Almanach 2022

Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis in Zusammenarbeit mit dem dold.verlag www.schwarzwald-baar-kreis.de landratsamt@schwarzwald-baar-kreis.de Informationen zum Jahrbuch können auch im Internet recherchiert werden: www.almanach-sbk.de Redaktion: Sven Hinterseh, Landrat Wilfried Dold, Redakteur (wd) Kristina Diffring, Referentin des Landrates Heike Frank, Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Archiv Für den In halt der Beiträge sind die je weiligen Autoren verantwortlich. Nachdrucke und Ver vielfältigungen jeder Art werden nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Gestaltung und Vertrieb: dold.media + dold.verlag Verlag: dold.verlag, Vöhrenbach 2021 www.doldverlag.de Druck: PASSAVIA Druckservice GmbH & Co. KG D-94036 Passau ISBN: 978-3-948461-07-2 2


Wolkenfliegereien – Blick vom Brend bei Furtwangen nach Gütenbach.


Aus dem Kreisgeschehen Da leben wir SABA Das Impfzentrum des SchwarzwaldBaar-Kreises in VillingenSchwenningen Bernhard Bolkart: Von Weihnachten und Gewiss heiten Farbund ausdrucksstarker Abschied von einer grandiosen Villinger Erfolgsgeschichte Bereits im November 2020 stand fest: Die Schwenninger Tennishalle wird nach dem erfolgreichen Betrieb von Fieberambulanz und Abstrichzentrum auch Standort des Kreisimpfzentrums werden. Mit dem Impf zentrum war man im Schwarzwald-BaarKreis bestens für die Anforderungen der Ministerien gewappnet. Bei den Bolkarts in Schonach ist das ganze Jahr über Weihnachten. Und das nicht nur, weil die Familie auf einem Hektar ihrer landwirtschaftlichen Fläche Christbäume anpflanzt. Rita und Bernhard Bolkart fühlen sich auch reich beschenkt: durch die idyllische Lage ihres Betriebs im abgelegenen Kolbenloch. Der Verkauf des SABAGeländes Ende 2020 war für den Graffiti-Künstler Jonas Fehlinger der Anlass, beim Investor seine Idee einer GraffitiKunst-Aktion vorzustellen. Zusammen mit seinem Freund Steffen Schulz setzte er die geschichtsträchtigen SABAGebäude vor ihrem Abriss mit moderner SprayKunst in Szene.


Geschichte Seit 100 Jahren Strom aus dem Brändbach … Der Bau der Brändbachtalsperre zur Versorgung der Stadt Bräunlingen mit elektrischer Energie darf als gelungenes Beispiel gelten für die konfliktarme Erschließung einer neuen Energiequelle. Vom Bau der Brändbachtalsperre sollten nicht nur die Bürger profitieren, sondern auch Flora und Fauna dank des Kirnbergsees. Inhaltsverzeichnis Impressum Sehnsucht nach „normalem“ Leben / Sven Hinterseh 9 Impressionen aus Schwarzwald und Baar / Wilfried Dold 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Und die Welt dreht sich weiter – auch im Schwarzwald-Baar-Kreis / Sven Hinterseh Die DreiWelten Card für Schwarzwald, Rheinfall und Bodensee Das Impfzentrum des Schwarzwald-Baar-Kreises in Villingen-Schwenningen / Marc Eich Der neue Ursprung der Donau entsteht – ein kurzer Baustellenbericht / Michael Koch 2. Kapitel / Da leben wir Bernhard Bolkart – Von Weihnachten und Gewissheiten / Tanja Bury Wilfried Straub – Ein Imker und seine 24 Bienenvölker / Barbara Dickmann Alaa (Ali) Hamo – Vollumfänglich in Deutschland angekommen / Hans-Jürgen Kommert Hannah Eckstein – Einzig wegen dieses Jobs / Barbara Dickmann 3. Kapitel / Wirtschaft WAHL – Führender Global Player der Haarschneide technik / Elke Reinauer und Wilfried Dold 94 Energieversorgung Südbaar (esb) – Ein Energieversorger schreibt seit 35 Jahren Erfolgsgeschichte / Bernhard Lutz 102 Gebr. Faller GmbH – Die ganze Welt im Modellbaumaßstab / Roland Sprich 4. Kapitel / Villingen-Schwenningen 110 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs – Eine (kritische) Bestandsaufnahme einer nicht immer einfachen Städteehe / Dieter Wacker 120 SABA – Farbund ausdrucksstarker Abschied von einer grandiosen Villinger Erfolgsgeschichte / Hans-Jürgen Götz 132 SABA Spuren / Birgit Heinig 5. Kapitel / Konversionsareal in Donaueschingen † „Am Buchberg“ – Ein neues Stadtviertel entsteht / Heinz Bunse


Gastlichkeit Kunstgeschichte / Fotografie Sport Zweites Jahr, zweiter Stern – eine Erfolgsgeschichte von der Baar Der „Fleigle“ – der Buchenberger Fotograf Johann Georg Fleig Aline Rotter-Focken gewinnt Olympia-Gold im Frauenringen † † … Manuel Ulrich ist der Maître de Cuisine des „Ösch Noir“, eines Spitzenrestaurants, in dem mitten im Schwarzwald auf anerkannt höchstem Niveau gekocht wird. Er selbst – angesprochen darauf, wie denn nun seine korrekte Berufsbezeichnung lautet – winkt lächelnd ab und sagt einfach nur: „Ich bin der Küchenchef und fertig.“ Alltagsszenen, Brauchtum, oder Portraits: Der gerade 1,30 Meter große Johann Georg Fleig war im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Pionier der Fotografie im Schwarzwald. Ihn und seinen von einem Hund gezogenen Karren mit der Fotoausrüstung darin kannte in Königsfeld/St. Georgen und im Gutachtal so gut wie jedes Kind. Aline Rotter-Focken schreibt Sportgeschichte, siegt bei Olympia in der Klasse bis 76 Kilogramm. Sie macht damit zugleich ganz Triberg und Schonach stolz, wo die Gesundheitsmanagerin lebt und arbeitet. Und: Aline RotterFocken wird „Die Beste 2021″, setzt sich bei der Wahl des deutschen Spitzensportlers durch.


6. Kapitel / Geschichte † „Glück Auf“ – Salz für Baden. 200 Jahre Saline Bad Dürrheim / Wilfried Strohmeier † Seit 100 Jahren Strom aus dem Brändbach / Wolf Hockenjos † GeheimnisGräberei. Augmented-Reality erweckt die Welt der Kelten zum Leben / Peter Graßmann † Hofgut Ankenbuck – Arbeiterkolonie und Konzentrationslager / Marc Ryszkowski 7. Kapitel / Gastlichkeit Manuel Ulrich – Küchenchef im „Ösch Noir“ / Daniela Schneider 220 Löwen Patisserie in Schönwald / Hans-Jürgen Kommert 230 „Klimperkasten“ – Kultkneipe in St. Georgen / Roland Sprich 8. Kapitel / Kunstgeschichte / Fotografie Der „Fleigle“ – der Buchenberger Fotograf Johann Georg Fleig / Bernd Möller Jessica Bisceglia – Seit über 10 Jahren als Fotomodell erfolgreich / Elke Reinauer und Wilfried Dold 9. Kapitel / Sport Aline Rotter-Focken gewinnt Olympia-Gold im Frauenringen / Hans-Jürgen Kommert und Wilfried Dold Triberg im Jubel – Empfang einer Olympiasiegerin / Roland Sprich 10. Kapitel / Natur und Umwelt 282 Über die Rolle der Jagd im Klimawandel / Wolf Hockenjos 289 Klima und Waldumbau – Im Gespräch mit Dunja Zimmermann und Dr. Frieder Dinkelaker 294 Durchs romantische Obere Glasbachtal / Birgit Heinig Anhang 299 Almanach-Magazin und Wahlergebnisse 302 Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis, Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen, Orden und Ehrenzeichen 303 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge / Bildnachweis 304 Ehrenliste der Freunde und Förderer Ergänzende digitale Inhalte zum Almanach 2022 finden unsere Leser unter: almanach-sbk.de/almanach2022-digital Natur und Umwelt Über die Rolle der Jagd im Klimawandel ” Drei aufeinander folgende Trockensommer haben die Waldwirtschaft auch im Quellenlandkreis in akute Bedrängnis gebracht. Kaum jemand hegt noch Zweifel daran, dass der von uns Menschen verursachte Klimawandel bereits in vollem Gange ist. Eher zu den Gewinnern der Klimakrise zählt das Wild.


Sehnsucht nach „normalem“ Leben Liebe Leserinnen und Leser, ein weiteres Jahr, in dem uns die Corona-Pandemie stark beeinträchtigt hat, liegt beinahe schon wieder hinter uns. Viele Erleichterungen können wir bereits wieder erfahren, soziale Kontakte finden wieder häufiger und intensiver statt und auch Veranstaltungen, Festivitäten o.ä. sind in entsprechend reduziertem Umfang möglich. Diese Freiheiten gilt es nun möglichst zu genießen sowie zu schätzen und darüber hinaus sollten wir stets versuchen, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Weiterhin erfahren wir aber auch immer noch gewisse Einschränkungen, insbesondere bei unseren persönlichen Kontakten, bei Veranstaltungen und in täglichen Abläufen, wie beispielsweise beim Einkaufen, Arzt oder Museumsbesuch. Nach wie vor sind die Menschen, ist unsere Gesellschaft, noch in vielen Bereichen auf „Abstand“. Für viele von uns ist es schon fast nicht mehr vorstellbar, dass wir einmal wieder unser altes, „normales“ Leben, wie wir es vor Corona gelebt haben, werden führen können. Umso wichtiger war es für uns, mit unserem Almanach 2022 aufzuzeigen, dass es trotz allem auch noch Verlässlichkeit und Beständigkeit in solch herausfordernden und zeitweise auch anstrengenden Zeiten gibt. Die Beiträge unseres Schwarzwald-Baar Jahrbuchs sind in diesem Jahr abwechslungsreich wie eh und je, zeigen neue Entwicklungen bzw. bislang oftmals Vielen „verborgene“ Themen auf, bilden jedoch auch wieder ein gutes Stück Heimat, Historik oder beispielsweise Kulturelles ab. Eine ganz augenscheinliche Veränderung gibt es in diesem Jahr aber bei unserem Almanach: ein neues, vergrößertes Format, verbunden mit einem matten „Äußeren“, hebt die Wertigkeit dieser Publikation noch besser hervor und lässt die Lektüre der Beiträge für die Leserinnen und Leser großflächiger und somit komfortabler werden. Auch gerät so die Bildsprache und Bebilderung noch weiter in den Mittelpunkt. Ein herzliches Dankeschön sage ich in dieser, der 46. Ausgabe unseres Almanach, wieder den zahlreichen Förderern und treuen Freunden des Schwarzwald-Baar Jahrbuchs sowie allen Autoren und Fotografen, die einmal mehr dazu beigetragen haben, dass eine ansprechende und sehr informative Publikation mit großer Themenvielfalt entstehen konnte. Mein ganz besonderer Dank gilt in diesem Jahr jedoch dem dold.verlag aus Vöhrenbach, der nicht nur durch die Formatumstellung mit überragendem Engagement und viel Herzblut ein weiteres Mal dafür gesorgt hat, dass mit dem Almanach 2022 ein ganz besonderes Werk entstanden ist. Ich freue mich daher auch auf eine weiterhin vertrauensvolle und erfolgreiche Kooperation in den kommenden Jahren für unser Herzensprojekt – dem Schwarzwald-Baar Jahrbuch, unserem Almanach. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser des Almanach 2022 möchte ich ebenfalls für Ihre, teilweise über Jahrzehnte gewachsene, Verbundenheit danken und wünsche Ihnen mit unserem Schwarzwald-Baar Jahrbuch einmal mehr eine interessante sowie unterhaltsame Lektüre sowie viel Freude dabei. Bleiben Sie uns auch weiterhin treu! Ihr Sven Hinterseh, Landrat


Sehnsucht nach Normalität – nach einem gemütlichen Bummel über den Villinger Weihnachtsmarkt.



Alpenpanorama – im Frühjahr bei Hondingen. 11



Trachtenfotografie gestern und heute – zweimal St. Georgener Brautkrone: Der in Buchenberg und Hornberg arbeitende Fotograf Johann Georg Fleig, der „Fleigle“, fotografierte in den 1880er/1890er-Jahren als einer der Pioniere Schwarzwälder Trachten und Brauchtum – kolorierte die Fotos dann von Hand. Mehr von ihm erfahren die Leser ab Seite 236. Und mehr von Fotomodell Jessica Bisceglia (links im Bild) ab Seite 264.



Nachhaltigkeit im Wald bei Gremmelsbach: Brennholz-Biegen warten am Wegrand auf ihren Abtransport – Tännchen und neuer Jungwald wachsen bereits wieder empor. Dahinter ragt erntefähiger Fichtenwald auf. Mehr zu diesem Thema finden die Leser ab Seite 288.



Herbstliche Allee bei Wolterdingen – auf dem Rad die Herbstsonne genießen.



Wo im Winter über Monate hinweg keine Sonne scheint – beim Zimberhäusle im Hexenloch bei Furtwangen-Neukirch.


Und die Welt dreht sich weiter – auch im Schwarzwald-Baar-Kreis von Sven Hinterseh Uns alle hat die Corona-Pandemie immer wieder ausgebremst. Ob bei der privaten Urlaubsplanung, bei geschäftlichen Investitionen, im kulturellen Leben, in der Schule oder beim Pflegen der persönlichen Kontakte und dem gesellschaftlichen Leben. Die Landkreisverwaltung war in den vergangenen zwei Jahren vorrangig damit beschäftigt, die Pandemie zu bewältigen und die damit verbundenen Aufgaben rechtlicher und organisatorischer Art zu erfüllen. Vor allem unser Gesundheitsamt und unser Ordnungsamt standen im Brennpunkt: Angefangen von der Kontaktpersonennachverfolgung bis zu Hygienekonzepten über das Einrichten eines Testzentrums und später eines Kreisimpfzentrums. Und stets war es uns wichtig, trotz der Pandemie unseren Schwarzwald-BaarKreis weiterzuentwickeln und unsere wichtigen Themen weiter voranzubringen. So gibt es neben der prägenden Corona -Pandemie bedeutende Projekte, die wir weiter verfolgt haben. Neue Sensibilität für den digitalen Schwarzwald-Baar-Kreis Der Ruf nach schnellem Internet war gerade im ländlichen Raum schon immer laut. Aber seit Beginn der Corona-Krise mit all ihren persönlichen Herausforderungen ist der Anspruch an die Technik für Datenübertragungsmöglichkeiten in neue Sphären gehoben worden. Homeoffice, Homeschooling, Video-Konferenzen, Streaming-Dienste und Internet-Videospiele brachten die alten Kupferleitungen an ihre Grenzen und viele Nutzer mussten die Erfahrung machen, dass ein schneller Internetzugang kein „nice to have“ ist, sondern vielmehr eine wichtige Infrastruktur, die eine Grundvoraussetzung ist. Seit dem Jahr 2014 baut der Zweckverband Breitbandversorgung Schwarzwald-Baar ein kommunales Glasfasernetz auf. Alle 20 Kommunen und der Landkreis selbst sind Mitglieder des Zweckverbands und haben schon früh auf den eigenständigen Ausbau gesetzt. Durch den zurückliegenden langen Winter 2021, der viel Schnee mit sich brachte, mussten die Tiefbauarbeiten in diesem Jahr lange pausieren, bis es Ende März endlich wieder losgehen konnte. Seitdem läuft der Ausbau für die Projekte Gütenbach 2. Bauabschnitt, Blumberg-Fützen, Furtwangen-Neukirch Außenbereich, VS-Obereschach 1. Bauabschnitt, Schonach 3. Bauabschnitt (innerorts und Außenbereich), Schönwald mit den Abschnitten 1 und 2, St. Georgen-Galetsch und Niedereschach-Schabenhausen, Königsfeld-Glasbachtal. Aktuell wurden bereits 100 Millionen Euro in den Glasfaserausbau investiert. In den kommenden fünf bis sieben Jahren sind nochmals 150 Millionen Euro eingeplant. Diese immensen Summen sind für die Kommunen allein nicht finanzierbar. Möglich ist der Ausbau nur durch die Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und des Ministeriums des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg. Seit 2014 hat der 20 1. Kapitel – Aus dem Kreisgeschehen


Die Netzentwicklung des Backbone Schonach Triberg Schönwald Rottweil Fischbach St. Georgen Königsfeld Schabenhausen Peterzell Neuhausen Niedereschach Niedereschach Gütenbach Furtwangen Vöhrenbach Neukirch Oberkirnach Unterkirnach Mönchweiler Dauchingen Dauchingen VillingenSchwenningen Pfaffenweiler Rietheim Herzogenweiler Brigachtal Bad Dürrheim Hochemmingen Tuningen BreisgauHochschwarzwald HammereisenbachBregenbach Mistelbrunn Tannheim Grüningen Wolterdingen Sunthausen Biesingen Öfingen Aasen Oberbaldingen dingen Unterbaldingen Unterbaldingen Donaueschingen Donaueschingen Bräunlingen Bräunlingen Pfohren Tuttlingen vorhanden / 2015-2020 gebaut vorübergehende Anmietung Fremdnetze (Netcom) in Bau / in Vorbereitung Bau geplant Bau offen BreisgauHochschwarzwald Hüfingen Sumpfohren Döggingen Hausen vor Wald Neudingen Fürstenberg Mundelfingen Riedböhringen Hondingen Achdorf Blumberg Waldshut Konstanz Schweiz Zweckverband durch das Land Baden-Württemberg insgesamt rund 34 Millionen Euro Fördermittel nach eigener Landesrichtlinie bewilligt bekommen. Im Herbst 2019 gab es entscheidende Änderungen bei der Bundesförderung. Daher nutzt der Zweckverband größtenteils diese neue Möglichkeit, die die Finanzierung zur Hälfte durch den Bund und bis zu 40 Prozent durch die sogenannte Ko-Finanzierung des Landes Baden-Württemberg vorsieht. Die Kommunen müssen somit „nur“ die restlichen Summen tragen, was eine erhebliche Erleichterung darstellt, aber trotzdem immer noch in den Haushalten der Kommunen ein Großteil der jährlichen Ausgaben entspricht. Bisher hat der Zweckverband durch den Bund Fördermittel in Höhe von 65 Millionen Euro zugesagt bekommen. Hinzu kommt die Ko-Finanzierungszusage des Landes mit 51 Millionen Euro. Als förderfähig gilt eine Region, in der höchstens ein Telekommunikationsunternehmen versorgen kann und, in der die Download-Geschwindigkeit nicht höher als 30 Megabit pro Sekunde liegt. Und die Welt dreht sich weiter 21


Nachdem 2016 in Schonach die ersten GlasfaserHausanschlüsse in Betrieb genommen wurden, sind mit Stand zum August 2021 rund 6.500 Anschlüsse fertig gebaut. Das entspricht zirka 16.000 Wohneinheiten von Privatpersonen und Gewerbetreibenden, die jetzt über die Glasfaser einen sicheren und schnellen Zugang ins World Wide Web haben. Bis zur Fertigstellung eines flächendeckenden GlasfaserNetzes im Schwarzwald-Baar-Kreis sind noch weitere fünf bis sieben Jahre vorgesehen. Neue Anforderungen für den Öffentlichen Personennahverkehr Wichtige Weichenstellungen zur Weiterentwicklung und Verbesserungen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) konnten im Jahr 2021 angegangen werden. So wurde der Nahverkehrsplan weiter umgesetzt, der Ringzug zum Ringzug 2.0 weiterentwickelt, ein ÖPNV-Pakt mit dem Land Baden-Württemberg neu geschlossen und die Ringzugfinanzierung neu geregelt. Nahverkehrsplan Die Umsetzung des Nahverkehrsplans, der Ende 2017 durch den Kreistag beschlossen wurde, ist in drei Schritten vorgesehen. Den größten Teil davon nehmen die Neukonzepte der Busverkehre ein, die zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 in Betrieb gegangen sind. Um die Verkehrsgebiete flächenhaft zu erschließen, werden eine Vielzahl von Nebenachsen eingerichtet. Der Linienverkehr fährt dann ebenfalls im Stundentakt, der allerdings in den Nebenzeiten auch kleinere Taktlücken enthalten kann. nach St. Georgen oder von Schwenningen über Bad Dürrheim nach Donaueschingen. Um die Verkehrsgebiete flächenhaft zu erschließen, werden eine Vielzahl von Nebenachsen eingerichtet. Der Linienverkehr fährt dann ebenfalls im Stundentakt, der allerdings in den Nebenzeiten auch kleinere Taktlücken enthalten kann. Abends und an den Wochenenden sind grundsätzlich Rufbusse im Einsatz. Ergänzt werden die Hauptund Nebenachsen schließlich durch Erschließungslinien, die insbesondere auf Anforderungen von Schülerverkehren ausgerichtet sind. Im Frühjahr 2021 wurde die Vergabe der VerMit den Neukonzepten erhöhen sich die Verkehrsleistungen im Bereich Ostbaar (Bad Dürrheim, Tuningen), Nordöstliches Kreisgebiet (VillingenSchwenningen, Dauchingen, Mönchweiler, Königsfeld) und Nord-West (St. Georgen, Triberg) ausgeschrieben. Ergebnis ist, dass die Verkehrsleistungen in den nächsten acht Jahren von der Südbadenbus GmbH, der Verkehrsgemeinschaft Villingen-Schwenningen GmbH und der Firma Rapp sowie weiteren Subunternehmern erbracht werden. Alle Unternehmen sind seit vielen Jahren im Linienverkehr im SchwarzwaldBaar-Kreis tätig. Ein weiterer Fortschritt ist die Einführung eines verlässlichen Stundentakts auf den Hauptachsen, wie zum Beispiel zwischen Villingen und Bad Dürrheim, Villingen über Mönchweiler und Königsfeld kehrsleistungen in diesen Bereichen. Aktuell werden durch den ÖPNV 2,7 Millionen Fahrplankilometer geleistet. Künftig werden dies 3,9 Millionen Fahrplankilometer pro Jahr sein. Damit wird das Angebot für die Nutzer des ÖPNV deutlich verbessert und zudem ein wichtiger Beitrag zur Verkehrswende geleistet. Verbessert wird aber nicht nur das Angebot. Auch die Qualität der neuen Verkehre wird besser. So gibt es moderne neue Niederflurbusse, die neben WLAN auch eine Mehrzweckfläche für Rollstühle, Kinderwagen oder Fahrräder bieten. Ringzug 2.0 Im Jahr 2003 ging der Ringzug in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg in Betrieb. Der Ringzug war von 22 Aus dem Kreisgeschehen


Bei der Förderübergabe in St. Blasien: v.l. Michael Rieger, Bürgermeister St. Georgen, Prof. Manfred Kühne, Bürgermeisterstellvertreter Furtwangen, Sven Hinterseh, Landrat, Detlef Schuler, Bürgermeisterstellvertreter Vöhrenbach, Peter Engesser, Ortsvorsteher Fischbach, Andreas Braun, Bürgermeister Unterkirnach, Detlev Bührer, Bürgermeister VillingenSchwenningen, Thomas Strobl, Innenminister, Niko Reith, MdL (FDP), Erik Pauly, Oberbürgermeister Donaueschingen, Fritz Link, Bürgermeister Königsfeld und Hansjörg Staiger, Bürgermeisterstellvertreter St. Georgen. Unterwegs mit dem Quellenland-Bus. Die modernen neuen Niederflurbusse, bieten neben WLAN auch eine Mehrzweckfläche für Rollstühle, Kinderwagen oder Fahrräder. Und die Welt dreht sich weiter 23


Beginn an mehr als nur ein Schienensystem. „Zug und Bus aus einem Guss“ war und ist die Grundidee und der wesentliche Erfolgsfaktor dieses als S-Bahn im ländlichen Raum konzipierten Verkehrskonzeptes. Die Landkreise Rottweil, Schwarzwald-Baar-Kreis und Tuttlingen haben zusammen mit dem Land die Verantwortung für Schienenverkehre übernommen. Zudem haben die drei Landkreise konsequent ihre Busverkehre auf den Ringzug ausgerichtet. Allerdings haben die Regio-Shuttles, die auf der Schiene im Einsatz sind, in absehbarer Zeit das Ende ihrer wirtschaftlichen Betriebszeit erreicht. Deshalb haben die drei Landkreise schon vor längerer Zeit die Beratungsfirma SMA aus Zürich damit beauftragt, ein Konzept für die künftige Ausrichtung des Ringzugs zu erarbeiten. Wesentliche Elemente waren dabei die vollständige Elektrifizierung der Ringzugstrecken sowie die Verlängerung des Ringzugs nach St. Georgen. Neben der Schwarzwaldbahn und Donautalbahn waren bei der Weiterentwicklung auch die BreisgauS-Bahn, die seit Dezember 2019 als umsteigefreie Verbindung zwischen Freiburg und Villingen fährt sowie der Metropolexpress (MEX), der ab 2027 vom Land geplant ist, zu berücksichtigen. Beim MEX handelt es sich um eine umstiegsfreie Verbindung von Villingen über Rottweil nach Stuttgart und zurück, der stündlich verkehren wird. Nach zahlreichen Gesprächen mit allen Beteiligten konnte im Frühsommer 2021 eine VerstänIm Schwarzwald-BaarKreis ist für die Erweiterung des Ringzugs nach St. Georgen der Bau von bis zu vier neuen Haltepunkten vorgesehen. digung über das künftige Fahrplankonzept erzielt werden. Dieses Konzept erfordert über die geplante Elektrifizierung hinaus weitere infrastrukturelle Maßnahmen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis ist für die Erweiterung des Ringzugs nach St. Georgen der Bau von bis zu vier neuen Haltepunkten (Villingen-West, Peterzell-Königsfeld, Peterzell und St. Georgen Industriegebiet) vorgesehen. Die Bahnsteige in Schwenningen müssen für den MEX auf eine Nutzlänge von 212 Meter verlängert werden. Im nächsten Schritt wird eine Betriebsprogrammstudie durch die DB AG sowie eine Wirtschaftlichkeitsanalyse für die Maßnahmen erstellt. Ziel ist eine Umsetzung möglichst zum Fahrplanwechsel im Dezember 2027. ÖPNV-Pakt Im Zuge der Gespräche zur Weiterentwicklung des Ringzugs wurde auf Initiative des Schwarzwald-Baar-Kreises die Idee geboren, im Anschluss an die „Trossinger Erklärung“ aus dem Jahr 1996 mit dem Land einen Letter of Intend (LOI) als gemeinsame Absichtserklärung zur Umsetzung des Vorhabens zu erstellen. In den sich daran anschließenden Gesprächen mit dem Land wurde daraus der ÖPNV-Pakt für die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg entwickelt. Darin wurde die Umsetzung des Konzepts Ringzug 2.0 vereinbart. Zudem wurden weitere wichtige Themen in diese Absichtserklärung mit aufgenommen, um den öffentlichen Personennahverkehrs in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg zu verbessern. Wichtige Punkte sind die beabsichtigte Reform der ÖPNV-Tarife und die Gründung eines gemeinsamen Tarifverbundes für die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. Hier haben sich die drei Landkreise zwischenzeitlich bereits auf die Grundzüge einer großen Tarifreform verständigt. Danach sollen die bisher vorhandenen relativ kleinteiligen Tarifzonen deutlich vergrößert und von derzeit 27 auf künftig nur noch 8 Zonen reduziert werden. Darüber hinaus ist geplant, die Tarife deutlich zu reduzieren, insbesondere im Bereich der Abonnements und Zeitfahrscheine. Derzeit finden zwischen den Landkreisen und den bestehenden Verkehrsverbünden intensive Abstimmungsgespräche zum geplanten künftigen gemeinsamen Tarifverbund statt. Hierzu sollen bis Ende 2021 die notwendigen Grundsatzbeschlüsse 24 Aus dem Kreisgeschehen


Bei der Unterzeichnung des ÖPNV-Pakts. Von links: Rüdiger Klos, MdL, Niko Reith, MdL, Dr. Rüdiger Michel, Landrat Kreis Rottweil, Sven Hinterseh, Landrat Schwarzwald-Baar-Kreis, Martina Braun, MdL, Winfried Hermann, Verkehrsminister MdL, Susanne Irion, Bürgermeisterin Trossingen, Stefan Bär, Landrat Kreis Tuttlingen und Daniel Karrais, MdL. Und die Welt dreht sich weiter 25


getroffen werden. Die Reformen könnten dann frühestens zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Im ÖPNV-Pakt ist auch ein weiterer Ausbau des ÖPNV-Angebots bei den Busverkehren hinterlegt. Ziel ist es, mittelfristig ein Angebot auf der Schiene und der Straße zwischen 5 und 24 Uhr zu stellen. Dieser Standard soll bis 2027 mindestens für alle Gemeindehauptorte realisiert sein. Daneben sollen auch weitere Schnellbuslinien (Regiobuslinien) realisiert werden. Regiobuslinien sind Busverbindungen, die in der Regel einen direkten Linienweg haben und in jedem Fall den Anschluss an den Schienenverkehr herstellen sollen. Neben der bereits seit Dezember 2019 bestehenden Schnellbuslinie Donaueschingen – Hüfingen – Blumberg soll im Dezember 2022 die Schnellbuslinie Villingen – Furtwangen in Betrieb gehen. Schließlich sind im ÖPNV-Pakt weitere Maßnahmen hinterlegt, die erweiterte öffentliche Mobilitätsangebote ausbauen sollen. Beispielsweise sollen Haltestellen attraktiv gestaltet und nutzergerecht ausgebaut werden. Es ist geplant, dass Multimodale Mobilitätsstationen, an denen verschiedene Verkehrsträger (ÖPNV, Car-Sharing, Bike-Sharing) umsteigen können, realisiert werden. Vorgesehen ist auch, in den Oberund Mittelzentren sogenannte Mobilitätszentralen einzurichten. Sowohl der ÖPNV-Pakt als auch die Vereinbarung zur Neuregelung des Ringzug-Finanzierungsvertrages wurden am 7. September 2021 im Eisenbahnmuseum in Trossingen von Minister Winfried Hermann und den Landräten Dr. Wolf-Rüdiger Michel, Stefan Bär und Sven Hinterseh unterzeichnet. Bei der Unterzeichnung waren auch zahlreiche Landtagsabgeordnete und Kreisrätinnen und Kreisräte der drei Landkreise anwesend. Kinderschutz während der Corona-Pandemie Die Corona-Pandemie stellt die gesamte Gesellschaft vor große Herausforderungen. Auch für das Kreisjugendamt hat die Pandemie teilweise elementare Veränderungen mit sich gebracht. Wie sich die Pandemie auf die Familien mit ihren Kindern vollumfänglich auswirkt, ist derzeit noch nicht umfassend abzuschätzen. Alle Experten gehen jedoch davon aus, dass die zwischenzeitlich nicht nur kurzfristigen erforderlichen Einschränkungen auch für Kinder und Jugendliche langfristige negative Folgen nach sich ziehen können. Nachwirkungen werden auch noch weit nach Ende der Pandemie spürbar sein. Die gemeinsamen Anstrengungen aller Akteure haben sich in der aktuellen Krisenzeit bewährt. Diese müssen erhalten und vermutlich noch ausgebaut werden. Nur so kann längerfristigen negativen Folgen bei Kindern und Jugendlichen entgegengewirkt werden. Mehr denn je ist es erforderlich, dass die verschiedenen Systeme, wie zum Beispiel Schule, Kindergarten, freie und öffentliche Jugendhilfeträger, eng zusammenarbeiten und die Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen hierfür bietet. Die bundesweiten Verordnungen zur Eindämmung der Infektion mit dem Coronavirus haben unser Jugendamt von Beginn an vor die Frage gestellt, wie sich diese Verordnungen wohl innerhalb der Familien auswirken. Die Schließung der Kindertagesstätten, der Schulen, das Verbot von Kontakten mit Gleichaltrigen, die Schließung oder zumindest Reduzierung von Arztpraxen, ambulanten Diensten, Fördereinrichtungen und so weiter hatte gerade auch für die Jugendämter eine besondere Bedeutung. Von einem Tag auf den anderen gab es keine „soziale Kontrolle“ von außen mehr und die Sorge, dass bedrohliche Situationen für Kinder und Jugendliche zunehmen, wurde größer. In den ersten drei Wochen nach Inkraftsetzung der Verordnungen, wurden bei unserem Jugendamt keine kindeswohlgefährdeten Situationen mehr gemeldet. Allein diese Tatsache erhöhte die Sorge. Die Mitarbeiterinnen des Jugendamtes hatten von Beginn an regelmäßige telefonische Kontakte zu den bekannten „belasteten“ Familien. Mit entsprechender Schutzausrüstung wurden im Bedarfsfall weiterhin vor Ort Termine wahrgenommen. Dadurch, dass die pädagogische und medizinische Infrastruktur fehlte, gelang es dem Jugendamt nur schwer, meist mögliche häusliche Gewalt, psychische und physische Misshandlung von Kindern und Jugendlichen zu erfahren. Aus diesem Grund wurde die bisherige Rufbereitschaft des Jugendamtes erweitert und ein 24-Stunden-Hilfe-Telefon eingerichtet. Zudem wurde eine Hot-Mail geschalten, so dass Kinder und Jugendliche über WhatsApp-Nachrichten selbst das Kreisjugendamt benachrichtigen konnten. 26 Aus dem Kreisgeschehen


Zwischenzeitlich haben sich die Rahmenbedingungen deutlich verändert. Wie zu erwarten war, zeigt sich fortlaufend, dass die Meldungen an Kindeswohlgefährdungen drastisch ansteigen. In sehr vielen Fällen handelt es sich um häusliche Gewalt, bei der die Kinder selbst Opfer von Gewalt wurden, oder aber indirekt durch die Streitigkeiten ihrer Eltern betroffen sind. Bewältigung der Pandemiefolgen in der Bildungsregion Eine Antwort darauf, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, die Folgen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen etwas abzufedern, ist die Bildungsregion. Mit dem Ziel Bildungsgerechtigkeit und Teilhabechancen zu ermöglichen, trägt die Bildungsregion dazu bei, Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Die Aktivitäten das Bildungsbüros richten sich auch an jene, die im Verlauf der Pandemie in Benachteiligungssituationen geraten sind. Als wichtiges Projekt im Netzwerk unserer Bildungspartner sind in diesem Mehr denn je ist es erforderlich, dass die verschiedenen Systeme, wie zum Beispiel Schule, Kindergarten, freie und öffentliche Jugendhilfeträger, eng zusammenarbeiten und die Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen hierfür bietet. Zusammenhang beispielsweise die Sommerschulen, die neben dem schulischen Lernen das soziale Lernen fördern. Das 24-Stunden-Hilfetelefon und eine Hotmail für Kinder und Jugendliche wurde durch das Kreisjugendamt eingerichtet. Silke Zube, Leiterin des Jugendamtes und Mitarbeiterinnen aus dem Kriseninterventionsdienst (KID): Franziska Eigeldinger, Lena Herberholz und Jessica Schon bieten ihre Beratung am Hilfetelefon an. Und die Welt dreht sich weiter 27


Einen besonderen Blick haben wir im Schwarzwald-Baar-Kreis dabei aber auch auf Jugendliche am Übergang von der Schule in den Beruf. Im Zentrum stehen hier die beruflichen Schulen, die mit der Unterstützung des Landes spezielle Bildungsgänge zur Ausbildungsvorbereitung entwickelt haben. Dabei wird das Ziel verfolgt, mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist mit einem starken Zusammenhalt durch die Krisenzeit gegangen. Zahlreiche Akteure, ehrenamtliche Helfer, Verantwortungsträger in unterschiedlichsten Positionen haImpressionen aus den erlebnisreichen Sommerschulen, die neben dem schulischen Lernen das soziale Lernen fördern. ben dazu beigetragen, dass unser Landkreis die Pandemie gut gemeistert hat. Die Folgen, mit denen wir uns in Zukunft weiter auseinandersetzen müssen, sind vollumfänglich noch nicht abzuschätzen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese Herausforderung gut meistern werden. 28 Aus dem Kreisgeschehen


Die DreiWelten Card für Schwarzwald, Rheinfall und Bodensee Im Juli 2021 ist die DreiWelten Card erfolgreich gestartet und bietet nicht nur den Touristen, sondern auch den Bürgern der Region ein echtes Urlaubserlebnis: Im Schwarzwald, am Rheinfall und am Bodensee gibt es mit der DreiWelten Card freie Erlebnisfahrten und freien Eintritt bei rund 100 Attraktionen. Familien, Kulturbegeisterte, Sportler und Naturliebhaber können eine lange Liste an Attraktionen gratis und flexibel nutzen. Voraussetzung: Der Gast bucht sich mindestens zwei Nächte bei einem Partnergastgeber ein. Bei der Anreise bekommt er für die Dauer seines Aufenthaltes die „DreiWelten Card“ kostenfrei überreicht. An den Kassen der Ausflugsziele wird die personalisierte Karte digital eingelesen. Der Eintritt wird per Umlage vom Gastgeber finanziert. Tolle Angebote nicht nur für Touristen Doch die DreiWelten Card bietet nicht nur für Touristen tolle Erlebnisse. Auch Einheimische der DreiWelten Region kommen mit der DreiWelten BürgerCard in den Genuss der über 100 Freizeitangebote. Zwischen Villingen-Schwenningen, Schaffhausen in der Schweiz und Bad Säckingen können Einheimische ihre Heimat ganz entspannt entdecken. Die DreiWelten BürgerCard hat echte Highlights im ProDie DreiWelten BürgerCard ist die persönliche Eintrittskarte für Einheimische zu mehr als 100 Attraktionen im Schwarzwald, am Rheinfall und Bodensee. DreiWelten BürgerCard 29


Links: Greifvögel unterschiedlichster Art können im Triberger Eulenpark aus nächster Nähe bestaunt werden. Rechts: Die Miniaturwelt „Smilestones“ in Neuhausen am Rheinfall zeigt die schönsten und bekanntesten Schweizer Destinationen. gramm: zum Beispiel die Rheinfall-Schifffahrt, die Solemar Therme in Bad Dürrheim, das Gloria-Theater in Bad Säckingen und die neue Genusswelt der Rothaus Brauerei. Aber auch die kleineren Ziele wie Freibäder, Stadtführungen und E-Bike-Verleih sind absolut lohnenswert. Darüber hinaus warten Naturspektakel wie die Triberger Wasserfälle, Kunstausstellungen, Golfplätze und vieles mehr auf die BürgerCard-Besitzer. Radfahrer und Wanderer schätzen den Schwarzwald und die hügelige Weinund Obstbauregion entlang des Rheins seit Langem. Die neu gebündelten Attraktionen sind ein lange ersehntes Angebot – vor allem, weil sie eine Grenze überschreiten. Der Schweizer Kanton Schaffhausen ist mit charmanten und imposanten Highlights die dritte Region im Bunde neben den Landkreisen Schwarzwald-Baar und Waldshut.


Ein Naturschauspiel der besonderen Art sind Deutschlands höchste Wasserfälle in Triberg. Rechts: Entspannung und Wohlbefinden bietet die Sole-Therme Solemar mit angegliederter Schwarzwald-Sauna, Salzgrotte und WellnessCenter. Heimat ganz neu entdecken – mit der DreiWelten BürgerCard Bei so viel Fülle braucht es einen guten Plan: Deshalb kommt die Karte mit einem Reiseführer zum Auffalten, der alle Attraktionen auf einen Blick präsentiert. Meist lohnen sich die Kosten schon nach einem Wochenende So macht die DreiWelten BürgerCard das Entdecken der Stationen auf rund 2.500 Quadratkilometern ganz leicht – und noch dazu zu einem kalkulierbaren Vergnügen. Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahre zahlen 89,00 Euro, Kinder ab sechs Jahre 49,00 Euro für die Karte. Kinder unter sechs dürfen die DreiWelten Bürgercard ihrer Eltern kostenfrei mitbenutzen. Das kann sich schon nach nur einem Wochenende lohnen: Denn wer einmal mit der Sauschwänzlebahn fährt, in ein Hochrhein Kanu steigt, die Smilestones Erlebniswelt besucht und einen Wellnesstag im Solemar verbringt hat den Wert der Karte wieder drin. Egal ob sportlicher Abenteurer, Kultur-Genießer oder Natur-Liebhaber: Mit der Karte lässt sich alles einfach ausprobieren – auf gut Glück, noch kurz am Abend oder einfach mal dazwischen. Genau zur rechten Zeit Darum sind sich alle Beteiligten einig: Die Karte kommt genau richtig. Über zwei Jahre hat ein ganzes Team mit Vertretern aus den Landkreisen Schwarzwald-Baar-Kreis, Landkreis Waldshut und dem Kanton Schaffhausen an der Einführung der DreiWelten Card gearbeitet. Das Projekt wurde durch das Interreg-Programm Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft gefördert. Zum operativen Start im Juli 2021 hat die DreiWelten Tourismus GmbH mit Sitz in Bad Dürrheim die Verwaltung und Weiterentwicklung der DreiWelten Card als Tochter der dortigen Kurund Bäder GmbH übernommen. Erhältlich ist die DreiWelten BürgerCard im Online-Shop unter www.dreiwelten.com sowie in einigen Tourist-Informationen und Bürgerämtern der DreiWelten Region. Sie ist ein Jahr lang gültig und bietet in dieser Zeit jeweils einen Eintritt/eine Nutzung bei allen Attraktionen. Weitere Informationen unter www.dreiwelten.com DreiWelten BürgerCard


Das Impfzentrum des Schwarzwald-Baar-Kreises in Villingen-Schwenningen von Marc Eich


Als „Königsweg aus der Pandemie“ bezeichnet die Landesregierung von BadenWürttemberg die Impfungen. Und genau für jenen Königsweg zeigte man sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis bestens gewappnet. Als die Anforderungen für die Impfzentren bekannt wurden, hatte das Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises bereits seinen Wunsch-Standort bestimmt: Die Tennishalle in VS-Schwenningen, die sich bereits in den Wochen zuvor bewährt hatte. Die Vorbereitung Bereits im November 2020 stand fest: Die Schwenninger Tennishalle wird nach dem erfolgreichen Betrieb von Fieberambulanz und Abstrichzentrum auch Standort des Kreisimpfzentrums werden. „Dieser Standort hat sich bereits bei der ersten Welle der Corona-Pandemie bewährt, als wir dort die zentrale Fieberambulanz mit Abstrichstelle zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung betrieben haben. Hier sehen wir die Rahmenbedingungen als optimal gegeben, um die Abläufe für mehrere hundert Impfungen pro Tag durchzuführen“, äußerte sich Landrat Sven Hinterseh in den Medien zu der geplanten Einrichtung. Gefragt war dann insbesondere eine zügige Vorbereitung. Zum Leiter des Kreisimpfzentrums wurde Daniel Springmann ernannt, der innerhalb kürzester Zeit – die Öffnung war für den 15. Januar 2021 geplant – einige Herausforderungen zu bewältigen hatte. Viele organisatorische Fragen waren noch offen und mussten mit den zuständigen Ministerien in Stuttgart abgestimmt werden, die entsprechenden Erlasse galt es schließlich vor Ort umzusetzen. Unter anderem mithilfe eines Presseaufrufs Mitte Dezember war Personal gesucht worden, um einen Zwei-Schicht-Betrieb umsetzen zu können. Mehr als 100 Mitarbeiter konnten zum Start, der aufgrund des Impfstoffmangels um eine Woche nach hinten verschoben werden musste, rekrutiert werden. Aus dem Kreisgeschehen 33


In enger Abstimmung waren Strukturabläufe, für die es vom zuständigen Ministerium Rahmenmasterpläne gab, erstellt und umgesetzt worden. In die Vorbereitung waren darüber hinaus weitere Stellen des Landratsamtes eingebunden worden. Das Ordnungsamt unter der Leitung von Arnold Schuhmacher hatte die Verantwortung für den Aufbau übernommen. In enger Abstimmung waren Strukturabläufe, für die es vom zuständigen Ministerium Rahmenmasterpläne gab, erstellt und umgesetzt worden. Ein entscheidender Punkt hierbei war auch die Vorbereitung für die Mitarbeiter, die mit dem empfindlichen Impfstoff arbeiten mussten. Dafür hatte das Landratsamt mit dem Klinik-Apotheker Matthias Fellhauer einen versierten Experten als Pharmazeutische Leitung gewinnen können. Dieser hatte eine Verfahrensanleitung entwickelt, um das korrekte Lagern, die Aufbereitung sowie das Handling zu regeln. Fellhauer: „Das war quasi das Gesetzbuch für die Mitarbeiter.“ Die Impfstraße Zum 22. Januar standen für die ersten Patienten sechs Impfstraßen zur Verfügung, mit denen am Tag rund 1.000 PerDer sechsminütige Film informiert über das Coronavirus und die Impfung. sonen geimpft werden konnten. Pro Schicht arbeitete ein Personalstamm von 21 Personen, darunter fünf Ärzte. Auch Security und Reinigungspersonal kam zum Einsatz. Die „Impflinge“ mussten derweil insgesamt sechs Stationen durchlaufen. Im Eingangsbereich fand dabei zunächst die Kontrolle statt, ob der Besucher einen Termin und eine Impfberechtigung hat, bevor Fieber gemessen wurde. Bei der darauffolgenden Registrierung waren alle notwendigen Daten erfasst worden, ehe der Patient einen sechsminütigen Film über das Coronavirus und die Impfung anschauen konnte. Anschließend klärten Ärzte den Besucher auf und standen für Rückfragen zur Verfügung. Währenddessen wurden im Labor die Impfstoffe vorbereitet und die Spritzen unter den Die Verfahrensanleitung war quasi das Gesetzbuch für die Mitarbeiter. Matthias Fellhauer, Pharmazeutische Leitung KIZ 34 Aus dem Kreisgeschehen


Im Rahmen des Aufklärungsgesprächs standen Ärzte den „Impflingen“ für Rückfragen zur Verfügung. Medizinische Fachangestellte verabreichen die Spritze in den Oberarmmuskel. 35


Innerhalb des Landes verzichtete das zuständige Sozialministerium auf die vorgenommene Verteilung auf die Stadtund Landkreise nach einem Einwohnerschlüssel. Die Folge war derweil, dass im ländlichen Raum hunderte Bürger der Prioritätsstufe 1, dabei handelte es sich um die über 80-Jährigen, einige Zeit noch kein Impfangebot erhalten hatten. notwendigen Bedingungen aufgezogen – hier hatten aufgrund vieler Besonderheiten nur Mitarbeiter mit entsprechenden Einweisungen Zutritt. Für den Patienten ging es derweil zur Impfung weiter – nun erfolgte von Medizinischen Fachangestellten die Injektion in den Oberarmmuskel. Im abschließenden Wartebereich wurden die frisch Geimpften 20 Minuten auf mögliche Beschwerden beobachtet. Die Herausforderungen Der Impfstoffmangel sorgte von Anfang an für einigen Unmut bei den Verantwortlichen – hinzu kam eine Verteilung des Impfstoffs, die vielerorts auf Kritik stieß. Auch Landrat Sven Hinterseh sah sich gezwungen, auf entsprechende Ungerechtigkeiten und Missstände aufmerksam zu machen. Im Mittelpunkt der Kritik: Innerhalb des Landes verzichtete Im abschließenden Wartebereich wurden die frisch Geimpften 20 Minuten auf mögliche Beschwerden beobachtet. 36 Aus dem Kreisgeschehen


das zuständige Sozialministerium auf die – wie vom Bund – vorgenommene Verteilung auf die Stadtund Landkreise nach einem Einwohnerschlüssel. Die Folge war derweil, dass im ländlichen Raum hunderte Bürger der Prioritätsstufe 1, dabei handelte es sich um die über 80-Jährigen, einige Zeit noch kein Impfangebot erhalten hatten. Auch der vorübergehende Impfstopp mit dem Vakzin von AstraZeneca brachte die Impfkampagne ins Stocken. Nach Ostern waren schließlich nur noch Zweittermine mit dem (von AstraZeneca umbenannten) Impfstoff Vaxzevria durchgeführt worden. Gleich zu Beginn der Impfkampagne sorgte zudem die vom Land organisierte Terminvergabe für Unmut, bei der insbesondere die ältere Bevölkerung einige Schwierigkeiten hatte. Schließlich stand ein Online-Portal im Mittelpunkt. Erst nach einiger Zeit – und einigem Missmut seitens der Bevölkerung – kam es hier zur Verbesserungen und damit zu einer Entspannung der Lage. Das Ende Wie im ganzen Land stellte das das Kreisimpfzentrums des SchwarzwaldBaar-Kreises zum 30. September seinen Betrieb ein. Nach exakt 252 Tagen ist die Einrichtung in der Schwenninger Tennishalle Geschichte. Unter der Leitung von Anne Derday, die die Aufgabe Mitte August von Daniel Springmann übernommen hatte, wird das gewonnene Knowhow an das Schwarzwald-Baar Klinikum weitergegeben, das ab Oktober gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten die Impfungen übernommen hat. Nur zwei Wochen, nachdem das KIZ seine Tore geschlossen hatte, wird in der Halle wieder den Tennisbällen nachgejagt. MEILENSTEINE Im Beisein von Sven Hinterseh wurde Tanja Schreiber aus VSVillingen als eine der ersten Personen geimpft. Sie ist im Schwarzwald-Baar Klinikum als Medizinische Fachangestellte tätig. 11. April: Vollbetrieb! Das hieß es erstmals am 11. April. An jenem Sonntag konnten dank des reibungslosen Betriebs im KIZ des Schwarzwald-Baar-Kreises 1.100 Impfungen durchgeführt werden. Von 7 bis 21 Uhr waren durchgehend Patienten durch die insgesamt sechs Impfstraßen geführt worden. 7. Juni: Rund zwei Monate später wird ein weiterer, wichtiger Meilenstein erreicht: Auch dank des KIZ hatte man die Schwelle von 100.000 Impfungen im Schwarzwald-Baar-Kreis überschritten. Im Impfzentrum, durch die mobilen Impfteams sowie durch die niedergelassenen Ärzte waren mehr als 114.000 Impfungen durchgeführt worden. 20. Juni: Sonderimpfaktionen in Zusammenarbeit mit den Städten Villingen-Schwenningen und Donaueschingen sowie mit tatkräftiger Unterstützung der DRK-Kreisverbände VS und Donaueschingen sorgten für rund 1.000 weitere Impfungen an zwei Tagen. Die Zahl der Erstund Zweitimpfungen beträgt zu diesem Zeitpunkt rund 142.000. 26. Juli: Erstmals können Impfungen ohne Termine angeboten werden. Das liegt insbesondere daran, dass es keinen Impfstoffmangel mehr gibt. Die Impfstoffe Biontech und Johnson & Johnson stehen im KIZ zur Verfügung. Rund 700 bis 900 Impfungen wurden in den Wochen zuvor täglich in der Schwenninger Messehalle vorgenommen. 28. Juli: Der Impfbus, eine Art Arztzimmer auf Rädern, wird zum ersten Mal eingesetzt. Er fährt verschiedene Stationen im gesamten Landkreis an und erhält dort teilweise regen Zuspruch. Der Impfbus wurde bis zum 25. September eingesetzt. Das Kreisimpfzentrum in Villingen-Schwenningen 37


Daniel Springmann 41 Jahre | Leiter Kreisimpfzentrum „Ich bin stolz darauf, dass ich die Aufgabe übernehmen durfte.“ Acht Monate zeichnete sich Daniel Springmann verantwortlich für die Leitung des Kreisimpfzentrums. Doch sich in den Mittelpunkt stellen wäre das Letzte, was dem 41-jährigen Diplom-Verwaltungswirt in den Sinn kommen würde. „Es waren so viele Menschen beteiligt“, betont Springmann. Denn nur als Team habe man die Einrichtung und den Betrieb des KIZ stemmen können. Verschiedene Stellen des Landratsamtes, Hilfsorganisationen und nicht zuletzt die Medizinischen Fachangestellten, die Ärzteschaft, der Verwaltungsapparat und weiteren Helfer waren über Monate an dem auf Zeit angelegten Projekt beteiligt. Die Federführung aber, die hatte Springmann inne. Wie kam es dazu? „Man ist an mich herangetreten, ob ich das machen möchte – ich habe gleich ‚ja‘ gesagt“, blickt Springmann auf den Winter 2020 zurück. Unzählige Überstunden werden notwendig Zu diesem Zeitpunkt war der gebürtige Ortenauer seit fünf Jahren im Landratsamt beschäftigt und Sachgebietsleiter des Versorgungsamtes. In der neuen Aufgabe habe er schließlich die Möglichkeit gesehen, andere Einblicke zu erhalten. Und dann auch noch gleich in einer Krise. Springmann: „Das ist ein so wichtiges Thema für die Bevölkerung.“ Nicht nur wichtig, sondern auch herausfordernd, wie der KIZ-Leiter bald erfahren muss: „Anfangs wussten wir aber natürlich noch nicht, wie alles läuft.“ Unzählige Überstunden, teilweise Arbeiten bis in die Nacht hinein, waren notwendig, um die Strukturen für den Betriebsablauf nach vorgegebenen Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine der Prioritäten dabei: einen Mitarbeiterstamm zu gewinnen. Insbesondere das medizinische Fachpersonal sei nicht einfach zu rekrutieren gewesen – diejenigen, die sich gemeldet hatten, „hatten „Ich musste auf die aktuellen Entwicklungen immer schnellstmöglich reagieren und gleichzeitig Bürger, Besucher und Mitarbeiter zufriedenstellen.“ viel Lust und waren motiviert“. Für Springmann galt es schließlich, Handlungsanweisungen zu erarbeiten und dabei Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenzubringen – angefangen von Pensionären über Selbstständige bis hin zu gestandenen Ärzten. Es sei nicht immer einfach gewesen, den Mitarbeitern die teils eigenwilligen Erlasse aus den Ministerien plausibel zu erklären. „Aber ich habe, soweit es rechtlich möglich war, auch Pragmatismus walten lassen“, so Daniel Springmann „Es war anstrengend, aber schön!“ Dies sei ohnehin eine der größten Herausforderungen gewesen, wie er erklärt: „Ich musste auf die aktuellen Entwicklungen immer schnellstmöglich reagieren und gleichzeitig Bürger, Besucher und Mitarbeiter zufriedenstellen.“ Dennoch galt als oberstes Gebot: Der gesamte Prozess muss im Fluss bleiben. Hemmnisse wie der anfangs nicht zufriedenstellende Terminservice oder der Stopp der Impfung mit AstraZeneca hätten zwar zwischenzeitlich für Sand im Getriebe und teilweise Konflikte mit Besuchern geführt, „bei aller Unzufriedenheit wird man aber 38 Aus dem Kreisgeschehen


Daniel Springmann irgendwann etwas gelassener“, sagt Springmann lachend. Die Last der Verantwortung und der Druck seien zu spüren gewesen, er habe jedoch nie hinterfragt, warum er die Aufgabe übernommen hat. Sein Fazit lautet deshalb: „Es war anstrengend, aber schön!“ Im August, als es im KIZ nur noch die reine Abwicklung im Vordergrund stand, trat der 41-Jährige aufgrund einer Vakanz schließlich vor Ende des Kreisimpfzentrums am 30. September seine neue Stelle im Amt für Umwelt, Wasserund Bodenschutz an. Aber nicht ohne mit dem Team eine Wanderung mit geselligem Abschluss zu unternehmen und der gesamten Mannschaft für das Engagement zu danken – denn nur gemeinsam habe man die herausfordernde Zeit bewältigen können. Das Kreisimpfzentrum in Villingen-Schwenningen 39


Matthias Fellhauer 64 Jahre | Pharmazeutische Leitung KIZ Es ist diese Ruhe und Gelassenheit, die Matthias Fellhauer ausstrahlt – sie beeindruckt, lässt erahnen, welchen Einfluss der 64-Jährige auf den Erfolg des KIZ und die Impfaktionen im Schwarzwald-Baar-Kreis hatte. Denn diese beiden Eigenschaften gepaart mit dem Fachwissen auf pharmazeutischem Gebiet erwiesen sich als Fels in der Brandung in einer Pandemie, die für alle Beteiligten Neuland war. Auch für Landrat Sven Hinterseh. Dieser hatte den Direktor der Apotheke des Schwarzwald-Baar Klinikums im Rahmen der Vorbereitungen für das Kreisimpfzentrum (KIZ) im Dezember 2020 um Hilfe gebeten. Die daraus resultierende Videokonferenz machte aber deutlich, „dass es viele pharmazeutische Fragestellungen“ gab, wie Fellhauer erklärt. Vor allem aus zwei Gründen sagte er zu, als pharmazeutischer Leiter des KIZ an der Seite des Landratsamtes zu stehen. Neben der „sinnstiftenden Tätigkeit“, die ihn erfüllte, sei auch die fachliche Komponente „äußerst interessant“. Denn in seiner 30-jährigen Tätigkeit beim heimischen Klinikum habe es eine solche Situation noch nie gegeben. Fellhauer: „In weniger als zwölf Monaten nach dem ersten Kennenlernen der Krankheit wurde bereits ein Impfstoff auf den Markt gebracht.“ „Die Prozesse mussten standardisiert sein, was den Umgang mit den Impfstoffen betrifft, schließlich muss die Qualität der Leistung von den Personen unabhängig sein.“ Das A und O in diesem Fall: die Schulung des Personals. „Die Prozesse mussten standardisiert sein, was den Umgang mit den Impfstoffen betrifft“, erklärt er und nennt auch gleich den Grund: „Schließlich muss die Qualität der Leistung von den Personen unabhängig sein.“ Gemeinsam mit dem KIZ-Leiter Daniel Springmann hat man deshalb Handlungsempfehlungen erarbeitet – die aber regelmäßig aktualisiert werden mussten. Der Grund: Die Erkenntnislage zu den Impfstoffen hatte sich aufgrund der Erfahrungen immer wieder geändert, was aber jedoch auch zu Erleichterungen im Umgang führte. „Ich bin noch nie einem so empfindlichen Arzneimittel begegnet“ Das brachte besondere Herausforderungen mit sich. „Ich bin noch nie einem so empfindlichen Arzneimittel begegnet“, sagt der Fachapotheker für Klinische Pharmazie sowie Arzneimittelinformation und erläutert die Besonderheiten, mit denen der Experte in der Anfangsphase zu tun hatte: Lagerung bei -70 Grad, lichtempfindlich, erschütterungsempfindlich. Entsprechend sei auch der Umgang mit dem Impfstoff äußerst anspruchsvoll gewesen, denn es müsse sichergestellt sein, dass sich die Wirkung entfalten kann. Täglich neue Herausforderungen Dennoch hatte selbst die Gelassenheit von Fellhauer seine Grenzen, wie er zugeben muss. Insbesondere dann, wenn aus Reihen Außenstehender im Nachgang Entscheidungen kritisiert wurden. „Ich habe allergisch auf die Besserwisser reagiert“, so der Klinik-Apotheker. Schließlich mussten täglich Entscheidungen proaktiv getroffen werden „und oft ohne ausreichende Kenntnislage“. Dies sei überaus anspruchsvoll und auch im Klinikalltag abseits des KIZ „sehr belastend“ gewesen. Fellhauer: „Wir hatten keine Zeit, uns über Wochen Gedanken zu machen.“ 40 Aus dem Kreisgeschehen


Matthias Fellhauer Unbefriedigend sei für ihn darüber hinaus gewesen, dass zudem manche nur wenig zugänglich für sachliche Argumente gewesen seien. Er habe, auch jenen aus seinem Umfeld, nicht konkret zur Impfung geraten und lehne darüber hinaus eine Impflicht aus prinzipiellen Erwägungen ab. Aber: „Ich habe jedem gesagt: ‚Informiere dich umfassend und aus kompetenten, fachlich neutralen Quellen.‘“ Kein Thema war dies innerhalb des KIZ-Teams. „Der Teamgeist und die Zusammenarbeit mit der Leitung, der Ärzteschaft und den Medizinischen Fachangestellten hat mir gefallen“, zeigt sich der Fachapotheker vom Zusammenhalt beeindruckt. „Als wir uns zum Gruppenfoto aufgestellt haben, hatten wir alle das Gefühl, dass wir hier im KIZ etwas Sinnvolles machen.“ Das Kreisimpfzentrum in Villingen-Schwenningen 41


Bianca Fattler 43 Jahre | Medizinische Fachangestellte Über Langeweile dürfte sich Bianca Fattler grundsätzlich nicht beklagen: Der heimische Schlossereiund Kunstschmiedebetrieb brummt, es gibt ein Haus mit Tieren zu versorgen, und auch ihr Mann Johannes sowie ihre Söhne Paul und Pius fordern die Aufmerksamkeit der 43-Jährigen aus Schönwald. Trotz allem musste Fattler nicht lange überlegen, als das Landratsamt nach medizinischem Fachpersonal gesucht hat, um für die Corona-Pandemie gewappnet zu sein. Zu groß war die Sorge vor einem dramatischen Pflegenotstand und einem Massensterben wie in den italienischen Hotspots. Die Kunstschmiedemeisterin erklärt mit Blick auf ihren alltäglichen Metallbauarbeiten: „Wenn es bei uns so weit kommt, braucht doch in erster Linie niemand mehr ein Geländer!“ Für Impfstoffzubereitung, das Impfen sowie die Dokumentation zuständig Dass die Schönwälderin zum gefragten medizinischen Personal gehört, hängt mit ihrer Ausbildung zusammen. Denn bevor sie die Leidenschaft für glühendes Metall packte und sie den elterlichen Betrieb übernahm, arbeitete sie als Krankenschwester im Kreisklinikum Schwarzwald-Baar Donaueschingen. Dass sie dem Beruf damals den Rücken zugekehrt hatte, hinderte sie nicht daran, jetzt wieder parat zu stehen. Ab Herbst 2020 ging es dann Schlag auf Schlag: Tageweise war sie in der Fieberambulanz des Landkreises gefordert, während des firmeneigenen Betriebsurlaubs im Dezember und Januar stieg sie als Vollzeitkraft in die geschlossene Covid-Kurzzeitpflege in einem Haus der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn ein („so ein Weihnachten braucht niemand“), ehe Anfang Januar die Anfrage für das Kreisimpfzentrum (KIZ) ins Haus flatterte. Fattler sagte zu, war als Medizinische Fachangestellte für die Impfstoffzubereitung, das Impfen sowie die Dokumentation zuständig. Auch als Teil des mobilen Impfteams. „Durch die Arbeit im KIZ konnten wir etwas bewegen und es war schön, ein Teil davon zu sein.“ „Im Winter ist die Zeit bei uns eher etwas ruhiger, da geht es etwas leichter, dass die Chefin aufgrund gewichtiger Gründe zu 100 Prozent woanders arbeitet“, erklärt sie. Gleichzeitig war aber klar: „Daheim muss jeder etwas mehr machen.“ Denn keineswegs war es so, dass sich die Metallgestalterin auf ihren zwischenzeitlichen Job konzentrierte, viel mehr fielen die Freizeit und die freien Tage der Doppelbelastung zum Opfer. Mitarbeit bei mobilen Impfteams über den 30. September hinaus Und auch nachdem die Arbeit im Handwerksbetrieb wieder zunahm, stand Fattler für das KIZ zur Verfügung – was die Kunden der Kunstschmiede mit Verständnis honorierten. „Die meinten dann: ‚Was, Sie impfen noch? Dann ist es kein Problem wenn’s ein bisschen länger dauert‘“, erzählt die gebürtige Schönwälderin. Das Verständnis und die Dankbarkeit der Impfwilligen waren es – neben der Unterstützung von daheim –, die ihr für die herausfordernde Zeit Kraft gaben. Aber da gab es auch noch etwas anderes: „Wir konnten etwas bewegen und es war 42 Aus dem Kreisgeschehen


Bianca Fattler schön, ein Teil davon zu sein.“ Denn das KIZ-Team habe sich gegenseitig motiviert, man habe trotz der Pandemie eine schöne Zeit erlebt, wie Fattler mit einer gewissen Zufriedenheit erzählt. Und deshalb bereut sie die Entscheidung, sich als Freiwillige für die Bekämpfung der Pandemie gemeldet zu haben, keineswegs. Ganz im Gegenteil. Denn trotz der Schließung des KIZ würde sie weiterhin zur Verfügung stehen. „Es muss ja auch nach dem 30. September mobile Impfteams geben – da könnte ich mir vorstellen, einmal die Woche zu helfen“, so die examinierte Krankenschwester. Doch zuerst steht wieder die Familie und der heimische Betrieb im Vordergrund. „Darauf freue ich mich jetzt wieder“, sagt die 43-Jährige. Schließlich ist ihre Leidenschaft für glühende Metalle noch lange nicht erloschen. Das Kreisimpfzentrum in Villingen-Schwenningen 43


Der neue Ursprung der Donau entsteht, ein kurzer Baustellenbericht von Michael Koch 44 Aus dem Kreisgeschehen


Blick zum neuen Donaubeginn (oben links), September 2021. Noch gibt es auch das alte Flussbett der Breg (rechts). 45


Seit dem Spatenstich zur Renaturierung des Zusammenflusses von Brigach und Breg – dem Ursprung der Donau – im Juli 2020 hat sich die Flusslandschaft in diesem Bereich gewaltig verändert. Durch zwei Bauabschnitte in den Jahren 2020/21 ist ein völlig neuer Beginn des europäischen Flusses Donau entstanden, der jetzt schon für Mensch und Natur einen großen Gewinn und Anziehungspunkt darstellt. Heute schon fast nicht mehr vorstellbar wurde der Beginn der Donau über Jahrzehnte durch den Zusammenfl uss der zwei stark begradigten und befestigen Unterläufe von Brigach und Breg gebildet und der Ursprung der Donau lag eher nüchtern fast unter der Brücke der Bundesstraße B 27. Die ökologische Qualität der Mündungsbereiche von Brigach und Breg und des Beginns der Donau war sehr eingeschränkt. Für Flora und Fauna war die Aufenthaltsqualität in diesem Bereich vergleichbar mit der Atmosphäre in einer Tiefgarage. Die Maßnahmenpläne nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie mit dem Ziel, einen guten ökologischen Zustand der Gewässer zu entwickeln, sahen deshalb für diesen Bereich eine notwendige Aufwertung der gewässerökologischen Strukturen vor. Neue Lebensräume schaffen Mit großen Erdbewegungen ist im Jahr 2020 zunächst der Bereich des neuen Zusammenfl usses durch großfl ächige Abgrabungen im Bereich des ehemaligen Kreistierheimes und dem ehemaligen Standort des Vereins der Hundefreunde Donaueschingen entstanden. Hier können Brigach und Breg in Zukunft in einem Mündungsdelta durch das Zusammenspiel von Erosion und Anlandung bei Hochwasser dynamisch immer wieder neue Lebensräume und ökologisch wertvolle Strukturen schaff en. Nach der Abgrabung des künftigen Mündungsdelta wurde die Brigach in einem ersten Meilenstein rund 300 Meter oberhalb der ehemaligen Mündung in den neuen Zusammenfl uss verschwenkt und der ehemalige Brigachunterlauf als Altarm ausgebildet. Über den Winter 2020/21 mit einigen Hochwasser abflüssen hat sich das Bild bereits verändert – Uferanbrüche und verschiedene Kiesablagerungen haben neue Strukturen im Mündungsdelta als potenzielle Lebensund Aufenthaltsräume u.a. für Fische und Wasservögel geschaffen. Um die Breg in den neuen Zusammenfluss zu führen musste zunächst über die Wintersaison 2020/21 eine neue Brücke gebaut werden, die den neuen Verlauf der Breg überspannt. Nach Ende der Fischschonzeit im Mai 2021 konnte dann der zweite Bauabschnitt der Erdarbeiten beginnen. Zunächst stand dies allerdings unter keinem guten Stern, da die für den Sommer über Wochen ungewöhnlichen Starkniederschläge und damit ablaufende Hochwasser den Bauablauf erheblich behinderten. Dennoch konnte Anfang Oktober 21, zum Ende der „Wasserbausaison“ und der wieder beginnenden Fischschonzeit, der zweite Bauabschnitt und damit die wesentlichen Erdarbeiten des Projektes abgeschlossen werden. In diesem zweiten Bauabschnitt bekam zunächst der letzte Kilometer der Breg ein völlig neues Gesicht. Aus dem gestreckten Kanal, in der Fachsprache einem ausgebauten Doppeltrapezprofil, wurde ein in den Grenzen der Hochwasserdämme mäandrierender Flusslauf mit unterschiedlichen Gewässerstrukturen erstellt. Hierzu wurde die mit Steinverbau befestigte Uferstruktur aufgebrochen und das ehemalige Hochwasservorland großflächig abgegraben, sowie Strukturelemente wie Wurzelstöcke, Stammund Steinbuhnen eingebracht und ein erster neuer Verlauf der Breg ausgebildet. Diesen neuen Verlauf kann die Breg in Zukunft allerdings innerhalb der gesicherten Hochwasserdämme mit künftigen Hochwassern immer wieder neu bilden. Durch diesen dynamischen Prozess werden stets neue Strukturen wie Kiesinseln, tiefe Kolke, flache Fließschnellen, Bereiche mit feinkörniger oder grobkörniger Sohlstruktur usw. entstehen und so unterschiedliche Lebensraumangebote für Flora und Geburt des neuen Donauzusammenflusses – der Bagger hat der Breg den Weg in ihr neues Flussbett freigeräumt. 46 Verlegung des Donaubeginns



Fauna ausbilden. Die letzten ca. 400 Meter des Bregverlaufes wurden in einem neuen Flussbett, unter der neuen Brücke hindurch zum neuen Ursprung der Donau verschwenkt. Der ehemalige Unterlauf der Breg wurde als Altarm mit geringem Restwasserdurchfluss und als Hochwasserflutmulde ausgebildet. Schon jetzt Begeisterung über den neu entstandenen Ort spürbar Am ersten September 2021 war dann der zweite große Meilenstein und die Breg konnte von ihrem neuen Bett Besitz ergreifen und in Richtung des Zusammenflusses, dem Beginn der Donau fließen. Mit Umschluss der Breg und dem Zusammenfluss von Brigach und Breg im neuen Mündungsdelta bekam die Donau nun ihren neuen Beginn. Seit diesem Tag ist der Verlauf der Donau um ca. 300 Meter länger. All die genannten Maßnahmen sind unter Berücksichtigung des Hochwasserschutzes ausgeführt worden, d.h. der Hochwasserabfluss hat sich durch die Maßnahmen nicht verschlechtert, der Hochwasserrückhalt sogar verbessert. Aufgrund der Berücksichtigung des Hochwasserschutzes konnte der Unterlauf der Brigach nicht so großzügig renaturiert werden. Hier wurde die ökologische Struktur dennoch durch Einbauten wie Stammund Steinbuhnen aufgewertet, um verbesserte Fließund Sohlstrukturen zu schaffen. Mit den Erdarbeiten ist aus dem Aushubmaterial ein Lärmund Sichtschutzwall zur Abgrenzung zur B 27 auf der ehemaligen Hausmülldeponie von Do48


naueschingen entstanden. Der neue Ursprung hat so durch Sichtund Lärmschutz eine zusätzliche Aufenthaltsqualität erhalten. Bei vielen Besuchern spürt man heute schon die Begeisterung über diesen neu entstandenen Ort. Neben der ökologischen Aufwertung ist hier in Stadtnähe ein Erholungsort mit besonderer Atmosphäre entstanden. Zugleich wird sich dies als touristischer Anziehungspunkt – dem Beginn der Donau, einem für Europa bedeutenden Ort entwickeln. So ist es nun zum Abschluss der Maßnahme die Aufgabe durch ein Besucherlenkungskonzept über Stege und Aussichtsplattformen sowie attraktive Informationsangebote über die Umgestaltungsmaßnahme, die Ökologie der Flusslandschaft, aber auch über den Beginn der Donau und seine Geschichte einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des Menschen und der Natur zu schaffen. Weitere Fotos und Videos finden Sie unter www.almanach-sbk.de/donauverlegung Der Brigach-Durchbruch ist geschafft, der eine Quellfluss der Donau fließt in seinem neuen Bett. Zuvor wurde untersucht, ob ein Biberbau noch bewohnt ist (oben rechts) und Angler retten den Fischbestand im AltBett der Brigach (unten rechts). Verlegung des Donaubeginns 49


Bernhard Bolkart Von Weihnachten und Gewissheiten Wie Familie Bolkart im abgelegenen Schonacher Kolbenhof lebt und arbeitet von Tanja Bury 50 2. Kapitel – Da leben wir


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Bei den Bolkarts in Schonach ist das ganze Jahr über Weihnachten. Und das nicht nur, weil die Familie auf einem Hektar ihrer landwirtschaftlichen Fläche Christbäume anpflanzt. Rita und Bernhard Bolkart fühlen sich auch reich beschenkt: durch die idyllische Lage ihres Betriebs im abgelegenen Kolbenloch. „Die erste Zeit hier habe ich schlecht geschlafen – es war mir zu dunkel und zu ruhig“, sagt der 59-jährige Bernhard Bolkart und lacht. Weihnachtlicher Duft selbst im Hochsommer Man kann sie hören, die Stille. Kein Motorenlärm durchdringt die Schwarzwaldruhe rund um den Kolbenhof. Da sind nur das Rauschen der Bäume, das Plätschern des Bachs und das Singen der Vögel. „Die erste Zeit hier habe ich schlecht geschlafen – es war mir zu dunkel und zu ruhig“, sagt der 59-jährige Bolkart und lacht. Der gelernte Landwirt, Großund Einzelhandelskaufmann, Lohnunternehmer und BLHV-Funktionär ist mitten in Donaueschingen aufgewachsen, wo seine Eltern den letzten Bauernhof im Stadtgebiet bewirtschafteten. Seine Frau Rita ist im Kolbenloch groß geworden. 1998 hat das Ehepaar den Kolbenhof von ihren Eltern übernommen – und mit ihm ein Stück Familiengeschichte. Der Hof wurde 1605 gebaut und war immer im Besitz der Familie Dold, wie Rita Bolkart mit Mädchennamen hieß. Jede Generation, die auf dem Hof gelebt und gearbeitet hat, hatte mit Herausforderungen zu kämpfen, musste schwierige Aufgaben meistern. So auch die Bolkarts. Ein Jahr nach der Hofübernahme fegte Orkan Lothar übers Land, die BSE-Krise kam. „Die Einnahmequellen des Hofs sind zusammengebrochen“, erinnert sich der Landwirt. Doch statt aufgeben war anpacken angesagt. Die Eheleute stellten Rechts: Der Kolbenhof liegt nördlich von Schonach in einem schmalen Seitental des Gutachtales, direkt an der Gemarkungsgrenze zu Hornberg. Auf dem Schwarzwaldhof finden sich bis zu neun verschiedene Tannenarten. Familienaufnahme aus dem Jahr 1946, dem ersten Friedensjahr nach dem Zweiten Weltkrieg. 52 Da leben wir


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Sorgfalt und ein gutes Auge sind gefragt, um die kleinen Pflanzen im dichten Gras nicht zu übersehen und gar abzumähen. ausgemäht, weil die Steillage im Kolbenloch keinen Einsatz von Traktoren zulässt. „Außerdem sind Sorgfalt und ein gutes Auge gefragt, um die kleinen Pflanzen im dichten Gras nicht zu übersehen und gar abzumähen“, sagt Bolkart und zeigt auf einen der zierlichen Setzlinge. Er ist tatsächlich kaum zu sehen. Auch geschnitten werden müssen die Tannen – sonst wird nur aus jedem zweiten Baum ein ordentlicher Christbaum. Bolkarts Tannen sind biozertifiziert. Das heißt, der Landwirt verwendet keinerlei Pestizide. Die aufwändigen Pflegearbeiten und der geringere Ertrag lassen Bernhard Bolkart mit den Preisen der Verkaufsstände auf Superund Baumarktparkplätzen nicht mithalten. Doch das will er auch gar nicht. Ein nachhaltiges, regionales Naturprodukt ist sein Ziel – und die Freude, die er mit einem Bio-Christbaum aus dem Schwarzwald bei seinen Kunden auslöst. „Die ersten kommen schon in den Sommerferien und suchen sich ihre Tanne aus“, sagt Bolkart. Ab November herrscht Hochsaison auf dem Kolbenhof: Die Leute kommen direkt zum Betrieb, um ihren Baum abzuholen, außerdem wollen die zwei Verkaufsstellen in Schonach und Donaueschingen bestückt sein. Die Töchter Maria (links) und Christina bei der Arbeit in der Christbaumplantage. den Hof auf Biobetrieb und Mutterkuhhaltung um, bauten einen offenen Stall, entschieden sich, Christbäume anzupflanzen und den Wald klimastabil umzugestalten. Von den insgesamt 80 Hektar Land des Kolbenhofs sind heute 67 Hektar Wald, auf einem Hektar wachsen die Weihnachtstannen und der Rest ist offenes Gelände. Im Sommer wird der Baum für den Winter gemacht Bis zu neun verschiedene Tannenarten finden sich auf dem Schwarzwaldhof und warten darauf, an Weihnachten die Wohnzimmer zu schmücken. Neben der beliebten Nordmanntanne kann man sich bei Bolkarts beispielsweise eine Koreatanne oder eine amerikanische Riesentanne aussuchen. Ihr Harz strömt einen besonders intensiven Duft aus. So riecht es auch im Hochsommer nach Weihnachten. Überhaupt: Im Sommer wird der Baum für den Winter gemacht. Dazu ist viel Arbeit notwendig. Die Kulturen werden bis zu vier Mal mit der Motorsense Nach dem Fest ist vor dem Fest Gerade im vergangenen Corona-Winter sei das Abholen der Christbäume im Kolbenloch eine willkommene Abwechslung für viele Familien gewesen. „Die Kinder hatten ihren Spaß daran, durch die Kultur zu streifen, in der Natur zu sein, etwas zu erleben“, freut sich Bernhard Bolkart. Und während draußen die Christbäume von heute umgesägt wurden, dachte Rita Bolkhart drinnen vor ihrem PC über die Tannen von morgen nach: „Ich mach‘ rund um Weihnachten immer die Pflanzenbestellung fürs nächste Jahr fertig.“ Nach dem Fest ist vor dem Fest. 54 Da leben wir


Auch im Winter und bei Minusgraden muss der Wald bewirtschaftet werden. Weit in die Zukunft blicken, das ist als Waldbauer Dazu kommen die schwankenden Holzpreise. unerlässlich. Wer vom Forst lebt und ihn erhalten will, muss in Zeiträumen von bis 100 Jahren denken. „Das ist in unserer schnelllebigen Zeit für viele Menschen nicht vorstellbar“, sagt Bolkart. Im Ackerbau habe man jedes Jahr einen neuen Versuch, im Wald zeige sich erst nach vielen Jahrzehnten, ob man den richtigen Weg eingeschlagen habe. So habe etwa die Weißtanne in den 80er-Jahren als Todesbaum gegolten, danach war sie ein großer Hoffnungsträger. Jetzt zeige sich, dass sie durch die Erderwärmung massive Probleme bekommt. Die Herausforderung sei deshalb: Wie muss der Wald umgestaltet werden, um dem Klimawandel zu trotzen? „Es braucht wiederstandfähige Mischwälder“, gibt Bolkart die Antwort und zeigt auf den Hang gegenüber. Dort wachsen Esskastanien und Schwarznuss. Auch Winterlinden und Douglasien hat der Waldbauer gepflanzt. „Zusammen mit Buchen, Ahorn und Eschen als Gegensatz zu Fichte und Tanne haben wir eine gute Mischung auf dem Betrieb“, erklärt er. Die Esche sei jedoch gerade das Sorgenkind, sie sterbe ihm und seinen Kollegen weg. „Das sorgt für Unsicherheit.“ 2021 auf einem Hoch, waren sie in den vergangenen Jahren im Keller. Der Grund: Sturm und Schädling. 2018 sind in Baden-Württemberg nach Aussagen von Forstexperten 1,1 Millionen Festmeter Schadholz angefallen, in der ganzen Bundesrepublik 50 Millionen. Weit in die Zukunft blicken, das ist als Waldbauer unerlässlich. Wer vom Forst lebt und ihn erhalten will, muss in Zeiträumen von bis 100 Jahren denken. Erst nach vielen Jahrzehnten zeigt sich, ob man den richtigen Weg eingeschlagen hat. Bernhard Bolkart 55


Hochsaison auf dem Kolbenhof: Die Leute kommen direkt zum Betrieb, um ihren Baum bei Sohn Sebastian Bolkart abzuholen, außerdem wollen die zwei Verkaufsstellen in Schonach und Donaueschingen bestückt sein. Dazu kam Holz aus anderen Ländern, die ebenfalls von Stürmen, Trockenheit und Käferbefall betroffen waren – beispielsweise 20 Millionen Festmeter aus Tschechien. Der Markt wurde überschwemmt, die Preise stürzten ab. Außerdem macht massive Trockenheit dem Wald zu schaffen. Die Bäume sind angeschlagen und damit anfällig für den Borkenkäfer. Er sorgt dafür, dass der Nährstofftransport unter der Rinde unterbrochen wird, was den Baum nach und nach absterben lässt. Außerdem hat das Tierchen einen Pilzerreger im Gepäck, der das Holz blauschwarz verfärbt, was einen massiven Qualitätsverlust und weniger Einnahmen bedeutet. Auch wenn Bolkart in seinem eigenen Wald in den vergangenen Jahren kaum mit Sturm und Käfer zu kämpfen hat, die Auswirkungen spürt er dennoch. „Drei Jahre fehlten die Einnahmen fast ganz. Wir hauen ja kein gutes Holz in einen schlechten, übervollen Markt“, erklärt er. Der Regen, der diesen Sommer so reichlich gefallen ist, hat das Herz des Waldbauern höher schlagen lassen – weil er weiß, wie gut die Nässe dem Forst tut. Der Sommermensch Bernhard Bolkart aber hat wie viele andere gelitten: „Ich gebe zu, ich mag es gerne trocken und warm.“ „Zusammen mit Buchen, Ahorn und Eschen als Gegensatz zu Fichte und Tanne haben wir eine gute Mischung auf dem Betrieb.“ „Nur Zusammenarbeit bringt uns weiter“ Bequem macht es sich Bernhard Bolkart selten. Neben der Arbeit auf seinem eigenen Betrieb hilft er seinem Bruder, der den Weiherhof bei Donaueschingen betreibt. Und Bolkart ist vielfach ehrenamtlich engagiert: beim Landschaftserhaltungsverband Schwarzwald-Baar, als Vorsitzender des Kreisverbands Villingen des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV) und erster 56 Da leben wir


BLHV-Vizepräsident auf Landesebene. In diesen Funktionen hat Bernhard Bolkart mit allen Facetten der Landwirtschaft zu tun, kennt die Probleme, steht mit Behörden in Kontakt, sucht den Austausch. Vor allem dieser ist dem Landwirt bei seiner Verbandsarbeit wichtig. Zu lange, sagt Bolkart, habe man sich mit Naturschützern Grabenkämpfe geliefert und sich statt aufeinander zu mehr und mehr voneinander weg bewegt. Dabei könnten die Herausforderungen nur gemeinsam und im Dialog gemeistert werden. Das habe sich immer wieder gezeigt. „Zusammenzuarbeiten – das kann uns alle nur weiterbringen“. Beispielsweise beim Thema Wolf. Die Rückkehr des Raubtiers ist ein großes und emotional aufgeladenes Thema bei Landwirten und Umweltschützern. Auch hier geht es Bolkart darum, gemeinsam Lösungen zu finden. „Wir Landwirte müssen das Gespräch annehmen und uns in den Prozess einbringen“, sagt der BLHV-Funktionär. So sei in Sachen Herdenschutz schon einiges erreicht worden. Doch er muss weiter im Auge behalten, dass die Sorgen und Ängste der Landwirt ernst genommen werden. Dafür setzt Bolkart sich ein. Für ihn und seine Frau steht fest: Ein Wolfriss in ihrer Mutterkuhherde und die Tierhaltung wird aufgegeben. Die Gewissheit, am richtigen Platz zu sein Die Kühe liegen im Gras und genießen die Sonne. Im Bauerngarten wiegen sich Rita Bolkarts Lieblingsblumen, die Dahlien, im leichten Wind. Kein Zweifel – es ist ein besonderes Fleckchen Erde, auf dem die Familie lebt. Doch ist es nicht auch schwierig, so weit draußen, so einsam zu wohnen? Das Ehepaar schaut sich an, beide schütteln den Kopf. Nein, Nachteile können sie keine daran finden, im Kolbenloch zu Hause zu sein. Ganz im Gegenteil. „Hier hat mein seine Ruhe, seine Freiheit. Das ist Lebensqualität“, sagen die Bolkarts. Wie privilegiert es sei, im Außenbereich zu leben – die Corona-Pandemie habe es gezeigt. „Und wir sind ja nicht ganz ab vom Schuss – auch wenn Schnee und Eis uns manchmal nicht vom Hof wegkommen lassen“, sagt Bernhard Bolkart und schmunzelt. Dann wird eben gestrichen, gewerkelt und geräumt. Und durch den Glasfaseranschluss, den der Hof seit einiger Zeit hat, können sich die Bolkarts die weite Welt in den Wald holen. „Wir haben hier alles, was wir brauchen – und noch mehr.“ Wen „Wir haben hier alles, was wir brauchen – und noch mehr.“ Wen wundert es also, dass Urlaub für die Bolkarts bedeutet, die Arbeit früher zu beenden, ein Eis aus der Gefriertruhe zu holen, sich mit einem guten Buch auf die Terrasse zu setzen und der Stille zu lauschen. wundert es also, dass Urlaub für die Bolkarts bedeutet, die Arbeit früher zu beenden, ein Eis aus der Gefriertruhe zu holen, sich mit einem guten Buch auf die Terrasse zu setzen und der Stille zu lauschen. Auch die drei Kinder haben es genossen, hier groß geworden zu sein. Der Sohn wohnt weiter auf dem Hof, er möchte ihn gerne übernehmen und das nächste Kapitel in der Tradition des Kolbenhofs zu schreiben. Es ist eine Geschichte von Weihnachten das ganze Jahr über und einem großen Geschenk: der Gewissheit, am richtigen Platz zu sein. Bernhard Bolkart 57


Wilfried Straub Ein Imker und seine 24 Bienenvölker Eine besondere Beziehung zu einem besonderen Tier und eine große Bedeutung für Mensch und Natur von Barbara Dickmann Honig ist gesund, Honig auf frischem Brot ein Genuss, Propolis etwas ganz hochwertiges und zu besonderen Anlässen gibt es immer Kerzen aus Bienenwachs. Das ist ja bekannt. Und das Thema ist klar: die Biene. Doch Wilfried Straub liegt noch viel mehr am Herzen – etwas, was uns alle angeht. Denn „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben“. Mit diesem Zitat, das dem Physiker Albert Einstein zugeschrieben wird, beginnt er unser Gespräch. Wie spannend und wichtig die brummenden Insekten sind, wie lehrreich und interessant die folgenden Stunden werden würden, ahnte ich in keiner Weise. 58 Da leben wir


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Schönenbach/Furtwangen Ende Juli. Wilfried Straub, 67 Jahre jung, schlank, sportlich und topfit ist Imker – und das mit Leib und Seele, mit Begeisterung und großer Hochachtung! Denn was diese auch manchmal stechenden Tierchen in ihrem kurzen Leben leisten, ist einfach unglaublich. Unermüdlich fliegen sie von Blüte zu Blüte, von Löwenzahn zu Löwenzahn, von Kirschblüte zu Kirschblüte … ganz gezielt und nicht wild umher. „Das nennt man sortentreu,“ erklärt Wilfried Straub und hat damit schon eine der wichtigsten Aufgaben umrissen. Denn nur so klappt die Bestäubung und damit auch die große Chance auf Äpfel, Birnen, Kirschen, Beeren… und natürlich auch auf Blütenhonig, Tannenhonig, Löwenzahnhonig. „Rund 80 Prozent der 2.000 bis 3.000 heimischen Nutzund Wildpflanzen sind auf die Honigbienen als Bestäuber angewiesen!“ Es geht also nicht nur um den Honig, obwohl der schon Grund genug wäre. Wie aus Wilfried Straub ein Imker wurde Die Abläufe in der Natur, die Funktion der Insekten und ihre Wichtigkeit als Bestäuber interessierten Wilfried Straub schon immer. „doch die Gesundheit der Bienenprodukte hat mich so fasziniert, dass ich zu einem stetigen Kunden eines Imkers wurde,“ erinnert sich Wilfried Straub. Sein Honigverbrauch wurde immer mehr und irgendwann meinte sein Imker, bei seinem Bedarf könne er sich auch eigene Bienen halten. „Dann bring mir ein Bienenvolk“, sagte er spontan. Der Imker schüttelte nur den Kopf und brachte ihm Wilfried Straub beim Abfüllen des Honigs. Wilfried Straub 61


Wilfried Straub bei seinen 24 Bienenvölkern. drei, denn das sei das Minimum. Und damit begann alles. Die ersten drei Jahre werden seine Lehrjahre. Wilfried Straub holt sich Infos aus dem Internet, besucht Kurse und studiert seine Völker. Er will genau wissen, wie man am besten mit diesen fleißigen Tierchen umgeht. Schnell wird ihm bewusst, dass er jetzt Massentierhalter ist, denn jedes Bienenvolk besteht aus ca. 50.000 Bienen! … Wussten Sie, dass die Bienen allein durch ihre Bestäubungsarbeit rund 1,6 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaften? Dass Äpfel, Birnen, Kirschen oder Pflaumen durchschnittlich 65 Prozent mehr Ertrag haben, wenn sie durch Bienen bestäubt werden? Honig kristallisiert immer: Imker setzen ihrem Honig keinen Zucker zu und das erkennt man an der Kristallisation. Denn genau die ist ein Zeichen dafür, dass es sich um echten, reinen, puren und naturbelassenen Honig handelt. Wilfried Straubs Honigsorten: Tannenhonig, Rapshonig, Lindenblütenhonig, Waldund Blütenhonig, Blütenhonig, Löwenzahnhonig. Und manchmal: Kastanienund Akazienhonig. Dazu noch „Wälderpower“, ein Brotaufstrich aus 80 Prozent Tannenhönig und 20 Prozent Schösslesirup. 62 Da leben wir


(Quelle: Analyse Universität Hohenstein, 2018) „Und das nur in Deutschland,“ ergänzt Wilfried Straub. Und selbst bei Gemüse variiert dieser Wert zwischen fünf Prozent (Bohnen, Paprika und Tomaten) und 95 Prozent bei Kürbis und Zucchini (Quelle: Analyse Universität Hohenstein). „Da gibt es noch viel mehr Unterschiede, denn Gewicht, Zucker-Säure-Gehalt, Keimkraft, Fruchtbarkeit und Lagerfähigkeit werden deutlich gesteigert“. Die Biene – ein Nutztier ? Nächste Frage: Wussten Sie, dass 175 Bienen ein Leben lang schuften müssen, um ein Glas Honig zu füllen? Dass sie neben Rind und Schwein die wichtigsten Nutztiere sind? Dass es ohne Bienen keine Schweine und Rinder gäbe? Dass jeder dritte Löffel Essen von den Bienen abhängig ist? (Quelle: Umweltbundesamt) Nicht nur Honigbienen haben es schwer, laut „Roter Liste“ ist die Hälfte der 560 Wildbienen-Arten vom Aussterben bedroht (Quelle: WWF Deutschland). „Mehr als 75 Prozent aller Insekten haben wir in den letzten 27 Jahren ausgerottet, rein rechnerisch schaffen wir die restlichen Insekten in den nächsten vier bis acht Jahren (Quelle: Radboud-Universität). Weit vorher wird es einen Kampf um Nahrung geben“. Wilfried Straub ist tief betroffen über diese Prognose, denn seine Arbeit in der Natur und mit seinen Bienen, diesen so wichtigen, fleißigen Nutztieren, hat ihn so begeistert, dass er inzwischen 24 Völker betreut, also insgesamt ca. 1,5 Millionen Bienen. Aus dem Hobby-Imker von 2008 ist ein Profi geworden. In guten Jahren kann er ein bis zwei Tonnen Honig erzeugen. Seine Devise war von Anfang an: so viel wie möglich Honig produzieren, mit null Prozent Bienenverlust! Das zieht er nun schon viele Jahre mit Erfolg durch. Ungefähr 300 bis 500 Stunden Arbeit an den Völkern investiert er ohne DAS BIENENJAHR Januar: Die Bienen sind in einer Wintertraube und wärmen sich gegenseitig. Die Königin wird gehegt, gepflegt und gefüttert. Ende Januar/Februar: Die Nussbäume blühen, die (Bienen-) Sammlerinnen holen die Blütenpollen für die jungen Bienen und die Königin beginnt Eier in leere Waben zu legen. Der Imker ersetzt alte, dunkle Waben durch neue, befreit die Bienen von eventuellem Milbenbefall, „mit biologischen Mitteln,“ erläutert Wilfried Straub und beobachtet, ob die Völker mit Zuckersirup oder Frühtracht-Honig nachgefüttert werden müssen. Die alten Waben werden eingeschmolzen und zu Wachsblöcken und Wachskerzen verarbeitet. Ab April: Die Obstbäume blühen und es gibt den ersten Frühtrachthonig. Die Bienen brauchen Platz, sonst ziehen sie eine neue Königin. Eine von beiden geht dann und nimmt einen bedeutenden Hofstaat mit. „Das ist ein großer Verlust für den Imker von 20 bis 50 Prozent, den man aber durch verschiedene Maßnahmen verhindern kann“. Der Löwenzahn blüht: Der erste Höhepunkt der Honigernte. Frühsommerzeit: In dieser Zeit entsteht oft eine Trachtlücke und der Imker tut gut daran zu kontrollieren, ob die Bienen genügend zu knabbern haben, ansonsten muss er wieder nachfüttern. Mit sanften Mitteln behandelt er die Varroa-Milben, die ihre Eier gerne in der Drohnenbrut (männliche Bienen) ablegen. Juli/August: Der Wald honigt! Das heißt, dass Baumläuse die Bäume anstechen und Baumsaft zu Honigtau verarbeiten. Diese klebrigen Tropfen holen sich die Bienen und verarbeiten sie zu Waldhonig. Füttern und Endbehandlung: Da Waldhonig schwer verdaulich ist für die Bienen, muss er komplett geerntet werden, dann wird in drei Etappen gefüttert und zusätzlich Topinambur-Saft beigemischt. „Das stärkt die Abwehrkräfte“. Bei guten Wetter steht die Endbehandlung mit Ameisensäure an und im frühen Winter noch einmal mit Oxalsäure. Winterruhe: Zur Sicherheit kommt ein Mäusegitter zum Schutz vor das Flugloch. Über den Winter werden dann die Waben gegen Wachsmotten behandelt und in Essigsäure getränkt. Das sind bei 20 Völkern ca. 300 Stunden Arbeit. Wilfried Straub 63


Vor dem Schlupf der neuen Königin setzen sich Tausende von Arbeitsbienen meistens an einem Ast ab, bevor das neue Quartier bezogen wird. Vermarktung! „Was für ein schönes Hobby, höre ich oft,“ lacht Wilfried Straub. Ja, das stimme wohl, aber auch zu 50 Prozent ein knochenharter Job mit einem Stundenlohn von vielleicht zwei Euro! Das macht schon nachdenklich. Denn welcher Jungimker wird sich so viel Arbeit für so wenig Geld antun. Was tun? Wilfried Straub hat Lösungsvorschläge parat, die man leicht umsetzen kann. Hier einige davon: • Imker bestäuben mit ihren Bienen unentgeltlich die Agrarlandschaft, das muss geändert werden. • Regional einkaufen, regionale Produkte verwenden (nicht nur Honig) • Auf biologischen/regionalen Anbau achten. • Wo es geht, Blühflächen ansetzen. • „Geiz ist nicht geil“, denn das bewirkt, dass Billigprodukte durch die halbe Welt gefahren, Menschen ausgebeutet und Kinder ausgenützt werden. • Auf die Natur achten und sich um sie kümmern….. Sich kümmern um Menschen Sich kümmern hat für Wilfried Straub noch eine besondere Bedeutung. Er war Mitinitiator als 1996 der Schwarzwald-Bike-Marathon ins Leben gerufen wurde, der nicht nur ein sportlicher Wettkampf, sondern auch ein Wettbewerb für den guten Zweck ist. Von Anfang an erhält die familienorientierte Krebsnachsorgeklinik Katharinenhöhe in Schönwald jedes Jahr eine große Spende, die dringend benötigt wird. Ein absolutes Highlight für die kleinen, leidgeprüften Patienten ist jedoch die Streckenfüh64 Da leben wir


Wilfried Straub ist Mitinitiator als 1996 der SchwarzwaldBike-Marathon ins Leben gerufen wird. Dieser ist nicht nur ein sportlicher Wettkampf, sondern auch ein Wettbewerb für den guten Zweck. rung, die genau durch die Katharinenhöhe führt. Ein ganz besonderer Tag, der Mut macht und Sorgen, Ängste und Nöte für eine Weile vergessen lässt. Sportliche Erfolge „Sport habe ich schon immer gemacht,“ berichtet Wilfried Straub. Und was er anpackt macht er gründlich. Er ist ein Perfektionist, ein Sportler, ja eigentlich ein Extremsportler. Er sucht immer seine Grenzen. Langlauf und Radfahren mit dem Rennrad sind sein Ding – bis er in den 80er-Jahren das erste Mountain Bike in einem Schaufenster sieht. Damit durch den Wald fahren, Pilze sammeln und noch mehr die Natur entdecken! 1985 steht es in seiner Garage und 1989 nimmt er am MountainbikeWeltcuprennen in Österreich teil, 1990 im US-Bundesstaat Colorado als Mitglied der Deutschen National-Mannschaft… es folgen noch viele Rennen. Gemeinsam mit Ulli Rottler aus Villingen, dem dreifachen Weltmeister, tingelt er durch die Welt – von Weltmeisterschaft zu Weltmeisterschaft. „Wir fahren heute noch zusammen,“ freut sich der leidenschaftliche Sportler und Vizeweltmeister. Letzter Sieg: 2020 bei den offiziellen Europameisterschaften im Skimarathon in Leutasch (Österreich) geht er als Erster durch‘s Ziel! Keine Frage, Honig ist gesund und lecker. Doch irgendwie ist dieses Glas mit dem goldgelben Inhalt nach diesem Nachmittag mit Wilfried Straub etwas Besonderes geworden. Und die Biene betrachtet man mit ganz anderen Augen. „Noch können wir die Wende mit viel Aufwand herbeiführen,“ sagt Wilfried Straub, „packen wir es an!“ Ob im Sommer auf dem Mountainbike oder im Winter beim Skimarathon: Beim Sport ist Wilfried Straub auf der Suche nach seinen Grenzen. Wilfried Straub 65


Alaa (Ali) Hamo Vollumfänglich in Deutschland angekommen Von Hans-Jürgen Kommert Der einstige unbegleitete Jugendliche hatte sich als Flüchtling aus dem kurdischen Syrien über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Österreich nach Deutschland durchgeschlagen, das er eigentlich zunächst ebenfalls nur als „Durchgangsland“ betrachtet hatte. Denn sein eigentliches Ziel war damals Skandinavien. Ali, wie er sich mittlerweile deshalb nennt, weil sich Europäer sehr schwertun, seinen Namen richtig auszusprechen, wurde im März 1997 in Kobanê im Norden Syriens geboren. Sein Vater, der wie die Mutter keinen Beruf hatte, führte neben der Landwirtschaft ein kleines Ladengeschäft, wo er schon während seiner Schulzeit gerne mitarbeitete. „Hier verkauften wir das, was unser Land hergab: Wir hatten ein paar Olivenbäume, pflanzten Getreide und Kreuzkümmel an“, zeigte er auf, was der Familie Einkommen brachte. Er habe als Kind liebend gerne draußen gespielt, eine weitere Leidenschaft aber war der Blick hinter die Fassaden: „Ich glaube, ich habe sehr regelmäßig dafür gesorgt, dass wir einen neuen Fernseher gebraucht haben, weil ich alles zerlegen musste, um die Technik hinter den Dingen zu erkunden. Und nicht alles, was ich zerlegt habe, habe ich auch wieder zusammenbauen können“, erzählt er aus seiner Kindheit. Glückliche Kindheit in Syrien Er war das fünfte von insgesamt zehn Kindern, die Vater und Mutter geschenkt wurden. „Einen Kindergarten gab es zwar, der war aber für einfache Leute einfach zu teuer, so etwas konnte sich nur die Elite „Ich habe regelmäßig dafür gesorgt, dass wir einen neuen Fernseher gebraucht haben, weil ich alles zerlegen musste, um die Technik hinter den Dingen zu erkunden. Und nicht alles, was ich zerlegt habe, habe ich auch wieder zusammenbauen können“, erzählt Alaa aus seiner Kindheit. erlauben“, räumt Ali ein. Immerhin neun Jahre Schule für die Kinder leistete sich das Ehepaar. Daher hatte der Vater zur Ernährung der großen Familie neben dem Ladengeschäft einen Handwerksbetrieb, wo er als Elektriker die Stromversorgung von Häusern sicherte. Auch dabei half ihm sein Sohn – schon als Jugendlicher habe er, so erzählt Ali, die ersten Neubauten komplett selbst installiert. 66 Da leben wir


Alaa oder auch Ali Hamo fühlt sich wohl in Deutschland, hier bei einem Ausflug nach Waldkirch. 67


„Mein Vater wollte damals unbedingt, dass ich einmal Medizin studiere. Deshalb auch mein Name – nach Ansicht meines Vaters würde sich der Name Alaa auf dem Praxisschild wirklich gut machen.“ „Wir waren nicht wirklich arm, aber auch alles andere als reich – dabei habe es durchaus Menschen in seiner Verwandtschaft gegeben, die mit irdischen Gütern reichlicher gesegnet waren: So sei einer seiner Onkels Agraringenieur, ein weiterer Jurist und zwei hätten Autohäuser geführt, allerdings habe sein Vater nur Halbgeschwister gehabt. Eine glückliche Kindheit habe er zunächst erlebt, immer aber durchsetzt mit selbst gewählter Arbeit. „Wenn ich nichts zu tun gehabt hätte, wäre mir sicher schnell langweilig geworden“, ist er sich im Nachhinein sicher. Ein Jahr lang besuchte Ali die Vorschule, danach die Grundschule und dann die siebte bis neunte Klasse, was in seiner Heimat einem Zwischending zwischen Realschule und Gymnasium entsprach – dann aber kam die Prüfungszeit. „Um die Prüfungen ganz sicher zu bestehen, braucht man in Syrien auch privaten Unterricht, was allerdings richtig teuer ist. Und weil das so ist und meine Eltern sich das nicht leisten konnten, musste ich mir viele Dinge selbst beibringen“, erinnert er sich an die Schulzeit zurück. Flucht vor dem „Islamischen Staat“ 2010 begann es dann in Syrien zu gären – der so genannte „arabische Frühling“, der bereits zuvor viele andere Staaten erfasst und verändert hatte, war jetzt auch hier angekommen. Früher hätten, wie im ganzen Land, auch in Kobanê Kirchen und Moscheen friedlich nebeneinander existiert, die Menschen beider Glaubensrichtungen lebten miteinander. Man habe dann zunächst etwas erlebt, was bis dahin nicht vorstellbar gewesen sei – eine Unzufriedenheit mit den Verhältnissen und der Regierung des Machthabers Assad, in der Korruption Arbeit in der Türkei auf der Baustelle, Ali ist hier 17 Jahre alt. Im Schuljahr 2012/2013 stand er nach eigenen Aussagen kurz vor dem Abschluss, der in Deutschland dem Abitur entspräche. „Mein Vater wollte damals unbedingt, dass ich einmal Medizin studiere“, erzählt der junge Kurde. Das sei auch der Grund für seinen Namen gewesen – „nach Ansicht meines Vaters würde sich der Name Alaa auf dem Praxisschild wirklich gut machen“, weiß er. Der Vater selbst hatte nach der schulischen Grundausbildung am Ende der sechsten Klasse die Schule verlassen müssen, weil sie für die Eltern einfach zu teuer war. Alis Mutter durfte dagegen überhaupt nicht zur Schule gehen. „Meine Mutter hat sich aber vollkommen autodidaktisch die Grundzüge der arabischen Schrift angeeignet, sodass sie ein wenig lesen kann“, erklärt der junge syrische Kurde nicht ohne Stolz. Zuhause wurde selbstverständlich kurdisch gesprochen, obwohl das offiziell verboten war, denn arabisch sei nicht nur Amtssprache, sondern auch die offizielle Sprache in Syrien gewesen. 68 Da leben wir


und die Unterdrückung anderer Ethnien an der Tagesordnung waren. Was aber am Anfang erst einmal so ausgesehen habe, dass Reformen kommen könnten, sei schnell zu einer Art Revolution geworden, die aber in ihren Ursprüngen eher linksgerichtet gewesen sei. Was zunächst friedlich begonnen habe, sei dann recht bald schon in Gewalt umgeschlagen, da sich Baschar Hafiz al-Assad nicht einfach geschlagen geben wollte. „Wir, die wir im kurdischen Gebiet Syriens lebten, hatten am Anfang sogar Hoffnungen, dass dabei durch Abspaltungen ein echter Kurdenstaat entstehen könnte, zusammen mit den iranischen und türkischen und vielleicht sogar irakischen Kurden“, gibt Ali zu. Dann aber überzog im Jahr 2014 der sogenannte „Islamische Staat“, eine sehr rechts gerichtete, erzkonservative Terrororganisation, die Provinz und somit auch die Stadt Kobanê mit mörderischen Angriffen. Ein großer Teil der Bevölkerung wurde damals in die Türkei evakuiert oder flüchtete dorthin. „Auch meine Familie flüchtete in dieser Zeit der Kriegswirren – die zum Teil immer noch existieren und derzeit erneut aufflammen“, berichtet Ali. Links: An der türkischen Küste am Tag der Flucht mit dem Boot stehen hunderte am Strand und warten auf Fluchtgelegenheit. Rechts: Während der Flucht auf der griechischen Insel Mytilini, viele junge Männer stehen dort an, um zu duschen. sei, zu erkennen, wenn Verhandlungen für ihn schlecht gelaufen seien. Im Sommer 2015 war er dann schließlich der Meinung, er habe nun genug gespart, um aus diesen miserablen Verhältnissen weiter zu flüchten. Und so kam er über Izmir, Griechenland, Mazedonien und Österreich in die Europäische Union. Unterwegs habe er viele weitere Demütigungen erleben müssen, betont er. Immer wieder habe man auch versucht, ihn und andere Flüchtlinge zu bestehlen und zu betrügen. „Eigentlich wollte ich damals nur nach dem Westen, Deutschland war niemals als Endziel angedacht, dieses Land hatte ich nie wirklich im Sinn“, erzählt er im Gespräch. Dennoch stand er dann irgendwie am 25. August 2015 plötzlich am Hauptbahnhof München, dort wurde er erstmals als unbegleiteter Flüchtling Als Hilfsarbeiter auf dem Bau in der Türkei Im Nachbarstaat Türkei habe er dann, um Geld zu verdienen, auf dem Bau gearbeitet, unter widrigsten Bedingungen. „Sechs Tage in der Woche und bis zu 15 Stunden am Tag, mit dem niedrigsten Lohn – und manchmal gab es für gute, harte Arbeit auch gar nichts.“ Zunächst als Schmied und später dann als Bauhilfsarbeiter musste er viele Demütigungen erleben. Er lernte aber so ganz nebenbei die türkische Sprache, sodass er schnell in der Lage gewesen „Eigentlich wollte ich damals nur nach dem Westen, Deutschland war niemals als Endziel angedacht, dieses Land hatte ich nie wirklich im Sinn.“ Alaa (Ali) Hamo 69


„Ich habe rasend schnell Deutsch gelernt, auch deshalb, weil ich festgestellt habe, dass Sprachkenntnisse überall eine Schlüsselstellung einnehmen. Dabei habe ich meiner Lehrerin Ranka Pretzer-Korac sehr viel zu verdanken.“ Ali durfte bei seiner Ausbildungsfirma Siedle einen Anwendungsfilm für Siedle Anlagen drehen. registriert. Über Ellwangen, Karlsruhe und Neustadt kam er dann schlussendlich in Donaueschingen im dortigen Aufnahmelager an, wo er sich mit vier weiteren Flüchtlingen ein Zimmer teilen musste. „Ich habe in Deutschland auch Anhänger des IS gesehen, die mich auch bedroht haben. Da ich aber zu der Zeit noch kein Wort Deutsch konnte, war es mir nicht möglich, jemanden auf diese Männer aufmerksam zu machen“, gibt er unumwunden zu. Nachdem ihm auf den letzten Kilometern sein gesamtes Hab und Gut gestohlen wurde, was er nicht direkt am Leibe trug, musste er 40 Tage lang mit nur einem einzigen T-Shirt auskommen, das er in dieser Zeit dann abends immer gewaschen habe, damit es über Nacht trocknen konnte. Bei seiner Ankunft war er sich sicher, dass er bald wieder weiter ziehen könne – doch es sollte völlig anders kommen. Akzentfreie Aussprache bereits nach fünfeinhalb Jahren in Deutschland Bereits am 1. November 2015 habe er in Deutschland seinen ersten Schultag gehabt, in der Robert-GerwigSchule in Furtwangen, wo es die erste VABO-Klasse (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit dem Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen) gab. „Ich habe rasend schnell Deutsch gelernt, auch deshalb, weil ich festgestellt habe, dass Sprachkenntnisse überall eine Schlüsselstellung einnehmen. Dabei habe ich meiner Lehrerin Ranka PretzerKorac sehr viel zu verdanken“, erinnert er sich dankbar. Schnell habe er aber auch in Mathematik, Physik und Kunst Fuß gefasst. Schon nach drei Monaten Deutschunterricht habe er als Übersetzer aushelfen können. Nach rund sieben Monaten hatte er die Sprache dann weitgehend verinnerlicht. Um noch besser sprechen zu lernen, habe er in Donaueschingen in einem Mehrgenerationenhaus ehrenamtlich mitgearbeitet, wo er auch seine „ErsatzMama“ kennengelernt habe, mit der er bis heute einen sehr liebevollen Kontakt habe. Papiere habe er bei seiner Flucht nicht mitnehmen können, dafür seine Schulzeugnisse. „Ich habe die übersetzen lassen, sodass man feststellen konnte, dass ich schon immer ein guter Schüler war“ erklärt er. Im Berufsbildenden Schuljahr BFW 1 erwarb er auch in Deutschland die Mittlere Reife, mit einem Durchschnitt von 1,4. Danach besuchte er die Klasse „Gestaltungsund Medientechnik“ (GMT) an der RobertGerwig-Schule, wo er im Frühjahr 2020 sein Abitur mit der Note 2,1 bestand. Hier lernte er seine Lebensgefährtin Alexandra Kern aus Vöhrenbach kennen und lieben. Seine Deutschkenntnisse hatte er bis dahin nahezu perfektioniert, es ließe sich niemals vermuten, dass Alaa Hamo erst seit fünfeinhalb Jahren hier ist, denn seine Aussprache ist praktisch akzentfrei. „Ali besteht darauf, dass ich ihn sofort korrigiere, wenn er etwas falsch ausspricht“, räumt die junge Frau ein. Er sei in dieser Hinsicht ein absoluter Perfektionist. „Alles ist heutzutage möglich, wenn man es wirklich will“ Nebenbei lernte er bei Stephan Weisser an der Jugendmusikschule St. Georgen-Furtwangen das Gitarrenspiel, gab an verschiedenen Orten kleine 70 Da leben wir


Konzerte und erzählte über Syrien, den Islamischen Staat und seine Flucht in den Westen Europas. Während der Schulzeit nahm Hamo unter anderem an der „Schüler-Ingenieur-Akademie“ teil, die von der Furtwanger Firma S. Siedle & Söhne gesponsert wird. Die wurde dadurch auf den jungen Syrer aufmerksam und bot ihm ein sogenanntes „Studium Plus, Fachrichtung Informatik“ an, das neben dem Abschluss als Bachelor auch einen beruflichen Abschluss bietet. Da er aber zu wenig Geld dafür hatte, war es Alexandra Kern, die selbst ein Duales Studium „Sozialwirtschaft“ durchführt, die ihm hier weiterhalf. Sie suchte nach einen Weg, ihren Freund finanziell zu fördern – und fand dazu eine passende Möglichkeit: Unter über 1.700 Bewerbern wurde der junge Kurde ausgewählt für ein Stipendium der „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“. Diese der FDP nahestehende Stiftung ist eine der größten Begabtenförderungswerke in ganz Deutschland. „Es ist schon eine Auszeichnung, wenn man hier genommen wird“, sind sich Alexandra Kern und Ali sicher. In seiner Freizeit setzt er sich noch immer intensiv für die Integration ein, seiner einstigen Religion aber hat er den Rücken gekehrt – zu groß waren für ihn die Diskrepanzen zwischen dem geschriebenen Wort im Koran, den Beteuerungen seiner einstigen GlaubensAlexandra Kern und ihr syrisch-kurdischer Freund Alaa Hamo gehen miteinander durch Dick und Dünn – irgendwann wollen sie gemeinsam ein eigenes Geschäft eröffnen. brüder über eine friedliche Religion auf der einen Seite und den reellen Erlebnissen auf der anderen. Ebenso das Frauenbild des Islam machte ihm dabei sehr zu schaffen. Durch das Stipendium wird Alaa Hamo nun nicht nur finanziell, sondern auch ideell stark gefördert. In der herrschenden Pandemie habe er sehr viel Zeit mit seiner Freundin gehabt für gemeinsame Gespräche und Sport, das habe ihn vielleicht noch mehr geprägt als vieles andere. Irgendwann, wenn er sein Studium erfolgreich beendet und ein wenig berufliche Erfahrung gesammelt hat, träumt er davon, sich selbständig zu machen im Software-Bereich. „Alles ist heutzutage möglich, wenn man es wirklich will – und träumen darf man, das kostet nichts“, schmunzelte er dazu. Denn die Realität sei oft hart genug. Auch Alexandra Kern hat noch Wünsche für ihren Freund: „Ich hoffe, dass er bald seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhält – und ich wünsche ihm, dass er irgendwann seine Familie wieder sehen kann.“ Alaa (Ali) Hamo 71


Hannah Eckstein EINZIG WEGEN DIESES JOBS „Ich habe im Schwarzwald gelernt, dass man überall glücklich sein kann, wenn man das macht, was man liebt und tolle Menschen um sich hat.“ von Barbara Dickmann 72 Da leben wir


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Januar 2017 in Düsseldorf. Gut 619.000 Einwohner, Kunst und Kultur, Museen und Galerien an jeder Ecke. Urige Brauhäuser, allein zehn Sterne-Restaurants, jede Menge Lokale, Geschäfte von edel bis bezahlbar, von brav bis hipp, Disco, Theater, Kabarett, Musicals… Und feiern die ganze Nacht, wenn man es nur will. Hier hat Hannah Eckstein, knapp 30 Jahre jung, studiert und viel freie Zeit verbracht. Sie genießt das bunte Leben, die Offenheit und Geselligkeit der Menschen, die Leichtigkeit des Seins. Keine Frage: Hannah Eckstein ist ein Stadtmensch! Doch dann kommt alles ganz anders – ihr Weg führt nach St. Georgen im Schwarzwald. Geboren 1987, wächst Hannah Eckstein in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) auf. Einer Stadt mit gut 260.000 Einwohnern, ziemlich provinziell und ohne besondere Highlights. „Für einen jungen Menschen nicht gerade die Traumstadt und ich wollte weg“, erinnert sie sich. Hannah ist begeistert von anderen Kulturen und gemeinsam mit ihrer Schwester beschließt sie, in Istanbul zu studieren. „Mein Stiefopa ist Türke und ich mochte diese lebendige Stadt.“ Mein Studium war beendet, was wohl der gravierendere Grund für mich und meine Schwester war, nach Deutschland zurückzukehren. Sie bewirbt sich um einen Studienplatz für Political Science and International Relations auf Englisch (Politikwissenschaften und internationale Beziehungen). Das sei ziemlich naiv gewesen, meint sie im Nachhinein. Der deutsche Studiengang in BWL wird ihr angeboten. Nicht gerade ihr Traum, doch sie steigt ein. Hannah Eckstein hält drei Monate durch bis zur ersten Zwischenprüfung. Dann gibt sie auf, recherchiert und hat Glück: Sie kann sich für den Studiengang Kulturmanagement in Englisch und Türkisch einschreiben. Ihre Wahlfächer absolviert sie alle in Art Management. Sie macht Praktika in Galerien und Kunstinstitutionen, erhält im Studium Einblicke in die Kunstgeschichte, die Soziologie, Philosophie, Sponsoring, Fundraising, Rechnungswesen – einfach alles, um eine Kunstoder Kultureinrichtung zu leiten. Im Sommer 2012 hat sie den Bachelor in Kulturmanagement in der Tasche. Doch das reicht ihr nicht, denn Hannah Eckstein will Kuratorin werden – und nichts anderes. Istanbul hat sich verändert. Ein autoritärer Regierungsstil macht sich mehr und mehr bemerkbar. Die beiden Schwestern kehren nach fünf Jahren zurück nach Deutschland und landen in Essen. „Mein Studium war beendet, was wohl der gravierendere Grund für mich und meine Schwester war, nach Deutschland zurückzukehren“, erinnert sie sich. Ihre Schwester studiert weiter Medizin und Hannah recherchiert mal wieder. Um Kuratorin zu werden, muss sie sich in Kunstgeschichte auskennen. „Das ist eine handfeste Wissenschaft,“ erklärt sie und beschließt, ihren Master in Kunstgeschichte abzulegen. Doch für Menschen, die ihren Bachelor in einem anderen Studiengang erworben haben, ist das nicht so einfach. Lediglich die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf bietet die Möglichkeit einer Aufnahmeprüfung an. Hannah Eckstein bereitet sich ein halbes Jahr intensiv auf diese Prüfung vor. Sie liest und lernt – Tag für Tag, fängt in der Antike an und hört in der Gegenwart auf. Der Lohn der Mühe: Hannah besteht. Im vierten Semester beginnt sie ihre Masterarbeit über den Künstler Richard Serra zu schreiben. Parallel dazu arbeitet sie im Museum Kurhaus Kleve als kuratorische Assistentin, inventarisiert und digitalisiert im Rahmen dieser Tätigkeit eine private Sammlung. Zur selben Zeit – also parallel zur Masterarbeit und der Tätigkeit im Museum Kurhaus Kleve, kuratiert sie ein Ausstellungsprojekt im Kunstverein Mönchengladbach. 74 Da leben wir


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Blick in den KUNSTRAUM GRÄSSLIN. Auch im St. Georgener Rathaus werden Kunstwerke der SAMMLUNG GRÄSSLIN präsentiert. 76 Da leben wir


Mein Beruf füllt einen großen Teil meines Lebens aus. Durch ihn bin ich viel unterwegs – auch in Großstädten. Eine umwerfende Sammlung 2017 hat sie es geschafft. Sie ist jetzt kuratorische Assistentin im Museum Kurhaus Kleve und baut gerade eine Ausstellung auf, als sie auf eine Ausschreibung stößt. Die Familie Grässlin in St. Georgen sucht für ihre Sammlung eine Leiterin. Whow! So eine renommierte und bekannte Sammlung! Hannah Eckstein versucht es einfach mal, bewirbt sich und wird zu einem Vorstellungsgespräch nach Frankfurt in die Galerie von Bärbel Grässlin eingeladen. Das Resultat: Hannah wird nach St. Georgen eingeladen. Sie solle sich den Ort und die Sammlung anschauen und überlegen, ob sie sich vorstellen könne, diese Sammlung zu leiten. Dialoge in Sachen Kunst. Einzige und umso wertvollere Entschädigung: Die Faszination der Sammlung Grässlin, die RÄUME FÜR KUNST, die Künstler, diese erfüllende Aufgabe, der Kontakt zu einer Familie, denen die Liebe zur Kunst in Fleisch und Blut übergegangen ist. Dafür nimmt Hannah einiges in Kauf. „Wenn man was will und es mit Leidenschaft macht, dann ist alles möglich,“ ist ihr Leitsatz. In St. Georgen empfängt die damalige SammDie Zeit vergeht, Monate ziehen ins Land und sie lungsleiterin die frisch gebackene Kunsthistorikerin – und die ist erst mal erschlagen und ziemlich beeindruckt. Diese Sammlung ist einfach umwerfend. Ein Traumjob, diese Chance kann man sich nicht entgehen lassen. Als sie die Zusage bekommt, fühlt sie sich als Glückspilz. Doch das Städtchen St. Georgen reißt sie nicht vom Hocker. Sie tauscht das dicht besiedelte Rheinland mit seinen zahlreichen Städten gegen ein 13.000-Seelen-Dorf im Schwarzwald. Das ist eine Riesensache für einen Stadtmenschen. „Mein soziales Leben ist vorbei“, denkt sie, „das mach ich ein paar Jahre und dann sehe ich weiter!“ Im Februar 2017, mitten im tiefsten Winter, zieht sie um und wohnt während der Probezeit in einer schönen alten Mühle, die ihr die Familie Grässlin zur Verfügung stellt. Mit Leidenschaft und Elan kniet sie sich in ihren neuen Job. Doch die Umstellung trifft sie hart. Sie vermisst die Familie, die Freunde, die Geschäfte, die unendlichen Möglichkeiten, die eine Großstadt einfach zu bieten hat. merkt immer mehr, wie sich ihre Sichtweise verändert … Base Camp in St. Georgen St. Georgen, im September 2021! Fünf Jahre sind vergangen. Hannah Eckstein ist angekommen. Sie mag den Schwarzwald, die Gemütlichkeit, genießt die Ruhe und die Natur. St. Georgen ist ihr Base Camp. Die Nähe zu Frankreich oder Österreich, mal eben zu den Bregenzer Festspielen fahren, sind ihre neuen Highlights. „Meine Lebensweise hat sich verändert“, sagt sie. „Mein Beruf füllt einen großen Teil meines Lebens aus. Durch ihn bin ich viel unterwegs – auch in Großstädten.“ Sie muss nicht mehr jede Woche feiern, hat sich daran gewöhnt, dass nicht alle möglichen Geschäfte direkt vor der Nase sind. Hannah Eckstein fühlt sich wohl im Schwarzwald, ihr soziales Umfeld, ihre Freunde und Bekanntschaften sind ihr wichtig. Hannah Eckstein 77


Das ist manchmal stressig, doch eine Win-Win-Situation für alle. „Ich habe im Schwarzwald gelernt, dass man überall glücklich sein kann, wenn man das macht, was man liebt und tolle Menschen um sich hat,“ sagt sie. Auf alte Freundschaften verzichtet sie nicht, sie pflegt sie, auch wenn sie in Deutschland oder der Welt verteilt sind. „Dann muss man halt mal nach München, Frankfurt oder London fahren oder fliegen“, sagt sie. Gerne besucht sie ihre Familie in Mönchengladbach, doch nach ein paar Tagen will sie wieder „nach Hause“. Ein starkes Wort, und das sagt sie wirklich, wenn sie nach St. Georgen fährt. Auch beruflich lebt sie auf der Sonnenseite. Seit Ende 2019 arbeitet sie nur noch zu 50 Prozent in St. Georgen, zusätzlich hat sie im Kunstverein Friedrichshafen die künstlerische Leitung übernommen. Hier gestaltet sie das Programm und sucht die jungen Künstlerinnen und Künstler aus, die im Kunstverein ausstellen, während sie in St. Georgen eine schon perfekte Sammlung betreut. „Das ist manchmal stressig, doch eine Win-Win-Situation für alle“. Die Kunsthistorikerin lacht, ja sie strahlt förmlich. Wer kann schon den Bodensee und den Schwarzwald so perfekt vereinen? Keine Frage Hannah ist ein Glückspilz, ein Naturmensch, doch weiß Gott keine Einsiedlerin. Sie mag die Stille, braucht aber auch den Trubel, braucht Kunst und Kultur, denn das ist ihre Leidenschaft. In 2017 war sie „nur“ ein Stadtmensch – heute sucht sie einen Bauernhof. Was eine Kunsthistoriker*in macht In der Regel gestalten Kunsthistoriker*innen Ausstellungen und Kulturveranstaltungen. Sie pfl egen die Sammlung, sorgen für die richtige Präsentation der Werke, schreiben die Ausstellungsund Werktexte, konzipieren Kataloge und Führungen. Es gibt Spezialisierungen: Entweder auf eine Epoche, wie das Mittelalter, die Renaissance oder die Moderne. Oder auf ein Medium wie Ma le rei, Bildhauerei – die Fotografi e. Außer sicherem Auftreten, Sorgsamkeit, Organisationsfähigkeit und Finanzmanagement ist das Interesse an Kulturund Kunstgeschichte die wichtigste Voraussetzung für diesen Beruf. Bei Hannah Eckstein ist es viel mehr. Es ist Liebe und Leidenschaft und das große Bedürfnis, durch ihre Führungen den kleinen und großen Menschen auch andere Perspektiven auf die Welt zu eröffnen. „Vielleicht sogar bessere“, sagt sie. Das oft ungeüb78 78 Da leben wir


te Auge des Betrachters auf Dinge zu lenken, die erst auf den zweiten Blick ersichtlich sind. So sind zum Beispiel Objekte wie Stühle, Tische, Lampen, die von Franz West (bedeutender, zeitgenössischer Künstler Österreichs, verstorben am 26.7.2012) im KUNSTRAUM GRÄSSLIN gezeigt werden, nicht nur ungewöhnliche Gebrauchsobjekte, sondern sollen die Sinne schärfen und unser Unterbewusstsein stimulieren. Oder anders gesagt: Den Betrachter und Benutzer auf neue Gedanken und Empfindungen bringen. Die Menschen sind fasziniert, es reißt sie förmlich vom Hocker. Ihre Führungen sind immer ein Erfolgserlebnis. „Die Menschen sind fasziniert, es reißt sie förmlich vom Hocker, genauso ist es mir damals ergangen.“ Es ist etwas Großes, was die Kunst erreichen kann, daran glaubt sie fest. „Und gerade in der heutigen Zeit und nach dem Lockdown kann das physische Erlebnis, die körperliche Präsenz in Ausstellungen niemals durch digitale Räume ersetzt werden“. Kunst muss berühren – im wahrsten Sinne des Wortes. Kunst verständlich machen, ist eine faszinierende Aufgabe. Es eröffnen sich dabei Perspektiven auf eine „vielleicht sogar bessere Welt", wie Hannah Eckstein sagt. DIE SAMMLUNG GRÄSSLIN Bereits seit 2006 präsentiert die Familie Grässlin im KUNSTRAUM GRÄSSLIN und den über das Stadtgebiet von St. Georgen verteilten RÄUMEN FÜR KUNST ihre Sammlung nationaler und internationaler Kunst der 1980er-, 1990erund 2000er-Jahre. Interessierte Besucherinnen und Besucher haben seither die Möglichkeit, bei den geführten Stadtrundgängen Einblicke in die private Sammlung zu bekommen. Die Anfänge der SAMMLUNG GRÄSSLIN liegen in den 1970er-Jahren, als die Eltern Anna und Dieter Grässlin begannen, Grafiken des süddeutschen Konstruktivismus und zahlreiche Werke des deutschen Informel zusammenzutragen. Ihre vier Kinder Bärbel, Thomas, Sabine und Karola, von der Sammelleidenschaft ihrer Eltern angesteckt, wandten sich Anfang der 1980er-Jahre ihrer eigenen Generation zu und erwarben Werke von u.a. Werner Büttner, Günther Förg, Isa Genzken, Georg Herold, Martin Kippenberger, Meuser, Albert Oehlen und Franz West. Später wurde die Sammlung um Positionen der 1990erund 2000erJahre erweitert. Künstler wie Kai Althoff, Michael Beutler, Cosima von Borin, Clegg & Guttmann, Mark Dion, Michael Krebber oder Heimo Zobernig, die einen konzeptuellen oder vom Kontext abhängigen Ansatz verfolgten, fanden so ihren Weg in die Sammlung. Der KUNSTRAUM GRÄSSLIN und die ca. zwanzig externen RÄUME FÜR KUNST können nach Vereinbarung im Rahmen eines geführten Rundgangs besichtigt werden. Weitere Informationen finden Sie unter: www.sammlung-graesslin.eu. Terminvereinbarung unter Tel.: 07724/9161805 oder per e-Mail an: info@sammlung-graesslin.eu. 79


Energieversorgung Südbaar (esb) Ein Energieversorger schreibt seit 35 Jahren Erfolgsgeschichte von Bernhard Lutz Die Energiewende war noch nicht in Sicht, als auf der Südbaar 1986 ein neuer Energieversorger seinen Betrieb aufnahm, der eine Erfolgsgeschichte schrieb, die vor allem drei Kommunen eine Perspektive bis weit in das 21. Jahrhundert ermöglicht. Die Rede ist von der Energieversorgung Südbaar (esb). Mit der Stadt Blumberg und dem damaligen Kraftwerk Laufenburg gingen 1986 zunächst zwei Gesellschafter eine gleichberechtigte Partnerschaft ein, von denen der eine, die Stadt Blumberg, aus dem öffentlichen Bereich stammte und der andere aus der Privatwirtschaft. Ein Modell, das später noch häufig Schule machte. 94 Wirtschaft


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Mit der „Stromfusion der Südbaar“ wurde die Energieversorgung Südbaar im Jahr 2016 von der ursprünglichen GmbH zu einer GmbH & Co.KG erweitert. Die Zahl der Gesellschafter wuchs von zwei auf vier, neue Gesellschafter waren die Städte Hüfingen und Bräunlingen, die jeweils 20 Prozent des Stammkapitals halten. Blumberg und die Energiedienst AG hielten zunächst jeweils 30 Prozent, später verkaufte die Stadt Blumberg zehn Prozent ihrer Anteile an die Energiedienst AG. Seither haben die drei Kommunen jeweils 20 Prozent und die Energiedienst AG 40 Prozent. Damit ist die Energieversorgung Südbaar in ihrer heutigen Ausprägung ein kommunal dominierter Stromversorger. Dies war auch das erklärte Ziel der Bürgermeister für die Stromfusion. Ursache für die Gründung war die Weberei Lauffenmühle Die Ursachen für die Gründung einer Energieversorgung reichen weit zurück. Im Dezember 1950 eröffnete der aus Schlesien stammende Fabrikant Gustav Winkler auf der Südbaar mit der Lauffenmühle in Blumberg Europas modernste Taschentuchweberei. Um den benötigten Dampf für die Weberei, in der bis zu 800 Menschen arbeiteten, zu erzeugen, wurde im Kesselhaus der Lauffenmühle Kohle verfeuert. Wenn in Blumberg damals Ostwind herrschte, wurde die Wäsche auf der Leine schwarz, ein Ärgernis. Blumbergs damaliger Bürgermeister Werner Gerber wollte dies ändern, ihm schwebte vor, Blumberg mit Erdgas zu versorgen. Als er für seine Idee um Unterstützung warb, wurde er vielfach belächelt, ein derartiges Vorgehen auf dem „flachen Land“ hielten viele für undenkbar. Doch Werner Gerber war keiner, der so schnell aufgab. 1976 hatte er schon der städtischen Museumsbahn Wutachtal allen Unkenrufen zum Trotz zur Taufe verholfen, zehn Jahre später gründete er mit dem Kraftwerk Laufenburg die Energieversorgung Südbaar. Den Durchbruch erzielte Gerber bei seinen Verhandlungen mit der Gasversorgung Süddeutschland (GVS). Er erreichte, dass für den Bau der Gasleitung Zuschüsse nach Blumberg flossen. Die Gasversorgung Süddeutschland machte allerdings zur Bedingung, dass Das Firmengebäude der Energieversorgung Südbaar in der ehemaligen Weberei Lauffenmühle in Blumberg. 96 Wirtschaft


Mit seinen drei Sparten Strom, Gas und Nahwärme ist die esb nach wie vor gut unterwegs und rüstet sich für die Zukunft. Edmund Martin die Gasleitung bis zu Bräunlingens Stadtteil Döggingen verlegt werde, damit dort der Ringschluss mit der Gasleitung der Freiburger Elektrizitätswerke (FEW, heute Badenova) erfolgen könne. Die Entwicklung gibt den Gründern bis heute Recht. Bereits 1987 wird das Erdgasnetz für die Ortsnetze Blumberg und Hüfingen angeschlossen, im August wird an der Druckregelstation Blumberg-Nordwerk die erste Gasflamme entzündet. Bis Ende 1989 verwirklicht die esb auch den Abzweig der Gashochdruckleitung nach Döggingen. 1993 begannen die Planungen zur Nahwärmeversorgung im Neubaugebiet Kehr ob der Kehr. 1998 zieht die esb von ihren ersten Räumen in der Vogtgasse in die ehemalige Heizzentrale der Lauffenmühle, die zum Bürogebäude umgestaltet wurde mit dem 21 Meter hohen Kamin als Blickfang. Edmund Martin, der die Geschäfte führt, zeigt sich optimistisch. Mit seinen drei Sparten Strom, Gas und Nahwärme ist der Versorger nach wie vor gut unterwegs und rüstet sich für die Zukunft. Wie die esb trotz ihres eng begrenzten Versorgungsgebiets wirtschaftet, zeigen die Zahlen. In den letzten Jahren konnte der Gewinn gesteigert werden, berichtet Geschäftsführer Edmund Martin. Für dieses Jahr werde ein Gewinn im mindestens höheren sechsstelligen Bereich erwartet, so Martin. Den größten Anteil am Gewinn liefert die Sparte Strom mit 60 Prozent des Gesamtgewinns, gefolgt vom Gas. Größere Investitionen Für das Jahr 2021 stehen im Strombereich größere Investitionen für den Netzausbau und das Erneuern von Bestandsleitungen an. Der größte Brocken ist mit Edmund Martin, Geschäftsführer der esb. über 600.000 Euro für die Erdverkabelung der bisherigen Freileitung von Döggingen nach Mundelfingen vorgesehen. Das Vorhaben werde schon seit Längerem diskutiert und würde die Versorgungssicherheit von Mundelfingen deutlich verbessern. Ein weiterer sechsstelliger Betrag ist für Trafo-Stationen angesetzt. Für den Ausbau und die Erschließung von Neubaugebieten sind weitere 200.000 Euro im Plan. Etwa 155.000 Euro sollen im Gasbereich für den Netzausbau im gesamten Netzgebiet investiert werden. Davon erfolgten und erfolgen in Hüfingen gewisse Netzausbaumaßnahmen im Zuge der Sanierung der Schaffhauser Straße. Ein weiterer Investitionsanteil in einem mittleren fünfstelligen Betrag fließt noch in das Messwesen sowie in den Erhalt und die technische Optimierung von Regelund Verteilstationen. Energieversorgung Südbaar 97


„Als Energieversorger haben wir den Vorteil, dass wir ausschließlich Strom aus Wasserkraft beziehen. Und: Das Unternehmen investiert Geld in Maßnahmen um die CO2-Emissionen zu reduzieren.“ Edmund Martin Für den Geschäftsbereich der Wärmeversorgung sind über 500.000 Euro für die Sanierung der Heizzentralen eingeplant. Für den Schulcampus in Blumberg soll die Heizzentrale bei der Realschule auf den neuesten Stand gebracht werden, und die Wohnbebauung des Lauffenmühle-Areals wird an die Heizzentrale in der Leo-Wohleb-Straße angeschlossen. Bekenntnis zur Region Wichtig ist Beschäftigten wie Gesellschaftern das Bekenntnis zur Region, betont Edmund Martin. „Wir bemühen uns, so gut wie möglich in der Region einzukaufen.“ Thema Energiewende: Wo sieht der Geschäftsführer den Beitrag zum Umweltschutz? „Als Energieversorger haben wir den Vorteil, dass wir ausschließlich Strom aus Wasserkraft beziehen.“ Und: Das Unternehmen investiere Geld in Maßnahmen um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Der Fuhrpark werde auf dem aktuellsten Stand mit kleinem Schadstoffausstoß gehalten und wo möglich auf Elektro-Autos umgestellt, so Edmund Martin, er selbst fahre auch ein Elektroauto. „Wir schauen, dass wir unnötige Fahrten vermeiden und Einsätze so koordinieren, dass sie benzinsparend sind.“ Im Büro seien sie auf Öko-Papier umgestiegen, achteten auf die Reduktion von Papier, Ziel sei das papierlose Büro. Durch gezielte Maßnahmen und Unterstützung verschiedenster Institutionen dieser Region soll zukünftig die Bindung zum örtlichen/regionalen Versorger wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden und somit auch der Stellenwert und die Verantwortung des Energieversorgers. So erlebten Hüfingen und Bräunlingen die Entwicklung Die Nachbarstädte Hüfingen und Bräunlingen waren in die Entwicklung der Energieversorgung Südbaar mit einbezogen. Bräunlingens damaliger Bürgermeister Jürgen Guse, der ab 1. Januar 1986 insgesamt 32 Jahre im Amt war, war als Bürgermeister zugleich kaufmännischer Werkleiter der Stadtwerke Bräunlingen mit der Stromversorgung und der Wasserversorgung. Die esb lieferte Bräunlingen zwar Gas, im Strombereich gingen Bräunlingen und Hüfingen zunächst einen eigenen Weg und gründeten zusammen mit der EGT Triberg den Energiezweckverband Baar (EV Baar). Wegen der wirtschaftlich schwieriger werdenden Situation auf dem Strommarkt wurden letztlich Gespräche mit neuen vorstellbaren Partnern geführt, die dann mit der Energieversorgung Südbaar in Blumberg zum Erfolg führten. Diese neu formierte esb sei schlagkräftig genug im derzeitigen Wettbewerb, und ihr Versorgungsgebiet umfasst 25.000 Einwohner und damit eine ausreichende Anzahl an potenziellen Kunden, erklärt Jürgen Guse. Durch das Zusammengehen auf der Südbaar seien Synergieeffekte entstanden, die sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirkten. Jedoch gibt es immer mehr Eigenstromerzeugung durch Solaranlagen, und auch wegen der Windkraft verändert sich stetig der Strommarkt. Durch Eigenverbrauch der Solaranlagen werden weniger Strommengen durch die Netze geleitet und dadurch weniger Netznutzungsentgelte erzielt. Deshalb gehe man in der Strombranche davon aus, dass neue Geschäftsfelder Oben rechts: Alexander Wojda und Mike Baier (esb) bei Freileitungsarbeiten in Uttenhofen. Unten rechts: René Wurzer (esb) bei einer Leitungsinbetriebnahme im Neubaugebiet „Bregenberg“ in Bräunlingen. 98 Wirtschaft


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„Die esb ist das Gegenteil eines anonymen Großkonzerns. Bei der esb weiß ich, wer sich um mein Anliegen kümmert.“ Michael Kollmeier Bürgermeister Hüfi ngen „Gerade im stark regulierten Strommarkt, ist es wichtig, einen gut aufgestellten Regionalversorger zu haben.“ Markus Keller Bürgermeister Blumberg „Der Zusammenschluss der EV Baar mit der esb war ein richtiger Schritt, um am Markt weiterhin erfolgreich unterwegs zu sein.“ Micha Bächle Bürgermeister Bräunlingen „Auf der Südbaar gehen wir gemeinsam die Herausforderungen der Energiewende im Einklang mit dem Klimaschutz an.“ Dr. Jörg Reichert Vorsitzender der Geschäftsleitung der Energiedienst Holding AG kreiert werden müssen als Kompensation für andere wegfallende Einnahmen. Ähnliches erlebte Hüfingens damaliger Bürgermeister Anton Knapp, der ab 1989 im Amt war, die Entwicklung. Der Kontakt zur esb bestand bereits durch den Konzessionsvertrag seines Vorgängers Max Gilly für die Gasversorgung in Hüfingen. Die ersten Überlegungen, den zwischenzeitlich gegründeten Zweckverband der Stadtwerke Hüfingen und Bräunlingen mit der EGT Triberg aufzulösen und die beiden Stadtwerke für die Stromversorgung mit der esb zu fusionieren entstand wenige Jahre vor Ende seiner Amtszeit und der seines Kollegen Jürgen Guse. Um wirtschaftlich weiterhin erfolgreich zu sein, hätten sie sich mehrere Varianten überlegt und umgeschaut. Am Ende war für sie klar, dass die Fusion mit der esb die richtige Lösung ist. „Denn so war der Sachverstand und das Knowhow für diesen durchaus schwierigen Markt im völlig liberalisierten Umfeld gesichert.“ Und die kommunale Seite besaß die Mehrheit. Gesellschafter schätzen die Vorteile ihres gemeinsamen Unternehmens Für Blumbergs Bürgermeister Markus Keller ist die esb ein wichtiger Versorgungsbaustein: „Gerade im stark regulierten Strommarkt, ist es wichtig einen gut aufgestellten Regionalversorger zu haben. Gemeinsam mit Hüfi ngen, Bräunlingen und dem Energiedienst sind wir hervorragend für die Zukunft gerüstet. Kurze Wege für die Bürger und eine verlässliche Versorgung sind ein Segen für die Südbaar.“ Hüfingens Bürgermeister Michael Kollmeier betont: „Die esb ist das Gegenteil eines anonymen Großkonzerns. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht mindestens ein Fahrzeug der esb in Hüfingen und Umgebung sehe. Arbeiten am Stromnetz oder vor Ort beim Kunden nehme ich 100 100 Wirtschaft


Thomas Fuhrer (esb) bei Kontrollarbeiten in der Gasstation in Döggingen. oft wahr. Dann merke ich: Bei der esb weiß ich, wer sich um mein Anliegen kümmert. Die esb hat die letzten fünf Jahre genutzt, um zusammenzuwachsen. Besonders gefreut habe ich mich über den 3-Städte-Tarif der esb. Hier wird deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger in Hüfingen und der Südbaar bei der esb den richtigen Ansprechpartner finden.“ Bräunlingens Bürgermeister Micha Bächle bewertet die esb so: „Der Zusammenschluss der EV Baar mit Bräunlingen und Hüfingen mit der esb in Blumberg war ein richtiger Schritt, um am Markt weiterhin erfolgreich unterwegs zu sein. Die esb ist ein regionaler und lokal verankerter Energieversorger, dessen Wertschöpfung am Ende allen Bürgerinnen und Bürgern zu Gute kommt. Kurze Wege zum Kunden sind unser Vorteil. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist uns wichtig. Gemeinsam können wir mehr erreichen als alleine.“ Jörg Reichert, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Energiedienst Holding AG, würdigt das gemeinsame Unternehmen so: „Wir schätzen die esb und die Zusammenarbeit mit den Kommunen sehr. Die Bürgerinnen und Bürger haben ihre bekannten Ansprechpartner vor Ort und mit der Energiedienst Holding AG einen starken Energieversorger im Rücken. So gehen wir gemeinsam auf der Südbaar die Herausforderungen der Energiewende im Einklang mit dem Klimaschutz an.“ Energieversorgung Südbaar 101


GEBR. FALLER GMBH Die ganze Welt im Modellbaumaßstab Die Brüder Hermann und Edwin Faller aus Gütenbach haben vor 75 Jahren mit Baukästen den Grundstein dafür gelegt, dass sich heute jeder Modellbauer seine Welt zuhause nachbauen kann. von Roland Sprich 102 Wirtschaft


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rem. Hermann, gelernter Mechaniker und technisch versiert, Edwin der eher kreative Typ, ergänzen sich in hervorragender Weise. Sie erinnern sich an ihre eigene Kindheit, in der sie von Baukästen fasziniert waren und sich stundenlang damit beschäftigen konnten. Sie entwickeln den Modellbaukasten „Marathon“, mit der Idee, aus vielfältig nutzbaren, einzelnen Bauteilen eine kleine Stadt aufzubauen. Aus Holz, das im Schwarzwald ja ausreichend vorhanden war und bedruckter Pappe wurden erste Häuser als Baukasten entwickelt. Die bereits detailreich bedruckten Wände konnten dank Rastersystem auch von kleinen Kinderhänden mühelos zusammengesteckt werden. Zu den ersten Modellen, verschiedenen Siedlungshäuschen, gesellten sich schnell weitere Häusermodelle. Bald gab es sogar eine Mühle mit angetriebenem Mühlrad und eine Kirche mit funktionierendem Geläut, dank der technischen Innovationskraft von Hermann, dem Tüftler, der zeitweise bei Bosch in Stuttgart arbeitete. In der kleinsten Gemeinde im Schwarzwald-Baar-Kreis, in Gütenbach, ist die Welt im Modellbaumaßstab zuhause. Hier ist der Stammsitz der Gebr. Faller GmbH. Und hier entstehen seit 75 Jahren Miniaturwelten, die die Herzen von Modelleisenbahnfans höher schlagen lassen. Die Produkte der Firma Faller lassen eine Modellbahnlandschaft erst richtig lebendig werden. Häuser und Landschaften, Figuren und seit 1988 auch selbst fahrende Fahrzeuge hauchen jeder Modellbahn Leben ein. Der eigenen Fantasie und den Wünschen der Gestalter setzen dabei höchstens der zur Verfügung stehende Platz und das Budget Grenzen. Die Brüder Edwin (oben) und Hermann Faller. Von Topfuntersetzern zum Modellbaukasten „Marathon“ Begonnen hat alles 1946. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, von aufstrebender Wirtschaft, geschweige denn einem Wirtschaftswunder ist noch lange nichts zu spüren. Edwin Faller, 32, und sein ein Jahr jüngerer Bruder Hermann, kehren wieder in ihren Heimatort Gütenbach zurück. Sie wollen gestalten, kreieren, mithelfen, die Wirtschaft anzukurbeln. Doch welche Produkte brauchen die Menschen jetzt am dringendsten? In der kleinen, in ihrem Elternhaus in der Gütenbacher Kreuzstraße eingerichteten, Werkstatt starten sie mit der Produktion von Kämmen und Topfuntersetzern, Alltagsgegenständen, die in jedem Haushalt gebraucht werden. Doch die beiden tüfteln an GrößeDie Währungsreform 1948 brachte für die junge Firma einen kurzen Knick in den Bilanzen. Das Unternehmen berappelte sich schnell und die Modellpalette wuchs. Ab der Präsentation auf der ersten Spielwarenmesse in Nürnberg spielte der maßstabsgetreue Modellbau eine Rolle. Die Gebäude wurden immer detailreicher und filigraner gefertigt. Erst durch die Gebäude und weiteres Zubehör erwachen die Modelleisenbahnanlagen der namhaften Hersteller, Märklin und Fleischmann, zum Leben. Zu Bahnhöfen und Stellwerken gesellten sich Häuschen und Kirchen, die der Mittelpunkt jeder Anlage wurden. Dazu Bäume und Streumaterial. 1953 bestand das Sortiment aus 90 Artikeln, darunter zehn Bahnhöfe. Als Mitte der 1950er-Jahre die ersten Kunststoffspritzgussmaschinen auf den Markt kommen, nutzen die Fallers diese neue Technik sofort für sich. Der erste Modellbaukasten „Marathon“ beeindruckte mit seinen vielfältig nutzbaren, einzelnen Bauteilen. 104 Wirtschaft


Es geht uns heute richtig gut. Die Entwicklung hat sich aber schon in den letzten Jahren abgezeichnet, weil es uns durch gute Kommunikation und spannende Produkte gelungen ist, verstärkt neue Kunden, besonders jüngere Familien und Wiedereinsteiger, zu gewinnen. Die Corona-Pandemie hat dieser Entwicklung zusätzliche Impulse gegeben. Horst Neidhard, Geschäftsführender Gesellschafter Von nun an konnten die Bauteile, die bisher in mühevoller Handarbeit gefertigt wurden, maschinell und somit zeitund kostensparender und in höherer Stückzahl produziert werden. Innerhalb weniger Jahre wurden die Modellbauhäuschen nunmehr komplett als Fertigbausatz hergestellt. Für den Konsumenten bedeutet dies einerseits Kostenersparnis. Andererseits kommt nun ein weiterer Spaßfaktor, nämlich der des Selbst-Zusammenbauens dazu. Daran hat sich bis heute nichts mehr verändert. Wer die Verpackung eines Faller-Bausatzes öffnet, bekommt alle Teile konfektioniert. Das können, je nach Modell mal ein paar Dutzend oder aber, wie beispielsweise bei dem des Klosters Bebenhausen, bis zu 1.500 EinzelHier, mitten in Gütenbach, steht das Werk der Firma Gebr. Faller GmbH, die seit 75 Jahren die ganze Welt im Modellbaumaßstab entstehen lässt. Gebr. Faller GmbH 105


teile sein, die der Modellbauer zunächst fein säuberlich von dem Kunststoffspritzling abtrennen muss. Modellbau – ein Hobby für Erwachsene Die Gemeinschaft der Modellbauer wächst seit einigen Jahren wieder stetig. Und ausgerechnet die CoronaPandemie hat den Effekt verstärkt. „Die Menschen hatten plötzlich wieder mehr Zeit, um sich entweder ihrem Hobby, das in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde, wieder mehr zu widmen. Oder sich die Modellbahn als neues Hobby zuzulegen“, erklärt Francisco Hoyo von der Marketingabteilung des Unternehmens, der sich über die neue Klientel natürlich freut. Der typische Modellbaukunde von Faller ist 40 plus. Ein Alter, in dem die eigenen Kinder groß sind, und man beruflich gefestigt ist und einen Ausgleich zum Arbeitsalltag sucht. Modellbauer befinden sich übrigens in prominenter Gesellschaft. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat eine, der Sänger Rod Stewart ebenfalls. Beide sind bekennende Modelleisenbahnfans. Damit die Modelloberflächen heute so detailgetreu wie möglich hergestellt werden können, gibt es bei Faller fünf Mitarbeiter im Werkzeugbau, die die filigranen Werkzeuge herstellen. Das Kunststoffgranulat, das sich mit den Grundfarben zu bis zu tausend möglichen Farbvariationen mischen lässt, wird in der Spritzgussmaschine erwärmt und mit Druck in die Werkzeuge gepresst, am Ende kommen Seitenwände, Dächer, Fenster und alle anderen Komponenten heraus. „Wir haben etwa 15.000 Spritzwerkzeuge und Vorrichtungen“, verrät Christoph Spitz, Meister des Werkzeugbaus. „Wir haben etwa 15.000 Spritzwerkzeuge und Vorrichtungen“, verrät Christoph Spitz, Meister des Werkzeugbaus. „Neben unseren eigenen Ideen und Vorstellungen bekommen wir unglaublich viele Vorschläge und Anregungen von unseren Kunden“, so Manfred Danner, CAD-Konstrukteur und Modellbauermeister. Seit jeher gleicht es einem Ritterschlag, wenn Faller ein Objekt im Modellmaßstab nachbaut Heute besteht das Sortiment aus weit über 2.000 Produkten. Abgedeckt werden dabei jedwede vorstellbare Themenfelder. Modellbaufans können heute auf ihren Anlagen praktisch das gesamte gesellschaftliche Leben abbilden. Regionalund länderspezifisch ist dabei der Schwarzwaldhof mit Strohdach ebenso vertreten wie das hanseatische Speicherhaus, die holländische Mühle und der nordfriesische Leuchtturm. Und wer will, kann seine Modelleisenbahn durch verschiedene Epochen fahren lassen. Zudem lassen sich auch ganze Szenarien nachbauen, so gibt es das brennende Finanzamt ebenso wie eine komplette Kirmes. Die Detailverliebtheit der Konstrukteure lässt einen den Duft von gebrannten Mandeln und Zuckerwatte direkt erahnen. Woher kommen die Ideen für die Modelle und welche Arbeitsprozesse müssen durchlaufen werden, ehe ein neues Produkt überhaupt auf den Markt kommt? Das verrät Manfred Danner CAD-Konstrukteur und Modellbauermeister. „Neben unseren eigenen Ideen und Vorstellungen bekommen wir unglaublich viele Vorschläge und Anregungen von unseren Kunden“, sagt er. Aus diesem Ideenpool werde geschaut, in welches Themenfeld das passen könnte und ob es sich realisieren lässt. Dann geht es an die eigentliche Arbeit. Wo es möglich ist, werden bei öffentlichen und historischen Gebäuden 106 Wirtschaft


Originalzeichnungen und Grundrisspläne organisiert. Das funktioniert meist problemlos. „Wir werden in den allermeisten Fällen sehr gut unterstützt. Schließlich ist jede Behörde und jedes Unternehmen stolz, wenn wir ihr Gebäude als Modell nachbauen wollen“, sagt Danner. Seit jeher gleicht es einem Ritterschlag, wenn Faller ein Objekt für geeignet erachtet, im Modellmaßstab nachgebaut zu werden. Aus den zur Verfügung stehenden Skizzen und Plänen und jeder Menge Fotomaterial und Internetrecherchen fertigen die Konstrukteure dann Oben: Manfred Danner ist CAD-Konstrukteur und Modellbauermeister bei der Firma Faller. Aus den vielen Vorschlägen von Kunden und den Ideen aus eigenen Reihen werden neue Modelle mit Hilfe von Originalzeichnungen und Fotos zunächst am Rechner entworfen. Unten links: Aus Granulat, das in schier unendlich viele Farben eingefärbt werden kann, werden die Spritzgussteile hergestellt. Unten rechts: Ein Mitarbeiter der Kunststoffspritzerei begutachtet ein fertiges Teil, das aus der Spritzgussmaschine kommt. Gebr. Faller GmbH 107


eine CAD-Zeichnung an, die auf den jeweiligen Modellbaumaßstab, beispielsweise für H0 in den Maßstab 1:87 umgerechnet wird. Danach werden die Werkzeuge angefertigt und dann laufen die Spritzgussdruckmaschinen auf Hochtouren. Schon bald ist das fertige Modell tausendfach erhältlich. Dieser Vorgang dauert, je nach Größe und Aufwand, zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten. So wie beim Schloss Bran, dem Jubiläumsmodell, das Faller anlässlich seines 75-jährigen Bestehens als exklusive Sonderedition aufgelegt hat und das erst seit Herbst 2021 erhältlich ist. Das „Dracula-Schloss“ steht im Original in Siebenbürgen und besteht aus 1.100 Einzelteilen. „Früher hätte jemand extra eine Reise dorthin unternehmen müssen und das Schloss und alle Details aus allen Blickwinkeln fotografieren müssen. Heute reicht ein Blick ins Internet“, erzählt Danner, Andreas Reinbold ist Schauanlagengestalter. Er erzeugt mit Landschaften, Vegetation, Menschund Tierfiguren und viel Zubehör den Effekt, der beim Betrachter die Vorstellung auslöst, wie das Modell auf der Anlage wirkt. wie die Arbeit für den detailgenauen Modellbau um einiges einfacher geworden ist. Auch das eigene Haus kann mittels 3D-Druck im Modell eingebettet werden Überhaupt nutzt Faller die modernen Technologien für den Bau seiner Modelle. Wer auf seiner Modellbahnanlage als Gag sein eigenes Wohnhaus platzieren möchte, kann dies tun, dem modernen 3D-Druck sei Dank. Er muss seine Daten nur übermitteln und erhält sein Haus kurze Zeit später als 3D-Druck. Die Züge sind heute längst nicht das einzige, das auf Modellbahnanlagen fährt. Mit dem Car System hat Faller schon vor Jahren ein System entwickelt, mit dem auch Fahrzeuge auf den Straßen selbständig unterwegs sind. Heute bewegen sich Lastwagen, Omnibusse, Feuerwehrfahrzeuge und Vieles mehr digital gesteuert. Inklusive Lichtund Soundfunktionen wie Fahrund Bremslichter, Blinker, Hupe. Bei Einsatzfahrzeugen ertönt sogar das Martinshorn. Damit ein neues Modell im Gesamtkatalog, der inzwischen mehr als 500 Seiten umfasst, nicht nur 108 Wirtschaft


Oben: Auf den Modellbahnanlagen werden die unterschiedlichsten Themenbereiche abgedeckt. Hier ein Containerterminal für eine Hafenlandschaft. Mitte und unten: Mit dem Car System hat Faller schon vor Jahren ein System entwickelt, mit dem Fahrzeuge selbstständig auf den Straßen unterwegs sind. als nüchterner Gegenstand dargestellt wird, betten Landschaftsbauer das Modell in die jeweilige Umgebung ein. Dafür ist unter anderem Andreas Reinbold verantwortlich. Der Schauanlagengestalter erzeugt mit Landschaften, Vegetation, Menschund Tierfiguren und viel Zubehör den Effekt, der beim Betrachter die Vorstellung auslöst, wie das Modell auf der Anlage wirkt. Nach einem dunklen Kapitel der Firmengeschichte 2009, als das Unternehmen Insolvenz anmelden musste, sich aber schnell erholte, ist Faller im Jubiläumsjahr zu seinem 75-jährigen Bestehen sehr erfolgreich. Gefeiert werden konnte das 75-jährige Firmenjubiläum bisher noch nicht. Über Besuch freuen sich die Mitarbeiter dennoch. In der Ausstellung von Faller Miniaturwelten können Besucher die Neuheiten bestaunen und sehen, was ihnen zur Optimierung ihrer eigenen Anlage noch fehlt. Und mit Hilfe der Modellbauprofis ihre Wunschwelt im Maßstab 1:87, N, Z oder im Gartenbahnmaßstab verwirklichen. Gebr. Faller GmbH 109


WAHL Führender Global Player der Haarschneide technik von Wilfried Dold und Elke Reinauer 80 3. Kapitel – Wirtschaft


Die WAHL GmbH ist als weltweit führender Spezialist für Haarschneidemaschinen mit ihren Produkten in 70 Ländern der Welt vertreten. Das Unternehmen beschäftigt am Standort Unterkirnach über 270 Mitarbeiter, macht mehr als 80 Mio Euro Umsatz und steht im 75. Jubiläumsjahr der früheren MOSER GmbH vor grundlegenden Veränderungen: WAHL siedelt von Unterkirnach nach Peterzell über, wo unmittelbar an der B 33 für einen zweistelligen Millionenbetrag ein großzügig dimensionierter, architektonisch gelungener Neubau mit einem Produktions-, Büround Logistikgebäude entsteht. „Der Umzug ist ein klares Bekenntnis von WAHL zum Standort Schwarzwald und zur Schwarzwälder Handwerkskunst“, unterstreichen die Geschäftsführer Jörg Burger und Gökhan Yilmaz. Kuno Moser gründete seine Firma 1946 in Unterkirnach und stieg mit seinen innovativen Haarschneidemaschinen zum Marktführer in Europa auf. 1996 wird MOSER im Zuge einer Nachfolgeregelung von der amerikanischen WAHL Clipper Corporation, mit Sitz in Sterling/Illinois übernommen. Die Produkte der Marke MOSER werden bis heute weltweit erfolgreich vertrieben. Ebenso die Tierhaarschneidemaschinen für Haus und Großtiere. 81


Kernkompetenz: Innovative Schneidsatz-Technologie Ein leises Klicken, ein sonores Surren, und schon kann es losgehen: Die Haarschneidemaschine läuft und summt leise in der Hand des Friseurs. Der Kunde sitzt entspannt im Salon, der Apparat wird angesetzt zum perfekten Schnitt, exakten Trimm oder zur kunstvollen Frisur. Welch intensive Entwicklungs arbeit, hochwertige Technologie und Präzision in diesen kleinen Maschinen steckt, sieht man ihnen auf den ersten Blick nicht an. Die MOSER-Maschinen sind Hightech-Produkte der Fein mechanik und Mikroelek tronik, vereinen als klassische mechatronische Pro dukte zwei Welten in sich. Hergestellt werden sie teils voll-, teils halbautomatisch – es wird in Unter kirnach gestanzt, geschliffen, geschärft und montiert. Die technologische Kompetenz von WAHL ist herausragend. Wer an der Weltspitze der Haar schneide technik steht und sich diese Position dauerhaft Die Produkte von MOSER zeichnen sich besonders durch den Schneidsatz aus, in dem die geballte Kompetenz des Unternehmens steckt. Die Präzisionsschneidsätze „Made in Germany“ sind für sämtliche Anforderungen des Friseur alltages entwickelt. Ob kurzes Haar, sanfte Übergänge und Übergänge ins längere Haar über Kamm, den Anforderungen der Profis wird in vollem Umfang Rechnung getragen. Der Schneidsatz ist die Kernkompetenz des Unternehmens – das ist echte Schwarzwälder Handwerkskunst, betonen die Geschäftsführer Gökhan Yilmaz und Jörg Burger. Die Schneidsätze fertigt die WAHL GmbH ausschließlich in Unterkirnach. sichern will, der muss stetig forschen und entwickeln. Das fängt bei der Lautstärke und dem Klang des Rasiergeräusches an. Aber auch wie die Maschine in der Hand liegt, wie oft sie anund ausgeschaltet wird oder wie lange ihr Akku durchhält, sind Aspekte, die wie selbstverständlich in die Entwicklungsarbeit einfl ießen. Im Mittelpunkt von Entwicklung und Fertigung steht der Schneidsatz. „Er ist die Kernkompetenz des Unternehmens. Unsere Schneidsätze sind kleine technologische Meisterwerke und echte Schwarzwälder Handwerkskunst“, betonen die Geschäftsführer Gökhan Yilmaz und Jörg Burger. Die Schneidsätze fertigt die WAHL GmbH ausschließlich in Unterkirnach. Bei deren Herstellung triff t vollautomatische Hightech-Produktion auf präzise Handarbeit und am Ende stehen strenge Qualitätskontrollen. Das WAHL-Portfolio umfasst über 30 Produktgruppen an Haarschneidesowie mehr als zehn an Tierhaarschneidemaschinen – und es gibt zudem zahlreiche Varianten. Diese Vielfalt wird weltweit nachgefragt, die Haarschneidemaschinen aus Unterkirnach haben einen Siegeszug in 70 Ländern angetreten. Den größten Umsatzanteil macht dabei der Mittlere Osten aus, gefolgt von Russland, Deutschland sowie Spanien, Italien und Frankreich. Neben Produkten der Marke MOSER, die in Unterkirnach produziert werden, vertreibt das Unternehmen auch die in den USA gefertigten Haarschneidemaschinen der Marke WAHL. 82 Wirtschaft


Die Geschäftsführer Jörg Burger und Gökhan Yilmaz (rechts). 1946 gegründet – Mit innovativen Haarschneidemaschinen zum Erfolg Ingenieur Kuno Moser trägt sein Unternehmen zum Jahresende 1946 ins Villinger Handelsregister ein, vorher war es als Wolfgang Blessing KG 1938 gegründet worden. Der gebürtige Unterkirnacher war gelernter Feinmechaniker und Absolvent der Technischen Hochschule Berlin. Im Nachkriegswinter 1946/47 setzt er unter schwierigsten Bedingungen die Produktionsbaracken in Unterkirnach instand. Bald kann Kuno Moser wieder Drehteile, Mikrometer, Zerstäuber, Feuerzeuge oder andere im Nachkriegsdeutschland dringend benötigte Produkte herstellen. Die Belegschaft wächst rasch auf 20 Mitarbeiter. Mit der Ausrichtung auf elektrische Rasierapparate und Haarschneidegeräte findet MOSER jetzt seine Erfolgslinie: Ab 1956 produziert der Ingenieur erste Rasierapparate und ab 1959 startet bei MOSER die Entwicklung und Herstellung professioneller WAHL GmbH 83


Wegweisend ist die 1972 begonnene Zusammenarbeit mit dem Versandhaus Quelle. MOSER wird zum Synonym für Haarschneidemaschinen. Haarschneidemaschinen. Das erste Modell trägt die Bezeichnung „Famos“ als Abkürzung für „Firma Moser“. Zugleich erweitert Moser sein Produktsortiment in den 1960er-Jahren durch die Herstellung von elektrischen Zahnbürsten und Massagegeräten. Produziert werden diese Produkte in einem Neubau am Unterkirnacher Roggenbachweg, in den das Unternehmen 1957 umzieht. Ab Mitte der 1960er-Jahre sind 150 Menschen bei MOSER beschäftigt. In diese Expansionsphase fällt der Rückzug des Unternehmensgründers: 1966 erwirbt die Familie Ebner aus St. Georgen die MOSER GmbH. Der unternehmerische Erfolg hat auch vielfache bauliche Auswirkungen auf den Produktionsstandort in Unterkirnach. Während des Booms der 1970er-Jahre erfolgen mehrere Erweiterungsbauten, 1981 dann entsteht der Fabrikneubau am Unterkirnacher Ortseingang. Von 1966 1994 liegt die Geschäftsführung in den Händen von Dipl. Ingenieur Albert Ebner. Zahlreiche Patente sichern dem Unternehmen eine hervorragende Marktposition. Unter der Regie von Albert Ebner beginnt u.a. die kabellose Arbeit im Friseursalon, der Akku-Betrieb der Geräte stellt ab 1970 eine grundlegende Erleichterung im Alltag der Friseure dar. Wegweisend auch die 1972 begonnene Zusammenarbeit mit dem Versandhaus Quelle. MOSER wird zum Synonym für Haarschneidemaschinen. Weitere Innovationen folgen – bis hin zum Lockenstab ZeeCurl. Mit Einführung der MOSER Animallinie erweitert die Unterkirnacher Firma 1975 ihr Sortiment um Schneidemaschinen für die Fellpflege von Tieren. 1985 beschäftigte MOSER bereits 280 Mitarbeiter – der Erfolg der professionellen Haarschneidegeräte und der Tierhaarschneidemaschinen hält an. Die Firmengründer Kuno Moser (1910 1975). Produktion bei MOSER in den 1970er-Jahren. stetige Aufwärtsentwicklung führte 1993 weiter zum Aufbau einer zweiten Produktionsstätte in Mosonmagyarovar/Ungarn. Die Geschichte der Kuno Moser GmbH ist aber auch eine tragische: Der Gründer Kuno Moser stirbt im Juni 1975 bei einem Flugzeugunfall. Ein halbes Jahr zuvor hatte ihm die Gemeinde Unterkirnach aufgrund seiner großen Verdienste um die Entwicklung des Ortes die Ehrenbürgerschaft verliehen. Eine Konsequenz der Internationalisierungsstrategie und der Nachfolgeregelung im Unterneh84 Wirtschaft


men ist 1996 schließlich der Zusammenschluss mit der amerikanischen WAHL Clipper Corporation, dem weltweit führenden Hersteller von Haarschneidemaschinen mit Sitz in Sterling, USA. 1996 übernimmt Greg Wahl aus der dritten Generation die Unternehmensleitung der Corporation, ihm folgt im Sommer 2019 Brian Wahl nach. Im Jahr 2002 firmierte das Unternehmen schließlich in WAHL GmbH um. MOSER 1400 – eine ganz besondere Erfolgsgeschichte Die Erfolgsgeschichte der WAHL GmbH hängt mit einem Produkt ganz besonders zusammen: der MOSER 1400 Haarschneidemaschine. Seit 1962 wurden von ihr in mehr als 100 Ländern der Erde insgesamt über 50 Millionen Stück verkauft! Pro Woche fertigt WAHL am Standort Unterkirnach etwa 40.000 Haarschneidemaschinen dieses Typs. Die Schneidsätze ermöglichen bis zu acht verschiedene Schnitttechniken. Den Klassiker schlechthin gibt es auch als 1400 Mini, als perfekten Trimmer. Die Geschäftsführer Gökhan Yilmaz und Jörg Burger: „Seit bald 60 Jahren steht dieses Erfolgsprodukt für unsere außergewöhnliche Qualität, für „Made in Germany“. Wir sind eine der wenigen Firmen, die solche Geräte noch in Deutschland herstellen.“ Auch darauf ist man bei WAHL besonders stolz, so die Geschäftsführer weiter. Das markante Design der MOSER 1400 betone die Langlebigkeit der Maschine. Ihre klassische, charakteristische Form sei seit 1962 unverändert. „Technisch allerdings bringen wir unseren Bestseller permanent auf den neuesten Stand“, so Jörg Burger. 75-jähriges Bestehen der Marke MOSER 2021 feierte WAHL das 75-jährige Bestehen der Marke MOSER. Dazu gab es – neben einem eigens kreierten Jubiläumslogo, diversen Werbematerialien und einer Social-Media-Kampagne – einen neuen Imagefilm, der die Entwicklung von der Gründung bis hin zur Positionierung als Innovationsführer aufzeigt. Das Jubiläum war mit viel Innovation verbunden – für die Friseurbranche entwickelte das Unternehmen eine neue Haarschneidemaschine. Ihr Name KUNO ist eine Hommage an den Firmengründer Kuno Moser. Zudem präsentierte MOSER die Die Schneidemaschine MOSER 1400. Von der Haarschneidemaschine wurden weltweit bereits über 50 Millionen Stück verkauft. WAHL GmbH 85


Modernes Hairstyling als Inspiration für Friseure – präsentiert von MOSER zum 75-jährigen Bestehen. Trendkollektion „ROOTS“, die auf noch nie da gewesene Weise kreative Haarstylings mit High Fashion, zeitgenössischer Kunst und traditionellen Elementen des Schwarzwaldes verbindet. Als Inspiration für Friseure wurden insgesamt neun kreative Looks gezeigt. Mehr als nur Haareschneiden Für Frauen ist der Friseurbesuch schon lange ein Wohlfühlerlebnis. Doch auch immer mehr Männer genießen eine Auszeit im Barbershop. „Da kann man schon mal eineinhalb Stunden verbringen“, weiß Geschäftsführer Gökhan Yilmaz. Jörg Burger fügt hinzu: „Dort sind Männer unter sich und lassen sich nicht nur einfach die Haare schneiden, sondern genießen nebenbei vielleicht noch ein Glas Whiskey und gute Gespräche.“ Die beiden Geschäftsführer besuchen selbst regelmäßig den Barbier. Aus den Social-Media Kanälen erfuhr Gökhan Yilmaz, dass sich einige Barbiere den Schriftzug WAHL als Tattoo stechen lassen. „Dass unsere Maschinen eine solche Begeisterung auslösen, freut uns“, so Yilmaz. Nicht nur das Handwerk wird von den Friseuren und Barbieren in Ehren gehalten, sondern ebenso das perfekte Handwerkszeug, das WAHL liefert. Eine ganze Szene samt Lifestyle entwickelte sich inzwischen um die Barbershops. Nicht nur das Handwerk wird von den Friseuren und Barbieren in Ehren gehalten, sondern ebenso das perfekte Handwerkszeug, das WAHL liefert. Jahrzehntelanges Wissen und Handwerkskunst stecken in den Produkten. Präzision, Liebe zum Detail und stetige Forschung sowie Austausch mit den Kunden machen die Haarschneidemaschinen einzigartig und begehrt bei Barbieren und Friseuren. 86 Wirtschaft


Leo J. Wahl: Erfinder der Haarschneidemaschine 1996 wurde die Kuno Moser GmbH im Rahmen einer Nachfolgeregelung von der WAHL Clipper Cooperation übernommen und ist seitdem eine Marke der Firma WAHL. Damit fanden zwei Pioniere der Fertigung von Haarschneidemaschinen zusammen: Leo J. Wahl erfand im Jahr 1919 die erste elektrische Leo J. Wahl Haarschneidemaschine in den USA. Diese entstand aus einem Massagegerät mit Elektromotor heraus, das der Erfi nder für seinen Onkel J. Frank Wahl entwickelt hatte. Die Geräte verkaufte Leo an Friseurläden und stellte dabei fest, dass man mit solch einem Motor auch Friseurwerkzeuge verbessern könnte – und erfand die elektrische Haarschneidemaschine. WAHL gründete in Sterling in den USA die Wahl Clipper Corporation. Sofort brachte die begehrte Haarschneidemaschine dem noch jungen Unternehmen viel Anerkennung und große Erfolge ein. Im Jahr 1925 folgte eine Weiterentwicklung: das Modell 89. Sie war das Vorgängermodell einer der später am besten verkauften Haarschneidemaschinen weltweit – des WAHL SUPER TAPER. Sogar bis ins All schafften es die Modelle der Firma WAHL: Die Haarschneidemaschinen von WAHL sind weltweit in den Friseursalons und Barbershops zu finden. Unten: Imposante Serie an WAHL-Haarschneidemaschinen. 2005 wurde eine von der NASA zertifi zierte Haarschneidemaschine für Raumfl üge hergestellt. Die Produkte der Firma WAHL werden hauptsächlich in den USA produziert, die der Marke MOSER im Schwarzwald. Pro Jahr kommen neue Maschinen und Produkte in verschiedenen Designs dazu. WAHL Clipper Corporation beschäftigt über 3.500 Mitarbeiter. Die Firmengruppe befi ndet sich bereits in der vierten Generation in Privatbesitz. 87


Fellpflege wird zum Kinderspiel mit den Tierschermaschinen von MOSER Animal. Kundennähe im Fokus – MOSER Animal Kontinuierliche Verbesserung ist seit der Gründung von MOSER ein Schwerpunkt der Firmenphilosophie. „Früher waren wir ein klassischer Hersteller: Wir haben produziert, verpackt, und unser Produkt auf den Markt gebracht“, blicken die Geschäftsführer zurück. Jetzt beschäftige man sich noch unmittelbarer mit den Bedürfnissen der Anwender. Was benötigen sie, was ist ihnen wichtig? Fellpflege wird zum Kinderspiel mit den Tierschermaschinen von MOSER Dreimal schon wurden MOSER Animal-Produkte von den Verbrauchern aus über 1.000 Marken zur „Nr. 1“ gewählt. Die ganze Vielfalt an Möglichkeiten der Tierpflege bietet MOSER seit nahezu einem halben Jahrhundert – egal ob es um Hundepfoten oder Pferde geht. 88 Wirtschaft


Animal. Die ganze Vielfalt an Möglichkeiten der Fellpflege bietet MOSER seit nahezu einem halben Jahrhundert. Die fachmännische Begleitung bzw. Anleitung der Fellpflege zu Hause ist heutzutage ein wichtiger Bestandteil für die Kunden und macht MOSER Animal zum vertrauensvollen Partner bei der Fellpflege zu Hause. Dreimal schon wurden MOSER Animal-Produkte von den 100.000 Verbrauchern aus über 1.000 Marken zur „Nr. 1“ gewählt. Bei der Erörterung dieser Fragestellungen entdeckte die MOSER GmbH weitere Wachstumschancen für die in den 1970er-Jahren begründete MOSER Animalline. In diesem Segment geht es in erster Linie um die Gesundheit von Haut und Fell der Tiere. MOSER entwickelte sich aufgrund der hohen Produktqualität zum Marktführer in Europa, so Jörg Burger. Durch die Coronapandemie sei die Nachfrage noch gestiegen, unterstreicht Gökhan Yilmaz, da sich viele Menschen ein Haustier zulegten. Die Corona-Situation zwang das Unterkirnacher Unternehmen zu einer noch intensiveren Onlinepräsenz – auch was die Produkte für die Tierpflege anbelangt. Die Online-Kurse zur richtigen Handhabung der Tierschermaschinen fanden einen enormen Zuspruch, der Informationsbedarf erwies sich als groß. Worauf man achten muss, wenn man das Fell seines Lieblings schert und wie man es richtig pflegt, zeigen zahlreiche Videos des firmeneigenen Youtube-Kanals. Gökhan Yilmaz: „Weltweit vertrauen Haustierbesitzer auf die Marke MOSER Animal, denn sie wissen: Hier ziept nichts, die Schur ist sicher in der Handhabung und MOSER hat für jede Anwendung sowie Felltyp eine sanfte Lösung.“ Produkte wie die MOSER Schermaschine Rex sind dabei der Klassiker schlechthin. Den hohen Stellenwert der Produkte dokumentiert die Auszeichnung „Brand of the Year“ beim Wettbewerb des World Branding Forum (WBF), einer globalen Non-Profit Organisation. Das Engagement für mehr Tierschutz gehört wie selbstverständlich gleichfalls dazu. Sei es zur Unterstützung des Rottweiler Tierheims bei der Auflösung einer illegalen Zuchtstation oder einer großzügigen Spende an den Nothilfefond des deutschen Tierschutzbundes in Höhe von 7.500 Euro anlässlich des 75-jährigen Bestehens von MOSER. Neben den Produkten für die Fellpflege zu Hause, liefert WAHL unter der Marke WAHL Professional Pet auch Lösungen für den professionellen Gebrauch, Präzise und elegant Vorbei sind die Zeiten, in denen Maschinen nur als ergänzende Rasiertools zum Einsatz kamen. Die neuen Modelle von MOSER wie die LIPRO2, CHROM2STYLE BLENDING EDITION und GENIOPRO spielen in einer höheren Liga. Sie verfügen über Präzisionsund Variationsmerkmale, die sie zu einem schönen und eleganten Werkzeug im Friseursalon werden lassen. Denn sie sind extrem genau in ihren Schnitttechniken. Der CORDLESS DETAILER Ins Portfolio der Five Star Serie von WAHL gehört außerdem der Trimmer CORDLESS DETAILER LI. Dank der sehr starken Lithium-Ionen-Batterie ist der neue CORDLESS DETAILER noch stärker als die klassische Version und rasiert mit einer sehr hohen Drehzahl. Die Haarschneidemaschine ist ideal für hautnahe Konturen und Detailarbeiten wie exakte, klare Linien. Haartrockner, Lockenstäbe und Glätteisen Auch Styling-Tools wie z. B. Haartrockner, Lockenstäbe und Glätteisen werden von MOSER produziert und vertrieben und finden immer mehr Absatz. Zum Beispiel der Haartrockner VENTUS PRO. WAHL GmbH 89


z. B. im Hundesalon oder in der Tierarztpraxis. Nicht nur Hunde und andere Heimtiere können mit Maschinen der WAHL GmbH gepflegt werden. Unter der Marke WAHL Professional werden – gemeinsam mit der Schwesterfirma Lister Shearing Equipment Ltd. aus Großbritannien – auch Fellpflegeprodukte für Großtiere, also Pferde, Ponys und Rinder, angeboten. Dabei ist der Anspruch, für möglichst viele Einsatzbereiche die optimale Lösung zu bieten: Für Hobbyund Profi-Anwender, für Detailbis zur Vollschur, für Pferd oder Rind. Abgerundet wird die Produktpalette mit Bürsten und Shampoos, um das gesamte Spektrum der Fellpflege abzudecken. Der Umzug nach Peterzell ist ein klares Bekenntnis von WAHL zum Standort Deutschland – und somit auch zum Schwarzwald. Jörg Burger und Gökhan Yilmaz „Wir bieten einen 360-Grad-Ansatz“ Man verkaufe mehr als eine Maschine, nämlich Emotion, ein Lebensgefühl. Kundennähe hat für die beiden Geschäftsführer deshalb in jeder Hinsicht eine hohe Priorität. „Sie war ein entscheidender Schritt, um die Marke voranzutreiben“, so Gökhan Yilmaz. „Wir bieten einen 360-Grad-Ansatz“, ergänzt Jörg Burger. Vom Kunden zur Entwicklung bis zum Service. „Bei uns bekommt man auch jemanden ans Telefon, wenn man Beratung oder Hilfe braucht.“ Der 360-Grad-Ansatz eröffne viele Möglichkeiten, sowie einen Reparaturservice für die Haarschneidemaschinen. Nachhaltigkeit: Wo immer möglich, die Verschwendung von Ressourcen vermeiden Ein wichtiges Thema ist Nachhaltigkeit. Wie kann man die Produkte umweltschonend verpacken? an der B ²² in Peterzell ca. ³´ Monate Standort: Bauzeit: Nutzfläche: ³².µ¶¶ m² davon: ³¶.¶¶¶ m² Produktion ².µ¶¶ m² Verwaltung 90 Wirtschaft


Jedes Detail ist bedacht – die Geschäftsführer Jörg Burger und Gökhan Yilmaz auf der Baustelle. Unten: Der WAHL-Standort in Peterzell, vorne die Produktion, hinten das Verwaltungsgebäude. 91


Blick in die hochmoderne Produktion. Umweltaspekte und Produktsicherheit sind bereits ein Bestandteil des Produktentwicklungsund Herstellungsprozesses. Deshalb wird für den gesamten Produktlebenszyklus, von der Herstellung bis zur Entsorgung, eine bediensichere und umweltverträgliche Lösung angestrebt. Das große Ziel dabei ist, die Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden und wo immer möglich der Umweltverträglichkeit die höchste Priorität einzuräumen. „Bekenntnis zum Standort Schwarzwald“ Seit 1946 wird in Unterkirnach produziert, nun steht der Umzug nach Peterzell an – ein Meilenstein der Firmengeschichte. In Unterkirnach, wo sowohl Entwicklung und Produktion als auch Vertrieb und Service ihren Sitz haben, platzt das Raumangebot seit Jahren aus allen Nähten. Da an diesem Standort nicht erweitert werden kann, entschied sich WAHL für den Neubau in Peterzell. Jörg Burger: „Der Umzug nach Peterzell ist ein klares Bekenntnis von WAHL zum Standort Deutschland – und somit auch zum Schwarzwald.“ Gökhan Yilmaz: „Es war ein riesiger Erfolg, den Mutterkonzern vom neuen Standort zu überzeugen. Wir werten diese Entscheidung als großen Vertrauensbeweis.“ Inzwischen verfügt der Mutterkonzern auf jedem Kontinent über einen Standort. Es wird international produziert, von China über Vietnam bis in die USA – und nun auch ab April 2022 in Peterzell. Das bisherige Gebäudegeflecht wird in Peterzell auf einen Standort konzentriert. Die Produktionsund Logistikbereiche umfassen rund 10.000 m¸, der Verwaltung bietet das neue Gebäude 3.700 m¸. Es entsteht eine moderne Arbeitswelt, die den Anforderungen von Produktion und Verwaltung ideal entspricht. Gökhan Yilmaz und Jörg Burger: „Eines der obersten Ziele ist es, die Prozesse so schlank und optimal wie nur möglich zu gestalten. Dies gilt vor allem für unseren Materialfluss.“ Weiter werden zeitgemäße Seminarund Aufenthaltsräume realisiert. Eine moderne, funktionale Architektur krönt das Ganze. Und selbstverständlich: Bei WAHL wurde auf eine energieeffiziente Bauweise geachtet, die den allermodernsten Standards entspricht. 92 Wirtschaft


ROOTS Collection 2021 zum Jubiläum: 75 Jahre MOSER – Black Forest trifft auf High Fashion und Gegenwartskunst. „The WAHL Way“ Der Umzug nach Peterzell verbessert nicht nur die Arbeitsabläufe – er optimiert auch das tägliche Miteinander. Den 270 Mitarbeitern und vier Auszubildenden etwas zu bieten, ist Teil der Firmenphilosophie. Diese ist mit „The WAHL Way“ überschrieben. Jörg Burger: „Werte wie Respekt und Familie sind sehr wichtig. Wir kümmern uns um die Mitarbeiter und deren individuelle Situation“. Auch das Essen in der Kantine sei den Mitarbeitern wichtig und habe gerade auf dem Land einen hohen Stellenwert. „Wir waren überrascht, wie wichtig den Beschäftigten die Kantine ist“, so die Geschäftsführer. Das Essen fördert das Gemeinschaftsgefühl, ebenso wie Sommerfeste oder Weihnachtsfeiern. Umzug im Frühjahr 2022 Nach einer Bauzeit von wahrscheinlich 18 Monaten ist es voraussichtlich im 1. Quartal 2022 geschafft: Die Firma WAHL zieht um! „Wir freuen uns“, so Jörg Burger und Gökhan Yilmaz, „über die neue wunderbare Lage, die optimierten Fertigungs-, Logistikund administrativen Abläufe und die damit verbundene Zukunftssicherheit“. Die Geschäftsführer zeigen sich überzeugt, mit dieser Investition für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet zu sein und die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb nochmals zu erhöhen. Ein positives und gesundes Arbeitsumfeld, das gleichzeitig wettbewerbsfähig ist, sei der WAHL GmbH schon immer besonders wichtig gewesen, unterstreichen sie mit Nachdruck. WAHL will die Gemeinde Unterkirnach dabei unterstützen, die verlassenen Gebäude einer neuen Nutzung zuzuführen. Für Unterkirnach selbst ist der Weggang von WAHL ein herber Verlust. Die Geschäftsführer betonen, Lösungsansätze hierzu würden in enger Abstimmung gemeinsam erarbeitet. Jörg Burger: „Wir haben uns in all den Jahren dort sehr wohl gefühlt und fühlen uns mit Unterkirnach weiterhin eng verbunden“. Jetzt aber bricht WAHL zu neuen Ufern auf: Die Möglichkeiten in Peterzell werden die Unternehmensentwicklung förmlich beflügeln, blicken die Verantwortlichen voller Optimismus in die Zukunft. WAHL GmbH 93


110 4. Kapitel – Villingen-Schwenningen


VILLINGENSCHWENNINGEN: JAHRE IM ZEICHEN DES BINDESTRICHS Eine (kritische) Bestandsaufnahme einer nicht immer einfachen Städteehe 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs von Dieter Wacker 111


Weder wurden Ringe getauscht, noch küssten sich Braut und Bräutigam, wobei auch gar nicht klar war, wer für welchen Part eigentlich stand. Nein, es war keine Liebesheirat, die da an einem eiskalten 1. Januar 1972 vollzogen wurde. Die Ringe wurden durch einen gewöhnlichen Bindestrich ersetzt und eine Frage ist bis zum heutigen Tag nicht so richtig beantwortet: Kam es damals zu einer Zwangsehe oder eher zu einer Zweckehe? Vermutlich von beidem etwas. Die Gründe waren vielfältig, weshalb in den 1970er-Jahren Landesund Kommunalpolitiker und dann in letzter Instanz die Bürgerinnen und Bürger an der Wahlurne, für eine Fusion der bis dahin eigenständigen Städte Villingen und Schwenningen gestimmt haben. Tatsache ist jedenfalls, die Ehe hält bis zum heutigen Tag und kein Mensch käme auf die Idee, an dem Status quo zu rütteln. Dennoch war der Weg in den zurückliegenden 50 Jahren ein durchaus steiniger. Aber vielleicht gerade deshalb kann VS, das mit diesem Kürzel auf den Autokennzeichen einen ganzen Landkreis repräsentiert, nicht unbedingt mit großem Stolz, aber zumindest mit einer gehörigen Portion Respekt auf das zurückschauen, was sich in fünf Jahrzehnten so getan hat im Zeichen des Bindestrichs. Zwei Königskinder waren es gewiss nicht, sonst wären sie damals nicht zusammengekommen. Die Fusion von Villingen und Schwenningen stand als eine Art Synonym für eine tiefgreifende Gebietsund Kommunalreform in den 1970er-Jahren in Baden-Württemberg. Ziel war es, ein neues, starkes Oberzentrum zu schaffen, das der ganzen Region wirtschaftlich, politisch und kulturell ein deutlich stärkeres Gewicht innerhalb des Landes geben sollte. Entsprechend optimistisch, ehrgeizig und kühn waren die Planungen ausgelegt. VS wurde mittelfristig eine Einwohnerzahl von über 100.000 prognostiziert. Viele der Protagonisten von damals – vor Ort müssen hier in erster Linie die beiden damaligen Oberbürgermeister Gerhard Gebauer (Schwenningen) und Severin Kern (Villingen) genannt werden – leben nicht mehr. Ihre einstigen Ideale und Vorstellungen wurden schon bald zu den Akten gelegt. Zu weit klafften letztendlich Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Villingen-Schwenningen verzeichnet zwar gerade in den vergangenen Jahren eine resBild oben: Die damaligen Oberbürgermeister Gerhard Gebauer (Schwenningen) und Severin Kern (Villingen, rechts) enthüllen am 1. Januar 1972 das gemeinsame Ortsschild. Unten: VS-Fahne mit neuem Stadtwappen. 112 Villingen-Schwenningen


Der neu gestaltete Rathausplatz in VS-Schwenningen. pektable Einwohnerentwicklung, aktuell leben gut 86.000 Menschen in der Stadt, doch die großstadtfähige 100.000er-Grenze ist längst kein Thema mehr. Dafür, das sollte an dieser Stelle aber nicht verschwiegen werden, ist VS mit einem Durchschnittsalter seiner Bewohner von 43,7 Jahren eine recht junge Stadt, was wiederum für eine gewisse Attraktivität spricht. „Reiches“ Villingen – „Arbeiterstadt“ Schwenningen „Villingen-Schwenningen ist Baden-Württemberg im Kleinen“, liest und hört man immer wieder mal. Wenn es nur so einfach wäre. Solch ein Satz ist genauso klischeebehaftet wie Hinweise auf das bürgerlich reiche badische Villingen und auf die rot eingefärbte ehemalige württembergische Arbeiterstadt Schwenningen. Wie gerne wurden solche Vergleiche in den Jahren rund um die Fusion be müht. Natürlich be inhaltet jedes Klischee auch ein Stückchen Wahrheit. Aber eben nur ein kleines Stück. Beide Städte konnten ab Ende der 1960er-Jahre kaum mehr auf Vergangenes bauen. Dafür hatten sie mit einer ins Trudeln geratenen Wirtschaft zu kämpfen, da schenkten sich das angeblich „reiche“ Villingen und die „Arbeiterstadt“ Schwenningen nicht viel. In beiden Städten gingen in den FolgeBeide Städte hatten mit einer ins Trudeln geratenen Wirtschaft zu kämpfen, da schenkten sich das angeblich „reiche“ Villingen und die „Arbeiterstadt“ Schwenningen nicht viel. jahren dominante In dustriebereiche (z.B. Uhren, Unterhaltungselektronik) langsam, aber sicher den Bach hinunter. Tausende von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe, auch in den Städten und Gemeinden im Umland, verschwanden, die Steuereinnahmen schrumpften gewaltig. Die Region und Villingen-Schwenningen, galten als strukturschwach. Das war die bittere Realität. Zentralisierung der städtischen Verwaltung und Vernetzung scheint unmöglich So sehr sich die Politik im fernen Stuttgart durch die Fusion eine Initialzündung für die Region gewünscht hatte, so wenig konnten die Erwartungen 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 113


anfangs erfüllt werden. Irgendwie war die Zeit nicht geschaffen dafür und vor Ort mangelte es vielmals an Ideen und Durchsetzungswillen. In VS beschäftigten sich die Kommunalpolitiker lieber mit sich selbst. Wankelmütigkeit und Ängste, ein Stadtbezirk könne bevorzugt bzw. benachteiligt werden, bestimmten einen gewichtigen Teil dessen, was sich in Verwaltung und Gemeinderat abspielte. Zwar ist mittlerweile viel Wasser die Brigach und den Neckar hinunter geflossen, im Rat sitzt eine völlig andere Generation von Mandatsträgern, doch auch 50 Jahre nach dem Zusammenschluss von V und S ist das Proporzdenken immer noch in manchen Köpfen präsent und damit ein Teil der kommunalpolitischen Kultur in der Gesamtstadt. Jüngstes Beispiel: Die geplante Bündelung der, auf eine Vielzahl von Standorten verteilten, städtischen Verwaltung auf dem Mangin-Areal (ehemaliges Kasernengelände) in Villingen. 41 Millionen Euro machte der Gemeinderat 2017 dafür locker. Der Gegenwind aus Schwenningen ließ nicht lange auf sich warten, obwohl unstrittig war, dass Schwenningen natürlich weiterhin sein eigenes Rathaus behalten sollte. Um es kurz zu machen: Am Ende kam es, wie es in VS schon so oft kam: Der Gemeinderat kippte drei Jahre später (beflügelt auch von einem Wahlversprechen des heutigen OBs an die Schwenninger Stimmbürger) seinen eigenen Beschluss und speckte das Projekt großzügig ab. Der noch drei Jahre zuvor als „großer Wurf“ beklatschte Plan verlor gegen das bekannte Kirchturmdenken. Was nun auf dem einstigen Kasernengelände an Verwaltung Den Neubau eines gemeinsamen Rathauses im Zentralbereich zwischen den beiden Stadtbezirken schmetterten die Bürger mit überwältigender Mehrheit ab. konzentriert werden soll, entspricht nicht annähernd der Ursprungsplanung. Bereits schon einmal, nämlich 2012, war eine angedachte Zentralisierung der Verwaltung krachend gescheitert. Den geplanten Neubau eines gemeinsamen Rathauses im Zentralbereich zwischen den beiden großen Stadtbezirken schmetterten Villinger(innen) und Schwenninger(innen) in selten gekannter Eintracht mit überwältigender Mehrheit bei einem Bürgerentscheid ab. Damit war 2012 eine weitere Chance vertan, V und S über den Zentralbereich zusammenzuführen. Über Jahrzehnte hinweg blieb der zentrale Entwicklungsbereich ungenutzt. Neubaugebiete entstanden an den Rändern der beiden Städte oder in den kleineren Stadtbezirken. Die für den zentralen Standort prädestinierten Einrichtungen wie Stadthallen, Eisstadion oder Messegelände wurden entweder in einem der beiden großen Stadtbezirke neu gebaut oder an bestehenden Standorten ausgebaut. 114 Villingen-Schwenningen


Vor allem aus dem bereits erwähnten Proporzdenken heraus wurde eine entscheidende städtebauliche Weiterentwicklung und eine deutliche Vernetzung Villingens und Schwenningens verspielt. Aufschwung durch Schwarzwald-Baar Klinikum Dass sich in den vergangenen Jahren dennoch etwas im Bereich der alten Landesgrenze zwischen Baden und Württemberg getan hat und immer noch tut, ist sicher der glücklichen Fügung zu verdanken, dass Anfang des neuen Jahrtausends die Zeit für ein neues regional-zentrales Klinikum reif war. Und dafür boten sich Grundstücke zwischen den beiden großen Stadtbezirken geradezu an. Nach längerer Planungsund einer dann vierjährigen Bauzeit ging 2013 das modernste Krankenhaus im Land in Betrieb. 263 Millionen Euro investierten Stadt, Kreis und Land in das Zentralklinikum, das die bis dahin bestehenden Krankenhäuser in Villingen, Schwenningen und in einigen Umlandgemeinden ersetzte. Ein Meilenstein in der lokalen, wie regionalen Patientenversorgung war damit gesetzt. Für VS bedeutete das neue Klinikum eine deutliche Stärkung seiner oberzentralen Funktion. Das Klinikum sorgte für einen regelrechten Bauboom in einem Teil des doppelstädtischen Zentralbereichs: Geschäftshäuser mit Büros, Arztpraxen, Apotheken und einer Tagesklinik reihen sich nebeneinander, ein neues Hotel wurde errichtet und aktuell erstellt die Industrieund Handelskammer Schwarzwald-BaarHeuberg für 18,5 Millionen Euro ein repräsentatives Verwaltungsgebäude. Dafür verlässt die IHK ihr Als Bindeglied zwischen V und S fungiert das 2013 eröffnete Schwarzwald-Baar Klinikum, in dessen Umfeld sich ein neuer Zentralbereich entwickelt hat und noch immer entwickelt. Aktuell erstellt die Industrieund Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg für 18,5 Millionen Euro ein repräsentatives Verwaltungsgebäude. angestammtes Domizil in der Villinger Innenstadt. Man sieht: Es tut sich immerhin endlich einiges im VS-Zentralbereich, wenn auch Einrichtungen, die Bürgerinnen und Bürger aus V und S direkt zusammenbringen könnten, für dieses weitläufige Areal wohl ein Wunschtraum bleiben. Ernst zu nehmender Hochschulstandort dank Erwin Teufel Bevor Ende der 1970er/Anfang der 1980er-Jahre die Stadt aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten in eine Depression verfallen konnte und die oberzentrale Funktion nicht mehr als ein Papiertiger hätte wert sein können, trat ein Mann ganz entscheidend ins Rampenlicht, der bei der Bevölkerung schon länger große Sympathien genoss: Erwin Teufel, der spätere Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Seit 1972 saß der CDU-Politiker für den Wahlkreis Villingen-Schwenningen im Landtag, war Staatssekretär und ab 1978 Fraktionschef der mächtigen CDU im Landesparlament. Erwin Teufels Wort hatte Gewicht, vor Ort und in Stuttgart. Er war es, der nicht tatenlos zusehen wollte, wie ein ehrgeiziges Landesprojekt mit 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 115


dem Namen Villingen-Schwenningen, das auch noch in seinem Wahlkreis lag, vor sich hindümpelte und meilenweit von den ehrgeizigen Entwicklungszielen entfernt war. Vor allem von Teufel stammte die Idee, VS zu einem ernst zu nehmenden Hochschulstandort auszubauen. Mit dieser Maßnahme sollte die verflossene Industriemacht in der Doppelstadt zumindest ein Stück weit kompensiert werden, wenn sie auch erst einmal vordergründig die verloren gegangenen Arbeitsplätze nicht ersetzen konnte. Es ist Erwin Teufels Visionen, seinen exzellenten Kontakten und seiner Beharrlichkeit zu verdanken, dass VS heute eine nicht unerhebliche Rolle in der Hochschullandschaft Baden-Württembergs spielt. Gleich drei Bildungsstätten sitzen in VillingenSchwenningen: die DHBW Duale Hochschule Baden-Württemberg, die HFU Hochschule Furtwangen University sowie die Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. Alle haben übrigens ihren Standort in Schwenningen, was nie in Frage gestellt wurde. Knapp 7.000 Studierende sorgen für entsprechendes Flair und tragen den Namen Villingen-Schwenningen in alle Welt. Darüber hinaus bietet die Staatliche Hochschule für Musik in Trossingen mit ihrer Tochter Musikakademie VS gGmbH anspruchsvollen Musikunterricht für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in VS an. VS – Standort renommierter Forschungsstätten Hochschule und Hightech stehen im perfekten Kontext – und so wundert es nicht, dass sich im Umfeld der Hochschulen renommierte Forschungsstätten ansiedelten. Zu nennen sind die Hahn-SchickardGesellschaft für angewandte Forschung e.V., das Kompetenzzentrum für Spanende Fertigung (KSF), das Zerspanungs-Institut Südwest oder das Steinbeis-Transferzentrum Infothek. Diese durchgängige Bildungsund Forschungsstruktur ist wiederum Garant dafür, dass die Wirtschaft auf qualifizierte Nachwuchskräfte zurückgreifen kann. Damit ist die Basis für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort Villingen-Schwenningen vorhanden. Ein Großunternehmen (Continental) und eine Vielzahl mittlerer und kleinerer Betriebe, von denen viele ganz vorne in der obersten Innovationsund Hochtechnologieliga mitspielen, bilden 50 Jahre nach der Fusion das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt. Arbeitsplätze Die beiden großen Stadtbezirke verfügen in ihren fußgängerfreundlichen Innenstädten über einen durchaus attraktiven Einzelhandelsmix, ergänzt durch ein Einkaufszentrum auf der „grünen Wiese“. sind wieder vorhanden, die düstere Stimmung der 1970er/1980er-Jahren längst überwunden. Viele Menschen pendeln aus dem Umland zum Arbeiten nach VS und stärken so den oberzentralen Gedanken. Symbolhaft für diese neue Stimmung steht das südlich von Weilersbach gelegene Gewerbegebiet „Herdenen“, das aufgrund seiner Größe und seiner Autobahnnähe in den zurückliegenden Jahren einen enormen Aufschwung erlebte. Neben Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen und Handwerk ist der Handel in Villingen-Schwenningen ein stabiler Faktor. Die beiden großen Stadtbezirke verfügen in ihren fußgängerfreundlichen Innenstädten über einen durchaus attraktiven Einzelhandelsmix, ergänzt durch ein Einkaufszentrum auf der „grünen Wiese“. Nicht vergessen werden darf ein buntes und qualitativ hochstehendes kulturelles Angebot, das sich durchaus mit dem einer Großstadt messen kann. Städtebauliche Weiterentwicklung Wenn sich Villingen und Schwenningen auch nicht über ihre Wohngebiete als gemeinsame Stadt definieren, getan hat sich allerdings in allen Stadtbezirken ganz schön viel. Mit der anfänglich gerade in Villingen misstrauisch beäugten Landesgartenschau (LGS) im Jahre 2010 nutzte die Kommune die Chance, vor allem Schwenningen ein gutes Stück städtebaulich weiterzuentwickeln und Wohnwie Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Villingen profitierte durch Umgestaltung des Brigachufers oder durch die Sanierung der Ringanlage von der LGS. Neue städtebauliche Möglichkeiten in großem 116 Villingen-Schwenningen


Umfang taten sich in V und S auf den verwaisten Grundstücken der beiden Krankenhäuser auf. Mit den Megabauprojekten auf dem ehemaligen Kasernenareal und dem SABA-Gelände verändert Villingen seit einigen Jahren und aktuell in Teilen sein Gesicht und bietet dem knappen Wohnraumangebot ordentlich Paroli (siehe Fotos auf der nachfolgenden Doppelseite). Eine vergleichbare Entwicklung erlebte und erlebt Schwenningen auf dem früheren Bauhofgelände und demnächst mit einem bereits gefundenen Investor im Bereich des alten Schlachthofs. Herzogenweiler, Pfaffenweiler, Rietheim, Tannheim, Marbach, Mühlhausen, Obereschach, Weilersbach und Weigheim sind die kleineren Stadtbezirke, die zusammen mit Villingen und Schwenningen eine kommunale Einheit bilden. Die ehemals eigenständigen Gemeinden entwickelten sich im Schatten der beiden großen Städte gut, wenn auch nicht alle Erwartungen und Versprechungen aus den Anfangsjahren der Fusionen erfüllt wurden. Die ländlichen Stadtbezirke gelten heute als attraktive Wohngemeinden, die durch die Bank auch über vernünftige Infrastrukturen verfügen. Die Weichen sind auf Erfolg gestellt Was aber bleibt als Fazit nach 50 Jahren Bindestrichstadt? Villingen-Schwenningen hat seine Rolle als wichtiges und selbstbewusstes Oberzentrum für die Unterwegs in VS-Villingen – bummeln in einer der schönsten Fußgängerzonen in Baden-Württemberg. Region Schwarzwald-Baar-Heuberg gefunden. Das ist unstrittig. Eine perfekte Einheit bildet VillingenSchwenningen allerdings nicht. Da bedarf es sicher noch einiger Generationen. Eine gemeinsame Identität über Vereine wie den Eishockeyclub Schwenninger Wild Wings zu definieren, das reicht halt nicht. Solange es unterschiedliche Telefonvorwahlnummern gibt, solange Vereine und Kirchen immer noch in badischen und württembergischen Landesverbänden und Landeskirchen daheim sind und solange bei der Kommunalpolitik das Proporzdenken nicht gänzlich aus den Köpfen verschwunden ist – solange hat Villingen-Schwenningen ein ganz spezielles und eigenes Problem. Dass jeder Stadtbezirk auch auf Dauer ein Stück Eigenheit und vor allem kulturelle Identität bewahren sollte, daran gibt es mit Blick auf die historischen Entwicklungen absolut nichts auszusetzen. Allerdings darf diese Erkenntnis nicht die gemeinsame Zukunft hemmen. Villingen-Schwenningen hat, wie eingangs erwähnt, einen steinigen Weg hinter sich und gerade deshalb für das, was erreicht wurde, Respekt verdient. Zugleich sind die Weichen für eine weitere erfolgreiche Zukunft gestellt. Der Zug mit Namen VS muss nur mächtig unter Strom bleiben. 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 117


Die städtebauliche Weiterentwicklung von Villingen-Schwenningen schreitet im 50. Jahr der Städteehe enorm voran: Das internationale Immobilienunternehmen Ten Brinke und die Richter-Gruppe wollen auf dem SABA-Areal sowie dem ehemaligen Villinger Kasernenareal Lyautey – rund 64.000 Quadratmeter groß – einen neuen Gewerbepark und insgesamt 400 Wohnungen realisieren. Investiert werden ca. 100 Millionen Euro. Das gesamte Gebiet zwischen der Peterzeller Straße und der Richthofenstraße wird sich somit in den kommenden Jahren vollständig verändern. Der Großteil des Lyautey-Areals inklusiver zahlreicher denkmalgeschützter Gebäude ist vor zwei Jahren an die DBA Deutsche Bauwert verkauft worden. Der nördliche Teil des Lyautey-Areals (knapp 13.700 Quadratmeter) ist, ebenso wie das ehemalige Saba-Areal, das als Innovationspark geführt wird, im Besitz der Richter-Gruppe aus Mainz und von Ten Brinke. Das Immobilienunternehmen Ten Brinke fungiert als Investor und Entwickler. Die Bildfolge rechts zeigt einen Teil des SABA-Areals vor und nach dem Abbruch der Gebäude, aufgenommen im Frühjahr 2021 (oben) und dann im August 2021 (unten). 118 Villingen-Schwenningen


50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 119


120 120 120 120 Villingen-Schwenningen 6. Kapitel – Geschichte


Farbund ausdrucksstarker Abschied von einer grandiosen Villinger Erfolgsgeschichte 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs Text und Fotografie von H.J. Götz 121 121 121 121


Im „Sprayer-Paradies“ – Jonas Fehlinger und Steffen Schulz. Ende letzten Jahres war der Verkauf des SABAGeländes für den Brigachtaler Graffiti-Künstler Jonas Fehlinger der Anlass, bei Kai Engesser, dem verantwortlichen Projektleiter des Investors Ten Brinke, seine Idee einer Graffiti-Kunst-Aktion vorzustellen. Zusammen mit seinem Freund Steffen Schulz plante er, die geschichtsträchtigen SABA-Gebäude vor ihrem Abriss mit moderner Spray-Kunst in Szene zu setzen. Dass die Arbeiten nur wenige Monate überdauern würden, reizte die Künstler besonders. Endlich Platz und freie Hand Mitte Dezember 2020 konnte die einmalige Kunstaktion beginnen: Zunächst waren Jonas Fehlinger und sein Freund Steffen Schulz alleine. Jeder begann eine Wand mit einem eigenen Motiv zu besprühen. Zu dieser Zeit war es recht ungemütlich, schließlich herrschte Winter. Doch selbst wenn man es schafft, sich selbst warm und trocken zu halten, so sind die Spraydosen nicht wirklich für ein Arbeiten bei derart rauen Bedingungen ausgelegt. So kamen auch Campingkocher zum Einsatz, die es ermöglichten, die Spraydosen vor ihrer Verwendung auf „Betriebstemperatur“ zu bringen. Und es gab ein weiteres Problem: Zu Beginn ihrer Arbeit wurden die beiden mehrfach von kritischen Zeitgenossen angesprochen, die diese Aktion für illegale Verschandelung hielten. „Daran haben wir uns gewöhnt, das muss man ertragen können, wenn man mit einer Spraydose arbeitet“, erklärt Steffen Schulz und weiter: „Wenn wir mit einem feinen Pinsel und normaler Farbe arbeiten würden, gäbe es solche Gespräche nicht, dann wären wir einfach nur Künstler“. Beiden Künstlern war bewusst, dass sie es als Zweier-Team niemals schaffen würden, derart viele Flächen zu bewältigen. Die Hoffnung war, dass weitere Graffiti-Künstler dazustoßen würden. So kam es auch: Durch die Berichterstattung in der Presse und im SWR-Fernsehen erweiterte sich der Kreis der Graffiti-Künstler beträchtlich. Am Ende umfasste das Kern-Team über 20 Sprayer. Auch Jugendliche kamen mehrfach zu Besuch – so entstand früh die Idee, Graffiti-Workshops für Kinder und Jugendliche anzubieten, bei denen sie sich unter Anleitung als Sprayer versuchen durften. SABA: Radio, Tonband, Fernseher – eine Weltmarke ermöglicht Motiv über Motiv An diesem geschichtsträchtigen Ort war klar, dass das Thema „SABA“ ein Schwerpunkt der Arbeiten darstellen musste: Vom Radio über das Tonband – vom Plattenspieler bis zum Fernseher wurden die verschiedensten Motive kunstvoll umgesetzt. Auch die Porträts der ehemaligen Firmenchefs, einige der alten Marketing-Motive und Logos wurden auf die SABA-Fassaden gesprüht. Und auch das legendäre 122 Villingen-Schwenningen


Oscar Peterson meets Hans Georg Brunner-Schwer – ein Weltklasse-Jazzer trifft auf ein Weltklasse-Tonstudio und einen Weltklasse-Tonexperten. Werk von Jonas Fehlinger. Tanzen zur Musik aus SABA-Geräten – Momentaufnahme mit Bilderzyklus von Jonas Fehlinger. SABA – Farbund ausdrucksstarker Abschied 123


Into the Jungle – Graffiti von „Sakon“. Villinger Label MPS-Records kam zu Ehren: Der weltberühmte Jazzmusiker Oscar Peterson wurde zusammen mit Hans Georg Brunner-Schwer verewigt, der den Weltstar des Jazz mit seiner sensationellen Aufnahmetechnik zu begeistern vermochte. Für Jonas Fehlinger die perfekte Verbindung zu seiner Kunst: „Graffiti ist Jazz mit Buchstaben“, sagt er. Tausende von Besuchern Die bemerkenswerte Kunstaktion zog die Menschen alsbald in ihren Bann: An manchen Wochenendtagen waren es bei schönem Wetter und zu CoronaZeiten über 1.000 Besucher, die den Weg zur SABA fanden, wo der Kunstgenuss zu einem völlig ungestörten, befreienden Erlebnis geriet. Etliche der Besucher hatten selbst bei der SABA gearbeitet – es war zugleich ihr Abschiedsbesuch von einem lang vertrauten Ort. Über einige dieser Kontakte entstanden auch Ideen für weitere Motive. Der Name SABA stand stets ebenso für soziales Engagement und die Firmenleitung – allen voran der Firmeninhaber Hermann Brunner-Schwer – hatte stets ein Herz für Vereine und den Sport. So trat die SABA mit eigenen Sportstaffeln an. Weit über die Region hinaus bekannt waren die Boxer-Staffel und die Fußballelf mit ihren zahlreichen Stars, darunter einige Helden von Bern, allen voran Fritz Walter und Helmut Rahn. Und: Auch die Anfänge des Profi-Eishockeys in Schwenningen gehen auf ein Sponsoring der SABA zurück. Ein besonderes Erlebnis war es für die GraffitiKünstler, wenn Menschen vorbeischauten, die sie auf den SABA-Wänden porträtiert hatten. Prominentestes Beispiel ist der bekannte SABA-Boxer und ehemalige Box-Europameister im Bantamgewicht Horst Rascher. Er besuchte die SABA-Sprayer zusammen mit Sohn Dieter – beide hatte Jonas Fehlinger auf Die Augen der SABA – im Bann der Musik. Ein Werk von Jochen Laufer. 124 124 Villingen-Schwenningen


einem Graffiti am Boxring dargestellt (siehe folgende Doppelseite). So ein Event ist noch nie da gewesen Wie viele Fotos und Videos in diesen Wochen aufgenommen wurden, kann man kaum schätzen, aber allein in den Sozialen Medien finden sich Tausende davon. Die Künstler selbst wollen nun unter anderem einen Bildband und eine Videodokumentation über ihr Werk realisieren. Und getreu dem Motto: „Nach dem Projekt ist vor dem Projekt“, haben sich für gleich einige der Künstler durch die SABA-Arbeiten neue Aufträge ergeben. So bemalten Jonas Fehlinger und einige seiner Weggefährten inzwischen Wände im Unterkirnacher Hallenbad Aqualino und ebenso weitere Hausfassaden in VS-Villingen. Auch Gespräche mit der Stadt Villingen-Schwenningen laufen. Denn im Rathaus ist sehr wohl aufgefallen, welch zusätzliche kostenlose Publicity die Doppelstadt durch diese Aktion erfahren hat. Aber die allerschönste Belohnung war für Jonas Fehlinger etwas, was er so gar nicht geplant und erwartet hatte, denn oft kommt es auch im Leben eines GraffitiKünstlers anders als man denkt. „Die Arbeit an diesem Projekt werde ich nie vergessen, weil ich hier auch meine neue Liebe gefunden habe“, freut er sich, während er mit seiner Freundin einen letzten Blick auf die Arbeit der vergangenen drei Monate wirft. Weitere Bildmotive finden Sie auf: www.almanach-sbk.de/graffiti 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 125


xyz SABAnesin von Jochen Laufer und SABA-Bollenhutgirl von Jasmin Nestmann. 126 Villingen-Schwenningen


SABA-Boxer-Staffel: Horst Rascher coacht seinen Sohn Dieter – SABA-Fußballelf, hier Dirk Brüsker. © Jonas Fehlinger 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 127


Im Schwarzwald: Kuckucksuhr und Kuh mit SABA-Fernsehbrille von Jasmin Nestmann. 128 Villingen-Schwenningen


Tunneleingang mit Spinnen von Steffen Schulz. Der Abriss ist in vollem Gang. SABA – Farbund ausdrucksstarker Abschied 129


Jonas Fehlinger ist in der regionalen Künstler-Szene kein Unbekannter, seine GraffitiWerke bereichern bereits seit über zehn Jahren ganz offiziell verschiedenste Objekte im Umland. Angefangen hatte es mit Graffiti-Werken auf Gebäuden in seiner Heimatgemeinde Brigachtal. Kurz nach Beginn seines Kunststudiums an der Akademie in Karlsruhe bekam er von der Gemeinde Brigachtal auch seinen ersten offiziellen Auftrag: Einer der hässlichen Beton-Brückenpfeiler beim Festplatz sollte schöner werden. IM PORTRAIT Der Sprayer Jonas Fehlinger Danach folgten weitere offizielle Graffiti-Kunst-Aufträge, wie z. B. die Neugestaltung des „Speedy“, eines umgebauten Eisenbahnwagons, der ebenfalls auf dem Dorfplatz steht und nach seiner Karriere als Jugendtreffpunkt zu einem Bistro umgebaut wurde. Auch die Verschönerung eines unansehnlichen Trafohäuschens in der Dorfmitte sollte eine weitere Auftragsarbeit von Fehlinger werden. Ganz bewusst tummelt er sich auch nicht in der UndergroundSzene, die unerlaubt alle möglichen Objekte mit ihren Graffitis Villingen-Schwenningen


verschandelt, von Brücken bis zu ganzen Eisenbahnzügen. Vielmehr ging es ihm schon immer darum, auch das Thema Graffiti in eine geschätzte und öffentliche Kunstform zu heben. Sein Vorbild sind große Städte wie Basel, Mannheim, San Francisco und viele weitere, die lokalen Grafitti-Künstlern schon seit langem die Gelegenheit bieten, sich offiziell auf speziell dafür reservierten Flächen verewigen zu können. Im Gegenzug profitieren diese Städte dadurch, dass die Arbeiten vermehrt kunstinteressierte Touristen anlocken. Allerdings sei ihm in unserer Region diesbezüglich der Durchbruch noch nicht geglückt, wie er betont. Dafür sind Hauseigentümer auf ihn aufmerksam geworden. So hat er unter anderem auch eine Wand in der Schlösslegasse, im sogenannten Gerber-Eck, mit Fastnachtsmotiven bemalt. Auch im Goldenen Bühl und anderen Stadtteilen zieren Fehlingers Graffitis inzwischen ganze Hausfassaden. Allesamt ganz legal und im Auftrag, denn auch ein Künstler wie Fehlinger lebt nicht von Luft und Liebe allein. Graffiti vom Feinsten: Jonas Fehlinger hat sich bei den Villingern zusammen mit seinem Freund Steffen Schulz vor allem auch wegen seiner FastnachtsGraffitis in der Goldgrubengasse hohe Anerkennung erworben. Unten v. links: Das Trafohäuschen, Garagengestaltung mit Eisenbahn, Wirtin Mirella Fanelli (links) und Graffiti-Künstler Jonas Fehlinger vor dem „Speedy“. 50 Jahre im Zeichen des Bindestrichs 131


Diese Geschichte erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Zu vielfältig und überregional verstreut sind die Spuren der legendären SABA, der „Schwarzwälder Apparate Bau-Anstalt“. Noch immer finden sich SABA-Radiound Fernsehapparate in so manchem Haushalt und es existiert das firmeneigene, wiederbelebte MPSTonstudio. Im Villinger Stadtarchiv, aber auch im Privatbesitz, schlummern Promi-Fotografien und Schriftstücke – im Museum stehen u. a. ein SABA-Kühlschrank, ein Volksempfänger und ein Telefon. Dort hängen Boxhandschuhe der SABA-Box staffel und Gemälde der SABA-Malgruppe. Spuren wie diese machen die SABA unvergessen – weit über Villingen hinaus. Und nicht nur ehemalige „Sabanesen“ bedauern, dass die Gebäude des einstigen Weltmarktführers nach ihrem Geschmack zu sangund klanglos der Abrissbirne zum Opfer fielen. von Birgit Heinig


Der blaue Schriftzug „SABA“ wird vor dem Abriss geborgen und soll 2023 bei einer Sonderausstellung im Franziskanermuseum wieder zu sehen sein. 133


Manchmal kommen SABA-Spuren auch unverhofft wieder zum Vorschein. So wie das kleine tragbare TV-Gerät in knalligem Orange, das SABA pro FP 31 electronic aus dem Jahre 1972, das unter dem Motto „echt süß“ aktuell Teil einer plakativen Imagekampagne des Franziskanermuseums ist. Auf der Suche nach SABA-Spuren kommt man aus dem Staunen nicht heraus, wenn man erkennt, was aus dem 1835 in Triberg von Joseph Benedikt Schwer gegründeten Produktionsbetrieb für Uhrenteile und Fahrradglocken entstand. Erinnerungen an eine Vielfalt von Produkten der Unterhaltungselektronik, aber auch an das großartige soziale Engagement dieser Villinger Unternehmerdynastie, hüten viele Menschen – und das jeder auf seine Weise. SABA-Spuren im Franziskanermuseum Der erste Weg führt ins Franziskanermuseum in VS-Villingen. Hier plant man für das Jahr 2023 eine Das tragbare Fernsehgerät SABA pro FP 31 electronic aus dem Jahre 1972 ist aktuell Teil einer Imagekampagne des Franziskanermuseums. Auf der Suche nach SABASpuren kommt man aus dem Staunen nicht heraus, wenn man erkennt, was aus dem 1835 in Triberg gegründeten Produktionsbetrieb für Uhrenteile und Fahrradglocken entstand. SABA-Sonderausstellung. Dann ist es nämlich genau 100 Jahre her, dass die von Hermann Schwer 1923 in Villingen kreierten vier Buchstaben mit ihrem spektakulären Zug um die Welt begannen. Der meterhohe Schriftzug, der zuletzt auf dem Verwaltungsgebäude an der Peterzeller Straße prangte, wurde vor dem Abriss von der Stadt in Sicherheit gebracht. Er soll laut Museumsleiterin Dr. Anita Auer spätestens zur Ausstellung wieder ans Tageslicht kommen. Beim Gang durch die Dauerausstellung „Industriegeschichte in Villingen“ des Franziskanermuseums finden sich die Meilensteine der SABA-Produktionsgeschichte. Für die SABA – neben Kienzle seinerzeit größter Arbeitgeber mit zeitweise über 6.000 Beschäftigten – sind gleich mehrere Räume eingerichtet. Wer hier allerdings ausschließlich Radiound Fernsehapparate erwartet, darf sich wundern: Neben dem Volksempfänger S 35 von 1930 stehen auch ein Kühlschrank, ein Telefon und eine Rechenmaschine. Sie zeugen von den „Sonderproduktionen“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazu gehören ebenso ein erfolgloses „Schlaftherapiegerät“, ein Ausflug in die Medizintechnik, eine „akustische Vogelscheuche“ und MPS-Records, das Villinger Tonstudio mit Weltruhm. Geschaffen hat es Hans Georg Brunner-Schwer, seine Tontechnik hat weltberühmte Musiker wie Oscar Peterson oder George Duke begeistert, wovon noch die Rede sein wird. Viele SABA-Erinnerungen schlummern laut Anita Auer noch im Museumsdepot. Die meisten stammen aus der Sammlung des Villinger „Sabanesen“ Herbert Schroff (1925-2011). Der Fotograf, Journalist und Tausendsassa seiner Zeit, hinterließ unter anderem unzählige Fotografien, die über die Homepage des 134 Villingen-Schwenningen


In der Museumsabteilung „Industriegeschichte in Villingen“ sind zahlreiche SABA-Spuren erhalten. nutzte nach dem Sieg der Deutschen seine Kontakte und gewann fast alle Nationalspieler als Werbeträger. Dazu muss man wissen: Hans Georg Bruner-Schwer war ab 1961 Technischer Geschäftsführer der SABAWerke und sein Bruder Hermann Kaufmännischer Geschäftsführer. 1960 wurde die SABA-Prominentenelf aus der Taufe gehoben, 15 Jahre lang gemanagt von Herbert Schroff. Fritz Walter und Horst Eckel, Trainer Sepp Herberger und Sportreporter Rudi Michel, zeitweise auch Schauspieler wie Mario Adorf und Jacky Stadtarchivs einzusehen sind. Ein großer Teil des bildlichen Schroff-Nachlasses wurde dank Sponsoren bereits digitalisiert. Weitere Sammlerstücke sollen nach der SABA-Sonderausstellung in einer sowohl räumlich als auch inhaltlich überarbeiteten Museumsabteilung Platz finden, verspricht Museumsleiterin Dr. Auer. Die SABA und das „Wunder von Bern“ Die Fernsehtruhe „Schauinsland“ von 1953 kostete stolze 1.448 D-Mark. Nur finanziell gut gestellte Kunden konnten sich das Nobelgerät leisten und die Fußballweltmeisterschaft 1954 im eigenen Wohnzimmer miterleben. Museumsbesuchern werden per Projektion Ausschnitte des „Wunders von Bern“ präsentiert. Der sportbegeisterte Hermann Brunner-Schwer Zahlreiche Erinnerungen an die SABA-Prominentenelf der beiden Villinger Rudolf Natschke und Hannes Frey sind geprägt von Begegnungen mit Stars aus Film, Funk und Fernsehen. SABA-Spuren 135


Nicht nur im Museum, auch im digitalen Schroff-Archiv und in Privatalben einstiger Mitspieler wie Hannes Frey (links) und Rudolf Natschke sind Fotos der legendären Prominentenelf zu finden. Auf den Fotos befinden sich auch Helden von Bern, so Fritz Walter (stehend, Dritter v. links). Fuchsberger oder der Sänger Tony Marschall, traten für den guten Zweck gerne gegen das runde Leder. So war der 1. Mai über viele Jahre Fixtermin für einen Kick zu Gunsten der „Aktion Sorgenkind“. Auch die beiden Villinger Rudolf Natschke (81) und Hannes Frey (83) waren dabei. Natschke war Aktiver der ersten FC ®8-Mannschaft, Frey unter anderem Jugendtrainer. Ihre Erinnerungen an rund 30 Jahre SABAProminentenelf sind geprägt von Begegnungen mit Stars aus Film, Funk und Fernsehen. Sie kickten nicht nur an der Seite von Günther Netzer und Uli Hoeneß: „Wir haben nach dem Spiel auch das ein oder andere Bier zusammen getrunken“, so die beiden. Zahlreiche SABA-Dokumente im Villinger Stadtarchiv Der Weg führt ins Stadtarchiv. Hier schlummern, von Amtsleiterin Ute Schulze und ihrem Team fein säuberlich katalogisiert und nach Anmeldung für jedermann einsehbar, zahlreiche Schriftstücke. Zum einen belegen sie den Aufstieg und das Sterben der SABA, zum anderen gewähren sie persönliche Einblicke in das Familienleben der Inhaber. Werbeplakate, Nachlassregelungen, Bilanzen und Geschäftskorrespondenz zeugen von den unternehmerischen Leistungen. Dazu gehören Feldpostbriefe aus dem Jahr 1915 von Hermann Schwer an seine Frau Johanna, aber auch Impf-, Geburtsund Taufscheine ihrer Tochter Margarete, ausgestellt 1906. Weiter berührt das durch eingeklebte Fotografien, getrocknete Blüten, Ausgeschnittenes und Gebasteltes mehrere Zentimeter dick gewordene „Merkbuch des Lebens, von Mutterhand begonnen zur späteren eigenen Fortsetzung“ den Betrachter. Es stammt von Margarete Schwer verheiratete Scherb, der späteren SABA-Mutter. Erinnerungen an die SABA-Mutter Margarete Scherb „Margarete-Scherb-Straße“ – das Straßenschild, weiße Schrift auf blauem Grund, steht im Gewerbegebiet „Vorderer-Eckweg“ auf Villinger Gemarkung und erinnert an eine Frau und Ehrenbürgerin der Stadt, die aufgrund ihrer sozialen Gesinnung und Bodenständigkeit als „SABA-Mutter“ bezeichnet wurde. Sie setzte damit die Tradition ihrer Mutter Johanna Schwer fort. Die Firma honorierte den Einsatz der Mitarbeiter, für die Überstunden und Sonderschichten selbstverständlich zu sein hatten, mit sozialen Angeboten für die ganze Familie: Es gab ein Ferienheim in Meersburg, einen Fonds für „hilfsbedürftige und würdige Mitarbeiter“, eine Werksbibliothek, Sportgruppen, Unterhaltungsabende und Ausflüge. Auch eine SABA-Big-Band spielte auf. Die Spuren von „Gretel“ Scherb (19051983) dürften heute vor allem in den Köpfen derer fortbestehen, die den SABA-Betriebskindergarten besuchten oder die legendären Weihnachtsfeiern in der Alten Tonhalle mit Besuch des Hohnsteiner Kaspers miterlebten. Übrigens: Margarete Scherbs erster, 1934 wieder 136 Villingen-Schwenningen


geschiedenen Ehe mit Hugo Friedrich Brunner, aus der die Söhne Hermann und Hans Georg hervorgingen, ist der heute mit der SABA verbundene Doppelname Brunner-Schwer zu verdanken. „Fritz“ Brunner war Musiker und Künstler und vererbte Sohn Hans Georg seine musische Leidenschaft. In seinem Privathaus richtete Hans Georg BrunnerSchwer – oder „HGBS“, wie ihn Freunde nannten, das weltberühmte MPS-Tonstudio ein, das bis heute unverändert existiert. Stadtführer Rudolf Reim bekam die Gelegenheit, diese SABA-Spur in Augenschein zu nehmen. Er besuchte die Witwe von HGBS, Marlies Brunner-Schwer, inzwischen 95 Jahre alt, und bereitete sich damit auf seine Blickpunktführung im Franziskanermuseum zum Thema „Lieblingsobjekte“ vor. Seines war das SABA-Mobil, das erste tragbare Tonbandgerät von 1961. HGBS veranstaltete in den 1960er-Jahren Hauskonzerte mit berühmten Musikern. Ihre Musik zeichnete er in einer nie zuvor gehörten Qualität auf Band auf. Als sich der kanadische Starpianist Oscar Peterson 1963 bei seinem ersten Besuch im Haus Schwer die Bänder seines Hauskonzertes anhörte, war er überwältigt. Es folgten Schallplattenaufnahmen über Schallplattenaufnahmen. In seinem Privathaus richtete Hans Georg BrunnerSchwer, das weltberühmte MPSTonstudio ein. Er veranstaltete in den 1960er-Jahren Hauskonzerte mit berühmten Musikern. Ihre Musik zeichnete er in einer nie zuvor gehörten Qualität auf Band auf. MPS: Most perfect sound – Im Studio von Hans-Georg Brunner-Schwer Das MPS-Studio, das es durch Hans-Georg BrunnerSchwers Engagement in den 60erund 70er-Jahre zu Weltruhm brachte, und in der internationalen Musikszene einen großen Namen hat, liegt auf Marlies Brunner-Schwer im privatem Tonstudio von HGBS – ihres verstorbenen Ehemannes Hans Georg Brunner-Schwer. Links Stadtführer Rudolf Reim, der die Erinnerungen von Marlies Brunner-Schwer in seine Führungen einbaut. SABA-Spuren 137


Friedhelm Schulz, Mitglied im Vorstand des MPS-Fördervereins, an einer der Bandmaschinen aus den 1960er-Jahren. dem SABA-Areal etwas versteckt. Das Kürzel „MPS“, „Musik Produktion Schwarzwald“, wird von Kennern mit „most perfect sound“ übersetzt. Hier sieht alles noch genauso aus wie vor 50 Jahren. Die Räume im ersten Stock eines unscheinbaren Hauses in zweiter Reihe der Villinger Richthofenstraße sind längst zum „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“ erklärt. Hier, wo während des Zweiten Weltkrieges die Familien Brunner-Schwer lebten, während ihre beiden Villen in unmittelbarer Nachbarschaft – eine davon beherbergt heute einen Kindergarten – von den Franzosen besetzt waren, ist nicht nur ein großer Teil der deutschen Jazzund Klassik-Szene groß geworden. Schwarz-Weiß-Fotografien an den Wänden zeugen von Besuchen internationaler Stars wie Oscar Peterson oder Duke Ellington. Aber auch George Duke, Friedrich Gulda, Wolfgang Dauner und viele andere musikalische Größen nahmen hier ihre Musik auf. Friedhelm Schulz ist einer der Verantwortlichen des seit 2017 bestehenden Fördervereins mit rund 70 Mitgliedern, die das Studio vor dem Untergang retteten und dafür sorgten, dass hier nach einer Zwangspause zur Klärung von Zuständigkeitsfragen wieder handgemachte Musik aller Art Einzug hielt. Die Erinnerung an die SABA wird damit auch musikalisch wachgehalten. Das Studio wird heute von Musikern für Tonaufnahmen gemietet, von Interessierten besichtigt und von Kulturfreunden bei Veranstaltungen besucht. Nachdem die „Schwarzwälder Apparate BauAnstalt“ in den 1950er-Jahren mit der Produktion von Tonbandgeräten begonnen hatte, ging man dazu über, bespielte Bänder und später Singles und LPs im eigenen Tonstudio einzuspielen. Nachdem die „Schwarzwälder Apparate BauAnstalt“ in den 1950er-Jahren mit der Produktion von Tonbandgeräten begonnen hatte, ging man dazu über, bespielte Bänder und später Singles und LPs im eigenen Tonstudio einzuspielen. Friedhelm Schulz zeigt die Zeugen aus dieser Zeit, Musikträger mit Titeln wie „Das alte Lied“ oder „Musikalisches Schatzkästlein“. Im Archiv lagern weitere hochwertige Konserven akustischer Musik und es werden auch neue Vinylplatten aus Archivbeständen veröffentlicht. Als SABA 1968 mit Beginn des Farbfernsehens die Amerikaner mit ins Boot nahm, wollten die von diesem Geschäftszweig indes 138 Villingen-Schwenningen


nichts wissen. Hans Georg Brunner-Schwer gründete MPS, das Tonstudio, das fortan auch mit Hauskonzerten weltbekannter Jazzer, mit „Jazz in the Black Forest“, Musikgeschichte schreiben sollte. Im Aufnahmeund Regieraum arbeiten die Tonmeister bis heute mit jahrzehntealter Technik, mit der es gelingt, von jedweder Digitalisierung unerreicht, Musik in einmaliger Authentizität wiederzugeben. Technikbegeisterte gründen die „Historische Radiowerkstatt“ 1993 jährte sich die Ausstrahlung der ersten Radiosendung zum 70. Mal. Für Ernst Schamburek, ehemaliger Sabanese und damaliger Mitarbeiter der Volkshochschule, der Anlass, um gemeinsam mit technikbegeisterten Freunden, SABA-Ingenieuren, Rundfunktechnikern und Physiklehrern, 1994 die „Historische Radiowerkstatt“ zu gründen. Seither traf man sich an jedem Montagabend, um Röhrenradios, „technische Kulturgüter“, die einst zum Alltagsgebrauch gehörten, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Im März 2020 war der letzte „Bastelabend“, dann kam Corona. Noch wartet die kleine Werkstatt im VHS-Gebäude am Münsterplatz auf ihre Wiedergeburt nach der Pandemie, noch stehen in ihren Regalen nicht nur SABAGeräte, Kellerfunde oder Familienerbstücke, die zum Leben erweckt werden wollen. Doch ihre Zukunft war zum Redaktionsschluss ungewiss. Die Zahl der Tüftler ist durch Alter, Wegzug und die lange Zwangspause sehr geschrumpft. „Von den Gründervätern ist niemand mehr dabei“, bedauert der Wirtschaftsingenieur Klaus Gerhardt. Er stieß 1998 zur Radiowerkstatt. Das SABA-Radio „Freiburg 9“, bis heute bei Kennern gefragtes Spitzenmodell von 1958, hatte er sich von seinem ersten Lehrlingsgehalt geleistet. Mit Engelsgeduld die genial einfache, aber nur schwer zu restaurierende Mechanik der 1930erbis 1960er-Jahre wieder gangbar zu machen, dieser Wunsch eint das Team der Historischen Radiowerkstatt. Dazu braucht es Ersatzteile wie Röhren, Widerstände und Kondensatoren, die oft erst nach langem Stöbern auf Märkten, Messen und im Internet aufgespürt werden. Auch auf „Schrottgeräte“ zum Ausschlachten wird gerne zurückgegriffen. „Es gibt nichts Schöneres, als nach Wochen und Monaten zum ersten Mal den satten Sound eines SABA-Freudenstadt 14 von 1963 zu höErarbeiten in der Radiowerkstatt die Lösungen technischer Probleme gerne generationenübergreifend und interdisziplinär: Harald Greilich, Klaus Esslinger, Marcus Hetzinger und John, ein Gast aus Kanada (von links). ren“, schwärmte einst Harald Greilich, der inzwischen in Frankreich lebt. Das SABA-Radio, das auch Bundeskanzler Adenauer gern verschenkt haben soll, war weltweit bekannt für seine außerordentlichen Lautsprecher. Ein Box-Champion trägt den Namen SABA in die ganze Welt hinaus Auf eine lebendige SABA-Spur trifft man in Bad Dürrheim. Hier lebt Horst Rascher. Er trug in den 1960er-Jahren als Box-Champion den Namen SABA in die ganze Welt hinaus. Doch der Reihe nach. Hermann Brunner-Schwer war nicht nur Fußball-, sondern auch Boxfan. 1959 finanzierte er die Ausrichtung der Europameisterschaft in Luzern unter dem raffinierten Namen „Schweizer Amateur Box Association“, kurz SABA genannt. Der damals 19-jährige Rascher wurde in Luzern im Bantamgewicht Europameister und zog Schwers Interesse auf sich. Der Brief an dessen Heimverein in Ulm, in dem Brunner-Schwer dem jungen Talent das Angebot unterbreitete, nach Villingen zu kommen, erreichte den Boxer nie. Der Ulmer Verein unterschlug ihn wohl bewusst, wie Rascher heute weiß. Erst 1966 fanden er und die Schwarzwälder Apparate Bau-Anstalt zusammen. Da lagen die Olympischen Spiele in Rom 1960 schon hinter ihm, wo er einen Medaillenrang nur knapp verpasste. 1964 konnte er kein Olympiaticket lösen. Umso mehr SABA-Spuren 139


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Der heute 81-jährige Horst Rascher steigt noch so manches Mal in seinen Kellerraum hinab zu den Erinnerungsstücken seiner Zeit als erfolgreicher Boxer. Dort streift er seine Boxhandschuhe über, auf deren Rand „SABA“ steht. wurde der gelernte Elektroinstallateur von BrunnerSchwer gefördert und auf die Olympiade 1968 in Mexiko vorbereitet: beruflich mit einer Weiterbildung zum Technischen Zeichner und Einstellung in der Designabteilung, später der Modellbauwerkstatt und sportlich in der SABA-Boxstaffel. „Ihm verdanke ich alles“, sagt Horst Rascher über Hermann Brunner-Schwer, der seinerzeit auch Kontakt hielt zu den Profis Max Schmeling und Bubi Scholz, die der Amateur Horst Rascher kennenlernen durfte. Gerne war er dafür weltweit als SABA-Werbeträger unterwegs. Und er war erfolgreich: 1968 wurde er zum neunten Mal Deutscher Meister und qualifizierte sich für seine zweite Olympiade. Der Traum, seinem Mäzen eine Medaille zu präsentieren, blieb indes unerfüllt – der bitter enttäuschte Rascher wurde Fünfter. 1969 gab er seine sportliche Karriere nach rund 300 Kämpfen auf. Auch danach kümmerte sich die SABA um ihren Angestellten. Er wurde zum Industriedesigner weitergebildet. Anfang der 1990er-Jahre, mit der Geschäftsübernahme durch die Franzosen, endete Raschers Beziehung zu seinem „ganz besonderen“ Arbeitgeber. Er ging in den Vorruhestand. Der heute 81-Jährige steigt noch so manches Mal in seinen Kellerraum hinab zu den Erinnerungsstücken seiner Zeit als erfolgreicher Boxer. Und dort streift er seine Boxhandschuhe von früher über, auf deren Rand „SABA“ steht. Der frühere Europameister Horst Rascher mit seinen SABA-Boxhandschuhen. Gunnar Frey ist leidenschaftlicher Sammler von SABAGimmicks und hält hier das seltene Plakat der einstigen SABA-Big-Band in Händen. Begeisterte private Sammler bewahren unzählige SABA-Schätze Und dann gibt es da noch die vielen privaten Sammler, die ihre SABA-Schätze in den eigenen vier Wänden, in Schubläden, Schränken und Vitrinen verwahren. Stellvertretend für sie alle sei hier Gunnar Frey aus VS-Villingen vorgestellt. Mit 41 Jahren zu jung, um selbst ein Sabanese gewesen zu sein, nennt er je ein mit sattem Sound funktionierendes SABA-Röhrenradio der Marken „Villingen“ und „Freiburg“ sein eigen, ansonsten hat sich der Besitzer eines urigen Schallplattenladens auf SABA-Werbeartikel verlegt. Die „Gimmicks“ füllen zwei Vitrinen und reichen vom Kartenspiel und Schwarzwaldpüppchen mit dem SABA-Schriftzug auf der Schürze, über Kugelschreiber, Manschettenknöpfe, Aschenbecher und Nussknacker bis hin zu Zollstock, Spielzeugautos, Werbeplakate, Ausgaben der „SABA-Post“ und Kopfhörer in Originalverpackung. Gunnar Frey plant sogar eine kleine Ausstellung seiner Raritäten. Im Villinger „Café am Riettor“ will er dann einen SABA-Video-Player mit Joy-Sticks, der Ende der 1970er-Jahre noch vor dem ersten Commodore auf den Markt kam und vor allem die Jugend begeisterte, nicht nur zeigen, sondern die Besucher auch damit spielen lassen. SABA-Spuren 141


In Donaueschingen entsteht das neue Stadtviertel „AM BUCHBERG“ Die Konversion der ehemaligen französischen Kaserne als kommunalpolitische Herausforderung von Heinz Bunse 142 5. Kapitel – Konversionsareal in Donaueschingen


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Auf einem 14 Hektar großen innerstädtischen Areal entsteht das neue Quartier „Am Buchberg“. Der Entwicklungsprozess dieses Stadtviertels ist spannend zu beobachten, zeigt er doch die komplexen Aufgaben, mit der sich die Kommunalpolitiker heute auseinandersetzen müssen. Der Gemeinderat hat das Ziel vorgegeben „eine attraktive Wohnbebauung im Norden in Verbindung mit einer lebendigen Nutzungsdurchmischung im Süden mit viel öffentlichem Freiraum in hoher städtebaulicher Qualität zu schaffen“. Die Latte ist also hochgelegt. Im Folgenden soll der Konversionsprozess beschrieben und eine Zwischenbilanz dieses anspruchsvollen Projektes gezogen werden. Exerzierplatz um 1930. Folgen des Abzugs der Deutsch-Franzözischen Brigade Will man verstehen, warum der Abzug der Deutsch-Französischen Brigade die Donaustadt hart getroffen hat, muss man einige Jahre zurückschauen. Donaueschingen ist stolz auf seine Tradition als Garnisonsstandort. Diese Tradition wurde hart erstritten. Im März 1913 beschloss der Reichstag vor dem Hintergrund der Balkankrise eine „Heeresvermehrung“. Neue und moderne Kasernen mussten geplant werden. Mehr als 298 Gemeinden bewarben sich als Garnisonsstandort. Mit Unterstützung des Fürsten Max Egon II. zu Fürstenberg konnte sich Donaueschingen in dieser übergroßen Konkurrenz behaupten. Die Pläne für die Kasernenbauten in Donaueschingen stammen aus der Feder des Karlsruher Professors Eugen Beck. Beck hatte wenige Jahre zuvor nach dem großen Stadtbrand im Jahr 1908 den reichsweiten Architektenwettbewerb für den Bau des Rathauses und der Sparkasse gewonnen. Wohl in Anlehnung an die Villinger Kasernenplanung wurden die beiden Mannschaftsund das heute nicht mehr erhaltene Wirtschaftsgebäude am Hindenburgring aufgereiht. Dahinter liegt der rechteckige Exerzierplatz, dessen Schmalseiten u. a. vom Familienwohnhaus zur Villinger Straße und dem Kammergebäude Richtung Friedhofstraße eingefasst sind. Französische Kultur und Lebensart in Donaueschingen Auch das ist ein Wesenszug der Stadt, auf den ihre Bewohner zu Recht stolz sind. Bereits 1964 zog das 110. französische Infanterie-Regiment in Donaueschingen ein, die französische Garnison war geboren. Im selben Jahr wurde mit dem elsässischen Saverne eine der ersten deutsch-französischen Städtepartnerschaften begründet. 1965 folgte die Gründung einer Deutsch-Französischen Gesellschaft. In der Folge fand auf der Ebene von etwa 40 Vereinen regelmäßig ein intensiver Kulturaustausch statt. Mit großem Interesse wurden in den 80er-Jahren die Überlegungen zur Bildung einer Deutsch-Französischen Brigade beobachtet. Während einer Ausschusssitzung des Deutschen Städtetags überreichte der amtieren144 Konversionsareal in Donaueschingen


Die denkmalgeschützten Mannschaftsgebäude, die eine markante Raumkante zum Hindenburgring (links) bilden und das Familienwohnhaus (rechts) stammen noch aus den ersten Jahren der Donaueschinger Garnison. de Bürgermeister Dr. Bernhard Everke dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eine Bittschrift und führte Gespräche mit ihm. „Welchen Einfluss das hatte, weiß ich nicht, aber es hat geklappt“, erinnert sich Dr. Bernhard Everke. In der Folge der erfolgreichen Ansiedlungsbemühung lebten rund 2.000 Franzosen in Donaueschingen. Das deutsche und das französische Militär wurden ein wichtiger Arbeitgeber. Umso härter schlug im Oktober 2013 eine Nachricht ein, die letztlich die Auflösung des Standortes der Deutsch-Französischen Brigade zur Folge hatte. Bürgermeister Bernhard Kaiser leitete in dieser Zeit die Stadtgeschäfte. Er erinnert sich: „An einem Nachmittag Ende Oktober erreichte mich der Anruf eines mir gut bekannten französischen Generals. Er informierte mich, dass er mir zur Mittagszeit des darauffolgenden Tages, eine wichtige Nachricht zu überbringen habe. Der Brigadegeneral hatte noch zwei ranghöhere Generäle bei sich. Dem 110. Infanterieregiment hatte man zuvor mitgeteilt, was auch ich jetzt zu wissen bekam: Der traditionsreiche Verband wird zum 30. Juni 2014 aufgelöst. Binnen acht Monaten verließen 2.000 Franzosen, die wir immer als Mitbürger auf Zeit bezeichnet haben, unsere Stadt. Viele Projekte, auf die wir stolz waren, fanden so ein schnelles Ende: der deutsch französische Kindergarten, die vielen Partnerschaften zwischen den französischen und deutschen Schulen in Donaueschingen.“ Am 23. Juni 2014, wenige Tage vor dem 50-jährigen Jubiläum der Stationierung französischer Soldaten in Donaueschingen wurde die Regimentsfahne eingerollt. Mit einer Abschiedsparade verabschiedete sich Ein neues Stadtviertel entsteht 145


Abschiedsparade des 110. Infanterieregiments am 23. Juni 2014. das 110. Infanterieregiment von „seiner“ Stadt. Die Gebäude der Deutsch-Französischen Brigade standen leer. Ein Quartier für bis zu 2.000 Flüchtlinge Im August 2015 wurden die Tore der Kaserne an der Friedhofstraße wieder weit geöffnet. Rote Reisebusse fuhren auf das Kasernengelände. Die ersten Flüchtlinge kamen in Donaueschingen an. Im Juli 2015 hatte die Landesregierung wegen der Einrichtung einer Bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtung (BEA) Kontakt mit der Stadt Donaueschingen aufgenommen. Eine BEA hat im Gegensatz zu einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) lediglich einen zeitlich befristeten Charakter, teilte die Landesregierung der Stadt mit. Und es kam der Hinweis, dass die Nutzungsdauer auch abhängig von sich möglicherweise konkretisierenden Konversionsmaßnahmen der Stadt sei. Waren es anfänglich 500 Flüchtlinge, stieg deren Zahl binnen kürzester Zeit auf über 2.000. Die Schlagzeilen der Lokalpresse beherrschten in der Folgezeit Polizeieinsätze, kleinere Straftaten aber auch Demonstrationen für ein „bunLinks: Die Kontrollstelle an der Villinger Straße, eine wichtige Einrichtung der Bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtung (BEA). Rechts: Am 20. März 2017 übergibt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben einen symbolischen Schlüssel an Oberbürgermeister Erik Pauly (Mitte). 146 Konversionsareal in Donaueschingen


tes Donaueschingen“ und Märsche von dankbaren Flüchtlingen durch die Innenstadt. Im Rathaus wurde zu dieser Zeit die Konversion bereits „mit Volldampf“ vorangetrieben. gart ein Mitspracherecht über den Verkauf. Ohne konkreten Zeitpunkt, an dem das Land die Bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wieder aufgegeben würde, wäre der Vertrag zwischen BIMA und Stadt nicht zustande gekommen. Kauf des Gesamtareals sichert neues Stadtquartier Blicken wir zurück in das Jahr 2013. Bereits im November, nur wenige Tage nach der Hiobsbotschaft über den Abzug der Deutsch-Französischen Brigade, befasste sich der Gemeinderat erstmals mit dem Thema Konversion. Bürgermeister Bernhard Kaiser, der in dieser so schwierigen Zeit die Stadtgeschäfte leitete, war es ein großes Anliegen, dass die Stadt nicht in Agonie verfiel. Bereits im Januar 2014 fasste der Gemeinderat den Beschluss, die frei werdende innenstadtnahe 140.000 Quadratmeter große Grundstücksfläche von der Stadt oder von einer noch zu gründenden Entwicklungsgesellschaft erwerben zu lassen. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Nur als Grundstückseigentümerin besitzt die Stadt alle Möglichkeiten für eine optimale Innenstadtentwicklung. Im Dezember 2013 fand das erste Orientierungsgespräch mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) statt. Drei Jahre, 18 Verhandlungstreffen und 24 Vertragsentwürfe später wurde am 20.3.2017 der Kaufvertrag für die gesamte Fläche unterzeichnet. Dieser umfasst 46 Seiten. Bei den Verhandlungen saßen nicht nur zwei Verhandlungspartner am Tisch. Nachdem das Land im Sommer 2015 die Kaserne zur Notunterkunft für Flüchtlinge umgewandelt hatte, besaß auch StuttBürgerbeteiligung als Garant erfolgreiche Entwicklung Parallel zu den Grunderwerbsverhandlungen wurden im Sommer 2014 Vorstellungen entwickelt, wie der neue Stadtteil einmal aussehen solle. Der Gemeinderat hatte vorgegeben, die Planung für den neuen Stadtteil Schritt für Schritt mit der Bürgerschaft zu entwickeln. In einem Rahmenplan sollten dann die von Bürgern und Gemeinderat formulierten Ziele räumlich konkretisiert werden. Dieser Plan wurde auch für die Grunderwerbsverhandlungen dringend benötigt, da die zukünftige Nutzung den Wert des Grundstücks maßgeblich beeinflusst. Startschuss war eine erste Zukunftswerkstatt am 12. Juli 2014 in den Donauhallen. Alle interessierten Bürger wurden über den aktuellen Sachstand informiert. Gemeinsam mit den ebenfalls anwesenden Kommunalpolitikern wurden Ideen für die Entwicklung des neuen Stadtteils ausgetauscht. In vier Gruppen wurde diskutiert. Die Themen waren „Verkehr und Grün“, „Freizeit und soziale Infrastruktur“, „Arbeiten“ sowie „Wohnen und Leben“. Darauf aufbauend hat die Verwaltung im zweiten Schritt ein städtebauliches Entwicklungskonzept für den neuen Stadtteil und dessen Umfeld erstellen lassen. Am 9. Mai 2015 waren dann in einem dritten Ein neues Stadtviertel entsteht 147


Links: Bürger und Gemeinderäte entwickeln Ideen für den neuen Stadtteil im Rahmen der zweiten Zukunftswerkstatt am 9. Mai 2015. Rechts: Der von Baldauf Architekten Stuttgart aufgestellte Rahmenplan für die Entwicklung des neuen Stadtteils. Besonders überzeugt hatte das zentrale Element des neuen Planes, ein öff entlicher Grünzug, der autofrei eine Ost-West-Fuß wegverbindung von der Breslauer Straße zur Brigach und eine Nord-SüdFußweg verbindung Richtung Innenstadt über den Hindenburgring schaff t. historischer und neuer Bausubstanz ergeben. Für die Gebäude rund um den Exerzierplatz sind Nutzungen wie „Betreutes Wohnen“, Jugendherberge, Verwaltung und Dienstleistung, Kreativwerkstatt, Kino und Kinder-Jugendbüro geplant. Diese versprechen in der Zukunft einen belebten städtischen Platz. Die neuen Wohngebäude werden von der Villingerbzw. der Friedhofstraße erschlossen. Die im Norden aufgelockerte Baustruktur verdichtet sich nach Süden zum historischen Exerzierplatz zu kompakteren Bauformen. Der Standort der neuen Realschule fügt sich harmonisch in die Gesamtplanung ein. Zur Namensfindung für das neue Quartier fand im Frühjahr 2017 ein Wettbewerb statt. Unter Planungsschritt erneut die Bürgerinnen und Bürger gefragt: Das städtebauliche Entwicklungskonzept wurde vorgestellt. Jeder konnte überprüfen, welche Ideen und Überlegungen Eingang in das Konzept gefunden hatten und was vergessen worden war. Schritt für Schritt entstanden so detaillierte Zielvorstellungen für die Entwicklung des neuen Stadtteils. Auf Grundlage dieser verbalen Beschreibung wurde im letzten Planungsschritt die Erarbeitung eines Rahmenplanes parallel an vier renommierte Stadtplanungsbüros aus Baden-Württemberg vergeben. Mit diesen vier Entwürfen hat sich ein Gremium aus Stadträten und Baufachleuten am 14. September 2015 einen Tag lang befasst. Am Abend stand fest: Der neue Stadtteil „Am Buchberg“ wird gestaltet nach den Plänen des Büros Baldauf Architekten aus Stuttgart. Besonders überzeugt hatte das zentrale Element des neuen Planes, ein öffentlicher Grünzug, der autofrei eine Ost-West-Fußwegverbindung von der Breslauer Straße zur Brigach und eine Nord-Süd-Fußwegverbindung Richtung Innenstadt über den Hindenburgring schafft. Auch das 8.000 Quadratmeter große Parkgrundstück des ehemaligen Offizierscasinos wird in diesen Grünzug einbezogen. Am nördlichen Ende sind kleinere Grünflächen und eine Kindertagesstätte geplant. Im Süden soll durch die Neugestaltung des denkmalgeschützten Exerzierplatzes eine attraktive öffentliche Grünfläche entstehen, über die auch die Anbindung an die Innenstadt erfolgt. Ein Neubau am Hindenburgring zwischen den charakteristischen denkmalgeschützten Kasernengebäuden soll ein spannungsvolles Zusammenspiel zwischen 148 Konversionsareal in Donaueschingen



Der Abbruch einzelner Gebäude schreitet voran. Luftbild des Konversionsgeländes vom 23. April 2021. 46 Einsendungen machte schließlich der Name „Am Buchberg“ das Rennen. Die neuen Straßen sollen laut Gemeinderatsbeschluss an jüdische Mitbürger und an die Judenverfolgung in Donaueschingen erinnern. Alle interessierten Bürger werden regelmäßig über die per Email versandten Bürgerinformationen auf dem neuesten Stand gehalten. Etwa 650 Personen beziehen diesen Newsletter. Seit dem Frühjahr 2015 hat Oberbürgermeister Erik Pauly bereits 19 Bürgerinformationen versandt. Wo steht der neue Stadtteil „Am Buchberg“ heute? Mit den ersten Wohnhäusern wollte der Gemeinderat auch die Kinderbetreuung im neuen Stadtteil sichergestellt wissen, ein ehrgeiziges Ziel. Um einen optimalen Entwurf für diese wichtige Einrichtung zu erhalten, wurde erneut das in Donaueschingen bewährte Instrument des Architektenwettbewerbs gewählt. Im Dezember 2017 konnte ein Preisgericht, das aus pädagogischen Fachkräften, Stadträten und 150 Konversionsareal in Donaueschingen In der Prinz-KarlEgon-Straße wurden bereits mehrere Mehrfamilienhäuser saniert.


Als Erstes ging am 30. Juni 2020 die neue Kindertagesstätte „Am Buchberg“ in Betrieb. Dreißig neue Einzelund Doppelhäuser an der Villinger Straße sind im Bau. Links zu sehen ist das historische Offizierscasino. Ein neues Stadtviertel entsteht 151


renommierten Architekten bestand, die eingereichten Entwürfe beraten. Realisiert wurde ein Entwurf, den das Büro Ackermann & Renner aus Berlin eingereicht hatte. Unter der Leitung des Donaueschinger Architekten Alexander Schmid konnte am 30. Juni 2020 nach nur 15 Monaten Bauzeit die neue Kindertagesstätte in Betrieb gehen. Im Frühjahr 2021 sind von den 90 Betreuungsplätzen bereits 65 Plätze belegt. Wohnbebauung ist bereits weit fortgeschritten Im neuen Stadtviertel soll eine Durchmischung verschiedener Wohnformen entstehen. So werden im Norden am Ortsausgang Richtung Grüningen westlich und östlich der Villinger Straße auf 30 Grundstücken Einzel-, Doppelund auch Reihenhäuser gebaut. Der Verkauf gestaltete sich einfach, da die Nachfrage nach diesen Bauplätzen groß ist. Alle Grundstücke sind veräußert, die neuen Wohnhäuser sind im Bau. Mehrgeschossige Wohngebäude sind punktuell entlang der Villinger Straße geplant. Den nordwestlichen ca. 1,4 Hektar großen Bereich entlang der Alemannenstraße sollen zwei Investoren bebauen. Der geplante fließende Übergang von der Kindertagesstätte über zwei neue Mehrfamilienhäuser zu diesem neuen Areal mit 35 Gebäuden, überwiegend Doppelund Reihenhäusern, hatte den Gemeinderat überzeugt. Diese Häuser sollen noch Ende 2021 verkauft werden. Im Verlauf Richtung Süden, zum Hindenburgring nimmt der Anteil an mehrgeschossigen Wohngebäuden zu. Aktuell steht der Verkauf der neu zu bauenden und der denkmalgeschützten Gebäude im südlichen Bereich des neuen Stadtteils an. Insgesamt kommen dort ca. 40 weitere Gebäude bzw. Bauplätze zur Veräußerung. Der Verkauf der denkmalgeschützten Gebäude ist eine anspruchsvolle Aufgabe und nicht so einfach, wie von Bauplätzen für Einfamilienhäuser. Die zukünftige Nutzung dieser Gebäude wird ausschlaggebend sein für die Qualität des neuen Stadtviertels: Nur die vom Gemeinderat und von der Bürgerschaft angestrebte Nutzungsvielfalt wird einen belebten, urbanen Platz, den ehemaligen Exerzierplatz, als Tor zum neuen Stadtviertel ermöglichen. Rechte Seite: Das Konversionsgelände von Süden gesehen, vor und nach den Abbrucharbeiten. Unten: Die Südfassade des denkmalgeschützten Offizierscasinos in der Villinger Straße. 152 Konversionsareal in Donaueschingen


Ein neues Stadtviertel entsteht 153


Das ehemalige französische Cinéma wird wieder als Kino genutzt. Ehemaliges Offizierscasino spielt besondere Rolle 1937 wurde der beeindruckende, an der Villinger Straße gelegene, Flügelbau von der damaligen deutschen Wehrmacht errichtet. Zu dem unter Denkmalschutz stehenden Objekt gehört ein rund 8.000 Quadratmeter großes Grundstück. Herzstück des rund 60 Meter langen Gebäudes ist der große Ballsaal. Im Jahr 2019 hat die auf die Sanierung von Baudenkmalen spezialisierte Firma Gnädinger & Mayer aus Radolfzell das Offizierscasino gekauft. Andreas Schmid, Geschäftsführer der Firma erläuterte am 20.5.2019 im Schwarzwälder Boten: „Wir sind auf Denkmalschutz spezialisiert, und wir werden das Offizierscasino denkmalgerecht umbauen.“ In dem Gebäude, in dem einst rauschende Feste gefeiert wurden, sollen 14 Wohnungen entstehen. „Den Ballsaal wollen wir für die Allgemeinheit geöffnet halten und dort eine Begegnungsstätte schaffen“, erklärt Schmid. Auch ein Restaurant sei dort denkbar. Architekt Hilmar Lutz erläutert, dass das Konzept für die Sanierung des Offizierscasinos so gestaltet sei, dass der Charakter des Gebäudes erhalten bleibe. Dazu gehört auch die Südansicht. Auch das parkähnliche Grundstück soll erhalten bleiben und größtenteils der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Damit können wichtige Anregungen, die im Rahmen des Bürgerworkshops gegeben wurden, umgesetzt werden. Kino ist erste kulturelle Einrichtung „Am Buchberg“ In den Räumen des ehemaligen französischen Cinéma in der Friedhofstraße konnte im Oktober 2019 das Kommunale Kino guckloch e.V. sein 15-jähriges Jubiläum feiern. Im Herbst 2017 wurde das Angebot in den Räumen des Cinéma erweitert. Der Kinobetreiber Leopold Winterhalder zeigt dort seither am Wochenende aktuelle Kinofilme. Das Kino stellt eine Bereicherung nicht nur für den neuen Stadtteil dar. Es erinnert an die französische Vergangenheit des Viertels und sollte dort unbedingt erhalten werden. Der Neubau der Realschule – wichtiger Baustein im Quartier Einen gewaltigen finanziellen Kraftakt stellt der Neubau der Realschule mit der zugehörigen Dreifeldsporthalle dar. Rund 45 Millionen Euro 154 Konversionsareal in Donaueschingen


werden für dieses Projekt veranschlagt. Laut Planung soll die neue Realschule etwa 2025 fertig sein. Auch für dieses Projekt wurde im Frühjahr 2019 ein Architektenwettbewerb durchgeführt. Nach Tagung des interdisziplinären Jurygremiums bestehend aus Politik, Verwaltung, Architektur und Pädagogik erhielten Sander-Hofrichter-Architekten aus Ludwigshafen einstimmig den ersten Preis. Besonders beeindruckt war das Gremium vom schlanken Baukörper des Schulgebäudes, der gemeinsam mit der Sporthalle markante Raumkanten im neuen Quartier bildet. Die Sporthalle begrenzt den Pausenhof und bildet eine wichtige Fassade zum Bürgerpark. Geschickt werden die halböffentlichen Schulhofflächen mit dem nach Norden weiterführenden öffentlichen Grünzug verknüpft. Ausblick Im Sommer 2014 hat die DeutschFranzösische Brigade Donaueschingen verlassen. Sieben Jahre später, im Frühsommer 2021 wird dieser Aufsatz verfasst. Es hat sich viel getan in dieser kurzen Zeit. Donaueschingen ist auf gutem Weg, die Konversion erfolgreich zu meistern. Mit der architektonisch gelungenen Kindertagesstätte und den Plänen für die neue Realschule existieren bereits wichtige Mosaiksteine für ein interessantes Stadtviertel. Die zukunftsfähige Gestaltung des ehemaligen Exerzierplatzes stellt die nächste Herausforderung dar: Die Bürger haben zahlreiche Anregungen für die Nutzungen gegeben, die in die Planung einfließen sollten. Nur die von Gemeinderat und Bürgerschaft gewünschte Mischung aus kulturellen und gewerblichen Elementen kann den ehemaligen Exerzierplatz wieder mit Leben füllen. Wenn es zusätzlich gelingt, die geplanten Grünzüge als attraktive Fußwegverbindungen zur Brigach und zur Innenstadt zu gestalten, steht einem Erfolg dieses Jahrhundertprojektes nichts mehr im Weg. Oben: Der beeindruckende Ballsaal des Offizierscasinos vor der Sanierung. Unten: Ansichtszeichnung der im neuen Stadtteil am historischen Exerzierplatz geplanten Realschule. Ein neues Stadtviertel entsteht 155


„GLÜCK AUF“ SALZ FÜR BADEN Vor 200 Jahren erste Bohrung nach Salz – Bad Dürrheim profitiert vom Salzfund bis heute. von Wilfried Strohmeier 156 6. Kapitel – Geschichte


Arbeiter beim Abwiegen und Verpacken des Salzes. 157


„Glück auf! Vom 25. auf den 26. wurde in der Tiefe von 375 Fuß auf ein ziemlich starkes Salzlager gebohrt, welches nach sogleich angestellter Probe ein vortreffliches Kochsalz resultierte.“ Diese Zeilen schrieb Johann Baptist Willmann, sie kamen vor 200 Jahren, am 28. Februar 1822, in der Hauptstadt Karlsruhe bei Großherzog Ludwig I. von Baden an. Willmanns Hartnäckigkeit und das Wissen von Christian von Langsdorf, einem der führenden Salinisten seiner Zeit, verhalfen dem jungen Großherzogtum Baden in Bad Dürrheim zu einem wertvollen Fund: Salz. Von diesem Fund profitiert die Kurund Bäderstadt mitten auf der rauen Baar bis heute. 150 Jahre, bis 1972, bestand die Saline. Der Erfolg der Salzsuche hatte viele Väter: Dies waren Konrad Heby, Johann Baptist Willmann, Christian und Gustav von Langsdorf sowie Großherzog Ludwig I., der die Suche genehmigen musste. Und es gab eine Frau, welche Kinderkuren maßgeblich förderte und somit einen wichtigen Grundstein für das Kurwesen legte: Großherzogin Luise von Baden. Die Geschichte um die Salzsuche in Bad Dürrheim begann aber schon Jahrzehnte vor dem Fund. Es gab einige Hürden zu überwinden und manch Zufall und Hartnäckigkeit der Beteiligten war ebenso notwendig wie das gewisse Quäntchen Glück. Anfänge der Salzsuche Bad Dürrheim, im zu Ende gehenden 18. Jahrhundert Dierheim oder Thierheim genannt, gehörte dem Johanniterorden. In Deutschland herrschte noch die Kleinstaaterei, in Villingen gab es mehrere Klöster und eine Verwaltung des Ordens. Johann Baptist Willmann war der Amtmann, der Stellvertreter des letzten Johanniterkomturs Johann Baptist von Flachslanden. Ein anderer Mann, hauptberuflich Schreiner, lebte zu dieser Zeit ebenfalls in Villingen, dies war Konrad Heby. Er war in der Zähringerstadt als „Tausendkünstler“ bekannt und ihn interessierte die Geologie. Zugang zu diesem Wissen fand er in der Bibliothek des Klosters des Heiligen Georgs. Johann Baptist Willmann Heby äußerte sich gegenüber Willmann zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dass er Salz unter Bad Dürrheim vermutet. Indiz dafür waren für ihn Gipssteine. Die Gipsschicht muss in jener Zeit relativ weit oben gelegen haben, denn es gibt einen Bericht im Landesarchiv Freiburg, dass die Bauern beim Pflügen solche Steine immer wieder freilegten. Heby überzeugte Willmann, eine Gipsmühle in Bad Dürrheim zu bauen. Grundlage dafür war das Ansinnen des Johanniterordens aus dem August 1784. In einer Zeitungsannonce suchten sie Interessierte, die eine Getreidemühle in Bad Dürrheim betreiben wollen. Es meldete sich aber niemand. Heby wollte diese Chance nutzen, bis 1806 hatte Willmann die Planungen und den Bau der Mühle unter der Johanniterherrschaft in Bad Dürrheim weit vorangetrieben. Doch die großpolitische Gesamtlage warf ihren Schatten auch auf Südwestdeutschland. Der Beginn des 19. Jahrhunderts war die Zeit großer politischer Umbrüche. 1806 überrannte Napoleon Bonaparte das Heilige Römische Reich deutscher Nation mit seiner Armee und setzte der Kleinstaaterei ein Ende. Im Südwesten entstanden das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg. Bad Dürrheim lag dicht an der Grenze und ob die Dürrheimer nun badisch oder württembergisch wurden – es war den Bauern wohl relativ egal, denn ihren Zehnten mussten sie hüben 158 Geschichte


wie drüben bezahlen. Aber man einigte sich, und ab 1806 wehte die badische Flagge von Napoleons Gnaden über dem Dorf. Willmann wurde Gefällverwalter für die Badener, betrieb die Getreideund Gipsmühle und sicherte sich gleichzeitig den Betrieb einer Schankwirtschaft, diese war zum wirtschaftlichen Überleben der Mühle notwendig. Das Gebäude stand wenige Meter nördlich an der Stelle, wo die Huberstraße auf die Luisenstraße trifft und sich heute die Erlöserkapelle des ehemaligen Kurheim Sanatorium, jetzt Sure Best Western, befindet. In der Ortsgeschichte war die Mühle wie auch das Wirtshaus bekannt. Zunächst trug es den Namen „Goldener Löwe“, nachdem die Saline Eigentümer war und das Gebäude ausgebaut wurde, war es bekannt als Gaststätte und Hotel Saline. Angetrieben wurde die Mühle durch die Stille Musel, Willmann baute dazu ein Wehr und staute den Bach auf. Der Gefällverwalter hatte drei Compagnons, dies waren der bereits genannte Konrad Heby, ein Joseph Neugart und ein Karl Magon. 1806 wurden weitere Investitionen notwendig, die keiner seiner Anteilseigner aufbringen wollte oder konnte, so wurde Willmann alleiniger Eigentümer und konnte die Geschicke in die Hand nehmen. Unruhige Zeiten verzögern die Suche nach Salz Baden als Mitglied des Rheinbundes und somit ein Verbündeter Napoleons musste für den Russlandfeldzug 1812 über 7.000 Mann stellen, was dem jungen badischen Staat zusetzte, es kamen keine 800 zurück. Ab 1813 war die Zeit der Befreiungskriege, in denen man Napoleon besiegte und des Wiener Kongress 1814/15 – diese unruhigen Zeiten waren wahrscheinlich einer von mehreren Gründen, warum sich die Suche nach Salz in Dürrheim immer wieder verzögerte. Johann Baptist Willmann zeigte Hartnäckigkeit und Patriotismus. Er nahm 1811 erstmalig mit der badischen Regierung in Karlsruhe Kontakt auf, Adressat war ein gewisser Referendar Volz, dieser bekam Wasserund Gesteinsproben. Volz versprach, sich persönlich darum zu kümmern. Die Sache verlief zunächst im Sand, wohl auch da Volz verstarb. In Karlsruhe war man sich des Problems, dass das Großherzogtum Salz Eine Postkartenansicht, links das Kassengebäude mit Glockenturm, heute Rathaus II und das Haus des Gastes. Saline Bad Dürrheim 159


einführen muss, bewusst. Die Regierung hatte damals auch eine Kommission eingesetzt, um in Baden Salz zu finden. Am 17. April 1818 unternahm Willmann den nächsten Anlauf, sich in Karlsruhe Gehör zu verschaffen. Ansprechpartner dieses Mal: Carl Christian von Langsdorf, der unter seinem zweiten Vornamen bekannt ist. Der Geologe kam aus einer Salinistenfamilie. Willmann hatte zur richtigen Zeit den richtigen Mann kontaktiert, denn dessen Neugierde war geweckt. Heby bekam von alldem nichts mehr mit, er saß wegen Falschmünzerei im Villinger Gefängnis und hatte sich – der Überlieferung zufolge, 1816 mit einem angeschärften Löffel die Kehle durchgeschnitten. Langsdorf wurde von der Landesregierung auf Erkundungstour geschickt. Er bereiste zusammen mit dem ehemals in Fürstlich Fürstenbergischen Diensten stehenden Bergrat Carl Josef von Selb das sogenannte Oberland. Die beiden Herren waren unter anderem in Bad Dürrheim und in Niedereschach. In seinem Bericht über Bad Dürrheim schreibt Langsdorf davon, dass der Gips auf den Fuhrwegen hervortrat und unstreitig zu jenem Gips gehöre, der bei Rottweil zu finden sei. „Ganz nahe bey Schwenningen liegt derselbe Gyps nur wenige Fuße tief unter dem Ackerfeld. In Dirrheim geht hin und wieder auf dem Ackerfeld sogar der Pflug durch Gyps, der daher auch schon gleich hinter dem Dorfe in großen Massen gebrochen wird und theils körniger, theils dichter Gyps von großer Festigkeit oder Alabaster ist.“ Langsdorf musste Willmann getroffen haben. Denn der Domänenverwalter versicherte dem Salinisten später in einem Schreiben, dass genügend Bauholz für die Erbauung eines Salzwerks vorhanden sei – dies war wohl eine Sorge bei dem Treffen. Erste Bohrungen erfolgen im Jahr 1821 Langsdorf wäre eine Bohrung in Niedereschach lieber gewesen, da man sich dort bereits im Tal befand. Carl Christian von Langsdorf Willmann ließ aber nicht locker: Am 30. März 1821 schrieb Willmann erneut an Langsdorf und erkundigte sich, wann mit der Bohrung zu rechnen sei. Dieser verwies auf die hohen Kosten von 10.000 Gulden, aber wenn „Sie ein Gebäude im Dorfe oder aber auch auf Ihrem Gute anweisen könnten, das zur Anlage der Bohrmaschine und einer Schmiede Raum darböthe. Hiermit erhielten wir einen bedeutenden Gewinn an Zeit und Kosten gegen jeden anderen Versuch.“ Willmann konnte. Dort, wo heute die Stele des Fundbohrlochs steht, gab es einen Schuppen und in diesem wurde noch im gleichen Jahr der Bohrer angesetzt und die notwendige Schmiede eingerichtet. Auf der sogenannten Schmiedwiese, in den 1920er-Jahren der erste Kurpark und heute der Hindenburgpark, standen mehrere einfache Schuppen, die während der Aufbauzeit der Saline als Werkstätten und Materiallager dienten. Christian von Langsdorf schickte seinen Sohn Gustav, der ab dem 9. April 1821 alle notwendigen Vorbereitungen erledigte. Am 21. Juli 1821 war der Bohrer bereit und konnte angesetzt werden. Angetrieben wurde dieser – vereinfacht dargestellt – durch ein Laufrad, das man sich wie ein Hamsterrad vorstellen muss, das Menschen in Bewegung setzten. Über die Umlenkung mithilfe von Zahnrädern erzeugte es eine Aufund Abbewegung des Schlagbohrers. Später wurden im 19. Jahrhundert andere Räder mit Pferden verwendet, die den ganzen Tag im Kreis liefen und auch die Bohrtechnik änderte sich. Es gab Ösen in den Aufhängungen, durch die ein Holzbalken geführt wurde. Mit diesem wurde der Bohrer, wenn er niederging, um eine Viertel Umdrehung bewegt und so schürfte man den Boden auf. Das Fundbohrloch lag damals am südlichen Dorfrand. Und nicht zu vergessen: Bad Dürrheim hatte keine 100 Einwohner und war ein weltvergessenes Bauerndorf in einer badischen Grenzprovinz. Man kann annehmen, dass die Bauern und Tagelöhner mit einer Mischung aus Skepsis und Neugierde dem Treiben zusahen, das die Bergleute auf der Wiese veran160 Geschichte


stalteten. Fuß um Fuß trieben sie die Bohrung voran, Runde um Runde mussten Männer und Pferde das Göpelwerk drehen, das den Bohrer antrieb. Tage-, wochenund monatelang. Der Sommer ging dahin, es wurde Herbst und Winter auf der kalten Baar. Weihnachten ging vorüber, ebenso der Jahreswechsel 1821/22 – sie bohrten noch immer in der Scheune am Dorfrand. Doch es gab keinen Erfolg zu vermelden. Wurde der Missmut der Bergleute größer oder die Anspannung? Vielleicht beides? Man weiß es nicht, aber eines ist gewiss: Die Bohrung und alles, was danach kam, stellte das Bauerndorf auf den Kopf. Der Bad Dürrheimer Salzstock wird entdeckt Man schrieb den 22. Februar 1822 als man im Bohrmaterial, das aus der Tiefe geholt wurde, erste Spuren von Salz entdeckte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde auch nachts gebohrt. Und in der Tiefe von 375 Fuß (etwa 112,50 Meter), am 26. Februar, morgens um 10 Uhr, waren sich die Bergleute ihres Erfolges gewiss: Man hatte ein ziemlich ergiebiges Salzlager angebohrt – dies geht aus einem Bericht hervor, den Willmann später an das Großherzogliche Direktorium in Konstanz schrieb. Zunächst informierte Willmann unverzüglich Langsdorf und die badische Regierung. Die Nachricht vom Erfolg verbreitete sich im Nu. Die Karlsruher Zeitung berichtete in der Ausgabe vom 3. März 1822 das freudige Ereignis in einer – damals üblichen – sehr blumigen Sprache. Großherzog Ludwig beorderte Christian von Langsdorf nach Bad Dürrheim, wo er am 26. April 1822 auch eintraf. Der Salinist war damals bereits 65 Jahre alt. Wie Joseph Alfons Steiger in seinem Buch „Dürrheim und seine Saline“ berichtet, sollte Langsdorf den Bau des ersten Bohrturms in die Wege leiten. Erforderlich waren die Rohre, eine Pumpe sowie ein Windrad und ein Laufrad für den Antrieb. Auch die Siedehäuser mussten gebaut werden, denn der badische Staat hatte viel vor: Zum 1. Januar 1824 Die Bohrtürme Fuß um Fuß trieben die Bergleute die Bohrung voran, Runde um Runde mussten Männer und Pferde das Göpelwerk drehen, das den Bohrer antrieb. Tage-, wochenund monatelang. Historische Zeichnung eines Göpelwerkes. Saline Bad Dürrheim 161


sollte das staatliche Salzmonopol in Kraft treten, das Salz dazu soll aus den Salinen Bad Dürrheim und Bad Rappenau kommen, dort stieß man etwa zur gleichen Zeit auf einen Salzstock. Eile war somit geboten. Langsdorf benötigte Baumaterial und ließ einen Steinbruch einrichten, dieser lag rund 200 Meter vor dem heutigen Ortsschild Marbach, auf der rechten Seite, von Bad Dürrheim her kommend. Des Weiteren musste er Felder ankaufen für das Salinenareal, hier führte er einige Verhandlungen, die Verträge wurden dann zum Großteil von August von Althaus, dem ersten Salinenverwalter abgeschlossen. Es war ein weitläufiges Areal: Die nördliche Grenze dazu bildete die heutige Bahnhofstraße in östlicher Richtung verlängert bis an die Stille Musel, an dieser nach Süden bis etwa zur Ecke Luisen-/Huberstraße den Alleenweg entlang bis zum Jugendhaus Bohrturm und ein Teil des Sportplatzes gehörte ebenso dazu. Der größte Einzelkauf war das Gasthaus Saline mit der dazugehörenden Unten: Wenden und Walzen des Salzes auf dem Trockenherd. Mühle. Willmann war inzwischen bei der badischen Regierung in Ungnade gefallen – hier hatte mutmaßlich Bergrat Selb seinen Teil dazu beigetragen – er wurde nach St. Blasien versetzt, wo er wenige Jahre später starb, er hinterließ Frau und drei Kinder. Eine Witwenrente vom Staat in Anbetracht der Verdienste um den Salzfund wurde nicht gewährt. Bau von Siedehäusern und Verwaltungsgebäuden Während Althaus die Kaufverträge abschloss und somit das Gelände sicherte, wurde in Karlsruhe Friedrich Arnold damit betraut, die Gebäude des Salinenensembles zu planen und später dann den Bau zu leiten. In seiner Planung griff er den Karlsruher Fächer auf. Mittelpunkt bildete der Platz zwischen den Verwaltungsgebäuden, heute Rathaus I und II – aus diesem Grund gibt es auch die gebogenen Fassaden. In den ersten Obergeschossen waren jeweils Wohnungen, das heutige Büro des Bürgermeisters war beispielsweise das repräsentative Wohnzimmer des Salinenverwalters. Links und rechts des Gebäudes II mit dem kleinen Glockenturm, schlossen sich die vier geplanten Siedehäuser an. 162 Geschichte


Arnold Tschira listet in seiner Zusammenfassung „Die Werkbauten der Saline Dürrheim“ die Jahreszahlen auf: Das Siedehaus I wurde als Erstes gebaut, in einer Rekordzeit von etwa einem Jahr, Einweihung war am 16. Januar 1823. Es stand auf der Fläche, wo heute der kleine Park Ecke Bahnhof-/Luisenstraße ist und zog sich bis in den Wohnblock hinein, der Abriss erfolgte 1933. Das Siedehaus II (Haus des Gastes) wurde ebenfalls 1823 fertig und das Siedehaus III (Haus des Bürgers) 1824, mit ihnen die Salzmagazine und die Solereservoire zwischen den Siedehäusern. Auch das Gebäude IV, das etwa parallel zur Huberstraße stand, wurde gebaut, allerdings nicht als Siedehaus, sondern als Lagerhaus. Der Abriss erfolgte um 1900, als das heutige Hotel Sure Best Western, damals Hotel Saline entstand, welches Jahrzehnte als Kurheim Sanatorium durch einen Schwesternorden betrieben wurde. Bohrhaus I und II (Fundbohrloch) wurden erst 1827 fertig, wobei dieses Gebäude noch nicht die mächtigen Türme hatte wie die heute noch stehenden Bohrhäuser. Es waren eher kleine, rund vier Meter hohe Türmchen, ähnlich wie sie in der Rottweiler Saline zu sehen sind. Das Gebäude wurde 1922 abgerissen, als der erste Kurpark entstand, der auf dem Gelände des heutigen Hindenburgparks lag. Dies waren somit die ersten Gebäude der Saline Bad Dürrheim – oder Ludwigshall, wie sie eigentlich hieß. Der Großherzog hatte erlaubt, diesen Namen sowohl für die Saline als auch für das Dorf zu führen, einzig die Bad Dürrheimer wollten nicht. Der Name fand keinen Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und in das kollektive Gedächtnis. Man sagt, dies könnte auch der Grund gewesen sein, warum Großherzog Ludwig das Dorf auf der Baar nie besuchte. Endlich genug Salz für Baden Das Großherzogtum Baden verfügte sozusagen von heute auf morgen über genügend Salz. Ziel war es, zum 1. Januar 1824 ein staatliches Salzmonopol einzuführen, dafür gab es die Order, dass 20.000 Zentner Salz verteilt werden müssen. Da Baden zum Rheinbund gehörte, ist davon auszuge164 Geschichte


hen, dass es die gleiche Maßeinheit war wie heute. Das Selbe trifft mutmaßlich auch auf Kilo und Gramm zu, auch wenn teilweise nach Aktenlage des Landesarchivs Freiburgs noch mit dem etwas leichteren Kölner Pfund gerechnet wurde. Der Erlass für das Salzmonopol wurde am 25. Oktober 1823 vom badischen Finanzministerium erteilt. Demnach durften nur noch Händler Salz verkaufen, den Hausierern war der Salzhandel verboten. Es war unverkennbar der Wille, den Badnern „gutes getrocknetes Salz, in vollständigem Gewicht und um billigen Preis“ zur Verfügung zu stellen. Baden hatte damals etwa eine Million Einwohner. Es galt für ganz Baden, vom Bodensee bis nach Wertheim und bis in den hintersten Winkel des Schwarzwaldes eine Logistik aufzubauen – dies ging nicht ganz reibungslos vonstatten. Ein Schriftwechsel aus dem Januar und Februar 1824 belegt, dass Karlsruhe ein Muster eines Viertel-Pfund-Gewichts Mitte Januar 1824 an das Großherzogliche Amt in Villingen verschickte. Der Zweck war ein einfacher: Es sollte das Muster sein, damit dort weitere gegossen Der Erlass für das Salzmonopol wurde am 25. Oktober 1823 vom badischen Finanzministerium erlassen. Demnach durften nur noch Händler Salz verkaufen, den Hausierern war der Salzhandel verboten. Die Saline zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Saline Bad Dürrheim 165


werden können, um diese dann an die Kaufleute zu verteilen. Das heißt nichts anderes, als dass es ein Salzmonopol nach Kilo und Gramm gab, aber in den ersten Monaten nicht die richtigen Gewichte dazu. Das Salzmonopol hatte mehrere Jahrzehnte Bestand, es wurde mit einem Erlass der Regierung, datiert vom 25. Oktober 1867 aufgehoben und eine Salzabgabe eingeführt. Während der 150 Jahre, welche die Saline in Bad Dürrheim in Betrieb war, wurden zehn Bohrlöcher niedergebracht, wobei nur eines eine Fehlbohrung war. Als das alte Bohrloch VII in Arbeit war, versiegten teilweise die Brunnen im Dorf. Es befand sich weit außerhalb des Salinenareals, hinter dem Gasthaus Schwert in Richtung Salinensee, heute Friedrichstraße 25. Erst nachdem die Bergleute das Bohrloch mit Lehm ausgekleidet und zugemacht hatten, gab es wieder kontinuierlich sprudelnde Brunnen. Die Salinenverwalter mussten natürlich Buch führen über die Fördermenge, Betriebsstunden und über den Verkauf der Sole und später dann auch an die einzelnen Erholungsheime. (S. Infokasten u.) Heute fördert die Kur und Bäder GmbH aus dem Bohrloch XI auf der Hirschhalde die Sole. Das Gebäude ist nicht größer als eine Garage. Die Solereservoirs sind im Boden eingelassen und weitgehend unsichtbar. Löste früher über das Bohrloch einlaufendes Grundwasser das Steinsalz, muss heute nach Bergbaurecht ein Brunnen dazu gebohrt werden. Im Notbetrieb könnte man die Sole auch aus den Bohrlöchern IX und X in der Luisenstraße, Ecke Hammerbühl straße, fördern. Die Siedehäuser waren jedoch nicht bis in die 1970er-Jahre in Betrieb. Ab 1931 wurde in einem zentralen, staatlichen Siedehaus auf dem heutigen Großraumparkplatz gesiedet, in den beiden noch stehenden Siedehäusern II und III wurden Werkstätten untergebracht. Der etwa 80 Meter hohe Kamin Unten: Salzsäcke aus Bad Dürrheim, die nach Afrika geliefert wurden. Für das Jahr 1910 meldete der damalige Salinenverwalter einen Solegehalt von 27 Prozent bei allen betriebenen Bohrlöchern und eine Soletemperatur von 11 Grad Celsius. Bei der Förderung sind folgende Zahlen belegt: Bohrl. III VII VIII IX X Betriebsdauer Stunden 2143 3418 3671 1776 3524 Fördermenge/ Stunde Liter 2101 3480 3480 1985 3235 Gesamtfördermenge Liter 5.034.931 12.058.640 12.840.280 6.191.085 12.025.423 Gesamtfördermenge: 48.150.359 Liter In der Auflistung ist in der Salzerzeugung Folgendes aufgeführt: 1910: 13.387.150 kg Salz, dazu wurden 44.176.527 l Sole benötigt, das sind rund 330 Liter Sole für 100 kg Salz. 166


Abtragen des Salzes von der Siede-Pfanne auf den Trockenherd. Saline Bad Dürrheim 167


Das Logo der Saline Bad Dürrheim. war über Jahrzehnte Wahrzeichen der Saline und des Orts. Im Dezember 1971 allerdings beschlossen die Betreiber, seit 1965 die Deutsche Salzwerke AG mit Sitz in Heilbronn, die Produktion im Jahr 1972 ganz einzustellen, da die Pfannensalinen nicht mehr wirtschaftlich arbeiteten. Zur Sprengung des Kamins kam es am 30. April 1974, das industrielle Zweckgebäude wurde ebenfalls abgerissen. Dies war eines der sichtbarsten Zeichen für den Niedergang der Saline und deren Schließung. Kurwesen zunächst ein „Nebengeschäft“ Die Saline brachte jedoch noch etwas anderes, es war in den ersten Jahren eigentlich ein „Nebengeschäft“: das Kurwesen. Bad Dürrheim war zum Zeitpunkt der Salinenschließung ein renommierter Kurort im Südwesten. Mit den Kuren begann es in der Mitte des 19. Jahrhunderts, damals noch in einem sehr geringen Umfang. Als ein wirtschaftlicher Wachstumsförderer kann das erste Kindersolbad betrachtet werden, das der badische Frauenverein einrichtete. Dieser war eine Gründung der Großherzogin Luise, er fusionierte später mit dem Badischen Roten Kreuz. Die ersten Solebäder für Kinder gab es ab 1905 im heutigen Gasthof Rössle. Die ersten Kurgäste saßen derweil in ihren hölzernen Badezubern im Badhaus I, welches gleichzeitig das ehemalige Gebäude des Bohrlochs IV war. Dieses stand auf dem Gelände der heutigen Luisenpassage und wurde 1971 abgerissen. Zur Sprengung des Kamins kam es am 30. April 1974, das industrielle Zweckgebäude wurde ebenfalls abgerissen. Dies war eines der sichtbarsten Zeichen für den Niedergang der Saline und deren Schließung. Ein zweites, größeres Badhaus, stand an der Ecke Huber-/Luisenstraße etwa vor dem jetzigen Haupteingang des Kurparks. Die Salinenverwalter mussten auch hier Buch führen, welche Einrichtung wie viel Sole bekam – und nicht immer stimmten die Zahlen im gesamten überein, was Karlsruhe mehr als ein Mal veranlasste, um Aufklärung zu bitten. Großherzogin Luise hatte Bad Dürrheim dazu auserkoren, die Gesundheit der jüngsten Landeskinder zu verbessern. Sie war auch mehrfach in Bad Dürrheim zu Besuch, um nach den Einrichtungen zu schauen und sich zu informieren. Nachdem das Rössle zu klein wurde, baute der Verein in den 168 Geschichte


Oben: In der Abfüllerei für Speisesalz arbeiteten Bad Dürrheimer Frauen. Links: Im Jahr 1931 ging das zentrale Siedehaus in Betrieb, die vier niedrigen Schornsteine waren jedoch nur Dampfabzüge. Gesiedet wurde darin bis 1972. Unten: Die Sprengung des 80 Meter hohen Kaminturms erfolgte am 30. April 1974. Saline Bad Dürrheim 169


170 Geschichte


Seite links, oben: Das Badehaus II stand entlang der Huberstraße, Ecke Luisenstraße, vor dem heutigen Haupteingang des Kurparks. Schon 1916 gab es Erweiterungspläne, die jedoch nie umgesetzt wurden. Links unten: Werbung für „Europas höchstes Solbad“. Links das Kurhaus, daneben der 80 Meter hohe SalinenSchornstein und der frühe Kurpark. Saline Bad Dürrheim Bis zum Ende der 1960er, Anfang 1970er-Jahre gab es eine große Zahl von Kindererholungsheimen, die einen größer, die anderen kleiner. Die Kinder waren über Wochen, teilweise Monate, in Behandlung. In den 1970er-Jahren ebbte dieser Zweig des Kurwesens ab und viele der kleinen Sanatorien schlossen, weil sie nicht mehr rentabel zu führen waren. Einige große Kliniken blieben übrig, denen die Gesundheitsreformen in den 1980erund folgenden Jahren schwer zusetzten. Die Rehaaufenthalte wurden regulär von vier auf drei Wochen verkürzt und die Zeiten von „Morgens Fango, abends Tango“ gingen dem Ende zu. Es schlossen einige weitere der kleineren Rehakliniken. Ein Meilenstein in der Bad Dürrheimer Kurgeschichte bedeutete das Jahr 1987, als das Solemar eingeweiht wurde. Im Vorfeld wurde 1983 der sogenannte „Jahrhundertvertrag“ mit dem Land abgeschlossen. Es übergab die Kureinrichtungen in das Eigentum der Stadt Bad Dürrheim und legte nochmal 27 Millionen Mark dazu, damit das Solemar gebaut werden konnte. Es entwickelte sich in drei Jahrzehnten zu einem Zugpferd für Selbstzahler und Tagestouristen. Heute ist Bad Dürrheim ein dreifach prädikatisierter Kurort: „Soleheilbad“, „Heilklimatischer Kurort“ und „Kneipp-Kurort“. Nach einer neueren repräsentativen Erhebung der Kur und Bäder GmbH werden mit der Reha in Bad Dürrheim rund 100 Millionen Euro pro Jahr umgesetzt. Weitere Informationen zum Thema Saline Bad Dürrheim finden Sie hier: www.almanach-sbk.de/saline 171 Badesalz aus Bad Dürrheim. Für das Jahr 1910 ist folgender Verbrauch aufgelistet: Für den Siedebetrieb Für den Badbetrieb Für den Verkauf Für das Kindersolbad Für das Landessolbad Für das Salinenhotel 44.176.509 l 2.710.424 l 265.093 l 251.000 l 296.000 l 369.600 l 1910er-Jahren das Kindersolbad am Ende der heutigen Luisenstraße, in Bad Dürrheim als Haus Hohenbaden bekannt und seit 2004 leer stehend. Für die erwachsenen Gäste stand die Bäder beispielsweise schon um 1900 im ehemaligen Gasthaus Saline bereit, zu dem Zeitpunkt ein Hotel. Ebenso hatte das Hotel Kreuz eigene Solebadewannen, es entstand das Gasthaus zur Hirschhalde (Seniorenstift) oder das heute nicht mehr existierende Kohlermannsche Jugenderholungsheim, in dem Sophie Scholl einige Wochen ein Praktikum absolvierte, das FriedrichLuisen-Hospiz als jüdisches Kinderheim (die Luisenklinik) und einige mehr.


SEIT JAHREN STROM AUS DEM BRÄNDBACH 172 Geschichte


von Wolf Hockenjos Die Errichtung der Brändbachtalsperre zur Versorgung der Stadt Bräunlingen mit elektrischer Energie darf als gelungenes Beispiel gelten für die konfliktarme Erschließung einer neuen Energiequelle. Vom Bau der Brändbachtalsperre sollten nicht nur die Bürger profitieren, sondern auch Flora und Fauna dank des Kirnbergsees (Foto). 100 Jahre Brändbachtalsperre 173


Mit dem Kirnbergsee entstand ein viel besuchter touristischer Hotspot in der Region und zudem wurde der Hochwasserschutz verbessert. Andernorts ist es im Ringen um die so dringend benötigte Energie bekanntlich weitaus kontroverser zugegangen: Erinnert sei an den „Kampf um die Wutachschlucht“ in den 1950er-Jahren. Auf bunten Plakaten hatte die Schluchseewerk AG auch dort der Bevölkerung einen See – mit Badeund Segelmöglichkeit von Neustadt bis Lenzkirch – versprochen, um für die Ableitung des Wutachwassers in ihr Speichersystem zu werben. Doch um eben dies zu verhindern, sammelte die Arbeitsgemeinschaft Heimatschutz Schwarzwald, eine vom Schwarzwaldverein initiierte erste Bürgerinitiative in der noch jungen Bundesrepublik im Schwere Bauarbeiten mit Steinbrecher und Betonmischanlage. Im Steinbruch am Kirchweg wurde das Rohmaterial für die Betonmischung gewonnen. Mit dem Ausbau der Wasserkraftanlage im Brändbach ist die Stadtgemeinde Bräunlingen für fernste Zeiten von der allgemeinen Energienot und der damit eng verbundenen Preisbildung dieses wichtigen Wirtschaftsfaktors unabhängig geworden. Ingenieur Fritz Hofheinz 1923, zitiert aus Janzing, B.: Baden unter Strom. 174 Geschichte


Rahmen ihrer Aktion „Rettet die Wutachschlucht“ 185.000 Unterschriften. Womit man schließlich auch die Stuttgarter Regierung so beeindruckte, dass die Pläne eingefroren wurden. Proteste hatte es bereits gegen das allererste Flusskraftwerk Badens gegeben, das im Jahr 1895 auf Betreiben des innovationsfreudigen Fürsten Karl Egon III. zu Fürstenberg bei Stallegg in der Wutachschlucht erbaut worden war: Die Angler des noblen Bad Boll Fishing Clubs beschwerten sich, das Wasser werde oft tagelang zurückgehalten, sodass zwei Zentner tote Fische im Wert von 400 Mark zu beklagen seien. Und auch zuletzt noch, beim Bräunlinger Bürgerentscheid im Jahr 2018, hatte sich die Bevölkerung zutiefst gespalten gezeigt pro und kontra Windenergienutzung. Eine Staumauer aus Ruinenresten Nichts von alledem ist uns vom Brändbach überliefert – und dies, obwohl man sich beim Bau der Staumauer nicht gescheut hatte, sich auch des Steinmaterials aus den Ruinenresten der Burg Kirnberg zu bedienen. Der aus hartem Granit bestehende Felssporn, von welchem aus schon die Zähringer die uralte, womöglich bereits von Kelten und Römern benutzte Straßenverbindung vom Breisgau auf die Baar überwachten, sollte sich jetzt als ideale Engstelle zur Abriegelung und zum Aufstau des Brändbachtals erweisen. Nach der vorletzten Kaltzeit (Risseiszeit), in welcher das Tal vergletschert war, hatte der Moränenschutt führende Bach die quer liegende Granitbarriere durchnagt, die hier vor Urzeiten aufgrund einer tektonischen Verwerfung entstanden war. Wie denn die Geologie an diesem nördlichen Rand des „Bonndorfer Grabens“ überhaupt recht kompliziert ausfällt. Sie auch dem Laien zu erklären, bemühte sich in seinem Büchlein Baarwanderungen, Streifzüge durch Landschaft und Kultur mit Prominenten der Region (Baarverein, 2004), schon der wohl beste Kenner der Baar, Prof. Günther Reichelt. Beschrieben hat er sie im Rahmen einer dem vormaligen Bräunlinger Bürgermeister Jürgen Guse gewidmeten Rundtour von Bräunlingen zum Kirnbergsee und zurück. Festliche Grundsteinlegung Exakt vor einhundert Jahren, am 4. Dezember 1921, war Grundsteinlegung an der Talsperre. Den denkwürdigen Tag hat B. Janzing (s. o.) in Bild und Text aus Bräunlinger Quellen festgehalten: „Geschmückt mit Tannenreisig machten sich die Wagen am Mittag auf den Weg von Bräunlingen nach Unterbränd. Mit dabei: die Bräunlinger Räte, Bürgermeister Martin Müller und Stadtpfarrer Julius Meister – und natürlich viele Schaulustige. Es spielte die Stadtkapelle, es sang der ‚Liederkranz‘ und die Ingenieure priesen die Kraft des Wassers, der ‚weißen Kohle‘”. Zu den Hammerschlägen rief Bürgermeister Müller die hehren Worte aus: „Erstehe mit Hilfe Gottes, als ein Denkmal aus schwerer Zeit, als Zeichen deutscher Technik und Tatkraft. Zum Segen der Allgemeinheit und Wohle unserer lieben Vaterstadt.“ Nach der Schmach des Versailler Vertrags war offenbar Grundsteinlegung am 4. Dezember 1921 mit Stadtpfarrer Julius Meister (erste Reihe Zweiter von Links), Ingenieur Hofheinz (Vierter von Links) und Bürgermeister Martin Müller (Fünfter von Links mit Zylinder). 100 Jahre Brändbachtalsperre 175


Oben: Das Kraftwerk in Waldhausen – maschinentechnische Einrichtungen und Schaltraum. vaterländischer Zuspruch gefragt, und so setzte (ebenfalls zitiert nach B. Janzing) der Oberamtmann Weitzel noch eins obendrauf, als er in gereimter Form ausrief: „Ein Segen ruht auf schwerem Werke: Dir wächst, wie Du‘s beginnst, die Stärke. Bescheiden, zögernd fängst du‘s an, und steht‘s am Ziel ein ganzer Mann.“ Die Misslichkeiten heutiger Großbaustellen, ob Stuttgart 21 oder Berliner Großflughafen, waren da, wie man sieht, noch sehr weit weg. Litern Wasser aufstauen. Der Plan stieß auf allgemeine Zustimmung, denn die Wiesen dort waren stark versumpft und wenig ertragreich gewesen. Weil es in den Nachkriegsjahren noch an Arbeitskräften, insbesondere an Maurern, fehlte, wurde beschlossen, die Mauer aus Stampfbeton zu errichten, talseitig verblendet mit Bruchstein. Klar, dass sich hierzu auch die Steine der bereits 1416 von den Fürstenbergern im Zuge einer ihrer Fehden zerstörten Burg anboten. Der Bedarf an Energie wurde größer Um die öffentliche Stromversorgung mit 220 Volt aufzubauen, hatte die Stadt schon 1905 zwei 30-Kilowatt-Dampfmaschinen beschafft und im E-Werk in der Zähringerstraße in Betrieb genommen, doch deren Leistung reichte bald nicht mehr aus. Weshalb man genötigt war, sich nach weiteren Energiequellen umzusehen. Die Wasserführung des Brändbachs, der unterhalb der Stadt in die Brigach mündet, erscheint in Normalzeiten zwar nicht sonderlich ergiebig. Doch mit einer geschwungenen Staumauer von nur 125 Meter Länge und einer Höhe von maximal 15 Metern ließ sich am Kirnberg ein 32 Hektar großer See mit einem Fassungsvermögen von 1,7 Millionen Drei Turbinen und ein U-Boot-Dieselmotor Vom Staudamm aus war eine 2.865 Meter lange gusseiserne Druckrohrleitung mit einer lichten Weite von 70 cm längs des Brändbachs zu verlegen. Sie führt bis hinunter zum 65 Meter tiefer gelegenen, inzwischen denkmalgeschützten Turbinenhaus am Ortsausgang von Waldhausen. Die Baumaßnahmen erfolgten in staunenswert raschem Tempo, die Erdarbeiten ohne jegliche Baggerhilfe und Hydraulik, Rechte Seite: Die Bauarbeiten schreiten voran, im Hintergrund sieht man noch die Wiesenfläche vor der Stauung am 18. Juli 1922. 176 100 Jahre Brändbachtalsperre


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Francis-Spiralturbine mit 150 Kilowatt-Generator, war das Werk in der Lage, jährlich je nach Niederschlag 500.000 bis 1,1 Millionen Kilowattstunden zu produzieren, womit nicht nur die Kernstadt, sondern auch die Nachbarorte, die heutigen Ortsteile Waldhausen, Bruggen und Unterbränd, versorgt werden konnten. Sicherheitshalber, um Bedarfsspitzen abdecken zu können und um gegen „Wasserklemmen“, gegen Trockenzeiten mit allzu geringer Schüttung des Brändbachs, gewappnet zu sein, wurde 1924 zudem ein U-Boot-Dieselmotor installiert. Anschluss an das Laufenburger Kraftwerk Wassermangel zwang freilich in der Folge immer wieder einmal dazu, die alten Dampfkessel in der Zähringerstraße zu reaktivieren, wiewohl sie offiziell (gem. § 19 der Badischen Verordnung zur Dampfkesselaufsicht) gar nicht mehr hätten in Betrieb genommen werden dürfen. Erst 1941 war es damit endgültig vorbei; die Kessel konnten an eine Schwenninger Schuhfabrik verkauft werden. Bis 1949 deckten die Stadtwerke den gesamten Stormverbrauch Bräunlingens mit der Wasserkraft aus dem Kirnbergsee, doch dann war man – wie auch andernorts auf der Baar – wegen des zunehmenden Energieverbrauchs wie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Verlässlichkeit gezwungen, sich dem so viel günstiger anbietenden Laufenburger Großkraftwerk anzuschließen. Damals wurden sogar Stilllegungspläne erörtert. Doch dann besann sich die Stadt: Im Gegensatz zu Vöhrenbach mit seiner Linachtalsperre beschloss man, auch weiterhin auf die eigene Wasserkraft zu setzen und weiter zu investieren. Ohnehin stand eine Sanierung des Staudammes an, für die Stadt ein Anlass, ihn im Sommer 1955 gleich noch um zwei Meter aufzustocken und ihn zusätzlich zu sichern mit einer Vorsatzschale aus Spannbeton. Ausgangs des Jahrtausends war eine erneute Sanierung fällig, weil sich die Festigkeit des Bauwerks vor allem im untersten Bereich des Stampfbetons als unzureichend erwiesen hatte. Weshalb der See erneut abgelassen wurde und eine fünf Millimeter dicke „Geomembran“ aus Polyethylen aufgetragen wurde, ein in Deutschland erstmals angewandtes Verfahren. Nachdem auch das Wasserrecht erneuert werden konnte, reicht die Konzession zur energetischen Nutzung Oben: Schaltanlage im Kraftwerk Waldhausen. Unten: Außenansicht des Kraftwerks Waldhausen Rechte Seite: Staumauer der Brändbachtalsperre. die Loren von Hand gezogen und geschoben, das Material mehrspännig per Pferdefuhrwerk transportiert. Kaum ein Jahr nach der Grundsteinlegung der Mauer, noch im Jahr 1922, konnten zwei Turbinen bereits in Betrieb genommen werden. Weil die Preise zu explodieren begannen, musste man sich vorerst auf eine Francis-Spiralturbine der Firma Voith mit 159-Kilowatt-Drehstromgenerator und eine Pelton-Turbine desselben Herstellers mit 28 Kilowatt beschränken. Nach Einbau der dritten Turbine, einer 178 100 Jahre Brändbachtalsperre


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des Brändbachs nun bis ins Jahr 2060. Wie sich im Zuge des Klimawandels die Niederschlagsmengen entwickeln werden und ob sich die Stromgewinnung aus dem Brändbach weiterhin noch einigermaßen wirtschaftlich betreiben lässt, steht einstweilen in den Sternen. Derzeit liefert die eigene Wasserkraft knapp sechs Prozent des Stromverbrauchs der Stadt. Was sich zum Leidwesen des Stadtrats leider bereits seit Jahren, streng betriebswirtschaftlich gerechnet, in roten Zahlen niederschlägt, sofern sämtliche Unterhaltungsund Abschreibungskosten penibel in Anrechnung gelangen. Wichtige Grundlage für den Tourismus Bürgermeister Micha Bächle ist in Sachen Brändbachtalsperre überaus positiv gestimmt, bezeichnet sie als ein technisches Meisterwerk und ein Zeichen des Fortschrittes. Wörtlich betont er: „Die Talsperre hat die Landschaft rund um Unterbränd verändert und den Kirnbergsee geschaffen, der gerne von Einheimischen und Touristen genutzt wird. Die Brändbachtalsperre war und ist damit zugleich eine wichtige Grundlage für den späteren Tourismus in Unterbränd.“ Dank der Talsperre könnten aktuell pro Jahr rund 500.000 kWh Strom erzeugt werden. Gleichwohl habe sich der Fokus in den letzten Jahren verändert. Aus Gründen des Hochwasserschutzes wurde die maximale Seehöhe um einen Meter abgesenkt. Damit wäre Bräunlingen bei Hochwasser besser geschützt. Der zweite Fokus sei das Thema Tourismus. Gerade im Sommer erfreue sich der See einer großen Beliebtheit. Ebenso für den Naturschutz sei er bedeutend, der Kirnbergsee biete Rückzugsorte und Laichplätze. Bürgermeister Bächle: „Die Stadt Bräunlingen hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder große Summen in die Standsicherheit der Talsperre und in die Tourismusinfrastruktur rund um den See investiert. Und dies wird eine Aufgabe für die Zukunft bleiben.“ Heute Gewinn für Natur und Erholung Erfreulich haben sich unterdessen die Bedingungen für den Naturschutz und für die touristische Nutzung rund um den Kirnbergsee entwickelt. Im Jahr 2000 erhielt ein 80 Hektar umfassendes Areal von Brüssel die Auszeichnung als FFH-Gebiet (FaunaFlora-Habitat) mit dem Schutzzweck: „Erhaltung, Pflege und Förderung von naturnaher Ufervegetation, Pfeifengras-Streuwiesen, sowie nasse und trockene Berg-Mähwiesen und der darin vorkommenden Tierarten“. Auf dem See tummelt sich unüberhörbar ein Graugans-Geschwader und allerlei Entenarten, Haubentaucher und Blässhühner sind auf ihm zu Hause. In der Durchzugsund Rastzeit nutzt ihn eine Vielzahl weiterer Arten. Auch der Biber hat sich eingefunden und lichtet da und dort das Ufergehölz aus Birken, Aspen, Erlen und Weidengesträuch. Hechte, Karpfen, Schleie und Zander können geangelt werden. Das einst von armen Harzern und Köhlern gegründete Dorf Unterbränd hat derweil mit seinen Gasthäusern, Fremdenzimmern und seinem Campingplatz mächtig hinzugewonnen. Am gegenüber liegenden, südöstlichen Ufer boomt der sommerliche Badebetrieb, genießt der Kirnbergsee mit seinem braunen Moorwasser den Ruf als wärmster aller Schwarzwaldseen. Sai sonunabhängig erfreut sich die Fußrunde um den See – tunlichst unter Einbezug der Unterbränder Gastronomie – wachsender Beliebtheit. Ermöglicht wird sie seit hundert Jahren dank der Stromerzeugung – ein Gewinn für Natur und Land schaft wie für die Erholung. Der Kirnbergsee ist auch ein 80 Hektar großes Naturschutzgebiet. 180 100 Jahre Brändbachtalsperre


Oben: Am Geländer der Brändbachtalsperre reiht sich ein Liebesschloss ans andere. Unten: Boote ruhen am Steg – ein sommerliches Bad.


GeheimnisGräberei. Wie ein Augmented-Reality-Projekt den keltischen Grabhügel Magdalenenberg neu denkt. von Peter Graßmann 182 Geschichte Geschichte


Die fiktive Archäologin Dr. Anna Wagner braucht die Hilfe der Besucherinnen und Besucher: Um die Geheimnisse des größten frühkeltischen Grabhügels zu lüften, werden sie auf eine Spurensuche durch die Ausstellung im Franziskanermuseum geführt. Es warten geheime Codes, verborgene Zeichen und wertvolle Gegenstände. Als Lohn winkt der Blick in eine andere Welt – oder es droht Unheil… Das Spiel GeheimnisGräberei nutzt die Augmented-Reality-Technologie, um die Welt der Kelten zum Leben zu erwecken. Auf Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse werden die Ausstellungsstücke rekonstruiert, ihre Geschichte erklärt und ein Blick über das Bekannte hinaus gewagt. Augmented Reality ist die Überlagerung des realen Raums durch digitale Zusatzinformationen. Das Spiel kann kostenlos auf Tablets an der Museumskasse ausgeliehen werden. Das Projekt wurde gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. GeheimnisGräberei 183 183


Grabungsgeschichte im Rückblick Villingen im Herbst 1890: Anstrengende Wochen liegen hinter dem städtischen Oberförster Hubert Ganter und seinem Team. Sechs Tage waren sie damit beschäftigt, Wasser aus dem Großgrabhügel Magdalenenberg zu pumpen, um die Ausgrabung des geheimnisvollen Monuments fortsetzen zu können. Tonnen von Felsgestein mussten sie beiseite schaff en, tausende Kubikmeter Erde bewegen. Seither haben sich um den Grabungstrichter, der von der Spitze des Hügels senkrecht nach unten führt, jeden Tag Schaulustige versammelt, die gebannt den Fortgang der Untersuchungen verfolgen. „Hont er de Schatz bald?“, fragen sie den Leiter des Stadtarchivs Villingen Christian Roder und den Archäologen Karl Schumacher ungeduldig, die, im Anzug und mit Pfeife im Mundwinkel, etwas abseits stehen und das Geschehen mit wissenschaftlicher Neugier verfolgen. Vertreter der Presse, die mit Spekulationen über versunkene Burgen und üppige Schätze die Mutmaßungen befeuert haben, machen sich eifrig Notizen. Als die Arbeiter beginnen, die letzten Meter Erde über der Zentralgrabkammer abzutragen, ist die Spannung mit Händen zu greifen. Doch nachdem sie die eingestürzte Balkendecke freigelegt und sich bis zum Boden der Kammer vorgekämpft haben, bietet sich ihnen ein Bild der Zerstörung: Statt eines Goldschatzes warten nur Trümmer und Fragmente. Jemand war den Wissenschaftlern zuvorgekommen. Off enbar vor sehr, sehr langer Zeit. Das Digitalprojekt: Vergangenes und Verborgenes wird sichtbar gemacht 131 Jahre später: Die Archäologin Dr. Anna Wagner will neueste Forschungsmethoden anwenden, um herauszufi nden, wie die Ausstattung der Fürstengrabkammer einst aussah. Sie setzt dafür auf künstliche Intelligenz, die die damals gefundenen Fragmente mit Ausgrabungen anderer Stätten vergleicht und dreidimensionale Rekonstruktionen erstellt. Leider ist sie von ihrem Arbeitgeber, dem FranziskanerNachdem die Arbeiter die eingestürzte Balkendecke der Zentralgrabkammer freigelegt und sich bis zum Boden vorgekämpft haben, bietet sich ihnen ein Bild der Zerstörung: Statt eines Goldschatzes warten nur Trümmer und Fragmente. Jemand war den Wissenschaftlern zuvorgekommen. Off enbar vor sehr, sehr langer Zeit. Die Ausgräber von 1890 trieben einen Schacht senkrecht von der Hügelspitze direkt in die Zentralgrabkammer des Fürsten. Von links nach rechts: Christian Roder, Karl Schumacher und Hubert Ganter. 184 184 184 Geschichte


museum, entlassen worden, weshalb sie nun einen Mitstreiter braucht, um ihre Forschungen heimlich fortsetzen zu können: den nichtsahnenden Museumsbesucher. Er muss die künstliche Intelligenz mit Informationen füttern, bis sie nach und nach die Geheimnisse des Fürstengrabs preisgibt. Anna Wagner gibt es nicht wirklich und es gibt auch keine künstliche Intelligenz im Franziskanermuseum. Beide sind Teil der fiktiven Storyline des Spiels „GeheimnisGräberei“, das die Geschichte des Magdalenenbergs mit ungewöhnlichen Mitteln erzählen und zugleich einige wichtige Fragen beantworten will: Was ist wirklich vor 2.600 Jahren geschehen? Was ist den Ausgräbern von 1890 entgangen? Und: Wie können wir all das heute noch wissen? Mit dem Spiel läutet das Franziskanermuseum eine neue Phase seiner Vermittlungsarbeit ein, denn als erstes von zwei Digitalprojekten soll „GeheimnisGräberei“ die Augmented-RealityTechnik nutzen, um Vergangenes und Verborgenes sichtbar zu machen und aktuelle Forschungsergebnisse zu vermitteln. Auf einer tieferen Ebene wirft es zeitlose Fragen nach dem wissenschaftlichen Fortschritt, dem Verhältnis zwischen Fakt und Fiktion und dem schwierigen Begriff der Wahrheit auf. Eine verwundete Grabkammer Der Magdalenenberg ist ein frühkeltischer Großgrabhügel südwestlich der Innenstadt von VS-Villingen und mit 33.000 Kubikmeter einer der größten – vielleicht sogar der größte – eisenzeitliche Grab hügel in Mitteleuropa. Seine erste Ausgrabung im Jahr 1890 steht heute im Schatten der spektakulären Zweitgrabung in den 1970er-Jahren, die von Konrad Spindler, dem späteren Erforscher des „Ötzi“, unter reger bürgerschaftlicher Beteiligung durchgeführt wurde. Dabei wurden rings um das Zentralgrab 126 weitere Gräber entdeckt, aus denen die Forscher nicht nur Fundstücke wie Schmuck und Waff en bargen, sondern auch wichtige Informationen etwa zur Sozialstruktur oder den Handelsbeziehungen der frühen Kelten gewinnen konnten. Das umfangreiche Fundmaterial, das auch Holzobjekte in fast unvergleichlich gutem Zustand umfasste, diente seither immer neuen Forschergenerationen zur Untersuchung weiterer Fragestellungen. In den letzten Jahren setzten beispielsweise Julia Koch mit migrationsund gendertheoretischen Ansätzen oder Allard Mees mit einer sehr umstrittenen archäoastronomischen These weitbeachtete Akzente. Die schönsten und interessantesten Funde bilden heute das Herzstück der Ausstellung „Keltisches Fürstengrab Magdalenenberg“ im Franziskanermuseum in Villingen-Schwenningen, wo unter anderem ein aufwändiges Bernsteincollier (s. S. 186 oben), verzierte Dolche oder die mutmaßliche Totenbahre des Fürsten (mit sämtlichen Spuren einer 2.600 Jahre alten Holzbearbeitung!) zu bestaunen sind. Zentrales Ausstellungsstück ist jedoch die mächtige, 6,5 x 8 Meter große Grabkammer des hier bestatteten „Fürsten“, zu dessen Ehren das Grabmonument im Jahre 616 v. Chr. (naturwissenschaftliche Datierung der Grabkammer) errichtet wurde. In dem aus Eichenbalken gezimmerten Kammerboden klaff t ein rechteckiges Loch wie eine off ene Wunde – die Erstausgräber konnten ihr Pech nicht fassen, sägten ein Loch in den Kammerboden und gruben darunter weiter, in der Hoff nung, die ersehnten Schätze doch noch zu bergen, erzählt man sich. Wann und durch wen das Loch tatsächlich entstand, ist allerdings nicht gesichert, nur, dass es bei der Zweitausgrabung bereits vorhanden war. Von der damaligen Enttäuschung zeugen auch jene recht spärlichen Holz-, Lederund Metallfragmente, die entlang eines Steges präsentiert werden, der an der Kammer vorbeiführt und einen Blick ins Innere erlaubt. Diese 1890 in der Zentralgrabkammer entdeckten Funde legen eine Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Anspruch und öffentlicher Erwartung offen: Schon damals wies der bedeutende Archäologe Ernst Wagner, Direktor der Karlsruher Der Villinger Magdalenenberg wurde 1890 erstmals Ziel einer Grabung. GeheimnisGräberei 185


Zu den schönsten Fundstücken aus den Nachbestattungen zählt ein Bernsteincollier. Altertumshalle, der die Grabung wissenschaftlich begleitete und auswertete, darauf hin, dass diese unscheinbaren Reste durchaus wichtige Erkenntnisse bargen. So ließ sich anhand von Radfragmenten der Typus des beigegebenen Wagens bestimmen und das gesamte Grab somit in die Hallstattzeit (800 – 450 v. Chr.) datieren. Ein merkwürdiger, kleiner BronzevoDer wahre Schatz ist die Erkenntnis, nicht der materielle Wert der Gegenstände. Und Erkenntnisse über die Kelten konnten durch den Magdalenenberg mehr als genug gewonnen werden – auch aus der geplünderten Zentralgrabkammer. gel in abstrahierter Gestalt wies in die Ideenwelt der Bronzeund frühen Eisenzeit und unterstrich diese frühe Datierung. Besonders ansehnlich sind die Funde indes nicht. Beim Gedanken an eine Fürstengrabkammer kommen den Besuchern eher Bilder des Pharaonengrabs Tutanchamuns oder, kulturell etwas näher liegend, der Grabkammer von Hochdorf in den Sinn: Prall mit fantastischen Gegenständen gefüllte Wohnstätten für die Toten, die ihre Entdecker zu berühmten Figuren vom Schlage eines Heinrich Schliemann oder Howard Carter machen. Überhaupt: Was ist schon eine Schatzkammer ohne Gold? Jahrzehnte der kulturellen Rezeption von Archäologie, von der Entdeckung „Trojas“ bis zu den fiktiven Helden von „Indiana Jones“, „Tomb Raider“ oder „Uncharted“, haben die Altertumswissenschaft mit der Schatzsuche verknüpft, mit dem Hauch von Geheimnis und dem Lockruf des Abenteuers. Die schnöde Realität kann diesem Vergleich kaum standhalten – dabei kann ein prächtiges Goldobjekt unter Umständen wissenschaftlich weit weniger interessant sein als ein einziger Radnagel. Der wahre Schatz ist eben die Erkenntnis, nicht der materielle Wert der Gegenstände. Und Erkenntnisse über die Kelten konnten durch den Magdalenenberg mehr als genug gewonnen werden – auch aus der geplünderten Zentralgrabkammer. 186 Geschichte


Die Augmented-Reality-Technologie ermöglicht mittels Rekonstruktionen den Blick in die ungeplünderte, reich gefüllte Grabkammer des Magdalenenbergs. Im Franziskanermuseum: Entlang der ausgestellten Zentralgrabkammer führt ein Steg mit den darin im Jahre 1890 entdeckten Funden. GeheimnisGräberei 187


Die erneute Inventarisierung der 1890 geborgenen Fragmente ließ im Franziskanermuseum die Idee entstehen, dieses Wissen mit einer anschaulichen Darstellung zu verknüpfen, indem die ehemalige Grabkammerausstattung rekonstruiert wird: virtuell, dreidimensional, mittels Augmented-Reality (AR). In Workshops mit der Medienund Filmgesellschaft wurde die Ursprungsidee weiterentwickelt. Im Bild von links nach rechts: Museumsleiterin Dr. Anita Auer, Projektleiter Peter Graßmann und wissenschaftlicher Berater Thomas Hoppe. Ein Abbild der eigenen Vergangenheit Die erneute Inventarisierung der 1890 geborgenen Fragmente ließ im Franziskanermuseum die Idee entstehen, dieses Wissen mit einer anschaulichen Darstellung zu verknüpfen, indem die ehemalige Grabkammerausstattung rekonstruiert wird: virtuell, dreidimensional, mittels Augmented-Reality (AR). Bei dieser Visualisierungstechnik werden reale Raumeindrücke mit virtuellen Objekten überlagert. Der Benutzer blickt durch ein Gerät – zum Beispiel ein Smartphone, Tablet oder eine AR-Brille – und sieht nicht nur den echten Raum, in dem er sich befindet, sondern auch digital erstellte Zusatzinformationen. Für Museen hat das unter anderem den Vorteil, dass nicht (bzw. nur minimal) in den realen Ausstellungsraum eingegriffen werden muss, sodass z. B. Ergänzungen an Exponaten vorgenommen werden können, ohne das Objekt selbst zu verändern. Im Fall der Magdalenenberg-Grabkammer ist es gerade deren materielle Präsenz, die den Besucher beeindrucken und die nicht zur Bühne degradiert werden soll. Vielmehr ermöglicht es Augmented Reality, das reale archäologische Objekt um ein Abbild seiner eigenen Vergangenheit zu ergänzen. Die Rekonstruktion kann somit die Pracht des Fürstengrabes enthüllen und dessen damalige Bedeutung greifbar machen. Mit dieser Idee bewarb sich das Franziskanermuseum 2018 für die Förderlinie des Landes BadenWürttemberg „Digitaler Wandel an nichtstaatlichen Museen im ländlichen Raum“ und wurde als eines von vier Museen ausgewählt. Es folgte ein Jahr der intensiven Vorbereitung durch die Medienund Filmgesellschaft im Rahmen des Coachingprogramms „Museen im Wandel“, in dessen Verlauf die Idee mehr und mehr Gestalt annahm. Eine zentrale Erkenntnis war dabei, dass sich die Anwendung im ständigen Austausch mit den späteren Nutzern weiterentwickeln müsse. Statt ihnen ein fertiges Produkt vorzusetzen, sollten die Museumsbesucher aktiv in die Entwicklung einbezogen werden und in einem „Bürgerbeirat“ die Möglichkeit zu konstruktivem Feedback erhalten. Neues Licht auf alte Funde Mit der Aufgabe, den ehemaligen Grabkammerinhalt zu rekonstruieren, stellte sich zunächst die Frage nach der korrekten Interpretation und Zuordnung der noch vorhandenen Fragmente. Diese lassen sich hauptsäch188 Geschichte


Wagen von ComoCa‘Morta, GolaseccaKultur (Italien) um 700 v. Chr. Eine ähnliche Gitterung könnte auch der Wagen vom Magdalenenberg besessen haben. lich drei Objekten zuordnen, die sich somit sicher im Grab befunden haben müssen: ein vierrädriger Wagen, ein junges Schwein sowie die sterblichen Überreste des Fürsten. Außerdem könnte es sich bei drei weiteren Objekten um die Reste eines Bogens, eines Pfeilschaftes sowie einer Holzschale handeln. Über den Wagen wollten weder Konrad Spindler noch die Erstausgräber weitergehende Mutmaßungen anstellen und beschränkten sich stattdessen auf die Rekonstruktion der Räder, deren Bestandteile noch in ausreichendem Umfang erhalten waren. Die Deutung sämtlicher weiterer mutmaßlicher Wagenbestandteile, also des Wagenkastens, Unterbaues oder der Deichsel, ist umstritten, doch lassen sich bei genauerer Betrachtung einige Schlüsse ziehen. So gehören zu den interessantesten Holzfunden 13 etwa 15 cm hohe, sich elegant verjüngende Bolzen, die wohl mit ihren beiden rechteckigen Enden in Löcher eingesteckt waren. Nicht nur die große Zahl der Bolzen erstaunt, sondern auch deren einheitliche, gut gearbeitete Erscheinung, die keine rein konstruktiv-statische Nutzung, sondern vor allem eine Zierfunktion nahelegt. Ihre Höhe stimmt exakt mit der Durchschnittshöhe von hallstattzeitlichen Wagenkästen überein – naheliegend also, dass sie ebenfalls Teil des Wagens waren und man sich diesen mit einer seitlichen Gitterung vorstellen muss. Ähnliche Konstruktionen kennt man von den etwas später zu datierenden Fahrzeugen aus Diarville und Vix (Frankreich), aber auch aus dem, der Golasecca-Kultur zugeordneten, Grab von Como-Ca‘Morta (Italien) oder, in diesem Fall mit Zierblechen ausgekleidet, dem Wagen von Ohnenheim. Bei der Rekonstruktion des Wagens vom Magdalenenberg für die AugmentedReality-Anwendung entschieden sich die Entwickler für eine eher schlicht gehaltene Darstellung. GeheimnisGräberei 189


Könnte so das Joch im Magdalenenberg ausgesehen haben? Ebenfalls um Teile des Wagenaufbaus dürfte es sich bei diversen Holzleisten mit angenagelten Lederresten gehandelt haben, die in verschiedenen Größen und Formen vorliegen und an die seitliche Lederbespannung des Wagens von Mitterkirchen erinnern. Hier zeigt sich bereits, dass eine vollständige Rekonstruktion nicht gelingen kann: Hatte der Wagen eine seitliche Lederbespannung oder eine Gitterung? Die Fragmente sind zu stark beschädigt und in zu geringer Menge erhalten, als dass sich deren Positionen zueinander noch ermitteln ließen. Bei der Augmented-RealityAnwendung entschieden sich die Entwickler daher für eine Hybridlösung, die beide Möglichkeiten kombiniert (s. Abb. S. 189 unten). Ansonsten wurde der Wagen bewusst eher schlicht gehalten, jedoch basierend auf der Farbgebung von Stoffen und Keramiken mit farbigem Anstrich versehen, auch hier in Anlehnung an den Prunkwagen von Mitterkirchen. In einem Punkt musste Konrad Spindler korrigiert werden: Für seine Rekonstruktion der Wagenräder hatte er einen zu geringen Durchmesser gewählt. Es zeigte sich, dass ein solches Rad bei gleichzeitig dichter Benagelung den Belastungen nicht standgehalten hätte und schon auf der Jungfernfahrt zerbrochen wäre. Offenbar handelte es sich vielmehr um zweireihige Segmentfelgen mit einem inneren und einem äußeren Kranz, die zusammen demnach die doppelte Breite besaßen wie von Spindler berechnet. Zwar haben sich keine Felgenklammern erhalten, die beide Kränze zusammenhielten, doch sagt dies in Anbetracht der generell schlechten Fundlage wenig aus. Als Achsnagel fungierte ein Radvorstecker mit schleifenförmigem Kopf, eine typische Form für den südwestdeutschen Raum und die Voralpenzone, was eine regionale Produktion nahelegt. Nach dem Archäologen Christopher Pare lässt sich der Wagen somit dem „Typ 5“ zuordnen, dessen nächste „Verwandte“ in Erkenbrechtsweiler, Inzigkofen-Vilsingen, Kappel-Grafenhausen und Winterlingen zu finden sind. Bronzevogel als Verbindung ins Jenseits Wahrscheinlich gehörte auch der kleine Bronzevogel, eine 4,1 cm hohe abstrahierte Aufsteckfigur, zum Wagen oder seinen Zugtieren. In der Vorstellungswelt der Bronzeund Früheisenzeit sah man offenbar eine Verbindung zwischen Vögeln, Fahrzeugen und dem Jenseits; vielleicht als Teil einer alten, indoeuropäischen Mythologie, deren Rudimente sich in der Sage vom Schwanenwagen Apolls erhalten haben könnten. Ähnliche Tierappliken finden sich jedenfalls auch am Pferdejoch aus Hochdorf, im dortigen Fall in Form von Pferdefigürchen, die die Jochmitte zu beiden Seiten flankierten. Für das Vorhandensein eines Pferdegeschirrs im Grab sprechen auch ein halbkreisförmig gebogenes Bronzeblech mit Kreisaugenornament, das Julia Koch in ihrer Übersichtsarbeit zum Wagen von Hochdorf als Jochbeschlag interpretiert, sowie drei kreisrunde Bronzescheiben, die als Verteiler für Lederriemen fungierten. Aus diesen wenigen Spuren zeichnet sich die große Bedeutung von Wagen und Pferden ab, die typisch ist für die sogenannten „Fürstengräber“ der Hallstattzeit. Für Kopfzerbrechen sorgt hingegen seit jeher ein etwa 45 cm langes, sauber bearbeitetes Holzstück, das an den Enden rechteckige Löcher aufweist. Spindler schrieb zu dem länglichen Objekt: „[Es] könnte von einem thronartigen Sessel [stammen], der auf dem Wagen gestanden haben mag […]“. In Frage käme aber auch ein Teil einer GrabwagenRücklehne, wie sie vom Prunkwagen von Mitterkirchen oder aus der etruskischen Tomba Regolini-Galassi bekannt ist. Ein in den Maßen und der Gestaltung vergleichbares Stück ließ sich bislang jedenfalls nicht finden. Die größte Ähnlichkeit scheint das Stück mit griechischen Kantholzstühlen zu haben, die im 4. und 5. Jahrhundert häufig als Götterthrone dargestellt wurden. Die etwa vier Zentimeter große Aufsteckfigur aus dem Zentralgrab zeigt einen stilisierten Vogel. 190 Geschichte


„Sessellehne“ aus dem Magdalenenberg. Im Geschmack der Zeit Ernst Wagner hatte also Recht: Auch die kleinen Fragmente aus der Zentralgrabkammer bieten spannende Erkenntnisse über das Leben und Sterben vor 2.600 Jahren. Dem Fundort Magdalenenberg kommt dabei besonders zugute, dass Holzund Lederreste erhalten blieben, die nur selten im Boden überdauern. Was aber befand sich noch in der Grabkammer, außer den wenigen Fragmenten, deren Funktion sich mehr oder weniger plausibel erklären lässt? Ein Blick auf besser erhaltene Fundkomplexe aus derselben Zeit und Kultur, wie Kappel-Grafenhausen oder Hohmichele Grab VI, lässt eine gewisse „Standardisierung“ der Ausstattung erahnen, die sich durch zeittypische Vorlieben, die Verfügbarkeit bestimmter Objekte und Materialien sowie gemeinsame kulturelle Werte und Vorstellungen ergibt. So scheint neben den unabkömmlichen Wagen auch die Beigabe von Waffen, Keramikund Bronzegefäßen, Nahrungsmitteln sowie Stoffen üblich gewesen zu sein. Die Bronzegefäße dürften besonders prestigeträchtig gewesen sein, handelte es sich doch oft um wertvolle Importstücke aus dem italienischen und griechischen Mittelmeerraum wie Schalen, Kannen oder Eimer. Goldgegenstände waren hingegen – anders als eine Generation später – in der Zeit um 600 v. Chr. noch eher selten. Wenn in deren Auffindung die Hoffnung der Ausgräber von 1890 bestand, wären sie also selbst von einem ungeplünderten Grab enttäuscht worden! Durch die Vergleichbarkeit der Beigaben ergibt sich die Möglichkeit einer plausiblen Rekonstruktionshypothese: Auch der Fürst vom Magdalenenberg dürfte über Bronzegefäße verfügt haben, denn weitläufige Kontakte seiner Gemeinschaft in alle Himmelsrichtungen lassen sich aus den zahlreichen Importfunden aus den Nachbestattungen ablesen. Da die Grabkammern in der Regel recht dicht gefüllt waren, lässt das auf eine entsprechend große Zahl derartiger Güter schließen. Sicher haben auch Natürlich bleibt das genaue Aussehen der Grabkammer vom Magdalenenberg unbekannt. Eine Visualisierung kann nur einen grundsätzlichen Eindruck, ein begründetes „so ähnlich“ vermitteln. Waffen eine große Rolle gespielt: Auf das vermeintliche Bogenfragment und den Pfeilschaft wurde bereits eingegangen. Vermutlich gehörte zu dieser Ausstattung auch ein Köcher, wie er in Kappel gefunden wurde, und auch einen Dolch hat der Fürst wohl getragen, so wie einige seiner nachbestatteten Gefolgsleute. Insgesamt waren die Kammern sehr wohnlich und vornehm eingerichtet, ihre Böden mit Fellen oder Stoffen ausgelegt und an den Wänden mit bunten Stoffvorhängen geschmückt. Natürlich bleibt das genaue Aussehen der Grabkammer vom Magdalenenberg unbekannt. Es ist, als stünde man vor der Aufgabe, eine Berliner Wohnung der 80er-Jahre zu rekonstruieren: Mit den entsprechenden Informationen (Wie groß? Ost oder West? Arm oder Reich? Single oder Familie? Welcher Bildungsstand? etc.) lässt sich eine „zeittypische“ Einrichtung entwerfen, die aber den individuellen Geschmack nie völlig treffen kann. Insofern kann die Visualisierung nur einen grundsätzlichen Eindruck, ein begründetes „so ähnlich“ vermitteln. Diebstahl oder Denkmalsturz? Bleibt letztlich die Frage, was mit all diesen Gegenständen geschehen ist. Dass die Grabkammer geplündert wurde, beweisen zurückgelassene „Tatwerkzeuge“ in Form von Holzspaten sowie ein Schacht, durch den die Räuber ins Grab eingedrungen sein müssen. Die Räumung einer solch großen Grabkammer kann aber kaum in einer heimlichen Nachtund Nebelaktion geschehen sein, sondern erforderte den Einsatz GeheimnisGräberei 191


Im Museum weisen Marker auf 3D-Rekonstruktionen hin, die über ein Tablet angezeigt werden können. mehrerer Arbeiter über einen längeren Zeitraum. Weitere Merkmale lassen aufhorchen: Die Knochen des Fürsten lagen, wie andere Gegenstände auch, wild verstreut auf dem Kammerboden und waren teilweise zerbrochen. Eine Fraktur des rechten Schienbeins lässt darauf schließen, dass diese Gewalteinwirkung bereits wenige Jahre nach der Grablege stattfand. Diese zeitliche Nähe, das enorme Schadensbild sowie der Umfang des Unternehmens lassen vermuten, dass es den Grabräubern nicht nur um materielle Bereicherung ging, sondern um eine bewusste Entweihung des Grabes und damit eine Delegitimierung des sicher nach seinem Tod kultisch verehrten Fürsten. Hatten sich die Machtverhältnisse verändert? Nach der Plünderung wurde der Magdalenenberg nicht mehr als Begräbnisstätte genutzt, von den Kelten finden sich keine weiteren Spuren im näheren Umkreis. entwickelte sich die Idee weiter in Richtung eines Spiels, das die Besucher aktiv miteinbeziehen und sie selbst in die Forscherrolle versetzen sollte. Damit tauchten jedoch neue Probleme auf: Wie unterscheidet man in einem Spiel Fakten und Fiktionen? Wie macht man dem Besucher klar, dass es sich zum Teil um wilde Spekulationen handelt? Und wie schafft man es gleichzeitig, ihn nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu belehren, sondern sicherzustellen, dass das Spiel auch Spaß macht? Die Entwickler lösten das Problem, indem sie aus der Not eine Tugend machten. „GeheimnisGräberei“ gibt gar nicht vor, sichere Erkenntnisse zu vermitteln, sondern spielt bewusst mit verschiedenen Realitätsebenen. Leiht der Besucher das Tablet aus, meint er sich zunächst in Was sind Fakten, was ist Vision? Im Zuge der Projektarbeit wuchs die Erkenntnis, dass ein passiver Blick in die Grabkammer unter den Möglichkeiten blieb, die sich mit Augmented-Reality auftaten. Gemeinsam mit der Tuttlinger Firma NUMENA 192 Die Grabräuber hinterließen ihre „Tatwerkzeuge“ in Form von hölzernen Spaten. Geschichte


Unter Anleitung einer fiktiven Wissenschaftlerin muss der Spieler von „GeheimnisGräberei“ kleine Puzzles lösen. einem gewöhnlichen Multimedia-Guide wiederzufinden, der ihn durch die Ausstellung führen soll. Plötzlich taucht eine Fehlermeldung auf, ein Chatfenster öffnet sich, jemand scheint das Gerät gehackt zu haben. Dr. Anna Wagner, die fiktive Archäologin, meldet sich zu Wort und erklärt dem Nutzer seine Aufgabe: Er soll eine künstliche Intelligenz mit Informationen zu den Objekten im Ausstellungsraum füttern, damit diese einige wichtige Fragen zum Magdalenenberg beantworten kann. Hierzu wird er von Exponat zu Exponat geführt, muss kleine Rätsel und Puzzles lösen, die sich oft an reale archäologische Forschungsmethoden anlehnen. In einer Station geht es zum Beispiel darum, Bohrproben aus der Holzgrabkammer zu gewinnen und diese in einen dendrochronologischen Kalender einzufügen, mit dessen Hilfe die Proben datiert werden können. Hat der Spieler das Puzzle gelöst, wird ihm eine Visualisierung angezeigt, entweder vom Ausstellungsobjekt in der Vitrine oder dem gesamten Grabkammerraum. Indem diese Visualisierungen als Interpretationen der fiktiven künstlichen Intelligenz gedeutet werden und eben nicht als Forschungsergebnisse einer realen Autorität, soll die Unsicherheit des Dargestellten unterstrichen werden. Im Laufe der Handlung scheint die künstliche Intelligenz schließlich ein Bewusstsein zu entwickeln und nimmt die Rolle des Fürsten an, der nun seinerseits ein Ziel verfolgt, das über die reine Rekonstruktion hinausgeht. Hier bewegt sich das Spiel zwar vollständig ins Fiktive hinein, doch mit durchaus historischem Hintergrund: Die Vorstellungen des KI-Fürsten entspringen der keltischen Ideenwelt, soweit sie sich rekonstruieren und in die Hallstattzeit übertragen lässt. So spielt etwa die Totenfolge eine Rolle, ein Brauch, wonach ein Mensch einem Verstorbenen freiwillig oder unfreiwillig ins Grab folgen musste. Bis in die jüngere Vergangenheit Spieler von GeheimnisGräberei werden von Exponat zu Exponat geführt, müssen kleine Rätsel und Puzzles lösen, die sich oft an reale archäologische Forschungsmethoden anlehnen. GeheimnisGräberei 193


Der Magdalenenberg ist der größte frühkeltische Grabhügel in Mitteleuropa. überlebte dieses, uns heute barbarisch anmutende Ritual, als Sati (Witwenverbrennung) in Indien. Einige Gräber im Magdalenenberg, in denen zwei Tote mit unterschiedlichem sozialen Status gleichzeitig bestattet wurden, scheinen genau diesen Brauch zu belegen. Durch die Schichtung der Realitätsebenen, vom vermeintlichen Multimediaguide über den Chat mit der Wissenschaftlerin bis hin zum KI-Fürsten, wird der Anspruch aufgegeben, sichere Wahrheiten zu vermitteln. Stattdessen bleibt alles bewusst spekulativ, fiktiv, subjektiv – aber gut begründet. Erst am Schluss des Spiels werden Fakten und Fiktionen wieder getrennt, Im Verlauf des Spiels begegnet man auch dem Fürsten höchstpersönlich. Anthropologische Untersuchungen und Fundstücke beweisen, dass er ein Bogenschütze war. indem in einer Art Epilog die wichtigsten Fragen beantwortet werden. Zum Beispiel: Gibt es Anna Wagner wirklich? Das Spiel versteht sich somit nicht als Ersatz zu den vorhandenen Ausstellungstexten, sondern legt bewusst einen anderen Schwerpunkt, nämlich den einer fiktionalisierten, spannenden Erzählung mit seriösem Hintergrund, in bester Tradition der populären Vermittlung von Archäologie: Hier wartet das Abenteuer, an das Begriffe wie „Schatzsuche“, „Keltenfürst“ und „Grabraub“ denken lassen, und Erinnerungen werden wach an die keltische „Anderswelt“, die Sphäre der Geister und Götter, die wie eine zweite Schicht neben unserer Alltagsrealität liegen soll. Wie geht‘s weiter mit dem Magdalenenberg? Das Spiel „GeheimnisGräberei“ wird ab dem 1. September für alle Besucher des Franziskanermuseums kostenlos zur Ausleihe auf Tablets zur Verfügung stehen. Damit ist die Vermittlung neuerer Forschungsergeb194 Geschichte


nisse aber noch nicht ausgeschöpft. Entsprechend groß war die Freude über die Förderung eines Folgeprojektes mit dem Arbeitstitel „Machtzentrum Magdalenenberg“ im Rahmen der Landeskonzeption „Baden-Württemberg und seine Kelten“, in dem das Umfeld des Grabhügels und die Suche nach der verschollenen Siedlung thematisiert werden sollen. Die noch von Spindler vertretene These, dass sich diese auf dem bereits im Schwarzwald gelegenen Felssporn Kapf befunden habe, wurde in den letzten Jahrzehnten immer stärker hinterfragt. LIDAR-Scans schienen 2012 eher die Vermutung zu stützen, dass sich die Siedlung in unmittelbarer Nähe zum Grab befand, denn den Archäologen fielen bei der Analyse der Bilder auffällige Gräben und Wälle ins Auge, die vielleicht menschlichen Ursprungs sein könnten. Eine Probegrabung erbrachte jedoch keine eindeutigen Ergebnisse. Lässt sich das Rätsel lösen, indem weitere keltische Fundorte in der Umgebung einbezogen werden? Das Projekt „Machtzentrum Magdalenenberg“, dessen Ergebnis eine App fürs eigene Smartphone sein soll, die vor Ort am Hügel genutzt werden kann, will deutlich machen, dass der Magdalenenberg nicht isoliert in der keltischen Landschaft um 600 v. Chr. existierte, sondern weitere hallstattzeitliche Fundorte im näheren und weiteren Umfeld bekannt sind, die mit diesem wichtigen Grabhügel und seinen Erbauern in Verbindung gebracht werden könnten. Auffällig ist zum Beispiel die direkte Parallelisierung des Hügels auf der Westseite des Schwarzwalds durch den zeitlich identischen Grabhügel Bürgle bei March-Buchheim. Markierten die Großgrabhügel vielleicht die Einund Ausgänge einer prähistorischen Schwarzwaldstraße, gründete sich der Reichtum ihrer Fürsten auf die Einfuhr von „Zöllen“? Es bleibt spannend und im Rätsel um den größten frühkeltischen Grabhügel Mitteleuropas warten noch zahlreiche (Ge-)Schichten darauf, entdeckt zu werden. GeheimnisGräberei Ein Augmented-Reality-Spiel zum keltischen Fürstengrab Magdalenenberg Das Spiel kann kostenlos auf Tablets an der Museumskasse ausgeliehen werden. www.franziskanermuseum.de www.facebook.com/franziskanermuseum/ www.instagram.com/franziskanermuseum/ GeheimnisGräberei 195


Zur Architektur und Geschichte des Hofguts Ankenbuck: Arbeiterkolonie und Konzentrationslager von Marc Ryszkowski 196 196 Geschichte Geschichte


Arbeiterkolonie und Konzentrationslager Ankenbuck 197 197


Im Frühjahr 2020 startete ein Forschungsprojekt des Landesamts für Denkmalpflege, das sich seitdem mit der historischen Bestandssituation der ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager in den ehemaligen Ländern Baden und Württemberg beschäftigt. Zu den fünf landesweit zu untersuchenden Objekten zählt auch das Hofgut Ankenbuck bei Klengen im Schwarzwald-Baar-Kreis, auf dem zwischen 1933 und 1934 ein Konzentrationslager durch das badische Innenministerium betrieben wurde. Über die Phase der KZ-Nutzung als historischer Bezugspunkt hinaus erwies sich das Hofgut als architektonisch und kulturhistorisch sehr interessant – immerhin handelt es sich beim Ankenbuck um die einzige im Großherzogtum Baden realisierte Arbeiterkolonie, deren zentraler Gebäudebestand im frühen 20. Jahrhundert von den bekannten Karlsruher Architekten Adolf Williard und Emil Schweickhardt entworfen wurde. Das Hofgut Ankenbuck ist aufs Engste mit dem „Badischen Landesverein für Arbeiterkolonien“ als Teil der Inneren Mission verbunden, der das ursprünglich aus zwei benachbarten Höfen bestehende Gut 1884 kaufte und bis zum Ersten Weltkrieg zur einzigen Arbeiterkolonie im Großherzogtum Baden ausbauen sollte. 1918 verlor der Verein mit dem großherzoglichen Haus seine wichtigsten Förderer. Gleichzeitig führten neue Formen staatlicher Fürsorge in den 1920er-Jahren zum Verlust der Sinnhaftigkeit des Konzepts der Arbeiterkolonie, was die stark sinkende Zahl an Kolonisten in dieser Zeit belegen. Die ab dem späten 19. Jahrhundert überlieferten Jahresberichte des Landesvereins für Arbeiterkolonien belegt die Abhängigkeit von großherzoglichen Zuwendungen wie auch die Probleme, die bereits der Beginn des Ersten Weltkriegs und die damit einhergehenden rückläufigen Belegungszahlen mit sich brachte. Die finanzielle Schräglage sollte durch eine Reihe von „Nebennutzungen“ aufgefangen werden, zu der die Vermietung eines Teils der Gebäude als Gefängnis an die badische Justizverwaltung in den 1920er-Jahren, der Betrieb eines Konzentrationslagers durch das badische Innenministerium zwischen 1933 und 1934 und die Vermietung des Kolonistenhauses an die Organisation Todt noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gehörten. Das Ende für den Verein und damit für die einzige badische Arbeiterkolonie kam schließlich mit Verspätung im Jahr 1946 – ab da wechselte das Hofgut regelmäßig den Besitzer, vom Kreis über einen Geschäftsmann aus dem Ruhrgebiet ohne landwirtschaftliche Vorkenntnisse, der Bundeswehr bis zu den Eltern des heutigen Besitzers. Arbeiterkolonie und Konzentrationslager Arbeiterkolonien waren konzeptionell ein reichsweites Phänomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das der sich veränderten wirtschaftlichen und sozialen Situation im Zusammenhang mit der Industrialisierung und insbesondere dem verstärkten Aufkommen der „Wanderarbeiter“ Rechnung trug. Sie waren in vielen Fällen konfessionell getragen und der zeitweise Aufenthalt mit der Verpflichtung zur Mitarbeit im angegliederten Betrieb verbunden. Dieser Grundgedanke wurde auf unterschiedliche Arten umgesetzt. 198 Geschichte


Die Arbeiterkolonie Ankenbuck als Ansichtskarte. Aufgelegt für die Kolonisten, damit sie Angehörigen von ihrem Aufenthaltsort berichten konnten, denn die meisten waren als Wanderarbeiter ohne festen Wohnsitz unterwegs. Annonce aus der Triberger Zeitung „Echo vom Wald“. Mehrfach bittet die Arbeiterkolonie 1884 dringend um Sachspenden und Kleidungsstücke. Die Arbeiterkolonie Ankenbuck war von Beginn an neben Wanderarbeitern auf ehemalige Häftlinge und „Vagabunden“ ausgerichtet. Sie war keinesfalls eine Kommune im Sinne der zeitgenössischen Lebensform, sondern eine autoritär geführte Erziehungseinrichtung für Randgruppen der kaiserzeitlichen Gesellschaft. Das Vorhaben, diese Personengruppen durch geregelte Arbeit zu resozialisieren scheiterte meist schon an der geringen Vergütung, der die Aufwendungen für Kost und Logis gegenüberstanden und die keine Rücklagen für einen Neuanfang erlaubte. In den Briefen der Kolonisten erscheint der Ankenbuck daher eher als soziale Falle und Endstation der Verelendung denn als erste Stufe eines sozialen Aufstiegs. Auch aus diesem Grund gaben vor dem Ersten Weltkrieg einzelne Strafgefangene, die ihre Reststrafe im Sinne der Resozialisierung in der Arbeiterkolonie verkürzen durften, auf eigenen Wunsch hin einer badischen Haftanstalt den Vorzug – bei voller Verbüßung ihrer Strafe. Ihre „Blütezeit“ in dieser Phase, aus der auch das bis heute noch erhaltene bemerkenswerte Gebäudeensemble des Ankenbucks stammt, verdankt die Arbeiterkolonie in erster Linie der Förderung durch Angehörige des Großherzoglichen Hauses u. a. Mitglieder der Arbeiterkolonie und Konzentrationslager Ankenbuck 199


guten Gesellschaft Badens. Seit der Gründung der Arbeiterkolonie bis in die Zwischenkriegszeit wirbt der Verein außerdem in regelmäßigen Annoncen um Geldund Sachspenden (s. Abb. S. 199). Auch wenn bis zum Ersten Weltkrieg die Zahl der Kolonisten konstant hoch war, machten die Böden und das Klima der rauen Baar die Landwirtschaft von Anfang an zu einem schwierigen Unterfangen. In seiner autoritär-erzieherischen Ausrichtung auf gesellschaftliche Randgruppen präfigurierte der Ankenbuck schon sehr früh das, was nach 1933 zu einer Hauptaufgabe der noch existierenden Arbeiterkolonien im Deutschen Reich werden sollte. Und der Weg von der pietistisch inspirierten Arbeiterkolonie zum Standort eines frühen KZs war dementsprechend verhältnismäßig kurz. Das repräsentative Kolonistenhaus war zu diesem Zeitpunkt längst unterbelegt und ein KZ als Zwischennutzung eine willkommene Einnahmequelle. Es erlaubte die Unterbringung von bis zu 100 Häftlingen, die in der Mehrzahl aus „politischen Gründen“ inhaftiert wurden. Die notwendige Ausstattung, also Betten, Decken, Geschirr usw. wurde dem Konzentrationslager leihweise von der Heilund Pflegeanstalt in Emmendingen überlassen und 1934 nach Auflösung des Lagers wieder an diese zurückgegeben. Die verbliebenen Kolonisten mussten mit der Einrichtung des Konzentrationslagers im Frühjahr 1933 zunächst in den „Alten Hof“ und nach dessen Zerstörung durch ein Feuer im Dezember des gleichen Jahres in eine schlecht beheizbare Gefängnisbaracke aus den 1920er-Jahren umziehen. Kurt Hilbig das Opfer brutaler Willkür Neben zahlreichen Schikanen durch die Wachmannschaft ist für die Jahresmitte 1933 auch die schwere Misshandlung des aus Freiburg stammenden politischen Häftlings Kurt Hilbig überliefert, mit dessen Schicksal sich ein aktuelles Projekt des Vereins „Lernort für Zivilcourage und Widerstand“ aus Karlsruhe auseinandersetzt, das auf www.youtube.com zu finden ist. Die brutale Behandlung von Kurt Hilbig kann dabei stellvertretend für den Alltag in den ersten Konzentrationslagern in Baden und Württemberg stehen, in denen die Häftlinge jenseits der bestehenden und durchaus human formulierten Lagerordnung der Willkür von Lagerleitern und Angehörigen der Wachmannschaften schutzlos ausgeliefert waren. Im Frühjahr 1933 wird der Freiburger Kommunist Kurt Hilbig ins KZ Ankenbuck verschleppt. Als er dort im Juni aus der Zeitung erfährt, dass die KPD-Politikerin Clara Zetkin im Exil gestorben ist, organisiert er eine Gedenkminute – mit drastischen Folgen: Er wird verraten, mit verschärftem Arrest belegt und von sadistischen KZ-Wärtern halb tot geprügelt. Natürlich war der Landesverein für Arbeiterkolonien nicht der Träger des Konzentrationslagers. Sein Vorstand erkannte aber 1933 auch keinen Widerspruch zwischen dem Lager und der Lebenswirklichkeit seiner Arbeiterkolonie und befürwortete ausdrücklich die gewaltsame politische Umerziehung. Wie für weite konservative Kreise hatte der Nationalsozialismus auch für ihn ein sehr hohes integratives Potential – insbesondere dann, wenn die „neue“ Ordnung die Möglichkeit bot, sich persönlich oder institutionell zu bereichern. Neben den Einnahmen aus der UnterAnkunft von Kurt Hilbig im KZ Ankenbuck, wo er im Juni 1933 aus der Zeitung vom Tod der KPD-Politikerin Clara Zetkin erfährt. Die fünf Illustrationen stammen aus dem Projekt „Wortloses Widerstehen im KZ Ankenbuck“, 200 Lernort für Zivilcourage & Widerstand e. V. Zeichnungen & Storyboard: Katja Reichert. Geschichte


„Das badische Konzentrationslager Ankenbuck“ – Postkarte eines katholischen Geistlichen, Stadtarchiv Bad Dürrheim, der die Seelsorge im KZ übernahm. bringung und Versorgung der KZ-Häftlinge profitierte die Arbeiterkolonie vor allem von ihrem Einsatz in der Landwirtschaft und dem Wegebau. Im Jahresbericht für das Jahr 1933 betonte der Landesverein seine historische Verpflichtung, sich von Beginn an – d.h. mit Regierungsantritt der NSDAP – in den Dienst der NS-Bewegung zu stellen. Sein eigenständiges Fortbestehen konnte er auf diese Weise für die kommenden zwölf Jahre sichern, seine einzige Arbeiterkolonie blieb allerdings eine anachronistische Randerscheinung, wirtschaftlich unrentabel und für den Nationalsozialismus nicht systemrelevant. Jenseits der großen politischen Linien kam es im Verlauf der Jahre 1933 und 1934 immer wieder zu aktenkundigen Streitigkeiten zwischen dem Hausvater der Arbeiterkolonie und Als Reaktion auf die Organisation einer Gedenkminute wird Kurt Hilbig von KZ-Wärtern brutal misshandelt. Die hier gezeigten Illustrationen sind Bestandteil eines Filmes, der auf Youtube.com Arbeiterkolonie und Konzentrationslager Ankenbuck unter dem Stichwort „Ankenbuck“ zu finden ist. 201 201


den wechselnden Leitern des Konzentrationslagers. Gegenseitige Beleidigungen bis hin zu überlieferten Tätlichkeiten kennzeichneten das Verhältnis von Hausvater Roos zu den Lagerleitern Polizeihauptmann Biniossek und SS-Standartenführer Helwig. Dabei waren die Differenzen weniger weltanschaulicher, als vielmehr zwischenmenschlicher Natur und gipfeln für Hausvater Roos in einer Geldstrafe wegen der Beleidigung Helwigs. Im Mai 1934 wird das KZ aus Kostengründen aufgelöst und die letzten Häftlinge in das Konzentrationslager Kislau verbracht. Danach läuft der Betrieb der Arbeiterkolonie wie zuvor weiter. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs deckte die Kolonie wie die allermeisten Betriebe ihren Bedarf an landwirtschaftlichen Arbeitskräften durch den Einsatz von Zwangsarbeitern. Während das Kriegsende schon absehbar ist, streitet sich der mittlerweile in Bretten ansässige Landesverein noch vehement mit der Organisation Todt um den festzusetzenden Mietpreis für die Lagerräume im Kolonistenhaus, der – dem Beschwerdebrief eines Vertreters der OT zufolge – dem Niveau des Quadratmeterpreises in Berlin-Charlottenburg vor Kriegsausbruch entspräche. Dieser vielleicht letzte Versuch, die seit nunmehr Jahrzehnten unwirtschaftliche Kolonie wenigstens finanziell noch einmal kurzzeitig über einen historischen Umbruch in eine neue Zeit zu retten, konnte das Ende des Vereins und seiner einzigen Arbeiterkolonie ein Jahr nach Kriegsende nicht verhindern. Es waren die Grenzen der Besatzungszonen, die den badischen Landesverein von seiner einzigen realisierten Kolonie abgeschnitten hatten. Im Spiegel der Architektur Den nach der Jahrhundertwende geschaffenen Kernbestand an Gebäuden auf dem Ankenbuck bilden bis heute das große Kolonistenhaus, das Haus des Verwalters, eine Scheune und der große Rindviehstall. Das Kolonistenhaus – in dem 1933/34 auch das KZ untergebracht war – entstand in seiner bis heute weitgehend unverändert bestehenden Form in drei Bauphasen. Ausgehend von einem vor 1884 errichteten Wohnund Wirtschaftsgebäude wurde 1889 als eine erste Baumaßnahme des Vereins für Arbeiterkolonien der Wirtschaftstrakt zu einem Speiseund Aufenthaltsraum ausgebaut. 1909 erfolgte der grundlegende Umbau durch den Karlsruher Architekten Emil Schweickhardt (1846 1924), der das Gebäude aufstockte und mit einem Mansarddach, Treppenhäusern und modernen Toilettenanlagen versah. 1912 entwarf er auch den großen „Rindviehstall“ des Ankenbucks. Zu seiner Zeit war Schweickhardt einer der wichtigsten Architekten im Großherzogtum Baden. Neben einigen Projekten in der Landeshauptstadt Karlsruhe und dem Umbau des Gondelsheimer Schlosses in Formen Konstanzer Stolperstein im Gedenken an Paul Martin, Mitglied der KPD und im Widerstand aktiv. Er wurde mehrmals verhaftet, des Hochverrates angeklagt und dann 1934 aus Mangel an Beweisen wieder aus Ankenbuck entlassen. Freiburger Stolperstein zur Erinnerung an den SPD-Reichstagsabgeordneten Stefan Meier. Er wurde von März 1933 bis März 1934 in Ankenbuck als Schutzhäftling gefangen gehalten, kam dann frei. 1941 wurde er denunziert und ins Zuchthaus Bruchsal eingeliefert – 1944 im KZ Mauthausen ermordet. Stolperstein für Ludwig Moldrzyk. 1933 wurde er ins KZ Ankenbuck überstellt und 1934 entlassen. 1942 wurde er im Gefängnis in Stuttgart hingerichtet, weil er mit dem „Vorboten“ der LechleiterGruppe eine regimekritische Zeitung verteilt hatte. 202 Geschichte


teröffnungen der beiden älteren Bauphasen sind dabei sehr pragmatisch und ohne Rücksicht auf die Fensterachsen in den neuen Baukörper übernommen worden. Auch der alte Dachreiter samt Glockenstuhl wurde in die neue Dachkonstruktion übernommen, auch wenn der Plan zunächst einen neuen Dachreiter in den geschweiften Formen der Jahrhundertwende vorsah. Nicht zuletzt in diesen Details verbindet der repräsentative Bau die seitens der Auftraggeber gebotene pietistische Sparsamkeit mit einem ästhetischen Anspruch, der sich in der Formfindung zwischen schnörkelloser Reformarchitektur und dem breiten Spektrum des „Heimatstils“ bewegt. Diese architektonischen Qualitäten hat sich das Gebäude innen wie außen auch in zahlreichen Baudetails bis heute erhalten, auch wenn die Grundrisse der einzelnen Etagen im Zuge der Umnutzungen nach dem Zweiten Weltkrieg stark verändert worden sind. Es ist die Beschäftigung zweier bedeutender Architekten, die den Stellenwert der Arbeiterkolonie im Großherzogtum Baden vor dem Ersten Weltkrieg zum Ausdruck bringt und besonders mit Blick auf die spezielle Bauaufgabe das Hofgut auch heute noch zu einem architektonisch hochinteressanten Ensemble macht. In den vergangenen 120 Jahren bestimmte die Glocke im Dachreiter des Kolonistenhauses im Lauf der Jahrzehnte den Tagesablauf von Kolonisten, Strafgefangenen, KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern. Es lohnt sich daher nicht nur einen näheren Blick auf die besondere Architektur des Ankenbucks zu werfen, sondern auch auf seine wechselvolle Geschichte. Weitere Informationen zum Thema Ankenbuck finden Sie über den QR-Code oder auf www.almanach-sbk.de/ankenbuck des Jugendstils lieferte er auch die Entwürfe für die Heilanstalten Friedrichsheim und Luisenheim in Marzell im Schwarzwald. Das Haus des Verwalters (1903) und die ihm gegenüberliegende Scheune (1906) wurden von dem ebenfalls aus Karlsruhe stammenden und vor allem für seine Sakralbauten bekannten Architekten Adolf Williard (1832-1923), eines Schülers von Heinrich Hübsch, entworfen. Williard, vormals großherzoglicher Baurat und Vorstand des erzbischöflichen Bauamts in Karlsruhe, befand sich zum Zeitpunkt der für ihn eher ungewöhnlichen Bauaufgabe auf dem Ankenbuck bereits offiziell im Ruhestand. Zu den bekanntesten erhaltenen Bauwerken Williards zählen die Kirchen St. Johannes Nepomuk in Eberbach und St. Franziskus in Pforzheim. Der Ankenbuck: Ein kurioses Spätwerk, das bislang eher wenig beachtet wurde Das Haus des Verwalters erinnert noch stark an Williards‘ Entwürfe für die Eisenbahn-Hochbaukommission oder die großherzogliche Baukommission Mannheim aus den späten 1860er-Jahren und repräsentiert den Hauptbetätigungszeitraum des Architekten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Im Vergleich zu den benachbarten, nur wenige Jahre jüngeren Bauten Schweickhardts wirkt es verhältnismäßig altmodisch. Für Adolf Williard und Emil Schweikhardt bilden die Gebäude auf dem Ankenbuck ein etwas kurioses Spätwerk, das bislang kaum Eingang in die Betrachtung der Werke beider Architekten gefunden hat. Landwirtschaftliche Zweckbauten waren für beide Architekten in ihrer praktischen Arbeit Neuland. Während der erste Scheunenentwurf von Adolf Williard hinsichtlich seiner Größe und funktionalen Gliederung überarbeitet werden musste, plante und realisierte Schweickhardt den großen Stall technisch nach allen Regeln der Kunst zeitgemäßer landwirtschaftlicher Nutzbauten und verband eine an regionalen Architekturmotiven orientierte Außengestaltung mit einer modernen Betonkonstruktion im Inneren. Die ausgewogene Asymmetrie von Schweickhardts Kolonistenhaus verschleiert auf den ersten Blick die Übernahme eines bestehenden, mehrfach veränderten Baukörpers. Die unterschiedlichen Fens204 Geschichte


Die Südfassade des Kolonistenhauses, im Plan von Emil Schweickhardt von 1908. Der zentrale Dachreiter mit Uhr wurde zugunsten der Übernahme des bestehenden Dachreiters nicht realisiert, rechts die aktuelle Ansicht. Der „Rindviehstall“ im Plan vom Emil Schweickhardt von 1911. Im Schnitt ist die in der Erbauungszeit moderne Zementhohlbalkendecke zu erkennen, rechts die aktuelle Ansicht. Die Scheune des Hofguts im überarbeiteten Plan von Adolf Williard, rechts die aktuelle Ansicht. Arbeiterkolonie und Konzentrationslager Ankenbuck 205


Zweites Jahr, zweiter Stern – eine Erfolgsgeschichte von der Baar Küchenchef im „Ösch Noir“: Manuel Ulrich einer der besten Köche Deutschlands von Daniela Schneider Er trägt Kochjacke und ein freundliches Lächeln: Wenn Manuel Ulrich durchs Hotel Öschberghof geht, tut er das mit leichtem Schritt und schweifendem Blick. Mal winkt er den Kollegen an der Rezeption zu, mal begrüßt er mit herzlicher, aber auch mit zurückhaltender Geste die Gäste, die an einem der Tischchen in der weitläufigen Lobby sitzen. Sie nicken, das lässt sich ohne jegliche Übertreibung sagen, freudestrahlend zurück. Offenbar kennen sie diesen Mann. Dass es sich bei ihm um den Küchenchef eines sternedekorierten Gourmetrestaurants handelt, würde man auf den ersten Blick vielleicht nicht direkt vermuten, wie er da so ruhig und dezent seines Weges geht. Es ist aber so: Manuel Ulrich ist der Maître de Cuisine des „Ösch Noir“, eines Spitzenrestaurants, in dem mitten im Schwarzwald auf anerkannt höchstem Niveau gekocht wird. Er selbst – angesprochen darauf, wie denn nun seine korrekte Berufsbezeichnung lautet – winkt lächelnd ab und sagt einfach nur: „Ich bin der Küchenchef und fertig.“ Wie der 34­Jährige so im Hotel unterwegs ist, zeigt sich unverkennbar: Er gehört genau an diesen Ort. Im Öschberghof am Rande Donaueschingens ist er nicht nur einer der Haupt akteure, sondern hier ist er beruflich und ja, auch privat, schlichtweg zuhause. Die Symbiose Ulrich – Öschberghof ist eine buchstäblich gewachsene. Beide passen perfekt zueinander: So dezent und stilvoll, wie das Hotel in die Landschaft gebettet wurde, genau so agiert auch der Küchenchef in seinem Metier. Der Öschberghof selbst hat mit der Runderneuerung, der er binnen sechs Jahren unterzogen wurde, ein klares Signal gesetzt: Hier wurde nicht nur renoviert, sondern eine komplett neue Konzeptionierung in Angriff genommen, die mit rund 60 Millionen Euro zu Buche schlug. Der Betrieb vergrößerte sich von 73 auf insgesamt 127 Einheiten, die Anzahl der Hotel­ mitarbeiter schoss von 190 auf 380 nach oben, das Spa umfasst jetzt stolze 5.000 Quadratmeter und der Golfplatz wurde um 27 auf nun 45 Löcher erweitert. 206 7. Kapitel – Gastlichkeit


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Der im Jahr 2020 neu eröffnete Öschberghof. Hotelier Alexander Aisenbrey sagt: „Wir wollen ein Gesamtkunstwerk sein.“ Was dabei nicht fehlen durfte: ein Restaurant der Extraklasse. Und mit Manuel Ulrich wurde dieses herausfordernde Unterfangen in die Tat umgesetzt. „Kochen war für mich nur ein Hobby“ Wer also ist dieser Mann, der sich dieser Aufgabe stellte und sie so kompetent, aber auch so unprätentiös, ruhig, bodenständig und unaufgeregt meistert? Im Gespräch verrät er, wo er herkommt und wie sein bisheriger Berufsweg verlief: Manuel Ulrich stammt gebürtig aus dem Donaueschinger Ortsteil Heidenhofen. Zur Schule ging der 1986 geborene Baaremer erst in Aasen, später dann aufs Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen. Dort machte er sein Abitur – und war dann erst einmal etwas ratlos. Während er seinen Zivildienst in einer Lungen-Rehaklinik absolvierte, grübelte er, wie es danach weitergehen sollte. „Ich stand vor der üblichen Berufswahl und alle dachten, ich würde studieren.“ Tatsächlich schrieb er sich wie etliche seiner Freunde für ein Studium ein. Chemie sollte es sein. Dann aber kam’s doch anders als erst gedacht: Weil es ihn einfach interessierte und reizte, arbeitete der junge Mann mal ein paar Tage in einem Hotel in Titisee in der Küche mit – und damit war die Sache geritzt. „Erstens war das ein toller Betrieb und zweitens habe ich gemerkt, dass Ich habe keinen gastronomischen Background und Kochen war für mich nur ein Hobby. Dass ich mit dem Öschberghof dafür den perfekten Betrieb fand, tat sein Übriges. das Arbeiten in der Küche das Richtige für mich ist“, so Manuel Ulrich und erklärt damit seine endgültige Motivation, sich für eine Kochlehre zu entscheiden. Er, der von sich selbst sagt: „Ich habe keinen gastronomischen Background und Kochen war für mich nur ein Hobby“, er entschied sich also für diesen Berufsweg und begann im Februar 2008 seine Ausbildung. Dass er mit dem Öschberghof nur einen buchstäblichen Steinwurf entfernt von seinem Wohnort dafür den perfekten Betrieb fand, tat sein Übriges: Manuel Ulrich selbst würde Vokabeln wie „schicksalhaft“ eher nicht in den Mund nehmen – aber wohl schon zustimmen, dass in dem Moment, als er und der Hotelchef den Ausbildungsvertrag unterschrieben, ein sehr besonderes Band geknüpft wurde. 208 Gastlichkeit


Damals vor 13 Jahren freilich konnte noch niemand ahnen, was daraus einmal entstehen sollte, nämlich die gemeinsame Entwicklung eines Sternerestaurants unter der Ägide des Heidenhofeners. Im Jahr 2008 war er schlichtweg ein Koch-Azubi, der vorher höchstens mal bei Jugendfreizeiten Eintöpfe gekocht hatte und gemeinsam mit seinem Bruder samstagabends dafür zuständig war, Pizza und Burger für die Familie zu machen oder sonntags hin und wieder leckere Kuchen zu backen. „Das hat mir alles Spaß gemacht“, blickt er zurück, aber mit dem, was danach kam, hatte es nicht wirklich viel zu tun. Handwerk als Grundlage Den Beruf erlernte er mit allen soliden Grundlagen, die es braucht. Auf diese Weise wurde ihm nicht nur das Handwerk vermittelt. Er entdeckte und entwickelte gleichermaßen auch die Liebe zum Öschberghof, in dessen Küche er nach Abschluss seiner Lehre einige Zeit als Geselle mitarbeitete. Gemeinsam mit seiner Partnerin Carolin Helmerich, die als Hotelfachfrau ebenfalls im Aasener Betrieb tätig war, reifte anschließend der Entschluss, auch noch in anderen Gegenden und Häusern weitere Berufserfahrung zu sammeln. Zunächst, so beschlossen sie gemeinsam, sollte es in Richtung Arlberg gehen. Im späten Herbst 2012 packten sie ihre Sachen und steuerten für eine Wintersaison lang ihre neue Station im „Burg Hotel Oberlech“ an. Manuel Ulrich über diese Zeit: „Es war gut und wichtig, mal aus der Komfortzone herauszukommen. Ich habe viel gelernt, einen anderen Blickwinkel erlebt und erfahren, wie zum Beispiel mit anderen Mengen gekocht wird. Es war ein cooles halbes Jahr.“ Von vornherein hatte aber schon festgestanden, dass es danach vom Sonnenplateau Oberlech wieder zurück mitten hinein in die sanfte Hügellandschaft der Baar gehen würde. Der Koch und seine Partnerin kamen wieder heim in den Öschberghof. Zurück in die Heimat Dabei zeigte sich: Hier hatte man mit ihm viel vor. Ganz offensichtlich hatte der damalige Küchenchef Peter Schmidt einen guten Riecher. Er war es, der das Talent von Manuel Ulrich erkannte und ihn für große Aufgaben geeignet hielt. Zu dem Zeitpunkt Manuel Ulrich zu seiner Ausbildungszeit. stand bereits fest, dass sich das Hotel in einem über mehrere Jahre angelegten Prozess einer kompletten Runderneuerung unterziehen würde und sich damit auf dem direkten Weg zu einem internationalen Vorzeigeprojekt befand. Dabei sollte auch die Küche eine entscheidende Rolle spielen: Geplant wurde, den Gästen nach der Wiedereröffnung ein umfassendes kulinarisches Angebot mit mehreren Restaurants zu bieten, darunter auch das neue Fine Dining Restaurant „Ösch Noir.“ Um dieses ehrgeizige Ziel eines anerkannten Gourmet-Restaurants zu verwirklichen, suchte Hotelchef Alexander Aisenbrey den richtigen Motor -und fand ihn im Eigengewächs Manuel Ulrich. Er fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, eine Einheit aufzubauen, die sich – so der Wunsch – zu einem Sternerestaurant entwickeln sollte. Der junge Mann, damals Ende 20, ein hervorragender Koch mit Ehrgeiz, Liebe zum Beruf und zum Betrieb, sagte sofort zu. Noch bevor das Restaurant also überhaupt gebaut war, war klar: Manuel Ulrich wird Küchenchef des „Ösch Noir“ und soll es zum Stern führen. „Allerdings hatte ich damals noch gar keine Gourmet-Erfahrung“, fasst er zusammen, wie mutig diese Entscheidung war. Offenbar hatte die Sternekoch Manuel Ulrich – Küchenchef im „Ösch Noir“ 209


Ob in den Alpen, auf Island oder in der Türkei: Reisen bedeutet zugleich, neue Essenswelten zu entdecken. Hotelleitung aber volles Vertrauen in ihn und entschied gemeinsam mit ihm, dass es nun also an der Zeit war, bis zur Eröffnung des Restaurants eben diesen Gourmetbereich in anderen Häusern kennenzulernen. Ab an die Elbe – das „Haerlin“ lockt „Also habe ich reingeschnuppert in die SterneGastronomie“, beschreibt Manuel Ulrich die logische Konsequenz. Dieses Mal führte der Weg dafür nun aber nicht in den Süden, sondern in die entgegengesetzte Richtung, nämlich ins Restaurant „Haerlin“ im „Fairmont Vier Jahreszeiten“ in Hamburg. „Das Haus ist eine Instanz in der Hotelszene“, wusste der Koch von der Baar, der in der Luxusdestination an der Binnenalster staunend miterlebte, wie fein und filigran im „Haerlin“ zu Werke gegangen wurde. In die norddeutsche Großstadt kam er übrigens wieder gemeinsam mit seiner Partnerin Carolin, die dort ebenfalls eine Stelle annahm. „Wir freuten uns darauf, auch mal etwas weiter weg von daheim zu sein. Und wir wollten auch mal das Thema ‘In der Stadt wohnen’ abhaken“, muss Manuel Ulrich im Rückblick etwas schmunzeln. Von „Abhaken“ konnte nämlich dann keine Rede sein: Das Paar lernte das urbane Hamburg schnell schätzen, beide fühlten sich in der Elbmetropole richtig wohl. Beruflich gesehen war das „Haerlin“ ein wichtiger Lernort für den Koch: „Es war meine erste Station in der Sterneküche – und dann waren es auch gleich noch zwei Sterne“, berichtet er in der Rückschau von seinem Respekt davor, was nun auf ihn zukommen würde. Die Aufgabe ging er aber doch ganz ohne Berührungsängste an: „Ich hab mich wie ein Schüler gefühlt, aber das war total OK.“ Ein Jahr lang sog er alles auf, was ihm begegnete. Immer mit dem Hintergedanken, wie das im „Ösch Noir“ anzuwenden sein könnte. Der Kontakt in „sein“ Hotel bestand in all der Zeit so gut es ging weiter. Worin lagen die größten Unterschiede zu allem, was er bisher kannte? „Alles war ein bisschen filigraner“, fasst er zusammen, „gearbeitet wurde mit absoluten Top-Produkten“, von denen er selbst manche zuvor noch nie gesehen hatte. Hinzu kam der sehr geschmeidige Ablauf im Service. Ein Jahr lang sog er regelrecht alles auf, was ihm begegnete. Immer mit dem Hintergedanken, wie das im „Ösch Noir“ anzuwenden sein könnte. Der Kontakt in „sein“ Hotel bestand in all der Zeit so gut es ging weiter. So konnte es schon mal vorkommen, dass er an einem freien Tag nicht ausspannte, sondern gemeinsam mit Alexander Aisenbrey Tellermuster unter die Lupe nahm oder die Kücheneinrichtung plante. „Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ging es dann wieder zurück“, berichtet Manuel Ulrich wie er und seine Partnerin nach zwölf Monaten die Zelte im Norden abbrachen und wieder die Heimat ansteuerten, denn im September 2017 war 210 Gastlichkeit


der nächste Termin schon gesetzt: der Abschluss zum Küchenmeister. Mit Bravour beendete er planmäßig auch noch diese Ausbildung bei der Industrieund Handelskammer. Einblicke in die „Schwarzwaldstube“ Bevor es endgültig im „Ösch Noir“ losgehen sollte, arbeitete er von Februar bis Juli 2018 noch ein halbes Jahr im renommierten Restaurant „Schwarzwaldstube“ unter Torsten Michel. Auch diese Erfahrung war etwas ganz Besonderes: „Der Betrieb war super. Gearbeitet wurde noch etwas klassischer. Der Fokus lag zum Beispiel auf Soßen und der sehr aufwändigen Fleischzubereitung“ – auch das wertvolle Einblicke, mit denen er wieder in den Öschberghof zurückkehrte. Im Sommer 2018 war’s schließlich soweit: Das Abenteuer „Ösch Noir“ ging in die finale Umsetzungsphase. Der künftige Küchenchef machte sich daran, ein Team zusammenzustellen. Sein Souschef Julian Lechner kam aus Baiersbronn aus dem „Bareiss“ nach Donaueschingen, ein Glücksfall, wie Manuel Ulrich findet, denn zwischen den beiden stimmt die Chemie. „Wir entwickeln hier alles zusammen“, freut sich der Küchenchef über diese gute Arbeitsgrundlage. Auch der Rest des Teams fand sich mit der Zeit. Dabei half unbestritten, dass der Öschberghof seit Jahren kontinuierlich auf Nachwuchsförderung setzt. Neben der eigentlichen Ausbildung wird der Fokus außerdem auf die Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesetzt. Dafür wurde eigens eine eigene Schulungsakademie gegründet. Und: „Bei uns ist für eine gute Bezahlung gesorgt“, benennt Manuel Ulrich einen wesentlichen Faktor im fairen Miteinander. Endspurt zur Eröffnung Zurück zum Sommer 2018, zurück zum Öschberghof: Hier gab’s noch schier unzählige weitere Entscheidungen zu treffen, von der Anschaffung der besten Töpfe bis hin zum Aussuchen der passenden Tischdecken fürs Restaurant. Übrigens war auch ein gerüttelt Maß Zuversicht und auch ein bisschen Phantasie gefragt: „Zu der Zeit war hier noch ein Rohbau“, lacht Manuel Ulrich mit Blick auf die heutige Küche, „da war grade mal der Estrich reingegossen.“ Am Ende wurde der Zeitplan aber tatsächlich eingehalten, sodass im späten Herbst 2018 zum ersten Mal probegekocht und die entwickelten Ideen endlich umgesetzt werden konnten. Am 5. Dezember 2018 wurde das Restaurant offiziell und feierlich eröffnet. Die Resonanz war sehr gut, viele Gäste waren tief beeindruckt. Dass das Angebot gut angenommen wurde, beruhigte alle Beteiligten, schließlich galt es, dem „Ösch Noir“ als Neuling im Gourmetbereich einen Namen zu verschaffen. „Natürlich hatten wir am Anfang auch leere Tische“, beschönigt Manuel Ulrich nichts – alle wussten, dass es schwer werden würde, sich durchzusetzen. Schon früh der erste Stern Mitentscheidend sind dafür zweifelsohne anerkannte Auszeichnungen. Die ersten folgten schon wenige Wochen nach der Eröffnung. Am 3. März 2020 dann gab’s für den Chefkoch und sein Team einen glänzenden Grund, richtig zu jubeln: Manuel Ulrich und das „Ösch Noir“ wurden mit einem der heiß begehrten Michelin-Sterne belohnt. „Ja, wir haben darauf hingearbeitet und darauf hingefiebert“, so der Küchenchef, „aber dass es schon in der ersten Sternekoch Manuel Ulrich – Küchenchef im „Ösch Noir“ 211


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Für das Haus sind die zwei Sterne ein wichtiger Faktor, viele Gäste richten sich danach. Kein Restaurantverzeichnis und -rating ist so relevant wie der Guide Michelin. Allein aus Marketinggründen ist dieses Renommee mit entscheidend. Sterne-Restaurants spiegelt eine moderne, zeitgemäße Interpretation der Umgebung wider: Neben den gläsernen Tautropfen finden sich auch noch Elemente aus Holz: An den Wänden wird der Nadelwald zitiert. Wenn die Gäste an den kleinen, hohen Tischen am Eingang des Restaurants ihren Aperitif Saison klappen würde, das hat niemand erwartet.“ Umso größer war die Freude natürlich, als es so weit war. Für das Haus ist die Auszeichnung ein wichtiger Faktor, viele Gäste richten sich danach. Kein Restaurantverzeichnis und -rating ist so relevant wie der Guide Michelin. Allein aus Marketinggründen ist dieses Renommee mit entscheidend. Die gute Organisation wurde dann allerdings wie allerorten durch Corona nach so kurzer Zeit des Einspielens erst mal auf einen Schlag ausgebremst. Die Mannschaft war in Kurzarbeit, von einem normalen Arbeitsalltag konnte keine Rede mehr sein. Auf den ersten folgte der zweite Lockdown und die bange Frage, wie es danach mit dem immer noch jungen Projekt Sternerestaurant weitergehen würde. Mit einiger Nervosität wurde die Wiedereröffnung herbeigesehnt. Die Bedenken erwiesen sich letztlich zum Glück als weitgehend unbegründet: Erstaunlich geschmeidig ging es weiter wie zuvor. Die Gäste goutieren seither wieder, was ihnen im „Ösch Noir“ geboten wird. Glaskugeln erinnern an den Morgentau… Dazu gehört auch das luxuriöse Setting mit klaren Linien und glanzvollem Design. Im Restaurant gibt es 30 Plätze im A-la-carte-Betrieb. Im Raum befinden sich runde Sitzgruppen, die Platz für bis zu vier Personen bieten. Separiert durch Ketten mit Glaskugeln entstehen stilvolle Lichteffekte. „Sie sollen an den Morgentau im Schwarzwald erinnern“, sagt Manuel Ulrich. Die stilvolle Architektur des Hingebungsvolles Arbeiten – das Zwei-Sterne-Team des Ösch Noir schafft Köstlichkeiten besonderer Qualität wie die Fotos links und rechts aufzeigen. Sternekoch Manuel Ulrich – Küchenchef im „Ösch Noir“ 213


einnehmen, können sie von hier nicht nur in die offene Küche hineinschauen und so miterleben, wie die Menüs gezaubert werden. Sie finden sich hier auch schon mittendrin in einem modernen, aber doch auch behaglichen Ambiente – ein Schwarzwaldbild, das gut in die Zeit passt. Es zeigt gleichzeitig die Handschrift und das Selbstverständnis, die auch die Küche und gleichsam den Küchenchef auszeichnen: Klare Linien, damit Raum für das Wesentliche bleibt, Liebe zum Detail, ein großes Maß an Offenheit und die Freundlichkeit, mit der den Gästen hier begegnet wird. Hingabe und Konzentration Wer Manuel Ulrich und sein Team in der Küche von hier aus beobachtet, wird spüren: Sie wissen, was sie tun, sie tun es mit Hingabe und großer Konzentration, selbstbewusst, aber so dezent und zurückhaltend, dass sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügt. Verwurzelt zu sein, das erweist sich hier nicht als lautes, behauptetes Statement, sondern als logische und leichte Selbstverständlichkeit. Manuel Ulrich leitet ein sechsköpfiges Team. Und auch der Berufsnachwuchs ist in der Küche anzutreffen: Jeweils ein Auszubildender oder eine Auszubildende ist dabei und lernt hier die Grundlagen der Profession. Dass neben den sechs Männern auch zwei Frauen zum Koch-Team gehören, empfindet der Chef als Bereicherung: „Es tut dem Team gut, denn so ist auch noch jemand Vernünftiges dabei“, grinst er und freut sich über die gute Mischung, in der Robustheit neben filigranem Fingerspitzengefühl funktioniert. „Wir sind so ein tolles Team, haben alle zusammen angefangen und kennen uns gut“, beschreibt er das Miteinander. Die Bewertungen für den Küchenchef des „Ösch Noir“ und das dortige Ambiente fallen beachtlich aus. Der „Guide Michelin“ zur Küche von Manuel Ulrich: „Absolut gekonnt bringt er genau das richtige Maß an Moderne in die klassisch basierte Küche. Nichts ist übertrieben kreativ, alles ist ausgewogen und zugleich kraftvoll. Geschmackliche Tiefe und Aroma pur“. „Man muss den Gast bei Laune halten und überraschen“, heißt Manuel Ulrichs Devise, „deshalb suchen wir auch immer wieder neue Produkte und erarbeiten Kombinationen, um herauszufinden, wie man was am besten in Szene setzt.“ Heraus Der Guide Michelin: Absolut gekonnt bringt er genau das richtige Maß an Moderne in die klassisch basierte Küche. Nichts ist übertrieben kreativ, alles ist ausgewogen und zugleich kraftvoll. Geschmackliche Tiefe und Aroma pur. kommen dann Gerichte wie dieses: Kabeljau mit Blumenkohl an einer Nussbuttersoße. Dazu als Frischekick KalamansiFrüchte aus Asien, begleitet von Imperial-Kaviar. Die Liste der Beispiele ist schier unendlich: Exemplarisch könnte man ein Alb-Lamm mit Artischocke, Bärlauch und Paprika und Fregola-Sarda-Pasta nennen, oder auch eine Coquille Saint Jacques mit Mais, Ochsenschwanz und Frisée. Vier, fünf Produkte maximal, die optimal kombiniert werden, raffiniert, aber nicht zu verspielt – nach diesem Prinzip wird gearbeitet. Und wo die Rede schon einmal vom Alb-Lamm war: Wo immer es geht, wird versucht, hervorragende Produkte aus der Region zu verwenden, so wie zum Beispiel das ausgezeichnete Lammfleisch aus Münsingen. „Wir freuen uns immer, wenn es bei uns auf der Karte steht“, sagt der Küchenchef. Lammrücken müsse man absolut nicht im Limousin oder der Normandie ordern, wenn es eine so hohe Qualität auch in Baden-Württemberg gebe. Das gilt auch für das Gemüse, das man am liebsten vor der Haustür kauft. Forelle und Saibling kommen vom Buhlbachhof in Baiersbronn und die SchwarzwaldMiso-Paste aus Geisingen. Aber Steinbutt und Langusten wird man hier eben niemals finden, diese Spitzenprodukte werden aus der Bretagne und von den Färöern angeliefert. Diese beste Qualität ist für Restaurants wie das „Ösch Noir“ unverzichtbar, „da wollen wir uns auch nicht einschränken“, unterstreicht Manuel Ulrich. 214 Gastlichkeit


Oben: Manuel Ulrich und Hotelchef Alexander Aisenbrey im Videostream zum Anlass des erkochten zweiten Sterns. Unten: Das Zwei-Sterne-Team des Ösch Noir. Sternekoch Manuel Ulrich – Küchenchef im „Ösch Noir“ 215


Vegetarische Angebote sind längst kein Trend mehr Eine Entwicklung hat er übrigens längst erkannt: Vegetarische Angebote sind kein Trend mehr, sondern selbstverständlicher Standard. Im „Ösch Noir“ gibt es das „Menü Noir“ und daneben ein vegetarisches „Menü Vert“, auch das mit sieben Gängen in vollem Umfang. Das Angebot wird „wahnsinnig gut angenommen“, so Ulrich. Auch vegane Küche wird auf Nachfrage offeriert – schließlich wird auch dieser Trend immer wichtiger. Der Küchenchef hat auch dafür ein offenes Herz: „Menschen, die sich mit veganem Essen befassen, beschäftigen sich auf jeden Fall mit Ernährung und das ist mir immer sympathisch.“ Freudige Nachricht über Facebook Womit wir uns dem Höhepunkt in der noch jungen Karriere des Küchenchefs nähern. Am 5. März 2021 folgte die nächste positive Überraschung: Es kam der zweite Michelin-Stern hinzu – und das fast schon auf heimlich leise Weise, denn schließlich war die Welt gerade mit einer Pandemie beschäftigt und arg viel Aufmerksamkeit blieb da für andere Dinge wie eben einen zweiten Stern fürs „Ösch Noir“ nicht übrig. „Ein bisschen haben wir die beiden Sterne quasi verschlafen“, nimmt Manuel Ulrich es mit ein wenig Galgenhumor, dass die Auszeichnungen im ganzen CoronaFieber fast unterzugehen drohten. Auf Vieles, was sonst angemessen und auch einigem Glamour gefeiert würde, musste einfach verzichtet werden. Keine Gala zur Verleihung, stattdessen ein Videostream via Facebook, über den die freudige Nachricht durchs Netz geschickt wurde. Dass der zweite Stern verliehen wurde, machte alle einfach nur noch glücklich. Dieses Mal wurde der Küchenchef von seinem Arbeitsplatz in Donaueschingen-Aasen direkt per Livestream in ein Interview zugeschaltet – und viele Zuschauer konnten sich auf diese Weise mitfreuen, wenn auch eben nur digital. Dass es mit dem zweiten Stern so schnell klappte, kam für alle überraschend und ist gleichsam ein großer Ansporn, weiter auf diesem hohen Niveau zu agieren. Manuel Ulrich beschreibt es so: „Jetzt werden wir noch direkter verglichen.“ Das Erreichte immer wieder zu untermauern und unter Beweis zu stellen, dass die Auszeichnungen gerechtfertigt sind, das ist jetzt die große Herausforderung. Letztes Jahr hat er den Golfsport für sich entdeckt. „Das ist ein ganz toller Ausgleich“, schwärmt er regelrecht, „man kann morgens schon eine Runde spielen und kriegt den Kopf frei. Ich habe jetzt gerade meine Platzreife gemacht.“ Golf, guter Sound und Genuss Auch wenn Manuel Ulrich sagt: „Ich arbeite gern. Und ich möchte immer in der Küche dabei sein“ – bleibt neben den vielfältigen Herausforderungen des Berufs denn eigentlich auch noch Zeit für Freizeit und Hobbys? Die überzeugte Antwort lautet „Ja“. Letztes Jahr hat er den Golfsport für sich entdeckt. „Das ist ein ganz toller Ausgleich“, schwärmt er regelrecht, „man kann morgens schon eine Runde spielen und kriegt den Kopf frei. Ich habe jetzt gerade meine Platzreife gemacht“, lächelt der Küchenchef ein bisschen stolz – auch er nutzt als Mitarbeiter des Hotels gerne die Möglichkeit, die hier alle haben: Selbst auf der großen Anlage Golf zu spielen und so einen Ausgleich zum anstrengenden Job finden zu können. Genau das gelingt ihm außerdem auch, wenn er Musik hört, „gerne alles von Folk über Alternative und Country bis zu Ambience und Neoclassic“, beschreibt er seinen vielseitigen Geschmack, der „je nach Stimmung“ variiert. Auch in der Gourmetküche läuft übrigens immer Musik: „Wir hatten schon Rammstein und Walgesänge, Charts-Hits oder Hip-Hop – und auch mal Musik aus den 80ern oder Klassik. Musik gehört einfach dazu.“ Dass er selbst unbestritten kreativ ist, zeigt sich vielfach: „Schwarzwald reloaded“ heißt das erste Kochbuch, an dem er mit eigenen Rezepten und Bei216 Gastlichkeit


Zwei-Sterne-Koch Manuel Ulrich im Ösch Noir – umgeben von gläsernen Tautropfen des Schwarzwaldes. trägen mitwirkt. Außerdem hat es ihm die Fotografie angetan. Motive entdeckt er überall, von Straßenszenen bis hin zu seinem täglich Brot. Denn auch die Food-Fotografie übt einen großen Reiz auf ihn aus. Zahlreiche bemerkenswerte Aufnahmen hat er schon im Kasten. Geschätzt wird durchaus auch das Einfache Der Koch selbst probiert und isst auch gerne. Was am liebsten? Italienisch sagt er, eine gute, handgemachte Pizza oder Pasta oder eine leckere Lasagne, damit macht man ihn glücklich und zufrieden. Wenn beruflich auf höchstem Gourmetniveau gekocht wird, schätzen viele Fachkräfte privat bekanntlich durchaus das Einfache und so ist es auch bei der ÖschberghofMannschaft: „Wir freuen uns oft auf ein Vesper oder ein Cordon bleu und samstagabends gibts fürs Team Currywurst – die muss gut, aber auch einfach sein.“ Diese Bodenständigkeit zeichnet Manuel Ulrich aus. Dazu passt auch sein Heimatort. Heidenhofen,dieser kleine, beschauliche Donaueschinger Ortsteil, zählt um die 250 Einwohner und liegt gerade den Buckel hoch, oberhalb des Öschberghofs. Wer dort wohnt, hat seine Ruhe und kann obendrein einen herrlichen Ausblick über die Baar genießen. Hier lebt er gemeinsam mit seiner Partnerin in seinem Elternhaus. Die beiden haben ein Stockwerk ausgebaut und fühlen sich pudelwohl. „Mir hat es auf der Baar immer gefallen“, betont er mit Blick auf seine Heimat. Sternekoch Manuel Ulrich – Küchenchef im „Ösch Noir“ 217


STEINPILZSUPPE Pilze / Lauch DIE ZUTATEN Steinpilze Steinpilze, getrocknet Champignons, braun Portwein, weiß 350 g 30 g 50 g 50 ml 50 ml Weißwein 30 ml Madeira 750 ml 150 ml Sahne 40 g 40 g 30 g 3 g reduzierter Gemüsefond Schalotten Lauch Butter Knoblauch Thymian Salz, Pfeffer, Zucker, Chardonnay Essig LAUCH 200 g 30 g Lauch Butter Salz, Zucker Frühlingslauch Zitronenöl ZUM ANRICHTEN Steinpilze Champignons Frühlingslauch Die getrockneten Steinpilze für 15 Minuten in heißem Wasser einweichen. Die frischen Pilze salzen und im Ofen bei 200 Grad rösten. Zwiebel, Lauch und Knoblauch in der Butter hellbraun anschwitzen, dann die gerösteten sowie die eingeweichten Pilze zugeben und mit Weißwein, Portwein und Madeira ablöschen und reduzieren. Den reduzierten Gemüsefond und den aufgefangenen Fond der getrockneten Pilze hinzugeben und weiter köcheln lassen. Gegen Ende der Kochzeit die Sahne und den Thymian hinzugeben. Die Suppe anschließend mixen und durch ein feines Sieb passieren. Zum Finalisieren die Suppe mit Salz, Pfeffer, Zucker und etwas Chardonnay Essig abschmecken und schaumig aufmixen. Den Lauch waschen und in feine Julienne schneiden. Dann den Lauch in der Butter andünsten und unter Zugabe von etwas Wasser leicht bissfest garen und glasieren. Den Frühlinglauch längs halbieren, in Segmente schneiden. Diese mit einem Bunsenbrenner rösten und mit Salz, Zucker und etwas Zitronenöl würzen. Die Steinpilze längs halbieren und kreuzförmig einritzen. In einer Pfanne anbraten und glasieren. Die Champignons roh hobeln und das Grün des Frühlingslauches in feine Ringe schneiden. Als weitere mögliche Einlage sind Pilzbällchen und eingelegte Buchenpilze auf dem Foto rechts zu sehen. 218 Gastlichkeit


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Löwen Patisserie in Schönwald Dominik Kaltenbach und seine zukünftige Frau Lena Cerasola erfinden das Höhengasthaus Löwen auf der Escheck neu. von Hans-Jürgen Kommert Gastlichkeit 221


Eine Patisserie abseits von Großstadt-Trubel, mitten in der Einsamkeit der Provinz – das gibt es leider nicht – oder etwa doch? So ganz anders als man das gewohnt ist, in den eher mondän anmutenden Einkaufsmeilen der Großstadt, eher einsam gelegen auf rund 1.060 Metern Höhe? Kaum vorstellbar, dennoch findet man genau dies auf der Escheck. Denn ein einst beliebtes Ausflugsziel zwischen Schönwald und Furtwangen wandelt sich gerade: Auf der Escheck, dem höchsten Punkt zwischen den beiden benachbarten Orten, dem Industrieund Hochschulstädtchen Furtwangen und dem Höhenluftkurort Schönwald gelegen, haben sich in den letzten Monaten gewaltige Veränderungen ergeben. Zunächst verabschiedete sich Friedrich Scherzinger vom Gasthaus Kreuz – altershalber. Das Haus wurde an drei Ärzte verkauft, die hier eine Gemeinschaftspraxis eröffnen wollen, seither aber auch nach einem Nachfolger für den Gastwirt suchen. Fündig bei der Nachfolgersuche wurden dagegen Alexander und Brigitte Kaltenbach mit ihrem Höhengasthaus Löwen, das um das Jahr 1840 erbaut wurde und seit 1922 im Familienbesitz ist: Seit Januar 2021 ist ihr Sohn Dominik gemeinsam mit seiner zukünftigen Frau Lena Cerasola ganz offiziell in die Geschäftsführung des ehemaligen Gasthauses Löwen eingestiegen. Doch nicht nur ein neues Logo zeigt das, sondern auch der neue Name: „Löwen Patisserie“. Zudem wurden der Eingang und ein Teil des Restaurants sowie die Hotelzimmer von Dezember 2020 an komplett modernisiert und zu einer französischen Patisserie umgewandelt, sodass das junge Paar sein Meisterhandwerk auch fachgerecht präsentieren kann. Süße Leckereien „absolut sein Ding“ Koch hatte der heute 30 Jahre alte Konditormeister Dominik Kaltenbach ursprünglich nach der Mittleren Reife an der Realschule des Otto-Hahn-Gymnasiums Furtwangen gelernt. Von 2008 bis 2011 arbeitete er im erlernten Beruf im durchaus renommierten HotelRestaurant „Hirschen“ im Glottertal, ganz der Familientradition verbunden. Schon damals hatte er in der Ausbildung die größte Freude, wenn er Desserts und raffinierte Leckereien zubereiten durfte in der Patissierie des Restaurants. Folgerichtig kam daraufhin die Ausbildung zum Konditor, „absolut mein Ding“, wie er selbst sagt. Im Café Bockstaller in Todtmoos erlernte er daher anschließend in zweieinhalb Jahren das Handwerk des Konditors – und das offensichtlich sehr erfolgreich. Denn zunächst wurde er Innungssieger im Konditorenhandwerk, kurz darauf belegte er in der Landessiegerprüfung nur ganz knapp hinter dem Landessieger Platz zwei, dazu trat er auch bei diversen Wettbewerben an, wie dem „CarloWildt-Pokal“ für junge Konditoren. In diesem Beruf legte er dann auch im Jahr 2017 die Meisterprüfung ab. Gar nichts mit Gastronomie am Hut hat Alexander und Brigitte Kaltenbach (rechts) freuen sich, dass der Betrieb weiterläuft – mit Sohn Dominik Kaltenbach und der künftigen Schwiegertochter Lena Cerasola (links). 222 Gastlichkeit


Wir haben uns als Paar bei verschiedenen Patisserien in ganz Deutschland beworben. sein Zwillingsbruder Manuel – der arbeitet als Kfz-Mechatroniker, auch sein älterer Bruder Patrick hat dem Gastgewerbe als Einzelhandelskaufmann den Rücken gekehrt. Gemeinsam im „Törtchen Törtchen“ Seine sechsundzwanzigjährige Lebensgefährtin – bald seine Frau – Lena Cerasola ist selbst im gastgebenden Gewerbe aufgewachsen. Am Schwarzwaldgymnasium Triberg legte sie 2013 ihr Abitur ab. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen zu studieren – vielleicht Architektur, hatte sie überlegt. Auf jeden Fall sollte es ein kreativer Beruf werden. Dann aber ließ sie sich von der Begeisterung ihres Freundes für das Konditoren-Handwerks anstecken. „Dominik hat mich immer inspiriert und war mir bei der Ausbildung stets eine Stütze“, erinnert sie sich. Im September 2013 begann sie in der Confiserie Gmeiner in Appenweier ihre Ausbildung. Es seien drei harte, aber äußerst lehrreiche Jahre gewesen mit langen Arbeitstagen, sagt sie. Auch Lena wurde in ihrem Jahrgang Innungssiegerin und errang, wie Dominik, anschließend den zweiten Platz beim Landesentscheid. Nach der Ausbildung ging sie zunächst nach St. Georgen, wo sie bei Dagmar Holzer und Oliver Bittlingmaier arbeitete, um noch mehr Erfahrung mit dem Umgang mit Schokolade zu erhalten. Danach wollten die beiden jungen Konditoren weitere Erfahrung sammeln. „Wir haben uns als Paar bei verschiedenen Patisserien in ganz Deutschland Oben: In der Theke der Löwen Patisserie jagt eine Verlockung die nächste. Mitte: „Tortenkreation“ vom Feinsten zu jeder Gelegenheit. Unten: Dominik beim Aufdressieren der Eclairs. Einen mutigen Schritt in Richtung Zukunft des „Löwen“ auf der Escheck haben Dominik Kaltenbach und Lena Cerasola gewagt mit der Umgestaltung des Traditionshauses zur „Löwen Patisserie“ Löwen Patisserie in Schönwald 223


Oben und links: Einen mutigen Schritt in Richtung Zukunft des „Löwen“ auf der Escheck haben Dominik Kaltenbach und Lena Cerasola gewagt mit der Umgestaltung des Traditionshauses zur „Löwen Patisserie“ beworben – die erste Zusage kam tatsächlich recht schnell aus Köln, wo beide ihr Können in einer der renommiertesten Patisserien Deutschlands, dem „Törtchen Törtchen“ von Matthias Ludwigs und Elmar Schumacher-Wahls vervollständigen konnten. Zugleich absolvierte auch Lena die Meisterschule durch, da dies in Köln möglich war. Die Philosophie der beiden im eigenen Haus ähnelt der des „Törtchen Törtchen“: Beste Zutaten, innovative Ideen, Geschmack und Qualität. „Und manchmal ist weniger mehr, minimalistisch und auf den Punkt fokussiert“, verrät dazu Lena Cerasola. Mit der Gastronomie verbunden Lena kennt die Arbeit im gastgebenden Gewerbe – sie stammt aus dem renommierten Hotel Dorer in Schönwald. Auch dieses Haus ist ein Betrieb, der sich seit Generationen im Familienbesitz befindet. 1928 wurde das Haus von Josef und Albertine Dorer gegründet. Lenas Großeltern Rolf und Heidi Scherer haben das Hotel 1963 übernommen, da der Urgroß224 Gastlichkeit


Wir setzen auf Regionalität, frische Eier aus Schönwald oder frische, unbehandelte Milch aus der unmittelbaren Nachbarschaft, die dann bei uns vor Ort homogenisiert und pasteurisiert wird. vater im Krieg gefallen war und seine Witwe nie mehr geheiratet hat. 2006 übernahm dann Tochter Manuela gemeinsam mit ihrem Mann Salvatore Cerasola das Hotel Dorer. In Zermatt hatte sie 1989 ihren Mann kennengelernt, wo dieser im Service tätig war. 1993 wurde geheiratet, nachdem das Paar 1991 nach Deutschland gekommen war. Im Restaurant Waldhorn in Tübingen-Bebenhausen – seinerzeit mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet – absolvierte er eine Kochlehre. Nach seiner Ausbildung arbeitete Salvatore zunächst im Hirschen in Sulzburg, danach im Engel in Vöhrenbach, damals ebenfalls Michelindekoriert. Bevor er dann die Küche des Dorer übernahm, war er noch eine Zeitlang im „Wehrle“ in Triberg. Auch Tochter Lena ist, wie Dominik, die Hälfte eines Zwillingspaares. Ihre Schwester Laura hat sich ebenfalls für die Arbeit in der Gastronomie entschieden. Sie hat Ihre Ausbildung als Restaurantfachfrau im Hotel Colombi in Freiburg absolviert, war dann im „Hirschen“ in Sulzburg tätig und arbeitet im Augenblick im Restaurant „Storstad“ in Regensburg. Auch herzhafte Speisen bietet die Löwen Patisserie, wie hier zum Frühstück ein vegetarisches „Egg Benedict“. in Coronazeiten auf Bestellung täglich ganze Kuchen oder Torten an, am Wochenende von 11 bis 17 Uhr auch Stücke zum Abholen, doch das ganz große Geschäft war das bisher nicht – sie hofften von Beginn an auf eine Öffnungsperspektive. Daher genießen sie die derzeitigen Lockerungen, in der Hoffnung, dass dies so bleibt. Von Freitag bis Dienstag ist zurzeit von 11-18 Uhr geöffnet, von Freitag bis Sonntag gibt es zusätzlich von 9 bis 11 Uhr ein ganz besonderes Frühstück. Dazu ist die Küche geöffnet, sodass ebenso herzhafte, traditionelle Schwarzwaldspeisen wie die leckere Schwarzwald-Forelle, Wurstsalat oder Schwarzwälder Vesper-Spezialitäten im Angebot sind. Modernisierung des Löwen Ein mutiger Schritt sei der Einstieg in dieser Zeit gewesen, sind sich die Seniorchefs des Höhengasthauses Löwen, Brigitte und Alexander Kaltenbach sicher. Viel Geld hat die Familie in die Hand genommen, um das Haus in neuem, modernen Schwarzwaldstil zu gestalten, sodass neue Gäste in die Region gelockt werden. Aber das muss sich irgendwann auch wieder auszahlen. Zwar bot die Patisserie Es locken regionale Produkte „Wir hoffen und vertrauen darauf, dass der ganze Corona-Spuk endlich vorbei ist. Daher können wir nun neben unseren süßen Leckereien auch Frühstück und kleine Gerichte für Einheimische wie für Laufkundschaft anbieten“, sind sich sowohl die Senioren als auch Lena und Dominik einig. „Es ist ein Frühstück, das man so nicht überall bekommt“, Löwen Patisserie in Schönwald 225


Höchste Konzentration und tolle Handwerkskunst für leckere Törtchen – Lena und Dominik bei der Arbeit während der Fernshshow „Das große Backen“. und etwas mehr als nur ein bisschen künstlerische Neigung schadet auch nicht“, wissen Konditormeisterin und Konditormeister. versprechen die Inhaber. „Wir setzen auf Regionalität, frische Eier aus Schönwald oder frische, unbehandelte Milch aus der unmittelbaren Nachbarschaft, die dann bei uns vor Ort homogenisiert und pasteurisiert wird – aus der machen wir dann beispielsweise unser Eis“, lockt Lena Cerasola. Und – sie haben auch ein Herz für diejenigen, die das Süße nicht ganz so sehr mögen – „es gibt eigentlich immer auch alternativ zum Kuchen eine Quiche und eben auch kleine regionale Speisen, warm oder als Vesper“, schmunzelt das Team. Und – sie wollen künftig auch Kurse anbieten. Ob Dominik Kaltenbach und Lena Cerasola irgendwann ausbilden werden, hängt sicherlich mit davon ab, ob sie es schaffen, Nachwuchs für den überaus kreativen und attraktiven Handwerksberuf zu begeistern – ihre Erzeugnisse sprechen jedenfalls für sich. „Unser Beruf ist sehr vielseitig, wir lieben ihn und würden nicht tauschen wollen. Allerdings wird sehr viel Kreativität und exaktes, sauberes Arbeiten verlangt Präsenz in Fernsehshow Großes Aufsehen hatten die beiden erregt durch ihre Teilnahme an der Fernsehshow „Das große Backen – die Profis“, bei dem sie aus der ersten Folge als Sieger herausgingen. Dabei setzten sie zum Thema Urlaub auf „Reisen mit der Schwarzwaldbahn – anno dazumal“. Der erste Teil der Aufgabe bestand darin, genau 50 absolut gleich aussehende Törtchen passend zum Motto „Unsere Besten“ zu präsentieren, die neben dem Aussehen natürlich auch – und vielleicht vor allem – ungemein harmonisch schmecken sollten. Hier überzeugten sie die Jury, bestehend aus Bettina „Betty“ Schliephake-Burchard, eine hoch angesehene Fachfrau, die als erste Europäerin die Prüfung zum „Certified Master Sugar Artist“ der amerikanischen Tortenvereinigung erringen konnte, dem Chef-Patissier im Fünf-Sterne-Hotel Dolder Grand in Zürich, Christian Hümbs sowie Günther Koerffer, dem Hofkonditor am schwedischen Königshof gleich so sehr, dass sie von jedem der drei Juroren die Höchstpunktzahl erhielten – ein Erfolg, 226 Gastlichkeit


Wir kennen uns seit zehn Jahren. Jeder kann sich unbedingt auf den anderen verlassen, das macht uns schon zu einem sehr starken Team. der absoluten Seltenheitswert besitzt. Zumal Betty schon beim Backen selbst verraten hatte, dass sie einen Hauptbestandteil des Törtchens überhaupt nicht mag, nämlich Bananen – nicht umsonst nannten Lena und Dominik das leckere Teilchen „Bananarama“. Teil zwei „Reisen mit der Schwarzwaldbahn“ Danach wurde für Teil zwei eine Schoko-Lok hereingeschoben. Dabei setzten sie zum Thema „Süßer Zug“ auf „Reisen mit der Schwarzwaldbahn – anno dazumal“. Jedes Team bekam nun die Aufgabe, einen Motto-Wagon dazu zu „bauen“, als Hauptzutaten dienten natürlich Schokolade und Zucker. Dazu sollten 20 perfekte „Gepäckstücke“ gebacken werden, passend zum Motto des Wagons und natürlich wieder möglichst exakt gleich aussehend. Mindestens 35 Zentimeter hoch und 60 Zentimeter lang sollten die Wagons werden. Lena und Dominik entschieden sich für einen „Wälder Wagon“ zur Schwarzwaldbahn anno dazumal. Als Gepäckstücke hatten sie sich für „Schwarzwälder Koffer“ entschieden, mit einer Füllung à la Schwarzwälder Kirschtorte. Dazu Oben: Das Gewinnertörtchen „Bananarama“ überzeugte die Jury beim „großen Backen“. Unten: Der süße Zug. „Reisen mit der Schwarzwaldbahn – anno dazumal“ mit Lena und Dominik. Löwen Patisserie in Schönwald 227


Die Leute kommen zu uns, um unsere köstlichen Produkte und unsere Handwerkskunst zu probieren. Hingucker und kassierte folgerichtig auch die Höchstpunktzahl. Dennoch schieden sie bei dieser Challenge aus, denn beim ersten Teil war ihnen leider – wohl mangelnder Gelatine geschuldet – die Torte davon gelaufen. Die beiden nahmen es sportlich: „Wir haben hier ungemein viel gelernt – und Backen ohne Rezept ist normalerweise in unserem Beruf nur dann machbar, wenn man neue Dinge ausprobieren will. Und dann dokumentiert man aber jeden Schritt, um Fehler da auszumerzen, wo sie entstehen. Das war hier leider nicht möglich“, betonen sie. Trotz allem war es für die beiden eine wertvolle Erfahrung, die sie auf keinen Fall missen wollen. „Besonders der Kontakt zu den anderen Teams ist immer noch sehr eng, wir freuen uns sehr, nicht nur neue Kollegen, sondern auch Freunde gefunden zu haben“, sagt Lena. Dem kann Dominik nur zustimmen: „Die Teilnahme an der Show hat uns in jeder Hinsicht weitergebracht, auch wenn wir nicht gewonnen haben. Dabei sein war echt klasse!“ Freude über den Wandel in der Region So arbeiten sie auch an ihrem jetzigen Arbeits platz – höchst effektiv und sauber, in jeder Hinsicht nachvollziehbar und absolut lecker, vom kleinen Törtchen bis hin zu bestellten großen Torten. Sie freuen sich sehr, dass es nun endlich in der Region einen Wandel gibt. „Die Leute kommen zu uns, um unsere köstlichen Produkte und unsere Handwerkskunst zu probieren“. Von den zahlreichen Kunden bekommen die beiden nur positives Feedback. „Das lässt uns wirklich hoffnungsvoll in die Zukunft blicken“, freuen sich beide und nippen an einer leckeren Tasse Kaffee, während sie strahlend ihr neues Café begutachten. Stilvoller und süßer Genuss in den neu gestalteten Räumlichkeiten mit Wohnzimmer-Flair. „baute“ Lena Miniatur-Figürchen als Fahrgäste. Ein kleines Malheur gab es beim Zusammenbau – beim Aufsetzen des Daches brach dies zunächst längs in zwei Teile. Doch Profis zucken bei so etwas nur kurz zusammen und „reparieren“ den Schaden mal eben professionell. Als Team zu arbeiten fällt dem Konditorenpaar, das sich nun seit fast zehn Jahren kennt, überhaupt nicht schwer. „Wir können uns blind auf einander verlassen, das macht uns schon zu einem sehr starken Team“, schmunzeln beide. Am Ende belegte der „Wälder Wagon“ mit 25 Punkten in dieser Kategorie den zweiten Platz, was zusammen mit den 30 Punkten aus dem ersten Teil den Tagessieg bedeutete. Eine wertvolle Erfahrung Der zweite Auftritt sollte dann aber schon der letzte gewesen sein. Zwar sorgte das Schaustück des Schönwälder Konditorenpaares erneut für Aufsehen – der Kölner Dom war nämlich ein echter 228 Gastlichkeit


SAUERKIRSCH TARTE FÜR EINE ¶·CM Ø KUCHENFORM Zutaten Mürbeteig: 250 g Butter 125 g Zucker 375 g Mehl 1 ganzes Ei 2 g Zitronenabrieb und etwas Vanille Salz Zutaten Belag: 750 g 83 g 3 Stk 22 g Sauerkirschen Zucker Eier Cremepulver oder Puddingpulver Quark 40 % Fett Creme Fraîche Sahne, flüssig Vanilleschote Salz 110 g 110 g 280 g 1/2 1 Prise Die kalte Butter mit Zucker und Gewürzen in einer Küchenmaschine glatt arbeiten. Das Ei hinzugeben und kurz einkneten lassen. Zuletzt das gesiebte Mehl hinzugeben und so kurz wie nötig kneten, damit ein glatter Teig entsteht. ACHTUNG: nicht zu lange kneten, da der Teig sonst „brandig“ wird und beim Ausrollen bricht. Gefettete Kuchenform mit Mürbeteig ca. 3 mm dick auslegen und mit den Sauerkirschen füllen. Jetzt Zucker mit dem Mark der Vanilleschote, einer Prise Salz und den Eiern in einer Schüssel verquirlen. Das Cremepulver dazu geben und alles glatt rühren, bis keine Klümpchen mehr zu sehen sind. Den Quark und die Creme Fraîche dazu geben. Zum Schluss die flüssige Sahne dazu und die Masse über die Sauerkirschen in die Kuchenform gießen. Bei 175°C ca. 40 Minuten goldbraun backen. Nach Belieben mit Tortenguss abglänzen oder mit Puderzucker bestäuben. *Leckerer Tipp: lauwarm mit einer Kugel Vanilleeis genießen! 229


Kultkneipe mit immer jungem Publikum Die Brüder Uwe und Andy Reich haben mit dem „Klimperkasten“ in St. Georgen Mitte der 1990er-Jahre einen beliebten Treffpunkt geschaffen. Von Roland Sprich Uwe (rechts) und Andy Reich in ihrem Klimperkasten, den sie seit 28 Jahren in St. Georgen betreiben. 230


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Das Klavier in der Ecke, das dem „Klimperkasten“ einst seinen originellen Namen gegeben hat, ist heute nur noch in Einzelteilen als Dekoration zu entdecken. Ansonsten hat sich im „Klimper“, wie er von den Gästen in Kurzform genannt wird, seit einem Vierteljahrhundert nahezu nichts verändert. Seit Mitte der 1990er-Jahre steht das Bistro und Pub in St. Georgen für urige Gemütlichkeit. Und ist untrennbar verbunden mit Wirt Uwe Reich, der selbst längst Kultstatus erreicht hat. Dass er sich in seinem Berufsleben einmal der Gastronomie widmen würde, hat Uwe Reich nicht geahnt. In Villingen geboren und aufgewachsen, machte er eine Ausbildung zum Funkelektroniker bei SABA. „Danach habe ich mir erst mal eine Auszeit genommen und bin ein Vierteljahr an die Algarve nach Portugal – mit dem Fahrrad“, erzählt Uwe Reich. Dann sollte er eine Stelle als Hausmeister im Ferienresort „Hapimag“ in Unterkirnach antreten. Dort arbeitete sein Bruder Andreas bereits als Koch. „Doch als ich anfing, haben sie mich wegen Personalnot in den Service gesteckt und ich habe die Gäste bedient“, so Uwe. Und Andreas „Andy“ ergänzt. Dort hat sich Uwe als hundertprozentiger Gästemagnet erwiesen. Er war ein guter Kommunikator und ein Verkaufstalent. Er konnte super mit den Gästen.“ 232 Der „Klimperkasten“ ist eine urige Kneipe. Am „Nähmaschinentisch“ sitzen die Gäste besonders gern. Gastlichkeit


Links: Das alte Klavier, das der Kultkneipe einst seinen Namen gab, ist heute nur noch in Fragmenten zu erkennen. Über dem Eingang hängt der Spieltisch. Rechts: Bei der Deko haben die Reichbrüder auch einiges aus ihrem eigenen Fundus verewigt. Hier begutachtet Andy Reich ein Tretauto aus seiner Kinderzeit. Wir kamen rein, haben uns angeschaut – ohne ein Wort zu wechseln haben wir beide gewusst: Genau das ist es, das wollen wir haben. Der Wunsch nach einem eigenen Lokal Als das Hapimag vor dem Verkauf stand und die Zukunft für die Mitarbeiter ungewiss war, entschlossen sich Uwe und Andy, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. „Wir hatten die Idee, unser eigenes Speiselokal aufzumachen. Uwe im Service, ich in der Küche“, sagt Andy, der sein Kochhandwerk im Kurhaus in Bad Dürrheim erlernt und in verschiedenen Hotels und Restaurantküchen, unter anderem in der Schweiz, verfeinert hat. Auf der Suche nach einer geeigneten Lokalität in Villingen-Schwenningen und Umgebung („örtlich waren wir gar nicht festgelegt“), entdeckten sie im Hinterhof eines ehemaligen Hotels in St. Georgen, dass ein Investor gerade Umbauarbeiten für ein Bistro-Pub macht. „Wir kamen rein, haben uns angeschaut und ohne ein Wort zu wechseln haben wir beide gewusst: Genau das ist es, das wollen wir haben“, erklären Andy und Uwe Reich diesen magischen Moment, der ihr Berufsleben von einem Tag auf den anderen nachhaltig verändern sollte. Dadurch, dass das Bistro erst im Entstehen war, konnten die Brüder noch eigene Ideen in die Gestaltung des bis dahin noch namenlosen neuen Gastronomiebetriebs einfließen lassen. So kommt es, dass bis heute unter anderem ein Tretauto aus der Kinderzeit der Reich-Brüder an der Decke hängt. Der Name für ihr Bistro ergab sich praktisch von alleine. „Anfangs stand in der Ecke ein Klavier, daher der Name ‚Klimperkasten‘, lüftet Uwe Reich die wenig spektakuläre Namensfindung. Mit dem Sich-Schock-Verlieben in ihr künftiges Bistro mussten Andy und Uwe allerdings den Plan von einer Speisegaststätte aufgeben. „Die Nummer war gestorben, denn in dem Bistro gab es nur eine Miniküche, es war unmöglich, hier vernünftig Speisen zu kochen“, sagt Andy Reich. Viel mehr als Wurstsalat und belegte Baguette waren nicht drin. Beide Gerichte plus ein eigens kreierter Klimperburger sind bis heute die Dauerbrenner. Klimperkasten in St. Georgen 233


Die Kneipe hängt voller Utensilien, die Andy und Uwe Reich größtenteils selbst gesammelt oder auch von Gästen bekommen haben. Der Klimperkasten lief vom ersten Tag an „wie die Hölle“ und war praktisch seit der Eröffnung vor allem eins: viel zu klein. Angesagte Adresse in St. Georgen Anfangs hegten die Neu-Gastronomen, die mit ihrem Bistro und Pub in St. Georgen Fuß fassen wollten, Zweifel, ob die Bürger das neue Angebot auch annehmen würden. „Immerhin gab es zu der Zeit, Mitte der 1990er-Jahre, zahlreiche Lokale mit ähnlichem Angebot. Beispielsweise die ‚Bärenklause‘, ‚Evas Bar‘, der ‚Schwarzwaldelch‘ und das ‚Nachtcafé‘“, wie Andy aufzählt. Um die finanzielle Belastung für einen möglichen schleppenden Start so gering wie möglich zu halten, haben Andy und Uwe zunächst ohne Personal gearbeitet. „Wir haben alles selbst gemacht. Bedient, gekocht und abends geputzt. Wir sind sieben Tage die Woche von morgens 11 bis nachts um 1 Uhr im Laden gestanden“, erinnert sich Uwe an die stressige und arbeitsintensive Anfangszeit. Die Rollen waren dabei von Anfang an klar verteilt. Andy kümmerte sich um die Küche und hielt sich ansonsten mit Buchhaltung im Hintergrund. Uwe stand allabendlich an der Theke und bediente. Und avancierte zum Liebling aller Gäste. Schnell bemerkten die beiden, dass ihre anfänglichen Sorgen völlig unbegründet waren. „Der Klimperkasten lief vom ersten Tag an „wie die Hölle“ und war praktisch seit der Eröffnung vor allem eins: viel zu klein“, resümieren sie heute. Um den Besucherandrang bewältigen zu können, brauchten sie Bedienungen. Die zu finden war zum damaligen Zeitpunkt kein Problem. „Jeden Tag kamen Leute an den Tresen und fragten ob sie hier bedienen könnten“, sagt Andy. Kein Vergleich zu heute, wo es schwierig ist, gute und zuverlässige Mitarbeiter zu finden. So etablierte sich der Klimperkasten schnell zu einer der angesagten Adressen in St. Georgen und ist von den aufgezählten Lokalen längst das einzige, das die vergangenen knapp 30 Jahre überdauert hat und übrig geblieben ist. Dabei ließen sich die Wirte auch immer wieder etwas Neues einfallen, um ihre Gäste zu überraschen. „Wir waren zum Beispiel die Ersten, die an Heiligabend geöffnet hatten“, erzählt Uwe. Es war ein Versuch, von dem sie nicht wussten, ob sich das lohnen würde. „Die Bude war brechend voll“, lacht er, was zeigt, dass die Gäste auch in der besinnlichen Zeit ihrem Klimperkasten die Treue halten. 234 Gastlichkeit


Vorhof wird zum Biergarten Allerdings nur zwischen Herbst und Frühjahr. Die Sommermonate waren dagegen flau, „weil wir keinen gescheiten Biergarten hatten.“ Bei hochsommerlichen Temperaturen suchten sich die Gäste Lokale, wo sie draußen sitzen und feiern konnten. Die wenigen Tische und Stühle vor dem Eingang reichten bei Weitem nicht. So wurde 1999, in Absprache und mit Erlaubnis des Eigentümers, der bis dahin als Parkplatz genutzte Vorhof zum Biergarten umgebaut. Dass sich das als „goldene Investition“ erwiesen hat, haben die Klimperkasten-Betreiber schnell gemerkt. Seit Anfang der 2000er-Jahre begonnen wurde, Fußballweltmeisterschaftsspiele als Massenveranstaltung auszurichten und die Spiele der deutschen Elf gemeinsam zu verfolgen, verwandelt sich der Biergarten mit seinen hundert Sitzplätzen alle zwei Jahre zur Fußballwelt-, beziehungsweise Europameisterschaft in eine regelrechte Fußballarena. Wo die Gäste, meist ausstaffiert mit Merchandising in den Nationalfarben, richtige Stadionstimmung in den Biergarten bringen. Ein Mysterium für Uwe und Andy Reich ist, dass die Gäste in den vergangenen 28 Jahren, in denen es den Klimperkasten bereits gibt, nicht mitgealtert sind. „Normalerweise altern die Besucher mit dem Wirt und der Kneipe mit. Im Klimperkasten haben Unten: Alle zwei Jahre verwandelt sich der große Biergarten zur Sportarena, wenn hier Fußball-WModer EM-Spiele im Freien übertragen werden. wir seit jeher junges Publikum.“ So gehen heute längst die Kinder der ersten Gästegeneration im Klimperkasten ein und aus. Eine weitere Attraktion: Im Keller richteten sie eine kleine Brauerei ein und veranstalteten Bierbrauseminare. Heute, nach mehr als einem Vierteljahrhundert, in denen sich der Klimperkasten längst zu einer Kultkneipe entwickelt hat, können sich Andy und Uwe Reich mehr Freizeit gönnen und sich auf gute Mitarbeiter verlassen. Ganz ohne Gastronomie geht es dennoch nicht. Vor sechs Jahren entschloss sich Andy dazu, gegenüber dem Klimperkasten den „Hirsch-Imbiss“ einzurichten. Ursprünglich sollten damit Synergieeffekte genutzt werden, wenn die Biergartengäste Appetit auf Burger & Co. bekamen. Dass sich der Schnellimbiss eines Tages als Retter in der Not erweisen sollte, war Andy damals nicht bewusst. In der Coronazeit, als mit dem Bistro keine Einnahmen erzielt werden konnten, rettete der Imbiss ein stückweit die Existenz der beiden Brüder. Und da kommen auch ernste Seiten der ansonsten immer gut gelaunten Gastronomen zum Vorschein. „Wir haben keine Perspektive, wie es mit der getränkeorientierten Gastronomie weitergeht“, sagen sie im Herbst dieses Jahres und auf den vor ihnen liegenden Winter blickend, wenn die Außengastronomie witterungsbedingt eingestellt ist und drinnen möglicherweise nur Gäste mit Impfoder Genesenennachweis bedient werden dürfen. „Uns macht es keinen Spaß, Gäste wegschicken zu müssen. Und wenn der 2-G-Nachweis kommt, wird für uns die Luft dünn“, machen sie klar, dass auch ein Klimperkasten ohne Umsatz nicht unbegrenzt klimpern kann. 235


Der „Fleigle“ – der Buchenberger Fotograf Johann Georg Fleig von Bernd Möller Alltagsszenen, Brauchtum, oder Portraits: Der gerade 1,30 Meter große Johann Georg Fleig, gebürtig im Stockwald bei St. Georgen, war im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Pionier der Fotografie im Schwarzwald. Ihn und seinen von einem Hund gezogenen Karren mit der Fotoausrüstung darin kannte im Großraum Königsfeld/St. Georgen sowie im Gutachtal so gut wie jedes Kind. Und der „Fleigle“ gilt zugleich als einer der Begründer der inszenierten Trachtenfotografie, wie sie ja seit wenigen Jahren eine Renaissance ohnegleichen erlebt. 236 8. Kapitel – Kunstgeschichte / Fotografie


Johann Georg Fleig bei der Arbeit im Atelier.


Blick zum Schlosshof im Buchenberger Zinken Martinsweiler, wo Johann Georg Fleig bis 1885 sein Fotoatelier betrieb, um dann nach Hornberg umzusiedeln. Als Fotograf blieb er dem Großraum Königsfeld/St. Georgen jedoch weiter treu. Er wäre mein Nachbar gewesen, hätten wir zur gleichen Zeit gelebt. Und ich glaube, er hätte mich auch damals schon fasziniert. Auf dem alten Schlosshof im Buchenberger Zinken Martinsweiler, direkt oberhalb der Ruine Waldau, heute Ortsteil von Königsfeld, verbrachte er seine Jugendzeit. Dort stand auch bis zum Umbau zur heutigen Tierarztpraxis in den 1990er-Jahren ein alter, halbverfallener Schuppen hinter dem Hof, wie üblich voller Spinnweben und Gerümpel. Dort wäre mal eine Werkstatt gewesen. Ein abenteuerlicher Platz, die Kinder erzählten von alten, ausgestopften Tieren und seltsamem Gerät. Vor dem anstehenden Abbruch und Umbau brachten meine Nachbarn, die damalige Besitzerfamilie Hubert Kunz, noch einiges aus diesem Schuppen ins Dorfmuseum nach Buchenberg, von dem sie meinten, dass es für den Geschichtsverein von Interesse sein könnte: Einen verstaubten und verschrammten Koffer mit Büchern und Zeitschriften, Fachliteratur zur Fotografie, zu Fotolithografie und Lichtdruck, aber auch naturkundliche Werke und Anleitungen zur Tierpräparation aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, Flaschen mit undefinierbaren Chemikalien und eine Vielzahl kleiner Glasplatten. Bei genauerem Hinsehen entpuppten sich diese als belichtete fotografische Platten. Und hier erst hörte ich auch zum ersten Mal den Namen „Fleigle“. Christa Kunz stellte sich als seine Urgroßnichte heraus. Sie erzählte mir mit Begeisterung von dem Buchenberger Original, diesem bemerkenswerten Fotografen und Fotokünstler Johann Georg Fleig. Ich wurde aufmerksam auf seine Arbeiten: Alte Postkarten von Königsfeld und Umgebung, die für den Geschichtsverein und seine Arbeit immer schon wichtig waren. Portraits, Hochzeitsbilder, alte Fotos aus dem Archiv, stellten sich als seine Arbeiten heraus. Und wie es oft so ist, wenn eine Beziehung entsteht, schaut man sich die Dinge genauer an, erkennt immer mehr Details und bemerkt die hohe Qualität dieser frühen fotografischen Arbeiten. 238 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


Johann Georg Fleig hat die fünf Weiherhof-Kinder vor neutralem Hintergrund fotografiert, dann zur Schere gegriffen und seine Modelle vor der Kulisse eines Buchenberger Bauernhauses perfekt in Szene gesetzt. Ringel-Ringel-Reihn 239


Und ich entdeckte eine Spezialität dieses „Fleigle“: Seine zeichnerisch verbesserten, oft handkolorierten Ansichtskarten. Nicht nur unter Postkarten-Sammlern sind diese kleinen Kunstwerke schon lange ein Geheimtipp, sind sie doch aufwendig gefertigte, künstlerisch hochwertige zeitgenössische Dokumente. Eine liebevoll zusammengetragene Sammlung davon ist noch im Dorf bei Anni und Hansjörg Lauble vorhanden. Kleinwüchsig, aber geistig hell wach Hinter all dem steckt ein anrührendes menschliches Schicksal: Am 21.11.1859 wurde Johann Georg Fleig im Gsod, Gemarkung Stockwald, in einfachen Verhältnissen als viertes Kind seiner Eltern Andreas und Anna Fleig geboren. Die zwei ersten Kinder starben schon bei der Geburt, und auch er war nicht gesund: Er sollte Zeit seines Lebens nicht größer werden als knapp 1,30 m. Ein hartes Schicksal, gerade in dieser Zeit. Aber er war trotz seiner Behinderung lebhaft und geistig hellwach. Sein Vater Andreas Fleig ernährte die Familie mühsam als Landwirt und Uhrmacher. Er galt als fleißig, sparsam und hatte wohl auch Glück. Wichtig für die Familie war des „Fleigles“ erster Pate Mattäus Fleig. Dieser bereiste als Uhrenträger das ganze Rheinland bis an die Nordsee, aber auch große Teile Frankreichs und selbst Venedig. Er vertrieb die Schilderuhren des Vaters und hatte dabei offensichtlich vielfach Erfolg. So kam der fleißige und sparsame Vater über die Jahre zu einem kleinen Vermögen. Vermittelt von des „Fleigles“ zweiter Göttin Anna Fleig, der Ehefrau des Schlossmüllers Andreas Haas, konnte er schließlich den etwas heruntergekommenen Schlosshof in Waldau kaufen. Die Schlossmühle grenzte an den Schlosshof an. Anna Fleig war wohl auch in Zukunft für den kleinen Johann Georg wichtig, da sie sich als Göttin sehr um ihn kümmerte und ihn ihr Leben lang unterstützte. Zinzendorfschule öffnet den Weg ins Leben Da Johann Georg Fleig bei der Landwirtschaft wenig helfen konnte, sahen sich die Eltern für ihn nach einem anderen Broterwerb um. Es gelang ihnen, ihren Sohn bis 1877 auf die nahe Zinzendorfschule in Königsfeld zu geben. Das war für ihn in vielerlei HinAuf der Zinzendorfschule in Königsfeld wurde Johann Georg Fleig trotz oder gerade wegen seiner Behinderung sehr gefördert und er erwies sich als ein fleißiger, intelligenter Schüler. sicht ein Glücksfall. Die Einrichtung der Herrnhuter Brüdergemeine galt schon damals als angesehene Privatschule in kirchlicher Trägerschaft. Dort wurde Johann Georg Fleig trotz oder gerade wegen seiner Behinderung sehr gefördert, und er erwies sich als ein fleißiger, intelligenter Schüler. Das internationale Milieu der Lehrerund Schülerschaft weitete seinen Horizont. Er nutzte das breite Spektrum der an der fortschrittlichen Schule angebotenen Fächer. Besonderes Interesse fand er an der Biologie und dem Kunstunterricht. Zeichnen konnte er ja schon seit jungen Jahren, da er seinen Eltern bei der Bemalung der Uhren über die Schulter geschaut und schon früh mitgeholfen hatte. Besonders sein Lehrer Heinrich Barth hatte es ihm angetan. Er hatte nämlich ein zu dieser Zeit sehr ausgefallenes Hobby: die Daguerreotypie. Schon 1866 ließ sich Barth aus Frankreich einen der ersten der hölzernen Fotoapparate kommen, richtete an der Schule ein Fotolabor ein und unterrichtete die Fotografie als fakultatives Lehrfach. Ob die Experimente mit der benötigten Chemie, der Selbstbau hölzerner Kameragehäuse oder die Nachbearbeitung der belichteten Glasplatten: Es gab noch keine festen Regeln, alles war neu. Das faszinierte und prägte den jungen Fleig. Er schloss sich Barth eng an, viele Stunden verbrachten sie gemeinsam in ihrem Labor, bis Barth dem kleinen Fleig nichts Neues mehr beibringen konnte. Das Abitur konnte er am renommierten Gymnasium nicht machen, dafür fehlte den Eltern das Geld. Aber die Schule hatte ihn geprägt. Viele Möglichkeiten, einen Beruf zu erlernen, der ihn durchs Leben tragen konnte, hatte er bei seiner körperlichen 240 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


Ein Uhrenträger auf Wanderschaft Sehr wahrscheinlich hat Johann Georg Fleig hier seinen Paten fotografiert, den Uhrenträger Mattäus Fleig, der u.a. die Uhren des Vaters erfolgreich an den Mann brachte. 241


Situation nicht. Folgerichtig ging er 1897 bei Fotograf Dahl in die Lehre, der sich zu dieser Zeit als Erster seines Fachs aus Berlin kommend in Königsfeld niederließ. Zu ihm entwickelte er ein enges Verhältnis, und als ihm dieser nichts mehr beibringen konnte, setzte er seine Ausbildung bei der Firma Kurz in Mönchweiler fort. Dabei handelte es sich um einen der allerersten Berufsfotografen im Schwarzwald, der auch mit der Entwicklung der Fototechnik Schritt hielt. Obwohl Kurz anfänglich Bedenken hatte, ob sich Johann Georg für diesen Beruf wirklich eignet, ließ er sich schließlich doch auf einen Versuch ein. Der Grund lag, wie zu erwarten, in Johann Georgs Behinderung. Man darf seine Körpergröße nicht vergessen: 1,30 m! Die Fotoapparate dieser Zeit waren schwere Hartholzkästen. Dazu kamen das Dreibeinstativ sowie die beschichteten Glasplatten. Da diese kurz nach ihrer Belichtung entwickelt werden mussten, brauchte es vor Ort ebenso all die dazu erforderlichen Chemikalien. Das waren selbst für einen gesunden Mann ordentliche Gewichte, vor allem, wenn man im Gelände oder bei der Kundschaft arbeitete und nicht im Atelier. Aber Johann Georg Fleig war zäh – hielt durch. Was ihm an Körperkraft mangelte, ersetzte er durch andere Begabungen. Fotografie damals bedeutete viel Handarbeit und erforderte Geschick: Im Labor wurden die Glasplatten von ca. 13 x 18 cm poliert und mit Kollodium beschichtet, in das lichtempfindliche Silberhalogenid-Kristalle eingebettet waren, Salze aus Silber und Halogene wie Brom, Jod, Chlor oder Fluor. Die Chemikalien mussten selbst angesetzt werden. Bei Lichtkontakt fällt dann das Silber aus und es entstehen winzige metallische Körnchen, aus denen sich die Abbildung zusammensetzt. Diese beschichteten Platten wurden in der Kamera durch gesteuerten Lichteinfall belichtet und dann im noch nassen Zustand unter einem schwarzen Tuch im Kamerakasten sofort weiter bearbeitet. Ein aufwendiges Verfahren. Es war noch nicht möglich, die Aufnahmen vor Ort zu belichten und zu einem späteren Zeitpunkt zu entwickeln. Zu Johann Georgs Lehrzeit kam die Beschichtung der Platten mit Gelatine auf und damit ein deutlich verbessertes Verfahren. Gelatine quillt auf, sodass für die weitere Entwicklung benötigte Chemikalien eindringen können. Sie schrumpft beim Trocknen wieder, ohne dass Lage und Form der so bearbeiteAls Meister galt er bei der Bearbeitung der nicht immer gleich perfekten Bilder. Retuschen, Bearbeitungen mit Bleistift, Pinsel und Tusche und Handkolorierungen beherrschte er in hohem Maß. ten Silbersalze verändert werden. Das war wichtig, da die Silberhalogenid-Kristalle nicht für alle Wellenlängen, sondern nur für blaues und ultraviolettes Licht empfindlich sind. Sie müssen durch Einfärbung für andere Wellenlängen und damit Farben erst sensibilisiert werden. Die hierfür erforderlichen orthochromatischen Emulsionen mussten die Fotografen selbst herstellen. Vieles war noch experimentell – hierbei bewies Johann Georg Fleig viel Geschick. Als Meister galt er bei der Bearbeitung der nicht immer gleich perfekten Bilder. Retuschen, Bearbeitungen mit Bleistift, Pinsel und Tusche und Handkolorierungen beherrschte er in hohem Maß. Das erste Atelier in Buchenberg Bald entstand ein enges Verhältnis zwischen dem Mönchweiler Lehrmeister und seinem Gesellen. Kurz lobte ihn in der Öffentlichkeit als in manchen Dingen ihm überlegen, sprach ihn frei und empfahl ihm, ein eigenes Atelier zu eröffnen. Sein Erfolg führte dazu, dass ihm sein Bruder Andreas, der inzwischen den Schlosshof an der Waldau in Buchenberg übernommen hatte, durch einen Anbau im hinteren Teil des Hofes ein Atelier einrichtete, eben den eingangs erwähnten „Schuppen“, was ihm die Selbstständigkeit ermöglichte. In Buchenberg perfektionierte Johann Georg die zeichnerische Verbesserung seiner Fotografien, von hier aus zog er mit einem Wägelchen übers Land, worauf er den schweren Fotoapparat, das sperrige Dreibeinstativ und den Chemikalienkasten geladen hatte. Gezogen wurde der Wagen von einem Hund. 242 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist meisterhaft inszeniert. Im Hintergrund wurde sie lasierend retuschiert, um so den optischen Schwerpunkt auf die Menschen zu lenken. In den Heidelbeeren 243


Johann Georg Fleig achtete stets auf sein Äußeres: Mit schwarzer Melone auf dem Kopf und in seinem schwarzgrauen Anzug entwickelte er sich, gescheit und umtriebig, zu einer geachteten Persönlichkeit. Und er verdiente Geld. Sein Götte Mattäus Fleig aus Stockburg nahm auf seinen Touren als Uhrenträger auch Fotografien seines „Fleigle“ mit. So etwas hatte man auf vielen Höfen bisher noch nicht gesehen – diese Neuheiten verkauften sich gut. Die üblichen Portraits und Aufnahmen bei Familienfesten mit ihren rein technischen Problemen füllten den begabten Fotografen bald nicht mehr aus. Er strebte nach mehr – nach „malerischer Fotografie oder fotografischer Malerei“. So fertigte der „Fleigle“ thematische Fotoserien: Phasen des Lebens, Handwerker bei ihrer Arbeit, ländliche Sitten und Gebräuche, Höfe und Landschaften. Doch es hielt ihn nicht auf Dauer in Buchenberg. Das Amtsstädtchen Hornberg mit seiner Eisenbahn, der aufkommenden Industrie und dem immer stärkeren Tourismus reizte ihn. 1885 wagte er den entscheidenden Schritt: Der „Fleigle“ eröffnete in Hornberg ein Atelier. Der Anfang war beschwerlich. Es wird berichtet, dass Johann Georg Fleig mit Trippelschritten sein schweres Gepäck zu Fuß stundenlang ins Reichenbächle schleppte, um dort erste Hochzeitsbilder zu machen. Aber die Qualität seiner Aufnahmen überzeugte auch anspruchsvolle Kunden und sein Können sprach sich schnell herum. Ständig experimentierte er mit neuen Ideen. So kam der „Fleigle“ auf die Idee, seine Bilder in Kupferplatten zu stechen und sie in Serien drucken zu lassen, so zur Bebilderung von Büchern. Auch Lithografien wurden hergestellt. Er gründete einen eigenen Verlag, den „J. G. Fleig Photograph und photographischer Verlag Hornberg“. Weiter kam ihm die Idee, von seinen entwickelten Glasplatten durch ein Kontaktverfahren Diapositive herzustellen und diese zu kolorieren. Neuartige Projektoren erlaubten es, diese Kunstwerke vorzuführen. Kunstbücher, biologische und geografische Werke gaben zusätzliche Motive her. Bald schaffte die Stadt Hornberg zwei Projektoren und etliche Diapositiv-Serien für ihre Schulen an. Begabter Tier-Präparator Immer schon hatte er eine große Freude an der Natur, ein großes Interesse an Tieren, besonders an VöBeim Präparieren von Tieren auf dem Schlosshof in Buchenberg, fotografiert 1892. Zu sehen ist Andreas Fleig, der Bruder des Fotografen, mit seiner Ehefrau Anna Dorothea und Tochter Anna Maria (Mitte hinten). geln. Sein Bruder Andreas war Jäger und hatte sich die Präparation von Tieren beigebracht, vor allem von Auerhähnen, die im Schlosshof in der Stube hingen. Von ihm hatte sich das „Fleigle“ einiges abgeschaut. Aber auch im Biologie-Unterricht der Zinzendorfschulen wurden solche Techniken gelehrt und gelernt. Anhand von Fachbüchern perfektionierte er diese, vor allem die Gestaltung von lebensnahen Gipskörpern mit Holzgestellen, die nach dem Überzug des konservierten Felles oder Gefieders das Tier wieder in einer natürlichen Stellung zeigten. Die Jägerschaft um Hornberg herum nahm das Angebot gerne an. Durch Zufall kam er sogar an einen Auftrag des Fürsten von Fürstenberg, der auf seiner alljährlichen Auerhahnjagd in Hornberg eine ganze Reihe besonders prächtige Exemplare geschossen hatte und sie schnell präpariert haben wollte. Er wurde an Johann Georg verwiesen, der für den unverhofft großen Auftrag schnell ein paar Hilfskräfte einstellen musste. Das Ergebnis fiel zur vollen Zufriedenheit des Fürsten aus, führte zu Folgeaufträgen und bildete ein weiteres Standbein der immer mehr florierenden Firma des Johann Georg Fleig. 244 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


„Fischen und Krebsen“ bei der Schloßmühle Johann Georg Fleig strebt nach „fotografischer Malerei“, was ihm auch bei diesem Motiv eindrucksvoll gelingt: Im Bach waten die Haller-Kinder – die Buchenberger Kinder standen dem „Fleigle“ gerne Modell. 245


Fotografische Souvenirs für Touristen Generell kam zum Fotografieren bald das Geschäft mit den Touristen, die in dieser Zeit immer mehr den Schwarzwald entdeckten. Sein Fotografen-Geschäft wurde zum Andenkenladen. Seine auf Glasplatten entwickelten und fixierten Aufnahmen stach er in Stahl und Kupfer und stellte davon Kunstdrucke her, er verkaufte Uhren mit nach seinen Fotomotiven gestalteten Uhrenschildern und Schwarzwald-Mineralien, zum Beispiel aus Wolfach, fertigte Schnitzarbeiten und Intarsienbilder seiner Fotografien, bot seine Tierpräparate an und kam auch noch auf die Idee, seine Aufnahmen als Postkartenserien zu verlegen. Bis zu fünfzehn Angestellte arbeiteten zuletzt für ihn. Er wurde, trotz seiner Zwergwüchsigkeit, eine angesehene Persönlichkeit in der Amtsstadt Hornberg. Und er unterhielt einen honorigen Freundeskreis mit dem Bürgermeister und dem Gemeindearzt. Recht wohlhabend geworden, weitete er seinen Aktionsradius aus. Die Eisenbahn ermöglichte ihm Ausflüge nach Engen, Konstanz und dem Bodensee. Auch hier entstanden künstlerisch und dokumentarisch hochwertige Arbeiten. Aber die allgemeine Entwicklung holte ihn schließlich ein, überholte ihn. Immer neuere Fotoapparate, leichter und noch leichter zu bedienen, und schließlich der einfach zu entwickelnde Rollfilm sorgten dafür, dass die Fotografie von einer hohen Kunst immer mehr zu einem verbreiteten Hobby wurde. Mit seiner aufwendigen Glasplattentechnik und seinem künstlerisch-malerischen Anspruch wurde er immer mehr zu einem altmodischen Vertreter seiner Kunst. Sein Ansehen sank, er wurde belächelt und – nicht zuletzt auch wegen seiner Behinderung – immer mehr verspottet. Auch gesundheitlich ging es ihm immer schlechter. So verkaufte er nach ziemlich genau zwanzig Jahren 1905 sein Geschäft und verließ Hornberg. Er zog um nach Oberweiler im Amt Badenweiler, wo er seine Krankheit zu kurieren versuchte. Seine Ersparnisse ermöglichten es ihm, kürzer zu treten. Aber auch dort schuf er sich Ansehen durch seine Arbeit, die er nicht lassen konnte: Fotoarbeiten und Tier-Präparationen. Seinen von einem großen Hund gezogenen Karren kannte jedes Kind. Und jetzt nahm er sich die Zeit und gönnte sich größere Reisen, so nach Venedig im Jahre 1913 und nach Hessen und Thüringen 1918. Auch dort entstanden fotografische Kunstwerke. Mit 64 Jahren starb Johann Georg Fleig. Eine große Abordnung von Freunden und Bekannten aus dem Schwarzwald, darunter viele Trachtenträger aus Buchenberg, St. Georgen und Hornberg, begleiteten ihn auf seinem letzten Gang. Ihn, den kleinen Mann, den großen Fotografen des Schwarzwaldes seiner Zeit. Schwarzwälder Trachtenträger begleiten den „Fleigle“ auf seinem letzten Weg Doch sein überstrapazierter Körper ließ ihn langsam immer mehr im Stich. Mit 64 Jahren starb er schließlich am 16. Juni 1924 in Oberweiler. Eine große Abordnung von Freunden und Bekannten aus dem Schwarzwald, darunter viele Trachtenträger aus Buchenberg, St. Georgen, dem Gutachtal und Hornberg, begleiteten ihn auf seinem letzten Gang. Ihn, den kleinen Mann, den großen Fotografen des Schwarzwaldes seiner Zeit. Sein fotografischer Nachlass erlitt ein besonderes Schicksal: Noch in den letzten Kriegstagen wurde Hornberg durch Luftangriffe getroffen. Die Kirche war schwer beschädigt, Dach und Fenster fehlten. Das Dach konnte schnell notdürftig gerichtet werden, aber die Fenster? Glas fehlte überall. Da erinnerte man sich, dass im Keller des Rathauses noch so große alte Kisten mit irgendwelchen Glasplatten von wem auch immer abgestellt waren. Tagelang wurde das Silberbromid von den Glasplatten abgeschrubbt und notdürftig damit die fehlenden Scheiben ersetzt. Schon ein halbes Jahr später war Glas wieder erhältlich, die unansehnlichen Notfenster wurden wieder herausgeschlagen und ein unermesslicher Schatz 246 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


Fotografiert vor einer schlichten Scheunenwand. Die Schäpel hat Johann Georg Fleig von Hand koloriert. Buchenberger Trachtenmädchen 247


In der Schule – beseeltes Spiel für den Fotografen Johann Georg Fleig. Er realisierte mit den Buchenberger Kindern eine ganze Serie solcher Genre-Aufnahmen, die er wie seine Trachtenaufnahmen und Brauchtumsbilder mit großem kommerziellem Erfolg absetzen konnte. In Szene gesetzt hat er hier erneut die Weiherhof-Kinder, die Farbgebung der Tracht aber teils verändert. Die Kinder wurden einzeln fotografiert und einmontiert. eine Ausstellung über das Leben und Wirken von Johann Georg Fleig präsentieren können. Der Vortrag von Prof. Dr. Andreas Beck war ein Höhepunkt. Aufgrund des nach wie vor großen Interesses am Werk von Johann Georg Fleig ist in Buchenberg für das Jahr 2022 erneut eine Ausstellung zum Schaffen des Foto-Künstlers geplant. Auch diesmal werden viele fotografische Kostbarkeiten sein technisches und künstlerisches Können aufzeigen, seine Bedeutung als Zeitzeuge dokumentieren und dazu beitragen, dass der „Fleigle“ nicht erneut in Vergessenheit gerät. Weitere Fotografien von Johann Georg Fleig finden Sie unter dem nachstehenden Link: www.almanach-sbk.de/fleig frühester Schwarzwald-Fotografie verschwand endgültig auf der Müllkippe… Würdigung eines Schwarzwälder Genius Lange Zeit war es nun still um das „Fleigle“, den Fotografen. Nur ein Kreis von Kennern und Liebhabern hielt sein Andenken aufrecht. Doch in Prof. Dr. Andreas Beck, emeritierter Chefarzt des Klinikums in Konstanz, fand er einen Menschen, den er ebenfalls zunehmend faszinierte, der aber einen entscheidenden Schritt weiterging: Mit Hilfe einiger leidenschaftlicher Sammler und viel Ausdauer trug er einen guten Teil der noch vorhandenen Arbeiten von Johann Georg Fleig zusammen und rekonstruierte auch mit Hilfe des Geschichtsvereins Buchenberg dessen Leben und Werdegang. All diese Ergebnisse veröffentlichte er schließlich 2006 in einer lesenswerten, kleinformatigen Biografie unter dem Titel: „Johann Georg Fleig – ein kleiner Schwarzwälder Genius.“ Der Geschichtsverein Buchenberg hat 2007 schon einmal anhand einer ansehnlichen Privatsammlung 248 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


Altes Schwarzwaldhaus an der Glashalde bei Buchenberg Handkolorierte Fotografie aus den 1890er-Jahren. Wie so oft platziert der „Fleigle“ als Blickfang eine Gruppe von Kindern im Bild. 249


250 Schwarzwälder Bauernhochzeit – die Trachten stammen aus dem Kirchspiel St. Georgen, zu dem auch Buchenberg gehört. Es handelt sich bei der Aufnahme um eine groß angelegte Fotomontage. Zunächst fotografierte Johann Georg Fleig einen Bauernhof mit Kind auf der Treppe. Dann nahm er die Trachtengruppe St. Georgen


auf. Eine Meisterleistung für sich war es, all die Personen zusammen zu bekommen. Es folgten die Aufnahmen der Musiker. Dann griff der Fotograf zur Schere und fügte die einzelnen Bildelemente zu der abgebildeten Gesamtkomposition zusammen. Dank der Größe der Abbildung ist seine Arbeitsweise unschwer zu erkennen. 251


St. Georgener Brautkrone Mit das liebste Fotomotiv von Johann Georg Fleig war die Tracht von St. Georgen, die so auch in Buchenberg getragen wurde. 252


Fotografiert im eigens für den „Fleigle“ beim Schlosshof errrichteten „Schuppen“, der ihm in seinen Gründerjahren als Atelier dient. Die Tracht gehört zum Kirchspiel St. Georgen. Trachtenträgerin mit Rosenhut 253


254 Genre-Aufnahmen wie diese verkaufte der „Fleigle“ besonders gut. Begegnung am Brunnen


Die Tracht stammt aus der Raumschaft Vöhrenbach/Hammereisenbach/Eisenbach. 255 Schwarzwälderin


Schwarzwälderinnen vor dem Kirchgang Das Anziehen einer Tracht ist eine Wissenschaft für sich, zumal das Tragen des Schäpels von St. Georgen.Ihn allein aufzusetzen, ist der Trachtenträgerin nicht möglich. 256


Gastwirt Gottlieb Braun (links) serviert Bier. Schon früh wurde die Decke und Täfelung des Buchenberger „Rössle“ ins Badische Landesmuseum verbracht, dort aber 1945 bei einem Bombenangriff zerstört. In der „Alten Hübelen“ 257


Das Schlachtfest In Buchenberg, wo der Bruder lebt und er sein selbstständiges Schaffen begonnen hat, war Johann Georg Fleig auch nach der Eröffnung seines Hornberger Ateliers im Jahr 1895 oft zu Gast – etliche seiner Genre-Motive entstehen weiterhin in der alten Heimat. So die Aufnahme der Hausschlachtung oben, die zugleich Schweinsblasen für die nächste Fastnacht liefert. Ob Rind oder Schwein: Das Tier wird so weit wie nur möglich komplett verwertet. Routiniert zerlegen es die beiden Hausmetzger in Unterund Oberschale, Hüftstück, Schweinehals und -rücken, Bauchspeck und Filet, Rippchen, Koteletts und Schnitzel. Im Bottich am Bildrand links befindet sich das Schweineblut. Es muss baldmöglichst geschlagen werden, damit es nicht gerinnt. Ansonsten würde bei der Schlachtplatte am selben Abend die Blutwurst fehlen… Auf dieses Festmahl freuen sich nicht nur die Metzger und Besitzer der Sau, sondern ebenso die Säcklestrecker (siehe rechts). 258


Beim Säcklestrecken Das Säcklestrecken und die Hausschlachtungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Am Schlachttag sitzen die Metzger und Bewohner abends traditionell in der guten Stube bei einer Schlachtplatte zusammen – und so mancher im Dorf wäre gerne dabei… Der Brauch des Säcklestreckens macht das (vielleicht) möglich: Mit einer Stange klopfen die Säcklestrecker abends ans Fenster, stellen sie dort ab und entschwinden in die Dunkelheit. Vorne an der Stange hängt ein Leinensack, in dem ein anonym verfasster Schandbrief über die „Missetaten“ des Hofbesitzers steckt. Wie der Bauer bald selbst lesen wird, droht ihm die Bekanntmachung all seiner Missetaten, wenn er von seiner heutigen „Metzgete“ nichts abgibt. Das (hoffentlich) gefüllte Säckle in derselben Nacht wieder abzuholen, ohne dabei ertappt zu werden, ist schlussendlich die eigentliche Kunst: Wird ein Säcklestrecker erwischt, färbt ihm der Bauer das Gesicht mit Ruß schwarz ein. Und seine Metzelsuppe schlürft der Säcklestrecker dann mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen aus… Die obige Fotografie ist nachgestellt, denn nachts wäre sie zu dieser Zeit technisch nicht durchführbar gewesen. 259


Oben: Brechen des Flachses. Unten: Beim Spinnen in der Bauernstube des Mühllehenhofes. Beide Aufnahmen stammen aus Buchenberg, entstanden um 1900. Der Flachsbau 260


Gekonnt hat der „Fleigle“ die Spiegelungen der Ruine ins Roggenbächle hineingemalt. Da die Farbfotografie noch nicht erfunden war, verhalf ihm einzig die Handkolorierung zum Farberlebnis. An der Burgruine Waldau


262 Der „Fleigle“ – Fotograf Johann Georg Fleig


Alltägliches Arbeiten vor dem Bauernhaus im Oberen Stockwald bei St. Georgen, wo Johann Georg Fleig geboren wurde. Die handkolorierte Postkarte wurde ab 1885 vertrieben.


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Jessica Bisceglia New York – Paris – Schwarzwald Seit über 10 Jahren als Fotomodell erfolgreich Sie ist ein angesagtes Fotomodell und Ingenieurin der Medizintechnik. Im Dezember 2019 gewinnt Jessica Bisceglia die Wahl zur „Miss Baden-Württemberg“ und erreicht am 15. Februar 2020 beim Finale zur Wahl der „Miss Germany“ einen Platz unter den Top sechs. Die Laufbahn der gebürtigen Trossingerin hat zum Schwarzwald-Baar-Kreis viele Berührungspunkte – zumal, wenn es um Trachtenshootings geht. Ob hipp gedresst oder in Schwarzwälder oder Baaremer Tracht: Jessica Bisceglia ist wandelbar und facettenreich. New York und Paris sind nur zwei Stationen ihrer Karriere. Und doch: Ihr Herz schlägt für den Schwarzwald und den Schwarzwald-Baar-Kreis, dessen Internetseite sie schmückt. In Tracht. Dass sich Jessica Bisceglia im Schwarzwald und Schwarzwald-Baar-Kreis zuhause fühlt, hat auch mit ihrem Lebensgefährten zu tun: Profi-Ringer Peter Öhler, der aus dem Kinzigtal stammt und als derzeit für den Leistungssport freigestellter Polizeikommissar dort nebenbei eine Landwirtschaft betreibt. Peter Öhler war vier Mal Deutscher Meister im Einzel, drei Mal holt er sich diesen Titel mit der Mannschaft. 2012 gewann er bei der Weltmeisterschaft die Silbermedaille, erzählt Jessica stolz. Die Liebe zum Schwarzwald teilen sich die beiden. Jessica Bisceglia: „Ich mag einfach die Kultur und Traditionen. Der Anblick der außergewöhnlichen Landschaft ist für mich immer wieder neu atemberaubend schön“. Inzwischen hat das Paar auch eine Wohnung im Kinzigtal, wo „der nächste Nachbar 500 Kilometer entfernt wohnt“, so Jessica Bisceglia augenzwinkernd. Über die Trachtenfotografie drückt sie ihre Liebe zur Heimat auch im Bild aus. Das Fotomodell schmückte bereits etliche Titelseiten von Illustrierten und ist zusammen mit Kim Klausmann auch auf dem Umschlag des neuen Bildbandes über den Schwarzwald-Baar-Kreis zu sehen. Für diese Aufnahme schlüpfte Jessica Bisceglia in die Baaremer Tracht. Es sei jedes Mal aufs Neue ein besonderes Gefühl, eine Tracht zu tragen, freut sie sich. Jessica verbindet damit Tradition und Heimat. Und natürlich mache sie es stolz, auf dem Cover zu sein.


Jessica Bisceglia wird im Dezember 2019 zur „Miss Baden-Württemberg“ gewählt (links). Im Februar 2020 ist sie bei der Wahl zur „Miss Germany“ nominiert (Mitte rechts vorne mit rötlich schimmerndem Haar), bei der sie es unter die Top sechs schafft. Ein Familienmensch durch und durch Jessica Bisceglia stammt aus Schura (Kreis Tuttlingen). Dort wuchs sie auf, ihr Vater kommt aus Italien, die Mutter aus Trossingen. „Ich bin in zwei Kulturen verwurzelt“, erzählt sie und bezeichnet sich als Familienmensch. Das kommt nicht von ungefähr: Ihr Vater hat sechs Geschwister, ihre Mutter elf. Alle Familienmitglieder sind im Übrigen stolz auf ihre Jessica. Der Onkel rahmte sogar einen Zeitungsbericht über seine Nichte ein und hängte ihn auf. Ihre Verwandtschaft in Italien besucht die 29-Jährige regelmäßig. Als Fotomodell ist sie es gewöhnt, flexibel und wandelbar zu sein. „Entwicklung ist für mich wichtig“, merkt Jessica an. Sie wolle „die beste Version ihrer selbst sein“. Als sie 2020 Miss BadenWürttemberg wird, kann sie es kaum glauben. „Es war mein Mädchentraum, der wahr wurde.“ Schon als Kind wollte sie ein Fotomodell sein und verfolgte jede Staffel von „Germany‘s Next Topmodel“ und die Miss-Wahlen. Als Jessica im Jahr 2019 „Miss Baden-Württemberg“ wird und 2020 bei „Miss Germany“ dabei ist, erfüllt sich ein Mädchentraum. Eine Freundin erzählte ihr von einer Internetseite, auf der sich Models und Fotografen vernetzen können. „So bekam ich meine ersten Aufträge“. Mit 17 Jahren begann sie zu modeln und ihr Netzwerk erweiterte sich mit jedem Shooting. Den klassischen Weg über eine Agentur ging sie nicht. Denn: Die Agenturen hatten damals noch sehr strenge Vorgaben. So durfte man zum Beispiel nicht unter 1,74 Metern groß sein. Jessica misst 1,69 Meter. „Das hat sich aber alles etwas gewandelt. Die Branche ist lockerer geworden“, blickt sie zurück. Doch wie gelang ihr der Aufstieg in die große Die erfolgreiche Karriere ermöglichte es ihr, auf weite Mode-Welt? „Ich hab mich oft gelangweilt als Jugendliche und mich selbst fotografiert“, blickt sie zurück und lacht. Und so kam eins zum anderen: der Brooklyn Bridge in New York zu modeln – in 15.000 Euro teuren Abendkleidern im Schatten des Eiffelturms fotografiert zu werden – in Rom und an


Beim Modeshooting in Paris. Foto: Cara-Lee Echle – Designerin: Casey Jeanne


Jessica Bisceglia bei einem Shooting mit Fotografin Anna Grewlding und Desingerin Sabine Heisig (Aviatrix) in VS-Villingen. anderen glanzvollen Orten dieser Welt. Und für Fotos prachtvollen Schmuck im Wert von 200.000 Euro anzulegen. Die Trachtenfotografie ist eben nur eine von vielen Facetten im Leben eines Fotomodells – wenn auch eine besondere, da sie mit Heimat zu tun hat. Und dann kam das Jahr 2019 mit seinen wunderbaren Überraschungen: Zuerst wurde die damals 27-Jährige zur „Miss Schwarzwald“ gekrönt und dann im Dezember 2019 erfolgte die Wahl zur „Miss Baden-Württemberg“, die Jessica als bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere sieht. Überbracht hat ihr die freudige Nachricht die damals amtierende „Miss Germany“ Nadine Berneis, die ebenfalls aus Baden-Württemberg stammt. Die Wahl zur „Miss Baden-Württemberg“ bedeutete zugleich, dass Jessica eine von 16 Frauen sein würde, die im Februar 2020 an der Wahl zur „Miss Germany“ teilnehmen. Schüchternheit durch Modeln überwunden Überrascht ist man, wenn man von dieser bildhübschen Frau den Satz hört: „Ich war früher schüchtern.“ So hatte sie Angst davor, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Jessica erinnert sich: „Vor der Wahl zur „Miss Schwarzwald“ war ich einen Monat lang durchgängig nervös, nur weil ich mich kurz vor Publikum vorstellen sollte.“ Doch sie überwand ihre Schüchternheit. Das neue Konzept des „Miss Germany“-Wettbewerbs trug ebenfalls dazu bei, denn es ist auf Persönlichkeit ausgerichtet. In Camps – unter anderem in Ägypten – wurden die Teilnehmerinnen rhetorisch geschult. Das habe ihr geholfen, so Jessica Bisceglia. Außerdem wurden die Frauen in Social Media fit gemacht, in der Selbstvermarktung somit. Gut vorbereitet trat Jessica Bisceglia dann vor 1.500 Zuschauern auf die Bühne im Europapark Rust. „Es fühlte sich für mich an wie ein Heimspiel.“ Lautstark angefeuert wurde sie während des Wettbewerbs von ihrer Familie und vielen Freunden. Das neue Konzept des Wettbewerbs sieht auch vor, dass ältere Models teilnehmen. „Weg vom Klischee“, sagt Jessica. Die Gewinnerin, die 35-jährige „Miss Germany“ Leonie von Hase, verkörpert für sie den Wandel in der Branche: „Sie ist Model, Mutter und Unternehmerin.“ Eine Mutter als „Miss Germany“ hatte es zuvor noch nie gegeben.


Wandelbar und facettenreich – Foto: Sebastian Klingk, VS-Villingen Modeaufnahmen mit Eule im Wald bei Trossingen. Foto: Cara-Lee Echle


Im Schatten der Pandemie Als amtierende „Miss Baden-Württemberg“ hatte sie für das Jahr 2020 eigentlich einen prall gefüllten Terminkalender – doch die Pandemie machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Geplante Events im Europapark, auf dem Cannstatter Wasen und mehrere Wohltätigkeitsveranstaltungen mussten abgesagt werden. Dennoch hatte sie Einsätze als Botschafterin in ganz Baden-Württemberg. Jessica Bisceglia war bewusst, dass sie in dieser Situation Eigeninitiative ergreifen muss, denn„ein Titel ist nicht alles“. Da sie auch als Fotomodell nur eingeschränkt arbeiten kann, startet sie online mit Social-Media-Kampagnen durch. Die 29-Jährige baute sich eine zweite Karriere als Marketing-Managerin auf und arbeitet auf ihrem eigenen InstagramAccount als Markenbotschafterin für regionale Firmen, Modelabels und andere Unternehmen. Social Media und Marketing mache ihr große Freude, sie sei auch dank des Coachings sehr kommunikativ. Wie erfolgreich Jessica Bisceglia dabei ist, beweisen ihre 14.000 Follower auf Instagram. Wer wie Jessica Bisceglia als Fotomodell in der ersten Liga der Branche mitspielt, der muss auf seine Fitness besonders achten. Sie liebt Sport, vor allem Laufen und Handball – spielt bei der HSG Baar. Und auch im Fitnessstudio ist das Modell ständig anzutreffen. Ob die junge Frau bald heiraten wird? Als Braut ist sie nach ihrer Teilnahme bei der Sendung „Die schönste Braut“ des Senders VOX jedenfalls bereits bestens bekannt: Sie erreichte den zweiten Platz. Das Motto lautete „schlichte Eleganz auf dem Land“. Auch bedingt durch Corona ist Jessica Bisceglia mittlerweile ins Berufsleben eingestiegen, bringt ihre medizinischen Kenntnisse bei einer Manufaktur ein, die sogenannte funktionelle Säfte produziert wie sie beispielsweise im Rahmen von Kuren eingesetzt werden. Die Karriere als Fotomodell ist dennoch längst nicht beendet: Im Herbst 2021 hat Jessica so viele Anfragen wie lange nicht – ihr Typ, ihre Eleganz, das Strahlen und ihr freundliches Wesen sowie das unkomplizierte Miteinander sind in Fotostudios in ganz Deutschland und darüber hinaus gefragt. Ob weitere Fernsehaktivitäten folgen, lässt sie offen. Wer Jessica kennt, der weiß, dass in ihrer Karriere so oder so weitere Höhepunkte folgen werden. Elke Reinauer/wd Auf Instagram hat Jessica Bisceglia 14.000 Follower, ihre Aktivitäten werden vielfach wahrgenommen. Foto: Sebastian Klingk. „Man muss immer 100 Prozent geben“ Jessica sieht ihren Erfolg in der Branche in ihrer Persönlichkeit und in Tugenden wie Ehrgeiz und Durchhaltevermögen. Letzteres benötigt ganz besonders, wer für Foto-Shootings gebucht wird: Sie dauern nicht selten bis zu zehn Stunden. „Ich kann dann nicht kurz vor Feierabend nachlassen. Man muss immer hundert Prozent geben“, sagt sie. Die Fotomodelle, die heutzutage Karriere machten, seien alles andere „als nur schön“ – sie sind vielmehr ehrgeizig und klug, blickt sie auf die Branche. Das trifft besonders auch auf Jessica zu: Die 29-Jährige machte nach dem Bachelor-Studium „Molekulare und technische Medizin“ ihren Master in „Technical Physician“, ist Ingenieurin der Medizintechnik von Beruf. Diesen Abschluss bezeichnet sie als Meilenstein in ihrem Leben.


Jessica Bisceglia mit Partner Peter Öhler. Foto: Cara-Lee Echle


Aline Rotter-Focken gewinnt Olympia-Gold im Frauenringen von Hans-Jürgen Kommert und Wilfried Dold Frauenringen ist eine Sportart, die seltener im Fernsehen übertragen wird – zumal live: Es ist Montagabend in Tokio, in der Makuhari Messe findet das Finale der Olympischen Spiele im Frauenringen bis 76 Kilogramm statt, es kämpft Aline RotterFocken. Die 30-Jährige schafft an diesem 2. August 2021 zu ihrem Karriereende etwas, was bisher keiner zweiten deutschen Ringerin vergönnt war: Sie wird mit dem allerletzten Kampf zugleich Olympiasiegerin. Mit einer Deutschlandfahne um die Schultern und ihrer Goldmedaille um den Hals sagt sie nach ihrem Kampf beim Interview mit der Weltpresse: „Es beweist einfach, dass harte Arbeit sich auszahlt und manchmal im richtigen Moment alles zusammenkommt.“ Die Wahl-Tribergerin besiegte eben die fünfmalige Weltmeisterin Adeline Gray aus den Vereinigten Staaten, die Nummer eins der Setzliste. Aline Rotter-Focken schreibt damit OlympiaGeschichte und macht neben ihrer Heimat Krefeld ganz Triberg und Schonach stolz, wo die Gesundheitsmanagerin lebt und arbeitet, man sie kennt und schätzt. Ein weiterer Sieg folgt: Aline Rotter-Focken wird „Die Beste 2021″, setzt sich bei der Wahl des deutschen Spitzensportlers des Jahres 2021 durch.


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Die Vorkämpfe auf dem Weg zum Olympiasieg sehen wahrscheinlich nur echte Fans dieses Sports, finden sie doch zu eher unglücklichen Zeiten statt – ab etwa fünf Uhr deutscher Zeit am Sonntagmorgen beispielsweise. In Tribergs EventKino, im „TEK“, harren allerdings bereits ab vier Uhr nachts rund 30 Fans, Freunde und Bekannte sowie etliche Triberger Ringer der Dinge. An ihrer Spitze Jan Rotter, Ehemann von Aline Rotter-Focken und ehemaliger Triberger Spitzenringer. Die Familie ihres Mannes hätte Aline gerne gemeinsam mit ihren Eltern nach Japan begleitet – dann aber kam die bittere Absage. Am Ende waren es ausschließlich Sportler und Betreuer, die zu Olympia durften – der Pandemie wegen, die man in Japan keineswegs im Griff hatte. Umso größer der Jubel im Triberger Kinosaal, als sich Aline Rotter-Focken nach ihrem ersten Kampf, dem Achtelfinale gegen Sieg um fünf Uhr morgens: Nächtliche Live-Übertragung in Tribergs Event-Kino „TEK“. Rechts im Bild Ehemann Jan Rotter. Wasilisa Marsaliuk (Belarus), über einen hart umkämpften Sieg freuen darf. Ihr Mann sorgte bei diesem und allen weiteren Kämpfen per mit dem Handy übermitteltem Video dafür, dass Aline den Triberger Jubel fern der Heimat mitbekommt. Als Kleinkind zum ersten Mal „Ringerluft“ geschnuppert Aline Rotter-Focken stammt aus Krefeld, wo sie in eine Familie hineingeboren wird, in der das Ringen seit Generationen eine wichtige Rolle spielt. So wird ihr Großvater Hans Focken 1964 deutscher Vizemeister im freien Stil gegen den als „Kran von Schifferstadt“ bekannten Wilfried Dietrich. Sie selbst beginnt 1996 beim KSV Germania Krefeld mit dem Ringen und trainiert ab 2001 mehrmals pro Woche beim AC Ückerath in Dormagen, der schon damals auf Frauenringen spezialisiert ist. Dort ist auch der Landesund Bundesstützpunkt für das Frauenringen angesiedelt. Nachdem ihr Talent erkannt ist, wird Aline Focken im Stützpunkt von Landestrainer Heinz Schmitz bis zu ihrem 24. Lebensjahr trainiert.


Zusätzlich trainiert sie mit ihrem Vater HansGeorg Focken und wird seitens der Nationalmannschaft zunächst von Jörg Helmdach und zuletzt von Patrick Loës betreut. Bei einer Körpergröße von 1,76 Metern ringt sie zuletzt in der Gewichtsklasse bis 76 kg Körpergewicht, nachdem sie vorher in der Gewichtsklasse bis 69 Kilogramm gerungen hatte. „Bereits als Kleinkind habe ich zum ersten Mal Ringerluft geschnuppert und regelmäßig auf der Matte herumgetobt, da ich meinen Vater, meinen Opa und meinen Bruder regelmäßig zu ihren Kämpfen begleitete. Mein Opa startete in den 1960er-Jahren die kleine Ringer-Ära der Familie Focken und infizierte seine Söhne, Enkel und mich ebenso mit der Freude und der Leidenschaft am Ringkampfsport“, schildert sie ihren beinahe schon vorgezeichneten sportlichen Werdegang. Mit vier Jahren habe sie dann zum ersten Mal am Ringertraining des KSV Germania Krefeld unter der Leitung ihres Vaters Hans-Georg teilgenommen, mit sieben seien die ersten Wettkämpfe gekommen, erinnert sie sich. Mit zwölf Jahren wurde sie in den „Landesleistungskader NRW“ berufen, mit 15 führte sie der Weg in die Nachwuchs-Nationalmannschaft. Dieser Erfolg war keineswegs vorgezeichnet. „Eigentlich bin ich zunächst nur mit zum Ringertraining gegangen, um mich mal richtig auszutoben und die überschüssige Energie loszuwerden, die ich als Kind fast schon im Übermaß besaß. Meine Erfolge kamen erst einige Jahre später, nach vielen harten Trainingstagen. Sie brachten mich dazu, mit immer größerer Motivation und viel Spaß diesen Weg weiter zu verfolgen“, zeichnet sie ihre sportlichen Lehrjahre nach. Links: Erste Wettkampferfahrungen in jungen Jahren. Rechts: 2009 wird Aline Focken Deutsche Meisterin. Einen ersten größeren Erfolg auf nationaler Ebene hat sie im Jahre 2004, als sie bei den Deutschen Jugendmeisterschaften einen dritten Platz belegt. Im Jahre 2005 folgt bei den gleichen Meisterschaften der zweite Platz, den sie auch 2006 erreicht. Im Jahr 2007 wird sie erstmals Deutsche Jugendmeisterin in der Gewichtsklasse bis 60 kg. Diesen Titel verteidigt Aline 2008. Es folgten internationale Erfolge, so mehrere Bronzeund Silbermedaillen bei Europaund Weltmeisterschaften. 2014 dann startet Aline Rotter-Focken bei den Weltmeisterschaften in Taschkent und siegt dort in der Gewichtsklasse bis 69 kg – ist damit die Weltmeisterin. In der Form ihres Lebens Der Weg zu den Olympischen Spielen des Jahres 2021 hat eine überaus erfolgreiche Vorgeschichte: Bereits im September 2019 finden sich Freunde, Sponsoren, die Familie ihres Mannes und FrauenBundestrainer Patrick Loës in Triberg ein, um die erneut erfolgreiche Sportlerin zu empfangen, nachdem sie bei den Weltmeisterschaften in Kasachstan die Bronzemedaille schaffte. Damit löste sie zugleich ihr Olympia-Ticket. Von jetzt an arbeitete Aline Rotter-Focken bei Ranglisten-Kämpfen an einer möglichst erfolgreichen Olympia-Teilnahme in Tokio. Tatkräftig unterstützt wurde sie dabei durch ihren Ehemann Jan Rotter.


Dass sie wohl in der Form ihres Lebens ist, deutet sich bereits beim Worldcup in Belgrad an, der Ende Dezember 2020 stattfindet und als inoffizielle Weltmeisterschaft gewertet wird. Das Finale bei den Frauen in der 76-Kilogramm-Klasse zwischen Aline RotterFocken und der amtierenden Europameisterin Yasemin Adar (Türkei) verlief zunächst ausgeglichen, ehe sich die deutsche Spitzenringerin eine 3:0-Punkteführung erarbeiten konnte. 36 Sekunden sind beide Athletinnen nach der kurzen Pause wieder auf der Matte, als die Türkin angreift, aber entscheidend von Aline Rotter-Focken ausgekontert wird. Ihr Schultersieg war für die kommende Olympiade geradezu perfekt – er brachte ihr die Goldmedaille ein. Hätten die Ringerinnen aus den USA und Japan aufgrund von Corona nicht auf die Reise nach Serbien verzichtet, dann wäre dieser Event sogar offiziell als Weltmeisterschaft gelaufen. So war es der World-Cup. Aline Rotter-Focken jedoch galt in der Ringer-Fachwelt seit diesem Abend als inoffizielle Weltmeisterin. „Für mich zählte vor allem, dass ich sehen konnte: Mein Weg in Richtung Tokio stimmt. Und dass ich in den vergangenen Monaten trotz fehlender Wettkämpfe einiges richtig gemacht habe.“ Akribisch hatte sie sich auf die Olympischen Spiele vorbereitet, die eigentlich schon im Sommer 2020 hätten stattfinden sollen. Dann kam im April der erste Lockdown. Spezifisches Ringer-Training war lediglich daheim im Fitnessstudio ihrer Schwiegermutter gemeinsam mit ihrem Mann Jan möglich. Der frühere Klasseringer wurde der Trainingspartner. Das sei nicht ganz einfach gewesen – Jan kämpft griechisch-römisch, seine Frau im freien Stil. Und – „Männer kämpfen schon anders, es gab viele blaue Flecken“, lacht sie. Zwar liefen ab Juni dann für sie wieder nationale Lehrgänge, doch an Wettkämpfe war bis zum Sieg beim World-Cup in Belgrad im Dezember 2020 nicht zu denken. Für mich zählte nach dem World-Cup-Sieg vor allem, dass ich sehen konnte: Mein Weg in Richtung Tokio stimmt. Und dass ich in den vergangenen Monaten trotz fehlender Wettkämpfe einiges richtig gemacht habe. Aline Rotter-Focken im Corona-Jahr 2019 Tokio: „Go for Gold“ In Tokio folgte auf das harte Achtelfinale ein souveräner Sieg im Viertelfinale gegen die Chinesin Zhou Qian. Bei ihrem Kampf gegen die Japanerin Hiroe Minagawa im Halbfinale ging es bereits um Medaillen: Die 30 Jahre alte Wahl-Tribergerin siegt gegen die japanische Vize-Weltmeisterin und OlympiaMitfavoritin mit 3:1. Damit steht sie im Endkampf um die olympische Goldmedaille – und hat jetzt einen ganzen Tag zur Regeneration. „Ich denke, Aline hat heute wirklich einen richtig guten Tag erwischt“, ist sich an diesem 1. August ihr Mann Jan Rotter sicher. Historisches hatte sie bis bereits erreicht: Sie war die erste deutsche Ringerin, die sicher Edelmetall von einer Olympiade mit nach Hause bringen würde. Einzig die Farbe der Medaille, ob Silber oder Gold, stand noch nicht fest. Auf dem Weg zu den Olympischen Spielen Die Chance auf Gold hatte Aline Rotter-Focken 2021 machte sich die Gesundheitsmanagerin viele Gedanken über ihre Fähigkeiten. „Ich setzte mich noch mehr mit mentalem Training auseinander“. Sie arbeitete jetzt mit einem Mentalcoach und einem Sportpsychologen zugleich zusammen. Die Belohnung folgte in Belgrad: Aline Rotter-Focken trat sehr selbstbewusst auf, auch wenn sie vor dem Turnier nicht wusste, wo sie leistungsmäßig steht. gegen die an Nummer eins gesetzte fünfmalige Weltmeisterin Adeline Gray aus den USA. Eine Ringerin, mit der sie seit Jahren befreundet ist, die sie sogar zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Die Amerikanerin stand in ihrem Halbfinalkampf gegen die Kirgisin Aiperi Medet Kysy tatsächlich bereits am Rande einer Niederlage. „Schade, dass sich Adeline Gray im letzten Moment doch noch durchgesetzt hat. Denn


Eine strahlende Olympiasiegerin: Aline Rotter-Focken. In Triberg und Schonach folgte ein begeisterter Empfang, so bei ihrem Schonacher Arbeitgeber, der SBS-Feintechnik. Foto: BURGER GROUP/© Tom Weller gegen die Kirgisin stand Aline schon mehrmals im Ring und hat jedes Mal gewonnen“, urteilte dazu ihr Mann Jan Rotter im Vorfeld des Finales. Deutlich bescheidener dagegen sieht ihre Bilanz gegen die Amerikanerin aus – sie war ihr jedes Mal unterlegen. Doch die Serie an Niederlagen sollte ein Ende nehmen: Mit Trainer Patrick Loës ist sich Aline Rotter-Focken einig: „Wir wollen hier Gold. Silber wollen wir nicht.“ Im olympischen Finale sieht es für die an Nummer zwei des Turniers gesetzte Aline Rotter-Focken tatsächlich früh nach Gold aus: Die Schiedsrichterin gibt ihr einen Punkt, da Gray zu passiv ringt. Danach pariert sie einen Angriff und drückt die Amerikanerin auf den Boden: 2:0. „Wenn Gray springt, sollte sie das ausnutzen zum Gegenkontern“, hofft der Trainer. So kommt es dann auch: Es steht 3:0 für RotterFocken. Und schließlich schmeißt sie Gray sogar um. Sie führt bereits 7:0! Einmal wird Aline aus dem Ring gedrückt. Dann packen die Arme von Gray zu: Sieben lange Sekunden wird es schwierig, doch Aline Rotter-Focken kann sich befreien. Sie liegt mit 7:3 vorne, der Olympiasieg ist Aline Rotter-Focken nicht mehr zu nehmen: Aline ist jetzt die „Gold-Aline“ – die Goldmedaille im Frauenringen in der Gewichtsklasse bis 76 Kilogramm ist die ihre! Beim Interview vor der Weltpresse erinnert sich die frisch gekürte Olympiasiegerin später: „Nachdem ich die Bodenlage abgewendet hatte, wusste ich, das darf ich mir nicht mehr nehmen lassen.“ Begeisterter Empfang bei der SBS-Feintechnik in Schonach Auf Aline Rotter-Focken wartet nach ihrer Rückkehr aus Japan in der Wasserfallstadt, in der Ringen schon seit Jahrzehnten eine herausragende Rolle spielt, ein geradezu triumphaler Empfang. Zuvor wird sie in ihrer früheren Heimatstadt Krefeld durch den Oberbürgermeister und rund 300 Vereinsmitglieder des KSV Germania, Freunde und Bekannte empfangen. Dann folgt das Willkommen bei ihrem Arbeitgeber, der SBS-Feintechnik in Schonach, wo ihr Begeisterungswellen entgegenschlagen. Mitarbeiter und die Firmenleitung begrüßen die Olympiasiegerin mit Aline Rotter-Focken


Großartiger Empfang bei der SBS-Feintechnik in Schonach, Olympiasieger „unter sich“: Aline Rotter-Focken beim Interview mit Hans-Peter Pohl, 1988 Goldmedaillengewinner in der Nordischen Kombination Es haut mich richtig um, wie ich bei der BURGER-GROUP empfangen werde, so die Goldmedaillengewinnerin im Frauenringen strahlend im Interview mit Hans-Peter Pohl. einem Meer aus Deutschland-Fahnen. „Erstmals in der 165-jährigen Geschichte unserer Firmengruppe haben wir aus den Reihen unserer aktiven Mitarbeitenden eine Olympiasiegerin“, freut sich Geschäftsführer Thomas Burger. Silke Burger, Abteilungsleiterin Human Resources der BURGER GROUP, erzählt lachend, man habe bereits überlegt, am Arbeitsplatz ein Bild von Aline aufzustellen – „damit man weiß, wie sie aussieht“. Denn der Weg zum Olympiagold war ein ungemein harter. Da brauchte es auch seitens des Arbeitgebers entsprechend Wohlwollen und Verständnis. Doch der Erfolg hat alle belohnt. Auf Facebook postet die SBS-Feintechnik: „Wir haben mitgefiebert und geweint vor Freude. Unsere wunderbare Kollegin Aline Rotter-Focken gewinnt nicht nur die Goldmedaille, sondern ist zudem die erste deutsche Ringerin, der dies bei den Olympischen Spielen gelingt.“ „Es haut mich richtig um, wie ich bei der BURGER-GROUP empfangen werde“, erwidert die Goldmedaillengewinnerin in Schonach strahlend im Interview mit Hans-Peter Pohl, 1988 Goldmedaillengewinner in der Nordischen Kombination und ehemaliger SBS-Mitarbeiter. Aline Rotter-Focken erzählt ihren Kollegen freudestrahlend von Olympia. Überrascht wird sie bei der Zeremonie mit einer OlympiaTorte und dem „Aline-Song“: Wolfgang Jachtmann aus Hüls komponierte für sie das Lied „Du hast Gold!“. Blick zurück: Silke Burger, Leiterin Human Resources der BURGER GROUP, beglückwünscht ihre Mitarbeiterin zur Bronze-Medaille bei der Weltmeisterschaft 2019. Großartige Unterstützung der EGT Einen Besuch stattet die Olympiasiegerin auch ihrem zweiten Hauptsponsor ab, der Elektrizitätsgesellschaft Triberg AG, kurz EGT. Vorstand Jens Buchholz


Links: Mit einem Elektroauto der EGT legte Olympiasiegerin Aline Rotter-Focken über Jahre hinweg wöchentlich rund 600 Kilometer auf ihrem Weg zum Training im Leistungszentrum in Freiburg zurück. EGT-Aufsichtsratsvorsitzender Rudolf Kastner und Vorstand Jens Buchholz freuen sich über den großartigen Erfolg. Rechts: Die Olympiasiegerin mit Vorstand Jens Buchholz bei einer Autogrammstunde im Rahmen der Ausstellung zum 125-jährigen Bestehen der EGT. überbringt ihr herzliche Glückwünsche, die Olympiasiegerin bedankt sich für die tolle Hilfe, die ihr eine optimale Vorbereitungszeit auf Olympia ermöglichte. Mit dem stets vollgeladenen Elektrofahrzeug der EGT konnte sie mehrmals pro Woche zum Training ins Leistungszentrum nach Freiburg fahren. Immerhin 600 Kilometer in der Woche waren zurückzulegen. Wie so ein Trainingsplan aussieht, verriet sie etliche Monate vor Olympia bei einem Interview mit der EGT-Kundenzeitschrift: „Es stehen zehn harte Monate bevor. Die ersten Wochen machen wir sehr viel Grundlagen-Training, also Kraft, Ausdauer und Technik. Auf der Matte sind es erst mal lange und wenig intensive Einheiten. So ge wöhnen wir den Körper langsam an die starken Belastungen. Ab Januar wird es intensiver, mit kürzeren Einheiten auf der Matte. Zum Schluss trainieren wir nur noch mit ausgesuchten Partnern unter strengen Wettkampfbedingungen, also sechs Minuten pro Kampf.“ Als „Die Beste 2021“ ausgezeichnet Wie außergewöhnlich der Olympiasieg ist, zeigt ein weiteres freudiges Ereignis: Aline Rotter-Focken erhält, wie sie selbst sagt, „die allertollste Ehrung meines Lebens“. Nicht Weitsprung-Queen Mihambo und auch nicht Tennis-Star Zverev: Ringerin Aline RotterFocken wird als „Die Beste 2021“ ausgezeichnet. Die Olympiasiegerin im Ringen setzte sich bei der Wahl unter den 4.000 von der Deutschen Sporthilfe geförderten Athletinnen und Athleten durch. Die 30-Jährige konnte ihren Preis bei der Abschluss-Gala des „Club der Besten 2021“ im Aldiana Club Costa del Sol in Spanien entgegennehmen. Neben der Auszeichnung erhält Aline Rotter-Focken ein Auto und einen einwöchigen Urlaub. Wie sehr sich das Leben von Aline Rotter-Focken durch ihren Olympiasieg verändert hat, dokumentiert eindrücklich eine Autogrammstunde bei der EGT-Ausstellung zum 125-jährigen Bestehen des Energieversorgers am Sonntag, den 3. Oktober: Gerade von der Abschluss-Gala zu „Die Beste 2021“ aus Spanien zurückgekehrt, geht es sofort nach der Autogrammstunde via Flughafen Zürich zu einer Veranstaltung des Ringer-Weltverbandes weiter. Ringen ist ein harter Sport, einen Olympiasieg bekommt man nicht geschenkt. Wie sagte Aline Rotter-Focken doch zur Süddeutschen Zeitung: „Nichts tut so weh wie ein Ringkampf. Beim Krafttraining brennen die Bizepse, beim Lauftraining die Lungenflügel, aber das ist kein Vergleich zum Vollkontakt: Da prallt Körper auf Körper, Knochen auf Knochen – es gibt Kopfnüsse und blaue Flecken.“ So bleibt am Ende, die Worte von Olympiasieger Hans-Peter Pohl zu wiederholen: „Weltmeister wird man, Olympiasieger aber bleibt man.“


Triberg im Jubel – Empfang einer Olympiasiegerin Mit einem Empfang, wie er einer Olympiasiegerin würdig ist, wurde Aline Rotter-Focken am 10. August nach ihrer Rückkehr von den Olympischen Spielen in Tokio in ihrer Wahlheimat Triberg im Schwarzwald willkommen geheißen. Umjubelt von rund 300 Menschen, die bei ihrem Einzug ins Kurhaus Schwarz-Rot-Goldene Fahnen schwenkend Spalier standen. Immer wieder musste sie ihre Goldmedaille zeigen, die sie voller Freude und Stolz um den Hals trug. Aline Rotter-Focken ist die erste deutsche Sportlerin, die eine Olympia-Medaille für den Ringersport der Frauen gewinnen konnte. Dass es eine Goldmedaille wurde, krönte den Abschluss der aktiven Ringerkarriere der 30-jährigen Krefelderin, die seit ihrer Voller Freude: Aline Rotter-Focken bei ihrem umjubelten Empfang in Triberg nach dem Gewinn der Goldmedaille im Frauenringen bei den Olympischen Spielen. Hochzeit mit Jan Rotter 2018, ebenfalls ehemaliger Spitzenringer, in dessen Heimat Triberg lebt. Vor 200 geladenen Gästen und rund 100 Fans gab Aline Rotter-Focken bei einem Empfang der Stadt Triberg einen Rückblick auf ihre Ringerkarriere, die im Alter von sechs Jahren begann, als sie ihrem Bruder nacheiferte. „Der ist aber irgendwann abgebogen“, kommentierte sie. Sie schilderte, wie hart der Weg war, den sie zum Abschluss ihrer Sportlerkarriere mit einer olympischen Goldmedaille krönen durfte: „Andere Kinder und Jugendliche waren im Schwimmbad oder Eis essen, ich war beim Training.“ Ihren Finalkampf gegen die Weltmeisterin Adeline Gray, der beim Empfang nochmals auf einer Groß-Leinwand gezeigt wurde, hatte die WahlTribergerin allerdings anders erlebt: „Ich dachte, ich hab voll die Super-Moves gemacht. Aber als ich den Kampf später im Fernsehen sah, war er nicht so toll. Mein letzter Kampf war nicht schön, aber wirkungsvoll“, bilanziert sie bescheiden. Neben zahlreichen Glückwünschen, die Aline Rotter-Focken auf der Bühne unter anderem von Tribergs Bürgermeister Gallus Strobel entgegennehmen durfte – und der jetzt „zu den Wasserfällen und zum Männerparkplatz eine weitere Attraktion dazu bekommen hat“, wie Moderator Jens Zimmermann scherzte – wurde Aline Rotter-Focken in den Kreis der lokalen Olympioniken aufgenommen. Hans-Peter Pohl, Olympiasieger 1988 in der Nordischen Kombination, Hansjörg „Jackson“ Jäkle, Olympiasieger 1994


Oben: Aline Rotter-Focken zusammen mit Ehemann Jan Rotter, der sie während der langen Trainingsmonate intensiv unterstützte. Rechts: Olympiasieger unter sich: Aline Rotter-Focken mit Georg Hettich, Hansjörg „Jackson“ Jäckle und Hans-Peter Pohl (rechts). Rechts unten: Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Triberg, links Bürgermeister Gallus Strobel. im Skispringen und Georg Hettich, Olympiasieger 2006 in der Nordischen Kombination und allesamt aus dem benachbarten Schonach, begrüßte die Wahl-Tribergerin symbolisch in ihrem „Olympischen Kreis“. Aus Erfahrung konnten die früheren Olympiasieger sagen, dass der Glanz der Olympischen Goldmedaille viele Jahre anhalten wird. Aline Rotter-Focken beendet ihre Sportkarriere nun und freut sich darauf, mit der Familienplanung zu beginnen. Sobald „der Rummel“ um ihr olympisches Gold abflacht. Wer bei Olympia siegt, ist begehrt! Roland Sprich


Über die Rolle der Jagd im Klimawandel von Wolf Hockenjos 282 10. Kapitel – Umwelt und Natur


Von Sturm „Sabine“ gerodetes Waldgebiet beim Otto-Hahn-Gymnasium in Furtwangen. 283


Was ist das Jagen für eine Beschäftigung? Unsere Zeit – die eine recht dumme Zeit ist – betrachtet die Jagd nicht als eine ernsthafte Angelegenheit. José Ortega y Gasset Die Höhe der Wilddichte ist im übrigen völlig belanglos – solange das Rehwild seinen Lebensraum mit dem Äser nicht entmischt. B. Hespeler Eher zu den Gewinnern der Klimakrise zählt das Wild, zumal die mit Abstand häufigste jagdbare Art, das Reh. Drei aufeinander folgende Trockensommer, begleitet von heftigen Dürreund Borkenkäferschäden, haben die Waldwirtschaft auch im Quellenlandkreis in akute Bedrängnis gebracht. Und spätestens seit den katastrophalen Überflutungen im Juli 2021 hegt kaum jemand noch Zweifel daran, dass der von uns Menschen verursachte Klimawandel bereits in vollem Gange ist. Die Fichte, die mit Abstand häufigste Baumart der Baar und des Baarschwarzwalds, der „Brotbaum“ der Waldbesitzer, gilt mittlerweile als besonders bedroht. Mit seiner flachstreichenden Tellerwurzel ist er desto


gefährdeter, je trockener und wärmer die Sommer werden und je häufiger sich in der Treibhausküche des Atlantiks Orkantiefs zusammenbrauen. Derweil fahren die Holzpreise Achterbahn im hektischen Auf und Ab zwischen Holzverknappung und Schadholzschwemmen. Wild als Gewinner der Klimakrise Eher zu den Gewinnern der Klimakrise zählt indessen das Wild, zumal die mit Abstand häufigste jagdbare Art, das Reh. Mit den milder und schneeärmer werdenden Wintern verliert der wichtigste natürliche Regulator von großen Pflanzenfressern zusehends an Wirksamkeit. Zugleich verbessert sich das Äsungsangebot auf den Schadflächen, welche Borkenkäfer und Stürme hinterlassen; mit Himbeere, Weidenröschen und vielerlei krautigen Pflanzen gedeihen in der Schlagflora wahre Leckerbissen, begünstigt überdies durch den viel zu hohen Stickstoffeintrag aus Verkehr und Landwirtschaft. Und in den gepflanzten Kulturen und Dickungen entstehen fürs Wild neue „Einstände“ mit reichlich Deckungsschutz – Lebensraumverbesserungen, die zuverlässig zu erhöhter Reproduktion führen, wie sich schon nach den Orkanschäden ausgangs des vorigen Jahrhunderts gezeigt hatte. Oft wird in der Bevölkerung mitunter auch in der Jägerschaft geklagt, es lasse sich im Wald und an den Waldrändern ja kaum mehr ein Stück Rehwild blicken. Dennoch steigt das Niveau der erlegten Rehe in den Jagdstatistiken seit Jahrzehnten an. Einschließlich der Verluste im Straßenverkehr finden sich dort 2018/19 in Deutschland – sage und schreibe – 1,29 Millionen Rehe aufgelistet. Was keinen andern Schluss zulässt, als dass die Jagd über Jahrzehnte hinweg den Bambi-Zuwachs kaum mehr abzuschöpfen vermochte. Von Artenschwund, gar von Ausrottung kann beim Kulturfolger Reh auch in der Klimakrise keine Rede sein. Mischwälder kühlen auch besser ab in den sommerlichen Hitzewellen, und bei Starkniederschlägen speichern sie Wasser besser und verhindern die Bodenerosion zuverlässiger als Fichten-Monokulturen. Hilfsprogramme, wie sie freilich nicht erst in allerjüngster Zeit von Brüssel, Bund und Land aufgelegt worden sind. Schon vor der Jahrtausendwende konnten Orkangeschädigte Waldeigentümer Fördermittel für Waldumbaumaßnahmen in Anspruch nehmen, insbesondere für die Pflanzung von Weißtannen und Buchen unter dem zunehmend lichteren bis lückigeren Schirm labiler Fichtenbestände. Mischwälder kühlen auch besser ab in den sommerlichen Hitzewellen, und bei Starkniederschlägen speichern sie Wasser besser und verhindern die Bodenerosion zuverlässiger als Fichten-Monokulturen. Doch wer sonst unter den heimischen Nadelbaumarten sollte den Bauholz liefernden „Brotbaum“ ersetzen, wenn nicht die tief wurzelnde und klimahärtere Weißtanne? Nicht überall wurde die Chance eines beschleunigten, mit Steuermitteln geförderten Waldumbaus ergriffen, und so steht heute vielerorts die nächste Fichtengeneration bereits wieder in den Startlöchern. Wo sich junge Fichten doch als besonders robust und durchsetzungsfähig erweisen, werden sie doch auch vom Rehwild nicht verbissen. Klimawandel macht Waldumbau dringend erforderlich Der Klimawandel zwingt die Forstwirtschaft derweil zu handeln, zumal in fichtenreichen Betrieben: Waldumbau hin zu widerstandsfähigeren Mischungen ist das Gebot der Stunde, gefordert und gefördert durch Maßnahmen zum Schutz der jungen Weißtannen Junge Weißtannen hingegen, ob gepflanzt oder aus natürlichem Anflug stammend, erweisen sich als enorm verbissgefährdet, selbst die Keimlinge (die „Tannensternchen“) werden von den Rehen bereits selektiert. Weshalb der Jagd beim Waldumbau zwei


fellos eine Schlüsselrolle zukommt. Unterm Vorzeichen des Klimawandels sieht sich die Jägerschaft mehr denn je in die Pflicht genommen: Von ihr wird erwartet, dass sie für einen an die waldbaulichen Erfordernisse „angepassten“ Wildbestand sorgt. Gemäß Jagdgesetz hat die Jagd dazu beizutragen, Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen forstwirtschaftlichen Nutzung zu vermeiden. Alle drei Jahre wird seit 1983 jedes Jagdrevier per forstlichem Gutachten überprüft, inwieweit diese Vorgabe erfüllt wird. Nachdem für Rehwild die jagdbehördlichen Abschusspläne in Baden-Württemberg abgeschafft worden sind, kommt diesem Verfahren eine desto größere Bedeutung zu, um etwaige jagdliche Vollzugsdefizite aufzudecken. Die Ergebnisse des Gutachtens werden bei anschließenden Waldbegehungen der Förster mit den Waldeigentümern und Jägern veranschaulicht und erörtert, um so gemeinsam das weitere Vorgehen festzulegen. Tannenliebhaber unter den Waldbesitzern neigten freilich schon immer dazu, auf Nummer Sicher zu gehen: Vorsorglich schützen sie im Herbst ihren Tannennachwuchs, indem sie die Gipfelknospen im Herbst jeweils mit einer Flocke ungewaschener Schafwolle umwickeln. Andernorts verwendet man dazu Kunststoffklammern oder auch chemische Verbissschutzmittel, sofern man die Tännchen nicht sogar in Drahthosen steckte oder gleich hektarweise einzäunte. Anders als der Tannenjungwuchs werden Laubbaumkulturen neuerdings vielerorts in Polypropylen-Wuchsstoffhüllen verpackt, wo immer der Waldwirt glaubt, den Faktor Wildverbiss nicht anders mehr in den Griff zu bekommen. Eine Bildfolge, die zeigt wie Tannen heranwachsen: Links oben: Weißtannen-Keimlinge („Sternchen“) Mitte: Kontrollzaun im Wald der Gemeinde Brigachtal nach zehn Jahren Standzeit. Links unten: Derselbe Kontrollzaun nach 20 Jahren. Rechte Seite oben: Der Kontrollzaun im Wald von Brigachtal nach 30 Jahren und 37 Jahren. Recht Seite unten: Waldumbau gelungen – nach 37 Jahren!


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Das Wasser entscheidet über die Waldbeschaffenheit der Zukunft Doch wie eigentlich soll der Wald konkret beschaffen sein, der am ehesten gegen die Widrigkeiten des Klimawandels, gegen Trockenstress, Insektenund Sturmschäden gefeit ist, der auch am besten vor Waldbränden und Erosion geschützt ist? Die Fachwelt ist sich in der Einschätzung einig, dass es vor allem der Wasserhaushalt ist, der künftig auch in unseren gemäßigten Breiten über das Wohl und Wehe von Wäldern entscheiden wird. Wobei der Waldboden unter winterkahlen Baumarten im Jahresverlauf mehr Niederschlag abbekommt und mehr Wasser zu speichern vermag als unter reinen Nadelholzbeständen. Deren Kronen fangen deutlich mehr Regen und Schnee ab und verdunsten auch mehr. Alles muss daher darauf abzielen, möglichst stabile, unterschiedlich alte und strukturierte Mischwälder mit kühlendem Binnenklima nachzuziehen. Angesichts der klimatischen Unwägbarkeiten gilt dabei der Grundsatz der Risikostreuung: Je breiter die Palette der an den jeweiligen Waldstandort angepassten Baumarten, desto besser. Wo flächige Waldschäden („Blößen“) entstanden sind, kommen auch die Pionierbaumund Straucharten (Birken, Ebereschen, Salweiden) zum Tragen, denn sie wirken als Nährstoffpumpen und stärken damit die natürlichen Selbstheilungskräfte des Waldökosystems. Aus Gründen der künftigen Nährstoffund Wasserversorgung sollten Räumungen von Totholz möglichst unterblieben und Bodenverdichtungen durch Befahrung minimiert werden. Zumindest in den höheren Lagen besteht die Hoffnung auf Erhalt der Fichte Idealerweise wird es beim Waldumbau also auch darum gehen, Schatten ertragende Baumarten wie Weißtannen und Buchen, aber auch die noch klimahärteren Douglasien unterm Schirm der verbliebenen Fichtenbestände einzubringen. Zumindest in den höheren Lagen der Mittelgebirge besteht Hoffnung, auf eine Beimischung der Fichte auch in Zukunft nicht gänzlich verzichten zu müssen. Derlei strukturund vorratsreiche Mischwälder erfüllen auch am besten ihre Funktion als CO¬-Senken, zumal wenn Bauholz produziert wird, in welchem sich das Treibhausgas noch auf weitere Generationen hinaus Jeder Hektar eines Mischwaldes bindet im Jahr ca. 10 Tonnen CO€! Dass unterm Vorzeichen des Klimawandels im Wald nicht mehr gekleckert werden darf, sondern mit den Sanierungsund Umbaumaßnahmen geklotzt werden muss, liegt auf der Hand. speichern lässt. Jeder Hektar eines solchen Waldes bindet im Jahr ca. 10 Tonnen CO¬! Dass unterm Vorzeichen des Klimawandels im Wald nicht mehr gekleckert werden darf, sondern mit den Sanierungsund Umbaumaßnahmen geklotzt werden muss, liegt auf der Hand: Je ausgedehnter die Fläche, auf der umgebaut wird, desto eher lässt sich auch der Zeitpunkt erreichen, ab dem sich die Probleme mit dem Wildverbiss relativieren lassen: der Sättigungspunkt, ab dem das Angebot an Tannenäsung die Nachfrage übersteigt. Immer vorausgesetzt, die Jägerschaft ist bereit, nach den Regeln eines zeitgemäßen Wildtiermanagements mitzuspielen, wie es das seit 2014 in Baden-Württemberg geltende Jagdund Wildtiermanagementgesetz vorsieht. Mag sein, dass künftig ja auch die großen Beutegreifer, Luchs und Wolf, als Jagdkumpane noch mit von der Partie sein werden. Am guten Willen und an Bekenntnissen zur Mitverantwortung fehlt es den Jäger*innen ja zumeist nicht. In den Worten des Landesjägermeisters (geäußert im Organ des Landesjagdverbandes Jagd in Baden-Württemberg 04/2021) klingt es so: „Dieses Bekenntnis [zur Unterstützung des Waldumbaus] fällt uns gar nicht schwer, da der jagdliche Auftrag zugleich unsere Leidenschaft ist“.


Klima und Waldumbau Im Gespräch mit Kreisjägermeisterin Dunja Zimmermann und Dr. Frieder Dinkelaker, Leiter des Kreisforstamtes Frau Zimmermann und Herr Dinkelaker, wenn man den diesem Interview vorangestellten Beitrag über die Rolle der Jagd beim Waldumbau gelesen hat, ist damit alles gesagt – oder gibt es zu diesen Aussagen unterschiedliche Meinungen zwischen Förstern und Jägern? Abschusszahlen, um dieses Ziel zu erreichen. Wie im Artikel von Wolf Hockenjos dargestellt, steigt die Anzahl der erlegten Rehe in Baden-Württemberg seit Jahren. Trotzdem gibt es noch Jäger, die davon überzeugt sind, dass es weniger Rehe gibt als früher… Dunja Zimmermann: Einig sind sich Waldbesitzende, Förster und Jäger über das Ziel, durch Bejagung gesunde und artenreiche Wildbestände zu erhalten, die in einem angemessenen Verhältnis zur Funktionsund Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts stehen. Über den Weg dorthin gibt es aber schon unterschiedliche Vorstellungen. Können Sie uns dazu Beispiele nennen? Frieder Dinkelaker: Es gibt zum Beispiel verschiedene Ansichten über die tatsächlich notwendigen Dunja Zimmermann: …was auch daran liegt, dass Wildtiere scheuer und vorsichtiger geworden und dadurch schwerer zu beobachten sind. Die ständig wachsenden Flächen für Siedlung und Verkehr und damit auch die Zerschneidung der Landschaft durch Straßen spielen hier eine große Rolle. Vor allem die Nutzung der Natur als Erholungsort – so sehr wir alle uns gerne in der freien Landschaft bewegen – führt natürlich zu einer ständigen Beunruhigung in Wald und Feld, auch in den frühen Morgenstunden und bis in den Abend hinein. Und dadurch auch zu ständigem Stress für Wildtiere, die deshalb ihre Aktivitäten in die Nachtzeit verlegen müssen. Klima und Waldumbau


Frieder Dinkelaker: Ein weiterer Diskussionspunkt ist der tatsächliche wirtschaftliche und ökologische Schaden durch Wildverbiss. Für die Waldbesitzenden sind viele verschiedene Baumarten in bunter Mischung wichtig, um klimastabile Wälder aufzubauen. Zu hoher und vor allem selektiver Verbiss von Rehwild gerade an Tannen oder Laubhölzern kann dies erschweren oder gar verhindern. Der Jäger sieht ausreichend natürliche Verjüngung einer Baumart und versteht nicht, dass noch weitere jagdliche Anstrengungen notwendig sind um die Voraussetzungen für klimastabile Mischwälder zu schaffen. Dunja Zimmermann: Jäger bekennen sich zur Mitverantwortung für das Gelingen des Waldumbaus, schließlich nutzt dieser auch den Wildtieren. Sie sind aber keine Schädlingsbekämpfer. In manchen Revieren muss der Abschuss erhöht werden, aber irgendwann führt die ständige Erhöhung des Abschusses allein auch zu keinem Erfolg mehr. Verbiss entsteht schließlich nicht nur durch zu hohe Wildbestände. Wenn das Wild sich in Ruhezonen zurückziehen kann und dort auch ausreichend Nahrung findet, entstehen keine größeren Schäden an Forstkulturen. Die intensive Bewirtschaftung landund forstwirtschaftlicher Flächen trägt ebenso zu einer starken Beunruhigung des Wildes bei. Wie ist die Situation der Waldverjüngung im Schwarzwald-Baar-Kreis? Frieder Dinkelaker: Die Verbisssituation wird alle drei Jahre durch ein forstliches Gutachten ermittelt, ein aktuelles stammt aus dem Frühjahr 2021. Dabei wird nicht nur der Anteil tatsächlich verbissener Bäume, sondern es werden auch die waldbaulichen Auswirkungen dieses Verbisses für jedes einzelne Jagdrevier bewertet. Ein geringer Verbiss bis zu 20 Prozent der jungen Bäume wäre unproblematisch. Die vorläufigen Auswertung der Gutachten zeigt jedoch, dass der Verbiss von Laubholz und Tanne in einigen Revieren noch zu hoch ist, als dass diese Baumarten in ausreichender Anzahl vorkommen können. Wie der Wald unter dem Klimawandel leidet, dokumentiert die Aufnahme rechts. Sie zeigt einen Waldhang im Hexenloch bei Furtwangen-Neukirch. mern, den Jägern und Förstern besprochen werden. Diese Gespräche dienen dazu, allen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, ihre Sichtweise und die jeweiligen Probleme darzustellen. Lösungsansätze könnten bei diesen Gesprächen gemeinsam entwickelt und besprochen werden. Wie lassen sich also die angestrebten waldbaulichen Ziele erreichen? Dunja Zimmermann: Wenn sich nach der endgültigen Auswertung der Gutachten der hohe Verbissdruck an Tanne und Laubhölzern bestätigt, bedeutet das für die Jäger in diesen Revieren, dass die jagdlichen Anstrengungen weiter verstärkt werden müssen. Das ist leichter gesagt als getan. Tatsächlich ist der Zeitund Arbeitsaufwand, der mit der Jagd ausübung verbunden ist, schon jetzt sehr hoch. Insbesondere in den letzten beiden Jahren haben die Freizeitaktivitäten in der Natur, auch in den frühen Morgen – und späten Abendstunden deutlich zugenommen. Wege werden verlassen, Gebote und Verbote nicht beachtet. Das erschwert die Jagdausübung zusätzlich! Es braucht weiterhin viel mehr Aufklärung und Information über die Zusammenhänge von Umwelt, Natur, Wildtieren aber auch den Anliegen von Landund Forstwirtschaft. Und auch die Überzeugung, dass die angestrebten Ziele nur gemeinsam erreicht werden können. Mit mehr Verständnis füreinander und Rücksichtnahme aufeinander wäre schon viel erreicht. Umweltbildung und Naturpädagogik unter dem Stichwort „Lernort Natur“ gibt es dabei nicht nur für Kinder, genauso bieten die Jägerorganisationen Informationen und Fortbildungen für Erwachsene an. Dunja Zimmermann: Wichtig ist, dass die Gutachten mit allen Beteiligten, also den GrundstückseigentüFrieder Dinkelaker: Ein weiterer Weg ist, junge Bäume gegen Wildverbiss zu schützen. Das kann zum


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Wer geht denn im Schwarzwald-Baar-Kreis auf die Jagd und was bewegt die Jäger? Dunja Zimmermann: Auf den meisten Feldund Waldflächen im Schwarzwald-Baar-Kreis ist das Recht auf Jagdausübung an Privatpersonen verpachtet. Große Waldbesitzer, einige Städte und Gemeinden sowie das Land bejagen ihre Flächen auch selber, zumeist durch Forstpersonal oder mithelfende Jäger. Frieder Dinkelaker: Natürlich wären die jagdund forstbetrieblichen Ziele leichter zu erreichen, wenn der Waldeigentümer selber jagt oder die Jagd durch eigenes Personal durchführen lässt. Das kann sich aber kaum ein Forstbetrieb leisten, es braucht die Unterstützung durch private Jäger. Somit findet für die meisten Jäger die Jagd in der Freizeit statt und muss sich mit Familie und Beruf vereinbaren lassen. Viele Jagdreviere sind auch sehr groß mit vielfältigen Aufgaben für Jagd und Hege. Kommen dann noch lange Anfahrtswege dazu, sind der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Jagd sehr hoch. Dunja Zimmermann: Jagd besteht nicht nur aus der eigentlichen Jagdausübung, alleine auf dem Hochsitz oder gemeinsam mit anderen Jägern auf sogenannten Bewegungsjagden. Es müssen Reviereinrichtungen gebaut und unterhalten, Biotope gepflegt und Wildäcker als Futterquelle angelegt werden. Diese nutzen auch anderen Tier – und Pflanzenarten. Und auch die Verwertung und Vermarktung des Wildbrets erfordert Zeit und Aufwand. Auf diese Verwertung des Wildfleisches legen Jäger besonderen Wert und halten sich an die strengen Auflagen der Wildbrethygiene. Und nicht jeder, der sich in der Natur draußen aufhält, hat Verständnis für die Notwendigkeit einer wald – und wildgerechten Jagdausübung. Und was ist mit Wolf und Luchs – gelten diese Tiere als Konkurrenten für die Jäger? Frieder Dinkelaker: Wolf und Luchs sind zu uns zurückgekehrt, aber bisher nur als Gäste. Tatsächlich ernähren sie sich bisher fast ausschließlich Wildtieren, vor allem von Rehen. Schäden an Haustieren sind zum Glück noch die Ausnahme. Hier stimmt das Verhältnis von Wald und Wild! Der Wald der Zukunft braucht mehr Vielfalt, dazu muss dem Wildverbiss gerade bei jungen Tannen und Laubbäumen verstärkt Einhalt geboten werden, damit er auch heranwachsen kann. Beispiele durch die Einzäunung ganzer Flächen oder das Anbringen von Drahtgeflechten um einzelne junge Bäumchen geschehen. Oder aber man verdirbt dem Wild den Appetit auf Knospen und Triebe von Bäumen, in dem man diese mit einer sandhaltigen Paste anstreicht. Auch ein mechanischer Schutz mit Schafwolle oder Kunststoffklammern kann hilfreich sein. Das ist aber immer nur ein Notbehelf, der sinnvollste Weg zu einer Verbesserung führt über angepasste Wildbestände. 292 Umwelt und Natur


Dunja Zimmermann: Die Jäger fühlen sich mitverantwortlich für diese großen Raubtiere, genauso für andere Wildarten, die unter Schutz stehen. Sie übernehmen zentrale Aufgaben beim Monitoring dieser Arten vor Ort. Es ist allen bewusst, dass bei den nur vereinzelten Vorkommen von Luchs und Wolf die Auswirkungen auf die Wildtierpopulationen gering sind. Deshalb gibt es keine Konkurrenz – vielmehr ist für einen Jäger die Beobachtung eines Luchses oder Wolfes in der freien Wildbahn ein besonderes Erlebnis. Wie wird es Ihrer Meinung nach mit der Jagd weitergehen? Dunja Zimmermann: Noch gibt es genügend aktive Jäger und auch jagdlichen Nachwuchs. Die Anforderungen an die Jäger nehmen aber zu. Nicht zuletzt ist auch mit dem Umgang mit Jagdwaffen, der Ausbildung von Jagdhunden und ganz grundsätzlich dem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur eine hohe fachliche und persönliche Kompetenz gefragt. Wichtig ist vor allem, dass die Jagd in der Gesellschaft als notwendige Maßnahme zum Erhalt artenreicher und gesunder Wildbestände und zum Erhalt und zur Schaffung klimastabiler Wälder unverzichtbar ist. Schade ist, dass Vandalismus gegen jagdliche Einrichtungen oder auch offene Angriffe und Beleidigungen von Jägern immer noch vorkommen. Auch so etwas kann nur mit mehr Information, Kommunikation und gegenseitigem Verständnis vermieden werden. Frieder Dinkelaker: Bei der Jagd geht es nicht nur um die bisher besprochene Jagd auf Rehwild. Genauso wichtig ist die Bejagung von Wildschweinen und anderen Schalenwildarten, auch zur Abwehr von Schäden in der Landwirtschaft und – bei Wildschweinen – als Maßnahme gegen die Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest. Dunja Zimmermann: Die Jäger folgen auch dem technischen Fortschritt. Gerade bei der Jagd auf Schwarzwild spielen Nachtsichtgeräte, Wildtierkameras und modernste Waffentechnik bereits jetzt eine entscheidende Rolle. Das Bild des Jägers wird sich wandeln. Die Aufgaben der Jäger neben der eigentlichen Jagdausübung werden zunehmen. Artenund Biotopschutz, Wildtiermonitoring und Öffentlichkeitsarbeit für Umwelt und Natur werden künftig eine immer größerer Rolle spielen. Kreisjägermeisterin Dunja Zimmermann unterwegs mit dem „Lernort Natur“. Die Initiative der Jäger möchte u. a. Kinder darüber aufklären, welche Tiere bei uns zu finden (zu Hause) sind.


Paradiestouren im Schwarzwald-Baar-Kreis: Durchs romantische Obere Glasbachtal Die Wanderschuhe sind geschnürt, der Rucksack gepackt und die Vorfreude auf rund vier Stunden Natur ist groß. Mit einer Freundin mache ich mich auf den Weg ins Obere Glasbachtal. von Birgit Heinig Auf einem schmalen Trampelpfad mit traumhaft weichem Boden geht es bergan.


Da wir in Villingen leben, wird die Anreise zu unserem Startpunkt mit dem Auto bestritten. Nach kurzer Fahrt nach Buchenberg findet sich dort neben dem Rathaus gleich ein Parkplatz. Bevor wir den Weg unter die Sohlen nehmen, treibt uns die Neugier auf das Innere des fast 900 Jahre alten St. Nikolauskirchleins. Im Eingangsraum des Rathauses, so steht es auf unübersehbaren Hinweisschildern, kann man sich den riesengroßen Kirchenschlüssel von einem frei zugänglichen Haken nehmen. Kein Mensch ist zu sehen, nicht im Rathaus, nicht auf den Dorfstraßen, noch herrscht Coronapandemie, allerdings darf das Café-Restaurant Rapp im Freien Gäste begrüßen. Nach unserer Wanderung wird es eine Freude sein, dort Kaffee und Erdbeerkuchen mit Sahne zu genießen. Zunächst aber betreten wir ehrfürchtig und aufgrund des Mini-Portals mit eingezogenem Kopf den winzigen und für Familienfeiern so beliebten Kirchenraum, bewundern das Lichterspiel der einfallenden Sonne und fragen uns, wie viele Menschen hier in fast 1.000 Jahren wohl schon mit Gott gesprochen haben. Königsfeld im Blick Der Rundweg durch das „Obere Glasbachtal“ ist auf Schautafeln mit 13,5 Kilometern ausgewiesen. Er kreuzt sich in Königsfeld mit der Runde durch das „Untere Glasbachtal“ mit weiteren 11,7 Kilometern. Die Entscheidung fällt zugunsten der längeren Strecke, wir lassen das Kirchlein hinter uns und wenden uns gen Königsfeld – weg vom Glasbachtal. Es ist schon sehr warm an diesem Vormittag und wir sind froh, dass wir viel durch den Wald gehen können. Wir „baden“ quasi darin, versuchen, Vögel an ihrem Gesang zu erkennen, saugen die trotz steigender Temperaturen kühle Luft ein und schreiten – noch frisch und munter – kräftig voran. Zur Sicherheit ist der Touristen-Wanderplan vom Qualitätsweg „Oberes Glasbachtal“ dabei, schließlich wollen wir uns nicht verlaufen. Doch schon ist es passiert: Der Weg gabelt sich, die „blaue Raute“ ist aber nirgends zu entdecken. Nach Gefühl geht es weiter, wir treten aus dem Wald und haben Königsfeld im Blick. Der Weg führt uns nach Obermartinsweiler am Jungbauernhof vorbei, einem typischen Schwarzwaldhaus, 1591 im Gutacher Stil erbaut. Oben: Ein wunderschönes Kleinod – das 900 Jahre alte St. Nikolauskirchlein in Buchenberg. Weiter gehts – jetzt in praller Sonne – am Bregnitzhof vorbei bis in den wieder Schatten spendenden Königsfelder Doniswald. Kaum jemand ist unterwegs, vielleicht liegt es an der Mittagshitze, am flächendeckenden Homeoffice oder dem Wochentag. Abstecher zum neu gestalteten Zinzendorfplatz und zum – leider wegen Corona noch geschlossenen – Albert Schweitzer-Haus müssen sein und auch ein kleines Picknick im Schatten. An der Ruine Waldau vorbei ins Muckenloch Wir verlassen den Kurort auf dem Gehweg entlang der Straße in Richtung Hardt, müssen aber nicht


Der Blick auf einer sanften Anhöhe geht zurück zur Ruine Waldau. lange Autos an uns vorbeirauschen lassen – allenfalls ein paar wenige Golfspieler, die mit ihren Caddys von Loch zu Loch ziehen. Es geht wieder in den Wald und die Holzschilder „Waldauweg“ lassen ahnen, welches Etappenziel unser nächstes sein wird. Beim Wanderparkplatz an der Ruine Waldau stellen wir fest, dass wir zwar nicht nach Plan gelaufen, aber dennoch richtig angekommen sind. Die WaldauSchänke, der einstige „Beck-Hof“, der um 1822 vor die Ruine gebaut wurde, hat nur am Wochenende geöffnet – ein frisches, kaltes Mineralwasser bleibt leider ein Wunschtraum. Wir müssen auf die längst warme Plörre aus unseren Rucksäcken zurückgreifen. Dafür faszinieren uns die Reste der Burg, die der Graf von Urach, ein Vorfahr der Fürstenberger, zwischen 1218 und 1236 gründete. Seit 1885 ist die Ruine im Besitz des Staates, der sie instand hält. Bergan geht es weiter. Fast auf der Höhe angelangt, werfen wir – auf einer Bank verschnaufend – den Blick zurück auf die Ruine Waldau, schauen links in Richtung Mühllehen-Mühle, beobachten einen mit Heu schwer beladenen Traktor und genießen den Anblick der sattgrünen Wälder und Hügel vor uns. Und wieder geht es in den Wald. Es wird uriger, geheimnisvoller, wildromantischer und unter Es wird uriger, geheimnisvoller, wildromantischer und unter uns hören wir – zum ersten Mal auf dieser Tour – den Glasbach plätschern. uns hören wir – zum ersten Mal auf dieser Tour – den Glasbach plätschern. Uns führt der Weg ins Muckenloch. Glücklicherweise scheint der Name an diesem schwülwarmen Tag nicht Programm zu sein – wir bleiben von Insektenstichen verschont. Inzwischen verläuft die Strecke auf einem Teil des „Höfeund Mühlenwanderweges“ wir passieren den Hof der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Muckenmühle. Bis in die 1950er-Jahre hinein wurde hier noch Getreide gemahlen. Inzwischen ist das Ensemble im Privatbesitz und bezaubert den Wanderer mit der liebevollen Gestaltung durch die Bewohner. Die sind zwar nicht zu sehen, dafür grüßen


Von Oben: Steinmännlein grüßen am Wegesrand. Liebevolle Gestaltung an der Muckenmühle. Verschnaufpause mit herrlicher Aussicht. Unten: Der Glasbach plätschert unter einer steinernen Brücke hindurch. Gänse, Katzen und Familie Truthahn mit Nachwuchs. Den Glasbach überquerend, geht es wieder bergauf und erneut in den Wald. Entlang einem alten Römerweg Das Glasbachtal lässt aber immer wieder Einblicke zu, die Augen ruhen zwischen Nadelgehölz auf grünen Gräsern, auf Klatschmohn, Margeriten und Glockenblumen. Seltene Tiere, wie im Wanderprospekt angekündigt, sind uns bisher zwar noch nicht begegnet – oder wir haben sie vielleicht auch nur nicht als solche erkannt. Eine seltene Pflanze aber könnte die „ährige Teufelskralle“ sein, die uns jetzt hin und wieder am Wegesrand auffällt. Laut Wikipedia, ist sie hierzulande allerdings doch verbreitet und ihre jungen Blätter kann man angeblich sogar essen, weshalb sie auch „ährige Rapunzel“ genannt wird. Trotzdem lassen wir sie stehen. Der blau-rote Wegweiser „Oberes Glasbachtal“ zeigt nach rechts – und steil nach oben. Es heißt den bequemen Waldweg verlassen und den steilen Pfad über Äste und Zapfen in die Höhe stiefeln. Oben angekommen stellen wir fest, dass es von hier nur noch wenige Schritte bis „Siedichfür“ sind, einem Weiler mit gerade einmal vier Häusern, auf einer Hochebene entlang einem alten Römerweg zwischen Königsfeld und St. Georgen gelegen. Zunächst führt der Weg uns weiter über die Höhe, fällt dann allmählich wieder ab in Richtung Glasbachtal. Es ist ein schmaler Trampelpfad mit traumhaft weichem Boden der perfekt mit der „gelben Raute“ ausgeschildert ist. Das Ende ist in Sicht Inzwischen spüren wir die Kilometer nämlich schon in den Beinen und freuen uns über das sanfte Wandern durch einen sich immer wieder anders zeigenden Wald. Ein Grillplatz ist in Sicht und wir Durchs romantische Obere Glasbachtal


Wir genießen das kalte Wasser, das sich hier in eine Kneipp‘sche Anlage zum Armund Fußbad ergießt. stellen belustigt fest, diesen hätten wir auch erreicht, wären wir nicht dem Wegweiser gefolgt, sondern einfach weitergegangen – das Wandererlebnis der letzten halben Stunde wäre uns dann aber entgangen. Grillade haben wir freilich nicht dabei, aber genießen das kalte Wasser, das sich hier in eine Kneipp‘sche Anlage zum Armund Fußbad ergießt. Von unserem Rastplatz aus sehen wir das Schild „Nikolausskirchlein – 0,6 Kilometer“. Das Ende unserer Wandertour ist nahe, der Kreis schließt sich. Das Kirchlein grüßt schon von Weitem, von ganz oben am gegenüberliegenden Hang. Noch einmal Oben: Der Kreis schließt sich – das Nikolauskirchlein eingebettet in sattes Grün ist wieder in Sicht. Unten: Blick ins Glasbachtal. 298 überqueren wir den Glasbach, nicht ohne uns allerdings an dieser idyllischen Stelle Schuhen und Strümpfen zu entledigen und bis zu den Knien ins sandige Flussbett zu steigen – herrlich! Ein paar Höhenmeter kommen jetzt noch und das nächste Mal trauen wir uns auch über die Kuhwiese, wie es der Wegweiser angibt, erreichen dann nämlich die Straße direkt neben dem Kirchlein. Unser Fahrzeug ist nicht weit, das unsere müden Glieder nach einer genussvollen Kaffeepause im Café Rapp wieder nach Villingen bringt. Und das nächste Mal steht die Wanderung durch das „Untere Glasbachtal“ auf der Agenda.


Almanach-Magazin Notizen aus dem Landkreis Großübung auf gesperrtem Schwarzwaldbahnabschnitt 100 Einsatzkräfte proben den Ernstfall im Bahntunnel Im September wurde die wegen Sanierung über Monate gesperrte Bahnstrecke zwischen Hornberg und St. Georgen von Rettungsorganisationen aus dem SchwarzwaldBaar-Kreis für eine große Übung im und am 912 Meter langen Gremmelsbacher Tunnel genutzt. Etwa 100 Einsatzkräfte der Feuerwehren aus St. Georgen, Triberg und Hornberg, Rotem Kreuz, Polizei und Bundespolizei sowie Mitarbeitern des Notfallmanagements der Deutschen Bahn und dem Führungsstab des Landratsamtes probten dabei, wie in einem Ernstfall die Rettung aus einem Tunnel bestmöglich gelingen kann. Das ausgesuchte, anspruchsvolle Übungsobjekt forderte die Feuerwehrkräfte heraus. Simuliert wurde der Brand eines selbstfahrenden Arbeitsgeräts inklusiver verletzter Personen im Gremmelsbacher Tunnel. Erfolgreiche Sportlerin gefeiert Top-Biathletin Janina Hettich in Schönwald empfangen Der Skiclub Schönwald und der Biathlon-Nachwuchs bereiteten ihrem Aushängeschild Janina Hettich einen triumphalen Empfang am Schießstand im Rothaus-Loipenzentrum. Unter anderem wurde sie Deutsche Das speziell für Bahneinsätze konzipierte Schienenfahrzeug der Feuerwehr St. Georgen bringt Material an die Einsatzstelle im Tunnel. Unten: Die Einsatzkräfte haben den simulierten Brand eines selbstfahrenden Arbeitsgeräts im Gremmelsbacher Tunnel unter Kontrolle. Meisterin im Einzel und Sprint, dazu kamen zahlreiche Spitzenplatzierungen im Weltcup, so der Sieg in der Staffel in Oberhof. Als Krö nung der Erfolgssaison folgte die Silbermedaille mit der Staffel bei den Weltmeisterschaften 2021 auf der Pokljuka in Slowenien. Janina Hettich erhält die Sportlermedaille in Gold der Gemeinde Schönwald. Magazin


Debüt bei Olympia Dominik Köpfer bei den Olympischen Spielen in Tokio Nach einem perfekten Auftaktspiel beim olympischen Tennisturnier ist der 27-jährige Furtwanger Dominik Koepfer als zweiter Olympiateilnehmer aus dem Schwarzwald-BaarKreis im Achtelfinale in Tokio ausgeschieden. Der im Herbst 2021 unter den „Top 70“ rangierende Weltranglisten-Spieler unterlag nach hartem Kampf dem Spanier Pablo Carreno Busta 6:7 (7:9), 3:6. Mit zwei Siegen und dem Achtelfinaleinzug bei seinen ersten olympischen Sommerspielen darf der Tennisprofi dennoch sehr zufrieden sein. Große Achtung erwarb er sich im Tennisjahr 2021 auch durch ein heiß umkämpftes Match gegen Dominik Köpfer Altmeister Roger Federer, der bei den French Open bis weit nach Mitternacht kämpfen musste, um den Furtwanger zu besiegen. Zentrum auf der Mögglingshöhe Der Umweltschutz hat hier seine Heimat Eine Erfolgsgeschichte schreibt das Umweltzentrum Schwarzwald-Baar-Neckar, das einst anlässlich der Landesgartenschau 2010 auf der Möglingshöhe in Schwenningen aus dem Boden spross und 2021 sein 10-jähriges Bestehen feiern konnte. Landrat Sven Hinterseh betonte, die Zusammenarbeit sei äußerst wertvoll. Er lobte den großartigen Einsatz für den Neckar, der einen neuen Stellenwert erhalten habe. Als Geschenk brachte Landrat Sven Hinterseh zehn Obstbaumstämme alter Obstsorten mit. Wahlergebnisse der Bundestagswahl vom 26. September 2021 Ergebnisse der Bundestagswahl vom 26. September 2021 im Wahlkreis 286 Schwarzwald-Baar (Amtliches Endergebnis)


Christian Wörpel tritt zweite Amtszeit an Heiko Wehrle neuer Bürgermeister von Vöhrenbach Unterkirnach: Andreas Braun im Amt bestätigt Bei der Bürgermeisterwahl in Schönwald haben die Bürger am Sonntag, 15. November 2020, im ersten Wahlgang Christian Wörpel (parteilos) im Amt bestätigt. Bei einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent entfielen 94,26 Prozent der abgegebenen, gültigen Stimmen auf den 37-Jährigen. Heiko Wehrle ist am 26. September zum neuen Bürgermeister von Vöhrenbach gewählt worden. Die Wahlbeteiligung lag bei 67,1 Prozent. Der Hauptamtsleiter von Hinterzarten und gebürtige Vöhrenbacher erhielt 80,8 Prozent von insgesamt 2.963 möglichen Stimmen. Sein Mitbewerber kam auf 17 Prozent. Bürgermeister Andreas Braun bleibt Rathauschef in Unterkirnach. Am 26. September 2021 erreichte er mit 66,8 Prozent (949 Stimmen) die absolute Mehrheit und kann damit seine zweite Amtszeit in Unterkirnach starten. Der 57-Jährige setzte sich damit klar gegen vier weitere Bewerber durch. Wahlergebnisse der Landtagswahl vom 14. März 2021


Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Stand der Wohnbevölkerung


Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Bunse, Heinz, 78166 Donaueschingen Bury, Tanja, 78073 Bad Dürrheim Dickmann, Barbara, 78098 Triberg Dinkelaker, Dr. Frieder, Landratsamt Schwarzwald-Baar Dold, Wilfried, 78147 Vöhrenbach Eich, Marc, 78050 Villingen-Schwenningen Götz, Hans-Jürgen, 78086 Brigachtal Graßmann, Peter, 78050 Villingen-Schwenningen Heinig, Birgit, 78052 Villingen-Schwenningen Hinterseh, Sven, Landratsamt Schwarzwald-Baar Hockenjos, Wolf, 78166 Donaueschingen Kienzler, Michael, 78086 Villingen-Schwenningen Lutz, Bernhard, 78183 Hüfingen Koch, Michael, Regierungspräsidium Freiburg Kommert, Hans-Jürgen, 78098 Triberg Möller, Bernd, 78126 Buchenberg Reinauer, Elke, 78046 Villingen-Schwenningen Richter, Gabor, 78112 St. Georgen Ryszkowski, Marc, 73728 Esslingen Schneider, Daniela, 78098 Triberg Sprich, Roland, 78112 Sankt Georgen Stifter, Michael, 78147 Vöhrenbach Strohmeier, Wilfried, 78073 Bad Dürrheim Wacker, Dieter, 78052 Villingen-Schwenningen Bildnachweis Almanach 2022 Titelseite: Baaremer Tracht, Modell: Jessica Bisceglia Fotografie: Wilfried Dold, Vöhrenbach Rückseite: Monduntergang bei Wildgutach Fotografie: Wilfried Dold, Vöhrenbach Soweit die Fotografen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des Beitrages oder sind die Bildautoren/Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind im Almanach vertreten: Wilfried Dold, Vöhrenbach: 2/3, 5, 9, 10-12, 14-19, 35 u., 44-49, 72/73, 76, 117, 172/173, 179-181, 194/195 ob., 264/265, 279 re., 291; Christa und Hubert Kunz, Villingen: 13, 243, 247, 248, 249, 256, 257, 261; Landratsamt Schwarzwald-Baar Kreis: 23-28, 37, 289; 292, 293; DreiWelten Card: 29-31; Michael Kienzler: 32/33, 34, 35 ob., 36; Marc Eich: 39, 41, 43; Tanja Bury, Bad Dürrheim: 50/51, 53, 57; Bernhard Bolkart, Schonach: 52, 54, 55, 56; Michael Stifter, Vöhrenbach: 58/59, 60/61, 62, 83 ob., 90, 91,113, 114/115, 224 ob. 282/283; Wilfried Straub, Schönenbach: 64, 65; Alaa Hamo, Furtwangen: 67, 68, 69, 70; Hans-Jürgen Kommert, Triberg: 71, 274, 278, 299 u.; Barbara Dickmann, Triberg: 75; Wolfgang Günzel, Offenburg: 77; Sammlung Grässlin, St. Georgen: 78; Maximilian Kamps, Stuttgart: 80/81, 86, 93; Jens Hagen, Villingen: 94/95, 97, 98 u., 101; Roland Sigwart: 100 1+2 ob.; Daniel Infanger, Zürich: 100 u.; Roland Sprich, St. Georgen: 102/103, 107, 108, 109 ob., 230/231, 232, 233, 234, 235, 280, 281, 299 ob.; Firma Faller, Gütenbach: 104/105, 109 m. u.; Hans-Jürgen Götz, Brigachtal: 110/111, 118 131, 196/197, 203; Stadt Villingen Schwenningen: 132/133, Birgit Heinig: 134, 135, 139-141, 294-298; Archiv, Hannes Frey, Villingen: 136; Rudolf Reim, Villingen: 137; MPS-Studio, Villingen: 138; Rolf Wetzel, Donaueschingen: 142/143, 150 ob., 151 u., 153; Archiv Willi Hönle, Donaueschingen: 144; Heinz Bunse, Donaueschingen: 145, 146u., 148, 150 u., 151 ob., 152, 154, 155 ob.; Holger Jung, Donaueschingen: 146; Stadtarchiv Donaueschingen: 147, 149, 155 u.; Archiv Jürgen Kauth, Bad Dürrheim: 156/157, 159, 161 171; Archiv Bury, Bad Dürrheim: 158; Gemeinfreie, Wikipedia: 160; Archiv Doldverlag, Vöhrenbach: 174-177; Stadt Bräunlingen, Bernhard Hauser: 178; NUMENA, Tuttlingen: 182/183, 192 ob., 193 ob.; Stadtarchiv Villingen: 184/185; Regierungspräsidium Freiburg, Ref. Denkmalpflege: 186; Archäologische Illustrationen: 187 ob., 189 u., 190 ob., 194; Wirtschaft und Tourismus Villingen-Schwenningen: 187 u.; Carlo Dell‘Orto, Wikipedia: 189 o.; Franziskanermuseum: 190 u., 191, 192 u.; Stadtarchiv Bad Dürrheim: 199; Katja Reichert, Illustrationen: 200/201 u.; Archiv Manfred Hildebrand, Villingen: 201 ob.; Kreisarchiv VillingenSchwenningen: 205 li.; Marc Ryszkowski, Stuttgart: 205 re.; Öschberghof GmbH: 206/207, 208, 210 re., 211 m., 212,213, 215, 217, 219; Manuel Ulrich, Heidenhofen; 209, 210 li., m., 211 li., re.; maramoonshine photography, Schonach: 220/221, 222, 223, 224 u., 225, 227 ob., 228; Sat1: 226, 227 u.; Löwen Patisserie, Schönwald: 229; Bernd Möller, Martinsweiler: 236/237, 244, Anna Lauble, Martinsweiler: 238, 239, 241, 245, 250/251, 252, 253, 254, 255, 258, 259, 260, 262/263; Jessica Bisceglia, Trossingen: 266; Cara-Lee Echle, Niedereschach: 267, 269 u., 271; Anna Grewlding, Wittlich: 268; Sebastina Klingk, VS-Villingen: 269 ob., 270; Garbor Richter, Peterzell: 272/273; Aline Rotter-Focken: 275; Burger Group, Tom Weller: 277; EGT, Triberg: 279 li.; Erich Marek, Villingen: 284; Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 286, 287; 303


Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2022


Monduntergang – fotografiert von der B 500 beim Lachenhäusle aus mit Blick auf das Neukircher Hexenloch, Wildgutach und St. Märgen.


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