Almanach 2016

Schwarzwald-Baar Jahrbuch Almanach 2016 40 Jahre „Spätzle-Highway“ Schwerpunkt „Da leben wir“


He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Re dak ti on: Sven Hinterseh, Land rat Wil fried Dold, Re dak teur Kristina Diffring, Referentin des Landrats Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv Susanne Bucher, Leiterin Informations- und Kulturamt Stadt Hüfingen Dr. Joa chim Sturm, Kreis ar chi var Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: Wilfried Dold, dold.verlag Verlag: dold .ver lag, Vöh ren bach 2015 www.dold ver lag.de Druck: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-927677-86-9 Foto rechte Seite: An der jungen Donau – beim Wehr in Neudingen


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Die 40. Ausgabe ist erschienen Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Almanach: eine nicht ersetzbare Chronik des Landkreises Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Daheim im Schwarzwald und auf der Baar 24 44 Auf dem zweithöchsten Punkt des Schwarzwald-Baar-Kreises, dem 1.164 Meter hohen Rohr- hardsberg bei Schonach, zeigen sich die früheren Landräte Dr. Rainer Gutknecht (1973 – 1996) und Karl Heim (1996 – 2012) sowie Landrat Sven Hinterseh (Amtsantritt am 1. Juni 2012) in einer Gesprächsrunde im Gasthaus „Schwedenschanze“ überzeugt, dass das Schwarz- wald-Baar-Jahrbuch Almanach einen wertvollen Beitrag zum Zusammenwachsen der früheren Landkreise Villingen und Donaueschingen leisten konnte und noch immer leistet. Ihr Fazit mit Blick auf das 40-jährige Bestehen des Almanach: Das Schwarzwald- Baar-Jahrbuch ist eine nicht ersetzbare Chronik des Landkreises, es prägt das Bild, das wir von unserer Heimat haben, vielfach mit. Auf die Frage, was und wo Hei- mat ist, folgt nicht selten mehr als eine Ant wort. Eines aber gilt für alle Frauen und Männer, die im Rahmen unserer Portrait- serie „Daheim im Schwarzwald und auf der Baar“ vorgestellt werden: Sie fühlen sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis daheim. Das schließt nicht aus, dass sie überall auf der Welt unterwegs sind – hier aber ihre Heimat, sprich Wurzeln haben. 4


Wirtschaft Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri 86 Erfindungen sind seit jeher ein Motor unserer Wirtschaft. Beim Blick auf diese stete Fort- entwicklung über zwei Jahr- hunderte hinweg fällt einem als zentraler Bestandteil das Zahnrad auf. Letztlich auf Basis der Feinmechanik entwickelte sich im Schwarzwald-Baar-Kreis eine technologische Welt elite, die uns von der mechanischen Schwarzwalduhr bis auf die Rei- se zum Kometen Tschuri führt. Inhaltsverzeichnis 2 8 Impressum 40 Jahre Almanach – ein identitätsstiftender Beitrag für den Schwarzwald-Baar-Kreis / Sven Hinterseh 10 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Ein Willkommen und seine Herausforderungen / Sven Hinterseh 2. Kapitel / 40 Jahre Almanach 20 Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch feiert Jubiläum / 24 Heimat Schwarzwald-Baar – Im Dialog mit drei Wilfried Dold Landräten / Wilfried Dold 3. Kapitel / Städte und Gemeinden „Aus vielen, eines“ – Blumberg, eine außergewöhnliche Stadt / Doris Rothweiler 4. Kapitel / Da leben wir – Daheim im Schwarzwald und auf der Baar 38 46 Dr. med. Lioba Kühne / Elke Schön 52 Matthias Wiehle / Gabi Lendle 56 Ute Grießhaber / Madlen Falke 62 66 70 Albrecht Benzing / Daniela Schneider 76 Anke Jentzsch / Madlen Falke 82 Bärbel Brüderle / Dieter Wacker Laurent Lebas / Barbara Dickmann Ingrid Schyle / Barbara Dickmann Jürgen Hönig 5. Kapitel / Wirtschaft 86 Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri / 98 Die Uhrenfirma Hanhart in Gütenbach / Matthias Winter 106 WELLSTAR-Packaging GmbH / Gabi Lendle 112 Hahn-Schickard: Intelligente Lösungen mit Mikrosystemtechnik 120 Ein Leben voller Wohlklang – Dual / Hans-Jürgen Kommert 126 Perpetuum Ebner – Modern verpackter Spitzenklang / Roland Sprich 132 Alles aus einem Guss – Aluminium Werke GmbH Villingen / Christina Nack 6. Kapitel / A 81 140 Unterwegs auf dem Spätzle-Highway / Daniela Schneider 7. Kapitel / Geschichte 160 Der letzte Weg / Rolf Ebnet 5


Schwerpunkt A 81 Geschichte Schwerpunkt Berge Unterwegs auf dem Spätzle-Highway Der letzte Weg Berge im Schwarzwald und auf der Baar 140 160 220 Es war ein ziemlich kalter, unge- mütlicher Tag. Und passend zum Wetter geriet dann auch die Ver- kehrsfreigabe des ersten Auto- bahnabschnittes im Schwarz- wald-Baar-Kreis zu einem recht sachlichen Ereignis. Damals, vor 40 Jahren, wurde der vierstreifi- ge, 22,5 Kilometer lange Teilab- schnitt der Autobahn 81 zwi- schen den An schluss stellen Villingen-Schwen ningen und Geisingen freigegeben. Wer auf dem Kirchweg zwischen Schollach und Urach wandert, entdeckt auf dem obersten Punkt im Wald, an der Ortsgrenze von Schollach und Urach, ein gut zwei Meter großes, geschnitztes Holz- marterl. Gäbe es das Marterl des Bildhauers Wolfgang Kleiser nicht – würde an diesem Ort nichts auf die heimtückische Er- mordung von fünf amerikani- schen Soldaten im Jahr 1944 durch die Nazis hinweisen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist der höchstgelegene Landkreis in Ba den-Würt tem berg – bezogen auf die durchschnittliche Mee- reshöhe. Und dennoch ist er kein Landkreis, den man unmittelbar mit Bergen in Verbindung bringt. Die Dörfer Herzogenweiler und Mistelbrunn liegen auf fast 900 Meter Meereshöhe – und es gibt keine Berge dort. Der höchs- te Punkt befindet sich mit 1.164 m am Farnberg/Martinskapellen. 6 Inhalt


172 Kloster St. Ursula ist geschlossen / Marga Schubert 180 Der Neudinger Klosterbrand 1852 / Rüdiger Schell 190 Das Bruderkirchle an der Steig / Wilfried Dold 8. Kapitel / Kunst 202 elfi schmidt – Dem Himmel, der Erde so nah / Ursula Köhler Freizeit Fliegenfischen an der Breg bei Vöhrenbach 9. Kapitel / Zeitgeschehen 210 Grenzenlose Hilfe / Bernhard Lutz 216 Donaueschingen – Historische Donauquelle ist grundlegend saniert / Andreas Beck 10. Kapitel / Berge 220 Berge im Schwarzwald und auf der Baar / Martin Fetscher 11. Kapitel / Die Brigachquelle 242 Wo die Donau zur Hälfte herkommt / Roland Sprich 12. Kapitel / Natur und Umwelt 248 Wildobstbäume – Baumserie Teil 10 / Wolf Hockenjos 252 Baar-Schnaps aus alten Obstsorten / Stephanie Jakober 258 Naturschutzgroßprojekt Baar / Thomas Kring 270 Am Rohrbacher Stöcklewaldturm: Fernsicht bis zum Montblanc / Wolf Hockenjos 13. Kapitel / Freizeit 278 Fliegenfischen an der Breg bei Vöhrenbach / 286 Salinenwelt Bad Dürrheim / Günther Baumann Christian Kuchelmeister 14. Kapitel / Gastlichkeit 293 Das Landhotel Thälerhäusle/Ochsen in Neukirch / Elke Schön 298 Die Waldau-Schänke: Einkehren am Fuß der Burgruine / Stephanie Wetzig 15. Kapitel / Musik 302 Die Dörr-Brüder: Zwei Gitarren und zwei Stimmen / Nils Fabisch 16. Kapitel / Sport 306 Schonach feiert 50 Jahre Schwarzwaldpokal / Peter Hettich Anhang 314 Almanach-Magazin 317 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis, Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen, Orden und Ehrenzeichen 318 Bildnachweis 319 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 320 Ehrenliste der Freunde und Förderer 7 278 Die Breg bei Vöhrenbach ist bei Fliegenfischern begehrt. Der Hauptquellfluss der Donau weist in diesem Bereich eine Breite von drei bis acht Metern auf. Der reiche Bestand an Bach- und Regenbogen forellen kommt in allen Altersstufen vor. Die Stre- cke gilt als sehr abwechslungs- reich, denn ruhige Staube reiche wechseln sich mit flotten Ab- schnitten – es finden sich flache Rieselstrecken und tiefe Rinnen.


40 Jahre Almanach – ein identitätsstiftender Beitrag für den Schwarzwald-Baar-Kreis Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Jahr feiert das „Gedächtnis“ unseres Landkreises Jubiläum: Der Almanach – unser Schwarzwald-Baar-Jahrbuch – erscheint bereits in seiner 40. Auflage. Ziel der ersten Ausgabe 1977 war es, die reiche geschichtliche Vergan- genheit unseres heimischen Lebensraumes wachzuhalten und gleichzeitig eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Heute, vier Jahrzehn- te später, kann man feststellen, dass es das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch geschafft hat, sei- ner Leserschaft ein treuer, jährlicher Begleiter zu sein: durch Geschichte und Kultur, Politik und Freizeit, Wirtschaft, Gewerbe und Industrie sowie durch Gegenwartsthemen. Heimat ist nicht mehr nur ein Thema der älteren Generation, wie dies häufig noch bis vor einigen Jahren der Fall war. Heimat ist heutzu- tage wieder im Trend – zahlreiche Firmen verse- hen ihre Produkte und Marken mit Heimatmoti- ven und Werbelinien, um so die Heimatverbun- denheit der Kunden auf „coole“ und gleichzeitig junge Art und Weise hervorzuheben. Welch großes Geschenk es ist, eine Heimat – also ei- nen Ort, mit identitätsstiftender Kraft, an dem man Sicherheit und Verlässlichkeit seines Da- seins erfahren kann – zu haben, sieht man ganz gegenwärtig an den zahlreichen Menschen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und sich auf der Flucht befinden. Der Heimatbegriff schließt jedoch auch die Möglichkeit der Behei- matung mit ein und so hoffe ich und wünsche mir, dass viele dieser Menschen eine neue Heimat und einen Ort tiefen Vertrauens, an dem sie sich zu Hause fühlen können, für sich finden werden. Der Almanach gibt auch in diesem Jahr in bewährter Art und Weise wieder einen guten Überblick über die Themenfülle in unserem Schwarzwald-Baar-Kreis und das breite Spek- trum an Aktivitäten in Wirtschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Sport und Freizeit. Wie immer gilt mein ganz besonderer Dank den zahlreichen Autoren und Fotografen, die dazu beigetragen haben, dass auch die Ausgabe des Jahrbuches 2016 wieder in gewohnt guter Qualität vorgelegt werden kann. Dass dies möglich war, verdanken wir aber auch den treu- en Freunden, Unternehmen und zahlreichen Förderern des Almanach, denen ebenso mein herzlicher Dank gilt. Der Almanach 2016 kommt mit der 40. He- rausgabe nun quasi in sein „Schwabenal- ter“ – ein stolzes Jubiläum für ein besonderes Heimatjahrbuch. Ich bedanke mich bei all den langjährigen Leserinnen und Lesern. Die Redak- tion war und ist stets bemüht, das Schwarz- wald-Baar-Jahrbuch aktuellen Entwicklungen anzupassen. Dies mag so manchem zu schnell, anderen vielleicht aber zu langsam erscheinen. Ich hoffe jedoch, Sie begleiten uns auch weiter- hin und bleiben dem Almanach treu. Darüber hinaus hoffe ich natürlich, dass es uns auch gelingt, möglichst viele weitere Freunde des Schwarzwald-Baar-Jahrbuches zu gewinnen. Möge auch die 40. Ausgabe das Interesse am Schwarzwald-Baar-Kreis wachhalten! Ihr Sven Hinterseh Landrat Bild rechts: Fotograf Sebastian Wehrle aus Simons- wald und das Gütenbacher Modelabel Artwood von Jochen Scherzinger erregten mit ihrer neuen Art der Trachtenfotografie viel Auf sehen. Hier die Tracht von Schönwald. 8 Zum Geleit



Ein Willkommen und seine Herausforderungen Flüchtlinge werden im Schwarzwald-Baar-Kreis herzlich aufgenommen – Viele Bürger engagieren sich ehrenamtlich von Landrat Sven Hinterseh 10 Aus dem Kreisgeschehen


Aus dem Kreisgeschehen Die Flüchtlingskinder lernen in der Notunterkunft in der Donaueschinger Kaserne ihre ersten deutschen Wörter. Unterrichtet werden sie von ehrenamtlichen Helfern. 11


Es ist ein Thema, dem die Bürger hier im Schwarz wald-Baar-Kreis auf unbestimmt lange Sicht in ihrem Alltag begegnen werden. Die Flüchtlingsströme nach Europa haben im Lau- fe des Jahres 2015 immer mehr zugenommen und für eine große Anzahl dieser Flüchtlinge ist Deutschland das Ziel Nummer eins. Es sind ganz unterschiedliche Herausforde- rungen, denen sich unsere Gesellschaft dabei stellen muss. Überwiegend ist es die Anzahl der zu uns flüchtenden Menschen und deren men- schenwürdige Unterbringung, die durch das Land Baden-Württemberg und schließlich auch von den Landkreisen und Kommunen organisa- torisch bewältigt werden muss. Die Zahlen der aufzunehmenden Flüchtlinge ändern sich täg- lich – sie werden stets nach oben korrigiert. Während die Zugangszahlen im Jahr 2014 bei knapp über 200.000 Flüchtlingen auf Bun- desebene lagen, werden für das Jahr 2015 rund 1.000.000 Menschen erwartet, die bei uns Asyl suchen. Das Land Baden-Württemberg wird da- von über 100.000 Personen aufnehmen, die in sogenannten Landeserstaufnahmestellen (LEAs) zunächst für maximal die ersten drei Monate unterkommen sollen. Aufgrund der schnell ansteigenden Flücht- lingszahlen reichten diese Unterkünfte nicht mehr aus, so dass das Land Bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtungen (BEAs) und Notun- terkünfte eingerichtet hat. So auch in den Kreis- städten VS-Villingen, VS-Schwenningen und in Donaueschingen mit insgesamt über 3.500 Plät- zen (Stand Oktober 2015). Das Landratsamt als untere Aufnahmebe- hörde ist im Anschluss an die Unterbringung in den LEAs/BEAs zuständig für die Unterbrin- gung der Flüchtlinge in Gemeinschaftsunter- künften und hält in den Kreisregionen dazu rund 2.000 Plätze vor. Die Gemeinschaftsun- terkünfte befinden sich in den Stadtbezirken Villingen, Schwenningen, in Donaueschingen, in Villingen/Unterkirnach und St. Georgen. Weitere befinden sich im Aufbau. Die fast nicht bewältigbare Herausforderung für die Kreis- verwaltung liegt darin, dass monatlich rund 300 neu hinzukommende Flüchtlinge eine Un- terkunft benötigen. Wohl 2.000 zusätzliche Plätze nötig Nach unseren Berechnungen gehen wir davon aus, dass wir in den nächsten Monaten rund 2.000 Plätze zusätzlich schaffen müssen, um den Ansturm zu bewältigen. Die Flüchtlinge, die eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutsch- land bekommen, müssen die Gemeinschaftsun- terkunft nach einigen Monaten wieder verlas- sen und werden zur „Anschlussunterbringung“ 12 Aus dem Kreisgeschehen


auf die Städte und Gemeinden des Schwarz- wald-Baar-Kreises nach Einwohnerschlüssel verteilt. Die Städte und Gemeinden haben somit die große Aufgabe, ebenfalls Wohnungen für die Flüchtlinge bereitzustellen. Mit Stand Anfang Oktober 2015, befinden sich über 5.000 Flüchtlinge im Schwarz wald- Baar-Kreis, die in den Bedarfsorientierten Ein- richtungen, Gemeinschafts- und Anschlussun- terkünften wohnen. Ehrenamtliche Hilfe überaus wertvoll – DRK-Kreisverband ist federführend Dank gilt all jenen, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Es hat sich schnell gezeigt, wie wertvoll die ehrenamtliche Unter- stützung bei dieser Arbeit ist, die federführend der DRK-Kreisverband Villingen-Schwenningen im Auftrag des Landratsamtes übernommen hat. Inzwischen gibt es zahlreiche gute Beispie- le für eine gelingende Zusammenarbeit mit Bürgern, Kirchen, Gemeinden und sonstigen Institutionen. Viele Vereine laden Flüchtlinge zu sich ein und bieten damit eine gute Möglichkeit, sich kennen zu lernen und eine Basis für eine gute Integration zu schaffen. Die ehrenamtliche Hilfe stellt dabei eine große Stütze dar. Ob bei der Sprachförderung, als Helfer bei alltäglichen Die ehrenamtliche Hilfe bei der Betreuung von Flücht- lingen ist für den Landkreis sehr wertvoll. Das Bild in der Mitte zeigt die Ankunft von Flüchtlingen in Donaueschingen, rechts Flüchtlinge beim Sprachun- terricht. Wer sich ehrenamtlich einbringen kann, dem stehen vielfältige Möglichkeiten offen. Dingen oder dem Einkaufen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, wie sich Ehrenamtliche einbrin- gen können. Um die Hilfsangebote der Ehren- amtlichen noch besser koordinieren zu können, wurden zwei Koordinierungsstellen durch die Diakonie, das DRK und den Landkreis geschaf- fen. Einstiegsklassen erforderlich Auswirkungen hat der Anstieg der Flüchtlings- zahlen auch auf das Bildungsangebot. Nur mit ausreichenden Deutschkenntnissen können die Flüchtlinge gut integriert werden. Deshalb ist es notwendig, neue Angebote, wie beispielsweise Einstiegsklassen für Schüler ohne deutsche Sprachkenntnisse, einzurichten. Integration durch Sprache ist der Grundstein für jedes Bil- dungsangebot. Sprachförderung beginnt bereits Aus dem Kreisgeschehen 13


Integration über Fußball – mit dem Sport kommt Hoffnung. Oberstudienrat Armin Günter aus Villingen trainiert in seiner Freizeit mit Flüchtlingen aus Gambia auf dem Sportplatz in Unterkirnach. Ziel ist es, die Westafrikaner in heimische Fußballmannschaften zu integrieren, in einem Fall ist das bereits gelungen. Die Gambianer sind im Flüchtlingsheim Maria Tann bei Unterkirnach untergebracht. im Kindergarten, geht weiter in der Grund- schule und in den weiterführenden Schulen. Der Landkreis hat deshalb für Jugendliche im Berufsschulalter Vorbereitungsklassen an den Beruflichen Schulen eingerichtet. Die Jugend- lichen erhalten dort intensiv Deutsch-, Mathe- matik- und Englischunterricht und können je nach Wissensstand im Anschluss in reguläre Bildungsgänge wechseln. Breitbandprojekt kommt gut voran Da für zukunftsfähige Breitbandnetze nur auf Glasfaser basierende Infrastrukturen in Frage kommen und die Privatwirtschaft hier die End- kunden nicht flächendeckend direkt an die Glasfaser anschließt, haben sich alle Städte und Gemeinden im Kreis einschließlich des Landkreises dazu entschlossen, ein marktneu- trales Glasfaser-Höchstgeschwindigkeitsnetz selbst aufzubauen. Dazu wurde im März 2014 der Zweckverband Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar gegründet, der die Netze im Auftrag seiner Mitglieder errichtet und an einen Netzbetreiber verpachtet. Seit September 2014 wird der Zweckverband von Geschäftsführer Jochen Cabanis geleitet. Der Landkreis und alle seine Städte und Ge- meinden sind fest entschlossen, den Ausbau zü- gig voran zu treiben. Einerseits, um den derzeit vielfach schlecht versorgten Gewerbebetrieben und freiberuflich Tätigen bessere Vorausset- zungen zu verschaffen, sowie Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen, wie zum Beispiel Schulen, mit einem eigenen Glasfaser- netz untereinander zu verbinden. Aber ande- rerseits auch, um privaten Haushalten den Weg zu hochmodernen Anwendungen zu ebnen, die nur über Glasfaser möglich sind. Wir bauen darauf, dass die Bürger diese einmalige Chance erkennen und sich in den geplanten Ausbaugebieten möglichst zahlreich einen eigenen Hausanschluss legen lassen. Denn nur dann lassen sich die Netze wirtschaft- lich bauen und betreiben. Wo außerdem Gas-, Wasser-, Strom-, Nahwärmeversorgung oder Verkehrswege gebaut bzw. erneuert werden, verlegt der Zweckverband Leerrohrpakete für Glasfaser gleich mit in die Erde und kooperiert zu diesem Zweck auch mit Stadtwerken und Energieversorgern. 14 Aus dem Kreisgeschehen


Mit der Stabsstelle Breitband beim Landrats- amt umfasst der Zweckverband inzwischen sechs Personen, die sich allein um dieses Thema kümmern. Sicher wird das Team noch weiter wachsen, um die zahlreichen Projekte und Auf- gaben bewältigen zu können. Und seit einem Jahr hat sich bei den Bau- maßnahmen eine Menge getan. Grundsätzlich werden die Ortsnetzbereiche in einem Guss mit dem Kreis-Backbone, dem Zubringer zu den überörtlichen Netzen errichtet. Die Baukosten abzüglich der Landes-Fördermittel werden von den Städten und Gemeinden für die Ortsnetze und den Kreis-Backbone vom Landkreis in Form von Zuschüssen an den Zweckverband getra- gen. Im Haushalt des Zweckverbands sind für die Maßnahmen allein für das Jahr 2015 über 20 Mio. Euro eingestellt. In den kommenden Jah- ren wird sich diese Summe eher noch erhöhen. Die weiteren Ausbaupläne Neben den bisher bereits gebauten und in Be trieb befindlichen Glasfasernetzen in Teil- bereichen von Tuningen und in Brigachtal werden bis Frühjahr 2016 in folgenden Orten teilweise Glasfasernetze fertig gestellt sein und dann alsbald in Betrieb gehen: Schonach, Tu- ningen, Mönchweiler, Döggin gen, Bräunlingen, Hüfingen, Blumberg, Pfaffenweiler, Tannheim, Sunthausen und Biesingen. Neue Glasfasernetze entstehen 2016 unter anderem in Schwenningen-Ost, Schwenningen Zentralbereich, Furtwangen, Neukirch, Dauchin- gen, Niedereschach, Schönwald, Königsfeld, Hu- bertshofen, Wolterdingen und Mundelfingen. Daneben ist geplant, die Schulen in den Gemeinden mit Glasfaseranschlüssen zu versor- gen und in Pilotprojekten auch Streusiedlungen im Außenbereich anzuschließen (St. Georgen, Unterkirnach, Tuningen, Furtwangen). Sind die Netze gebaut und die Glasfaser „ein- geblasen“, muss der Netzbetreiber die techni- schen Komponenten in den Verteilergebäuden einbauen und anschließen, um den Betrieb zu ermöglichen. Der Netzbetrieb wurde im Früh- jahr 2015 europaweit ausgeschrieben und im Mikrorohrverband für die Einführung von Glasfaser- kabeln mit diversen Verbindungsformteilen. Oktober 2015 schließlich durch den Zweckver- band vergeben. Das hohe Interesse an der Ausschreibung belegt, dass der Zweckverband mit seiner Ver- pachtungsstrategie richtig lag. Der Betreiber pachtet und betreibt das gesamte bestehende und in den nächsten Jahren entstehende Netz. Er muss gegen Entgelt auch andere Dienstean- bieter auf das kommunale Netz lassen (offener Zugang), so dass die Endkunden neben einem Leerrohre für die Backbone-Anbindung, auf jeder Rolle befinden sich zirka 800 Meter Kabel. Aus dem Kreisgeschehen 15 15


für die nächsten drei bis fünf Jahre darstellen lassen. Hinzu kommt, dass diese Technik nur bei einer Remonopolisierung der letzten Meile funktioniert, die bisher dem Wettbewerb geöff- net war. An unserer Vision, letztendlich möglichst alle Gebäude in Ortslagen im gesamten Land- kreis an Glasfaser anzuschließen, und dies über ein Netz in kommunaler Hand und offenem Dienstewettbewerb zu gewährleisten, wird das nichts ändern. Verkehrswege sind Wirtschaftsadern – Ausbau B 27 und Ortsumfahrung Behla kommen Funktionierende Verkehrswege sind die Voraus- setzung für eine weitere wirtschaftliche Ent- wicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis. Gerade im ländlichen Raum ist eine intakte Verkehrsin- frastruktur eine wichtige Grundvoraussetzung. Wie wichtig es ist, die Anliegen der Region ge- schlossen bei den zuständigen Entscheidungs- trägern zu vertreten, zeigt sich vor allem bei be- deutenden Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen. Nun trägt das Engagement aller Beteiligten Früchte: Die Bundesstraße B 27 zwischen Donau- eschingen-Mitte und Hüfingen-Wasserturm mit dem kreuzungsfreien Zubringer Allmendshofen und die Ortsumfahrung Behla werden nun endlich ausgebaut. Zudem ist ein Lärmschutz für das Neubaugebiet in Hüfingen geplant. Für Donaueschingen bedeutet der Ausbau der B 27 einen Rückgang des Durchgangsverkehrs, Chan- cen für die Umgestaltung des Umfeldes des Do- nauursprungs und mehr Verkehrssicherheit. Für Hüfingen, insbesondere den Ortsteil Behla, wird ebenfalls eine merkliche Verkehrsentlastung eintreten, ferner bieten sich Chancen zur wei- teren Entwicklung. Schon heute freuen sich alle Verantwortlichen auf den Spatenstich Mitte des Jahres 2016. Für den weiteren Verlauf der B 27 werden wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen, dass auch die Ortsumfahrungen bei Zollhaus und Randen dem vordringlichen Bedarf zuge- ordnet bleiben und planerisch vorangetrieben werden. Die Bundesstraße B 27 zwischen Donau eschingen- Mitte und Hüfingen-Wasserturm mit dem kreuzungs- freien Zubringer Allmendshofen und die Ortsumfah- rung Behla werden nun endlich ausgebaut. breiten Leistungsspektrum und attraktiven Tari- fen auch eine gute Diensteauswahl für Internet und Fernsehen haben werden (nähere Informa- tionen unter www.breitband-sbk.de). Die Ausbauaktivitäten des Zweckverbands haben dazu geführt, dass nun – nach jahrelan- gem eher mäßigem Engagement – auch eta- blierte Betreiber begonnen haben, die Versor- gung zu verbessern. Allerdings setzen diese im Bereich der „letzten Meile“, vom Kabelverzwei- ger bis ins Haus, auf eine Verbesserung der be- stehenden Kupfertechnologie, auch Vectoring genannt. Maßgebliche Experten und Studien bestätigen, dass sich damit flächendeckende Höchstleistungsnetze mit Übertragungsleis- tungen von einheitlich mindestens 50 Mbit/s nicht verwirklichen und nur Zwischenlösungen 16 Aus dem Kreisgeschehen


Vertragsunterzeichnung zum Projekt Breisgau-S-Bahn 2020 in Freiburg, vorne v. links: Michael Groth (Lei- ter DB-Regionalbereich Südwest, Verkehrsminister Winfried Hermann, Oberbürgermeister Dieter Salomon (ZRF-Vorsitzender), Frank Sennhenn (Vorstandsvorsitzender DB Netz AG), Dirk Rompf (DB-Vorstand Netzpla- nung und Großprojekte, (hinten) Landrat Hanno Hurth (Landkreis Emmendingen), Landrat Sven Hinterseh (Schwarzwald-Baar-Kreis) und Landrätin Dorothea Störr-Ritter (Breisgau-Hochschwarzwald). Außerdem müssen wir unser Anliegen, eine leistungsstarke Ost-West-Verbindung zu schaffen, weitertreiben. Die Ortsumfahrung VS-Villingen mit dem Lückenschluss der Bun- desstraße B 523 ist für unsere Wirtschaftsun- ternehmen von großer Bedeutung. Der aktuelle Projektstand gestaltet sich so, dass die Trasse raumplanerisch vorgeplant und wichtige Vorar- beiten erstellt sind. Die Genehmigungsplanung durch das Land stockt derzeit wegen der Fort- schreibung des Bundesverkehrswegeplans. Wir setzen uns dafür ein, dass die Maßnahme in den vordringlichen Bedarf eingestuft und endlich weitere Planungsschritte durch das Land freige- geben werden. Meilenstein: Ab 2019 von Villingen nach Freiburg Bahnfahren ohne Umsteigen Das Projekt Breisgau-S-Bahn 2020 hat mit der Unterschrift der Finanzierungsverträge durch die Projektbeteiligten im Juli einen weiteren Meilenstein zu Verwirklichung erreicht. Zum Jahreswechsel 2019 soll die Vision einer durch- gehenden Zugverbindung zwischen den beiden Oberzentren Freiburg und Villingen -Schwen- ningen Realität werden. Dann sollen elektrisch betriebene Züge zwischen Freiburg und VS-Vil- lingen umsteigefrei unterwegs sein. Mit der Elektrifizierung des östlichen Ab- schnitts der Höllentalbahn soll ab 2019 die bestehende Lücke zwischen Neustadt und Donaueschingen geschlossen werden, so dass es künftig möglich sein wird, von Breisach bzw. Riegel über Freiburg und den Hochschwarzwald umsteigefrei in komfortablen Elektrozügen in den Schwarzwald-Baar-Kreis zu fahren. Die Züge der Breisgau-S-Bahn werden nach Umsetzung des Projekts im Schwarz wald-Baar- Kreis die Bahnhöfe in Döggingen, Hüfingen, Donaueschingen und VS-Villingen im Stunden- takt bedienen. Gleichzeitig wird das Land auf seine Kosten das Fahrtenangebot am Morgen Aus dem Kreisgeschehen 17


(erste Zugankunft in VS-Villingen vor 7 Uhr) so- wie am Abend (späte Abfahrt ab Freiburg nach 22.40 Uhr) gegenüber heute ausweiten. Damit wird die seit vielen Jahren erho bene politische Forderung aus dem Schwarzwald- Baar-Kreis und dem Landkreis Breisgau-Hoch- schwarzwald erfüllt, die Oberzentren Freiburg und Villingen-Schwenningen im Schienenver- kehr umsteigefrei miteinander zu verknüpfen. Eine gut ausgebaute Ost-West-Achse über die Höllentalbahn bindet den Schwarzwald- Baar- Kreis optimal an Freiburg und das südliche Rheintal an und erhöht damit auch die Attrakti- vität des Schwarzwald-Baar-Kreises als Wohn- und Wirtschaftsstandort. Eine Untersuchung des Landratsamtes hat ergeben, dass etwa 95 Prozent der Einwohner des gesamten Schwarzwald-Baar-Kreises dann mit maximal einem Umstieg mit der Breisgau- S-Bahn nach Freiburg und zurück gelangen kön- nen. Für den Schwarzwald-Baar-Kreis ist der Ausbau der Breisgau-S-Bahn mit einem kom- munalen Finanzierungsanteil von rund elf Milli- onen Euro eine enorme Investition in die Infra- struktur. Den positiven Effekt dieser Verbin- dung werden wir in der Wirtschaft, im Touris- mus und in vielen weiteren Bereichen spüren. WanderParadies Schwarzwald und Alb startet Für Wanderer war der Schwarzwald-Baar-Kreis mit seinen beiden Naturräumen Schwarzwald und Baar stets schon attraktiv. Seit Juli wurde diese Attraktivität nochmals gesteigert. Das WanderParadies Schwarzwald und Alb (Koope- ration des Schwarzwald-Baar-Kreises mit dem Landkreis Rottweil) ging im Sommer offiziell an den Start. Ausgewählte Wanderrouten wurden neu geschaffen und werden in unserer neuen Wanderbroschüre „ParadiesTouren im Rad- und WanderParadies Schwarzwald und Alb“ vorgestellt. Die ParadiesTouren wecken schon durch ihre Beschreibung die Wanderlust und Entdeckerfreude. Das WanderParadies erstreckt sich über eine Region, die vielfältiger kaum sein könnte: hier treffen Schwarzwald und Schwä- bische Alb auf die Ursprünge von Donau und Neckar. Zu grünen Wäldern und schroffen Fels- formationen gesellen sich malerische Flussland- schaften und Hoch ebenen wie die Baar oder das obere Gäu. Wer sich auf einer der „ParadiesTouren“ auf Wanderschaft begibt, erkundet die schönsten Landschaften und Wanderstrecken zwischen Sulz am Neckar und Blumberg sowie Schonach im Schwarzwald und Rottweil. Die besonders attraktiven Wanderrouten wurden in Anleh- nung an die Qualitätskriterien für Wanderwege in Kooperation mit den Städten und Gemeinden sowie den Wandervereinen Schwarzwaldverein und Schwäbischer Albverein geplant. Viele der Touren erfüllen die strengen Kriteri- en für Premium- und Qualitätswege und wur- den entsprechend zertifiziert. Nahezu alle Para- diesTouren sind als Rundweg konzipiert und zwischen sechs und 20 Kilometer lang. So kön- nen Wanderer die ParadiesTouren bequem an ei- nem halben bis ganzen Tag zurücklegen und wie- der zum Ausgangspunkt der Route zurückkehren. Zehn zertifizierte Touren Zehn zertifizierte Touren können Wanderer im Schwarzwald-Baar-Kreis erleben. Eine dieser Routen ist der Qualitätsweg „Balzer Herrgott Runde“. Der Wanderweg führt zur Gütenbacher Christusfigur, die in eine Weidbuche einge- wachsen ist und zur bekannten Neukircher Hexenlochmühle, eines der beliebtesten Foto- motive aus dem Schwarzwald. Der Genießerpfad „U(h)rwaldpfad Rohr- hardsberg“ führt als Premiumwanderweg durch das Naturschutzgebiet Rohrhardsberg und bie- tet alles, was den Schwarzwald ausmacht – und noch viel mehr. Kuckucksuhren in allen Formen und Farben dienen den kleineren Waldbewoh- nern als Brut- und Nistplätze. Naturnahe Pfade durch idyllische und ab- wechslungsreiche Waldpassagen lassen sich bei einer Wanderung auf dem Genießerpfad „Wald- pfad Groppertal“ erkunden. Die Paradiestour „St. Georgener Heimat pfad“ startet auf dem Marktplatz und führt zunächst zum Klosterweiher und zur Brigachquelle. Die 18 Aus dem Kreisgeschehen


Unterwegs auf dem Genießerpfad „Gauchachschlucht“ – ein Erlebnis für die ganze Familie, spannend auch für Kinder. Brigach bringt mit der Breg bekanntlich „die Donau zuweg“. Einen herrlichen Panoramablick bietet sich dem Wanderer auf dem Qualitätsweg „Prisen- tal“ mit typischen Schwarzwaldhöfen. Ganz in der Nähe der Wandertour liegen die Triberger Wasserfälle und der Geburtsort der Kuckucks- uhr: Schönwald. Der Genießerpfad „Himmelberg-Runde“ beginnt in Bad Dürrheim-Öfingen und bietet himmlische Aussichten durch eine Fernsicht über die Baar bis hin zum Feldberg und bei kla- rem Wetter sogar bis zu den Schweizer Alpen. Eine Wanderung durch das Quellgebiet der Donau wird mit der ParadiesTour „Quellregion Donau Runde“ geboten. Entlang der beiden Donauquellflüsse Brigach und Breg verläuft diese landschaftlich und kulturell abwechs- lungsreiche Rundwanderung über die Baar ab Donaueschingen. Nach dem Motto „Naturnah erleben“ geht es bei der Paradiestour „Gauchachrunde“ span- nend zur Sache. Hier kann ein Urwald-Canyon zu Fuß erforscht werden – urig und wild. Der Genießerpfad „Gauchachschlucht“, der durch das wildromantische Naturschutzgebiet führt, ist ein relativ kurzer (5,6 Kilometer) aber anspruchsvoller Premiumweg. Es müssen Berg- bäche und Wildwasser überquert werden, zum Teil mit, zum Teil aber auch ohne Handlauf. Holzbrücken und enge, anspruchsvolle Pfade wecken die Abenteuerlust der Wanderer. Der Genießerpfad „Sauschwänzle-Weg“ bei Blumberg ist ein besonderes Naturerlebnis und er bietet mit der Sauschwänzlebahn die perfek- te Kombination aus Bewegung und Erlebnis. Entlang des Weges wird der Schwarzwälder Schinken präsentiert. An drei informativen Sta- tionen werden die Historie und die Herstellung des bekannten Erzeugnisses vorgestellt. Aus dem Kreisgeschehen 19


40 Jahre Almanach Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch feiert Jubiläum Er ist Chronist des Schwarzwald-Baar-Kreises, fungiert als kollektives Gedächtnis einer gesamten Region: Ohne das Jahrbuch „Almanach“ könnte kaum ein für den 1973 gegründeten Landkreis bedeutendes Ereignis mit einem bloßen Griff in den Bücherschrank nachgeschlagen werden. Im 40. Jahr seines Bestehens ist die Suche im „Almanach“ nach regionalen Themen unter www.almanach-sbk.de ab sofort auch online möglich. Die Inhalte von über 10.000 Buchseiten können durchsucht werden! 1977 20 2. Kapitel – 40 Jahre Almanach


Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch feiert Jubiläum 2016


ten? Welches Motiv würde sich als Titelbild des Almanach eignen? Welche Ereig- Ist der Landkreis in seiner Gesamtheit ausgewogen im neuen Jahrbuch vertre- nisse im Jahreslauf sind so bedeutend, dass sie im Schwarzwald-Baar-Jahrbuch ihren Niederschlag finden müssen? Und last but not least: Wer wird im Rahmen des Schwerpunktthemas „Da leben wir“ porträtiert? Jede Ausgabe des Almanach präsentiert sich als ein kreisweiter bunter Mix – zeigt auf, wie facettenreich das politische, wirtschaftliche, kulturelle und sportliche Leben in einem der großen Land kreise von Baden-Württemberg ist. Die Weichen hierzu stellt die Almanach- Redak tion, die das gesamte Jahr über Themen sammelt und sich zu redaktionellen Inhalten austauscht. An der Spitze der Redaktion steht Landrat Sven Hinterseh – auf vielfältige Weise unterstützt wird er durch Wilfried Dold, Redakteur (wd), Kristina Diffring, Referentin des Landrats, Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv, Susanne Bucher, Leiterin Infor- mations- und Kulturamt Stadt Hüfingen und Dr. Joachim Sturm, Kreisarchivar. In früheren Jahren waren es neben dem jeweiligen Landrat Schulamtsdirektor Helmut Heinrich, Redakteur Dr. Lorenz Honold, Realschuloberlehrer Karl Volk, Julia Weiss, Referentin für Öffentlichkeits- arbeit, Hans-Werner Fischer, Dipl.-Bibliothekar, und Willi Todt von Todt-Druck, die sich in die Redak tionsarbeit einbrachten. einen festen Stamm an erfahrenen Redaktions- mitgliedern und Mitarbeitern. Und natürlich: Wer den Schwarzwald-Baar-Kreis nicht wie seine Westentasche kennt, zumindest einen Großteil davon, wäre in diesem eingespielten Team schlicht fehl am Platz. Bis alle Inhalte des 320-seitigen Jahrbuches konzipiert sind, ist es meist Sommer. Derweil hat im Vöhrenbacher dold.verlag das Layout der Schwerpunktthemen bereits begonnen. Autor, Fotograf und Layouter arbeiten eng verzahnt: Erst wenn der Text vorliegt, lässt sich absehen, welche Fotos beim Lesen des Beitrages erwartet werden. Die Beschaffung der Fotos in hoher Qualität ist eine Herausforderung – oft werden sie eigens für den Almanach fotografiert. Ein Dankeschön an Autoren und Fotografen Was wäre eine Redaktion ohne Autoren? Sie sind zusammen mit den Fotografen die inhalt- liche Stütze bei der Produktion des Schwarz- wald-Baar-Jahrbuches. In den vergangenen 40 Jahren waren über 250 Autoren und Fotografen am Zustandekommen des Almanach beteiligt. Nach wie vor ist den Autoren und Fotografen im Landkreis die Mitarbeit am Jahrbuch auch ein persönliches Anliegen: Man freut sich darüber, zum Kreis der Jahrbuch-Autoren zu gehören. Die Herstellung eines Jahrbuches ist ar- beitsintensiv und komplex – es braucht dazu Großartige Hilfe durch Spender Die Text- und Bildarbeit leisten oft hauptbe- rufliche Autoren und Fotografen. Die Spenden von Unternehmen und Privatpersonen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis zur Herstellung des Almanach machen es möglich, dafür ein Anerkennungshonorar zu bezahlen. Ohne diese Förderung und die maßgebliche Unter- stützung seitens des Kreistages – des Schwarz- wald-Baar-Kreises somit – wäre die Herausgabe des 320-seitigen Buches zu einem Verkaufspreis von 16,50 Euro nicht möglich. Sowohl der je- 22 40 Jahre Almanach


Die Almanach-Redaktion (v. links) mit Landrat Sven Hinterseh an der Spitze. Weitere Redaktionsmitglieder sind Susanne Bucher, Wilfried Dold, Kristina Diffring, Joachim Sturm und Heike Frank. weilige Landrat als auch der gesamte Kreistag über alle politischen Grenzen hinweg gelten als großartige Unterstützer des Jahrbuches, das in dieser Form als einzigartig gilt. Rund 4.500 Ex- emplare werden alljährlich abgesetzt, ein Groß- teil davon über den Buchhandel im Landkreis. Und doch ist der Almanach längst auch in die digitale Welt eingetreten: Seit 2013 kann man ihn im AppStore erwerben und seit der Ausgabe 2015 in nahezu allen Stores, die ePaper-Ausgaben von Büchern anbieten. Ebenso informiert ein Internetauftritt unter www.almanach-sbk.de über die Inhalte des je- weils aktuellen Almanach. Weiter gestattet der Internetauftritt einen Einblick ins Archiv des Jahrbuches. Um den Abverkauf der aktuellen Ausgaben nicht zu beeinträchtigen, sind die jeweils fünf letzten Bände des Almanachs von dieser Online-Suche ausgenommen. Diese Suchfunk tion ist eine he- rausragende Quelle für jeden, der zu regionalen Themen tiefergehende Informationen sucht. In letzter Minute… Auch wenn das Jahrbuch noch so gewissenhaft vorbereitet ist – es gibt stets Ereignisse, die aus aktuellem Anlass erst wenige Tage vor Druck aufbereitet werden können. Sei es die Wiederin- betriebnahme der Linachtalsperre in Vöhren- bach im Jahrbuch 2008, die Landesgartenschau im Almanach 2011 oder die Einweihung des Schwarwald-Baar-Klinikums im Almanach 2014. In solchen Fällen gilt für die Almanach-Redak- tion und das Team des dold.verlages: „Wir und der Almanach sind in Druck…“ Denn auch wenn es in der Regel keinen streng fixierten Tag gibt, zu dem der Almanach vorzuliegen hat – recht- zeitig zum Weihnachtsgeschäft muss er auf dem Markt sein, denn als Geschenk ist er geschätzt. Landrat Sven Hinterseh jedenfalls freut sich zusammen mit seinem Redaktionsteam Jahr für Jahr immer wieder neu auf den Almanach – und vor allem seit nunmehr 40 Jahren die stattliche, kreisweite Leserschar. Wilfried Dold Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch feiert Jubiläum 23


„Schwarzwald-Baar“ – Identität in aller Welt Heimat Schwarzwald- Baar Dr. Rainer Gutknecht Landrat von 1973 – 1996 24 24


Im Dialog mit drei Landräten über das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Almanach und das, was Heimat ausmacht! Sven Hinterseh Amtsantritt am 1. Juni 2012 Karl Heim Landrat von 1996 – 2012 25


Im Gespräch über „40 Jahre Almanach“ und das Thema „Heimat“, der erste Landrat des Schwarzwald-Baar- Kreises Dr. Rainer Gutknecht (links), sein Nachfolger Karl Heim (rechts) und der amtierende Landrat und Vorsit- zende der Almanach-Redaktion Sven Hinterseh. Auf dem höchsten Punkt des Schwarzwald-Baar-Kreises, dem 1.164 Meter hohen Rohrhardsberg bei Schonach, zeigen sich die früheren Landräte Dr. Rainer Gutknecht (1973 – 1996) und Karl Heim (1996 – 2012) sowie Landrat Sven Hinterseh (Amtsantritt am 1. Juni 2012) in einer Gesprächsrunde im Gasthaus „Schwedenschanze“ überzeugt, dass das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Alma- nach einen wertvollen Beitrag zum Zusammenwachsen der früheren Landkreise Villingen und Donaueschingen leisten konnte. Ihr Fazit mit Blick auf das 40-jährige Bestehen des Almanachs: Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch ist eine nicht ersetzbare Chronik des Landkreises, es prägt das Bild, das wir von unserer Heimat haben, viel- fach mit. Überhaupt „Heimat“ – was ist das? Die Gesprächspartner der Almanach- Redak tion sind sich einig: Daheim fühlt man sich dort, wo einem die Menschen in ihre Gemeinschaft aufnehmen – Heimat ist somit entschieden mehr als eine Land- schaft oder die eigenen vier Wände. Und egal, wo man sich auf der Welt befindet: An „Daheim“ erinnert fühlen sich Menschen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis auch immer dann, wenn sie ein Kfz-Kennzeichen entdecken, das mit „VS“ beginnt. 26 40 Jahre Almanach


Heimat ist, wo man sich wohlfühlt. Wo fühlen Sie sich wohl, wo sind Sie daheim? Dr. Rainer Gutknecht: So schön fremde Län- der auch sind – zu Hause fühle ich mich im Schwarzwald-Baar-Kreis. Ich reise meist mit der Bahn, das letzte Stück des Heimweges somit auf der Schwarzwaldbahn. Wenn bei Triberg die Tunnelstrecken beginnen, wenn Bauernhöfe, Wälder und Berge vorbeifliegen – wenn ich all das sehe, dann fühle ich mich wieder daheim. Heimat kennt natürlich viele Facetten, eine besonders wichtige ist die Kindheit. Als ich zwei Jahre alt war, ist meine Familie von Stutt- gart nach Rottweil umgezogen – erst kürzlich war ich anlässlich eines Klassentreffens wieder dort. Es war ein intensives, vertrautes Gefühl durch die Stadt zu streifen und meine alten Wege durch die Gassen aufzunehmen. Ich fühl- te mich als junger Bub. Doch besonders eng ist das „Daheimsein“ mit Menschen verbunden. Erst wenn man das Gefühl hat, man wird in ihre Gemeinschaft aufgenommen, fühlt man sich wirklich zu Hau- se, das habe ich so selbst erlebt. Karl Heim: Ich schließe mich dem an, wobei Heimat für mich die Region Schwarzwald- Baar-Heuberg ist. Besonders mein Geburtsort Boch ingen, mit ihm sind meine Kindheitserin- nerungen verbunden. Wann habe ich mich im Schwarzwald-Baar- Kreis das erste Mal so richtig daheim gefühlt? Ich würde sagen, als wir in unser neues Haus in Obereschach eingezogen sind. Als wir nach län- gerer Suche ein Grundstück gefunden und ein Haus gebaut hatten. Das war der Punkt, an dem ich mir sagte: „Jetzt hast du eine neue Heimat“. Obereschach ist eine überschaubare Ge- meinde mit funktionierendem Gemeinwesen und herzlichen Menschen. Und das macht den Heimatgedanken besonders aus, die Menschen um einen herum. Denn Heimat ist vor allem auch dort, wo man sich aufgenommen fühlt und sein soziales Umfeld hat. Nur dann schlägt man Wurzeln – in Obereschach ist das bei uns der Fall. Zur Person Dr. Rainer Gutknecht, 84 Jahre alt, ist mit drei Geschwistern in Rottweil aufgewachsen, wo sein Vater Bürgermeister war. Als die beiden Altkreise Donaueschingen und Villingen zueinandergefunden hatten, wurde der Jurist zum ersten Landrat des neuen Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt. Zu seinen Verdiensten zählen neben der Begründung des Jahr- buches Almanach zahlreiche, grundlegende Verbes- serungen bei der Infrastruktur im Landkreis, gerade auch im Schulwesen. Aber besonders der Bau des neuen Landrats amtes am Villinger Hoptbühl, das als vorbildlich gilt. Dr. Gutknecht war von 1973 bis 1996 und damit 23 Jahre lang im Amt (s. Almanach 1997). Karl Heim, 65 Jahre alt, amtierte vom 1. Juni 1996 bis zum 31. Mai 2012 als Landrat des Schwarzwald -Baar- Kreises. Der Dipl.-Verwaltungswirt (FH) studierte Verwaltungswissenschaften in Konstanz. Vor seiner Wahl fungierte er als Erster Landesbeamter und Stellvertreter des Landrates im Zollernalbkreis. Als Höhepunkte der 16-jährigen Amtszeit gelten u. a. die Optimierung der Verwaltungsstrukturen im Landratsamt, die Schaffung des Ringzugs und die maßgebliche Beteiligung am Bau des Schwarz- wald-Baar-Klinikums. Bei seiner Verabschiedung wird zudem die ausgleichende und sehr menschli- che Art seiner Kreispolitik mehrfach betont (s. dazu Almanach 2013). Sven Hinterseh, 43 Jahre alt, wurde am 26. März 2012 zum dritten Landrat des Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt. In den Jahren 2001 bis 2003 war der Jurist und Verwaltungswissenschaftler als Rechts- und Ordnungsdezernent bereits im Landratsamt in Villin- gen-Schwenningen tätig. Danach folgten von 2003 bis 2005 Stationen in Berlin bei der baden-würt- tembergischen Landesvertretung und von 2005 bis 2010 bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bis ihn sein Weg 2010 wieder zurück nach Baden-Württem- berg ins Staatsministerium nach Stuttgart führte. Dort leitete er die Grundsatzabteilung. Schließ- lich wechselte Sven Hinterseh ins Ministerium Ländlicher Raum und Verbraucherschutz, stand als Ministerialdirigent der Abteilung Naturschutz und Tourismus vor. Im Gespräch mit drei Landräten 27 27


Wie sehr der Schwarzwald-Baar- Kreis bereits unsere Heimat ist, zeigt uns die Heimkehr von Reisen: Wir freuen uns auf unser Zuhau- se: die Baar und den Schwarzwald – auf Pfaffenweiler. Sven Hinterseh Landrat seit 2012 Landrat Sven Hinterseh: Ich bin Südbadener, in Oberrotweil aufgewachsen, das ist ein Ortsteil der Stadt Vogtsburg im Kaiserstuhl. Wir hatten einen Wein- und Obstbaubetrieb – so fühlte ich mich schon früh auch in der Natur daheim. Ich erinnere mich besonders gerne an die Gerüche. Im Juni ernteten wir die Kirschen und verarbei- teten sie – ihr Aroma durchströmte das ganze Haus. Im Oktober hing der frisch-würzige Duft der Äpfel in der Luft. Im Winterhalbjahr brannten wir Schnaps. Ich habe ihn meist nicht getrunken, sondern gerochen – das ist ein wirklicher Genuss. Seit über drei Jahren trage ich Verantwor- tung im Schwarzwald-Baar-Kreis und wohne mit meiner Familie in Pfaffenweiler. In diesem Teilort von Villingen-Schwenningen fühlten wir uns sofort Zuhause. Wie sehr der Ort schon Hei- mat ist, zeigt uns die Heimkehr von Reisen: Wir freuen uns auf unser zuhause, an den Übergang von Schwarzwald und Baar – auf Pfaffenweiler. Das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Almanach hat dem neuen Landkreis zu mehr Identität ver- holfen, ihm ein Gesicht gegeben. Wie ist der Almanach entstanden? Dr. Rainer Gutknecht: Da muss ich an die Anfänge im Jahr 1973 erinnern, als der Schwarz- wald-Baar-Kreis aus den Altkreisen Donau- eschingen und Villingen begründet wurde. Vor allem im jetzigen Südteil des Kreises waren die Vorbehalte gegen das neue Gebilde spürbar. So suchte ich nach Möglichkeiten, das Verschmel- zen zu fördern. Ein Jahrbuch erschien mir als ideal, darin konnte man über viele Aspekte informieren – und regionale Bücher waren damals eine Seltenheit. Die Förderung des Hei- matgefühls war ein weiterer Aspekt – das hat sich überschnitten. Die Gelegenheit, die Anregung zum Alma- nach zu geben, bot sich in einem illustren Kreis: bei einem „Literarischen Abend“ am Dreikönigs- fest 1975 in Donaueschingen. Der Dichter und Reiseschriftsteller Max Rieple sollte die Aus- gestaltung des Jahrbuches übernehmen, doch seine Gesundheit ließ dies nicht mehr zu. Wie darf man sich die Anfänge der Buchproduk- tion vorstellen? Sie haben den Almanach damals von Hand produziert, noch mit Druckfahnen gearbeitet. Dr. Rainer Gutknecht: Allein konnte ich diese Arbeit nicht bewältigen und es gelang mir, den Schulamtsdirektor Helmut Heinrich für die Idee zu gewinnen. Er saß im Kreistag und vertrat in 28 40 Jahre Almanach


Vor allem im jetzigen Südteil des Kreises waren die Vorbehal- te gegen den neuen Landkreis spürbar. So suchte ich nach Mög- lichkeiten, das Ver- schmelzen zu fördern. Ein Jahrbuch erschien mir als ideal. Dr. Rainer Gutknecht Landrat von 1973 – 1996 der Redaktion die nördliche Kreishälfte. Zweiter Mitstreiter war Dr. Lorenz Honold, Redakteur bei der Badischen Zeitung in Donaueschingen. Honold war gebürtiger Riedböhringer, ein sehr gebildeter Mann. Der Almanach 1977 hatte 74 Seiten und einen Pappkarton als Umschlag. Die nächsten Ausgaben wurden bereits umfangreicher – der Erfolg war von Anfang an groß. Die Arbeit am Almanach beschäftigte mich das gesamte Jahr über. Es galt, Themen zu sam- meln, Autoren und Fotografen zu finden. Der ei- gentliche Umbruch in meinem Büro dauerte ein- einhalb Tage. Es war eine faszinierende Aufgabe, jedes Jahr ein neues Buch zu gestalten. Stets wa- ren wir darauf bedacht, die Kreisregionen gleich- gewichtig zu behandeln. In der Rückschau kann ich sagen: Insgesamt ist uns das gut geglückt. Aus Altersgründen schieden Dr. Lorenz Honold (1987) und Helmut Heinrich (1990) aus. Neu in das Team wurde 1988 Karl Volk, Grem- melsbach, berufen, 1990 wurde kraft Amtes Kreisarchivar Dr. Joachim Sturm Mitglied und 1996 Wilfried Dold, Vöhrenbach. Wenn ich sehe, was aus dem Almanach ge- worden ist, dann muss ich meinen Nachfolgern ein großes Dankeschön sagen – ich hätte nicht gedacht, dass es so gut weiter geht. Am Anfang gab es sicher Leute, die geglaubt haben, dieses Buch komme höchstens zweimal raus… Und in der Tat war die Geburt des Almanach eine schwierige, denn die Finanzierung war langfris- tig nicht gesichert. Die Herstellungskosten konnte man nicht allesamt auf den Preis umschlagen, der muss attraktiv sein. So hielt ich meine Verfügungs- mittel gut zusammen und konnte zudem Sponsoren für das Projekt gewinnen. Meinem Nachfolger Landrat Karl Heim gelang es schließ- lich, eine Haushaltsstelle für das Jahrbuch zu etablieren – ein großer Erfolg. Karl Heim: Ich glaube, gerade wenn man so etwas beginnt, hat man ordentlich Gegenwind, deshalb bewundere ich Sie, dass Sie es über Jahrzehnte durchgehalten haben, den Alma- nach auf diese Art und Weise zu produzieren. Sie haben es geschafft, den Almanach so zu verinner lichen, in der Bevölkerung und auch im Kreistag, dass ich als frisch gewählter Landrat 1996 fast bittend gefragt worden bin: „Herr Heim, wie ist es mit dem Almanach, werden Sie ihn weiterführen?“ So kam es, dass wir den Almanach durch eine eigene Haushaltsstelle fi- nanzierten. Als ich damals eingestiegen bin, war das auch der Zeitpunkt eines technologischen Sprungs, die drucktechnischen Möglichkeiten hatten sich grundlegend verändert. Im Gespräch mit drei Landräten 29


Als frisch gewählter Landrat wurde ich fast bittend gefragt: „Herr Heim, wie ist es mit dem Almanach – werden Sie ihn weiterführen?“ So kam es, dass wir den Almanach durch eine eigene Haushaltsstelle finanzieren konnten. Karl Heim Landrat von 1996 – 2012 Dr. Rainer Gutknecht: Der Almanach war für mich auch eine große menschliche Bereiche- rung. Ich traf viele Menschen, die ich ohne den Almanach nicht kennengelernt hätte. Auch des- wegen bin ich dankbar, dass es den Almanach gibt. Und die Themen sind bis zum heutigen Tag unerschöpflich. Der Almanach ist jetzt nach 40 Jahren ein wertvolles Nachschlagewerk für den gesamten Landkreis. Landrat Sven Hinterseh: Ich lernte den Alma- nach kennen, als ich 2001 im Landratsamt als Rechts- und Ordnungsdezernent arbeitete. Der Landrat hat die Mitarbeit mehr oder weniger positiv eingefordert, Karl Heim wollte, dass man sich da einbringt. Für mich war das selbst- verständlich, weil ich ein großer Freund von Büchern bin, sie begeistern mich. Ich bin sehr dankbar, dass Dr. Gutknecht die Idee und die Kraft hatte, das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch zu realisieren und dass Karl Heim den Almanach so engagiert fortführte. Viele Landräte und Kreistage beneiden uns um den Almanach. Es ist genau so, wie es meine beiden Vorgänger sagen: Wir haben ein Lexikon auf Zuwachs schaffen können, das einen ganz reichen Schatz darstellt. Der Almanach ist für mich nicht nur Verpflichtung, sondern auch Kür meiner Tätigkeit. Ich bin mir sicher, dass das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch einen identitäts- stiftenden Beitrag für den gesamten Landkreis leistet. Zurück zum Heimatgedanken, der mit dem Jahrbuch Almanach eng verknüpft ist. Die Renais sance des Heimatgedankens schließt mehr denn je unseren Dialekt ein. Sprechen Sie als „Zweitsprache“ schwarzwälderisch, alemannisch, schwäbisch oder hochdeutsch – und wann? Karl Heim: Dialekt ist für mich eindeutig ein Zeichen von Identität, mein schwäbisch- ale- mannischer Dialekt ist für mich meine erste Sprache. Wenn ich mich in meinem normalen Alltagsumfeld bewege, mit Menschen, die Dialekt sprechen, dann spreche ich ihn wie selbstverständlich auch. Dialekt bedeutet für mich Dazugehörigkeit zu diesem Raum, zu die- sem Umfeld, zu der Heimat, in der ich lebe – das ist für mich keine Frage. Wenn ich mich irgend- wo anders aufhalte, wenn ich offizielle Anlässe wahrnehme, dann ist meine „erste Fremd- sprache“ Hochdeutsch. Ich habe es immer als schade empfunden, wenn man jungen Menschen ihren Dialekt 30 40 Jahre Almanach


Das Gespräch zu „40 Jahre Almanach“ führten die früheren Land räte Dr. Rainer Gutknecht und Karl Heim sowie der amtierende Landrat Sven Hinterseh „auf dem Gipfel des Schwarzwald-Baar-Kreises“, im auf 1.130 Meter hoch gelegenen Gasthaus Schwedenschanze. Im „Schänzle“ wirtet die Familie von Anton Hettich (hinten, 2. v. rechts), der zusammen mit seinem Sohn Philipp (hinten rechts) den nahen Schänzlehof umtreibt. Vorne v. rechts: Karl Heim, Jakob, Julia Hettich, Rosalie, Margareta Hettich, Vincenz, Landrat Sven Hinterseh, Dr. Rainer Gutknecht und Wilfried Dold, der das Gespräch für die Almanach-Redaktion führte. ausgeredet hat, weil man der Meinung war, dass man ihnen etwas Gutes tut, wenn sie aus- schließlich hochdeutsch reden. Ich denke, man sollte beides unterstützen – und natürlich in der Schule ein möglichst fehlerfreies Hochdeutsch vermitteln. Dr. Rainer Gutknecht: Ich war zwölf Jahre im Rheinland, da konnte es am Anfang passieren, dass mein Gegenüber sagte: „Lieber Herr Gut- knecht, bitte sprechen Sie nochmal, wir ver- stehen Sie nicht.“ Ich habe mich dann bemüht, hochdeutsch zu reden aber mit schwäbischem Einschlag. Das habe ich auch beibehalten. Es ist ein Kompromiss – man kann seine Herkunft nicht verleugnen. Wenn ich hoch- deutsch spreche, merkt man sofort, wo ich herkomme und das finde ich auch in Ordnung. Die Leute haben mein Schwäbisch-Hochdeutsch immer gerne gehört. Es ist aktuell auch bei jungen Leuten „cool“, die Heimat zu mögen. Im Kontrast dazu stehen die Landflucht und andere unliebsame Entwick- lungen. Was kann ein Landkreis tun, um diesen Wandel der Heimat zu gestalten, wie kann er auch im ländlichen Bereich eine ausreichende In frastruktur sichern – und damit zugleich der Landflucht entgegenwirken? Landrat Sven Hinterseh: Man darf den großen urbanen Räumen nicht eine kontinuierliche Entwicklung und allen Fortschritt ermöglichen und die ländlichen Räume quasi mit einer Kon- servierung überziehen. Wir befinden uns hier in der „Schwedenschanze“, in einem sehr schö- nen, urigen Lokal. Diesen Ort sollte man genau so erhalten! Aber flächig kann man natürlich ei- nen Landkreis, der im ländlichen Raum zu Hau- se ist, nicht konservieren – das wäre eindeutig falsch. Wir haben nach dem Grundgesetz den Im Gespräch mit drei Landräten 31


Auftrag, innerhalb Deutschlands für gleichwer- tige Lebensverhältnisse zu sorgen. Deswegen muss Entwicklung auch im ländlichen Raum möglich sein. Entwicklung heißt Veränderung. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Identität aufgeben müssen, dass wir irgendwo unsere Heimat verlieren. Wir leben in einer Region, die zu den wirtschaftsstärksten in Deutschland gehört, das ermöglicht uns einen relativ hohen Lebensstan- dard. Wenn Sie einen Schwarzwaldbauern vor 200 Jahren gefragt oder mal geschaut hätten, wie er sein Leben gestaltet, wie mühsam das war und wie hart er gekämpft hat, um sich das Überleben zu ermöglichen. Und wenn dieser Bauer jetzt auf seine Nach-Nachfolger schauen würde… Wir müssen immer noch alle hart ar- beiten, keine Frage, die Höhenlandwirtschaft ist immer noch sehr anstrengend und mit viel Aufwand verbunden, aber insgesamt kann man natürlich sagen, dass der Strukturwandel in die- sem Bereich schon sehr gut geschafft wurde. Und wir sind auch eine technologiestarke Region – das eine schließt das andere nicht aus, das ist mir wichtig. Man kann auch in moder- nen Räumen ein Heimatgefühl haben. Karl Heim: Unser Nachfolger Landrat Hinterseh hat eine Aufgabe, die sich von unserer stark un- terscheidet: Er darf den demografischen Wan- del mitgestalten. Das ist eine sehr schwierige, aber auch sehr spannende Herausforderung. Die öffentliche Hand muss dafür sorgen, dass nach wie vor optimale Rahmenbedingungen für unseren Alltag vorhanden sind. Die schönste Landschaft und die nettesten Menschen nützen mir gar nichts, wenn ich für meine Familie kein gutes Auskommen habe. Das heißt, ich muss heute dafür sorgen, dass beispielsweise eine Autobahn vorhanden ist – man muss eine solide Grundinfrastruktur gewährleisten. Und man muss die Identität der Menschen und ihr soziales Umfeld stärken. Auch Marketing ist wichtig: Wir müssen deut- lich machen, was wir zu bieten haben und wo unsere Stärken sind. Wir haben nicht alles, was eine Großstadt bieten kann, jedoch können wir andere Dinge vorweisen – beispielsweise siche- re Arbeitsplätze – und müssen uns nicht verste- cken. Das sollten wir gerade jungen Menschen vermitteln. Ich glaube, wir „verkaufen“ uns un- term Strich noch immer nicht gut genug. Millionen von Menschen sind weltweit auf der Flucht, über 4.000 Flüchtlinge leben im Schwarz- wald-Baar-Kreis. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass sich Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen bei uns heimisch fühlen können? Was brauchen sie für ein Umfeld? Dr. Rainer Gutknecht: Das ist eine sehr aktuelle Frage, da immer mehr Flüchtlinge kommen. Wenn sie keine menschliche Zuwendung er- fahren, dann werden sie sich immer heimatlos fühlen. Wenn sie das Gefühl haben, hier werde ich aufgenommen, auch mit meiner kulturellen Eigenart, dann entsteht ein Heimatgefühl. Deshalb ist es wichtig, dass Flüchtlinge sozial betreut werden. Karl Heim: Wir haben hier bei uns durchaus Erfahrung mit Integration, wir waren schon im- mer ein Durchgangsland. Der Ausländeranteil beträgt schon jetzt 20 Prozent, und wir haben zum Glück eine wirtschaftliche Situation, die es ermöglicht, diese Menschen in den Arbeits- prozess zu integrieren. Ich denke, die Voraus- setzungen sind nicht schlecht – was wir fördern müssen, ist die Bereitschaft, diese Menschen aufzunehmen. Und es braucht die Möglichkeit dazu, dass sie sich auch tatsächlich integrieren können. Ich sehe diese Entwicklung nicht negativ. Idyllen wie der Villinger Münsterplatz mit seinem Ringwaldbrunnen sind viel besucht und gehören zu den touristischen Besonderheiten im Landkreis. Landrat Karl Heim: „Auch Marketing ist wichtig. Wir müssen deutlich machen, was wir zu bieten haben und wo unsere Stärken sind.“ 32 40 Jahre Almanach


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Landrat Sven Hinterseh: Über 60 Mio. Men- schen weltweit sind auf der Flucht, das ist seit dem Zweiten Weltkrieg der Höchstwert. Wir alle müssen unseren Beitrag leisten, um Menschen, die auf der Flucht sind, ein neues Zuhause zu ermöglichen. Das ist eine enorme Herausforderung. Der Schwarzwald-Baar-Kreis bekommt derzeit um die 300 Flüchtlinge im Monat zugewiesen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass im Jahr 2015 über 800.000 Asyl- bewerber/innen nach Deutschland kommen. Das fordert uns als Gesellschaft sehr. Ich bin dankbar dafür, dass wir im Schwarzwald-Baar- Kreis eine sehr aktive Bürgerschaft haben. Über 100 verschiedene Nationalitäten leben allein in Villingen-Schwenningen Tag für Tag zusammen. Auch im Almanach 2015 haben wir uns die- sem Thema angenommen, weil unser Jahrbuch auch solche Themen behandelt. Der Almanach berichtet ebenso über Herausforderungen und Probleme. In unseren Großstädten sind die Menschen immer häufiger gezwungen, ihr vertrautes Umfeld in der Stadtmitte zu verlassen, weil sie sich dort im Alter den Wohnraum nicht mehr leisten können. Wie schätzen Sie die Situation in unserem Landkreis ein? Karl Heim: Ich glaube, das ist eher in den Groß- städten so und bei uns nicht das zentrale The- ma. Ich kenne solche Fälle jedenfalls hier nicht. Dr. Rainer Gutknecht: Ich sehe es ähnlich. Wenn ich an Bad Dürrheim denke, wo ich wohne, dort- hin kommen immer mehr ältere Leute. Ich habe nicht das Gefühl, dass dabei das Finanzielle die entscheidende Rolle spielt, sondern eher die Möglichkeiten der Pflege. Landrat Hinterseh: Die Gemeinden haben sich auf den Weg gemacht, über neue Wohnformen nachzudenken und diese umzusetzen. Überall tut sich was. Wir sind aufgefordert, Sorge zu tragen, dass die Bürger/innen auch in ihrem letzten Lebensabschnitt in ihrem Dorf leben können. Da müssen wir noch mehr machen, aber wir sind auf einem guten Weg. Altersarmut ist aber durchaus auch bei uns ein Thema. So müssen wir dafür sorgen, dass genügend günstiger Wohnraum besteht – mög- lichst auch in zentraler Lage. Zurück zum Thema Heimatgedanken. Was ist für Sie typisch „Schwarzwald-Baar“? Landrat Hinterseh: Der Schwarzwald-Baar-Kreis vereint die beiden Naturräume Schwarzwald und Baar, die gegensätzlicher nicht sein könn- ten, und in ihrer Schönheit trotzdem wieder verbindend sind. Die Baar als quasi Hochmulde ist relativ ausgeräumt, stark landwirtschaftlich geprägt, der Schwarzwald von Bergen und Tä- lern – und einer anderen Landwirtschaft. Diese 40 Jahre Almanach


naturräumliche Gegensätzlichkeit finde ich schon wieder anziehend. aussehen wird. Das ist ja das Besondere daran, dass sich das Buch entwickelt. Aber es ist natürlich so, wenn Sie über Tou- rismus reden, ist der Schwarzwald-Baar-Kreis keine eigene touristische Marke, sondern man geht in den „Schwarzwald“. Aber ich würde sa- gen: Der schönste Teil des Schwarzwaldes liegt natürlich im Schwarzwald-Baar-Kreis… Und wenn ich von Marken spreche: Für die rund 207.000 Einwohner in unserem Landkreis ist die bekannteste Marke sicher das Autokenn- zeichen „VS“. Gleich, wo Sie sich aufhalten: Immer wenn Sie dieses Nummernschild sehen, vermittelt es Ihnen ein Stück Heimatgefühl, begegnet Ihnen irgendwo auf der Welt der Schwarzwald-Baar-Kreis. Um auf den Almanach zurückzukommen: Wie sieht für Sie der Almanach der Zukunft aus, wie kann man ihn in unserer „digitalen Welt“ auch neuen Lesern nahebringen? Wie denken Sie, kann man das lebendig halten? Dr. Rainer Gutknecht: Indem man alle Themen, die es gibt, aufbereitet. Niemand kann sagen, wie der Almanach in den nächsten 20 Jahren Typisch für die Baar: Blick vom Wartenberg aus, im Vordergrund die junge Donau. Typisch Schwarzwald: Hexenlochmühle in Neukirch. Karl Heim: Das Erste ist natürlich, dass die In- halte stimmen müssen, der Almanach muss eine möglichst breite Schicht ansprechen. Was die Bildsprache anbelangt, ist das Jahrbuch bereits einzigartig. Aber man muss die Dinge eben aus der Sicht unseres digitalen Zeitalters betrachten: Das Internet ist das Medium, mit dem die jungen Leute heute umgehen. Die wol- len diese digitale Geschichte, und auch Rentner schauen ins eBook. Diese Entwicklung darf man nicht verpassen. Landrat Hinterseh: Das ist natürlich alles richtig. Es ist ein Prozess, dem wir uns auch im Redaktionsteam stellen, ich finde das sehr spannend und bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Den Sprung in das digitale Zeit- alter haben wir ja bereits gewagt. Wir stellen uns dieser Herausforderung und können zudem eine hohe Wertigkeit vorweisen. Was mir wichtig ist: dass wir mit 40 Jahren Almanach einen reichen Schatz an regionalem Wissen besitzen. Nicht jeder hat das Glück, wie z. B. ich oder meine beiden Vorgänger, dass man im Bücherregal alle 40 Bände stehen hat. Bevor ich zu einer Veranstaltung gehe, schaue ich, welche Beiträge es zu dieser Einrichtung oder Organisation im Almanach gibt – und bin er- staunt darüber, was man alles findet. Im Gespräch mit drei Landräten 35


Dr. Rainer Gutknecht Karl Heim Sven Hinterseh Es liegt mir viel daran, diesen Schatz für alle zu heben und ihn digital zugänglich zu machen. Deswegen haben wir die Digitalisierung aller Jahrgänge vorangetrieben. Mit Erscheinen der 40. Ausgabe kann man digital in den ersten 35 Jahrbüchern recherchieren. Wir werden jedoch immer die letzten fünf Jahrgänge der Druckfassung vorbehalten, beziehungsweise der entgeltlichen Digitalfassung, da wir auf die Einnahmen aus dem Verkauf angewiesen sind. Auf diesem Weg wird das breite Wissen demo- kratisiert. Dr. Rainer Gutknecht: Vielleicht passt das ganz gut hier her. Das erste „Bändchen“ hat zwei DM gekostet. Ich habe von einem Antiquar gehört, dass dieses erste „Bändchen“ heute für 30 Euro zu haben ist… Was wünschen Sie dem Almanach? Dr. Rainer Gutknecht: Dass er bestehen bleibt ist mein Hauptwunsch. Dass es möglichst viele Leser und Leserinnen gibt, die den Almanach jedes Jahr im Herbst erwarten. Und dass der Al- manach nicht stehen bleibt. Karl Heim: Ich wünsche mir, dass der Almanach weiterhin alle Facetten aufzeigt, die dieser wun- derbare Landkreis zu bieten hat, alle Regionen, alle verschiedenen Aufgabenbereiche und alle Vielfalt – dass er alles widerspiegelt, was den Schwarzwald-Baar-Kreis ausmacht. Natürlich ebenso, dass das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch begeistert, nur dann hat es auch eine Zukunft. Landrat Hinterseh: Ich wünsche mir, dass es uns als Redaktion gelingt, immer auch diesen Mix zu schaffen, der für Leserinnen und Leser inte- ressant ist, sodass das Schwarzwald-Baar-Jahr- buch gut aufgenommen wird. Dass wir so einen Beitrag leisten, der für den Schwarzwald-Baar- Kreis identitätsstiftend ist. Das Gespräch führte Wilfried Dold. Events wie der Triberger Weihnachtszauber locken tausende von Besuchern an – der Schwarzwald-Baar- Kreis hat viel zu bieten. Das Jahrbuch Almanach ist ein Spiegelbild davon. Was den Schwarzwald-Baar- Kreis insgesamt ausmacht, findet sich seit bereits 1977 Jahr für Jahr im Almanach. 36 40 Jahre Almanach


Im Gespräch mit drei Landräten 37


„Aus vielen, eines“ – Blumberg, eine außergewöhnliche Stadt Die Stadt zwischen Eich- und Buchberg befindet sich seit vielen Jahren im Aufbruch von Doris Rothweiler Über Blumbergs einzigartige Geschichte wurde schon viel geschrieben: Keine an- dere Stadt im Schwarzwald-Baar-Kreis sah sich jemals einer derartigen Zuwande- rungswelle ausgesetzt wie die Stadt zwischen Eich- und Buchberg. Hatte Blumberg 1936 noch zwischen 600 und 700 Einwohnern, platzte die Gemeinde bereits vier Jahre später buchstäblich aus allen Nähten. Mit 5.000 Einwohnern im Jahr 1940 hatte sich die Einwohnerzahl praktisch verzehnfacht. Häuser mussten aus dem Bo- den gestampft werden, ebenso Geschäfte, die den Bedarf der Bergleute, die in den Doggererzstollen schufteten, decken mussten. Mehrere tausend junge Männer und Familien aus Schlesien, dem Saarland, Hamburg und dem Ruhrgebiet mussten im Dienst der Dogger- erz-Bergbau GmbH in den Blumberger Erzgru- ben arbeiten, viele davon nicht freiwillig. Dass dies nicht immer ohne Konflikte blieb, kann man sich denken – doch alles in allem ist Blum- berg ein Paradebeispiel dafür, dass, den guten Willen vorausgesetzt, der amerikanische Leit- spruch „Aus vielen, eines“ (Out of many, one), auch auf der Baar gelten kann. Dies lässt sich in Blumberg an vielen Dingen ablesen. Die Zugereisten, von denen viele, auch nach Schließung der Doggererz-Bergbau GmbH, in Blumberg blieben, brachten neue Ideen und kulturelle Vielfalt in die Eichbergstadt. Ein Beispiel hierfür ist die Blumberger Nar- rengesellschaft. Hier treffen Elemente der rhei nischen und der alemannischen Fastnacht aufeinander und bringen einen bunten Mix aus heiteren Programmabenden nach dem Vorbild rheinischer Prunksitzungen und der ursprüngli- chen alemannischen Straßenfastnacht hervor. Ansonsten erinnern an die Zuwandererwel- le von vor mehr als siebzig Jahren nur noch wenige Straßennamen wie zum Beispiel die Schlesierstraße oder die Völklingerstraße. Die Gebliebenen sind Blumberger geworden- mit Leib und Seele. Und natürlich Denkmäler wie der „Schwarze Mann“ oder der Stadtbrunnen. Und last but not least die vergitterten Eingänge zu den Stollen. Der 1994 neu gestaltete Platz vor dem Kissigbau ist das Werk des Blumbergers Hans-Joachim Müller. Der Brunnen, eine Spende der Sparkasse im Jahr 1988 aus Anlass des 150-jährigen Bestehens, zeigt Motive zur Burg Blumberg, zur Bergarbeitergeschichte und zu Buch-und Eichberg. 38 3. Kapitel – Städte und Gemeinden


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Bürger und Stadtverwaltung ziehen an einem Strang Stadtverwaltung und Bürger lassen sich viel einfallen, um Blumberg aktuell, innovativ und attraktiv zu gestalten. Sowohl für Urlauber als auch Bürger konzipiert die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen, die aus engagierten Bürgern bestehen, immer neue Veranstaltungen und Einrichtungen, um die Stadt am Eichberg nahe am Puls der Zeit zu halten. Digitale Breitbandversorgung, neue Gewer- begebiete, zahlreiche Geschäfte und Discoun- ter, Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, die Anbindung an den Ringzug, ein zentralgele- genes Ärzte- und Gesundheitszentrum machen Blumberg attraktiv für junge Familien, die hier alles finden, was sie zum Leben und Arbeiten brauchen. Doch zu einer funktionierenden Inf- rastruktur gehören nicht nur Geschäfte, Betrie- be, Verkehrsanbindungen und Arbeitsplätze: In Blumberg ist auch für die Freizeit bestens gesorgt. In mehr als 150 Vereinen lässt sich der Feierabend abwechslungsreich nach jedem Ge- schmack gestalten. Das Angebot ist so bunt und vielfältig, wie man es sich nur wünschen kann. Von den Klas- sikern unter den Vereinen wie Musikvereinen, Chören, Sport-und Fußballvereinen einmal abgesehen, hat Blumberg zwei Ski-Clubs auf- zuweisen, so den Ski Club Blumberg e.V. und den Ski-Club Nordhalden, einen Tennisclub und einen Bogensportclub, dessen Trainingsgelände malerisch neben der Strecke der bekannten Mu- seumsbahn liegt. Doch auch für alle, die nicht in Blumberg leben oder sich nicht in Vereinen engagieren können oder möchten, bietet die Stadt das gan- ze Jahr über Anlässe, um zusammenzukommen und miteinander zu feiern. Fest etabliert hat sich der Ostermarkt, bei dem regionale Anbieter kulinarische Köstlichkeiten und Dekoartikel zum Osterfest beisteuern. Eine „Leuchtturmveranstaltung“ Blumbergs ist der Internationale Eichberg Cup. Dieses Tur- nier hat sich zu einem begehrten Wettbewerb gemausert, in dem sich die U-15 Nachwuchs- Zwischen Eichberg und Buchberg liegt die ca. 10.400 Einwohner große Stadt Blumberg. Ihre Ent- stehung geht auf das 13. Jahrhun- dert zurück. Die Stadtgründer, die Herren von Blumberg, sind erstmals im Jahre 1260 erwähnt. Die tatsächliche Entstehung Blumbergs wird aber weit vor die- sem Datum vermutet. Jedenfalls haben am Eichberg schon in der Steinzeit Menschen gelebt, wie archäologische Funde belegen. Die „amerikanische Stadt“, wie Blum- berg gelegentlich auch genannt wird, war 1942 für ein halbes Jahr auch die Heimat von Sophie Scholl, die als Mitglied der studentischen Widerstandsgruppe „Wei- ße Rose“ im Dritten Reich hingerichtet wurde. In Blumberg absolvierte sie ihren Kriegshilfsdienst im Kindergarten Bürgermeister von Blumberg ist seit 2010 Markus Keller. Zur Stadt gehören auch die Ortsteile Achdorf, Epfenhofen, Fützen, Hondingen, Kommingen, Nord- halden, Randen, Riedböhringen, Ried- öschingen und Zollhaus. Als Wirtschafts- standort profitiert Blumberg von seiner günsti gen Lage zur Schweiz und der Nähe zur A 81. spieler großer Vereine wie des SC Freiburg, der Stuttgarter Kickers, des TSV 1860 München, des VfB Stuttgart oder der Grashoppers Zürich mit- einander messen können. Ein neben der Museumsbahn über die Lan- desgrenzen hinaus bekannt gewordenes Event ist das Street-Art-Festival, das jedes Jahr im Juli Oben: In Blumberg findet sich ein wahres Meer an Siedlungshäusern. Unten: Impression vom Street-Art-Festival. 40 „Aus vielen, eines“ – Blumberg


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seinen festen Platz im Blumberger Veranstal- tungskalender gefunden hat und mit seinen eindrucksvollen Malereien tausende von Besu- chern in die Eichbergstadt zieht. Die bleibenden 3D Malereien sind das ganze Jahr über zu be- wundern und machen das ohnehin farbenfrohe Blumberg noch ein bisschen bunter. Im September folgt dann schon das nächste Highlight: Das Blumberger Straßenfest, das je- des Jahr am letzten Samstag der Sommerferien stattfindet. Auch die Kunstausstellung, die im September 2015 zum 36. Mal veranstaltet wird, zieht zahlreiche Kunstliebhaber aus dem gan- zen Schwarzwald-Baar-Kreis in die Stadthalle im Westen der Eichberggemeinde. Sauschwänzlebahn ist und bleibt der größte Besuchermagnet Größter Besuchermagnet ist aber immer noch die berühmte Sauschwänzlebahn. Obwohl die historische Bahnstrecke mit ihren vielen Kur- ven und Tunnels von Blumberg-Zollhaus nach Weizen für sich steht und viele Eisenbahnlieb- haber in die Eichbergstadt lockt, haben sich die Verantwortlichen wieder viel einfallen lassen, um die Attraktivität weiter zu steigern und die Fahrt zu einem spannenden und einzigartigen Erlebnis werden zu lassen. Ein Höhepunkt des Programms ist der Kin- dertag: Mit vielen jungen Gästen, die ihre Neu- gierde kaum zügeln können, startet die Bahn in Richtung Weizen. Der interessierte Nachwuchs stellt Fragen über Fragen, denn wie so eine Eisenbahn funktioniert, ist ein spannendes Thema und nicht nur die Jungs wollen mehr zur Bahntechnik erfahren. Genussvoll wird es in der Sauschwänzlebahn, wenn sie zur Whiskyfahrt bei Dudelsackklängen aufbricht. Es gibt viele weitere besondere Veranstal- tungen, die Blumberg bietet. Fest steht jedoch eines: Der Eventkalender ist ein gutes Beispiel dafür, dass Blumberg seine Möglichkeiten nicht nur nutzt, sondern auch ständig bemüht ist, für seine Besucher und Einwohner ein Angebot zu schaffen, das seinesgleichen sucht. Die Stadt am Eichberg ruht sich nicht auf dem Erreichten aus. Sanierung des Panoramabades Diese Haltung spiegelt sich auch in einem ande- ren Projekt wider, das Blumberg bereits im letz- ten Jahr angepackt hat. Es handelt sich um die Sanierung des bekannten Panoramabades mit seiner schönen Lage am Osthang des Eichbergs und seiner fantastischen Aussicht auf Blum- berg. Aus dem früher sportlich fokussierten Bad wird bis zum Mai 2016 ein Erlebnisbad für die ganze Familie. Eine ca. 35 Meter lange Rutsche wird neben zwei Massagedüsen, einem Wasser- pilz und zahlreichen weiteren Angeboten den Schwimmbadbesuch zu einem Spaß für Jung und Alt machen. Und wer die Sommermonate lieber aktiv verbringt, der kann sich in Blumberg auf zahl- reichen Rad-und Wanderwegen fit halten. Über das gesamte Stadtgebiet führen achtzehn Rundwanderwege, die zum Teil auch unter Füh- rung angeboten werden. Blumberg hat definitiv den Sprung ins 21. Jahrhundert mit Bravour geschafft. Bürger- meister Markus Keller: „,E pluribus – unum‘ oder ,Out of many, one‘ – der Wappenspruch der Vereinigten Staaten passt wie kein anderer auf unser Blumberg. Aus vielen Kulturen wuchs eine funktionierende Verbindung zwischen Kern ort und Ortsteilen, zwischen Alteingesesse- nen und Zugereisten, auf die ich sehr stolz bin. Die Geschichte Blumbergs beweist: Mit Zu- versicht, Einsatz, Charme und einem überaus starken Willen lässt sich so manche Hürde neh- men – und genau so wird Blumberg auch in die Zukunft gehen.“ Oben: Die Seilwinde katapultiert auf dem Blumberger Flugplatz ein Segelflugzeug in die Höhe. Unten: Die Sauschwänzlebahn bei Epfenhopfen. 42 „Aus vielen, eines“ – Blumberg


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Daheim im Schwarzwald und auf der Baar 46 52 Lioba Kühne Matthias Wiehle 66 70 Ingrid Schyle Albrecht Benzing 44 4. Kapitel – Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Auf die Frage, was und wo Heimat ist, folgt nicht selten mehr als eine Ant wort. Eines aber gilt für alle Frauen und Männer, die im Rahmen unserer Portrait serie „Daheim im Schwarzwald und auf der Baar“ vorgestellt werden: Sie fühlen sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis daheim. Das schließt nicht aus, dass sie überall auf der Welt unterwegs sind wie der Hüfinger Pilot Matthias Wiehle – oder an einem Ort ganz besonders hängen wie Ingrid Schyle am Skidorf Schonach. Die Landärztin Dr. med. Lioba Kühne praktiziert dort mit Herz und Seele, wo sie glücklich aufge- wachsen ist: in Furtwangen. Kunsttherapeutin Anke Jentzsch fühlt sich in Marbach bei ihren Bienen daheim, Geschäftsführer Laurent Lebas als gebürtiger Franzose in Villingen. Wie Bärbel Brüderle, die sich dem Erhalt der Muttersprache verschrieben hat. Und die Unternehmerin Ute Grießhaber hat als Kind der Doppelstadt heute in Obereschach ihr Zuhause. Albrecht Benzing indes ist Schwenninger – er hilft Flücht- lingen, bei uns eine neue Heimat zu finden. Heimat kennt viele Facetten. 56 62 Ute Grießhaber Laurent Lebas 76 82 Anke Jentzsch Bärbel Brüderle 45


Dr. med. Lioba Kühne Landärztin in Furtwangen von Elke Schön Sie ist eine Landärztin wie sie im Buche steht. Wer sich wie Dr. med. Lioba Kühne in Furtwangen im Schwarzwald als Hausärztin niederlässt, der hat es „nicht nur“ mit einem fast immer voll besetzten Wartezimmer zu tun, sondern der muss auch im strengsten Winter hinaus in die entlegensten Winkel. Lioba Kühne macht das nichts aus. Wer ihr begegnet, der spürt sofort: diese Frau ist eine Landärztin durch und durch. 19 Uhr an einem Dienstag im Wartezimmer der Allgemeinarztpraxis Dr. med. Lioba Kühne. Die Arzthelferin unterhält sich mit einer Patientin, das Wartezimmer ist leer. Ungewöhnlich um diese Zeit, wo sich doch sonst die Sprechstunde bis in den späten Abend hinzieht. Über dem Empfangstresen steht der Grund zu lesen: „Urlaub vom…“. Die Tür zu einem Behandlungs- zimmer steht halb offen, ein Patient wartet hier noch auf eine Impfung. Auf ihrem Weg dort- hin bittet mich die Ärztin, kurz zu warten und wendet sich klärend und beruhigend an eine Patientin, die verunsichert ist in Sachen Tablet- teneinnahme. So bleibt Zeit ein großes Bild an der Wand zu betrachten, das statt der üblichen Sehnsuchts- landschaft oder modernen Dekorationskunst fünf junge Frauen zeigt, die sich im blauen Dienstdress munter lächelnd zu einem Foto postiert haben. Das Bild hat das Team der Küh- ne-Praxis der Chefin zum Geburtstag geschenkt, erfahre ich gleich, und bin schon selber an der Reihe Platz zu nehmen in einem von zwei gro- ßen Fenstern erhellten Eckzimmer. Wie Recht sie hatte, mich auf die telefoni- sche Anfrage nach einem Interview hin genau auf den Vorabend vor dem Urlaub einzube- stellen! Zum Thema „ärztliche Versorgung im ländlichen Raum“ wird sie wahrhaftig einiges zu sagen haben und will sich dazu Zeit nehmen. Mir bleibt noch die Gelegenheit zum Blick nach draußen – auf den Hang gegenüber, wo sie aufgewachsen ist und auch heute wohnt. Von dort hätte sie nur wenige Minuten Fußweg zur Praxis, wenn sie nicht immer das Auto nehmen müsste, um jederzeit bei Notfällen in jedem noch so entlegenen Winkel zur Stelle sein zu können. Ganz gleich, ob es sich um einen ihrer eigenen Patienten handelt, oder einen ohne je- den Versicherungsschutz. Auch die gibt es noch und auch sie brauchen ärztliche Hilfe. Eine gebürtige Furtwangerin Hatte ich erwartet, einer Frau gegenüber zu sitzen, die von der Belastung eines langen Tages abgehetzt wirkt, überrascht mich jetzt, wie wach und gelöst sie sich mir zuwendet und gleich zu sprechen beginnt. Fragen meinerseits erübrigen sich, denn sie berichtet stringent ihren Werdegang, angefangen von einer glück- Dr. med. Lioba Kühne, Landärztin aus Furtwangen. 46 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


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lichen Kindheit und Jugend über die Studienzeit bis zu ihrer aktuellen Situation als vielgefragte Ärztin mitten in der Schwarzwald-Kleinstadt Furtwangen. Glasklar wird deutlich, worauf sich ihre vielbestaunten Erfolge und ihre Beliebtheit gründen: Als zweites von vier Kindern ist sie wohlbehütet und -gefördert in ihrer Geburts- stadt Furtwangen herangewachsen. Der Vater, Karl Stratz, Ingenieur und La- borleiter an der Hochschule, die damals noch Ingenieurschule hieß, und die Mutter, geborene Haberstroh, Bauerntochter aus dem Nonnen- bachtal, legten immer Wert auf einen gemein- samen Mittagstisch, bei dem jeder zu Wort kam, seine Erlebnisse erzählen und ausgiebig Probleme diskutieren durfte. Das Gymnasium zu besuchen, war den Kindern durchaus als Privileg bewusst, die Mutter hatte zu ihrem Leidwesen nie die Gelegenheit, zum Abschluss einer höheren Schulbildung zu kommen. Als Mädchen aus einem stillen Schwarzwaldtal hat- te man das Haushalten zu lernen, sich auf eine Heirat vorzubereiten und sich immer um die Älteren in der Verwandtschaft zu sorgen. Der jungen Lioba fiel schon früh die Verant- wortung für ihre jüngere Schwester und den Bruder zu. Wohl auch, weil sie über besondere Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen verfügte. Es wird berichtet, dass sie schon als Sechsjährige einmal einem Onkel, der zu Besuch war, auf den Kopf zu sagte :“Gell, Dir geht’s nicht gut, das seh‘ ich Dir an den Augen an“. In der Schule glänzte sie bereits früh beson- ders in den Fächern Biologie und Chemie, wurde auch von der Lehrerin darin bestärkt, diese Fächer in Freiburg zu studieren. Während der ersten beiden Semester dort begann bereits die Freundschaft mit Manfred Kühne, einem gebür- tigen Braunschweiger, der zum Studium nach Furtwangen gekommen war. Als dieser junge Ingenieur seine erste Stelle in Berlin bekommt, zieht sie mit, um dort an der Freien Universität ihr Studium fortzusetzen. Bald begeistert sie sich so sehr für die Me- dizin, dass sie sich gleichzeitig auch an dieser Fakultät einschreibt. Nach Abschluss des Medi- zin examens folgt ein praktisches Jahr an der Charité, später eine Assistentenstelle an der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf, das zu der Zeit führend ist in der Kinderkardiologie. Von dort will ihr Chef, ein Freiburger, sie nur ungern weglassen, als Manfred Kühne eine Pro- fessur für Sensortechnik in Furtwangen antritt. Natürlich geht sie mit ihm in ihre Heimatstadt. Hier aber durchlebt sie jetzt große einschnei- dende Veränderungen: Ihr Vater ist bereits 48 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Eine Landärztin, wie sie im Buche steht: Dr. med. Lioba Kühne am Empfang ihrer Praxis und bei der Ausbildung einer Arzthelferin. Sie demonstriert dem jüngsten Mitglied im fünfköpfigen Team, wie man den Blutdruck richtig misst. Was verschreibe ich, in welcher Dosierung? Ist eine Überweisung zum Facharzt sinnvoll oder eine Verlegung in eine Spezialklinik? Täglich tausend Fragen, die nach entschlossenen Maß- nahmen verlangen. Gewappnet mit Praxiserfahrungen wagt sie den Schritt in die Selbstständigkeit als Fachärz- tin für Allgemeinmedizin. Glücklicherweise kön- nen die beiden Söhne tagsüber in der Obhut der Großmutter sein und die Geborgenheit erleben, die der jungen Lioba so viel bedeutet hatte. Das bleibt sogar so, als Mutter Stratz mit ins neue eigene Heim zieht und ihrer Tochter noch viel an täglicher Hausarbeit abnimmt. Zudem weiß die Ärztin ihren Ehemann als fachliche Stütze (etwa in Sachen Medizintechnik) im Hinter- grund. Vor allem aber ist ihr klar, wie hilfreich sich die gründlichen Studien in Biologie und Chemie im täglichen Umgang mit Medikamen- ten erweisen. „Lernen hat mir schon immer einfach Spaß gemacht“ Die Wechselwirkungen und chemischen Vor- gänge der Medikation kann sie weit besser vorausberechnen, als so mancher „normal“ aus- gebildeter Mediziner, sie muss sich also nicht blind verlassen auf die gängige Pharmazie. Klar ist auch, dass sich Lioba Kühne in allen Richtun- gen weiterbildet. „Lernen hat mir schon immer einfach Spaß gemacht“, gesteht sie. Gründliche Kenntnisse in Akupunktur und Palliativmedizin eignet sie sich an und schafft es sogar, inner- halb von fünf Jahren nebenher die Ausbildung in Psychotherapie zu absolvieren. Spätestens jetzt, seit sie mit den unter- unheilbar krebskrank, sie pflegt ihn bis zum Tod. Ihr Sohn Carsten wird geboren, die Zwillings- schwester ihres Ehemanns stirbt 37-jährig in Berlin an Krebs, weshalb deren Mutter mit nach Furtwangen geholt wird, wo sie bald an Alzhei- mer erkrankt und für lange Jahre zum Pflegefall wird. Nun also wird der jungen Ärztin die andere Seite von Krankheit voll bewusst, das Leid, das Angehörige durchmachen, das Ohnmachtsge- fühl, nicht helfen zu können. Dieser Aspekt kam während ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn nur am Rande in den Blick. Schritt in die Selbstständigkeit In Furtwangen ist zunächst keine volle Stelle frei, sie macht Praxisvertretungen ringsum und übersteht die wohl härteste Prüfung ihrer praktischen Tätigkeit: Nachtdienste allein in einer Rehaklinik für Asthmapatienten. Was für eine andere Welt, verglichen mit einer Uni- versitätsklinik! Kein Kollege, den man um Rat fragen kann, kein Chef, der die nächsten Unter- suchungsschritte vorgibt, nicht der gewohnte Schutz in der Teamarbeit. Statt dessen sind ständig schnelle Entschei- dungen erforderlich: Welche Spritze setze ich? schiedlichsten Patienten und ihren Problemen Tag für Tag konfrontiert ist, erkennt sie, wie Dr. med. Lioba Kühne – Landärztin 49


dringend notwendig das gründliche Verständ- nis für jede einzelne Persönlichkeit ist, unter welchen sozialen psychischen und familiären Bedingungen die Krankheit ausbricht oder ein Leiden sich einschleicht. Daraus muss natürlich eine sorgfältige Abwägung der therapeutischen Maßnahmen erwachsen: Was ist gerade für diesen Menschen zumutbar, welche Methoden wird er, auf Grund seiner jeweiligen Situation und Persönlichkeits- struktur, ablehnen oder einfach nicht durchhal- ten können? Klar, dass es viel Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen erfordert, derart intensiv auf jeden Patienten einzugehen, was am ehes- ten noch in einer Kleinstadt oder ländlichen Region zu machen ist. Einleuchtend erscheint mir jetzt auch Lioba Kühnes Grundsatz, sich nach jedem Arbeitstag Rechenschaft darüber abzulegen, ob sie alle richtig, ihrem ärztlichen Gewissen entspre- chend, behandelt hat, und ob nicht jemand zu lang hat warten müssen. Immer wieder sind neue Denkmuster erforderlich. In diese natur- wissenschaftliche Vorgehensweise ist sie eben hineingewachsen, aber im gleichen Maß ist eine tiefe Empathie Grundvoraussetzung dafür, je- dem Patienten gerecht werden zu wollen. Die Persönlichkeit ist ausschlaggebend Dass sie das Glück hatte, beschützt und ge- borgen aufzuwachsen und gleichzeitig Fleiß, Leistung und Lust am Lernen herausgefordert wurden, betont die Ärztin immer wieder voller Dankbarkeit und versichert mir, sie würde alles, was sie bisher im Leben getan hat, wieder so machen wollen. Gleichzeitig ist ihr aber be- wusst, wie selten heute jungen Leuten so ein Werdegang gegönnt ist. Allein die Situationen in den Patchworkfamilien setzen der Entwick- lung von Kindern zu. Und wer kann sich schon Zeit nehmen, mit zusätzlichen Studienfächern sein Allgemeinwissen zu vertiefen, wer verfügt schon über so viel Selbstvertrauen und per- sönliche Stabilität, auch mit Kritik und Krisen fertig zu werden? „Ja, die Frau Kühne bringt es tatsächlich fertig, die Vertretungs- und Wo- chenenddienste der fünf örtlichen Allgemein- praxen zu organisieren, so dass alle damit leben können“, lobte einst ein Kollege, bevor er sich in den Ruhestand verabschiedete. Realistisch wie sie ist, weiß sie auch, dass die Entwicklung der Medizin weg von Provinzkran- kenhäusern hin zu Großkliniken unumkehrbar ist. Gerade in Furtwangen, das lange stolz ge- wesen war auf „sein“ Krankenhaus, muss sie noch immer viel Aufklärungsarbeit leisten, hat sie doch längst die Vorteile dieser Lage erkannt: Je seltener und je kürzer ihre Patienten eine Be- handlung in der Kreisstadt in Anspruch nehmen können, desto besser kann die Hausärztin sie und auch die Angehörigen individuell betreuen und, wie sie feststellt, auch schneller wieder ins Alltagsleben eingliedern. 21 Uhr ist es mittlerweile geworden und keine Spur von Müdigkeit ist zu spüren; muss denn, nach so gründlicher tiefgreifender Rück- schau auf das Leben dieser Landärztin über- haupt noch die Frage gestellt werden. nach dem Ausweg aus der „Misere der ärztlichen Versorgung auf dem Lande“? Lioba Kühnes Antwort hat sich herauskristallisiert: Die Per- sönlichkeit des Mediziners, der Medizinerin ist ausschlaggebend. Sinnvoller als die Zulassung zum Studium nach den Abitursnoten wäre ein Auswahlverfahren, das über die menschliche Eignung, also Empathiefähigkeit und Flexibilität Aufschluss gibt. Doch die eine Frage kann ich mir nicht versagen: „Wo nehmen Sie die Kraft her und den Schwung, den sogar Ihre Söhne be- staunen, wenn Sie morgens munter gelaunt zur Praxis gehen, haben sie noch Zeit für ein Hob- by?“ „Ich spiele schon immer sehr gerne Klavier und genieße so oft wie möglich Konzertbesuche in Freiburg“. Furtwangen im Schwarzwald, der Wirkungsort der Landärztin Dr. med. Lioba Kühne. 50 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


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Matthias Wiehle Der Lufthansa-Pilot schätzt seine Heimat Hüfingen nicht nur von oben von Gabi Lendle „Ich könnte auch in Kalifornien leben, aber in Hüfingen habe ich meinen Lebensmittelpunkt gefunden. Hier gefällt es mir und meiner Familie und hier fühle ich mich zu Hause“ das sagt der 46-jährige Pi- lot der Deutschen Lufthansa und dreifache Vater nicht nur so daher. Er hat durch seinen Beruf viele Kontinente, Länder, Städte und Gegen- den kennengelernt, die genauso viel Schönes bieten können. In Hüfin- gen ist er geboren und ist nach mehreren Lebensstationen wieder zu seinen Wurzeln zurück gekehrt, die er ohnehin nie ganz verlassen hat. 52 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Flugkapitän Matthias Wiehle auf dem Rollfeld vor der Lufthansa-Flotte und im Cockpit. Matthias Wiehle – Flugkapitän 53


Der Bezug zu seinen Eltern und seiner Familie in Hüfingen sind ihm sehr wichtig. Das Gefühl, dass seine Kinder hier eine umfassend gute Infrastruk- tur zum glücklichen Aufwachsen vorfinden, tut gut. Wiehle, der sich selbst als Familienmensch bezeichnet, schätzt die Nähe zu seinen langjäh- rigen Freunden, Bekannten und den Vereinen, in denen er selbst groß geworden ist. „Das alles sind positive Aspekte, die mein Leben bereichern“. Der berufsbedingte Ortswechsel bei Reisen in andere Länder und Städ- te, das kurzzeitige Leben im Hotel – und dann wieder die Rückkehr in die Heimat, verstärken noch das Gefühl, hier gut aufgehoben zu sein. „Es ist schön, immer wieder heimkehren zu können“, beschreibt er diesen glückli- chen Lebensumstand, mit dem auch seine Familie gut klar kommt. Klar zum Start: Für den Hüfinger Matthias Wiehle ging mit seiner Laufbahn als Pilot ein Kind- heitswunsch in Erfüllung. Bei der Lufthansa hat er bereits 14.500 Flugstunden ab- solviert. schiedenen Nachtests absolviert wer- den. „Die Bundeswehr wollte mich unbedingt haben, doch die Werte für diese hohen Anforderungen haben einfach nicht gestimmt“, erzählt der jetzige Kapitän der Deutschen Luft- hansa. Die Enttäuschung war riesig. Ohne große Hoffnung – sprich Motivation und Ehrgeiz – bewarb sich Matthias Wiehle dennoch an einer Ausschreibung der Lufthansa und reiste nach Hamburg, wo er ganz locker in die Prüfung ging. Einige Zeit später erhielt er die Einladung der Lufthansa, eine Ausbildung zum Pi- loten zu beginnen. Matthias Wiehle zögerte nicht lange: Zwar konnte er bei der Lufthansa keine Kampfjets steuern, aber immerhin lernte er flie- gen. Nach seiner teuren Ausbildung in Bremen und Phoenix/ Arizona hatte er nach zwei Jahren den Ver- kehrsflugschein in der Tasche. Meilensteine waren sein erster Alleinflug und sein erster Flug mit Passagieren. In Bremen werden die Fluganfänger theo- retisch geschult, zum Fliegen geht es nach Phoenix, wo das Wetter 360 Tage im Jahr nach Sichtflugregeln fliegbar ist. In Schardscha in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden die Landeanflüge geübt. Wenn man als junger Mensch soviel unterwegs ist, rückt die Heimat schon etwas in den Hintergrund. Doch nicht so bei Matthias Wiehle, der den Verbindungsfaden zu seinem Elternhaus, seinen Geschwistern und Freunden nie abreißen ließ. Über 4.400 Starts und Landungen Matthias Wiehle lernte die deutschen und eu- ropäischen Flughäfen kennen und pendelte in seinen ersten vier Berufsjahren zwischen der Main-Metropole Frankfurt und Hüfingen, wo auch seine Freundin lebte, hin und her. Weitere Lebensstationen waren Mainz und später Trier, wo er fast sesshaft geworden wäre. Doch es kam anders: Vor zehn Jahren suchte Matthias Den Berufswunsch „Pilot“ hatte Matthias Wiehle seit seiner Kindheit Matthias Wiehle hat sich während seiner Schul- laufbahn, erst in der Lucian-Reich-Schule Hüfin- gen und später auf dem Fürstenberg-Gymna- sium Donaueschingen, nie die Frage gestellt, was er einmal werden will. Er wusste es schon lange: Und zwar seit dem Zeitpunkt, als immer wieder Kampfjets der Bundeswehr tief über die Baar flogen und Matthias sie als Junge aus dem Dachfenster beobachten konnte. „Das will ich auch machen, wenn ich groß bin“, definierte er sein Ziel. Diesen Wunsch verfolgte er mit gro- ßem Nachdruck und bewarb sich schon im Alter von 17 Jahren, als er kurz vor dem Abitur stand, bei der Bundeswehr. Den theoretischen Teil für das Aufnahmeverfahren bewältigte er sofort. Nachdem er sein Abitur 1988 in der Tasche hatte, ging es zur Luftwaffe nach Ulm, wo er mit dem Grundwehrdienst begann. Beim medizi- nischen Test in Fürstenfeldbruck kam dann der Schock: Die Blutwerte gefielen den zuständigen Ärzten nicht und es musste eine Reihe von ver- 54 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Noch heute ist Matthias Wiehle ein aktiver Turner. An Fastnacht geht er als „Bärcheappeli“ auf die Straße. Wiehle wieder die Kontakte nach Hüfingen und lernte dabei seine Frau kennen. Seither reist er seinem Dienstplan entsprechend meist mit dem Zug nach Frankfurt und wieder zurück. Sein wechselnder Arbeitsplan sieht vor, dass er vier bis fünf Tage als Pilot in Europa im Einsatz ist und dann wieder ein paar Tage frei hat. Diese Tage nutzt er, um bei seiner Familie zu sein. Im Jahr 2005 erhielt er den vierten Strei- fen auf seiner Uniform und fliegt seither als Kapitän. 14.500 Flugstunden, 500 im Simulator sowie 4.400 Starts und Landungen hat er bisher auf verschiedenen Flugzeugtypen erfolgreich hinter sich gebracht. In all den Jahren gab es keine nennenswerten technischen Probleme an den Flugzeugen. Mehrmals im Jahr muss er im Simulator nachweisen, dass er das Flugzeug in allen Notsituationen beherrscht. Das erfordert eine strenge Disziplin, und bedeutet auch, im- mer wieder in die Lehrbücher zu schauen. Matthias Wiehle flog unter anderem auf einer Boing 747 um die ganze Welt. Wichtig sei es, die Zeitverschiebungen gut wegstecken zu können und, dass man auch im Cockpit in den Ruhephasen in der dafür vorgesehenen Kabine gut schlafen könne. Zudem müsse man über ausreichend Nervenstärke verfügen, um in schwierigen Situationen schnell die richtigen Handgriffe ausführen zu können. „Den meisten Stress haben wir allerdings am Boden bei der Flugvorbereitung, dem Wetter-Check, der ent- sprechenden Spritberechnung, dem Briefing, mit den Passagieren und mehr. „Wenn dann die Tür zum Flugzeug und Cockpit geschlossen wird, entspannt sich alles“, verrät der erfahrene Pilot. In Hüfingen wird viel geboten Groß geworden ist Matthias Wiehle in einer Fa- milie, in der Sport eine große Rolle spielt. Noch heute pflegt er die Mitgliedschaft im Turn- und Sportverein sowie der Hüfinger Kolpingsfamilie, soweit es sein Dienstplan zulässt. Der Flugka- pitän, der sich gerne draußen bewegt, findet dazu in Hüfingen optimale Bedingungen. Seine Vorlieben gelten dem Volleyball, Turnen, Moun- tainbike, Ski- und Snowboardfahren. Er liebt zu- dem Motorradtouren und geht zum Ausgleich in seinen eigenen Garten oder mit Vater Hubert mit dem Traktor nach Mundelfingen in den Wald zum Holz machen. „Für die Größe einer Stadt wie Hüfingen wird hier viel geboten. Wir haben ein Hallenbad, eine tolle Schullandschaft und auch genügend Kultur- Veranstaltungen in Form von Kunst, Theater und weiteren Events, sagt Matthias Wiehle, der an Fastnacht als Hüfinger „Bärcheappeli“ unter- wegs ist. Was will man mehr? Matthias Wiehle – Flugkapitän 55


Ute Grießhaber Unternehmerin – im Schwarzwald-Baar-Kreis daheim von Madlen Falke Das idyllische Obereschach zählt rund 1.800 Einwohner. Es geht ruhig zu in diesem Dorf, in dem es noch Bauernhöfe gibt, aber ebenso ein Neubaugebiet mit schicken Einfamilien- und Reihenhäusern. Sogar einen Bäcker finden die Bewohner noch vor und zwei gutbürgerliche Gasthöfe. Hier sagt man sich auf der Straße noch „Guten Tag“ und die Nachbarn kennen sich persönlich. Obereschach ist ein Teilort des Ober- zentrums Villingen-Schwenningen am Rand des Schwarzwalds. Ute Grießhaber lebt hier mit ihrem Mann – hat Ober eschach für sich als den idealen Rückzugsort ent- deckt. Das freundliche Reihenhaus und der kleine Garten zum Feldrand gelegen zeigen ein boden- ständiges und offenes Bild von Ute Grießhaber. Als Geschäftsführerin der Firma Weißer + Grieß- haber GmbH in Mönchweiler – ein kunststoff- verarbeitender Betrieb, der von ihren Eltern und Lothar Weißer im Jahre 1969 gegründet wurde – sind die Arbeitstage der sympathischen Managerin in der Regel lang. Sie trägt zusam- men mit Reinhard Fauser die Verantwortung für 250 Mitarbeiter. Menschen, deren Lebensmittel- punkt genauso in der Region liegt, wie der von Ute Grießhaber selbst. In der Region tief verwurzelt Ute Grießhaber ist in der Region tief verwurzelt und liebt ihre Heimat. Ihre Augen leuchten, wenn sie von der Heimat, vom Schwarzwald- Baar-Kreis, spricht. Im württembergischen Schwenningen geboren und in der Villinger Südstadt aufgewachsen, ist sie ein waschechtes Doppelstadt-Kind. Heute 55 Jahre alt, geht sie in ihrer Rolle der Geschäftsführerin voll auf – und das, obwohl es nie ihr Plan gewesen sei, in den elterlichen Betrieb einzusteigen, der sich vom kleinen Betrieb in einer Drei-Zimmer-Wohnung zu einem global agierenden Unternehmen ent- wickelt hat. Nach ihrem BWL-Studium an der Universität Pforzheim arbeitet Ute Grießhaber zunächst bei der IHK. Dort findet sie für sich rasch heraus, dass ihr Arbeit mehr als Spaß macht, sich ihre Tätigkeit als eine erfüllende Aufgabe mit span- nenden Herausforderungen erweist. Als ihr Mann sein Studium beendet, wartet auf das Paar aber zunächst die weite Welt: Für sieben Monate reist Ute Grießhaber mit ihrem Mann durch Kanada. „Das war eine sehr schöne Erfahrung für uns. Mehr als ein Mal haben wir uns überlegt, ob wir dort bleiben sollen. Doch Ute Grießhaber, Geschäftsführerin des Unterneh- mens Weißer + Grießhaber in Mönchweiler. 56 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar



irgendwann wurde uns immer klarer, dass wir Heimatmenschen sind und auch wieder zurück wol- len“, erzählt die 55-Jährige. In der Zeit im fernen Ausland, selbst im modernen Kanada, lernt die Unter- nehmerin nämlich einige deutsche Vorzüge sehr zu schätzen. „Hier ist wirklich beinahe alles vollkommen erschlossen. Mit dem Auto kommt man in Deutschland wirklich über- all hin. Auf jeder noch so kleinen Landstraße kommt irgendwann ein Gasthaus. Jeder Wald ist mit unzähligen Wegen versehen. Das ist so zum Beispiel in Kanada nicht üblich“, erzählt Ute Grießhaber. Sport als idealer Ausgleich zum anstrengenden Büroalltag Im Grünen schal- tet Ute Grießha- ber, die seit 1990 im Unternehmen arbeitet und seit 15 Jahren die Ge- schäftsführung inne hat, gerne einen Gang runter. Beim Wandern oder beim Heidelbee- ren und Pilze sammeln dreht sich das Zeitrad der Managerin langsamer und die Hektik des Alltags wird aus- geblendet. Alles gut zu erreichen, schätzt Grießhaber besonders deshalb, da sie in ihrer Freizeit viel auf Achse ist. Wenn es die Zeit erlaubt, verreist sie gerne. Das jüngste Ziel war Kala- brien und die Reise hat ihr einmal mehr verdeutlicht, wie angenehm es in Deutschland ist, eine gute Infrastruktur zu genießen. Viel auf Achse sein heißt für die Geschäftsführerin aber nicht, ein „mondänes Leben“ in Großstädten zu führen. Ute Grießhaber zieht es mehr in die Natur in ihrer direkten Umgebung. Die Obereschacherin mag es gerne sportlich und schlüpft deshalb in der Mittagspause oder direkt nach Feierabend in ihr pinkfarbenes Trainings-Outfit und schafft sich mit Sport einen idealen Ausgleich zum an- strengenden Büroalltag. So geht die 55-Jährige einfach aus der Bürotür oder der Haustür hin- aus und kann loslegen. Entweder sieht man sie laufen oder mit dem sportlichen Mountainbike über die Wege flitzen. „Gerade im Sommer ist das natürlich herrlich hier. Die frische Waldluft, der Blick über die Felder. Das ist einfach wun- derbar und gibt mir eine extra Portion Energie mit“, schwärmt Ute Grießhaber. Die unmittelbare Nähe zur Natur schätzt die Sportlerin besonders: „Ich bin, egal ob vom Büro oder von daheim aus, sofort im Grünen. Das genieße ich sehr.“ Im Grünen schaltet Ute Grieß- haber, die seit 1990 im Unterneh- men arbeitet und seit 15 Jahren die Geschäftsführung inne hat, gerne einen Gang runter. Beim Wandern oder beim Sammeln von Heidel- beeren und Pilzen dreht sich das Zeitrad der Managerin langsamer und die Hektik des Alltags wird aus- geblendet. Die vier Jahreszeiten, die am Rande des Schwarzwalds oft ein wechselhaftes Wetterbild malen, sind für die Natur-Genießerin eben- falls wichtig. „Jede hat ihre Vorzüge hier“, ist Ute Grießhaber überzeugt. Der Schwarzwald-Baar-Kreis hat viel zu bieten Im Schwarzwald-Baar-Kreis ver- misst die Unternehmerin auf pri- vater Seite im Grunde genommen nichts. Ein vielfältiges kulturelles Angebot, gerade im Bereich Jazz und Folk, hält die Region aus ihrer Sicht bereit. Ein persönliches Highlight ist für Ute Grieß- haber die Schwenninger Kulturnacht, die 2015 mit Abendtemperaturen von weit über 20 Grad schon eine mediterrane Note besaß. „Es gibt viele gute Sachen hier. Auch über die Kreisgren- zen hinaus. Hier würde ich mir manchmal einen breiteren Veranstaltungskalender wünschen, der mehr Überblick über einen größeren Radius verschafft. Aber sonst fehlt mir hier im Grunde nichts“, berichtet die 55-Jährige. Als besonders lebenswert empfindet die Obereschacherin die Region auch deshalb, weil sie so ideal liegt: Ruckzuck in den Alpen zu sein oder am Bodensee, das gehört für sie zur Le- bensqualität dazu. Das Ländliche als Rückzugs- ort zu genießen und trotzdem fast alles vor der 58 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Ute Grießhaber – begeistert von ihrem Wohnort Obereschach, der umliegenden Natur und den vielen Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Haustür zu haben, stellt für die Unternehmerin das Nonplusultra dar. Doch was für Ute Grieß- haber fast das Gelbe vom Ei ist, muss sie Fach- kräften, die sie für ihr Unternehmen gewinnen will, oft erst schmackhaft machen. „Da wird mir natürlich immer wieder klar, dass wir hier, so schön es auch ist, auf dem Land sind, und dies für viele zunächst nicht attraktiv erscheint. Ehefrauen tun sich mit dem ländlichen Raum oft besonders schwer Wenn auch der Bewerber vom Unternehmen oft überzeugt ist, sind es oft die Ehefrauen, die sich mit dem ländlichen Charakter unserer Gegend schwer tun“, berichtet Ute Grießhaber. Dann betreibt sie gerne Standort-Marketing und zählt im Nu alle Vorteile auf, die hier zwar manchmal versteckt, aber trotzdem da sind. Besonders der Wintersport ist für viele aus der Ferne dann ein Argument, das zieht. „Wer hierher ziehen will, der muss das schon aus Überzeugung tun. Nur ein großes Gehalt ist da Ute Grießhaber – Unternehmerin 59


„Dass ich mich als Frau in einer Männerdomäne bewege, ist mir noch nie zum Nachteil gewe- sen. Es ist wich- tig, das Know- How zu besitzen und mit Wissen zu überzeugen.“ stoffspezialist aus dem Schwarz- wald-Baar-Kreis extrem hohe Stückzahlen produzieren – und das bei einer Null-Fehler-Toleranz durch höchste interne Prüfkriterien. Die Branche, in der sich Weißer + Grieß haber bewegt, ist eine Män- nerdomäne und oft sind die Ver- handlungspartner verblüfft, wenn sie mit einer Geschäftsführerin ver- handeln sollen. „Doch das ist noch nie ein Nachteil gewesen. Es ist wichtig, das Know-How zu besitzen und mit Wissen zu überzeugen“, unterstreicht die 55-Jährige. Auch als sie 1990 in die Firma eintrat, war es wichtig für sie, alle Ab- teilungen zu durchlaufen und sich das jeweilige Fachwissen so gut es ging anzueignen. „Nur dann, wenn du zeigst, dass du mitschaffen kannst und nützlich bist, wirst du auch akzep- tiert“, betont Ute Grießhaber. Dabei hatte sie nie den Eindruck, dass es ei- ne Rolle spiele, dass sie eine Frau ist. Denn ihre Mutter habe das Unternehmen schon immer wesentlich mitgeprägt. Deshalb waren es die Mitarbeiter gewohnt, dass eine Frau die Verant- wortung übernehmen kann. „Meine Eltern sind ein großes Vorbild für mich. Natürlich nicht nur beruflich, sondern auch in vielen anderen Din- gen“, gibt Ute Grießhaber Einblick in ihre Privat- sphäre. Heimat, das ist eben nicht nur die Region oder die Landschaft, sondern ein Stück Identi- tät, die dort heranreift, wo man groß geworden ist und wo sich der Lebensmittelpunkt befindet. „Mein Lebensmittelpunkt ist eindeutig hier“, bekennt sich Ute Grießhaber zu ihrer Region und ihrer Heimat. nicht entscheidend“, weiß die Un- ternehmerin. Weißer + Grießhaber setzt des- halb auf den eigenen Nachwuchs aus der Region. 20 bis 25 Azubis beschäftigt das mittelständische Unternehmen, das 2015 einen Umsatz von fast 50 Millionen Euro erwartet. „Wir ziehen uns die zu- künftigen Mitarbeiter selbst heran. Das verschafft uns wiederum einen gewissen Vorsprung in der Bran- che. Wir kooperieren viel mit den Schulen aus der Region, so auch direkt mit der Schule hier in Mönchweiler. Junge Menschen, die sich bei uns bewerben, werden nicht im ersten Schritt ausschließlich nach ihren Zeugnisnoten beurteilt, sondern der Mensch dahinter ist ausschlaggebend. Jemand, der sich für uns entscheidet, wird in unserer Firma stetig weiterqualifiziert“, berichtet die Geschäftsfüh- rerin. Auch wenn das Unternehmen weltweit aktiv ist und sogar aus Kanada Kunden für sich gewinnen konnte, stammt ein Großteil der wichtigsten Kunden aus dem näheren Umkreis. Hansgrohe zum Beispiel oder auch Bosch. „Wir sind sehr deutschlandorientiert, wollen uns aber auch noch stärker internationalisieren“, blickt Ute Grießhaber in die Zukunft. Weißer + Grießhaber produziert Kunststoffteile höchster Präzision Was für die beiden Geschäftsführer allerdings ganz klar ist, ist der Standort Mönch weiler. An dem gibt es nichts zu rütteln, selbst wenn so mancher Kunde schon forderte, dass sich die Firma auch im Ausland niederlassen möge. Das Familienunternehmen produziert Kunststoff teile, die extrem hohen Ansprüchen gerecht werden müssen, zum Beispiel Spezialfil- ter für Fahrzeugbremsen oder Kunststofflinsen für Fahrerassistenzsysteme. Dabei kommt es vor allem auf die Präzision an. Diese garantiert Weißer + Grießhaber seinen Kunden. Dank des modernen Maschinenparks kann der Kunst- 60 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Ute Grießhaber trägt bei Weißer + Grießhaber zusammen mit Reinhard Fauser die Verantwortung für 250 Mitarbeiter. Ute Grießhaber – Unternehmerin 61 Das Produktionsgebäude in Mönchweiler.


Laurent Lebas Gebürtiger Franzose – überzeugter Schwarzwälder von Barbara Dickmann Es beginnt wenige Meter hinter der Bundesstraße. Und je schmaler der Weg wird, je weniger die Häuser werden und das satte Grün des Waldes alles überdeckt, desto stärker wird dieses Gefühl. Wenn ich dann abbiege auf den Schotterweg und schon das Dach unseres Hauses erahne, macht sich eine innere Ruhe breit – ich bin auf unserer kleinen Insel gelandet, die seit 26 Jahren unser zu Hause ist. Auch ich bin eine „Reingeschmeckte“. Als Familie mit zwei Kindern sind wir 1989 aus dem Ruhrgebiet weggezogen und mitten im Wald in Triberg gelandet. Wir haben es keine Minute bereut, doch ist der Schwarzwald unsere Heimat oder ist es das Ruhrgebiet??? Heimat, was ist das? Ist es da, wo wir gerade leben, unsere Kinder zur Schule gehen? Ist es noch viel, viel mehr oder ist es weniger… oder einfach nur der Ort, an dem man geboren ist und wo die Wurzeln sind? „Was meinen Sie, Herr Lebas?“ dass er eigentlich näher an Deutsch- land ist, als an Frankreich. Ziemlich schnell ist er wieder in Karlsruhe und schließt sein Studium als Dip- lom-Ingenieur Maschinenbau (Wirt- schaftsingenieurwesen) ab. Begeistert von der Region und vom Schnee – die Heimat entdeckt Laurent Lebas, schlank, groß, sportlich, lächelt nachdenklich. Und mit einem ganz leichten französischen Akzent, um den ihn etliche beneiden würden, beginnt er zu erzählen. Laurent Lebas ist Franzose. Die Mutter stammt aus dem Elsass, der Vater spricht nur französisch, doch ist sehr deutschlandfreund- lich. Er nimmt seinen Sohn mit auf eine Dienstreise nach Deutschland. War das vielleicht der Auslöser für viele spätere Entscheidungen? Laurent Lebas weiß nur, dass er schon mit zwölf Jahren unbedingt nach Deutschland will. Im Rahmen eines Schüleraustausches landet er in Frankfurt. „Das war eine sehr nette Familie, ich habe mich sehr wohlgefühlt“, erinnert er sich. Nach dem Abi- tur will er in Deutschland studieren. „Das war damals nicht gerade populär“, doch das stört ihn überhaupt nicht. Er beginnt in Karlsruhe, geht noch einmal zurück nach Paris und merkt, „Ich glaube, als ich unsere Regi- on sah, hatte ich zum ersten Mal so ein Gefühl, das irgendwie mit „Heimat“ zu tun hatte!“ Er findet sofort einen Job und ar- beitet in Karlsruhe und im Rheintal. Dort lernt er auch seine Frau Tatiana kennen, eine Russin, die in Deutsch- land studiert hat und auch geblie- ben ist. „Dann kam 2006 das Joban- gebot aus Villingen-Schwenningen“, erinnert sich Laurent Lebas, „wir sind hingefahren, es hat geschneit, wir haben uns alles angesehen und waren ganz begeistert. Es war einfach schön!“ Schon auf der Rückfahrt sind sie sich einig. „Ich glaube, als ich unsere Region sah, hatte ich zum ersten Mal so ein Gefühl, das irgendwie mit „Heimat“ zu 62 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Laurent Lebas mit Ehefrau Tatiana, Sohn Maxime und Tochter Estelle.


Reihenhaus mitten in der Großstadt, Kinder die keine Kuh kennen, den Wechsel der Jahreszei- ten nicht hautnah erleben, kein Wald… dafür Schicki-Micki-Lokale, ein Event nach dem ande- ren… Da musste er nicht lange nachdenken. „Leben nah bei der Natur und trotzdem weltoffen sein“ Seit 2014 ist er Geschäftsführer bei Burger Industrie (BIW) in Schonach und das ist sein Traumjob schlechthin. Denn was für Laurent Lebas auch „Heimat und Wohlfühlen“ bedeutet, erlebt er in unserer Region seit dem ersten Tag. „Es sind die Menschen“, sagt er. „Diese Ehrlich- keit, Offenheit, Direktheit, die aber mit Herzlich- keit gepaart ist, dieses Leben in der Natur und trotzdem weltoffen zu sein, denn die Firmen, die hier sind, sind einfach Weltfirmen.“ Diese Kombination sei einfach genial, meint er. Keiner verlange von ihm, dass er sich „an- biedert“. Er müsse in keinen Verein, sich nicht krampfhaft engagieren, müsse nicht seine Identität aufgeben. Doch anpassen sei völlig in Ordnung und das wäre kein Problem. „Wo kommst du her?“, fragen ihn die Men- schen oft bei der ersten Begegnung. Denn wie gesagt, dieser leichte, äußerst charmante fran- zösische Akzent ist geblieben. Dann antwortet er: „Geboren bin ich in Frankreich, doch meine Heimat ist hier.“ Heimat, was ist das Herr Lebas? fragte ich am Anfang. Ich, die auch eine „Reingeschmeck- te“ bin und so vieles nachvollziehen kann, was er sagt. Heimat ist die Summe vieler Dinge. Wo ist Heimat, Herr Lebas? In Frankreich? In Deutschland? Laurent Lebas schaut erstaunt! Was für eine Frage: „ Na hier,“ sagt er, „wo sonst!“ Keine Frage: Laurent Lebas ist „Schwarz- wälder“ geworden, auch wenn er wohl nie in „Tracht“ gehen würde. Und eigentlich lebt er wie „Gott in Frankreich“ – nur, dass es bei ihm „Gott im Schwarzwald“ heißen müsste. Heimeliges Villingen – Blick zum Oberen Tor. Laurent Lebas im Büro bei Burger Industriewerk (BIW). tun hatte.“ Dieser junge dynamische Mann, der schon 2006, mit 28 Jahren, eine Führungsposi- tion übernahm und wesentlich ältere Kollegen leiten musste, ist heute noch erstaunt darüber. Wie kann das sein? Die Familie landet zuerst in Bad Dürrheim, die Tochter ist zehn Monate alt, ein Jahr später wird der Sohn geboren. Laurent Lebas arbeitet in Villingen-Schwenningen und zieht später auch in den Außenbereich von Villingen. Und das soll so bleiben. „Wir sind angekommen“, sagt er. Die wunderschöne Natur, die Altstadt, das Klima, die Nähe zu Frankreich, zur Schweiz, der Bodensee. „Ich fahre gerne Fahrrad, ich fühle mich frei hier und genieße die Lebensqua- lität.“ Natürlich hat er auch Jobangebote bekom- men, die ihn nach Stuttgart oder Norddeutsch- land oder wieder nach Paris geführt hätten. Und natürlich hat er auch einen zweiten Blick darauf geworfen, zumal einige Freunde aus der Studienzeit ihm das immer wieder schmackhaft machten. Doch was würde er für eine vermeint- liche „Karriere“, für den (vielleicht) „Super-Job“ mit (vielleicht) mehr Geld eintauschen? Das 64 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar



Ingrid Schyle Ein Leben lang in Schonach verwurzelt von Barbara Dickmann Das Bauernhaus ist liebevoll renoviert, man spürt, dass hier schon etliche Generationen gelebt haben. Glücklich und traurig waren, gesund und krank, dass viele Kinder hier groß geworden sind – gelacht und geweint haben. Keine Frage, dieses schöne Haus, das mitten in Schonach steht, hat seine Geschichte, es atmet Erinnerungen aus und saugt die Gegenwart der Menschen ein, die hier leben. Es ist das Zuhause von Ingrid Schyle, 51 Jah- re, Familienfrau mit vielen Interessen, Hobbys und Tätigkeiten. Ingrid Schyle hat in Schonach ihre Wurzeln und ihr Lebensweg klingt wie aus dem Bilderbuch. Von Beruf Erzieherin, heiratet sie, wird Mut- ter dreier Kinder und entdeckt vor 20 Jahren durch einen glücklichen Zufall ihre künstleri- sche Ader. Sie gestaltet Kerzen – ganz besonde- re Kerzen. Unikate für Hochzeiten, Taufen, für Kirchengemeinden, für Feste und Gelegenhei- ten. Ihre Kunstkerzen erobern die Welt und bis heute kommen die Menschen von weit her an- gefahren, um eine ganz besondere, leuchtende Erinnerung für ein glückliches oder tragisches Ereignis in ihrem Leben zu haben. Ingrid Schyle kann bei dieser Arbeit versinken. Die Umwelt existiert nicht mehr, ihre Hände formen von al- leine und leise Musik sorgt für die nötige Stim- mung. „Das ist mein persönlicher Ausgleich“, sagt sie, „und der Kontakt zu den Kunden ist einfach schön.“ 2007 absolviert sie die Wanderführerausbil- dung, wird Natur- und Gästeführerin und erlebt jetzt mit allen Sinnen, was sie „Heimat“ nennt. Sie wird gesuchte Referentin und erkundet mit ihrem Mann, der ehrenamtlicher Archivar von Schonach ist, jedes Fleckchen Erde in ihrer Um- gebung. Projektleiterin in der Naturparkschule Für den Naturpark Südschwarzwald entwickelte sie die Konzeption und die Module der ersten Naturparkschule in Baden Württemberg, um den Schülern die Kultur und Natur ihrer Heimat näher zu bringen. Die Naturparkschule liegt ihr besonders am Herzen. Und wenn sie mit Schü- lern die „Hirtenpfeife“ aus Holz schnitzt und das „Strohflechten“ wieder aufleben lässt, wird altes Handwerk wieder lebendig. Ingrid Schyle mit einer ihrer Kunstkerzen und unter- wegs in der Natur. 66 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar



„Früher haben das die Lehrer über- nommen, die meist hier aufgewach- sen sind. Doch heute kommen sie oft aus Freiburg oder weiter weg und kennen das alles nicht.“ Kultur, Natur und das Leben der Menschen sind ihre Worte, wenn sie von „Heimat“ spricht. Sie organisiert auch Gästewanderungen mit ihrem Vater, der ganz viel zu erzählen hat. Denn als er noch der „Hirtenbub“ war und mit neun Jahren schon ar- beiten musste, erscheint das wie ein Relikt aus dem Mittelalter. „Von der Oma meines Mannes habe ich viel gelernt“, sagt sie, „sie hat hell wie dunkel einfach ange- nommen, hat viel Schweres erlebt und doch nie gejammert.“ Sie trug noch die Tracht, wurde 100 Jahre alt und hat bis zum letzten Tag eine innere Zufriedenheit ausgestrahlt, die ihr keiner nehmen konnte. Das sei ihr Vorbild und mache ihr Mut, sagt Ingrid Schyle etwas nachdenklich. Hinter dem Bauernhaus warten Kaffee und Rhabarberkuchen und eine urige Sitzecke „Von der Oma meines Mannes habe ich viel gelernt, sie hat hell wie dunkel einfach ange- nommen, hat viel Schweres erlebt und doch nie gejammert. Sie trug noch die Tracht, wurde 100 Jahre alt.“ dicht an die Wand gelehnt, lädt zum Sitzen ein. Der Blick schweift über den Bauerngarten, das alte Haus gibt Geborgenheit. Die jüngs- te Tochter schaut kurz vorbei, die beiden ältesten Kinder studieren bereits, waren im Ausland und ken- nen fremde Kulturen. Doch in ihrer Studentenbude in Freiburg tragen sie Mutters „Strohschuhe“ und die Naturpark-T-Shirts und alle Freun- de finden das „cool“. „Sie wissen, wo ihre Wurzeln sind“, sagt Ingrid Schyle, die auch gerne verreist, sehr gerne sogar. „Heimat“ mit allen Sinnen erleben Ein paar Tage Stadtleben, ein paar Wochen andere Kulturen erleben, über den Tellerrand schauen, sind Dinge, die ihr Freude machen. Sie fährt gerne weg und kommt gerne wieder. Denn Ingrid Schyle liebt ihre Wurzeln, lebt zwar voll in der Gegenwart, doch liebt die Vergangenheit, die sie an jeder Ecke spürt. Sie genießt den Kontakt Rezept von Ingrid Schyle für Apfelminzblättchen Die Apfelminze ist ein wohl schmeckendes, mildes Garten- und Heilkraut , das gut in unserem Klima wächst. Blätter abzupfen und abtrocknen. Mit flüssiger, fertiger, dunkler Kuvertüre mit dem Pinsel beide Seiten anstreichen (nicht eintauchen) und trocknen lassen. 68 Ingrid Schyle


Lesend daheim im Garten und beim Unterricht in der Naturparkschule. zu den Menschen, die ihr nahestehen, die ihre Familie sind, zehrt von deren Erlebnissen und Erfahrungen und vor ihrem inneren Auge entsteht dann ihre Heimat, wie sie einmal war. Ingrid Schyle erlebt „Heimat“ mit allen Sinnen, mit jedem Strauch und jeder Blume, in ihrem Haus und mit den Menschen, die sie seit vielen Jahren kennt. Wegzuziehen und woan- ders zu leben, diesen innigen Kontakt zu verlie- ren, das kann sie sich nicht vorstellen. Langsam zieht die Sonne weiter und die ers- ten Schatten fallen auf das Bauernhaus. Ingrid Schyle arbeitet noch ein wenig im Garten, wie schon die Oma früher. Für morgen zupft sie ein paar Blätter der Apfelminze, ein wohlschme- ckendes, mildes Garten- und Heilkraut. Sie will sie abtrocknen und mit flüssiger, fertiger Kuver- türe bestreichen – schmeckt einfach köstlich! Ihr Vorrat ist leider aufgegessen – und raten Sie mal von wem? Von mir natürlich… XXX 69


Albrecht Benzing Seit über 30 Jahren Engagement in der Flüchtlingsarbeit von Daniela Schneider Was wäre wohl aus der jungen Tamilin Senayt geworden, wenn es Albrecht Benzing nicht gäbe? Und wie wäre es im Leben der Flüchtlingskinder Hudda und Adel, der eritreischen fünffachen Mutter Josief Kibra oder des einst sehr verzweifelten, heimatlosen Kathira-velu Udaykumar aus Sri Lanka weitergegangen, hätten sie alle den resoluten Mann aus Schwenningen nicht kennengelernt? Natürlich weiß auf diese Fragen niemand so genau eine Antwort. Eines steht unterdessen felsenfest: All diese Menschen hatten schlichtweg großes Glück, dass sie ihre Schicksalswege zu Albrecht Benzing führten. Flüchtlingshilfe – das ist ein Thema, dem sich viele Engagierte widmen, auch und gerade in Zeiten wie diesen, in denen sich angesichts all der weltweiten Krisen, Konflikte und Men- schenrechtsverletzungen und all der verschie- denen weiteren Nöte so viele Menschen auf den Weg in eine ungewisse Zukunft machen und so auch als Asylbewerber in unserer Region landen. Für Albrecht Benzing allerdings ist dies alles wirklich nichts Neues. Seit über drei Jahr- zehnten macht er Flüchtlingsarbeit im besten Wortsinn und mit wahrlich bemerkenswerter Konsequenz. 55 Jahre alt war der Unternehmer, gelernter Schreiner und Holzingenieur, in der Mitte seines Lebens stehend, erfolgreich im Beruf und ein zufriedener Ehemann und Familienvater, als er den weitreichenden Entschluss fasste, sich einer neuen Lebensaufgabe zu widmen. „Mensch Papa, mach es, mach nochmal was Gescheites in Deinem Leben“, das haben seine beiden Söhne Thomas und Jörg damals im Jahr 1990 zu ihm gesagt. Und auch Ehefrau Karin ließ kei- nen Zweifel aufkommen, dass sie ihren Mann unterstützen würde. So kam es, dass Albrecht Benzing sein seit 25 Jahren gut gehendes Mö- belfachgeschäft in Schwenningen verpachtete und mehr oder weniger von heute auf morgen seinen Beruf aufgab. „Es war ein klarer Schnitt“, sagt er heute, denn nur so habe er sich voll einbringen können. Fortan war klar: Albrecht Benzing arbeitet ab dato hauptberuflich, aber ehrenamtlich, als Flüchtlingsbetreuer, zustän- dig für ganz Baden-Württemberg mit einem Schwerpunkt im Regierungsbezirk Freiburg. Auch materielle Einbußen Dass mit dieser Entscheidung auch materielle Einbußen einhergingen, auch das trug seine Familie mit. „Sie waren einverstanden, dass ein Teil des Familienvermögens für die Flücht- lingshilfe verwendet wird“, fasst Benzing diese sicher nicht selbstverständliche Entscheidung zusammen. Aber sie alle hätten damals wie heute gewusst, dass das sprichwörtlich letzte Hemd bekanntlich keine Taschen hat. „Wir müssen uns doch alle täglich sagen, wie gut wir leben“, fand Benzing damals und das gilt ihm auch heute noch als Devise. Davon wollte er etwas abgeben. 70 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Aus dem einstigen Flücht- lingsmädchen Senayt ist eine junge Frau geworden, die mitten im Leben steht. Albrecht Benzing freut sich, dass sein Schützling nun so- gar als Werbeträgerin ihres Arbeitgebers fungiert.


Albrecht Benzing vom Landesarbeitskreis Asyl zeigt einer Flüchtlingsfamilie das neue Zuhause. Die Auf- nahme stammt aus dem Jahr 1989. Zu der Zeit war er bereits seit einigen Jahren in der Flüchtlingsarbeit tätig. Vorausgegangen war ein Hilferuf aus Donaueschingen. Dort war 1983 eine Asylbewerberunterkunft eingerichtet worden. Konflikte mit der Bevölkerung tauch- ten auf und die Caritas-Sozialbetreuung wandte sich auf der Suche nach Unterstützung auch an die Friedensgruppe der evangelischen Kirchen- gemeinde Villingen-Schwenningen. Albrecht Benzing, selbst schon länger in der kirchlichen Friedensarbeit tätig, half mit, Vorurteile ab- und einen Dialog zwischen Behörden, Flüchtlingen und den Einheimischen aufzubauen. Gegensei- tig Achtung haben und Toleranz wahren, das waren dabei die Leitlinien. Neue Hoffnung für Familien „Schwierigkeiten gab es und gibt es natürlich“, beschönigt Albrecht Benzing nichts. Schlägerei- en unter unterschiedlichen Nationalitäten seien da zum Beispiel vorgekommen, hin und wieder seien auch Leute mit krimineller Energie unter den Neuankömmlingen gewesen. Und dann waren da noch kulturelle Differenzen. Sozialbe- treuung heißt in diesem Fall das Zauberwort – und da kann man schon mit ganz wenigen Klei- nigkeiten oft große Wirkung erzielen, berichtet der Fachmann. Immer wieder – das beobachtet er auch heute noch – ließen manche der Flücht- linge die Türen im Asylbewerberheim tempera- mentvoll, lautstark ins Schloss fallen, wenn sie einen Raum verließen. Der Schwenninger nahm und nimmt die Leute zur Seite, zeigt ihnen, wie man eine Tür auch leise zumachen kann und, dass das hierzulande einfach einen besseren Eindruck macht und durchaus als respektvolle Geste durchgeht. Dankbarkeit war und ist in den allermeisten Fällen die spontane Reaktion, die meisten hatten das schlicht und ergreifend einfach nicht gewusst und sich darüber auch noch nie Gedanken gemacht. Pragmatisch muss Flüchtlingsarbeit sein, da ist sich Albrecht Benzing sicher. In Villin- gen-Schwenningen wurde 1985 in der Gewer- bestraße 20 eine Gemeinschaftsunterkunft 72 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Die Eltern leisten mutige Hilfe für Juden Hilfe für andere – ein Familienerbe, Men- schen in Not zu helfen, das war in der Familie Benzing schon immer eine Selbst- verständlichkeit, sogar in Zeiten, in denen man sich damit selbst gefährdete. Albrecht Benzings Eltern Lydia und Eberhard Benzing haben sich bereits für Flüchtlinge und Ver- folgte eingesetzt; im Kreis um Margarete Hoffer halfen die Schwenninger während der Nazizeit mehreren jüdischen Personen, die so über Schwenningen in die Schweiz fliehen konnten, 50, vielleicht 60 Menschen wurden auf diese Weise unterstützt. Die Flucht gelang versteckt im Lkw, der in Schwenningen produzierte Schuhe in die Eid- genossenschaft brachte; Vater Benzing war Betriebsleiter in der Schuhfabrik. Der kleine Albrecht, Jahrgang 1935, wurde damals als unverdächtiger Botengänger eingesetzt. 1945 war bei Benzings außerdem über ein Jahr lang eine Flüchtlingsfamilie aus Ostpreußen ein- quartiert. Ähnliches war bekanntlich auch bei anderen Einheimischen der Fall, die Besonder- heit hier war allerdings, dass Mutter Benzing keine Sekunde zögerte, freiwillig Wohnraum anzubieten, nachdem sie das Elend der ankommenden Menschen und die schiere Notwendigkeit erkannt hatte, hier spontan zu helfen. eingerichtet. Ein ökumenischer Arbeitskreis der Johanneskirche und der Mariä-Himmelfahrts- Kirche wurde gegründet, der auch gegen Hetze und Angstmache vorging und das Schüren von Vorurteilen bekämpfte. Benzing betreute im Auftrag der evangelischen Kirchengemeinde bis zu 150 Personen, zunächst hauptsächlich Flüchtlinge aus Bangladesch, Tamilen aus Sri Lanka, Eritreer oder aramäische Christen aus der Südosttürkei. Er bot Beratung und materi- elle Hilfe an, unterstützte die Menschen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und bei Familien- zusammenführungen und er half als Beistand bei Behörden und Institutionen. Immer wieder erwies sich auch die Woh- nungssuche für jene oft kinderreichen Familien, deren Asylantrag bereits bewilligt wurde, als äußerst schwierig bis tatsächlich unmöglich. Albrecht Benzing suchte nach einer pragmati- schen Lösung – und fand sie. Die Stiftung „Neue Hoffnung“ wurde gegründet und mit Unterstüt- zung von Förderern und Helfern wurden meh- rere Häuser gekauft, in denen die Familien zur Miete in die Wohnungen einziehen konnten. Hilfe für Tausende von Menschen Zahlreiche Menschen wurden derweil auch kur- zerhand im Hause Benzing untergebracht. Die Eritreerin Josief Kibra und ihre fünf Kinder waren oft da; der Nachwuchs wurde im Winter im Schlitten durch den Schwenninger Schnee ge- zogen und plantschte im Sommer im Benzing- schen Garten im Wasserkübel herum, eben so, als wären es die eigenen Kinder, ein ganz normales, glückliches Leben führend. Wenn Albrecht Benzing im Familienalbum blättert, die Aufnahmen zeigt und davon erzählt, sagt er auch: „Das war ein Segen.“ Kurz und knapp bringt er so auf den Punkt, wie sehr es ihn und seine Frau freute, anderen ein Stück weit Normalität und Geborgenheit zu vermitteln. Heute sind die Kinder von damals längst er- Kinder aus Eritrea erleben als Gäste der Familie Benzing in Schwenningen erstmals einen Winter. Albrecht Benzing 73


In vielen Arbeitskreisen aktiv In vielen Arbeitskreisen und an runden Ti- schen ist Albrecht Benzing aktiv: 1989 war er Gründungs- und Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Asyl Baden-Württemberg, der als Koordinierungsstelle zwischen den Basis- gruppen und der Landesregierung ins Leben gerufen wurde und heute als Flüchtlingsrat Baden-Württemberg firmiert. Seit 1985 ist Benzing Vertreter der Evangelischen Kirchen- gemeinde Schwenningen als Flüchtlingsbe- auftragter; er arbeitet außerdem seit 1996 als Bezirksbeauftragter des Evangelischen Dekanats Tuttlingen für Flüchtlingsarbeit und Migration und ist ebenfalls seit den 1990ern Beauftragter der Landeskirche; er engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Villingen-Schwenningen mit dem Arbeitskreis Asyl; dieser besteht seit 2014 und hat zirka 30 Mitglieder; aktuell soll eine Schreibstube aufgebaut werden, um zum Beispiel Anträge auszufüllen. ist er dort tätig; etwa zur gleichen Zeit flatterte dann auch noch die deutsche Staatsbürger- schaft ins Haus – ein Moment großer Freude auch für die Familie Benzing. Diese zählt die Menschen nicht, denen sie hilft. Tausende dürften es im Laufe der Jahre gewesen sein, um die sich Albrecht Benzing mit Unterstützung seiner Frau im ganzen Land gekümmert hat, sie kamen aus sicher über 300 Staaten aus aller Welt. Natürlich erlebt er auch Enttäuschungen, wenn mühsam vermittelte Arbeitsstellen zum Beispiel einfach nicht an- getreten werden. Da wird der Schwenninger zornig und wütend, dafür hat er kein Verständ- nis. In den allermeisten Fällen aber erlebt er Dankbarkeit und den Willen der Leute, selbst aktiv zu werden, um ein besseres Leben führen zu können. Hilfe zur Selbsthilfe will er leisten, Vertrauen aufbauen und dabei aber niemanden in Watte packen, vor allem nicht die Erwachsenen, mit Freude über den Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung. wachsen,haben ihre Schulausbildung beendet, Berufe erlernt und sind nun gut integriert in die früher für sie fremde Gesellschaft; das gilt für diese Familie und sehr viele weitere auch. Da wäre etwa die junge Senayt, auf die Benzings besonders stolz sind; sie wuchs bei ihnen auf, machte ihren Realschulabschluss, lernte Arzthelferin, bildete sich in der Altenhilfe weiter, wo sie nun mit großem Einsatz tätig ist. Mittlerweile hat sie eine eigene Familie mit drei Kindern. Erfolgsgeschichten sind das, ebenso wie jene eines Tamilen – Albrecht Benzing nennt ihn ziemlich stolz „mein Udaykumar“ –, der allein und einsam einst hier ankam, zur Schwenninger Firma Hechinger vermittelt, dort schnell Vorarbeiter wurde, eine Familie gründen konnte und heute als vereidigter Dolmetscher selbst hilft, wann immer es nötig ist. Vor zwei Jahren hat der ehemalige Asylbewerber bei He- chinger sein Dienstjubiläum gefeiert, 25 Jahre Karin Benzing mit Gästen aus Eritrea. 74 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


denen man „durchaus Tacheles reden kann.“ Besser könnte hingegen seiner Ansicht nach die Zusammenarbeit zwischen Ämtern und Behör- den und der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit sein, dann ginge manches auch leichter; oft sei die Auseinandersetzung da zermürbend und aufreibend. Wie es trotzdem klappt? „Mit Ge- sprächen, Schreiben und viel Hartnäckigkeit.“ Mit der Zeit wurde er Fachmann in Einwande- rungsfragen und im Aufenthaltsrecht, in seinem Büro stehen aberhunderte Akten mit vielen Einzelfalldokumentationen und vielen Daten zur Gesetzeslage. Immer wieder versuchte er auch, vor dem Verwaltungsgericht etwas zu erreichen und zum Beispiel Härtefallregelungen zur Anwendung zu bringen. Und: Er ist bestens vernetzt, kennt viele Akteure, darunter auch po- litisch Verantwortliche. Der 80-jährige Albrecht Benzing: „Ich mache weiter, solange die Kraft reicht“ Benzings Einsatz für die soziale Integration von Flüchtlingen wurde schon oft gewürdigt. Das Kronenkreuz der Diakonie wurde ihm vor 15 Jahren verliehen, diese Auszeichnung nahm er ausdrücklich im Namen aller Engagierten entgegen; das Bundesverdienstkreuz und an- dere Ehrungen schlug er unterdessen aus. Im Dezember 2014 dann reiste er doch mal nach Berlin, um anlässlich des Internationalen Tags der Migranten eine Ehrung von Staatsministe- rin Aydan Özoğuz im Auswärtigen Amt entge- genzunehmen, die ihm diese anerkennenden Worte mit zurück in die süddeutsche Heimat gab: „Sie schaffen Begegnungen, bauen Ängste ab und erleichtern das Ankommen in Deutsch- land.“ Das hat ihm gefallen, ebenso wie der kurze Plausch mit Außenminister Frank-Walter Stein- meier, der bei der Feier neben ihm stand und ihm ebenfalls Hochachtung für seine Arbeit zollte. Im September 2015 ist der drahtige, sport- liche Mann, der „zum Ausgleich und weil es Spaß macht“ gerne aufs Fahrrad steigt, zwei Mal pro Woche im Schwimmbad seine Runden dreht und sich zudem gerne mit seiner Frau zusammen um die Enkelkinder kümmert, 80 Albrecht Benzing (rechts) nutzt seine Ehrung beim Internationalen Tag der Migranten durch Staatsmi- nisterin Aydan Özoğuz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, zu einem Plausch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Jahre alt geworden – unglaublich, wenn man ihn in seiner ganzen Agilität erlebt. Die Energie, mit der er sich Tag für Tag neu ans Werk macht, anderen Menschen zu helfen, ist offenbar ungebrochen. „Ich mache weiter, solange die Kraft reicht“, sagt Albrecht Benzing äußerst entschlossen und meint damit auch ein ent- schiedenes Eintreten gegen Fremdenhass und rassistische Hetze. Wichtig ist ihm zudem, den Unterstützer- kreis zusammenzuhalten, damit die Arbeit, die er so außergewöhnlich begonnen und jahrzehn- telang praktiziert hat, auch erfolgreich weiter- geführt werden kann, gerade auch jetzt, wo wieder viele Flüchtlinge ins Land kommen. Dass es ein Engagement wie seines wohl so nicht noch einmal geben wird, das weiß er selbst, auch wenn er das nie so sagen würde. Für ihn war jedenfalls alles folgerichtig und ein- fach nur konsequent. Rückblickend sagt er: „Ich würde es genau so wieder machen.“ Albrecht Benzing 75


Anke Jentzsch Kunsttherapeutin und Imkerin kommt in der Landschaft der Baar zur Ruhe Von Madlen Falke Anke Jentzsch präsentiert ihre Frühjahrstracht – Honig aus dem Brigachtal. 76 76 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Wenn Anke Jentzsch auf die Wiese hinaus geht und es anfängt, um sie herum zu brum- men, steigt ihre Vorfreude von Schritt zu Schritt. Jetzt ist wieder die Zeit gekommen, um abzuschalten – den Tag hinter sich zu lassen und sich auf die Arbeit mit den Bienen zu konzentrieren. Nur dann, wenn sie ihre Arbeit gewissenhaft und mit Ruhe ausführt, geht es ihren Völkern gut und nur dann wird sie sich über die Honigernte freuen können. Anke Jentzsch ist auch Imkerin und vergisst bei ihren Bienen die Welt um sich herum. XXX 77 77


Die Marbacher Kunsttherapeutin Anke Jentzsch. Eins mit der Natur zu werden, sie genau zu beobachten, freudig zu erwarten, wenn die ersten Blumen blühen oder sich über die Hinter- lassenschaften klitzekleiner Fichtenrindenläuse zu freuen, weil es dann mal wieder einen be- sonders feinen Waldhonig zu ernten geben wird – all das liebt Anke Jentzsch. Erzählt die Frau, die aus Marbach kommt und dort auch ihre fünf Bienenvölker auf einer Wiese ihrer Familie beheimatet hat, von ihrem Hobby, leuchten ihre Augen auf. Spürbar stolz ist sie darauf, dass es dank eines Lehrgangs an der Universität Hohenheim und nun auch mit der praktischen Erfahrung von fünf Jahren gelingt, aus der Natur ein so wertvolles Produkt wie Honig herauszuholen. „Es ist faszinierend, wie dieser Super-Organis- mus funktioniert und welche Fähigkeiten er entwickelt hat. Eine Biene alleine kann nichts ausrichten. Aber alle gemeinsam leisten enorm viel. Mir gefällt es, mich beim Imkern entspre- chend der Jahreszeiten auf den Rhythmus der Bienen einzustellen und nur dann kann auch al- les funktionieren. Es ist einfach ein Phänomen, das mich jedes Mal aufs Neue ins Staunen ver- setzt“, berichtet sie begeistert von ihrem Hob- by, das sie so liebevoll betreibt, dass sie auch die Honiggläser mit einem hübschen, selbst gestal- teten Etikett versieht. Durch und durch ein „Heimat-Kind“ Dass sich ihr Hobby auf der Baar abspielt, das wundert nicht, ist sie doch ein richtiges Hei- mat-Kind. 1967 wird sie in Schwenningen als jüngstes von insgesamt fünf Kindern geboren und wächst in der ländlichen Idylle Marbachs auf. Ihr Spielplatz sind die Wiesen, ein Bach und die Dorfwege. Sie betreibt viele Jahre auch aktiv Judo im örtlichen Verein. In Marbach ist ihre Familie tief verwurzelt. Die Großeltern mütter- licherseits betrieben die Mühle, die seit 1724 im Besitz der Familie Riegger ist. In Marbach besucht sie auch die Grundschule und wechselt dann auf das Hoptbühlgymnasium in Villingen. Abitur macht sie am Wirtschaftsgymnasium. 78 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Mit der Hochschulreife in der Tasche zieht es die junge Frau zum Studium der bildenden Künste ins Ausland, an die Universität nach Rennes in Frankreich. „1000 Kilometer von Zuhause weg zu sein, das hat mich bei der Ankunft erst einmal kurz überfordert. Mein erster Gedanke war, gleich nach einer Tasse Kaffee und einem Croissant am besten wieder heim zu fahren“, erinnert sich Anke Jentzsch zurück. Doch Halt macht sie nicht nur in einem fran- zösischen Café, sondern auch in einer Kirche. Die Ruhe und die Atmosphäre erinnern sie an zuhause. Ein Gespräch mit einem freundlichen alten Franzosen, der wie ihre Großeltern vom Krieg und den Nachkriegsjahren erzählt, ändert ihre Meinung, und so verbringt sie insgesamt viereinhalb Jahre in Frankreich, studiert nach dem ersten Jahr allerdings im elsässischen und der Heimat wieder näheren Strasbourg. Den klassischen Weg in die Kunst, zum Bei- innerhalb Deutschlands oder auch ins europäi- sche Ausland, ist das Elternhaus nun der sichere Hafen, der ihr half, bald die Orientierung wie- derzufinden. Und auch das eigene künstlerische Tun in dieser Zeit trägt deutlich zur Genesung bei. Die Weiterbildung zur Kunsttherapeutin erfolgt im Elsass Ihre mehrjährige berufsbegleitende Weiter- bildung zur Kunsttherapeutin absolviert sie wiederum im Elsass. Seit 2004 arbeitet sie als Kunsttherapeutin in der Nachsorgeklinik Tann- heim. Sie begleitet krebs-, herz- und mukovis- zidosekranke Kinder, Jugendliche und junge Er- wachsene in ihrer schwierigen Lebenssituation. Sie ist für verwaiste Familien da, die damit fertig werden müssen, ohne ihr Kind weiterleben zu spiel als freischaffende Künst- lerin oder Mitarbeiterin einer Galerie oder eines Museums, schlägt die Marbacherin nach dem Studium allerdings nicht ein. Ein schwerer Autounfall, bei dem sie selbst traumatisiert wird, lässt ihren Entschluss heranreifen, eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin an das Studium anzuschließen. Der Unfall verändert das Leben der jungen Frau und stellt es für eine gewisse Zeit auf den Kopf – sonst offen für alle Wege, ob Anke Jentzsch am Arbeitsplatz in Tannheim. Die Kunsttherapie in der Nachsorgeklinik ermöglicht den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern emotionale Stärkung und Entlastung in ihrer schwieri- gen Lebenssituation. Anke Jentzsch 79


müssen. Auch im Schwarzwald-Baar-Klinikum engagiert sich Anke Jentzsch und bietet in der onkologischen Abteilung eine Malgruppe für die Patienten an. Weiter engagiert sie sich im Verein Anna e.V. bei Tübingen. Hier fährt sie zu Familien nach Hause, bei denen Geschwister- kinder krebskranker Kinder ihre Unterstützung brauchen. Als ob das alles noch nicht reichen würde, unterrichtet die sympathische Frau auch an der St. Ursula-Schule in Villingen in einem Stundendeputat Schüler der Klassen 5, 6 und 9 in bildender Kunst. Ihre beruflichen Aufgaben bedürfen einer besonderen persönlichen Stärke und einer ge- hörigen Portion Mut, doch Anke Jentzsch, die eine Frau ist, die spürbar in sich ruht und diese Ruhe auch auf ihr Gegenüber überträgt, schöpft aus der Arbeit auch viel Kraft. „Ich lerne so viele unterschiedliche Menschen sowohl aus der Region, als auch aus ganz Deutschland kennen, und alle haben ihre eigene Lebensgeschichte. Es ist auch schön zu sehen, wie ich durch meine Arbeit bei erkrankten Kindern und Jugendlichen einen Prozess auslösen kann, der sie trotz ihrer Krankheit in ihrer Neugierde, ihrer Entwicklung und ihrem Willen stärkt und ihnen wieder ein Stück Lebensfreude zurückgibt, die ganz natür- lich zur Kindheit gehört“, berichtet sie von ihrer therapeutischen Arbeit. Die Heimat gibt mir Energie und Ausgleich Die Heimat ist, gerade weil sie einen Beruf hat, der sie emotional auch fordern kann, wichtig für Anke Jentzsch. „Sie gibt mir Energie und Aus- gleich. Deshalb beziehe ich die Natur und die Landschaft, die ja zum Beispiel bei der Nachsor- geklinik so wunderbar vor der Haustür liegt, auch in meine Arbeit mit ein. Viele Menschen tanken dann auch selbst aus der Natur und der Umgebung Kraft und sind fasziniert davon, in welch wunderbarer Region wir hier leben dür- fen“, gibt Anke Jentzsch Einblick in ihre eigene Sicht auf die Heimat und diejenige der Patien- ten. Kunsttherapeutin, die wenige freie Zeit intensiv für sich zu nutzen. Auch hier geht ihr Weg wie- der häufig in die Natur – und eine Region mag sie besonders gern. „Ich mag die Baar. Ich laufe sehr viel, fahre Mountainbike und wandere sehr gerne. Ich bin oft in Aasen, Pfohren und auf den Feldwegen am Öschberghof oder den Teilstrecken des Jakobswegs unterwegs. Von gewissen Orten aus sehe ich die Alpen, manch- mal Richtung Westen sogar bis nach Frankreich. Der Blick in die Weite, das ist etwas Besonderes für mich“, erzählt sie. Immer wieder hört man Anke Jentzsch sagen, dass sie hier am richtigen Platz sei, sowohl in Bezug auf die Region, die Menschen ihrer Umgebung als auch in ihrem Beruf. Doch ausgeschlossen ist es nicht, dass sie später, vielleicht nach dem aktiven Berufsleben, mal für eine Zeit das Weite sucht, aber immer mit dem Blick darauf, wieder Heim kommen zu können. Sehr gerne in Donaueschingen unterwegs Den Blick über den Tellerrand hinaus bewahrt sich Anke Jentzsch auch in Bezug auf die Region. Auch weil die Nachbarregionen wie der Hegau, die Schwäbische Alb oder der Breisgau so viel Schönes und Vielfältiges bieten, lohnt es sich im Schwarzwald-Baar-Kreis zu leben. „Wir leben im Dreiländereck, wir sind so schnell an vielen schönen Orten“, sagt sie. In Donaueschingen geht sie gerne einkau- fen und hält sich in einem der Fitness-Studios fit. „Jetzt im Sommer treffe ich mich natürlich auch gerne mal in der Eisdiele“, sagt sie und lacht. Warum gerade Donaueschingen für sie so interessant ist? „Ich kann hier kostenlos parken und es gibt hier alles auf kleinem Raum. Einige kleine Läden und ein überschaubares Angebot, das gefällt mir. Außerdem bin ich gerne in der Stadtbibliothek. Das Personal dort ist sehr freundlich. Ein ganz besonders lohnendes Ziel ist für mich auch das Museum Biedermann mit seinen hervorragend präsentierten Kunstaus- stellungen“. In ihre Arbeit investiert Anke Jentzsch sehr viel Zeit. Umso wichtiger ist es deshalb für die Auch die Lokale in der Nähe mag die Mar- bacherin sehr gerne, denn eine ihrer Leiden- 80 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Die Marbacher Kunsttherapeutin Anke Jentzsch (hin- ten links) bei ihrem Projekt „Chapeau! – die kleine Hutwerkstatt“ im Villinger-Franziskanermuseum. schaften ist das Essen, auch wenn man das der schlanken Frau so gar nicht ansieht. So trifft man die Kunsttherapeutin im Falken in Wolter- dingen oder im Mostschöpfle in Hüfingen, aber auch in der Scheune in Neudingen. In St.Geor- gen besucht sie wiederum gerne die Ausstellun- gen im Kunstraum Grässlin, in Schwenningen die Städtische Galerie. In Villingen zieht es sie in die kleinen Einzelhandelsgeschäfte, in denen sie die freundliche Beratung so schätzt, und in das Café Törtchen oder das Paletti. „Die regionale Küche mag ich sehr. Sie darf auch ruhig ganz einfach sein, solange die Zuta- ten sehr gut sind. Zur Zeit esse ich am liebsten eine richtige Scheibe gutes Buurelaible mit fran- zösischer Salzbutter und natürlich einer ordent- lichen Portion meines eigenen Honigs. Einfach lecker!“, berichtet sie und schmunzelt. Große Anerkennung für „Ganze Perspektiven“ Ihre künstlerische Ader bringt Anke Jentzsch auch immer wieder in verschiedenen Projekten zum Vorschein. Sehr erfolgreich war ein Projekt, das sie gemeinsam mit Jörg Rinninsland vom Hegau-Jugendwerk Gailingen angegangen ist und sich dem Thema „Ganze Perspektiven“ gewidmet hat, bei dem sich Patienten aus der Nachsorgeklinik Tannheim und des Hegau-Ju- gendwerks Gailingen aktiv mit eingebracht haben. Das Kunstprojekt wurde auch im Land- tag von Baden-Württemberg und im Bundes- ministerium für Arbeit und Soziales in Berlin ausgestellt. Auch in kleinen Heimatprojekten bringt Anke Jentzsch ihre Ideen und ihr Know-How ein. So hat sie erst in den Sommerferien einen Feri- enprogrammpunkt mit dem Titel „Chapeau! – die kleine Hutwerkstatt“ im Franziskanermuse- um angeboten. Auch bei verschiedenen Schul- projekten zusammen mit den St. Ursula-Schulen hat sie schon erfolgreiche Projekte ins Leben gerufen. In Kooperation mit dem Gymnasium am Deutenberg erhielten ihr Kollege Werner Schumacher und sie mit ihren Klassen für ein Literaturprojekt anlässlich des 40-jährigen Dop- pelstadt-Jubiläums den großen Preis des Ober- bürgermeisters. Anke Jentzsch wohnt gerne in ihrem Heimat- ort Marbach – die Heimat ist eben auch ein Ort, der viele gute Erinnerungen in sich trägt, auf die man zurückgreifen kann wie auf eine Energie- quelle. Anke Jentzsch 81


Bärbel Brüderle Vorsitzende der Muettersproch-Gsellschaft, begeisterte Fastnachterin und frühere Stadtführerin von Dieter Wacker Wo hat sie nur diesen ihr so eigenen Humor her? Bärbel Brüderle setzt ein schelmisches Lächeln auf und schüttelt den Kopf. „Sell woeß ich nit so genau!“ Der Vater, ein waschechter Villinger, hat zwar Fasnet gemacht, ins Häs, zum Beispiel bei der Historischen Narrozunft, ist er aber nie gegangen. Zum Abschluss der Volksschule habe sie mal angefangen, lustige Sketche zu schreiben und die kamen gut an. „Obwohl sie ganz schön frech waren“, erinnert sich Bärbel Brüderle und freut sich immer noch darüber, als wäre es gerade ein paar Tage her. Später, während ihrer Krankenpflegeausbildung und auch danach als Schwester, hat sie im Krankenhaus mit ihren Späßen Patienten unterhalten und ihnen den Aufenthalt so ein wenig erleichtert. „Ich glaube, ich war da so etwas wie der erste Krankenhaus- Clown“, erzählt sie und kann sich dabei ein Lachen nicht verkneifen. Die heute 72-Jährige muss irgendwie gleich mehrere ganz besondere Gene in sich tragen: Eines für die humoristische Seite mit viel Mut- terwitz, eines für ihr dichterisches Talent, eines für das schnelle Auswendiglernen von Texten, eines für ihr präzises Gedächtnis und eines für ihren engen Bezug zu Heimat und Sprache. Seit 20 Jahren ist sie unermüdlicher Motor der Regi- onalgruppe der Muettersproch-Gsellschaft „A Brig un Breg“, die sich mit Leib und Seele dem Alemannischen verschrieben hat. Doch Bärbel Brüderle nur auf die Mund- art zu reduzieren, das würde ihr auch nicht ansatzweise gerecht. Lange Jahre brachte sie Besuchern als Stadtführerin die Geschichte, die Schönheiten und die Besonderheiten Vil- lingens näher. Zu ihren Spezialitäten zählten Führungen zu den Kunstwerken in der Stadt. Eines ihrer Lieblingsobjekte steht beim neuen Landratsamt am Hoptbühl: Die „Kuckucksuhr“ von Albert Hien mit ihren Rädern und Wasser- spielen. Weil es bei ihr heute aber ein Kreuz mit dem Kreuz ist, verzichtet sie mittlerweile auf die Stadtführungen. „Fasnet ist wie ein Virus, der einen anfällt und den man dann nicht mehr los wird“ Und dann gibt es da noch die Fastnacht – ein weiterer großer Lebensabschnitt von Bärbel Brüderle. „Fasnet ist wie ein Virus, der einen anfällt und den man dann nicht mehr los wird“, berichtet sie aus langer Erfahrung. Früher stand sie regelmäßig auf der Bühne des Villinger Zunftballs in der alten, verstaubten Tonhal- le. Später trat sie an Fasnet bei den Villinger Bärbel Brüderle vor ihrem früheren Milchlädele. 82 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


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Münster-Wiebern auf. So richtig bekannt wurde sie aber ab etwa Mitte der 1990er Jahre. Ei- nes Tages kam ihr Sohn Alexander und fragte sie: „Dätsch Du mit mir an Fasnet rumlaufe?“ „Wenn Du mir Gschichtle anbringsch“, die Ant- wort der Mutter. Gesagt, getan. Aus dem, was den Leuten so unterm Jahr an kleinen Missgeschicken passiert war, bastelte Bärbel Brüderle ihre Vorträge und Moritaten, mit denen sie an Fastnacht zusammen mit „Alex“ durch die Kneipen der Stadt zog. Als der Sohn – seit Jahren gefeierter Regisseur des Villinger Zunftballs – längst seine eigenen när- rischen Wege ging, war Bärbel Brüderle Jahr für Jahr alleine unterwegs. Und heute? Kneipenfasnet ist nicht mehr. Da ist leider das Kreuz mit dem Kreuz… Doch draußen im Ländle, da kann man die Villinge- rin ab und an noch live erleben. Wird sie doch immer wieder von Regionalgruppen der Muet- tersproch-Gsellschaft zu Auftritten eingeladen. „Das hat sich irgendwie herumgesprochen, dass ich so was mache“, sagt Bärbel Brüderle. Ihre Moritaten kommen auch zwischen Bodensee, Lörrach und Offenburg bestens an. Und ihr fällt immer wieder etwas Neues ein, womit sie die Menschen unterhalten kann. Oftmals spontan. Bei der Fastnachterin Bärbel Brüderle darf ein wichtiger Part nicht fehlen. Der beim Großen Villinger Umzug am Fasnetdienstag. Dabei ist sie beim Zug selbst nie mitgelaufen. Dafür machte sie viele Jahre die „Vorhut“ und stimmte die Tausenden von Zuschauern am Straßenrand mit Sprüchle und Liedern auf das närrische Treiben ein. Schließlich sollte der närrische Lindwurm in bester Stimmung empfangen werden. Und dann ist da noch die Geschichte mit dem Fensterplatz zum Umzug. Auf dem Speicher hatte Bärbel Brüderle eines Tages einen alten Fensterrahmen gefunden. Schlagfertig marschierte sie mit dem Rahmen dem Umzug voraus und rief: „Wer braucht ei- nen Fensterplatz? Ein Fensterplatz beim Umzug macht warme Füß‘, man wird nicht nass und kann Vitamine bunkern. Denn aufgepasst: die Glonkis, die werfen ihre Orangen immer nur in die Fenster rein.“ Und wers nicht glaubt: Bärbel Brüderles „Fensterplätze“ gingen weg wie die warmen Semmeln… Das ist genau der Stoff, aus dem in Villingen Originale werden. Auch der Umzugsspaß ist für sie leider vorbei. Weshalb? Halt wegen dem Kreuz mit dem Kreuz! Vorsitzende der regionalen Muettersproch- Gsellschaft „A Brig un Breg“ Doch eine Leidenschaft lässt sich die 72-Jährige nicht vermiesen: Die Pflege der Muettersproch. Seit 1995 ist sie Vorsitzende der Regionalgruppe „A Brig un Breg“ der Muettersproch-Gsellschaft. Sie organisiert Vorträge, Diskussionsveranstal- tungen, Unterhaltungsabende, Dichterlesun- gen, Konzerte, Diavorträge, Buchvorstellungen, Ausflüge, Gedenkfeiern und nicht zuletzt den monatlichen Stammtisch jeden dritten Diens- tagnachmittag im Villinger Café „Leute“. Vor 20 Jahren, bei der Präsentation einer Buchvertonung des verstorbenen Villinger Hei- matdichters Hans Hauser, hatte Bärbel Brüderle den damaligen „Präsi“ Klaus Poppen nach einem Anmeldeformular für die Muetter sproch- Gsellschaft Südbaden gefragt. Am Ende wurde die regionale Gruppe „A Brig un Breg“ mit Bär- bel Brüderle als Vorsitzende daraus. „Das war alles andere als geplant“, sagt sie heute und ergänzt: „Da wächst man dann halt irgendwie rein“. Gestartet mit 35 Mitgliedern hat die Regio- nalgruppe inzwischen 145 Getreue. Alle verbin- det, die alemannische Sprache mit ihren vielen Facetten zu erhalten. Treffpunkt der Mundartler ist oft das Villinger „Theater am Turm“. In der Bürgerwehrstube beim Romäusturm findet am ersten Adventssonntag der schöne Brauch „z‘Liecht gau“ mit Gesang, Gedichten und Ge- schichten statt. Bärbel Brüderle selbst forscht gerne. So hat sie sich intensiv mit alemannischen Spottna- men für Orte beschäftigt. Wochenlang saß sie dazu auch im Kreisarchiv. Der Name der muttersprachlichen Regi- onalgruppe „A Brig un Breg“ umschreibt mit dem alten keltischen Namen für Brigach und Breg – den beiden Quellflüssen der Donau – das Gebiet, wo die Mitglieder daheim sind. „Vu 84 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


St. George über Villinge bis ge Eschinge, Bräun- linge un Hüfinge“, betont Bärbel Brüderle nicht ohne Stolz. Bärbel Brüderle im Kurgarten beim Kunstwerk „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“, an der Fasnet in der Bütt und vor dem liebsten Kunstwerk, dem Hien-Kuckuck am Landratsamt. Eine gebürtige Villingerin Bärbel Brüderle ist in Villingen geboren. Wäh- rend der Kriegstage suchte die Mutter mit den Kindern in Unterkirnach eine sichere Bleibe. Später zogen die Eltern berufsbedingt – der Vater war Eisenbähnler – nach Aufen. 1958 kam Bärbel Brüderle nach Villingen zurück. Nach dem Besuch der Hauswirtschaftsschu- le, lernte sie Krankenpflege im Villinger Kran- kenhaus und arbeitete als OP-Schwester. Beruf- liche Abstecher führten sie nach Überlingen und in die Schweiz, ab 1968 lebte sie wieder in ihrer Heimatstadt Villingen. 1970 heiratete sie und betrieb zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Mann Helmut in der Scheffel- straße einen Milchladen. Noch heute zeugt die große Milchflasche über ihrem Hauseingang vom „Lädele“. Als der Druck der Großmärkte zunahm, gaben die Brüderles 1992 das Geschäft auf. Danach war Bärbel Brüderle noch 13 Jahre in der Hauspflege der Sozialstation tätig. Sie hat zwei Kinder: Alexander und Stefanie. Bärbel Brüderle 85


86 5. Kapitel – Wirtschaft


Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri Auf der Gewinner-Seite stehen: Ein Blick auf regionale Wirtschafts- und Technikgeschichte am Beispiel des Zahnrades von Prof. Dr.-Ing. Jürgen Hönig Mobil sein, Nachrichten austauschen, die Gesundheit verbessern oder sich einfach nur unterhalten lassen – seit Jahrhunderten sucht die Menschheit nach tech- nologischen Hilfsmitteln, die ihr die Arbeit und das Leben erleichtern. Das führte zu einem Auf und Ab von Technologien und Produkten: In unserer Region hat die Uhrenproduktion dieses Auf und Ab erlebt – insbesondere das Ab im 20. Jahrhundert. Unternehmerischer Weitblick im Zusammenwirken mit kompetenten Mitar- beitern konnte im Gefolge der Uhrenkrise eine gesamtwirtschaftliche Abwärtsbewegung ver- hindern: Neue Produkte, oft auf der Uhrentech- nik fußend, ermöglichten das Überleben vieler Unternehmen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis ent- wickelte sich eine neue technologische Welt elite, die uns von der mechanischen Schwarzwalduhr bis auf die Reise zum Kometen Tschuri führte (s. Seite 112). Beim Blick auf diese Fortentwick- lung über zwei Jahrhunderte hinweg fällt einem als zentraler Bestandteil vieler Erfindungen und Produkte das Zahnrad auf. 87 87 Montage eines mechanischen Kuckucks uhrenwerkes bei SBS-Feintechnik, Schonach. Die Industrie im Schwarzwald-Baar- Kreis wurzelt in der Uhrenindustrie sprich Feinmechanik.


Zahnradähnliche Einrichtungen zur Kraftübertragung existieren seit dem Altertum. Schon Leonardo da Vinci stellte in seinen Publikationen diverse Anwendungsbeispiele zusammen. Zahnräder und Getriebe finden sich in Mühlen, Sägewerken, Uhrwerken, Kameras, Gas- oder Wasserzählern, in Kraftfahrzeugen, Haushalts- oder Bürogeräten. Nicht selten stammen sie aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis. Die Unternehmen unserer Region sind an so gut wie jedem technologischen Fortschritt beteiligt, wenn er auch nur ein Stück Mechanik verlangt. Erste im Schwarzwald hergestellte Unsere Region ist an so gut wie jedem technologischen Fortschritt beteiligt, wenn er auch nur ein Stück Mechanik verlangt. Und kaum eines dieser Produk- te hätte ohne den Einsatz von Zahn- rädern funktioniert. und technische Anforderungen führten in kürzester Zeit zu Er- findungen, Entdeckungen und Entwicklungen wie Telefon, Radio, Fotografie, Automobil oder Rönt- genstrahlen. Diese forcierten den Drang nach besserem Lebensstan- dard für weite Kreise der Bevölke- rung. Unternehmer mit Weitblick nutzten nun ihre Firmenressour- cen zur Herstellung dieser Produk- te oder fungierten als Zulieferer für Bestandteile. Nahezu in allen Uhrenfabriken wurden die Mono- strukturen aufgebrochen, neue Produkte ergänzten oder ersetzten Technikprodukte für den Massenmarkt waren Uhren. Sie wurden zunächst in Werkstätten, dann in größeren Stückzahlen in Fabriken pro- duziert. Diese Zeitmesser waren lokal und auch auf dem Weltmarkt erfolgreich. Doch zum Ende des 19. Jahrhunderts hin und zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten immer rationellere Ferti- gungstechniken in Zusammenhang mit globa- lem Wettbewerb und Preisverfall zu enormen Problemen – einer ganzen Region drohte der Abschwung. das bisherige, oft ausschließlich an der Uhr ori- entierte Fertigungsprogramm. Dazu gehören Bestandteile zu Gas-, Wasser- und Stromzäh- lern, hierbei vorzugsweise die Zählwerke. Unterhaltungselektronik von SABA, Platten- spieler von Dual, das Radio von B.K.S. Ketterer beziehungsweise der BADUF, das batteriebetrie- bene Tonbandgerät Butoba mit Uhrwerkantrieb von SBS-Feintechnik, Fahrtenschreiber und Park – uhren von Kienzle, die Lenkhilfe von ebm-papst sind weitere Beispiele dafür, wie Unternehmen aus dem Landkreis mit neuen Produkten erfolg- reich globale Märkte eroberten. Neue Produkte oder Bestandteile brechen die Fazit dieses kurzen Abrisses: Kaum eines die- Monostrukturen der Uhrenfabriken auf Lösungen für diese Krise zeichneten sich bald ab: Neue Bedürfnisse ser Produkte hätte ohne den Einsatz von Zahn- rädern funktioniert. Der Weg von den Mahl- und Sägemühlen zu vielen Produkten der Neuzeit ist ohne den Einsatz von Zahnrädern nicht vorstell- bar. Zahnräder stehen als Synonym für Kom- petenz in mechatronischen Systemen – bis hin Ob Ketterer in Furtwangen oder Burger in Schonach: Die Fertigung von Zählwerken für Gas-, Wasser- und Stromzähler bescherten den einstmals reinen Uhrenfabriken ein überlebenswichtiges Zusatz- geschäft. Abgebildet ist ein Gas- zähler der Firma Ketterer aus den 1890er-Jahren mit Münzeinwurf. 88 Wirtschaft


zur Nanotechnologie. Versucht man vor diesem Hintergrund den technologischen Fußabdruck des Zahnrades und dessen Folgeerscheinungen in unserer Region darzustellen, stellt sich einem ein eng verflochtenes Netzwerk von Unterneh- men, Ortschaften, Interessenslagen und Markt- beziehungen dar. Einige Beispiele machen in der Folge dieses Netzwerk und dessen Auswirkun- gen anschaulich. Kienzle-Automaten kontrollieren Arbeitszeit oder gestatten Kauf von Parkzeit Dampfmaschine, Verbrennungs- und Elektro- motor ermöglichten es, den über Jahrhunderte hinweg tiergebundenen Transport von Men- schen und Gütern zu einem maschinengestütz- ten Transport weiter zu entwickeln. Zunächst fuhr ab 1872 die Schwarzwaldbahn, es kam zum Anschluss an den Weltverkehr. Dabei erhöhte sich die Effizienz des Landtransportes: Sie hat sich – aus heutiger Sicht betrachtet – von weni- ger als 50 km/Tag auf wenigstens 1.000 km/Tag mindestens verzwanzigfacht. Die neue Mobilität hatte große Auswir- kungen auf die Zeitmessung. Zunächst wurden, ausgelöst durch erheblich kürzere Fahrzeiten, präzisere und in großem Umfang auch ortsunge- bundene Uhren erforderlich, um wirtschaftlich funktionierende Fahrpläne realisieren zu können. Gleichzeitig stellte man fest, dass die Bindung an unterschiedliche Ortszeiten nicht mehr sinnvoll ist; es wurden Zeitzonen erforderlich. Das frühere Nebeneinander von Stuttgarter und Karlsruher Zeit sowie einigen Schweizer Lokalzei- ten (in unserer Region bis zu etwa 10 Minuten Differenz) war nicht mehr tragbar. Kienzle-Parkuhr mit Sichtfenster im Uhrenindustriemuseum in VS-Schwen- ningen. Im Zentrum des mechanischen Innenlebens befindet sich das Zahnrad. Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri Kienzle in Schwenningen erkannte das als Chance. Das Unternehmen geht auf eine Fir- mengründung von Johannes Schlenker im Jahr 1822 zurück. Die so entstandene Deutsche Uh- renfabrik wurde im ausgehenden 19. Jahrhun- dert von dem eingeheirateten Jakob Kienzle für eine Produktion von Uhren mit sechsstelligen Stückzahlen pro Jahr ausgebaut. Wecker und Armbanduhren stellten sich den Anfordernissen der industrialisierten Welt. Die Ressourcen des Unternehmens ermöglichten es zudem, in wei- tere Produkte zu expandieren. So entstanden neben Fertigungslinien für Stechuhren zur Kon- trolle der Arbeitszeit von Mitarbeitern, soge- nannte „Arbeitsschauuhren“ zur Kalkulation von Fertigungskosten, Taxameter und Parkuhren. Im übertragenen Sinn konnte man sich nun, durch den Automaten kassiert, Zeit kaufen. Zeit, um beispielsweise auf einem Parkplatz stehen zu können. Natürlich erfolgten die Zeitmessung und das Geldkassieren mit Hilfe eines uhrwerk- ähnlichen Zahnradgetriebes. Über den Taxa- meter – Buchhaltungs- und Kassiergehilfen des Taxifahrers – sowie Fahrt-Schreiber für Busse und Lastkraftwagen war der Weg der ursprüng- lichen Kienzle-Uhren fabrik in den Automobilbe- reich geebnet. Heute sind Kombiinstrumente und komplette Fahrerarbeits- plätze für gewerbliche Fahr- zeuge starke Geschäftsfelder der Continental Automotive GmbH, des Unternehmens, in der in heutiger Zeit Kienzle Apparate aufgegangen sind. Die Ergänzung dieser Produktlinien durch Geräte zur automatisierten Maut- erhebung führte zu einem weiteren global erfolgreichen Bestandteil unser aller Mobi- lität. Auf der In ternetseite von Continental ist darüber hinaus zu lesen: „Die Instandhaltung und Refinanzierung der kostenin- tensiven Verkehrsin frastruktur ist nur ein Vorteil unserer Maut-OBUs (On-Board-Units). Wir bei Conti- nental können viel mehr als das. 89


Eigentlich ist es müßig, darüber nachzudenken, wenn man erfährt, dass die gleiche Motoren- Philosophie benutzt wird, um im Automobil beim Ersatz von bislang hydraulischen Kon- zepten mit den neuen x-by-wire Technologien entscheidende Funktionen auszuführen. Motor, Elektronik und digitaler Informationsfluss be- finden sich auf dem Stand des 21. Jahrhunderts, doch die eigentlichen Prozesse im Automobil erfordern – man ahnt es schon: Zahnräder in Getrieben. Zahnräder, die für ihr Zusammen- spiel geeignete Gehäuse, Lager und Achsen brauchen. Nicht nur im Automobil schlägt sich ein weitreichendes Antriebskonzept von ebm- papst nieder: Auch in Bahnfahrzeugen kommen diverse Antriebe von ebm-papst zum Einsatz, immer wiederkehrend auf der Basis eines wirklich neuen Konzeptes zum Elektromotor. Exakte Drehzahlprofile und reproduzierbare Bewegungen sowie hohe Ausfallsicherheit in allen Einsatzbereichen sind hier die wichtigsten Anforderungen. Präzise positionierbare DC- und GreenTech EC-Motoren mit hervorragenden Regeleigenschaften in unterschiedlichsten Auslegungen und Leistungsklassen eröffnen ein neues Sicherheitsniveau. Mit integrierter Betriebselektronik, Getrieben und Drehzahlge- bern werden sie höchsten Komfortansprüchen gerecht. ebm-papst ist als renommierter En- Eine On-Board-Unit von Continental. Sie dient der automatischen Mauterhebung, aber auch der Steuerung des Verkehrsflusses. Heute unterstützen die intelligenten OBUs von Continental die Steuerung des Verkehrsflusses auf weniger befahrenen Straßen und sichern die Mobilität auf überlasteten innerstädtischen Strecken. Diese On-Board-Units bilden die Grundlage für Mehrwertdienste für all unsere Kunden – Betreiber und Speditionen.“ In diesem Abriss der Kienzle-Produktlinien ist bereits der Ansatz zu intensiver Vernetzung unternehmerischer Tätigkeiten erkennbar: War seit dem 19. Jahrhundert das wirtschaftlich herstellbare und gleichsam perfekt funktionie- rende Endprodukt angestrebt, so hat sich das Geschäftsfeld nun auf die Produktion unver- zichtbarer Bestandteile von anderen Komplett- produkten verlagert. Immer mehr Uhrenher- steller wandelten sich zum Zulieferbetrieb, sie diversifizierten ihre Fertigung. Das brachte eine größere Flexibilität bei der Nutzung eigener Kompetenzen, bedeutete das Ende der lange Zeit vorherrschenden Monostrukturen. Von Papst-Motoren zum Systemanbieter ebm-papst Und es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: Ist ein Lüfter von ebm-papst ein Fer- tigprodukt oder Bestandteil von Produkten? Maximale Fahrsicherheit bei hohen Geschwindigkei- ten und bequemes Handling beim Einparken – auch dank der Zahnradtechnik. EC-Antriebe von ebm-papst dienen der aktiven Lenkunterstützung. 90 Wirtschaft


gineeringpartner und Hersteller von Gebläse- und Antriebs lösungen seit Jahren in vielen Applikationen im Einsatz. Damit in Zukunft Sicherheit und Komfort nicht auf der Strecke bleiben. Immerhin wurde kürzlich ebm-papst als Deutschlands nach- haltigstes Unternehmen ausgezeich- net (bei 680 Teilnehmern). Der Wunsch nach Unterhaltung schafft viele neue Arbeitsplätze In St. Georgen wur- de für Grammopho- ne ein Antriebsmo- tor mit wahlweise Federbetrieb oder elektrischem Be- trieb entwickelt: die Startposition des Unternehmens Dual. Man hatte sozusagen den iPod der Weimarer Repu- blik geschaffen. Ein nicht zu unterschätzendes Grundbedürfnis des Menschen be- steht im Wunsch nach Unterhaltung. Frühere Potentaten konnten sich Or- chester und Theater leisten, Mittel- und Unterschicht der Bevölkerung jedoch nicht. Spieluhren und ihre Fortentwick- lungen in Form des Orchestrions griffen diesen Bedarf weiter Bevölkerungskreise auf. Grundla- ge war wieder das auf Zahnradgetrieben basie- rende Uhrwerk. Auf Musikwerke spezialisierte Unternehmen wie Imhof und Muckle in Vöhren- bach stellten zusammen mit anderen Produzen- ten im Schwarzwald die Spitzenposition auf die- sem Gebiet dar. Glück licherweise überlebte ein hochwertiges Philharmonie-Orchestrion durch Lieferverzögerung den Titanic-Untergang. Nicht überlebt hat der Hersteller: Er war auf dieses aufwendige und teure Produkt so sehr speziali- siert, dass er beim Aufkommen des preiswerten Grammophons über Nacht chancenlos wurde. Unternehmen indes, die auf der Grammophon technik basierten, konnten den Übergang zu elek- tronischen Baugruppen aktiver mitgestalten. In St. Georgen wurde ein eigens dafür geeigneter An- triebsmotor mit wahlweise Feder- betrieb oder elektrischem Betrieb entwickelt: die Startposition des Unternehmens Dual. Man hatte sozusagen den iPod der Weimarer Republik geschaffen. Es ist fast nicht erforderlich, zu erwähnen: Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri Der Dual-Antrieb stammt aus dem Hause Papst-Motoren. 1937 wurde der Dual-Plattenspieler auf der Welt- ausstellung in Paris mit einer Me- daille ausgezeichnet. SABA – Vom Uhrwerk zur Radio- und Fernsehtechnik Die Schwarzwälder Apparate Bau- Anstalt in Villingen, kurz SABA, kommt von der Produktion von Uhrwerken her und wurde von Jo- seph Benedikt Schwer 1835 in Triberg gegründet. Die SABA widmete sich ab den 1920er-Jahren auch der elek- trischen Unterhaltungstechnologie. Zunächst wurden Radio-Bestandteile gefertigt. Zur Abstimmung auf unterschiedliche Sen- der waren Drehkondensatoren erforderlich, die SABA in höchster Qualität fertigte. SABA vollzieht hier bereits 1925 einen entscheidenden Schritt in Richtung Bedienungserleichterung: Man wollte dem Radiohörer nicht nur die Sen- dereinstellung an sich, sondern eine komfor- tabel handhabbare Funktion bieten. Ziel war, auf der Radioskala die Frequenzen der Sender gleichförmig aufzuteilen und so eine Grob- und Feinabstimmung für bestmögliche Klangquali- tät zu erreichen. Das gelang mit dem SABA-Or- thometer. Herzstück des dazu erforderlichen Drehkondensators ist ein Zahnradgetriebe! Somit hat das Zahnrad die elektrischen Medien, die Infor- mations- und Unterhaltungselektronik erreicht. Bestmögliche Senderabstimmung und Klangqualität dank SABA. Steht der Skalenanzeiger bei Paris, dann hört man diesen Sender auch – lange Zeit war dies nicht selbstverständlich. 91


Werbeblatt zum SABA 980 WLK für Wechselstrom mit vier Wellenbereichen samt Selbstsuche der Sender, Marktein- führung 1937. ten den Plattenspieler an, sondern auch immer mehr „normale“ Hö- rer. Fehrenbacher in St. Georgen baut vor diesem Hintergrund die legendären Dual-Plattenspieler nach (siehe Seite 120), ebenso ist die einst ruhmreiche Marke Perpetuum- Ebner zu neuem Leben erweckt worden (siehe Seite 126). Und, wie könnte es auch anders Ein Jahrzehnt später entwickelte SABA das überhaupt erste Radio mit automatischem Sendersuchlauf (SABA 980WLK 1937). Ein Elek- tromotor mit angepasstem Zahnradgetriebe realisierte den elektromechanischen Teil die- ser Funktion. SABA baute auch Widerstände, Abstimmspulen, Kopfhörer, Lautsprecher und Transformatoren. Das heißt, auch Drähte, die bei Uhren als Rohmaterial für Achsen und Spi- ralfedern dienten, wurden einer Zweitverwen- dung in der Elektronik unterzogen. Die Technik des Wickelns spielte dabei eine große Rolle. Gegen Ende der 1920er-Jahre folgt die Zusammenstellung von Radiobausätzen und schließlich die Fertigung kompletter Radiogerä- te. Damit verlässt SABA die Konzentration auf die Herstellung von Bestandteilen. Fertige Gerä- te in großen Stückzahlen konkurrieren zunächst erfolgreich mit anderen Markenprodukten, bis die Marktsättigung erreicht ist. Das führt ab den späten 1960er-Jahren zum Niedergang und schließlich zur Auflösung der SABA. Dual und PE: Perfekter Hörgenuss „Made in St. Georgen“ Aber manche Dinge kommen wieder, was die einstige Phono-Hochburg St. Georgen freut: Gegenwärtig entwickelt sich ein neues Interesse an Plattenspielern, der Markt boomt förmlich. Nicht mehr nur Klangspezialisten und DJs schal- sein: Der Antrieb der Dual- oder PE-Plattenteller erfolgt durch einen Motor von ebm-papst! Diese hochwertigen Plattenspieler sind vollständig „Made in St. Georgen“, stammen somit aus dem einstigen Kompetenzzen trum für Analogtech- nik mit Weltgeltung. Und die analoge Welt der Plattenspieler baut zudem eine Brücke in die digitale Gegen- wart: Über eine USB-Schnittstelle lassen sich die Schallplatten digitalisieren und beispielsweise auf das Smartphone überspielen. Die SBS-Feintechnik treibt ihr mobiles Ton- bandgerät „Butoba“ mit einem Uhrwerk an Ein weiterer bekannter Hersteller von vorzugs- weise mechatronischen, kundenspezifischen Antriebslösungen ist die BURGERGRUPPE in Schonach. Kuckucksuhrwerke gehörten und ge- hören bei der SBS bis heute wie selbstverständ- lich zum Angebot. Auch Burger war Spezialist für den Bau von Grammophonantrieben. Was lag also näher, als diese in abgewandelter Form in Tonbandgeräten einzusetzen? In zudem sehr kleinen und handlichen Geräten: Burger ver- trieb mit dem Produkt „Butoba“ in den 1950er-Jahren weltweit das erste wirklich trag- bare Tonbandgerät. Der Bandantrieb durch ein Uhrwerk und der konsequente Einsatz der Tran- sistortechnik ließ die ansonsten erforderliche Batteriegröße entsprechend schrumpfen. Die 92 Wirtschaft


Mit dem kleinsten Tonbandgerät der Welt als Reporter in Afrika unterwegs. Das Tonband- gerät Butoba der Schonacher SBS-Feintechnik machte es möglich. Benutzungsdauer dagegen stieg deutlich an. Wenn man so will, war jetzt der iPod der Nachkriegszeit da. Vorausschauend vernachlässigte Burger dabei nicht sein Kerngeschäft als Zulieferer für mechanische Bestandteile, denn der Erfolg auf dem Markt für Ton- bandgeräte war nicht von Dauer – auch wenn man mehrere zehntausend Stück veräußern konnte. Somit störte die mas- sive Konkurrenz von Revox (zeitweise in Villingen) und Uher nicht wirklich. Die heutige BURGERGRUPPE überlebte den Niedergang von Butoba dank ihres auf mecha- nischen Produkten basierenden Kerngeschäftes. Heute glänzt die mittelständische Gruppe als Komplett anbieter für kundenspezifische An- triebstechnik. Kaiser-Uhren in Villingen: Chancenlos gegen SABA und Grundig Auch die J. Kaiser Uhren GmbH Villingen, kurz Kaiser-Uhren, begründete in den 1920er-Jah- ren – wie etliche andere Unternehmen – eine Produktlinie für Radio-Bauelemente. Der Werk- zeugpark eines Uhren- oder Uhrenbestandteile- herstellers war dazu prädestiniert – bestand ein frühes Radio doch vorzugsweise aus feinmecha- nisch produzierten Komponenten. Doch: Kaiser fertigte nach dem Zweiten Weltkrieg komplette Radios, keine Bestandteile mehr. Dadurch bestand unmittelbare Konkurrenz zu Produzenten von Großserien wie SABA oder Grundig, gegen die sich Kaiser nicht behaupten konnte. Durch die Aufgabe der Fertigung von Bestandteilen und die Konzen tration auf Fertig- geräte war die Unternehmensflexibilität nicht mehr gegeben: Kaiser musste aufgeben. Ähnlich erging es der Marke JOTHA (Johan- nes Hüngerle) in Königsfeld. Finanzprobleme Mitte der 1950er-Jahre führten zum Konkurs von JOTHA, obwohl die Radiogeräte denen der Konkurrenten qualitativ mindestens ebenbürtig waren. Zahnradtechnik sorgt für höhenverstellbare Arbeitsplätze Automatisch höhenverstellbare Arbeitsplätze sind aus dem heutigen Produktions- und Ar- beitsalltag nicht mehr wegzudenken. Dahinter stecken Zahnradgetriebe, unterstützt durch elektrische Antriebe und eine anwendungs- spezifische Steuerung durch integrierte Mikro- elektronik wie sie das Unternehmen B. Ketterer CAD-Konstruktion zu einem höhenverstell- baren Arbeitsplatz von Ketterer Antriebe in Furtwangen. Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri 93


Söhne produziert. Gewiss ist die Elektronik unverzichtbar, doch auch in diesem Fall gilt: Oh- ne die zahnradgestützte Getriebetechnik wäre der Erfolg am Markt nicht denkbar. Ein Kunde bewertet die Ketterer- Mechanik so: „Getriebe, deren Gang so weich wie Butter ist“. Und woher stammt das Know-how? Kette- rer gehörte zu den frühen Uhrenfabriken im Schwarzwald, noch mehr aber zu den ersten Produzenten von Gas-und Wasserzählern in Baden. Im Innern dieser Zähler befanden sich mechanische Laufwerke, die der Uhrentechnik entsprungen sind. Herzstück des Ganzen: hoch präzise Zahnradgetriebe. Maschinenbauer ermöglichen die Präzision Was ermöglichte diese Präzision, die Massen- fertigung von Zahnrädern? Die Maschinen der Furtwanger Koepfer Zahnrad- und Getriebe- technik GmbH beispielsweise! Heute handelt es sich dabei um computergesteuerte, hoch moderne Bearbeitungszentren. Koepfer machte durch seine Maschinen die in der Feinmechnik erforderliche Präzision in Mengen verfügbar. Es sei nur angemerkt, dass die Flanken der Zähne von Zahnrädern mathematisch bestimmten Kurvenformen folgen müssen, um perfekt abzu- rollen und reibungsarm zu funktionieren. J. G. Weisser in St. Georgen hat seine Ur- sprünge in einer Huf- und Wagenschmiede an der früheren Poststraße von Straßburg nach Wien. Heute gilt Weisser als technologisch welt- weit führender Hersteller von multifunk tionalen Präzisions-Drehmaschinen und Dreh zentren. Seit 150 Jahren werden Industriekunden, hauptsäch- lich mit Bezug zum Automobilbau, mit immer wieder innovativen Lösungen beliefert. Vorzugsweise die Uhrenindustrie wurde von Johann Morat, heute IMS Gear, mit Maschinen, Werkzeugen, Zahnrädern, Zahnwellen, Drehtei- len beliefert. Somit wuchs dieser ursprünglich aus Eisenbach stammende Betrieb, heute in Do- naueschingen, zum Spezialisten für Zahnräder und Getriebe heran. Große Systemlieferanten werden für ihre Produkte in der Automobil- branche beliefert – und das weltweit. Kommen wir zurück zu ebm-papst. Wer kennt das nicht, lästige Tätigkeit wie den Rasen mähen… Es gibt eine Lösung dazu. ebm-papst wirbt mit dem Slogan: „Robo allein zu Haus – Guck mal, wer mäht denn da?“ Das fragen sich die Nachbarn, wenn der Rasenmäher wie von Geisterhand gesteuert allein über den Rasen fährt. Immer stärker entlasten uns Roboter wie diese von lästigen Tätigkeiten in Haus und Hof. Möglich wird das auch durch EC-Technik: Das ist die Motorentechnik, die auf dem Technologie- pfad von ebm-papst basiert. Wir können sicher sein: Werden Kräfte umgelenkt, verändert oder an bestimmten Plätzen benötigt, dann werden wir dem Zahnrad begegnen – inmitten modernster Elektronik und Informatik. Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich wurzeln ebenfalls in der Mechanik Hiesige Unternehmen aus dem Gesundheits- bereich haben ebenfalls ihre Wurzeln in der Feinmechanik – ähnlich wie im Tuttlinger Raum mit Aesculap/Braun, Chiron oder Storz. G. Wohl- muth aus Furtwangen ist als einstiger Produ- zent elektrischer Baugruppen wie Messgeräte, Trockenelemente oder verstellbare Widerstän- de bekannt. Mit diesen Komponenten fertigte Wohlmuth das Produkt „Reizstromgerät“ für die Elektrotherapie. Aus nicht näher bekannten Gründen beendete Wohlmuth 1934 seine zu- nächst sehr erfolgreiche Tätigkeit. Die elektrische Parkbremse von IMS Gear funktioniert auf Knopfdruck und erleichtert das Anfahren am Berg – im Innern findet sich auch Zahnradtechnik. 94 Wirtschaft


Das Grundbedürfnis nach Das Grundbedürfnis Gesundheit motiviert viele Unter- nehmensaktivitäten, wie bei Alpro in Mönchweiler oder Biedermann in Donaueschingen/Villingen zu beobachten ist. Nicht nur, dass von Biedermann eines der herausragen- den Museen unseres Landkreises gestaltet wird, in den Produktions- stätten werden durch die Implantat- systeme von Biedermann optimale Verbindung von Medizin und Technik realisiert. nach Gesundheit motiviert viele Un- ternehmensaktivi- täten, wie bei Alpro in Mönchweiler oder Biedermann zu beobachten ist. Gesundheit ist und bleibt eines der zen- tralen Themen un- serer Gesellschaft. In unmittelbarer Nähe zu Bieder- manns Museum gibt es seit Kurzem das Experimentierparadies für Kin- der. Eine der angebotenen Aktivitä- ten besteht darin, mit vielen Zahnrädern eine riesige Uhr zusammenzubauen. So lernen be- reits die Kleinsten die Bedeutung und Funk tion dieses so symbolträchtigen Bestandteiles vieler Geräte von gestern bis heute kennen. Goethes Geburt und neun Jahre vor Schiller!) produzierte Gussteile für die Uhrenfertigung: Glocken, Gewichte, Halbfertigteile. Mit dem Nachfragerückgang aus der Uhren- branche besann man sich darauf, mit dem Firmeninventar eine Erwei- terung auf Bestandteile und kom- plette Geräte der Telegrafen- und Telefontechnik vorzunehmen. Zwei Hilfskomponenten waren in diesem Telefon erforderlich: So der Rufspan- nungserzeuger, der vom Benutzer an einer Kurbel zu betätigen war, um beim legendären Fräulein vom Amt eine Glocke läuten zu lassen. Da die mit der Hand gedrehte Kurbel zu langsam war, um die erforderliche Rufspan- nung zu erzeugen, musste durch Übersetzung mit einem Zahnradgetriebe die erforderliche Drehgeschwindigkeit erreicht werden. Weiter der durch eine Wählscheibe in Gang gesetzte Nummernschalter. In Verbindung mit dem zen- tralen Wählamt ermöglichte er ab beginnen- dem 20. Jahrhundert, die Telefonverbindung zu einem anderen Teilnehmer selbst herzustellen. Damit war der Rufspannungserzeuger im Tele- fon ein Produkt von gestern. Nicht jedoch das Zahnrad: Der Nummern- schalter ist im Prinzip ein durch die Wählschei- be betriebenes Uhrwerk. Es hat die Aufgabe, der Nummer zugeordnet, durch Stromkreisunter- brechungen Impulse auszusenden und somit Ein Experimentierparadies ist das Kinder-und Jugend- museum Donau eschingen. Das Getriebe aus Zahn- rädern verdeutlicht den Kindern das Wesen der Me- chanik. Somit lernen Kinder am Beispiel des Zahnrades die Gesetze der Mechanik kennen. Das Zahnrad und seine Rolle bei der Übermittlung von Nachrichten Genau wie bei der Unterhaltungstechnik kann man sich auch bei der Übermittlung von Nachrichten fragen, welche Rolle das Zahnrad spielt oder gespielt hat. Betrachten wir hierzu die Historie von SSS Siedle in Furtwangen. Der 1750 gegründete Gießereibetrieb (ein Jahr nach Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri 95


Teile der Enigma stammen aus Furtwangen Wenn es um die verschlüsselt durchgeführte Kommunikation geht, dann gibt es eine weitere Furtwanger Adresse: Aktiengesellschaft für Feinmechanik und Apparatebau (AGFA), 1915 gegründet von Johann Wehrle und Ernst Reiner. Die Aktiengesellschaft für Feinmechanik und Apparatebau erhielt im Dezember 1921 ein Patent auf eine Wächterkontrolluhr, bei der ne- ben der Zeit durch einen beweglichen Schreiber auch der Gang des Wachpersonals aufgezeich- net wurde. Diese Kontrolluhren wurden unter dem Markennamen „Vibrograph“ vertrieben. Ein Rüttelschreiber zeichnete zusätzlich zu den Stationsmarkierungen das Laufdiagramm des Nachtwächters auf. Blieb dieser in der Wachstu- be sitzen, ließ sich das am nächsten Morgen auf der Diagrammscheibe nachweisen. Anhand der Aufzeichnungen des eingebauten Schreibstiftes konnte man sogar das Lauftempo des Wächters feststellen. Heute würde diese Funktion auf dem Smartphone eine App realisieren. Daneben entwickelte, baute und lieferte diese Firma auch Teile des berühmten Chiffrier- gerätes „Enigma“ für die deutsche Wehrmacht. Mehrstufig angeordnete Verschlüsselungswal- zen leisteten, in ein Zahnradgetriebe eingebet- tet, auf mechanischem Weg die Verschlüsse- lung von über Funk übermittelten Nachrichten. Hierbei hatten Zahnräder die entscheidende Funktion. Reiner in Furtwangen war in der Lage, diese in perfekter Präzision zu liefern. Der Schwarzwald steckt voller Hidden Champions Zurück in die Gegenwart. Die Frankfurter All- gemeine Zeitung berichtete bereits 1980 über das „Silicon Valley des Uhren machenden Schwarzwaldes“. Bundeskanzler Schröder lo- kalisierte die Hidden Champions 2005 dann in Furtwangen: „Wie ich gelesen habe, gibt es in Deutschland für so etwas ein Modell. Das ist das „Modell Furtwangen“. Furtwangen ist eine Kleinstadt im Hochschwarzwald, fast 1.000 Meter hoch gelegen. Dort gibt es keinen Bahn- Ein Siedle-Wählscheibentelefon aus den 1930er- Jahren. Das Aquarell stammt von Max. H. Siedle. Er ist der Vater des erfolgreichen Unternehmers Horst Siedle, der das Unternehmen zu seiner heutigen Be- deutung und Größe führte. den Wählvorgang vorzunehmen. Dabei hat auch dieses Uhrwerk mit Präzision zu arbeiten, denn jeder Impuls muss genau 1/10 Sekunde dauern, wobei 0,4/10 Sekunden eingeschaltet und 0,6/10 Sekunden ausgeschaltet wird. Des- halb wird dieses spezielle Uhrwerk mit einem mechanisch arbeitenden Drehzahlregler kombi- niert, eine Einrichtung, die man in gleicher Form vom mit Uhrwerk betriebenen Grammophon her kennt. Inzwischen ist natürlich bei Siedle auch der Nummernschalter Historie, elektronische Bau- gruppen haben die Funktionen zur gezielten Kommunikation ersetzt. Und im nachfolgen- den Entwicklungsschritt ergänzte Siedle seine Produktreihen durch Bildübertragung und zeit- gemäße Netzwerkanbindungen sowie Zutritts- kontrolleinrichtungen für unterschiedlichste Bereiche. Doch Zahnräder waren für Siedle eine unverzichtbare Brückentechnologie auf dem Weg zum erfolgreichen Weltunternehmen. 96 Wirtschaft


hof und keinen Autobahnanschluss. Furtwangen aber hat eine der nied- rigsten Arbeitslosenquoten in ganz Deutschland. Man muss sich fragen – und das haben wir gemacht: War- um ist das so? Das ist so, weil das enge Tal im Schwarzwald buchstäblich voll ge- stopft ist mit dem, was wir „Hidden Champions“ nennen, die in vielen Branchen Weltklasse anbieten, von der Steuerungstechnik bis zur Fein- mechanik. Viele dieser Unternehmen sind übrigens Ausgründungen von Studenten der Fachhochschule Furt- wangen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in dem Geschehen der Grün- dungen: Die Hochschule ist konse- quent international ausgerichtet und kooperiert mit 70 Hochschulen und Universitäten weltweit. In Furtwangen lebt bis heute also „Das ist so, weil das enge Tal im Schwarzwald buch- stäblich voll gestopft ist mit dem, was wir „Hidden Cham- pions“ nennen, die in vielen Branchen Weltklasse anbieten, von der Steuerungs- technik bis zur Fein- mechanik.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 heimischen Industrie bedeutet, dass ein beiderseitiges Geben und Neh- men an der Tagesordnung ist. Die Vernetzung zum Wissenstransfer ist unverzichtbarer Bestandteil des Furt- wanger Modells – heute mindestens so wichtig wie 1850. Ein Netz von Technologiezentren und Forschungseinrichtungen In Sachen Produktentwicklung kön- nen sich die Betriebe im Kreis auf das heimische Netz von Technologiezen- tren und Forschungseinrichtungen verlassen: Für den nötigen Techno- logietransfer sorgen neben der HFU und der Dualen Hochschule (DHBW) das Institut für Mikro- und Informa- tionstechnik der Hahn-Schickard-Ge- sellschaft (HSG-IMIT, s. Seite 112), der jener Geist des fleißigen Tüftelns, herrscht eine Mentalität der Standfestigkeit und existiert ein Glaube an die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Genau das sind die Haltungen, von denen ich den- ke, dass wir sie ganz verstärkt wieder brauchen.“ Von der Uhrmacherschule zur Hochschule Furtwangen University (HFU) Das Bestreben, im Wettbewerb um die Her- stellung besserer Uhren erfolgreich zu sein, führte 1850 zur Gründung der Großherzoglich badischen Uhrmacherschule in Furtwangen. Ihr erster Direktor war der großherzogliche Baudi- rektor und Erbauer der Schwarzwaldbahn, Inge- nieur Robert Gerwig aus Karlsruhe. Aus der Uhr- macherschule ging später die Fachhochschule Furtwangen hervor. Zeitgleich zu den skizzier- ten Anpassungen der Industrie entwickelte sich diese Einrichtung schrittweise weg von der Uhr, erfolgte ihre Weiterentwicklung zur Ingenieur- schule für Feinwerktechnik, Fachhochschule für Technik, Wirtschaft, Informatik bis zur heute als Hochschule Furtwangen University (HFU) bekannten Institution. Engste Kontakte mit der TechnologyMountains e.V. mit den Akteuren Kunststoff- Institut Südwest, MedicalMountains AG und MicroMountains Applications AG und zahlreichen Transferzentren unter dem Dach der Steinbeis-Stiftung. In den Technologiezentren, Innovations- oder Gewerbeparks finden junge Existenzgrün- der ein wirtschaftlich tragfähiges Sprungbrett. Versuch eines Fazits Befinden wir uns nun auf der Gewinner- Seite? Ja, beständig. Aber: Kümmern wir uns alle darum, dass dieser gute Zustand, bei allen Konjunkturzyklen oben zu bleiben, erhalten wird! Die Vernetzung – besser natürlich: Ver- zahnung – und flexible Strukturen sind dazu unverzichtbar. Dazu braucht es als elementare Grundvoraussetzung ein schnelles Internet – auch im ländlichen Bereich. Wir sind bereits auf dem Weg dazu. Das schnelle Internet stellt für die Verzahnung von Forschung, Ausbildung, Produktentwicklung, Produktion und Logistik, kurz für die Industrie 4.0, eine der Grundvoraus- setzungen dar. Von der Schwarzwalduhr nach Tschuri 97


Die Uhrenfirma Hanhart in Gütenbach von Matthias Winter Hanhart Primus. Der rote Knopf, das Markenzeichen der Hanhart -Chronographen, warnt vor einem versehentli chen Nullstellen der Stoppfunktion. 98 98 Wirtschaft


Dass man Uhren mit Begeisterung und Leidenschaft bauen muss, um heute am Markt zu überleben, das beweist die Firma Hanhart in Güten- bach. Das Unternehmen produziert seit über 130 Jahren ohne Unterbre- chung Zeitmesser. Und alleine diese Tatsache hat Seltenheitswert, nur wenige andere Uhrenhersteller kön- nen das von sich behaupten. Durch seine Passion für technischen Erfin- dergeist stellt Hanhart auch heute höchste Ansprüche an sich selbst und orientiert sich an folgenden Maxi- men: unvergleichliche Präzision und Zuverlässigkeit, perfekte Ablesbarkeit und einfache, sichere Bedienbarkeit sowie beste Robustheit. Seit 1882 stellt der Uhrenhersteller Zeitmesser her, die Perfektion mit unverwechsel- barem Design vereinen. Entwicklung, Herstellung und Vertrieb der mecha- nischen Meisterwerke sind in Güten- bach im Schwarzwald angesiedelt. ClassicTimer „Flexibilität ist bei uns ein hohes Gut“, be- tont Simon Hall, einer der Geschäftsführer der Firma. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Trends und Entwicklungen rechtzeitig wahrzunehmen und für das Geschäft zu nutzen. Gerade diese Eigenschaft verhalf Hanhart, die Klippen zu umschiffen, die zahlreichen anderen Uhrenfirmen in der Re- gion zum Verhängnis wurden. Ein gutes Beispiel ist das Thema Quarz- uhrenwerk, das von zahlreichen klassischen Uhrenherstellern lange Zeit ignoriert wurde, wohl in der Hoffnung, dass sich diese Be- drohung des bisherigen Geschäftsmodells irgendwann erledige. Willy Hanhart, Sohn des Firmengründers Johann Adolf Hanhart, sah dagegen bereits in den 1950er-Jahren, dass die Zeit der mechanischen Uhrwerke in der Massenproduktion abgelaufen war und drängte darauf, sich in zukunftsfähigen Ge- schäftsfeldern zu engagieren. „Wir müssen in die Elektronik rein“, war damals sein Cre- do, wie sich Manfred Schwer, langjähriger Musterbauer und Konstrukteur, noch gut erinnert. Er ist zwar längst in Rente, doch ist er nach wie vor mit Leib und Seele für Han- hart tätig. Von den 1950ern bis in die 1990er-Jah- re hinein wurden von Hanhart jedenfalls Uhren gebaut, die mit Transistorenwerken ausgestattet waren. „Uhren mit solchen Werken gab es schon in den 1950er-Jahren, sie wurden an die Firma Quelle geliefert“, erinnert sich Manfred Schwer. XXX 99


Später war vor allem die Herstellung von kleinen Quarzuhrwerken gefragt. Eine der gro- ßen Schwierigkeiten dabei bestand darin, die Zahnräder aus Kunststoff so exakt zu fertigen, dass ein Uhrwerk mit hoher Ganggenauigkeit entstand. „Die Kunststoffverzahnung war eine große Herausforderung“, erinnert sich Manfred Schwer. Doch die in Gütenbach und Schwennin- gen beheimatete Firma Hanhart hatte zusam- men mit der Firma IMS (heute IMS Gear, Donau- eschingen) entsprechende Präzisionszahnräder entwickelt und konnte sich damit erfolgreich dem Wettbewerb stellen. Im schweizerischen Diessenhofen gegründet Zurück zu den Anfängen: Gegründet wurde die Firma im Jahr 1882 als Uhrenmanufaktur von Johann Adolf Hanhart im schweizerischen Dies- senhofen. Und schon er legte die erforderliche Flexibilität an den Tag: 20 Jahre später, 1902, verlegte Hanhart die Firma in die Uhrenhoch- burg Schwenningen, weil er sich dort bessere Produktionsbedingungen versprach. Im Jahr 1920 stieg sein Sohn Wilhelm Julius, kurz Willy, in das Unternehmen ein. Der Juniorchef war ein begeisterter Sportler und erkannte bald eine Marktlücke: Preiswerte Stopp uhren gab es zu der Zeit kaum auf dem deutschen Markt, vorherrschend waren die teuren Schweizer Fabrikate. Bereits 1924 brachte das Unternehmen die erste günstige Stoppuhr aus deutscher Produktion erfolgreich auf den Markt und setzte damit den Grundstein für den weiteren rasanten Aufstieg. Das lässt sich auch an der Zahl der Mitarbeiter ablesen: Beschäftig- te Hanhart 1932, im Todesjahr von Johann Adolf Hanhart, rund 30 Mitarbeiter, so waren es Ende der 1930er-Jahre bereits an die 200. 1934 wurde zusätzlich das Gebäude in Güten- bach angekauft. Da jedoch das Stoppuhrenge- schäft vor allem saisonal geprägt war, galt es, weitere Geschäftsfelder zu erschließen. So trieb Willy Hanhart die Produktion preiswerter Ta- schen- und Armbanduhren sowie von Rohwer- ken voran. Anzeige von 1967. Hanhart Werbung mit dem Nürburgring (1938). Plakat zu den Olympischen Sommerspielen 1952. 100 Wirtschaft


Hanhart Dashboard 2-piece-set Hanhart Dashboard 1-piece-set 1938 verlagerte Hanhart die Fertigung ver- stärkt nach Gütenbach in die Hauptstraße, wo sich das Firmengebäude auch heute noch befin- det. Der Firmensitz blieb jedoch in Schwenningen. Im Verkaufskatalog von 1939 befinden sich zu dieser Zeit bereits 45 Armbanduhrenmodelle so- wie mehrere Taschen- und Stoppuhrenmodelle. Ebenfalls 1938 erlangte der Eindrücker-Chro- nograph „Kaliber 40“ Marktreife. Chronogra- phen sind Armbanduhren mit Stoppuhrfunk- tion, die in diesem Fall über einen Drücker bedient wird. Unter der Bezeichnung „Pioneer Mk I“ gibt es davon heute einen originalge- treuen Nachbau (Replika). Die Chronographen waren nicht zuletzt bei Marine und Luftwaffe gefragt. Eine zweite legendäre Variante war die „Tachy-Tele“, die nicht limitiert aufgelegt wurde; ab 1940 wurde das Zweidrücker-Modell „Kaliber 41“ produziert. Hier taucht erstmals das Markenzeichen der Firma, der „rote Drücker“ auf, der die Stoppuhr auf Null stellt. Seine rote Farbe warnt vor einer versehentlichen Fehlbedienung. Schwierige Zeiten gab es nach dem Ende des Krieges, es wurden sämtliche Fertigungs- maschinen aus Gütenbach und Schwenningen nach Frankreich deportiert. Doch bereits Ende der 1940er-Jahre konnte die Uhrenproduktion in dem Gütenbacher Unternehmen wieder aufgenommen werden. Willy Hanhart begann mit Unterstützung seiner Ehefrau Gertraud den Wiederaufbau des Gütenbacher Werkes. Die ersten Maschinen wurden im Tausch gegen Arm- banduhren beschafft, Mitarbeiter holten Uhr- werke, kleinere Maschinen und Werkzeug aus Verstecken wieder zurück. 1952 erfolgte auch der Wiederaufbau des Werkes in Schwenningen. Das Hanhart-Firmengebäude in Gütenbach in den 1930er-Jahren und die Stoppuhr Tristop. Hanhart Chronographen 1882 101


Der Aufstieg zum Weltmarktführer bei der Produktion von Stoppuhren Als erstes wurde unter anderem eine einfache Version des Fliegerchronographen aufgelegt. Die folgenden Jahre sind durch den Aufstieg des Unternehmens zum Weltmarktführer bei Stoppuhren gekennzeichnet. Das hatte unter anderem zur Konsequenz, dass die Produktion von Armbanduhren 1962 erst einmal auf Eis gelegt wurde. 1972 brach das Zeitalter der Quarzuhren an. Hanhart baute eine eigene Kunststoffspritzerei und entwickelte ein eigenes Quarzwerk, das in einer millionenfachen Auflage verkauft wurde. Die ersten billigen Quarzwerke gelangten En- de der 1970er-Jahre auf den Markt. Zunächst konnten die Schwarzwälder noch mithalten und brachten ebenfalls ein preisgünstiges Werk heraus, das „Kaliber 3305“. Davon wurden rund 40 Millionen Stück verkauft. Letztlich konnte Hanhart aber im nun entstehenden Preiskampf mit der Billigkonkurrenz aus Fernost nicht dau- erhaft mithalten. Der Stoppuhrenbau lief jedoch weiter und sicherte das wirtschaftliche Überleben in ei- ner für die deutschen Uhrenhersteller extrem schwierigen Zeit. Anfang der 1990er-Jahre, als es deutlich wurde, dass man bei den Quarzwerken nicht mehr mithalten konnte, versuchte das Un- ternehmen, sich ein zweites Standbein in der Kommunikationsbranche aufzubauen. Anfangs Für höchste Präzision und Eleganz stehen die in Gütenbach produzierten Hanhart-Stoppuhren und Hanhart-Chronometer. Rechts: Geschäftsführer Simon Hall (stehend). schien dieser Weg Erfolg versprechend, doch der Einstieg scheiterte an fehlenden Vertriebs- wegen, die mit viel Geld erst hätten aufgebaut werden müssen. Dafür hatte Hanhart das Nachbargebäude von der Triberger Uhrenfirma Schatz (bekannt für ihre Jahresuhren) gekauft. 1994 verkaufte Hanhart das Gebäude wieder, und zwar an das Furtwanger Lehrerehepaar Margot und Claus-Volker Müller, die darin erfolgreich das „Hanh-Art Kunstprojekt“ etablierten, das mitt- lerweile ebenfalls weit über die Region hinaus bekannt ist. Die wiederentdeckte Armbanduhr 1992 erwarb der Schwiegersohn der Familie Hanhart, Klaus Eble, der bereits 1983 die Ge- schäftsführung des Unternehmens übernom- men hatte, zusammen mit drei Münchner Un- ternehmern die Mehrheit der Firmenanteile. Fünf Jahre später wurde die hochwertige Armbanduhr für die Produktion „wiederent- deckt“: Der originalgetreue Nachbau des Flieger- chronographen von 1939 wurde als Replika auf den Markt gebracht, vorgestellt wurde die 102 Hanhart Chronographen 1882


Primus Racer Primus Desert Pilot Primus Survivor Pilot Pioneer Tachy Tele Uhr erstmals auf der Antik-Uhrenbörse 1997 in Furtwangen. Das Unternehmen setzte mit dieser Neuauflage wieder auf die traditionelle Uhrmacherkunst. Es folgte der Chronograph „Tachy Tele“ und ein Jahr später die Modelle „Si- rius“ und „Admiral“. Die Replika-Chronographen begeisterten allenthalben die Uhrenliebhaber. „Wir haben mit der Stoppuhr so lange überlebt, bis die Mechanik wieder gefragt war“, dieses Fazit zieht Klaus Eble aus dem Geschäftsverlauf der vergangenen Jahrzehnte. Zu der überle- benswichtigen Flexibilität des Unternehmens gehörte freilich auch die Fähigkeit, neue Markt- Trends rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. nier by Hanhart“, initiiert von Irén Dornier, dem Enkel des berühmten Flugzeugkonstrukteurs, 2005 die „M 39“. Im Jahr 2009 folgte unter dem Namen „Primus“ eine neue Kollektion mecha- nischer Chronographen, wobei die Modelle „Pilot“, „Racer“ und „Diver“ durch ihr progressi- ves Design auffallen. 2011 folgte die Kollektion „Pioneer“, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch auch mechanische Stoppuhren werden neben den Armbanduhren nach wie vor im großen Stil produziert. Hanhart feiert das 130-jährige Bestehen Zahlreiche weitere Modelle werden in den Folgejahren entwickelt, 2004 zum Beispiel „Dor- 2012 konnte Hanhart sein 130-jähriges Fir- menjubiläum feiern. Nach einigen Jahren mit Prioneer Racemaster Die Modelle Pioneer-Racemaster. 103


Schweizer Inhabern ist das Unternehmen seit 2014 wieder im Besitz von Gesellschaftern aus München, der GCI Management Consulting GmbH. Einzelne Partner der GmbH waren auch schon früher an Hanhart beteiligt. Damit verbunden war eine wichtige Veränderung: Bei den Armbanduhren wurde auf ein Direkt- vertriebsmodell umgestellt. „Wir stellen selbst unsere Uhren den Juwelieren ins Fenster“, er- läutert Simon Hall. Auch wenn damit eine rege Reisetätigkeit verbunden ist. Neben ihm ist als zweiter Geschäftsführer im Bereich Armband- uhren Felix Wallner tätig. Großer Vorteil dieser Umstellung ist ei- ne deutlich attraktivere Preisstruktur, denn die Gütenbacher konnten damit ihre Preise für die Armbanduhren um 20 bis 40 Prozent senken. Wichtig sei, die Juweliere strategisch auszuwählen, und ebenso wichtig sei es, dass diese auch einen Bezug zur Geschichte haben. Monatlich schließen sich derzeit zwei bis drei Juweliere an. „Wir sehen in Deutschland ein großes Wachstumspotenzial“, so Simon Hall. Heute ist der Bereich Armbanduhren als GmbH organisiert, der Bereich Stoppuhren als KG. In diesem Bereich lief es trotz hoher Stück- zahlen schwieriger und es wird weiterhin an einer Restrukturierung gearbeitet; der Ausblick ist positiv. Geschäftsführer ist hier nach wie vor Klaus Eble. Den beiden Bereichen entsprechend gibt es auch zwei Kataloge. Sie präsentieren die Hanhart-Zeitmesser und enthalten zudem einen übersichtlichen Abriss der Firmenge- schichte. Hanhart-Museum eröffnet Doch auch in dem Gütenbacher Firmengebäude hat sich einiges getan. Zusammen mit Klaus Eble hatte Manfred Schwer seit den 1990er-Jahren damit begonnen, für die Firmengeschichte wich- tige Dokumente und Objekte, zu sammeln. Und natürlich vor allem Hanhart-Uhren aus der über 130-jährigen Firmengeschichte. All das wird nun in einem interessanten und übersichtlichen Museumsraum im Ober- geschoss des Gebäudes präsentiert. Der Raum war früher Muster- und Lehrwerkstatt, wo die Uhrmacher und Feinmechaniker an neuen Mo- dellen tüftelten. Ein Arbeitsplatz aus dieser Zeit ist originalgetreu aufgebaut und scheint einzig noch auf die Rückkehr des Uhrmachers aus der Pause zu warten. Heute hat der Besucher Ge- legenheit, sich auf eine Zeitreise durch die Fir- mengeschichte mitnehmen zu lassen, die auch eine Zeitreise durch die Geschichte der Uhrma- cherei ist. Neben Werkbänken mit den entspre- chenden Werkzeugen zeigt beispielsweise ein Wandschränkchen rund 50 Stoppuhrenmodelle der Firma Hanhart im Überblick und in einer Kiste sind Stoppuhrenwerke zu entdecken. Blickfang ist auch ein rund 60 Jahre altes Motorrad – natürlich mit einer Motorraduhr von Hanhart ausgestattet. Selbstverständlich ist die Geschichte der mechanischen Uhren aus- führlich dokumentiert – Originale sowie deren aktuelle Nachbauten lassen sich vergleichen. Ein Rundgang durch die Sammlung in Be- gleitung einer fachkundigen Führung lohnt sich allemal. Geöffnet ist das Museum ganzjährig mittwochs von 13 bis 16 Uhr sowie auf Anfrage. Sonderführungen sind jederzeit möglich. Rechte Seite: Manfred Schwer, langjähriger Muster- bauer und Konstrukteur, befindet sich zwar im Ruhestand , doch gilt er als die Seele des Hanhart- Museums. Blickfang ist ein 60 Jahre altes Motorrad mit einer Krad-Uhr von Hanhart (oben). 104 Hanhart Chronographen 1882


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Die WELLSTAR-Packaging GmbH im Bräunlinger Gewerbegebiet. Sicher und schnell verpackt mit innovativen Verpackungslösungen der WELLSTAR-Packaging GmbH Von Gabi Lendle Die junge Bräunlinger Firma WELLSTAR-Packaging GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Unternehmungsgruppe Straub und gehört somit zu einem namhaften und traditionsreichen Hersteller und Verarbeiter von Wellpappverpackungen. Das Unternehmen wurde im April 2003 mit Sitz in Bräunlingen gegründet. Während Straub-Verpackungen die Wellpappe produziert und diese zu hochwertigen, oftmals auch bedruckten Wellpappverpackungen wei- terverarbeitet, übernimmt WELLSTAR deren Veredelung durch Verleimung und Anbringung eines Selbstklebeverschlusses. Durch den Selbstklebeverschluss profitiert der Versender von einer enormen Zeitersparnis und außerdem entfallen Kosten für Klebe- oder Umreifungs- bänder. Das Produktprogramm der Firma WELL- STAR umfasst vier Segmente. Den Kern der Geschäfts felder bilden die Versandverpackun- Geschäftsführer Volker Würth 106 106 Wirtschaft


Zeit- und materialsparender Selbstklebeverschluss. gen mit Selbstklebeverschluss, weitere Berei- che sind die Konfektionierung von Waren, die Gefahrgutverpackungen und der Handel mit diversen Packbändern sowie Füll- und Polster- systemen. „Sicher und schnell verpackt, alles aus einer Hand“ lautet die Devise hinter der Geschäftsführer Volker Würth mit seinen Mit- arbeitern steht. Neues Verwaltungs- und Produktionsgebäude Aufgrund vieler kreativer Entwicklungen und eines kontinuierlichen Wachstums- kurses begannen bereits im Jahr 2010 die Planungen für einen Neubau im Bräunlinger Gewerbegebiet Nieder- wiesen. Auf einer Grundstücks- fläche von rund 17.000 Quadrat- metern entstand ein 11.000 Quadratmeter großes und beeindruckendes Firmengebäude, das im Oktober 2012 in Betrieb genommen wurde. Der ansprechende Neubau am Ortseingang von Bräunlingen sticht ins Au- ge. Am 13. Juli 2013 hatte die junge Firma allen Grund zu feiern: Zum 10-jährigen Jubiläum konnte WELLSTAR das weitläufige Gebäude mit seiner umfassenden Lagerkapazität offiziell einweihen. Zirka 12 Millionen Euro betrug die Investitionssumme für den Neubau und die Anschaffung und Installation einer neuen Ferti- gungslinie. Das Eisberg-Prinzip Anhand einer Eisberg-Fotografie auf der Titel- seite des neuen WELLSTAR-Produktkatalogs WELLSTAR-Packaging GmbH Die Verpackungen von WELLSTAR sind größten- teils selbstklebend. 107


kontinuierliche Investitionen erfordert, um sich im Wettbewerb be- haupten zu können. Zu den bestehenden Klebemaschinen in der Produktion wurde jüngst eine kostensparende und neu entwickelte Fertigungs- anlage angeschafft. Diese 30 Meter lange Maschine kann mehre- re Arbeitsgänge in einem Durchlauf erledigen. Insgesamt stehen in der Produktion sechs Maschinen zur Verfügung. Die „Neuheit“ wurde in Zusammenarbeit mit einem nam- haften Maschinenhersteller entwi- ckelt und ist in dieser Konfiguration weltweit einzigartig. Beim Produktionsprozess der Verpackungen mit Selbstklebe- verschluss wird die Wellpap- pen-Rohware, welche zuvor von der Mutterfirma Straub angeliefert wur- de, von einem Mitarbeiter in die Ma- schine eingelegt. Im ersten Arbeits- gang trägt die Maschine den Leim für den Selbstklebestreifen auf, um im weiteren Schritt das Silikonband anzubringen. In der nächsten Stati- on wird die Verpackung zusammen geklebt, um sie im Anschluss zur Fixierung zusammenzupressen. Die veredelten Verpackungen werden nun in bestimmte Ver- packungseinheiten gebündelt, palettiert und letztlich je nach Anforderung in eine Folie eingewi- ckelt. Wenn die fertigen Paletten nicht sofort zum Versand bereitge- stellt werden, gelangen sie in den riesigen Lagerraum, der sich an die Produktionsstätte angliedert. Dort können bis zu 300 Artikel auf über 5.000 Palettenstellplätzen gelagert werden und stehen für die Kunden jederzeit abrufbereit zur Verfügung. Verpackungslösungen für (fast) alle Anforderungen. stellt das Unternehmen einen Vergleich zu seinen Produkten her. Der über die Wasseroberflä- che herausragende Eisberg ist nur der sichtbare und weit kleinere Teil eines riesigen Eisblockes, dessen größter Teil sich unsichtbar unter Wasser befindet. Ähnlich ist es bei den Verpackungen. „Der auf den ersten Blick sichtbare Einkaufs- preis der Verpackungen ist nur ein Bruchteil des Gesamten: Personal-, Verwaltungs-, Lager- und Trans- portkosten liegen wie beim Eisberg versteckt und sind entsprechend ge- waltig“, heißt es in den Ausführun- gen. Genau hier liegt der Ansatz der Firmenpolitik der WELLSTAR-Packa- ging GmbH. Mit innovativen Verpa- ckungen will die Firma dazu beitra- gen, die „unsichtbaren“ Kosten ihrer Kunden deutlich zu reduzieren. Da- mit soll der gesamte Verpackungs- prozess optimiert werden und das bei optimalem Transportschutz. Investitionen in moderne Maschinen Der Markt der Versandverpackun- gen ist extrem stark umkämpft, was 108 WELLSTAR-Packaging GmbH


Impressionen aus dem Werk. Unten: Beim Konfek- tionieren kundenspezifischer Verpackungen. Innovative Verpackungslösungen Zu dem umfassenden Sortiment moderner Wellpappverpackungen gehören unter anderem Universalverpackungen, die im aufstreben- den Markt des Online-Versandhandels eine herausragende Rolle spielen. Die hochstabilen Verpackungen für z.B. Bücher, Warensendungen aller Art, Computersoftware, Datenträger oder diverser Drucksachen sind flexibel einsetzbar und werden in verschiedenen DIN-Maßen und Ausführungen hergestellt. So können beispiels- weise auch schwere und flache Gegenstände wie Bildbände sicher verschickt werden. Auch Boxen für das Lagern oder Versenden von voluminö- seren Waren stehen dem Kunden zur Auswahl. Sämtliche Verpa- ckungen werden mit oder teilweise auch ohne Selbstklebeverschluss angeboten. Durch das schnelle und einfache Verschließen der Selbst- klebeverpackungen wird ein bis zu dreimal schnel- leres Befüllen und Verschließen der Kartonagen ermöglicht. Bei Firmen, die viele Pakete pro Tag verschicken, macht diese Zeitersparnis beim Verpacken beachtliche Kosteneinsparungen möglich, sowohl im Personalbereich als natür- lich auch bei den Packbändern. Betriebsleiter Joachim Kunz Durch die enge Zusammenarbeit mit der Mutterfirma Straub sind individuelle Sonder- anfertigungen jederzeit möglich. Hinter allen Produkten steht das langjährige Know-how, mit dem stets an der Entwicklung für verbesserte Lösungen gearbeitet wird. „Die Ware sicher ans Ziel bringen“ lautet die Maxime der WELLSTAR – Packaging GmbH. „Äußerst flexibel sind nicht nur wir, sondern auch unsere Verpackungen“ betont Betriebs- leiter Joachim Kunz. Ob Standard oder maß- geschneidert, die Verpackungslösungen aus Bräunlingen sind flexibel und individuell. Für die Kundschaft muss die Verpackung stabil, schnell im Handling und kostengünstig sein. XXX 109


Das Sortiment reicht weit über das Verpack- ungsangebot für Ware in handlicher Größe heraus. Hergestellt werden auch spezielle Verpackungen für Ordner, Versandtaschen und Kuverts in jeglicher Größe. Neu im Sortiment ist eine eckige Versandhülse, die den Vorteil hat, dass sie beim Transport nicht rollt. Des Weiteren umfasst das Produktprogramm von WELLSTAR Verpackungen für Kalender, hochwertige bunte Verpackungen für z.B. Geschenksendungen und praktische Palettenhütchen, die vor dem Sta- peln warnen um etwaige Lager- und Versand- schäden zu vermeiden. Boomender Online-Versandhandel Besonders zu Spitzenzeiten, wie z.B. vor Weih- nachten, boomt der Online-Versandhandel. Dann wird die Produktion hochgefahren, die normalerweise im Zweischichtbetrieb fertigt. Auch die Lagerkapazitäten werden drastisch erhöht, um diesen Ansturm an Aufträgen zu bewältigen und weiterhin kurzfristig lieferfähig zu bleiben. Geliefert wird in die gesamte Bun- desrepublik, aber auch europaweit in Länder wie Frankreich, Österreich, Holland, Italien oder in die Schweiz. Immer eine Nasenlänge voraus Da eine wachsende Anzahl von Kunden diverse Verpackungstätigkeiten nicht mehr im eigenen Hause durchführen möchte oder kann, hat sich WELLSTAR als Dienstleister im Bereich der Kon- fektionierung ein vielversprechendes Standbein aufgebaut. Ziel ist es, den Kunden alles aus ei- ner Hand anzubieten – von der Produktion der Verpackung bis hin zum Versand der Produkte. Zusammen mit der Mutterfirma Straub können so wertvolle Synergieeffekte erzielt werden. Das WELLSTAR-Verwaltungsgebäude. 110 Wirtschaft


Als weiteres wichtiges Produktsegment wur- de außerdem der Bereich Gefahrgutverpackun- gen für z.B. den Automobilbereich mit dem nord- deutschen Firmenpartner Baumann excellence entwickelt und aufgebaut. Hier werden unter an- derem Verpackungen für den sicheren Transport von Airbags hergestellt. Bei einem Transportun- fall hält ein im Karton eingearbeitetes Stahlgitter die Airbags im definierten Sicherheitsradius, da- mit Rettungskräfte ungefährdet löschen können. Dieser Markt beinhaltet aufgrund gewisser Al- leinstellungsmerkmale für die Bräunlinger Firma ein großes Wachstumspotential. Der Anspruch „Alles aus einer Hand“ wird mit dem Segment Packbänder sowie Füll- und Polstersysteme abgerundet. Die mobile und kompakte „SpeedMan-Box“ eignet sich bei- spielsweise perfekt zum Füllen und Polstern von Versandkartons in kleineren Stückzahlen. Das aus 100 Prozent recyceltem und mit dem Blauen Engel ausgezeichnete Papier unterstützt den sicheren und kostengünstigen Versand. Für grö- ßere Mengen kommen praktische „SpeedMan- Geräte“ mit oder ohne Strom zum Einsatz, die das Papier in einer speziellen Schlauchform generieren und so ein schnelles und einfaches Polstern der Verpackung ermöglichen. Umsatz und Mitarbeiterzahl auf Höhenkurs Lag im Gründungsjahr der WELLSTAR-Packaging GmbH die Mitarbeiterzahl noch bei fünf, sind heute rund 60 Voll- und Teilzeitkräfte in der Fir- ma beschäftigt. Die große Erfolgsgeschichte in nur zwölf Jahren zeigt sich auch in einem sehr positiv ansteigenden Umsatzvolumen. Dieses betrug anfangs 400.000 Euro und liegt heute bei über 10 Millionen Euro pro Jahr. Gemeinsam arbeitet WELLSTAR mit höchstem Einsatz daran, dass dies auch weiter gesteigert werden kann. Blick in die Fertigung von WELLSTAR. WELLSTAR-Packaging GmbH 111


Hahn-Schickard: Intelligente Lösungen mit Mikrosystemtechnik 112 Wirtschaft


„Made in Schwarzwald-Baar“ – gelandet auf dem Kometen Tschuri! Am 11. November 2014 wurde der „Lander“ Philae vom Weltraumlabor Gerasimenko Rosetta abgekoppelt und ist nach 10-jähriger Reise durch das All auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko gelandet. Die Mission gilt als eines der größten Highlights der europäischen Weltraumfor- schung. Hahn-Schickard-Mikroventile vom Typ MegaMic sind mit an Bord. Ein sich selbst ablesender Wasserzähler, ein Schuh, der sich selbst schnürt, oder ein Zahnimplantat, das rund um die Uhr Wirkstoffe abgibt und damit für einen gleichmäßigen Wirkstoffspiegel sorgt – das sind nur drei Beispiele, die durch Mikro- systemtechnik möglich sind und uns in vielen Lebenslagen unterstützen. Hahn-Schickard 113


Entwickelt und produziert wird bei Hahn-Schickard unter Labor- und Reinraumbe- dingungen. 114Hahn-Schickard Wirtschaft


Hahn-Schickard steht für kunden- orientierte, indus- trienahe, anwen- dungsorientierte Forschung, Entwicklung und Fertigung in der Mikrosystemtechnik: von der ersten Idee bis hin zur Produktion – bran- chenübergreifend. In vertrauensvoller Zusam- menarbeit mit der Industrie realisiert die For- schungsgesellschaft innovative Produkte und Technologien in den Zukunftsfeldern Industrie 4.0, Lebenswissenschaften und Medizintechnik, Nachhaltigkeit, Energie und Umwelt sowie Mo- bilität und Bewegung. Die Hahn-Schickard-Gesellschaft für an- gewandte Forschung e.V. wurde 1955 in Vil- lingen-Schwenningen gegründet. Dank der dynamischen Entwicklung und der Förderpolitik des Landes Baden-Württemberg beschäftigt der Forschungs- und Entwicklungsdienstleister heu- te rund 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an drei Instituten in Villingen-Schwenningen, Stuttgart und Freiburg. Eine Außenstelle in St. Georgen ist geplant. Über 50 vorwiegend kleine und mittelständische Unternehmen, die in erster Linie aus dem Land kommen, sind Mit- glied bei Hahn-Schickard. „Industrie 4.0“ und „Cyber-physische Systeme“ werden ausgebaut Da sich Forscher und Entwickler ständig an Veränderungen anpassen müssen, zählen die Digitalisierung von Produktionsprozessen und Wertschöpfungsketten auf dem Weg zu einer smarten Fabrik zu den größten Herausforde- rungen im Jahr 2016. Denn auf Initiative der Landtagsfraktionen der Grünen und der SPD hin wird ab Anfang 2016 der Freiburger Institutsteil als drittes Institut bei Hahn-Schickard mit einer eigenen Grundfinanzierung von jährlich 1,5 Mil- lionen Euro ausgestattet. Diese Entscheidung war nicht nur eine Reaktion auf die positive Entwicklung über die letzten Jahre am Standort Freiburg, sondern sie ist auch mit dem Auftrag verbunden, am Standort Villingen-Schwennin- gen die richtungsweisenden Themen „Industrie 4.0“ und „Cyber-physische Systeme“ auf- bzw. auszubauen. Die Voraussetzungen sind optimal. Regional verwurzelt, global gefragt Neben den Landesuniversitäten mit technischer Ausrichtung verbinden zahlreiche Netzwerke die Akteure aus Industrie, Forschung und Aus- bildung. Hahn-Schickard betreibt Networking, um den Transfer eigener Technologien voran- zutreiben und um schnell und orientiert am Bedarf der Kunden neue Partnerschaften aufzu- bauen. Über die engen Verbindungen zu Univer- sitäten und anderen Forschungseinrichtungen ist Hahn-Schickard am Puls der Zeit. Die Hahn-Schickard-Institutsleiter der Standorte Villingen-Schwenningen und Frei- burg, Professor Yiannos Manoli und Professor Roland Zengerle, leiten am Institut für Mik- rosystemtechnik der Universität Freiburg die Fritz-Hüttinger-Professur für Mikroelektronik sowie den Lehrstuhl für Anwendungsent- wicklung. Professor André Zimmermann, Hahn-Schickard-Institutsleiter in Stuttgart, leitet in Personalunion auch das Institut für Feinmesstechnik der Universität Stuttgart und forscht dort auf dem Gebiet der Zuverlässigkeit mikrotechnischer Baugruppen. Dies umfasst insbesondere die Aufklärung von Schädigungs- mechanismen sowie das ganzheitliche modell- basierte Design für die Aufbau-, Gehäuse- und Verbindungstechnik für Mikrosysteme. Hahn-Schickard ist Mitglied der Innova- tionsallianz Baden-Württemberg (innBW), einem Bündnis unabhängiger Forschungsinsti- tute. Diese betreiben ergebnisorientierte Auf- tragsforschung in den wichtigen Zukunftsfel- dern. Zusammen mit anderen innBW-Instituten entwickelt Hahn-Schickard beispielsweise ein besonders schnelles mobiles Diagnostiksystem für die gleichzeitige Detektion von Infektions- erregern und deren Antibiotikaresistenzen auf der Ebene einzelner Zellen, um damit schneller antibiotikaresistente Erreger im Krankenhaus nachzuweisen. Hahn-Schickard 115


Mit sogenannten Lab-on-a-Chip-Systemen, also tragbaren Minilaboren von der Größe einer Compact Disc, kann beispielsweise bei Neuge- borenen die neonatale Sepsis, eine lebensbe- drohliche Infektion, nachgewiesen und richtig behandelt werden. Mit gängigen Analyseverfah- ren können die auslösenden Krankheitserreger meist erst nach einigen Tagen identifiziert wer- den – das lässt eine patientenspezifische Anti- biotikatherapie oft nicht zu und ist für einen so jungen Organismus extrem belastend. In einem europäischen Forschungsprojekt wurde daher ein Lab-on-a-Chip-System für eine schnelle Diagnose entwickelt, die eine spezifi- sche und daher effektivere Antibiotikatherapie erlaubt. Alle Analyseschritte, die sonst in einem Großlabor an mehreren Geräten stattfinden, werden auf der Disc automatisch durchgeführt. Die Blutprobe muss nur in eine Kammer auf der Disc pipettiert und in ein Analysegerät gelegt Einweg-Testträger aus Polymerfolie werden zum trag- baren Minilabor und erlauben eine schnell Vor-Ort-Di- agnose von Krankheiten, also direkt beim Patienten. werden – alles Weitere geschieht durch die Rotation der Disc: Durch feine Kanäle wird die Probe so in nachgelagerte Kammern transpor- tiert, wo sie aufgereinigt und mit Reagenzien gemischt wird. Am Ende des automatisierten Vorgangs zeigt das Gerät an, ob der getestete Erreger vorliegt oder nicht. Weltraumlabor Rosetta arbeitet mit Mikroventilen von Hahn-Schickard Hahn-Schickard ist auch im Weltraum aktiv. Am 11. November 2014 wurde der „Lander“ Phi- lae vom Weltraumlabor Rosetta abgekoppelt und ist nach 10-jähriger Reise durch das All auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, kurz Tschuri, gelandet. Die Mission gilt als eines der größten Highlights der europäischen Welt- raumforschung. Hahn-Schickard-Mikroventile vom Typ MegaMic sind mit an Bord. Sie wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Pneumatik-Hersteller Hoerbiger-Origa Sys- tems GmbH vor über zehn Jahren entwickelt. 28 dieser Ventile sind als Teil eines wissen- 116 Wirtschaft


Dermaject (links) ist ein spezielles Medizinprodukt zur Injektion und Infusion von flüssigen Arzneimitteln wie Impfstoffen oder Insulin in die obere Hautschicht. Rechts ein Zahnimplantat, das rund um die Uhr Wirkstoffe abgeben kann. schaftlichen Experimentes im Landegerät Philae verbaut, das Bodenproben des Kometen auf ihre Zusammensetzung untersuchen soll. Das Experiment soll die im Kometeneis enthaltenen organischen Moleküle sowie deren Mengenver- hältnis aufklären. Die spannende Frage ist, ob sich darunter auch Aminosäuren finden, die als Bausteine des Lebens gelten. Damit ließe sich die offene Frage beantworten, ob diese Molekü- le eventuell einst durch Kometeneinschläge auf die Erde gelangt sind. Hierzu wurden von Philae Bodenproben genommen und in kleinen Öfen auf bis zu 600 Grad erhitzt. Im weiteren Ablauf steuern die MegaMic-Ventile das nun flüchtige Gasgemisch durch einen Gas-Chromatogra- phen, der die einzelnen Komponenten des Ge- misches für weitere Analyseschritte trennt. Medikamentenabgabe in die Haut Hahn-Schickard unterstützt auch Ausgrün- dungen zum Transfer von Vorlaufforschung in die Wirtschaft. Darüber hinaus bietet Hahn- Schickard angehenden Unternehmerpersön- lichkeiten den Raum, ihre eigenen Visionen in Produkte umzusetzen. Verapido Medical GmbH ist ein Medizintechnik-Start-up im Bereich der Medikamentendosierung aus Villingen-Schwen- ningen. Das 2013 gegründete Spin-off von Hahn-Schickard hat sich auf die Entwicklung von innovativen, sicheren und bequemen Ge- räten zur Injektion und Infusion von flüssigen Arzneimitteln und Flüssigkeiten in oder unter die Haut spezialisiert. Der von Verapido am wei- testen entwickelte Produktkandidat ist Derma- ject, ein spezielles Medizinprodukt zur Injektion und Infusion von flüssigen Arzneimitteln wie Impfstoff und Insulin in die obere Hautschicht (intradermal). Der neu entwickelte und patentierte Kanü- leneinführungsmechanismus in Kombination mit der Mikronadel-Technologie ermöglicht einfache, präzise, schnelle, standardisierte und dichte intradermale Injektionen von größeren Volumina als bisher möglich. Für den Patienten liegt der Vorteil auf der Hand: Die Angst vor der Spritze ist unbegründet, ein Einstich mit Derma- ject ist viel angenehmer als herkömmliche Spritzen. Einzelzellen auf Knopfdruck Die Cytena GmbH entwickelt für die Zellfor- schung und in-vitro Diagnostik Geräte, mit denen lebende Zellen einzeln dosiert werden können. Das Start-up wurde 2014 mit Hilfe des Förderprogramms EXIST-Forschungstransfer (BMWi & ESF) gegründet und basiert auf Hahn-Schickard 117


Forschungsergebnissen aus den gemeinsa- men Aktivitäten von Hahn-Schickard und des Lehrstuhls für Anwendungsentwicklung der Universität Freiburg im Bereich Mikrofluidik. Der patentierte Einzelzelldrucker beruht auf einer Tintenstrahldruckkartusche, die mit Hil- fe eines Bildsensors sicherstellen kann, dass jeder abgegebene Mikrotropfen nur genau eine Zelle enthält. Dieser wird für die weitere Einzelzellanalyse berührungslos auf einen Untersuchungsträger – typischerweise eine Mikrotiterplatte – oder in eine Zellkulturschale abgegeben. Solche Analysen werden im Bereich der Medikamentenentwicklung eingesetzt. Die Chips dafür werden im Mikrosystemtech- nik-Reinraum in Villingen-Schwenningen pro- duziert. Handhabung von Flüssigkeiten im Nanoliterbereich Die BioFluidix GmbH entwickelt berührungslose Liquid-Handling-Geräte für den Nanoliterbe- reich. Das Freiburger Unternehmen ging 2005 ebenfalls aus den gemeinsamen Forschungs- aktivitäten von Hahn-Schickard und dem Lehrstuhl für Anwendungsentwicklung der Universität Freiburg im Bereich Mikrofluidik hervor. Es beliefert den internationalen Markt mit patentierten Dosiertechnologien, Beschich- tungslösungen und Laborgeräten für z.B. Micro- array-Anwendungen und Low-Volume-Pipet- ting Workstations. Diese ermöglichen es, in der Life-Science-Forschung und industriellen Pro- duktion Dosiermengen zu reduzieren, Durchsät- ze zu erhöhen und damit Kosten einzusparen. Die Produktpalette umfasst sowohl innovative Dosiersysteme und Verbrauchsmaterialien als auch Entwicklungsdienstleistungen. Ein selbstschnürender Schuh Mobile und am Körper tragbare Systeme erlangen eine immer größere Bedeutung sowohl für die Medizintechnik als auch für Lifestyle-Anwendungen. Deren Versorgung mit Energie basiert jedoch zumeist auf Batterien. Das Forschungsgebiet des Ener- gy Harvesting entwickelt Prinzipien und Geräte, mit denen Energie aus der Umge- bung in elektrische Energie umgewandelt wird. Im Projekt „move2power“ wird die Energie konkret aus der Bewegung des menschlichen Beins gewonnen und der Anwendungselektronik zur Verfügung gestellt. Ein Beispiel ist ein selbstschnüren- der Schuh: Menschen, die körperlich nicht mehr dazu in der Lage sind, müssen ihre Schuhe dann nicht mehr selbst binden – das erledigt der Schuh automatisch. Notrufauslösung mit Bewegungsmuster In Zusammenarbeit mit der Firma CoSi Elektronik GmbH wurde ein robustes Notrufsystem entwickelt, das durch Ges- tenerkennung funktioniert. Das fertige System ist in ein Armband integrierbar und kann über ein Jahr ohne Batteriewechsel betrieben werden. Ein Beschleunigungs- sensor und ein Magnetometer wurden für die Orientierungsbestimmung eingesetzt. Gegenüber Notrufsendern, die über Tas- tendruck ausgelöst werden, soll mit der Gestenerkennung die Anzahl versehentli- cher Notrufe reduziert werden. 118 118 Hahn-Schickard


Mikroelektronische Schaltungen (ASICs) werden mit Verfahren der Halbleitertechnik in einer bestimmten Ab- folge auf einem Substrat hergestellt. Als Substrat dient meist eine hauchdünne Scheibe eines Halbleiter-Silici- um-Einkristalls, ein sogenannter prozessierter Wafer. ASICs haben einen sehr geringen Leistungsverbrauch und sind daher ideal für batteriebetriebene Geräte wie Smartphones. Unten: Reinraum für Mikrosystemtechnik. Hahn-Schickard 119


Die Heimat von Dual ist mehr denn je St. Georgen: Die komplette Ferti- gungsstraße und die Produktpalette der analogen Dual-Plattenspieler wurden nach dem Konkurs 1993 von der Alfred Fehrenbacher GmbH übernommen. Alfred Fehrenbacher war einst Mitarbeiter zunächst bei Perpetuum Ebner, später dann bei Dual. Und er freut sich heute über die Renaissance des Plattenspielers, die für volle Auftragsbücher sorgt: Bis zu 20.000 Plattenspieler fertigt sein Unternehmen im Jahr. 120 Wirtschaft


Ein Leben voller Wohlklang – mit Dual Die Alfred Fehrenbacher GmbH produziert jährlich bis zu 20.000 Plattenspieler von Hans-Jürgen Kommert 121


Einst war St. Georgen Mittelpunkt der europäi- schen Phonoindustrie – und auch weltweit war die Marke Dual ein Begriff. Doch in den späten 1970er-Jahren wurde der Konkurrenzdruck grö- ßer, insbesondere japanische Marken drängten erfolgreich auf den deutschen Markt zu Lasten der einheimischen Hersteller. Deren Produkte galten mittlerweile als technisch überholt. Das Unternehmen musste im Jahr 1982 Konkurs an- melden und St. Georgen verlor in der Folge viele hundert Arbeitsplätze. Dual wurde schließlich von der franzö- sischen Thomson-Gruppe aufgekauft. Als Thomson seine Aktivitäten in der deutschen Unterhaltungselektronik einstellte, wurde Dual 1988 von der Schneider-Rundfunkwerke AG übernommen. Zu den Produkten des Schwarzwälder Un- ternehmens gehörten damals nicht nur Plat- tenspieler und Plattenwechsler, sondern auch Kassetten-Tonbandgeräte, Lautsprecherboxen, Empfangsteile (sogenannte Tuner) sowie Ver- stärker oder Receiver hoher Qualität. Im Lauf der 1980er- und frühen 1990er-Jahre konzen- trierte sich Dual wieder auf Plattenspieler und ließ die übrigen HiFi-Geräte beispielsweise von Rotel und Inkel produzieren, um sie dann unter eigenem Namen zu vermarkten. Nachdem die Produktion zunächst unter orgen erhalten: Die komplette Fertigungsstraße und die Produktpalette der analogen Dual-Plat- tenspieler wurden 1993 von der Alfred Fehren- bacher GmbH übernommen. Mit der Fertigung von Präzisions-Drehteilen für Dual und PE beginnt die Firmengeschichte Seine Firma hat Alfred Fehrenbacher 1963 ge- gründet. Die damals noch großen Hersteller PE und Dual hatten festgestellt, dass ihre Lieferan- ten nicht in der Lage waren, Drehteile mit der geforderten Genauigkeit zu liefern. „Ich habe zunächst in der Scheune eine Drehmaschine aufgestellt, mit der ich die Drehteile abends und am Wochenende nachgearbeitet habe“, erzählt der 80-jährige Unternehmer aus den Anfängen. Nachdem Dual die Firma PE geschluckt hatte, arbeitete er ab 1970 bei Dual als technischer Berater für Wertanalysen und -entwicklung, was nichts anderes bedeutete, als dass er nach Einsparmöglichkeiten suchte. dem Dach der Schneider Electronics GmbH fort- geführt worden war, wurde die Marke Dual (au- ßer für Plattenspieler) 1994 von der Schneider Rundfunkwerke AG an die Karstadt AG verkauft. Die Produktion von Plattenspielern blieb St. Ge- Zunächst war Alfred Fehrenbacher weiter- hin beim Thomson-Konzern als Produktionslei- ter und später auch bei Schneider beschäftigt, bis die gesamte Produktion nach Türkheim verlagert wurde. Zu diesem Zeitpunkt erwarb Der Dual CS 460 verfügt über ein edles Gehäuse aus Nussbaum. Er ist ein voll- automatischer Plattenspie- ler für gehobene Ansprü- che. Der Riemenantrieb erfolgt mit geschliffenen Flachriemen. 122 Wirtschaft


Nicht nur akustisch, sondern auch optisch ein Genuss: die Dual Serie CS, hier der CS 550. Fehrenbacher die gesamte Kunststoffspritzerei und die Dreherei. „Wir bauen bereits seit 1993 alle echten Dual-Plattenspieler der Serie CS, zunächst als Zulieferer für Schneider Electronics GmbH, seit deren Konkurs mit der vom Konkursverwalter erworbenen Lizenz in Eigenregie“, erklärt Alfred Fehrenbacher. 2002 und 2007 erneuerte die Alfred Fehrenbacher GmbH die Lizenzrechte für den Gebrauch des Markennamens Dual bei den jeweiligen Rechte-Inhabern. „Sie können mir glauben, als wir die Lizenz erworben haben, hatte ich viele schlaflose Nächte. Ich habe dar- auf gesetzt, dass der Markt für analoge Platten- spieler zumindest bestehen bleibt. Wäre diese Spekulation danebengegangen, gäbe es heute keine Fehrenbacher GmbH mehr – zumindest nicht mehr unter meiner Leitung“, gibt er nach- denklich zu. Unter dem Label „Dual Phono GmbH“, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Alfred Fehrenbacher GmbH, stellt er bis heute die ana- logen Plattenspieler mit der Typenbezeichnung „CS“ her. Aus dem Schwarzwald kommen aber nicht nur die Dual-Geräte, sondern auch Tho- rens und Marantz lassen bei Fehrenbacher ihre Plattenspieler bauen. Derzeit sind im europäischen Raum Dual-Produkte der DGC GmbH und auch von der Alfred Fehrenbacher GmbH erhältlich. Das Produktsortiment der DGC GmbH beinhaltet neben Fernsehgeräten, iPod-Systemen, Audio- systemen, DVD-Playern sowie digitalen Bil- der rahmen auch Plattenspieler (Serie DT) und vor allem DAB-Radios. Die Produkte werden vorwiegend aus Fernost eingeführt. Die Geräte sind in Fachmärkten wie beispielsweise Elec- tronicPartner erhältlich. Große Anbieter wie Migros, Weltbild und Rewe führen ebenfalls ständig Produkte von Dual. Darüber hinaus wird eine kleine Auswahl des Produktportfolios über Amazon und eBay vertrieben. Fehrenbacher fertigt derzeit neun Modelle der Serie CS Die Lizenz für die originären Dual-Plattenspieler (Serie CS), die heute wieder ausschließlich in St. Georgen im Schwarzwald produziert wer- den, hat die Alfred Fehrenbacher GmbH von der DGC GmbH erworben. Diese Plattenspieler werden über die Sintron Vertriebs GmbH dem Handel zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es Ein Leben voller Wohlklang – mit Dual 123


sich um derzeit neun Modelle in verschiedenen Preiskategorien, allesamt jedoch deutlich werti- ger als die DGC-Geräte – und alle zu 100 Prozent „Made in Germany“, wie Alfred Fehrenbacher unterstreicht. Die Firma Fehrenbacher fertigt jedoch nicht nur Plattenspieler. Sie ist ein ausgewiesener Spezialist für Kabelkonfektion und besitzt Spitzen -Know-how in Sachen Stanz-Crimptech- nik. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem beispielsweise Metallsteckerzungen an Kabel angequetscht werden. Hier verfügt die Firma über ein ausgeklügeltes System, bei dem in einem Arbeitsschritt aus einem Metallband die Stecker zungen ausgestanzt und direkt ans Kabel gecrimpt werden. Mit der Lichtwellen-Leiter-Technologie hat sich Fehrenbacher ein weiteres Geschäftsfeld eröffnet, das mit einem patentierten System auch höchst dekorative Raumlösungen ermög- licht. Die Firma unterstützt Architekten und Lichtplaner bei der Umsetzung ihrer kreativen Raumgestaltung. Diese Teile des Unternehmens hat Alfred Fehrenbacher bereits vor einigen Jah- ren in jüngere Hände gelegt. Die Neuentwicklung CS 600 Noch nicht aus der Hand gegeben hat er die Plattenspieler-Fertigung, denn sie ist „sein Kind“, eines, das er seit Jahrzehnten hegt und pflegt. Und inzwischen entwickelt Alfred Feh- renbacher auch wieder neue Plattenspieler. Dazu hat sich der Firmenchef die Dienste des ehemaligen Dual-Fertigungsleiters Willi Weis- ser gesichert. Über Jahre hinweg entstand ein Gerät, das 2014 als Dual CS 600 vorgestellt wur- de. Der Plattenspieler kostet rund 1.000 Euro, bietet sehr viel Komfort und eine absolut über- zeugende Tondynamik. „Bässe so klar wie nie und auch die Höhen werden in unglaublicher Reinheit wiedergegeben“, schwärmt Fehren- bacher. Schwer ist der Dual CS 600 geworden, da er einen doppelten Plattenteller besitzt und außerdem ist das Chassis massiv. Der hohle Alu-Tonarm ist eine völlige Neu- konstruktion, in der Dual-Tradition aber mit einem 4-fach kugelgelagerten Kardanlager konstruiert. Der Tonkopf ist aus besonders ver- windungssteifem Car bon-Fiber hergestellt. Die Fachpresse jedenfalls zeigt sich begeistert und vergibt durchweg exzellente Noten: „Der CS- 600 ist ein würdiges neues Spitzenmodell der Dual-Plattenspielerfamilie. Ohne seine Wurzeln zu verleugnen, überzeugt er mit gutem Ausse- hen, pfiffigen Detaillösungen und nicht zuletzt mit einer exzellenten Klangqualität.“ „Wir wollten ein hochwertiges Produkt ent- wickeln, das seinen Preis auch jederzeit wert ist“, unterstreicht Alfred Fehrenbacher und freut sich über diese und andere Testergebnisse. Die Montage erfolgt nahezu unverändert Bei der Montage der Plattenspieler hat sich we- nig verändert: Noch immer gibt es die alte Fer- tigungsstraße aus den späten 1970er-Jahren, an der mehrere Montagearbeiter Schritt für Schritt alle Teile zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfügen. Dabei ist es egal, welches der insgesamt neun Geräte der CS- Familie montiert wird. Auf dem ovalen, getakteten Fließband mit seinen rund 15 Arbeitsplätzen entstehen jeden Tag einige hundert Geräte. Hinter der Montage steht ein Prüfplatz für eine absolute 100-Prozent-Kontrolle, wie man sie eben von teuren Produkten „Made in Ger- many“ erwartet. Alle Einzelteile für die hoch- wertigen Geräte kommen entweder aus der eigenen Stanzerei/Dreherei – oder aber sie wer- den in der näheren Umgebung gefertigt wie die hölzernen Teile. Auch die gesamte Verkabelung produziert Fehrenbacher selbst. Im Jahr 2015 werden wohl über 20.000 Platten- spieler der Marke Dual abgesetzt Strebt Alfred Fehrenbacher gemeinsam mit seinem kongenialen Mitentwickler Willi Weis- ser eine weitere Neuentwicklung an? Nein, unterstreicht der noch immer sehr agile Senior. „Entwicklung kostet sehr viel Geld. Und ob das jemals wieder hereinkommt, bei den doch noch 124 Wirtschaft


Über Jahre entwickelt, der 2014 vorgestellte CS 600. Bei Tests erreicht das Top-Modell von Dual sehr gute Noten: „Mit leichter Hand zeichnet der Schwarzwälder Dreher die Konturen auch schwieriger klanglicher Kost sauber nach“, schreibt die Fachpresse unter anderem. immer recht überschaubaren Stückzahlen, ist mehr als fraglich“, betont der Firmenleiter. Gerechnet hat es sich für den Geschäftsmann zumindest bisher: „Wir haben mit einer Min- deststückzahl im mittleren Preissegment von 500 Einheiten kalkuliert – doch bereits im ersten Jahr nach der Lizenz-Übernahme ha- ben wir deutlich höhere Stückzahlen erreicht. Vor einigen Jahren bereits konnten wir die 10.000er-Marke überschreiten. 2015 sieht es sogar danach aus, dass es mehr als 20.000 Plattenspieler werden, die wir bau- en“, strahlt der Mann, der Dual zurück in die Heimat holte – in die Bergstadt St. Georgen. Ein Leben voller Wohlklang – mit Dual 125


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Perpetuum Ebner Modern verpackter Spitzenklang Von Roland Sprich Die eigentlich schon verschwundene Schallplatte erlebt eine Re naissance: Immer mehr Musiker pressen ihre Werke auch wieder auf Vinyl. In Zei- ten von Musikstreamingdiensten und Internet- downloads ist das für zwei Musikliebhaber aus der einstigen Plattenspieler hochburg St. Georgen der Grund, unter dem bekannten Label Perpetuum Eb- ner, kurz PE, wieder Plattenspieler der Extraklasse zu bauen. Ihre Produkte lassen die Unterhaltungs- elektronikbranche aufhorchen – die Tonqualität ist außergewöhnlich. 127


Anfang der 1970er-Jahre beschäftigten die beiden St. Georgener Plattenspielerhersteller Dual (s. Seite 120) und PE 2.100 beziehungswei- se 1.500 Mitarbeiter. Aufgrund der schlechter werdenden Umsatzsituation wurde 1971 ein Ko- operationsvertrag zwischen den einstigen Kon- kurrenzunternehmen geschlossen. Zwei Jahre später verschwand die Marke PE vom Markt, um 44 Jahre später wie Phoenix aus der Asche wieder aufzuerstehen. PE wurde im Jahr 1911 ge- gründet und gilt als eines der weltweit ältesten Phonounternehmen. Wie eingangs dargelegt hat die Wieder- auferstehung ihren Grund: Im vergangenen Jahr wurden laut GfK Entertainment 1,8 Millionen Schallplatten sprich Vinylalben verkauft. Das sind so viele wie zuletzt 1992. Und im ersten Halbjahr 2015 legte der Anteil der Vinylschei- ben im Musikgeschäft laut Bundesverband der Deutschen Musikindustrie BVMI um 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu und kann nun für sich einen Anteil von 3,1 Prozent am Gesamt- markt verbuchen. Unter diesen Vorzeichen ist es eine logische Schlussfolgerung, dass auch die Produktion von Plattenspielern stark anzieht. Und beinahe ebenso logisch ist es, dass gerade in St. Geor- gen, der einstigen Hochburg der Plattenspieler- produktion, wieder Abspielgeräte der High-End- Klasse hergestellt werden. Denn St. Georgen war von den 1950er- bis Mitte der 1980er-Jahre für seine Plattenspieler der Marken Dual und PE weltbekannt. Musikgenuss höchster Güte bieten Zwei Musikliebhaber aus St. Georgen haben die Entwicklung auf dem Schallplattenmarkt zum Anlass genommen, um unter dem Label der einstigen Weltfirma Perpetuum Ebner (PE) erneut Plattenspieler der High-End-Klasse zu produzieren: Wolfgang Epting und Hans Uwe Lorius wollen mit ihrer Idee vor allem eines: Mu- sikgenuss allerhöchster Güte bieten. Die Idee, das einstige Label PE wieder zu reaktiveren, hatte Wolfgang Epting. „Das Beste, was man machen kann, ist entweder selbst Wolfgang Epting bei der Finalisierung eines High-End-Plattenspielers der Marke PE. Musik zu machen. Oder etwas produzieren, womit man Musik richtig gut hören kann“, fasst Wolfgang Epting seine Motivation zusammen. Vielleicht kam dem Feinwerktechniker und Betriebswirt, der zuletzt kaufmännischer Leiter eines Unternehmens war, das genau in den ehe- maligen Betriebsräumen sitzt, in der einst die Firma Perpetuum Ebner produzierte, der Spirit von damals zu Hilfe. „Ich habe mir in der Tat einmal überlegt, wer wohl einst an diesem Platz gesessen hat“, lacht Wolfgang Epting, der auch Geschäftsführer seines Unternehmens WE Au- diosystems ist, das die Plattenspieler produziert. In Hans Uwe Lorius fand Epting einen Gleichgesinnten. Auch Lorius ist ein Freund höchsten Musikgenusses. Für den Produkt- designer schließt sich zudem ein Kreis: Lorius kam 1978 nach St. Georgen, um für die Platten- spielerfirma Dual moderne Geräteformen zu designen. Epting und Lorius verbindet die Visi- on, hochwertige Technik und ausgezeichnetes Design zu einem anspruchsvollen Produkt zu vereinen. Wolfgang Epting und Hans Uwe Lorius zapfen die Ressourcen von damals an Um ihre Idee umsetzen zu können, zapften Epting und Lorius verbliebene Ressourcen aus der damaligen Zeit von PE an. „Wir haben ehe- malige Techniker und Ingenieure von Dual und PE angesprochen“, sagt der Ideengeber. Die Unterstützung war groß. „Es war, als ob alle nur darauf gewartet hätten, dass es weitergeht. Die früheren Mitarbeiter hatten so viele Ideen, die sie damals nicht mehr umsetzen konnten“, war Epting überrascht, so dass Ideen und Vorschläge nur so sprudelten. Die Vermarktung der hochwertigen Platten- spieler unter dem bei Enthusiasten noch immer geläufigen Namen PE hat für Wolfgang Epting 128 Perpetuum Ebner


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und Hans Uwe Lorius mehrere Gründe. „Die Marke ist nicht verbraucht, weil sie seit Mitte der 1970er-Jahre nicht mehr verwendet wurde.“ Damals übernahm Konkurrent Dual die Firma, der Name PE verschwand. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Lizenzgeber bis heute in St. Georgen lebt. „Und von den Kun- den wird der Name PE mit der guten alten Zeit in Verbindung gebracht“, sind sich die beiden Visionäre sicher, mit der Marke PE die richtige Lösung gefunden zu haben. Aus nostalgischen Gründen wird deshalb auch das ursprüngliche Logo aus den 1960er-Jahren die Geräte zieren. So wie Wolfgang Epting beim Logo auf Nos talgie setzt, technisch verlässt er sich doch lieber auf den neuesten Stand. Die rund 50 Einzelteile, aus denen die High-End-Geräte zu- sammengesetzt werden, stammen ausschließ- lich von Zulieferbetrieben aus St. Georgen und nächster Umgebung. Weshalb der selbstbe- wusste Zusatz „Made in St. Georgen“ durchaus gerechtfertigt ist. Angetrieben werden die Gerä- te von einem durchzugsstarken elektronisch ge- regelten Motor der Firma ebm-papst. Auch das eine Hommage an vergangene Zeiten, als die Unterhaltungsgeräte ebenfalls von Papst-Moto- ren angetrieben wurden. Der PE 4040 wird als Standardausführung in Vogel- augenahorn geliefert. Von höchster Güte ist der Ton- arm: Die Abtastnadel verfügt über einen elliptischen Diamantschliff. Das Premiummodell PE 4040 lehnt sich an das Spitzenmodell der 1970er-Jahre an Gefertigt werden zunächst zwei Grundmodelle, die in unterschiedlichen Farbvariationen erhält- lich sind. Angelehnt an das Spitzenmodell der 1970er-Jahre mit der Bezeichnung PE 2020 trägt das Premiummodell der Neuzeit die Bezeich- nung PE 4040. Allen Geräten gemein soll das schwarze Klavierlack-Tonarm-Board sein. Das Plattentellerboard kann je nach Kundenwunsch in verschiedenen Holzausführungen geliefert werden. „Die Standardoptik ist Vogelaugen- ahorn. Der Kunde kann aber auch Mahagoni und andere Edelholzvarianten wählen“, erklärt Wolfgang Epting. Das Einsteigermodell mit der Bezeichnung PE 1010 wird standardmäßig in lichtgrauer Optik geliefert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Tonarm und der Abtastnadel. „Die Diamant- nadel hat einen elliptischen Schliff. Dadurch werden alle Informationen in der Plattenrille erfasst“, erklärt Wolfgang Epting. Frühere Dia- mantnadeln hatten einen sphärischen Schliff, die zwar die Informationen aus der Tiefe der Rille, jene am Rillenrand jedoch nicht erfasst ha- ben. Die Folge: ein noch brillanterer Klang und ein vollendeter Hörgenuss. Was jeden früheren oder aktuellen Besitzer eines Plattenspielers erstaunen lässt: Wenn Wolfgang Epting sein Premiummodell vorführt, schwenkt der Tonarm nicht selbständig, um die Nadel auf die Platte zu setzen. Dieser Vorgang 130 Wirtschaft


Das 4.000 Euro teure Premiummodell PE 4040 von Perpetuum Ebner. Das neu entwickelte Integrated Floating Board (IFB) zur wirksamen Resonanzentkopplung sowie der Tonarm aus deutscher OEM-Produktion sind die augenfälligsten Merkmale des neuen klassischen PE-Analog-Players der High-End-Klasse. Die Qualität des Plattenspielers wird von einer bekannten Fachzeitung als „überragend“ bezeichnet (fünf Sterne). muss vielmehr in Handarbeit erfolgen. Epting: „Es gehört einfach dazu, die Platte aus dem Cover und der Hülle zu nehmen, sie dabei vor- sichtig an den Rändern anzufassen, aufzulegen, eventuell mit einer Bürste vorsichtig den Staub zu entfernen und dann den Tonarm mit der Na- del von Hand präzise an den Beginn der Platte zu führen.“ Die neuen Plattenspieler sind im Übrigen nicht nur technische, sondern auch physikali- sche Schwergewichte. 16 Kilogramm bringt das Spitzenmodell PE 4040 auf die Waage. Das Ge- wicht hat seinen guten Grund. „Wir wollen alle Störelemente eliminieren“, erklärt Wolfgang Epting. So soll keine Erschütterung von außen den Hörgenuss beeinträchtigen. Für einen er- schütterungsfreien Lauf sorgt auch der federnd gelagerte Plattenteller. Qualität hat ihren Preis: 4.000 Euro für das High-End-Modell Solche Qualität hat ihren Preis. Knapp 4.000 Eu- ro kostet das Premiummodell 4040, das Einstei- germodell PE 1010 knapp 2.000 Euro. Auch hier knüpft Wolfgang Epting an die alten Zeiten an: Schon die PE-Geräte der 1950er- und 60er-Jahre waren in der oberen Preisklasse anzutreffen, wie alte Preislisten belegen. Das Spitzenmodell 2020 kostete rund 600 D-Mark. Das war viel Geld für einen Arbeiter, der im Monat vielleicht 1.000 Mark verdient hat. Zum Vergleich: Ein VW-Käfer kostete 1960 rund 3.700 Mark. Wolfgang Epting ist klar, dass seine Plat- tenspieler eine bestimmte Klientel ansprechen. Menschen, die so wie er großen Wert auf höchs- ten Musikgenuss legen. Im ersten Jahr rechnet der Plattenspielerproduzent mit einer Auflage von rund 300 Geräten. „Der Markt für diese Geräte wird ganz klar Südostasien, Nordame- rika und Osteuropa sein“, zählen Epting und Lorius auf. Aber auch einige Musikliebhaber aus Deutschland werden die PE-Plattenspieler kau- fen. Allerdings werden die Geräte nur über den autorisierten Fachhandel (HiFi-Fachgeschäfte) in Freiburg und Stuttgart erhältlich sein. PE lebt! Das St. Georgener Unternehmen gilt nach wie vor als Synonym für hervorragende Qualität in der Unterhaltungselektronik – der erste Messeauftritt auf der „High End 2015“ in München war viel beachtet. Perpetuum Ebner 131


Alles aus einem Guss Die Villinger Aluminiumschmiede AGVS fertigt komplexe Gussteile von Christina Nack Egal, ob in Kanada, Südamerika oder ir- gendwo dazwischen, ob in Asien, Afrika und in Europa sowieso: Wer irgendwo auf der Welt einen Niederflurbus besteigt, kommt unweigerlich in Kontakt mit ei- nem Produkt der Aluminium Werke GmbH Villingen (AGVS). Freilich ohne es zu ahnen und ohne das Produkt zu sehen, denn höchstwahrscheinlich handelt es sich um ein Getriebegehäuse. 132


Kippbare Öfen in der Metalll-Küche befördern das flüssige Aluminium in eine Gieß pfanne, die via Deckenschienen zu den Stationen in der Formerei dirigiert wird. 133


Kaum ein Niederflurbus der Welt fährt ohne Teile der AGVS – hier zum Beispiel ein Leitrad, dass im Fahrbetrieb hochbeansprucht wird. In der gewaltigen Industrieküche nur einen Steinwurf von der historischen Stadtmauer Villingens entfernt werden die komplexen Teile für weltweit annähernd al- le Überlandbusse mit ebenerdigem Einstieg gegossen. „Im Alltag werden die Menschen ständig von Erzeugnissen aus unserem Hause begleitet, sie wissen es nur nicht“, sagt Hans Mack, Mehrheitsgesellschafter im Leitungstrio, das die Kollegen Uwe Klier und Helmut Züfle komplettieren. In ihrer heutigen Konfiguration wurde die AGVS 1995 mit 46 Beschäftigten ge- gründet. Seither hat sie sich zum stabilen Mit- telständler entwickelt, bei dem 220 Menschen in Lohn und Brot stehen. Vom Allrounder zum erfolgreichen Spezialisten Der Erfolg der Alu-Werke ist im Wortsinn auf Sand gebaut, denn Sandguss ist nach einer dramatischen Zäsur vor 20 Jahren als Kernkom- petenz geblieben. Sie entwickelte sich aus einer Nischenposition neben Druck- und Kokillen- guss als früher führenden Sparten. „Es war ein Gemischtwarenladen“, stellt Hans Mack stirn- runzelnd fest, denn gern erinnert er sich nicht an jene schweren Zeiten, da die Aufträge weg- brachen, die Belegschaft in rasantem Tempo schrumpfte und das Unternehmen schließlich in den Konkurs schlitterte. Der Geschäftsführer will lieber über die heutigen Zeiten sprechen, zum Beispiel über den aktuellen Großauftrag aus China. Die Aluminiumwerke liefern über den renommierten Getriebehersteller ZF Fried- richshafen Teile für einen neuen Hochgeschwin- digkeitszug im Reich der Mitte. „Wir werden das Jahr 2015 mit einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro abschließen, das ist Rekord.“ Die AGVS hat in Villingen-Schwenningen ei- nen hervorragenden Ruf als Leistungsträger und Vorzeigeunternehmen in jeder Hinsicht. Sie gilt als „Hochlohn-Betrieb“ und ist auch wegen des guten zwischenmenschlichen Klimas ein belieb- ter Arbeitgeber. Die Öffentlichkeit nimmt das Un- ternehmen immer wieder wegen seines sozialen Engagements wahr; ab und zu berichten die regionalen Medien über Zertifikate für optimales Qualitäts-, Umwelt- und Energiemanagement. Der gebrauchte Sand und Alu-Reste sind kein Abfall, sondern wandern in den Kreislauf der Wiederverwertung: „Wir recyceln zu hun- dert Prozent, halten die gesetzlichen Emissions- grenzwerte ein und nehmen uns der Themen Umwelt und Energie engagiert an“, versichert Die AGVS am Goldenen Bühl in Villingen. 134 Wirtschaft


Die Geschäftsleitung, von links: Uwe Klier, Helmut Züfle und Hans Mack. Hans Mack. „Das ist allerdings vielen Leuten überhaupt nicht klar und erst recht nicht, was wir hier herstellen und wie wir es machen.“ Ob Ölwannen für Lastwagen oder Gelenkwellen- rohre für Sportautos von Mercedes: Produkte aus der Villinger Aluminium-Schmiede seien ständig im Alltag präsent. Jährlich werden rund 10.000 Tonnen Sand zu komplexen und kom- plizierten Formen verarbeitetet, in die flüssiges Aluminium gegossen wird. Nach dessen Erkal- ten wird der Sand weggeschlagen und zum Vor- schein kommt das glänzende komplizierte Teil, das die Auftraggeber bestellt haben. Dazu gehören Hersteller aus Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie, Flugzeug- und Schiffsbau, Maschinen- und Motorenbau, Ener- gieindustrie und Bauwirtschaft. „Aluminium- teile sind überall gefragt, wo Leichtigkeit und Korrosionsbeständigkeit wichtig sind.“ Unter den Stammkunden finden sich wohlklingende Namen wie Daimler, AMG, Liebherr, MAN, MTU, Siemens, Voith und ZF. „Wir sind Zulieferer und als solcher auf die Entwicklung in anderen Bran- chen angewiesen“, sagt der 61-Jährige. Doch durch die enorme Flexibilität der Produktion, hohe Präzision gerade bei schwierigsten Teilen, Liefertreue und Verlässlichkeit auch im Vertrieb hat sich das Unternehmen eine beständige Marktposition erobert. „Wir gehören zu den Top Five in Deutschland“, stellt Hans Mack, der Pri- mus inter pares im Triumvirat an der Spitze des Traditionsunternehmens, zufrieden fest. Neustart als Problemlöser für besonders knifflige und komplexe Teile Der gebürtige Königsfelder hat sein gesamtes Berufsleben der „Alu“ gewidmet, wie die Alumini- umwerke bis heute nicht nur von der Belegschaft genannt werden, sondern auch von der Bevölke- rung. In guten Zeiten gehörte sie mit SABA und Kienzle zu den größten Arbeitgebern der Stadt, 1985 bestand die Belegschaft aus mehr als tau- send Männern und Frauen. Es gab kaum eine Fa- milie in Villingen-Schwenningen, die der Alu nicht irgendwie verbunden war. 1970 begann Hans Mack hier seine Lehre als Industriekaufmann und hatte sich zum Finanzchef hochgearbeitet, als die Lage zunehmend bedrohlicher wurde. Die beginnende Globalisierung veränderte die Marktverhältnisse. Durch eine sich immer schneller nach unten drehende Preisspirale kam insbesondere die Automobilzulieferindustrie in große Nöte. Ein hohes Maß an Spezialisierung und Automatisierung war notwendig, um zu überleben. Die AGVS konnte dies mit den Spar- ten Sand-Kokillen- und Druckguss nicht leisten. Hinzu kam das bekannt hohe Lohnniveau, das die Ergebnisse vollends in den Keller drückte. Im Jahr Alles aus einem Guss – AGVS 135


Die sogenannten ‚Torque Tubes‘ der AGVS stecken in jedem neuen Mercedes AMG-GT und sind mit unter 30 kg echte Leichtgewichte. 1994 musste nach turbulenten Jahren mit vielen vergeblichen Ret- tungsversuchen Konkurs angemel- det werden. Auf den Zusammenbruch von SABA, Kienzle, Dual als ehemali- gen Riesen in den zerfallenden Branchen Unterhaltungselek- tronik und Uhrenbau, war der Zu- sammenbruch der Aluminiumgießerei Villingen (AGV) ein weiterer Keulenschlag für die Bevöl- kerung und den Industriestandort insgesamt. In harten Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall als starkem Gewerkschaftspartner für die noch 600-köpfige Belegschaft, wurde ein Sozialplan für Entlassungen und Abfindungen vereinbart; die Maschinen wurden versteigert. Nicht nur dem ehemaligen Finanzverwal- ter blutete das Herz. Es gelang, was Hermann Hesse poetisch mit dem im Ende wohnenden Anfang beschwört und was in der freien Wirt- schaft zwar selten, aber doch immer wieder geschieht – ein Sanierungsansatz aus dem Scherbenhaufen der Insolvenz. Hans Mack, Ewald Rösch, Horst Heinermann und Gerd Hen- nerich – alle vier gestandene Gießerei-Experten mit Alu-Stallgeruch – kauften die Produktions- anlagen für Sandguss aus der Konkursmasse auf. „Das war zwar das kleinste Segment, aber wir sahen darin das größte Potenzial.“ Im Okto- ber 1995 gründete das Quartett eine GmbH. Mit an Bord waren 46 erfahrene Kollegen, die dem Betrieb nicht nur beruflich, sondern auch emo- tional verbunden waren – Techniker, Vertriebs- profis, Finanzexperten. „Die Leute trauten uns, weil sie uns kannten.“ Sukzessive eroberte die Truppe verlorene Marktanteile zurück, vor allem in den Branchen Nutzfahrzeuge- und Maschi- nenbau. Langsam, aber stetig ging es aufwärts. Das neue Management investierte im Laufe der Jahre viele Millionen Euro in Formanlagen, Schmelzaggregate und Kernschießmaschinen. „Sandguss ist unsere Kernkompetenz, aber wir haben kein Eigenprodukt, sondern etablierten uns als Problemlöser für besonders knifflige und komplexe Teile.“ Die Metall-Küche erinnert an ein überdimensionales Labor Noch immer ist die Produktion personalinten- siv, noch immer ist die Arbeit bei der Alu kein Zuckerschlecken, wie ein Rundgang durch die transparente Fertigung in großen, offenen, mit- einander verbundenen Hallen zeigt. Besucher wähnen sich in einer anderen Welt, Assoziati- onen von harter Maloche im Stahlwerk stellen sich ein. Kräftige Männer in derber Arbeitsklei- dung hantieren an großen Maschinen, fahren Gabelstapler mit Rohmaterial, balancieren Sandblöcke mit einem Kran durch die Luft. Es ist laut, staubig, in der Luft liegt ein eigenartiger Geruch. Es ist heiß, vor allem in der „Küche“, wie die Metallschmelze intern genannt wird. Hier wird das Aluminium mit Hochleistungsaggrega- ten möglichst energiesparend erhitzt und durch das „Würzen“ mit Mangan, Magnesium, Kupfer, Nickel und weiteren Metallen zu fünf bis sechs verschiedenen Legierungen verarbeitet. Bei Temperaturen um die 670 Grad wird Alu flüssig, ab 2.500 Grad verdampft es. Die Metall-Küche erinnert an ein überdimensionales Labor, in dem es in monströsen Töpfen geheimnisvoll brodelt und gewaltige Rührgeräte das Gebräu durchmi- schen. Kippbare Öfen befördern den heißen Brei in eine Gießpfanne, die via Deckenschienen zu den Stationen in der Formerei dirigiert wird. Bis zu 50 Tonnen Aluminium werden in der AGVS täg- lich eingeschmolzen. Das Leichtmetall wird in Barren geliefert und mit über 700°C in die komplizierten Sand- formen gegossen. Anschließend wird das Rohteil aus seinem Sandmantel geschlagen und weiter bearbeitet. 136 Alles aus einem Guss – AGVS


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Tradition – Aluminium-Guss am Goldenen Bühl in Villingen seit 1928 Wie alles begann 1928 Übernahme eines stillgelegten Kaltwalzwerkes durch die Aluminium-Gießerei Singen GmbH 1929 Umfirmierung des Unternehmens in Vereinigte Alumini- um-Gießerei Singen-Teningen GmbH; Beginn der Produkti- on von Aluminium-Sandguss und Kokillenguss 1957 Umfirmierung in AGV Aluminium-Gießerei Villingen GmbH; Übernahme durch die Bizerba-Gruppe Balingen; 325 Mitar- beiter/innen produzieren 1.000 Tonnen Guss/Jahr Bewegte Jahrzehnte im Zeichen der Automobilindustrie 1960 Aufnahme der Druckgussproduktion 1970 Einführung des Niederdruckgusses für die Herstellung von Aluminiumrädern 1985 Etablierung im internationalen Wettbewerb; Kapazitäts- ausweitung auf 15.000 Tonnen Guss/Jahr. 1989 Verkauf der AGV an die Austria Metall AG (AMAG) 1994 Die AGV meldet Konkurs an, eine Unternehmensfortfüh- rung scheitert Neubeginn mit Erfahrung und Flexibilität 1995 Management-Buy-Out durch ehemalige Mitarbeiter der AGV; Gründung der AGVS Aluminium Werke GmbH Villin- gen mit Schwerpunkt Sandguss 2003 Inbetriebnahme der neuen Heinrich Wagner Sinto Großform anlage 2010 Inbetriebnahme der ersten Niederdruck-Kokillengießmaschine 2012 Standortsicherung durch Kauf des gesamten Firmengelän- des, Gründung der AGVS Industriepark GmbH als Immobili- enverwaltung des 60.000 m² Areals Heute: Etablierte Branchengröße im Sandguss – Mehr als 200 qualifizierte Mitarbeiter/innen in Produktion und Verwaltung – Produktionskapazität: 5.000 Tonnen Guss/Jahr – Zertifizierungen: ISO/TS 16949, DIN EN ISO 50001, DIN EN ISO 14001 Luftbild von 1923. 138 Spätestens hier wird anschaulich, dass der Aluminium-Guss trotz der vielen opulenten Maschinen im Prin- zip wie Kuchenbacken funktioniert. Der Kunde liefert Prototypen aus Kunststoff oder Metall. In der AGVS werden aus speziell aufbereitetem Sand Formen hergestellt, die milli- metergenau mit der Vorlage überein- stimmen. Es gibt zwei automatische Formanlagen, in denen die Kunststoff- modelle in schwere Sandformen gedrückt werden. Die Hohlräume wer- den mit flüssigem Aluminium gefüllt. Schon nach 15 Minuten ist es kalt, also wieder fest und wird „ausgepackt“. Das ist die körperlich schwerste Arbeit im Betrieb, denn die Sandbrocken müssen manuell aus feinsten Ritzen und Verästelungen geschlagen und gerüttelt werden. Höchste Präzision ist gefragt Jede Form kann also nur einmal ver- wendet werden, weil sie nach der Verwandlung des flüssigen Kerns zum festen Teil zerstört werden muss. Jeder Arbeitsschritt verlangt höchste Präzision, gleichwohl gibt es eine – wenn auch niedrige – Fehlerquote von zwei bis drei Prozent. Trotz exakter Berechnungen der gießtechnischen Prozesse wie Fließgeschwindigkeit und Erstarrungsablauf, bleibt die Formfüllung laut Mack eine knifflige Aufgabe. Wenn sich Blasen oder inne- re Fehler gebildet haben, wird das Teil wieder eingeschmolzen, ebenso über- schüssiger Anschnitt an den Guss tei- len. Das Metall wird europaweit in Barren eingekauft. Der Sand stammt aus dem nordrheinwestfälischen Hal- tern und wird nach Gebrauch eben- falls komplett wiederverwertet, meist zur Herstellung von Zement oder zur Deponieabdeckung. Wirtschaft


Am Ende muss alles perfekt passen: Mit modernster Messtechnik wird jedes Teil auf Präzision geprüft. Rund eine Million Tonnen Aluminium wer- den jährlich in Deutschland in Formen gegos- sen, nur 100.000 Tonnen in solche aus Sand und an denen wiederum hat die AGVS einen Anteil von vier Prozent. „Es ist ein kleines Segment, in dem nicht die Masse, sondern die Komplexität entscheidet“, erklärt Mack den Proporz. Der „kernintensive Sandguss“ wird in kleinen Stück- zahlen betrieben. Wöchentlich werden rund 20 Tonnen Guss ausgeliefert; 15 Prozent sind für den direkten Export bestimmt; der Anteil indi- rekten Exports ist laut Mack größer, aber schwer quantifizierbar. Rohmaterial und fertige Teile werden mit Lastwagen transportiert, was wegen der Lage in unmittelbarer Stadtnähe logistisch nicht ganz einfach ist. „Wir haben uns unseren Erfolg hart erkämpft.“ Handel, Gewerbe, Wohnungen sind um die Aluminiumwerke herum entstanden, die vor rund hundert Jahren als Ableger der Singener Alu-Werke auf der grünen Weise gegründet wurden. „Das hier war einmal der Bolzplatz vom FC 08.“ Auch dank des effektiven, streng über- wachten Emissionsschutzes sei das Verhältnis zur Stadtverwaltung und zu weiteren Behörden gut. Wichtig ist der Leitungsebene auch ein harmonisches Verhältnis zur Belegschaft. Die Fluktuation ist gering; die Zugehörigkeit zum Betrieb oft bis ins Rentenalter spreche für die Zufriedenheit der Kollegen. Sandguss ist übli- cherweise Männerarbeit; nur in der Kernmache- rei und in der schlanken Verwaltung sind auch Frauen beschäftigt. Sieben Auszubildende ge- hören zur Belegschaft; sie lernen Gießerei-Me- chaniker, Industriekauffrau und Modellbauer. Arbeitsspitzen werden oft mit Zeitarbeitern aufgefangen; das Leitungstrio ist vorsichtig bei der Einrichtung neuer Stellen. Immerhin wurden rund 70 ehemalige Zeitarbeitskräfte im Laufe der Zeit fest angestellt. Die Auftragslage sei gut, die Position am Markt stabil, entsprechend optimistisch seien die Perspektiven. Vernünftiges und sorgfältiges Handeln sind die wichtigsten Komponenten der unternehmerischen Strategie: „Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen.“ Roter Faden der Weiterentwicklung sei Rentabilität. „Wir haben uns unseren Erfolg hart erkämpft und wollen ihn nicht durch spekulative Wagnisse riskieren.“ Hans Mack ist der Frontmann eines Unterneh- mens, das sich nach dem eigenen Kollaps neu erfinden musste. 25 Jahre hat er als Angestellter in seinem Lehrbetrieb verbracht, 20 Jahre als geschäftsführender Gesellschafter. Er kennt alle Abteilungen aus dem Effeff, kennt die vor allem in Krisenzeiten konträren Sichtweisen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Er hat für bei- de Seiten Verständnis; Tariflöhne sind für ihn ebenso selbstverständlich wie die konstruktive Kooperation mit dem Betriebsrat. „Uns geht es gut“, fasst er die Situation der AGVS 20 Jahre nach ihrer Wiedergeburt zu- sammen. Bei all den positiven Entwicklungen dürften jene nicht vergessen werden, die auf Hilfe angewiesen sind: Diese Absicht steckt hin- ter den Sponsoring-Aktivitäten des Unterneh- mens. Seit 15 Jahren unterstützt es die Feldner Mühle in Villingen, eine Freizeiteinrichtung für behinderte Kinder und Jugendliche. Außerdem engagiert sich „die Alu“ jüngst für den Unterkir- nacher Fohrenhof, in dessen Arbeitsalltag kör- perlich und geistig beeinträchtigte Menschen integriert sind. Aktuelle Nöte etwa durch Natur- katastrophen und Bedürftigkeiten unterschied- licher Einrichtungen im Landkreis sind ebenfalls Anlässe für finanzielles Engagement. Alles aus einem Guss – AGVS 139


Unterwegs auf dem Spätzle-Highway 140 140 Autobahn 81


von Daniela SchneiderA 81 Der Spätzle-Highway 141


E Es war ein ziemlich kalter, ungemütlicher Tag, jener 10. Dezember 1975. Und passend zum Wetter geriet dann auch die Verkehrsfreigabe des ersten Auto- bahnabschnittes im Schwarzwald-Baar-Kreis zu einem recht sachlichen und wenig festlichen Ereignis. Damals, vor 40 Jahren, wurde der vierstreifige, 22,5 Kilometer lange Teilabschnitt der Autobahn 81 zwischen den Anschluss­ stellen Villingen­Schwenningen und Geisingen freigegeben. Sollte es da nicht ein großes Brimborium, Volks – feststimmung und Freudentänze geben? Fehl – anzeige! Wie wenig feierlich es zuging, zeigt eine Aktennotiz der Stadtverwaltung Villin- gen-Schwenningen: „Eine offizielle Feier findet nicht statt… Bei der Inbetriebnahme der Au- tobahn wird lediglich die Schranke beiseitege- schoben und die Strecke abgefahren“, hieß es damals. Und tatsächlich: Der Schwarzwälder Bote zum Beispiel präsentierte anderntags ein Foto mit Landrat Dr. Rainer Gutknecht, Staatsse- kretär Ernst Haar (SPD) vom Bundesverkehrsmi- nisterium und Villingen-Schwenningens Ober- bürgermeister Dr. Gerhard Gebauer samt dicker Fellmütze im kalten Winter. Drunter stand: „Die bescheidene Form der Übergabe des Autobahn- teilstücks… hatte zur Folge, dass auch nur wenig Prominenz das Ereignis verfolgte.“ Und in der Stuttgarter Zeitung war zu lesen, dass die neue Strecke, obwohl im Badischen lie- gend, dennoch „mit schwäbischer Sparsamkeit dem Verkehr übergeben“ wurde, ganz „ohne Reden und Festschmaus“, so habe es Landes- Wirtschaftsminister Eberle durchgesetzt. Weiter heißt es: „Im Bonner Verkehrsministerium wäre man nicht abgeneigt gewesen, ein wenig zu fei- ern“, doch stattdessen würden „nur die Sperren zur Seite geräumt und die Hüllen von den Weg- weisern gezogen“. Kurz und schmerzlos: die Verkehrsfreigabe des Schwarzwald-Baar-Abschnitts im Dezember 1975 Vorne v. links: Landrat Dr. Rainer Gutknecht, Staats- sekretär Ernst Haar und OB Dr. Gerhard Gebauer (historischer Zeitungsausschnitt). Rechte Seite: Verlauf der A 81, aus: Bundesautobahn A 81 Singen-Stuttgart, herausgegeben vom Bundes- minister für Verkehr und vom Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr Baden-Württemberg, 1978. S. H. Stegmaier, Stuttgart. 142 6. Kapitel – Autobahn 81


Der Spätzle-Highway 143


Wie auch immer der äußere „Es ist soweit! Frei Rahmen war: Jedenfalls hatten die Autofahrer ab dato freie Bahn von Schwenningen bis Singen. Zwei Jahre später folgte dann außerdem die Frei­ gabe der kompletten A­81­Strecke. Dass diese liebevoll­spöttisch auch schon mal „Spätzle­Highway“ genannt wird, nachzulesen zum Beispiel in einem ADAC­Magazin im Jahr 2003, das findet Willi Sau­ erland dann doch ziemlich despek­ tierlich. Immerhin ist es ja auch irgendwie seine Autobahn, war er doch seit den 1970ern bis 1998 Dienststellenleiter der Autobahn­ meisterei Rottweil. Als solcher war er quasi von Anfang an dabei und als solcher ist er auch ein bisschen stolz darauf, welche Ausmaße und Bedeutung die Fernstraße bis heute hat, von wegen „Spätzle­Highway!“, empört er sich. Aber gut, es stimmt schon, das sagt auch Willi Sauer­ land, der Bau der Autobahn schloss damals die „eher im Verkehrsschat­ ten liegenden Gebiete auf der Baar, der Alb und im Schwarzwald an die Landeshauptstadt und den Boden­ seeraum an“ – so heißt es weiter im genannten Magazin. Es sollte ein Vorteil werden für Menschen und Regionen in einem Teil des „Spätz­ le­Raums“ eben, die bis dahin richtig schlecht ans Verkehrsnetz angebunden waren. Impulse für die Entwicklung der Wirtschaft und des Fremdenverkehrs Die Gründe, die die Verantwortlichen seinerzeit für den Bau der A 81 nannten, sehen jedenfalls so aus: Wie erwähnt sei die Anbindung der bis­ her vom Autobahnnetz abgelegenen Gebiete immens wichtig und verspreche zudem Impulse für die Entwicklung der Wirtschaft und des Tourismus in diesen Landstrichen. Angestrebt werde zudem die Schaffung einer zweiten ist der Weg von der Landeshauptstadt über Neckar und Baar zum Bodensee. Vergessen das mü- hevolle Suchen nach der geeignetsten Route, das Klet- tern auf schmalen Serpentinen über Alb und Donautal. Nun ziert das breite Band der Autobahn die vielgegliederte Lücke zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb und bringt uns schnell zum vielge- rühmten Schwäbi- schen Meer.“ Bundesministerium für Verkehr durchgehenden Autobahnverbin­ dung in Baden­Württemberg in Nord­Süd­Richtung neben der A 5 und damit eine Entlastung eben jener Rheintalautobahn. Hinzu komme die angestrebte Entlastung der B 27 und im Fernverkehr die Ver­ längerung der Verbindung aus dem norddeutschen Raum auch von den Nord­ und Ostseehäfen über Kassel, Würzburg und Stuttgart bis an die Schweizer Grenze bei Schaffhausen. Die Euphorie jedenfalls scheint groß gewesen zu sein, sowohl in der Planungsphase als auch bei der endgültigen Freigabe der Ge­ samt­Strecke im Dezember 1977. In einer dazu eigens vom Bun­ desminister für Verkehr und vom Landesminister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr heraus­ gegebenen Broschüre heißt es: „Es ist soweit! Frei ist der Weg von der Landeshauptstadt über Neckar und Baar zum Bodensee. Vergessen das mühevolle Suchen nach der ge­ eignetsten Route, das Klettern auf schmalen Serpentinen über Alb und Donautal. Nun ziert das breite Band der Autobahn die vielgegliederte Lücke zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb und bringt uns schnell zum vielgerühmten Schwä­ bischen Meer.“ So führt die A 81 seither von Würzburg nach Stuttgart und von dort dann – fortan als Teil­ stück oft „Bodenseeautobahn“ genannt – , über Böblingen und den Schönbuch, weiter durch den Kreis Freudenstadt hinein ins Neckarland bis zum Anstieg bei Rottweil. Sie überquert das Tal des Neckars und dann das der Eschach und kommt schließlich im Schwarzwald­Baar­Kreis an. Hier erreicht sie hinter Villingen­Schwen­ ningen die Hochebene der Baar und senkt sich durchs junge Tal der Donau. Weiter geht es auf die Schwäbische Alb hinauf durch den Kreis Tuttlingen und im Kreis Konstanz in den Hegau abfallend bis nach Gottmadingen in die Nähe 144 Autobahn 81


Autobahnbau zwischen Trossingen und Sunthausen vor 1972. Hier rollt der Verkehr auf der A 81 im Hintergrund schon (NECKAR- QUELLE im September 1977): „Drei Straßen auf einer Aufnahme: Im Vordergrund die helle Bahn ist die Rohtrasse für die Biesinger Umgehung, in der Bildmitte die Strecke Sunthausen-B27 und die Autobahn Stuttgart-Singen im Hintergrund.“ „Die beiden ersten offiziellen Verkehrsteil- nehmer beim Brückenfest an der Kreisstra- ße Deißlingen-Niedereschach vor den Hin- terhölzerhöfen: Hochradfahrer Otto Dreher und Bürgermeistersohn Spadinger.“ Andere Zeiten – andere Sitten: Während die Freigabe an der Anschlussstelle Villin- gen-Schwenningen später recht nüchtern geriet, waren die Deißlinger ein paar Mo- nate zuvor bei der Einweihung einer Auto- bahnbrücke schon eher in Feierlaune. „Mit einer zünftigen Prise wurde der hochoffi- zielle Einweihungsakt an der 15. Brücke in Deißlingen anlässlich des Autobahnbaues durch Bürgermeister Spadinger im Kreise der Festaktteilnehmer besiegelt.“ (NECK- ARQUELLE, Mai 1975) Der Spätzle-Highway 145 145


Die Autobahn 81, am rechten Bildrand verlaufend, liegt mitten in den ausgedehnten Ackerflächen der Baar. Hier Ober-und Unterbaldingen im Vordergrund, links oben Biesingen und Sunthausen, auf der rechten Sei- te oben Öfingen. der Schweizer Grenze. Die Strecke liegt einge­ bettet zwischen Schwarzwald und Schwäbi­ scher Alb inmitten ausgedehnter Ackerebenen, sanft gewellter Hügel und schroff eingeschnit­ tener Täler, gesäumt von bewaldeten Bergen. Im Schwarzwald­Baar­Kreis gibt es die An­ schlussstelle Tuningen, die die Bundesstraße 523 zwischen Villingen­Schwenningen und Tuttlin­ gen anbindet. Außerdem befindet sich hier noch das Autobahndreieck Bad Dürrheim mit dem Zubringer Donaueschingen. Die Anschlussstelle Villingen­Schwennin­ gen wiederum ist gewissermaßen ein Sonder­ fall, denn sie heißt wie die Doppelstadt und markiert das Oberzentrum, liegt aber streng genommen im Kreis Rottweil auf Deißlinger Ge­ markung. Von dem Anschlussstellen­„Kleeblatt“ kann man auf die vierstreifig ausgebaute B 27 abfahren, die Donaueschingen und die südliche Baar und Rottweil mit Tübingen und Stuttgart verbindet. Aber apropos Gemarkung nochmal: Einige Deißlinger protestierten seinerzeit gegen die offizielle Benennung, sie hätten gerne ihre eigene Abfahrt auch namentlich so bezeichnet gehabt. Da ging es ihnen im Übrigen wie ande­ ren Nachbarn, diesmal aus dem Kreis Tuttlin­ gen: Mitunter nämlich wird die Anschlussstelle inoffiziell auch „Trossingen“ genannt, denn zugegeben: Auch die Musikstadt ist nicht weit entfernt und auch ihr hätte eine eigene Auto­ 146 Autobahn 81


bahnausfahrt offenbar ganz gut gefallen. Sei’s drum – die Autobahn ist für alle da, und sie wur­ de und wird auch von vielen genutzt. „Manchmal haben wir uns gefragt, ob die Leute den Weg auf die Autobahn nicht finden…“ 50.000 Fahrzeuge sind heute täglich auf dem Streckenabschnitt zwischen Rottenburg und dem Autobahndreieck Bad Dürrheim unter­ wegs, für den die Autobahnmeisterei Rottweil zuständig ist. Wie Willi Sauerland und sein Nachfolger als Leiter der Meisterei, Hans­Dieter Wölk, berichten, ist das natürlich überhaupt nicht mit dem Verkehrsaufkommen aus den 1970er­Jahren zu vergleichen. Zu Beginn fuhren die Fahrzeuge nur ganz vereinzelt, „manchmal haben wir uns schon gefragt, ob die Leute den Weg auf die Autobahn vielleicht nicht finden“, schmunzelt Sauerland. Zum Vergleich: 1998 zählte man dann 30.000 Fahrzeuge pro Tag. „Das Verkehrsaufkommen hat sich seitdem weiter enorm gesteigert“, berichtet Wölk, dem aber der kleine Trost bleiben dürfte, dass es auf derselben Autobahn bei Böblingen schon 2003 bereits 100.000 Fahrzeuge pro Tag waren, das wenigstens bleibt einem hier dann doch erspart. Die Autobahnmeisterei, die er leitet, ist dem Regierungspräsidium Freiburg unterstellt. Sie ist zuständig für den Unterhalt der Auto­ bahn 81 auf den rund 75 Kilometern Länge von Rottenburg bis Oberbaldingen und auf der A 864 bis Donaueschingen. Offiziell heißt der Aufgabenbereich im Amtsdeutsch so: „Aufgabe und Pflicht ist es, die Autobahn mit sämtlichen Nebenfahrbahnen und Nebenanlagen in ihrer Der Spätzle-Highway 147


Substanz so zu erhalten, dass die Verkehrssi­ cherheit für den Verkehrsteilnehmer zu jeder Zeit gewährleistet ist.“ Konkret bedeutet das: Räum­ und Streudienst (Wölk: „Der Autofahrer erwartet eine schwarze Autobahn“), Entwässe­ rung, Grün­ und Gehölzpflege, Pflege und Rei­ nigung der Fahrbahnen, der Lärmschutzwände, der Stützmauern, der Regenrückhaltebecken und von 150 Bauwerken, Reinigung der 15 Park­ plätze und Müllbeseitigung. 24 Stunden Rufbe­ reitschaft hat die Meisterei. Das Leitungsteam, zu dem auch Wölks Stell­ vertreter Martin Meitz gehört, arbeitet eng mit anderen Referaten des Präsidiums zusammen, allen voran mit Michael Waidele, dem Projekt­ leiter beim Donaueschinger Baureferat Ost der Abteilung Straßenwesen und Verkehr und des­ sen Team, zu dem seit vielen Jahren auch Bau­ techniker Thomas Burgbacher gehört. Denn sie alle koordinieren das, was sich auf der Autobahn tut, etwa, wenn es um die Planung und tatsächliche Realisierung von Baumaßnahmen geht. An diesem Vormittag im Sommer 2015 sitzen sie alle zusammen im Der Teilabschnitt der Autobahn 81 im Schwarzwald- Baar-Kreis ist 22,5 Kilometer lang, die kartografische Darstellung rechts zeigt mit der Anschlussstelle Villingen-Schwenningen, der Ausfahrt Tuningen und dem Autobahndreieck Bad-Dürrheim die Anschluss- punkte ans Umland sowie die „Nebenautobahn“ bis Donaueschingen (Herausgegeben durch das Land Baden-Württemberg, 1978, Stuttgart). hübsch verklinkerten Betriebsgebäude der Au­ tobahnmeisterei und plaudern mit dem pensio­ nierten Fachmann Willi Sauerland ein bisschen über die Geschichte der Autobahn. Aber dann herrscht allgemeiner Aufbruch, Warnwesten werden übergestreift und los geht es: Die Bau­ stelle, die direkt nebenan auf der Autobahn ihrem Ende entgegensieht, will erneut begut­ achtet werden. Vor Ort angekommen sind die Männer zufrieden: Es sieht alles gut aus, der Abschnitt zwischen der Anschlussstelle Rottweil und der Eschachtalbrücke in Fahrtrichtung Sin­ gen – offiziell „Fahrbahndeckenerneuerungslos Dauchingen“ genannt – kann wieder komplett Sie sind die Männer von der Autobahn (von links): Thomas Burgbacher, Willi Sauerland, Michael Waidele, Hans-Dieter Wölk und Martin Meitz. 148 Autobahn 81


Der Spätzle-Highway 149


für den Verkehr freigegeben wer­ den. Der Bauleiter der ausführenden Firma, der an diesem Vormittag ebenfalls vor Ort nochmal nach dem Rechten sieht, berichtet, wie knifflig die Maßnahmen generell sind und dass vor allem das Wetter mitspielen muss. Das, so berichten sie alle, ist oft der größte Feind, wenn es darum geht, Baumaß­ nahmen schnell und effektiv über die Bühne zu bringen. Die Tempe­ raturen müssen dabei stimmen, Aufbringen und Verarbeiten der Bitumenschicht im Regen ist nicht möglich und duldet schon gar kei­ nen Frost. Daher erklärt sich auch, warum – oft zur großen Entrüstung vieler Verkehrsteilnehmer („Ausge­ rechnet in den Ferien“, lautet da oft der verärgerte Vorwurf) – so viel in den Sommermonaten gebaut wird. Das Zeitfenster insgesamt ist Das Zeitfenster für Bauarbeiten insge- samt ist eben klein, es reicht in unseren Breiten nur von Mai bis Oktober und in dieser Zeit muss dann alles stimmen, von der Planung und Koordinati- on zwischen den einzelnen Behörden übers Wetter bis zur Logistik mit Bau-, Zuliefer- und Entsor- gungsfirmen, die oft schnell und flexibel reagieren müssen. Mittelplanken werden durch 82 cm hohe Betonschutzwände ersetzt Diese eine Baustelle ist eine der vie­ len, die die Strecke in den nächsten Jahren erleben wird: Nach und nach müssen die Fahrbahnen saniert werden. 20 bis 30 Zentimeter bitu­ minöser Aufbau werden abgefräst und Schotter aufgebracht, dann werden 34 Zentimeter Asphalt neu aufgebaut. Im Zuge dessen werden die Fahrbahnen auch gleich von jeweils elf auf dann zwölf Meter verbreitert. Die Mittelleitplanken werden sukzessive durch doppel­ te, 82 Zentimeter hohe Beton­ schutzwände ersetzt, die man nicht mehr so leicht durchbrechen kann und deren Zwischenraum mit dem Aushub der Straßenverbreiterung aufgefüllt wird. Außerdem muss von der Eschachtalbrücke kurz nach der Anschlussstelle Villingen­Schwen­ eben klein, es reicht in unseren Brei­ ten nur von Mai bis Oktober und in dieser Zeit muss dann alles stimmen, von der Planung und Koordination zwischen den einzelnen Behörden übers Wetter bis zur Logistik mit Bau­, Zulie­ fer­ und Entsorgungsfirmen, die oft schnell und flexibel reagieren müssen. ningen in den nächsten Jahren der Überbau runter, am Autobahndreieck Bad Dürrheim setzt sich langsam die Fahrbahn und zudem stehen sogenannte Bauwerksanierungen an: „Es wird in den nächsten fünf Jahren etliche Baustellen geben“, prophezeit Michael Waidele, Im Rahmen von Reparatur- und Ausbauarbeiten wer- den aus Sicherheitsgründen immer mehr Mittelplan- ken durch 82 cm hohe Betonschutzwände ersetzt. Für die Autobahn A 81 im Gebiet des Schwarz- wald-Baar-Kreises ist die Autobahnmeisterei mit Sitz in Rottweil zuständig. 150 Autobahn 81


Die A 81 bei Tuningen (links) und Oberbaldingen (unten) sowie der Zubringer A 864 (rechts), der für die Anbindung des Verkehrs aus dem Raum Donau eschingen gebaut wurde. Der Spätzle-Highway 151


„jetzt haben wir den Zeitpunkt erreicht, wo es sein muss.“ Im Schwarzwald­Baar­Kreis gibt es fünf kleinere Brücken, die in den nächsten Jahren gemacht werden müssen, bevor man die Fahrbahndecken erneuern kann. Hier ist das Brückenreferat in Freiburg zuständig; von den insgesamt 150 Bauwerken zwischen Rottenburg und Oberbaldingen sind elf Brücken länger als 100 Meter. Ganz allgemein sagt Referatsleiter Waidele: „Verkehrlich sind wir zufrieden – bau­ lich können wir nicht zufrieden sein, es wird zu wenig investiert.“ „Es wird immer aggressiver und schneller gefahren“ Während die Gruppe auf der leeren, noch nicht wieder freigegebenen rechten Fahrspur ent­ langgeht, rauscht unmittelbar daneben, nur durch eine Betonplanke getrennt, der Verkehr vorbei. Dabei wird deutlich: Sowohl die aus­ führenden Straßenbaufirmen als auch all die anderen Menschen, die auf dem jeweiligen Streckenabschnitt arbeiten – also Mitarbeiter In dieses Fahrzeug der Autobahnmeisterei ist bei tiefstehender Sonne im September 2009 ein Pkw gedonnert, ungebremst mit 100 Stundenkilome- tern. Das Auto stand ordnungsgemäß auf dem Nothaltestreifen. Erst zehn Sekunden zuvor wa- ren Michael Waidele und Hans-Dieter Wölk aus- gestiegen. Sie kamen am Ende mit einem großen Schrecken davon. der Autobahnmeisterei oder des Baureferats – haben einen ganz schön gefährlichen Job. Hans­Dieter Wölk und Michael Waidele ha­ ben Fotos aus dem Jahr 2009 von einem völlig demolierten Fahrzeug der Meisterei griffbereit. Die Geschichte dazu ist gruselig: Wenige Sekun­ den, bevor ein Pkw mit voller Wucht in dieses auf dem Nothaltestreifen stehende Auto krach­ te, waren die beiden Männer aus selbigem zu­ vor ausgestiegen. Heute scherzen und feixen sie auch ein bisschen darüber, aber man merkt: Sol­ che Situationen sind wahrlich alles andere als lustig und beim Gedanken daran werden auch die gestandenen Männer mit all ihrer Berufser­ fahrung dann doch eher nachdenklich. Denn, dass sie hier mit dem Leben davon gekommen sind, war reine Glückssache. „Bislang gab es bei unseren Leuten in solchen Situationen allenfalls nur leichte Verletzungen – Gott sei Dank“, sagt Hans­Dieter Wölk. Er fasst unterdessen nüchtern zusammen, was sie alle beobachten: „Es wird immer aggressiver und immer schneller gefah­ ren und keinerlei Rücksicht mehr genommen.“ Zwischen Rottenburg und Bad Dürrheim gibt es bis zu 600 Unfälle im Jahr Die Autobahn ist ein Revier mit vielen Gefah­ ren, soviel steht fest. Alle, die hier Dienst tun, also auch die Beamten der Autobahnpolizei Zimmern zum Beispiel, werden mit Unfällen konfrontiert. 400 bis 600 sind es pro Jahr auf der Strecke zwischen Rottenburg und Bad Dürr­ heim. Als besonders schlimm blieb das Busun­ glück an der Autobahnabfahrt 864 zwischen Donaueschingen und dem Dreieck Bad Dürr­ heim im Sommer 1992 in Erinnerung, bei dem 22 Tote und 34 Verletzte zu beklagen waren. Aber auch unzählige weitere Vorfälle passie­ ren. Bei einer Hilfeleistung und einem Radwech­ sel auf dem Nothaltestreifen kamen zum Bei­ spiel ein ADAC­Helfer und ein Lkw­Fahrer ums Leben. Ein andermal waren es Ersthelfer, die getötet wurden, oder ein Pkw­Fahrer, der sein Auto mit dem Reservekanister betanken wollte. All das vergisst man bei aller Professionalität selbstredend nicht so leicht. Aber auch andere 152 Autobahn 81


Zahlreiche Unfälle ereignen sich im Zusammenhang mit dem Lkw-Verkehr, oben auf dem Zubringer nach Donaueschingen, unten links ein Lkw-Brand auf der A 81. Rechts: Fahrbahnerneuerung. Winterdienst auf der A 81, beide Fahrstreifen werden gleichzeitig geräumt. Der Spätzle-Highway 153


Ereignisse prägen sich ein, zum Beispiel der „große Hagel“, der in kürzester Zeit mehrere Autos de­ molierte und für verängstigte, auch real gefährdete Verkehrsteilnehmer und Chaos auf der Straße sorgte. Witzig ist es für die Beteiligten außerdem auch nicht, wenn der Unmut über Bauarbeiten an der Strecke sich ungebremst bei ihnen ablädt. Einer der Straßenwärter erzählt, mit welchen unflätigen und nicht eben jugendfreien Ausdrü­ cken er schon betitelt wurde. Und von den Wurfgeschossen, die im Lauf der Jahre aus vorbeifahrenden Fahrzeugen in seine Richtung ge­ pfeffert wurden: Da war von Bana­ nen bis Melonen schon so ziemlich jedes Obst dabei. Man findet auf der A 81 „alles“, so auch Badewannen, Sessel, Spanngurte und Tische. Und zu den Funden gehören auch schon mal niedliche, bors- tig-zarte rosa Vier- beiner: An einem Freitagmittag im November brachte ein Mitarbeiter ein Ferkel an, das auf der Fahrbahn her- umgeirrt war. tobahnmeisterei mal aufsammeln lassen. Ein Silozug verteilte zwölf Kubikmeter Karottenkonzentrat für Babynahrung auf der Fahrbahn. Ein andermal lag buchstäblich Geld auf der Straße, wenn auch nicht in so recht brauchbarer Form: Ein Lastwagen hatte 20­Cent­Rohlinge auf 500 Metern Strecke verteilt, die letztlich mit der Kehrmaschine auf einen Haufen gefahren und ent­ sorgt wurden. Eine Ladung Schrau­ ben, die ein Lkw auf zwei Kilome­ tern Strecke verloren hatte, sorgte für Plattfüße en masse. Ein anderer Lastwagen verteilte Aluschrott auf der A 81, wieder ein anderer einen ganzen Berg Asphalt, der von einem Bagger aufgelesen werden musste und wieder ein anderer jede Menge Kühlgut, das eigentlich in einen Supermarkt hätte transportiert Auch einen Swimmingpool musste die Autobahnmeisterei einsammeln lassen Ein wahres Kuriositätenkabinett könnten sie bei der Autobahnmeisterei derweil mit all den Din­ gen eröffnen, die die Leute auf der Autobahn so verlieren. Einen Swimmingpool musste die Au­ Auf der Autobahn-Baustelle (von links): Hans-Dieter Wölk, Martin Meitz, Thomas Burgbacher und Michael Waidele. Nicht selten bekommen die Mitarbeiter der Autobahnmeisterei den Unmut der Autofahrer über die Baustellen ab. werden sollen. Gefunden wurden außerdem mehrere Fahrräder und Sofas, vermutlich von Dachge­ päckträgern unfreiwillig abgeladen, dazu Pkws, die von Transportern rutschten, oder auch mal das ein oder andere Betonfertigteil. Hans­Dieter Wölk sagt: „Man findet alles“, darunter auch Badewannen, Sessel, Spanngurte und Tische. Und Willi Sauerland ergänzt, dass zu den Funden auch schon mal niedliche, borstig­zarte rosa Vierbeiner gehörten: An einem Freitagmittag im November brachte einer seiner Mitarbeiter ein Ferkel an, das auf der Fahrbahn herumgeirrt war. Und dann waren da noch der radioakti­ ve Müll, der in einem Abfalleimer auf dem Parkplatz Unterhölzer Wald gefunden wurde und unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen entsorgt werden musste, ebenso wie eine kom­ plette Mülleimerladung Narkosemittel, die ein Pharmavertreter so entsorgt hatte. „Man könnte viel erzählen“, sagen Sauerland und seine jüngeren Kollegen – die Männer von der A 81. Schließlich sind es 50.000 Fahrzeuge täglich, die die 22,5 Kilometer lange Strecke im Schwarzwald­Baar­Kreis durchqueren. Tendenz: steigend! 154 Autobahn 81


Verlorene Ladung: Swimmingpool auf der Autobahn im Oktober 2008 Auf der Autobahn 81 beim Jahrhundert-Hagelunwetter am 28. Juni 2006. Der Spätzle-Highway 155


Die A 81 in Höhe von Weigheim, östlichster der elf Stadtbezirke von Villingen-Schwenningen. Die als „Kleeblatt“ ausgeführte Anschlussstelle Villingen-Schwenningen.


Die als Stahlbeton-Bogenbrücke mit 154 Meter Spannweite bei einer Gesamtlänge von 365 Metern ausgeführte Neckartalbrücke. Die Unvollendete Der Bau der Autobahn sollte im Süden eigentlich ans Schweizer Fernstraßennetz bei Schaffhau­ sen anschließen; daraus wurde aber bis heute nichts, die Autobahn endet im Singener Ortsteil Gottmadingen. Dabei hatten es die Politiker in den 1970er­Jahren doch eigentlich anders vorausgesagt: Der baden­württembergische Wirtschafts­ und Verkehrsminister Dr. Rudolf Eberle erklärte zum Beispiel im Jahr 1978: „Die A 81 ist Teil einer Nord­Süd­Traversalen, …die in wenigen Jahren über die schon in Bauvorberei­ tung befindliche Fortsetzung von Singen nach Bietingen Anschluss an das Schweizer National­ straßennetz finden wird.“ Das war ein Irrtum, wie man heute nun also weiß. Hinzu kommt, dass das ebenfalls ursprüng­ lich geplante zirka 19 Kilometer lange Teilstück zwischen dem Autobahnkreuz Herrenberg bei Gärtringen und dem Autobahnkreuz Leonberg, das für 1984 oder 1985 terminiert war, bis heute noch nicht gebaut ist. Der Verkehr weicht statt­ dessen ein Stückweit auf die A 831 bis Vaihin­ gen und von dort auf die A 8 aus (die weiter Richtung Westen bis zur A 5 führt), um dann in Richtung Norden wieder auf die A 81 zu treffen. Angedacht war auch einmal, den Zubringer Donaueschingen als A 86 nach Neustadt und Freiburg weiterzuführen. Und: Von Singen aus war der Bau der A 881 in Richtung Konstanz und der A 98 in Richtung Überlingen und Lindau angedacht – in allen Fällen blieb es bis heute beim Wunsch, realisiert wurde davon bekannt­ lich nichts. Und dann wäre da noch ein einst­ malig bei Öfingen geplanter Tunnel, denn nach Osten hätte die Autobahn weiter gen Tuttlingen führen sollen in Verlängerung des Zubringers Donaueschingen (heute A 864), auch daraus wurde letztlich nichts. Autobahn 81 157 157


Die A 81 in Zahlen Kosten Für die Bodenseeautobahn wurden laut Bun­ desverkehrsministerium für Bau und Grund­ stückserwerb Kosten in Höhe von insgesamt 917 Millionen DM fällig. Der Zubringer Donau­ eschingen kostete zudem zusätzliche 43 Millio­ nen DM. Höhe Die Strecke steigt gemächlich von 450 Me­ tern südlich des Schönbuchs auf 700 Meter am Rande der Baar bis zum Scheitelpunkt auf 782 Meter auf der Alb an; beim raschen Abstieg in den Hegau werden 535 Meter und bei Singen 445 Meter erreicht. Länge Die A 81 ist insgesamt von Würzburg bis Singen 276 Kilometer lang; die sogenannte Bodensee­ autobahn – also die Strecke vom Gärtringer Kreuz bis Singen­Gottmadingen – umfasst 119 Kilome­ ter; hinzu kommt noch der 6,9 Kilometer lange Zubringer Donaueschingen, also die A 864. Baugeschichte Planungsbeginn einer Autobahn zwischen Stuttgart und dem Bodensee war schon vor dem Zweiten Weltkrieg; 1938 wurde der erste Abschnitt zwischen Ludwigsburg und Leonberg als Reichsautobahnstrecke 39 fertiggestellt. In den Netzplänen der Nationalsozialisten war 158 Autobahn 81


dann auch eine Verbindung Stuttgart­Donau­ eschingen­Schaffhausen vorgesehen. Diese Planung wurde während des Krieges einge­ stellt; 1961 wurde sie wieder aufgenommen. Am 2. Juni 1969 erfolgte mit dem „ersten Ramm­ schlag“ für die Donautalbrücke bei Geisingen der offizielle Beginn der Bauarbeiten an der Strecke Stuttgart­ Singen. 1973 wurde die Stre­ cke zwischen den Anschlussstellen Geisingen und Engen freigegeben, 1975 im Dezember zwi­ schen Villingen­Schwenningen und Geisingen und zwischen Engen und Singen. 1977 rollte der Verkehr dann auch zwischen Rottweil­Villingen­ dorf und Villingen­Schwenningen. 1978 folgten die Freigaben der Strecken zwischen dem Auto­ bahnkreuz Herrenberg bis zur Anschlussstelle Herrenberg und zwischen Herrenberg und Rot­ tenburg. Im Dezember 1977 wurden das letzte Stück zwischen Rottenburg und Rottweil­Villin­ gendorf und der Zubringer Donaueschingen für den Verkehr freigegeben. Es gab 13 Planfeststellungsverfahren, 32 Flurbereinigungsverfahren und 1.150 Hektar Grunderwerb durch den Bund. Beim Bau der A 81 verunglückten insgesamt sieben Männer tödlich. Bauwerke Bestimmt durch die abwechslungsreiche Topo­ graphie (Schönbuch, Neckartal und Donautal und Hegau) und wechselhafte geologische Verhältnisse wurden 180 Bauwerke zwischen Stuttgart und Singen und auf dem Zubringer Donaueschingen erstellt, darunter 18 Talbrü­ cken, 113 Unterführungen, 53 Überführungen und der Schönbuchtunnel bei Herrenberg. Es gibt 27 Rastplätze und beidseitige Tank­ stellen mit Raststätten bei Herrenberg (Schön­ buch Ost und West) und bei Rottweil (Neckar­ burg Ost und West) und die Raststätten Hegau Ost und West bei Engen. Impressionen entlang der A 81 – oben links in Höhe des Unterhölzer Waldes, unten links kurz vor dem Kreuz Bad Dürrheim und rechts Parkplatz unterhalb der Blatthalde. Täglich sind hier ca. 50.000 Fahrzeuge unterwegs. Der Spätzle-Highway 159


160 7. Kapitel – Geschichte


Der letzte Weg Ein Marterl am Kirchweg von Urach nach Schollach erinnert an fünf heimtückische Morde von Rolf Ebnet 161


Wer auf dem idyllischen Kirchweg zwischen Schollach und Urach wandert, wird auf dem obersten Punkt im Wald, genau auf der Schollacher/Uracher Ortsgrenze ein gut zwei Meter großes, geschnitztes Holzmarterl entdecken. Den meisten Bürgern aus der näheren Umgebung ist es seit der Einwei- hung am 19. Juli 2014 bekannt und viele von ihnen zieht es immer wieder an den Ort, an dem heute – gäbe es das Marterl des Hammereisenbacher Bildhauers Wolfgang Kleiser nicht – so gar nichts auf ein heimtückisches Verbrechen während der Naziherrschaft im Jahr 1944 hindeutet. Leonhard A. Kornblau Bernhard A. Radomski Charles E. Woolf Meredith M. Mills Jr. Frank L. Misiak Die fünf am 21. Juli 1944 im Bereich des Uracher Kirchweges an der Gemarkungsgrenze zu Schollach und auf dem Schollacher Treibenweg ermordeten amerikanischen Soldaten. 162 Geschichte


Einweihung des Gedenkkreuzes auf der Höhe zwischen Urach und Schollach am 19. Juli 2014. Das Foto zeigt Initiator Wolf Hockenjos (von links), Pfarrer Martin Schäuble, Bildhauer Wolfgang Kleiser und Buchautor Rolf Ebnet. Die Morde an den fünf amerikanischen Soldaten geschahen am 21. Juli 1944. Fünf Namen und ein kurzer Satz zum Schick­ sal der jungen Männer sind in das Marterl geschnitzt: „Am 21.07.1944 wurden hier drei, unweit von hier zwei weitere amerikanische Flieger auf Anordnung der NS­Kreisleitung er­ mordet.“ Wie kam es zu der Ermordung der fünf amerikanischen Soldaten? Schon zu Beginn des Jahres 1943 hatte das Kriegsgeschehen mit dem Fall von Stalingrad eine deutliche Wende zu Ungunsten des Deutschen Reiches genommen. Italien war im Sommer 1943 aus dem Achsen­ bündnis ausgeschieden. Die Armeen des Dritten Reiches befanden sich auf dem Rückzug. Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten unter großen Anstrengungen in der Normandie. Bereits im Frühjahr 1944 besaßen die Alliierten, insbeson- dere die Amerikaner, große Bomberflotten in Süditalien und England. Anfang 1944 erschienen die ersten Begleit- jäger vom Typ P-51D „Mustang“ und P-47 „Thun- derbolt“ in England und Italien. Diese konnten ab Mai 1944 mit Zusatztanks jeden Ort des Drit- ten Reiches erreichen und die Bomberarmada bis tief ins Deutsche Reich vor Angriffen deut- scher Jagdflieger schützen. Die Bombardierungen gegen Hitlerdeutsch- land erfolgten durch England vornehmlich in der Nacht und durch Amerika am Tag. Angegrif- fen wurden hauptsächlich militärische Ziele, Verkehrsanlagen und die deutsche Rüstungsin- dustrie. Die in England und Italien stationierten amerikanischen Luftflotten waren zwischen- zeitlich in der Lage, von beiden Standorten aus bis zu 1.200 Bomber und ebenso viele Begleitjä- ger an einem Tag in die Luft zu bringen, sodass eine gewaltige Luftmacht Deutschland aus der Luft bekämpfte. Die deutschen Abwehrjäger waren zu der Zeit schon hoffnungslos unter- legen. Die deutsche Luftwaffe war bereits zur reinen Reichsverteidigung übergegangen. Am Der letzte Weg 163


21. Juli 1944 brachte die deutsche Luftwaffe gerade mal 60 Jäger vom Typ Messerschmitt Me 109 und Focke Wulf FW 190 in die Luft. Die Hauptabwehr der Reichsverteidi­ gung bestand aus Flugabwehrkano­ nen, die die Städte und Industriean­ lagen schützen sollten. Der Einsatz am 21. Juli 1944: 1.110 Bomber gehen in die Luft Von den am 21. Juli 1944 gestarteten 1.110 Bombern erreichten 980 ihre Ziele und luden allein zwischen 10:14 Uhr und 10:47 Uhr insgesamt 2.415,7 Tonnen an Bomben ab. 31 Bom- ber gingen verloren, 288 Besatzungs- mit glieder kehr- ten nicht zurück, darunter die in Urach/Schollach ermordeten fünf Soldaten. Die Wettervorhersage für den 21. Juli 1944 sagt lockere Bewölkung ausschließlich für Süddeutschland voraus. Der Rest des Reiches wird unter einer dicken Wolkendecke verborgen sein. Deshalb wird von der amerikanischen Ein satzführung in England ein Angriff auf die deut- sche Flugzeugindustrie und Kugel- lagerfabriken in Bayern geplant. Die Hauptangriffsziele sind wieder einmal die Dornier-Flugzeugwerke in Oberpfaffenhofen und München-Allach, der Flugplatz München-Riem, das BMW Flugzeug- motorenwerk in München-Allach, die Kugel- lagerfabriken in Schweinfurt und Ebelsbach und die beiden Messer schmitt Flugzeugwerke in Regensburg-Obertraub ling und Regens- burg-Prüfening. Mit Hochdruck wird ein detaillierter An- griffsplan für die „Operation No. 486“ ausge- arbeitet, die die 8. US Air Force, bestehend aus drei Bomberdivisionen, ausführen wird. Wegen der Konzentration auf Ziele in Süddeutschland, ist geplant, von England bis nach Ludwigshafen in einer geschlossenen Formation zu fliegen. Erst dort sollen sich die Kampfgruppen trennen und auf ihre zugewiesenen Ziele zusteuern. Am frühen Morgen des 21. Juli, zwischen 5:30 Uhr und 7:00 Uhr starten 1.110 Bomber und mehr als 700 Begleitjäger auf verschiedenen Flugplätzen im Süden Englands. Den Piloten und Navigatoren der drei Divisionen sind ihre exakten Ziele beim Briefing zuvor bekannt ge- geben worden. Die 305. Bombergruppe gehört zur 3. Bomberdivision und liegt auf dem Flugplatz Chelveston in Südengland. Ihr Flugauftrag lautet Zerstörung der Kugellagerfabrik in Schweinfurt. Zu dieser Division gehört die neunköpfige Besatzung von Pilot Leonard Kornblau. Leonard Kornblau hat bereits 34 Einsätze geflogen und gehört zu den erfahre- nen Piloten. Er kann sich wie immer auf seine zuverlässige Besatzung stüt- zen. Lediglich John Neider ist heute nicht dabei, da er beim letzten Ein- satz verletzt wurde. Für ihn fliegt William E. Boyd und übernimmt die Position des Bombenschützen. Neben Pilot Kornblau sitzt Co-Pilot Bernhard A. Radomski. Charles E. Wolf ist der Navigator. Die restliche Besatzung besteht aus den Bord- schützen Roger E. Gagnon, Mere- dith M. Mills, Frank L. Misiak, Irvin E. Hughes und Edward A. Theed. Ihre Hauptaufgaben bestehen in der Verteidigung des Bombers, der auch „Fliegende Festung“ genannt wird. Sie sollen angreifende feindliche Jäger mit Maschinengewehren ab- wehren. Inmitten von Flakgranaten: „Das Flugzeug sah aus wie ein Sieb“ Nach dem Start der ersten Bomber dauert es fast zwei Stunden, bis die Gesamtformation von über 1.700 Flugzeugen über England und dem Kanal aufgebaut ist und nun geht es Richtung Deutschland. Bis kurz vor Ludwigshafen gibt es keine besonderen Vorkommnisse zu vermelden. Doch die Wettervorhersage stimmt nicht ganz. Schon vor Ludwigshafen türmen sich kilome- terhohe Wolken. Die Besatzungen versuchen über die Wolken zu steigen, was aber wegen der schweren Beladung nicht gelingt. So auch die 305. Bombergruppe. Sie erreicht gegen 10:50 Uhr vormittags den Kontrollpunkt bei Ludwigs- hafen und fliegt nun in einer kleinen Linkskur- 164 Geschichte


Die Besatzung des amerikanischen Bombers mit Namen „Strictly from Hunger“. Hintere Reihe von rechts: C. E. Woolf, L. Kornblau, B. Radomski (alle drei ermordet), John Neider (Einsatz am 21. Juli nicht mit geflogen, wurde ersetzt durch W. Boyd) und I. Hughes. Vordere Reihe von rechts: M. Mills (ermordet), F. Misiak (ermordet), R. Gagnon, E. Theed. Die jeweils beiden Männer links in hellen Anzügen sind Flugzeugmechaniker und waren nicht Teil der Besatzung. ve Richtung Schweinfurt. Nur fünf Minuten später kommt die Gruppe über Mannheim in schweres Flakfeuer. Leonard Kornblaus B­17 Bomber mit dem Spitznamen „Strictly from Hunger“ befindet sich plötzlich inmitten explodierender Flakgra­ naten. Navigator William Boyd, der den Einsatz überlebte, erinnert sich: „Wir flogen schon durch schlechtes Wetter bevor wir Deutschland erreich­ ten und es wurde immer schlimmer. Der letzte Weg William Boyd Wir stiegen höher um den schweren Gewitter­ wolken zu entgehen, als wir urplötzlich von der Flak zusammengeschossen wurden.“ Inner- halb kürzester Zeit erhielt der Bomber drei Volltreffer. Die Besatzung wurde aufgrund der Druckwellen durch die gesamte Kabine geschleudert. Zwei der vier Motoren erhielten Treffer und fielen sofort aus. „Das Flugzeug sah aus wie ein Sieb, im Rumpf und im Boden klafften Löcher, man hätte durchspringen können. Die 165


Die Kreisgrenze, die in rot gestrichelte Linie, entschied am 21. Juli 1944 über Leben und Tod: Drei der Be sat – zungsmitglieder der „Strictly for Hunger“ trieb der Wind zu einem Landeplatz im Landkreis Donaueschin gen – sie überlebten (weiße Zeichen). Die fünf anderen landeten mit ihrem Fallschirm im Landkreis Neustadt und wurden brutal ermordet (rote Zeichen). Die Kreuze bezeichnen die beiden Tatorte. Steuerung war teilweise zerschossen, die Sau­ erstoffanlage nicht mehr funktionsfähig“, sagt der Seitenschütze Irvin Hughes 2005 in einem Interview. Irvin Hughes erhielt einen Flaktref­ fer in den Fuß, William Boyd einen größeren Splitter in die Schulter. Pilot Kornblau und Co­Pilot Bernhard Radomski betrachteten die Schäden und entschei den sich daraufhin, zu versuchen, mit Kurs Süd in die neutrale Schweiz zu fliegen und in Dübendorf zu landen. Den Weg zurück nach Eng­ land würden sie aufgrund der immen­ sen Schäden nicht schaffen. Etwa 20 Minuten später, gegen 11:15 Uhr, war die „Strictly“ über dem Südschwarzwald. Die Wolkendecke riss auf und die Besatzung sah unter sich grünes, hügeliges, bewaldetes Gelän­ de. In der Annahme, bereits über der Schweiz zu sein, begann Leonard Kornblau zu kreisen um ein ideales Absprunggelände zu finden und der Besatzung Zeit zum Absprung zu geben. Dann gab der Pilot das Zeichen abzuspringen und alle neun Besatzungsmitglieder sprangen aus der nun führerlosen Maschine. Der Zufall entschied nun über Leben und Tod. Während das Flugzeug nun führerlos bis nach Lauterbach bei Schramberg fliegt und dort in einen bewaldeten Berg hang kracht, öffnen sich alle neun Fallschir- me der Besatzungsmitglieder. Es ist ein warmer, sonniger Vormittag. Viele Bauern sind mit Feldarbeiten beschäftigt und sehen die Flieger an ihren Schirmen der Erde entge­ genschweben. Alle neun Flieger erreichen die Erde ohne weitere Verletzungen. Vier landen bei Linach im Landkreis Donaueschingen und die Irvin Hughes 166 Geschichte


Ihr letzter Weg führte die drei im Uracher Schwesternhaus inhaftierten amerikanischen Soldaten über den Kirchweg hoch auf die Höhe, wo sich die Gemarkungsgrenzen von Urach und Schollach treffen. Den Soldaten folgten viele Blicke – sicher auch vom Fenster aus, das zum überdachten Aufgang zur Uracher Wehrkirche gehört. restlichen fünf erreichen den Boden bei Schol­ lach und Urach im Landkreis Neustadt. Gegen 11:30 Uhr nimmt das Schicksal für die fünf im Landkreis Neustadt gelandeten Flieger seinen Lauf. Kreisleiter Kuner aus Neustadt erfuhr noch am Vormittag von der Landung der fünf Flieger und ersann einen heimtückischen Plan, sie noch am selben Tag zu ermorden. Er hatte bereits am 18. März des selben Jahres versucht, fünf abge­ sprungene Flieger beim Absturz eines amerika­ nischen Bombers bei Dittishausen zu ermorden, was ihm die Einwohner aber verwehrten. Die Landwacht nimmt die amerikanischen Soldaten ohne Gegenwehr fest Drei der fünf im Kreis Neustadt gelandeten Flieger landeten auf der Gemarkung Urach und zwei auf der Gemarkung Schollach. Kurz nach Die Absturzstelle in Lauterbach. Der letzte Weg 167


ihrer Landung wurden die Flieger von Angehöri­ gen der Landwacht ohne Gegenwehr gefangen genommen und eingesperrt. Die beiden in Schollach gefangen genommenen Soldaten im ehemaligen Schulhaus, die von Urach im ehe­ maligen Schwesternhaus. Schon bald darauf er­ schien Kreisleiter Kuner mit Sohn, seinem Stell­ vertreter Birnbreier und drei NSDAP­Mitgliedern aus Neustadt. Kuner detaillierte seinen geheimen Plan und ordnete die nichtsahnenden Männer der Land­ wehr an, die drei Flieger in Urach abzuholen und auf dem Kirchweg durch den Wald nach Schol­ lach zu führen. Die Männer um Kreisleiter Kuner beschlossen nun sich aufzuteilen. Kuners Sohn, Max Matthes und Gottlieb Werner erwarteten dann die drei gefangenen Flieger zwischen Urach und Schollach. Als diese mit den Männern der Landwacht dort ankamen, wurden alle drei jungen Männer sofort mit einem Kopfschuss getötet. Die beiden in Schollach Inhaftierten sollen durch den Gendarmen Faller im Schulhaus einzeln abgeholt und auf den Treibenweg nach Neustadt gebracht werden. Die Täter bezogen am Treibenweg und Kirchweg ihre Positionen im Wald um die nichtsahnenden Flieger unter Ausschluss der Dorfbewohner kaltblütig zu er­ morden. Die toten Soldaten wurden an Ort und Stelle verscharrt Alle fünf Flieger wurden von ihren Mördern in Kopf und Genick geschossen und achtlos im Wald liegen gelassen. Am späten Nachmittag wurden die getöteten jungen Männer im Alter von durchschnittlich 21 Jahren von Dorfbewoh­ nern entdeckt und die grausame Nachricht machte unter vorgehaltener Hand die Runde in den beiden Dörfern. Kuner ordnete daraufhin an, die Landwacht müsse die Flieger noch am selben Abend an Ort und Stelle verscharren, was auch geschah. Im Februar 1945 wurden die Leichname auf Betreiben von Pfarrer Eisele und des damaligen Bürgermeisters unter strengster Geheimhal­ Schicksalhafte Begegnung Der Onkel von Lioba Grieshaber, Alois Kleiser aus Urach, war am 21. Juli zu Fuß von Neu- stadt nach Urach unterwegs. Voller Entsetzen stand er plötzlich vor den drei ermordeten Fliegern, die direkt vor ihm lagen. Dieses Erlebnis war mit der Anlass für seinen Ent- schluss, Pfarrer zu werden. Pater Alois Kleiser war später 30 Jahre lang in Riedböhringen tätig. Die Ermordung der jungen Männer in Schollach be schäftigte ihn sein ganzes Leben. Mechthild Baller, damals Rektorin der Kardinal-Bea-Schule in Riedböhrin gen, hatte Pater Kleiser in dieser Zeit oft ge- troffen und er innert sich an folgende Pater Alois Kleiser Begebenheit: „Pater Kleiser kam gerade von Achdorf zurück und war etwas aufgewühlt. Er erzählte mir, wie er am 21. Juli 1944 auf dem Heimweg von Neustadt nach Urach war. Er war damals 16 Jahre alt und besuchte das Gymnasium in Sas bach. In Schollach nahm er wie immer den kürzesten Weg, den Kirchweg. Auf einer Wiese, kurz vor dem Waldrand, war eine junge Frau am Heurechen. Als sie ihn sah, rief sie ihm zu: ,,Gehen Sie nicht dort hin, dort ist was Schlim mes passiert!“ Alois Kleiser ging trotzdem weiter und sah plötzlich einen toten jungen Mann vor sich liegen. Ein paar Meter weiter lag der zweite Mann und wieder nur ein paar Meter weiter lag ein weiterer getöteter Mann. Dieser hatte einen Rosenkranz in seinen Händen. Alle drei Männer waren noch sehr jung. Pater Kleiser erzählte mir diese Ge­ schichte, weil er in Ach dorf plötzlich wieder daran erinnert wurde. Er besuchte Pfarrer Schwalbach und klingelte. Es öffnete die Pfarrhaushelferin. Alois Kleiser erkannte sie sofort wieder, es war die Frau, die ihn damals in Schollach aufforderte, einen anderen Weg zu nehmen. 168 Geschichte


Am Kirchweg von Urach nach Schollach – der Ort eines heimtückischen Verbrechens. Der letzte Weg 169


tung ausgegraben und auf dem Schollacher Friedhof im Rahmen eines ordentlichen Begräb­ nisses beigesetzt. Nach dem Krieg wurden die Leichname in Schollach von den Amerikanern obduziert. Nachdem die Todesursachen festgestellt und die Identifikation in Schollach abgeschlossen war, wurden vier der Ermordeten in die USA überführt und dort begraben. Frank Misiak wurde auf dem Soldatenfriedhof in St. Avold in Frankreich beigesetzt. Für zwei der Mörder lautete das Urteil „Tod durch den Strang“ Die Täter wurden identifiziert und die meisten von ihnen gefasst. Kreisleiter Kuner entzog sich der Festname durch Selbstmord, sein Sohn überlebte den Krieg nicht, er fiel an der Westfront. Den übrigen Tätern wurde von den Amerikanern in Dachau der Prozess gemacht. G. Werner und H. Birnbreier wurden am 27. April 1947 zum Tode verurteilt, die Urteile wurden am 5. Dezember des selben Jahres vollstreckt. Die restlichen Täter erhielten lange Haftstrafen. Amerikanische Zeitungen berichten Als die B-17 am Nachmittag des 21. Juli nicht nach England zurückkehrte, galten die fünf getöteten und die vier in Gefangenschaft geratenen Flieger der „Strictly of hunger“ als vermisst. So erhielten die Angehörigen von der amerikanischen Luftwaffe bald darauf ein Telegramm, mit dem Inhalt, dass ihr Sohn bzw. Ehemann beim Einsatz über Deutschland am 21. Juli als vermisst gilt. Dies war selbst für amerikanische Verhält- nisse nicht alltäglich, auch die Zeitungen berichteten über die vermissten Söhne und Ehemänner. Und später über die heimtücki- schen Verbrechen an ihnen. Ein Leben lang in Kontakt William Boyd, Irvin Hughes und Edward Theed (gest. 2003), die mit ihrem Fallschirm in Linach gelandet waren, kehrten bald Irvin Hughes: „Mein ganzes Leben lang habe ich mich gefragt, warum ich nicht ermordert wurde“ nach Kriegsende unversehrt in ihre Heimat zurück. Sie wurden im August 1945 mit allen Wie nahe Glück und Unglück zusammenlagen, erkennt man an dem Schicksal der vier bei Linach gelandeten Kameraden. Diese landeten in einem Abstand von nur zwei Kilometern von ihren fünf ermordeten Kameraden entfernt. Das Gebiet gehörte aber zum Kreis Donaueschingen und somit war ein anderer Kreisleiter zuständig. Die vier Flieger wurden gefangen genommen und blieben Gefangene bis Ende des Krieges. Das Schicksal der getöteten Kameraden und Freunde begleitete die Vier ihr ganzes Leben. Irvin Hughes gegenüber dem Autor Rolf Ebnet: „Als ich gefangen genommen wurde, kamen wir in ein Verhörlager bei Oberursel. Dort wollten die Nazis wissen, ob ich weiß, was mit meinen ge­ töteten Kollegen passiert ist. Ich verneinte, doch sie glaubten mir nicht und schlugen mich immer Ehren aus der Armee entlassen. Erst kurz zuvor hatten sie vom Schicksal ihrer Kame- raden erfahren. Die drei Soldaten hatten ein Leben lang Kontakt zueinander, Irvin Hughes und Bill Boyd kehrten später nach Deutschland zurück und suchten dort nach Spuren ihrer Gefangennahme. Der Neffe des Bruders von Leonhard Kornblau wurde zur Erinnerung an den ermordeten Soldaten auf „Len“ getauft. Der vierte Überlebende R. Gagnon kehrte zurück nach Kanada, zu ihm bestand nur wenig Kontakt. 170 Geschichte


„Absprung ins Ungewisse“ „Ich hatte nie das Ziel, ein Buch zu schreiben, ich dachte nicht im Entferntesten, dass ich dazu in der Lage wäre.“ Doch Rolf Ebnet, der im englischen Bath für Siemens eine Softwarefir- ma leitet, hat ein wichtiges und erfolgreiches Buch geschrieben. Die Mutter erzählte ihm als Kind von einem Luftkampf über Döggingen, bei dem sie Zeitzeuge war. Der Vater wusste vom Hörensagen, dass es einen weiteren Absturz gab und ein Teil der Besatzung im Wald bei Schollach ermordet wurde. Rolf Ebnet begann, in Dittishausen und Schollach zu recherchieren – und wurde fündig: „Bald darauf fingen die Zeitzeugen an, mich zu fragen, was ich denn bereits wisse. Und spä- testens, als ich das Foto der ermordeten Flieger in den Händen hielt, wusste ich, dass ich diese Ereignisse veröffentlichen muss“. Dieses Foto hatte er von einem der Überle­ benden zugesandt bekommen, von Irvin Hughes, den er später in Amerika besuchte. Rolf Ebnet sah die jungen Männer auf dem Foto und alle Rolf Ebnet mit Irvin Hughes, der überlebte, weil er mit seinem Fallschirm zufällig im Landkreis Donau­ eschingen landete. traten sie aus der Anonymität – hatten plötz­ lich ein Gesicht. Die Überlebenden und Nach­ kommen der ermordeten Soldaten lernte er in Amerika kennen, so entstand eine lückenlose Dokumentation. „Absprung ins Ungewisse“ 184 Seiten, 21 Euro, erschienen 2005 ISBN 3-00-015654-2 www.ebnet-documentation.de wieder mit dem Gewehrkolben. Ich blieb bei meinem „Nein“ und bin sicher, sie hätten mich umgebracht, wenn ich „Ja“ gesagt hätte. Mein ganzes Leben lang habe ich mich gefragt, warum meine Kameraden und Freunde ermordet wur­ den und ich nicht. Ich konnte es nicht verstehen.“ Weihe des Gedenkkreuzes erfolgt unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Im Schwarzwald war das schreckliche Verbrechen fast in Vergessenheit geraten, der jüngeren Ge­ neration gar nicht bekannt. 2005 veröffentlichte Rolf Ebnet aus Döggingen, der Autor dieses Bei­ trages, eine ausführliche Dokumentation zu den beiden Flugzeugabstürzen und Schicksalen der Besatzungen während des Zweiten Weltkrieges über dem Schwarzwald. Die lückenlose Doku­ mentation über die Ermordung von fünf der neun Besatzungsmitglieder traf auf ein großes Echo und löste Trauer in der Bevölkerung aus. Auf Initiative des Skiclubs Urach wurde bei Wolfgang Kleiser, Bildhauer aus Hammereisen­ bach, ein Gedenkkreuz gegen das Vergessen in Auftrag gegeben und am 19. Juni 2014 unter zahlreicher Anteilnahme der heimischen Bevöl­ kerung eingeweiht. Auch viele jüngere Bürger kamen zu der Einweihung und waren bestürzt, als sie die Details der grausamen Tat erfuhren. Heute lädt der friedliche Ort inmitten des Waldes, an dem das massive Kreuz an die Tat erinnert, zum Verweilen und Gedenken an die Getöteten ein. Immer wieder halten dort Men­ schen inne oder besuchen den Ort einzig zum Gedenken an die grausige Tat. Wie sagt doch George Santayana (1863 ­ 1952), Philosoph und Autor: „Wer sich an die Vergangenheit nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wie­ derholen.“ Der letzte Weg 171


Eine Ära endet, v. links: Superiorin Roswitha Wecker, Schwester Siegrun Schachtner und Pater Hermann Fuchs. Kloster St. Ursula ist geschlossen Fast 800 Jahre währende Klostergeschichte ist zu Ende – Ordensschwestern haben das Schulleben der Stadt maßgeblich geprägt – Stadt zehrt von den Grundlagen des christlichen Lebens der Klöster von Marga Schubert Das Jahr 2015 geht in die Geschichte der Zähringerstadt Villingen als das Jahr ein, in dem das Kloster St. Ursula nach einer Jahrhunderte dauernden Geschichte aufge- hört hat, zu existieren. Zum Schluss waren es noch zwei Ordensschwestern und der Hausgeistliche, die den Klosterbetrieb in St. Ursula aufrecht erhielten. Die verantwortli- che Leitung des Schulbetriebes der St. Ursula-Schulen war bereits vor 25 Jahren, 1990, in die Verantwortung der Schulstiftung des erzbischöflichen Ordinariats in Freiburg übergeben worden. Mit Ende Juli 2015 mussten nun die beiden letzten Ordensfrauen der Ursulinen, Superiorin Schwester Roswitha Wecker und Schwester Siegrun Schachtner, altersbedingt die Klosterpforte für immer schließen. Mit ihnen verließ auch der langjährige Hausgeistli- che, Pater Hermann Fuchs, die Klostermauern am Bickentor. Schwester Siegrun verbringt ihren Lebensabend im Ursulinen-Kloster im schweizerischen Brig, die letzte Superiorin des Klos ters, Schwester Roswitha, und Pater Fuchs leben in der Villinger Seniorenanlage St. Lioba. 172 Geschichte


Das barockisierte Eingangsportal der Klosterschule St. Ursula. XXX 173


Im Hochmittel- alter hatten sich die Chancen von Frauen im religiösen Leben immer mehr verschlechtert. So begannen immer mehr Frauen, auf eigene Faust ein religiöses Leben zu führen, ein Leben ohne schützende Klostermauern. Sie pflegten Kranke und Sterbende, betreuten Arme und auf dem Fun dament christlicher Welt anschauung und Werteord­ nung. Der gesamte städtebaulich markante Kloster­ und Schul­ komplex am Bickentor ging nach der Schließung des Klosters in den Besitz der Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg über, die nun mit den frei werdenden Kloster­ räumen die dringend notwendige Erweiterung der Schulräume reali­ sieren kann. So blieb die Zeit auch hinter Klostermauern nicht stehen – selbst wenn man das als Besu­ cher so fühlen mochte und auch weiterhin wird, wenn man einen der breiten, stillen Flure des Klos­ tergebäudes entlang geht, die mit wertvoller christlicher Kunst und antiken Möbeln reich bestückt sind. Eine Etage des Klosterkom­ In einem Gottesdienst im Münster mit Weih bischof Michael Gerber und einem anschließenden Festakt wurden die beiden Ordensfrauen und Pater Fuchs würdig verabschiedet. In Abschieds­ und Dankesworten der vielen Weggefährten und Vertreter des öffentlichen Lebens und der Kir­ chen wurde der enorme Einsatz der Schwestern gewürdigt, verbunden mit dem Versprechen, dass „Ihr Werk weitergeführt und die Erinnerung an Sie immer bleiben wird“, wie es Dietfried Scherer, Direktor der Schul­ stiftung der Erzdiözese Freiburg aus­ drückte. Geschenke und innige Dankes­ worte gab es auch vom Schulleiter der heutigen Bildungseinrichtung St. Ursula­Schulen, Johannes Kaiser, der im Sinne und im Namen aller Schüler, Lehrer und Eltern sagte: „Wir bedanken uns für die geistigen Spu­ ren, die Sie bei vielen hunderten Schülern und Lehrern hinterlassen haben.“ Bettler. Auch Oberbürgermeister Dr. Rupert Kubon, Alt­Dekan Kurt Müller und andere Festredner machten eines überdeutlich: Der Orden und vor allem die Schwestern haben das Schulleben der Stadt Villingen maßgeblich geprägt und geformt. Rupert Kubon: „Wir zehren von diesen Grundlagen christlichen Lebens der Klöster hier in der Stadt“. plexes, in dem die Ordensfrauen größtenteils lebten und arbeiteten, soll in sei­ nem bisherigen Zustand erhalten bleiben als Zeugnis des letzten aktiven Klosterlebens in Vil­ lingen. Sicher wird es zu besonderen Anlässen auch ab und zu der Öffentlichkeit zugänglich ge macht werden, versprach der Schulleiter der St. Ursula­Schulen, Johannes Kaiser. Die Anfänge der Villinger Klostergeschichte „Tradition bewahren – Zukunft bereiten“ Vom einst blühenden Klosterleben, ehemals insgesamt sieben Klöstern im alten Villingen mit Dominikanern, Klarissen, Johannitern, Franziskanern, Kapuzinern und Benediktinern, war nach der Säkularisation nur das Frauen­ kloster St. Ursula übrig geblieben. Es baute eine beispielhafte Bildungseinrichtung auf, die seit 1990 in der Trägerschaft der Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg steht. Diese leistet unter dem Motto „Tradition bewahren – Zukunft berei­ ten“ neuzeitliche Bildungs­ und Erziehungsarbeit Vor mehr als 700 Jahren war es, als sich die ers­ ten Frauengemeinschaften, die sogenannten Beginen, auch in Villingen und seiner nächsten Umgebung zusammenfanden, um in Armut und Gebet Gott zu dienen. Denn im Hochmit­ telalter hatten sich die Chancen von Frauen im religiösen Leben immer mehr verschlechtert, das Angebot an Klosterplätzen stagnierte. So begannen immer mehr Frauen, auf eigene Faust ein religiöses Leben zu führen, ein Leben ohne schützende Klostermauern. Sie pflegten Kranke und Sterbende, betreuten Arme und Bettler, bestatteten die Toten und ernährten sich durch 174 Geschichte


Die letzte Superiorin Sr. Roswitha Wecker vor dem ehemaligen Archivschrank aus dem 16. Jahrhundert. verschiedene Arten der Handarbeit. Aus diesen Gemeinschaften gingen später die Frauenklös­ ter hervor. Das Haus am Villinger Bickentor hat­ te vermutlich im 13. Jahrhundert begonnen, ein Konvent frommer Frauen zu sein. Hier vereinig­ ten sich mehrere dieser sogenannten Schwes­ ternsammlungen aus der näheren Umgebung. Durch das Wirken der seligen Ursula Haider, die 1479 aus Valduna in Vorarlberg nach Villin­ gen berufen wurde, um mit ihren sieben Ge­ fährtinnen im Bickenkloster die Regeln der heili­ gen Klara einzuführen, hatte sich diese Sammlung zu einem überregional erfolgreichen Klarissen­ Kloster reformiert. Die Schwestern verstanden sich auf Schreibkunst, auf Leinenweberei, alle Arten von Handarbeiten, aber auch auf die Her­ stellung von Kräuterheilmitteln und köstlichem Gebäck. Das Rezept der bis zuletzt im Kloster St. Ursula gebackenen und als Geschenke der Klosterfrauen heiß begehrten „Klosterguetili“ stammt aus dieser Zeit. Neben dem Klarissen­ kloster, nur durch eine Mauer getrennt, lagen Garten und Kloster der Dominikanerinnen, die „Vetternsammlung“ genannt. Hier wurden be­ reits damals Mädchen unterrichtet. Beide Klöster bestanden bis 1782, bis eine Verordnung von Kaiser Josephs II befahl, alle beschaulichen Klöster aufzulösen. Letztendlich wurde jedoch ein Kompromiss genehmigt: Dass das Klosterleben am Bickentor in Villingen unter dem Aspekt bestehen bleiben darf, wenn das Klarissenkloster in einen Lehrorden, das Ursuli­ neninstitut, umgewandelt wird, dem sich die Do minikanerinnen anschließen sollen. Die Zeit der Ursulinen (1782 – 2015) Am 16. Oktober 1782 übernahmen dann zwei Schwestern des Lehrordens der Ursulinen aus Freiburg das Zepter in den alten Klostermauern am Bickentor und nahmen die ehemaligen Kla­ rissen und Dominikanerinnen in ihren Orden auf. Die Ursulinen gehen auf die „Gesellschaft der hl. Ursula von Anne de Xainctonge“ zurück. So war 1782 das Geburtsjahr des Lehr­ und Erziehungsin stituts St. Ursula in Villingen. Und die Zeit der Ursulinen in der über 700 Jahre alten Klostergeschichte der Zähringerstadt mit ihrer Fürsorge, der christlichen Erziehung und Kloster St. Ursula ist geschlossen 175


Die Konventuhr des Klosters St. Ursula aus dem Jahr 1860. Ihr Werk stammt von einem der berühmtesten Uhrmacher des Schwarzwaldes, von Lorenz Bob (1805 – 1878) aus Furtwangen. Der Villinger Wilhelm Dürr malte das Uhrenschild, es zeigt Ursulinen und Schulmädchen, darüber Maria und der heilige Dominikus. Die Schnitze- reien hat August Glänz aus Neustadt geschaffen. Im kleinen Kloster- museum sind noch weitere pracht- volle Zeitmesser aufbewahrt. Ausbildung junger Menschen, sollte nun bis zur Auflösung in diesem Jahr 233 Jahre dauern. Generationen von Villingerinnen erhielten und erhalten in der „Maidleschuel“, der ehemali­ gen Klosterschule St. Ursula, bis heute in den zwischenzeitlich gemischten Klassen der freien christlichen Bildungseinrichtung eine Ausbil­ dung auf dem Fundament christlicher Weltan­ schauung und Wertordnung. Die konfessionellen Volksschulen werden aufgelöst Die Klosterschule St. Ursula erlebte in 233 Jah­ ren Höhen und Tiefen, überstand schwierige Zeiten, so zum Beispiel die Zeit des „Schul­ kampfes“, der Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche, die 1876 auch in Villingen mit der Einführung der „Simultan­ schule“ (Schule für alle religiösen Bekenntnisse) endete. Die konfessionellen Volksschulen wur­ den aufgelöst. Auch die Freiburger Ursulinen verloren die Möglichkeit, katholischen Mädchenunterricht zu erteilen. Im Villinger Konvent entschied die damalige kluge Superiorin Xaveria Ditz jedoch, den Unterricht an der Mädchenschule fortzu­ setzen. Waren doch die wenigen evangelischen Mädchen von den Nordstetter Bauernhöfen schon immer zusammen mit den katholischen Schülerinnen unterrichtet worden. 1862 war bereits in den Räumen des ehema­ ligen Dominikanerinnenklosters am Klosterring von der Stadt ein Mädchenschulhaus einge­ richtet worden, in dem auch die Lehrfrauen der Ursulinen unterrichteten. Daraus entwickelte sich die Mädchenvolksschule und die spätere Klosterringschule als Grund­ und Hauptschule. Bald platzte das Klostergebäude aus allen Nähten. Bereits 1841 hatte das Kloster das an der Bickenstraße gelegene Nachbarhaus erwor­ ben, das sogenannte Backsteinhaus. Ein drittes Gebäude kam später dazu. Privates Töchterheim, Kochschule, Frauen­ arbeitsschule (Industrieschule), Internatsschu­ le, Handelsschule, Realschule, Seminare und Kurse – die Klosterschule St. Ursula schrieb Erfolgsgeschichte, überstand Hungerjahre, krie- gerische Auseinandersetzungen und Inflation mehr oder weniger unbeschadet, wird zu einer festen Größe im Villinger Schulleben. Bereits um 1908/1909 wurden der West-, Nord- und Haus- wirtschaftsflügel angebaut, das Portal an der 176 Geschichte


Blick in den reich mit Kunstwerken ausgestatteten Gang des Klosters St. Ursula und in die Klosterkirche. Der Hochaltar mit der Darstellung Maria Himmelfahrt und die Seitenaltäre stammen aus der Kirche der Domini- kanerinnen. Das Kruzifix links an der Wand datiert aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Kloster St. Ursula ist geschlossen 177


zum Kloster gehörte, war zwar längst ausquar- tiert (in einen Gutshof und den Klosterhof), als Überbleibsel stand bis 1960 an Stelle der heu- tigen Aula lediglich noch eine Scheune, es gab auch noch das so genannte „Sauhöfle“ und die Waschküche. 1970/71 wurde an der Bärengasse das „kleine Schulhaus“ errichtet, der „Neubau“, wie er heute noch genannt wird. In den 1990-er Jahren stand eine nächste umfangreiche Grundsanierung des gesamten Komplexes an (jetzt bereits in Zusammenarbeit zwischen Schulstiftung und Kloster). Nach dem Auszug der Ursulinen sind nun wieder drei Bau- abschnitte in Planung, mit denen die neuerliche Raumnot der Schule beseitigt werden soll. Die letzten Ursulinen Gleichzeitig mit dem Internat, dessen Leiterin seit 1964 Schwester Roswitha war, wurde 1984 die Wirtschaftsschule aufgegeben. Dafür ent- stand die Tagesschule mit Hausaufgabenbetreu- ung, die Schwester Roswitha aufbaute und bis 2001 leitete. Bis heute wurden die Schüler dieser Tagheimschule aus der Klosterküche verpflegt, wie auch jeder Bedürftige, der an die Kloster- pforte klopfte, ein warmes Essen bekam. Seit 2001 hatte Schwester Roswitha, eine versierte Verwaltungs-Fachfrau, die Klosterver- waltung übernommen, immerhin bis zuletzt ein mittlerer Wirtschaftsbetrieb mit bis zu 13 Mit- arbeitern. Sie feierte Anfang 2015 ihren 80. Ge- burtstag und lebte und arbeitete 55 Jahre lang in St. Ursula, dessen Betrieb nun nicht mehr zu halten war. Doch weltoffen und vorwärtsbli- ckend sieht Schwester Roswitha nach der Klos- terschließung „in jeder Veränderung auch eine Chance“. Diese Chance sieht sie künftig in den alten Menschen im Seniorenheim St. Lioba, wo sich künftig ihr Lebensmittelpunkt befindet. Schwester Roswitha hatte 2012 als Supe- riorin die Leitung des Klosters St. Ursula von Schwester Eva-Maria Lapp übernommen, die über 30 Jahre lang die Geschicke des Klosters als Superiorin fest in Händen hielt und zahlreiche wegweisende inhaltliche, kulturhistorische wie auch bauliche Weichen für Kloster und Schule Die alte Ordenstracht der Ursulinen hatte Ähnlichkeit mit der Villinger Witwentracht, hier die Schwestern Roswitha, Eva-Maria und Hildegard (v. links). Bickenstraße barockisiert. Als Erholungsheim wurde 1918 der „Klosterhof“ (Gemeinde Nie­ dereschach) erworben. In der Stadtschule, dem Pensionat und der Frauenarbeitsschule werden rund 1.000 Schülerinnen unterrichtet. Dann kamen die Nazis an die Macht, die keine klösterlichen Schulen duldeten. Der Hitler staat ließ 1940 auch die Schule St. Ursula schließen. Das Mädchenschulhaus wird zum Lager für Auslandsdeutsche und zum Lazarett und Altersheim. Kloster- und Schulgeschichte sind untrennbar miteinander verknüpft 1945 dann der Neubeginn. St. Ursula durfte sei­ ne Schulzweige Progymnasium mit 143 Schüle- rinnen und Handelsschule (später Wirtschafts- schule) mit 26 Schülerinnen wieder einrichten. 1949 öffnete auch das Internat wieder, das bis 1984 bestand. 1978 wurde der Realschulzweig eingerichtet. 1986 wurden in der bisherigen reinen Mädchen- schule St. Ursula erstmals Jungen aufgenom- men und die Geschicke erstmals in die Hände eines weltlichen Schulleiters gelegt. Schon Jahre zuvor war es bereits wieder zu eng in den Klosterräumen für die aufstrebende Schule geworden. Die Landwirtschaft, die früher 178 Geschichte


Innenhof der Klosterschulen St. Ursula. „Dankbar das Vermächtnis leben“ In einem 240-seitigen Buch, einer Dank- schrift zur Erinnerung an das segensreiche Wirken des Klosters St. Ursula als Funda- ment der St. Ursula Schulen in Villingen, herausgegeben für die St. Ursula Schulen von Dr. Jürgen Brüstle, Johannes Kaiser, Klaus Nagel und Heinrich Schidelko ist die gesamte umfangreiche Geschichte des Bickenklosters und der Schule mit zahlreichen Bildern, teil- weise Quelle obigen Berichtes, zu erleben. Titel: „Dankbar das Vermächtnis leben“. Es ist im örtlichen Buchhandel erhältlich. gestellt hat – nicht zuletzt 1990 die Übergabe des Schulbetriebes an die Schulstiftung des Ordinariats Freiburg. Schwester Eva Maria lebte und wirkte über 60 Jahre in St. Ursula, davon 50 Jahre als Lehrerin. Sie starb 2013. Schwester Siegrun Schachtner, die zweite der letzten beiden Ordensfrauen des Klosters St. Ursula, ist eine Villingerin und arbeitete in jungen Jahren als Volksschullehrerin in Klengen sowie in der Klosterringschule. Sie trat 1966 in das Kloster ein, bildete sich zielstrebig weiter und unterrichtete später die Fächer Mathematik und Physik mit vollem Deputat. Als letzte Ur- sulinenschwester in der Schule wurde sie 2003 verabschiedet. Lebten und wirkten 1954 immerhin noch 85 Ordensschwestern in St. Ursula, davon 60 Lehrfrauen, schrumpfte ihre Zahl in den letz- ten Jahrzehnten drastisch bis auf diese letzten beiden Schwestern. Sie mussten jetzt altershal- ber zusammen mit Pater Fuchs, der viele Jahre die Ursulinen und die St. Ursula-Schulen geist- lich betreute, das Jahrhunderte alte Villinger Klosterleben endgültig beenden. Das Kloster St. Ursula hinterlässt als wert- volles Vermächtnis der 233 Jahre dauernden segensreichen Ära – die immer geprägt war durch einen engen und sehr herzlichen Bezug zum weltlichen Leben Villingens – die heutigen St. Ursula-Schulen mit zweizügigem Gymnasi- um, Realschule und Hortschule als vorbildliche Bildungseinrichtung im Oberzentrum. Und das Kloster St. Ursula wird auch nach seiner aktiven Zeit immer ein wichtiges Stück Villinger Ge- schichte bleiben. Kloster St. Ursula ist geschlossen 179


Der Neudinger Klosterbrand 1852 von Rüdiger Schell 180 Geschichte


Während Klostermonogra- phien sich sehr häufig ein- gehend mit der Gründung eines Klosters und – in noch größerer Ausführlichkeit – mit seiner Blütezeit befas- sen, findet demgegenüber der Untergang von monas- tischen Einrichtungen in der Regel nur in abschließender Kürze oder in einer ange- messenen Zusammenfas- sung Erwähnung. Diesem Muster entsprechen bislang auch die allgemeinen Dar- stellungen und Detailunter- suchungen zur Geschichte des Klosters Maria Hof bei Neudingen, Hauskloster und Begräbnisstätte der Grafen und Fürsten von Fürstenberg. Im Folgenden wird deshalb der Versuch gemacht, wieder etwas mehr Licht in die Vorgänge um den Un- tergang des Neudinger Klosters zu bringen. Die Gruftkirche der Fürsten zu Fürstenberg steht an der Stelle, an der sich einst das Kloster Neudingen befand. Der Bau der Kirche mit Parkanlage konnte zu 90 Prozent über das Brand- geld des Klosters finanziert werden.


Plan des Klosters Neudingen aus dem Jahr 1762. danach die Aufgabe, zum einen für die Le- benshaltung der Klosterfrauen zu sorgen, zum andern – auch aus Eigeninteresse – sich um eine Weiterverwendung der Klostergebäude zu bemühen. Infolgedessen standen in den ersten Jahren nach der Schließung des Neudinger Klosters Überlegungen und Maßnahmen in diesen bei- den Aufgabenbereichen im Vordergrund. Die 18 Konventualinnen (14 Klosterfrauen und vier Laienschwestern), die unter der Führung der Äbtissin Maria Hildegard weiterhin im Kloster wohnten, erhielten vom Haus Fürstenberg eine Leibrente und das lebenslange Bleiberecht. 1825 lebten hier noch sechs ehemalige Mitglieder des Konvents, und 1840, als die letzte Äbtissin starb, blieb schließlich nur noch eine Ordens- frau übrig. Die zum größten Teil leer stehenden Kloster- gebäude einer sinnvollen Nutzung zuzuführen, erwies sich nach der Säkularisierung als das größere Problem. Zwar schlug das Fürstenhaus bereits 1805 vor, im früheren Kloster ein Schul- institut für Töchter fürstenbergischer Beamter einzurichten, ein Gedanke, den eine Sonder- kommission der großherzoglich-badischen Re- gierung 1808/09 neuerlich aufgriff. Das Projekt scheiterte jedoch, weil kein ausgebildetes Lehr- und Erziehungspersonal vorhanden war. Während Napoleons Russlandfeldzug und unmittelbar danach dienten die Räumlichkeiten als (elend geführtes) Militärhospital für russi- sche Kriegsgefangene. Nach dessen Schließung machte in den zwanziger Jahren die fürstenber- gische Seite den Vorschlag, das Kloster als Blin- denanstalt zu nutzen. Allerdings konnte auch dieses Vorhaben nicht realisiert werden, da die badische Regierung diese Idee selbst übernahm Die meisten umstrittenen Ereignisse in der zweigeteilten Klostergeschichte von Neudin­ gen – sowohl in den fast 300 Jahren der Domi- nikanerinnenzeit als auch während der Zuge- hörigkeit des Klosters zum Zisterzienserorden nach 1584 – wurden wissenschaftlich bearbeitet und offengelegt; dagegen wurde über die Zer- störung der Klosteranlage durch den großen Klosterbrand von 1852 nur wenig Nennenswer- tes geschrieben. So sind im Laufe der Zeit offene Fragen zu den besonderen Umständen und zum Ablauf der Brandkatastrophe sowie zu Urheber- schaft und Schuldfrage weitgehend in den Hin- tergrund gedrängt worden oder teilweise sogar in Vergessenheit geraten. Bereits seit 50 Jahren kein Kloster mehr Am Tag des großen Brandes im März 1852 war Maria Hof bei Neudingen, das ursprünglich nur „Auf Hof“ genannt wurde, schon rund fünfzig Jahre kein Kloster mehr. Nach seiner Gründung 1274 war es zwar mehr als 525 Jahre ein kirchli- cher Mittelpunkt mit kultureller, wirtschaftli- cher, sozialer und politischer Bedeutung auf der Baar. Doch auch diese klösterliche Einrichtung wurde 1802/03 im Zuge der landesweiten Säku- larisation kurzerhand aufgelöst. Die Fürstenber- ger als die zuständigen Landesherren nahmen die „Civilinbesitznahme“ vor und zogen das Klostervermögen umgehend ein. Ihnen oblag 182 Geschichte


und wenig später in Bruchsal ein „Institut zur Bildung der Blinden im Großherzogtum Baden“ neu einrichtete. In der Folgezeit blieben die Gebäude in Neu­ dingen weiterhin ungenutzt. 1829 überließ man den „allmählich absterbenden Klosterfrauen“ ein paar zusätzliche Zimmer im Hauptgebäude, und nach dem Stadtbrand von Fürstenberg 1841 wurde dem obdachlos gewordenen Stadtpfarrer eine Wohnung im Kloster zugewiesen. Sonst geschah wenig. Erst 1843 fand sich eine dauerhafte Lösung im großen Stil. Auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten zur Einrichtung einer Erzie­ hungsanstalt entschied sich die Regierung in Karlsruhe für das Neudinger Kloster als Stand­ ort. Die Leitung der neuen Anstalt (Rettungs­ anstalt) übernahm die Donaueschinger Sektion des „Vereins zur Rettung verwahrloster Kinder im Großherzogtum Baden“, an dessen Spitze der Dekan und Stadtpfarrer Krebs, der FF­Domänen­ rat Diefenbach und der Donau eschinger Bürger­ meister Raus standen. Bereits ein Jahr später befanden sich 30 männliche Jugendliche in Ma­ ria Hof. Auch erste Erfolge stellten sich ein: Von den 13 Zöglingen, die 1849 die Anstalt verließen, machten acht eine Lehre in verschiedenen Handwerksberufen. Das war die Situation in Maria Hof im Jahr des Klosterbrandes. Die Brandkatastrophe Am 23. März 1852 wurde das ehemalige Kloster Maria Hof zu Neudingen, 577 Jahre nach seiner Gründung, durch eine Feuerkatastrophe ver­ nichtet. Über die letzten 24 Stunden und das stufenweise Vernichtungswerk durch diese Feuers brunst – eigentlich handelte es sich um drei Brände – liegt ein Gedächtnisprotokoll des FF­Domänenrats Theodor Diefenbach vom 26. März 1852 vor. Auf diesem Protokoll basier­ ten auch schon frühere Berichte über den Brand. Wir verzichten hier deshalb auf noch größere Ausführlichkeit und belassen es bei einer kurzen Fixierung des Protokolls in sechs Punkten, wel­ che die Abfolge dieses Klosterbrandes zusam­ menfassen: Priorin des Klosters Neudingen, die dargestellte Ordensfrau ist unbekannt. Am 22. März 1852, etwa um 17 Uhr brach in Maria Hof, in einem Nebengebäude an der nördlichen Klostermauer, Feuer aus (1. Brand). Das Gebäude, das von der Rettungsanstalt ge­ nutzt wurde, diente als Stall für Rinder; zudem lagerte hier Heu und Öhmd (Rindviehstall und Heulager). Das Vieh konnte gerettet werden. Da der Stall, ein kleiner massiver Steinbau, nur einen Zugang hatte, waren die Löscharbeiten schwierig. Da aber Windstille herrschte, konnte das Feuer dennoch nach etwa zwei Stunden ge­ löscht werden. Das Gebäude jedoch samt eini­ gen Zwischenbauten war weitgehend zerstört. Zu einem Übergreifen des Feuers auf das Hauptgebäude des Gotteshauses kam es nicht. Der amtierende Pflegevater der Erziehungsan­ stalt, Joseph Stehle, nahm aber vorsichtshalber zusammen mit einem Knecht noch am Abend sämtliche Räumlichkeiten unter dem Dach des Klosters und der Kirche in Augenschein. In den annähernd 35 bzw. 45 Meter langen Räumen, die ohne Zwischenwände waren, aber in den hohen Giebeln Lüftungsöffnungen hatten, la­ gerten insgesamt ca. 150 Malter Feldfrüchte. Es Der Brand des Klosters Neudingen 183


war nichts Auffälliges festzustellen. „Etwa 20 zuverlässige Leute“ hielten bis 4 Uhr in der Frühe Wache am nie­ dergebrannten Nebengebäude. Beim 5­Uhr­Läuten am Morgen stellte der Messner nichts Auffälliges fest. Eine Viertelstunde später, etwa um 5.15 Uhr – es war der 23. März – schlugen jedoch plötzlich aus dem Dach des Hauptgebäudes, am West­ flügel nahe der Kirche, Flammen (2. Brand), die sich rasch ausbreiteten. Die örtliche Feuerwehr, die aus weni- gen Männern bestand und nur über „zwei schlechte Spritzen“ verfügte, war überfordert. Die Tätigkeit der anwesenden Helfer konzentrierte sich daher alsbald darauf, wertvolles Mobiliar sowie Kirchenparamente, Kelche und Votivtafeln in Sicherheit zu bringen und ebenso vier Wappen- schilde (zu Ehren fürstenbergischer Grafen) von den Kirchenwänden zu lösen. Am frühen Nach- mittag brannte das Klostergebäude fast völlig aus. Einzig sinnvoll erschien es noch, das Übergrei- fen der Flammen auf die Ökonomie- gebäude im Westen des Klosterareals zu verhindern, was letztlich auch ge- lang. Einsetzender Schneefall löschte das Feuer dann endgültig. dieser Brand in einer Waldparzelle von 200 Morgen ausgebrochen. Panikartig verließ die Neudinger Mannschaft den Klosterbezirk und eilte zum neuen Brandherd, von dem in der Ferne eine Rauch- säule zu sehen war. Erst gegen Mittag kehrten die Weggeeilten wieder zum Kloster zurück. „In der Zwischenzeit“, so vermerkt Proto- kollant Diefenbach, „konnte das Löschen (auf Maria Hof) nur sehr schwach betrieben werden.“ Am frühen Nachmittag brann- te das Klostergebäude fast völlig aus. Einzig sinnvoll erschien es noch, das Übergreifen der Flam- men auf die Ökonomiegebäude im Westen des Klosterareals zu verhindern, was letztlich auch gelang. Diefenbach verließ den Brandplatz gegen Abend. Er ließ eine Löschmannschaft am Wegen Nebels im Donauried war die Rauch- entwicklung über Neudingen zunächst kaum wahrzunehmen. In Donaueschingen wurde die Nachricht vom Klosterbrand deshalb erst gegen 8 Uhr bekannt. Die sofort ausrückende Donau- eschinger Feuerwehr kam mit ihrem besseren Gerät wohl nicht vor 9 Uhr an den Brandplatz, wo etwa zeitgleich zuständige Beamte der fürstlichen Verwaltung (Domänenamt) und ein Vertreter des Fürstenhauses eintrafen. Der Dachstuhl des Klosters war bereits ausgebrannt und die beiden oberen Stockwerke sowie die Treppen standen in hellen Flammen. Die Löschmänner bekämpften das Feuer bei Einsatz aller vorhandenen Kräfte mit mehr Wirkung. Auch der Gemeindewald brennt – die Neudinger Feuerwehr verlässt den Brandort In diese verstärkten Bemühungen hinein platzte die Nachricht, auch im Gemeindewald Richtung Hondingen brenne es (3. Brand). Wie der Neu- dinger Bürgermeister Mort später angab, war Brandplatz zurück, die kleine Brände, die immer wieder aufloderten, löschen sollte. „Der in der folgenden Nacht fallende Schnee hat hierzu einen willkommenen Beitrag geleistet“, wie der Domänenrat am Tag darauf erleichtert feststell- te (vgl. Protokoll). Das zentrale Klostergebäude war bis auf die Grundmauern niedergebrannt Das zentrale Klostergebäude des früheren Neu- dinger Klosters war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die fürstenbergische Fami- liengruft unter der Kirche hingegen war fast unbeschädigt, ebenso nahm die Kaplanei (das sog. Beichtigerhaus, Unterkunft der Beichtväter) keinen größeren Schaden. Verpachtete Scheu- nen und Stallungen blieben unversehrt. „Von den stehen gebliebenen Umfassungsmauern wird wenig für brauchbar erkannt werden.“ Der Schaden an den Gebäuden wurde mit 41.234,17 fl. (Gulden) beziffert. Dem Brandtage folgte schockierende Er- nüchterung. Der Gemeinde Neudingen wurde 184 Geschichte


Das Kloster Neudingen nach einem undatierten Ölgemälde. nämlich alsbald im Umland der Vorwurf gemacht, die Einwohner des Dorfes hätten es während des Kloster­ und Kirchenbrandes absichtlich an Hilfsbereitschaft fehlen lassen. Gegen diese schwer wiegende Anschuldigung (Unterlassene Hilfeleistung) „welche (gewisse) Zeitungs­ artikelschreiber nach allen Winden ausstreuten“, setzte sich Bürgermeister Johann Mort in einer Stellungnahme an Fürst Karl Egon II. vom 17. April 1852 im Auftrag sei­ nes Gemeinderats vehement zur Wehr. Der Bürgermeister betonte, dass die Einwoh­ nerschaft bei den Rettungs­ und Löscharbeiten nach Kräften geholfen habe. Er versuchte ins­ besondere den Kernvorwurf zu entkräften, der den Neudinger Löschmännern vorhielt, sie seien plötzlich und ohne Absprache vom Kloster zum Brandherd im Wald (3. Brand) weggelaufen: Dies aber sei, so Mort, „zur Verhütung noch größeren Unglücks dringend notwendig“ gewesen. Der Bürgermeister widersprach auch der Unterstel­ lung, seine Gemeinde habe an der Rettung des Klosters gar kein Interesse gehabt. Im Gegenteil: In Neudingen bedaure man die Brandkatastro­ phe sehr. Schließlich habe man durch die Zerstö­ rung der Klosterkirche großen Schaden erlitten und in der Rettungsanstalt auch zahlreiche Arbeitsplätze eingebüßt. Zweifel an der Loyalität der Einwohner Die Vorwürfe gegen die Einwohner von Neudin­ gen wurden natürlich auch in Regierungskreisen in Karlsruhe bekannt, wo großes Misstrauen gegen jene Gemeinden bestand, in denen es in den Jahren 1848/49 zahlreiche Anhänger der Revolution – es kam in Neudingen sogar zur Gründung eines Ortsvereins der (revoluti­ onären) Volksfreunde – gegeben hatte. Erwar­ tungsgemäß forderte deshalb die zuständige großherzogliche Behörde am 20. April 1852 das Für stenhaus in Donaueschingen dazu auf, in der Brandsache Stellung zu nehmen. Bürgermeister Mort bat nunmehr den Fürsten um Fürsprache und Unterstützung für seine Gemeinde. Der Fürst beauftragte daraufhin den Domä­ nendirektor Hubert Dilger mit der Ausarbeitung Der Brand des Klosters Neudingen 185


einer Stellungnahme (die er in seiner Antwort nach Karlsruhe mitverwenden wollte). Dilger schlug folgende Darstellung vor: Nachdem die Einwohner von Neudingen zunächst „thätige Hilfe beim Löschen“ (2. Brand) geleistet hatten, zerstreuten sich die meisten Helfer, als die Nach­ richt vom Brand im Gemeindewald (3. Brand) eintraf. Über dieses Verhalten seien ihm, Fürst Karl Egon, zwar verschiedentlich Klagen zu Oh- ren gekommen. Nach genauer Prüfung einer Eingabe aus Neudingen vom 17. April sei er aber geneigt, den Ausführungen der Gemeinde mehr Glauben zu schenken, da ihm diese „zu keiner Zeit Anlass zu einem so rücksichtlosen oder gar böswilligen Benehmen gegeben“ habe. Damit hatten der Fürst und die FF-Ver- waltung die Neudinger für den Fall künftiger Verwicklungen diplomatisch geschickt auf ihre Seite gebracht. Die aktuelle Sache verlief nun weitgehend im Sande. Indes muss man zugeben, dass jene Neudinger Löschmänner, die beim brennenden Kloster kurzerhand „alles fallen und liegen ließen“ und in den Gemein- dewald eilten, um dort zu löschen, unüberlegt und unklug handelten. Zumindest eine koordi- nierte Absprache über Hilfsmaßnahmen wäre machbar gewesen. Da sie dies aber unterließen, brachten sich diese Helfer überflüssigerweise in ein schiefes Licht. Zur Ursache und der Schuldfrage Bereits während der Löscharbeiten wurde auch die Frage nach Ursache und Urheberschaft der Feuersbrunst gestellt. Dabei waren sich alle Beobachter einig, dass hier ohne Zweifel Brand- stiftung vorlag. Die drei Brände, der offensicht- lich koordinierte Ausbruch des Feuers sowie die winterliche Wetterlage (Schneefall vom 23. zum 24. März), bei der keine (dreifache) Selbstent- zündung anzunehmen war, ließen (und lassen noch heute) keine andere Folgerung zu, als dass hier ein auf Berechnung basierendes, schäbiges Verbrechen vorlag. Vor allem die Abstimmung der Brandausbrüche macht die kriminelle Ab- sicht deutlich. Da aber kein eindeutig erkennba- rer Täter oder Täterkreis haftbar gemacht wer- den konnte, fanden Halbwahrheiten, Gerüchte und üble Nachrede sofort fruchtbaren Boden. So kam beim ersten Brand am Abend des 22. März sofort der Verdacht auf, nur ein miss- ratener Zögling der Rettungsanstalt könne das Nebengebäude, das von der Anstalt gepachtet war, aus Rache gegen die Heimleitung angezün- det haben. Das Anstaltspersonal verdächtigte deshalb einen neu eingewiesenen, schwer erziehbaren jungen Mann, den man „der Brand- stiftung nicht für unfähig“ hielt. Doch, wie sich herausstellte, stand dieser Junge in der frag- lichen Zeit unter Aufsicht und wurde auch im Brandbereich nicht gesehen. Die Verdächtigung musste daher fallen gelassen werden. Der zweite Tatverdächtige geriet mit dem zweiten Brandfall ins Visier der selbst ernann- ten „Ermittler“. Der unbekannte Täter, so wurde alsbald kolportiert, soll irgendein neidischer ortsansässiger Bauer gewesen sein, der aus Hass und Missgunst auf diejenigen Personen den Brand gelegt hatte, die ihre Feldfrüchte auf dem Klosterspeicher unter dem Dach einlagern durften. Die Früchte gehörten, wie allgemein bekannt war, dem Klostergutpächter Egi, dem Neudinger Landwirt Grimm und der Rettungs- anstalt. Der Brandstifter musste also einem von diesen Besitzern besonders feindlich gesinnt sein. Doch auch diese „Spur“ ging ins Leere: Der große Unbekannte wurde nie ermittelt. Etwas absonderlich klingt eine von Martin Münzer erwähnte, „im Dorf kursierende münd- liche Überlieferung“. Fürstliche Beamte – die Namen (natürlich) unbekannt – haben demnach das Kloster angezündet, um die Rettungsanstalt für Schwererziehbare von Neudingen wegver- legen und eine neue fürstliche Begräbnisstätte errichten zu können. Kurz vor der Meldung des Brandes sei zudem eine Kutsche „mit betrunke- nen, johlenden Männern“ vom Kloster her durch das Dorf in Richtung Pfohren gefahren. Auch dieser Verdächtigung ging man nicht weiter nach. Ansonsten blieben auch die amtlichen Untersuchungen offenbar ohne Ergebnis. Der oder die Brandstifter wurden nie gefunden, die Zerstörung des Klosters Auf Hof/Maria Hof blieb ungeahndet. Da man sich damals aufgrund der 186 Geschichte


dahingestellt – aus der Distanz von mehr als 150 Jahren der Eindruck, dass die damals ver­ antwortlichen Organe bei ihrer Aufklärungsarbeit, gemessen am heutigen Standard, seiner­ zeit reichlich unprofessionell vorgegangen sind. Gerade deshalb aber stellen sich dem heutigen Betrachter eine Reihe von Fragen zu den überlieferten Fakten und den ei­ genartigen Vorgehensweisen bei der Aufklärung unseres Brand­ falls. So verwundert es einen schon, dass trotz angeblich so­ fortiger amtlicher Untersuchun­ gen so gut wie keine Unterlagen über Verhöre, Zeugenaussagen und andere amtliche Erkennt­ nisse vorzuliegen scheinen. Man fragt sich auch, ob untersucht wurde, welche Personen sich beim Ausbruch des zweiten Brandes, am 23. März morgens kurz nach 5.15 Uhr, im Kloster­ bereich aufhielten? Wer waren beispielsweise die etwa „zwan­ zig zuverlässigen Leute“, die bis 4 Uhr früh am Brandplatz Wache hielten und dann zum Schlafen gingen (vielleicht war der Brand­ stifter unter den Schläfern)? Oder: Was geschah eigentlich am (dritten) Brandherd im Wald in Richtung Hondingen? Wurde dort überhaupt nach der Brand­ ursache und möglichen Brand­ An der Südwand der Gruftkirche in Neudingen befindet sich eine Erinnerungstafel an die letzte Äbtissin des Klosters Neudingen, Maria Hildegard II. Ursprünglich war es die Grabplatte. fehlenden technischen Hilfsmittel Großbränden gegenüber häufig wehrlos und überfordert fühl­ te und in unserem Fall zudem keine handfesten Zeugnisse für eine individuelle Täterschaft vorlagen, nahm man, so scheint es jedenfalls, den Klosterbrand als schicksalhafte Fügung hin und ging alsbald wieder zur Tagesordnung über. So hält sich – ob zu Recht oder zu Unrecht, sei stiftern geforscht? Die Fragen sind heute allesamt rhetorisch. Im zeitlichen Abstand von mehr als 150 Jahren ist es ein müßiges Unterfangen, Licht ins Dun­ kel der (vermutlich versäumten) Ermittlungen bringen zu wollen. Und zudem lässt sich, so sehr man das bedauern mag, das Rad der Geschichte letztlich nicht mehr zurückdrehen. Der Brand des Klosters Neudingen 187


Die Wertschätzung war gering Noch eines fällt auf. Das Bedauern der Zeit­ genossen über die Zerstörung des traditions­ reichen Frauenklosters, das immerhin fast 600 Jahre lang bestand und seit 1337 Grablege der Fürstenberger war, wirkt eher geschäfts- mäßig und zeigt wenig Betroffenheit. Es wurde kein Versuch unternommen, diese zentrale reli- giöse Stätte auf der Baar mit dem gebührenden Respekt ins rechte Licht zu rücken. Selbst an ein einfaches Denkmal, an eine Erinnerungstafel zu Ehren der Klosterfrauen oder – später – eine Broschüre, welche die lange Geschichte des Got- teshauses dokumentierte, dachte damals (und später) offenbar niemand. Bezeichnenderweise wurde auch die Kaplanei, das einzige Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das den Klosterbrand fast unbeschädigt überstanden hatte (vgl. oben), nach 1852 weitgehend vernachlässigt. Heute befindet sich diese ehemalige Unterkunft der Klosterkapläne, verdeckt von Bäumen, ein- gewachsen ins Unterholz, in einem geradezu erbärmlichen Zustand. Feststeht also, dass die Wertschätzung für das Kloster zu Neudingen bei den Zeitgenos- sen Mitte des 19. Jahrhunderts gering war. Der fürstenbergische Baumeister Theodor Dibold formulierte das damals kurz und bündig so: Das Zisterzienserinnen-Kloster Maria Hof „führte, ohne seine mittelalterliche Bedeutung je wieder zu gewinnen, ein bescheidenes Stillleben fort, bis demselben dann die allgemeine Säkulari- sation ein Ende setzte.“ Worauf solche Gleichgültigkeit und Dis- tanziertheit zurückging, ist schwer zu sagen. Hermann Lauer nennt in seiner „Kirchenge- schichte“ kennzeichnend für den damaligen Zeitgeist in der Baar „die religiöse Verflachung“, die hier besonders ausgeprägt und langdauernd gewesen sei, „weil die Bevölkerung sich in gro- ßem Umfange dem Liberalismus zuneigte, die- ser aber religiös vielfach nichts anderes vertrat, als eben die Gedanken und Ziele der Aufklä- rung.“ Ob diese Feststellung die offenen Fragen schlüssig und im vollen Umfang beantwortet, sei dahingestellt. Nach dem großen Brand begannen schon bald die Aufräumarbeiten. Der Abbruch der Ruinen von Klostergebäude und Klosterkirche wurde von der FF-Domanial-Kanzlei bereits im September 1852 veranlasst. Baumaterial, das noch brauchbar war, sollte beim Bau einer neuen Gruftkirche Verwendung finden, die möglichst bald auf dem Klostergelände errichtet werden sollte. Mauersteine des abgebrannten Kloster- gebäudes wurden hauptsächlich für die Umfas- sungsmauer verwendet. Anderweitig noch nutz- bare Materialien kamen zum Verkauf und wurden größtenteils in Neudingen im Dorf verbaut. Die Trümmerreste des niedergebrannten Klosters wurden eingeebnet, ähnlich wie das auch an anderen Objekten im 19. Jahrhundert geschah, die dem Haus Fürstenberg einst wich- 188 Geschichte


Links: Der frühere Standort des Klosters Neudingen dient heute als Grablege der Fürsten zu Fürstenberg. bis zum Ende des 19.Jahrhunderts hin. Im Ein- gangsbereich des Neubaus wurden die bereits erwähnten Totenschilde (15. und 16. Jh.) aus der abgebrannten Klosterkirche angebracht. Unter dem Kirchenschiff befindet sich seitdem die neue Grablege des Fürstenhauses. Wie die diesbezüglichen Unterlagen im fürstlichen Archiv ergeben, deckte die ausge- zahlte Versicherungssumme für den Brandscha- den am früheren Kloster Maria Hof annähernd 90 Prozent der späteren Baukosten für die neue Gruftkirche. Dieses gefällige Bauwerk bildet nunmehr seit mehr als anderthalb Jahrhun- derten den imposanten Blickpunkt im alten Klosterareal. Leider ist es für Normalsterbliche – normalerweise – nicht zugänglich. QUELLEN UND LITERATUR Im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv in Donaueschingen (FFA) befindet sich zur Brandsache des Neudinger Klosters nur ein dünnes Aktenbündel mit wenigen Unterlagen. Ein erstaunli- cher Tatbestand! Nachforschungen im Generallandesarchiv in Karlsruhe (GLA), im Erzbischöflichen Archiv in Freiburg und im Landesarchiv Freiburg ergaben, dass auch dort keine weiteren Akten zu dieser folgenschweren Brandkatastrophe vorhanden sind. Vorliegende Quellen u.a.: Protokoll des Domänenrats Theodor DIEFENBACH vom 26. März 1852 in: FFA, Domänen-Administration, Neudingen, Brandsache, Vol. II Fasz. 1. Stellungnahme der Gemeinde Neudingen (Bürgermeister Johann MORT) an Fürst Karl Egon II. von Fürstenberg vom 17. April 1852, in: FFA, Domänen-Administration, Neudingen, Brandsache, Vol. IIa Fasz. 1. Schreiben des zuständigen großherzoglichen Regierungs- beamten Löffler, das von Domänendirektor Hubert DILGER im Auftrag des FÜRSTEN KARL EGON II. ausführlich kommentiert wurde, in: FFA, Domänen-Administration, Neudingen, Brandsa- che, Vol. II Fasz. I. Zur einschlägigen Literatur: MÜNZER, Martin: Die Geschichte des Dorfes Neudingen mit Kaiserpfalz, Kloster Maria Auf Hof und Pfarrkirche. Neu- dingen 1973 DIBOLD, Theodor: Die Gruft-Kirche des Fürstlichen Hauses Fürstenberg zu Mariahof, Stuttgart o. J. (19. Jh.). LAUER, Hermann: Kirchengeschichte der Baar und des einst zur Landgrafschaft Baar gehörenden Schwarzwaldes. 2. Auflage. Donaueschingen 1928. SCHELL, Rüdiger: Das Zisterzienserinnenkloster Maria Hof bei Neudingen, Konstanz 2011. tig waren und zur Ehre gereicht hatten, deren frühere Nutzung aber nach allmählichem Verfall oder Brand nunmehr schwierig oder gar über­ flüssig erschien: in Tannheim, in Grünwald, auf dem Fürstenberg. Der Neudinger Klosterbezirk wurde keiner grundlegend neuen Nutzung zugeführt. Die „Rettungsanstalt für sittlich ver­ wahrloste Kinder“ zog nach Hüfingen um und wurde im „Correctionshaus“ untergebracht. Ihre Nachfolgeeinrichtung, das Knabenheim Maria Hof, befindet sich noch heute, allerdings mit ge­ änderten Erziehungszielen, in Hüfingen. Neue Grablege entsteht Am Standort des ehemaligen Klosters – und darauf legte das Fürstenhaus besonderen Wert – sollte die jahrhundertealte Tradition der für sten bergischen Grablege fortgeführt werden. Deshalb erteilte Fürst Karl Egon II. bereits am 21. Juni 1853 Baurat Dibold, den Auftrag, eine neue repräsentative Grabeskirche als künftige Begräbnisstätte der Angehörigen seines Hauses zu planen und zu erbauen. Dieser markante Kirchenbau, „eine Kuppelkirche im Stile der Neurenaissance“, wurde nach 1853 wenige Me- ter südlich vom Standort der alten Klosterkirche ausgeführt und 1856 eingeweiht. Die Innenausstattung der neuen Gruftkapelle mit Fresken, Reliefdarstellungen und Skulptu- ren begann erst Jahre später und zog sich fast Der Brand des Klosters Neudingen 189


Das Bruder kirchle an der Steig Geheimnisvoll, heimelig und verwunschen – Wo der Sage nach sieben Jungfrauen den Flammentod starben von Wilfried Dold 190



Opferkerzen beim Marienaltar und Blick in die Brunnenstube vor der Kapelle mit der Jahreszahl 1742. Es ist still im Bruderkirchle, einzig Kerzenlichter flackern im Luftzug – man ist mit seinen Ge­ danken allein. Die brennenden Opferkerzen auf dem gusseisernen Ständer vor dem Marienaltar und zwei Einträge ins Sorgenbuch am rechten Seiten altar bezeugen: Auch heute herrscht ein reges Kommen und Gehen. Das Kirchlein an der alten Straße nach Villingen, am Gewann Steig abseits der Stadt gelegen, erfreut sich großer Beliebtheit: Einen Tag ohne Besucher, den gibt es hier nicht. Schon im Mittelalter glaubten die Menschen, dass vom Bruderkirchle eine ge­ heimnisvolle Kraft ausgeht. Von einem Ort, an dem der Sage nach entweder die Hunnen sieben fromme Frauen verbrannten oder diese sieben Frauen als Engel in den Himmel entschwebten, als sie von den Hunnen geraubt werden sollten. Die Zeit der Wallfahrten zum Bruderkirchle ist lange vorbei – mit ihren Anliegen aber kommen die Menschen noch immer hierher. Wer sich Gesundheit für Angehörige, Freunde oder sich selbst wünscht; wer eine Prüfung zu bestehen hat, eine lange Reise antritt oder um Lebenshilfe bittet, fühlt sich in der Stille des Bruderkirchles geborgen und gehört. Etliche der Anliegen finden sich im Sorgenbuch: „Lieber Gott, mach, dass meine Enkel bald ganz gesund sind“, steht darin zu lesen. Oder: „Stehe meiner Tochter bei, dass sie bald einen neuen Arbeits­ platz findet.“ Ein Kind wünscht sich in zierlicher Schrift: „Ich bitte darum, dass es meiner Mama bald wieder besser geht.“ Ein Jakobswanderer schreibt: „Auf dem Weg nach Santiago, bleib bei mir!“ Prozessionen zum Bruderkirchle Das Bruderkirchle ist zugleich die Michaels­ kapelle. Mit seiner ungewöhnlichen Geschichte und der reichen Sagenwelt haben sich seit jeher viele Historiker befasst. Einer der besten Kenner des Bruderkirchles war der Donau eschinger Stadtpfarrer Monsignore Dr. Heinrich Feurstein (1877 ­ 1942). Er erforschte zur Zeit des Ersten Weltkriegs als wohl erster die Geschichte des Kirchleins auf wissenschaftlicher Basis – auch vor Ort in Vöhrenbach. Heinrich Feurstein starb später im KZ, wurde nach seiner Neujahrspredigt am 7. Januar 1942 von der Gestapo festgenommen und am 5. Juni 1942 nach Dachau verbracht. Dort erlag der Geistliche im Juli den Folgen der Haft. Die ältesten Spuren einer Verehrung der sieben Frauen finden sich um 1600 im Jahrzeit­ buch der Pfarrei Vöhrenbach. In diesem Anni­ versarbuch entdeckte Dr. Heinrich Feurstein den Eintrag von der Hand eines Kalligraphen: „Dominica proxima post Festum S. Trinitatis est vera Dedicatio apud Septem mulieres auf 192 Geschichte


Blick ins Bruderkirchle, die Decken- und Wandgemälde stammen vom Vöhrenbacher Kunstmaler Johann Dorer (1883 – 1915). Er hat sie in den Jahren 1909/10 geschaffen. der Staig“, d. h. am Sonntag nach Dreifaltigkeit ist der eigentliche Kirchweihtag bei den sieben Frauen auf der Steig. Diese kirchliche Feier scheint bald eine Aus­ gestaltung erfahren zu haben, denn ein Nach­ trag von der Hand des Pfarrers Johann Brugger aus der Zeit um 1640 meldet: „Man zog in Pro­ zession nach der Steig und veranstaltete dort einen Opfergang.“ Die Ergebnisse seiner Forschungen ver­ öffentlicht Dr. Heinrich Feurstein 1933 in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar: „Das Kirchlein selbst war und ist heute dem hl. Erzengel Michael geweiht. Die erste Nennung einer Kirchpflege zum hl. Michael geschieht in einem Kaufbrief des Jahres 1563. Im Jahre 1596 ist in der Mesner­ dienstordnung von Opfergaben „gleich hie (in der Pfarrkirche) oder auf der Steig „die Rede“. Irgend eine andere schriftliche Bezeugung aus älterer Zeit liegt nicht vor.“ Einen weiteren wertvollen Hinweis fand der Vöhrenbacher Chronist Prof. Dr. Karl S. Bader in den Kirchenakten des Fürstlichen Archivs in Donaueschingen. In einem Bericht zum Vöhren­ bacher Stadtbrand von 1639 heißt es, dass die Gottesdienste übergangsweise „in dem Kirch­ lin an der Steig gen Villingen, gemeinhin das Das Bruderkirchle in Vöhrenbach 193


Broder Kirchlin genannt“ abgehalten werden. Schon zu dieser Zeit gab es somit Wallfahrten und lebte im Bru­ derkirchle ein Mönch. Um 1580 woll­ ten die Fürstenberger dort auch den Friedhof anlegen, um einer weiteren Verseuchung des Trinkwassers durch die bei der Kirche mitten in der Stadt begrabenen Toten zu unterbinden. Doch die Vöhrenbacher lehnten das mit Blick auf die Entfernung zur Stadt entschieden ab. Die Bruderkirchle-Sage – die älteste Fassung „Das durch seinen Silberbergbau reich gewordene Vöhrenbach ergibt sich dem Wohlle- ben, lässt auch am Sonntag im Berg- werk arbeiten und vergisst seine Chri- stenpflichten. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Heidnische Hunnen, die allent- halben Deutschland verwüsten, fallen brandschatzend im Bregtal ein.“ Die Verwünschungen der sieben Jungfrauen Die zweite Sage ist wesentlich prägnanter und mit tatsächli­ chen, örtlichen Ereignissen aus­ geschmückt. Pfarrer Roth hat sie 1891 in einem Wallfahrtsbüchlein festgehalten, er will sie in alten Schriften gefunden haben. Diese Schriften wurden allerdings bis heute nicht entdeckt. Dass es aber diese Sage schon lange gibt und sie somit keine Erfindung des Pfarrers sein kann, belegt das Tagebuch von Abt Gaiser, der im Visitationsbericht von 1651 schreibt: „Man sagt, dass diese sieben Jungfrauen die Märtyrer­ krone tragen, doch ist das nicht urkundlich bezeugt. Der Altar der Kapelle ist profaniert (d.h. dem kirchlichen Gebrauch entzogen). Es gibt Leute, die sagen, das Kirchlein sei ehedem ein Klösterlein gewesen.“ Die Wallfahrt zum Bruderkirchle war zu die­ ser Zeit bereits in vollem Gang. Abt Gaiser: „Bis heute ist ein lebhaftes Wandern und Wallfahren zu der Kapelle.“ Ohne die Bruderkirchlesagen wären diese Wallfahrten jedenfalls nur schwer vorstellbar, sie lieferten den Menschen den Grund dafür, mit ihren Anliegen zu den sieben Frauen zu pilgern. Im Wallfahrtsbüchlein veröffentlicht Pfarrer Roth die Sage wie folgt: Das durch seinen Sil­ berbergbau reichgewordene Vöhrenbach ergibt sich dem Wohlleben, lässt auch am Sonntag im Bergwerk arbeiten und vergisst seine Christen­ pflichten. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Heid­ nische Hunnen, die allenthalben Deutschland verwüsten, fallen brandschatzend im Bregtal ein. Die Stadt wird belagert und zur Übergabe aufgefordert: „Ergebt euch und zahlt das Lö­ segeld, das wir verlangen. Weigert ihr euch, so werden wir mit Feuer und Schwert euch und eu­ re Häuser vernichten. Eure Freiheit könnt ihr nur dadurch erkaufen, dass ihr eurem Christengott abschwört und unseren Baal anbetet.“ Das wahre Alter des Bruderkirchles lässt sich nicht mehr feststellen – gut vorstellbar, dass es in die Zeit der Stadtgründung von 1244 zurückreicht. Für Spekulationen bleibt so viel Raum, zumal zwei Sagen bezeugen, dass es in der Tat sehr alt sein muss. Die Sagen sind in unzähligen Büchern zu finden – selbst in Österreich. Es gibt drei Varia tionen. Die nachstehend wiedergegebene Fassung gilt als die älteste der drei Jungfrauen­ Sagen und ist u.a. in Schnetzlers „Badischem Sagenbuch“ von 1846 veröffentlicht. Sie lautet in der Kurz­ darstellung: „Eines Tages fallen die Hunnen unter Attila ein, brechen die Burg und fallen die Schloßjungfrauen an, die auf ihr heißes Gebet in Engel verwandelt, ungefährdet durch die staunenden Reihen der Feinde zum Kirchlein hinüberschweben, das sie aufnimmt und sich sofort wieder schließt.“ Bei den sieben Frauen handelte es sich um die sieben schönen Töchter des Burgherren, heißt es weiter. Diese Sage steht im Zusammenhang mit einer anderen, ebenfalls nicht belegbaren An­ nahme: der alten Stadt! Bis heute hält sich in Vöhrenbach die Mutmaßung, dass auf der Höhe über dem Bruderkirchle die „alte Stadt“, das Ur­Vöhrenbach, gelegen habe. Dies auch, weil dieses Gewann seit jeher mit „Burg“ bezeichnet ist. Dort soll somit jene Burg gestanden haben, von der die Sage erzählt. 194 Geschichte


Ausschnitt aus dem Ölgemälde von 1727 (geschützt durch starkes, spiegelndes Glas), das im Vorraum zum Bruderkirchle hängt und die Sage der Verbrennung von sieben Jungfrauen durch die Hunnen darstellt. Die sieben Vorsteher der Stadt beschließen nach kurzem Besinnen: „Wir fallen ab“. Die gan­ ze Bürgergemeinde stimmt ein – mit Ausnahme der sieben Frauen der Vorsteher, die, ihre Kinder an der Hand, die Bürger beschwören, ihrem Glauben treu zu bleiben. Ihre Mahnung wird in den Wind geschlagen. Die Frauen verbergen sich nun mit ihren Kindern in den Kellern ihrer Häu­ ser. Inzwischen werden Kreuze und heilige Bil­ der umgeworfen, die Tore dem Feinde geöffnet und die Kirche zum Baalstempel entweiht. Die sieben Frauen werden von ihren eigenen Männern ausgeliefert und auf dem Scheiterhau­ fen der Stadt verbrannt. Zuvor hatte man ihnen, obwohl die Sonne heiß brannte, einen letzten kühlenden Trunk verwehrt: Siehe, da sprang aus dem dürren Boden plötzlich eine Quelle zu den Füßen der Weiber, die Bande fielen von ihren Händen und sie tranken. Als die Flammen be­ reits begannen ihre Füße zu lecken und das Volk in wilder Lust um das Feuermal tanzte, kam ein prophetischer Geist über die Blutzeuginnen und jede tat einen merkwürdigen Ausspruch: Die erste sprach: Eure Reben werden verdor­ ren und eure Obstbäume absterben, denn ihr habt die Labung versagt den Dürstenden. Die zweite sprach: Eure Silbergruben werden einstürzen und unergiebig bleiben, denn aus ih­ nen kam euer Frevel und Übermut, der uns alle verdorben hat. Die dritte sprach: Dreimal wird eure Stadt in Flammen aufgehen, denn der Zorn des Herrn ist über euch. Die vierte sprach: Und wenn ihr die Stadt wieder aufbaut, so wird ihre Mauer nie vollen­ det werden und immer dem Feinde offen ste­ hen, weil ihr so feige euch ergeben habt. Die fünfte sprach: Euer Regiment und Rat wird niemals vollzählig sein und der beste Mann immer darin fehlen, denn ihr habt eure Pflicht gegen Gott und die Heimat verraten. Das Bruderkirchle in Vöhrenbach 195


Die sechste sprach: Es wird euch genommen werden das Recht über Leben und Tod, weil ihr die Unschuld zum Feuer verdammtet wie eure See­ len zum höllischen Pfuhl. Die siebente endlich sprach: Nim­ mer soll aufhören dieser Prophezeiun­ gen Bann, als bis einst Gottes Weisheit erlaubt, dass ein sündenreines Auge in der Karfreitagnacht in jenem frisch entstandenen Brunnen schaue, darin wird es geben einen großen Fisch, der in seinem Maule sieben goldene Schlüssel trägt. Das sind alsdann die Schlüssel zu euern verlorenen Reich­ tümern, und ihr möget sie nehmen und eure Schätze damit wieder öffnen, wenn es die Gnade Gottes gestattet. Nun werden die Frauen von den Flammen verzehrt, die Heiden ver­ suchen vergebens, die wunderbare Quelle zuzuwerfen und die Vorsteher sterben eines elenden Todes. Sieben Jungfrauen, die sich durch ihr frommes Leben den Hass der Einwohner zuzogen, sind der Sage nach auf Befehl des Schultheißen Mändle gefangen genommen worden. Die Vöhrenbacher klagten sie der Zauberei an und ver- brannten die Frauen als Hexen – und Die dritte Fassung der Bruderkirchlesage Nach einer anderen Fassung der Sage, die das Wallfahrtsbüchlein von Pfarrer Roth ebenfalls ver­ zeichnet, sind die Träger der Legen­ de nicht sieben Frauen, sondern sieben Jungfrauen, die sich durch ihr frommes Leben den Hass der Einwohner zuzogen, besonders des Schultheißen Mändle. Auf seinen Befehl hin wurden sie gefangen, der Zauberei angeklagt und als He­ xen verbrannt – und zwar am Plat­ ze des heutigen Bruderkirchleins. Auch diese sieben Märtyrerinnen sprechen eine letzte Voraussage: zwar am Platze des Die erste: So gewiß sind wir heutigen Bruder- kirchles. unschuldig, als Vöhrenbach drei­ mal verbrennen wird. Die zweite: So gewiß sind wir unschuldig, als der Stadtrat nie Ansichtskarte um ca. 1.900 mit Motiven aus Alt-Vöhrenbach. Im Mittelpunkt steht die Bruderkirchlesage, die Verbrennung der sieben Jungfrauen. 196 Geschichte


Die Gefangennahme der sie- ben Frauen durch die Hunnen (Ausschnitt des Gemäldes von 1727, beeinträchtigt durch starke Spiegelungen). ein volles Jahr vollzählig bleibt, und das Geschlecht der Mändle ausstirbt. Die dritte: So gewiß sind wir unschuldig, als hier kein Obstbaum mehr gedeihen und Früchte tragen wird. Die vierte ist vom Verfasser versehentlich ausgelassen. (Zu ergänzen ist vermutlich der Verlust des Blutgerichts.) Die fünfte: So gewiß sind wir unschuldig, als eure Silberbergwerke unergiebig werden. Die sechste: So gewiß sind wir unschuldig, als euer Götzentempel eingehen wird. Die siebente warf vom Scheiterhaufen aus noch ein Gebind von sieben goldenen Schlüs­ seln auf die Erde, nachdem sie mit lauter Stim­ me gesprochen hatte: So gewiß bin auch ich un­ schuldig, als an der Stelle, wo ich diese Schlüssel hinwerfe ein Brunnen entsteht. Darin wird alle sieben Jahre am Karfreitag vor Sonnenaufgang ein Fisch mit den Schlüsseln um den Hals er­ scheinen. Aber nur der kann ihn sehen, der ganz rein von Sünden ist. Im Augenblick entsprang auf dem Platz eine Quelle, und auch die Vorhersagen der übrigen Jungfrauen gingen mit der Zeit alle in Erfüllung. lierartigen Schürzen ist die bürgerliche Frauen­ tracht des ausgehenden 16. Jahrhunderts, die sich in dem abgelegenen Waldtal noch viele Jahrzehnte erhalten haben mag. Die Malerei zeigt jedenfalls die Stilmerkmale der Zeit, in der sie entstanden ist. Möglicherwei­ se ist das Gemälde die Nachbildung eines älte­ ren aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, und wir hätten dann einen ähnlichen Vorgang wie bei dem Ruchtrautbilde in Mistelbrunn. Diese Zeit war, wie wir schon bei der Ruchtrautlegende gesehen haben, stark wundergläubig und dem Außerordentlichen zugetan. Die Hexenprozesse jener Tage, die auch auf der Baar nicht selten waren – schon um 1540 wird eine Hexe Ella Wallin in Bräunlingen ver­ brannt – haben sich stark in die Vorstellung des Volkes eingegraben und machen die Erfindung solch blutrünstiger Vorgänge wie den Feuertod der sieben Frauen auf dem Scheiterhaufen er­ klärlich.“ Das Ölbild aus dem Jahre 1727 Das Votivbild aus dem Jahre 1727 im Vorraum des Bruderkirchleins, das früher am rechten Sei­ tenaltar der Vöhrenbacher Kiche hing, stellt die Sage bildlich dar. Heinrich Feurstein vermerkt dazu: „Oben ist die Gefangennahme der bei ihren häuslichen Beschäftigungen betroffenen Frauen zu sehen. Die untere Hälfte des Bildes zeigt die sieben Frauen auf dem Scheiterhaufen. Die Tracht der Frauen mit den schmalen kapu­ Die Zeit der Entstehung Es wird vermutet, dass die Sage rückwirkend geschrieben, sprich mit tatsächlichen Ereignis­ sen ausgeschmückt wurde, eventuell nach dem zweiten Vöhrenbacher Stadtbrand. Dr. Feurstein kommt zum Schluss: „Im 16. Jahrhundert be­ steht in Vöhrenbach eine Volksverehrung von sieben Frauen. … Dieser Kult nimmt mit der Zeit ketzerische Formen an und entwickelt aus sich Das Bruderkirchle in Vöhrenbach 197


Von Waldbrüdern und Wallfahrten Seit wann im Bruderkirchle in der winzi­ gen Wohnung über der Kapelle ein Mönch wohnte, ist ungewiss. Erste Hinweise gibt es für das 16. Jahrhundert, die Kirchenakten sprechen vom „Bruderkirchle“. Durch die Berichte von Abt Gaiser ist gewiss, dass es zu dieser Zeit bereits Wallfahrten „zu den sieben Frauen“ gab. 1733 bittet Pfarrer Nathan darum, das Kirchlein ausbauen zu dürfen, da die Wallfahrt einen starken einheimischen und fremden Zulauf habe. In der Zwischenzeit hatte sich auch wieder ein Waldbruder gefunden: 1731 erhält Jakob Heugele, ein Mitglied des Dritten Ordens des hl. Franziskus, die herrschaftliche Er­ laubnis, eine Eremitage zu errichten. Doch ist Heugele kein einfacher Mann, er verprü­ gelt die Schuljugend und wird schon ein Jahr später durch Hans Michael Kempter abgelöst. Immer wieder kommt es im einsam ge­ legenen Bruderkirchle zu nächtlichen Plün­ derungen des Opferstockes. Auch unter die­ sem Gesichtspunkt wird empfohlen, dauerhaft einen Eremiten­Waldbruder anzusiedeln. Noch heute zeugt aus dieser Zeit ein kleines Fenster im Deckenbereich der Kapelle, das es dem je­ weiligen Waldbruder erlaubte, die Gläubigen zu beobachten. Es gab über Jahrzehnte hinweg eine große Zahl von Bewerbern für die Eremitage, was die Pfarrakten belegen. Um 1800 herum starb das Waldbruderwesen dann aus. Bewohnt ist das Dachgeschoss der Kapelle indes noch heute, es dient als Privatwohnung mit besonderem Flair. Einziges Zeugnis von Alt-Vöhrenbach Durch die Stadtbrände von 1544, 1639 und 1813 ist das Bruderkirchle das einzige bedeutende bauliche Zeugnis des alten Vöhrenbachs, das überdauern konnte. Der Bau wurde im 18. Jahr­ hundert auf Betreiben von Pfarrer Claudius Nahan mit dem barocken Zwiebeltürmchen versehen. Das bereits erwähnte Ölgemälde vom Die märchenhafte Idylle vom Dasein als Waldbruder beim Vöhrenbacher Bruderkirchle entstand 1910/11. Geschaffen hat das Deckengemälde Kunstmaler Johann Dorer. heraus unter Aufnahme benachbarter Einflüsse eine umfangreiche Legende von sagenhaftem Zuschnitt, die nach dem Stadtbrande von 1639 und dem Aussterben der Mändle 1647, jedenfalls im ausgehenden 17. Jahrhundert fertig vorliegt.“ Pfarrer Manfred Hermann verweist in sei­ nem Führer zur Pfarrkirche und zum Bruder­ kirchle als mögliche Quelle für die Sage auf die Lebensbeschreibung des heiligen Blasius, des Märtyrerbischofs von Sebase in Armenien. In der weit verbreiteten „Goldenen Legende“ treten sieben Frauen auf, die wie in der Vöhrenbacher Sage den Märtyrertod starben. In Vöhrenbach wurde um 1600 der Tag des heiligen Blasius als Halbfeiertag begangen, ein Zeichen für seine große Verehrung. 198 Geschichte


Lithographie von Casimir Stegerer zur Wallfahrt zum Bruderkirchle. Die Kapelle liegt an der Steig nach Villingen. Das Kunstwerk ist um 1835/40 entstanden. Links ist ein Arma-Christi-Kreuz mit den fünf Wundmalen zu sehen, das 1988 nachgebildet wurde (s. dazu Seite 201). Das Bruderkirchle an der Steig um 1900 und in den 1930er-Jahren mit der alten Straße nach Villingen. Die kolo- rierte Fotografie links wurde als Glückwunschkarte zum neuen Jahr veräußert. Das Äußere der Kapelle ist seit ca. 1733 bis auf das Häuschen beim Brunnentrog (siehe Stegerer-Stich oben) unverändert. Damals erhielt die Kapel- le ihr barockes Türmle und eventuell auch den heute bekannten Eingangsbereich mit Wohnraum darüber. Das Bruderkirchle in Vöhrenbach 199


Märtyrertod der sieben Jungfrauen mit dem Entstehungsjahr 1727 ist ebenfalls seiner Zeit und seiner Initiative zuzuordnen. Der steinerne Rundbogen des Brunnentroges trägt die Jahres­ zahl 1742. Auch er stammt somit aus der Blüte­ zeit der Bruderkirchle­Wallfahrten. Das heutige Bruderkirchle verdankt seine künstlerische Ausgestaltung zu großen Teilen Veränderungen im 19. Jahrhundert und einer Restauration in den Jahren 1911/12, an der we­ sentlich Kunstmaler Johann Dorer beteiligt war. In dieser Zeit entstand das malerische Decken­ gemälde des Waldbruders (s. Seite 198). Das Kleinod der Vöhrenbacher Seine heimelige Ausstattung, die geheimnis­ volle Geschichte und die Lage nah bei der Stadt haben das Kirchlein zu einem Kleinod werden lassen, an dem ganz Vöhrenbach hängt. Wie sehr das Bruderkirchle das Leben der Vöh ren­ bacher begleitet, zeigt sich daran, dass dort Trau ungen stattfinden – auch Silberne, Goldene oder Diamantene Hochzeiten – und immer wie­ der Gottesdienste gehalten werden. Auch für Menschen aus der Fremde ist die Kapelle ein Schutzraum gewesen. Französische Kriegsgefangene aus dem Zweiten Weltkrieg konnten dort ihre Gottesdienste ab­ halten. Einer der Gefangenen, Abbé Emile Ciceron, schreibt 1979 in seinen Erinnerungen: „Nie hätten wir gedacht, so viel Achtung und Freund­ lichkeit bei unseren soge­ nannten Feinden zu finden. Eine Kollekte wird unter uns beschlossen. Sie wird mir anvertraut mit dem Auftrag, ein Bild für das Bruderkirchle malen zu lassen. Für die Ka­ pelle, für die wir die Geneh­ migung zur Feier der heiligen Messe hatten.“ Ein Geheimnis allerdings hat sich das Kirchlein an der Dieses für das Bruderkirchle geschaffene Gemälde ist ein Geschenk französischer Kriegsgefangener für die freundliche Aufnahme und gute Behandlung durch die Vöhren bacher im Zweiten Weltkrieg. Steig bewahrt: Schon einige Vöhrenbacher stan­ den am Morgen des Karfreitag vor der Brun­ nenstube des Bruderkirchles, auf den Fisch mit den sieben goldenen Schlüsseln hoffend, damit die alte Stadt endlich von ihren sieben Ver­ wünschungen befreit ist. Doch alles Warten in der morgendlichen Kälte war bislang vergebens: Das Bruderkirchle bleibt ein überaus liebens­ würdiger, aber halt verwunschener Ort. Links: Historischer Opferstock, wohl 18. Jahrhundert. Rechte Seite: Hochaltar von Josef Ummenhofer, ge- schaffen 1886. Der linke Seitenaltar zeigt die „Sieben Jungfrauen“ von Dominik Weber, 1858 (unten links). Das Arma-Christi-Kreuz wurde 1988 auf Initiative des damaligen Stadtpfarrers Bernhard Adler neu errichtet (s. auch Lithographie auf S. 199). 200 Das Bruderkirchle in Vöhrenbach


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Dem Himmel, der Erde so nah Variationen über Wahrnehmung, Bewegung und Raum im künstlerischen Werk von elfi schmidt von Ursula Köhler Seit mehr als vier Jahrzehnten schafft die in Schwenningen geborene Künstlerin elfi schmidt ein facetten- reiches Werk, das immer wieder über- raschende Wendungen nimmt. Die Basis für einen weiten Kunstbegriff erarbeitete die Meisterschülerin des unzeitgemäß figurativen Malers Peter Voigt sich bereits in den 1970er-Jahren an den Kunsthochschulen in Hanno- ver und Braunschweig. Performances, Zeichnungen, Objekte, Installationen gehören ebenso gleichberechtigt zu ihrem Ausdrucksrepertoire wie Reise- und Kunsttagebücher. Porträt mit Blütenblatt – Primel, 2012 Die von ihr verwendeten Materialien könnten einfacher nicht sein, handelt es sich doch um Gebrauchs­ und Naturmaterial. Ob mehrfach umgenutzte Zementsäcke, Zeitungspapier, Tex­ til, Erde, gesammelte Blüten und Baumsamen, es sind die eher unscheinbaren, selbstverständ­ lichen Erscheinungen und Dinge der Umwelt, denen elfi schmidts künstlerische Aufmerksam­ keit gilt und denen sie mit unspektakulären Techniken, wie Modellieren, Nähen und Pres­ sen, zu spektakulärer Schönheit verhilft. Lapidar bezeichnet sie meist Pappmaché, Pigment und Binder als die Zutaten, aus denen ihre Kunst entsteht. Eher beiläufig werden die Orte ihres Schaf­ fens in den Werken sichtbar: Ägypten, Gambia und Senegal1, in den Jahren 1982 bis 2000 zu regelmäßigen, langen Ar beitsaufenthalten be- 202 8. Kapitel – Kunst


Abb. 1: Gefallene Apfelblütenblätter, 2014/15, Bodeninstallation, 145-teilig, ca. 300 cm Durchmesser elfi schmidt 203


Abb. 2: Fruchtflügler – Birke, 2014/15, Luftrauminstallation, 200-teilig tende Vermögen zu schauen und zu staunen. Unabhängig von Wand oder Sockel der Aus- stellungsorte, an filigranen Haltevorrichtungen kaum merklich befestigt, machen diese Installa- tionen sichtbar, was als Selbstverständlichkeit sonst ausgeblendet wird: Raum ist eine im- materielle Größe, die Formenvielfalt der Natur unendlich. Die Art und Weise, in der elfi schmidt konzeptuelle Fragestellungen in einer eigen- ständigen Bildsprache formuliert, zu der sich Naturmetaphern gesellen, überschreitet den engen Horizont autonomer Kunst. Bei den Werkgruppen Fruchtflügler, Blüten- blätter (Abb. 3 und 4) und Flugsätze (Abb. 5, sie- he S. 200) wird jeder Ausstellungsraum neu ver- messen. Da die Künstlerin jedes der individuell geformten Einzelelemente im additiven Verfah- ren in situ zu Installationen bündelt, spiegeln diese die jeweilige Ortssituation passgenau, mal als spiralförmig tanzende Flugsamen, mal als dichter Blätterregen. Wie ihre natürlichen Verwandten schweben die aus Pappmaché ge- formten Elemente – provoziert durch die Ther- mik – leicht im Raum. Schon in ihrer früheren Werkgruppe der Ufos, den unbekannten Flugobjekten von 1995- 2009, thematisierte elfi schmidt die vielschich- tigen, mehrdeutigen Möglichkeiten der Raum- durchdringung. Denn eigentlich handelt es sich bei den Bildobjekten in kräftiger Farbigkeit, mit prägnanter Oberflächentextur, deren Umrisse ein Spiel mit geometrischen Grundformen er- kennen lassen, um unbekannte Kunstobjekte. Formal und real schweben die Objekte interkul- turell zwischen Europa und Afrika. Tatsächlich haben etliche dieser Ufos den transkontinenta- len Flug, flach in einem Rucksack verstaut, zu- rückgelegt. Aus ihnen formte elfi schmidt ambi- valente Bildobjekte, die in der Bildsprache eben- so auf die shaped canvasses der europäischen Moderne anspielen wie auf afrikanische Schilde. Noch bevor die „anderen Modernen“ in der ak- tuellen Kunstdebatte gewürdigt und der koloni- reist, stehen gleichrangig neben der Landschaft rund um Schwenningen mit dem heimischen Gartenreich. Und doch lassen sich in der Ge- samt schau, bei aller Diversität, Gemeinsamkei- ten und eine durchgängige Struktur erkennen. Bewegung ist eine solche Konstante, ebenso der genaue, analytische Blick auf Körper und Raum, wobei das Ephemere spielerisch gedeutet und inszeniert wird. Raum und Bewegung Raumgreifend, schwebend, gelegentlich zu Bo- den gefallen, füllen die jüngsten Installationen von elfi schmidt Luft- und Erinnerungsräume (Abb. 1 und 2). Das physikalische Gesetz der Schwerkraft scheint bei ihnen nicht zu wirken, vielmehr appellieren sie an das erkenntnisstif- 204 Kunst


Abb. 3: Fruchtflügler – Ahorn, 2000-2012, Luftrauminstallation, 33-teilig Abb. 4: Hängende Blütenblätter, 2002-2007, Luftrauminstallation, 222-teilig, (Detail) elfi schmidt 205


Abb. 5: Flugsätze, 2006, Luftrauminstallation, 33-teilig ale Blick auf die ehemaligen außereuropäischen Inspirationsquellen vieler Impressionisten und Expressionisten suspekt wurde, entstanden mit den Ufos Bildobjekte, die nun wohl als „hybride Formen“ identifiziert würden. elfi schmidts un- bekannte Objekte sind weit mehr als Wandre- liefs, mit denen der Raumbezug eher imaginär ausgelotet wird. Manche mutieren zu tragbaren Schutzschilden, um Akteure in Performances zu werden, etwa im Tanz der Schilde, 2000. Damit knüpft die Künstlerin an Performance- Themen an, die sie seit 1979 entwickelte. Der eigene Körper wird als Material und Mittel der Selbst- und Welterfahrung eingesetzt. Einen schutzbedürftigen Körper, der sich im umge- benden Natur- oder Kultur-Raum und im zyk- lischen Zeitverlauf suchend verortet, zeigten Hauthülle, 1993 und 1996, und Vier Federfelle, 1988, (Abb. 6 und 7). Die Form der Performance, deren transitorische Qualität sich nicht medial dokumentieren lässt, enthält im Kern schon die künstlerischen Möglichkeiten der zukünftigen Luftrauminstallationen. Zwar unterscheiden sich beide Verfahren in der Art, wie sie Verän- derlichkeit und Vergänglichkeit sinnlich wahr- nehmbar machen, beide rechnen jedoch mit zufälligen Begegnungen und bieten Raum für Unvorhergesehenes. Wahrnehmung und Zeit Wie situationsabhängig Wahrnehmung funk- tioniert, veranschaulichen die Vier Federfelle. Je nach Fotoansicht könnten es überdimensionale Kapuzen als Körperschutzkleid oder fremdartige Behausungen in einer unbekannten Seeland- schaft sein. Verfremdung ist ein Mittel, um im Vertrauten Unbekanntes aufleuchten zu lassen. Jahreszeitlich gefärbte Federfelle verweisen zei- chenhaft auf den Lauf der Zeit, der am Ufer des heimatlichen Riedsees mittels Fotoausschnitt zum Stillstand gebracht wurde. Die Gewissheiten der Wahrnehmung scheinen elfi schmidt suspekt, in immer neuen Varianten verunklärt sie Bekanntes, so dass Welterfahrung und Erkenntnis zum Abenteuer mit großem Entdeckungspotenzial werden. Im kleinen Samenkorn wussten die Gelehrten des Mittelalters und der Renaissance die ganze Welt 206 Kunst


Abb. 6: Vier Federfelle, Aktion am Riedsee, 1988 Abb. 7: Vier Federfelle, Performance, 1988 elfi schmidt 207


zu entdecken. Und bei elfi schmidt werden aus natürlichen Winzlingen, der Samen einer Hain- buche misst kaum ein Zentimeter, Pappmaché- Giganten mit bis zu einem Meter Spannweite, die raumgreifend Aufmerksamkeit erzielen. Bei den Blütenblättern und Fruchtflüglern wirkt die überproportionale Vergrößerung irri- tierend und fremd. Als Erinnerungshauch schei- nen die Blüten von Primeln, Stiefmütterchen, Tulpen, Iris, Lilie, Mohn und Rose oder die Früch- te von Ulme, Buche, Linde, Ahorn und Birke durch die künstlerischen Transformationen hin- durch. Zwar wurden die natürlichen Pflanzen- vorbilder von elfi schmidt nach Botaniker-Tra- dition im Jahresverlauf gesammelt und mit systematischer Akribi präpariert, zu Prototypen geordnet, ihre spezifischen Blattformen und Farbnuancen im Kunsttagebuch notiert, jedoch dient die genaue unmittelbare Beobachtung, der zugewandte Blick, anderen Zwecken als der pflanzlichen Klassifizierung. Aus der Überfülle der Natur werden einzelne Kronblätter und Sa- men herausgehoben und plastisch monumen- talisiert. Die vergänglichen, zarten Blütenblätter werden so zu dauerhaften, kräftigen Vertretern von Schönheit, die in der Installation dem jah- reszeitlichen Wandel entzogen, sogar zeitgleich erblühen können und im Verbund der Einzel- elemente eine nie gesehene variantenreiche Einheit erzeugen. Durch diesen künstlerischen Umformungsprozess wird die Naturform einer- seits zu einer polyvalenten Chiffre, andererseits fordert sie dazu auf, die sichtbare Realität in einer medial überfrachteten Wirklichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Mit ‚ehrlichem Au- ge und getreulicher Hand‘, im Sinne Albrecht Dürers, stellt elfi schmidt die Dinge so dar, wie sie erscheinen. Sie fokussiert auf das Nahelie- gende, das in einer globalisierten, nachmoder- nen Welt in dem Maße außer Kurs gerät, in dem Entfernungen schrumpfen, Kommunikation medialisiert und physische Körper unwichtig werden. Wissensspeicher und Körper Natur und Bücher galten in der vordigitalen Welt als Wissensspeicher per se. Im Buch der Abb.8: Blütenblätterbuch, II, 2012-2015 208 Kunst


Natur lasen Naturforscher und Künstler einst gleichermaßen, so dass Schriftlichkeit zum Bin- deglied zwischen Natur und Kultur avancierte. Persönliches Wissen aus dem Stadium gedank- lichen Memorierens zu befreien, indem es in schriftlicher Form langfristig festgehalten wird, war ein erster Schritt, den ‚Erinnerungsspeicher‘ Gehirn nach außen zu verlagern. Mit der tech- nischen Revolution des Buchdrucks gewann Handschriftlichkeit eine eigene Bedeutung. Ein Nachfahr dieser explizit manuellen Erinne- rungstechnik mag das Tagebuch sein.2 Bücher in unterschiedlicher Ausprägung nehmen in elfi schmidts Schaffen einen großen Raum ein. Seit Anfang der 1970er-Jahre beglei- tet sie ihre Arbeit in Reise- und Kunst-Tage- büchern, deren Zahl inzwischen auf 173 Bände gestiegen ist. Es sind collagierte Verbindungen zwischen alltäglichen Erlebnissen und künstle- rischer Reflexion in Schrift, Aquarellen, Zeich- nungen, Skizzen und Klebearbeiten. Zwischen Archiv und Labor changieren ihre Funktionen. Oft vergehen Jahre, bis aus einer Idee ein neuer Themenkomplex entsteht. Eine erste Ideenskizze zur Birkeninstallation findet sich beispielsweise im Kunsttagebuch von 2008, aufgegriffen und realisiert wurde die Idee schließlich 2014-2015. In Blütenblätterbü- chern (Abb. 8) hat elfi schmidt das Kunst-Tage- buch-Format thematisch verdichtet. Es doku- mentiert die Entwurfsstadien zur Werkgruppe florale Folio (Abb. 9). Formal zitieren sie die Buchform als Körper mit Einband und Seiten, eingeschrieben sind diesen Büchern keine Sätze, wie es in der Luftrauminstallation Flugsätze mit handschriftlichen Titelseiten der Fall ist, son- dern zeilenweise dicht gesetzte Blütenblätter. Jedes florale Folio repräsentiert eine Blumenart und breitet die Vielfalt innerhalb einer Sorte aus. Da zunächst jede Blüte blattweise getrock- net und gepresst wird, liegen die individuellen Charakteristika von Farbe und Textur offen. Nach künstlerischen Gesichtspunkten können die Blütenblätter in einem nächsten Schritt neu geordnet werden. Ihre Farbigkeit kann wie Pigment, ihre Form als Struktur malerisch ein- gesetzt werden. Diese Malmittel entfalten eine unvergleichlich stoffliche Wirkung. Manche Abb. 9: Florale Folio – Rosen, 2011, Luftrauminstallation, 45-teilig (Detail) Blütenoberflächen scheinen samtweich, andere liegen als glänzendes Gefieder oder metallische Schuppen auf den Buchseiten. Haptisch und op- tisch täuscht die Werkgruppe florale Folio über ihre wahre Herkunft und Beschaffenheit. Wer in diesen Büchern der Natur liest, erhält detail- reiche, fragmentierte Informationen über die strukturellen Besonderheiten jedes Blütenblatts und jeder Pflanzenart, ohne dass sich aus die- sem Wissen die natürliche Blüte rekonstruieren lässt. elfi schmidts Umformung ist eine irrever- sible Neuschöpfung und Festschreibung. Als Ob- jekte in Vitrinen und an der Wand gleichen sie Nachschlagewerken mit reichem Anschauungs- material, im Luftraum schwebend entziehen sie sich wie flüchtige Gedanken. 1 Horst Kurschat: Inspirationsquelle Afrika. Die multi- ästhetische Bildsprache der Schwenningerin elfi schmidt; in: Almanach 1998, S. 247-252 2 Vgl. Rainer Metzger: Relektüren, Folge 31; in: Kunstforum International, Bd. 228, August – Septem- ber 2014, S. 330 elfi schmidt 209


Grenzenlose Hilfe Feuerwehren und Rettungskräfte im Schwarzwald-Baar-Kreis kooperieren mit Kanton Schaffhausen – Blumberger Wehr als Vorreiter von Bernhard Lutz Meterhoch schlugen die Flammen aus der Blum- berger Eichbergsporthalle in den Nachthim- mel. Stundenlang kämpften rund 130 Feuerwehrleute in der Nacht zum 23. August 2003, einem Samstag, um den Erhalt von Blumbergs Schmuckstück. Auch die Drehleiter von Donaueschingen war im Einsatz – und Feuerwehrleute aus Schaffhausen. Doch sie alle konnten nicht verhindern, dass die 1987 eingeweihte Halle bis auf die Grundmauern abbrannte. Es war ei- ner der verheerendsten Brände in den letzten 20 Jah- ren im Schwarzwald-Baar-Kreis, der Schaden betrug fünf Millionen Euro. Jugendliche hatten die Feuerwehr gegen 0.40 Uhr alarmiert, anhand von angezündeten Mülleimern unter dem Vordach wurde schnell klar, dass es sich um Brandstiftung handelte, der oder die Täter wurden nie ermittelt. 210 Zeitgeschehen


Der Einsatz der Freunde aus Schaffhausen beim Blumberger Brand basierte auf den guten Be- ziehungen der Kameraden dies- und jenseits der Grenze, sprich Blumberg und Schaffhausen. Im Jahr 2004 wurde die gegenseitige Hilfe in Vertragsform gegossen. Wie viel gegenseitiger Respekt vorhanden ist, zeigt sich unter anderem daran, dass mit Paul Werner und Herbert Distel zwei frühere Schaffhauser Kommandanten zu Ehrenkommandanten und Harald Bregler zum Ehrenmitglied der Blumberger Feuer- wehr ernannt wurden. Umgekehrt wurden der langjährige Kreisbrandmeister im Schwarz- wald-Baar-Kreis, Manfred Bau, und Blumbergs Gesamtkommandant, Reinhold Engesser, zu Ehrenmitgliedern des Kantonalen Feuerwehr- verbands Schaffhausen ernannt. So etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben. Kontakte begannen vor 25 Jahren Die deutsch-schweizerischen Kontakte began- nen vor rund 25 Jahren, wurde jetzt bei einem Treffen der maßgeblichen Kräfte auf beiden Seiten im Feuerwehrstützpunkt Schaffhausen deutlich. Das Ganze fing mit einer gemein- samen Waldbrandübung im Gewann Hohen Hengst an, einem Gebiet zwischen dem deut- schen Zoll in Blumberg-Neuhaus, Blumbergs Stadtteil Fützen und dem Schweizer Zoll in Bar- gen. Der Blumberger Kommandant war damals Helmut Müller, die Schaffhauser Kameraden leitete Paul Werner. Die Blumberger hätten in ihrem Wald geprobt, „wir probten in unserem Teil des Waldes“, schildert Paul Werner. Helmut Müller sei damals mit der ersten Frauengruppe der Blumberger Feuerwehr angekommen und habe damit Eindruck gemacht, die Damen ka- men aus Epfenhofen. Nach der Übung gab es ein gemeinsames Vesper. „Das war die Initialzün- dung“, sagt Paul Werner rückblickend. Danach wurde es ein bisschen ruhiger, man habe sich ab und zu getroffen. Als Hondingens damaliger Abteilungskom- mandant Reinhold Engesser 1995 Gesamt- kommandant der Blumberger Feuerwehr wurde, wurden die Kontakte wieder intensiver. Engesser bemühte sich erfolgreich, die bislang neun Abteilungen in Blumberg und den Stadt- teilen zu einer Gesamtwehr zu vereinen. Und er wollte auch Partner im Süden. Blumberg war und ist der einzige Grenzort des Schwarz- wald-Baar-Kreises zur Schweiz, die nächstgele- gene Stadt im Süden ist Schaffhausen. Gesamtkommandant Reinhold Engesser lud Schaffhausens Kommandant Paul Werner zu einer Übung in den Längewald bei Hondingen ein. Paul Werner kam. Danach wurden die Kon- takte intensiver, „man hat sich bei jedem Tref- fen besser kennengelernt, schildern beide. Als großen Schub werten beide die Offizierskurse der Schaffhauser Feuerwehr über mehrere Jahre jeweils im Januar, für die Reinhold Engesser viele Zugführer motivieren konnte. Dort hätten sie sich näher kennengelernt, zumal Schweizer Kameraden aus dem ganzen Kanton Schaffhau- sen teilnahmen. Gemeinsames Training für Leistungsabzeichen Da Blumberg eine Abteilung des Gefahrgutzugs im Schwarzwald-Baar-Kreis hat, gab es eine gemeinsame Übung mit der Chemiewehr Schaff- hausen mit Hinzuziehung der Feuerwehr Donau- eschingen und der Fachleute Chemie auf beiden Seiten. Inzwischen findet jedes Jahr eine ge- meinsame Übung statt, abwechselnd im Kanton Schaffhausen und im Schwarzwald-Baar-Kreis. Die Kontakte wurden so intensiviert, dass mit Paul Werner und Harald Bregler zwei Feuer- wehrkameraden aus Schaffhausen Mitglieder der Blumberger Promi-Gruppen wurden, die für das Leistungsabzeichen übten. Das Proben war Ehrensache, selbstverständlich schafften beide Gruppen, in denen unter anderem der damalige Landrat Karl Heim und der damali- ge Bundestags abgeordnete Siegfried Kauder mittrainierten, das Leistungsabzeichen mit Bravour. Die Kooperation entwickelte sich weiter, so entstand die Idee, die gegenseitige Hilfe offizi- ell schriftlich zu vereinbaren. Der Blumberger Gemeinderat und der Stadtrat Schaffhausen fassten die jeweiligen Beschlüsse für eine „Ver- 9. Kapitel – Zeitgeschehen 211


große Wertschätzung erfuhr. Als während der Fußball-WM 2006 am 28. Juni abends der hef- tige Hagelsturm auf Schwenningen niederpras- selte und in 20 Minuten mehr als 18.000 Dä- cher zum Teil schwer beschädigte, kam dank Manfred Bau auch die Stützpunktfeuerwehr Schaffhausen vier Tage lang mit dem Hubretter und vier bis fünf Mann und half: und das alles wohlgemerkt kostenlos. Den Hubretter aus Schaffhausen fuhr Roman Stutz, der auch die Gruppe leitete. Die eindrücklichen Bilder hat er noch immer vor Augen: „Es hat ausgesehen wie nach einem Bombenangriff“, sagt er: zusammengeschla- gene Dachstühle, die beschädigten Dächer, Schutthalden von Ziegeln auf den Straßen, die Autos mit kaputten Scheiben und großen Beu- len, nur ein einziges Haus- unter einer Überfüh- rung habe ein intaktes Dach gehabt. Ihn habe beeindruckt, dass die Stadt innerhalb so kurzer Zeit so viele Feuerwehren und Fahrzeuge aus halb Baden-Württemberg zusammenbekom- men habe. Roman Stutz betont die gute Zusam- menarbeit: „Wir sind uns nie als die Schweizer vorgekommen, wir waren überall sofort dabei und haben auch gemischte Mannschaften gebildet, wir waren mit der Berufsfeuerwehr Mannheim unterwegs.“ Diese großzügige Hilfe aus Schaffhausen im Oberzentrum fand auch im Landratsamt in Villingen-Schwenningen die entsprechende Beachtung, besonders bei dem unter anderem für den Katastrophenschutz zuständigen Amts- leiter Manfred Pfeffinger. Ein Jahr später hatten Pfeffinger und sein Schweizer Pendant Martin Vögeli deswegen die Idee einer gemeinsamen Übung im deutsch-schweizerischen Grenzraum. Eine Idee, die dann nach und nach Gestalt an- nahm und im Oktober 2010 in die konkrete Pla- nungsphase überging. Internationale Katastrophenschutzübung Nimbus mit rund 1.200 Teilnehmern Das Ergebnis war die bisher größte grenzüber- schreitende Zusammenarbeit zwischen Kräften im Schwarzwald-Baar-Kreis und dem Kanton Die Feuerwehren von Blumberg und Schaffhausen üben ihren Einsatz bei einem Chemieunfall. einbarung zwischen der Stadt Schaffhausen und der Stadt Blumberg über Nachbarschafts- hilfe der Stützpunktfeuerwehr Schaffhausen und der Freiwilligen Feuerwehr Blumberg“, die am 17. April 2004 in Kraft trat. Das Wesentli- che: Bei Schadensereignissen in den Tunneln der Blumberger Sauschwänzlebahn und bei anderen Ereignissen, bei denen der Einsatz von Langzeitatemschutzgeräten erforderlich ist, leistet die Stützpunktfeuerwehr Schaffhausen der Stadt Blumberg Nachbarschaftshilfe. Umge- kehrt unterstützen die Blumberger Kameraden bei Bedarf ihre Kollegen, sei es bei Gefahrgut- unfällen oder Elementarereignissen wie zum Beispiel Hochwasser. Damit die Schaffhauser Wehr weiß, worauf sie zählen kann, erstellt die Blumberger Wehr gerade „eine Liste mit dem Material, das wir zur Verfügung haben“, sagt Gesamtkommandant Reinhold Engesser. Großzügige Hilfe aus Schaffhausen Die Kontakte zwischen den Feuerwehren in Blumberg und Schaffhausen zogen Kreise in den Schwarzwald-Baar-Kreis und den Kanton Schaffhausen, die Zusammenarbeit und der Ge- meinschaftsgeist kamen auch anderen zugute. Als weiterer Motor engagierte sich der lang- jährige Kreisbrandmeister Manfred Bau, der ob seines fundierten Wissens auch in der Schweiz 212 Zeitgeschehen


Schaffhausen: die internationale Katastro- phenschutzübung Nimbus mit rund 1.200 Teil- nehmern. Rund 600 Kräfte des deutschen und schweizerischen Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes, Schweizer Militärs und verschie- dener Feuerwehren aus Deutschland und der Schweiz sowie insgesamt 200 Führungskräfte auf beiden Seiten hatten am Samstag, 25. Mai 2011, nach einem angenommenen Jahrhun- dert-Unwetter mit Sturm und Hochwasser vier Schadenslagen zu bekämpfen und dabei zirka 400 Verletzte zu versorgen. Den Gefahrgutunfall bei Bargen, bei dem noch ein Reisebus eine Böschung hinunterge- stürzt war, behandelten vor allem die Chemie- wehr Schaffhausen, der Gefahrgutzug Schwarz- wald-Baar-Kreis und die Feuerwehr Blumberg, um die Verletzten im Bus kümmerten sich Schweizer Rettungskräfte. Im Achdorfer Tal baute die Schweizer Pionierkompanie 23/4 mit Unterstützung der Feuerwehrabteilung Achdorf eine feste Brücke, die auch Lastwagen befahren konnten. Um die Unwetterschäden in Oberwie- sen kümmerten sich Einsatzkräfte des THW im Schwarzwald-Baar-Kreis und aus Bad Säckingen sowie Feuerwehren, Zivilschutz, Polizei und Grenzwacht aus der Schweiz. Die logistisch größte Aufgabe war jedoch das internationale Pfadfinderlager beim Hagen- turm. Rund 2.000 Kinder und Jugendliche aus ganz Europa, die in der Übung von 300 Per- sonen dargestellt wurden, standen nach dem Sturm, der ihre Zelte und Holzhütten total zer- stört hatte, im Regen. Eine Meisterleistung für sich erbrachte nach der Übung die Logistikgruppe des Schwarz- wald-Baar-Kreises, die von der Blumberger Feu- erwehr betrieben wurde und unter Leitung von Viktor Müller aus Blumberg-Nordhalden rund 1.400 Personen mit Mahlzeiten versorgte. Regelmäßiger Austausch zwischen den Beteiligten auch nach der Nimbus-Übung Karl Heim, der damalige Landrat im Schwarz- wald-Baar-Kreis, ist von der bei Nimbus erbrach- ten Leistung noch heute beeindruckt, wie er im Bei der grenzüberschreitenden Nimbus-Übung mit 1.200 Teilnehmern. Ein Reisebus stürzte eine Böschung hinunter (oben) und Schweizer Pioniere bauten im Achdorfer Tal eine feste Brücke (unten). Gespräch zu diesem Bericht deutlich machte: „Ich fand es toll, dass es überhaupt möglich war, so eine internationale Großübung zu organisie- ren. Dies war nur möglich, weil wir seit Jahren ein gutes Verhältnis zu Schaffhausen hatten.“ Heim hat mit der Schweizer Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel alle Schadensorte gemeinsam besichtigt: „Wir waren beide beein- druckt, wie die Übung abgelaufen ist.“ Er fügt hinzu: „So etwas schweißt zusammen.“ Die Bilder der Übung hat Heim heute noch lebendig vor Augen: „Ein großes Kompliment Grenzenlose Hilfe 213


an alle, die die Übung vorbereitet und durchge- führt haben. Das war eine gewaltige Arbeit.“ Nach der Übung Nimbus entwickelten sich Folgeprojekte, berichtet der damalige Übungs- leiter und Amtsleiter Manfred Pfeffinger. Die Feuerwehren, Rettungsdienste, die Polizei, Technischen Hilfswerke und die Stäbe pflegen seither einen regelmäßigen Austausch, „damit man die Gesichter kennt und einen kurzen Draht hat.“ Pfeffingers Einschätzung: „Das ent- wickelt sich ganz gut.“ So sei für das Jahr 2017 eine gemeinsame Stabsrahmenübung des Kan- tonalen Führungsstabs Schaffhausen und des Verwaltungsstabs im Schwarzwald-Baar-Kreis geplant, an der auch der Kanton Thurgau betei- ligt werden soll. Intensive Zusammenarbeit mit dem Schwarzwald-Baar-Kreis Eine weitere Folge von Nimbus sind die Kon- takte des Schaffhauser Feuerwehrin spektors Jürg Bänziger, dem höchsten aktiven Feuer- wehrmann im Kanton Schaffhausen, zum Führungsstab im Landratsamt des Schwarz- wald-Baar-Kreises. Mit seinem Chef Andreas Rickenbach, dem Direktor der Kantonalen Gebäudeversicherung und Dienststellenleiter der Kantonalen Feuerpolizei, besuchte Bänzi- ger den für Katastrophenschutz zuständigen Amtsleiter Manfred Pfeffinger. Dabei habe Pfef- finger ihnen angeboten, dass sie bei größeren Elementarereignissen wie Naturkatastrophen im Kanton Schaffhausen über den hiesigen Kreisbrandmeister Florian Vetter das THW anfordern könnten. Und 2014 konnte die Kanto- nale Feuerpolizei zusammen mit den Unfallret- tungsfeuerwehren des Kantons Schaffhausen in Blumberg zwei Mal einen Kurs für Unfallrettung durchführen. Die Übung Nimbus ist Vergangenheit, die Kontakte zwischen den Feuerwehren im Schwarzwald-Baar-Kreis sowie speziell Blumberg und Schaffhausen bestehen weiter. Schon mehrfach gab es größere gemeinsame Übungen, zum Beispiel in den Tunneln der Sau schwänzlebahn oder mit einem Szenario wie Waldbrand und Aufbau einer Wasserver- sorgung über eine größere Strecke bergauf. Einmal im Jahr wird gemeinsam geprobt. „Es ist normal, dass wir miteinander proben“, schil- dert Blumbergs Gesamtkommandant Reinhold Engesser, „wir kennen uns über die Grenze hinweg“. Als ein Schaffhauser Feuerwehrmann Interesse zeigte, einmal bei einer Blumberger Abteilung mitzuproben, wurde ihm das ermög- licht. Und Harald Bregler aus Schaffhausen ist schon seit Jahren Mitglied der Blumberger Logistikgruppe und hat in dieser Eigenschaft die Blumberger Jugendfeuerwehren sogar in ihr Zeltlager in Franken begleitet. Die Schaffhauser Kameraden trainieren mit ihren Langzeitatem- schutzgeräten in den Tunneln der Sauschwänz- lebahn und die Blumberger Kameraden trainie- ren regelmäßig auf der Atemschutz-Übungs- strecke im Feuerwehrstützpunkt Schaffhausen. Bürgermeister Markus Keller: „Dieser Gemeinschaftsgeist kommt allen zugute“ Zu den bemerkenswerten Ereignissen gehört, dass der Kantonale Feuerwehrverband Schaff- hausen im März 2011 seine Kantonale Verbands- versammlung erstmals außerhalb des Kantons und der Schweiz ausrichtete: in der Blumberger Stadthalle. Bürgermeister Markus Keller gratuliert Herbert Distel von der Feuerwehr Schaffhausen zur Ernennung zum Ehrenkommandanten der Feuerwehr Blumberg. 214 Zeitgeschehen


Sie schreiben grenzüberschreitende Feuerwehrgeschichte, von links Schaffhausens früherer Kommandant und zugleich Ehrenkommandant der Blumberger Wehr, Ehrenkommandant Herbert Distel, der Feuerwehrinspektor des Kantons Schaffhausen, Jürg Bänziger, Kreisbrandmeister Florian Vetter, der stellvertretende Kreisbrandmeis- ter Reinhold Engesser, Schaffhausens Kommandant Peter Müller, Schaffhausens früherer Kommandant und Ehrenkommandant der Blumberger Feuerwehr Paul Werner sowie der Schaffhausener Feuerwehrmann und Ehrenmitglied der Blumberger Feuerwehr Harald Bregler vor dem Feuerwehrstützpunkt in Schaffhausen. Für Blumbergs Bürgermeister Markus Keller ist die Kooperation der Freiwilligen Feuerwehr Blumberg mit der Stützpunktfeuerwehr Schaff- hausen ein fester und wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in der Stadt. Zu Anlässen wie dem Neujahrsempfang oder der Hauptversammlung der Blumberger Feuerwehr sei es selbstverständlich, die Kameraden aus Schaffhausen mit einzuladen. Der Blumberger Bürgermeister, der bei vielen Terminen dabei ist, schätzt das Zwischenmenschliche, den freundschaftlichen Umgang miteinander und betont: „Dieser Gemeinschaftsgeist kommt al- len zugute.“ „Partner haben, auf die man sich verlassen kann“ Das gemeinsame Gespräch im Feuerwehrstütz- punkt Schaffhausen für diesen Bericht nähert sich nach rund zwei Stunden dem Ende. Was ist den Teilnehmern bei der Kooperation am wichtigsten, wie werten sie die Entwicklung? Schaffhau- sens früherer Kommandant Paul Werner, einer der Väter des Kooperationsvertrags zwischen Schaffhausen und Blumberg: „Für uns war es in- teressant, mit einem anderen Partner, mit den Kameraden aus Deutschland, zu kooperieren.“ Werners Nachfolger, der frühere Schaffhau- ser Kommandant Herbert Distel, drückt es so aus: „Für mich ist der persönliche Kontakt zum Kreisbrandmeister am wichtigsten gewesen.“ Harald Bregler aus Schaffhausen sagt: „Für mich ist es wichtig, wenn die Schaffhauser Wehr Un- terstützung braucht, dass man sie in Blumberg holen kann.“ Schaffhausens jetziger Kommandant Peter Müller nennt als wesentliche Vorteile: „Die kurzen, unkomplizierten Wege. Man kennt einander, man weiß, wie man tickt, das macht das ganze Schaffen viel einfacher und angeneh- mer.“ Für den Feuerwehrinspektor des Kantons Schaffhausen, Jürg Bänziger, ist an dieser gutnachbarlichen Zusammenarbeit beson- ders wertvoll, dass er weiß, er darf im Notfall ohne große Bürokratie auf Mittel des THW im Schwarzwald-Baar-Kreis zurückgreifen, welche im Kanton Schaffhausen nicht oder nur unge- nügend zur Verfügung stehen. Blumbergs Gesamtkommandant Reinhold Engesser: „Für mich war immer wichtig, im Sü- den Partner zu haben, auf die man sich verlas- sen kann, die einen unterstützen.“ Auch Kreisbrandmeister Florian Vetter sieht nur Vorteile: „Für mich gibt es keine Grenze, ich weiß, dass es Kameraden sind. Persönlich genieße ich die Freundschaft. Ich komme immer gerne in die Schweiz und freue mich, wenn von den Freunden dort jemand zu uns kommt.“ Grenzenlose Hilfe 215


Historische Donauquelle ist grundlegend saniert von Andreas Beck Die historische Donauquelle in Donaueschingen zeigt sich seit 1875 in der heutigen, bekannten Einfassung, die damals Fürst Karl Egon III. errichten ließ. Die hoch auf- ragende Skulpturengruppe von Adolf Heer „Mutter Baar zeigt ihrer jungen Tochter Donau den Weg in die Ferne“ kam im Jahre 1896 hinzu. Seit Frühjahr 2013 und bis Ende Oktober 2015 wurde die Donauquelle einer grundlegenden und technisch wie denkmalpflegerisch anspruchsvollen Sanierung unterzogen. In den vergangenen Jahren zerfiel der in den Bo- den versenkte Donauquelltopf mit seinen hoch- wertigen Bildhauerarbeiten immer mehr, da die rückwärtige, immerhin rund 130 Jahre alte Ab- dichtung der Steine zum Erdreich hin seit langer Zeit nicht mehr funktionierte. Der „obere Ring“ des in den Boden versenkten Donauquelltopfes besteht zu weiten Teilen aus Molassesandstein, der aufgrund der undichten Rückwand voll- ständig mit Wasser gesättigt war. Nachdem Molasse sandstein ein nicht besonders festes Gefüge aus einzelnen Steinkristallen darstellt, führt Wasser in den Zwischenräumen der Kris- talle durch chemische Prozesse und Frostspren- gung zum schnellen Zerfall des Steins. Deshalb ist es notwendig, das Wasser aus dem Erdreich von den Steinen der Quellfassung fernzuhalten. Hierzu ist ursprünglich eine Hin- termauerung eingebaut worden, die ihrerseits mit einem sogenannten „Lehmschlag“ gegen den gewachsenen Boden abgedichtet wurde. Der Lehmschlag war eine ca. 30 cm starke, ver- dichtete Schicht aus wasserundurchlässigem Lehm. Auf der Hintermauerung aus kleinteili- Spektakulärer Abtransport des Donauquellen- Denkmals. 216 Zeitgeschehen


„Mutter Baar zeigt ihrer jungen Tochter Donau den Weg in die Ferne.“ Das Kunstwerk des Vöhrenbacher Bildhauers Adolf Heer aus dem Jahr 1898 erstrahlt nach einer grundlegenden Restaurierung in neuem Glanz. Historische Donauquelle 217


gen Kalksteinen wurde dann zur Quelle hin die sichtbare Oberfläche in Form der bildhauerisch bearbeiteten Molassesandsteine angebracht. Die Rückwand aus Lehmschlag und Hintermau- erung war zuletzt allerdings vollständig mit drückendem Wasser aus dem Erdreich geflutet und hat so im Lauf der Zeit ihre dichtende Wir- kung gänzlich verloren, so dass zuletzt auch die Molassesandsteine vollständig mit Wasser gesättigt waren. Aufwendige Restaurierung Aufgrund der bereits genannten Durchfeuch- tung mussten die Einfassung der Donauquelle ab dem Frühjahr 2013 komplett abgebaut und alle bildhauerisch geformten Steine durch die Steinmetze getrocknet, konserviert und teilwei- se aufwendig nachbearbeitet werden. Einzelne Steine wurden durch Neubearbeitungen ganz ersetzt. Die ursprünglich bestehende Unterkons- tru ktion (Hintermauerung, Lehmschlag) der Donauquelle im Bereich des oberen Rings wur- de ebenfalls ausgebaut. Der neu betonierte und wasserundurchlässige Fundamentring wird zukünftig als bauphysikalisch abgestimmte, im Endzustand nicht mehr sichtbare Tragkonstruk- tion für die zu sanierenden und nun wieder neu einzubauenden Natursteine dienen. Das Geländer um die Quelle wurde von ei- nem Restaurator aus Triberg überarbeitet, wo- bei Fehlstellen und Anstriche ersetzt wurden. Im August 2015 wurde das Geländer bereits wie- der montiert. Die Skulptur der Mutter Baar und ihrer Tochter wurde bei einem Bildhauer aus Burladingen konserviert. Hierbei wurden Risse beseitigt, statisch stabilisiert und ebenfalls diverse Fehlstellen ersetzt. Die Skulptur wurde am 26. August 2015 wieder auf ihren alten Platz zurückgesetzt. Nachdem die letzten Arbeiten an der Ein- fassung erledigt waren, wurden die notwen- digen Pflasterarbeiten sowie die Begrünung vorgenommen. Bereits im Juni 2015 wurde der barrierefreie Zugang zur Donauquelle von der Fürstenbergstraße her mit einem modernen Aufzug in Betrieb genommen. Rechte Seite: Die Donauquellenbaustelle am Tag der Ankunft der Heer-Figurengruppe (ganz links, auf dem Lkw) und Blick in die Werkstatt des Restaurators. Unten: Der Eingangsbereich zur historischen Donau- quelle. Der barrierefreie Zugang erfolgt von der Fürs- tenbergstraße her über einen Lift. 218


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Berge im Schwarzwald und auf der Baar Von Martin Fetscher mit Fotografien von Wilfried Dold 220 10. Kapitel – Berge im Schwarzwald und auf der Baar


Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist der höchstgelegene Landkreis in Ba den-Würt tem- berg – bezogen auf die durchschnittliche Meereshöhe. Das Landratsamt liegt mit 712 m ü. NN höher als jedes andere Landratsamt in Baden-Württemberg. Deutsch- landweit ist nur ein Landratsamt höher: das in Sonthofen im Oberallgäu. Und den- noch ist der Schwarzwald-Baar-Kreis kein Landkreis, den man unmittelbar mit Bergen in Verbindung bringt. „Schwarzwald“ steht immerhin für das höchste Mittelgebirge Deutschlands, und die Baar für die fruchtbare, sanft-hügelige Hoch ebene zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald, ist Quellregion zahlreicher Flüsse. In den feuchten Niederungen im Schwenninger Moos kann man sich kaum vorstellen, dass man höher steht als auf dem gar nicht so weit entfernten Hohentwiel, von dem aus man nach allen Seiten in die Tiefe blicken kann. Die Dörfer Herzogenweiler und Mistelbrunn liegen auf fast 900 Meter Meereshöhe – und es gibt keine Berge dort. Der Schwarzwald bei Triberg, 221 im Vordergrund der Hohnen.


222 Der Schwarzwald bei Neukirch – Blick zum Kohlplatzhof. Besucher aus Holland oder Norddeutschland wähnen sich angesichts solcher Bergidyllen fast in den Alpen.


Villingen mit Blick über den zunächst sanft ansteigenden Schwarzwald. Das Landratsamt auf dem Villinger Hoptbühl (unten rechts) ist das höchstgelegene Landratsamt von Baden-Württemberg. Ob man nun unsere Heimat als bergig oder flach bezeichnet, ist ohnehin relativ. Nach ei- nem Aufenthalt im Berner Oberland kommen uns die Berge hier vor wie sanfte Bodenwellen. Besucher aus den Niederlanden oder aus der norddeutschen Tiefebene hingegen erlangen den Eindruck, sich bereits in den Voralpen zu befinden, zumal man die Alpen an vielen klaren Tagen im Jahr von hier aus sehen kann. Eine Besonderheit ist die Vielfalt der Landschaft Auch wenn es im Schwarzwald-Baar-Kreis keine Bergspitzen mit Gipfelkreuz und 360°-Panora- men gibt, so kommen Bergwanderer dennoch auf ihre Kosten und die Berge hier bieten einige Besonderheiten. Eine Besonderheit liegt in der Vielfalt der Landschaft zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb begründet. Hier finden sich ausgehend vom kristallinen Urgestein im Schwarzwald alle Deckschichten vom Bunt- sandstein, dem Muschelkalk und dem Keuper bis hin zum Jura-Schichtstufenland der Schwä- bischen Alb. Die unterschiedlichen Gesteine bilden verschiedene Landschaftsformen und Vegetationen aus. Damit Berge entstehen, braucht es immer besondere Umstände in der Erdgeschichte. Einerseits braucht es die Entstehung beson- ders harter und widerstandsfähiger Gesteine, andererseits müssen diese erst einmal empor- gehoben werden und herauswittern, damit ein Berg entsteht. Dabei genügt es nicht, dass eine Region einer Hebung ausgesetzt ist. Voraus- setzung für die Entstehung eines Gebirges ist, dass die Hebung größer ist als die gleichzeitige, fortlaufend stattfindende Abtragung. Beides wiederum kann Schwankungen unterliegen, so dass ein Gebirge zeitweise wächst und zeitwei- se schrumpft. Diese Vorgänge sind sehr kompliziert: So kann man nicht pauschal sagen, dass beispiels- weise die Alpen immer noch wachsen. Insge- samt heben sich die Alpen noch, doch das ist nicht gleichbedeutend damit, dass die Gipfel immer höher werden, denn je höher die Gipfel, desto stärker sind sie in der Regel der Erosion ausgesetzt. Dazu kommt, dass sich nie alle Par- tien eines Gebirges gleich stark heben. Gebirge sind in der Regel durch Bruchzonen in einzelne Schollen getrennt, von denen die einen durch die Kräfte der Gravitation in die Tiefe abgleiten, während andere sich durch den Gebirgsdruck heben. Berge im Schwarzwald und auf der Baar 223


Der höchste Berg im Landkreis ist der 1.152 Meter hohe Rohrhardsberg Der Schwarzwald und auch die Schwäbische Alb sind als Mittelgebirge nicht unbedingt älter als die Alpen. Ihre Entstehung hängt stark mit der Alpenbildung sowie der Bildung des Ober- rheingrabens zusammen. Die Gesteine sind zwar meist älter als in den Alpen, jedoch war der Bereich des Schwarzwaldes in der Kreidezeit weitgehend eingeebnet, und begann sich vor ca. 70 Millionen Jahren zu heben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich zumindest Teile des Schwarzwaldes bis heute noch heben, auch wenn die Haupthebungsphase – wie in den Alpen – bereits abgeschlossen ist. Die Hebungs- raten sind allerdings mit weniger als 0,1 mm pro Jahr sehr gering. Höchster Berg im Landkreis ist mit 1.152 Me- ter der Rohrhardsberg. Der höchste Punkt be- findet sich auf einer Hochebene am Farnberg/ Martinskapellen mit 1.164 m ü. NN. Nach neuen Vermessungen liegt dieser um einen Meter hö- her als angenommen. Dies ist zwar absolut der Der höchste Punkt im Landkreis liegt bei 1.164 m ü. NN. im Bereich Martinskapel- len/Farnberg (1, ungefähre Näherung). Vorne der Furtwänglehof in Furtwangen. Die höchsten Berge und Punkte im Landkreis Blumberg Eichberg 912 m Hüfingen Fürstenberg 918 m Hüfingen Blumberg Länge 923 m Hoher Randen 930 m Blumberg Buchberg 880 m Donaueschingen Schellenberg 821 m 224 Berge im Schwarzwald und auf der Baar 950 m1050 m1150 m1200 m1100 m1000 m900 m800 m850 m


1 Furtwangen Schonach Brend 1.149 m Rohrhardsberg 1.152 m Schonach Farnberg Martinskapellen 1.164 m Landkreis Emmendingen Landkreis Emmendingen Farnberg Griesbacher Eck 1.171 m Obereck 1.177 m Öfingen Himmelberg 941 m Berge im Schwarzwald und auf der Baar 225 950 m1050 m1150 m1200 m1100 m1000 m900 m800 m850 m


2 4 3 1 Vom tiefsten Punkt im Schwarzwald-Baar-Kreis, 470 Meter über dem Meer beim Steinbis-Tunnel an der B33 auf Gemarkung Triberg (1), bis zum höchsten Punkt auf 1.164 Meter im Bereich Farn- berg/Martinskapellen (2, ungefähre Näherung) sind es 694 Meter Differenz. Rechts der 1.152 Meter hohe Rohrhardsberg (3). Als Orientierung kann die Sprung schanze von Schonach (4) dienen. 226


Von Achdorf aus kann man in mehrere Richtungen alpines Gelände ersteigen, links der Eichbergstutz rechts der Buchberg. höchste Punkt im Schwarzwald-Baar-Kreis, und wenn man die etwa 12 Kilometer vom tiefsten Punkt im Landkreis, der Himmelreichkurve bei Gremmelsbach, von 470 m ü. NN erwandert, merkt man schon, dass es ziemlich stark hoch- geht. Jedoch, steht man oben, bemerkt man kaum, wie hoch man sich befindet. Die flache Bergkuppe ist weitläufig bewaldet und unweit davon befinden sich noch etwas höhere Punkte wie das Griesbacher Eck oder das Obereck mit 1.177 m. Immerhin ist in dieser Höhe die Luft schon um einiges dünner: Luftdruck und Sauerstoff- partialdruck sind bereits etwa ein Sechstel ge ringer als auf Meereshöhe. Davon wird man zwar noch nicht höhenkrank, aber für ein Hö- hentraining ist das schon tauglich. Der ambiti- onierte Bergwanderer kommt am meisten auf seine Kosten im vielfach alpinen Steilgelände der Wutachschlucht, der Gauchachschlucht und den Wutachflühen oder aber in den schluchtar- tig eingeschnittenen Tälern im Katzensteig und um Triberg herum. Von Achdorf aus kann man gleich mehrere Anhöhen und Berge besteigen Hier gilt vor allem: Der Weg ist das Ziel. Achdorf ist in dieser Hinsicht ein „Bergsteigerdorf“, von wo aus man gleich in mehrere Richtungen über alpines Gelände Berge oder Anhöhen ersteigen kann. Die Walenhalde zum Buchberg hoch gilt als der höchste Steilhang der gesamten Schwä- bischen Alb. Der Wellblechweg quert diesen Steilhang in einem fast abenteuerlichen Auf und Ab. Flussabwärts unterhalb von Achdorf be- finden sich die höchsten Felswände im Schwarz- wald-Baar-Kreis: die bis zu 85 Meter hohen Wutachflühen. Besonders in solchem Gelände ereignen sich immer wieder Unfälle, zu denen nicht einfach ein Krankenwagen hinfahren kann, sondern wo eine professionelle Bergrettung benötigt wird, um Personen überhaupt erst einmal an einen anfahrbaren Ort zu bringen. In solchen Fällen hilft die Bergwacht mit ihren Ortsgruppen Furt- wangen und Wutach. Berge im Schwarzwald und auf der Baar 227


Fützen mit Hohem Randen, 930 Meter hoch und an der Grenze zur Schweiz gelegen. Bei Schartenhöhe und Dominanz ist der Hohe Randen unübertroffen Um besser in Zahlen auszudrücken, wie be- deutend oder markant ein Berg ist, verwen- den Geographen die Begriffe Dominanz und Schartenhöhe (oder Prominenz). Die Dominanz bezeichnet, in welcher Entfernung vom Gipfel aus gesehen der nächst höhere Punkt liegt. Die Schartenhöhe ist der Höhenunterschied zwi- schen Gipfel und dem tiefsten Geländesattel zum nächst höheren Berg. In Bezug auf Schartenhöhe und Dominanz ist im Landkreis der Hohe Randen unübertrof- fen. Bei Wanderungen – besonders schön im Frühjahr oder im Herbst bei Laubfärbung – zeigt sich dort und eindrucksvoller noch in unmit- telbarer Nähe auf dem Aussichtsturm auf dem Die dominantesten Berge im Landschaftsbild finden sich auf der Baar 23,5 km Dominanz 11,5 km 222 m Scharten- höhe 186 m 5,6 km 147 m 1,8 km 158 m Hoher Randen 930 m Länge 923 m Eichberg 912 m Buchberg 880 m Dominanz: Die Dominanz be- zeichnet, in welcher Entfernung vom Gipfel aus gesehen der nächst höhere Punkt liegt. Schartenhöhe: Die Scharten- höhe ist der Höhenunterschied zwischen Gipfel und dem tiefs- ten Geländesattel zum nächst höheren Berg. 228 Berge im Schwarzwald und auf der Baar


Blick auf Gütenbach und zur Kaiserebene (Standort Windräder) mit Spitzem Stein. Im Hintergrund der Kandel. Hagen-Randen direkt südlich der Schwei- zer Grenze oder auf dem Schlossberg bei Schleitheim, wie exponiert der Randen als Ausläufer der Schwäbischen Alb über 400 Meter zur Wutach und zum Klettgau hin abfällt. Sicherlich gibt es noch andere Kriterien, anhand derer sich Superlative des Land- kreises ausmachen lassen. Der vielleicht schroffste und alpinste Berg ist das Storeck bei Gremmelsbach über den ausgesetzten Nordwestgrat über Schlossfelsen und Rap- penfelsen. Der relativ höchste Berg ist der Spitze Stein (Kaiserebene) bei Gütenbach: Sein Nordost-Gratrücken ist 575 Meter Die schroffsten und alpinsten Berge hat der Triberger Teilort Gremmelsbach zu bieten, im Vordergrund der Südwestgrat des Storeck, „Hauberg“ genannt. Berge im Schwarzwald und auf der Baar 229


Schneesicher: die Langlaufloipe bei der Martinskapelle in Furtwangen auf über 1.100 Meter Höhe. hoch. Der kleinste mit Namen ist vielleicht das Käfer bergle in der Villlinger Innenstadt: es er- hebt sich gerade mal zwei bis drei Meter über die sonst ebene Altstadt. Günterfelsen: Zum höchsten Punkt ist es eine waghalsige Kraxelei Der schwierigste Berg ist vielleicht der Günter- felsen beim Brend: Zum höchsten Punkt ist es eine waghalsige Kraxelei, die nicht zu empfeh- len ist. Der Stoberg bei Blumberg ist durchlö- chert, was nicht daran liegt, dass er nicht mehr weit von der Schweiz entfernt ist. Vielmehr wurden vor dem Zweiten Weltkrieg von allen Seiten aus Stollen durch den Berg gegraben – hier wurde Bergbaugeschichte geschrieben. Der niedlichste Berg ist vielleicht der Spitzenbühl (718 m) auf der Jungviehweide bei Mundelfin- gen. Der edelste ist bekanntlich der Öschberg mit dem Öschberghof. Der majestätischste ist der Fürstenberg, der über der Baar thront. Am Günterfelsen. Spitzenbühl – Mundelfinger Jungviehweide. 230 Berge im Schwarzwald und auf der Baar


Rassige Alpinskiabfahrten locken am Rohrhardsberg bei Schonach. Die Martinskapelle und der Rohrhardsberg gelten als besonders schneereich Zu richtigen Bergen gehört ordentlich Schnee im Winter und zu richtig hohen Bergen gehören auch Gletscher. Während der letzten Eiszeit – bis vor ca. 30.000 Jahren – war der höhere Schwarzwald vergletschert. Die Gletscher haben auch im Schwarzwald-Baar-Kreis deutliche Spu- ren hinterlassen, die man heute noch erkennen kann. Beispielsweise kann man entlang des Sträß- chens durch den Katzensteig hoch zur Martins- kapelle verschiedene Gletscherstadien mit Gletscherböden und Moränen sehen. Besonders eindrucksvoll ist die Moräne im Wolfsloch un- terhalb der Kalten Herberge. Martinskapelle und Rohrhardsberg in über 1.100 m Höhe und mit hohen Niederschlags- mengen sind besonders schneereich, so dass hier oft noch Wintersport möglich ist, wenn sonst nur noch der Feldberg genügend Schnee hat. Schneehöhen mit weit über einem Meter Spuren der Eiszeit – Moräne im Neukircher Wolfsloch. Berge im Schwarzwald und auf der Baar 231


Der Schwarzwald im Bereich der Sommerau/St. Georgen, vorne links die B 500, in der Mitte oben links liegt Brigach. Die Bergketten hier sind mit Buntsandstein überdeckt. kommen hier in fast jedem Winter vor. Am Rohrhardsberg, aber auch am Mühlenberg bei Vöhrenbach, locken die rasantesten Alpinski- abfahrten des Landkreises. Viele Berge sind im östlichen Schwarzwald mit Schichten aus Buntsandstein überdeckt Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind es vor allem im Westen die harten kristallinen Gesteine im Schwarzwald sowie im Osten die widerstands- fähigen Gesteine der Schwäbischen Alb, welche die Berge bilden. Im Osten liegt entlang des Alb- traufs – gebildet aus harten Weißjurakalken – eine markante Reihe hervortretender Berge. Zu ihr gehören: Hoher Randen (930 m), „Blumber- ger Pforte“ mit Eichberg (914 m) und Buchberg, Fürstenberg und Länge (921 m), der Öfinger Berg, der Himmelberg (941 m), Hohe Lupfen und der Große Heuberg sowie die Schwäbische Alb. Die harten Gesteine des Schwarzwaldes steigen nach Westen langsam an, so dass die Schwarz- waldberge zu unserer Seite nur schwach her- vortreten. Außerdem sind viele der höheren Berge im östlichen Teil des Schwarzwaldes mit 232 Gütenbach/Furtwangen


Blick über Behla und Hüfingen hinweg zum Schellenberg bei Donaueschingen. Obwohl 821 Meter hoch, wirkt der Schellenberg nicht wirklich als Berg, hat aber durchaus steile Abschnitte zu bieten. Historische Darstellung unten: Das Relief von 1872 zeigt eindrucksvoll die Bergketten zwischen Gütenbach, Furtwangen, Schönwald, Triberg und St. Georgen. Alle Höhenangaben sind in Fuß. Die rote Färbung macht das Vorkommen des sogenannten „Rotlie- genden“ kenntlich – die Deckschichten aus Bunt sandstein sind gräulich darge- stellt. Rechts ist der Verlauf der Brigach von Brigachtal aus bis in die Villinger Gegend zu sehen. waagrecht gelagerten Schichten aus Buntsand- stein überdeckt und bilden daher keine ausge- prägten Gipfel aus. Dies ist bei der Hochwalder Höhe (966 m) bei St. Georgen, beim Stöcklewald (1.067 m) bei Rohrbach oder beim Steinberg (1.140 m) bei der Kalten Herberge der Fall. Zwischen Schwarzwald und Alb gibt es nur wenige wirklich markante Berge. Im Bereich des Muschelkalks sind dies zum Beispiel der Herren- berg (707 m) in Niedereschach, der Schellenberg (821 m) bei Donauschingen oder der Triberg (776 m) bei Bräunlingen. Als markante Schicht- stufe im Vorland der Schwäbischen Alb tritt auf Furtwangen/Schönwald Furtwangen/St. Georgen St. Georgen Villingen 233


der Ostbaar der harte Arietenkalk im untersten Schwarzen Jura hervor mit Bergen wie dem Türn- leberg (793 m) bei Schwenningen oder dem Kapf (798 m) bei Bad Dürrheim (Waldcafé). Weshalb man in Blumberg noch heute Haifischzähne entdecken kann Eine Besonderheit der Entstehung von Ber- gen sind Vulkane. In nächster Nähe sind hier der Blaue Stein (844 m) bei Riedöschingen oder der Wartenberg an der Kreisgrenze zu Tuttlingen zu nennen. Diese nördlichsten Hegauvulkane sind nicht deshalb so mar- 234 Blick auf den Eichberg bei Blumberg mit der Hegaulandschaft im Hinter- grund, die vulkanischen Ursprungs ist. Die Hegau vulkane waren vor gut zehn Millionen Jahren aktiv. Zu dieser Zeit befanden sich Blumberg und die Baar in etwa auf Höhe des Meeresspiegels. So kommt es, dass man in den Strand- sedimenten aus Muschelschalen sogar Haifischzähne finden kann. Auf der Kuppe des Eichbergs ist in der Mitte der auf 912 Meter Höhe gelegene Eichstutz zu erkennen, von wo aus sich Drachenflieger zu teils 200 Kilometer langen Flügen in den Schwarzwald oder die Schwäbische Alb aufmachen. Berge im Schwarzwald und auf der Baar


kant, weil sie über die heutige Umgebung herausgewachsen sind, sondern weil die harte Gesteinsfüllung des Vulkanschlotes gegenüber den verhältnismäßig weichen Gesteinen der Umgebung herausgewittert ist. Die eigentlichen Vulkane waren vor über 10 Millionen Jahren aktiv und sind längst ab- getragen. Zu der Zeit befand sich die Baar noch etwa auf Höhe des Meeresspiegels, was man daher erkennt, dass im Bereich von Blumberg etwa gleichaltrige Strandsedimente aus Mu- schelschalen anzutreffen sind, in welchen sich sogar Haifischzähne finden lassen. Nicht immer sind auf der Bergspitze die härtesten Gesteine anzutreffen wie an den eindrucksvollen Günterfelsen (1.132 m) am Brend oder an den fast alpinen Schlossbergfelsen bei Gremmelsbach. Auf dem markanten und schroff ins Wutachtal abfallenden Gipfelplateau des Eichberg bei Blumberg sind über fünf Millionen Jahre alte Flussschotter der Vorgänger-Donau zu finden – einer Zeit, in der die Aare noch zur Donau hin floss. Von Aselfingen erhebt sich gratartig das Harteck über 200 Meter über dem Tal. Am höchsten Punkt ist ein kleines Plateau, auf dem in den 1960er-Jahren sogar Kies abgebaut wurde. Hier floss die „Urdonau“ noch vor 30.000 Jahren, bevor sie zur Wutach hin abgelenkt wurde. Eine deutlich kürzere Entstehungsgeschich- te haben die Müllberge, die vor allem Ende des Berge im Schwarzwald und auf der Baar 235


Vollmondnacht – keltischer Grabhügel auf dem Villinger Magdalenenberg. Stangen wie die hier neu angebrach- ten dienten zur Keltenzeit als Peilungspunkte für die Mondwende – so die Annahme der Forscher. vorigen Jahrhunderts aufgeschüttet wurden. Die größten sind die Erddeponie Bärental zwi- schen Villingen und Schwenningen, die Deponie Tuningen und die Deponie Hüfingen. Bereits an ihrer Form ist erkennbar, dass sie nicht natürli- chen Ursprungs sind, auch wenn sie sich nach abschließender Rekultivierung besser in das Landschaftsbild eingliedern werden als heute. Keltische Grabhügel am Magdalenenberg und die 1.000 Jahre alte Martinskapelle Zu allen Zeiten und in allen Ländern haben Ber- ge für die Menschen eine besondere Rolle als Kultstätten gespielt. Außerdem hatten Berge immer eine strategische Bedeutung, sie dienten zu Wehrzwecken oder nur als Aussichtspunkt. Die wohl eindrucksvollsten frühzeitlichen Be- lege der Baar sind die keltischen Grabhügel auf dem Villinger Magdalenenberg. Im Mittelalter stand dort eine der Heiligen Magdalena geweih- te Kapelle, die dem Hügel den Namen gab. Viel- leicht glaubte man früher, oben auf Bergen dem Blick zum Wartenberg und ein künstlicher Berg, die in der Rekultivierung befindliche Deponie Hüfingen. 236 Berge im Schwarzwald und auf der Baar


Das „Kapstadt“ der Baar – Fürstenberg mit dem typischen Tafelberg. Majestätisch erhebt sich der Fürstenberg über die sanfte Baar. Rechts: Berggottesdienst an der Kardinal-Bea-Kapelle. Himmel und damit Gott ein Stück näher zu sein – das Gefühl über allem zu stehen, erleben auch heute viele Menschen auf Bergen. Die wahr- scheinlich über 1.000 Jahre alte Martinskapelle ist eine der ältesten Bergkapellen im Kreis. Der wohl in der gesamten Region ge- schichtsträchtigste Berg ist der Fürstenberg. Auch hier zeugen keltische und römische Funde von einer früheren Vergangenheit, bevor der „vorderste Berg der Länge“ zum Fürstenberg – zum Stammsitz der Fürstenberger wurde. Der Schutz, den der Berg nach allen Seiten bot, war wichtiger als die zahlreichen Nachteile, die das Leben auf einem höheren Berg im Mittelalter beschwerlich machten. Heute zeugen nur noch die begehbaren Ringanlagen am Rand des Bergplateaus davon. Noch lange nachdem der Adel abgezogen war, war die Hochfläche besiedelt: mit dem Städt- chen Fürstenberg, das im Jahr 1841 abgebrannt ist. Die Kardinal-Bea-Kapelle ist das einzige Ge- bäude heute. Dort findet traditionell zum jähr- lichen Bergfest im August ein Berggottesdienst statt (Foto oben u. rechts). Eine der schönsten Bergkapellen, die Martinskapelle im Katzensteig bei Furtwangen. Berge im Schwarzwald und auf der Baar 237


Weitere, weniger bedeutende Adelsge- schlechter der Baar, und damit teilweise auch heutige Ortsnamen, sind nach Burgen bzw. Bergen benannt: Blumberg, Schellenberg, War- tenberg, Burgberg (Königsfeld) oder Hornberg (nach Althornberg bei Gremmelsbach). Bergig, aber auch sonnenreich Triberg liegt zwar nicht auf dem Berg, ist aber durch die eingeschnittene Tallage eine der bergigsten Städte in ganz Deutschland. Dem Namen nach ist Triberg von drei Bergen umge- ben: dem Kapellenberg, dem Kroneck und dem Wasserfallberg bzw. Sterenberg. Betrachtet Die Stadt Triberg liegt mit ihrem Kern auf einer Höhe von ca. 670 Metern – „tief im Tal“ zwischen drei Bergen. Je nach Perspektive ist aus der Luft nur das rund 840 Meter hoch gelegene Neubaugebiet Sonnhalde auszumachen. St. Georgen hingegen (Mitte oben) liegt deutlich hö- her und „thront“ auf der 966 Meter ho- hen, sonnenreichen Hochwalder Höhe. Blick auf den Bad Dürrheimer Ortsteil Öfingen mit Lupfen (Mitte rechts) und Himmelberg (angeschnitten ganz rechts). 238


St. Georgen im Schwarzwald, im Vor- dergrund unten der Klosterweiher. Im Hintergrund das Gebiet Fohrenbächle. man die Berge links und rechts der Wasserfälle als getrennte Berge, müsste Triberg eigent- lich Quattroberg heißen. In Tri- berg gibt es auch einen echten Bergsee – nämlich den „Bergsee“. St. Georgen ist die Bergstadt schlechthin – nicht nur aufgrund der Höhenlage (Rathaus: 862 m), sondern weil sie tatsächlich auf einem nach Süden geneigten Berg liegt – daher auch „sonnige Bergstadt“. Mit 870 m liegt das Rathaus von Furtwangen noch ein paar Meter höher. Aber beide Städte eint das Prädikat, dass beide jeweils von sich behaupten können, dass keine andere so gro- ße Stadt in Deutschland so hoch gelegen ist. Das gilt übrigens auch sowohl für Villingen-Schwen- ningen sowie für die Gemeinde Schönwald. Es gibt aber auch noch ei- nige Dörfer im Landkreis, die man fast als Bergdorf bezeich- nen kann: Öfingen mit dem traumhaften, seit Kachelmann fernsehberühmten Blick auf die Baar, Randen(dorf), ganz auf der Bergkuppe, Buchenberg an den sanften Berghängen gelegen, Neukirch wie ein Adlerhorst über den dunklen Waldschluchten des Schwarzwaldes um Furtwangen und natürlich der bereits erwähn- te Ort Fürstenberg. In den langgestreckten, ost- west-verlaufenden Tälern des Schwarzwaldes wie in Urach oder Berge im Schwarzwald und auf der Baar 239


Schwarzwaldidylle in Urach. An den warmen Südhängen befindet sich in solchen Schwarzwalddörfern immer der Sommerberg – rechts der stets kühlere Nordhang. Linach hat man es sich mit der Namensgebung der Berge leicht gemacht: die warmen Südhän- ge heißen hier Sommerberg und die weniger besiedelten, kühleren Nordhänge Winterberg. Eine „Alm“ mit blumenbedeckten Weiden Was verbindet man noch mit Bergen? Beispiels- weise vom Unterleimgrubenhof in Gütenbach gibt es echten Bergkäse. Die Bergwiesen liegen über 1.000 m Höhe. Auch wenn es in dieser Hö- he noch keine klassischen Almen gibt, so gibt es an steilen Wiesenhängen vielfach noch Wei- dewirtschaft um die Bergbauernhöfe herum. Oberhalb vom Schänzlehof am Rohrhardsberg hat man den Eindruck auf einer richtigen Alm zu sein. Hier bieten sich einem blumenbedeckte Weiden, unterbrochen von großen Findlingen, und bei gutem Wetter ein Tiefblick in die Rhein- ebene bis zum Straßburger Münster. Auf den Anhöhen im Schwarzwald liegen Berghöfe und Hütten verstreut. In manche da- von kann man einkehren wie zum Beispiel in den Landgasthof Berghof bei Gremmelsbach, das Höhengasthaus zur Staude, den Bergwald- hof in Schonach, in das Gasthaus Kolmenhof oder in den Berggasthof Brend. Besonders urig sind zum Beispiel die Berg hütten und Vesper- stuben Schwedenschanze am Rohrhardsberg oder die Bergvesperstube Hintereck in Güten- bach. Also: Berg Heil und fröhliche Einkehr! Rechte Seite: Der Brend in Furtwangen, wo neben dem Aussichtsturm ein Berggasthof zu finden ist. 240 Berge im Schwarzwald und auf der Baar


Berge im Schwarzwald und auf der Baar 241


Wo die Donau zur Hälfte herkommt Die Brigach entspringt im Keller des Hirzbauernhofes bei St. Georgen von Roland Sprich 242 11. Kapitel – Die Brigachquelle


Der Hirzbauernhof in Brigach bei St. Georgen bietet eine Idylle wie aus dem Schwarzwaldbilder- buch. Mit seinem tief heruntergezogenen Dach, inmitten saftig grüner Weiden auf geschwungenen Hügeln, auf denen Kühe genüsslich grasen und umgeben von dunklen Schwarzwald tannen. Vor dem Hof ein kleiner Fischteich, auf dem in den Sommermonaten die Kinder der Feriengäste mit einem kleinen Floß fröh- lich herumschippern. Auf den ersten Blick unterscheidet sich der 500 Jahre alte Schwarzwaldhof kaum von den an- deren Höfen im Schwarzwald. Und doch legen hier nahezu täglich Menschen aus aller Welt einen Stopp ein: Im Keller des Bauernhofes der Familie Heinzmann entspringt die Brigach, die zusammen mit der Breg den zweitlängsten Fluss Europas hervorbringt, die Donau. Das ist einzigartig. Nirgendwo sonst auf der Welt entspringt ein Fluss im Keller eines Bauernhauses. Dabei ist der eigentliche „Geburtsort“ der Brigach wenig spekta- kulär: Es ist ein mehr oder wenig starker Wasserstrahl, der aus einem Rohr in der Kellerwand heraussprudelt. Damit nicht jeder Besucher, der die Brigachquelle sehen will, bei Heinzmanns klingeln und um Einlass in den Keller bitten muss, hat der Schwarzwaldverein die Brigachquelle mittels einer Drainage schon vor langer Zeit ins Freie verlegt. Wo die Donau zur Hälfte herkommt 243 Aus dem Keller des Hirzbauernhofes hinaus in die Welt: Die Brigach ist der einzigste Fluss dieser Er- de, der im Keller eines Bauernhofes entspringt.


Beate und Hansjörg Heinzmann vor ihrer Brigachquelle. Rechts: Nachbildung eines mutmaßlich 2.000 Jahre al- ten Reliefsteins, der nach Ansicht mancher Historiker der Rest eines Quellheiligtums darstellen könnte. Die Familie Heinzmann: Bewahrer der Brigachquelle Auf den ersten Kilometern legt das Quellflüss- chen bereits ordentlich zu: Fließt die Brigach zunächst noch unscheinbar zwischen Büschen und Feuchtwiesen hindurch, führt sie wenige Kilometer später bereits so viel Wasser, dass sie den 30.000 Quadratmeter großen Kloster- weiher in St. Georgen speisen kann, bevor sich der Bach auf den Weg in Richtung Villingen und dann durchs Brigachtal nach Donaueschingen macht. Dort bildet die Brigach 40 Kilometer von der Quelle entfernt mit dem mündungsfernsten Quellfluss, der Breg, bei Donaueschingen die Donau. Doch zurück zur Brigachquelle – auf dem Hirzbauernhof. Landwirt Hansjörg Heinzmann, der den Hof gemeinsam mit seiner Frau Beate umtreibt, ist wie schon seine Vorfahren der Bewahrer der Brigachquelle. Und er gibt täglich mindestens einmal Auskunft. „Manchmal kom- men zwei Leute, manchmal sind es hundert“, sagt er und lacht. Viele Besucher kommen aus den Ländern, durch die die Donau fließt. „Öster- reicher kamen schon immer, seit die Grenzen offen sind, kommen jedes Jahr Besucher aus Ungarn, der Slowakei, und Rumänien“, erzählt Hansjörg Heinzmann. Von den Bewohnern der Länder, durch die die Donau fließt, wird der Fluss geradezu verehrt. Wer es sich leisten kann, besucht einmal im Leben den Donauursprung und die Quellen. Allerdings stellen sich manche Besucher die Entstehung der Donau spektakulärer vor. „Einigen Leuten sieht man die Enttäuschung schon an, wenn sie sehen, wo ihre stolze Donau herkommt“, schmunzelt der Landwirt. Vor al- lem in diesen Sommermonaten. Da tröpfelte die Quelle an manchen Tagen nur. Im August lag die Steineinfassung aufgrund der anhaltenden Trockenheit zeitweise sogar vollständig trocken. Ein 2.000 Jahre alter Reliefstein? Steht man vor der aus Buntsandstein gefer- tigten Einfassung der Brigachquelle fällt der Blick auf eine Reliefsteinplatte, ebenfalls aus Buntsandstein, auf der ein Hirsch, ein Hase und ein Vogel sowie drei Köpfe zu erkennen sind. Entdeckt wurde der 56 mal 27 Zentimeter große Reliefstein 1898/99, als der damalige Hirzbauer Johann Georg Heinzmann das Küchengewölbe erneuerte. Ohne sich der Bedeutung des Fundes be- wusst zu sein, stellte er den Reliefstein auf die Quellfassung vor dem Haus, wo er 1914 von einem Historiker entdeckt und fotografiert wurde. Nach dem Krieg schenkte der Hirzbauer 244 Die Brigachquelle


dem Historiker den Originalstein, der heute im Lapidarium der Stadt St. Georgen zu sehen ist. An der Brigachquelle prangt ein Duplikat. Historiker beschäftigt der Reliefstein seit langem: Sie bescheinigen diesem Relief einen keltischen oder römischen Ursprung. Der Stein, so die Annahme der Historiker, könnte der Rest eines Quellheiligtums mit Göttersymbolen sein und wird auf 2.000 Jahre geschätzt. Andere His- toriker sind jedoch der Ansicht, dass der Relief- stein keinerlei Bezug zur Brigachquelle hat und von auswärts stammen müsse. Nicht die Quelle, aber dennoch bedeutend! Den bis heute andauernden Streit um die wahre Quelle der Donau brachen die Gelehrten be- reits im 16. Jahrhundert vom Zaun. 1544 setzte sich der Kosmograph und Humanist Sebastian Münster, der später den 100 D-Mark-Schein Brigachquelle mit Hirzbauernhof. zierte, zunächst für die heute als historische Donauquelle geltende Schlossquelle in Donau- eschingen als Donauquelle ein. Sechs Jahre spä- ter widersprach der Freiburger Professor Hein- rich Loriti Clareanus dieser Ansicht und trat für die Quellflüsse Brigach und Breg ein. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts suchte Kaiser Marsigli, von Kaiser Josef I. beauftragt, nach der Quelle der Donau – und erklärte die Breg als die am wei- testen entfernte Quelle auch zur Donauquelle. Die Brigach ist ein Quellfluss der Donau – als „Do nau quelle“ aber wurde sie nur gelegentlich und wenn doch, dann unter lokalpatriotischen Vorzeichen bezeichnet. So 1719 durch Vikar Breu n inger in seinem Buch „Die Ur-Quelle des Weltberühmten Do nau stro mes“. Um die Jahr- hundertwende hat man in Brigach außerdem eine kolorierte Ansichtskarte des Hirzbauern- hofes mit der Aufschrift „Do nau -Ur sprung“ ver- trieben. Auch auf einer Karte des Herzogtums Württemberg aus jener Zeit ist die Brigachquel- le als „Fons naturalis“ (natürliche Donauquelle) verzeichnet. Seitdem darf die Brigach einfach die Brigach sein – der zweite Quellfluss der Donau, aber keineswegs unbedeutend. Wo die Donau zur Hälfte herkommt 245


Rumänische Donau-Gedenktafel und die Brigachquelle im Luftbild. Die Bevölkerung begegnet dem immer wie- der neu aufkeimenden Quellenstreit salomo- nisch und prägte das Verslein, das noch heute viele Kinder in der Schule lernen: Brigach und Breg bringen die Donau zuweg. Rumänische Gedenktafel Wenngleich die Brigachquelle durchaus ein touristischer Anziehungspunkt ist, wird sie weder von der Stadt St. Georgen noch vom Verkehrsverein über Gebühr vermarktet. Das ist dem Hirzbauer einerseits nicht unrecht, der für sich selbst keine Vorteile sieht, die Brigach- quelle in seinem Haus zu haben. Immerhin, in das Konzept der Klosterweiherrundwege ist die Brigachquelle mit einbezogen. Alle paar Jahre steht die Brigachquelle dann doch im öffentlichen Licht: Neben der Quelle prangt, an einem Stein befestigt, eine Gedenk- tafel rumänischer Geologen. „Die rumänische Delegation wollte die Gedenktafel ursprünglich an der Donauquelle in Donau eschingen anbrin- gen, durfte das aber nicht. Da sind sie hierher- gekommen“, schildert Hansjörg Heinzmann. Seitdem kommen immer wieder rumänische Besucher und Abordnungen. 2007 fand zudem der erste (und bislang einzige) Donau-Staffellauf statt: Eine Gruppe Profiläufer starteten an der Breg- und an der Brigachquelle und nahmen je eine Flasche Was- ser von den Quellen mit. In Donaueschingen war der offizielle Start, und nach knapp zehn Tagen erreichten die Läufer den Ort Tulcea in Rumänien, dort wo die Donau ins Schwarze Meer mündet. Damit war das Wasser immerhin um einiges schneller im Schwarzen Meer, als wenn es den „regulären“ Weg durch die Donau genommen hätte. Dort ist das Wasser rund drei Monate unterwegs, bis es das Meer erreicht hat. Besonderheiten kann man als Besitzer der Brigachquelle immer wieder neu erleben. Ein- mal ist ein Abenteurer an der Brigachquelle mit einem Holz-Laufrad zu einer Donauradwege- tour gestartet. Und 2008 veranstaltete der Ver- ein für Heimatgeschichte ein Brigachquellfest, um die Bedeutung der Quelle hervorzuheben. Damals kündigte der Verein auch an, die Bri- gachquelle künftig besser werbewirksam zu vermarkten. Claudio Magris: „So viel Ruhe ist hier“ Fasziniert von der Brigachquelle zeigte sich auch der in jüngerer Zeit wohl mit populärste Besucher der Brigachquelle, der italienische Literat Claudio Magris. Sein Buch „Donau – Biografie eines Flusses“ ist ein Welterfolg geworden. Über die Brigachquelle schreibt er: „Die unauffällige Hin- weistafel spricht nicht von der Donau, es ist ein ruhiger Ort an einer großen Wiese, in einer fried- lichen Atmosphäre. Einen Gasthof gibt es hier nicht, nur eine Bank, die, wie die Inschrift erklärt, von der Landesbausparkasse gestiftet worden ist. 246 Die Brigachquelle


Weihnachtszauber beim Hirzbauernhof. Die kleine Quelle entfließt dem Erdreich und So viel Ruhe ist hier, ein sanfter, frischer mündet in einem kleinen Tümpel, auf dessen Grund ein Eisenrohr das Wasser sammelt, es wiederum unter der Erde entlangführt und es we nige Meter weiter abermals entspringen lässt, von wo aus es bergab fließen kann. Auch in diesem Falle würde ein geringfügiger Scha- den an dem einfachen Eisenrohr die Physiogno- mie der Donau verändern… Wind kommt auf, als wolle er daran erinnern, wie das Leben auch sein könnte, ein gespanntes Segel, und hinter ihm eine Spur von Schaum und Gischt.“ Es ist jedenfalls eine schöne Vorstellung, dass der Wasserstrahl im Keller des Hirzbauernhofes zusammen mit der Breg die stolze Donau hervor- bringt, die sich durch zehn Länder schlängelt. Wo die Donau zur Hälfte herkommt 247


Wildobstbäume Baumserie Teil 10 von Wolf Hockenjos Für seine Obstbäume, gar für obstkulturelle Vielfalt ist der Schwarzwald-Baar-Kreis nicht eben bekannt, dafür ist sein Klima zu rau. Allenfalls Mostobst hatte in den Streuobstgürteln um die alten Siedlungskerne eine Chance gegen die Fröste, mit denen rund ums Jahr in der Kaltluftwanne der Baar zu rechnen ist. K ein Wunder, dass hier auch die Existenz von Wildobst kaum wahrgenommen wird. Wäre der Wildapfel (Malus sylvestris L.) nicht zum Baum des Jahres 2013 gekürt worden, hätte wohl, von wenigen Spezialisten abgesehen, kaum noch jemand von ihm Notiz genommen. Wildapfel und Wildbirne, zur botanischen Fa- milie der Rosengewächse zählend, gehören mittlerweile landesweit zu den seltensten Baumgewächsen; dementsprechend bescheiden ist auch ihr Bekanntheitsgrad. Zumal sie auch zur Bastardisierung mit Kultursorten neigen. Der „Rosenbaum“ in Tannheim Da ist es umso erstaunlicher, dass ausgerechnet die Baar noch stattli- che Exemplare von Wildapfel- und Wildbirnenbäumen vorweisen kann. Vermutlich hat gerade der fehlende Obstbau dazu geführt, dass hier sogar noch besonders reinrassige Wildapfelbäume erhal- ten geblieben sind. Der prächtigste steht, unter den Einheimischen besser bekannt als Rosenbaum, auf Gemarkung Tannheim – in einem Gewann, das in den Katasterkarten nachweislich schon seit 1747 Rosen- baum heißt. Was dafür spricht, dass hier schon damals ein bemerkens- wertes Exemplar gestanden haben muss und dass der heutige Baum mit seinem Stammumfang von 2,80 m womöglich als Stockaus- schlag aus jenem hervorgegangen ist. Hätte nicht die 2014 allzu früh verstorbene Tannheimer Ortsvor- steherin Helga Eilts den Rosenbaum wie ihren Augapfel gehütet und mit einem Bretterzaun umgeben, wäre er in der flurbereinigten Feldflur wohl längst als ebenso sperriges wie lästiges Hindernis für die Feldbestel- lung beseitigt worden. Oft genug waren ihm zuvor die Landwirte zu Leibe gerückt, um ihm den ein oder anderen Ast seiner weit ausladen- den Krone zu kappen. So hat sich in seinem Wurzelwerk, ausgelöst durch Infektion der Wunden, auch bereits der schädliche Hallimasch pilz einnisten können. Dennoch pflegt er noch jedes Frühjahr zu blühen, und im Spätjahr bis in den Winter hinein tun sich die Rehe aus dem angrenzenden Plattenmoos an den Im Tannheimer Gewann Rosen- baum – einsamer Wildapfelbaum in ausgeräumter Feldflur. 248 Umwelt und Natur


12. Kapitel – Umwelt und Natur 249


Links: Wildapfelblüte. Rechts: Wildbirnenblüte. kleinen Äpfelchen gütlich. Für den menschlichen Verzehr gelten sie als ungeeignet, bestenfalls taugten sie als Mostzusatz. Wildäpfelchen Unscheinbare Äpfelchen als Erkennungsmerkmal Was freilich nicht immer schon so gewesen sein muss: So entdeckten die Archäologen im Schlick unter den Pfahlbauten des Bodensees reichlich Wildapfelkerne. Mag sein, dass die steinzeitlichen Siedler noch speziellere Zubereitungsarten kann- ten, ehe es gelang, den Apfel durch züchterische Erfolge genießbarer zu machen. Wildäpfel sind (wie der lateinische Namen sylvestris andeutet) Waldbäume, und sehr vereinzelt haben sie auch noch im Wald der Neuzeit überlebt, so im Überauchener Eggwald, im Weiß- wald beim Weiler Beckhofen oder im Unterhölzer Wald; nur zur Blü- tezeit fallen sie dem Waldbesucher ins Auge, ist doch das von Bienen umsummte zartrosafarbene Weiß Wildbirnchen „Würgele“ 250 der Wildapfelblüte kaum zu überse- hen. Sichere Erkennungsmerkmale sind ansonsten nur die unscheinba- ren kleinen Äpfelchen, an jüngeren Wildapfelbäumen auch die zu Dor- nen zugespitzten Kurztriebe. Selten im Wald, eher an Wald- und Wegrändern, vorwiegend jedoch in der Feldflur gedeiht der Wildbirnbaum (Pirus pyraster). Na- he Überauchen gibt es noch einige als geschützte Naturdenkmale. Im Gegensatz zu den Wildäpfeln der Baar sind sie freilich nicht reinrassig erhalten geblieben, wie genetische Untersuchungen der Freiburger Universität ergeben haben: Nur 60 Prozent sind Wildbirnen-Gene, 40 Prozent dagegen nicht bestimm- bar, da zu keiner der bekannten Birnensorten gehörend. Auch Wild- birnen zeichnen sich durch dornen- artige Kurztriebe aus. Die kleinen ungenießbaren Birnchen wurden unter den Einheimischen einst (sehr zutreffend) „Würgele“ genannt, wie der Überauchener Förster und Baumsachverständige Hans Letulé noch weiß, der sich den Schutz und Umwelt und Natur


die Erhaltung der letzten Wildobstbäume zur Lebensaufgabe gemacht hat. Man habe das Wildobst überwiegend dem Schweinefutter beigesetzt, mitunter wohl auch noch dem Most. Allerdings seien sie noch in den 1920er-Jahren von den Kindern gesammelt und im Öhmdstock so lange gelagert worden, bis sie teigig wurden und schließlich doch noch für den menschlichen Verzehr geeignet gewesen sein sollen. Die Familie der Sorbusarten Ebenfalls zur Familie der Rosengewächse und zu den Wildobstarten zählt der Botaniker die Sorbusarten, so den Speierling (Sorbus domesti- cus), auch Sperbelbaum genannt, ein Verwand- ter der Eberesche, eigentlich ein Bewohner des milderen Hügellandes. Seinen Anbau als konser- vierender Obstzusatz soll einst schon Karl der Große angeordnet haben. Feinschmecker brannten sich einen Sperbelschnaps, dessen Magenschmerzen lindernde Wirkung gerühmt wurde. Immerhin existiert am Fürstenberg eine Sperbelhalde; der Name legt nahe, dass der An- bau auch auf der Baar zumindest versuchsweise einst erfolgt sein muss. Ebenfalls eher im Hügel- land zu finden ist der Baum des Jahres 2011, die Elsbeere (Sorbus torminalis), deren Birnchen einst allenfalls als Abführmittel taugte, wovon der Name Ruhrbirne zeugt. Förster Hans Letulé hat versuchsweise im Weißwald einige Elsbeerbäu- me gepflanzt, die erstaunlich gut gediehen sind und mittlerweile auch bereits Früchte tragen. Zur Familie der Sorbusarten zählt die Mehl- beere (Sorbus aria), ein insbesondere am Alb- trauf der Baaralb häufiger Waldbaum, leicht erkennbar an den mehlig weißen Blattuntersei- ten. Dass auch ein Allerweltsbaum wie die Eber- esche, oder Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia) noch zum Wildobst gezählt wird, wird leicht übersehen. Vor allem im kristallinen Schwarz- wald pflegt sich die Pionierbaumart, durch Drosseln verbreitet, alsbald nach Kahlschlägen einzufinden, wo sie unser Auge mit dem herbst- lichen Scharlachrot ihrer Beeren erfreut. Allen Sorbusarten gemeinsam sind die gefiederten Blätter, aber auch ihre Beliebtheit bei den In- Oben: Blühende Wildbirnbäume bei Überauchen. Unten: Vogelbeere als Pionierbaumart nach Sturm- schaden. sekten, den Vögeln und vielen Wildtierarten. So erfüllen denn die Wildobstarten allesamt eine außerordentlich wichtige ökologische Funktion. Ihre Erhaltung, Förderung und Nachzucht sollte daher ein Herzensanliegen sein für jeden ökolo- gisch orientierten Forstwirt und Landnutzer. Wildobstbäume 251


252 Umwelt und Natur


Baar-Schnaps aus alten Obstsorten Ansgar Barth hat auf der Baar etliche Streuobstwiesen gepachtet und verarbeitet die Ernte zu edlen Destillaten von Stephanie Jakober Mit der Ernte von Streuobstwiesen der Baar, auf denen u. a. Birnen- und Apfel- sorten wie Öster reichische Weinbirne oder Jakob-Fischer-Äpfel wachsen, brennt Ansgar Barth edle Destillate. Das F oto zeigt eine Streuobstwiese bei Döggingen. XXX 253


Der Blick gleitet über die Gauchach- schlucht. An guten Tagen ist am Horizont sogar der Feldberg zu ent- decken. Grüne Wie- sen, Ruhe, bezau- bernde Landschaft – am Ortsrand des Bräunlinger Stadtteils Döggingen liegt eines dieser Fleckchen Erde, in die man sich sofort verliebt. So ging es auch Ansgar Barth, der hier eine Streuobstwiese gepachtet hat. Doch das kleine Idyll ist nicht der einzige Grund, die alten Obstbäume, die hier seit gut 80 Jahren stehen, haben es ihm ebenso ange- tan. Hier verbringt er viele Stunden: Baumpflege und Obsternte sind zeitintensiv, doch am Ende des Arbeitsprozesses steht der Ge- nuss. Denn der Unterbränder fängt das Aroma seiner Streuobstwiesen ein – verpackt in Flaschen als durchsichtige Flüssigkeit. Aus alten Sorten wie beispielsweise der Österreichischen Weinbirne oder Ja- kob-Fischer-Äpfeln stellt Barth Schnaps her. Vom Baum bis zum endgültigen Erzeugnis – alle Arbeitsschritte übernimmt er selbst. Beim Brennen sind Fingerspitzengefühl und Geduld gefragt Der Grundstein für seine Leidenschaft wurde bereits in der Kindheit gelegt. Aufgewachsen im Murgtal prägten nicht nur die blühenden Apfel- bäume seine Kindheit, sondern auch die Ernte und die Weiterverarbeitung des Obstes. Heute bestimmt sein Hobby einen Großteil seiner Zeit: Denn wenn auf den Streuobstwiesen der Schnee liegt, dann steht Ansgar Barth zuhause an seinem Brenngeschirr. Fingerspitzengefühl und auch Geduld sind gefragt, die Temperatur darf nicht zu schnell steigen und das eine oder andere Experiment ist nötig, bis er mit dem Ergebnis zufrieden ist: Das Klima auf der Baar ist alles andere als geeignet – und in anderen Regionen wie bei- spielsweise in der Ortenau oder am Bodensee gibt es süßeres Obst, dessen Zuckergehalt die Destillation wesentlich einfacher macht. Doch genau das ist es auch, was ihn begeistert: „Der Boden und das Klima geben dem Obst seinen Zeit für die Ernte: Ansgar Barth hat verschiedene Streuobstwiesen gepachtet, die er auch pflegt. Links: Maische ist das Grundprodukt für den Schnaps, sie besteht aus Früchten, Hefe und Enzymen. 254 Baar-Schnaps aus alten Obstsorten


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re weideten unter Bäumen, das Obst wurde zu Most, Saft und Marmelade weiterverarbeitet. In den 1950er und 1960er-Jahren begann der Nie- dergang der Streuobstwiesen. „Damals gab es sogar Geld dafür, wenn man die Bäume fällen ließ“, erklärt Barth. Heute ist die Bedeutung der Streuobstwiesen wieder ins Bewusstsein ge- rückt – der Erhalt wird vom Land beispielsweise gefördert. Doch die Bewirtschaftung ist für manch ei- nen Landwirt – vor allem, wenn er im Nebener- werb tätig ist – nicht interessant. Die Flächen sind zu klein, um sie richtig bewirtschaften zu können und die Bäume und Wiesen fordern viel Arbeitszeit. „Mittlerweile kommen sogar schon Leute auf mich zu, die mir ihre Wiesen zur Verpachtung anbieten“, sagt Barth. Schließlich haben beide Seiten etwas davon: Der Besitzer, weil er weiß, dass sein Stück Land in guten Händen ist und Ansgar Barth hat Obst, das er zu Schnaps weiterverarbeiten kann. Barth blickt auf einen Baum: Jakob-Fischer- Äpfel hängen an den Ästen. Bald ist es Zeit für die Ernte. Zwischen 100 und 250 Kilo Obst ist pro Baum zu rechnen. Und es ist ein gutes Jahr für diesen Baum. Auch die Öxle-Zahl, die Barth regelmäßig kontrolliert, ist vielversprechend. Aber: „Es ist auch ein Stück weit Liebhaberei.“ Denn aus zwei Zentnern Äpfel werden 100 Liter Maische, das Grundprodukt für die Schnaps- brennerei. Drei bis vier Wochen muss das Obst mit Reinzuchthefe und Enzymen in einer geschlossenen Tonne gären. Dann erst wird das Brenngeschirr angeheizt und die Maische weiterverarbeitet. Am Ende werden wohl von 100 Litern Maische rund sechs Liter trinkbarer Alkohol verbleiben. Das Brennen muss fünf Tage zuvor angemeldet werden Nicht nur Birnen und Äpfel verarbeitet Ansgar Barth zu Schnaps, auch Pflaumen-, Kirschen- und Schlehen- schnäpse entstehen. typischen Geschmack.“ Gerade die alten Sorten, die auf seinen Wiesen zu finden sind, sorgen für das besondere Aroma. Und mit der richtigen Leidenschaft, einem guten Fingerspitzengefühl, dem richtigen Riecher und viel Arbeit sind die Baaremer Obstsorten dann auch konkurrenzfä- hig mit klimaverwöhnten Regionen. Dass die Produkte aus dem eigenen Bestand oder eben von gepachtetem Land stammen, ist aber auch eine Voraussetzung, überhaupt Schnaps brennen zu dürfen. Grundlage ist das Brennrecht für Stoffbesitzer, das eigentlich jeder in der Region hat. „Ich darf nur eigenes Obst und Wildobst verwenden.“ Doch nicht in ganz Deutschland ist das so, sondern nur in Gegenden, in denen von 1908 bis 1915 Brannt- wein von Stoffbesitzern hergestellt wurde. Das sind im Wesentlichen die Obstanbaugebiete in Süd- und Südwestdeutschland. Früher war hier das Brennen weit verbreitet, heute machen es nur noch wenige. „Im Schwarzwald-Baar-Kreis ist kaum mehr jemand aktiv“, erklärt er. Wer seine Streuobstwiese beseitigte, bekam Geld vom Staat Das ist allein schon an der Geschichte der Streuobstwiesen abzulesen: Früher waren sie in die landwirtschaftliche Kette eingegliedert. Tie- Doch bis es so weit ist, muss nicht nur das Destil- lieren wachsam beobachtet werden. Auch die gesetzlichen Bestimmungen sind zu befolgen: ,,Ich muss fünf Tage im Vorfeld beim Hauptzoll- amt in Stuttgart anmelden, dass ich brennen werde“, sagt Barth. Nicht nur der Tag muss 256 Umwelt und Natur


Oben: Ansgar Barth erhitzt in der Brenn- blase die Maische, so dass Alkohol und Aro- men verdampfen. Unten links: Ein dünner Strahl schießt aus dem Rohr: Nur wenn Ansgar Barth Vor-, Mittel- und Nachlauf sauber von- einander trennt, ist der Schnaps perfekt. Unten rechts: Kleine Geruchsprobe: Schon jetzt erkennt man, ob das Destillat wirklich gut geworden ist. mitgeteilt werden, sondern auch die Menge an Maische und die Obstsorte müssen angemeldet werden. Schummeln geht nicht, denn jederzeit kann ein Beamter vor der Türe stehen und kon- trollieren, ob alles seine Richtigkeit hat. Oft experimentiert Barth: Zibarte – eine Un – terart der Pflaume – oder auch mal Vogelbeeren werden eingesetzt. Dabei sind erneut Finger- spitzengefühl und feine Geschmacksnerven gefragt. Meist braucht es mehrere Versuche, bis ihm das Ergebnis auch wirklich mundet. Denn es kommt auf vieles an: Die Zibarten wurden beispielsweise extrem spät geerntet, zu einem Zeitpunkt, als der Baum kaum noch Laub hatte und die Früchte schon Rosinen glichen. Dadurch sind sie hoch zuckerhaltig, die Ausbeute ist deshalb wesentlich geringer, aber das Aroma umso besser. In dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahren einiges gewandelt. Früher galt das Schnapsbrennen oft als Resteverwertung, heute wird extrem auf Qualität geachtet. Früher hat man die Obstreste zu Obstler verarbeitet, heute wird auf sortenreine Brände gesetzt. Es bedarf viel Leidenschaft und Zeit – aber dann sind auch die Baaremer Obstsorten kon- kurrenzfähig. Und ganz nebenbei werden au- ßerdem idyllische Streuobstwiesen wie die in Döggingen erhalten. Baar-Schnaps aus alten Obstsorten 257


von Thomas Kring Wald-, Trocken- und Feuchtlebensräume sollen für den Arten- und Biotop- schutz sowie den Biotopverbund verbessert und gesichert werden – so lautet das zentrale Ziel des Naturschutzgroßprojektes Baar. Das Projekt des Schwarzwald-Baar-Kreises wird vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums und dem Ministerium für Ländlichen Raum und Ver- braucherschutz zu 90 Prozent gefördert. Warum ist die Baar so wertvoll? Dass die Baar und die angrenzenden Gebiete aus naturschutzfachlicher Sicht so abwechslungs- reich und wertvoll sind, hat seine Gründe. Sie stellt den Übergangsbereich vom Schwarzwald im Westen zur Schwäbischen Alb im Osten dar. Hier sind fast alle Gesteinsschichten des Süd- Baar – Schwarzwald ca. 880 m + NN Baar – Gäuplatten G A u h a : e l l e u Q 258 ca. 700 m + NN ca. 770 m + NN Fließerden / periglaziale Deckschichten Grundgebirge Buntsandstein Unterer Muschelkalk Mittlerer Muschelkalk Oberer Muschelkalk


westdeutschen Schichtstufenlandes vertreten, was dazu führt, dass entsprechend der vielfältigen Geologie ein Mosaik aus sehr unterschiedlichen und stellenweise kleinräumig wechselnden Böden entstand (s. Abb. u.). So konnte sich die vorhande- ne große Arten- und Biotopvielfalt entwickeln. Das Vorkommen von seltenen Biotopen und der vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten schlägt sich in der Ausweisung von Schutzge- bieten nieder. Neben geschützten Biotopen und Naturschutzgebieten gibt es auch NATURA 2000-Gebiete (FFH- und Vogelschutzgebiete), den Naturpark Südschwarzwald und diverse Landschaftsschutzgebiete. Internationales „Drehkreuz“ für den Biotopverbund Die Baar und die Baaralb verbinden die Wälder und Trockenlebensräume des Schwarzwaldes, der Schwäbischen Alb, des Alpenvorlandes und der Schweiz miteinander. Gleiches gilt auch für die Moore, Feuchtlebensräume und die Fließ- gewässer. Baar und Baaralb können deshalb als wichtiges nationales und internationales „Drehkreuz“ für den Biotopverbund bezeichnet werden. Diese Bedeutung ist für viele Lebens- räume und Artengruppen belegt und hat ihre Ursache in dem zum Teil kleinflächigen Mosaik Riedbaar Baar – Albvorland Niedermoor Auenlehme / holozäne Abschwemmmassen Baaralb ca. 890 m + NN Hangschutt Malm (Weißer Jura) ca. 680 m + NN Unterkeuper ca. 740 m + NN Mittelkeuper Lias (Schwarzer Jura) Ölschiefer (Lias) Dogger (Brauner Jura) Opalinuston (Dogger) 259


aus unterschiedlichen Lebensräumen, die als Trittsteine und Korridore dienen. Eine wichtige Verbundachse der Wald- gebiete des Schwarzwaldes und am Trauf der Schwäbischen Alb verläuft zum Beispiel über die Wälder des Wutachgebietes und der Baaralb. Dies spiegelt sich ebenso im General- wildwegeplan Baden-Württemberg wider, der potenzielle Verbund- und Wanderachsen für Großsäugetiere aufzeigt. So wird dem Korridor über den Stoberg, Eichberg, Buchberg und die Jungviehweide mit Knotenpunkten zu Achsen in die Schweiz nationale beziehungsweise inter- nationale Bedeutung zugewiesen (siehe dazu die Abbildung unten). Auf der Baar sind die Einzugsgebiete des Rheins und der Donau eng miteinander verzahnt. So entwässert beispielsweise das Schwenninger Moos nach Norden in den Neckar und damit in den Rhein. Nach Süden fließt aber auch ein Teil des Wassers, das über den Tal- bach und die Brigach in die Donau gelangt. Im Bereich des Zollhausriedes bei Blumberg fließt ebenso ein Teil des Wassers über die Wutach zum Rhein, wohingegen der andere Teil aus der Aitrach in die Donau fließt. Diese Verzahnung wird deutlich bei einem Blick auf den Verlauf der Europäischen Hauptwasserscheide (siehe Karte links unten), die zum Beispiel zwischen Villingen und Schwenningen verläuft. Die Baar befindet sich zwischen den Höhen des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb, die beide über 1.000 m ü. NN Höhe erreichen. Zwischen diesen Höhenzügen bündeln sich Achsen für den Vogelzug. Insgesamt 25 Zugvo- gelarten, die gemäß Roter Liste Deutschlands vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet sind, nutzen die ausgedehnten Riedflächen und Gewässer regelmäßig als Rast- plätze. Hervorzuheben ist dabei der Überwin- terungsplatz der Kornweihe (Circus cyaneus) im Fördergebiet Birken-Mittelmeß. Bedeutung als Refugialraum im Klimawandel Klimasensible Tier- und Pflanzenarten werden wegen des Klimawandels und den damit ein- hergehenden Veränderungen ihrer Lebensräu- me in die Höhe oder nach Norden ausweichen. Aufgrund der Höhen- und Muldenlage der Baar wird sich das Klima hier aber voraussichtlich Links oben: Ausschnitt aus der Karte des General- wildwegeplans Baden-Württemberg. Grün: Wildtier- korridore internationaler Bedeutung, gelbe Punkte: Knotenpunkte. Diese Achsen wurden anhand der Be- deutung für landlebende Säugetiere mit Lebensraum- schwerpunkt im Wald ermittelt beziehungsweise geprüft (NGP Baar/Datengrundlage: FVA). Links unten: Die Europäische Hauptwasserscheide stellt die Grenze zwischen dem Einzugsgebiet des Rheines und der Donau dar (NGP Baar). 260 Umwelt und Natur


Die Kornweihe (Circus cyaneus) überwintert regelmäßig im Fördergebiet Birken-Mittelmeß. vergleichsweise wenig erwärmen und nicht trockener werden. Deswegen können die Baar und die Baaralb wichtige Rückzugsräume (Refu- gialräume) für klimasensible Artengruppen mit unterschiedlichsten Lebensraumansprüchen bieten. Die Wanderungen können aber nur er- folgen, wenn die von den Arten benötigten Bio- tope entsprechend miteinander, beispielsweise durch geeignete Trittsteine, verbunden sind. Besondere Lebensräume und Arten Auf der Baar gibt es eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Biotoptypen beziehungswei- se Biotoptypenkomplexen, also unterschiedli- che Biotoptypen, die kleinräumig miteinander verzahnt sind: § Hoch- und Übergangsmoore § Streuwiesen, Kleinseggenriede und tro- ckene Moorränder § Feucht- und Nassgrünland § Großseggenriede und Röhrichte § Artenreiche Tannenmischwälder der Zen- tralbaar § Lichte Eichen- und Buchenwälder und Re- likt-Kiefern-Wälder § Magerrasen und trockene Säume Jeder dieser Biotoptypenkomplexe wäre es wert, an dieser Stelle eine ausführliche Würdigung zu erhalten. Im Folgenden werden beispielhaft zwei Komplexe kurz vorgestellt. Feucht- und Nassgrünland Diese Biotoptypen finden sich innerhalb der Gebiete Bregtal, Mönchsee-Rohrmoos und Aitrachtal, aber auch im Gebiet Birken-Mittel- meß. Die feuchten und nassen Wiesen sind, wie der Name vermuten lässt, vom Wasser geprägt und, zumindest zeitweise, nass bis sehr nass. chance.natur – Bundesförderung Naturschutz Das Förderprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) „chance.natur – Bundesförderung Natur- schutz“ besteht seit 1979 und dient dem Schutz und der langfristigen Sicherung national bedeutsa- mer und repräsentativer Naturräume mit gesamt- staatlicher Bedeutung. Insgesamt wurden durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit den Mit- teln des BMUB bisher 77 Naturschutzgroßprojekte (NGP) in das Förderprogramm aufgenommen. Seit März 2013 werden Teile der Baar und der Baaralb aufgrund ihrer gesamtstaatlichen und internationalen Bedeutung für den Naturschutz, als „Naturschutzgroßprojekt Baar“ gefördert. Das Projekt ist erst das sechste und im Jahr 2016 das einzige noch laufende NGP in Baden-Württemberg. Der Projektträger Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist Initiator und Pro- jektträger des Naturschutzgroßprojektes Baar. Im Februar 2012 stellte der Landkreis den Antrag auf Förderung des NGP Baar. Nach intensiver Prüfung der Antragsunterlagen und erfolgten Ergänzungen lagen Ende März 2013 die Förderbescheide des BfN und des Regierungspräsidiums Freiburg vor. Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz im Umwelt- zentrum Schwarzwald-Baar-Neckar auf der Mög- lingshöhe (ehemaliges Gelände der Landesgarten- schau Villingen-Schwenningen 2010). Die Beteiligten Am Naturschutzgroßprojekt sind neun Kommunen im Schwarzwald-Baar-Kreis und eine weitere im Landkreis Tuttlingen beteiligt. Im Einzelnen sind das die folgenden zehn Städte und Gemeinden: Bad Dürrheim, Blumberg, Bräunlingen, Brigachtal, Donaueschingen, Geisingen, Hüfingen, Königsfeld, Mönchweiler und Villingen-Schwenningen. Naturschutzgroßprojekt Baar 261


Links: Feucht- und Nassgrünland – Auf den frisch gemähten Wiesen der Baar kann man den Weißstorch wie- der häufiger beobachten. Rechts: Magerrasen und trockene Säume sind auch am Fürstenberg zu finden. Diese Standorte bieten meist nur flachgründige Böden und sind dementsprechend wasser- und nährstoffarm. Zusätz- lich sind es oftmals steile Bereiche, die schlecht zu bewirtschaften sind. Entsprechend müssen die vorkommenden Pflan- zenarten sehr nässetolerant sein. Typisch sind hier Sauergräser, zum Beispiel Seggen, die an diese Standortbedingungen sehr gut angepasst sind. Zum Erhalt ihres naturschutzfachlichen Wertes müssen diese Flächen extensiv genutzt beziehungsweise gepflegt werden. Daher wer- den sie meist zweimal im Jahr gemäht, wobei der erste Schnitt oft im Juni und der zweite Schnitt im August oder September erfolgt. Al- ternativ findet eine einmalige Mahd in Verbin- dung mit einer späteren Beweidung statt. Die dichten und hochwüchsigen Wiesen sind sehr arten- und damit auch blütenreich. Auffällig sind dabei zum Beispiel die purpur- farbene Bach-Kratzdistel (Cirsium rivulare), die gelbblühende Trollblume (Trollius europaeus) oder die blaue Sibirische Schwertlilie (Iris sibiri- ca). Vereinzelt ist auch die seltene Schachblume (Fritillaria meleagris) anzutreffen, die tatsäch- lich wie ein Schachbrett gemustert ist. Eine auffällige Vogelart, die die Feucht- und Nasswiesen regelmäßig zur Futtersuche anfliegt, ist der Weißstorch (Ciconia ciconia). Das Braun- kehlchen (Saxicola rubetra) hingegen ist, vor al- lem aufgrund seiner geringeren Größe, deutlich weniger gut zu beobachten. Als Besonderheiten aus der Insektenwelt sind der Randring-Perlmut- terfalter (Boloria eunomia) und die Wanstschre- cke (Polysarcus denticauda) zu nennen. Magerrasen und trockene Säume Die arten- und strukturreichen Magerrasen und trockenen Säume sind oft dem eigentlichen Wald rand vorgelagert. Zu finden sind diese Bio- tope unter anderem in den Gebieten Pfaffenholz, Baar alb bei Fürstenberg und Baaralb bei Geisin- gen. Es ist oft der steiler werdende Übergangs- bereich zwischen Acker- oder Grünlandnutzung zum Wald. Meist sind diese Standorte flachgrün- dig und trocken. Bevorzugt kommen dort Arten vor, die licht- und wärmebedürftig sind. Kleinräumig wechseln in diesem Übergangs- bereich die Standortbedingungen für die Tier- und Pflanzenwelt und es sind sowohl Arten des Offen- landes als auch des Waldes anzutreffen. Deshalb sind die vorgelagerten Magerrasen und Säume 262 Naturschutzgroßprojekt Baar


FEUCHT- UND NASSGRÜNLAND 2 5 4 1 Die Sibirische Schwertlilie (Iris sibirica): Die auffällige und sel- tene Pflanze wächst vor allem in wechselfeuchten und nassen Wiesen. 2 Nur ca. vier Monate im Jahr sind die bodenbrütenden Braun- kehlchen (Saxicola rubetra) bei uns. 3 Die seltene Schachblume (Fritillaria meleagris) ist ein Lilienge- wächs und blüht von April bis Mai. 4 Die Trollblume (Trollius europaeus) ist auf Feuchtwiesen, aber auch in Bruch- und Auenwälder zu finden. 5 Auffällig ist der große sattelförmige Halsschild der Wanstschre- cke (Polysarcus denticauda), die bis zu 44 Millimeter groß wird. 6 Das Verbreitungsgebiet der Bach-Kratzdistel (Cirsium rivulare) liegt in Deutschlands Süden und in den Alpen. 7 Der Randring-Perlmutterfalter (Boloria eunomia) bevorzugt ex- tensiv genutztes Feuchtgrünland. 1 3 6 7 XXX 263


in der Regel sehr artenreich. Da der Ertrag auf solchen Flächen in der Regel gering ist, wurden diese Flächen traditionell meist nur einmal im Jahr und dann oft erst im Juli oder August gemäht. Eine Charakterart der trockenen Säume ist der Blutrote Storchschnabel (Geranium sangui- neum). Daneben kommen aber der Kreuz-En- zian (Gentiana cruciata), die Ästige Graslilie (Anthericum ramosum), das Alpenmaßliebchen (Bellidiastrum michelii) oder die Kleine Spin- nen-Ragwurz (Ophrys araneola) vor. Als herausragende vorkommende Tierarten seien die beiden Schmetterlinge Kreuzenzian- Ameisenbläuling (Maculinea rebeli) und Roter Scheckenfalter (Melitaea didyma) genannt. Ein typischer Vogel der Waldränder beziehungs- weise der Übergangsbereiche ist der Neuntöter (Lanius collurio). Vorkommen geschützter und seltener Arten Auf der Baar wurden 174 Farn- und Blütenpflan- zen der aktuellen Roten Liste und Vorwarnliste Deutschlands nachgewiesen. Darunter befinden sich 28 stark gefährdete und 95 gefährdete Ar- ten. Hinzu kommen noch 21 Arten, die deutsch- landweit als ungefährdet gelten, aber in der Ro- ten Liste Baden-Württemberg in die Kategorie 3 (gefährdet) eingestuft sind. Auf der Baar konnten in den Offenlandgebie- ten bisher 35 Arten der bundesdeutschen Roten Liste und Vorwarnliste beobachtet werden. Die Tagfalterfauna der Baar ist besonders artenreich ausgeprägt, es konnten bisher Vorkommen von 65 Arten der bundesweiten Roten Liste und Vor- warnliste dokumentiert werden, darunter auch fünf vom Aussterben bedrohte Arten. Die nebenstehende Tabelle gibt einen klei- nen Einblick in die lange Liste der seltenen vor- kommenden Arten der Baar. Die Fördergebiete Im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes Baar gibt es 17 Fördergebiete, die zusammen eine Fläche von rund 4.690 Hektar umfassen. Sie stellen gemeinsam eine Fördergebietskulisse dar, innerhalb derer Naturschutzmaßnahmen gefördert werden können. Mit dem Brigachtal ist ein 18. Fördergebiet vorgesehen, so dass sich die Fläche auf rund 4.925 Hektar vergrößern könnte. Die Fördergebiete im NGP Baar werden in Moor- und Waldfördergebiete unterschieden, was den Charakter des jeweiligen Gebietes wi- derspiegelt. So sind oder waren die Moorförder- gebiete im Untergrund, also dem Boden, von Hoch- oder Niedermoor geprägt. Sie sind mehr oder weniger stark von Wasser beeinflusst und umfassen zum überwiegenden Teil Offenland- bereiche. Es gehören aber auch Wälder, zum Bei- spiel im Plattenmoos, dazu. Zu den Waldfördergebieten gehören vor allem Wälder und Waldränder, aber in der Regel auch vorgelagerte Grünlandbestände. Wald- fördergebiete stellen keine reinen Waldbestän- de dar. Rote Liste D BW Farn- und Blütenpflanzen Strauch-Birke Rosmarin-Seidelbast Busch-Nelke Rundblättriger Sonnentau Kleine Spinnen-Ragwurz Mehlprimel Spatelblättriges Greiskraut Moose Vielblütiges Goldschlafmoos Glänzendes Filzschlafmoos Avifauna Krickente Kornweihe Wachtelkönig Grauammer Braunkehlchen Schmetterlinge Randring-Perlmutterfalter Großes Wiesenvögelchen Blauschillernder Feuerfalter 2 2 2 3 2 3 3 2 2 3 2 2 3 3 2 1 1 2 2 2 3 2 2 2 2 2 1 1 1 2 1 3 1 1 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet 264 Naturschutzgroßprojekt Baar


MAGERRASEN UND TROCKENE SÄUME 2 1 Eine Charakterart der trockenen Säume ist der Blutrote Storchschnabel (Geranium sanguineum). 2 Der Neuntöter (Lanius collurio), auch Rotrückenwürger genannt, ist bekannt dafür, dass er Beutetiere auf Dor- nen aufspießt. 3 Ein Kreuzenzian-Ameisenbläuling (Maculinea rebeli) bei der Eiablage. Die geschlüpften Larven ernähren sich von den Blütenknospen und müssen später von Knoten- ameisen gefüttert werden. 4 Die Kleine Spinnen-Ragwurz (Ophrys araneola) kommt vor allem in Trockenrasen, Halbtrockenrasen, an steinigen Hängen und gelegentlich in lichten Kiefernwäldern vor. 5 Das Alpenmaßliebchen (Bellidiastrum michelii) unter- scheidet sich vom Gänseblümchen an den Früchten: Diese sind beim Alpenmaßliebchen behaart und haben einen Pappus. 6 Die Raupe des Kreuzenzian-Ameisenbläuling ernährt sich ausschließlich von den Blüten des Kreuz-Enzians (Gentiana cruciata). 7 Sehr schön zu erkennen ist die Zeichnung der Flügelun- terseiten des Roten Scheckenfalters (Melitaea didyma): Cremefarbene Hinterflügel mit zwei orangenen Binden und einer Vielzahl von schwarzen Flecken. 8 Eine typische Art der trockenwarmen Säume ist die Äs- tige Graslilie (Anthericum ramosum). 8 265 1 4 6 7 3 5 XXX


Der Unterhölzer Weiher im abendlichen Gegenlicht. Im Bereich der Verlandungszonen bilden sich häufig Röh- richte, die für Amphibien und Vögel als Lebensraum von Bedeutung sind. Die Ziele des NGP Die folgenden zwei Leitlinien wurden für das Gesamtprojekt formuliert: § § Sicherung und Entwicklung eines klimati- schen Refugialraums außerhalb der hohen Mittelgebirgslagen Schaffung und Aufwertung von Biotop- verbundstrukturen für vertikale und hori- zontale Wanderbewegungen Die Bedeutung der Baar als Refugialraum im Zeichen des Klimawandels wurde bereits beschrieben. Die Sicherung und Entwicklung dieses Refugialraumes ist gleichzusetzen mit dem Schutz, der Verbesserung und Schaffung von Biotopen, wodurch auch der Biotopverbund gestärkt wird. Ausgehend von diesen Zielen wurden die Leit- und Zielarten ausgewählt, die zum Beispiel zu den klimasensitiven Arten ge- hören oder Indikatorarten des Zielartenkonzep- tes (ZAK) Baden-Württembergs sind. Ein „Nebenziel“ ergibt sich aus der geplan- ten Wiedervernässung von Mooren und der Ex- tensivierung der Moor- und Grünlandnutzung. Für den Moorabbau wurden die Moore entwäs- sert. Gleiches gilt auch für die Niedermoorbö- den in den Talauen, die sehr oft nur deshalb be- wirtschaftet werden können. Nach der Entwäs- serung der Moorkörper und der anschließenden land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung wird der Torf zersetzt. Dabei werden große Mengen an schädlichen Treibhausgasen, zum Beispiel Kohlendioxid und Lachgas, freigesetzt. Durch eine Wiedervernässung und Nutzungsextensi- vierung kann der Zersetzungsprozess gestoppt oder zumindest verlangsamt werden. Das weitergehende Ziel ist es aber die Moore zu neuem Wachstum anzuregen. Wach- sende Moore bilden Torf. In diesem werden Kohlenstoff und Stickstoff aus der Atmosphäre gebunden und damit klimaschädliche Gase in der Atmosphäre reduziert. Aber auch im Wald wird Kohlendioxid gebunden, weshalb sich der Erhalt von alten Wäldern ebenfalls positiv auf das Klima auswirkt. Moore und Wälder sind also wertvolle natürliche Kohlenstoffsenker. Auf den Punkt gebracht: Ziel des Natur- schutzgroßprojektes Baar ist die Stärkung des Biotopverbundes durch die qualitative und quantitative Verbesserung der bestehenden Lebensräume (Biotope) für gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig soll durch die Wie- dervernässung und Extensivierung der Moor- und Grünlandnutzung sowie durch den Schutz der Wälder ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. 266 Umwelt und Natur


Abendstimmung im Naturschutzgebiet Birkenried-Mittelmeß. Hier kommt die deutschlandweit stark gefährde- te Strauch-Birke (Betula humilis) vor. Der Ablauf Projekt II: Umsetzung des PEPL Ein Naturschutzgroßprojekt gliedert sich in zwei Teilprojekte: Projekt I: Planung – Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplans (PEPL) Der Pflege- und Entwicklungsplan für das NGP Baar wird bis 2016 in Zusammenarbeit mit dem Institut für Landschaft und Umwelt (ILU) der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtin- gen-Geislingen (HfWU) erarbeitet. Für diesen wird eine ökologische Bestandserhebung auf Grundlage einer umfangreichen Analyse des Planungsraumes durchgeführt, damit ein mög- lichst komplettes naturschutzfachliches Bild des Plangebietes entsteht. Bereits mit dem Entwurf des Pflege- und Entwicklungsplanes erfolgt eine intensive Abstimmung mit den beteiligten Kommunen, Behörden und Interessenverbänden. Auch finden schon erste Abstimmungen mit den Flächen eigentümern und -bewirtschaftern statt. Am Ende des Prozesses soll dann ein PEPL vorliegen, der von allen Beteiligten mitgetragen wird. Nach Fertigstellung und einvernehmlicher Verabschiedung des PEPL durch Bund, Land und Projektträger kann der Antrag auf Förderung des Projektes II (Umsetzungsphase) gestellt werden. Die Umsetzung des Pflege- und Entwicklungs- planes ist für das NGP Baar nach erfolgreicher Antragstellung für den Zeitraum 2016 bis 2024 geplant. Dabei sollen die Maßnahmen mit dem Ziel umgesetzt werden, die Gebiete auf hohem Niveau zu entwickeln und zu sichern. Die Maßnahmen Die Bearbeitung des PEPL wird voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2016 abgeschlossen sein. Denkbare Maßnahmen sind: § Waldumbau und -auflichtung § Gewässermaßnahmen zur Erhöhung der Dynamik und Strömungsdiversität § Rückbau von Querbauwerken § Verbesserung der Durchwanderbarkeit von Gewässern § Reaktivierung von Altarmen § Sperrenbau in Mooren zur weiteren Steu- erung des Wasserhaushaltes § Optimierung des Wasserhaushaltes von Feucht- und Nassgrünland § Aufnahme der extensiven Nutzung von Brachen Naturschutzgroßprojekt Baar 267


Diese Fläche wurde durch einen Pflegeeinsatz des Schwarzwaldvereines von Gehölzen befreit (Enthurstung). Dabei kamen Heckenscheren und Motorsensen zum Einsatz. Die „Berge“ von Material wurden später von Mitar- beitern des Forstamtes abgefahren. § Maßnahmen zur Förderung einzelner Arten § Verbesserung der bestehenden Nutzung von Grünland § Optimierung der Offenlandpflege Hinzu kommen Maßnahmen, die im PEPL noch nicht einzelnen Flächen zugeordnet werden können. Grundsätzlich soll die Extensivierung der Nutzung innerhalb der Fördergebiete ange- strebt werden. Denkbar sind dabei auch klein- flächige Maßnahmen im Bereich der Gewässer (Gewässerrandstreifen), am Ackerrand, Herstel- lung von Blühstreifen, Extensivierung der Grün- landnutzung, naturnahe Waldbewirtschaftung oder die Ausweisung von Prozessschutzflächen im Wald. Beispiele sind die Fördergebiete Platten- moos und Baaralb bei Geisingen. Die folgenden Ausführungen beruhen aber auf ersten Überle- gungen, die vor Fertigstellung der Kartierarbei- ten gemacht wurden. Im Fördergebiet Plattenmoos wird ein Ziel sein, die bestehenden Fichtenforste zu Moor- wald umzubauen. Hierzu wird die Entnahme von Fichten notwendig werden. Durch diese Maßnahmen kann auch die Spirke oder Moor- kiefer (Pinus mugo subsp. rotundata) gefördert werden. Auch sollen die hydrologischen Ver- hältnisse im Sinne eines Moores verbessert werden. Dies wird wahrscheinlich durch die Verbesserung bestehender Grabensperren und dem Bau neuer Sperren erfolgen. Magerrasen und lichte Waldränder als Über- gang zum Wald werden wesentliche Ziele im Eine ältere Sperre im Naturschutzgebiet Plattenmoos. Solche Sperren werden in Entwässerungsgräben er- richtet, um den Grundwasserspiegel in einem Gebiet anzuheben. Innerhalb des NGP Baar werden die be- stehenden Sperren überprüft, gegebenenfalls verbes- sert und durch weitere Sperren ergänzt. 268 Umwelt und Natur


Die Beweidung mit Schafen wird vor allem zur Offenhaltung von Flächen durchgeführt. Oft werden in den Schafherden auch Ziegen mitgeführt, da diese verstärkt Gehölze verbeißen. Fördergebiet Baaralb bei Fürstenberg sein. Dies bedeutet, dass an vielen Stellen, zum Beispiel nach einer Enthurstung (Entfernung der Gehöl- ze), eine extensive Nutzung etabliert werden muss. Die Waldränder könnten in ihrer Artenzu- sammensetzung verändert (Waldumbau) und aufgelichtet werden. Dadurch entsteht für viele Arten des Offenlandes und des Waldes ein inte- ressantes Mosaik von Lebensräumen. Projektes beziehungsweise der durchgeführten Maßnahmen ist verpflichtend. Nach Abschluss des Projektes II, und das ist ein zentraler Punkt im Förderprogramm „chance.natur“, ist der Projektträger und das Land für die Betreuung der Flächen verantwort- lich. Damit soll die dauerhafte Sicherstellung der Projektziele erreicht werden. Die Maßnahmenumsetzung Jede einzelne Maßnahme, die im Pflege- und Entwicklungsplan für das Naturschutzgroßpro- jekt Baar aufgenommen wird, kann nur mit der Zustimmung des Flächeneigentümers und des Bewirtschafters umgesetzt werden. Letzteres ist vor allem für die Landwirtschaft von großer Bedeutung, da der Anteil an gepachteter Fläche bei einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben bei 70 Prozent liegt. Die oben beschriebenen Maßnahmen die- nen dem Biotopmanagement. Darüber hinaus könnten aber auch Fördermittel für projektbe- gleitende Informationsmaßnahmen, den An- kauf und die langfristige Pacht von Grundstü- cken verwendet werden. Ausgleichzahlungen wären ebenso möglich. Eine Evaluierung des Zum Schluss Mit der Zustimmung vieler Beteiligten ist natür- lich die Hoffnung verbunden, dass die Akzeptanz des Naturschutzgroßprojektes Baar in der Region groß ist. Nur dann können möglichst viele der geplanten Maßnahmen umgesetzt und die ge- steckten Ziele gemeinsam erreicht werden. Zunächst muss aber das Projekt I erfolgreich abgeschlossen und der Antrag für Projekt II ge- stellt und bewilligt werden. Natürlich werden nicht alle Konflikte zwi- schen den unterschiedlichen Nutzern der Land- schaft gelöst werden. Aber zusammen besteht die einmalige Chance viel für den Erhalt der Landschaft, der Biotope und der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt zu erreichen. Dazu könn- ten in der Umsetzungsphase rund 5 Millionen Euro bereit stehen! Naturschutzgroßprojekt Baar 269


Am Rohrbacher Stöcklewaldturm: Fernsicht bis zum Montblanc Einblicke – Ausblicke von Wolf Hockenjos


Der 1894 für 8.000 Goldmark erbaute, rund 25 Meter hohe Stöcklewald- turm in Furtwangen-Rohrbach gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Der Turm steht auf 1.069 Meter Meeres- höhe und bietet einen herrlichen Ausblick über den Landkreis: Schonach, Triberg, St. Georgen, Villingen-Schwenningen, das Brigachtal, Öfingen und selbst der Fürstenberg sind von hier auszumachen. Und natürlich treten an klaren Tagen die Alpen – von der Zugspitze bis zum Montblanc – und die Vogesen hervor. Der Stöcklewaldturm geht auf die Ortsgruppe Triberg des Schwarzwald vereins zurück, die ihn im Mai 1895 einweihte. 1958 wur- de der am Mit telweg Pforzheim-Waldshut und Ortenau-Baar-Querweg liegende Aussichtsturm um ein Wanderheim erweitert. 271


Der Stöcklewaldturm hat herrliche Rundblicke zu bieten, hier in Richtung Triberg/St. Georgen. Die wahren Pioniere des Schwarzwälder Fremdenverkehrs waren Triberger. Zwei von ihnen, Gastwirt Wehrle und Posthalter und Brauereibesitzer Neef, gehörten zu den sieben Gründungsmitgliedern, die 1864 in Freiburg den „Badischen Verein von Industriellen und Gast- wirten“ aus der Taufe gehoben haben, der noch im nämlichen Jahr in „Schwarzwaldverein“ um- benannt wurde. Kein Wunder: Dank Wasserfall und nobler Gastronomie, auch der spektaku- lären Schwarzwaldbahn, ist Triberg einer der „größten Glanzpunkte des Schwarzwaldes“, wie Schnars Neuester Schwarzwaldführer aus dem Jahr 1908 zu berichten weiß. Vereinszweck des ältesten deutschen Gebirgs- und Wandervereins war es, „den Schwarzwald und die angrenzenden Gebiete immer bekannter und zugänglicher zu ma- chen“. Als der in Freiburg ansässige Schwarz- waldverein 1883 beschloss, sich in Ortsgruppen (Sektionen) zu gliedern, waren die Triberger erneut unter den Allerersten, hatte man doch bereits 1875 ein „Verschönerungs-Comité“ und nachfolgend einen „Verschönerungsverein“ gegründet, der sich der Verschönerung des Landschaftsbilds und der touristischen Erschlie- ßung mit Wanderwegen, Ruhebänken und Aus- sichtspavillons verschrieben hatte. Den musste man nun nur noch umbenennen in Schwarz- waldverein Ortsgruppe Triberg. Drei Norweger auf Schneeschuhen Dass die Triberger auch den Wintertourismus schon früh ins Auge gefasst hatten, versteht sich von selbst. Im benachbarten Schönwald hatten schon um 1880 drei norwegische Stu- denten im Gasthaus Hirschen logiert und mit ihren Schneeschuhen erste Spuren gezogen und dabei großes Aufsehen erregt. Was dazu führte, dass 1910 in Triberg eine erste Internationale Wintersportausstellung veranstaltet wurde, bei welcher der Schollacher Erfinder des ersten 272 Umwelt und Natur


Skilifts der Welt, Schneckenwirt Robert Winter- halder, ein nicht von Wasserkraft, sondern von einem Elektromotor angetriebenes Modell vor- stellte. Zwei Jahre darauf wurde auch noch eine Bobbahn eröffnet. Im Tourismusgeschäft galt die Schweiz damals als großes Vorbild; zumal in Triberg, dessen Wasserfall als der schönste außerhalb der Alpen gepriesen wurde. „Sein Charakter“, so steht es noch im 1870 erschienenen Reiseführer von Dr. G. v. Seydlitz „Neuer Wegweiser durch den Schwarzwald“, „ist der des berühmten Brienzer Giesbaches, denn wie sein, freilich grö- ßerer, schweizer Genosse, ergreift er besonders durch seine malerische Schönheit, die Gruppie- rung v. Wald auf Felsterrassen, über welche er in sieben Hauptcascaden herabstürzt.“ Schon vor der Jahrhundertwende war in der Ortsgruppe der Wunsch nach einem Aussichts- turm laut geworden. Der Bau von Aussichtstür- men war damals mächtig in Mode gekommen, weniger der heimischen Landschaft, sondern vorzugsweise der Alpensicht wegen. Dass je- doch gerade den Bewohnern des Triberger Tal- kessels der Sinn nach freiem Ausblick stand, ist ihnen auch heute durchaus noch nachzuemp- finden. 1894 leistete sich die Ortsgruppe für stolze 8.000 Gulden einen 25 m hohen steinernen Rundturm, erbaut auf dem Stöcklewaldkopf in 1.069 m Meereshöhe auf Rohrbacher Gemar- kung und aus dem hier anstehenden Buntsand- stein-Konglomerat und einem oberen Abschluss aus Granit. Um die Alpen nicht zu verpassen, war dem nächstgelegenen Höhenlandwirt, dem „Galgenbauer“, auf Anregung Triberger Wirte eine Telefonanlage zur Verfügung gestellt wor- den, der ins Tal zu melden hatte, wann immer mit Fernsicht zu rechnen war. 127 Treppenstufen bis zum Rundblick Doch auch dem Rundblick von der über 127 Treppenstufen zu erklimmenden Plattform des Turms wird im 1909 erschienenen Schwarz- waldführer von Julius Wais überschwängliches Lob gezollt, nicht anders als in den Internet-Kom- Stöcklewaldturm 273


Blick in Richtung Fuchsfalle/St. Georgen. Unten: Der 25 Meter hohe Stöcklewaldturm. mentaren der Gegenwart. Der Führer zählt sogar lückenlos die Namen aller am Horizont auszumachenden Gipfel rundum auf, vom Drei- fürstenstein in der Schwäbischen Alb über die gesamte Alpenkette hinweg, weiter über Hoch- first, Feldberg, Brend samt ihren jeweiligen Tür- men, über Kandel, Rohrhardsberg bis schließlich zur turmbewehrten Hornisgrinde.Genauso ist es auch heute noch der oben angebrachten Ori- entierungstafel zu entnehmen. Schon der Zugang von Triberg herauf über Geutsche und Fuchsfalle wird hier als besonders aussichtsreich beschrieben – nicht ohne Erwäh- nung der 1721 errichteten Galgensteine, des einstigen Hochgerichts der Triberger Herrschaft. Ob der so exponierte Standort des Galgens le- diglich der Abschreckung diente oder ob damit dem Delinquenten der Abschied von den Schön- heiten dieser Welt noch besonders schwer ge- macht werden sollte, darüber mag man heute mit Schaudern spekulieren. Der Tatendrang der Triberger Ortsgruppe des Schwarzwaldvereins sollte auch nach dem Turmbau nicht erlahmen. Schon 1924 entstand an der Rohrbacher Straße ein Wanderheim (die spätere „alte Jugendherberge“) und im Jahr 1951, kurz nach Wiedergründung des von den 274 274 Umwelt und Natur


Zahnartig ragt in der Mitte links der Gremmelsbacher Schlossfelsen aus dem Fichtenmeer heraus. Alliierten zwischenzeitlich verbotenen Vereins, befasste man sich erneut mit den Plänen für ein Wanderheim, diesmal realisiert als Anbau an den vereinseigenen Stöcklewaldturm – für den Verein ein weiteres wagemutiges Unterfangen, zumal es anfangs noch am Wasser- und Strom- anschluss fehlte. Obwohl das Haus seit 1958 verpachtet ist, erwies es sich doch als dicker Klotz am Bein des Kassenwarts, der ohne Landesmittel nicht zu stemmen gewesen wäre. Doch echte Entlastung gab es erst in den 1980er-Jahren durch den Be- trieb einer Antennenanlage auf der Turmspitze, die von den Behörden für Sicherheitsaufgaben (BOS) für Feuerwehr, THW, Polizeifunk und Rettungsdienst genutzt wird, seit 2011 auch als Relaisstation für den Digitalfunk. Für freundliche Bewirtung sorgt im Wanderheim die Pächterin Katrin Heinzmann (rechts) mit ihrem Team, bestehend aus Sarah Fehrenbach und Claudia Muckle. Unten: Die Antennenanlage auf der Turmspitze dient der Sicherheit: Viele Rettungsdienste im Landkreis empfangen ihre Signale über diese Antennen. Stöcklewaldturm 275


Panoramablick in Richtung Schonach /Triberg. Das Oberzenturm Villingen-Schwenningen im Abendlicht. Vorne rechts ist Unterkirnach, rechts hinten in der Wanderheim und Vesperstube Das Wanderheim zu Füßen des Stöcklewald- turms firmiert mittlerweile vorwiegend als Ves- perstube (Dienstag Ruhetag, im Winter montags und dienstags), denn obwohl zwei überörtliche Wanderwege des Schwarzwaldvereins (der Mit telweg Pforzheim – Waldshut und der Orte- nau-Baar-Querweg) hier vorbei führen, machen Wanderer nach Auskunft der 22 Jahre jungen Wirtin, nur noch einen Bruchteil der ohnehin sel- tenen Übernachtungsgäste aus. „In dieser Hüt- te“, so lautet ein Spruch über einem der Tische, „soll Natur Hausmutter sein!“ Katrin Heinzmann vom nahen Hirzbauernhof fungiert im ersten Jahr als Pächterin und will ihr Engagement an diesem exponierten Ort fortsetzen. Doch die Zeit schlichter Wanderheimroman- tik scheint im Schwarzwald abgelaufen zu sein. Die Gäste sind zuallermeist Motortouristen, die 276 Umwelt und Natur


Bildmitte das Schwarzwald-Baar-Klinikum zu sehen. In der Ferne kann man die Schwäbische Alb ausmachen. vom 500 m entfernten Parkplatz heraufspaziert kommen – sofern sie sich nicht vom Verbots- schild davon abhalten lassen, sogar bis zum Turm herauf zu fahren. Von weiter her kommen, mit nass geschwitzten, knallig bunten Trikots, die Mountainbiker. Nächstens wird man hier beim Radeln gewiss auch die Akkus der E-Bikes wieder aufladen können. Die Ortsgruppe Triberg des Schwarzwaldver- eins nimmt den Trubel in und um die Vesperstu- be dankbar zur Kenntnis; sie scheint sich mit der touristischen Neuzeit arrangiert und ausgesöhnt zu haben. Im Turm steht der Ersatz des verroste- ten Geländers durch eine Edelstahlkonstruktion an, weiter sollen die Fenster erneuert werden – auch die Beleuchtung wartet auf Verbesserung. Jetzt muss der Vereinsvorstand nur noch beschließen, ob man den Obolus für die Turmbe- steigung auf einen Euro anheben wird – egal ob bei Alpensicht oder Nebel. Stöcklewaldturm 277


Fliegenfischen an der Breg bei Vöhrenbach von Christian Kuchelmeister Die Breg bei Vöhrenbach ist bei Fliegenfischern begehrt. Der Haupt- quellfluss der Donau weist in diesem Bereich eine Breite von drei bis acht Metern auf. Der reiche Bestand an Bach- und Regenbogen- forellen kommt in allen Altersstufen vor. Für Angler aus ganz Deutsch- land und darüber hinaus besonders interessant: Die Strecke gilt als sehr abwechslungsreich, denn ruhige Staube reiche wechseln sich mit flotten Abschnitten – es finden sich flache Rieselstrecken und tiefe Rinnen. Somit alles, was das Herz eines Fliegenfischers erfreut. 278 13. Kapitel – Freizeit


Beim Fliegenfischen an der Breg. Gefischt wird auch im strömenden Regen. Erst auf den zweiten Blick auszumachen sind die im Wasser stehenden Bachforellen. Links beim Landen des Fangs. 279


Fürs Fliegenfischen an der Breg vorbereitete Köder. Fliegenfischen gilt als die Königsdisziplin des Angelsports – die Kunst besteht darin, mit Insektenimitationen die Fische zu überlisten. Anders als beim normalen Angeln wird beim Fliegenfischen kein Blei zum Auswerfen des Köders benutzt: Da die leichte Fliege am Vor- fach ohne Gewicht nicht ausgeworfen werden könnte, braucht es hierfür eine spezielle Flie- genschnur. Durch die rhythmischen Bewegungen der Fliegenrute werden die Schnur und der Köder in der Luft gehalten. Beim Werfen kommt es darauf an, im richtigen Augenblick die Fliege so natürlich wie nur möglich auf dem Wasser abzulegen – und die an den Angelhaken ange- bundene Fliege soll so nahe wie möglich bei den Ein erster Fang in Vöhrenbach. 280 Fischen landen, um dann einer lebenden Fliege täuschend ähnlich auf sie zuzutreiben. Fliegenfischen ist eine Kunst und gilt ein Stück weit auch als Lebenseinstellung. Mit der Natur und den Fischen wird dabei sehr sorgsam umgegangen. Es geht den Anglern um mehr, als die erlaubte Zahl von Fischen möglichst schnell auf die Schuppen zu legen, wie es in der Fach- sprache heißt. Vielmehr steht das Gesamterleb- nis im Vordergrund, das Angeln im Einklang mit der Natur. Für viele ist Fliegenfischen wie Meditation: das Plätschern des Wassers, das Beobachten der Tiere und die Aktivitäten am Wasser – die Sinne müssen ganz bei der Sache sein, das per- fekte Zusammenspiel von Wurf, Fließrichtung und Fließgeschwindigkeit entscheidet über den Erfolg. Schnappt der Fisch das vermeintliche Insekt auf dem Wasser, muss mit dem Anhieb in Bruchteilen einer Sekunde reagiert werden, da- mit man den Fisch an den Haken bekommt. Gewässer wie die Breg sind für die Fischerei mit der Fliegenrute ideal, ihre überschaubare Breite ist zum Werfen mit der Fliegenrute wie geschaffen. Die abwechslungsreichen Gewäs- sertiefen, gepaart mit sehr schönen Rauschen und Kehren, macht die Fischerei auf die wun- derschön gezeichneten Bachforellen in dem zir- ka sechs Kilometer langen Stück in Vöhrenbach/ Hammereisenbach sehr interessant. Freizeit


Eine historische und eine aktuelle Ausrüstung zum Fliegenfischen. Zur Geschichte des Fliegenfischens Archäologen gehen davon aus, dass vor rund 30.000 Jahren die Angelhaken erfunden wur den. Erzählungen von Claudius Aelianus bestätigen, dass im Jahre 200 n. Chr. im Fluss Astracus in Mazedonien mit roter Wolle und Hahnenfedern an metallenen Angelhaken auf Fische geangelt wurde. Am Ende des 15. Jahrhunderts beschreibt Juliana Berner, Äbtissin eines Benediktinerin- nen-Klosters, im Detail, wie mit künstlichen Fliegen auf Forellen und Lachse zu angeln sei. Ihr zufolge sollte ein Fliegenfischer vor allem auch ein echter Idealist sein, ein Philosoph und ein Verehrer der Natur. Die Angelruten wurden aus biegsamen Stöcken hergestellt, die Schnüre aus Pferdehaa- ren geflochten. Um ihre Schwimmfähigkeit zu erhöhen, hat man sie mit Fett eingerieben. Angelrollen gab es bis ins 17. Jahrhundert hi nein nicht. Die Schnüre wurden an die meist sehr unhandlichen, langen Angelruten angeknotet. Heute bestehen die Fliegenschnüre aus Kunststoffen, die ungefettet hervorragend auf dem Wasser schwimmen. Angelrollen werden aus speziellem Aluminium gefertigt. Eine kom- plette Kombination aus Rute, Rolle und Flie- genschnur wiegt deshalb nicht mehr als gerade einmal 250 Gramm. Und noch eine Anmerkung vorneweg: Unter Anglern ist es üblich, über seine Erlebnisse in der Ich-Form zu berichten. Auch diese Form des Erzählens unterstreicht, dass man seinen Sport und die damit verbundene Einstellung durch und durch lebt. Erste Kontakte Schon in der Schule lernt man, dass Brigach und Breg bei Donaueschingen die Donau zuweg bringen. Doch habe ich bis auf diesen Sommer den größten Quellfluss der Donau noch nie zu Gesicht bekommen. Als ich das erste Mal angelnd in der Breg stehe, mache ich mir Ge- danken darüber. Eigentlich ist es schade, dass ich dieses Schwarzwaldflüsschen nicht schon früher besucht habe. Schließlich wohne ich keine 80 Kilometer flussabwärts von Donau- eschingen. Auch führten mich meine fliegen- fischenden Exkursionen bisher nicht an die na- he liegenden Gewässer – doch das soll sich von nun an ändern. Zufällig knüpfe ich Kontakte zum Angelver- ein in Vöhrenbach. Durch die Vermittlung eines Freundes kam ich zu einem Fliegenbindekurs für die Vereinsmitglieder in das Haus von Vorstand Hubert Grieshaber. Es wurden an diesem Abend eifrig Fliegen gebunden und natürlich haben wir gefachsimpelt und von großen Fängen erzählt. Und ein wenig Anglerlatein war gewiss auch Fliegenfischen in Vöhrenbach 281


dabei, was ja auch dazugehört und das Thema „Angeln“ mitunter spannend macht. Was mich besonders freute: Ich bekam eine Einladung zum Fliegenfischen in Vöhrenbach mit auf den Nachhauseweg. Anglerfreuden im Regen Die Breg, wie sie mäandernd durch das Tal fließt, und die Erzählungen der Vöhrenbacher Vereinsmitglieder, gingen mir etliche Male durch den Kopf. So ergeht es einem passio- nierten Fliegenfischer, der es kaum erwarten kann, einen Fisch in einem neuen Gewässer zu überlisten. Dennoch dauerte es einige Wochen, bis ich gemeinsam mit zwei Freunden nach Vöhrenbach fuhr. Die Angelkarten rasch bei Hubert Grieshaber abgeholt, starteten wir bei der Drechslerei Fix. Doch von dem Moment an, als wir von der Brücke aus auf Forellen Ausschau hielten, meinte es Petrus nicht mehr ganz so gut mit uns: Es regnete fortan wie aus Kübeln. „Ech- ten Anglern macht das nichts aus“, munterten wir uns auf. len. Doch nicht wenige Fische waren schlauer als wir – ließen sich von unseren Fliegen nicht überlisten. Gegen Mittag beobachteten wir end- lich Ringe auf der Wasserober fläche, sie werden von den Forellen beim Fressen von Insekten erzeugt. Somit war klar: Die Fische lassen sich trotz des Regens mit Trockenfliegen fangen, was die Krönung der Fliegenfischerei darstellt. Der Schlupf von grauen Eintagsfliegen ging nur langsam vonstatten, der leichte Regen ver- hinderte einen größeren Insektenschlupf – und die Fische nahmen sie nur vereinzelt von der Oberfläche. Doch der Austausch der Nymphe durch eine Trockenfliege wurde dennoch gleich mit dem Biss einer schönen Bachforelle belohnt. Trotz des verregneten Morgens war ich über- glücklich über die bisherige tolle Fischerei. Auch der Gewerbekanal, der durch Vöhren- bach fließt, weckte unser Interesse. Doch wollte er uns seine Forellen nicht Preis geben. Den Grund hierfür erahnte ich wenig später, als mir ein Anwohner erzählte, dass die Forellen im Stadtgebiet oft mit Brot gefüttert werden. Klar, da sind die kleinen Fliegen der Angler keine in- teressante Beute. Doch Hüte und Regenjacken ließen nach Die Fischerei ließen wir mit weiteren Fängen geraumer Zeit das erste Wasser durch – die Näs- se drückte an einigen Stellen bereits durch die gesamte Kleidung. Das Tröstliche und Schöne: Wir fingen einige sehr gute Forellen. Durch den Regen gab es keine Insekten auf dem Wasser, die Insekten bevorzugen schlicht ein besseres Wetter, um zu schlüpfen. Die Forellen fingen wir deshalb mit Imitationen von kleinen Futter- fischen und Nymphen, die das natürliche Futter unter Wasser darstellen. Triefend nass, den Fluss aufwärts fischend, sind wir in Vöhrenbach angekommen. Die Kassiererin der innerorts liegenden Tankstelle machte große Augen, als ein paar Angler mit Angelruten, nasser Bekleidung und hohen Gummistiefeln einen heißen Kaffee bestellten. Wir trieften vor Nässe, als wären wir durch die Waschstraße gelaufen. flussaufwärts ausklingen. Zufrieden wurde bei der Nachhausefahrt über den Verlauf des Tages diskutiert. Für mich war klar, ich werde die Breg wieder besuchen, zumal ich ja nur den oberen Abschnitt befischt hatte. Hitzerekorde und endlich wieder fischen Da der Sommer mit Hitzerekorden glänzte, verzögerte sich der nächste Besuch. Der Was- serstand der Breg war enorm gefallen und für eine erfolgreiche Fischerei vielleicht zu gering. Nach ein paar Regenfällen Ende Juli war es so- weit: Die Breg war wieder befischbar. Diesmal besuchte ich den Schwarzwaldfluss mit meinem Freund Melchior, der spontan aus der Schweiz anreiste. Mit leicht getrockneter Kleidung fischten wir Innerhalb einer halben Stunde organisierte anschließend innerorts weiter. An jeder Stelle, an der wir einen Fisch vermuteten, fingen wir tatsächlich sehr schöne, rot getupfte Bachforel- ich uns eine Übernachtungsmöglichkeit und weitere Angelkarten in Vöhrenbach. An der un- teren Gewässergrenze beim Einlauf der Linach 282 Freizeit


Wasserinsekten wie Eintagsfliegen finden sich an der Breg sehr häufig, rechts eine Imitation. Von der Kunst des Fliegenbindens Wasserinsekten dienen den Fischen als Lebensgrundlage – ihre Gier nach diesen Körperteile der Insekten wie Schwanz, Thorax und die Flügel imitiert. Insekten nutzen die Angler. Eingeteilt werden die Insekten in Eintagsfliegen, Köcherfliegen, Steinfliegen und kleinere Arten, die der Gattung der Zweiflügler angehören. Viele hundert Arten kommen in Deutschland und Europa vor. Möchte man als Fliegenfischer erfolgreich sein, muss man wissen, welche Insekten zu wel- cher Jahreszeit am Wasser vorhanden sind und eine perfekte Nachbildung davon mitbringen. Die Basis bildet ein Angelhaken, auf den Hah- nenfedern, Tierhaare und synthetische Fasern gebunden werden. Es werden dabei sämtliche Die Insekten unter Wasser im Larvenstadium werden mit „Nymphen“ nachgestellt. Und da Forellen auch räuberisch leben und kleine Futter- fische als Nahrung zu sich nehmen, werden diese als sogenannte „Streamer“ nachgebunden. Viele Fliegenfischer stellen ihre Fliegen selbst her. Diese können zwar käuflich erworben werden, doch hat man mit den eigenen Mustern noch mehr Freude daran, einen Fisch zu fangen. Die Fliegenbinderei wird als eigenständiges Hobby angesehen, um sich auch im Winter mit der Fischerei beschäftigen zu können. Die Utensilien zum Fliegenbinden sind zahlreich, rechts ein sogenannter Streamer. begann unsere Pirsch auf die rot getupften Schwarzwald-Forellen. Das niedrige, sehr klare Wasser erschwerte das Angeln. Auf den ersten Blick sah es so aus, als gäbe es hier keinen ein- zigen Fisch. Die Tarnung der Forellen war eben perfekt: Ihr Schuppenkleid besaß die Farbe des etwas teefarbenen Untergrunds der Breg. Wasseroberfläche auszumachen. Als versierter Fliegenfischer sah ich, wo sich die Fische auf- hielten, doch sie an den Haken zu bekommen war die andere Sache. Die Forellen gingen beim Fressen sehr selektiv vor und schnappten sich nur die Fliegen, die jahreszeitlich gerade aktuell waren. So waren die Forellen nur durch die entstan- denen Ringe beim Fressen der Insekten an der Melchior fing die größte Forelle des Tages mit über 45 Zentimetern – kaum zu glauben, Fliegenfischen in Vöhrenbach 283


nicht eingesetzt. Die amerikanische Verwandte unserer Forelle wird von vielen Pri vat besitzern in kleinen Seen und Weihern als Speisefisch gehalten. Hin und wie der entkommen einige der Fische in die Breg, was aber nicht wei- ter schlimm ist. So begeistert wie Hemingway Unsere Begeisterung fürs Fliegen- fischen im Schwarzwald teilen viele andere leidenschaft liche Angler. So der amerikanische Schriftstel- ler Ernest Hemingway, der 1922 als 23-Jähriger die Umgebung von Triberg zum Forellenangeln aufgesucht hatte. Auch er liebte die schönen Schwarz- waldbäche und ihre rot getupften Bewohnerinnen. Hemingway ärgerte sich allerdings des öfteren über die Tatsache, dass man in Deutschland zum Fischen eine Erlaubnis braucht. Seine Beschreibung des Erlebten im Buch „Der Schnee auf dem Kili- mandscharo“ lautet: „Nach dem Krieg pachteten wir einen Forellenbach im Schwarzwald. Es standen Birken am Bach, und er war nicht breit, sondern schmal, klar, reißend, mit kleinen Aus- buchtungen dort, wo er die Wurzeln der Birken unterhöhlt hatte. Der Hotelbesitzer in Triberg hatte eine ausgezeichnete Saison. Er war besonders nett und wir freundeten uns an. Im nächsten Jahr kam die Anglerglück – die 45 cm große Forelle ist der größte Fang des Tages. von der Forelle war vorher nichts zu sehen. Sie verriet sich nur durch einen sehr kleinen Ring an der gekräuselten Wasseroberfläche. Wir fingen nicht nur Bachforellen, es gin- gen uns auch einige Regenbogenforellen an den Haken. Die aber werden durch den Verein Inflation, und das Geld, das er im Jahr zuvor ver- dient hatte, reichte nicht aus, um Lebensmittel für den Beginn der neuen Saison zu kaufen, und er erhängte sich.“ Das Angeln in Vöhrenbach könnten wir heute Hemingway gleichfalls wärmstens emp- fehlen. Allerdings nur mit Genehmigung! Auch Melchior, mein Freund aus der Schweiz, war von dem Schwarzwaldfluss und der Gegend sehr angetan. Das Fazit des Wochenendes: „Einfach nur schön“ . 284 Fliegenfischen in Vöhrenbach


Gäste aus ganz Europa Hubert und Ingeborg Heini leben im Leibgeding des Bernreutehofs – im soge- nannten Bernreute – sprich Steinhäusle, im Jahr 1730 erbaut. Über vier Jahrzehnte lang haben die Heinis das unmittelbar daneben lie- gende Gasthaus „Bernreutehof“ betrieben und dabei viele hundert Fliegenfischer betreut, an die man noch heute Ferienwohnungen vermietet. Schon die Eltern und Großeltern von Hubert Heini haben Gästen an dem seit 500 Jahren be- stehenden Bernreutehof unweit von Vöhrenbach die Fischerei gewährt. Außerdem wurden damals die Fische auch an Gastwirtschaften verkauft. In hölzernen Fischlagel wurden die Forellen leben- dig nach Triberg ins Hotel Wehrle gebracht. Um die Qualität der Fischerei und den Fischbestand zu bewahren, lässt Hubert Heini maximal drei Fliegenfischer am Tag an seinem Teilstück auf der Gemarkung Hammereisenbach angeln. Es werden nur kleine Bachforellenbrüt- linge ins Wasser gesetzt, die dann in natürlicher Umgebung zu fangreifen Forellen heranwach- sen. Um die Forellen zu schonen, darf nur mit widerhakenlosen Fliegen geangelt werden. Stammkunden wissen, weshalb sie immer wieder die ca. fünf Kilometer lange Flussstrecke der Familie Heini besuchen – sie liegt außerge- wöhnlich reizvoll und hat in den vergangenen Hubert und Ingeborg Heini präsentieren die erfolgrei- chen Fliegen fürs Fliegenfischen an der Breg. 40 Jahren Gäste aus ganz Europa angelockt. Teilweise waren es sehr vornehme Gäste, die in englischen Tweedjacken und mit einer Fliege am Hals die Forellen in der Breg geangelt haben. Auch die Abwehr von Schwarzfischern war in den gesamten 40 Jahren immer ein Thema. Der Einfallsreichtum der Fischdiebe war dabei sehr groß. So gab es selbst einen Polizisten, der bei der Fischwilderei ertappt wurde. Er hatte die gerade gefangenen Fische in seinen Stiefeln versteckt… Wildromantische Kulisse: Fliegenfischen an der Breg bei Hammereisenbach. XXX 285


Wo die neue Salinenwelt lockt Richtungsweisendes in der deutschen Bäderlandschaft geschaffen von Günther Baumann Freizeit


Mal wieder in Bad Dürrheim gewesen? Nein? Nun, dann wird es aber Zeit. Dort wurde nämlich, wie es Bürgermeister Walter Klumpp bei der Eröffnung voller Stolz sagte, „Richtungsweisendes in der deutschen Bäderlandschaft geschaffen.“ Die Schwarzwaldsauna wurde um die faszinierende Salinenwelt erweitert, durch Sauna und Kurpark zieht sich zu- dem ein großartiges Gradierwerk und im Kurpark gibt es darüber hinaus jetzt eine Prädikatsallee. Die Besucher sind von Bad Dürrheims neuen Errungen- schaften begeistert. Was wäre Bad Dürrheim ohne sein „weißes Gold“ – das Salz? Ganz bestimmt nicht das, was es heute ist. Nicht von ungefähr gehört die Stadt auf der Baar längst zu den bedeutendsten und renommiertesten Kurorten im Ländle. Da- bei machen Salz und Sole alleine noch keinen Erfolg. Man muss den Schatz, der über Jahrmil- lionen entstanden ist, auch vernünftig nutzen. Ob diejenigen, die in Bad Dürrheim am 25. Feb- ruar 1822 in einer Tiefe von 320 Metern den ers- ten Salzstock entdeckt haben, sich damals vor- stellen konnten, dass sich daraus einmal etwas ganz Großes entwickeln würde? Auf jeden Fall wurden in dem damaligen Dorf auf der Baar die mit dem Salz und der Sole verbundenen Chan- cen entschlossen genutzt. Ursprünglich für die Salzgewinnung und dann – im Laufe der Jahr- zehnte – mehr und mehr für den Wellness- und Gesundheitsbereich. Sichtbarstes und stolzestes Zeichen dafür ist das Solemar, das mit seinen Angeboten in den verschiedensten Bereichen Jahr für Jahr insgesamt nahezu 700.000 Besu- cher anlockt. Viele von ihnen waren und sind dabei auch Gäste der Schwarzwaldsauna. Dies mit steigen- der Tendenz. Saunieren wird in deutschen Lan- den nämlich immer beliebter und wenn man dann noch mit einer so attraktiven Einrichtung aufwarten kann, wie das die Schwarzwaldsauna XXX 287


Über die Geschichte der Salzgewinnung wird beim Gang zur neuen Salinenwelt mit Schautafeln informiert. bereits vor der Erweiterung war, strömen die Saunafans erst recht. „Die Kapazitätsgrenzen der Schwarzwaldsauna waren erreicht – wir mussten was tun“ Erfolg hat immer auch Folgen. Zum Beispiel die, dass – wie der stellvertretende Geschäftsfüh- rer der Kur- und Bäder GmbH Markus Spettel erzählt – „die Kapazitätsgrenzen der Schwarz- waldsauna bereits seit geraumer Zeit erreicht waren.“ Spettel: „Wir mussten was tun“. Stellte sich nur die Frage, was? In Bad Dürrheim wurde erst einmal gründlich nachgedacht, verschie- dene Möglichkeiten diskutiert, dann geplant und schließlich gebaut. Und das unter der Lei- tung des Bad Dürrheimer Architekten Michael Rebholz, der noch seinen Villinger Kollegen Joachim Müller ins Boot holte, mit Hochdruck: Nur neun Monate nach dem ersten Spatenstich war die neue Salinenwelt im November 2014 fer- tig. 2,56 Millionen Euro wurden in die Erweite- rung investiert; 1,06 Millionen Euro davon steu- erte, wie Bürgermeister Walter Klumpp lobend erwähnt, das Land Baden-Württemberg bei. Der Name „Salinenwelt“ ist in der neuen Anlage Programm. Bad Dürrheim hat nicht nur eine großartige, neue Saunalandschaft geschaf- fen, sondern bei der Gestaltung gerade auch seine eigene Geschichte als Ort der Salz- und Solegewinnung thematisiert. Die neue Salinen- welt ist im Stile eines Untertagestollens gefer- tigt, sodass jeder Besuch auch eine kleine Reise in Bad Dürrheims Vergangenheit ist. Dies wird schon in dem Gang deutlich, der den alten Saunabereich mit der neuen Salinen- welt verbindet. An den Seitenwänden informie- ren große Bilder und gut gemachte Texte über Bad Dürrheims Salzgeschichte. Die Verbindung dient übrigens auch als Brücke über die Stille Musel, die ganz bewusst in die Erweiterung mit einbezogen wurde. Der munter plätschernde Bach, der bei entsprechenden Niederschlägen durchaus mal zu einem kleinen Fluss anschwel- len kann, gibt der gesamten, rund 2.000 Qua- dratmeter großen neuen Anlage noch einen zusätzlichen Reiz. Ein richtig fließendes, natürli- ches Gewässer in einer Saunaanlage, das findet man dann doch nicht alle Tage. Legendäre Bad Dürrheimer Saunaaufgüsse werden zelebriert Herzstück ist die neue Stollensauna. Eine Sauna mit einladend breiten Sitzbänken und bis zu 70 Plätzen. Die Verwendung von Altholz sorgt 288 Freizeit


Die beliebte neue Stollensauna bietet Platz für bis zu 70 Gäste. für eine besonders heimelige Atmosphäre. Um Gedränge vor oder nach den beliebten Aufgüs- sen zu vermeiden, gibt es gleich zwei Zu-und Abgänge. Der große 90-Kilowatt-Saunaofen thront in der Mitte und ist nicht nur irgendein Ofen, sondern stellt eine Lore aus dem Unterta- gebau dar, auf der stilgerecht die Steine aufge- schichtet wurden. Hier in der Stollensauna werden die schon fast legendären Bad Dürrheimer Saunaaufgüsse zelebriert. Immer zur vollen Stunde füllt sich der Raum. Erst gibt es ein bisschen Frischluft, dann werden die Türen dicht gemacht. Die Aufgießer treten in Aktion, nachdem sie zuvor die Utensi- lien für jeden sichtbar in der „Hexenküche“ ge- richtet haben. Jeder Aufguss hat seinen eigenen Namen. Da gibt es den Schwarzwaldaufguss, den Kräuteraufguss, einen Aufguss mit Eismin- ze, der örtliche Mineralbrunnen bringt sich mit dem Légère-Aufguss ins Spiel und, und, und. Geschwitzt wird, was das Zeug hergibt, wobei die Aufgießer durchaus in der Lage sind, mit der Intensität der Wärme zu „spielen“. Das Angebot reicht von „soft“ über „mittel“ bis „hart“. Was auf einen zukommt, wird zu Beginn gesagt. Die Besucher erhalten auch Informatio- nen darüber, für was der Duft, der gleich in der Stollensauna verwirbelt werden wird, gut ist. Gemeinsam ist allen eines: Sie sind gesund. Einmal am Tag steht sogar ein Duo-Aufguss auf dem Programm. Hier sind gleich zwei Auf- gießer mit von der Partie. Für viele Gäste der Sauna ein Highlight ihres Saunabesuchs. Auf- güsse gibt es auch in anderen Saunen des So- lemars, doch die in der Stollensauna sind dann doch etwas ganz Besonderes. Immer wieder auch erstaunlich, mit wel- chen Techniken die Saunamitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit ihren Handtüchern die Wärme so richtig an die Frau oder den Mann bringen. Si- cher, da wird erst einmal ganz einfach mit dem Handtuch gewedelt. Dann gibt es aber auch die „Acht“ oder das „Anschlagen“. Und am Ende im- mer einen Riesenapplaus für die Aufgießer mit ihrem wirklich schweißtreibenden Job. Schließ- lich werden sie die Gäste in der Hexenküche noch mit einer kleinen Aufmerksamkeit verwöh- nen: Mal werden ein Tee, mal ein Schmalzbrot, mal Obst, mal Bonbons oder Wasser von Bad Dürrheimer Mineralbrunnen gereicht. Nach dem Aufguss ist Abkühlen angesagt. In Bad Dürrheim geht es da nicht in irgendeinen Duschraum, sondern wie in alten Zeiten in den Waschraum. Und wieder staunt man. Nicht nur über die vielfältigen, großzügigen Abkühl- möglichkeiten, die vom einfachen Schlauch bis hin zur Schwallbrause und manch anderer Duschtechnik reichen, sondern vor allem auch Salinenwelt Bad Dürrheim 289


Oben: Abkühlung nach der Sauna im Waschraum. Mitte: Im kuppelförmigen Ruheraum flackert offenes Feuer. Meditative Musik erfüllt leise den Raum. Unten: Der gemütliche Außenbereich am „Ufer“ der Stillen Musel. über die Details, mit denen von den Machern auch hier das Salz und Sole zum Thema ge- macht werden. So erinnern die Beleuchtungs- körper an die Solegewinnung, die Duschköpfe stellen Bohrköpfe dar und an den Wänden ma- chen wir hier – wie an manch anderen Stellen der Saunawelt – mit prägenden Gebäuden Bad Dürrheims Bekanntschaft. Es lohnt sich zudem, einen Blick auf gewisse Fenster zu richten. Das Besondere: Wer durchschaut, entdeckt das Bad Dürrheim von einst. Der Ruheraum ist dem Kuppelbau des Narrenschopfes nachempfunden Natürlich gehört zu einer Saunalandschaft auch ein Ruheraum. In diesem Fall ist es ein Kuppel- bau, der dem ganz in der Nähe stehenden Nar- renschopf nachempfunden ist. In Bauwerken dieser Art wurde in alten Zeiten Salz gelagert. Wer von seiner zu einem Päuschen einladenden Liege aufblickt, der entdeckt denn auch eine ganze Menge Salzsäcke. Dazu erfüllt leise me- ditative Musik den Raum, offenes Feuer flackert und auf den Bildschirmen geht die Sonne unter und beginnen die Sterne zu funkeln. Hier lässt es sich gut sein. Der Ruheraum hat über eine Seitentüre einen direkten Zugang zum Kurpark. Damit kann der Kuppelbau gegebenenfalls auch einmal für andere Zwecke, zum Beispiel für Vor- träge, genutzt werden. Nicht zuletzt lockt der Außenbereich am „Ufer“ der Stillen Musel. Wirklich hübsch ange- legt. Ein kleines Meer von Grün mit gemütlichen Liegen und einem Kneippbereich samt Wasser- tretbecken, Schlauch und Schwallduschen. Das passt. Schließlich ist Bad Dürrheim inzwischen auch Kneippkurort. Am südlichen Ende des Frei- geländes steht da noch eine Wand – der zweite 290 Freizeit


Es ist vier Meter hoch, 108 Meter lang und 60 Meter davon sind funktionsfähig: Das Gradierwerk im neugestal- teten Gesundheitszentrum Solemar ist einer der Glanzpunkte. Früher diente es der Salzgewinnung. In der Anla- ge wird die Sole über Schwarzdornreisig geleitet. An dessen Stacheln bleibt das Salz haften und wird abgeklopft. In Bad Dürrheim dient das Gradierwerk dazu, um gesunde, salzhaltige Luft zu verbreiten. wesentliche Bereich der Erweiterung in Bad Dürrheim. Sie ist ein Teil des mächtigen Gradier- werks. Nicht jeder weiß auf Anhieb mit diesem Be- griff etwas anzufangen. Das ist nicht unbedingt eine Bildungslücke, denn Gradierwerke sind eher in Mittel- und Norddeutschland als im Sü- den verbreitet. Kurzum: Gradierwerke sind ur- sprünglich Anlagen zur Salzgewinnung. Heute werden sie allerdings vor allem zum Wohle der Gesundheit eingesetzt. Stolze 108 Meter lang und vier Meter hoch ist das neue Dürrheimer Gradierwerk, zieht sich s-förmig durch Saunawelt und Kurpark, ist ein richtiger Blickfang. Über die mit Schwarzdorn- ästen gespickten Wände wird das salzhaltige Wasser, die Sole, nach unten geleitet. Schwarz- dorn gehört heute zum festen Bestandteil von nahezu jedem Gradierwerk, weil er wegen sei- ner spitzen Dornen und vor allem seiner großen Salzresistenz dafür besonders geeignet ist. In Deutschland steht Schwarzdorn unter Natur- schutz. Dies ist der Grund dafür, dass die Zweige aus Polen stammen, wo Schwarzdorn wesent- lich häufiger vorkommt und deshalb auch nicht unter Schutz steht. Auf dem Weg der Sole nach unten verduns- tet auf natürliche Weise Wasser, wodurch sich der Salzgehalt der Sole erhöht. Nicht nur das: Durch die herabrieselnde Sole wird die Luft in der Nähe des Gradierwerks mit Soletröpfchen und Salzaerosol angereichert. So kommt es, dass wir auf der Baar in der Nähe der Anlage eine Luft vorfinden, die der am Meer nahekommt. Da heißt es einatmen. Dadurch werden die Atem- wege befeuchtet und die Wandungen der Atem- organe positiv beeinflusst. Pollenallergiker und Asthmatiker werden das gerne bestätigen. Des Weiteren besitzen die feinen Salzkris- talle eine sekretlösende Wirkung, reinigen die Atemwege intensiv von Bakterien und lassen die Schleimhäute abschwellen. Die salzhaltige Luft tut ganz einfach gut. Nicht umsonst emp- fehlen viele Ärzte und Heilpraktiker deshalb immer wieder mal einen längeren Aufenthalt an der See oder in Kurorten einzulegen, die sich den Effekt der Gradierwerke zu Nutzen gemacht haben. So wie Bad Dürrheim eben. Mit seinem Gradierwerk hat sich Bad Dürr- heim in Baden-Württemberg ein weiteres Alleinstellungsmerkmal verschafft. Eine An- lage dieser Art findet sich im Ländle nur hier, Salinenwelt Bad Dürrheim 291


Abwechslung und Entspannung bietet auch das Sauna-Außenbecken. während sie in den weiter nördlich liegenden Bundesländern wesentlich mehr verbreitet sind. Doch zu einem runden bzw. geschwungenen Gradierwerk wie die Bad Dürrheimer es haben, hat es noch niemand gebracht. Der neue Geschäftsführer der Kur- und Bä- der GmbH, Uwe Winter, schwärmt, bezieht in sein Lob gerade auch seinen Vorgänger Thomas Bank mit ein, der die GmbH verlassen hat. „Wo sonst noch außer in Bad Dürrheim gibt es in Deutschland ein Gradierwerk in runder Form, und wo sonst noch lässt man den ganz norma- len Tagesbesucher daran ebenso so teilhaben wie den zahlenden Gast der Bade- und Sauna- landschaft?“ Mit der neuen Prädikatsallee im Kurpark, auf der nicht nur kostenlos mit dem Gradierwerk, sondern auch mit verschiedenen Anwendungen Kneipps Bekanntschaft gemacht werden kann, wurde auch der Park letztlich deutlich aufgewertet. Wer sich in der neuen Salinenwelt umsieht, dem fällt eine Wand mit historischen Postkar- ten aus Bad Dürrheim ins Auge. Und genau un ter diesen findet sich auch eine, die deutlich jünger als all die anderen ist. Auf ihr dankt die Beleg- schaft ihrem „Ex“ Thomas Bank noch einmal für die geleistete Arbeit. Gerade wenn es um die Realisierung der neuen Salinenwelt geht. Mar- kus Spettel, von dem ebenfalls viel Herzblut und Arbeit in der Anlage steckt: „Der Thomas hat sich das verdient.“ Das Engagement Bad Dürrheims in die neue Salinenwelt zahlt sich bereits aus. Sie wird groß- artig angenommen. Von den Gästen aus Nah und Fern genauso wie von den Einheimischen. Messen lässt sich das vor allem an den steigen- den Besucherzahlen und an dem vielen Lob, das man für die neue Anlage von allen Seiten erhält. „Das“, so sagt Bürgermeister Walter Klumpp, „ist für alle, die bei der Verwirklichung des Pro- jekts mitgewirkt haben, die schönste Form der Anerkennung und der eindrucksvolle Beweis da- für, dass die Realisierung dieser Konzeption der richtige Schritt war.“ 292 Salinenwelt Bad Dürrheim


Landhotel Thälerhäusle/Ochsen in Neukirch über 200 Jahre alt Hervorragende Küche und das traditonell-moderne Ambiente begeistern die Gäste von Elke Schön Hier kehren nicht die Autofahrer ein, die auf dem Schnelltripp den Schwarzwald durchqueren, nicht die Bustouristen auf dem Zwischenhalt für eine Mahlzeit. Die- ses Lokal muss man erst einmal entdecken, denn etwa eineinhalb Kilometer vom Ortskern des Luftkurorts liegt das Landhotel Thälerhäusle/Ochsen talwärts ver- steckt am Weg ins Brennersloch. Von der Neukircher Festhalle aus führt eine Asphaltstraße nach Westen bergab, die sich am Beginn eines Waldstücks verzweigt. Rechts geht es in sanfter Windung durch einen Mischwald, bis der Blick frei wird auf eine abschüssige Wiese und ein Bilderbuch- Panorama mit freien Weideflächen im Wechsel mit Laubbaumgruppen und dunkel bewaldeten sanften Kuppen, die sich bis zu den Kandelhö- hen fortsetzen. Ja, und hier kommt man direkt auf den rotgeschindelten Giebel zu mit der Auf- schrift: Landhotel Thälerhäusle zum Ochsen. Geschichtsträchtiger Raum Flankiert wird das Gebäude von einem neue- ren kleinen mit der Aufschrift „Berg-Häusle“. Ein Schild gibt zu erkennen, dass man sich hier auf einer der ersten Stationen des Neukircher Wanderpfads „Landschaft im Wandel“ befindet. Lässt man sich auf die Lektüre ein, dann wird klar, welch ein geschichtsträchtiger Raum sich hier auftut: 1702 ist bereits ein „Thälerwirts- häusle“ bezeugt, dem Hebdinghof zugehörig, (erst 1803 wurde es abgetrennt davon). Johann-Peter Weis mit Ehefrau Margarethe. Blitzschlag das Haus und erschlug den am Stu- bentisch sitzenden Wirt samt seinem Knecht. Laut Bericht wurden zwei weitere Mannsper- sonen ebenfalls zu Boden geschlagen, „kamen aber wieder auf“. Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. 1805 heiratete die Witwe den aus Furt- Hundert Jahre später erlitt es einen schwe- ren Schicksalsschlag: 1804 am 20. Juli traf ein wangen -Schützenbach stammenden Christian Ketterer. Dieser baute das Haus weiter oberhalb 14. Kapitel – Gastlichkeit 293


Landhotel Thälerhäusle zum Ochsen. Der Haupteingang zum Gaststättenbereich auf der Westseite war seit je- her über eine Treppe zu erreichen. Heute schützt sie ein verglaster Überbau. am Hang am jetzigen Standort wieder auf. Er wurde 1816 Vogt von Neukirch. Umschlagsplatz für den Uhrenhandel 1825 verkaufte er das Anwesen an den Uhr- macher Mathäus Riesle aus Gütenbach für 7.100 Gulden. Dieser betrieb außer der Wirt- schaft noch einen Krämerladen und eine Uhren- packerei. Das heißt, für die Gemarkung Bregen- bach, also das Gebiet zwischen Gütenbach und Neukirch, spielte das Thälerhäusle eine zentrale Rolle. Hier wurden Geschäfte abgeschlossen, die Uhrenträger für ihre Wanderungen ins Ausland mit Uhrwerken und Zubehör versorgt, hier wur- den Preise verhandelt, hier war ein wichtiger Treffpunkt für die Handwerker, freilich zuwei- len auch für zwielichtige Geschäftemacher. Klar, dass ein Gasthaus mit Uhrenpackerei in dieser Umgebung eine wichtige Funktion für das Leben aller Handwerker ringsum hat- te. Auch in den Wirren der Märzrevolution rückte es in den Blickpunkt: 1849 wurde der Ochsen-Wirt Mathä Ganter zum Bürgermeis- ter gewählt, nachdem sich der Amtsinhaber Kolumban Hummel als Sympathisant der Auf- ständischen erwiesen hatte und obendrein (laut Ortschronik) „sich alle Mühe gibt, in unserer Gemeinde eine besondere religiöse Sekte – sie wird sonst mit dem Namen Pietisten bezeich- net – zu gründen“. Lesen wir weiter auf der Informationstafel, stellen wir immer häufigere Wechsel der Besitzer fest. Die Geschichte einer Traditionsgaststätte wie im Fall des Ochsen ist immer auch ein Spie- gelbild der örtlichen Historie. Es beginnen harte Zeiten für Neukirch, die Blütezeit des Uhrma- cherhandwerks sind vorbei, bringen Umbrüche in der Bevölkerungsstruktur. Neukirch selbst kann nicht mehr alle ernähren und das „Pen- deln“ in die Industrieorte ist zu der Zeit nicht einfach bis unmöglich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandern ganze Familien- stämme aus. Auch von den Uhrenhändlern im Ausland kehren nicht alle zurück. 294 Gastlichkeit


Nachkriegszeit bringt Aufschwung Erst mit der Nachkriegszeit wandelt sich die Lage: Neue Branchen etablieren sich, bieten Arbeit, auch für neu Zugezogene. Allmählich nimmt die Mobilität zu, viele Familien haben schon ein Auto, wenige noch ein Fernsehgerät. Und so ist es kein Wunder, wenn im Thäler- häusle die Geselligkeit mit kulturellem Anspruch blüht – gibt es doch hier einen Nebenraum mit Bühne! Rauschende Feste und Theaterauffüh- rungen werden da gefeiert, zur Freude nicht nur der Touristen, denen man Schwarzwaldtypisches bieten will. Konzerte und ganze Operettenquer- schnitte werden inszeniert, aufs Kleinformat der Bühne zugeschnitten. Die Protagonisten von einst – heute in ihren Achtzigern – schwär- men noch von der „Csárdásfürstin“, dem „Wei- ßen Rössl“ und dem „Schwarzwaldmädel“, mit denen sie ihr einheimisches Publikum, aber auch die Feriengäste, zu Beifallsstürmen hinrissen. Den Neukircher Ochsen bewirtschaftet seit 1966 der Schreinermeister Max Weis, der die Tochter vom Kirnerseck geheiratet hat. Er ergänzt das Gasthaus durch ein weiteres Ge- bäude und baut ein Hallenbad ein! Eine kleine Sensation, die nicht nur die Dorfbewohner an- zieht, sondern zeitweise auch ganze Busgesell- schaften. Seit dem Jahr 1972, als die Gemeinde Neukirch der Stadt Furtwangen als Teilort zuge- ordnet wird, greift auch hier die Arbeit des Tou- rismusbüros. Das Prädikat „Luftkurort“ prangt bald am Ortseingang; fünf Gasthäuser stehen zur Verfügung, bevor 1981 das altehrwürdige „Rössle“ zum vierten Mal in seiner vierhundert- jährigen Geschichte niederbrennt. Badisch regionale Küche vom Feinsten Das abgelegenste ist nach wie vor das Thäler- häusle – und hier versteht man es am besten, den neuen Trend im Tourismus zu bedienen: Idyllische Umgebung, Ruhe bis zur Abgeschie- denheit und dabei perfekte Gastronomie mit Wellness- wie Wander-Angeboten, die zu jeder Jahreszeit, unabhängig von der Wetterlage, Er- holung und Abschalten vom Alltag garantieren. Inhaber Johann-Peter Weis legt Wert auf regionale Produkte. Schon die Kneipp-Begeisterung, die sich al- lenthalben in den 1970er-Jahren regt, weiß die Familie Weis zu nutzen. Im Talgrund unterhalb des Hauses fassen Vater und Sohn eine Quelle zu einem Wassertretbecken für ihre Gäste. Überhaupt ist die Hanglage des Hauses wir- kungsvoll genutzt. Der Haupteingang zum Gast- stättenbereich auf der Westseite war seit jeher über eine Treppe zu erreichen. Heute schützt sie ein verglaster Überbau, der – dekorativ und in- formativ zugleich – Fläche bietet für die zahlrei- chen Auszeichnungs-und Ankündigungstafeln. So erfährt jeder Besucher gleich beim Hinun- tergehen, welche Besonderheiten ihn hier er- warten: Mit drei Sternen ist dieser Landgasthof klassifiziert und, von Holiday-Check, mit sechs Sonnen. Fleisch, Wurst und Speck stammen nur von Tieren aus artgerechter Tierhaltung, wie sie die Bregenbacher Metzgerei Waldvogel liefert, Wildbret kommt aus heimischen Revieren. Von den verwendetet Eiern liefert 50 Prozent der Biobetrieb von Stefan Braun, dem Hinterbau- ernhof in Linach, die fangfrischen Fische gibt’s aus heimischen Gewässern. Und die vielfältigen Landhotel Thälerhäusle/Ochsen in Neukirch 295


Gerichte, die in diesem Haus daraus bereitet werden, entsprechen einer badisch regionalen Küche vom Feinsten. Die Gaststube ist hell und freundlich. Urig-gemütliches Restaurant Betritt man nun die Gaststube, überrascht die Helligkeit in dem quadratischen Raum mit niedriger Decke, der von zwei Seiten mit zehn Fenstern erhellt ist und trotz, oder gerade wegen der einseitigen Außenverglasung, den Eindruck von Geborgenheit vermittelt. „Wenn ihr die Stube verändert, kommen wir nicht mehr her“, hatten die Wirtsleute von Stammgästen zu hören bekommen. So hat die Stubendecke ihren weißlackierten matten Glanz behalten, und die Tragebalken ihren hellbraunen Anstrich. Die Fensterlaibungen bestehen aus einfach geschnitzten Holzrahmen und erübrigen Vor- hangschals, die Scheiben sind nur mit gerafften weißen Scheibengardinen verziert. Auch das Mobiliar und die Thekenanlage leugnen nicht den Stil der 1950er-Jahre. Eintauchen in die Wellnesswelt – das Wohlfühlpro- gramm des Landhotels ist perfekt abgestimmt. 296 Gastlichkeit


Die nächste Generati- on steht bereits in den Startlöchern. Von links: Christian (in Ausbil- dung), Sabine (Service), Johann-Peter und Margarethe (Inhaber), Mathias und Floriane Weis (Küchenchef sowie Serviceleitung) mit Toch- ter Louisa-Maxime. Lediglich das Kaminzimmer, rechts vom Flur etwas tiefer gelegen, aber über niedriger Balustrade einzusehen, hat soeben eine Mo- dernisierung erfahren. In diesem geräumigen Nebenzimmer ist Platz für Gesellschaften, etwa bei Hochzeiten und Familienfesten. Dass die Gästezimmer durchweg mit allem Komfort ausgestattet sind, ganz gleich ob ele- gant mit großzügigen, hellen Möbeln und Bal- kon oder etwas rustikaler unter der Dachschrä- ge, versteht sich von selbst. Auf gleicher Ebene mit der Gaststube führt eine breite Tür westlich hinaus aus dem Treppenbereich auf eine großzügig angeleg- te Terrasse, die einen wunderbaren Blick auf Baumgruppen und die Dächer des Kirnerhofs weiter unten bietet und dabei bestens vor Zug- luft geschützt ist, denn durch dieses Tal, über diesen Hang kann nie ein scharfer Wind fegen – hoch genug ist der Talgrund gegen Osten abge- schirmt durch den bewaldeten Wall, der auch keinerlei Verkehrsgeräusch von der B 500 weiter oben zulässt. Der Standort„weit ab vom Schuss“ erweist sich heute als Trumpf Seit 1994 führt Johann-Peter Weis diesen Fami- lienbetrieb als Chefkoch und Organisator, der einerseits den gesamten Mitarbeiterstab mit seinen jeweiligen Tätigkeitsbereichen souverän im Griff hat, dabei aber stets Ruhe und Freund- lichkeit ausstrahlt trotz aller Betriebsamkeit, die hier jeder Tag erfordert. Meist ist das Hotel be- reits ein Vierteljahr im Voraus ausgebucht. Der Standort„weit ab vom Schuss“ erweist sich also heute als Trumpf. Aber die solide Verwurzelung in der kleinen ländlichen Gemeinde zeigt sich schon darin, dass die Wirtsfamilie aus Bregen- bach selbst und die Mitarbeiter aus der nächs- ten Umgebung stammen Der Landgasthof Thälerhäusle kann weiter auf Erfolgskurs gehen, die Nachfolge ist längst gesichert: Sohn Mathias, der in der“ Traube“ in Waldau gelernt hat, steht als Chef in der Küche, seine Frau ist im Service und der Verwaltung tätig. Sie übernehmen 2016 das Hotel. Das Landhotel Thälerhäusle zum Ochsen in Neukirch ist ein stattliches Anwesen. Landhotel Thälerhäusle/Ochsen in Neukirch 297


Die Waldau-Schänke: Einkehren am Fuß der Burgruine von Stephanie Wetzig Elke und Fritz Beck vor der Waldau-Schänke. 298 Gastlichkeit


Blick in die gemütliche Gaststube. Ob Wanderer oder Radsportler, Liebhaber von Volksmusik oder afro-kubanischen Rhythmen, junge Leute oder ältere Semester: In der Waldau-Schänke fühlt sich jeder sofort wohl. Die Vesper-Stube wurde erst vor sechs Jahren eröff- net und alles in ihr ist neu, jedoch sorgfältig dem Ambiente des jahrhundertealten Hofes am Fuße der Ruine Waldau in Buchenberg so angepasst, dass sie zu jeder Jahreszeit viel Behaglichkeit verströmt. Das liegt nicht nur an der liebevoll eingerichteten Gaststube, in der Relikte früherer Jahrhunderte wie Butterfässer, Saftpres- sen und historische Werkzeuge der Dekoration dienen und alte Schwarzweiß-Fotos an den Wänden hängen, sondern auch an der sich ständig weiterentwickelnden Speisekarte. „Wir kochen so, wie es unsere Eltern schon getan haben“, erklärt Fritz Beck, der die Schänke gemeinsam mit seine Frau Elke betreibt. An den Wochenenden hilft abwechselnd jeweils eine der drei Töchter. „Zu Anfang gab es bei uns auch nur Speckbrot und Bratwurst“ Familie Beck macht vieles selbst: Nudeln, Brot und Kuchen, Most, Ap- felsaft und Holunder sirup. „Wir versuchen, so zu kochen wie früher meine Mutter“, erklärt Fritz Beck. „Da ist ein Braten dann eben sechs Stunden im Ofen und das Gulasch 14 Stunden.“ Die Qualität stimmt, ihr Fleisch beziehen sie von Fritz Gür in Pfaffenweiler, das Mehl für die vier bis fünf Kuchen, die Elke Beck jede Woche bäckt, bezieht sie in der Waldau-Schänke in Buchenberg 299


Mühllehen-Mühle aus direkter Nachbarschaft. Das Gemüse stammt je nach Saison ebenfalls meistens direkt aus Buchenberg. Vor Kurzem ha- ben die Wirtsleute hinter der Schänke auch einen Kräutergarten angelegt, in dem alles wächst. Die Eltern von Fritz Beck backen seit Jahr- zehnten ihr Brot selbst, daher war es für ihn selbstverständlich, dass auch seinen Gästen nichts anderes aufgetischt wird. „Zu Anfang gab es bei uns auch nur Speckbrot und Bratwurst“, erinnert er sich, doch schon bald kamen die „Dinnele“ dazu, eine Art Flammkuchen, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Der ursprüngliche Holzbackofen wurde um drei professionelle Elektrobacköfen ergänzt, einen Unterschied merken nur Feinschmecker mit besonders ge- schultem Gaumen. An Wochenenden, wenn Hochbetrieb herrscht, bekommen die Gäste einen Würfel mit einer Nummer, die aufgerufen wird, wenn ihr „Dinnele“ fertig ist. Es sind immer schlichte, deftige Speisen, die sie bieten. Die gehobene Küche überlassen sie lieber dem Spitzenkoch vom Café Rapp, mit dem sie sich in diesem Sommer unter dem Motto „Genusswandern im Glasbachtal“ zu- sammengetan haben. Die Teilnehmer treffen sich unterhalb der Ruine zu einem Aperitiv und „Dinnele“, bevor sie mit einem Wanderführer durch das Glasbachtal an historischen Höfen vorbei bis in die Ortsmitte von Buchenberg spa- zieren – wo sie dann mit einem Vier-Gänge-Me- nü verwöhnt werden. Trotz des rustikalen Ambientes gehen Elke und Fritz Beck mit der Zeit und sind offen für Anregungen. Sie besuchen jede Gastronomie- messe, sei sie in Stuttgart oder in Hamburg, um sich über neue Trends zu informieren. „Unser Ziel ist es, jeden einzelnen Gast zu begeistern.“ Vegetarische Gerichte finden sich von Anbeginn auf der Speisekarte, aber auch Veganer werden nach Rücksprache satt – und das nicht nur auf Vorbestellung. Da gibt es die „Dinnele“ eben oh- ne Schmand, statt Käse gibt es Nüsse. Ensemble steht unter Denkmalschutz Die kleine Gastronomie hat ihre Existenz im Grunde dem Zufall zu verdanken: Fritz Beck und seine Frau Elke, eine gelernte Rechtsan- waltsgehilfin, haben schon jahrelang vom el- terlichen Hof aus die Ausflügler beim jährlichen Mühlenwandertag bewirtet und seit 2004 auch die Besucher des Burgspektakels. Als die letzte Arbeitsstelle des gelernten Werkzeugmachers Beck unsicher wurde und er ein zweites Stand- bein suchte, kam beiden die Idee, im ehemali- gen Kuhstall mal eben einen Kiosk zu errichten und noch eine Toilette dazu, fertig. „Doch bei den Umbauarbeiten kam uns die halbe Grundmauer der Burgruine entgegen“, erinnert sich Fritz Beck. Also wurde aus der kleinen Lösung eine große, die Investitionssum- me erreichte schnell 350.000 Euro. Damit sich das lohnt, hat die barrierefreie Gaststube jetzt 65 Sitzplätze, im Hof und auf der Terrasse kön- nen sich noch einmal so viele Besucher an die urigen Tische und Bänke setzen. Gastlichkeit


„Es kam einfach eins zum anderen“, so der Wirt. Weil sowohl die Ruine als auch das Bau- ernhaus seiner Eltern unter Denkmalschutz stehen, musste das Ganze sorgfältig und in Ab- sprache mit dem Denkmalamt geplant werden. Erfahrene, auf Sanierung spezialisierte Hand- werker und ein versierter Architekt waren nötig, um alles zu planen und auszuführen. Die Holzheizung und die Toiletten sind in ei- nem separaten Gebäude untergebracht, an der Hangseite der Schänke bilden die alten Steine der Burgmauer wie schon immer die Außen- wand – nur neu abgeschlagen und wieder stabil befestigt. Bei der gesamten Wirtsstube und ihre beiden Terrassen wurde nur Holz und Sandstein verarbeitet. „Da es ja das Haus meiner Eltern ist, war es uns sehr wichtig, dass es ihnen ge- fällt.“ Und das tut es: Wenn er die Gäste kennt, setzt sich sein Vater, Fritz Beck Senior, oft da- zu. Gerne beobachtet er auch nur von seinem Lieblingssessel neben dem Backofen aus das Geschehen. 500 Jahre im Familienbesitz Der historische Hof im Gutacher Stil ist schon 500 Jahre alt und ebenso lang in Familienbesitz. Jedoch stand er die längste Zeit im Nachbarort Hardt. Erst vor vier Generationen, im Jahr 1822, wurde er am Fuße der Burgruine neu errichtet. Die Burg gehörte zum Grundstück und über die Jahrhunderte hatte sich die gesamte Nachbar- schaft für ihre eigenen Bauvorhaben an den Steinen bedient und die Burg Meter um Meter abgetragen, bis im 19. Jahrhundert das Bürger- meisteramt Buchenberg Weisung bekam den Raubbau zu stoppen. 1885 verkaufte Andreas Beck, einer der Vorfahren des heutigen Wirts, die Ruine an den Staat. Der Hof blieb jedoch im Besitz der Familie. Heute hat die Waldau-Schänke ihren festen Platz im Eventkalender. Sie bewirtet nicht mehr nur beim jährlichen Burgspektakel, sondern sorgt auch selbst für kulturelle und karitative Veranstaltungen. Der Spendenlauf zugunsten der Katharinenhöhe hat sich inzwischen ebenso etabliert wie das Volksliedersingen, das kürzlich zum 60. Mal organisiert wurde und zu dem die Besucher auch schon eine weitere Anfahrt in Kauf nehmen. Außerdem spielt etwa einmal im Monat Live-Musik in oder je nach Wetter auch vor der Schänke, das Programm ist dabei vielsei- tig und reicht von Rock über Blues und Schlager bis hin zu Knöpflespielern. Bislang hat die Vesper-Stube nur an den Wochenenden geöffnet und werktags nach Vorbestellung für Gruppen. Schnell hat es sich herumgesprochen, dass man hier gut seine Fa- milienfeste, Klassentreffen und Betriebsfeiern ausrichten kann. „Wir hatten am 1. Mai 2009 zunächst außen geöffnet, einen Monat später auch innen und schon am 1. Juli wurde hier die erste Geburtstagsfeier ausgerichtet.“ Umfassend saniert mit zahlreichen Plätzen im Freien präsentiert sich die Waldau-Schänke. Einmal im Mo- nat gibt es Live-Musik. Waldau-Schänke in Buchenberg 301


Die Dörr-Brüder: Zwei Gitarren und zwei Stimmen Eric und Carsten Dörr bekannt von der Villinger Fasnet, musikalischen Stadtführungen, Charity-Konzerten und Bandprojekten von Nils Fabisch Ihren ganz großen Durchbruch und ihre Bekanntheit verdanken sie der Villinger Fas- net. Inzwischen sind Carsten und Eric Dörr aber weit mehr als die zwei stimmgewal- tigen Brüder an der Fasnet. Mit ihren musikalischen Stadtführungen, Charity-Kon- zerten und Bandprojekten haben sich die beiden Brüder, die in Villingen-Schwen- ningen wohnen und arbeiten, im ganzen Schwarzwald-Baar-Kreis einen Namen gemacht. Konzertanfragen kommen inzwischen aus den verschiedensten Orten zwischen Stuttgart und der Schweiz. Seit Jahren bekommen die „Doppelstäd- ter“ Lob und Applaus von allen Seiten. Mit ihrer Musik versprühen sie nicht nur gute Laune, sie helfen mit den Erlösen anderen Menschen und sie machen sich selbst glücklich. Denn die Musik ist im Hause Dörr das Hobby Nummer eins. Durch ihre Auftritte kommen die Brüder viel herum. Ihre familiäre und musika- lische Heimat hat das Brüderpaar aber schon immer in Villingen-Schwenningen. Nicht in Villingen, sondern in Villingen-Schwenningen, darauf legen die beiden Künstler großen Wert. Sie sehen sich als Musiker der Doppelstadt, auch wenn sie ihren Durchbruch in der Zährin- gerstadt feierten. Unterschiedlicher Musikgeschmack als Bereicherung Dass es zu einem erfolgreichen Geschwis- ter-Duo kommen konnte, war alles andere als selbstverständlich. Noch heute müssen die beiden schmunzeln, wenn sie sich an die mu- sikalischen Anfänge in ihrer Jugend erinnern und anschließend über Musikgeschmack dis- kutieren. „Wir haben eigentlich, was unseren Musikgeschmack angeht, eine relativ geringe Schnittmenge“, erklärt Carsten Dörr, der jün- gere Bruder. „Die Schnittmenge reicht gerade für Konzerte von zwei bis drei Stunden aus“, ergänzt der 46-jährige Eric Dörr schmunzelnd. Carsten Dörr fühlt sich der Metal-Musik ver- bunden, „die härteren Töne“ müssen es sein. Eric hingegen, der neben der Musik seine Frau Annette und die Kinder Adrian und Lara gerne bekocht und gerne Sport treibt, war schon im- mer für den „Mainstream-Rock“, zu begeistern. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Carsten seinen Bruder bisher nicht überreden konnte, einmal zusammen das Bang-your-Head-Festi- val in Balingen zu besuchen. Diese doch sehr unterschiedlichen Musikgeschmäcker prägen den kreativen Austausch der beiden seit den gemeinsamen Anfangstagen. Damals war es der ältere Eric, der den Plattenspieler immer mit seiner Lieblingsmusik bestückte. „Da wurde ich mit Bon Jovi und Bruce Springsteen beschallt und musste froh sein, wenn ich den Platten- spieler mal für meine Musik benutzen durfte“, 302 15. Kapitel – Musik


Eric und Carsten Dörr. erinnert sich der jüngere Bruder. Heute akzep- tieren sie den Musikgeschmack des anderen und bereichern sich gegenseitig. Was dabei herauskommt, wenn zwei doch sehr verschie- dene Brüder auf der Bühne gemeinsam Musik machen, findet in Villingen-Schwenningen und Umgebung großen Anklang. Dörr-Brüder begeistern seit 1993 Ihre musikalischen Anfänge feierte das Brüder- paar im eher kleinen Kreis. Silvester 1993 war es, als sie bei einer Feier unter Freunden zum Jahreswechsel erstmals ein richtiges, wenn auch kleines, gemeinsames Konzert gaben. Der Auftritt kam derart gut an, dass bereits im Anschluss ein weiterer Auftritt fest gebucht war. Die Idee der Dörr-Brüder war geboren. Am erfolgreichen Konzept von damals halten sie bis heute fest. „Ganz einfach: zwei Akustikgitarren und zwei Stimmen“, erklärt Eric, der bei der Sparkasse Schwarzwald-Baar als Referent Ver- anstaltungen tätig ist. Das Talent und der Un- terhaltungswert der beiden sprach sich herum. 1995 traten Eric und Carsten erstmals auf der großen Bühne des Glonki-Balls auf. Bis heute sind sie an der Fasnet anzutreffen, wenn auch nicht mehr auf der Bühne des Glonki-Balls. Seit dem ersten Glonki-Ball-Auftritt stand die musikalische Welt der Musiker Kopf. Es regnete Anfragen von allen Seiten. „Ein tolles Gefühl, dass wir mit dem, was uns Spaß macht, auf Anhieb die Menschen begeistern konn- ten“, erinnert sich Eric zurück. Auch wenn sie der Villinger Fasnet ihre große Bekanntheit zu verdanken haben, wehren sie sich gegen das ausschließliche Image als Fasnetsmusiker. „Wir sind viel breiter aufgestellt und das wollten wir natürlich auch zeigen“, erinnern sich die Brüder. Carsten und Eric entwickelten Projekte und neue Ideen. Es entstanden die musikalischen Stadtführungen durch Villingen-Schwenningen. Bis heute ein einzigartiges Konzept bei dem in- nerhalb eines Tages in unterhaltsamer Art beide Stadtteile besichtigt werden. Seit 2003 wird im kleinen Rahmen von maximal 20 Teilnehmern mit einem Oldtimerbus die Doppelstadt er- kundet – umrahmt von Musik der Dörr-Brüder. Nach einem kleinen Sektempfang vorab, neh- Dörr-Brüder 303


men die singenden Stadtführer die Teilnehmer mit auf eine vielverspre- chende Reise durch die Doppelstadt. Dabei wird es musikalisch, modern und humorvoll, gespickt mit histori- schen Fakten. Eine echte Erfolgsge- schichte – bis heute waren alle Füh- rungen ausverkauft. Und auch schon für die nächsten Termine stehen die Interessenten Schlange. Bekannte Titel neu interpretiert Natürlich gibt es weltweit Hilfsor- ganisationen, die Großes leisten. Wir haben uns aber entschieden der Lesung übernehmen durften“, erinnert sich Eric. Für ein anderes, größeres Pro- jekt der jüngeren Vergangenheit im Schwarzwald-Baar-Kreis holten sich die Brüder Unterstützung von Musikern aus der Region. Zusammen mit 14 Beteiligten entstanden Kon- zertabende unter dem Motto „Ru- hige Nummern und Duette“. Dabei präsentierten die Musiker viele ihrer Lieblingsballaden. So kamen über 30 Lieder zusammen, die die Dörrs als „Zwei Gitarren – Zwei Stimmen“ nicht alleine spielen wollten. Als eine „wahnsinnig tolle Erfahrung, die viel Spaß brachte“, beschrieben Eric und Carsten dieses Projekt, bei dem die beiden erneut zeigten, welch musikalische Bandbreite in ihnen steckt. Beteiligt war hier auch Carsten‘s Tochter Maren Dörr, die mit ihrer Querflöte die musikalische Vielfalt erweiterte. Mit dem Projekt landeten die Dörr-Brüder mit ihren Musikern einen Volltreffer. Kaum war der Vorverkauf in Kooperation mit dem Villinger Rockclub angelaufen, waren die Karten für die Konzerte in der Scheuer nach wenigen Minuten ausverkauft. Gerade die verschiedenen Konzertsi- tuationen, ob vor nur 20 Zuhörern oder auf einer großen Bühne mit tausenden Menschen zu spielen, mache den Spaß und Reiz aus, erklärt Carsten Dörr. Charity-Konzerte unterstützen regionale gemeinnützige Projekte Nach zwei Jahren mit den ruhigen Nummern und Balladen haben sie jetzt wieder die etwas rockigeren Töne angestimmt. Langweilig wird es im Hause Dörr nämlich nie – die Zuhörer dürfen sich also freuen. Ob sanft oder rockig, dass Carsten und Eric bei aller Liebe zur Musik auch ihr Umfeld nicht vergessen, zeigen sie in diesem Jahr schon zum dritten Mal in der Villin- ger Scheuer. Das bei ihren Konzerten generierte das Geld da zu spenden, wo es gesammelt wur- de. Daher möch- ten wir auch in unserer Heimat mit dem Geld et- was Gutes tun. Auch wenn sie eine ganze Fülle von Ideen und Projekten im Kopf ha- ben, einen großen Teil der Auftritte nehmen trotz des Erfolges ganz bewusst weiterhin Geburtstage und Feiern ein. Dabei steht das Dörr-Duo nicht für klassische Tanz- musik, vielmehr interpretieren sie bekannte Titel ganz nach ihrem ei- genen Geschmack eher rockig. Für die rockigen Passagen, aber vor allem auch für den kreativen Teil und Eigenkompositionen, zeichnet sich Carsten verantwortlich. Obwohl das Covern von bekannten Liedern ganz klar im Vordergrund des Programms der Dörr-Brüder steht, finden sich bei den Auftritten der Geschwister im- mer das ein oder andere vom jüngeren Bruder selbstgeschriebene Stück wieder. Auch zwei Vereinslieder stammen aus seiner Feder. Das Lied der Schwenninger Ziegelbuben hat Carsten komponiert ebenso wie das neue Hexenlied der Hexenzunft Villingen. Die Dörr-Brüder „leben“ die Doppelstadt eben. Dass die beiden Villinger Musiker wahre Mul- titalente und Verwandlungskünstler sind und neben Stadtführungen, Fasnet und Fetenmusik noch viel mehr im Repertoire haben, zeigte das Duo bei der Begleitung von Lesungen. Passend zu ihrer Heimatverbundenheit begleiteten Sie die Lesungen der VS-Krimis ihrer beiden Freunde Stefan Ummenhofer und Alexander Rieckhoff. „Etwas ganz Besonderes, da wir plötzlich mehr oder weniger Teil der erzählten Geschichte wa- ren, und neben der Musik auch kleinere Passagen 304 Musik


Eric und Carsten Dörr. Geld ging in der Vergangenheit immer wieder an regionale gemeinnützige Projekte, vor allem mit Kindern. Auch in diesem Jahr wird das wie- der so sein. Dabei entscheiden sich die Brüder ganz bewusst dafür, Projekte in der Region zu unterstützen. „Natürlich gibt es weltweit Hilfs- organisationen, die Großes leisten. Wir haben uns aber entschieden, das Geld da zu spenden, wo es gesammelt wurde. Daher möchten wir auch in unserer Heimat mit dem Geld etwas Gutes tun“, erklärt der ältere Dörr-Bruder die Philosophie hinter den Charity-Konzerten. Über die Idee vom Nebenjob-Musiker zum Vollzeit-Musiker umzusatteln, haben sich die beiden bisher nur im Spaß Gedanken gemacht. Musik ist nach wie vor ihr Hobby und dabei soll es auch bleiben. „Gerade das Dürfen und nicht das Müssen macht den Reiz aus“, weiß Carsten. Obwohl beide in ihrem Musikgeschmack doch sehr unterschiedlich sind, beschreiben sich die Brüder als sehr gesellige, meistens gut gelaunte Menschen, die viel und gerne lachen. Eigen- schaften, die im professionellen Musikgeschäft sehr schnell verloren gehen können. Auch wenn sich die Termine und Auftritte von Jahr zu Jahr mehren, zu viel wird es den Zweien nicht wer- den. „Es muss auch noch Spaß machen, daher stecken wir unsere zeitlichen Kapazitäten ganz realistisch ab.“ Ans Aufhören hat keiner von ihnen bisher gedacht. „Warum auch? Wir machen das so lan- ge, wie es uns Freude bereitet“, fügt der große Bruder an. Jedes Jahr vor der Villinger Fasnet gibt es ein Ritual, das sich bis heute im Hause Dörr bewährt hat: „Wir gehen nicht auf die Fasnet, wenn wir nicht mindestens ein neues Lied ha- ben“, so Carsten. Als Qualitätskontrolle – und das ist bereits der zweite gute Brauch im Hause Dörr – dienen dabei die Eltern. „Unsere Mutter und unser Vater sind unser letzter ‚Stückle-TÜV‘ vor der Bühne“, verraten sie. Ohne die unter- stützende Familie funktioniere ein solches Hobby sowieso nicht, wissen die beiden stimm- gewaltigen Brüder. Auch für die kommenden Jahre haben Eric und Carsten schon wieder die eine oder andere Idee im Kopf. Ob zu zweit, mit Band, im Freien oder auf der großen Bühne; das wollen sie noch nicht verraten. Aber eins steht ganz sicher fest. Premiere eines solchen Projekts wird immer in Villingen-Schwenningen sein. In ihrer Region, ihrer Heimat. „Wir haben der Region hier ei- niges zu verdanken“, so die beiden. Gedanken wegzuziehen hatten sie bisher noch nie – im- merhin lebe man doch in einer der schönsten Regionen Deutschlands. Man sieht sich also… Rock on! Dörr-Brüder 305


Schonach feiert 50 Jahre Schwarzwaldpokal Jahr für Jahr macht die Weltelite der Kombinierer im Skidorf Station von Peter Hettich 306 16. Kapitel – Sport


Wie klein fing die ganze Sache an – welch großes Ereignis ist daraus geworden! 50 Jahre Schwarzwaldpokal in Schonach, das ist eine ganz besondere Geschichte, eine des großen Sports, dargeboten von tollen Athleten. Auch eine von engagierten Organisatoren und Helfern, die Jahr für Jahr um Dreikönig eine Veranstaltung in der Nordischen Kombination auf die Beine stellen, die auf der ganzen (Ski-) Welt bekannt und anerkannt ist, manch- mal aber auch erkennen müssen, dass sie mit ihrem Latein am Ende sind. Dann nämlich, wenn der Wettergott kein Einsehen hat und alle Bemühungen zunichte macht. Allerdings – nur sechs Mal fiel das Treffen der Weltelite im Schwarzwald im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. 50 Jahre Schwarzwaldpokal 307


Bilderbogen zum Schwarzwaldpokal. In den ersten Jahrzehnten befand sich das Langlaufstadion noch bei der Schonacher Sporthalle im Ortskern (oben, das Foto entstand 1981). Links unten ein Sprung von der Langenwald- schanze im Jahr 1967, rechts Alois Kälin, der den Wettbewerb 1968 gewann. Begonnen hatte alles einigermaßen unspekta- kulär. Langlauf- und Skisprung-Wettbewer be waren längst feste Bestandteile des Wett- kampf kalenders. Für Kombinierer, Unverwüst- liche also, denen es nicht genügte, nur durch die Spur zu hetzen oder sich ausschließlich von der Schanze in die Tiefe zu stürzen, sondern gerne beide Disziplinen in Angriff nahmen, hielt sich das Angebot Ende der 1960er-Jahre noch in überschaubaren Grenzen. Zwei Vereine, der Skiclub Schonach und die Skizunft Brend, woll- ten unbedingt Abhilfe schaffen. Sie taten sich zusammen – und fertig war die erste bedeu- tende Kombinationsveranstaltung im Schwarz- wald: Unter der Bezeichnung „Internationale Skiwettkämpfe Schonach/Neukirch“ trafen sich 1967 die Asse des Genres an zwei unterschied- lichen Wettkampfstätten – zum Springen auf der Schonacher Langenwaldschanze und zum Lauf in Neukirch, um den Sieger im Ski-Zwei- 308 Sport


kampf zu ermitteln. Dieser hieß Edi Lengg, kam aus Reit im Winkl, und durfte sich als Erster auf einer Siegerliste verewigen, auf der im Lauf der Jahrzehnte die Crème de la Crème des nordi- schen Skisports Einzug hielt. 1971 hieß der Wettbewerb erstmals „Schwarzwaldpokal“ Vier Jahre später waren die Brender nicht mehr mit im Boot. Auch das Pendeln von einem Wett- kampf-Ort zum anderen hatte ein Ende. Die Schonacher hatten nun alleine die Zügel in der Hand. Und der sportliche Anlass, der Athleten aus aller Herren Länder anlockte, hieß 1971 erstmals Schwarzwaldpokal. Ein Blick in die damalige Startliste beweist, wie sehr die Ver- anstaltung auch im Ausland bereits akzeptiert war: Athleten aus Österreich, Finnland, Italien, Jugoslawien, Polen, der Schweiz, Schweden, der Tschechoslowakei, Frankreich, Japan, Norwegen, der Sowjetunion und aus den USA erwiesen dem attraktiven Event ihre Referenz. Dazu kamen die besten deutschen Kombinie- rer aus West und Ost. Auch der Sieger war ein Deutscher. Er hieß Hans Rudhart, kam aus dem Allgäu und startete für den WSV Isny. Toller Sport, tolle Atmosphäre In kürzester Zeit wurde der Pokal, den der Gewinner überreicht bekam, zu einer der begehrtesten Trophäen des Genres. Nach Schonach kamen alle gerne. Nicht nur des Sports, sondern auch der Atmosphäre wegen. Hochkarä- tige Wettkämpfe standen auf dem Programm, es wurden aber auch familiäre Skifeste gefeiert, Freundschaften über alle Grenzen hinweg geschlossen. Und nicht selten endeten die Treffen der Trai- ner, Betreuer und Organisatoren im „Rebstock“, der gastronomischen 50 Jahre Schwarzwaldpokal Der bekannte Sportreporter Hans-Reinhard Scheu 1976 im Gespräch mit Ulrich Wehling (rechts), heu- te Renndirektor des Internationalen Skiverbandes (FIS), damals Spitzen athlet der DDR. Wehling holte sich in der Nordischen Kombination in Innsbruck vor dem Schonacher Urban Hettich, der sensationell die Silbermedaille gewann, den Olympiasieg. Seele des Wettbewerbs, erst in den frühen Mor- genstunden. Zudem gab es in Schonach nicht irgend einen „Pott“ zu gewinnen. Die vom 2011 verstorbenen Bildhauer Klaus Ringwald gestaltete Trophäe hob sich wohltuend vom „Salatschüssel-Niveau“ anderer Siegerpokale ab. Das Original, ein Bronzeguss mit Ornamenten und eingearbei- teten Bergkristallen, das von Ernst Schneider als Wanderpokal gestiftet wurde, ist ein wahres Schmuckstück. Auch die kleine Der vom Schonacher Bildhauer Klaus Ringwald geschaffene Schwarzwald- pokal. 309


Hoch über Schonach – Fabian Rießle auf dem Sprung hinunter ins Skistadion. Nachbildung bedeutete – und sie tut es noch immer – für jeden Sieger eine Aufwertung sei- nes Trophäenschrankes. Von 1972 bis 1985 wurden auch die Junioren, die einen separaten Wettkampf bestritten, mit einem von Ringwald gefertigten Pokal bedacht. Der von Gottlieb Rombach gestiftete Siegerpreis wurde 1979 von einer von der Volksbank Triberg finanzierten Neuausfertigung abgelöst, die Wolfgang Beyer entworfen hatte. Im Jahr 1994 wurde der „Warsteiner Grand Prix Deutschland“ aus der Taufe gehoben, eine kleine Tournee innerhalb des Weltcups, bei der der Gesamtsieger der Wettkämpfe in Oberwie- senthal, Reit im Winkl und Schonach zusätzlich gutes Geld kassieren durfte. Die Stationen Reit im Winkl und Oberwiesenthal gibt’s nicht mehr, den „Warsteiner Grand Prix“ auch nicht. Nur Schonach mischt in der Beletage der Kombinati- onswettbewerbe weiter munter mit. Gunderson-Methode bringt Klarheit Anforderungen sind immens Gravierende Neuerungen gab es natürlich suk- zessive auch im sportlichen Bereich. Ab der Sai- son 1982/83 beendete die Gundersen- Methode endlich das lästige Rätselraten der Fans nach dem sich aus der Addition der Sprung- und Laufresultate ergebenden Sieger. Ein Jahr später war‘s auch in Schonach soweit: Der Oberstdor- fer Thomas Müller kam nach dem Langlauf als Erster ins Ziel – und hatte somit auch gewon- nen. Dem Wettbewerb vor 22 Jahren kam in weiterer Hinsicht besondere Bedeutung zu: Der Internationale Skiverband (FIS) hatte den Welt- cup geschaffen (damals zehn Stationen), und der SC Schonach war als verlässlicher Ausrichter mit an Bord. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert. Diese ständige Präsenz im Veranstaltungskalen- der ist natürlich nicht nur Freundschaften und guten Kontakten zu verdanken. Die Anforde- rungen an die Organisatoren sind immens. Die Langenwaldschanze musste im Lauf der Jahr- zehnte immer wieder für viel Geld modifiziert und umgebaut werden, was zu heftigen Dis- kussionen im Ort führte. Unter dem Strich zo- gen anschließend jedoch alle wieder an einem Rechte Seite: Impressionen von der Langenwald- schanze und Blick hinunter in den Auslauf der Schanze. Damit alle Springer möglichst die gleichen Verhältnisse haben, wird bei Schneefall kurz vor dem Sprung die Spur freigeblasen (Mitte links). 310 Sport


50 Jahre Schwarzwaldpokal 311


„Schonach live“ – die Atmosphäre an der Langenwaldschanze ist großartig – die Fans sind mit Eifer dabei. Strang. Auch bei der Laufstrecke, einst zentral gelegen, musste ständig nachgebessert werden. Seit langer Zeit befindet sich das Skistadion im Wittenbachtal. Der selektive Kurs wurde diverse Male neu gestaltet, den Notwendigkeiten des Reglements angepasst und so trassiert, dass Zuschauer und Fernsehanstalten zufrieden sein konnten. Letztere und deren Geld, ohne das Veranstaltungen dieser Größenordnung nicht möglich sind, haben inzwischen das Zeitdiktat übernommen, dem sich der Skiclub-Vorsitzende Gunter Schuster und sein Team zu unterwerfen haben. Die Weltstars der Szene kommen Und an Prominenz mangelte es der Veranstal- tung wahrlich nie, die Teilnehmerlisten bein- halten seit jeher die Weltstars der Szene. Große Namen haben sich darin verewigt. In den frühen Jahren drückte der Nesselwanger Franz Keller, Olympiasieger von 1968 in Grenoble, dem Wett- bewerb ebenso seinen Stempel auf wie das fin- nische Idol Rauno Miettinen oder Uli Wehling, der bei den Spielen 1972 in Sapporo, 1976 in Innsbruck und 1980 in Lake Placid jeweils mit Gold dekoriert wurde. Dann kam die Zeit des Oberstdorfers Thomas Müller und des heute als deutscher Cheftrainer fungierenden Hermann Weinbuch aus Oberstdorf, der sich 1985 in See- feld den Weltmeistertitel sicherte. Große Fußabdrücke hinterließ auch Fred Börre Lundberg. Der Norweger triumphierte 1991, 1993, 1995 und 1996, durfte die begehrte Trophäe aber dennoch nicht endgültig in seinen Besitz nehmen. Drei Siege hintereinander oder fünf Siege insgesamt, so lautet das Reglement. Der Franzose Fabrice Guy (1992), der Japaner Kenji Ogiwara (1994) und der Finne Samppa Lajunen (1997), alle drei Große der Szene, ver- hinderten Lundbergs sehnlichst erwünschten Coup. Todd Lodwick aus den USA, der Finne Hannu Manninen und der Franzose Jason Lamy Chappuis waren in den jüngeren Jahren die prä- genden Figuren des Schonacher Geschehens. Und die Deutschen? Hubert Schwarz aus Oberaudorf stand 1987 als letzter DSV-Athlet auf dem Siegertreppchen ganz oben. Seither lebt die Hoffnung auf den nächsten Sieg eines Weinbuch-Schützlings. Aber selbst Asse wie Ronny Ackermann, inzwischen Trainer im Na- tionalteam, Eric Frenzel oder Johannes Rydzek schwächelten immer dann, wenn es galt, in Schonach Farbe zu bekennen. Auch Georg „Schorsch“ Hettich war es nie vergönnt, vor eigenem Publikum zu triumphieren. Doch er sorgte für einen viel lauteren Paukenschlag. 2006, bei den Winterspielen in Turin, holte er Gold und Silber in den beiden Einzelwettbe- werben sowie Bronze mit dem Team. Er reihte sich damit in die Liste der großen Schonacher Skisportler ein. Zu ihnen gehören auch der Olympiazweite der Kombinierer von 1976 in 312 Sport


Im Skistadion Wittenbach entscheidet sich beim Langlauf der Kampf um den Schwarzwaldpokal. Innsbruck, Urban Hettich, Skispringer Hansjörg Jäkle, der Team-Olympiasieger von 1994 in Lille- hammer, oder Kombinierer Hans-Peter Pohl, Mannschafts-Olympiasieger 1988 in Calgary und Team-Weltmeister 1987 in Oberstdorf – letzteres übrigens zusammen mit dem noch amtierenden Bundestrainer Weinbuch. Auch Pohl amtiert noch: Der inzwischen 49-Jährige ist beim Schwarzwaldpokal als Moderator und Sprecher im Einsatz – eine weitere Konstante dieser ewig jungen Veranstaltung. schen Juniorenweltmeisterschaften 1981 und 2002, sowohl national als auch international punkten konnten und sich auch nicht davor scheuen, im Continentalcup oder bei „Jugend trainiert für Olympia“ als Ausrichter zu fungie- ren, bei Wettbewerben also, um die sich andere Orte wegen der damit verbundenen Arbeit wahrlich nicht reißen, ist der Ruf der Gemeinde und ihrer Organisationen und Klubs, die ins Ge- schehen eingebunden sind, untadelig. Das lässt darauf hoffen, dass auch in Zukunft die Welteli- te dem Schwarzwald ihre Aufwartung macht. Zukunft scheint gesichert Da die Schonacher auch mit der Organisation weiterer Events, allen voran die beiden Nordi- Der Norweger Moan Magnus Hov dal siegte beim Schwarzwaldpokal 2015 vor seinem Landsmann Klemetsen Haavard und dem Japaner Watabe Akito. 50 Jahre Schwarzwaldpokal 313


Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Goldene Verdienstmedaille Kreisbrandmeister Manfred Bau verabschiedet Nach 51-jähriger Dienstzeit bei der Feuerwehr, davon 23 Jahre als Kreisbrandmeister, wurde Manfred Bau im April 2015 offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Rund 250 geladene Gäste kamen nach St. Georgen, um den verdienten Feuerwehrmann zu würdigen. Bau erhielt für sein ehrenamtliches Engage- ment die höchste Auszeichnung des Landes Baden-Württemberg im Feuerwehrwesen. Er bekam vom Innenministerium das Feuerwehr ehrenzeichen der Sonderstufe ver liehen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis zeichnete Manfred Bau mit der Goldenen Verdienstmedaille aus. Zudem wurde er zum Eh ren vor – sitzenden des Feuerwehrkreis- verbandes Schwarzwald- Baar er nannt. Landrat Sven Hinterseh überbrachte den Dank der Be- völkerung des Landkreises. Er bezeich nete den scheidenden Kreis brand meister als „Vorbild und Motivator für alle Feuerwehr- kräfte im gesamten Landkreis.“ 314 Mit der Goldenen Verdienstmedaille des Schwarzwald- Baar-Kreises wurde Kreisbrandmeister Manfred Bau (links, mit Ehefrau) bei seiner Ver- abschiedung in den Ruhestand geehrt. Landrat Sven Hinterseh (rechts) betonte die Verdienste von Manfred Bau um das Feuerwehrwesen. Nach- folger ist Florian Vetter (zweiter v. rechts, mit Partnerin). Bau habe sein Hobby zum Beruf gemacht. Bereits in frühes- ter Jugend habe für ihn festge- standen, dass er „etwas Sinnvol- les“ machen wolle, so der Land- rat weiter. So war Manfred Bau 1963 Gründungsmitglied der Ju- gendfeuerwehr in Schonach. Nach seiner Ausbildung an der Gewerbeschule war er 21 Jahre lang als Bauleiter und Kalkulator in einer Baufirma in Schonach tätig. 1979 folgte die Wahl zum Kreisjugendfeuerwehrwart, 1981 wurde er stellvertretender Kom- mandant in Schonach. Zehn Jah- re später wählte man ihn zum Kreisbrandmeister. Und zwar eh- renamtlich. Gleichzeitig wurde er technischer Angestellter im Landratsamt, um alle Aufgaben erfüllen zu können. Und diese sind überaus um- fangreich: Sowohl die Aufsicht und Ausbildung der Feuerweh- ren im Kreis als auch deren Eh- rungswesen und Zuschussange- legenheiten oblagen ihm. Bei Bauvorhaben einer bestimmten Größe musste er weiter Stel- lungsnahmen zum vorbeugen- den Brandschutz für das Bau- rechtsamt verfassen. „Das nahm etwa 50 Prozent meiner Tätig- keit ein“, blickte Manfred Bau zurück. Vor allem dieser Bereich sei während seiner Jahre immer umfangreicher geworden. Fast immer vor Ort Und ganz nebenbei war Bau auch immer bei größeren Scha- densfällen im gesamten Kreisge- biet vor Ort. Alarmiert wurde er bei technischen Hilfeleistungen und Bränden – auch, wenn „nur“ eine Wohnung brennt. „Da habe ich dann im Funk reingehorcht und entschieden, ob ich die Ein- satzstelle anfahre“, so Bau. Da- her kam es schon mal vor, dass er auch in der Nacht zwei bis drei Mal aufstehen musste. Im Gedächtnis geblieben ist ihm vor allem das schwere Bus- unglück bei Donaueschingen im Jahr 1992. Bei der Verabschiedung von Kreisbrandmeister Bau wurde durch Landrat Hinterseh zudem der Nachfolger Florian Vetter in das Amt eingeführt. Magazin


Das ehemalige Villinger Krankenhaus ist auch baulich Geschichte, die Luftbildaufnahme zeigt den Stand der Ab- rissarbeiten im August 2015. Ziel ist es nun, an diesem Standort durch eine verdichtete Bebauung das stadtnahe Wohnungsangebot von Villingen-Schwenningen zu verbessern. Der Park des Krankenhauses bleibt erhalten, ebenso das ehemalige Schwesternwohnhaus im Hintergrund links. hat man mit einem dunklen Lack versiegelt, der nun wie ein Rahmen erscheint. „Der Baum lebt“ Balzer Herrgott erneut restauriert Das weithin bekannte Baum denkmal Balzer Herrgott in Gütenbach, der umklammerte Christus, ist einmal mehr aufwendig restauriert worden, da über kurz oder lang erneut sein Verschwinden im Baum droh- te. Überlegungen im Vorfeld, den Dingen ihren Lauf zu lassen, der Herrgott wäre dann nach und nach in der Weidbuche verschwunden, wurden verworfen. Der Balzer Herrgott ist einfach eine zu große Touristen-Attraktion. Zu Beginn der Maßnahme wurde an der auf ein Alter von 150 Jahren geschätzten Buche das Totholz entfernt. Dann schlossen Steinmetze an der steinernen Christusfigur feine Risse. Die Bau m öffnung, durch die der Herrgott zu sehen ist, Schließlich wurde auch die Umgebung neu gestal- tet: 14 Findlinge grenzen den Baum vom Wanderweg ab und akzentuieren ihn. Bürgermeister Rolf Brei – sacher ist wie alle Gütenba- cher stolz auf die besondere Buche mit dem steinernen Christus im Innern. Um des- sen Herkunft ranken sich viele Geschichten und Sagen. Von den Hugenotten soll der Christus angebracht worden sein, gar mit der französischen Revolution in Berührung ste – hen – oder vom legendären Königenhof stammen. Die Wahr heit wird sich nie mehr herausfinden lassen. Mehr über den Balzer Herr gott, der auch „Winkel- herrgott“ genannt wird, findet sich im Almanach 2013. Magazin 315


Schemenpapst Manfred Merz verstorben Im Alter von 87 Jahren ist am 30. Septem- ber 2015 der Villin- ger Sche- menpapst Manfred Merz verstorben. Er zählte zu den bedeutendsten Schemenschnitzern der schwä- bisch-alemannischen Fast- nachtslandschaft. Über 2.000 Glattschemen, Surhebel oder Morbili mit der Signatur „MM“ gibt es. Er ist auch Träger des Kulturpreises der Deutschen Fastnacht. Ein Portrait findet sich im Almanach 2004. 40 Jahre Elektrifizierung der Schwarzwaldbahn: Mit dem Fahr­ planwechsel am 28. September 1975 ist auf der Schwarzwaldbahn erstmals eine Elektrolokomotive unterwegs gewesen. Die 135 Mio. Mark teure Elektrifizierung brach­ te viele Schwierigkeiten mit sich, so mussten alle Tunnels einen hal­ ben Meter tiefer gelegt werden, damit die Oberleitung Platz fand. 316 Mit Laienschauspielern professionell umgesetzt: Der Film „Funkenflug“ über den Stadtbrand von St. Georgen. Funkenflug feierte Premiere: Stadtbrand-Film begeistert St. Georgen Ein Hauch von Hollywood weh- te am 21. September 2015 über der Bergstadt: Mehr als 1.300 Besucher kamen zu den drei of- fiziellen Vorführungen des Kurz- films „Funkenflug“, der anläss- lich der 150. Wiederkehr des ver- heerenden Stadtbrandes am 19. September 1865 produziert wur- de (siehe dazu Almanach 2015). Die aus Oberkirnach stam- Regisseurin Stephanie Kiewel wurde für den 26 Minuten dauernden Film begeistert ge- feiert. Ebenso Co-Regisseur Finn Drude samt der britischen Filmcrew, Studienkollegen der Universität Cumbria, an der Kiewel ihr Studium für Film- und Fernseh produktion inzwi- schen abgeschlossen hat. An der Produktion waren mende und in England lebende gut 120 Personen beteiligt. Die englische Filmcrew mit Regisseurin Stephanie Kiewel an der Spitze (dritte v. links) wurde bei der Premiere von „Funkenflug“ gefeiert. Magazin


Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Stand der Wohn be völ ke rung 31.12.2013 31.12.2014 Ver än de run gen in Zah len in Pro zent Ge mein de Villingen-Schwenningen Donaueschingen St. Georgen Bad Dürrheim Blumberg Furtwangen Hüfingen Niedereschach Bräunlingen Königsfeld Brigachtal Triberg Schonach Vöhrenbach Dauchingen Mönchweiler Tuningen Unterkirnach Schönwald Gütenbach 82.326 21.497 12.938 12.600 9.948 9.159 7.560 5.871 5.867 5.859 5.027 4.762 4.009 3.869 3.651 2.976 2.885 2.477 2.313 1.174 81.128 21.190 12.816 12.634 9.948 9.192 7.530 5.867 5.842 5.773 5.027 4.762 3.998 3.869 3.659 2.976 2.865 2.510 2.330 1.174 1.198 307 122 -34 0 -33 30 4 25 86 0 0 11 0 -8 0 20 -33 -17 0 1,48 1,45 0,95 -0,27 0 -0,36 0,40 0,07 0,43 1,49 0 0 0,28 0 -0,22 0 0,70 -1,31 -0,73 0 -0,82 Kreisbevölkerung insgesamt 206.768 205.090 1.678 Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 30.06.2015 30.06.2014 30.06.2013 3,3 % 3,6 % 3,9 % 3,7 % 3,8 % 3,9 % 6,2 % 6,7 % 6,6 % Beschäftigte insgesamt: 80.555, davon 35.712 im produzierenden Gewerbe (44,3 %), 21.591 in Handel und unterneh- mensnahen Dienstleistungen (26,8%) sowie 23.252 im Bereich „Sonstiges“ (28,9 %). (Stand: 30.06.2014 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg) Orden und Ehrenzeichen Mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande wurde 2015 Klaus Hall (Donaueschingen) ausgezeichnet. Mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurde 2014 ausgezeichnet (noch nicht im Almanach 2015 abgedruckt): Johann Georg Fehrenbach (Villingen-Schwenningen). Mit der Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2015 ausgezeichnet: Albert Schnell (Blumberg), Jürgen Lehmann (St. Georgen), Marianne Schiller (Villingen-Schwenningen), Rolf Müller (Villingen-Schwenningen), Siegfried Henseleit (Villingen-Schwenningen). Die Staufermedaille wurde 2015 an Otto Weißer (Furtwangen) verliehen. Anhang 317


Bildnachweis Almanach 2016 104, 105 o.; Gabi Lendle, Hüfingen: 109 M. o. bis M.u., 111; Hans-Jürgen Kommert: 120-121; Strähle Luftbild; Schorndorf: 138; Rolf Ebnet; Bräunlin- gen, (Archiv): 162, 165, 166 u. 167 u., 171; Hartmut Ketterer, Vöhrenbach: 163, Marga Schubert, Vil- lingen-Schwenningen: 172, 175, 176; Lukas Nagel, Triberg: 177 o.; Achim Käflein, Freiburg: 177 u., Fürstlich-Fürstenbergisches-Archiv, Donaue- schingen: 182-185; Horst W. Kurschat, Villingen- Schwenningen: 202-209; Jürgen Müller, Blum- berg: 210; Roger Müller, Blumberg: 212, Roland Sprich, St. Georgen: 213, 242-243, 244 o. li., 246 o. li., 314, 316; Bernhard Lutz, Blumberg: 214, 215; Al- exander Schmid, Donaueschingen: 216; Jürgen Lehmann, Donaueschingen: 217; Heinz Bunse, Donaueschingen: 218, 219 u.; Martin Fetscher, Vil lingen-Schwenningen: 230 u. re, 237 Mi. u. re.; Wolf Ho ckenjos, Donaueschingen: 248-251; Stephanie Jako ber, Donaueschingen: 252-253, 254 o.; 255; Dr. Helmut Gehring, Villingen- Schwenningen: 259, 261 M. re., 263 o. re. 263 u. li.; ahu AG, Aachen: 256-257 u., NGP Baar, Villin- gen-Schwenningen: 258, 260, 261 Mi., 261 o. li., 263 Mi. li. u., 263 Mi. li. o., 263 Mi. re. o, 264, 265, 266 o., 266 u., 267; LUBW/H. Dannemeyer, Karls- ruhe :261 o. re.; K. Baudis: 261 M. li.; Dr. Stephan Hafner, Löffingen: 261 u. li., 263 u. li.; Dr. Konrad Reidl, Nürtingen: 263 o. li.; HFWU: 263 M.u. re.; Christian Kuchelmeister, Scheer- Heudorf: 278- 285 o.; Kur und Büder GmbH, Bad Dürrheim: 286-287, 288, 290-292; André Gegg, Villingen- Schwenningen: 289, 290 M.; Stephanie Wetzig, Buchenberg: 298-301; Michael Kienzler, Bri- gachtal: 303; Gemeinde Gütenbach: 315 u. Motive Titelseite: Gleitschirmfliegen beim Fürstenberg mit Blick nach Hondingen und kleine Fotos, Wilfried Dold, Vöhrenbach Motiv Rückseite: Eiche am Magdalenenberg, Wilfried Dold, Vöhrenbach. Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Foto gra- fen nicht namentlich angeführt werden, stam- men die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref fenden Beitrages oder sind die Bild autoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 3, 33, 34, 35, 37, 38, 39, 40 ob., 44-45, 47-51, 65, 76-79, 86-87, 140-141, 146-147, 151, 156 ob., 158-159, 160-161, 167 o., 169, 173, 179, 180-181, 187, 188-189, 190-201, 219 o., 220-241, 244 o. re., 245, 246 o. re., 247, 258-259, 270-277, 285 u., 306-307, 309 u., 311, 312 o.r., 313 o., 315 o.; Sebastian Wehrle, Freiamt: 9; Roland Sigwart, Hüfingen: 23-31, 36, 254 u., 256, 257, 310, 311 o. li., 312 o. li., 313 u.; Harald Becker, Blum- berg: 43 u.; Jürgen Günther, Frankfurt 52-53, Madlen Falke, Hüfingen: 58, 59; Barbara Dickmann: 62-64, 66, 68, 69 o.; Elena Schyle, Schonach 67, Markus Ketterer: 69 u. re; Daniela Schneider, Villingen-Schwenningen: 71, 148, 150, 154; Tobias Lange, Villingen -Schwenningen: 81; Dieter Wacker, Villingen -Schwenningen : 83-85; Uhrenindustriemuseum, Villingen-Schwennin- gen: 89; Kinder- und Jugendmuseum, Donau- eschingen: 95; Bundesministerium für Verkehr, Bonn: 143, 149; Neckarquelle (Archiv), Villingen- Schwenningen: 142, 145; Autobahnmeisterei Rottweil: 152, 153, 155, 156 u., 157; dold.verlag (Archiv): 88, 93, 168m 196, 199, 232/233 u.; Jür- gen Hönig, Vöhrenbach: 91; SSS Siedle, Furtwan- gen: 96, Matthias Winter, Furtwangen: 102 o. re., 318 Anhang


Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Baumann, Günther, Kornbindstr. 59, 78056 Villingen-Schwenningen Beck, Andreas, Rathausplatz 1, 78166 Donaueschingen Dickmann, Barbara, Hubertusweg 5, 78098 Triberg Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Ebnet, Rolf, Kalköfele 7, 78199 Bräunlingen Fabisch, Nils, Hölzleweg 51, 78054 Villingen-Schwenningen Falke, Madlen, Ornans-Ring 19, 78183 Hüfingen Fetscher, Martin, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Gehring, Dr. Helmut, Königsberger Straße 30, 78052 Villingen-Schwenningen Hettich, Peter, Lindenstraße 11, 78054 Villingen-Schwenningen Hinterseh, Sven, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Hönig, Prof. Dr.-Ing. Jürgen, Berthold-Walter-Straße 24, 78147 Vöhrenbach Jakober, Stephanie, Käferstr. 10, 78166 Donaueschingen Kienzler, Michael, Gartenstraße 15, 78086 Brigachtal Köhler, Ursula, Rietstraße 35, 78050 Villingen-Schwenningen Kommert, Hans-Jürgen, Am Schwanen 1, 78112 St. Georgen Kring, Thomas, Neckarstraße 120, 78056 Villingen-Schwenningen Kuchelmeister, Christian, Baron-Eberhart-Weg 1, 72516 Scheer-Heudorf Kurschat Horst W., Weilersbacher Straße 132, 78056 Villingen-Schwenningen Lendle, Gabi, Mönchhofstraße 9, 78183 Hüfingen Lutz, Bernhard, Seemühle 14c, 78183 Hüfingen Nack, Christina, Obereschacher Straße 7, 78126 Königsfeld Rothweiler, Doris, Kiefernweg 36, 78176 Blumberg Schell, Rüdiger, Endlins Breiten 9, 78166 Donaueschingen Schneider, Daniela, Bert-Brecht-Straße 15-19, 78054 Villingen-Schwenningen Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schubert, Marga, Hafnergasse 6, 78050 Villingen-Schwenningen Sigwart Roland, Hauptstraße 16, 78183 Hüfingen Sprich, Roland, Kühlbrunnenweg 13a, 78112 St. Georgen Wacker, Dieter, Steinwiesenstraße 4, 78052 Villingen-Schwenningen Wehrle, Sebastian, Buchenweg 4, 79348 Freiamt Wetzig, Stephanie, Martinsweiler 17, 78126 Königsfeld-Buchenberg Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Anhang 319


Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2016 ® lingen-Schwenningen Hightech für den sicheren und effi – intelligente und innovative Systeme für den effi zienten Wa- S Sparkasse Schwarzwald-Baar Sechs weitere Freunde und Förderer des Almanachs wünschen nicht namentlich genannt zu werden. 320 Anhang



Konzert für eine Eiche – auf dem Villinger Magdalenenberg fotografiert von Wilfried Dold