Al ma nach 2010 Hei mat jahr buch des Schwarz wald-Baar-Krei ses 34. Fol ge
He raus ge ber: Land rats amt Schwarz wald-Baar-Kreis www.schwarz wald-baar-kreis.de land rats amt@schwarz wald-baar-kreis.de Re dak ti on: Karl Heim, Land rat Julia Weiss, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Wil fried Dold, Re dak teur Hans-Wer ner Fi scher, Dipl.-Bib lio the kar Dr. Joa chim Sturm, Kreis ar chi var Wil li Todt, Ge schäfts füh rer i. R. Karl Volk, Re al schul ober leh rer i. R. Für den In halt der Bei trä ge sind die je wei li gen Au to ren ver ant wort lich. Nach dru cke und Ver viel fäl ti gun gen je der Art wer den nur mit Ein wil li gung der Re dak ti on und un ter An ga be der Fund stel le ge stat tet. Gestaltung: Wilfried Dold, doldverlag Verlag: dold ver lag, Vöh ren bach www.dold ver lag.de Druck: Todt Druck + Medien GmbH + Co. KG Vil lin gen-Schwen nin gen ISBN: 978-3-927677-57-9
Eh ren lis te der Freun de und För de rer des Al ma nach 2010 AGVS Aluminium Werke GmbH, Villingen-Schwenningen IMS Gear GmbH, Donaueschingen ANUBA AG, Vöhrenbach Mathias Bäuerle GmbH, St. Georgen BIW Burger Industriewerk GmbH & Co. KG, Präzisionstechnik, Schonach Continental Automotive GmbH Villingen-Schwenningen ebm-papst St. Georgen GmbH & Co. KG, St. Georgen EGT Energievertrieb GmbH, Triberg i-punkt immobilien GmbH, Donaueschingen KBS-Spritztechnik GmbH, Schonach LISI AUTOMOTIVE Mohr + Friedrich GmbH, Vöhrenbach Vermessungsbüro Mandolla + Gilbert, Villingen-Schwenningen Spedition Julius Mayer GmbH Bräunlingen EGT Gebäudetechnik GmbH, Triberg Leopold und Poldi Messmer, freie Architekten, Furtwangen Energiedienst AG, Rheinfelden Günter Helmut Papst, St. Georgen Emil Frei GmbH & Co. KG, Bräunlingen SBS-Feintechnik GmbH & Co. KG, Schonach Fürstlich Fürstenbergische Brauerei GmbH & Co. KG, Donaueschingen Alfons Schlenker GmbH + Co. KG, Schotterwerk, Dauchingen Dipl.-Ing. M. Greiner, Donaueschingen SCHMIDT Technology GmbH, St. Georgen Bauunternehmung Hermann GmbH Furtwangen Anton Schneider Söhne GmbH & Co. KG, Schonach Hess AG Form + Licht, Villingen-Schwenningen Schwarzwaldhof Fleisch- und Wurstwaren GmbH, Blumberg Hinzsch Schaumstofftechnik GmbH & Co. KG, Mönchweiler S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke OHG, Furtwangen 3
Sparkasse Schwarzwald-Baar mit 46 Geschäftsstellen Wiha Werkzeuge GmbH, Schonach Sternplastic Hellstern GmbH & Co. KG, Villingen-Schwenningen Johann Wintermantel Verwaltungs-GmbH & Co. KG, Kies-, Schotter- u. Betonwerke Donaueschingen STRAUB-VERPACKUNGEN GmbH, Bräunlingen Albin Vogt Transport GmbH, Donaueschingen Volksbank Triberg eG 9 weitere Freunde und Förderer des Almanach wünschen nicht namentlich genannt zu werden. Glockenspiel auf dem Marktplatz von St. Georgen. Zu sehen ist Abt Theoger, der das Kloster St. Georgen und damit die heutige Stadt zur Blüte brachte. Am 23. April 2009 feierte man in St. Georgen das Jubiläum dieser Klostergründung „auf dem Scheitel Alemanniens“, die vor 925 Jahren erfolgt war. 4
Bildung – Quelle des Fortschritts und des Wohlstandes Dem Jahrbuch 2010 des Schwarzwald-Baar-Kreises zum Geleit Zwischenzeitlich ist es Allgemeingut: Unser größtes Kapital ist das Wissen in den Köpfen der Menschen. In unserem an Bodenschätzen armen Land ist es der wichtigste Rohstoff. Nur so können wir unseren technologischen Vor- sprung und damit unseren Wohlstand erhalten. Dies gilt generell und vor allem auch für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Nicht von unge- fähr haben bereits im vorletzten Jahrhundert der badische Großherzog in Furtwangen und der württembergische König in Schwenningen Uhrmacherschulen errichten lassen, um diesen wichtigen Wirtschaftszweig zu stabilisieren und konkurrenzfähig zu halten. Aus dem Uhrmacherhandwerk, später der Uhrenindustrie, sind im Schwarzwald-Baar-Kreis viele hochinnovative Firmen entstanden, die früher wie heute getragen werden vom sprich- wörtlichen schwarzwälder Tüftlergeist, der Kre- ativität und der hohen Qualifikation der Men- schen. Der hohe Standard unserer Industrie ist im internationalen Wettbewerb aber nur zu halten, wenn es uns gelingt, unseren Firmen hoch qua- lifizierte Fachkräfte zur Verfügung zu stellen. Und unsere jungen Menschen können sich auf dem Arbeitsmarkt nur behaupten, wenn wir ihnen eine den heutigen und künftigen Anfor- derungen gerecht werdende Bildung und Aus- bildung zukommen lassen. Junge Familien orientieren sich deshalb bei der Wahl ihres Lebensmittelpunktes nicht nur daran, wo es gute Arbeits-, sondern vor allem auch, wo es gute Bildungs- und Ausbildungs- möglichkeiten gibt. In Zeiten allgemein abneh- mender Bevölkerungszahlen gewinnt dieser As- pekt für die Entwicklung eines Raumes beson- dere Bedeutung. Die Entwicklung unseres Landkreises, die Konkurrenzfähigkeit unserer Betriebe, die Zu- kunftschancen unserer jungen Menschen hängt damit ganz entscheidend von der Bildungs- infrastruktur ab. Wir haben im Schwarzwald-Baar-Kreis das Glück, dass wir eine sehr gute Bildungsinfra- struktur haben. Unsere Städte und Gemeinden halten ein vielfältiges Angebot im allgemein bildenden Bereich vor; von den Grund- und Hauptschulen über viele Realschulen und Gymnasien. Der Landkreis bietet als Träger des beruflichen Der Landkreis als Träger des beruflichen Schul wesens bietet sehr differenzierte und viel – fäl tige Bildungs- und Aus bildungs mög lich- kei ten an; von der Be – rufsschule über Berufs- kollegs bis zu vielen beruflichen Gymnasien. Darüber hinaus ermög- licht er in drei Sonder- schulen unseren jun- gen Mitmenschen mit Handicap eine ihren Be – Schulwesens sehr differenzierte und Ausbildungsmög- sehr vielfältige lichkeiten an. dürfnissen angemessene Bildung. Im tertiären Bereich können wir mit der Hochschule Furtwangen University, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, der Hochschule der Polizei und dem Studienzentrum der Fern- Universität Hagen, alle in Villingen-Schwennin- gen, ein Angebot aufweisen, wie kaum ein an- derer Landkreis im ländlichen Raum. Der Schwarzwald-Baar-Kreis ist im Bildungs- wesen also gut aufgestellt, aber es gilt diese Bildungsstrukturen zukunftsorientiert weiterzu- entwickeln. Bei der Einführung der Ganztagsschu- len waren die Städte und Gemeinden des Schwarzwald-Baar-Kreises ganz vorne mit da- bei. Es wurden im ersten Schritt bereits mehr Ganztagsschulen eingerichtet, als vom Land 5
Zum Ge leit Im Fachbereich Holztechnik der Gewerblichen Schulen Donau- eschingen, lernen die angehenden Schreiner auch mit einer CNC-Säge- maschine zu arbeiten. Der Schwarz- wald-Baar-Kreis ist als Träger der Beruflichen Schulen darauf bedacht, modernste Ausbildungsmöglichkei- ten zu bieten. vorgesehen. Ganz aktuell wird der „Umbau“ der Hauptschulen in Werkrealschu- len in vielen Gemeinden diskutiert und zum Teil bereits umgesetzt. Das Problem ist hierbei die demografische Entwicklung mit abnehmenden Schülerzahlen und damit die Erhaltung der Schulen im ländlichen Raum. Im beruflichen Bereich investiert der Land- kreis bereits seit Jahrzehnten sehr hohe Sum- men und richtet neue, zukunftsträchtige Schul- arten ein. Vor zwei Jahren hat er eine Offensive für technische Berufe gestartet. Ganz aktuell wurden mehrere Schulerwei- terungen abgeschlossen oder auf den Weg ge- bracht um unseren jungen Menschen optimale Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten. Im tertiären Bereich konnten sowohl an der Hochschule Furtwangen, als auch an der Dua- len Hochschule Villingen-Schwenningen neue Studiengänge angesiedelt und die Hochschu- len ausgebaut werden. Bildung, da sind sich alle einig, ist heute und auch in Zukunft ein Megathema. Und die Zukunft des Schwarzwald-Baar-Kreises wird sich mit daran entscheiden, wie er sich hier po sitioniert. Es gilt, die vielen guten Bildungs- quellen zu einem großen Strom zu vereinen. Der Kreistag hat deshalb beschlossen, sich an einem Modellprojekt des Landes Baden-Würt- temberg zu beteiligen, das die Einrichtung von regionalen Bildungslandschaften auf der Kreis- ebene vorsieht. Das Ziel ist, die verschiede- nen Akteure im Bildungswesen an einen Tisch zu bekommen, Lücken im Bildungssystem zu identifizieren und vorhandene Angebote bes- ser aufeinander abzustimmen, um Synergie- effekte zu erschließen. 6 Bildung ist aber natürlich mehr als Schul- und Hochschulbildung. Bildung ist ein umfas- sender Begriff und beinhaltet auch die Ausei- nandersetzung des Menschen mit seiner Um- welt. So auch mit seiner engeren Heimat – und hier ist der Almanach ein wichtiger Bildungs- träger. Auch in dieser Ausgabe zeigt er uns die Vielfalt unseres Schwarzwald-Baar-Kreises in den verschiedensten Lebensbereichen in vielen interessanten Beiträgen auf. Dies ist wieder nur möglich, weil viele da- ran mitgewirkt haben. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den vielen Autoren und Fotografen, dass auf diese Weise wieder ein ansprechen- des, informatives Heimatjahrbuch entstehen konnte. Aber nur mit Idealismus kann so ein Werk nicht entstehen, es bedarf auch erheblicher fi- nanzieller Mittel. Herzlichen Dank auch in die- sem Jahr den vielen Firmen und treuen Freun- den des Almanachs ohne deren großzügige Förderung die Herausgabe dieses Jahrbuches nicht möglich gewesen wäre. Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, Sie finden auch im Almanach 2010 jede Menge an- regenden Lesestoff und wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen. Ihr Karl Heim Landrat
Wirtschaftskrise belastet Kreishaushalt Investitionsschwerpunkt im Jahr 2009 war erneut der Schulbereich 1. Kapitel Aus dem Kreisgeschehen Die im zweiten Halbjahr 2008 beginnende Finanzkrise und die sich daraus ent- wickelnde weltweite, allgemeine Wirtschaftskrise ist ein Paradebeispiel dafür, wie schnelllebig unsere Zeit und wie weltweit verflochten unsere Wirtschaft ist: Im Almanach 2009 konnte noch berichtet werden, dass die erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung im Kreishaushalt 2008 hohe Investitionen, Schuldenabbau und gleich- zeitig eine moderate Senkung der Kreisumlage ermöglichte. Alles deutete bis Mitte 2009 darauf hin, dass diese positive wirtschaftliche Entwicklung sich auch, mit einer gewissen Abschwächung, mindestens bis ins Jahr 2010 fortsetzen würde. Im Herbst 2008 zeigte sich dann, dass sich die von den USA ausgehende Immobilienkrise zu einer weltweiten bedrohlichen Finanzkrise auswächst, mit noch nicht absehbaren Folgen für die Weltwirtschaft. Um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise abzufedern, legte der Staat ein umfangreiches Konjunkturprogramm auf, von dem auch der Landkreis profitierte, allerdings um den Preis einer zusätzlichen Belastung der Kreiskasse für die Kofinanzierung. Der Investitionsschwerpunkt im Jahr 2009 war erneut eindeutig der Schulbereich. Rund 9,3 Mio. € wurden in den Haushalt eingestellt. Dazu kamen dann im Frühjahr 2009 weitere rd. 3 Mio. € im Rahmen des Konjunkturprogramms. So konnte der Umbau des Werkstatt ge bäu- des und die Erweiterung der Kfz-Werkstätten an der Gewerblichen Schule Villingen-Schwennin- Der Kreishaushalt 2009 war dadurch mit er- heblichen Unsicherheiten behaftet. Zunächst schien die Einnahmesituation noch sehr positiv zu sein. Der Kreistag entschied sich deshalb für ein antizyklisches Verhalten mit hohen Investi- tionen ohne Neuverschuldung. Dies war sicher- lich auch richtig. Allerdings führte die aus der Finanzkrise sich entwickelnde allgemeine Wirt- schaftskrise nicht nur zu höheren Arbeits lo sen- zahlen, sondern auch zu massiven Einbrüchen beim Steueraufkommen sowohl beim Staat als auch bei den Kommunen und damit durch den Steuerverbund auch beim Landkreis. Gleichzei- tig stiegen durch die höhere Arbeitslosig keit die Unterkunftskosten für Harz-IV-Empfänger und darü- ber hinaus die Kosten für die Jugendhilfe, sodass für das Haushaltsjahr 2009 am Jah- resende ein Fehlbetrag zu be- fürchten ist. Der Umbau der Kfz-Werkstätten an der Gewerblichen Schule Villingen-Schwenningen kostete rund 4,7 Mio. Euro. 7
Aus dem Kreisgeschehen gen mit einem Gesamtaufwand von 4,7 Mio. € im Herbst 2009 abgeschlossen werden. Für 3,2 Mio. € wurden neue Maschinen und Geräte be- schafft. Im Juli war der Spatenstich für den seit lan- gem geplanten Erweiterungsbau an der Albert- Schweitzer-Schule in VS-Villingen mit einem Investitionsvolumen von 1,7 Mio. €, im August konnten wir mit einem weiteren Spatenstich den Startschuss für einen Erweiterungsbau an der David-Würth-Schule in VS-Schwenningen mit einem Investitionsvolumen von 1,9 Mio. € geben. An der Kaufmännischen Schule in Villingen wurde der Umbau und die Schaffung von vier weiteren Klassenzimmern mit einem Inves- titionsvolumen von 1,6 Mio. € in Angriff genom- men. Darüber hinaus wurden an fast allen Schul- gebäuden umfangreiche Sanierungsar bei ten ins- besondere zur Energieeinsparung vor ge nom- men. Alles im allem eine gewaltige Bildungsof- fensive! Welche Bedeutung der Landkreis der Bil- dungspolitik beimisst, wird auch daran deut- lich, dass der Kreistag beschlossen hat, im Schwarzwald-Baar-Kreis ein regionales Bil dungs – büro gemeinsam mit dem Land Baden-Würt- temberg unter Beteiligung aller Bildungsträger im Landkreis einzurichten. Über die Struktur und die Arbeit dieses Bildungsbüros wird in einer der nächsten Ausgaben des Almanachs ausführlich berichtet werden. Der Landkreis stellt bis zu 20 Millionen Euro für den Bau des Zentralklinikums bereit Die mit Abstand größte und bedeutendste In- vestitionsmaßnahme, die 2009 gestartet wur- de, war aber der Neubau des Zentralklinikums, des Schwarzwald-Baar-Klinikums in Villingen- Schwenningen. Am 28. Juli 2009 fand unter Beteiligung von Sozialministerin Dr. Stolz und vielen weiteren Ehrengästen der Spatenstich im Zentralbereich zwischen Villingen und Schwenningen statt. Damit wurde nach einer schwierigen Zwi- schenphase im Jahr 2008 dieses nicht nur für 8 den Landkreis, sondern für die ganze Region größte und bedeutsamste Vorhaben für die nächsten Jahrzehnte endgültig auf den Weg ge- bracht. Im Almanach 2008 wurde darüber berich- tet, dass die Ausschreibung des Vorhabens an einen Generalunternehmer bei nur zwei An- geboten Angebotspreise von 50 % bzw. 100 % über der Kostenberechnung ergaben. Die Aus- schreibung wurde daraufhin aufgehoben, das Vorhaben überplant, die Kosten neu be- rechnet und das Vor- haben nach Gewerken neu ausgeschrieben. Dank eines Solidar- Mehrkosten von paktes konnten der Kreispolitik. 35 Mio. Euro ab- eine Glanzleistung gesichert werden – Die aktualisierte Kos tenberechnung er – gab unter Berück sich- tigung von schmerz – lichen Einsparungen Mehrkosten von ca. 35 Mio. € gegenüber der ursprünglichen Kos- tenberechnung. Wie nun die Finanzierungs- lücke schließen? In Verhandlun gen mit dem Land konnte ein weiterer Zuschuss in Höhe von rd. 9 Mio. € erreicht werden. 5 bis 6 Mio. € soll das Klini kum selbst erwirtschaften und beisteuern. Aber da mit fehlten immer noch 20 Mio. €! Diese Deckungslücke konnte durch einen beispiellosen Solidaritätspakt geschlos- sen werden, der zweifellos ein Glanzlicht der Kreispolitik darstellt. Der Kreistag beschloss über alle Frak tionen und Vertreter der einzel- nen Raumschaften hinweg, dass der Landkreis als Gesell schafter des Schwarzwald-Baar-Klini- kums Villingen-Schwen ningen be reit ist, bis zu 20 Mio. € in die Klinik GmbH einzuzahlen und damit die Deckungs lücke zu schlie ßen. Die Mit- tel sollen über mehrere Jahre in einer Rücklage angesammelt und, wenn der Finanzierungsbe- darf feststeht, durch besonderen Kreistagsbe- schluss bewilligt werden. Um eine größtmögliche Kostensicherheit zu haben, wurden im ersten Paket rd. 70 % der Bauleistungen ausgeschrieben. Die Aus- schreibung erbrachte dann, begünstigt durch die schwierige wirtschaftliche Situation, ein Er- gebnis, das hochgerechnet rd. 17 Mio. € unter der aktuellen Kostenberechnung liegt. Dabei ist
Aus dem Kreisgeschehen Erster Spatenstich zum Bau des Zentralklinikums in Villingen-Schwenningen, von links: Pflegedirektorin Angelika Orth, Landtagsabgeordneter Karl Rombach (CDU), Landrat Karl Heim, Landessozialministerin Monika Stolz, Oberbürgermeister Dr. Rupert Kubon, der Ärztliche Direktor Ulrich Fink, Klinikum-Geschäfts- führer Rolf Schmid, Bundestagsabgeordneter Siegfried Kauder (CDU) und Architekt Guido Messthaler. Die Großbaustelle ist eingerichtet: Das neue Kreisklinikum Villingen-Schwenningen soll mit seinen rund 750 Betten zum Ende des Jahres 2012 in Betrieb genommen werden. Die Kosten belaufen sich auf rund 265 Millionen Euro, wobei das Land über 102 Millionen Euro trägt. 9
Aus dem Kreisgeschehen Das neue Klinikum im Entwurf der Architekten. allerdings zu berücksichtigen, dass die Aus- schrei bungsbedingungen Preisgleitklauseln be – inhalten, die zu jetzt noch nicht bekannten Zu- schlägen führen werden. Aber damit konnte die Finanzierung als gesichert angesehen und der Startschuss gegeben werden. Das Gesamtvolumen des Projekts beläuft sich jetzt auf 265 Mio. €, davon rd. 200 Mio. € für die Bauleistungen. Wahrlich ein Jahrhun- dertprojekt. eine große Zahl von Pflegeeinrichtungen und ein dichtes Netz von Selbsthilfegruppen. Der Gesundheits- und Sozialbereich ist der größte Arbeitgeber im Schwarzwald-Baar-Kreis. Um das Zusammenwirken der verschiede- nen Dienstleister im Gesundheitsbereich zu ver- bessern, Synergieeffekte zu nutzen und die Potenziale der Gesundheitswirtschaft voll aus- zuschöpfen und weiterzuentwickeln, wurde ein Gesundheitsnetzwerk ins Leben gerufen (siehe Seite 25). Ein Hospiz für Schwerkranke Gesundheitsnetzwerk ins Leben gerufen Das neue Zentralklinikum Villingen-Schwen – ningen als Haus der Zentralversorgung mit Ausstrahlung weit über den Landkreis hinaus ist ein besonders deutliches Beispiel dafür, dass der Schwarzwald-Baar-Kreis ein Landkreis ist, in dem die Gesundheitswirtschaft eine be- sonders hohe Bedeutung hat. Daneben gibt es aber verschiedene Fachkliniken, bedeutende Reha-Einrichtungen und eine Vielzahl niederge- lassener Allgemein- und Fachärzte. Außerdem Der Schwarzwald-Baar-Kreis verfügt über eine gute Infrastruktur im Pflegebereich. In einem Bereich, der zunehmend ins Bewusstsein der Bevölkerung tritt, hatte er aber bislang kein Angebot: Seit einigen Jahren bemüht sich die eh renamtlich tätige Hospizgruppe Schwarz- wald-Baar-Kreis um ein stationäres Hospiz für Schwerstkranke, die nur noch eine kurze Le- bensphase vor sich haben. Schließlich haben sich die Hospizgruppen in der Region darauf geeinigt, in Spaichingen ein regionales Hospiz in Betrieb zu nehmen und baten den Landkreis, 10
gemeinsam mit den Landkreisen Tuttlingen und Rottweil an der Finanzierung mitzuwirken. Zeit- gleich wurde in VS-Schwenningen auf privater Basis ein Hospiz eingerichtet, das von einem eigens dafür gegründeten Hospizverein getra- gen wird. Nach intensiver Diskussion hat der Kreistag entschieden, beide Einrichtungen in gleicher Weise zu unterstützen. Die Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis können damit nun zwei Hospize in der Region in Anspruch nehmen und müssen nicht mehr in einer extrem schwie- rigen Lebenssituation außerhalb der Region um Hilfe nachsuchen. 7 Millionen Euro für energetische Maßnahmen Die Bedeutung von Klimaschutz und Energie- einsparung ist heute Allgemeingut. Auch hier gilt: Global denken, lokal handeln. Nur wenn die Menschen ihr Verhalten ändern und auch die öffentlichen Institutionen ihrer Verantwor- tung gerecht werden, können allgemeine po- litische Vorgaben erfüllt werden. Der Landkreis hat die Notwendigkeit von Energiesparmaßnahmen schon früh erkannt und bereits vor zwei Jahren bei der Klima- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA) ein Gutachten über Energiesparmaß- nahmen für die Kreisgebäude in Auftrag ge- geben. Bereits im Haushalt 2009 wurden erheb- liche Mittel zur Umsetzung der Vorschläge ein- gestellt. Durch das Konjunkturprogramm, mit dem insbesondere Maßnahmen im energeti- schen Bereich gefördert werden, konnten diese Anstrengungen noch erheblich verstärkt wer- den. Rund 7 Mio. € investiert der Landkreis in den Jahren 2009 und 2010 in energetische Sa- nierungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung. Wichtig ist aber vor allem auch, dass die Menschen die Möglichkeiten zur Energieein- sparung kennen und nutzen. Der Landkreis hat deshalb gemeinsam mit den Städten Villingen- Schwenningen und Donaueschingen, sieben Energieversorgungsunternehmen, der Kreishand- werkerschaft und zwei Umweltverbänden eine Energieagentur mit Sitz in Donaueschingen ins Leben gerufen. Die Aufgabe dieser Energie- Aus dem Kreisgeschehen „Spar’s Dir – Energiesparen für Klima und Geld- beutel“: Unter diesem Motto stand der Energietag Baden-Württemberg der Stadtwerke Villingen- Schwenningen GmbH (SVS) und der Energieagen- tur Schwarzwald-Baar-Kreis in Villingen-Schwen- ningen. Das Bild zeigt den Ersten Landesbeamten Joachim Gwinner bei der Eröffnung der Veranstal- tung am Stand der neuen Energieagentur. agentur ist, die Bürgerinnen und Bürger durch einen neutralen Energieberater über die ver- schiedenen Möglichkeiten der Energieeinspa- rung in ihrer konkreten Situation zu beraten und Fördermöglichkeiten aufzuzeigen. Damit sollen gleich mehrere Ziele erreicht werden: Die knappen Ressourcen für die Energiegewinnung sollen geschont und damit gleichzeitig ein Bei- trag zum Klimaschutz geleistet werden. Den Bürgerinnen und Bürgern soll aufgezeigt wer- den, wie sie durch Energieeinsparung mittel- bis langfristig erheblich Geld sparen können. Und schließlich sollen damit auch Aufträge für das örtliche Handwerk generiert, also ein Bei- trag zur Wirtschaftsförderung geleistet werden. Strukturen im Tourismus neu geordnet Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Schwarz- wald-Baar-Kreis ist der Tourismus. Deshalb en- gagiert sich der Landkreis seit vielen Jahren sehr stark auf diesem Gebiet. Gemeinsam mit 11
Aus dem Kreisgeschehen den Landkreisen Rottweil und Ortenau sowie mehreren Unternehmen mit Bezug zum Touris- mus hat er bereits vor 10 Jahren für das Gebiet des mittleren Schwarzwaldes die Mittlere- Schwarz wald-Tourismus-GmbH (MSTG) gegrün- det. Dies war die erste Tourismus GmbH im Schwarzwald. Nach dem Vorbild der MSTG wur- de einige Jahre später für das Gebiet des ge- samten Schwarzwaldes die Schwarzwald-Tou- rismus-GmbH (STG) gegründet, in der die MSTG Gesellschafter war. Nun wurden die Strukturen im Schwarz- wald-Tourismus neu geordnet. Die Gebietsge- meinschaften des südlichen, mittleren und nörd lichen Schwarzwaldes und damit auch die MSTG wurden aufgelöst. Seit dem 1. Januar 2009 sind die Landkreise direkt Gesellschafter der STG. Ein jahrelanger Strukturprozess hat damit seinen Abschluss gefunden. Die bewähr- te Struktur unserer MSTG mit den Landkreisen als Hauptgesellschafter wurde damit auf die STG und damit den gesamten Schwarzwald übertragen. Fluglärmbelastung bleibt Dauerthema Das Dauerthema Fluglärmbelastung durch den Flughafen Zürich hat die Kreispolitik auch im Jahr 2009 begleitet, wobei es einige weniger positive Entwicklungen gab. Nachdem Bundes- präsident Köhler das Bundesgesetz zur Privati- sierung der Flugaufsicht aus verfassungsrecht- lichen Bedenken nicht unterzeichnete, hat der Bundestag das Grundgesetz geändert und ein Begleitgesetz verabschiedet, das die Privatisie- rung der Flugaufsicht und damit eine Übertra- gung der Flugaufsicht auf die schweizer skyguide ermöglicht. Bundespräsident Köhler hat diese Gesetzes- änderungen nun unterzeichnet. Damit bleibt nur noch der Gang zum Bundesverfassungsge- richt. Dies ist aber nur einem Bundesland oder einer Bundestagsfraktion mög lich. Landrat Heim und die Landräte der Kreise Konstanz und Waldshut haben deshalb in ei nem Brief an Ministerpräsident Oettinger dringend gebeten, dass das Land beim Bundes ver fas sungsgericht eine entsprechende Ver fas sungs klage einreicht. 12 In gleicher Weise ist unser Bundestagsabge- ordneter Siegfried Kauder (CDU) aktiv gewor- den. Des Weiteren haben die Schweizer Behör- den nun den Schlussbericht zum sogenannten SIL-Verfahren vorgelegt. In diesem Verfahren werden verschiedene Varianten zur weiteren Entwicklung des Flughafens untersucht. In die- sem Bericht werden vier Varianten zum wei- teren Ausbau des Flughafens vorgeschlagen, wobei nur eine Variante die Vorgaben der deut- schen Verordnung zur Begrenzung des Flugver- kehrs über Süddeutschland einhält. Dies macht deutlich, die Schweizer Seite setzt ganz offen- sichtlich darauf, dass es gelingt, die zum Schutz der süddeutschen Bevölkerung erlas- sene Verordnung auf politischem Wege aufzu- weichen. Umso wichtiger wird es nun sein, im Schul terschluss mit Bund und Land unseren Schweizer Nachbarn deutlich zu machen, dass dies nicht der Fall sein wird, ja, wir eine über die Vorga ben der Verordnung hinausgehende weitere Einschränkung der Fluglärmbelastung, insbesondere eine Verlegung des Warteraumes RILAX in die Schweiz verlangen. Über ein weiteres „Grenzproblem“, das im Grenzraum Deutschland-Schweiz geplante Atom- endlager Benken, wird in einem besonderen Bei- trag berichtet. Diese beiden besonderen Problembereiche dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, dass wir im Übrigen mit unseren Schweizer Nach- barn, insbesondere dem Kanton Schaffhausen, auf vielen Feldern sehr gut zusammenarbeiten. Ein besonderes Ereignis der Kreispolitik war die Kreistagswahl im Juni 2009. Über das Kreis- tagswahlergebnis wird in diesem Almanach ab Seite 30 berichtet. Die konstituierende Sitzung des Kreistages fand am 21. September 2009 statt. Im Anschluss an die Sitzung wurden die ausscheidenden Kreisrätinnen und Kreisräte von Landrat Heim in feierlichem Rahmen und einem anschließenden fröhlichen Beisammen- sein verabschiedet. Karl Heim, Landrat Der Kuckuck am Landratsamt von Alfred Hien ist viel beachtete Kunst am Bau.
Aus dem Kreisgeschehen 13
Aus dem Kreisgeschehen Verfahren zum Schweizer Atomendlager Geplante Lagerung radioaktiver Abfälle sorgt im Landkreis für große Bedenken Die Suche in der Schweiz nach einem Endlager für radioaktive Abfälle ist in eine entscheidende Phase getreten. Basierend auf dem vom Schwei- zerischen Bundesrat am 2. April 2008 genehmi g- ten Konzeptteil des „Sachplanes Geologische Tiefenlager“ hat das schweizerische Bundesamt für Energie (BFE) am 6. November 2008 die Standortregionen veröffentlicht, die sich nach Un- tersuchungen der nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) auf Grund ihrer Geologie für den Bau von Tiefen- lagern für hochaktive Abfälle (HAA) und für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) eignen. Als Standorte wurden bekannt gegeben: Südranden bzw. südliches Schaff- hausen im Kanton Schaffhausen für SMA Zürcher Weinland in den Kantonen Zürich und Thurgau für HAA und SMA Nördlich Lägeren in den Kantonen Zürich und Aargau für HAA und SMA Bözberg im Kanton Aargau für HAA und SMA Jura-Südfuß in den Kantonen Solothurn und Aargau für SMA Wellenberg in den Kantonen Mittwalden und Obwalden für SMA Vor diesem Hintergrund hat Landrat Karl Heim am 17. Februar 2009 die Bevölkerung des Landkreises zu einer Informationsveran- staltung in Blumberg eingeladen, bei der drei Schweizer und zwei Deutsche Experten über das bisherige und zukünftige Verfahren bei der Su- che der Schweiz nach einem Atomendlager informier ten. Auch wenn hierbei keine wirklich neuen oder entscheidenden Aussagen zu den 14 deutschen Vorbehalten erfolgten, trug diese Veranstaltung doch zu einer weiter verbesser- ten Transparenz des Schweizer Vorgehens bei. Von der zahlreich erschienenen Bevölkerung wurden die Diskussionsmöglichkeiten intensiv genutzt. Wie geht die Suche nach dem geeigneten Standort weiter? Seit 40 Jahren nutzt die Schweiz Kernener- gie zur Stromproduktion. Die radioaktiven Abfälle der Schweiz stammen zum großen Teil aus fünf Kernkraftwerken, aber auch aus Anwendungen in der Medizin, Forschung und Industrie. In der Schweiz sind die Verursacher radioak- tiver Abfälle über das eidgenössische Kernener- giegesetz dazu verpflichtet, die technischen und wissenschaftlichen Voraussetzungen für eine sichere Entsorgung zu erarbeiten, die Lager für die Entsorgung zu bauen und auch die Kos- ten dafür zu übernehmen. In dem Gesetz wird auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle „grundsätzlich im Inland“ entsorgt werden müs- sen und zwar so, dass der „dauernde Schutz von Mensch und Umwelt“ gewährleistet wird. Zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten wurde im Jahre 1972 von den Kraftwerkbetrei- bern und dem Eidgenössischem Bund die Nati- onale Genossenschaft für die Lagerung von ra- dioaktiven Abfällen (NAGRA) gegründet. Die NAGRA hat den Auftrag, Lösungen für eine nachhaltige, dem Schutz von Mensch und Umwelt verpflichtete Entsorgung in der Schweiz zu finden und umzusetzen. Orientieren muss sich die NAGRA bei dieser Aufgabe an dem sogenannten Sachplanverfahren unter Leitung des Schweizer Bundesamtes für Energie (BFE), das die Kriterien festschreibt, nach denen das
Schweizer Atomendlager Abb. 1 Standortgebiete für Tiefen- lager mit hochaktiven Abfällen. Unten, Abb. 2 Standortgebiete für Tiefenlager mit schwach- und mittelaktiven Abfällen. Verfahren zur Standortwahl und die Mitwirkung der Kan- tone, Gemeinden, der Bevölke- rung und des benachbarten Auslandes zu erfolgen hat. Nach dem Sachplan unter- teilt sich das Auswahlverfah- ren in mehrere Schritte: Zuteilung der Abfälle auf ein Lager für hochaktive Abfälle und ein Lager für Abfälle. schwach- und mittelaktive Nachweis eines Sicher- heitskonzepts für die Lager gegenüber den Behörden inklusive Anforderungen an die Geologie der Lager. Finden von geeigneten geologisch- tektonischen Großräumen. Bestimmen von potenziell geeignetem Wirtgestein. Identifizieren von geeigneter Anordnung, Tiefenlage und Mächtigkeit von Wirt- gesteinsvorkommen. Nachdem die Abfälle zugeteilt und der Nachweis des Sicherheitskonzeptes erbracht wurde, konzentrierte sich die NAGRA auf die Su- che von geologischen Standortgebieten. Ge- sucht wurden Großräume in der Schweiz, in denen für einen Zeitraum von 100.000 Jahren (Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Ab- fälle) bzw. von 1 Mio. Jahren (Tiefenlager für hochaktive Abfälle) keine großräumigen Verän- derungen zu erwarten sind, welche die Sicher- heit der Lager gefährden könnten. Als Großräume für die Tiefenlagerung hochaktiver Abfälle wurden der östliche Ta- feljura, das Molassebecken und der nordöst- liche Bereich in der Nähe des Faltenjuras identifiziert. Für das Tiefenlager für schwach- bis mit- telaktive Abfälle erfüllen quasi alle Großräu- me der Schweiz die Kriterien des Sachplanes. In einem weiteren Schritt wurden die Ge- steinsschichten in den verbleibenden Großräu- men nach den Kriterien des Sachplans wie räumliche Ausdehnung, hydraulische Barriere- wirkung, Freisetzungspfade, geochemische Be- dingungen, Beständigkeit der Standort- und Gesteinseigenschaften, lagerbedingte Einflüs- se, felsmechanische Eigenschaften und Bedin- gungen, Explorierbarkeit usw. bewertet, um po- tenzielle Wirtgesteine zur Aufnahme der Tiefen- lager zu identifizieren. Als geeignet wurden der Opalinuston, der Braune Dogger, die Effinger Schichten und die Mergel-Formationen des Helvetikums befunden. Das bevorzugte Wirtgestein Opalinuston für das hochaktive Tiefenlager kommt in geeigneter 15
Aus dem Kreisgeschehen Tiefe im nordöstlichen Molassebecken und im östlichen Tafeljura vor (Abb. 1). Die für das schwach- bis mittelaktive Tiefen- lager bevorzugten Wirtgesteine Opalinuston, Brauner Dogger und Effinger Schichten kommen im östlichen Mittelland und im östlichen Tafelju- ra in geeigneter Tiefe vor (Abb. 2). Südranden völlig neuer Standort Zur raumbezogenen Einengung und Abgren- zung von geologischen Standortgebieten wur- den weitere Kriterien herangezogen. Eine Rolle spielten die ausreichende Tiefe und Mächtig- keit des Wirtgesteins, das Ausweichen von Stö- rungen und Brüchen im Untergrund mit genü- gendem Sicherheitsabstand sowie der Aus- schluss von tiefen Erosionsrinnen und von nut- zungswürdigen Rohstoffvorkommen unterhalb der Wirtgesteine. Am Schluss dieses Auswahlverfahrens wur- den als „sehr geeignet“ und „geeignet“ die be- reits aufgeführten Standorte eingestuft. Nach Schweizer Angaben basiert die Aus- wahl der NAGRA entsprechend den Vorgaben des Sachplanes ausschließlich auf sicherheits- technischen Kriterien und der technischen Machbarkeit. Dass als Ergebnis der Suche von der NAGRA das Zürcher Weinland mit Benken, Nördlich Lä- geren, Bözberg und Jura Südfuß genannt wur- den, kommt nicht überraschend. Hat sich doch die NAGRA bereits im Jahre 2002, bei der Vorla- ge des Entsorgungsnachweises, auf den Opali- nuston als Wirtgestein festgelegt und weiterge- hende Untersuchungen nur für das Zürcher Weinland angekündigt. Völlig neu und so nicht erwartet, ist als Stand ortregion der „Südranden“ (südwest- liches Schaffhausen, Neuhausen am Rhein- fall) als Tiefenlager für schwach- und mittel- aktiven Abfall bekanntgegeben worden. Ne- ben dem Zürcher Weinland und Nördlichen Lägeren liegt dieser Standort in unmittelba- rer Nähe der deutschen Grenze. Vor diesem Hintergrund kommt dem nun fol- genden Auswahlverfahren eine besondere Be- deutung zu. 16 Wie geht es weiter? Die Auswahl der NAGRA ist noch keine Entschei- dung für einen oder mehrere der genannten Standorte. Sie bildet aber die Grundlage für wei- tere Prüfungen und Untersuchungen, zu denen die Kantone, Gemeinden, Nachbarstaaten so- wie die eidgenössischen Bundesbehörden Stel- lung nehmen können. In drei mehrjährigen Etappen sollen die Standorte eingehend geprüft und in Zusam- menarbeit mit den betroffenen Regionen ein- geengt werden. Definitive Standortentschei- de werden erst in 10 Jahren erwartet. Die erste Etappe der Standortsuche ist nun angelaufen und wird rund 2,5 Jahre dauern. Die benannten Standorte werden zunächst einer behördlichen Prüfung unterzogen. Feder- führend ist dabei die Hauptabteilung für die Si- cherheit der Kernenergieanlagen des Bundes- amtes für Energie. Parallel dazu führt das Bun- desamt für Raumentwicklung eine raumplane- rische Bestandsaufnahme der Standortregi- onen durch. Nach Vorliegen der Gutachten wird das Bundesamt für Energie eine Gesamtbeur- teilung der vorgeschlagenen Standorte vorneh- men und den Ergebnisbericht nach drei monatiger Anhörung der Kantone, Nachbarstaaten, Partei- en und Organisationen dem Schwei zer Bundes- rat zur Entscheidung vorlegen. Zweite Etappe dauert 2,5 Jahre In der zweiten Etappe, für die wiederum ein Zeit- raum von rund 2,5 Jahren eingeplant und in der eine Mitwirkung der Standortregionen und der betroffenen Bevölkerung vorgesehen ist, sollen die bekanntgegebenen Standorte unter Berück- sichtigung von sicherheitstechnischen, raum- planerischen und sozioökonomischen Aspekten unfassend geprüft und auf mindestens zwei Standorte für hochaktive Abfälle und schwach und mittelaktive Abfälle eingeengt werden. In der dritten Etappe, die bis viereinhalb Jahre dauern kann, werden die verbliebenen Standorte vertieft untersucht und die sicher- heitstechnischen und geologischen Kenntnisse dieser Standorte zum Beispiel durch Sondier-
bohrun gen weiter vertieft. Eben- so werden die volkswirtschaft- lichen Auswirkungen genau un- tersucht und mögliche Formen der Abgeltung geregelt. Am Ende von Etappe 3 wer- den von der NAGRA die Rah- menbewilligungsgesuche für die Tiefenlager eingereicht. Der Schweizerische Bundes- rat entscheidet dann über die Erteilung der Rahmenbewilli – gung für je einen Standort für schwach- und mittelradio ak- tive Abfälle und hoch radio- aktive Abfälle oder für einen Stand ort für beide Abfallkategorien. Nach dem Entscheid des Bundesrats folgt als nächs tes die Genehmigung durch das Parlament. Sollte nach der Genehmigung von einer Interessen- gruppe oder einem Kanton von dem fakulta- tiven Referendum (das schweizerische Verfah- ren zur Einleitung eines Volksentscheids, „dem Volk zur Beschlussfassung vorlegen“) Gebrauch gemacht werden, so muss das Schweizer Volk durch Volksabstimmung über die Standorte ab- stimmen. Die Lager sollen 2030 (für schwach und mit- telaktive Abfälle) bzw. 2040 (für hochaktive Ab- fälle) zur Verfügung stehen. Wie stellt sich der Schwarzwald-Baar-Kreis zu diesem Auswahlverfahren? Der Standpunkt und die Forderung des Schwarzwald-Baar-Kreises zu dem Auswahl- verfahren war und ist von Anfang an der, dass die Standortsuche von schweize- rischer Seite aus objektiv und transparent nach internationalen Standards durchge- führt wird. Das Auswahlverfahren darf keine Alibifunktion i. S. eines Nachweises für einen bereits ins Auge gefassten Standort (Stichwort „Benken“) haben. Alternative Standorte müs- sen mit der gleichen Intensität geprüft werden, wie dies bei den Erkundungen in Benken ge- schehen ist. Es dürfen nicht bestimmte Ge- steinsformationen im Auswahlverfahren des- Schweizer Atomendlager 1 2 3 4 5 6 Abb. 3 Schemazeichnung eines Tiefenlagers für hochaktive Abfälle: 1. Zugangstunnel, 2. Lagerstol- len für hochaktive Abfälle und verbrauchte Brenn- elemente, 3. Testbereich/Felslabor, 4. Pilotlager, 5. Lagertunnel für langlebige mittelaktive Abfälle und 6. Schacht. halb ausgeschlossen werden, weil sie schein- bar schwierig zu untersuchen sind. Oberstes Ziel bei den Auswahlverfahren muss vor allen anderen Aspekten der Schutz der Menschen und der Umwelt sein und es darf auf keinen Fall anhand von Akzeptanzkriterien entschieden werden. Vom Schwarzwald-Baar-Kreis wird deshalb mit Nachdruck gefordert, bei den grenznahen Standortgebieten den Schwarzwald-Baar-Kreis und die Anliegergemeinden gleichrangig an den weiteren Verfahren und in den geplanten Parti- zipationsgremien zu beteiligen. Ein erster Erfolg in diesem Bemühen zeich- net sich ab: Der Schwarzwald-Baar-Kreis erhält neben den Landkreisen Waldshut und Konstanz Sitz und beratende Stimme im „Ausschuss der Kantone“, der als politisches Begleitgremium für den Auswahlprozess gebildet worden ist. Die weiteren Diskussionen in den nächsten Jahren werden zeigen, ob mit diesem Teilerfolg wirklich ein entscheidender Einfluss der deut- schen Seite einhergeht. Nach ersten Erfah- rungen bleibt Skepsis und vor allem Wachsam- keit angezeigt. Werner Stockmayer 17
Aus dem Kreisgeschehen Größte Photovoltaikanlage der Region Die jährlich erzeugte Energie von 900 MWh reicht für 250 Drei-Personen-Haushalte Dank staatlicher Unterstützung regenerativer Energien rückten in den letzten Jahren verstärkt auch ehemalige Hausmülldeponien als Standor- te entsprechender Anlagen ins öffentliche Inte- resse. Vor allem als Standorte für Photovoltaik- module sind deren Südhänge attraktiv. Daher hat der Schwarzwald-Baar-Kreis bereits vor längerem untersucht, ob der Bau entsprechen- der Photovoltaikanlagen auf seinen beiden De- ponien wirtschaftlich ist. In Tuningen hat dazu die Gemeinde seit 2008 eine Deponiefläche von rund 1,3 ha an einen privaten Betreiber ver- pachtet. Für die Deponie Hüfingen beschloss der Kreistag, die nötigen Investitionen in Milli- onenhöhe nicht selbst durchzuführen, sondern auch hier einen privaten Anlagenbetreiber zu suchen. Jahrelang waren offene Mülldeponien we- gen umweltschädlicher Einflüsse – wie austre- tendes Deponiegas oder hochverschmutztes Sickerwasser – zu Recht am „ökologischen“ Pranger gestanden. Nachdem die Deponie Hü- fingen im Juni 2005 geschlossen wurde, kam in den Folgejahren eine aufwändige Abdichtung auf den Berg und wurde begrünt. Beizeiten be- mühte sich der Landkreis um eine sinnvolle Nachnutzung des in der freien Landschaft ste- henden Hügels. So wird die Fläche seit dem De- ponierungsende als Standort für die zweite Grüngutkompostanlage im Landkreis genutzt. Doch was anfänglich als Schadstoffquel- le verpönt, wurde in den Folgejahren immer stärker als Bezugsort regenerativer Ener- gien entdeckt. Schon früh wurde das durch Abbauprozesse freigesetzte Deponiegas abge- saugt und in einem speziellen Gasmotor in Strom umgewandelt. Durch das allmähliche Ab- klingen der Abbauprozesse des früheren Haus- Hüfingens Bürgermeister Anton Knapp, die Investoren und Geschäftsführer der SolarFarm Hüfingen GmbH, Helmut Specker und Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Schmutz sowie Landrat Karl Heim bei der offiziellen Inbetrieb- nahme der bislang größten Photovoltaikanlage im Schwarzwald-Baar-Kreis. 18
Aus dem Kreisgeschehen mülls sinken jedoch die verwertbaren Gasmen- gen stetig. Ursprünglich war vorgesehen, auf der Ober- fläche des Müllbergs einen standortangepass- ten Deponiewald zu pflanzen. Durch den Was- serverbrauch der Pflanzen sollte das Eindringen von Niederschlag in den Müll langfris tig unter- bunden werden. Im Rahmen der vom Landkreis durchgeführten Machbarkeitsstudie für eine Photovoltaikanlage kam jedoch die Idee auf, den auf den Solarmodulen auftreffenden Nie- derschlag gar nicht erst auf die Oberfläche ge- langen zu lassen, sondern direkt in die außer- halb der Deponie befindlichen Entwässerungs- gräben abzuleiten. Einsparungen bei der Sickerwasserreinigung Mit der Firma SolarFarm Hüfingen GmbH aus Dürbheim fand der Schwarzwald-Baar-Kreis einen Interessenten, der bereits bei anderen Photovoltaikanlagen entsprechende Erfahrun- gen gesammelt hatte. Dieser verpflichtete sich neben der Zahlung einer Pacht, die Module so anzubringen, dass der Niederschlag weitestge- hend über die Module an den Böschungsfuß abgeleitet wird. Dadurch ergibt sich für den Die Module der Solaranlage leiten auch die Nie- derschläge ab: Der Müll im Innern der früheren Deponie soll möglichst nicht von Wasser durch- drungen werden. Landkreis nicht nur der Vorteil einer auf die nächsten 25 Jahre garantierten Pachteinnahme für ansonsten nicht nutzbare Flächen. Er erzielt auch eine massive Einsparung der Sickerwas- serreinigungskosten. In der Vergangenheit ent- stand durch eindringendes Regenwasser stark belastetes Sickerwasser, das aufwändig und teuer gereinigt werden musste. Durch die Photovoltaikanlage profitiert somit nicht nur die Umwelt, sondern es profitieren auch die Müllgebührenzahler im Landkreis in Höhe von jährlich insgesamt 25.000 Euro. Nach mehrmonatiger Bauzeit nahm Landrat Karl Heim im April 2009 die neue Photovoltaikanlage offiziell in Betrieb. Der Landkreis verpachtet dazu für 25 Jahre eine Fläche von insgesamt 1,1 ha. Im Endausbau wird damit auf den bereits begrünten Südbö- schungen der ehemaligen Hausmülldeponie die größte regionale Solaranlage auf der südli- chen Baar entstehen. Durch die jährlich erzeug- te Energie von 900 MWh können 250 Drei-Per- sonen-Haushalte oder über 500 Ein-Personen- Haushalte mit Strom versorgt werden. Landrat Karl Heim betonte in seiner Festan- sprache die Bedeutung dieser Anlage als wich- tigen Baustein auf dem Weg zur Solarregion. Neben einer Vielzahl von Photovoltaikanlagen, 19
Aus dem Kreisgeschehen Die Grüngutkompostanlage Hüfingen, hier mit Blick nach Pfohren, ist Standort der bislang größten Pho- tovoltaikanlage im Landkreis, die in ihrem Endausbau durch die jährlich erzeugte Energie von 900 MWh ca. 250 Drei-Personen-Haushalte oder über 500 Ein-Personen-Haushalte mit Strom versorgen kann. Die Renaturierung der Mülldeponie hat auch einen beachtlichen Artenreichtum bei Fauna und Flora im Gefolge. die die Sonnenenergie in Strom umwandeln, hat auch die Wind- und die Wasserenergie im Landkreis immer weiter an Bedeutung gewonnen. Auf einer ersten Teilfläche von 5.000 m² wurden über 2.900 Solarmodule des kanadi- schen Modulherstellers Day4Energy aufgebaut. Die Module befinden sich auf Trapezblechen, die auf bis zu 2 m hohen Stahlträgern liegen, die in den Untergrund gerammt wurden. Die umgewandelte Sonnenenergie wird über Wech- selrichter zu einer Trafostation geleitet und in das Stromnetz der Stadtwerke Hüfingen einge- speist. Unter der dachförmig konstruierten Pho- tovoltaikanlage können die regelmäßigen Kontrollmessungen zur Lokalisierung von eventuell auftretenden Gasaustritten aus dem Deponie untergrund einfach und kos- tengünstig vorgenommen werden. Voraus- setzung für diese Konstruktion war eine ausrei- chende Standsicherheit der Böschung, damit keine Hangrutschungen ausgelöst werden. Eben so mussten ausreichende Kapazitäten für abgeleitetes Oberflächenwasser in die angren- zenden Gewässer vorhanden sein. Das Regen- wasser fließt am Deponiefuß über ein Schotter- bett in eine Drainage und weiter in die Entwäs- serungsgräben. Auf dem benachbarten südlichen Teilbe- reich der Deponie wurde im Sommer 2009 der zweite Abschnitt des Projektes installiert und ans Netz angeschlossen. Auch das dürfte je- doch noch nicht das Ende des Projektes sein. Wenn in ein paar Jahren die endgültige Ober- flächenabdichtung auf einer weiteren Teil- fläche im Südbereich aufgebracht ist, könnte die Photovoltaikanlage prinzipiell noch ein wei- teres Mal vergrößert werden. Die Vorausset- zungen hierfür sind durch das bestehende Ka- belnetz und die vorhandene Trafostation be- reits heute gegeben. Dirk Hausmann 20
Selbsthilfekontaktstelle nimmt Arbeit auf Initiative des Ersten Landesbeamten Joachim Gwinner führt zu einem Modellprojekt Aus dem Kreisgeschehen Der Kreistagsausschuss für Umwelt, Technik und Gesundheit hat am 15. Juni 2009 der dauer- haften Einrichtung der Selbsthilfekontaktstelle in unserem Kreis zugestimmt. Welche Bedeu- tung und welche Gründe stecken dahinter? Mit der Einrichtung der Stelle im Herbst 2002 wurde bereits Geschichte geschrie- ben: Der Erste Landesbeamte und Dezernent für das Gesundheitsamt Joachim Gwinner trieb die Idee voran, mit den Vertretern der Krankenkassen in der Region eine Vereinba- rung zur Unterstützung der Selbsthilfe im Kreis zu treffen. Nach mehr als zwei Jahren des Ver- handelns einigten sich Kreis und Kassen auf ein Modellprojekt mit einer Laufzeit von drei Jahren. Verbindlich sagten die Kassen zu, die Förder gelder, die sie zur Unterstützung von Selbsthilfe leisten sollten, zur Einrichtung einer halben Personalstelle und für eine koordinierte Förderung von Selbsthilfegruppen zur Ver fü- gung zu stellen. Das Landratsamt stellte Räum- lichkeiten und Infrastruktur. nes Zehnkämpfers verglich Jürgen Matzat in „Zukunftsaufgabe Selbsthilfegruppenun ter stüt- z ung“ 1990 die Anforderungen an Selbsthil- feunterstützer: „Das Erstgespräch sollen wir führen wie Psy chotherapeuten, den Zugang bah nen zu Selbsthilfegruppen wie Verbrau- cherberater, bei der Bildung neuer Selbst- hilfegruppen wirken wir wie Animateure, in der Gruppenberatung versuchen wir uns als Supervisoren, geht es um Informationsver- mittlung, sind Erwachsenenpädagogen gefragt, den Zugang zu relevanten Broschüren und Zeit- schriften eröffnen wir wie Bibliothekare, die Kampagnen der Betroffenen sollen wir unter- stützen wie Gemeinwesenarbeiter, das soziale Klima beeinflussen wir als PR-Agentur der Selbsthilfe-Szene, den Kontakt zu anderen Ein- richtungen halten wir wie Verbindungsoffi- ziere, dokumentieren und auswerten sollen wir wie Begleitforscher.“ Zusammen mit dem bestehenden Arbeits- kreis von Selbsthilfegruppen wurde ein erstes Die Stellenausschreibung klang reizvoll. Die Vielfalt der damit verbundenen Aufgaben zeigte sich schnell nach Ar- beitsantritt. Mit dem Profil ei- Der Erste Landesbeamte Jo achim Gwinner (rechts) und AOK-Geschäftsfüh rer Franz Reif steck gratulieren zusam- men mit der Kontaktstelle im Landratsamt, betreut durch Stefanie Kaiser (links), der Selbsthilfegruppe Poliomyelitis, die sich als 100. Selbsthilfe- gruppe in der Gesundheits- Informations- Datenbank einge- tragen hat. Vorne: Das Ehepaar Manfred und Gudrun Kemter. 21
Aus dem Kreisgeschehen Treffen für alle Gruppen geplant, bei dem die Kontaktstelle vorgestellt, Wünsche und Bedarf der Gruppen abgefragt wurden. Bislang unbe- kannten Themen wie Narko lepsie (Erkrankung der Schlaf-Wach-Regulation) oder Dystonie (eine neurologische Bewegungsstörung) konn- te nun als Ansprechpartner eine Person zu – geordnet werden. Dazu kamen die persönlichen Geschichten von Menschen, die sich aus ge- meinsamer Betroffenheit mit gesundheitlichen oder sozialen Problemen auseinandersetzen. Die Gruppen sind autonom Die Kontaktstelle verstand sich von Anfang an als unterstützende Einrichtung, die in das Gruppengeschehen nicht eingreift, es sei denn auf Nachfrage. Dahinter steht das Prinzip der Autonomie der Gruppen, denn Selbsthilfe be- deutet das Lösen von Problemen ohne profes- sionelle Hilfe. Selbsthilfe funktioniert, wenn sich die Mitglieder gleichberechtigt und mit ihren Erfahrungen einbringen. Das Geschehen in der Gruppe ist abhängig von der Offenheit, dem Engagement und den individuellen Fähig- keiten der Teil nehmerinnen und Teilnehmer. In Deutschland engagieren sich rund 3,5 Millionen Menschen in 70.000 bis 100.000 Selbsthilfegruppen. An 320 Orten gibt es zudem Unterstützungsangebote von Kon- taktstellen, Beratungseinrichtungen und Vernetzungsstellen. Für spezielle Projekte brauchen die Grup- pen finanzielle Unterstützung. Die Krankenkas- sen richteten einen gemeinsamen Förderpool ein, verwaltet von der Kontaktstelle, aus dem im Zeitraum von 2002 bis 2007 eine Summe von gut 25.500 Euro ausgeschüttet wurde. Da- mit konnte die Förderung durch die Kassen ko- ordiniert und den Gruppen ein einfaches und einheitliches Antragsverfahren geboten wer- den, damit sie nicht mehr bei allen Kassen An- träge stellen mussten. Die Gruppen begrüßten das transparente Verfahren und waren froh über die Unterstützung, mit der beispielsweise Informationsveranstaltungen, Fortbildungen oder Besuchsdienste gefördert wurden, ebenso wie neue Gruppen Anschubfinanzierung erhielten. 22 Halbjährlich entschied der Förderbeirat – ge- wählt aus Vertretern von Kassen, Landratsamt und Selbsthilfegruppen – in einer Sitzung über die Anträge und reflektierte zusammen mit der Kontaktstelle die Arbeit der Selbsthilfe. Da- durch gab es kontinuierlich Austausch und Dis- kussion zu neuen Entwicklungen. Die verschie- denen Beteiligten brachten viel Engagement und Interesse mit und so entwickelte sich eine gute Basis für die Arbeit. Wegweiser in Grenzsituationen Menschen in Grenzsituationen rufen an in der Kontaktstelle, so stellt z.B. die Diagnose Krebs die bisherige Lebensplanung in Frage oder die Suchtmittelabhängigkeit eines Angehörigen hat ein nicht mehr akzeptables Ausmaß angenom- men. Andere sind hilflos angesichts der wirt- schaftlichen Zwänge des Gesundheitssystems und suchen Unterstützung, um ihre Behand- lung mitbestimmen zu können. Die Kontaktstel- le hat hier Wegweiserfunktion: Im Gespräch wird geklärt, was der Hilfesuchende bereits unternommen hat. Manchmal ist professionelle Hilfe der richtige nächste Schritt, und es wird an Beratungsstellen und Fachdienste vermit- telt. Andere haben bereits vieles versucht und suchen Austausch mit anderen oder stehen ganz am Anfang ihres Weges. Die Kontaktstelle kennt die Ansprechpartner passender Selbst- hilfegruppen, kann oft auch an verschiedene Gruppen vermitteln, denn besonders wichtig ist, dass Betroffene Menschen finden, zu denen sie eine gute Beziehung aufbauen können. Der Vernetzungsgedanke prägt die Arbeit, Vernetzung der Gruppen und Vernetzung mit dem professionellen Hilfesystem und mit Insti- tutionen. Die Kontaktstelle initiierte z.B. das Projekt „Selbsthilfe in Schulen“: Mitglieder aus Selbsthilfegruppen stehen Schülern aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen Rede und Antwort. Eltern von Kin- dern mit Down-Syndrom erzählten Kran- kenpflegeschülerinnen, wie gerade dieses Kind ihr Leben bereichert. Menschen mit scho- Alko hol abhängigkeit berichteten nungslos aus ihrem Leben. Bei 150 Schüle-
rinnen und Schülern der Realschule am Deu- tenberg in Villingen-Schwenningen hinterließen zum Schuljahresende zwei Mitglieder der Ano- nymen Alkoholiker einen tiefen Eindruck und wurden vom Lehrerkollegium gleich wieder „vorbestellt“ für einen mehrtägigen Besuch im folgenden Schuljahr. 170 Selbsthilfegruppen in der Region um- fasste der Verteiler im Frühjahr 2009. Bei die- ser Vielzahl spielt Informationsvermittlung eine große Rolle: Informationen über die Gruppen gibt die Kontaktstelle als gedrucktes Verzeich- nis und elektronisch unter www.internet-gid.de heraus. Eine Selbsthilfe-Zeitung informiert über das aktuelle Geschehen. Selbsthilfetag bedeutende Plattform Eine bedeutende Plattform, um sich über Selbst hilfegruppen direkt zu informieren, ist der jährliche Selbsthilfetag in Bad Dürrheim. Mehr als 40 Gruppen stehen einen Tag lang be- reit, andere Betroffene und Angehörige direkt im Gespräch und mit Informationsmaterial zu Selbsthilfekontaktstelle beraten, dazu wird ein Rahmenprogramm mit Vorträgen und Aktionen angeboten. Aus der Idee, keine „Gesundheitsmesse“, sondern eine nicht- kommerziell orientierte Veranstaltung zum Aus- tausch zu schaffen, hat sich eine „Erfolgsge- schichte entwickelt“ – so Landrat Karl Heim in seinem Grußwort beim bereits 11. Selbsthilfe- tag im März 2009. Eine vierstellige Besucher- zahl nannte die Kur- und Bäder GmbH, die die Veranstaltung zusammen mit der Kontaktstelle und den Selbsthilfegruppen organisierte. Be- troffenenkompetenz, wie die besondere Fähig- keit von Mitgliedern aus den Gruppen genannt wird, ist also gefragt. Immer mehr wird der Selbsthilfe Gehör ge- schenkt – informiert und demonstriert sie hart- näckig – besonders wegen der Schwierigkeiten für Menschen mit Behinderungen. Zusammen mit der Kreisbehindertenbeauftragten Christa Lörcher und dem Behindertenbeirat fanden Großes Interesse für die Angebote der einzelnen Gruppen herrscht beim jährlichen Selbsthilfetag in Bad Dürrheim mit seinen ca. 40 Info-Ständen. 23
Aus dem Kreisgeschehen Selbsthilfe – Nachbarschaftshil- fe: Lebensmut und Lebensfreude helfen dieser Frau aus dem Kreisgebiet dabei, ihr Schicksal zu meistern. Mit dem Rollstuhl und Sauerstoffgerät ist sie auf der benachbarten Wiese und selbst zum Beerenpflücken im Garten unterwegs. Ein Wegwei- ser in solchen Grenzsituationen kann die neue Selbsthilfekon- taktstelle im Landratsamt sein. dern. Kontaktstellen werden pauschal auf Landes ebene ge- fördert. Für den Schwarzwald- Baar-Kreis ergab sich so eine neue Perspektive: War die Kontaktstelle in den letzten Jahren jeweils jährlich verlän – gert wor den, weil gesetzliche Änderungen abgewartet wer – den mussten, konnte nach den Er fahrungen mit der verläss- lichen Förderung auf Landes- ebene der Kreistagsausschuss im Juni 2009 einer unbefri- steten Einrichtung der Kon- Ak tionen statt, am Bahnhof, Bürgeramt, Fran- ziskaner … Der Gemeinderat von Villingen- Schwenningen dankte allen für das Engage- ment und sagte Unterstützung zu für einen für alle erreichbaren Bahnhof. Wird also die Selbst- hilfe auch in unserer Region immer ernster ge- nommen und tatsächlich zur inzwischen gern bezeichneten „Säule“ des Gesundheitswesens? Die Neuregelung der Selbsthilfeförderung im § 20 c SGB V verlieh der Selbsthilfe verstärkt Gewicht: Seit dem 1. Januar 2008 sind die ge- setzlichen Krankenkassen und ihre Verbände verpflichtet, gesundheitsbezogene Selbsthilfe- gruppen, Selbsthilfeorganisationen und Kon- taktstellen mit 0,56 Euro je Versichertem zu för- taktstelle zustimmen. Das bedeutet, neben der Freude über die damit verbundene Wertschätzung, eine besse- re Planbarkeit der Arbeit. Der Arbeitskreis Selbsthilfegruppen feierte das Ergebnis und arbeitete an den weiteren Zielen: Eine Stadt und ein Kreis für alle, ohne Barrieren im öf- fentlichen Raum und in den Köpfen, eine bessere Vernetzung der Selbsthilfegruppen mit niedergelassenen Ärzten und dem Klinikbe- reich, mehr Aufklärung durch die Gruppen in den Schulen, mehr Information der Bevölkerung. Selbsthilfe ist also tatsächlich zu einem wichtigen Baustein in unserem Gesundheits- wesen geworden. Stefanie Kaiser 24
Gesundheitswesen vernetzt Gesundheitsnetzwerk Schwarzwald-Baar setzt erste Maßnahmen um Aus dem Kreisgeschehen Der Standort Schwarzwald-Baar-Kreis zeichnet sich durch hervorragend, über Jahrzehnte hin- weg gewachsene Strukturen im Gesundheits- wesen aus. Der Gesundheitsmarkt ist eine Wachstumsbranche mit Zukunftscharakter. Der Wettbewerbsdruck nimmt zu. Es gilt, sich zu positionieren. Die Initiative Gesundheitsnetz- werk Schwarzwald-Baar des Landkreises soll den Gesundheitssektor fördern und weiter stär- ken. Kerngedanke des Netzwerkes ist eine be- rufsübergreifende Zusammenarbeit der im Schwarzwald-Baar-Kreis im Gesundheitswesen Tätigen. Erste Maßnahmen des Netzwerks star- teten im Jahr 2009. Ausgangslage Kaum einer hätte es gedacht, der Gesundheits- sektor ist mit rund 8.200 Arbeitsplätzen einer der größten Arbeitgeber im Landkreis. Im Ver- gleich zu Baden-Württemberg arbeitet im Kreis ein überdurchschnittlicher Anteil der Beschäf- tigten im Gesundheitswesen. Die im Jahr 2008 in Auftrag gegebene Bestandsanalyse der Ge- sundheitspotenziale unterstrich die hervorra- genden struk turellen Vorzüge des Schwarzwald-Baar-Kreises. Der Kreis hat mit 17 Rehabilita- tions- und Fachkliniken (7,3 % der Reha-Betten in Baden- Württemberg) und einem Klini- kum der Zentralversorgung mit regionaler und überregionaler Ausstrahlung eine Spitzenstel- lung in der Region und im Land. Das Gesundheitsnetzwerk Schwarzwald-Baar und seine Zielsetzungen im Schaubild. Schon heute entfallen 53 % der Beschäf- tigten, 48 % der Krankenhausbetten und 95 % der Betten in Vorsorge- und Rehabilitationsein- richtungen in der Region Schwarzwald-Baar- Heuberg auf den Schwarzwald-Baar-Kreis. Er- gänzt wird die Gesundheitswirtschaft im Kreis durch Kur- und Tourismusanbieter, medizi- nische Dienst leister im Bereich der Grundver- sorgung, Forschungs- und Entwicklungsdienst- leister, Hochschulen, Aus- und Weiterbildungs- träger, spezifische medizinische Zulieferer so- wie weitere Akteure. Hinzu kommen die intakte Natur und die landschaftliche Vielfalt, die große Potenzia- le im Bereich Gesundheitstourismus für das Beherbergungsgewerbe im Landkreis mit rund 1,65 Mio. Übernachtungen pro Jahr und einer Auslastung von rund 30 % bergen. 25
Aus dem Kreisgeschehen Zunehmender Wettbewerbsdruck erfordert Maßnahmen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis konn- te in den vergangenen Jahren dem allgemeinen Wachstumstrend der Gesundheitswirtschaft nicht folgen. Die Beschäftigungsentwicklung war ent ge gen dem landes- und bundesweiten positiven Trend rückläufig, die Übernachtungs- zah len gingen zurück. Der Landkreis hat die Säule Gesundheit aus den oben genannten Gründen in seiner Stand- ortinitiative „Schwarzwald-Baar – Das Quellen- land“ zu einem der sechs wichtigsten Hand- lungsfelder erklärt. Der Gesundheitssektor soll gefördert und weiter gestärkt werden. Die Um- setzung erfolgt unter anderem durch die Initia- tive „Gesundheitsnetzwerk Schwarzwald-Baar – Die Quelle der Gesundheit“. Das Konzept zum Gesundheitsnetzwerk Experten sind sich einig, die Zukunft der Ver- sorgung liegt im kooperativen Stil; eine einzel- ne Einrichtung allein kann nicht überleben. 26 Zu einem funktionierenden Gesundheitsnetzwerk gehören auch Erholungsangebote für Familien wie sie die Spielscheune in Unterkirnach bietet. Die Vernetzung aller Angebote im Landkreis im Bereich des Gesundheitswesens soll dieser Sparte zu mehr Wachstum verhelfen, denn der Wettbewerbsdruck nimmt zu. Kerngedanke des Gesundheitsnetzwerks ist eine berufsübergreifende Zusammenarbeit der im Gesundheitswesen Tätigen im Schwarzwald- Baar-Kreis. Gemeinsam sollen Lösungen und Handlungsmöglichkeiten entwickelt und umge- setzt werden, die den Gesundheitsstandort Schwarzwald-Baar-Kreis weiter stärken. Das Konzept wurde in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Partnern aus dem Gesundheits- wesen im Jahr 2009 entwickelt und wird von diesen mitgetragen. Das Gesundheitsnetzwerk will die her- vorragenden Gesundheitskompetenzen zu- sammenführen, sie stärken und bekannter machen sowie zu einer verbesserten Versor-
gung und Information von Bürgern und Pa- tienten beitragen. Ziele sind die Bündelung der Gesundheitskompetenzen, die Gewährleis- tung einer patientenorientierten, leistungsstar- ken und innovativen Gesundheitsversorgung, die Weiterentwicklung des Gesundheitsstand- ortes sowie die Steigerung dessen Bekannt- heitsgrades. Die Initiative sieht zudem Maß- nahmen im Bereich Aus- und Weiterbildung vor. Interdisziplinäre Gesund heits angebote sol- len entwickelt werden. Ein weiteres Ziel des Netzwerkes ist es, die Leistungsinanspruchnah- me im Kreis zu binden. Die Organisationstruktur Die Geschäftsstelle des Netzwerks ist beim Landratsamt im Gesundheitsamt, zu dessen Kernaufgaben die Prävention und Gesundheits- förderung zählt, angesiedelt. Hier laufen die Fäden zusammen. Grundsatzangelegenheiten des Netzwerkes werden im sogenannten Netzwerkmanagement beraten. Es besteht derzeitig aus 19 Vertretern des Gesundheitswesens im Kreis und fungiert als Ideenplattform. Zudem werden hier die grundsätzlichen Entscheidungen über gemein- same Ziele und Projekte gefällt. Dem Gesundheitsnetzwerk Schwarzwald- Baar können alle Gesundheitsdienstleister mit Sitz im Schwarzwald-Baar-Kreis beitreten. Je- des Mitglied kann sich an der Um- setzung einzelner Maßnahmen be- teiligen und in Arbeitsgruppen ein- bringen. Die Arbeitsgruppen bear- beiten die einzelnen Themenbe- reiche eigenständig. Umfassende Informationen zum Thema Gesundheit im Schwarzwald- Baar-Kreis hält der neue Internetauf- tritt bereit, der unter folgender Adresse zu erreichen ist: www.gesundheitsnetzwerk-sbk.de Gesundheitsnetzwerk Schwarzwald-Baar Erste Gesundheitsmesse geplant Im Jahr 2009 standen der Aufbau des Netzwer- kes, die Sammlung von Informationen, die Pla- nung und Umsetzung von Öffentlichkeitsmaß- nahmen, insbesondere die Erstellung eines Internetauftritts, die Planung von themenbezo- genen Veranstaltungen sowie die Erarbeitung konkreter gemeinsamer Einzelprojekte im Vor- dergrund. Für das Jahr 2010 ist die erste Ge- sundheitsmesse geplant. Das neue Internetportal bietet zukünftig getreu dem Kerngedanken „Präsenz in einer gebündelten Übersicht“ nicht nur zahl- reiche Vorteile für die Gesundheitsanbieter, sich und ihre Institution darzustellen, son- dern auch Möglichkeiten, sich untereinan- der auszutauschen und abzustimmen. Neben einem zentralen Veranstaltungska- lender, einer Stellen- und Ausbildungsplatz- börse und dem Mitglieder-Forum, in dem inter- ne Netzwerkinformationen bereitstehen, ist der sogenannte „Gesundheits-Finder“ elemen- tarer Bestandteil des Internetauftritts. Alle im Schwarzwald-Baar-Kreis im Gesundheitswesen Tätigen haben hier die Möglichkeit, sich einzu- tragen und zu präsentieren. Ziel ist es, für die Bürger und Patienten eine umfassende Informationsplattform bereitzu- stellen und damit eine schnelle und einfache Suche nach den passenden Ansprechpartnern zu ermöglichen. Michaela Schmidt 27
Aus dem Kreisgeschehen „impuls“ macht Jugendliche stark Die große Hoffnung: Eine Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen Als einziger Landkreis in Ba den- Württemberg bietet der Schwarz- wald-Baar-Kreis eine ei gene An- laufstelle für junge Menschen, die Probleme beim Übergang von der Schule in die Berufswelt haben. In einem alten Bahn- hofsgebäude in Villingen laufen die Fäden zu- sammen. Die Anlaufstelle, die im Jahr 1982 ge- gründet wurde und seit drei Jahren unter dem Logo „impuls – wir machen Jugendliche stark!“ firmiert, besteht aus vier Bereichen. Zwei Sozialpädagogen sind zuständig für die Schulsozialarbeit im „Berufsvorbereiten- den Jahr (BVJ)“. Diese besteht seit 1986 als Pflichteinrichtung im Schwarzwald-Baar-Kreis. Zu ihren Aufgaben gehören neben Beratung und Ein zelhilfe unter anderem auch Ge walt präven- tion, Sprach förderung, Berufsorientierung und Arbeitsplatzsuche. Auch sind die Mitarbeiter Ansprechpartner für Lehrer und Eltern. Bei der Jugendgerichtshilfe arbeiten eine Sozialarbeiterin und eine Sozialpädagogin. Un- abhängig von Polizei und Justiz beraten und be- gleiten sie junge Menschen in einem Jugend- strafverfahren – im Jahr 2008 bei 236 Ankla- gen. Die Jugendgerichtshilfe informiert ange- klagte Jugendliche über den Ablauf der Verfah- ren, die möglichen Folgen einer Verurteilung und die Möglichkeiten, das Verfahren außerge- richtlich zu beenden. Ebenfalls zu ihren Aufga- ben gehört die Vermittlung von Arbeitsstellen zur gemeinnützigen Arbeit. Die Brückenbauer sind der dritte Teilbe- reich von „impuls“. Aus einem Pool von 20 Eh- renamtlichen sind immer zehn als Paten aktiv. Viele dieser Erwachsenen kommen aus dem sozialpädagogischen Bereich und wollen sich wäh rend ihrer Elternzeit ehrenamtlich engagie- ren. Ihre Aufgaben sind vielfältig, sie reichen von Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche über das Er- lernen sozialer Kompetenzen und den Aufbau 28 des Selbstwertgefühls bis zur Begleitung beim Besuch di- verser Ämter. Oft füllen sie die Lücken, die im Elternhaus klaf- fen. Die Paten werden von einer Sozialpädago- gin mit einer 30-Prozent-Stelle koordiniert. Den größten Bereich, sowohl personell als auch räumlich, nimmt indes die Jugendselbst- hilfeaktion in Anspruch. Zwei Sozialpädagogen, ein Arbeitstherapeut und eine BA-Studentin be- treuen an zwölf Arbeitsplätzen arbeitslose Ju- gendliche, Schulabbrecher und Jugendliche, die gerichtliche Auflagen erfüllen müssen – entwe- der fest angestellt oder als geringfügig Beschäftigte. „Sie werden hier unter- stützt, bekommen Grenzen gesetzt und lernen, sich an die Arbeitswelt zu gewöh- nen“, sagt Frank Sowinski, der seit 2007 Sachgebiets- leiter von „impuls“ ist. Die Jugendlichen, die bei „impuls“ landen, stehen außerhalb der Gesellschaft und sind zu nichts wirklich zu motivieren. Doch viele finden doch noch einen Weg, im Leben klar zu kommen. Frank Sowinski Viele gelten als nicht mehr „beschulbar“. Sie haben sich jahrelang in der Hauptschu- le irgendwie durchgemogelt, können aber kaum lesen und schreiben. Für diese Jugend- lichen gibt es Nachhilfeunterricht in klei nen Gruppen von höchstens drei Jugendlichen, da- mit sie in Mathe, Deutsch und Allgemeinwissen auf einen Level kommen, auf dem sie die Chan- ce auf einen Ausbildungsplatz haben. Dazu gibt es Bewerbungstraining und Hilfe bei der Woh- nungssuche, auch Persönlichkeitstraining spielt eine Rolle. „Zu uns kommt regelmäßig eine Fri- seurin, die den Jugendlichen Stylingtipps gibt“, so Sowinski. So ler nen die Mädchen, dass beim
Beim Auffädeln von Zähl- werken, rechts ein Blick in die „Schilderproduktion“. Schminken weniger oft mehr ist oder die Jungs, wie sie sich anziehen sollten, damit nicht jeder gleich die Straßenseite wechselt. „Einer trug immer ein Kapuzenshirt, das er tief über die Stirn gezogen hat, sodass man seine Augen nicht sehen konnte. Mittler- weile kleidet er sich normal.“ Diese Metamorphose können die Mitarbei- ter von „impuls“ bei vielen Jugendlichen fest- stellen, auch wenn es manchmal mehrerer An- läufe bedarf. Die Jugendlichen kommen freiwil- lig, das ist die Voraussetzung. Sie können je- doch nur so lange bleiben, wie sie auch wirklich kooperieren. Wer gegen die Regeln verstößt, bekommt rote Punkte, die für jeden sichtbar auf einer Magnettafel in der Werkstatt prangen. Die schlimms te Sünde sind der Konsum von Al- kohol oder Drogen während der Arbeitszeit. Da- mit niemand vergisst, was von ihm erwartet wird, mahnen Holzschilder an den Wänden der Werkstatt: „Ich respektiere fremdes Eigentum und stehle nicht“, steht auf einem, „Ich beleidi- ge nieman den und bedrohe niemanden“, lautet ein ande res. Auch diese Schilder haben die Ju- gendlichen selbst hergestellt. In der Kreativ- werkstatt entstehen solche Tafeln, aber auch Bastelarbeiten wie Goofy-Figuren und bunte Holzsägearbeiten, die auf Basaren verkauft wer- den oder als Geschenke des Landrats dienen. Eigenes Geld verdienen Diese Arbeiten sind ein Ausgleich für die Mon- tage- und Sortierarbeiten, an denen die Jugend- lichen sonst meistens sitzen. Sie fädeln bei- spielsweise Plastikziffern für filigrane Zählwer- ke auf, wie sie in Kopiergeräten eingesetzt wer- den oder demontieren Schalter. Zehn Firmen aus der Region, darunter Kübler Zähl- und Sen- sortechnik in Schwennin gen sowie Kendrion Binder in Villingen, versorgen die Jugendlichen „impuls“ macht Jugendliche stark mit Arbeit. Der Lohn liegt bei 500 Euro brutto monatlich für eine 34-Stunden-Woche. Die Inf- rastruktur und die Mitarbeiter werden vom Landratsamt und dem Europäischen Sozial- fonds (ESF) getragen. In den Gängen hängen Plakate des Europäi- schen Sozialfonds. Die Jugendlichen sollen merken, wodurch „impuls“ finanziert wird. Sie sehen, dass es Geld kostet und finden so einen Bezug zu Europa. Viele der Jugendlichen ha- ben Probleme, sich in einem sozialen Gefü- ge einzugliedern. Das gemeinsame Mittag- essen an jedem Mittwoch ist ein Schritt da- hin, die jungen Menschen an Strukturen und Dinge des alltäglichen Lebens zu ge- wöhnen. Sie stimmen ab, was gekocht wird und planen, was sie dafür brauchen. Auch bei erlebnispädagogischen Veranstal- tungen ist zumeist Teamarbeit und Vertrauen gefordert. Das fängt beim Kicker im Flur an, an welchem die Sozialarbeiter die Jugendlichen herausfordern und hört beim Klettergarten auf, in dem alle an einem Strang ziehen. „Sie mer- ken, dass es Situationen gibt, in denen alle zu- sammenhalten müssen und dass sie dann wie- der ganz alleine auf sich gestellt sind, etwa in Prüfungssituationen.“ 80 bis 100 Jugendliche landen in jedem Jahr bei der Jugendselbsthilfeaktion, ein Drittel von ihnen sind Mädchen. Die Agentur für Arbeit kennt drei Kategorien von Arbeitssuchenden: Welche, die vermittelt werden können, welche bei denen es schwierig ist und welche, die so gut wie keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. „Jugendliche, die zur dritten Kategorie gehören, landen bei ‚impuls‘ und unser Ziel ist, sie nach der Maßnahme, die zwischen zwei Wo- chen und zwei Jahren dauert, mindestens in Kategorie zwei zu bringen.“ Stephanie Wetzig 29
Aus dem Kreisgeschehen Ein neuer Kreistag ist im Amt Mit 64 Sitzen erreicht das Gremium die vorgegebene Höchstgrenze Mit der Europawahl, der Kommunal- und der Kreistagswahl wurde am Sonntag, den 7. Juni 2009 das „Su- per-Wahljahr“ eröffnet. In den Rat- häusern und in der Landkreisver- waltung sind die Vorbereitungen für diesen Tag schon Monate vorher auf Hochtouren gelaufen. Für die Kreistagswahl wurde das Gebiet des Schwarzwald-Baar- Kreises in sieben Wahlkreise einge- teilt. Aufgrund der Einwohnergröße wurde festgelegt, dass insgesamt 54 Direkt- mandate zur Verfügung stehen. Von sechs Par- teien und Wählervereinigungen wurden insge- samt 40 Wahlvorschläge eingereicht und vom Kreiswahlausschuss zur Kreistagswahl 2009 zugelassen. Es stellten sich insgesamt 404 Bewerber zur Wahl. Prozentual betrug der Frauenanteil mit 100 Frauen fast 25 %. Der Altersdurchschnitt der Be werber lag bei rund 51 Jahren. Die Sitzverteilung Das vom Kreiswahlausschuss am 31. Juli 2009 festgestellte Kreisergebnis ergab folgende Sitz- verteilung: CDU 26 Sitze, Freie Wähler 13, SPD 11, FDP 7, Grüne 6 und DLHV 1. Die Sitzverteilung erfolgt nach dem d’Hondt’schen Höchstzahlver- fahren. Von besonderer Bedeutung sind hierbei nicht die „absoluten“, sondern die sogenannten „gleichwertigen“ Stimmen, die in Bezug auf die zu verteilenden Ausgleichssitze im Kreisgebiet stehen. Mit zehn zusätzlichen Ausgleichssitzen be- steht der 8. Kreistag des Schwarzwald-Baar- Kreises aus 64 Kreisräten/innen und ist somit um drei Mandate größer als das bisherige Gre- mium. Damit ist zugleich die durch die Land- kreisordnung vorgegebene personelle Höchst- grenze erreicht. Der Altersdurchschnitt des neu gewählten Kreistages beträgt rund 50 Jahre. Die Frauen- quote hat sich im Vergleich zum bisherigen Gre- mium allerdings minimal verringert und beträgt nun 12,5 %. Der Kreistag ist bis 2014 gewählt. in Prozent gleichwertige Stimmen in Prozent Sitze zuzüglich Ausgleichs- sitze Sitze gesamt absolute Stimmen 246.708 142.354 158.847 66.990 72.844 23.044 Partei/ Wähler- vereinigung CDU SPD FW FDP GRÜNE DLVH Summe 30 34,71% 20,03% 22,35% 9,42% 10,25% 3,24% 26.781,49 38,86% 12.466,62 18,09% 14.045,99 20,38% 7.313,40 6.713,38 1.593,07 10,62% 9,74% 2,31% 26 9 12 4 2 1 710.787 100,00% 68.913,95 100,00% 54 0 2 1 3 4 0 10 26 11 13 7 6 1 64
Aus dem Kreisgeschehen Der Kreistag 2009 – 2014 Als Fraktionsvorsitzende fungieren: CDU: Jürgen Guse, Bräunlingen; SPD: Edgar Schurr, Villingen-Schwenningen; FWV: Walter Klumpp, Bad Dürrheim; FDP: Bernhard Kaiser, Donaueschingen; GRÜNE: Christian Kaiser, Donaueschingen CDU, 26 Sitze Walter Klumpp, Tuningen Elke Bettecken, Villingen-Schwenningen Ernst Reiser, Villingen-Schwenningen Herbert Bossert, Donaueschingen Michael Rieger, Villingen-Schwenningen Anton Bruder, Villingen-Schwenningen Dr. Gallus Strobel, Schonach Wolfgang Schyle, Schonach Uwe Siefert, Bad Dürrheim Gunther Dreher, Villingen-Schwenningen Bernd Stähle, Dauchingen Rolf Effinger, Villingen-Schwenningen SPD, 11 Sitze Thomas Ettwein, Villingen-Schwenningen Siglinde Arm, Villingen-Schwenningen Thorsten Frei, Donaueschingen Dr. Gerhard Gebauer, Villingen-Schwenningen Rolf Fußhoeller, Villingen-Schwenningen Dr. Rupert Kubon, Villingen-Schwenningen Marcus Greiner, Donaueschingen Jürgen Guse, Bräunlingen Lukas Duffner, Schönwald Anton Knapp, Hüfingen Jürgen Hess, Villingen-Schwenningen Hans-Christian Muthmann, Brigachtal Bernd Hezel, Villingen-Schwenningen Heinz Pfeiffer, Villingen-Schwenningen Richard Krieg, Furtwangen Frank Kühn, Donaueschingen Manfred Kühne, Furtwangen Georg Lettner, Brigachtal Fritz Link, Königsfeld Karl-Heinz Schaaf, Bräunlingen Friedrich Scheerer, Mönchweiler Beate Schmidt-Kempe, Königsfeld Edgar Schurr, Villingen-Schwenningen FDP, 7 Sitze Thomas Petrolli, Niedereschach Adolf Baumann, Hüfingen Karl Rombach, Schonach Jürgen Roth, Tuningen Manfred Scherer, St. Georgen Stefan Scherer, Blumberg Daniel Stengele, Blumberg Dr. Andrea Kanold, Bad Dürrheim Dr. Hans-Dieter Kauffmann, Villingen-Schwenningen Dr. Michael Walter, Blumberg Roland Erndle, Donaueschingen Rainer Jung, Furtwangen Robert Strumberger, Vöhrenbach Bernhard Kaiser, Donaueschingen Matthias Weisser, Königsfeld FW, 13 Sitze Grüne, 6 Sitze Michael Blaurock, Donaueschingen Erich Bißwurm, Villingen-Schwenningen Martina Braun, Furtwangen Dr. Wolfgang Berweck, Villingen-Schwenningen Dr. Eva Huenges, Villingen-Schwenningen Dr. Joachim Flum, St. Georgen Dr. Klaus Götz, Bad Dürrheim Christian Kaiser, Donaueschingen Kordula Kugele, Furtwangen Dr. Karl-Henning Lichte, Villingen-Schwenningen Hans-Joachim von Mirbach, Villingen-Schwenningen Helga Eilts, Villingen-Schwenningen DLVH, 1 Sitz Jörg Frey, Schonach Jürgen Schützinger, Villingen-Schwenningen 31
A u s d e m K r e i s g e s c h e h e n 3 2 B e v ö l k e r u n g i m S c h w a r z w a l d – B a a r – K r e i s . r e n n u n 6 4 K r e i s r ä t e i h r e P o l i t i k z u m W o h l d e r s a a l – h i e r m a c h e n i n d e n k o m m e n d e n f ü n f J a h – h e i m e W a h l v o r a u s . R e c h t s : B l i c k i n d e n S i t z u n g s – G r e m u m i . D e r B e s e t z u n g d e r A u s s c h ü s s e i g n g e i n e g e – p f l i c h t u n g s f o r m e l s t e l l v e r t r e t e n d f ü r d a s g e s a m t e S e p t e m b e r 2 0 0 9 . D a n i e l S t e n g e l e s p r a c h d i e V e r – Kordula Kugele, GRÜNE Martina Braun (verdeckt), GRÜNE Georg Lettner, CDU Michael Rieger, FW Dr. Eva Huenges, GRÜNE Manfred Scherer, CDU Edgar Schurr, SPD Christian Muthmann, SPD Elke Bettecken, CDU Landrat Karl Heim Jürgen Guse, CDU D e r a m t i e r e n d e K r e i s t a g i s t d e r 8 . n a c h d e r G r ü n – Erich Bißwurm, FW Jürgen Schützinger, DLVH Rainer Jung, FDP Joachim von Mirbach, GRÜNE Siglinde Arm, SPD Frank Kühn, CDU Prof. Manfred Kühne, CDU Roland Erndle, FDP Wolfgang Schyle, FW Karl-Heinz Schaaf, SPD Helga Eilts, FW Dr. Joachim Flum, FW Dr. Klaus Götz, FW Daniel Stengele, CDU Uwe Siefert, FW Dr. Karl-Henning Lichte, FW Jürgen Hess, CDU Gunther Dreher, CDU Dr. Rupert Kubon, SPD Matthias Weisser, CDU Anton Bruder, CDU Michael Blaurock, GRÜNE Fritz Link, CDU i m R a h m e n d e r k o n s t i t u i e r e n d e n S i t z u n g a m 2 1 . b e i s e i n e r V e r p f l i c h t u n g d u r c h L a n d r a t K a r l H e i m d e n l B u m b e r g e r K r e i s r a t D a n i e l S t e n g e l e , C D U , 1 9 7 3 . D a s B i l d l i n k s z e i g t d a s j ü n g s t e M i t g l i e d , d u n g d e s S c h w a r z w a l d – B a a r – K r e i s e s a m 1 . J a n u a r
Rolf Effinger, CDU Bernhard Kaiser, FDP Christian Kaiser, GRÜNE Walter Klumpp, FW Friedrich Scheerer, SPD Dr. Gerhard Gebauer, SPD Bernd Stähle, FW Lukas Duffner, SPD Herbert Bossert, CDU Thomas Petrolli, CDU Robert Strumberger, CDU Heinz Pfeiffer, SPD Thorsten Frei, CDU Marcus Greiner, CDU Marcus Greiner, CDU Jürgen Roth, CDU Adolf Baumann, FDP Dr. Wolfgang Berweck, FW Karl Rombach, CDU Dr. Hans-Dieter Kauffmann, FDP Jörg Frey, FW Bernd Hezel, CDU Dr. Michael Walter, FDP Dr. Gallus Strobel, CDU Stefan Scherer, CDU Anton Knapp, SPD Thomas Ettwein, CDU 3 3 Kreistag 2009 – 2014 Kreistag 2009 – 2014 A u s d e m K r e i s g e s c h e h e n
Aus dem Kreisgeschehen Verdiente Kreisräte geehrt Der Schwarzwald-Baar-Kreis dankt für oft jahrzehntelanges Wirken im Kreistag Im Anschluss an die konstituierende Sitzung des neuen Kreistages erfolgte im feierlich deko- rierten Foyer des Kreishauses die Verabschie- dung und Ehrung für 19 Frauen und Männer, die sich über Jahre hinweg für den Schwarzwald- Baar-Kreis engagiert eingesetzt hatten und nun aus dem Gremium ausgeschieden sind. Unter musikalischer Umrahmung des Har- monikaquartettes „Harmonicamento“ waren amtierende und nicht mehr aktive Kreistagsmit- glieder mit ihren Partnerinnen und Partnern ver- sammelt, um gemeinsam mit der Verwaltungs- spitze in einem Festakt die Leistungen und Ver- dienste der ausgeschiedenen Kreisrätinnen und Kreisräte zu würdigen. Landrat Karl Heim bezeichnete es als sein persönliches Anliegen, den ehemaligen Kreis- tagsmitgliedern für ihre Arbeit zu danken. Der Kreistag habe in den letzten Jahren und Jahr- zehnten viel erreicht und der Landkreis sei gut aufgestellt. „Urgesteine der Kreispolitik“ – für über 30-jähri- ge Tätigkeit im Kreisrat ehrte Landrat Karl Heim bei einem Festakt im Landratsamt v. links: Dr. Bern hard Everke, Werner Benzing und Dr. Rüdiger Schell. Als Beispiele für eine erfolgreiche Entwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis nannte Landrat Heim den Ausbau des beruflichen Schulwesens, die Integration neuer Ämter und Aufgaben inner- halb der Verwaltungsreform, die Verbesserun- gen der Nahverkehrsinfrastruktur vor allem mit dem Ringzug und die Umsetzung eines komple- xen Abfallwirtschaftskonzeptes. Auch das schwierigste und wichtigste The- ma, die Neuordnung des Krankenhauswesens konnte mit dem kürzlich erfolgten Spatenstich für das neue Zentralklinikum auf den Weg ge- bracht werden. Auch für das gute menschliche Klima im Kreistag bedankte sich Karl Heim, ohne das es seiner Ansicht nach in schwierigen Fällen schwerlich zu guten Lösungen käme. Dass alle großen wichtigen Entscheidungen mit großer Mehrheit getroffen wurden, spräche für ein gut funktionierendes demokratisches Gremium. Die 19 Frauen und Männer hätten die Ent- wicklung des Schwarzwald-Baar-Kreises maß- geblich mitgestaltet, wofür ihnen dieser zu ho- hem Dank verpflichtet sei. Mit persönlichen Worten, mit Nennung von Daten und Fakten aus den Jahren ihres Mitwirkens, verabschiedete sich Landrat Heim von den ehemaligen Kreisrä- ten und überreichte ihnen Dankesurkunden, 34
Aus dem Kreisgeschehen Für ihre verdienstvolle Tätigkeit im Kreisrat ehrte Landrat Karl Heim v. links, vordere Reihe: Susanne Schneider, Helmut Ochs, Horst Siedle, Rüdiger Schell, Beate Berg-Haller, Werner Benzing, Doris Feld, Ger- hard Mengesdorf, Peter Hellstern. Hintere Reihe, v. links: Gerold Löffler, Georg Moog, Thomas Klüdtke, Siegfried Wolber und Wolfgang Schergel. Kreismedaillen und Landkreistagsmedaillen, je nach Kreistagszugehörigkeit von mehreren Jah- ren bis gar Jahrzehnten. Zudem gab es für die Partnerinnen und Partner der Geehrten Gut- scheine für den nächsten Kulturpass und Kreis- almanach. Drei der ausscheidenden Kreisräte, Werner Benzing, Bernhard Everke und Rüdiger Schell, die mit sechs bzw. sieben Wahlperioden dem Kreistag am längsten angehörten, wurden be- sonders gewürdigt. Landrat Heim bezeichnete sie als „Urgesteine der Kreispolitik“, da sie zu denen zählten, die den Schwarzwald-Baar-Kreis über 30 Jahre in seiner modernen Form aufge- baut und mitgestaltet hatten. Für ihr Engagement während der letzten Wahlperiode wurden mit einer Dankesurkunde ausgezeichnet: Joachim Dietrich (CDU), Helmut Ochs (FDP), Susanne Schneider (CDU), Xaver Bartler (FWV), Beate Berg-Haller (Grüne), Gerold Löffler (CDU), Georg Moog (CDU), Ursula Pfeiffer (SPD), Ingrid Riebl (SPD) und Siegfried Wolber (CDU). Für die Zugehörigkeit über zwei Wahlperio- den erhielten eine Kreismedaille in Bronze und eine Urkunde: Gerhard Hagmann (CDU) und Pe- ter Hellstern (CDU). Für die Zugehörigkeit über drei Wahlperio- den erhielten eine Kreismedaille in Silber und eine Urkunde: Thomas Klüdtke (CDU), Gerhard Mengesdorf (FDP) und Wolfgang Schergel (SPD). Für die Zugehörigkeit über (mehr als) vier Wahl- perioden erhielt eine Kreismedaille in Gold und eine Urkunde: Dr. Rüdiger Schell (SPD). Für die Zugehörigkeit über vier Wahlperio- den erhielten eine Kreismedaille in Gold und zu- sätzlich für mehr als 20 Jahre Zugehörigkeit die Bronzemedaille des Landkreistages und je eine Urkunde: Doris Feld (FDP) und Horst Siedle (FDP). Für die Zugehörigkeit über vier Wahlperio- den erhielten eine Kreismedaille in Gold und zu- sätzlich für mehr als 30 Jahre Zugehörigkeit die Silbermedaille des Landkreistages und je eine Urkunde: Werner Benzing (CDU) und Dr. Bern- hard Everke (CDU). Im Anschluss an die Ehrung der verabschie- deten Kreisrätinnen und Kreisräte erhielten die nachfolgenden Mitglieder des aktiven Kreista- ges für ihre langjährige Mitgliedschaft Ver- dienstmedaillen des Landkreistages überreicht: Für die Zugehörigkeit für mehr als 20 Jahre die Bronzemedaille des Landkreistages und eine Urkunde: Herbert Bossert (CDU), Walter Klumpp (FWV), Anton Knapp (SPD) und Karl Rombach (CDU). Für die Zugehörigkeit für mehr als 30 Jah- re eine Silbermedaille des Landkreistages und eine Urkunde: Stefan Scherer (CDU). 35
Aus dem Kreisgeschehen Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen soll 2011 vollendet sein: Ein Schutzdamm mit 460 m Kronenlänge ist im Entstehen 36
Aus dem Kreisgeschehen Am 13. Juli 2006 nahm Umweltministerin Tanja Gönner den ersten Spatenstich für das Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen vor, Anfang 2008 war das zentrale Auslass- bauwerk fertiggestellt und seit Mai 2009 wird um diesen 18 m hohen Betonturm (Bildmitte) der Damm geschüttet. Das Hochwasserrückhaltebecken ist eine Baustelle mit außergewöhnlichen Dimensionen, die viele Besucher an- zieht. Das Rückhaltebecken wird das Bregtal durch einen Hochwasser-Schutzdamm mit einer Kronenlänge von 460 m und einer maximalen Höhe von 18 m absperren. Dadurch entsteht ein Stauraum von 4 km Länge, der ca. 4,7 Mio. Kubikmeter Wasser zurückhalten kann. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2011 geplant. Das Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen im September 2009: Der Damm hat eine Höhe von ca. 10 Metern erreicht. Das Auslassbauwerk ist bereits seit Frühjahr 2008 fertiggestellt, der Kolksee im Vordergrund wurde im Juli 20o9 befüllt. 37 37
Aus dem Kreisgeschehen Einstau bei HQ 100 über eine Länge von ca. 4 km Wolterdingen Meilensteine: Links das Betonieren der Boden – platte im Herbst 2006, rechts das fertige Auslass- bauwerk im Frühjahr 2008. Der Gesamtlageplan (unten links) des Hoch was serrückhalte beckens verdeutlicht die Dimensionen eines Vollstaus im Hochwasserfall. • Trockenbecken • Einstau ab HQ 5 4,7 Mio m • max. Stauvolumen • Einzugsgebiet 183 km • Zufluss HQ 100 176 m/s • Regelabgabe 75 m/s Material- entnahmestelle Dammbauwerk Im Rahmen des Integrierten Donaupro- gramms (IDP) soll der Hochwasserschutz an Donau, Brigach und Breg verbessert wer- den. Für die wirksamste Maßnahme, den Bau des Hoch wasserrückhaltebeckens (HRB) Wol ter dingen, erging Ende 1999 der Raum- ord nungs beschluss. Der Planfeststellungsbe- schluss wurde vom Landratsamt Schwarzwald- Baar-Kreis im November 2003 ausgefertigt. Danach wurde das Projekt Hochwasserrück- haltebecken konsequent weiterentwickelt: Vor den eigentlichen Baumaßnahmen für das Hoch- wasserrückhaltebecken waren vielfältige Auf- gaben zu lösen. Drei Klagen gegen den Plan- feststellungsbeschluss konnten einvernehm- lich – auch durch Änderungen in der Planung – gelöst werden. Die Sportanlagen im Bereich des Hochwasserrückhaltebeckens wurden ver- legt. Ei ne Altlast mit Bodenverunreinigungen konnte durch Bodentausch beseitigt wer den. Gemeinsam mit der Straßenbauverwaltung wur- de die Planung zum Dammbauwerk so ergänzt, dass eine zukünftige Führung der L 180/L 181 (Umgehung Wolterdingen) über das Damm bau- werk möglich ist. 38 Die Bau- und Planungskosten des Hoch- wasserrückhaltebeckens betragen nach der zei- ti gen Ermittlungen etwa 22 Mio. €. Von den Ge- samtkosten für das Hochwasserrückhaltebe- cken von ca. 22 Mio. € tragen das Land 70 % und die Breg- bzw. Donau abwärts liegenden Kommunen 30 %. Insgesamt verläuft die Bau- maßnahme ohne Probleme; die Arbeiten liegen gut im Zeit- und Kostenplan. Ziel ist es, die An- lage Ende 2011 in Betrieb nehmen zu können. Eine Wirkung bis kurz vor Ulm Die Dämpfung des Hochwasserabflusses wirkt sich entlang der Donau bis kurz vor Ulm aus. Aber selbst ein 200-jährliches Hochwasser wie am 15. Februar 1990 wird nach Inbetriebnahme des HRB Wolterdingen z. B. in Bräunlingen, Hü- fingen, der Stadt Donaueschingen und Neudin- gen keine Schäden mehr anrichten. In mehre- ren Siedlungsbereichen sind ergänzende ört- liche Schutzmaßnahmen erforderlich, um einen vollständigen Schutz vor einem 100-jährlichen Ereignis zu erreichen. Der Hochwasser-Schutzdamm mit einer Kro nenlänge von 460 m und einer maximalen Höhe von 18 m verbindet die seitlichen Tal- flanken des Bregtals. Dadurch wird ein Stau- raum von ca. 4,7 Mio. m³ geschaffen, um die
Aus dem Kreisgeschehen Betriebsgebäude 2 Fischbauchklappen 3 Segmentwehre den insgesamt etwa 300.000 m³ Material benö- tigt. Um die Belastung durch die hierfür not- wendigen rd. 35.000 LKW-Fuhren möglichst ge- ring zu halten, wird das Material unmittelbar neben dem zukünftigen Damm gewonnen. Zur Zeit bauen die schweren Maschinen bei guter Witterung täglich bis zu 3.000 m³ Material ein, bei Regen und über den Winter müssen die Ar- beiten unterbrochen werden, da zu feuchtes Schüttmaterial nicht genügend verdichtet wer- den kann. Um die erforderliche Stabilität des Erd- damms sicherzustellen, ist auch ein dop- peltes Qualitätsmanagement eingerichtet. Sowohl die ausführende Baufirma selbst, wie auch ein vom Regierungspräsidium als Bauherr beauftragtes Fachbüro kontrollieren fortlau- fend die Qualität wie auch die Verdichtung des eingebauten Materials. Straßenneubau auf 600 m Länge Neben den eigentlichen Rückhaltebauwerken sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Da- bei muss die bestehende L 180 von Wolterdin- gen Richtung Vöhrenbach im nördlichen Damm- bereich über den Rückhaltebeckendamm ge- 39 Im April 2009 geht der Kolksee seiner Fertigstellung entgegen, der später 18 Meter hohe Damm liegt zu dieser Zeit noch in seinen Anfängen (rechts). Rechts unten: Querschnitt durch den 18 Meter hohen Erd- damm, für dessen Aufschüttung 35.000 Lkw-Fuhren erforderlich sind. Abflussspitze eines 100-jährlichen Hochwas- sers (HQ 100) von 176 m³/s auf 75 m³/s zu redu- zieren. Das Hochwasserrückhaltebecken ist als Trockenbecken, also ohne Dauerstau, geplant und wird erst ab einem größeren als dem 5-jährlichen Hochwasserereignis eingestaut. Anfang 2006 waren die Gewerke Stahlwas- serbau (Regelungseinrichtungen) und Stahlbe- tonbau (Aus lass bauwerk) vergeben worden. Nach Fer tigstellung der Stahlbetonbauar beiten wurden 2008 bereits die Verschlussorgane ein- gesetzt. Die für den Betrieb erforderliche An- triebs- und Steuerungstechnik wird erst im Jahr 2011 mit der Inbetriebnahme des Hoch was ser- rückhalte beckens ein gebaut. Erdbau das größte Gewerk Im Frühjahr 2008 wurde als größtes Gewerk der Erdbau ausgeschrieben. Mit einer Umplanung des Dammbauwerks wurde auch die künftige Ortsumgehung von Wolterdingen berücksich- tigt. Diese könnte auf der Luftseite des Damms hochgeführt werden und die L 180 auf Kronen- höhe kreuzen. Im Mai 2009 begann nach Abschluss aller Vorarbeiten die Schüttung des 18 Meter hohen Absperrdamms. Für den Damm einschließlich der Verstärkung für die Straßenanrampung wer-
Aus dem Kreisgeschehen Um die 10 Meter hoch ist der Erddamm im Septem- ber 2009 bereits. Befördert wird das Erdreich mit „Dumper“, das sind besonders große Lkws. führt werden. Dies bedingt den Neubau dieser Straße auf eine Länge von rund 600 m. Ferner sind diese Straßenböschungen im Staubereich stellenweise durch Vorschüttungen zu sichern. Im zukünftigen Dammbereich befand sich eine Wasserkraftanlage. Sie wird in den Stauraum verlegt werden und bei der Neuerrichtung durch den Anlagenbetreiber so konzipiert, dass sie überstaut werden kann. Als Folgemaßnahme der Böschungssicherung muss auch der bestehende Kanal zur Wasserkraftanlage um einige Meter Richtung Breg verlegt werden. Auch das Wege- netz im Dammbereich und im angrenzenden Wald ist anzupassen, um den überörtlichen Radweg sowie eine örtliche Langlaufloipe fort- zuführen und die Verkehrsanbindung für die Gebäude Vorderzindelstein auch im Einstaufall zu ermöglichen. Kolksee bis zu vier Meter tief Im Sommer 2008 konnten nach Fertigstellung des Stahlbetonbaus die Stahlwasserbauteile – dies sind drei Segmentwehre, zwei Fischbauch- klappen und der Rechen zur Verhinderung von Verklausungen der Entlastungsorgane – mon- tiert werden. Damit waren auch die Vorausset- zungen zum Anstau des sogenannten Kolksees gegeben. Zur Erläuterung: Bei Volleinstau des Beckens schießt das Hochwasser mit einer Ge- schwindigkeit von bis zu 15 m/s aus dem Aus- lassbauwerk. Diese kinetische Energie muss zur Vermeidung von gravierenden Schäden an Bau werken, Flussbett und Gewässerböschun- gen sicher umgewandelt werden. Hierfür wurde un terhalb des Auslassbau- werks ein Kolk see als Tosbecken zum Abbau der im schießenden Abfluss enthaltenen Ener- gie errichtet. Im Herbst 2008 begann der Aus- bau des bis zu vier Meter tiefen Kolksees, im Mai 2009 war er fertiggestellt. Die Siche rung der Kolkseeböschungen erfolgt mit Block stei- nen, die durch Beton ver klammert sind. 40
Aus dem Kreisgeschehen Großer Wert wurde auf die Erhaltung der biologischen Durchgängigkeit der Breg für Fi- sche und Kleinlebewesen gelegt. Hierzu wurde der dritte Betriebsauslass als „Ökostollen“ vor- gesehen. Links: Der „Schlifisteig“, eine traditionelle Fuß- gängerbrücke über die Breg, wurde neu angelegt. Rechts: Ein Kilometer von der Baustelle entfernt liegt eine riesige Materialentnahmestelle. 300.000 Kubikmeter Schüttmaterialien Seit Juni 2009 wird das Dammbauwerk ge schüt- tet. Die 300.000 m³ Schüttmaterialien werden aus der einen Kilometer entfernten, ei gens für das Hochwasserrückhaltebecken eingerichte ten Materialentnahmestelle gewon nen. Das Ma te- rial wird teilweise in einem Brecher zerkleinert und mit großen Lkws (Dumper) zur Baustelle transportiert. In der Materialentnahmestelle können alle Materialien für die unterschiedlichen Bereiche des Dammes (Stütz körper, Dichtkörper, Drain- vorschüttung, Filter) gewonnen werden. Das Schüttmaterial wird in Lagen von ca. 15 cm Stärke eingebaut, verdichtet und die Ver dich- tung kontrolliert. Pro Tag können bis zu 3.000 m³ Mate rial eingebaut werden. Die Abdichtung des Dammes reicht im Untergrund bis auf den etwa 6 Meter unter der Ge län deober kan te anstehen- den, gewachsenen Fels. Neben umfangreichen Minimierungs- und Vermeidungsmaßnahmen, die durch eine öko- logische Baubegleitung überwacht werden, sind für den Eingriff in Natur und Landschaft Aus- gleichsmaßnahmen zu erbringen. So konnte bis her die naturnahe Umgestal- tung des Weiherbaches, die Auenumgestaltung an der Breg in Vorderzindelstein, die Herstel- lung der Durchgängigkeit am Landeswehr in Wolterdingen, die Extensivierung von Grünland auf Gemarkung Wolterdingen und die Herstel- lung einer naturnahen Gewässerverzweigung umgesetzt werden. Unten: Der Erddamm von der Wasserseite gese- hen, einzig der Wolterdinger Kirchturm überragt das Bauwerk noch (rechte Seite, Mitte). 41 41
2. Kapitel Städte und Gemeinden Städte und Gemeinden Aselfingen – Wo sich der Aubach in die Wutach ergießt der großen Straßen | von Joachim Sturm Ein liebenswerter Ort abseits Blick auf Aselfingen – wer auf dem Hardteckweg unterwegs ist, durchwandert eine Idylle. Im Dorf findet sich manch schmuckes Haus, so die frühere „Traube“. Das „Postamt“ ist klein, aber hat „täglich geöffnet“.
Städte und Gemeinden 43 43
Städte und Gemeinden Die Dörfer Achdorf und Aselfingen (hinten) mit Wutachwehr, kolorierte Ansichtskarte, 1920er-Jahre. Kaum fünf Kilometer von Blumberg her steil talabwärts und kurz hinter Achdorf, liegt am linken Hangfuß der Wutach das klei ne Straßendorf Aselfingen. Auf schmalem Tal grund, wo sich der Aubach in die Wutach ergießt, am Beginn der weithin bekannten Schlucht, stehen die Häuser von Menschen, die zwischen den hoch aufragenden nahen Hängen eine Heimat gesucht haben. 541 m ü. d. M. fließt hier die Wut ach, 729 m hoch ragt im Nordosten der höchste Berg, der Scheffheu. Von der ande- ren Talseite gegenüber grüßt das noch kleinere Überachen. Eine beschauliche Ruhe, unterbrochen nur von wenigen Fahrzeugen und vom täglich zwei- mal durchfahrenden Bus nach Waldshut oder Blumberg, herrscht auf der Hauptstraße, nach- dem der überregionale Verkehr sich inzwischen längst andere Wege gesucht hat. Lan- ge Jahre schon hat zudem das Tra- ditionsgasthaus „Traube“ mit der einst bekannten und hei- meligen Kachelofenstube sei- ne Pforten geschlossen. Nur wenige Ferienwoh- nungen laden zum Ver wei – len ein, ansonsten ziehen an schönen Sommer tagen Scha- 44 ren von Geologiebegeis terten und Wutach- schluchtwanderern ihres Weges, einen letzten Blick auf die liebevoll gepflegten Gärten wer- fend, bevor sie in das grüne Blättermeer am Rande der Schlucht tauchen oder in Achdorf in der „Scheffel-Linde“ oder beim „Haus des Gas- tes“ im Schatten der weit ausladenden Bäume Rast machen. Die enge Tallage hat dazu geführt, dass in der Vergangenheit die in der Region wütenden Kriege immer wieder durch Aselfingen hin- durchgingen. Vom Schweizerkrieg 1499 über den Bauernkrieg 1525, den Dreißigjährigen Krieg und die Kämpfe des 17. und 18. Jahrhun- derts zieht die Spur der Verwüstung bis in jene Tage Ende April 1945, als die durch das enge Tal zurückflutenden deutschen Truppen von den nachstoßenden Franzosen noch einmal in heftige Kämpfe verwickelt wurden. Im Jahr 802 erstmals erwähnt So blieb von der alten Bau- substanz wenig. Aselfingen erscheint heute als bauli- ches Ensemble, bei dem sich um die altehrwürdige
Aselfingen – wo sich der Aubach in die Wutach ergießt Das Wappen von Aselfingen In Silber auf grünem Schildfuß wach- send ein grüner Laubbaum Ein Wappen für die Gemeinde ist im 19. Jahrhundert nicht nachgewiesen. Nach 1850 führte sie jedoch einen aus einem Grasboden hervorwachsenden Baum als Bild in ihrem Siegel. 1903 schlug das für das badi- sche Wappenwesen zuständige Generallan- desarchiv in Karlsruhe vor, das Siegelbild zur Grundlage eines neu zu konzipierenden Wap- pens zu nehmen: „In Silber auf grünem Boden ein Laubbaum in ‚natürlicher‘ Farbe.“ Aus unbekannten Gründen hat Aselfingen dieses Wappen jedoch nie offiziell angenommen. Der mit einer Stabhalterei verse- hene Nebenort Überachen hingegen verwandte seit 1904 dieses Wappen und führ- te es bis zu seiner Vereinigung mit Achdorf am 1. April 1934. St. Otmars-Kapelle einige Bauernhäuser, weni- ge Neubauten der Nachkriegszeit, aber doch auch eine beachtliche Zahl schmucker Neubau- ten gruppieren. Wie bei vielen anderen Orten der Region, so erscheint der Name erstmalig im Zuge einer Schenkung an das Kloster St. Gallen. Im Jahre 802 übergeben Graf Berthold und seine Mutter Raginsind aus dem Hause der Alaholfinger dem Kloster Liegenschaften in Aselfingen. Die bis in die jüngste Zeit behaup- tete Erstnennung des Ortes 791 ist fehlerhaft, da selbst die als Beweis zitierten Quellen das Jahr 802 vermerken. Tauziehen um den Besitz des Dorfes Im Spätmittelalter findet sich das Dorf als Zu- behör der Herrschaft Blumegg in der Hand der weit verzweigten und aufstrebenden Herren von Blumberg. Als deren Macht vergeht, wird Aselfingen Kauf- und Tauschobjekt des um die Herrschaftssplitter feilschenden und um Macht- zuwachs bedachten Niederadels am Bodensee, im Hegau und am Hochrhein. 1366 erwarben es die im unteren Rheintal und Vorarlberg be- heimateten Herren von Wolfurt, 1415 ging es an die im Hegau sitzenden Herren von Friedingen, 1436 an das Schweizer Geschlecht der Thüring von Hallwyl aus dem aargauischen Adel. Am Ende aber blieben die mächtigen Klöster St. Blasien und Reichenau Sieger im Tauziehen um den Besitz. Schon 1432 hatte St. Blasien Asel- Reliefkarte von Aselfingen (roter Punkt) und der ge ologisch bedeutenden Umgebung samt Wu t ach- flühen und Wutachschlucht, 1920er-Jahre. Im Vor- dergrund schlängelt sich bei Blumberg zudem die Sauschwänzlebahn durch die Landschaft. 45
Städte und Gemeinden fingen kurzfristig in die Hand bekommen, 1456 teilte es sich mit der Fürstabtei Reichenau den Ort, bevor dieser 1457 endlich dauerhaft in den Alleinbesitz des Schwarzwaldklosters kam. Die erst 1275 im Steuerregister des Kreuz- zuges erwähnte Pfarrei mit Pleban (Leutpries- ter) könnte durchaus auf eine Eigenkirche des alemannischen Ortsadels zurückgehen, deutet doch das erstbekannte Patrozinium auf eine Err ichtung durch das alemannische „Hausklos- ter“ St. Gallen. Die Pfarrei wurde 1432 eine Fi- liale von Achdorf. Ein Hochaltar aus dem Jahr 1735 Das 1593 errichtete und 1595 durch Weihbi- schof Balthasar III. Wuorer von Konstanz konsekrierte kleine Gotteshaus beherbergt den aus dem Exerzitienhaus der Riedöschinger Jesuiten stam- menden Hochaltar von 1735. Geschmückt ist das ansonst schlichte Gebäude an der Süd- 46 Das kleine Kirchlein von Aselfingen stammt aus dem Jahr 1593, es beherbergt den aus dem Exer- zitienhaus der Riedöschinger Jesuiten stammenden Hochaltar von 1735 (rechts). An der Wand prangt das Wappen des Erbauers, Abt Caspar II. von St. Blasien. wand mit dem Wappen des damaligen Ortsher- ren und Erbauers, Abt Caspar II. von St. Blasien. Durch die Schalllöcher des Turmes grüßen zwei kleine Glocken aus dem 13. und 14. Jahr- hundert, die zu den ältesten Badens zählen. Ebenfalls zur alten Bausubstanz gehören die zwei spätgotischen Chorfenster der 1967 er- neuerten Kapelle. Seit 1772, als in der Herrschaft St. Blasien die Winterschule eingeführt wurde, wurde auch Schule in Aselfingen gehalten. Sie kam 1828 im neu gebauten Schul- und Rathaus unter und durfte 1934 auch die Achdorfer Kinder nach Auflösung von deren Schule aufnehmen. Die Anfang der 1970er in eine Grundschu- le für die Talorte umgewandel-
Aselfingen mit Eichberg, fotogra- fiert im Jahr 2009 und um 1950. Die ländliche Idylle ist bis heute geblieben. te Volksschule besteht heute nicht mehr, Schulort wurde nach 1973 Riedböhringen. Durch die Säkularisation des Klosters St. Blasien im Jahr 1803 fiel Aselfingen zusammen mit dem Kloster amtsbezirk Bonndorf an das deutsche Groß priorat des Malteseror- dens, 1805 an Württemberg, 1806 schließlich an Baden. Am 11. Juni 1848 wurde der gegen- überliegende Weiler Über- achen mit Aselfingen vereint. Bis 1924 verblieb der Ort beim Bezirksamt Bonndorf, dann nahm sich das Bezirks- amt/Landkreis Donaueschin- gen seiner an, als dessen Teil es 1973 zum Schwarzwald- Baar-Kreis kam. Doch zuvor verlor das Dörflein durch Ge- setz vom 12. März 1934 seine jahrhundertealte Selbst ständigkeit und wurde ein Ortsteil von Achdorf. Zu diesem Zeitpunkt besaß es 90 Ein- wohner bei einer Gemarkungsfläche von 384 Hektar. Zum gleichen Zeitpunkt wurde auch die Gemeindeverwaltung nach Achdorf verlegt. Seit dem 1. April 1972 ist Aselfingen zusam- men mit Achdorf ein kleiner Ortsteil der Stadt Blumberg, dem es aber nicht an Zusammenhalt und gemeinschaftlichem Leben fehlt. Ein Aufschwung in den 1960er-Jahren Aselfingen hat nach dem Kriege 1945 eine ähn- liche Entwicklung durchgemacht, wie sie für die Orte an Aubach und Wutach bei Blumberg ty- pisch ist. Der dauerhaften und quali tätsvollen personellen und baulichen Entwicklung der In- Aselfingen – wo sich der Aubach in die Wutach ergießt frastruktur im Großherzogtum Baden nach 1871 folgte eine Phase der Stagnation und teilwei- sen Zerstörung bis 1945. Die ersten Flüchtlinge, die nach dem Zusammenbruch ins Dorf kamen, waren für die seit Jahrzehnten in sich ruhende kleine Gemeinschaft eine große soziale Her- ausforderung. Nach notdürftiger Reparatur der Kriegsschäden und ersten zaghaften Ansätzen eines gemeindlichen Neubeginns begann der deutliche Aufschwung ab Beginn der 1960er- Jahre. 1962 vollzog man die Gründung des bald überall geschätzten Musikvereines „MV Ach- dorf“ in der Aselfinger Traube. Von demografischem Wandel, Über al te rung und Bevölkerungsrückgang war in diesen Jah- ren des Aufbaues keine Rede. Seit 1948 und bald über 20 Jahre hatte die Hebamme Martha Keller gut zu tun, und auch das Gebäude der Volksschule wurde nicht rückgebaut oder um- 47
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gewidmet, sondern von den Pla- nungen 1964 ab in den beiden Fol- gejahren mit großer Anstrengung erweitert und modernisiert, um die noch zahlreiche Jugend zeitge- recht bilden zu können. Noch 1963 nämlich wurden in einer ein- zigen Klasse 32 Kinder unterrich- tet, die sich im Winter um einen alten eisernen Ofen scharen und bedenkliche Toiletten benutzen mussten. Die jüngere Entwicklung Weder die Eingemeindung noch das große Hochwasser im Jahr 1990 haben eine Entwicklung unterbrochen, die man als eine Verschönerung und Verbesserung des Ortes, gepaart mit einem großen Einsatz von Vereinen und bürgerschaftlich Engagierten begreifen kann. Zur durchgreifenden Erneuerung und Mo- dernisierung der Ortskanalisation kam es ab 1986. Bereits seit 1975 und fort- laufend bis 1980 sanierte man den alten Farrenstall, der seither für kulturelle und private Veranstal- tungen genutzt wird und der auch dem Musikverein für dessen viel- fältige Zwecke dient. 1991 wurde die vom Hochwas- ser ein Jahr zuvor weggespülte Brücke nach Überachen erneuert. Seit 2000 hat auch die Jugend wie- der neuen Schwung gefunden. Der „Bauwagen-Aselfingen“ (mit eige- nem Internetauftritt) ist eine Art Jugendklub, Linke Seite: Tief verschneit präsentiert sich Aselfin- gen selten – im Hintergrund das kleine Überachen. Für Aufmerksamkeit sorgen die Biber-Hinweisschil- der – ein „junger Zuwanderer“ im Ort. Die Wutach lädt auch zum Fliegenfischen ein. Unten links: Ein- fahren von Heu beim Mess-Hof. Auch interessante Pflanzen finden sich in Aselfingen mit seinem mil- den Klima, so im Frühjahr blühende Walnussbäume (Baum des Jahres 2008) oder das Knabenkraut. Aselfingen – wo sich der Aubach in die Wutach ergießt Wer von Aselfingen nach Mundelfingen wandert, kann eine imposante Kulisse bestaunen, im Hinter- grund der Randen. Unten, Mitte: Feldkreuz am Orts- ausgang in Richtung Wutachmühle. bei dem sich rund 15 Jugendliche aus den Tal- gemeinden zum gemütlichen Beisammensein und zu Feiern treffen. Das jährlich am Fasnetfreitag ausgerichtete Fest mit über 250 Besuchern ist inzwi- schen schon legendär, genau so wie die Mitwirkung und Ausrichtung von Dorfolympiaden (Grümpeltur- niere) oder das Beachvolleyballtur- nier für die Achdorfer Vereine 2009. Heute ist Aselfingen ein lie- benswerter Ort abseits der großen Straßen, ein Wohlfühlort für alle, die in einer Seelenkraft spenden- den Stille und heilsamen Ruhe ihren Beruf ausüben oder einfach leben und sich entspannen möchten. Hier kann man Pfer- de halten, die beeindruckenden Wege entlang des Aubachs oder der Wutach begehen oder einfach den anstrengenden Ar beitstag, ver- bracht in einem der nicht allzu weit entfernten Industriebetriebe, ausklingen lassen. Und dass auch religiöse Besinnlichkeit am Platze ist, zeigt das seit Jahresfrist liebevoll res- taurierte Feld kreuz von 1919 am Ortsausgang Richtung Wutachmühle. 49 49
Städte und Gemeinden Im Reich der „marinen Kopffüßer“… Wer in Aselfingen nach Ver stei ne- Versteinerung über Versteinerung findet sich in den Gesteinsschichten bei Aselfingen: Kälte, Regen und die Wutach selbst sorgen dafür, dass im Fluss im- mer wieder neue Funde möglich sind. tach schlucht, vor allem auch die Gegend um Aselfingen, ist das Ziel von Ge olo gen, Amateur- geologen, -paläontologen und -bo ta nikern aus al- ler Welt, in sie führen Ex kursionsveranstaltungen für Stu denten, Schü ler und selbst für Kindergar- tenkinder. In Aselfingen bestand einige Jahre lang sogar ein geologisches In- for mationszen trum, weiter ein sogenannter „Klopfplatz“ für Hobbygeologen. (wd) rungen sucht, der wird oft fün- dig, vor allem die so genannten „mari- nen Kopffüßer“, die Ammoniten, sind häufig. Wie häufig dokumentiert die prächtige Sammlung von Kuno Hauf- schild aus Überachen, der als 13-Jäh- riger dieser Faszination erlegen ist und heute viele der prächtigen Ver- steinerungen vorzeigen kann. Auch der große Garten ist bei Haufschilds mit Versteinerungen ausge schmückt. Diese prachtvollen Zeugnisse der Erdgeschichte zu erkennen, ist indes nicht jedermanns Sache. Es braucht Erfahrung und einen guten Blick, denn meist zeigen die Ammoniten an der Fundstelle nur ein kleines Stück ihrer Pracht – sie müssen erst behutsam mit Hammer und Meisel aus ihrer steinernen Umgebung he rausgearbeitet werden. Das ist nicht selten ta gelan ge Arbeit. Ammoniten sind eine ausgestorbene Grup- pe ausschließlich mariner Kopffüßer (Cepha- lopoda); über 1.500 Gattungen sind bekannt, die Zahl der Arten dürfte bei etwa 30.000 bis 40.000 liegen. Kuno Haufschild kennt in der Gegend alle ge ologischen Schichten. Zu seinen beson ders er giebigen Fundstellen gehört die Wut ach, die ständig neue Steine und Platten ausschwemmt. Beim Angeln mit der Fliegenru te durchkämmt Kuno Haufschild den Fluß zwangsläufig – und wird dabei immer wieder neu fündig. Die Wu- Kuno Haufschild mit prächtigen Versteinerungen. 50
Aselfingen und die Ammoniten Städte und Gemeinden Links: Wunderschöne Gesteinsplatte mit mehreren Ludwigien und einem sehr gut erhaltenen Discites mit kompletter Schale. Dieser Ammonit wird im Volksmund wegen seiner Form „Diskus“ genannt. Links neben dem Discites sind zwei Belemniten zu erkennen. Das Exemplar stammt aus dem Mitteljura (Dogger), Fundort Scheffheu. Rechts, Mitte: Turmschnecke aus dem Weißen Jura. Rechts unten: Ammonit der Gattung Arietites bucklandi. Typischer Ammonit aus dem Schwarzen Jura (Lias). Fundort: Wutach zwischen Aselfingen und Wutachmühle. Links: Bei der Präparierung zu- fällig in der Mitte aufgebroche- ne Ludwigia. Das Gegenstück ist ebenfalls vollständig erhalten. Der Fundort lag oberhalb der Eichberghütte. 51 51
Städte und Gemeinden Mistelbrunn – Station am Jakobsweg Mit der St.-Markus-Kapelle findet sich ein kirchengeschichtliches Kleinod Am Übergang von der Baar zum Schwarzwald, von Wäldern und Feldern einge- rahmt, liegt das Dorf Mistelbrunn – der kleinste und höchstgelegene Ortsteil von Bräunlingen. Mit seinen 23 Häusern schmiegt sich Mistelbrunn harmo- nisch in die Landschaft. Das Dorf wurde 1145 erstmals urkundlich erwähnt und war wohl schon wesentlich früher besiedelt: Archäologische Grabungen in der St.-Markus-Kapelle sowie prähistorische Funde lassen ein weitaus höheres Alter annehmen. Die kirchen- und kunstgeschichtlich bedeutende St.-Markus- Kapelle ist es, die den Ort so bedeutsam macht – sie ist viel besuchte Station am Jakobs-Wanderweg und mit kostbaren Malereien ausgestattet. Die St.-Markus-Kapelle scheint seit jeher die Seele des Ortes gewe- sen zu sein. Als Mistelbrunn 1995 sein 850-jähriges Be- stehen feiert und eine Jubi- läumsschrift auflegt, ist die kleine Kapelle, die unmittel- bar neben dem Rathaus liegt, in vielfacher Hinsicht präsent – vor allem seit jeher als Pilger- ort. Am 27. Juni 1865 beispiels- weise ziehen die Bräunlinger einer alten Tradition folgend mit der sogenann- ten Marxprozession in den Ort, um besseres Wetter bittend, mal auch um Regen oder um Winterschnee. In jüngerer Zeit ist diese Kapel- le als Station am Jakobsweg bedeutsam, wovon am Schluss des Beitrages die Rede ist. Als Mistelbrunn 1896 zur selbstständigen Gemeinde ernannt wurde, ging es mit der Ent- wicklung in ganz anderer Hinsicht aufwärts: Wasseranschlüsse und Wasserleitungen wur- den geschaffen, wobei Mistelbrunn bis 2007 nicht an die öffentliche Kläranlage angeschlos- sen war und die Häuser bis zu- letzt eigene Kleinkläran lagen hatten. Westlich von Mistel- brunn liegt der Kohlwald, eine Köhlersiedlung. Die zwei Häuser dort erhielten erst 1969 die erste Wasser- leitung und wurden 1986 ans Stromnetz ange schlos- sen. Mistelbrunn selbst kam im Übrigen 1902 an das Strom- netz. Ihre Eigenständigkeit wollten die Mistelbrunner lange Jahre unbedingt erhalten, so gingen sie 1924 und 1931 weder eine Ver- einigung mit Hubertshofen ein noch stimmten sie der Zusammenlegung der Gemeinden Mis- telbrunn, Hubertshofen und Wolterdingen zu. Im Zuge der Gemeindereform geriet die Selbst- ständigkeit zahlreicher Gemein den ins Wan- ken, auch die der Mistelbrunner: Zum 1. April 1972 wurde man zur Stadt Bräunlingen einge- meindet, obwohl in vielen Jahren der Zusam- menhalt mit Hubertshofen gewachsen war und 52 52
Mistelbrunn ist mit 85 Einwoh- nern ein beschaulicher Ort, ländlich aber auch modern bebaut: Am 1986 erbauten Brunnen rasten zwei Bikerin- nen, auf der Weide grasen Pferde und die Ortsverwaltung tagt im wohl kleinsten Rathaus Deutschlands (Mitte rechts). man auch das Vereinsleben miteinander gestaltet – doch Hubertshofen wandte sich Donaueschingen zu. Dennoch sind die zwei Orte bis heute miteinander verflochten. Die Mistelbrun- ner Kinder besuchen den Hubertshofener Kindergar- ten, auch der größte Teil des Vereinslebens findet in Hu- bertshofen statt. Aufgrund der geringen Einwohnerzahl konnten sich in Mistelbrunn lediglich die Landfrauen von 1973 bis heute etablieren. Seit 1978 gibt es eine feste Feuerwehrlöschgruppe, die der Feuerwehr Bräunlingen angehört und dort auch an den Proben teilnimmt. Die Dorfgemeinschaft wird hoch gehalten. Bis 1979 bestand das Dorfgasthaus „Zum Auerhahn“, wo man sich regelmäßig traf. Nach der Schließung des traditionsreichen Hauses mussten die Mistel- brunner bis 1995 warten, bis mit der Eröffnung des Waldcafes Hensler wieder eine Anlaufstelle entstand, die bis heute gerne besucht wird. Zahlreiche Veranstaltungen werden auch im Landschulheim Maria Wald am Dorfrand Rich- tung Bubenbach abgehalten. Das Heim wurde 1967 erbaut und dient Schülern und anderen Gruppen als Aufenthaltsort für Ausflüge und Veranstaltungen. Mistelbrunn – Station am Jakobsweg Wenn man durch den kleinen Ort fährt, ge- staltet sich ein abwechslungsreiches Bild von alten und neuen Gebäuden. War die Einwohner- zahl 1983 auf 53 Personen geschrumpft, so sind es heute 85 Einwohner mit steigender Tendenz, denn es sind neue Bauplätze entstanden. War bis vor kurzem das wirtschaftliche Leben von der Land- und Forstwirtschaft geprägt – fast in jedem Haus gab es Landwirtschaft – so gibt es heute nur noch zwei Nebenerwerbslandwir- te. Das ländliche Ortsbild wird mehr und mehr durch Pferde geprägt, die auf den Weiden 53
Städte und Gemeinden Das Wappen von Mistelbrunn Von blauem Wolkensaum umgeben, in Silber ein roter Brunnen mit blauem Wasserstrahl. Der Brunnen ist „redend“ für den Orts- namen; der Wolkensaum als Teil des Fürstenberger Fehrandes soll auf die Zugehörigkeit zur ehemals fürstenbergischen Landgrafschaft Baar hindeuten. 1897 selbständig. – Das Generallandesarchiv schlug bei dieser Gelegenheit das Wappen vor, das sofort angenommen wurde. Leider wurde aber der Brunnen fälschlich immer per- spektivisch dargestellt; der Wolken- bord wurde eine zeitlang als Mistel- blätter-Umrahmung mißverstanden. Mistelbrunn, seit 1879 beim Amtsbe- zirk – seit 1939 Landkreis – Donau- eschingen wurde am 1. April 1972 in die Stadt Bräunlingen eingemeindet; das Wappen ist erloschen. Mistelbrunn gehörte mit Waldhausen zur Gemeinde Bruggen und wurde erst am 1. Januar Entnommen: „Wappenbuch des Landkreises Do naueschingen“ stehen. Als einziger Gewerbebetrieb ist ein Langholz-Fuhrunternehmen ansässig. Kirchlich ge sehen gibt es eine Kooperation mit Mistel- brunn, Hubertshofen und Unterbränd. Die St.-Markus-Kapelle Der Ortsname Mistelbrunn deutet auf eine Quelle hin. Möglicherweise bestand hier, der Reichenau untertan, an einem Schwarzwaldübergang um 1095 eine Unterkunft aus mehreren kleinen Gebäuden und einer Ka- pelle. 1970 durchgeführte Gra – bungen er gaben, dass das heu- tige Gotteshaus nicht das erste war und dass die Kapelle An- fang des 12. Jahrhunderts ab- brannte und er neuert wurde, wobei die wesentlichen Teile noch im heutigen Bau erhalten sind. Obwohl Mistelbrunn 1145 in den Besitz des Klosters Allerhei- ligen-Schaffhausen überge gan – gen war, blieb der auf der Rei- chenau verehrte heilige Markus Patron der Kapelle. Die Kapelle ist bedeutsam, denn sie wurde zwi- schen 1235 und 1250 – zur Zeit 54 54 Die St.-Markus-Kapelle bei der Eröffnung des Jakobswanderweges am 21. September 2009 – links der Heilige Wendelin – kostbar ist auch der Figurenschmuck des kleinen Kirchleins.
Mistelbrunn – Station am Jakobsweg Ausschnitt aus einem Votivbild in der St.-Markus- Kapelle von Mistelbrunn aus dem Jahr 1584. Es zeigt Ruchtraut von Allmendshofen auf ihrem Weg nach Mistelbrunn – begleitet von einem Hirsch mit Lichtern auf dem Geweih. Die Sage von Ruchtraut von Allmendshofen nach ihrem Hinscheiden den Totenbaum auf einen Wagen und ließ ihn durch zwei des Jo- ches ungewohnte Stiere ziehen, wohin diese wollten. Die ganze Gemeinde folgte dem Wa- gen, und die Tiere zogen den Wagen durch den Wald zur Kirche von Mistelbrunn. Hier hielten sie an und ließen sich nieder. Ruchtraut aber wurde in der Kirche beigesetzt. Ein Votivbild in der Kapelle (siehe oben) er- innert noch an sie. 55 55 In alten Zeiten lebte in dem Dorfe Allmends- hofen bei Donaueschingen ein Ritterge- schlecht, das reichen Besitz in der ganzen Umgebung besaß. Einer der Ritter hatte eine Tochter, die sehr fromm war. Ihre Frömmigkeit ging so weit, daß sie sich nachts von ihrem Lager erhob, um noch vor Tagesanbruch den Frühgottesdienst in der drei Stunden entfernten Kirche von Mistelbrunn nicht zu versäumen. Damals aber war die ganze Gegend mit Wald bedeckt. Als sie das erste Mal den Wald betrat, stand ein Hirsch mit siebzehn Enden vor ihr. Auf jeder Zacke seines Geweihs brannte ein Licht, und er geleitete Ruchtraut durch das Dunkel des Waldes bis zur Kirche von Mistelbrunn. Das geschah, ob es Winter oder Sommer war; immer geleitete der Hirsch sie auf ihrem Waldweg zur Kirche. Als nun die Zeit ihres To- des kam, bat sie die Ihren, sie dort zu begra- ben, wo es Gottes Wille sei. Also legte man
Städte und Gemeinden Blick in die Markus-Kapelle, Station am Jakobsweg und des neuen Mistelbrunn-Pilgerweges. der Bildwände aus dem 13. Jahrhundert in den Jahren 1970 bis 1972 gewonnen hat. der Kreuzzüge – mit Fresken von hoher künst- lerischer Qualität ausgemalt. Erhalten sind Tei- le an den Längswänden. Informativ berichtet Wolfgang Erdmann von der Kapelle St. Markus, der im Heft 29 des „Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar“ die Erkenntnisse darlegt, die die Denkmalpflege bei den Ausgrabun- gen und Rekonstruk- tionen des mittelalter- lichen Raumes sowie Büste des Heiligen Markus, die in Mistelbrunn einen Op- ferstock zierte. Das Kunst- werk stammt aus der Zeit um 1350 und be- findet sich gegenwär- tig als Leihgabe der Erzdiözese Frei- burg im Kelnhof- Museum in Bräunlingen. 56 Eingehend haben sich die Denkmalpfleger mit dem Bilderzyklus befasst, der links oben an der Nordwand mit Szenen aus der Schöp- fungsgeschichte beginnt. Deutlich ist z. B. die Erschaffung der Gestirne, der Pflanzen und der Tiere im Meer zu erkennen. So stellt die Bild- folge nicht einfach eine Gegenüberstellung von Altem und Neuem Testament dar, sondern die Bilder schließen sich in ihrem Fortlauf zu einem Ring zusammen. Die Bildgeschichte beginnt mit der Schöp- fung und dem Sündenfall, springt dann vom Westen auf die Nordseite über und erzählt in der unteren Bildzone die Wunder des Neuen Testaments. Die rechte Wand (Südwand) lässt deutlich als vorderste Szene den Engel der Ver- kündigung erkennen, es folgt nach einer gro- ßen Lücke die Verehrung des Kindes durch die Hirten, dann die Verehrung durch die Hl. Köni- ge – ein großes Reittier wird von links heran- geführt. Weiter sind deutlich der Einzug in Je- rusalem zu erkennen und der zur Auferstehung blasende Engel. Die Szenenfolge schließt mit der Verehrung des am Jüngsten Tag wiederge- kehrten Christus durch Engel und Selige. Die Ostwand wurde im 15. Jahrhundert durch Anbau des heutigen Chors zerstört, ebenso die
Oben und Mitte: Wandmalereien auf der Nordwand, um 1235. Szenen der Schöpfungsgeschichte. Unten: Südwand, Einzug nach Jerusalem und der zur Auferstehung blasende Engel. 57
Städte und Gemeinden Eröffnung des Mistelbrunn-Pilgerweges – einmal mehr sehr begehrt ist die Stempelung der Pilger- pässe. Westwand, die wahrscheinlich ein Jüngstes Gericht zeigte. Geschaffen wurden die Werke von zwei Meistern. Die Denkmalpflege hält als Vorlage für die Malereien „Das oberrheinische Musterbuch“ für wahrscheinlich. Auch Ähnlich- keiten mit dem Zyklus von San Marco in Vene- dig werden gesehen. Details, die denen in Mis- telbrunn entsprechen, finden sich zudem in Unterwegs auf dem Jakobsweg – Impression von der Eröffnung des Mistelbrunn-Pilgerweges im September 2009. Buchmalereien wie einem Psalter aus der Diözese Konstanz oder dem Brevier aus Basel. Der Mistelbrunn-Pilgerweg Bei der archäologischen Untersuchung in den Jahren 1970 bis 1972 wurden nicht nur die Fresken freigelegt. Man hat unter dem Holzboden der Über- lieferung nach auch eine Muschel ge- funden, weiter nördlich und östlich der Kapelle Mauerfluchten, die Teil eines Pilgerhospiz gewesen sein könnten. Münzfunde mit Geldstücken aus Zü- rich, Rottweil, Basel, Lindau und St. Gallen zeigen auf, wie bunt die Reiseschar war, die in und bei der St.-Markus-Kapelle eine Rast ein- legte. Mistelbrunn war ein Jakobspilgerort, so die Schluss folgerung! So lag es nahe, einen Mistelbrunn-Pilger- weg auszuweisen. Um das Netz der Jakobswege zu verdichten und das Pilgern neu zu beleben, hat der Schwarzwald-Baar-Kreis zusammen mit den Landkreisen Rottweil, Tuttlingen und Zollernalbkreis insgesamt zwölf historische Pil gerwege neu ausgewiesen, einer davon ist der Mistelbrunn-Pilgerweg, der von Hammer- eisenbach über Mistelbrunn und Bräunlingen nach Hüfingen führt. Wie sehr den Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis dieser Jakobswan- derweg am Herzen liegt, verdeutlichte das Inte- resse an der Eröffnung des Mistelbrunn-Jakobs- 58
Städte und Gemeinden Von Sonnenblumen umrankt: Mistelbrunn mit der eben sanierten St.-Markus-Kapelle. weges: Nach drei gut besuchten Wanderungen rund um Villingen, St. Georgen und Hüfingen, beteiligten sich auch an dieser Eröffnungswan- derung am 21. September 2009 rund 250 Men- schen. Pfarrer Werner Arnold von der Seelsorge- einheit Wolterdingen unterstrich vor der frisch renovierten Jakobskapelle in Mistelbrunn, wie sehr das Leben der Menschen einer andau- ernden Wanderung entspreche. Landrat Karl Heim legte dar, dass das Jakobswandern den Menschen eine wertvolle Orientierung sei. Bräunlingens Bürgermeister Jürgen Guse unter- strich, das kleine Mistelbrunn sei nun um eine große Attraktion reicher. Mistelbrunn ist fürwahr ein kleiner Ort – Pilgerort. Umso mehr wundert man sich, dort sogar ein „Rathaus“ vorzufinden: Direkt neben der Kapelle fällt ein kleines Haus auf, an dem das Schild „Rathaus“ prangt. Das Gebäude ist, soweit bekannt, nicht nur das kleinste Rathaus der Region, sondern vielleicht sogar Deutsch- lands – und es war bis 1972 sogar Sitz eines Bürgermeisters. Heute tagen hier die Ortschaftsräte unter Leitung von Ortsvorsteherin Rita Albrecht. Vier- mal im Jahr kommt man zusammen, es ist ein beschauliches Leben hier am Ort! Nun wird man sich verstärkt auf Jakobspilgerer einstel- len dürfen und freut sich darauf: schließlich hat man mit der St.-Markus-Kapelle eine absolute Besonderheit zu bieten. Christina Rademacher / Wilfried Dold 59 59
Städte und Gemeinden Gütenbach – ein altes Uhrendorf Als „Wuotenbach“ vor 650 Jahren erstmals erwähnt Gütenbach ist mit 1.250 Einwohnern die kleinste Gemeinde des Schwarzwald-Baar- Kreises. Ihre Gemarkung reicht von 530 bis 1.120 Höhenmetern, was das Luftbild mit Blick zur mit Windkraftwerken bestückten Kaiserebene unterstreicht. Im Jahr 2010 feiert Gütenbach sein 650-jähriges Bestehen. 60
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Städte und Gemeinden Gütenbach um 1875, Werk eines unbekannten Ma- lers. Das Bild schmückt die Titelseite des Buches „Geschichte der Gütenbacher Uhrenmacherei“ von Oswald Scherzinger. Der Ort kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken, die bis ins Hoch mittelalter zu- rückreicht. Gütenbach gehörte 400 Jahre lang zur Herrschaft Triberg. Grundherr war jedoch das adelige Frauenkloster Waldkirch, ihm wa- ren die Bauern zinspflichtig. Die Besiedlung und Aufteilung der Hof flächen dürfte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erfolgt sein. Mindestens 100 Jahre lang gehörte Gü- tenbach zur Pfarrei Simonswald, wo Kinder getauft, Ehen geschlossen und die Toten be- graben wurden. Auch zum sonntäglichen Kirch- gang mussten die Bewohner den langen Weg ins Tal auf sich nehmen. Dieser führte über das Kilpental, das seinen Namen von diesem „Kirch – weg“ haben dürfte. Erst im 13. Jahrhun- dert wurde auf dem heutigen Kirch- bühl eine Filialkirche errichtet, wo durch einen Kaplan Mes- sen gelesen und Sakramente gespendet wurden. Der alte, bis 1963 bestehende Kirch- turm gehörte noch zu die- sem Bauwerk. Um 1360 wird der Ort als „Wuotenbach“ in ei- 62 nem bischöflichen Abgabenregister auf- geführt, der wütend zu Tal stürzende Dei- chenbach dürfte bei der Ortsbezeichnung Pate gestanden haben. Noch ist Gütenbach eine kirchliche Filiale von „Sigmans wald“ (Si- monswald), erst 1518 wurde daraus nach einem Kirchenneubau eine volle Pfarrei. Vor 1400 dürften etwa über 30 Höfe zum Ort gehört ha- ben. Vom Bauernkrieg 1524/26 war Gütenbach zwar nicht direkt betroffen, doch Tribergs Obervogt Benediktus Wachter fühlte sich 1524 bedroht und verlangte die Bestrafung der Auf- ständischen, darunter werden auch sechs Gütenbacher genannt. Not und Schrecken ver- breitete die Pest, die Gütenbach im Jahr 1611 erstmals heimsuchte und nochmals in den Jah- ren 1634 bis 1636. Der Epidemie fielen rund 135 Bewohner zum Opfer, ganze Häuser standen danach leer. Auch der Dreißigjährige Krieg erreichte den Ort Gü tenbach in Gestalt durchzie- hender Trup pen auf der Kilpenstra- ße, der damaligen Verbindung Freiburg- Villingen, und durch Plünderungen. Selbst der Kirchenaltar dürfte ein Opfer der Zerstörungen geworden sein, denn 1654 wurde der Hochaltar durch den Bild- hauer Bartle Winterhalder erneuert, wie vermerkt ist.
Gütenbach – ein altes Uhrendorf Das Wappen von Gütenbach In Silber ein achtspeichiges, rechts oben zerbrochenes schwarzes Rad mit spitzen Zacken. Das ist ein Attribut der heiligen Katha- rina von Alexandria, der Kirchenheili- gen von Gütenbach. – Aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts ist ein Siegel bekannt, mit der Umschrift VOGTEY/GUTENBACH, das eine merkwürdige, von Blättern umrankte Ka- pelle zeigt, rechts und links begleitet von zwei menschlichen Figuren, die in lange Mäntel ge- kleidet sind und zylinderartige Hüte tragen. Über die Bedeutung dieses Siegelbildes ist schon viel gerätselt worden. Im Jahre 1899 schlug das General- landesarchiv das eingangs beschrie- bene Wappen vor, mit dem die Ge- meinde einverstanden war. Im Laufe der Zeit scheint aber die Bedeutung des Rades in Vergessen- heit geraten zu sein, denn in den Dreißiger- jahren wurde es wie ein Uhrenrad mit Zykloi- denzähnen dargestellt; so zu sehen auf den Dienststempeln bis 1960. In diese Zeit der Bedrohung und Unsicher- heit fällt auch der erste Hexenprozess: Unter- lehmannsgrund-Bäuerin Agathe Ketterer wurde um 1636 in Triberg auf dem Scheiterhaufen ver- brannt. Stark betroffen war Gütenbach wenige Jah- re später durch den Einfall der Franzosen im Breisgau (1676), worauf sich die kaiserlich-ös- terreichischen Soldaten auf den Schwarzwald- höhen verschanzten, so in einer Linie Kaiser- ebene-Bären und die Kilpenstraße hinab. Das Zeitalter der Uhrmacherei Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde ein neues Kapitel in der Geschichte Gütenbachs aufgeschlagen: Es begann das Zeitalter der Uhrmacherei. Begonnen wurde mit dem Bau von Holzräderuhren; dafür waren von Anfang an Spezial- kenntnisse erforderlich. So war Mathias Löffler (1689 – 1738) ein sehr geschickter Dreher, der gelegentlich eine Uhr fertigte. Bald konzentrierte er sich je- doch auf die Erfindung und den Bau von Uhrmacherwerkzeugen. So dachte er sich um 1720 ein Zahngeschirr aus, mit dem er die Uhrmacher versorgte. Als Begründer der örtlichen Uhrmacherei werden aber die Söhne Joseph, Johann und Mathis des Untergrundbauern Christian Gries- haber (1724 – 1744) angesehen („Grundsöhne“). Sie begannen um die Jahrhundertmitte auf dem Hof mit einer umfangreichen Uhrenproduktion. Gleichzeitig gab es erste Uhrenhändler, die mit der Uhrenkrätze auf dem Rücken das Rheintal hinabreisten. Ein Pionier auf diesem Gebiet war der Dürrjockele Jakob Winterhalter (1698 – 1735), der bis nach Sachsen reiste. Auch auf dem Gebiet des Spieluhrenbaus waren die Gütenbacher führend, Andreas Dil- ger (1743 – 1818), der vom Neukircher Fernhof stammte und sich im Grundtal niederließ, ist zu nennen. Einer der bedeutendsten Musikuhren- bauer des Schwarzwaldes war Mathias Siedle (1770 bis 1846), 1804 erbaute er das „Becke- bas“-Haus auf dem Ameisenbühl. Er verbes- serte die Mechanik der Uhren, das Geklap- per der Tas ten und die Taktunsicher- heiten verschwanden bei seinen Werken. Seine Söhne Anton, Ni- kolaus und Mathias mussten nach der Badischen Revolution 1849 nach Amerika fliehen. Spieluhr von Vogtsgrundbauer Aron Siedle. Die Uhr ist eines der Prunk- stücke im weithin bekannten Dorf- museum. 63
Städte und Gemeinden Kaufmannssohn Wilhelm Fackler (1757 – 1834) schließlich erstellte um 1780 beim Hin- tertalweg eine Gießhütte mit feuerfestem Ge- wölbe und schaffte es mit seinem Metallguss bald, alle anderen Schwarzwälder Uhrenräder- gießer in den Schatten zu stellen. Der Weg zur Industrialisierung der Uhrenproduktion war vor – gezeichnet. Neubau der Pfarrkirche Der gewerbliche Aufschwung schlägt sich auch im Neubau der Pfarrkirche in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts nieder. Die erwähnten „Grund – söhne“ stifteten nämlich einen bedeutenden Betrag, aus dem unter anderem der prachtvolle Hochaltar des Klosterbildhauers Mathias Faller (1707 – 1791) finanziert werden konnte. Diesen Hochaltar aber gab die Gemeinde später tat- sächlich auf, sie baute 1963 ein neues, moder- nes Gotteshaus. Die Gütenbacher Kirchenschät- ze kann man heute in der Schallstädter Blasi- us-Kirche bei Freiburg besichtigen. 64 Eine bedeutend verbesserte Verkehrs an- bin dung brachte die neue Straße nach Simons- wald, mit deren Bau 1847 begonnen wurde, einschließlich Tunneldurchbruch durch die Fel- sen am Ortsausgang. Die Trockenmauer, mit der die Straße gestützt wurde, überdauerte rund 150 Jahre, sie wurde erst in den vergange- nen Jahren mit Betoneinspritzungen saniert. Der Steilanstieg über das Kilpental wurde mit der neuen Straße entschärft, was auch den Verkehr aus dem Raum Freiburg Richtung Vil- lingen deutlich erleichterte. 1858 fuhr erstmals ein Postwagen von Furtwangen über Güten- bach nach Bleibach. Und eine weitere neuzeitliche Einrichtung kam, als nach dem Brand des Kreuzwirts- hauses Mathäus Siedle, ein Sohn des Vogts- grundbauern, 1853 das erste moderne Gast- haus erstellte, die „Hochburg“, das, wohl auch im Zusammenhang mit der neuen Straße, weit- hin bekannt wurde. Bereits ab 1858 nahm auch das Gasthaus „Zur Stadt Freiburg“, die „Neu- eck“, ihren Betrieb auf. Die „Alteck“ oberhalb des Kilpentals hatte als Umspannstation für Pferde mittlerweile ausgedient. Bis ins Jahr 2007 blieb die „Neueck“ als Hotel bestehen. Die altkatholische Gemeinde Dass der Uhrenhandel Gütenbach nicht nur einen gewissen Wohlstand bescherte, sondern auch liberalen Ideen zum Einzug verhalf, lässt sich an der Entstehung der altkatholischen Gemeinde ablesen, die aus dem um 1862 im Gasthaus Schwert entstan- denen „Leseverein‘‘ hervorging. 1872 versammelte sich ein liberaler Verein im „Bachhof“, wo 97 Teilnehmer eine Eingabe an die Badische Regierung in Karlsruhe unterzeichneten und Die Gütenbacher Kirche stammt aus dem Jahr 1963, hier der Hochaltar mit dem Mo- tiv „Verklärung Christi am Tabor“.
Der Tunnelfelsen am westlichen Ortsaus- gang. um Anerkennung einer „altkatholischen Ge- meinde“ am Ort baten. Hauptredner war Elias Waldvogel, ein Uhrenhändler (1821 – 1906). 135 Unterschriften gab es im Gegenzug für die römischen Katholiken. Bereits zwei Jahre spä- ter kam die Anerkennung aus Karlsruhe sowie die Erlaubnis, die Kirche mit den Römisch-Ka- tholischen gemeinsam nutzen zu dürfen. Doch diese zogen aus und bauten bald darauf eine Notkirche. Erst 1904 kehrten die Katholiken in die alte Kirche zurück und die Altkatholiken zo- gen in die Notkirche ein. Vor dem Gasthaus „Zur Hochburg“, es galt als das erste moderne Gasthaus von Gütenbach. Rechts: „Café Bachhof“ um das Jahr 1930. Uhrenfabrik Faller und Baduf-Filiale Ein neues Zeitalter der industriellen Uhren- produktion brach an. Leo Faller (1832 – 1886) erwarb die alte Säge an der Landstraße und er- richtete hier 1884/85 einen großen Fabrikbau. Sein Sohn Friedrich Faller war weit gereist und begann, „Amerikaner Uhren“ zu bauen. Der Erfolg war so groß, dass er 1887 eine neue Fab- rik (die spätere Firma Schatz) bauen ließ. Doch das Fertigungsprogramm ähnelte weitgehend dem der Furtwanger Uhrenfabrik „Baduf“. Wirt- schaftliche Vernunft legte also einen Zusam- menschluss nahe, so entstand 1889 die Badi- sche Uhrenfabrik AG in Furtwangen. Friedrich Faller wurde fünftes Mitglied im Leitungs- und Finanzierungsgremium der neuen Firma. Im glei- 65
Städte und Gemeinden chen Zeitraum – um 1891 – baute man in Furt- wangen ein großes Fabrikgebäude mit einer Dampfkraftanlage von 36 PS. Noch einmal engagierte sich Friedrich Faller und baute 1894 an der Kreuzstraße einen neu- en Betrieb (spätere Firma King) auf. Zwei Jahre später veräußerte er die Gebäude erneut an die Baduf. Ein letztes Mal versuchte Faller sein Glück 1904: neben dem „Bachhof“ erstellte er ein Gebäude zur Taschenuhrenproduktion. Ver- gebens, und dieses Mal war der Zusammen- bruch derart, das Faller seine Familie verließ und Hals über Kopf nach Amerika floh. Im Strudel der Weltwirtschaftskrise Der Erste Weltkrieg versetzte der exportorien- tierten Uhrenproduktion einen erhebli ch en Dämpfer, der auch in den Jahren danach spür- bar blieb. Weltwirtschaftskrise und Inflation überschatteten die späten 1920er-Jahre. Zahl- reiche Bürger verloren damals ihr Vermögen. Die Baduf, die 1924 wieder in die Gänge ge- kommen war, geriet 1930 in den Strudel der Wirtschaftskrise. Zunächst versuchte die Ge- meinde Gütenbach, dem Betrieb mit einer Bürg- schaft von 40.000 Mark wieder auf die Beine zu helfen. Doch es war lediglich ein Aufschub. Schon ein Jahr später, 1931, war die Firma nicht mehr zu retten, auf die Arbeiter kamen harte Zeiten zu, denn ein Arbeitslosengeld gab es damals noch nicht. 1934 gab es einen neuen Anlauf mit der „Gütenbacher Uhrenfabrik C. H. 66 Die Filiale der Badischen Uhren fabrik in Gütenbach um das Jahr 1900. Schatz“, bei der zunächst 37 Arbeits- plätze geschaffen wurden. Im gleichen Jahr nahm die Schwen- ninger Uhrenfabrik Adolf Hanhart in Gütenbach eine Filiale in Betrieb, in der Kleinuhren produziert und Stoppuhren montiert wurden. Vier Jahre später konnte bereits ein Neubau von der Ge- meinde erworben werden. Gütenbach im Dritten Reich Mittlerweile hatten die Nationalsozialisten das Sagen und auf der politischen Bühne war die Zäsur daran erkennbar, dass Karl Hektor Faller (1878 – 1947), der seit 1920 Bürgermeister ge- wesen war, 1933 abgesetzt wurde, da er nicht der NSDAP hatte beitreten wollen; als Grund wurden „zerrüttete Vermögensverhältnisse“ an – gegeben. Sein Nach folger wurde der Stütz- punktleiter der NSDAP, Joseph Munding. Doch er musste wegen Unregelmäßigkeiten bereits 1937 wieder abgesetzt werden. Dem früheren Gemeindediener und Mesner Joseph Weißer wurden kurioserweise die Geschicke der Ge- meinde von 1938 bis 1945 anvertraut, obwohl der eigentlich ein „Schwarzer“ war. Opfer der Naziherrschaft wurde der „rote“ Oskar Rinkenburger, er wurde auf die Anzeige eines SA-Mannes hin eingesperrt, dann in Stutt- gart vor Gericht gestellt und ermordet. Dem braunen Spuk ein Ende setzte am 25. April 1945 das 5. marokkanische Spahi-Regi- ment. Es kam zu Plünderungen und Vergewalti- gungen. 70 Gütenbacher waren aus dem Krieg nicht mehr heimgekehrt. Die Beschlagnahmung von Produktionsma- schinen sowie Sonderabgaben machte in den Nachkriegsjahren den Industriebetrieben schwer zu schaffen. Erst nach 1949 konnte die Uhren- fertigung im größeren Stil wieder anlaufen.
Die Spielwarenfabrik Faller Neues tat sich allerdings nach der Rückkehr der Brüder Edwin und Hermann Faller im Jahr 1946, die eine Spielwarenproduktion am Ort aufbauten. Mit Holzbaukästen hatte es begon- nen, doch auf dem Erfolg von Modellbahn-Anla- gen konnte auch Faller mitschwimmen. Bereits 1956 wurde das erste große Fabrikgebäude am Rehbühl erstellt, ein Jahr später kam das dar- überstehende Gebäude dazu. 1959 folgte ein Fabrikhochhaus. Gütenbach war jetzt ein In- dustrieort, auch „Faller-Stadt“ genannt. Rund 500 Arbeiter pendelten werktäglich ein. Auch die Gemeinde profitierte von dem Auf- schwung, bereits 1956 wurde mit dem Bau von Gütenbach war lange Zeit die „Faller-Stadt“. Bild- riegel unten links: Die Neukircher Hexenlochmühle als Fallerhäusle. Mitte: Faller-Spielzeug der ersten Stunde. Rechts: Blick in den Faller-Ausstellungs- raum mit Mini a tur welten. Kanalisation und Kläranlage begonnen, 1961 wurde das neue Rathaus gebaut. Auch die al- te Kirche schien zu klein zu werden, sie wurde durch einen zeitgemäßen Neubau ersetzt, der 1965 geweiht wurde. Die Glasfenster entwarf Rainer Dorwarth aus Freiburg. In den Jahren 1963 bis 1966 wurde die Grund- und Hauptschule neu gebaut, der auch eine Turnhalle mit Hallenbad angegliedert war, das Bad wurde 1971 fertiggestellt. Auch die 67
Städte und Gemeinden Ortsdurchfahrt wurde Anfang der 1970er-Jahre verbessert, Gehwege wurden angelegt und da- mit dem steigenden Verkehrsaufkommen Rech- nung gezollt. In den Jahren 1980 bis 1982 wurde die Schul- und Hintertalstraße mit einem Aufwand von 2,2 Millionen Mark ausgebaut, es erfolgte die Gesamterschließung des Baugebietes Hin- tertal. Ein gutes Indiz für den Aufschwung sind die rapide steigenden Einwohnerzahlen, bei denen sich lange Zeit zuvor nicht viel bewegt hatte. So zählte die Gemeinde im Jahr 1871 be- Die Windkraft hat den Gütenbachern zu einer neuen Gewerbesteuerquelle verholfen – hier die Kaiser- höhe. reits 1.321 Bewohner, 1910 waren es mit 1.315 ähnlich viele. 1939 war die Zahl auf 1.127 ge- sunken. 1961 wurden bereits 1.501 Einwohner gezählt, 1970 wurde mit 1.754 ein Höchststand erreicht. Bereits im Jahr 1980 waren es nur noch 1.488. Aktuell sind es, wie eingangs er- wähnt, noch rund 1.250 Einwohner. In dem neuerlichen Rückgang spiegelt sich auch der Verfall einiger klassischer Unterneh- men. 1986 hatte die Gütenbacher Uhrenfabrik Schatz ihren Betrieb am Ort einstellen müssen, 55 Arbeitsplätze waren betroffen. Wenig später brach auch die Produktion im Triberger Haupt- werk zusammen. 1997 schloss die Fir ma King, 68 der Hauptbetrieb in Waldkirch hatte die Güten- bacher Filiale nicht mehr weiterführen wollen. Kurz zuvor hatte die Firma Hanhart die meisten ihrer Mitarbeiter entlassen und einen Großteil des Firmengebäudes verkaufen müs- sen. Margot und Claus-Volker Müller aus Furt- wangen richteten darin das „HanhArt“ ein, eine erfolgreiche Kleinkunst- und Kabarettbühne. Auch die Spielwarenfirma Faller musste um 1990/91 einen deutlichen Einbruch hinnehmen, konnte sich danach aber wieder stabilisieren. Am 28. August 2009 musste die Traditionsfir- ma Insolvenz anmelden. Es gibt aber Hoffnung, dass dieser Schritt den Weg für einen Neube- ginn freimacht. Ein neues Gewerbegebiet Unter Bürgermeister Richard Krieg (er war von 1982 bis 1994 im Amt) sowie seinem Nachfol- ger Thomas Klüdtke wurde auf einer der we- nigen ebenen Flächen der Gemeinde, auf der Neu eck, ein Gewerbegebiet „Ob der Eck“, in Angriff genommen, wo sich eine Reihe von Hand werks be trieben und mittelständischen Un ternehmen ansiedelten. Unter ihnen ist auch die RENA, die sich mittlerweile zum größten Ar- beitgeber und Steuerzahler am Ort entwickelt hat. Im März 2009 zählte sie 415 Mitarbeiter. Längst wurde das Firmengebäude auch schon mehrfach erweitert, zuletzt durch den Kauf des Hotels „Neueck“. Einen Sonderweg beschritt die Gemeinde schon früh hinsichtlich regenerativer Energie- erzeugung und hier vor allem der Windkraft. Lange vor der Jahrtausendwende hatte sich der Gemeinderat einhellig für die Förderung dieser Energiegewinnung ausgesprochen. Erstes Pro- jekt war eine größere Windkraftanlage, die auf der Leimgrube bei der Rabenhöhe gebaut wer- den sollte. Die Ausweisung einer entsprechen- den Sonderfläche scheiterte aber am Einspruch der Nachbargemeinde Furtwangen, die zusam- men mit Gütenbach eine Verwaltungsgemein- schaft bildet. Furtwangen fürchtete eine Beein- trächtigung des Landschaftsbildes in der Nähe des Hausbergs Brend.
Städte und Gemeinden Mittlerweile wurden jedoch an anderen Standorten, unter anderem auf der Kaiserebe- ne, fünf Windkraftanlagen geschaffen, ferner Photovoltaikanlagen und mehrere Wasserkraft- und Blockheizkraftwerke. Aus diesen Anlagen kann die Gemeinde mittlerweile rechnerisch schon mehr als ih- ren gesamten Strombedarf decken. So be- trug im Jahr 2008 etwa der Gesamtstromver- brauch 6.593.854 Kilowattstunden, während 7.238.799 Kilowattstunden regenerativ erzeugt werden konnten, der überwiegende Teil davon entfällt auf die Windkraft. Auch durch die eingenommene Gewerbe- steuer hat sich diese Politik für die Gemeinde mittlerweile bezahlt gemacht. Gütenbach im Jahr 2009. Die kleinste Gemeinde im Schwarzwald-Baar-Kreis wächst vorzugsweise die Hänge hinauf. Lebendige Dorfgemeinschaft Gütenbach verfügt über ein reges Vereinsle- ben. Größter Verein ist der Fußballclub FC 04, der im Jahr 2008 über 587 Mitglieder verfügte. In diesem Jahr konnte auch ein Großprojekt abgeschlossen werden, das seinesgleichen sucht: Für insgesamt 360.000 Euro wurde ein Winterzauber: Auf dem Oberfallengrund mit Blick nach Gütenbach – in der Ferne der Brend. 69
Gütenbach – ein altes Uhrendorf Im Dorfmuseum werden die prächtigen Erzeugnis- se der Vergangenheit gezeigt, so auch etliche Ku- ckucksuhren. Hier mit Museumsgründer Oswald Scherzinger. Sportplatz mit Kunstrasen geschaffen. Dafür musste der Verein sämtliche Kräfte mobilisie- ren, einschließlich zahlreicher Aktionen und Ei- genmittel. Ein hohes Spendenaufkommen, ein Zuschuss des südbadischen Sportverbandes sowie 100.000 Euro aus der Gemeindekasse ermöglichten die Verwirklichung des Projektes nach gut anderthalb Jahren. Ein weiterer wichtiger Verein ist der Heimat- und Geschichtsverein, der 1984 gegründet wur- Volksfrömmigkeit: Ein Bildstöckl auf dem Oberfal- lengrund und der Balzer Herrgott, der Christus in der Buche (rechte Seite). Unten rechts: Mit zwei Ro- senkränzen behangene hölzerne Gedenktafel beim Balzer Herrgott. de. 2009 hatte er rund 350 Mitglieder. Oswald Scherzinger war Ideengeber und Motor des Vereins sowie 21 Jahre lang dessen Vorsitzen- der. Ein wichtiges Projekt verwirklichte der Ver- ein 1988: In den Räumen des alten Schulhau- ses wurde das Heimatmuseum eröffnet. Zahl- reiche Ausstellungsgegenstände hat Scher- zinger selbst gesammelt, nicht zuletzt Uhren, oft in Gütenbach hergestellt, und Werkzeug. Ein mit 420 Mitgliedern großer Verein ist auch die Narrengesellschaft, die 1957 gegrün- det wurde. Die Figuren der Gütenbacher Fasnet sind das Jockele, dessen Maske Holzschnitzer Josef Rombach fertigte, sowie später das Plat- tenwible. Mittlerweile gibt es 230 Hästräger. Ein kleinerer aber sehr rühriger Verein ist der Schwarzwaldverein mit Lorenz Wiehl an der Spitze, der seit dem Jahr 1998 die malerisch oberhalb des Simonswälder Tals gelegene Wan – dergaststätte „Hintereck“ betreibt. Besinnlicher geht es beim „Balzer Herrgott“ zu, einem in eine gewaltige Buche eingewach- senen Christuskorpus, von dem lediglich noch Kopf und Hals zu sehen sind. Holzschnitzer Josef Rombach hat die Figur vor einigen Jahren behutsam freigeschnitten und damit verhin- dert, dass sie allmählich ganz in dem Stamm verschwindet. Das „Wunder des Balzer Herr- gotts“ findet immer wieder einmal auch in den überregionalen Medien Erwähnung. Im Jahr 2010 soll aber erst einmal das 650-jährige Bestehen der Gemeinde gefeiert werden, das Motto lautet „Gütenbach im Wan- del der Zeit“. Matthias Winter 70
Städte und Gemeinden 71
3. Kapitel Persönlichkeiten Richard Mühe – Helmut Kahlert Große Verdienste um das Deutsche Uhrenmuseum und die Uhrengeschichte Mit Dr. Richard Mühe und Dr. Helmut Kahlert verstarben im Januar 2009 kurz nacheinander zwei markante Furtwanger Persönlichkeiten, die die Entwicklung des Deutschen Uhrenmu- seums Furtwangen über vier Jahrzehnte maßgeblich gestalteten. Ihre wissenschaftliche Zusammenarbeit manifestiert sich in einer Reihe von Büchern rund um das Thema Uhren, die sie teils gemeinsam verfassten. Helmut Kahlert war zudem kommunalpolitisch und stadtgeschichtlich sehr aktiv. Al ter von 79 Jahren in seinem Altersruhesitz am Bodensee. Unter seiner Regie entwickelte sich die Schwarzwälder Uhrensammlung zu einem wissenschaftlich und professionell geführten Museum von internationalem Rang und zum at- traktivsten Tourismus-Magneten Furtwangens. Dabei war die Museumsleitung während seiner gesamten beruflichen Tätigkeit an der Hoch- schule Furtwangen, insgesamt 35 Jahre, eigent- lich ein „Nebenjob“, sein Hauptberuf war die Lehrtätigkeit im Fachbereich Elektronik. Seine Dabei war für beide die Beschäftigung mit der Zeitmessung keineswegs der Hauptberuf. Sie waren Professoren an der Hochschule Furtwan- gen. Um 1960 nahmen sie ihre Lehrtätigkeit als Dozenten der damaligen Fachhochschule auf und übten sie bis zur Pensionierung aus. Ri- chard Mühe wurde „nebenbei“ die Leitung des damals noch bescheidenen Uhrenmuseums über- tragen. Er weckte in seinem Kollegen Helmut Kahlert das Interesse an den Uhren und fand in ihm einen engagierten Forscher und Berater. Die beiden Hochschulprofessoren ergänzten sich. Richard Mühe war der Kenner der Uhren- technik, während Helmut Kahlert sich stärker für das historische und soziale Umfeld der Uhrenfabrikation interessierte. In der Zusam- menarbeit entstanden interessante, wissen- schaftlich exakte, spannend zu lesende Bücher über Wecker, Kuckucksuhren oder Armband- uhren. Ihre Wege trennten sich mit dem Ruhe- stand. Richard Mühe, gesundheitlich angeschla- gen, zog mit seiner Familie an den Bodensee, wo er sich sehr wohl fühlte. Helmut Kahlert wurde 81 Jahre alt. Ein Herzinfarkt riss ihn mitten aus der Arbeit an einem Kapitel der Furtwanger Stadtchronik. Dr. Richard Mühe gilt als „Vater des modernen Furtwanger Uhrenmuseums“ Der „Vater des Furtwanger Uhrenmuseums“, Dr. Richard Mühe, starb am 10. Januar 2009 im Dr. Richard Mühe 72 72
Liebe gehörte den Uhren, davon zeugen auch zahlreiche Publikationen. Richard Mühe wurde 1929 im niedersäch- sischen Lammspringe geboren und legte 1947 in Hildesheim das Abitur ab. Bei einer Uhrma- cherlehre lernte er alles rund um Uhren von der Pike auf kennen. Eine Optikerlehre schloss er an, und anschließend studierte er in Braun- schweig Physik, Mathematik, Astronomie und Chemie. Die Zeitmessung ließ ihn nicht los, sei- ne Diplomarbeit hatte „elektronische Uhren- messtechnik“ zum Thema. An der physikalischen Bundesanstalt in Braun schweig begann die berufliche Laufbahn des jungen Naturwissenschaftlers. Im Jahr 1961 kam er als Dozent an die damalige „staatliche Ingenieurschule für Feinwerktechnik“ nach Furt- wangen. Seine Aufgabe waren Vorlesungen, insbesondere Physik, die Leitung des Labors sowie später des Unterrichtsreaktors der Hoch- schule. Das Interesse an Uhren und ihrer Ge- schichte, die Kenntnis ihrer Technik, brachte er mit, und so lag es nahe, dass er sich ehrenamt- lich der Historischen Uhrensammlung widmete, die der Ingenieurschule angeschlossen war. Die Sammlung umfasste damals rund 800 Exponate, überwiegend Uhren aus der Region. Den Grund- stein hatte Robert Gerwig bereits um 1850 ge- legt. Der erste Direktor der Großherzoglich Ba- dischen Uhrmacherschule hatte eine Reihe von Schwarzwälder Uhren zusammengetragen als Mustersammlung für die zukünftigen Uhrmacher. Von 20.000 zu über 140.000 Besuchern Als Richard Mühe nach Furtwangen kam, wurde die „Historische Uhrensammlung“ von rund 20.000 Besuchern pro Jahr besichtigt. Geöffnet war die Ausstellung nur während der Sommer- monate. Zwei Mitarbeiter betreuten das Muse- um. Es war noch ein weiter Weg bis zum heu- tigen Standard mit Fachpersonal vom Uhrma- chermeister bis zur Museumspädagogin, weit über 100.000 Besuchern jährlich und vielen Sonderaktionen. Im Jahr 1965 wurde Richard Mühe offiziell zum Leiter der Uhrensammlung ernannt und er begann, sie systematisch weiterzuentwickeln. Dr. Richard Mühe 1974 wurde der erste Uhrmacher angestellt, der für Pflege und Restaurierung der Uhren zu- ständig war. Die räumliche Situation war frei- lich miserabel, zahlreiche Objekte, die keinen Platz in der Ausstellung fanden, waren über unterschied liche Räume verstreut eingelagert. Ein Meilenstein in der Entwicklung des Mu- seums war der Ankauf der Hellmut-Kienzle Sammlung im Jahr 1975. Richard Mühe hatte zäh und zielstrebig verhandelt, sodass das Land schließlich die wertvolle Sammlung der Schwenninger Uhrenfirma für das Furtwanger Museum erwarb. Die Experten sahen in Furt- wangen die besten Möglichkeiten, die Samm- lung wissenschaftlich aufzuarbeiten und fach- kundig zu betreuen. Neun Millionen Mark ma ch- te das Land damals für die Sammlung locker. Auf einen Schlag verdoppelte sich der Be- stand des Furtwanger Museums und nicht nur das: Die Qualität und Vielfalt gewann eine neue Dimension. Fanden sich in den Beständen des Museums bis dahin überwiegend Uhren aus der Region Schwarzwald, so kamen nun auch wert- volle Stücke aus Frankreich und anderen Län- dern nach Furtwangen. Prachtvolle Tischuhren aus Renaissance und Barock sowie eine hoch spezialisierte Sammlung von über 1.000 Ta- schenuhren bereicherten die Bestände des Furt wanger Museums. Die wichtigste Weiche auf dem Weg von der „Historischen Uhrensamm- lung“ zum „Deutschen Uhrenmuseum“ war ge- stellt. Das manifestierte sich auch im neuen Namen: „Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen“ lautet er seit 1978. Begreiflicherweise waren die Schwenninger enttäuscht, dass die kostbare Uhrensammlung nicht in ihrer Stadt blieb, sondern nach Furt- wangen kam. Ganz leer gingen sie nicht aus, einen Teil der Stücke erhielt das Schwenninger Heimatmuseum als Leihgabe. Richard Mühe als verantwortlicher Museumsleiter traf die Aus- wahl und er beriet die Schwenninger bei der Gestaltung ihrer Uhrenabteilung. Richard Mühe trug bereits seit den 1970er- Jahren für das Museum auch Armbanduhren, Wecker und elektrische Uhren zusammen und erweiterte so kontinuierlich das Spektrum der Exponate. Die Sammlung wuchs, die räumliche Situation wurde dagegen schwieriger. Immer 73 73
Dr. Richard Mühe wieder war es der Kampf ums Geld, den der Mu- seumsleiter mit den Behörden führte. Mehr Räu me und mehr Personal waren unerlässlich für ein modernes, besucherfreundliches Muse- um. Die Situation wurde deutlich besser, als im Jahr 1992 endlich der Museums-Erweiterungs- bau in Betrieb genommen wurde. Die Uhren konnten nun besser und übersichtlicher prä- sentiert werden. Was die Besucher nicht auf den ersten Blick sehen: die Exponate wurden auch besser gesichert. Darüber hinaus hat man für die nicht ausgestellten Bestände sichere und klimatisierte Lagerräume geschaffen. Werk stätten und Nebenräume ergänzten die Räumlichkeiten im Hintergrund. Richard Mühe nutzte als Museumsleiter den aufstrebenden Fremdenverkehr, um das Deut- sche Uhrenmuseum als touristisches Highlight zu etablieren. Die Zahl der Besucher kletterte nach der Eröffnung des Neubaus auf 140.000 pro Jahr. Eine Vielzahl an Uhrenbüchern verfasst Immer war er offen für Ideen, wie man Furt- wanger und Touristen für das Museum interes- sieren kann. Schon zu Mühes Zeiten beteiligte sich beispielsweise das Uhrenmuseum am Som merfe rienprogramm, Uhrmachermeister Richard Menke bastelte mit Kindern Uhren – Vorläufer der heutigen „Uhrenwerkstatt“ für Kinder und Jugendliche. Seminare für Uhren- liebhaber und Uhrensammler gaben Tipps, auf was man beim Kauf alter Uhren achten muss. Richard Mühe verwaltete das Museum nicht nur, er erforschte auch die Geschichte der Uh- ren, davon zeugen zahlreiche Publikationen. Seine Spezialität war das technische Wissen. Für den künstlerisch-gestalterischen Part der Uhrenherstellung holte er die Kunsthistorikerin Beatrice Techen als seine Stellvertreterin an das Uhrenmuseum. Sein Professoren-Kollege Dr. Helmut Kahlert war Spezialist für die histo- rischen und sozialen Aspekte der Uhrenherstel- lung. Dieses Team verfasste mehrere Bücher gemeinsam: „100 Jahre Entwicklungsgeschich- te der Armbanduhren“, „Schwarzwälder Uhren“, 74 74 „Wecker“ sowie „Kuckucksuhren“. „Faszination Uhren“, „Die Geschichte der Uhr“, „Uhren und Zeitmessung“ sind einige der Titel von Richard Mühe. Auch mehrere Fassungen des Museums- führers sind von seiner Handschrift geprägt. Die Liste seiner Publikationen ist lang, 30 Titel weist die Deutsche Nationalbibliothek Leipzig auf. Darin nicht enthalten sind Artikel in Fach- zeitschriften. Seine umfangreichen Kenntnisse über Uh- ren und Zeitmessung brachte Dr. Richard Mühe auch bei der Deutschen Gesellschaft für Chro- nometrie ein. Von 1981 bis 1999 leitete er diese Vereinigung als erster Vorsitzender. Die Ge- sellschaft war 1949 gegründet worden, zu- nächst als Forschungsgesellschaft der Uhren- industrie. Die Mitglieder waren überwiegend in der Uhrenindustrie tätig und nutzten die Ge- sellschaft als Forum für den Erfahrungsaus- tausch. Mit dem Niedergang der Uhrenindus- trie konzentrierte sich das Interesse auf das Sammeln, Erhalten und Restaurieren alter Uhren, entsprechend änderte sich die Mitglie- derstruktur in Richtung Sammler und Freunde alter Uhren. Um dem Deutschen Uhrenmuseum in Furt- wangen mehr Rückhalt in der Bevölkerung zu ver- schaffen, hoben Richard Mühe und Günter Niesen im Jahr 1992 den Förderverein Uhrenmuseum aus der Taufe. Dieser Verein unterstützt das Museum nach wie vor bei Ankäufen und Aktionen. „Er war ein feiner Mensch“, erinnert sich Uhrmachermeister Richard Menke mit Respekt und Sympathie an seinen langjährigen Chef. Richard Mühe war ruhig und bescheiden, fair im Umgang mit seinen Mitarbeitern. Bei aller Be- geisterung für alte Uhren sammelte er selbst nicht, er erwarb privat im Laufe seines Lebens einige wenige Stücke, an denen er besondere Freude hatte. Am Ilben in Furtwangen hatten sich Richard und Erika Mühe ein Eigenheim gebaut, hier wuchsen ihre drei Kinder auf. Im August 1996 wurde Richard Mühe in den Ruhestand verab- schiedet als Professor der Hochschule und als Leiter des Deutschen Uhrenmuseums Furtwan- gen. Die Familie verließ den Ort des langjähri- gen, erfolgreichen Wirkens und zog ins mildere Klima an den Bodensee. Christa Hajek
Dr. Helmut Kahlert Professor der Hochschule, Uhrenkenner, Historiker und engagierter Furtwanger Bürger Persönlichkeiten Der in etlichen Klischees verhafteten Forschung zur Schwarzwälder Uhrenindustrie neue Impulse verschafft Ein Herzinfarkt riss Helmut Kahlert am 25. Ja- nuar 2009 mitten aus der Arbeit. Er war 81 Jahre alt, längst pensioniert, dennoch keines- wegs untätig: Auf seinem Schreibtisch lagen die Korrekturfahnen für ein Kapitel der Furt- wanger Stadtchronik, zu deren Herausgebern, Autoren und Redaktionsmitgliedern er gehörte. Geschätzt war er auch als Autor des „Alma- nachs“. Sein Rat als Historiker und Uhrenken- ner war auch im Deutschen Uhrenmuseum Furt- wangen immer noch gefragt. Der Hochschulpro- fessor engagierte sich auf vielfältige Weise in der Uhrenstadt: als SPD-Stadtrat in der Kom- munalpolitik, bei der Entwicklung der Staatli- chen Ingenieurschule zur Fachhochschule so- wie als Verfasser zahlreicher Bücher und Arti- kel in den verschiedens ten Fachzeitschriften. Er war ein glänzender Rhe toriker, schlagfertig und humorvoll. Stets vermittelten seine Vorträge nicht nur fundiertes Wissen, sie waren darüber hinaus unterhaltsam und geistreich. Dr. Helmut Kahlert Studierter Sozialwissenschaftler In Kleinheubach im Landkreis Miltenberg in Unterfranken wurde Helmut Kahlert am 2. Juni 1927 geboren. Der Zweite Weltkrieg prägten die Jugend und den Ausbildungsweg des jun- gen Man nes. Nach der Volksschule und der Oberschule wurde er, erst 16 Jahre alt, im Herbst 1943 zu den Flakhelfern eingezogen. Neben der militäri schen Ausbildung gab es sporadisch noch etwas Schulunterricht und nach einem Jahr einen „Reifevermerk“. Die Aus- bildung zum Panzergrenadier folgte, dann ein kurzer Einsatz an der Westfront. Helmut Kahlert kam in Gefangenschaft in den USA und in Eng- land. 1948 kehrte er zurück in die Heimat. Der 21-Jährige konnte ohne Abitur an bayrischen Universitäten studieren, das ermöglichte der „Hundhammer-Erlass“. Nach diesem Erlass des damaligen bayrischen Kultusministers Hund- hammer ersetzten der „Reifevermerk“ und drei Jahre Kriegsgefangenschaft das Abitur. Helmut Kahlert, der zunächst mit einem Theologiestudi- um geliebäugelt hatte, studierte Sozialwissen- schaften und schloss als diplomierter Volkswirt ab. Seine Doktorarbeit erforschte ein Thema, das beide Wissenschaften berührte, denn sie 75
Persönlichkeiten hatte den „Vergleich der Wirt schaftsauffassung von Luther und Melanch thon“ zum Inhalt. Nach einigen Jahren Arbeit in der Industrie kam Dr. Helmut Kahlert im Jahr 1959 als Dozent an die damalige Ingenieurschule Furtwangen. Zu jener Zeit war er der einzige Geisteswissen- schaftler des Kollegiums und gewissermaßen „Mädchen für alles“. Er bildete nicht nur ange- hende Ingenieure aus, sondern hatte darüber hinaus ein Deputat an der gewerblichen Be- rufsschule, wo er Deutsch, kauf männisches Rechnen und Staatsbürgerkunde unterrichtete. Schon in den 60er-Jahren knüpfte Helmut Kahlert Kontakte zu seinem Kollegen Richard Mühe, der neben seiner Dozententätigkeit für die historische Uhrensammlung verantwortlich war. Aus dieser Beziehung erwuchs eine inten- sive gemeinsame Arbeit, die über Jahrzehnte die Entwicklung des Uhrenmuseums prägte. Zahlreiche Publikationen wurden gemeinsam erarbeitet. Helmut Kahlert bereich erte die For- schung rund um die Uhrenindustrie um die As- pekte der Sozialgeschichte. Ihm ging es nicht in erster Linie um die technische Entwicklung, er untersuchte, wie die Uhrmacher lebten, wel- chen ökonomischen Bedingungen die Uhren- herstellung und die Märkte jener Zeit unterwor- fen waren. Dazu arbeitete er unzählige Quellen durch, entdeckte viel Neues und auch manche Kuriosität. In seinen Publikationen wusste er Fachwissen in anschaulicher Sprache darzu- stellen. Neue Impulse für die Uhrenforschung, auch die Rolle der Frauen untersucht Sein Buch „300 Jahre Schwarzwälder Uhrenin- dustrie“, das 1986 erstmals erschien, verlieh der in Klischees festsitzenden Forschung über die Schwarzwälder Uhrenindustrie ganz neue Impulse. Erstmals verknüpfte Dr. Kahlert die technischen Informationen mit den ökonomi- schen und politischen Bedingungen der jewei- ligen Zeit. In der überarbeiteten Auflage von 2007 untersuchte er darüber hinaus die Rolle der Frauen in der Uhrenherstellung. Namentlich sind nur wenige Uhrmacherinnen bekannt, doch leisteten viele Frauen gerade im Hausgewerbe 76 bei der Uhrenherstellung qualifizierte Arbeit. Gemeinsam mit Richard Mühe verfasste Helmut Kahlert eine Reihe von Büchern, zum Beispiel über Armbanduhren, Wecker und Kuckucks- uhren. Helmut Kahlert hatte im Laufe der Jahr- zehnte ein umfangreiches privates Archiv mit rund 3.000 Kopien historischer Quellen zusam- mengetragen. Dieses Archiv übergab er im Jahr 2002 dem Deutschen Uhrenmuseum. In akri- bischer Kleinarbeit verfasste er eine zweibän- dige Bibliografie zur Schwarzwalduhr mit ins- gesamt rund 2.000 Einträgen und Hinweisen auf Originalquellen. So interessiert Helmut Kahlert an neuen Erkenntnissen war, in Sachen Arbeitswerk- zeug blieb er „altmodisch“. Mit dem Computer mochte er sich nicht anfreunden, seine Ar- beiten schrieb er auf seiner alten Schreibma- schine. Seine historischen Kenntnisse kamen auch der Heimatgeschichte Furtwangens und der Um- gebung in vielfältiger Weise zugute. Er schrieb Artikel für den Geschichts- und Heimatverein sowie für die mehrbändige Furtwanger Stadt- chronik. Immer ging es ihm darum, gängige An- sichten zu hinterfragen, Vorurteile abzubauen, neue Erkenntnisse zu vermitteln. Engagiert für Hochschule aktiv – den Studen- tenstreik der 1960er-Jahre mit vorbereitet In den unruhigen 1960er-Jahren schwappte die Demonstrationswelle der Studenten auch in das ruhige Furtwangen. Für die Studierenden an Fachhochschulen war zur allgemeinen Kritik an den Zuständen an den Hochschulen ein zu- sätzliches Problem entstanden. Zu jener Zeit drohte nämlich den Ingenieurschulen wie der Furtwanger die Abstufung auf Techniker-Niveau. Das war eine Folge von EWG-Vereinbarungen. Die Studierenden sorgten sich um die internati- onale Anerkennung ihrer Abschlüsse. So kam es zu Demonstrationen und Streikaktionen, die Helmut Kahlert zusammen mit anderen Do- zenten unterstützte. Er hatte von 1965 bis 1967 ein Planungskomitee der evangelischen Stu- dentenschaft geleitet, das durchaus als Vorbe- reitung der Studentenstreiks gesehen werden
kann. Es ging bei diesen Diskussionen und For- derungen nicht nur um ständische Interessen wie höherer Verdienst und bessere Karriere- chancen, es ging auch um gesellschaftspoli- tische Fragen, insbesondere um den Ruf nach studentischer Selbstverwaltung. Als die Furtwanger Hochschule den Stu- diengang Wirtschaftsinformatik gründete, war Helmut Kahlert maßgeblich an der Planung und Realisierung beteiligt. Offiziell ging er im Jahr 1992 in Pension, aber noch bis zum Winterse- mester 2003/04 hatte er Lehraufträge an der Hochschule. Die großen Verdienste würdigte die Hochschule Furtwangen im Jahr 2006 mit der Verleihung der Robert-Gerwig-Medaille. Träger der Bürgermedaille – 21 Jahre lang für die SPD im Gemeinderat aktiv gewesen Die Furtwanger Kommunalpolitik prägte der ideenreiche Querdenker als SPD-Stadtrat in insgesamt vier Amtsperioden mit. Die Zeit sei- ner Arbeit im Stadtparlament summierte sich auf 21 Jahre. Allerdings nahm er nach jeder ak- tiven Amtsperiode wieder eine Auszeit. Er war im Gemeinderat von 1965 bis 1971, von 1975 bis 1980, von 1984 bis 1989 und von 1994 bis 1999. Mit der Bürgermedaille bedankte sich die Kommune im Jahr 1990 für das Engage- ment. Auch im Gemeinderat suchte er neue, auch ungewöhnliche Wege, brachte viele Ideen in die Diskussion. Er scheute sich nicht, un an geneh- me Wahrheiten auszusprechen und Dinge in Frage zu stellen, über die scheinbar schon Kon- sens herrschte. Nur ein Beispiel: Helmut Kah- lert rettete den Neukirchern ihr Schulhaus. Nach der Schließung der Neukircher Schule war es an einen Industriebetrieb vermietet, der das Gebäude kaufen und ausbauen wollte. Die Zu- stimmung schien nur noch eine Formalität zu sein, bis Helmut Kahlert wortgewandt dagegen argumentierte. Ein expandierender Betrieb pas- se nicht in den Dorfkern, das Gebäude sollte die Stadt für öffentliche Nutzungen behalten. Die Stimmung kippte, der Gemeinderat folgte sei- nem Antrag, die Neukircher behielten ihr Schul- Dr. Helmut Kahlert haus und konnten dort wenig später wieder die Grundschule und einen Kindergarten einrich- ten. Dass der Strohflechtlehrerin Cölestine Ei se- le ein Denkmal gesetzt wurde in Form des Brü- ckennamens bei der Hochschule, ist ebenfalls dem Stadtrat Helmut Kahlert zu verdanken. Weltoffen und reiselustig – aber auch eng mit der Heimat Furtwangen verbunden Schon bald nach dem Umzug aus Esslingen nach Furtwangen im Jahr 1959 nahmen Helmut und Irmgard Kahlert den Bau eines Eigen- heimes am Bodenwald in Angriff. 1963 zog Fa- milie Kahlert in das neue Haus, hier wuchsen die fünf Kinder auf. Die Kahlerts waren weltoffen und reiselus- tig. Früher ging es in den Ferien im VW-Bus mit Kindern und Hund, manchmal noch mit Nach- barskindern, quer durch Europa. Streng ge- plant wurde nie, erinnert sich Irmgard Kahlert. Immer fuhr die Familie auf gut Glück, improvi- sierte, blieb einfach dort, wo es ihnen gefiel, wo es Interessantes zu sehen gab. Bergtouren schätzte Helmut Kahlert ganz besonders. Die großen Ströme Europas wurden bei mehreren Reisen von der Quelle bis zur Mün- dung erkundet. So ging die Fahrt, immer mit dem Auto, entlang des Rheins, der Donau, der Loire oder der Mosel. Später bereisten Irmgard und Helmut Kahlert den Nahen Osten, ein- schließlich einer abenteuerlichen Eisenbahn- fahrt von Istanbul nach Aleppo. Die Verbundenheit zu seiner Heimat Furt- wangen drückt auch das jahrelange Enga- gement bei der Erforschung der Furtwanger Stadt geschichte aus. Sein Rat war gefragt, als es darum ging, die Grundlagen für die dreibän- dige Chronik von Furtwangen zu erarbeiten. Über nahezu zehn Jahre hinweg begleitete er als Mit-Herausgeber und Autor das Werden der Chronik, die nun in zwei Bänden vorliegt und deren dritter Band in naher Zukunft die reiche Geschichte der Uhrenstadt Furtwangen umfassend darstellen wird. Christa Hajek 77
Persönlichkeiten Helga Eilts Als Ortsvorsteherin von Tannheim engagiert für die Belange der Menschen aktiv Mit einem Traumergebnis in den Kreistag des Schwarzwald-Baar-Kreises gewählt, Stimmenkönigin bei der Kommunalwahl „Ich brauche keinen Urlaub“, stellt sie vergnügt fest, „nirgends ist es grüner und schöner als in Tannheim“. Oder: „Der Mensch ändert sich nicht. Du musst ihn annehmen, wie er ist.“ Oder: „Das Rathaus ist ein Stück meines Lebens inhalts.“ Oder: „Geduld lernst du in der Politik und beim Kinderkriegen.“ Das sind ty- pische Sätze für Helga Eilts, klare Aussagen, Be- und Erkenntnisse, die auf intensivem Leben und viel Erfahrung beruhen. Mit 38 Jahren stieg sie in die Politik ein und ist nun seit 30 Jahren Ortschaftsrätin. Vor 20 Jahren wurde sie zur Ortsvorsteherin von Tannheim gewählt, seit zehn Jahren ist sie Stadträtin von Villingen- Schwenningen und nun am Beginn ihrer dritten Amtsperiode. Neuerdings wurde sie mit einem Traumergebnis auch in den Kreistag gewählt. Sie war Stimmenkönigin bei den Kommunal- wahlen, was sie „umwerfend“ findet, ein enor- mer Vertrauensbeweis, den sie dankbar als Be- stätigung, Motivation und Auftrag zugleich sieht. Viele Einwohner unseres Landkreises ken- nen Helga Eilts auch vom Drogeriemarkt Müller in der Villinger Innenstadt, wo sie von 1967 bis 2000 mit einem Teilzeitauftrag an der Kasse saß, beliebt bei Kunden, Kollegen und Kolle- ginnen, deren Interessen sie auch als Betriebs- ratsvorsitzende vertrat. Helga Eilts hat keine Berührungsängste, sie ist zu allen gleicher maßen freundlich und höflich, ob Azubi oder Chef. Sie lässt sich nicht blenden von Geld und Ruhm, sondern schaut hinter die Fassade. Helga Eilts setzt sich für die 78 Helga Eilts ein, die Hilfe brauchen und nimmt aber auch jene in die Pflicht, die Hilfe geben können. Im Jahr 2000 spielte das Schicksal ihr selbst übel mit. Nach einer kleinen Operation lag sie sechs Wochen lang im Koma, dem Tod näher als dem Leben. „Aber ich war noch nicht dran“, sagt sie nachdenklich. Schweren Herzens gab sie ihre Arbeit bei Müller auf. Für die Tannhei- mer war sie allerdings immer präsent. Die Ar- beit, das Gebrauchtwerden, das Nützlichsein- können halfen ihr bei der Genesung. „Die Tannheimer stehen hinter mir“, weiß Helga Eilts und stellt ebenso selbstsicher fest: „Ich bin immer für sie da.“ Es gibt zwar feste Bür- gersprechstunden, doch die Menschen wissen, dass sie kommen können, solange Licht im Rat-
haus brennt und das tut es oft sehr lange und auch sonst ist sie jederzeit erreichbar. „Seit der Budgetierung ist Ortsvorsteher ein Fulltimejob.“ Ihr Vorgänger, Bürgermeis ter und Ortsvorsteher Johann Werne, war noch hauptamtlich bei der Stadt beschäftigt, Helga Eilts übernahm die Nachfolge ehrenamtlich mit zunächst abge- specktem Aufgabenspektrum, das allmählich wieder aufgefüllt wurde. Im ers ten Jahr habe sie zum Beispiel keine Renten anträge gemacht. Bis dann ein Rentner in spe ins Rathaus kam und vorwurfsvoll mutmaßte: „Das können Sie wohl nicht!“ Da sei sie zu sämtlichen Schulungen ge- gangen „und seither bearbeite ich auch Renten- anträge“. Ähnlich verhielt es sich mit ihrer Quali- fikation zur Standesbe amtin. Weit und breit die erste Ortsvorsteherin Dass die gebürtige St. Georgenerin überhaupt zur Ortsvorsteherin Tannheims gewählt wurde – damals weit und breit die erste Frau in diesem Amt –, war vor 20 Jahren eine mittlere Sensati- on. Die Tannheimer gelten als erzkonservativ und sind erzkatholisch, Helga Eilts ist weiblich und evangelisch, was anfangs durchaus nicht allen gepasst habe, nicht in Tannheim und auch nicht im Gemeinderat und seinen Gremien, in der Verwaltung und in den diversen Behörden, mit denen die Ortsvorsteherin fortan zu tun ha- ben sollte. Doch mit der ihr eigenen Offenheit und Neugier, mit ihrem gesunden Menschen- verstand und menschlichen Anstand verschaff- te sie sich schnell überall Respekt, der in den vielen Jahren oft zu Freundschaft wuchs. Schon als Kind hat Helga Eilts (die damals noch Ettwein hieß) gelernt, anzupacken, wo es nötig ist, Verantwortung zu tragen, sich in Män- nerwelten durchzusetzen. Die Eltern betrieben eine Bäckerei in St. Georgen, die Tochter lernte dort Bäckereifachfrau und stand täglich in Backstube und Laden „ihre Frau“, zusammen mit drei Gesellen, zwei Lehrlingen, Bruder und Vater. Helga Eilts ist ein Mensch, der stets um Aus- gleich bemüht ist, um innere und äußere Balan- ce, um Verständnis und Toleranz. Diese Quali- täten hat sie besonders in ihrer Ehe entwickelt, Helga Eilts denn ihr Mann Peter stammt von der Waterkant, viele Jahre war die Nordseeinsel Norderney sein Zuhause, was ihm nicht nur sprachlich anzumerken war. „Du kannst aus einem Ostfrie- sen keinen Schwarzwälder machen“, hat sie in 33 Jahren „guter Ehe“ gelernt. 1997 starb ihr Mann, seither konzentriert sie sich ganz auf ih- re Aufgaben als Ortvorsteherin. Die beiden Töchter leben mit ihren Familien in Wolterdin- gen und in Bräunlingen, das Verhältnis zu ih- nen, zu den Schwiegersöhnen und den beiden Enkelkindern ist eng und herzlich, „aber sie brauchen mich natürlich nicht mehr so wie frü- her“. Umso mehr wird sie von den Tannheimern gebraucht, die sie als ihre erweiterte Familie versteht. „Ich darf die Menschen ihr ganzes Le- ben lang begleiten, von der Geburt bis zum Tod.“ Dazu schlüpft Helga Eilts in viele ver- schiedene Rollen und übernimmt Funktionen, für die es in der Stadt diverse Fachämter gibt. Trauungen sind eine Lieblingspflicht der Orts- vorsteherin, die dafür extra die Akademie für Standesbeamte in Bad Salzschlirf besucht hat und sich überhaupt während der zurücklie- genden Jahre kontinuierlich für die sich än- dernden Aufgaben qualifiziert hat. Eine Ahnung von deren Vielseitigkeit erhielt sie bereits in der Kindheit, der Vater war acht Jahre lang Bürgermeister von St. Georgen. Doch was es im Detail bedeutet, sozusagen für alles zuständig zu sein, hat sie erst in ihrer zweiten Heimat erfahren. Neuland war zum Beispiel die Landwirtschaft mit komplexen Problemen und manchmal rätselhaftem Vokabular. Doch bald verstand Helga Eilts, dass bei einem „geschlitz- ten Flurstück“ Wiese in Ackerland verwandelt worden war und bewies bald Kompetenz auch bei der Bodennutzungsregelung. „Du musst dich halt reinwüten in eine Sache.“ Engagiert und aufrichtig: Die Tannheimer Besonderheiten fein erspürt Mit ihrem Engagement, ihrer Aufrichtigkeit und Bescheidenheit eroberte sie schnell die Herzen der Menschen im Dorf. „Die Tannheimer muss man verstehen“, erklärt Helga Eilts und meint 79
Persönlichkeiten damit nicht nur die speziellen Nuancen im Dia- lekt, wenngleich sie auch dafür sensibel ist. In St. Georgen sagt man „ni“ und „nus“, in Tann- heim „inni“ und „ussi“, und auch in der dörf- lichen Mentalität erspürte Helga Eilts bald die Besonderheiten. Tannheim stand der Eingemeindung 1972 skeptisch gegenüber, fühlte Distanz zu Vil- lingen, mehr Nähe zu Donaueschingen. Die Ge- meinde war wohlhabend, als sie sich einord- nen musste in ein größeres Ganzes, Helga Eilts verweist auf den Waldreichtum, auf eigenes Stromnetz und eigene Wasserversorgung. Ent- sprechend stolz und eigenwillig seien die Tann- heimer, die sich nie als Bittsteller in der Ge- samtstadt gesehen hätten, sondern sich „mit Bestimmtheit und Selbstbewusstsein einge- bracht und auch Ansprüche gestellt haben“. In den vergangenen 20 Jahren habe sich das Gemeinschaftsdenken geändert. Früher wohn ten in Tannheim nur gebürtige Tannhei- mer, und Fremde waren nicht unbedingt will- kommen. Als 1990 in Regie von Helga Eilts Bau- land gekauft und auf dem Zindelstein ein neues Wohngebiet für junge Familien erschlossen wurde, war die Zugehörigkeit zur Dorfgemein- schaft Hauptkriterium für den Verkauf eines Bauplatzes. „Man musste mindestes zehn Jah- re Bürger von Tannheim sein.“ Bei Wahlen sorgte Tannheim immer wieder für traurige Schlagzeilen als Hochburg der Rechten, oft zweistellig waren die Ergebnisse für eine natio- nalistische Randpartei. Doch das ist Schnee von gestern, die Furcht vor Fremdem ist längst Aufgeschlossenheit und Gastlichkeit gewichen, auch mit diesem inneren Klimawandel hat Helga Eilts viel zu tun. „Du musst halt argumentieren“, sagt sie und leugnet nicht, dass gelegentliche Konflikte unvermeidbar sind. „Du kannst es nie allen recht machen“, manchmal müsse sie auch „be- stimmt re den mit meinen Leuten“, Engagement einfordern: „Ohne Team geht nichts.“ Freilich müsse man die Menschen überzeu- gen, nicht überreden. So habe sie anfänglichen Widerstand gegen die teure Neckaroffenlegung im „fernen“ Schwenningen in Konsens umwan- deln können. „Wir sparen alle zusammen Ab- wasserkosten“, das sei zum Beispiel ein nach- 80 vollziehbares Argument für das Jahrhundert- projekt gewesen. Wichtig sei, die Menschen ernst zu nehmen in ihrer jeweiligen Befindlich- keit und mit ihren Sorgen und Nöten von der Kindheit bis ins Alter. Mit Geduld, Glaubwür- digkeit und Humor pflegt Helga Eilts auch die Beziehungen zu Nachbarkommunen und zur Verwaltung in Villingen-Schwenningen. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, weiß sie zum Bei- spiel vom zähen, langwierigen und letztlich er- folgreichen Ringen um den Radweg nach Vil- lingen. Andererseits dürfe man nicht nur for- dern, sondern müsse manches Mal auch zu- rückstecken, so wurde der lang gehegte Traum vom Radweg nach Über auchen mit Blick in die leeren Kassen vorläufig begraben. Großes Engagement für die Nachsorgeklinik Tannheim Ihre Arbeit beschreibt Helga Eilts als „Lernpro- zess, der nie aufhört“ im ständigen Abwägen von Pro und Contra und Ringen um Konsens in der Bevölkerung. Für viele Tannheimer sei zum Beispiel der Bau der Familienorientierten Nachsorgeklinik zunächst nur Landverbrauch gewesen „und alle hatten Angst vor zuviel Ver- kehr“. Anfangs habe fast niemand gewusst, was Mukoviszidose ist, heute könne jeder das schwierige Wort flüssig aussprechen und iden- tifiziere sich mit der Klinik und ihren Patienten. „Sie gehört zu uns“, stellt die Ortsvorsteherin fest, die sich als Schriftführerin im Freundes- kreis der Klinik engagiert. Die Kontakte werden beim Weihnachts- markt, bei Konzerten und Begegnungsnach- mittagen gepflegt. Die Klinik schafft auch Ar- beitsplätze und nicht wenige sind mit Tannhei- merinnen besetzt, Jugendliche aus dem Dorf helfen im Reitstall. Die Befürchtungen vor zu- viel Autos haben sich zerschlagen, denn da in Tannheim die gesamte Familie therapiert wird, gibt es kaum Besuchs-, sondern nur Anliefe- rungsverkehr. Die erste Scheu der Tannheimer vor den Familien mit ihren schwer kranken Kin- dern sei tiefem Mitgefühl gewichen und einem dankbaren Bewusstsein für die Gesundheit der eigenen Kinder.
Helga Eilts Zur großen Tannheimer Familie mit ihren rund 1.400 Mitgliedern gehören inzwischen nicht mehr nur angestammte Einheimische, sondern auch von auswärts Zugezogene. Ihre große Chance, in die Gemeinschaft aufgenom- men zu werden, sind die 17 Vereine. „Sie ver- binden die Menschen und sorgen für schnelle Integration.“ Gemeinsam lässt sich viel auf die Beine stellen, so motiviert Helga Eilts ihre Tannheimer oft und diese Haltung hat sich nicht nur beim Förderverein Freibad bewährt. Im Bad hat die leidenschaftliche Schwimmerin übrigens vor vielen Jahren Martin Schmitt kennengelernt, den berühmtesten Sohn des Dorfes, der als Kind gern mit seiner Mutter zum Schwimmen kam. Seit zehn Jahren begleitet der Tannheimer Fanclub (zu dem auch die Ortsvorsteherin ge- hört) den erfolgreichen Skispringer, hat auch seine Durststrecken mitgetragen und unlängst sein Comeback gefeiert. „Er hat sich toll entwickelt“, freut sich die Ortsvorsteherin und blickt versonnen auf eine Fanmütze von Martin Schmitt, die an der Wand ihres Zimmers im Rathaus hängt. Helga Eilts: „Schön, wenn man so vieles mitgestalten kann“ Eine nette Erinnerung wie die Urkunde vom Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ und eine nostalgische Schreibmaschine der Marke Triumph, die neben dem Schreibtisch steht. „Sie geht noch“, versichert Helga Eilts lächelnd, die sich nicht trennen konnte von dem guten Stück, obwohl auch das Tannhei- mer Rathaus natürlich längst im Computer- zeitalter angekommen ist. „Es ist schön, dass ich so vieles begleiten und mitgestalten konn- te“, sagt sie dankbar. Für die Zukunft hat sie sich vorgenommen, sich ein wenig mehr Zeit zu nehmen für Konzerte und Theaterbesuche, fürs Schwimmen und Musikhören, am liebs- ten russische Weisen. Wenn nichts dazwischen kommt wie das dringende Anliegen eines Bürgers … Christina Nack Die ehemals selbstständige Gemeinde Tannheim, heute ein Ortsteil von Villingen-Schwenningen, und die Nachsorgeklinik Tannheim (Mitte hinten am Waldrand) im Luftbild. 81
Persönlichkeiten Doris Feld – ein Leben für die Politik „Entscheidend ist das, was man vorlebt“ Durch und durch ein politischer Mensch: lebendig, kreativ, liberal Doris Feld: 33 Jahre lang in Kommunal- und Kreispolitik stark engagiert Über 30 Jahre lang aktiv im politischen En- gagement in öffentlichen Ämtern. Und zuvor engagierte sie sich bereits als junge Mutter für die Einrichtung eines Kindergartens, für Struktur-Verbesserungen im Wohngebiet Has- lach/Wöschhalde, in dem sie damals lebte. Das muss man Doris Feld erst einmal nachma- chen. Doris Feld ist ein durch und durch poli- tischer Mensch. Und das wird sie auch nach ihrem Ausstieg aus der „offiziellen Politik“ si- cher bleiben. Denn das liegt ihr einfach im Blut. Nachdem Doris Feld jetzt über drei Jahrzehnte als FDP-Bürgervertreterin in der Kommunalpo- litik aktiv war, trat sie bei der letzten Kreistags- wahl nicht mehr an. Ausgezeichnet mit der goldenen Bürgermedaille zum Abschied nach 20 Jahren Gemeinderatsarbeit, der goldenen Bürgermedaille für besondere Verdienste im Ehrenamt und der Theodor-Heuss-Medaille für 25 Jahre Mitgliedschaft in der FDP, geht Doris Feld in den „politischen Unruhestand“. 1980 wurde die kämpferische junge Frau damals für die FDP auf Anhieb in den Gemein- derat Villingen-Schwenningen gewählt, 1989 genauso im ersten Anlauf in den Kreistag. War sie im Stadtrat ab 1989 schon die erste Frak- tionsvorsitzende im Gremium, war sie das in dieser Funktion auch ab 2004 im Kreistag. Nach 20 Jahren im VS-Gemeinderat stieg sie dort 1999 aus, widmete sich künftig verstärkt den Kreisthemen. Sitzungen, Haushaltsstruktur kom- 82 Doris Feld mis sion, Ausschuss für Bildung und Soziales, Kreisjugendhilfeausschuss – das ist ein gehö- riges Pensum. Manchmal hatte Doris Feld pro Monat mehr Termine im Terminkalender als der Monat Tage hat. Kaum einen Termin hat sie ver- säumt in all den Jahrzehnten, arbeitete sich ge- wissenhaft auch durch 600 Seiten Haushalts- entwürfe durch. Doris Feld war immer bestens informiert, die Verwaltung konnte ihr nie ein X für ein U vormachen, im Kreis wie in der Stadt. Trotz der vielen „Kärnerarbeit“ scheute sie 1992 auch nicht eine Landtags-Kandidatur für die FDP. Und auch neben der politischen Arbeit und der Vielzahl an Vereinsmitgliedschaften auf VS-Ebene ist Doris Feld stark in der Kreis- Partnerschaft mit dem Komitat Bács-Kiskun in
Ungarn seit der Gründung als zweite Vorsitzen- de im deutsch-ungarischen Freundeskreis en- gagiert. Seit 2003 ist sie zudem im Verband die erste Präsidentin eines Blasmusikorchesters bei der Stadt- und Bürgerwehrmusik Villingen. Und auch hier steht ihr ein Kraftakt bevor: Das Orches ter samt Bürgerwehr feiert nächstes Jahr das 200-jährige Bestehen, das unter anderem mit einem großen Zähringerfest für die Bevöl- kerung gefeiert werden soll. „Entscheidend ist, was man vorlebt“ Doch nach einem Ausstieg aus politischen of- fiziellen Ämtern aufzuhören, politisch zu den- ken, das kann eine Doris Feld niemals. Undenk- bar. Denn ihr ganzes Leben ist stark geprägt von der Politik, von politischer Arbeit, von po- li tischen Diskussionen und Gesprächen – und das seit Kindesalter. Denn schon in ihrem El- ternhaus, dem Bauunternehmen Eigeldinger, wurde beim Mittagstisch immer über Politik, Wirtschaft und Geschäft geredet, so erinnert sie sich. Und schon als Schülerin ging Doris Feld damals nicht aus dem Haus, ohne die Ta- geszeitung gelesen zu haben. Politische Ma- gazine verschlang sie geradezu. Seit dem 18. Lebensjahr ist immer montags der „Spiegel“ ihre wichtigste Lektüre. Und dieses Leben prägte später wiederum auch ihre drei Kinder. Tochter Katja wusste zum Beispiel bereits mit drei Jahren, dass sie ihrer Mutter, wenn diese bat, sie solle ihr den „Spiegel“ bringen, nicht den Frisierspiegel meinte. Stolz ist Doris Feld schon ein bisschen, dass ihre Kinder sich spä- ter oft ein Abo eines politischen Magazins als Geschenk zu diversen Festen wünschten. „Ich war nie eine radikale Feministin“, so Doris Feld im Rückblick, „entscheidend war und ist immer das, was man vorlebt“. Als sie allerdings 1999 nach 20 Jahren Rats- arbeit zuhause am Mittagstisch verkündete: „Ich kandidiere übrigens nicht mehr für den Gemeinderat“, waren zunächst alle total ver- blüfft. Tochter Katja fand als erste die Sprache wieder und meinte lakonisch: „Aber nicht, dass Du jetzt nur noch zu Hause rumhängst.“ Doris Feld hing natürlich nicht zu Hause „rum“, ge- Doris Feld nauso, wie sie ihr politisches Engagement nicht aufgab. Sie hatte sich nur etwas mehr Luft ver- schafft für das Kreisgeschehen. Die Doppelbe- lastung plus Haushalt und drei Kinder waren einfach zuviel. Unterschriftenaktion für einen Kindergarten Als Doris Feld 1974 heiratete, 1975 bereits ihr ältester Sohn Florian geboren wurde und sie mit ihrer Familie in die Wöschhalde nach VS- Villingen zog – damals eine „Wohnwüste“ ohne jegliche Infrastruktur, ohne Lebensmittelver- sorgung und vor allem Kindergarten – war das der Nährboden für ein Engagement der jungen, politisch interessierten Mutter. Schwanger mit ihrem zweiten Sohn Felix startete sie 1977 allei- ne eine Unterschriftenaktion für den Bau eines Kindergartens, marschierte zu den Parteien, in alle Versammlungen, zum Oberbürgermeister. In einer zweiten Aktion rollte dann 1978 ein VHS-Frauengesprächskreis Haslach/Wöschhal- de die Situation so rich tig auf, was die gesamte Infrastruktur in der Wöschhalde anbelangte. Auf eine Verschie bung des Termins, an dem sie eine Unterschriftenliste an den Oberbürgermeister übergeben sollte, reagierte die damals hoch- schwangere Doris Feld heftig: „Wenn Sie wol- len, dass mein Sohn im Dienstzimmer des Ober- bürgermeisters zur Welt kommt, dann können sie den Termin verschieben.“ Der Termin blieb, Sohn Felix wurde einen Tag später geboren. Und schon war Doris Feld unaufhaltsam mit tendrin im kommunalpolitischen Gesche- hen. 1980 war Gemeinderatswahl. Die Parteien klopften bei ihr an. Doch so politisch denkend Doris Feld auch ist, Parteipolitik ging ihr eigent- lich schon immer gegen den Strich. Doch ohne Parteibuch ging nichts. Ihr war zwar klar, dass die FDP der falsche Verein war, um im „schwar- zen“ Villingen politisch Karriere zu machen. Doch ihre liberale Haltung passte einfach am besten zur FDP, in deren Fraktion sie dann auch auf Anhieb gewählt wurde. Immerhin war sie damals halb so alt wie die meisten ande- ren Räte. Frustrierend für Doris Feld war, dass die FDP sich nie durchsetzen konnte und sie ist heute noch überzeugt: „Wir waren unserer 83
Doris Feld Zeit um Jahre voraus: VS-Jugendmusikschule, Volkshochschule, Bibliothek, alles lief bereits damals aus dem Ruder und hätte längst anders strukturiert werden müssen. Viel später bei der Notbremse ging es natürlich nicht ohne Blessu- ren ab, sagt die damalige VS-Stadträtin konse- quent. „Ich könnte ein Buch über vertane Chan- cen und kaputt gemachtes Geld schreiben“, sinniert sie. Doch sie gab nie auf. Oft setzte sie sich in die Nesseln, verteidig te kämpferisch vor allem die Nachhaltigkeit bei Investitionen, ärgert sich heute noch über die damalige Ver- kleinerung der Neuen Tonhalle. Von 1989 an 20 Jahre lang im Kreistag Trotzdem 1983 ihr drittes Kind, Tochter Katja geboren wurde, nahm Doris Feld in den Folge- jahren ihrer politischen Karriere mindestens 90 Prozent aller Termine war, bei denen Stadt- oder später Kreisräte gefragt waren – nur damit die zahlenmäßig kleine FDP im Kreis der „Gro- ßen“ präsent war. Und neben ihrer Gemeinde- ratsarbeit in der VS-Fraktion engagierte sie sich ab 1989 genauso rund 20 Jahre lang im Kreis- tag, arbeitete in der Haushalts-Strukturkom- mission mit, ebenso im Ausschuss für Bildung und Soziales, im Kreisjugendhilfeausschuss und dem Planungsbeirat. Blick auf Villingen vom Aussichtsturm in der Parkanlage Hubenloch aus. Und doch gab es 2006 einen Bruch: Doris Feld trat aus dem FDP-Ortsverband Villingen- Schwenningen aus, blieb aber über den libera- len Kreisverband Mitglied der Partei. Eine kon- sequente Entscheidung für Doris Feld, die ihren „Job“ immer als ein politisches Engagement mit großer Disziplin und viel Zeitaufwand ver- stand, in dem man Zeichen setzen konnte. Ein Kraftakt – der auch für ihre Familie nicht immer einfach war. Nur einmal „streikte“ Ehemann Nor- bert Feld: in den Anfangsjahren der politischen Karriere seiner Frau wurden auch die Stadträ- tinnen bei Einladungen noch „mit Ehefrau“ ein- geladen. Da riss ihm der Geduldsfaden: „Nein, als deine Ehefrau gehe ich jetzt nicht mit …“ Ehemann Norbert Feld hatte es nicht immer leicht mit einer derart vielbeschäftigten Ehefrau. Denn in einem derartigen Engagement, das bei Doris Feld auch stark von Emotionen geprägt war, hat sie sich im politischen Enga gement oft gefetzt, der Adrenalinspiegel ging schnell hoch, da kam sie mit ihrem hohen An spruch an sich selbst zu Hause „nicht so schnell runter“. Und seit über 30 Jahren ging auch jedes Wochenen- de drauf, wenn sie über den Vorlagen für Aus- schüsse und das Plenum brütete, wenn der Ter- minkalender das Gebetbuch war. Doch jetzt will Doris Feld das Leben gelöster angehen, und ist sicher, dass es auch ein Leben (fast) ohne Poli- tik gibt. Marga Schubert 84
Alois Straub II Einer der letzten Uhrenschildmaler des Schwarzwaldes mit Gesellenbrief Persönlichkeiten Am 7. Mai konnte Alois Straub II aus Linach sei- nen 80. Geburtstag feiern. Er ist bekannt als einer der letzten Uhrenschildmaler im Schwarz- wald mit Gesellenbrief und somit einer der letz- ten einer aussterbenden Zunft. Geboren und aufgewachsen ist Alois Straub im Linacher „Sargenhäusle“. Dieses Haus wur- de 1522 erbaut und ist das älteste Haus in Li- nach. Alois war zu dieser Zeit ein häufiger und beliebter Name. Da es schon einen um zwei Jahre älteren Alois Straub – nämlich vom Wei- ßerhof – gab, bekam der jüngere der beiden zur Unterscheidung den Zusatz mit der römischen II. Die Männer mit dem Vornamen Alois aus dem Linachtal pflegen seit 1964 die Tradition, jedes Jahr zu ihrem Namenstag am 21. Juni zu einem Alois-Treffen zusammenzukommen. Je- des Jahr bei einem anderen. Und zwar immer in der Reihenfolge vom Untertal kommend. Es le- ben noch vier Personen. Die Uhrenschildmalerei hat im „Sargenhäus- le“ eine lange Tradition seit 1840. Das Anwesen gehörte dem Urgroßvater von Alois Straub, Jo- seph Bürkle. Dieser hatte fünf Töchter. Aller- dings hatte sein Schwiegersohn – ein einge- heirateter Straub – wenig Interesse am Uhren- schildmalen. Erst wieder dessen Sohn, der Vater von Alois Straub, Karl Straub. Er machte sich 1919 selbstständig. Eine Lehre als Uhrenschildmaler beim Vater Ursprünglich wollte der junge Alois Straub nicht den Beruf des Uhrenschildmalers erler- nen. 1943 hatte er bereits eine Lehrstelle als Förster in Furtwangen. Nach Beendigung der achtjährigen Linacher Volksschule 1944 muss- te er erst einmal ins Wehrertüchtigungslager ins Elsass. Doch schon nach einigen Tagen er- hielt er ein Telegramm von seinem Vater, dass Alois’ Schwester Lioba überraschend gestor- ben sei. So konnte er wieder nach Hause in den Schwarzwald. Da auch seine Mutter ein Jahr zu- 85
wangen. Dieser hatte sich just zu diesem Zeit- punkt selbstständig gemacht und somit war Alois Straub der erste Gesell, den Basler einge- stellt hat. Ratschreiber von Linach 1949 wurde Alois Straub zum Ratschreiber von Linach berufen. Sein Vater Karl war seit 1945 Bürgermeister der Gemeinde Linach. Dieses Amt übte er bis 1962 aus. 1971 übernahm Alois Straub zusätzlich noch die Arbeiten des Ge- meinderechners. Im Jahr 1973 schlug allerdings die letzte Stunde der damals noch selbststän- digen Gemeinde Linach. Es war die Zeit der Ge- meindereformen. Linach wurde in die Stadt Furt wangen eingemeindet. Der damalige Bür- germeister von Linach, Alois Scherzinger, setz- te sich stark dafür ein, dass der bisherige Ver- waltungsfachmann von Linach ins Furtwanger Rathaus übernommen wird. Dies konnte dem damaligen Furtwanger Bürgermeister Hans Frank nur Recht sein. In Linach war Alois Straub in den Verwaltungsangelegenheiten ein „All- rounder“ und konnte 25 Jahre Erfahrung in der Gemeindeverwaltung vorweisen. Bei der Stadt Furtwangen war er bis zur Rente im Juli 1992 im Bauamt als Sachbearbeiter beschäftigt. Zusätz- lich führte er die Protokolle im Linacher Ort- schaftsrat und war für die Linacher Bevölke- rung stets Ansprechpartner, wenn es um Ver- waltungs angelegenheiten ging. Die Uhrenschildmalerei betreibt er bis heu- te als Hobby und Nebenerwerb. Nach dem Tod Persönlichkeiten vor überraschend gestorben war und auch sei- ne beiden Brüder im Krieg waren, meinte sein Vater, dass wenigstens einer zu Hause bei der Arbeit helfen solle. Zumal auch noch eine klei- ne Landwirtschaft zum Broterwerb da war. Also begann Alois Straub eine Lehre zum Uhren- schildmaler bei seinem Vater. Doch schon im Oktober 1944 musste Alois Straub wieder von zu Hause weg: zum Schan- zen ins Elsass. Dort war er zehn Tage. Aller- dings nur 12 Stunden musste er wirklich Schan- zen graben. Durch den Vormarsch der Franzo- sen war von deutscher Seite her der Rückzug angesagt. So konnte er sich nach kurzer Zeit wieder nach Hause durchschlagen und seine Lehre im häuslichen Betrieb fortsetzen. In die Gewerbeschule musste er im ersten Lehrjahr nach Furtwangen. Dort waren alle Handwerksberufe in einer Klasse. Danach ging es für zwei Jahre nach Donaueschingen. Dort waren alle Malerberufe in einer Klasse zusam- mengefasst. Damals war es noch üblich, dass der Gewerbelehrer auch in die Ausbildungsbe- triebe ging, um zu schauen, ob die Lehrlinge in den Betrieben auch gut ausgebildet werden. Der Besuch kam meist überraschend. Dies ge- schah alle zwei oder drei Wochen. Die Uhrenschilder wurden in der Hauptsa- che nach St. Georgen, zu Mayer-Uhren nach Schönenbach oder zum Uhren-Walz nach Furt- wangen verkauft. Nach der Lehre arbeitete Alois Straub weiter als Geselle bei seinem Vater. Einen großen Einbruch gab es mit der Wäh- rungsreform 1948. Es kam die Zeit der maschi- nellen Fertigung. Der Absatzmarkt für handbe- malte Uhrenschilder war total zusammengebrochen. So blieb dem jungen Gesel- len nichts anderes übrig als sich nach einer anderen Arbeit umzusehen. Diese fand er 1949 bei Malermeis- ter Albert Basler in Furt- Von Geburt an wohnt Alois Straub im Sargenhäusle. Es wurde 1522 erbaut und ist das älteste Haus von Linach. 86
seines Vaters Karl im Jahr 1979 übernahm er dessen Arbeit und führte diese alte Tradition bis heu- te weiter. Gerne zeigt er sein Handwerk auf kleineren Ausstel- lungen. Oft in der näheren Umgebung. Aber er ist mit seiner Kunst schon weit herumgereist. Auch im Fernsehen war er öfters schon zu se- hen. So hat er die hohe Qualitätsarbeit aus dem Schwarzwald weit über die Region hinaus bekannt gemacht und einen großen Beitrag für die Werbung des Schwarzwalds geleistet. Eine Familie mit sieben Kindern 1953 heiratete er Elisabeth Dengler vom Lina- cher Geflügelhof, wo das junge Ehepaar für ein Jahr wohnte. Danach zog es Alois Straub zurück ins elterliche „Sargenhäusle“ und er bekam das Haus 1959 überschrieben. Bis 1982 betrie- ben sie dort dann noch Landwirtschaft. Die junge Familie wuchs nach und nach ste- tig an – sieben Kinder hat man. Franz hat ne- benan ein Haus gebaut. Er ist Meister bei IMS Gear in Donaueschingen. Luitgard wohnt in Un- terkirnach und ist Diplom-Volkswirtin. Walter wohnt in Furtwangen und ist Fertigungsleiter bei Scher zinger-Pumpen. Regina betreibt eine Wirtschaft in Schaffhausen. Edgar wohnt in Lauterbach und ist Werkzeugmachermeister bei IMS Gear in Donaueschingen. Jürgen wohnt in Vöhrenbach. Er hat beim Malerbetrieb Basler gelernt. Heute arbeitet er bei Möbel-Hohbach in Vöhrenbach. Karola wohnt in Herzogenweiler und ist Kinderkrankenschwester im Villinger Krankenhaus. Hinzu kommen noch 12 Enkelkin- der. Seine Ehefrau Elisabeth ist im Sommer 2009 verstorben. Großes Engagement für Linacher Vereine Ein großes Hobby von Alois Straub war der Ge- sang. Als sich nach dem Krieg 1947 wieder die ersten Sänger zusammenfanden, war auch Alois Straub mit dabei. Schon bald übernahm er im Gesangverein Linach Verantwortung: 40 Jahre hat er als Vorstand die Vereinsgeschichte maß- Uhrenschildmaler Alois Straub Jeder Uhrenschildmaler hat sei- ne eigene Apfelrose, hier die „Straub-Rose“. geblich mit beeinflusst und getragen. 1954 wur- de er zweiter Vorsitzender. 1968 übernahm er die Leitung des Vereins als erster Vorsitzender. Und dies 26 Jahre lang. Bei seinem Ausschei- den aus dem Vorstandsgremium wurde er für seine Verdienste zum Ehrenvorsitzenden er- nannt. Der Gesangverein „Liederkranz“ Linach war der einzige reine Männerchor im Oberen Bregtal und genoss über die Region hinaus gro- ßes Ansehen. Mit großer Freude sang Alois Straub im Chor, bis dieser 2006 die Sangestä- tigkeit mangels Nachwuchs einstellte. Eng verbunden mit Alois Straub ist das Lina- cher Frühlingsfest. Es wurde zum erstenmal 1969 im Schuppen des Hinterbauern veranstal- tet. 25 Jahre war hier Alois Straub als Festwirt tätig und bewies großes Organisationstalent. Die Theateraufführungen an Weihnachten waren eng verbunden mit dem Gesangverein. Diese jetzt schon fast 100-jährige Tradition wurde mit der Neugründung des Gesangvereins 1947 weitergeführt. Auch hier war Alois Straub mit von der Partie. Mit großer Leidenschaft be- deutete fast 60 Jahre die Bühne die Bretter der Welt für ihn. 33 Jahre hat er Theater gespielt und danach die Regie übernommen. 30 Jahre war Alois Straub aktives Mitglied bei der Linacher Feuerwehr. Ehrenmitglied ist er nicht nur bei der Feuerwehr, sondern auch beim örtlichen Harmonikaverein. Über zehn Jah- re berichtete Alois Straub über das örtliche Ge- schehen als Lokalreporter. Von 1973 bis 1995 ge- hörte Alois Straub dem katholischen Pfarrge- meinderat der Pfarrei St. Nikolaus in Schönen- bach an. Die Wendelinka pelle in Linach ist eine Filialkapelle von Schönenbach. Nach dem Krieg war er es, der 1946 zusammen mit seinem Bruder Josef wieder die Krippe in der Linacher Kapelle aufbaute. Sein Engagement für die Allgemeinheit wur- de 1998 gewürdigt mit der Bürgermedaille der Stadt Furtwangen und der Ehrennadel des Lan- des Baden-Württemberg. Andreas Trenkle 87
4. Kapitel Aus dem Wirtschaftsleben Das Technologiezentrum in St. Georgen Der High-Tech-Standort im ländlichen Raum ist ein absolutes Erfolgsmodell Das St. Georgener Technologiezentrum, das im Jahr 1983 seinen Betrieb aufge- nommen und 1984 als zweites Zentrum in Baden-Württemberg formal gegründet wurde, entpuppte sich bereits sehr früh als Erfolgs- modell. Es half, den Konkurs von DUAL Gebrüder Stei- dinger GmbH & Co. KG in St. Georgen abzufangen und den Strukturwandel in neue, technologieintensive Be reiche zu fördern. Durch den Mut und die Motiva- tion, die vorhandenen Probleme pragmatisch anzugehen, wurde das Technologie- zentrum zu einem der erfolgreichsten im Land. Dabei sind die besonderen Konstel- lationen, wie sie in St. Georgen aufgrund der Entstehungsgeschichte des Zentrums zu finden waren, Grund, um dies detailliert zu untersuchen. Doch zuerst stellt sich die Frage, was Technolo- giezentren im Grunde überhaupt sind? Sie sind Instrumente einer tech nologieorientierten regio- nalen Strukturpolitik. Aufgaben dieser Einrich- tungen sind hauptsächlich die Erzielung posi- tiver regionalökonomischer Effekte durch Unter- stützung von jungen Unternehmen, die auf For- schung und Entwicklung basierende Innovati- onen in Produkte umsetzen. Bei jungen Unter- Die Stadt St. Georgen war nach dem DUAL-Kon- kurs in enormen Nöten, das 1983 ins Leben geru- fene Technologiezentrum half der Stadt dabei, den Arbeitsplatzverlust nach und nach aufzufangen. nehmen im High-Tech-Bereich sind der Wille und die Ideen vorhanden. Aber wenig Eigenkapital, große notwendige Investitionen und geringe an- fängliche Gewinnaussichten und die „Durststre- cke“ in der Anfangsphase halten junge Hoch- schulabsolventen oder qualifizierte Firmen-Mit- arbeiter oft davon ab, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Und dies, obwohl das geplante Pro- dukt oder die entwickelte Dienstleistung gute Aussichten auf technischen und kommerziellen Erfolg hat. Oft mangelt es auch an günstigen Ge- werberäumen und an der benötigten Infrastruk- tur. Ein Technologiezentrum, wie es in St. Geor- gen seit 25 Jahren existiert, schafft dabei Abhilfe und bietet weitere wichtige Funktionen an. 88 88
Das 1984 formal gegründete Technologiezen trum St. Georgen. Das Technologiezentrum bietet jungen innovativen Unternehmen eine umfassen- de und zertifizierte Gründungsberatung sowie subventionierte und flexible Gewer- beräume. Die Miete wird mit der Reifung des Unternehmens Jahr für Jahr leicht erhöht, bis im fünften Jahr die lokale Marktmiete erreicht ist. Anders als in vielen anderen Technologiezen- tren müssen die Unternehmen nicht nach einer bestimmten Zeit die Einrichtung verlassen. Viel- mehr werden gemeinsam Alternativen im Um- feld gesucht oder Räume im Technologiezen- trum sich ändernden Gegebenheiten angepasst. Dabei wird dennoch ständig auf die Innovati- onskraft sowie die Zukunftssicherheit der Pro- dukte und Dienstleistungen geachtet. Des Weiteren erweist es sich als Vorteil, dass die Unternehmensgründer den direkten Zugang des Technologiezentrums zu Kammern, Banken, anderen Unternehmen sowie Kontakte zu Kapitalgebern nutzen können. Die gemein- same Nutzung vorhandener Infrastruktur (Be- Technologiezentrum St. Georgen sprechungsräume oder Cafeteria) ver- ringern die Fixkosten und sor gen für einen regen Austausch untereinander. Der Austausch der jungen Unterneh- men im Technologiezentrum bewirkt einen Synergieeffekt, denn gerade in den ersten Jahren nach der Gründung ergeben sich für die Geschäftsführer verschiedener Unternehmen oft die gleichen Probleme. Eine Besonderheit der St. Geor- gener Technologiezentrum GmbH ist es, dass die Perpetuum Ebner GmbH & Co. (PE), der Hauptgesellschafter, sich in begründeten Fällen sogar mit Risikokapital in die Firmen einbringt. Somit besteht die Mög- lichkeit zur gezielten Unterstützung von Grün- dungen, die sonst nicht möglich wären. Es gab sogar bereits Fälle, bei denen der Geschäfts- führer des Technologiezentrums auch der Ge- schäftsführer eines neu gegründeten Unterneh- mens wurde, bis einer der Mitarbeiter der ers- ten Stunde das Unternehmen übernehmen konnte. Die Gründungsphase des Technologie- zentrums St. Georgen GmbH Bekannte Unternehmen wie die börsennotierte GFT Technologies AG, die Gesellschaft für An- triebs- und Steuerungstechnik (GAS), die Me- tris GmbH, das schnell wachsende Internet- kaufhaus Yatego oder jüngst das High-Tech Startup Tridelity sind exemplarische Ergebnis- se der Arbeit des Technologiezentrums. Die Einrichtung in der Bergstadt ist in vieler- lei Hinsicht mit Besonderheiten ausgestattet, die bereits in der Gründungssituation entstan- den sind. Von großer Bedeutung ist auch ihre Vorgeschichte: 1982 standen der Stadt St. Ge- orgen durch die Insolvenz von DUAL, ein welt- 89 89
Aus dem Wirtschaftsleben Die Geschichte des Technologiezentrums wi- derspiegelt sich auch im „Almanach“, der im Jahr 1986 die Einrichtung als „Technologie- fabrik“ vorstellte: „Was in anderen Städten nur unter erheblichen Schwierigkeiten und nach langen Diskussionen möglich wurde, entstand in der Schwarzwaldstadt St. Geor- gen ohne sichtbare Reibungen und vor allem aus vorwiegend privater Initiative“, heißt es im Jahrbuch. Ein halbes Jahr nach der offiziellen Inbe- triebnahme im Januar 1985 war schon die Hälfte der 4.000 Quadratmeter umfassenden Fläche an Firmen vergeben. Inzwischen war die Arbeitslosenquote in der Stadt von 9,4 auf 4,6 Prozent gesunken. weit bedeutender Hersteller von HiFi-Geräten, wirtschaftlich schwere Zeiten bevor. DUAL be- schäftigte mehr als 1.800 Menschen in St. Ge- orgen, die alle vor dem Verlust des Arbeitsplat- zes standen. Dazu wurden die angesiedelten Zulieferer und deren Mitarbeiter von DUAL mit in den Strudel der wirtschaftlichen Schwierig- keiten gerissen. Nicht zuletzt gehörten PE, der Schwestergesellschaft von DUAL, die an diese vermieteten Gewerbeimmobilien in St. Georgen, die den Charme der 1970er-Jahre symbolisier- ten. Ein Konkurs von DUAL bedeutete somit gleichzeitig auch einen großen Leerstand von Gewerberäumen in der Stadt. Aufgrund der damaligen rechtlichen Gege- benheiten gelang es dem Konkursverwalter, Rechtsanwalt Hans Ringwald, unterstützt durch das Wirtschaftsministerium des Landes und die Geschäftsführung von DUAL, das Vermögen der Besitzgesellschaft bei Erhaltung ihrer Selbst- ständigkeit für die Abwicklung des Konkursver- fahrens nutzbar zu machen. So konnten viele Arbeitsplätze vor Ort erhalten werden, weil Ge- werbeflächen günstig für die Übernehmerfirma zur Verfügung standen. Aus der wirtschaftlich schwierigen Situation konnte noch etwas Gutes geschaffen werden. Die letztendliche Gründung des Technolo- giezentrums in St. Georgen aber wurde durch eine USA-Reise des damaligen baden-württem- bergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth 90 ausgelöst, der im Silicon-Valley auf Einrichtun- gen stieß, die durch die Nähe von Hochschulen, preisgünstigen Gewerbeflächen und weiteren Serviceleistungen High-Tech-Unternehmen ge- zielt zur Gründung trieben. Lothar Späth warb dafür, diese Idee auch in Baden-Württemberg umzusetzen, um Forschungs- und Entwick- lungs tätigkeiten, die in Deutschland zu der Zeit an einem Tiefpunkt angelangt waren, zu för- dern. Es wurde beschlossen, ein flächendecken- des Netz von lokalen und regionalen Technolo- giezentren im Land zu errichten. Weitsicht führt zum Erfolg In St. Georgen waren im Jahr 1983 dafür durch die leer stehenden Räume von PE und die Nähe zur Hochschule Furtwangen bereits gute Vo- raussetzungen geschaffen, sodass die An re- gung des baden-württembergischen Wirt schafts – ministeriums aufgegriffen wurde, nach Karlsru- he das zweite Technologiezentrum im Land im ehemaligen DUAL Werk I in der Bergstadt einzu- richten. Ein Gedanke mit Weitsicht und Erfolg. Im gleichen Jahr wurde noch das Technologie- zentrum in Stuttgart gegründet. Als Gründungsgesellschafter der St. George- ner Tech nologiezentrum GmbH konnten neben der PE, der die Gebäude gehörten, und der Stadt St. Georgen, noch zwei regionale Banken sowie die Industriegemeinschaft gewonnen wer- den. Heute sind noch zwei Gesellschafter, PE und die Stadt St. Georgen für die GmbH verantwortlich, wobei die Kreditinstitute immer noch engen Kontakt zu den Unternehmen im Technologiezentrum pflegen und wichtige Netzwerkpartner sind. Ende 1983 mietete sich Prof. Dr. Wolf- Dieter Goedecke, Professor an der Univer- sität Aachen, mit zwei Mitarbeitern in ei- nen 25 Quadratmeter großen Raum im ehe- maligen DUAL Werk I bei PE ein, sodass das Technologiezentrum bei der offiziel- len Gründung bereits den ersten Mieter hatte. Die Firma G.A.S. Gesellschaft für Antriebs- und Steuerungstechnik mbH ging aus dieser Ini-
tiative hervor. Sie blieb 18 Jahre im Technolo- giezentrum, bevor sie im Jahr 2002 ein eigenes Gebäude im St. Georgener Gewerbegebiet Ha- genmoos baute. Die Roboter der Firma GAS sor- gen weltweit für Aufsehen und Anerkennung. Softwareentwicklung als Keimzelle des Strukturwandels in St. Georgen Das Technologiezentrum St. Georgen weist bran chenunabhängige Existenzgründungen im Hoch technologiebereich als Zielgruppe auf. Aufgrund der Nähe zur Hochschule Furtwangen hat sich die Entwicklung von Software als Schwer punkt der gegründeten Unternehmen herausgebildet. Etwa 70 % der kreativen Kräfte im Technologiezentrum beschäftigen sich mit Softwareentwicklung oder der Verarbeitung deren Ergebnisse. Weitere Schwerpunkte der angesiedelten Unternehmen sind Automation, Ro botik, Messtechnik, Elektronik und Umwelt- technik. Vor allem die Softwareschmiede von Pro- fessor Schönemann spielte zu Beginn eine gro- ße Rolle. Aus diesem Umfeld entstanden in St. Georgen Unternehmen wie die GFT Technologies AG im Jahre 1987. Die GFT be- schäftigt als heu- te börsenno- tiertes Unterneh- men mittlerweile 1.100 Mitar beiter in vielen Ländern der Welt und unterhält immer noch einen großen Teil der Hauptverwaltung im Technologiezentrum. Die GFT mit ihrem Gründer und Vorstandsvorsitzen- den Ulrich Dietz bietet mit den Geschäftsberei- chen IT-Services, Personalressourcing und Ar- chivierungssoftware ein umfangreiches Leis- tungsportfolio an. Die Metris GmbH, die als Softwareent- wickler und -dienstleister für große Versi- cherungsunternehmen arbeitet und ihren Hauptsitz auch nach dem räumlichen Auszug aus dem Techno- logiezentrum „im- mer noch im TZ“ hat und den Stand- ort St. Georgen Technologiezentrum St. Georgen Von der Uhr zum börsennotierten IT-Service-Unter- nehmen – das Technologiezentrum St. Georgen hat der Region wertvolle wirtschaftliche Impulse gege- ben. Die Erfolgsgeschichte von Ulrich Dietz und der von ihm 1987 gegründeten GFT Technologies AG belegt die Weitsicht bei der Gründung des Techno- logiezentrums im Jahr 1984. aus baute, wurde 1990 als META Finanz- und In- formationssysteme GmbH als Tochter der Al- lianz-Holding AG gegründet. Im Jahr 2000 ent- stand durch ein Management-Buy-Out die heu- tige Metris GmbH, die mit mehr als 60 hoch- qualifizierten Mitarbeitern in St. Georgen weltweit IT-Lösungen für Banken und Versicherungen anbietet. im Hauptsitz Erwin Müller gründete 1987 die M&M Software GmbH in Furtwangen und zog 1994 in das inzwi- schen um weitere Räu- me in anderen PE-Ge- bäuden „erweiterte“ Technologiezentrum St. Georgen ein. Dies ist eine wei te re Grün- dung, die im Umfeld der Hochschule Furtwan- gen stattgefunden hat. Kunden des Unterneh- mens sind internationale Firmen aus dem Um- feld der Au tomatisierungsindustrie und des Ma – schinen baus. Nach dem wachs tums be ding ten Umzug an den neuen Standort „im Techno- logiezen trum“, einer Fläche der PE, entstehen heute in St. Ge orgen technologisch führende Softwareprodukte in den Bereichen Feldgeräte- management, Engineering-Systeme und inter- aktive Pro duktselektion. 91
Aus dem Wirtschaftsleben ® Yatego wurde 2003 gegründet und der Firmensitz ist seitdem im Technologiezen- trum. Zurzeit beschäftigt Yatego mehr als 100 Angestellte und die Zahl der Mitarbeiter wächst weiterhin sehr schnell. Das größte deut- sche Internetkaufhaus vermietet virtuelle La- denfläche an gewerbliche Händler. Weitere Dienstleistungen, wie eine telefonische Be- stellhotline und ein umfassender technischer Support, runden das Angebot für die Endkun- den und die Händler ab. Laut einer Studie von Nielsen Netratings ist Yatego mit einer Wachs- tumsrate von 137 % eines der 10 wachstums- stärksten Internetunternehmen des Jahres 2006. Mehr als 7.800 Händler bieten inzwischen bei den „Erfindern der Shoppingfreude“ über 3,1 Millionen Artikel an. Die Firma Tridelity Display Solutions GmbH ist eine sehr junge und innovative Gründung im Technologiezentrum St. Ge- orgen. Das 2006 gegründete Unternehmen hat sich auf die Neu- und Weiterentwicklung sowie die Herstellung und den Vertrieb von serienrei- fen autostereoskopischen 3D-Displays spezia- lisiert. Das Bild auf diesen 3D-Monitoren ist ohne weitere technische Hilfsmittel für den Be- Tridelity-Mitbegründer Michael Russo (links) und Prokurist Jens-Thomas Kobberstad zeigen ein von ihrer Firma entwickeltes 57-Zoll-Display, mit dem der Betrachter ohne Spezialbrille dreidimensionale Bilder sehen kann. 92 trachter dreidimensional zu erkennen. Ein ver- blüffender Effekt, der noch in den technischen Anfängen steckt, aber großes Potenzial in der Werbewirtschaft, in der Medizintechnik und in vielen weiteren Anwendungsgebieten besitzt. Mehrere nationale und regionale Innovations- preise zeigen deutlich, dass das Unternehmen, unterstützt vom Technologiezentrum und der Stadt, Zukunft hat und Keimzelle für weitere Entwicklungen in der Bergstadt sein kann. Interne und externe Netzwerke verhelfen zum Erfolg Von großem Vorteil hat es sich seit Beginn des Technologiezentrums erwiesen, dass der Ge- schäftsführer des Technologiezentrums gleich- zeitig beim Haupt- gesellschafter PE ei- ne Schlüsselpositi- on inne hatte, denn so konnten Unter- nehmen, die räumlich dem Technologiezen- trum mit seinen 8.500 Quadratmetern entwach- sen waren, ohne Reibungsverluste in Gewerbe- flächen der Perpetuum Ebner GmbH & Co. in St. Georgen untergebracht werden. Die PE besitzt weitere Gewerbeflächen in der Größenordnung von 80.000 Quadratmetern, die heute weitest- gehend vermietet sind. Das Technologiezentrum St. Georgen unterhält einige Netzwerke, die dem Wirt- schaftsstandort St. Georgen zugutekom- men. Die Kontakte zum Netzwerk der Techno- logiezentren Baden-Württembergs erweisen sich insofern als fruchtbar. Darüber hinaus wurde mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tech- nologiezentren eine Zertifizierung für Existenz- gründer im High-Tech-Bereich entwickelt, die bei dem Start ihres Unternehmens mit einem standardisierten Fragebogen beraten werden. Der Erfolg dieser strukturierten Vorgehenswei- se ist deutlich nachzuvollziehen, denn in der Geschichte des Technologiezentrums musste nach der Gründung nur ein einziges Unterneh- men wieder aufgeben. Weiterhin bestehen bereits sehr lange enge Beziehungen zum HSG-IMIT, dem Institut für
Mikro- und Informationstechnik der Hahn-Schi- ckard-Gesellschaft in Villingen-Schwenningen, einem der führenden Forschungs- und Entwick- lungsdienstleistern von mikrotechnischen Kom- ponenten und Systemen. Die Zusammenarbeit bedeutet für die Unternehmen im Technologie- zentrum vor allem einen schnelleren Innova- tionstransfer. Nicht zuletzt arbeitet das Technologiezent- rum als verlässlicher und engagierter Partner an der weiteren Verbesserung der Stadt St. Ge- orgen als familienfreundlicher Standort. Die Un ternehmen im Technologiezentrum profi tie- ren auf lange Sicht durch die verbesserten An- gebote für die Familien der spezialisierten Fach- kräfte. Vor dem Hintergrund der akuten Fachkräf- teproblematik im ländlichen Raum ist dies eine nicht zu unterschätzende Komponente. Virtual Dimension Center für digitale Produktentwicklung Seit dem Jahr 2005 ist eine weitere weg- weisende Einrichtung im Technologiezen- trum St. Georgen untergebracht, das Vir- tual Dimension Center TZ St. Georgen w.V. Dieser wirtschaftliche Verein, der durch die Ini- tiative des Technologiezentrums St. Georgen GmbH, dem HSG-IMIT, der IHK Schwarzwald- Baar-Heuberg, der Visenso GmbH und der Stadt St. Georgen an- gesiedelt wer- den konnte, ist das Kompetenz- zentrum für digitale Produktentwicklung in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. Es bündelt das innovative Potenzial der Bereiche Berech- nung, Simulation, Visualisierung und Virtuelle Realität, um dies Unternehmen vor Ort zur Ver- fügung zu stellen. Durch den Zugang zu neuester Technologie im Bereich der Virtuellen Realität können die Vorteile digitaler Produktentwicklung optimal genutzt werden. Der Kosten- und Zeitaufwand eines Produktzyklus konnte dadurch in einigen Fällen bis auf die Hälfte reduziert werden. 12 Mitglieder nutzen heute bereits diese Vorteile. Das VDC TZ St. Georgen kooperiert mit dem Ge- Technologiezentrum St. Georgen Spezialist für digitale Produktentwicklung, hier bei einer 3D-Simulation, ist das Virtual Dimension Cen- ter im TZ St. Georgen. Das neue Kompetenzzentrum bündelt innovatives Potenzial. werbepark Neuhausen ob Eck im Raum Tuttlin- gen, um die Innovationen auch dem dort vor- handenen Cluster der Medizintechnik zur Ver- fügung zu stellen. Das Technologiezentrum sorgt für den guten Branchenmix der Region Das Technologiezentrum leistet seit 25 Jahren einen großen Beitrag zur wirtschaftlichen Exis- tenzsicherung sowie zur ökonomischen Stabili- tät in St. Georgen. Dabei besitzt es Ausstrah- lungseffekte in die Region. Durch Vernetzungen mit anderen Technologiezentren im Land wird schneller Technologietransfer in die mittelstän- dischen Unternehmen gewährleistet, was einen Beitrag zur technologischen Spitzenposition des Landes Baden-Württemberg in der Bundes- republik leistet. Diesen Technologievorsprung zu halten, schafft Arbeitsplätze. Das Technologiezentrum bildet die organi- satorische Klammer um die jungen Firmen und bietet dabei eine breite Palette von Serviceleis- tungen und Beratungen. Es hilft dabei, die neu gegründeten Existenzen zu festigen und sorgt damit für den guten Branchenmix der Region, denn innovative High-Tech-Gründungen sind überdurchschnittlich risikoreiche Unterneh- mensgründungen, die durch das Technologie – zen trum gezielt unterstützt, forciert und in St. Ge orgen konzentriert werden. Matthias Henel/Dieter Knorpp 93
Aus dem Wirtschaftsleben Bromberger – der erste Eindruck zählt Die 85 Mitarbeiter des Donaueschinger Unternehmens verarbeiten 6.500 Tonnen Karton im Jahr Die Verpackung sorgt für den alles entscheidenden Unterschied – auf den ersten Blick! In unserer schier unüberschaubaren Warenwelt mit ihrer großen Vielfalt ähnlicher Pro- dukte kommt es auf die augenfällige Präsentation des Produktes an. Die Verkaufsver- packung mit ihrer ursprünglichen Schutzfunktion ist längst ein überzeugender Haupt- Werbeträger. Durch die Verpackung kann der Käufer das Produkt erkennen, sei es am Namen, am Logo, an der Farbe oder an der Form der Packung. Die Verkaufsverpackung vermittelt den ersten und kaufentscheiden- den Eindruck. Der Konsument macht sich dies nicht immer bewusst. Der Hersteller dagegen macht sich umso mehr Gedanken, wie er seine Produkte bestmöglich in Szene setzen und absetzen kann. Für die Umsetzung seiner Ideen gibt es die Spezialisten von Bromberger Packungen in Donaueschingen, die alle Veredelungsverfahren beherrschen – mit 105 Jahren Packungstradition! Sicherlich hat jeder schon einmal ein Produkt aus dem Hause Bromberger in der Hand gehal- ten. Die Vielfalt der Branchen, für welche „Maß- anzüge aus Karton“ entwickelt, gestaltet und produziert werden, ist überaus groß. Ob welt- weit bekannte Markenartikel, ausgefallenes Lu- xusgut, alltäglicher Gebrauchsgegenstand oder Haushaltsartikel: Brom berger Packungen ver- edelt und schützt die Güter mit einem indi- viduell gefertigten „Anzug“ aus Karton, herge- stellt aus einem nachwachsenden Rohstoff. Ob klein und edel oder Mil lio nen-Se rie: mit einem hoch mo dernen Maschinen- park werden im Unterneh- men Bromberger die Ideen der Gestalter produkt- und kundenspezifisch in Karton Einige Faltschachteln aus dem Hause Bromberger. 100 realisiert. Geschäftsführer Christof Bromberger: „Mit unserer großen Fertigungstiefe, Flexi bilität und einer hohen Innovationskraft zur Lösung auch anspruchsvollster Aufgaben sind wir sehr gut am Markt positioniert.“ Innovativ am Markt, über 100-jährige Erfahrung Dabei baut man auf die Erfahrungen einer über 100-jährigen Firmengeschichte, in der sich kon- tinuierlich Tradition und Innova- tion zu nachhaltigem Erfolg verknüpfen, der ein stetiges Wachstum ermöglicht. Im Jahr 1904 gründete Karl Brom berger in Heidelberg die „Litho grafische Kunstanstalt Karl Bromberger“. 1907 zog es ihn wieder auf die Baar zurück, wo er im Haus an der heu- tigen Friedrich-Ebert-
Bromberger Packungen Luftbild der Firma Bromberger Packungen, das Unternehmen ist in Donaueschingen-Allmends- hofen angesiedelt. Straße in Allmendshofen seine Arbeit zunächst zwei Jahre alleine mit der Lupe an Druckvorla- gen für Briefbögen, Werbeplakate und Verpa- ckungen fortsetzte und auf Solnhofer Schiefer von Hand eingravierte. Im Jahr 1909 stellte Karl Bromberger mit Josef Raus den ersten Lehrling ein. Der bekannte Musiker der Donaueschinger Stadtkapelle sollte Karl Bromberger 55 Jahre die Treue halten. Das Geschäft war mühsam. Per- sönlich musste Karl Bromberger die Kontakte zu seinen Kunden herstellen. Bis nach Tuttlin- gen oder Trossingen führte ihn sein Weg, den er stets mit dem Fahrrad zurücklegte. Hier sa- 101
Aus dem Wirtschaftsleben ßen seine großen Kun- den wie der Musik- instrumente-Hersteller Hohner. Die bunten Schwarzwald-Motive auf den Verpackungen der millionenfach ver- kauften Mundharmoni- kas stammen aus der künstlerischen Hand von Karl Bromberger. Karl Bromberger Schwer war der An- fang nach dem Zweiten Weltkrieg. Von den in- zwischen 15 Mitarbei- tern kamen die meisten nicht mehr oder nur versehrt wieder heim. Mit sechs Mitarbeitern lief die Produktion in wirt- schaftlich schwierigen Zeiten mit der Herstel- lung von Zigaretteneinschlägen für die fran zö- sische Besatzungsmacht wieder an. Nach Kriegs – ende klopften die Gebrüder Faller 1947 an Brombergers Türe, um mit Hilfe seiner Maschi- nen eine Idee zu verwirklichen: Modellhäus- chen aus Karton. Nach Schichtende bei Brom- berger rüsteten die Fallers die Maschinen um und produzierten so ihre Häuschen, die mittler- weile aus Kunststoff hergestellt werden (siehe auch Seite 67). in den folgenden Die Söhne Gerhard und Josef Brom- berger übernahmen das Unternehmen, das Jahrzehnten kon tinuierlich expandierte. Parallel zur räum lichen Erweiterung wurde das Pro- duktions-Programm abgerundet durch das Stanzen, das Kaschieren und die Kleberei. 1973 trat Hubert Bromberger ins Familienunternehmen ein und führ- te dieses zunächst zusammen mit sei- nem Bruder Karl bis zu dessen Aus- scheiden Ende der 1980er-Jahre. Schiebeschachtel für ein hochwertiges Küchen- besteck. Für kre- ative Lö sun gen ist Bromberger bekannt. 102 Bromberger Packungen in Donaueschingen. Der Spe zialist für Karton-Verpackungen jeder Art ver- fügt auch über eine hochmoderne Kleberei, die komplexe Produkte möglich macht. Mit 85 Mitarbeitern werden für die Kunden kreative, individuelle Lösungen erarbeitet Bis zum heutigen Tag ist Bromberger Packun- gen auch in der dritten und mit Christof Brom- berger in der vierten Generation ein solides und gleichermaßen erfolgreiches Fa mi lien unterneh- men. „Es zeigt sich übe r aus deutlich, dass Zu- kunft oft eine lange Vergangenheit hat – dass sie auf Nachhaltigkeit aufbaut“, wie es Christof Bromberger formuliert. Um diesem Anspruch ge recht zu werden, hat Bromberger nicht nur kontinuierlich in die hochmoderne, vorbildliche Druckerei investiert, sondern auch in das welt- weit erste verschiebbare Hochregallager einer neuen Generation. Das Hochregallager erlaubt den punktgenauen Abruf der Produkte. Im Branchenvergleich ist die Firma mit ihren 85 Mitarbeitern groß, aber nicht zu groß. Dadurch ist es möglich, gemeinsam mit den Kunden kreative und individuelle Lösungen zu entwickeln und diese flexi- bel, schnell und kompetent umzusetzen. Zu den Kunden zählen dabei der regionale Mit- telstand genauso wie internationale Großkon- zerne. Durch die lange Er fahrung in unter- schiedlichsten Branchen findet ganz automa- tisch ein Technologie-Trans fer statt, der das Beste aus der Welt der Falt schachteln, Displays
Blick auf das moderne Hochregallager. und Werbemedien bietet – Synergie-Effekte frei Haus so- zusagen. Täglich werden bis zu zwei Millionen Verpackun- gen, Displays und Werbemittel produziert. Die Vielfalt der belieferten Branchen spiegelt sich dabei auch in der technischen Ausstattung wieder. Das Spektrum reicht von der CAD-Ent- wicklung, „der Geburtsstätte der Packungen“, über Drucken, Prägen, Kaschieren, Stanzen, Fenstern und Kleben bis hin zu Konfektion und Logistik. Die Qualität von heute – das sind die Aufträge von morgen Somit wird bei Bromberger für den Kunden ein erfolgreiches Marketinginstrument aus einem Guss entwickelt und gefertigt. Das entschei- dende Erfolgskriterium ist letztlich immer die nachhaltige Kundenzufriedenheit. Sie wird täg- lich neu überprüft und erarbeitet. Sie ist ge- kennzeichnet durch gewachsenes Vertrauen, Zuverlässigkeit und überzeugende Preise. Die Basis der Wettbewerbsfähigkeit wiederum ist ein kontinuierlicher Innovati- ons- und Verbesserungs- Prozess, der sich an diver- sen Zertifikaten ablesen lässt. So wurde das Unter- nehmen unter anderem er- folgreich zertifiziert nach DIN/ISO ISO 9001 (Qualität nach internationalen Stan- Die Geschäftsführung von Bromberger Packungen, von links: Hubert Bromberger, Christof Bromberger und Joachim Werner. dards), PSO (Prozess Standard Offset: höchste Druckqualität – täglich und garantiert), FSC/ PEFC (Einsatz von Karton aus nachhaltig bewirt- schafteten Wäldern) und CCC (Color Competence Center: Farbkompetenz aus dem hauseigenen Farblabor). Die Geschäftsführung beschreibt die Unter- nehmensstrategie mit folgenden Worten: „Wir filtern ständig das Beste aus dem Bewährten und perfektionieren es im ständigen Abgleich mit Trends und Strömungen. Der aktuelle Stand der Technik geht dabei eine gelungene Symbio- se mit solidem, kreativem Handwerk ein. Au- ßerdem legen wir als eigentümergeführtes Fa- milienunternehmen großen Wert auf die per- sönliche Note im Umgang mit Kunden, Lieferan- ten und Mitarbeitern, mit denen wir eine ziel- orientierte Partnerschaft anstreben – der Erfolg gibt uns Recht. Durch raffinierte und ideenrei- che Packungskonstruktionen und aufregende Veredelungen erwecken wir den zweidimensio- nalen Rohstoff Karton zum Leben. Er wird drei- dimensional mit neuesten Technologien ver- 103
Bromberger Packungen formt, damit letztlich der Kunde am Regal auf allen Sinnes-Ebenen angesprochen wird: durch Information und Emotion – denn die Verpa- ckung ist der Resonanzraum der Marke!“ Die tägliche Herausforderung bedeutet für Bromberger Packungen, die vielfältigen Va ri an- ten mit höchster Qualität kosteneffizient zu produzieren. Man könnte auch sagen: die Ni- sche ist die hochveredelte Vielfalt. Anhand Blick in die Produktion bei Bromberger – die Pro- duktion und Veredelung der Packungen erfolgt mit einem hochmodernen Maschinenpark. einer Karton-Verarbeitung von ca. 6.500 Ton- nen pro Jahr mit mehreren tausend Aufträgen, von denen jeder anders ist, erkennt man, wie abwechslungsreich das Tätigkeits- und Produk- tionsspektrum bei Bromberger Packungen ist. Durch permanente Schulungs- maßnahmen, intern wie extern, wird das anspruchsvol le Qua li- tätsniveau ständig optimiert, um den steigenden Anforderungen der Kunden und dem eigenen Mot- to gerecht zu werden, denn: „Mor- gen ist heute!“ Stefan Simon Displays von Bromberger – hochwer- tig produziert mit viel Know-how und aufwendiger Technik. 104
Südwest Messe: Klassiker in der 50. Auflage Buntes Kaleidoskop aus Nützlichem, Interessantem und Skurrilem Aus dem Wirtschaftsleben „Gucken kostet nichts“ – das wäre eine gute Erklärung, warum die 50. Südwest Messe ausgerechnet im Krisenjahr Aufwind bekom- men hat: Zum ersten Mal seit fünf Jahren wurde die magische Gren- ze von 100.000 Besuchern wieder überschritten. Allerdings erklärt das „Gucken“ allein noch lange nicht, warum auch die Aussteller so zufrieden waren. Mehr als 17 Prozent stuften auf einer Befra- gung während der Messe ihre Teilnahme erfolgreicher als im Vorjahr ein! In 21 Hal- len und auf dem großen Freigelände wurden an ca. 700 Verkaufs-, Informations- und Demon stra tions ständen auf 60.000 Quadratmetern rund 10.000 Produkte und Dienstleistungen vorgeführt. Im Jahr 1950 wurde in Schwen- ningen eine Messe aus dem Boden gestampft, mit der die Wirtschaft an- gekurbelt werden sollte. Der damalige Oberbür- germeister Hans Kohler setzte sich gegen Skepti- ker durch und ließ die Stadt- verwaltung auf einem 6.000 Quadratmeter großen Gelände an der Friedensschule eine 17 Tage dauernde Messe planen. „Südwest stellt aus“ hieß die Schau, zu der 370 Aussteller kamen. Schon damals lock- ten Sonderschauen über Straßenbau, sozialen Wohnungsbau und Uhren die Besucher. In den Kinos wurden Werbespots gezeigt, im Umkreis von rund 50 Kilometern um Schwenningen fuh- ren Lautsprecher wagen über die Dörfer, um zur Industrie-, Handels- und Gewerbeausstellung zu laden. Schon damals galt: nicht kle- ckern, sondern klotzen. „Bei dieser Aus- stellung soll es sich um keine Kreis- oder Provinzausstellung handeln, sondern um eine Ausstellung für das gesamte Gebiet Württemberg-Baden“, hieß es in der Einla- dung des Oberbürgermeisters. Das hat sich bewahrheitet: Im Jahr 2009 verkündete Ministerprä- sident Günther Oet tin- ger: „Ganz Baden-Würt – temberg schaut auf die Südwest Messe.“ Mit den 36.500 Be- suchern, die zum Teil so- gar aus Skandinavien ka- men, wurden im Jahr 1950 zwar die Erwartungen übertroffen – um die Kosten zu decken, reichte der Eintritt von regulär je einer D-Mark jedoch nicht. Die Stadt musste die Differenz von 50.000 Mark übernehmen, weshalb Organisation und Unter- nehmerrisiko künftig an eine Privatfirma über- tragen wurde. Den Zuschlag bekam das Büro für Orga- nisation und Wirtschaftswerbung mit Sitz in Stutt gart, in welchem Kurt Langer, der Vater der heutigen Messechefin Stefany Goschmann, ei- ne leitende Position innehatte. Aus dieser Fir- ma ging später die heutige Betreiberfirma der Messe, die Südwest Messe- und Ausstellungs- GmbH (SMA) hervor. 1953 ging „Südwest stellt aus“ in die zweite Runde, von da an wurde die Messe zunächst al- 105
Südwest Messe: Klassiker in der 50. Auflage le zwei Jahre, ab 1970 jährlich veranstaltet, weshalb 2009 erst die 50. Messe über die Büh- ne ging. Der Platz an der Friedensschule reichte schon für die zweite Messe mit mehr als 400 Ausstellern nicht aus. Die Turngemeinde 1859 Schwenningen überließ der Messeleitung den Platz am Waldeck, auf dem sie bis heute ihr Do- mizil hat. Pendelbusse gab es bereits 1953, aber damals wohl eher wegen zu geringer Mo- torisierung der Besucher und nicht wie heute, weil zu viele mit dem Auto kommen und des- halb an den Wochenenden und dem Feiertag Park-and-ride-Plätze zur Verfügung stehen. Bis heute arbeitet die Messe eng mit Stadt und Land zusammen, im Arbeitsausschuss sit- zen Vertreter der Stadt, der Wirtschaftsförde- rung, der Landwirtschaftsverbände, der Marke- ting- und Absatzförderungsgesellschaft für Ag- rar- und Forstprodukte Baden-Württemberg, so – zialer Einrichtungen, Medien und vielen mehr. Schirmherr ist der Ministerpräsident. Insgesamt sieben Millionen Besucher Der Donnerstag scheint für die Messe ein Glückstag zu sein: Bei der ersten Messe im Jahr 1950 wurde der 15.000-ste Besucher an diesem Wochentag gefeiert, bei der 50. Messe kam der Siebenmillionste ebenfalls an einem Donners- tag. Zu Zeiten des Wirtschaftswunders gab es dafür ein elektrisches Bügeleisen, eine Flasche Wein und Seife, während der Wirtschaftskrise bekam der „runde Besucher“ Blumen und ei- nen 700-Euro-Gutschein. Das besucherstärkste Jahr war 1965, als 215.000 Besucher kamen. Seit die neun- tägige Messe am Samstag nach Pfingsten be- ginnt und damit den Fronleichnamstag ein- schließt, ist dieser der besucherstärkste Tag. Einer Studie aus dem Jahr 2006 zufolge sind die typischen Besucher der Südwest Messe „überwiegend weiblich (52 %), zwischen 30 und 50 Jahre alt (38 %), Angestellte (36 %) … und kommen in Begleitung ihrer besseren Hälf- te (69 %)“, wie in der Chronik zu lesen ist, wel- che die Messe zum Jubiläum erstellen ließ. Die Messegesellschaft schätzt die direkten und indirekten Ausgaben im Zusammenhang 106 mit der Südwest Messe inklusive der Umsätze der Aussteller und der angestoßenen Produk- tionseffekte auf 100 Millionen Euro, was etwa 1.100 Arbeitsplätzen entspricht. Die Jubiläumsmesse Bei der 50. Südwest Messe drängten sich allein an diesem Feiertag bei schönstem Wetter 27.000 Besucher in den 21 Hallen und auf dem 35.000 Quadratmeter großen Freigelände. Ob Sonne oder Regen ist für die Gesamtbilanz nicht entscheidend. „Bei Regen freuen sich die Aussteller in den Hallen, bei Sonnenschein die- jenigen im Freigelände“, sagt Messechefin Ste- fany Goschmann. „Am besten ist durchwachse- nes Wet ter und das ha- ben wir meistens: Bis- lang ist es nur ein einzi- ges Mal vorgekommen, dass es wäh rend der ge- samten Messe gar nicht regnete und noch nie, dass es durchregnete.“ Stefany Goschmann Rund 720 Aussteller zeigten um die 10.000 Produkte, vom Acker- schlepper bis zum Zie- gelstein. Ein großer Teil der Freifläche ist der Landwirtschaft gewidmet. Bauern und Hobby- gärtner finden vom Mähdrescher über die Kuh- Waschanlage bis zum Roboter-Rasenmäher al- les, was das Herz begehrt. Seit der zweiten Südwest Messe gibt der „Tag der Landwirtschaft“ den Bauern der Region Gelegenheit, sich im Festzelt zu treffen, politische Themen zu diskutie- ren und mit den Ausstellern zu fachsim- peln. Im Jahr 2009 war der Milchpreis ein gro- ßes Thema und der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter nutzte den Sonntag, um für hö- here Milchpreise zu demonstrieren. Sie brach- ten sogar eine Kuh mit ins Festzelt und ernteten Verständnis für ihre Lage. Neben der Landwirtschaft sind Haushalt und Ernährung wichtige Themen. Acht Hallen waren allein diesen beiden Punkten gewidmet,
eine davon als Gemeinschaftsschau Baden- Württemberg. Ob es um die neuesten Frucht- säfte geht, innovative Methoden zum Gurken- raspeln oder Ernährungstipps – für jeden, der einen Haushalt führt oder sich bewusst ernährt, gab es etwas zu sehen. Neue Energien spielten bei den Autos eine ebenso große Rolle wie in den drei Hallen, in denen es um Bauen und Re- novieren ging. Das Rahmenprogramm Im Rahmenprogramm wird den Besuchern im- mer etwas Besonderes geboten: 1953 bestaun- ten die Besucher zum ersten Mal in Süddeutsch- land das neue Medium Fernsehen, 1969 faszi- nierten Delfine mit einer tierischen Show, bei der 50. Messe konnten die Besucher ohne Eis Schlittschuhlaufen – was Oberbürgermeister Rupert Kubon beim Rundgang einen Tag vor Messeeröffnung gleich ausprobierte. Auch im Festzelt ist immer etwas los: Der Seniorenvormittag mit Showeinlagen hat Tradi- tion, Konzerte, wie in diesem Jahr die Spider- Murphy-Gang, locken zusätzliches Publikum. Die Besucher zum Staunen zu bringen ist seit jeher Programm und es funktioniert sogar bei der Messechefin, die als Tochter von Kurt Langer gewissermaßen mit der Messe aufge- wachsen ist: „Meine schönste Kindheitserin- nerung an die Messe ist der Kaufmannsladen im Edeka-Kinderland. Das Die 50. Südwest Messe im Überblick: In 21 Hallen werden auf 60.000 Quadratmetern rund 700 Ver- kaufs- und Infostände geboten. war 1965, da gab es eine ganze Halle mit Spiel- geld und Kinderkaufläden, in denen man echte Pröbchen erwerben konnte.“ Heute bietet das Kinderland in einer Ecke hinter der Gemein- schaftsschau Baden-Württemberg Unterhal- tung mit Kaspertheater, Karussell und Hüpf- burg für die Jüngsten. Nach der Messe ist vor der Messe Die Vorbereitungen zur 50. Messe waren für Stefany Goschmann schon etwas Besonderes. Ihr verstorbener Vater war ihr diesmal beson- ders präsent. „Das hatte sicher auch etwas mit dem Zusammenstellen der Chronik zu tun.“ Schon vor der Eröffnung der Jubiläumsmesse steckte sie in den Planungen für die 51. Süd- west Messe. „Es stecken fünf Viertel Jahre Vor- arbeit in einer Messe, sodass man über weite Strecken zwei Veranstaltungen im Kopf hat.“ Nach der Messe ist eben vor der Messe und um die macht sich Goschmann keine Sorgen: „Es wird immer eine Plattform benötigt werden, auf der sich Wirtschaft und Nachfrage begegnen.“ Stephanie Wetzig Zum Thema Ernährung gibt es besonders viele Informationen – auch für Kinder ein spannendes Messethema. 107
Aus dem Wirtschaftsleben Wiha – 70 Jahre Qualität und Innovation Hochpräzise, ergonomisch und einzigartig designt: Die Werkzeuge des Schonacher Erfolgsunternehmens sichern weltweit 700 Arbeitsplätze Wenn man die Unternehmensgeschichte der Wiha Werkzeuge GmbH in Schonach beschreibt, kommt man um ein Bild nicht herum: Da hat jemand ziemlich kräftig an der Erfolgsschraube gedreht. Und zwar mit den eigenen, hochpräzisen, stabilen, ergonomischen und überdies einzigartig designten Werkzeugen. Einfache Produkte werden in China oder anderen Billigstlohnländern hergestellt, lautet eine der Er- kenntnisse der Globalisierung. Wie kann es da sein, dass mit Wiha ein weltweit führendes Unternehmen von Handwerkzeugen nach wie vor und mit großem Erfolg überwiegend in Deutschland pro- duziert? Die Antwort ist denkbar einfach: Handwerk- zeuge sind gar keine einfachen Produkte. Wiha bietet ein Portfolio von 3.500 ver- schiedenen Gerätschaften an. Die Welt der Wiha Handwerkzeuge besteht neben den Grundwerkzeugen aus einer Vielzahl branchen- und anwendungsspezifischer Speziallösungen, die eine Reihe von Alleinstellungsmerk- malen bieten. Schraubendreher, Stiftschlüssel, Bits, Zangen, Schonhämmer, Messwerkzeuge und Gelenk- schläuche in allen erdenklichen Variationen werden also hierzulande gewinnbringend pro- duziert, während es zum Beispiel keine Handy- Produktion mehr in Deutschland gibt. Das zeigt: Nicht High-Tech an sich ist ent scheidend, sondern der Technologie- Vorsprung. Und den vertei- digt Wiha durch stete Inno- vation. „Wir haben schon Die Stars von Wiha sind die SoftFinish®- und Micro Fi nish®- Schraubendreher mit ihrer Klinge aus hochwerti- gem Chrom-Vanadium-Molybdän Stahl (hier auf- geschnitten), durchgehend gehärtet und mattver- chromt. Der Griff besitzt einen extra großen Durch- messer, zum leichten Aufbringen hoher Drehmo- mente. Unten, von links: Gelenkschlauchsystem, Sechs- kant-Kugelkopf-Stiftschlüsselsatz und Quergriff- Drehmomentwerkzeuge. 108
Firmengründer Willi Hahn hätte dieses Jahr seinen 100-sten Geburtstag. früh definiert, dass wir nur durch Innovation, Qua lität und Design eine Chance besitzen“, erläu- tert Wilfried Hahn, ge- schäftsführender Gesell- schafter des Traditions- unternehmens. Früh, das war Anfang der 1990er- Jahre, als deutlich wurde, dass die Welt sich poli- tisch verändert und neue Player auf dem Markt erscheinen würden. „Ma de in Germany“ allein würde nicht mehr rei chen, um sich seinen Platz im Business zu sichern, und so wurde Wiha aktiv. Begonnen hat alles 1939 mit der Gründung der Firma Willi Hahn GmbH & Co. KG Fabrik für Schrauben und Muttern in Wuppertal. 1943 er- folgt die Verlegung des Firmensitzes nach Schonach, aber erst 1947 kann die Produktion von Schraubendrehern aufgenommen werden. Bereits 1966 erfolgt der Erwerb des Zweigpro- duktionswerkes in Mönch weiler. Noch heute besteht diese Aufteilung: In Mönchweiler wer- den die Klingen produziert, in Schonach erfolgt mit dem Spritzguss die Herstellung des eigent- lichen Werkzeuges. Die Internationalisierung star – tet 1985 mit der Gründung einer eigenen Ver- triebsniederlassung in den USA. Es folgen 1991 Vertriebsgesellschaften in Frankreich, England und Spanien. Eine engagierte, flexible Belegschaft sichert den Standort Schonach Vertriebler müssen ihren Kunden immer wieder etwas Neues anbieten können, und auch aus dem strategischen Gedanken heraus, die Pro- duktpalette durch korrespondierende Werkzeu- ge zu ergänzen, erfolgt 1990 die Gründung der Tochtergesellschaft Perfect-Werkzeuge für Bits im thüringischen Breitungen. 1997 gründet Wiha die Vertriebsgesellschaft für China, und erst im Jahr 2000 wird mit dem Werk in Danzig Aus dem Wirtschaftsleben Werbekatalog (oben) und hochwertiges Nostalgie- Blechschild (unten), 1950er-Jahre. (Das Schild kann im Wiha-Onlineshop erworben werden.) 109
Aus dem Wirtschaftsleben Wilfried Hahn, geschäfts- führender Gesellschafter des Traditions- unternehmens Wiha, setzt auf Innovation, Qualität und Design, um die führende Rolle seines Unternehmens auch in Zukunft zu sichern. Eine besondere Bedeutung ha- ben dabei die Standorte in Schonach. die erste Produktion im Ausland eröffnet. Doch der Standort Schonach steht nie zur Debatte. „Hier arbeitet eine gewachsene Mannschaft, die immer erfolgreich war“, befindet Hahn. Und Verlagerung bedeutet auch immer Risiko. Die Liste von Unternehmen, die mit großen Hoff- nungen in Niedriglohnländer zogen und mittler- weile nach noch größeren Enttäuschungen ihre Produktion wie der nach Deutschland zurück- verlagert haben, ist lang. „Wir haben hier eine flexible Belegschaft, die hohen Ein- satz zeigt“, würdigt Hahn einen Standort- vorteil, der hohen Stellenwert besitzt. Ge- wissermaßen aus voller Überzeugung fällt daher die Entscheidung, 2002 den Erweite- rungsbau von Lager und Fertigung in Scho- nach zu errich ten. Messwerkzeuge, Gelenkschlauchsysteme und Zangen – Marktstellung gefestigt Ebenfalls ins Jahr 2002 fällt der Kauf der Kunst- stoffwerk AG in Buchs/Schweiz. Dort pro duziert Wiha Messwerkzeuge und Gelenkschlauch sys- teme. Eine Gelegenheit sei der Kauf gewesen, berichtet Hahn, und wenn diese Produkte auch nicht zu den Kernkompetenzen zählen, so sind 110 sie doch eine sinnvolle Ergänzung und Abrun- dung der Angebotspalette. Gelenk schlauch sy s- teme werden als flexibles Leitungssystem zur Kühlung und Schmierung beim Sägen, Bohren, Drehen, Fräsen, Schleifen und Erodieren benö- tigt. Formstabil durch enge Passungen sind die Wiha Produkte, das heißt, der Handwerker muss kein Wandern unter Druck oder durch Ma- schinenvibration fürchten. Und bei den Mess- werkzeugen kann Wiha jetzt mit Schweizer Prä- zision werben. 2006 erfolgt der nächste Wachstums- schritt bei Wiha: Das Sortiment wird um den Bereich Zangen erweitert. Wilfried Hahn sucht einen passenden Produktionsstandort in Asien. Es ist keine Entscheidung gegen Scho- nach, sondern die Notwendigkeit, näher an die Kunden in Asien heranzurücken. Nach reiflicher Abwägung zieht Wiha nicht in eine chinesische Wirtschafts-Sonderzone oder einen anderen Ti- gerstaat, sondern nach Vietnam. „Wir sind dort sehr zufrieden“, fasst Hahn die bisherigen Er- fahrungen zusammen. Zusammen mit der Ver- triebsniederlassung in Thailand wird der mittel- asiatische Markt bearbeitet. Im April 2009 erfolgt der vorerst letzte Inter- nationalisierungsschritt mit der Gründung ei- ner eigenen Vertriebsgesellschaft in Singapur. „Da Wiha in Asien seit vielen Jahren erfolgreich am Markt vertreten ist und um den Standort noch weiter zu festigen, haben wir uns zur Grün- dung einer Vertriebsniederlassung mit deut- schem Management in Singapur entschlossen. Singapur ist ein zentral gelegener Warenum- schlagsplatz mit idealen Bedingungen, um die Region Asien/Pazifik mit Waren und Services zielgerichtet versorgen zu können. Wiha kommt seinem Wachstumserfolg in Asien damit nach und verstärkt sein Engagement, um langfristig dem stetig wachsenden Potenzial gerecht zu werden“, erläutert Hahn. Heute steht Wiha dem Anwender mit Präzisionswerkzeugen Seine Zangen fertigt Wiha in Vietnam.
Wiha Werkzeuge GmbH weltweit zur Seite, denn dort, wo keine eigenen Niederlassungen eingerichtet sind, arbeitet das Unternehmen mit Vertriebs- partnern zusammen. Wiha Werkzeuge sind auf allen Kontinenten erhältlich, und auch eher kleinere Märkte wie Barbados oder die Mongo- lei fehlen nicht auf der Vertriebs-Karte der Schonacher. Derzeit sind bei Wiha mehr als 700 Menschen beschäftigt Das kontinuierliche Wachstum schlägt sich in den Zahlen nieder: 1970 zählt die Belegschaft keine 100 Köpfe, nähert man sich 1990 schon der 300er-Grenze an. Derzeit sind mehr als 650 Menschen bei Wiha beschäftigt, der überwie- gende Teil am Stammwerk in Schonach. Damit ist Wiha ein bedeutender Arbeitgeber und Steuerzahler im Schwarzwald-Baar-Kreis. Um- Blick in die Fertigung von Schraubendrehern, die Produktion erfolgt mit modernster Technik. Unten rechts das Lager. satzzahlen veröffentlicht das Familienunterneh- men traditionell nicht, aber so viel lässt sich Hahn entlocken: Das Wachstum war jederzeit profitabel, es werden Umsatzrenditen von im Schnitt zehn Prozent erzielt. „Die Eigenkapital- quote haben wir dabei immer über 50 % gehal- ten.“ Derart solide finanziert, kann Wiha viele Wachstumschancen nutzen, ohne immer erst bei der Bank nachfragen zu müssen. Die Beleg- schaft wird über ein Bonussystem am Unter- nehmenserfolg beteiligt. 3.500 unterschiedliche Artikel, diese Zahl zeigt, wie dicht Wiha am Kunden ist, denn für jede Aufgabenstellung wird das opti- male Werkzeug hergestellt. Der Prozess, wie 111
Aus dem Wirtschaftsleben Wiha – ein innovatives mittelständisches Un ter- nehmen: Das Hauptwerk Schonach im Jahr 2009, unten der Standort Mönchweiler, an dem seit 1966 produziert wird. das Unternehmen an die Informationen kommt, um früher als die Konkurrenz das bessere Werkzeug anbieten zu können, ist formalisiert. So gibt es regelmäßige Workshops mit Kunden, um Detailverbesserungen zu besprechen oder neue Werkzeuge zu kreieren. Regelmäßige Fra- gebogenaktionen bringen Erkenntnisse, und ab und zu, wenngleich noch selten, kommt ein Verbesserungsvorschlag über das Internet. Sechs Ingenieure sind in der Entwicklungsab- teilung von Wiha damit beschäftigt, Neues zu entwickeln und Bestehendes zu verbessern. „Der Kontakt zum Endanwender ist besonders wichtig, er macht die Erfahrungen im täglichen Gebrauch“, befindet Hahn. Renommierte Preise – das Design garantiert zugleich auch beste Ergonomie Die unbedingte Qualität ist ein Grundpfei- ler des Wiha Erfolges, ein anderer das be- sondere Design, das gutes Aussehen mit bester Ergonomie verbindet. Bereits seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet Wiha mit ent- sprechenden Designbüros zusammen, um sich auch in diesem Bereich vom Wettbewerb abzu- heben. Mit Erfolg: Der Magazin-Bithalter von Wiha wurde in einem der renommiertesten in- ternationalen Designwettbewerbe mit dem „red dot: best of the best“ ausgezeichnet. Unter 3.203 eingereichten Produkten konnte sich der 112 Wiha Magazin-Bithalter durchsetzen. „Acht Schraubendreher in einem“, so lässt sich der Wiha Magazin-Bithalter am besten beschrei- ben. Das im Griff verborgene Bit-Magazin wird durch leichten Daumendruck aufgeschwenkt. So können die Bits schnell und einfach gewech- selt werden. Dank dieser neuartigen Lösung zur Bit-Aufbewahrung und -entnahme behält der Anwender immer den Überblick. „Mit der Ent- Links: Der Wiha PocketStar® überzeugt durch op- timale Handhabung. Eine clevere Aushebetaste ermöglicht die leichte Auswahl der gewünsch- ten Schlüsselgröße aus den glasfaserverstärkten Kunststoff-Haltern. Rechts: Das Design der Wiha- Produkte ist vorbildlich – im Jahr 2008 gab es für den rechts abgebildeten Wiha Magazin-Bithalter unter 3.203 eingereichten Produkten den begehrten Designpreis „red dot: best of the best“, im Jahr 2009 erhielt der „klei- ne Bruder“, Magazin-Bithalter „Stubby“, den Award „red dot: winner“.
Wiha Werkzeuge GmbH wicklung des Ma gazin-Bit hal- ters ist es uns gelungen, bereits vorhandene Bithalter-Systeme um ein weiteres anwender- freundliches und innovatives Produkt zu ergänzen“, erklärt Produktmanager Peter Lauster. Neben vier verschiedenen Erstbestückungsvarianten und einer Elektriker-Version kann das Magazin auch individuell nach den Vorstellungen des An- wenders bestückt werden. Der ergonomisch geformte Griff aus weichem, hautfreundlichem Ma- terial garantiert komfortable Hand habung. Die Expertenjury des „red dot de- sign award“ testet und begutachtet jedes Jahr Produkte anhand bestimmter Kriterien wie Innovationsgrad, Funktionalität, Ergonomie, Lang lebigkeit, ökologische Verträg lichkeit und Selbsterklärungsqualität. In all die- sen Kategorien überzeugte der Wiha Magazin-Bithalter®. 2009 wurde der Magazin-Bithalter Stubby ebenfalls mit dem red dot design award ausgezeichnet. Bereits 2007 wurde das in- novative Zangenmodell Inomic® (Bild rechts) mit dem „red dot award: product design“und dem „iF product design award“ ausgezeichnet. Erfolg hat viele Nachahmer – Produktpiraten sind für Wiha ein ernstes Problem Solche Erfolge rufen naturgemäß Nachahmer auf den Plan. Das Thema Plagiate ist daher für Wiha ein ernst zu nehmendes Problem. „Teil- weise müssen wir selber die Plagiate ins Labor geben, um die unterschiedliche Qualität zu er- messen“, ärgert sich Hahn. Den Plagiateuren Mitte: Inomic® Zange, oder „die Zange neu er- funden“: Die Wiha Inomic® Zangen bilden eine naturgemä ße Verlängerung von Arm und Hand. Rechts: Mit dem weltweit ersten nichtmetallischen Messschieber, gefertigt aus einem hochwertigen, mit Fiberglas verstärkten Werkstoff in hoher Schweizer Präzision, wurde im Jahr 1965 mit großem Erfolg Neuland betreten. Zu sehen ist das seitdem ständig verbesserte, aktuelle Produkt. Vorbildliches Design, mehrfach preisgekrönt, garantiert die komfor- table Handhabung der Wiha-Werkzeuge. Dazu gehören auch haut- freundliche Materialien. gelingt es, das touch&feel ziemlich exakt nach- zubilden, aber bei der Qualität hapert es natür- lich: Billige Kunststoffe, zum Teil mit Giftstoffen belastet, und gefährliche Klingen sorgen für Missmut beim Anwender. Um so ärgerlicher, wenn er wegen der täuschend echten Nachbil- dung glaubt, ein echtes Wiha Werkzeug benutzt zu haben. In Sachen Funktionalität und Design gehört Wiha zu den Trendsettern der Branche – und genau das macht die Marke zu einem beliebten Ziel der Produktpiraten. „Es gibt ei- nige Modelle, welche öfter als Plagiat produziert und verkauft werden als das Original, zum Beispiel der Wiha Sechskant- Klapphalter PocketStar®“ (sie- he die Abbildung Seite links), klagt Rainer Blum, Entwickler und Betreuer Patentwesen bei Wiha. „Wir schätzen, dass wir durch Plagiate jedes Jahr einen sechsstelligen Betrag verlieren.“ „Deutsche Produkte genießen ei nen guten Ruf, das macht 113 113
Aus dem Wirtschaftsleben den dem Zoll gemeldet, gefälschte Ware wird beschlagnahmt. Die Aktionen gleichen zwar einem Kampf gegen Windmühlen, und doch kann Wiha im- mer öfter Erfolge vermelden: So nahmen einige chinesische Unternehmen Wiha Plagiate aus dem Sortiment. „Unsere Maßnahmen zeigen mit der Zeit Wirkung. Auf dem Markt spricht es sich herum, dass wir aktiv gegen Produktpira- terie vorgehen. Das hat eine abschreckende Wirkung“, sagt Hahn. Auch der Kunde kann sich vor Fälschungen schützen: „Wenn Wiha draufsteht, ist meistens auch Wiha drin – der Markenname wird seltener gefälscht. Wiha bei jungen Arbeitnehmern sehr beliebt, 97 Prozent der Azubis werden übernommen als auch im Wiha bildet so- wohl im gewerb- lich-technischen Als fest in der Region verankertes Unternehmen, das zu seinen sozialen Aufgaben in der Gesell- schaft steht, bildet Wiha in beträchtlichem Um- fang aus. Das international ausge richtete Un- ternehmen bietet Aus- bildungs optionen für jeden Berufseinstei- ger, vom Hauptschul- bis zum Hochschulab- solventen und glänzt mit einer Übernahme- quote von 97 Prozent. ist es dieser Mix aus Traditi- on und Moderne, die Ver netzung von regio- nalem und globalem Denken, die Wiha vor allem bei jungen Ar- beitnehmern so be- liebt macht. Wiha bildet sowohl im gewerblich- technischen als auch im kaufmännischen Be- reich aus und konnte bisher 97 Prozent seiner Auszubildenden übernehmen. konnte bisher 97 kaufmännischen Bereich aus und Vielleicht Prozent seiner Auszubildenden übernehmen. Pro Jahr stellt Wiha 5 – 10 Auszubildende ein, somit befinden sich im Schnitt zwischen 25 – 30 Mitarbeiter in der Ausbildung. „Wir sehen den Berufseinstieg bei uns als ersten Schritt auf einer soliden Karriereleiter, die wir ständig Ein großartiges Sortiment an hochwertigen und modern designten Präzisionswerkzeugen hat das Schonacher Traditionsunternehmen Wiha zu bieten – hier präsentiert auf einem Verkaufswagen. sie in Asien zu beliebten Vorlagen“, erklärt Wil- fried Hahn, geschäftsführender Gesellschafter von Wiha. Die Käufer von Plagiaten seien oft ah- nungslos oder handelten aus einer Schnäpp- chenlaune heraus, die sich früher oder später rächt. Wilfried Hahn: „Die Freude an billig ko- piertem Werkzeug währt meist nicht lange. Durch das minderwertige Material kommt es im besten Fall zu einer schnellen Abnutzung, im schlimmsten zu Verletzungen.“ Schon seit Jahren engagiert sich die Wiha Werkzeuge GmbH im Kampf gegen il- legale Fälschungen: Neben der Eintragung der Schutzrechte der Marke und des Pro- duktnamens, sucht Wiha verstärkt auf Messen nach Plagiaten und forscht auch im Internet nach. Außerdem wird eng mit dem Zoll zusammengearbeitet: Lieferanten, die be- reits durch Wiha Plagiate aufgefallen sind, wer- 114
Wiha Werkzeuge GmbH gute Studienleistungen und beteiligt sich bis zu 100 Prozent an den Studiengebühren. Die hohe Übernahmequote erklärt Hahn mit verschiedenen Faktoren: „Wir möch- ten die jungen Leute, die wir ausbilden, auch gerne im Unternehmen halten; daher legen wir großen Wert auf eine fundierte Ausbildung und greifbare Aufstiegschan- cen. Außerdem ist uns das Wir-Gefühl wichtig: Wir glauben, dass nur jemand, der seine Kolle- gen kennt und schätzt, sich voll und ganz für sein Unternehmen einsetzt. Dafür sorgen un- sere betriebssportlichen Aktivitäten genauso wie Azubi- und Betriebsausflüge, aber natürlich auch die Weihnachtsfeier und das Sommer- fest.“ Auf eine fundierte Ausbildung legt Wiha viel Wert, das Engagement der Auszubildenden wird belohnt: nahezu alle erhalten später einen Arbeitsplatz. Die Nachfolge zeichnet sich ab – auch ansonsten sieht sich Wiha gut positioniert erweitern“, bekennt sich Hahn zur Ausbildung. Im gewerblichen Bereich können sich Schulab- gänger bei Wiha zum Zerspanungs-, Werk- zeug-, Verfahrensmechaniker oder Werkstoff- prüfer ausbilden lassen. Im kaufmännischen Bereich erstreckt sich das Ausbildungsangebot über den Beruf der Fachkraft für Lagerlogistik, des Industriekaufmanns/der Indus triekauffrau bzw. für Abiturienten mit Zusatzqualifikation „Internationales Wirtschaftsmanagement“. Für Schulabgänger mit Allgemeiner Hochschulreife gibt es zudem die Möglichkeit, bei Wiha ein wirtschaftliches oder technisches Studium an Dualen Hochschulen zu absolvieren. Außerdem betreibt das Unternehmen in Kooperation mit der Hochschule Furtwangen ein Trainee-Pro- gramm für Bachelor-Studierende in verschie- denen Bereichen. Zusätzlich honoriert Wiha Wie geht es weiter mit der Wachstumsstory? „Bei den Schraubendrehern sind wir weltweit ganz weit vorne“, sieht sich Hahn in der ur- eigensten Kernkompetenz gut positioniert. Marktanteile sollen nach Möglichkeit bei den anderen Produktgruppen hinzugewonnen wer- den – Wachstumbereiche sieht Hahn vor allem für isolierte Werkzeuge und Zangen. Ambitionen, in den großen Markt elektrischer Werkzeuge einzudringen, hegt Hahn nicht. Die Markteintrittsbarrieren gegen Weltkonzerne wie Bosch, Hilti oder Black&Decker wären schlicht nicht zu überwinden. Strategisch arbeitet Wiha daraufhin, Komplett-Angebote für ganze Bran- chen anzubieten, dies werde vom Handel im- mer stärker nachgefragt. Ansonsten sieht Hahn beruhigt in die Zukunft: Die Nachfolge inner- halb der Familie zeichnet sich ab, und mit der aktuellen Produktpalette ist Wiha bestens positioniert. Stefan Preuß Perfekte Ergonomie, perfektes Design: Drehmoment-Schrau- bendreher von Wiha. 115
5. Kapitel Geschichte Eine Rückblende auf das Jahr 1949 im Schwarzwald-Baar-Kreis 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland
Am 23. Mai 1949 tritt das Grundgesetz in Kraft, am 14. August wird der erste Deutsche Bundestag gewählt – die Wahlbeteiligung liegt im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis bei 71 Prozent. Aus Anlass des 60-jährigen Bestehens der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht der Almanach einen Zeitspiegel zum Jahr 1949 – zusammengestellt mit Notizen aus Lokalzeitungen. Es ist die Zeit, zu der sich in Furtwangen die französischen Besatzer zurückziehen (großes Bild, Kommandozentra- le in einer beschlagnahmten Villa). Zu der die Stadt Donaueschingen der „Neuen Heimat“ wegen der großen Wohnungsnot 20 Bauplätze schenkt. Jugendliche Mitglieder der Schweizerischen Vereini- gung für Internationalen Zivildienst helfen in der Folge dabei, diese Siedlung zu bauen (kleines Bild links unten). Und endlich ist auch ein Stück Alltag zurückgekehrt: nicht nur die Villinger dürfen wie- der Fasnet machen: Zunftmeister Albert Fischer (kleines Bild unten rechts), auf dem Pferd sitzend, dankt der französischen Besatzungsmacht dafür. 117
Geschichte Januar 1. Donaueschingen: Der Kreisuntersuchungs- ausschuß Donaueschingen beendete am Jah- resende seine Tätigkeit. Seit dem 16. Juni 1947 hat er 601 Entnazifizierungsanträge und 736 Revisionsanträge behandelt. 3. Hüfingen: Unter den Trachtengruppen aus Baden, die dem Staatspräsidenten und dem Freiburger Erzbischof Neujahrsglückwünsche überbrachten, befand sich als Abordnung der Baar eine Hüfinger Trachtengruppe. 15. Riedöschingen: Die Maul- und Klauen- seuche, die zu Ende des Jahres 1948 insgesamt 13 Gehöfte erfasst hatte, wurde Mitte Januar als erloschen angesehen. 25. Villingen: Zum 70. Geburtstag seiner Gattin kam Professor Dr. Albert Schweitzer, der große Arzt und Menschenfreund aus Lambarene nach Königsfeld. Aus diesem Anlaß veranstal- tete die „Geistige Nothilfe“ zwei schöne musi- kalische Abende. 27. Villingen: Daß der Südkurier von allem Anfang an eine rechte und echte Heimatzeitung war und ist, zeigte sich bereits am „Schmotzige Dunschtig“ (der nicht nur die Narren aller Art auf den Plan rief), als eine heitere, zeichnerisch geschmückte Sonderseite erschien, die den Vil- lingern und im ganzen Kreis Freude machte. An den „hohen Tagen“ 1949 herrschte winterliches Schneetreiben und während des großen Um- zuges aller Narrenvereine wurde der Narrozunft Villingen eine neue Fahne übergeben. Februar 1. Donaueschingen: Der Landkreis Donau- eschingen hat die Brotgetreideumlage 1948/49 mit 91,6 % erfüllt und steht an vierter Stelle un- ter den 20 badischen Landkreisen. 6. Döggingen: Das Omnibusunglück in der Gauchachschlucht forderte 22 Menschenleben, vorwiegend aus Radolfzell und Singen. 22. Furtwangen: Nach einem Einbruch in den Bernhardenhof wurden zwei Polen und ein Deut- scher gefasst, die ihren Sitz in Schwenningen hatten. Sie waren die Haupttäter der sogenann- ten „Ostbaar-Bande“ die seit dem Jahre 1945 118 118 zahlreiche Einbrüche und Schweinemorde in Bauernhöfen auf dem Gewissen hatten. März 1. Blumberg: Staatspräsident Wohleb empfing in Freiburg zu Beginn des Monats eine Arbei- terdelegation aus Blumberg, die die Notlage Blumbergs in Folge von Demontage schilderte. Der Staatspräsident kündigte für den 10. März seinen Besuch in Blumberg an. Donaueschingen: Die Landwirte der Stadt und der beiden Vororte hatten am 1. März an Brotgetreide 149 % des Solls, an Hafer 113 %, an Heu 102 %, an Kartoffeln 100 % und an Gerste 73 % abgeliefert. 5. Im Donauried verzeichnete die Baar bei Minus 28,1 Grad am Boden und Minus 26,1 Grad in 2 Meter Höhe die tiefsten Nachttemperaturen seit rund 30 Jahren. April 3. Donaueschingen: Rund 100 Delegierte der Pfarrausschüsse des Dekanats Donaueschin- gen nahmen auf einer Tagung der kath. Aktion am Passionstag Stellung zu sozialen Fragen und baten in einer Resolution an den Landesverband um gesetzliche Maßnahmen zur Linderung der Wohnungsnot. 19. Donaueschingen: Der Stadtrat beschloß in einer außerordentlichen Sitzung, der Sied- lungsbaugenossenschaft „Neue Heimat“ im Schluchgelände Bauplätze für 20 Doppelhäuser kostenlos zur Verfügung zu stellen. Mai 8. Donaueschingen: 1.200 Sänger trafen sich zur Neugründung des Schwarzwaldgau-Sänger- bundes. Gaupräsident wurde Fritz Schiele, Wol- terdingen, Gaudirigent A. Meisterhans, Triberg. Villingen: Eine in Stadt und auch Kreis in- teressierende Nachricht kommt von der Zen- tral-Spruchkammer Nordbaden: Der frühere Villinger Bürgermeister Karl Berckmüller wurde
Friedliche Idylle: Marktplatz in Furtwangen im Schwarzwald um 1950. mit fünf Jahren Arbeitslager zu den Hauptschul- digen des Naziregimes eingereiht, wobei 1½ Jahre Internierung angerechnet werden. Berck- müller war von 1933 – 1937 (vom Zeitpunkt an, als er in Villingen eingesetzt worden war) als Chef der Badischen Gestapo tätig, in welcher Zeit zahlreiche Mißhandlungen an politisch und rassistisch Verfolgten geschahen. Ob er auch persönlich an diesen Taten beteiligt war, konnte nicht festgestellt werden. Berckmüller ist zwei- mal aus Lagern geflüchtet, sein jetziger Aufent- haltsort ist noch nicht ermittelt worden. Juni 1. Donaueschingen: Die Schulspeisung für den Kreis Donaueschingen wurde auf 4.000 Tagesportionen erhöht, mit Ausgabeorten in Donaueschingen, Blumberg, Furtwangen, Vöh- renbach, Hüfingen, Bräunlingen, Immendingen und Möhringen. Blumberg: In der Filiale der Spar- und Kredit- bank ereignete sich ein mysteriöser Bankraub, wobei dem unbekannten Täter 5.100.- DM in die Hände fielen. 2. Donaueschingen: Der Postomnibusver- kehr auf der Strecke Donaueschingen-Schwen- ningen wurde nach mehrjähriger Unterbrechung wieder aufgenommen. 3. Blumberg: Gouverneur Nicaulaud besuch- te in Begleitung von Landrat Dr. Lienhart die Stadt und hatte Aussprachen mit führenden Persönlichkeiten der Industriegemeinde. 16. Hüfingen: Die kunstvollen Blumenteppi- che am Fronleichnamsfest brachten der Stadt wie alljährlich einen großen Besucherstrom. 25. Donaueschingen: Im Hotel „Adler“ wurde der „Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar“ in Anwesenheit von Generalstaatsan- walt Prof. Dr. Bader (Freiburg) neugegründet. Die Leitung übernahmen Anton Mall (Geschicht- liche Abteilung) und Berufsschullehrer Karl Wacker (Naturgeschichtliche Abteilung). Juli 18. Donaueschingen: Präsident Tanner von der Oberpostdirektion Freiburg übergab das neue Orts- und Fernamt Donaueschingen seiner Be- stimmung. – Auf der Strecke Freiburg-Donau- eschingen-Ulm wurde nach mehrjähriger Unter- brechung der Eilzug-Dienst wieder eingerichtet. 20. – 22. Donaueschingen: Bei der mündli- chen Reifeprüfung am Fürstenberggymnasium 119
und berichtet eingehend über Erneuerungs- und Verbesserungsarbeiten am (nunmehr 80-jähri- gen) Bahnhof, an der Brigach, im Werkhof und in den Straßen, die zum Teil neue Pflasterungen erhielten und mit Gehwegen versehen wurden. 29. Blumberg: In Anwesenheit von Staats- präsident Wohleb wurde der Grundstein der Taschentuchfabrik Dr. Winkler gelegt. Unterneh- mer Helmut Winkler bringt so zahl reiche Blum- berger wieder in Arbeit. Sein Vater, Gustav Winkler, hatte die Spinnerei 14 Jahre zuvor in Lauchringen gegründet. Architekt ist Egon Eier- mann. (Anm. d. Red.: 1945 hatte Blumberg 7.000 Einwohner, aber so gut wie keine Arbeitsplätze mehr. Die französische Besatzungsmacht ließ alle Stollen sprengen, weil sie Rüstungszwe- cken gedient hatten. Die Laufenmühle war über Jahrzehnte hinweg in ganz Deutschland das Vorbild für moderne Industriebauten. Im Jahr 2009 erfolgt ihr Abriss!) Donaueschingen: Die Schweizerische Ver- einigung für Internationalen Zivildienst hilft mit, die Siedlung Neue Heimat zu bauen. Jugendli- che aus aller Welt kommen dazu zusammen. Ernst Ammann aus Zürich zu seinem Einsatz: „Besonders schön fand ich hier die übernom- Jugendliche aus aller Welt helfen 1949 in Donau- eschingen dabei, die 20 Doppelhäuser der „Neuen Heimat“ zu errichten. Geschichte bestanden sämtliche 15 zugelassenen Schüler das Abitur. 23. – 24. Bräunlingen: Die Stadt war Schau- platz des 33. Gauturnfests des Schwarzwald- Turn gaues, zugleich des ersten grösseren Turn- treffens nach dem Kriege. 31. Donaueschingen: Mit dem Jubiläum der Grundsteinlegung der Stadtkirche vor 225 Jahren beging die Pfarrgemeinde zugleich den Donaueschinger Katholikentag. In der abend- lichen Kundgebung im Schlosshof sprachen Erzbischof Dr. Rauch und Dr. Karl Erbprinz zu Löwenstein, der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholikentage, vor einer reprä- sentativen Festversammlung. Hüfingen: Am Vorabend des traditionellen Jakobifestes, das zugleich mit einem Heimat- und Heimkehrfest verbunden war, weihte De- kan Richard zwei neue Stadtbrunnen-Figuren an der Hauptstraße. August 8. Mönchweiler: In Mönchweiler brannten am 8. August sieben Gebäude nieder. Es entstand über 200.000 DM Schaden. Obschon die 18 Mann starke Feuerwehr Mönchweilers und die rasch herbeigeeilten Wehren von Villingen, Kö- nigsfeld und Obereschach verzweifelt gegen das Großfeuer ankämpften, gelang es erst nach zwei Stunden, den Brand zu lokalisieren. Neun Familien mit 31 Personen wurden obdachlos. Zwei Tage später brach ein weiterer Brand aus, dem ein Doppelhaus zum Opfer fiel. 14. Donaueschingen: Bei den Wahlen zum Bundestag verzeichnete der Landkreis Donau- eschingen eine Wahlbeteiligung von 71 %, die Stadt Donaueschingen eine Wahlbeteiligung von 75 %. 14. Villingen: Die Bundestagswahl am 14. August 1949 verlief ruhig. Die Wahlbeteiligung betrug 70,9 %, im Villinger Kreisdurchschnitt 69,4 %. Die CDU blieb stärkste Partei, doch ging sie um rund 5 % zurück. Die SPD blieb Zweit- stärkste, sie ging in Villingen um 3 %, im Kreis Villingen um 1,4 % zurück; die FDP nahm in der Stadt um 3 %, im Kreis um 5,4 % zu. – „Die Stadt Villingen wird schöner“, schreibt der Südkurier 120 120
mene Aufgabe, durch die wir mithelfen, dass durch Unmenschlichkeit heimatlos gewordene Menschen eine neue Heimat finden können.“ September 23. Furtwangen: Mit zwei Klassen wurde das neue Progymnasium feierlich eröffnet. Ein heißer Sommer brennt auch über den Schwarzwaldhöhen, seit über 50 Tagen fiel kein Tropfen Regen mehr. 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland November 6. Donaueschingen: Landesbischof D. Bender weihte in Gegenwart zahlreicher Ehrengäste aus Baden und der Schweiz die neu aufgebau- te Kirche der evang. Gemeinde auf den Namen Christus-Kirche. 11. Donaueschingen: Der Martini-Markt hat- te mit 792 Ferkeln und Läufern einen Rekordauf- trieb wie in den besten Tagen des Friedens. Es wurde über eine halbe Million Mark in Donau- eschingen umgesetzt. Oktober Dezember 23. Villingen: Das alte Villingen, die tausend- jährige Stadt … So altehrwürdig und noch älter, denn diese Siedlung bestand schon manches Jahrzehnt, ehe am 29. März des Jahres 999 Kai- ser Otto III. (938 – 1002) dem Grafen Bertold von Zähringen für seinen Ort Villingen das Markt-, Münz- und Zollrecht verlieh. Die nun 950 Jahre alte Urkunde befindet sich im Badischen Lan- desarchiv und legte den Grundstein zum spä- teren wirtschaftlichen Aufstieg Villingens. Im Jahre 1899 konnte Villingen das 900jährige Jubi- läum dieser Rechtenverleihung mit einem groß- artigen Festzug begehen. An ein ähnliches Fest ist 1949 natürlich nicht zu denken, denn noch ist die Wirtschaftslage lange nicht so, daß die Stadt und ihre Einwohner sich derartigen Auf- wand zur 950-Jahr-Feier leisten könnten, wenn schon die Anzeichen für einen neuen Aufstieg günstig scheinen. Am 23. Oktober 1949 beging die Zähringer- stadt nun die 950-Jahr-Feier, das Jubiläum der Verleihung des Marktrechts, schlicht und wür- dig. Bürgermeister Nägele ging in seiner Vorre- de hauptsächlich auf die Gegenwart ein, in der 8.000 von 20.000 Einwohnern in der wachsen- den Industrie beschäftigt seien, u. a. 1.000 in der SABA, über 500 bei Kaiser-Uhren, 450 bei Kienzle-Apparate und 250 im Metallwerk. 25. Donaueschingen: Die bäuerliche Be- völkerung beging mit der Stadt den „Tag des Pferdes“. Nach der Stuten- und Fohlenprämie- rung war die Stadt Schauplatz eines bäuer- lichen Festzuges. 3. Villingen: Nur noch zwei Esel in Villingen, so meldet die Heimatzeitung, ferner 80 Zugoch- sen und Farren sowie 115 Pferde, während die Schweinezahl (von 307) auf 429 angestiegen ist, wie die Viehzählung am 3. Dezember ergab. 3. Donaueschingen: In der Poststraße wur- de bei Aufräumarbeiten ein Bombenblindgän- ger von 500 kg Gewicht freigelegt und wenige Tage später durch den zuständigen Feuerwerker beim Freiburger Ministerium, Schmid, bei noch unentschärftem Zünder in die Sprenggrube bei Neudingen gefahren. 12. Donaueschingen: In der Woche bis zum 19. Dezember führte die Kreisgendarmerie Do- naueschingen im Landkreis Donaueschingen eine Verkehrserziehungswoche durch. Villingen: Das Bezirksbauamt bearbeitete in diesem Jahr rund 233 Baugesuche aus den Ge- meinden des gesamten Kreises sowie 114 aus der Kreishauptstadt. Vor dem Krieg hatte es pro Jahr etwa 500, davon die Hälfte aus Villingen, zu erledigen. St. Georgen: Mangel an Fahrzeugpneuma- tik führt 1949 bei Perpetuum Ebner (1972/73 übernommen durch DUAL) zur Entwicklung und Fertigung eines „Vulkanisier-Apparates“. Bei DUAL wird 1949 der erste Dual-Plattenwechsler, das Modell „1000“ vorgestellt. Das DUAL-Werk produziert um 1950 bereits 200.000 Laufwer- ke jährlich. St. Georgen erlebt dadurch einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, das Wirtschaftswunder greift – wie nach und nach überall im Schwarzwald-Baar-Kreis. wd 121
175 Jahre Eisenbahn – Schwarzwaldbahn, Bregtalbahn, Sauschwänzlebahn oder Ringzug: Eine Historie des Schienenverkehrs im Schwarzwald-Baar-Kreis Die Eisenbahn – auch im Schwarzwald und auf der Baar eine Erfolgsgeschichte von Bernward Janzing 122
Unterwegs mit der Sauschwänzlebahn – im Führerstand der Dampflok 86333. Sie trägt die Hauptlast des Museumsverkehrs zwischen Blumberg und Weizen. Erbaut wurde die Bahnstrecke zwischen 1887 und 1890, die Stilllegung erfolgte 1976, im Jahr 1977 begann der Museumsbetrieb. 123
Geschichte Vor 175 Jahren fuhr in Deutschland der erste Zug: Am 7. Dezember 1835 wurde die rund sechs Kilometer lange Ludwigsbahn von Nürn- berg nach Fürth eröffnet. Die weltweit erste Bahn linie hatten fünf Jahre zuvor bereits die Eng- länder in Betrieb genommen; es war die Strecke von Liverpool nach Manchester. In Baden begann das Eisenbahnzeitalter im Jahr 1838 mit dem Baubeginn in Mann- heim Richtung Heidelberg; die Strecke wurde im September 1840 eröffnet. Die erste Bahn- strecke im heutigen Schwarzwald-Baar-Kreis war die Schwarzwaldbahn, die vom Bodensee kommend ausgebaut wurde: Im Juni 1868 wur- de das Teilstück Engen-Donaueschingen in Be trieb genommen, ehe im August 1869 die Strecke Donaueschingen-Villingen folgte. Mit der Fertigstellung des Abschnitts Hausach- Villingen im November 1873 war die gesamte Schwarzwaldbahn von Offenburg bis Konstanz vollendet. Bregtalbahn: Die verlorene Eisenbahn Am Anfang klang alles nur nach einer Unterbre- chung: „Aus technischen Gründen“, so teilte 124 Rechte Seite, von oben links: Eine Dampflok im Bahnhof Furtwangen, rechts: Dritte-Klasse-Wagen MEG Bi 67. Mittlere Reihe: Die Bregtalbahn verlässt den Bahnhof in Hammereisenbach und rechts: die Bregtalbahn beim Winterhof im Schönenbacher Tal. Großes Bild: Die Bregtalbahn im Bahnhof Furtwan- gen, zugleich der Endpunkt der Bahnstrecke. Fotos: Wieland Proske, Juli 1972 der Vorstand der Südwestdeutschen Eisen- bahnen AG im September 1972 mit, müsse der Verkehr auf der Bregtalbahn „vorübergehend eingestellt“ und „auf die Straße verlagert“ werden. Man bedauere zwar diese Entschei- dung, doch der schlechte technische Zustand der Bahn lasse keine andere Wahl – der Be- triebsleiter könne die Verantwortung für einen sicheren Bahnverkehr nicht mehr übernehmen. Doch die vorübergehende Pause der Bregtalbahn war in Wahrheit ihr Ende, die Fahrt am 30. September 1972 war definitiv die letzte. Auf „Nachteile für die Bevölkerung durch den teuren Transport für Kohle, Dünger und landwirtschaftliche Erzeugnisse auf der Straße“ verwies die Tagespresse, doch es half alles nichts – mit Beschluss des Ministerrates in Stuttgart vom 10. April 1973 war die Stilllegung endgültig besiegelt. Im Juli 1974 wurden dann die Gleise entfernt. Lediglich das kurze Stück von Hüfingen bis Bräunlingen blieb für den Güterverkehr erhalten, nachdem die Stadt Bräunlingen für ihre Unternehmen darum gekämpft hatte. Das Stück Donaueschingen- Hüfingen war mit der Inbetriebnah- me der Strecke Neustadt-Donau- eschingen im Jahr 1901 ohnehin bereits in der Höllentalbahn aufge- gangen, und damit erheblich aufge- wertet worden. Eine Eisenbahn samt etliche ihrer Bau- ten verschwindet: Der Bahnhof Vöhren- bach wird 1978 im Rahmen einer Feuer- wehrprobe warm abgebrochen.
Bregtalbahn am Bahnhof Hammereisenbach. Rechts vor Hammereisenbach, im Hintergrund der Winter- hof. Fotos: Wieland Proske, Juli 1972 Besonders für die Stadt Furtwangen als größte betroffene Gemeinde war das Ende der Bregtalbahn ein herber Schlag. Zumal die Stadt sich einst so sehr um einen Bahnanschluss bemüht hatte. Der Eröffnung der einspurigen Bregtalbahn am 1. August 1893 waren mehre- re Jahrzehnte intensiver Bemühungen um ver- schiedenste Trassen vorangegangen. Erfolgloser Kampf um weitere Bahnanschlüsse Der Kampf um den Bahnanschluss war für die gewerbereiche Stadt oft so frustrie- rend gewesen, wie nun das Ende der Breg- talbahn. Vergeblich hatte Furtwangen sich zum Beispiel in den 1860er-Jahren um den An- schluss an die Schwarzwaldbahn bemüht und dabei eine Trasse von Haslach über Prechtal, Furtwangen, Vöhrenbach, Donaueschingen pro- pagiert. Am Ende wurde jedoch die Variante über Triberg und St. Georgen realisiert – der Landtag wollte es so. Unmittelbar darauf stand die Höllentalbahn an. Auch hier meldete Furtwangen Interesse an, kämpfte für Trassenverläufe von Freiburg über St. Peter oder wahlweise auch über Wagensteig nach Furtwangen zur Weiterfahrt durch das Breg tal nach Donaueschingen. Doch wieder zog die Stadt den Kürzeren: Die Zweite Kammer entschied sich am 15. Juni 1874 für eine Linien- führung der Höllentalbahn über Neustadt statt 126 über Furtwangen „aus technischen und volks- wirtschaftlichen Gründen“. Die Bemühungen um eine Bahn mit End- bahnhof in Furtwangen hatten schließlich Er- folg. Im Nachhinein betrachtet jedoch wurde es zu ihrem Verhängnis, dass sie nur eine Stich- bahn war. Natürlich hatte man sich in Furtwan- gen auch immer wieder bemüht, die Bregtal- bahn durch weitere Anschlüsse zu stärken – immerhin war sie mit der normalen Spurweite ausgestattet. Doch keine der Optionen führte zum Erfolg. Zum Beispiel bemühte sich Furtwangen auch um einen Anschluss an die Elztalbahn. Denn Elzach ist so weit nicht entfernt, und das da- zwischen liegende Massiv des Rohrhardsbergs müsste wohl zu untertunneln sein, dachte man sich. Und als die Bahn im Jahr 1901 Elz ach er- reichte, durfte man in Furtwangen noch Hoff- nungen auf einen Durchstich des Bergrückens nach Furtwangen haben. Sie erfüllten sich aber nie. Als im Mai 1887 die Höllentalbahn von Frei- burg nach Neustadt eingeweiht wurde, war über deren weiteren Verlauf nach Donaueschin- gen noch nicht entschieden. Es gab die Varian- te über Löffingen oder aber über Hammereisen- bach. Furtwangen machte sich nun für die Tras- se über Hammereisenbach stark, weil damit die Bregtalbahn deutlich aufgewertet würde. Aber einmal mehr blieb Furtwangen außen vor; im Februar 1896 fiel die Entscheidung zugunsten von Löffingen. Die Variante über Eisenbach und Hammereisenbach hätte nämlich den Bau einer Zahnradstrecke erfordert. Und auch ein Anschluss an die Schwarzwaldbahn in Haslach wurde diskutiert, doch auch er wurde alsbald
verworfen. Also lief alles darauf hinaus, dass die Bregtalbahn eine Stichbahn bleiben soll- te, ohne weitere Anschlüsse. Um sie dennoch aufzuwerten, strebte man in den 1920er-Jahren eine Elektrifizierung an – wiederum erfolglos. Die Bahnstrecke war damit vom Fortschritt abgehängt. Veränderungen gab es in den fol- genden Jahrzehnten lediglich bei den Eigen- tumsverhältnissen. Zum Jahresbeginn 1953 über- gab das Land die Bregtalbahn an die Mittelba- dische Eisenbahn AG in Lahr zur Betriebsfüh- rung, ab 1. Oktober 1953 in Eigentum. Diese wiederum übergab sie am 1. Oktober 1971 an die Südwestdeutsche Eisenbahnen AG Lahr (SWEG) – ein Jahr vor ihrer Stilllegung. Die ers- ten Pläne zur Stilllegung waren zu diesem Zeit- punkt schon mehr als ein Jahr alt. Der Ringzug – im Regio-Shuttle werden täglich bis zu 13.000 Fahrgäste transportiert Rückblickend betrachtet war die Stilllegung der Bregtalbahn zwar ein großer Fehler, doch er war nicht der einzige – der unmittelbare Abriss der Gleise war der zweite. Hätte man die Schienen nämlich weiterhin erhalten, so wären die Chan- cen gut gewesen, die Bahn später wieder zu re- aktivieren. Wie realistisch diese Einschätzung ist, zeigt sich daran, dass jener kleine Ast der Bahnstrecke zwischen Hüfingen und Bräunlin- gen, der nicht abgerissen wurde, später wieder zu Ehren kam: Die Strecke von Donaueschingen bis Bräunlingen wurde im Rahmen des so ge- Die Eisenbahn – eine Erfolgsgeschichte nannten Ringzug-Projektes im September 2003 wieder reaktiviert. So steckt im heutigen Ringzug noch ein kleines Stück Bregtalbahn drin. Der von der Hohenzollerischen Landesbahn (HzL) betriebene Zug gelte „bundesweit als ei- nes der inno va tiv sten Nahverkehrsprojek- te im ländlichen Raum“, wusste zur Inbe- triebnahme der Verkehrsclub Deutschland zu berichten: „Obwohl 41 neue Haltepunkte eingerichtet werden, hat der Ringzug dank spurtstarker Triebwagen kur ze Fahrzeiten.“ Wo bislang die Züge der Deutschen Bahn AG (DB) durchrauschten, legte der Ringzug fortan zu- sätzliche Stopps ein – bei unveränderter Fahr- zeit. Die Hohenzollerische Landesbahn hatte sich in einer Ausschreibung unter vier Eisen- bahnverkehrsunternehmen, darunter auch die Deutsche Bahn AG, Ende 1999 mit ihrem Ange- bot durchgesetzt. Wären die Gleise der Bregtalbahn durchge- hend noch erhalten geblieben, würde der Zug heute vermutlich bis Furtwangen weiterfahren und auf der einst 33,4 Kilometer langen Strecke zumindest die damaligen neun Bahnhöfe und zwei Haltepunkte wieder bedienen, wenn nicht sogar noch einige zusätzliche Stationen. Der Ringzug auf der Fahrt zur Endstation Bräunlin- gen. Wären die Gleise der Bregtalbahn auch noch im Oberen Bregtal vorhanden, könnten die Furtwanger und Vöhrenbacher gleichfalls von diesem beliebten Nahverkehrszug profitieren. 127
Unterwegs mit der historischen Sauschwänzlebahn. Für die 26 Kilometer lange Strecke werden rund 1,3 Tonnen Kohle benötigt. Stockfinster sind die Tunnel, hier der 540 Meter lange Tunnel am Achdorfer Weg. Rechts: Anfahrt auf Epfenhofen, Blick von der Lok aus zum 264 Meter langen Talausgang. Der Erfolg des Ringzugs legt solche Ver- mutun gen nahe. Zumal die Triebwagen vom Typ Regio-Shuttle RS1 von der Firma Stadler auch andernorts mit großem Erfolg verkehren. Der Regio-Shuttle ist der erste in Deutschland weit verbreitete Nahverkehrsdieseltriebwagen neuer Generation; seine trapezförmigen Fens- terbän der sind längst eine Art Markenzeichen geworden. Ein Vorteil ist seine Flexibilität: Je nach Bedarf wird die Zahl der Fahrzeuge der Züge im Laufe des Tages variiert, um nicht un- nötig leere Waggons durch die Gegend fahren zu lassen. Im Städteviereck Donaueschingen, Vil- lingen-Schwenningen, Rottweil und Tutt- lingen ver kehrt der Ringzug heute auf ei- ner Strecke von insgesamt 194 Kilometern und absolviert jährlich rund 1,258 Millio- nen Zugkilometer. Er befördert derzeit gut 10.000 Fahrgäste pro Tag, an Schultagen sind es sogar annähernd 13.000. Und seine Pünkt- lichkeit liegt mit 97 bis 98 Prozent sehr hoch. Ein wahrer Ringzug ist es allerdings zumin- dest bislang nicht geworden – der Abschnitt zwischen Donaueschingen und Immendingen- 128 Hintschingen, also beim Abzweig der Wutach- talbahn, wird derzeit noch nicht bedient. Denn die Wirtschaftlichkeit gilt bisher nicht als ge- sichert. Der betreffende Abschnitt ist Teil der Schwarzwaldbahn, doch diese hält zwischen Donaueschingen und Immendingen lediglich am Bahnhof Geisingen. Der Ringzug würde darüber hinaus auch andere ehemalige Haltepunkte der Schwarzwaldbahn bedienen, zum Beispiel Pfohren, Neudingen und Gutmadingen. Auch ein anderes Teilstück scheiterte zu- mindest bislang am Geld: die 5,36 Kilometer lange Strecke von Marbach nach Bad Dürrheim. Hier verkehrte vom 31. Juli 1904 an der „Bäder- express“, eine Stichbahn. In besten Zeiten fuhr der Zug fast stündlich, doch am 4. Oktober 1953 wurde der Personenverkehr eingestellt, der Güterverkehr endete im Herbst 1966. Auch hier wurden anschließend die Gleise entfernt. Wären diese noch vorhanden, täte man sich heute mit der Reaktivierung deutlich leichter. Die historische Sauschwänzlebahn Das zeigen all jene Netzabschnitte, deren Glei- se trotz Stilllegung erhalten blieben. So wurde auf der Wutachtalbahn im Rahmen des Ring- zug-Konzepts der 15 Kilometer lange Abschnitt von Hintschingen bis Zollhaus-Blumberg im Dezember 2004 reaktiviert. Nach Jahrzehnten wurde damit wieder der Anschluss der Wutach- talbahn an das öffentliche Bahnnetz geschaf-
fen, nachdem der Personenverkehr auf diesem Streckenabschnitt im Mai 1967 eingestellt wor- den war. So kam eine historische Strecke wieder zu Ehren. Die Wutachtalbahn war Ende des 19. Jahr hunderts für Kriegszwecke gebaut worden; sie quert den Schwarzwald-Baar-Kreis zwischen Blumberg-Fützen und ihrem Anschluss an die Schwarzwaldbahn. Bereits 1875 war das erste Teilstück der Bahn von Lauchringen am Hoch- rhein bis Stühlingen, 1876 das nächste Stück bis Weizen eröffnet worden. Der Weiterbau war eine technische Herausforderung: In einer vollen Kreisbahn mussten die Gleise sich bei Blumberg im Tunnel in die Höhe schrauben, ehe sie bei Hintschingen im Donautal Anschluss an die Schwarzwaldbahn fanden. So brauchte das letzte Teilstück seine Zeit: Erst im Mai 1890 war die Bahn komplett vom Hochrhein bis an die Donau befahrbar. Doch in den Jahrzehnten nach dem Zwei- ten Weltkrieg stellte die damalige Bundes- bahn den Personenverkehr auf dieser Strecke schrittweise ein – aus „wirtschaftlichen und kaufmännischen Erwägungen“, wie es hieß. 1955 wurde die Bahnstrecke stillgelegt, im fol- genden Jahrzehnt aber von der Nato aus stra- tegischen Gründen renoviert, schließlich 1976 endgültig stillgelegt. Anders als im Bregtal riss man die Gleise hier jedoch nicht ab – man zeigte sich etwas weitsichtiger. Vielmehr stellte die Deutsche Bundes- bahn der Stadt Blumberg die Strecke im Jahr 1977 zur Verfügung. Die Stadt nahm die gerne an und ermöglichte auf der Teilstrecke zwischen Blumberg-Zollhaus und Weizen den Verkehr der dampfbetriebenen Museumsbahn, Sauschwänzlebahn genannt. Auf den anderen Teilstücken verkehrten inzwischen nur noch Güterzüge. Die Sauschwänzlebahn sei „die einzige Bahnstrecke ihrer Art in Deutschland, die seit dieser Zeit nahezu unverändert erhalten ge- blieben ist“, erkannte später das Regierungs- präsidium Freiburg und stellte sie unter Denk- malschutz. Äußerst selten seien die vielen originalen Brückenbauwerke und die Tunnels. Der Kehrtunnel an der Stockhalde, wo die Bahn im Berg einen Höhenunterschied von etwa 15 Metern überwindet, sei in seiner Art in Deutsch- land einzigartig. Weltberühmt: Die Schwarzwaldbahn Gleichwohl: Die bekannteste Bahn im Land- kreis ist noch immer die Schwarzwaldbahn. Am 10. November 1873 eröffnet, brachte sie dem mittleren Schwarzwald den „Anschluss an den Weltverkehr“, wie es damals hieß. Auch hier hatte es lange Debatten um die Trassenführung gegeben, denn Möglichkeiten gab es viele. Die realisierte Sommeraulinie hatte sich als die preiswerteste erwiesen – abgesehen einmal von der Schiltachlinie. Diese wäre von Hausach über Schiltach, Schramberg und Königsfeld 129
Die weltberühmte Schwarzwaldbahn im Spiegel his- torischer Fotografien. Links eine Reparaturarbeit am Sommerberg-Tunnel bei St. Georgen, 1920er-Jahre. Mitte: Bahnwärterhäuschen bei Gremmelsbach um 1900. Rechts: Zur Eröffnung der Schwarzwaldbahn wurden lithografische Detailansichten aufgelegt, eine davon zeigt den Bahnhof auf der Sommerau mit Drehscheibe zum Wenden der Loks. nach Villingen verlaufen, doch sie wäre über wenige Kilometer auf württembergischem Ter- rain verlaufen – und damit im Ausland. Das konnte in dieser Zeit kein Badener akzeptieren. Daher fiel 1864 im Landtag die Entschei- dung für Triberg und die Sommerau. Doch es war nicht leicht, die Höhenmeter von Hornberg bis St. Georgen zu überwinden. Der erste Ent- wurf war entsprechend kurios: Von Hornberg kommend sollte der Zug durchs Gutachtal in Triberg einlaufen, dort in einer Spitzkehre sei- ne Fahrtrichtung wechseln, sich östlich von Triberg am Hang hinauf schieben, dort erneut in einer Spitzkehre ankommen, um dann gen Nußbach weiterzufahren. Dabei wären Stei- gungen bis zu drei Prozent zu überwinden ge- wesen – undenkbar für eine leistungsfähige Fernbahn-Verbindung. Der Auftrag, den Plan zu überarbeiten, ging an Robert Gerwig. Der Ingenieur war seit 1846 Referent für Straßen- und Eisen- bahnbau in der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues in Karlsruhe. Und er 130 war seit 1850 Leiter der neu gegründeten Uhrmacherschule in Furtwangen. Gerwig beseitigte die Kopfstationen und reduzierte die maximale Steigung von drei auf 2,5 Prozent. Doch zufrieden war die badische Regierung mit diesem Entwurf noch immer nicht. In einem Tunnel wollte Gerwig eine volle Spirale drehen, mit einem Radius von nur 180 Metern. Einen solchen Tunnel, zumal mit einem derart gerin- gen Radius, hielt man auf einer leistungsfähi- gen Bahnlinie für nicht angemessen. Gerwig musste nachbessern. Im neuen Entwurf war die Steigung auf zwei Prozent reduziert, die Kurvenradien waren auf mindestens 300 Meter aufgeweitet, die Spirale war entfernt. Gerwig hatte dafür zwei Doppel- schleifen eingefügt, die teilweise in Tunnels verlaufen sollten. Diese Variante überzeugte das Ministerium, Gerwig übernahm die Bau- leitung. Durch 37 Tunnel zwischen Gutach und St. Georgen musste die Trasse geführt werden. Mit Pressluftbohrern und Schwarzpulver wur- den die Tunnels, bis zu 1,7 Kilometer lang, nun durch das harte Urgestein des Schwarzwaldes getrieben. Mit dicken Hölzern wurde das Ge- wölbe gestützt, Rüb-Öl-Lampen gaben den Ar- beitern das notwendige Licht. Von Stilllegungsplänen verschont Im November 1873 nahm die Schwarzwaldbahn den Betrieb auf der ganzen Strecke auf und be-
flügelte fortan den Tourismus in der Region Tri- berg. Umgekehrt sicherte auch der Tourismus über Jahrzehnte den Fortbestand der Bahn. So überstand die Schwarzwaldbahn, an- ders als manche andere Strecke in der Region, das 20. Jahrhundert unbeschadet. Sogar in den bahnfeindlichen 1970er-Jahren blieb sie – im Unterschied etwa zur Höllentalbahn – von jeg- lichen Stilllegungsplänen verschont. Sie wurde vielmehr wenige Jahre nach ihrem hundertjäh- rigen Bestehen durchgehend elektrifiziert. 1977 wurde es dann ruhig um die Schwarz- waldbahn. Die Elektrifizierung bis Konstanz war abgeschlossen. Doch während Touristen und Eisenbahnfans sich unvermindert an Europas schönster Gebirgsbahn erfreuten, wurde ihre Bedeutung in der Praxis von Jahr zu Jahr gerin- ger. Dies geschah in jenem Maße, wie die Stra- ßenkilometer im Lande und entsprechend auch die Kraftfahrzeugzahlen zunahmen. Die Bahn schien in diesen Jahren zuvorderst noch für Nos- talgiker gut – und für Militärstrategen, die in der Zeit des kalten Krieges der Bahn einige Gelder zukommen ließen. Ende der 1980er-Jahre gab es dann end- lich wieder eine positive Nachricht aus dem Schwarzwald: Im Mai 1989 wurden die ers- ten InterRegios (IR) auf die Gleise der Deut- schen Bundesbahn gebracht – und eine der beiden Pilotstrecken war die Schwarzwald- bahn. Endpunkte der Touren wa ren neben Kon- stanz die Städte Karlsruhe, Kassel, Frankfurt, Flensburg, Hamburg und Göttingen. Mit dieser neuen Zuggattung wurden künf- tig auf immer mehr Strecken der Republik im Zwei-Stunden-Takt auch kleine Bahnhöfe mit hochwertigen Zügen an das Fernverkehrsnetz angebunden. Höchstgeschwindigkeiten von 200 Kilometer pro Stunde, moderne Waggons sowie ein guter Service inklusive Bistro-Wagen waren Teile des neuen Konzeptes. Der in blau-weißem Außendesign gehaltene Zug fuhr bald 300 Bahn- höfe in der ganzen Bundesrepublik an. Durch ihn kamen auch viele ländliche Regionen in den Genuss eines Taktverkehrs, wie ihn der Fern- verkehr seit Jahren kannte. Die Zeit nach der Bahnreform Doch obwohl der InterRegio auch wegen seiner modernen Gestaltung von vielen Fahrgästen heiß und innig geliebt wurde, konnte er nicht auf die Fahrgastzahlen kommen, mit denen die Intercitys zwischen den deutschen Großstädten glänzten. Und so wurde der gerade erst eupho- risch eingeführte InterRegio binnen weniger Jahre zum ungeliebten Kind der Bahn. Das lag auch an der Bahnreform. Denn als 1994 aus der deutschen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG geworden war, suchte das Unternehmen über- all nach Einsparpotenzialen. Und diesem Druck fiel nun der schicke InterRegio zunehmend zum Opfer, auf der Schwarzwaldbahn wie bundes- weit. Im Dezember 2002 war die Ära des Inter- Regios schon wieder vorbei. 131
zügen des Jahres 1997 blieben 1998 nur noch 35 und 1999 nur noch 34, jeweils auf Werktage und beide Fahrtrichtungen bezogen. Im Som- mer 2009 verkehrten zwischen Offenburg und Konstanz noch 32 Personenzüge pro Tag. Denn so populär die Schwarzwaldbahn als technisches Meisterwerk war, sosehr litt sie in den 1990er-Jahren unter gesell- schaftlichen Veränderungen. Zum Bei- spiel unter den veränderten Urlaubsge- wohnheiten der Deutschen: Nach Öffnung der ostdeutschen Grenzen besuchte mancher frühere Schwarzwaldurlauber nun den Harz oder das Erzgebirge. Und da die Feriengäste stets einen ansehnlichen Teil der Passagiere auf der Schwarzwaldbahn ausmachten, bekam die Bahn diesen Wandel schnell zu spüren. Hinzu kam die Preisentwicklung, die dem Schwarzwälder Tourismusgewerbe, und da- mit auch der Schwarzwaldbahn, zunehmend zu schaffen machte: 14 Tage Dominikanische Republik waren aufgrund des Preisverfalls im Flugverkehr inzwischen oftmals billiger zu ha- ben als 14 Tage Schwarzwaldurlaub. Die „Interessensgemeinschaft Schwarzwaldbahn“ wird gegründet Doch von einer so berühmten Strecke wie der Schwarzwaldbahn versprachen sich die Anlie- ger noch weitaus mehr Potenzial. Also gründe- ten die Kommunen an der Strecke in den spä- ten 1990er-Jahren die „Interessengemeinschaft Schwarzwaldbahn“, und erarbeiteten Gegen- strategien, um ihre Bahn zu stärken. Man setzte auf bessere Anschlüsse der Busse an die Züge, um „die Bahn mit Fahrgästen zu füttern“. Damit kam die Schwarzwaldbahn zu- mindest wieder stärker in die Diskussion. Ohnehin hatte sich inzwischen gezeigt, dass die langfristigen Perspektiven für die Schwarzwaldbahn trotz aller Proble- me nicht schlecht waren. Denn es gab kei- ne ernsthaften Zweifel, dass die Eisenbahn im neuen Jahrtausend an Bedeutung gewinnen werde: Der Autoverkehr hatte dermaßen zuge- nommen, dass er die Straßen immer öfter ver- stopfte, auch die Umweltprobleme des Autover- Die Schwarzwaldbahn verlässt von St. Georgen kommend nach der Durchfahrt des Sommerau- und Schieferhaldetunnels den Tannenwaldtunnel, ist auf dem Weg zum Bahnhof Triberg. Es blieb ein schwacher Trost: Immerhin waren die Nahverkehrszüge, die sich seit der Privatisie- rung der Bahn Regionalexpress, Regionalbahn oder Stadtexpress nannten, auf der Schwarz- waldbahn nicht gefährdet. Denn ab Mitte der 1990er-Jahre waren weitere Streckenstilllegun- gen in Baden-Württemberg nicht mehr denkbar – die Politik brachte der Schiene inzwischen zumindest jenes Minimum an Wertschätzung entgegen, das sie zum Überleben brauchte. Ausgedünnt wurde die Zugfrequenz auf der Schwarzwaldbahn dennoch. Von 37 Personen- 132
kehrs zeigten dessen Grenzen deutlich auf. All das schuf in jenen Jahren neue Sympathien für die Bahn. So lag das Fahrgastaufkommen auf der Schwarzwaldbahn zur Jahrtausendwende – ver- glichen mit anderen ländlichen Bahnstrecken der Republik – weiterhin im Mittelfeld. An die Top-Strecken in den Landkreisen Breisgau- Hochschwarzwald und Emmendingen, wo eine hochattraktive Monatskarte („Regiokarte“) die Züge füllte, kam die Schwarzwaldbahn zwar nicht heran. Andererseits gab es jedoch auch zahlreiche Strecken in ländlichen Regionen Deutschlands, auf denen man weitaus weniger Fahrgäste zu verzeichnen hatte. Zwischenzeitlich war im Zuge der europä- ischen Marktliberalisierung im öffentlichen Ver kehr auch auf der Schwarzwaldbahn eine Ausschreibung des Bahnbetriebs notwendig geworden. Sie erfolgte europaweit im Feb- ruar 2003 und rief neben der Deutschen Bahn AG auch zwei Mitbewerber auf den Plan. Die Schwarzwaldbahn war inzwischen wieder eine attraktive Bahnstrecke geworden mit 9,8 Mil- lionen Fahrgästen im Jahr 2003 bei einer Ver- kehrsleistung von 3,2 Millionen Zugkilometern im Jahr. Der Zuschlag ging an die etablierte Deut- sche Bahn, deren hundertprozentige Tochter DB Schwarzwaldbahn GmbH zum Fahrplan- wechsel am 10. Dezember 2006 den Betrieb übernahm. Es wurden nun im Stundentakt Dop- pelstockwagen eingesetzt, die Zugfahrt wurde von Konstanz nach Kreuzlingen verlängert, um dort an das bekanntlich sehr leistungsfähige Schweizer Bahnnetz anzuknüpfen. Investitionen von 80 Mio. Euro Der neue Betreiber hatte im Rahmen der Ausschreibung zugesagt, 80 Millionen Euro zu investieren – in immerhin elf neue Loks der Baureihe 146, den „Europameis- ter der Zuverlässigkeit“, wie es bei der Deutschen Bahn hieß. Ferner wurden 36 Doppelstockwagen der Firma Bombardier an- geschafft, die schon im Höllental und auf der Rheintalstrecke von den Fahrgästen gut an- Die Eisenbahn – eine Erfolgsgeschichte Unterwegs mit der Schwarzwaldbahn, Einfahrt in den Bahnhof VS-Villingen. genommen wurden, und laut Bahn als „echtes Multitalent“ gelten. Nach Angaben der Schwarzwaldbahn GmbH verbuchen die Züge seither „sowohl bei Pend- ler- wie auch im Freizeitverkehr deutliche Zu- w ächse“. So habe man an Wochentagen auf dem Abschnitt Karlsruhe-Offenburg in den letz- ten Jahren Verkehrszuwächse bei Pendlern von rund 30 Prozent verzeichnet. Im Freizeitverkehr an Sonn- und Feiertagen sowie in den Ferien betrug der Zuwachs 28 Prozent (Karlsruhe-Of- fenburg) beziehungsweise 23 Prozent (Offen- burg-Konstanz). 20 Prozent Zuwachs hatte sich das Unternehmen bei der Übernahme des Be- triebs im Dezember 2006 zum Ziel gesetzt. Auch in anderen Punkten konnte sich die neue Schwarzwaldbahn sehen lassen: Mit ei- ner Pünktlichkeit von 97 Prozent im Jahr 2008 war sie überdurchschnittlich. Und auch das Ur- teil der Fahrgäste war respektabel: In den Kri- terien „Pünktlichkeit“ und „Sauberkeit“ hätten die Passagiere in einer Umfrage im Schnitt die Schulnote 2,2 gegeben, ließ die Schwarzwald- bahn GmbH wissen. Zum 175-jährigen Bestehen der deutschen Eisenbahnen können sich die Bahnstrecken im Schwarzwald-Baar-Kreis also durchaus se- hen lassen, sie sind hinsichtlich Zustand und Akzeptanz gut positioniert. Nur die Lücke, die das Ende der Bregtalbahn hinterlassen hat, ist beträchtlich. 133
Geschichte Auf die Goldwaage gelegt Eine Neugewichtung der schriftlichen Ersterwähnung von Aasen Die Erkenntnisse der bisherigen Forschung zur ältesten urkundlichen Nennung des Ortes Aasen sind von äußerster Unsicherheit und Ver- worrenheit geprägt. Nach neuester Forschungs- meinung ließ sich ein exaktes Datum für die Ersterwähnung nicht festmachen und zum an- deren mussten die Aasener damit leben, dass sie die Erstnennung ihres Ortes einer „formalen Verfälschung einer Urkunde“ verdankten. Umso mehr ein Grund, die einzelnen Quellenaussagen einmal neu abzuwägen, um hier zu einem ein- deutigen Ergebnis zu gelangen. Eine zeitlang wurde eine Urkunde vom 23. Oktober 805 als früheste Erwähnung Aasens angeführt. Doch alle in diesem Diplom über Gü- terschenkungen an das Kloster St. Gallen ge- nannten Ortschaften liegen in Oberschwaben. Und so handelt es sich bei dem in dieser Schen- kungsurkunde genannten Asinheim auch nicht um unser Aasen im Schwarzwald-Baar-Kreis, sondern um die längst abgegangene Siedlung Ensenheim bei Riedlingen. Die ältere Ortschronik von Aasen führte dann als ersten schriftlichen Beleg einen Ein- trag aus der spätmittelalterlichen Reichenauer Chronik des Gallus Öhem an. Nach diesem soll der Alaholfinger Herzog Berthold im Jahre 973 neben zahlreichen anderen Gütern auch Besitz zu Aasen an das Inselkloster vergabt haben. Dieser Chronikeintrag ist insofern mit gewisser Vorsicht zu betrachten, da es sich bei ihm um die einzige in den Quellen fassbare Nachricht zu diesen Vorgängen handelt und Öhems Chronik erst mehr als 500 Jahre nach der Güterschen- kung verfasst wurde. Die Urkunde König Ludwigs vom 28. April 857 In der neuen Aasener Ortschronik wurde nun die maßgebliche älteste schriftliche Erwähnung von Aasen korrekt angeführt. Es handelt sich um 134 eine handschriftliche Randnotiz zu einer Urkun- de König Ludwigs des Deutschen vom 28. April 857. Der exakte Aussagegehalt dieser Urkunde wie auch der Sinn und Zweck der Randbemer- kung mit der Ersterwähnung Aasens wurde von der bisherigen Forschung allerdings leider nicht in ihrem vollen Umfange erkannt. Mit seinem Königsdiplom aus dem Jahre 857 überließ Ludwig der Deutsche auf Bitten seiner Tochter Irmingard dem Abt Folkwin von der Reichenau zwei Hufen zu Heidenhofen, die bisher zur dortigen Königskirche gehört hatten, im Tausch gegen vier Zinsleute samt ihrer Ab- gaben zu Saulgau zugunsten des seiner Toch- ter unterstellten Stiftes Buchau am Federsee. Als Gegenleistung erwartete der König Gebets- leistungen für sein Seelenheil von den beiden Gotteshäusern. Am rechten unteren Rand dieser Urkunde vermerkte nun ein Reichenauer Mönch des aus- gehenden 10. Jahrhunderts: „das heißt [die Hu- fe] Hemmos in Aasen und [die Hufe] Heimos in Biesingen.“ Diese Randnotiz hat die bisherige Forschung als formale Verfälschung der Urkun- de interpretiert. Immerhin gestand sie den Rei- chenauer Mönchen zu, dass diese hundert Jahre nach dem Tauschhandel von 857 in dem guten Glauben gewesen seien, dass der Erwerb von Gütern zu Aasen und Biesingen im Zusammen- hang hiermit gestanden habe. Die Interpretation der handschriftlichen Bemerkung des 10. Jahrhunderts als eine ver- fälschende Hinzufügung von weiteren Gütern zum eigentlichen Rechtsgeschäft der Urkunde ist aus philologischer Perspektive ausgeschlos- sen. Die einleitenden Worte der lateinischen Randbemerkung id est, „das heißt“ können nur als Erklärung bzw. genauere Erläuterung einer Stelle aus dem Haupttext der Urkunde verstan- den werden. Der genaue Sinn der erläuternden Randnotiz wurde bereits dadurch verstellt, dass die bishe-
rige Forschung die Urkundenstelle, auf welche diese Notiz zu beziehen ist, schon nicht exakt verstanden hatte. Man interpretierte die Nen- nung der von Ludwig dem Deutschen an das Kloster Reichenau vergabten Güter bisher stets wie folgt: „zwei Hufen im Dorf Heidenhofen und in der Gemarkung desselben Dorfes“. Die latei- nische Wendung in villa Heidenhouun et in con- finio eiusdem villae kann zwar tatsächlich in die- ser Weise übersetzt werden, ein sinnvolles Ver- ständnis der erklärenden Randbemerkung ist so aber nicht mehr möglich. Aus diesem Grunde ist nur die zweite völlig gleichberechtigte, bis- her aber übersehene Übersetzungsmöglichkeit der Urkundenstelle sinnvoll: „zwei Hufen beim Dorf Heidenhofen und in der Mark desselben Dorfes“. Dafür, dass in der königlichen Kanzlei die lateinische Wendung in villa des öfteren in der Bedeutung „beim Dorf“ verwendet wurde, sei hier nur ein eindeutiger Beleg aus der un- mittelbaren Nachbarschaft angeführt: Im Jahre 888 bestätigte König Arnulf seinem Hofkapellan Ruatpert den Besitz der Martinskirche in villa Cheinga. Eine Martinskirche gab es in dieser Zeit „im Dorf Klengen“ aber nicht. Gemeint ist hier natürlich die Martinskirche zu Kirchdorf „beim Dorf Klengen“. Dass in dieser Urkunde Klengen als Bezugspunkt genannt wird, liegt darin begründet, dass es sich um den namen- gebenden Ort der Klengener Urmark handelte, zu welcher Kirchdorf gehörte. Ganz gleich verhält es sich in unserem Fall: Die beiden von Ludwig dem Deutschen an das Kloster Reichenau übertragenen Hufen lagen nicht in Heidenhofen, sondern in Aasen und Bie- singen. Als „beim Dorf Heidenhofen und in der Mark desselben Dorfes“ werden sie charakteri- siert, weil Heidenhofen der namengebende Ort der die Ortschaften Aasen, Biesingen und Hei- denhofen umfassenden Heidenhofener Urmark war. Jetzt erhellt sich der Sinn des Nachtrages aus dem 10. Jahrhundert beinahe von selbst: Gut hundert Jahre nach der Güterübertragung fügte ein Reichenauer Schreiber erläuternd die exakte Lokalisierung der beiden Hufen in der Urmark Heidenhofen, von welchen sein Kloster Zinsen bezog, hinzu: „das heißt [die Hufe] Hemmos in Aasen und [die Hufe] Heimos in Biesingen“. Be- denkt man den weitgestreuten Güterbesitz der Schriftliche Ersterwähnung Aasens Abtei Reichenau, so wird diese nachträgliche erläuternde Randnotiz gerade in verwaltungs- technischer Hinsicht mehr als verständlich. Wortwörtlich wird Aasen als Asaheim erst- mals in dem erklärenden Nachtrag des Reiche- nauer Mönches aus dem endenden 10. Jahrhun- dert genannt. Seine schriftliche Ersterwähnung erfährt Aasen allerdings bereits am 28. April 857 in der Königsurkunde Ludwigs des Deutschen selbst. Denn auch wenn es hier nicht explizit namentlich angeführt wird, so ist es doch unter der Nennung der beiden Hufen „beim Dorf Hei- denhofen und in der Mark desselben Dorfes“ eindeutig mit inbegriffen und gemeint. Für einen Zeitraum wie das frühe Mittelalter, für welchen wir über nur ganz wenige schriftliche Quellen verfügen, müssen wir für jedes einzelne uns erhaltene Schriftzeugnis dankbar sein. Bei den wenigen Informationen, die uns für diese Zeit zur Verfügung stehen, können wir es uns nicht leisten, nur grob den Inhalt einer Urkunde zu erfassen. Wir müssen uns der Mühe unter- ziehen, jedes einzelne Wort unserer Schriftquel- len auf die Goldwaage zu legen. Denn bisweilen erweist es sich, dass bei exakter Wägung eine einzige Urkunde mehr informativen Feingehalt enthält, als sich zunächst vermuten ließe. Das Königsdiplom Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 857 erweist sich für den Schwarzwald- Baar-Kreis als wahres Goldstück: es stellt den ältesten Beleg für die Heidenhofener Urkirche (vgl. Almanach 2009) und die Urmark Heiden- hofen sowie die zweite urkundliche Erwähnung von Biesingen und Heidenhofen dar. Und last but not least hält es für die Gemeinde Aasen mit dem 28. April 857 ein genaues Datum ihrer schriftlichen Ersterwähnung bereit. Thomas H. T. Wieners Literaturhinweise: Willimski, Paul: Die Ortschronik von Aasen (= Kulturschriften des Landkreises Donaueschingen, H. 3), Donaueschingen 1953. Huth, Volkhard: Aasen, wie man es nicht kennt. Momentauf- nahmen aus früheren Epochen eines alten Baardorfes, in: Aasen. Beiträge zur Geschichte eines alten Baardorfes, hg. von der Stadt Donaueschingen, Donaueschingen 1996, S. 17 – 39. Wieners, Thomas H. T.: Gemeinsame Wurzeln – getrennte We- ge. Historische Betrachtungen anlässlich der 1.250-jährigen urkundlichen Ersterwähnung von Biesingen und Heidenhofen, in: Almanach 2009. Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar- Kreises, F. 33, S. 128 – 130. 135
„So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich soll gehen. Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viel junges, hoffnungsvolles Leben… Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden.“ Sophie Scholl * 9. Mai 1921 in Forchtenberg – † 22. Februar 1943 in München Die Weiße Rose – Spurensuche in Blumberg Die Münchner Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ verfasste, druckte und verteilte unter Lebensgefahr insgesamt sechs Flugblätter gegen den Nationalsozialismus. Am 18. Februar 1943 legten die Geschwister Sophie und Hans Scholl ein Flugblatt an der Münchner Universität aus, wurden dabei vom Hausmeister entdeckt und der Gestapo ausgelie- fert. Zusammen mit Christoph Probst wurden die jungen Studenten durch den Volksgerichtshof zum Tode durch das Fallbeil verurteilt. Das Urteil wurde am 22. Februar im Gefängnis Stadelheim vollstreckt. Die Erinnerung an Sophie Scholl ist bis heute auch in Blumberg lebendig, wo sie 1941/42 sechs Monate lang als Praktikantin im Kinderhort gearbeitet hat. Im Sommer 1940 hatte sie zudem ein vierwöchiges Praktikum im Kindersanatorium Kohlermann in Bad Dürrheim absolviert. Die Weiße Rose Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst (1942) 136 136
Lesestunde – Sophie Scholl. Das Foto ist ein Geschenk von Inge Aicher- Scholl, der Schwester von Sophie Scholl, an die Blumbergerin Hilde- gard Maus-Schüle, die mit der Widerstandskämpferin befreundet war. Sophie Scholl lernte die Schrecken des Nationalsozialismus 1941/42 auch als Praktikantin im NSV-Kinderhort in Blumberg kennen. Sechs Monate verbrachte sie in Blumberg, erlebte dabei große Not.
Geschichte Wer der Frage nach dem Widerstand ge- gen den Nationalsozialismus in Blum- berg nachgeht, stößt schnell auf jene Person, die den deutschen Widerstand der jun- gen Generation in herausragender Weise reprä- sentiert: Sophie Scholl, die Mitbegründerin der studentischen Münchner Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“. Mit der Baar war Sophie Scholl bereits im August 1940 in nähere Berührung gekommen, als sie im Rahmen ihrer Ausbildung zur Kinder- gärtnerin im Fröbel-Seminar in Ulm ein vierwö- chiges Praktikum im Kindersanatorium in Bad Dürrheim absolvierte. Nachdem diese Ausbil- dung nicht als Reichsarbeitsersatz anerkannt wurde, beorderte man sie im Frühjahr 1941 zum RAD nach Krauchenwies bei Sigmaringen. Am 7. Oktober 1941 schließlich erhielt sie eine Anstellung im NSV-Kinderhort in Blumberg, wo sie einen sechsmonatigen Kriegshilfsdienst bis zum 1. April 1942 ableisten musste, der inzwi- schen für Studierwillige eingeführt worden war. Ihr Aufenthalt fiel in jene Wochen und Mo- nate, als nach Schließung des Bergwerkes die Stadt in den Strudel von Arbeitslosigkeit und sozialer Unruhe geriet. Hier, mehr als in allen Stationen ihres Lebens zuvor, muss ihr die Rück- sichtslosigkeit eines Regimes aufgegangen sein, das Menschen zur Durchsetzung seiner Ziele wie Bauern auf einem urbanen Schachbrett hin und her schob. Der Kinderhort in Blumberg-Zollhaus, 1941. Auch der Blumberger Kinderhort, in dem Sophie Scholl arbeitete, war in einer derartigen Baracke unterge- bracht. Die Briefe, die sie im November 1941 an Freunde und Familie schrieb, sind mehr eine Fortsetzung des Gesprächs mit Freunden und Bekannten, als sie die Notlage Blumbergs deut- licher schildern. In einem Schreiben an ihren Bruder Hans vom 20. November allerdings er- scheint ein deutlicher Hinweis. „Letztes Mal hab ich Dich als Arbeitsmaid gesehen und ge- schrieben, jetzt als Kriegsdienstverpflichtete; der Name ist genauso scheußlich wie alles „Mit meinen Mädchen gehe ich jeden Tag spazieren“ Sophie Scholl in Blumberg übrige drum und dran. Aber es lohnt sich nicht, viel drüber zu schreiben. Ich arbeite hier im Kinderhort, bei Schulkindern, deren Eltern zu 60 Prozent vorbestraft sind, (diese) sind jedoch für einen Vergleich mit meinen Vorgesetzten noch viel zu gut …“ Das mit Zustimmung der NS-Kreisleitung Do naueschingen in Blumberg beschäftigte Per- sonal muss aufgrund besonderen Einsatzes für den Nationalsozialismus in schwieriger Ar- 138
Sophie Scholl in Blumberg beitsumgebung ausgesucht worden sein. Dies scheint auch Sophie Scholl erkannt zu haben, wenn sie kurz vor Weihnachten 1941 an Lisa Remppis berichtet: „Nach Weihnachten kommt das ungemütlichere Vierteljahr. Denn wir be- kommen eine neue 150 % Führerin vorgesetzt.“ Beim Orgelspiel in der Kirche Wenn sie von den Lagerbaracken in Zollhaus, wo sie untergebracht war, jeden Abend und jeden Morgen ganz allein zwischen den verschneiten Feldern und Hügeln zu ihrer Arbeitstätte ging, hatte sie Gelegenheit zu Betrachtungen und Beobachtungen. Während der freien Sonntage fuhr sie des Öfteren nach Freiburg. Zuweilen verschickte sie die guten Baaremer Äpfel an Freunde und Bekannte oder zog sich zu Gebet oder Orgelspiel in die „kleine, bunte Kapelle“ (katholische Kirche Zollhaus) zurück, wenn sie nicht gegenüber bei den Schwestern Schüle ei- nen Besuch machte. Dort, im Hause Schüle in der Waldshuter Straße, war sie regelmäßig zu Gast (siehe folgende Seiten). Hildegard Schüle, deren Eltern ein Lebens- mittelgeschäft und eine kleine Metzgerei in Zollhaus betrieben, hatte sich in Krauchenwies mit Sophie Scholl angefreundet, wo sie zu- sammen die Arbeitsdienstzeit verbrachten. So kam es, dass Sophie Scholl bei ihrer Ankunft in Blumberg bereits freundschaftliche Bande zu einer Familie hatte, deren Lebensart und religi- öse Einstellung der ihren nahestanden. Aus diesen wenigen Zeilen der vom Eltern- haus her im Glauben geprägten Kindergärt- Blick auf Blumberg, wohl Ende der 1940er-Jahre. Deutlich zu erkennen sind die vielen, auf einfachste Weise erstellten Arbeiterhäuser. nerin lässt sich bereits gut jene Spannung zwischen persönlicher Sensibilität und der schwierigen Blumberger Arbeit erkennen, die nur durch wenige Momente des Rückzuges zu Bekannten oder in das schützende Innere der Kirche als einem Raum geistiger Freiheit gemil- dert wurden. Mit Sicherheit haben das Gesicht des sozialen Leides und die Trostlosigkeit der vom Nationalsozialismus erst gebauten und dann kurzfristig preisgegebenen Stadt Sophie Scholl beeindruckt und mit zur Bereitschaft beigetragen, aktiven Widerstand gegen ein Re- gime des Unrechtes und der Menschenverach- tung zu leisten, einen Widerstand, der kaum sechs Monate nach ihrer Blumberger Zeit im Münchner Studium begann. Der Umgang mit den ihr anvertrauten Kin- dern führte aufgrund ihrer an das Gute im Menschen glaubenden Persönlichkeit am Ende doch zu einer inneren Verbundenheit mit ih- rer Arbeit und der Eichbergstadt: „Mit meinen Mädchen gehe ich jeden Tag spazieren. Sie haben mich mit der Zeit ebenso liebgewonnen wie ich sie … Das ist für mich ein glückliches Gefühl, dass ich so abschließen kann.“ Gerade in der letzten Aussage liegt bereits etwas so Endgültiges, als habe sie gefühlt, dass sie Blumberg nie wiedersehen würde. An Sophie Scholl erinnert heute in Blumberg der neue Kindergarten, der ihren Namen trägt. Joachim Sturm 139
Geschichte Knapp elf Monate bevor die 21-jährige So- phie Scholl von den Nazis in München-Sta- delheim enthauptet wurde, lebte sie ein halbes Jahr in Blumberg. Das bedrückende Schick- sal der blutjungen Studentin, die im Geheim- bund „Weiße Rose“ gegen das Hitler-Regime kämpfte, kam 2005 auch in die Kinos. Der Film mit dem Titel „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von Regisseur Marc Rothemund und Drehbuch- autor Fred Breinersdorfer hält die Erinnerung an die Geschwister Sophie und Hans Scholl und deren Freundeskreis in intensiven Bildern wach. „Sophie war ein fragender, ein suchender Mensch“ Hildegard Maus-Schüle aus Blumberg- Zollhaus in Erinnerung an Sophie Scholl Höchst lebendig ist die Erinnerung an die 19-jährige Sophie Scholl bei Hildegard Maus, geborene Schüle, aus dem Blumberger Stadt- teil Zollhaus. Hildegard Maus-Schüle, inzwi- schen 87 Jahre alt, war 1940 und 1941, wenige Jahre nach Kriegsbeginn, gemeinsam mit So- phie Scholl beim RAD eingesetzt, beim „Reichs- arbeitsdienst“ in Krauchenwies in der Nähe von Sigmaringen. „Wir beide kamen als letzte in Krauchenwies an, waren aber nicht im gleichen Schlafsaal und sahen uns nur ab und zu, wenn wir frei hatten“, erinnert sich Hildegard Maus- Schüle. Rund 50 Frauen aus der ganzen Region wur- den in Krauchenwies zum Arbeitsdienst einge- zogen. Dort mussten sie dann in der Landwirt- schaft aushelfen, Familien und deren Kinder be- treuen, den Haushalt führen, bei den Waschta- gen helfen. Um 6 Uhr begann der Arbeitstag mit 140 Am 4. November 1941 schreibt Sophie Scholl über ihren Besuch in der Kirche von Blum- berg-Zollhaus (Bild) ins Tagebuch: „Ich war Samstag nachmittag in der Kirche. Angeblich, um Harmonium zu spielen. Es war ganz leer. Es ist eine kleine bunte Kapelle. Ich versuchte zu beten. Ich kniete hin und versuchte zu beten. Dabei aber dachte ich: Du mußt dich schicken, damit du bald auf- stehen kannst, bevor jemand kommt. Ich hatte keine Angst, wenn fremde Men- schen mich knien sehen würden. Aber vor Hildegard hatte ich Angst, sie könnte her- einkommen. So mochte ich mein Verschwie- genstes nicht preisgeben. Wahrscheinlich ist das falsch, wahrscheinlich falsche Scham. Darum wurde mein Gebet auch hastig, und ich stand auf, wie ich vorher niedergekniet war. Ich war gar nicht bereit gewesen, ich wollte bloß etwas erzwingen.“ dem Frühsport. Danach ging es mit Fahrrädern oft 25 Kilometer zum Einsatzort rund um Sigma- ringen. „Ich musste sogar ein Kuhfuhrwerk füh- ren, obwohl ich das mein Leben lang noch nie gemacht hatte“, lacht Hildegard Maus-Schüle kopfschüttelnd. Ein halbes Jahr nach dem Arbeitsdienst in Krauchenwies wurde Sophie Scholl zum „Kriegsdienst“ abkommandiert und nach Blum- berg versetzt. Erst danach durfte die talentierte
Lebhafte Erinnerungen an Sophie Scholl hat die heute 87-jährige Hildegard Maus-Schüle aus Zoll- haus. Sie lernte Sophie Scholl beim Reichsarbeitsdienst in Krauchenwies kennen. Der Reise- wecker gehörte Sophie Scholl. Gymnasiastin ihr Studium der Biologie und Philosophie in München antreten. „Sie kam immer zu uns, wenn sie am Wochenende in der Kirche gegenüber auf dem Harmonium spielte oder betete“, erinnert sich Hildegard Maus-Schüle heute an Sophie Scholl, die eine gläubige evangelische Christin war. Sie besuch- te immer wieder die kleine katholische Kirche „Maria Heimsuchung“ in Zollhaus, die bis heute fast unverändert unter großen Kastanien steht. Gegenüber war die einstige Metzgerei Schüle, in der Hildegard Maus-Schüle heran wuchs und bis heute lebt. Sophie Scholl in Blumberg Aicher-Scholl, Sophie Scholls ältere Schwester, hat ihr das wertvolle Erinnerungsstück mit- gebracht: „Inge hat mir oft ge- schrieben und uns auch mal in Zollhaus besucht“, erklärt Hil- degard Maus-Schüle. Das war 1989, als Inge, die Ehefrau des Grafik-Designers Otl Aicher, auf dem Weg nach Bonndorf war. Dort wurde 1989 eine Ausstellung zur „Geschichte des Widerstandes 1933 – 45 im süddeutschen Raum“ gezeigt. Diese galt vor allem auch dem „Bruderhof“ in der Nähe der Wutachmühle. Dort lebte Franz-Josef Binninger, der die Familie Scholl vor den Nazis versteckt hatte, nachdem diese Sophie Scholl bereits hingerichtet hatten. In Hildegard hatte Sophie Scholl eine Freun- din gefunden, bei der sie teils ihre freie Zeit verbrachte. Oft war sie mit ihrem Freund Fritz Hartnagel zusammen, der sie auch in Blumberg besuchte. Beide Frauen waren für die Kinderer- ziehung eingeteilt. Während Hildegard Schüle Heute sitzt die 87-Jährige in ihrem Wohnzimmer in Zoll- haus an der Waldshuter Straße und blättert in einem Album mit kleinen Fotos, auf denen immer wieder auch Sophie Scholl zu sehen ist, Erinnerungen an Krauchenwies. Sie hütet diese Zeugnisse wie ihren Augapfel. Und ver- weist ganz stolz auf den Rei- sewecker, der Sophie Scholl gehörte und den sie ihr als Andenken überlassen hat. Inge Sophie Scholl beim Arbeitsdienst in Krauchenwies, 1941. Hier lernte sie Hildegard Maus-Schüle ken- nen, ihre Freundin aus Blumberg- Zollhaus, wo sie von Oktober 1941 bis zum 1. April 1942 ein Praktikum im NSV-Kinderhort absolvierte. 141
Geschichte als Helferin im Kindergarten Zollhaus eingesetzt war, betreute Sophie Scholl im evangelischen Kinderhort in Blumberg Kinder von Frauen, die in „kriegswichtigen Betrieben ar beitsverpflichtet waren“, wie es amtlicherseits hieß. Sie bau- ten das für die Nazis so wichtige Blumberger Dogger-Erz ab. Sophie Scholl war im Arbeits- lager „Im Winkel“ in Blumberg untergebracht, während Hildegard Maus-Schüle im elterlichen Haus in Zollhaus bleiben durfte. Die Blumberger Erfahrungen waren tiefgehend Ihren halbjährigen Kriegshilfsdienst hatte So- phie Scholl zunächst im Büro ihres Vaters ab- leisten wollen, der in Ulm eine Kanzlei als Wirt- schaftsprüfer und Steuerberater betrieb. Das wurde abschlägig beschieden, so kam sie nach Blumberg. In eine Stadt, in der die plötzlich wieder aufgenommene Erzförderung durch die Nazis „über Nacht“ zu einer um das Zehnfache gestiegenen Einwohnerzahl führte. Infrastruk- tur und Wohnungsbau konnten da nicht mehr mithalten. Entsprechend schwierig waren auch Sophie Scholls Lebensverhältnisse, vor allem die Kälte machte ihr zu schaffen. Über die Blumberger Zeit von Sophie Scholl sind viele Eindrücke aus Briefen und Tagebuch- einträgen bekannt. Intensiven Kontakt hat sie zu dieser Zeit mit ihrem Freund Fritz Hartnagel, der als Soldat in Weimar stationiert ist und auf einen Sondereinsatz in Afrika wartet. Öfters übernachten die beiden als „Ehepaar“ in Frei- burg, tragen einen Ring am Finger, um unange- nehme Fragen zu vermeiden. 142 Baracken zum Wohnen und Baracken für die Kinderbe- treuung. Im Bild ist einer der Kinderhorte zu sehen, in denen zur Zeit von Sophie Scholl in Blumberg-Zollhaus und in Blumberg die Kinder betreut wurden. Die Mütter mussten Dogger-Erz für die Kriegswirtschaft fördern. „In den drei ich eine recht erfahrene Hortne- rin geworden. Es Monaten hier bin Welch große Not Sophie Scholl in Blumberg kennenlernte, davon war schon an anderer Stel- le die Rede (siehe S. 138 ff.). Dass diese Not in der Tat einen maßgeblichen Einfluss auf ihren Entschluss gehabt haben muss, sich dem Wider- stand anzuschließen, geht aus Ta ge buch ein- trägen und Briefen deut- lich hervor, so aus ei- nem Brief an ihre Freun- din Lisa Remppis vom 14. Januar 1942: „In den drei Monaten hier (nun annähernd 4) bin ich ei- ne recht erfahrene Hort- nerin geworden. Ich glau be, es ist wenigen solche Gelegenheit zu solchen Studien gegeben wie hier. Und ich habe einigen Erfolg.“ ist wenig Gelegen- heit zu Studien wie hier.“ Sophie Scholl schreibt aber auch: „Ich finde das Leben trotz allem noch so reich und gut, nur mögen es die Menschen nicht im Guten gebrau- chen. Vielleicht ist es gut, wenn wir ganz arm werden, um für einen weniger vergänglichen Reichtum bereiter zu werden. … Vielleicht muß man erst entdecken, daß man ein Herz hat. Das ist seltsam.“ „Ich freue mich auf die Ruhe, die doch auf diesen Sturm einmal folgen muss“ Besonders freut sich Sophie Scholl auf die Weih- nachtstage in Ulm. In einem Brief an Freundin Lisa Remppis vom 22. Dezember heißt es: „Vor- weihnachten habe ich schon in allen möglichen Kindergärten und Horten gefeiert, heute abend
Sophie Scholl in Blumberg noch mit dem Herrn Bürgermeister im ,Adler‘ und freue mich auf die Ruhe, die doch auf diesen Sturm einmal folgen muß. Wie herrlich, daß ich heim kann, der Aufenthalt hier kostet Nerven- kraft. … Ich wollte Dir eigentlich einen Weih- nachtsbrief schreiben, bin aber nicht dazu im- stande. Heute morgen habe ich 150 Stühle und 20 Tische abgewaschen, heute mittag geht der Putz weiter.“ Sophie Scholl hört zu dieser Zeit viel Mu- sik, so von Bach. Darüber schreibt sie im selben Brief: „Dann hatte ich (in der Umgebung, in der ich mich befand) ein solches Verlangen, diesel- be klare Luft zu atmen, wie jene Menschen, die das Stück geschaffen haben. Und schon dieses Verlangen hat genügt, mich ein bißchen aus dem umgebenden Schlamassel, einem zähen Brei, einem feindlichen Brei gleich, herauszu- heben. Ich will versuchen, wieder in der Kirche Orgel spielen zu dürfen.“ komme ich Ehrfurcht vor dem Menschen, weil Gott seinetwegen herabgestiegen ist.“ Am 27. März ist Sophie Scholl wieder da- heim in Ulm, die letzten Blumberger Tage waren ausgefüllt mit RAD-Dienst oder Arbeit im Kinder- hort – das Dienstende ist für sie eine Erlösung. Welche Erinnerungen hat Hildegard Maus- Schüle an ihre Freundin? „Sophie war ein fra- gender, ein suchender Mensch“ beschreibt sie Sophie Scholl. „Sie war ein sehr tief schürfender Mensch, sie stellte ganz andere Fragen, als unsereins, sie hatte eine ruhige Art und einen großen Sinn für Gerechtigkeit.“ „Sophie war vor allem auch mutig.“ Dabei erinnert sich die 87-Jährige an Szenen, bei de- nen Sophie Scholl die Führerinnen aus dem Arbeitsdienst mit kritischen Fragen zum „Vor- rücken deutscher Soldaten an der Front“ ganz schön in Verlegenheit brachte. „Wir anderen hätten uns so etwas gar nicht getraut.“ Unter dem Eindruck der Not in ihrer Umge- bung schreibt sie am 12. Februar 1942 an die Freundin: „Wenn ich die Menschen um mich herum ansehe, und auch mich selbst, dann be- „Sie hatte großen Mut und war sich ihrer Sache sicher, sie hat versucht, eine Wende in diese Geschichte zu bringen“, sagt Hildegard Maus-Schüle. Manfred Beathalter Sophie Scholl – Schüler auf Spurensuche in Blumberg An Sophie Scholl erinnert in Blumberg seit längerem schon eine Gedenktafel am Bahn- hof Zollhaus, am Ausgangspunkt der Sau- schwänzlebahn. Die Tafel ist einer Initiative von vier Schülerinnen zu verdanken, die sich intensiv mit dem Leben von Sophie Scholl be- schäftigt haben. Ihre Erkenntnis daraus: Jugendliche zwi- schen 15 und 20 Jahren kennen sich bei dem Thema nicht wirklich aus, so das Ergebnis einer allerdings nicht repräsentativen Umfra- ge bei Realschülern in Blumberg. Johanna Kaiser, Julia Straub, Lisa Barbon und Kristina Bruder haben das Thema „Sophie Scholl eine Blumbergerin?“ an der Realschule Blumberg als fächerübergreifende „Kompetenz- prüfung“ aufgegriffen. Gemeinsam mit ih rem Geschichts- und Deutschlehrer Adrian Seifert haben sie Sophie Scholls Zeit in Blumberg nachgezeichnet und zum praktischen Ab- schluss der Prüfung die Gedenktafel entwor- fen. Auf den knapp 50 Seiten ihrer schriftlichen Arbeit werden unter anderem die Lebensläufe des Freundeskreises der „Weißen Rose“ do- kumentiert. Im Mittelpunkt stehen die sechs Flugblätter, aufgrund derer die Freunde 1943 vom Volksgerichtshof in München zum Tode verurteilt wurden. Zwar ist ein städtischer Kindergarten in Blumberg nach Sophie Scholl benannt, aber nur wenige wissen noch, dass die Gymnasi- astin im einstigen NSV-Kinderhort Blumberg arbeitete. Dies hat eine Umfrage unter 50 Blumberger Bürgern zwischen 15 und 70 Jah- ren ergeben. Fünf Fragen wurden gestellt. Immerhin konnten noch 46 Prozent der Be- fragten etwas mit dem Begriff „Weiße Rose“ anfangen“. 56 Prozent wissen noch, wer So- phie Scholl war. Aber nur 28 Prozent wissen, welche Bedeutung der „Sophie Scholl Kinder- garten“ in Blumberg hat. Manfred Beathalter 143
6. Kapitel Uhrengeschichte Militäruhren und ihre Hersteller Die Rüstungsgüter der Uhrenindustrie des Schwarzwald-Baar-Kreises wurden vor allem zur Zeit des Dritten Reiches produziert Die früher im Bereich des heutigen Landkreises bestehenden Uhrenfabriken waren lange keine Lieferanten für die Ausrüstung der Streitkräfte weder des Großherzogtums Baden noch des Deutschen Reichs. Obwohl die Schwarzwälder Uhrenindustrie bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts einen Aufschwung genommen hatte, was mögliche Fertigungsgrößen und Qualität betraf, waren Uhren einheimischer Fabrikation mit Ausnahme von Junghans und Kienzle bis in die Endzeit der Weimarer Republik bei keiner Waffengattung zu finden. Dies mag auch an dem Fehlen persönlicher Kontakte und Geschäftsbeziehungen gelegen haben, saßen doch die Marineausrüster fast alle im küstennahen Bereich und dominierten bei Heer und Luftwaffe zunächst noch norddeutsche und Berliner Firmen. Mit dabei von Anfang an war auch die im säch- sischen Glashütte beheimatete und wegen ihrer Qualität herausragende Firma Lange & Söhne, die in großem Umfang alle Waffengat- tungen, teilweise bis heute, beliefert. Auch Schweizer Firmen haben von Anfang an eine ge- wisse Rolle gespielt. In einem solchen Umfeld mussten sich selbst die renommierten Schwarzwälder Uhren- hersteller erst einmal behaupten bzw. Zugang zu den Beschaffungs- und Erprobungsstellen des Militärs finden. Wegbereiter für die Belieferung des Mili- tärs war augenscheinlich die Schramberger Firma Gebr. Junghans AG, welche durch die Fu sion 1900 mit dem für seine Taschenuhren bekannten Schwenninger Betrieb Thomas Haller ein großes Filialwerk in Schwenningen be saß, das ab 1911 nur noch unter dem Namen Junghans fabrizier- te. Sie wurde mit der Lieferung von B(eobach- tungs)-Uhren für die Kriegsmarine der frühen Borduhr Ju 52, Einbau 1937. Das Exemplar stammt aus einer bei Narvik (Norwegen) 1940 havarierten Maschine und wurde als Andenken mitgenommen. Besitz: privat (Schwarzwald-Baar-Kreis). 144
1930er-Jahre betraut, wobei die Bekanntheit der Firma aus Zeiten des Ersten Weltkrieges noch eine Rolle gespielt haben dürfte, als de- ren Zünder Garant für qualitätsvolle und inno- vative Ausrüstung der Streitkräfte wurden.1 Auf Junghans als Lieferant folgte kurz da- rauf die von dem Gründungsvorsitzenden der St. Georgener SPD – dem wegen politischer Um triebe 1898 durch die Firma Math. Bäuerle entlassenen Uhrmacher Johann Obergfell – ge- gründete Firma Kieninger & Obergfell. Das tech- nische Know-how, das sich hier seit 1923 durch die Fertigung von Jahresuhren und der Weiter- entwicklung von elektrischen Synchronuhren he rausgebildet hatte, befähigte auch zur Liefe- rung von Spezialuhren. Etwa ab 1937 lieferte die Firma erste Wanduhren für Schlachtschiffe und U-Boote (Typ IX C), welche den Spezifikati- onen der Marine entsprachen. Wanduhren von Kieninger & Obergfell fanden sich beispielswei- se in der Kapitänskajüte wie auch am Maschi- nensteuerstand des Schlachtschiffes Gneisen- au (1938 in Dienst gestellt).2 Zeitschaltgeräte für Seeminen Als hätte die Firma eine Bresche geschlagen, begann nun auch Tobias Bäuerle mit der Liefe- rung dieses Uhrentyps für die Marine. Als Be- sonderheit trat dann im Kriege, etwa ab 1943, unter anderem die Fertigung von Zeitschaltge- räten für Seeminen hinzu, die aufgrund der ge- forderten Sicherheit zwei voneinander unabhän- gige Gangwerke besaßen (Fotos unten). Militäruhren und ihre Hersteller Eine Wanduhr von Kieninger & Obergfell für die Marine mit Nr. 19532, wie sie auf diversen Uhrenauk- tionen zu meist hohen Preisen zu finden ist. In den Kreis der Ausrüster trat zugleich Hanhart (Schwenningen, seit 1924 Zweigwerk in Gütenbach) mit Artillerie- und Fliegerchrono- grafen für die Marine, während Junghans neben der Lieferung gleichfalls von Schiffswanduhren das Monopol der Ausrüstung der U-Boote der WK-II-Klasse mit Standard-Uhren in den Funk- räumen behielt. Die Beobachtungsuhren und Marinechrono- me ter blieben in der Hand von Lange & Söhne, Glashütte, wohl, weil hier Spezialkenntnisse und Fertigungsqualität noch höher waren. Zeitschaltgerät für Seeminen aus zwei Perspek- tiven, ca. 1942 der Fa. T. Baeuerle, Besitz: Städt. Sammlungen St. Georgen. 145
Uhrengeschichte Hanhart-Chronografen: Die traditionsreiche deut- sche Uhrenmanufaktur hat schon früh auch Arm- banduhren hergestellt – unter ihnen 1938 den le- gendären Fliegerchronografen „Kaliber 40“, der als originalgetreue Replika mit dem Namen Primus ein begehrtes Sammler- und Liebhaberstück geworden ist. Die Uhr wird in Handarbeit gefertigt. Auch für die in Schwenningen beheimatete Firma Hanhart begann dank ihrer Spezialfer- tigung von Chronografen für alle Zwecke und Einsatzgebiete eine Zeit der großen Rüstungs- aufträge. So verließen neben den ersten Chro- nografen für die Schall- und Torpedolaufzeit- messung auch erste Armbandchronografen das Werk, die gerne von U-Boot-Kapitänen genutzt wurden. Wegen ihrer Unhandlichkeit ersetzte man sie jedoch bald durch Taschenchrono- grafen. Die Verbindung mit der Marine bewirkte, dass neben den Uhren im Kriege dann auch widerstandsfähige, genau gehende Torpe do- zün der fabriziert wurden, in denen sich zahlreiche Elemente aus Zeitmessern wiederfinden (siehe Foto rechts). Han – hart-Chronografen findet man übri- Torpedozünder von Hanhart, (Dorfmuseum Gütenbach). 146 gens bis heute bei der Bundeswehr. Die Uhren sind begehrte Sammlerstücke, die welt weit auf Auktionen gehandelt werden. Das Gütenbacher Unternehmen hat die Chronografen in jüngerer Zeit auch neu aufgelegt (Foto links). Nach der Marine rüsten die Uhrenfirmen nun auch die Luftwaffe aus Im Februar 1944 verpflichtete das Oberkom- mando der Marine die mit der Lieferung von B- Uhren, Stoppuhren und Wachuhren beauftrag- ten Firmen wie Kieninger und Obergfell, nur noch Zifferblätter zu liefern, welche bei Tag, bei Dunkelheit und unter UV-Licht abzulesen waren. Diese Zifferblätter wurden entgegen der weit verbreiteten Meinung nicht mit dem radio- aktiven Radium, sondern mit Zinksulfid herge- stellt, welches stark nachleuchtend, aber nur unbedeutend radioaktiv ist. Gleichzeitig mit der Belieferung der Marine durch heimische Uhrenfabriken begann auch die Ausrüstung der entstehenden Luftwaffe. Hier war zunächst die Firma Kienzle führend, die 1931 bereits die Borduhren für den Flug- zeugtyp Arado A 50 hergestellt hatte. Kienzle lieferte auch die ersten Flieger-Taschenuhren im Stil der Fliegeruhren des Ersten Weltkrieges an das am 17. April 1937 gegründete National- sozialistische Fliegerkorps (NSFK). Als die Luft- waffe 1939 ihr Lieferprogramm bereinigte und die Typenvielfalt verringerte, blieb Kienzle Groß- lieferant unter anderem mit der standardisier- ten Blindfluguhr mit 3-Tage-Gangwerk. Die größte Berühmtheit allerdings dürfte die Kienzle Borduhr Bo UK 2-1 erlangt haben, die als Kabinen- und Borduhr in der legendären Ju 52 ihren Dienst tat (siehe Fotos Seite 144 und Seite 147). Schnell stiegen neben den ewi- gen Konkurrenten und Spezial- uhrenfertigern Lange & Söh- ne (Glashütte) oder Wempe (Hamburg) dann auch die Firmen Hanhart und Jung- hans als Ausrüster der Luft- waffe ins Geschäft ein. Erste- re wurde bekannt durch ihre Flie-
h r u o r d K ie n zle – B Theater Lehrmodell einer Flugzeug-Instrumentie- rung aus dem Jahr 1929. Nachgebaut auf der Basis einer Instrumententafel in einer einmotorigen Verkehrs- oder Mehr- zweckmaschine der späten 1920er-Jahre. Grundlage für den Aufbau waren überwie- gend Fotos aus Typen wie Seeauf klärer Heinkel HE 5 und HE 9 sowie das Naviga- tionsschulflugzeug HE 10. Die Bord uhr stammt von Kienzle aus Schwenningen (siehe oben und Bilder rechts). Quelle und Fotos: www.deutscheluftwaffe.de gerchronografen für die unterschiedlichsten Einsatz zwecke, letztere als Fertigungsbetrieb von Beobachtungsuhren für Zwecke der astro- nomischen Navigation. Borduhren hatten großen Lieferumfang Während die B-Uhren der Beobachter zunächst nahezu ausschließlich außerhalb des heutigen Landkreises von den zuvor genannten Firmen, aber auch in der Schweiz, gefertigt wurden, sah es bei den kleineren Uhren für Piloten an- ders aus. Hier stand neben Tutima Glashütte an herausragender Stelle die Firma Hanhart in Schwenningen. Für Uhrensammler ist bei- spielsweise ihr von Pilot und auch Beobachter im Bomber He 111 getragener Eindrücker-Flie- ger-Chronograf leicht dadurch zu identifizieren, dass hier der obere Drücker im Gegensatz zu anderen Uhren in den Anstoß ragt. Einen großen Lieferumfang nahmen die Borduhren für die Flugzeuge der Luftwaffe ein. Seit Aufstellung dieser Waffengattung Mitte der 1930er-Jahre war neben Junghans vor allem Kienzle einer der großen Ausrüster aller Jagd-, Bomber- und Transportflugzeuge. Die Borduhren für den Fernbomber He 111 lieferte übrigens die ebenfalls mit Rüstungsauf- trägen ausgelastete Firma Schlenker-Grusen in 147
Uhrengeschichte Schwenningen, die jedoch zahlreiche Typen für andere Flugzeuge und Einsatzzwecke in Lizenz durch die Uhrenfabrik Köhler & Co. in Laufam- holz fertigen ließ. Darüber hinaus kamen aus den im Kreis be- heimateten Uhrenfabriken Uhren für den Fest- einbau in das Instrumentenbrett, den Steuer- knüppel und den Navigatorplatz zahlreicher Flugzeugtypen. Den mit der Fertigung und Entwicklung von Zeitmessgeräten für die ganz speziellen Zwecke der Luftwaffe betrauten Firmen übertrug man auch die Entwicklung von Sonderanferti- gungen für Kampfeinsätze oder Bombardierungen. So entwarf Schlenker-Grusen die Schaltuhr für das Gerät „Uhu“ zur Entfer- nungsmessung in der Jägerfüh- rung. Ein weiterentwickeltes Prä- zisionsinstrument der Sonder- klasse schließlich lieferte Tobias Bäuerle & Söhne aus St. Geor- gen zu Kriegsbeginn in einer Großserie von 1.300 Exemplaren, nachdem eine Kleinserie von 100 Stück durch die Firma Hartmann & Braun in Frankfurt-Bocken- heim vorausgegangen war: Die X-Uhr. Eingebaut war dieser Typ in ein hauptsächlich zur Bomber- führung über England gebau- tes spezielles Navigationsgerät für Präzisionsangriffe, das aus mehreren Empfängern zum Emp- fang von Peilstrahlen bestand. X-Uhren der Firma Tobias Bäu- erle dienten hauptsächlich zur Führung der Bomberangriffe auf England. von Birmingham. Bis Ende September 1940 tat die Uhr bei weiteren 40 Präzisionsangriffen ihren Dienst. Auch das Heer hatte großen Bedarf an Uhren Aber nicht nur Marine und Luftwaffe waren Ab- nehmer praktisch aller auf dem Gebiet des heu- tigen Landkreises produzierenden Uhrenfabri- ken. Auch im Heer gab es einen großen Be darf an Uhren für die unterschied- lichsten Zwecke. Ausrüster von Anbeginn an war hier die Firma Kienzle, später die Firmen Kai- ser-Uhren in Villingen oder To- bias Bäuerle in St. Georgen, die die als Schreibtischuhr, Betriebs- uhr oder Dienstuhr bezeichneten Uhren für die zahllosen Heeres- standorte lieferte. Die vorgenannten Firmen lie- ferten auch die Uhren für LKWs und Uhren zum Einbau in die Mo- torrad-Lenker. Artillerieuhren und Stations- funkeruhren erhielten auch die landgestützten Einheiten der Luftwaffe wie die Flak-Artillerie und die Funknachrichtentruppe. Profitiert von diesem gro ßen Rüstungsgeschäft im Zweiten Weltkrieg haben zahlreiche Fir- men des Raumes Villingen auch nach dem Zusammenbruch. Wenn gleich in der Besatzungs- zeit Demontage und Abtransport von Spezialmaschinen, die Entnahme von Roh- stoffen und Halb fertigproduk ten wie die Nut- zung patentierten Wissens das Herstellungs- potenzial vorübergehend schwäch ten, gelang der Uhrenfabrikation des Raumes der Wieder- einstieg, wie übrigens auch der Ham burger Fir- ma Wempe, in das militärische Geschäft gleich zu Beginn des Aufbaues der Bundeswehr. X-Uhren dienten hier der Bestimmung der Fluggeschwindigkeit durch Messen der Zeit zwischen dem Durchfliegen zweier Peilstrahlen und dem Anzeigen des Zeitpunktes zum Auslö- sen der Bomben (X-Verfahren). Beim Durchflie- gen des Dauersignals (Dauerstrichzonen) kurz vor dem Ziel wurde die X-Uhr ausgelöst. Der erste Angriff, d.h. der erste Einsatz ei- ner von Tobias Bäuerle & Co gebauten Uhr er- folgte wahrscheinlich am 13. August 1940 beim Angriff auf ein Luftfahrtgerätewerk in der Nähe Die Bekanntheit der Region in Militärkrei- sen als Hersteller militärischer Zeitmesser für alle Zwecke und Besonderheiten half beim An- knüpfen an alte Kontakte, öffnete manche Tür. 148
Stationsuhr 1943 der Fa. Tobias Bäuerle, hier ein nach dem Krie- ge aus verbliebenen Beständen verkauftes Modell mit gelöschter Wehrmachtsnummer und nach- träglich eingestanztem Firmen- zeichen. Besitz: Städt. Samm- lungen St. Georgen. Die Firma Bürk in Schwenningen lieferte nun Haupt- und Pendeluhren der neuen Standorte oder mechanische Schiffswanduhren für die entstehende Kriegsmarine. Die auf den Schif- fen aufgestellten Stempeluhren wurden von den Firmen Reiner und Isgus (vormals Schlen- ker & Grusen) geliefert. Kienzle-Quarzuhren für Bundesmarine Als das Zeitalter der Quarzuhren begann, war Kienzle (längst) wieder zur Stelle. Von dort stammen die ersten quarzgesteuerten Uhren für Feuerstände und Leitstellen der Bundesma- rine. Und auch 1977 beteiligte sich Tobias Bäu- erle aus St. Georgen noch einmal in größerem Stile an der Ausrüstung durch Lieferung von Stationsuhren für Bundeswehreinheiten. We- cker lieferten Jerger (Niedereschach), Mauthe (Schwenningen) und Kienzle. Andere Uhrentypen kamen nun hauptsäch- lich von Schweizer Unternehmen, doch konnte im Bereich der Fliegerchronografen für das flie- gende Personal aller Waffengattungen die Fir- ma Hanhart an alte Verkaufs- und Produktions- erfolge anknüpfen. Die qualitativ seit Kriegs- zeiten dabei kaum zu verbessernden Werke erfuhren dabei nur Korrekturen im Detail. Die Gehäuseabmessungen waren etwas geringer und die Bundstege, welche in der Kriegspro- duktion fester Bestandteil des Gehäuses wa- ren, wurden jetzt durch austauschbare Feder- stege ersetzt. Die unsymmetrische Anordnung der Drü- cker in Bezug auf die Aufzugskrone war nun durch eine symmetrische Anordnung ersetzt. Erst der Niedergang der Uhrenindustrie seit Ende der 1970er-Jahre hat die herausragende Militäruhren und ihre Hersteller Stellung der heimischen Uhrenfabri- ken in der Belieferung militärischer Stellen mit Präzisionsuhren oder Zeitmessgeräten für alle Zwecke be- endet. Die aus der Uhrenindustrie hervorgegange ne Industrieland- schaft mit ihren Kon versions- und Neuprodukten ist heute weniger in der Herstellung von Rüstungsgütern verhaftet. Mit der Neuorientierung endete die große Zeit der Militäruhren und ihrer Hersteller auf dem Ge- biet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises. Joachim Sturm 1 Carsten Kohlmann: Probleme und Quellen einer Unterneh- mensgeschichte. Das Beispiel der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans AG in der Industriestadt Schramberg, In: Landes- geschichtliche und quellenkundliche Aspekte zur Industria- lisierung, Stuttgart, 2002, S. 85 – 115 2 Zahlreiche und detaillierte Angaben zur Militäruhrenher- stellung finden sich in dem Standardwerk mit Fotos und genauen Beschreibungen bei Konrad Knirim, Militäruhren. 150 Jahre Zeitmessung beim deutschen Militär, Verlag Peter Pomp, Bottrop, 2002, S. 625 Deutsche Fertigungskennzeichen für Waffen, Munition und Gerät vor 1945 nach Knirim: bda cxh dnt dwy eer emu eou eov eow fof hok htg jdb jjl jkp jnj jpq Uhrenfabrik Villingen J. Kaiser GmbH, Villingen Kienzle Uhrenfabriken AG, Schwenningen Das Werk Dammerkirch trug das Kennzeichen kzn Schlenker-Grusen, J. Uhrenfabrik, Schwenningen Speck, Emil, Uhrenfabrik, Schwenningen Jerger, Adolf, Uhrenfabrik, Niedereschach Mauthe G.b.b.H., Friedrich, Uhrenfabrik, Schwenningen Hanhart, Adolf, Uhrenfabrik, Schwenningen Müller-Schlenker, Uhrenfabrik, Schwenningen Wehrle, Uhrenfabrik KG, Schönwald Württemberg. Uhrenfabrik Bürk, Söhne, Schwenningen Uhrenfabrik C. Schuler KG, Schwenningen Junghans AG, Gebrüder, Werk Schwenningen Badische Uhrenfabrik GmbH, Furtwangen Urgos Uhrenfabrik Schwenningen Haller, Jauch und Papst, Schwenningen Uhrenfabrik Wilhelm Eppler, Schwenningen Bäuerle & Söhne, T., Uhrenfabrik, St. Georgen Jauch, Johs., Inh. Ernst Hansmann Uhrengehäusefabrik Schwenningen 149
7. Kapitel Kirchengeschichte Böhmischer Barock an der Donauquelle Donaueschinger Stadtpfarrkirche strahlt nach Renovation in neuem Glanz Die dem heiligen Johannes dem Täufer geweihte Stadtpfarrkirche in Donaueschingen gilt nicht nur in der Erzdiözese Freiburg, sondern im ge- samten südwestdeutschen Raum als einzig- artig. Von 2007 bis 2009 hat die Kirche eine grundlegende Renovierung erfahren. Rund zwei Millionen Euro mussten dafür aufgebracht wer- den. Der Seelsorgeeinheit Donaueschingen ist es gelungen, in hohem Maß bürgerschaftli- ches Engagement zu generieren und damit die Finanzierung zu sichern. Rund die Hälfte der Renovierungskosten konnte der Kirchenbauverein aus Spenden und den Erlösen eines ganzen Ver- anstaltungsreigens beisteu- ern. Die Bauleitung wurde von Pfarrgemeinderat und Stif- tungsratsmitglied Willi Föh- renbach ehrenamtlich wahr- genommen. Mit der Weihe von Zeleb- rationsaltar und Ambo durch Erzbi- schof Dr. Robert Zollitsch am Sonn- tag, 5. Juli 2009, fand die sehr ge- lungene Renovierungsmaßnahme ihren offiziellen Abschluss. Ein gan- zer Strauß von Veranstaltungen war dem Pontifikalamt mit der Weiheze- remonie vorangegangen. Alle Ver- anstaltungen dienten dem Zweck, die großartige Leis tung zu würdi- gen, zu feiern sowie Einheimi- schen und Gästen die Möglichkeit zu bieten, das in neuem Glanz erstrahlende Gotteshaus ken- nen zu lernen. Interessante Baugeschichte Der Anspruch, im südwestdeut- schen Raum einzigartig zu sein, 150 weckt verständlicherweise Interesse, muss aber auch belegt werden. Und dies ist gar nicht so einfach. Jedenfalls ist es keineswegs die immer wieder angeführte zurückhaltende Dekoration, die das zwischen 1724 und 1747 erbaute Gottes- haus St. Johann zu einer Kirche des böhmischen Barocks macht. Es ist vielmehr die architektoni- sche Form – die Doppelturmfassade mit den charakteristischen Zwiebelhauben sowie die Glie- derung des Innenraumes durch mächtige Gurtbögen und Pfei- ler. Der Fürstlich Fürstenbergi- sche Archivar Dr. Andreas Wilts kennt die Baugeschichte von St. Johann wie kein anderer. Er ist sich sicher, dass die Ba- rockkirche im böhmischen Dux, dem heutigen Duchcov, am Fuß des Erzgebirges, dem kaiserlichen Hofarchi- tekten Franz Maximilian Kan- ka aus Prag bei der Fertigung der Baupläne als Vorbild dien- te. Dieser hatte bekanntlich vom Fürsten Joseph Wil- helm Ernst zu Fürsten- berg, dem Begründer der Fürstlich Fürstenbergi- schen Residenz in Donau- eschingen und des sen Gemah- lin Gräfin Anna zu Waldstein den Auftrag erhalten, in der jungen Residenzstadt an der Donauquelle eine zum neuen fürst lichen Glanz passende Kirche zu planen. Figur des Apostels Johannes, ge schaf- fen durch den Vöhrenbacher Bild- hauer Johann Michael Winterhalder um 1745 bis 1750.
Blick auf die Stadtkirche St. Johann, direkt neben der Donauquelle. Markant sind die von Zwiebelkuppeln bedeckten Türme. Die Kirche ist das einzige Beispiel für böhmischen Barock im deutschen Südwesten. kaum verändert hat. Neu sind lediglich Zelebra- tionsaltar und Ambo, die Weihwasserbecken sowie die Postamente verschiedener Skulptu- ren und die Windfänge der beiden Seiteneingän- ge. Ansonsten erhielten Wände und das Gewöl- be einen neuen Anstrich. Die Fassungen des Hochaltars, der beiden Seitenaltäre und der ba- rocken Kanzel sowie des gesamten Figuren- Dass der junge Fürst und seine Gemahlin klare Vorstellungen vom Aussehen der ge- wünschten neuen Kirche hatten, hat Dr. An dreas Wilts den von ihm verwalteten Archivalien ent- nehmen können. Das junge Fürstenpaar hat nämlich in der Barockkirche in Dux geheiratet. Deshalb ist zu vermuten, dass mit dem Pla- nungsauftrag an den Prager Architekten – das Fürstenpaar hatte den vom Meßkircher Hof- architekten Johann Georg Brix gefertigten Plan für die neue Kirche verworfen – die Vorgabe verbunden war, dass die von ihm zu planende Kirche in Donaueschingen ungefähr so ausse- hen sollte wie die Kirche in Dux. Das Internet bietet heute eine gute Möglich- keit zum direkten Vergleich der beiden Kirchen. Ein solcher Vergleich hat zum Ergebnis, dass sich die Kirche in Dux und die Stadtpfarrkirche in Donaueschingen hinsichtlich der Architektur und baulichen Dimension sehr stark ähneln. Das Kircheninnere kaum verändert Sehr behutsam wurde bei der Renovierungs- maßnahme vorgegangen. Dies bedeutete auch, dass sich der Innenraum der Kirche dadurch Restauratorin bei der Arbeit – das Innere von St. Johann wurde sehr behutsam restauriert. 151
Kirchengeschichte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch weiht den Altar, ge- schaffen durch Annelie Kremer nach einem Entwurf von Professor Elmar Hillebrand. Rechte Seite: Hoch- altar von St. Johann. schmucks wurden durch aufwändige und tech- nisch anspruchsvolle restauratorische Maßnah- men wieder in den ursprünglichen Zustand ge- bracht, soweit dies möglich war. Gleiches gilt für die Bilder des Hochaltars und der Seitenaltäre. Im Rahmen der Renovierung ist der Innen- raum der Kirche geräumiger geworden. Erreicht wurde dies mit dem Verzicht auf die letzten Rei- hen des Kirchengestühls und die Verkürzung des Gestühls im hinteren Viertel. Diese Maßnah- me bewirkte durchgängige Seitengänge im ge- samten Kirchenschiff. Im Bereich des Hauptein- gangs und im Bereich des neuen Zelebrations- altars unter dem Chorbogen und in den Seiten- gängen wurde der Fußbodenbelag ausge- tauscht: Die bei der Renovierung von 1893 – 1897 verlegten reich ornamentierten Mettlacher Flie- sen wurden dabei durch Natursteinplatten er- setzt. Gewissermaßen zur Dokumentation der Renovierungsmaßnahme Ende der 1890er-Jahre blieb der Mettlacher Fliesenbelag im Haupt- gang, im Quergang und im Bereich des Hochal- tars erhalten. 152 Mit der Renovierungsmaßnahme hat die Stadtkirche St. Johann einen neuen Zelebra- tionsaltar und das dazu passende Lesepult (Am- bo) erhalten. Die künstlerischen Entwürfe dafür stammen von dem bekannten Künstler Profes- sor Elmar Hillebrand aus Köln. Die Ausführung war ein Gemeinschaftswerk mit der Bildhauerin Annelie Kremer aus München. Eine Vielzahl von Professor Hillebrands geschaffener Kunstwerke ziert insbesondere im Raum Köln und in vielen anderen deutschen Städten Kirchen und Kapel- len. Die wohl am meisten beachtete Skulptur von Elmar Hillebrand schmückt die Lobby in der UNOCity in Wien. Feierliche Altarweihe durch Erzbischof Dr. Robert Zollitsch Die Altarweihe durch Erzbischof Dr. Robert Zol litsch war für die Pfarrgemeinde und die zahl reichen Festgäste, darunter Mitglieder der fürstlichen Familie mit Staatssekretär Gundolf Fleischer MdL sowie Landrat Karl Heim, ein Erleb nis, das tief beeindruckte. Im Verlauf des fest lichen Weihegottesdienstes besprengte Erz- bischof Dr. Zollitsch Altar und Ambo mit Weih- wasser und salbte den Altar mit heiligem Öl.
Kirchengeschichte
Kirchengeschichte Eine voll besetzte Kirche gab es zum Pontifikalamt mit Altarweihe durch Erzbischof Dr. Robert Zollitsch. Anschließend verbrannte er auf dem Altar Weih- rauch und sprach das Weihegebet. Drei Frauen der Paramentengruppe der Pfarrgemeinde rei- nigten danach den Altartisch, deckten diesen mit dem weißen Altartuch und schmückten ihn mit Kerzen für die anschließende Eucharistie- feier im Rahmen des von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zelebrierten Pontifikalamtes. Kon- zelebranten waren Bischof Dr. Miklós Beer aus Donaueschingens Partnerstadt Vác in Ungarn, der Erzbischöfliche Sekretär Dompräbendar Michael Maas, Dekan Josef Fi- scher, Stadtpfarrer Dr. Hans-Peter Fischer, Pfar- rer Áron Fejérdy aus Vác, Pfarrer Manfred Herrmann aus Ebringen, Pfarrer Man- fred Diewald, Pfarrer Her- bert Kraft, Pfarrer Wigbert Steinger aus Döggingen, die frü he ren Stadtpfar- 154 rer Geistlicher Rat Meinrad Held und Dr. Otto Scheib sowie die Diakone Marco Piranty aus München, Herbert Bintert aus Pfohren und Hans Klee aus Klettgau-Weisweil. Musikalisch gestaltet wurde das Pontifikal- amt von Momos Quartett, der Cappella Musi- cale, der Frauenschola, dem Kinderchor, dem Ensemble Antiqua Musica und Andreas Rütsch- lin an der Orgel. Die Gesamtleitung hatte Kantor M° Zeno Bianchini. Nach dem Pontifikalamt war für die Besu- cher des Festgottesdienstes auf dem Kirch- platz Gelegenheit zur Begegnung mit den beiden Bischöfen und den anderen Festgäs- ten gegeben. Für die musikalische Unterhal- tung sorgte der Musikverein Aufen. Ernst Zimmermann Die Donaueschinger Madonna ist eine spätgotische Arbeit von Hans Loy. Die Skulptur blieb als einziger Teil des Hochaltars der spätgotischen Vor- gän ger kirche aus der Mitte des 15. Jahrhunderts erhalten.
Kirchengeschichte Zum Konvent des Klosters Neudingen Das Dominikanerinnenkloster „Auf Hof“ bei Neudingen stand allen Schichten der mittel- alterlichen Gesellschaft offen Auch wenn der interessierte Besucher, der den einstigen Standort des Klosters „Auf Hof“/Maria Hof bei Neudingen aufsucht, auf jener Anhöhe über der jungen Donau, im Os- ten des Dorfes, kaum noch bau- liche Überreste davon vorfin- det, so sind heute doch die wichtigsten Entwicklungsli- nien, Ereignisse und Daten der Klostergeschichte bekannt. Die Entstehung des Klosters lässt sich eindeutig auf 1274 datie- ren, mit Graf Heinrich I. von Fürs- tenberg als eigentlichem Gründer, und das Ende dieser klösterlichen Einrichtung fällt in die Sä- kularisation 1802/03. Fest steht auch die Zweiteilung der Kloster- geschichte: Zunächst befand sich das Neu- dinger Kloster bis ca. 1565 in der Obhut von Do- minikanerinnen, danach – genau gesagt: ab 1584 – gehörte das „gottzhaus“ durch päpstli- ches Dekret dem Zisterzienseror- den an. Belegt sind die Blütezeiten und auch die Perioden mit Armut, Not und Niedergang, oft genug ge- prägt von den kriegerischen Zeit- läufen außerhalb der Klostermau- ern. Selbst vom gewöhnlichen Klosteralltag und der seelsorgeri- schen Betreuung (Cura moniali- um) der Neudinger Schwestern kann man sich heute ein ungefäh- res Bild machen. Wesentlich unklarer sind da- gegen die Kenntnisse über die Klosterfrauen selbst, die in mehr als 525 Jahren in diesem Kloster lebten und wirk- ten. So lässt es sich nicht genau sagen, wie viele Nonnen es insgesamt waren, Ansicht des Klosters Neudingen aus dem Jahr 1762. Ein Einzelblatt aus dem Bestand der historischen Ansichten im Fürstlich Fürstenbergischen Archiv Do naueschingen. Die bischöfliche Exemtion von 1274: Einrichtung des Klosters „Auf Hof“ (Einrichtungsurkunde) 155
Kirchengeschichte Rechts: Blick auf Neudingen vom Fürstenberg aus. Wo sich heute die Grabeskirche der Fürsten zu Fürstenberg befindet (Kuppelbau im Wäldchen rechts), lag bis zur Säkularisation das Kloster Neudingen (Bild links). die hier dienten. Auch zur durchschnittlichen Größe des Konvents finden sich nur wenige Zeugnisse. Zudem ist nur ein Teil der Konven- tualinnen namentlich bekannt, und auch zu der Frage, aus welcher sozialen Schicht sie stamm- ten, fehlt es an letzter Klarheit. Statistische An- gaben, Namens- oder Jahreslisten und Schwes- ternbücher fehlen nämlich für das Kloster „Auf Hof“, sodass man sich hier vornehmlich mit dem Neudinger Anniversarienbuch (Totenbuch) und zum Teil mit vereinzelten Namensnennungen von Nonnen in anderen Quellen behelfen muss. Eine zu große Zahl an Klosterschwestern konnte Not und Armut bedeuten Wenngleich dabei Lücken bleiben und Mutma- ßungen notwendig sind, ist dies dennoch der einzige Weg, um ein halbwegs identisches Bild von den personellen Gegebenheiten im Neu- dinger Kloster zu erhalten. Im Übrigen empfiehlt es sich, in einem Beitrag wie diesem die Darle- gungen zu konzentrieren: Wir tun dies, indem wir die Untersuchung und Auswertung auf jene Klosterschwestern beschränken, die in der fast 156 300-jährigen Dominikanerinnenzeit, also von 1274 bis ca. 1565, dem Neudinger Konvent an- gehörten. Dass der Konvent des „Closters ze Nidingen Uffen Hove, Brediger ordens“, wie die offizielle Bezeichnung im genannten Zeitraum lautete, im Laufe der Zeit unterschiedlich stark belegt war, ergibt sich aus verschiedenen Hinweisen in einer Handvoll Urkunden. So vermerkt eine päpstliche Bulle von 1344, das Neudinger Klos- ter sei vor kurzem in Armut und Not geraten, weil es u.a. zu viele religiös begeisterte Frauen auf- genommen habe, sodass es in Versorgungs- schwierigkeiten geraten sei. Das deutet darauf hin, dass die anfängliche Neudinger Frauen- sammlung mit etwa acht bis zehn Mitgliedern in den siebzig Jahren seit der Klostergründung zu einem Konvent von vermutlich 45 Kloster- schwes tern angewachsen war. Als wenig später, nämlich nach 1348, die große Pest in Mitteleuropa zu einem erhebli- chen Bevölkerungsschwund und damit auch in den Klöstern allgemein zu einem spürbaren Rückgang des Personalbestandes führte, ging auch im Kloster „Auf Hof“ die Zahl der Kon- ventsmitglieder, wie das älteste Güterrodel des Klosters von 1364 zeigt, drastisch auf unter zwanzig zurück. Erst im Laufe des 14. Jahr- hunderts sta bilisierten sich die zahlenmäßigen Verhältnis se wieder. Jedenfalls beschreibt ein Spendenaufruf des Konstanzer Bistums vom
Kloster Neudingen ist dies ihr Todestag – aufgeführt. 26 weitere Frauen treten vorwiegend urkundlich oder in der Neudinger Chronik „Idea laudabilis“ 2 in Er- scheinung. Bei der Aufnahme ins Kloster „Auf Hof“ spiel- te die soziale Herkunft des künftigen Konvents- mitglieds offensichtlich keine ausschlaggeben- de Rolle: es wurde kein bestimmter Geburts- stand vorausgesetzt. Die überwiegende Zahl der Klosterfrauen lässt sich, wie sich vor allem aus ihren Namen ergibt, den drei hauptsächli- chen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit zuordnen, nämlich dem landsässigen Adel, dem Bürgertum und dem landsässigen Bauernstand. Unter den namentlich bekannten Nonnen sind ca. 120 aufgrund der Namenstradition zum Adel zu zählen, womit der Adelsanteil im Neu- dinger Konvent doch erstaunlich hoch war. In der gesamten Berichtszeit zwischen 1274 und 1565 betrug er wohl um die 50 Prozent. Die 11 oder 12 Konventualinnen aus dem gräflich- fürstenbergischen Hause sind dabei dem Hoch- adel zuzurechnen, zu dem auch die Kloster- schwestern aus den hochfreien Familien von Hewen und von Zimmern (Nobiles, Edelfreie) gehören. Die meisten anderen adligen Nonnen entstammten dem heimischen Ministerialadel. Über ein Dutzend weibliche Familienmitglie- der aus der Familie der Herren von Almshofen traten dem Neudinger Konvent bei. Aber auch die Herren von Blumberg, von Blumegg, von Eschingen, und von Baldingen, von Falkenstein und von Geisingen, von Schwandorf, von Heu- dorf, von Stühlingen und von Wolfurt u.a., eben- so die Ritter und fürstenbergischen Dienstman- nen von Studengast und die Guggenbühl – bei- de Familien stellten immerhin jeweils sechs Klosterfrauen –, weiter die von Buch, von Tier- berg, von Reckenbach und die Geschlechter de- rer von Wart und Zum Tor u.v.a. gaben ihre nicht verehelichten Töchter fast drei Jahrhunderte lang in das Kloster bei Neudingen. Wesentlich schwieriger ist die soziale Zu- ordnung der anderen Hälfte der Dominikanerin- nen. Nur die Nonnen, die aus den „besseren“ Familien der wenigen Städte im ländlichen Um- land kamen oder zum stadtsässigen Adel, häu- fig ausgestattet mit Bürgerrecht, gehörten, wer- den in den Quellen als dem städtischen Bürger- 157 25. März 1413 zugunsten des abermals Not lei- denden Frau enklosters auf der Baar den Um – fang der Klos tergemeinschaft mit einer Prio rin und den 28 Klosterfrauen. An dieser Anzahl an Nonnen (25 bis 30), die sonst wohl der durchschnittlichen Größe des Konvents entsprach, dürfte sich bis zum Beginn der Reformation im 16. Jahrhundert nur wenig geändert haben. Danach aber begann der all- mähliche Niedergang des Dominikanerinnen- klosters: bis 1535 halbierte sich die Zahl der Frauen, 1562 wohnte nur noch eine Klosterfrau des bisherigen Ordens im Neudinger Kloster. In 300 Jahren wirkten in Neudingen rund 330 bis 360 Nonnen Berücksichtigt man die unterschiedlich starke Belegung in den verschiedenen Entwicklungs- perioden und rechnet man zugleich je Schwes- ter mit einer durchschnittlichen Verweildauer im Kloster von 20 bis 25 Jahren, so ergibt sich für die rund 300 Jahre, in denen die Angehörigen des Konvents „Auf Hof“ dem Dominikanerorden angehörten, eine geschätzte Gesamtzahl von 330 bis 360 Nonnen. Von diesen ca. 330 bis 360 Dominikane- rinnen sind 213 mit Namen bekannt .1 Die meis- ten von ihnen, nämlich 187, werden im Neudin- ger Anniversarienbuch an ihrem Jahrtag – meist
Kirchengeschichte DAS KLOSTER MARIA HOF/ AUF HOF Klosterkirche Schmiede 1 1a Klostergebäude 2 Alte Kirche, Bäckerei und 3 Altes Klosterhaus (sog. Hühnerhaus) 4 Waschhaus 5 Beichtigerhaus 6 Verwaltung, Scheunen 7 8 Klosterhof 9 Krautgarten am Beichtigerhaus 10 Küchengarten 11 Friedhof 12 Garten zur Erholung 13 Baumgarten 14 Krautgarten 15 Torhaus und Stallungen Innerer Klausurhof tum zugehörig gekennzeichnet. So ist das etwa bei Frauen und Mädchen aus den Villinger Fami- lien der Egesheimer und der Guntfrid oder aus dem ritteradligen Konstanzer Geschlecht Im Turm. Von der ursprünglichen Schaffhauser Pa- trizierfamilie von Göberg nahmen fünf, aus der Familie des Walther Brot aus Schaffhausen zwei Töchter den Schleier im Kloster „Auf Hof“. Die Klosterfrau Anna Stölzlin war Bürgerin der freien Reichsstadt Rottweil, Verena Mangolt stammte aus Diessenhofen. Selbst aus der Augsburger Familie der Langmantel von Radau kam eine Neudinger Klosterfrau. Beim größten Teil der Konventsmitglieder bleibt die Herkunft unklar Beim größten Teil der Konventsmitglieder, die einen ganz „gewöhnlichen“ Namen haben, bleibt dagegen unklar, ob sie (klein)bürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft sind. Anzunehmen ist al- lerdings, dass angesichts der bäuerlichen Strukturen auf der Baar die Zahl der Nonnen mit bürgerlicher Abstammung im Neudinger Kloster erheblich niedriger war als in den Konventen bei Winterthur oder Zürich. Dort, in den Dominika- 158 nerinnenklöstern Töss, St. Katharinen tal, Lö- wental, Oetenbach u.a. hatte „stets das Stadt- bürgertum ein größeres Gewicht, zumeist stellte es sogar die Mehrheit der Konventualinnen.“ 3 Für Neudingen gilt dies sicherlich nicht. Von den nichtadligen, sozial nicht eindeutig zuweis- baren Klosterschwestern tragen viele einfache Vor- und Familiennamen, wie sie auch heute noch in unserer ländlich geprägten Gegend vor- kommen: Anna Engesser, Verena Hensler, Mar- garet Längin, Anna Talhammer, Elisabeth Bume- nin (Baumann) und Anna Winkler. Bei anderen erinnert der „Zuname“ an einen speziellen Tat- bestand oder eine berufliche Tätigkeit der Ge- nannten (möglicherweise auch eines früheren Familienmitglieds): Mechthild Siechmeister, Anna Klein, Verena Schwäger(in), Adelheid Bil- ger (Pilger); oder: Verena Hafner, Anna Vogt, Adelheid Fischer, Margareta Kuch(in), „die alt“ Schultheißin usw. Zahlreich sind auch die Beispiele, bei denen der Vorname der betreffenden Klosterangehöri- gen nur mit ihrem Herkunftsort ergänzt wird, wie etwa bei: Adelheid von Uffhan (Aufen), Margare- ta Nidinger(in), Katharina Spaichinger und Lug- gi (Luitgart) von Pforren (Pfohren). Ebenso ist es bei Adelheid von Sumpfohren, Dorothea All-
Kloster Neudingen Übersicht zu Besitz und Einkünften des Dominikanerklosters bei Neudingen. Die Zahlen geben Auf- schluss über den Kauf von Gütern und Ländereien, über Gülten, Zinseinkünf- te oder Zehnten in den verschiedenen Orten auf der Baar. Dabei zeigt sich, dass neben Neu- dingen vor allem Hondingen, Gutma- dingen, Tannheim und Pfohren von be- sonderer Bedeutung waren. masshofferi(in) oder Anna Wolfhauser. Vermut- lich handelt es sich hier um einfache Mädchen oder junge Frauen vom Dorf, womit ihre Abstam- mung von einer Bauernfamilie wahrscheinlich, aber keineswegs sicher ist. Obwohl somit, wie dargestellt, die Neu- dinger Klosterschwestern unter der Betreuung der Prediger zur einen Hälfte adliger, zur ande- ren Hälfte bürgerlicher oder bäuerlicher Her- kunft waren, steht fest, dass der Adel – vorweg das Haus Fürstenberg – im Klostergeschehen unbestritten den Ton angab. Das zeigt sich ein- deutig auch bei den Priorinnen, die, soweit sie mit Namen bekannt sind, wohl alle adligen Fa- milien zuzuordnen sind. Zwei bzw. drei der Amtsinhaberinnen gehörten sogar dem Grafen- haus an. Andere, wie Barbara von Reckenbach und Maria von Felsenberg, kamen aus Familien des einheimischen niederen Lehensadels. Agnes von Almshofen war die bekannteste Priorin des Neudinger Klosters Aus diesem sozialen Umfeld stammte auch die bekannteste Priorin des Dominikanerinnenklos- ters „Auf Hof“, Agnes von Almshofen. Sie am- tierte von 1433 bis 1452. Ihr Priorat erhält durch etwa zehn Urkunden deutliche Umrisse. So ver- stärken sich in dieser Zeit wieder die gegensei- tigen Bindungen zwischen Grafenhaus und Kloster: Den Höhepunkt bildete die Erneuerung des gräflichen Privilegs (von 1299) im Jahre 1443. Zudem veranlasste Priorin Agnes in ihrer Amtszeit eine zweite, wenn auch kleinere finan- zielle Ausstattung des Klosters durch Schen- kung und Verkauf von Gütern und Höfen aus ihrem eigenen Besitz an das Kloster. Da sich diesem Verfahren auch mehrere begüterte Mit- schwestern – wohl aus religiöser Überzeugung und wahrscheinlich angeregt durch das Vorbild der Priorin – anschlossen, stabilisierte sich auf diese Weise die Wirtschafts- und Finanzlage des Klosters in ihrer Zeit, die mit Recht zu den guten Perioden des Neudinger Gotteshauses gezählt werden darf. Trotz der stark adligen Prägung war das Kloster „Auf Hof“ durchweg ein Haus, zu dem alle Schichten der spätmittelalterlichen Gesell- schaft Zugang hatten, und das – trotz des Über- gewichts der herrschenden Adelskreise – kein „Stift für adlige Damen“ darstellte und somit kein elitäres Frauenkloster war. Denn, wie ver- deutlicht wurde, war es Mädchen und jungen 159
Kirchengeschichte Neudingen im Luftbild, im Vordergrund lag das eins- tige Frauenkloster. Frauen aus nichtadligen und sogar einfachsten Verhältnissen möglich, in dieses Gotteshaus einzutreten, um hier nach christlicher Überzeu- gung in Entsagung und Buße zu leben. Was in diesem Artikel für die Zeit der Domi- nikanerinnen „Auf Hof“ untersucht wurde, gilt nur mit Einschränkungen auch für das Zister- zienserinnenkloster „Auf Hof“/Maria Hof nach 1584. Die Anteile der adligen Konventualinnen und der Nonnen aus dem Bürgertum in dem ins- gesamt kleineren Zisterzienserinnen- bzw. Ber- nardinerinnenkonvent 4 – das Haus beherberg- te im 17. und 18. Jahrhundert meistens nicht mehr als etwa zwanzig Klosterfrauen – gingen zurück. Im Neudinger Jahrbuch (Anniversarien- buch) überwiegen nun die „einfachen Namen“. Ohne bereits eine endgültige Wertung abgeben 160 zu wollen, scheint es doch so, als habe das jahr- hundertealte fürstenbergische „Hauskloster“ in den verbleibenden 220 Jahren nach der Neu- gründung von 1584 bis zu seiner endgültigen Auflassung 1802/03 an seiner früheren Bedeu- tung verloren. Dr. Rüdiger Schell 1 Vgl. die tabellarische Aufstellung der Klosterfrauen in Anhang A 1 und A 2 in: Rüdiger Schell, Das Domini- kanerinnenkloster Auf Hof bei Neudingen als Haus- kloster der Grafen von Fürstenberg, Konstanz 2008, S. 270 – 282. 2 Die handschriftliche Neudinger Chronik, „Idea lau- dabilis“ von Martin Antoni Arres (1770), befindet sich in zwei Exemplaren im GLA Karlsruhe (Hs. 65/333) und in der WBL Stuttgart. 3 Vgl. Andreas Wilts, Beginen im Bodenseeraum, Sig- maringen 1994, S. 47. Vgl. auch Christian Folini, Ka tharinental und Töss, Zürich 2007. 4 Die Bezeichnung geht auf Bernhard von Clairveaux zurück.
Neu erbaut in alter Tradition Die Hofkapelle St. Georg der Familie Bossert in Donaueschingen Kirchengeschichte Die Hofkapellen auf den Höhen des Schwarzwaldes und der Vorbergzone sind seit drei Jahrhunderten unver- wechselbare Kennzeichen einer bäuerlichen Religiosität. Ent- standen zum Großteil in der Gegenreformation und unter Einfluss der Jesuiten, entspra- chen sie dem Bedürfnis nach Gottesdienst, wenn die Witterung den Gang in die nächste Kirche nicht zuließ. Sie boten aber auch den Ein- wohnern der großen Höfe oder den Vorü- berziehenden die Möglichkeit, in stiller An- dacht ein wenig auszuruhen und Kraft zu schöpfen in all den Alltagsmühen und Sorgen. Zwar nicht völlig unbekannt, sind sie in der Dichte, in der sie auf den Höhen des katholi- schen Schwarzwaldes und dessen Seitentälern zu finden sind, auf der Baar weniger zuhause. Es ist daher für die kirchliche und kultur- geschichtliche Tradition der Baar ein großes Glück, dass der Besitzer der nur ein paar Schrit- te nördlich von Donau- eschingen gelegenen Foh – renhöfe, Her bert Bossert und seine Familie, sich ent schlossen, an der Stel- le eines abgebauten gro- Die im Jahr 2008 erbaute Hofkapelle St. Georg der Familie Herbert Bossert, Fohrenhöfe bei Donau- eschingen. Die Kapelle ist die einzige neue Hofkapelle der Baar im Schwarzwald- Baar-Kreis. ßen Futter silos eine Hofkapelle zu errich- ten, welche das inzwischen von vielen Pferden bevölkerte Gebäudeensemble bereichert und vervollständigt. Im Ge gensatz zum na hen Schwarz- wald, wo mit den Hofkapellen im Spechtloch 2003 (siehe Alma- nach 2006) und im Ellenwin- kel (2008) auf Gemarkung Unterkirnach neue bäuerliche Andachtsstätten errichtet wur- den, ist diejenige der Bosserts die jüngste und einzige neue Hofkapelle der Baar im Schwarzwald-Baar-Kreis. Wenngleich der Neubau im Spechtloch für Herbert Bossert äußerlicher Anstoß und Vorbild war, so entstand der Entschluss zur Errichtung doch einer wie selbstverständlich gelebten Re- ligiosität und Glaubenshaltung, die durch ein sichtbares christliches Zeichen dem Schöpfer Dank abstatten wollte, dass nun bereits über drei Jahrzehnte Familie und Anwesen von größe- rem Unglück verschont geblieben sind. 161
Kirchengeschichte Ein nicht zu unterschätzender Effekt dieses die Kirchenlandschaft der Baar und die bäuer- liche Tradition bereichernden Neubaues ist die Weitergabe und Neubelebung handwerklicher Schwarzwälder Traditionen. So richtete die Vöhrenbacher Zimmerei Kienzler den Dach- stuhl nach den Plänen des in Urach beheima- teten Planers Albert Hättich. Dass der dabei beschäf tig te, aus dem zum „Hofkapellen-Kern- land“ zählenden Linach stammende Geselle Fridolin Klausmann mit dem Dachstuhlaufbau zugleich sein Meisterstück absolvierte, bürgt für eine Weitergabe der Hofkapellenbaukunst. Am Glockenturm in acht Metern Höhe befin- det sich die mit Seil bewegte Glocke, dreißig Kilogramm schwer und mit hellem „D“ in die Landschaft rufend. Sie stammt aus der Glocken- gießerei des Hans August Mark in Brockscheid in der Eifel. Die Kupferverwahrungen wiederum sind von dem für qualitätvolle Handwerksarbeit weithin bekannten Blechner Roland Ketterer aus Pfohren. So wuchs die Kapelle unter den prüfenden Augen des Bauherren – weitgehend von einer Gruppe einheimischer Handwerker errichtet – in den weiten Baarhimmel. Die ausführenden Fir- men hatten mit diesem Kirchlein ein weiteres Mal den Beweis geliefert, dass sie das traditio- nelle Handwerk beherrschen. Über 20 Stühle stehen für gemeinsame An- dachten in dem rund 24 Quadratmeter großen Raum bereit, der mit viel Liebe zum Detail aus- gestattet wurde. Hier paaren sich Kunst und Handwerk zu einem Andachtsraum, der Trös- tung und innere Einkehr verspricht. Der aus dem Jahre 1760 stammende und bei den Renovie- rungsarbeiten in der Donaueschinger Stadtkir- che St. Johann wieder entdeckte Holzaltar wur- de von der Unterkirnacher Künstlerin Christine Pawlik überholt. Der über dem Altar hängende Christus, der von Anton Zahn aus Aasen restau- riert wurde, ist ein Geschenk des Donaueschin- gers Egon Hug. Der Korpus stammt ursprünglich aus einem Schwarzwaldhof seiner Vorfahren im Wittental bei Stegen. Die den Altar flankierenden Lindenholzfi- guren des Heiligen Georg, der Maria und des Josefs, wurden vom Bauherren Bossert und sei- 162 Die Pläne stammen von Albert Hättich aus Urach, den Dachstuhl richtete die Uracher Zimmerei Kienzler auf. Am Glockenturm befindet sich in acht Meter Höhe eine 30 Kilo schwere Glocke mit hellem „D“. Auch die Buntglasfenster, ein Geschenk der evange- lischen Gemeinde Blumberg, fasste Zimmermeister Kienzler.
Das Innere der St.-Georgs-Kapelle, die mit ihrem Namen auch an das Kloster St. Georgen erinnert, das bei den Fohrenhöfen einst Grundbesitz hatte. Unten der Heilige Georg, Lindenholz, geschnitzt von Fritz Finus in Geisingen. ner Ehefrau in der Werkstatt von Fritz Finus, einem anerkannten Holzschnitzer im Nebenbe- ruf, in Geisingen bestellt. Der heilige Josef, Schutzpatron der Zimmerleute, ist übrigens ein Geschenk des am Bau beteiligten Zimmermeis- ters Kienzler. Letzterer war es auch, der die von der Blumberger evangelischen Gemeinde ge- schenkten, ursprünglich 1,20 mal vier Meter großen Buntglasfenster neu fasste. Die einst vom Handwerksatelier Schnauck in Baiersbronn entworfenen Fenster schmückten bis zur Erneu- erung 2001 das 1956/57 neu erstellte Kirchen- schiff der Blumberger evangelischen Kirche. Als bisher einzigartige kirchliche Besonder- heit der sonst dem katholischen Glauben zuzu- rechnenden Hofkapellen steht die Hofkapelle der Familie Bossert im Zeichen der Ökumene, da sie vom gleichen Willen des evangelischen Hof- besitzers und seiner katholischen Ehefrau ge- tragen wird. So kommt es, dass das Kirchlein am 30. April 2008 vom katholischen Stadtpfarrer Hans-Peter Fischer und der Donaueschinger evangelischen Pfarrerin Nicola Enke-Kupffer als Auftakt eines zweitägigen Festes am 30. April 2008 ökumenisch ge- weiht und dem Heiligen Georg, einem der vierzehn Nothelfer gewidmet wurde. Höhepunkt des Einwei- hungsfestes war dabei eine Prozession am Folgetag, in deren Verlauf fast einhun- dert Pferde und ihre Reiter durch den Stadtpfarrer ge- segnet wurden. Künftig soll der seit den Kreuzzügen zur Identifikationsfigur der Ritter, dann u. a. auch zum Schutzpatron der Rei ter wie Bauern gewor- Hofkapelle St. Georg dene Georg seinen Segen dem großen Pferde- hof und der Landwirtschaft der Familie Bos sert angedeihen lassen. Zugleich erinnert der Heili- genname aber auch an das einst berühmte Klo- ster St. Georgen, das Besitzungen rund um den heutigen Hof der Bosserts bei Grüningen und Klengen innehatte und dessen Mönchen Wald und Flur bei der jetzt errichteten St.-Ge orgs- Kapelle nicht unbekannt gewesen sein dürfte. Wer an der Hofkapelle anlangt, wird mit schönem Blumenschmuck und einladenden Bänken für ein erstes Kennenlernen empfangen, bevor das stille Verweilen in dem ins warme Licht der Glasfenster ge- tauchten Andachtsraum Herz und Seele erfrischt. Vor allem aber auch findet der unweit auf dem Neckar-Baar- Jakobusweg gen Süden zie- hende Pilger hier einen er- quickenden Rastpunkt und einen ersten kirchlichen und kunstvollen Höhe- punkt vor seinem Einzug in die nahe Stadt Donauesch- ingen. Joachim Sturm 163
8. Kapitel Kunst und Künstler Julia Elsässer-Eckert Gegenständliche Malerei und Altarraumgestaltungen im Mittelpunkt des Schaffens Vom Atelier aus schweift der Blick über hügelige Wiesen bis zum Waldrand, in der Ferne sind einige Häuser des Dorfes Neukirch zu erkennen. Die Malerin Julia Elsässer-Eckert lebt und arbeitet in einem abgelegenen Hof zwischen Furtwan- gen und Neukirch. Sie ist mit dem Bildhauer Wolfgang Eckert verheiratet, dessen Elternhaus sich die Familie zu Wohnung und Atelier ausgebaut hat. Die Land- schaft inspiriert die Künstlerin immer wieder zu Bildern, in vielen Varianten hat sie die Birken vor dem Haus gemalt, zu jeder Jahreszeit, in unter- schiedlichen Techni- ken und Formaten. liegt es Allerdings Julia Elsässer-Eckert fern, „Post- kartenidylle“ auf Leinwand oder Papier zu bannen. Sie experimentiert mit Farben und Formen, ihre Bilder wir- ken oft flächig, die Künstle- rin verzichtet auf starke Farbkontraste und variiert lieber subtile Farbschattierun- gen. Julia Elsässer-Eckert wurde 1965 in München geboren. Der Umgang mit den Bildenden Künsten war ihr von klein auf vertraut, der Vater Hubert Elsässer war ein renommierter Bildhauer. Ihre Mutter, ausgebildete Buchhändlerin, malte neben ihrer Hausfrauentätigkeit. Ein Großstadtmensch ist die Künstlerin nicht. Denn sie wuchs in einer eher ländlichen Region auf, in Gröbenzell im Kreis Fürs- tenfeldbruck. Allerdings nahm die Region damals gerade rasanten Aufschwung, es wurde viel gebaut. „Ich habe auf Baustellen gespielt und Materialien kennen gelernt, mit denen ich später arbeitete, Putz und Farben.“ Selbstverständlich war es auch, den Eltern im Atelier zur Hand zu gehen. Ebenso waren ihr die wirtschaft- lichen Risiken im Dasein freischaffender Künstler von Kind an vertraut. Nach dem Abitur schuf sie „eine solide handwerkliche Basis“ für ihre künst- lerische Tätigkeit, Julia Elsässer machte eine Lehre als Fassmalerin/Vergolderin 164 164 Julia Elsässer- Eckert im Atelier in Neukirch.
Julia Elsässer-Eckert Frau am Tisch IV 115 x 105 cm Eitempera auf Nessel 1996 165
Kunst und Künstler Bildnis I, 80 x 50 cm, Öl auf Nessel, 1992 in Würzburg. Hier lernte sie von Grund auf, wie insbeson- dere barocke Hei li gen figuren aufgebaut sind, wie sie fach- gerecht restauriert werden. 14 Schichten Grundierungen wurden auf das Holz aufgetra- gen, bis „man das erste Stück Blattgold in die Hand nehmen kann“. Res taurierungsar bei- ten in Kirchen erforderten auch schwere körperliche Arbeit, Dreck wegräumen, Putz entfernen. „Sehr aufwen- dig, aber wenig kre ativ“, cha- rakterisiert die Künstlerin ihre Lehrjahre. Aber sie lernte den Umgang mit Farben und Mate- rialien von der Pike auf und sammelte erste Erfahrungen in der Ausgestaltung von Kir- chenräumen. Zurück zur Kunst ging es mit einem Praktikum bei dem Maler Hubert Distler in Grafrath bei München. Der hatte den Auftrag, eine Kirche auszugestalten und ließ die junge Künstlerin ein- zelne Passagen selbstständig übernehmen. Zusammen mit ihm zeichnete sie darüber hinaus in der Natur, lernte eine neue Art des Sehens und begann, sich eine eigene Welt zeichnerisch und bildnerisch zu erobern. Ein sechsjähriges Studium der freien Malerei an der Kunstakademie München schloss sich an. Als Meister- schülerin von Professor Franz Bernhard Weisshaar (Lehr- stuhl für christliche Kunst, farbliches und räumliches Ge- stalten insbesondere an Kult- räumen) sammelte sie Erfah- rungen mit architekturbezo- genen Arbeiten. Das Zusam- menspiel von Architektur und Malerei fasziniert sie seitdem. Dazu gehören auch traditio- nelle Fresko-Techniken, die sie für moderne Malerei nutzt. Im Jahre 1993 wurde Julia Elsässer mit ihrem jetzigen Ehemann Wolfgang Eckert mit Skizzen- buchseite, 20 x 14 cm, Mischtechnik auf Papier, 1992 166
Julia Elsässer-Eckert Figurenpaar III 130 x 110 cm Öl auf Nessel 1994 167
Kunst und Künstler Altarrückwand- gestaltung, Evang. Kirche Putzbrunn, Fresco Secco, 1993 der Ausgestaltung der Evang. Kir- che Putzbrunn bei München beauf- tragt. In Zusammenarbeit bestrit- ten sie einen ausgeschriebenen Wettbewerb mit dem ersten Platz. Wolfgang Eckert übernahm die Ausführung der Prinzipalien, Julia Elsässer gestaltete die Altarrück- wand mit eindeutig erkennbaren christlichen Motiven wie Friedens- taube, Fisch und Lamm – so die Vorgaben des Auftraggebers (siehe Foto links). Die beiden Künstler ver- standen sich bei der Ausführung dieses Auftrages nicht nur künst- lerisch, es funkte auch privat, und ein Jahr später wurde geheiratet. Das Neukircher Elternhaus von Wolfgang Eckert wurde 1996 aus- gebaut und erweitert, mit zwei lichtdurchfluteten Ateliers für beide und Platz für die Familie, die sich bald um die Söhne Vincent und Elias vergrößerte. Stillleben, Landschaften und Menschen „Traditionelle Themen“ greift Julia Elsässer-Eckert in ihrer Malerei auf, erläutert die Malerin. Es sind Stillleben, Landschaften, Menschen, die sie in ihren Bildern festhält, die gegenständliche Malerei ist ihre Welt. Allerdings malt Julia Elsässer-Eckert nicht einfach ab, was sie sieht, ihre Beobachtungen entwickeln sich auf der Leinwand zu eigen willigen Farbkompositionen, Bäume oder Men- schen werden in meist stark abstrahierten Formen zu Elementen einer ausgefeil- ten Bildkomposition. Zum Beispiel die Birken vor ihrem Atelierfenster: sie finden sich auf vielen Bildern, in großen und kleinen Formaten, zu jeder Jah- reszeit, immer wieder anders gese- hen und gestaltet. Oder die „Frau am Tisch“, eine Gestalt, die nach- denklich am Tisch sitzt, abstrahiert in den Formen. Die Bilder wirken flächig. Die Farben sind kräftig, al- lerdings werden starke Farbkont- raste vermieden. Lieber variiert die Malerin einzelne Farben in vielen Schattierungen und Abstufungen und vermittelt so die spezielle Stimmung. „Eine Farbe mal so rich- Stillleben mit Huhn, 115 x 105 cm, Eitempera auf Nessel, 1996 168
Julia Elsässer-Eckert Landschaft grün II, 34 x 42 cm, Eitempera auf Nessel, 1998 tig ausschlachten“, umreißt sie ihre faszinierenden Experimente mit der Farbpa- lette. Nüchtern und sachlich wehrt sich die Künstlerin gegen „psychologische Interpretationen“. Der Betrachter soll die Bilder auf sich wirken und seine Fanta- sie spielen lassen. Auch die Landschaft sieht sie nüchtern: „Der Schwarzwald ist keine Idylle. Die Landschaft ist doch karg und sachlich“, stellt sie fest und lässt sich dennoch davon faszinieren, gewinnt den Wiesen und Wäldern der Umgebung immer wieder neue Ansichten und Stimmungen ab, die sie zu Bildern gestaltet. Natürlich ist die Kunst auch Thema in der Familie. Die Zusammenarbeit und das Gespräch mit Ehemann und Bildhauer Wolfgang Eckert sind offen und anre- gend, man macht sich nicht nur Komplimente. „Wir sind uns gegenseitig die schärfsten Kritiker“, berichtet die Malerin. Auch die Kinder tragen mit „interes- santen Meinungen“ zur Diskussion über die Kunst bei. Eine ernsthafte Konkurrenz zur Malerei war für Julia Elsässer-Eckert immer die Musik, sie spielt Klavier, Flöte und Fiedel, ihre besondere Liebe gilt der Musik von Johann Sebastian Bach. Christa Hajek 169
Kunst und Künstler Landschaftsgraphiken Birken hell, 15,5 x 21,5 cm, Mischtechnik auf Bütten, 2008 Landschaftsgraphiken Herbst I, 15,5 x 21,5 cm, Mischtechnik auf Bütten, 2008 170
Julia Elsässer-Eckert Landschaftsgraphiken I, 15,5 x 21,5 cm, Mischtechnik auf Bütten, 2008 Landschaftsgraphiken Winter II, 15,5 x 21,5 cm, Mischtechnik auf Bütten, 2008 171
Kunst und Künstler Städtische Galerie Villingen-Schwenningen Ausstellungen auf höchstem Niveau im Spannungsfeld zwischen Klassischer Moderne und zeitgenössischer Kunst Die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, eine Institution, die mit Allein- stellungsmerkmal in der Region diese Bezeichnung trägt, hat bundesweit einen hervorragenden Ruf. Die Kenner aus der Kunstszene und so mancher der zahl- reichen Besucher wissen, wer hinter dem Erfolgsrezept steht: Wendelin Renn leitet nun schon seit zwei Jahrzehnten die Galerie gegenüber dem Schwenninger Bahnhof und hat mit seinem Fachverstand und seiner Durchsetzungskraft dem Ort der Kunst ein unverwechselbares Profil verliehen. Aber so vehement und kon- sequent der agile Galerieleiter seine Standpunkte bezüglich der Kunst vertritt, so entschieden weist er darauf hin, dass nicht er als Dienstleister, sondern die städ- tische Einrichtung diese Lorbeeren einstecken darf. Außerdem: Wendelin Renn hat in Villingen-Schwenningen mit dem Aufbau der Städtischen Galerie nicht von Null angefangen. In der Doppelstadt, hauptsächlich im Stadtbezirk Schwenningen, gab es bemerkenswerte und herausragende Initiativen in der Kunstver- mittlung. Die Genese der Galerie entwickelte sich somit aus verschie denen Strömungen. Diese Traditionen bilden immer noch die Basis für die heutige Galeriearbeit. Die Anfänge und der Namensgeber Bei dem seit 1944 in Schwenningen praktizierenden Arzt Dr. Ludwig Franz Georg „Lovis“ Gremliza regte sich direkt nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs zugleich ein Drang nach geistiger Befreiung und er nahm zu seinen Künstlerfreunden Kontakt auf. Der kunstsinnige Arzt gründete die „Lovis-Presse“, in der Bücher und Grafikmappen verlegt und Ausstellungen organisiert wurden. So entstanden wäh- rend der nur zweijährigen Produktionszeit der Presse zum Beispiel die ersten grafischen Auflagendrucke nach dem Zweiten Weltkrieg für namhafte Künstler wie Erich Heckel, Otto Dix oder Wilhelm Schnarrenberger und zwei Holzschnitt-Bücher für Werner Gothein. Aufgrund des Einsatzes Gremlizas für Kunst und Kultur sowie der Bedeutung der Sammlung „Dr.F.G. Lovis Gremliza“, die mittlerweile im städtischen Kunstbesitz ist, trägt die Städtische Galerie offiziell den Namen „Lovis-Kabinett“. Von der Wirkung, die von diesen Arbeiten ausging, war auch der junge Schwenninger Lehrer Felix Schlenker tief beeindruckt. Schlenker, traumatisiert durch die Kriegs- 172 Wendelin Renn in der Städti- schen Galerie mit einem Goya-Katalog.
Städtische Galerie Villingen-Schwenningen Erste Erfolge: Das Interesse des hiesigen Publikums hielt sich in Grenzen, aber aufgrund der Qualität des Gezeigten, war das Ein- zugsgebiet überregional. Bild rechts: Wendelin Renn vor einem Gemälde von Rainer Fetting. Minister- präsident Späth löste auch in der Doppelstadt die Überle- gung aus, die Organisation der Kunstaus- stellungen zu professio- nalisieren. ereignisse, sog diese neue Freiheit förmlich auf. Er bildete sich autodidaktisch in Malerei und Kunstgeschichte weiter und wurde selbst kurz darauf für lange Zeit eine Institution in Sachen Kunst und Kunstvermittlung in der Region. Zusammen mit seinem Freund, dem Architekten Karl Heinichen, betrieb er in den 1960er-Jah- ren die „Kleine Galerie“ in einem eher privaten Umfeld. Präsentiert wurde im Büro Heinichens und später im Zollamt aktuelle zeitgenössische Kunst. Das Interesse des hiesigen Publikums hielt sich in Grenzen, aber aufgrund der Qualität des Gezeigten war das Einzugsgebiet überregional. Kunst, aber auch deren Vermittlung, entsteht oft als oder auf eine Provokation. So konnte der Schwenninger Schulleiter Dr. Hans Willmann mit Schlenkers Avantgarde recht wenig anfangen und hat auf diese Provokation, in diesem Fall auf eine Brandcol- lage von Johannes Schreiter, äußerst konst- ruktiv formuliert, was eigentlich Kunst ist. In Zusammenarbeit mit der renommierten Münchner Galerie Gunzenhauser hat Will- mann im Beethovenhaus die Ausstellungs- reihe „Städtische Kunstausstellungen Schwenningen am Neckar“ realisiert. Hört sich provinziell an, war es aber nicht. Denn das eher großstädtisch ausgerichtete und mit einem für heutige Verhältnisse üppigen Etat versehene Programm beinhaltete Aus- stellungen mit grandiosen Arbeiten haupt- sächlich von expressionistischen Künstlern. Die Ausstellungen mit Werken der „Blauen Reiter“ oder von Otto Dix lockten bis zu 5.000 Besucher aus dem gesamten Bun- desgebiet nach Schwenningen. Durch diesen Erfolg inspiriert, gab die Stadt den Auftrag für weitere Ausstel- lungen. Ab 1974 hat schließlich Felix Schlenker 15 Jahre lang die Städtische Gale- rie Villingen-Schwenningen mit ihren Ausstellungsorten Theater am Ring und Franziskanermuseum ehrenamtlich betreut. Ende der 1980er-Jahre, in einem Um- feld, in dem sich der umtriebige Kunstförderer Ministerpräsident Lothar Späth mit Nachdruck für die aktuelle Kunst einsetzte, gab es auch in der Doppelstadt, wie in zahlreichen anderen Städten Baden-Württembergs, die Überlegung, dieses Ehrenamt zu professionalisieren. Wendelin Renn, der 1988 die Organisation der Kunstausstellungen bei den Landeskunstwochen in Villingen-Schwenningen übernommen hatte, wurde beauftragt, ein „Konzept für die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen“ zu entwickeln. Daraufhin wurde die Stelle ausgeschrie- ben. Wendelin Renn bewarb sich und konnte am 1. Januar 2009 sein 20. Dienst- jubiläum feiern. Die Städtische Galerie und ihr Konzept Die Fortführung der Arbeit und die Idee seines Vorgängers war für Wendelin Renn bei einer Neukonzeption einfach nicht möglich. Die schwerpunktmäßige Festle- gung auf Konkrete Kunst während Schlenkers Tätigkeit war somit Vergangenheit. Dem neuen Galerieleiter fehlte bei aller Qualität der Arbeiten, die in den vergan- 173
Kunst und Künstler genen Jahrzehnten in der Doppelstadt gezeigt wurden, das inhaltliche Kon- zept der Ausstellungen. Es reicht nicht aus, Künstler einzuladen oder Exponate aus einer Sammlung auszu- wählen und die Arbeiten auszustel- len. Die Ausstellungen müssen auch immer konzeptionell überprüfbar sein und die Inhalte müssen nach außen kommuniziert werden. In diesem Be- reich nimmt die Galerie im Vergleich zu anderen Städtischen Galerien des Landes eine Spitzenstellung ein. Seit Beginn an wurde ausnahmslos zu je- der Ausstellung eine Dokumentation erarbeitet. Das ist keineswegs eine Selbst- verständlichkeit, denn in Zeiten knapper kommunaler Kassen wird oft an der Er- arbeitung ausstellungsbegleitender Kataloge gespart. Dass es in Villingen- Schwenningen auch bei mangelnder städtischer Unterstützung bisher immer geklappt hat, liegt an der professionellen Beschaffung von Sponsorenmittel und an der Akzeptanz der Galeriearbeit bei den unterstützenden Unternehmen, Ein- zelpersonen und Einrichtungen. Kommunikation nach außen bedeutet aber auch die Vermittlung kunsthisto- rischer Inhalte über museumspädagogische Führungen, Galeriegespräche und durch unterschiedlichste Veranstaltungen in den Galerieräumen. In diesem Be- reich zeigt sich die Galerie überaus kreativ: das Haus steht offen für Schulklassen aller Schultypen und Altersstufen sowie interessierte Besuchergruppen, ob es nun der Motorradclub, der Kinderärzteverband oder die Ortsgruppe einer demo- kratischen Partei ist. Kommunikation ist vor allem auch Öffentlichkeits- und Medienarbeit. Die Aus- stellungen, besonders die mit Arbeiten der Klassiker, werden teils international beworben. Für Villingen-Schwenningen bedeutet dies ein hervorragendes Instru- ment des Stadtmarketings. Die Galeriearbeit, die zu allererst zum Wohle der Bürger der Stadt geleistet wird, erreicht somit überregionale Strahlkraft, was wiederum ein positiver Standortfaktor für das Oberzentrum ist. Die Galerie hätte zudem nicht ihre exponierte Stellung in der Galerienlandschaft, wenn sie sich bei großen kostenintensiven Ausstellungen, wie zum Beispiel der Heinrich-Zille-Ausstellung, nicht auf renommierte Kooperationspartner verlassen kann. Die Zusammen- arbeit mit bedeutenden Häusern kommt schließlich wieder dem Re- nommee der Städtischen Galerie zu- gute. Das sind alles Aspekte, die un- umgänglich für den professionellen Betrieb einer Städtischen Galerie 174 Im Innenhof der städtischen Galerie, Objekt von Stefan Rohrer. „Happy Birth- day“ – Ausstel- lung zum The- ma 100 Jahre Stadt Schwen- ningen. Objekt von Romuald Hengstler.
Städtische Galerie Villingen-Schwenningen Ausstellungen mit Werken der Klassischen Moderne und mit Arbeiten zeitgenös- sischen Kunst- schaffens. sind und wenn sie richtig angewendet werden, deren Position erheblich stärken. Aber den Besucher interessiert vor allem: Was gibt es in der Galerie zu sehen? Kurz beschrieben: Die Städtische Galerie erarbeitet Ausstellungen mit Werken der Klassischen Moderne und mit Arbeiten zeitgenössischen Kunstschaffens. Somit wurde das, was in der Stadt nach 1945 bis zur Institutionalisierung der Galerie Tradition hatte, aufgegriffen. Es wurden auch schon vor 1989 Klassiker der Moderne gezeigt und avantgardistische Tendenzen ohnehin. Aber der entschei- dende Unterschied liegt eben in der strengen konzeptionell-inhaltlichen Ausrich- tung der Präsentationen und der überzeugenden, konsequenten Vermittlung der Kunstpositionen. Akademien haben viele Ausstellungsmöglichkeiten Im Bereich der Klassischen Moderne werden themenbezogene Ausstellungen wie „Werner Gothein – Retrospektive“, „Georges Rouault – Miserere“, „Picassos To- ros – Stier und Stierkampf in Pablo Picassos graphischem Werk 1921 bis 1964“ oder „Joseph Beuys – Pflanze, Tier und Mensch“, erarbeitet. Die Ausstellungen im zeitgenössischen Kunstschaffen sind in der Regel jungen Künstlerinnen und Künstlern wie Marco Schuler, Martin Kasper, Karolin und Daniel Bräg oder Ger- hard Langenfeld vorbehalten, die figurative Tendenzen beziehungsweise Grenz- bereiche in der Ausein andersetzung von „Kunstform“ und „Naturform“ diskutie- ren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden in der Galerie relativ viele Akademien mit thematischen Projektausstellungen begleitet. Studierende der Kunsthochschulen aus München, Essen, Mainz, Karlsruhe oder Stuttgart beka- men hier oft erstmals Gelegenheit, sich mit ihrer erfrischend jungen Kunst einem breiteren Publikum zu präsentieren. Mit allem was dazugehört, also auch mit der Herstellung eines wissenschaftlichen Katalogs und die Einblicke in das unum- gängliche Sponsoring. Die professionelle Förderung des Nachwuchses macht sich durchaus bemerk- bar: Viele der Kunstschaffenden, die in Villingen-Schwenningen ihre erste Aus- stellung hatten, wurden auf ihrem weiteren Weg gestärkt. Alleine von diesen Debütanten können sich mittlerweile elf Künstler mit einem Professoren-Titel schmücken. Neben der wissenschaftlichen Erarbeitung der jährlich fünf bis sechs Ausstellungen, die im Schwenninger „Lovis-Kabinett“ und gelegentlich im Villin- ger Franziskanermuseum gezeigt werden, der die Ausstellung begleitenden Ka- taloge sowie der Planung und Organisation des verwaltungstechnischen Bereichs ist die Galerie für die konservatorische Betreuung des Kunstbesitzes der Stadt Villingen-Schwenningen zuständig. Darüber hinaus ist sie Ansprechpartnerin in Fragen „Kunst im öffentlichen Raum“ und „Kunst am Bau“, Vermittlerin zu Ver- bänden, Unternehmen, Kunstakademien, Museen und Galerien. Und zu ihren Aufgaben gehören auch die Kooperationen mit den Partnerstädten. Die Städtische Galerie hat sich zu einer „Schu- le des Sehens“ entwickelt, die viel beachtet wird. Das Oberzentrum Villingen-Schwenningen bietet durch die Ausstellungen der Städtischen Galerie den Kunstinteressierten im regionalen Einzugsbereich des Schwarzwald-Baar-Kreises und dem überregionalen Publikum die Möglichkeit, sich mit Fragestellungen der aktuellen Kunst und der Klassischen Moderne aus- einanderzusetzen. Dadurch wird die Städtische Galerie zur „Schule des Sehens“ und leistet einen unverzichtbaren Beitrag im kommunalen kulturellen Auftrag. Stefan Simon 175
Aus dem Kreisgeschehen 9. Kapitel Geologie: Zur Entstehung von Breg, Brigach, Donau, Elz … Alles ist im Fluss … Von Prof. Dr. G. Reichelt Wir sind gewohnt, unsere Landschaft mit ihren Bergen, Tälern und Flüssen ringsum als nahezu unveränderlich anzusehen, es sei denn durch Eingriffe des Menschen, wie derzeit etwa bei Wolterdingen an der Breg, der größten Baustelle im Schwarzwald-Baar-Kreis, oder in der Doppel- stadt bei den Arbeiten zur Landesgarten- schau. Aber der Eindruck täuscht. Man könne nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen, bemerkte schon Heraklith, und wenn er das auch nur im übertragenen Sinne meinte, so trifft es doch auch auf unsere Flüsse zu. Niederschläge schwemmen ihnen alljährlich tonnenweise steinigen Hangschutt oder lehmiges Feinma terial ein, die als Kies, Sand, Lehm oder Ton mitgeschleppt und irgendwann irgendwo weiter unterhalb wieder abgelagert werden. Diese ständigen, im Einzelfall kaum merklichen Veränderungen summieren sich: werden pro Jahr nur wenige Millimeter abgetragen oder abgelagert, so sind das 100 Jahre später bereits Dezimeter- und nach 1.000 Jahren Meterbeträge. 176
Entlang der Brigach Blick auf die Baar und junge Donau bei Pfohren, im Hintergrund der Wartenberg. Flüsse wie die Donau konnten sich bei uns vor ca. 120 Millionen Jahren ausbilden, als sich das Meer nach Ablage- rung der Juraschichten während der Kreidezeit zurückzuziehen begann. Im Oligozän – vor rund 30 Mio. Jahren – lagen auf der heute flachen Schale der Baar einige hundert Meter Gestein! Wind und Wetter, vor allem die Urflüsse, haben sie nach und nach abgetragen.
Geologie Das ist keineswegs ein realitätsfernes Rechen- exempel. Ist doch die Bodenerosion einerseits an den Äckern unserer Hänge für Jedermann al- lenthalben erkennbar, während andererseits vor- und frühgeschichtliche Funde in den Tal- sohlen von Breg, Brigach, Donau und Neckar heute oft unter einer angeschwemmten, meter- dicken Lehmdecke angetroffen werden: so in den Wiesen der Breg zwischen Hüfingen und Bräunlingen (bis 2,5 m), an der Brigach bei der Villinger Kutmühle (2,5 m), an der Donau zwi- schen Neudingen und Gutmadingen (2 m). Und wer sich über die Gerölle auf dem Villinger Laible oder bei der Lorettokapelle Gedanken macht, auf dem Donaueschinger Schellenberg über die auffallend gerundeten Quarze und gro- ßen Buntsandsteinblöcke rätselt oder am Blum- berger Eichberg auf Gerölle aus den Alpen stößt, der ist schon dabei, der in Deutschland einmali- gen, geradezu dramatischen Geschichte der Flüsse der Baar nachzuspüren. Doch wie bei „richtigen“ Geschichten üblich, sollte man auch Fluss-Geschichten vom Anfang her erzählen. Am Anfang – eine schiefe Ebene … Abb. 1/2 Wie kommen Gerölle und Blöcke aufs Villinger Laible? Der isolierte Muschelkalkberg ist von Schottern aus meist gerundetem Buntsandstein und Quarziten bedeckt. Sie bezeugen einen starken früheren Fluss – vielleicht auch den Gletscher einer frühen Kaltzeit. Rechts: Laible mit Grabhügel Magda- lenenberg. Flüsse konnten sich in unserer Gegend erst bilden, als sich das Meer nach Ablagerung der Juraschichten während der Kreidezeit vor dem sich leicht aufwölbendem gemeinsamen Schild von Schwarzwald und Vogesen („Rheinischer Schild“) nach Osten und Südosten zurückge- zogen hatte, also – heutiger Kenntnis zufolge – vor rund 120 Millionen Jahren. Dabei müssen die ersten Fließgewässer vom Gewölbescheitel zentrifugal abwärts, mithin bei uns in einer schwach geneigten Fastebene nach Osten bis Südosten geflossen sein. Deren einzige Relikte sind die roten (eisenhaltigen) Bohnerz-Lehme auf der Albhochfläche, in unserer Nähe etwa bei Emmingen und Liptingen. Gerölle sucht man vergebens, weil – wie die roten Lehme andeuten – bei offenbar tro- pischem Klima chemische Verwitterung vor- herrschte, wobei kaum harte Trümmer anfal- len. Das anstehende Kalkgestein unterlag überdies der Verkars tung, so dass weder die Wassermengen noch das Gefälle aus- reichten, um gröberen Verwit terungs schutt zu transportieren und tiefe Täler zu graben. Die Flüsse schütteten die roten Lehme und Tone ins Meer nördlich der heutigen, damals noch nicht aus den Tiefen des Meeres aufge- tauchten Alpen, also direkt vor unserer Haus- tür. Das dauerte immerhin etwa 60 – 80 Mio. Jahre, womit wir in der Tertiärzeit und bei rund 40 Mio. Jahren vor heute angekommen sind. 178
Aus dem Kreisgeschehen Das Drama beginnt … Die erwähnte Hebung des Rheinischen Schil- des war nur ein Vorspiel. Da die Afrikanische Kontinentalplatte nämlich ständig nordwärts driftet, kollidierte sie am Ende der Kreidezeit erstmals mit der trägeren Europäischen Platte. Deren Krus te wurde teilweise in die Tiefe „ge- drückt“ und somit aufgeschmolzen, während zum Spannungs- und Massenausgleich weiter nördlich die Alpen zusammengeschoben wur- den. Mit dramatischen Folgen nicht nur für das Meer, sondern auch für den nördlich benach- barten Gebirgsschild. Dessen Scheitel brach nämlich auseinander und sank in mehreren Staffeln als Oberrheingraben in die Tiefe, wäh- rend die Flanken von Vogesen und Pfälzer Hardt jenseits, Schwarzwald und Odenwald diesseits etwas aufgekippt wurden. Zwar verloren damit die früheren Flüs- se ihre Oberläufe, aber ihr Gefälle und da- mit ihre Transportkraft wurden erheblich größer. Einerseits fielen vom neuen Alpenge- birge große Mengen von Schutt an, der nach beiden Seiten ins Meer transportiert wurde; andererseits dehnte sich diese alpine Rand- senke nun wieder weiter nach Norden aus, um- spannte den Hegau und reichte bis zum heuti- Abb. 3 Blick über die Länge und den Fürstenberg (rechts) zum Randen. Auf diesen Höhen lagerten die Urflüsse der Baar ihre Schotter als „Nagelfluh“ ab. gen Schweizer Randen südlich von Blumberg (Abb. 3). So spürten Geologen einige mit inzwi- schen verbackenen Geröllen verfüllte Rinnen zwischen Immendingen und Möhringen auf, die mithin Zeugen für aus der Baar kommende Flüsse sind. Allerdings erlaubt diese „Ältere Ju- ranagelfluh“ noch keine Landkarte vom Ver- lauf der Flüsse. Doch kann man abschätzen, dass sie wohl einige hun dert Meter über der heutigen baaremer Land oberfläche geflossen sein müssen, enthalten sie doch nur Weißjura- gerölle und wenige Stü cke des Braunjuras, so- dass der Obere Jura noch fast die gesamte Baar überdeckt haben muss. Das mag vor 30 Mio. Jahren, im Oligozän, gewe sen sein. Indessen dauerten die Bewegungen der Erd- kruste im Verlaufe der Alpenentstehung an; hier erfolgten gewaltige Aufdomungen, andernorts Aufschmelzvorgänge, welche große Massen verschluckten, was zu beträchtlichen wellen- artigen Bewegungen auch im Bereich des alten Rheini schen Schildes führte. Zunächst brach – vor rund 25 Mio. Jahren im Miozän – ein Meeres- 179
Geologie arm ein und überflutete das Gebiet zwischen der oberen Rhône, dem Hegau und der Ungarischen Tief- ebene. Die Brandung dieses „Mo- lassemeeres“ schuf im Norden im Verlauf von Jahrmillionen eine bis 50 m hohe Kliffküste – man stelle sich die Steilküste Rügens oder der Normandie vor –, dessen Spuren sich als Hohlkehlen im Weißjura- fels von Blumberg über den Süd- hang der Länge, Geisingen, Tuttlin- gen und Sigmaringen bis Donau- wörth verfolgen lassen (Karte 1). Aus der Höhenlage, bei uns zwi- schen 800 und 850 m NN, lässt sich die seither erfolgte Hebung und Kippung abschätzen. z l E St. Georgen Furtwangen W eißjura-Trauf Breg Neustadt a z r a w h c S b l A G u t a c h S c h w a r z a S c Waldshut c h t h l ü Steina Kliffküste Wutach E s c h a c h Rottweil P r i Bära m Esc h ac h e c k a r N Villingen- Schwenningen B rig a c h S c h m ie c h a Kliffküste n a u B ä r a o D Bad Dürrheim B r i E l t a B r e g a c h g Donau- eschingen Tuttlingen Wutach Donau h c Aitra Stockach er A ach Stockach Bonndorf Wutach Blumberg Brandungsplatte e n d – R i n n a Molassebecken G li m m e r s Schaffhausen Radolfzeller Aach 0 10 20 km Gewässernetz der Baar im Miozän (25 Mio. Jahre v. h.) Aus dieser Zeit vor 15 Mio. Jahren, dem Miozän, stammen die ersten präziseren Zeugnis- se auch für die Flüsse der Baar. Es sind Konglomerate der „Jünge- ren Nagelfluh“, die sich teils zu Fä- chern ausbreiten, also frühere Schwemmkegel bezeugen. Ihre Analyse (durch A. Schreiner 1965) erlaubt den Schluss auf vier Einlaufrinnen mit unterschiedlicher Herkunft und bestätigt zugleich eine zunehmende Abräumung der Ge- steinsschichten auf der Baar. Diese Flüsse mit großem Einzugsgebiet lassen sich von Norden nach Süden als Ur-Eschach, -Brigach, -Breg und -Wutach benennen. Deren Ursprünge lagen nicht weit vom ehemaligen Gewölbescheitel über dem heutigen Schwarzwald, der indes noch von den Schichten des Braunjuras (Dog- ger) bedeckt war, während der Trauf des jüngeren Weißjuradaches – dem heutigen Trauf der Alb ent- sprechend – etwa einer Linie Neu – stadt-Vöhrenbach-St. Georgen folg- te (Karte 1). Wer die Karte genau betrachtet, wird bei der Ur-Wutach einen jähen Schwenk nach Osten bemerken. Dazu und zum Zusammenfluss mit Abb. 4 Nagelfluh bei Hondingen. 180 Karte 1 Das Gewässernetz der Baar im Miozän, ca. 25 Mio. Jahre vor heute. der Ur-Breg zwang sie der inzwischen mit glei- cher Richtung eingebrochene Bonndorfer Gra- ben. Dessen Südflanke knickt beim heutigen Achdorf nach Südost ab, und führte im Hegau zu mehreren Phasen des Vulkanismus; dessen westlichste Zeugen sind bei Blumberg das Kum- menried, der später aufgedrungene „Blaue Stein“, das Kirchen-Hausener Hinterried und der Wartenberg. Die Nordflanke des Grabens verliert sich beim heutigen Donaueschingen oder ist nordwärts mit anderen (Südsüdost streichenden) Bruchzonen verzahnt.
Die Flüsse transportierten das inzwischen zerkleinerte und abge- rollte Material als Kiese und Sande in die voralpine Senke des ehema- ligen Meeres. Dort sammelte sich das Stromsys tem der „Glimmer- sandrinne“, welches die aus den Schwemmfächern ausgewaschene Sande (daher der Name) und Schweb dem Meer zuführte. In der Senke wurden im Laufe der Jahrmil- lionen gewaltige Mengen von Kie- sen und groben Sanden aufge- schüttet, die schließlich sogar die Unterläufe der Flüsse stauten; sie ertranken im eigenen Schutt. Da- durch wurden die Täler plombiert und konserviert. Sogar auf dem umgebenden Weißjura wurden mächtige, locker verbackene Jura- nagelfluh-Sedimente abgelagert (Abb. 4). Ihre spätere Wieder-Aus- räumung erlaubt nun die Rekon- struktion des annähernden Ver- laufs der Täler. z l E St. Georgen B rig a c h r i P m Eschach e c k a r E s c h a c h Rottweil N Villingen- Schwenningen Bad Dürrheim Furtwangen Breg Muschelkalk- Stufenrand Neustadt B r e g B r i g a c h Donau- eschingen E l t a G u t a c h Wutach Wutach Bonndorf Donau h c Aitra Blumberg Alles ist im Fluss … S c h m ie c h a W eißjura-Tra uf B ä r a n a u o D B ä r a a r e – D A u a n o Tuttlingen Stockach er A ach Stockach a z r a w h c S b l A Waldshut S c h w arz a h t c h l ü S c Steina Wutach Aare-Donau Molassebecken Schaffhausen Radolfzeller Aach Hegauvulkanismus 0 10 20 km Gewässernetz der Baar im Mittelpliozän (ca. 10 Mio. Jahre v. h.) Karte 2 Das Gewässernetz der Baar im Mittelpliozän, ca. 10 Millio- nen Jahre vor heute. Inzwischen dürfte der Weißjuratrauf um rund 20 km weiter nach Südost zurückgewichen sein, nunmehr auf eine Linie Mundelfingen- Donau eschingen-Schwenningen-Rottweil, wo heu te etwa die Keuper-Lias-Stufe verläuft. Dann muss jedoch die Hebung unterbrochen worden sein, denn die Schuttanlieferung in die inzwischen angefüllte Schwemmebene hörte sowohl vom Schwarzwald als auch von Süden her auf. Die Entwässerungsrichtung kehrte sich in der ehemaligen voralpinen Senke sogar um. Die alpine Aare brach nämlich im westlichen Teil nach Nordosten aus (Karte 2), ebenso der Alpen- rhein weiter östlich. Da die Aare-Donau-Schot- ter anhand ihrer alpinen Quarze und Quarzite aus dem Gotthardgebiet gut zu identifizieren sind, lässt sich der Flusslauf relativ leicht rekon- struieren. Sie floss am Nordrand der ehema- ligen voralpinen Senke und tiefte sich sogar schon in die jüngere Nagelfluh ein, sodass ihr die noch auf ihren eigenen Schottern vagabun- dierenden Flüsse von Norden her folgen muss- ten. Bei uns liegen Aare-Schotter am Eichberg über Blumberg (915 m), auf der Länge über Gut- madingen (Gereut, 900 m), dann beiderseits der heutigen Donau zwischen 900 und 800 m, schließlich bei Sigmaringen in 780 m Höhe. Demgegenüber lieferten die vom Schwarzwald kommenden Flüsse kaum gröberes und bestän- diges Material. Nur winzige Gerölle aus Silexbil- dungen (Hornstein, Jaspis) des Muschelkalks, seltener des Buntsandsteins, sind in Klüften mancher Muschelkalk-Steinbrüche an der Esch- ach (Horgen) und Brigach (Villinger „Zwerg- steigschotter“ nach W. Paul) aus dieser Zeit er- halten. Nachdem sich die Aare-Donau bis 100 m tief in die Nagelfluh und weiter in den Weißjura ein- geschnitten hatte, führten auch die Schwarz- wälder Flüsse wieder grobe Gerölle. Man findet sie heute rund 50 – 100 m über der heutigen Tal- sohle, so an der Eschach (Hausen o.R. und Wil- denstein), an der Brigach (am Villinger Laible s. Abb. 1/2), bei der Breg am Donaueschinger Schellenberg, an der Wutach bei Göschweiler. Sie enthalten oft grobe kantengerundete Bunt- sandsteinblöcke neben bis faustgroßen Quarz- und Quarzitgeröllen. Folglich müssen Schwarz- wald und Baar am Ende des Mittelpliozäns einer 181
Geologie Abb. 5 Donautal am Stiegelefels bei Fridingen. Die- ses Felsental wurde von der Aare-Donau in mehreren Phasen eingetieft. Reste alter Terrassen sind noch zu erkennen. neuerlichen Aufwölbung unterworfen gewesen sein, was zu größerem Gefälle und erheblicher Verstärkung der Schleppkraft führte; vermut- lich war auch eine erste Kaltzeit im Spiel. Natür- lich lagen die Schotter damals nicht auf den Hö- hen, sondern in Talböden, die man sich wie die heutigen, inzwischen durch Erosion rund 100 m tiefer gelegenen weiten Riede der Baar vorzu- stellen hat. … es spitzt sich zu Die von Brüchen begleitete Hebung dauerte – offenbar bis heute – an oder wurde sogar gegen Ende des Tertiärs, im Oberpliozän, neu belebt. Dadurch mussten die Flüsse der Baar tiefer ein- schneiden und lieferten ihre Fracht weiter an die Aare-Donau. Auch diese schnitt noch weiter ein, wie die alten Talmäander rund 100 m über dem heutigen Talboden (z. B. unter dem Tuttlinger Honberg und südlich Nendingens) zeigen (Abb. 5). Doch darunter, also später, fehlen alpine An- teile und es finden sich nur noch Schotter schwarzwälder Herkunft. Folglich muss die Aare-Donau ihren kräfti- gen alpinen Oberlauf verloren ha- ben. Offenbar erfolgte die Hebung des Schwarzwaldes und seiner Um- gebung eher beulenförmig als brettartig und besonders im Süden Abb. 6 Faulenbachtal bei Wurmlingen. Die Eschach schuf dieses Tal und mün- dete vor etwa zwei Millionen Jahren bei Tuttlingen als wichtiger Zubringer in die Aare-Donau, ehe sie zum Neckar hin „umgekehrt“ wurde. 182
Karte 3 Gewässernetz der Baar zwi- schen Endtertiär und Würm-Glazial. kräftiger, so dass die Aare südlich von Blumberg gestaut wurde und schließlich „rückwärts“ über Waldshut nach Westen in die Fuge zwischen Schwarzwald und Jura sowie – das zeigen die Schotter- analysen (Sundgau schotter) – wei- ter durch die Burgundische Pforte zur Rhônesenke auswich. Dem fol g- ten die Unterläufe der Süd schwarz- wälder Flüsse Steina, Schwarza, Mettma und Alb. Sie brachen nach Süden aus. Das mag vor etwa 5 Mio. Jahren gewesen sein (Karte 3). Die Aare musste allerdings ihren Weg nochmals ändern und Abb. 7 Riedbaar bei Donaueschingen. Nach dem Verlust ihrer wichtigsten Zubringer im Laufe des Eiszeitalters ließ die Restdonau die Schotter von Breg und Brigach in der Senke der Riedbaar liegen, „balanzierte“ fortan mäandrierend bis heute darü- ber hinweg und erzeugte häufig gemeinsame weite Hochwasserseen. E s c h a c h N e c k a r Rottweil St. Georgen N Villingen- Schwenningen e c k a r P r i m Alles ist im Fluss … S c h m ie c h a B ära n a u o D Bad Dürrheim B r i g a c h Donaueschingen Bre g B r i g a c h E l t a Tuttlingen W u t a G u c h t a c h h c Aitra Blumberg d ö c h ststa n Stockach er A ach Stockach Eis- H z l E Furtwangen Neustadt a z Bonndorf A l b r a w h c S Aachquelle a h t S c c h l ü Stein Wutach E i s – H d n s t s t a h c ö A l p e n r h e i n Schaffhausen Radolfzeller Aach Tal-Wasserscheiden Waldshut e r a A 0 10 20 km schloss sich an der Wende Tertiär/Pleis tozän dem zuvor an der Kaiserstuhl-Schwelle be- ginnenden heutigen Ober rhein nach Norden an, während der Alpen rhein noch in Richtung Ulm floss. Währenddessen schnitt sich die Restdonau mit ihren Zubringern Wutach, Breg, Brigach und Eschach als „Feldberg-Donau“ noch etwa 50 m in die Alb bis zum heutigen Talboden ein, wo- 183
Abb. 8 Neckartäle bei Dauchingen. Die steilen Hänge verraten die starke rückschreitende Erosion und das tie- fe Einschneiden des vom Rhein auf die Baar heraufgreifenden jungen Neckars seit etwa einer Mio. Jahren. durch die romantische Felsenlandschaft zwi- schen Tuttlingen und Sigmaringen entstand (Abb. 5). Das endete an der Wende des Tertiärs zum Eiszeitalter, also vor rund 2,5 Mio. Jahren, weil die Donau nochmals entscheidend ge- schwächt wurde. Die vom Kniebis kommende starke Eschach floss bis dahin über die „Spai- chinger Pforte“ durch die Prim-Faulenbach-Nie- derung und bei Tuttlingen nahezu ebenbürtig in die Donau (Abb. 6). Inzwischen hatte der dem Rhein tributäre Neckar von Norden her rück- wärts einschneidend die Baar erreicht und zu- erst die der Keuperstufe entlang nach Süden zur Eschach fließende Schlichem angezapft – „ge- köpft“, wie die Geologen sagen. Wenig später kappte er bei Rottweil auch die Eschach selbst. Damit verlor die Donau ab Tuttlingen fast die Hälfte ihres oberen Einzugsgebietes, büßte an Transportkraft ein und konnte nur noch auf- schottern, zumal sich ihr bei Sigmaringen bald die vorrückenden Gletscher des Alpenrheins von Süden her in den Weg stellten und sie bis in die Riedbaar hinauf zurückstauten. Auch die übrigen Flüsse der Baar blieben von Veränderungen nicht verschont. So verlor während der Krustenbewegungen die Brigach ihren Oberlauf, die zur Kinzig abgelenkte Gu- tach und verließ bei Villingen ihre frühere Rich- tung über Dürrheim zum Kötachtal hinter dem Wartenberg vorbei zur Donau. Sie schwenkte südwärts in ihr heutiges Tal bis Donaueschin- gen, wohl begüns tigt durch Verwerfungen in Fortsetzung des Königsfelder Grabens. Hier wurde sie, wie vorher schon die Wutach, Ge- fangene des Bonndorfer Grabens bzw. seiner nördlichen Staffeln in der Riedbaar. Auch die Breg verlor einen Teil ihres Oberlaufs an die Elz und die Wildgutach. Sie lief nicht mehr über den Schellenberg, um sich am Wartenberg mit der Breg zu treffen, sondern glitt während der Eiszeiten an der Muschelkalkstufe des Schel- lenberges ab und mäanderte danach in der Riedbaar, wo sie sich irgendwo bei Donau- eschingen mit der Brigach traf (Abb. 7). Auch die Wutach hatte durch den Bonndorfer Gra- ben ihr Quellgebiet im Mittelschwarzwald ver- 184
Abb. 9 Urachtal bei Hammereisen- bach. Die Täler der Breg und ihrer Zubringer waren in der vorletzten und letzten Eiszeit von Gletschern erfüllt. Beim Dilgerhof hinterließen sie zwi- schen Urach und Fahlenbach impo- sante Rundhöcker. loren, aber Zuwachs durch die vom Feldberg kommende Gutach erhal- ten und war nun vorläufig Haupt- quellfluss der Donau (Karte 3) – wie gesagt: vorläufig. Erdgeschichte – eine unendliche Geschichte Die Spätfolgen der Alpenbildung dauerten im Schwarzwald und auf der Baar auch die nächs- ten beiden Jahrmillionen an, insbesondere die Hebungen. So lagen die Schwarzwaldgipfel im Laufe der folgenden, mindestens fünf bis sieben, von kurzen Warmzeiten (Interglaziale) unter- bro chenen Kaltzeiten, jedenfalls zeitweise über der Schneegrenze. Ab der (fünften?) soge- nannten Mindel-Kaltzeit, sicher aber in der fol- genden Riß-Kaltzeit vor ca. 300.000 – 150.000 Jahren waren die Hochflächen sogar von ech- ten Firnmassen bis mindestens etwa 800 m herab bedeckt. Hauptsächlich waren es Plateau- gletscher wie bei der heutigen Kappenvereisung Norwegens, aber auch Talgletscher mit regel- rechten Gletscherzungen und kleinere Karglet- scher haben bis heute ihre Spuren hinterlas- sen. Zeitweise waren die Täler randvoll mit Firn verfüllt. So dürften die Schotter bei der Villinger Loretto-Kapelle Reste von Moränen der Riß-Kaltzeit sein. Abb. 10 Kleine Gletschermühle bei Hammereisenbach. Mehrere Strudel- löcher („Riesentöpfe“ oder „pot holes“) auf einer Granitrippe am Hang, 100 m über der Talsohle, bezeugen die zeit- weilige Mächtigkeit der damaligen Eis- massen. Alles ist im Fluss … An der Breg liegen zwischen Wolterdingen und Bräunlingen wallartige Moränen vom Eisrück- zug. Das Eis ist aber auch am Schellenberg hin- aufgeglitten und stieß wahrscheinlich sogar bis in die Riedbaar vor. Moränenreste finden sich außerdem am Kirnbergsee und bei Waldhau- sen. Im Bregtal bei Hammereisenbach ist eine typische Eiszeitlandschaft mit rundlichen iso- lierten Buckeln und einem Flankengerinne er- halten (Abb. 9). An der Wutach ist die Ausdeh- nung der Gletscher stark umstritten. Manche Forscher (Pfannenstiel, Hantke) glaubten, der Schwarzwälder Eiskuchen habe im Riß bis an die Alb gereicht, was andere (Paul, Reichelt, Schreiner) bestreiten, weil einwandfreie Spu- ren fehlen (Karte 3). Weniger heftig und lang war die letzte Kalt- zeit, das Würm-Glazial, das von rund 80.000 – 10.000 Jahren vor heute dauerte. Die Schnee- grenze dürfte ungefähr bei 1.000 m gelegen ha- ben. Die Täler der Brigach von St. Georgen bis Unterkirnach und der Breg zwischen Furtwan- gen und Vöhrenbach waren teilweise von Firn 185
Geologie Karte 4 Gewässernetz der Baar seit dem Würm-Glazial. z l E St. Georgen E s c h a c h Rottweil P r i m e c k a r N Villingen- Schwenningen S c h m ie c h a n a u o D B ä r a Breg Bad Dürrheim B r i g a c h Donau- eschingen E l t a Tuttlingen Neustadt G u D o n a u h c Aitra Wutach Bonndorf Blumberg Aachquelle Stockach er A ach Stockach c h l ü h t Steina W utach Radolfzeller Aach Schaffhausen 0 10 20 km Gewässernetz der Baar seit dem Würm-Glazial Wasser gut bestückt, schliff die neue Wutach innerhalb der letzten 10.000 – 20.000 Jahre die großartige rund 100 m tiefe Felsenschlucht im Muschelkalk der Wutachflühen, die sich in der oberen Wutachschlucht bis heute fortsetzt (Abb. 11). Der Leser wird bemerkt haben, dass der Alpenrhein im Tertiär wie die Aare-Donau nach Nordosten zur Donau geflossen sein soll, sich inzwischen aber (Karte 3) im Raum Tiengen/ Abb. 11 Blick auf die Blumberger Pforte. Hier floss die Feldbergdonau bis zur letzten Eiszeit ins heu- tige Aitrachtal. Erst im letzten Glazial vor etwa 20.000 Jahren brach sie nach Süden zum Rhein aus und schuf seitdem das rund 160 m eingetiefte Tal mit den Felsen der Wutachflühen. t a c h S c a z b l A Waldshut r a w h c S Furt- wangen erfüllt. Von den schattenseitigen karartigen Schneegruben der Sei- tentäler her entwickelten sich we- nigstens kleinere Kargletscher. Hierzu haben W. Paul und der Ver- fasser mehrere Studien vorgelegt. Doch wie wirkte sich die Ver- gletscherung auf die Flüsse aus? Sie waren im Winter gefesselt und wasserarm, müssen hingegen wäh – rend der sommerlichen Schnee – schmelze riesige Schutt mengen mit geführt haben. So wurde die Riedbaar durch Brigach und Breg bis zu 20 m hoch tischeben aufge- schottert und der Rest kleinerer Ge- schiebe, Gerölle, Sand und Lehm der Donau weitergereicht (Abb. 7). So war es auch bei der Wutach, der bisherigen Feldberg- Donau. Sie schotterte ihr Bett zwischen Reisel- fingen (780 m) und Blumberg (760 m) so stark auf, dass ihre sommerlichen Schmelzwasser schließlich, wahr scheinlich während des Glet- scherrückzugs, den Weg ins heutige Aitrachtal nicht mehr fanden. Sie lief, sei es plötzlich oder durch mehrere Hochwasser angebahnt, hoch über Achdorf endgültig nach Süden über, viel- leicht begünstigt und (unterirdisch?) vorbereitet durch die Ruscheln und Störungszonen des Bonndorfer Grabens, dessen abknickender Südrand hier die Wutach quert. Dabei traf sie bald auf die Kerbe eines kleinen, vom Rhein mit großem Gefälle heraufgreifenden Baches, nen- nen wir ihn Vor-Wutach. Mit Schleifmitteln und 186
Abb. 12 Oberer Wasserfall im Schlei- febächle bei Blumberg. Der vom Ai- trachtal kommende, ursprünglich der Donau tributäre Bach bezeugt die Ge- walt, mit der die Fließgewässer der Baar – hier von der Wutach – ange- zapft und damit zum Rhein umgelenkt werden. Waldshut mit der Aare vereinigt hat: eine Folge der Eiszeiten. Die umfangreich vergletscherten Al- pen schickten nämlich ihre Glet- scher weit ins Vorland hinein. Der Rheingletscher staute im Riß die Donau bei Sigmaringen zu einem etwa bis Gutmadingen erstreckten Eisrandstausee und kroch im He- gau nördlich von Engen bis 660 m die Alb hinauf. Dann nach Westen abneh- mend, vereinigte er sich mit den Gletschern von Aare, Linth und Reuß und schob sich auf den Hot- zenwald bis 580 m Höhe hinauf. Dadurch bekamen die zum Eis- rand parallel fließenden Schmelz- wasser ein Gefälle nach Westen und glitten beim Eisrückzug im- mer tiefer in die Furche zwischen Schwarzwald und Schweizer Jura, bis der Alpen rhein nach dem Eis- rückzug, nun gemeinsam mit der Aare, zum Hochrhein wurde und seither dem Oberrhein zustrebt. Wie wird es weiter gehen? Be- günstigt durch die frühere Ver- kars tung des Weißjuras verliert die Donau laufend und ständig mehr Wasser an den Rhein. Es „ver sitzt“ an den Versinkungsstel- len zwischen Immendingen und Fridingen im Sommer ganz und liefert (nicht nur) über die Aachquelle dem Rhein zu. Der Krotten- bach schickt sich an, die Baar von Süden her anzugreifen und ist nur noch vier km von der Breg entfernt. Der Neckar hat sich bis ins Schwenninger Moos zurück gearbeitet (Abb. 8) Alles ist im Fluss … und damit die Wasserscheide zwischen Nord- see und Schwarzem Meer erreicht. Und auch das kleine, von Blumberg kommende Schleife- bächle greift seinerseits das Aitrachtal an. So wird es wohl weitergehen: Gewinner wird wei- terhin der Rhein sein, Verlierer die Donau. 187
Im Steinbruch im Groppertal: Mit einem Blick vier typische Gesteinsarten des Schwarzwalds erkennen Der Steinbruch im Groppertal ermöglicht faszinierende Einblicke in die Erdgeschichte. Eine detaillierte Beschreibung zu diesen Bildern bietet der Text auf der folgenden Doppelseite. 188
Aus dem Kreisgeschehen
Im Schwarzwald-Baar-Kreis gibt es ausgespro- chen viele geologische Sehenswürdigkeiten und unterschiedliche Gesteine. Auf dem Weg von Güten bach nach Öfingen haben wir bereits acht Formationen durchquert: Gneis, Granit, Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper, Lias, Dogger und Malm, und das auf etwa 40 Kilome- tern. Wir sind dabei aus dem Schwarzwald in die Baar-Mulde und auf die Südwest-Alb ge- langt und haben uns nebenbei durch eine Zeit- spanne von Millionen, ja sogar Hunderte von Millionen Jah ren bewegt. Bei der Beschäftigung mit der Geologie macht man die Erfahrung, dass mehr Wis sen auch mehr Freude am Naturerlebnis bringt, z. B., wenn man bei einer Wanderung Zusam men hän- ge erkennt zwischen der Bodenbeschaf fenheit und den Pflanzen, die darauf wachsen. Auch das Bestimmen der Gesteine kann zum span- nenden Hobby werden. In der Übersichtskarte des Schwarzwald-Baar-Kreises sind wesent- lich mehr Geotope (das sind geologisch wich- tige und bemerkenswerte Plätze) eingetragen, als in einem Almanach je beschrieben werden könnten! Der Steinbruch im Groppertal Er liegt ca. 4 km westlich vom Kirnacher Bahn- höfle an der Groppertalstraße. Am Wochenen- de ist er vom geschlossenen Eingangstor aus gut zu überblicken, eine Besichtigung in den Betriebszeiten ist wegen der ein- und ausfah- renden Lastwagen nicht möglich. Abbildungen oben Links: Eine „Hühnerfährtenplatte“, wo es doch kein Federvieh gab! Was man sieht, sind Fress- Spuren von Würmern, die sich im Sand erhalten haben. Mitte: Gleichmäßige Ablagerung feiner Kiese auf dem Buntsandstein. Rechts: An diesem Buntsandstein kann man die Ablagerung im Wasser nachvollziehen. Feine und gröbere Lagen wechseln sich ab und lassen auch eine Schrägschichtung durch Strömungs- änderung erkennen. Abbildungen unten Links: Granitporphyr mit großem Feldspatkris- tall, wie er in dem Gestein häufig ist. Der Porphyr wird nicht zu Schotter verarbeitet, sondern in Blöcken für Mauern und dekorative Einfassun- gen verwendet. Mitte: Das Salband. Durch Hitze und Druck ver- änderte der glühend heiße Porphyr den Gneis an den Kontaktzonen total. Der Gneis wurde eingeschmolzen, und es entstand Neues: eine homogene Masse, wie an der geschliffenen Vor- derseite des Handstücks zu erkennen ist. Rechts: Stück einer Harnischfläche, die als gro- ße Wand im Steinbruch zu sehen ist. Auch hier hat der Gneis sein Gesicht verloren. Durch Rei- bung und Verschiebung blieb nur eine kompak- te, glänzende Masse übrig. 190
Wir sehen wie in einem aufgeschlagenen Lehrbuch typische Gesteine des Schwarzwalds. Das Hauptgestein ist ein Gneis (Paragneis), wie er häufig im Schwarzwald vorkommt. Wei- ter links in der Wand fällt uns sofort ein hel- les Gestein auf, das einst als schmelzflüssige Masse aus der Tiefe aufstieg und als Gang in den Gneis eindrang. Es ist ein magmatisches Gestein, Granitporphyr genannt, der mit schön ausgebildeten Feldspatkristallen durchsetzt ist. Feldspäte sind helle, weißliche Minerale, die neben Quarz und Glimmer Hauptbestandteile des Granits und auch des Granitporphyrs sind. Wenn wir auf die rechte Hälfte unseres Ge- steinspanoramas blicken, liegen über dem stark zerrütteten Gneis offensichtlich ganz andere Ge- steine. Es sind Sedimente, die auf dem Grund- gebirge abgelagert wurden: Zuerst ein alter Sand stein, aus dem Zeitalter des Perm, auch Rotliegendes genannt, und darüber der viel jüngere Buntsandstein, der ja im Schwarzwald als Deckgebirge häufig vorkommt. Noch etwas fällt auf: Die nach links geneigte Schräglage der beiden Sediment-Pakete. Durch eine Ver- werfung im Untergrund wurden sie gekippt, blieben von der Abtragung verschont und uns bis heute erhalten. Bei der Betrachtung des großen Panora- mafotos (siehe Seite 188/189) fällt noch ein De- tail auf: Harnisch-Bildung im Gneis. Die glatte schwarze, bis ins Wasser reichende Wand unterhalb des roten Abraumfahrzeugs ist eine ehemalige Verwerfungsfläche und dokumen- tiert die Bewegung Gestein gegen Gestein. Das Foto zeigt auf einen Blick vier Gesteinsarten Links: Dieser rote Porphyr stammt aus der West- wand des Steinbruchs. Durch schnellere Abküh- lung bildeten sich keine Großkristalle aus. Rechts: Pegmatit – aus gasreichem Magma ent- standenes, sehr großkörniges Ganggestein. Es wurde mit dem Porphyr hochtransportiert. ganz unterschiedlicher Zusammensetzung und Eigenschaften. Da wäre der Para gneis: ein metamorphes Gestein, das vor ca. 340 Millio- nen Jahren durch einen gewaltigen Umwand- lungsprozess aus mehreren anderen Vorläufer- gesteinen, z. B. aus Sand-, Ton-, und Kalkstei- nen, in ungefähr 30 km Tiefe bei hohem Druck und Temperaturen bis zu 600° C entstand. Gra- nitporphyr: ein magmatisches Gestein, das dem Granit sehr ähnlich ist. Es stammt aus einem flüssigen Magma und bahnte sich durch den Gneis als Gang einen Weg nach oben. Weiter Buntsandstein und Arkose: zwei Sedimentge- steine, als Abtragungsprodukte ehemaliger Ge- birge, die auf der Erdoberfläche durch Wasser und Wüstenwinde ausgebreitet worden sind. Karin Schinke Die auf dieser Seite unten links und rechts abgebil deten Gneis-Handstücke unterscheiden sich im Aussehen vom üblichen Gneis des Stein- bruchs. Sie enthalten die Minerale Cordierit und Sillimanit. 191
10. Kapitel Umwelt und Natur Die Eichen Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 4) Text und Fotos von Wolf Hockenjos Wenn auch wohl immer fraglich bleiben wird, welchem unserer Bäume vor den andern der Preis der Schönheit gebühre, so ist dagegen um so gewisser, dass keiner unter ihnen in höheren Ehren steht als die Eiche. Uns Deutschen zumal ist es zur Gewohnheit geworden, in derselben ein Symbol und Wahrzeichen des Vater- landes zu sehen und, wo unsere Dichter von deutscher Tapferkeit und Treue singen, da gedenken wir auch gerne der deutschen Eiche. H. Masius: Deutscher Wald und Hain in Bild und Wort, 1870 Im Wald von einst, wie wir ihn uns vor Beginn der menschlichen Einflussnahme vorzustellen haben und wie er sich uns aus dem in den Mooren konser- vierten Blütenstaub erschließt, waren Eichen vor al- lem auf der Baar, aber auch im angrenzenden Baar- schwarzwald überrasch end stark vertreten. Über- wiegen doch da wie dort abzugsträge, staunasse Ton-, Ton- lehm- und Mergelböden, die der Stieleiche (Quercus robur L.) behagen. Für das Auge des Waldbesuchers gibt sie im fortgeschrittenen Baumalter das Urbild an Knorrigkeit ab, dem Geschichtsbewussten gilt sie als deutschester aller Bäume, weshalb sie auch den Zweitnamen „Deutsche Ei- che“ trägt. Zur Beschreibung uralter, verwitterter, womög- lich „tausendjähriger“ Eichen-Veteranen pflegen vaterlän- disch gesinnte Autoren denn auch gerne das Klischee vom unbeugsamen, trutzigen „Baumrecken“ zu verwenden. Nur in den Stromtälern, daselbst in der sogenannten „Hartholzaue“, kommt die Stieleiche hierzulande noch häufiger vor als im „natürlichen Wald von einst“ auf den Tonstandorten der Baar, des Hohenloheschen oder der Ost- Die Wälder von einst waren eichenreicher – auch auf der Baar; so wie heute noch der Unterhölzer Wald zwischen Pfohren und Unterbaldingen. 192 192
Baumoriginale – Die Eiche 193
Umwelt und Natur alb. Eichen treiben im Frühjahr recht spät aus und erweisen sich so als erstaunlich frosthart – im Spätfrostklima der Hochebenen und der Kaltluftwannen ein wichtiger Wettbewerbsvor- teil dieser lichtbedürftigen, daher den Strah- lungsfrösten der Kahlflächen in besonderem Maße ausgesetzten Baumart. Erfrieren die noch zarten Eichenblätter dennoch einmal, so ist der Baum mit Hilfe nachgeschobener „Jo- hannistriebe“ zur Schadensbegrenzung in der Lage. Mit ihren tief reichenden Pfahlwurzeln sind Eichen vom Sturm kaum auszuhebeln; ihre Standfestigkeit ist nachgerade sprichwörtlich. Im Verbreitungsgebiet der Weißtanne samt sich unter Eichenkronen mit Vorliebe Tannen- Nachwuchs an: Beide zusammen, Eichen und Tannen, bilden auf den sturmwurfgefährdeten Keuper- und Braunjura-Tonstandorten der Ost- baar eine unschlagbar stabile Mischwaldge- sellschaft. Da ist es nur konsequent, wenn die heutige „naturnahe Waldwirtschaft“ nach den Orkanschäden ausgangs des 20. Jahrhunderts da und dort bemüht war, die Sturmflächen mit diesen beiden krisenfesten Baumarten wieder aufzuforsten. Eichenträufe an den Westrän- dern der Wirtschaftswälder sind wahre Boll- werke gegen deren Sturmanfälligkeit. Dass die Eichen (wie zumeist auch die Tan- nen) im Wald von heute rar geworden sind, hat Ursachen: Zum einen setzen ihnen die hohen Rehwildbestände der Neuzeit zu. Denn schon ab dem Keimlingsstadium wird der Nachwuchs Eiche mit Eichberg, bei Blumberg. 194 Rechte Seite oben: „Huteeichen“ im Naturschutz- gebiet Tannhörnle bei Villingen, Überreste einer Schweineweide vor den Toren der Zähringerstadt. Unten: Zeuge aus eichenreicherer Zeit: ein Eichen- trauf bei Volkertsweiler. heftigst vernascht. Zum andern war es, wald- geschichtlich betrachtet, die besondere Wert- schätzung von Eichenholz durch die Schiffs- bauer, die vielerorts zum Raubbau verführt hatte. Die Tannenflöße auf dem Neckar führten als „Oblast“ zumeist auch noch Eichenstämme mit – solange man deren noch habhaft wurde. Am ehesten hat die Eiche seitdem an den Wald- rändern überlebt, weil sie hier als besonders lichtbedürftige Art nicht aus den Nadelholz- fors ten „hinausgedunkelt“ werden konnte. „Auf den Eichen wächst der beste Schinken“ Wahrscheinlich wären die Eichen heute noch sehr viel seltener, wären sie nicht, zumindest in Siedlungsnähe, seit unvordenklichen Zei- ten auch gezielt gefördert worden: die Eichel- mast war, vor Einführung der Kartoffel, für die Schweinehaltung unverzichtbar. „Auf den Eichen wächst der beste Schinken“, behaup- teten daher die Alten. Letzte Überreste vor- maliger Schweineweiden finden wir noch an den Waldrändern nahe Volkertsweiler, vor allem aber auf dem Villinger „Laible“ und westlich an- grenzend im Naturschutzgebiet „Tannhörnle“. Anzumerken ist es den übrig gebliebenen Eichen längst nicht mehr, dass unter ihnen einst Hausschweine gewühlt haben: heute labt sich das Schwarzwild an den Eicheln, und der Eichelhäher legt damit seine Vorratsnester an. So sind es meist nur noch Flur- und Gewannna- men, die an die mit Eichen bestockten Schwei- neweiden erinnern: Ein „Eichbühl“ bei Sin- kingen, ein „Eichenberg“ bei Niedereschach, ein „Eichwäldle“ bei Volkertsweiler wie auch eines bei Unadingen, der „Eichberg“ bei Blum- berg und ein weiterer „Eichbühl“ bei Blumegg jenseits des Wutachgrabens. Wenigstens ein paar wenige Eichen finden sich noch in der Feldflur rund um die Hüfinger „Eichhöfe“.
Umwelt und Natur In memoriam Marian Lewicki: Sühnekreuz am Fuß der Eiche, an welcher 1943 ein Verbrechen geschah. Die Eiche auf dem Magdalenenberg Ausgerechnet der Schweinehaltung längst ver – gangener Jahrhunderte also verdanken wir den unbestritten formschönsten Baumsolitär des Landkreises: die Eiche am Magdalenenbergle, unmittelbar neben dem Grabhügel des Kel- tenfürsten. Der auf einem sanften Muschel- kalkrücken zwischen Villingen und Rietheim wurzelnde, weithin sichtbare, rund 350 Jahre alte Baum verleiht dieser Landschaft zugleich räumliche wie historische Tiefe. Eichen wuch- sen hier, ausweislich der mächtigen eichenen Balken in der Grabkammer des Fürsten, schon in der Hallstattzeit (600 – 500 v. Chr.), zu be- sichtigen im Franziskanermuseum der Stadt. Belegt ist auch, dass der angrenzende Laible- 196 wald noch bis ins 18. Jahrhundert aus wert- vollsten Eichen bestanden hat. Die kamen je- doch im Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714) abhanden, weil sie – wie weiland nach 1945 Schwarzwälder Tannen und Fichten – von den Franzosen abgeholzt und als „Kontribution“ außer Landes geschafft worden sind. Betagtere Villinger erinnern sich noch lebhaft, dass aus dem prächtigen Baum am Fürstengrab nach 1933 plötzlich die „Adolf- Hitler-Eiche“ wurde, ein Schicksal, das im „Tausendjährigen Reich“ so manchem Baum widerfahren ist. Unter der breit ausladenden Eichenkrone sollen damals mit braunem Pomp Vermählungen inszeniert worden sein. Doch nicht etwa deswegen wurde der Stamm um die Mitte der 1980er-Jahre so heftig mit Äxten malträtiert, dass sich der Stadtrat dazu ge- zwungen sah, das Baumdenkmal für 20.000 DM baumchirurgisch sanieren zu lassen und ihn fortan vor Vandalentum mit einem hohen Metallzaun zu schützen – ein in der Geschichte des Baumdenkmalschutzes ziemlich beispiel- loser Vorgang. Nicht bewahrheitet haben sich – zum Glück für das Ansehen des stolzen Baumes – die in der Stadt kursierenden Gerüchte, wonach an diesem Baum im Jahr 1943 ein polnischer Zwangsarbeiter gehenkt worden sei. Sein „Verbrechen“ war es gewesen, zur Unzeit ein Liebesverhältnis mit einer Villinger Bürgers- tochter eingegangen zu sein. Wie gründliche Recherchen des Geschichts- und Heimatver- eins ergaben, hatte der Volksmund die vorma- lige „Hitlereiche“ zu Unrecht in „Poleneiche“ umgetauft; in Wahrheit war die Hinrichtung an einer Eiche etliche hundert Meter weiter west- wärts vollzogen worden. Unter ihr ist 1988 zum Gedenken an Marian Lewicki und an die an ihm begangene Untat ein Sühnekreuz errichtet worden. Die Eiche auf dem Villinger Magdalenenberg ist zwar nicht die älteste, aber die schönste weit und breit. Spektaku lär ist ihre Nachbarschaft: beim Hü- gel rechts handelt es sich um das berühmte kelti- sche Fürstengrab. Der Metallzaun soll die Eiche vor Vandalismus schützen – Baumschutz im 21. Jahr- hundert.
Militäruhren und ihre Hersteller
Umwelt und Natur In Tannheim steht – mit Rang 76 – eine der stärksten Eichen Deutschlands Der Eiche am Magdalenenbergle gebührt zwar unzweifelhaft der Schönheitspreis, doch die stärkste und älteste im Landkreis ist sie bei- leibe nicht. Die steht, mit einem Stammum- fang von fast acht(!) Metern und einem (wohl etwas überschätzten) Alter von 850 Jahren, nur ein paar Kilometer weiter südwärts: die Tannheimer Eiche. Mit ihren Maßen kann der knuffig-gedrungene Baum in der Liga der pro- minentesten Eichen des Landes mithalten: Im weltweiten Netz, bei Wikipedia, rangiert sie auf Platz 76 im Ranking der stärksten Eichen der Bundesrepublik. Kontinentweit, gewisser- maßen in der Champions League der stärks- ten Bäume, lassen sich freilich noch weit mächtigere Eichen finden, angeführt von der südschwedischen Kvilleken, die mit ihren 15 Metern Stammumfang als die dickste Eiche Europas gilt! 198 Wie bei Hofbäumen nicht unüblich, dürften die knorrigen Äste des Tannheimer Naturdenk- mals einst „geschneitelt“ (gestümmelt) wor- den sein, wann immer es dem Eigentümer an Brennholz und an Stallstreu gefehlt hat. Auch die Hausschweine werden darunter gewühlt haben: hinlänglich Grund, den Baum über die Jahrhunderte alt und älter werden zu lassen. Unterhölzer Wald – einer der schönsten Eichenwälder des Landes Eichelmast war nicht nur für die Schweinehal- ter von Nutzen, auch die standesherrschaft- liche Wildhege war auf sie angewiesen. Ihr vor allem verdanken wir die Tatsache, dass heute im eins tigen Fürstlich Fürstenbergischen Wildpark „Unterhölzer Wald“ noch einer der schönsten Eichenwälder des Landes zu be- staunen ist: Wo sonst findet sich eine solche Ansammlung von malerischen, bis zu 500-jäh- rigen Eichen- (und Buchen-)Gestalten? Dass viele von ihnen altershalber bereits im Absterben begriffen sind, verstärkt noch das düster-roman – tische Bild, das uns bisweilen an Cas- par David Friedrich erinnert. Nicht nur Forstleute fühlten sich hier „in die Waldwelt der Vorzeit versetzt“, wie es in einem Exkursionsbericht schon aus dem Jahr 1855 heißt, und nicht nur Fachleute rätselten über die Ent- stehung dieses einzigartigen, 1939 unter Naturschutz gestellten Waldes. War er der Rest eines Urwaldes, „da- rinnen keine Axt gehauen“, wie es in den FF-Waldakten 1787 heißt, im glei- chen Jahr, als man sich daran machte, den Wald als Wildgehege einzugat- tern? Wahrscheinlich reicht seine Entstehung auf die im Mittelalter weit verbreitete „Mittelwaldwirtschaft“ zu- Links und Seite rechts: Der älteste Baum des Schwarzwald-Baar-Kreises ist die Tannheimer Eiche. Sie hat ein geschätz- tes Alter von 850 Jahren.
Theater
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rück, bei welcher eichene „Kernwüchse“ das Bauholz, Stockausschläge das Brennholz zu liefern hatten und wo man obendrein das Vieh hinein zu treiben pflegte. So oder so ähnlich wird man sich auch schon den bronzezeitlichen Wald auf der Baar vorzustellen haben. Sicher ist, dass die heutigen Starkeichen ihr Überdauern der standesherrschaftlichen Jagd verdanken: der Nutzung des Unterhölzer Waldes als Wildpark, nach Auflassung des Gatters im Jahr 1915 auch heute noch der Dam- wildjagd. Unterdessen ist er zum beliebten Naherholungswald geworden, nicht minder ge- schätzt als Lebensraum und Rückzugsgebiet zahlreicher Rote-Liste-Arten (wie des sehr sel- tenen Mittelspechts und vieler weiterer Baum- höhlenbewohner). Andererseits verhindert die heutige Jagdwirtschaft jedoch mit ihrem stark überhöhten Dam- und Rehwildbesatz die na- türliche Reproduktion der Eichen, mag sich der Eichelhäher noch so ins Zeug legen mit seiner Vogelsaat. Weil Eichen überdies, nach Auskunft der amtlichen Waldzustandsberich- te, noch immer am stärksten geschädigt sind durch Luftschadstoffe und Klimawandel, könn- te es um die Eichenpracht im Unterhölzer Wald eines nicht allzu fernen Tages geschehen sein. Die gegenwärtig kapitalste Eiche des Un- terhölzer Waldes, mit einem Umfang in Brust- höhe von 5,80 m, steht gleich am Waldeingang beim Parkwärterhaus; ein nicht viel schmäch- tigeres Exemplar (mit 5,60 m Umfang) befindet sich am Rande der zentral gelegenen Königs- wiese. Sie ist, ausweislich einer geschnitzten Tafel am Stamm, dem heiligen Maximilian und dem Andenken an S. D. Max Prinz zu Fürsten- berg (1896 – 1959) gewidmet. Die Wiese selbst schmückt mit breit ausladender Krone und Der Unterhölzer Wald ist einer der schönsten Eichenwälder weit und breit. Die mit einem Umfang von 5,80 m stärkste Eiche des Unterhölzer Waldes steht am Parkwärterhaus gleich am Waldeingang (linke Seite oben). Auch die Lebenszeit von Eichen ist begrenzt, links unten die Ruine einer vom Sturm gefällten Eiche. Rechts: Die Maximilian-Eiche im Unterhölzer Wald, gewidmet dem Hl. Maximilian und Max Prinz zu Fürstenberg. Baumoriginale – Die Eiche einem Stammumfang von 5,30 m eine typische „Huteeiche“, wie man sie sonst allenfalls aus sehr lichten Weidewäldern kennt. 201
Umwelt und Natur Das Baumoriginal „Buchene Stum- pen“ – eine Eiche als Grenzbaum Außerhalb von Schutzgebieten, erst recht in der vielerorts ausge- räumten Feldflur der Baar, haben Eichen heute wahrlich keinen leich- ten Stand. Schöne alte Bäume wer- den da vor allem als Hindernisse bei der Feldbestellung gesehen. Da und dort finden wir sie noch längs alten Wegen, versteckt in Flurge- hölzen oder an Besitzgrenzen. Im südlichsten Zipfel des Landkrei- ses, unweit des Dorfes Randen, an der einstigen, von Napoleon kor- rigierten Landesgrenze zwischen der vormals eidgenössischen Ge- markung Epfenhofen und der dem Großherzogtum zugeschlagenen Herrschaft Tengen-Nellenburg, be- findet sich – unmittelbar neben dem alten Grenzstein – das kurio- seste Baumoriginal des Landkrei- ses: der „Buchene Stumpen“, ein Grenzbaum, der freilich durchaus keine Buche ist, sondern eine ca. 700-jährige Eiche mit dem respek- tablen Stammumfang von knapp fünfeinhalb Metern. Leider ist der gedrungene hohle Stamm bereits ziemlich hinfällig: Schon in den 1950er-Jahren drohte er vollends auseinanderzubrechen, seither waren wieder- holt die Baumchirurgen am Werk, haben die Faulstellen des Stammes ausgeschabt, ihn mit Eisenstäben verklammert und die auseinander klaffende Krone an einem zentral eingepflanz- ten hölzernen Pfosten mittels Drahtseilen be- festigt. Seinen in die botanische Irre führenden Na- men verdankt der Baum dem längst verschwun- denen Strunk eines Nachbarbaumes: einer vor Zeiten vom Blitz zerschmetterten Buche. Was zeigt, dass es die dichtende Volksüberliefe- rung (wie schon bei der Villinger „Poleneiche“) nicht immer ganz so genau nimmt. Oder wollte sie die Volksweisheit Lügen strafen, welche uns – sträflicherweise – bei Gewitter rät: von 202 Der „Buchene Stumpen“ beim Dorf Randen, der eine Eiche ist. Der Pfosten in der Mitte stützt die Krone, mit Eisenstäben ist der Stamm verklammert. den Eichen sollst Du weichen, und die Buchen sollst Du suchen? Weder die einen noch die an- deren bieten Schutz! Die Traubeneichen am „Hauberg“ Im Gebirge klettern Eichen kaum jemals über die 900 m-Höhenschichtlinie hinaus. In den mittleren Schwarzwaldlagen ist es freilich nicht die Stieleiche, sondern deren nahe Verwandte, die Traubeneiche (Quercus petraea), die hier vor allem wärmere Felsstandorte besiedelt. Als wirt- schaftswichtige Lieferantin von in der Eichen- rinde produziertem Gerbstoff, wurde sie auf sommerseitigen Hängen bis weit in das zwan- zigste Jahrhundert kräftig gefördert.
Im Gegensatz zur Stieleiche treiben ge- fällte Traubeneichen aus den Stöcken wieder aus und lassen sich deshalb als „Niederwald“ bewirtschaften. Es entstanden so die noch an- fangs des zwanzigsten Jahrhunderts weitver- breiteten „Eichenschälwälder“. Zur Gewinnung von Gerberlohe wurden die Eichenstämmchen alle 15 bis 20 Jahre geringelt, hernach wurde die Rinde abgeschält. Zur richtigen Jahreszeit gehauen, trieben die Eichenstöcke alsbald wie- der aus, und nach abermals 15 Jahren konnte die Prozedur wiederholt werden. Im nördlichsten Zipfel des Landkreises, auf Gemarkung Gremmelsbach, deutet der Na- me „Hauberg“ (im Naturschutzgebiet Schloss- berg-Hauberg) noch heute auf die einstige Nie- derwaldnutzung hin. Besonders bemerkenswer- te Baumpersönlichkeiten suchen wir da freilich vergebens. Als desto schutzwürdiger erweist sich die Eichengesellschaft zwischen den wär- menden Granitfelsen, hat sich hier doch, für den Schwarzwald einzigartig, ein Bestand der Eichenglucke (Phyllodesma tremulifolia) erhal- ten, eines auf Eichen angewiesenen ex trem seltenen Falters. Was uns lehrt, dass Trau- beneichenwälder auf diesen sommerseiti gen Standorten auch schon vor der Niederwaldnut- zung vorgekommen sein müssen. Im „Kaltluftsee“ der Baar kommt die wär- mebedürftigere und spätfrostempfindlichere Baumoriginale – Die Eiche Traubeneiche nur an ganz wenigen Sonder- standorten vor, so in den Wutachflühen oder im Neckartäle bei Dauchingen, wo sie sommer- seitige Felsgalerien besiedelt. Für den Laien sind die beiden Eichenarten nicht leicht unterscheidbar, zumal es auch zu Bastardisierungen kommt: Die Eicheln der Trau- beneiche sitzen, zu Trauben gehäuft, an fast ungestielten Ständen, während die Eicheln der Stieleiche (daher der Name!) an Stielen her- anreifen. Äußerlich erkennbar sind Trauben- eichen an der etwas glatteren Rinde der auf den Felsstandorten meist stark gekrümmten Stämme. Ganz anders als in der wintermilden Schwarzwald-Vorbergzone, wo pfeilgerade Trau- beneichenstämme dem Waldeigentümer wert- vollstes Furnierholz zu liefern vermögen. Die dritte mitteleuropäische Eichenart, die zierlichere Flaumeiche (Quercus pubescens), soll hier nur am Rande erwähnt werden, kommt sie bei uns doch nur im mediterran getönten Klima des Kaiserstuhls vor. Dort, wohin mobi- le Schwarzwälder und Baaremer am Wochen- ende ihre Frühlingsspaziergänge zu verlegen pflegen, wenn sie des Winters da oben end- gültig überdrüssig sind. Ehemaliger „Eichenschälwald“, ein Traubeneichen- wald im Naturschutzgebiet Schlossberg-Hauberg bei Gremmelsbach.
Umwelt und Natur Schwarzkehlchen wieder häufiger Im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden gegenwärtig mehr als 40 Brutpaare gezählt In Baden-Württemberg nimmt der Brutbestand des Schwarzkehlchens seit Jahren zu. Den noch vor 20 Jahren seltenen Singvogel findet man in fast allen Landesteilen. Im Schwarzwald- Baar-Kreis tauchte das Schwarzkehlchen Ende der 1980er-Jahre auf. Felix Zinke entdeckte das erste Brutpaar 1987 im Aitrachtal bei Blumberg. Eine quantitative Erfassung der Brutvögel unseres Kreises im Jahre 2007 erbrachte das stolze Ergebnis von über 40 Brutpaaren. Die Zahl der in Baden-Württemberg brütenden Schwarzkehlchen wird aktuell auf etwa 600 Brut- paare geschätzt. Typischer Lebensraum des Schwarzkehlchens auf der Baar. Das Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola) ist ein Singvogel aus der Gattung der Wiesenschmät- zer (Saxicola) und der Familie der Fliegenschnäpper (Muscicapidae). Das Männchen fällt durch sein kontrastreiches Ge- fieder auf: Der schwarze Kopf mit der schwar- zen Kehle wird durch einen weißen „Kragen“ abgegrenzt. Die Brust ist auffällig braunoran- ge, der Bauch hell. Das Weibchen ist dagegen weit schlichter gefärbt. Es überwiegen leicht abgestufte Brauntöne, es hat einen braun ge- scheckten Kopf, eine etwas hellere rotbraune Brust und kein Halsband. Männchen und Weib- chen sind am Flügel schmal weiß gestreift. Schwarzkehlchen wippen ständig mit Flügeln und Schwanz und sind mit 12,5 cm Körperlänge so groß wie Rotkehlchen. Zum Gesang ist anzumer ken, dass man häufig ein „fid, tack, tack“ hört. Diese Schimpflaute hören sich ein wenig so an, als ob man zwei Steine aneinander schlägt. Der Gesang erinnert ei- nen an die Heckenbraunelle und Weibchen des Schwarzkehlchens auf Ausblicks- und Ansitzwarte. 204 besteht aus zwitschernden, abgerissenen Stro- phen. Schwarzkehlchen singen von erhöhten Warten aus, Singflüge sind eher selten. Lebensraum und Verhalten Im Bereich des Schwarzwald-Baar-Kreises sind, anders als vielfach beschrieben, extensiv genutzte Feuchtwiesen und Riede die bevor- zugten Lebensräume des Schwarzkehlchens. Es teilt diese im Bereich der Baar vielfach mit dem nahe verwandten Braunkehlchen. Schwarzkehlchen mögen son- ni ges, offenes Gelände mit er höhten Ansitzwarten wie vorjährige Pflanzenhalme, nied rige Büsche oder Pfosten von Weidezäunen. Das Männchen nutzt diese Erhöhungen, um mit seinem Gesang sein Revier abzugren- zen. Bei der Jungenaufzucht dienen sie vielfach als Aus- gangspunkt für Jagdflüge auf
Auffällig und unverwechselbar: das Männchen des Schwarzkehlchens. Es hat einen schwarzen Kopf und einen weißen Halsring, die Vorderseite ist braunorange gefärbt. vorbeifliegende Insekten. Für die Anlage des Nestes werden bevor- zugt brachliegende Bereiche ge- nutzt. Dort baut das Weibchen in Bodennähe in dichter Vegetation das Nest. Schwarzkehlchen tauchen be- reits Ende März/Anfang April in ihren Brutgebieten bei uns auf. Sie können so recht früh mit ih- rem Brutgeschäft beginnen. Die Brut und die Aufzucht der Jungen dauern etwa sechs Wo- chen. Offensichtlich steht den Schwarzkehl- chen bereits ab Mitte April auch bei uns schon genügend Nahrung für die Aufzucht der Jungen zur Verfügung. Ob dies die Folge einer Klima- veränderung ist, müsste noch geklärt werden. Die Nahrung besteht überwiegend aus Insekten und deren Larven und Spinnentieren. Die meisten Schwarzkehlchen verlassen Mitteleuropa im Winter. Ihre Überwinterungs- gebiete liegen vor allem im Mittelmeerraum. Theater Schutzmaßnahmen Entscheidend für den Schutz des Schwarzkehl- chens ist der Erhalt seiner typischen Lebens- räume. Extensiv bewirtschafteten Feuchtwie- sen und ungenutzten „Inseln“ kommen in die- sem Zusammenhang eine bedeutende Rolle zu. Alle Maßnahmen zum Schutze des Schwarz- kehlchens kommen auch dem Braunkehlchen zugute. Seine Brutbestände nehmen seit Jah- ren auch auf der Baar sehr stark ab. Text und Fotos: Helmut Gehring Das Brutpaar ist zum Füt- tern der Jungen bereit, im Schnabel steckt die Nahrung für den Nachwuchs. Kleines Bild oben: Ende Mai schon flugfähig: junges Schwarz- kehlchen.
Landwirtschaft Einkaufen beim Bauern Direktvermarktung im Schwarzwald-Baar-Kreis von Birgit Schwarzmeier und Wilfried Dold / Fotos: Wilfried Dold Die Landwirtschaft im Schwarzwald-Baar-Kreis kämpft ums Überleben, die Bauern sind massiv in ihrer Existenz bedroht. Die gegenwärtig schlechtesten Erzeugerpreise für Fleisch, Milch und Getreide seit 50 Jahren überschatteten auch den farbenfrohen Erntedankfest-Umzug des Jahres 2009 in Mundelfingen (Bild). Immer weniger Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis können von der Landwirtschaft leben: Von 1.127 Haupterwerbsbetrieben im Jahr 1971 existieren im Jahr 2009 gerade noch 450. Die Zahl der einst 2.906 landwirtschaftlichen Betriebe hat sich zwischen 1971 und 2009 halbiert: 1.286 Betriebe gibt es 206
11. Kapitel Landwirtschaft Landwirtschaft noch, die Tendenz ist weiter stark fallend. Unter diesen Vorzeichen hat die Direktvermarktung der Pro- dukte durch die Bauern eine immer größere Bedeutung: Milch, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse, Brot, Butter, Nudeln oder Käse – selbst Speiseeis wird produziert – bringen im Direktvertrieb deutlich bessere Erträge als beim Verkauf über Handelsketten. Immer mehr Menschen im Landkreis unterstützen die Bauern auf diesem Weg. Zum Thema „Einkaufen beim Bauern“ findet sich deshalb auf den folgenden Seiten ein Überblick. 207 207
11. Kapitel Landwirtschaft Klimatisch benachteiligt und von der Bodenfruchtbarkeit keineswegs verwöhnt – die Viel- falt landwirtschaftlicher Produkte im Schwarzwald-Baar-Kreis ist begrenzt. Doch: es gibt sie – etliche sogar! Und wer diese Produkte erwirbt, hat seine guten Gründe: „Wir wollen wissen, woher unsere Lebensmittel kommen und unseren Kindern den Hof zeigen“, be- gründen viele Hofladenkunden ihren Einkauf beim Bauern. Wer beim Bauern kauft, tut dies ganz bewusst, um mitzuhelfen, das Überleben dieses Berufsstandes zu sichern. Denn, wer wie die Landwirte an sieben Tagen der Woche „schafft“, sollte wenigstens so viel Geld verdienen, dass er von seiner Hände Arbeit auch existieren kann. Kreiserntedankfest 2009 Zur Geschichte der Direktvermarktung – Eng verknüpft mit der Industriealisierung ben die Käufer wieder fort. „Was hätten wir auch außer Kartoffeln verkaufen sollen?“, fragt Traditionell verkauften die Bauern bis in die 1870er-Jahre hinein meist nur ihre Überschüs- se – was man auf dem Hof erzeugte, nutzten die Familien selbst. Die Abnehmer der „Über- produktion“ waren Nachbarn und Privathaus- halte in der nahe gelegenen Stadt. Doch mit der Industriealisierung änderte sich dieses Bild grundlegend: Die Menschen arbeiteten nun in den Fabriken, die Selbstversorgung mit Lebens- mitteln wurde für sie immer schwieriger. In den Städten verschwanden die Nebenerwerbsland- wirtschaften nach und nach immer mehr, Milch und Fleisch kaufte man nun ein. Wie wichtig Landwirtschaft ist, haben die Menschen besonders eindringlich nach den beiden Weltkriegen erfahren, als die Städter beim Bauern „hamsterten“, weil es nicht ge- nügend Lebensmittel gab. Doch als die Hun- gersnot in den 1950er-Jahren vorbei war, blie- 208 Tausende von Menschen besuchten am 13. September den vor zwei Jahren abge- brannten und wieder aufgebauten „Spit- telwiesenhof“ der Tannheimer Landwirtsfa- milie Winterhalder. Im Rahmen des Tages der „Gläsernen Produktion“ konnte der neue Stall für 80 Tiere besichtigt werden, der nach dem modernsten Stand der Viehhaltetechnik aus- gelegt ist (Bild rechts). Der Besucheransturm wurde dazu genutzt, eindringlich auf die schwierige Situ ation der Landwirtschaft zu ver- weisen. Der Bund deutscher Milcherzeuger ver- anstaltete einen Milchbauernabend mit Re- kordbesuch. Beim Bauernmarkt mit 13 Ständen gab es die Gelegenheit, sich mit regionalen Produkten zu versorgen. Das Interesse an den Erzeugnissen war rundum groß.
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Landwirtschaft die ehemalige Bäuerin Ingrid Hasenfratz aus Unterbaldingen. „Damals hat jeder Haushalt sein Gemüse und seine Beeren noch selbst im eigenen Garten angebaut, Obstbäume hatte man auch. Und Milch durften Bauern erst nach der bescheinigten TB-Freiheit ihrer Rinder an Privatleute verkaufen.“ Auch fast jeder Stadt- haushalt betrieb damals noch Vorratshaltung: Zentnerweise Kartoffeln einkellern, Kraut ein- stampfen für den Winter, Äpfel lagern, Obst fürs Hutzelbrot am Kachelofen dörren, Eier im Essigwasser für die Osterzeit einlegen etc. Verbraucher holten nur wenige Produkte wie Kartoffeln, Eier und Ferkel direkt beim Bauern. „Ferkel, die hab ich in den 1950er-Jahren als Bub in Schwenningen verkauft, das war immer eine aufregende Sache, so weit fort aus unserem Dorf in die Stadt zu kommen“, erinnert sich der ehemalige Landwirt Franz Hirt aus Unterbaldingen, Teil des früheren „Suuländles“. „Wenn da ein Mann mit einem Kartoffelsack unterm Arm sein Fahrrad durch den Ferkelmarkt schob, dann wusste ich, bei dem kannst du versuchen, die Ferkel loszu- werden, der will sie mästen und seine Familie preiswert mit Fleisch versorgen.“ Brot backen im Holzofen – ein typisches Selbstversorgerprodukt Steinöfen in Betrieb, teils entsteht Holzofen- brot im traditionellen Backhäusle. Dann feuert man gegen vier Uhr morgens an, räumt etwa zwei Stunden später die Asche raus und be- ginnt damit, sein Brot zu backen. Viele Kunden schätzen den Geschmack des Brotes und den Verzicht auf viele Zusatz- stoffe. „Ob Brot, Brötchen oder Linzertorte, meine Kunden auf dem Wochenmarkt St. Geor- gen schätzen meine Backwaren aus unserem Holzofen“, freut sich die Bäuerin vom Bartles- jocklhof und gelernte Bäckerin Erika Obergfell aus Brigach. Die Diplom-Agraringenieurin Pe- tra Hettich-Spadinger aus Schonach betreibt keine Werbung mehr, denn ihre Kunden sind so zufrieden, dass sie an den Backtagen voll ausgelastet ist. Der Breiteckhof in Gütenbach backt an drei Tagen pro Woche und bietet seinen Kunden sogar ei nen Lieferservice an. „Wenn die Kunden auf meinen Hof kommen, nehmen sie nicht nur Brot mit, sondern auch viel Freude, weil ihre Kinder meist eine Run- de auf unserem Pferd reiten dürfen“, weiß die Bäuerin Gabi Fichter aus Oberkirnach. Auch auf der Baar haben viele, oft jüngere Bäuerinnen in den letzten 15 Jahren das Ba- cken entdeckt und tragen damit zum Familien- einkommen bei: Ob Martina Schnekenburger in Aasen, Ursula Hettich in Klengen, Margarete Kiefer in Überauchen, Alexandra Dold in Bräun- Regelmäßig wurde auf den Schwarzwaldhöfen das eigene Brot gebacken. War es früher nur für den Eigenverbrauch gedacht, so duftet es heute auf etlichen Höfen mehr und mehr auch für Kunden. Teils sind elektrisch beheizte Holzofenbrot ist ein typisches Produkt der Selbst- vermarktung – das Mehl dazu liefern unter anderem die Mühllehen-Mühle in Königsfeld-Buchenberg (links) oder die Getreidemühle Götz in Königsfeld- Burgberg (Mitte und rechts). 210
Jeden Freitag backt Erika Obergfell vom Bartlesjocklhof in Brigach bei St. Georgen ihr Holzofenbrot, das sie immer samstags auf dem Wochen- markt in St. Georgen anbietet. Brot, Zöpfe oder Weckle: die gelernte Bä- ckersfrau hat ihre Direktvermarktung professionell aufgebaut. Bäuerin und Bäckerin ist die Mutter von drei Kin- dern mit Leib und Seele! Landwirtschaft 211
Landwirtschaft Das Buttermachen hat bei Christine Müller vom Oberlehmannsgrund in Gütenbach eine lange Tradition. Vor allem im Sommer werden wöchent- lich ca. 35 Pfund Butter hergestellt und über ein örtliches Le- bensmittelgeschäft ver- trieben. Das Buttermodel ist 90 Jahre alt, schon die Großmutter und die Mutter haben es zum Butterma- chen benutzt, es war einst ein Hochzeitsgeschenk. Weil das eigene Vieh nicht mit Kraftfutter gefüttert wird, ist die Buttermenge im Winter deut- lich kleiner, da weniger Milch zur Verfügung steht. Mit dem Absatz gibt es keinerlei Probleme, die Produktion ist stets ausverkauft. lingen, Tanja Meyer in Grüningen oder Frauen auf weiteren Höfen, deren Angebot nur lokal bekannt ist. 23 Liter Milch für ein Kilo Butter Auch die Schwarzwälder Bauern hatten an Pri- vatkunden nicht viel zu verkaufen. Viele Höfe waren noch nicht erschlossen, weder mit ei- nem ganzjährig befahrbaren Weg noch mit Strom. Das heißt beispielsweise, es gab weder Tele- fon noch Kühlgeräte. Da Milch nicht haltbar ist, hatten nur stadtnahe Höfe die Chance, Frisch- milch zu verkaufen, im Brunnentrog am Hof wurde sie gekühlt. Die Milch war nur etwa 2 – 3 Tage lang frisch, dann ging sie in Dickmilch über. Deshalb haben die meisten Schwarz- waldbauern ihre Milch in Form von Butter halt- bar gemacht. Diese Butter ließ sich auch ein- facher über größere Entfernung zum Verkauf tragen. Noch bis in die 1990er-Jahre hinein gab es im Schwarz wald-Baar-Kreis mehrere tra di- tionelle Butterbetriebe, die ihre übrige Milch nicht an eine Molkerei abliefern konnten, son- dern verbutterten und an Haushalte verkauf- ten. Gleichzeitig war die entrahmte Magermilch das optimale Futter für Kälber und Schweine. Doch: Mit dem immer weiter sinkenden Preis der Butter könnte auch der letzte Butterbetrieb bald der Vergangenheit ange hören. Welcher Verbraucher ahnt schon, dass man 23 Liter Milch braucht, um ein Kilo Butter herzustellen! Und wer wäre bereit, da für angemessen zu be- zahlen? Milch und Speiseeis direkt vom Bauernhof Heute können Familien ihre Milch beim Bauern kaufen. Er muss sie jedoch mit einem Schild darauf hinweisen, die Milch zur Sicherheit vor 212 Der Dumpingpreis für Milch belastet die Land- wirte im Landkreis enorm. Aus Protest verteilten sie im September 2009 rund 25.000 Liter Milch auf einer Wiese bei Dauchingen wie Gülle. Ein Hilferuf gebeutelter Milchbauern, die hart arbei- ten und keinen gerechten Lohn dafür erhalten.
Die Familie Reinhard Hauser in Bräun- lingen produziert seit 1993 sogenannte Vorzugsmilch, eine äußerst hygienisch und unverarbeitete ermolkene Milch. Die Biomilch vom Schwalbenhof be- kommt man auch auf Wochenmärkten oder im Unterkirnacher Bäuerinnenladen. dem Verzehr abzukochen. Die so ge- kaufte Milch rahmt noch auf, da die Fettkügelchen nicht ihrer natürli- chen Schutzhülle beraubt sind. Sie schmeckt süßlicher als Packungs- milch und ist nicht lange haltbar. Daher wird nur sehr wenig Rohmilch beim Bauern gekauft. Einen der 13 Betriebe in ganz Baden-Württemberg, die unbehandelte Milch in Läden und auf Märkten verkaufen dür- fen, findet man in Bräunlingen. Als große Be- sonderheit produziert die Familie Reinhard Hau- ser seit 1993 Vorzugsmilch und Jog hurt. Der Kunde schätzt diese unverarbeitete, äußerst hy- gienisch ermolkene Milch, die in einem vor Edel- stahl glänzenden Raum verarbeitet wird. Die Bio-Milch vom Schwalbenhof aus Bräunlingen findet man heute auf mehreren Wochenmärk- ten, im Bäuerinnenladen Unterkirnach und in mehreren Naturkostläden, sogar auf dem Frei- burger Markt am Münster seit 1998. Eisliebhaber können sich Milch jedoch auch in Form von Sahne- und Milcheis oder Sorbets vom Pauliwäldlehof der Familie Hubert Hof- acker in Bräunlingen und dem Vogtshof der Familie Johannes Zimmermann in Tannheim munden lassen. Zweimal in der Woche wird auf dem Vogts- hof in Tannheim aus frisch gemolkener Roh- milch Eis hergestellt. Je nach Vorbestellung oder anstehenden Festen werden zwischen 50 und 120 Liter in die Kunststoffbehälter gefüllt. Die Direktvermarktung hat viele Facet- ten, auch die Herstellung von Speise- eis. Johannes und Christine Zimmer- mann haben im Vogtshof in Tannheim mit großem Erfolg eine in jeder Hin- sicht vorbildliche Eisproduktion auf- genommen. Einkaufen beim Bauern Neben der stets frischen Milch und einer spe- ziellen Zuck er mischung verwertet man je nach Jahreszeit geschmacksintensive Zutaten wie frische Beeren (mindestens 50 Prozent Anteil), Vanilleschoten oder auch Gewürze. Johannes Zimmermann: „Geschmack und Inhaltsstoffe des Gefrorenen sind im Wesent- lichen natürlich und ohne Konservierungs- stoffe, so bleiben wertvolle Vitamine und Mi- ne ralstoffe der Milch voll erhalten.“ „Zudem schmeckt das Eis natürlicher“, ergänzt Ehefrau Christine Zimmermann. Sie unterstützt ihren Gatten nicht nur bei der Produktion, sondern auch an der Eistheke. Die Idee zur Eisproduk- tion kam Johannes Zimmermann beim Blättern in einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift. Käse aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis – Der Untermühlbachhof bei Peterzell Schon im Mittelalter wurde in unserem Land- kreis Käse hergestellt – Käseräder aus Peter- zell mussten als Naturalabgabe ans Kloster in St. Georgen geliefert werden. Die Mönche 213
Landwirtschaft Der Untermühlbachhof der Familien Lenzner und Lütznow in St. Georgen-Peterzell gehört zu den Pio- nieren der Selbstvermarktung im Landkreis. Regel- mäßig ist man mit dem eigenen Käse, Milchpro- dukten, Geräuchertem oder Getreide auch auf dem Wochenmarkt in Villingen zu finden. wussten eben, was gut ist. Und auch um 1900 wurde bei uns Käse produziert, selbst auf der über 1.000 Meter hoch gelegenen Martinska- pelle bei Furtwangen. In jüngerer Zeit – ab Mitte der 1980er-Jahre – war es vor allem der Untermühlbachhof bei Peterzell, der eine Vorreiterrolle inne hatte. Die Familie Lenzner erwarb zusammen mit Albert Mutschler und dessen Lebensgefährtin diesen kleinen Hof. „Der alte Traum von der Selbst- versorgung paarte sich mit der Hoffnung, dass Kapital durch Arbeit zu ersetzen sei“, erinnert sich der Diplom-Landwirt Hartmut Lenzner. „Das Wort Direktvermarktung war noch nicht geprägt und Hygienevorschriften waren uns unbekannt. So fingen wir ganz unbedarft mit drei Kühen klein an, seinerzeit am 1. April 1984, zwei Tage vor Einführung der Milchquote durch die EU. Bei der Hygiene ließen wir unseren Menschenverstand walten.“ Es war ein Glücks- 214 fall, dass Albert Mutschler Freude und Erfah- rung mit dem Käsen hatte, gab es doch seiner- zeit noch keine Milch verarbeitungslehrgänge für direktvermarktende Landwirte. Quarkmilch stand auf dem Kachelofen, die Milch wurde nach Art des Bergkäses ver- arbeitet und die Joghurt-Gläser wurden unter Ausnutzung von Restwärme bebrütet. So hatte die „Kommune“ die Chance, langsam in die Sa- che hineinzuwachsen. So langsam wie sich die Kundschaft an sie gewöhnte. Das Unglück von Tschernobyl im Jahr 1986 schockte die Bewohner des Untermühlbachho- fes. Alle 14 Tage ließen sie ihre Produkte auf Radioaktivität untersuchen. „Nicht nur wir Atom- kraftgegner, auch bisherige Verfechter von Kernkraftwerken informierten uns bei Lenz- ners auf dem Villinger Wochenmarkt über die Ergebnisse der Radioaktivität, memoriert der Villinger Alfred Bruttel. Als belächelte Außenseiter, dazu noch so- genannte „Ökos“, überlebten sie viele Winter entgegen so mancher Prognose Eingeses- sener. Dank guter landwirtschaftlicher Ausbil- dung, viel Arbeit, Anpassung an die zahllosen EU-Vorschriften, Offenheit für alle Schichten der Bevölkerung und viel Unterstützung durch die Bürger, verarbeiten sie heute die Milch von
Statistiken zur Landwirtschaft Einzelunternehmen Haupterwerbsbetriebe Nebenerwerbsbetriebe Rinderhaltung Landw. Betriebe mit Rindern Rinderbestand gesamt je Halter Milchkuhhalter Milchkühe je Halter Hühnerhaltung Landw. Betriebe mit Hühnern Hühnerbestand gesamt je Halter Landw. Betriebe mit Legehennen Legehennenbestand gesamt je Halter Einkaufen beim Bauern 1979 1991 1999 2003 2007 Anzahl Veränd. % 2007/1979 2.172 765 1.407 1.701 45.764 27 1.538 18.427 12 2.906 1.127 1.779 2.535 49.389 19 2.377 20.377 9 1.653 84.595 51 1.550 59.344 38 1.662 536 1.126 1.191 39.475 33 816 1.446 1.286 508 938 457 829 1.009 877 36.496 32.832 36 637 37 536 14.234 13.213 12.135 17 21 514 23 439 999 609 71.225 67.454 65.998 47.102 71 932 111 602 128 510 107 436 50.309 53.355 49.486 40.873 54 89 97 94 -56,8 -59,5 -53,5 -65,4 -33,5 92,2 -77,5 -40,4 164,1 -73,4 -44,3 109,7 -71,9 -31,1 144,9 25 Kühen und bieten sie neben Schweine- fleisch und Brot auf den Wochenmärkten in Vil- lingen und Königsfeld an. „Le Frombaar“, Käse von der Baar – die Familie Batsching-Lemesle in Sumpfohren Jeden zweiten Tag verarbeitet Nikolas Lemes- le die Milch der 16 Kühe des Bioland-Hofes in Sumpfohren zu 24 bis 28 Kilo Rohmilch- käse. Der gelernte Käser stammt aus dem Anjou und betreibt den Betrieb zu- sammen mit seiner Frau Brigitte Batsching-Lemesle unter stren- gen Qualitätsvorgaben. französischen Departement Neben der Käserei sind eine moderne Milchküche und ein Hofladen entstanden. Der Käse la- gert zum Ausreifen im Keller des Unter www.statistik.baden-wuerttemberg.de kann man sich eine Vielzahl von statistischen Angaben zur Landwirtschaft im Schwarzwald-Baar-Kreis auf- rufen. Der Rückgang der landwirtschaftlichen Be- triebe um nahezu 60 Prozent ist alarmierend. alten Bauernhauses, derzeit sind es ca. 1,5 Ton- nen. Regelmäßig werden die Fünf-Kilo-Laible mit Salzwasser abgebürstet, damit sich eine schöne Kruste ausbildet. Um den 45-prozentigen Sum p fohrener Rohmilch- käse Le Frombaar bio- ge recht produzieren „Le Frombaar“ – Käse von der Baar, erzeugt in Sumpfohren, ist ein erfolgreiches Bioland- Produkt. 215
Landwirtschaft zu können, wird nach den Vorgaben des ökolo- gischen Landbaus gearbeitet. Die Kuhherde geht im Sommer wie im Winter auf die Weide – die Milch wird komplett verkäst. Schon bei der Fütterung der Hinterwälder, Vorderwälder und Allgäuer Braunvieh-Kühe ist man konsequent. Absolut verboten sind Kreuzblütler, Kohlarten und Silage. Auf dem Winterspeisezettel der Tie- re stehen Heu und Öhmd, Tritikale und Getrei- de. Die Fachleute sind sich einig, dass das Fut- ter für den Geschmack des Käses von großer Bedeutung ist. Die gelernte Landwirtin Brigitte Batsching- Lemesle hatte den elterlichen Hof als Land- wirtschaft eigentlich schon aufgegeben und ihn dann zusammen mit ihrem Mann doch re- aktiviert. Bereits während ihrer Ausbildung hatte sie sich für die Käseproduktion interessiert, „machte“ 1999 mit zwei weiteren Frauen in Grau- bünden „eine Alm“. Als Sennerin molk sie täglich 70 Kühe und stellte „Graubündner Käse“ her. Bis zu 4,5 Tonnen Käse werden jährlich pro- duziert, das sind rund 900 Fünf-Kilo-Laiber, nur so ist die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens sicherzustellen. Weitere Hofkäsereien gibt es inzwischen auf folgenden Höfen im Schwarzwald-Baar- Kreis: In Triberg auf dem Unterhohnenhof der Familien Fehrenbach/Hilser, in Rohrbach auf dem Weißenhof der Familie Albert Scherzinger und in St. Georgen-Stockwald bei der Familie Thomas Kieninger. Beginn der Bio-Landwirtschaft auf der Baar: Verbunden mit Direktvermarktung Als einer der ersten Betriebe im Schwarzwald- Baar-Kreis führten die 20-jährige Cornelia We- hinger und ihre Mutter Emma ab 1979 den da- mals 18 Hektar großen Betrieb mit 15 Milchkü- hen nach den Regeln des „ökologischen Land- baus“. Mit Kartoffeln und Getreide stiegen sie in die Direktvermarktung ein und wurden 1982 an erkannter Bio-Betrieb. „Ob die Wiiber des au noabrenget“, dach- ten viele Berufskollegen und bemitleideten die Frauen um den so früh gestorbenen Vater/Ehe- mann. Aber wenn Hilfe nötig war in den jahres- 216 zeitlichen Arbeitsspitzen, kamen Nachbarn und Verwandte und packten mit an. „Des wird doch nichts“, bekam Cornelia Wehinger als unge- fragten Kommentar über ihre Abkehr vom kon- ventionellen Landbau zu hören. Doch dank ihrer Tüchtigkeit und der Ausbildung an der Fach- schule für Landwirtschaft in Donau eschingen blieb der „Unkrautdruck“ im erträglichen Rah- men. Umstellungswillige Betriebe für den Öko- anbau suchten sogar ihren Rat. So fand dann die Gründungs-Versammlung der Biolandgrup- pe Schwarzwald-Baar 1986 im Haus Wehinger statt. Das Unglück von Tschernobyl 1986 und die vielen großen und kleinen Lebensmittel- skandale seither brachten den Bau ern – insbe- sonders den Biobauern – neue Kunden. Nach Einheirat von Guido Follwaczny be- lieferte die Familie erstmals im April 1987 den Villinger Wochenmarkt. Auf zwei Metern Stand- länge verkaufte sie Kartoffeln, Getreide und erstmals auch Salate und Gemüse zur Saison. Es folgten bald weitere Produkte wie selbst gebackenes Brot, Speck, Wurstdosen und zuge- kaufter Ziegenkäse. Ob Hagelschäden, Sturm- So entsteht „Le Frombaar“. Die Käser Brigitte Batsching-Lemesle und Nikolas Lemesle haben es schon vielen interessierten Besuchern im De- tail erklärt: Im Kupferkessel erwärmen sie frische Milch auf 26 Grad, geben eine Messerspitze ge- friergetrocknete Milchsäurebakterien und Lab aus Kälbermagen zu. Bei 32 Grad schließlich stockt die Masse und wird mit einer Käseharfe zerschnitten. Bei weiterer langsamer Erhitzung auf 48 Grad separiert sich die Molke. Nach einer halben Stunde kann der frische Käse mit einem Textilsieb aus dem Kessel genommen werden (Bild unten rechts). Die abgesonderte Molke geht direkt in den Schweinetrog. Die Käsemasse wird nun zerteilt in besonderen Formen zu Fünf-Kilo- Laiben portioniert (Bild unten links). Die Laiber kommen nach der eintägigen Abtropfphase in den Reifekeller (Bild oben). Nun reift der Baar- Käse über ein Jahr lang zu seiner bekannt hohen Qualität heran. Immer wieder neu wird er wäh- rend dieser Zeit mit Salzwasser bestrichen, damit sich eine schöne Kruste bildet.
Landwirtschaft 217
Landwirtschaft und Schneeschäden an Gewächshäusern oder die gefürchteten Früh- und Spätfröste der Baar, die Familie Wehinger-Follwaczny hat sich nie unterkriegen lassen und ihren Gemüseanbau stetig vergrößert. Seit 1994 kauft sie Obst und Gemüse vom Kaiserstuhl hinzu, und so kann der Verbraucher heute übers Jahr verteilt 220 verschiedene Pro- dukte auf den Wochenmärkten in Villingen und Donaueschingen sowie ab Hof kaufen. Gemüseanbau auch auf der Baar möglich Dies zeigt der Betrieb von Lothar Mößner in Wolterdingen seit 1986 dank Anbau in Deme- ter-Qualität in Freiland und Gewächshäusern und einem guten Draht zu Kunden. Die Nach- frage nach biologischen Produkten erlebte be- sonders in seinem Startjahr einen Aufschwung. Sie hatten das Glück, sozusagen als Pioniere in unserer Gegend, ohne große Investitionen in die Direktvermarktung einsteigen zu können. „Aber trotz Gewächshäuser sind wir bei den verschiedenen Kulturen immer später erntefähig als die Gärtnerkollegen in der Frei- burger Gegend oder am Bodensee. Von ihnen werden wir manchmal freundlich lächelnd als Schwarzwald-Gärtner bezeichnet“, weiß Bio- Gärtner Lothar Mößner. „Aber wir freuen uns, wenn unsere Kunden durch ihren Einkauf bei uns zeigen, dass es ihnen wichtig ist, dass Links: Marktstand der Familie Wehinger-Follwaczny, Bio-Pioniere im Landkreis. Rechts: Blick in die Schlach- terei der Familie Schwer, Mittelgefellhof in Triberg. auch in unserer Gegend biologisch-dynamisch gearbeitet wird. Bei dieser Anbaumethode wird nämlich nicht nur auf die Erzeugung ge- sunder Lebensmittel Wert gelegt, sondern vor allem auch auf die Pflege des Kulturbodens.“ Längst vorbei ist die Zeit, als es hieß: „Nur Spinner und Aussteiger kaufen Bio.“ Schon lange fördert der Staat die Umstellung auf ökologischen Landbau. Im Schwarzwald-Baar- Kreis gibt es inzwischen rund 100 zertifizierte Bio-Betriebe und 300 Landwirte, die auf Spritz- mittel und Mineraldünger verzichten. Fleisch, Bratwürste und Speck Natürlich gibt es sie noch, die Schwarzwälder Höfe, in deren Rauchkammern über Winter Bratwürste und Speck im Rauch des Tannen- holzes hängen und ihren charakteristischen Geschmack erhalten. „Bratwürste und Speck, die sind als erstes weg“, sind sich viele Direkt- vermarkter einig. Viele Ortsverwaltungen hal- ten entsprechende Adresslisten bereit. Seit- dem echte Brühen, Sonntagsbraten und Sied- fleisch von vielen Speisezetteln verschwun- den sind, tun sich die Landwirte zunehmend schwerer im Spagat zwischen dem Verkauf aller Fleischteile, den Kundenwünschen und den vielen EU-Vorschriften. Landwirte, die zu- gleich gelernte Metzger sind, investierten viel in den 1990er-Jahren und müssen dies weiter- hin tun. Familie Dieterle auf dem Gabrielenhof in Schönwald und Familie Schwer auf dem Mit- telgefellhof in Triberg-Gremmelsbach bieten traditionelle Fleisch- und Wurstwaren an. Sie 218
Landwirtschaft Der Biolandhof von Martina und Roman Braun in Furt- wangen-Linach züchtet Wälderochsen und Weiderin- der sowie Lämmer und bietet Eier in Bioland-Qualität. Seit Sommer 2009 betreibt man einen Hofladen, in dem Sohn Stefan Braun seine Bioland-Eier anbietet, die in einem beweglichen Stall gelegt werden. 250 Bio- Eier täglich sind es, die in Freilandhaltung gelegt wer- den. Der bewegliche Stall ist nicht nur besonders tier- freundlich, sondern zugleich überaus hygienisch. 219
Landwirtschaft schlachten auch Weidemastkälber für viele Mutterkuhhalter. „Im Herbst, da holen wir uns immer ein Viertel Kalb zusammen mit Freun- den, da ist alles toll beschriftet und gefrierfer- tig verpackt. Es schmeckt einfach lecker“, be- geistern sich die Kunden. „Meine Spezialität, ungarische Wollschweine aus Freilandhaltung mögen auch Chefärzte“, weiß Direktvermarkte- rin und Krankenschwester Lilo Kornhaas aus Marbach. Und unsere griechisch-orthodoxen und muslimischen Mitbürger? Sie finden beim Schäfer Adolf Frank in Hüfingen ihre Mastläm- mer zum gewünschten Zeitpunkt, selbst wenn das Ende des Ramadans auf Weihnachten fällt. Direktvermarktung über Gastwirtschaften und Vesperstube Viele frühere Dorfwirte hatten zugleich eine eigene Landwirtschaft mit Kartoffelanbau und Tierhaltung fürs Fleisch. In bäuerlichen Ves- perstuben genießen heute viele Wanderer tra- ditionelle Vesperteller. Besonders hervorhe- ben müsste man Dutzende von Betrieben im Landkreis – zumal die führenden Häuser –, da sie sich seit jeher um beste Qualität und regio- nale Produkte bemühen. Gerade die Gastwirte aus dem gehobenen Bereich waren mit die ers- ten „Groß-Verbraucher“, die die heimische Bio- Qualität besonders zu schätzen wussten. Die Eier direkt vom Erzeuger – Einkauf am Stand der Familie Huber aus Mönchweiler auf dem Wochen- markt in VS-Villingen, der das weit und breit größte Angebot an heimischen Produkten bereithält. Rechts: Einkauf im Hofladen des Demeter-Bauernhofes der Familie Bogenschütz in Hüfingen-Sumpfohren. Besonderheiten: Bauernmarkt Mühlhausen und der Bäuerinnenladen Unterkirnach Seit 1995 gibt es den Bauernmarkt in Mühlhau- sen auf Wunsch der damals 800-Seelen-Ge- meinde Mühlhausen, die keinen Laden und keine Gastronomie mehr hatte. Nur Landwirte sind dort mit ihrem regionalen und saisonalen Angebot vertreten. Jeden Freitag in gemütli- cher Atmosphäre kann man dort einkaufen und gemütlich absitzen, mit Backwaren von Marit- ta Plichs, Apfelsaft und Obst vom Bodensee oder heißen Würsten vom Bräunlinger Pauli- wäldlehof. Andere Bauernmärkte im Landkreis hatten trotz gutem Flair keine so treuen Kun- den und gingen leider wieder ein. Doch es gibt Erfolgsmodelle ganz anderer Art: Sechs Frauen gründeten 1998 den Bäue- rinnenladen Unterkirnach. Bis heute erweist er sich als schmucker Laden mit viel Atmosphäre. Stolz kann man auf eine Produktauswahl ver- weisen, die von 40 verschiedenen Bauernhöfen geliefert wird. Geschäftsführerin Gerda Jäck le, selbst Bäuerin, informiert ihre Kunden gerne über die verschiedenen Produkte und Höfe. Vom kleinen Bauernhof zum Nudelproduzenten Harry Hofmaier aus Tannheim erfasste den Trend der Zeit und handelte konsequent. Seine Eltern hatten schon 1958 das Haustürfahrge- schäft mit Eiern betrieben. Damals gab es noch viele 5-Personen-Haushalte, die alle zwei Wochen 60 Eier kauften, allein 20 davon lan- deten in selbstgebackenen Kuchen. Ungläubig erstaunt war er über den Rat von Veterinären im Jahr 1974, die Boden- und Freilandhaltung ge- 220
Wochenmärkte im Schwarzwald-Baar-Kreis (Diese Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) Landwirtschaft Bad Dürrheim Luisenstraße Bräunlingen Dekan-Metz-Straße Döggingen Freitag Mittwoch Samstag Donaueschingen Hermann-Fischer-Allee Freitag und Alter Festhallen-Platz Samstag Donnerstag Freitag Freitag Samstag Furtwangen Marktplatz Hüfingen Mühlhausen Wendeplatte vor dem Bauernmuseum Königsfeld Rathausstraße St. Georgen Marktplatz Villingen Münsterplatz Schwenningen Muslenplatz Rietenmarkt 8:00 – 12:00 Uhr 8:00 – 12:00 Uhr 7:00 – 13:00 Uhr 6:00 – 14:00 Uhr 8:00 – 12:00 Uhr 14:00 – 18:00 Uhr 12:30 – 14:30 Uhr 8:30 – 12:30 Uhr 8:00 – 13:00 Uhr Samstag Mittwoch (1.04. – 31.10.) 6:30 – 12:45 Uhr 6:30 – 12:45 Uhr Samstag Mittwoch (1.04. – 31.10.) Donnerstag 6:30 – 12:45 Uhr 6:30 – 12:45 Uhr 9:00 – 17:00 Uhr Wolterdingen Kirchplatzhof Freitag 9:00 – 20:30 Uhr sätzlich müssen sie sich im Dschungel vieler Paragrafen auskennen. Wegen ständig zuneh- mender Auflagen, die zu oft hohen Investitio- nen zwingen, und der angespannten Arbeits- zeit stellen immer wieder auch erfolgreiche Betriebe ihren Direktverkauf an Verbraucher ein. Direktvermarktung heute weist ein breites Spektrum auf, vor allem auch im Schwarzwald- Baar-Kreis, wie die neue Broschüre „Direkt vom Bauernhof“ zeigt und zudem die Internet- seite schwarzwaldbauer.com dokumentiert. Auf dem Bauernmarkt in Mühlhausen. gen die viel einfachere und ertragreichere Kä- fighaltung zu tauschen. Er tat es nicht. Der Er- folg gab ihm recht und er stieg 1994 zudem in die Pasteurisierung der Eier ein, denn Bäcker und Eisdielen durften frische Eier nicht mehr im gleichen Raum wie die übrigen Zutaten la- gern und mussten sich neu orientieren. 1991 begann Harry Hofmaier dann mit der Nudelproduktion – bis heute mit Erfolg. Wer bereit ist, etwas mehr als im Supermarkt dafür zu bezahlen, wird wohl noch lange Hofmaier- Nudeln kaufen können. Die Hühnerhaltung betreibt er inzwischen im Verbund mit einem zweiten Hof. Von den Landwirten wird immer mehr verlangt Steigende Kosten und zurückgehende Erlöse zwingen viele Landwirte, die traditionelle Be- wirtschaftung des Hofes zu überdenken. Die heutigen Auflagen an Hygiene, Dokumentation und Buchführung zwingen die direktvermark- tenden Landwirte dazu, Allround-Spezialisten zu werden. Wie ihre Vorfahren müssen sie ei- nen guten Umgang mit Tieren und Boden pfle- gen, das Wetter dabei berücksichtigen. Zu-
Landwirtschaft Gemeinsame Strategie entwickeln „echt Schwarzwald“ soll als neue Marke für Direktvermarkter etabliert werden Eines ist sicher: Die Landwirtschaft auch im Schwarzwald-Baar-Kreis steckt in einer tiefen Krise, das „Bauernsterben“ hält seit 50 Jahren an. Ganze Dörfer haben ihr Gesicht und ihre Struktur verändert – in Unterbaldingen zum Beispiel gibt es keinen einzigen Bauern- hof mehr. Von aktuell rund 1.300 beim Landwirtschaftsamt bekannten bäuerlichen Fami- lienbetrieben sind gerade mal 100 als Direktvermarkter eingetragen, weniger als ein Pro- zent also. Wie sehr die Direktvermarktung ein Weg aus der Krise sein kann, darüber gehen die Meinungen indes auseinander. Siegfried Jäckle, Sprecher des Forums Schwarzwaldbauern, setzt auf regionale Vermarktungsstrategien. Die Zahl der Selbstvermarkter wird wohl zuneh- men, das aber führt früher oder später zu Kon- kurrenz und Preisdruck untereinander, sodass die Direktvermarktung nicht zum Königsweg aus der Talsohle werden kann. Das Forum Schwarz- wald-Bauern mit seinen rund 1.000 Migliedern überwiegend aus unserem Landkreis und seiner Peripherie setzt hingegen auf eine stärkere Dif- ferenzierung innerhalb der Landwirtschaft und auf gemeinsame Vermarktungsstrategien. Ein viel versprechender Anfang wurde mit der neu- en Marke „echt Schwarzwald“ gemacht, die auch Direktvermarkter nutzen können. Weniger als ein Drittel der Landwirte im Kreis können ihre Familien mit dem ernähren, was sie in Ställen und auf Feldern erzeugen, war vom Landwirtschaftsamt zu erfahren. Die meisten Bauernfamilien müssen ihre Einkommen mit zusätzlicher Erwerbstätigkeit aufbessern, häu- fig ist unter diesen Vorzeichen ein Generationen- wechsel Anlass für die Schließung des Betriebs. Wenige Höfe bieten die Voraussetzungen für personal- und zeitintensive Direktvermarktung, die mit hohen hygienischen und administra- tiven Auflagen verbunden ist. Außerdem: „Es braucht eine Begabung im Umgang mit Kunden und die hat nicht jeder“, sagt Siegfried Jäckle, Sprecher des Forums Schwarzwaldbauern, „und der Standort muss passen“. Die wenigsten 222 Kunden fahren auf Dauer statt zum Supermarkt oder Metzger um die Ecke auf einen abseits ge- legenen Schwarzwaldhof. Eben deshalb haben Bauern ja schon vor Jahrzehnten Genossen- schaften gegründet, um gemeinsam die Nähe Der Bauernladen in Unterkirnach ist die Idee von Gerda Jäckle (Bild rechts, links) vom Spittelhof in Oberkirnach, die zusammen mit Ruth Neininger die Geschäftsführung inne hat. In einem schönen Ambiente werden nur hochwertige Produkte prä- sentiert, die sich in die Sparten „Aus Feld und Stall“, „Aus Garten und Küche“ sowie „Aus der Hand von uns Bäuerinnen“ unterteilen lassen. Vormittags ist der Bauernladen ständig offen, nachmittags zwischen 15 und 18 Uhr stets mitt- wochs, donnerstags und freitags. Jeden Freitag gibt es frisches Steinofenbr0t. Immer dienstags wird in der gegenüberliegenden Kirnachmühle Holzofenbrot gebacken. Das frische Brot ist be- gehrt, auf dem Foto nimmt Gerda Jäckle neue Backwaren von Gabi Fichter aus Oberkirnach ent- gegen. Der Mühlenplatz von Unterkirnach ist für den Bäuerinnenladen geradezu ideal. Zumal die Mühle selbst auch für Festivitäten jeder Art ge- mietet werden kann, dazu gibt es beispielsweise ein Vesperbrettle des Bäuerinnenladens.
Landwirtschaft 223
Landwirtschaft Einkaufen im Bäuerinnenladen von Unterkirnach. zu den Kunden zu suchen. Sieg- fried Jäckle, der mit seiner Fa- milie den Spittelhof in St. Geor- gen-Oberkirnach betreibt, war an der Gründung des Kirnacher Bäuerinnenladens in Unterkirn- ach beteiligt und sieht Per- spektiven in ähnlichen regio- nalen Vermarktungskooperati- onen: „Wir müssen gemeinsam etwas anstoßen.“ Den Begriff „Nische“ für bäuerliche Direktvermarktung mag er nicht („das treibt uns in die Enge“), ebenso wenig den Terminus „Nebenerwerbslandwirt“ („für einen Bauern ist Landwirtschaft nie Nebensache“). Bäuerliche Landwirtschaft sieht er als Kombina- tion von Einkommensmöglichkeiten und die sind bei jeder Familie individuell. Als „Kombi- nierer“ versteht er sich auch selbst und sieht einen ausbaufähigen Baustein seines Erwerbs- mosaiks in der neuen Erzeugergemeinschaft „echt Schwarzwald“, bei der er Gründungsmit- glied ist. „echt Schwarzwald“ setzt vor allem auch auf artgerechte Tierhaltung Sie wurde im Ortenaukreis initiiert aufgrund der Sorge um die Offenhaltung der Landschaft in immer mehr Schwarzwaldtälern. Kernprodukt der neuen Vermarktungsgemeinschaft ist hoch- wertiges Rindfleisch, das von den Weiderindern aus den Naturparks des Schwarzwalds stammt. Voraussetzung für die Nutzung der Marke „echt Schwarzwald“ ist die Einhaltung ihrer Richtli- nien, die vor allem artgerechte Tierhaltung mit Weidegang im Sommer und Fütterung ohne Gentechnik verlangt. Fleisch und weitere Er- zeugnisse wie Honig und Edelbrände werden von Vertragsmetzgern offeriert; Ziel laut Jäckle ist es, Erlöse zu erwirtschaften, die rund 15 Pro- zent über dem üblichen Marktpreis liegen. Beim 224 Rindfleisch klappt das bereits recht gut, im Au- gust etwa wurden pro Tier 134 Euro an Mehr- erlösen ausbezahlt. Die Erzeugergemeinschaft „echt Schwarz- wald“ befindet sich im Aufbau und ist für das Gebiet der beiden Schwarzwälder Naturparks angelegt. Auch aus dem Schwarzwald-Baar- Kreis machen bereits die ersten Bauern mit; die Palette der Erzeugnisse soll allmählich er- weitert werden. Mit der neuen Marke soll ein verbessertes Bewusstsein für Herkunft und Qualität der Er- zeugnisse erreicht werden, dies nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch bei den Bau- ern selbst. Weidefleisch und auch -milch seien deshalb besonders wertvoll, weil die Fett säure- zusammensetzung nachweislich günstiger für unsere Gesundheit sei als von Tieren, die nie in ihrem Leben den Stall verlassen. Kernidee von „echt Schwarzwald“ sei, die Nutzung von Grünland im Bergland wieder at- traktiv zu machen. Wegen der fehlenden Ren- tabilität wandere die Milcherzeugung seit Jah- ren von den Wiesen und Weiden im Süden nach Norden, wo die Kühe überwiegend mit Mais und Kraftfutter gefüttert werden. Die Marke „echt Schwarzwald“ garantiert, dass Berge und weidende Kühe nicht nur auf der Packung zu sehen sind, sondern dass Fleisch und Milch auch wirklich von Weidetieren stammen. Christina Nack Weitere Infos unter: www.echt-schwarzwald.de
Landwirtschaft Auf Selbstvermarktung setzt auch die Familie von Metzgermeister Markus Hug aus VS-Tannheim, die sich hier beim Bauernmarkt im Rahmen des Tages der gläsernen Produktion stolz mit ihren Produkten zeigt. Kartoffeln, Fleisch, Speck und Wurstwaren sind im Angebot. Mit welcher Sorgfalt produziert wird und wel- che Qualität man zu bieten hat, darüber informieren die Infotafeln im Hintergrund. 225
Direktvermarktung im Schwarzwald-Baar-Kreis (Stand 10 /2009, ohne Gewähr) Name M. Groß Josef Huber Markus Hug Barbara u. Erwin Klausmann Betrieb/Art Adresse Wohnort Produkte Überruckweg 27 78052 VS-Rietheim Backwaren, Eier Bertholdshöfe 9 78052 VS-Villingen Kartoffeln, Eier, Gemüse, Obst Überaucher Str. 11 78052 VS-Tannheim Fleisch, Wurst, Speck, Kartoffeln Steinatstr. 19 78052 VS-Obereschach Fleisch, Teigwaren, Eier, Geflügel, Heu, Stroh u.v.m. Lilo u. Werner Kornhaas Kirchdorferstr. 28 78052 VS-Marbach Fleisch, Geräuchertes, Eier Ilona Tritschler Am Lämmlis- grund 2 78052 VS-Villingen Kartoffeln, Rapsöl, Eier, Heu, Erdbeeren Johannes Zimmermann Vogtshof Am Wolfsbach 24 78052 VS-Tannheim Sahne-Eis, Sorbet Doris Herbst Barbara u. Klaus Vosseler Alt-Schmiedshof Orangen-Lädele Bühlhof 78078 Niedereschach Südfrüchte, Rindfleisch 78078 Niedereschach Getreide, Kartoffeln, Holz Harald Kiefer Bauernladen Bondelstr. 28 78086 Brigachtal- Überauchen Ursula u. Ernst Bösinger Hofladen Tannenhöfe 1 78087 Mönchweiler Franz u. Robert Huber Hofladen Königsfelderstr. 5 78087 Mönchweiler Kirnacher Bäuerinnenladen Bäuerinnenladen Mühlenplatz 6 78089 Unterkirnach Fleisch, Wurst, Speck, Obst, Ge- müse, Käse, Backwaren Eier, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Wurst, Konfitüren, Eis u.v.m. Kartoffeln, Teigwaren, Eier, Geflügel, Wurst u.v.m. Fleisch, Wurst, Forelle, Vorzugs- milch, Käse, Eier, Teigwaren, Backwaren, Obst, Gemüse, Spirituosen u.v.m. Ruth u. Otmar Neininger Lippenhof Schlegelwald 3 78089 Unterkirnach Rindfleisch Hannelore u. Albert Burkhart Franz Dorer Inge Fehrenbach Imkerei Ecken 1 78098 Triberg-Nußbach Honig, Imkereiprodukte Bauernladen Hauptstr. 65 78098 Triberg Wurst, Käse, Eier, Spirituosen, Obst, Gemüse, Honig u.v.m. Hofkäserei Unterhohnenhof Hohnenweg 19 78098 Triberg-Nußbach Käse Helmut Finkbeiner Wälderdeibishof Untertal 11 78098 Triberg-Gremmelsbach Fleisch, Honig, Schaffelle Anni u. Hubert Kalten- bach Albert Mutschler Leutschenbachhof Leutschenbach 18 78098 Triberg-Gremmelsbach Spirituosen Oberer Schafberg 3 78098 Triberg-Gremmelsbach Käse, Quark Iris u. Richard Schwer Mittelgefellhof Mittelgefell 1 78098 Triberg-Gremmelsbach Fleisch, Wurst, Eier, Kartoffeln Friedbert Fichter Thomas Kieninger Im gr. Maierstal 1 78112 St. Georgen- Oberkirnach Wurst, Speck, Backwaren, Eier Oberer Stockwald 13 78112 St. Georgen-Stockwald Fleisch, Wurst, Eier, Nudeln, Honig Fleisch, Räucherware, Käse, Butter, Quark, Joghurt, Dinkel Backwaren, Wurst, Speck, Eier, Konfitüren u.v.m. Hans-Hartwig Lenzner Untermühlbachhof Mühlbach 1 78112 St. Georgen-Peterzell Erika u. Gerhard Obergfell Bartlesjocklhof Im Zinken 4 78122 St. Georgen-Brigach Franz Schleker Imkerei Am Rauenweg 5 78112 St. Georgen-Stockburg Honig Martina u. Roman Braun Hinterbauernhof Linach 26 78120 Furtwangen-Linach Fleisch, Lammfelle, Eier u.v.m. Beatrix u. Bernhard Ritter Anita u. Albert Scherzinger Erwin Ettwein Obstbrennerei Rohrbacherstr. 4 78120 Furtwangen- Schönenbach Weissenhof Reibschental 37 78120 Furtwangen-Rohrbach Mühllehen-Mühle 78126 Königsfeld- Buchenberg Spirituosen, Obst, Saft, Speck, Honig Fleisch, Wurst, Käse, Milch, Konfitüren, Spirituosen u.v.m. Getreide, Teigwaren, Mehl, Wurst u.v.m.
Einkaufen beim Bauern Landwirtschaft Götz Getreidemühle GbR Getreidemühle Nonnenbergweg 1 78126 Königsfeld-Burgberg Teigwaren, Müsli, Fonds u.v.m. Heinz u. Beate Hettich Neuhaus bauernhof Weilerstr. 4 78126 Königsfeld- Burgberg Bernd Möller Imkerei Waldau 4 78126 Königsfeld Fleisch, Wurst, Eier, Backwaren, Spirituosen, Honig Honig, Kerzen, Spirituosen, Propolis, Blütenpollen u.v.m. Andrea u. Günter Herr Schneiderkürishof Obertalstr. 36 78136 Schonach Wurst, Geräuchertes Gertrud Spitz Weihermattenhof Weihermatte 3 78136 Schonach Eier Lauritta u. Ludwig Dieterle Ute u. Siegfried Duffner Gabrielenhof Prisen 8 78141 Schönwald Fleisch, Wurst Schneiderjocken- hof/Reinertonishof Schwarzenbach- tal 7 78141 Schönwald Fleisch, Wurst, Speck, Fisch, Spirituosen, Backwaren, Honig Raimund Kuner Bartlisbauernhof Schwarzenbach 6 78141 Schönwald Kartoffeln Christine Zimmermann Bauernmarkt Richard-Dorer- Str. 2 78141 Schönwald Brigitte u. Klaus Riesle Breiteckhof Breiteckweg 18 78148 Gütenbach Wurst, Backwaren, Kartoffeln, Eier, Honig, Spirituosen u.v.m. Backwaren, Teigwaren, Konfi- türen Eugen Rohe Unterleimgruben- hof Hübschental 5 78148 Gütenbach Käse, Quark, Joghurt Erika Timm Harzhäusle Kilpen 4 78148 Gütenbach-Kilpen Stefan Bolkart Hofladen Bräunlinger Str. 8 78166 Donaueschingen Fleisch, Wurst, Eier, Kräuter, Konfitüren Wurst, Backwaren, Teigwaren, Kartoffeln, Eier, Gemüse u.v.m. Sonja u. Lothar Mößner Demeter Gärtnerei Hallenbergstr. 11 78166 Donaueschingen- Gemüse, Obst Wolterdingen Christoph Meyer Steinenhof Am vorderen Berg 1 78166 Donaueschingen-Aufen Eugen u. Ulrika Murr Imkerei Angerweg 5 78166 Donaueschingen- Martina Schnekenburger Wolterdingen Ostbaarstr. 2 78166 Donaueschingen-Aasen Fleisch, Wurst, Eier, Gemüse, Backwaren, Teigwaren u.v.m. Honig, Kerzen, Pollen, Propolis, Seifen, Liköre Backwaren, Teigwaren, Eier, Honig, Rapsöl, Essige, Wurst Regina u. Bernhard Wolf Geflügelhof Immenhöfestr. 15 78166 Donaueschingen- Teigwaren, Geflügel, Eier Pfohren Ingfried Kurz Straußenfarm Steppacherhof Steppacher Hof 1 78176 Blumberg-Riedöschingen Fleisch, Wurst, Eier, Nudeln Hans-Peter Mess Wutachstr. 2 78176 Blumberg-Aselfingen Fleisch, Wurst, Kartoffeln, Honig, Heu, Stroh Michael Birk Alexandra u. Roland Dold Insel 17 78183 Hüfingen Fleisch, Wurst, Käse Pulzhof Pulzhof 12 78199 Bräunlingen Backwaren, Eier Reinhard Hauser Schwalbenhof Dögginger Str. 41 78199 Bräunlingen Hubert Hofacker Pauliwäldlehof Färbergasse 18 78199 Bräunlingen Fleisch, Wurst, Vorzugsmilch, Käse, Eier, Backwaren Fleisch, Wurst, Joghurt, Eis, Milch, Käse, Honig Axel Schütz Brandhof Im Brand 3 78199 Bräunlingen-Döggingen Kartoffeln Cornelia u. Guido Wehinger-Follwaczny Gauchachhof Gauchachstr. 2 78199 Bräunlingen-Döggingen Fleisch, Wurst, Gemüse, Kräuter, Backwaren, Getreide, Wein Johannes Wehinger Kirchplatzhof Johann-Schmid- Str. 9 78199 Bräunlingen-Döggingen Fleisch, Wurst Hauser GbR Jakob Kreutter Trossingerstr. 40 78609 Tuningen Lochenrainhof 1 78609 Tuningen Kartoffeln, Teigwaren, Eier, Geflü- gel, Wurst, Speck u.v.m. Teigwaren, Milch, Eier, Geflügel, Mehl, Heu, Weizen, Stroh 227
12. Kapitel Architektur und Denkmalpflege Die Sanierung des Grundbauernhofs in Triberg-Gremmelsbach Energiesparkonzept und denkmalpflegerischer Anspruch Der denkmalgeschützte Grundbauernhof in Triberg-Gremmelsbach wurde in seiner Konstruktion gesichert, der Wohnteil behutsam instand gesetzt und wieder einer Wohnnutzung zugeführt. Bis in die späten 1990er-Jahre war der Grundbauernhof be- wohnt und auch teilweise noch landwirtschaftlich genutzt. Nach dem Tod des unver- heirateten Hoferben stand der Hof einige Jahre leer. Im Jahr 2005 wurde die Frage nach der Zukunft des Anwesens aktuell. Mit dem Verkauf des Gebäudes begann eine neue Ära auf dem Grundbauernhof: Aus dem Hofgebäude sollte ein Zweitwohnsitz werden, der jederzeit als Dauerwohnsitz genutzt werden kann. Die junge motivierte Familie, die den Hof erwor- ben hatte, machte sich in enger Zusammenar- beit mit Planungsteam, Zimmermann und Denk- malpflege an die Sanierung des Schwarzwald- hauses. Wesentliche Grundlage bei der Erarbei- tung des Instandsetzungskonzepts war die Er- fassung des überlieferten Baubestands durch ein verformungsgerechtes Bauaufmaß. Nur so konnte das Gebäude in seinen vielschichtigen konstruktiven Zusammenhängen, seinen nach- träglichen Veränderungen, aber auch in seinem Schadensbild beurteilt werden. Beschreibung der Funktionen Beim Grundbauernhof handelt es sich um einen Schwarzwälder Eindachhof, der auf rund 800 m Seehöhe in einer nach Süden hin offenen Gelän- defalte im Gremmelsbacher Gewann Obertal steht. Von der einstigen Zweckbestimmung des Hofes als Anlage für die Mischwirtschaft zeugen einige Nebengebäude – das Bienenhaus, die in Teilen erhaltene Mühle sowie ein kleines Werk- stattgebäude und der heute mit Ginster bewach- 228 sene ehemalige Weidberg oberhalb des Hofge- bäudes. Das im Grundriss rund 20 x 14 m messende Gebäude ist ein zweigeschossiger Holzbau auf einer massiven, talseitigen Teilunterkellerung. Charakteristisch ist das großflächige Halbwalm- dach. Der Wohnteil ist zur sonnigen Talseite hin orientiert, während sich der Stall geschützt zwi- schen Wohnteil und ansteigendem Hang befin- det. Die Erschließung der einzelnen Bereiche erfolgt jeweils von der Ostseite. Das massive Sockelgeschoss birgt mehrere Kellerräume. Im Erdgeschoss trennt ein über die ganze Haustiefe sich erstreckender Hausgang den Wohn- vom Wirtschaftsbereich. Drei Raum- zonen liegen in der Wohnung nach der Talseite hin orientiert: Die Stube nimmt die vordere Ge- bäudeecke ein, dahinter folgen die Küche und eine Kammerzone. Der Hausgang ist im Ein- Blick auf den Grundbauernhof von Südosten und in die Stube mit Stiegenkasten und Fensterband. Die Fenster im Grundbauernhof wurden repariert und zu Kastenfenstern umgebaut.
Architektur und Denkmalpflege 229
Architektur und Denkmalpflege gangs- oder Stubenbereich breit und wird ne- ben der Küchen- und Kammerzone sehr schmal. Im bergwärts gelegenen Stall befinden sich ein Viehstand, ein Futtergang und ein weiterer Vieh- stand. Das Obergeschoss ist im Wohnteil dem Erd- geschoss entsprechend gegliedert. Zusätzlich befinden sich über dem Stall auf der Eingangs- seite drei für den Schwarzwaldhof charakteris- tische „Knechtskammern“ – die Schlafräume für das Gesinde oder auch Kinder des Hofes. Der größte Bereich des Ökonomieteils wird auf der Obergeschossebene vom Heustock eingenom- men. Der Dachraum ist durch das unter dem Halb- walm geborgene Tor über die Hocheinfahrt zu erreichen. Über die „Fahr“ – einer Überfahrts- brücke über dem Heustock – gelangt man in den ungeteilten Dachbereich über dem Wohnteil. Konstruktion und Überlegung zur Typologie Im Dach erschließt sich das konstruktive Sys- tem des Hauses am schnellsten: Über dem Wohnteil zwei liegende Binder und im Wirt- schafts bereich drei stehende Binder spannen das Dach auf, bzw. sind Teil des Hausgerüstes. Bei den stehenden Bindern handelt es sich um Küche mit repariertem Ofen und historischem Kü- chenschrank. Hochsäulenkonstruktionen, das heißt die Stüt- zen reichen von den Grundschwellen bis unter die Rähme und Pfetten. Die liegenden Binder sind durch Bundstreben, Spann- und Kehlriegel, Büge und Restfirstsäulen gebildet und in den Knotenpunkten mehrheitlich durch Überblat- tungen mit Holznagelsicherung zusammenge- fügt. Der zwei geschossige Hauskörper ist in weiten Teilen als Ständerbohlenbau erhalten. Nach dendrochronologischer Datierung wurde das Hausgerüst 1702 abgezimmert. Im Laufe seiner 300-jährigen Geschichte hat der Grundbauernhof einige Veränderungen erfahren. So wurden die Grundrisse von Erd- und Obergeschoss verändert und der einst vor- handene talseitige Vollwalm durch den heu- tigen Halbwalm ersetzt. Ob die Veränderung der Grundrisse mit der Aufgabe des einst vorhandenen „offenen Rauches“, also der im Schwarzwald üblichen schornsteinlosen Feuerung geschah, bleibt da- hingestellt. Jedenfalls wurde – um die generelle Idee zu benennen – die Küche von der dunklen hinteren Längsseite an die gut beleuchtete Tal- seite verlegt. Damit entstand ein Grundriss, der an die Gutachtäler Häuser erinnert: Stube, Kü- che und hintere Stube oder Stüble sind an der gut besonnten Talseite aneinander gereiht. Die Einordnung des Grundbauernhofes in die von Hermann Schilli und Franz Meckes erar- beitete Typologie der Schwarzwälder Haus- landschaft ist nicht einfach. Funktionale Haupt- 230
Sanierung des Grundbauernhofs in Triberg-Gremmelsbach merkmale sind die Gliederung mit talseitigem Wohn- und bergseitigem Wirtschaftsteil und die Schaffung einer Hocheinfahrt unter der Ausnut- zung der vorgegebenen Hangsituation. Die konstruktiven Hauptmerkmale sind die Errichtung des Gebäudes als Ständerbohlenbau mit stehenden Bindern im Wirtschaftsteil, lie- genden Bindern mit Restfirstsäulen über dem Wohnbereich und die Entscheidung für ein ein- seitig voll abgewalmtes Dach. Anhand dieser konstruktiven Merkmale mag man das Gebäude als den Heidenhäusern zuge- hörig ansprechen. Franz Meckes führte den we- niger assoziativen Begriff der Höhenhäuser ein, dem hier gefolgt werden soll. Die – wenn auch sekundäre – Gliederung des Erdgeschossgrund- risses im Wohnteil verweist auf den Kreis der Gutachtäler Häuser. So geht man wohl nicht fehl, wenn man den Grundbauernhof als Misch- form bezeichnet, die Kennzeichen der Höhen- häuser und der Gutachtäler Häuser aufweist. Die Sanierung Vor der Sanierung zeigte sich der Grundbauern- hof als ein Gebäude mit einer insgesamt interes- santen Ausgangssituation: Das Haus kündete mit seinen aufgezeigten Veränderungen von ei- ner bewegten Geschichte und verfügte damit Blick in die Tenne mit Hocheinfahrt (sog. „Fahr“). Unter dem neuen Bohlenbelag befindet sich eine durchgehende Dämmebene mit Holzzellulose- flocken. über mehrere nutzungs- und damit hausge- schichtliche Dimensionen, die bei der Erarbei- tung des konservatorischen Konzepts zu be- rücksichtigen waren. Die überlieferte, gewach- sene Gebäudestruktur sollte möglichst umfas- send erhalten und die „Zeitschichten“ ablesbar bleiben, das Gebäude also im Bestand repariert und wieder nutzbar gemacht werden. Dieser Zielsetzung entsprachen auch die Nutzungsan- forderungen der neuen Bewohner, die Wohnräu- me möglichst unverändert und in ihrer alten Funktion zu belassen. Bereits in der Planungsfrühphase entschied man sich, die Sanierungsmaßnahmen und künf- tige Nutzung des Hofes auf den Wohnteil zu kon- zentrieren. Der Ökonomieteil sollte in seinem Bestand gesichert und seine ursprüngliche Funktion und Nutzungsstruktur erhalten blei- ben, eine spätere, zumindest teilweise landwirt- schaftliche Nutzung dabei nicht von vornherein ausgeschlossen werden. So entstand ein Sanie- rungskonzept, das sich an der gewachsenen Gebäudestruktur orientierte. Bei den Voruntersuchungen und der Erstel- lung der Schadensdokumentation zeigte sich, 231
Architektur und Denkmalpflege dass die Substanz des Hofes in weiten Teilen nur noch mäßig gut war – eine Situation, die sich aus dem jahrzehntelang nur sparsam be- triebenen Bauunterhalt erklärte. So war die hangseitige Stützmauer unter der Hocheinfahrt in einem bedenklichen Zustand. Das Dachtragwerk wies erhebliche Verformun- gen durch fehlende kraftschlüssige Verbin- dungen auf. Die Sparrenfußpunkte waren in ei- nigen Teilen durch Feuchtigkeit stark geschä- digt oder abgefault. Erhebliche Feuchteschäden waren auch an den Ständer-Bohlen-Außenwän- den festzustellen und vor allem im Bereich der gemauerten Kellerwände, da hier bei starkem Regen das Wasser entlang lief. Darüber hinaus waren die Holzbauteile des Gebäudes – Außen- wände, Deckengebälk, Fußboden- und Treppen- dielen – auch durch Holzwurmbefall geschä- digt. Aus konservatorischer Sicht war es deshalb sinnvoll, trotz des vorgesehenen Sanierungs- und Nutzungsschwerpunkts für den Wohnteil, das Gebäude insgesamt in seinem konstruk- tiven Gefüge zu sichern und auch in den künftig wenig oder ungenutzten Hausteilen wie Stall, Heustock und Dachraum Erhaltungs- und Repa- raturmaßnahmen in geringem, aber notwen- digem Umfang durchzuführen. Die Sicherung, Instandsetzung und Sanie- rung des Hofes erfolgte innerhalb eines knap- pen Jahres. Grundsätzlich wurde die substanz- schonende und damit bestandserhaltende Re- paratur als konservatorisches Ziel festgeschrie- ben. Auf Grundlage der umfassenden Vorunter- suchungen mit verformungsgerechtem Bauauf- mass und Schadenskartierung konnte der Sub- stanzaustausch in den geschädigten Bereichen auf das notwendige und denkmalverträgliche Maß beschränkt werden. Das Prinzip der Ablesbarkeit der unter- schiedlichen „Zeitschichten“ und historischen Veränderungen lässt sich an der Übernahme des Halbwalms ebenso erkennen wie am verän- derten Küchen-Kammern-Grundriss im Erdge- schoss sowie den aus unterschiedlichen Bau- phasen stammenden Fenstern, die repariert und zu Kastenfenstern umgerüstet wurden. Zuguns- ten eines homogenen Gesamtbildes wurden le- diglich störende Einbauten aus jüngster Zeit 232 beseitigt und handwerklich minderwertig aus- geführte Reparaturen korrigiert. Die am hellen Holz erkennbaren reparierten Bereiche legen ihrerseits Zeugnis ab für die gegenwärtig er- folgten Veränderungen. Mit der behutsamen Umnutzung zweier Kammern im Obergeschoss zu Nasszellen, der Erneuerung der Elektrik „auf Sicht“ und Verle- gung in schwarzen Leerrohren sowie dem Ein- bau einer Gaszentralheizung als Alternative zum weiterhin genutzten Stubenofen wurde zeitgemäßes, aber dem Kulturdenkmal ange- passtes Wohnen im Grundbauernhof möglich. Wärmedämmung im Schwarzwaldhof? – Das Energiekonzept Über diese sehr grundlegenden Gesichtspunkte hinaus waren weitere Kriterien zu bedenken, wie sie zwar bei Sanierungen immer eine Rolle spielen, selten jedoch in der Konsequenz wie beim Grundbauernhof zu Ende geführt werden. Die bestandserhaltende Reparatur dient der Sicherung und dem Erhalt der überkommenen Substanz und damit auch der Gewährleistung der Standsicherheit. Darüber hinaus implizierte die beabsichtige Nutzung aber notwendige Gebrauchswertverbesserungen: Dämmung und Bauphysik, Heizung und Sanitär sind die we- sentlichen Arbeitsbereiche, die insbesondere sehr „sparsame“ Holzgefüge wie die Schwarz- Repariertes Stubenfenster mit Herrgottswinkel.
waldhäuser häufig stark belasten und das kon- servatorische Ergebnis in vielen Fällen letztlich beeinträchtigen. Denkbar ist es, bei einem Schwarzwaldhaus auch weiterhin auf jede Dämmung zu verzich- ten: Über Jahrhunderte hinweg haben diese Bauten gut funktioniert. Nun gibt es aber im Schwarzwaldhaus die Eigenart, dass es nur dann darin wirklich behaglich ist, wenn im Win- ter permanent geheizt wird. Und selbst dann ist es nur in der Stube und mit deutlicher Einschrän- kung in der darüber liegenden Stubenkammer angenehm warm, bzw. temperiert. Die beabsich- tigte Nutzung als Zweitwohnsitz ohne Landwirt- schaft und Ansprüche an einen zeitgemäßen Gebrauchswert ließen die Möglichkeit nicht zu dämmen damit früh ausscheiden. Die Dämmung eines Schwarzwaldhauses – oder richtiger die bauphysikalische Ertüchti- gung – ist eine komplexe Aufgabe. Das über Jahrhunderte in den Häusern entwickelte und gewachsene integrierte bauphysikalische Kon- zept, das Schnitzer ausführlich beschrieben hat (siehe Literatur), gibt es nicht mehr: Der Zusam- menhang zwischen den Wärmequellen Stuben- ofen, Herd und Stall und das mit der schorn- steinlosen Feuerung sich ergebene Prinzip des Luftauftriebes und damit der Lüftung im Ge – bäude muss ersetzt werden durch eine korrekte Trennung der unterschiedlichen Zonen des Hau- ses. Behaglich wie ein Neubau Beim Grundbauernhof ist dieser Teil der Auf- gabenstellung ein eher einfacher: Der Wohnteil sollte nach der Sanierung die Behaglichkeit eines Neubaues gewähren, Stall, Gangkammern, Heustock und Dachraum können kalt bleiben und erfordern durch die Nichtnutzung auch kei- ne besonders zu berücksichtigende Lüftung. So blieb also der Wohnteil im engeren Sinn Gegenstand der Betrachtung. Wenig schwierig bei derartigen Ertüchtigungen sind die Ab- schlüsse des Wohnteils nach oben und nach unten. Der in der Regel ohnehin oft zerschlisse- ne Boden des Dachraumes kann unschwer er- setzt und durch eine entsprechende Dämmung Sanierung des Grundbauernhofs in Triberg-Gremmelsbach Ostansicht des Grundbauernhofs. aufgerüstet werden. Hier hat sich die Schaffung einer durchgehenden Dämmebene über dem historischen Deckengebälk bewährt. Die Däm- mung der Böden zum Keller hin ist ebenfalls recht einfach: Sind wie in unserem Beispiel Balkenlagen vorhanden, genügt meist das Ein- bringen einer Dämmung zwischen den Balken, bzw. auf Blindböden. Außerordentlich komplex hingegen ist die Situation der Außenwände in den stark struk- turierten Ständer-Bohlen-Häusern. Hinzu kom- men meist in Teilbereichen überlieferte Vertä- felungen innen oder Verkleidungen außen, die erhalten werden sollen. Ebenso anspruchsvoll ist der Umgang mit den Öffnungen, die sehr häufig schützenswerte Fenster und Türen auf- weisen. Die Außenwände sind in der Regel nicht winddicht. Die Konstruktion birgt aufgrund von durchlaufenden Bauteilen nach heutiger Lesart viele Wärmebrücken. Eine mögliche Art der Dämmung ist die Au- ßendämmung. Leider verlieren dabei die Holz- bauten sehr viel von ihrer strukturellen Klarheit und Schönheit, sofern die Konstruktion bislang nach außen hin unverkleidet war. Aber selbst die historischen Schindelmäntel nehmen nur 233
Sanierung des Grundbauernhofs in Triberg-Gremmelsbach Stüble nach der Instandsetzung. der Umweltverträglichkeit. Durch eine qua lifizier te Konzep- tion, Planung und Ausfüh rung einer Sanierung ist es möglich, ein solches Haus an heutige Nut- zungsanforderungen umweltge- recht anzupassen. Dazu ist eine saubere und zielorientierte wis- senschaftlich-technische Vorar- beit zwingend notwendig und letztlich sehr wirtschaftlich. Die Maßnahmen sind stets mit dem Einzelobjekt abzugleichen und im Fall von hochwertigen Sanie- rungsobjekten nur mit dem Au- genmaß des Fachmannes wirk- lich passend auszuwählen. unter größten Kompromissen eine Außendäm- mung auf. Beim Grundbauernhof fiel nach der Abwägung aller Gesichtspunkte die Wahl auf eine Innendämmung. Den letzten Ausschlag gab wiederum die spezifische Bestandssituation: Das Stubengefach war stark geschädigt und bis zur Sanierung ebenfalls verschindelt. Hier wur- de früh deutlich, dass stärker in die Substanz eingegriffen werden musste, jedoch waren viele der originalen Bauteile in einem reparatur fä- higen Zustand erhalten. So entschied man sich, das Stubengefach unter dem Gesichtspunkt „er – bauungszeitlich 1702“ nach der Reparatur au- ßen auf Sicht zu belassen, wohingegen der Schindelmantel in der bereits ebenfalls überlie- ferten „Umbauzone“ Küche/Kammern erhalten blieb. Wünsche an Komfort und Be- haglichkeit, Umwelt- und Bestandsverträglich- keit und konservatorische Ansprüche sind bei der sehr speziellen und immer rarer werdenden Bauart unserer Schwarzwaldhäuser gut – oder wie das Beispiel zeigt – sehr gut miteinander zu vereinbaren. In Verbindung mit der substanzschonenden Reparatur, dem Erhalt und der Ablesbarkeit der überlieferten und gewachsenen Gebäudestruk- tur konnte der Grundbauernhof so in seinem Bestand langfristig gesichert und als authen- tisches Geschichtszeugnis erhalten werden. Ulrike Schubart / Martin Wider / Stefan Blum Hervorragende Umweltverträglichkeit Literatur Der Grundbauernhof wird durch eine Gashei- zung und drei Einzelöfen beheizt. Wünschens- wert – und das insgesamt gute Ergebnis noch verbessernd – wäre eine Beheizung ausschließ- lich mit erneuerbaren Energien. Historische Gebäude leisteten den Menschen oft über Jahr- hunderte hinweg gute Dienste bei hervorragen- Schilli, Hermann: Das Schwarzwaldhaus. Stuttgart 1953. Meckes, Franz: Siedlungs- und Baugeschichte der Schwarzwaldhäuser. In: Schnitzer, Ulrich: Schwarz- waldhäuser von gestern für die Landwirtschaft von mor- gen. Arbeitsheft 2 des Landesdenkmalamtes Baden- Württemberg. Stuttgart 1989. Fraunhofer-Institut Holzkirchen, Quelle Planungs-Handbuch für Architekten Ausgabe 1998. ISOFLOC 234
Ein Schauspieler aus Leidenschaft Markus Stöcklin fungiert auch als Regisseur bei der Königsfelder Burgtheater AG 13. Kapitel Theater Lehrer ist sein Beruf, das Theater seine Leidenschaft: Markus Stöcklin ist ein Vollblutschauspieler, der vor allem die kleinen Formen liebt – Clowntheater, Kabarett, Pantomime, Solostücke. Mit einem von Patrick Süskind ist er nach- gerade schicksalhaft verbunden, er spielt es seit fast 20 Jahren ununterbrochen auf den Bühnen der Region und ihrer Peripherie. Ein Ende ist nicht abzusehen, versichert der 60-jährige Schauspieler aus Königsfeld. Dies mitten im fröhlichen Gewusel des Königsfelder Burgspektakels auf der Ruine Waldau, das „sein Kind“ ist, zumindest in künstlerischer Hinsicht. Hier glänzt Markus Stöcklin vor allem als Regisseur und in dieser Position kann er sich auch für opulente Produktionen mit vielen Akteuren begeistern. Der gebürtige Lörracher hat über Umwege in den Lehrerberuf (den er unverändert gern ausübt und zwar an der Grundschule Kappel) und zur Schauspielerei gefunden. Zuerst hat er sich anderweitig ausprobiert, hat nach der Mittleren Reife eine Lehre als Speditionskauf- mann absolviert und ein Jahr auf dem Frank- furter Flughafen gearbeitet, dann daheim in Lörrach eine Boutique für schöne und kuriose Dinge aus aller Welt eröffnet. Doch auch die- se Erfahrung befriedigte nicht die Sehnsucht nach innerer Weite. Markus Stöcklin besuchte ein Jahr lang das Freiburger Kolpingkolleg und absolvierte auf dem zweiten Bildungsweg ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Lörrach. 1972, gleich zu Beginn, stieß er zum Studententheater „und seither bin ich ange- fressen“. Er hatte so intensiv Blut geleckt, dass er schon während des Referendariats in Tuttlingen das Kindertheater Huckepack gründete und als Straßenclown auftrat. Fünf Jahre später im- matrikulierte er sich ein zweites Mal an einer Hochschule und absolvierte in Esslingen ein Aufbaustudium in Theaterpädagogik. In das war natürlich eine schauspielerische Ausbil- dung integriert; Schwerpunkt hier wie auch bei Markus Stöcklin beim „Kontrabass“. 235
Theater späteren Qualifizierungskursen wurden Panto- mime und Clownerie, Stegreiftheater und Im- provisation. Als Mar kus Stöcklin hörte, dass das Wandertheater „Karrensalber“ in Obern- dorf einen Regisseur suchte, zögerte er nicht lange und schloss sich der jungen Laientruppe an, der auch seine spätere Ehefrau Traudel und weitere Protagonisten vom heutigen Königs- felder Burgspektakel angehörten. Mehrere Sommer lang zogen die jungen Theaterleute wie früher Gaukler und fahren- de Musikanten im zünftigen Planwagen übers Land, vor den sie einen alten Traktor gespannt hatten. Später, als allmählich Kinder geboren wurden, unternahmen sie ihre Tourneen zwi- schen Freiburg und Bodensee in einem etwas komfortableren VW-Bus. „Es war eine schöne, aufregende und lehrreiche Zeit“, erinnert sich der frisch gebackene Großvater mit leichter Melancholie in der Stimme. 1989 wurde zum Jahr der Zäsur für den damals 30-jährigen Junglehrer, der zwischen- durch einen Abstecher in die Erwachsenenbil- dung gemacht hatte und pädagogischer Mit- arbeiter der Volkshochschule (VHS) Rottweil war. Hier lernte er den großen Mimen Heinz Vas- terling kennen, der am Berliner Schillertheater mit Heinrich George auf der Bühne stand, bis er im Zweiten Weltkrieg einen Arm verlor und deutschlandweit als Dozent für das Goethe- institut unterwegs war. In Rottweil war der ge- bürtige Hannoveraner nach einer Autopanne hängen geblieben, zog hierher und hielt Thea- tervorträge zum Beispiel in der VHS. Stöcklin und der Kontrabass Markus Stöcklin, der sich bislang auf Stra- ßen- und Clowntheater mit großen Gesten und ausgeprägter Körpersprache konzentriert hat- te, versuchte sich an seiner ersten Sprechrol- le, die sein Gesellenstück werden sollte: „Der Kon trabass“. Vasterling war von dem Stück be- geistert und übernahm die Regie – damals be- reits 72-jährig und „immer noch vor Kraft strot- zend“. Der alte Theaterhase habe ihn in uner- bittlicher Strenge trainiert. „Wir haben mit dem Stück fast ein halbes Jahr gelebt“, erinnert sich 236 Markus Stöcklin als Musikliterat. Stöcklin, doch bei der Premiere im Rottweiler Zimmertheater sei sein hünenhafter Lehrer mit anrührend-einarmigem Applaus außer sich vor Freude gewesen. Das war 1990, seither hat Stöcklin den So- lo-Klassiker „ungefähr 350-mal“ gespielt: „Ich kann nicht aufhören …“ Der traurige Kontrabassist ist Teil seines Lebens geworden wie ihn überhaupt Psycho- gramme von Menschen mit Macken, von gro- tesken Gestalten im Pendel zwischen Tragik und Komik faszinieren. Seine Lieblingsfiguren haben viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Das gilt auch für „Novecento“ – die Legende vom Ozeanpia- nisten von Alessandro Baricco, die Markus Stöcklin „mindestens 50-mal“ auf der Bühne erzählt und gespielt hat. In beiden Stücken geht es um elementare Ängste und vertraute Abgründe, die freilich aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt werden. Im Kontrabass ist Mittelmaß das Thema, der Held würde gern ein großer Musiker sein, aber sein Talent reicht nur fürs dritte Pult. Novecento hingegen könn- te Karriere als begnadeter Pianist machen, er aber will nicht und verlässt niemals das Schiff mit seinem Klavier, das ihn in der Einsamkeit der Ozeane beschützt. Die emotionalen Befindlichkeiten ändern sich und mit ihnen die Lieblingsrollen, zur Zeit ist es
Das sind die wichtigsten Programme: Seit 1990 „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind. In der Chronologie der Inszenierungen folg- ten: 1993 „Flieg Vogel flieg“ Groteske über die Freiheit (Eigenproduktion); 1994 „Stra- tegie eines Schweins“ von Raymond Cous- se; 1996 „Socken“ – Slapstick und Comedy mit Christoph Sieber; 1997 „Brach“ von Tho- mas Strittmatter mit Dorothee Meylan und Verena Müller-Möck; 1998 „Die Zeitbrem- se“ (Eigenproduktion); 2000 „Kennen Sie die Milchstraße?“ von Karl Wittlinger; 2001 „Novecento“ – Die Legende vom Ozeanpia- nisten von Alessandro Baricco; 2002 „Die Kurve“ von Tankred Dorst; 2005 „Minidra- men und Leerstücke“ mit Reinhold Karrer; 2007 „Kalif Storch“ frei nach Wilhelm Hauff; 2008 „Gretchen 89ff“ von Lutz Hübner mit Johanna Zelano; seit 1998 Spielleitung des Burgspektakels Königsfeld und Regie bei der Produktionen der Burgspektakel Theater AG mit rund 30 Amateuren. der alte Haudegen, der im Stuhl sitzt, mit der Gretchen-Schauspielerin eine Schlüsselsze- ne aus Goethes Faust einübt und auf Gott und die Welt schimpft. Diese jüngste Eigenproduk- tion heißt „Gretchen 89ff“ und ist ein kaba- rettistisches Theaterstück von Lutz Hübner, mit dem Markus Stöcklin und Johanna Zelana im letzten Jahr ihr Publikum begeisterten. Es geht um Archetypen der Schauspiel- und Re- giekunst und um die Verarbeitung des Älter- werdens, natürlich mit parodistischem Blick durchs Schlüsselloch. Die Königsfelder Burgtheater AG Ganz anderer Natur sind die voluminösen Insze- nierungen mit dem rund 30-köpfigen Ensemble der Königsfelder Burgtheater AG, bei denen Mar- kus Stöcklin seit elf Jahren Regie führt, Mädchen für alles ist und auf der Bühne höchstens in einer Nebenrolle erscheint, in der er dann zu- verlässig brilliert. Im Jahr 2008 zum Beispiel setzte er sich selbst die Aufgabe, als Autor Markus Stöcklin und Regisseur im Stil der Commedia dell’Arte ein abendfüllendes Stück zu schreiben. An- fangs habe er keinen Plot, nur Bilder im Kopf gehabt – von einer Beerdigung am Anfang und einer dreifachen Hochzeit am Ende. Die Zeit da- zwischen hat sich auf wundersame Weise mit abenteuerlich-abstrusen Turbulenzen um Lie- be, Geld und Macht gefüllt, die maßgeschnei- dert auf Königsfeld und auf das Potenzial der Akteure entwickelt wurden. Es mache ihm einen „Riesenspaß“, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen, gleichwohl sei das Werden einer Produktion fürs Burg- spektakel jedes Mal auch ein anstrengender Prozess. Zwischen Rollenverteilung und Orga- nisation der Proben liege ein „Rattenschwanz“ an Aufgaben und Problemen, zumal alle Betei- ligten berufstätig sind, zur Schule gehen oder anderweitige Pflichten haben. „Es macht aber Spaß zu beobachten, wie sich die Laien mit den Jahren schauspielerisch entwickeln.“ Er selbst sieht sich nach wie vor als pas- sionierter Amateur und hat es auch nie bereut, nicht selbst ins Profi-Lager gewechselt zu ha- ben. „Ich kenne meine Grenzen“, sagt er be- scheiden, „ich kann nicht jede Rolle spielen“. Große Klassiker seien seine Sache nicht, er sei in der Kleinkunst zu Hause, sehe sich selbst mehr als Selfmademan und Einzelgänger, der sich nicht verpflichtend an ein Ensemble bin- den wolle. Außerdem: „Das Theater soll meine Leiden- schaft bleiben.“ Dazu gehört auch die enge Beziehung zum Stammpublikum gerade in Kö- nigsfeld, Villingen-Schwenningen und in St. Georgen, wo Stöcklin beim Theater im Deut- schen Haus mitarbeitet und in zweijährigem Turnus die Weihnachtsproduktion übernimmt. Auch anderswo strömen ihm Sympathie und Wohlwollen zu, „das trägt dich und tut gut“. Allmählich zeichnet sich ab, dass der Theatermann aus dem Schuldienst ausschei- den und mehr Zeit für seine Leidenschaft ha- ben wird. Dann will er vermehrt Stücke schrei- ben und sie auf die Bühne bringen. Auch wenn er selbst vielleicht irgendwann nicht mehr auf diesen Brettern stehen wird, ein Leben ohne Theater – das ist für Markus Stöcklin „noch nicht vorstellbar“. Christina Nack 237
Theater Thomas Moser und seine „Villinger Kumedie“ – Kabarett fürs Volk Die Kleinkunst-Akteure sind mittlerweile in ganz Südbaden bekannt Zehn Minuten sitzt er nun schon auf der Terrasse im Villinger Kur- garten und es ist noch kein bissi- ger Kommentar gefallen. Keine Manager-Schelte, kein Wort über Staatshilfen und Boni, Anstand und Moral. Ungewöhnlich für je- manden, der sich selbst als „Chef- zyniker“ bezeichnet. Thomas Mo- ser liebt es, „dem Volk aufs Maul zu schauen“, Schwachstellen auf- zudecken und die Dinge beim Na- men zu nennen – ehrlich, bissig, laut. Thomas Moser Die Leute, die seit zehn Jahren zur Villinger Kumedie kommen, schätzen das. Sie verlangen nach einem Sprachrohr, einem Verbündeten im Geis- te, der sagt, was sie denken. Wenn die Schein- werfer über der Bühne strahlen, dreht Moser auf, damit die Zuschauer abschalten können. „Kabarett fürs Volk“, nennt er den Querschnitt durch die Kleinkunst, der mit einem „hochpoli- tischen Vortrag“ so gar nichts zu tun hat. Es geht um Männer, die sich, obwohl sie einst das Rad erfunden haben, ständig zurückentwickeln; um Frauen auf der Überholspur oder um Kinder, die im Stil der Laissez-faire-Erziehung „bewusstlos gequasselt“ werden. Kurz um: warum früher – natürlich – alles besser war. „Das Publikum will banal und einfach unterhalten werden. Das Le- ben ist schwer genug“, nennt Moser die Erfolgs- formel. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Themen, die die Welt bewegen, noch immer nicht zur Sprache gekommen sind. Interesse daran hat Moser durchaus. „Auf den ‚Focus’ möchte ich nicht verzichten. Den nehme ich 238 überall hin mit“, sagt er. Auch heu- te liegt das Nachrichtenmagazin vor ihm auf dem Tisch. Die Kom- mentare zum Inhalt aber fallen äußerst knapp aus. „Das Unrechts- bewusstsein der Leute wird zur Zeit total geschärft. Wann immer sie den Fernseher einschalten oder die Zeitung aufschlagen, geht es nur noch um die Krise.“ Moser beschäftigt sich mit den Sorgen der Menschen, er kennt die Befindlichkeiten seines Publi- kums. Er weiß, dass sich seit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. Septem- ber 2008 vieles verändert hat. Dutzende Artikel darüber sind allein in seinem Lieblingsmagazin erschienen. Er hat sie alle ge- lesen. Vor Jahren wären solche Schlagzeilen für ihn noch ein gefundenes Fressen gewesen. „Ich konnte mir ein Programm nach dem Vorbild des Nockherbergs damals gut vorstellen.“ Die Be- geisterung ist ihm anzumerken, wenn er über das Derb lecken (bayerisch: sich über jemanden lustig machen) spricht, bei dem alljährlich in der Fastenzeit auf dem Münchner Nockherberg Poli- tiker kritisch-humoristisch aufs Korn genom- men werden. „So was wollten wir mit der Kume- die auch ins Leben rufen. Kommunalpolitik das ganze Jahr und eben nicht nur an Fastnacht.“ „Banalitäten auf den Punkt bringen“ Von der ursprünglichen Idee des politischen Ka- baretts ist nicht mehr viel übrig geblieben. Mo- ser ist kein politischer Satiriker, möchte nicht in
Theater Die „Villinger Kumedie“ mit Hauptakteur Thomas Moser ist längst kein Geheimtipp mehr – die Vor- stellungen sind ausverkauft. eine Schublade mit den Kollegen aus der „An- stalt“ oder dem Ensemble vom „Scheibenwi- scher“ gesteckt werden. Er lächelt, wenn er das sagt. Wohl wissend, dass die neue Strategie, „Banalitäten auf den Punkt zu bringen“, voll auf- gegangen ist. „Inzwischen sind wir kein Ge- heimtipp mehr. Jeder will Karten haben.“ Einen Moment lang ist es ganz still. „Ich has- se Ungerechtigkeit“, sagt er und greift das all- gegenwärtige Thema, das viele Menschen be- schäftigt, noch einmal auf. Von Staatshilfen für Großkonzerne, der Not kleinerer Unternehmen und der Existenzangst vieler Deutscher noch im- mer kein Wort. Wenn es um die Solidarität in- nerhalb der Gemeinschaft geht, ist Moser nicht nach zynischen Kommentaren zumute. Man spürt, dass ihm die derzeitigen Veränderungen in der globalen Wirtschaft mitsamt den Auswir- kungen auf das Miteinander zu denken geben. Seine Miene ist ernster geworden in den letzten Minuten, seine Stimme ruhig und bedächtig. Da ist er wieder, Moser, das Sprachrohr. Der Mann, der den Finger in die Wunde legt, der aus- spricht, was andere sich nicht zu sagen trauten. Die Art und Weise, wie er das tut, hat mit einer bühnenreifen Gesellschaftskritik jedoch nichts gemein. Wären die Scheinwerfer an, klängen seine Worte vielleicht wirklich wie ein flammen- der Appell, in der Welt endlich mehr Gerechtig- keit walten zu lassen. Doch zum einen sitzt Mo- ser nicht im Rampenlicht und zum anderen wür- de er dort derart grundsätzliche Anliegen kaum zum Besten geben. Schließlich sollen die Leute etwas zu lachen haben. Moser weiß, was das Publikum von ihm er- wartet. Längst ist die Kumedie zu einer Einrich- 239
Theater Gründeten 1999 die Villinger Kumedie, von links: Roland Gram- mel, Bruno Moser, Thomas Moser, Fridolin Ströbele, Michael Som- mer. Nicht auf dem Bild ist Grün- dungsmitglied Herbert Nehm. Rechte Seite: Bunt, fröhlich und bisweilen skurril: Die Kumedie begeistert durch eine gelungene Mischung aus Comedy, Parodie, Kabarett, Travestie und Kleinkunst. tung geworden, die den Geschmack der Gäste zielsicher trifft. Er wolle in erster Linie die Leute unterhalten und ihre alltäglichen Sorgen für ei- nige Stunden vergessen machen, betont Moser. Zu helfen, sagt Moser, das sei ihm schon immer wichtig gewesen. „Die Probleme der an- deren haben mich total interessiert. Ich war schon als Kind extrem sensibel und für alle der Kummerkasten der Nation. Psychologie hat mich begeistert.“ An Misserfolgen gewachsen Nach Rat gefragt werde er auch heute noch häu- fig. Mit dem Psychologie-Studium hingegen ist es nichts geworden. Stattdessen absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann. „Als Schüler war ich ein totaler ‚Null-Bock-Typ’, cle- ver aber stinkfaul. Heute weiß ich, dass ich mehr hätte lernen sollen.“ Dass die Türen zur Univer- sität für ihn verschlossen geblieben sind, grämt Moser nicht. „Schade“ sei es, aber nicht schlimm. Diese gelassene Art, mit verwehrten Mög- lichkeiten umzugehen und an Misserfolgen zu wachsen, ist eine seiner größten Stärken. Nie- derlagen, das hat sich über die Jahre immer wie- der gezeigt, wurden für Moser zum Motor einer jeden Entwicklung. Rampenlicht stand, endete der Abend in einer Katastrophe. „Das war so was von einem Flop. Völlig klar, dass ich nie wieder auf die Bühne gehen würde.“ Moser wechselte die Perspekti- ve, fand als Assistent unter Eberhard Zimmer- mann seinen Platz im Hintergrund. „Hier fühlte ich mich richtig wohl.“ Aus dem Misserfolg Büh- nenpremiere erwuchs der Erfolg Regieassistenz. Der hielt bis zum legendären „Ball der Schwarzwaldklinik“ 1986 an. „Zum Jubiläum wollten wir Fastnacht neu erfinden und dabei blieb die Fastnacht auf der Strecke. Die Leute hatten nichts zu lachen. Das verzeihen sie dir nicht.“ Als Konsequenz trat die gesamte Mann- schaft zurück. Nur Moser blieb. Weil sein Vater erster Vorsitzender der Katzenmusik war, kam ein Rückzug für ihn nicht in Frage. Der Zusam- menhalt in der Familie und sein Verständnis von Solidarität ließen einen solchen Schritt nicht zu. Mit dem Ausscheiden der angestammten Truppe begann für die Katzenmusik aber auch für Moser selbst eine neue Zeitrechnung. Fortan musste er die Fäden in die Hand nehmen, neue Akteure für den Ball gewinnen und selbst die Verantwortung tragen. Eberhard Zimmermann, der Mentor, der ihn jahrelang hinter der Bühne begleitet hatte, war ihm in aller Freundschaft von der Seite gewichen. Jetzt musste Moser be- weisen, dass er diese großen Fußstapfen aus- füllen konnte. Schon als er 1978 zum ersten Mal als Schau- spieler beim Ball der Villinger Katzenmusik im „Rückblickend war es für mich wie eine Be- freiung. Ich wurde total kreativ. Eigentlich muss 240
Villinger Kumedie kunst beim Publikum dermaßen gut ankommt, dass die Karten zur begehrenswerten Ware ge- worden sind. Wohl aber auch, weil er mit dem nachhaltigen Erfolg, der jüngst bei einer Jubilä- umsvorstellung zum zehnjährigen Bestehen ge- feiert wurde, seine Kritiker Lügen straft. Das vernichtende Echo der Presse auf die Premiere der Kumedie hat Moser bis heute nicht vergessen. „Wir sind total verrissen worden. Die haben geschrieben ‚Moser macht Fastnacht im Sommer.’ Ich bin dermaßen reduziert worden, das war hart an der Schmerzgrenze.“ Da das Publikum bei der Kumedie-Premiere getobt hatte und die Truppe nur bei den Journa- listen durchgefallen war, kam eine Beerdigung des Kleinkunstprojekts so kurz nach der Geburt unter keinen Umständen in Frage. „Wir haben die Vertreter der Zeitungen einfach nicht mehr eingeladen und sind unseren eigenen Weg ge- gangen.“ Längst ist das Bühnenprogramm nicht mehr auf Villingen begrenzt. „Der Spielkreis ist ge- wachsen, heute treten wir in Freiburg, Freuden- stadt oder Neustadt auf. Auch inhaltlich haben wir uns weiterentwickelt. Die Themen sind offe- ner geworden, der lokale Bezug weniger stark ausgeprägt. Villingen steckt zwar noch im Na- men, spielt ansonsten aber keine große Rolle mehr.“ So möchte Moser, der seit 2007 in kleinerer Besetzung, inzwischen nur noch mit Michael Sommer und Neuzugang Frank Blom auf der Bühne steht, noch lange weiter machen. Damit das klappt, legt sich der „Vater der Kumedie“, wie ihn in Villingen-Schwenningen viele nen- nen, zweimal die Woche in die Badewanne. „Dort bin ich kreativ. Im Wasser habe ich die besten Ideen.“ Und noch ein Ritual möchte er nicht missen. Den Stammtisch am Samstag, zu dem sich die ursprüngliche Besetzung der Kumedie jede Woche trifft. „Das sind Freunde fürs Leben“, sagt Moser, nimmt zum ersten Mal an diesem Nachmittag die Sonnenbrille ab und schaut mit leuchtenden Augen in die Grünanlage des Kur- gartens. „Villingen ist für mich Heimat. Es ist so provinziell einfach, so provinziell eng – un- glaublich schön.“ Philipp Jauch 241 ich für den Flop heute noch dankbar sein.“ An- fangs schrieb Moser noch für andere, später folgte der zweite Versuch, das Rampenlicht doch noch einmal zu betreten – mit Erfolg. Ab 1987/88 organisierte er zehn Jahre lang den Ball der Katzenmusik und schuf mit „Else und Karl- Otto“ eine kommunalpolitische Bühnennum- mer, die in der Villinger Fasnet Kultstatus er- langte – die Texte, natürlich von ihm. Wieder war es der Misserfolg rund um die „Schwarz- waldklinik“, aus dem Moser eine Erfolgsge- schichte machte. Die Gründung der „Villinger Kumedie“ erfolgte im Jahr 1999 Wichtiger noch als die Fähigkeit, immer wieder aufzustehen, war ihm aber der wiedergewonne- ne Spaß daran, das Publikum zu unterhalten und dabei selbst im Mittelpunkt zu stehen. „Ir- gendwann reifte bei uns die Idee, nicht nur wäh- rend der Fastnacht Klamauk zu machen, son- dern das ganze Jahr über. Deshalb haben Mi- chael Sommer, Fridolin Ströbele, Roland Gram- mel, Herbert Nehm, mein Bruder Bruno und ich 1999 die Kumedie gegründet.“ Thomas Moser strahlt regelrecht, als er von der Geburtsstunde erzählt. Die Freude über „die größte Leistung seines Lebens“ ist ihm anzu- sehen. Sicher deshalb, weil die Mischung aus Comedy, Parodie, Kabarett, Travestie und Klein-
14. Kapitel Sport Vize-Weltmeister Martin Schmitt Der Skispringer sorgte im Winter 2008/09 für das Comeback des Jahres Martin Schmitt – Weltmeister und Olympiasieger – ist zurück an der Weltspitze. Der 31-Jährige sorgte mit seiner Rückkehr in die Skispringer-Elite für das schöns- te Comeback des vergangenen Winters. Nach siebenjähriger Durst strecke sorgte der Tannheimer für Begeisterung bei den Skisprung-Fans, und seine Sport-Heimat- stadt Furtwangen bereitete ihm einen großartigen Empfang. Martin Schmitt star- tet für den Skiclub Furtwangen, dem Training im dortigen Skiinternat hat er zu großen Teilen seinen Erfolg zu verdanken. Sein Comeback brachte ihm allergröß- ten Respekt ein, wie Landrat Karl Heim und Furtwangens Bürgermeister Richard Krieg im April 2009 bei einer Feier in der Festhalle betonten. Wie oft hatte sich Schmitt in den vorangegangenen Jahren nach mäßigen Leistungen recht- fertigen müssen. Er war von der Weltspitze weit entfernt. Nun ist ein 15. oder 20. Platz unter den weltbesten Skispringern nicht wirklich schlecht. Er entspricht aber ganz und gar nicht den eige- nen Ansprüchen des 31-Jährigen und schon gar nicht der Erwar- tungshaltung von außen. Zuviel hatte Schmitt zuvor erreicht. Er war vierfacher Weltmeister (1999 und 2001), Olympiasieger (2002), zweifacher Weltcup-Ge- samtsieger (1999 und 2000) und triumphierte bei 28 Weltcup-Springen. Der Schwarzwälder dominierte Ende der 90er-Jahre und zu Beginn des neuen Jahrhunderts die Skisprung-Sze- ne. Er war es, der den Boom dieser Sportart in Deutschland auslöste. Noch vor Sven Han- nawald. Der Sportler des SC Furtwangen war es fast im Alleingang, der für den Deutschen Skiverband die Türen zu den üppigen Fernseh- geldern öffnete. So jemand gibt sich mit Mittel- maß nicht zufrieden und das tat Martin Schmitt 242 Martin Schmitt (links) im Gespräch mit Martin Schartel, Lehrer am Otto-Hahn-Gymnasium und einst Betreuer des Skispringers zu sei- ner Zeit am Skiinternat Furtwangen. Der Skispringer hatte viele Zuhö- rer, ist er doch seit Jahren das sportliche Aushängeschild der Stadt. auch nicht. Doch das Mittelmaß hielt lange an. „Warum tut er sich das an?“, fragte der frühere Olympiasieger und Weltmeister Jens Weißflog (Oberwiesenthal). Schmitt beantwortete diese Frage nach seinem gelungenen Comeback mit dem Satz: „Ich habe stets gefühlt, dass ich die Qualität für die Weltspitze noch habe.“ Wahre Worte, für die er allerdings ein, zwei Jahre zuvor noch belächelt worden wäre. Schmitts Suche nach der Form war lang, sehr lang sogar. Immer und immer wieder musste er
Vize-Weltmeister Martin Schmitt erklären, warum es nicht klappen will, wusste es aber meist selbst nicht so recht. Der „andere“ Martin Schmitt Doch im Winter 2008/09 kam dann das gran- diose Comeback. Schon vom ersten Weltcup- Springen an präsentierte sich ein anderer Mar- tin Schmitt als zuvor. Spätestens bei der Vier- schanzentournee bestätigte er seine Rückkehr in die Weltspitze. Die Krönung folgte bei den Weltmeisterschaften Mitte Februar im tsche- chischen Liberec. Dort gewann Martin Schmitt Silber im Springen von der Großschanze, die erste Einzelmedaille nach sieben durchwachse- nen Jahren. „Es war ein Traum von mir, noch mal bei einer WM auf das Podest zu kommen, und diesen Traum habe ich mir nun erfüllt“, sagte Schmitt nach dem Wettkampf gerührt. Zudem wurde er Fünfter beim Wettkampf auf der Nor- malschanze. Über die gesamte Saison hinweg zeigte Mar- tin Schmitt konstante Leistungen. Im Gesamt- weltcup wurde er dafür mit Rang sechs belohnt. 14 Mal sprang der 31-Jährige im vergangenen Weltcup-Winter in die Top-Ten – so oft wie in den vorangegangenen fünf Jahren zusammen. Es war annähernd wieder der Martin Schmitt, der den deutschen Skisprung-Fans einst so viel Freude bereitete. Nicht ganz so erfolgreich, aber dafür locke- rer. Der Skisprung-Star ist reifer geworden. Er genießt seine Erfolge und die Genugtuung, dass er es doch geschafft hat. „Ich habe es mir selbst bewiesen. Es ist schön, dass ich aufwachen Der Skiclub und die Heimatstadt Furtwangen gra- tulieren zur Vize-Weltmeisterschaft: Vorsitzender Dr. Thomas Koepfer, Martin Schmitt und Bürger- meister Richard Krieg. Begehrt waren die Auto- gramme, auch die jungen Fans hatten Glückwün- sche parat. kann und weiß: Es kann so weitergehen. Das macht Lust auf mehr“, sagte Schmitt während der Vierschanzentournee. Auch sein jahrelanger Weggefährte auf der deutschen Erfolgswelle, Sven Hannawald, war schwer beeindruckt: „Ich bewundere Martin für dieses Comeback. Einfach genial.“ Ein wesentlicher Faktor für die überraschen- de Rückkehr in die Weltspitze ist sicherlich der Trainer-Wechsel in der Deutschen Mannschaft. Der neue Chef-Coach Werner Schuster (Öster- reich) machte den Mann mit dem lila Helm wie- der zum deutschen Vor-Springer. Und er tat dies mit großer Unterstützung von Schmitts Heim- trainer Rolf Schilli (Schönwald). Schuster und Schilli – ein Duo, das Martin Schmitt wieder auf Kurs brachte. Die ganz großen Erfolge wie zu seiner Glanz- zeit wird Martin Schmitt wohl nicht mehr feiern. Allerdings gibt es noch das eine oder andere, was ihm in seiner langen und edlen Erfolgsliste noch fehlt. Dazu gehört auch eine Einzelmedail- le bei Olympia. Nun stehen im Februar 2010 im kanadischen Vancouver die Olympischen Spiele bevor, und ein Martin Schmitt auf dem Podest ist dort durchaus vorstellbar. Wer nach sieben Jahren Mittelmaß so eindrucksvoll zurückkehrt, dem ist wieder alles zuzutrauen. Christof Kaltenbach 243
Sport Reiten wir den „Bullen“ den Fluss hinunter Der Donaueschinger Kanu-Freestyler Helmut Wolff betreibt Wildwasserrodeo Paddeln ist die eine Möglichkeit, sich in einem Boot fortzubewe- gen, der Donaueschinger Helmut Wolff (Lieblingsmusik: Techno) bevorzugt in seinem Kanu lieber die andere und ist dabei wie 2008 bei den Freestyle-Europameister- schaften im spanischen Ourense mit seinen Moves, den spektaku- lären Tricks wie Blunt, Spin und Co oder einfachen Saltos ganz in seinem Element. Dann ist für ihn auch wieder Zeit für ein Rodeo, nur geritten wird diesmal auf einer Welle oder in der Walze. Mit ihren knapp zwei Meter langen Rodeokajaks mit 180 bis 200 Litern Volumen und einem flachen, verstärkten Boden absolvieren die Fahrer spektakuläre Drehungen und Sprünge und reiten so den „Kohlefaser- Bullen“ die reißenden Fluten hinab. Sie sind die Artisten unter den insgesamt 5.000 organi- sierten Paddlern heute in Deutschland und das Wildwasserrodeo hat sich seit 1995 dabei zum wettkampftauglichen Kanu-Freestyle entwickelt. Wie Surfen im Tiefschnee In Schwenningen geboren und in der Winter- sportregion Schonach aufgewachsen hat es die Freestyle-Sportart Helmut Wolff vor allem durch ihren Facettenreichtum angetan, denn Kanu- sport ist für ihn alles außer langweilig. „Eben Surfen im Tiefschnee“, wie der 46-Jährige mit der drahtigen Statur anmerkt, denn schon als kleiner Bub hatten ihn die Eltern Franz-Jörg und Lisa (86) auf die Ski-Bretter gestellt und in der Tat hat der junge Sport Ähnlichkeiten mit dem Snowboard Freestyle. Zudem kommt die Be- geisterung für den Wassersport nicht von un- 244 Der Donaueschinger Kanu-Freestyler Helmut Wolff. gefähr, hatte doch sein heute 81-jähriger Vater beim Senioren-Wettschwimmen in früheren Jah- ren so manche respektable Zeit für den Villin- ger Verein erzielt. „Schwimmen lag bei uns ein- fach im Blut“, bringt der Sportler den Hinweis auf seine sportlichen Anfänge im Triathlon an. Doch Wolff sah anfangs darin mehr einen Ausgleich zu seinem Berufsalltag als TÜV-Gut- achter und hatte sich zunächst zum Zeitvertreib ins Boot gesetzt. Doch dann hatte es ihn ge- packt, als der Freestyle 1990 in Amerika gebo- ren wurde: Reißende Wildflüsse möglichst schnell im Kanu bezwingen, das ist eine He- rausforderung, das besondere Feeling des Ka- nu-Wildwasserrennsports. Mittlerweile ist der Donau eschinger in 20 Ländern auf rund 200 Flüssen unterwegs gewesen und hat dabei ins- gesamt 1.750 Tage auf dem Wasser verbracht. Bei Wettkämpfen geht es für ihn nach einer Pause seit fünf Jahren nun verstärkt um Punkte für Figuren und perfekte Bootsbeherrschung. So etwa im Juni 2009 im steirischen Graz bei der Internationalen Canoe Föderation. 80 Free-
styler aus Österreich, Deutschland, Slowenien, der Slowakei und Tschechien, aus fünf Natio- nen, stürzten sich in die Radetzky-Welle, um neben allen Wellentricks neue Walzen-Manöver zu testen. Unter ihnen die beiden Kanuten Anne Rist aus Pfohren sowie Helmut Wolff aus Donau- eschingen, die mit dem Deutschen National- Team zum Wettkampf angereist waren. Der Se- nior des Feldes, Helmut Wolff, bewies Nerven- stärke und fuhr bei der Eliteklasse in die vorde- re Hälfte des Teilnehmerfeldes. Mit von der Partie, wie bei der Freestyle Europameisterschaft am galizischen Rio Mino, auch die junge Donaueschingerin Melanie Wolff, die Dank ihres achten Platzes bei der letzten Weltmeisterschaft in Kanada ins Natio- nalteam berufen wurde und so ihren Onkel im Team begleiten durfte. Beide starten im Kanu- sport-Club (KSC) Villingen, der zu den stärksten Vereinen in Baden-Württemberg zählt. Zum Schiedsrichter berufen Zwar Leistungssport, dominiert für sie alle das Miteinander, um die eigenen Grenzen zu erfah- ren oder das Wir-Gefühl auszukosten, so der Donaueschinger Extremsportler, der zugleich auch zum Schiedsrichter im Kanu-Freestyle be- rufen wurde. Als Vertreter für den Deutschen Helmut Wolff mitten im Wildwasser. Kanu-Freestyler Helmut Wolff Kanu-Verband war er neben Silvia Götz vom WHW Heidelberg beim Lehrgang in Sault-Bre- naz nähe Lyon dabei, um an der „größten euro- päischen Welle“ Fahrer des holländischen und französischen Nationalteams zu bewerten. Wolff gehört damit auch dem ICF-Schiedsrichter-Team an und darf nun bei allen Wettkämpfen ein- schließlich der WM als einer von zehn Schieds- richtern des Internationalen Kanu-Verbandes weltweit fungieren. Auch ist er Betreuer und Teamtrainer des Badischen-Freestyle-Teams. Noch ist offen, ob die rasanten Fahrten im Wasser als olympische Disziplin 2012 zugelas- sen werden, was sich der Donaueschinger aber wünscht. Die Entscheidung fällt bei der WM am Thuner See in der Schweiz. „Das wäre ein enor- mer Auftrieb für diese Sportart, auch im Hin- blick auf Sponsoren“, prophezeit Wolff. Als Ausbildungsleiter des Badischen-Kanu- Verbandes (BKV) und Teamtrainer des Free- style-Teams Baden widmet er sich intensiv der Nachwuchsbetreuung von derzeit 20 jungen Ta- lenten aus Baden-Württemberg. 150 bekannte Tricks gibt es auf WM-Niveau und immer wieder folgen neue Varianten, erklärt der Teamtrainer die Faszination des Freestyles gerade für Jugend- liche, die nur durch physikalische Gesetze in die Schranken verwiesen werden. „Man kann eben doch keinen dreifachen Salto aus dem Stand machen“, lacht Wolff. Doch dreimal 45 Sekunden höchste Konzentration, das fordere dennoch heraus, an sich zu arbeiten und biete den jungen Kanuten dafür eine gehörige Porti- on an Selbsterfahrungen. Franz Filipp
Sport Jan und Kai Rotter – Triberger Ringer-Stars mit großen Erfolgen Die beiden Brüder gehören zum Besten, was in der Ringer-Oberliga auf die Matten geht „Dass Jan und Kai Rotter zum Besten gehören, was in der Ringer-Oberliga auf die Matten geht, ist nichts Neues“, titelte unlängst der SÜDKURIER im Regionalsport- teil. Mit welcher Einstellung und welchem Willen demonstrierten die zwei unter anderem bei einem Derby gegen Tennenbronn, wo sie trotz gesundheitlicher Pro- bleme antraten und einmal mehr als Sieger von der Matte gingen. Ihr unbedingter Einsatz- und Siegeswille zeichnet die Brüder besonders aus. Und dennoch: Wenn der Kampf auf der Matte eröffnet ist, dann gibt es sowohl für Kai wie auch Jan Rot- ter aus Triberg zwar nur noch das Ringen um den Sieg, doch danach könne man locker freundschaftlich auch wieder zusammensitzen. Nur während der fünfmal zwei Minuten Kampfzeit, aus der als Sieger hervorgeht, wer als erster drei- mal seinen Konkurrenten nach Punkten oder gar durch das Stemmen auf den Rücken zwingt, sei „das Gegenüber“. Jan und Kai Rotter leben für ihren Sport, unzählige Pokale dokumentieren ihre großen Erfolge. Beide ringen für den Sportverein Triberg. Die Spielregeln sind im Ringen klar definiert und ein Schiedsrichter schaut genau hin, dass sie auch eingehalten werden. Obwohl der Kampf nur ein Spiel mit klarem Anfang und Ende sei, komme es für die erfolgreichen Ringer Kai und Jan Rotter aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis nicht in Frage, gegeneinander zu kämpfen. „Es ist eben doch ein Kampfsport und wir wollen uns gegenseitig nichts antun“, so die Brüder. Die Triberger Ringerbrüder Rotter sind im Bereich des Kraftsports ein „Schwarzwälder Markenzeichen für Erfolg“. Die Liste ihrer Erfol- ge ist lang, sie reicht von zigfachen Siegen bei Bezirkswettbewerben über die Südbadischen Meisterschaften bis hin zu ersten Plätzen bei Deutschen Meisterschaften. So kämpfte sich der 1988 geborene Kai Rotter, als älterer der beiden Ringer-Brüder, über den dritten Platz der C-Ju- gend vor sieben Jahren, schließlich 2004 auf das 246 246
Siegertreppchen der Deutschen Meisterschaf- ten in der B-Jugend. Bruder Jan, 1991 geboren, schaffte gar fünfmal den Sieg bei Deutschen Meisterschaften: angefangen vom ersten Platz in der C-Jugend über einen weiteren in der B-Ju- gend bis hin zu drei Siegen in Folge bei der A- Jugend. Ihm gelang auch der Sprung in die Deut- sche Nationalmannschaft. Als größten internationalen Sieg konnte er bislang 2007 die Bronzemedaille bei der EM im polnischen Warschau in der A-Jugend verbu- chen. Inzwischen ist Jan Rotter in die Alterska- tegorie der Junioren aufgestiegen. Hier errang er in diesem Jahr in der Gewichtsklasse bis 74 Kilo den baden-württembergischen Meister titel. Durch einen Knorpelriss konnte er 2009 nicht an den Deutschen Meisterschaften teilnehmen. Zwei Profis, die fest im Berufsleben stehen Da beide früh mit dem Ringersport angefan- gen haben, gliedert sich die lange Erfolgsliste jeweils in verschiedene Alters- wie auch Ge- wichtsklassen. Bald wird das Brüderpaar in der Alterskategorie „Männer“ ringen. „Dort ist dann das Niveau der Einzelkämpfer innerhalb ihrer Gewichtsklassen fast gleich“, so die beiden Rin- Jan und Kai Rotter in ihrem Fitness-Studio. Inten- sives Krafttraining ist für die Ringer-Brüder unab- dingbar. ger, entsprechend höher seien die Hürden für den Sieg. Zwar betreiben die Triberger Ringer ihren Sport recht professionell, anders als im Fußball kann man aber selbst in der höchsten Liga nicht davon leben. Dementsprechend haben die bei- den auch in Ausbildung und Beruf vorgesorgt: So hat Kai Rotter nach der Mittleren Reife eine Ausbildung als Verwaltungsangestellter bei der Stadt Triberg absolviert, und ist auf dem Bauamt für Angelegenheiten des Straßenbaus, die Ge- bäudesanierung oder Unterhaltung von Grün- anlagen zuständig. Jan Rotter ließ sich von der Sportfördergrup- pe der Bundeswehr anlocken, die ihm versprach, parallel zur Grundausbildung auch intensives sportliches Training sowie den Abschluss der Mittleren Reife zu ermöglichen. Letzteres hat sich aber nicht bewahrheitet, sodass der Ringer nun nach einem Jahr die Bundeswehr verlässt. „Ich werde den Schulabschluss auf der Robert- Gerwig-Schule in Furtwangen nachholen“, so der 18-Jährige. 247
Theater Wie kommt man zum Ringersport? Der ältere der beiden Brüder stieß bereits zu Kindergarten- zeiten über das Bambini-Training des SV 1898 Triberg e.V. mit fünf Jahren dazu. Ein Freund hat- te ihn dorthin mitgenommen. „Am Anfang, als ich die Leute noch nicht kannte, fühlte ich mich gar nicht so wohl“, gesteht Jan Rotter. Dies habe sich später gelegt. Seinerseits ging Bruder Kai manchmal aus Interesse mit ins Training, um zu sehen, was denn sein älterer Bruder dort macht. Schon mit vier Jahren blieb er dann gerne dabei. Beim Ringen ist zwangsläufig Muskelaufbau wichtig. Besucht man die Brüder in der Pfarrer- Dold-Straße, beeindruckt vor allem der Keller mit zahlreichen Bodybuilding-Gerätschaften. Einst eingerichtet vom Vater, finden sich dort neben Hanteln in allen erdenklichen Größen und Kai Rotter greift an, auf der Matte ist höchste Konzentration verlangt. Gewichten schwere Streckbänke oder auch Armbeugestangen. Der Beruf ist sehr wichtig Gibt es für die beiden ein Leben außerhalb von Ringersport, Aus- bildung und Beruf? Eindeutig ja: So holt Jan Rotter in den Sommer- monaten beispielsweise gerne sein Motorrad aus dem Keller; im Winter steht er dafür auf dem Snowboard. Für den seit Mai 2009 frisch ver- heirateten Kai Rotter hat die Familie einen be- sonders hohen Stellenwert. Ebenfalls wichtige Bedeutung hat für ihn auch der Glaube: Kürz- lich konvertierte er vom Chris tentum zum Islam. „Mir ist es wichtig, nur an einen Gott zu glauben und hier ist der monotheistische Ansatz des Is- lams für mich am aussagekräftigsten.“ Auf die Deutlichkeit des Christentums be- züglich der Nächstenliebe will er als Lehre den- noch nicht verzichten: „Schließlich gilt Jesus im Islam ja auch als Prophet, aber eben nicht als Sohn Gottes im Sinne der Dreifaltigkeit.“ Was ihn sehr stört, sind massive weltweite Vorurtei- le gegenüber Menschen islamischen Glaubens. „Nicht jeder, der zu Allah betet, ist gleich ein Terrorist“, gibt Kai Rotter zu bedenken. Viel- mehr gebe es in jeder Religion Extremisten und somit natürlich auch im Islam. Deren unent- schuldbare Taten jedoch auf die gesamte Glaubensgemeinschaft zu verallgemeinern, sei ein gro- ßer Fehler. Wolfgang Trenkle 248 Freude über den Sieg – Jan Rotter verlässt jubelnd die Matte.
Theater Es war das Fußballspiel des Jahres 2009, als der FC St. Pauli am 2. August 2009 beim FC 08 Villingen im Friedengrund zu Gast war – und sich lange am Rande einer neuerlichen Pokal-Blamage befand. Erst die Treffer des eingewechselten Naki retteten die Stanis laws ki-Elf in der Verlängerung nach einer ganz schwachen Vorstellung in die nächste Runde. Gerade mal 2:0 musste sich der Oberligist FC 08 Villingen gegen den Zweitligisten geschlagen geben. 9.500 Zuschauer erleb- ten eine sensationelle Heimleistung des südbadischen Vereinspokalsiegers, ein tolles Fußballfest. Und eines, das den Villingern immerhin 125.000 Euro Gewinn in die Vereinskasse brachte. Der erste Fussballhit im Jahr 2009 war am 30. Juni das Freundschaftsspiel gegen den SC Freiburg gewesen, das immerhin 2.700 Zuschauer verfolgten. Der FC 08 Villingen ist der größte und erfolgreichste Fußballverein der Region Schwarzwald-Baar-Kreis. Etwa 230 Jugendliche und Kin- der stellen den Vereinsnachwuchs.
15. Ka pi tel Freizeit und Erholung Unterwegs im Schwarzwald Auf den Spuren des Westwegs: Der älteste Wanderweg des Schwarzwaldvereins bietet im Quellenland Schwarzwald-Baar faszinierende Naturerlebnisse von Elke Schön / Fotos: Wilfried Dold 250
Wenn vom 285 Kilometer langen Westweg Pforzheim-Basel die Rede ist, schlagen die Herzen der Wanderer höher: Die Nord-Süd- Fernwanderstrecke durch den Schwarzwald ist 285 Kilometer lang und wurde im Jahr 1900 angelegt. Sein Wegzeichen ist eine rote Raute auf weißem Grund. Diese Wanderstrecke, gehegt und gepflegt durch den Schwarzwaldverein, genießt Kultstatus! Ihre achte Etappe führt durch das „Quellenland“, den Schwarzwald-Baar-Kreis, von der Wilhelmshö- he in Schonach (links) zur Kalten Herberge in Urach (rechts)! Die 40 km lange Strecke verläuft auf einer Höhe von ca. 1.000 m ü. M. und bietet grandiose Rundblicke über die einmalige Schwarzwaldlandschaft. Der Westweg ist zudem Teil des 4.900 Kilometer langen Europä ischen Fern- wanderweges, der vom Nordkap nach Sizilien führt. 251 Unterwegs im Schwarzwald
Freizeit und Erholung Wer, wie wir, mal „rückwärts“ läuft und somit z. B. an der Kalten Herberge zu wan- dern beginnt, befindet sich gleich zu An- fang auf besonders geschichtsträchtigem Boden: Hier verlief schon im 14. Jahrhundert eine wichtige Handelsstraße durchs Urachtal. Sie sicherte die Verbindung zwischen Freiburg und dem Bodensee. Als dann die Uhrmacherei, ausgehend von der Glashütte, St. Märgen und Neukirch, immer mehr Bedeutung erlangte, wurde dieses Gast- haus zum Umschlagplatz für den Uhrenhandel, d. h., hier wurden Geschäftsbeziehungen geknüpft, Uhrenträger ausgestattet und ihre Routen in ferne Länder organi- siert. Wie war das mit der „Kalten Herberge“? Sicher, auf diesem Sattel in mehr als 1.000 m Höhe hält sich der Schnee besonders lang, was die Skiläufer an der Liftanlage gegenüber der Gast- 252 Das „Gasthaus zur Krone“ ist nicht nur Westweg- Wanderern besser als „Kalte Herberge“ bekannt. Wandern auf alten Wegen ist auch „Einkehr“ – ein Innehalten. Die Schwarzwaldhochstraße, die B 500, wird im Schweizersgrund (oben rechts) und am Ortseingang von Neukirch unter- und überquert. Unten Mitte: das „Hohle Bildstöckle“. stätte zu nutzen wissen, aber dass hier einst ein Handwerksbursche auf der Ofenbank erfroren sein soll, gehört ins Reich der Gruselsa- gen. Nachgewiesen ist vielmehr, dass die Bauern und Uhrmacher der Um- gebung in Zeiten der Kriege und Be- drohungen die Keller und Mauern dieses stattlichen Gebäudes nutzen konnten, um wertvolles Hab und Gut darin zu verwah- ren; „verkalten“ ist der alemanni- sche Ausdruck dafür. Mit dem Blick aufs freundliche Urachtal und die bewaldeten Höhen von Roturach laufen wir eine Weile
links der Höhenstraße B 500, abgeschirmt gegen Straßenlärm und Staub durch Strauch- werk und lichte Waldpartien, bis sich beim „Hohlen Bildstöckle“ mehrere Wege nach Wes- ten anbieten wollen, zur Heubachsäge etwa, oder Richtung Hexenloch. Unsere Markierung jedoch führt leicht abwärts durch immer locke- rer werdendes Erlen- und Ahorngebüsch und gibt bald den Blick frei aufs weit offene Heu- bachtal. Hier oben trennt sich die Route Mittelweg von der unseren und strebt über Furtwangen auf St. Georgen zu. Durch eine Waldpartie geht es bequem bergab in eine von Buchen bestandene Senke. Hier plötzlich öffnet sich vor uns der Schweizersgrund und, wie in einem Bilderrah- men, erscheint zwischen den hohen Stützpfei- lern der Autostraße im Norden das Kussenhof- gebiet von Furtwangen. Diese Brücke unterque- ren wir und steigen durch ein Waldstück mäßig bergauf. Nach etwa 20 Minuten gehen wir über den oberen Abschnitt der Skipiste Stollenwald dort, wo sie am schmalsten ist und einen ein- drucksvollen Blick hinunter ins Mäderstal bie- tet. Hoch über Neukirch – hoch überm Schwarzwald: Blick zum Kohlplatz. Im Frühjahr ist eine Westweg- Wanderung besonders zu empfehlen, der Schwarz- wald präsentiert sich farbenfroh wie nie. Bald haben wir auch die B 500 an der Stelle überquert, wo man die freieste Aus- sicht, über Neukirch hinweg, vom Kandel bis zum Feldberg genießt. Vorgelagert sind die sanften Hügel der Gemarkung Bregenbach, die hie und da Gehöfte erkennen lassen. Allein diese Höfe zu erwandern lohnte auf alle Fälle für jeden, der über die Industriege- schichte der Region Aufschluss sucht, denn ein soeben eingerichteter Lehrpfad weist all die Stät- ten aus, die als Glashütten und Glockengieße- reien für die Uhrmacherei von Bedeutung waren. Uns führt ein Fußpfad parallel zur Autostra- ße durch den Wald, bis wir uns nach einer hal- ben Stunde auf freiem Feld befinden und gera- dewegs auf die Terrasse des Gasthauses „Zum Hirschen“ bei der Neueck zusteuern. Unter ho- hen Eschen laden hier Tische und Stühle zu Rast und Ausblick auf den Feldberg und übers Bre- 253
Freizeit und Erholung Rast beim „Hirschen-Cyprian“ in Neukirch, die Ski- werkstatt Wehrle auf dem Raben, Spiel- und Grill- platz am Brend und Ausspannen im schattigen Sommerwald bei Gütenbach. genbächle ein. Ausgesprochen dekorativ neh- men sich die weißen Charolais-Rinder aus, die hier unweit weiden. Sie sind der Stolz der Kü- chenchefin, die mit den ganz besonderen Steaks von diesen Tieren auf ihrer Speisekarte aufwartet. „Cyprian“ wird dieses Gasthaus von Einheimischen genannt, denn so hieß ein früherer Wirt. Von hier aus müssen wir noch mit etwa zwei Stunden bis zum Brendgipfel rechnen. Auf dem Weg zum Brend Gleich hinter dem Stallgebäude unterqueren wir die Landstraße nach Waldkirch und haben bald freie Sicht nach Osten über Furtwangen hinweg. Ein bequemer Waldweg führt uns zur nächsten Aussichtswiese, die „Obere Leimgrube“, wo schon unser Fernziel, der Brendturm zu erken- 254 nen ist. Zunächst muss aber der „Raben“ ange- steuert werden, ein schmaler Sattel, auf dem zwei Bauernhäuser und die Skiwerkstatt Wehrle vom markanten Gebäude des Höhenhotels „Zum goldenen Raben“ überragt werden. Unbe- dingt zu empfehlen ist die Einkehr in dieses Haus jedem, der’s nostalgisch liebt. Unver- fälscht im Stil der 20er-Jahre ist nicht nur das Äußere erhalten, auch die Gaststube mit ge- wölbter Decke und Jagdtrophäen an den Wän- den ist sehenswert. Ein Stück Asphaltstraße muss in Richtung Brend in Kauf genommen werden, dafür beein- druckt die grandiose Aussicht nach Westen zum Kandel mit der Silhouette des Alteckhofs davor. Ladstatt heißt diese Hochfläche. Hier, am weithin sichtbaren Kreuz unter einer Lin- de, führte einst die Fahrstraße nach Frei- burg. Im Gasthof „zur alten Eck“, das früher den Namen „zur Stadt Freiburg“ trug, musste die La- dung der Fuhrwerke verteilt, muss ten die Pfer- degespanne gewechselt werden, bevor es die steile Kilpenstraße nach Wes ten hinunterging. Nach einem tüchtigen Anstieg zwischen einer Weide und dem Wald ist die Brendhöhe
Schluchtensteig erreicht, der höchste Punkt „unseres“ Westweg- abschnitts. Seit je ein beliebtes Ausflugsziel für Autofahrer wie Langläufer und Wanderer, bietet er einen Rundumblick vom steinernen Aus- sichtsturm bis in die Schweizer Berge, Bewir- tung auf der Aussichtsterrasse des Gasthofs „Zum Brendturm“ und sogar Unterkunft im kürz- lich renovierten Gästehaus. Mehr im Wald versteckt, dafür wind ge- schützt, liegt auf unserer Route das Naturfreun- dehaus mit preiswertem Quartier- und Ves per- angebot. Wir bleiben auf der Höhe im Wald und kön- nen nach zehn Minuten mitten unter hohen Bu- Der Furtwanger Hausberg Brend mit Brendturm (vorne) im Luftbild, im Hintergrund: Furtwäng le, Gewann Farnbach, das Weißenbachtal in Schön- wald sowie Schonach. Unten: Die Günterfelsen, eine Ansammlung riesiger Granitblöcke nahe der Martinskapelle. chen ein ganz anderes Naturwunder bestaunen: die Günterfelsen, benannt nach einem Bauern, der diesen Bereich einst bewirtschaftete. Riesi- ge übermannshohe Granitblöcke, hoch aufge- türmt, teilweise moosbedeckt, ragen bis an die Baumwipfel, und die Löcher und Gruben dazwi- schen reizen sicher Kinder und Sportler zum 255
Freizeit und Erholung Die Martinskapelle oberhalb der Breg- sprich Furt- wanger Donauquelle, Vesperpause im Gasthaus „Martinskapelle“, das Vieh kehrt heim beim Reiner- hof und Elzquelle im Gewann Furtwängle. Durchklettern. Diese Steinblöcke sind nicht et- wa Moränen einstiger Gletscher, vielmehr zeigt sich hier das Urgestein, freigelegt und abge- schliffen durch Erosion über Tausende von Jahren. Spätestens seit dem Anstieg zum Brend war deutlich zu erkennen, wie die westlichen Abhän- ge der Bergzüge steil abfallen, während sie nach Osten hin flacher auslaufen. Und wo wir den Mischwald um die Günterfelsen verlassen haben, breitet sich zur Rechten eine sanft ab- fallende Wiese aus. Vom Waldrand gegenüber hebt sich hell mit grau geschindeltem Dach und Türmchen die Martinskapelle ab, ihr zu Füßen das Lukasenhäusle. Unterm tief gezo- genen Walmdach leuchtet weiß das Fenster- band hervor, an die dunkle Schindelwand ge- lehnt ein Bündel hohe Baumlatten, die nur da – rauf zu warten schei- nen, wieder Stützen für die Kletterbohnen ab- zugeben. Im „Kappele- wald“ und auf der Lich- tung hält sich am längs- ten der Schnee, wo ab- Ein Uhrenträger am Weg- rand, er weist auf der Martinskapelle den Weg nach Furtwangen. 256 wechslungsreiche Loipen Genuss für Läufer al- ler Schwierigkeitsgrade garantieren. Wie beliebt dieses Stück Schwarzwald weit über die Orts- grenzen hinweg geworden ist, wird spätes tens angesichts der Nummernschilder der hier par- kenden Fahrzeuge klar – da überwiegen schon die Schwaben! Beim kurzen Anstieg über ein Wiesenstück zur Kapelle sollte man sich bewusst machen, dass dieser Ort seit Jahrhunderten, lange, lange bevor er von Touristen und Sportlern in Beschlag genommen wurde, eine besondere Bedeutung hatte. Historisch belegt ist jedenfalls die Tatsa- che, dass das Kapellchen um 1800 in den Besitz des Kolmenhofs überging, dass es dann als Wohngebäude umgebaut und genutzt wurde, bis es 1905/06 von den Besitzern und Bewoh- nern der umliegenden Höfe wieder als Kirchlein hergerichtet und erneut geweiht wurde. Nur wenige Schritte unterhalb der Martins- kapelle lädt das Gasthaus und Hotel „Kolmen- hof“ ein. Von hier weist ein schmaler Steig die steinige Wiese hinunter, wo im Schatten hoher Bäume und allerlei Strauchwerk die Quelle der Breg, des längs ten Quellflusses der Donau zu finden ist. Ein paar Schritte weiter liegt der Berg- gasthof „Martinskapelle“. Das mächtige Schwarzwaldhaus verrät außen wie innen seine Entstehung in den 1930er-Jahren als Wanderereinkehr: Braune Holztäfelung und -decken, schlichte rot-weiße Vorhänge, blanke Tische mit tief hängenden Lampen darü- ber. Passend dazu bieten Franz und Karin Dold gediegene traditionelle Gerichte und Kuchen sowie solide Vesper vom Brettle. Auf einer Tafel im Vorraum ist zu lesen, was für eine wechselvolle Geschichte das heute leb-
haft frequentierte Haus hinter sich hat: 1772 in 1.111 m Höhe über dem Meer auf der stattlichen Hochebene errichtet, entwickelte es sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeu- tenden Landwirtschaftsbetrieb. Die Brüder Kal- tenbach betrieben eine Käserei, die nicht nur die Milch der eigenen 40 Kühe, sondern auch die von den umliegenden Höfen verarbeitete. Der Käse fand Absatz bis in die Schweiz und ins Elsass. Daneben florierte auch die Gastwirt- schaft. Nach einem unglücklichen geschäft- lichen Fehlschlag musste das Anwesen jedoch 1860 an den Staat verkauft werden. 1930 fiel es einem Brand zum Opfer, wurde dann in seiner heutigen Form aufgebaut. Luftbild des Furtwängle mit Farnberg (vorne) und Weißenbachtal im Hintergrund. Gestärkt und ausgeruht nehmen wir, am Forsthaus vorbei, den nächsten Streckenab- schnitt des Westwegs unter die Füße. Die Tau- sendmeterhöhe lassen wir bald zurück, wenn wir der roten Raute folgend vom Parkplatz aus geradewegs nach Nordosten abzweigen, wäh- rend die Fahrstraße am Waldrand entlang in westlicher Richtung zur Wachshütte weiter- führt. An der Elzquelle vorbei nach Schönwald Nach der weiten Lichtung am „Kappele“ finden wir uns jetzt von hohem Mischwald umgeben. Unser breiter Weg folgt in Windungen dem Lauf eines Bächleins, bis plötzlich ein kurzer Steg aus Holzplanken ins Dickicht zu führen 257
Freizeit und Erholung Freizeit und Erholung Vesperpause auf dem Rohrhardsberg, bei schönem Wetter zieht es Wanderer und Biker vorzugsweise an die Sonne – auch wenn die „Schwedenschanze“ urgemütlich ist. Einmalig ist der Rundblick über den Schwarzwald. Rechte Seite: An den Elzfällen am Rohrhardsberg. scheint. Hier gluckert wieder ein Quellchen, ein- gerahmt von einer Reihe bemooster Granitblö- cke. Eine Bronzetafel verkündet, dass wir den Ursprung der Elz erreicht haben, die auf den Rhein zufließt. Nicht viel mehr als ein Kilometer trennt uns vom Quellfluss der Donau – wir ha- ben also eine Europäische Wasserscheide zwi- schen Schwarzem Meer und der Nordsee über- schritten. Die junge Elz verschwindet kurz unter dem Sträßchen, um sich dann zur Linken mit unserem Bächlein zu vereinen. Immer steiler wird der Hang, der den Blick freigibt auf den Westhang gegenüber, die Weißenbacher Höhe. Unsere Rautenmarkierung führt uns an den Fuß des Briglirains, das Naturschutzgebiet im Talgrund, wo der Hochwald abgelöst wird von Birken und Riedgras auf sumpfigem Grund. Hier zweigt rechts nach Osten der Weg ab übers Furt- wängle zum Oberkatzensteig, während wir uns scharf links halten, im Schatten eines nied rigen Mischwaldstreifens. Gleich überqueren wir nun auf einem Brückendamm die Elz, die hier bereits laut vernehmlich sprudelt. Bald schon speist sie einen Fischteich, wenn sie aus dem Wald heraus auf eine Wiesenmulde zuläuft. 258 258 Unweit dieses Weihers führt der Westweg schnurstracks steil bergauf nach Osten. Wir aber lassen uns vom bequemen Weg durchs Tal verlocken, das sich hier weit öffnet und eher ab- wechslungsreiche Vegetation verspricht. Zur Linken begleitet uns der bewaldete Höhenrü- cken des Farnbergs, rechts hie und da Strauch- werk zwischen steinigen Weideflächen. Nach einer halben Stunde ist das Korallenhäusle er- reicht, dieses idyllische, im windgeschützten Waldwinkel gelegene kleine Anwesen. Zu Gast in der „Schwedenschanze“ Bis hierher reicht eine Fahrstraße vom Elztal aus. Bergauf aber führt – nach einem Parkplatz – auch ein Waldpfad zur Schwedenschanze. Es ist noch früh genug am Tag, also wollen wir auch diese gute Stunde noch drangeben, um, ohne Bretter an den Füßen, den lichten Nordosthang des Rohrhardsbergs zu ersteigen und die über- wältigende Aussicht vom Elztal bis zum Kniebis und die Höhen um Triberg zu bestaunen, freilich unter dem Windrad auf der Bergkuppe. Im Vor- dergrund lässt sich noch die Westweg- strecke im Bereich des Blindensees aus- machen, während wir beim „Anton“ in der „Schwedenschanze“, von all dem Schnitz- werk-Mobiliar umgeben, eine Erfrischung genießen. Wir haben Glück: samstags, sonn- und feiertags ist dieses urige Gasthaus ab 10 Uhr geöffnet und das Ziel von Wanderern aus der gesamten Region.
Unterwegs im Schwarzwald 259
Freizeit und Erholung Auf dem Rohrhardsberg – mit 1.152 Meter Höhe ist er die höchste Erhebung im Schwarzwald-Baar- Kreis. Inmitten des Naturschutzgebietes ruht der Schänzlehof der Familie Anton Hettich. Malerisch die Hofkapelle des Schänzlehofes. Charakteristisch sind die mit Bäumen, Gebüschen und Felsformationen durchsetzten Weidfelder rund um den Rohrhardsberg. Als fremd empfinden viele das Windkraftwerk auf dem Gipfel. 260
Freizeit und Erholung 261
Freizeit und Erholung Am Blindensee: Der Hochmoorsee hat weder einen Zu- noch einen Ablauf. Im Hochmoor findet man seltene Pflanzen wie Wollgras, Binsen, Seggen, Moosbeere, Fieberkraut, Fetthenne, Erika oder Son- nentau. Es heißt, dereinst sei im See eine Kuh er- trunken und erst nach Wochen wieder in der Donau aufgetaucht … 262
Unterwegs im Schwarzwald Leicht fällt der Weg abwärts, wieder hinunter zum Korallenhäusle, wo wir uns diesmal am Waldrand nach Osten wenden, um zunächst mit Hilfe der gelben wieder unsere rote Routenmar- kierung anzusteuern. Hier ist unsere Elz bereits so breit, dass sie schon mit einer veritablen Brü- cke mit Geländer überquert werden muss, bevor sie sich bereit macht zum Sturz über die „Elz- fälle“. Auf einer Fahrstraße erreichen wir bei be- quemer Steigung den Farnbachhof, immer mit freiem Blick hinunter aufs Farnbachtal und den waldigen langen Farnberg rücken. Gegenüber einem mächtigen Stallgebäude steht am Wegrand eine Kapelle mit Glocken- türmchen, die von den Hofbesitzern Hubert und Maria Dold im Jahr 1989 errichtet wurde. Dem Beschützer der Nutztiere, dem heiligen Wende- lin ist sie geweiht und im blumengeschmückten Inneren steht er, in Holz geschnitzt, dem Altar- kruzifix zur Seite wie die Madonna zur Rechten. Draußen lädt eine Bank mit einem Brunnen daneben zu kurzer Rast ein, Gelegenheit auch, die Karte zu befragen. Von hier aus könnte man, wie winters mit der Loipe, direkt ansteigen, um auf den Westweg zu treffen. Wir entscheiden uns aber, weiter der Fahrstraße zu folgen, schon allein, damit wir „das Wunderle“, dieses stilecht renovierte Schwarzwaldhäuschen in pracht- voller Lage, näher besehen können. Oben auf der Weißenbacher Höhe angekom- men, finden wir uns sozusagen an einem Ver- kehrsknotenpunkt wieder. Der Schilderpfahl möchte uns in alle Richtungen weisen, hilfreich für die Autofahrer, die bis hierher auf den Park- platz fahren durften, um erst auf der Höhe die Westwegroute aufzunehmen, das Langlaufge- biet im Weißenbachtal erreichen wollen oder auch einen Blick auf das Trainingszentrum der Biathleten zu werfen, das nur wenige Schritte weiter im Wald liegt. Die Wanderer werden mehr, die wohl direkt auf den Blindensee zusteuern. Wohl fast jeder, der den Großraum Schön- wald-Schonach durchwandert, will dieses Naturschutzgebiet sehen. Wir aber wissen, dass wir dieses Ziel auf einem kleinen östlichen Umweg weit ausführlicher genießen können, wenn wir die spitzwinklige Abzweigung beim Austritt aus dem Wald nicht verpassen. An 263
Freizeit und Erholung einem Wegkreuz vorbei, vorbei am Anwesen Brand, finden wir nach kurzem Anstieg in dem lichten Birkenwald den Plankensteg, der uns über den sumpfigen Boden direkt ans Ufer des berühmten Hochmoorsees führt. Der verdankt seinen Namen wirklich nur der Tatsache, dass nirgendwo ein Zufluss zu erken- nen ist. Heute strahlt er uns entgegen mit dem Spiegelbild vom blauen Himmel und dem Wald- saum am südlichen Ufer. Wie immer haben sich auf den wenigen Bänken am Ufer Wanderer nie- dergelassen, die in dieser Windstille unter lo- ckerem Birken- und Kieferngeäst ihr Vesper ge- nießen oder einfach die Beine überm Wasser baumeln lassen wollen. Der Wolfsbauernhof und sein Longinuskreuz Uns aber ist der Weg das Ziel, also folgen wir weiter dem Plankensteg, der in einen ansteigen- den Pfad und schließlich auf einen befes tigten Weg mündet. Wieder ist ein Sattel erreicht, von dem man, über die Vordere Vogte hinweg, das ganze Rohrhardsbergmassiv vor Augen hat. Un- 264 Die Wendelinskapelle der Familie Dold am Farn- berg. Rechts: Das „Wunderle“, ein stilecht reno- viertes Schwarzwaldhaus. Unten: Durchschnaufen am Blindensee. Jeder Westweg-Wanderer – auch der Biker – legt dort eine Pause ein. Rechte Seite: Das Longinuskreuz am Wolfsbauern- hof stammt aus dem Jahr 1882. ser Schänzle sehen wir jetzt fast auf gleicher Höhe. Von hier an weisen alle Wegschilder nach Schonach und unsere rote Raute bietet die reiz- vollste Strecke: leichte Anstiege zwischen nied- rigen Strauchgruppen; höher gelegene Wald- partien wechseln mit Weideflächen ab, die hier schon häufiger Wacholdergebüsch zeigen. Wo es steiler bergab geht, aufs Turntal zu, wo Schonach schon rote Dächer aufblitzen lässt, steht linker Hand mächtig der Wolfsbau- ernhof. Dessen Längsseite neben dem Eingang beherrscht ein prachtvolles farbig gefasstes Longinuskreuz, das über beide Stockwerke reicht. Mit großer Geste weist der Haupt- mann auf den Gekreuzigten, der von allen Leidenswerkzeugen umgeben ist und von
Freizeit und Erholung 265 265
Freizeit und Erholung drei Puttos umschwebt wird, die mit ihren Kel- chen das Blut aus den Wundmalen aufzufangen scheinen. Unterhalb des Hofs, an einem Löschweiher, teilen sich wieder Wege und wir haben, der Rau- te folgend, einen Anstieg rings um den Gitsch- bühl zu bewältigen. Auch jetzt werden wir mit schönster Aussicht nach Westen übers Elztal belohnt. So erreichen wir bald die 1.000 m Hö- henmarke kurz vor der Wilhelmshöhe. Wieder muss ein Stück sumpfiger Grund auf Planken überquert werden, ehe man ein wuch- tiges Steingebilde erblickt: Ein Tor hat man hier aus Gra- 266 nit errichtet, unter dem der Wanderer auf Schau- tafeln alles Wissenswerte über den Westweg, die Streckenführung, das Höhenprofil und die markantesten Punkte erfährt. Genau hier wird die Idylle durchschnitten von der lebhaft befahrenen Landstraße, die von Elzach nach Schonach führt. Von hier aus könn- te man mehrmals täglich per Bus ins „Ski- und Wanderdorf Schonach“ gelangen, das als be- sondere Attraktion die „weltgrößte Kuckucks- uhr“ anpreist. Internationale Skispringen werden hier auf der Langenwaldschan- ze veranstaltet und im Spätwinter star- ten hier massenweise Langläufer zum Schwarzwald-Marathon Rich- tung Belchen. Noch weiter hinun-
Freizeit und Erholung Blick auf das Skidorf Schonach vom Rensberg aus. Oben rechts: Heuernte an der Judas-Thaddäus-Ka- pelle am Gummelenweg. Unten: Wo die achte Etappe des Westweges beginnt, beim Gasthaus „Wilhelmshöhe“ in Schonach. ter ins Tal fährt der Bus bis zum Bahnhof Triberg, einer markanten Station auf der Schwarzwald- bahnlinie, dem technischen Wunderwerk des 19. Jahrhunderts. Der geniale Robert Gerwig hat die Bergstrecken kunstvoll un tertunnelt, die wir Wanderer oben „begehen“. Wer weiß, so mancher Westwegwan- derer wird die Abstecher ins Tal gar nicht brauchen, denn der Reiz der Strecke liegt gerade darin, dass sie auf der gesamten Länge ihrer 280 Kilometer lediglich zwölf Ortschaften durchläuft und der Fußgänger unbehelligt vom Autoverkehr und fernab jeder Kirschtorten- und Bollenhutromantik die Wald- und Wiesenwege, die Höhenzüge und Fernbli- cke genießen kann. Viel Raum für Rast und Ein- kehr bei reichhaltiger Speisekarte bietet das Gasthaus „Wilhelmshöhe“, ebenso die Mög- lichkeit zum Übernachten. Und wie alle Gast- häuser und Herbergen auf dieser Strecke bieten die Wirtsleute ganz speziellen Komfort: Gepäck wird auf Wunsch zur nächsten Unterkunft trans- portiert, sodass man lediglich mit einem Tages- rucksack weiterziehen kann, aktuelle Wetterbe- richte liegen bereit und Auskünfte über Gehzei- ten und Besonderheiten der Strecke sind jeder- zeit zu erfahren. Mit der Etappe um Schonach verlassen wir den Schwarzwald-Baar-Kreis und bald nach dem Karlstein geht es steil bergab nach Horn- berg. 267
Freizeit und Erholung Wie bitte? Was soll das denn sein: „eigenzeit“ in Königs- feld? Die haben sie doch nicht alle!“ So oder ähnlich reagieren manche, die zum ersten Mal von dem selt- samen „Alleinstellungsmerk- mal“ hören, mit dem der Kur- ort auf seiner Homepage und auf Messen wirbt und in be- achtlichem Radius Aufmerk- samkeit und Lorbeeren dafür erntet – 2007 zum Beispiel den zweiten Preis beim Stadt- marketingwettbewerb Baden- Württemberg, ein Jahr später verlieh die Randenkommissi- on den Tourismuspreis Tourio in Gold. Wer mit wachen Sin- nen durch den Ort spaziert, merkt freilich bald, dass sich hinter der Königsfelder „ei- genzeit“ mehr verbirgt als ein Marketing-Gag. Am Zinzendorfplatz mit Blick zum Kirchensaal der Herrnhuter Brüdergemeine. 268
„eigenzeit“ – bewusster leben Freizeit und Erholung „Die Zeit ist reif – für Königsfeld“ – Tourismus- und Marketingpreise für ein ungewöhnliches Projekt mit fast 70 Stationen erhalten von Christina Nack / Fotos: Wilfried Dold 269
Freizeit und Erholung In der früheren Kolonie der Herrnhuter Brüder- gemeine scheinen die Uhren tatsächlich lang- samer zu ticken und sich die Menschen mehr Zeit füreinander zu nehmen als anderswo. Man- fred Molicki, spiritus rector und bis heute Motor des Projekts mit inzwischen fast 70 „eigenzeit“- Stationen, erklärt die Hintergründe: Als der Rek- tor der Villinger Haslachschule vor rund 30 Jah- ren von Bremen in den Schwarzwald zog, habe die sechsköpfige Familie ihre Zelte ganz be- wusst dauerhaft in Königsfeld aufgeschlagen. Außenstehende spürten sofort, dass hier ein besonderer Geist herrsche und ein anderer, be- dächtigerer Umgang mit der Zeit gepflegt wer- de, glaubt der Zugereiste. „Für Einheimische ist diese Atmosphäre so selbstverständlich, sie wissen sie manchmal gar nicht recht zu schät- zen.“ Inzwischen ist der Pädagoge mit theologi- schem Zweitstudium selbst ein Einheimischer und weiß, dass Königsfeld im Umland gern als „Omahausen“ belächelt wird und kennt den Spott („sie sind nicht von dieser Welt, denn sie kommen aus Kö- nigsfeld“). Manfred Molicki Und doch steckt Wahrheit hinter den flotten Sprüchen, auf die die „eigenzeitler“ mit einem eigenen gereimten Mot- to kontern: „Zum Tempo treibt mich diese Welt – doch Zeit find ich in Königsfeld.“ Das finden zum Beispiel die auffallend vielen Senioren im Ort, der für seine Kleinheit eine auffallend gute Infrastruktur hat. Sie lässt mit vielen Geschäften, Ärzten, Apotheke, Hand- werkern kaum Wünsche offen, Senioren sind eine wichtige Klientel. Und sie brauchen Zeit und Geduld, das weiß jeder, der mit alten Menschen zusammen ist. Außerdem beleben täglich fast 1.500 Schü- lerinnen und Schüler von Grund- und Haupt- schule und Zinzendorfschulwerk das Ortsbild, in „Omahausen“ leben also auch auffallend vie- le junge Menschen, auch sie prägen den Ort. Zu den alltäglichen Begegnungen zwischen den Generationen kommen die ebenfalls auffallend vielen Kulturveranstaltungen von und für alle Altersgruppen, die sich im Idealfall Zeit fürein- 270 ander nehmen und voneinander lernen – Res- pekt, Rücksicht, Toleranz. 1995 hat Manfred Molicki eigene und fremde Gedanken, Geschichten, Witze und Zitate zu dem Phänomen Zeit in einem Buch („Zeitzei- chen“) herausgegeben. 1998 stellte er seine
„eigenzeit“ – bewusster leben Königsfeld hat seine „eigene Zeit“, die Gemeine der Herrnhuter bietet im Rahmen des „eigenzeit“- Projektes bis zu 70 Stationen: Von Golf (oben der Golfplatz mit Königsfeld im Luftbild) über Kunst im Kurpark bis zum „eigenzeit“-Genießen im Café des Kurparkes spannt sich der Bogen. Feriengäste und Patienten nach den Magneten in den Nachbargemeinden zu schielen, lud Molicki zum Blick auf eigene Schätze ein. Der Gemeinderat formulierte ein neues Leit- bild und sensibilisierte Gastronomie, Handel, Kurbetriebe, Kirchen, Kulturschaffende für die Idee, die auch vom nachfolgenden Bürgermeis- ter Fritz Link übernommen wurde. Bis heute wur- den rund 50 „eigenzeit“-Partner gewonnen, manche stammen auch aus der Peripherie Kö- nigsfelds, haben aber einen intensiven Bezug zum Ort. „eigenzeit“ für besondere Qualität Für Qualität nimmt man sich in Königsfeld Zeit – das ist ihre Botschaft, die auf inzwischen 70 „eigenzeit“-Stationen vermittelt wird. Darunter sind der Metzger, dessen Schinken länger reift als anderswo, ein Hotel, in dem nach der indivi- duellen „eigenzeit“ und nicht nach dem Diktat der Küche gefrühstückt wird, im Café wird „eigenzeit“-Tee serviert, beim Bäcker gibt’s Brot ohne Konservierungsstoffe. Auch der Friedhof, der in Königsfeld „Gottesacker“ ge- nannt wird, gehört zu den Stationen, ebenso Ateliers von Künstlern, das Albert-Schweitzer- Haus, alte Mühlen, das 100-jährige St. Niko- laus-Kirchlein in Buchenberg, die Burgruine Waldau und vieles mehr. Beim Schlendern von einer „eigenzeit“-Station zur nächsten soll der Gast die „Königsfelder“ Bewusstheit für gute Qualität von Produkten und Dienstleistungen erleben. Er soll ein Gespür für die geistigen und geistlichen Wurzeln des Orts bekommen, wenn er auf den Spuren seiner Gründer wandelt, de- ren religiöser Lebenshaltung sich auch Albert Schweitzer verbunden fühlte, was er in seinem ethischen Grundgedanken von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ ausdrückte. 271 Ideen zur „eigenzeit“ auf Einladung des da- maligen Bürgermeisters Horst Ziegler im Ge- meinderat vor. Der wurde wach für ein Quali- tätsbewusstsein in eigener Sache, das auf einem Wechsel der Perspektiven basierte. Statt im kommunalen Wettbewerb um Neubürger,
den Collagen zum „Verhältnis des Menschen zurzeit“ gestaltet. Den Kurpark ziert eine „ei- genzeit“-Skulptur – Ausstellungen, Aktionen, Vorträge und Konzerte runden die Aktivitäten der „eigenzeit“-Akademie ab, die wachsende Aufmerksamkeit findet – Manfred Molicki hält in ganz Deutschland Vorträge, gestaltet Tagungen und ist Gründer der Gesellschaft für Zeitkultur. Hauptziel ist es, die Teilnehmer für den Unterschied zwischen „Chronos“ und „Kairos“ zu sensibilisieren, mit welchen Begriffen die alten Griechen „objektive“ und „subjektive“ Zeit zu unterscheiden pflegten. Im europäischen Zeitbewusstsein dominiert laut Molicki Chronos als unerbittlich tickender Chronometer, eine Maschine, deren Diktat sich die Menschen unterordnen. „Die Zeit läuft und wir laufen mit.“ Kairos hingegen als erlebte Zeit sei etwas Organisches, in der Mythologie verehrten ihn die Griechen als Gott des rechten Augenblicks. Seine Botschaft laut Molicki: „Ich habe alle Zeit der Welt.“ Das will er Ausstellungs- und Vortragsbesuchern mit witzi- gen, selbst kreierten Objekten, Spielen und ver- blüffenden Zaubertricks anschaulich vermit- teln, will zum Reflektieren auch über sprachli- che Sonderlichkeiten inspirieren und zum Hin- terfragen verinnerlichter Geschwindigkeitsnor- men. Zeit kostet, sie wird vertrieben, totgeschla- gen, eingespart und vergeht – alles Unsinn, ohne Sinn, sagt der Zeitexperte, „Zeit ist kei- ne Ware, sie vergeht auch ohne uns und sie ist für alle gleich, jeder hat täglich 24 Stunden“. Statt in die immer mehr hineinzuquetschen und auf Beschleunigung zu setzen, sollten die Menschen ab und an inne halten, sich der Endlichkeit des eigenen Lebens und der Kost- barkeit des Moments bewusst werden. Freilich weiß der Rektor, dass auch in seinem Alltag ein gedrängter Terminkalender und Stress nicht immer vermeidbar sind. „Jeder Mensch muss seine Balance finden, denn jeder ist sein eigener ,eigenzeit‘-Experte.“ Mehr Informationen über den „eigenzeit-Ort“ Königsfeld und über einen anderen Umgang mit der Zeit finden sich unter: www.eigenzeit.de oder www.zeitkultur.de oder www.koenigsfeld. de/Tourismus Zur „eigenzeit“ in Königsfeld zählt auch der beson- dere Weihnachtsstern der Herrnhuter, das Verwei- len am Ententeich im Doniswald oder das Picknick im Kurpark, ein Besuch im Schweitzer-Museum oder im Nikolauskirchlein in Buchenberg. Mit fröhlich-provokanten Überschriften wie „Ticken wir noch richtig?“ sind die Vorträge be- titelt, die Manfred Molicki hält, die nicht nur im Rahmen von touristischen „eigenzeit-Wochen“ in Königsfeld angeboten werden, unter anderem auch in der Albert-Schweitzer-Klinik, die ihrer- seits „eigenzeit“-Station ist und sich von der Vermittlung des „eigenzeit“-Gedankens thera- peutische Effekte verspricht. Der Königsfelder Graphiker Arnulf Struck hat im vergangenen Sommer vier Ecken in der Klinik mit inspirieren- 272
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Freizeit und Erholung Solemar nun noch attraktiver Allein im vergangenen Jahr zählte man in Bad Dürrheim rund 430.000 Besucher den Gästen drei neue und viel versprechende Attraktionen in unserer Einrichtung. So können wir den Besuchern auch in Zukunft einen er- lebnisreichen Aufenthalt im Wellness- und Ge- sundheitszentrum Solemar bieten“, schwärmt Geschäftsführer Thomas Bank. Neue Beschäftigungsangebote Neben den bisherigen Attraktionen können sich die Gäste nun auf zahlreiche neue Beschäf- tigungsangebote freuen: Spiele wie Boule, Schach, Strandbingo und vieles mehr. Entspan- nung bieten der Barfußpfad oder ein ausgiebi- ges Sonnenbad in der neuen Strandlandschaft. Ebenso wird im Zusammenhang mit der neuen Kneippanlage und dem bereits bestehenden Solebecken im Sommer unter therapeutischer Anleitung aktive Gesundheitsanimation mit den Themen Kneipp und Heilklima stattfinden. Ganz besonders wurde auf die Schaffung von ausrei- chend Liege- und Ruheflächen mit zusätzlichen Sonnenschirmen geachtet. Der Zugang zu die- sem Bereich wurde mit einer zusätzlichen, be- hindertengerechten und elektrisch betriebenen Tür ausgestattet. So steht die Außenanlage auch für Rollstuhlfahrer zur Verfügung. Damit Als wichtigster Wirtschaftsfaktor bringt der Be- reich Kur und Tourismus heute jährlich 60 Mil- lionen Euro Wertschöpfung nach Bad Dürrheim. Allein vergangenes Jahr wurden rund 430.000 Besucher im Bad und in der Sauna des Well- ness- und Gesundheitszentrums Solemar ge- zählt. Nun erlebt das Wellness- und Gesundheits- zentrum Solemar eine weitere Attraktivitätsstei- gerung: Am 7. Februar 2007 wurde mit den Pla- nungen zur Erweiterung des Solemars begon- nen und am 26. April 2009 konnte sie feierlich beim „Tag der offenen Tür“ eingeweiht werden. Rund 1,85 Millionen Euro ließen sich die Sole- mar-Betreiber die Erweiterungs- und Moderni- sierungsmaßnahmen in den vergangenen Mo- naten kosten. Die Investitionen können sich sehen lassen: So kommen zukünftig bis zu 20 Gäste gleich- zeitig im 80 m² großen Dampfbad auf ihre Kos- ten. Es bietet seinen Gästen ein einmaliges Dampfbaderlebnis, das mit Eventtechnolo gien wie Geysir, Licht- und Akustikeffekten sowie Schwarzwälder Gewitter verbunden ist. Einzigar- tig ist ein 40 Grad warmer Regen. Auch das neue Panoramabecken ist einma- lig. Es gibt in ganz Deutschland kein vergleich- bares Süßwasser-Erlebnisbecken mit einer so großen Anzahl an Attraktionsangeboten wie ein buntes Unterwasser-Lichtspiel und Sprudel- düsen. Das Becken ist mit einer Wasseraufbe- reitungsanlage ausgestattet. Der Weg zum Be- cken, die Treppe und die Geländer sind beheizt. „Mit der Fertigstellung des großen Süßwasser- Erlebnisbeckens, des Dampfbades sowie mit dem Ausbau der Freilandschaft von 4.200 m² mit ei nem großen Kneippbereich, bieten wir Einmalig sind im Solemar das neue Panoramabe- cken und das 80 Quadratmeter große Dampfbad mit Licht- und Akustikeffekten. Rechte Seite oben: Das Solemar im Luftbild. 274
Freizeit und Erholung kann nun auch ein gesundes „Outdoor-CLUB- Programm“ unter therapeutischer Leitung an- geboten werden. Stolz sind die Geschäftsführer Thomas Bank und Markus Keller auch auf die Investitionen, die in den vergangenen fünf Jahren getätigt wur- den. Nach den Dusch- und Umkleidekabinen folgten Sanierungsarbeiten im großen Außen- becken, die Totes-Meer-Salzgrotte entstand, die Boutique wurde erweitert, das Kassensystem installiert, dadurch wurde auch das komplette Schranksystem ausgetauscht und angepasst. Früher wurden die Prädikate „Heilbäder“ und „Kurorte“ mit reinen Klinikstandorten ver- bunden. Heute jedoch stehen diese für ein viel- fältiges Angebot auch für neue Gästegruppen. Gerade durch die neuen Angebote des Sole- mars ist nunmehr ein einmaliges und hoch qualifiziertes Gesamtangebot an Wellness und Gesundheit vorhanden. Michaela Arno 275
16. Kapitel Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis 350 Jahre alt und beliebt wie eh und je „Restauration zur Krone“ in Schönenbach ist denkmalgeschützt und birgt interessante Schätze Es steht außer Frage: Wenn ein Schönenba- cher oder Furtwanger Bürger Besuch von „weit außerhalb“ bekommt und dieser Freude an Schwarzwälder Geschichte und Originalität hat, dann ist ein Besuch im ältesten Gasthaus des Oberen Bregtales eine Pflichtvisite. Das 170 Jahre lang von Sonne und Regen bearbeitete Wirtshausschild mit einer Krone in der Mitte und den goldenen Lettern „Restaura- tion zur Krone“ ist nur unschwer zu übersehen. Diese zwischenzeitlich fachgerecht restaurierte „Gruß-Botschaft“ eines Gasthauses, welches schon um 1700 eine sogenannte „Buschta- verne“ und Herberge war, lässt erahnen, dass aus Küche und Keller regional Deftiges serviert wird. Dazu zählen „Suresse“, „Gallere“, ein „Durenantbrot“ (welches sich als Restaurati- onsbrot entpuppt) und natürlich das, was je- der als schwarzwaldtypisch erwartet: Speck, Bratwürste kalt oder warm sowie eine Vesper- platte. Und wer nach dem deftigen Essen einen Schnaps zur besseren Verdauung benötigt, der muss nicht lange die Getränkekarte studieren. Auf der unspektakulären Theke, hinter der noch eine original Schwarzwälder Schilderuhr mit örtlichem Motiv tickt, steht das komplette An- gebot: Die Flaschen übersichtlich aufgereiht mit vielfältigem Inhalt. Die Wahl wird dadurch allerdings nicht einfacher. Frisch gestärkt wird ein fremder Gast in der niedrigen, aber dadurch sehr gemütlichen Wirtsstube so manche Rarität entdecken, was neben dem spitzgiebligen Gebäude an sich mit dazu führte, dass das Schönenbacher Gast- haus unter Denkmalschutz steht. Besonders auffällig der wuchtige Kachel- ofen von 1803, deren Erbauer mit den Insignien MG (Michael Ganter) und MR (Marianne Reisle) Die denkmalgeschützte „Restauration zur Krone“ in Schönenbach direkt an der Landstraße von Vöhrenbach nach Furtwangen. 276
neben der Jahreszahl sich ver- ewigten. Gleich daneben der lan- ge Stammtisch und dahinter an der Wand ein Kruzifix. Wohlweis- liche Mahnung an die täglich in großer Zahl anzutreffenden Nut- zer dieser beliebten Einrichtung, nicht allzu sehr das Mundwerk aufzureißen. Auf dem wärmsten Platz Die Ofenbank in direktem Kon- takt zum Stammtisch war lange Zeit der wärmste Platz, denn der Kachelofen war bis vor zehn Jah- ren die einzige Wärmequelle im Gastraum. Vor allem, wenn der Ostwind das Bregtal heraufpfiff, war es an der gegenüberliegenden Seite nach Schwarzwäl- der Lesart „sau“ kalt. Da nutzten auch die im Winter angebrachten und zwischenzeitlich fachgerecht restaurierten Vorfenster recht we- nig. Wärmeisolierende, zeitgemäße Doppel- fenster wären eine Todsünde an diesem urigen Gebäude. Der Temperaturmissstand wurde mit einer dezent und unauffällig unter den Sitzbänken entlang der Fensterfront angebrachten Zentral- heizung behoben. Doch der Kachelofen wird in den kälteren Jahreszei- ten immer noch mit Rei- sigwellen beheizt; liegt doch direkt hinter ihm die alte Küche mit dem offenem Rauchabzug, welcher die sogenann- te Räucherkammer be- herbergt, in der noch Der Original-Kaufbrief in Altdeutscher Handschrift von 1658 mit Siegel. Eine Kopie und die Überset- zung sind im Gastraum zu bewundern. „Restauration zur Krone“ Der Kachelofen von 1803. immer der Speck und die Bratwürste ihr un- übertreffliches Aroma er- halten. Bei der Inspizierung der Gaststube entdeckt man an der Wand die Ur kunde von 1658, als Martin Ketterer für 30 Gulden das Grundstück einschließlich des erfor- derlichen Bauholzes er- warb, um eine Heimstatt zu errichten. Es ist zwar nur eine Reproduktion mit einer lesbaren Über- setzung darunter des in altdeutscher Hand schrift verfassten Vertrages, doch das fein säuberlich gefaltete Original ist heute noch im Besitz der jetzigen Kronenwirtin Marie-Luise Winker, geb. Würmle. Schon um 1700 eine Buschtaverne Und damit beginnt die interessante Geschichte der „Krone“, die um 1700 schon „Buschtaver- ne“ war. Als im September 1713 ein franzö- sischer Marschall namens Louis Hector Duc 277
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis de Villars von Freiburg über den Schwarzwald nach St. Georgen zog, wurden von den 7.000 Soldaten auch in Schönenbach Häuser wahllos gebrandschatzt, wobei auch dieses Haus ein Raub der Flammen wurde. Sechs Jahre später wurde an selber Stelle von Weber Michael Reisle wieder ein Haus ge- baut und nach dessen erlerntem Handwerk wird im Ort bis heute das Gebäude mundartlich auch „Weberhüsle“ betitelt. Die „Krone“ erleb te in den Folgejahren eine wechselhafte Geschich- te, blieb jedoch immer im Besitz der Familie Reisle. Wie damals im Schwarzwald üblich, war die Uhrenfertigung ein florierender Broterwerb und der Uhrmacher Michael Ganter heiratete zu Ende des 18. Jahrhunderts eine Tochter aus der „Weberhüsle Dynastie“ namens Marianne Reis- le und betrieb in dem Anwesen neben einer klei nen Landwirtschaft den Zusammenbau und Vertrieb von Uhren. Das Geschäft war so erfolg- 278 Ein gemütlicher Hock am Stamm- tisch – in der Schönenbacher „Krone“ gibt es ihn noch! reich, dass 1810 ein Anbau er- forderlich wurde, der sich berg- seitig im rechten Winkel er- streckt und letztendlich wuch- tiger ausfiel als das ursprüng- liche Gebäude entlang der zwi- schenzeitlich viel befahrenen Landstraße. Das neue Gebäude eröffnete zu- dem die Möglichkeit, auch den Gaststättenbe- trieb auszuweiten in Form eines „Nebenzim- mers“ sowie eines Saales, in dem Platz für grö- ßere Gesellschaften war. Im Mai und Juni, wenn das alte Heu aufgebraucht war, wurden in der gewaltigen Tenne auch Hochzeiten gefeiert. Seit geraumer Zeit dient der hell abgesetzte An- bau ausschließlich Wohnzwecken. Im Jahr 1841 das Schankrecht erhalten Man schrieb das Jahr 1841, als Michael Ganter, Urururgroßvater der heutigen Wirtin, das offi- zielle Schankrecht für seinen Restaurations- betrieb erhielt und sich erfolgreich gegen die neu gegründete Konkurrenz, den „Löwen“, zur Wehr setzte und dies mit dem noch heute be- stehenden Wirtshausschild auffallend kundtat. Sohn Kaspar als Nachfol ger auf der „Krone“ muss te erle- ben, wie gegen Ende des Jahr- hunderts das Uhren ge schäft rückläufig wurde und als des- sen Tochter 1887 den Metzger Christian Würmle heiratete, wa- Blick in die urgemütliche Gast- stube, die den Geist vergangener Zeiten spüren lässt.
Wirtin Marie-Luise Winker prüft die Bratwürste in der Räucherkammer der „Krone“. Unten: Die Seni- oren feiern „Nikolaus“. ren die Landwirtschaft und der Restaurations- betrieb die Haupt-Erwerbsquelle. Zu Beginn des letzten Jahrhun derts über- nahm Edwin Würmle die Wirtschaft, erlebte mit zwei Kriegen und den damit verbundenen In flationen harte Zeiten. Nachdem er 1961 ver- starb, verwaltete die Witwe Luise zusammen mit ihrer Schwester das Anwesen und seit 16 Jahren ist Tochter Marie-Luise Winker die Be- treiberin der Traditionsgaststätte. Aber die Tradition und der Denkmalschutz auf dem Ge- bäude bringen nicht nur Freude, sondern auch Sorgen mit sich. Laufende Renovationen und Sanierungen sind oft mit kostspieligen Aufla- gen verbunden und das Höherlegen der Land- straße vor einigen Jahrzehnten hatte zur Folge, dass Gewölbekeller und Stallungen nicht mehr voll nutzbar sind und der wechselnde Grund- wasserspiegel nur mit technischen Hilfsmitteln in den Griff zu bekommen ist. Beste Stubenmusik Doch sitzt man in der Wirtsstube, bekommt man von dem allen nichts mit. Der Blick geht weiter zum Klavier, nicht nur ein Schmuckstück, sondern auch ein Instrument, welches von der Kronenwirtin gerne zur Unterhaltung der Gäste gespielt wird. Manchmal greift eine der beiden Töchter noch zur Geige und junge Solis- tinnen aus Schönenbach haben mit erwähnter Begleitung in der „Krone“ ihr Debüt gegeben. So sorgt die „Stubenmusik“ dafür, dass das „Weberhüsle“ nicht nur eines der ältesten und unverfälschten Gasthäuser der Raumschaft ist, sondern auch das musikalischste. Im Erbbesitz befinden sich noch eine Traversflöte und ein Tafelklavier. So ist es auch kein Wunder, dass die Wirtin in der Schönenbacher St. Nikolaus- kirche den Orgeldienst versieht und die Tochter in Vöhrenbach den Kirchenchor leitet. Das Auge entdeckt aber noch weitere Rari- täten, etwas versteckt hinter dem im Winter oft überquellenden, altertümlichen Kleiderständer und der Theke, das unübersehbare Barometer mit den Initialen von Caspar Ganter aus der Mit- te des 19. Jahrhunderts und davor ein Olympia- Lochbillard. Es wurde anlässlich der Olympiade 1936 in Berlin gebaut, ist mit den fünf olympi- schen Ringen versehen und wurde den Wirts- häusern damals angeboten mit dem Hinterge- danken, dass sich auch deren Gäste sportlich betätigen sollten. Studenten der Hochschule Furtwangen nutzen es noch manchmal. Der Rundblick hat sein Ende, aber wenn die Wirtin sich Zeit nimmt für ein kleines Gespräch, dann erfährt der wissensdurstige Gast so man- ches Schmankerl aus der langen Geschichte des noch täglich ab 16 Uhr geöffneten, urigen Wirtshauses in Schönenbach. Hansjörg Hall 279
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Die „Sonne“ in Obereschach Mit abwechslungsreicher regionaler Küche einen ausgezeichneten Ruf erworben Im Villinger Ortsteil Ober eschach findet sich mit der „Sonne“ ein renommiertes Gasthaus, das weit über den Ort hinaus bekannt ist. Hier freut sich der Gast über eine ausgezeichnete, frische Küche mit regionaler Ausrichtung und ebenso über freundliche und gut ausgestattete Hotel- zimmer. Dieser Erfolg ist der kontinuierlichen Arbeit von Hubert und Theresia Klausmann zu verdanken, die das Gasthaus seit 1995 führen und darauf achten, ihre Angebote saisonal so- wie zu erschwinglichen Preisen auf den Bedarf ihrer Gäste abzustimmen. So gibt es im Herbst leckere Wildgerichte, frische Waldpilze und Schlachtplatte. Im No- vember bestimmt die Martinigans das Angebot der Küche. Im Frühjahr dominieren Spargel- und Bärlauchgerichte die Speisekarte, während im Sommer auf den beiden Sonnenterrassen leich- te Grillgerichte serviert werden. In der „Sonne“ ist der Gast König – auch wenn er vegetarische, laktosefreie oder glutenfreie Speisen wünscht. Wo die Verbindungsstraße zwischen Rott- weil und Villingen verlief, war Gastronomie schon immer gefragt. Im Jahr 1553 wird das Haus als Lehenshof erwähnt, kurzzeitig wurde es auch als Gefängnis benutzt. Danach war es eine Poststation mit Verköstigung von Pferd und Kutscher. So entstand die Gastronomie. Nun ist die „Sonne“ bereits in dritter Generati- on im Besitz der Familie Klausmann. Im Jahre 1904 heiratete Franz Sales Klaus- mann vom Mönchhof in Hardt die ledige Karo- line Hummel vom Gasthaus „Sonne“. Leider hatten die beiden kein langes Eheglück, denn als er 1918 aus dem Krieg zurückkehrte, verstarb bald darauf seine junge Frau. So heiratete Franz Sales Klausmann bereits ein Jahr später seine zweite Frau Paula Storz. Aus dieser Ehe stam- men sechs Kinder, von denen heute noch vier le- ben. Der Sohn Willi Klausmann übernahm 1954 von Franz das Gasthaus mit der dazugehörigen Modern, gastfreundlich und gut ausgestattet prä- sentiert sich das weithin bekannte Gasthaus „Son- ne“ in Obereschach. 280
Das Gasthaus „Sonne“ in Obereschach Landwirtschaft. Durch ständige Umbauten und Neuerungen wurde das Gasthaus stets auf dem aktuellen Stand gehalten. Im Jahre 1982 fand dann die wohl größte Umbauphase statt: Das Haus wurde teilweise abgerissen und völlig neu konzipiert. Es entstanden neben einer neuen Küche auch 15 Hotelzimmer. Hubert Klausmann: Koch aus Leidenschaft Hubert Klausmann begann 1975 im Villinger Parkhotel seine Lehre als Koch. Danach leistete er den Wehrdienst in Ellwangen und Immendin- gen ab und stieg 1979 in das Geschäft der El- tern mit ein. Die Küche wurde ständig verfeinert und aktualisiert, sodass man schon bald hören konnte: In der „Sonne“ kocht der „Junge“, da muss man hin. Es wird darauf geachtet, dass man die Herkunft der Produkte möglichst nach- vollziehen kann. Pilze werden selbst gesammelt, Obst und Gemüse kommen vom Großmarkt in Villingen, das Wild von heimischen Jägern und das Fleisch stammt aus der Region. Auch die Teig- und Backwaren stammen von Betrieben aus der Region. Die Stärke des Hauses sehen die Klausmanns in den Tagesessen. Diese wer- den wochentags immer in zwei Ausführungen angeboten. Es finden sich auf der Speisekarte interes- sante Gerichte wie „Toast Louis Armstrong“ oder Variationen vom Zander, Fisch und Panga- siusfilet, hausgemachte Fischterrine oder zarte Steaks vom Grill, die vom Rind aus der Region Hubert und Theresia Klausmann führen ihr Gast- haus „Sonne“ in Obereschach mit großer Leiden- schaft. Ausgezeichnet ist auch die regionale Küche von Hubert Klausmann. stammen. Auch für Feste, die nicht im Hause stattfinden, hat sich die „Sonne“ gerüstet. So bieten die Wirtsleute einen Catering-Service für Geschäfts- und Familienfeste an. Eine freundliche, moderne Gaststube Im März 2009 wurde die Gaststube wieder modernisiert und zieht nun mit ihrem freund- lichen, hellen Ambiente sowie dem neuen Ka- chelofen und den warmen Farbtönen der Möbel noch mehr Gäste an. Seit dem Umbau gibt es sonntags immer ein reichhaltiges Salatbuffet. Tochter Anja hat gleichzeitig mit der Eröff- nung der „neuen Sonne“ ein Blumengeschäft in Obereschach eröffnet. Dies zeigt sich jetzt auch am Tischschmuck. Sohn Dominik besucht zur Zeit noch das St. Ursula-Gymnasium in Vil- lingen. Nach Abschluss der Schule möchte er in das elterliche Geschäft einsteigen. Die Eltern von Hubert Klausmann sowie die Schwester des Chefs, Martina, helfen täglich bei der Arbeit mit, die in einem Betrieb wie der „Sonne“ nie ausgeht. Sein Bruder Erwin Klausmann betreibt mit seiner Familie direkt neben der „Sonne“ ei- ne Landwirtschaft und etwas außerhalb hat er einen Betrieb mit Hühnerhaltung, von wo auch die stets frischen Frühstückseier stammen. 281
Das Gasthaus „Sonne“ in Obereschach Zum Gasthaus „Sonne“ gehört auch eine Hofkapelle, die direkt am Ortseingang von Vil- lingen her steht. Die „Sonnenwirtskapelle“, die den Namen Maria Krönung trägt, wurde im Jah- re 1872 erbaut. Im Inneren hat ein unbekannter Künstler neben einem sehr schönen Altarbild und anderen Figuren eine Frauenstatue – ver- mutlich die Hl. Anna – geschaffen, welche rät- selhafterweise an der rechten Hand sechs Fin- ger hat. Selbst Landrat Karl Heim stand schon in der Küche des Gasthauses „Sonne“, und zwar, als er seine Spätzleschabkünste beim ersten prak- tischen Übungstag der Miniköche Schwarzwald- Gemütlich sitzen die Gäste auf der Terrasse der „Sonne“. Mit Freude bevölkerten die Miniköche im Schwarzwald-Baar-Kreis die Küche von Hubert Klausmann, denen er Einblicke in seine regionale Küche gab. Baar zeigte, die er als Schirmherr betreute, und die von Familie Klausmann in die fachgerechte Kunst des Service und die Grundzüge des Ko- chens eingeführt wurden. Auch um den Nach- wuchs ist man also sehr bemüht. Eine Gaststube zum Wohlfühlen – Blick in die Ober- eschacher „Sonne“. 282
Der „Hirschen“ in Donaueschingen Lange Geschichte, viele prominente Gäste – und die besten Bratkartoffeln in der Region Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Rente mit 67? Die ist für Lieselotte Höfler – im Folgenden: Lotte – kein Thema. Und zwar des- halb nicht, weil sie diese Altersgrenze schon überschritten hat – sie ist 68 Jahre alt – und weil sie außerdem an ihrer Arbeit einfach viel zu viel Freude hat. Jeden Tag, von Montag bis Sonntag, zur Mittagsschicht und am Abend wieder, steht Lotte Höfler in der Küche des Gasthauses „Hir- schen“ in Donaueschingen. Ulrich Früh sagt, dass sie besonders an Fastnacht aufblüht, wenn die Narren den „Hirschen“ übernehmen: „Dann haut die Lotte die Essen raus, dass man nur staunen kann.“ Und Ulrich Früh staunt oft, mit welcher Hingabe seine Schwiegermutter das Küchen- geschäft betreibt. Und mit welchem Einsatz sein Schwiegervater, Adolf Höfler, mit seinen 72 Jahren sich als Hausmeister noch um alle technischen Dinge des großen Hauses küm- mert. Ulrich Frühs Frau, Bärbel Höfler, älteste Tochter von Lotte und Adolf Höfler, sagt über die Ener gie ihrer Eltern schlicht: „Das Geschäft und das Schaffen liegen ihnen eben im Blut.“ Und vielleicht ist genau dieses „es im Blut haben“ das Geheimnis, die Erklärung dafür, dass der „Hirschen“ eines der ältesten und beliebtesten Gasthäuser in Donaueschingen ist. Ein Gasthaus mit langer Tradition Apropos alt: Wie alt der „Hirschen“ ist, das weiß irgendwie niemand so ganz genau. Die Rekon- struktion erweist sich als eine verzwickte und oftmals auf Spekulationen angewiesene Ange- legenheit. Fest steht, dass Mathias Rothweiler am Beginn der „Hirschen“-Geschichte steht. Über Rothweiler ist Folgendes bekannt: Gebo- Der Hirschen in der Herdstraße: Hinter seiner mächtigen Fassade stecken viele historische Geschichten. 283
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis ren am 17. Februar 1809 in Oberbal- dingen, verheiratet mit der am Weih- nachtstag 1820 geborenen Maria Aga- the Käfer, einer Landwirtstochter aus Aufen, von Beruf Malzmüller bei der Fürstlich-Fürstenbergischen Privat- brauerei, wohnhaft in Donaueschin- gen. Wahrscheinlich in den 1840er- Jahren wollte Rothweiler aus seinem Beruf auch nebenberuflich Kapital schlagen und richtete eine Art Bier- wirtschaft ein. Ebenfalls in den 1840er- Jahren kaufte das älteste der vier Kin- der von Mathias und Maria Rothwei- ler, Maximilian, von Beruf Bäcker und Restaurator, das Grundstück in der Herdstraße (wo der „Hirschen“ noch heute zu Hause ist). Untergebracht war die kleine Bierwirtschaft wahrscheinlich in einer der Scheunen, die zu dem landwirtschaft- lichen Betrieb gehörten, der außer dem Wohn- haus zum Besitz der Familie Rothweiler zählte. Beim Stadtbrand von 1908 völlig zerstört Obwohl genaue Angaben fehlen, darf man ge- trost davon ausgehen, dass sich dieser Ur- „Hirschen“ über die Jahre zu einem bei den Donaueschingern äußerst beliebten Treffpunkt entwickelte: In der anfangs kleinen Bierstube wurde offenbar nicht nur immer mehr Gersten- saft ausgeschenkt, sondern in verstärktem Ma- ße brachte man auch Speisen auf den Tisch, und insgesamt nahm die Gastronomie auf dem Grundstück einen immer größeren Raum ein. Nur so erklären sich die Zeugnisse, die von der erstmals schwarz auf weiß unter diesem Namen genannten Schankwirtschaft „Hirschen“ über- liefert sind: „Es wird mein eifrigstes Bestreben sein, meine werten Gäste aufs Reellste zu be- dienen und bitte um geneigten Zuspruch“, so inserierte Max Rothweiler, Sohn des Grund- stück-Käufers Maximilian Rothweiler, am 29. Oktober 1909 in der Zeitung. Geneigten Zuspruch, den hatte Max Roth- weiler auch bitter nötig: Schließlich war sein Gasthof, ebenso wie fast zwei Drittel der Häu- ser in der Donaueschinger Innenstadt, beim 284 Ulrich Früh und Bärbel Höfler, die Inhaber des „Hirschens“. Das Gasthaus ist seit der Gründung vor mehr als 100 Jahren in Familienhand. großen Stadtbrand am 5. August 1908 quasi bis auf die Grundmauern abgebrannt. Es sollte im Übrigen nicht die einzige Feuer-Katastrophe in der „Hirschen“-Geschichte bleiben. Als beson- deres Schmankerl bot Rothweiler seinen Gästen in seiner wegen des Brandes notdürftig in einer Scheune eingerichteten Restauration die „gro- ße Metzelsuppe“ an. Der Wiederbeginn nach dem großen Feuer markiert die zweite Geburtsstunde des „Hir- schens“. Am 17. Dezember 1912 genehmigt der Donaueschinger Gemeinderat die Umwandlung der bis dato als Schankwirtschaft firmierenden Einrichtung in eine Gastwirtschaft mit Brannt- weinausschank. Betreiber des „Hirschens“ war zu diesem Zeitpunkt Maximilian Rothweiler. Nachdem er vor seiner Zeit 1932 verstorben war, heiratete seine Witwe, Maria Rothweiler, gebo- rene Vogt, 1936 Emil Höfler. Der junge Mann war der Sohn von Adolf und Elisabeth Höfler, dem Wirteehepaar des Gasthauses „Sonne“ in Neu- dingen. Und Emil und Maria Höfler wiederum sind die Eltern von Adolf Höfler, der der Vater von Bärbel Höfler, der aktuellen „Hirschen“- Chefin, ist. Ein erneutes Unheil – die teilweise Zer- störung des Gasthauses durch einen Bom- benangriff der Alliierten am 22. Februar 1945, der schwerpunktmäßig dem Donaueschinger Bahnhof galt –, markiert den Beginn einer neu- en, jetzt der modernen „Hirschen“-Ära. Die Fa-
Im „Hirschen“ gibt es noch einen ech- ten „Stammtisch“ (oben). Strählen muss der Narr – und gestrählt wird im „Hirschen“ gleichfalls: Das Gasthaus ist Zunftstube der Donaueschinger Frohsinn-Narren. milienlegenden besagen, dass sich Wirtin Maria Höfler aus den zer- bombten Mauern ins Freie rettete. Aus der zerstörten Küche rettete sie eine schwere gusseiserne Pfanne – das Küchengerät. Und ihre Nach- folger begründeten den Ruf des „Hirschens“, die besten Bratkar- toffeln in der Region auf die Teller zu bringen. Das Geheimnis um die Zubereitung will Lotte Höfler auch heute nicht preisgeben. Vielleicht muss man ja aber auch nicht alle Geheimnisse kennen; manchmal ist es schöner, wenn man sie probieren kann. Die Bratkartoffeln sind fester Bestandteil der „Hirschen“-Spei- sekarte, die neben internationalen Spezialitäten überwiegend auf die Tische des rustikal eingerichteten Gastraums bringt, was die regio- nale Küche zu bieten hat. Und diese Küche schmeckt allen: den Donau- eschingern, die zum Mittagstisch oder zur abendlichen Brotzeit kommen, den Stammtischlern, die sich immer freitags und sonntags zu einem der letzten traditionellen Stammtische in der Donaustadt zur Fachsimpe- lei über Gott und die Welt treffen, aber auch den Vereinen – insbesondere den Narren der Froh- sinn-Zunft, deren Zunftlokal der „Hirschen“ ist –, die den großen Nebenraum des „Hirschens“, der 1989 eingerichtet worden war, als Versamm- lungsstätte in Beschlag nehmen, während an- dere den 90 Personen Platz bietenden Raum als Tagungsort nutzen, den Frischvermählten, die hier ihre Hochzeit feiern, und den Jubilaren, die auf ihre runden Geburtstage anstoßen, den Fahrrad- und Motorradfahrern, die den „Hir- schen“ als Ausgangspunkt und Anlaufstation Der „Hirschen“ in Donaueschingen für ihre Touren durch den Schwarzwald nutzen, den Geschäftsreisenden, die die Lage des „Hir- schens“ mitten in der Stadt schätzen. Und es schmeckt und gefällt auch den vielen Promi- nenten – denen der „Hirschen“, nachdem er zu- nehmend auch zu einem Hotel ausgebaut wor- den war, schon ein Dach über dem Kopf geboten hat; heute stehen im „Hirschen“ 50 Betten für Gäste bereit. Viele prominente Gäste Komponisten, Dirigenten und Musiker, die in der unmittelbar hinter dem „Hirschen“ gelegenen Donauhalle bei den Musiktagen, Konzerten und 285
Der „Hirschen“ in Donaueschingen sonstigen Auftritten auf der Bühne stehen, Pferdesport- ler, die beim Donaueschin- ger Reitturnier teilnehmen, Adelige und Politiker – im „Hirschen“-Gästebuch ha- ben sich viele bekannte Ge- sichter mit lobenden Worten, manchmal schwer entzif- ferbarem Gekritzel und mit Anekdoten verewigt. Fester und immer wiederkehrender Bestandteil der Eintragun- gen: Lob für die leckeren Bratkartoffeln. Hilda Heine- mann, Frau des damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, ließ sich die „Hirschen“-Spezialität wäh- rend ihres Donaueschingen- Besuchs 1977 ebenso schme- cken wie der Tausendsassa Roberto Blanco, der japanische Kalligraph Shi- gemitsu Fujito und die Hollywood-Legende Edd Byrnes („77 Sunset Strip“). Schau Bub, so wird’s gemacht: Lotte Höfler zeigt Enkel Florian, wie man leckere Bratkartoffeln macht. Nicht jeden lässt die Küchenchefin des „Hir- schens“ so freizügig in ihre Bratpfannen-Geheimnisse schauen. Neben der Gastronomie und der später dazu- gekommenen Hotellerie hatten die „Hirschen“- Betreiber zu allen Generationen auch noch Landwirtschaft betrieben. Wir erinnern uns: Die Frau des Gründers Mathias Rothweiler war Landwirtstochter aus Aufen. Bis in die 90er-Jah- re des vorigen Jahrtausends standen auf dem „Hirschen“-Grundstück in der Herdstraße ein Ökonomiegebäude und zwei große Scheunen. Durch einen Brandstifter ging 1990 zunächst das Ökonomiegebäude in Flammen auf, im April 1994 wurden ebenfalls mut- und böswillig die Scheunen samt der sechs darin lebenden Schweine und zahlreichen historischen Autos und Maschinen angezündet. Der Brandstifter, der bis heute nicht gefasst ist, setzte in den 1990er-Jahren vermutlich auch einige andere landwirtschaftliche Gebäude in Brand, die bis dahin im Stadtgebiet erhalten ge- blieben waren. Für „Hirschen“-Wirt Adolf Höfler, der sich bis dahin neben seiner Gaststätte auch stets der Landwirtschaft verbunden gefühlt hat- te, brach laut seiner Tochter Bärbel Höfler eine Welt zusammen. Wo früher die Scheunen stan- 286 den, ist seit 2002 ein Biergarten eingerichtet. Al- le zwei Jahre findet dort im Freien ein Dixieland- Frühschoppen-Konzert statt. 2004 übergaben Adolf und Lotte Höfler den Betrieb offiziell an ihre älteste Tochter Bärbel. Deren Mann Ulrich Früh ist, wie er selbst sagt, in der Gastronomie ein Reingeschmeckter: Der gelernte Banker war zunächst in der Immobi- lienbranche selbstständig, ehe er seinen Beruf aufgab und sich mit seiner Frau voll und ganz dem „Hirschen“ hingab. Seit Beginn seiner Ge- schichte ist der „Hirschen“ also in den Händen einer Familie. Und dass der „Hirschen“ in der Familie bleibt, dafür spricht einiges: Bärbel Höfler und Ulrich Früh haben drei Kinder. Die Älteste, Lau- ra, 14 Jahre alt, hat schon erstes Interesse an der Gastronomie gezeigt, und auch ihre beiden jüngeren Brüder Michael (9) und Florian (6) sind gerne im Gastraum und in der Küche. Sollte einer der Sprösslinge irgendwann einmal den „Hirschen“ führen – wird er von Großmama Lot- te das Geheimnis der besten Bratkartoffeln mit auf den Weg bekommen. Er wird die Gastrono- mie auf jeden Fall im Blut haben. Steffen Maier
Das „Rößle“, eine beliebte Adresse Das Gasthaus im Weißenbachtal bietet ein gemütliches Ambiente und eine gute Küche Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis Beschaulich ist das Weißenbachtal, ruhig und sonnig liegt das Hochtal, das zur Gemeinde Schönwald gehört und das jährlich von vielen tausend Wanderern besucht wird. Und hier ist auch der Gasthof „Rößle“ beheimatet, allseits geschätzt als gemütlicher Ort zum Einkehren, wo man hervorragend bewirtet wird. Eröffnet wurde das „Rößle“ im Jahre 1895. Primus Kienzler lud damals „in mein neuer- bautes Hause im Thale Weißenbach“ ein. Für gute Getränke und Speise sollte stets gut ge- sorgt sein, so hieß es am 10. September 1895 in der Anzeige einer lokalen Zeitung. Damals beherbergte das Haus auch ein landwirtschaft- liches Anwesen, aus dem sich die Besitzer bis zur Jahrtausendwende mit eigenem Fleisch und Wurstwaren versorgten. Ein mächtiges Haus war es demnach, denn schließlich wollten Gastwirt- schaft, Familie und Landwirtschaft genügend Platz unter einem Dach finden. Fortschrittlich war man zudem. In den 1920er-Jahren gab es Das Ölgemälde entstand nach einer alten Fotogra- fie. Das Windrad diente in den 1920er-Jahren zur Energieerzeugung. im Weißenbach noch keinen Strom. Aber den brauchte man, wenn auch nicht unbedingt für Küchengeräte und Hausbeleuchtung. Kurzer- hand beschloss Kienzler, sich ein Windrad hinterm Haus zu bauen. Über eine Transmissi- on trieb dieses dann eine kleine Mühle an. Als Das Gasthaus „Rößle“ im Weißenbachtal. 287
Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis schließlich auch die Stromleitungen bis ins Wei- ßenbacher Tal vorgedrungen waren, verkaufte er das Windrad kurzerhand nach St. Georgen. Gemütlicher und heller Gastraum Zahlreiche bauliche Veränderungen wurden im Laufe der Zeit vorgenommen. Im Jahr 1972 bau- te Rudolf Walter, Vater des heutigen Betreibers Frank Walter, Küche und Toiletten um. 1980 wur- de dem Haus ein neues Dach gegönnt. Seither thront auf dem Gebäude ein mächtiges Walm- dach, es verwandelt das Haus in ein richtiges Schwarzwaldhaus. 1986 wurde dann schließ- lich auch der Gastraum umgebaut, ebenfalls im Schwarzwaldstil. Gemütlich ist es dort, Marke Schwarzwaldstube, mit viel hellem Holz und einem mächtigen Kachelofen. Sommers lässt es sich auch draußen gut sit- zen. Mitten im Grünen hat man eine Terrasse angelegt, bunte Wiesen, Bäume und grasende Kühe erfreuen von dort aus den Blick. 64 Sitzplätze bietet der Gastraum. Mittler- weile ein bisschen beengt, wie Betreiber Frank Walter befindet. So steht nun bald ein weiterer Umbau bevor. Die Küche soll ebenfalls vergrö- ßert werden, der Gastraum sowieso. Und auch über einen Beherbergungsbetrieb denkt man mittlerweile nach. Allerdings will 288 Silvia und Frank Walter, sie führen das „Rößle“ seit zwei- einhalb Jahren. man keine Gästezimmer ha- ben, sondern findet Ferien- wohnungen idealer. Zwei gelernte Köche Heute hat Frank Walter die Verantwortung für das Haus. Noch nicht lange, denn erst vor zweieinhalb Jahren ka- men er und seine Frau Sil- via, beide gelernte Köche übrigens, aus Malch in der Nähe von Karlsruhe zurück in den Schwarzwald. Dort arbeiteten bei- de knapp 20 Jahre in ihrem Beruf. Die beiden übernahmen das Haus von den Eltern Rudolf und Gertrud. Was noch lange nicht heißt, dass die Eltern nun im Ruhestand sind: Vater Rudolf steht seinen Mann hinter der Theke, Mutter Gertrud sorgt für täglich frischen Nachschub in der Kuchentheke. Den Familienbetrieb komplett macht Schwester Birgitt, sie sorgt für einen rei- bungslosen Ablauf im Service. „Insgesamt sind wir meist sechs bis sieben Leute im Stammper- sonal. Aber an den Wochenenden ist sehr viel los, da haben wir auch noch einige Aushilfen parat“, erklärte Frank Walter. Frank Walter führt das Haus, das sein Ur- Großvater gebaut hat, nun in der fünften Ge- neration. Und die sechste Generation scheint zumindest schon Ambitionen zu haben. Tochter Melissa hat in diesem Sommer die Abschluss- prüfungen zur Hotelfachfrau absolviert! Die Spezialitäten Bis vor einigen Jahren bediente man sich noch aus dem eigenen Stall, wenn es um Fleisch und Wurstwaren ging. „So um die vier Schweine hatten wir im Stall und schlachteten diese im Herbst!“, erzählt Vater Rudolf. Doch das wurde
irgendwann zu viel, denn zu den Schweinen ge- sellten sich auch noch Kühe und Hühner. Was aber nicht heißt, dass die angebotenen Speisen aus Großmetzgereien stammen. „Fleisch und Wurst besorgen wir aus Metzgereien der Raum- schaft Triberg“, stellt Frank Walter fest. Beides braucht man in großen Mengen, denn vor allem die traditionellen Schwarzwälder Vesperteller sind sehr beliebt und auch die Schlachtplatten, die im Herbst auf der Karte stehen. Ganz groß in der Gunst der Gäste stehen die Fischspezialitäten. „Wir hatten das vor ei- nigen Jahren beim Schönwälder Schlemmer- frühling, – der jedes Jahr im März/April statt- findet – ausprobiert“, erzählt der Küchenchef. Das wurde so gut angenommen, dass man ein großes Fischangebot in wechselnder Form auf der Karte beließ. Allen voran natürlich die für den Schwarzwald typische Forelle, die lebend aus dem Bassin kommt. Aber auch Lachs, Wels oder Zander finden den Weg in die Rößle-Küche. Fischliebhaber muss man nicht unbedingt sein, um in der Rößle-Speisekarte seinen Favoriten zu entdecken. Auch Wild, etwa Hirsch, Rumpsteak, Lamm oder, je nach Jahreszeit, auch Pfifferlinge mit Speck und Zwiebeln oder Omelette lassen sich finden. Und zum Nachtisch gibt es hausge- machten Kuchen. Die Speisen von Frank und Silvia Walter kommen gut an. Da bot es sich an, auch noch einen Außer-Haus-Service ins Programm aufzu- Das „Rößle“ im Weißenbachtal nehmen. „Wir haben auch früher schon einen kleinen Partyservice betrieben und tun das hier im Schwarzwald auch“, erklärte Frank. Bis zu 100 Personen kann man an kalt-warmen Büfetts versorgen. Als Ausflugslokal sehr bekannt Das „Rößle“ bietet sich als Ausflugslokal bes- tens an, vor allem viele Wanderer kommen. Von hier aus gelangt man etwa über die Weißenba- cher Höhe, Fuchsbach und Vordere Vogte an den Blindensee. Auch Elzquelle, Donauquelle, Mar- tinskapelle oder Rohrhardsberg sind von hier aus recht schnell zu erreichen, ebenso der nahe Westweg. Was für Wanderer und Spaziergänger recht ist, kann für Biker nur gut sein: Vom Wei- ßenbacher Tal aus lassen sich mit dem Rad viele Ziele anfahren. Fast noch mehr Spaß macht es im Winter. Über und unter dem „Rößle“, so könnte man sa- gen, führt die Loipe vorbei. Mittlerweile geht die Familie so weit, dass man sogar einen direkten, maschinell gespurten Zugang von den Loipen direkt an den Gasthof heranlegt. Direkt gegenüber des Gasthauses, an der anderen Talseite, findet man einen Skilift. Der gehört zum „Rößle“ und wurde 1972 von Rudolf Walter erbaut. Er weist eine Schlepplänge von 500 Metern auf und ist sehr bekannt. Vor allem Anfänger und Kinder finden hier ein ideales Terrain, um dem Ski- sport zu frönen. Claudius Eberl Die gemütliche Gast- stube ist hell und freundlich. Besonders beliebt ist der Platz am Kachelofen. 289
17. Kapitel Musik Bluesquamperfect – perfekte Musik Die Furtwanger Formation hat sich in 35 Jahren eine riesige Fangemeinde erspielt Diese Band aus Furtwangen ist Kult, und das weit über das obere Bregtal hinaus. „Blues- quamperfect“ oder kurz BQP begeistert Zuhörerinnen und Zu- hörer aller Altersklassen mit einer Mischung aus Blues, Soul, Funk und Rock, verpackt in eine mitreißende Bühnenshow. Und das seit über 35 Jahren. Bereits an Weih- nachten 1973 fand im Furtwanger Jugendtreff das erste gemeinsame Konzert statt. Damals noch unter dem Namen „Pappa Tick Tack’s Rucki Zucki Bluesband“. Entstanden war alles bei einer Fahrt von Ro- land Klausmann (Gitarrist, Sänger und Kompo- nist) und Klaus Rimbrecht (Bass) ins Schulland- heim. Die musikbegeisterten Schulfreunde be- schlossen, eine ihrem Geschmack entsprechende Band zu gründen. In dem Bluespianisten und Sänger Dieter Bäuerle fanden sie einen er- fahrenen Mitspieler. Die Auftritte brachten bald erste Erfolge, die Musikszene der Raumschaft wurde auf die „Neuen“ aufmerksam. Bis ins Jahr 1975 wurde in lau- fend wechselnden Besetzungen ge- spielt, Dieter Bäuerle hatte die Band bereits wieder verlassen. Dafür ka- men Hans Bausch (Saxophon), Hans Kral (Posaune) und Norbert Klausmann neu hin- zu. 1984 stieß die Sängerin Andrea Klausmann zu der Band, sie ist seitdem mit ihrer brillanten Stimme und ihrem Showtalent ein Aushänge- Bluesquamperfect das sind, hinten von links: Johannes Schmidt (Schlagzeug/Ge- sang), Klaus „Bo“ Rimbrecht (Bass), Hans Bausch (Saxophon/Keyboard/Gesang), Rolf „Royce“ Langenbach (Gesang/Gitarre) und Hans Kral (Posaune/Gesang). Vorne Andrea Klausmann (Gesang), Karin Höwer (Saxophon/Gesang) und Norbert Klaus- mann (Gitarre). 290
Bluesquamperfect Die Furtwanger Formation „Bluesquamperfect“ ge- hört zu den bekanntesten Bands in Südbaden, be- reits 1975 durch Roland Klausmann (Oben links und rechts oben) sowie Klaus Rimbrecht, gegründet, ist sie noch immer gefragt. Zu den Top-Acts gehören die Furtwanger auch im Freiburger Jazzhaus (unten rechts). schild der Band. Einen Einschnitt gab es 1988, als Mitbegründer Roland Klausmann BQP ver- ließ, um sich als Profimusiker in München eine neue Existenz aufzubauen. Den Part des Lead- sängers und Gitarristen übernahm Rolf „Royce“ Langenbach, der seither das Klangbild von BQP mit zahlrei chen Eigenkompositionen bereichert (s. auch Beitrag über „Gerwig“ ab Seite 298). Seit jeher absolute Profis In dieser Zeit half der Schlagzeuger Johannes Schmidt einige Male als Gastmusiker aus und 1989 wurde er festes Mitglied der Formation. Ein Jahr später stieß Karin Höwer (Saxophon) als letzter Neuzugang dazu, seitdem blieb die Besetzung konstant. Die Auftritte von BQP sind seit jeher absolut professionell, obwohl alle Musikerinnen und Musiker einem Beruf nach- gehen, sie stehen als Lehrer, Sozialarbeiter, Verwaltungsangestellte und Unternehmer „mit- ten im Leben“, auch eine Ärztin ist dabei. Und „neben dem Beruf und der Musik“ haben die meisten Bandmitglieder auch Familie. Dabei verlangen Proben und Auftritte ein enormes En- 291
Bluesquamperfect Der musikalische Kopf der Band ist Rolf Langen- bach, der auch viele Stücke komponiert (oben). An- drea Klausmann hingegen ist die Stimme von „Blues- quamperfect“, hier zusammen mit Gründungs mit- glied „Bo“ Rimbrecht. gagement von den Musikern, denn nicht nur die Musik muss stimmen, auch die Show muss bis auf die kleinsten Details vorbereitet werden und „sitzen“. Wie aber kam es zu dem ausgefallenen Bandnamen? Mitte der siebziger Jahre wollten die damaligen Bandmitglieder einen ebenso kurzen wie attraktiven Namen für ihr Bluespro- jekt finden. Dazu trafen sich alle in der Stube der Familie Klausmann in der Furtwanger Hin- terbreg. Klaus „Bo“ Rimbrecht blätterte bei dieser Gelegenheit in einem Lexikon und stieß dabei auf den Begriff „Plusquamperfekt“, der 292 im Lateinischen die vollendete Vergangenheit bezeichnet. Daraus entstand die Idee, den Be- griff in „Bluesquamperfect“ umzubenennen, was bei allen Bandmitgliedern auf einhellige Zustimmung stieß. Gleichzeitig wurde die Kurz- form BQP ins Leben gerufen, schließlich hatte sich eine entsprechende Abkürzung schon bei „Creedence Clearwater Revival“ bewährt (CCR). Die Gründungsmitglieder von BQP haben mittlerweile weit über 500 gemeinsame Kon- zerte absolviert, in manchen Jahren fanden 25 Konzerte statt. Zwei Live-CDs wurden veröf- fentlicht (Absolut Life und Partytour). Bereits in den 80er-Jahren wurden eine Langspielplatte sowie zwei Singles produziert. Konzerte in zahl- reichen Großstädten gehören zur Erfolgsbilanz der Band, etwa im „Onkel Pö“ (Hamburg), im „Sinkasten“ (Frankfurt), in der Markthalle in Basel oder im Hotel Astoria in Luzern. Auch das Zeltmusikfestival Freiburg gehört dazu. Und im Jazzhaus Freiburg treten die Schwarzwälder mindestens einmal im Jahr auf, und das seit über 20 Jahren. Die Begeisterung ist ungebrochen Das Geheimnis für den Erfolg der Band liegt sicher in der ungebrochenen Begeisterung für die Musik, dem gewachsenen Teamgeist aber auch darin, dass die Konzerte etwa zur Hälfte aus Eigenkompositionen bestritten werden. Ge- rade darauf ist BQP stolz. Die meisten dieser Kompositionen stammen aus der Feder von Rolf Langenbach. Seine musikalische Begabung, aber auch sein schier unerschöpflicher musika- l ischer Tatendrang sind dafür verantwortlich, dass BQP immer wieder zu neuen Ufern auf- bricht. Auch auf der Bühne steht er als Lead- sänger und Entertainer zusammen mit Andrea Klausmann im Mittelpunkt der Show. Und auch wenn es bei BQP keinen Bandleader gibt, Rolf Langenbach ist zusammen mit Hans Bausch der musikalische Motor der Formation. Beide sind übrigens Lehrer am Furtwanger Otto-Hahn-Gym- nasium und haben somit auch im Berufsalltag miteinander zu tun. Am Ende sind aber alle Bandmitglieder für den Erfolg verantwortlich, gemeinsame Pro-
Musik ben, auch ganze Probenwochenenden sind die Grundlage dafür, dass immer wieder Neues aus- probiert und am Repertoire gefeilt wird. Neben Eigenkompositionen gehören indivi- duell arrangierte Stücke bekannter Größen der Musikszene zu den Konzerten. Zu nennen wäre Elvis Presley, Wilson Pickett, die Bluesbrothers, Gloria Gaynor, Patricia Kaas oder Eric Clapton. Diese breite Mischung ist aber auch die Voraus- setzung für Auftritte in Festzelten, Stadthallen ebenso wie bei attraktiven Clubs oder Festivals, vor ganz unterschiedlichem Publikum also. Das groovige Showprogramm, aber auch schwarze Anzüge, Sonnenbrille und Melone sind Markenzeichen der Band. Etliche gemeinsame Auftritte mit bekannten Künstlern – von Canned Heat bis Nena Konzerte zusammen mit bekannten Künstlern gab es ebenfalls viele. So mit Bo Diddley, Champion Jack Dupree, Steppenwolf, Canned Heat, Spider Murphy Gang sowie den Stripes sprich Nena. Im Verlauf der 35-jährigen Bandgeschichte gab es zudem so manchen Wandel – auch unliebsame: Weil Fördergelder fehlen, mussten immer mehr Auch nach weit mehr als 500 Konzerten mit Be- geisterung auf der Bühne: Bluesquamperfect beim Empfang für Martin Schmitt im Frühjahr 2009 in der Furtwanger Festhalle. kleinere Bühnen schließen. Damit fehlen Bands wie Bluesquamperfect Konzertmöglichkeiten. Auftritte bei Betriebsfesten oder Kongressen sind ein Ausgleich. Und Kult ist das Weihnachtskonzert von BQP in der Furtwanger Festhalle: Dort trifft sich seit eh und je am zweiten Weihnachtsfeiertag jung und alt zu einem ganz besonderen Musik- und Show-Ereignis. BQP, das sind Rolf „Royce“ Langenbach (Gesang, Gitarre), Andrea Klausmann (Gesang), Hans Bausch (Saxophon, Keyboard, Gesang), Karin Höwer (Saxophon, Gesang), Hans Kral (Posaune, Gesang), Norbert Klausmann (Gitar- re), Klaus „Bo“ Rimbrecht (Bass) sowie Johan- nes Schmidt (Schlagzeug, Gesang). Klaus Rim- brecht ist auch für alle organisatorischen Fragen zuständig. Die Band unterhält auch eine Home- page (www.bluesquamperfect.de). Hier können aktuelle Termine, Infos für Veranstalter, zahl- reiche Bilder, Musik, alte Geschichten und Gast- spielorte abgerufen werden. Matthias Winter
Musik Soul Shaker – grooviger Sound Die junge Band aus St. Georgen ist aus der Schüler-Jazzband der JMS hervorgegangen Nachdem die ersten Töne von „Also sprach Zarathustra“ von CD ertönen, füllt sich der Raum mit Spannung auf das, was nun fol- gen wird. Beim Höhepunkt des Stückes angelangt, setzt plötzlich die Band mit Spielen ein und der groovige Sound der Instrumentalisten erfüllt fortan den Raum. Die Stimmung unter den Zuschauern schlägt in Faszina- tion und Begeisterung um. Füße wippen im Takt, die ersten beginnen zu tanzen und hier und da ist ein immer lauter werdendes Sum- men zu vernehmen. Dieses Temperament kann nur eine Band erzeugen – die Rede ist von den Soul Shakern. Bei den Soul Shakern handelt es sich um eine junge Band aus St. Georgen. Sie steht für pure Leidenschaft, beeindruckende Stimmum- fänge, die unser Trommelfell verwöhnen und unter die Haut gehen. Weiter für bunte Klang- welten, erzeugt von Gitarristen, Schlag zeug und Bass, eine knackige Bläserformation, sowie gewaltige Energie und mitrei- ßende Rhythmen. Dar über hinaus ga rantieren die Musiker mit ihrem schwarz-weißen Outfit, das stark an die Blues Brothers erinnert, für einen hohen Wiedererken- nungs wert. In den letzten Jahren ha- ben die Soul Shaker durch zahlreiche Auftritte im Schwarzwald-Baar-Kreis, aber auch über die Region hinaus, auf sich aufmerksam machen können. Ihr Programm setzt sich zusammen aus überwiegend amerikanischen Titeln der 1960er-/80er-Jahre, angefangen von den Film- hits der Blues Brothers über Klassiker wie „Think“ von Aretha Franklin – bis hin zu Rock & Pop-Stücken von Katrina & The Waves oder Prince. Die Soul Shaker aus St. Georgen haben weit über den Schwarzwald-Baar-Kreis hinaus auf sich auf- merksam machen können. Dass die 14-köpfige Crew sich mit Leib und See- le der Musik verschrieben hat, zeigt schon al- Mit Leib und Seele der Musik verfallen 294
lein der Name der Band, unter dem sie seit 2005 bekannt ist und der von Frontsänger „Tobi“ ins Leben gerufen wurde. So bildet Soul die Grundlage des Großteils der Musikstücke, während Shaker die Vielfalt darstellt, die durch die verschiedenen Einflüsse von Pop, Funk und Rock zustande kommt. Allerdings gibt es die Band schon einige Zeit länger – nämlich seit 2001. Hervorgegan- gen aus der Schüler-Jazzband der Jugendmu- sikschule St. Georgen-Furtwangen, haben sich die jungen Talente im Laufe der Jahre zu einer eigenständigen Band entwickelt. Die Musiker sind sozusagen erwachsen geworden. Zwar ge- hören sie noch immer zur Jugendmusikschule St. Georgen, aber mittlerweile haben sie die Or- ganisation der Auftritte selbst in die Hand ge- nommen und bemühen sich um einen entspre- chenden Außenauftritt. Gleich geblieben von den Wurzeln bis heute ist hingegen die Leitung, die Andreas Erchin- ger, bekannt als Pianist und Komponist des Cé- cile Verny Quartetts und Musiklehrer der Ju- gendmusikschule St. Georgen, mit viel Hingabe und Liebe übernimmt. Von den Gründungsmit- gliedern sind noch Myriel Kockerols, Cyrille Kunz, Matt hias Schwarz und Tobias Fritzsche aktiv. Die Mitglieder der Band Die Soul Shaker setzen sich zusammen aus 14 Mitgliedern – Schüler, Studenten und Berufs- tätige. Sie stammen aus St. Georgen und Um- gebung und sind zwischen 18 und 28 Jahren alt. Sie teilen nicht nur ihre Freude und Passion für die Musik, sondern sind darüber hinaus durch Freundschaft miteinander verbunden. Bandmitglieder: Der Sänger Tobias Frit zsche (Mr Soul Shaker) und die Sängerin Julia Weber (Miss Diva), die Saxophonistinnen Sa brina Scherzinger (Miss Kiss), Myriel Kockerols (Miss One), Ann-Kathrin Grellmann (Miss Deep), der Bassist Cyrille Kunz (Mr French), die zwei Trom- peter Jonas Graus (Mr Jones), Christoph Sengle (Mr Moocher), der Posaunist Manuel Schlenker (Mr Cool), Birgit Lehmann (Madame Brigitte) an der Querflöte, nicht zu vergessen die Gitarris- Soul Shaker „live“. ten Matthias Schwarz (El Mariachi) und Hannes Donel (Mr Bad), am Schlagzeug Lukas Aberle (Mr Click) und last but not least Eva-Maria Hild- brand (Miss Eve) am Piano. Inzwischen übernimmt Julia Weber, einstige Backgroundsängerin, die Leadrolle von vielen Songs und auch Duette wird es schon bald ge- ben. Damit wartet die Band mit einem noch ab- wechslungsreicheren und breiter gefächerten Repertoire auf. Bei den Hits handelt es sich um gecoverte Versionen, die mit einer persönli- chen Note versehen werden. Doch auch eigene Songs und Texte sind in Planung, denn an Ta- lenten dafür fehlt es nicht. Im September 2009 ist eine Live-CD erschienen. Dabei handelt es sich um einen Konzertmitschnitt aus Döggin- gen. Talent und fleißiges Proben führen zum Erfolg Die Soul Shaker haben sich ihr professionelles Auftreten und ihren unvergleichlichen Sound durch Proben hart erarbeitet. Immer montags treffen sie sich in der Jugendmusikschule zu ei- ner zweieinhalbstündigen Probe. Dabei gibt Andreas Erchinger, der Bandleiter, an entspre- chenden Passagen Hilfestellung und lässt schwierige Abschnitte wiederholen, bis sie feh- lerfrei gespielt und gesungen werden. Die Blä- ser treffen sich noch zu einer zusätz lichen Pro- be bei Mario Rosenfeld. Mehr über die Band gibt es unter www.soul- shaker.de im Internet zu erfahren, auch die Konzerttermine natürlich. Diana Sänger 295
Musik Kulturpreisträger Zwei junge Schlagzeuger gewinnen als beste Musiker den Kulturpreis Schwarzwald-Baar Als das Telefon klingelte und Benedikt Kurz erfuhr, dass er gemeinsam mit seinem Duo- Partner Matthias Bucher den Kulturpreis Schwarzwald- Baar gewonnen hatte, konnte er es kaum fassen. „Ich war unheimlich stolz und es hat mich auch mit Genugtuung er- füllt, denn als Schlagzeuger wird man oft nicht richtig ernst genommen“, sagt der Stu- dent. „Wir Schlagzeuger gel- ten ja leider für viele als dieje- nigen, die nichts anderes ge- lernt haben“, ärgert er sich ein bisschen. Doch die beiden konnten sich sogar gegen ei- nen Jazzpianisten mit interna- tionalem Renommee durchsetzen. „So furios, wie sich die beiden Villinger beim Vorspiel zum Wettbewerb in ihr diverses Schlag- zeug gelegt hatten, so brillant war auch die Kostprobe, die sie (…) bei der Preisverleihung im Gewölbekeller der Donaueschinger Musik- schule abgeliefert hatten“, hieß es in einer Lo- kalzeitung, in der auch die „Magie der rhyth- mischen Interaktion“ sowie die „technische Brillanz und künstlerische Expressivität“ gelobt wurde. Anders als bei den Landes- und Bundeswett- bewerben von „Jugend musiziert“, bei denen Benedikt Kurz und Matthias Bucher auch schon mehrfach erste Preise gewonnen haben, stell- ten sie beim Kulturpreis Schwarzwald-Baar ihr Können in Konkurrenz zu allen anderen Instru- mentalisten unter Beweis. „Wir haben die beste musikalische Leistung gezeigt und nicht nur die beste Leistung im Bereich Schlagzeug“, betont Kurz. Dabei war die Teilnahme gar nicht von lan- ger Hand vorbereitet. Die beiden Schulfreunde 296 296 Die Kulturpreisträger Benedikt Kurz (links) und Matthias Bucher (rechts). aus Villingen hatten sich nach ihrem Abitur schon beinahe aus den Augen verloren – Matthias Bucher studiert Schulmusik in Mann- heim und Benedikt Kurz hat an der Münchener Hochschule für Musik und Theater die Fachrich- tung Diplom-Musiker eingeschlagen. Kurz hatte sich bereits im Jahr 2004 erfolgreich um den Kul- turpreis beworben, der seit dem Jahr 2002 ausge- schrieben wird. Letzte Chance vor dem Studium „Es war unsere letzte Chance, vor dem Studium noch einmal etwas gemeinsam zu machen“, sagt Matthias Bucher. Schnell hatten sich die beiden auf drei Stücke geeinigt, von denen sie jedoch in den zehn Minuten, die ihnen wie ihren Mit- bewerbern beim Vorspiel zur Verfügung stan- den, nur zwei der Jury präsentieren konnten: Ein effektvolles Showstück mit Trommeln verschie- dener Größe und ein Stück, das in der Presse als „puristische Percussion mit sich selbst genü- genden Schlegeln“ bezeichnet wurde, die „wie
von selbst den Weg zu vermeintlich bescheide- nen Glockenspielen fanden“. Beide Musiker sind Jahrgang 1988, beiden wurde die Musik gewissermaßen in die Wiege gelegt. Auf dem Villinger Gymnasium am Hopt- bühl lernten sie sich kennen und gingen von da an über weite Strecken ihren musikalischen Weg gemeinsam. Die Eltern von Matthias Bucher spielen in der Stadtmusik Villingen, der Vater Saxophon, die Mutter Querflöte. Auch die Ge- schwister spielen Instrumente, zu Weihnachten und Geburtstagen musizieren bei Buchers alle gemeinsam. Die ersten Jahre bekam er von sei- nen Verwandten Unterricht, bis er in der fünften Klasse auf Benedikt Kurz traf. Dieser nahm ihn dann mit zu seinem Schlagzeuglehrer an der da- maligen Jugendmusikschule Villingen-Schwen- ningen, Frank Neu. Auch Benedikt Kurz kommt aus einem musi- kalischen Elternhaus. Sein Vater ist nicht nur Musiklehrer an einer Hauptschule in Villingen, „er ist auch ein leidenschaftlicher Musiker“, sagt Benedikt. „Er singt und spielt bei der Salsa- Band Compadres den Bass, außerdem ist er Mit- glied in einem Kammerorchester und spielt in der Fastnacht Tuba. Die Freude, die er dabei ver- mittelt, ist für mich, der das Ganze professionell betreibt, ein großer Ansporn. Das Wichtigste ist, dass die Musik mir und meinem Publikum Spaß macht. Durch meinen Vater habe ich gelernt, dass dies mein einziges Ziel sein muss, nicht etwa das Streben nach Geld oder Ansehen.“ Natürlich will auch das Studium bezahlt sein. Statistenauftritte für das Fernsehen gehö- ren dazu. „Man sitzt da im Studio und tut so, als würde man Schlagzeug spielen“, sagt Kurz. Wichtig für ihn war auch, dass der Kulturpreis gut dotiert ist. Für das Preisgeld, das er 2004 gewonnen hatte, konnte er sich ein neues Becken leisten, das Preisgeld von 2008 steckte er in die Studiengebühren. Benedikt Kurz hatte seine ersten musikali- schen Erfahrungen mit einer Blockflöte ge- macht, die Grundschulzeit über hatte er Flöten- unterricht. „Das war eine gute Sache, denn da- durch habe ich schon früh Noten lesen gelernt“, sagt er. Im Herzen war er jedoch immer schon ein Schlagzeuger. „Meine Großeltern haben mir erzählt, dass ich offenbar immer die Kochlöffel Kulturpreisträger meiner Mutter zerschlagen habe. Überall wo ich Stöcke finden konnte, sei es in der Küche oder im Garten, fing ich an zu trommeln. Matthias Bucher: „Ich kann mich den ganzen Tag mit Musik beschäftigen“ Auch Matthias Bucher klopfte bereits im Kinder- zimmer den Rhythmus zu Musik vom Band. „Mu- sik kann mich komplett ausfüllen“, schwärmt er. „Ich kann mich den ganzen Tag mit Musik beschäftigen und empfinde es nicht als lästige Pflicht. Ohne Musik“, gesteht er, „wüsste ich gar nicht, was ich machen sollte“. In der zehn- ten oder elften Klasse hatte er mal kurzfris tig ein Jura-Studium erwogen oder zur Kriminalpolizei zu gehen, den Plan aber bald wieder zugunsten eines Musikstudiums verworfen. Als angehen- der Musiklehrer im Gymnasium kommen ihm seine Keyboardkenntnisse zugute, denn Klavier ist Pflichtfach, außerdem spielt er in einem Or- chester die Pauke und in einer Bigband Trompe- te. „An der Pauke kann man sich gut Gehör ver- schaffen“, meint er. Schon bald nachdem sich die Gymnasiasten Kurz und Bucher kennen gelernt hatten, folgten die ersten gemeinsamen Auftritte. „Einmal ha- ben wir sogar bei der Gedenkfeier für die Opfer des Flugzeugunglücks von Überlingen gespielt“, erinnert sich Matthias Bucher. Als 15-Jährige gewannen sie als Schlagzeug- Duo den 1. Preis im Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Es war nur einer von vielen Musik- preisen, den die beiden als Solisten oder im Duo erreicht hatten. „Es hat immer wahnsinnig viel Spaß gemacht“, erinnert sich Kurz, „wir waren auch als Duo immer noch sehr solistisch“. Ein Jahr vor dem Abitur, im Jahr 2006, hatten sie den letzten gemeinsamen Auftritt vor dem Kultur- preis. „Das Duo-Projekt ist derzeit auf Eis ge- legt“, sagt Kurz. Beide Schlagzeuger spielen an ihren Stu- dienorten in verschiedenen Formationen, wenn sie nach Hause kommen, treten sie sogar beide mit der selben Salsa-Band auf – jedoch wegen ihrer unterschiedlichen Semesterferien und Prüfungstermine so gut wie nie gleichzeitig. Stephanie Wetzig 297
Musik Gerwig – Das Musical der von Christina Nack / Fotos: Michael Kienzler Das Bauernmädchen Luise (Verena Köder) verliebt sich in den italienischen Inge- nieur Giovanni (Stephan Willing). Das „Gerwig“- Musical hat viele Facetten – es begeisterte mehrere tausend Zuschauer bei aus- verkauften Aufführungen im Kurhaus Triberg! 298
Schwarzwaldbahn Musik Szenen aus „Gerwig“: Florian Klausmann aus Furtwangen glänzte als der junge Gerwig (links). Foto im Hintergrund: Original- aufnahme vom Bau der Schwarzwaldbahn.
Musik Zu einem grandiosen Erfolg gerieten die Aufführun- gen des Musicals „Gerwig“ im Kurhaus in Triberg, hier tosender Beifall bei der Premiere. Gerwig macht glücklich: Zu dieser Erkennt- nis kam jeder, der die ausverkauften Auffüh- rungen im Triberger Kurhaus besuchte. „Ger- wig – das Musical der Schwarzwaldbahn“ ist eine tiefgründige Hommage auf den Erbauer der Schwarzwaldbahn und zugleich eine be- Vor allem aus Italien kommen viele der Arbeiter und Fachkräfte, die die 1873 eröffnete Schwarzwald- bahn bauen. Das Bauernmädchen Luise (Verena Köder) verliebt sich in den italienischen Ingenieur Giovanni (Stephan Willing). seelte Liebeserklärung an die Heimat, die das Publikum nicht nur bei der Welturaufführung berauschte, sondern auch bei allen Anschluss- vorstellungen. Die im Wortsinn bahnbrechende Ge- schichte von Robert Gerwig und seinem Meisterwerk geriet auf der Bühne zum mu- sikalischen und szenischen Feuerwerk; das war Musiktheater auf höchstem Niveau, wie man es nie und nimmer bei uns in der vermeintlichen Provinz vermuten würde. Das Erfolgsgeheimnis der von A bis Z selbst gemachten Produktion: Die kongeniale Idee von Rolf Langenbach und Peter Bruker und die Umsetzung durch eine Mischung aus Profis, denen künstlerisches Profil wichtiger als persönlicher Profit ist, und Amateuren, die in 300
Musik Gerwig – Das Musical der Schwarzwaldbahn :: Die Macher Rolf Langenbach: Komponist aller Songs, Konzeption und Musikalische Gesamtleitung (siehe auch Beitrag über „Bluesquamperfect“ ab Seite 290) Peter Bruker: Lyrics, Konzeption und Management Markus Schlueter: Regie und Dialoge Ellie Karrer: Choreographie Denny Stoi: Maske Thomas Weisser, Rainer Huber und Moritz Huber: Licht, Ton und Video :: Die Hauptdarsteller Robert Gerwig (alt): David Köhne Hanna Hitzig (Journalistin): Anke Delkeskamp Robert Gerwig (jung): Florian Klausmann Luise (ein Bauernmädchen): Sabine Kienzler und Verena Köder (Doppelbesetzung) Franz (Bruder von Luise): Ronny Parthaune Karl (Bruder von Luise): Christian Packbier Giovanni (ein italienischer Ingenieur): Stephan Willing und Olaf Creutzburg (Doppelbesetzung) :: Weitere Akteure Die „Bedenkenträger“: Karl-Wilhelm Grieshaber (ein Großbauer): Martin Dorer Frederic Renner (ein Geistlicher): Harald Zähringer Nicolaus Ströbele (ein Stadtrat): Bernhard Czmiel Sibelius Ströbele (Arzt): Armin Dorer Barbesitzerin Lydia „Shoushou“ Krause: Andrea Klausmann Elisabeth Bäuerle (Bedienung): Sabine Kienzler und Verena Köder (Doppelbesetzung) Chor der Bardamen: Eva: Julia Weber, Maria: Mariann Grieshaber Magdalena: Theresa Kern, Sarah: Laura Radi Gerichtsvollzieher und Ausrufer: Alexander Voß Die Gerwig-Dance-Compagnie: Martin Ballof, Katja Engesser, Susan Farzin, Nathalie Haggenmüller, Kerstin Hoffmann, Birgitt Renner, Peter Richter, Erwin Schärf 301 Die Macher Rolf Langenbach und Peter Bruker freu- ten sich bei der „Gerwig“-Premiere über die Glück- wünsche von Wirtschaftsminister Ernst Pfister und Tribergs Bürgermeister Gallus Strobel (von rechts). der Dynamik des Prozesses ungeahnte Talente entwickelten. Dem rund 100-köpfigen Ensem- ble auf und hinter der Bühne ist etwas Großes gelungen, ein Meisterwerk, in das direkt und indirekt eine breite Bevölkerung verwickelt war – so wie beim Bahnbau auch. Die Freude über „ihr“ Musical zeigten die Besucher am Ende der fast dreistündigen Inszenierung mit stehendem Beifall. Eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert Eine Stimme aus dem Off begrüßt die verehr- ten Gäste zu einer Zeitreise ins 19. Jahrhundert, filmisch werden sie von der Schwarzwaldbahn aus der Gegenwart abgeholt. Die Band swingt sich locker ins gemütliche Schnaufen der sich den Schwarzwald hinauf schiebenden Eisen- bahn ein, die Jahre purzeln, die Bilder werden schwarzweiß, aus der Elektro- wird eine Dampf- lokomotive. Bald verschwindet auch die, dafür erscheint eine handgemalte Landkarte – der Schwarzwald ohne Schwarzwaldbahn. Vorhang auf: die Reisenden sind angekommen in der neuen Gegenwart, man schreibt das Jahr 1883. Robert Gerwig (David Köhne), ein stattlicher Mann Anfang 60, bekommt Besuch von einer Journalistin, die zum zehnten Geburtstag der
Musik Robert Gerwig (alt) alias David Köhne erhält Be – such von der Journalistin Hanna Hitzig (Anke Del- keskamp). „Gerwig“ bietet tolle Tanzszenen und akrobatische Einlagen (Schonacher Turnverein), das Musical ist toll choreographiert. Schwarzwaldbahn einen Artikel schreiben will. Sie heißt Hanna Hitzig (Anke Delkeskamp). Bruttelnd und gleichwohl geschmeichelt lässt er sich auf das Interview ein und erzählt dem un- bedarften Fräulein Hitzig, wie das so war in Tri- berg vor 20 Jahren, als es noch keine Schwarz- waldbahn gab, sondern nur einen Plan und viele Hindernisse. Zwischen diesen beiden Zeitebenen pendelt das Geschehen, der alte Robert Gerwig erzählt und das Ensemble mit dem jungen Robert Gerwig (Florian Klausmann) setzt seine Erinnerungen szenisch um. Der Kuckuck lässt die Jahre weiter purzeln, ein Vor- hang teilt die Bühne bedarfsgemäß in beide Zeit- und Spielebenen, dritte Dimension ist die Videoleinwand, die das Geschehen mit symbol- trächtigen Blicken in dunkle Tunnel mit Licht am Ende begleitet. Der alte Gerwig beschreibt die dickköp- figen und besserwisserischen Bedenkenträger in Triberg, die in behäbiger Wichtigtuerei ihre Einwände hinausposaunen: „Lass den Plan mit der Bahn einfach fahr’n“ rappen sie im Chor. Die Band spielt frei auf, der fetzige Sound ist fun – kig angehaucht und lässt den Saal vibrieren, die Musiker sind allesamt bestens disponiert und begleiten die schmissigen, abwechslungs- reichen Songs und berührenden Balladen mit viel Einfühlungsvermögen und Flexibilität. Die ausgefeilten, pointierten Arrangements bieten immer wieder Gelegenheit für begeisternde So – li. Die starke Bläsersektion sorgt für glanzvolle Effekte, die Rhythmusgruppe garantiert groovi- gen Drive, die Gitarren setzen lustvolle Akzente – kurzum, die Band lässt keine Wünsche offen. Fräulein Hitzig ahnt allmählich, dass sie dem Geheimnis der Schwarzwaldbahn nicht im oberflächlichen Plauderstil auf die Spur kommt und sich hinter der Geschichte mehr verbirgt als eine schnelle Story mit fetten Schlagzei- len. In jeder Sequenz ist zu spüren, mit wie viel Herzblut der Regisseur Markus Schl- ueter die Figuren entwi ckelt und wie genau er dem Volk bei der Formulierung der Dia – loge aufs Maul geschaut hat. 302
Musik Boogie-Woogie-Dancer: Anita und Uwe Nottensteiner, Christina und Volker Bachert, Rosi und Helge Freimuth Akrobaten (Italiener): Max Dannecker, Julius Kuner, Philipp Kuner, Markus Schwer Dienstmädchen: Isolde Böhlefeld-Schwer Kinder: Miriam Sorrentino, Vanessa Karrer, Dominic Renner, Tobias Aberle, Michael Aberle :: Die Gerwig-Band Willi Renner, Johannes Schmidt (Schlagzeug), Marion Gottlieb (Percussion), Matthias Schuler (Bass), Gunther Ströhler, Norbert Klausmann, Rolf Langenbach (Gitarre), Martin Kentischer (Keyboard), Heinrich Sauer (Trompete), Mario Rosenfeld, Christof Mössmer (Posaune) und Hans Bausch (Saxophon). :: Drei Engel für Gerwig Der liebevolle Künstlername für die guten Geister im Hintergrund drängte sich nachgerade auf: „Drei En- gel für Gerwig“. Das waren Isolde Böhlefeld-Schwer, Claudia Steiert und Susanne Aberle. Sie sorgten für Kaffee und Kuchen, für eine aufgeräumte Garderobe – und allenthalben für gute Laune. Die drei Engel für Gerwig zauberten auf die Schnelle Requisiten herbei, waren bei persönlichen Problemen der Akteure zur Stelle, fanden zudem noch Zeit für die Regieassistenz und notierten zum Beispiel den Ablauf der geprobten Szenen. Obendrein verteilte das Trio mehr als 100.000 Flyer in Triberg und Umgebung, besorgte Requisiten und Kostüme und half bei der Anprobe. :: Antje Kienzler – Kostüme Mit Metermaß, Nadel und Faden war Antje Kienzler bei den Proben in ihrem Element, um hier noch schnell einen Knopf anzunähen und dort einen Bund zu weiten. Die Hauptarbeit freilich leistete die Schneiderin aus Schonach daheim in ihrem Atelier. In jeder freien Minute und in so mancher Nacht- schicht nähte sie die Kostüme um, die großteils von 303 Die Bedenkenträger gegen die Schwarzwaldbahn: der Landarzt (Raphael Gottlieb), Großbauer Gries- haber (Martin Dorer), Stadtrat Strübele (Bernhard Czmiel) und der Geistliche (Harald Zähringer). Es ist das besondere Verdienst dieser Inszenie- rung, dass sie unabhängig vom künstlerischen Ehrgeiz eine wahre Geschichte möglichst au- thentisch erzählen will und sich eng an der Historie orientiert, dabei aber nicht nur Fakten vermitteln will, sondern vor allem ein Gefühl für die damalige Zeit und für die emotionale Befind- lichkeit der Menschen. „Haben Sie nie gezweifelt?“, will die Journalistin vom alten Gerwig wissen. So wie sie sich allmählich von der überdrehten Quasselstrippe zur einfühlsamen Interviewerin wandelt, wird aus dem polternden, selbstbe- wussten Patron unmerklich ein weicher, warm- herziger Mann, der sich Gefühle und Schwächen gestattet. Angst und Zweifel waren ständige Begleiter, gesteht er und singt seinen Lebens- blues: „Es gibt nur die große Idee“. Hinter dem transparenten Vorhang tauchen Traumtänzer auf, die stimmungsvolle Balletteinlage wird von tollkühner Akrobatik kontrastiert, die ge- lenkigen Jungs vom Schonacher TuS schlagen Räder und laufen auf Händen, „es wird gelingen“, jubiliert der junge Gerwig, eine Körperpyramide macht sichtbar, dass Unmögliches möglich wird. Auch von den Gesangssolisten soll niemand hervorgehoben werden, ausnahmslos alle sin- gen brillant, die Melodien sind ohrwurmver- dächtig und laden zum Mitsummen ein.
Musik Auf der Bank – das Bauernmädchen Luise (Verena Köder) mit ihren Brüdern Karl (Christian Packbier, links) und Franz (Ronny Parthaune, rechts). Ein Höhepunkt ist die Marktszene (oben rechts und unten): „Auf dem Markt, da ist was los“, singt der Ausrufer (Alexander Voß, Bild unten). „Gerwig“: Perfekte Balance zwischen Spannung und Entspannung Das Problem beim Schienenbau war der Höhen- unterschied, der alte Gerwig erklärt sein geni- ales Prinzip der Kehrtunnel und beschreibt die gewaltigen Opfer, die für ihren Bau gebracht werden mussten. Die Menschen in und um Tri- berg waren arm damals, so arm wie das Bauern- mädel Luise. Reisigbesen, Kruzifix und Milch- kannen zaubern Schwarzwaldhof-Atmosphäre, die hübsche Luise zählt verzweifelt unbezahlte Rechnungen und bangt um den Erhalt des hoch verschuldeten Hofs. Ihre übermütigen Brüder Franz und Karl haben derweil nur Unfug im Kopf, sie haben die Kühe vom verhassten Großbauern Grieshaber mit Schnaps getränkt, sodass die betrunken über die Wiese torkeln. Im (Video)- Fenster über dem Stubentisch sind dazu in einer Computeranimation echte Kühe zu sehen, wie die Aufführung überhaupt spitzbübischen Sinn fürs Detail verrät und gespickt ist mit solch klei- nen technischen Raffinessen. 304
Musik der Bevölkerung gespendet worden waren. Dabei wa- ren die Erfahrungen wertvoll, die die nähende Theater- freundin bei Einsätzen für den Schonacher Turnverein und die Geißenmeckerer-Zunft gemacht hatte. :: Das Maskenbildner-Team Dass der Chefmaskenbildner des Stuttgarter Kultmusicals „Wicked – die Hexen von Oz“ in Triberg lebt und von den hiesigen Musical-Plänen so- fort begeistert war, ist eine der vielen wundersamen Fü- gungen, die zum Gelingen des Wagnisses beitrugen. Denny Stoi (Bild rechts) war klar, dass er sich auf einen breiten Helferstab würde stützen müssen, um die Dar- steller optisch ins 19. Jahrhundert versetzen zu kön- nen. Auch in diesem Segment entwickelte sich eine bemerkenswerte Eigendynamik. Bei der Recherche nach den modischen Gepflogenheiten vor 150 Jahren halfen das Schwarzwaldmuseum in Triberg und das Fotohaus Carle. Bei der eigentlichen Arbeit wurde der Chef-Ver- wandler von elf Amateur-Maskenbildnern unterstützt, die nach den historischen Stichen und Fotos Perücken und künstliche Bärte fertigten und für jede Figur ein passendes Make-up entwickelten. :: Bühnenbau und Kulissen Rolf Schwer, Jürgen Schwer, Nikolaus Hilser, Helge Datzmann, Werner Schneider Monatelang haben sie gehämmert, geschraubt, ge- sägt und gemalt: Für Bühnenbau und Kulissen waren der Mechaniker Rolf Schwer, Industriemeister Jürgen Schwer (nicht verwandt) aus Freiamt, der Schreiner Nikolaus Hilser aus Gremmelsbach, der Zerspanungs- mechaniker Helge Datzmann und der Maler und Gra- phiker Werner Schneider aus Triberg zuständig. Die Experten ergänzten sich in ihren Kompetenzen ideal und beflügelten sich gegenseitig mit ihren innovativen und praktikablen Ideen auch für Details am Rande wie eigens gefertigte Schminkspiegel und Bauchläden für einige Darsteller. 305 Großartig ist die Performance bei der Darstellung des Tunnelbaus: Arbeiter schleppen im angedeute- ten „Moon-Walk“ die Schienenstücke in den Tunnel, die als Barren und Reckstange für akrobatische Dar- bietungen fungieren. In der szenischen Balance zwischen Spannung und Entspannung wechseln sich auch musikalisch schmissige Songs mit poetischen Balladen ab. „Wir träumten uns ins Leben“, singen die Geschwister, dann wieder geht’s rockig zur Sache – die Italiener kommen und die Schwarzwaldmädels sind ent- zückt. Großartig ist die Performance beim Bau des Tunnels, mit angedeutetem Moon-Walk im Michael-Jackson-Stil schleppen die Arbeiter Schienenstücke in den Tunnel, die als Barren und Reckstange fungieren – die Mischung aus Tanz, Akrobatik und Gesang ist ein Vergnügen für sich. Ein weiterer Höhepunkt ist die Marktszene. Marktfrauen streifen mit Körben voller Zwie- beln und Kartoffeln durch die Reihen, deftiger Schwarzwälder Schinken verbreitet köstlichen Duft, „Auf dem Markt, da ist was los“, singt der Ausrufer, mitten im fröhlichen Getrubel wuselt Ensemble-Hündin Sophie umher und schafft es wohlerzogen, selbst beim Anblick verlockender Würste nicht zu bellen. Und plötzlich steht die Zeit still, Luise und Giovanni, ein Ingenieur aus Italien, treffen sich zum ersten Mal – die obligate Liebesgeschichte, die in das Musical verwoben ist, nimmt ihren Anfang. Mann und Frau streichen aneinander
Musik Bei Sprengarbeiten kommt der Arbeiter Franz ums Leben und spielt fortan als Geist im Musical mit. Shoushou (Andrea Klausmann) ist Besitzerin der Bar. Die Dorf-Schankstube hat es gleichfalls in sich – dort marschieren die Preußen auf, eine Folge des Krieges von 1870/71. Hinreißend und voller Leben sind die Tanzszenen (unten). vorbei, wagen nicht, einander anzusprechen, berühren sich nur mit Blicken und teilen einan- der ihre Gedanken singend mit. „Du bist der Mensch, der mein Herz berührt“, vereinen sie sich schließlich im innigen Duett. Szenenwechsel, schon früher gab es dun- kle Spelunken, in denen durstige Arbeiter ihren Durst stillten und sich mit leichten Mädchen vergnügten. Shoushou ist Chefin dieses Etab- lissements und strahlt stimmlich mit dem Rot ihres Mieders um die Wette: „Die Nacht ist nicht zum Schlafen da.“ Die brave Luise steht am Aus- schank, um sich ein Zubrot für den Hof zu verdie- nen, während Bardamen auf dem Tisch und mit den Gästen tanzen. Die Ausgelassenheit nimmt 306
Musik :: Robert Gerwig – das Vorbild Robert Gerwig (1820 bis 1885) war ein genialer Bau- ingenieur, der sein beruf- liches Leben mit dem Bau des Berliner Reichstags beendete. Die Krönung seines Schaffens ist der Bau der weltbekannten Schwarzwaldbahn. Bevor er diese Herausforderung wagte, „übte“ der gebür- tige Karlsruher am Bau von Straßen in schwierigem Gelände, zum Beispiel zwischen Gütenbach und Furtwangen und zwischen Vöhrenbach und Unterkirnach. Er kurbelte zudem die Uhrenproduktion in Furtwangen an: 1850 wurde er – gerade mal 30-jährig – erster Leiter der staatli- chen Uhrmacherschule in Furtwangen und später dann Oberbaurat der Großherzoglichen badischen Staatsei- senbahn. Mit der Schwarzwaldbahn gelang Gerwig ein Mei- sterwerk: Es galt, einen Höhenunterschied von 670 Me- tern zu bewältigen mit einer maximalen Steigung von 20 Promille. Als Revolution im Eisenbahnbau galt sein Schachzug, die schwerfälligen Dampfloks über Dop- pelschleifen zu führen, sodass sie sich leichter in die Höhe schnaufen konnten. Der längste von 39 Tunneln ist der Sommerau-Tunnel, für den der Ingenieur ein 1.700 Meter langes Loch durch den widerspenstigen Granit bohren ließ. 1863 wurde mit dem Bau begonnen, zehn Jahre spä- ter war das Werk vollbracht – nach einer Zwangspause durch den deutsch-französischen Krieg 1870/71, zu dem die deutschen Arbeiter einzogen worden waren. Zeitweilig waren auf dem Bau 1.000 Männer gleichzeitig im Einsatz, darunter viele italienische Gastarbeiter. Et- liche schlugen im Anschluss für immer ihre Zelte in der Umgebung auf und vermischten sich mit der einheimi- schen Bevölkerung, worauf die Liebesgeschichte im Musical anspielt. Noch vor Fertigstellung der Schwarz- waldbahn wechselte Gerwig 1872 in die Schweiz, wur- de dort Oberingenieur beim Bau der Gotthardbahn. Robert Gerwig war auch politisch aktiv: Er vertrat seine Schwarzwälder Wahlheimat als Abgeordneter der Nationalliberalen in der Badischen Ständever- sammlung und später im Reichstag in Berlin. 307 ein jähes Ende, ein gewaltiger Knall, grelles Licht, Fetzen fliegen – ein Tunnel wird gesprengt, Franz wird von einem Felsbrocken getroffen, er ist tot. Sein Leichnam wird auf dem Schanktisch aufgebahrt, in all dem Heulen und Wehklagen steigt sein Geist überdimensional in den Him- mel – wieder ein köstlicher Computergag, der real fortgesetzt wird – fortan spielt Franz nämlich im weißen Nachthemd als Geist mit, unsichtbar für die Helden auf der Bühne, doch hinreißend präsent für das Publikum. Bei den Sprengungen gab’s Verletzte und Tote, erinnert sich der alte Gerwig an die traurigen Begleiterscheinungen seiner Großtat, die zudem 1870 vom deutsch- französischen Krieg überschattet wurde. Dessen Absurdität wird mit karikiertem Auf – marsch in der Schankstube thematisiert. Hin- reißend ist die musikalische Vermischung von „Preußens Gloria“, der „Marseillaise“ und dem „Badnerlied“, nicht Männer tragen Uniformen, sondern die Barda men, an der Tanzperformance begeistert ein mal mehr die choreographische Sicherheit und Originalität. Badische, franzö- sische und preußi sche Fähnchen wehen fröhlich durcheinander, Ciao – es heißt Abschied neh- men von den Italienern und es bricht Luise fast das Herz, denn auch Giovanni muss gehen. Im leeren, weißen Raum singt sie „Wo ist der Weg zu unserem Leben“, herzergreifend vom Saxo- phon unterstützt. „Sehen die zwei sich wieder?“ Die übertrieben schniefende Hanna Hitzig holt das Publikum in die zweite Gegenwart zurück, etwaige Rührseligkeit wird humorvoll aufgelöst.
Musik Die Hauptrollen bei „Gerwig“ sind doppelt besetzt, hier spielt Sabine Kienzler aus Furtwangen das Bau- ernmädchen Luise. Rechts: Der Geist des Arbeiters Franz (Ronny Parthaune). Unten: Bei der Zwangs- versteigerung von Luises Elternhaus. „Die neue Zeit ist da“ – verkündet der Marktschreier das Zeitalter der Eisenbahn Nach der Pause ist der Krieg vorbei, Fräulein Hit- zig erscheint jetzt in weiblich aufgelöstem Haar, die meisten deutschen eingezogenen Arbeiter kehren zurück, auch viele Italiener. „Die neue Zeit ist da“, verkündet der Marktschreier, auf der Bühne wird wilder Rock’n’Roll getanzt, die Men – schen wollen sich vergnügen und Ungemach vergessen. Sie sind dankbar für ihr Leben – mit andächtigem Halleluja und intoniertem Bibel- psalm werden auch damalige Gläubigkeit und unerschütterliches Gottvertrauen berührend the matisiert. Die Inszenierung steuert allmählich auf den dramaturgischen Höhepunkt zu, der alte und der junge Gerwig treten gemeinsam auf und hal- ten aus ihrer unterschiedlichen Zeitper spek tive eine Rede an das Volk von Triberg. „Am Ende des 308
dunkelsten Tunnels ist Licht“, lautet ihre Bot- schaft, jetzt wird kollektiv in die Hände gespuckt und das letzte Streckenstück in Angriff genom- men. Zugleich droht die Zwangsversteigerung von Luises Hof, den sich Grieshaber unter den Nagel reißen will. „Oh du lieber Augustin“, il- lustriert die Band das vermeintliche Ende, doch in letzter Minute wird noch alles gut, Giovanni taucht auf und kauft den Hof mit seinen Taschen voller Lire. Licht und Schatten gehören zusammen, ha- ben Hitzig und Gerwig in inzwischen erblühter Zuneigung zueinander erkannt und betrachten die Bilder von der fertigen Bahn. Die Lokomotive steuert auf Triberg zu, das Werk ist vollbracht. Im ersten Finale wird es gefeiert, an vorderster Front von den Bedenkenträgern, die im erhabe- nen Tango-Rhythmus behaupten: „Wir waren von Anfang dafür“ und sich als tolle Hechte feiern – ganz wie im echten Leben, solche Asso- ziationen sind erwünscht. Die Festgesellschaft schwingt badische Fähnle und wartet am Bahnsteig auf die Ankunft des Großherzogs, der Zug hat Verspätung, auch das war schon vor 150 Jahren so. „Wir haben Das große Werk ist vollbracht, Gerwig begrüßt den Großherzog zur Eröffnung der Schwarzwaldbahn. „Gerwig – Das Musical der Schwarzwaldbahn“ geschuftet und die Mühe hat sich gelohnt“, im Finale wird der Erfolg bejubelt, auch den alten Gerwig hält es nicht mehr in seiner Zeitebene, mit tollkühner Luftgitarre mischt er sich ins tur- bulente Geschehen ein. Mit „Gerwig – das Musical der Schwarz- waldbahn“ ist den vielen Beteiligten zwei- fellos ein großer Wurf geglückt, die Sorg- falt und Intensität der fast zweijährigen Vorbereitungen haben sich gelohnt. Bei einem Casting im Vorfeld hatten sich 50 Profis und Amateure um die Hauptrollen beworben, die mit Schauspielern aus Freiburg, Karlsruhe und vom Rottweiler Zimmertheater besetzt wurden, mit denen die einheimischen Akteure hervor- ragend harmonierten. Die großartigen Beden- kenträger stammten aus dem Furtwanger Raum, ebenso Sabine Kienzler und Andrea Klausmann als frivole Barbesitzerin, während ihr Neffe Flo- rian Klausmann als junger Gerwig glänzte. Ve- rena Köder und Stephan Willing wiederum sind Studierende von der Trossinger Hochschule, die bei der Produktion wertvolle Bühnenerfahrun- gen sammelten. Bemerkenswert war auch die Dynamik, die das Projekt bei einer breiten Be- völkerung entwickelte, die in Dachböden gestö- bert und in Truhen gewühlt hat, um das Ihre zu einer denkwürdigen Gemeinschaftsproduktion beizutragen.
Al ma nach-Ma ga zin No ti zen aus dem Land kreis Erstmals Medizinstudium an Hochschule Furtwangen Ab 2010 kann man an der Hoch- schule Furtwangen am Standort Villingen-Schwenningen Mole- kulare Medizin studieren. Dieser neue Studiengang am VS-Cam- pus ist sozusagen ein akademi- scher Meilenstein, denn erst- mals wird eine Fachhochschule einen Medizinstudiengang an- bieten. 35 Erstsemesterplätze im neu en Studiengang Moleku- lare und technische Medizin in Schwenningen gibt es. Der neue Schwenninger Studiengang ist richtungsweisend in der deut- schen Hochschullandschaft und darüber hinaus. „Damit setzen wir einen Pflock in Europa“, be- tont die Hochschule. Man tue ei- nen „historischen Schritt“, denn der neue Studiengang stelle faktisch den Einstieg der Fach- hochschulen in die Hochschul- medizin dar. Museum Biedermann: mit großer Strahlkraft Am Samstag, den 19. September 2009, eröffneten im Beisein von rund 150 geladenen Gästen in Do naueschin gen der Schwennin- ger Unternehmer Lutz Bieder- mann und seine Frau Margit ihr Kunstmuseum. Ihre Sammlung Biedermann umfasst gegenwär- tig rund 900 Werke von über 310 In jeder Hinsicht einmalig ist das Museum Biedermann in Donauesch- ingen. Das zuletzt als Kino genutzte Gebäude ist wieder ein Prachtbau geworden, moderne Kunst und klassizistische Architektur bilden eine ideale Symbiose. Unten rechts: Holzdruck-Aktion von Bodo Korsig. Mit einer Straßenwalze erzeugte er eine 170 x 250 cm große Druckgrafik. 100 internationalen, zeitgenös- sischen Künstlern und wächst ste tig weiter. Die präsentierte Auswahl bietet daher nur einen Vorgeschmack auf die noch zu erwartenden wechselnden Aus- stellungen. Oberbürgermeister Thors- ten Frei nannte den Moment ei- ne historische Weichenstellung. Die Stadt justiere sich nun auch auf die Darstellende Kunst. Das Museum Biedermann sei – ein- malig in der Region – ein Haus mit großer Strahlkraft. Präsentiert wird die einma- lige Sammlung in einem klassi- zistischen Bau mit zwei kurzen, hervorspringenden Flügeln, der im Park der Fürsten zu Fürsten- berg liegt. 1841 wurde das Ge- bäude von der Donaueschinger Museumsgesellschaft erbaut, hier traf man sich zu Lesungen, Konzerten und Bällen. Fürsten haben hier geheiratet, das Ge- bäude war Lazarett, dann Kur- haus und von 1937 an das „Mu- seums-Lichtspiel“ – ein Kino. Zur Eröffnung des Museums Biedermann wurden rund 50 Werke von 30 verschiedenen Künstlern ausgewählt, eine Aus – wahl von weitgehend junger und italienischer Kunst. Auch die Architekturliebhaber erhielten aufschlussreiche Einblicke, denn die historische Substanz des Gebäudes wurde trotz auf- wendiger Renovierungen weit- gehend erhalten. Margit Biedermann hat eine besondere Leidenschaft: Sie sam melt mit Vorliebe schwarze Arbeiten. Künftig werden bis zu drei Ausstellungen jährlich in ver schiedenen thematischen und künstlerischen Zusammen- hängen die Werke der Samm- lung aus immer wieder anderen Perspektiven präsentieren. Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag zwischen 9 Uhr und 17 Uhr geöffnet.
Furtwangen: Josef Herdner neuer Bürgermeister Mit 2.263 der 4.452 gültigen Stimmen, das sind 50,8 Pro- zent, wurde Josef Herdner am 18. Oktober zum neuen Bürger- meister der Stadt Furtwangen gewählt. Er löst nach 16-jähriger Amtszeit Richard Krieg ab. Markus Keller Bürgermeis- ter von Blumberg Markus Keller wurde mit 98,4 Prozent der Stimmen und einer Wahlbeteiligung von 42,4 Pro- zent als einziger Bewerber zum neuen Bürgermeister von Blum- berg gewählt. Er ist Nachfolger von Matthias Baumann. Anton Bruder zum dritten Mal Bürgermeister Am 12. Oktober 2008 wurde mit 94,7 Prozent der Stimmen An- ton Bruder zum dritten Mal zum Bürgermeister der Gemeinde Dauchingen gewählt. Die Wahl- beteiligung betrug bei einem Kandidaten 42,4 Prozent. Liebevolle Zuwendung für an Demenz erkrankte Menschen – Impression aus dem Altenheim St. Cyriak in Furtwangen. Ma ga zin Herzlicher Beifall für Erwin Teufel, der seinen 70. Geburtstag feierte. Hohe Anerkennung für Erwin Teufel beim Festakt Der frühere Minister präsident Erwin Teufel feierte bei einem Festakt am Freitag, den 4. Sep- tember, in Spaichingen seinen 70. Geburts tag. Die Spaichinger Festhalle war bis auf den letzten Platz mit zahlreichen Repräsen- tanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur gefüllt. Acht Mal hatten ihn die Menschen im Wahlkreis Villingen-Schwenningen in den Landtag von Baden-Württemberg Demenzkranke stärker in das Leben integrieren Mit einer landkreisweiten Kampa- gne werben der Schwarzwald-Baar- Kreis und der Arbeitskreis Demenz dafür, an Demenz erkrank te Men- schen stärker in den Alltag zu integrieren und nicht länger aus- zugrenzen. Ob im Supermarkt, im Alten- heim oder bei der Pflege durch die Angehörigen: bei Schulungen will man Hilfestellungen geben, damit die Menschen mit den Betroffenen richtig umgehen. „Wir können ein- gewählt – mit stets steigender Stimmenzahl. Vom 22. Januar 1991 bis 19. April 2005 war Erwin Teufel Ministerpräsident. Alle Redner, darunter auch Landrat Karl Heim, hoben die zupackende, geradlinige Art und die große Tatkraft von Erwin Teu- fel hervor. Zum Abschluss des Festak- tes gab es auf dem Spaichinger Postplatz für den Ministerpräsi- denten noch den großen Zapfen- streich, die Bür gerwehren des Landes spielten auf. fach nicht alle Menschen in Hei- men unterbringen“, betonen die Initiatoren, denn die Zahl der Er- krankten steigt weiter. Deshalb setzt man in einer Fort- bildungs- und Aufklärungskampa- gne darauf, die Menschen zum Umdenken zu bringen. Vor allem auch die Angehörigen sollen mehr Hilfe erfahren, denn zwei Drittel der De menzkranken im Schwarz- wald-Baar-Kreis werden zu Hause versorgt. Die Angehörigen werden dabei stark beansprucht, 75 Pro- zent von ihnen leiden unter psy- chosomatischen Erkrankungen. 311
Magazin / Anhang Die Bundesstraße 33 zwischen Triberg und St. Georgen (Bild) wird ab Frühjahr 2010 zur Teststrecke: In den Fahrbahn- rand gefräste Rechtecke sollen künftig Autofahrer „wachrütteln“, wenn sie in diesen Bereich abdriften. Der Bereich zwischen Triberg und St. Georgen gilt we- gen der vielen Steilhänge als besonders gefährlich. Der Testlauf ist auf drei Jah- re angelegt. Auf der Autobahn 24 wur- de der Rüttelstreifen bereits erfolg reich getestet (Unfallrückgang 43 Pro zent), in Amerika ist er Standard. Die Landesgartenschau öffnet am 12. Mai 2010 Die Stadt Villingen-Schwennin- gen und der Schwarzwald-Baar- Kreis mit seinen weiteren Städten und Gemeinden werden sich auf der Landesgartenschau 2010 auf einer 2.000 qm großen Fläche unter dem Motto „Eine Region in Bewegung“ gemeinsam prä- sen tieren. Als Informations- und Aktionsschwer- punkt dient ein 200 qm großer Zeltpavil- lon, in dem zusätz- lich zu den Dauer- ausstellungen von Stadt und Kreis wechseln de Auftritte der Ge- meinden und weiterer Partner wie dem Naturpark Südschwarz- wald oder dem ungarischen Part nerschaftskomitat Bács-Kis- kun sowie themenbezogene Ver- anstaltungen aus Bereichen wie z. B. Gesundheit/Wellness, Sport/Natur oder Kunst und Kul- tur stattfinden sollen. Der Außenbereich ist als Er- lebnisfeld mit spielerischen Ele- menten konzipiert und soll den Besuchern sinnliche Eindrücke vermitteln. Als Blickfang ragt eine hun- dert Meter lange, schwingende Holzbank heraus. Eigenstän- dige Beiträge der Landfrauen (Pavillon und Familienhaus- garten) und des Landwirt- schaftsamtes (u. a. ein be- gehbares Labyrinth mit Kulturpflanzen) runden das Ensemble ab. Auch Veranstaltungen gibt es hier. Orden und Ehrenzeichen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurde 2008 ausgezeichnet: Gebhard Merz, Hüfingen Mit der Landesehrennadel des Landes Baden-Württemberg wurden 2009 ausgezeichnet: Friedrich Steimer, Unterkirnach, Ewald Dold, Triberg, Werner Heidinger, Donaueschingen, Alexander Seckinger, Donaueschingen, Melitta Maier, Bräunlingen, Bernd Brugger, Villingen-Schwenningen, Hermann Hoffmann, Villingen-Schwenningen Das Bundesverdienstkreuz hat 2008 erhalten: Manfred Merz, Villingen-Schwenningen Das Bundesverdienstkreuz haben 2009 erhalten: Fritz Lohrer, Bad Dürrheim, Rudolf Allgeier, Triberg, Karl Müller, Bräunlingen 312
Anhang in Zah len in Pro zent Ver än de run gen Be völ ke rungs ent wick lung im Schwarz wald-Baar-Kreis Ge mein de Stand der Wohn be völ ke rung Bad Dür rheim Blum berg Bräun lin gen Bri gach tal Dau chin gen Do nau e schin gen Furt wan gen Gü ten bach Hüf in gen Kö nigs feld Mönch wei ler Nie de re schach St. Ge or gen Schön wald Scho nach Tri berg Tu nin gen Un ter kir nach Vil lin gen-Schwen nin gen Vöh ren bach 31. 12. 2007 31. 12. 2008 12 .932 10.350 6.157 5.279 3.594 21.369 9.434 1.260 7.750 6.096 3.154 6.054 13.454 2.419 4.145 5.129 2.914 2.819 81.417 3.983 12 .932 10.266 6.102 5.200 3.610 21.338 9.375 1.243 7.760 6.053 3.152 6.028 13.347 2.419 4.041 5.049 2.875 2.766 81.246 3.889 0 -84 -55 -79 16 -31 -59 -17 10 -43 -2 -26 -107 0 -104 -80 -39 -53 -171 -94 0,00 -0,81 -0,89 -1,50 0,45 -0,15 -0,63 -1,35 0,13 -0,71 -0,06 -0,43 -0,80 0,00 -2,51 -1,56 -1,34 -1,88 -0,21 -2,36 Kreis be völ kerung ins ge samt 209.709 208.691 -1.018 -0,49 Schonach 4.041 Triberg 5.049 Schönwald 2.419 Furtwangen 9.375 St. Georgen 13.347 Königsfeld 6.053 Unterkirnach 2.766 Mönchweiler 3.152 Villingen- Schwenningen 81.246 Gütenbach 1.243 Vöhrenbach 3.889 Brigachtal 5.200 Bräunlingen 6.102 Niedereschach 6.028 Dauchingen 3.610 Bad Dürrheim 12.932 Tuningen 2.875 Donaueschingen 21.338 Hüfingen 7.760 Blumberg 10.266 313
Die ärztliche Versorgung im Schwarzwald-Baar-Kreis Die ärztliche Versorgung – gerade in ländlich strukturierten Gebieten – ist ein viel diskutiertes Thema mit schlechten Prognosen für die Zukunft. Weniger Ärzte – deshalb pro Arzt immer mehr Patienten, lautet die Annahme. Die nachstehende Tabelle gibt einen aktuellen Überblick zur ärztlichen Versorgung im Landkreis. (Stand: Dezember 2008 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg) Jahr Berufsausübende Ärzte insgesamt darunter in freier Praxis im Krankenhaus Behandelnd tätige Zahnärzte darunter in freier Praxis Ärztliche Versorgung mit Ärzten in freier Praxis Allgemeinärzte/praktische Ärzte Internisten Frauenärzte Kinderärzte 2003 809 313 441 135 122 124 52 27 14 2004 797 308 432 157 142 117 52 27 13 2005 809 316 431 161 145 122 52 26 16 2006 2007 789 319 409 154 142 122 54 27 16 809 319 429 147 134 121 57 27 15 Ar beits lo sig keit in Pro zent zah len Stichtag 30.6.2007 30.6.2008 30.6.2009 Schwarzwald-Baar-Kreis Baden-Württemberg Bundesrepublik Deutschland 4,6 % 3,6 % 6,0 % 4,8 % 3,9 % 5,2 % 8,8 % 7,5 % 8,1 % Beschäftigte insgesamt: 76.857, davon 34.473 im Produzierenden Gewerbe (44,9 %), 14.222 in Handel, Gastgewerbe und Verkehr (18,5 %) sowie 27.969 im Bereich „Sonstige Dienstleistungen“ (36,4 %). (Stand: Dezember 2008 – Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg) Wahlergebnisse der Bundestagswahl vom 27. September 2009 Ergebnisse der Bundestagswahl vom 27. September 2009 im Wahlkreis 286 – Schwarzwald-Baar (Amtliches Endergebnis, 1. Oktober 2009) Wahlberechtigte 167.458 Wähler 117.355 70,1 % Erststimmen (Direktmandat: Siegfried Kauder) Zweitstimmen absolut in Prozent absolut in Prozent Ungültige Erststimmen 2.983 2,5 % Ungültige Zweitstimmen 2.618 2,2 % Gültige Erststimmen 114.372 97,5 % Gültige Zweitstimmen 114.737 97,8 % Davon für Siegfried Kauder, CDU Friedrich Scheerer, SPD Marcel Klinge, FDP Cornelia Kunkis-Becker, GRÜNE Tobias Stützer, DIE LINKE Jürgen Schützinger, NPD 54.172 21.835 15.292 13.034 7.158 2.881 47,4 % 19,1 % 13,4 % 11,4 % 6,3 % 2,5 % Davon für CDU SPD FDP GRÜNE DIE LINKE Sonstige 314 41.694 36,3 % 20.374 23.812 13.344 7.837 7.676 17,8 % 20,8 % 11,6 % 6,8 % 6,7 %
Bildnachweis Almanach 2010 Anhang Motiv Titelseite: Am Stadtbächle in der Villinger Altstadt, Obere Straße mit Blick zum Oberen Tor. Die Aufnahme stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach. Motiv Rückseite: Szenen aus „Gerwig – Das Musical der Schwarz- waldbahn“. Die Fotos stammen von Michael Kienzler, Brigachtal-Klengen. Bildnachweis für den Inhalt: Soweit die Foto gra- fen nicht namentlich angeführt werden, stammen die Aufnahmen jeweils vom Verfasser des betref- fenden Beitrages oder sind die Bild autoren oder Bildleihgeber über ihn erfragbar. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertreten (die Zahlen nach der Namensnennung beziehen sich auf die jeweilige Seite): Wilfried Dold, Vöhrenbach: 4, 6, 13, 19/20, 24, 26, 32 – 37, 40 – 43, 46, 48 m.l., 48 m.r., 49 – 61, 64, 65 ob., 68/69, 70 u.l., 70 u.r., 71, 81, 84 – 86, 88/89 u., 122/123, 128/129, 132, 150, 151 ob., 153, 154 u., 156/157, 160, 166 u., 176/177, 178 u.r., 179, 187, 206 – 209, 211, 212 ob., 213 u., 214, 217, 219 – 221, 223 – 225, 242/243, 250 – 273, außer 270 m.l., 275 ob., 293, 310, 311 u., 312 ob. 320 – Hans-Werner Fischer, VS-Villingen: 7 – Kreisarchiv SBK, VS- Villingen: 10, 18, 21, 23, 25, 139, 312 u. – Mi- chael Kienzler, Brigachtal-Klengen: 9, 11, 127, 133, 151 u., 152, 154 ob., 248, 280 – 282, 287 u., 288/289, 298 – 309 – Stephanie Wetzig, Nieder- eschach: 28/29, 105 – 107, 296 – Pressestelle, Regierungspräsidium, Freiburg: 38, 39 – dold- verlag (Archiv), Vöhrenbach: 44/45, 47 u., 63, 65 u.l., 65 u.r., 66, 67 ob., 67 u.l., 67 u.m., 116 u.r., 119, 130/131, 156 l. – Hans-Peter Mess, Aselfin- gen: 47 ob., 48 ob., 48 u.l., 48 u.m., 48 u.r. – Karin Schinke, Unterkirnach: 50 ob., 188/189, 190, 191 – Oswald Scherzinger, Gütenbach: 62 ob. – Matthias Winter, Furtwangen: 67 u.r., 70 ob. – Andreas Trenkle, Furtwangen: 87 – Natha- lie Göbel, St. Georgen: 89 ob., 91 – 93 – Archiv InterCard AG, VS-Schwenningen: 94, – 99 – Ar- chiv Bromberger Packungen, Donaueschingen: 100 – 104 – Archiv Wiha, Schonach: 108 – 115 – SCI International Archives, La Chaux-de-Fonds: 116 u.l., 120 – StAFU, Furtwangen: 116/117 ob. – Archiv FFW Vöhrenbach (Karl-Hermann Stötzel, Vöhrenbach): 124 – Archiv Inge Aicher-Scholl: 136/137, 141 u. – Hildegard Maus-Schüle, Blum- berg-Zollhaus: 138, 142 – Manfred Beathalter, Donaueschingen: 140, 141 ob. – Archiv Han- hart, Gütenbach: 146 ob. – Joachim Sturm, Nie- dereschach: 161 – 163 – Julia Elsässer-Eckert, Neukirch: 164/165, 166 ob., 167 – 171 Stefan Si- mon, VS- Marbach: 172 – 174 – Wolf Hockenjos, Donaueschingen: 192 – 203 – Helmut Gehring, Villingen-Schwenningen: 204/205 – Dorothea Schaller, Villingen-Schwenningen: 210 – Albert Bantle, Niedereschach: 212 u. – Birgit Schwarz- meier, Donaueschingen: 213 ob., 218 – Regie – rungspräsidium Freiburg, Referat 25, Denkmal- pflege: 229 – 234 – Markus Stöcklin, Königsfeld: 235/236 – Philipp Jauch, München: 238 – 241 – Direvi Fotopress, VS-Villingen: 249, 311 ob. – – Touristinfo, Bad Dürrheim: 274 u.l., 275 u.r. – Hans-Jörg Hall, Schönenbach: 276 – 279 – Stef fen Maier, Donaueschingen: 283 – 286 – Claudius Eberl, Schonach: 287 ob. – Archiv Bluesquam perfect, Furtwangen: 290 – 292 – Ar- chiv Soul Shaker, St. Georgen: 294/295 315
Anhang Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge Arno, Michaela, Luisenstraße 4, 78073 Bad Dürrheim Beathalter, Manfred, Wiesenstraße 29, 78166 Donaueschingen-Pfohren Blum, Dr. Stefan, Oberibental 2 Schönbachhof-Mühle, 79271 St. Peter Dold, Wilfried, Unteranger 3, 78147 Vöhrenbach Eberl, Claudius, Turntal 37, 78136 Schonach Filipp, Franz, Krummebergstraße 42, 88662 Überlingen Gehring, Dr. Helmut, Königsberger-Straße 30, 78052 Villingen-Schwenningen Hajek, Christa, Am Straßberg 8, 78120 Furtwangen Hall, Hansjörg, Vogt-Duffner-Straße 35, 78120 Furtwangen-Schönenbach Hausmann, Dirk, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Heim, Karl, Landrat, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Henel, Matthias, Hauptstraße9, 78112 St. Georgen Hockenjos, Wolf, Alemannenstraße 30, 78166 Donaueschingen Janzing, Bernward, Wilhelmstraße 24a, 79098 Freiburg Jauch, Philipp, Arcisstraße 39, 80799 München Kaiser, Stefanie, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Kaltenbach, Christof, Hans-Thoma-Straße 7, 78136 Schonach Kienzler, Michael, Gartenstraße 15, 78086 Brigachtal-Klengen Knorpp, Dieter, Leopoldstraße 1, 78112 St. Georgen Maier, Steffen, Talstraße 4, 78166 Donaueschingen Nack, Christina, Obereschacher-Straße 7, 78126 Königsfeld Preuß, Stefan, Hoher Rain 22, 78052 Villingen-Schwenningen Rademacher, Christina, Allmendstraße 4, 78199 Bräunlingen Reichelt, Prof. Dr. Günther, Schulstraße 5, 78166 Donaueschingen Schell, Dr. Rüdiger, Endlins-Breiten 9, 78166 Donaueschingen-Aufen Schinke, Karin, Kirnacher Höhe 14, 78089 Unterkirnach Schmidt, Michaela, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Schön, Elke, Am Hofrain 26, 78120 Furtwangen Schubart, Ulrike, Regierungspräsidium Freiburg, Referat 25, Denkmalpflege Schubert, Marga, Bickenstraße 19, 78050 Villingen-Schwenningen Schwarzmeier, Birgit, Humboldtstraße 11, 78166 Donaueschingen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 VS-Marbach Stockmayer, Werner, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32, 78078 Niedereschach Trenkle, Andreas, Berliner Straße 38, 78120 Furtwangen Trenkle, Wolfgang, Enzstraße 37, 78054 Villingen-Schwenningen Wetzig, Stephanie, Niedereschacherstraße 31, 78078 Niedereschach Wider, Martin, Raitenbucherstraße 31, 79853 Lenzkirch-Raitenbuch Wieners, Thomas H. T., Merzhauser Straße 147 A, 79100 Freiburg Winter, Matthias, Kohlheppstraße 12, 78120 Furtwangen Zimmermann, Ernst, Rathaus 1, 78166 Donaueschingen 316
Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Bildung – Quelle des Fortschritts und des Wohlstandes / Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Wirtschaftskrise belastet Kreishaushalt – Investitionsschwerpunkt im Jahr 2009 war erneut der Schulbereich / Karl Heim Verfahren zum Schweizer Atomendlager – Geplante Lagerung radioaktiver Abfälle sorgt im Landkreis für große Bedenken / Werner Stockmayer Größte Photovoltaikanlage der Region – Die jährlich erzeugte Energie von 900 MWh reicht für 250 Drei-Personen-Haushalte / Dirk Hausmann Selbsthilfekontaktstelle nimmt Arbeit auf – Initiative des Ersten Landesbeamten Joachim Gwinner führt zu einem Modellprojekt / Stefanie Kaiser Gesundheitswesen vernetzt – Gesundheitsnetzwerk Schwarzwald-Baar setzt erste Maßnahmen um / Michaela Schmidt „impuls“ macht Jugendliche stark – Die große Hoffnung: Eine Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen / Stephanie Wetzig Ein neuer Kreistag ist im Amt – Mit 64 Sitzen erreicht das Gremium die vorgegebene Höchstgrenze Verdiente Kreisräte geehrt Hochwasserrückhaltebecken Wolterdingen soll 2011 vollendet sein: – Ein Schutzdamm mit 460 m Kronenlänge ist im Entstehen 2. Kapitel / Städte und Gemeinden Aselfingen – Wo sich der Aubach in die Wutach ergießt – Ein liebenswerter Ort abseits der großen Straßen / Joachim Sturm Mistelbrunn – Station am Jakobsweg – Mit der St.-Markus-Kapelle findet sich ein kirchengeschichtliches Kleinod / Christina Rademacher / Wilfried Dold Gütenbach – ein altes Uhrendorf – Als „Wuotenbach“ vor 650 Jahren erstmals erwähnt / Matthias Winter 3. Kapitel / Persönlichkeiten Richard Mühe – Helmut Kahlert – Große Verdienste um das Deutsche Uhrenmuseum und die Uhrengeschichte / Christa Hajek Dr. Helmut Kahlert – Professor der Hochschule, Uhrenkenner, Historiker und engagierter Furtwanger Bürger / Christa Hajek Helga Eilts – Als Ortsvorsteherin von Tannheim engagiert für die Belange der Menschen aktiv / Christina Nack Doris Feld – ein Leben für die Politik – „Entscheidend ist das, was man vorlebt“ / Marga Schubert Alois Straub II – Einer der letzten Uhrenschildmaler des Schwarzwaldes mit Gesellenbrief – Andreas Trenkle 4. Kapitel / Aus dem Wirtschaftsleben Das Technologiezentrum in St. Georgen – Der High-Tech-Standort im ländlichen Raum ist ein absolutes Erfolgsmodell / Matthias Henel / Dieter Knorpp InterCard – mit multifunktionalen Chipkarten zum Erfolg – Unangefochten Marktführer bei Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen / Stefan Preuß Anhang 2 3 5 7 14 18 21 25 28 30 34 36 42 52 60 72 75 78 82 85 88 94 317
Inhaltsverzeichnis Bromberger – der erste Eindruck zählt – Die 85 Mitarbeiter des Donaueschinger Unternehmens verarbeiten 6.500 Tonnen Karton im Jahr / Stefan Simon Südwest Messe: Klassiker in der 50. Auflage – Buntes Kaleidoskop aus Nützlichem, Interessantem und Skurrilem / Stephanie Wetzig Wiha – 70 Jahre Qualität und Innovation – Hochpräzise, ergonomisch und einzigartig designt: Die Werkzeuge des Schonacher Erfolgsunternehmens sichern weltweit 700 Arbeitsplätze / Stefan Preuß 5. Kapitel / Geschichte Eine Rückblende auf das Jahr 1949 im Schwarzwald-Baar-Kreis – 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland / Wilfried Dold Die Eisenbahn – auch im Schwarzwald und auf der Baar eine Erfolgsgeschichte – 175 Jahre Eisenbahn – Schwarzwaldbahn, Bregtalbahn, Sauschwänzlebahn oder Ringzug: Eine Historie des Schienenverkehrs im Schwarzwald-Baar-Kreis / Bernward Janzing Auf die Goldwaage gelegt – Eine Neugewichtung der schriftlichen Ersterwähnung von Aasen / Thomas H. T. Wieners Sophie Scholl – Die Weiße Rose – Spurensuche in Blumberg „Mit meinen Mädchen gehe ich jeden Tag spazieren“ – Sophie Scholl in Blumberg / Joachim Sturm „Sophie war ein fragender, ein suchender Mensch“ – Hildegard Maus-Schüle aus Blumberg-Zollhaus in Erinnerung an Sophie Scholl / Manfred Beathalter 6. Kapitel / Uhrengeschichte 100 105 108 116 122 134 136 138 140 Militäruhren und ihre Hersteller – Die Rüstungsgüter der Uhrenindustrie des Schwarzwald- Baar-Kreises wurden vor allem zur Zeit des Dritten Reiches produziert / Joachim Sturm 144 7. Kapitel / Kirchengeschichte Böhmischer Barock an der Donauquelle – Donaueschinger Stadtpfarrkirche strahlt nach Renovation in neuem Glanz / Ernst Zimmermann Zum Konvent des Klosters Neudingen – Das Dominikanerinnenkloster „Auf Hof“ bei Neudingen stand allen Schichten der mittelalterlichen Gesellschaft offen / Rüdiger Schell Neu erbaut in alter Tradition – Die Hofkapelle St. Georg der Familie Bossert in Donaueschingen / Joachim Sturm 8. Kapitel / Kunst und Künstler Julia Elsässer-Eckert – Gegenständliche Malerei und Altarraumgestaltungen im Mittelpunkt des Schaffens / Christa Hajek Städtische Galerie Villingen-Schwenningen – Ausstellungen auf höchstem Niveau im Spannungsfeld zwischen Klassischer Moderne und zeitgenössischer Kunst / Stefan Simon 9. Kapitel / Geologie Zur Entstehung von Breg, Brigach, Donau, Elz … – Alles ist im Fluss … / Günther Reichelt Im Steinbruch im Groppertal: – Mit einem Blick vier typische Gesteinsarten des Schwarzwalds erkennen / Karin Schinke 10. Kapitel / Umwelt und Natur Die Eichen – Baumoriginale im Schwarzwald-Baar-Kreis (Teil 4) / Wolf Hockenjos Schwarzkehlchen wieder häufiger – Im Schwarzwald-Baar-Kreis wurden gegenwärtig mehr als 40 Brutpaare gezählt / Helmut Gehring 150 155 161 164 172 176 188 192 204 318
Inhaltsverzeichnis Schwerpunkt 2010 – Direktvermarktung im Schwarzwald-Baar-Kreis 11. Kapitel / Landwirtschaft Einkaufen beim Bauern – Direktvermarktung im Schwarzwald-Baar-Kreis / Birgit Schwarzmeier / Wilfried Dold Gemeinsame Strategie entwickeln – „echt Schwarzwald“ soll als neue Marke für Direktvermarkter etabliert werden / Christina Nack 12. Kapitel / Architektur und Denkmalpflege Die Sanierung des Grundbauernhofs in Triberg-Gremmelsbach – Energiesparkonzept und denkmalpflegerischer Anspruch / Ulrike Schubart / Martin Wider / Stefan Blum 13. Kapitel / Theater Ein Schauspieler aus Leidenschaft – Markus Stöcklin fungiert auch als Regisseur bei der Königsfelder Burgtheater AG / Christina Nack Thomas Moser und seine „Villinger Kumedie“ – Kabarett fürs Volk – Die Kleinkunst- Akteure sind mittlerweile in ganz Südbaden bekannt / Philipp Jauch 14. Kapitel / Sport Vize-Weltmeister Martin Schmitt – Der Skispringer sorgte im Winter 2008/09 für das Comeback des Jahres / Christof Kaltenbach Reiten wir den „Bullen“ den Fluss hinunter – Der Donaueschinger Kanu-Freestyler Helmut Wolff betreibt Wildwasserrodeo / Franz Filipp Jan und Kai Rotter – Triberger Ringer-Stars mit großen Erfolgen – Die beiden Brüder gehören zum Besten, was in der Ringer-Oberliga auf die Matten geht / Wolfgang Trenkle Das Fußballspiel des Jahres 2009 – FC St. Pauli am 2. August 2009 beim FC 08 Villingen zu Gast 15. Kapitel / Freizeit und Erholung Unterwegs im Schwarzwald – Auf den Spuren des Westwegs: Der älteste Wanderweg des Schwarzwaldvereins bietet im Quellenland Schwarzwald-Baar faszinierende Naturerlebnisse / Elke Schön „eigenzeit“ – bewusster leben – „Die Zeit ist reif – für Königsfeld“ – Tourismus- und Marketingpreise für ein ungewöhnliches Projekt mit fast 70 Stationen erhalten / Christina Nack Solemar nun noch attraktiver – Allein im vergangenen Jahr zählte man in Bad Dürrheim rund 430.000 Besucher / Michaela Arno 16. Kapitel / Gastlichkeit im Schwarzwald-Baar-Kreis 350 Jahre alt und beliebt wie eh und je – „Restauration zur Krone“ in Schönenbach ist denkmalgeschützt und birgt interessante Schätze / Hansjörg Hall Die „Sonne“ in Obereschach – Mit abwechslungsreicher regionaler Küche einen ausgezeichneten Ruf erworben Der „Hirschen“ in Donaueschingen – Lange Geschichte, viele prominente Gäste – und die besten Bratkartoffeln in der Region / Steffen Maier Das „Rößle“, eine beliebte Adresse – Das Gasthaus im Weißenbachtal bietet ein gemütliches Ambiente und eine gute Küche / Claudius Eberl 206 222 228 235 238 242 244 246 249 250 268 274 276 280 283 287 319
Inhaltsverzeichnis 17. Kapitel / Musik Bluesquamperfect – perfekte Musik – Die Furtwanger Formation hat sich in 35 Jahren eine riesige Fangemeinde erspielt / Matthias Winter Soul Shaker – grooviger Sound – Die junge Band aus St. Georgen ist aus der Schüler- Jazzband der JMS hervorgegangen / Diana Sänger Kulturpreisträger – Zwei junge Schlagzeuger gewinnen als beste Musiker den Kulturpreis Schwarzwald-Baar / Stephanie Wetzig Gerwig – Das Musical der Schwarzwaldbahn / Christina Nack 290 294 296 298 Anhang Almanach-Magazin 310 Orden und Ehrenzeichen 312 Der Landkreis im Spiegel der Statistik 313 Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis 313 Die ärztliche Versorgung im Schwarz- wald-Baar-Kreis 314 Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen 314 Wahlergebnisse der Bundestagswahl 314 Bildnachweis 315 Die Autoren und Fotografen unserer Beiträge 316 Inhaltsverzeichnis 317 Abendstimmung am Kirnbergsee bei Bräunlingen. 320
Szenen aus „Gerwig – das Musical der Schwarzwaldbahn“ Fotografiert von Michael Kienzler