Almanach 2015

Almanach 2015 Schwarzwald-Baar-Jahrbuch Schwerpunkt „Da leben wir“ 20 Jahre „Die Fallers“


He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Re dak ti on: Sven Hinterseh, Land rat Wil fried Dold, Re dak teur (wd) Kristina Blaha, Referentin des Landrats Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv Susanne Bucher, Leiterin Informations- und Kulturamt Stadt Hüfingen Dr. Joa chim Sturm, Kreis ar chi var Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to- ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun- gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re- dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: Wilfried Dold, dold.verlag Verlag: dold .ver lag, Vöh ren bach www.dold ver lag.de Druck: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-927677-80-7 Foto rechte Seite: An den Schleifenbach- Wasserfällen bei Blumberg.


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Inhalt Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Schwerpunkt Neckar Wo sind die Wurzeln – wo ist daheim? Was Heimat ist, diese Frage ist ungeheuer populär geworden Wo der Neckar seine Reise beginnt Heimat ist überall Holy Heimat Von der Verortung des Ichs Petra Hettich Jochen Scherzinger Andreas Helwig Thomas Behringer Eric Fürderer Jacqueline Janzen Sabine Grässlin Jan Cebulla Rik Sauser Kai Sauser 28 94 Was „daheim“ im Schwarzwald- Baar-Kreis bedeuten kann hat das Jahrbuch „Almanach“ nachgefragt: Jochen Scherzinger in Gütenbach drückt seine Heimatgefühle in Mode aus, der Villinger Eric Fürderer ist im Butzesel-Häs „daheim“ – Petra Hettich auf dem Sigmundenhof in Schonach und Jacqueline Janzen im Tor ihrer Eishockeymannschaft. Für Pilot Andreas Helwig und Notfallsa ni täter Thomas Behringer bedeutet „Zuhause sein“ im „Christoph 11“ zu fliegen und Menschenleben zu retten. Für Sabine Grässlin ist das Restaurant „Kippys“ in St. Georgen ein Lebensmittelpunkt – und der junge Bad Dürrheimer Jan Cebulla hält sich vorzugsweise im Kurpark auf. Kai und Rik Sauser organisieren große Radveranstaltungen und konnten sich nie vorstellen, hier wegzugehen. Das Schwenninger Moos liegt 705 Meter über dem Meer und befindet sich am Südrand von Schwenningen. Hier entspringen der Neckar und die Stille Musel, die der Donau zufließt. Mitten hindurch verläuft die europäi- sche Wasserscheide – ein Teil des Mooswassers fließt somit über den Neckar auch in den Rhein. Das Moos ist ein großar- tiges Naturschutzgebiet und ein beliebtes Naherholungsziel. 4


Garnisonsstadt Donaueschingen Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich 152 Die französische Garnison Donau eschingen gehört seit dem 24. Juni 2014 der Vergangenheit an. Die Konsequenz: Rund 1.800 Menschen – ca. 750 Soldaten und deren Familienangehörige – sind fast von heute auf morgen weg- gezogen. Die Franzosen waren ein Teil der Stadt Donau esch in- gen, ein Teil ihrer internationa- len Ausrichtung und Ausstrah- lung und auch ein belebendes Element im Stadtalltag. Inhaltsverzeichnis 2 8 Impressum Heimat – Tradition, Verlässlichkeit, Geborgenheit / Sven Hinterseh 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen 10 Der Schwarzwald-Baar-Kreis hilft Flüchtlingen in Not / Sven Hinterseh 20 Kreistagswahlen 2014 24 Verabschiedung der Kreisräte / Heike Frank 2. Kapitel / Da leben wir – Schwerpunkt Heimat 30 Petra Hettich – Bäuerin / Barbara Dickmann 34 Jochen Scherzinger – Modedesigner / Elke Schön 44 Andreas Helwig – Rettungspilot / Christina Nack 48 Thomas Behringer – Notfallsanitäter / Christina Nack 52 Eric Fürderer – Butzesel / Christina Nack 56 Jacqueline Janzen – Eishockey-Nationalspielerin / Christina Nack 60 Sabine Grässlin – Köchin und Kunstsammlerin / 66 Natalie Göbel Jan Cebulla – ein Leben im Rollstuhl und doch offen und fröhlich / Susanna Kurz 70 Kai und Rik Sauser: Wenn es ums Rad geht, sind sie in ihrem Element / Michael Kienzler 3. Kapitel / Städte und Gemeinden 76 Hüfingen bietet viel Lebensqualität / Stefan Limberger-Andris 84 Königsfeld – Ort der zarten Melancholie / Stephanie Wetzig 4. Kapitel / Schwerpunkt Neckar 94 Wo der Neckar seine Reise beginnt / Daniela Schneider 106 Schwenningen und die Necklemer / Wolfgang Trenkle 5. Kapitel / Wirtschaft 116 Sparkasse Schwarzwald-Baar – ein Stück Heimat 130 Bad Dürrheimer Mineralbrunnen / Christina Nack 140 SCHMIDT Technology / Roland Sprich 6. Kapitel / Bildung und Soziales 146 Carl-Orff-Schule Villingen / Saskia Fraas 7. Kapitel / Garnisonsstadt Donaueschingen 152 Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich / Ernst Zimmermann 8. Kapitel / Geschichte und Wirtschaftsgeschichte 170 Sanierung der Historischen Zehntscheuer / Dieter Wacker 176 Karl Albrecht – ein Glücksfall für Donaueschingen / Gerhard Kiefer 5


Inhalt Geschichte Zeitgeschehen Umwelt und Natur 100 Jahre Erster Weltkrieg Wo die Fallers zu Hause sind Die Rückkehr der Wildtiere 182 210 252 Die Geschichte des Ersten Welt- krieges für den Schwarzwald- Baar-Kreis – vielmehr für die frü- heren Landkreise Donaueschin- gen und Villingen – ist noch nicht geschrieben. Die Erinnerung an diesen Krieg ist meist nur noch dort lebendig, wo sie mit Angehö- rigen oder besonderen Ereignis- sen verknüpft ist. Einmalig ist ei- ne Bilddokumentation der Furt- wanger Fotografin Maria Griesha- ber über die Kriegsjahre. 6 Auf dem Unteren Fallengrund in Neukirch steht mit dem „Fallerhof“ der bekannteste Bauernhof von Baden-Würt- temberg. In Wirklichkeit ist es der Unterfallengrundhof. Nach 20 Jahren „Die Fallers“ ist zwi- schen den wirklichen „Fallers“, der Familie von Agnes und Felix Löffler, und den „Fallers“ mit den Hauptdarstellern Peter Schell und Christiane Brammert längst eine Freundschaft entstanden. Die Rückkehr einst ausgerotteter Wildtierarten wird in Zeiten ei- nes weltweiten Arten schwunds zumeist freudig begrüßt, feiern wir sie doch als Erfolgsnach- weis für den Artenschutz – als Indiz für einen noch immer vergleichsweise naturnahen, in- takten Lebensraum. Auch in den Schwarzwald-Baar-Kreis kehren verstärkt Wildtiere zurück. Doch nicht alle Heimkehrer haben das Zeug zum Sympathieträger.


Gastlichkeit Die Schwarzwälder Kirschtorte 300 Ein Geheimtipp im Schwarzwald ist das Café Schäfer in Triberg. Seit 1929 ist das Original-Rezept im Schäferschen Familienbesitz und seitdem wird den Gästen im Café die „Königin der Torten“ – die Schwarzwälder Kirschtorte angeboten. Aber noch viel mehr, so beispielsweise die mit Scho- kolade ummantelte Schwarz- waldkirsche mit Stiel. Eine Spezi- alität, hinter der viel Fachwissen steckt. 182 100 Jahre Erster Weltkrieg 190 Alltagsleben im Ersten Weltkrieg / Wilfried Dold 9. Kapitel / Brauchtum 206 Tracht des Jahres 2014 / Roland Sprich 10. Kapitel / Zeitgeschehen 210 Wo die Fallers zu Hause sind / Matthias Winter 224 20 Jahre „Die Fallers“ 230 „Funkenflug“ – Als die Bergstadt in Flammen stand / Roland Sprich 11. Kapitel / Kunst und Künstler 234 Thomas Straub: Konzeptkünstler und Schemenschnitzer / Stefan Simon 242 Helfried Günther Glitsch – Physiologieprofessor und facettenreicher Künstler / Stefan Simon 12. Kapitel / Umwelt und Natur 252 Die Rückkehr der Wildtiere / Wolf Hockenjos 262 Die Lärchen / Wolf Hockenjos 268 Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis – Die Blatthalde bei Ober- und Unterbaldingen / Wolf Hockenjos 276 Historische Flussregulierungen im Schwarzwald-Baar- Kreis / Martin Fetscher 13. Kapitel / Sport 290 Michael Kienzler – als Sportfotograf bei der Fußballwelt- meisterschaft / Martina Zieglwalner 298 Martin Schmitt verabschiedet 14. Kapitel / Gastlichkeit 300 Die Schwarzwälder Kirschtorten-Erfolgsgeschichte aus Triberg / Daniela Schneider 304 Gasthaus-Hotel Sternen Brigachtal / Josef Vogt 307 Gasthaus Breitbrunnen Unterkirnach / Madlen Falke 14. Kapitel / Freizeit 310 Streichelzoo in Kappel – Eine Freizeit-Oase für die ganze Familie / Philipp Jauch Anhang 313 Almanach-Magazin 316 Europawahl Wahlergebnis, Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen, Orden und Ehrenzeichen 317 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis 318 Bildnachweis 319 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 320 Ehrenliste der Freunde und Förderer 7


Zum Geleit Heimat – Tradition, Verlässlichkeit, Geborgenheit Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Jahr erscheint unser Almanach – das Schwarzwald-Baar-Jahrbuch – bereits in der 39. Auflage und hält somit seit fast vier Jahrzehnten Jahr für Jahr neben dem aktuel- len Kreisgeschehen auch die Vielfältigkeit unseres Schwarzwald-Baar-Kreises in den unter- schiedlichsten Bereichen, sei es Wirtschaft, Politik, Kultur, Freizeit oder Sport fest. In diesem Jahr feiert ein ganz spezielles „Wahrzeichen“ unseres Landkreises Jubiläum: Die erfolgreiche SWR-Fernsehserie „Die Fallers“ wird 20. Dies haben wir zum Anlass ge- nommen, sowohl Filmset als auch den Alltag auf dem „Fallerhof“ näher unter die Lupe zu nehmen. Maßgebend für die Beliebtheit der Serie ist, dass immer wieder regionale Ereig- nisse, Feste und die Tradition im Schwarzwald thematisiert werden. Heimat spielt jedoch nicht nur bei den „Fallers“ eine große Rolle. Wie sehr Jung und Alt mit unseren wunderschönen Naturräumen im Schwarzwald und auf der Baar sowie mit der Tradition im Landkreis verwurzelt sind, zeigt ein weiteres Kapitel unseres Jahrbuches. Eini- ge Persönlichkeiten unserer Heimat präsentieren auf ganz unterschiedliche Art und Weise, was Heimat für sie bedeutet. Sie zeigen mit ihrer eigenen, ganz individuellen Note auf, dass wahre Heimat Geborgenheit und Verlässlichkeit gibt – Eigenschaften, die in diesen global schwierigen Zeiten wieder an großer Bedeutung gewinnen. Diese Beiträge, aber auch die weiteren Kapitel unseres Jahrbuches, zeigen in bunter und vielfältiger Weise, dass wir im Schwarzwald-Baar-Kreis mit unseren Naturschätzen, den außergewöhnlichen Städten und Gemeinden, den einzigartigen und unterschiedlichen Landschaften, mit guten wirtschaftlichen Strukturen und einem breit gefächerten kulturel- len Angebot selbstbewusst zu unserer Heimat stehen können. Ganz besonders richtet sich mein Dank an die zahlreichen Autoren und Fotografen, die dazu beigetragen haben, dass 2015 erneut ein ansprechendes, informatives und gleichwohl sehr kostengünstiges Heimatjahrbuch entstehen konnte. Dass dies möglich war, verdan- ken wir aber auch wieder den treuen Freunden und zahlreichen Förderern des Almanach, denen mein herzlicher Dank gilt. Ohne sie alle wäre dieses Schwarzwald-Baar-Jahrbuch nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank vor allem aber auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Ich hoffe, Sie finden auch in der 39. Ausgabe des Almanach, unserem Schwarzwald-Baar-Jahrbuch, jede Menge anregenden Lesestoff und wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen. Ihr Sven Hinterseh Landrat 8


In 20 Jahren wurden über 800 Folgen ausgestrahlt: „Die Fallers“ des SWR-Fernsehens sind die bekannteste Bauernfamilie Deutschlands. Gedreht wird die Serie auf dem Unterfallengrundhof in Furtwangen-Neukirch. Dort bereitet sich die bereits 19. Generation auf die Übernahme des Hofes vor. Florian Löffler mit Sarah und Tochter Romina sind zusammen mit Agnes und Felix Löffler die „wirklichen Fallers“. Die Familie bewirtschaftet den Hof seit 1592 – er ist seit über 420 Jahren ihre Heimat.


Aus dem Kreisgeschehen Der Schwarzwald-Baar-Kreis hilft Flüchtlingen in Not Jugendliche geben ihren Senf zur Kreispolitik – Schnelle Internetverbindung – Stundentakt auf der Schwarzwaldbahn – Musterwohnung BEATE – WanderParadies Schwarzwald und Alb von Landrat Sven Hinterseh Zahlreiche Krisen rund um die Welt sorgen derzeit für die höchs- te Zahl von Flüchtlingen seit dem Zweiten Weltkrieg. Über 50 Mil- lionen Menschen befinden sich laut Amnesty International welt- weit auf der Flucht. Und auch in Deutschland spüren wir die Auswirkungen: Viele Flücht- linge, die beispielsweise vor den aktuellen Men- schenrechtskrisen vor allem in Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und Eritrea fliehen, suchen Zuflucht in unserem Land. 10 10


Aus dem Kreisgeschehen Begrüßung einer Flüchtlingsfamilie aus Syrien durch Heimleiter Bernd Rist. Sie hat in einer Wohnung in Villingen eine vorläufige neue Heimat gefunden. 11


Aus dem Kreisgeschehen Einmal pro Woche bietet das Diakonische Werk in St. Georgen in Zusammenarbeit mit der Wirkstatt und ehren- amtlichen Helfern das Sprachcafé an. In lockerer Atmosphäre vertiefen die Asylbewerber hier die Alltagssprache und üben Grammatik. In der Bergstadt bemüht man sich mit großem Engagement in allen Bereichen um die Integration der Flüchtlinge. Hier hört die Eingliederung nicht nach dem „Guten Tag“ auf. Schwarzwald-Baar-Kreis nimmt knapp 2 % der Flüchtlinge in Baden-Württemberg auf Deutschland gewährt Flüchtlingen durch das Asylverfahren und das Aufenthaltsrecht Schutz. Ausschlaggebend ist das in Artikel 16a Grundge- setz verankerte Recht auf Asyl – es ist das einzige Grundrecht, das nur Ausländern zusteht. Die Prü- fung des Asylantrages erfolgt durch das Nürnber- ger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In- nerhalb Deutschlands werden die Asylbewerber nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt, das sind für Ba- den-Württemberg knapp 13 %. In Baden-Württemberg besteht dann ein dreigliedriges Aufnahmesystem: Erste Station für Asylbewerber und die meisten sonstigen Flüchtlinge ist die Landeserstaufnahmeeinrich- tung in Karlsruhe – eine weitere in der ehema- ligen Zollernalb-Kaserne in Meßstetten steht unmittelbar vor der Eröffnung. Hier werden die Asylbewerber registriert und auf übertragbare Krankheiten untersucht. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Landeserstaufnahmeeinrichtung beträgt etwa sechs Wochen. Danach (zweite Station) werden die Flüchtlinge den Stadt- und Land- 12 kreisen nach einem Bevölkerungsschlüssel für die sogenannte vorläufige Unterbringung – die bis zum Abschluss des Asylverfahrens dauert, längstens jedoch für zwei Jahre – zugeteilt. Der Schwarzwald-Baar-Kreis muss knapp zwei Pro- zent aller Asylsuchenden und Flüchtlinge in Ba- den-Württemberg aufnehmen. Nach dem Ende der vorläufigen Unterbrin- gung, die der Landkreis zu verantworten hat und organisiert, werden die Flüchtlinge innerhalb des Kreises auf die Städte und Gemeinden in die sogenannte Anschlussunterbringung (dritte Sta- tion) verteilt – maßgeblich hierfür ist der kreis- interne Bevölkerungsschlüssel der Städte und Gemeinden. 40 bis 60 neue Flüchtlinge pro Monat Die Zugangszahlen in Deutschland befinden sich auf einem Niveau wie seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr und ein sehr hoher Anstieg um über 50 % im Vergleich zum Vorjahr ist zu verzeichnen. Über 550 Flüchtlinge befinden sich derzeit in der sogenannten vorläufigen Unterbringung und somit im Verantwortungs- bereich des Landratsamtes in Gemeinschafts-


unterkünften in Villingen-Schwenningen, St. Ge – orgen, Donaueschingen und im ehemaligen Kloster in Maria Tann (Unterkirnach/Vil lingen- Schwenningen). In der ersten Jahreshälfte 2014 wurden uns von der Landeserstaufnahmeein- richtung in Karlsruhe je Monat zwischen 40 und 60 Flüchtlinge zur vorläufigen Unterbringung zugewiesen. Mittlerweile ist die Zahl auf 80 Per- sonen je Monat angestiegen und daher ist der Landkreis mit Hochdruck auf der Suche nach neuem Wohnraum für die in Not geratenen Men- schen. Die Unterbringung der Flüchtlinge bedeu- tet eine humanitäre Verpflichtung für uns alle. Bis zum Ende des Jahres 2015 werden über 1.100 Unterkunftsplätze benötigt Auch wenn der Schwarzwald-Baar-Kreis zu- letzt größere Gebäude für die Unterbringung von Flüchtlingen anmieten konnte, so steht der Land kreis weiterhin unter starkem Druck, wei- tere Räumlichkeiten für die Unterbringung für Asylbewerber herzurichten. Das Landratsamt wird daher auch in den kommenden Monaten gemeinsam mit den Städten und Gemeinden im Landkreis intensiv nach geeigneten Wohnobjek- ten Ausschau halten, um der Verpflichtung zur Un terbringung von Flüchtlingen nachkommen zu können. Nach derzeitigen Prognosen und Hochrechnungen werden bis zum Jahresende 2015 insgesamt über 1.100 Unterkunftsplätze be- nötigt. Intensive Betreuung erleichtert Integration Verständlich ist, dass viele Bürger und Nachbarn im Wohnumfeld von neuen Gemeinschaftsun- terkünften viele Fragen haben und dabei auch Sorgen und Ängste geäußert werden. Die Land- kreisverwaltung bemüht sich mit einer inten- siven Betreuung der Flüchtlinge in den Einrich- tungen zu einer gelingenden Integration und zu einem guten Miteinander vor Ort beizutragen. Ermutigend ist, dass viele Bürger mit großem Verständnis und Mitgefühl auf die Flüchtlinge zugehen und so auch dank bürgerschaftlichem Aus dem Kreisgeschehen Hausmeister Reinhold Grotz hat auch durch die Flüchtlinge tatkräftige Unterstützung. Mitte: Sozialarbeiter Josch Feuer- stein vom Sozialdienst des Deutschen Roten Kreuzes betreut die Familien. Und auch Spielen muss sein, Kinder aus Syrien freuen sich nach ihrer langen Odyssee über die Schaukel. Engagements ganz unterschiedliche Unterstüt- zungsleistungen angeboten werden können. Dadurch wird der Start und die Integration für viele Asylbewerber, in einer für sie fremden Welt, zweifelsohne erleichtert und es entstehen neue Kontakte und für beide Seiten wichtige Begeg- nungen. 13


Aus dem Kreisgeschehen Landtagspräsident Guido Wolf (Mitte, rechts) bereicherte die Veranstaltung für Erstwähler mit einem Impulsvor- trag zur Bedeutung der Demokratie. Zusammen mit Landrat Sven Hinterseh (Mitte, links) nahm er am Schluss der Veranstaltung die auf Senf flaschen notierten Anregungen der Erstwähler entgegen. Jugendliche geben ihren Senf zur Kreispolitik – Erstwähler nutzen Chance zum Dialog Von Politikverdrossenheit war bei der erstmals durchgeführten Veranstaltung für Erstwähler im Großen Sitzungssaal im Landratsamt im Vor- feld der Kommunalwahl kein Hauch zu spüren. Lebendig und äußerst gut vorbereitet diskutier- ten über 60 Schülerinnen und Schüler von un- terschiedlichen Schularten aus dem gesamten Kreisgebiet mit Kreisrätinnen und Kreisräten. Alle Schüler hatten eines gemein – sie konnten zum ersten Mal bei einer Kommunalwahl ihre Stimme abgeben. Einige sogar früher, als dies sonst möglich war. Zum ersten Mal hatten 16- und 17-Jährige die Möglichkeit mitzu- bestimmen, wer in den Kommunalgre- mien Verantwortung übernehmen soll. Initiiert wurde die Aktion „Was uns bewegt“ durch den Landtag Ba- den-Württemberg und vom Landratsamt umgesetzt. Als Kooperationspartner fanden sich im Landkreis 15 Schulen verschiedenen Typs sowie die Landeszentrale für po- litische Bildung und der Landesjugendring. Das Ziel 14 für die Erstwähler-Veranstaltung mit der flotten Überschrift „Was uns bewegt – Gib Deinen Senf dazu!“ war schnell definiert: Es sollte eine Platt- form dafür geschaffen werden, dass Jugendliche und Vertreter der Politik einen Dialog beginnen können. Schon im Vorfeld zum Veranstaltungstag am 7. Mai 2014 bereiteten sich die Teilnehmer, ob Schüler oder Politiker, intensiv zu einem landkreisbezogenen Thema vor: „Bildung – Ausbildung – Studium“, „Ehrenamt – Genera- tionengerechtigkeit“, „Integration – Inklusion“, „Energie“, „Tourismus und Freizeit“, „Stadt und Land“, „Kommunikation“ und „Mobili- tät“. Abgeleitet wurden diese Themen aus der Demografiestrategie des Schwarz- wald-Baar-Kreises. Wichtig war dabei, dass die erarbeiteten Ergebnisse aus den Dialogen zwischen Schülern und Politi- kern, dort wieder in die Umsetzung der Demografiestrategie einfließen werden. Ihre Wünsche formulierten die Jugend- lichen auf Senfflaschen – hier ist der Wunsch nach schnellem Internet fest- gehalten.


Über 100 Dialog-Teilnehmer Mit fundierten Argumenten ausgestattet, disku- tierten die über 100 Dialog-Teilnehmer, Schüler sowie Kommunalpolitiker. Die Schüler nutzten die Chance intensiv, all das zu ihrem Thema an- zubringen, was ihnen schon lange unter den Nä- geln brennt. Gemeinsam formulierten die The- mengruppen Aufträge an die Kommunalpolitik, die sie ganz getreu dem Motto auf einer Senftu- be festhielten. Bei der Präsentation der Ergebnisse war auch Landtagspräsident Guido Wolf anwesend. Auf beeindruckende Art und Weise präsentierten die Schüler das Fazit ihrer jeweiligen Diskussions- gruppe. Ein Zukunftsthema zog sich dabei wie ein roter Faden durch die Präsentationen: Mobili- tät. Fast alle Gruppen formulierten die Forderung nach einem besseren Verkehrsnetz. Dazu gab es ganz unterschiedliche Lösungsvorschläge und kreative Denkansätze, die an die Kommunalpoli- tik adressiert wurde. Im Rahmen der Überarbei- tung des Nahverkehrsplanes des Landkreises soll es den Jugendlichen möglich sein, sich mit ihren Ideen weiter einzubringen. In einem waren sich die Schüler einig: der Schwarzwald-Baar-Kreis ist ihre Heimat – eine Region mit einer guten Mischung aus Stadt und Land, aus Natur und kulturellem Leben, in der es sich gut leben lässt. Das Ziel: Breitbandversorgung und schnelles Internet für alle Die moderne Technik macht es möglich, dass vie- le alltägliche Aufgaben durch einen Knopfdruck leichter oder mit mehr Komfort erledigt werden können. Vieles davon ist für uns schon selbst- verständlich geworden. Heimarbeitsplätze dank modernster Computertechnik, Banküberweisun- gen von zu Hause mittels Online-Banking, Filme oder Serien können durch eine Mediathek im Fernsehen zu dem Zeitpunkt angeschaut wer- den, der selbst bestimmt wird, der Familienaus- flug wird durch eine Internetrecherche geplant und das Fotoalbum als Erinnerung online zu- sammengestellt und in Auftrag gegeben. All die- Aus dem Kreisgeschehen Eine Schülerin des Thomas-Strittmatter- Gymnasiums St. Georgen präsentiert die Ergebnisse der Diskussionsgruppe „Integration – Inklusion“. In lockerer Atmosphäre kamen Jugendliche und Politiker im Sitzungssaal des Landratsamtes ins Gespräch. Schüler des Technischen Gymnasiums Schwenningen diskutieren mit den Kreisräten Edgar Schurr (Mitte, links) und Karl Rombach, MdL (Mitte, rechts), zum Thema „Energie“. 15 15


Glasfaser-Höchstgeschwindigkeitsnetz aufzubauen. Der Zweckverband, der im Früh- jahr 2014 gegründet wurde, macht es möglich, diese wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge zu realisieren. Die Vorteile für die Städte und Gemeinden im Schwarzwald-Baar-Kreis durch die- sen Zusammenschluss liegen in ver- schiedenen Faktoren. Kompetenzen können gebündelt und der Netzaus- bau aufeinander abgestimmt werden. Zudem können wirtschaftliche Ein- heiten für Planung, Baumaßnahmen und Netzbetriebsvergabe geschaffen werden. Darüber hinaus gewährt das Land Baden-Württemberg für inter- kommunale Zusammenschlüsse deut- lich erhöhte Zuschüsse. Etablierte Breitband-Netzbetreiber sind der- zeit nicht bereit, im ländlichen Raum flächende- ckend Glasfasernetze bis zu einzelnen Gebäuden (Fibre To The Building – FTTB) auszulegen. Des- halb bleibt nur die Alternative, das Glasfasernetz schrittweise in kommunaler Hand zu errichten und sodann an Netzbetreiber zu verpachten. Wichtigste Infrastrukturinvestition in den kommenden Jahren Die Entscheidung für diesen Schritt, sowohl des Landkreises als auch jeder einzelnen Kommu- ne, war mutig. Die Investitionskosten, um die schnelle Datenautobahn umzusetzen, müssen Aus dem Kreisgeschehen Landrat Sven Hinterseh und Schonachs Bürgermeister Jörg Frey geben im September 2014 den Startschuss für die Breitbandver- kabelung von Schonach und damit für das schnelle Internet. se Dienstleistungen haben viele von uns längst lieb gewonnen und für all dies benötigen wir eine leistungsfähige Internet-Verbindung, näm- lich eine schnelle Datenleitung – zukunftsfähige Breitbandnetze mittels Glasfaser. Für unsere Unternehmen sind leistungsfähi- ge Breitbandnetze im 21. Jahrhundert unabding- bar. Das Breitband ist heute ein bedeutender Standortfaktor. Wie schnell Informationen und Wissen ausgetauscht werden, beeinflusst das wirtschaftliche Wachstum, aber auch die Ent- wicklung unserer Städte und Gemeinden. Gera- de im ländlichen Raum müssen wir die Stand- ortqualität für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie für unsere Unternehmen durch zukunfts- fähige Datenautobahnen sichern. Im Schwarzwald-Baar-Kreis haben sich des – halb alle Städte und Gemeinden und der Landkreis selbst zu einem Zweckverband zu- sammengeschlossen, um bei diesem Zukunfts- projekt an einem Strang zu ziehen: Der Schwarzwald-Baar-Kreis soll kreisweit mit ei- nem Glasfaser-Netz ausgestattet werden. Ziel des Zweckverbands „Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar“ ist es, im Laufe der nächs- ten Jahre im Landkreis in kommunaler Regie ein Ohne zukunftsfähige Datenautobahn via Breitband kabel ist die Standortqualität im Schwarzwald-Baar-Kreis nicht gesichert. 16


gemeinsam gestemmt werden und sind für je- den Beteiligten eine Herausforderung. Für den Schwarzwald-Baar-Kreis ist es die wichtigste Infrastrukturinvestition in den kommenden Jah- ren, denn sie gewährleistet, dass unser Landkreis zukunftsfähig bleibt. Über mehrere Jahre wird die Breitbandversorgung deshalb der Investiti- onsschwerpunkt des Kreishaushaltes sein. So liegen die Investitionskosten des Zweck- verbands für das Gesamtvorhaben, mit An- schlussmöglichkeit fast aller Gebäude in Ortsla- gen bis zum Jahr 2025 bei weit über 100 Milli- onen Euro. Davon entfallen auf das kreisweite Ringnetz (sogenanntes Kreis-Backbone-Netz), das ausschließlich durch den Kreishaushalt fi- nanziert wird, zirka 20 Millionen Euro. Die Städte und Gemeinden im Landkreis, die die Ortsnetze zu finanzieren haben, müssen die restlichen Investitionskosten stemmen. Die eigentlichen Hausanschlusskosten – vom Gehweg über das Hausgrundstück zum Gebäu- de – werden für die im weitestgehenden Falle über 54.000 Gebäude landkreisweit auf unge- fähr 90 Millionen Euro veranschlagt. Dies ergibt Anschlusskosten für ein Gebäude in Höhe von 1.500 bis 2.000 Euro. Stundentakt auf der Schwarzwaldbahn von Offenburg nach Konstanz gesichert Zu einer guten Verkehrsinfrastruktur zählt neben einem gut ausgebauten Straßennetz vor allem eine gute Anbindung an das Schienennetz. Die Schwarzwaldbahn ist dabei ein wichtiger Bau- stein, denn sie verbindet die Städte Offenburg und Singen auf einer 149 Kilometer langen Strecke, die mitten durch den Schwarzwald-Baar-Kreis führt. Leider hat sich die Deutsche Bahn AG und vor ihr auch schon die damalige Bundesbahn im- mer mehr aus den Fernverkehrsverbindungen von Konstanz über Offenburg in die ganze Repu- blik verabschiedet. Die Schwarzwaldbahn bei Triberg. Die weltbe rühm te Ge- birgsbahn muss auch für den Schwarzwald-Baar-Kreis durch bedarfsgerechte Fahrpläne attraktiv bleiben. Aus dem Kreisgeschehen 17


Aus dem Kreisgeschehen Katja Porsch (Zweite v. links) präsentiert in der Musterwohnung BEATE ein Senioren-Telefon mit großen Tasten. Landrat Sven Hinterseh (rechts) und Sozialdezernent Jürgen Stach (Zweiter v. rechts) freuen sich. Im Frühjahr 2014 erfolgte ein weiterer Schritt und die Deutsche Bahn AG kündigte an, das Inter- city-Zugpaar „Schwarzwald“ und „Bodensee“ zu streichen. Nur durch intensiven Protest auf allen politischen Ebenen und durch die Unterstützung unserer örtlichen Abgeordneten ist es gelungen, die Intercity-Verbindung am Wochenende zu er- halten und die wochentags entstehende Lücke durch das insgesamt sehr gut angenommene Nahverkehrsangebot der Deutschen Bahn AG zwischen Konstanz und Offenburg zu schließen. Künftig muss wochentags also in Offenburg umgestiegen werden, um in Fernverkehrszüge zu gelangen. Für uns in der Region war aber wich- tig, dass wir nun wieder einen echten Stunden- takt auf der Schwarzwaldbahn bekommen und auch unsere Nahverkehrs- und Verbundtickets auf der Strecke gültig sein werden. Unsere Kritik hat Wirkung gezeigt und das Land hat gehandelt und diese Verkehrslücke geschlossen. Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, dass sich die Deutsche Bahn AG immer mehr auf wichtige Strecken zurückzieht und sich mit ih- rem Fernverkehrsangebot alleine auf einige we- nige Hochleistungsstrecken konzentriert. Auch als Wirtschafts- und Tourismusregion brauchen wir schließlich eine gute verkehrliche Anbindung auf der Schiene und die Schwarzwaldbahn muss weiterhin attraktiv bleiben. 18 So kann altersgerechtes Wohnen aussehen – Musterwohnung BEATE eröffnet Für viele Senioren ist es ein großer Wunsch, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben zu können. Wie dies gelingen kann, zeigt die Beratungsstelle „Alter und Tech- nik“ des Schwarzwald-Baar-Kreises bereits seit dem Jahr 2011 auf. Senioren und Angehörige kön- nen sich hier darüber informieren, welche tech- nischen Möglichkeiten es zur Unterstützung im Alltag gibt und welche individuell auf den einzel- nen Bedarf passen. Es gibt zahlreiche Hilfsmittel, zum Beispiel Geräte für Sehbehinderte, wie ein Vorlesegerät oder einen Bildschirm, der Texte und Bilder be- liebig vergrößert. Aber auch eine ausgeklügelte Haustechnik mit Fingerprint-Scanner, der den Eintritt zur Wohnung ohne Schlüssel gewährt oder der mobile ortbare Notruf, bis hin zu einem Sensorsystem, welches den Herd bei zu großer Hitze abschaltet, können den Alltag erleichtern. Um das altersgerechte Wohnen besser zu ver- anschaulichen, wurde durch den Schwarz wald- Baar-Kreis eine Musterwohnung in der Schwen- ninger David-Würth-Schule in einem ehemali- gen Klassenzimmer eingerichtet. Viele regionale Unternehmen und die Hildegard und Katharina Hermle-Stiftung haben maßgeblich dazu beige-


tragen, dass die Musterwohnung – namens BEATE – realisiert werden konnte. Hinter jedem der Buchstaben steht eine Bedeutung: B wie barriere frei Wohnen, E wie erleben und auspro- bieren, A wie Alltagshelfer, T wie technische Un- terstützung und E wie Einzelberatung. Hilfsmit- tel und Barrierefreiheit können hier erlebt und ausprobiert werden und bei einer persönlichen Beratung gibt es individuelle Hilfestellungen. Mit Blick auf die sich wandelnde Gesellschaft, vor allem was die demografische Entwicklung be- trifft, gewinnt die Musterwohnung immer mehr an Bedeutung. Uns freut es sehr zu sehen, dass bereits nach wenigen Monaten sehr viele Besu- cherinnen und Besucher mit großem Interesse BEATE aufsuchen, um sich über dieses wichtige Themenfeld zu informieren. Wandern wird noch reizvoller – WanderParadies Schwarzwald und Alb Das Wandern hat sich in den letzten Jahren wie- der zu einer attraktiven Freizeitgestaltung ent- wickelt. Auch zahlreiche jüngere Menschen und Familien schnüren sich die Wanderstiefel, um auf Entdeckungstour zu gehen. Die Bewegung an der frischen Luft und in der Natur ist für viele Wanderer der besondere Reiz. Zweifellos kann unser Schwarzwald-Baar-Kreis für begeisterte Wanderer einiges bieten. Die abwechslungsrei- Aus dem Kreisgeschehen chen Landschaften, die intakte Natur und das gute Klima sind wichtige Gründe, weshalb sich Wanderer für eine Tour hier bei uns entschei- den. Doch dies allein reicht heute oftmals nicht mehr aus, um auch weiterhin für Wanderer und Aktiv urlauber interessant zu sein. Mit der Offen- sive „WanderParadies Schwarzwald und Alb“ ge- meinsam mit dem Landkreis Rottweil schaffen wir für Wanderer ein neues Angebot, das sich an das bereits erfolgreiche „RadParadies Schwarz- wald und Alb“ anlehnt, und über 30 Rundwan- derwege beinhaltet. Zertifizierte Qualitätsmerkmale gibt es beim WanderParadies zum einen auf den aus- gewählten und gut gekennzeichneten Wegen. Die Qualitäts-Wanderwege haben das Siegel des Deutschen Wanderverbandes, werden nach fest- gelegten Kriterien überprüft und vom Schwarz- waldverein und vom Schwäbischen Albverein ge- pflegt. Bei der Auswahl der Wege wurde darauf geachtet, dass die bundesweit geltenden Kriteri- en des Premiumweg-Zertifikats des Deutschen Wanderinstituts oder des Qualitätsweg-Zer- tifikats des Deutschen Wanderverbandes er- füllt werden. Zudem gibt es sogenannte Para- dies-Touren, die dieses herausragende Angebot abrunden. Zum anderen unterstützen wir unse- re Beherbergungsbetriebe bei der Zertifizierung zum „Qualitätsgastgeber Wanderbares Deutsch- land“. Dies alles sind wichtige Beiträge, um un- seren Landkreis als attraktiven und wichtigen Tourismusstandort im Schwarzwald er- halten zu können. Weiterhin leistet nämlich der Touris- mus einen wichtigen Beitrag für die wirt- schaftliche Stärke unseres Landkreises. Wandern im Schwarz- wald und auf der Baar, hier auf dem Schwarzwaldbahn-Er- lebnispfad bei Triberg, ist noch reizvoller geworden. 19


Aus dem Kreisgeschehen Neuer Kreistag hat 61 Mitglieder Wahlbeteiligung von 46,3 Prozent – Elf Frauen gehören dem Gremium an 12 Sitze 150.859 St. (20,9 %) 10 Sitze 124.939 St. (17,3 %) 7 Sitze 81.824 St. (11,3 %) 4 Sitze / 43.370 St. (6,0 %) Fraktionslose Mitglieder 2 Sitze Die Sitzverteilung im 9. Kreistag nach der Wahl am 25. Mai 2014. 26 Sitze 278.123 Stimmen (38,6 %) Am Sonntag, 25. Mai 2014 hat- ten zahlreiche ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhel- fer im Schwarzwald-Baar-Kreis alle Hände voll zu tun. Es galt die Stimmen sowohl der Eu- ropa- als auch der Kommunal- wahlen mit den Kreistags-, Ge- meinderats- sowie Ortschafts- ratswahlen aus zuzählen. In rekordverdächtiger Geschwin- digkeit standen bereits am Montag die vorläufigen End- ergebnisse fest. Die Endergeb- nisse wurden schließlich vom Wahlausschuss bestätigt. Am Wahlsonntag gaben von 164.953 Wahlberechtig- ten im Schwarzwald-Baar-Kreis 76.394 Wähler ihre Stimme für den 9. Kreistag ab. Somit liegt die Wahlbeteiligung bei 46,3 Prozent. Fünf Jahre zuvor lag die Wahlbeteiligung bei 47,6 Prozent. Der neue Kreistag setzt sich aus 61 Mitgliedern zusammen, während das Vorgängergremium aus 64 Kreistagsmitgliedern bestand. Dem aktuellen Kreistag gehören elf Frauen und 50 Männer an. Dies entspricht einer Frauenquote von 18 Prozent, was eine ordentliche Steigerung im Vergleich zum Vorgängergremium bedeutet, dort waren ledig- lich acht Frauen vertreten. Der jüngste Kreisrat, und gleichzeitig auch ein neues Mitglied, ist mit 32 Jahren Bürgermeister Andreas Braun aus Un- terkirnach. Der älteste Kreisrat ist Dr. Wolfgang Berweck mit 79 Jahren, der dem Kreistag bereits seit 1999 angehört. Zwei Oberbürgermeister und 13 Bürgermeister sind im aktuellen Kreistag vertreten. Rechnerisch ist somit fast jedes vierte Mitglied ein Stadt- oder Gemeindeoberhaupt. Seine Arbeit nahm der Kreistag in der konstitu- ierenden Sitzung am 28. Juli 2014 auf. absolute Stimmen in Prozent gleich- wertige Stimmen in Prozent Sitze zuzüglich Ausgleichs- sitze Sitze gesamt 278.123 150.859 124.939 81.824 43.370 14.404 27.490 721.009 38,6 20,9 17,3 11,3 6,0 2,0 3,8 100 30.068 14.144 11.109 7.638 4.372 1.099 1.604 42,9 20,2 15,9 10,9 6,2 1,6 2,3 70.034 100 % 22 10 10 7 3 1 1 54 4 2 0 0 1 0 0 7 26 12 10 7 4 1 1 61 Partei/ Wählerverei- nigung CDU Freie Wähler SPD GRÜNE FDP DLVH AFD insgesamt 20


Der Kreistag 2014 – 2019 Als Fraktionsvorsitzende fungieren: CDU: Thorsten Frei, Donaueschingen; Freie Wähler: Walter Klumpp, Tuningen; SPD: Edgar Schurr, Villingen-Schwenningen; GRÜNE: Christian Kaiser, Donaueschingen; FDP: Adolf Baumann, Hüfingen Aus dem Kreisgeschehen CDU, 26 Sitze Elke Bettecken, Villingen-Schwenningen Dr. Karl-Henning Lichte, Villingen-Schwenningen Patrick Bossert, Donaueschingen Andreas Braun, Unterkirnach Torben Dorn, Dauchingen Gunther Dreher, Villingen-Schwenningen Theobald Effinger, Brigachtal Thomas Ettwein, Villingen-Schwenningen Prof. Dr. Barbara Fink, Bad Dürrheim Thorsten Frei, Donaueschingen Josef Herdner, Furtwangen Bernd Hezel, Villingen-Schwenningen Katharina Hirt, Villingen-Schwenningen Markus Keller, Blumberg Fritz Link, Königsfeld Klaus Martin, Villingen-Schwenningen Maria Noce, Villingen-Schwenningen Erik Pauly, Donaueschingen Thomas Petrolli, Niedereschach Karl Rombach, Schonach Jürgen Roth, Tuningen Manfred Scherer, St. Georgen Mathias Schleicher, Dauchingen Michael Schmitt, Brigachtal Christian Stark, Bräunlingen Robert Strumberger, Vöhrenbach Dr. Michael Walter, Blumberg Freie Wähler, 12 Sitze Dr. Wolfgang Berweck, Villingen-Schwenningen Werner Ettwein, Villingen-Schwenningen Sigrid Fiehn, Königsfeld Jörg Frey, Schonach Dr. Klaus Götz, Bad Dürrheim Rainer Jung, Furtwangen Walter Klumpp, Tuningen Ernst Reiser, Villingen-Schwenningen Michael Rieger, St. Georgen Wolfgang Schyle, Schonach Bertold Ummenhofer, Villingen-Schwenningen SPD, 10 Sitze Siglinde Arm, Villingen-Schwenningen Rolf Breisacher, Gütenbach Oliver Freischlader, St. Georgen Siegfried Heinzmann, Villingen-Schwenningen Anton Knapp, Hüfingen Dr. Rupert Kubon, Villingen-Schwenningen Ilse Mehlhorn, Niedereschach Christian Muthmann, Brigachtal Edgar Schurr, Villingen-Schwenningen Kerstin Skodell, Hüfingen Grüne, 7 Sitze Beate Berg-Haller, Königsfeld Martina Braun, Furtwangen Christian Kaiser, Donaueschingen Wolfgang Kaiser, Bad Dürrheim Cornelia Kunkis-Becker, Villingen-Schwenningen Armin Schott, Villingen-Schwenningen Hans-Joachim von Mirbach, Villingen-Schwenningen FDP, 4 Sitze Adolf Baumann, Hüfingen Roland Erndle, Donaueschingen Dr. Marcel Klinge, Villingen-Schwenningen Georg Wentz, St. Georgen Fraktionslose Mitglieder, 2 Sitze Jürgen Schützinger, DLVH, Villingen-Schwenningen Frank Lobstedt, AfD, Villingen-Schwenningen 21


2 2 2 2 m e i s t e r v o n U n t e r k i r n a c h . A n d r e a s B r a u n , B ü r g e r – j ü n g s t e M i t g l i e d , K r e i s r a t s t e l l v e r t r e t e n d f ü r a l l e i G r e m u m m s i t g l i e d e r d a s i H n t e r s e h v e r p f l i c h t e t B i l d ) . L i n k s : L a n d r a t S v e n s e i n e A r b e i t a u f ( r e c h t e s Beate Berg-Haller, GRÜNE Sigrid Fiehn, FWV D e r 9 . K r e i s t a g i n d e r Dr. Wolfgang Berweck, FWV l w a d – B a a r – K r e i s e s n m m i G e s c h i c h t e d e s S c h w a r z – t Georg Wentz, FDP Adolf Baumann, FDP Prof. Dr. Barbara Fink, CDU Cornelia Kunkis-Becker, GRÜNE Martina Braun, GRÜNE Maria Noce, CDU Anton Knapp, SPD 9 . K A u r s e d e i m s K t r e a i s g g e s c h f e ü h e n r d i e L e g i s l a t u r p e r i o d e 2 0 1 4 – 2 0 1 9 Manfred Scherer, CDU Michael Rieger, FWV Josef Herdner, CDU Walter Klumpp, FWV Wolfgang Schyle, FWV Christian Muthmann, SPD Dr. Rupert Kubon, SPD Jürgen Schützinger, DLVH Robert Strumberger, CDU Bernd Hezel, CDU Rolf Breisacher, SPD Hans-Joachim von Mirbach, GRÜNE Frank Lobstedt, AfD Dr. Klaus Götz, FWV Dr. Marcel Klinge, FDP Wolfgang Kaiser, GRÜNE Rainer Jung, FWV Roland Erndle, FDP Oliver Freischlader, SPD Edgar Schurr, SPD Armin Schott, GRÜNE Dr. Karl-Henning Lichte, FWV Siegfried Heinzmann, SPD Jörg Frey, FWV


Elke Bettecken, CDU Sven Hinterseh, Landrat Katharina Hirt, CDU Thorsten Frei, CDU Mathias Schleicher, CDU Thomas Ettwein, CDU n d e A r m , S P D . S i g l i A u f d e m G r u p p e n b i l d f e h l t Bertold Ummenhofer, FWV Ilse Mehlhorn, SPD Torben Dorn, CDU Michael Schmitt, CDU Kerstin Skodell, SPD Erik Pauly, CDU Christian Kaiser, GRÜNE Fritz Link, CDU Patrick Bossert, CDU Thomas Petrolli, CDU Jürgen Roth, CDU Andreas Braun, CDU Theobald Effinger, CDU Markus Keller, CDU Klaus Martin, CDU Werner Ettwein, FWV Karl Rombach, CDU Christian Stark, CDU Gunther Dreher, CDU Dr. Michael Walter, CDU Ernst Reiser, FWV A u s d e m K r e i s g e s c h e h e n


Aus dem Kreisgeschehen Ein herzliches Dankeschön an die Kreisrätinnen und Kreisräte In feierlichem Rahmen wurden die Mitglieder des Kreistages geehrt und verabschiedet Das Foyer des Landratsamtes zeigte sich nach der ersten Sitzung des 9. Kreistages von seiner festlichen Seite. An den dezent geschmückten Festtafeln nahmen die weiterhin amtierenden, die neuen sowie die Kreisrätinnen und Kreisräte, welche dem Gremium in der neuen Amtspe- riode nicht mehr angehören, gemeinsam Platz. Bei einer besonderen Feierstunde standen die Personen, die sich den kreispolitischen Themen angenommen und mit ihrem Wirken das Wesen des Schwarzwald-Baar-Kreises geprägt haben, im Mittelpunkt – die Kreisrätinnen und Kreisräte. Landrat Sven Hinterseh zeigte sich von den Leis- tungen der ehrenamtlichen Kreispolitikerinnen und Kreispolitiker beeindruckt und würdigte de- ren Engagement. Verabschiedung von 28 Frauen und Männern aus dem 8. Kreistag Fast die Hälfte der bisher 64 Kreistagsmitglieder, nämlich 43,8 Prozent, ist aus dem Kreistag aus- geschieden. So konnte Landrat Sven Hinterseh 28 Frauen und Männer ehren und verabschieden. In seiner Laudatio erinnerte Landrat Hin- terseh an einige „Wegstationen“ der vergan- genen Wahlperiode, die von 2009 bis 2014 dauerte. Zum Schul- und Bildungswesen hob er hervor, dass eine gute Bildungsinfrastruktur im Schwarzwald-Baar-Kreis eine große Traditi- on innehabe. Unter dem Label „Bildungsregion Schwarzwald-Baar-Kreis“ ist das ehrgeizige Ziel formuliert, allen Kindern und Jugendlichen einen bestmöglichen Bildungserfolg zu gewährleisten. Bei den beruflichen Schulen des Landkreises wur- de in der vergangenen Wahlperiode viel inves- tiert. Intensive Diskussionen und Emotionen gab es bei der Einführung der Schulentwicklungspla- 24 nung und der Etablierung neuer Schularten an Teilen der Schulen des Landkreises. Ein Schwerpunkt der Kreispolitik der letzten und sicher auch der neuen Wahlperiode war und ist der Öffentliche Personennahverkehr bzw. die immer größer werdende Bedeutung der Mobili- tät im ländlichen Raum. Als Meilensteine in der Tourismusarbeit des Landkreises bezeichnete Landrat Hinterseh rück- blickend die Beteiligung an der „Schwarzwald Tourismus GmbH“ und die Eröffnung des „Rad- Paradies Schwarzwald und Alb“ im Jahr 2010. Aufgrund des großen Erfolgs des Radprojekts entschlossen sich der Schwarzwald-Baar-Kreis und der Landkreis Rottweil, das wieder popu- lär gewordene Thema Wandern in das „Para- dies“-Programm aufzunehmen. Die Entwicklung der Demografiestrategie un- ter Einbeziehung der Bürgerschaft des Landkrei- ses war eines der Highlights der zurückliegenden Wahlperiode. Aber auch die Investitionen des Landkreises in seine Straßen kann sich für diesen Zeitraum sehen lassen. Insgesamt wurden über 15 Millionen Euro investiert. Zwei große Projekte, die der 8. Kreistag eingeleitet und entwickelt hat, werden weiterhin aktuell bleiben: die neue Stra- ßenmeisterei in Hüfingen, und die schrittweise Umsetzung des Radverkehrskonzeptes. Ein Jahrhundertprojekt war der Bau des Schwarzwald-Baar Klinikums auf der sprich- wörtlich „grünen Wiese“ zwischen Villingen und Schwenningen. Über 280 Millionen Euro flossen in den Neubau. Die Eröffnung im Juli 2013 schloss die frühzeitig begonnene Neustrukturierung der Kliniklandschaft im Landkreis ab. Fragen rund um das Thema soziale Sicherung und Beratungsleistungen in Notlagen beschäf- tigten den Kreistag auch in den vergangenen Jah- ren sehr intensiv. Die meisten Gelder des Kreis-


Ehrungen und Verabschiedungen aus dem Kreistag Die Verdienstmedaille in Bronze des Schwarzwald-Baar-Kreises für eine Zugehörigkeit zum Kreistag über zwei Wahlperioden hinweg überreichte Landrat Sven Hinterseh (5. von links) an (v. links): Rolf Effinger, Erich Bißwurm, Beate Schmidt-Kempe, Bürgermeister Dr. Gallus Strobel, Karl-Heinz Schaaf, Kordula Kugele, Matthias Weisser, Bürgermeister Bernhard Kaiser, Michael Blaurock, Bürgermeister Rolf Fußhoeller und Bürgermeister Friedrich Scheerer. haushalts werden für diesen Bereich benötigt. Bei der Abfallwirtschaft hat sich eine Kehrtwen- de vollzogen. Damit die Deponien vergangener Tage nicht zu den Altlasten der Zukunft werden, muss investiert werden. Von hoher Bedeutung war zudem die Gründung des „Zweckverband Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar“ mit allen Städten und Gemeinden. Sven Hinterseh: „Unser Landkreis, unsere Demokratie lebt von Menschen wie Ihnen!“ Insgesamt 117 Sitzungen des Kreistags und sei- ner Ausschüsse haben in den vergangenen fünf Jahren stattgefunden. 881 Drucksachen wurden versandt und 881 Tagesordnungspunkte behan- delt. Diese wenigen Zahlen sprechen für sich und zeigen, dass alle Kreisräte sehr gefordert waren. Landrat Sven Hinterseh dankte allen Kreis- räten für ihr zurückliegendes Engagement: „Für Ihre Leistungen, Ihren Einsatz, aber auch Ihr Herzblut, das Sie alle in die Kreistagsarbeit ha- ben einfließen lassen.“ Er hob hervor, dass die Ar beitsatmosphäre überaus angenehm war, was bei so vielen unterschiedlichen Charakteren nicht selbstverständlich sei. Mit den 28 ausschei- denden Kreisrätinnen und Kreisräten verliere der Kreis engagierte Frauen und Männer, die sich über viele Jahre für die Entwicklung des Schwarz- wald-Baar-Kreises eingesetzt und dafür manches Opfer gebracht haben. „Unser Landkreis, unsere Für ihr Engagement während der letzten Wahlpe- riode des Kreistages wurden geehrt (v. links): Albrecht Kienzler, Dr. Joachim Flum, Dr. Andrea Ka nold, Uwe Siefert, Prof. Manfred Kühne und Daniel Stengele. Demokratie lebt von Menschen wie Ihnen! Ein demokratisches Staatswesen funktioniert nicht, wenn man sich auf die Zuschauerbank setzt und mehr oder weniger genüsslich verfolgt, wie der Staat und seine hauptamtlichen Funktionäre al- les regeln. Eine Demokratie lebt davon, dass man selbst aufs Spielfeld geht und sich einbringt“, be- tonte er. Für ihr Engagement während der letzten Wahlperiode wurden mit einer Dankesurkun- de ausgezeichnet: Dr. Joachim Flum, Dr. Andrea Ka nold, Dr. Hans-Dieter Kauffmann, Albrecht Kienzler, Prof. Manfred Kühne, Armin Rudolf, Uwe Siefert und Daniel Stengele. 25


Aus dem Kreisgeschehen Für die Zugehörigkeit über zwei Wahlperio- den hinweg erhielten ei- ne Verdienstmedaille des Schwarzwald-Baar-Kreises in Bronze und eine Urkun- de: Erich Bißwurm, Michael Blaurock, Rolf Effinger, Bür- germeister Rolf Fußhoeller, Bürgermeister Bernhard Kai – ser, Kordula Kugele, Karl- Heinz Schaaf, Bürgermeister Friedrich Scheerer, Beate Schmidt-Kempe, Bürger- meister Dr. Gallus Stro bel und Matthias Weisser. Für die Zugehörigkeit über drei Wahlperioden hin weg erhielten die Ver- dienstmedaille des Schwarz- wald-Baar-Kreises in Silber: Marcus Greiner, Jürgen Hess und Heinz Pfeiffer. Die Verdienstmedaille des Landkreises in Gold er- hielten für vier vollendete Wahlperioden: Herbert Bos- sert, Stefan Scherer, Bernd Stähle und Bürgermeister Jürgen Guse. Bernd Stähle erhielt zur Verdienstmedail- Marcus Greiner, Verdienstmedaille in Silber. Jürgen Hess, Verdienstmedaille in Silber. Heinz Pfeiffer, Verdienstmedaille in Silber. Die Verdienstmedaille des Landkreistages konnte Land- rat Hinterseh (Mitte) an (v. links) Edgar Schurr (Bron- ze) sowie Bürgermeister Anton Knapp, Ernst Reiser und Jürgen Schützinger, alle Silber, überreichen. le des Landkreises in Gold zudem die Verdienst- medaille des Landkreistages Baden-Württem- berg in Bronze. Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse, bisheriger erster Stellvertreter des Landrats im Kreistag, wurde ebenso die Verdienstmedaille des Landkreistages Baden-Württemberg in Bron- ze überreicht. Folgende, auch weiterhin amtierende Kreis- tagsmitglieder erhielten eine Verdienstmedaille des Landkreistages Baden-Württemberg: Edgar Schurr (Bronze, für vier Wahlperioden), Bürger- Die Verdienstmedaille des Landkreises in Gold für vier vollendete Wahlperioden überreichte Landrat Sven Hinterseh (Mitte) an (v. links): Herbert Bossert, Stefan Scherer, Bürgermeister Jürgen Guse und Bernd Stähle. 26


meister Anton Knapp, Ernst Reiser und Jürgen Schützinger (alle Silber, für fünf Wahlperioden). Dr. Gerhard Gebauer und Lukas Duffner zwei Urgesteine des Kreistages Eine besondere Ehrung wurde zwei Persönlich- keiten zuteil, die vom ersten Tag des Bestehens des Schwarzwald-Baar-Kreises Verantwortung im Kreistag getragen haben. Dies sind die Kreis- räte Lukas Duffner und Oberbürgermeister a. D. Dr. Gerhard Gebauer. Landrat Sven Hinterseh bezeichnete Lukas Duffner als ein Urgestein des Kreistages des Schwarzwald-Baar-Kreises. Er stehe beispiel- haft für die Kreispolitik in den vergangenen 40 Jahren. Lukas Duffner wurde am 7. November 1965 erstmals als zweitjüngstes Mitglied in den Kreistag gewählt und gehörte der seinerzeiti- gen Kreisversammlung Villingen unter dem da- maligen Landrat Dr. Robert Astfäller bis im Jahr 1971 an. In den Jahren 1972 und 1973 war er Mit- glied des Kreistages Villingen-Schwenningen bis schließlich der heutige Schwarzwald-Baar-Kreis gegründet wurde. Sein überdurchschnittliches Engagement für die Bürgerinnen und Bürger des Schwarz- wald-Baar-Kreises und insbesondere des west- lichen Kreisgebietes brachte er in zahlreichen Ausschüssen des Kreistages ein. Sein vielseitiger Einsatz im Rahmen der Tourismusförderung – sei es durch das bereits frühzeitige Angebot von Kutschfahrten oder durch den Erhalt des Kultur- denkmals „Reinertonishof“ und seinen Wieder- aufbau, sein Kampf für Entbürokratisierung und sein Einsatz für den Straßenbau, würden ihn so- wohl als Land- und Forstwirt sowie als Kommu- nalpolitiker auszeichnen, so der Landrat. Im Jahr 2008 erhielt Lukas Duffner das Bun- desverdienstkreuz. Im Rahmen der Feierstun- de überreichte ihm Landrat Sven Hinterseh die Verdienstmedaille des Landkreises in Gold und die Verdienstmedaille des Landkreistages Ba- den-Württemberg in Gold. Oberbürgermeister a. D. Dr. Gerhard Gebauer gehörte ebenfalls von Anbeginn des Schwarz- wald-Baar-Kreises im Jahr 1973 durchgängig Ehrungen und Verabschiedungen aus dem Kreistag Lukas Duffner gehörte 40 Jahre dem Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises an und hat drei Landräte im Amt erlebt. Das Bild zeigt v. links: Landrat a. D. Karl Heim, Lukas Duffner, Landrat Sven Hinterseh und Landrat i. R. Dr. Rainer Gutknecht. dem Kreistag an. Bereits vor der Gründung des Schwarzwald-Baar-Kreises war Dr. Gebauer auf Kreisebene aktiv und gehörte in den Jahren 1960 bis 1971 dem damaligen „Kreisrat“ und später dem Kreistag von Rottweil an, in den Jahren 1972 bis 1973 dann dem Kreistag von Villingen-Schwenningen. Für dieses einzigartige po- litische Engagement konnte Oberbürgermeister a. D. Dr. Gerhard Gebauer bereits im Jahr 2011 die Verdienstme- daille des Landkreistags Ba- den-Württemberg in Gold entgegennehmen. Neben dem Wirken Dr. Gebauers in beinahe allen Ausschüssen des Kreistages des Schwarz- wald-Baar-Kreises in den ver- gangenen 41 Jahren, war er stets auch als stellvertreten- des Mitglied in zahlreichen Ausschüssen des Kreistages, als Bürgermeister und Oberbürgermeister tätig. Oberbürgermeister a. D. Dr. Gerhard Gebauer, Ver- dienstmedaille in Gold. Landrat Sven Hinterseh verlieh Dr. Gerhard Gebauer die Verdienstmedaille des Landkreises in Gold, die durch dessen Gattin entgegen ge- Heike Frank nommen wurde. 27


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat 2. Kapitel Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Wo sind die Wurzeln – wo ist daheim? Was Heimat ist, diese Frage ist ungeheuer populär geworden. Fast nie ist damit nur ein Ort gemeint: Familie, Freunde, Gefühle – Erinnerungen: „daheim sein“ kennt viele Facetten. Der Künstler Stefan Strumbel, der für seine poppigen Kuckucks uhren bekannt ist, deren Uhrwerke er in Schonach bauen lässt, ist für die provokante Frage bekannt: „What the fuck is Heimat?“. Das Jahrbuch „Almanach“ hat nachgefragt, was „daheim“ im Schwarzwald-Baar-Kreis bedeuten kann: Jochen Scherzinger in Gütenbach drückt seine Heimatgefühle in Mode aus, der Villinger Eric Fürderer ist im Butzesel-Häs „daheim“ – Petra Hettich auf dem Sigmundenhof in Schonach und Jacqueline Janzen im Tor ihrer Eishockeymannschaft. Für Pilot Andreas Helwig und Notfallsani täter Thomas Behringer bedeutet „Zuhause sein“ im „Christoph 11“ zu fliegen und Menschenleben zu retten. Für Sabine Grässlin ist das Restaurant „Kippys“ in St. Georgen ein Lebensmittelpunkt. Und der junge Bad Dürrheimer Jan Cebulla liebt es, im Kurpark zu sein – Rik und Kai Sauser bei Radsport-Events, die sie selbst organisieren. » Mit den Händen zu arbeiten, sofort zu sehen, was man schafft und die Tiere zu versorgen, das ist einfach mein Ding. « Petra Hettich, Bäuerin » Wie wichtig mir meine Heimat ist, hätte ich ohne meine Olympiateil- nahme in Sotschi nicht gewusst. « 28 28 Jacqueline Janzen, Eishockey-Nationalspielerin


XXX Heimat ist überall Holy Heimat Von der Verortung des Ichs 30 34 44 48 52 Petra Hettich Jochen Scherzinger Andreas Helwig Thomas Behringer Eric Fürderer 56 60 66 70 70 Jacqueline Janzen Sabine Grässlin Jan Cebulla Rik Sauser Kai Sauser 29


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Petra Hettich – Bäuerin Der Sigmundenhof in Schonach ist der schönste Platz auf der Welt von Barbara Dickmann Wenn sie morgens aus dem Fenster schaut, wandert ihr Blick über Wiesen und Täler, über leichte Hügel und Wälder und die Weite einer Landschaft, wie sie in Bilderbüchern nicht schöner sein kann. Manchmal scheint schon die Sonne, manchmal ist der Himmel bedeckt – doch ob es regnet, stürmt oder schneit, immer ist da das Gefühl von Freiheit und Schönheit, von Ruhe und Gelassenheit. Petra Hettich atmet tief durch, trinkt ihren Kaffee, isst etwas und steigt in den Tag hinein. Es wird wieder ein langer Tag werden. Viel Arbeit liegt vor ihr, die sie physisch wie psychisch fordern wird – und doch will sie mit keinem tauschen. Petra Hettich, 46 Jahre jung, lacht gern und viel. Ein frecher Kurzhaarschnitt umrahmt ihr fri- sches Gesicht, das weder Make-up noch Rouge braucht, T-Shirt und Jeans passen zu ihrer sport- lichen, schlanken Figur und ihre Motorik lässt er- ahnen, dass sie sich viel im Freien bewegt. Wenn sie spricht, unterstreichen feingliedrige Hände ihre Worte. Doch diese Hände sind es gewohnt, zuzupacken, denn Petra Hettich ist Bäuerin – Bäuerin mit Begeisterung und Leidenschaft. Der Sigmundenhof in Schonach ist ihre Heimat. Dort setzt sie fort, was vor fünf Generationen anno 1830 mit Sigmund Hettich begann – und das mit Leib und Seele. 30 Hektar Grünland und 15 Hektar Wald be- wirtschaften sie und ihr Mann und das ist nicht ohne. Milchkühe und ihre Kälbchen müssen ver- sorgt werden, Hühner gackern, ein Hase schaut aus dem Stall, die Katzen sind unterwegs, Bienen liefern den Honig, der Gemüsegarten muss ge- pflegt werden und der Hofhund weicht ihr nicht von der Seite. Vier Ferienwohnungen beherbergen etliche Monate im Jahr Familien mit Kindern, die den Stallgeruch lieben und die Natur als einen ein- zigen großen Abenteuer-Spielplatz erleben. Doch auch sie müssen rundherum versorgt werden 30 und das im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nicht getan mit Sauberkeit, behaglichen Möbeln und frischer Bettwäsche. Manche Gäste suchen auch die Ansprache, die zur Aussprache werden kann. Denn die Natur, die Ruhe und das Losge- löstsein vom Alltag lassen herausbrechen, was in der Hetze des Alltags untergeht. Ziemlich viel auf einmal! Petra Hettich lacht. Nein, nein, das sei keine Belastung für sie. Natürlich nehme sie sich dann Zeit für ein Gespräch und oft genug sind die Menschen einfach sehr nett und es sei schön, wenn sich alle hier auf dem Hof so wohlfühlen. Doch eine halbe Stunde am Tag versucht sie sich immer auszuklinken. Nachmittags um vier sitzt sie gerne in der Küche oder auf dem Balkon. So ganz mit sich allein, ignoriert Telefon, Tiere, Mann und zwei (fast) erwachsene Kinder und ent- spannt: „Das ist meine Zeit, meine Kraftquelle.“ Tiere, Stall und Feld… Petra Hettich weiß schon sehr früh, was sie will. Ihr Vater stirbt, als sie sechs Jahre alt ist. Die klei- ne Familie muss zusammenhalten und sie und ihr jüngerer Bruder helfen der Mutter im Stall und auf dem Feld. Petra gefällt das sehr. „Mit


Durchatmen muss sein – Petra Hettich gönnt sich eine Auszeit im Bauerngarten. XXX 31


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat den Händen zu arbeiten und sofort zu sehen, was man schafft, und die Tiere zu versorgen ist einfach mein Ding“, sagt sie. Doch sie weiß auch, dass ihr Bruder Vorrang hat, wenn es um die Nachfolge geht. Dass dieser das überhaupt nicht will, sondern Physiker wird, vereinfacht die ganze Geschichte. Doch der Alternativ-Plan war schon in ihrem Kopf. „Ich hätte mir dann einen anderen Hof gesucht, doch in die Stadt wäre ich nie gezogen.“ Nach dem Abitur beginnt sie ein landwirt- schaftliches Studium in Nürtingen in der Nä- 32 Mit ganzem Herzen Bäuerin – Freude an den Tieren und an der Feldarbeit. Petra Hettich und der Sigmun- denhof. he von Stuttgart. Petra schnuppert Stadtluft, doch die gefällt ihr nicht. Sie lernt ihren Mann kennen, dessen Eltern ebenfalls einen Betrieb bewirtschaf ten. Sie schließt ab als Diplom-Inge- nieurin und zieht sofort zurück auf den Sigmun- denhof. Drei Jahre arbeitet sie in der Beratung als Ökokontrolleurin in einer Zertifizierungsstel-


le und danach 13 Jahre als Ökokontrolleurin. Die Kinder werden geboren und 1997 übernimmt sie gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Spadinger den Hof. Im Sommer 2005 bauen sie diesen komplett um und modernisieren ihn. Und doch errichten sie kein Haus abseits vom Stall, sondern erhal- ten den traditionellen Schwarzwälder Eindach- hof und leben gemeinsam mit ihren Tieren unter einem Dach. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen Petra Hettich ist angekommen… Eine intakte Fa- milie, ein Traumberuf, der eigentlich Berufung ist, jeden Tag wieder neue Anforderungen stellt und doch seinen immer wiederkehrenden Rhyth- mus hat. „Die Tiere sind immer anders drauf, ha- ben besondere Charaktere. Und immer, wenn ein Kälbchen geboren wird, ist das ein kleines Wun- der.“ In Petras Augen leuchtet die Leidenschaft, die Begeisterung und eine innere Zufriedenheit. Strahlt das auch auf die Kinder aus? Und wer wird den Hof übernehmen. Petra lacht: „Das se- he ich ganz entspannt. Die Kinder müssen ihren eigenen Weg gehen!“ Und was ist mit Ausgehen, Konzert, Theater, Hobbys, Urlaub, Träumen? Na ja, natürlich gehe sie auch gerne ins Theater oder in ein Konzert, doch meistens merke sie erst im Nachhinein, was in der näheren und weiteren Region alles gebo- ten wurde. „Warum nehme ich eigentlich kein Theater-Abo?“ fragt sie sich dann. Urlaub ganz spontan und für eine Woche geht immer mal wieder in der Zeit, wenn die Kühe im Stall stehen und nicht gemolken werden müssen. Ach ja, und außerdem sei sie noch ehrenamtliche Richterin beim Finanzgericht in Freiburg, beteili- ge sich an dem „Tag des offenen Bauerngartens“, sei Schriftführerin im BLHV-Ortsverein und, und, und…Tja und Hobbys habe sie ja genug. Im Som- mer joggen, im Winter Langlauf, das reiche völlig. Das Leben in der Natur verändere die Einstellung zum Leben und Sterben. “Ich wundere mich im- mer, dass manche Menschen die ganze Woche in einem stressigen Job arbeiten und dann auch noch am Wochenende einen Freizeitstress be- treiben. Da komme ich nicht mehr mit.“ Petra Hettich – Bäuerin Doch bei dem Wort „Traum“, wird sie etwas nachdenklich. Nein, nein, es sei keine Kreuzfahrt auf einem Luxusliner oder ein Wellness-Urlaub im Fünf-Sterne-Hotel: „ Mein Traum heißt Afrika! Ich möchte Entwicklungshilfe in der Landwirt- schaft leisten und habe schon ein kleines Projekt ins Auge gefasst, das ein Pfarrer mit Frauen in Uganda aufgebaut hat.“ Petra weiß nicht, ob es klappt, doch sie arbeitet daran und wer sie erlebt, zweifelt nicht daran. Und dann gibt es noch vie- le Dinge, die sie vielleicht machen würde, wenn sie gesund bleibt, denn „das Leben ist ein Fluss“, sagt sie. Doch Afrika ist ihr großer Wunsch seit Kin- dertagen. „Ich würde ungern sterben, bevor ich Entwicklungshilfe in Afrika geleistet habe.“ Das „Paradies“ als liebster Ort Wenn der Abend kommt und Mensch und Tier versorgt sind, gehen die Eheleute noch einmal hinaus in die Natur. Oft genug führt ihr Weg zum „Paradies“, einem Fleckchen Erde, das sei- nem Namen mehr als gerecht wird. Petra genießt dann den Blick, der über sanfte Hügel bis zum nächsten Dorf reicht, schaut in den Himmel und die sich immer wieder verändernden Wolken. “Hier möchte ich einmal begraben werden“, sagt sie und lacht. Das dauert hoffentlich noch sehr, sehr lange, denn Petra will weiter Bäuerin sein – für sie nicht nur der Traumberuf schlechthin, sondern eine ganz besondere Lebensform mit vielen Pflichten, aber auch vielen Freiheiten, in dem sie gestalten und bewegen kann. Petra Hettich ist die Bäuerin von heute: ge- bildet, ausgebildet, offen und interessiert an den Menschen, fortschrittlich und doch konservativ wenn es um Werte wie Heimat, Natur, Tiere geht, mit Liebe zum Theater, zu Konzerten, ehrenamt- lich engagiert und dem Willen sich einen Traum zu erfüllen. Die nächste Generation: Kinder, die die Wahl haben und Eltern erleben, die es schaf- fen Tradition und Moderne zu verbinden. Bollen- hut und High-Tech sind eine gute Symbiose, um die Zukunft mit all ihren Herausforderungen zu meistern. 33


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Jochen Scherzinger – Modedesigner Königreich Heimat: Mit dem Label „Artwood“ seit drei Jahren auf dem Erfolgsweg von Elke Schön mit Fotografien von Sebastian Wehrle „Königreich Heimat“ – flotte Floskel, die gerade mal auf der Nostalgie- Welle tanzt? Keineswegs – spätestens, wenn man dem Modemacher Jochen Scherzinger gegenüber sitzt, wird klar, dass sich da einer mit diesem Slogan bewusst zu seinem Schwarzwaldflecken Gütenbach bekennt. Zum obersten Winkel im idyllischen Hübschental, nachdem er sich durchaus schon anderswo in der Welt umgeschaut hat. 34 34 www.artwood.de


Jochen Scherzinger – Artwood Wo jahrhundertelang die Uhrmacher ihrem Handwerk nachgingen, bringt es ein junger Mann fertig, sich mit einer anderen Branche sesshaft zu machen: der Mode. Wie vielen „Wäldern“, sieht man dem drahtigen dunkelhaarigen Typen seine Mitte dreißig nicht an, aber anders als manch ande- rer versteht es Jochen Scherzinger wortgewandt seinen beruflichen Werdegang zu schildern. Als Sohn aus alteingesessener Gütenbacher Familie absolviert er nach Abschluss der Furtwanger Re- alschule eine Lehre als Werkzeugmechaniker, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, der als selbstständiger Konstrukteur für Spritzgussfor- men tätig ist . Doch schon während der Ausbildung be- schleicht Sohn Jochen das Unbehagen bei der Aussicht auf eine Zukunft in der Alltagstret- mühle mit fremdbestimmten Arbeitszeiten und eingeschränkter Initiative. Die ergreift er jetzt entschlossen, um seine Schulbildung bis zur Fachhochschulreife zu ergänzen. Damit kann er – noch immer der Metallbranche treu – ein Maschinenbaustudium in Koblenz aufnehmen. Nach zwei Semestern ist klar, dass auch dies letzten Endes in eine Industrielaufbahn münden würde. Nun erst gesteht er sich seine Talente auf ge- stalterischem Gebiet ein. Dieser Richtung nach- zugehen, hatte ihm übrigens schon während der Schulzeit sein Vater empfohlen, der selbst seit langem das Malen in der Landschaft in seiner Freizeit mit Hingabe pflegt. 35 35


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat „Königreich Heimat“ als Motiv auf T-Shirts und Kapuzenpullis. Warum also nicht Modedesign ansteuern? In Frage kamen die Fachschulen in Sigmaringen und Mannheim. Selbst finanziert werden muss- ten beide, also wurde letztere gewählt, schon weil Mannheim von Gütenbach aus besser zu er- reichen war. Außerdem gab es dort gute Studen- tenjobs zum Geldverdienen. Die Verkaufserfah- rung, die er in der Herrenbekleidungsabteilung bei Peek & Kloppenburg sammeln konnte, weiß er heute noch zu schätzen. Ganz und gar nicht locker gestaltete sich das dreijährige Studium für Modedesign. Näherfah- rung wurde laut Schulleitung nicht vorausge- setzt doch bereits im ersten Semester bestand eine Prüfungsaufgabe in Entwurf, Schnitt und Anfertigung einer Mädchenbluse. Im Rückblick erkennt Jochen Scherzinger, dass er das Studi- um an der Modeschule zu keinem früheren Zeit- punkt hätte beginnen dürfen. Das höhere Alter, die Erfahrungen aus der Fabrikpraxis und dem Technikstudium kamen ihm sehr zugute. Emp- fehlen würde er aber ein Modedesignstudium nie mandem. Shirts für Kinder und Erwachsene – die Zeichnung entstammt einem Projekt mit der Gütenbacher Grund- und Hauptschule. Die Kinder sollen erfahren, dass ihre Heimat eine „echt coole Sache ist“. Nach dem erfolgreichen Abschluss zum „Staat- lich anerkannten Modedesigner“ stellt sich dem jungen Mann die Frage: Mit welchem Schwer- Raum für die Bilderwelt der Heimat 36


Mystischer Schwarzwald – hier ist kein Platz für satt- sonnige Farben. Jochen Scherzinger beschränkt sich auf Schwarz, Grau, Grün und Rot. punkt gelingt der Sprung in die Selbstständig- keit? Lange genug hat er als „Wälder“ die Textil- branche und den Bekleidungsstil in der Heimat im Blick gehabt: Hier laufen die jungen Leute, wie überall in Deutschland, mit Reklame für Ameri- can Highschools, Sportstars oder Palmensträn- de auf ihren T-Shirts herum. Warum eigentlich sollte da nicht Raum sein für eine Bilderwelt, die bewusst auf die Landschaft, die Geschichte und letzten Endes die Tracht Bezug nimmt! „Zeige deine Wurzeln“ – Stickerei auf der Rückseite eines Pullis. „Show your roots“ bedeutet für Jochen Scherzinger, zu zeigen, dass der Schwarzwald die Heimat ist. In den Räumen des Elternhauses macht er sich wieder heimisch und beginnt in den Fo- to- und Kostümschätzen des angestammten Familienanwesens zu forschen, dankbar für die unverfälscht raue Natur, mit der ihn das obere Hübschental umgibt. Inmitten dunkler Wälder, oft von Wolken- fetzen umschleiert, ist kein Platz für sattsonnige Farben – die Palette für die Shirts und Blusen, die der junge Designer zu entwerfen beginnt, be- schränkt sich denn auch auf Schwarz, Grau, Grün und Rot. Auf solide Baumwollgewebe und Gewir- ke werden alte Fotos von seinen eigenen Vorfah- ren oder legendär skurrilen Persönlichkeiten der Umgebung gedruckt; sie gleichen Bild tafeln auf der Brust des Trägers. Andere Oberteile wieder- um erscheinen zart gegliedert mit einer sparsam gezeichneten Waldsilhouette. Was die Schnitte betrifft, halten sie allen An- forderungen an modisch „angesagte“ körperna- 37


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat 38


Jochen Scherzinger – Artwood Schwarzwälder Trachtenstreetwear – vom „Platten- wieble“ (rechts), über den Balzer Herrgott (links ob.) bis hin zur Bluse im Trachtenstil. Die Kollektion von Artwood ist Kult und bereits sehr bekannt. Die Wasch anleitung dazu ist in Deutsch, Englisch und im Schwarzwälder Dialekt gehalten. Auf Facebook hat Jochen Scherzinger bereits weit über 5.000 Fans, die u.a. auf Bildern zeigen, wie sie die Artwood-Kollektion in alle Welt tragen. he Formen stand: Taillenkurz mit knappen Är- meln, oft mit Stehkragen, Biesen und Zwirnknöp- fen ausgestattet, lassen sie deutlich ihre Her- kunft aus Trachten erkennen, ohne je den allseits verbreiteten (und missbrauchten) bayrischen Stil zu imitieren. „Die Bayern sind ein Ausnahmefall, die haben es verstanden ihre Kultur zu vermark- ten“, erkennt Scherzinger neidlos an. designen. Bis es so weit ist, wäre ein Produzent erforderlich, der den Stofflieferanten Abnahme- garantien und dem Designer die Möglichkeit bie- tet, auf Farbe und Qualität des Materials mehr Einfluss zu nehmen. Vorläufig gehen von seinen gegenwärtig acht „Styles“ nur jeweils 100 Stück in den Verkauf. Immerhin bringt das dem Kun- den das Gefühl, etwas Exklusives erworben zu haben. Artwood – Mode „nach Waldart“ So entsteht das Label „Artwood“, das nun seit zwei Jahren ein Begriff ist. Und jeder kann getrost neben der englischen Bedeutung für „Kunst“ kom- biniert mit „Holz“ oder „Wald“ auch eine zwei- sprachige Deutung herauslesen: „nach Wald art“. Um Definitionen nicht verlegen, erklärt J.S. gerne: „Artwood ist das Zäpfle zum Anziehen“. Womit durchaus der Tatsache Rechnung getragen wird, dass die handliche Bierabfüllung aus dem Hoch- schwarzwald längst gesamtdeutsch als Kult gilt. Angestrebt wird eine Kollektion, die „alters- los“ allen Generationen die Mode von Jochen Scherzinger nahe bringt – an Ideen fehlt es nicht. So schwebt ihm beispielsweise vor, die in der Männertracht üblichen Gilets in erschwingli- chem Material mit modernem Touch zu entwer- fen oder kordelumsäumte taillierte Jacken zu Vertrieb „online“ und über erste Läden Der Vertrieb läuft bisher hauptsächlich „online“ (www.artwood.de) – und über erste Läden in Furtwangen, Villingen oder Freiburg. Wer den direkten Weg zu „Artwood“ nicht scheut, wird in Gütenbach mit der sicher besten Auswahl be- lohnt. Nach ansteigender Fahrt auf gut beschil- dertem Sträßchen erreicht man das urige, ver- winkelte 250-jährige Schwarzwaldhaus. Hier findet sich in der Tenne wohlgeord- net die gesamte Kollektion. Und nicht nur das: Auch die historisch-urigen Bilder, die teilweise die Shirts schmücken, hängen als Originale an Wänden und Balken. Wie die geschnitzten Mas- ken, die der Gütenbacher Holzschnitzer Josef Rombach eigens für die heimische Fasnet gefer- tigt hat. Ja, die Fasnet! Wundern würde es einen 39


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Jochen Scherzinger über Heimat: „Das ist ein Gefühl, das man nicht missen möchte. Heimat ist Liebe, Freiheit, Alles.“ Und über seine Mode: „Meine Schwarzwaldmode soll zeitlos sein, kein Mainstream“. Ihn inspiriert die Arbeitskleidung wie sie früher Uhrenmacher, Waldarbeiter oder Handwerker getragen haben. Hier präsentiert der Designer ein T-Shirt mit einer Schwarzwälder Musikkapelle als Motiv. Die historischen Fotos auf den Shirts hat sein Onkel Egon Scherzinger aufgenommen, der einer der ersten Gütenbacher Fotografen war. nicht, wenn Jochen Scherzinger, der seit seiner Kindheit mit dieser Tradition eng verbunden ist, eines Tages auch bei der Kostümgestaltung für das ortstypische Häs gefragt wäre. Hat er es doch bereits zum kürzlich gefeierten Jubiläum der Gütenbacher Schule fertig gebracht, die Schüler dort im Rahmen eines Zeichen-Projekts eigene Shirts entwerfen zu lassen, die reißenden Absatz fanden. Sensibilisierung für Heimatgefühl Sein Anliegen ist und bleibt: Sensibilisierung für das Heimatgefühl – und wenn das schon bei der Schuljugend gelingt, umso besser! In diesem Sinne durchaus realistisch ist auch die Wasch- anleitung, die den Artwood-Textilien beiliegt: Sie ist auf hochdeutsch und schwarzwälderisch 40 verfasst. In der Heimat selbst die Kleidungs- stücke herstellen zu lassen, davon kann Jochen Scherzinger wie die allermeisten Modedesigner indes nur träumen. Die Preiskalkulation zwingt zur Vergabe der Produktion ins Ausland, in sei- nem Fall in die Türkei, nahe der syrischen Gren- ze. So müssen also auch die Lieferautos mit der fertigen Ware den Waldweg zu jeder Jahreszeit schaffen – im Winter nicht immer leicht. Der Sedcardtext der Artwood Black Forest Homepage scheint nicht zu hoch gegriffen, der Worte von Wilhelm Hauff zitiert: „Es ist, als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, den Menschen hier von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen fes- teren, wenn auch raueren, Mut gegeben hätte.“ Das Unternehmen „Artwood“ jedenfalls hat seinen Weg, das Ursprüngliche der Schwarzwäl- der Kultur zu interpretieren, gefunden.


Jochen Scherzinger – Artwood Shooting für die Mode von Artwood in einer Schwarzwälder Bauernstube. 41


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Christoph 11 – wenn die Heimat keine Grenze kennt „Unsere Arbeit ist herausfordernd, jeder Einsatz ist anders und vor allem: Es dürfen keine Fehler geschehen!“ Der Hubschrauber der DRF Luftrettung vom Typ EC 135 mit dem Funkruf namen Christoph 11 ist täglich von 7 Uhr bis Sonnenuntergang einsatzbereit, da er nur bei Tageslicht fliegen kann. Die Station ist mit erfahrenen Piloten der DRF Luftrettung, Notärzten des Schwarzwald-Baar Klinikums sowie Rettungsassistenten des Deutschen Roten Kreuzes besetzt. Einsatzorte im Umkreis von 60 Kilometern kann Christoph 11 in maximal 15 Minuten erreichen. Deutschlandweit sind rund 50 Rettungshubschrauber im Einsatz. Die Station in Villingen- Schwenningen ist seit dem 18. November 1975 in Betrieb. 42 42


XXX Auch wenn der Fokus dieses Beitrages nicht auf dem Arzt, sondern auf Pilot Andreas Helwig und Notfallsanitäter Thomas Behringer liegt – die Besatzung von Chris- toph 11 besteht immer aus drei Personen. Allein bis Juli 2014 hat das Team bereits über 800 Einsätze geflogen und ist dabei ständig neuen Herausforderungen und hohen Belastungen ausgesetzt. Stationiert ist Christoph 11 an der mit 2.516 Fuß höchsten Luftrettungsstation Deutschlands beim Schwarzwald-Baar-Klinikum, die je zur Hälfte vom Deutschen Roten Kreuz und von der DRF Luftrettung finanziert wird. Sie bietet Piloten, Rettung- sassistenten und Notärzten einen modernen Arbeitsplatz – und der Bevölkerung im Großraum Schwarzwald-Baar schnelle Hilfe in der Not. Bereit zum Einsatz: Von links: Notfallsanitäter Thomas Behringer, Notarzt Dr. Michael Mauch und Stationsleiter Pilot Andreas Helwig. 43


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Andreas Helwig – Rettungspilot Ständig hellwach, das Team muss Leben retten – „Hier will ich bleiben“ von Christina Nack Wenn Andreas Helwig auf einer 50 Meter hohen Brücke steht, bekommt er beim Hinunterschauen weiche Knie. „Da fühle ich mich nicht wirklich wohl“, bekennt der Wahl-Dauchinger vergnügt. Wenn er hingegen in 100 bis 1.500 Metern über der Erde in seinem Helikopter fliegt, ist er in seinem Element. Der Mittfünfziger ist Pilot und Leiter des Flugbetriebs der Luftrettungsstation in Villingen-Schwenningen, die seit 1975 vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben wird und an der seit 1996 die DRF Luftrettung für den Flugbetrieb verantwortlich zeichnet. Aufgabe des stets dreiköpfigen Rettungs teams mit Pilot, Notarzt und Rettungsassistent ist es, möglichst schnell einen Notarzt zum Einsatzort zu bringen und Patienten in die für sie optimal geeignete Klinik zu fliegen. Schnurgeradeaus fliegt Christoph 11 von den abgelegensten Win- keln im Schwarzwald und auf der Baar nach Villingen-Schwenningen, Freiburg, Tü bingen. Unterwegs hat der Pilot viele Lieblingsblicke auf Lieblingsplätze. Einer davon ist das neue Domi- zil der DRF Luftrettung und des DRK vor dem Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwen- ningen. „Die freie Rundum-Sicht mit der Schwä- bischen Alb im Hintergrund ist großartig.“ eine enge Beziehung zum Schwarzwald-Baar-Kreis und zu den Menschen hier entwickelt. Sie sind oft viel enger als er selbst mit ihren Geburtsorten verwurzelt, hat er beobachtet und findet das „schön“. Mittlerweile gehört er selbst zur ländlichen Bevöl- kerung, hat mit seiner Frau Birgit ein Haus in Dauchingen gemietet, Sohn und Tochter gingen hier zur Schule. „Hier will ich bleiben und alt werden“, stellt Andreas Helwig fest. Piloten suchen ständig neue Horizonte „Heimat“: Zu diesem Begriff hat Andreas Hel- wig keine eindeutigen Assoziationen. „Piloten sind nicht sesshaft“, sagt er. „Wir suchen ständig neue Horizonte“. Geboren ist er in Berlin, zog fünfjährig mit den Eltern nach Düsseldorf, wo er Kindheit und Jugend verbrachte. Die Erinnerung daran weckt „am ehesten“ nostalgische Heimat- gefühle. Mit den Jahren hat sich freilich auch „Ich wollte fliegen lernen“ Seit 1990 fliegt er für die DRF Luftrettung, zuerst nördlich von Hamburg stationiert, seit 1998 in Vil- lingen-Schwenningen – was auch dem Wunsch der Familie nach Sesshaftig- keit geschuldet war. Bis dahin hatte er sich vornehmlich von fliegerischen 44


XXX Pilot Andreas Helwig checkt die Instrumente des Christoph 11. 45


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Herausforderungen leiten lassen. Schon die Ent- scheidung, sich nach dem Abitur 1977 für zehn Jahre bei der Bundeswehr zu verpflichten, war so motiviert: „Ich wollte fliegen lernen.“ Beschei- den beschreibt er seinen Beruf „nicht ganz als Berufung, aber kurz davor“ – und es musste un- bedingt der Hubschrauber sein. „Als Lufthansa- kapitän fliegst du ständig die gleichen Routen und es passiert in der Regel recht wenig, das reiz- te mich nie.“ Navigator durchs Polareis 1987 verließ er die Bundeswehr und wechselte in die zivile Fliegerei. Drei Jahre lang war Andreas Helwig auf dem Eisbrecher „Polarstern“ unter- wegs, um Forschungsreisen in die Antarktis, nach Island und Grönland zu begleiten. Helwig flog vor dem Schiff, um es durchs Eis zu navigieren, brachte Meeresbiologen und ihre Ausrüstung zu Robben- und Pinguinkolonien, unterstützte Geologen in der Refraktions seismik, die Auf- schluss über Bodenschätze unter dem kalten Meeresgrund gibt. „Nebenjob“ des früheren Bundeswehroffiziers war es, die Wissenschaftler im Umgang mit der Flinte zu trainieren, um die ständig auftauchenden Eisbären zu vertreiben, 46 ohne sie zu töten. Einmal lag die gesamte Crew eine Woche lang auf einer einen Quadratkilo- meter großen Eisscholle fest, bevor sie von zwei einheimischen Lappen aus dem ewigen Eis ge- lotst wurde. „Man lernt spannende Leute kennen und kann in solchen Situationen nicht nur den äußeren Horizont erweitern, sondern auch den inneren.“ „Jeder von uns muss ständig hellwach sein“ Im Hubschrauber könne sich nie Routine einstel- len, erst recht nicht im Rettungsdienst. Jeder Tag ist anders und wartet mit neuen Aufgaben. Alle Rettungshubschrauber heißen Christoph nach dem Heiligen Christophorus als legendärem Hel- fer in der Not und sind gemäß ihrer Standorte durchnummeriert, Christoph 1 fliegt in der Mün- chener Gegend, Christoph 11 über Schwarzwald und Baar und 50 Kilometer über die Kreisgrenzen hinaus. Luftlinie versteht sich: Eine Viertelstunde braucht Andreas Helwig, um die Uni-Kliniken von Freiburg und Tübingen zu erreichen. Bei den Einsätzen zählt oft buchstäblich jede Minute, bei internistischen Notfällen wie Herzin- farkt und Schlaganfall ebenso wie bei schweren Unfällen, Verbrennungen, Vergiftungen. Wäh- rend der Pilot sein „Baby“ aus abgelegenen Tälern über Berge, Wälder und Wiesen dirigiert, sind Not- arzt und Rettungsassis- tent fieberhaft mit Maß- nahmen zur Lebenserhal- tung beschäftigt. „Jeder von uns dreien muss stän- dig hellwach sein und per- manent Entscheidungen treffen, da kann man nicht lange diskutieren. Wir sind Andreas Helwig bei einem Einsatz für den Eisbrecher Polarstern.


ein gutes, homogenes Team, weil jeder kompe- tent ist, dem anderen vertraut und sich auf ihn verlassen kann.“ In ländlichen Regionen ist die Luftrettung besonders wichtig, weiß der Pilot von unzähligen Einsätzen in einsamen Gehöften und abgelegenen Dörfern, die wegen der topo- graphischen Gegebenheiten schon im Sommer schwer zu erreichen sind und bei Eis und Schnee im Winter erst recht. Nebeneffekt dieser Ausflüge in Gegenden, in die er als Privatmann niemals gelangen würde, sind berührende Landschaftserlebnisse. Andreas Helwig schwärmt vom Belchen ebenso wie vom Feldberg und vom Klippeneck, überhaupt ma- chen für ihn die Berge den Reiz aus: „Diese Ge- gend hier ist phantastisch abwechslungsreich. Dagegen war das gleichförmig flache Schles- wig-Holstein langweilig.“ Im Lauf der Jahre ließ sich Andreas Helwig von den Lieblingsblicken zu Ausflügen mit dem Rad und per pedes anregen und entdeckte mit seiner Familie viele Lieblings- plätze. Die Wutachschlucht sei „sensationell“, ebenso die Martinskapelle, die sich im Winter mit den wunderschönen Loipen drumherum für sinnenreiches Wandern mit den Langlaufskiern anbiete. Andreas Helwig – Rettungspilot re Respekt vor der Gefahr und ein Quantum an „natürlicher Angst“. Sie sei ein Regulativ, das vor dem Eingehen zu großer Risiken schütze. Das Team entscheide zusammen, ob zum Beispiel bei schlechtem Wetter noch geflogen werden könne. In Ermangelung eines Landeplatzes hat Helwig den Notarzt auch schon auf der offenen Straße abgesetzt und ihn von oben beim Weitertram- pen beobachtet. Alle sechs Monate üben Piloten Notlandungen bei „Check-Flügen“ und über- prüfen ihre Reaktionssicherheit. Sie sei in jeder Phase des Berufslebens gefährdet, was Helwig so skizziert: „Wenn du jung bist, keine Ahnung hast und dir zu viel zutraust. Wenn du Ahnung zu haben glaubst. Und wenn du Routine hast und dir zu sicher bist.“ Die pädagogisch wichtigen Fäl- le seien jene, die als „noch mal gut gegangen“ beschrieben würden. Trotz aller systematischer Aufarbeitung von Beinahe-Kata strophen ließen sich die realen nie planen. Helwig erinnert sich an einen „Super-GAU“, da an einem Tag unab- hängig voneinander drei tote Kinder geborgen werden mussten – die Luftrettung kam zu spät. „Da haben wir den Hubschrauber abgemeldet. Das ging der Crew emotional sehr nahe.“ „Der Blick tut der Seele gut“ Ein Kicker als Dankeschön Täglicher Lieblingsplatz ist die Bank vor dem Hangar in Villingen-Schwenningen. „Nach den langen Tagen gehen dir die Schicksale im Cock- pit durch den Kopf, vielleicht gab es schwierige Situationen, die wir als Team zu meistern hatten. Da ist es toll, zum Feierabend an einem Platz zu sein, der innere Einkehr ermöglicht. Der Blick auf die freien Wiesen vor uns und die Berge dahinter tut der Seele gut.“ Andreas Helwig ist nicht nur als Pilot, son- dern auch als Sicherheitsmanager bei der DRF Luftrettung beschäftigt. „Unsere Arbeit ist he- rausfordernd“, stellt er nüchtern fest und plä- diert für eine „ausgeprägte Fehlerkultur“. Nichts dürfe vertuscht werden, beim Eingeständnis von Schwächen und Fehlentscheidungen drohe keine Strafe, es gelte, aus eigenen Fehlern und den Erfahrungen anderer zu lernen. Dazu gehö- Manchmal bedanken sich Patienten auch, deren Leben durch einen Einsatz mit Christoph 11 ge- rettet werden konnte. Oft sei der Zeitdruck bei gebotenen internistischen Eingriffen größer als bei chirurgischen, aber bei großen Verletzungen bestehe die akute Gefahr des Verblutens. So war es bei einem verunglückten Motorradfahrer, des- sen Oberschenkel „völlig zerfetzt“ war; das Blut sei regelrecht aus den Wunden heraus gespru- delt. Mit Vollgas sei Christoph 11 in die Uni-Kinik nach Tübingen gerast, wo das Bein amputiert und dadurch das Leben des Mannes gerettet wurde. Danach bedankte er sich bei der Crew mit einem Kicker, der jetzt im neuen Hangar steht und zum entspannenden Spiel nach Feierabend verlockt. Dies mit Blick durch die breite Glasfront auf die weite Baar. „Auch das ist eine Belohnung für unsere Arbeit.“ 47


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Thomas Behringer – Notfallsanitäter „Heimat ist da, wo meine Familie sesshaft und meine Arbeit ist“ von Christina Nack Auf die Frage nach seinen Vorstellungen von Heimat antwortet Thomas Behringer spontan: „Heimat ist da, wo die Wurzeln sind.“ Die seinen sind in Schönau, wo auch Fußball- Bundestrainer Jogi Löw geboren ist. Er sei ein „netter Kerl“, sein Bruder auch, „er hat uns trainiert“. Aus dem Nachwuchskicker von damals wurde ein mehrfach quali fizierter Notfallsanitäter, der seit 2008 Rettungsdienstleiter der DRK-Rettungsdienst Schwarzwald-Baar gGmbH ist. In deren Regie wird auch die Luftrettung betrieben, Thomas Behringer gehört zum Stammteam von Christoph 11. Er lebt mit Ehefrau Tanja und den gemeinsamen drei Kindern in Schwenningen und hat bei seiner täglichen Arbeit den gesamten Landkreis mit- samt Peripherie im Blick – oft auch aus luftiger Höhe im Rettungshubschrauber. Beim Nachden- ken erweitert der 44-Jährige seinen Heimat-Be- griff. „Heimat ist da, wo meine Familie sesshaft und wo meine Arbeit ist. Beides ist einzigartig und macht mein Leben aus.“ Vom Sanitäter zum Dozent für Notfallmedizin Mit 18 Jahren zog es Thomas Behringer in die wei- te Welt hinaus. Die reichte dann bis nach Lörrach, wo er als Wehrdienstverweigerer im DRK-Ret- 48 tungsdienst landete und zehn Jahre lang im Ka- tastrophenschutz eingesetzt wurde, zuletzt als Rettungswachenleiter für Lörrach und Schönau. Parallel zum Berufsalltag absolvierte er von der Pike auf die klassischen Stationen einer Laufbahn beim Roten Kreuz. Wurde Sanitäts-, dann Rettungshelfer, Rettungs assistent und schließlich Lehr-Ret tungs assistent und Dozent für Not fallmedizin. Dafür hatte er sich an der Landesschule in Bühl qualifiziert, wohin er 2004 als Leitender Dozent berufen wurde und


XXX wo er nach wie vor jährlich drei bis vier Kurse für angehende Notärzte gibt. 2014 folgte die Weiterbildung zum Notfallsanitäter. Um die frei gewordene Führungsposition im DRK Villingen-Schwenningen hatte er sich vor allem beworben, weil er schon in Schwenningen lebte, der Geburtsstadt seiner Frau. „Ich wollte nicht mehr pendeln, sondern an meinem Lebens- ort auch arbeiten.“ Fernweh und Sehnsucht nach heimatlicher Geborgenheit fügten sich wie von selbst zusammen. Ein neues Berufsbild konfiguriert Thomas Behringer erweiterte seinen beruflichen Radius, studierte in Hamburg und Stuttgart Ge- sundheitsmanagement, machte 2012 nach vier Jahren seinen Abschluss und wurde 2013 von Sozial- und Innenministerium mit der Konfigu- ration des neuen Berufsbilds „Notfallsanitäter“ betraut. Der ist befugt zu tun, was Thomas Behringer bei Einsätzen mit Christoph 11 immer wieder er- 49


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat medizin. „Wir müssen voraus- schauend denken. Unser Platz zur medizinischen Versorgung ist begrenzt. In welche Klinik fliegen wir? Wie wird das Wetter? Wie viel Sprit haben wir noch? All das muss berücksichtigt und schnell entschieden werden.“ Das Ziel ist stets ein gutes „Outcome“ des Patienten – er soll etwa nach ei- nem Schlaganfall keine bleiben- den Schäden davon tragen, wie sie nach längerem Transport im Rettungswagen zu befürchten wären. Thomas Behringer (links) und Pilot Andreas Helwig verschaffen sich vor jedem Einsatz an einer großformatigen Karte in aller Schnelle einen Überblick über die Flugroute und ihre Besonderheiten. Der ständige Umgang mit Schwerstkranken und das Rin- gen um Menschenleben zehren an den Kräften. „Da sind extreme Emotionen beteiligt, auch durch den engen Kontakt zu verzweifelten Angehöri- gen.“ Jeder Patient könne sich darauf verlassen, dass er am Boden und ebenso in der Luft me- dizinisch bestmöglich versorgt werde. Doch bei schwerem Gewitter müsse ein Flug vielleicht un- terbrochen oder verschoben werden, nicht im- mer gewinnt das Trio den Wettlauf um ein Leben. Auch das muss verkraftet werden, jeder Einsatz wird im Team ehrlich reflektiert, auch etwaiger Selbstzweifel. Der „Wintermensch“ liebt den Brend und die meditative Weite der Baar Wenn es gelingt, Infarktpatienten, Frühgebore- ne, Schwerverletzte rechtzeitig in der Fachklinik abzuliefern und ihre Prognosen gut stehen, folgt für Thomas Behringer die Belohnung für die kol- lektive Anstrengung – der Rückflug. Zum Beispiel über den Brend bei Furtwangen, dem er neben dem Belchen im Nachbarlandkreis besonders anhänglich verbunden ist. Im Kreislauf der Jah- reszeiten beschreibt er sich als „Wintermensch“, der den Kontrast zwischen immergrünen Wäl- dern und ihrem weißen Schneekleid liebt, aber auch die faszinierenden Farbkombinationen in Frühling und Herbst. lebt – er leitet ärztliche Maßnahmen ein. Bedient Defibrillatoren, legt Kanülen für Infusionen und verabreicht Medikamente, die unter bestimmten Voraussetzungen gegeben werden dürfen. All das darf er, wenn es um Leben und Tod geht, der Notarzt aber nicht rechtzeitig zur Stelle ist. Er hat sich vielleicht wegen winterlicher Straßenver- hältnisse mit dem Notarzteinsatzfahrzeug ver- spätet, während sich die Situation des Patienten so verschlechterte, dass die DRK-Leitstelle den Hubschrauber beorderte. „Bei akuter Lebensge- fahr wie bei Herzinfarkt leiten wir dann die not- fallmedizinischen Maßnahmen selbständig ein.“ Manchmal wird der Rettungshubschrauber auch umgekehrt vom Arzt angefordert, der bereits beim Patienten ist und erkennt, dass der nur bei minutenschnellem Transport in eine Spezialkli- nik eine Überlebenschance hat. „Wir müssen vorausschauend denken“ Seit 2010 gehört Thomas Behringer zur Crew von Christoph 11. Das Fliegen bereicherte sein Le- ben um neue Dimensionen. Bei der Luftrettung komme dem stets dreiköpfigen Team – Pilot, Notarzt, Rettungsassistent – eine umfassendere Bedeutung zu als bei bodengebundener Notfall- 50


Er, der sich den Jugend traum von Fahrten in die weite Welt nie erfüllen konnte, lässt den Blick auch vom Boden aus gern in die Ferne schwei- fen. Privat zieht’s ihn häufig in die Gegend um Triberg, Schonach, Schönwald herum. „Wenn ich von einem Berg in die Täler schaue und die Gedanken treiben lassen kann, tanke ich Energie für den Alltag.“ Der atemberaubende Rundblick von einem Schwarzwaldgipfel zieht ihn ebenso magisch an wie die meditative Weite der Baar. „Hier kann ich zur Ruhe kommen und neue Visi- onen entwickeln.“ Schwenningen als ideale Heimatstadt Längst ist Thomas Behringer froh darüber, in Schwenningen zu leben („Villingen wäre genau- so gut…“), wo die Familie ein Haus gebaut hat und er auch mit dem überschaubaren Radius im Alltag zufrieden ist. Die Stadt habe eine gute Grö- ße, die täglichen Besorgungen könnten zentral und zu Fuß erledigt werden. Zugleich schätzt er die Nähe der Natur fast vor der eigenen Haustür. Wenn keine Zeit ist, auf den Brend zu klettern oder über die Baar zu wandern, läuft sich Tho- Thomas Behringer – Notfallsanitäter mas Behringer im Schwenninger Moos den Kopf frei. „Die Ruhe ist fantastisch. Du bist in einer eigenen Welt.“ Zehn bis zwölf Kilometer trabt er durch die idyllische Moorlandschaft, ungefähr eine Stunde dauert das. „Danach bin ich wieder frisch für neue Aufgaben.“ In die ist er längst tief hineingewachsen, fühlt sich auch mit den vielen Ehrenamtlichen in allen Ortsvereinen eng verbunden, will die Freund- schaften, die sich aus Kollegialität entwickelten, nicht missen. Einen Ortswechsel innerhalb des Kreisgebiets kann er sich vorstellen, ein Umzug nach Hamburg würde ihm schwer fallen. „Ich hätte Heimweh.“ Den eigenen Kindern gönnt er Expeditionen in die weite Welt, wo sie ele- mentare Erfahrungen machen und neue Kultu- ren kennenlernen könnten. „Sie sollen über den Tellerrand gucken, um dann idealerweise wieder heimzukehren.“ Seltene Entspannung beim Tischfußball. Der Kicker ist das „Dankeschön“ eines Patienten, dem die Crew des Christoph 11 das Leben retten konnte (s. S. 47). 51


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Eric Fürderer – Butzesel Heimat ist, wenn es in Villingen heißt: „Butz zwo, drei, vier…“ von Christina Nack „Hier ist alles, was ich brauche“, versichert Eric Fürderer strahlend. Während sich heutzutage viele junge Erwachsene nach der Schule ein mehrmonatiges Praktikum im weit entfernten Ausland suchen oder ausgedehnte Reisen unternehmen, ist er in der Heimat geblieben – und hat das nie bereut. Der 29-jährige Industriefachwirt ist in Schwenningen geboren, in VS-Marbach in enger Verbundenheit zu Villingen aufgewachsen und lebt dort heute mit seiner Freundin. Die Verwurzelung in Traditionen ist dem modernen jungen Mann wichtig. Er ist Butzesel in einer von vier Butzesel-Gruppen der Historischen Narrozunft Villingen. Und das ist eine ganz besondere Ehre. Eric Fürderer ist ein Paradebeispiel für ein Kind der Doppelstadt: Mutter Carmen ist gebürti- ge Schwenningerin, Vater Norbert Villinger, die Familie wohnt in Marbach. Eric genoss mit seinem älteren Bruder Armin die Kindheit im ländlich geprägten Marbach – aber auch die Vorteile der Stadt. Die erlebte er erst in Villin- gen, wo er die Karl-Brachat- Realschule besuch- te, später als Schüler der David-Würth-Schule in Schwenningen, wo er die Fachhochschulrei- fe machte. Danach ab solvierte er seinen Zivil- dienst in einer Bad Dürrheimer Seniorenresidenz und will die- se Erfahrung nicht missen, wie er erzählt. In einem Do nau esch in- ger Betrieb lernte er Indus- triekaufmann, quali fi zierte sich bei der Industrie- und Han dels kammer zum In dus trie – fachwirt und lernte wäh rend der Fortbildung seine Freundin 52


XXX 53 Der Butzesel ist eine der ältesten Tiergestalten der schwäbisch-ale- mannischen Fastnacht. An der Fast- nacht 2014 jährte es sich zum 100. Mal, dass er bei der Straßenfasnet wieder zu sehen war: Wegen der damit ver- bundenen Ausgelas senheit war das Butzesellaufen früher oft untersagt. Noch in den 1850er und 1860er Jahren wurde dieses Verbot am Fastnachts- samstag durch Ausschellen immer wieder erneuert. Heute ist die Figur aus der historischen Villinger Fasnet nicht wegzudenken. Der „Butz“ zählt vor allem auch bei Kindern zu den Lieblingsgestalten. Weitere Infos: www.narrozunft.de


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Die Jagd beginnt – schon bald haben die Treiber den Butzesel eingeholt und halten ihn mit der „Goaßel“ in Schach. Katrin ken nen. Sie stammt aus Singen, mag ihre Heimatstadt sehr, doch fühlte sich auch in der Doppelstadt auf Anhieb wohl. Das junge Paar bezog eine schöne Wohnung in Nähe der Villinger Altstadt. „Die täglichen Be- sorgungen können wir zu Fuß oder mit dem Rad erledigen und sind dabei stets auf idyllischen Wegen mit viel Grün rechts und links unter wegs. Und wir kommen an tollen Plätzen vorbei. Schon die Stadtmauer um Villingen herum und die vie- len mittelalterlichen Gebäude sind eine Sensa- tion.“ 54


Eric Fürderers Freundin fand an seiner närri- schen Leidenschaft schnell Gefallen, die begeis- terte Fastnachterin hatte sofort Anschluss bei den Trommlerwiebern. „Es ist eine große Ehre, der Butzesel zu sein“ Ins Brauchtum der Historischen Narrozunft Vil- lingen ist Eric Fürderer von Kindesbeinen an hi- neingewachsen. Als Grundschüler gehörte er zur Kinderbutzesel-Gruppe, wechselte 16-jährig zur Erwachsenen-Gruppe. Nach drei Jahren hörte der Butzesel auf und Eric konnte seine Nachfolge antreten. „Es ist eine große Ehre,“ beschreibt er das Amt. „Man muss Freude daran haben, die Leute zu animieren, das sei die wichtigste Voraussetzung. Der Butzesel zieht an den Hohen Tagen auf seinem „Riesascht“ durch die Stadt – bewacht von einer Truppe von „Triebern“ (Treibern) mit „Goaßeln“ (Geißeln). Zur Gaudi der Villinger entkommt der Esel immer wieder neu, treibt überall seinen Schabernack. Als Treiber sind in der Regel Stachis abgestellt. Zwischen 30 und 50 Treiber, sind es, die hinter dem Butzesel herjagen. Höhepunkte sind die Besuche in den immer seltener werdenden alteingessenen Metzgereien und Bäckereien, wo es Bratwürste, Fleischwurst- ringe oder sonstige Würste gibt. Der Butzesel verköstigt sich dort, und seine Treiber müssten die Wurstbeute eigentlich bezahlen. Doch aus Liebe zur Fastnacht kann sich der Butzesel seine Beute als Spende an die Eselsohren hängen. Zum Dank ertönen Fasnetlieder. Überhaupt spielt das Singen an der Fastnacht eine wichtige Rolle. Die dritte Strophe des Villinger Schunkellieds ist dem Butzesel und seinen Treibern gewidmet. Natürlich kennt Eric Fürderer den Text auswendig und deklamiert: Wer kunnt au dert im Blauhemd mit Goäßel und mit Zwick, de Butzesel mit de Trieber, er zieht en Riesascht mit, rennt umenand … Die Vorbereitungen auf die hohen Tage be- ginnen bereits Monate zuvor, wenn sich Eric Fürderer mit seiner Truppe trifft, um neue Fast- nachtslieder zu dichten. Meist hat jemand eine bekannte Melodie im Ohr, die gemeinsam neu betextet wird, beschreibt der Butzesel das kreati- Eric Fürderer – Butzesel ve Prozedere. Die Inhalte sind vom Zeitgeist oder von alltäglichen Erlebnissen im Städtle inspiriert, um zwei bis drei neue Lieder wird das Repertoire jährlich erweitert. Die Fastnacht 2015 ist Eric Fürderers zehnte als Butzesel, seine Vorfreude darauf ist so leben- dig wie seit den Kindertagen. „In der Nacht zum Fasnetmentig werde ich wieder schlecht schla- fen“, weiß er jetzt schon, die kribbelige Aufre- gung vor dem Umzug mit mehr als 2.000 Häs- trägern allein von der Historischen Narrozunft gehört dazu. Schon im Sommer hat Eric sein Häs gerichtet, hat ein paar lose Fleckle neu vernäht, zerrissene ersetzt, der leicht lädierte Eselskopf war zur Reparatur. Der Butzesel findet es toll, ein unkompli- ziertes und strapazierfähiges Häs zu tragen, das es auch verträgt, wenn er sich störrisch auf der Straße wälzt. Am meisten liebt er den Blick in die strahlenden Augen von Kindern, die dem Esel hinterherlaufen, ihn anfeuern: „Butz, zwo, drei, vier…“ – und ihm ein Villinger Würschtle abja- gen. Später werden sich die Butzesel-Gruppen in die Fasnets-Stüble verteilen, Lieder anstimmen, das Publikum zum Mitsingen animieren, werden auf andere Gruppen treffen – natürlich auch die Trommlerwieber – und schunkelnd und singend gesellige Gemeinschaft genießen. In der Heimatstadt vielfältig engagiert Keine Frage, Eric Fürderer fühlt sich wohl in sei- ner Heimatstadt, nicht nur während der fünften Jahreszeit. Er ist sportlich, spielt in der ersten Mannschaft des FV Marbach, engagiert sich auch im Vorstand. Freundin Katrin spielt Tischtennis, zwei bis drei Mal pro Woche schwingen sich die beiden auf die Fahrräder, um Ausflüge in die Um- gebung zu unternehmen, fahren auch häufig an den Bodensee und besuchen Katrins Geburtshei- mat. Das Pendeln finden beide bereichernd, rei- sen gern in die Alpen zum Wintersport. „Es muss aber keine Weltreise sein, ich bin nicht der Typ für großes Fernweh“, unterstreicht Eric Fürderer seine Bodenständigkeit auch bei der Auswahl von Reisezielen. „Am schönsten ist’s ohnehin zu Hause.“ 55


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Jacqueline Janzen – Eishockey-Nationalspielerin „Wie wichtig mir meine Heimat ist, hätte ich ohne die Olympiateilnahme nicht gewusst“ von Christina Nack Sie ist erst 20 Jahre alt, schon weit in der Welt herumgekommen und hat sich bereits einen großen Lebenstraum erfüllt: die Teilnahme an olympischen Spielen. Die Rede ist von Jacqueline Janzen, Eishockey-Nationalspielerin aus Villingen- Schwenningen, die im vergangenen Winter im russischen Sotschi mit von der Partie war und ihrem Ruf, die deutsche Stürmerin mit dem härtesten Schuss zu sein, alle Ehre machte. Im April kehrte die junge Frau nach Villingen-Schwenningen zurück, um ihr nächstes Ziel zu erreichen – das Abitur. „Ich bin sehr froh, wieder daheim zu sein“, erzählt sie lachend. Daheim: Das ist ihre Familie, Mutter Sabine Janzen- Waskow, Vater Helmut Waskow und die ältere Schwester Andrea, die in der Nähe lebt. Jacque- line wohnt wieder bei den Eltern, besucht das Albert-Schweitzer-Gymnasium, das sie nach den Klassen 11 und 12 verlassen hat, um sich auf die Olympia-Vorbereitungen konzentrieren zu kön- nen. „Beides zusammen geht nicht. Für die Schu- le hatte ich keine Zeit.“ Jetzt knüpft sie an ihr altes Leben an, das doch nicht dasselbe ist. Die Klasse ist neu, Jacqueline ist die älteste Schülerin und hat einen großen Erfahrungshorizont auf der einen, Defizite auf der anderen Seite. „Ich musste auf vieles verzich- ten und habe vieles vermisst.“ Jetzt weiß sie zu schätzen, was Gleichaltrigen oft selbstverständ- lich erscheint. „Ein geregeltes Leben, Freizeit und Privatsphäre zu haben, ins Kino gehen können, eine Party besuchen, durch die Stadt bummeln…“ zählt sie neu entdeckte Freiheiten auf. Nicht nur in der Schule sei sie „super“ aufge- nommen worden, auch in ihrer Geburtsstadt Vil- lingen fühlt sich Jacqueline nach dem „Sabbat- Jahr“ wohler denn je. „Die Vertrautheit ist viel wert“, sagt sie, die in der Stadt viele Lieblings- plätze hat, vor allem den Münsterplatz. Ihr ge- 56 fällt der moderne, informative und auch aufhei- ternde Brunnen neben altem Gemäuer, sie bum- melt gern über den Wochenmarkt und findet die Vorstellung „irre“, dass dieses Treiben eine fast tausendjährige Tradition hat. „Zu Hause“ – das ist für die leidenschaftliche Kufensportlerin na- türlich auch die Helios-Arena in Schwenningen, wo sie bei den Lady Wings mitspielt und das in vollen Zügen genießt. „Das ist das reinste Hobby ohne großen Ehrgeiz, da wird schon eine Platzie- rung in der Landesliga gefeiert.“ Mit acht Jahren Schlittschuhlaufen begonnen Spaß statt Spitzensport ist in der Freizeit ange- sagt, die bis dahin ausschließlich mit Eishockey gefüllt war. Achtjährig begann Jacqueline Jan- zen mit dem Schlittschuhlaufen, der Vater nahm sie mit ins damalige Bauchenberg-Stadion, wo er selbst zum puren Vergnügen seine Runden drehte. Der damalige Trainer der Wild Wings beobachtete das flinke, geschickte und muti- ge Mädchen und lud sie in die Laufschule des Schwenninger ERC ein. „Da bekam ich meinen ersten Schläger und war angefressen.“ Von der


XXX Die Villingerin Jacqueline Janzen im Trikot der deutschen National- mannschaft. 57


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Stürmen für Deutschland bei Olympia: Jacqueline Janzen im Match gegen Schweden. Pike auf durchlief die talentierte Spielerin alle Nachwuchsmannschaften von Anfängern, Bam- binis, Knaben und Schülern bis zur Jugend. Bis sie 18 Jahre alt war, war die Eishockeyspielerin im Bauchenberg-Stadion stets einziges Mädchen unter den Jungen. Die wenigen Mädchen, die sich in Kindertagen spielerisch mit ihr am Puck ver- sucht hatten, hätten spätestens mit der Pubertät aufgehört. „Beim Eishockey musst du schon ein wenig abgehärtet sein und einstecken können.“ Auch Jacqueline Janzen fiel unzählige Male auf die Nase, „das darf dir nichts ausmachen.“ Erstes Training mit der Nationalmannschaft Sie habe nur Eishockey im Kopf gehabt, schon zwölfjährig von Olympia geträumt und wurde dreizehnjährig erstmals zum Training mit der Nationalmannschaft eingeladen. Beim viertä- gigen Sichtungslehrgang in Füssen war sie die Jüngste, wurde gleichberechtigt von den älteren Spielerinnen aufgenommen, „das war ein großer Schritt.“ Von nun an ging’s bergauf. Die Schwarz- wälderin gehörte fest zum Nationalkader, nahm als Mitglied des U18-Nationalteams an den Welt- meisterschaften 2009 in Füssen, 2010 in Chicago und 2011 in Schweden teil. Die Eltern ließen ihre Tochter gewähren und unterstützten sie – „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“. Vor allem die Mutter habe sich stets Sorgen gemacht, die Tochter war immer wieder verletzt, am schwersten bei der WM in Schweden, wo sie sich bei einem Sturz am Sprunggelenk schwer verletzte. Sie wurde operiert und musste danach eine sechsmonatige Zwangspause in Kauf nehmen. Es folgte ein extra hartes Training, um den Qualifikationsmarathon für Olympia zu schaffen. Nur die acht besten Na- tionen werden zugelassen, zu denen mussten die deutschen Eishockey-Damen gehören, um dabei sein zu dürfen. Das ständige Pendeln zwischen Villin gen- Schwenningen, dem Bundesleistungszentrum 58 in Füssen, weiteren Trainingslagern und auswär- tigen Turnieren war bis dahin schon eine Grat- wanderung gewesen. Mit den Vorbereitungen auf Olympia war ein Schulalltag endgültig nicht mehr möglich. Die Leistungssportlerin musste zudem Mitglied einer Bundesliga-Damenmann- schaft werden, um ins olympische Team aufge- nommen werden zu können. Im August 2013 zog sie nach Memmingen und wurde Stürmerin bei den ECDC Memmingen Indians. Sie lebte in einer Wohngemeinschaft mit sechs Spielerinnen, die Wohnung war nah am Stadion und nah am Fit- ness-Studio. Sie habe so manches Mal Heimweh nach Familie und Freunden gehabt. „Es war nicht immer einfach“, erinnert sie sich. Olympiateilnahme ein Riesenerlebnis Schließlich war es so weit: Anfang Februar 2014 flog Jacqueline Janzen von München über Frank- furt nach Sotschi. Schon das war ein Riesenerleb- nis, denn sie flog nicht als normaler Passagier, sondern in einer Sondermaschine mit Sportlern, Funktionären und Presseleuten. Öffentlichen Rummel sind die Eishockey-Damen nicht ge- wohnt, sie haben in Deutschland we sentlich weniger Zuschauer als die Männer. „Plötzlich wurden wir behandelt wie die VIPs. Wir mussten


Jacqueline Janzen – Eishockey-Nationalspielerin nicht einmal unsere Taschen tragen.“ Für drei Wochen wurde das olympische Dorf zum Zuhau- se. Die Sicherheitskontrollen seien extrem gewe- sen, sie habe viel über die Kritik an Putin nachge- dacht, soziale Ungerechtigkeit, über Verletzung der Menschenrechte und die allgegenwärtige Angst vor Anschlägen. „Aber wir konnten doch nichts dafür, wir waren vom olympischen Gedan- ken beseelt.“ Die deutschen Eishockeyfrauen gehörten zur Gruppe mit Schweden, Japan und Russland. Das Spiel gegen die Gastgeber verfolgten 5000 Men- schen im Stadion, fast nur Russen, die ihr Team mit lautem Gegröhle anfeuerten, die Deutschen ausbuhten. „Unser Zurufen klappte wegen des Krachs nicht, wir haben kaum den Schiri gehört.“ Die Deutschen verloren das Spiel, ebenso das gegen Schweden, gewannen gegen die Japane- rinnen und landeten letztlich auf Platz sieben. „Dabei sein ist alles“, stellt Jacqueline Janzen fröhlich fest, die stolz auf ihre Olympia-Teilnah- me ist. „Ich habe viel gelernt, es war eine Erfah- rung fürs Leben.“ Zurück in die Schule – das Abitur nachholen Die junge Frau ist pragmatisch genug, um ihre Zukunft nicht darauf aufzubauen. Im Gegensatz Am liebsten Ort – auf dem Villinger Münsterplatz. zu männlichen Eishockey-Cracks können die weiblichen nicht vom Sport leben. „Wir haben leider zu wenig Zuschauer und also auch zu we- nig Sponsoren. Bei uns kommt es mehr auf Taktik und Technik an, die Männer spielen schneller und aggressiver.“ Nach zehn Jahren Leistungssport hatte Jacqueline Janzen das Bedürfnis nach Distanz. Beim Grübeln über ein Leben ohne Eishockey fiel ihr wenig ein. „Ich hatte kein Zeit, andere Inter- essen zu entwickeln. Das große Ziel hat viel ver- langt.“ Jetzt hat sie ein vorläufiges Ziel – das Abitur – und ist auf der Suche nach neuen Perspektiven. Der Abstand zum Leistungssport tue gut, sie genieße es, keine Erwartungen befriedigen zu müssen, ohne den Druck zu leben. „Keine Lust ist im Spitzensport kein Argument.“ Eine Rück- kehr in den Nationalkader hält Jacqueline Janzen nicht für ausgeschlossen, planen will sie nichts. „Ich muss erst einmal herausfinden, wozu ich sonst noch tauge und wo ich gebraucht werden könnte.“ Erstmals ist berufliche Orientierung ein Thema für die bescheidene, bodenständige Spitzensportlerin. Bei aller Ungewissheit über ihre weitere Entwicklung steht für sie eines fest: „Wie wichtig mir meine Heimat ist, hätte ich oh- ne Sotschi nicht gewusst.“ 59


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Sabine Grässlin – Köchin und Kunstsammlerin „St. Georgen ist meine Heimat. Ich mag die Jahreszeiten – auch den Winter.“ von Nathalie Göbel mit Fotos von Stephanie Kiewel Diese Salatsauce. Würzig-frisch bedeckt sie die Blättchen und mit dem Brot lassen sich zum Glück auch noch die letzten Reste vom Teller auftunken. Was darin ist? Viele Gäste im „Kippys“, dem Restaurant von Sabine Grässlin in St. Georgen, wollten das schon wissen. Die Köchin lacht. „Ganz normales Öl, Kräuteressig, und eben Kräuter, die ich gerade in der Küche habe. Oder auch mal ein bisschen geriebener Ingwer.“ So einfach, so lecker. Alltägliches zur Kunst zu erheben, liegt bei ihr in der Familie. Die Grässlins selbst wohnen nicht einfach nur in St. Georgen. Das Haus von Mutter Anna beherbergt ihre Privatgalerie, bei Sabine Grässlin begrüßen einen schon im Treppenhaus Ausstellungsplakate, beim Naturswimmingpool im Garten steht Martin Kippenbergers „Insel- buch“: Ein roter Frosch in grünem Nikolausman- tel. Zwei Meter hoch, aus lackiertem Alumini- umguss, sitzt er unter einer Laterne – sitzt und liest. Kippenberger, 1997 verstorbener Künstler und enger Freund der Familie (siehe Almanach 2014), ist der Namenspate für Sabine Grässlins Restaurant „Kippys“. Die familieneigene Sammlung zeitgenössi- scher Kunst mit jährlich wechselnden Ausstel- lungen lockt regelmäßig internationales Publi- kum in die Bergstadt. Auch Sabine Grässlin liebt Kunst – die zeitgenössische ebenso wie Werke von Picasso oder Monet. Ihr Leben aber, sagt Sabine Grässlin, ist das Kochen. „Die wird mal Wirtin“, hatte ihr 1976 verstorbener Vater Dieter schon früh vorausgesagt. Sie hat es von der Pike auf gelernt, im Konstanzer Stephanskeller von Bertold Siber, der mit 18 Punkten im Gault-Millau und einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Dennoch, in Küchen herrscht ein rauer Ton, das 60 ist auch bei Sterneköchen nicht anders. Sonst würden die zeitlich perfekt abgestimmten Ab- läufe wohl auch nicht funktionieren. „Dadurch, dass ich nicht mehr direkt von der Schule kam, habe ich mich schnell daran gewöhnt“, sagt sie rückblickend. Lehre bei einem deutschen Spitzenkoch Noch während ihrer Schulzeit wurde Sabine Grässlin schwanger. Tochter Katharina ist heu- te 37 Jahre alt, nach ihrer Geburt holte Sabine Grässlin die Mittlere Reife nach. Den Konstanzer Stephanskeller besuchte die Familie oft zum Es- sen. Als er nach einer Lehrstelle für Sabine gefragt wurde, sei Siber zunächst erschrocken gewesen. „Da kommt so eine junge Frau aus ‚gutem Haus’ mit Stöckelschuhen und Nagellack und will Kö- chin werden“, sagt Sabine Grässlin und lacht. Oh- ne Nagellack, dafür mit flachen Schuhen, begann die heute 54-Jährige ihre Lehre. Eine harte Zeit, sagt sie rückblickend. 60- und 70-Stunden-Wo- chen sind in der Gastronomie keine Seltenheit. Ihre Tochter Katharina wurde von Oma Anna gehütet. Bis heute haben die beiden eine ganz besondere Bindung, sagt Sabine Grässlin. Katha-


Sabine Grässlin in der Küche des Restaurants „Kippys“. 61


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Sabine Grässlin liebt Blumen und Kunst – rechte Seite: Bei den Vasen handelt es sich um eine Installation von Tobias Rehberger, jede Vase steht für ein Familienmitglied. rina kam zwei Monate nach dem plötzlichen Tod ihres Großvaters, des erst 50-jährigen Die- ter Grässlin zur Welt. Ein schwerer Schlag für die ganze Familie, besonders für Anna Grässlin. Man habe sich zusammengerappelt, so gut es eben ging, sagt Sabine Grässlin. Dieter und Anna Grässlin hatten viel Energie in die 1956 gegründete Firma für Feinwerktech- nik gesteckt. „Gerade in den Anfangsjahren leb- ten wir in wirklich bescheidenen Verhältnissen“, erinnert sich Sabine Grässlin. Fleischgerichte gab es höchstens einmal bei der Großmutter und während andere Kinder mit den Eltern in die Ferien fuhren, freuten sich die Grässlin-Kin- der auf Schulausflüge oder Ausfahrten mit dem Chor. „Dennoch hatten wir eine Bilderbuch-Kind- heit“, sagt Sabine Grässlin. Noch heute erinnert sie sich daran, wie Vater Dieter mit ihr und den Geschwistern aus Spaß die Wände des Esszim- mers mit Postern aus der Zeitschrift „Das Tier“ tapezierte, während Mutter Anna verreist war. Diese Unbeschwertheit war mit dem frühen Tod des Vaters erst einmal vorbei. „Meine Mutter hätte es verstanden, wenn ich die Lehre abgebro- chen hätte, aber ich habe es durchgezogen“, sagt Sabine Grässlin. Ihrem ehemaligen Chef Bertold Siber ist sie bis heute dankbar. Er war es auch, der sie seinem Freund Eckart Witzigmann empfahl. Witzigmann, 1994 vom Gault-Millau zum „Koch des Jahrhunderts“ geadelt, betrieb damals in München das „Aubergine“ – und wollte eigent- lich keine Frauen in der Küche. Sabine Grässlin aber wollte er – und so arbeitete sie ein Jahr lang 62 in dem renommierten Restaurant, wo kein Teller die Küche verließ, der nicht von Witzigmann per- sönlich kontrolliert worden war. „Das war eine sehr lehrreiche Zeit“, sagt sie. Das erste „Kippys“ entsteht am Bärenplatz Bis zur Eröffnung eines eigenen Restaurants soll- te es aber noch eine Weile dauern. Nach einer weiteren Ausbildung zur Werbekauffrau hat Sa- bine Grässlin bis zu dessen Verkauf 16 Jahre lang im elterlichen Unternehmen gearbeitet – auch, um mehr Zeit für ihre Tochter zu haben. Das Ko- chen aber hat sie nie losgelassen. Nach dem Ver- kauf des Familienunternehmens beschloss Sabi- ne Grässlin, ihre Leidenschaft wieder zum Beruf zu machen. Das erste „Kippys“ wurde eröffnet, damals noch am St. Georgener Bärenplatz. Etwas Bistroartiges sollte es sein. „Aber es hat sich bald gezeigt, dass Kochen mein Ding ist und sich das Ganze zum Restaurant entwickelt.“ Seit mittlerweile acht Jahren ist das „Kippys“ nun deutlich größer und befindet sich direkt ne- ben dem Kunstraum Grässlin, dem Mittel- und Ausgangspunkt der wechselnden Ausstellungen, die sich über das ganze Stadtgebiet erstrecken. Leer stehende Geschäfte gehören dabei zum Konzept „Räume für Kunst“ – in den Schaufens- tern zeigt die Familie Exponate, die alleine oder bei geführten Touren besichtigt werden können. Im „Kippys“ ist Sabine Grässlin ihre eigene Che- fin – und steht auch selbst in der Küche. Rührt


Sabine Grässlin vor Werken von Martin Kippenberger. 63


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Salatdressing und Saucen an, experimentiert mit neuen Rezepten. Und das Gemüse wird selbst ge- schält, aus Fleischresten und Knochen Fond ge- kocht. Authentizität und die Liebe zum Produkt sind ihr wichtig. Regionales und handgemachtes Essen Regional soll das Essen sein – und handgemacht. Salat putzen bedeutet für sie, jedes Blatt in die Hand zu nehmen, das Gemüse wird selbst ge- schält, aus den Abschnitten wird Fond gekocht. Fertigprodukten, wie sie längst auch im Groß- handel für Gastronomie angeboten werden, kann sie nichts abgewinnen. „Man wird doch wohl noch Kartoffeln schälen können.“ Die Gäste im „Kippys“ schätzen ihre Experi- mentierfreude ebenso wie die ganz normalen Gerichte, die es auf der kleinen, aber feinen Karte gibt. Darauf findet sich auch mal Bratwurst mit natürlich hausgemachtem Kartoffelsalat, eben- so wie handgemachte gefüllte Pasta „Von der Sterneküche bin ich weg“, sagt Sabine Grässlin über ihre Art zu kochen. Sie schätzt es, wenn Kol- legen „Bodenständiges zu etwas Gigantischem“ werden lassen. Für sich selbst kocht sie bevor- zugt einfach: Salat, dazu ein Stückchen Fleisch, auch mal Nudelauflauf oder Pellkartoffeln mit Quark nach dem heißgeliebten Rezept von Mut- ter Anna. Sammlung des deutschen Informel Mit der Mutter zusammen ist Sabine Grässlin auch häufig in Sachen Kunst unterwegs – zum Beispiel auf der Art Basel. In den 1970er Jahren hatten Dieter und Anna Grässlin begonnen, Wer- ke des deutschen Informel zusammenzutragen und damit den Grundstein für die Sammlung Grässlin gelegt. Nicht selten schmückten Ausstellungspla- kate die Kinderzimmer von Bärbel, Thomas, Sabine und Karola Grässlin. „Uns Kindern hat auch nicht alles gefallen“, sagt Sabine Grässlin schmunzelnd. Dadurch, dass viele Künstler und Galeristen im Hause Grässlin ein und aus gingen, 64 entwickelten die Kinder schon früh einen Bezug. „Kunst und Sammeln – das war generell ein The- ma bei uns.“ So verwundert es wenig, dass die Grässlins neben der Kunst noch weitere Sammelleiden- schaften hegen: Thomas Grässlin sammelte jah- relang die Figuren aus Überraschungseiern, Bär- bel Grässlin hat ein Faible für Bauernsilber, bei Karola Kraus, geborene Grässlin, sind es Espres- sotassen und Sabine Grässlins Herz schlägt für Frösche. Porzellan, bemalt mit Fröschen, Tischde- cken, Figuren, Kaffeebecher, Poster, Plüschtiere, Christbaumschmuck, Teppiche, alte Illustratio- nen vom Flohmarkt – mehr als 2.000 Exponate rund um die grünen Hüpfer hat sie im Laufe der Jahre zusammengetragen und geschenkt be- kommen. Der Traum vom eigenen Froschmuseum Zu sehen sind diese in einem eigenen kleinen Museum in einem ehemaligen Laden, einen Steinwurf vom Kunstraum Grässlin entfernt. Den Fröschen würde Sabine Grässlin am liebs- ten eines Tages ein eigenes Museum bauen. „Ich träume von einem Riesenfrosch als Gebäude“, sagt sie. „Das wäre doch mal eine Attraktion.“ Und wo könnte das Frosch-Haus stehen? Na- türlich in ihrer Bergstadt. „St. Georgen ist mei- ne Heimat. Ich mag die Jahreszeiten, auch den Winter. Ich bin nicht die große Reisende.“ So verwundert es wenig, dass sie ihren Urlaub am liebsten zu Hause verbringt – zum Beispiel an ih- rem Natur swimmingpool, mit einem guten Buch neben Martin Kippenbergers Frosch−Skulptur. Sabine Grässlin liebt Frösche und träumt vom eige- nen Froschmuseum. Ihr liebster Platz ist die Bank am Naturswimmingpool mit Blick auf Martin Kippenber- gers Frosch-Skulptur.


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Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Jan Cebulla – ein Leben im Rollstuhl und doch offen und fröhlich Musik und Video-Produktionen sind seine große Leidenschaft von Susanna Kurz Wenn Jan anfängt zu erzählen, dann ist ihm die Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner sicher. Sie lachen, sie strahlen ihn an und hören ihm gebannt zu. Denn der 16-jährige Bad Dürrheimer hat immer einen kessen Spruch auf den Lippen und fesselt sein Gegenüber durch seine offene, lustige, unbeschwerte und durchweg fröhliche Art. Eigentlich nichts Ungewöhnliches für einen Jugendlichen. Doch es ist genau das, was die Leute begeistert, denn sie hätten womöglich etwas anderes erwartet. Jan Cebulla sitzt seit seiner frühesten Kindheit im Rollstuhl. An welcher Krankheit er leidet, möchte er nicht geschrieben wissen. Viel lieber spricht er über das, was ihm richtig Freude bereitet, was für ihn Wohlfühlen be- deutet, Geborgenheit und damit Heimat: seine Musik. Seit zwei Jahren spielt Jan elektrisches Schlagzeug, Gitarre und ab und zu Keyboard. Und Jan singt mit Begeisterung. „Mir gefällt es, dass Musik für jeden da ist und dass jeder Musik ma- chen kann. Wenn ich Musik mache, bekomme ich den Kopf frei und kann den Alltag vergessen.“ Zu- sammen mit seinem Musiklehrer Thomas Groß übt er in seinem heimischen Zimmer und be- kommt von ihm alle erdenkliche Unterstützung, seinem großen Hobby nachzugehen. „Einmal in der Woche kommt mein Musiklehrer zu mir“, berichtet Jan. Dann sitzen die beiden nicht stur nebeneinander und üben strikt, nein, sie machen Musik und nehmen diese auf Video auf. An dieser Stelle schließt sich Jans zweites Hobby an: die Videoclip-Produktion. Unter dem Namen „Jans Houserock“ stellt er die Videos, die er mit seiner Handykamera aufnimmt, bei Youtube auf dem gleichnamigen Kanal ein und postet sie auf seiner Facebook- und Internetseite. Mit Erfolg. Teilweise kann er bis zu 2.000 Aufru- 66 fe pro Video verzeichnen. „Der Name Houserock kommt nicht etwa daher, dass ich gerne House- musik mag. Nein, ich höre viel lieber Rock, Metal und Pop“, erzählt er schmunzelnd. Jan hat sich den Namen ausgesucht, weil er die Musik von Zuhause aus macht. Dass er anderen mit seiner Musik so viel Freu- de bereitet, ist für Jan großartig. Aus allen Rich- tungen bekommt er positive Rückmeldungen da- rauf, selbst der Partner seiner Schwester wurde bei der Arbeit auf die Musikvideos angesprochen. Das macht Jan stolz, denn: „Ich produziere alles in Eigenregie“. Fast jede Woche stellt der 16-Jährige einen Clip fertig, knapp 15 sind es an der Zahl. Und wieder ist diese Leidenschaft mit einem weite- ren Hobby des Bad Dürrheimers kombiniert: der Technik. Kameras, Smartphones, Smartwatches, Apps sind das, womit er sich perfekt auskennt. Sämtliche Kameramodelle, Funktionen und Knif- Jan Cebulla sitzt seit seiner frühesten Kindheit im Rollstuhl, hat sich aber seine Lebensfreude bewahren können. Daheim ist er in Bad Dürrheim.


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Da leben wir – Schwerpunkt Heimat „Jans Houserock“ – Blick auf die Facebookseite. fe sind ihm alles andere als fremd, Bildbearbei- tung und Fotografieren machen ihm Spaß. Auf eine professionelle Kamera spart der 16-Jährige, solange nutzt er seine Kompaktkamera und kit- zelt aus ihr die besten Tricks heraus. Als „Sommerreporter“ unterwegs „Ich könnte mir gut vorstellen, später einmal Me- diengestalter zu werden“, erzählt Jan bei einem Glas Eistee. Oder Journalist. „Die Geschichten an- derer Menschen zu erzählen finde ich toll.“ Und seine Meinung sagen zu können, lockt ihn. „Ich erlebe gerne Neues und habe gerne Abwechs- lung.“ Sein Berufsziel hat er fest vor Augen. Aus diesem Grund wird er zum Schuljahr 2015/16 die Christy-Brown-Schule in Villingen verlassen und wird seinen Realschulabschluss an der Realschu- le am Salinensee in Bad Dürrheim machen. „Und danach will ich Germanistik studieren. Deutsch zählt neben Schwimmen und Englisch zu meinen Lieblingsfächern in der Schule.“ Um seinem Berufswunsch näher zu kom- men, absolvierte Jan Cebulla bereits Praktika bei Tageszeitungen – und die Stadtverwaltung Bad Dürrheim hat ihn mit einer ganz besonde- 68 ren Aufgabe betraut: Jan wurde während der vergangenen Sommerferien zum sogenannten „Sommerreporter“ ernannt. Hierbei suchte der 16-Jährige zusammen mit der städtischen Behin- dertenbeauftragten Hannelore Prochnow und dem Bad Dürrheimer Fotograf Peter Sterk an drei Tagen verschiedene Stationen auf und do- kumentierte die Barrierefreiheit – oder die eben noch nicht optimierten Wege und Stellen in der Kur- und Bäderstadt. „Die Ergebnisse habe ich in einem Bericht niedergeschrieben, Peter Sterk hat mir die Fotos zur Verfügung gestellt und den ganzen Bericht haben wir dann im Bilderbuch- café der Gruppe ‚Handicap aktiv‘ vorgestellt“, erzählt er. „Ich wollte auch gerne während der Ferien arbeiten, aber wusste nicht wo und nicht wie.“ Daher freute er sich umso mehr über das Reporterangebot. Besonders gerne im Kurpark Seit vier Jahren lebt Jan Cebulla nun in Bad Dürr- heim, aufgewachsen ist er in Bräunlingen. Seine Freizeit verbringt der 16-Jährige am liebsten drau- ßen an der frischen Luft. „Besonders gerne zu- sammen mit meinem Kumpel im Kurpark.“ Denn dort, so sagt er, habe er an einem lauschigen Plätzchen nahe des Festplatzes seine Ruhe. Die Blicke mancher Passanten empfindet Jan als stö- rend und als nervend. Darum schätzt und genießt er diesen lauschigen Platz. Aber wenn er dann Lust auf Action hat, geht’s zum Skatepark nahe der Bohrtürme beim Minara-Freibad. Über die wellenförmigen Hindernisse lässt er sein fernge- steuertes Modellauto flitzen – und manchmal be- festigt er sogar eine kleine Kamera darauf. Dann ist er, wenn auch im Nachhinein am Computer, live dabei bei der wilden Fahrt. Je nach Zeit und Laune besucht Jan auch mal mit seinen Freunden das Jugendhaus im Alleenweg. Und er vertreibt sich seine Zeit gerne mit Lesen. „Am liebsten mag ich ‚Gregs Tagebuch‘, ein Comicroman.“ Es gibt aber auch Dinge, die Jan gar nicht lei- den kann. „Ich mag es überhaupt nicht, wenn je- mand falsch und hinterlistig ist!“ An allererster Stelle stehen für den 16-Jährigen nämlich Ehr- lichkeit und der loyale Umgang miteinander.


Daumen hoch für Jan – unterwegs als „Sommerreporter“. Die Rose schenkt er seiner Mutter (rechts). XXX 69


Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Kai und Rik Sauser: Wenn es ums Rad geht, sind sie in ihrem Element Die Brüder organisierten bereits hunderte von erfolgreichen Veranstaltungen von Michael Kienzler Noch hält sich der Nebel zäh in den Straßen von Bad Dürrheim. Die ersten Aussteller beim RiderMan beginnen mit dem Aufbau. Von Radfahrern noch keine Spur. Dafür von den beiden Organisatoren Kai und Rik Sauser. Auch wenn an diesem Morgen viele Helfer unterwegs sind, packen die Brüder mit an wo es geht. Kai befestigt einen Werbebanner und Rik telefoniert nahezu ununterbrochen, zeigt Leuten, was sie zu tun haben. Doch von Hektik keine Spur, in aller Ruhe und immer wieder mit einem freundlichen Lächeln geben sie den Radfahrern Auskünfte. Da bleibt noch Zeit, um drei Minuten vor dem Start ein Pressefoto zu machen. Die Ruhe und Übersicht kommt nicht von unge- fähr. Schließlich organisieren die beiden Ober- baldinger schon seit vielen Jahren erfolgreich Radsport- und Kultur-Großereignisse. Da wird man gelassener. Doch diese Karriere war alles andere als geplant und entstand aus einer spon- tanen Idee im Biergarten von Donaueschingen. Nach Radgrößen der 60er Jahre benannt Der Radsport liegt in der Familie Sauser und hat das Leben der drei Brüder immer bestimmt. „Mein Vater war radsportverrückt im positiven Sinne, das merkt man alleine schon an unse- ren Vornamen. Ich heiße nach Radgrößen aus den 60er Jahren, da gab es beispielsweise Rik Van Looy oder Rik Van Steerberghen und unser jüngster Bruder Eddy wurde nach Eddy Merckx benannt“, erklärt der 47-jährige Rik Sauser. „Und ich hätte eigentlich nach dem belgischen Rad- rennfahrer Patrick Sercu getauft werden sollen, aber da meinte meine Mutter dann, nicht schon wieder ein Radfahrer und man einigte sich kurz 70 vor der Namensgebung auf Kai“, wirft der jüngs- te der Sauser-Brüder schmunzelnd ein. „Und weil ich nicht nach einem Radfahrer benannt wurde, bin ich auch der einzige, der nie aktiv Rad gefah- ren ist“, rechtfertigt sich der 38-Jährige. Die bei- den verstehen sich ausgezeichnet. „Das muss so sein, ansonsten könnten wir die vielen Aufgaben gar nicht meistern“. Mit acht durfte Rik erstmals bei einer Rad- Weltmeisterschaft in Belgien zuschauen. 1977 begann er Radrennen für den Radsportverein Schwenningen zu fahren, Bruder Eddy ein Jahr später. „Und Kai ging immer mit und war unser größter Fan“, lacht Rik. Von März bis Septem- ber reisten die Radbegeisterten Jahr für Jahr in Sachen Radsport durch Europa. Dazu zählten über zehn Weltmeisterschaften und noch mehr Reisen zur Tour de France. „Eine Zeit lang haben wir sogar Reisen zur Tour organisiert, doch es Rik (links) und Kai Sauser – die Baaremer Brüder sind vom Radsport begeistert und Veranstalter etlicher Rennen und Events.


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Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Rik Sauser im Gespräch mit Radsportlegende Erik Zabel. Rechts: Die Sauser Brüder freuen sich einmal mehr über ein perfekt organisiertes, gelungenes Event. wurde zusehends schwieriger, geeignete Unter- künfte zu finden“, berichtet Kai Sauser. Rik ging mit 17 zur Polizei, das war 1984. Ab diesem Zeit- punkt legte er in Sachen Radsport bis 1994 eine „schöpferische Pause“ ein. Kai zog es in das Bank- wesen, dort absolvierte er bei der Sparkasse ein duales Studium. Dann kam das Jahr 1998. „Mir war bissel langweilig und Rik in seinem Schicht- dienst auch“. An jenem Abend im Herbst saßen die beiden Brüder im Biergarten von Donau- eschingen und sinnierten darüber, dass man ir- gendetwas auf die Beine stellen müsste. Die Schwenninger Radnacht und der Sparkassen-Cup werden geboren „In der Innenstadt von Schwenningen gab es in den 60er- und 70er-Jahren immer ein Radrennen, Ende der 70er-Jahre bin ich da selbst noch mitge- fahren und hab den Wettbewerb gewonnen“, er- innert sich Rik. „Wir sagten uns, hey, da könnten wir doch mal wieder was machen, zumal zu der Zeit der Hype um Erik Zabel und Jan Ullrich war. So wurden die Schwenninger Radnacht und der Sparkassen- Cup geboren. Gerne erinnern sich die beiden an die äußerst erfolgreichen Rennen mit 72 über 15.000 Zuschauern, die Zabel & Co. bei ihren Runden durch die Schwenninger Innenstadt an- feuerten. „Ich werde nie vergessen, wie Kai noch im schwarzen Anzug vom Tieflager Gitter abge- laden hat“, lacht Rik. „Am Abend waren wir durch den Wind, aber happy“, meint Kai. Es dauerte nicht lange, dann durften die Sau- sers auch den RiderMan in Bad Dürrheim organi- sieren. Am Anfang noch arbeitete das Team von zuhause aus. Doch schnell merkte man, dass pro- fessionelle Strukturen her müssen. „Wir eröffne- ten dann Anfang 2000 das Büro in der Oberdorf- straße in Schwenningen“, erinnert sich Rik. Der Startschuss für die heutige Sauser Sport & Event Management Agentur war gefallen. Anfang 2001 kamen gleich die Deutschen Meisterschaften in Bad Dürrheim, die Jan Ullrich gewann. Zunächst wurden der Sparkassen-Cup, der RiderMan und die Deutschen Meisterschaf- ten organisiert. Ab 2002 gesellten sich eigene Veranstaltungen hinzu, so der GP Schwarzwald von Bad Krozingen auf den Feldberg. Gerne er- innern sich beide an den GP Schwarzwald in Triberg, als es einen Riesen-Hype um Jan Ullrich gab, sieben Kamerateams, viele Fotografen und Fans wollten den damaligen Radstar sehen. Mit der Schwenninger Radnacht und dem GP Schwarzwald gibt es im Landkreis zwei überregional beachtete Radsportevents. Beim GP Schwarzwald war 2005 Jan Ullrich am Start (Mitte rechts). Der GP Schwarzwald führt auch durch Schonach.


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Da leben wir – Schwerpunkt Heimat Hilfe der Familie, von Freunden und Bekannten machen Großveranstaltungen erst möglich Rik und Kai stellen klar, dass derartige Großver- anstaltungen ohne die Hilfe der Familie, von Be- kannten, Freunden und befreundeten Radsport- lern nicht funktioniert hätten und auch heute noch diese gute Zusammenarbeit die Vorausset- zung für erfolgreiche Rennen ist. „Alleine beim RiderMan brauchen wir 250 Streckenposten plus etwa 80 Leute in der Organisation“, rechnen die beiden vor. Weitere Wettbewerbe kamen hinzu, so 2005 der GP Triberg, den Trans Schwarzwald mit Mountainbikes durch den Schwarzwald, die Inline-Challenge in Hüfingen oder der Bodensee Megathlon in Radolfzell. „Wir haben immer ge- schaut, was könnte man sonst noch auf die Bei- ne stellen“. Gesagt, getan. Es folgten der Donau- eschinger Herbstzirkus, die Rock‘n Roll Jamboree, oder als Kooperationen die Jazz-Nacht oder das Herbstfest, allesamt in Donaueschingen. Mit im engeren Organisations-Team arbeiten seit vielen Jahren „Ursel“ Sauser, die Frau von Rik, als „Mädchen für alles“ und Carina sowohl im Eventbereich, als auch im Ladengeschäft in Villingen mit. „Wir ergänzen uns perfekt, Rik übernimmt schon von je her die Aufgaben nach außen hin, während ich lieber im Hintergrund arbeite“, erklärt Kai. Kaum Zeit zum Ausruhen: Neue spannende Aufgaben warten schon Beim Stichwort Urlaub grinsen die beiden, „naja zumindest im Sommer gibt es den eher weniger“. Organisiert werden muss das ganze Jahr, selbst im Winter bleibt kaum Zeit zum Ausruhen. „Das ist mittlerweile ein Ganzjahresgeschäft“, räumt Rik ein. Aber die Brüder sprühen trotzdem noch vor Tatendrang und haben noch die ein oder an- dere Idee in der Schublade. Eine spannende Auf- gabe wartet nächstes Jahr auf die Eventagentur. „Wir sind ab 2015 in die Tour de Suisse involviert und organisieren dort ein neues Jedermannren- nen im Rahmen dieses größten Radsportereig- nisses in der Schweiz“, erläutert Rik. „Wir freuen uns sehr auf die neue Aufgabe, das wird klasse“, 74 Mit vielen, vielen Events mehrere hunderttausend Zuschauer begeistert Seit der Gründung im Jahr 1999 hat Sauser Sport & Event Management Agentur viele hundert Veranstaltungen erfolgreich durch- geführt und mehrere hunderttausend Zu- schauer begleiteten zahlreiche Weltstars bei ihren Auftritten. Hier eine Auswahl: in VS und Bad Dürrheim • Schwenninger Radnacht • SparkassenCup in Villingen-Schwenningen • Rothaus RiderMan in Bad Dürrheim • Lokale Organisation der Deutschland Tour • Deutsche Straßen-Radsportmeisterschaften der Profis und Frauen in Bad Dürrheim • Qowaz-Inline-Challenge in Hüfingen • Deutsche Straßen-Bergmeisterschaften • GP Schwarzwald in Triberg, Bad Krozingen und auf dem Feldberg • EUROBIKE Altstadtkriterium in Ravensburg • VAUDE Trans Schwarzwald in Baden-Württemberg in Albstadt ergänzt Kai. Nach einigen Krisenjahren boomt der Radsport wieder, das beobachteten die bei- den zuletzt bei vielen Rennen. Die Familie stammt aus Oberbaldingen. Kai ging aber schon immer in Donaueschingen zur Schule, daher komme sein guter Draht zu die- ser Stadt und deshalb ist auch das Büro dort. Die Brüder waren auch schon einige Zeit in Stuttgart beruflich tätig, konnten sich aber nie vorstellen, von hier wegzugehen. Beide Familien sind sehr heimatverbunden und fühlen sich in der Region pudelwohl. Natür- lich kennen die Brüder dadurch auch viele tol- le Plätze. „Ich könnte 1.000 schöne Flecken im Landkreis aufzählen, der schönste ist wohl bei mir zuhause im Garten in Weilersbach“, scherzt Rik weiter. Mir gefallen Aussichten, so wie auf dem Brend oder vom Feriendorf in Öfingen aus. „Aber auch auf dem Schellenberg ist es herrlich“, fügt Kai hinzu, der in Donaueschingen lebt.


Oben: Alles im Griff – Rik Sauser als Rennleiter beim RiderMan 2014 in Bad Dürrheim. Unten: Siegerehrung beim GP Schwarzwald in Triberg, v. links Kai Sauser, Trachtenmädchen, Tribergs Bürgermeister Dr. Gallus Strobl, die Etappensieger Matija Kvasina (Kroatien), Radoslav Rogina (Kroatien) und Peter Velits (Slowenien) sowie rechts Rik Sauser. XXX 75


3. Kapitel Städte und Gemeinden Hüfingen bietet im Herzen der Baar viel Lebensqualität Die alte Stadt an der Breg baut ihre Markenzeichen „Ökologie, Geschichte, Kunst“ weiter aus von Stefan Limberger-Andris 76 76


Hüfingen auf der Baar – eine geschichtsträchtige Stadt, die sich in den vergange- nen Jahrzehnten zusammen mit den fünf Stadtteilen Hausen vor Wald, Mundel- fingen, Behla, Sumpfohren und Fürstenberg zu einem kulturellen, ökologisch und wirtschaftlich richtungsweisenden Standort entwickelt hat. „Ökologie, Geschichte, Kunst“ sind vom Gemeinderat und der Bevölkerung gelebte Markenzeichen. Nicht umsonst heißt es „in Hüfingen lässt sich’s gut leben“: Seit dem Jahr 2010 wird dies auch durch die Auszeichnung „Staatlich anerkannter Erholungsort“ dokumentiert. x 77


Städte und Gemeinden 78 Römertheater, Töpfermarkt oder Fronleichnamsfest – Hüfingen ist eine vielgestaltige Stadt. Dass Hüfingen so viel Flair hat, ist nicht nur der Herzlichkeit der Einwohner und den weit ge- spannten kulturellen Angeboten zu verdanken, sondern auch der unter Denkmalschutz stehen- den Altstadt. Ab den 1970er Jahren ist die Ge- bäudesubstanz umfassend saniert worden. Die zunehmend leer stehenden landwirtschaftlichen Gebäude konnte man in attraktive Wohnberei- che umgestalten. Weitere Sanierungsabschnitte waren die Vorderstadt mit den Bereichen Hauptstraße und Süßer Winkel. Derzeit läuft die Sanierung im Bereich Unterstadt, der sich bis zum Bauhof erstreckt. Belebtes Hüfingen Lebensgefühl und Lebensqualität, das schätzen die Hüfinger an ihrer Stadt an der Breg, die ei- ne weit über 2.000-jährige Siedlungsgeschichte aufweist. Ihr kulturelles Erbe, etwa das in den Jahren 1991 bis 1995 sanierte römische Kastell- bad, wurde durch ein optimal angepasstes Infor- mationszentrum für Touristen ebenso wie für die einheimische Bevölkerung zukunftsweisend weiterentwickelt. Das Römerbad, eines der ältes- ten nördlich der Alpen, lädt zur Erkundung durch museumspädagogische Angebote ein. Geschichte lebt und entfaltet ihre größte Kraft in der Belebung. Das ist ein Grundsatz, an dem sich Bürgermeister Anton Knapp seit sei- ner Wahl ins Amt 1988 orientiert. Darin spiegelt sich auch die nach historischem Vorbild erfolgte schrittweise Sanierung der denkmalgeschütz- ten Altstadt in den vergangenen Jahrzehnten. Optimale Voraussetzungen für ein jährliches, bedeutsames Ereignis: die Internationalen Kera- mikwochen Hüfingen. In diesem Jahr zum 24. Mal veranstaltet, lockt die künstlerisch hochka- rätige Veranstaltung mit Töpfermarkt und Aus- stellungen seit 1992 Besucher aus großen Teilen Europas an – ein „Kristallisationspunkt der euro- päischen Keramikkunst“.


Die Hüfinger Kulturnacht, das Hüfinger Som- mertheater, Konzerte, Kleinkunstveranstaltun- gen oder die Jahresausstellung des Hüfinger Künstlerkreises sorgen für weitere von den Ein- wohnern getragene Glanzlichter. Das 2007 eröff- nete Schulmuseum im alten Bahnhofsgebäude und das Museum für Kunst und Geschichte mit regional beachteten Sonderausstellungen und einer Präsentation der Werke des weit über Hü- fingen hinaus bekannten Hüfinger Künstlerkrei- ses (19. Jahrhundert) machen die Kunstwelt noch ein Stück facettenreicher, als sie ohnehin bereits ist. Natürlich wird die historische Innenstadt auch dem weit über die Region hinaus bedeut- samen Blumenteppich gerecht, der an Fronleich- nam gelegt wird. Und Veranstaltungen, wie etwa dem Stadtbächlefest im Sommer oder auch dem Kloosemärt im Dezember, verpasst sie das ge- mütliche Ambiente, das Bevölkerung und Gäste so schätzen. Blick auf Hüfingen und Fürstenberg (hinten rechts). Hüfingen bietet viel Lebensqualität Ökologie und Umweltschutz verpflichtet Ökologie ist ein weiterer Kern der kommunal- politischen Philosophie. Seit mehr als zwanzig Jahren wird auf der Gesamtgemarkung konti- nuierlich Biotopvernetzung betrieben. Verant- wortungsbewusster Umgang mit Natur und vor handenen Baupotenzialen wurde u.a. in Mun del fingen gezeigt. Als „Modellgemeinde für das Entwicklungsprogramm MELAP+“ wird ei- nem ausufernden Landschaftsverbrauch durch Aktivierung innerörtlicher Substanz entgegen gewirkt. Erneuerbare Energien sind in Hüfingen weit mehr als ein Lippenbekenntnis. Dies zeigt sich in den kommunalen Photovoltaik-, Holzhack- schnitzel- und Wasserkraftanlagen, den Block- heizkraftwerken und in der Ausweisung einer Konzentrationsfläche für Windkraftanlagen, der man als Mitglied des Gemeindeverwaltungsver- bandes Donaueschingen nachkam. Anerkennung dieses Engagements sind Auszeichnungen wie bereits 1993 der Umwelt- preis des Landes Baden-Württemberg, 2004


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Ob auf den Radwegen, im aquari oder beim Gleit- schirmfliegen auf dem Fürstenberg – Hüfingen hat einen hohen Freizeitwert. Sehenswert sind auch die Museen. Die Stadtanlage im Miniaturformat ist als viel beachtetes Ausstellungsstück im Museum für Kunst und Geschichte zu sehen. Unten rechts eine historische Unterrichtsstunde im Schulmuseum. das Öko-Audit „Geprüftes Umweltmanagement“ und 2013 als Preisträger im Bundeswettbewerb „kommunaler Klimaschutz“. In der Solarbun- desliga findet sich Hüfingen in der Kategorie Kleinstädte unter den besten 50 in der gesamten Republik. Familienfreundliche Kommune Hüfingens Verwaltung kümmert sich voraus- schauend seit Jahrzehnten um Wirtschaft und Familien. Die Ausstattung der Gesamtstadt mit Kinderkrippen und Kindergärten wurde den Be- dürfnissen nach modernsten Gesichtspunkten angepasst. Dabei spielt besonders in jüngerer Zeit die Schaffung von Kleinkindbetreuungsplät- zen eine große Rolle. Nimmt man das neuerlich mit einem Kostenaufwand von 0,5 Millionen Euro aufgelegte Spielplatzkonzept der Stadt als Maßstab der Kinderfreundlichkeit an, so würde Hüfingen in der obersten Liga ganz vorne mit- spielen. Hier gab der Gemeinderat grünes Licht für ein hohes finanzielles Engagement. Bildung nach modernen Maßstäben ist ein Element, das besonders Bürgermeister Anton Knapp am Herzen liegt. In jungen Jahren war er selbst als Lehrer beruflich unterwegs. Im Sep- tember 2013 ging die Lucian-Reich-Schule als Gemeinschaftsschule mit einem Grundschul- und Mensaneubau in eine viel versprechende Zukunft. 8 Millionen Euro wurden hier inves- tiert. Vor mehreren Jahren wurde an der Luci- an-Reich-Schule bereits die Ganztagesbetreuung eingeführt. Schulsozialarbeit ist in Hüfingen seit dem Jahr 2001 erfolgreich etabliert. Synergieeffekte nutzend, kann der Nachwuchs die im Verbund mit Donaueschingen betriebene Jugendmusikschule sowie eine Jugendkunstschu- le besuchen. Eine etablierte Stadt jugendpflege, ein Hüfingen bietet viel Lebensqualität Die Hüfinger Stadtkirche „St. Verena und Gallus“ ist in einer Urkunde des Konstanzer Bischofs Hermann II. erstmals 1183 urkundlich erwähnt. hochklassiges Kinderferienprogramm sowie ein verlässliches Ferienbetreuungsangebot lassen die Jugend in einem gesicherten Umfeld erwach- sen werden. Das Familienfreizeitbad „aquari“, in den Jahren 2000 und 2010 umfassend sa niert, lässt bei Familien und Saunafreunden kaum ei- nen Wunsch offen. Hohe Zuwachsrate an Wohnraumversorgung Kann es verwundern, dass die Bregstadt mit ei- ner guten Wohnraumversorgung punktet? Wohl kaum. Sinken die Baulandpreise doch für Fami- lien mit zwei oder mehr Kindern durch ein För- derprogramm deutlich ab. Hüfingen hat deshalb bei der Zuwachsrate an Wohnraumversorgung in der Region mit über 35 Prozent deutlich die Nase vorn und liegt auch in Baden-Württemberg sichtbar über dem Durchschnitt. 81


Städte und Gemeinden Blick zur Stadtmühle am Mühlenkanal, deren Wasserrad heute der Stromerzeugung dient, Impression vom Wo- chenmarkt beim Rathaus und malerischer Winkel in der Altstadt. Beeindruckende Natur- und Erholungslandschaft Der Erholungsort Hüfingen setzt auf Konzepte des sanften Tourismus. Zusammen mit Donau- eschingen und Bräunlingen wurde 2012 in ein Radwegenetz der „Quellregion Donau“ inves- tiert. Um die Touristenzahlen zu steigern, hat man Sehenswürdigkeiten geschichtlicher, kultu- reller oder natürlicher Art aufbereitet, verschie- dene touristische Lehrpfade angelegt, Übernach- tungsmöglichkeiten übersichtlich zusammenge- stellt und die KONUS-Gästekarte eingeführt. Großveranstaltungen wie die Heimattage Baden-Württemberg, SWR-Pfännle oder Tour de Ländle steigern permanent den Bekanntheits- grad. Der Wohnmobilstellplatz in unmittelba- rer Nähe zur Kernstadt gibt mobilen Reisenden ideale Möglichkeiten, einen kurzen oder auch längeren Halt einzulegen. Die Stadt bietet auf dem Gelände eine gute Infrastruktur mit Kiosk, Stromversorgung und Toiletten an. Von Hüfingen aus fährt man bequem zum Stadtteil Mundelfingen. Von dort erreichen Wan- derer die wild-romantische Gauchachschlucht. Sie ist ein ideales Ausflugsziel. Die Gauchach ist der bedeutendste Nebenfluss der Wutach und stellt die Verbindung zum 115 Kilometer langen Schluchtensteig her. Die Gauchach hat eine tiefe Schlucht ausgebildet, die geprägt ist von bizarren Felsformationen, Felswänden und Wasserfällen. Diejenigen, die „eher hoch hinaus wollen“, sind auf der Bergkuppe des Fürstenberges gut aufgehoben. Von der 918 Meter hoch liegen- den Erhebung aus hat man einen fantastischen Rundum-Blick auf die Baar. Beeindruckend ist die Sicht hinüber zur jungen Donau bei Neudingen. Und an klaren Tagen sieht man zum Greifen na- he die Alpen. Auf sieben Tafeln des Historischen 82


x Stimmungsvoller Weihnachtsmarkt beim Marienbrunnen am Rathaus. Hüfingen bietet seinen Besuchern zu jeder Jahreszeit viele Attraktionen. Pfades Fürstenberg, der 2012 eingeweiht wurde, werden Geologie, Klima und Pflanzenwelt eben- so erläutert, wie die bewegte Historie der einem Brand zum Opfer gefallenen Stadt und der Burg. Positive wirtschaftliche Entwicklung Ein gut funktionierendes Wirtschaftsleben mit sicheren Arbeitsplätzen ist auch in Hüfingen das kommunale und gesellschaftliche Rückgrat. 40 Prozent mehr Arbeitsplätze und 35 Prozent mehr Einpendler als im Jahr 1991 – das sind Zahlen, die für sich sprechen. Und sie gewinnen an Bedeutung, bedenkt man den gleichzeitigen Rückgang in unse- rer Region und in Baden-Württemberg. Mit 2,5 Pro- zent Rückgang im produzierenden Gewerbe, dem kreis weit geringsten Wert, und einem Zuwachs an Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich von 85 Prozent, steht die Stadt aus gesprochen gut da. Dass die Entwicklung weiter positiv verläuft, da- für soll der Beitritt Hüfingens zum Zweckverband „Breitbandversorgung Schwarz wald-Baar“ sorgen. In kommunaler Regie wird ein Glasfaser-Höchst- geschwindigkeitsnetz entstehen. Dies wird nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für Privat- haushalte ein wichtiger Standortfaktor. Dass Hüfingen auf Familien anziehend wirkt, ist im Hinblick auf die Entwicklung der vergange- nen zweieinhalb Jahrzehnte nur folgerichtig. Über 7.500 Einwohner, knapp 15 Prozent mehr als vor 25 Jahren und 40 Prozent mehr Wohngebäu- de sind zahlenmäßig eine eindrucksvolle Bilanz. Bürgermeister Anton Knapp prägte das Gesicht der Stadt in den 25 Jahren seiner Amtszeit maß- geblich. In seiner vierten Amtsperiode möchte Anton Knapp bis 2016 weiter an diesem „Lebens- werk“ bauen: „Ich spüre noch das Feuer in mir.“ 83


Städte und Gemeinden Städte und Gemeinden Königsfeld – Ort der zarten Melancholie „Ich liebe Königsfeld. Es ist ein Platz der Meditation, der Grazie und der zarten Melancholie“, schrieb der inzwischen verstorbene Rhetorik-Professor Walter Jens anno 1966 in der „Zeit“. von Stephanie Wetzig 84


Wer heute nach Königsfeld kommt, verspürt dieses Flair noch immer. Gelegen auf einem Hochplateau mit freiem Blick von vielen Stellen der Ortsteile zur Schwäbischen Alb im Osten und mit einem Schutzgürtel aus rund 1700 Hektar Wald gegen das raue Wetter aus dem Schwarzwald, ist der Kurort eine Insel der Ruhe, die auch der Ehrenbürger der Gemeinde, der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer, zu schätzen wusste. Hier baute er 1923 für seine Familie ein Haus als Rückzugsort, in dem auch er selbst zwischen seinen Ein- sätzen in dem gemeinsam mit seiner Frau Helene gegründeten Hospital in Lambarene Kraft schöpfte. Bis heute sind Schweitzers Spuren in Königsfeld allgegenwärtig. Nicht nur in dem bis 1957 vor allem von Helene und Tochter Rhena bewohnten Haus östlich des Doniswaldes, in dem die Gemeinde und ein engagiertes Team aus 30 Ehrenamtlichen des Historischen Ver- eines die Erinnerung an den „Urwalddoktor“ aufrecht erhält. Auch wird in Königsfeld alle drei Jahre ihm zu Ehren ein Internationaler Preis für außerordentliches humanistisches Engage- ment im Sinne Albert Schweitzers verliehen. 85


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Industrieansiedlungen sucht man hier verge- bens, was dazu führt, dass Königsfeld vor Fi- nanzausgleich die einkommensschwächste Ge- meinde des Schwarzwald-Baar-Kreises ist. Dafür wuchert der bekannte Kurort mit dem Pfund der weitgehend intakten Natur und seinem ökolo- gischen Profil: Heilklimatischer Kurort, Kneipp- kurort, Klimaschutzkommune, Naturwald-Ge- meinde, Energiesparkommune, Solar-Kommune, Zeitkurort – im Laufe der Jahre haben sich eine Vielzahl hochwertiger Prädikate angesammelt, die den Anspruch und Charakter der innovativen Tourismus-Destination definieren. Die Bewah- rung der Schöpfung sieht Bürgermeister Fritz Link als ein zentrales Thema der Bevölkerung, die deshalb auch ökologische Projekte über alle Gremien hinweg mitträgt – gleichsam im Kern- ort wie in den Ortsteilen. Vielgestaltige Naturlandschaft Königsfeld liegt inmitten einer vielgestaltigen Naturlandschaft. Nicht nur in den Ortsteilen Buchenberg, Burgberg, Erdmannsweiler, Neu- hausen und Weiler grenzen viele Gärten direkt an den Wald oder das freie Feld. Ein engmaschi- ges Netz an ausgeschilderten Wanderwegen, Radwegen und Loipen bietet zu jeder Jahreszeit Gelegenheit, die therapeutisch wertvolle Luft zu tanken. Die immer beliebter werdenden E-Bikes können an zwei Solartankstellen aufgeladen werden und trotz der üppigen Natur außerhalb der Ortsgrenzen gibt es zusätzlich einen Kurpark und einen „Stadtwald“, den Doniswald, der in der gesamten Region als „Eichhörnchenwald“ bekannt ist. Der Friedhof, der in Königsfeld Gottesacker genannt wird, ist von betörender Schlichtheit. Seite an Seite ruhen hier die sterblichen Über- reste der Bewohner von den Ortsgründern der Königsfelder Impressionen – der Ort und das Quartier um den Zinzendorfplatz im Luftbild. Rechte Seite: Ein- gang zum Gottesacker und Blick auf die Gräberfelder. Beliebt sind Wanderungen in den Eichhörnchenwald. x 87


Königsfeld – Ort der zarten Melancholie Die festlich geschmückte Hauptstraße mit dem welt- bekannten Herrnhuter Weihnachtsstern. Herrnhuter Brüdergemeine bis heute. Noch im- mer haben alle Grabplatten die gleiche Größe und die Gräber sind ohne Schmuck. Trotz insgesamt rund 6.000 Einwohnern ist Königsfeld keine Stadt, obwohl es in vielen Dingen einen urbanen Charakter hat, was un- ter anderem seinem historischen, als Ensemble denkmalgeschützten Ortskern zu verdanken ist. Der Ort ist eine Gründung der Herrnhuter Brü- dergemeine und der spätbarocke Baustil der An- fangsjahre prägt bis heute das Ortsbild. Zentral gelegen ist der Zinzendorfplatz, an dessen nördlicher Seite der prächtige Kirchensaal steht. Er wurde in den Jahren 1810 bis 1812 ge- baut, als die vier Jahre junge Gemeinde gerade einmal 85 Einwohner zählte. Das älteste Haus am Platz ist das Herrnhuter Haus, das damals den neuen Siedlern als erstes Quartier diente und heute neben Seniorenwohnungen auch ein Restaurant der gehobenen Klasse beherbergt. Es liegt am Anfang der Friedrichstraße, die mit ihren Geschäften und Cafés gewissermaßen die Fla- niermeile Königsfelds ist, und im Westen in die, 88 nach dem Begründer des Königsfelder Fremden- verkehrs benannten Hermann-Voland-Straße übergeht, architektonisch eher vom Jugendstil geprägt. Zwei Buchhandlungen, Cafés, Restaurants, Discounter und Vollsortimentsmarkt, Lebensmit- tel-Einzelhändler, ein Eine-Welt-Laden, Apotheke und Reformhaus, Salzgrotte, Ayurveda-Zentrum, Boutiquen, Blumenladen und Kunsthandwerk – die Liste lässt sich noch weiter fortsetzen. Bürger und Besucher finden hier alles, was sie zum Leben benötigen. In der Weihnachtszeit sind die beiden Hauptstraßen festlich geschmückt mit den welt- bekannten Herrnhuter Sternen. „Die jungen Leute lieben Königsfeld“ „Man kann hier schon ein schönes Leben führen und es ist auch noch ein bisschen intakt“, sagt Gabriele von der Decken. Die Großstädterin lebt seit einem Vierteljahrhundert in Königsfeld und fühlt sich sehr wohl. Durch ihren Beruf als Erzie- herin bekommt sie hautnah mit, dass auch viele junge Menschen an dem Ort hängen. „Die jun- gen Leute lieben Königsfeld, die wollen gar nicht weg von hier.“


x Zinzendorfplatz mit Kirchensaal. An der Orgel spielte einst Ehrenbürger Albert Schweitzer. Das bestätigt auch eine Umfrage des Insti- tuts für angewandte Sozialwissenschaften im Rahmen des LEADER-Projektes „Zukunft junger Menschen im ländlichen Raum“. Demnach woh- nen 80 Prozent der Befragten gern im Ort – auch wenn viele sich ein größeres Angebot für Jugend- liche wünschen. Dabei mangelt es nicht an Freizeitmöglich- keiten. Rund 70 Vereine bieten vom Schach übers Imkern, Golf, Fußball, Tennis, Radfahren bis zur Narretei und dem Historischen Verein ein breites Spektrum an Aktivitäten. Der größte Verein ist der Golfclub mit 650 Mitgliedern, dessen 18-Loch-Platz als einer der schönsten in Süddeutschland gilt. Die Golfer su- chen den Kontakt zur Bevölkerung. Deshalb wird der Präsident des Golf-Clubs, Jürgen Elsner, nicht müde zu betonen, dass auch Nichtgolfer im Club- haus-Restaurant jederzeit herzlich willkommen sind. Der kommunale NaturSportPark wartet un- ter anderem mit einer Skateranlage, Streetball- und Hockeyplatz, Grillstellen und Klettermög- lichkeiten auf. Gleich nebenan bietet mit dem Solara ein solarbeheiztes Freibad Erfrischung. Bei gutem Wetter kommen schon einmal 3.000 Besucher, davon auch viele aus dem Umland. „Königsfeld hat ein tolles Schwimmbad“, loben 89


Städte und Gemeinden 90 Königsfeld hat viel zu bieten: vom Golfplatz, über den Sportpark bis hin zum Solara – einem der schönsten Freibäder der Region. viele Außenstehende, wie ein Forschungsprojekt der Dualen Hochschule über das Fremdbild des Ortes ergeben hat, das deren ehemaliger Rektor, Prof. Ulrich Sommer leitet. Allerdings sehen sie auch „leer stehende alte Gebäude“ sowie eine „überalterte Bevölkerung“, während Königsfel- der selbst ihren Wohnort als einen „Ort der Mu- ße“ mit „gutem kulturellem Angebot und alters- gerechtem Lebensraum“ sehen. Der altersgerechte Wohnraum macht den Ort auch für Rentner und Pensionäre attraktiv, sei es aus den verschiedenen Provinzen der weltweiten Brüderunität oder aus den Nachbargemeinden. Inzwischen sind 30 Prozent der Bewohner älter als 65 Jahre, während die soziodemografischen Strukturen in den Ortsteilen dem Durchschnitt entsprechen. „Kulturelles Leben, Infrastruktur: Königsfeld bietet alles, was man sich im dritten Lebensabschnitt wünscht“, ist Bürgermeister Fritz Link überzeugt. Auch das kulturelle Angebot ist beachtlich Auch das kulturelle Angebot ist für einen Ort dieser Größe beachtlich und hat eine lange Tra- dition. Hinter dem Begriff „Geistige Nothilfe“ verbirgt sich seit 90 Jahren eine Veranstaltungs- reihe, deren sperriger Name auf die gewünschte Parallele zur Technischen Nothilfe, dem heuti- gen THW, zurückgeht. Ziel war, der Bevölkerung auf dem Land mit Theater und Autorenlesungen, Konzerten und Vorträgen geistige Impulse zu geben. Heute beschränkt sich die „Geistige Not- hilfe“ auf Samstagskonzerte hochkarätiger inter- nationaler Interpreten. Die bildenden Künstler der Vereinigung „Das Quadrat“ organisieren jedes Jahr eine Ausstel- lung im Haus des Gastes. „30 freischaffende Künstler sind im Quadrat organisiert“, sagt Bür- germeister Fritz Link, „aber auch sonst wird hier sehr viel anspruchsvolle Kulturarbeit geleistet.“ Der Verein Proludium fördert den Besuch der


x Das Nikolauskirchlein in Buchenberg ist nicht nur eines der ältesten Gotteshäuser im Landkreis, sondern auch ein Ort kultureller Vielfalt. Rechts: Einkauf auf dem Wochenmarkt. Kinder in der Jugendmusikschule, die darstellen- den Künstler haben sich im Verein „Burgspekta- kel“ organisiert und inszenieren mittlerweile im 16. Jahr zwei Wochen lang Theater und Musik auf die Burgruine Waldau im Ortsteil Buchenberg. Der Verein Kukuk (Kunst Kultur Königsfeld) ist ein beeindruckendes Beispiel für den enor- men Stellenwert, den Kunst und Kultur in der Bevölkerung Königsfelds einnehmen. Schon im ersten halben Jahr seines Bestehens hat er rund 60 Mitglieder gefunden. Bemalte Stelen, die 2013 publikumswirksam zugunsten des Kindergar- tens am Albert-Schweitzer-Hospital in Lamba- rene versteigert wurden, waren die erste große Aktion des Kunstfördervereins. Kindergarten- gruppen, Schulklassen, Vereine und jede Menge andere kreative Königsfelder bemalten und be- klebten, umwickelten und schnitzten Holzstelen, die bis heute Gärten und Gehwege in Königsfeld zieren. In diesem Sommer mietete der Verein den leer stehenden Schlecker-Markt an, um dort ei- nen Raum für Kultur zu schaffen. Es gibt beinahe dauernd irgendwo eine neue Ausstellung. Zu alteingesessenen Galerien wie der „Galerie am Hörnle“ von Werner Rinder- knecht kommen immer wieder neue hinzu, sei es in den Kliniken oder in der Nonnenmühle im Glasbachtal. Auch Restaurants, Cafés, Arzt- und Zahnarztpraxen laden regelmäßig zu ständig wechselnden Ausstellungen. „Königsfeld hat einen hohen Anteil an Bil- dungsbürgern“, erklärt Bürgermeister Link die- ses überproportionale Engagement für kulturelle Belange. „Daher ist der Anspruch an das Kultur- leben groß. Hier leben zahlreiche Lehrer, Erzieher und Pensionäre, von denen sich auch viele krea- tiv einbringen.“ Königsfeld ein „Zeitkurort“ Zum Begriff Kultur zählt Manfred Molicki aus dem Teilort Burgberg auch die Zeit und den Um- gang damit. Der pensionierte Schulleiter, der sich seit langem unter anderem als Redner, Au- tor und Initiator der Gesellschaft für Zeitkultur dem Thema widmet, verschaffte Königsfeld den Titel „Zeitkurort“. Mit rund 70 Eigenzeit-Orten, in denen etwa Kaffee ausgeschenkt wird, der in 20 Minuten statt der üblichen 15 Sekunden geröstet wird, oder in denen man seinen ganz persönli- chen Zeitabläufen folgen kann. „Königsfeld eig- net sich schon durch seine Gründungsgeschichte als Eigenzeitort, denn traditionell nehmen sich die Bewohner hier mehr Zeit für den Menschen – sei es in der Mission oder im Ort, vor allem wenn es um Bildung, Jugend oder das Alter geht.“ Das macht sich selbst für die Beschicker des Wochenmarktes bemerkbar. Anette Feder-Besch, die am Gemüsestand vom Deißlinger Heiligen- hof auch in der Stadt arbeitet, merkt sehr wohl den Unterschied. „Man kennt die Kunden und ihre Einkaufsgewohnheiten, ein paar persönli- che Worte zwischendurch gehören hier einfach dazu“, sagt sie. „Es ist ein schöner, gemütlicher Markt, ich schätze es sehr, hier zu arbeiten.“ 91


Städte und Gemeinden Bekannt und geschätzt sind die Zinzendorfschulen. Bildung spielt in Königsfeld seit jeher eine große Rolle. Gutes tun ist allgegenwärtig Königsfeld hat eine besondere Atmosphäre, hier wird viel für andere getan. Helfen, Spenden, Gu- tes tun ist allgegenwärtig. Die Hilfsorganisation „Go Ahead!“ wurde von ehemaligen Zinzendorf- schülern gegründet. Seit 25 Jahren gibt es den Eine-Weltladen „Ujamaa“, in dem Königsfelder fair gehandelten Kaffee kaufen und Kurgäste ihre Souvenirs, wie die Mitgründerin Renate Sie- 92 börger erzählt. Gegenüber hat vor einem Jahr der „Laden Mittendrin“ eröffnet. Mit dem Erlös die- ses gut sortierten Second-Hand-Ladens werden Projekte der Herrnhuter Missionshilfe in Asien, Afrika und Mittelamerika unterstützt. Zinzendorfschulen weithin bekannt Bildung spielt von jeher eine große Rolle in Kö- nigsfeld. Die weithin bekannten Zinzendorfschu- len entstanden nur drei Jahre nach Gründung des Ortes und sind bis heute in Trägerschaft der Herrnhuter Brüdergemeine. Heute können weit mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler an verschiedenen allgemeinbildenden Schulen alle Schulabschlüsse von der Hauptschule bis zum Abitur ablegen. An Berufsfachschulen haben die Schüler die Wahl zwischen hauswirtschaft- lichem und wirtschaftlichem Profil oder können sich an zwei Fachschulen zum Erzieher oder zum Jugend- und Heimerzieher ausbilden lassen. Im Erdmuth-Dorotheen-Haus, mit dem un- vergleichlichen, äußerst gepflegten historischen Charme, wird ebenso unterrichtet, wie in einem der ersten Schulhäuser in Passivhausbauweise. Modernste Unterrichtsausstattung, wie inter- aktive Whiteboards, gehören zum Alltag und die stillen fünf Minuten, der Morgensegen und die Anrede der Pädagogen mit „Bruder“ und „Schwester“ zu den Besonderheiten des christ- lichen Schulwerks. Neben den privaten Zinzendorfschulen gibt es drei kommunale Grundschulen und sechs Kin- dergärten in der Gemeinde Königsfeld. Dieses Angebot ist es auch, was Königsfeld für Familien interessant macht. „Allein in der letzten Legisla- turperiode wurden drei Baugebiete erschlossen, die hervorragend angenommen wurden“, sagt Bürgermeister Link. Die 14 Bauplätze am Neu- baugebiet Tonishof waren innerhalb eines Jahres verkauft. Von den 15 Bauplätzen in Weiler gin- gen acht im ersten Jahr weg und von den 50, die 2014 in Neuhausen erschlossen wurden, waren bis Juli auch schon 15 vergeben. „Die Autobahn ist 13 Kilometer entfernt, die Infrastruktur hat städtisches Niveau, daher ist Königsfeld auch für Berufspendler interessant“, betont Link.


200.000 Übernachtungen jährlich Und nicht nur für die: Auch für Urlauber und Kurgäste ist Königsfeld ein gern gewähltes Ziel mit durchschnittlich rund 200.000 Übernach- tungen jährlich. Dafür tut die Gemeinde einiges: Seit der Jahrtausendwende wird in Königsfeld konsequent ein „Masterplan“ umgesetzt, in des- sen Rahmen das ökologische Profil vertieft und ein Großteil der Relikte aus dem Kurbetrieb der 1970er Jahre erneuert wurden. „Wir müssen im- mer wieder auf neue Entwicklungen reagieren“, erklärt Bürgermeister Link. „Die gesamte Infra- struktur ist auf einem aktuellen Stand. Das Haus des Gastes, das Gesundheitszentrum CuraVital mit seinem Ärztehaus und Fitness-Studio, der NaturSportPark – das alles sind Einrichtungen, von denen sowohl die Gäste als auch die Bewoh- ner profitieren.“ Die nächsten Punkte auf der To-Do-Liste sind die Neugestaltung der Bismarckstraße und Her- mann-Voland-Straße, eine neue Minigolfanlage sowie die Sanierung des Zinzendorfplatzes als historisches Zentrum. Den wachsenden Bedürfnissen der Urlau- ber kommt auch der Reisemobilplatz neben der Breg nitzhof-Sauna entgegen. Rückläufige Be- liebtheit dagegen verzeichnen die privaten Zim- mervermieter. „Dieser Markt bricht weg“ konnte x Sehenswert – das Dorfmuseum von Buchenberg. der Bürgermeister beobachten, „und die Gäste der Zukunft werden anspruchsvoller sein.“ Des- halb sähe er hinter dem CuraVital gerne ein Ho- tel in mindestens der 3-Sterne-Kategorie und ist überzeugt, dass sich der Kurort Königsfeld auch in Zukunft behaupten wird. In diesem Sinne werden sich sicher noch vie- le den Worten Albert Schweitzers anschließen, der einst sagte: „Die Zeit in Königsfeld war die schönste meines Lebens.“ Unterwegs mit dem E-Bike bei Waldau. Die Tourist-Info in Königsfeld bietet auch einen E-Bike-Verleih. 93


4. Kapitel Schwerpunkt Neckar Wo der Neckar seine Reise beginnt Auf Spurensuche in Schwenningen – Quelle, Moos und junger Fluss von Daniela Schneider 94 94


Wo der Neckar seine Reise beginnt Das etwa drei Quadratkilometer große Schwenninger Moos liegt 705 Meter über dem Meer und befindet sich am Südrand von Schwenningen. Hier entspringen der Neckar und die Stille Musel, die der Donau zufließt. Mitten hindurch verläuft die europäische Wasserscheide – ein Teil des Mooswassers fließt somit über den Neckar auch in den Rhein. Das Moos ist nicht nur ein großarti- ges Naturschutzgebiet, sondern auch ein beliebtes Naherholungsziel voller Ursprünglichkeit. Blick übers Schwenninger Moos hinweg auf Schwenningen. 95


Schwerpunkt Neckar


Die Neckarquelle „Schwenningen (Neckar)“ – so steht’s geschrie- ben auf den blauen Schildern der Bahnstation. Wer hier also ankommt, der weiß Bescheid: Durch diesen Teil der Doppelstadt fließt der Neckar, die „Lebensader Baden-Württembergs“. Und besser noch: Hier hat der Fluss seinen Ur- sprung. Von hier macht er sich auf die 367 Kilo- meter lange Reise durch das Land – ein interes- santer Verlauf durch den deutschen Südwesten, der in Schwenningen seinen Anfang nimmt. Wo aber findet man den Ursprung genau? Die Suche nach dem jungen Fluss beginnt in Schwenningen am besten im Stadtpark Mög- lingshöhe. Hier nämlich befindet sich die histori- sche Ne ckarquelle, die selbst eine recht bewegte Geschichte hat. Bereits im 16. Jahrhundert ließ Herzog Ludwig von Württemberg an dieser Stel- le eine hier vorhandene Quelle fassen, versehen mit dem Hinweis, dass dies des „Neccars Ur- sprung“ sei. Immer wieder suchten Herrschende aus dem Hause Württemberg dann im Laufe der Zeit diesen Ort auf, ließen die eine oder andere Erneuerung vornehmen, brachten Gedenk tafeln und Wappen an und schütteten laut Überliefe- rung mitunter auch beherzte Schlucke des jun- gen Neckarwassers symbolträchtig in ihren ad- ligen Schlund. Ende des 19. Jahrhunderts war dann aber Schluss mit der Aufmerksamkeit für dieses sprudelnde Nass: 1895 versiegte die Quelle. Ab- gesehen von einigen wohl eher kläglichen Wie- derbelebungsversuchen geriet der Ort auf dem Schwenninger Lettbühl mehr oder weniger in Vergessenheit. In den 1960er-Jahren erfolgte schließlich die Rückbesinnung: Die Neckarquel- le wurde reaktiviert, nachgebaut nach histori- schem Vorbild. Zwei Neckarquellen – die hydrologische findet sich im Schwenninger Moos und die historische im Stadtpark Möglingshöhe. Die von Herbert Wurm geschaffene Bronzefigur namens „Matze“ sitzt dort seit 2010 an des Neckars neu gestalteter Quelle – und liest die Schwenninger Traditions-Tageszeitung DIE NECKAR- QUELLE. Wo der Neckar seine Reise beginnt Jahrzehnte später wurde – wie so vieles im Stadtbild von Schwenningen – auch dieser Ort von der Landesgartenschau beeinflusst, die an- no 2010 für markante Veränderungen sorgte und auch eine Neugestaltung des Stadtparks Möglingshöhe mit sich brachte. Für die Neckar- quelle bedeutete das, dass ein ganz neuer Quell- stein an dieser besonderen, historischen Stelle eingeweiht wurde. Nun haben die Besucher die Möglichkeit, die großzügige Anlage in Ruhe zu betrachten, auf einer der Sitzbänke Platz zu nehmen, den Blick über den benachbarten Mög- lingssee schweifen zu lassen und in Gedanken vielleicht dem hier wegfließenden Neckarwas- ser auf seiner beginnenden Reise nachzufolgen. Das Schwenninger Moos Wer allerdings glaubt, dass mit der Neckarquelle das meiste über den Ursprung des Flusses ge- sagt ist, der irrt gewaltig. Denn genau genom- men liegt ein gutes Stück südlich der Möglings- höhe der zweite Teil der Wahrheit – und zwar im Naturschutzgebiet Schwenninger Moos. Ein Holzschild weist darauf hin, dass sich tatsächlich hier des Neckars Ursprung befinde. Aus hydrolo- gischer Sicht, so haben es die Experten längst he- rausgefunden, ist das richtig: Der junge Neckar wird nämlich mit Wasser aus diesem interessan- ten Fleckchen Erde gespeist, wenn auch nicht in Form einer regelrechten Quelle. Die sogenannte Europäische Hauptwasser- scheide tut ihr Übriges: Sie verläuft mitten durch das Naturschutzgebiet. Das bedeutet, dass sich auch hier die Regentropfen entscheiden müs- sen, ob sie entweder Richtung Rhein oder Rich- tung Donau fließen – was genau davon dann im jungen Neckar landet, weiß eben niemand so genau, das Moos entwässert jedenfalls in bei- de Flusssysteme. Das erklärt im Übrigen auch das Bestreben der seinerzeitigen württember- gischen Machthaber, die historische Neckar- quelle in unzweifelhaft eindeutigem – nämlich württem bergischem – Territorium zu verorten, zumal im Moos die einstige Landesgrenze zu den eher ungeliebten badischen Nachbarn mit der Wasserscheide gleichzusetzen war. Die Neckar- 97


Frisches Grün zeigt sich – das Schwenninger Moos lohnt nicht nur im Frühjahr einen Besuch. der Neckar ein vielseitiger Fluss ist. Das gilt dann eben auch für seinen Ursprung. quelle sollte jedenfalls gesichert auf württem- bergischem Gebiet liegen und das war am aus- gewählten Standort im Bereich des heutigen Stadtparks Möglingshöhe, wo tatsächlich eine Quelle sprudelt, der Fall. Und noch ein Aspekt dürfte bei der ganzen Sache nicht unerheblich gewesen sein: Das hervorsprudelnde Wasser der Quelle war nämlich auch noch trinkbar, was den erwähnten repräsentativen Verkostungen sicher zu Gute kam. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Könige und Herzöge am wohl ganz ordentlich brackigen Mooswasser genippt hätten? Kann man abschließend also sagen, wo sich die wahre, die richtige Neckarquelle befindet? Egal ob im Moos oder im Stadtpark – die eini- germaßen salomonische Antwort lautet so oder so: in Schwenningen! Fest steht allemal, dass Unterwegs mit dem Moosführer Der Faszination, die vom Schwenninger Moos ausgeht, tut diese ganze Diskussion im Übrigen keinen Abbruch. Hervorragend erkunden lässt sich das Gebiet zum Beispiel mit Hilfe der Moos- führer. Dahinter verbirgt sich eine Gruppe von 25 Personen, die sich im Rahmen der Gartenschau hatten ausbilden lassen, um Besuchergruppen durch das Gebiet zu leiten. Das Famose an der Sache ist, dass rund zehn von ihnen auch nach der Schau mit großer Leidenschaft für das The- ma und entsprechender Zuneigung zum Moos dabeigeblieben sind und weitermachen mit ihren interessanten Führungen, die in der Saison von April bis Oktober jeweils jeden zweiten Samstag angeboten werden. Die Moosführer sind ein lo- 98


Wo der Neckar seine Reise beginnt ckerer Zusammenschluss, aber kein Verein; für die Organisation und die Haftung haben sie sich ans Umweltzentrum angehängt. Wie wäre es also zum Beispiel mit einer Tour mit Moosführer Michael Rüttiger? Der Mann, so scheint es, ist ein wandelndes, mehrbändi- ges Flora- und Fauna-Lexikon. Zu jedem Pflänz- chen entlang des dreieinhalb Kilometer langen Moos-Rundwegs auf Holzstegen und befestigten Wegen hat er mindestens eine Geschichte parat. Er zeigt auf, dass das Gebiet Lebensraum für ech- te Spezialisten ist, wichtiger Trittstein auch für wandernde Arten. Auch oder gerade für Nicht-Botaniker ist die- ser Spaziergang erhellend und kurzweilig. Denn wer weiß schon, wie eine wilde Möhre aussieht? Wer kennt die Lebensbedingungen von Wollgras, Johanniskraut, Rohrkolben, Waldachtelweizen, Baldrian, bittersüßem Nachtschatten und Blut- wurz? Und wer hätte gedacht, dass die hier anzu- treffende Artenvielfalt eigentlich untypisch für Moosführer Michael Rüttiger erklärt die Besonder- heiten von Flora und Fauna. Im Schwenninger Moos findet sich die Blutrote Heidelibelle ebenso wie Son- nentau oder die Sumpfschrecke (unten v. links). ein Moor ist? Dass diese Vielfalt auf Störungen zurückzuführen ist, die Magerrasen und trocke- ne Wälder begünstigten? Oder dass die Wege im Schutzgebiet durch ihren mineralischen Unter- bau vielen Pflanzen Lebensraum bieten, die hier ansonsten nicht leben könnten? Zu erfahren ist, dass die Gewächse im Zent- rum des Schwenninger Mooses mit Nährstoffar- mut zu kämpfen haben; das Heidekraut hilft sich da mit einem Pilz an seinen Wurzeln, der Son- nentau verspeist kleine Insekten, die er mit kleb- rigen Drüsenblättern festhält. Und der Südliche Wasserschlauch saugt Hüpferlinge, Flohkrebse und Co. durch besondere Fangblasen unter Was- ser ein, um sich selbige anschließend genüsslich 99


Schwerpunkt Neckar Das Schwenninger Moos ist die Heimat vieler Tiere. Blässhühner, Uhu und auch der seltene Fischadler sind hier zu beobachten. einzuverleiben. Teil der Führung ist zudem ein kleines Referat über die Rauschbeere, die angeb- lich einen recht heiteren Zustand verursachen kann, wenn man nur genug Exemplare davon verspeist. Der Moosführer rät davon allerdings eher ab. Geschichten aus dem Tierreich Hinzu kommen all die lebensnahen Geschichten aus dem Tierreich, die vor Ort in Augenschein ge- nommen werden können: Die Holzameise hat als „deutsche Termite“ ihre Spuren an einem Baum verewigt. Auch das Eichhörnchen hat etwas üb- riggelassen: abgenagte Tannenzapfen als tieri- 100 schen Küchenabfall. Wasserfroschfamilien qua- ken um die Wette, und auch das übrige Ensem- ble an zu beobachtenden Tieren ist beachtlich: Stock- und Krickenten, grünfüßige Teichhühner, Himmelsziegen, Zwergtaucher und Blässhuhn, Uhus, der rote Milan, der sogar im Schlaf und während der Paarung fliegende Mauersegler und Specht, Grau- und Silberreiher, eine große Artenvielfalt an Insekten wie Sumpfschrecke, Sandlaufkäfer oder Hochmoor-Glanzflachläufer, Schmetterlinge wie der Randring-Perlmuttfalter, Libellen wie die Torf-Mosaikjungfer, die Azur- jungfer, die blutrote Heidelibelle oder die Kleine Moosjungfer und so vieles mehr. Im Frühjahr und Herbst ist dann zudem der Fisch adler zu beob- achten, erzählt der Moosführer. Nebenbei erklärt der Experte die interessan- te Moos-Entstehungsgeschichte, die in gewisser Weise immer noch andauert. Dabei lernen die Teilnehmer der Führung, dass das Gebiet viele tausend Jahre alt ist. Ursprünglich befand sich


Wo der Neckar seine Reise beginnt demnach hier eine große Seefläche, die im Laufe der Zeit verlandete. Vor rund 4000 Jahren setzte schließlich das Hochmoorwachstum ein. Durch menschliches Zutun – vor allem durch den Abbau von Torf – wurde das Moor in Teilen abgebaut und das weitere Wachstum gestoppt. Aufwendige Naturschutzmaßnahmen steuern dieser Entwicklung nun bereits seit Jahrzehnten entgegen. Mit dem Moos eng verbunden Erinnerungen an einen Moos-Besuch, um 1956. Der Mensch und das Moos – das ist übrigens nicht nur eine Geschichte von Ausbeutung oder Eingriff in die Natur. Seit alters her fühlen sich viele Bewohner der Region mit ihrem Moorge- biet verbunden, das zwar Schwenninger Moos heißt, aber nicht nur auf VS-Gemarkung, son- dern zusätzlich auch auf Bad Dürrheimer Terrain liegt. Im Rahmen einer geplanten Ausstellung anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Natur- schutzgebietes haben sich die Moosführer auf die Suche nach alten Fotografien begeben. Fa- milienfotos am neuen Moosweiher sind darun- ter und Aufnahmen, die zeigen, dass hier früher gebadet wurde. Hinzu kommen historische Aufnahmen von Arbeitseinsätzen im Moos, beispielsweise beim Bau der Eisenbahn oder beim Torfabbau, der nicht nur der Salinenindustrie Brennmaterial bescherte, sondern auch vielen Bürgern – in frü- heren Jahrhunderten, aber auch noch in der so schwierigen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Lebendige Erinnerung daran ist übrigens die Moosmulle-Figur der Schwenninger Fasnet. Arbeitseinsatz am Rande des Moos‘, 1920er-Jahre: Wie hier im Gebiet Dickenhardt, wo die Arbeiter für eine Zie- gelei tätig waren, wurde auch mitten im heutigen Naturschutzgebiet Torf abgebaut. 101


Schwerpunkt Neckar Der Herbst zieht ein – Impression aus dem Schwenninger Moos. Natürlich ranken sich auch düstere Mythen um das Moorgebiet; erinnert sei nur an die Dill- dappen, mysteriöse Fabelwesen, die angeblich hier ihr Unwesen treiben. Generationen von Schwenninger Kindern drohte man damit, sie ins Moos zu schicken, wenn sie nicht augenblicklich brav sein würden; Geschichten von unsicheren Pfaden und trügerischen Stellen, die den unvor- sichtigen Wanderer versinken lassen, gehören wohl zu jedem Moor. Sie sind übrigens auch Teil der verschiedenen Themenführungen durch das Moos, die sich mal mit historischen, mal mit naturkundlichen oder kulturellen und kulturgeschichtlichen Aspekten befassen. Gezeigt werden zum Beispiel die mar- kanten baden-württembergischen Grenzsteine, die bis ins 20. Jahrhundert hinein ihre Funktion erfüllten. Auch die Stelle, an der Torfstecher im 102 Jahr 1837 über 100 Kupfer- und Silbermünzen fanden, die einst ein Römer auf der Flucht vor nahenden Alemannen im Moos versenkt haben soll, kann begutachtet werden. Wie der Neckar wieder an die Oberfläche kam Egal, ob der Neckar nun aus dem Moos oder der historischen Quelle hervorgluckert – er beein- flusst seit Jahrtausenden das Leben vieler Men- schen, die im ganzen Land an seinen Ufern leben. Auch in Schwenningen war und ist das nicht an- ders. Allerdings gab es eine lange Zeit, in der der Fluss in seiner Quellstadt so gut wie gar nicht zu sehen war. Man darf es sich wohl so vorstellen: Einst plät- scherte der Neckar als munteres Bächlein dahin, das schon kurz unterhalb des Dorfes Schwen- ningen drei Mühlen antreiben konnte. Dann ex- pandierten die Industrie- und Gewerbebetriebe,


• Das Schwenninger Moos ist offiziell bereits seit 1939 Naturschutzgebiet. Es ist eines von vielen Mooren, die es einst in der Region gab; die meisten sind vernichtet. In Hüfingen zum Beispiel hat man eine Mülldeponie auf ein Moor gebaut; die meisten anderen Moore sind irgendwann einmal abgetorft oder zu landwirt- schaftlichen Flächen umgebaut worden. • Warum sind Moore erhaltenswert? Sie ma- chen nur drei Prozent der Erdoberfläche aus, speichern aber etwa 30 Prozent des Kohlen- dioxids; den Mooren kommt also auch eine wichtige Klimaschutzfunktion zu. Durch die Ablagerung von Pollen und Pflan- zenresten sind sie außerdem ein Geschichts- buch der Landschaft; Torfe bestehen zum groß- en Teil aus abgestorbenen und konservierten Pflanzenresten. Auch eine wichtige Hochwasserschutzfunk- tion kommt hinzu: Moore speichern den Nieder- schlag und geben ihn zeitverzögert wieder ab. Sie sind Lebensraum für bedrohte Pflanzen- und Tierarten, die als Spezialisten nur im Moor leben können beziehungsweise für ihr Über- leben auf Moorpflanzen angewiesen sind; ein Beispiel ist der Hochmoorperlmuttfalter. • Um das Schwenninger Moos zu retten und zu renaturieren, wurden seit den 1970er und vor allem 1980er Jahren verschiedene Maß- nahmen ergriffen. 1997 wurde ein Arbeitskreis („AK Moos“) gegründet, ein runder Tisch mit Vertretern von Behörden, Kommunen, Verbän- den und der privaten Wirtschaft; aus ihm ging später der Trägerverein des Umweltzentrums hervor; seit 2001 sind das Schwenninger Moos und das Kugelmoos europäische Schutzgebiete innerhalb des Netzwerkes Natura 2000. Die umfangreichen Renaturierungsmaß- nahmen im Moorzentrum und in den Randbe- reichen fanden mit Unterstützung der Stiftung Naturschutzfonds statt. Bis heute betreuen das Regierungspräsidi- um und die Hochschule für Wirtschaft und Um- welt Nürtingen-Geislingen die Maßnahmen. Wo der Neckar seine Reise beginnt Wo der Neckar seine Reise beginnt Das Moos im Überblick 1997 gründet sich ein sehr aktiver Arbeitskreis • Was wurde zur Rettung des Moores unter- nommen? Erhöhung des Wasserspiegels durch Schließen der Entwässerungsgräben, die beim Abtorfen angelegt worden waren; 1983 Anstau des Hauptentwässerungsgrabens, Entstehung der großen Seefläche am Neckarursprung. Warum war das nötig? Früheres Entwäs- sern hatte zum Zusammenfallen des Moorkör- pers geführt; Sträucher und Bäume konnten die Fläche besiedeln und das Gebiet verwaldete immer mehr; durch den Sauerstoffverbrauch trocknete das Moor immer stärker aus, moor- typische Flora und Fauna wurden verdrängt; die Wiedervernässungsmaßnahmen sollten jetzt den Wasserhaushalt des Gebiets nachhaltig verbessern; der hohe Wasserstand verringert das Verrotten des Torfes und das Aufkommen von Baumjungwuchs. • Seit 2003 gibt es eine extensive Beweidung mit Jungrindern im Osten und Süden und Moor schnucken im Südwesten und Westen in den Randbereichen gegen Verbuschung der Magerrasen. • Um den Erhalt der Moore auf der Baar geht es übrigens unter anderem auch beim neuen Naturschutzgroßprojekt Baar. 103 103


Schwerpunkt Neckar Umweltzentrum Schwarzwald-Baar-Neckar Das Gebäude im Schwenninger Stadtpark Möglingshöhe wurde als Landespavillon Treffpunkt Baden-Württemberg zur Landesgar- tenschau erbaut. Der frühere Arbeitskreis Moos ist heute Trägerverein des Umweltzentrums. Er will die Moorgebiete der Baar mit ihrer positiven Wirkung als Rückzugsgebiet vieler Tier- und Pflanzenarten und als Klimaneutrali- sierer schützen, eng mit der Landwirtschaft zu sammenarbeiten, um naturverträgliche Be – wirtschaftungsansätze und verbraucherfreund- liche Ziele zu fördern, und mit dem Tourismus zum Beispiel durch Besucherlenkung im Schwennin- ger Moos kooperieren. Nachhaltiges, technisches und wirtschaft- liches Handeln wird als untrennbarer Bestand- teil eines verantwortlichen Umgangs mit der Umwelt angesehen; ein wichtiges Ziel ist es da her, den Besuchern die Grundlagen eines solchen Handelns zu erläutern und vorbildliche Anwendungsbeispiele in der Region sichtbar zu machen. Es geht um Umweltbildung für jeder- mann. Mieter des Umweltzentrums sind neben dem Trägerverein auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Schwarzwald-Baar-Kreis mit dem Naturschutz- großprojekt Baar. Gezeigt wird im Zentrum eine neue Dauerausstellung mit dem Titel „Der Obere Neckar – Fluss – Natur – Kultur“. Sie will die Besonderheiten vom Ursprung des Landes- flusses Neckar, den Lebensraum Gewässer und die Natur- und Kulturschönheiten am Oberen Neckar zeigen. Die Besucher können unter anderem den Neckar-Radweg virtuell entlang radeln und so- gar einer sprechenden Moorschnucke begeg- nen. immer mehr Menschen lebten in Schwenningen und spätestens mit der Einführung von Toiletten mit Wasserspülung wurden immer mehr Abwäs- ser in den bis dahin sauberen Bach geleitet. Der Neckar entwickelte sich zum offenen Abwasser- kanal, zur stinkenden Kloake inmitten der Stadt. In den 1960er Jahren ging es nicht mehr, die hygienischen Verhältnisse waren unerträglich geworden und so wurde das Gewässer vollstän- dig in der sogenannten Neckardole kanalisiert. Der Neckar war weg, verschwunden aus dem Stadtbild. Den Schwenningern war damit die Identifikationsgrundlage mit ihrem jungen Fluss genommen. Die Stadt wuchs indes weiter. Damit stieg auch die Abwassermenge und immer mehr Flä- chen wurden versiegelt, Regenwasser konnte nur noch schwerlich versickern. Neckardole und Kläranlage ächzten bei extremen Tauwetterla- gen oder starken Regenfällen unter der großen Last. Es drohten Überschwemmungen im Stadt- gebiet. 104


Wo der Neckar seine Reise beginnt Attraktive Offenlegung Was war die Lösung des Problems? Die Offenle- gung und Renaturierung des Beginns des Ne ckars wurde seit Anfang der 1990er-Jahre geplant und schließlich umgesetzt. Das Gesamtprojekt koste- te rund zehn Millionen Euro. Unterstützung kam vom Land und der Initiative „Unser Neckar“; be- teiligt war eine Zukunftswerkstatt mit Schwen- ninger Bürgern. Insgesamt gelang die Wiederherstellung auf einer Länge von dreieinhalb Kilometern, während das Abwasser weiterhin unterirdisch im Kanal abgeleitet wird. Entstanden ist ein durchgängiger, attraktiver Grünzug entlang des Wasserwegs mit einem großzügigen Wegenetz, das Wanderer und Radfahrer zu schätzen wis- sen. Der Neckar ist also wieder da – und darüber dürften sich nicht nur die Bürger Schwenningens freuen. Der große schwäbische Dichter Friedrich Hölderlin schrieb einst über den Fluss: „In dei- nen Tälern wachte mein Herz mir auf“ – wer den jungen Neckar und seine Ursprünge im „Quel- lenlandkreis“ Schwarzwald-Baar kennt, kann da eigentlich von Anfang an nur zustimmen. Blick vom Gelände der früheren Landesgartenschau aus in Richtung Neckar Tower, vorne fließt der junge Neckar. Unterwegs auf dem Neckar-Radwanderweg, der an der Quelle in Schwenningen beginnt und zunächst am renaturierten Neckar entlang führt. 105


Schwerpunkt Neckar „’s giiet Maale und Wiible und Necklemer!“ Das einstige Arbeiterviertel „Necklemer“ stadtgeschichtlich von großer Bedeutung von Wolfgang Trenkle 106 106


Schwenningen und die Necklemer Was sind Necklemer? In Schwenningen muss man da nicht lange fragen – das sind die Einwohner, die von der historisch gewachsenen Mitte aus gesehen in einem Stadtviertel südlich des Neckars leben. Das vielgestaltige Schwenninger Stadtviertel war einst die Heimat vieler Arbeiterfamilien, die oft in den Schwenninger Uhrenfabriken tätig gewesen sind. Das Necklemer ist ein stadtgeschichtlich bedeutsamer Ort: Hier stand an der Neckarstraße die Uhrenfabrik Jäckle, gibt es die Pauluskirche, liegt der Waldfriedhof mit Krematorium, das Gelände der früheren Landesgartenschau – und alles wird überragt vom 45 Meter hohen Neckar Tower. Blick vom Panoramaweg aus über den Stadtteil „Necklemer“ hinweg zur Schwenninger Mitte. Rechts der Neckar Tower. 107


Schwerpunkt Neckar Unter Denkmalschutz steht dieses Arbeiterhaus an der Neckarstraße, in dem eine elfköpfige Familie wohnte. Der Untergang ist nahe! Zumindest, wenn man am Schwenninger Bahnhof steht und versucht, die Gleise zu wechseln. Noch heute entledigen sich die Schwenninger der „-führung“ im offizi- ellen Bundesbahn-Deutsch und sprechen statt „Unterführung“ weitaus lieber vom „Unter- gang“. Dabei ist der Untergang seit den Vorberei- tungen zur Landesgartenschau im Jahr 2010 gar nicht mehr so abschreckend, sondern durchaus ein schmuckes architektonisches Vorzeigestück mit Lichtinstallation und silbern schimmernden Wänden. Ein paar Schritte weiter in Richtung Süden folgt dann der Übergang? Nein, so ist sie nicht be- zeichnet von den Schwenningern – es ist schlicht eine Brücke über das, worauf ganz Baden-Würt- temberg recht stolz ist: den Neckar. Dieser war in Schwenningen lange Zeit einer ganz anderen Art des Untergangs geweiht. Das gibt es tatsäch- lich: Ein ganzer Fluss, hier eher noch ein Bäch- lein, kann untergehen! Vom großartigen Natur- schutzgebiet Schwenninger Moos war er kilome- terweit unwürdig verdolt, fast so, als müsse man sich seiner schämen (s. Seite 94). 108 Heute, in einen gut nachgemacht mäandrie- renden künstlichen Verlauf gebettet, ist er als alte Trennungslinie immerhin wieder erkenn- bar. Dieser kleine Neckar sorgte im 18., 19., 20. und sogar noch ganz minimal im 21. Jahrhundert dafür, dass es in Schwenningen eine „interne Zonengrenze“ mit einem, vom relativen Stand- punkt aus gesehen, jeweiligen „Hüben“ und „Drüben“ gab und gibt. „’S giiet Maale und Wii- ble und Necklemer“, lautet eine alte Feststellung in Schwenningen. Diese Einwohner sind in der Vorstadt – südlich des Neckars angesiedelt. Lange von Armut gezeichnet Hätte Liedermacher Franz-Josef Degenhardt sein berühmtes „Spiel nicht mit den Schmuddel- kindern“ in Schwenningen geschrieben und da- bei ein, zwei Jahrhunderte zurückgedacht, so hätte er damit wohl den Necklemer-Stadtteil be- schrieben. Lange Zeit waren dessen Bewohner von der Armut gezeichnet und vom Kern Schwen- ningens, bis 1907 größtes Dorf von Württemberg,


eher ausgeschlossen. Mit Aufkommen der In- dustrialisierung bot dieser Stadtteil immer mehr Arbeitern eine Heimat und diesen durch die Tä- tigkeit in der Fabrik ein geregeltes Einkommen. Die in der Gründerzeit entstandenen Fabriken mit ihren rauchenden, dampfenden, lärmenden Apparaturen begannen mit ihren Abfällen auch schnell den Neckar „zu vereinnahmen“. Der Fluss wurde mehr und mehr belastet. Das Aufeinanderprallen von Gegensätzen prägte und prägt den liebenswerten Stadtteil Schwenningens seit seinen Anfängen. Wie groß finanzielle Gegensätze sein können, ist beim Rundgang gleich nahe des heute mondän in den Himmel ragenden Neckar Towers zu sehen: hier ein winziges, inzwischen denkmalgeschütztes Arbeiterhaus, in dem einst eine Familie mit elf Kindern lebte und nicht weit davon entfernt ei- ne Fabrikantenvilla. Besonders in den Bereichen hinter der Neckarstraße sitzen die kleinen Arbei- terhäuschen dicht an dicht – als gelte es, sich ge- genseitig beizustehen. Die Metallwarenfabrik Johann Jäckle Wo Armut herrscht, ist oft auch die Fantasie nicht weit entfernt – man will ihr entkommen. Unternehmergeist, der zur Gründung mehrerer Fabriken führte, ist hier ebenso zu nennen, wie später Initiativen zur Wahrung der Arbeitneh- merrechte. Gewerkschafter und Sozialdemo- kraten bildeten im Necklemer-Stadtteil einen hohen Prozentanteil der Einwohnerschaft. 1907 kam es beispielsweise in dem bis dahin mit Ab- stand größten Unternehmen Schwenningens, der 1886 im Necklemer Bereich gegründeten Metallwarenfabrik Johann Jäckle, zu einem Streik mit einer heute kaum mehr nachvollzieh- baren Forderung: der Einführung der 60-Stun- denwoche! Solche „Extremforderungen“ wurden auf Seiten vieler Unternehmer nicht gerne gese- hen. Es kursierten Schwarze Listen mit Namen der Streikführer. Neben den konservativen Maßstäben setzte Jäckle allerdings auch durchaus sehr fortschritt- liche und gesellschaftspolitische: Nach dem Tod von Johann Jäckle und der Einberufung der Söhne Wo der Neckar seine Reise beginnt Ein Zeittürmle aus der Vergangenheit – aus der traditi- onsreichen Schwenninger Uhrenzeit – und ein Wohn- turm der Neuzeit. Das Uhrentürmle der einstigen Me- tallwarenfabrik Jäckle auf dem Landesgartenschauge- lände vor dem 45 Meter hohen Neckar Tower. 109


Schwenningen und die Necklemer Der „Knieschnapper“: Die steile Treppe führt hinauf zum Panoramaweg am Fuß des Reutewaldes. Wo sich heute Spaziergänger über eine schöne Aussicht freuen, trafen sich in den 1930er-Jahren Nazi-Gegner zu konspirativen Treffen. in den Ersten Weltkrieg übernahm Anna Jäckle die Geschäftsführung und leitete das Unterneh- men bis zu ihrem Tod 1932. Konsequent gewei- gert hatte sich die Unternehmerin und Mutter von 16 Kindern – trotz massivem wirtschaft- lichen und politischen Drucks – Rüs tungsgüter zu produzieren. Diese Entscheidung hatte auch religiöse Hintergründe. Viele bekannte Unternehmen Schwenningens kamen bekanntlich beim Zusammenbruch der Schwarzwälder Uhrenindustrie ins Straucheln. Auch das Unternehmen Jäckle mit seinem Sitz in der Neckarstraße blieb davon nicht verschont: Der bis kurz nach der Jahrtausendwende älteste existierende Industriebetrieb Schwenningens produzierte vor allem Uhrenbauteile. Die Johann Jäckle Metallwarenfabrik GmbH & Co. kam in immer größere Absatzschwierigkeiten. Dennoch waren bei ihr um 1990 herum noch 330 Personen angestellt. 2003 ging der bekannte Betrieb dann allerdings endgültig in die Knie – noch 80 Mitar- beiter waren von der Insolvenz betroffen. Der Uhrenturm der 2009 abgerissenen Fabrik blieb erhalten. Er schmückt nun u.a. auch dank 110 des Engagements des Necklemer Bürgervereins das frühere Landesgartenschaugelände. Mutiger Widerstand im Dritten Reich Im Dritten Reich war es im Stadtteil „Necklemer“ wie andernorts: Lokale Größen des Hitler-Regi- mes wohnten neben Menschen, die beherzt Widerstand leisteten. So weigerten sich bei- spielsweise mutige Pfarrer, wie sonst üblich, die Rundfunkreden des Führers mit Glockengeläut anzukündigen. Oder sie hielten 1937 trotz hohem Risiko einen Bittgottesdienst aus Anlass der Ver- haftung von Pfarrer Martin Niemöller ab, der ein führendes Mitglied der Bekennenden Kirche war. Besonderen Mut zeigten Pfarrer Richard Schäfer und seine Frau Anne. Sie beherbergten im Ge- meindehaus der Pauluskirche jüdische Flücht- linge. Andere Bürger ermöglichten Verfolgten ein Versteck im Dachgeschoss ihres Hauses. Besonderen Erfindergeist, Einsatz und Mut bewiesen jene Sozialdemokraten und Gewerk- schafter aus dem „Necklemer“, die in der Schweiz Flugblätter gegen die Nazis drucken ließen, sie in Fahrradreifen versteckt über die Grenze schmug- gelten, um sie dann am Heimatort zu verteilen. Darauf – wie natürlich auch auf das Verstecken von politisch Verfolgten – stand die Todesstrafe. Erwähnenswert ist in diesem Zusammen- hang der sogenannte „Knieschnapper“ – eine lange, steile Treppe in den oberhalb des Stadt- teils gelegenen Reutewald mit seinem viel be- suchten Panoramaweg. Überliefert sind von dort konspirative Treffen der Nazi-Gegner, aber auch der heimliche Abtransport illegal eingeschla- genen Holzes. Das erste Krematorium der Region Auf gleicher Höhe mit dem Wald im Neckle- mer-Stadtteil liegt der Waldfriedhof. Er entstand mit der Fertigstellung des Krematoriums im Jahre 1928 und wurde anfänglich nur für Urnenbestat- tungen genutzt. Seit der Auflassung des Alten Friedhofes im Jahre 1961 dient der Waldfriedhof als Hauptfriedhof der Stadt. Nach zahlreichen


Wo der Neckar seine Reise beginnt Erweiterungen, die letzte erfolgte 1985, ist er mit 12,6 Hektar der flächenmäßig größte Friedhof von Villingen-Schwenningen. Jährlich erfolgen hier ca. 130 Erd- sowie 300 Feuerbestattungen. Ein architekturgeschichtlich interessantes Bauwerk ist das 1927/28 nach Plänen von Stadt- baumeister Feucht erstellte Krematorium. Ver- wirklicht wurde der expressionistische Bau unter finanzieller Beteiligung des Vereins für Feuerbe- stattungen. Die ausdrucksstarken Bildhauer ar- beiten stammen vom Schwenninger Gottlieb „Dem Licht entgegen“ – den Eingang des im expressi- onistischen Stil erbauten Krematoriums schmücken ein alter Mann und ein junges Mädchen. Imposant der Arkadengang (u. links). Hils. Das inzwischen 85 Jahre alte Gebäude wur- de religionsneutral konzipiert, es findet sich dort kein Kreuz. Im Dritten Reich war das Krematorium trotz der Proteste der Stadtverwaltung ein Teil des Vernichtungsapparates der Nazis. Ab 1933 wer- 111


Schwerpunkt Neckar den u.a. Opfer aus den KZ-Außenlagern Schöm- berg, Schörzingen, Bisingen, Dautmergen und Erzingen eingeäschert. Diese Urnen befinden sich in einem Sammelgrab und in 117 Einzelgrä- bern. Unter den Toten befinden sich auch Opfer der Euthanasie-Tötungsaktion T4 und auslän- dische Zwangsarbeiter. Die sogenannte „Aktion T4“ begann 1939. T4 steht für „Tiergartenstra- ße Nummer 4“ in Berlin, wo die Ermordung von fast 200.000 körperlich und geistig behinderten Menschen beschlossen wurde. Gedenksteine er- innern auf dem Waldfriedhof an die Opfer. Pauluskirche – als Vesperkirche bekannt Unweit davon, auf halber Höhe zwischen Ne ckar und Reutewald, befindet sich die im Jahr 1910 als zweite evangelische Kirche in Schwenningen gebaute Pauluskirche. Diese ist mit Elementen des ausgehenden Jugendstils ausgestaltet und nach Plänen des Stuttgarter Architekten Martin Elsässer (später Frankfurt und München) errich- tet. Charakteristisch sind die Außenfassade aus warmem Schwenninger Ziegelstein, der gedrun- gene achteckige Turm, die Metallsprossenfens- ter, die an alte Industriegebäude erinnern, und der schlichte Innenraum in einheitlichem Stil mit seinen 260 Sitzplätzen. So schlicht das Kirchengebäude auch wirkt, so rührig ist die Gemeinde. Seit vielen Jahren wird hier im Januar und Februar an 29 Tagen die Vesperkirche abgehalten. Die strenge Sitz- ordnung von Kirchen wird dabei aufgebrochen: 112 Als lebendige Mitte fungiert die evangelische Ge- meinde – hier ein Gottesdienst beim Necklemer Fest. Der Wunsch nach einem sanierten Viktoriaplatz ging für den Bürgerverein noch nicht in Erfüllung. Sogar eigene Pläne legte er vor. Rechte Seite: Die 1910 mit Elementen des ausge- henden Jugendstils erbaute Pauluskirche. Biertische und Kochtöpfe halten Einzug, denn es gilt, Menschen aller Schichten, vor allem sozial schwachen Mitgliedern unserer Gesellschaft, ein Mittagessen oder einen Nachmittagskaffee zu bieten. Zahlreiche ehrenamtliche – auch au- ßerkirchliche – Kräfte beteiligen sich daran, brin- gen ihre Arbeitszeit ein, finanzielle Spenden oder selbstgebackenen Kuchen. Täglich finden sich bis zu 300 Menschen im warmen Kirchenraum ein. An festlich gedeckten Tischen wird eine warme Mahlzeit serviert, in der Kaffeestube auf der Or- gelempore gibt es Kaffee und Kuchen. In der Mitte liegt der Viktoriaplatz Der Rundgang durch das einstige Schwenninger Arbeiterviertel führt auch zum nahe der Pau- luskirche liegenden Viktoriaplatz. Dorthin, „wo nichts ist“, wie die Necklemer sagen. Und doch ist dieser Platz ihr Zentrum. Architektonisch ist je- nes „Zentrum“ als Teilabschnitt der Lammstraße zwischen der Reute- und Kornbindstraße nicht gerade ein Vorzeigestück. Der 1998 gegründete


Wo der Neckar seine Reise beginnt 113


Schwerpunkt Neckar Schwerpunkt Neckar Necklemer Bürgerverein engagiert sich seit 17 Jahren dafür, den historisch wichtigen, südlichen Stadtteil von Schwenningen aufzuwerten. Im Zentrum der Vereinsbemühungen steht dieser große Platz. Seit der Gründung veranstaltete der heute 120 Mitglieder starke Verein jeden Som- mer dort ein großes Straßenfest. Ähnlich wie bei der Vesperkirche hatte das Necklemer-Fest mit seinen Tausenden von Besu- chern auch immer einen sozialen Hintergrund. Die Einnahmen waren stattlich, die Gewinne hat man gespendet. Geleistet werden konn- ten so über die Jahre hinweg Spenden von rund 34.500 Euro für den Hagelflieger des Kreises, lokale Kindertagesstätten, die Ne- ckarschule, das ein paar hundert Meter wei- ter gelegene Seniorenhaus Franziskusheim an der Neckarstraße, die Vesperkirche, die Vorplatzgestaltung der Pauluskirche und die AWO-Wärmestube. Unterstützt hat man weiter den Heimatverein, als dieser die Restaurierung des Uhrenturms der Uh- renfabrik Jäckle vornahm, der heute auf dem früheren Gelände der Landesgarten- schau zu finden ist. Leider ist das Necklemer-Fest inzwi- schen Vergangenheit. Das Jahr 2014 war das erste, in dem auf dem Viktoria-Platz Voller Gegensätze – Neckar Tower und Strand volleyball vor der historisch gewachsenen Kulisse der Neckarstraße, des Stadtteils Necklemer. 114 114


Wo der Neckar seine Reise beginnt Schwenningen und die Necklemer nicht mehr gefeiert wurde. „Uns älteren Orga- nisatoren folgen leider keine jüngeren nach“, so der Vorstand. Auf Dauer könne ein solch großes Fest nicht mehr gestemmt werden. Was sich beim so gut eingebürgerten Herbst- fest unterhalb der Schwenninger Pauluskirche abspielte, könnte als Vorbote künftiger massiver Auswirkungen des demografischen Wandels all- gemein gedeutet werden: Selbst fest Etabliertes mit großem Publikumszuspruch könnte auf Nim- merwiedersehen verloren gehen, wenn nachrü- ckende Generationen nicht bereit sind oder auf- grund der Zahlenstärke nicht bereit sein können, die Verantwortung zu übernehmen. Ein zweiter Grund für das Ende des beliebten, verbindenden Festes war allerdings auch der Frust: Immer wieder wies der Bürgerverein auf den maroden Zustand des Platzes hin. Damit nicht einfach nur passiv eine Forderung an die Stadt herangetragen wurde, ging der Verein von sich aus früh in Vorleistung und beauftragte so- gar ein Planungsbüro, eine bezahlbare Konzepti- on als Vorschlag auszuarbeiten – doch der Vikto- riaplatz als Zentrum des Necklemer-Stadtteils ist noch immer ein Sanierungsfall. Für den Necklemer-Stadtteil interessiert sich auch die Wirtschaft und Tourismus VS GmbH des Oberzentrums, sie organisiert aufgrund der stadtgeschichtlichen Bedeutung Führungen. Angefragt wurde ein ausgewiesener Kenner des Stadtteils und dessen Geschichte: Michael Kopp. Der Schwenninger konnte beim ersten Rund- gang an einem verregneten Samstag immerhin 50 Interessenten begrüßen. Sie erlebten große Gegensätze: hier das vor- bildlich ausgestaltete, viel besuchte Parkgelän- de auf der Möglingshöhe, dort das südlich der Ne ckarstraße liegende einstige Arbeiterviertel, in dem sich gerade ein Generationenwechsel vollzieht. Immer mehr junge Familien leben dort – vor allem auch solche mit Migrationshin- tergrund. Schwenningen als lebendiger Teil der Doppelstadt Villingen-Schwenningen ist und bleibt eine Stadt im Wandel. 115


5. Kapitel Wirtschaft Eine Bilanzsumme von knapp 3,4 Milliarden Euro, 52 Standorte, 64 Geld- automaten, 670 Mitarbeiter und über 116.000 Kunden – was 1839 mit dem Ersparten von 16 Personen an einem Wohnzimmertisch in Donaueschin- gen begann, hat sich zu einem über die Jahrzehnte gewachsenen und mo- dernen Geldinstitut entwickelt: der heutigen Sparkasse Schwarzwald-Baar. Die Geschichte der Sparkasse ist eng verwoben mit der Erfolgsgeschichte des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises. Einer Region, die sich beständig zu Wohlstand hochgearbeitet hat. Einer Region, die heute geografisch und in ihrem Bewusstsein mitten in Europa liegt, und die für ihren Pioniergeist und Erfindungsreichtum bekannt ist. 116 116


Sparkasse Schwarzwald-Baar – ein Stück Heimat „In der Region für die Region“ – Geldinstitut seit über 175 Jahren ein verlässlicher Partner Hauptsitz der Sparkasse Schwarzwald-Baar in der Villinger Gerber straße. 117


Wirtschaft 1839: Gründung der „Spar Cassa Donaueschingen“ Donaueschingen, 1839: Die Region zwischen Füt- zen und Gütenbach ist ein landwirtschaftlich ge- prägtes Gebiet mit Handwerk und Kleingewerbe. Getreide, Hackfrüchte und Kartoffeln werden an- gebaut, Milchwirtschaft und Schweinezucht be- trieben. Pferde sind die wichtigsten Arbeitstiere. Das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg teilen sich das Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises. Zu dieser Zeit kommen in Donaueschingen Ende des Jahres, 38 fortschrittlich denkende Männer zusammen, um den Sparkassenverein zu gründen. Sie initiieren die Gründung einer Sparkasse zu einer Zeit, in der Armut, bedingt durch die finanziellen Auswirkungen der Be- freiungskriege von 1817, besonders die unteren Stände heimsucht. Die Donaueschinger „Men- schenfreunde“ stellen am höchsten christlichen Feste – Weihnachten – fest, dass das „Üben von 118 Auszug aus dem ersten Rechnungsbuch der „Spar Cassa Donau- eschingen“ von 1839. Wohltätigkeit allein, nicht die Armut be- seitigt“. Die Visionäre möchten, dass ein- kommensschwachen Frauen, Männern und Waisen eine Hilfe zur Selbsthilfe an die Hand ge- geben wird. Dafür erscheint die Gründung einer Sparkasse aus sozialen Aspekten heraus das ge- eignete Mittel. Es gehört am 28. Dezember 1839 schon ei- ne gehörige Portion Vertrauen dazu, angesichts der zeitlichen und wirtschaftlichen Umstände, da weder die Statuten noch die Geschäftsbe- dingungen für eine Sparkasse festliegen, in das Haus des Kaufmanns Limberger zu gehen, um diesem sein Erspartes auf den Wohnzimmer- tisch zu legen. Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es keine Einlagensicherung, Rettungspakete oder eine europäische Bankenaufsicht. Das damali- ge Prinzip „Geldgeschäfte zwischen Nachbarn“, also Menschen, die sich kennen und vertrauen, ist bis heute das Grundprinzip der Sparkassen geblieben. Insgesamt 16 Personen bringen dem Kassier dieses Vertrauen am ersten Öffnungstag des Vereins entgegen. Der Haupteinlegerstamm besteht aus Dienst- mägden, Knechten und abhängigen Familien- angehörigen des Klein- bürgertums. In den ers- ten Stunden kommen bereits 281 Gulden Aufruf vom 24. Dezem- ber 1847 zur Gründung einer Spargesellschaft aus dem Uhren machen- den Schwarzwald.


und 30 Kreuzer zusammen. Zum Vergleich: Für 24 Kreuzer konnte man damals vier Kilo Roggen- brot kaufen! Großes Vertrauen genoss der Sparkassen- verein von Beginn an bei der weiblichen Bevöl- kerung. Von den 136 Personen, die in den ersten beiden Jahren ihr Geld bei der hiesigen Sparkas- se hinterlegten, waren über zwei Drittel weibli- chen Geschlechts. Da es im Jahr 1839 noch keine Sozialver- sicherung gab, war mit der Gründung eines re- gionalen Geldinstituts den ärmeren Schichten auf der Baar die Möglichkeit gegeben, ihr erspar- tes Geld gezielt anzulegen, um für Zeiten des Verdienstausfalls bei Krankheit und für das Alter Vorsorge zu treffen. Was am Zusammenschluss von Brigach und Breg als kleines Pflänzlein Sparkassenverein begann, ist über die Jahrzehnte und 20 Städ- te und Gemeinden hinweg zu einem kräftigen und soliden Baum namens Sparkasse Schwarz- wald-Baar herangewachsen. Sie ist ein Spiegel- bild der wirtschaftlichen und sozialen Entwick- lung der heimischen Region. 1848: Eine Sparkasse für den Uhren machenden Schwarzwald Wie wichtig die Gründung einer Sparkasse vor über 175 Jahren war, zeigt sich bald auch im Schwarzwald. Die Uhrmacherei, das Schwarz- wälder Hausgewerbe schlechthin, gibt um 1839 dem Schwarzwald entscheidende Wachstums- impulse. Doch die Konkurrenz der industriell gefertigten amerikanischen Uhren wird größer und größer. Die Folge: einbrechende Absätze und Preisverfall. Die Kartoffel, das damalige Hauptnahrungsmittel, steht nach Missernten nur beschränkt zur Verfügung. Dies führt zu schlimmen Hungerjahren und die Menschen ge- raten an den Rand des Ruins. Es kommt zu vielen Auswanderungen. Die Hungerjahre von 1845 bis 1847 führen zur Entstehung eines revolutionä- ren Potenzials, das vom Ausbruch der Revolution in Frankreich animiert, auch in Baden über alle Be völkerungsschichten hinweg immer mehr An- hänger findet. 175 Jahre Sparkasse Schwarzwald-Baar Der Junge, der von einem Kind ein Stück Brot in den Hut geworfen bekommt, versinnbildlicht die Dring- lichkeit des Sparkassengedankens in schwerer Zeit. Entwurf eines Uhrenschildes durch den Hüfinger Künstler Lucian Reich. In dieser Krise wird 1847 in Furtwangen-Schö- nenbach der „Gewerbsverein für den Uhren machenden Schwarzwald“ gegründet. 68 Uhr- macher aus der gesamten Region fordern die Er- öffnung einer Uhrmacherschule zur Hebung der Qualität der Uhrenfertigung. Und weiter planen sie die Gründung einer „Sparcassa-Gesellschaft“. Bereits ein Jahr später öffnet die „Schwarzwäl- der Sparcassa-Gesellschaft“ in Furtwangen ihre Türen. Sie fungiert als gemeinsame Sparkasse aller Uhrengewerbsorte. Der Uhrengewerbsverein beflügelt in der Folge den Uhren machenden Schwarzwald im Großraum Furtwangen/St. Georgen enorm. Das Land Baden gründet in Furtwangen die „Groß- herzoglich Badische Uhrmacherschule“ und be- 119


Wirtschaft Sparbüchse der Bezirkssparkasse Donaueschingen, Ende der 1920er Jahre. Rechts: Rathaus Schwennin- gen. Im Bürgersaal wurden anfänglich die Sparkas- sengeschäfte abgewickelt. ruft Robert Gerwig zu ihrem ersten Direktor. Der junge Ingenieur sorgt 1850 im Zusammenspiel mit herausragenden Köpfen der Schwarzwälder Uhrmacherei nach und nach für wirtschaftlichen Aufschwung. „Nebenbei“ plant der umtriebige Gerwig neue Straßen, wie etwa von Gütenbach nach Furtwangen oder von Vöhrenbach nach Unterkirnach. Weiter legt er in Furtwangen den Grundstein für das heutige Deutsche Uhrenmu- seum. Weltberühmt wird er in den 1870er-Jahren als Erbauer der Schwarzwaldbahn. Weitere Sparkassen entstehen In dieser Phase des Aufbruchs wird 1854 in Vil- lingen die „Spar-, Waisen- und Leihkasse“ und in Triberg die „Spargesellschaft“ ins Leben gerufen. Wenige Jahre nach Gründung der deutschen Uhrmacherschule gelingt im württembergischen Schwenningen Johannes Bürk die Erfindung der tragbaren Nachtwächterkontrolluhr. Um die Uhr produzieren zu können, gründet er die „Württem- bergische Uhrenfabrik“. Auch vermögende Hand- werkerfamilien wie Kienzle und Mauthe begin- nen die „Uhrenherstellung nach amerika nischem System“, die fabrikmäßi ge Uhren fertigung. Ein rasantes Wachstum beginnt. Aus einem Dorf wird binnen zweier Generationen die Industrie- 120 stadt Schwenningen. Die Einwohnerzahl vervier- facht sich. Seit dem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland (1870 bis 1871) gehören Baden und Württemberg zum Deutschen Kaiserreich. Alle Maßnahmen zur Gewerbeförderung können sich jetzt noch besser auswirken. Es kommt zum anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung bis zum Ersten Weltkrieg. Die Massenauswande- rungen hören auf. Der Anschluss an das Eisen- bahnnetz und die Verkehrsadern des jungen Deutschen Reichs gelingt 1869 vom Bodensee her und 1873 durch die Schwarzwaldbahn auch von Offenburg. Dadurch wird die wirtschaftliche Ausgangslage enorm verbessert. Bis zum Bau der Eisenbahn ist Holz der allei- nige Energieträger. Jetzt kommen mit der Bahn Kohle und Koks, die Energieträger des Industrie- zeitalters, und damit auch das Gas und die Gas- beleuchtung. Der „Schwarze Wald“ und die Baar werden heller. Die Fabrikschlote rauchen. Um 1900 folgt die Elektrizität und die Städte des heu- tigen Kreises erhalten Hauswasseranschlüsse. Immer mehr Darlehen werden gewährt Bei der Jahrhundertwende liegt das Aufgaben- feld der Sparkasse in der Hauptsache auf dem Ideal der Gründer: Man nimmt Spargelder an, verwaltet und vermehrt sie. Aber die Sparkas- se ist längst nicht mehr nur zum Sparen da: Sie gewährt verstärkt Hypothekenkredite, Privat- darlehen und Kommunaldarlehen. 1895 werden die „Spar- und Waisenkasse“ St. Georgen und


Notgeld von 1918 der Stadt Furt- wangen mit Uhrenträger als Motiv. Unten: Milliarden-Notgeldschein der Stadt Vöhrenbach, aufgelegt 1923. Die Linachtalsperre schmück- te die Rückseite aller Vöhrenbacher Notgeldscheine. 1904 die „Gemeinde sparkasse“ Schwenningen gegründet. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs gibt es nichts mehr zu kaufen, die Tätigkeiten der Sparkassen beschränken sich fast ausschließlich auf den Sparverkehr. Gespart wird vor allem in Kriegsanleihen des Deutschen Reiches. Mit dem Kriegsende kommen die Inflati- on und die völlige Entwertung der Sparguthaben. Die Region leidet schwer unter den Folgen. Schon während des Krieges sind hiesige Gemeinden gezwungen, Notgeld als Geldersatz auszuge- ben. Mit Kriegsende spitzt sich die wirtschaftliche Not weiter zu. Reparations- zahlungen und Inflation tragen das Ihre bei. Auf dem Höhepunkt der Geldentwertung entspricht 1 Dollar etwa 4 Billionen und 200 Milliarden Reichsmark. Alle Preise werden festgesetzt und haben doch nur wenige Stunden Gültigkeit. Zum Einkaufen muss man das Geld in der „Chaise“ mitnehmen. Die Notenbanken kommen mit dem Drucken und Liefern neuer Banknoten nicht mehr nach, das Stadtnotgeld entsteht. 1924 der erste Weltspartag Um den Menschen den Sinn und Nutzen des Sparens neu zu vermitteln, wird im Oktober 1924 beim ersten internationalen Sparkassenkongress in Mailand, der Weltspartag gegründet. Darüber hinaus zeigen die Sparkassen, wie wichtig sie für die Region geworden sind. So werden etwa 175 Jahre Sparkasse Schwarzwald-Baar nach dem Ersten Weltkrieg die Überschüsse der Sparkassen dazu verwendet, soziale Aufgaben zu erfüllen, die die Städte aus eigener Kraft kaum hätten leisten können. Vor allem im schulischen Bereich und bei der Armenspeisung. „Den Wandel zeitig erkennen, ihn aktiv mit- gestalten“, so lässt sich der Eintritt der Region ins Industriezeitalter charakterisieren. Auch aus der Not heraus ist zwischen 1900 und 1924 Flexibilität verlangt. Es entwickelt sich die Elek- tronische Industrie als neue Branche. Für diese Entwicklung stehen Namen wie SABA, Kienzle, Binder, Dual oder Papst. Es folgt eine kurze wirt- schaftliche Erholung, bis der „Schwarze Freitag“ am 25. Oktober 1929 zum Zusammenbruch des Kapitalmarktes führt. Ein Heer von Enttäuschten und Arbeitslosen verändert ab 1929 die Wahl- ergebnisse dramatisch. Die antidemokratischen Kräfte sind die Gewinner, der Aufstieg der Nati- onalsozialisten unaufhaltsam. 121


Wirtschaft Die Villinger Sparkassen- rundschau macht 1969 Wer- bung für den Weltspartag. Der Pkw samt Sparschwein auf dem Dach war im Land- kreis zu Werbezwecken un- terwegs. und verschaffen sich gewaltsam Zutritt zu den Schließfächern. Bereits elf Tage spä- ter folgt die erneute Schalteröffnung in der Gewerbeschule. Währungsreform und Wirtschaftswunder In schwerer Zeit Mit der Machtergreifung kommen die Nazis auch in der Region an die Herr- schaft. Die Garnisonen in Villingen und Donau- eschingen werden beträchtlich erweitert. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zerstören Luftan- griffe Bahnhöfe und kriegswichtige Industriean- lagen. Am 27. November 1944 legt ein alliiertes Bombergeschwader große Teile von Freiburg in Schutt und Asche. Viele der Geschädigten finden zunächst in Oberbaldingen Aufnahme. Um den Geschäftsverkehr mit den Ausgebombten auf- rechterhalten zu können, bezieht die Öffentliche Sparkasse Freiburg kurzerhand zwei Räume in der Bezirkssparkasse Donaueschingen. Keineswegs verschont werden die Städte zwi- schen Schwarzwald und Baar. Donaueschingen und Schwenningen leiden besonders unter den Luftangriffen, haben mit Abstand die meisten Luftkriegstoten zu beklagen. Insgesamt kommt der Kreis aber im Vergleich zu den Stadtregio- nen Badens und Württembergs noch glimpflich davon. Während die Männer an der Front ihren Dienst verrichten, sind es meistens die Frauen, die den Geschäftsbetrieb der Sparkassen auf- rechterhalten. So leitet Klara Albert die Bezirks- sparkasse Donaueschingen bis zur Wiedereröff- nung am 3. Juli 1945. Mitte April 1945 beenden die einmarschie- renden französischen Truppen die Gewaltherr- schaft. Der Kreis ist Teil der französischen Be- satzungszone. Am 20. April 1945 stürmen die Franzosen die Sparkasse in Donaueschingen 122 Nach dem Krieg be- deutet die Währungs- reform im Mai 1948 eine tiefe Zäsur für die Arbeit der Sparkasse und das Vertrauen der Sparer. Vorübergehend erweitern die einzelnen Institute ihren Geschäftsbereich um die Ausga- be von Lebensmittel- und Benzinmarken sowie Care paketen. Erst mit dem „Wirtschaftswun- der“ in den 50er Jahren melden Schwarzwald und Baar wieder Vollbeschäftigung. Kleinere und mittlere Betriebe entstehen über den gan- zen Kreis verteilt. 1950 findet die erste Messe „Südwest stellt aus“ in Schwenningen statt – die heutige „Südwest Messe“. Krise der Uhrenindustrie Wenige Jahre später setzt die Krise der heimi- schen Uhrenindustrie ein – bedingt durch tech- nologischen Rückstand und Kapitalknappheit. Die Halbleitertechnologie, die sich in den 1970er Jahren durchsetzt, verbilligt die Produkte und revolutioniert die Massenuhrenproduktion. Uh- renindustrie und Unterhaltungselektronik ver- passen den Anschluss. Es tickt jetzt die Quarzuhr. 1975 meldet das zweitgrößte Schwenninger Un- ternehmen, die „Friedrich Mauthe GmbH“, Kon- kurs an – weitere folgen. 1981 schließt Dual, Flaggschiff der Phonoin- dustrie und größter Arbeitgeber in St. Georgen, für immer seine Werktore. Mit dem Niedergang von Dual, Kienzle-Uhren, Mauthe oder SABA und den mitkriselnden Zulieferbetrieben, wie den


Metallwarenfabriken, beginnt Anfang der 80er Jahre eine Strukturkrise. Es muss umgedacht werden. Gerade in diesen „schwierigen“ Zeiten stehen die heimischen Sparkassen ihren Kunden zur Seite. In St. Georgen entsteht etwa in einem ehemaligen Dualwerksgebäude das erste Tech- nologiezentrum Baden-Württembergs, weitere sollen im Kreis folgen. Innovation ist angesagt, es bildet sich ei- ne heterogene Industrielandschaft. Aus der in den 1970er Jahren zusammengebrochenen Uh- renindustrie entsteht ein breites Spek trum an Hochtechnologieunternehmen, de ren Basis der Mittelstand ist. Sparkassen schließen sich zusammen Die 1970er Jahre bringen für die Region weitrei- chende Veränderungen mit sich: 1972 fusionieren die ehemals badischen beziehungsweise würt- tembergischen Städte Villingen und Schwennin- gen zur Doppelstadt. Ein Jahr später schließen sich auch die beiden Sparkassen zu einem Haus zusammen. 1973 entsteht durch die Vereinigung der Landkreise Donaueschingen und Villingen sowie einiger Orte der Landkreise Rottweil, Tutt- lingen und Hochschwarzwald und einer zuvor aus dem Landkreis Konstanz eingegliederten Gemeinde, der Schwarzwald-Baar-Kreis. Durch die Bündelung mehrerer Kräfte entsteht nach den etappenweisen Zusammenschlüssen – Villingen-Schwenningen und St. Georgen (1991), Villingen-Schwenningen mit Furtwangen (2003) und schließlich Villingen-Schwenningen und Donaueschingen (2005) – die heutige Sparkasse Schwarzwald-Baar. Mit einer Bilanzsumme von 3,4 Milliarden Eu- ro, 670 Mitarbeitern und 52 Standorten von Füt- zen bis Gütenbach hat das einstige Bestreben der Gründerväter – „Geldgeschäfte unter Nachbarn“ – nicht an Attraktivität und Aktualität verloren. 1839 aus sozialen Gründen von Menschen aus der Region für die Region gegründet, steht die Sparkasse 175 Jahre später weiterhin als verläss- licher Partner an der Seite der Bürger. So lässt sich auch in Zukunft „Heimat. Ge- meinsam. Erleben.“! 175 Jahre Sparkasse Schwarzwald-Baar » Die Geschichte der Sparkasse Schwarzwald-Baar auf einen Blick 1839 Gründung Sparkasse Donaueschingen 1848 Gründung der Sparkasse Furtwangen (als Schwarzwälder Sparcassa Gesellschaft) 1854 Gründung der Sparkassen Villingen und Triberg (als Spar-, Waisen- und Leihkasse bzw. als Spargesellschaft) 1895 Gründung der Sparkasse St. Georgen (als Spar- und Waisenkasse) 1904 Gründung der Sparkasse Schwenningen (als Gemeindesparkasse) 1933 Übernahme der Spar- und Waisenkasse Vöhrenbach durch die Sparkasse Villingen 1939 Übernahme der Sparkasse Schonach durch die Bezirkssparkasse Triberg 1972 Fusion der Bezirkssparkasse Villingen mit der Bezirkssparkasse Triberg 1973 Übernahme der Sparkasse Schwenningen durch die Sparkasse Villingen 1991 Fusion der Sparkasse Villingen-Schwennin- gen mit der Sparkasse St. Georgen 2003 Fusion der Sparkasse Villingen-Schwennin- gen mit der Sparkasse Furtwangen 2005 Fusion der Sparkasse Villingen- Schwen- nin gen mit der Sparkasse Donau eschingen zur neuen Sparkasse Schwarzwald-Baar Sparkasse in St. Georgen. 123


Wirtschaft Geschäftspolitik richtet sich am Bedarf der Menschen vor Ort aus Wie bei der Gründung richtet sich auch im 21. Jahrhundert die Geschäftspolitik der Sparkasse am Bedarf der Menschen vor Ort aus. Dazu tragen neben dem flächendeckenden Geschäftsstellen- netz die enge Verbindung mit den Firmen- und Privatkunden vor Ort bei. Anders als bei weltweit tätigen Finanzinstituten, fließen die Einlagen der Sparkassenkunden in den Wirtschaftskreislauf der Region. Die erwirtschafteten Überschüsse bilden zudem die Grundlage des Engagements. Sparkasse, das bedeutet von Anfang an „Fi- nanzdienstleistungen unter Nachbarn“. Was in der Nachbarschaft im Kleinen begann, hat sich zu einer wichtigen Stütze der Region entwickelt. Für mehr als die Hälfte der im Landkreis lebenden Menschen ist die Sparkasse Schwarzwald-Baar ein Stück Heimat. „In der Region, für die Region“ – im Gegensatz zur teils „gesichtslosen Konkur- renz“ hat für das öffentlich-rechtliche Institut die Entwicklung vor Ort sowie der persönliche Kon- takt zu den Menschen oberste Priorität. Dass dieses klare Bekenntnis bei der Bevöl- kerung ankommt, zeigt unter anderem die nach- haltige Entwicklung der Bilanzsumme: Lag diese 1954 noch bei 23,5 Millionen DM, steht sie heu- 124 Vorstandsvorsitzender Arendt Gruben und der Stellvertretende Vorstandsvorsit- zende Wolfgang Wurbs. te bei fast 3,4 Milliarden Euro. „Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ und das damit verbundene langfristige Den- ken ist für uns kein neuer Gedanke, sondern eine seit über 175 Jahren ge- lebte Tradition. Es geht uns um die dauerhafte Sicherung von Stabilität und Lebensqualität für die Menschen vor Ort“, betont Arendt Gruben, Vor- standsvorsitzender der Sparkasse Schwarzwald-Baar. Mit ihrer Geschäftspolitik, auf die Realwirtschaft in der Region zu set- zen, ist die Sparkasse weitgehend von internati- onalen Kapitalmärkten unabhängig. Das schafft Stabilität. Hinzu kommt eine gute Risikostreu- ung mit über 15.000 Kreditnehmern. Partner des Mittelstandes Als leistungsstarker und innovativer Partner des Mittelstandes zwischen Schwarzwald und Baar, steht die Sparkasse der heimischen Wirtschaft bei Umstrukturierungen, Investitionen, langfris- tiger Substanzerhaltung und eigener Absiche- rung bei. Dies sind nicht nur die kleinen und mitt- leren Handels- und Handwerksbetriebe, sondern auch große mittelständische Unternehmen, mit denen das Geldinstitut seit Jahrzehnten enge Geschäftsbeziehungen unterhält. Dabei zeigt sich die Sparkasse als Partner des Mittelstandes da- für verantwortlich, die Innovationskultur in der Region weiter zu fördern. Seit 1996 vergibt die Sparkasse Schwarzwald-Baar beispielsweise mit ihrer Stiftung „Innovationsförderung“ den mit insgesamt 10.000 Euro dotierten Innovations- preis für Industrie und Handwerk. „Unser Land- kreis ist eine Hochburg für Tüftler und Erfinder. Innovationen haben eine lange Tradition und sichern den Unternehmen Wettbewerbsvorteile


175 Jahre Sparkasse Schwarzwald-Baar 125 Die Sparkassen-Hauptstellen in Donaueschingen (oben) und Furtwangen.


Wirtschaft und schaffen Arbeitsplätze“, begründet Arendt Gruben das Engagement seines Hauses. Bestnoten durch die Mitarbeiter Kompetente Beratung und maßgeschneiderte Angebote Verlässlichkeit und Kompetenz sind auch mit Blick auf die seit 1999 schleichende, zinstech- nische Talfahrt gefragt. Um der realen Vermö- gensreduzierung zu entgehen, hat die Sparkasse Schwarzwald-Baar mit einem speziellen Bera- tungskonzept und maßgeschneiderten Angebo- ten auf die Anfragen ihrer Kunden reagiert. Gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten sei es unerlässlich, durch passgenaue Anlagen der „Realzinsfalle“ zu entkommen. Dies ge- schieht bei der Sparkasse wie folgt: Zum einen verfolgen Experten des Hauses sowie die Ver- bundpartner Deka-Bank und Landesbank Ba- den-Württemberg täglich das Marktgeschehen und ermitteln daraus sinnvolle Anlagestrategi- en. Zum anderen werden die persönliche Risiko- bereitschaft und der Anlagehorizont des Kunden für eine maßgeschneiderte Beratung anhand der individuellen Wünsche und Ziele analysiert. „Der Verantwortung für unsere Kunden sind wir uns als Sparkasse Schwarzwald-Baar sehr bewusst. Dazu zählt, dass wir auch künftig nur das tun werden, was wir auch verstehen und verantwor- ten können“, betont der Vorstandsvorsitzende Arendt Gruben. Dass sich die Sparkassenkunden auf das um- fassende Fachwissen ihrer Berater verlassen kön- nen, spiegelt sich auch in der Zufriedenheit mit dem Geldinstitut und seinem Angebot wider: In einer repräsentativen Befragung bewerteten 83 Prozent der Privatkunden und 77 Prozent der Fir- menkunden die Zufriedenheit mit der Sparkasse mit den Noten „sehr gut“ oder „gut“. Ebenfalls sehr positiv wird die Qualität der hausinternen Beratung eingestuft. 88 Prozent der Privatkun- den und 82 Prozent der Firmenkunden gaben dem Allfinanzinstitut die Noten „sehr gut“ oder „gut“. Einen nicht unerheblichen Anteil an diesem sehr guten Befragungsergebnis haben die kontinu- ierlichen Investitionen des Hauses in ein zeitgemä- ßes und motivierendes Arbeitsumfeld. 126 Diese Investitionen kommen auch bei den Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern der Sparkasse gut an. Bei der Frage, wie zufrieden die Angestellten mit dem Geldinstitut sind, erhielt das Haus von 88 Prozent seiner Mitarbeiter die Note „sehr gut“ oder „gut“. Die Zufriedenheit hoch zu halten, ist in Zeiten, in denen Veränderungen aufgrund von wirtschaftlichen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen immer mehr zunehmen, allerdings eine große Herausforderung. Um hier führend zu bleiben, investieren die Verantwort- lichen regelmäßig in den Erhalt eines zukunfts- weisenden, service- und beratungsorientierten Umfeldes. Dazu gehören gut ausgebildete Mitarbei- ter, um sich den täglichen und zukünftigen He- rausforderungen stellen zu können. Aus diesem Grunde genießt die Personalentwicklung einen sehr hohen Stellenwert. Allein 2014 haben über 450 Mitarbeiter intern oder extern an Weiterbil- dungsmaßnahmen teilgenommen, um ihr Wis- sen zu erhalten oder zu vertiefen. Darüber hinaus bekennt sich die Sparkasse zu ihrem Standort, wenn es darum geht, jungen Menschen aus der Region eine Chance zu geben. Als einer der wich- tigsten Ausbildungsbetriebe vor Ort ermöglicht das Geldinstitut jedes Jahr vielen jungen Men- schen den Start ins Berufsleben. Ausgebildet wird in attraktiven Berufen wie zum Beispiel Bankkaufmann, Finanzassistent und Bachelor of Arts (Fachrichtung Banken und Bausparkassen). Soziales Engagement zum Wohl der Region Verantwortung für die Region zu übernehmen, dies spiegelt sich bei der Sparkasse auch in ihrem öffentlichen Auftrag wider. Denn die Sparkasse legt ihr Hauptaugenmerk nicht auf Gewinnma- ximierung, sondern auf die Versorgung der Be- völkerung mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen. Darüber hinaus hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, den Sparsinn und die Ver- mögensbildung breiter Bevölkerungskreise und die Wirtschaftserziehung der Jugend zu fördern. Dies geschieht bei den Heranwachsenden etwa


175 Jahre Sparkasse Schwarzwald-Baar Jubiläumsgrüße – die Mitarbeiter der Sparkassenzentrale in Villingen-Schwenningen. Unten: Der Nachwuchs der Sparkasse Schwarzwald-Baar – ausgebildet wird in attraktiven Berufen. 127


Wirtschaft mit dem Präventionsprogramm „Kinder-Cash“. Zusammen mit der Schuldnerberatung des Land- kreises lernen die Kinder und Jugendlichen wäh- rend des Unterrichts den bewussten Umgang mit Geld und Konsum. Zudem setzt die Sparkasse einen Teil der erwirtschafteten Erträge auch für ihr sozia- les Engagement zum Wohl für die Region und die Menschen die hier leben ein. Aus Spenden-, Sponsoring- und PS-Reinertragsmitteln stellte das Traditionshaus im vergangenen Jahr knapp 1 Million Euro zur Verfügung und förderte damit insbesondere die ehrenamtliche Arbeit. Kulturpreis des Landkreises wird unterstützt Zu den unterstützten Projekten gehört der in Zu sammenarbeit mit dem Landkreis Schwarz- wald-Baar seit vielen Jahren gemeinsam ausge- lobte Kulturpreis. Nachwuchskünstler aus der Region dürfen sich dabei bewerben. Eine Fach- jury wählt den oder die Sieger aus, und am En- de winken insgesamt 7.500 Euro Preisgeld. Mit mehr als 100.000 Euro dotierte die Sparkasse Projekte von schulischen Einrichtungen in der Region beim zweiten Schulwettbewerb 2014. Knapp 100 Bewerbungen wurden aus dem Ge- schäftsgebiet der Sparkasse eingereicht und bei der großen Abschlussveranstaltung erhielten 30 Schulen schlussendlich einen Geldpreis zur Rea- lisierung der Projekte. Welche Strahlkraft dieser Wettbewerb hat, zeigte die Jurymitarbeit von Kultusminister Andreas Stoch im vergangenen Jahr. Seit nunmehr 175 Jahren ist die Sparkasse Schwarzwald-Baar der verlässliche Partner für die Menschen in unserer Heimat und wird dies auch in Zukunft sein. Sponsoring für die Region Schwarzwald-Baar: Ne- ben zahlreichen sozialen und kultu rellen Projekten sponsert die Sparkasse Schwarzwald- Baar auch das CHI-Reitturnier Donaueschingen. 128


175 Jahre Sparkasse Schwarzwald-Baar Die Sparkasse Schwarzwald-Baar feiert ihr 175-jähriges Bestehen (von links): Wolfgang Wurbs, stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Dr. Rupert Kubon, OB von Villingen-Schwenningen, Festredner Günther Oettinger, EU- Kommissar, Arendt Gruben, Vorstandsvorsitzender, Guido Wolf, Landtagspräsident, und Landrat Sven Hinterseh. Unten, von ob. links: Multimedia-Show der Sparkasse über den Schwarzwald-Baar-Kreis, die Sieger des Schul- wettbewerbs 2014, im Dialog mit der heimischen Wirtschaft und Beratungsgespräch. 129


Wirtschaft „Besser trinken – besser leben“ Bad Dürrheimer eines der großen Mineralbrunnenunternehmen in Baden-Württemberg von Christina Nack „Besser trinken – besser leben“, lautet der Leitsatz der Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH + Co. KG Heilbrunnen. In der Kur- und Bäderstadt Bad Dürrheim ist eines der großen baden-württembergischen Mineralbrunnenunternehmen beheimatet. Das Unternehmen beschäftigt 150 Mitarbeiter. Mit drei Abfüllanlagen für PET und Glas-Mehrweg-Flaschen wird im Jahr ein Ausstoß von 100 Mio. Litern an Getränken erzielt. Dem Unternehmen ist auch seine soziale Verantwortung gegenüber Mitar- beitern und Menschen in der Region sehr wichtig. Vielfach engagiert sich Bad Dürrheimer im Umwelt- und Naturschutz, in sozialen und kulturellen Projekten sowie im Breiten- und regionalen Spitzensport. 130 130


Bad Dürrheimer Mineralbrunnen Das Zitat von Otto Weissenberger (Grafik oben), langjähriger Kurdirektor und Bürgermeister Bad Dürr- heims in Personalunion, ist le- gendär: „Was dem Vieh gut tut, kann dem Menschen nicht scha- den.“ Damit beginnt die Erfolgs- geschichte der Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH + Co. KG. So nämlich begründete Weissen- berger seine Überzeugung, dass tief unter der Erde des kleinen Baar-Städtchens heilsames Was- ser sprudeln würde. 1956 spürte er eine Quelle auf, aus der bestes Mineralwasser floss. Zwei Jahre später wurde die Mineralbrun- nengesellschaft zur Förderung des flüssigen Geschenks der Na- tur gegründet. Inzwischen stehen bei Bad Dürrheimer fast 150 Menschen in Lohn und Brot. Jährlich werden 27 Millionen Euro Umsatz erwirt- schaftet. Ein Teil davon fließt als Brunnenpacht in den Stadt- säckel, denn die Quellen gehören der städtischen Kur- und Bäder GmbH. 131


Wirtschaft Ulrich Lössl (links) und Bernhard Wolf (rechts), hier mit der Auszeichnung „Unternehmen des Monats“, leiten gemeinsam das Unternehmen Bad Dürrheimer. Die enge Verbindung zur Stadt gehört bis heute zur Unternehmenskultur. „Wir tragen ja sogar deren Namen weit in das Land hinaus“, sagt Ul- rich Lössl, der den Betrieb zusammen mit Bern- hard Wolf leitet. Zu Bad Dürrheimer gehört auch Wittmannsthaler Mineralwasser Was vielen Verbrauchern nicht bewusst ist: Zur Bad Dürrheimer Mineralbrunnen-Gesellschaft gehört auch das 1984 eingeführte Wittmanns- thaler Mineralwasser, das aus der gleichnami- gen Quelle auf Bad Dürrheimer Gemarkung ge- fördert wird. Wittmannsthaler ist das meistver- Auch das Wittmannsthaler Mineralwasser stammt aus Bad Dürrheim. 132 kaufte Mineralwasser in Baden-Württemberg, berichtet Lössl stolz. Der gebürtige Allgäuer ist in einer kleinen Brauerei aufgewachsen, wurde früh für die Be- deutung hochwertiger Naturprodukte sensibi- lisiert und studierte Lebensmitteltechnologie in Weihenstephan. 14 Jahre lang arbeitete er in der Lebensmittelindustrie in der Schweiz, bis er 1997 zu Bad Dürrheimer kam, wo ein technischer Geschäftsführer gebraucht wurde. „Der transpa- rente Bezug zu natürlichen Rohstoffen fasziniert mich bis heute.“ Erfolgreiche Probebohrungen Dass das kostbare Nass überhaupt entdeckt wurde, hat die Stadt dem unbeirrbaren Eigen- sinn des „Senators“ zu verdanken, wie die Bad Dürrheimer Otto Weissenberger mit liebevollem Respekt zu nennen pflegten. Er hatte sich nach seiner Wahl zum Bürgermeister 1954 in die Geschichte seiner neuen Heimat vertieft. Er wusste, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts vie- le Brunnen in der Stadt gab, weil die Salinen einen hohen Wasserbedarf hatten. Das Wasser wurde offen, aber auch über hölzerne Rohre gefördert und in Brunnen geleitet. Einen davon schätzten die Bauern als Viehtränke besonders, weil das Wasser den Pferden und Rin- dern offenbar hervorragend schmeckte und ihnen wohl tat. Daran erinnerte sich der junge Schultes aus Laufen- burg, als er dem Gemeinderat Probebohrungen in jener Ge- gend empfahl – die bekannt- lich historische Bedeutung er- halten sollten. Bürgermeister der Kur- und Bäderstadt Bad Dürrheim blieb Otto Weissenberger 25 Jahre lang. Bad Dürrheim blieb er bis zu seinem Tod 1999 im Historische Flasche von 1959.


Bad Dürrheimer Mineralbrunnen Blick in die Produktion von Bad Dürrheimer im Jahr 1959. Oben rechts das erste Firmengebäude. Das Foto rechts unten zeigt die Firmengründer Adalbert Vogt und Gründungsgeschäftsführer Klaus Dettling vor dem Fuhrpark. Alter von 88 Jahren eng verbunden. „Vom Quell her gut“ 1958 gründeten der Freiburger Geschäfts- mann Adalbert Vogt und Klaus Dettling die „Dürrheimer Jo- hannisquelle Vogt KG“ und setzten am 23. Mai 1959 die erste automatische Abfüll- anlage in Betrieb. Gründungsgeschäftsführer war Klaus Dettling, der später auch als Gesellschafter die Geschicke des Mineral brunnens über 40 Jah- re bestimmte. Der Slogan lautete damals „Vom Quell her gut“. Die Aussage findet Geschäftsfüh- Klaus Dettling Bestücken der Mineralwasserkisten im Jahr 1959. Noch stand keine automatische Anlage zur Ver- fügung – Handarbeit war gefragt. 133


Wirtschaft Bilderbogen – Anzeigenwerbung aus den frühen 1960er Jahren und Flyer aus dem Jahr 1959 (Mitte). Rechts unten ein Inserat aus dem Jahr 1986. rer Ulrich Lössl noch immer „schlüssig“ und pas- send zum damaligen Zeitgeist. Seit 1982 „staatlich anerkannter Heilbrunnen“ Nach dem Start 1958 als „Dürrheimer Johannis- quelle Vogt KG“ wuchs das mittelständische Un ternehmen langsam, aber stetig. 1964 stei- gerte sich die stündliche Abfüllmenge von 5.000 auf 12.000 Glasflaschen; 1980 wurden bereits 60.000 Glasflaschen pro Stunde gefüllt. Zwei Jahre später wurde der Brunnen als „staatlich anerkannter Heilbrunnen“ geadelt und firmiert seither als „Bad Dürrheimer Mineralbrunnen GmbH & Co. KG Heilbrunnen“. Neues Marken- zeichen wurde der rote Balken mit weißem Bad Dürrheimer Schriftzug, der bis heute jede Flasche ziert. 1988 wurden landesweit mehr als hundert Millionen Flaschen verkauft. Das Jahr 2002 markierte den Beginn des PET-Zeitalters. Bad Dürrheimer setzte auf das 134 ökologisch und hygienisch vorteilhafte Pet cycle- System und investierte zehn Millionen Euro in eine neue Abfüllanlage. 2008 wurde mit gro- ßer Beteiligung der Bevölkerung 50. Geburts- tag gefeiert; die Schnapszahl 55 war fünf Jahre später Anlass für einen turbulenten, fröhlichen „Tag der offenen Tür“ mit ebenfalls bester Reso- nanz. 2010 rückten Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz mit der umfassenden Zerti- fizierung nach dem strengen International Fea- tured Standard (IFS) Food in den Fokus. Jüngster Bad Dürrheimer-Laster unterwegs zum Kunden. Heu- te wäre dieses Fahrzeug ein begehrter Oldtimer.


Bad Dürrheimer Mineralbrunnen Der lange Weg des Mineralwassers be- ginnt im Schwarzwald. Für die feine, aus- gewogene Rezeptur von natürlichem BAD DÜRRHEIMER Mineralwasser lässt sich die Na- tur viel Zeit: Vom Schwarzwald her sickert das Regenwasser auf seinem Weg in die Tiefe sehr langsam durch die massiven Gesteinsschichten hindurch. Hierbei wird es gereinigt und erfährt auch seine einmalige, typische Mineralisierung. Es vergehen Jahrzehnte, bis das Wasser letztendlich im 170 m tief liegendem Mineral- wasserschatz in Bad Dürrheim ankommt und von dort an die Oberfläche gefördert und als Mineralwasser in Flaschen abgefüllt wird. „Die Überdeckung des Mineralwasser- Reservoirs mit mächtigen Gesteinsschichten gibt den Schutz vor Verunreinigungen und ga- rantiert die absolute natürliche Reinheit von BAD DÜRRHEIMER Mineralwasser“, betont das Unternehmen auf seiner Internetseite, wo sich weitere Informationen zu diesem Thema fin- den. www.bad-duerrheimer.de Meilenstein war die Einweihung einer neuen Abfüllanlage für Glasflaschen im April 2014. Sie trägt dem Bedürfnis der Verbraucher nach wiederverwertbaren Glasflaschen Rechnung und vereinbart mit Leistung von 20.000 Flaschen pro Stunden ökologische und ökonomische Anforderungen. „Unter den Guten eines der Besten“ Das Profil von Heil- und Mineralwasser aus Bad Dürrheim war „schon immer“ von seiner Güte und gesunden Zusam- mensetzung geprägt, so dass auch das Werbeattribut „der Gesundbrunnen“ seine Berechtigung gehabt habe. Doch als der Markt plötzlich überschwemmt wurde mit Abfüllungen unklar definierter Her- kunft, musste sich der Bad Dürrheimer Mittelständler abheben von der Ano- nymität. Das wurde der Kundschaft mit dem Slogan „Unter den Guten ei- nes der Besten“ verdeutlicht. „Früher gab es keine Billig-Wässer“, deutet der Geschäftsführer den strategischen Kontext an. „Da gab es nur wenige deutschlandweit agierende nationa- le Marken wie Fachinger und Selters, der Rest war regional.“ Heute sei der Konkurrenzdruck viel größer, da sich auch internationale und nationale 135


Wirtschaft Die 2014 in Betrieb genommene neue Abfüllanlage füllt in der Stunde 20.000 Flaschen ab. Tagtäglich verlassen tausende von Getränkekisten das Unternehmen. Die Lkw-Flotte von Bad Dürrheimer ist groß, die Fahrer gelten als wichtige Multiplikatoren und Produktbotschafter. Konzerne in regionalen Nischen breit machten. „Darum müssen wir uns in unserem Imperium selbstbewusst bewegen wie ein Held und das sind wir auch.“ Zum Heutigen gehöre das Motto „Besser trinken, besser leben“. Es sig- nalisiere, dass sich das Unterneh- men mit seinem Umfeld identifi- ziere und selbst Teil der hohen Lebensqualität im erweiterten Radius um die eigene Haustür herum sei. „Von Mannheim Von der Bertolds Quelle über Bad Dürrheimer Medium, Bio-Apfelgetränke, dem neuen Légère bis hin zum Mineralwas- ser Classic – Bad Dürrheimer bietet eine breit gefächerte Produktpalette. 136 die Rheinschiene hinunter bis nach Lindau, das ist Bad Dürrheimer Land, in etwa identisch mit dem Freiburger Regierungspräsidium“, steckt er die Claims im hart umkämpften Markt ab. 1993 als erster Mineralbrunnen zertifiziert Bad Dürrheimer wurde 1993 als erster Mineralbrunnen Deutschlands nach DIN EN ISO 9001 zertifiziert, nachdem der gesamte Wertschöpfungsprozess analy- siert und effektiver gestaltet worden war. In ländlichen Gegenden gebe es an- dere Aufgabenschwerpunkte als in Bal- lungszentren, vor allem in logistischer Hinsicht. Unabdingbar sei eine große Lkw-Flotte, um die Getränke zum Ver- braucher zu bringen. Wegen ihres unmit- telbaren Kontakts zur Kundschaft seien


die Fahrer zugleich wichtige Multiplikatoren und Produktbotschafter, deren Kompetenzen weit über fahrerisches Können hinausreichten. Jedes Wasser schmeckt objektiv anders Im Gegensatz zu Bier, das vor allem mit subjekti- ven, emotionalen Kriterien bewertet werde, schmecke jedes Wasser objektiv anders. Das sei abhängig von den Bodenverhältnissen und von Anteil und Zusammensetzung der Mineralien als wichtigsten Geschmacksträgern. „Wasser ist hochsensibel und das einzige Lebensmittel, das staatliche Anerkennung braucht und regelmäßig staatlich überprüft wird“, deutet Lössl die Kom- plexität der Förderung an. Es muss gewährleistet sein, dass die unterirdischen Mineralwasservor- kommen keine schädlichen Substanzen enthal- ten, dass die Zusammensetzung der Mineralien konstant bleibt und dass der Wasserhaushalt im Umfeld der Quellen durch die Mineralwasserent- nahme nicht beeinflusst wird. „Unsere Wässer sind ursprünglich und rein, die Messergebnisse sind stets meilenweit von gesetzlichen Grenzwerten entfernt.“ Die natürlichen Mineralwässer sprudeln aus Weissenberger-, Johannis- und Witt- mannstaler Quelle. Die Bertolds Quelle liefert das kostbare natürliche Heilwasser. Es darf als Heilmittel deklariert werden, weil es zur Genesung vor allem bei Unpässlichkeiten im Verdauungstrakt beiträgt. „Es wirkt leicht abführend und eignet sich hervorragend zum Spülen der Blase.“ Während das Heilwas- ser kochsalzarm und auch darum so gut verträglich ist, ist das Solewasser des städtischen Kurbetriebs aus viel tieferen Erd- schichten gerade wegen seines hohen Salzgehalts wertvoll. Der Sole hat Bad Dürrheim sein Prädikat als Heilbad zu verdanken, Bad Dürrheimer Mineralbrunnen welches Profil das Heilwasser aus eigenen Quel- len ideal komplettiert. Das eine diene der Kör- per-Reinigung von innen, das andere wirke von außen, beide Wässer steigerten das Wohlgefühl, was in einem Slogan der Kur- und Bäder GmbH „Die Kraft der Gegensätze“ angedeutet werden solle und im Vitalcenter im Solemar praktiziert wird. Anhaltender Trend zu weniger „Sprudeligkeit“ Persönlich favorisiert Ulrich Lössl in diesen war- men Sommertagen das neue „Légère“, ein Mine- ralwasser mit einem Hauch von Kohlensäure. Bereits 1967 brachte das Unternehmen ein Me- dium-Wasser mit weniger Kohlensäure auf den Markt, hier leistete man Pionierarbeit und beflü- gelte damit einen bis heute anhaltenden Trend zu weniger „Sprudeligkeit“. Neueste Zahlen zeigen, dass die Deutschen mittlerweile mehr Wasser mit wenig oder gar keiner Kohlensäure trinken als Wasser mit viel Kohlensäure wie das Bad Dürrheimer Classic mit dem roten Etikett. Publikumsrenner von Bad Dürrheimer sind auch Erfrischungsgetränke auf Mineralwas- serbasis, Apfelsaft-Schorle vor allem, be- liebter Durstlöscher ist ebenso „Pepita“, ein nach original Schweizer Rezeptur her- gestelltes Grapefruitgetränk. Die Herkunft der eigenen Wäs- ser sei schon an deren Namen erkennbar. Darüber hinaus sei Bad Dürrheimer der einzige Mineralbrunnen, der bei den Schorle-Getränken auch die Herkunft der Säfte ein- deutig deklariere. „Unsere Äpfel, Kirschen und Johan- nisbeeren sind nicht bloß vage ‚heimisch’, sondern wuchsen garantiert am Bodensee. Und wir wissen, dass sich auch der eine und andere Baaremer Apfel da- runter mischt, der rundet die Bad Dürrheimer Schor- le geschmacklich ideal ab.“ 137


Wirtschaft Diese Transparenz basiere auf „fairem Han- del mit heimischen Erzeugern“. Deshalb dürfe Bad Dürrheimer sein Apfelschorle mit den Land- frauen bewerben, freut sich Marketingleiter Mi- chael Neuenhagen. „Das ist ein Privileg, denn die setzen sich nur für heimische Produkte ein.“ Regionale Verbundenheit und Verbrauchernähe gehen mit intensivem Engagement und Sponso- ring einher. „Uns geht es um breite Präsenz. Da- rum unterstützen wir gezielt Einzelprojekte und variieren auch.“ Kompetente und motivierte Mitarbeiter Das wichtigste Erfolgsrezept des Mittelständ- lers seien nebst verlässlicher Produktqualität die allesamt kompetenten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die geringe Fluktu ation spreche für die ausgeprägte Identi- fizierung mit dem Unternehmen, was auch an dessen Glaubwürdigkeit und seinem sozialen und ökologischen Profil liege. „Die Region ist uns wichtig. Das zeigen wir mit unserem Engage- ment betriebsintern und ebenso bei den vielen ausgesuchten Sponsoring-Aktivitäten.“ Vielfältiges, regionales Engagement Bad Dürrheimer ist ein wichtiger Partner des ERC Schwenningen, der Eishockeyclub wird insbeson- dere wegen seiner Nachwuchsarbeit unterstützt. Jugend, Bildung, Kultur, Soziales seien Förder- schwerpunkte, Neuenhagen nennt als Beispiele Schwenninger Vesperkirche, Palliativ-Stiftung, Suchtberatung, Kinder- und Familienzentrum in Villingen-Schwenningen, Nachsorgeklinik Tann- heim, Bad Dürrheimer Off-Road-Kids, das Kürbis- fest der Waldorfschule in Schwenningen. „Wir können nicht überall helfen, wo es sinnvoll wä- re, und müssen auch mal eine Anfrage absagen. Aber wir bemühen uns, wechselnde Projekte in unserer Heimat zu unterstützen, die uns sinnvoll erscheinen.“ Vor allem beim Sponsoring gelte ein Credo, mit dem sich der Mineralbrunnen auch betrieb- lich profiliere: „Man muss nicht immer die erste, aber eine gute Geige spielen.“ Das Werk von Bad Dürrheimer liegt in der Seestraße. 138


Ein und dasselbe Wasser kann in zwei ver- schiedenen Gläsern völlig unterschiedlich schmecken, so Michael Kramer, der Leiter der Qualitätssicherung bei Bad Dürrheimer. Er macht mit Besuchern gern die Probe aufs Exempel. Und tatsächlich hat das Wasser um so weniger Ei- gengeschmack, je kälter es ist, auch der Durch- messer des Glases spielt eine Rolle. „Je größer die Oberfläche ist, desto mehr Kohlensäure kann entweichen.“ Seit 1985 ist der gelernte Braumeister aus Lenzkirch bei Bad Dürrheimer für die gleich blei- bende Güte der Wässer zuständig, die zur Zeit aus neun Quellen gefördert werden. Jeden Mor- gen beginnt Michael Kramer seine Arbeit mit ei- nem Rundgang zu den Quellen; kontrolliert die Fließgeschwindigkeit und entnimmt Wasserpro- ben, die später im Labor untersucht werden. Wenn das Wasser aus den Edelstahl-Pipelines sprudelt, hat es einen rund 30 Kilometer langen Weg von den Schwarzwaldhöhen um Schonach und Triberg herum hinter sich (siehe dazu Seite 135). Es verbrachte rund 80 Jahre in den Felsspal- ten, sammelte sich in Klüften, plätscherte weiter und nahm Mineralien und Spurenelemente in den verschiedenen Gesteinsschichten auf. „Die geologische Vielfalt ist unsere Stärke“, sagt Michael Kramer, der intern auch „Herr der Quellen“ genannt wird. In seinem Berufsleben hat er sich einen riesigen Erfahrungsschatz rund ums Mineralwasser angeeignet. Der geprüfte Mineralwassersommelier hat seinen Gaumen bei täglichen Verkostungen für minimale Nuan- cen sensibilisiert und weiß genau, welches Was- ser zu welchen Bedürfnissen passt. Die Bad Dürrheimer Mineralwässer stammen zum Teil aus mehreren Quellen, sind eine Cuvée mit jeweils eigenem Charakter. Der Mineralge- halt liegt je nach Mineralwasser zwischen 850 und 2 400 Milligramm pro Liter. Das ist viel, weiß Meister Kramer und berichtet stirnrunzelnd von einer geänderten Gesetzgebung, nach der selbst Wasser ohne Mineralgehalt als Mineralwasser deklariert werden dürfe, obwohl es wie in Frank- reich kaum oder gar keine Mineralien enthalte. Das Bad Dürrheimer hingegen zeichnet sich insbesondere durch seinen Gehalt an Magnesium, Calcium, Sulfat, Hydrogenkarbonat aus, außer- Bad Dürrheimer Mineralbrunnen XX Michael Kramer beim Mineralwasser-Test. Er emp- fiehlt nicht Kühlschrank-, sondern Kellertemperatur. dem enthält es viele wertvolle Spurenelemente – insgesamt seien rund 220 Parameter messbar. Michael Kramer: Der Herr der Quellen und Chef-Sommelier Je nach Sorte wird dem Mineralwasser mehr oder weniger oder eben auch gar keine Kohlen- säure zugegeben. Das geschmacksneutrale Gas gebe dem Wasser eine erfrischende Note, rege die Durchblutung an und mindere das Hunger- gefühl. Wegen seiner wohltuenden, sättigenden Wirkung sei Heil- und Mineralwasser auch bei Diäten und Fastenkuren unverzichtbar. „Direkt aus dem Kühlschrank ist’s zu kalt“, sagt der Experte und empfiehlt „Kellertempera- tur“ zum Trinken; zehn bis vierzehn Grad seien ideal. Je weniger Kohlensäure ein Wasser enthal- te, desto wärmer könne es getrunken werden. 139 139


Wirtschaft Die Schreibgerätetechnik maßgeblich revolutioniert Maschinenbau, Sensorik und Schreibgeräte: Die Firma SCHMIDT Technology aus St. Georgen steht auf mehreren Standbeinen von Roland Sprich SCHMIDT Technology in St. Georgen ist ein in vierter Generation familiengeführtes mittelständisches Unternehmen auf höchstem technologischen Niveau, für das über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Was vor mehr als 75 Jahren mit der innovativen Entwicklung von technisch raffinierten Schreibgeräten begann, präsentiert sich heute in drei Unternehmensbereichen: Schreibgerätetechnik, Ma­ schinenbau und Sensorik. Hoch qualifizierte Ingenieure, Techniker und Chemiker sorgen dafür, dass das komplexe Zusammenspiel von Mechanik, Physik und Chemie in den Schmidt­Produkten perfekt aufeinander abgestimmt ist. SCHMIDT Techno­ logy ist global aktiv, besitzt Auslandstöchter in den USA, England, der Schweiz und Frankreich sowie Vertretungen weltweit. Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der Fertigung von Präzisionsteilen für die Schwarzwälder Uhrenindustrie. Hervor­ gegangen aus der Schwarzwälder Uhr macherkunst und dem feinen Gefühl der hier lebenden Menschen für Präzision, hat sich SCHMIDT Technology zu einem weltweit anerkannten Technologieführer ent wickelt. Schreibgeräte mit höchstem Komfort – „Made in St. Georgen“. Kugelschreiber oder Füller fertigt SCHMIDT Technology für renommierte, weltweit bekannte Edelmarken. 140


SCHMIDT Technology in St. Georgen beschäftigt weltweit über 400 Mitarbeiter. Die Geschäftsführung von SCHMIDT Technology, v. links Stephan Schmidt, Rolf Schmidt, Sprecher der Geschäftsführung, und Oliver Schmidt. 141


Wirtschaft Firmenansicht aus den 1950er-Jahren. Wenn hochrangige Politiker bedeutende Staats- verträge unterzeichnen, Geschäftsleute in aller Welt ihren Namenszug unter wichtige Schrift- sätze setzen, oder wenn einfach stilvoll Gedan- ken zu Papier gebracht werden, kommt nicht einfach „nur“ ein Kugelschreiber zum Einsatz. Vielmehr wird in diesen Fällen ein entsprechen- des Schreibgerät mit höchstem Schreibkomfort benutzt. Oft stammt es aus St. Georgen – von SCHMIDT Technology. Dieses Unternehmen hat die Schreibgerätetechnik in den vergangenen 75 Jahren maßgeblich revolutioniert, Qualitäts- standards gesetzt und ist zu einem unverzicht- baren Partner für Markenhersteller auf der gan- zen Welt geworden. Die Anfänge des mittelständischen Unterneh- mens liegen, wie so oft im Schwarz- wald, in der Uhrenindustrie. 1938 gründeten die Brüder Hermann und Wilhelm Schmidt einen Zulieferbetrieb für Präzisions- drehteile, belieferten namhaf- te Uhrenproduzenten. geschwappt“: Ein Stift, der die Schreibtinte nach und nach über eine Kugel an der Spitze abgibt. Die Technik war jedoch alles andere als ausge- reift. Die Tinte kleckste, die Kugel kratzte rau über das Papier. Doch die beiden Unternehmer erkannten das Potenzial, das hinter dieser Erfin- dung steckte. Kugelschreiber wird zum hochwertigen Präzisionsgerät weiterentwickelt Die Schwarzwälder Tüftler nahmen die Heraus- forderung an. Mit dem Know-how und der ge- wohnten Präzision aus der inzwischen rückläu- figen Uhrenindustrie wurde die Technik immer weiter entwickelt und verfeinert. Schon bald wird die profane Bezeichnung „Kugelschreiber“ nicht im Ansatz dem gerecht, was SCHMIDT Technology in höchster Qualität entwickelt und produziert. Es entstehen neuartige Dreh- und Druck- mechanismen für Bleistifte und Schreiber auf Tintenbasis. Weiter eine ausgereifte Füllhal- tertechnik, die auch bei kurzfristigen Druckun- terschieden, etwa bei Start und Landung eines Flugzeuges, verlässlich dafür sorgt, dass die Tinte nicht aus dem Gerät fließt. Und SCHMIDT Tech- nology spezialisiert sich ebenso auf die Montage von Schreibgeräten der Ober- und Premiumklas- se. Auch die Schreibpaste wird im eigenen Labor selbst entwickelt und hergestellt. Edelmarken wie Faber-Castell, Pelikan, Lamy, Davidoff, Cartier und Mont Blanc gehö- ren zu den Premiumkunden des St. Georgener Traditionsun ternehmens. Ausgefallene Designs unter Verwendung hochwertiger Ma- terialien entstehen – sogar mit Diamanten verzierte Schreibge- räte fertigt SCHMIDT Technolo- gy auf Kundenwunsch. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam, zusam- men mit Nylonstrümp- fen und Kaugummi, ei- ne neuartige Erfindung aus Amerika „herüber- Die Firmengründer Wilhelm (links) und Hermann Schmidt.


SCHMIDT Technology Mit Diamanten und Gold verzierte Edelschreibgeräte „Made in St. Georgen“. hand geführten Unternehmens. Zwar ist die Schreibgerätetechnik ein florierender Geschäfts- zweig von SCHMIDT Technology, aber es ist nicht der einzige. Bereits 1952, als Hans Schmidt in das Unternehmen eintrat, wurden neue Akzente ge- setzt. Der Handwerksbetrieb entwickelte sich Dass bis heute keine Schreibgeräte unter dem Namen SCHMIDT im Handel erhältlich sind, hat einen einfachen Grund: „Wir wollen ja unse- ren Kunden keine Konkurrenz machen“, erklärt Stephan Schmidt. Er ist zusammen mit seinem Bruder in vierter Generation in der Geschäftslei- tung tätig und für den kaufmännischen Bereich verantwortlich, während Oliver Schmidt den technischen Bereich leitet. Großen Anteil am Er- folg des Unternehmens hat Vater Rolf Schmidt. Er ist seit 1969 in der Geschäftsleitung tätig und fungiert als ihr Sprecher. Neuer Geschäftsbereich Maschinen Unternehmerische Weitsicht war seit jeher ein prägendes Merkmal des bis heute in Familien- Am Beginn jeder Fertigung steht die Entwicklung, die bei SCHMIDT Technology einen hohen Stellenwert genießt. 143


Wirtschaft Die Ausbildung des Nachwuchses genießt bei SCHMIDT Technology einen hohen Stellenwert. Rechts: Blick in die Fertigung. nun zu einem Industrieunternehmen. Mit dem Kauf der Firma Rudolf Maier Sondermaschinen- bau erweiterte „SCHMIDT Minen“ die Firma 1964 um den Geschäftsbereich Maschinen. An- gefangen mit Handhebelpressen im Bereich der Fügetechnik ist daraus in den vergangenen sechs Jahrzehnten ein breites Spek trum an pneumatischen, hydropneumatischen und elektrischen Pressen ent- standen. Diese werden unter an- de rem zur Teilefertigung im Flug zeugbau, in der Automobil- technik, Mikromechanik und Medizintechnik benützt. Das ausgewogene Programm der SCHMIDT-Pressen lässt sich in der Umform- und Fügetechnik in fast allen Zweigen der Indus- trie einsetzen. Vom einfachen, manuellen Arbeitsplatz bis hin zu rechnergesteuerten, voll- automatischen Montagema- schinen mit integrierter Qua- litätssicherung spannt sich das Lieferprogramm über alle Automationsstufen. 144 Neubau auf der Seebauernhöhe In den 1970er Jahren wurden die Weichen erneut neu gestellt. Aus beengten Verhältnissen in der Innenstadt baute die Firma SCHMIDT 1972 auf der grünen Wiese auf der damals noch weitgehend unbesiedelten Seebauernhöhe. Die Aussicht, dass die Verbindungsstraße zur Bundesstraße eines Tages quasi direkt am Haus vorbei führt, veranlasste die Geschäftsführung damals zu diesem Schritt. Der Anschluss an die Bundesstraße kam bis heute nicht. Dafür hatte das Unternehmen ausreichend Platz, um seine Fertigungsflächen mehrmals zu erweitern. Heute agiert SCHMIDT Technology auf rund 20.000 Quadratme- tern Betriebsfläche. In den 1980er Jahren erweiterte das Unternehmen, das zwischenzeit lich unter SCHMIDT Feintechnik fir mierte, um den Geschäftsbereich Sensorik. Für einen namhaften schwäbischen Auto- hersteller entwickelte SCHMIDT einen Kundenspezifische Presse.


SCHMIDT Technology Die Bedeutung von SCHMIDT Technology wurde anlässlich des 75-jährigen Firmenjubiläums unterstrichen, v. links Stephan Schmidt, Oliver Schmidt und Rolf Schmidt. Die Standuhr links ist ein Präsent der Mitarbeiter. Gurt straffer. „Keiner hat es gekonnt, wir haben es gemacht“, formuliert Stephan Schmidt. Der Gurt straffer war der Vorreiter für weitere Sicher- heitssysteme in den Autos. Später folgte die Sensorik für die Auslösung von Airbags. Davon hat SCHMIDT Feintechnik mehr als 50 Millionen Stück produziert. Dank seiner Niederlassungen in den USA, der Schweiz, in England und Frankreich ist SCHMIDT Technology immer nah am Kunden. Entwicklung von Strömungssensoren Als die Chip-Technologie verstärkt Einzug in die Steuertechnik hielt, ist SCHMIDT Technology 2010 aus dem Automotive-Bereich ausgestiegen. Seine mehr als 20-jährige Erfahrung im Bereich der Sensorik bringt das Unternehmen nun in die Entwicklung und Produktion von Strömungssen- soren für Luft und Gase ein. SCHMIDT Sensoren erfassen Luft- und Gas- strömungsgeschwindigkeiten nach dem thermi- schen Mess prinzip. Diese Präzisionssensoren dienen zur Energieeinsparung, Qualitätssiche- rung von Prozessen und zur Gewährleistung der Sicherheit von Personen und Geräten. Der Einsatz erfolgt in hochwertigen Standard- und OEM-Anwendungen der Pharma- und Reinraum- branche, der Prozesstechnik, Drucklufttechnik sowie Klima- und Lüftungsbranche. Für die Zukunft gewappnet Um über viele Jahrzehnte gleichbleibend hohe Qualitätsprodukte anbieten zu können, braucht es qualifizierte Mitarbeiter. Hier ist sich SCHMIDT Technology seiner Verantwortung bewusst und trägt in hohem Umfang zum Fachkräfteerhalt bei. Jeweils zehn Prozent der 365 Beschäftigten am Standort in St. Georgen sind Auszubildende, die in der hauseigenen Ausbildungswerkstatt in acht gewerblichen und kaufmännischen Berufs- feldern ausgebildet werden. Um seine Position als Technologieführer zu halten, investiert das Unternehmen konsequent jährlich zehn Prozent des Umsatzes in die Bereiche Forschung und Ent- wicklung. Im September 2013 konnte das Unternehmen sein 75-jähriges Bestehen feiern. Bürgermeis- ter Michael Rieger betonte aus diesem Anlass: „SCHMIDT Technology bildet mit das Rückgrat und den Motor der städtischen Wirtschaft. Eine solche Firma ist für uns ein Glücksfall.“ 145


6. Kapitel Bildung und Soziales Einen Platz in der Gesellschaft finden An der Carl-Orff-Schule in Villingen werden Schüler zur größtmöglichen Selbstständigkeit geführt von Saskia Fraas Sie lieben Fußball, Nähen oder Schwimmen, reiten oder rechnen gerne oder fin- den Autos spannend – die Interessen der Carl-Orff-Schüler sind so vielfältig wie ihre Beeinträchtigungen. Aber an dieser Schule sind es gerade die Einzigartigkeit des Einzelnen, seine Stärken und Schwächen, die geschätzt werden. So singen es die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Lehrerinnen und Lehrern, den Sekretärinnen, dem Hausmeister, der Köchin, Eltern und oft auch mit Gästen bei Schulfesten, Abschiedsfeiern und anderen Anlässen immer wieder in ihrem eigens gedichteten Schulsong: „Jeden hier in unserer Schule gibt es nur einmal.“ Vielfältige Möglichkeiten Als Gast an der Schule spürt man sofort die freundliche Atmosphäre und den sorgsamen Umgang miteinander, der hier im Schulalltag gepflegt wird. Die Rahmenbedingungen dafür sind günstig: Das Schulhaus mit Turnhalle und Bewegungsbad ist hervorragend ausgestattet und auf die Bedürfnisse der Schüler eingerichtet, und das schöne Außengelände mit dem Spiel- platz und dem neuen Klettergerüst bietet viele Möglichkeiten zum Lernen, Arbeiten und Spielen. Michael Fraas, seit 2008 Schulleiter an der Carl-Orff-Schule, erzählt bei einer Führung durch das Haus, was die Schule noch vorzuweisen hat: Eine eigene Schulküche, die täglich ein warmes Mittag essen für über 100 Personen zubereitet; einen Schülerkiosk, der auch außerhalb der Schule Ca- tering anbietet und ge- nau wie die Schülerfirma Möglichkeiten eröffnet, verschiedene Arbeitsbe- 146 Schulleiter Michael Fraas reiche auszuprobieren. Ebenfalls im Haus befin- det sich die „Pusteblume“, eine Kindertagesstät- te sowie ein integrativer Schulkindergarten, wo behinderte und nichtbehinderte Kinder gemein- sam spielen und lernen. Ebenso eine Frühbera- tungsstelle für Kinder mit Entwicklungsverzöge- rungen von der Geburt bis zum Schuleintritt. Viel Praktisches wird vermittelt In den 15 Klassen der Grund-, Haupt- und Be- rufsschulstufe lernen die über 90 Schülerinnen und Schüler von sechs bis 19 Jahren spielerisch, aber systematisch in verschiedenen Unterrichts- formen, mal in Einzelförderung oder in kleinen Gruppen, mal in der Klasse und mal klassenüber- greifend. Auf den ersten Blick scheint der Unter- richt hier ganz anders als an „normalen“ Schulen abzulaufen: Die Klassen sind deutlich kleiner, die Klassenzimmer anders ausgestattet. Inhaltlich geht es auch viel um praktische, alltagstaugliche Fähigkeiten: Neben Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen stehen vor allem für äl- tere Schüler z. B. Verkehrserziehung, der Umgang mit Medien und Freizeitgestaltung auf dem Pro- gramm, aber auch Übung in alltäglichen Dingen


Carl Orff Schule in Villingen 147 147


Bildung und Soziales 148 Jeden Schüler nach seinen Fähigkeiten fördern – vor allem im Hinblick auf die Bewältigung des Alltages – ist das vorrangige Ziel der Carl-Orff-Schule. wie Einkaufen und Kochen. Wie an Regelschulen gibt es Projekte: Sport, die Arbeit an der Schüler- zeitung „Carlo“, verschiedene AGs. Das wichtigs- te Ziel dabei ist es stets, die behinderten Men- schen „zu größtmöglicher Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu führen“, wie es im Leitbild der Schule verankert ist – was auch immer dies für jeden einzelnen Schüler bedeuten mag. Öffnung nach Außen Dazu gehört auch, dass die Carl-Orff-Schule nicht nur Schutzraum für behinderte Menschen sein will, sondern sich ganz bewusst nach außen öffnet. Außenklassen, wie sie beispielweise an der Roggenbach-, Südstadt- und Warenberg- schule eingerichtet wurden, ermöglichen den behinderten Schülern die alltägliche Begegnung mit nichtbehinderten Gleichaltrigen und das gemeinsame Lernen in den Fächern Bildende Kunst, Sport, Werken und Religion, während die Kernfächer getrennt unterrichtet werden. An der Warenbergschule gibt es darüber hinaus sogar eine Integrationsklasse, in der behinderte und nichtbehinderte Kinder in allen Fächern zusam- men lernen. „Für beide Seiten ist dies ein Ge- winn“, betont Michael Fraas. „Nichtbehinderte werden hilfsbereiter, gehen liebevoller mit ihren Geschwistern um und lernen Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen abzu- bauen. Das wirkt sich wohltuend auf das soziale Miteinander aus.“ Zusätzlich pflegt die Carl-Orff-Schule engen Kontakt mit weiteren Partnerschulen, mit denen gemeinsame Projekte verwirklicht werden: Chor- projekte, eine Kletter-AG oder aber gemeinsame Klassenfahrten mit Realschülern oder Gymnasi- asten bereichern beide Seiten. Täglich wird in der Schulküche für 100 Personen ein Mittagessen zubereitet.


Inklusion – Mit zunehmendem Alter geht die Schere auseinander Sonderpädagogen stellen allerdings auch immer wieder fest, dass man im schulischen Mitein- ander von behinderten und nichtbehinderten Kindern an Grenzen stößt – ein Thema, das im Zuge der Inklusion derzeit sehr kontrovers disku- tiert wird. Mit zunehmendem Alter der Schüler geht die Schere weiter auseinander. Die bitte- ren Erfahrungen der behinderten Kinder, immer der Schwächste zu sein, ständig seine Defizite vor Augen geführt zu bekommen, nehmen zu. Gleichzeitig nimmt das Interesse der nichtbe- hinderten Kinder an gemeinsamen Aktivitäten ab, die Gruppen ziehen sich voneinander zurück, es entstehen zwei Lager. In solchen Situationen ist die Rückkehr an die Stammschule für manche Außenklasse das Beste, denn „bei uns entdecken die Schüler wieder ihre Stärken und können sich mit ihresgleichen messen“, unterstreichen die Kollegen die Vorzüge der Sonderschule. Natür- lich aber ist die inklusive Beschulung behinderter Schüler an Regelschulen auch jenseits der Grund- schule in vielen Fällen erstrebenswert. Daraus Carl-Orff-Schule in Villingen ergeben sich jedoch für die Sonderschulen auch Probleme: Behinderte Schüler werden von Son- derschullehrern an Regelschulen begleitet, diese Fachkräfte fehlen dann aber an der Stammschu- le, wo die schwächeren Schüler gerade diese so nötig hätten. Zudem verlieren die Sonderschulen die stärkeren Schüler, die auch als Vorbilder für die schwächeren fungieren. Teilhabe an vielen gesellschaftlichen Bereichen Dennoch bleibt die Inklusion eine Vision, die die Carl-Orff-Schule mit Eifer vorantreibt, indem sie ihren Schülern durch außerschulische Netzwerke und Partner Teilhabe an der Gesellschaft ermög- licht. Im Café Marie beispielsweise besuchen Carl- Orff-Schüler einmal wöchentlich Senioren in der Tagespflege und eröffnen sich dabei unter ande- rem mögliche Praktikumsplätze und Berufsfel- der für die Zukunft (siehe dazu die Seite 151). Über 60 Unternehmen aus der Region bieten Praktika für Schüler der Haupt- und Berufsschulstufe an. Dabei profitieren nicht nur die Schüler; die Fir- Sich einen Apfel schälen – auch das will gelernt sein. 149


Bildung und Soziales men loben die Ausdauer, die positive Einstellung zur Arbeit und die Zuverlässigkeit, die viele be- hinderte Menschen auszeichnen. Während frü- her der Weg für die meisten Schulabgänger in die Werkstatt für behinderte Menschen führte, gibt es heute weitere vielfältige Möglichkeiten wie beispielsweise die BVE, eine berufsvorbereitende Einrichtung, die den Schülern den Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ebnen will. Jenseits der beruflichen Wege ist es der Carl- Orff-Schule auch ein Anliegen, behinderte Men- schen an anderen gesellschaftlichen Bereichen zu beteiligen. Die Fastnacht, für viele Schüler und Lehrer eine wichtige Villinger Institution, wird nicht nur an der Schule mit Gästen ausgelassen gefeiert; die Schüler laufen auch beim Kinder- umzug mit und haben sogar ihren eigenen Fast- nachtsruf gekürt: „Carli-Carlo“. Die Schule spielt außerdem gern den Gast- geber. Zu einer Reihe von kulturellen Veranstal- tungen im vergangenen Schuljahr kamen auch Gäste, die keine direkte Verbindung zur Schule haben, um einen orientalischen Abend, Akkor- deonmusik oder ein Sommerkonzert unter frei- em Himmel zu erleben. Beim zweijährlichen Schulfest begegnen sich Schüler, Lehrer, Eltern der Carl-Orff-Schule, der Partnerschulen und viele Gäste, um gemeinsam zu feiern. Natürlich wird zu diesem Anlass das Schullied gesungen und auch für Außenstehende wird einer der Leitsätze der Schule spürbar: In dieser Schulgemeinschaft ist Wertschätzung die Grundlage allen Handelns, die Wertschätzung jedes einzigartigen Schülers. Zur Carl-Orff-Schule gehören auch eine Kindertages- stätte und ein großzügiges Außengelände. Künstleri- sches und handwerkliches Arbeiten werden besonders gefördert. 150


Carl-Orff-Schule in Villingen Zu Gast im Café Marie – die Schüler der Carl-Orff-Schule besuchen regelmäßig eine Tagespflegeeinrich- tung der Caritas in Villingen. Wie war das, als Sie früher nach Italien gefahren sind? Was geschah an der Grenze? Mussten Sie Geld tauschen? Diese und andere Fragen stellen die Berufsschulstu- fen-Schüler den Tagesgästen im Café Marie, einer Tagespflegeeinrichtung der Caritas. Die Augen der Erzählenden leuchten in Er- innerung an die früheren Erlebnisse. Den Aus- führungen vom Auslandsurlaub schließt sich schmunzelnd die Geschichte von der Fahrt in einem überfüllten Kleinwagen zur ersten Pizza im Nachbarort an. Nach zwei Stunden verab- schieden sich die Fragenden zufrieden und mit guten Wünschen zum Schullandheim- aufenthalt am Gardasee versehen. Wie im Fluge vergeht die Zeit, die diese Schüler wöchentlich mittwochs im Café Marie verbringen. Jeder dieser Tage wird geplant, die gemeinsamen Aktivitäten treffen auf reges In- teresse. Gegenseitige Hilfe wird beim Basteln notwendig, führende und stützende Hände beim Spazierengehen, offene Oh ren für Ge- schichten von früher. Geduldig erklären unsere Schüler den Ta – gesgästen die Uno-Spielregeln, denn schließ- lich sollen bei einem Turnier alle gegeneinan- der antreten. Freundschaftliche Verbindun gen entstehen, sowohl die Schüler als auch die Ta- gesgäste freuen sich über die Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht wird, über das Ge- Schüler besuchen Tagespflegeeinrichtung: Stützende Hände und offene Ohren für Geschichten fühl, dem anderen eine Freude zu machen und gebraucht zu werden. Darüber hinaus ergibt sich für den ein oder anderen Carl-Orff-Schü- ler die Möglichkeit für ein Praktikum in einer Einrichtung für alte Menschen und vielleicht sogar die Ausbildung zum Alltagsbegleiter. Die zwei Stunden sind „rum wie nichts“. Von Berührungsängsten keine Spur. Es wird gescherzt, gelacht, und eines ist klar: Im Café Marie spricht das Herz. Beide Seiten erfahren Zuwendung. Elsbeth Boxberg 151


7. Kapitel Garnisonsstadt Donaueschingen Garnisonsstadt Donaueschingen Auflösungsappell – das 110. französische Infanterieregiment ist seit dem 24. Juni 2014 Geschichte. 152 152 Abschied von Freunden und Bekannten, von 1.800 Einwohnern – die französische Garnison gehört der Ver gan genheit an. Mitte: Colonel Olivier Waché beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Donaueschingen, im Hintergrund Oberbürgermeister Erik Pauly.


Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich Wechselvolle Geschichte der Garnisonsstadt Donaueschingen von Ernst Zimmermann Einen ganzen Stadtteil mit bis zu 1.800 Einwohnern zu verlieren, dürfte der Albtraum eines jeden Rathauschefs sein. Für Donaueschingens Oberbürgermeister Erik Pauly ist dieser Albtraum Wirklichkeit geworden. Seit dem 24. Juni 2014 gehört die franzö­ sische Garnison Donau eschingen der Vergangenheit an. Die Konsequenz: Rund 1.800 Menschen – ca. 750 Soldaten und deren Familienangehörige – sind fast von heute auf morgen weggezogen. Die entsprechende Entscheidung des französischen Staatspräsi­ denten zur Auflösung des 110. französischen Infanterieregiments hat diese Entwicklung bewirkt. Für die Donau eschinger Geschäftswelt und für die Stadt Donaueschingen ins­ 153 gesamt ist dies ein schwerer Schlag.


Garnisonsstadt Donaueschingen Belebendes Element im Stadtalltag Die Franzosen waren ein Teil der Stadt Donau- esch ingen, ein Teil ihrer internationalen Aus- richtung und Ausstrahlung und auch ein bele- bendes Element im Stadtalltag. Das ganze Jahr über waren die französischen Soldaten in Donau- eschingen vielfältig präsent: Jedes Jahr luden sie die Donaueschinger zum Regimentsfest in das Kasernenareal ein. Bei fast jedem Reitturnier bauten sie in der Regel das wieder auf, was die Pferde an den Hindernissen niederrissen. Vielen Festveranstaltungen der Stadt verliehen fran- zösische Uniformen einen festlichen Rahmen und selbst an Fastnacht sind die Franzosen im Einsatz; nicht in ihren Uniformen, sondern in der Verkleidung der Distelhexen. Einer der Kom- mandeure, Colonel Christian Falzone, hat mit dem deutsch-französischen Kindergarten sogar eine Einrichtung angeregt und zusammen mit der Stadt realisiert, welche die Internationalität von Donaueschingen am nachhaltigsten unter Beweis stellte. Dass es dies alles künftig nicht mehr geben wird, ist für die Donaueschinger nur schwer vorstellbar. Der französische Stadtteil – eine Bereicherung für ganz Donaueschingen So präsentierte sich der französische Stadtteil der Großen Kreisstadt Donaueschingen: Das mit großem finanziellen Aufwand erst vor we- nigen Jahren neu gebaute Wirtschafts- und Freizeitgebäude heißt St. Maurice, das Casino Cercle St. Martin, der Kindergarten ist die Éco- le maternelle, der kleine Supermarkt nennt sich Economat und die Begegnungsstätte in der Stadt Maison de France. Die Grundschule heißt Éco- le Le Danube, die Mittelschule Collège Robert Schuman und für den Reitsport gibt es das Cen- tre équestre. Die Bewohner des Viertels kamen zum Beispiel aus Besançon, Bordeaux, Marseille, Nancy, Nantes oder aus Rouen, also fast aus allen Gegenden Frankreichs. Wenn man so will, gab es mit dem Komman- deur des 110. Infanterieregiments bei dessen Auflösung, Colonel Olivier Waché, sogar einen 154 1 2 1 Quartier Fürstenberg 2 Bureau de Garnison 3 Economat 4 Colège Robert Schuman 5 Cercle Mixte 6 Waffenkammer


6 5 4 3 Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich 7 8 9    7 Messe Mixte St. Maurice (Wirtschafts- und Freizeitgebäude) 8 Quartier Foch (bis Juni 2014 110RI) bis 1945 Barbara Kaserne 9 Quartier Picardie (bis Juni 2014 110RI)  Quartier Lyautey, bis 1945 Hindenburg Kaserne  Gendarmerie/Sanitätsbereich  Antenne Terre 155


Garnisonsstadt Donaueschingen 156 Oben: Regimentsfest in den 1970er Jahren. Mitte oben: Oberst Joachim Fürst zu Fürstenberg und Landrat Dr. Rainer Gutknecht eröffnen feierlich das „Quartier Fürstenberg“. Mitte unten: Eröffnung des Regimentsfestes. Unten: Ein gerne besuchtes und großes gesellschaft- liches Ereignis war der jährliche Garnisonsball in der Donauhalle. „Ortsvorsteher“. Petite France könnte man den Stadtteil nennen, wenn er nicht schon andere Namen hätte: zum Beispiel Quartier Lyautey oder Quartier Foch. Die Rede ist von der französischen Garnison, die als Bestandteil der Deutsch-Fran- zösischen Brigade das große Kasernenareal mit dem deutschen Jägerbataillon 292 teilte. Über 1.000 der Bewohner dieses Stadtteils waren fran- zösische Soldaten – Angehörige des 110. Infan- terieregiments und weitere Einheiten, die diese unterstützten. Hinzu kommen etwa 800 Famili- enangehörige, also Frauen und Kinder. Ein etwas anderer Alltag Was bestimmte den Alltag der französischen Do- naueschinger? Arbeit und Freizeit, Beruf und Fa- milie, so wie bei den rund 21.400 anderen Donau- eschinger Bürgern eben auch. Und doch lief ihr Leben nicht in den gleichen Bahnen ab wie das der deutschen Donaueschinger. Der militärische Auftrag bestimmte den Tagesablauf. Augen- scheinlich wurde dies schon am frühen Morgen: Die deutschen Donaueschinger kommen eher sel ten auf die Idee, schon um sieben Uhr in der Früh in größeren Gruppen zu joggen – abgesehen vielleicht von den Soldaten des Jägerbataillons 292. Für die Soldaten der französischen Garnison gehörte dies zur Routine der Körperertüchtigung, egal ob die Sonne schien, Regen oder Schnee vom Himmel fielen. Für die deutschen Familien in Donaueschin- gen wäre es auch gewöhnungsbedürftig, dass der Familienvater monatelang nicht zu Hause ist.


Viele französische Familien in Donaueschingen mussten sich mit solchen Situationen abfinden, weil der Vater beispielsweise im Kosovo, in Af- gha nistan, im Sudan oder in Mali helfen musste, einen brüchigen Frieden zu sichern. Was die Schullaufbahn angeht, so ist es für die deutschen Familien eine Selbstverständlich- keit, dass ihre begabten Kinder das Fürstenberg- Gymnasium besuchen. Die Schülerinnen und Schüler der französischen Familien hatten es nicht ganz so bequem: Sie konnten das Baccal- auréat, das französische Abitur, nur mit dem Besuch eines französischen Gymnasiums wie z.B. in Freiburg, Mulhouse, Colmar oder auch Straßburg erreichen. Dies wiederum bedeutete ein Internatsleben unter der Woche – Familien- aufenthalte gab es nur am Wochenende. Man- che besuchten sogar Militärschulen, so in Autun oder Aix-en-Provence und konnten sich nur in den Schulferien in Donaueschingen aufhalten. Zehn Minuten „nach Deutschland“ oder „nach Frankreich“ Führte der französische Stadtteil von Donau- eschingen ein Eigenleben? Teils – teils ist die richtige Antwort. Obwohl im Bereich des Hin- denburgrings die Franzosen einen Fußweg von maximal zehn Minuten „nach Deutschland“ hatten und die Deutschen natürlich ebenfalls nur zehn Minuten „nach Frankreich“, war die Grenze nicht immer fließend. Trotzdem gab es Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich eine ganze Reihe guter Ansätze: So bereiteten sich im deutsch-französischen Kindergarten deutsche und französische Kinder gemeinsam auf die Schule vor. Die Deutsch-Französische Gesellschaft bietet schon seit über 40 Jahren Deutschen und Franzosen gute Möglichkeiten insbesondere in der Freizeit gemeinsam das je- weils andere Land näher kennenzulernen. Die Franzosen pflegten mit großer Begeisterung das für die Baar typische alemannische Fastnachts- brauchtum und bereicherten als Distelhexen die Donaueschinger Fastnacht, und die Kinder der Grundschule École Le Danube besuchten mit ih- rer Klassenlehrerin den Oberbürgermeister im Rathaus, um ihm Fragen zu bestimmten Gege- benheiten in Donaueschingen zu stellen. Dieses Miteinander öffnete den Blick und schaffte Verständnis für die Gegebenheiten der jeweils anderen Nation. So haben zum Beispiel die deutschen Donaueschinger gelernt, dass die Franzosen gewissermaßen als Gegenstück zum deutschen Erntedank ein Fest daraus machen, wenn der neue Wein als Beaujolais Nouveau erstmals auf den Tisch kommt, oder am Dreikö- nigstag die Person als König oder Königin des Ta- ges gilt, die auf die in einem Stück des Kuchens, pardon – der Galette – versteckte Münze beißt. Alles, was sie gut fanden, haben die deut- schen von den französischen Donaueschingern gerne übernommen; so zum Beispiel das Boule- oder Pétanque-Spiel, das sie zweimal pro Woche gemeinsam mit den französischen Freunden auf dem Alten Festhallenplatz betrieben. Ortstermin im militärischen Sperrgebiet auf der Gemarkung Grüningen. Mit dabei Ortsvorsteher Willi Hirt / Grüningen, Stadtbaumeister Heinz Bunse und Bürgermeister Bernhard Kaiser. Colonel Most beim Langlauf zusammen mit Oberbürgermeister Dr. Bernhard Everke. 157


Garnisonsstadt Donaueschingen 158


Zweimal ziehen deutsche Soldaten von Donau- eschingen aus gegen Frankreich in den Krieg Zweimal, 1914 und 1941, zogen deutsche Soldaten der Garnison Donaueschingen gegen Frankreich in den Krieg. Bei näherer Betrachtung der Ge- schichte dieser Garnisonsstadt kann man auch zum Ergebnis kommen, dass sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg die Stationierung von Soldaten in Donaueschingen sogar Bestand- teil der Vorbereitungen für den Einmarsch deut- scher Soldaten in Frankreich gewesen waren. Auch später setzte sich diese Logik fort. Es war die US-Air-Force, die im Juli 1985 das ehema- lige Standortlazarett nach Leerstand und Fremd- nutzung als Asylbewerber-Wohnheim übernahm und mit ordentlichen Investitionen als Reservela- zarett mit einer Kapazität von bis zu 750 Betten einrichtete. Im Januar 1991 dienten die Militär- einrichtungen der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland als Ausgangsbasis für das von den USA angeführte Militärbündnis: Mit der Operati- on Wüstensturm wurde im zweiten Golfkrieg das von irakischen Truppen besetzte Kuweit be- freit. Genutzt wurde das Reservelazarett am Do- naueschinger Buchberg allerdings nie. Zum 31. Dezember 1993 wurde es von den Amerikanern aufgegeben und das Personal abgezogen. Zur Geschichte des Militärstandorts Wie Hauptmann Oliver Ochs in seinem 1995 herausgegebenen Buch aufzeigt, ist der eigentli- che Beginn des Militärstandorts Donau eschingen im Jahr 1913 zu sehen, als am 1. Oktober 1913 die Abbildungen linke Seite: Die ersten Gebäude entstanden 1912/13 in Form von Baracken als Provisorium bis zur Fertigstellung der Kasernenanlage (oben). Mitte: Die ersten Soldaten rücken ein – Aufmarsch am 1. Oktober 1913 vor dem Rathaus. Unten: Die Benennung in Hindenburg-Kaserne erfolgte anlässlich des 60. Militärjubiläums des da- maligen Reichspräsidenten auf Antrag des Standort- kommandanten. Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich ersten Soldaten des neu gebildeten III. Bataillon des 9. Badischen Infanterieregiments Nr. 170 unter Führung des Kommandeurs Major von Struensee in die gerade erst als Übergangsunter- künfte fertiggestellten Baracken im Linsenösch einzogen. Die Stadt stellte dort vier Hektar und 21 Ar Fläche unentgeltlich zur Errichtung der Ka- sernengebäude bereit, am 12. August 1913 wurde mit dem Kriegsministerium ein entsprechender Vertrag unterzeichnet. Vorausgegangen war der Wunsch des Ge- meinderates, aus wirtschaftlichen Gründen die Verlegung einer Garnison nach Donaueschingen zu erreichen. 1911 blieben die Verhandlungen er- folglos, 1912 ging Donaueschingen energischer vor. Dass die Verhandlungen nun eine günstige Wendung nahmen, wird in der Stadtchronik auch dem Fürsten zu Fürstenberg zugeschrieben. Der Beschluss des Reichstages über die Vermeh rung der Friedenspräsenzstärke des Heeres führte reichsweit dazu, dass 270 Orte neue Garnisons- standorte werden wollten – Donaueschingen setzte sich durch. Nach dem Stadtbrand von 1908 war die Donaueschinger Stadtkasse aber arg ge- schwächt, so übernahm das Militär sämtliche Kosten für die Kasernenbauten. Die Friedenspräsenzstärke der Truppe lag zu Beginn bei 900 Soldaten. Schon 1911 inspizierte Kaiser Wilhelm II. persönlich die Baracken. Aus finanziellen Gründen blieb es zunächst bei dieser mehr provisorischen Unterkunft mit allerdings eigener Kantinenwirtschaft. Bereits am 6. August 1914, drei Tage nach der Kriegserklärung gegen Frankreich, zogen die in Donaueschingen stationierten Soldaten in den Ersten Weltkrieg. 1918 waren bei 4.000 Einwoh- nern bereits 2.000 Soldaten in Donaueschingen stationiert. Durch den Versailler Vertrag und die fixierte Verkleinerung des Heeres nach dem Ersten Weltkrieg verblieben in Baden bis 1936 lediglich drei Standorte. Einer davon war als westlichster Militärstandort Deutschlands die Fürstenberg- Kaserne. Das Regiment 112 kehrte 1919 nach Donaueschingen zurück. Während des Ersten Weltkrieges entstanden die ersten festen Gebäude der Infanterie Kaserne (Hindenburg-Kaserne). Nach 1933 wurden dann zwei weitere Kasernen gebaut, die Barbara- 159


Garnisonsstadt Donaueschingen Die Folgen des Bombenan- griffs im Zweiten Weltkrieg waren katastrophal, hier die Ecke Zeppelin- und Rosen- straße. Es sterben über 580 Menschen. Die meisten Häuser sind beschädigt – 124 völlig zerstört. Kaserne und die Fürstenberg-Kaserne. Ebenfalls das Heeres verpflegungsamt (Proviantamt), das ein ganzes Armeekorps mit Brot und Getreide versorgen konnte sowie das Standortlazarett, das im März 1938 fertiggestellt war. 1935 zieht das Artillerie-Regiment 5 ein und nimmt im Zweiten Weltkrieg an Russlandfeld- zügen teil. Am 9. Oktober 1935 folgt die 13. Kom- panie des Infanterie-Regiments 75, im Sommer 1938 dann werden die 15. und 16. Kompanie des Infanterie-Regiments 75 aufgestellt. Im August 1939 werden die Einheiten der Garnison an die französische Grenze verlegt, in den Kasernen for- mieren sich nun Ersatztruppenteile. Schwere Luftangriffe Dass Donaueschingen Standort der Kaserne war, musste die Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg teuer bezahlen: Donaueschingen wird mehrfach bombardiert, der erste Luftangriff erfolgt am 2. Januar 1945, dabei kommen 96 Menschen ums Leben. Am 22. Februar greifen 14 Bomber die Innenstadt an, zerstören 38 Häuser vollständig und beschädigen 53. Es kommen weitere 339 Menschen ums Leben, darunter 165 Soldaten. Der letzte schwere Angriff auf die Stadt erfolgt am 25. Februar, als 36 Bomber erneut die Kasernenan- lagen bombardieren. Es sterben 136 Menschen. Am 20. April fallen Brandbomben auf die Stadt. 160 Bei Kriegsende sind von 1.200 Häusern 124 völlig zerstört, 276 schwer und 727 leicht beschädigt. In der Nacht des 20. April rücken die letzten deutschen Truppen aus Donaueschingen ab. Sie fliehen vor dem Einmarsch der Franzosen mit den Panzern der 19. Brigade de chasseurs à pieds am folgenden Tag. Ein schwieriger Anfang Das Ende des Zweiten Weltkrieges war da und damit kommt es zum Einzug der fanzösischen Besatzungsmacht. Der Anfang der französischen Garnison in Donaueschingen war sowohl für die deutsche als auch die französische Seite schwie- rig. Prof. Helmut König hat dieses Ereignis mit „Der Einmarsch“ überschrieben, er ist der Ver- fasser der im Donaueschinger Stadtarchiv ver- wahrten Jahreschronik. Gemeint war damit der Einmarsch der französischen Truppen in die zer- bombte Stadt am Samstag, 21. April 1945. Was folgte ist mit „schwieriger Zeit“ noch harmlos umschrieben – so die Erinnerung der Zeitzeugen. Der Platzkommandant Capitaine Godar hatte in den beiden unteren Stockwerken des Rathauses Büros für das französische Militär einrichten lassen. Er selbst und sein Stab hatten ihr Büro im Sitzungssaal. Die ausgedehnten Mi- litäreinrichtungen kamen in französische Hand; so die Hindenburg-, Barbara- und Fürstenberg


Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich Kaserne, das Lazarett am Buchberg, die Heeres- bäckerei und das Proviantamt, das Heereszeug- amt im Pfaffental und auch das Wehrbezirks- kommando. Die in Donaueschingen stationier- ten Truppenteile wechselten in der Anfangszeit häufig. Marokkaner sind gefürchtet Als zum Jahresende 1955 Pläne zur möglichen Stationierung marokkanischer Truppen bekannt wurden, stemmten sich Stadt und Landkreis mit vereinten Kräften gegen deren Realisierung. Al- le Bemühungen waren vergeblich: Anfang 1956 übernahm das 4. marokkanische Schützen regi- ment („4. Regiment de tirailleurs marocains“) die Garnison Donau- eschingen. 1960 erhiel- ten die marokkanischen Schützen durch ein wei- te res, aus Reutlingen hier her verlegtes Ma- rokkaner-Regiment Ver- stärkung. Die Tirailleurs marocains gehörten zu den französischen Kolo- nialtruppen, die sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg zum Marokkanischer Soldat. 1945 wurde aus der Barbara Kaserne die Caserne Foch. 1948 (Bild) erhielt diese auch einen repräsen- tativen Eingang. Einsatz kamen. Befehligt wurden all diese Trup- pen von französischen Offizieren. Das Verhältnis zwischen Garnison und Bevöl- kerung war jetzt mehr als gespannt. Nicht ohne Grund: Kleinkriminalität und Belästigungen und auch Straftaten aller Art häuften sich. Frauen und Mädchen wagten sich nachts kaum noch auf die Straße. Unter diesen Gegebenheiten war die Gar- nison für die Stadt eine schwere Last und ins- gesamt ein „ungeliebtes Kind“. Es verwundert deshalb nicht, dass die Stadt die Pläne für den Neubau der Wohnungen am Hindenburgring mit der bekundeten Befürchtung ablehnte, dass dann noch mehr „farbige“ Truppenteile nach Do- naueschingen verlegt werden könnten, was 1960 dann auch der Fall war. Als 1962 gar eine neue Kaserne im Pfaffental für 300 weitere Soldaten geplant wurde, lehnte die Stadt diese Planung mit dem Hinweis ab, dass für Donaueschingen drei Kasernen ausreichend seien. Im Gegensatz zur Ablehnung des Wohnungsbaus war die Stadt mit der Ablehnung dieses Projekts am Schluss sogar erfolgreich. Zu vermuten ist aber, dass das Vorhaben nicht wegen der Proteste der Stadt, sondern aus ganz anderen Gründen letztlich nicht verwirklicht wurde. 161


Garnisonsstadt Donaueschingen 162 Oben: Oberbürgermeister a. D. Dr. Bernhard Everke, Bürgermeister Bernhard Kaiser und Oberbürgermeis- ter Thorsten Frei mit dem Standortältesten Colonel Eric Natta und Frau Natta. Mitte oben: Aufmarsch zum feierlichen Appell vor dem Schloss aus Anlass des Kommandowechsels beim 110. französischen Infanterieregiment. Mitte unten: Ehemalige Mitglieder der Fremden- legion treffen sich in der Caserne Foch zu einer Ge- denkfeier. Unten: Die deutsch-französische Brigade. Jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Auch in dieser Angelegenheit muss dies wohl so gesehen werden. Die heftige Donaueschinger Abwehrreaktion im Vorfeld der Stationierung marokkanischer Soldaten in der Stadt dürften auf die Erinnerung an ungute Vorfälle mit Sol- daten der französischen Kolonialtruppen am En- de des Zweiten Weltkriegs und vielleicht auch noch auf die Propaganda in nationalsozialisti- scher Zeit gegen die farbigen Truppenteile in der franzö sischen Armee zurückzuführen gewesen sein. Nicht alle Donaueschinger haben die Vorfälle mit marokkanischen Soldaten so dramatisch ge- sehen wie diejenigen, die diese Vorfälle penibel auflisteten. Dies wird aus der Reaktion auf einen im Mai 1960 in einer Donaueschinger Tageszei- tung erschienenen Leserbrief deutlich, in dem die Frage gestellt wurde, ob die Donaueschinger Vereine nicht über Selbsthilfemaßnahmen nach- denken müssten. Führende Repräsentanten der Donaueschinger Vereine haben damals gegen solche Überlegungen klar Stellung bezogen und von unüberlegtem Handeln abgeraten. Trotzdem muss es eine solche Entwicklung gegeben haben. Hauptmann Oliver Ochs, der vermutlich auch Einblick in französische Quel- len hatte, führte in seinem Buch zur Garnison Donaueschingen nämlich aus, dass die Zwi- schenfälle mit marokkanischen Soldaten derart eskalierten, dass sich Bürger der Stadt in Grup- pen zusammenschlossen und regelrecht „Jagd“ auf diese machten. Auch sei es zu zahlreichen


Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich Begrüßungsappell für französische Soldaten aus Anlass der Rückkehr von einem Einsatz in Afrika. Schlägereien gekommen. Teilweise hätten es die marokkanischen Soldaten kaum mehr gewagt, alleine in die Stadt zu gehen. Die jahrelangen gemeinsamen Bemühungen der Stadt und des Donaueschinger Landrats- amtes um den Abzug der französischen Koloni- altruppen hatten schließlich doch Erfolg. Am 30. Juni 1964 wurde das 4. R.T.M. aufgelöst, dessen letzter Kommandeur Colonel P. L. Barthelemy war. Gleichzeitig übernahm das 110. Motorisier- te Infanterieregiment (110. Regiment d’Infanterie Motorisée) die Garnison. Jetzt entwickelten sich zwischen der französischen Garnison und der Donaueschinger Bevölkerung gute Kontakte und ein einvernehmliches Miteinander. Die deutschen Soldaten kehren zurück – Jägerbataillon 292 Donaueschingen Die ersten deutschen Soldaten am Standort Donaueschingen nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten zur Panzerpionierkompanie 550. Die- se Einheit war am Standort Donaueschingen 1990 neu aufgestellt worden. 1992 erfolgte de- ren Verlegung an den Standort Immendingen. 1993 wurde dann das Jägerbataillon 292 aus dem Jägerbataillon 552 in Böblingen und dem Panzergrenadierbataillon 292 in Immendingen gebildet und als Jägerbataillon 292 in Donau- eschingen in Dienst gestellt. Damit begann ein neuer Abschnitt Donaueschinger Garnisonsge- schichte. Beide Truppenteile sind Bestandteil der Deutsch-Französischen Brigade. Heute ist Donaueschingen schon über 20 Jahre Heimat- standort des Jägerbataillons 292. Die Stadt hofft, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Das 110. Infanterieregiment – ein Traditionsverband der französischen Armee Einer der Kommandeure, Colonel Pierre Mignot, hat 1987 die Geschichte des 110. Infanterieregi- ments schreiben lassen, die über 300 Jahre zu- rückreicht und die Geschichte aller französischen Einheiten mit der Regimentsnummer 110 um- fasst. Nach Jean-Luc Mordefroid, dem Verfasser des Buches, kämpften die ersten Regimenter mit dieser Nummer schon im Spanischen Erbfolge- krieg; ebenfalls im amerikanischen Unabhän- gigkeitskrieg gegen England und das Regiment „Port-au-Prince“ in der ehemaligen Kolonie Saint-Domingue, dem späteren Haiti. Nach der Französischen Revolution kämpfte das Regiment im Bürgerkrieg auf Seiten der Re- 163


Garnisonsstadt Donaueschingen Empfang in den Donauhallen anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Das Foto zeigt v. links Generalkonsul Charbonnier, Colonel Wallerand de Madre, Donaueschingens Oberbürgermeister Thorsten Frei und Brigadegeneral Gert-Johannes Hagemann. volutionsregierung. Am Sieg in der Schlacht bei Fleurus, eine Gemeinde in der belgischen Provinz Hennegau, gegen die Österreicher war das Re- giment direkt beteiligt. Der Gedenktag an diese siegreiche Schlacht feierten die Donaueschinger Franzosen jährlich mit dem Regimentsfest, das mit dem Namen von Fleurus verbunden wurde. Im Ersten Weltkrieg war das Regiment in den Schlachten von Verdun, an der Somme und in Flan- dern eingesetzt; im Zweiten Weltkrieg im Raum Chastre. Von 1955 bis 1961 kam es im Algerienkrieg zum Einsatz. Seit 1964 war dieser Truppenteil der französischen Armee in Donau eschingen statio- niert. Vor Donaueschingen hatte es viele andere Standorte. Über einen längeren Zeitraum hinweg war dies Dunkerque an der Kanalküste. Ein Erfolg auf Zeit Mit der Einbeziehung des 110. Infanterieregi- ments in die am 2. Oktober 1989 offiziell aufge- stellten Deutsch-Französischen-Brigade hatte dieses und damit der Standort Donaueschingen 164 gewissermaßen eine Lebensversicherung, mein- ten die Donaueschinger und auch der damalige Donaueschinger Bürgermeister Dr. Bernhard Everke. War diese doch Wegbereiter einer ge- meinsamen europäischen Verteidigung. Dass die Deutsch-Französische Brigade trotz- dem nicht unantastbar war, musste dann Ever- kes Nachfolger Thorsten Frei erfahren: 2008 hatte der französische Staatspräsident die fes- te Absicht, diese den finanziellen Notwendig- keiten zu opfern. In Donaueschingen schrillten nicht nur die Alarmglocken, es liefen auch die Telefonverbindungen und die PC-Drucker heiß. Thorsten Frei kontaktierte die Bundeskanzlerin und sprach sogar beim französischen Verteidi- gungsstaatssekretär in Paris vor. Er hatte Erfolg: Dr. Franz Josef Jung, damals Bundesminister der Verteidigung, ließ in der Pressemitteilung seines Ministeriums vom 7. Februar 2009 diesen Erfolg verkünden. Während der 45. Münchner Sicher- heitskonferenz hatten Angela Merkel und Nico- las Sarkozy mit der Stationierung einer Bundes- wehreinheit in der Nähe von Straßburg die Zau- berformel für den Fortbestand der Deutsch-Fran-


Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich Zum feierlichen Gelöbnis der Deutsch-Französischen Brigade kam am 9. September 2009 Bundesverteidigungs- minister Franz Josef Jung nach Donaueschingen. Minister Jung schreitet hier zusammen mit dem Bataillons- kommandeur und Oberbürgermeister Thorsten Frei die Front ab. zösischen Brigade gefunden. Als Gegenleistung beließ Frank reich das 110. Infanterieregiment in Donaueschingen. Nach heutigem Kenntnisstand war dies allerdings nur ein Erfolg auf Zeit. Abschied und Neubeginn Für die deutschen und die französischen Do- naueschinger waren es bewegende Stunden, als sie im Juni 2014 voneinander Abschied neh- men mussten. Dies zuerst am Sonntag, 22. Juni 2014, mit einem Gottesdienst in der Stadtkirche St. Johann, in dem auch der im Dienst und im Auslands einsatz verstorbenen und gefallenen Soldaten gedacht wurde. Am Montag, 23. Juni 2014, trug sich beim Empfang im Rathaus der Chef des scheidenden Truppenteils, Colonel Olivier Waché, ins Golde- ne Buch der Stadt ein. Danach sahen die Donau- eschinger und die zahlreichen auswärtigen Gäs- te die Parade des scheidenden Regiments von der Kaserne durch die Stadt zu den Donauhallen mit der Militärkapelle Musique de la 9ème Briga- de d’infanterie de Marine und der bretonischen Formation Sonnerie du Bagad. Auf dem Platz vor den Donauhallen verabschiedet sich das Regi- ment von der Standortgemeinde mit einem fei- erlichen Appell. Beim Empfang der Stadt für Soldaten und Gäste im Bartók Saal der Donauhallen gab es An- sprachen von Oberbürgermeister Erik Pauly und Colonel Waché mit gegenseitigen Dankadressen für das fünfzig Jahre dauernde gute Miteinan- der am Standort Donaueschingen. „Es geht nicht nur um das Finanzielle und das Militärische, ein wichtiges Stück deutsch-französischer Freund- schaft geht zu Ende“, betonte OB Erik Pauly. Der rein militärische Schlusspunkt wurde am Dienstag, 24. Juni 2014, mit dem offiziellen Auflö- sungsappell in der Foch-Kaserne gesetzt. Damit fand die 242 Jahre dauernde Tradition des 110. Infanterieregiments ein Ende. Es hätte auch ganz anders sein können. Am 1. Juli hätten Regiment und Stadt nämlich ge- meinsam das 50-jährige Jubiläum der Anwesen- heit in Donaueschingen feiern können – als Fest der Freude und ein Fest unter Freunden. 165


Garnisonsstadt Donaueschingen „Unser letzter Gruß gilt der Stadt und dem Jägerbataillon 292 – unserer Stadt und unserem Schwesterbatail- lon,“ sagt der letzte französische Colonel in Donaueschingen, Olivier Waché (links), der hier beim Abschieds- appell Oberbürgermeister Erik Pauly das Wappen seines nun aufgelösten Regiments überreicht. Erik Pauly: „Als Soldaten, als Touristen, als Menschen sind Sie uns jederzeit mit ganz offenen Armen willkommen.“ Erste Schritte in Richtung Konversion Die Schockstarre nach der Auflösung des fran- zösischen Teils der Garnison Donaueschingen hat bei den politisch Verantwortlichen nur kurz angehalten. Schon bald unternahm die Stadtpo- litik ihre ersten Schritte in Richtung Konversion. Die von der Stadt nun zu lösende Aufgabe ist ge- waltig: Die vom französischen Militär zwischen der Villinger- und Friedhofstraße genutzte Flä- che umfasst rund 15 Hektar. Darauf stehen 49 Gebäude – 19 Funktionsgebäude und 30 Wohn- häuser mit rund 160 Wohnungen. Hinzu kom- men noch weitere 90 Wohnungen außerhalb des Konversionsgeländes. Ideen zur künftigen Nutzung gibt es schon viele, und die Bereitschaft der Donaueschinger, sich in die Zukunftsüberlegungen für ihre Stadt einzubringen ist groß. Von der Möglichkeit, in der „Zukunftswerkstatt Konversion“ mitzuarbeiten, wurde jedenfalls ausgiebig Gebrauch gemacht. Es ist ein guter Anfang gemacht, und es wird jetzt Hauptaufgabe von Gemeinderat und Ver- 166 Abschiedsempfang im Donaueschinger Bürgersaal. Landrat Sven Hinterseh im Gespräch mit Dr. Bern- hard Everke, OB im Ruhestand. waltung sein, aus dem großen Berg der Ideen, die „Edelsteine“ herauszusieben, deren weitere Bearbeitung sich lohnt.


Schwarzwald und Baar verlieren ein Stück Frankreich Der Auflösungsappell in der Foch- Kaserne setzte am 24. Juni 2014 den Schlusspunkt in der Geschichte des 110. Infante rieregiments. 167


Garnisonsstadt Donaueschingen 168 Es war ein schmerzhafter Abschied unter Freunden. Beim Abschiedsappell am 23. Juni 2014 wehte die Fahne des 110. Infanterieregiments ein letztes Mal bei einer öffentlichen Veranstaltung. Fast hätten das Regiment und die Donau eschinger noch das 50-jäh- rige Bestehen ihrer Freundschaft feiern können, am 1. Juli 2014 wäre es soweit gewesen, wie die T-Shirts auf dem Foto links dokumentieren. Doch das 750 Soldaten starke Regiment wurde nach fast 250 Jah- ren Existenz aufgelöst. Die Bildfolge zeigt die Abschiedsparade durch die Stadt Donaueschingen, verfolgt von mehreren hundert Einwohnern. Vor dem Rathaus spielte aus diesem Anlass ein letztes Mal die französische Militärkapelle. Voll besetzt war die Donauhalle beim abschließenden Festakt. Oberbürgermeister Erik Pauly betonte: „Aus meiner Sicht war es eine falsche Ent- scheidung“. Für diese klaren Worte erhielt er sponta- nen Beifall von allen Seiten.


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8. Kapitel Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Wie ein Kulturdenkmal nach 23.000 Arbeitsstunden in neuem Glanz erstrahlt Historische Narrozunft Villingen sanierte und baute die Historische Zehntscheuer um – Ein Kraftakt der besonderen Art von Dieter Wacker Wenn Peter die Säge ansetzte, Anselm den Hammer schwang, Michael den Bohrer kreischen ließ und Timo die Schrauben drehte – dann war Arbeitseinsatz in der Zehnt- scheuer. Sechseinhalb Jahre lang trafen sich fast jeden Dienstag und Donnerstag frei- willige Helfer der Historischen Narrozunft Villingen, um in dem alten Gemäuer an der Ecke Turmgasse/Rietgasse im Urvillinger Rietviertel zu werkeln. Zudem war eine ganze Reihe von Handwerksbetrieben aktiv, denn nicht alle Arbeiten konnten oder durften die ehrenamtlichen Arbeiter selbst machen. Insgesamt waren, so zeigt die akribische Auflis- tung von Zunftmeister Joachim Wöhrle, die ganzen Jahre über 158 Freiwillige im Einsatz. Dabei wurde die schier unglaubliche Zahl von fast 23.000 Arbeitsstunden geleistet. Eine bis dahin in der Historischen Narrozunft Vil- lingen nie gekannte grandiose Leistung. Dass sich der Kraftakt am Ende gelohnt hat, ist bei allen Beteiligten unstrittig. Schließlich wurde mit der umgebauten und grundsanierten Zehntscheuer mitten im Herzen des historischen Villingen ein wahres Schmuckstück geschaffen. Darauf wie- sen auch alle hin, die Ende Oktober an der festli- chen Eröffnung des Hauses teilnahmen. Eindeutiges Votum für den Kauf Nach umfangreichen internen Diskussionen und Abwägungsprozessen kaufte die Historische Narro zunft Villingen, ein dem jahrhundertealten überlieferten Fastnachtsbrauchtum in der Zäh- ringerstadt verpflichteter Verein, im März 2008 das denkmalgeschützte Gebäude. Nicht ohne vorher die fast 4.200 Mitglieder auf einer eigens einberufenen Versammlung befragt zu haben. Und das Votum der Mitglieder war eindeutig pro Kauf. Ein alteingesessener Villinger, schon im- 170 mer der Narrozunft und der historischen Fasnet eng verbunden, war Besitzer des mächtigen und markanten Hauses im Riet. Für eine private oder gar wohnliche Nutzung war das Gebäude nicht geeignet. Die Sanierungsaufwendungen, vor al- lem auch unter den denkmalschützerischen Vor- gaben, für einen kommerziellen Investor völlig unattraktiv. Und so stand der Bau nach dem Auszug einer Weiterbildungseinrichtung mehr oder weniger ungenutzt da. Für 250.000 Euro überließ der Ei- gentümer die Zehntscheuer zu einem „Schnäpp- chenpreis“ der Historischen Narrozunft. Diese konnte zwischenzeitlich einen soliden Finanzie- rungsplan für Kauf und Umgestaltung vorlegen. In dessen Folge wurden bis zur Fertigstellung im Oktober 2014 zu der Kaufsumme nochmals Nach 23.000 freiwilligen Arbeitsstunden und sechs- einhalbjähriger Sanierung konnte die Historische Narrozunft im Oktober 2014 die Zehntscheuer als Zunfthaus in Betrieb nehmen.


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Geschichte 158 freiwillige Helfer waren bei der Sanierung der Zehntscheuer im Einsatz. 450.000 Euro investiert. Die waren auch notwen- dig, um den Bau zu dem zu machen, was er heute darstellt: ein städtebauliches Juwel. Viel Geld verschlangen vor allem die ganzen sicherheitsrelevanten Maßnahmen. Schließlich soll die Zehntscheuer künftig nicht nur als Zunft- haus, sondern vor allem auch als Begegnungs- stätte für die Menschen dienen. Dazu sah sich die Narrozunft Villingen aufgrund der Bedeutung des Hauses verpflichtet. Die Zehntscheuer ist eines der wichtigsten historischen Kulturdenk- mäler nicht nur in der Stadt Villingen-Schwen- ningen, sondern in der gesamten Region. Und ge- rade deshalb genoss bei den Umbauarbeiten der Denkmalschutz absolute Priorität. Das Landes- denkmalamt und die untere Denkmalschutzbe- hörde waren von Beginn an in das Projekt invol- viert. Nachdem über das Gebäude relativ wenig bekannt war, gab die Narrozunft bei Burghard Lohrum, einem der namhaftesten Bauforscher, ein baugeschichtliches Gutachten in Auftrag. Dieses brachte doch einiges Licht ins historische Dunkel der Zehntscheuer. Gebäude diente der Uni Freiburg seit dem 15. Jahrhundert als Zehntscheuer Was das Haus besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass es seit dem 15. Jahrhundert der Universität Freiburg als Zehntscheuer dien- te. Vermutlich zu diesem Zweck wurde es ausge- baut und ein bereits damals bestehender turm- artiger Wohnbau integriert. Dieser, noch aus dem 13. Jahrhundert stammende Kernbau, lässt sich – trotz mehrfacher moderner Umnutzungen – heute noch leicht von innen und außen iden- tifizieren. Auffallend hier vor allem die dicken Die historische Zehntscheuer – Fotografie aus den 1950er Jahren. 172


x Mustergültig in Eigenregie saniert – nahezu alle Bauarbeiten leistete die Narrozunft selbst. Mauern und Rundbogeneingänge. Weshalb die Universität Freiburg gerade in Villingen ihre Zehntscheuer errichtete, ist hoch spannend, hat aber zugleich einen sehr lokalen Hintergrund. Der Gründer der Universität in der Breisgaume- tro pole stammte nämlich aus Villingen und lebte hier als angesehener Bürger. Er hieß Matthäus Hummel. Und als er im Jahre 1460 die Hochschu- le im nahen Freiburg ins Leben rief, war er auch deren ersten Rektor. Vermutlich aus Respekt und Dankbarkeit vor der großen Leistung des Sohnes der Stadt gab Villingen die Hälfte des eigenen Korn-Zehnten an die Universität Freiburg ab. Das Getreide wurde in der Zehntscheuer gelagert. 1595 zog während der Pestzeit die gesamte Uni- versität von Freiburg nach Villingen um und hielt hier für einige Jahre den Lehrbetrieb aufrecht. 1494 wird übrigens in einem Dokument in Villingen erstmals das Wort Fastnacht erwähnt, wodurch sich – historisch gesehen – mit dem Erwerb der Zehntscheuer durch die Historische Narrozunft irgendwie der Kreis schließt. Der Voll- ständigkeit halber: 1850 folgt die Zehntablösung, was bedeutet, die Abführung des Korn-Zehnten an die Universität Freiburg wird eingestellt. Damit verliert die Zehntscheuer nach fast 400 Jahren auch ihre entsprechende Bedeutung. Zunächst wird sie als Lagerhalle für diverse landwirtschaft- liche Produkte verwendet. Danach schließt sich eine lange Zeit der unterschiedlichsten Nutzun- gen an, bis zum Kauf durch die Historische Nar- rozunft 2008. Hohe Spendenbereitschaft Was folgte, war eine aufwändige und umfassen- de Sanierung des Gebäudes. Motor und Triebfe- der des Projektes: Joachim Wöhrle, der dynami- sche Zunftmeister des Narrenvereins. Er war sich allerdings von Anfang an der Tatsache bewusst, dass die Umsetzung dieses Jahrhundertwerkes nur durch die tatkräftige Unterstützung seiner Rats(Vorstands-)kollegen und der Mitglieder mög lich ist. Als unverzichtbar galt zudem eine hohe Spendenbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger sowie der heimischen und regionalen Wirtschaft. Dass am Ende alle gemeinsam an einem Strang zogen und sich damit die notwendigen Faktoren zu einem Ganzen fügten, das war einzig und alleine das Erfolgsgeheimnis. Zu der extrem hohen Arbeitsleistung der freiwilligen Helfer und der großzügigen Unterstützung durch das heimi sche Handwerk kam eine Spendensumme, die weit jenseits der 100.000 Euro-Grenze liegt. Geld in die Kasse brachte zudem eine Baustei- neaktion, um die sich viele Spender geradezu ris- sen. Diverse Benefizveranstaltungen, z.B. gleich zweimal mit Fastnachtsgrößen vom Bodensee bis Freiburg, mit den Villinger Kneipenfasnet- gruppen, mit der Stadt- und Bürgerwehrmusik, der Villinger Kultgesangsgruppe „Spittelsänger“ oder mit lokalen Comedy- und Bühnenfastnach- tern, taten dem Baukonto sehr gut. Prominente wie der ehemalige Ministerpräsident des Lan- 173


Geschichte Die Zehntscheuer dient als zentrales Haus der Zunft – als Zunftkammer, Archiv und Begegnungsstätte. des, Erwin Teufel, traten als Botschafter für das Zehntscheuerprojekt auf. Als Lohn für die Kraftanstrengung erhielt die Historische Narrozunft 2009 den baden-würt- tembergischen Ehrenamtspreis „Echt gut“. Un- ter 300 Angeboten im Bereich Sport und Kultur würdigte eine Fachjury das Zehntscheuer-En- gagement der Villinger Zünftler mit dem ersten Platz. Auch beim großen Vereinswettbewerb der Sparkasse Schwarzwald-Baar ging die Zunft mit der Zehntscheuer als Sieger hervor. Zentrales Haus der Zunft Die Zehntscheuer dient nun nach ihrer Fertig- stellung in erster Linie der Zunft als neues zen- trales Haus. Waren bisher die Zunftstube als Vereinsgaststätte, Kleiderkammer und Archiv in verschiedenen Gebäuden in der Stadt unterge- bracht, ist jetzt alles unter einem Dach vereint. Das Haus soll aber auch als Treffpunkt für Bürge- rinnen und Bürger aus der Stadt und der Region dienen. Geplant sind Kleinkunst-Veranstaltungs- reihen oder Kunstaustellungen. Im Erdgeschoss ist die neue, deutlich größere Zunftstube mit zwei Räumen untergebracht, die freitags und samstags nicht nur für Vereinsmitglieder da ist. Willkommen sind alle Gäste. Im 2. Obergeschoss gibt es einen zentralen Veranstaltungssaal mit Foyer und Theke, der bis zu 100 Besuchern Platz bietet. Hier finden vereinsinterne wie öffentli- che Events statt. Der Raum kann auch für pri- vate Feiern angemietet werden. Für Zunftstube und Veranstaltungsraum stehen entsprechende Küchenkapazitäten zur Verfügung. Im 1. Dachge- schoss fanden die Zunftkammer mit ihrem Fun- dus an Narrenhäsern, Schemen (Masken), Narro- rollen und diversen weiteren Utensilien und das zunfteigene Archiv neue Unterkünfte. Daneben gibt es im 1. Obergeschoss Räumlichkeiten für Gruppensitzungen, die Schesensammlung (alte 174


x Die Geschichte der Villinger Fastnacht hat in der Zehntscheuer gleichfalls eine Heimat gefunden. Kinderwagen) und Büros, das 2. und 3. Dachge- schoss verfügt über große Speicherkapazitäten. Knapp 1.000 qm Nutzfläche geschaffen All das wurde unter der Bauleitung des Villinger Architekten Peter Ettwein realisiert. Die größte Herausforderung lag sicher darin, einen hohen Qualitätsstandard und eine farbliche Abstim- mung der Bauteile wie Geländer, Treppenstufen, Bodenbeläge usw. zu erreichen. Wichtig war den Verantwortlichen, die exponierten alten Bau- teile, wie sichtbare Deckenbalken, Holzstützen oder Putzflächen, entsprechend zu präsentieren, diese aber auch mit modernen Elementen wie Stahl harmonisch zu verbinden. Dabei mussten jedoch immer die finanziellen Möglichkeiten des Vereins berücksichtigt werden. Als markante Bauaktivitäten gelten der Ein- bau einer Horizontalsperre gegen aufsteigende Feucht igkeit in Bruchsteinwänden, die Verbesse- rung der Statik – so musste ein tonnenschwerer Stahlträger eingezogen werden –, der Einbau eines Kleinlastenaufzuges unter Berücksichti- gung der denkmalpflegerischen Belange sowie die Installation einer Fußbodenheizung im Erd- geschoss. Aufgrund der öffentlichen Nutzung des Ge- bäudes wurde es mit den modernsten sicherheits- technischen Anlagen ausgestattet. Insgesamt stehen der Historischen Narrozunft in dem Haus knapp 1.000 qm Nutzfläche zur Verfügung. Dass der Traum Zehntscheuer für die Zunft Realität werden konnte, dafür gibt es für Zunftmeister Jo- achim Wöhrle im Rückblick eine höchst treffliche Beschreibung: „Man muss einfach manchmal ein paar verrückte Ideen haben, um etwas Vernünf- tiges zustande zu bringen.“ Panorama-Fotografie des Zunftmuseums. 175


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Karl Albrecht – ein Glücksfall für Donaueschingen Karl Albrecht, zum Zeitpunkt seines Todes mit einem Vermögen von über 18 Mrd. Euro der reichste Mann Deutschlands, hatte einen besonderen Bezug zu Donau­ eschingen. Dort baut er am Beginn der 1970er Jahre ein Auslieferungslager für Aldi Süd. Dann 1976 weiter das Hotel Öschberghof mit Golfanlage und schließlich auf dem großzügigen Areal ein eigenes Ferienhaus. Auf dem Golfplatz war der Milli­ ardär bis ins hohe Alter beim Golfen anzutreffen – auch beim Kirchgang in Aasen. Dass sich Karl Albrecht in Donaueschingen finanziell stark engagierte, geriet für die Region zu einem großartigen Glücksfall. Aldi-Mitgründer Karl Albrecht – ein großer Förderer des Standortes Donaueschingen. 176


„Und wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.“ Auch das Online-Le- xikon Wikipedia weiß nicht, wem wir diese Zu- versicht spendende Weisheit eines Ano nymus verdanken. Tatsächlich erleben immer wieder Menschen, dass sich selbst in scheinbar tiefster Tristesse doch wieder eine Tür öffnet, sich eine neue Perspektiven vermittelt oder gar Rettung signalisiert wird. Doch wird ein solches Ereignis auch einer Stadt zuteil? Kann gar einer allein Ho- rizont und Hoffnung liefern gerade dann, wenn dieser Stadt „die Lichter auszugehen drohen“? Ja, Donaueschingen hat das so erlebt – dank Karl Albrecht. Der Unternehmer fand den Weg auf die Baar exakt in jener Zeit, als die Große Koalition Filbinger/Krause vor fast 45 Jahren mit ihrer ab- soluten Dominanz im Stuttgarter Landtag die baden-württembergische Kreisreform durch- setzte. Im Vollzug des „ersten Gesetzes zur Ver- waltungsreform (Kreisreformgesetz)“ vom 26. Juli 1971 gliederten zum 1. Januar 1973 CDU und SPD 28 kleine Landkreise in neu zugeschnitte- ne 35 große ein. Das kostete fast die Hälfte der bis dahin 63 Kreisstädte im Land ihren Status – darunter Donaueschingen. Aber in Südbaden auch Kehl, Lahr, Müllheim, Neustadt, Säckingen, Stockach und Wolfach. Der Verlust des Landkreises erfordert die Suche nach neuen Perspektiven Selbst die traditionell guten „Drähte“ des Do- naueschinger Fürstenhauses zu den Stuttgarter CDU-Ministerpräsidenten vermochten das Aus für den Landkreis Donaueschingen nicht abzu- wenden, obwohl er erst 34 Jahre zuvor aus dem „Bezirksamt Donaueschingen“ entstanden war. Allerdings zerfiel auch der anfangs flächende- ckende Protest von Gütenbach bis Möhringen, von Hammereisenbach bis Epfenhofen und von Öfingen bis Unadingen gegen die Auflösung. Das Obere Bregtal um Furtwangen fand sich mit dem Stuttgarter Diktat ab und orientierte sich rasch Richtung Villingen-Schwenningen. Und an der jungen Donau blickten Geisingen, Immendingen und Möhringen ebenso flugs nach Tuttlingen. Karl Albrecht – ein Glücksfall für Donaueschingen „Sehr viel Glück gehabt“ Karl Albrecht (1920-2014) und sein jüngerer Bruder Theo (1922-2010) sind im Essener Ar- beiterviertel Schonnebeck aufgewachsen. Der Vater war gelernter Bäcker, Karl Albrecht sen. macht sich 1913 als Brothändler selbstständig – seine Frau Anna eröffnet unter dem Namen ihres Mannes einen kleinen Tante-Emma-La- den. Auf den Besuch der Volksschule folgt eine Lehre als Verkäufer. 1939 nimmt Karl Albrecht am Russland-Feldzug teil und wird an der Ost- front verwundet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernimmt er mit Bruder Theo 1945 das elterliche Lebensmittelgeschäft und gründet mit ihm die Albrecht KG. Es beginnt eine beispiellose Erfolgsge- schichte: 1961 trennen die Brüder Aldi in zwei Teile nördlich und südlich der Ruhr. Karl Alb- recht übernimmt Aldi Süd, Theo Albrecht Al- di Nord. Den ersten Aldi-Markt eröffnen die Brüder 1962 in Dortmund – den Namen Aldi leiteten sie von „Albrecht-Diskont“ ab. Karl Albrecht lebte sehr zurückgezogen und bescheiden. Neben dem Golfsport wird ihm als Hobby das Züchten von Orchideen zugeschrieben. Kurz vor seinem Tode gab er der Frank- furter Allgemeinen Zeitung sein bislang ein- ziges Interview, in dem er unterstreicht: „Ich habe sehr viel Glück gehabt“. Und dass es sein Antrieb gewesen sei, auch Kunden mit sehr begrenztem Einkommen den Kauf guter Le- bensmittel zu ermöglichen. Das Vermögen seiner Unternehmensgrup- pe ALDI SÜD kontrollieren zwei Stiftungen. Als „harter Kern“, der bis zuletzt für den Fortbestand des Landkreises Donaueschingen kämpfte und am 31. Dezember 1972 mit Wehmut von ihm Abschied nahm, erwies sich schließlich nur das Städteviereck in der Mitte und im Süden: Blumberg, Bräunlingen, Donaueschingen und Hüfingen. Auch hier sah man sich prosperieren- 177


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte der Zukunftshoffnungen beraubt, während sich die „Hauptstädte“ der neuen Großkreise ihrer wachsenden Bedeutung erfreuten. Was neben vielen anderen Stadtoberhäup- tern auch den damals seit fast 20 Jahren am- tierenden, parteilosen Donaueschinger Bürger- meister Robert Schrempp verdross: nun nicht mehr Oberhaupt einer Kreisstadt zu sein und das Landratsamt brigachaufwärts in das nun vier Mal so große und gleich zum Oberzentrum ge- liftete Villingen-Schwenningen unwiderruflich entschwinden zu sehen. Erst 20 Jahre später und erst unter seinem Nachfolger Dr. Bernhard Everke überschritt Donaueschingen die 20.000-Einwoh- ner-Marke und wurde so zum 1. Juli 1993 wenigs- tens wieder Große Kreisstadt. Aldi sucht Standort für ein Auslieferungs lager im Süden Baden-Württembergs Nicht nur das Licht der eingangs zitierten Weis- heit, sondern gleich ein ganzer Scheinwerfer kam für das durch den Verlust an politischem Gewicht und am Status als Behördenstadt tief deprimier- te Donaueschingen exakt in jener Zeit aus Mül- heim an der Ruhr: aus der Firmenzentrale von Aldi-Süd, des mit seinem Marktkonzept höchst erfolgreichen und deshalb rasch wachsenden Discount-Konzerns. Mit der Bereitschaft seines Eigners Karl Albrecht zu einem Millionen-Invest- ment, das nicht nur den Kommunalpolitikern damals fast wie ein Wunder erschien. Doch Al- di-Süd verfuhr für die Belieferung seiner auch in Baden-Württemberg rapide zunehmenden Zahl von Läden jedes Jahr Millionen von Kilometern, weil der Firma südlich seiner Dependance in Ketsch bei Mannheim ein leistungsfähiges Aus- lieferungslager fehlte. Karl Albrecht, Bruder seines 2010 verstorbe- nen Firmenmitgründers und Aldi-Nord-Chefs Theo Albrecht, suchte deshalb zu Beginn der siebziger Jahre nach einem geeigneten Stand mit zentraler Verkehrslage im Süden des Mus- terländles. Als man in mehreren Städten erst noch über ein Angebot an Albrecht nachdachte, han- delte Donaueschingen bereits. Bürgermeister 178 Schrempp informierte den Gemeinderat nichtöf- fentlich davon, dass die Aldi-Pläne doch gerade für seine Stadt am Schnittpunkt von gleich drei Bundesstraßen eine verkehrsgünstige Chance sein müssten. Und FDP/FWV-Jungstadtrat Hans- jürgen Bühler regte umgehend an, Karl Albrecht in Mülheim zu besuchen. Hansjürgen Bühler: „Die Chemie zwischen ihm und uns stimmte sofort.“ Eine Idee, die Schrempp sofort akzeptierte – in der vagen Hoffnung, der zurückhaltende Mil- liardär würde die Donaueschinger überhaupt empfangen. Doch die Zusage kam sofort und so machten sich Schrempp, Bühler und die wie Schrempp inzwischen ebenfalls verstorbenen Stadträte Manfred Eppel (SPD) und Otto Moser (CDU) noch 1971 auf den Weg ins Ruhrgebiet. Wo sie von Karl Albrecht sofort beeindruckt waren: „Ein zurückhaltender, netter Mann, kein Mana- gertyp“, wie sich der heutige Donaueschinger Ehrenbürger Hansjürgen Bühler an den Auftakt der Gespräche erinnert: „Die Chemie zwischen ihm und uns stimmte sofort.“ Den Aldi-Süd- Chef beeindruckte, auf wie kurzen Wegen er von Donaueschingen aus seine Läden tief im Süden beliefern könnte. Und dass sich bis dahin keine andere Stadt mit der Präsenz einer eigenen De- legation in seinem Haus so intensiv ums Aldi-En- gagement bemüht hatte. Karl Albrecht besucht Donaueschingen Karl Albrecht, damals knapp 50, kam nach Do- naueschingen, inspizierte und akzeptierte das ihm fürs Auslieferungslager angebotene große Areal an der Straße nach Pfohren unmittelbar an der heutigen B 27/33-Stadtumfahrung. Dort be- schäftigt die Aldi-Süd-Regionalgesellschaft Do- naueschingen inzwischen 200 Menschen – 160 in der Logistik und 40 in der Verwaltung. Vom mittlerweile mehr als 35.000 Quadratmeter großen Auslieferungslager, das noch 2014 um weitere 9.000 Quadratmeter Nutzfläche erwei- tert werden soll, beliefert Aldi nach Angaben


Karl Albrecht – ein Glücksfall für Donaueschingen Das Aldi-Auslieferungslager in Donaueschingen. Das 35.000 Quadratmeter große Lager bietet heute 200 Arbeitsplätze. seiner Firmenzentrale in Mülheim seine Läden zwischen Rottenburg im Norden, Mengen und Friedrichshafen im Osten, Gailingen und Laufen- burg im Süden und Titisee-Neustadt im Westen ständig mit mehr als 1.000 Standard-Artikeln (Trockensortiment, Kühl- und Tiefkühlware), mit den wöchentlichen Aktionsartikeln und mit dem Frischesortiment, das Obst und Gemüse, Brot und Kuchen und die sogenannten Bake-off-Zu- taten umfasst. Im Guten gelöst wurde damals Karl Albrechts Anliegen, möglichst wenig mit Lärm belästigt zu werden. Sorgen machte dem Unternehmer vor allem das Ziel der Landesregierung, der aus den Landkreisen Schwarzwald-Baar, Rottweil und Tuttlingen neugeschaffenen Region Schwarz- wald-Baar-Heuberg vor allem im Interesse des Oberzentrums Villingen-Schwenningen zu ei- nem Regionalflughafen mit einer B-737-fähigen 2.000-Meter-Piste zu verhelfen. Dafür bot sich aus der Perspektive des Landesentwicklungspla- nes der Verkehrslandeplatz Donaueschingen an, auch wenn dessen Bahn damals erst 800 Meter lang war. Die Sorge vor Fluglärm teilten viele „Eschin- ger“ mit Karl Albrecht – doch die Stadt konnte ihm nur zusagen, gegen den Ausbau zu kämp- fen. Dass sie den Ausbau verhindern werde, lag nicht in ihrer Hand – ist sie doch neben der Stadt Villingen-Schwenningen, den Landkreisen Schwarzwald-Baar und Tuttlingen, dem Fürsten- haus und der Industrie- und Handelskammer nur einer der sechs Partner in der Flugplatz-GmbH. Karl Albrecht stimmte wie Ende der siebziger Jahre schließlich auch die Mehrheit des damals CDU-beherrschten Gemeinderates einem soge- nannten Sicherheitsausbau zu, in dessen Vollzug 179


Karl Albrecht – ein Glücksfall für Donaueschingen die Piste nur um 490 Meter verlängert und um 10 auf 30 Meter verbreitert wurde. Der „Öschberghof“ entsteht Ein Golfplatz am „Aasener Kapf“ Als er sich schon für Donaueschingen entschie- den hatte, verriet Karl Albrecht seinen Gastge- bern en passant, er sei passionierter Golfer. Und „wenn er sich das mal leisten“ (!) könne, stapelte der Begüterte damals tief, sei es durchaus denk- bar, dass er sich irgendwann auch einen Golf- platz baue. Auch da konnte ihm, aufs Neue be- glückt, das Donaueschinger Rathaus umgehend helfen: mit Areal-Angeboten am Schellenberg, am Flugplatz und an jenem „Aasener Kapf“ öst- lich der Kreisstraße zum Stadtteil Aasen, an dem sich der Aldi-Süd-Eigner dann seinen Herzens- wunsch erfüllte. Weil dort nur ein Teil des Geländes der Stadt gehörte, der Rest aber von Landwirten aus Aasen und Pfohren erworben werden musste, zeigte sich der Investor großzügig: Er zahlte das Dop- pelte des unter den Bauern üblichen Quadratme- terpreises – und im Einzelfall legte er sogar noch was drauf. Und er akzeptierte, dass der Golfplatz nicht als Firmenanlage erschien, sondern zumin- dest zunächst vom Vorstand des Golfclubs ge- führt wurde. So entstand der von Anfang an ambitionierte 18-Loch-Golfplatz auf riesigen 105 (heute sogar 200!) Hektar samt großzügiger Caddyhalle – al- les „eingebettet in die sanften Hügel der Baar“, wie der „Land- und Golfclub Öschberghof“ die Anlage auf seiner Homepage preist. Stadtrat Bühler wandte sich von Anfang an und mit Erfolg gegen Albrechts Vorstellung, den – heute zusätz- lich auch eine 9-Loch-Anlage bietenden – Golf- platz elitär einzuzäunen. Er erreichte, dass man den Golfplatz auf einem offenen Spazierweg um- runden kann, was Spaziergänger ebenso erfreut wie die Jogger. Zehntausende neu gepflanzter Bäume bestücken die nachhaltig konzipierte und sorgsam gepflegte Anlage auf diesem landwirt- schaftlich zuvor nicht sonderlich ergiebigen Are- al, auf der jährlich 50.000 Runden Golf gespielt werden. Nun soll sie auf sogar 36 Loch erweitert werden! 180 Mit dem Golfplatz wurde im Sommer 1976 dann auch Karl Albrechts dritte Großtat als Inves- tor in Donaueschingen eingeweiht – das Hotel „Öschberghof“, heute eines der beiden Vier-Ster- ne-Häuser der Stadt am Donau-Ursprung. Der „Öschberghof“ beherbergt und bekocht freilich längst nicht nur Golfer und Hotelgäste aus al- ler Welt, sondern auch viele Konferenz- und Tagungsteilnehmer. Und jene Fußballstars, die mit ihren Teams zur Saisonvorbereitung samt Testspielen im Anton-Mall-Stadion nach Donau- eschingen kommen. Das Hotel bietet auf drei Etagen in 73 Zim- mern 129 Betten, soll aber wegen der auf 33.000 Übernachtungen je Jahr gestiegenen Frequenz um 45 Zimmer erweitert werden. Streng gesichertes privates Domizil Neben dem Hotel hatte sich Karl Albrecht ein streng gesichertes privates Domizil geschaffen. Gelegentlich golfte er auch im Alter noch selbst. Und manchmal besuchte er in Aasen den Sonn- tagsgottesdienst und setzte sich hernach einfach so zu den Einheimischen an den Stammtisch. Kaiser: „Wichtige Impulse gesetzt“ Bürgermeister Bernhard Kaiser (62) ist auf der rathäuslichen Chefetage seit 1983, also seit 31 Jahren und damit ebenso lang wie der frühere Bürger- und Oberbürgermeister Dr. Bernhard Everke (1973-2004), aufs Engste mit dem Alb- recht- und Aldi-Investment in Donaueschingen befasst und vertraut. Er bilanziert rundweg, Karl Albrecht habe „mit seiner Entscheidung, nach Donaueschingen zu kommen, wichtige Impulse gesetzt“. Nicht nur mit der Handelsniederlassung, sondern „ganz wesentlich und viel augenfälliger mit dem ‚Ösch- berghof‘ samt seinen weitläufigen Golfanlagen und dem Wellnessbereich – eine Anlage, die in weitem Umkreis keine Vergleiche zu scheuen braucht“.


Karl Albrecht – ein Glücksfall für Donaueschingen Der Öschberghof mit Golfplatz sind für die Stadt Donaueschingen ein außerordentlicher Glücksfall. Und Kaiser geht davon aus, dass das Unter- nehmen in „diese für uns außerordentlich wich- tige Infrastruktureinrichtungen“ in absehbarer Zeit erneut investieren wird mit weiteren po- sitiven Auswirkungen auf Donaueschingen als Wirtschaftsstandort“. Wie viel Albrecht damals in Mark und bis heute in Euro in Donaueschingen investiert hat, ist nicht zu erfahren – es wird ein hoher zweistelliger Millionenbetrag sein. Als Karl Albrecht als mutmaßlich reichster Mann Deutschlands am 16. Juli 2014 mit bibli- schen 94 Jahren in Essen starb, gedachte die Stadt Donaueschingen dankbar seines ökonomi- schen Engagements auf der Baar. In der Erinne- rung an diesen leisen und bescheiden lebenden, zusammen mit seinem – 1971 entführten und gegen sieben Millionen Mark freigepressten – Bruder Theo aber kaufmännisch genialen Mann. Und man war sich einmal mehr des Glücksfalls bewusst, den Karl Albrechts Ja zu dem ihm zu- nächst fernen, dann aber bald vertrauten Do- naueschingen vor gut vier Jahrzehnten bedeutet hat und das über seinen Tod hinaus gewiss noch lange bedeuten wird. Gerhard Kiefer (1971 bis 1988 Redaktionsleiter der Badischen Zeitung in Donaueschingen) 181


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100 Jahre Erster Weltkrieg Im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis verlieren über 3.250 Jungen und Männer an der Front ihr Leben Die Kriegserklärung trifft die Bevölkerung am 1. August 1914. Die Furtwanger Stadtchronik erzählt den Ablauf dieses Tages stellvertretend für alle Orte im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis: „Am Samstag nachmittag wurde die Mobilmachung angeordnet, die hier nach 6 Uhr abends bekannt gegeben wurde. Polizeisergeant Kienzler in Begleitung eines Hornisten (Friedolin Scherzinger) und eines Trommlers (Karl Wilhelm) unter Vorantragung einer badischen und einer Reichsfahne vollführte die Bekanntgabe. Auf ihrem Gange durch die Stadt wirbelte der Tambour, bei ihrem Halt gab der Hornist das militärische Signal ‚Geh vor, geh langsam vor‘, worauf Polizeisergeant Kienzler mit schneidender Stimme verkündete: ‚S. M. der Kaiser hat die Mobilmachung befohlen‘.“ Der Erste Weltkrieg ist da, der ca. 3.275 Soldaten aus den damaligen Landkreisen Villingen und Donaueschingen das Leben kosten wird – insgesamt sind es über 17 Mio. Tote. 183 183


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Menschenauflauf in der Oberen Straße in Villingen aus Anlass der Mobilmachung am 1. August 1914. Rechts: Bereit zum Krieg – wenige Tage später ziehen Soldaten durch Triberg. Am Bahnhof warten Züge für den Transport in Frontnähe. Die Geschichte des Ersten Weltkrieges für den Schwarzwald-Baar-Kreis – vielmehr für die frü- heren Landkreise Donaueschingen und Villingen – ist noch nicht geschrieben. Erstmals wurden für die früheren Landkreise durch den Almanach die Kriegstoten insgesamt genauer ermittelt. Auf den Denkmälern und Mahnmalen, die an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges erinnern, verblasst mancherorts bereits die Schrift. Einige Mahnmale wurden bereits im Dritten Reich zur Metallgewinnung für Kriegszwecke wieder ab- gebrochen, so in Vöhrenbach. Die Erinnerung an diesen Krieg ist meist nur noch dort lebendig, wo sie mit Angehörigen oder besonderen Ereignis- sen verknüpft ist. Der Erste Weltkrieg hat in der regionalen Geschichtsschreibung deutlich weniger Spuren hinterlassen, als es für das Dritte Reich der Fall ist. Die Kriegsereignisse sind meist in den Orts- chroniken verarbeitet, nur wenige Städte und Gemeinden haben eine eigene Schrift aufgelegt: 184 Villingen-Schwenningen und das kleine Buchen- berg, wo im Dorfmuseum zudem eine Ausstel- lung präsentiert wird, sind die Ausnahmen. Eine Besonderheit kann Furtwangen vorwei- sen: Maria Grieshaber verheiratete Kremling hat dort einen nicht nur mit Blick auf unsere Regi- on großartigen Bilderschatz zum Alltagsleben in den Weltkriegsjahren hinterlassen (s. S. 190). Weiter ist 2014 eine 50-seitige Sonderbeilage der Tageszeitung SÜDKURIER erschienen, in der ne- ben Historikern auch Enkelinnen und Enkel von Kriegsopfern zu Wort kommen und Interessan- tes über den Krieg im heutigen Schwarzwald- Baar-Kreis nachgelesen werden kann. Und es gibt unzählige private Quellen: Meist Feldpostbriefe, denn im Ersten Weltkrieg konnte erstmals dau- erhaft und zuverlässig über Briefe der Kontakt zu den Angehörigen an der Front und in der Heimat gehalten werden. In vielen Familienalben und Fotoschatullen finden sich außerdem Dutzende von Fotografien: Der Erste Weltkrieg ist der erste Krieg, aus dem es Fotografien gibt. „Eine Woge gewaltiger Begeisterung“ Voller Patriotismus sind die Deutschen in diese Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts gezogen,


100 Jahre Erster Weltkrieg wie es der amerikanische Historiker George F. Kennan formuliert hat. Diese Begeisterung spie- gelt die Reaktion auf die Kriegserklärung wider. Die Tageszeitung „Schwarzwälder“ berichtet am 1. August 1914 über die Ereignisse in Villingen: „Hier in unserer Stadt hatte das Gerücht ‚Mobil‘ natürlich allgemeine Erregung, aber keine Aufre- gung hervorgerufen. Als dann der Kriegszustand bekanntgegeben wurde, ging eine Woge gewal- tiger Begeisterung durch unsere Bevölkerung. Der Marktplatz wies das Leben eines Bienen- schwarms auf, überall wurden die Dinge beim Kaufhaus mit Interesse beobachtet.“ Dennoch kommt es zu Hamsterkäufen und zu einem Ansturm auf die Banken. Wie es in den Herzen der Menschen wirklich aussieht, lässt sich aus den staatstreuen und patriotischen Zeitungsmeldungen dieser Tage eben nicht herauslesen. Über Nacht kommt es zu großen Preis steigerungen, sie strapazieren die Famili- en enorm. In Schwenningen muss das Bürger- meisteramt die Versicherung abgeben, dass die Gemeinde sparkasse auch im Kriege geöffnet bleibt und dass die Gelder dort besser aufgeho- ben seien als zu Hause. Zahlreiche Opfer- und Sammeltage stellten die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung den gan- zen Krieg über immer wieder neu auf eine harte Links: Zur Versorgung der Zivilbevölkerung mit Le- bensmitteln muss auch der Schlossgarten in Donau- eschingen seinen Beitrag leisten. Er wird 1915 teils zu einem Kartoffelacker umfunktioniert. Rechts: Kriegshochzeit in Vöhrenbach und Abschied für immer? Zwei Schwestern mit ihren Männern und Kindern samt Großmutter in Furtwangen. Probe. Die Kriegsführung verschlingt Unsum- men. In einen Kriegsopferstock des Roten Kreu- zes durfte auf dem Marktplatz in Schwenningen jeder Spender einen Nagel einschlagen, einen großen oder kleinen, je nach Höhe seiner Gabe. Bei 6.000 Nägeln kamen 7.000 Mark für den Un- terstützungsfonds für Kriegerwitwen und -wai- sen zusammen. Jeden Sonntag standen Frauen und Kinder mit Sammelbüchsen auf den Straßen. Etwas fürs Vaterland zu geben war eine moralische Pflicht. Für insgesamt 98 Milliarden Mark zeichneten die Deutschen Kriegsanleihen, mit ihnen wurden ca. 60 % der Kriegskosten gedeckt (Quelle: Wi- kipedia). Zig-Millionen Mark stammen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis. Im Falle eines Sieges hätten die Anleger ihr Geld gut verzinst zurück- erhalten, durch die Niederlage war der Einsatz verloren. 185


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Links: Absturz eines deutschen Flugzeuges über dem Villinger Hubenloch. Der Schwarzwald war für die in Böblingen stationierten Flugschüler ein ideales Übungsgelände. Der Unfall ereignete sich bei einem verunglück- ten Landeanflug. Rechts: Mehrfach waren feindliche Flugzeuge über dem Schwarzwald und der Baar im Ein- satz. Am 2. September 1916 fallen Fliegerbomben auf Schwenningen, gerade als im Apollo-Lichtspielhaus in der Bürk straße die Kinovorstellung zu Ende ist. Fünf Bomben beschädigen die Häuser in der Umgebung des Kinos schwer, das Foto rechts zeigt einen der Trichter. Enorm schwierig ist Lage der Industrie. Sie stellt überall quasi über Nacht auf die Produk- tion von Kriegsgütern um: Zünder, Munition, Waffenteile oder ganze Waffen – es wird rund um die Uhr für die Kriegsmaschinerie gearbeitet. Der Verkauf und Export von regulären Waren bricht zusammen. Schwer getroffen ist vor allem die hiesige Uhrenindustrie, die vom Export lebt. Gravierender Mangel an Arbeitskräften Über den Krieg in Villingen und Schwenningen veröffentlicht Barbara Schneider 1998 ein Son- derheft im Rahmen der Reihe „Blätter zur Ge- schichte der Stadt Villingen-Schwenningen“. Was die Autorin beschreibt, trifft so auch auf die anderen Orte im Landkreis zu – überall ist die zi- vile Bevölkerung als „Heimatheer“ eingespannt: „Besonders gravierend wirkte sich der Man- gel an Arbeitskräften auf die Landwirtschaft vor allem in der Erntezeit aus, zumal die Sicherstel- lung der Ernährung der Bevölkerung in hohem 186 Maße vom sachgemäßen Einbringen der Ernte abhing. Aus diesem Grund wurde in Villingen sogar das Sonntagsarbeitsverbot eingeschränkt, damit die Bestellung der Felder und Gärten ohne Verluste verrichtet werden konnte. Im Haushalt war Ideenreichtum gefragt z.B. kamen die Kochkiste und die Sparpfanne als Kü- chenhelfer zum Einsatz, verschiedene Kochkurse informierten über die „Kriegsmäßige Sparsam- keit beim Kochen“ und über Neuheiten wie z.B. Ersatzverschlüsse aus Kork. Der etwas platte Ausdruck „Not macht er- finderisch“ trifft genau den Kern der Situation. Bald kamen Einmachtabletten und Saccharin zur Behebung der Zuckernot auf den Markt. Selbst Rosskastanien wurden gerieben, zu Kastanien- wasser aufgekocht und als Seifenlauge verwen- det. Kohlrüben waren ein Streckungsmittel für Marmelade, woraus das „Kriegsmus“ entstand. Im „Kohlrübenwinter“ 1916/17 erreichte die Ernährungslage in Deutschland einen katastro- phalen Tiefpunkt. Ab 1917 kam in Villingen der Aluminiumpfennig als Kriegsgeld in Umlauf.


Ganz besonders großen Wert wurde auf die Anla- ge von „Kriegsgärten“ gelegt, die ab 1915 jährlich prämiert wurden. Eine Fülle von Wohltätigkeitsveranstaltun- gen – Theater, Konzerte, Vorträge und Auffüh- rungen im Lichtspielhaus – gehörten während der Kriegszeit ebenso zum städtischen Leben wie die Arbeit des Frauenvereins, des Roten Kreuzes und die Versendung von Liebesgaben an die Sol- daten im Felde. Darüber hinaus engagierten sich Villinger und Schwenninger Firmen und Betriebe auf dem Gebiet der Wohlfahrt und der Fürsorge. Eine wichtige Aufgabe der Unternehmen lag in der sozialen Fürsorge für die Arbeiterschaft. Dies wurde natürlich in der Kriegszeit ganz besonders wichtig, um sich einen Stamm von Arbeitern zu erhalten. Zu den Maßnahmen und Einrichtun- gen zählten Fabrikkantinen und Kaffeeküchen, Erlass von Mieten, Geldunterstützungen für die Einberufenen und ihre Ange hörigen, Liebesga- bensendungen, Vorschüsse und Sanitätszimmer. Die Firma Junghans in Schwenningen übernahm beispielsweise 1918 eine Kriegspatenschaft für die Kriegswaisen ihrer Beschäftigten. Aber auch die Städte beteiligten sich an geregelten Fürsor- gemaßnahmen, z.B. wurde in Schwenningen ab 1915 die Kriegskrankenfürsorge für die Angehöri- gen der Einberufenen eingeführt. Erstmals Luftangriffe auf Dörfer und Städte Die eklatanten Versorgungsmängel, die täglich eintreffenden Todesnachrichten vom Feld, aber auch die Angst vor französischen Spionen, las- ten schwer auf der einheimischen Bevölkerung. Schließlich spürt man den Krieg durch die be- ginnenden Luftangriffe auch selbst als tödliche Gefahr. Der Erste Weltkrieg ist der erste Krieg, in dem Flugzeuge als Waffen eingesetzt werden. In Donaueschingen kommt es schon 1915 zu ver- einzelten Luftangriffen. 1916 dann werden durch Flugzeugbeschuss zwei Häuser in der Moltke- straße beschädigt. Zwei glimpflich verlaufene Angriffe also, wenn man sie mit den Bomben- angriffen auf Donaueschingen im Zweiten Welt- krieg vergleicht. 100 Jahre Erster Weltkrieg Der Schonacher Arthur Burger zieht als 17-Jähri- ger in den Krieg und fällt im Alter von 20 Jahren. Ein „Heldentod“ in Flandern Voller Patriotismus ist der Schonacher Arthur Burger wie so viele andere Deutsche in den Krieg gezogen – gerade 17 Jahre alt. Dreieinhalb Jahre lang überlebte er an der Front, bis am 25. April 1918 um 5.30 Uhr ein Artilleriegeschoss in nächster Nähe zu ihm einschlug und seinem Leben ein jähes Ende setzte. Unteroffizier Arthur Burger wird auf einem Waldfriedhof in Flandern im Einzel- grab Nr. 2468 beigesetzt. Der Tod des jungen Mannes, der die Fabrik des Vaters übernehmen sollte, das Unternehmen Josef Burger Söhne, trifft die Eltern schmerzlichst. Sie lassen den Leich- nam ihres Sohnes ins heimische Schonach überführen. Der Triberger Bote berichtet über die Beerdigung: „Ein Leichenzug, wie ihn Scho- nach noch selten gesehen hat, bewegte sich gestern zum Friedhof.“ Der Beitrag schließt mit den Worten: „Von den Soldaten abge- gebene drei Ehrensalven zeigten an, dass wieder ein Kämpfer aus Deutschlands gro- ßer Zeit der Erde übergeben wurde.“ Eine Floskel, die niemand mehr hören konnte, die für die Angehörigen kein Trost war. 187 187


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Abschiedsfoto: Das Landwehr-Infanterie-Bataillon von St. Georgen muss an die Front. In Schwenningen werden am 2. September 1916 fünf Häuser schwer beschädigt. Die Bomben fallen unmittelbar nach Ende einer Kinovorfüh- rung. Den Pilo ten diente dabei das zu dieser Zeit eingeschaltete Außenlicht als Orientierung. In St. Georgen tagt der Kriegsgemeinderat Wie kommen die Soldaten an die Front oder wie- der nach Hause? Für die Soldaten aus der Region waren die Bahnhöfe ein Dreh- und Angelpunkt, so der Bahnhof in Triberg. Auch die Lazarett züge mit den Verwundeten passierten den Triberger Bahnhof, für sie war hier eine Essensabgabe ein- gerichtet. Lazarette gab es in nahezu jeder Stadt im Landkreis. Über die teils schwer verwundeten Soldaten lernte die Bevölkerung den Schrecken des Krieges aus der Nähe kennen. Da die meisten Stadträte als Soldaten an die Front mussten, wurde vielerorts ein Kriegsge- meinderat gebildet. So auch in St. Georgen, hier nahm der Kriegsgemeinderat unmittelbar nach Kriegsausbruch seine Arbeit auf. Der Krieg beschäftigte die Deutschen auch im Ausland. Viele Menschen aus dem heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis sind nach Amerika aus- gewandert. Der Blumberger Mathias Anderhu- 188 ber schreibt 1930 im Rückblick auf sein Leben und die Kriegsereignisse in die alte Heimat: „Man hört so viel, wie es im Kriege war, aber auch wir haben hier viel mitgemacht. Die Deutschen hier in New York hatten nichts mehr zu sagen, und noch lange nach dem Krieg waren wir verhasst.“ Mit Fortdauer des Krieges steigt die Not ins Unermessliche. Es regte sich mehr und mehr Un- ruhe in der Bevölkerung. Noch vor Unterzeich- nung des Waffenstillstands am 11. November 1918 kommt es abends am 9. November in Do- naueschingen im „Sternen“ zur Gründung eines Soldatenrates – die Novemberrevolution bahnt sich an. Überall formieren sich Soldaten- und Arbeiterräte – revolutionäre Wirren bestimmen den Alltag. Bei der Rückkehr von der Front in die Heimat treffen die Soldaten auf ein darnieder- liegendes Land, in dem die Menschen am Ende ihrer Kräfte sind. Das Glück derer, die überlebt haben und wieder bei ihrer Familie sein können, ist überschattet von einer in allen Bereichen an- zutreffenden, grenzenlosen Not. In dieser Situation sind es Persönlichkeiten wie der katholische Donaueschinger Stadtpfar- rer Dr. Heinrich Feurstein, der im Dritten Reich im KZ Dachau starb, die sich für die öffentliche Ordnung und für die Menschlichkeit einsetzen. Den ganzen Krieg über steht Heinrich Feurstein an der Seite von Familien und Soldaten. Er hilft mit warmen Mahlzeiten und Getränken im Sol- datenheim. Und er unterstützt sie bei ihren Ein-


Über 3.250 Gefallene im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis XX Ort Kriegstote Ort Kriegstote Ort Kriegstote Bad Dürrheim Biesingen Hochemmingen Oberbaldingen Öfingen Sunthausen Unterbaldingen Blumberg Achdorf Epfenhofen Fützen Hondingen Kommingen Nordhalden Riedböhringen Riedöschingen Randen Zollhaus Bräunlingen Bruggen Döggingen Mistelbrunn Unterbränd Waldhausen Brigachtal Klengen Kirchdorf Überauchen Dauchingen 63 18 20 34 25 37 22 35 18 1 28 18 31 0 28 31 0 0 104 3 22 5 6 6 24 8 28 49 Gütenbach Mönchweiler Tuningen Furtwangen Linach Neukirch Schönenbach Rohrbach Schönwald Schonach Triberg Unterkirnach Niedereschach Fischbach Kappel Schabenhausen Königsfeld Buchenberg Burgberg Erdmannsweiler Neuhausen Weiler St. Georgen Brigach Langenschiltach Oberkirnach Peterzell Stockburg 56 37 59 205 9 1 17 78 92 160 34 26 10 0 0 24 35 18 17 20 15 183 0 33 0 26 0 Vöhrenbach Hammereisenbach Langenbach Urach Hüfingen Behla Fürstenberg Hausen vor Wald Mundelfingen Sumpfohren Donaueschingen Aasen Grüningen Heidenhofen Hubertshofen Neudingen Pfohren Wolterdingen Villingen Schwenningen Herzogenweiler Marbach Mühlhausen Obereschach Pfaffenweiler Rietheim Tannheim Weigheim Weilersbach 64 16 17 24 59 9 13 0 19 10 128 34 10 7 15 29 44 41 299 403 6 16 15 36 21 11 33 30 29 Anmerkung: Die Zahlen sind in Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden des Landkreises sowie den Angaben in Orts- chroniken ermittelt worden. Grundlage sind meist die in vielen Orten vorhandenen Gefallenenbücher. Aufgrund der Wirren der Zeit sind diese nicht immer vollständig. Kriegsgräber auf dem alten Friedhof in Schwenningen und Denkmal für die gefallenen Donaueschinger (rechts). gaben an die Behörden und ersetzt in Streitfällen den Rechtsanwalt. „Beim Herrn Doktor kostet es nichts“, merken die Hilfesuchenden dankbar an. Der Erste Weltkrieg war zu Ende, aber es kehr- te keine Ruhe ein – die Not ließ sich nicht einfach abstellen. Das so siegesgewisse Deutschland war durch die Niederlage ins Bodenlose gestürzt, die Menschen finden keinen Frieden. Die Weimarer Republik schließlich mündet in das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg – in ein noch gren- zenloseres Massaker. Aus über 17 Mio. Kriegsto- ten werden jetzt weltweit über 56 Mio. wd 189


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Alltagsleben im Ersten Weltkrieg Eine Bilddokumentation der Furtwanger Fotografin Maria Grieshaber von Wilfried Dold Nur etwas mehr als 230 Flugzeuge besitzt die deutsche Armee im Jahr 1914 – eines davon muss auf der Neueck bei Furtwangen notlanden. Viele Erwachsene und barfüßige Kinder eilen an die- sem Sommertag herbei, um erstmals in ihrem Leben ein Flugzeug aus der Nähe zu sehen. Auch Furtwangens Bürgermeister Herth (links mit Kindern und Ehefrau) fährt mit seiner Kutsche auf die Neueck. Das noch unbewaffnete Flugzeug befand sich auf einem Aufklärungsflug in Richtung Frankreich. In der Mitte rechts ist wahrscheinlich der Pilot oder Co-Pilot zu sehen. 190 190


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Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Das „Ochsenmariele“ und ihre Ka mera sind den Furtwangern vertraut: Ma ria Griesha­ ber durch streift ihre Heimatstadt in den Kriegs jahren 1914 bis 1918 täg lich. Gleich ob „Märkt“ ist, die Glocken zur Me tallgewinnung für Kriegs zwecke von den Kirch türmen herun­ ter geholt wer den, franzö sische Kriegsgefangene eintreffen, eine Pfer deabgabe ansteht oder die städtische Kom mission in der Festhalle neue Lebensmittelkarten ausgibt – immer ist die junge Frau mit ihrer Kamera dabei. Maria Grieshaber fo tografiert die Kinder beim „Kriegspielen“ im Ochsengarten, die Frauen beim Nähkurs oder bei der Heuernte – sie ist be ständig auf der Suche nach Motiven, mit denen sich der All tag in einer Stadt zur Zeit des Ersten Weltkrieges dokumentieren lässt. Es entstehen Bilddokumente, die in dieser Qualität und Vielfalt so nur für wenige Städ­ te dieser Größe vorliegen. Die bei Kriegsaus­ bruch 24 Jahre junge Frau ist die wohl erste Foto­Reporterin des Schwarzwaldes. Wie kann sich eine junge Furtwangerin, die für das Hotelfach ausgebildet wird, zu dieser Zeit derart tiefgreifende Kenntnisse in der Fotografie aneignen? Es gelingt ihr in Furtwangen: Maria Grieshaber pflegt gute Kontakte zu Fotograf Al- bert Ziegler. Er bringt ihr bereits im Mädchenalter erste techni sche Aspekte der Fotografie bei. Es zeigt sich schon früh ihre große Begabung – Foto- grafin werden aber kann sie nicht. 1902 stirbt der Vater, sie und ihre beiden Schwestern müssen mit der Mutter das Hotel „Ochsen“ führen. Maria soll später das Hotel übernehmen. Dann muss Albert Ziegler in den Krieg. Maria Grieshaber in- des schlüpft zu Hause in die Fotografenrolle, do- kumentiert den Alltag in der Uhrenstadt. Albert Ziegler ist 1915 der erste Furtwanger, der an der Front fällt. Die junge Frau weiß ihr Können gut einzu- schätzen. Sie bietet ihre Fotos deutschlandweit Zeitschriften an – und hat mehrfach Erfolg. Eine Bild serie erscheint in der illustrierten Zeit schrift Maria Grieshaber, fotografiert von ihrem Lehrmeister Albert Ziegler. Er sollte später der erste Kriegs tote sein, den Furtwangen im Ersten Weltkrieg zu bekla- gen hatte. 192


XX Der Erste Weltkrieg – Bilddokumentation von Maria Grieshaber Der Krieg ist vorbei – desillusioniert, hung- rig und entkräftet zieht die 6. Königlich Bayerische Landwehr division am 26. November 1918 durch Furtwangen der Heimat entgegen. Die von Hand kolorier- te Fotografie ist vom Fenster des Hotel Ochsen aus mit Blick zum heutigen Markt- platz aufgenommen worden. 193


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte „Die Woche“, eine weitere im Kon rads kalender. In einer Zeit mit Pressezensur ist dies allerdings nicht un ein ge schränkt möglich. Bilder, die der Ba- denia-Verlag drucken will, muss sie wieder zu- rückziehen. Zwei Auslandsaufenthalte Maria Grieshaber, Tochter des Ochsenwirts Edu ard Grieshaber und seiner Frau Emma, wir d am 21. März 1890 geboren. Auf den Besuch der Volks schule folgen zwei Auslandsaufenthalte: 1905 verbringt sie ein Jahr in einem Pen sio nat in der französischen Schweiz, später be such t sie ein Pensionat in Worthing (Eng land). Maria Gries- haber wird da rauf vor bereitet, das Furtwanger „Hotel Ochsen“ zu übernehmen. Sie erlernt die für die Führung des Hotels wichtigsten Fremd- sprachen und besucht danach die Haushaltungs- schule in Karls ruhe. Die Kriegs jahre verbringt sie in Furtwangen und hilft ihrer Mut ter im Gastwirtschafts- und Hotelbetrieb. Das sind die Jahre, in denen Maria Grieshaber so intensiv fotografiert wie nie zuvor und sich auch in neuen fotografischen Techniken versucht. Ihre Fotos widerspiegeln die Befindlich- keit der Bevölkerung. Strahlen die frühen Auf- nahmen noch Zuversicht und Patriotismus aus, so sind in den Gesichtern der Menschen schon bald überdeutlich die Sorge und der Schrecken des Krieges herauszulesen. Die Fotos aus dem letzten Kriegsjahr 1918 machen die Not beson- ders deutlich. 1920 heira te t Maria Grieshaber. Ihrer Ehe mit August Kremling ist nur ein kurzes Glück beschie- den: Am 29. Dezember des selben Jahres ver – stirbt Maria Kremling im Alter von erst 30 Jahren einen Tag nach der Ge burt ihrer Tochter. Diese Tragik erschüttert Furtwangen: Im „Schwarzwälder Tagblatt“ heißt es in einem Nachruf: „Noch ehe das alte Jahr völlig zur Neige ging, hat sich die junge Frau zur ewigen Ruhe gelegt. Ein kurzes Ehe glück an der Seite eines liebe vollen, von allen Näherstehenden hochge- schätzten Mannes, ist ihr noch zuteil geworden. Es war im mer ein zartes Pflänzlein, das unter dem Namen „Ochsenmariele“ auch in wei teren 194 Kreisen be kannte, und ob seines hei teren, leut- seligen We sens gerne gesehene Töch terlein der Frau Gries haber. Als besondere Lieb haberei hat die Ent schla- fene schon in frühester Jugend, neben den Blu- men, die Photographie aufgegriffen und auf diesem Gebiet eine seltene Geschicklichkeit be- kundet, gepaart mit der Ga be, die Dinge von der vorteilhaftesten Seite aus zu sehen und auf die Platte zu bringen. Ein mit großem Fleiß zusam- mengestelltes Album ver anschaulicht unter an- derem die wichtigsten örtlichen Vorgänge wäh- rend der Kriegszeit. Der Scherl’sche Verlag hat seiner Zeit in der be kannten illustrierten Zeit- schrift „Die Woche“ seinen Lesern eine interes- sante Bilderserie aus diesem Album vor Augen geführt. Diese höchst an er kennenswerte Arbeit, ein Stück Heimatgeschichte in Bildern, wird der so früh Heimgegangenen ein dauerndes ehren- des Andenken sich ern. “ Aufwendige Entwicklungstechnik Die junge Frau muss allein in den Kriegs jahren 1914 bis 1918 an die 1.000 Glasplat ten-Nega tive belichtet haben, mehrere hundert davon sind er- halten geblieben. Sie hat diese Glasplatten ent- wickelt und auch selbst Diapositive her gestellt, die für Vorträge gedacht waren. Maria Grieshaber hat zudem mehrere Dutzend ihrer Dia auf nah- men in stun denlanger Arbeit von Hand koloriert. Rund 80 Foto gra fien allein aus der Zeit des Ersten Welt krieges hat sie sorgsam in ein Bilder-Tage- buch eingeklebt und mit dem jewei li gen Anlass so wie dem Aufnahmedatum be schrif tet. Für Fotografen/innen heutiger Zeit ist schwer nachvollziehbar, welch en Aufwand es bedeutet hat, diese Fotos zu belichten, zu ent wickeln und dann Papierabzüge oder Dia positive herzustel- len. Obwohl es zur Zeit von Ma ria Grieshaber be reits gebrauchsfertige Glasplatten zu kaufen gab, war es bei vielen Fo tografen nach wie vor üblich, diese selbst herzustellen – auch aus Kos- tengründen. Noch komplexer war die Produktion der Schwarz-Weiß-Dias. Das komplizierte che mi- sche Verfahren erforderte vom Fotografen viel Fach wis sen.


Der Erste Weltkrieg – Bilddokumentation von Maria Grieshaber Auch aus den umliegenden Gemeinden Rohrbach, Neukirch, Schönenbach und Gütenbach mussten im August 1917 die Kirchenglocken mit Ochsen- und Pferdegespann nach Furtwangen verbracht werden. Die geschmück- ten Glocken verdeutlichen, dass es der Bevölkerung schwer fiel, sich vom wohl vertrauten Kirchengeläut zu trennen. Von Furtwangen aus wurden die Glocken per Bregtalbahn zum Schmelzofen transportiert. Zu sehen ist eine Doppelseite aus dem Kriegs-Tagebuch von Maria Grieshaber verh. Kremling. Späte Werkschau: „Der ganze Krieg zog erneut an uns vorüber…“ Einem größeren Publi kum wurden die Dias er- neut elf Jahre nach dem frühen Tod von Maria Grieshaber verh. Kremling vorgeführt: 1931 zeig- te sie Emil Jäger, Di rektor der Großherzoglich Ba- dischen Uhrmacherschule und überaus aktives Mitglied des Vereins „Ba dische Heimat“ bei einer Versammlung im „Ochsen“. Die „Furtwanger Nach rich ten“ berichteten am 9. März 1931: „Zunächst wurden Lichtbilder gezeigt, die die Wo gen und Wellen der Ereignisse wiedergaben, die der schwere Kriegssturm auch in unsere stille Schwarz waldheimat geworfen hat. Es waren Auf nahmen der verstorbenen Frau Kremling geb. Gries haber. Sie waren tech nisch sehr gut, zum großen Teil sogar farbig wieder- ge geben und bewiesen, dass auch die Heimat die Kriegsgeißel spürte und die Opfer und Größe der Zeit empfand. Der ganze Krieg von der Mobil- mach ung bis zur Rückkehr der Truppen zog an uns vor über. Wir sahen wieder die Ausgabe der Lebens- mittelkarten, die „tischtuchlose“ Zeit, die Abga- be der Me talle und Glocken, die Pflege der Ver- wundeten in un serem Krankenhaus, das Feiern der Siege, das Pflanzen der Hindenburg-Eiche, die Heuernte durch Kinder, Greise und Frauen, die Soldatenspiele der Kinder, die Arbeiten der Gefangenen, die Gedächtnisgottesdienste in der Kirche und vieles andere aus jener so fernen und doch erst etwas über 10 Jahre zurückliegenden Zeit. Besonders die Kennt nis der Personen von da- mals und der Ver gleich mit heute, wo viele davon bereits der Tod heimgeholt hat, gab den Bildern eine wehmütige Note. “ Furtwangen besitzt mit dem fotografischen Nachlass von Maria Grieshaber verh. Kremling einen wahren Bilderschatz. Er ist größtenteils di- gitalisiert für die Nachwelt bewahrt. 195


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Für die Kinder ist der Krieg (noch) ein Spiel – zumal im „Ochsengarten“, dem Mit telpunkt der Furtwanger Kinderwelt je ner Tage. Wer es sich leisten kann, staffier t sei nen Nachwuchs mit Original-Unifor m in Kinder- größe aus. Wer nicht so viel Geld besitzt, hilft sich mit Selbstgebasteltem und Selbst geschneidertem. Die Kin- der spielen Sol da ten, werden „verletzt“ und von den Schwestern des Roten Kreuzes „gepflegt“. Sie werden als Patrioten herangezogen, für den Krieg begeistert. Später ziehen erst 15-jährige Jungen als Soldaten ins Feld. 196 196


XX Alltag im Ersten Weltkrieg – Furtwanger Bildgeschichten Versteigerung von kriegsuntauglichen Pferden auf dem Plätzle an der Friedrichstraße hinter dem Rathaus zum Einsatz in der Landwirtschaft. Schlitten für den Winterkrieg. Am 17. November 1916 mussten in Furtwangen entbehrliche Schlitten beim städtischen Bauhof abgeliefert werden. 197 197


Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Gerade der Schule entwachsen, schon kriegstauglich – junge Rekruten des Jahrgangs 1901, und damit erst 16 Jahre alt, fahren nach ihrer Musterung durch die Stadt. Liebestätigkeit ist gefordert, reichsweit wird zur Hilfe aufgerufen. Enorm belastet sind die Frauen: Sie versorgen ihre Familie. Sie arbeiten in den Fabriken und auf dem Feld. Sie pflegen die Kranken und aus dem Feld heim- ge schickten Verwundeten, orga ni sier en Wohltätigkeitsveranstaltungen, sammeln Spenden – und nähen. Die Fotografie zeigt die Nähabteilung des Furt wan ger Roten Kreuzes beim Verpacken von Decken und Tüchern in einem Zimmer der Handelsschule in der Schulstraße. 198


Alltag im Ersten Weltkrieg – Furtwanger Bildgeschichten Metall für Waffen und Munition. Um ständig neue Waffen und Mu ni tion herstellen zu können, benötigt Deutschland in den Weltkriegsjahren immer mehr Metall, das sich schließlich nur noch durch Sammelak tionen und Beschlagnahmungen beschaffen lässt. Während der „Badischen Metall woch en“ holen Jugendliche die Ge- genstände aus Kupfer, Messing und Nickel in den Haushaltungen ab. Das Metall wird auf dem städtischen Bau- hof ge lände hinter dem Rathaus verladen (Bild) und zum Bahnhof gebracht. Abschied von metallenem Geschirr. Alles Vorhandene wird radikal erfasst. Die beschlagnahmten Gegenstände aus Aluminium müssen am 15. Juni 1917 im Rat haus abgeliefert werden. 199


Geschichte Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Auch Furtwangen verliert viele Glocken für Kriegszwecke – einzig die katholische Kirche kann ihr Geläut retten, da ihm ein hoher musikalischer Wert bescheinigt wird. Vom Turm geholt werden muss die Glocke der Notkirche (oben). Glocken mit einem Gewicht von mehr als 20 Kilo sind bis zum 18. Juli 1917 abzuliefern. Auch die Gütenbacher, Schönenbacher, Neukircher, Linacher und Rohrbacher Glocken treffen in Furtwangen ein. Rechts: Die Stadtverwaltung liefert die Glocke aus dem städtischen Glockentürmle ab. Den Transport überwacht Polizeidiener Kienzler. 200 200


Alltag im Ersten Weltkrieg – Furtwanger Bildgeschichten XX Die Bezugsscheine für Lebensmittel erhalten die Furtwanger von einer eigens eingerichteten Kommission, die Verteilung erfolgte nach strengen Kriterien in der städtischen Festhalle. Ausgabe von Kartoffeln an die Bevölkerung gegen Bezugsschein. 201 201


Geschichte Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Kühe aus der Schweiz. Im November 1916 beschließt der Gemeinderat, 20 Kühe aus der Schweiz zu beziehen, um der Milchknappheit entgegenzusteuern. Für Deutsche ist es im Aus land einzig in der neutralen Schweiz mög- lich, an die dringend benötigten Milchkühe zu kommen. Die Lebensmittelknappheit ist enorm, in diesem Furtwanger Geschäft werden als einzige Auslage Dutzende von Steckrüben angeboten. Lebensmittel gibt es nur auf Bezugsschein. 202 202


Am 17. März 1917 treffen die ersten französischen Kriegsge- fangenen in Furtwangen ein – plötzlich hat der Feind für alle Furtwanger ein Gesicht. Die Soldaten sind zwei Tage im Hotel „Grieshaber zum Ochsen“ untergebracht, andere haben ihr Quartier im Gasthaus „Zur Linde“ – danach werden sie ver- schiedenen Quar tiergebern zugeteilt. Zu den Kriegsgefange- nen besteht teils ein herzliches Verhältnis. Weit entfernt vom Kriegsschauplatz begegnet man sich meist als Mensch, die Bilderserie von Maria Grieshaber spiegelt das mehrfach wider. Rechts ein Kriegsgefangener mit dem Hoteljungen des „Ochsen“, unten ein Kriegsgefangener bei der Kartoffelernte. Die Zuweisung dieser Hilfskräfte erfolgt auf Antrag. Alltag im Ersten Weltkrieg – Furtwanger Bildgeschichten XX 203 203


Geschichte Geschichte und Wirtschaftsgeschichte Im Ochsengarten knüpfen die verletzen Soldaten, die im Furtwanger Lazarett gepflegt werden, Kontakt zur Bevölkerung. Die Frauen veranstalten für die Verwundeten auch Gesellschaftsspiele. Tomba für gefallene Furtwanger in der katholischen Stadtkirche. Nur der Leichnam weniger Gefallener wird in die Heimat überführt, meist erfolgt die Bestattung in Frontnähe – oft in einem Massengrab. 204 204 Rechte Seite: Der Krieg ist vorbei – Dank- und Gedenk- gottesdienst in der katholischen Kirche am 22. Dezember 1918.


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9. Kapitel Brauchtum Tracht des Jahres 2014 Die außergewöhnliche Tracht von St. Georgen ist die erste im Schwarzwald, die diese hohe Auszeichnung erhält von Roland Sprich Der Stolz und die Freude darüber waren groß: Bereits ein Jahr im Voraus wussten die Mitglieder des Trachtenvereins St. Georgen, dass ihre Tracht, genauer, die Tracht des St. Ge- orgener Kirchspiels, im Jahr 2014 zur „Tracht des Jahres“ gekürt werden wird. Es war für die Mitglieder des Vereins ein besonderer Augenblick, als ihnen im Mai 2014 diese Auszeichnung des Deutschen Trachtenverbandes im Rahmen eines feierlichen Festaktes im St. Georgener Rathaus verliehen wurde. Im Beisein von 120 Delegierten aus ganz Deutschland, zwischen Garmisch und der Nordseeinsel Föhr, die sich ebenfalls in den typischen Landestrachten präsentierten. Zur Verleihung kamen Landrat Sven Hinterseh, der CDU-Landtagsabgeordnete Karl Rombach und auch der baden-württembergische Justiz- minister Rainer Stickelberger. Für den Trach- tenverein St. Georgen war das eine verdiente Anerkennung für das Bemühen, diese Tradition zu hegen und zu pflegen. Und das seit mehr als 100 Jahren – bis heute in nahezu unveränderter Form. Damit erfüllt der Trachtenverein seit seiner Gründung im Jahr 1907 den damals formulierten Vereinszweck: nämlich Pflege der heimatlichen Sitten und Bräuche und Erhalt der St. Georgener Tracht. Bis heute ursprünglicher Schnitt und Verwendung authentischer Materialien Wichtig ist: Die St. Georgener Tracht ist eine ev an- gelische Tracht. Das bedeutet, es werden nur Stof- fe mit gedeckten Farben verwendet. Die Farbe Rot und andere sind den katholischen Trachten vor- behalten. Früher bestand die Tracht ausschließ- lich aus Materialien, die die bäuerliche Bevölke- rung selbst anbauen, beziehungsweise herstel- len konnte: Flachs, Leinen, Schafwolle. Erst als Mitte des 19. Jahrhunderts die vom Herzog von 206 Württemberg erlassene Kleiderordnung aufge- hoben wurde, kamen auch andere Stoffe zum Einsatz. Jetzt wurde die Tracht – angelehnt an die spanische Hofmode – modernisiert und mit Rü- schenkragen, Samtapplikationen und Seiden- schürze aufgepeppt. Schon damals galt: Wer es sich leisten konnte, verzierte seine Tracht mit aufwendigen Applikationen. So ließ sich an der Die Tracht von St. Georgen wurde zur „Tracht des Jahres 2014“ gekürt. Hier eine Braut mit Bräutigam, die Festtagstracht: Die Frau trägt einen mit Spiegeln, Glaskugeln und Stoffrosen geschmück- ten, bis zu vier Kilo schweren Brautschäppel. Weiter das mit Samt besetzte Schnürmieder und eine Kurzja- cke in spanischem Schnitt (Schauben). Die Schürze ist aus Seide, der Rock aus schwarzem Wollstoff genäht. Hinzu kommen Schmuckbänder und ein Brautgürtel. Die Männertracht besteht aus einem Brusttuch (Weste) aus Samt. Unter dem Brusttuch wird ein leinenes, weißes Hemd getragen. Die Hose ist aus Hirschleder gefertigt. Als Kopfbedeckung dient ein schwarzer, breitkrempiger Hut.


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Brauchtum Die Trachtengruppe St. Georgen im Jahr 2000 bei der Steubenparade in New York. Tracht auch der Wohlstand des jeweiligen Trä- gers beziehungsweise der Trägerin ablesen. Schon damals achteten die Näherinnen bei der Herstellung neuer Trachten penibel darauf, dass gegenüber der ursprünglichen Tracht so we- nig wie möglich verändert wurde. Als beispiels- weise die Miniröcke in Mode kamen, sorgten die Schneiderinnen dafür, dass die Röcke mindes- tens bis zum Knie reichten. Das Bewahren des ursprünglichen Schnitts und die Verwendung möglichst authentischer Materialien haben sich bis heute gehalten. 208 In einer älteren Publikation wurde der St. Ge- orgener Tracht einst das zweifelhafte Prädikat „am wenigsten entwickelte aller Schwarzwald- trachten“ verliehen. Kritik oder Anerkennung? Auch heute bewahren die Schneiderinnen das möglichst ursprüngliche Aussehen der Tracht. Wenngleich das ihre Arbeit nicht einfacher macht. „Wir fahren für den richtigen Samt schon mal bis in die Schweiz, wo der Meter knapp 400 Euro kostet“, erklärt Marion Borho. Sie ist eine der drei Trachtenschneiderinnen des Vereins. Jährlich entstehen in der Schneiderstube etwa zwei neue Trachten. Dass neue Mitglieder die alten Trachten tragen, ist meist nicht möglich. „Die Menschen waren früher kleiner und ausge- mergelter. Viele der Trachten würden den Leuten heute einfach nicht mehr passen“, sagt Borho. Das Herstellen einer Tracht würde bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden etwa zwei Wochen dauern. Da die Trachtenschneide rinnen das Anfertigen einer Tracht in ihrer Freizeit über- nehmen, dauert es entsprechend lange, bis eine Trägerin ihre neue Tracht erstmals tragen kann. Nicht nur bei der Tracht an sich hält der Trachtenverein streng an alten Zeiten fest. Auch in anderen Bereichen hält sich der Verein streng an Überlieferungen. „Beispielsweise müssen die Haare immer zum Zopf geflochten sein. Die Frau- en lassen den Kragen auch bei großer Hitze ge- schlossen. Wir tragen keinen grellen Lippenstift. Und Männer behalten den Hut den ganzen Tag auf.“ Die Tracht wurde im Kirchspiel St. Georgen, das sind die Gemeinden St. Georgen, Buchen- berg, Langenschiltach, Mönchweiler, Oberkir- nach, Brigach, Weiler und der evangelische Teil von Tennenbronn, gegen Ende des 19. Jahrhun- derts so getragen, wie sie noch heute besteht. Das beweisen Fotos aus dieser Zeit. Die ältesten Kleidungsstücke des Trachtenvereins stammen aus der Zeit um 1850. Der Schäppel – eine prächtige Brautkrone Vervollständigt wird die St. Georgener Tracht durch den Brautschäppel. Der St. Georgener Schäppel ist eine der prächtigsten Brautkronen


überhaupt und ist mit Glaskugeln, Seidenrosen und Spiegeln verziert, die böse Geister abhalten sollen. Sie wird bis heute nur von unverheirate- ten Frauen getragen. Ebenso wie der rote Rosen- hut, der das äußere Zeichen für unverheirate- te Frauen ist. Ab der Heirat tragen Frauen den schwarzen Rosenhut. Auch wenn der Trachtenverein das St. George- ner Brauchtum und die Tracht in seiner Ursprüng- lichkeit bewahrt, so verschließt sich der Verein keinesfalls den modernen Zeiten. „Wir kommu- nizieren schon mit Telefon und E-Mail und sind auch mit einer Website im Internet vertreten“, schmunzelt Vorsitzender Bernhard Borho. Und betont, dass der Trachtenverein zwar traditions- bewusst, „aber keinesfalls altmodisch ist.“ Die Auszeichnung zur Tracht des Jahres hat dem Verein sogar einen Fernsehauftritt beschert. Im vergangenen September präsentierten sich einige Trachtenträger in der Fernsehsendung „Immer wieder sonntags“, bei der Fernsehmode- rator Stefan Mross die Tracht bestaunte. Tracht des Jahres 2014 Darüber hinaus lebt der Trachtenverein auch Weltoffenheit, indem er sich bei Trachtenumzü- gen im In- und Ausland präsentiert. So war der Verein unter anderem bereits auf dem Münch- ner Oktoberfest und schon mehrfach auf dem Canstatter Wasen. Auch bei einem Weinfest in Paris präsentierte sich der Verein zusammen mit der Stadtmusik. Unbestrittener Höhepunkt in der über 100-jährigen Geschichte des Trach- tenvereins St. Georgen war die Teilnahme an der Steubenparade in New York im Jahr 2000. In der Millionen-Einwohner-Metropole trafen „die alte und die neue Welt“ aufeinander – ein faszinie- render Gegensatz. Die St. Georgener Festtagstracht beim Umzug in der Heimat St. Georgen aus Anlass der Verleihung des Titels „Tracht des Jahres 2014“.


20 Jahre „Die Fallers“ 10. Kapitel Zeitgeschehen Der Unterfallengrundhof der Familie Löffler: Wo die Fallers zu Hause sind Der bekannteste Bauernhof von Baden-Württemberg steht in Neukirch von Matthias Winter mit Fotos von Wilfried Dold Malerischer kann der Schwarzwald nicht sein. Auf dem Unteren Fallengrund streckt mit dem „Fallerhof“ der bekannteste Bauernhof von Baden-Württemberg sein rotes Dach in den Himmel. Zur Linken liegt das von 1595 stammende alte Leibgedinghaus, rechts flankieren den 1924 nach einem Brand neu erbauten Hof das Leibgeding von 1949 und die Kapelle. An diesem Bilderbuch-Sonntag im Mai sind Wanderer in Scharen unter- wegs. Sie wollen den Fallerhof sehen – und zum wenige Kilometer entfernt liegenden Balzer Herrgott wandern. 210


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20 Jahre „Die Fallers“ Der Fallerhof – wo mit der Familie Löffler die wirklichen Fallers wohnen Die „Fallers“ und die Löfflers: Die wirklichen „Fallers“, die Familie von Agnes und Felix Löffler, haben sich an das Interesse an ihrem Unterfallengrundhof, im Film der „Fallerhof“, mittlerweile gewöhnt. Aber anfangs war das nicht leicht: Zum Auftakt der SWR-Fernsehserie vor 20 Jahren wurde der Hof geradezu „gestürmt“ – selbst im Haus- gang standen Faller-Fans. Zwischen Löfflers und den „Fallers“ ist längst eine Freund- schaft entstanden. Nach 20 Jahren „Die Fallers“ ist für die Hauptdarsteller Peter Schell (links) und Christiane Brammert (rechts) der Unterfallengrundhof von Agnes und Felix Löffler (Mitte) zur zweiten Heimat geworden. In der SWR-Fernsehserie spielen sie Karl und Bea Faller. 212 212


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Zeitgeschehen 20 Jahre „Die Fallers“ Nur wenige Menschen können von sich sagen, dass sie in der Kulisse einer bekannten Fernseh- serie wohnen – bei der Familie von Agnes und Fe- lix Löffler ist das der Fall. Und das seit 20 Jahren. So lange bereits strahlt das SWR-Fernsehen „Die Fallers“ aus. Die erfolgreiche Serie spielt auf dem Unter fallengrundhof bei Furtwangen-Neukirch, im Schwarzwald-Baar-Kreis somit. In dieser lan- gen Zeit hat sich die Schwarzwald-Serie fest am Markt etabliert und lockt Sonntag für Sonntag ein Millionenpublikum an den Bildschirm (siehe S. 224). Nicht nur für die Schauspieler, auch für die Familie Löffler, sind „Die Fallers“ mittlerweile zu einem „zweiten Le ben geworden“. Schauspieler, Kameraleute und Regisseure gehören zum All- tag einfach dazu. Und obwohl die Löfflers Voll- erwerbs-Landwirte sind, von Milch- und Wald- wirtschaft leben, lassen sich die Drehtage und die tägliche Arbeit auf dem Hof ganz gut vereinbaren. Während draußen ein 35-köpfiges Team des SWR an einer neuen Fallers-Folge arbeitet, er- zählen die Löfflers drinnen in der großzügigen Bauernstube mit ihrem imposanten Kachelofen, 214


x neben dem Dackel Moritz seine Heimat hat, wie vor über 20 Jahren alles anfing: Ein Mann tauchte auf, interessierte sich von allen Seiten für den Hof, fotografierte ihn – und stellte sich schließ- lich als Heinz Recht vor. Er teilte den Löfflers mit, er sei auf der Suche nach einem Hof als Kulisse für eine neue Schwarzwald-Serie. Der Unterfal- lengrundhof sei wegen seiner idyllischen Lage da- für besonders geeignet. Hinzu komme, dass der Unterfallengrundhof weder zu alt noch zu neu sei und somit für den Schwarzwaldhof schlecht- hin stehen könne. Der Unterfallengrundhof in Furtwangen-Neukirch ist in vielerlei Hinsicht eine Idylle – die nicht nur beim SWR-Fernsehen, sondern gelegentlich auch bei Hochzeitsfotografen begehrt ist. Die Aufnahme zeigt die wirklichen Fallers, hinten von links: Felix und Agnes Löffler mit ihren Kindern Martin, Sabine mit Ehemann Stefan und Florian Löffler mit Sarah (vorne rechts) und der eben erst geborenen Romina. Unten v. links: Jenny sowie die Enkelkinder Marvin, Maurice und Alexia. Die Löfflers sind eine bäuerliche Groß familie, so oft es geht, werden die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen. 215


Der Fallerhof – wo mit der Familie Löffler die wirklichen Fallers wohnen Begeistert war die Familie Löffler von dieser Fernsehidee nicht – sie lehnte zunächst rigoros ab. Dann kam Heinz Recht wieder vorbei und jetzt erbat man sich zunächst Bedenkzeit. Für und Wider wurden abgewägt, dann stimmten die Löfflers schließlich doch zu. „Aber nach einem halben Jahr haben wir dann gesagt, wir lassen es doch lieber sein“, erinnert sich Agnes Löffler. „Wir hatten Angst – vor allem vor den vielen fremden Menschen auf dem Hof“. Doch mittler- weile waren einige Innenräume des Fallerhofs in den Studios des SWR in Baden-Baden schon nachgebaut worden – die Produktion stand be- reits in den Startlöchern. Der SWR wollte den Unterfallengrundhof der Löfflers unbedingt als Kulisse für seine neue Serie. So gaben die Löff- lers 1994 endgültig ihre Zustimmung, freilich erst einmal nur für ein Jahr und unter der Bedingung, dass der SWR nicht preisgibt, wo er diese Fern- sehserie dreht. Nachdem sich zeigte, dass alles reibungslos lief, wurde das Engagement verlän- gert. 20 Jahre sind es bis heute geworden. Dass die Löfflers sich heute öffentlich zum „Fallerhof“ bekennen, hat vor allem einen Grund: Sie sehen darin die große Chance, der Region Furt- wangen/Gütenbach touristisch beizustehen. „Der Die „Fallers“ sind eingezogen, der SWR hat auf dem Fallerhof einmal mehr einen Drehtag angesetzt, wie schon das Klingelschild an der Eingangstüre verrät. Interessierte Beobachter sind Maurice, Marvin und Alexia, die Enkelkinder der Löfflers. Der SWR reist mit einer 35-köpfigen Crew an, die an einem Drehtag ca. 10 Minuten Sendung produziert. Neben den bekann- ten Darstellern gehören an diesem Sonntag auch zwei Gänse und ein feuerroter Sportwagen aus dem Porsche-Museum zu den Akteuren. Unter- und Oberfallengrund sind landschaftlich außergewöhnlich reizvoll, den Tourismus zu be- leben, das dient allen“, fassen die Löfflers ihren Beweggrund zusammen. Die Schauspieler zeigen am Leben auf dem Hof ernstes Interesse Positiv auf das Miteinander wirkte sich von An- fang aus, dass die Schauspieler ein ernstes Inte- resse an der Landwirtschaft und der Arbeit der Löfflers zeigten. Peter Schell (Bauer Karl) hielt sich vor Drehbeginn eine Woche lang auf dem Hof auf, um die Landwirtschaft kennenzulernen. Am Ende konnte er Kühe melken und den Trak- tor fahren. Auch Ursula Cantieni (Johanna Faller) war vor Serienbeginn einige Tage bei den Löfflers zu Gast. Zu Beginn dauerten die Dreharbeiten des öfteren 14 Tage am Stück, nur das Wochenende war drehfrei. Heute sind es vier bis fünf Mal im Jahr noch drei bis fünf Tage hintereinander, an denen der SWR in Neukirch dreht. Die übrigen Szenen entstehen im Studio. Es gibt somit etwa 25 bis 30 Drehtage vor Ort. „Das funktioniert al- les reibungslos“, berichtet Felix Löffler, der SWR kündige sein Kommen immer rechtzeitig zuvor an. Allerdings: Wenn es heißt „Ruhe bitte“ und die Kameras surren, müssen sich auch alle Hof- bewohner daran halten. Und auch Dackel Moritz muss in der Wohnung bleiben, zumal, wenn zu den Dreharbeiten dressierte Filmhunde mitge- bracht werden. Die Schauspieler und das SWR-Team sind in dieser Zeit in Furtwangen, Gütenbach und der ganzen Umgebung bis hin nach Breitnau unter- 216


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Zeitgeschehen gebracht. Die Gegend um den Fallerhof kennen sie mittlerweile alle bestens, sind hier teils auch privat beim Wandern anzutreffen. Von der Ortskenntnis und guten Ideen der Löfflers profitiert die Serie immer wieder Vom guten Verhältnis des SWR-Teams und der Familie Löffler profitiert auch die Serie selbst. Schon zum Auftakt wurde das deutlich. In der ersten Folge sollte der Christbaum für die Fern- sehfamilie im Wald geschlagen und zum Hof gebracht werden. Doch in Neukirch lag kaum noch Schnee. „Da müssen wir mal auf der Mar- tinskapelle nachfragen“, riet Felix Löffler. Und tatsächlich war hier die Schneelage noch gut, die Christbaum-Szene wurde schließlich in der Nähe der dortigen Wachshütte gedreht. In den ersten Jahren produzierte der SWR die Folgen lediglich ein halbes Jahr im Voraus, so dass eigentlich in der „falschen“ Jahreszeit gedreht wurde. „Gelegentlich mussten wir dann im Sommer den Blumenschmuck am Hof weg- räumen“, erinnern sich Agnes und Felix Löffler. Vor einigen Jahren jedoch wurde die Serie dann auf ein Jahr Vorlauf umgestellt, so dass die Drehs nun jeweils in der „passenden“ Jahreszeit statt- finden und Winter-Szenen auch im Winter ge- filmt werden können. Eine Reihe von Ideen für die Serie haben die Löfflers in all den Jahren auch einbringen kön- nen. „Da reicht oft ein Stichwort, aus dem ma- chen die Autoren dann eine ganze Folge“, meint 218 Das gibt es auch im Schwarzwald nicht allzu oft: Die Löfflers bewirtschaften ihren Unterfallengrundhof in Furtwangen-Neukirch bereits in der 19. Genera tion – die Hofübergabe von Felix Löffler an Sohn Florian ist in Vorbereitung. Wie die meisten Landwirte im Schwarzwald betreiben die Löfflers Milch- und Holz- wirtschaft. Felix Löffler. So erzählte er ihnen, dass ein Land- wirt auf die Weide ging, um zu arbeiten. In seiner Jacke, die derweil an einem Pfahl hing, steckten Geldscheine, die oben aus der Tasche heraus- schauten. In der Nähe grasende Ziegen bekamen das mit – und fraßen genüsslich die Banknoten. Die SWR-Leute waren von der Geschichte begeis- tert und wollten sie unbedingt nachspielen. Da- für benutzten sie Spielgeld. Doch siehe da, damit begnügten sich die Ziegen nicht. Erst mit echten Geldscheinen konnten die Tiere angelockt wer- den. Das Problem war nur: So schnell wie die Ziegen die Geldscheine verspeisten, konnten die Kameraleute die Szenen nicht drehen. Schließ- lich waren alle Scheine vervespert und es musste eigens jemand zur Bank fahren, um neue Geld- scheine zu besorgen. Ein anderes Mal hatte Felix Löffler erzählt, wie beim Fällen von Bäumen spaßeshalber Pfäh- le aufgestellt worden waren. Es wurde versucht, die Stämme möglichst nahe an diesen Pfählen zum Liegen zu bringen. Prompt wurde daraus eine Folge, in der Bauer Karl unter einen Baum geriet. Aber auch reale Vorhaben der Familie Löffler werden in die Serie eingebaut, etwa der Umbau der Stallungen: Aus einem Anbindestall wur-


Der Fallerhof – wo mit der Familie Löffler die wirklichen Fallers wohnen de ein Laufstall mit Melkstand, in dem sich die Tiere frei bewegen können. Und als die Löfflers einen neuen Schlepper anschafften, wollten die Autoren ebenfalls die Details wissen. In der Serie machte sich dann Bauer Karl daran, einen neuen Schlepper zu kaufen. Bis der Kauf im Film in trockenen Tüchern war, mussten die Löfflers freilich ihren neuen Schlepper vor den Kameras verstecken. Auch am Haus selbst kann nicht so ohne wei- teres etwas verändert werden und wenn doch, wird das in die Serie eingebaut und Bauer Karl macht sich im Film an die entsprechenden Arbei- ten. Die Fernsehserie begleitet die Löfflers somit das ganze Jahr über – als Störung empfindet das auf dem Hof aber niemand. Auch die Tiere nicht. Entgegen anfänglicher Befürchtungen werden die Kühe durch die Dreharbeiten keineswegs be- Um die Hofkapelle und den daneben liegenden Gar- ten kümmert sich Agnes Löffler besonders gerne. unruhigt. „Die machen sogar richtig mit“, stellt Felix Löffler fest. Und selbst dann, wenn sich mal 30 Personen des SWR-Teams im Stall aufhalten, gibt es keine Probleme. Erfreulich sei zudem, dass auch Schauspieler, die nicht so viel mit den Tie- ren zu tun haben, wie Bea oder Monique, keine Angst vor dem Umgang mit den Kühen hätten. Pech hatte allerdings einmal Tony Marshall, der sich laut Drehbuch bei einer Szene im Rah- men eines Gastauftritts in den Mist fallen lassen Agnes und Felix Löffler bei ihrer täglichen Arbeit im Stall, hier am Melkstand. 219


Zeitgeschehen musste. Zwar wurde dafür Kunstmist verwendet, doch nachdem die Szene einige Male gedreht wurde, war dieser verbraucht und Tony Marshall blieb nichts anderes übrig, als sich in echten Mist fallen zu lassen. Von Lukas Amann besonders beeindruckt Im Laufe der Jahre hat sich ein freundschaftli- ches Verhältnis zwischen den Schauspielern und der Familie Löffler entwickelt – bei einigen Dar- stellern waren die Löfflers sogar schon zu Hause eingeladen. Natürlich haben sie auch die Studios in Baden-Baden besucht, wo Innenräume des Hofes oder der Wirtsraum des ehemaligen Gast- hauses Löwen in Vöhrenbach-Urach nachgebaut sind. Besonders beeindruckt hat Felix Löffler die Persönlichkeit von Lukas Ammann (Großvater Wilhelm Faller), der in den ersten sechs Jahren der Serie bis zum Jahr 2000 mitspielte. Berühmt wurde er durch seine Rolle als „Graf Yoster“. In der Rolle als Wilhelm, als Patriarch auf dem Hof, hat er die Löfflers tief beeindruckt. Es ist ihrer Ansicht nach das Erfolgs rezept der Serie, dass sie das alltägliche Leben im Schwarzwald, das Leben und Sterben auf einem Schwarzwaldhof, so tref- fend beschreibt. Aber auch die immer wieder grandiosen Land- schaftsaufnahmen aus der Region sorgen für die anhaltende Attraktivität der Serie. Felix Löffler, der bei Luftaufnahmen vom Hubschrauber aus schon selbst mitfliegen konnte, ist sich sicher: „Das wertet die Serie auf“. Umgekehrt kommt das aber auch der Region und dem Schwarzwald zugute. Dieser Aspekt ist, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, auch den Löfflers wichtig. „Wir können so etwas für die Gegend tun, in der wir leben“, betonen sie. „Erst kommt die Arbeit im Stall – danach frühstücken wir“ Natürlich läuft das reale Leben der Familie Löffler in anderen Bahnen ab, als das der Fernsehfami- lie Faller. „Auf dem Hof arbeiten wir am Morgen zuerst im Stall, erst danach frühstücken wir“, 220 Der Unter- und Oberfallengrund gehören zu den schönsten Gegenden im Schwarzwald – und das zu jeder Jahreszeit. Stimmt die Witterung, sind hier Wanderer von überall her unterwegs. Und natürlich findet sich an der Gemarkungsgrenze von Furtwan- gen und Gütenbach auch eine Winter-Zauberwelt. Voraus gesetzt es gibt einen Winter, der diesen Namen auch verdient. berichten sie aus ihrem Alltag. Schließlich müs- sen über 70 Kühe einschließlich der Kälber und Nachzuchten versorgt werden. Darunter sind rund 40 Milchkühe. Und zur Erntezeit endet der Arbeitstag erst um 23 Uhr, gelegentlich muss am Samstag und Sonntag durchgearbeitet werden. Rund zwei Drittel der zum Hof gehörenden Flä- chen sind Grünland, ein Drittel ist Wald. Eine erfreuliche Zukunftsperspektive ist es, dass Sohn Florian, der gelernter Landwirt ist, den Hof übernehmen wird. „Der Wechsel steht an“, meint Felix Löffler. Auf die Film-Fallers hat das keine Auswirkungen, Sohn Florian fügt hinzu: „Die Fallers werden auch nach der Hofübernah- me hier drehen können“. Zur Zeit arbeitet Florian Löffler noch in der Industrie, denn er ist zugleich Mechaniker von Beruf. Somit wird die Tradition des „Fernsehho- fes“ nicht abbrechen, was auch beim SWR für Auf atmen sorgen dürfte. Schließlich ist der Hof längst zum unersetzlichen Markenzeichen der Serie geworden. Die „Fallers-Fans“ kommen – und plötzlich stehen ungebetene Gäste im Hausflur Eine für die Familie Löffler nicht immer angeneh- me Begleiterscheinung der Fernsehserie waren vor allem zu Beginn der Ausstrahlung zahlreiche neugierige Besucher, die plötzlich im Haus stan- den und hier sogar fotografierten. Viele der un- gebetenen Gäste waren davon überzeugt, dass die Fernsehfamilie Faller auf dem Hof wohnen würde und hofften, hier „Karl“ oder „Kati“ zu treffen. Dabei gab es eine Reihe von Missver- ständnissen, die teils auch recht witzig waren. So hatte eine örtliche Zeitung berichtet, der Hof werde „bewirtschaftet“. Einige Zeitgenossen


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Der Fallerhof – wo mit der Familie Löffler die wirklichen Fallers wohnen verstanden diese Aussage so, dass der Hof eine (Gast)Wirtschaft betreibe und wollten in dieser einkehren. Und einmal wurde die Familie Löffler früh am Morgen von Alphornbläsern geweckt. Hinterher stellte sich heraus, dass die Musiker eigentlich „Monique“ (Monique Guiton) mit dem morgend- lichen Ständchen hatten begrüßen wollen. Zu den gerne gesehenen Gästen gehören auch die Patienten der Nachsorgeklinik Tann- heim, die einmal im Jahr auf Einladung der Löff- lers hin auf dem Hof ein „Fallerhoffest“ feiern dürfen. Auch Schauspieler „Der Fallers“ sind nach Möglichkeit immer mit dabei. Zumal sie sich für die Klinik für krebs-, herz- und mukoviszidose- kranke Kinder seit ihrem Bau persönlich engagie- ren. Besonders aufregend ist für die jungen Pa- tienten der Stallbesuch, denn viele Kinder, vor allem die aus Städten, sehen dabei das erste Mal in ihrem Leben einen Kuhstall von innen. Der Fallengrundhof wurde 1592 erbaut und 1924 bei einem Brand zerstört Der Unterfallengrundhof dürfte laut Neukircher Höfechronik bereits im Jahr 1592 erbaut worden sein, der Speicher kam dann 1593 hinzu. 1595 soll das heute noch stehende Leibgedinghäusle ge- baut worden sein. Das alte Hofgebäude brann- te 1924 vollständig ab und wurde 1925 an einer günstigeren Stelle neu erbaut. Besitzer war da- mals Albert Fehrenbach (1884 bis 1972), der nicht nur den Neubau erstellte, sondern 1949 auch das neue Leibgedinghaus baute sowie 1964 die Hofkapelle. Albert Fehrenbach war zudem von 1920 bis 1945 und von 1945 bis 1967 Bürgermeis- ter Neukirchs sowie bis 1933 und nach dem Krieg bis 1959 Kreistagsabgeordneter. 1963 war er zum ersten Ehrenbürger der Gemeinde Neukirch er- nannt worden. Im neuen Leibgeding ist übrigens eine Woh- nung an die „Fallers“ vermietet, hier befinden sich das Büro sowie die Maske und Garderobe für die Schauspieler. Im Hof selbst gibt es einen Aufenthaltsraum für die Schauspieler, einen La- gerraum, außerdem eine kleine Küche. Schau- spieler und Filmteam werden bei Dreharbeiten 222 Die Familie Emma und Albert Fehrenbach. Albert Fehrenbach ist der einzige Ehrenbürger von Neukirch. Die Familie hat im Zweiten Weltkrieg alle vier Söhne verloren, schließlich übernahm die Tochter den Hof und heiratete Alfred Löffler. aber über ein Catering versorgt, das vom Güten- bacher Gasthaus Maierhof geleistet wird. Auch das alte Leibgedinghaus wird von den Fallers be- nutzt, hier wohnen „Franz“ und „Heinz“. Auf dem Unterfallengrundhof leben heute vier Generationen der Familie Löffler, neben Ag- nes und Felix Löffler auch Vater Alfred sowie die Kinder Sabine, Martin und Florian, der den Hof übernehmen wird; alle sind verheiratet. Hinzu kommen fünf Enkelkinder. Rund ein Dutzend Personen lebt auf dem Hof und somit gibt es im- mer viel zu tun. Die Mahlzeiten werden, wenn möglich, gemeinsam eingenommen. Für die vom Michelehof, St. Märgen, stammende Agnes Löff- ler ist das kein Problem, schließlich waren es bei ihr zu Hause 16 Kinder, so dass sie eine große Fa- milie gewöhnt ist. Und natürlich: Wenn am Sonntagabend der SWR eine neue Fallers-Folge ausstrahlt, dann sit- zen die Löfflers wann immer möglich vor dem Fernseher. Und manchmal taucht dann auch Dackel „Moritz“ auf dem Bildschirm auf – oder Sohn Florian mäht die Wiese. Den Traktor am Steilhang entlang zusteuern, das trauen sich die Film-Landwirte dann doch nicht zu.


Der 1924 abgebrannte alte Fallengrundhof (erbaut 1592) und der 1925 erbaute neue Hof. x 223


Zeitgeschehen „Die Fallers“ – in 20 Jahren über 800 Folgen ausgestrahlt Fernsehserie des SWR gehört zu den erfolgreichsten Produktionen in Deutschland – Sonntag für Sonntag ist im „Dritten“ eine hochklassige Werbung für den Schwarzwald zu sehen Diese neue Fernsehserie haben sich am 25. September 1994 viele Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis angeschaut – vor allem in Furtwangen, Neukirch und Gütenbach: Der SWR strahlte erstmals „Die Fallers“ aus – und die Alltagsgeschich- ten ums Leben und Sterben auf einem Schwarzwälder Bauernhof überzeugten allen Unken rufen zum Trotz. Nicht einmal die Schauspieler selbst hatten an mehr als die zunächst angedachten 100 Folgen geglaubt, einige nicht einmal an 20. Heute sind „Die Fallers“ nach der „Lindenstraße“ die älteste wöchentliche Serie im deutschen Fernsehen. Jeden Sonntagabend lockt der SWR zwischen 19.15 und 19.45 Uhr mit dem bekannten Hahnenschrei im Vorspann zur Sendung rund eine Million Zu- schauer vor die Bildschirme. Im Schatten der „Schwarz- waldklinik“ versuchte der SWR eine neuartige Famili- enserie zu konzipieren. Zu- nächst dachte man an eine Winzerfamilie, schließlich erfand Heinz Recht den Arbeits titel „Himmelreich und Höllental“ – nach den Ortschaften nordöstlich von Freiburg – schließlich wurden „Die Fallers“ draus. Heinz Recht, der Er- finder der Fallers, war es auch, der den Unterfal- lengrundhof bei Neukirch als die ideale Kulisse für die Hofgeschichten entdeckte (s. auch Seite 210). Heinz Recht, der Erfinder der Fallers. Wie es sich mit dem Werden der Fallers im Detail verhalten hat, haben die Fans am 6. Sep- tember 2014 bei einer 90-minütigen Jubiläums- sendung erfahren: Das SWR Fernsehen präsen- tierte Hintergründe, Anekdoten und Statistiken. 224 „Der Erfolgsdruck war hoch“, erinnert sich Heinz Recht dabei, der alle Charaktere entwickelt hat und auch die Drehbücher schrieb. Er erzählt vom Besuch des SWF-Intendanten Peter Voß in den eilig eingerichteten Studios in Baden-Baden, der nicht an den Erfolg glaubte. Er irrte sich – wie auch Hauptdarsteller Wolfgang Hepp, der den Hermann Faller spielt, und dachte: „Nach 12 oder 13 Folgen ist Schluss“. Heute lebt die Serie noch immer und nach wie vor garantiert vor der Ka- mera die praktisch gleiche Kernmannschaft von damals ihren Erfolg. Die Möbel in der Kulisse al- lerdings stammen nicht mehr wie anfangs von IKEA, sondern sind teils eigens gebaut. Ursula Cantieni alias Johanna Faller: „Wir sind alle echte Fallers geworden“ Neben Wolfgang Hepp, Lukas Amann, Edgar M. Marcus, Karsten Dörr und Peter Schell gehört


x Die Fallers der ersten Stunde – noch mit Lukas Amann (Dritter v. rechts). Die Fallers heute, v.li.n.re.: Sophie (Janina Flieger), Albert (Alessio Hirschkorn), Bea (Christiane Brammer), Franz (Edgar M. Marcus), Heinz (Thomas Meinhardt), Hermann (Wolfgang Hepp), Bernhard (Karsten Dörr), Jenny (Julia Obst), Karl (Peter Schell), Johanna (Ursula Cantieni), Monique (Anne von Linstow), Eva (Lucie Muhr), Kati (Christiane Bachschmidt). 225


20 Jahre „Die Fallers“ Ursula Cantieni zu den Faller-Stars der ersten Stunde. Mit ihr gelang die Idealbesetzung der Bäuerin Johanna. Im „ABC der Fallers“ erzählt sie: „Ich habe am Anfang gedacht, wir drehen ein paar Folgen und nach zwei oder drei Jahren ist Schluss – so wie bei den meisten Serien im deut- schen Fernsehen. Die Resonanz der Zuschauer war und ist aber so überwältigend, dass an ein Aufhören nicht zu denken ist.“ Und sie ergänzt: „Wir sind alle echte Fallers geworden.“ Ursula Cantieni ist wie Peter Schell auch im Schwarzwald-Baar-Kreis immer wieder präsent und mit vielen Menschen rund um den Fallen- grundhof, so heißt der Fallerhof in Wirklichkeit, gut bekannt. Sie engagierte sich über Jahre hin- weg für die Deutsche Kinderkrebsnachsorge und die Nachsorgeklinik Tannheim. Ebenso wie Peter Schell und andere Fallers-Akteure. An ihrer Spit- ze übrigens nach wie vor Lukas Amann, der als 102-Jähriger an der Benefizgala zugunsten der Nachsorgeklinik Tannheim teilnahm. Bei den Fallers leben vier Generationen unter einem Dach Vier Generationen leben bei den Fallers unter einem Dach – und gleich in der ersten Folge überschlagen sich die Ereignisse förmlich: Der Fallerhof steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Hofbesitzer Hermann Faller, mehr Dorfdiplomat als Landwirt, kümmert sich auf seine Art um die Existenz der Familie. Karl, sein ältester Sohn und Jungbauer mit Leib und Seele, verkauft Kälber an den Metzger und akzeptiert schweren Her- zens einen zu niedrigen Preis. Sein jüngerer Bru- der Bernhard, arbeitsloser Biologe, hat sich mit seiner hochschwangeren Freundin Monique auf dem Hof einquartiert. Wilhelm, der Patriarch der Familie, macht sich währenddessen Gedanken um den richtigen Taufpaten für seinen Urenkel… Den Wilhelm spielt Lukas Amann. Dass er nach sechs Jahren den Filmtod sterben musste, bedauern die Fernsehzuschauer noch heute. In den Faller-Jubi läumssendungen tritt der mittler- weile 102-jährige Schauspieler als Stargast auf. Im „Fallers-ABC“ erzählt er wunderschön, wie er mit 81 Jahren zum ersten Mal in seiner Karrie- 226 Lukas Amann in seiner Rolle als Wilhelm Faller. Der 102-jährige Schauspieler ist beim Publikum nach wie vor äußerst beliebt. re dazu kam, einen Bauern zu spielen. Bekannt wurde der gebürtige Schweizer als „Gentleman- Detektiv“ Graf Yoster. Mit seinem Assistenten Wolfgang Völz löste er mit formvollendeten Ma- nieren diverse Kriminalfälle, die sich in der feinen Gesellschaft zutrugen. „Wir zeigen keine heile Welt, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt“ Was macht nun den Erfolg der Fallers aus? „Fal- lers“-Redaktionsleiter und Producer Tobias Jost betont: „Wir zeigen keine heile Welt, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt“. Bei den „Fallers“ geht es auch um Streit, familiäre Konflikte und Intrigen, um Alltagssorgen, Wirrungen und Ver- wicklungen. „Die Fallers“, das sind „Dallas“ und Rechte Seite – Erinnerungen an vergangene Fallers-Tage: Karl (Peter Schell) heiratet seine Bea (Christiane Brammert), Ursula Cantieni spielt mit Alessio Hirschkorn, die Fallers-Filmfamilie, Blick in die Kräuterküche von Lioba Weber und winterlicher Drehtag beim Unterfallengrundhof in Neukirch.


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Zeitgeschehen Im Nebensaal der Dorfkneipe „Löwen“: Bea und Karl Faller (Christiane Brammer und Peter Schell). „Denver Clan“ – nur eben mit Bollenhut und Stallgeruch. „Die Fallers“ sind keine Seifenoper. Es gibt den Dauerkonflikt der Brüder Hermann und Franz, es gibt die Bauernfehde zwischen den Fal- lers und den Zimmermanns. Und es gab Ausein- andersetzungen über die Windenergie und das zähe Ringen der jungen Bäuerin um das zweite Standbein Ferienwohnung auf dem Bauernhof. Und ebenso spielen aktuelle Ereignisse wie der Sturm Lothar an Weihnachten 1999 in die Serie hinein – sie werden aufgegriffen. Zumindest die nahe Zukunft der „Fallers“ scheint gesichert Dass hinter dieser Fernsehserie ein enormer Aufwand steht, wird deutlich, wenn man einen Drehtag am Fallengrundhof erleben kann. Die Idylle dort verwandelt sich in wenigen Stunden in ein Filmstudio. Mehrere Lkws des SWR bringen Tonnen an Equipment in den Schwarzwald, eine 228 Zahlen und Fakten zu den „Fallers“ • Seit 1994 werden im SWR Fernsehen jähr- lich 40 Folgen der Schwarzwaldserie „Die Fal- lers“ ausgestrahlt. Sie sind eine Eigenproduk- tion des Südwestrundfunks in Baden-Baden. • Etwa 70 Prozent der Szenen werden in den Ernst-Becker-Studios 3 und 4 des SWR in Ba- den-Baden gedreht, die restlichen 30 Prozent entstehen auf dem Unterfallengrundhof und vor Ort im Schwarzwald. • Pro Jahr werden fünf Staffeln mit je acht Folgen gedreht und dabei rund 2.000 Seiten Drehbuch verfilmt. • An jedem Drehtag werden von dem 35-köp- figen Team rund zehn sendefertige Minuten erstellt. • Der feste Cast der Fallers besteht aus 30 Schauspielern. • Die Studios der Fallers in Baden-Baden haben eine Gesamtfläche von 1.280 Quad- ratmetern. Unter rund 300 Scheinwerfern entstehen sämtliche Innenaufnahmen. • 31 Dekorationen sind in den Fallers-Studios ständig aufgebaut. Bei Bedarf können zu- sätzliche Kulissen errichtet werden. • Gedreht wird außer in den beiden mehr- wöchigen Sommer- und Winterpausen das ganze Jahr über. • Verpasste Folgen der SWR-Schwarzwald- serie gibt es nicht nur online, sondern auch im Fernsehen: Seit dem 9. März 2014 werden die aktuellen Folgen immer sonntags um 12.30 Uhr im SWR Fernsehen wiederholt. • Über Astra sind die Fallers im SWR Fern- sehen auch bundesweit zu empfangen.


20 Jahre „Die Fallers“ Die Landfrauen treffen sich zum Schneidern: v.li. Johanna Faller (Ursula Cantieni), Leni Riedlinger (Heidi Vogel- Reinsch), Martha Bremer (Monika Kerpe), Maria Schreiner (Inge Kiefer), Evelyn Riedle (Catharina Kottmeier) und Stefanie Rabenalt (Nadine Ketterer). 35-köpfige Crew ist im Einsatz: Regisseur, zwei Kameramänner, Tontechniker, Maske, aber auch ein Regiezelt zur Live-Kontrolle der Fernsehbil- der, werden aufgeboten. Trotz aller Erfolge – Rückschläge gab es den- noch: Nachdem die Einschaltquoten vor Jahren spürbar zurückgingen, verjüngte sich die Serie, neue Schauspieler kamen hinzu. Zur Zukunft der „Fallers“ äußert sich der SWR nicht konkret. Da immer für ein Jahr im Voraus gedreht wird – wird die Geschichte der „Fallers“ nicht schlagartig enden. Der SWR will sich nach Aussage im Fallers-Jubiläumsfilm „nachhaltig zeigen“. Da man im Schwarzwald eine funktio- nierende Kulturlandschaft vorfinde, weil sie ge hegt und gepflegt werde – wachse dort auch immer etwas nach, spricht SWR-Comedychef Andreas Müller. Und das letzte Wort dazu hat Lukas Amann: „Mehr gibt‘s nicht zu sagen!“ Landrat Sven Hinterseh jedenfalls ist aus dem Blickwinkel der Region betrachtet zuversichtlich: „So wie es immer wieder neue Geschichten gibt, Im Rathaus von Schönwald: Bürgermeister Bernhard Faller (Karsten Dörr), Claudia Heilert (Adelheid Theil) sein wandelnder Terminkalender und Dieter Weiss (Christoph Hagin) jongliert mit Zahlen und Vorschriften. die das Leben schreibt, so hoffe ich auf immer wieder neue Folgen der Serie. Für den Schwarz- wald-Baar-Kreis und den gesamten Schwarz- wald ist das allerbeste Werbung.“ 229


Zeitgeschehen „Funkenflug“ – Als die Bergstadt in Flammen stand 2015 jährt sich zum 150. Mal der Stadtbrand von St. Georgen im Schwarzwald Von Roland Sprich Zum 150. Jahrestag der Brandkatastrophe – die 1865 halb St. Georgen in Schutt und Asche legte – wurde unter Regie von Stephanie Kiewel mit großem Aufwand in und um St. Georgen ein Film gedreht. Die Oberkirnacherin studiert in England das Fach „Film- und Fernsehproduktion“. Für Stephanie Kiewel ist es das bislang größte Projekt, an dem sie mit so viel Verantwortung beteiligt ist. Inklusive der zum Teil aus England stammenden Crew sind gut 120 Personen an der Produktion beteiligt. Als Kameramann fungierte Evans Kirkman, der wie Stephanie Kiewel in Carlisle in Nordengland an der University of Cumbria studiert. In St. Georgen ist der Film erstmals im September 2015 im Rahmen einer Ausstellung zum Stadtbrand offiziell zu sehen. Vorab wird er auf Filmfestivals gezeigt. 230 230


x 231 231 Dreharbeiten im Bauernmuseum Mühlhausen zum Film „Funkenflug“, wo der Stadtbrand von St. Georgen inmitten einer historischen Kulisse nachgespielt wurde.


20 Jahre „Die Fallers“ Die Filmcrew von „Funkenflug“ stammt von einer englischen Hochschule, Kameramann ist Evans Kirkman. Anna (Esther Maaß) versucht, in das brennende Haus zu rennen. 2015 jährt sich zum 150. Mal der Jahrestag der bis- lang größten Katastrophe in der Geschichte der Stadt St. Georgen; Am 19. September 1865 legt ein verheerender Brand innerhalb weniger Stun- den halb St. Georgen in Schutt und Asche. Ausge- löst durch einen Funkenflug brennen 22 Häuser des damaligen Stadtkerns innerhalb der Kloster- mauern sowie die Lorenzkirche ab. Diesem histo- rischen Ereignis gedenken die St. Geor gener mit einer Dauerausstellung, die ab September 2015 an die Katastrophe erinnert. Den Stein ins Rollen brachte der ehemali- ge Feuerwehrkommandant Werner Fuchs. Er sprach Arno Schwarz, Mitglied des Vereins für Heimatgeschichte an, machte den Vorschlag, mit einer Ausstellung an den Ortsbrand zu erinnern. Schwarz wiederum trug die Idee im Verein wei- ter. Und auch das Theater im Deutschen Haus war auf Anhieb Feuer und Flamme. Es reifte die Überlegung, mit einzelnen Filmsequenzen an den schwärzesten Tag in der St. Georgener Ge- schichte zu erinnern. In Stephanie Kiewel fand sich eine Regisseurin, die das Vorhaben filmisch umsetzen wollte. Die aus St. Georgen-Oberkir- nach stammende Kiewel studiert derzeit in Eng- land Film- und Fernsehproduktion. Gemeinsam mit einigen ihrer britischen Kom- militonen sowie dem ebenfalls aus St. Georgen stammenden Finn Drude, der sein Studium für Filmproduktion bereits abgeschlossen hat, berei- tete sie das Projekt monatelang professionell vor. 232 In einem Casting wurden aus etlichen Bewerbern die Darsteller für drei Haupt- und vier Nebenrol- len sowie etwa 50 Komparsenrollen ausgewählt. Dabei bewies die Jury ein glückliches Händchen. Alle Darsteller, überwiegend aus der Bergstadt selbst, sind echte „Typen“. Wenngleich es Laien- darsteller sind, steht ihnen das Grauen dieses Ta- ges in den einzelnen Szenen absolut authentisch ins Gesicht geschrieben. Requisiten aus Theaterfundus und Museen Auch das Team hinter der Kamera gab vor und während der Dreharbeiten alles. Mitglieder des Vereins für Heimatgeschichte und des Theaters im Deutschen Haus sowie etliche Freiwillige wur- den für Kostüme, Maske, Requisite und Catering gesucht – und gefunden. Historische Kostüme und Requisiten wurden aus dem Theaterfundus, aus Museen, vom Trachtenverein und aus Privat- besitz zusammengetragen. „Ich bin sehr stolz, dass ich dieses Projekt für meine Heimatstadt umsetzen darf“, sagt Regis- seurin Stephanie Kiewel. Die legte sich gemein- sam mit ihrer englischen Filmcrew mächtig ins Zeug. Drehtage mit zwölf Stunden waren keine Ausnahme. Das zehrte an der Substanz aller Be- teiligten. „Es macht unglaublich viel Spaß, bei diesem Projekt mit dabei zu sein. Aber es ist auch sehr anstrengend“, sagt Bertram Krämer. Er war,


x „St. Georgen brennt“ – Filmszene vom Brandgeschehen. Rechts bespricht sich Regisseurin Stephanie Kiewel mit den Darstellern, die wie die Filmcrew ehrenamtlich mitwirkten. zusammen mit Arno Schwarz, Helmar Scholz und weiteren Helfern, als Requisiteur mit dabei und sorgte stets dafür, dass der jeweils benötigte Drehort wie anno 1865 aussah. Selbst eine Kuh und ein Huhn beschafften die Requisiteure auf Wunsch der Regie. Kein Entkommen aus der Flammenhölle Im September 2014 fanden die Dreharbeiten zu „Funkenflug – Chronik einer Katastrophe“ statt. Zwei Wochen lang wurde an verschiedenen Schauplätzen in und um St. Georgen gedreht. Da es in St. Georgen als Folge dieses Brandes keinen historischen Stadtkern mehr gibt, wurde unter anderem im Museum Auberlehaus in Trossingen sowie im Bauernmuseum in VS-Mühlhausen ge- dreht. Dort, auf dem historischen Dorfplatz, fan- den auch die Massenszenen statt. 50 Komparsen rennen dabei rußgeschwärzt, panisch und mit Brand- und anderen Verletzun- gen über den Dorfplatz. Feuerwehrleute in his- torischen Uniformen versuchen mit dem Was- ser aus Eimern die Flammen zu löschen. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, 22 Häuser und die Lorenzkirche fallen in Schutt und Asche. Am Abend des 19. September 1865 steht ein großer Teil der damaligen St. Georgener Bevölkerung vor dem Nichts, der Ort hatte zu jenem Zeitpunkt rund 600 Einwohner. Am 19. September 1865 bricht gegen 8.30 Uhr morgens in der oberen Gerwigstraße ein Feuer aus, das sich schnell auf die Nachbarhäuser aus- breitet. Die Ursache konnte nie abschließend ge- klärt werden. Vermutet wurde, dass zündelnde Kinder das Feuer ausgelöst hatten. Die Feuer- wehr St. Georgen wurde von Mannschaften aus Villingen, Vöhrenbach, Furtwangen, Triberg und Hornberg unterstützt. Der Produktion zugrunde lag das mehr als 300 Seiten starke Vernehmungsprotokoll der Zeugen zum Stadtbrandgeschehen aus dem Stuttgarter Landesarchiv. Darauf aufbauend wurde der Film um eine fiktive Handlung um den Dorflehrer ergänzt. In verschiedenen Spielszenen wird geschildert, wie verschiedene Menschen an unterschiedlichen Orten auf das Feuer aufmerk- sam werden. Wenngleich sämtliche Akteure vor und hinter der Kamera, insgesamt sind rund 120 Personen an dem Projekt beteiligt, sich ehrenamtlich ein- bringen, kostet die Produktion auch Geld. Un- terstützung kam von der St. Georgener Bürger- stiftung, der Volksbank Schwarzwald-Baar-He- gau, der Stadt St. Georgen und der Tageszeitung Südkurier. Die Filmcrew aus England wurde vom Schwarzwaldverein untergebracht und verkös- tigt. Zahlreiche Privatleute, Metzger, Bäcker, Gastronomiebetriebe und Einzelhändler unter- stützten das Projekt zudem großzügig mit Essen- und Getränkespenden. 233


11. Kapitel Kunst und Künstler Thomas Straub: Konzeptkünstler und Schemenschnitzer Der Villinger Künstler lebt und arbeitet in Köln, ist mit der Heimat aber eng verbunden von Stefan Simon Da denkt man, einen Künstler und dessen Werk zumindest in Ansätzen aus Katalogen, von Ausstellungsbesuchen und gelegentlichen Zusammentreffen zu kennen, aber dann muss das Bild, das man noch vor dem Atelierbesuch von Thomas Straub und seinen Arbeiten hatte, neu erstellt werden. Eine Atelierbesichtigung ist immer etwas Spannendes, zumal wenn man einen Künstler erstmalig an seiner Wirkungsstätte aufsucht. Der Weg im Kölner Gewerbegebiet Ehrenfeld führt in eine Art Loft, in der der gebürtige Villinger mit seiner Frau und seinem Sohn wohnt und arbeitet. 234


Thomas Straub Villinger Schemen aus der Hand von Thomas Straub. Es gibt ein Wiedersehen mit einigen Bildern und Skulpturen, die man schon aus Ausstellungen kennt. Doch der Blick richtet sich vielmehr auf noch mehr Vertrautes: eine Ansammlung Villinger Schemen inmitten zeitgenössischer Kunst. Was für Gegensätze, die zuerst einmal bizarr erscheinen, aber auf dem weiten Feld der Kunst durchaus verortbar sind. Da erwartet man also Konzept- kunst und man findet sich in Köln inmitten Villinger Brauchtums. Das eine schließt das andere aber nicht aus. Mehr noch: Die beiden unterschiedlichen künstlerischen Tätigkeiten ergänzen sich. Verbindung von Konzeptkunst mit „Volkskunst“ Die Schemenschnitzerei ist für Straub mehr als ein Broterwerb. Dennoch sollte man die beiden Betätigungsfelder getrennt von einander betrachten, rein the- oretisch. Denn in der Praxis sind sie nicht nur an der Arbeitsstätte sehr nahe beieinander. So hängt alles miteinander zusammen. Kult und Profanierung sind die Schlüsselworte, die die Konzeptkunst mit der „Volkskunst“ verbindet. Doch zunächst gilt das Credo: Künstler müssen ihre Arbeiten nicht erklären, die Kunstwerke sollten eigentlich für sich sprechen. Das macht die Auseinan- dersetzung mit Kunst auch so interessant und inspirierend. So gibt Thomas Straub bei seinen auf den ersten Blick schwer zugängli- chen, als durchaus sperrig zu bezeichnenden Werken wenig Interpretationshil- fen. Das Gespräch dreht sich vorerst um das, was man ohnehin schon sieht und um technische Details. Da gibt es in den Skulpturen, den architekturbezogenen Raumeingriffen, den grafischen Collagen und den Videoarbeiten vieles, was eindeutig zuordenbar ist: Äste, die im Dialog auftreten, brennende Strohballen und Dornbüsche, Wände aus Pappe und Holz, Fotokopien bekannter Gemälde und mit Blattgold versehene Bilder und Objekte. Weitaus wichtiger zur Erforschung und letztlich zum Verständnis des Kunstschaffens von Straub sind die Gespräche, die sich um Kulturgeschichte und um Philosophie drehen. Straub: „Mich interessiert das zweite Konzil von Nicäa und seine Auswirkung auf die abendländische Kultur mehr als Pablo Picasso. Texte und Bücher von Hans Belting, Walter Benjamin, Georges Bataille 235 Linke Seite: Thomas Straub in seinem Atelier in Köln.


Kunst und Künstler und besonders Giorgio Agambens Text ‚Lob der Profanierung‘ eröffnen mir Tiefen, welche mich in meinen Auseinandersetzungen anreizen, noch konse- quenter an meiner Forschung zu arbeiten.“ Die Thesen von Belting, der die entscheidende Wende vom Kultbild zum Bild der Kunst in der Renaissance ansiedelte, und von Benjamin, der den ein- zigartigen Wert des „echten“ Kunstwerks in seiner Fundierung im Ritual sieht, sind auch für Laien nachvollziehbar. Agamben jedoch ist einen kleinen Exkurs wert. Der italienische Jurist und Philosoph Giorgio Agamben lotet den Raum des Menschlichen aus: in seiner Beziehung zu Erinnerung und Spiel, zur Re- ligion, zur Sehnsucht nach dem nicht Erinnerbaren, nach dem, was wir als unser Genie, unsere Autorschaft, unser Ich empfinden. Er fasst das Flüchtige als Bild, als Einbildung, in der Profanierung der metaphysischen Überbleibsel unserer sogenannten Individualität. Das ist nach Agamben streng von einer Säkularisierung zu unterscheiden, die die Machtverhältnisse lediglich von Gott auf die Menschen überträgt und somit im Grunde alles beim Alten belässt. Die Profanierung, und so lässt sich der philosophische Diskurs ganz konkret in Straubs künstlerischen „Forschungsarbeit“ überprüfen, löscht das Heilige nicht aus, sondern lässt es wie in einem Suchbild entstellt, verrätselt, aber auch mit neuer Leichtigkeit fortleben – so wie der Ritus fortlebt im Spiel. „Ich fühle mich dem Skeptizismus verbunden“ Und wie hält es Straub selbst mit der Religion? Seine Arbeiten erscheinen schließlich oft im sakralen Kontext wie in der St. Matthäus Kirche am Berliner Potsdamer Platz und in der ehemaligen Klosteranlage Obermarchtal, oder haben christliche Themen zum Inhalt wie seine vergoldete „Aureole“ oder die „Dornbusch“-Variationen. Straub: „Ich sehe mich weder einem fundamenta- len Glauben zugehörig noch einem reinen Atheismus, sondern fühle mich dem Skeptizismus verbunden. Gerade deshalb lässt mich die Auseinandersetzung mit der Sphäre des Sakralen auf der einen und dem Profanen auf der anderen Seite und die so oft vorzufindende Ambivalenz, welche die Dinge, die Bilder, die Objekte und die Inszenierungen aus unserer abendländischen Kulturge- schichte aufweisen, nicht mehr los.“ Rechte Seite oben: Billboard (The Absen- ce of Myth), 2010, Installationsansicht im Innenhof des ehemaligen Klos- ters Obermarchtal. Rechte Seite unten: Black Billboard, 2006, an der Land- straße nahe Matti Salminen’s Farm, Kellokoski, Finnland. Große Aureole, 2007. Holz, Blattgold, Poliment, Stahl. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch Straubs „Billboards“ verstehen. In großen Let- tern wird auf diesen Reklameta- feln die Abwesenheit des Mythos festgestellt oder konstatiert, dass am Ende doch Dunkelheit herrscht. In Frage stellen und die Umkehrung von tradierten Denkmustern: Die künstlerische Strategie Straubs zeigt Wirkung, ganz ohne Interpretationshilfe. So reduziert seine Wer- ke – nicht nur die Schrift arbeiten – sind, sie bergen ein großes Potenzial an Deu- tungen. Es geht Straub auch darum, wie 236


Thomas Straub 237


Kunst und Künstler Wert den Dingen zugeschrieben wird. Das offensichtlich Außergewöhnliche neben das vermeintlich Alltägliche stellen oder das Unbenutzte neben dem Abgenutzten zeigen, aber dabei keine Wertung zu geben. Spiel mit der Wahrnehmung Der Künstler spielt mit den Wahrnehmungsgewohnheiten der Betrachter, er- öffnet eine neue Sicht auf Altbewährtes und schärft den Blick für Details, die den Dingen eingeschrieben sind. Aussagen, die in der Profanierung-Debatte durchaus weiter helfen und die sich ebenso auf die vorerst nicht religiös mo- tivierten Werkgruppen anwenden lassen. Denn schließlich sind die Grenzen zwischen Kultbild und Bild fließend. So wie sich Thomas Straub Versatzstücke allgemein bekannter sakraler Bildwerke bedient und diese in einen neuen Zusammenhang stellt, bezieht sich seine Kunst in dem kaum überblickbaren Betriebssystem Kunst immer wieder auch auf Kunst. In diesem Kosmos tauchen kunsthistorische Wegmarken wie Hans Holbein der Jüngere, Albrecht Dürer, Kasimir Malewitsch, Andy Warhol oder Sol Lewitt auf. Er reduziert die kunsthistorischen Zitate auf ihre formale Ebene. Gegen- sätzlichkeiten werden mittels einer konzeptionell konkreten sowie narrativen Bildsprache neu ausgelotet. Das Offensichtliche und das Undurchsichtige er- scheinen gemeinsam im Bild. So verbirgt sich Dürer hinter einem Schiebe-De- ckel-Rahmen. Auch in der Ikonen-Serie geht es dem Künstler im Wesentlichen um die Struktur, die sich hinter den Bildern verbirgt und die ihre eigene visuelle Präsenz entfalten. Indem er anerkannte Heilige oder profanierte wie die Mo- delle von Warhol ganz banal und offensichtlich aus Büchern kopiert und mit edlem Blattgold hinterlegt, unterwandert er das Prinzip ihrer vermeintlichen Immaterialität. Schließlich gibt es noch die markanten Doppelungen, bei denen es auch um die Fragen nach Original und Autorenschaft und um die Auslotung von gegen- sätzlichen Polen geht. In dieser Werkgruppe wird am Beispiel eines Astes eine konkrete Form revidiert, indem sie spiegelbildlich kopiert wird. Der gefundene Ast wird möglichst exakt nachgeschnitzt. Original und Kopie stehen sich so als Zwillingspaar gegenüber. Wie in den Abklatschbildern des psychodiagnosti- schen Rorschach-Tests entfaltet sich in dieser Spiegelung ein psychologisches Moment. Wie schafft man nun die Verbindung von dieser doch sehr reduzierten und konzeptionellen aber vielfältige Assoziationen anstoßenden Kunst zu der auf den ersten Blick greifbareren Schemenschnitzerei? Anknüpfungspunkte finden sich in Straubs künstlerischem Werk durchaus viele. Rituale der Fast- nacht, die sich letztlich von heidnischen Bräuchen ableiten lassen, themati- siert Straub zum Beispiel in seiner Inszenierung „The Votive Square Fire“. Es gibt aber auch den philosophischen Überbau, den Straub für seine Kunst in Anspruch nimmt und der sich auch auf die in eines langen Brauchtums ein- gebetteten Handwerkskunst anwenden lässt. So stellte der Philosoph Walter Benjamin fest, dass die ältesten Kunstwerke im Dienst eines Rituals entstan- den seien, zuerst eines magischen, dann eines religiösen. In dieser Tradition 238 Oben links: Ohne Titel (Ikone nach van Gogh), 2013, Blattgold auf Poli- mentgrund auf A3 Fotokopie. Oben rechts: Skull (Ikone nach Warhol), 2009, Blattgold auf Polimentgrund auf A3 Fotokopie. Unten links: Ohne Titel (Rorschach Test), 2009, gefundener Holunderast, Linde geschnitzt und ge- schliffen. Unten rechts: Provi- sorische Wand (mit Überhang), 2010, Installationsansicht in der Ausstellung antiplastic im Badi- schen Kunstverein Karlsruhe.


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Kunst und Künstler könnte man die Villinger Schemen sicherlich sehen, selbst wenn es sich dabei nach der De- finition nicht um „echte“ Kunst handelt. Aber auch die originalen und kopierten Holzskulp- turen aus der Serie Rorschach-Test lassen die Brücke, wenngleich eine sehr konstruierte, zu den Schemen bauen. 2013 beim traditionellen „Scheme-Obed“ hielt Thomas Straub einen Vortrag zur Stil- kunde der Villinger Schemen. Die Kunst- und Kulturgeschichte der Maske wurde ebenso behandelt wie die stilkundliche Einordnung der Villinger Schemen. Hierbei kann man nach Straubs Ansicht den Narro dem Idealismus zu- ordnen, da mit Sicherheit behauptet werden kann, dass so ein Gesicht nie existiert hat, es handelt sich um ein „idealschönes“ Gesicht aus der Zeit des Barock und des Klassizismus. Die Merkmale der beiden Charaktere des Sur- hebels und des Morbilis weisen jedoch eher auf den Naturalismus hin. Man spricht auch von Portraitschemen, in denen oft versucht wurde, lokale „Charakterköpfe“ festzuhalten. Die Altvillingerin lasse sich am ehesten dem Idealismus mit einer Portion Naturalismus zu- ordnen. „Die Villinger Scheme im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit“ Thomas Straub geboren 1976 in Villingen-Schwenningen 1998 – 2001 Fachschule für Holzbildhauerei in Oberammergau 2001 – 2003 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Nürnberg 2003 – 2007 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe 2005 Academy of Fine Arts Helsinki 2007 – 2008 Master of Fine Art an der Glasgow School of Art Lebt und arbeitet in Köln. Straub weiß nicht nur in der Theorie, über was er spricht. Denn die kunsthistorischen Zuord- nungen finden in der Werkstatt des Bildhau- ers ihre praktischen Umsetzungen. Von der Holzauswahl über die Schnitzerei bis hin zum letzten Pinselstrich bei der Fassmalerei und der Anbringung des Kranzhaares. In seiner denkwürdigen Schlussbemerkung ging er einem „unschönen“ Gedanken nach und brachte den bekannten Buchtitel von Walter Benjamin ins Spiel: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reprodu- zierbarkeit“ und wandelte es um in „Die Villinger Scheme im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit“. Hier stellt sich wieder die Frage nach der Originalität. Straub: „Man könnte heutzutage diese Schemen in einem hochtechnischen Prozess exakt fertig Ko- pierfräsen lassen, das wäre gar kein Problem.“ Der Preis würde rasant sinken, aber in einigen Jahrzehnten wäre keiner mehr in der Lage, handgeschnitzte, individuelle und hochwertige Villinger Schemen zu schnitzen, da niemand mehr diese hohe Fertigkeit gelernt hätte. 240


XXX Steht für hand- geschnitzte Villinger Schemen in höchster Qualität: Thomas Straub. Aber dass diese reiche Villinger Schemenkultur nicht nur ein museales Relikt wird, dafür sorgen schon die traditionsbewussten Villinger Narren, die darauf bestehen, dass die Schemen handgearbeitet sind und damit diese rei- che Vergangenheit auch in Zukunft noch in ihrer gelebten und altüberlieferten Form erhalten bleibt. Nicht zuletzt aufgrund handwerklich versierter und mit bewährten Techniken vertrauten Schemen-Schnitzer wie Thomas Straub einer ist, der selbstverständlich – obwohl weitgereist und nun in Köln lebend – das Brauchtum seiner Heimatstadt authentisch lebt und vor allem überzeugend pflegt. 241


Kunst und Künstler Physiologieprofessor und facettenreicher Künstler Kunst sollte für sich sprechen und ohne die eigene Interpretation zu sehr beeinflussenden Erläuterungen des Künstlers auskom- men. Diesem Grundsatz gehorchen auch die Arbeiten von Helfried Günther Glitsch, der in Königsfeld lebt. von Stefan Simon Trotz der Vielfalt ist das Werk des 1937 in Berlin geborenen, ab 1949 in Königs- feld aufgewachsenen und nach zahlreichen Etappen seit 2000 wieder dort lebenden Künstlers überschaubar und klassifizierbar und vor allem, in den verwendeten unterschiedlichen künstlerischen Techniken, stets mit seiner in- dividuellen Handschrift verbunden. Da gibt es die Malereien, Druckgrafiken und Pappen, die Landschaften, Architektur, Stillleben, Portraits und Akte zum Inhalt haben. Man scheint das Werk zu kennen und dennoch stößt man immer wieder auf etwas Neues, Unbekanntes. Auf ein Bild, das man noch nicht in einer seiner zahlreichen Ausstellungen gesehen hat. Bei dem Besuch des Ateliers, das im modernen Wohnhaus in einer reizvol- len Königsfelder Randlage untergebracht ist, und nach der intensiven Durch- sicht von mehreren hundert Arbeiten, führt der Hausherr in sein Arbeitszim- mer. Dort hängt das Gemälde „Digitalis“ aus dem Jahr 1990. Es handelt sich 242 „Digitalis“, Selbstbildnis aus dem Jahr 1990.


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Kunst und Künstler um ein Selbstbildnis, das sich wesentlich von den anderen unterscheidet: Stellt sich Glitsch in der Regel auf seinen frühen wie späten Selbstbildnissen mit den typischen Künstler-Attributen, wie etwa der Staffelei, dar, so sieht man den Künstler hier lediglich vor einer grünen Tafel. Darauf sind Namen und Diagramme zu erkennen. Die eigene Interpretationsbereitschaft hilft jetzt nicht wirklich weiter, nun ist die Hilfestellung des Künstlers gefragt. Denn schließlich handelt es sich, wie sich herausstellt, um ein Schlüsselwerk. Um ein Bild, das die zwei Berufungen Glitschs vereint. Da gibt es zum einen die male- rische Qualität, wie etwa das Grün der Tafel umgesetzt wird, oder wie sich der Künstler knapp und prägnant neben der Abbildung eines Fingerhuts (Digitalis) darstellt. Zum anderen ist es der vorerst irritierende Inhalt, der im Gegensatz zum Gesamtwerk nicht nur als Malanlass genommen wird, sondern illustrati- ven, erzählenden Charakter hat. Denn die Wirkstoffe des Fingerhuts, botanisch „Digitalis“, werden zur Therapie der Herzinsuffizienz eingesetzt. Die Diagram- me beziehen sich auf die Wirkungsweise der Substanzen, die aufgeführten Namen bezeichnen Mitarbeiter in Glitschs Forschungsteam und ausländische Kollegen. Denn Glitsch ist bei aller Kunst auch ein Mann der Wissenschaft. Sein Brotberuf war jahrzehntelang der des Physiologen. Berufung… Nach dem Abitur am Königsfelder Zinzendorf-Gymnasium studierte Helfried Günther Glitsch als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes von 1957 bis 1963 in Heidelberg Medizin. Mit beachtlichem Erfolg. Über Zwischen- stationen in Mainz, Plymouth und Cambridge kam er 1973 als Professor für Physiologie (Lehre von den normalen Lebensvorgängen) an die Ruhr-Universi- tät Bochum, an der er bis zu seiner Pensionierung Ende 2000 eine selbständige Arbeitsgruppe leitete. Die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit sind in zahlreichen Fachzeitschriften veröffentlicht. Als Physiologieprofessor war Glitsch verschiedentlich zu längeren Arbeitsaufenthalten im Ausland. Seine Forschungen führten ihn 1977 nach Orsay bei Paris, 1982 hatte er eine Gastpro- fessur an der Rockefeller-Universität in New York inne und Anfang der 1990er Jahre in Kortrjik/Leuven (Belgien). …und Leidenschaft Neben diesem medizinischen Forscherdrang zeigte sich bei Glitsch schon früh seine künstlerische Begabung. Während des Studiums in Heidelberg nahm er im Collegium Academicum auch intensiv an Veranstaltungen außerhalb der eigenen Fakultät teil. Und schließlich an der Bochumer Ruhr-Universität konn- te er neben seiner wissenschaftlichen Arbeit seiner künstlerischen Passion im Kreise Gleichgesinnter nachgehen. Von 1995 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 war Glitsch ehrenamtlicher Leiter des Musischen Zentrums, jenes Instituts, wo er einst selbst von namhaften Künstlern wie dem Maler Hans-Jür- gen Schlieker oder der Radiererin Barbara Grosse unterrichtet wurde. Seit 2006 ist er Mitglied des Kunstvereins Villingen-Schwenningen. 244 Donishof, 2009, Öl


Helfried Günther Glitsch


Kunst und Künstler Ein breites Spektrum an künstlerischen Ausdrucksformen Das große neugebaute Haus, das Glitsch nach seiner Pensionierung mit seiner Frau in Königsfeld bezog, ein geräumiges Atelier, die professionell ausgestatte- te Druckwerkstatt bieten dem Besucher die Möglichkeit, sich einen Überblick über das ganze Spektrum der künstlerischen Arbeit zu verschaffen. Bei der abwechslungsreichen Auseinandersetzung mit über 50 Jahren künstlerischem Schaffen begegnet man Malerei, Zeichnungen, Ritzungen, Radierungen in den unterschiedlichsten Technik-Variationen und ins dreidimensional gehende fi- gurative Arbeiten aus Wellpappe. Duisburg-Nord, 1997, Aquatinta Anhand der Jahreszahlen bemerkt man eine konsequente Entwicklung vom detailliert Abbildhaften, wie bei dem Ölbild „Selbstbildnis“ aus dem Jahr 1955, bis hin zum rein Bildhaften, bei dem das Motiv in Ansätzen zwar noch er- kennbar ist, aber mehr Malanlass wird wie die, die reine Autonomie des Bildes unterstreichende, malerische Collage jüngsten Datums. Vom am Naturvorbild orientierten, akademisch geschulten Blick hat sich Glitsch mit den Jahren ge- löst und ist zu seiner eigenen Handschrift, zu seinen individuellen Bildfindun- gen gelangt. Die Motive findet Glitsch da, wo er sich gerade aufhält: während der Studienzeit im Neckartal oder am Zürcher See, lange Jahre im Ruhrgebiet und nun eben vermehrt im Schwarzwald direkt vor der Haustüre oder einfach in der Zeitung. Soweit eine grobe Beschreibung eines umfangreichen Werkes, dem man sich über die angewandten Techniken, aber auch über die Bildinhalte nähern kann. Man kann das Konvolut der Arbeiten nun chronologisch inspi- zieren, nach technischen Aspekten oder nach inhaltlichen. Die Vorgehenswei- se spielt keine Rolle, denn die verschiedensten zeitlich parallel verwendeten Techniken sind vernetzt durch die Motive. Ob Glitsch nun malerisch, grafisch oder materialhaft arbeitet, seine Themen finden sich in allen Bereichen wie- der. Sofern man sie denn sofort erkennt; er wolle dem Betrachter keine ein- deutige Aussage aufzwingen, so Glitsch. Helfried Günther Glitsch geboren 1937 in Berlin 1957 Abitur in Königsfeld/ Schwarzwald (Ortsschüler seit 1950) 1957 – 1963 Medizinstudium in Heidelberg, Promotion zum Dr. med. 1973 – 2000 Professor für Physiologie an der Ruhr-Universität Bochum 1978 – 2000 Arbeit am Musischen Zentrum der Ruhr- Universität 1996 – 2000 Direktor des Musischen Zentrums 246 So sind seine Arbeiten stets Angebote, die mit der eigenen Seherfahrung zu deuten sind. Die Kompositionen verraten viel über Glitschs Sicht der Dinge. Denn auch die vermeintlichen Natureindrücke sind oft auf re- duzierte Flächen beschränkt: als Erinnerung daran, dass es sich bei unseren Landschaftsformati- onen immer um vom Menschen verwandelte Natur handelt. Bei dem Ölbild „Lotharpark“ (2006) hat die Natur dem Menschen freilich seine Grenzen aufgezeigt. Glitschs Kommentar: „Zerstö- rung gehört eben zur Wirklich- keit“. Landschaft bei Obereschach, 2003, Wellpappe


Helfried Günther Glitsch


Kunst und Künstler Zerstörung, 2005, Öl So ergeben auch die vielen Zeitungsfotos von Unfällen und Katastrophen, die neben Skizzen und Fotos von Schwarzwaldhöfen über dem Werktisch hän- gen, einen Sinn. Die Architektur eines Schwarzwaldhauses, die Industriebra- chen im Ruhrpott, die Landschaft aus dem Atelierfenster gesehen, aber auch die ineinander verkeilten Autos und die Überreste eines durch eine Explosion zer- störten „Kosovo-Busses“: Jedes Motiv hat seine eigene Ästhetik. Bei den „Chaos- bildern“ wird die ästhetische Destruktion, besser die Dekonstruktion, malerisch gelöst und analog zu den anderen Themen auch in den Radierungen umgesetzt. Radierungen Während die Bildentstehung bei den malerischen Arbeiten nach den Gesetz- mäßigkeiten einer spontan-kalkulierten Geste funktioniert, sind die aus meh- reren Platten entstandenen Farbradierungen, ebenso wie die einfarbigen Blät- ter oder die Aquatinta, immer Ausdruck eines wohlüberlegten Plans. Der wilde Strich ist genauso konstruiert wie das geometrisch angelegte Haus oder die ins Raster gesetzte Landschaft. Die aufwändige Tiefdrucktechnik verzeiht keine Fehler, so muss eben schon bei den ersten Schritten der Nadelführung oder des Ätzvorgangs das erwartete Ergebnis vor Augen sein. „Trümmer“, „Zerstörung“, „Autowrack“: Zivilisationskritik könnte drin stecken, aber man wird den Bild- welten Glitschs sicherlich nicht gerecht, sie zuerst nur auf diese Interpretation hin zu betrachten. So wie in der Malerei der durch den Orkan gezeichnete Wald Malanlass wird, so lässt sich der Künstler durch die Schrotthaufen zu seinen vielschichtigen Radierungen und somit zu eigenen Bildfindungen inspirieren. 248


Helfried Günther Glitsch Lotharpark, 2006, Öl


Kunst und Künstler Winterlandschaft, 2005, Wellpappe Mit den druckgrafischen Umsetzun- gen deformierter zivilisatorischer Er- rungenschaften bewegt sich Glitsch an der Grenze zur Abstraktion. Die Trümmer türmen sich auf zu Gebir- gen, lassen den Blick über farbkräfti- ge Schrottlandschaften gleiten und laden gerade aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades letztlich wieder zur Interpretation ein. Pappen Autowrack, 2009, Farbaquatinta Neben den teils großformatigen Malereien, bei denen der Künstler schon in frühen Jahren einen hohen Abstraktionsgrad erreicht, und den Radierungen treten die „Pappen“ gleichberechtigt in seinem Gesamtwerk auf. Der Begriff „Pappen“ bezeich- net nicht nur das verwendete Material wie etwa bei „Arbeiten auf Papier“. Die gewöhnliche Wellpappe ist mehr als nur der Bildträger für Farbe, die als ureigenstes Medium der Malerei Form annimmt. Die Motive, ob es sich nun um Stillleben, Landschaften, Industriegebäude oder Menschenbilder handelt, entstehen vielmehr aus dem unkonventionellen, banalen Werkstoff, indem die Material-Eigenschaften künstlerisch veredelt werden. Zum einen wird die Struktur malerisch hervorgehoben, zum anderen wird das Gefüge des Kartons als Bildelement genutzt. Unabhängig von einem bestimmten Naturvorbild liegt der Reiz bei diesem Material für den Künstler darin, in der Kombinati- on von unterschiedlichen Oberflächenstrukturen ein Bild zu konstituieren. Dass sich Glitsch als Bildgegenstand in diesem Metier auch der akademisch klassischen Aktdarstellung bedient, macht die Sache nicht einfacher. Gilt es doch dabei einigermaßen anatomisch korrekt unter Beachtung der Proporti- onsverhältnisse zu arbeiten und dem Material mit Sachverstand auf den Leib zu rücken. Mit dem Fingernagel zart geritzt, großflächig gerissen oder mit dem Messer akkurat geschnitten: Die Pappen legen mit wenigen gezielten Eingriffen partiell ihr Innerstes offen. Die entstandenen freigelegten Struktu- ren ergeben mit noch vorhandenen Teilen der Kaschierung der Pappe und mit äußerst wenigen malerischen Einsätzen die Aktdarstellungen. Dass er dabei den Grundsatz „weniger ist mehr“ beachtet und sich als Maler in Askese übt, macht die Sache noch interessanter. Farbe kommt sparsam zum Einsatz, wenn es gilt eine Kontur oder die Riffelung deutlich hervorzuheben. Ansonsten leben die Pappen einzig und allein durch ihren Materialcharakter. Malerei, Druckgrafik, Pappen: Wo liegen nun die Stärken, was sind aus Be- trachtersicht die Favoriten? Schwer zu sagen. Der Künstler bewegt sich in allen Bereichen stilsicher und überzeugend in Richtung Autonomie des Bildes. Stillleben, 2003, Wellpappe 250


Helfried Günther Glitsch


12. Kapitel Umwelt und Natur Die Rückkehr der Wildtiere von Wolf Hockenjos In Zeiten eines weltweiten Artenschwunds wird die Rückkehr einst ausgerot­ teter Wildtierarten zuallermeist freudig begrüßt, feiern wir sie doch als späte Wiedergut machung, als Erfolgsnachweis für den Artenschutz. Auch als Indiz für einen noch immer vergleichsweise naturnahen, intakten Lebensraum. „Vier von fünf Deutschen wollen mehr Wildnis“, heißt es in Zeitungsberichten zu einer Umfrage des Bundesumweltministeriums. Das sind 20 Prozent mehr als bei der ersten Untersuchung 2009. 252


Braunbär in den Fürstlich-Fürstenbergischen Sammlungen in Donau eschingen. Erleger: Prinz Karl Eugen zu Fürstenberg, 1897. Zur Bärenjagd eingeladen wurde er von „Seiner Kaiserlichen Hoheit“, dem russischen Groß- fürsten Wladimir Alexandrewitsch. Die Rückkehr der Wildtiere Auch in den Schwarzwald­ Baar­Kreis kehren verstärkt Wildtiere zurück. Doch nicht alle Heimkehrer haben nun einmal das Zeug zum Sympa­ thieträger: Die Vorstellung, im heimischen Wald unverhofft einem Wolf oder Luchs, gar ei­ nem Bären zu begegnen, erfüllt uns, mag sie noch so unwahr­ scheinlich sein, durchaus mit gemischten Gefühlen. Schließ­ lich sind sie in unserer Kultur­ landschaft ja nicht grundlos verschwunden oder doch schon vor etlichen Jahrhunderten aus­ gerottet worden, wie man für die Region in der 1938 erschie­ nenen „Geschichte der Jagd in den schwäbischen Gebieten der fürstenbergischen Standesherr­ schaft“ von Kurt Stephani nach­ lesen kann. Dieser Quelle zufol­ ge ist der letzte Bär schon vor fast einem halben Jahrtausend im Krumpenloch bei Hamme­ reisenbach gefangen worden. Wohingegen der allerletzte Schwarz- wälder Bär 1740 in den Wäldern um Wolfach erlegt worden ist. Spätes- tens der Umgang mit „Problembär“ Bruno, in den Medien als „Hinrich- tung“ gescholten, hat uns überdeut- lich vor Augen geführt, wie schwer man sich unterdessen mit großen Beutegreifern tut, selbst wenn es um das Überleben der letzten Alpenbä- ren geht. 253


Umwelt und Natur Ein Wolf in freier Natur. Foto: Erich Marek Gar nicht mehr märchenhaft unwirklich ist mittlerweile die Aussicht auf das Wiederauf- tauchen des Wolfs. Baden-Württemberg ist „Wolfserwartungsland“, und wie in den anderen Bundesländern feilen Wildbiologen auch hierzu- lande bereits emsig an einem Managementplan, um unliebsame Überraschungen durch den Neu- ankömmling und Fehlhandlungen à la Bruno zu vermeiden, unbegründete Ängste abzubauen und Fragen der Vorbeugung und Entschädigung von Schäden durch Wolfsrisse abzuklären. Weil Isegrimm aus den Südalpen wie aus Polen bereits bis in die Nachbarschaft vorgedrungen ist, in die Schweizer Kantone Graubünden und Luzern wie in die Vogesen, vereinzelt aber auch schon nach Bayern und Hessen, rechnen die Experten fest mit seinem baldigen Eintreffen auch bei uns. Bei dem in der Freiburger Forstlichen For- schungs- und Versuchsanstalt (FVA) angesie- delten Monitoring-Team aus Wildbiologen sind auch hierzulande bereits mehrfach Berichte über Wolfsbeobachtungen eingegangen, die bislang jedoch nicht bestätigt werden konnten – erste Anzeichen einer Wolfshysterie? Eine vom Ministerium Ländlicher Raum ein- gesetzte Arbeitsgruppe ist schon seit einem Jahr- zehnt damit befasst, Landwirte und Jäger auf die Wiederkehr der mittlerweile streng geschützten großen Beutegreifer Luchs und Wolf vorzubereiten. 254 Wolfsalarm mit Kirchenglocken „Er war der Schrecken der Landbevölkerung“, heißt es bei Stephani noch über den Wolf, „weil er viele Schafe, aber auch Rindvieh und sogar Pferde riss. Und welchen Schaden er dem Wild- bestand zufügte, ist aus der anliegenden Ab- schrift des Notizbuches eines fürstlichen Jägers aus den Jahren 1582 bis 1590 zu ersehen.“ Diesen Notizen zufolge dürfte sich der Schre- cken der Bevölkerung ausgangs des 16. Jahrhun- derts freilich in Grenzen gehalten haben: So war im Jahr 1583 nur eine einzige Hirschkuh vom Wolf gerissen worden, und Rotwild gab es damals mehr als reichlich auf der Baar, wie wir aus den Klagen der Untertanen über Wild- und Jagdschä- den wissen. Im nämlichen Jahr wurden 22 Stück Rotwild von wildernden Hunden gerissen, vier weitere von Wilderern erbeutet und immerhin 122 von fürstlichen Jägern regulär erbeutet. Was nicht heißen soll, dass Wölfe nicht mitunter auch zur Plage für die Bevölkerung werden konnten. Wann immer einer auftauchte, war im Fürs- tenbergischen nach der Wartenbergischen Wolfsordnung aus dem Jahr 1540 zu verfahren, einem ausgeklügelten und hocheffizienten Alarm- und Abwehrsystem, das Stephani wie folgt beschreibt: „Nach ihr musste, sobald sich der Wolf zeigte, von Dorf zu Dorf mit der klei-


nen Kirchenglocke durch 3 Schläge das Alarm- zeichen gegeben werden. In jedem Dorf waren Leute, welche zur Haltung großer starker Hunde, sogenannte Wolfshunde, verpflichtet waren. Diese mussten auf das Alarmzeichen sofort auf- brechen und sich nach einem Sammelpunkte begeben, der in der Wolfsordnung für jedes Dorf festgelegt war. Unter Strafvermeidung mussten sie dort warten, bis der fürstliche Forstmeister kam, um ihnen weitere Weisungen zu geben. Unter Verwendung von Jagdzeug versuchte man, die Wölfe einzukreisen und, Treibjagden zu veranstalten, bei welchen so viele Treiber auf- geboten wurden, dass Mann an Mann ging, um damit nach Möglichkeit zu vermeiden, dass der Wolf aus dem Trieb ausbrach.“ Wolf reißt 16 Schafe und Lämmer Außer auf Treibjagden setzte man auf stationäre Abwehrmittel, auf Fallen und „Wolfsgärten“, an die noch heute mancher Flurnamen (z. B. Wolfs- hag bei Gutmadingen) erinnert. Da ist es fast ver- wunderlich, dass die endgültige Ausrottung erst im 19. Jahrhundert gelang: Nach langer Pause, so berichtet Stephani, tauchte im März 1805 noch- Die Rückkehr der Wildtiere mals ein Wolf auf, der in der Nähe des Fischer- hofs einen Hund und ein Schaf riss. Er konnte zunächst nicht dingfest gemacht werden, erst der Winter konnte seine Erlegung bringen. In der Nacht vom 21. auf den 22. De- zember brach er in einen Schafspferch ein und tötete 16 Schafe und Lämmer. Obwohl man ihn im Schnee aufgespürt hatte, wurde er zunächst vergeblich bejagt, bis es am 27. Dezember gelang, ihn in den Immendinger Bergen einzu kreisen. Unter Aufgebot einer dicht geschlossenen Trei- berwehr brachte man ihn vor die Schützen, er wurde von dem fürstlichen Hofkandidaten Karl Meggerle erlegt. Die Freude war so groß, dass die glücklichen Wolfsjäger bei ihrer Rückkunft nach Donaueschingen in feierlichem Zuge von der fürstlichen Musik unter Begleitung des Bür- germeisters und des Militärs eingeholt wurden.“ Der letzte Wolf des Landes wurde 1847 im Stromberggebiet erlegt. Ihm hatte der Volks- mund schon Monate zuvor einen Spitznamen verpasst: Man nannte ihn nach einem damals populären algerischen Freiheitskämpfer den „württembergischen Abd-el-Kader“. Was zeigt, dass dem Allerletzten seiner Art doch auch be- reits eine gewisse klammheimliche Sympathie entgegengebracht worden ist. Die Wolfsjagd von Ansbach, als Wolfsgrube diente ein Brunnen. Angeblich hatte der Wolf Kinder verschleppt. Später wurde das Tier als Mensch verkleidet und gehängt (links). Wolfsgruben gab es auch im Schwarzwald- Baar-Kreis. (Bild: Wikipedia) 255


Umwelt und Natur Der Luchs als Jagdtrophäe in den Fürstlich-Fürsten- bergischen Sammlungen in Donaueschingen und in freier Natur (Foto: Wolfgang Echle). Der Luchs – natürlicher Fressfeind des Rehwildes Sehr viel heimlicher – und auch nicht ganz so übel beleumundet – war der Luchs, der natür- liche Fressfeind des Rehwilds. In den Aufzeich- nungen jenes fürstlichen Jägers werden noch zwei erlegte Luchse aufgeführt, doch spätes- tens zu Beginn des 18. Jahrhunderts scheint er im fürstlichen Jagdgebiet vollends ausgerottet gewesen zu sein, denn seit 1720 sind die FF-Jagd- strecken lückenlos dokumentiert. Der letzte Ori- ginalschwarzwälder Luchs wurde 1770 am Kal- tenbronn erlegt, der angeblich allerletzte Luchs Deutschlands 1846 an der Ruine Reußenstein in der Schwäbischen Alb. Doch wie, bitteschön, ist da die folgende Mel- dung aus der Schwarzwälder Zeitung (dem Vor- läufer des Schwarzwälder Boten) vom 20. Dezem- ber 1922 einzuordnen? Villingen, 19. Dez. Bei ei- nem kürzlichen Treibjagen wurde auf der Gemar- kung Kappel ein Luchs weiblichen Geschlechts geschossen. Das in Deutschland jetzt nur noch äußerst selten vorkommende Raubtier hatte ei- ne Gesamtlänge vom Kopf bis zur Schwanzspitze von 1,30 Meter, es war also ein ganz respektab- les Tier. Pächter der Jagd auf Gemarkung Kappel ist Herr Jean Weis-Königsfeld, der somit auch 256 Eigentümer des erlegten Raubtiers ist. Ein Fall von Jägerlatein? In Mitteleuropa sind heute alle Luchspopulationen, ob im Schweizer Jura, in den Vogesen, im Harz oder im Bayerischen Wald, aus Wiedereinbürgerungsprojekten hervorgegan- gen, die seit den 1970er Jahren zumeist unter wissenschaftlicher Begleitung und mehr oder weniger erfolgreich durchgeführt worden sind. Anders als der Wolf schafft es der Luchs nicht, neue Lebensräume über die Siedlungs- und Ver- kehrsbarrieren hinweg selbsttätig zu besiedeln. Ausgangs der 1980er Jahre wurde erstmals auch eine Auswilderung im Schwarzwald in Betracht gezogen, nachdem die Wissenschaft und auch der zuständige Stuttgarter Minister das größte deutsche Waldgebirge als für eine Luchspopula- tion durchaus noch geeignet befunden hatten. Schwierige Luchs-Wiedereingliederung Auslöser waren damals der Kernkraftunfall in Tschernobyl und die Verstrahlung auch der Schwarzwälder Rehe: War es da nicht ange- bracht, die natürlichen Regulatoren von Rehwild- beständen, den Winter und die Fressfeinde, wie- der ins Spiel zu bringen, wo doch das Wildbret zum menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet war? Ausgerechnet in einer staatlichen Jagdhüt- te auf jener Kappeler Gemarkung wurde in der Folge die Luchs-Initiative Baden-Württemberg e. V. gegründet. Dass sich deren Satzungszweck, die


Die Rückkehr der Wildtiere Der Biber ist zurück: Biberdamm im Donauried bei Donaueschingen. Rechts ein Biber in freier Natur (Foto: Erich Marek). Wiedereinbürgerung des Luchses, noch immer nicht hat realisieren lassen, obwohl vereinzelte Jungtiere es immer wieder mal über den Rhein herüber geschafft haben und die Naturparke schon seit Jahren mit dem „seltensten Tier des Schwarzwalds“ zu werben pflegen, liegt nicht zu- letzt am hinhaltenden Widerstand von Bauern und Jägern. Was zeigt, dass nicht ausnahmslos alle Spätheimkehrer von allen willkommen ge- heißen werden, zumal wenn sie zu Beute- und Nutzungskonkurrenten des Menschen werden könnten. Für eine künstliche Nachhilfe bei der Wiederbesiedlung des Schwarzwalds hat sich inzwischen zu Teilen sogar die Politik erwärmen lassen, nachdem die Bundesregierung im Rah- men ihrer Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt im Jahr 2007 das Ziel einer Wiederbe- siedelung aller noch geeigneten Lebensräume durch große Beutegreifer vorgegeben hatte. 1750 wurden noch 21 Wildkatzen erlegt Später als die großen Beutegreifer wurde die Wildkatze bei uns ausgerottet. Noch 1750 wur- den, Stephani zufolge, 21 „Wildkuder“ im Fürsten- bergischen erlegt, und noch „in den 1830er Jah- ren wurden fast alljährlich noch einzelne Wild- katzenfelle aus fürstlichen Jagden verkauft. Nun ist auch sie wieder auf dem Vormarsch, so heim- lich sich dieser, ausgehend von Restvorkommen im Elsass und in der Eifel, vollzieht, tatkräftig un- terstützt durch eine BUND-Kampagne. Wildkat- zen-Nachweise im Schwarzwald-Baar-Kreis sind bisher leider noch nicht gelungen. Der Biber ist zurück Gar nicht heimlich, vielmehr unübersehbar voll- zieht sich die Wiederbesiedlung der heimischen Gewässer durch den Biber, zurückzuführen auf Auswilderungen in Bayern und in der Schweiz ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Rückkehr dieses Ureinwohners gilt als größte Erfolgsge- schichte des europäischen Artenschutzes, auch wenn sie mit land- und forstwirtschaftlichen Konflikten einhergeht, die man mit Maßnahmen des Bibermanagements zu entschärfen trachtet. Über seine hiesige Ausrottungsgeschichte weiß man wenig, da der Biber nicht zu den jagdbaren Tieren gehörte. Im Gegensatz zum Otter, der „in den fischrei- chen Gewässern des Schwarzwaldes und der Baar von jeher vertreten war“, wie Stephani schreibt, „wenn auch stets nur in bescheidener Zahl.“ Aus den FF-Jagdstrecken verschwand er als Raubwild und „arger Fischräuber“, auf dessen Erlegung ei- ne Prämie ausgesetzt war, endgültig im Jagdjahr 257


Umwelt und Natur Der Fuchs ist das zahlenmäßig mit Abstand häufigste Wildtier im Schwarzwald-Baar-Kreis. 1922/23. Aus dem Bregtal findet sich die Angabe, wonach früher, als es in der Breg noch Fischotter gab, der Fischreichtum größer gewesen sei. Noch ist nicht absehbar, ob auch er wieder eine Chance auf Rückkehr erhält. 2013 wurden 1.448 Füchse erlegt Als gänzlich unbeeindruckt von noch so inten- siver Bejagung, zeigt sich der schlaue Fuchs, der sich neuerdings vermehrt auch in jagdgesetzlich „befriedeten“, innerörtlichen Bereichen wohlzu- fühlen scheint. 3.000 bis 4.000 Füchse, liest man in der Zeitung, lebten derzeit in der Großstadt München, und auch die Villinger Südstadt kann ein Lied davon singen. Dabei war die Fuchsjagd „in den höchsten Kreisen bekannt und beliebt, sie wurde wiederholt vor dem Weltkrieg auch 258 von dem deutschen Kaiser besucht“, berichtet Stephani. Unweit der fürstlichen Residenz, auf dem Schellenberg, befand sich bis unlängst noch ein Gedenkstein, mit dem an den 1.000 (!) von Kaiser Wilhelm II. erlegten Fuchs erinnert wur- de. Die Tagesstrecken beliefen sich auf bis zu 42 Füchse (in den Wintern 1935/36 und 1936/37 im Unterhölzerwald). Zur Einordnung: die Fuchs- strecke des Schwarzwald-Baar-Kreises im Jagd- jahr 2013 beträgt 1.448 Stück. Überlebt haben trotz heftigster Bejagung bekanntlich auch Dachse, Marder, Iltisse, Wiesel, die allesamt, wie bisweilen sogar der Igel, als der Niederwildjagd abträglich und demnach als Raubwild bekämpft wurden. Wildschweine die Problemtierart schlechthin Als noch robuster hat sich, bekanntermaßen, das Schwarzwild erwiesen, derzeit die Problemtier- art schlechthin. Dabei standen Wildschweine in „Badisch Sibirien“ mehrfach kurz vor der Ausrot-


Die Rückkehr der Wildtiere tung, denn im Winter ging ihnen die Nahrung aus. Dennoch lagen bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Schwarzwildstrecken noch über den Rehwildstrecken (auch dem Rehwild behagte die Winter nicht, solange nicht gefüt- tert wurde!), doch aufgrund der zunehmenden Klagen der Bauern wurden die Sauen in der Folge so stark bejagt, dass sie im Jahr 1807 bei einer Wildzählung auf den Fürstenbergischen Jagden nicht mehr erwähnt und im gesamten 19. Jahr- hundert nur noch sehr vereinzelt erlegt wurden. Wahrscheinlich hätte man das Schwarzwild gänzlich aus den Augen verloren, wäre nicht 1782 im Unterhölzerwald innerhalb des dorti- gen Damwildparks noch ein „Schweinegarten“ errichtet worden. Es wird vermutet, dass wäh- rend des Ersten Weltkriegs Sauen aus den heftig umkämpften Vogesen über den Rhein herüber- schwammen und schließlich auch auf der Baar wieder stärker in Erscheinung traten, allerdings vorzugsweise in den laubbaumreicheren Revie- ren südlich der Donau. Eine nachhaltige Erholung der Schwarzwildbestände erfolgte erst nach dem Die Problemtierart schlechthin: Wildschweine im Unterhölzerwald. Zweiten Weltkrieg und erst recht nach der Inten- sivierung des Maisanbaus in der jüngsten Ver- gangenheit. Jagdstrecken wie „Rote Listen“ Beim Federwild, ebenfalls unterteilt in nützli- che und schädliche Arten, lesen sich die fürstli- chen Jagdstrecken heute wie „Rote Listen“. Mit Abstand an prominentester Stelle rangiert das Auerhuhn, nachdem die Jagd auf den balzenden Hahn der hohen Jagd zugerechnet worden war – für gekrönte wie ungekrönte Häupter fraglos das Höchstmaß jagdlichen Lustgewinns. Weshalb das Fürstenhaus sich, nachdem das standesherr- schaftliche Jagdregal im Zuge der Revolution von 1848 gefallen war, erfolgreich um Zupachtung nahezu aller Balzplätze der Region bemühte. Die 259


Umwelt und Natur höchste Jahresstrecke wurde im Jahr 1910 mit 174 Hähnen erzielt, wobei es nicht selten vorkam, „dass einzelne Herren mehrere Hahnen an einem Morgen schießen“ (Stephani). Die Strecke eines einzigen Morgens auf den Balzplätzen um Peterzell lag bei 14 Hähnen, drapiert um den Eingang des Gasthofs Krone, wie es ein Foto aus dem Jahr 1914 belegt. Au- erwild genießt seit dem Jahr 1972 ganzjährige Schonzeit, dennoch gilt der „Charaktervogel des Schwarzwalds“, allen Rettungsbemühun- gen auch seitens der Jägerschaft zum Trotz, als stark gefährdet, mutmaßlich, weil sein Biotop, der beerstrauchreiche Wald, sich allzu sehr zum Nachteil der Auerhühner verändert hat. Das scheue Haselhuhn wohl ausgestorben Offenbar ausgestorben ist jüngst erst die kleine Waldhühnerart, das scheue Haselhuhn. Schon wie ein Nachruf klingt, was Stephani über seine Vorkommen in den 1930er Jahren zu berichten weiß: „Leider müssen wir im ganzen Schwarz- wald die Bemerkung machen, dass dieses schöne Wild zahlenmäßig von Jahr zu Jahr in auffallen- der Weise abnimmt, obwohl immer nur ganz wenige Stücke erlegt werden.“ Auch beim Ha- selwild dürften letztendlich andere Ursachen als die Jagd zu seinem endgültigen Verschwinden geführt haben: der Lebensraumverlust durch die neuzeitliche Waldwirtschaft, möglicherweise auch der Klimawandel. Alles bejagt, was krumme Schnäbel hatte Nicht zuletzt der Feld- und Waldhühner, auch der Hasen und Rehe wegen wurde einst alles bejagt, was krumme Schnäbel hatte, Tag- und Nacht- greifvögel vom Adler bis zum Uhu, dazu der Kolkrabe, ja selbst – seines krummen Schnabels wegen – bis in die 1920er Jahre (mit jährlich „an- nähernd bis 400 Stück“, so Stephani) auch noch der große graue Raubwürger, Vogelarten, deren Verschwinden nicht zuletzt der Jagd anzulasten ist. Weitaus weniger erfolgreich war die Beja- gung von Krähen, Elstern und Eichelhähern, auch 260 Die Strecke eines einzigen Morgens: Erlegt wurden 14 Auerhähne, die um die Gasthaustüre der Krone in Peterzell herum drapiert sind. von Habichten, Sperbern, Bussarden, Falken und Reihern, wiewohl sie jährlich zu Abertausenden erlegt wurden. Immerhin: Uhu, Kolkrabe und Wanderfalke sind dank erfolgreicher Schutzbe- mühungen wieder da, die Bestände anderer vor- mals verfolgter Arten konnten sich stabilisieren, ja sogar kräftig erholen. Und einige sind wohl endgültig zu Verlierern geworden. Jenseits allen – längst überholten – Nützlich- keits- oder Schädlichkeitsdenkens und unabhän- gig von den jagdlichen Nutzungsmöglichkeiten sollen sie nun möglichst alle wieder ihren Platz finden, denn Artenreichtum ist der Schlüssel zur Gesunderhaltung von Ökosystemen; so wollen es jedenfalls die europäischen und die nationa- len Artenschutzgesetze, so will es die Nationale Biodiversitätsstrategie von 2007, von den Feldler- chen bis zur Spitze der Nahrungspyramide, zu den „Spitzenprädatoren“ Wolf und Luchs. Die Bären lassen wir einstweilen lieber noch außen vor.


Die Rückkehr der Wildtiere Trotz strenger Schutzmaßnahmen ist ungewiss, ob der Auerhahn überleben kann. Foto: Erich Marek 261


Umwelt und Natur Die Lärchen von Wolf Hockenjos Späte Einbringung mit nur bescheidenen Erfolgen – Baumserie (Teil 9) 262


Die Lärchen So vertraut uns dieser Baum auch erscheinen mag, wirklich heimisch ist er bei uns nicht. Als einzige winterkahle Nadelbaumart ist die Europäische Lärche (Larix deci­ dua L.) ganz und gar unverwechselbar. Allenfalls in den aufgeregten Jahren des Wald­ sterbens wurde sie im Winter mitunter irrtümlicherweise für eine vom sauren Regen entnadelte Fichte oder Tanne gehalten. Ihr natürliches europäisches Verbreitungsgebiet sind die Alpen, die Sudeten und die Karpaten. Das Lärchenholz wird vor allem als Bau­ und Möbelholz genutzt, nur selten dient es als Brennholz. Im zeitigen Frühjahr erfreut sie uns mit dem fri- schen Grün des neuen Nadeljahrgangs. Und weil das Goldgelb herbstlich verfärbter Lärchen so verlässlich Erinnerungen weckt an Bergwande- rungen und alpine Urlaubsregionen, haben wir sie ins Herz geschlossen. So sehr, dass sie inner- orts sogar manchen Vorgarten ziert und auch im fürstlichen Schlosspark in Donaueschingen darf sie nicht fehlen. Der „Baum des Jahres 2012“ gel- te als „besonders liebenswürdig und menschen- freundlich“, hieß es in der Begründung der Jury für die Wahl der Lärche, zumal sie im Hochgebir- ge ja auch vor Muren und Lawinen schützt. Im Flachland, so behaupten Spötter, deute die Lärchen-Vorliebe mancher Waldwirte eher auf eine „forstliche Gemütskrankheit“ hin, wo- möglich auch auf eine epidemisch wiederkeh- rende Modekrankheit. Denn trotz ihres enorm raschen Jugendwachstums bleibt sie in ihrer Ertragsleistung bald deutlich hinter heimischer Fichten und Tannen zurück. Lange gänzlich unbekannt Streng genommen, müssten wir die Lärche zu den Neophyten zählen, wie Pflanzen genannt werden, die erst nach der Entdeckung Amerikas bei uns eingebürgert wurden. Denn erstmals im Jahr 1584 soll ein badischer Amtmann Lärchen- samen aus Tirol bezogen und um die Hochburg bei Emmendingen ausgesät haben. Dieser erste aktenkundige Einbringungsversuch scheint frei- lich fehlgeschlagen zu sein, denn um 1750 war die Lärche zumindest in der Markgrafschaft wieder eine gänzlich unbekannte, in den Akten nicht mehr erwähnte Baumart. Auch im Habsburgischen wird sie da und dort versuchsweise eingebracht worden sein, vielleicht, weil der eine oder andere nach Vorder- österreich versetzte Beamte von Heimweh ge- plagt wurde. Im Markgräflichen begann man 1758, angespornt durch die sich abzeichnen- de Holznot und auf der Suche nach möglichst Linke Seite: Lärchen im Unterhölzer Wald unweit von Dreilärchen. Ast der Lärche mit Zapfen. Bei der Lärche befinden sich männliche und weibliche Zapfen an einem Baum. Die weiblichen Zapfen sind anfangs grün, rot oder purpurfarben. 263 263


Umwelt und Natur raschwüchsigen Baumarten, Lärchen-Pflanzgär- ten anzulegen; davon zeugt noch heute im Pforz- heimer Hagenschieß der „Lärchenstein“, errich- tet zum Gedenken an den Besuch der Markgrä- fin, die sich anno 1768 höchstselbst ein Bild von der dortigen „Lerchenblantage“ zu verschaffen geruht hatte. die gute Absicht, schnellstmögliche Holzerzeu- gung bei Vermeidung von Monokulturen, von den Lärchen nicht belohnt. Zunächst vorwüchsig, ertranken sie alsbald in den Fichten, und wo sie überlebt haben, enttäuschte die Japanerin durch ihre der Europäerlärche deutlich unterlegenen Holzqualität. Erfolge bleiben bescheiden Der Erfolg dieser ersten Lärchenwelle blieb freilich bescheiden, trotz hunderttausender verpflanzter Bäumchen. Zwischen 1820 und 1865 folgte eine zweite Welle mit Anwuchserfolgen vor allem im Odenwald, weniger im Schwarzwald. Aus jener Zeit stammen die ältesten und stärksten Lärchen der Baar und des Baarschwarzwalds. Eine drit- te Welle verzeichnete man von 1910 bis in die 1930er Jahre, als unter den Forstleuten der Mi- schwaldgedanke wieder mehr Anhänger fand. Doch auch den „Buntmischungen“ jener Jahre blieb durchschlagender Erfolg versagt. Dabei hatte man nicht nur mit alpenländi- schen Herkünften experimentiert, sondern auch mit der „Sudetenlärche“. Von ihr versprach man sich ein besseres Gedeihen, weil sie sich im Ge- gensatz zu inneralpinen Herkünften der Kon- kurrenz der Buche besser zu erwehren versteht. Denn auf ihrer nacheiszeitlichen Rückwanderung aus den mediterranen Refugien hatte sie die Al- penbarriere östlich umwandert. Auch hoffte man, mit ihr den holzzerstörenden Lärchenkrebs eindämmen zu können, eine Pilzerkrankung, die sich insbesondere auf für Lärchen ungeeigneten Standorten auszubreiten begann. Krebsresistenz versprach man sich fälsch- licherweise auch von einer fernöstlichen Ver- wandten der Europäerin, der auch als Bonsai verwendbaren Japanerlärche. Die kam vor allem während der vorerst letzten Lärchenwelle in gro- ßem Stil in den Nachkriegsjahren zum Einsatz, als es galt, die durch Franzosenhiebe (sog. F- und E-Hiebe) und Käferfraß entstandenen riesigen Kahlschläge wieder aufzuforsten. Erneut wurde die Lärche den Fichten beigemischt, versprach man sich von der Japanerin doch auch ein noch rascheres Jugendwachstum. Und wieder wurde 264 Die Emil-Kurz-Lärche: Stärkste Altlärche im Schwarzwald-Baar-Kreis Was nicht heißen soll, dass es Lärchen nicht doch zu respektabler Stärke und Höhe bringen können. Das überaus witterungsbeständige Lär- chenholz verspricht ein sehr hohes natürliches Alter, sodass vereinzelt wahrhaft spektakuläre Baumgiganten entstehen konnten: So die drei „Ur-Lärchen“ im Südtiroler Ultental mit ihrem Stammumfang von 8 m (!), denen man ein Alter von über tausend Jahren zuschreibt. Als stärkste Lärche unseres Bundeslandes, gar der Republik, gilt die 1775 oberhalb Sipplingen am Bodensee gepflanzte „Hildegard Lärche“ mit ihrem Um- fang in Brusthöhe von immerhin 4,75 m, einer Baumhöhe von 46 m und einer Holzmasse von 28 Festmetern. Auch wann genau die stärkste Lärche des Schwarzwald-Baar-Kreises gepflanzt wurde, lässt sich den Forstakten entnehmen: 1835 hat- te die Bezirksforstei, das kurz zuvor in Villingen eröffnete staatliche Forstamt, unweit Königs- feld-Neuhausen am Schwarzwaldrand einen Acker erworben und ihn mit Lärchen- und Kie- fernsamen eingesät. Dem Großherzogtum musste daran gelegen sein, den Holzhunger seiner Dürrheimer Saline zu stillen. Von der Saat sind bis zum heutigen Tag noch zehn Altlärchen („Überhälter“ im forstlichen Fachjargon) übrig Die Emil-Kurz-Lärche“ ist ein geschütztes Naturdenk- mal und die stärkste Lärche im Schwarzwald-Baar- Kreis. Sie weist in Brusthöhe einen Umfang von 3,10 m auf, dazu eine Baumhöhe von knapp 40 m und eine Holzmasse von reichlich 15 Festmetern.


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Umwelt und Natur geblieben; die stärkste unter ihnen, die „Emil- Kurz-Lärche“, ist mittlerweile ein geschütztes Naturdenkmal. Sie weist in Brusthöhe einen Um- fang von 3,10 m auf, dazu eine Baumhöhe von knapp 40 m und eine Holzmasse von reichlich 15 Festmetern (die Maße auf der ausgangs des Jahrtausends angebrachten Hinweistafel dürf- ten bereits überholt sein). Benannt wurde der stolze Baum nach dem 1933 von den Nazis zum gemeinen Villinger Forst amtsleiter degradierten Chef der badischen Forstverwaltung, der nach seiner Rehabilitierung im Jahr 1952 erster baden-württembergischer Landesforstpräsident wurde. Emil Kurz war ein ausgewiesener Lärchenfreund, der als Waldbau- er „das Spiel mit Licht- und Schattbaumarten“ liebte und praktizierte. Erntereife Waldbestände pflegte er im sog. „Keilschirmschlagverfahren“ gegen die Hauptsturmrichtung zu räumen und die so entstehenden Kulturflächen, soweit er- forderlich, mit lichtbedürftigen Baumarten, vor- zugsweise mit Kiefer und Lärche, auszupflanzen. Der Weiler „Dreilärchen“ Ob gepflanzt oder gesät, unweit des Weilers Dreilärchen, dem aus einer fürstenbergischen Kolonistensiedlung hervorgegangenen Ortsteil 266 Lärchen am Stadtrand von Donaueschingen. von Geisingen an der alten B 31 zwischen War- tenberg und Unterhölzerwald, lassen sich noch stärkere Exemplare besichtigen. Das 1785 ent- standene, ursprünglich selbständige Dorf auf der einstigen Gemarkung Wartenberg, schrieb sich zunächst Dreilerchen, ein Ortsname, den selbst der renommierte Geschichts- und Hei- matforscher Karl Siegfried Bader (in: Die Flurna- men von Wartenberg. Heidelberg 1934) nicht so recht zu deuten wusste: Noch 1826 hieß er auf der Landkarte Bey den Drei Lerchen, was für den Namensforscher eher auf ornithologische denn auf botanische Wurzeln hindeutet. Zwar zählten die Lerchen im 18. Jahrhundert zum gefiederten Nutzwild, doch sie wurden ausweislich der fürstlichen Jagdstatistik noch in so großer Zahl gefangen (im Jahr 1772 waren es 3.362 Stück!), dass eine Namensgebung nach dreien dieser Vögel keinen Sinn ergibt. August Vetter ist daher zuzustimmen, wenn er in der Stadtchronik von Geisingen (Geisingen. Band 25 der Schriften des Landkreises Donaueschingen, 1964) schreibt: „Es hat viel für sich, den Namen einer Gruppe von drei Lärchen zuzuschreiben, denn auch heute noch ist diese Baumart auf der Baar nicht eben häufig anzutreffen. Eine solche


Gruppe muss im 18. Jahrhundert in der Nähe der alten Eichen- und Buchenbestände des Un- terhölzerwaldes im freien Feld sehr aufgefallen sein. Sie musste sich daher für eine Ortsbezeich- nung geradezu aufdrängen. Es wäre deshalb die Schreibweise „Dreilärchen“, die an der einzigen Wirtschaft im Geisinger Ortsteil zu finden ist, si- cher die richtige. Aber die amtliche Schreibweise lautet „Dreilerchen“ und sie ist für die Orthogra- phie maßgebend.“ Zwischenzeitlich hat man sich auch auf den Kartenblättern des Landesvermessungs amtes auf Dreilärchen geeinigt. Offen bleibt nur die Frage, ob jene Lärchen einst auf freiem Feld oder im angrenzenden Unterhölzer Wald herange- wachsen waren. In dessen Beschreibung aus dem Jahr 1801, einsehbar im FF-Archiv, kommen die Lärchen freilich noch nicht vor. So bleibt es bei der Vermutung, dass sie vom Erbauer des neuen Schlosses auf dem Gipfel des Wartenbergs, Frei- herr von Lassolaye, zur Zierde gepflanzt worden sein könnten. Wird diesem doch eine ausgepräg- te Vorliebe für Gartenbau nachgesagt. Die drei Lärchen am Aufstieg zum Warten- berg sind längst verschwunden. Doch wenige hundert Schritte vom Torhäusle des ehemaligen FF-Tiergartens waldeinwärts sind heute nicht nur drei, sondern ein ganzes Dutzend stattlicher Lärchen, möglicherweise die Nachkommen der drei Namensgeber, zu bestaunen. Sie werden auf ein Alter von immerhin 180 bis 200 Jahren ge- schätzt, die stärkste misst einen Brusthöhenum- fang von 3,20 m. Der Standort dieser Lärchen auf Tonlehmen des Braunjuras ist nährstoffreicher als jener auf der Buntsandsteinplatte südlich von Neuhausen, weshalb die fürstenbergischen Lärchen nicht notwendigerweise älter sein müs- sen als die Emil-Kurz-Lärche. Erfreulicherweise gelten sie dem FF-Forstbetrieb als geschützt und sollen ihr natürliches Alter erreichen dürfen. Über die Lärchenvorliebe der Fürstenberger berichtet Erich Wohlfarth, ehemaliger FF-Forst- amtsleiter, in seiner „Geschichte der Fürstlich Fürstenbergischen Forstwirtschaft“ (Stuttgart 1983): Man habe sich zwar längere Zeit um die europäische Lärche bemüht, ihr Anteil und ihre Bedeutung seien indes gering, „obwohl meh- rere Altlärchen von hervorragendem Wuchs im Die Lärchen Unterhölzerwald anzutreffen sind“. Ansonsten seien die meisten jedoch eingegangen oder früh- zeitig herausgehauen worden. Vorwiegend sei- en sie zur Aufwertung von Buchenverjüngungen oder aus waldästhetischen Gründen gepflanzt worden, etwa längs sonniger Waldwege. Schönheit der fürstlichen Wälder Dass der Wald nicht nur ertragreich sein soll, son- dern auch schön, das hatte schon 1885 Heinrich von Salisch in seinem Lehrbuch „Forstästhetik“ gefordert; seine „Lehre von der Schönheit des Wirtschaftswaldes“ wollte er als selbstständi- gen Zweig der Forstwissenschaft anerkannt und gelehrt wissen. Und noch im Jahr 1956 hat der Münchener Waldbauordinarius Josef Niko- laus Köstler in seinem Essay „Von der Größe des Waldes“ (Heft XXIV der Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar) die Schönheit der fürstlichen Wälder gelobt und gepriesen. Ob waldästhetische Vorstellungen, Wünsche und Forderungen auch heute noch ak- tuell und erfüllbar sind in einer straff durchra- tionalisierten und vollmechanisierten Forstwirt- schaft, mag von den Waldbesuchern bisweilen bezweifelt werden angesichts der Grobschläch- tigkeit Großmaschinen-gestützter Erntemetho- den. Unstrittig ist jedoch, dass starke alte Bäume wie die beschriebenen Lärchen, denen der Forst- betrieb das Gnadenbrot zu gewähren bereit ist, den Erlebniswert und damit auch die gesetzlich geforderte Erholungsfunktion des Waldes ganz wesentlich mitbestimmen. Ob sich im Gefolge des Klimawandels wo- möglich erneut eine Lärchenwelle den ba- den-württembergischen Wald überspülen wird, wenn kein Verlass mehr sein wird auf den zu- nehmend dürre- und sturmgefährdeten „Brot- baum“ Fichte? Dann freilich gälte es, beizeiten Saatgut der richtigen Herkünfte bereit zu halten und auch die richtigen Lehren aus den waldbau- lichen Behandlungsfehlern der Vergangenheit zu ziehen, braucht die Lärche doch reichlich Licht und Luft, sobald ihr rasches Jugendwachstum nachlässt. Ganz missen möchten wir die Lärche jedenfalls nicht. 267


Umwelt und Natur Atemberaubende Weitblicke über den Tellerrand der Baar hinweg Ausblicke – Einblicke: Aussichtspunkte im Schwarzwald-Baar-Kreis – Die Blatthalde bei Ober- und Unterbaldingen von Wolf Hockenjos 268 268


XXX Gemessen am Bekanntheitsgrad der im Schwarzwald-Baar-Jahrbuch bisher vorgestellten Aussichtspunkte hält sich derjenige der Blatthalde zu Unrecht in eher bescheidenen Grenzen, weshalb hier der Zugangsweg beschrieben sei: Man starte in Unterbaldingens Ortszentrum gegenüber der katholischen Pfarrkirche auf dem zur Blatthaldehütte ausgeschilderten Sträßchen. Dieses führt zunächst unter der A 81 hindurch, sodann steil bergwärts bis zu einem Waldparkplatz, wo spätestens der Pkw zurückbleiben muss. Ein frischgrünes Hinweisschild mit Seeadler hat uns bereits darauf aufmerksam gemacht, dass wir hier ein Natur- schutzgebiet betreten und uns demnach rücksichtsvoll zu bewegen haben. Blick über die Baar. Vorne die Dörfer Ober- und Unter baldingen, die nahtlos ineinanderübergehen. In der Bildmitte ist rechts Heidenhofen zu sehen, im Hintergrund der Schwarzwald. 269


Umwelt und Natur Unterbaldingen auf der Ostbaar, im Hintergrund ragt die Blatthalde auf. Von dem 915 m hohen Ausläufer der Geisinger Berge aus geht der Blick über weite Teile der Baar bis in den Schwarzwald hinein. Ab nun führt uns ein zunächst mäßig, dann stär- ker ansteigender Forstweg zum nördlichsten Ausläufer der Geisinger Berge hinauf, zur Kante der Weißjuraberge, die hier – ausnahmsweise – nicht zur Schwäbischen Alb gehören, denn die Gemarkung Unterbaldingen, die bis zur Blatthal- de hinauf reicht, ist unzweifelhaft badisch, und Waldeigentümerin ist seit der Gemeindereform die Stadt Bad Dürrheim. Zunächst führt der Weg durch Fichten-Auf- forstungen, wo die Unterbaldin ger vor einem Jahrhundert noch ihr Vieh geweidet haben, so- dann nimmt der Laubbaumanteil zu. Kurz un- terhalb der Hangkante zweigt links ein Fußweg zur Hütte ab, im zeitigen Frühjahr gesäumt vom leuchtenden Blau der Leberblümchen. Der Wald des Oberhangs, erklärt uns eine höl- zerne Hinweistafel, wird nicht mehr bewirtschaf- tet, denn die Stadt ist „Naturwaldgemeinde“, die sich aus ökologischen Gründen und nach einem Übereinkommen mit dem NABU dazu verpflich- tet hat, fünf Prozent der Stadtwaldfläche aus der Bewirtschaftung zu entlassen. Liebhabern von frischem Buchengrün oder von herbstlich verfärbtem Laubwald sei empfohlen, das Hoch- 270 plateau vollends über den Forstweg zu erklim- men. Denn erst weiter südwärts dehnen sich, wie es sich für die Alb gehört, prächtige, nach Bärlauch duftende Buchenwälder aus, während der Bergsporn der Blatthalde als nördlichster Ausläufer der Geisinger Berge, mit 915 m ü. NN zugleich deren höchster Punkt, Nadelwald trägt. Der abgeplatteten Form des Bergrückens dürfte die B(P)latthalde auch ihren Namen verdanken. Und zu Füßen liegt die weite Baar… So oder so ist die Blatthaldehütte nicht zu ver- fehlen, eine Aussichtskanzel mit wahrhaft atem- beraubendem Tief- und Weitblick, von Bewuchs freigehalten von den Mitgliedern der örtlichen Vereine, die hier oben im Sommer ihre Feste zu feiern pflegen. Wer jetzt nichts Grillbares im Rucksack mit sich führt, um es auf dem forst- amtlich genehmigten Rost brutzeln zu lassen, ist selbst dran schuld. Entschädigt wird er allemal durch den Ausblick, hinab in die Idylle Ober- und Unterbaldingens, das eine evangelisch, das an- dere katholisch, weil die Landesgrenze die bei-


XXX 271 Ein Buchenwald voller Bärlauch. Wer die Blatthalde im Frühjahr erwandert, nimmt den intensiven Bärlauch- duft schon von Weitem wahr. Der Bärlauch wird als Salat, Suppe und Wildgemüse geschätzt.


Umwelt und Natur An der Blatthalde (oben links mit Blick von Westen) weist ein Holzschild darauf hin, dass Bad Dürrheim eine Naturwald-Gemeinde ist. Die Hütte mit Grillplatz auf der Bergspitze lädt zum Grillen und Picknick ein. Rechte Seite: Blick in Richtung Donaueschingen/Bräunlingen. In der Ferne grüßen der Hochfirst und der noch schnee- bedeckte Feldberg. Unten: Farbenprächtiger Buchenwald im Herbst. den Dörfer einst von einander getrennt hatte. Der Blick schweift über die baumlose Ackerland- schaft der Schwarzjuraplatte hinweg und über die Keuperschwelle hinüber in die Residenzstadt Donaueschingen, über der sich, als wär’s eine Fata Morgana, Hochfirst und Feldbergmassiv aufwölben. Zur Linken blicken wir über den Unterhölzer Wald auf Länge, Warten- und Fürstenberg, zur Rechten drängen sich eben noch die Randbe- zirke von Schwenningen und Villingen ins Bild, darüber erstreckt sich das dunkle Band des Baar- schwarzwalds. Bei klarer Sicht drehen sich über dem fernen nordwestlichen Horizont die Rotoren von knapp zwei Dutzend Windkraftanlagen, die suggestiven Wahrzeichen der Moderne. Als akustischen Tribut an die Neuzeit hat der Blatthalde-Besucher längst auch den Lärm der A 81 hingenommen, der bei Westwind bis hier herauf kaum abzu ebben scheint und das Konzert der Drosseln und Grasmücken überdröhnt. „Scherbenpflaster“ der Hallstattzeit Noch weithin lärmfrei war die Aussicht zu Zeiten zu genießen, als jemand die Wallanlage schuf, die sich wenige Schritte abseits der Hütte im Un- terholz abzeichnet und die eine Innenfläche von dreieinhalb Hektar umfasst. Ob die Anlage einst den Kelten für kultische Zwecke gedient hat, ob es sich um eine Fliehburg gehandelt hat oder ob deren Bewohnern mitunter gar zum Feiern zumute war wie heute den Unterbaldinger Ver- einen, das müssen die Archäologen einstweilen noch offen lassen. Immerhin stieß ein Grabungsteam unlängst auf einer Verebnung im nordseitigen Steilhang, nicht weit unterhalb der Wall anlage auf ein „Scherbenpflaster“ aus der Hallstattzeit (6. und 7. vorchristliches Jahrhundert), eine der rätsel- haftesten Fundstellen der Baar. Als habe hier ein keltischer Polterabend stattgefunden, so häu- fen sich die Keramikfragmente, zumeist Scher- 272


XXX 273


Umwelt und Natur Blick auf das 704 m ü. NN liegende Biesingen, den Autobahnzubringer zur A 81 und den Schwarzwald – über- ragt von Windrädern. ben von Trinkgefäßen, deren Verlagerung vom Pla teau der Blatthalde herunter ebenso ausge- schlossen wird wie die Existenz einer Töpferei auf dem exponierten Standort. Seltsamerweise fand sich im Humus über dem Scherbenpaket auch noch ein bronzezeitliches Messer, ein Fund- stück also aus einer noch graueren Vergangen- heit, was die Frage aufwirft, ob die Ursprünge der Wallanlage nicht sogar aus vorkeltischer Zeit stammen könnten. Ob die Scherben jemandem Glück gebracht haben oder ob die Trinkgefäße doch eher im Zu- ge einer kriegerischen Auseinandersetzung zer- schlagen worden waren, darüber darf gerätselt 274 werden. Allemal keltisch klingt bis heute noch der Waldortsname: Hornenars. Abstieg über den Ostweg Durchaus nicht auf vor- und frühgeschichtliche Befestigungs-, gar Höhlen systeme verweist die neben der Hütte auf ein Stück Schienen gestell- te Lore; nach dem Willen der Vereine soll sie an einen aufgelassenen Kalksteinbruch in der wei- teren Umgebung erinnern. Als Abstieg wähle man der Abwechslung hal- ber den steilen nordseitigen Abstieg. Wir folgen hierzu der Markierung des nicht allzu häufig be- gangenen Ostwegs des Schwarzwaldvereins. Der soll uns diesmal, fernab der Schwarzwaldhöhen, weder nach Schaffhausen noch nach Pforzheim, vielmehr zur Einkehr ins nahe Öfingen geleiten. Andernfalls landen wir auf kürzestem Weg wie- der am Ausgangspunkt der kleinen Wanderung, am Waldparkplatz. Die Lore erinnert an einen stillgelegten Kalksteinbruch.


XXX 275 Wer auf der Nordseite der Blatthalde beim Abstieg dem Ostweg des Schwarzwald- vereins folgt, wird beim Ver- lassen des Waldes erneut mit weiten Blicken belohnt. Die Baar zeigt sich lichtdurchflu- tet – über den Getreidefeldern ragen der Kirchturm und die Dächer von Öfingen empor.


Umwelt und Natur Umwelt und Natur Historische Flussregulierungen im Schwarzwald-Baar-Kreis Erst die Technisierung ermöglichte Flussbaumaßnahmen im großen Stil von Martin Fetscher 276 276


Historische Flussregulierungen Die Flussläufe im Schwarzwald­Baar­Kreis haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich: An vielen Stellen sind im Lauf der Jahrhunderte Veränderungen erfolgt, auch im Umfeld der Donau, dem größten und bedeutendsten Fluss im Land­ kreis. Nicht immer handelt es sich dabei um Eingriffe des Menschen, es gibt auch zahlreiche natürliche Ursachen – bis hin zur Erddrehung. Besonders stark einge- griffen wurde am Donauursprung, am Zusammenfluss von Brigach und Breg. Die natürlich mäandernde junge Donau bei Neudingen. 277


Umwelt und Natur Natürliche Veränderungen Flüsse ändern im Laufe der Zeit auf natürliche Weise ihren Verlauf. Dies geschieht vor allem bei großen Hochwasserereignissen: Dabei kann sich ein Fluss innerhalb von wenigen Tagen stärker verändern als sonst innerhalb von Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Es ist ein Zu sammenspiel von Abtragung (Erosion) und Ablagerung. Meist untergeordnet spielen auch unscheinbare, kon- tinuierliche Vorgänge eine Rolle wie die Lösung von Kalkgestein oder anderen Mineralien im Un- tergrund. Flüsse oder Bäche neigen, je nach Gefälle, von Natur aus dazu, Flussschleifen bzw. Mäander zu bilden. Durch Hindernisse im Flusslauf oder unterschiedlich harten Untergrund entstehen Ablenkungen der abwärtsgerichteten Fließrich- tung, die sich selbst verstärken. Dies geschieht durch die Erosion am Prallhang – häufig gekenn- zeichnet durch steil abbrechendes Ufer – und durch Ablagerung am Gleithang, wo oftmals Kiesbänke zu erkennen sind. In Talauen oder Schwemmebenen können sich Mäander bereits innerhalb von wenigen Die Gauchach folgt einem wild-natürlichen Flussbett. Flussschlingen Mäander Mäanderdurchbruch Altarm Prallhang Gleithang Entstehung von Mäandern und Altarmen Jahren oder Jahrzehnten verändern, da sie in weichen Aueablagerungen verlaufen. Wenn Mäanderschleifen durchbrechen, können sich abgetrennte Altarme (oder sog. Altwasser) bil- den, welche nicht mehr durchflossen werden und erst nach und nach verlanden. Flüsse im Landkreis relativ naturnah Jedoch, auch wenn im Flussverlauf keine Ursache vorhanden ist, die Fließrichtung zu ändern, bil- den sich Mäander, wenn Flüsse von Norden nach Süden fließen oder umgekehrt. Kein anderer als Albert Einstein formulierte hierzu eine Herlei-


Historische Flussregulierungen nene Land war besser vor Überschwemmung und Erosion geschützt und konnte damit bewirt- schaftet werden und zur Ernährung der Bevöl- kerung dienen. In der Aue sind die Böden in der Regel relativ fruchtbar, da sich dort im Laufe von Jahrtausenden vor der Trockenlegung humusrei- che organische Anteile angereichert haben. Aller- dings werden natürliche Mäanderflächen relativ häufig überflutet und der Grundwasserstand ist relativ hoch. Solche Flächen eignen sich wenig für Ackerbau. Schutz vor Hochwasser Der Hochwasserschutz war und ist auch heute noch einer der wichtigsten Gründe für flussbauli- che Maßnahmen. Dies ist insbesondere im direk- ten Umfeld der an den Flüssen gelegenen Städte Villingen, Donaueschingen, Hüfingen und Bräun- lingen erkennbar. Hier gab es immer wieder Überschwemmungen mit vielen Betroffenen, so dass sehr aufwändige Flussbaumaßnahmen er- griffen wurden, um die Bevölkerung besser zu schützen. Hochwasserschutz erfolgte damals tung dieses Phänomens aus der Corioliskraft. Ursache hierfür ist die Erddrehung. Die natürlichen Vorgänge von Flussverände- rungen sind heute in Mitteleuropa durch wasser- bauliche Maßnahmen stark eingeschränkt. Durch die Flussregulierungen konnte den Flüs- sen ein Teil ihrer Zerstörungskraft bzw. Dynamik genommen werden, es konnte Land zur Bewirt- schaftung oder Besiedlung gewonnen werden oder es wurde die Wasserkraft zu Nutzen ge- macht. Im überregionalen Vergleich sind die Flüsse im Schwarzwald-Baar-Kreis bis heute relativ na- turnah, obwohl mindestens 50 % der Gewässer naturfern ausgebaut sind. Dies bezieht sich al- lerdings auch auf Uferbefestigungen, die an vie- len Gewässern fast die Regel sind. Insbesonde- re die Wutach und Gauchach folgen im Bereich der Schluchten einem nahezu wild-natürlichen Flussbett, wie dies in Mitteleuropa selten an- zutreffen ist. Die Donau und ihre beiden Quell- flüsse Breg und Brigach verlaufen bis heute in manchen Abschnitten mäandrierend wie seit eh und je, auch wenn sie fast durchgängig mit Uferverbau befestigt worden sind. Doch in den meisten Flussabschnitten haben auch hier aus unterschiedlichen Gründen im Laufe der Zeit künstliche Verlaufskorrekturen stattgefunden. Die Flüsse und Bäche in unserer Region wur- den früh zur Nutzung der Wasserkraft verändert. Hierzu wurde dem natürlichen Gewässerlauf meist mit Hilfe eines Mühlkanals Wasser ent- nommen, über eine Mühle geleitet und danach wieder in das Flussbett eingeleitet. An der Ent- nahmestelle wurde zur Wasserregulierung ein Stauwehr errichtet. Wo dies möglich war, wur- den auch Mäander genutzt, indem man sie ein- fach abgeschnitten hat. Das Gefälle ist bei der weiten natürlichen Fließstrecke über die Mäan- derschlinge viel geringer als auf direktem Wege. An einer solchen Stelle ist die alte Wolterdinger Säge am südöstlichen Ortsausgang entstanden. Landgewinn durch Flussbegradigung Ein wesentlicher Zweck von Flussbegradigungen war lange Zeit der Landgewinn. Das neu gewon- Der Hochwasserschutz ist einer der wichtigsten Grün- de für flussbauliche Maßnahmen. Vor der Bregregu- lierung war Bräunlingen des öfteren überschwemmt. Am Mühlentor sind Markierungen angebracht, die zeigen, wie hoch das Wasser in der Stadt einst stand. 279


Umwelt und Natur vorwiegend in der Form, dass das Flussbett ver- tieft bzw. der Gewässerquerschnitt vergrößert und Hochwasserdämme entlang der zu schüt- zenden Flussseite angelegt wurden. Dies kann allerdings auch negative Auswirkungen haben, unter anderem dadurch, dass die Fließgeschwin- digkeit erhöht und damit die Tiefenerosion ver- stärkt wird oder dass der Grundwasserspiegel zu stark abgesenkt wird. Bei größeren Flüssen war die Schiffbarkeit ein wichtiges Kriterium für flussbauliche Maßnah- men. Im Schwarzwald-Baar-Kreis kam es an ver- schiedenen Schwarzwald-Bächen zu kleineren Korrekturen im Zusammenhang mit der Flößerei, die vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert sehr umfangreich betrieben wurde, zum Beispiel auf der Gauchach und deren Oberlauf (Krähenbach). Technik ermöglicht Flussbaumaßnahmen Größere Flussbaumaßnahmen sind mit der Be- wegung von großen Mengen von Aushub ver- bunden. Durch die Technisierung im 19. und 20. Jahrhundert wurden mit Dampfmaschine und Dieselmotor Baumaßnahmen größeren Um- fangs möglich. Dennoch wurden schon vorher einige große Regulierungsmaßnahmen mit Be- wegung großer Erdmassen durchgeführt, quasi in reiner Handarbeit. Mit dem Bau der Schwarz- waldbahn wurden bereits einige Flusskorrek- turen vorgenommen, da eine Bahntrasse keine engen Windungen zulässt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Landkreis mit moderner Baugerätetechnik und Beförderung von Aushubmaterial durch Lkws ei- nige größere Flussbegradigungen durchgeführt. Unabhängig von den geschilderten praktischen oder wirtschaftlichen Gründen wurden in den 1950er bis 1980er Jahren kanalisierte, „gezähm- te“ Flüsse grundsätzlich auch als ästhetischer empfunden als heute, während in den letzten beiden Jahrzehnten Flüsse wieder renaturiert werden und der ökologische Wert oder der Frei- zeitwert in den Vordergrund gelangt. Aber auch der Hochwasserschutz wird bei der naturnahen Gestaltung von Gewässerabschnitten, zum Bei- spiel durch die Sicherung oder Neugewinnung 280 von Retentionsraum, neu bewertet und berück- sichtigt. Mäanderlandschaft der jungen Donau Ein im Vergleich mit vielen anderen Flüssen in Deutschland sehr schönes Beispiel für einen na- turnahen Verlauf stellt die Mäanderlandschaft der jungen Donau zwischen Neudingen und Gut- madingen dar. Hier ist sogar ein natürliches Alt- wasser namens Tauwasser erhalten, entstanden durch einen natürlich abgeschnittenen Altarm, der nur an einem Ende Verbindung hat mit dem Fluss. Heute weiß man, dass diese Altwasser hochwertige Funktionen für die Fischerei und das Ökosystem besitzen. Die allermeisten Altar- me, ob natürlich entstanden oder künstlich vom Hauptstrom abgeschnitten, sind verfüllt worden, besonders in den 1960er Jahren häufig mit Müll. Auch die meisten Mühlkanäle sind verfüllt wor- den, nachdem mechanische Mühlen durch die Konkurrenz von günstigem elektrischem Strom überflüssig geworden waren. Dort, wo auf die Erzeugung von elektrischem Strom umgestellt wurde, sind die Wasserkraftanlagen teilweise bis heute in Betrieb. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind dies derzeit ca. 55 Anlagen. Die gesamte Ebene zwischen Hüfingen, Do- naueschingen, Pfohren und Neudingen stellt eine natürliche Schwemmebene dar, innerhalb derer sich Breg und Donau aus dem Bergland ergossen und immer wieder einen neuen Weg gesucht haben. Im Luftbild sind auch heute noch die vielen Reste ehemalige Mäander oder Altarme erkennbar. Bis ins 18. Jahrhundert war dies ein schwer zugängliches Sumpfgebiet mit der Be- zeichnung „Großes Ried“ (s. Abb. rechts unten). Deutlichste Veränderung am Donauursprung Die deutlichsten Veränderungen im Gewässer- verlauf erfolgten im Schwarzwald-Baar-Kreis ausgerechnet am Donauursprung, im Bereich des Zusammenflusses von Brigach und Breg. Die großen Flächen der fürstlichen Parkanla- gen sowie der Sport- und Reitanlagen zwischen


Historische Flussregulierungen Zusammenfluss von Brigach und Breg um 1906. Bemerkenswert die Bildüberschrift „Einmündung der Breg in die Donau“, von der Anschauung ausgehend, dass die Brigach ab Mündung des Donaubächles von der historischen Donauquelle kommend bereits „Donau“ heißt 2. Das „Große Ried“ zwischen Donaueschingen und Pfohren war bis ins 18. Jahrhundert ein schwer zugängliches Sumpfgebiet. Auszug aus der Schmitt’schen Karte von 1797, erstellt von habsburgischen Kartographen. Deshalb ist die Perspektive von Osten her. Rechts ist Norden 5. 281


Umwelt und Natur Donaueschingen und Donauursprung wurden im Rahmen der ersten großen Flussbegradi- gungsmaßnahmen der Region gewonnen. Der Bau des kanalisierten Abschnitts der Brigach zwischen Schützenbrücke und Mündung wurde bis 1793 fertiggestellt 3, 5, 7. Damit wurde der Weg des Wassers von ursprünglich ca. 2,6 km über die Flussschleifen auf ca. 900 m über den geradlini- gen Kanal verkürzt. Erst mit der Anlage dieses „Kanals“ wurde im Jahr 1828 die historische Do- nauquelle direkt nach Süden der Brigach zugelei- tet 7. Zuvor mäandrierte das „Donaubächle“ nach Osten zur heute verlandeten Brigachschleife, die damals bereits als „Donau“ bezeichnet wurde 3. Die Altwasser in den Gewannen „Limbertswin- kel“ und „Hammelwinkel“ sind im Kartenaus- schnitt von 1895 noch erkennbar. In einer Bannkarte von 1793 7 ist ein bereits vorhandener, natürlicher Gewässerlauf mit der Bezeichnung „Bregarm“ eingezeichnet, der im Bereich des fürstlichen Parks mündet, so dass sich auch daraus die Bezeichnung Donau ab die- sem Punkt rechtfertigte. Die Mündung dieses Bregarms sowie die Mündung des Donaubäch- les lagen in unmittelbarer Nähe. Dieser Bregarm war über einen Holzfloßkanal mit der Brigach (bzw. Donau) verbunden. Welcher Mündungs- arm der Breg ursprünglich stärker war, und ob beide Arme längere Zeit Bestand hatten, lässt sich nicht mehr feststellen. Ohne künstliche Re- gulierung dürfte dies mit Sicherheit auch zeitlich geschwankt haben. Um 1815 wurde dann eine 282 Karte links: Gerade fließt die Brigach – die Breg und die junge Donau mäandern. Ausschnitt aus der topo- graphischen Landeskarte von 1895 1. Rechte Seite: Auch die Breg fließt heute teils schnur- gerade – die Donau am Zusammenfluss in Donau- eschingen. Optisch ist der längere der beiden Donau- Quellflüssle zum Kanalbach degradiert. kanalisierte Wasserableitung bis zur Breg bei Allmendshofen verlängert. Nachfolgend verlan- dete der natürliche Bregarm bzw. wurde dieser verfüllt. Die Wasserableitung dient bis heute zur Wasserkraftnutzung (Tabakmühle bzw. E-Werk). Bemerkenswert ist, dass der frühere Ort des Zusammenflusses von Brigach und Breg (un- terer, bzw. Hauptarm) vor der Bregregulierung knapp 100 m oberhalb der heutigen Brigachmün- dung lag. Ursprünglich, also vor der Anlegung des Brigachkanals, lag der Zusammenfluss von Brigach und Breg allerdings unterhalb der heu- tigen Brigachmündung – nämlich unmittelbar östlich der B27-Brücke. Betrachtet man zudem den Mündungspunkt des erwähnten, früheren, oberen Bregarms, wurde der Zusammenfluss von Brigach und Breg, und damit der daraus defi- nierte Donauursprung bereits drei Mal künstlich verlegt. Auch die Mäander unterhalb des Zusammen- flusses wurden begradigt, und zwar der Mäander im Gewann „Burghof“ bereits um 1850 4 und der Mäander im Bereich der heutigen Fa. Winter- mantel im Rahmen umfangreicher Kiesgewin- nungsaktivitäten im Umfeld des Donauzusam- menflusses in den 1960er Jahren. Die Begradigung der Breg Die Begradigung der Breg im Bereich von der Bahnbrücke Allmendshofen bis zur Mündung erfolgte Anfang des vorigen Jahrhunderts. Der damit stillgelegte Altarm im Haberfeld wurde vorwiegend nach dem 2. Weltkrieg als städtische Müllkippe genutzt. Am Hüfinger Kofenweiher, einem ehemali- gen Baggersee für die Kiesgewinnung, erfolgte Anfang des 19. Jahrhunderts eine Begradigung.


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Umwelt und Natur Der Weiher befindet sich heute exakt auf der ab- geschnittenen Flussschlinge der Breg. Am alten Flusslauf befand sich eine wasserkraftbetriebene Gipsmühle, welche durch einen Gewerbekanal gespeist wurde. Im Bereich des Hüfinger Stadtgebietes ist der Verlauf der Breg schon relativ alt und von der mittelalterlichen Wasserkraftnutzung geprägt. Auch war der Fluss Teil des mittelalterlichen Ver- teidigungssystems. Aufgrund der wiederkehren- den Hochwasser wurden die Flussbette, Kanäle und Dämme jedoch sukzessive ausgebaut, im Wesentlichen zwischen den beiden Weltkriegen. Östlich von Bräunlingen im Bereich des Ge- werbegebietes Niederwiesen erfolgte um 1960 eine umfangreiche Begradigung der Breg, welche sich mit Hilfe von Luftbildern gut veranschauli- chen lässt. Dadurch konnte das Gewerbegebiet besser vor Hochwasser geschützt werden und es wurden Flächen für weitere Gewerbeansiedlun- gen sowie für Sportanlagen gewonnen. Auf Höhe von Bräunlingen erfolgte bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine umfang- reiche Verlegung und Kanalisierung der Breg, um die Stadt besser vor Hochwasser zu schützen so- wie zur besseren Nutzung der Wasserkraft für die dortige Mühle (heute Fa. Straub) 4. Zuvor floss die Breg direkt auf die Altstadt zu. Zwischen Vöhrenbach und Wolterdingen ist das Bregtal relativ eng und wenig besiedelt. Da- 284 Der Kofenweiher in Hüfingen befindet sich auf einer abgeschnittenen Flussschlinge der Breg. her gab es keine wesentlichen Veränderungen des natürlichen Verlaufs. Im oberen Bregtal zwi- schen Vöhrenbach und Furtwangen erfolgten hingegen einzelne Begradigungen. Circa 1952 wurde eine Bregschleife oberhalb der Ursbach- mündung begradigt. Die alte Flussschleife ist heute noch erkennbar. Eine weitere Flussschleife wurde im Bereich des Erhartenhofes begradigt und verfüllt. Eine deutliche Korrektur gab es um 1970 unterhalb des Zusammenflusses von Vor- derer und Hinterer Breg im Bereich der heutigen Hochschule Furtwangen University. Breg bei Vöhrenbach – die alte Flussschleife ist noch erkennbar.


Historische Flussregulierungen zu erschließen für die sich ausweitende Ansied- lung von Wohnhäusern und Gewerbebetrieben. Der Ausbau in heutiger Form um die Altstadt von Villingen herum bis zum Warenburgplatz erfolgte bereits zwischen 1875 und 1906 unter der Bezeichnung „Trockenlegung der Stadt“ 8, Im Groppertal wurde die Brigach beim Ausbau der Schwarzwaldbahn mit Hilfe eines Tunnels durch den Berg geleitet. 285 Die Breg östlich von Bräunlingen, links Luftbild aus dem Jahr 1956, rechts Luftbild von 1962. Brigach: Von den Mühlen zeugen nur noch Namen Das Brigachtal zwischen Villingen und Donau- eschingen macht auch heute noch eine relativ natürlichen, ländlichen Eindruck. Jedoch erfolg- ten auch hier zahlreiche Flussbegradigungen. Eine in ganz Deutschland fast einzigartige Art der „Korrektur“ wurde 1872 beim Ausbau der Schwarzwaldbahn im Groppertal gewählt 8. Dort wurde die Brigach einfach durch den Berg gelei- tet. Auf einer Länge von ca. 200 Metern fließt die Brigach bis heute durch einen freitragenden Felstunnel. So konnte man beim Bau der Trasse auf zwei Flussquerungen bzw. zwei Brückenbau- werke verzichten. Zwischen Kirnacher Bahnhof und der Peter- zeller Straße am heutigen Stadtrand von Villin- gen ist der Gewässerverlauf noch weitgehend mittelalterlich geprägt. Der Fluss ist in Flussarme aufgeteilt. Von den vielen, ehemaligen Mühlen dort zeugen bis heute die Namen Rindenmüh- le, Feldnermühle und Hammerhalde, benannt nach dem ehemaligen wasserkraftbetriebenen Hammerwerk. Ähnlich geprägt, mit zahlreichen Mühlen, war die Brigach noch im 19. Jahrhundert im weiteren Verlauf um die Altstadt von Villin- gen herum. Zwischen der Peterzeller Straße und Eisweiher erfolgte 1906 bis ca. 1930 ein Ausbau der Brigach mit Begradigung und Vertiefung des Flussbetts vorwiegend mit dem Zweck, Flächen


Umwelt und Natur was darauf hindeutet, dass die Altstadt bis da- hin nicht nur regelmäßig von Hochwassern, sondern auch von hohen Grundwasserständen beeinträchtigt wurde. Der Flussabschnitt von der Einmündung des Warenbachs bis zur Brücke der Verbindungsstraße Marbach-Rietheim wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ausgebaut bzw. begradigt. Südlich dieser Straße im weite- ren Verlauf sind zwar auch heute noch natürlich anmutende Mäander zu sehen, diese entspre- chen jedoch nicht dem natürlichen Verlauf von vor 1970. In ähnlicher Weise erfolgte die Begradigung im Bereich von Klengen/Überauchen Anfang der 286 Die Villinger Altstadt ist „trockengelegt“ – heute fließt die Brigach um den historischen Stadtkern herum. 1970er Jahre. Wie im aktuellen Luftbild zu erken- nen ist, ist hier ein kompletter Altarm südlich der Verbindungsstraße sowie ein „Stummel“ nörd- lich der Verbindungsstraße erhalten geblieben. Ursprünglich floss der Hauptarm zur Mühle von Klengen, deren Gebäude heute nicht mehr direkt am Fluss liegt. In den 1970er Jahren lagen Planun- gen zum weiteren Ausbau der Brigach vor, wel- che jedoch nicht mehr verwirklicht wurden, da


Historische Flussregulierungen Die Brigach bei Marbach, links Luftbild von 1956 und rechts die heutige Situation. Rechts Marbach mit Bahnhof, unten erkennbar der ehemalige Mühlkanal von Marbach, der dem natürlichen Verlauf von vor 1850 entspricht. Damals lag Marbach direkt an der Brigach. Der geradlinige Verlauf westlich der Bahnlinie wurde als Entlas- tungs kanal angelegt 4. Heute fließt nur noch der Talbach im alten Brigachbett. Die Brigach bei Klengen, links Luftbild von 1968, rechts die aktuelle Situation. Hier blieb ein kompletter Altarm erhalten. 287


Umwelt und Natur Plan zur Gewässerrenaturierung an der jungen Donau (unten rechts: Kläranlage Donaueschingen) 6 und die erfolgte Umsetzung. 288


der herkömmliche Ausbau zunehmend kritisch betrachtet wurde. Bei Grüningen wurden beim Bau der Schwarz- waldbahn zwei Altwasser abgeschnitten, welche heute noch erkennbar bzw. erhalten sind: ober- halb und unterhalb von Grüningen jeweils öst- lich der Bahnlinie. Der Bereich zwischen Beckho- fen und Donaueschingen blieb weitgehend un- verändert bis auf eine Flussverlegung im Bereich Mühlwiesen unmittelbar am Stadtrand Donau- eschingens in den 1970er Jahren. Im Stadtbereich wurde die Brigach während des 19. Jahrhunderts in der heutigen großen Schleife kanalisiert und mit einem großzügigen Querschnitt ausgebaut 3. Viele Bäche wurden begradigt und kanalisiert Viele weitere kleinere, insbesondere stark mä an- drierende Flüsse und Bäche wurden vor allem im 19. Jahrhundert begradigt oder kanalisiert. Dies lässt sich zum Beispiel für die Eschach, für die Köthach oder für die Aitrach anhand historischer Karten zeigen, würde aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Auch in jüngster Zeit erfolgen wasserbau- liche Maßnahmen, meist mit den Zielen, den Hochwasserschutz zu verbessern und/oder das Gewässer zu renaturieren. Als bei weitem um- fangreichste Maßnahme ist das Hochwasser- rückhaltebecken Wolterdingen zu nennen. Umgestaltung der Donau Im September 2013 wurde mit der Umgestaltung der Donau unterhalb des Zusammenflusses von Brigach und Breg begonnen. Träger der Maßnah- me ist das Regierungspräsidium Freiburg durch den Landesbetrieb Gewässer von der Außenstel- le Donaueschingen aus. Die Maßnahme erstreckt sich auf einer Länge von ca. einem Kilometer zwi- schen dem Pegel Donaueschingen und dem Ried- graben. Die Kosten für die Maßnahme betragen etwa 1 Mio. €, davon finanzierte ein EU-Förder- programm knapp die Hälfte. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie for- dert für alle Gewässer das Ziel des „guten ökolo- Historische Flussregulierungen gischen Zustands“ zu erreichen. Hierfür sind an der Donau besonders an den in früheren Jahren naturfern befestigten und begradigten Strecken die Sohl- und Uferstruktur zu verbessern und die Strömungsvielfalt zu erhöhen. In der Vorbereitung dieser Maßnahme hat das Land bereits in früheren Jahren die für eine naturnahe Entwicklung der Donau benötigten Flächen erworben. Um die eigendynamische Entwicklung des Gewässers anzustoßen, wurde nun die beim früheren Ausbau durch massive Be- festigung in ein Korsett gezwängte Donau wie- der entfesselt. Bei den Bauarbeiten wurde das Mittelwasserbett der Donau aufgeweitet und die harte Verbauung aus dem Gewässerbett und den Ufern entfernt. Durch den Einbau von Strömungslenkern, so genannten Buhnen, wurde die Fähigkeit zur Eigenentwicklung angestoßen, so dass sich im Laufe der Zeit wieder naturnahe Bedingungen einstellen und natürliche Gleit- und Prallufer entwickeln können. Dabei werden neue, vielfäl- tige Lebensräume im Wasser, am Ufer und in den Randstreifen entstehen. Quellenangaben: 1 Topographische Landeskarte 1895, Blatt Geisingen, LGRB, 1984 2 Höhnle, W., 1986, Donaueschingen in alten Ansichtspost- karten, 1986 3 Huth, Volkhard, Donaueschingen Stadt am Ursprung der Donau, 1989 4 Topographische Karte über das Großherzogtum Baden, Blatt 36 und 43 von 1845/48 5 Schmitt’sche Karte von Südwestdeutschland vom Jahre 1797 6 Regierungspräsidium Freiburg, 2014 7 Hund, Dr. Andreas, Donaueschingen und die Donau, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar, 19. Heft, 1933 8 Rodenwaldt, Dr. Ulrich, Das Leben im alten Villingen, Band II, Geschichts- und Heimatverein Villingen Jahres- band 1990/1991 289


13. Kapitel Sport Michael Kienzler – als Sportfotograf bei der Fußballweltmeisterschaft Der renommierte Fotograf aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis war schon bei vielen großen Sportevents rund um die Erde im Einsatz von Martina Zieglwalner „Das sind Bilder, die ich nie vergesse“, stellt er fest und beschreibt eine der letzten Szenen der Fußballweltmeisterschaft, die sich ihm besonders ins Gedächtnis gebrannt hat: als Lukas Podolski nach dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Rio de Janeiro mit seinem Sohn Louis aufs Spielfeld zurückkommt und in aller Ruhe mit ihm eine Runde kickt. Überhaupt die Riesenfreude und die Ausgelassen- heit der deutschen Nationalspieler, die er hautnah miterlebt hat: Der Fotograf Michael Kienzler aus Gremmelsbach war für die Agentur Pressefoto Ulmer in Brasilien im Einsatz. 290 290


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Sport Zweimal den zweiten Platz gab es beim Wettbewerb „Sportfotos des Jahres“ für Michael Kienzler für die Fotos oben. „Da prasseln Emotionen im Sekundentakt über einen herein, an allen Ecken passiert etwas. Für mich wird auch immer in Erinnerung bleiben, wie unser Schwarzwald-Kollege Jogi einsam zu den Fans lief, in Gedanken wie Beckenbauer damals, und dann in der Kurve jubelte. Drei Minuten gab er Vollgas, das ist für einen Schwarzwälder extreeeeem“, hat Michael Kienzler in seinem Face book-Tagebuch festgehalten. Und er muss es wissen: Der 46-Jährige stammt aus Grem- melsbach, hat auf den Fußballplätzen rund um Triberg seine ersten Erfahrungen mit der Sport- fotografie gesammelt. 292 Zweimal zweiter Platz beim Wettbewerb „Sportfoto des Jahres“ Dass ihn sein Weg in die Stadien dieser Welt führt, hat er nicht geahnt. Als sein Vertrag bei der Stadtverwaltung Triberg am Auslaufen war, schaute er Mitte der 90er Jahre in der Lokalre- daktion Triberg des Schwarzwälder Boten vorbei und fragte nach Arbeit. Termine gab es zuhauf, bald kaufte er sich eine Kamera und schoss sein erstes Sportfoto beim Triberger Fußballclub. Nach dem Volontariat und einigen Monaten als Lokalredakteur in St. Georgen packte ihn der Ehrgeiz: Er ergatterte einen Volontariatsplatz bei der renommierten Hamburger Agentur Bongarts Sportfotografie, die heute zu Getty Images zählt. Die Karriere führte steil nach oben: Zwei Mal landete Kienzler bei dem von der Welt am Sonn- tag ausgeschriebenen Wettbewerb um das Sport- foto des Jahres auf dem zweiten Platz. Ob die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City, die Sommerspiele in Athen, Peking oder London, der 46-Jährige hat Wettkampfstätten rund um die Erde gesehen und ist immer wieder aufs Neue fasziniert von den Eindrücken. Bei Bongarts war er zudem für den ganzen Süden verantwortlich, an einem langen Sportwochenende ging es da schon mal von Frankfurt nach München und über Südtirol nach Genf. Nach Jahren, in denen er vie- le Nächte auf Autobahnparkplätzen verbrach- te, hat er inzwischen seinen Ruhepol in Villin- gen-Schwenningen gefunden, genießt die sport- liche Vielfalt in der Region, in der er wieder für den Schwarzwälder Boten arbeitet. Michael Kienzler hat seine Nische gefunden und sich mit der Agentur Kontur Photo selbstständig gemacht. Ab und an bricht er aber immer noch zu seinen Abenteuern im internationalen Sportgeschehen auf – so wie in Sachen Fußball WM. Wenn Lukas Podolski nach dem gewonnen Weltmeis- tertitel von 2014 erst mal mit Sohnemann Louis eine Runde Fußball spielt. Michael Kienzler saß bei den WM-Spielen nur wenige Meter von den Fußballstars weg.



Sport Impressionen aus einem fußballverrückten Land. An den „freien“ WM-Spieltagen fotografierte Michael Kienzler auch den Handel mit Schwarzwalduhren oder eines der Wahrzeichen von Rio, die Jesus-Statue Cristo Redentor. Gerade die Fußball-Weltmeisterschaft hat es ihm angetan. „Es ist das größte Sportereignis der Welt, und es ist ein Privileg, dabei sein zu dürfen“, gibt sich der Schwarzwälder bescheiden, dass er nach den Turnieren in Deutschland und Südafri- ka zum dritten Mal in der vordersten Reihe dabei war. So versucht er auch beim Fotografieren, sich selbst zurückzunehmen, nicht an die Begegnung mit den Stars zu denken, sondern mit dem Blick aus der Distanz auf die Jagd nach den besten Fo- tos zu gehen. Wie jetzt in Brasilien, als er sich mit hunderten von Kollegen messen musste, alle in der Hoffnung auf Schnappschüsse, die kein an- derer hat. Zwischen 2.000 bis 3.000 Bilder ka- men da pro Fußballspiel zusammen, 200 bis 300 Aufnahmen sendete er direkt von der Kamera via Internetverbindung in die zentrale Leitstelle der Agentur in Bremen, die sie samt Bildunterschrift dann an die Medien verschickte. „Da freut man sich über jeden Abdruck“, schildert Kienzler den Konkurrenzkampf und ist stolz, es mehrmals bis in die Bild-Zeitung gebracht zu haben. Hinter all der Spontanität versteckt sich aber eine akribische Planung, die schon lange vor der WM beginnt – beginnen muss. In der Gruppen- phase galt es, die Favoriten abzulichten, Mann- schaftsbilder von Italien, Spanien oder Holland zu schießen und die Spieler der deutschen Bun- desliga in Aktion zu erwischen. Sponsoren und Ausrüster hatten Spezialaufträge geordert, um ihre Sportler und das Material ins richtige Licht zu rücken. 294


Souvenirhändler an der berühmten Copacabana in Rio de Janeiro. Fußball wird in Brasilien überall gespielt – natürlich auch hier oder in Innenhöfen. Unten links das WM-Stadion Estádio do Maracanã in Rio. Ein guter Platz im Stadion ist entscheidend Beim Viertel-, Halbfinale und dem Endspiel stieg der Druck, in den Stadien einen guten Platz zu ergattern, möglichst am richtigen Tor zu stehen und die spannendsten Situationen einzufangen. „Das macht den Reiz an der Sportfotografie aus, dass man nie weiß, wie es ausgeht“, begründet Kienzler die Faszination für einen Beruf, der ihn jeden Tag vor neue Herausforderungen stellt. Im Wettlauf um die besten Fotos reiste er quer durch Brasilien, hat Fans aus aller Welt ebenso kennengelernt wie Kollegen und Ein- heimische. Da erzählt er von Fotografen aus Russland oder Indien, die über keine eigene Aus- rüstung, sondern nur über eine Akkreditierung verfügen und sich bei den Servicestationen von Nikon oder Canon Kamera und Objektive auslei- hen, von Fachsimpeleien mit fußballverrückten Amerikanern oder das Aufeinandertreffen mit Fußballern und Co-Moderatoren wie Mehmet Scholl und Oliver Kahn, mit denen er morgens um 4 Uhr am Gepäckband im Flughafen warte- te, oder dem ehemaligen VfB-Spieler und neuem Brasilien-Trainer Carlos Dunga. Kaum fassen kann er bis heute, mit welcher Leidenschaft die Brasilianer mit ihrer Seleção mitfieberten. „Für das fußballvernarrte Volk ist der Sport die zweite Religion.“ Er hat die Men- schen weinen und lachen sehen, bei der Übertra- gung eines Spiels im Straßencafé alle Emotionen erlebt. 295


Michael Kienzler als Fotograf bei der Fußball-WM Ein Bild, das um die Welt ging: Philipp Lahm besucht den verletzten Kapitän Michael Ballack bei der WM in Südafrika, rechts Nationaltrainer Joachim Löw. In fünf Wochen Land und Leute kennengelernt Überhaupt bleiben ihm die Eindrücke abseits des Spielfelds in Erinnerung. Da er fünf Wochen lang bei einer einheimischen Familie wohnte, lernte er Land und Leute kennen. Natürlich besuchte er die Copacabana, den Zuckerhut oder die Christus- statue auf dem Berg Corcovado, war aber auch abseits der Touristenströme unterwegs, schwärmt von den Churrascarias, den Fleischrestaurants, ist auf der anderen Seite entsetzt über die große Kluft zwischen Arm und Reich. Die Geschichten sprudeln nur so aus Michael Kienzler heraus, mit einem Schmunzeln berichtet er von manchem Taxifahrer, der einen Ausländer gerne mal über Umwege zum Ziel bringt oder trotz Navigations- gerät die Adresse nicht findet. Dennoch hat er es immer rechtzeitig in die Stadien geschafft. „Adrenalin gehört dazu, keine Angst, aber Aufgeregtheit.“ Das schießt ihm vor allem bei Fotoaufträgen durch die Adern, denn oft gibt es nur eine Chance, im richtigen Moment abzudrücken. 296 Schon bei der WM 2010 in Südafrika kam es zu einer Episode der besonderen Art: Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) sollte er ein Bild des verletzten Michael Ballack bei seinem Besuch im Teamhotel machen. Nur wenige Augenblicke blieben ihm für die Aufnahme des Mannschafts- kapitäns mit seinem Vertreter Philipp Lahm und Nationaltrainer Joachim Löw. Später lief das Foto immer wieder als letztes Zusammentreffen von Ballack und Lahm über den Ticker. „Ich war schon immer an den Jungs dran, aber so nah war ich ihnen noch nie“ Auch Ersatztorwart Ron-Robert Zieler brachte den Schwarzwälder ordentlich ins Schwitzen. Für den Ausrüster hieß es, den Schlussmann mit sei- nen Handschuhen in Szene zu setzen. Doch der hielt sich weder an die Abmachung, zur verab- redeten Zeit an die Mittellinie zu kommen, noch hatte er Lust, auf der Ersatzbank seine Hände Richtung Kamera zu strecken. „Erst Poldi hat ihn mit seinen kölschen Sprüchen motiviert, doch noch mitzumachen“, nennt der 46-Jährige einen weiteren Grund seines Faibles für den National- spieler. Dem stand er bei der WM ebenso gegenüber wie Weltstar Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Mit zu den Höhepunkten in der bisherigen Lauf- bahn gehört für den Fotografen das Endspiel im Maracanã-Stadion. Der Geräuschpegel im Stadi- on, der Jubel und Trubel, als mit Mario Götzes Tor in der Verlängerung die Entscheidung gefallen war. „Mein eindrücklichstes Erlebnis war schlicht, vor der Siegerehrung einen Meter weg von den Spielern zu stehen, und zu hören, wie sie scher- zen. Thomas Müller einen Witz mit Götze macht und alle lachen – näher dran geht nicht“, bringt der Fotograf seine Zeit in Rio de Janeiro auf den Punkt. „Die hatten einen Riesenspaß auf dem Feld und vergnügten sich wie Buben“, hat er die Szenen noch vor Augen. Michael Kienzler freut sich indes selbst wie ein Kind über ein Foto, das es via Facebook bis in die Heimat geschafft hat: er und Lukas Podolski Arm in Arm. „Ich war schon immer an den Jungs dran, aber so nah war ich ihnen noch nie.“


x Mario Götze schießt das 2:1 gegen Argentinien – Michael Kienzler hat das goldene Tor festgehalten, nur Sekun- den später steht es via Internet allen Nachrichtenredaktionen dieser Welt zum Abdruck zur Verfügung. Haut- nah erlebt der Fotograf den Jubel der deutschen Spieler über den gewonnen WM-Titel. Unvergesslich! 297


Sport Stefan Wirbser, Präsident des Skiverbandes Schwarzwald, ehrt Martin Schmitt mit dem „Goldenen Ski“. Martin Schmitt, einer der erfolgreichsten deutschen Skispringer, ist in Hinterzar- ten im Rahmen der Deutschen Meisterschaft offiziell verabschiedet worden. Die dortige Rot- haus-Schanze im Adler-Skistadion fungierte für ihn über zwei Jahrzehnte hinweg als Trainings- stützpunkt. „Hier habe ich sicher über tausend Sprünge absolviert und damit die Grundla- gen für die vielen Erfolge gelegt“, betonte der 36-jährige Team-Olympiasieger und vierfache Weltmeister. Nach dem Abschluss seines Studiums an der Sport-Akademie in Köln im Herbst 2015 möchte Martin Schmitt als Trainer beim Deut- schen Ski-Verband einsteigen. Sein Debüt im Weltcup gab der Tannheimer, der all die Jahre für den Skiclub Furtwangen an den Start ging und heute in Freiburg lebt, am 4. Januar 1997. Im gleichen Winter gewann er mit der Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Trondheim (Norwegen) Bronze. Zwei Jahre später holte er in Ramsau (Österreich) und 2001 in Lahti (Finnland) jeweils Gold im Einzel und mit dem Team. Weitere Medaillen gab es u.a. bei den Welttitelkämpfen in Liberec, Oberst- dorf und 2011 in Oslo. Bei Olympischen Spielen Martin Schmitt verabschiedet gewann Schmitt 1998 in Nagano (Japan) und 2011 in Vancouver (Kanada) Silber und 2002 in Salt Lake City (USA) Gold mit dem Team. „Chapeau, Martin! Du bist mit Jens Weißflog zusammen der erfolgreichste Skispringer in der deutschen Wintersportgeschichte“, würdigte ihn Präsident Stefan Wirbser vom Skiverband Schwarzwald am 6. September 2014 und über- reichte den „Goldenen Ski“. (Mehr zu Martin Schmitt findet sich im Almanach 2000, 2010 und 2013.) 298


Umringt von Fans – Skispringer Martin Schmitt bei seiner Verabschiedung. (Fotos: Patrick Seeger) x 299


14. Kapitel Gastlichkeit Die Schwarzwälder Kirsch torten- Erfolgsgeschichte aus Triberg von Daniela Schneider Claus Schäfer ist ein zufriedener Mann, das sagt er selbst. Dass es so ist, liegt unter ande- rem an einem süßen Backwerk, an dessen Erfolgsgeschichte der Triberger Konditormeister mitgeschrieben hat: Gemeint ist die Schwarzwälder Kirschtorte. „Die Königin der Torten“, sei sie, so steht es im Info-Flyer, der im Café oder auch in der Triberger Tourist-Info zu haben ist und der erklärt, weshalb der Traditionsbetrieb in der Hauptstraße der Wasserfallstadt und die Kirschtorte untrennbar miteinander verbunden sind. Und die Torte ist nun auch ein „nationales Kulturgut“, sie hat einen Platz im Haus der Geschichte in Bonn erhalten. Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man sich in die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zurückversetzen: Damals nämlich verbrachte ein gewisser August Schäfer als jun- ger Mann seine Lehrzeit am Bodensee. Nach sei- nem erfolgreichen Abschluss kam er 1929 mit ei- nem Rezeptbuch in der Tasche nach Triberg. Wie es der gute Brauch war, hatte er in dem Büchlein fein säuberlich und akribisch das Grundwissen des Handwerks notiert. Aber auch ein recht Claus Schäfer präsentiert die nach dem Originalre- zept (unten) gebackene Schwarzwälder Kirschtorte. 300


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Die Schwarzwälder Kirschtorten-Erfolgsgeschichte aus Triberg neues Rezept, nämlich das für „Schwarzwälder Kirsch“, hatte der frischgebackene Konditor da- rin festgehalten. Die Idee zu dieser interessanten Kreation stammte von Schäfers Lehrmeister Josef Kel- ler (1897-1981) aus Radolfzell. Dieser wiederum hatte einst im Bad Godesberger Café Agner sei- nen Dienst versehen und hatte sich dort anno 1915 ausgedacht, unter Kirschen mit Sahne ei- nen Schokoladenboden zu legen, einen Schuss Kirschwasser dazuzugeben und das Ganze mit Schokostreuseln zu dekorieren. Die Gäste waren begeistert, die Torte wurde ein echter Renner. Im eigenen Café mit Konditorei verfeinerte Kel- ler dann in der Heimat am Bodensee das Rezept und gab sein Wissen schließlich an seinen Lehr- ling August Schäfer weiter, der es dann in den Triberger Familienbetrieb überlieferte. Frische Zutaten in guter Qualität verstehen sich von selbst Seitdem ist das Rezept im Schäferschen Famili- enbesitz und seitdem wird den Gästen im Café die Kirschtorte angeboten. August Schäfers Sohn Claus ist längst in die Fußstapfen des Vaters ge- treten und auch er fertigt seine Kirsch torte seit Jahrzehnten nach dem Originalrezept. Das ist ihm wichtig. Fertigprodukte kommen da jedenfalls nicht in die Tüte, und dass die verwendeten fri- schen Zutaten gute Qualität haben müssen, ver- steht sich für Schäfer von selbst. Das Kirschwas- ser – essentieller Bestandteil – kommt aus dem Betrieb seines Vertrauens in Kappel-Rodeck, im- merhin „am Rande des Schwarzwalds“. Seinen Buttermürbteigboden backt er natürlich selbst, ebenso wie die Bisquitschichten, die im Übrigen für den „besonderen Pfiff“ noch mit Marzipan versehen werden. Wichtig ist, dass die Sahne „ganz leicht aufgeschlagen wird.“ Die Kirschfül- lung muss geduldig eingekocht werden. „Etwas Gutes braucht Zeit“, kann der Konditormeister da nur sagen. Der Vollständigkeit halber sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es auch an- dere Entstehungstheorien in Sachen Kirschtor- te gibt. So soll es demnach der Konditormeister Erwin Hildenbrand gewesen sein, der die Torte im Café Walz im Tübingen ersonnen habe. Auch die Schweiz war schon als Ursprungsland in der Diskussion. Und dann wäre da noch die ziemlich abenteuerliche Geschichte von einem persischen Eunuchen. Als Chefkoch eines Harems soll die- ser die doch einigermaßen zweifelhafte Aufgabe gehabt haben, den von ihm betreuten Damen zu möglichst üppigen Körper-Formen zu verhelfen. Aus diesem Grund habe er sich die kalorienrei- Nicht nur die Kirschtorte, auch die von Schokolade ummantelte, nach einem Spezialrezept in Handarbeit gefertigte Schwarzwald-Kirsche mit gewachsenem Stiel ist seit 1952 eine viel beachtete Spezialität des Café Schäfer. 302


x Gäste aus aller Welt genießen im Café Schäfer in Triberg die nach dem Originalrezept gebackene Schwarzwäl- der Kirschtorte. Auch die Schauspielerin Christine Neubauer und der weißrussische Botschafter haben sich die Torte in Triberg servieren lassen. Nach Nord- baden ging eine große Lieferung an eine dort weilende arabische Scheichfamilie und kürzlich nahm eine Attachédelegation aus Singapur im Gastraum Platz, um die süße Sünde für den mög- lichen Besuch eines Staatsgastes vorzukosten. Mitunter wird der ganze Torten-Rummel Claus Schäfer, seiner Frau und seinem Sohn, die beide im Betrieb mitarbeiten, schlichtweg zu viel. Der Chef sagt: „Ich will nicht als der Kirschtortenpapst dargestellt werden. Wichtig ist mir, dass das Handwerk passt und die Qualität stimmt – dann kommen auch die Gäste, und zwar nicht nur ein- mal, sondern immer wieder.“ che, unwiderstehliche Torte ausgedacht. Claus Schäfer winkt lachend ab: Alles Quatsch, er kennt das Originalrezept, er hat alle dazugehörigen Unterlagen fein säuberlich aufbewahrt, das sei „alles belegbar“. Geheimtipp im Schwarzwald Kein Zweifel, die Kirschtorte ist bekannt und be- liebt auf der ganzen Welt. Von einem regelrech- ten „Kirschtorten-Boom“ könne man seit rund 15 Jahren sprechen, berichtet Claus Schäfer. Seither rennen ihm auch die Medien immer wieder die Backstube ein. Regionale und überregionale Zei- tungen und Zeitschriften berichten über seinen Betrieb und dessen Spezialität. Auch Fernseh- teams gaben sich schon öfters die Klinke in die Hand. Bordzeitschriften von Fluggesellschaften erwähnen das Café ebenso wie Reiseführer. So auch der weltweit gern genutzte Lonely Planet, der diesen Ort als Geheimtipp im Schwarzwald ausgibt. Gäste aus aller Herren Länder von China bis Amerika und aus ganz Europa schauen seither gerne rein und probieren das feine Naschwerk. „Besonders viele Engländer kommen zu uns“, freut sich Claus Schäfer. Kein wirkliches Wun- der ist das indes, schließlich war die BBC auch schon da. Die auf der britischen Insel bekannten TV- Köche „Hairy Bikers“ haben sich das Kirsch- tortenrezept geben lassen und den „Black Forest gâteau“ dann sogar – übrigens tatsächlich mit- ten im Wald – öffentlichkeitswirksam nachge- backen.


Gastlichkeit Gasthaus-Hotel Sternen Brigachtal Gaby und Peter Weißmann setzen auf regionale Küche von Josef Vogt Sicherlich gibt es nicht mehr sehr viele Gemeinden in Baden-Württemberg, die bezogen auf die Einwohnerzahl eine so stattliche Anzahl von guten Gastronomieadressen vorzu- weisen haben, wie dies in Brigachtal der Fall ist. Dies liegt auch daran, dass in Brigachtal die örtliche Gastronomie von den Bewohnern sehr geschätzt und häufig in Anspruch genommen wird. Natürlich ist es den Betrieben aber auch gelungen, ihren Ruf im Um- land entsprechend hochzuhalten und mit einem regional ausgerichteten Angebotspro- fil Gäste aus Villingen, Donaueschingen und Bad Dürrheim an sich zu binden. Für den „Sternen“ im Ortsteil Klengen treffen beide Faktoren zu. Einerseits ist es dem Gast- wirtssohn Peter Weißmann gelungen, den von den Eltern Alex und Lucia Weißmann 1994 über- gebenen Betrieb nicht nur fortzuführen, sondern in der Folge auch auszubauen. Durch grundle- gende Umbaumaßnahmen hat er die Vorausset- zungen dazu geschaffen, dass sich das Gasthaus mit Nebenerwerbslandwirtschaft zu einem mo- dernen Restaurant- und Beherbergungsbetrieb entwickeln konnte. So hat der „Sternen“ im Hauptrestaurant nun 70 Sitzplätze und in einem Nebenzimmer 40 Sitzplätze vorzuweisen. Im Sommer kommen noch 24 Plätze auf der Terras- 304 se dazu. Mit 42 Zimmern und 63 Betten hat der Beherbergungsbetrieb Sternen eine für ländliche Verhältnisse beachtliche Größe. „Wir haben im Vergleich zu vielen anderen Betrieben eine sehr gute Auslastung“, freut sich Gaby Weißmann. So waren die „Schürzenjäger“, „Oberkreiner“ und auch schon Tony Marshall zu Gast. Aber auch die vielen Künstler, die im Rah- men des Kulturellen Herbstes in der Martinskir- che jährlich auftreten, übernachten zumeist im Sternen. Insgesamt sind es aber die Stammgäste, d.h. die vielen Monteure, Vertreter und Ferien- gäste, die die gute Belegung ausmachen. Schon früh war klar, dass Peter Weißmann einmal die Sternenwirtsgeneration fortsetzen wird. Deshalb absolvierte er auch im renommier- ten Waldhotel Schrenk eine Kochlehre, in der er die notwendige fachliche Qualifikation zur ge- hobenen Restaurationsküche erwarb, die heute die Sternenwirtsküche auszeichnet. Außerdem hatte er das Glück, dass er in seiner Frau Gaby, die die Qualifikation zur Restaurationsfachfrau mitbrachte, eine gastronomisch versierte Part- nerin fand, mit der er den familiär ausgerichte- ten Gaststättenbetrieb führen kann. Modern und freundlich sind die 42 Hotelzimmer ausgestattet.


Gasthaus-Hotel Sternen Brigachtal Gaby und Peter Weißmann haben den traditionsreichen Sternen von Grund auf saniert. Während sich Peter Weißmann höchst per- sönlich um den Küchenbetrieb kümmert und auf die Qualität der Speisen durch den Einkauf von hochwertigen Zutaten und die sachgerechte Zu- bereitung achtet, ist seine Frau Gaby die perfekte Gastgeberin, die dafür sorgt, dass die Übernach- tungsgäste bestens gerichtete Hotelzimmer vor- finden und die Restaurantgäste an einladenden Tischen Platz nehmen können. Regionale Produkte mit Sorgfalt zubereitet Auf die Frage nach seiner Küchenphilosophie, be- tont Küchenchef Peter Weißmann: „Ich mache keine Experimente. Ich richte mich nach den Wünschen der Gäste und verwende, wann im- mer möglich, regionale Produkte, die ich mit großer Sorgfalt zuberei- te.“ Auf seiner Speisekarte finden sich deshalb diverse Pfannen- und Bratgerichte vom Schwein, Kalb, Rind und Wild sowie Zubereitun- gen vom Saibling und Zander, die Im Hauptrestaurant verfügt der Sternen über 70 Sitzplätze. mit frischen Gemüsen, Salaten und verschiede- nen Beilagen wie Spätzle, Knödel und Kartoffeln ergänzt werden. Wenn Spargel, Pfifferlinge und Erdbeeren ihre Saison haben, dann stehen sie im Sternen hervorgehoben auf dem Speiseplan. Natürlich fehlen auch Schnitzel, Sauerbraten, Ochsenzunge, Kässpätzle und verschiedene Ves- pervarianten nicht im Angebot. „Solche Gerichte sind zeitlos und werden von meinen Gästen ein- fach erwartet“, so der Sternenwirt. Peter und Gaby Weißmann werden in ihrem Gasthaus nicht allein gelassen: Wie in einem Fa- milienbetrieb üblich, helfen alle mit. So haben sich Alex und Lucia Weißmann nach der Betriebs- 305


Gasthaus-Hotel Sternen Ein traditionsreiches Haus – der Sternen um die Jahrhundertwende. übergabe an Sohn Peter nicht einfach aufs Alten- teil zurückgezogen, sondern sie nehmen, sofern es ihre Gesundheit zulässt, nach wie vor verschie- dene Aufgaben im Gästebetrieb wahr. Alex Weißmann kümmert sich dabei um die Stammgäste und vor allem um den Donnerstags- stammtisch. Seinem phänomenalen Gedächtnis ist es zu danken, dass Ereignisse aus früheren Jahren der Gemeindegeschichte nicht in Verges- senheit geraten. Will man wissen wer, wann, wo und mit wem verheiratet ist oder wann jemand ein besonderes Jubiläum hat, dann schaut Senior Alex in sein akribisch geführtes Geschäftsbuch und kann präzise Auskunft geben. Ereignisreiche Geschichte Viele Jahrzehnte konnte der Sternen den größten und attraktivsten Saal vorweisen, so fanden na- türlich fast alle Veranstaltungen des Dorfes dort statt. So manche Ehe hatte ihren Anfang im Ster- nensaal, da sich dort die „Ledigen“ zum Tanz tra- fen. Überhaupt hat der Sternen eine lange und ereignisreiche Geschichte, deren Ursprung einige hundert Jahre zurückreicht. Immer wieder stößt man bei der Lektüre der Ortschronik von Klengen 306 auf eine Begebenheiten, die mit einem Sternen- wirt in Klengen zu tun hat. So ließ der Sternen- wirt J. N. Fischer im Jahr 1842 amtlich verkünden: „Diejenigen oder derjenige, welcher das Gerücht verbreitet, ich hätte zur Zeit in der Nacht vom 14-15 d.M. (gemeint ist die Klengener Brandnacht vom 14./15. Sept. 1842) dahier ausgebrochenen Brandes, mit dem Bier aufgeschlagen, erkläre ich die Maß zu acht Kreuzer. Was meine dermaligen zahlreichen Gäste der Wahrheit gemäß öffent- lich bestätigen.“ Für Peter und Gaby Weißmann, die mit Leib und Seele Wirtsleute sind, ist es selbstverständ- lich, dass das Wohl der Gäste im Mittelpunkt steht, dafür arbeiten sie täglich und richten den Sternen immer wieder aufs Neue aus. Gasthaus-Hotel Sternen Brigachtal Hochstraße 2 78086 Brigachtal Tel.: 07721/91860


Im Gasthaus Breitbrunnen werden Schwarzwald-Sportler satt Gastlichkeit Ausflugslokal wunderschön direkt an Unterkirnacher Wanderstrecke gelegen von Madlen Falke Tief inmitten des schönen grünen Unterkirnacher Schwarzwalds liegt das Gasthaus Breitbrunnen. Eine gemütliche Wanderstube, die den hungrigen und durstigen Sport- lern ein optimales Angebot bietet. Als Wander- und Langlaufparadies ist der Schwarzwald in Unterkirnach beliebtes Ausflugs ziel für Einheimi- sche und Touristen aus der ganzen Welt. Das Schwarzwald-Gasthaus Breitbrunnen liegt genau an einem dieser vielen Wanderwege, die im Winter als Loipe gespurt werden. Und was gibt es Schöneres, als sich nach einem ordentlichen Marsch oder einer Partie auf der Loipe in einer guten Gaststube zu stärken. Das Wirtshaus mit seiner langen Ge- schichte liegt ruhig an einem kleinen Weiher. Im Sommer lädt ein großer Biergarten mit 140 Plätzen die Wan- dersleute zum Einkehren ein, die Kin- der haben an der Rutsche mit Schau- kel ganz gewiss ihren Spaß. Stephan Zimmermann und sein Team bieten im Gasthaus Breit- brunnen eine regionale Küche und angenehmen Service. Historisches Gasthaus wurde 1530 erbaut Die Historie des Schwarzwald-Hauses geht lange zurück. 1530 wurde das kleine Gasthaus, das heu- te 60 Plätze im Inneren zählt, von Hans Nythart erbaut. Ursprünglich unter dem Namen Breiten Brunnen bekannt, war es jedoch nicht als Gast- haus, sondern lediglich als normales Wohnhaus für die Familie gedacht. 1842 dann brannte das Haus bis auf die Kellermauern ab. Das Ehepaar Baptist und Maria Neugart baute es wieder auf und eröffnete 1843 erstmals eine Gaststätte. 1894 erwarb die Stadt Villingen das Wirtshaus, um welches sich heute das Forstamt kümmert. Im Jahre 1933 übernahm Lukas Schreiber als Pächter den Breitbrunnen. Er und seine Familie bewirtschafteten das Anwesen bis zum Todes- jahr von Lukas Schreiber im Jahre 1975. Sie be- trieben eine Holzhauerei, räucherten Speck und im Lokal mit dem kleinen Schankraum gab es herzhafte Vesper mit Villinger Fortuna-Bier für die Gäste. Drei Jahre nach dem Tod des belieb- ten Pächters sanierte die Stadt das Haus grund- legend und investierte damals 530.000 Mark. Dabei wurden die Gasträume erweitert und die Gartenwirtschaft angelegt. 307


Gastlichkeit Bei Sonnenschein genießen die Gäste im Biergarten den Blick auf den schönen Schwarzwald. Wanderweg und Winterloipe gehen direkt am Lokal vorbei. Rechts: Rund 60 Sitzplätze bietet die gemütliche Schwarzwald-Stube im Inneren. Eine Familie Biegert betrieb dann das Lokal, allerdings nur als Vesper wirtschaft, in der aus- schließlich kalte Speisen oder Spiegeleier und Bratwürste serviert werden dürfen. Bis 1990 hat- ten Irmgard Biegert und ihr Mann die Wirtschaft inne, die auch immer wieder Veranstaltungen boten. Zehn Jahre lang, von 1995 bis 2005, gab es schließlich einen ständigen Wechsel. Bis Clau- dia und Helmut Gruber 2005 den Breitbrunnen übernahmen. Sie führten das Lokal bis 2012 wei- ter, das sich in den sieben Jahren weiterhin bei Einheimischen und Fremden großer Beliebtheit erfreute. Als die beiden den Betrieb vor zwei Jah- ren einstellten, nutzte die Stadt die Gelegenheit, um den Breitbrunnen nochmals zu renovieren. Dabei wurde abermals die ganze Gaststätte neu gestaltet. Neustart nach Umbau Neue Böden, eine neue Küche und eine neue Theke wurden installiert. Die Schwarzwald-Stu- be wurde außerdem insgesamt heller und einla- dender gestaltet. So wurden beispielsweise die urigen Dachbalken in einem angenehmen grau- farbenen Ton gestrichen und nahmen der dunk- len drückenden Decke so die Last. Mit dem Um- bau fand sich auch sogleich ein neuer Pächter, 308 der bis heute die Wirtschaft betreibt: Stephan Zimmermann, der selbst kräftig beim Umbau mit anpackte, ist heute zufrieden mit seinem gemüt- lichen Gasthaus. „Ich hätte selbst nicht gedacht, wie gut das hier laufen wird. Ich bin sehr zufrie- den“, freut sich der Wirt. Er ist gelernter Bäcker- meister, den leckeren Obstkuchen und der täg- lich frischen Schwarzwälder Kirschtorte eilt ihr guter Ruf voraus. An den Wochenende warten mindestens drei bis vier Kuchen auf die Gäste. In Trier geboren und in der Eifel aufgewach- sen, verschlug es Zimmermann in seiner Kind- heit zunächst nach Karlsruhe, wo er auch die Meisterausbildung absolvierte. „Schon als Kind bin ich bei meiner Oma und Mutter mit am Herd gestanden und habe in der Küche fleißig mitge- arbeitet“, erzählt der 31-Jährige. In seinen vielen Berufsjahren hat Zimmermann viele lehrreiche Stationen durchlaufen, davon einige Jahre auf der Insel Ibiza, auf der er in einem Hotel die Kü- che und die hauseigene Bäckerei geleitet hat, wo er auch das Kochen perfektionieren konnte. Nach den Jahren auf der Insel verschlug es den freundlichen Bäckermeister nach Vöhrenbach, und dort kehrte er in einer Bäckerei wieder zu seinen Wurzeln zurück. Es folgte eine eigene Bar in Furtwangen, die er von 2008 bis 2010 betrieb. Bis zur Übernahme des Breitbrunnens arbeitete Zimmermann dann noch in der einen oder ande-


ren heimischen Bäckerei. „Im Breitbrunnen bin ich nun endlich angekommen, das ist jetzt mein Wohnzimmer“, lacht der herzliche Wirt, der sich in seiner Freizeit auch mal wagemutig mit Fall- schirm bepackt aus einem Flugzeug stürzt. Saisonale und gesunde Küche An Sonnentagen ist das Gasthaus schnell gefüllt. Dann bewirten der Chef und seine sieben Mitar- beiter die Gäste mit einer zünftigen Karte. Neben Klassikern wie dem Wiener Schnitzel wechselt er als Koch verschiedene Gerichte je nach Sai- son auch immer wieder aus. Aktuell sind die Schweinshaxe und die Semmelknödel mit Wald- pilzsoße der absolute Renner im Breitbrunnen, deshalb haben sie es auch auf die Dauerkarte geschafft. Eine Aktionskarte, die monatlich wechselt, bietet den hungrigen Sportlern eine saisonale und gesunde Küche. „Wir kochen komplett aller- genfrei und ohne Zusatzstoffe. Unsere Zutaten kommen aus der Region. Das Fleisch ist von der Metzgerei Färber aus Villingen oder von meinem Vater aus Karlsruhe, das Obst und Gemüse vom Obstbauer Haller“, berichtet Zimmermann. Alles werde in dem Ausflugslokal frisch für jeden Gast zubereitet. Zur Winterzeit steht natürlich auch wieder Wild auf der Karte, im Sommer sind Sala- te und leichte Speisen beliebt. Seine eigens gemachten Bratwürste hinge- gen kommen zu jeder Jahreszeit bei seinen Gäs- ten an. Und wer sich die süße Sünde nicht ent- gehen lassen will, sollte in der kalten Jahreszeit den Zimmermannschen Apfelstrudel probieren. Wer wegen des leckeren Essens dann doch mal über die Strenge geschlagen hat, dem tun sicher- lich ein Honigschnäpsle, Ziebärtle oder Marillen- schnaps ganz gut. Zieht der Winter in den Schwarzwald ein, be- tont Zimmermann, kommen Gäste trotz seiner Abgeschiedenheit immer gut zu ihm durch. „Der Schneepflug fährt rund um die Uhr die Strecken hier hinten ab. Selbst im harten Winter 2012 bin ich jederzeit gut hergekommen“, weiß der Wirt zu erzählen. Sommers wie winters bietet der Wirt kleine Saison-Highlights an. Das Sommer- Gasthaus Breitbrunnen Stephan Zimmermann zaubert in seiner Küche stets frische, regionale Gerichte. fest hat bereits viele Freunde gefunden, denn mit Live-Musik und frischem Spanferkel inmit- ten des Schwarzwalds zu feiern, hat schon seinen besonderen Reiz. In der kalten Jahreszeit spielen von Zeit zu Zeit, die Termine sind stets auf der Homepage des Gasthauses nachzulesen, Blaska- pellen in der urigen Wirtschaft mit ihrem großen Kachelofen. Wer möchte, kann den Breitbrunnen auch für private Feiern komplett reservieren. „Ich habe hier schon Hochzeiten und schöne Geburtstage gehabt. Den Termin sollten Interessierte einfach frühzeitig mit mir abstimmen. Ich verlange auch keine Raummiete, sondern freue mich, wenn dann viel gegessen und getrunken wird“, lädt Zimmermann feierfreudige Besucher ein. Gasthaus Breitbrunnen Breitbrunnen 1 78089 Unterkirnach Tel.: 0 77 21 / 99 81 694 www.gasthaus-breitbrunnen.de 309


15. Kapitel Freizeit Eine Freizeit-Oase für die ganze Familie Der Streichelzoo in Kappel bietet Tiere zum Anfassen – Roland Heimburger betreibt die Anlage mit viel Herz und ganz ohne finanzielle Interessen von Philipp Jauch Der Schwarzwald ist in der ganzen Welt ein Begriff. Einige Sehenswürdigkeiten gel- ten jedoch im wahrsten Sinne des Wortes als verborgene Schätze, der Streichelzoo im Niedereschacher Ortsteil Kappel ist ein solches Juwel. Vor allem auch ein familienfreund- liches. Im Eschachtal, am Ostrand des Schwarzwaldes zwischen Villingen-Schwenningen und Rottweil gelegen, betreibt Roland Heimburger eine Frei- zeitanlage, die im Südwesten einmalig ist. Auf 6,5 Hektar erleben die Besucher Tiere frei und zum Anfassen. „15 Ziegen, zwölf Schafe, eine Kuh, zwei Ponys, ein Maultier, ein Esel, 25 Hühner, viele Enten und Vogelarten“ – wenn Roland Heimbur- ger aufzählt, was seine Gäste hier erwartet, klingt das ein wenig nach Inventur. Sachlich, nüchtern, unaufgeregt. Vor allem aber: bescheiden. Der Mann, der die Anlage im Jahr 2005 von der Gemeinde Niedereschach übernommen hat, strebt nicht nach Anerkennung. Er will ande- ren etwas Gutes tun und die Natur für Kinder erlebbar machen. Wirtschaftliche Ziele verfolgt der Unternehmer, der im Hauptberuf Anhänger baut, damit nicht. Der Streichelzoo, das ist sein Hobby. Auch deshalb hat er von Beginn an auf Eintrittsgeld verzichtet. „Ein anderer geht Ten- nis spielen oder Segelfliegen. Ich mach halt das“, kommentiert er knapp. Man spürt, dass Heimburger die Anlage am Herzen liegt. Wenige Meter vom Parkplatz ent- fernt hat er ein schmuckes Portal aufgestellt, dessen Tore immer geöffnet sind. „Ich wollte es bewusst einladend gestalten“, sagt er. „Das Tor steht auf, kommt herein!“ 310


Und die Besucher kommen aus der ganzen Region. Längst hat sich herumgesprochen, welch besonderer Ort der Ruhe und Entspannung sich hier am Rande des Wohngebiets erstreckt. Vor al- lem für Familien mit Kindern ist der Streichelzoo ein wunderbares Ausflugsziel. Hier dürfen sie die Tiere streicheln und füttern; erleben, wie zutrau- lich Ziegen sein können, wenn man sorgsam und liebevoll mit ihnen umgeht. Tiere werden artgerecht gehalten Die artgerechte Haltung der Tiere hat einen be- sonders hohen Stellenwert. Petra Müller, die ein- zige Mitarbeiterin im Park, sorgt dafür, dass die Stallungen sauber, die Klauen geschnitten und die Futtertröge gefüllt sind. „Ich komme aus der Landwirtschaft. Deshalb weiß ich, wie man Tie- re pflegt“, sagt sie. „Aber natürlich versuche ich immer, die Dinge noch besser zu machen, sehe Dokumentationen an, um mir all das anzueig- nen, was für die optimale Versorgung nötig ist.“ Dieses Engagement ist symptomatisch für den Streichelzoo. Statt die Freizeitanlage zu kommerzialisieren und das Personal aufzu- stocken, packen Heimburger und Müller lieber selbst an. Wichtig ist ihnen, dass der Park von allen Bürgern genutzt werden kann. Teure Frei- zeitangebote gebe es schließlich genug. „Wir be- kommen einen Zuschuss von der Gemeinde und verkaufen etwas Futter“, sagt Heimburger. „Das Streichelzoo Kappel ist zwar nicht die Welt, aber es genügt uns. Wir sind mit wenig zufrieden.“ Trotz des knappen Budgets ist der Bestand kontinuierlich gewachsen. Auf die eigene Zucht ist Heimburger stolz. „Jedes Jahr kommen hier im Park Junge zur Welt. Das ist wichtig, denn die Kleintiere sind es, die Kinder interessieren – nicht die großen Viecher.“ Feierliche Einweihung erfolgte 1976 Der Grundstein für diesen besonderen Tierpark wurde bereits in den 1970er Jahren gelegt. Da- mals musste die zu diesem Zeitpunkt noch selbstständige Gemeinde Kappel zur Aufrecht- erhaltung ihrer Wasserversorgung nach neuen Quellen bohren. Dabei wurde in 58 Metern Tiefe eine Mineralquelle entdeckt, deren Wasser in der Zusammensetzung ähnlich der Johannisquelle in Bad Dürrheim oder der Kreuzquelle in Wildbad Kreuth war. Schon bald kamen zahlreiche Stammgäste regelmäßig hierher, um sich Wasser zu holen. Deshalb entschloss man sich, um die Quelle herum eine Freizeitanlage zu schaffen, die den Ziegen, Pfauen, Enten und andere Tiere lassen sich ger- ne bewundern, streicheln und füttern – für die Kinder gibt es auch einen Spielplatz. Der Streichelzoo ist dem Engagement von Roland Heimburger (unten links) zu verdanken. 311


Freizeit Impressionen aus dem Kappler Streichelzoo, der ein Erlebnisparadies für Kinder ist. Bürgern ein Ort des Verweilens sein sollte. 1976 wurde sie feierlich eingeweiht. Die Erholungslandschaft im Eschachtal war ein Treffpunkt für alle Bürger. Sie erholten sich in Kneippeinrichtungen, auf Liegewiesen und in Ruhezonen. Für den Fremdenverkehr brachte das idyllische Naherholungsgebiet dennoch nicht die gewünschte Entwicklung. Hauptgrund dafür war wohl, dass es nicht gelungen ist, die Quellen the- rapeutisch zu nutzen – zu streng waren dafür die Bestimmungen. Die Einheimischen aber sollten lange Zeit Freude an „ihrer“ Freizeitanlage ha- ben. Deshalb wurde sie stets gepflegt und den Bedürfnissen der Besucher angepasst. Fachkundige Beratung durch die Wilhelma Die große Neugestaltung folgte 20 Jahre nach der Einweihung, im Jahre 1996. Mit fachkundi- ger Beratung der Wilhelma in Stuttgart wurde der Streichelzoo angelegt, der im weiten Umkreis einmalig war – und es bis heute geblieben ist. Gleichzeitig entstand auf dem Gelände ein Pa- villon, der als Festplatz genutzt wird. Der Spiel- platz mit Sandkasten, Wasserpumpe, Schaukel 312 und Kletterturm bietet Abwechslung für Kinder, der asphaltierte Rundweg durch den Park dient Joggern als Laufstrecke. Und auch im Winter ist der Streichelzoo eine Freizeit-Oase für die gan- ze Familie. Dann nämlich, wenn der große Teich zugefroren ist, tummeln sich hier die Schlitt- schuhläufer. Mächtig groß und gerade einmal 40 Zentimeter tief bietet der Weiher optimale Bedingungen und ein Höchstmaß an Sicherheit für große und kleine Wintersportler. Dies alles war nur möglich, weil die Men- schen in Kappel sich engagiert haben – bei der Erweiterung des Parks ebenso wie bei der Unter- haltung des Streichelzoos. Vielleicht ist das auch die Erklärung dafür, warum Roland Heimburger die Freizeitanlage ohne jegliche finanziellen Inte- ressen führt. Sie ist seit jeher Teil der Gemeinde und soll es auch in Zukunft bleiben – offen für alle: ohne Grenzen, ohne Zäune. Für den Niedereschacher Bürgermeister Martin Ragg ist die Arbeit von Heimburger und seiner Mitarbeiterin Petra Müller ein Musterbeispiel für bürgerschaftliches Engagement. „Es ist wunder- voll, wie die beiden das machen. Im Park gibt es tolle Tiere zu sehen, die mit großem Fachwissen und einer ungeheuren Leidenschaft gepflegt werden. Damit ist die Anlage ein Highlight für die Gemeinde, das Menschen aller Generationen begeistert.“


Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Kreisrätin und Ortsvorsteherin Helga Eilts verstorben Sie war hoch angesehen und beliebt und hat sich um „ihr Tannheim“ große Verdienste erworben. Mit Helga Eilts ist am 5. Februar 2014 eine engagier- te Ortsvorsteherin verstorben, zugleich die dienstälteste von Baden-Württemberg. 25 Jahre lang stand sie an der Spitze von Tannheim, Teilort von Villingen- Schwenningen, und wirkte zu- dem als Kreisrätin der Freien Wähler. Landrat Sven Hinterseh und Oberbürgermeister Dr. Ru- pert Kubon betonten: Der Land- kreis und Villingen-Schwennin- gen verlieren mit der Kreis- und Stadt rätin Helga Eilts eine be- deutende Kommunalpolitikerin und außergewöhnliche Persön- lichkeit. (Mehr über Helga Eilts finden Sie im Almanach 2010.) Helga Eilts Magazin Umrahmt von Lokführer und Schaffner (von links): Blumbergs Bürger- meister Markus Keller, Landesverkehrsminister Winfried Hermann und Landrat Sven Hinterseh. Die Wutachtalbahn, vor al- lem als Sauschwänzlebahn bekannt, gehört zu den „Histori- schen Wahrzeichen der Ingeni- eurbaukunst in Deutschland“. Der Titel wurde ihr am 8. Sep- tember 2014 von der Bundes in- gen ieurkammer gemeinsam mit der Ingenieurkammer Ba den- Würt temberg im Beisein von Ba den- Württembergs Ver kehrs – minis ter Winfried Hermann in Blumberg verliehen. Die Bahnstrecke ist im Auf- trag des Deutschen Reiches und des Großherzogtums Baden zwischen 1887 und 1890 zu rein militärischen Zwecken gebaut worden: Truppen und Kriegsma- terial sollten rasch von Würt- temberg und Bayern an die französische Grenze verlegt werden können. Die Bahn ist nach dem Stuttgarter Fernseh- turm erst das zweite ausgezeich- nete Denkmal in Baden-Würt- temberg, was den Stellenwert der Verleihung unterstreicht. Landrat Sven Hinterseh freu- te sich mit Bürgermeister Mar- kus Keller über die hohe Aus- zeichnung. Er betonte: „Der Ti- tel unterstreicht die Bedeutung der Museumsbahn für unsere Die Sauschwänzlebahn: Historisches Wahrzeichen der Ingenieurskunst Ferien region Schwarzwald- Baar-Kreis. Er hebt ebenso die geniale Ingenieursleistung her- vor, durch die diese Bahn ent- standen ist. Dank gilt vor allem denjeni- gen, die sich hauptamtlich, aber auch sehr stark ehrenamtlich, für den Erhalt und die Instand- haltung der Bahn einsetzen. Un- sere Sauschwänzlebahn ist ein Highlight des Landkreises, das weit über Blumberg und die Region hinaus strahlt.“ 313


Magazin Gekonnt, aber teilweise heftig diskutiert – der Plakatentwurf von Selina Haas. Über 118 Millionen Medien- kontakte für das Ferienland Ideenreich, mutig und provokant zugleich – aber erfolgreich: Der oben abgebildete Plakatentwurf im Rahmen einer Werbekampa- gne der Ferienland im Schwarz- wald GmbH hatte eine fürwahr riesige Resonanz: Geschäftsfüh- rer Julian Schmitz ermittelte 118 Millionen Medienkontakte für eine Imageanzeige mit diesem Motiv, die im Bordmagazin der Fluggesellschaft Ryanair erschie- nen war. Die Idee und Umsetzung stammt von der 25-jährigen Gra- fikerin Selina Haas aus Schonach. Der teils als „sexistisch“ be- zeichnete Entwurf wurde schließ- lich nicht weiter verwendet, da sich auch der Deutsche Werberat einschaltete. Neben diesem Plakat entwarf die Grafikerin noch zehn weitere. Selina Haas, die niemand verlet- zen wollte, wie sie betont, hat jedenfalls zusammen mit dem Ferien land Schwarzwald die bis- 314 Am Keltenpfad auf dem Magdalenenberg bei Villingen. Neuer Keltenpfad Ein spannendes Stück Geschichte unserer Region wird auf anschau- liche Weise erleb- und erfahrbar: Der Magdalenenberg, der größte frühkeltische Grabhügel Mittel- europas, kann nun auf einem Kel- tenpfad erkundet werden. Acht Pulttafeln informieren über die wichtigsten geschichtlichen Ereig- nisse wie die Entdeckung des Fürs- tengrabes und die Ausgrabung des gesamten Hügels. Der Pfad beginnt in der Villinger Innenstadt. Die Infoelemente stellen auch einen Bezug zur Ausstellung im Franziskanermuseum her, wo sich die kostbare Original-Grabkam- mer befindet. Fabian Riesle: SKIF-Schüler mit gleich zwei Olympiaerfolgen Medaillen bei Olympia: Noch beim Heim-Weltcup Ende De- zember 2013 in Schonach (un- ser Bild) hatte Fabian Rießle die Qualifikation verpasst, dann kehrte der junge Hochschwarz- wälder als Bronze- und Silber- medaillengewinner in der Nor- dischen Kombination von den Olympischen Winterspielen aus Sotschi zurück. „Man sieht, wie eng im Sport alles beisammen liegt“, resümiert er beim Emp- fang in der Heimat Breitnau und in Furtwangen. Fabian Riesle mit seiner Bronze – und Silbermedaille. Der erfolgreiche Sportler ist Schüler des Skiinternates Furt- wangen und studiert an der Furtwangen University.


lang wohl am meisten beachtete Werbekampagne für unsere Feri- enregion gestartet und viel Aner- kennung dafür erhalten. Erwin Teufel feiert seinen 75. Geburstag Auch aus dem Schwarzwald- Baar- Kreis konnte der frühere Ministerpräsident von Baden- Würt temberg, Erwin Teufel, am 4. September 2014 Glückwün- sche zu seinem 75. Geburtstag entgegennehmen. Der langjähri- ge CDU-Wahlkreisabgeordnete wurde als einst jüngster Bürger- meister Deutschlands 1972 in den Landtag gewählt und war von 1991 bis 2005 Ministerpräsident. Landrat Sven Hinterseh unter- strich in seinem Glückwunsch- schreiben die Dankbarkeit für das Geleistete. (Zu Erwin Teufel siehe u.a. Almanach 2006 und 2013). Tassilo von Fürsten berg – An Heiligabend 2013 ist er zur Welt gekommen: Prinz Tassilo Hein- rich Christian zu Fürstenberg, so der vollständige Name, ist das erste Kind von Erbprinz Chris- tian und Erbprinzessin Jeannet- te zu Fürs tenberg. Tassilo von Fürsten berg ist der künftige Erb- prinz und Fürst des Hauses zu Fürs ten berg. Magazin Rolf Schmid (Zweiter v. links) wurde von Landrat Sven Hinterseh (links) und VS-Oberbürgermeister Dr. Rupert Kubon (rechts) mit hohem Re- spekt vor seiner Lebensleistung am Schwarzwald-Baar Klinikum in den Ruhestand verabschiedet. Sein Nachfolger ist Dr. Matthias Geiser (Zweiter v. rechts). Goldene Verdienstmedaille verliehen: Schwarzwald-Baar-Kreis würdigt Lebensleistung von Klinikum-Geschäftsführer Rolf Schmid Mit Respekt und Dank ist am 2. Oktober 2014 Rolf Schmid in den Ruhestand verabschiedet worden. Er führte fast 10 Jahre lang die Klinikum GmbH. In die- ser Zeit realisierte er den Neu- bau des Schwarz wald-Baar Kli- nikums (siehe Almanach 2014) und kann hervorragende Zahlen präsentieren. „Sie haben einen tollen Job gemacht und können stolz sein“, attestierte Landrat Sven Hinterseh. Er belegte seine Wor- te mit Zahlen: Der Umsatz der Klinikum GmbH stieg in der Ära Rolf Schmid um 46 % von 150 auf über 219 Millionen Euro im Jahr. Er legte sieben positive Jah resabschlüsse vor, zusätzlich hat das Haus Gewinnrücklagen gebildet. Rolf Schmid habe da- mit den Beweis erbracht, dass man eine kommunale Klinik er- folgreich führen kann. Landrat Hinterseh würdigte die Lebens- leistung von Rolf Schmid mit der Verleihung der Verdienst- medaille in Gold des Schwarz- wald- Baar-Krei ses. „Ich habe als jüngster Kreis- kämmerer im Alter von 30 Jah- ren begonnen und höre als äl- tester Geschäftsführer eines kommunalen Klinikums im Land auf, umriss Rolf Schmid seine Laufbahn.“ Er dankte VS – Oberbürgermeister Dr. Rupert Kubon und Landrat Karl Heim für die mutige Entscheidung zum Neubau. Andere hätten diesen Mut bis heute nicht be- wiesen, schloss er. Landrat Hinterseh wünschte dem offiziell ab November 2014 amtierenden neuen Geschäfts- führer Dr. Matthias Geiser viel Erfolg. Dem schloss sich mit Ul- rich Fink der Ärzt liche Direktor des Hauses an. 315


Europawahl vom 25. Mai 2014 Ergebnisse der Europawahl vom 25. Mai 2014 im Wahlkreis 286 – Schwarzwald-Baar (Amtliches Endergebnis) Wahlberechtigte: 150.541 Wähler: 74.092 (49,2 %) Gültige Stimmen Davon für CDU SPD GRÜNE AfD FDP DIE LINKE FREIE WÄHLER Sonstige absolut 72.104 32.525 14.776 7.801 5.925 2.886 1.900 1.856 4.435 in % 97,3 % 45,1 % 20,5 % 10,8 % 8,2 % 4,0 % 2,6 % 2,6 % 6,2 % Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 30.06.2014 30.06.2013 30.06.2012 3,6 % 3,9 % 3,4 % 3,8 % 3,9 % 3,7 % 6,7 % 6,6 % 6,6 % Beschäftigte insgesamt: 79.284, davon 35.372 im Produzierenden Gewerbe (44,6 %), 15.216 in Handel, Gastgewerbe und Verkehr (19,2 %) sowie 28.696 im Bereich „Sonstiges“ (36,2 %). (Stand: Juni 2013 – Quelle: Statistisches Landes- amt Baden-Württemberg) Orden und Ehrenzeichen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2014 ausgezeichnet: Alexander Dreher (Villingen-Schwenningen), Erich Wolfsperger (Villingen-Schwenningen), Georg Müller (Villingen-Schwenningen), Ralf Prätzas (Villingen-Schwenningen), Wolfgang Faißt (Villingen- Schwenningen) 316


Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Stand der Wohn be völ ke rung 31.12.2012 31.12.2013 Ver än de run gen in Zah len in Pro zent Ge mein de Villingen-Schwenningen Donaueschingen St. Georgen Bad Dürrheim Blumberg Furtwangen Hüfingen Niedereschach Königsfeld Bräunlingen Brigachtal Triberg Schonach Vöhrenbach Dauchingen Mönchweiler Tuningen Unterkirnach Schönwald Gütenbach 81.128 21.190 12.816 12.634 9.948 9.192 7.530 5.867 5.842 5.773 5.027 4.762 3.998 3.869 3.659 2.976 2.865 2.510 2.330 1.174 81.643 21.066 12.984 13.069 10.061 9.276 7.646 5.919 5.970 5.834 5.106 4.770 3.794 3.765 3.673 3.021 2.895 2.758 2.374 1.188 -515 124 -168 -435 -113 -84 -116 -52 -128 -61 -79 -8 204 104 -14 -45 -30 -248 -44 -14 -0,63 0,59 -1,29 -3,33 -1,12 -0,91 -1,52 -0,88 -2,14 -1,05 -1,55 -0,17 5,38 2,76 -0,38 -1,49 -1,04 -8,99 -1,85 -1,18 -0,83 317 Kreisbevölkerung insgesamt 205.090 206.812 -1.722 Schonach 3.998 Schönwald 2.330 Triberg 4.762 Königsfeld 5.842 Niedereschach 5.867 St. Georgen 12.816 Mönchweiler 2.976 Unterkirnach 2.510 Dauchingen 3.659 Gütenbach 1.174 Furtwangen 9.192 Villingen-Schwenningen 81.128 Tuningen 2.865 Vöhrenbach 3.869 Brigachtal 5.027 Bad Dürrheim 12.634 Donaueschingen 21.190 Bräunlingen 5.773 Das Oberzentrum Villingen-Schwen ningen und die Große Kreisstadt Do naueschingen sind die Zentren im Landkreis. Hier leben mit ca. 81. 128 und 21. 190 Men- schen nahezu die Hälfte der 205.090 Einwohner des Schwarzwald-Baar-Kreises. Hüfingen 7.530 Blumberg 9.948


Bildnachweis Almanach 2015 Sprich, St. Georgen: 146-150, 207-209, 230-233, 304-305 – Verena Wider; Villingen-Schwennin- gen: 151 – Roland Sigwart, Hüfingen: 152, 153, 166- 169 – Franz Krickl, Donaueschingen: 156, 157, 162, 163, 164 – Willi Hönle, Donaueschingen: 158, 160, 161 ob., 185 ob. li. 281 ob. – Günter Vollmer, Donau- eschingen: 162 u., 165 – Historische Narrozunft, Villingen: 171-175 – Stadtarchiv Villingen: 184 ob. li., 186 – Werner Oppelt: 184 ob. re. – Geschichts- und Heimatverein St. Georgen: 188 – Thomas Straub, Köln: 234-241 – Stephan Simon: 242-249 – Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 252, 256, 257 ob.li., 260, 263, 265, 266, 270, 271, 272 u. li., 273, – Erich Marek, Schwenningen: 254, 257 ob. re., 258, 259, 261 – Wikipedia: 255 – Klaus Echle, 256 ob. re. – Pat- rick Seeger, Freiburg: 298-299 – Daniela Schneider, Villingen-Schwenningen: 300, 303 ob. – Madlen Falke, Hüfingen: 307-309 – Gemeinde Niederes- chach: 310, 311 re., 312 – Gerd Jerger, Niedereschach: 311 li., Fabian Mauz, Wolterdingen: S. 314 u. Motiv Titelseite: Unterfallengrundhof bei Furtwangen-Neukirch, Wilfried Dold, Vöhrenbach. Kleine Fotos, links: Artwood, Sebastian Wehrle, Simonswald. Rechts: SWR-Fernsehen Motiv Rückseite: Am Jakobsbrunnen in Blumberg. Fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach. Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Foto gra- fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref- fenden Beitrages oder sind die Bild autoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 3, 9, 42, 43,45, 48-51, 53-54, 82 li. u., 82 u. re, 94, 95- 96 ob. u., 98, 102- 103, 105 u., 106-109, 111, 113, 114-115, 161 u.,179, 189, 210-221, 268. 269, 272 ob. li., u. ob. re., u. re. u., 274, 275, 276, 277, 278, 279, 283, 284, 285 u. re., 286, 288 u., 301, 302, 303 u. – Südwestfunk Fernsehen: 9, 224-229 – Pressefoto Ulmer/Michael Kienzler, Bri- gachtal: 10, 13, 71-75, 128, 290-297 – Nathalie Göbel, Villingen: 12 – Landratsamt, Schwarzwald-Baar Kreis: 14-15, 16 ob. – Sebastian Wehrle, Freiamt: 28-29, 34-41 – Christina Nack, Königsfeld: 52, 59 – Deutscher Eishockey Bund: 57 – pa.picture alliance: 58 (Schreyer), 176 (Aldi-Süd) – Stephanie Kiewel, St. Georgen: 61-65 – Susanna Kurz, Bad Dürrheim: 67, 69 – Stadt Hüfingen: 76-81, 82 ob. re., 83, – Stepha- nie Wetzig, Niedereschach: 84, 87-91, 92 Gerhard Plessing, Überlingen: 86, 154-155 – Gemeinde Kö- nigsfeld: 93, 90 u. – Daniela Schneider: 96 mi.li, u. mi. re, 99 o., 100 ob., 101, 104, 105 ob. – Fotolia: 99, 263 Bildriegel u., Bildriegel 100 u., – Wolfgang Trenkle, Villingen- Schwenningen: 110, 111 u. re., 112, doldverlag, Vöhrenbach: 118 u., 119, 121, 182, 183, 185 ob. re. und re. ob. u., 187, 190-205, 223, 222 – Roland 318


Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Dickmann, Barbara, Hubertusweg 5, 78098 Triberg Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Falke, Madlen, Ornans-Ring 19, 78183 Hüfingen Fetscher, Martin, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Fraas, Saskia, Am Wolfsbach 9/1, 78052 Villingen-Schwenningen Frank, Heike, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Göbel, Nathalie, Gerwigstraße 35, 78112 St. Georgen Hinterseh, Sven, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Jauch, Philipp, Feilitzschstraße 11, 80802 München Kiefer, Gerhard, Rathausweg 1b, 79312 Emmendingen Kiewel, Stephanie, Uhlbachweg 3, 78112 St. Georgen Kienzler, Michael, Gartenstraße 15, 78086 Brigachtal Krickl Franz, Schillerstraße 6, 78166 Donaueschingen Kurz, Susanna, Friedrichstraße 68, 78073 Bad Dürrheim Limberger-Andris, Stefan, Mühlenstraße 7, 79877 Friedenweiler-Röthenbach Marek, Erich, Hans-Sachs-Straße 12, 78054 Villingen-Schwenningen Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Seeger, Patrick, Rieselfeldallee 8, 79111 Freiburg Schneider, Daniela, Bert-Brecht-Straße 15-19, 78054 Villingen-Schwenningen Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Sigwart Roland, Hauptstraße 16, 78183 Hüfingen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 Villingen-Schwenningen Sprich, Roland, Weidenbächlestraße 6, 78112 St. Georgen Trenkle, Wolfgang, Enzstraße 37, 78054 Villingen-Schwenningen Vogt, Josef, Hauptstraße 17, 78086 Brigachtal Wacker, Dieter, Steinwiesenstraße 4, 78052 Villingen-Schwenningen Wehrle, Sebastian, Buchenweg 4, 79348 Freiamt Wetzig, Stephanie, Niedereschacher Straße 31, 78078 Niedereschach Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Zieglwalner, Martina, Carlo-Schmid-Straße 14, 78050 Villingen-Schwenningen Zimmermann, Ernst, Wiesenstraße 27, 78166 Donaueschingen 319


Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2015 S Sparkasse Schwarzwald-Baar Sechs weitere Freunde und Förderer des Almanachs wünschen nicht namentlich genannt zu werden. 320


Auf Pilgerwanderung – Am Jakobsbrunnen in Hüfingen Fotografiert von Wilfried Dold