Die sexuellen Neurosen unserer Eltern, Rolle: Mutter 1990 – 1992 Städtische Bühnen Wuppertal 1988 – 1990 Staatliche Bühnen Berlin, Schillertheater das Ensemble von „Nachbeben“ „Nachbeben“ als bester Film im „Europa Cinema“ Visions du Réel, Dokumentarfilmfestival Nyon, Großer Preis der Jury für „Der Kick“ Auszeichnungen 2007 Filmfestival Solothurn, Spezialpreis der Jury für 2006 Viareggio Filmfestival, Großer Preis der Jury für 2006 Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgenpost für „Der Kick“ als beste Berliner Inszenierung 2005 2003 Preis Mlle.Ladubaye für die beste Interpretation 2002 Goldener Leopard für den besten Film „Das 1999 Kunstpreis der Stadt Zürich für das Ensemble 1992 Nachwuchsdarstellerinnenpreis des Landes der Rolle „Lena“ in „Das Verlangen“ beim In- ternt. Filmfestival Premiers Plans in Angèrs/Paris Verlangen “, Internationales Filmfestival von Locarno und die Leitung des Theaters am Neumarkt Nordrhein- Westfalen einem Interview der „Weltwoche“ (14. November 1996) erklärt hatte: „Am meisten graut mir vor der Routine! Wenn man sich reproduziert, dagegen gibt es nur ein Mittel: wach bleiben, dran bleiben, nicht faul werden, immer neue Grenzen suchen“. Und die tun sich längst auf mit ihrer Arbeit als Regisseurin. Bereits im Jahr 2000 hatte sie den „Sprung ins kalte Wasser“ der Selbststän- digkeit gewagt mit der Inszenierung von „Harold and Maude“, bald folgte am Berliner Maxim Gorki Theater in Koproduktion mit dem Theater Basel „Der Handel mit Claire“. Bei der Auswahl der Stücke und der Mittel stellt sie höchste An- sprüche an sich selbst „ich bin pedantisch im produktiven Sinne, aber auch ungemein zäh“. Die Inszenierung der „Medea“ (nach Euripides) in Zürich 2004 war für sie selbst quasi die Dok- torarbeit: „Ich habe mit einer algerischstäm- migen Französin als Hauptdarstellerin gearbei- tet, die ich in langen Interviews zu ihrer Rolle als muslimische, aber säkularisierte Frau befragt habe, die – wie die antike Medea also – im zwei- fachen Exil lebt. Ihre ‚Insel‘ ist die knöcheltief mit Sand bedeckte Bühnenfläche, der Chor kommt aus vielen winzigen Lautsprecherboxen, während die Münder der Sänger an die Wand projiziert erscheinen“. „Light sky“, einen Monolog für eine Palästi- nenserin, adaptierte sie für die Bühne in einer Koproduktion des Schlachthaustheaters Bern mit dem palästinensischen Nationaltheater. 2007 wurde es in Palästina aufgeführt – und brachte ihr ein Stipendium im Nahen Osten. „Dieses Jahr (2008) ist gepflastert mit Sti- pendien in Israel, Südafrika und im Engadin, wo ich für ein neues Projekt recherchiere – und so geht das immer weiter.“ Die „Leidenschaft“ für alles, was Schauspiel ausmacht, ist bei Susanne-Marie Wrage also ungebrochen. Elke Schön 327

Theater 19. Kapitel Theater Die Linachtalsperre begeistert als neue Freilichtbühne Theaterstück von Bernhard Dorer über den Bau der Linachtalsperre und die Linacher Laienspieler faszinieren rund 5.000 Besucher So etwas hat die Region Vöhrenbach noch nie erlebt: Die eben reaktivierte Linachtalsperre feierte im Sommer 2008 ihr grandioses Debüt als Freilichttheaterbühne – mit einem glanzvollen Stück, das Bernharden bauer Bernhard Dorer verfasste. 5.000 Menschen kamen zu den Aufführungen am Fuß der Talsperre zusammen, ihr Lachen hallte durch das ganze Tal; die sicher schönste Würdigung einer schriftstelle- rischen und schauspielerischen Leistung, die in dieser Form einmalig war. Was die Linacher Laienspieler da auf die Beine stellten, dürfte schwer zu überbieten sein, da sind sich die rundum begeisterten Zu- schauer aus dem gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis und dem Landkreis Hochschwarzwald einig. Das Team auf und hinter der Bühne umfasste 130 Personen, das entspricht etwa der Einwohnerzahl des kleinsten Furtwanger Stadtteils. Auch die Freilichttribüne mit 850 Sitzplätzen legten die Akteure selbst an und bauten eine großartige Kulisse. 328

Theater Imposante Kulisse Autor Bernhard Dorer Mitreißende Schauspieler Fotos: Wilfried Dold 329

Theater Ein ganzes Dorf spielte Theater. Linach ist mit 130 Einwohnern der kleinste Ortsteil der Stadt Furtwangen. Unterhalb der imposanten 25-Me- ter hohen Staumauer der Linachtalsperre wurde das Stück „De Linacher Stausee“ von Bernhard Dorer am 28. Juni 2008 uraufgeführt. Zur Pre- miere und den fünf folgenden Aufführungen im Juli kamen insgesamt 5.000 Zuschauer. Die letzte Aufführung am 23. Juli 2008 wurde zu- sätzlich als Benefizveranstaltung aufgrund des großen Andrangs zu Gunsten der Bregtalschule Furtwangen und dem Förderverein „Rettet die Linachtalsperre“ angesetzt. Das Freilichttheater spielt in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und er- zählt die Geschichte der frei erfundenen Familie 330 Das Dotter-Kathrin-Hisle gab es wirklich, es musste in den 1920er- Jahren dem Bau der Linachtalsperre weichen. Auf dem Bild links steht das Häusle als großartige Kulisse am Fuß der Talsperre. Um den Bau der Linachtalsperre hat Bernhard Dorer eine humorvolle und feinsinnige Liebesgeschichte ge- sponnen. Seite rechts von oben: die Hauptdarsteller am Küchentisch ver- sammelt, von rechts Erich, Roswitha und Stefanie Straub. Brillant auch Barbara Dotter und Norbert Straub (unten links). Turbulent geriet die Vorstellung des Talsperrenpro- jektes im Gasthaus „Adler“ durch Bürgermeister Straub (Winfried Hepting) und Thorsten von und zu Klein (Flo rian Klausmann, zugleich Regisseur). Läufer welche das „Dotter-Kathrin- Hisle“ im unteren Linachtal be- wohnt. Die Familie wird hart vom Beschluss der Gemeinde Vöhren- bach zum Bau der Staumauer ge- troffen, soll doch ihr Haus dem ge- planten Stausee weichen. Viel tro- ckener Humor, toll ausgearbei tete Charaktere und ein Schuss Liebe und Drama ver- binden sich zu einem gelungenen Stück in vier Akten. Bernhard Dorer gelingt es dabei auch den historischen Hintergrund in der schweren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und viele schöne An- ekdoten aus eigener Erfahrung einzuarbeiten. Laientheater hat eine lange Tradition In Linach wird seit 1911 Theater gespielt. Seit Beginn werden die Theater dabei immer zur Weihnachtszeit aufgeführt. 1997 wurde dann erstmals in Neukirch mit „De Hotzeblitz“ ein Freilichttheater aufgeführt. 2001 folgte in Linach „De Hyrotshandel“. Bis 2006 gehörte die Laien-

Theater

Theater Statisten das Stück ein. Hinter der Bühne koordinierte Albert Grießhaber, der im Team mit Dorer und Klausmann den gesamten Ablauf exakt geplant hatte, alle Einsätze der Schauspieler und historischen Fahrzeuge. Er leitete auch die professionelle Licht- und Ton- technik, die mit vielen Helfern für per- fekte Verhältnisse sorgte. Nahezu ganz Linach stand auf und neben der Bühne. Nahezu ganz Linach auf der Bühne Roswitha und Erich Straub glänzten als Hauptdarsteller. spielgruppe zum Männergesangverein Linach. Nach Einstellen der Sangestätigkeit schloss sich diese Gruppe dem Harmonikaverein Linach an, der nun das bislang größte Projekt der Laien- schauspieler organisierte. Aufgeführt wurde das Stück im Schwarzwälder Dialekt. Einen Kontrast dazu boten Bürgermeister Kraut (Winfried Hep- ting) mit seinem leichten Pfälzischen Einschlag sowie Florian Klausmann als Berliner Ingenieur. Klausmann war gleichzeitig auch Regisseur des Theaterstücks und verantwortete die künst- lerische Umsetzung. In über 40 Proben studierte er mit den insgesamt 30 Sprechakteuren und 40 332 Allen voran der Ortsvorsteher Erich Straub in der Hauptrolle des Leopold Läufer. Seine Frau Roswitha spielte die einzige Rolle, die in allen vier Akten zu sehen war. Zusätzlich wurde der Gesangverein Linach reaktiviert und glänzte mit 25 Sängern. Die große schauspie- lerische Leistung aller Akteure wurde in der Pre- mierenvorstellung mit stehenden Ovationen belohnt. Neben schauspielerischem Können und einer gelungenen Geschichte, war die au- ßergewöhnliche Kulisse für den großen Erfolg verantwortlich. In aufwendiger Arbeit entstand unter der Leitung des Schreiners Wolfgang Dorer sowie den Zimmerern Rudolf Fleig und Fridolin Klausmann eine imposante Bühne mit fünf Me- ter Höhe und 13 Meter Breite. Auch für die Erd- tribüne mit besten Sichtverhältnissen auf allen Plätzen hatten die Organisatoren rechtzeitig im Frühjahr zusammen mit Johannes Dorer gesorgt. Allen Beteiligten und auch allen Zu- schauern wird diese Aufführung lange in Erinnerung bleiben. Andreas Trenkle Schallendes Ge- lächter gab es beim Linacher Freilicht- theater am laufenden Band.

Theater Originalkostüme und -fahrzeuge, die 1920er-Jahre, die Zeit der Erbauung der Linachtalsperre, wurden glänzend in Sze- ne gesetzt. Oben rechts: die Dorfjugend wehrt sich gegen einen „Fremden“, in den sich Hedwig (ganz links auf der Bank) verliebt hat. Stimmungsvoll geriet auch der Auftritt des Linacher Männergesangvereins.

Theater Das „hanh art kunstprojekt e.V.“ In eine frühere Gütenbacher Uhrenfabrik ist 1994 die Kleinkunst eingezogen Alles begann mit der Suche nach einem Abstellplatz für eine Samm- lung von englischen Autos, die Margot und Claus-Volker Müller in verschie- denen angemieteten Garagen im Stadtgebiet von Furtwangen untergebracht hatten. Unabhängig davon hatte das Lehrer-Ehepaar aus der Uhrenstadt aber auch seit längerer Zeit die Idee, eine Art Atelier-Haus mit Ausstellungen und Wohnmöglichkeiten für Künstler einzurichten. Doch dann bot sich die Möglich- keit, beide Vorhaben an einem Ort zu verwirklichen: Die Gütenbacher Uhrenfirma Hanhart war in die Krise geraten und musste unter anderem ihre Produktionsstät- ten radikal verkleinern, ein gesamter Gebäudekomplex einschließlich Werkshalle sollte verkauft werden. Das Gebäude war 1880 als Uhrenfabrik konzipiert worden, davon zeugen noch die unge- wöhnlich hohen Fenster, die ei- nen maximalen Lichteinfall er- möglichen sollten. Wasser- und Abwasser-Zuleitungen gab es nicht, sie mussten nach dem Kauf des Gebäudes erst verlegt werden. Die Uhrmacher hätten Angst vor einem Wasserschaden gehabt, der schnell einen Groß- teil der Produktion hätte entwer- ten können, vermutet Claus-Vol- ker Müller. Das Gebäude hatte zunächst der Firma Faller & Söh- ne, dann der „Baduf“, der „Badi- schen Uhrenfabrik“, und schließ- lich der Firma Schatz als Produk- tionsstätte gedient. Die Firma Hanhart nutzte das Areal ledig- lich zehn Jahre, vorwiegend als Lager. Für das Ehepaar Müller war schlagartig klar, dass sich hier Margot und Claus-Volker Müller. 334

Das hanh art kunstprojekt e.V. Die Badische Uhrenfabrik in Gütenbach, später Uhren- fabrik Hanhart, um 1900. Heute beheimatet das Gebäude das „hanh art kunst- projekt“. ein idealer Ort bot, wo nicht nur die Autos zentral untergebracht werden, sondern auch Kunst und Kultur einziehen konnten. 1994 erwarben die Müllers das Gebäude; damit hatte die Geburts- stunde des hanh art kunstprojektes geschlagen. Übrigens: die Uhrenfirma Hanhart hat sich in ihrer abgespeckten Form auf dem Markt be- hauptet und stellt heute hochwertige Armband- und Stoppuhren her. Einiges erinnert noch an die Zeit der Uhren- herstellung, etwa die Stechuhr im Eingangsbe- reich. Dass man den Firmennamen „Hanhart“ für das Kunstprojekt verwenden konnte, sei von der damaligen Leitung der Firma problemlos im Rahmen der Verkaufsverhandlungen eingeräumt worden. Dass das „Kunstprojekt“ in Gütenbach entstand, sei jedoch eher ein Zufall gewesen, meint Claus-Volker Müller. Denn er hatte sich zusammen mit seiner Frau Margot in den Jahren zuvor um ein ganz anderes Projekt bemüht: Sie wollten das damals schon lange nicht mehr genutzte Turbinenhaus der Li- nachtalsperre erwerben, um hier ein Museum für Kraftwerktechnik einzurichten. „Unsere Idee war, hier verschiedene Möglichkeiten der Strom- erzeugung wie Wasser- und Solarenergie oder auch Erdwärme aufzuzeigen“, so Claus-Volker Müller. Doch trotz zahlreicher Verhandlungs- runden war es bis 1994 noch zu keiner Einigung mit der Stadt Vöhrenbach über den Verkauf des Gebäudes gekommen. Mit dem Kauf des Hanhart-Gebäudes war dann klar, dass die Kräfte auf dieses Projekt kon- zentriert werden mussten, die Bewerbung um das Turbinenhaus wurde zurückgezogen. 1.500 Quadratmeter Fläche standen in dem hanh-art-Projekt zur Verfügung, abzüglich 300 Quadratmeter für die Fahrzeughalle. „Das war eine Herausforderung“, so Claus-Volker Müller rückblickend. Glücklicherweise stand das Kon- zept für ein Atelierhaus bereits. Heute wohnen hier zwei Diplomingenieure, ein Musiker, ein Bildhauer, der Leiter des Deutschen Uhrenmuse- ums sowie eine Restauratorin. Ein Veranstaltungsraum wurde eingerichtet, die Stühle stellte zu Beginn die Gemeinde Güten- bach zur Verfügung, sie mussten vor den Vorfüh- rungen aus der Festhalle geholt und danach auch wieder dorthin gebracht werden. Anfangs fanden Vorführungen noch im Stockwerk über dem heutigen Raum statt, anschließend gab es oft noch musikalische Darbietungen eine Etage tiefer. Hier wurde mit der Zeit ein Flügel gekauft und eine entsprechende Beleuchtung ange- schafft. Eine bunte Palette an Veranstaltungen Anfänglich gab es eine bunte Palette von Veran- staltungen, Mal- und Zeichenkurse wurden an- geboten, auch die Furtwanger Heimsonderschu- le (heute Bregtalschule) nutzte den Raum für Aufführungen oder Fortbildungen. Ebenso wur- de Ballettunterricht erteilt. Es gab Spiele-Abende mit Frank Stark. Vernissagen fanden statt, be- 335

Theater Die Leuchtbuchstaben am Hanhart-Gebäu- de stammen von der Filial-Aufgabe eines Supermark tes. Kunst und Kleinkunst in ihrer ganzen Vielfalt wird im Innern geboten, hier ein Konzert mit „Real Time“. gleitet von Musikern, und diese fragten dann gelegentlich an, ob der Raum auch einmal für einen Musikabend zur Verfü- gung stünde. „Das Programm muss uns gefallen!“ „Wir haben eine ganze Menge Dinge pro- biert“, so Müller. „Am Anfang haben wir auch nicht gewusst, auf was es hinausläuft.“ Aus dieser Vielfalt kristallisierte sich im Laufe der Jahre aber immer mehr die Kleinkunst und hier vor allem das „Wort-Kabarett“ he- raus. Mittlerweile werden neun eigene Ver- anstaltungen im Jahr geboten plus ein bis zwei Fremdveranstaltungen, die Bregtal- schule ist hier immer noch dabei. Im Durch- schnitt kommen 70 bis 80 Besucher aus der gesamten Region zu den Veranstaltungen, bei dem Kabarettisten Mathias Tretter sind es auch schon einmal 140 Gäste. „Das Programm muss uns gefallen, ob dann 50 oder 100 Besucher kommen, ist uns egal“, betont Claus-Volker Müller. Unterstützt wurde und wird er dabei von seiner Frau Margot, und das sei wichtig, gerade weil sie einen anderen Humor habe als er selbst. Somit gibt es immer einen zweiten Blickwinkel auf die Akteure. Ein einträgliches Geschäft ist der Kulturbe- trieb in der kleinsten Kreisgemeinde aber kei- neswegs. Die Bühne sei ein Zuschussbetrieb, so Müller. „Wir können hier keine 25 Euro verlan- gen, außerdem haben die Leute eine längere Anfahrt.“ Das Kunstprojekt insgesamt trage sich aber durch die Mieten und die sehr engagierten Sponsoren aus dem Kreisgebiet. Wagoni“ gastierte etwa bereits fünfmal im „hanh art“, auch Thomas C. Breuer ist Stamm- gast. Szenekundige sind oft überrascht, dass etwa „Ohne Rolf“ im „hanh art“ gastieren. „Bei uns standen Leute auf der Bühne, die damals noch völlig unbekannt waren und jetzt die Kaba- rettsendungen im Fernsehen bevölkern“, meint Müller. Rolf Miller ist dafür ein gutes Beispiel. Und viele halten dem „hanh art“ noch lange die Treue, auch wenn sie bereits im Rampenlicht der Öffent- lichkeit stehen und vielgefragt sind, auch an grö- ßeren Bühnen. Räumlichkeiten mit Charme Dabei sei Kontinuität im Programm wichtig, so die Erfahrung von Claus-Volker Müller, gele- gentlich aber auch mal etwas Neues. „Faltsch Dazu mag auch der Charme der Räumlichkeit bei- tragen, in erster Linie sind es aber sicher die bei- den Betreiber selbst. Denn Margot und Claus-Vol- 336 336

ker Müller sind beide begeisterte Kabarettgänger und mit Leib und Seele dabei, ohne in erster Linie auf den ökonomischen Erfolg der Darbietungen zu schielen. Und ihre Begeisterung steckt an. Dabei ist der Aufwand erheblich, um ein wirk- lich gutes Programm zusammenzustellen. Claus- Volker Müller, im Hauptberuf Kunst- und Religi- onslehrer, besucht die meisten Kabarett-Veran- staltungen in der Region selbst, einmal um seine Flyer zu verteilen und auf das Programm des „hanh art“ aufmerksam zu machen, zum ande- ren aber, um neue Akteure kennen zu lernen und sie gegebenenfalls zu engagieren. Bei bereits bekannten Kabarettisten ist ein Vorlauf von an- derthalb Jahren üblich. Auch die Werbung für die Veranstaltungen ist mittlerweile professionell, dazu gehören die Vorberichte in den Zeitungen, aber auch die Pla- katwerbung, die nur auf fahrbaren Untersätzen gestattet ist. Diese mussten erst einmal ange- schafft und Verhandlungen mit den Grundstücks- eigentümern geführt werden. Bühne und Technik sind dabei längst den anfänglichen Zeiten des „Selbstgestrickten“ entwachsen. Vor fünf Jahren wurde eine Tonan- lage angeschafft, vor drei Jahren eine professio- nelle Lichtanlage. Und auch das Umfeld wurde immer wieder verändert: „Mal hatten wir eine Küche, dann eine Bar-Theke, immer wieder ha- ben wir etwas verändert“, meint der Betreiber des Kunstprojektes. Selbst bei den Getränken ist der Geschmack im Laufe der Zeit ein anderer geworden, früher habe es eine Cocktail-Zeit ge- geben, heute sei Bionade „in“. Stets haben die Müllers sich mitverändert, schließlich soll das Publikum sich im „hanh art“ wohl fühlen. Auf der Jagd nach „Art“… Dabei hat Claus-Volker Müller nicht nur einen Blick für scheinbare Details, sondern entwickelt auch eine erstaunliche Energie, wenn es an die Umsetzung einer Idee geht. Ein Beispiel mag das illustrieren: Zwar hat die frühere Super- marktkette „Walmart“ auf den ersten Blick we- nig mit einem Kunstprojekt zu tun. Doch die über der Gundelfinger Niederlassung thronende Leuchtschrift mit dem Firmennamen hatte es Das hanh art kunstprojekt e.V. Claus-Volker Müller schon lange angetan. Ei- gentlich nicht der ganze Name, sondern ledig- lich die letzten drei Buchstaben, denn das „Art“ ist nicht nur der bekannte englische Begriff für Kunst, sondern entspricht auch der Endung von „hanh art“. „Immer wenn ich daran vorbeifuhr, habe ich gehofft, eines Tages die drei Buchsta- ben zu erhalten“, so Müller. Dann wurde die Handelskette verkauft, doch als Claus-Volker Müller nach Gundelfingen fuhr, war die Leucht- schrift bereits demontiert, niemand wusste, wo sie gelandet war. Doch Müller gab nicht auf und heute zieren die blauen Großbuchstaben ART samt Stern die Fassade des Kunstprojektes. Zurückgefahren wurde dagegen der Bereich „Ausstellungen“ bildender Künstler. Der Auf- wand dafür war einfach zu groß. „Für 14 Tage Ausstellung sind mindestens vier Wochen Vor- arbeit erforderlich“, so die Erfahrung von Claus- Volker Müller. Die Einladungen müssen heraus, es muss jemand organisiert werden, der bei der Vernissage einige Sätze spricht, auch eine be- gleitende Musikformation ist zu engagieren. Und an den Öffnungstagen sind zumindest zwei Stunden Wachdienst zu leisten. Strom und Hei- zung waren zudem vorzufinanzieren. Daher wur- den die Bedingungen geändert: Wenn Künstler ausstellen wollen, sind sie nach wie vor will- kommen – aber sie müssen die Organisation selbst übernehmen. Dafür hat sich in 15 Jahren ein hochwertiges Kabarettprogramm etabliert. Unter dem Motto „Gute Unterhaltung beginnt über der Gürtellinie – also Richtung Kopf“ hebt sich das Programm wohltuend vom Mainstream ab. Auch für 2009 stehen bereits einige Namen fest, etwa der jun- ge Kabarettist Thomas Schneckenberger, 2008 mit dem Baden-Württembergischen Kleinkunst- preis aus gezeichnet. Oliver Baier aus Österreich hat sich mit seinem Programm „Schlager- schlachtung“ angesagt und auch Sandra Kreis- ler, die Tochter von Georg Kreisler, konnte enga- giert werden. Laut Claus-Volker Müller ein „Rit- terschlag“ für das Kunstprojekt ist das Engage- ment von Georg Schramm, dem wohl bekann- testen deutschen, politischen Kabarettisten. Damit dürfte es auch künftig öfters einmal bei Veranstaltungen im „hanh art“ heißen: „Schon lange ausverkauft“. Matthias Winter 337

Theater Theater mit absoluter Lachgarantie Die Hermann-Moser-Bühne steht seit 25 Jahren für Spaß und Unterhaltung Vorhang auf und Bühne frei: Seit nunmehr 25 Jahren sind Komödien, Lustspiele, Possen und Schwänke das Metier der Mitglieder der Her- mann-Moser-Bühne. Und die Akteure der be- kannten Laienschauspielgruppe sind ein Garant für Unterhaltung mit hohem Spaßfaktor. Angefangen hat alles damit, dass Hermann Moser, der im Jahr 1984 zu den Gründern der Volks- hochschule (VHS) in Bad Dürrheim gehörte, einem Theaterkurs selbst vorstand. Bei ihm kamen sie zusammen, die begeisterten Hobbyschauspieler der Region und feilten an ihrem Spiel auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Die nach vielen Erzählungen ebenso lehrreichen wie unterhalt- samen Stunden fanden ihren Höhepunkt am Ende eines jeden VHS-Semesters in der Auffüh- rung vor Publikum. Acht Jahre schrieb Hermann Moser diese Erfolgsgeschichte fort, bis er im Jahr 1992 völlig unerwartet im Alter von nur 51 Jahren verstarb. Die Mitglieder seines Ensembles beschlos- sen, im Sinne ihres Gründers weiterzumachen. Alexander Perkuhn übernahm zunächst die Lei- tung der Laienschauspielgruppe, bis er die Re- gie dann im Jahr 1996 an Michael Stumpf über- gab. „Lügen über Lügen“ hieß die Komödie aus der Feder von Walter G. Pfaus, mit der die Schau- spieler nach dem Tod von Hermann Moser 1993 wieder vor Publikum traten. Und kein Geringerer als der Autor höchstpersönlich verfolgte damals aus den Publikumsreihen das himmelschreiend komische und turbulente Spiel um eine reiche Erbtante aus Amerika. Anlässlich dieser Auffüh- rung, die damals übrigens auch im privaten Lo- kalsender „Sole1“ live ins örtliche Fernsehnetz übertragen wurde, bekam die VHS-Bühne ihren heutigen Namen: Hermann-Moser-Bühne. Seitdem ist die Theatercrew, die sich einen hervorragenden Ruf erspielt hat, untrennbar mit dem Namen des Gründers verbunden. Und wer Mitspieler/innen der Hermann-Moser-Bühne beim Dreiakter „Drei tolle Väter“, hintere Reihe stehend von links: Uli Thiel, Ulrika Bames, Alexandra Gerl, Edeltraud Theves, Michael Stumpf, Heike Heuberger, Cathrin Beese, Hans-Jürgen Volk, Iris Link. Vordere Reihe sitzend von links: Leonhard Gut, Sven Mochar, Sandra Theves, Lothar Setnik, Helmut Doser. 338 338

Mit viel Leidenschaft auf der Bühne in „Für eine handvoll Cornflakes“, von links: Erika Behling, Lilo Weber, Hans-Jürgen Volk, Helmut Doser, Iris Link. noch immer glaubt, dass eine „professionelle Laienschauspielgruppe“ ein Widerspruch in sich ist, der irrt gewaltig, denn das Ensemble stellt immer wieder aufs Neue unter Beweis, dass man auch als Hobbyvereinigung keineswegs laien- haft daherkommen muss. Bis ins Detail stimmiges Theater Mit einem gewaltigen Potenzial haben sich die Akteure über die vielen Jahre hinweg in die Her- zen ihrer treuen Zuschauer gespielt und wahre Fans verpassen keines der Bühnenstücke. Die Hermann-Moser-Bühne ist der Inbegriff für sorg- fältig und bis ins Detail stimmiges Theater, das aus dem Alltag entführt und für Unterhaltung pur sorgt. Übrigens: Unter der Regie von Micha- el Stumpf betrat die Theatercrew auch bald Büh- nen außerhalb von Bad Dürrheim und tritt seit vielen Jahren auf den Spielflächen der Umge- bung auf. Mit Akribie und bestem Vorstellungs- vermögen wählt der selbstständige Physiothe- rapeut aus Schwenningen, Michael Stumpf, die Stücke aus und beweist dabei stets ein glück- liches Händchen. „Mein großes Vorbild ist Willy Millowitsch“, erzählt der Regisseur, der das Können der Darsteller so richtig herauskitzelt. Und nicht zuletzt diesem Gespür ist es zu ver- danken, dass viele spontane Einfälle jedes Stück zu einem Hermann-Moser-Original werden las- sen, wie Pressewart und Akteur Leonhard Gut augenzwinkernd verrät. Unterhaltungswert garantiert: Bei der Her- mann-Moser-Bühne wird schon mal ein Akt um- geschrieben oder auch eine Frauenrolle mit einem Mann besetzt. Er nehme sich die Freiheit, das jeweilige Stück für seine Darsteller passend zu machen, plaudert Michael Stumpf schmun- zelnd aus dem Nähkästchen, fügt dann aber gleich noch hinzu, dass der Autor sein Stück dennoch wiedererkennen werde. „Unsere Schau- spieler sollen die Rollen nicht nur spielen, son- dern verkörpern“, verrät der humorvolle Kopf Hermann-Moser-Bühne der Gruppe seinen Anspruch. Und diesem wol- len auch die Akteure gerecht werden. Nicht nur der Text muss sitzen, auch Gestik, Mimik und nicht zuletzt das Kostüm müssen stimmen. „Du darfst nicht sexy wirken“, kann da schon einmal die Anweisung des Regisseurs lauten, wenn es um die Kleiderwahl geht. „Es ist das Wichtigste, dass man rechtzeitig weiß, was man anzieht“, erklärt die Akteurin Bettina Bantle, dass man sich nur so ganz und gar in die Rolle hineinver- setzen und somit in die Bühnenfigur verwandeln könne. Klar, dass auch Requisiten gemeinsam beschafft werden und auf die Bühnengestaltung großen Wert gelegt wird. Um noch flexibler agie- ren zu können, haben sich die Schauspieler im vergangenen Jahr eine mobile Bühne schreinern lassen. Fenster, Türen und Wände können vari- abel aufgestellt werden und sogar ein Außenbe- reich mit Garten lässt sich darstellen. Und wenn das Geld reicht, dann werden neue Möbel für ein stimmiges Bühnenbild angeschafft. Dem Zufall wird hier nichts überlassen und dennoch neh- men die Mitglieder des Theaterensembles Miss- geschicke mit Humor. Besondere Geschehnisse haben sich im Laufe der Zeit viele ereignet und noch glasklar erinnern sich Leonhard Gut und die anderen bei- spielsweise an die Episode mit einer übermoti- vierten Putzfrau. Nach einer erfolgreichen Thea- teraufführung des Stücks „Wohin mit der Lei- che?“ habe sich die gesamte Crew zum Feiern in ein Bad Dürrheimer Gasthaus begeben. Just 339

Theater Im Dreiakter: „Die totalen Chaoten“, Leonhard Gut und Sandra Theves. während dieser Zeit hat auf der Bühne der Putz- teufel zugeschlagen. Scherben lagen auf dem Boden und unter dem Theaterutensilientisch la- gerten gleich mehrere Flaschen. Also machte sich der Putzteufel ans Werk, beseitigte besagte Scherben und entsorgte auch gleich noch das Leergut. Dumm nur, dass es sich dabei um wich- tige Utensilien für die Aufführungen handelte. Für einen Schlag mit einer Flasche auf den Kopf nämlich hatte man extra bei einer Spezialfirma in Hamburg sechs teure Flaschen aus Zucker ge- kauft. Der Überlieferung nach allerdings hat Re- gisseur Stumpf für die folgenden Aufführungen eine Lösung gefunden. Wie Leonhard Gut versi- chert, gibt es noch viele unterhaltsame Ge- schichten, von denen die eine oder andere zum 25-jährigen Jubiläum in diesem Jahr ans Tages- licht kommen wird. Mit Überraschungen ist immer zu rechnen „Wo Theater Spaß macht“: Unter diesem Motto agiert die Hermann-Moser-Bühne und wer bei den Proben einen Blick hinter die Kulissen wer- fen darf, dem wird klar, dass dies sowohl für die Zuschauer als auch für die aktuell 24 Akteure gilt. Und auch während einer Aufführung müs- sen die Schauspieler mit der einen oder anderen Überraschung aus den Reihen der Kollegen rech- nen. So kann es durchaus sein, dass sich im Schnapsglas statt Wasser plötzlich tatsächlich Hochprozentiges befindet. Der eine oder andere Scherz müsse schon sein, verraten die Schau- spieler grinsend und gestehen, dass sie gerne Späße aushecken. Für eine ganz spezielle Art der Unterhaltung sorgen die Akteure nicht nur bei den großen Auf- führungen, sondern auch mit verschiedenen Einaktern. Hier kommen die Schauspieler auf Wunsch direkt nach Hause ins heimische Wohn- zimmer und spielen zu privaten Anlässen wie Geburtstagen, Hochzeiten, Polterabenden oder Vereinsfesten. Gleich mehrere Einakter mit Spiel- dauern zwischen 30 und 50 Minuten stehen zur Auswahl und nach telefonischer Terminabspra- 340 340 che und Bestellung rücken die Schauspieler mit Requisite und Verkleidung an – die gute Stim- mung natürlich ebenfalls im Gepäck. Und auch wenn der Applaus zweifelsohne das Brot des Künstlers ist, freut sich die Laien- schauspielgruppe über die Mithilfe zahlreicher Sponsoren. Die Saalmieten machen schließlich einen großen Posten in der Kasse aus und auch die vorgeschriebenen Abgaben an den Theater- verlag seien nicht unerheblich, wie die Verant- wortlichen verraten. Die moderaten Eintritts- prei se hingegen sollen es jedem ermöglichen, einen schönen Theater abend zu erleben. Ein Spon- sor wird auf der Homepage, in Werbebriefen, auf Plakaten und bei der Bühnenansage erwähnt, schildern die Macher die Gegenleistung für eine Finanzspritze. Obwohl das Ensemble also selbst auf Spenden angewiesen ist, konnte es in den vergangenen Jahren immer wieder helfen. Die Hermann-Moser-Bühne hat unter anderem die Interessengemeinschaft Multiple Sklerose Er- krankter in Donaueschingen, den Förderverein der Feldner Mühle oder auch das Farrenstall- Team in Dauchingen mit Spenden unterstützt.

Hermann-Moser-Bühne hend aus Bild-, Plakat-, Archiv- und Zeitungsdo- kumenten, unter die fachmännische Lupe zu nehmen. 25 Jahre Hermann-Moser-Bühne be- deutet viel Spaß, jede Menge Lachtränen und eine Unterhaltung, die in Bad Dürrheim und der Schwarzwald-Baar-Region nicht mehr wegzu- denken ist. 25 Jahre Theater und das Beste da- ran: Wer mitmachen will, ist jederzeit willkom- men. Eva Schmidt-Steinbach Stets ziehen alle an einem Strang und über- haupt wird die Gemeinschaft im Ensemble groß geschrieben. Und: Auch das gemeinsame Lam- penfieber schweißt zusammen, verraten die Ak- teure, die viel Zeit in die Proben investieren. Mit immer wieder neuen Stücken begeistern die Theaterleute aber nicht nur ihr Publikum. Erst im vergangenen Jahr reis te der Autor Walter G. Pfaus zur Premiere des Stücks „Wo Rauch ist, ist auch Feuer“ nach Bad Dürrheim. „Das Stück ist sehr gut umgesetzt worden“, lobte der Mann aus Blaubeuren die Premiere des von ihm ge- schriebenen Theaterstücks begeistert und zollte den Darstellern um Michael Stumpf reichlich Applaus. Die Pause nutzte der erfolgreiche Au- tor im Übrigen auch dazu, die kleine Wander- ausstellung der Hermann-Moser-Bühne, beste- Oben links: In prekärer Lage aus „Der Meister- boxer“, von links: Ulrika Bames, Edith Koziol und Lothar Setnik. Oben rechts: „Einer spinnt immer“: Lothar Setnik, Erika Behling und Benjamin R. Rieb- samen. 341

Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Der Ringzug feiert ein glanzvolles Jubiläum Fünf Jahre gibt es den Ringzug bereits, er ist ein voller Er folg ge- worden, wie bei den Ju bi lä ums- feier lichkeiten im September 2008 mehrfach betont wurde. Landrat Karl Heim unterstrich, es sei ein Quantensprung gewesen, als es vor fünf Jahren gelang, 17 Verkehrsbetriebe unter einen Hut zu bringen und den Ringzug samt Dreiertarif zu starten. Der Erfolg lässt sich auch eindrucksvoll mit Zahlen belegen, allein der Ver- kehrsverbund Schwarzwald-Baar Der Ringzug beim Bahnhof in Grüningen. (VSB) konnte seit Inbetriebnahme des Ringzuges zwei Millionen zu- sätzliche Fahrgäste begrüßen. Das Angebot des Ringzuges wird ständig weiter entwickelt, so kann man seit dem 1. August mit dem Schwarzwald-Baar-Ticket und mit vier weiteren Mitfahrern für 18 Euro einen Tag lang im VSB- 342 Landrat Karl Heim, Landrat Wolf-Rüdiger Michel (Kreis Rottweil) und Landrat Guido Wolf (Kreis Tuttlingen) haben einen neuen Ringzug- Triebwagen auf den Namen „Schwarzwald-Baar-Kreis“ getauft. Anlass war das fünfjährige Bestehen des Nahverkehrssystems. Gebiet beliebig viele Fahrten un- ternehmen. Landrat Heim bilan- ziert: „Die Fahrgastzahlen haben sämtliche Prognosen übertroffen und der Ringzug hat einen festen Platz in unserem täglichen Leben gefunden. Dank der attrak- tiven Tarife ist die Fahrt so einfach wie noch nie: Mit einem einzigen Fahrschein erreichen Sie alle Ziele in unserer Region – egal ob Sie Bus oder Bahn benutzen – der 3er-Tarif von VSB, VVR und TUTicket macht es möglich.“ Waldhonig gerät im Jahr 2008 zu einer Rarität Im Kreisverband der Imker im Schwarzwald-Baar-Kreis sind rund 400 Imker organisiert, die insgesamt etwa 1.800 Bienen- völker halten. Viele Umstände machen den Imkern und Bienen das Leben schwer, so die Tatsa- che, dass durch die Verände- rung unserer Kulturlandschaft die Nah rungsquellen der Bienen schwinden. Und eine weitere Be- sonderheit gab es 2008 zudem: Weil es zu trocken war, entwi ckel- ten sich zu wenige Baumläuse. So fehlte es an Zuckersaft und so mit an Waldhonig. Das „Tor seines Lebens“ für Manuel Staiger Der Niedereschacher Manuel Staiger hat sich mit nur einem Tor- schuss am 4. September 100.000 Euro verdient: Vor knapp 70.000 Zuschauer schoss der 23-Jährige beim Abschiedsspiel von Oliver Kahn im Stadion der Bayern ein Tor gegen den Ex-Nationaltorwart. 10 Fußballbegeisterte durften ge gen Kahn antreten, sie waren Sie ger

Ma ga zin Einstellungen zum Film „Einer von 10.000“, der unter anderem in Epfen- hofen und Fützen gedreht wurde. 2009 kommt der Film ins Fernsehen. „Einer von 10.000“ – SWR dreht historischen Film Am Bahnhof Fützen wurde im September die Nachkriegszeit le bendig. Menschen in Kleidern wie zu Großmutters Zeiten be- völkerten das Gelände. Sie wur- den ebenso ins Bild gesetzt wie alte Autos und Motorräder und die Strecke der Blumberger Mu- seumsbahn. Für den SWR drehte die Hamburger Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft einen Film über einen Kriegsheimkeh- rer in den Jahren 1950 und 1955. Dafür wurden 200 Komparsen ausgesucht, alle aus der Region. Der Film handelt von einer Familie auf einem Bauernhof im Schwarzwald. Max ist seit fünf Jahren nicht aus dem Krieg zurück, seine Frau wartet mit ihrem Sohn, Max’s Schwester will dagegen den Hof erben. Die Komparsen wunderten sich, wie oft jede Szene gedreht wurde. Regisseur Stein und sein Team achteten auf alles. Verschwand die Sonne, wurde gewartet, bis sie wieder da war. B. Lutz eines Gewinnspiels. Manuel Stai- ger konnte aber erst ins Stadion, als er bei einer Vorausscheidung mit 164 weiteren Bewerbern Tor- wart-Legende Sepp Maier be- ein druckte. Manuel Staiger ist Mittelfeldspieler beim FC Nieder- eschach und von Beruf Metzger. Den Radtourismus noch attraktiver gemacht Die beiden Landkreise Schwarz- wald-Baar und Rottweil sind mit einer interessanten Initiative nun ans Ziel gekommen: Dank eines großen Landes-Zuschusses aus dem Pro gramm „Sanfter Touris- mus“ von 200.000 Euro, kann man gemeinsam Radtouren ausschil- dern, die elektronisch vorbereitet sind und mit einem GPS-Gerät gespeichert sprich gefahren wer- den können. Insgesamt ca. 430.000 Eu- ro investieren die beiden Land- kreise, damit die Region vom Rad tourismus-Boom weiter pro- fitiert. Aufgelegt werden in die- sem Zusammenhang auch neue Radwege-Karten. Kolpingfamilie Villingen feiert 150-jähriges Bestehen Es war ein prächtiges Szenarium zu einem ganz besonderen Anlass: Die Kolpingfamilie Villingen feierte am 14. September ihr 150-jähriges Bestehen, die Fest an sprache hielt Alt-Minister präsident Erwin Teu- fel. Dieser ermutig te die rund 300 geladenen Gäste beim Festakt im Münsterzentrum dazu, nach den Werten Kolpings zu leben und zu handeln, der 1881 selig gespro- chen wurde. Teufel rief zu mehr sozialer Verantwortung auf. 343

Magazin / Anhang Linachtalsperre ist Badesee Als Ausflugsziel hat sie sich weit über den Landkreis hinaus einen Namen gemacht, ab Sommer 2009 steht auch Badefreuden nichts im Wege: Untersu- chungen bescheinigen dem Kunstsee eine einwandfreie Wasserqualität. Ver- steht sich von selbst, dass sich 2008 bereits etliche Schwimmer nicht an das Badeverbot hielten – zu verlockend ist die überschaubare Weite des Sees. Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Landkreis n e g n u t s i e l t s n e i D e t a v i r p d n u e h c i l t n e f f Ö , g n u t e i m r e V , n e s e w s k c ü t s d n u r G n e m h e n r e t n U r ü f g n u t s i e l t s n e i D . ä . u g n u t l a w r e V e h c i l t n e f f Ö g n u l t t i m r e b ü n e t h c i r h c a N d n u r h e k r e V e b r e w e g s g n u r e h c i s r e V d n u – t i d e r K l e d n a H e b r e w e g u a B e b r e w e g t s a G 3.671 9.609 1.853 2.610 1.829 8.050 4.355 11.676 g n u g r o s r e v r e s s a W d n u – e i g r e n E 377 e b r e w e G s e d n e t i e b r a r e V 31.746 n e d r E d n u n e n i e t S n o v g n u n n w e G i , u a b g r e B 77 t h c u z h c s i F , i e r e h c s i F , t f a h c s t r i w t s r o F . u – d n a L 348 Beschäftigte insgesamt: 76.203, Stand: Dezember 2007 – Quelle: Bundesagentur für Arbeit Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stich tag 30.6.2006 30.6.2007 30.6.2008 344 Schwarz wald- Baar-Kreis Baden- Württemberg Bun desrepublik Deutschland 6,3 % 4,6 % 3,6 % 6,3 % 4,8 % 3,9% 10,5% 8,8 % 7,5 %

Anhang in Zah len in Pro zent Ver än de run gen Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Ge mein de Stand der Wohn be völ ke rung Bad Dür rheim Blum berg Bräun lin gen Bri gach tal Dau chin gen Do nau e schin gen Furt wan gen Gü ten bach Hüf in gen Kö nigs feld Mönch wei ler Nie de re schach St.Ge or gen Schön wald Scho nach Tri berg Tu nin gen Un ter kir nach Vil lin gen-Schwen nin gen Vöh ren bach 31. 12. 2006 31. 12. 2007 12 .832 10.376 6.198 5.313 3.642 21.352 9.463 1.286 7.823 6.116 3.168 6.058 13.572 2.450 4.203 5.178 2.905 2.829 81.825 4.028 12 .932 10.350 6.157 5.279 3.594 21.369 9.434 1.260 7.750 6.096 3.154 6.054 13.454 2.419 4.145 5.129 2.914 2.819 8.1417 3.983 100 -26 -41 -34 -48 17 -29 -26 -73 -20 -14 -4 -118 -31 -58 -49 9 -10 -408 -45 0,78 -0,25 -0,66 -0,64 -1,32 0,08 -0,31 -2,02 -0,93 -0,33 -0,44 -0,07 -0,87 -1,27 -1,38 -0,95 0,31 -0,35 -0,50 -1,12 Kreis be völ kerung ins ge samt 21.0617 20.9709 -908 -0,43 Schonach 4.145 Triberg 5.129 Schönwald 2.419 Furtwangen 9.434 St. Georgen 13.454 Königsfeld 6.096 Unterkirnach 2.819 Mönchweiler 3.154 Villingen- Schwenningen 81.417 Gütenbach 1.260 Vöhrenbach 3.983 Brigachtal 5.279 Bräunlingen 6.157 Niedereschach 6.054 Dauchingen 3.594 Bad Dürrheim 12.932 Tuningen 2.914 Donaueschingen 21.369 Hüfingen 7.750 Blumberg 10.350 345

Im Blick punkt Namen und Nach richten Am 16. Januar 2008 verstarb im Alter von 74 Jahren der frühere Ortsvorsteher von Bräunlingen- Döggingen, Winfried Bader. Karl Glökler, langjähriges Mit- glied der Kreistage Tuttlingen und Schwarzwald-Baar, ist am 4. März 2008 mit 74 Jahren ver- storben. Am 9. März 2008 wurde in der Gemeinde Mönchweiler Bürger- meister Friedrich Scheerer mit 74,4 Prozent der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Am 4. Mai 2008 wurde mit 67,2 Prozent Stimmenanteil Michael Rieger bereits im ersten Wahl- gang als Nachfolger von Wolf- gang Schergel zum Bürgermeis- ter von St. Georgen gewählt. Wolfgang Schergel wurde von 500 Gästen bei seiner Verab- schiedung als Bürgermeister der Stadt St. Georgen mit stehenden Ovationen bedacht. Ihm wurde zudem bei seiner Verabschie- dung am 25. Juli 2008 die Ehren- bürgerschaft der Stadt St. Geor- gen verliehen. Es gab Worte des Lobes von allen Festrednern, die die besonderen Leistungen des langjährigen Bürgermeis ters he- rausstellten. Am 31. Juli endete die Amts- zeit des 65-jährigen Stadtober- hauptes nach 16 Jahren. Neben zahlreichen Bürgermeistern aus der ganzen Region und Persön- lichkeiten des öffentlichen Le- bens war aus der finnischen Part- nerstadt Vesilahti eigens der dortige Gemeindedirektor Erkki Paloniemi angereist, um sich von Schergel zu verabschieden. Im Namen des Landkreises würdigte Landrat Karl Heim die Verdienste von Wolfgang Schergel. Der frühere Bürgermeister und Ehrenbürger der Stadt Hüfin- gen, Max Gilly, ist am 15. August 2008 im Alter von 87 Jahren ver- storben. Der 75 Jahre alte Harald Matte- git, von 1971 bis 2006 Mitglied im Kreistag des Schwarzwald- Baar-Kreises, ist am 21. August 2008 verstorben. Orden und Ehrenzeichen Mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg wurde 2008 ausgezeichnet: Anna Grässlin, St. Georgen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2007 ausgezeichnet: Fritz Kalb, Bräunlingen, Ernst Ewald, Villingen-Schwenningen, Dieter Eder, Villingen-Schwenningen, Gerhard Stähli, Hüfingen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2008 ausgezeichnet: Annette Berggötz, Bad Dürrheim, Harald Buck, Bad Dürrheim, Peter Schleicher, Villingen-Schwen- ningen, Gerhard Seemann, Villingen-Schwenningen, Gerhard Claus, Unterkirnach, Erich Nock, Schonach, Helmut Lohrer, Villingen-Schwenningen Das Bundesverdienstkreuz haben 2007 erhalten: Gerhard Altmann, Villingen-Schwenningen, Franz Gruler, Donaueschingen Das Bundesverdienstkreuz haben 2008 erhalten: Lukas Duffner, Schönwald, Gertrud Bauer, Blumberg, Günter Wetzel, Villingen-Schwenningen, Bernhard Eichkorn, Villingen-Schwenningen, Lieselotte Werner, Villingen-Schwenningen, Annelotte Pfaff-Canisius, Blumberg 346

Bildnachweis Almanach 2009 Anhang Motiv Titelseite: Am Zusammenfluss von Brigach und Breg zur Donau. Kleine Bilder: Junge Brigach beim Hirz- bauernhof, Historische Donauquelle in Donau- eschingen und Bregquelle (Furtwanger Donau- quelle) bei der Martinskapelle. Die Aufnahmen stammen von Wilfried Dold, Vöhrenbach Motiv Rückseite: „Heuernte“ in Neukirch bei Furtwangen. Die Auf- nahme stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Foto gra- fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref- fenden Beitrages oder sind die Bild autoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 4, 6, 10/11, 14, 32/33 ob., 34, 36 ob., 39 ob., 40/41 ob., 45, 46 ob.l., 46 u., 47/48, 49 ob.l., 50, 52, 53 u., 54 ob., 54 u.l., 54 u.r., 66, 69, 74, 94, 103, 115 u.l., 115 u.r., 116 ob.l., 116 ob.r., 117 ob.l., 117 ob.r., 118, 122, 124 u., 125 – 127, 129, 148, 186 – 203, 205 – 247, 262 u., 276 u.l., 277/278, 279 ob., 279 m., 280/281, 289 ob., 294 ob.r., 295/296, 299 ob.r., 299 m., 328 – 333, 342 m., 344, 352 – Kreisarchiv SBK, VS-Villingen: 7, 9, 12/13, 15 – 17, 19 – 25, 27 ob.r., 28, 30 ob., 31 m.l., 108 ob., 342 ob. – Micha- el Kienzler, Brigachtal-Klengen: 26, 27 ob.l., 27 u.l., 27 u.r., 29, 30 u., 31 außer m.l., 55, 65, 98/99 u., 105, 106 ob., 107, 110 – 112, 150, 151 u., 152 u.r. – Stephanie Wetzig, Niedereschach: 40 ob.l, 40 u.l., 40 u.r., 41 u., 42 ob., 42 m.l., 44, 46 ob.l., 300 – 303 – Andreas Hirsch, Villingen: 42 u.r. – Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler: 53 ob., 54 ob., 54 u.l., 54 u.r., 157, 158 ob.l., 158 ob.r., 282 – Stadt Bad Dürrheim: 56, 96 ob. – Fürstlich Fürstenbergische Brauerei, Donaueschingen: 96 u.– Wolfgang Schyle, Schonach: 106 u. – Orts- chronik Triberg: 108 m., 108 u., 109 – Willi Hön- le, Donaueschingen: 114/115 ob., 116 u., 117 u., 120, 123, 124 ob. – GLA Karlsruhe (J-Ac-K Nr. 4): 132 – Joachim Sturm, Niedereschach: 134, 136, 284/285 – Helmut Kahlert (Archiv), Furtwangen: 138, 140 – 145 – doldverlag (Archiv), Vöhrenbach: 139, 262 ob., 264 ob., 266, 279 u., 335 – Ste- phanie Jakober, VS-Mühlhausen: 146/147, 149 – Direvi Fotopress, VS-Villingen: 156, 297, 299 ob.l. – Jochen Hahne, VS-Villingen: 159 – Roland Kalb, Dauchingen: 248 – 254 – Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 255 – 259 – Zinzendorfschule Königsfeld: 260, 263, 264 u., 265 – Freie Schule Brigach: 267 – 270 – Andrea Pietrek, Vöhrenbach: 274 – Wolfgang Schnatterbeck, Langenschiltach: 275 – Dieter Ohnmacht, Frittlingen: 283 – Jörg Michaelis, Blumberg: 286, 287 u.r., 288, 289 u. – LRA Waldshut-Tiengen: 287 ob. – Stefan Heimpel, Furtwangen: 294 ob.r., 294 u., 298 m. – Bike e.V., Furtwangen: 298 ob., 298 u. – Wolfgang Häcker, Dunningen: 299 u. – Marion Peters, Villingen- Schwenningen: 304 – 307 – Roland Sigwart, Hü- fingen: 308 – 311 – Christine Fenzl, Berlin: 323 – Denis Hauser, Furtwangen: 334, 336 – Her- mann-Moser-Bühne, Bad Dürrheim: 338 – 341 – Bernhard Lutz, Blumberg: 343 347

Anhang Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Bau, Manfred, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Colli, Hermann, Webergasse 1, 78050 Villingen-Schwenningen Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Dölker, Andreas, Jurastraße 8, 70565 Stuttgart Gerster, Wolfgang, Weichselstraße 35, 78052 Villingen-Schwenningen Goerlipp, Georg, Hindenburgring 10, 78166 Donaueschingen Hahne, Jochen, Hafnergasse 8, 78050 Villingen-Schwenningen Hecht, Winfried, Lorenzgasse 7, 78628 Rottweil Heim, Karl, Landrat, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Jakober, Stephanie, Im Brotkörble 33, 78056 VS-Mühlhausen Jäger, Bernd, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Kalb, Roland, Albstraße 7, 78085 Dauchingen Kahlert, Dr. Helmut, Am Bodenwald 4, 78120 Furtwangen Kaltenbach, Christof, Hans-Thoma-Straße 7, 78136 Schonach Kienzler, Michael, Gartenstraße 15, 78086 Brigachtal-Klengen Koch Michael, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Krieger, Gerhard, Auf der Eck 12, 78052 VS-Pfaffenweiler Lang, Fritz W., Lichtenberger Weg 23, 78056 Villingen-Schwenningen Lewandowski, Thomas, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Limberger, Reinhilde, Landstraße 6a, 78166 Donaueschingen-Dauchingen Lutz, Bernhard, Seemühle 14c, 78183 Hüfingen Mayer, Reinhold, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Michaelis, Jörg, Espenstraße 2/2, 78176 Blumberg Minzer, Manfred, Schluchweg 17, 78166 Donaueschingen Mohr, Dr. Bernhard, Werderring 4, 79085 Freiburg Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Nagel, Dr. Klaus, Mozartstraße 20, 78098 Triberg Peters, Marion, Dickenhardtstraße 40, 78054 Villingen-Schwenningen Reinhardt, Dieter, Niederwiesenstraße 16, 78050 Villingen-Schwenningen Rudolf, Dr. Anja, Wolfachstraße 6, 78054 Villingen-Schwenningen Schellinger, Victor, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Schlecht, Cornelia, Auf Löbern 31, 78166 Donaueschingen-Neudingen Schmidt-Steinbach, Eva, Willmannstraße 3, 78073 Bad Dürrheim Schneider-Damm, Dagmar, Bühlweg 3, 78078 Niedereschach Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schück, Felicitas, Kirnacher Höhe 16, 78089 Unterkirnach Schwarzmeier, Birgit, Humboldtstraße 11, 78166 Donaueschingen Seiler, Georg, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Sigwart, Roland, Hauptstraße 16, 78183 Hüfingen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 VS-Marbach Stadler, Eberhard, Bickenstraße 19, 78048 Villingen-Schwenningen Straub, Ulrike, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32, 78078 Niedereschach Trenkle, Andreas, Linach 10, 78120 Furtwangen Trenkle, Wolfgang, Am Blutrain 31, 78048 Volk, Karl, Untertal 19, 78098 Triberg-Gremmelsbach Weiss, Julia, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Wende, Andreas, Kantstraße 10, 78056 Villingen-Schwenningen Wetzig, Stephanie, Niedereschacherstraße 31, 78078 Niedereschach Wieners, Thomas H. T., Merzhauser Straße 147 A, 79100 Freiburg Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Zimmermann, Michael J. H., Karlstraße 119, 78054 Villingen-Schwenningen 348

Inhaltsverzeichnis Anhang Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Schwarzwald-Baar – Das Quellenland / Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Hohe Einnahmen dank guter wirtschaftlicher Entwicklung – Schuldenabbau, hohe Investitionen und moderate Senkung der Kreisumlage / Karl Heim Landratsamt hat neue Außenstelle – Das Domizil in der Humboldtstraße in Donaueschingen ist auch für die Bürger optimal / Georg Seiler / Reinhold Mayer Gefahrgutzug der Feuerwehren – Gefährliche Stoffe sind eine besondere Herausforderung und erfordern viel Spezialwissen / Manfred Bau Attraktives Kreismedienzentrum – Leiter Martin Toth verstand es immer, das Angebot den Bedürfnissen anzupassen / Christina Nack Schwenningen bekommt einen neuen Stadtpark – Der Güterbahnhof – eine Industriebrache wird Landesgartenschaugelände 2010 / Thomas Lewandowski / Michael Koch Erste Feier zur Einbürgerung / Ulrike Straub Kulturfestival aller Schulen in Villingen – „Internationale Musische Tagung – IMTA“ versammelt über 3.000 Pädagogen / Victor Schellinger / Bernd Jäger 2. Kapitel / Städte und Gemeinden Grüningen – attraktive Wohngemeinde auf der Baar – Der Donaueschinger Ortsteil feiert sein 900-jähriges Bestehen / Reinhilde Limberger Herzogenweiler – das alte Glasmacherdorf – Der 205 Einwohner kleine Ort feiert sein 800-jähriges Bestehen / Stephanie Wetzig Zwischen Tradition und Fortschritt – Obereschach hat sich zu einem beliebten Wohnort entwickelt / Christina Nack 3. Kapitel / Persönlichkeiten Prof. Dr. Knud Eike Buchmann – Alles für ein gelingendes Leben / Dagmar Schneider-Damm Karola Grässlin – Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden / Stefan Simon Lukas Duffner – Hoch verdienter Land- und Forstwirt sowie Politiker aus Schönwald / Felicitas Schück Frieda Kloock – Die wohl meist dekorierte Bräunlingerin hat die Bundesverdienstmedaille erhalten / Cornelia Schlecht Klaus Peter Karger – Ein Filmemacher und sein Schwenninger Moos / Christina Nack 4. Kapitel / Aus dem Wirtschaftsleben Bei der nasschemischen Prozessierung von Solarzellen und Solarwaffern: RENA ist Weltmarktführer – allein in Gütenbach 380 Arbeitsplätze / Matthias Winter Schwenninger BKK: Nah am Geschehen – Seit mehr als 110 Jahren setzt sich die Krankenkasse mit innovativen Leistungen, guten Arbeitsbedingungen und sozialem Engagement für die Region ein / Andreas Dölker 50 Jahre Präzisionstechnik aus Schonach – Innovation und Kompetenz: Burger Industriewerk – geschätzter Partner vieler Weltfirmen / Dr. Bernhard Mohr Zukunft braucht Weitsicht: Zweckverband Gasfernversorgung Baar macht warm und mobil Antidröhn-Beschichtung für ICE und TGV sorgt für weltweite Nachfrage: griwecolor ein starker Partner für umweltfreundliche Farben und Lacke / Manfred Minzer 2 3 5 7 10 15 17 20 25 26 32 40 48 56 59 62 67 70 75 80 86 93 100 349

Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel / Archäologie Spannende Spurensuche im Großraum Fohrenwald/Pappelntal: „Liembergdunum“ – Eine Siedlung aus der Bronzezeit in Nußbach? / Dr. Klaus Nagel 6. Kapitel / Geschichte Am 5. August 1908 ereignete sich der letzte große Stadtbrand in Deutschland – „Donaueschingen brennt!“ – eine Stadt verliert über 300 Gebäude / Georg Goerlipp Gemeinsame Wurzeln – getrennte Wege – Historische Betrachtungen anlässlich der 1250-jährigen urkundlichen Ersterwähnung von Biesingen und Heidenhofen / Thomas H. T. Wieners 1717: Ein Freudenfest in Triberg? – Prinzengeburt führt zur Anordnung eines Freudenfestes in den österreichischen Erblanden / Karl Volk Der Villinger Johanniterkomtur Johann Philipp Lösch von Mühlheim / Winfried Hecht 7. Kapitel / Kunstgeschichte Gustav Heine (1855 – 1944) – Ein lange vergessener Maler aus Furtwangen / Dr. Helmut Kahlert 8. Kapitel / Museen Phono Museum zeigt 70 Exponate – Ein Arbeitskreis bemüht sich engagiert um die europaweit einmalige Sammlung / Stephanie Jakober 9. Kapitel / Musik Inzwischen eine kulturelle Institution – Lange Schwenninger Kulturnacht mobilisiert rund 30.000 Gäste / Wolfgang Trenkle Die Villinger Kantorei – Die Erfolgsgeschichte des Kirchenchores ist eng mit dem Namen Bernd Boie verknüpft / Andreas Wende 10. Kapitel / Da leben wir 800.000 Sonnenblumen – Das Sonnenblumen-Projekt der Firma Wildi begeistert Tausende von Menschen / Eberhard Stadler 11. Kapitel / Kunst und Künstler Zeichner Ulrich Schanz – Sozialpädagoge und anerkannter Künstler / Stefan Simon Ein Bild der Wirklichkeit?! – Die Fotokunst des Horst Willi Kurschat / Dr. Anja Rudolf Bildhauer Zeljko Rusic – Beeindruckende Skulpturen ohne Plan und Skizze / Stefan Simon In Memoriam Waltraud Oloff – Vom Zauber der einfachen Dinge – „Aus geringen Mitteln Fülle erzeugen“ / Hermann Colli Schwerpunkt 2009 – „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg…“ Schwarzwald und Baar: Wo die Donau beginnt / Wilfried Dold Eine Kanufahrt auf der jungen Donau / Julia Weiss Fauna und Flora der jungen Donau / Roland Kalb Flussbegleitende Baumarten – Baumoriginale im Schwarzwald und auf der Baar (Teil 3) / Wolf Hockenjos 350 105 114 128 131 134 138 146 150 154 157 160 168 174 180 186 240 248 255

Inhaltsverzeichnis 12. Kapitel / Bildungseinrichtungen Die Zinzendorfschulen feiern ihr 200-jähriges Bestehen – Wo die Lehrkräfte „Bruder“ und „Schwester“ sind, herrscht ein besonderes Miteinander / Christina Nack Die „Freie Schule Brigach“ – Auch ohne Stundenplan und Noten stellen sich gute Lernerfolge ein / Christina Nack 13. Kapitel / Landwirtschaft Urlaub auf dem Bauernhof – In den 1960er-Jahren erlebte man im Schwarzwald-Baar-Kreis den großen Aufschwung / Birgit Schwarzmeier Erinnerungen an die „Vorstadt“ – Lioba und Josef Ruf besitzen den heute wohl ältesten Bauerngarten von Vöhrenbach / Elke Schön 14. Kapitel / Freizeit und Erholung Pilgern in der Heimat – Neue und schöne Jakobuswege im Landkreis laden zur Selbstbesinnung ein / Dr. Joachim Sturm Das Abenteuer „Schluchtensteig“ – Auf 118 Kilometern führt der Wanderweg von Stühlingen über Blumberg nach Wehr / Bernhard Lutz Auf dem Neckarweg Schwenningen – Vom Schwenninger Moos bis nach Mannheim: Ein 445 Kilometer langer Wanderweg / Fritz W. Lang 15. Kapitel / Sport Schwarzwald-Bike-Marathon – Das anspruchsvollste Bike-Rennen in Deutschland wirbt für den gesamten Landkreis / Christof Kaltenbach / Wilfried Dold Ein großes Fest der Pferde – Reitturnier auf den Immenhöfen zum „besten Turnier in Baden-Württemberg“ gewählt / Stephanie Wetzig 16. Kapitel / Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Miniköche Schwarzwald-Baar – Dem Geheimnis des guten Geschmacks auf der Spur / Marion Peters Heimelige Hüttenatmosphäre – Das Moscht-Schöpfli bei Hüfingen beliebtes Ziel auch für Fahrradfahrer und Wanderer / Bernhard Lutz Ein Geheimtipp für Feinschmecker – Das Café Rapp in Königsfeld-Buchenberg hat mit Alexander Rapp einen begehrten Koch / Christina Nack 17. Kapitel / Literatur Erfolg über Erfolg: VS-Krimis – Für Hubertus Hummel und Klaus Riesle interessieren sich nun auch große Verlage / Wolfgang Gerster Die „Grammatik der Schmerzen“ – Werner Dürrson und die Ästhetik des Widerstands / Michael J. H. Zimmermann 18. Kapitel / Film und Fernsehen 260 267 271 278 282 286 290 294 300 304 308 312 315 318 Traumberuf: Schauspielerin – Die Schauspielerin Susanne-Marie Wrage / Elke Schön 322 19. Kapitel / Theater Die Linachtalsperre begeistert als neue Freilichtbühne – Theaterstück von Bernhard Dorer über den Bau der Linachtalsperre und die Linacher Laienspieler faszinieren rund 5.000 Besucher / Andreas Trenkle 328 351

Inhaltsverzeichnis Das „hanh art kunstprojekt e. V.“ – In eine frühere Gütenbacher Uhrenfabrik ist 1994 die Kleinkunst eingezogen – Matthias Winter Theater mit absoluter Lachgarantie – Die Hermann-Moser-Bühne steht seit 25 Jahren für Spaß und Unterhaltung / Eva Schmidt-Steinbach 334 338 Anhang Almanach-Magazin 342 Der Landkreis im Spiegel der Statistik 344 Arbeitslosigkeit in Prozent- zahlen 344 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis 345 Namen und Nachrichten 346 Orden und Ehrenzeichen 346 Bildnachweis 347 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 348 Inhaltsverzeichnis 349 Weite Baar – Blick vom Wartenberg über Pfohren hinweg nach Donaueschingen. 352

„Sommer uf em Wald“ „Heuernte“ in Neukirch bei Furtwangen Fotografiert von Wilfried Dold 342