Almanach 2020

Schwarzwald-Baar Jahrbuch Almanach 2020 1


Foto rechts: Die Sauschwänzlebahn auf dem Viadukt bei Epfenhofen. He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Informationen zum Jahrbuch können auch im Internet recherchiert werden: www.almanach-sbk.de Re dak ti on: Sven Hinterseh, Land rat Wil fried Dold, Re dak teur (wd) Kristina Diffring, Referentin des Landrats Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv Susanne Bucher, Leiterin Informations- und Kulturamt Stadt Hüfingen Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel- fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: dold.media + dold.verlag Verlag: dold .ver lag, Vöh ren bach 2019 www.dold ver lag.de Druck: jetoprint GmbH, Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-948461-01-0 2



Aus dem Kreisgeschehen Städte und Gemeinden Alt-Villingerin Trinkwasser – lebens- wichtig, hochwertig + regional Der neue Zinzendorfplatz in Königsfeld Die Tracht mit der kostbaren Radhaube ist der Stolz Villingens 30 78 88 Für uns ist Trinkwasser bester Qualität zur Selbstverständ- lichkeit geworden! Aber ist es wirklich selbstverständlich? Was steckt eigentlich alles dahinter, bis das Trinkwasser aus der Leitung fließt? Woher und in welcher Qualität kommt unser Wasser im Schwarzwald-Baar- Kreis aus der Leitung? Und was kommt im Zeichen des Klima- wandels auf uns zu? Am 3. Oktober 2019 wurde der Zinzendorfplatz in Königs- feld nach einer umfassenden Neugestaltung der Öffentlich- keit übergeben. Der Hauptplatz Königsfelds erhielt durch die gestalterische Aufwertung wieder seine frühere Funktion als städtebaulicher und sozialer Mittelpunkt der Schwarzwald- gemeinde zurück. Die Entstehung der Tracht der Alt-Villingerin fällt in die Ära des Spät-Rokoko. Sie dürfte somit erstmals um 1780 getragen worden sein. Ihr besonderes Merk- mal ist die Radhaube, deren Herstellung viel Fingerfer- tigkeit verlangt und die mit im Mittelpunkt dieses Schwerpunkt themas steht. 4 Inhalt


Wirtschaft EGT-Triberg: Vor über 120 Jahren gegründet Inhaltsverzeichnis 2 8 Impressum Digitalisierung und Klimawandel – die Themen unserer Zeit / Sven Hinterseh 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen 10 Auf dem Weg in die Zukunft – Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Wandel / Sven Hinterseh 17 Dank an engagierte Kreisräte des Schwarzwald-Baar- Kreises – Neuer Kreisrat 24 Horst Siedle – Nachruf: Zuhause in der Welt, im Schwarzwald verwurzelt 30 Nach fast 120 Jahren beginnt auf der Höllentalbahn eine neue Ära / Bernward Janzing 42 Erwin Teufel zum 80. Geburtstag / Dieter Wacker 48 Trinkwasser – Lebenswichtig, hochwertig + regional / Carla André und Michael Koch 64 Digitaler Wandel: Segen oder Fluch / Roland Sprich 68 Smart Home – Intelligentes Zuhause / Nathalie Göbel 74 Mit der App voll im Bilde / Nathalie Göbel 2. Kapitel / Städte und Gemeinden 78 Der neue Zinzendorfplatz in Königsfeld / Matthias Donath 3. Kapitel / Die Alt-Villingerin 90 Eine kurze Geschichte der Radhaube 92 Im Portrait – Die „Alt-Villingerinnen“ / Birgit Heinig 110 Drei hundertprozentige Tochterfirmen der EGT AG bilden das Kerngeschäft des Unternehmens. Heute sind rund 230 Mitarbeiter in den Geschäftsbereichen Energieservice, Netzbetrieb sowie Elektro- und Informa- tionstechnische Gebäu de- ausrüstung tätig. Der Bei- trag gibt Einblick, wie sich die EGT in der Ära Rudolf Kastner wandelte. Inhalt 4. Kapitel / Wirtschaft 110 EGT-Triberg – Nicht die Größe allein entscheidet über den Markterfolg / Bernward Janzing 120 Granacher Präzisionstechnik – Mit einem Verschleißring fing alles an / Roland Sprich 126 B+B Thermo-Technik – Donaueschinger Schmiede streckt weltweit ihre Fühler aus / Jens Fröhlich 134 Wein-Riegger – Traditionsunternehmen mit großer Innovationskraft / Dieter Wacker 5. Kapitel / Da leben wir – Daheim im Schwarzwald und auf der Baar 142 Gabor Richter / Marc Eich 150 Sebastian Schnitzer / Wilfried Strohmeier 158 Laskhana Sivakumar / Barbara Dickmann 164 Sandra Heinichen / Daniela Schneider 5


Da leben wir Freizeit Gastlichkeit Luisa Zerbo – jung, mutig, kreativ WasserWeltenSteig – Neuer zertifizierter Premiumwanderweg Der Öschberghof – Superior am Golferhimmel 178 224 244 Den Weg in die Küche fand Luisa Zerbo nicht sofort. Ihr Lebensweg ist gezeichnet von Zufällen, glücklichen Umstän- den und davon, dass sie mutig ist und Chancen erkennt und ergreift. In der perfekt einge- richteten Gastro- Küche des „Da Gino“ in VS-Schwenningen ist sie an ihrem Lieblingsplatz, ist in ihrem Element: Mit Liebe und Leidenschaft kocht, brät und backt sie. Einen neuen Wanderweg zu entwickeln ist mehr, als nur ein paar Schilder auf- zustellen – viel mehr. Der neue Premiumwanderweg WasserWeltenSteig verläuft über 109 Kilometer von Triberg im Schwarzwald nach Neuhausen am Rheinfall in der Schweiz und verbindet damit „Deutschlands höchste Wasserfälle“ mit dem größten Wasserfall Europas. Das Golf- und Konferenz- hotel zwischen Schwarz- wald, Schweiz und Boden- see präsentiert sich nach umfassender dreijähriger Umbauphase in frischem Glanz. Die Vielfältigkeit des 5-Sterne-S Luxusresorts macht den Öschberghof zum perfekten Hideaway für alle, die das Besondere suchen. 6 Inhalt


170 Christophe Herr / Susanne Kammerer 178 Luisa Zerbo / Barbara Dickmann 6. Kapitel / Geschichte 184 Hexenlochmühle – Die schönste Mühle des Schwarzwalds / Elke Schön 194 Einzigartig in Europa – Antik-Uhrenbörse ein Gewinn für gesamte Region Furtwangen / Matthias Winter 7. Kapitel / Kultur 200 Hüfinger Sommertheater – eine Leidenschaft, viele besondere Momente / Tanja Bury 8. Kapitel / Natur und Umwelt 206 Die Netzwerker von der Möglingshöhe / Daniela Schneider 218 Die kommunale Mosterei in Hubertshofen / Gabi Lendle 9. Kapitel / Freizeit 224 WasserWeltenSteig – Ein neuer Wanderweg zwischen Gutach und Rhein / Thomas Bichler 240 Tanzschulen Christian Seidel / Birgit Heinig 10. Kapitel / Gastlichkeit 244 Der Öschberghof – Das Golf- und Konferenzhotel in Donaueschingen zwischen Schwarzwald, Schweiz und Bodensee 272 Die Scheffellinde in Achdorf / Marc Eich 280 Hotel Goldener Rabe / Elke Schön 11. Kapitel / Musik 288 100 Jahre SABA und 50 Jahre MPS – Qualität aus dem Schwarzwald / Friedhelm Schulz 298 Baaremer Luusbuäbä / Susanne Kammerer 12. Kapitel / Sport 304 CHI Donaueschingen – Von großen Sprüngen und bedrohlichen Hindernissen / Wolfgang Losert Anhang 315 Almanach-Magazin 319 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge / Bildnachweis 320 Ehrenliste der Freunde und Förderer Sport Große Sprünge beim CHI-Donau eschingen 304 Auf einer Skala ist das Inter- nationale Reitturnier von Donaueschingen einzigartig in Deutschland, womög- lich gar in ganz Europa oder rund um den Globus: Nirgendwo sonst satteln Pferdesportler in den fünf Disziplinen – Springen, Ge- spannfahren, Dressur, Viel- seitigkeit und Polo – zu den Prüfungen. Inhalt 7


Die Alt-Villingerin Die Frauentracht mit der kostbaren Radhaube ist der Stolz der Stadt Villingen Der Tracht der Alt-Villingerin ist es ergangen wie vielen Trachten im Schwarzwald und auf der Baar: Nachdem sie zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Alltagsleben verschwand, weil sich die Menschen von alten Zwängen befreiten und freier kleideten, tauchte sie gut 40 Jahre später an der Fastnacht wieder auf. Und dort ist sie bis heute verblieben. Auch in Villingen erfüllt die Frauentracht die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, beflügelt sie das „verklärte Reichsstadtdenken“. Das hat Villingen mit anderen Reichsstädten gemein, betont Trach ten- experte Jürgen Hohl, der frühere Vorsitzende des Kulturellen Beirats der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte mit Blick auf die Wiederkehr dieser Tracht an der Villinger Fasnet. Ihre Entstehung fällt in die Ära des Spät-Rokoko, sie dürfte somit erstmals um 1780 getragen worden sein. Außerhalb der Fastnacht wird die Alt-Villingerin durch die Trachtengruppe repräsentiert, die sich 1949 der Bürgerwehr angeschlossen hat. Das besondere Merkmal der Tracht ist die Radhaube, deren Herstellung viel Fingerfertigkeit verlangt und die mit im Mittelpunkt dieses Almanach-Schwerpunktthemas steht. Alt-Villingerin mit goldener Radhaube. Modell: Julia Oswald Tracht: Ingrid Beck Fotografie: Wilfried Dold 88 3. Kapitel – Die Alt-Villingerin



Eine kurze Geschichte der Radhaube Das besondere Merkmal der Alt-Villingerin ist ihre Radhaube. Die entsprechende Kopfbedeckung gehörte auch in Villingen stets zur Tracht dazu. Das Bedecken gerade des weiblichen Kopfes war üblich – eingeführt von den Männern zur „optischen Verschließung“ ihrer Ehefrau. Die nachstehende kurze Abhandlung basiert auf einem umfassenden Beitrag von Jürgen Hohl, den dieser 2008 für die Schriftenreihe des Geschichts- und Heimatvereins Villingen verfasst hatte. In der Mitte des 18. Jh. war für alle Altersstufen eine weiße Zughaube als Kopfbedeckung üb- lich, die sogenannte Dousette. Sie bildete den Grundstock der verschiedenen Hauben. Aus dem mittelalterlichen „Schlayer“ hatte sie sich durch die Zeit hindurch entwickelt. Um 1750 trug man als Modefrisur den „Kohlkopf“, das waren „gebrannte“ Locken: mal seitlich länger oder als Knoten am Hinterkopf oder seitlich gesteckt. Darauf saß die Dousette und auf diese wiederum kam die Haube der verheirateten Frau: die „Pockel- oder Bockelhaube. Genannt nach den Haarbuckeln seitlich und am Hinter- kopf. Diese Haube bestand je nach Stand aus verschiedenen Materialien. So bei älteren Frau- en aus schwarzem Gimpen, bei jungen Frauen aus der Hohlspitze in Gold und Silber. Gold für die Hochfeste, silber für normale Sonntage lau- tet eine der Erklärungen für die Farbunterschei- dung zu bestimmten Zeiten. Diese vormals dem höchsten Stand vorbehaltene Haube wanderte ab 1740 auf Grund von Modeeinstellungen bis in die untersten Schichten. Einzigartig ist der Haubenportraitbestand des Franziskanermuseums in Villingen. An die- sen Bildern kann die Entwicklung der Villinger Hauben genau verfolgt werden. Zwischen 1820 bis 1845 bildete sich die heutige Villinger Haube heraus. Und zwar nach folgendem Rezept: Der Steg wird etwas kürzer, das Rad weitet sich bis zu 30 cm Durchmesser aus. Die Stellung des nach hinten gebogenen Rades unterscheidet sich von den steil und glatt aufgestellten Rädern anderer Radhaubengebiete. Nur an der Boden- seehaube z.B. von Überlingen/Konstanz ist die Verwandtschaft zur Villinger Haube erkennbar. Der Trachtenabgang bescherte auch Villingen ab 1850/60 die Hinwendung zur Mo- dekleidung. Aber nun kommt in den 1880er-Jah- ren wie in anderen Trachtengebieten das Auffangbecken Fasnet zum Tragen. Anfangs trug die Alt-Villingerin an der Fastnacht sogar eine Wachsmaske und später eine Holzscheme. Heute allerdings ist die Mehrzahl der Alt-Villin- gerinnen unverlarvt unterwegs. Wenn man die Reichsstadtbockelhaube als „Urgroßmutter“ der Radhaube heranzieht, stellt man fest, dass es zu allen Zeiten zwei Arten von Materialverwendungen gab: die Haube in Hohlspitze und in geklöppelter Spitze. Die Hohl- spitze – auch Schlauch- oder Windungsspitze ge- nannt – ist eine sehr intensive Handarbeitstech- nik, bei der über zwei sogenannte Seelenfäden Plätt oder Lahn geschlungen wird. Als Lahn, Plätt, Plätte oder Rausch wird ein platt gewalzter sprich geplättelter Draht aus Metall bezeichnet. Eine weitere Art der Haubengestaltung hängt mit dem Alter der Trägerinnen zusam- men: Ältere Frauen trugen die schwarze Flor- und Chenillehaube auch am Sonntag. Genau wie die goldene und silberne Muschelspitze kam auch das Florbesticken (Tüll) und der Chenillefaden aus den Klosterwerkstätten. Alt-Villingerin mit goldener Radhaube. Modell: Jessica Bisceglia Tracht: Ingrit Rothmund Fotografie: Wilfried Dold 90 Die Alt-Villingerin


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Christophe Herr Eine junge Energie, die altes Handwerk antreibt von Susanne Kammerer mit Fotos von Wilfried Dold 170 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


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„Ich bin stolz auf das, was unsere Vorfahren geschaffen haben“, sagt Christophe Herr. Der 41-jährige Holzbildhauer fertigt in seiner Firma „Robert Herr Kuckucksuhren-Unikate“ in Schonach hochwertige Uhren. In einer Werkstatt, wie sie ursprünglicher nicht sein könnte. Dabei ist er nicht einfach „nur Handwerker“, sondern ein weithin angesehener Botschafter der traditionellen Schwarzwälder Handwerkskunst – ein Kuckucksuhrenschnitzer von Rang! Christophe Herr mit einigen seiner liebsten Stücke – Kuckucksuhren mit schwarzem Antikwachs behandelt. Rechte Seite: Beim Schnitzen eines Jagdstückes, der nach wie vor beliebtesten Kuckucksuhr. Die Ohren sind getunnelt, die Kleidung ist mit Jeans und T-Shirt lässig. Christophe Herr ist ein Typ, der nicht so recht zu dem vermeintlich al- ten und staubigen Beruf des Uhrmachers passt. Gerne wird er als Revoluzzer bezeichnet. Im positiven Sinne: Der Schonacher ist Revoluzzer, aber einer, der sich nicht vor der Moderne und dem Zeitgeist verschließt, sich dem traditionel- len Handwerk jedoch verpflichtet fühlt und es unbedingt wahren möchte: „Eine Kuckucksuhr ist kein Souvenir, sondern Handwerkskunst“, sagt er. „Man sollte die Geschichte, die dahinter steckt, nicht vergessen“. Und gerade diese Ge- schichte ist es, die die Kuckucksuhr so untrenn- bar mit dem letzten Uhrendorf des Schwarzwal- des, mit Schonach verbindet. Familienbetrieb in fünfter Generation Und diese geht weit zurück. Das Handwerk wurde über die Jahrhunderte stets verbessert und verfeinert – dieses Wissen gelte es, zu be- schützen. Für Christophe Herr Passion und Familien tradition gleichermaßen. In fünfter Generation führt er den Familienbetrieb, der nach seinem Urgroßvater Robert Herr benannt ist. Die Kuckucks uhren-Fabrikation wurde im Jahr 1868 gegründet. Damit sei man der älteste, 172 Daheim im Schwarzwald und auf der Baar


Christophe Herr 173


Ein neuer Wanderweg zwischen Gutach und Rhein Text und Fotos: Thomas Bichler 224 9. Kapitel – Freizeit


Der WasserWeltenSteig verläuft als neuer zertifi- zierter Premiumwander- weg über 109 Kilometer von Triberg im Schwarz- wald nach Neuhausen am Rheinfall in der Schweiz und verbindet damit „Deutschlands höchste Wasserfälle“ mit dem größten Wasserfall Europas.


Im Jahr 2001 kam mit der Eröffnung des Rot- haarsteigs im Sauerland und Westerwald, als erstem deutschen Premiumwanderweg, der Stein ins Rollen, der – damals wohl ungeahnt – richtig Fahrt aufgenommen hat und bis heute ungebremst rollt. Zahlreiche neue Wander- wege, ganz nach den Bedürfnissen moderner Wanderer konzipiert, sprießen seitdem aus den Wald- und Wiesenböden der Mittelgebirge zwi- schen Küste und Alpenrand. Quasi mit einem Schlag ist das Wandern aus seinem damals reichlich angestaubten Image erwacht und wurde wieder „in“. Naturnahe, gewundene Pfade, erlebnisreiche Wegpunkte, bestenfalls schöne Einkehrmöglichkeiten am Weg, modern gestaltete Rastplätze und aus- gesucht schöne Natur kennzeichnen die neuen Wanderwege landauf, landab. Es folgten Wege, die heute längst zu Klassikern geworden sind, der Rheinsteig, der Hochrhöner, der Franken- weg, der Saar-Hunsrück-Steig oder – ganz in der Nähe – die Murgleiter im Nordschwarzwald und die als Qualitätswege Wanderbares Deutsch- land zertifizierten Fernwege Schluchtensteig und ZweiTälerSteig im Naturpark Südschwarz- wald und natürlich der Westweg. optimale Wandererlebnis konzipiert und einge- richtet. Das Deutsche Wanderinstitut mit Sitz in Marburg hat 34 Kernkriterien für Premiumwan- derwege entworfen. Für jeden Wegekilometer werden zudem knapp 200 unterschiedlich gewichtete Merkmale zum Wegeformat und Gehkomfort, zu Landschaft, Kultur und „zivili- satorischen Barrieren“ (Straßen, Ortsdurchque- rungen, etc.) oder zur Beschilderung verlangt. Wege können so mit deutschlandweit iden- tischen Kriterien kilometergenau auf Stärken und Schwächen getestet und vom Wanderer miteinander verglichen werden. Das Prädikat „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ wird vom Deutschen Wanderverband in Kassel vergeben und basiert auf 9 Kernkriterien und 23 Wahlkriterien. Gleich ob Premiumwanderweg oder Quali- tätsweg – immer steht das Erlebnis Wandern im Vordergrund. Erdig-grasige Pfade ersetzen Schotter- und Asphalttrassen. Schmale Wege führen durch vielfältige und unberührte Land- schaftsformen, statt mit monotoner Flurbe- reinigung zu langweilen. Stopps in blühenden Waldwiesen, in erfreulich unaufgeräumten Qualitätsweg oder Premiumwanderweg? Der Unterschied ist für Uneingeweihte kaum auszumachen. Zertifizierte Wanderwege wer- den nach komplexen Kriterienkatalogen für das 80 geladene Gäste trafen sich im Mai 2019 in Blum berg-Achdorf zur Eröffnung des Premium- wander weges WasserWeltenSteig. Hier Landrat Sven Hinterseh (3. v. links) im Kreis prominenter Mitwan- derer. Im Hintergrund die Schleifenbachwasserfälle. 226 Freizeit


Wäldern und in Weinbergen werden so zur meditativen Erfahrung. Öffnende Ausblicke, Naturattraktionen und kulturelle Sehenswür- digkeiten sind ebenso wichtige Bestandteile, wie eine benutzerfreundliche Infrastruktur und attraktive Rastplätze. Wie komponiert stehen komfortable „Waldmöbel“ – Bänke, Holzliegen, Liegeschaukeln, Grillstellen – immer an den ge- nau richtigen Stellen zum Rasten und Schauen. Eine lückenlose und unmissverständliche Mar- kierung sorgt dafür, dass die Wanderung nicht verloren im Wald endet. Die Zertifizierung ist also nicht nur eine Auszeichnung des Wander- weges und seiner Ersteller, sondern auch eine wichtige Entscheidungshilfe für Wanderer. WanderParadies Schwarzwald und Alb Das „WanderParadies Schwarzwald und Alb“ der Landkreise Schwarzwald-Baar und Rottweil, das 2014 „an den Start“ ging, bietet zwischen- zeitlich 37 Wanderrundtouren zwischen vier und 20 Kilometern Länge, von denen 20 als Qualitäts- oder Premiumwege zertifiziert sind. Auf den Schwarzwaldhöhen und -tälern, im Schluchtensystem der Wutach und Gauchach sowie auf dem Hochplateau der Baar, kurz: im gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis ist Wandern auf zertifizierten Wegen möglich. Was fehlte war ein Fernwanderweg. Der neue Wasser- WeltenSteig schließt nun die Lücke im touristi- schen Angebot und bildet seit seiner Eröffnung im Mai nun den roten Faden in der Wanderregi- on zwischen Schwarzwald, Alb und Hochrhein. Auf seinem Weg zwischen den beiden herausra- genden Natursehenswürdigkeiten des Triberger Wasserfalls und des Rheinfalls verknüpft er nun viele der zertifizierten Kurzwege und zahlreiche Wanderregionen miteinander. Von der Idee zum Weg Einen neuen Wanderweg zu entwickeln ist mehr, als nur ein paar Schilder aufzustellen – viel mehr. Am Anfang stand der Wunsch im Schwarzwald-Baar-Kreis einen konkurrenzfä- higen Fernwanderweg zu etablieren, der lang- fristig im Konzert der großen Wege mitspielen Einen neuen Wanderweg zu entwickeln ist mehr, als nur ein paar Schilder aufzustellen – viel mehr. kann. Ein Fernwanderweg von überregionaler Bedeutung erzeugt mediale Aufmerksamkeit, fördert die regionale Wirtschaft und stärkt so insbesondere die lokalen Anbieter aus Gastro- nomie, Hotellerie und Tourismus. Von einer Er- höhung der Gästezahlen und der Verweildauer können aber auch beispielsweise Lebensmittel- geschäfte und Buchhandlungen profitieren. Neben den wirtschaftlichen Zielen müs- sen dabei auch die umweltpolitischen Folgen bedacht werden: Wie können natürliche Ressourcen schonend genutzt sowie Flora und Fauna bewahrt werden. Wohin müssen Besucherströme gelenkt werden, um sensible Bereiche zu schonen. Wandern ist dafür die ideale, die Natur schonende Reiseform, um das Umweltbewusstsein altersunabhängig über alle Bevölkerungsschichten zu schärfen. Auch Mar- ken- und Corporate Design sowie ein griffiger Markennamen sind längst fester Bestandteil in der Entwicklung eines Wanderwegs. Die Arbeit am WasserWeltenSteig begann im September 2016 mit einer Machbarkeitsstu- die der Projektpartner Wandern des Deutschen Wanderinstituts, ob der angedachte Wander- weg mit dem damaligen Arbeitstitel „Von Was- serfall zu Wasserfall“ als Premiumwanderweg umsetzbar ist. Nach zustimmendem Nicken WasserWeltenSteig 227


der Wanderforscher aus Mittelhessen stand die Bürokratie im Vordergrund. Ein Förderan- trag beim Naturpark Südschwarzwald wurde gestellt. Erste Entwürfe der Strecke wurden mit der Bitte um Anmerkungen und Vorschläge an alle Anrainerkommunen, an Schaffhauserland Tourismus, die zuständigen Forstbehörden, an Naturschutzverbände und nicht zuletzt den Schwarzwaldverein verschickt. Rauchende Köpfe waren anschließend ab März 2017 in den Sitzungssälen beim Landrats- amt zu sehen: Änderungsvorschläge, Strecken- verlegungen, Bedenken und Befürwortungen standen zur Diskussion – stets unter der Frage, ob der Neuentwurf der Wegeführung noch pre- miumwanderwegfähig ist, ob Naturschutz- und Forstbehörden in den beteiligten Landkreisen und Privateigentümer von Land zustimmen. Jede kleine Wegänderung erforderte eine neue Prüfung durch alle Beteiligten und deren er- neute Zustimmung, aber auch die neuerliche Besichtigung vor Ort auf Mach- und Begehbar- barkeit sowie den Erlebnischarakter. Die Zahl der gewanderten Kilometer, vor allem der uner- müdlichen Wegetüftlerin Margarete Furtwäng- ler sowie Michael Braun, lässt sich wohl nicht beziffern, bis die Ortsgruppen des Schwarz- waldvereins im September 2018 den Wasser- WeltenSteig endlich beschildern konnten. Mit der feierlichen Übergabe der Zertifi- zierung des neuen Premiumwanderwegs im Schwarzwald-Baar-Kreis am 25. Mai 2019 wur- den auch die Webseite freigeschaltet und die druckfrische Begleitbroschüre der Öffentlichkeit vorgestellt. Der WasserWeltenSteig hat dabei seinem Namen alle Ehre gemacht. Die Eröff- nungswanderung führte von Blumberg-Achdorf an den erfreulich wasserreichen Schleifenbach- fällen vorbei bis auf den Buchberg, einen alle Teilnehmer durchnässenden Gewittersturm inklusive, just beim Eintreffen am Gipfel. Also, gehen wir wandern! Am Eingang der Triberger Wasserfälle hängt das erste Wegzeichen und begleitet uns bis an den Rheinfall: die für Schwarzwaldwanderwege typische Raute, versehen mit drei geschwunge- nen Linien. Über Serpentinen und Stufen zieht der Weg entlang der tosend ins Tal stürzenden 228 Freizeit


Wasser der Gutach hinauf, macht an Brücken und Aussichtsplattformen halt, gibt den Blick frei auf die sieben Fallstufen der insgesamt 163 Meter hohen Wasserfälle und erreicht schließ- lich – welch ein Gegensatz – die verwunschenen Moorlandschaften zwischen Schonach und Schönwald. Hügelige Schwarzwaldlandschaften mit den typischen, urigen Schwarzwaldhöfen rahmen den Weg bis zum Reinertonishof. Anstelle des 2006 abgebrannten fast 400 Jahre alten Hei- denhofes, haben die Dufners an alter Stelle ein neues Schmuckstück entstehen lassen. Über das Bauernmuseum, das Vesperhäusle, die Hof- brennerei und den Hofladen werden sich auch zukünftige Wanderer des WasserWeltenSteigs nach dem zurückliegenden Anstieg so freuen wie wir. Bald nach dem Reinertonishof passieren wir die einstige Hofstelle des Elzhofes und tau- chen, beobachtet von übermütig neugierigen Angusrindern, in den dichten Wald um den Blindensee ein. Nach und nach macht Hochwald einem dichtem Spirkenwald Platz. Die Spirke ist eine aufrecht wachsende Form der Berg- Ein Bohlenpfad führt durch die archaische Landschaft zur Aussichtsplattform am kreisrunden, dunklen Blindensee. Kiefer und typisch für die Moorlandschaften im Schwarzwald. Ein dichter Teppich aus Rausch- beerensträuchern überzieht den tückisch-sump- figen Boden rechts und links des hölzerner Boh- lenwegs, der uns mitten durch diese archaische Welt bis zur Aussichtsplattform am kreisrun- den, dunklen Moorsee führt. Eine Sage erzählt, einst sei hier eine Kuh ertrunken und nach Wo- chen in der Donau wieder aufgetaucht. Nun ja, wer’s glaubt. Ein paar Neugierige taten es wohl doch und sollen – so wird berichtet – versucht haben mittels Färbung des Seewassers eine Ver- bindung mit der Donau nachzuweisen. Das war natürlich vergebens. Der mystischen Stimmung der Landschaft tut dies jedoch keinen Abbruch. Geheimnisvoll spiegelt sich der Moorwald im still und schwarzschimmernd ruhenden See. Noch ein paar Schritte über den Bohlenweg, dann zieht der WasserWeltenSteig erneut durch WasserWeltenSteig 229


den für den Mittleren Schwarzwald so typi- schen Landschaftsflickenteppich aus Weiden, Wäldern und Wiesen zur Weißenbacher Höhe. Die jedem Schwarzwaldwanderer vertrauten roten Rauten des Westwegs hängen nun mit an den Wegzeichen. Seit bald 120 Jahren begeistert der seit einigen Jahren ebenfalls zum Quali- tätsweg zertifizierte Klassiker seine Wanderer. Jedes Jahr begeben sich unzählige Besucher aus der ganzen Welt auf die 285 Kilometer von Pforzheim, quer durch den Schwarzwald, nach Basel. Vielleicht macht ihm der WasserWelten- Steig dahingehend ja einmal Konkurrenz? Auf dem Weg zum Tagesziel am breiten Bergrücken zwischen Rohrhardsberg und Brend machen wir erst in Judith und Dieter Dolds Hof-Café „näbbe duss“ im hübschen Farn- bachtal halt, dann kurz an der Elzquelle. Die Elz tröpfelt hier nur – ähnlich unserem in der Sonne dahinschmelzenden Bauernhofeis in der Hand, springt aber schon wenige Kilometer weiter talabwärts über die Elzfälle und fließt dann im weiten Bogen dem Rhein zu. Unser Ziel ist die „Donauquelle“, jenseits der Europäischen Wasserscheide. Genauer ge- sagt entspringt die Breg, der längere der beiden Quellflüsse der Donau, in einer Senke unterhalb der Martinskapelle. Am benachbarten Kolmen- hof bewirten uns Katharina und Christoph Dold mit fangfrischen Forellen und haben auch ein kuschelig weiches Bett für müde Wanderer. Wer noch nicht ganz so müde ist wie wir, wan- dert noch ein Stück weiter, passiert dabei die haushohen, eigentümlich wild aufeinanderge- stapelten Granitblöcke der Günterfelsen und übernachtet bei Antonia Hauswald im Berg- gasthof Brend am mit 1149,3 Metern höchsten Punkt des neuen Premium wanderwegs. Vom 1905 durch den Schwarzwaldverein er- bauten Aussichtsturm am Gipfelplateau wandert der Blick nach Süden, zum Hochschwarzwald, über den Dunst der Rheinebene zu den Voge- sen und an klaren Tagen bis zu den Alpen, vom Säntis bis zu Eiger, Mönch und Jungfrau. Modell- eisenbahnern wird der 17 Meter hohe Steinturm bekannt vorkommen. Lange Zeit war er im Minia turmodel-Portfolio des Spielzeugherstel- lers Faller in Gütenbach am Fuß des Brend. Meditative Waldeinsamkeit An Furtwangen, Gütenbach und Neukirch vor- bei steuert der WasserWeltenSteig den dicht bewaldeten Höhenzug zwischen Linachtal und Urachtal an. Vom Brend geht es zur Ladstatt, dann mit einem Schlenker durchs Schochen- bachtal zum Raben und weiter durch Wiesen und Weiden, an Waldrändern entlang zur Neueck. Hier ist ein weiterer wichtiger Punkt an der Wasserscheide zwischen Rhein und Donau – nun zwischen Wilder Gutach und Breg und eine gute Chance für ein zweites Frühstück bei Ste- fanie Weißer und Theo Rosenberger oder – wie in unserem Fall – einem Stück ihrer legendären Schwarzwälder Kirschtorte. In der Gartenwirt- schaft im Schatten der Linden lässt sich herrlich Zeit verbummeln, während Theos cremeweiße Charolais-Rinder auf den umgebenden Wiesen weiden. Mit vollem Bauch geht es weiter. Gut, dass der Weg nun für lange Zeit auf der Höhe bleibt. Am Hohlen Bildstöckle queren wir die B 500, schicken den Westweg geradeaus weiter und verlassen gefühlt endgültig die Zivilisation. Ein würziger Duft nach Harz und Moos und in den Baumwipfeln rauschender Wind fährt unseren Puls herunter. Stille umgibt den WasserWel- tenSteig. Kaum ein Laut dringt bis auf den bewaldeten Höhenzug zwischen Michelshöhe und Adlerhöhe. Erholsames Waldwandern ist angesagt. Zeit für die Kleinigkeiten am Weg: Ein an Tannenzapfen knabberndes Eichhörnchen, Pilze im Unterholz, rotleuchtende Vogelbeeren vor dunkelgrünen Tannen. Fast zu früh bringt uns ein schmaler Pfad ziemlich direkt und steil ins Tal hinab. Ein paar Schritte entlang der gluckernden Linach und wir stehen an der Linachtalsperre. Auf einem Schmalspurweg wandern wir am Ufer entlang zur Staumauer. Die eigenwillige, 25 Meter hohe und 143 Meter lange, denkmal- geschützte Gewölbereihenstaumauer wurde zwischen 1922 und 1925 zur Stromgewinnung gebaut. Ab 1969 wurde der Kraftwerksbetrieb eingestellt, Wasserkraft galt als nicht mehr zeitgemäß, 1988 das Wasser abgelassen. In den späten 90er-Jahren fand ein Umdenken statt. Das Kraftwerk wurde reaktiviert und nach einer 230 Freizeit


Unterwegs auf dem WasserWeltenSteig. Vorbei am Günterfelsen (oben) geht es zum Brend (u. links). Beim „Hirschen“ in Neukirch mundet die Schwarzwälder Kirschtorte – nächste Station ist die Linachtalsperre. WasserWeltenSteig 231


100 Jahre SABA und 50 Jahre MPS – Qualität aus dem Schwarzwald 288 11. Kapitel – Musik


Blick in das MPS-Studio um das Jahr 2007. Heute wird das legendäre Tonstudio mit Weltruf von einem Förderverein betrieben. Auch Aufnahmen sind wieder möglich. Foto: Lutz Hugel, visual artwork 289


von Friedhelm Schulz Der Schwarzwald steht für geheimnisvolle Mythen, aber ebenso für den sagenumwobe- nen Tüftlergeist. Wenn der gepaart ist mit der beharrlichen Suche nach Innovationen, kann daraus Industriegeschichte von Weltruf entste- hen. Zwei Marken sind bis heute für höchste Qualität aus dem Schwarzwald bekannt: SABA und MPS. Eng verbunden sind sie mit der Triber- ger Uhrmacherdynastie Schwer. SABA-Gründer Hermann Schwer ging als Rundfunkpionier in die deutsche Technik geschichte ein, sein Enkel Hans Georg kreierte mit dem Musiklabel MPS einen exzellenten Sound, der bis heute Men- schen in aller Welt begeistert. Alles begann in Triberg. Hier gründete Le- onhard Schwer (1770 – 1858) eine Schlosserei, in der auch „Bestandteile für Zeitmesser“, wie es in einer Urkunde steht, hergestellt wurden. Sohn Benedikt (1803–1874) war dann ab 1835 der erste Uhrmachermeister der Familie; er verkauf- te seine Produkte bis nach Norddeutschland und Frankreich und war einer der Pioniere der Uhrmacherei im Schwarzwald. 1864 tritt der Sohn des Firmengründers, August Schwer, in die Fabrik ein, die er ab 1865 „Schwarzwälder Apparate-Bau-Anstalt” nennt, woraus später der Name SABA abgeleitet wird. Sohn August Schwer (1844–1912) weitete die Produktion aus: Jockeles-Uhren, Nachtuhren, Pendulen, aber auch Kaminuhren aus Marmor wurden gefertigt. 1905 übergab er den Betrieb an Sohn Hermann. Dieser baute die Firma zur „Metallwarenfabrik“ um; es wurden nun auch Fahrrad- und Türklingeln produziert. 1910 hatte die kleine Fabrik 27 Beschäftigte. Die „Glocken“ aus Triberg wurden auf zahlreichen Industrie- ausstellungen in ganz Europa ihrer Qualität wegen ausgezeichnet. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges schrumpfte 1914 die Belegschaft; zudem brann- te die Schwer-Fabrik aus. Zu der Zeit reifte in Hermann Schwer der Entschluss, Triberg zu verlassen. 1918 kaufte er die „Waldmühle“ in Villingen als neue Produktionsstätte und bereits Ende 1918 waren dort 78 Personen beschäftigt. Hermann Schwer, gebürtiger Triberger, gründete vor 100 Jahren die SABA-Werke in Villingen. Der offizielle Registereintrag beim Gericht in Villingen datiert vom 17. März 1919. Vor nun- mehr 100 Jahren wurde das Unternehmen gegründet, das dann als SABA bekannt wurde. Und ein Jahr später wurden hier u. a. Fahrrad- klingeln für Abnehmer in ganz Europa gebaut. Die ehemalige Waldmühle wird im Volksmund nun „Schellenmühle“ genannt. 1922 kommt eine elektrotechnische Abtei- lung hinzu: Es werden Klingeltransformatoren produziert. Hermann Schwer hörte zu dieser Zeit fasziniert in einem Rundfunklabor in der Schweiz eine Radioübertragung. Für ihn stand fest: der Rundfunk, der 1923 in Deutschland begann, hat eine große Zukunft. Das war die Technologie, auf die er setzte. Erste Produkte folgen: 1923 werden in Villingen Kopfhörer für Radiogeräte hergestellt, die sich durch präzise Verarbeitung und höchste Empfangsempfind- lichkeit auszeichnen. Weitere Teile für Radioge- räte kommen bis 1925 dazu: Heizwiderstände, Spulen, Schalter, Trichterlautsprecher und Dreh- kondensatoren. Alles in höchster Qualität. Aus dem langen Namen „Schwarzwälder Apparate-Bau-Anstalt“ wurde jetzt eine kurze 290 Musik


Marke, die Weltruhm erlan- gen sollte: SABA. Seit 1924 ist der Name in dem runden Kreis als Markenzeichen ein- getragen. Bei SABA wurden nun Radios gebaut, bis 1931 bereits 100.000 Stück. Der Rest ist bekannt: Der Villinger Familienbetrieb gehörte zu den großen und angesehenen Unternehmen Deutschlands. Hermann Schwer, Ehrenbürger von Villingen, starb bereits 1936 – auf dem Höhepunkt sei- nes Schaffens. Er hinterließ eine Qualitätsmarke von internationalem Ruf, aber auch einen Enkel, dem er seine Tüftler-Gene vermacht haben muss: den 1927 geborenen Hans Georg. Der Sound aus dem Schwarzwald Während Hermann Schwer zu den Wegberei- tern beim Bau von Radiogeräten zählt, schuf Hans Georg Brunner-Schwer einen musikali- schen Sound, der den Schwarzwald weltweit bekannt machte, weil er die Musik so präsent aufnahm, wie damals sonst niemand auf der Welt. Mit Marschmusik in der Nazi-Zeit aufgewachsen, hörte er heim- lich die swingenden Klänge Glenn Millers – und diese Mu- sik ließ ihn nicht mehr los. Im Wohnzimmer nahm er in den 1950er-Jahren Musiker wie Hans Koller, Horst Jankowski oder Wolfgang Dauner auf und experimentierte mit Mikrofonen, um ein für die damalige Zeit ungewöhnliches Klangbild zu erreichen. Hier sah sich der Hörer einer Schallplatte durch die brillante Präsenz der Musik in den Konzertsaal versetzt. Der Sound aus dem Schwarzwald, der Musiker und Musikliebhaber auf der ganzen Welt bis heute begeistert, war geboren. Zunächst wurden in der Musikabteilung von SABA, für die Hans Georg verantwortlich war, Tonbänder bespielt, für Kunden der SABA-Ton- bandgeräte. Schon damals war das Ziel, höchste Klangvollkommenheit zu erreichen. Und dazu brauchte es einen fast schon fanatischen Tüftler Blick auf die Aufnahmetechnik bei MPS, hier Tonbandgeräte von Telefunken. 291


wie Hans Georg Brunner-Schwer. Neben den Tonbändern veröffentlichte SABA in den frühen 60er-Jahren erste Schallplatten mit Unterhal- tungsmusik. Dann lud Brunner-Schwer 1963 den weltbe- kannten Jazzpianisten Oscar Peterson zu einem Wohnzimmerkonzert mit einigen Gästen zu sich nach Villingen ein. Während der mit seinem Trio dort beseelt spielte, saß der Klangtüftler im Dachgeschoss am Aufnahmepult und schnitt alles mit. Als er das dann in der Pause dem schwarzen Musiker, der schon viele Tonaufnah- men hinter sich hatte, vorspielte, war dieser sprachlos: Peterson hatte einen solch prägnan- ten Klang noch nie gehört. Von da an kam er viele Jahre zu Aufnahmen in den Schwarzwald. Es entstand nicht nur eine persönliche Freund- schaft zur Familie Brunner-Schwer, der Pianist erzählte auch seinen Kollegen von dem einma- ligen Schwarzwaldsound. 1965 kam sogar der große Duke Ellington zu einem Besuch nach Villingen. Ziemlich schnell hatten Qualitäts- Wenn man Musiker heute fragte, wo auf der Welt berühmte Tonstudios stehen, dann kämen als Antworten wahrschein- lich: ● die Abbey-Road-Studios in London, in denen die Beatles aufnahmen; ● die Capitol-Studios in Los Angeles, wo Frank Sinatra sang; ● die Hitsville-Studios in Detroit, der Kreißsaal der meisten Motown-Songs ● und: die MPS-Studios in Villingen- Schwenningen, wo vor etwas mehr als 50 Jahren das gleichnamige Label gegründet wurde und sich Musiker aus den USA, Europa oder Asien verwirkli- chen konnten wie an keinem zweiten Ort der Welt. Quelle: Spiegel-Online, Janko Tietz 292 Hans Georg Brunner-Schwer im MPS-Studio am Mischpult. Musik


Oscar Peterson mit Hans Georg Brunner-Schwer im MPS-Studio und bei einem der legendären Wohnzimmerkonzerte im Haus von Brunner-Schwer. Er war ein Mann, der sich niemals mit etwas zufrie- den gab, das er für das Zweitbeste hielt. Er war besessen davon, auf Schall- platte wiederzugeben, was er in seinem Musikzimmer gehört hat. Hans Georgs Ausrüstung war konkur- renzlos. Oscar Peterson in seiner Biografie aufnahmen, die unter dem Label SABA heraus- gebracht wurden, bei Musikfreunden einen erstklassigen Ruf. Start für das neue Musiklabel vor ziemlich ge- nau 50 Jahren und fünf Jahrzehnte nach Grün- dung der SABA in Villingen. 1968 wurde aus der SABA-Musikabteilung MPS – diese drei Buchstaben haben bis heu- die eigenständige Firma MPS (Musik Produktion Schwarzwald). Da wegen der Einführung des Farbfernsehers bei SABA in neue Bildröhren investiert werden musste und die Familie damit finanziell überfordert war, wurde die Mehrheit an den amerikanischen GTE-Konzern verkauft. Die neuen Besitzer hatten kein Interesse an der Musiksparte, daher gründete Hans Georg Brunner-Schwer, der nie eine Ausbildung zum Tonmeister gemacht hatte, die MPS – das erste deutsche Jazzlabel. Nun endlich konnten auch die schon legendären Hauskonzerte mit Oscar Peterson veröffentlicht werden. Ein grandioser te bei Musikfreunden einen magischen Klang, natürlich wegen der herausragenden Aufnah- mequalität der Jazz- und Klassikproduktionen. Rund 1.000 Aufnahmen sind unter SABA und MPS entstanden: Volksmusik, Unterhaltungs- und Tanzmusik und Klassik, aber im Vorder- grund stand stets der Jazz. Drei Jahre nach der Gründung hatte MPS rund 400 Titel veröffentlicht, darunter die wich- tigsten Musiker der europäischen Szene wie Stephane Grappelli, Friedrich Gulda, Rolf und Joachim Kühn, Albert Mangelsdorff, Hans Koller, Wolfgang Dauner, Peter Herbolzheimer und 100 Jahre SABA und 50 Jahre MPS 293


Ehrenrunde für einen überglücklichen Sieger – gerade 22 Jahre alt: Lucas Porter war im Stechen beim Championat in Donaueschingen mit dem zwölfjährigen Schimmel „C Hunter“ um eine Sekunde schneller als sein älterer Bruder Wilton Porter (25). 304 12. Kapitel – Sport CHI DONAUESCHINGEN


Von großen Sprüngen und bedrohlichen Hindernissen von Wolfgang Losert Donaueschingen ist zu immerwährenden Anstrengungen gezwungen, um seinen Rang als Schauplatz eines der bedeutendsten Reitturniere in Europa gegen allerhand Widrigkeiten zu verteidigen. Das Erfolgsjahr 2018, in dem sich das Internationale Fürst Joachim zu Fürstenberg-Gedächtnis- turnier einen Schritt weiter vom „adeligen“ zum „bürgerlichen“ Ereignis wandelte, gibt Zuversicht, dass dieser schwierige Parcours auch künftig zu meistern ist. Auch der Jahrgang 2019 zeigt das: Turnierchef Kaspar Funke konnte mit 47.000 Besuchern eine Rekordzahl vermelden! 305


Beim S.D. Fürst Joachim zu Fürstenberg-Gedächtnisturnier in Donaueschingen geht ebenso die Weltelite im Dressurreiten an den Start, hier die vielfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin Isabell Werth. Der Blick von Region und Land auf die Stadt Do- naueschingen registriert immer wieder diesen signifikanten Charakterzug. Von weit aus der Vergangenheit und bis heute hat er das Selbst- bild der Bürgerschaft und Stadtpolitik geprägt: Der Ort am Ursprung der Donau geriert sich gerne als Hochstapler. Und das keineswegs in schlechtem Sinne. Sondern indem die Kleinstadt wirklich Großes schultert. Vorhaben nämlich, die etliche Nummern zu mächtig, zu anspruchs- voll, zu fordernd sind für begrenzte lokale Mög- lichkeiten. Auch die Erlebnisse und Erinnerungen der Gegenwarts-Generationen belegen dieses span- nungsgeladene Phänomen vielfach. Die hoch- karätigste Veranstaltung einer Sport-Disziplin hat Donaueschingen 1991 erlebt, als die Stadt Austragungsort der Weltmeisterschaften im Gewichtheben war. Dass Donaueschingen Klangwellen rund um den Globus schickt, hat in einem anderen Fall gar buchstäblich musikalische Urheber. 1921 als Kammermusik-Podium gegründet, blühten die „Donaueschinger Musiktage“ mit jeder Auflage jeweils im Oktober zur weltweit bedeutendsten Uraufführungs-Bühne zeitgenössischer Ton- kunst auf. Und während freilich auch die Donauquelle, das Adelshaus Fürstenberg mit Schloss, dessen einstiger Kunstbesitz und traditionsreiche Brau- erei Signale nach ganz Europa sendet, ist eine Marke weltweiter Popularität auch das Interna- tionale Reitturnier. Aber wie immer, wenn sich ein David als Goliath gebärden und nachhaltig erfolgreich sein will, gehört die unaufhörliche Anstrengung, das latente Bangen vor dem Sta- tus-Schwund und eine fast heroische Energie zum Weitermachen zur Geschichte all dieser Aktions-Historien. Mit unterschiedlichem Erfolg: Die einst legendäre Kraftsport-Disziplin wurde mangels Sprung über die Donaueschinger Stadtkirche St. Johann beim Springen um den S. D. Fürst Joachim zu Fürstenberg-Gedächtnispreis. 306 Sport


CHI Donaueschingen 307


Internationales S.D. Fürst Joachim zu Fürstenberg- Gedächtnisturnier. Der CHI Donaueschingen ist für erstklassigen Sport bekannt. In den Disziplinen Dres- sur, Springen, Geländereiten und Gespannfahren ge- hen Spitzensportler aus der ganzen Welt an den Start. finanzieller Möglichkeiten in die Drittklassigkeit gesiebt. Die Musiktage erleben seit etlichen Jahren nur deshalb eine erfreuliche Hochkon- junktur, weil der SWR und mehrere Stiftungen ein stabiles finanzielles Fundament gemauert haben. Die Residenzstadt-Attribute Schloss, Park und Quelle sorgen zusammen mit der re- nommierten Galerie der Unternehmer-Familie Biedermann, dem Art.Plus, für bleibende tou- ristische Attraktivität. Für die Zukunft wünscht man sich dabei eine noch stärker als Kooperati- on legierte Zusammenarbeit zwischen Rathaus und Schloss. Dieses Miteinander zwischen dem bürger- lichen und fürstlichen Donaueschingen erfuhr in den vergangenen Jahren auch beim Reittur- nier eine Veränderung. Augenscheinlich gewor- den ist diese Mutation beim großen Schlussbild des Pferdesport-Spektakels am 18. August 2019. Zum ersten Mal in der 63-jährigen Geschichte des Turniers, das immerhin den Namen des Gründers, Fürst Joachim zu Fürstenberg, trägt, waren dessen Nachkommen zur Überreichung des Gedächtnispreises an den 22-jährigen Ame- rikaner Lucas Porter nicht erschienen, hatten das feierliche Zeremoniell an Oberbürgermeis- ter Pauly delegiert. Und damit dokumentiert, dass die Großveranstaltung inzwischen in ein- vernehmlicher Absicht den Wandel vom „adeli- gen“ zur „bürgerlichen“ Adresse vollzogen hat. Denn auch die betriebswirtschaftliche Statik ist mittlerweile einem Umbau unterworfen. Musste das Rathaus einst bis zu 360.000 Euro 308 Sport


Mitte August) sind damit keineswegs auf ein bescheideneres Format gestutzt. Der Fahrplan für die kommenden Jahre sieht Stationen inter- nationaler Championate vor, also offizielle und von der Internationalen Reiterlichen Vereini- gung (FEI) vergebene Wettbewerbe, bei denen sich die Equipen der europäischen Staaten messen. Solche Marken von Leistung und Popu- larität braucht es immer wieder einmal in der Turnier-Geschichte, will man gehaltenes Niveau und Potenzial demonstrieren. Der nächste Gipfel wartet bereits im August 2021. Dann satteln im Schlosspark die Nach- wuchs-Dressurreiter der Altersklasse „U 25“ zu den Europameisterschaften. Zwei Jahre später, im Sommer 2023, kurz vor Ablauf des aktuellen Vertrags-Kapitels zwischen Stadt und Escon, sollten eigentlich die Dressurreiter zur EM in den Schlosspark kommen, also die Liga Isabell Werth und ihre Konkurrenz. Doch im Herbst 2019 kam das ernüchternde Aus für die Pläne zur Dressur-EM 2023. Escon-Chef Kaspar Funke schätzte die finanziellen Risiken zuletzt als „un- tragbar hoch“ ein. „Bürgergeld“ pro Jahr in das Turnier investieren, nachdem sich zuerst der Reitverein Schwen- ningen und später das Haus Fürstenberg aus dem finanziellen Engagement verabschiedet hatten, so hat inzwischen das Veranstalter- unternehmen Escon der Kommune das pralle Betriebswirtschafts-Risiko abgenommen. So ist es gelungen, mit durchschnittlich pro Jahr weniger als 100.000 Euro investiertem Geld aus der Stadtkasse für das Turnier auszukommen – ein erfreuliches „Opfer“ angesichts des etwa im EM-Jahrgang auf 1,6 Millionen-Euro geschwolle- nen Jahresbudgets. Escon investierte in die Tur- nier-Infrastruktur mittlerweile fast 600.000 Euro und trägt nun allein das wirtschaftliche Risiko. Etliche internationale Championate Und doch! Gegenwart und wohl auch Zukunft dieser glanzvollen vier Turniertage (jetzt jeweils Von der EM bis zum CHIO Championate von hohem internationalen Rang gehören zur Geschichte des Turniers. 1977 fand im Schlosspark die Europameisterschaft der Vier erzug-Gespanne statt. Mehrfach schon sind die europäischen Nachwuchsreiter in der Disziplin Springen an der Donauquelle gestar- tet. 1986 erlebte Donaueschingen die bisherige Krönung seiner Bemühungen um internationa- les Niveau, als die traditionellen Ausrichter in Aachen die Weltreiterspiele durchführten und die Baar-Metropole mit dem Offiziellen Interna- tionalen Dressur-, Spring und Fahrturnier (CHIO) das ranghöchste nationale Pferdesport-Ereignis erbte. 1991 wurde in Donaueschingen die Dres- sur-EM ausgetragen. Doch diese sportlichen Gipfel liefern nur ei- ne von mehreren Zutaten zur dauerhaft erfolg- reichen Turnier-Historie. Eine, die dem Publikum ebenso schmeckt wie den Teilnehmern und dem Veranstalter, den seine betriebswirtschaftliche CHI Donaueschingen 309


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