Almanach 1999

Almanach 199 9 HEIMATJAHRBUCH DES ScHWARZWALo-BAAR-KREISEs 23. FOLGE

Herausgeber: Landratsamt Schwarzwald-Saar-Kreis Redaktion: Karl Heim, Landrat Dr. Joachim turm, Kreisarchivar Wilfried Dold, Redakteur Karl Volk, Real chuloberlehrer Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Nad1drucke und Vervielfäl­ tigungen jeder Art werden nur mit Einwilligung der Redaktion und unter Angabe der Fundstelle gestattet. Gestaltung, Satz und Lithografie: DoldVerlag, Vöhrenbach Verlag und Druck: Todt-Druck GmbH, Villingen­ chwenningen T BN: 3-927677-19-l

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 1999 ANUBA-Beschläge X. Heine & Sohn GmbH, Vöhrenbach ABI Behörden- und Informationssysteme GmbH, Villingen-Schwenningen Bernd Stähle Elektroanlagen, Dauchingen Commerzbank, Filiale Villingen Dr. Hanne Augstein, Hüfmgen Baugenossenschaft Schwarzwald-Baar, Donaueschingen Burger Industriewerk GmbH & Co. KG, Schonach EGT Elektronik GmbH, Schonacher Str. 2, Triberg EGT Gebäudemanagement GmbH, Schonacher Str. 2, Triberg ELVEDI GmbH, Lagertechnik, Blumberg Emil Frei GmbH & Co. Lackfabrik, Bräunlingen-Döggingen Energieversorgung Südhaar, Hauptstr. 74, Blumberg Siegfried Heim GmbH, Schonacherstr. 20, Triberg Hinzsch Schaumstofftechnik GmbH & Co. KG, Gerhard Hinzsch, Buchenweg 4, Mönchweiler Institut Dr. Jäger, Chemisches Institut fur Umweltanalytik, Friedrichstr. 9, Villingen-Schwenningen Martin Jauch GmbH, Jakob-Kienzle Str. 11, Villingen-Schwenningen Joh. Nep. Jerger, Verbindungselemente fur die Möbel- und Bauindustrie, Wilhelm-Jerger-Str. 4, Niedereschach Fa. Heinz Jordan, Schreinerei, VS-Villingen Kraftwerk Laufenburg, Laufenburg Kunde System-Technik GmbH, St. Georgen Liapor-Werk, Tuningen Maico Elektroapparate-Fabrik GmbH, Steinbeisstr. 20, Villingen-Schwenningen Vermessungsbüro Dipl.- Ing. Viktor Mandolla, VS-Villingen MBK Sicherheitsdienst-Elektronik GmbH, Hüfingen Modus Gesellschaft fur berufliche Bildung GmbH & Co. KG, Vöhrenbach Guido Rebholz, Architekt, Zehntstr. 1, Bad Dürrrheim Reiner Präzision GmbH, Donaueschingen-Wolterdingen Ricosta Schuhfabriken, Donaueschingen

Volksbank EG, Vi]lingen W. A. Spedition u. Lagerhaus GmbH, Wiesenstraße 13, Sd1onach Weißer+ Grießhaber GmbH, Waldstr. 11, Mönchweiler F. K. Wiebelt GmbH & Co. KG, Villingen-Schwenningen Winkler Bäckereimaschinen-Backöfen Winkler GmbH & Co. KG, Vockenhauser Str. 4, Villingen-Schwenningen Johann Wintermantel Verwaltungs-GmbH & Co. KG, Kie – u. Betonwerke, Pfohrener Str. 52, Donaueschingen Udo Zier GmbH, Furtwangen 7 weitere Freunde und Förderer des Almanachs wünschen nicht namentlich genannt zu werden. S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke Stiftung & Co., Bregstraße 1, Furtwangen Matthias Schlenker, Brennstoffe + Spedition, Villingen-Schwenningen Meier Entsorgung GmbH, Bad Krozingen-Biengen MEKU GmbH, Dauchingen Rudolf Geier GdBR, Bräunlingen Schmidt Feintechnik GmbH, St. Georgen Elementbau Spadinger GmbH, Bräunlingen Sparkasse Donaueschingen Sparkasse Villingen-Schwenningen mit 50 Geschäftsstellen Günther Stegmann, Donaueschingen Straub-Verpackungen GmbH, Bräunlingen SWEG-Südwestdeutsche Verkehrs AG, Lahr, Verkehrsbetrieb Furtwangen TOP Dienstleistungen, Waldshut-T iengen T RW Deutschland GmbH, Werk Blumberg Volksbank eG, Triberg

Heimat in einer vernetzten Welt Dem Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 1999 zum Geleit Die Welt ist klein geworden. Globalisie­ rung ist eines der gebräuchlichsten Schlag­ worte unserer Zeit. Längst sind in der Wirtschaft die nationa­ len Grenzen überwunden. Der Weltmarkt bestimmt das wirtschaftliche Geschehen auch im Schwarzwald-Baar-Kreis. Politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Verän­ derungen selbst in entfernten Kontinenten beeinflussen unseren Lebensalltag. Europa wächst nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zusammen. Nationale Gren­ zen haben ihre Bedeutung zum großen Teil verloren. Die Menschen, vor allem die jun­ gen Menschen, orientieren ihr Verhalten, ih­ re Kleidung, ihre Wertvorstellungen kaum mehr an örtlichen oder regionalen Gebräu­ chen, sondern daran, was „in“ ist und dies wird weitgehend durch internationale Trends vorgegeben. Entfernungen sind kein Problem mehr: In wenigen Stunden kann man nahezu jeden Ort der Welt erreichen und die modernen Kommunikationstechniken haben die Erde vollends zum virtuellen Dorf schrumpfen lassen. Synonym dafür ist das weltweite Da­ ten- und Informationsnetz Internet. Flexi­ bilität, Weltoffenheit und globales Denken sind in dieser vernetzten, sich immer schnel­ ler verändernden Welt gefragt und gefordert. Heimat scheint in dieser Situation, in der wir immer mehr zu Weltbürgern werden, zu einem überkommenen Begriff zu werden. Erstaunlicherweise zeigt sich aber trotz Glo­ balisierung und Internet ein eher stärker werdendes Interesse der Menschen an der Geschichte, dem Brauchtum und der Ent­ wicklung ihres engeren Umfeldes. Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch. Je ausladender die Äste und Zweige eines Bau­ mes sind, um so kräftiger müssen die Wur- zeln sein, um dem Baum Halt zu geben. Je mehr Flexibilität uns in einer sich rasant ver­ ändernden Welt abverlangt wird, verbunden mit der Unsicherheit, ja, der Hilflosigkeit, auf diese Entwicklung Einfluß nehmen zu können, um so mehr brauchen wir ein über­ schaubares Umfeld, das Halt und Gebor­ genheit gibt. Weil im virtuellen Dorf niemand zu Hau­ se ist, spüren immer mehr Menschen: Um in einer vernetzten, internationalisierten Welt die eigene Identität zu bewahren, brau­ chen wir eine Heimat, in der wir verwurzelt sind. Globalisierung und Heimat sind also kein Widerspruch. Heimat, Heimatbewußt­ sein, kann so gesehen dazu beitragen, die Herausforderungen der Globalisierung er­ folgreich zu bestehen. ,,Wer nicht um seine Herkunft weiß, hat auch keine Zukunft“ schreibt Golo Mann. Möge der Almanach 1999 einen kleinen Beitrag dazu leisten, uns in einer kompliziert gewordenen Welt Ori­ entierung und Sicherheit zu geben, in dem er mit einem bunten Bilderbogen von Bei­ trägen aus den verschiedensten Lebensbe­ reichen das Heimatbewußtsein im Land­ kreis fördert. Allen, die mit dazu beigetragen haben, daß wieder ein ansprechendes, informatives und zudem preiswertes Heimatjahrbuch entste­ hen konnte, den Autoren, den Freunden und Förderern des Kreisalmanachs, sage ich herzlichen Dank und wünsche allen Lese­ rinnen und Lesern viel Freude mit dem Kreisalmanach 1999. Kar/Heim Landrat 5

1. Kapitel I Almanach 99 Aus dem Kreisgeschehen ,,Ein baden-württembergisches Modell“ Festakt zum 25jährigen Bestehen des Landkreises – Landrat Heim lobt Infrastruktur Aus Anlaß des 25jährigen Bestehen de Schwarzwald-Baar-Kreises versammelten sich rund 200 Persönlichkeiten des öf­ fentlichen Lebens am 30. Januar 1998 im Landratsamtes zu einer Feier tunde. Landrat Karl Heim erhielt viel Beifall, als er anmerkte, der junge Landkreis bleibe bei seinem Namen, weil ich jeder Teil darin wiederfinden könne. Landrat Heim würdigte die Arbeit seines Vorgängers Landrat Dr. Gutknecht und unterstrich, der Schwarzwald-Baar-Kreis könne wie wohl kein zweiter Kreis im ländlichen Raum auf eine exzellente Infra truktur verweisen. Karl Heim zur Zukunft: ,,Mei­ ne Vi ion ist, daß die Menschen in die- em Leben raum in einem guten sozialen Klima und einer Umwelt mit hoher Le­ bensqualität bei sicherem Arbeit platz le­ ben und arbeiten dürfen.“ Höhepunkt der Feierstunde war die Festansprache von Ministerialrat Ralf Jandl alia Karl Napf, die nach tehend wiedergegeben ist. Der Schwarzwald-Baar-Kreis und die spek­ takuläre – im Gegensatz zu vergleichbaren hessischen Projekten geglückte – Gründung der Doppelstadt Villingen-Schwenningen sind ein Beweis dafür, daß Badener und Württemberger es trotz unterschiedlicher Staats- und Verwaltungstradition gut mit­ einander können, wenn sie dies nur wollen. Lassen Sie mich zunächst auf das unter­ schiedliche politi ehe Herkommen einge­ hen. In dieser Region, die nun seit 25 Jahren im Schwarzwald-Baar-Kreis vereint ist, gab eine Laune der Ge chichte den Villingern 6 schon vor fast 200 Jahren einen kleinen Vor­ geschmack auf die Zukunft eines Zusam­ menlebens mit den Schwaben. Im Jahr 1807 wurde Villingen für einige Jahre württem­ bergi eh und – man höre – Biberach an der Riß dafür badisch. Über die Villinger Erfah­ rungen habe ich leider nichts ausfindig ma­ chen können. Interessant ist aber, was Peter Lahnstein über diese Zeit aus Biberach an der Riß berichtet: ,,Die Reichsstadt Biberach war 1802 ku­ rioserweise badisch geworden. Wenn die Biberacher Hoffnung gehegt hatten, sie wür­ den wegen de langen, umständlichen Weg­ es von und nach Karlsruhe ihre Ruhe be­ halten, so wurden solche Hoffnungen rasch enttäuscht. Denn es zog eine straffe Staats­ verwaltung im Sinne des dürrsten Rationa­ li mus ein (ein Produkt aus Josephinismus und französischem Zentralismus), die für das fidele alte Wesen dieser Stadt nicht das geringste Verständnis zeigte.“ ,,Badener und Württemberger – zwei un­ gleiche Brüder“ – so lautet der treffende Ti­ tel eines Buches von Klaus Koziol, das die unterschiedliche Tradition beider Staaten beleuchtet und die bis heute fortwirkende Verschiedenheit ver tändlich macht. Da die Vorzüge des badischen Landesteils vor allem dem ins Auge fallen, der sie mit den würt­ tembergischen Lebensverhältnissen ver­ gleicht, möchte ich mit der württembergi­ schen Verwaltungstradition beginnen. Hier verlief vieles organisatorisch geordneter als in Baden, aus technokratischer Sicht also be er. Dies war vor allem eine Folge der für Württemberg charakteristischen Oberämter. Das Oberamt von überschaubarer Größe führte zu einer spezifischen politischen Kul-

25 Jahre Schwarzwald-Baar·Kreis tur der „Überschaubarkeit“. Es zeigt sich, was wir im badischen Landesteil noch deut­ licher merken, daß es in starkem Maße die Geographie ist, die den Charakter eines Ge­ meinwesens formt. So lag Württemberg fern der Verkehrsstraßen eingeklemmt zwischen Schwarzwald, Alb und den Bergen und Hü­ geln im Norden, gewissermaßen geschützt hinter geographischen und zugleich ideolo­ gischen Wällen, welche die „äußere Welt“ gar nicht oder nur verzögert hereinließen. Das badische Land dagegen war offen, vie­ le Impulse kamen von außen, und die alt­ badischen Ämter waren im Durchschnitt mehr als doppelt so groß wie die alt-würt­ tembergischen, die staatliche Kontrolle des einzelnen Bürgers damit auch geringer. So entstanden im Württembergischen Ver­ trautheit, Heimeligkeit, aber auch Muffig­ keit. Im Badischen Liberalität, Offenheit, aber auch ein gewisser Mangel an Intensität und Kontinuität im gesellschaftlichen und politischen Leben. Ein gravierender Vorteil des württembergi­ schen Raumes war die auf den Tübinger Ver­ trag von 1514 zurückgehende Tradition der Selbstverwaltung, welcher Uhland in sei­ nem Ruf nach dem „guten alten Recht“ so heftig nachtrauerte. Die Bewohner Würt­ tembergs wirkten früher als andere am poli­ tischen Geschehen mit, aber oft auch aus ei­ ner engen Kirchturmperspektive heraus. Die dargestellten Gegensätze wurden ak­ zentuiert durch eine völlig unterschiedliche Entwicklung auf konfessionellem Gebiet. Auch hier stellt sich das alte Württemberg homogener dar. Bevor Oberschwaben und Hohenlohe zum Königreich Württemberg kamen, war dieses nahezu ausschließlich protestantisch, und die wenigen Katholiken hatten nichts zu sagen. Nun wird zumindest von den badischen Festakt zum 25jährigen Bestehen des Schwarzwald-Baar-Kreises, viel Beifall gab es fiir Landrat Heim, als er die Vorzüge des jungen Landkreises aufteigte und um Vertrauen für die Zukunft warb. 7

Aus d m Krei gc chehen Zuhörern niemand glauben, daß das alte Württemberg ein Idealstaat gewesen ist, ob­ wohl solche Theorien durchaus vertreten wurden. Der württembergische Pfarrer Barth schrieb im 19.Jahrhundert, es gäbe zwei ge­ lobte Länder, Palästina und Württemberg. Aus Baden kam kein Beifall. Richtig ist, daß damals zur geographischen Enge auch eine furchtbare geistige Enge kam. Kirche und Staat bildeten einen Überwachungsstaat, der jedes fröhliche Leben erstickte. „Savoir viv­ re“ ist auch heute noch in vielen württem­ bergischen Gemeinden ein Fremdwort. Die Feinschmeckerlokale konzentrieren sich auf Baden. Auch zu dem berühmten Buch »Die schöne Badenerin“ gibt es noch kein würt­ tembergisches Pendant. Die Lebensfreude der Schwäbin – im Mittelalter hoch geprie­ sen – endet mit der Reformation, die Würt­ temberg zum »Lutherischen Spanien“ wer­ den ließ. Dennoch haben beide – Badenerin und Schwäbin – eine gemeinsame Ahnher­ rin in der schönen Bissula aus dem 4. Jahr­ hundert, einer Alemannin, die Gefangene eines Römers war. Sie könnte aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis gekommen sein – hier bieten sich der Heimatforschung noch große Aufgaben und Chancen. Im Gegensatz zur geschilderten lutheri­ schen Homogenität Württembergs war das Großherzogtum Baden weder territorial noch konfessionell einheitlich. Dabei ge­ lang es den Protestanten in den Städten, die Katholiken zu majorisieren. Interessant ist der häufige Glaubenswechsel, in der Herr­ schaft Baden-Baden ist er gleich achtmal zu verzeichnen. Faszinierend auch das Engage­ ment des katholischen Klerus in sozialen Fragen, im 19. Jahrhundert etwa durch Hansjakob und Ritter von Buss. Hier fehlt eine Entsprechung in Württemberg. Wir sehen, daß es im Württembergischen – ausgehend vom Oberamt mit seiner Über­ schaubarkeit – feste innere Strukturen auf konfessionellem, ge ellschaftlichem und po­ litischem Gebiet gab, wäluend in Baden Of­ fenheit in allem den Ton angab, aber die 8 Selbstverwaltung keine Tradition hatte. So wurde Baden das führende Land der Libe­ ralen und der Revolution von 1848/49, de­ ren 150jähriges Jubiläum allerorten gefeiert wird. Württemberg bewegte sich damals moderater, publizierte viel bedrucktes Pa­ pier, schoß aber nicht. Bezeichnend ist, daß ein Stuttgarter Bürger 1849 bei der Zer­ schlagung des Rumpfparlaments auf dem Schloßplatz sich abwandte und gesagt ha­ ben soll: ,,Mer muass net ieberall dabei gwe­ se sei.“ Die lange positive Erfahrung der Selbst­ verwaltung hat in Württemberg dazu ge­ führt, daß parteipolitisch geprägtes Denken und Handeln bei kommunalen Parlamen­ ten und Bürgermei tern stärker ausgeprägt ist als im Badischen. Während der Würt­ temberger aber nahezu ausschließlich Ver­ waltungsleute akzeptiert, die von außerhalb kommen müssen, ist der Badener auch hier liberaler und wählt gern einen tüchtigen Mann aus der Gemeinde zum Bürgermei­ ster. Von unterschiedlichen Brüdern Man sieht, Badener und Württemberger sind wahrlich „unterschiedliche Brüder“. Nicht zu vergessen ist, daß über ein Viertel der heutigen Einwohner des Landes ost­ deutscher Provenienz sind und rund ein Zehntel Nichtdeutsche. Interessant ist, wie man nach der Gründung des „Südweststaa­ tes“ 1952 im Innenministerium in Stuttgart die erwünschte Parität aus württembergi- chen und badischen Beamten herstellte. Laut Finanzminister Mayer-Vorfelder habe man einfach alle Heimatvertriebenen zu »Badenern“ erklärt und dann sei es ziemlich genau aufgegangen. Aus diesen Ingredienzien und Entwick­ lungen ist vor 25 Jahren auch der Schwarz­ wald-Baar-Kreis entstanden. Damals schlu­ gen die politischen Leidenschaften wohl zum letzten Mal hoch, was es ratsam er­ scheinen läßt, solche Reformen wie die

Kreisreform nur einmal pro Jahrhundert durchzuführen. Blenden wir zurück: Die frühen siebziger Jahre waren eine Blütezeit der Planung auf allen politischen Gebieten. Noch hatte sich nicht herumgesprochen, was heute viele glauben, daß nämlich Planung die Erset­ zung des Zufalls durch den Irrtum sei. Unter Federführung des SPD-Innenmini­ sters Walter Krause, einem Mathematikpro­ fessor aus Mannheim, war das berühmt­ berüchtigte „Denkmodell der Landesregie­ rung“ erarbeitet worden, daß die Zahl der 63 Landkreise auf 25 Großkreise vermindern wollte. Damals herrschte der Glaube an die „großen Einheiten“, später hieß es dann „small is beautiful“, und heute denkt man wieder groß. Man sieht, wer geistig auf der Stelle tritt, befindet sich so etwa alle 25 Jah­ re an der Spitze der Entwicklung. Krauses „Denkmodell“ hatte die Wirkung einer Bombe. ,,Bürgernähe“ würde durch ,,Bürgerferne“ ersetzt, wurde ihm vorgehal­ ten. Die CDU-Landtagsfraktion entwickelte eine „weicheres“ Alternativmodell und als Kompromiß legte die Landesregierung schließlich einen Gesetzentwurf vor, der die Bildung von 35 Großkreisen und 12 Regio­ nen vorsah. Doch jetzt stellte sich das Problem „wer mit wem?“ Das „Denkmodell“ hatte den Zusammenschluß der Kreise Villingen, Rottweil, Tuttlingen und Donaueschingen vorgesehen, was in Villingen als beste Lö­ sung für den gesamten Raum des Oberzen­ trums angesehen wurde, weil Villingen­ Schwenningen Verwaltungssitz werden soll­ te. Dieser neue Großkreis wäre der größte in ganz Baden-Württemberg geworden. Aber Tuttlingen wollte selbständiger Kreis blei­ ben und setzte sich durch. Schließlich kam Donaueschingen zum neuen Kreis, ohne vom Villinger Landrat sehr umworben wor­ den zu sein. Der Bräunlinger Bürgermeister Bernhard Blenkle hatte seinerzeit den rich­ tigen Riecher. Als Ministerpräsident Filbin­ ger und sein Vize, Innenminister Krause, 25 Jahre Schwarzwald-Baar·Krei Beim Stehempfang im Landratsamt gab es im Rahmen der jubiliiumsfeierviele Gelegenheiten zum Meinungsaustausch. Unser Bild zeigt Landrat Karl Heim (rechts) im Gespräch mit Vöhrenbachs Bürgenneister Robert Strumberger. 1970 in Schwenningen über die zukünftige Verwaltungsstruktur der Region aufklärten, reagierte er mit den Worten: ,,Di machet is kaputt.“ Interessant war das Verhalten der Rottwei­ ler. Böse Zungen behaupten, sie hätten sich wie die nach ihnen benannten Hunde ver­ halten. Jedenfalls wurde um die eigene Un­ abhängigkeit gekämpft und an harten Wor­ ten fehlte es nicht. Selbst Robert Gleichauf, für mich der Inbegriff politischer Redlich­ keit und finanzpolitischer Tugend, wurde parteiisch und versuchte, die Tennenbron­ ner gegen ihren Willen, aber letztlich mit Er­ folg, in den Kreis Rottweil zu „evakuieren“. Der CDU-Abgeordnete Brachat bezeichne­ te dies als „hinterlistigen Überfall“, Rottweil sei auf der Suche nach „Blutspendern“ ge­ wesen. Deißlingen kehrte durch seine Ver­ mählung mit Laufen nach vorübergehender 9

25 Jahr hwarzwald-Baar-Krei Umkrei ung in den Kreis Rottweil zurück. Auf diesen Fall Bezug nehmend, meinte Bürgermeister Rückgauer von Tennenbronn pragmatisch, ein Wechsel der Kreiszuge­ hörigkeit seiner Gemeinde käme nur in Fra­ ge, wenn der Schwarzwald-Baar-Kreis die gleichen finanziellen Zusagen wie Rottweil machen würde. Wahrlich ein „Kreispatrio­ tismus“, der sehr modern anmutet. Nach Überwindung vieler Schwierigkei­ ten, die hier zwangsläufig nur ge treift wer­ den konnten, wurde der Schwarzwald-Baar­ Kreis am l. Januar 1973 Realität. ,,VS“ ist heute ein positiver Begriff und keine „Ver- chlußsache“, wie man heikle Akten in der Verwaltung nennt. ,,VS“ braucht nicht ver­ schlossen und verborgen zu werden, ein land chafclich sehr schöner Kreis mit reicher Geschichte und guten Aussichten für die Zu- kunft. Ein Kreis, der mit seinen ganz unter­ schiedlichen Bevölkerungs- und Verwal­ tungselementen geradezu ein Modell für Ba­ den-Württemberg geworden ist, und ein Kreis, auf den dieses Land tolz sein kann. Nur eine ganz kleine Korrektur schlage ich vor. Landrat Heim schreibt in seinem lie­ benswürdigen Grußwort zum Kreisalma­ nach 1998 vom „Flickenteppich der Kreis­ tradition“. Ich weiß nicht, ob man dies als altbadische oder altwürttembergische Be­ scheidenheit bezeichnen soll. Ohne in die Stuttgarter Großmannssucht verfallen zu wollen, meine ich, daß ein Kreis mit so vie­ len High-Tech-Betrieben es rechtfertigt, statt von einem „Flickenteppich“ von „Patch­ work-Design“ zu sprechen. Ralfjandl Müllentsorgung bleibt ein aktuelles Thema Trotz sinkender Müllmengen muß sich der Bürger auf weiter steigende Gebühren einstellen Im Rahmen der Neuorgani ation des Landratsamtes zum l. Juni 1997 wurden auch die Bereiche Umweltschutz und Ge­ sundheit neu geordnet. Es ent tand da unter der Leitung des Ersten Landesbeam­ ten stehende Dezernat „Umwelt und Ge­ sundheit“. Sachzusammenhänge zwischen den einzelnen Aufgabenbereichen waren ausschlaggebend dafür, in diesem Dezernat die gesamte Umweltschutzverwaltung ein­ schließlich des im Gesundheit amt stark ausgebildeten umweltbezogenen Gesund­ heitsschutzes zu konzentrieren. In diesem Dezernat sind nunmehr eingebunden die gesamten Bereiche der Abfallwirt chaft, des öffentlichen Baurechts, des Natur- und Im­ missionsschutzes owie des Was er- und Bo­ denschutzrechtes und des öffentlichen Ge- undheitsdienstes. Von all die en T hemen­ feldern hat – wie in den Vorjahren auch – die Abfallwirtschaft kreispoliti eh gesehen die größte Bedeutung eingenommen. Nachdem der Landkreis bereits seit Beginn der 90er Jahre eine Vielzahl abfallwirtschaft­ licher Maßnahmen initiiert und vorge­ nommen hatte (u. a. Bauschuttrecycling, flächendeckendes Netz von Wertstoffhöfen und Recyclingzentren, kreiseinheitliche Durchführung der Müllabfuhr), stand das abgelaufene Berichtsjahr ganz im Zeichen zweier T hemenbereiche: Einführung der ge­ trennten Biomüllerfassung sowie Neuorien­ tierung des Landkreises bei der Restmüllbe­ handlung ab dem Jahre 2005, nachdem das gemeinsame Projekt der drei Landkreise Schwarzwald-Baar, Rottweil und Tuttlingen zur thermischen Behandlung des Mülls mit dem Ausstieg des Landkrei es Rottweil im September 1996 „geplatzt“ war. Nach einer Vielzahl von Beratungen im Ausschuß und Kreistag und nach umfangreichen Vorberei­ tungen durch das Abfallwirtschaftsamt wur- 10

de zum l. Januar 1998 kreisweit die ge­ trennte Biomüllerfassung eingeführt. Trotz zunächst eher skeptischer Prognosen haben sich immerhin rund 60 0/o aller Haus­ halte im Kreis fur eine Biotonne entschie­ den, 40 0/o nahmen die Befreiungsmöglich­ keit fur Selbstkompostierer in Anspruch. Neben der Gestellung einer zusätzlichen „braunen Tonne“ fur den Biomüll konnten die Bürger sowohl ihre Gefäßgröße fur den Restmüll wie auch deren Leer­ ungsrhythmus (grundsätzlich vierwöchig, auf Antrag auch zweiwöchig) wählen. Die für die Bürger damit zusammen­ hängenden Fragen wie auch der praktische Behälteraus­ tausch vor Ort führten zu einer immensen Anfrageflut beim Landratsamt zu Beginn des Jahres 1998. V ielfach waren im Januar und Februar sämtliche Telefonleitungen des Amtes über Tage hin­ weg belegt. Nur durch den Einsatz einer Sonderarbeitsgruppe von Mitarbeitern aus der gesamten Landkreisverwaltung konnten die Bürgeranfragen abgearbeitet werden. Biomüll wird umweltfreundlich entsorgt Der jährlich anfallende Biomüll (progno­ stiziert sind zwischen 8 000 und 10 000 Ton­ nen) wird derzeit noch zur Kompostierung in eine Anlage nach Thüringen gebracht. Ab dem Jahre 2000 ist vorgesehen, den Biomüll aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis sowie den aus dem Landkreis Tuttlingen in einer neu zu errichtenden und von einer privaten Fir­ ma betriebenen Vergärungsanlage in der Re­ gion zu entsorgen. Dieses umweltfreundli­ che Verfahren gewährleistet, daß das bei der Vergärung der Bioabfälle entstehende Me­ thangas zur Wärmegewinnung – etwa zur Trocknung von Klärschlämmen – sowie zur Stromerzeugung fur das öffentliche Netz eingesetzt werden kann. Einer Vergabe die­ ser Form der Verwertung des Biomülls an Künftig wird bis zu zehn Tonnen Biomüll im Jabr anfallen. Ab dem Jabr 2000 soll der Biomüll auch in der Region vergärt werden. Müllentsorgung die Firma BRS-Baustoffrecycling Schwarz­ wald-Baar GmbH in V illingen-Schwennin­ gen hat der Kreistag im März 1998 zuge­ stimmt. Parallel mit der Einführung der Biotonne wurden im Landkreis die Müllabfuhrverträ­ ge neu vergeben. Durch ein überaus günsti­ ges Ausschreibungsergebnis konnten die Kosten trotz zusätzlicher Entleerungen der Biotonnen (im Oktober bis Mai zweiwöch- entlich; im Juni bis September wöchentlich) von jährlich bis­ lang DM 6,7 Mio. auf DM 6,0 Mio. gesenkt werden. Eine weitere Neuerung zum l. Ja­ nuar 1998 ergab sich fur die Müllabfuhr in der Stadt Vil­ lingen-Schwenningen: Diese wurde – einschließlich der Mitarbeiter – bekanntlich zum l. Januar 1996 von der Stadt übernommen und in einen Ei­ genbetrieb des Landkreises überfuhrt. Nach­ dem die bereits erwähnte Ausschreibung er­ geben hatte, daß – trotz weiterer Einspar­ bemühungen beim Landkreis – ein Privat­ unternehmen um mehr als DM 300 000 jährlich günstiger die Müllabfuhr durchfuh­ ren konnte, beschloß der Kreistag im Juli 1997, die Müllabfuhr in V illingen-Schwen­ ningen zu privatisieren und der Firma Schrägle, Dunningen, zu übertragen. Im In­ teresse der 21 Mitarbeiter behalten diese ih­ re Arbeitsplätze beim Landkreis bei und werden nunmehr über einen Personalgestel­ lungsvertrag bei der Firma Schrägle einge­ setzt. Diese erstattet dem Landkreis die Lohnkosten fur die Mitarbeiter zurück. Für Unmut in der Stadt V illingen-Schwen­ ningen, was durch eine Aktion mit über 3 000 Unterschriften von Bürgern der Stadt belegt wurde, sorgte die Entscheidung des Landkreises, ab dem Frühjahr 1998 die bis­ lang 42 frei zugänglichen Grüngutsammel­ plätze im Stadtgebiet durch 10 kontrollierte Sammelstellen zu ersetzen. So verständlich diese Reaktion der Bürger ist, insbesondere 11

unter dem Aspekt der nunmehr längeren Entsorgungswege, muß der Landkreis bei einheitlichen Gebührensätzen doch auf eine Gleichbehandlung aller Kreiseinwohner so­ wie auf eine kostengünstige Entsorgung be­ dacht sein, zumal mit dem neuen System eine jährliche Kostenersparnis von rund 300 000 DM verbunden ist. Ergebnis der genannten und weiterer Ein­ sparbemühungen bei der Abfallentsorgung war die Tatsache, daß die Kosten der Abfall­ entsorgung im Landkreis trotz der Ein­ führung der getrennten Biomüllerfassung und -verwertung (rund DM 3 Mio. jährlich) im Vergleich zum Vorjahr mit etwa 24 Mio. in 1998 konstant geblieben sind. Gleich­ wohl mußten die Gebührensätze um rund 20 0/o angehoben werden, da insgesamt die Müllmengen im Landkreis deutlich zurück­ gehen. Dieses Ziel wird politisch sicherlich von allen gewollt. Es hat jedoch auf der an­ deren Seite zur Folge, daß die mengenun­ abhängigen Fixkosten der Abfallentsorgung (etwa 75 0/o der Gesamtkosten) auf immer weniger Abfallvolumen umgelegt werden müssen, mit anderen Worten: bei wesentlich gleichbleibenden Kosten wird der „Divisor“ immer kleiner und damit der Preis pro Ton­ ne Müll immer höher. Waren im Schwarzwald-Baar-Kreis 1996 noch etwa 96 000 Tonnen Abfälle zu ent­ sorgen, wird sich diese Menge 1998 voraus­ sichtlich auf nur noch rund 68 000 Tonnen belaufen (minus 29 %). Hier wirken sich Abfallvermeidung, getrennte Wertstofferfas­ sung durch die Bürger und alternative Ver­ wertungswege, wie etwa die im April 1998 in Betrieb genommene Hackschnitzelfeue­ rungsanlage mit integrierter Klärschlamm­ trocknung in Bräunlingen und anschließen­ der Verwertung des dabei gewonnenen Gra­ nulats in der Zementindustrie aus. Aller­ dings ist auch nicht zu übersehen, daß gera­ de industrielle und gewerbliche Abfälle Nur noch 68 000 Tonnen Abfall Müllentsorgung vielfach nur vorgeschobene Verwertungswe­ ge einschlagen, um damit -am Landkreis vorbei -,,billigere“ Entsorgungswege, ins­ besondere in den neuen Bundesländern, zu gehen. Hierauf wird der Landkreis künftig ein wachsames und kritisches Auge haben. Die (vorläufig) letzte große Aufgabe in der Abfallwirtschaftsplanung des Landkreises liegt in der Sicherstellung der Restmüllbe­ handlung ab dem 1.Juni 2005. Bekanntlich darf nach den gesetzlichen Vorschriften ab diesem Zeitpunkt kein unbehandelter Müll mehr auf den Deponien abgelagert werden. Nur noch der Müll, der so vorbehandelt wurde, daß keine biologischen Reaktions­ prozesse mehr stattfinden und er somit kei­ ne Gefahren mehr für nachfolgende Gene­ rationen hervorrufen kann -erinnert sei an die Altlastenproblematik vergangener Jahr­ zehnte, die wir heute aufzuarbeiten haben – ist „deponiefähig“. Das vor diesem Hinter­ grund ursprünglich von allen drei Landkrei­ sen verfolgte Projekt einer gemeinsamen thermischen Restmüllbehandlung in Deiß­ lingen-Lauffen ist mit dem Austritt des Landkreises Rottweil im Herbst 1996 ge­ scheitert. Der Müll aus dem Landkreis Rott­ weil wird seitdem in Stuttgart verbrannt. Mittlerweile haben sich der Schwarzwald­ Baar-Kreis und der Landkreis Tuttlingen neu orientiert. Die Kreistage beider Landkreise haben im Frühjahr 1998 beschlossen, ihre für das Jahr 2005 prognostizierten Rest­ müllmengen am Markt gemeinsam für eine gesetzeskonforme Behandlung auszuschrei­ ben. Ausschreibungsergebnisse aus anderen Landkreisen belegen, daß hier aufgrund der vielfach vorhandenen Überkapazitäten be­ stehender oder bereits konkret geplanter Anlagen derzeit im Vergleich zu noch vor drei bis vier Jahren äußerst günstige Preise erzielt werden können. Behandlungspreise von unter DM 300/t sind durchaus reali­ stisch, während vor einigen Jahren noch Preise von DM 600/t „marktgängig“ waren. In der Ausschreibung werden sich die Krei­ se auch nicht auf ein bestimmtes Behand-13

Aus dem Krcisgcsd,chen lungsverfahren festlegen, sondern diese „technikoffen“ gestalten, wenngleich nach derzeitigem Sachstand thermische Verfah­ ren die größte Gewähr einer gesetzeskon­ formen Behandlung bieten. Allerdings ist durch innovative Verfahren der biologisch­ mechanischen Müllbehandlung in letzter Zeit einiges in Fluß geraten. Es ist vorgese­ hen, daß der Kreistag nach einer europawei­ ten Ausschreibung im Frühjahr 1999 einen Vergabebeschluß faßt. Auf eines sei aber bereits jetzt hingewiesen: Wie „günstig“ auch immer das Angebot aus­ sehen wird, es wird auf jeden Fall teurer als die derzeitige Deponierung mit rund DM 134/t. Entsprechende Gebührensteigerun­ gen sind deshalb bereits vorprogrammiert. Umweltschutz und die Versorge für künfti­ ge Generationen durch die »inaktive Müll­ deponie“ werden ihren Preis haben! In engem Zusammenhang mit der eben angesprochenen Problematik der herkömm­ lichen Deponien steht die im Jahre 1997 im Landkreis abgeschlossene flächendeckende Erhebung vorhandener Altlasten aus den vergangenen Jahrzehnten. Wir alle erinnern uns an die qualmenden Müllkippen der SOer und 60er Jahre. Auch Industriestand­ orte aus den Wirtschaftswunderjahren be­ reiten uns heute mit ihren vielfältigen Bela­ stungen und Gefahren für unser Grund­ und Trinkwasser erhebliches Kopfzerbre­ chen. Seit Ende der 80er -für kommunale Altlasten -und mit Beginn der 90er Jahre – für die flächendeckende Erhebung-hat das Land Baden-Württemberg im Schwarzwald­ Baar-Kreis rund DM 25 Mio. für die Erkun­ dung sowie die Sanierung kommunaler Alt­ lasten bereitgestellt. Dabei wurden im Schwarzwald-Baar-Kreis über 6 000 Altla­ stenfälle erhoben. Davon wurden 2 739 Alt­ la ten untersucht. 44 O/o dieser Fälle konnten bei näherer Erkundung mangels Gefahren­ verdacht ausgeschieden werden. 50 % wer­ den -vorläufig -bis zur Durchführung eventueller Baumaßnahmen auf dem jewei­ ligen Grundstück belassen. 6 0/o (164 Fälle) 14 Naturpark „Südschwarzwald“ müssen aufgrund vorliegender Verdachts­ momente weiter untersucht und gegebe­ nenfalls saniert werden -eine Aufgabe, die Arbeits-und Finanzkraft des Landkreises noch auf Jahre hinaus binden wird, abgese­ hen von den den jeweiligen Grundstücksei­ gentümern erwachsenden Sanierungsauf­ wendungen, oftmals in Millionenhöhe. Die „Sünden der Vergangenheit“ bereiten uns heute ein unangenehmes Erwachen! Für ein großes Vorhaben im Naturschutz wurden im vergangenen Jahr die Weichen gestellt: 5 Landkreise im südlichen Schwarz­ wald (Waldshut, Lörrach, Breisgau-Hoch­ schwarzwald, Emmendingen und der Schwarzwald-Baar-Kreis) planen konkret die Einrichtung eines Naturparks „Südschwarz­ wald“. Mit dieser naturschutzrechtlichen Kategorie sollen großräumige Gebiete, die sich durch ihre Vielfalt, Eigenart und Schön­ heit von Natur und Landschaft auszeich­ nen, als „vorbildliche Erholungslandschaft“ weiter entwickelt und gepflegt werden. Im Hinblick auf die sich damit für den Schwarz­ wald abzeichnenden Chancen im Touris­ mussektor, aber auch für unsere heimische Land­ wirtschaft als Träger un­ serer in aller Welt geschätz­ ten Kulturlandschaft, ist die Landkreisverwaltung diesem Vorhaben schon immer positiv gegenüber­ gestanden. Wenn darüber hinaus noch zusätzliche Gelder aus der Europä- Eine einmalige Schwarz­ wald/.andschafl findet sid, auch im Großraum Furt­ wangen, rechts der Giinter­ felsen bei der Martins­ kapelle.

ischen Union oder dem Land Baden-Würt­ temberg in den Naturpark fließen, ist dies ein weiterer Vorteil. Vorgesehen ist die Aufnahme des westli­ chen Teils des Schwarzwald-Baar-Kreises mit der Grenze entlang des Buntsandsteins. Er­ faßt werden 14 Gemeinden, teils mit der ge­ samten Gemarkung oder aber nur mit Tei­ len. Die charakteristische Schwarzwaldland­ schaft mit ihrem Wechsel von Wald, Wiesen und Weiden muß für die Aufnahme in den Naturpark prägend sein. Mit rund 478 km2 wird nahezu die Hälfte der Kreisfläche und mit 49 000 Einwohnern rund ein Viertel der Kreiseinwohner erfaßt. Der Naturpark „Süd­ schwarzwald“ wird mit insgesamt über 2 800 km2 zu den größten in ganz Deutsch­ land gehören. Träger des Naturparks soll ein eingetragener Verein sein, in dem das Land Baden-Württemberg, die Landkreise, alle Gemeinden sowie Verbände der Landwirt­ schaft und des Naturschutzes repräsentiert sind. Nachdem im Vorfeld nahezu alle betroffe­ nen Gemeinden und nach Ausräumung der Bedenken nunmehr auch die Landwirt­ schaft diesem Vorhaben positiv bzw. nicht mehr ablehnend gegenüberstehen, hat der Naturpark .Südschwarzwald“ Kreistag im Juli 1998 der Einrichtung des Naturparks ebenfalls zugestimmt. Nach ent­ sprechenden positiven Voten der Gemein­ den und der Verbände soll der Trägerverein Anfang 1999 gegründet werden. Dieses Vorhaben des Natur-und Umwelt­ schutzes, das sich von „unten nach oben“, d.h. aus der örtlichen und regionalen In­ itiative heraus, entwickelt hat und nicht durch Festlegung von „oben“ entstand, weist für die Zukunft den „richtigen Weg“. Umweltschutz braucht die Akzeptanz unse­ rer Bevölkerung, er muß von ihr gelebt wer­ den. Einseitig verordneter und regelmäßig teurer Umweltschutz ohne Einsicht derbe­ troffenen Bevölkerung ist auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Mitunter gewinnt man bei der Lektüre und dem Umsetzen von Umweltgesetzen leider den Eindruck, daß sich diese Erkenntnis bei manchen fernen „Gesetzesmachern“ in Brüssel oder Bonn noch nicht durchgesetzt hat. Hier ist noch vieles nachzuholen, soll sich die Vielzahl unserer Bürger mit diesem „verordneten“ Umweltschutz identifizieren und ihn sich zu eigen machen. Joachim Gwinner 15

Au dem Kreisgeschehen Öffentlicher Nahverkehr mit großen Zielen Der RINGzug würde Bus und Bahn im attraktiven Stundentakt miteinander verknüpfen In dem Bewußtsein, daß nur ein leistungs­ fähiges ÖPNV-Angebot eine Alternative zum motorisierten Individualverkehr dar­ stellt, hat der Schwarzwald-Baar-Kreis seine verkehrs-politischen Ziele fortentwickelt und umgesetzt. Im vergangenen Jahr wur­ den entscheidende Marksteine gesetzt, die die weitere Entwicklung des ÖPNV positiv beeinflussen. Einer der Schwerpunkte war die Weiter­ entwicklung des Ringzugsystems. Das be­ stehende Konzept mußte an veränderte Vor­ gaben des Landes Baden-Württemberg an­ gepaßt werden. Gemeinsam haben die drei Landkreise der Region und der Regionalver- band Schwarzwald-Baar-Heuberg ein abge­ stimmtes Betriebs-und Finanzierungskon­ zept für das Ringzugsystem erstellt. Auf dieser Grundlage haben die Landräte der Region Verhandlungen mit dem Land Ba­ den-Württemberg über die Höhe der in Aus­ sicht gestellten Zuschüsse geführt. Dabei wurde das erfreuliche Ergebnis erzielt, daß neben den Zuschüssen für die Fahrzeugbe­ schaffung und die lnfrastrukturmaßnahmen weitere Zuschüsse in Höhe von 50 0/o des Be­ triebsdefizit bis zu einer Höhe von 2,5 Mil­ lionen pro Jahr gewährt werden. Nachdem die verbindliche Zusage des Landes Baden­ Württemberg vorlag, wurde in den Kreis- – Ringzug (VoniMa) ‚““““‚ Ringzug {Ausbaustufe) � IT-Achse OB — IT-Achse Bus — Ergänzendes Busnetz • VerknOpfungsstelle Bus/Zug Grafische Dar­ stellung des RINGzugs, ent­ nommen aus ei­ ner Info-Bro­ schüre des Regi.o­ nalverbandes. Der RINGzugfährt im Stundentakt, bedeutet Bus und Bahn Hand in Hand. 16

Öffentli her Nahverkehr kreis unterwegs ist, muß auf eine Bahnfahrt nicht verzichten. die Tarifstruktur zu ver­ einfachen und einen Zo­ nentarif einzuführen. Der Landkreis und die Verkehrs­ unternehmen haben sich darauf verständigt, das Kreisgebiet in zehn Zonen einzuteilen. Das Tarifni­ veau soll im Vergleich zu den bestehenden Tarifen in ähnlicher Höhe bestehen bleiben. Darüber hinaus soll noch im Jahr 1998 eine einheitli­ che Haltestellenbeschilde­ rung im Kreisgebiet einge­ führt werden, damit das Le­ sen der Fahrpläne erleich­ tert wird. Eine umfassende Am Bahnhof in Donaueschingen. Auch wer mit dem Fahrrad im Land- Fahrgastinformation über das bestehende Angebot im Schwarz­ des ÖPNV tagen der Region Schwarzwald-Baar-Heu­ wald-Baar-Kreis bietet auch der Kreisfahr­ berg zu Beginn des Jahres 1998 der Grund­ plan, der gemeinsam von der SBG Süd­ satzbeschluß zur Einführung des Ringzug­ badenBus GmbH und dem Landkreis her­ systems gefaßt. Die nächsten entscheiden­ ausgegeben wird. Darüber hinaus hat der den Schritte sind eine Preisanfrage bei ver­ Kreistag 1997 beschlossen, daß sich der schiedenen Verkehrsunternehmen und die Schwarzwald-Baar-Kreis an dem vom Land auf der Grundlage der dann vorliegenden Baden-Württemberg geförderten Elektroni­ Zahlen endgültige Entscheidung über die schen Fahrplanauskunft System EFA be­ Einführung des Ringzugsystems. teiligt. Die Vereinbarung mit dem Land Ba­ Das Ringzugsystem soll jedoch nicht nur den-Württemberg ist abgeschlossen und im verbesserte Schienenverbindungen anbie­ Laufe des Jahres 1998 können die Nutzer ten, sondern ein integriertes Verkehrssystem sämtliche Daten über die öffentlichen Ver­ darstellen. Um dieses Ziel zu erreichen, wur­ kehrsmittel bundesweit abrufen. de ein ergänzendes Buskonzept erarbeitet. Nachdem die Neuordnung des Hintervil­ Eine gute Verknüpfung der Buslinien mit linger Raumes aus finanziellen Gründen bis­ der Schiene an verschiedenen Verknüp­ her zurückgestellt werden mußte, ist es nun fungspunkten soll das Angebot abrunden endlich soweit. Der Kreistag bewilligte den und das Umsteigen vom Individualverkehr erforderlichen Zuschuß und zum Jahresbe­ auf den ÖPNV erleichtern. ginn 1998 konnte gemeinsam mit den Ver­ Aber nicht nur ein abgestimmtes Ver­ kehrsunternehmen das Konzept eingeführt kehrsangebot, sondern auch Benutzer­ werden. Zum Fahrplanwechsel im Mai 1998 freundlichkeit und eine möglichst umfas­ wurden sämtliche Änderungswünsche von sende Fahrgastinformation sind wesentliche Nutzern und Verkehrsunternehmen berück­ Faktoren dafür, daß das vorhandene Ange­ sichtigt, so daß jetzt ein leistungsstarkes at­ bot genutzt wird. Es ist deshalb vorgesehen, traktives Angebot für diese Raumschaft be-17

Öffentlicher Nahverkehr steht. Ob dieses Angebot aufrechterhalten werden kann, ist wesentlich davon abhän­ gig, daß das Angebot angenommen und häufig genutzt wird, damit die Zuschüsse künftig möglichst gering bleiben. Auch bei der Verkehrsgemeinschaft Bregtal (VGB) wurde eine neue Fahrplanstruktur ge­ schaffen. Die Buslinien Gütenbach -Furt­ wangen, Furtwangen -Vöhrenbach -Donau­ eschingen, Vöhrenbach -Villingen und Vil­ lingen -Schwenningen wurden besser auf­ einander abgestimmt. Anstelle einiger weni­ ger umsteigefreier Verbindungen in das Oberzentrum bestehen ab Mai 1998 beina­ he stündlich funktionierende Umsteigebe­ ziehungen zwischen dem Bereich des Obe­ ren Bregtals in das Oberzentrum Villingen­ Schwenningen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis richtet seinen Blick jedoch auch über seine Grenzen hin­ aus. Durch eine enge Zusammenarbeit zwi­ schen den Verkehrsunternehmen SBG Süd­ badenBus GmbH und Postauto Thurgau­ Schaffhausen (CH), dem Kanton Schaff­ hausen und dem Schwarzwald-Baar-Kreis wurde eine grenzüberschreitende Linie eingerichtet. Der RandenBus fährt von Schwenningen über Bad Dürrheim, Donau­ eschingen, Hüfingen, Blumberg, Neuhau­ sen und Bargen (CH) nach Schaffhausen und bereichert damit die Möglichkeiten des Freizeitverkehrs um ein attraktives Angebot in die benachbarte Schweiz. Dem Schwarzwald-Baar-Kreis ist es ein Anliegen, über eine Grundversorgung hin­ aus ein effizientes ÖPNV-Angebot zur Ver­ fügung zu stellen. Die Gestaltungsmöglich­ keiten des Landkreises stehen jedoch zu­ nehmend unter dem Diktat der knappen fi­ nanziellen Mittel. Der bis zum Jahresende 1998 zu erstellende Nahverkehrsplan wird Vorgaben fur die künftige Gestaltung des ÖPNV im Schwarzwald-Baar-Kreis enthal­ ten. Inwieweit diese Vorgaben und Planun­ gen umgesetzt werden können, hängt davon ab, daß die bestehenden An_gebote genutzt werden. Jede Fahrt mit dem OPNV statt mit dem Auto ist schließlich auch ein wesentli­ cher Beitrag zum Schutz unserer Umwelt. Gabriele Seefried 18

Aus dem Kreisgeschehen Schwarzwald Baa r /1 ,�. · · schont bleibt. Mit dem Ziel, N Der Kulturpass – Kultursponsoring mit Pfiff schenken. Der Paß enthält elf Museen, Sammlungen und ,,Freikarten“ zum kostenlosen Be­ andere Kultureinrichtungen such ausgewählter kultureller Ein­ klagen über zurückgehende richtungen im Landkreis, darun­ Besucherzahlen – ein Trend, ter Sehenswürdigkeiten ersten von dem auch der Schwarz- Ranges wie das Uhrenmuseum wald-Baar-Kreis nicht ver- in Furtwangen oder die „Sau­ schwänzlebahn“ in Blumberg. diese Entwicklung umzukeh- Abgerechnet werden nur die ren und das Interesse an Kultur vom Beschenkten im Laufe ei­ zu erhöhen, wurde im Jahr nes Jahres besuchten Einrich­ 1998 der „Kulturpass“ einge­ tungen, die schenkende Ein­ führt. Die Idee der Kulturförderung richtung bezahlt dabei einen im Durchschnitt um 40 0/o re­ mittels eines „Kultursponsering­ duzierten Preis. Projektes“ kam von Alexander In den ersten zwei Monaten Doderer, dem Geschäftsfuluer seit seiner Einführung sind be­ der Werbeagentur „GRUPPE reits 200 Kulturpässe bestellt DREI“ in Villingen-Schwennin­ worden. Im günstigsten Fall gen. In die Tat umgesetzt wurde nehmen die beteiligten Kul­ sie in Zusammenarbeit mit dem tureinrichtungen hieraus ca. Landratsamt. 10 000 Mark ein, die ihnen sonst sicher Öffentliche Einrichtungen, Städte und nicht zufließen würden. Gemeinden oder auch private Firmen Falls Sie als Arbeitgeber Ihren Mitar­ können beim Landratsamt oder bei der beitern oder Geschäftsfreunden ein Ge­ „GRUPPE DREI“ einen oder mehrere schenk machen und gleichzeitig dazu Kulturpässe zum Stückpreis von DM 9.­ beitragen möchten, daß die heimischen zuzügl. MwSt. bestellen und an Mitar­ Kulturschätze nicht in Vergessenheit ge­ beiter, Geschäftsfreunde und Gäste ver- raten, – dann verschenken Sie den Kulturpass! Wenn alle mitmachen, Schenken­ de und Beschenkte, dann steht auch dem „Kulturpass 99″ nichts mehr im Wege. IsoldeMackwitzl Dr. Helmut Rothermel Der „Kulturpass“ ermöglicht auch den kostenlosen Eintritt ins Uhrenindustriemuseum in Schwenningen. 19

Aus dem Krei ge d1ehe11 Sozialausgaben steigen um 7,5 Millionen Mark Fehlende Perspektiven bei jugendlichen Spätaussiedlern – ,,Arbeit statt Sozialhilfe“ Der Aufwand für die sozia­ le Sicherung stieg nach einer relativ stabilen Phase in den Jahren 199 5 bis 1997 nun wieder um 7,5 Millionen Mark an. Die Nettobe­ lastung des Kreishaushaltes betrug damit im Jahr 1998 94,5 Millionen Mark. Verur- acht wurde dieser Anstieg fast ausschließlich durch die vom Landkreis an den Lan­ deswohlfahrtverband (LWV ) Baden abzuführende Ver­ bandsumlage, dessen Umla­ gesatz von 10 0/o auf 11,8 0/o angehoben wurde. Im Ver­ gleich zum Vorjahr bedeute­ te dies eine Steigerung um 6,9 Millionen Mark. Grund für diese außerordentlich starke Umlageer­ höhung war unter anderem, daß die vom LWV im Haushalt 1997 eingeplanten Ent­ lastungen durch die Pflegeversicherung im stationären Bereich bei weitem nicht in dem erwarteten Umfang eingetreten sind, und daß die Kosten bei der Eingliederungshilfe für Behinderte deutlich anstieg. Anfang 1998 erhielten im Schwarzwald­ Baar-Krei 3 900 Personen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Knapp ein Drittel da­ von war arbeitslos. Hier zeigt sich, daß das Thema Arbeitslosigkeit nicht nur zu einem dauerhaften und zentralen Problem in un­ serer Gesellschaft geworden ist, sondern auch immer mehr die Kassen der Sozialhil­ feträger belastet. Der Schwarzwald-Baar­ Kreis hat deshalb im Juni 1997 sein seit März 1995 bestehendes Angebot für arbeits­ lose Sozialhilfeempfänger erweitert und setzt dem System „Versorgung durch Sozial­ hilfe“ das Programm „Arbeit statt Sozialhi!- 20 fe“ entgegen. Ziel dieses Pro­ grammes ist es, arbeitslose Sozialhilfempfanger mög­ lichst rasch wieder in den er­ sten Arbeitsmarkt zu vermit­ teln. Neben der Vermittlung über einen Lohnkostenzuschuß in Höhe von 1 500 Mark je Monat an Arbeitgeber, die sich zu einer einjährigen Be­ schäftigung eines Sozialhilfe­ empfängers bereit erklären, werden Q!ialifizierungskurse bei der Gewerbeakademie der Handwerkskammer oder beim „Beruflichen Weiterbil­ dungs Zentrum“ (BWZ) an­ geboten. Weiterhin können die Sozialhilfeempfänger bei den Städten und Gemeinden gemeinnützi­ ge Tätigkeiten wahrnehmen, so daß je nach individueller Situation des Hilfeempfängers eine Vermittlung in eine für ihn geeignete Maßnahme möglich ist. Allein über das Lohnkostenzuschußprogramm gelang es 1997, 142 Personen in Arbeitsverhältnisse auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Zusammen mit den Famili­ enangehörigen bezogen so 389 Personen im Landkreis ihre Einkünfte nicht mehr aus der Sozialhilfe, sondern aus regulären – wenn auch zeitlich befristeten -Arbeitsverhältnis­ sen. Nach vorsichtigen Schätzungen betrug die Sozialhilfenettoentlastung des Land­ kreises durch dieses Programm im Jahr 1997 rund 750 000 Mark. Um die verschiedenen Maßnahmen im Programm „Hilfe zur Ar­ beit“ optimal aufeinander abzustimmen, wird beim Landratsamt derzeit ein eigen­ ständiges Sachgebiet „Hilfe zur Arbeit“ auf­ gebaut. Diesem obliegt dann die Koordina-

tion und Abwicklung des Gesamtpro­ gramms. Pflegeversicherung entlastet Weiterhin erfreulich zeigte sich die Ent­ wicklung im Bereich der Hilfe zur Pflege. Die aufgrund der Pflegeversicherung zu er­ wartenden Einsparungen machen sich jetzt voll bemerkbar. Mit der Einführung der Pflegeversicherung im ambulanten Bereich und ab 1. Juli 1996 auch im stationären Be­ reich ging der vom Landkreis zu tragende Aufwand im stationären Bereich von 1,47 Millionen Mark auf 450 000 Mark und im ambulanten Bereich von 1,12 Millionen Mark im Jahr 1995 auf jetzt knapp 800 000 Mark zurück. Aber auch hier ziehen schon wieder dunkle Wolken am Horizont auf: Zur Entlastung des LWV beabsichtigt das Land, die Zuständigkeit fur die Hilfe zur Pflege in Einrichtungen fur Personen, die über 65 Jahre alt sind, auf die örtlichen Sozialhilfeträger zu verlagern. Damit wer­ den künftig Landkreise mit einem guten sta­ tionären Angebot -wozu auch der Schwarz­ wald-Baar-Kreis zählt -erheblich stärker belastet, da der bisherige überregionale Ausgleich über den LWV entfallt. Für den Schwarzwald-Baar-Kreis bedeutet dies Mehrausgaben in einer Größenordnung von über 1 Million Mark. Nicht absehbar ist auch, wie sich die Förderverpflichtung des Landkreises nach dem Landespflegegesetz fur Investitionen in den Heimen künftig fi­ nanziell auswirken wird. In der Jugendhilfe stellt sich die Kosten­ entwicklung weiterhin günstig dar. Der Net­ toaufwand des Jahres 1997 liegt mit knapp 14 Millionen Mark wiederum unter den Rechnungsergebnissen der Jahre 1996 (14,2 Millionen Mark) und 1995 (14,45 Millionen Mark). Hier zeigt sich, daß der vom Kreis­ jugendamt eingeschlagene Weg des Ausbaus ambulanter und teilstationärer Hilfs­ angebote dazu fuhrt, daß weniger Heimun­ terbringungen notwendig werden. Wenn Steigende Sozialausgaben Pflege und Betreuung im Alter für jedermann ga­ rantiert die Pflegeversicherung. Unser Bild entstand beim Altenheim in Hüfingen. solche Heimunterbringungen vermieden werden können, so ist dies nicht nur fur die betroffenen Kinder, Jugendlichen und El­ tern die bessere Lösung, sondern fuhrt auch unmittelbar zu Kosteneinsparungen beim Jugendhilfeträger. Deshalb wird der Land­ kreis diesen Weg konsequent weitergehen. Zahl der Asylbewerber sinkt Weiterhin schwierig gestaltet sich die Situa­ tion bei den Asylbewerbern, Bürgerkriegs­ flüchtlingen und ausländerrechtlich Gedul­ deten. Die Zahl der Asylbewerber ist auf­ grund des verminderten Zugangs und einer schnelleren Abwicklung der Asylverfahren rückläufig. Eine Entlastung der Kreisfinan­ zen ist damit jedoch nicht verbunden, da das Land den Umfang der Kostenerstattung fur diesen Personenkreis teilweise einge­ schränkt hat. Bei den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und den im Ver­ fahren abgelehnten Asylbewerbern, die aus humanitären oder sonstigen Gründen nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, ist die Lage nach wie vor schwierig. Zwar wurde Ende 1996 zwischen der Bun­ desrepublik Deutschland und der Bundes­ republik Jugoslawien bzw. der Republik Bosnien-Herzegowina jeweils ein Rückfuh-21

Aus dem Krei geschehen rungsabkommen, der praktische Vollzug – vor allem von Seiten der genannten auslän­ dischen Regierungen – läßt allerdings viel zu wünschen übrig. Nicht zuletzt deshalb ha­ ben Bund, Land und auch der Schwarzwald­ Baar-Kreis erhebliche Anstrengungen unter­ nommen, um eine freiwillige Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge bzw. der abgelehn­ ten Asylbewerber in ihre Heimatländer zu erreichen. Neben Aufbauhilfen in den Hei­ matländern werden vom Bund z.B. Beför­ derungskosten (Flugzeug, Bahn oder Bus) übernommen und sowohl Einzelreisen als auch Gruppenreisen organisiert. Weiterhin können Reise- und Fahrtko- sten- sowie Überbrückungs­ beihilfen gewährt werden. Zu­ sätzlich fördert das Land Ba­ den-Württemberg die freiwilli­ ge Rückkehr mit weiteren fi­ nanziellen Unterstützungen, besonderer Hilfe für Existenz­ gründer sowie der Einrichtung einer Transportbörse. Für Sozialhilfeempfänger ge­ währt der Schwarzwald-Baar- Kreis eine weitere Unterstützung in Höhe von 500 Mark für Einzelpersonen bzw. 1 000 Mark für Familien. Im Jahr 1997 sind rund 150 Personen aus dem Schwarzwald­ Baar-Kreis wieder nach Bosnien-Herzegowi­ na zurückgekehrt. Kaum Rückkehrbereit­ schaft besteht dagegen bei Personen aus der Bundesrepublik Jugoslawien (insbes. albani­ sche Volkszugehörige aus dem Kosovo). Dies liegt unter anderem daran, daß die Si­ tuation im Kosovo unübersichtlich ist und es immer wieder zu Kampfhandlungen kommt. Im Gegensatz zu den exorbitanten Steigerungen in den vergangenen Jahren entspricht der Haushaltsansatz im Jahr 1998 mit 4,94 Millionen in etwa dem des Jahres 1996 und kann voraussichtlich eingehalten werden. Wie unerfreulich die ganze Situation ist zeigt bereits die Tatsache, daß ein Nicht­ überschreiten des Haushaltsansatzes in die- 22 Durch die Einführung der Pflegeversicherung ergab sich für den Schwarzwald-Baar­ Kreis 1996 ein Min- deraufwand von 6,7 Millionen Mark. sem Bereich schon als zufriedenstellend an­ gesehen werden muß. Auch hier wird und muß der Landkreis alles unternehmen, um die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatländer zu unterstützen, zumal diese Personen dringend für den Wiederauf­ bau im ehemaligen Jugoslawien gebraucht werden. Auch für Flüchtlinge zuständig Mit dem vom Landtag am 12. November 1997 beschlossenen Flüchtlingsaufnahme­ gesetz wurden die Landkreise ab 1. April 1998 für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Bis dahin war die Situation so, daß als Folge der mehr oder weniger zufällig und ungleich­ mäßig über das Land Baden­ Württemberg verteilten staat­ lichen Gemeinschaftsunter­ künfte und Wohnheime für Kontingentflüchtlinge die aus­ ländischen Flüchtlinge un- gleich auf die einzelnen Land­ und Stadtkreise sowie die Gemeinden ver­ teilt waren. Auch bei den, den Gemeinden zur Unterbringung zugewiesenen Asylbe­ werbern war nicht vorhersehbar wieviele letztlich als Asylberechtigte anerkannt wer­ den oder trotz Ablehnung wegen fehlender Rückkehrmöglichkeit bei den Gemeinden verbleiben werden. Dies führte in der Ver­ gangenheit zu einer ungleichen Belastung auch hinsichtlich der Ausgaben für Sozial­ hilfe. Mit dem Flüchtlingsaufnahmegesetz soll eine gleichmäßige Verteilung auf die einzelnen Land- und Stadtkreise sowie der Gemeinden sichergestellt werden. Weiterhin sollen die Asylbewerber wäh­ rend der gesamten Dauer des Asylverfah­ rens in einer Gemeinschaftsunterkunft un­ tergebracht werden und Sachleistungen er­ halten. Den Gemeinden werden nur noch Personen zugewiesen, deren Asylverfahren beendet ist und die entweder als Asylbe-

rechtigte anerkannt oder zwar abgelehnt wurden, deren Rückkehr oder Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen jedoch nicht möglich ist. Mit der Zuständigkeitsverlagerung fur die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünf­ ten vom Regierungspräsidium auf das Land­ ratsamt hat der Kreis drei Gemeinschafts­ unterkünfte (Villingen, Schwenningen und St. Georgen) mit einer Gesamtkapazität von rund 300 Plätzen übernommen. Die den Landkreisen mit der Übernahme der Aufga­ be entstehenden Kosten werden vom Land weitgehend über Pauschalsätze abgegolten. Die „Auskömmlichkeit“ dieser Kostenerstat­ tung läßt sich bereits daran erkennen, daß mit ihr lediglich die Hälfte der beim Land fur den Betrieb der Gemeinschaftsunter­ künfte ausgewiesenen Stellen finanziert wer­ den kann. Unmittelbar im Zusammenhang mit der Übernahme der Gemeinschaftsunterkünfte durch das Landratsamt steht auch die Wie­ dereinfuhrung der Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Da in den Ge­ meinschaftsunterkünften zwingend Sachlei­ stungen ausgegeben werden müssen -und in der Vergangenheit auch ausgegeben wur­ den -und eine Änderung des Asylbewerber­ leistungsgesetzes den Personenkreis der grundsätzlich mit Sachleistungen zu versor­ gen ist, ausgedehnt hat, gibt der Schwarz­ wald-Baar-Kreis seit dem l. Juli 1998 ein­ heitlich an alle Pesonen, die nach den Vor­ schriften des Asylbewerberleistungsgesetzes zu versorgen sind, wieder Sachleistungen aus. Diskussionen über Pflegeplätze Von kreispolitischer Brisanz war auch die 1997 in Angriff genommene Kreispflegepla­ nung. Hierbei geht es um die Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes auf Landes­ ebene, wonach die Länder fur die Vorhal­ tung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflege- Steigende Sozialausgaben rischen Versorgungsstruktur verantwortlich sind. Mit dem dazu ergangenen Landespfle­ gegesetz hat das Land die Stadt-und Land­ kreise verpflichtet, entsprechend den ört­ lichen Bedürfnissen und Gegebenheiten räumlich gegliederte Kreispflegepläne zu erstellen. Insbesondere im Bereich der stati­ onären Dauerpflegeplätze fuhrte dies im Landkreis zu Schwierigkeiten, da -ausge­ hend von den vom Land vorgegebenen Höchstzahlen -sich ein rechnerischer Über­ hang von rund 580 Plätzen ergab. Nach Vor­ arbeiten durch den extra zu diesem Zwecke gebildeten K.reispflegeausschuß, der aus sachverständigen Personen im Bereich der Pflege gebildet wurde, und dem Sozialaus­ schuß, hatte letztlich der Kreistag die schwierige Frage zu entscheiden, welche Pflegeheimplätze letztendlich als bedarfsge­ recht anerkannt und ins Pflegeheimver­ zeichnis aufgenommen werden. Nur solche Plätze können bei künftigen Investitionen einen Zuschuß durch den Landkreis und das Land (regelmäßig zusammen 60 0/o der Ko­ sten) erhalten. Schwerpunkt der Diskussion in den Gre­ mien war die Fage, ob die vom Land vorge­ gebenen Bedarfszahlen dem tatsächlichen Bedarf im Schwarzwald-Baar-Kreis entspre­ chen. Auch wenn zwischenzeitlich die Ent­ scheidung des Kreistages gefallen ist und die als bedarfsgerecht nachgesehenen Plätze festgestellt wurden, wird diese Diskussion weitergehen. Schnelle Baufortschritte machte das „Haus der geriatrischen Rehabilitation“ in Villin­ gen-Schwenningen. Nachdem der Kreistag in Februar 1997 mehrheitlich einen Zu­ schuß von 1,5 Millionen Mark zum Ge­ samtprojekt von 18,5 Millionen Mark ge­ währt hatte, konnte unverzüglich mit dem Bau begonnen werden. Bereits Ende des Jahres wurde Richtfest gefeiert. Mit der Ein­ richtung von 44 Rehabilitationsplätzen wird ein wichtiger Beitrag zur Versorgung und Behandlung insbesondere von älteren Mit­ bürgern nach Schlaganfällen oder Knochen-23

Ein Forum für die Jugend Aus dem Krei ge chehen brüchen geleistet. Damit wird auch im Schwarzwald-Baar-Kreis entsprechend dem Geriatriekonzept des Landes eine wohnort­ nahe Versorgung sichergestellt. Neben Stei­ gerung der Lebensqualität für die Betroffe­ nen infolge der Rehabilitationsmaßnah­ men, können damit auch Aufnahmen in ein Pflegeheim vermieden oder zumindest ver­ zögert werden. Wichtiges Thema im Bereich der Jugend­ hilfe war die sog. Jugendkonferenz, die En­ de 1997/Anfang1998 auflnitiative des Lan­ des Baden-Württemberg gestartet wurde. Ziel der Jugendkonferenz ist es, ein Forum zu schaffen, in dem die Verantwortungsträ­ ger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit den Jugendlichen ins Gespräch kom­ men können. Mit dieser Jugendkonferenz soll ein Prozeß ausgelöst werden, bei dem al­ le Beteiligten durch ein besseres gegenseiti­ ges Verstehen verstärkt Probleme angehen und auch lösen können. Nach einigen Vor­ arbeiten fand am 13. März 1998 die Auftakt­ veranstaltung unter Beteiligung von Mini­ sterpräsident Teufel, Landrat Heim und Oberbürgermeister Dr. Matusza (Villingen­ Schwenningen) im Deutenberg-Schulzen­ trum in Schwenningen tatt. Neben Musik­ und Theatervorführungen diente die Veran­ staltung rund 300 Jugendlichen und 100 Er­ wachsenen als Gesprächsplattform, bei der die Jugendlichen ihre Vor tellungen, Anre­ gungen, Fragen und Bedürfnisse „an der richtigen Stelle“ anbringen konnten. Auf­ grund der gegebenen wirtschaftlichen Situa­ tion war naturgemäß das Schwerpunkt­ thema ,Jugend und Beruf“. Anläßlich der Jugendkonferenz wurde vom Land, vom Schwarzwald-Baar-Kreis und von der tadt Villingen-Schwenningen ein Jugendfonds gegründet, der sich die Unterstützung ins­ besondere von benachteiligten Jugendli­ chen beim Übergang von der Schule in den Beruf zum Ziel gesetzt hat. Bereits daraus ist 24 zu erkennen, daß die Jugendkonferenz kei­ ne einmalige Veranstaltung war, sondern ei­ nen Prozeß in Gang gesetzt hat. In der Jugendhilfe wurde die Planung „Hil­ fen zur Erziehung“ für die Stadt St. Georgen vom Kreistag im Juli 1997 beschlossen. In die er Planung wird detailliert der Bestand und Bedarf für die Jugendhilfe in St. Geor­ gen dargelegt. Maßstab für die Bedarfsfest­ stellung ist auch hier der Ausbau der ambu­ lanten und teilstationären Angebote im Sin­ ne der Prävention zur Vermeidung intensi­ verer und kostenträchtiger Hilfen. Weiterhin problembehaftet ist die Situa­ tion der jugendlichen Spätaussiedler im Landkreis. Fehlende berufliche und persön­ liche Perspektiven sowie die teilweise man­ gelnde Bereitschaft zur Integration führen vielfach dazu, daß viele dieser Jugendlichen sozial auffällig werden und in die Krimina­ lität oder Drogenszene abgleiten. Hier gilt es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln präventiv tätig zu werden. Deshalb hat der Jugendhilfeausschuß beschlossen, im Rah­ men der sozialpädagogi eben Betreuung der chüler und Schülerinnen im Berufsvor­ bereitungsjahr das Betreuungsangebot um eine Stelle auszuweiten. Weiterhin erar­ beitete das Arbeitsamt Villingen-Schwen­ ningen Vorschläge zur Neugestaltung des Berufsvorbereitungsjahres. Das ursprüng­ lid1 vom Deutschen Roten Kreuz geplante „Arbeitsweltbezogene Modellprojekt Jugendsozialarbeit“ konnte leider im ge­ planten Umfang nicht verwirklicht werden, da die eingeplanten Zuschüsse des Bundes nicht bewilligt wurden. Allerdings hat der Kreisverband des DRK ein weiteres Strate­ giepapier zur außerschulischen Betreuung dieser Jugendlichen erstellt. Da die Sprache eine wichtige Voraussetzung für die Integra­ tion in die Gesellschaft ist, müssen hier wei­ terhin geeignete Angebote gemacht werden. Mit den herkömmlichen Formen des Spra­ chunterrichts können manche dieser Ju­ gendlichen oftmals nicht erreicht werden. Deshalb wurde eine neue Form des Sprach-

unterrichts als Modellversuch projektiert. Neu ist, daß die Sprache handlungsorien­ tiert im Rahmen von Gruppenarbeiten und Projekten vermittelt werden soll. Denn: Wenn es uns nicht gelingt, diese Jugendli­ chen in unsere Gesellschaft zu integrieren, so werden hier auf Jahre hinaus soziale Brennpunkte bestehen bleiben mit allen daraus resultierenden Folgekosten. Weniger spektakulär aber trotzdem wichtig und erwähnenswert ist, daß beim Schwarz­ wald-Baar-Kreis ein sogenanntes Schwer­ punktausgleichsamt gebildet wurde. Durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom Dezember 1992 – immerhin knapp 50 Jah­ re nach Kriegsende – wurde die Schlußpha­ se des Lastenausgleichs eingeleitet. Aussied­ ler, die nach dem 31. Dezember 1992 in die Bundesrepublik kommen, haben keine An- Aus dem Kreisgeschehen sprüche mehr auf Lastenausgleichsleistun­ gen (z.B. Kriegsschadensrente, Hauptent­ schädigung, Schadensfeststellung). Entspre­ chende Anträge können seit dem 1. Januar 1996 überhaupt nicht mehr gestellt werden. Um in der Schlußphase des Lastenaus­ gleichs noch eine möglichst effektive Ver­ waltungstätigkeit zu gewährleisten, sollen die Aufgaben in Baden-Württemberg auf zwei Ausgleichsämter konzentriert werden. Diese beiden Ämter wurden wegen ihrer besonderen Leistungsfähigkeit ausgewählt. Der Kreistag hat der Übernahme dieser Auf­ gabe zugestimmt, so daß die übrigen Aus­ gleichsämter nach und nach ihre Aufgaben gegen Kostenerstattung an den Schwarz­ wald-Baar-Kreis abgeben. Ansgar Fehrenbacher Partnerschaft wurde weiter vertieft Delegation aus dem Komitat Bacs-Kiskun drei Tage im Schwarzwald-Baar-Kreis zu Gast zwischen Seit im Mai des Jahres 1996 die Partnerschaft dem Schwarzwald-Baar-Kreis und dem ungarischen Komitat Bacs-Kiskun offiziell besiegelt wurde, hat nun ,,das Pflänzchen schon viele Wur­ zeln geschlagen“. Der sichtbarste Beweis dieses von Landrat Karl Heim gebrauchten Vergleiches war der Besuch von 50 Komitat- Mitgliedern Ende November 1997 aus der bislang einzi­ gen Partnerregion des Schwarzwald- Baar­ Kreises. Nachdem sich die Kontakte auf schulischer Ebene – hervorzuheben ist ins­ besondere das Engagement der Hotelfach­ schulen – bereits erfreulich positiv ent­ wickeln, stand das dreitägige Treffen ganz im Zeichen des gegenseitigen Kennen­ lernens. Die Gäste mit Komitatspräsident Dr. Laszl6 Balogh an der Spitze lernten Land und Leute von Schwarzwald und Baar kennen, erlebten aber auch einen Einblick in den Verwaltungsaufbau und die Arbeit einzelner Ämter. Außerdem besuchten die Komi­ tats- Mitglieder das Kreiskranken­ haus in Donaueschingen und die Schule für Körperbehinderte in Vill in gen. Für die Ungarn bedeuten die part­ nerschaftlichen Verbindungen mit dem Landkreis weitaus mehr als nur einen Aus­ tausch auf kultureller, administrativer, wirtschaftlicher und persönlicher Ebene. Für die Region Bacs -Kiskun, wo eine starke deutschsprachige Minderheit lebt, ist diese Partnerschaft auch Ausdruck der Verbun­ denheit mit dem westlichen Teil Europas, von dem die Ungarn während der Zeit des Kalten Krieges fast 45 Jahre lang zwangs­ weise abgeschnitten waren. Als Zeichen dieser jahrhundertelangen Verbundenheit 25

Partnerschaft mit Bacs Kiskum Eine 50köpfige Delegation aus dem Komitat Bri.cs-Kiskim besuchte im November 1997 den Landkreis. Im Rahmen eines dreitägigen Treffens wurde auch die Schule fiir Körperbehinderte in Villingen-Schwen­ ningen besichtigt. zwischen Ost und West überreichten die Gäste aus dem Komitat Bacs- Kiskun dem Landrat ein Bronzerelief des großen ungari­ schen Reformers des 19. Jahrhunderts, Graf Istvan Szechenyi. Der Aristokrat aus wohlhabendem Hause war nach seinen Reisen durch Westeuropa und England der führende Wegbereiter für den Liberalismus in Ungarn. Bestrebig kämpfte er in der ersten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts für die Abschaffung der Privilegien der aristokratischen Klasse, der er als Graf gleichwohl angehörte. In seinem damals als revolutionär angesehenen Buch „Credit“ (1830) plädierte er unter anderem für die Abschaffung des Monopols der Aristokratie, Grund und Boden zu besitzen. Zur jener Zeit war dies ein beispielloser Affront. Mit dem Namen Istvan Szechenyi werden heu­ te die Gründung der ungarischen Akademie der Wissenschaften (1827) und der Bau der Kettenbrücke, die die Donau überspannt und die beiden damals noch nicht rechtlich miteinander vereinigten Städte Buda und 26 Pest verbindet, verknüpft. Das Bronzerelief erinnert nun auch im Kreishaus an den Vor­ denker einer klassenlosen, freiheitlichen und prosperierenden Gesellschaft. Dabei ist es auch eines der ersten sichtba­ ren Zeichen der Partnerschaft zwischen den beiden Regionen. Landrat Karl Heim und Komitatspräsident Lazl6 Balogh waren sich einig in dem Wunsch, die Verbindungen auf ein breites Fundament zu stellen. Die Kreisverwaltung versteht dabei nach den Worten von Karl Heim ihre Aufgabe darin, als Vermittler und flankierender Bei­ stand beim Knüpfen von Kontakten aufzu­ treten. In diesem Sinne vollzog sich auch der Ablauf des dreitägigen Besuchs der Komitatsmitglieder im Schwarzwald- Baar­ Kreis. Ein bewußt breit gefächertes Pro­ gramm sollte ein trotz der Kürze des Auf­ enthaltes möglichst umfassendes Bild von unserem Kreis vermitteln. Während einer Rundfahrt durch die Regi­ on gewannen die ungarischen Gäste einen Eindruck von der Landschaft unseres Krei-

Aus dem Krei geschehen rum/fahrt unter Leitung von Landrat Karl Heim unter anderem den im Rahmen der seit 1996 bestehenden Partnerschaft unterschiedliche Aktivitäten statt. Die folgenden Ausführungen zeigen, daß die Partnerschaft sich mit Leben füllt und im Laufe der Monate viele neue Kon­ takte geknüpft und bestehende vertieft wer­ den konnten. Die seit 1997 zwischen den gewerblichen Schulen Donaueschingen und der Gewer­ beschule in Kecskemet (Gaspar-Andras­ Stiftung) bestehenden partnerschaftlichen Beziehungen erfüllten sich gleichfalls mit Leben. Zwei von den Ford -Werken, Köln, gespendete Motoren wurden dem Leiter der Gewerbeschule, Lajos Kalics, am 29. Mai 1998 in den Räumen des Ford-Autohauses Keller in Villingen -Schwenningen überge­ ben. Der mit einer kleinen Delegation zur Übernahme der Motoren Angereiste hob die Wichtigkeit der Beziehungen und des Geschenkes hervor, da eine Ausbildung an modernen Motoren eine große Bedeutung besitzt. Seit 1991 wird von der Komitatsverwal­ tung jährlich die Schöpferische Werkstatt für Bildende Künstler auf der Donauinsel Ve­ ranka (nördlich Baja) veranstaltet. Hierzu werden Künstler aus zehn Partnerkomita­ ten-und kreisen eingeladen. An dem Künst­ lertreffen vom 3. bis 12.Juni 1998 nahm das ses, erkundeten bei einem Museumsbesuch in Triberg überlieferte Schwarzwälder Hand­ werkskunst und die Anfange der Uhrenfa­ brikation und erlebten auf dem Reinerto­ nishof einen original Schwarzwälder Bau­ ernhof von 1619. Mit gleich zwei Fahrten zur Donauquelle -der Bus steuerte sowohl Furtwangen als auch Donaueschingen an – erfuhren die Gäste von dem wohl ewiglich dauernden Zank um den tatsächlichen Ur­ sprung des Flusses, der mit Ungarn so eng verwachsen ist. Gäste der Landesberufsschule Der Höhepunkt des Besuches war das große Zusammentreffen der Gäste und aller Kreisräte im Internat der Landesberufsschu­ le. Im festlichen Rahmen und bei einem von der Landesberufsschule und dem Internat prachtvoll vorbereiteten Buffet kamen sich ungarische Komitatsmitglieder und hiesige Kreisräte näher. Trotz etwas holpriger Ver­ ständigung funktionierte die Kommuni­ kation gut. An jeden Tisch plazierte man vorsorglich mindestens einen deutschspre­ chenden ungarischen Gast, der bei Bedarf seine Dolmetscherdienste anbot. Zur Um­ rahmung des feierlichen, aber dennoch sehr ungezwungenen Abends spielten Daniel (Geige) und Florian (Violocello) Bachmann von der Jugendmu­ sikschule St. Georgen -Furtwan­ gen. Außerdem zeigte die Hüfin­ ger Volkstanzgruppe, daß tem­ peramentvolles Tanzen nicht nur in Ungarn, sondern auch in unseren Breiten bekannt und be­ liebt ist. Landrat Karl Heim un­ terstrich die guten Beziehungen und übergab den Gästen aus Un­ garn als Zeichen der großen Ver­ bundenheit eine Holzskulptur des Hammereisenbacher Bild­ hauers Wolfgang Kleiser (siehe auch Seite 242). Auch im vergangenen Jahr fan- Einen Abstecher machten die Gäste aus Ungarn bei ihrer Kreis­ nach Schonach, wo eine riesige Kuckucksuhr besichtigt wurde. 27

Aus d m Kreisgeschehen Künstlerehepaar Helga und Erich Villa aus Villingen als Vertreter für den Schwarzwald­ Baar-Kreis teil. Drei auf der Insel angefer­ tigte Kunstwerke wurden der Sammlung der Komitatsverwaltung überlassen. In der Zeit vom 29. Juni bis Mitte Sep­ tember 1998 besuchten 10 Schülerinnen so­ wie zwei Lehrer aus Ungarn die Landes­ berufsschule für das Hotel-und Gaststät­ tenwesen, um sich weiterzubilden. In den ersten beiden Wochen waren sie in den prak­ tischen Unterricht integriert. Anschließend wurden sie in Betrieben untergebracht, um sich mit der deutschen Sprache vertraut zu machen und die deutsche Arbeitsweise in Küche und Service kennenzulernen. An1 V. Internationalen Kindertreff „Euro­ pas Zukunft“, das vom 11. bis 20. Juli 1998 in Kecskemet stattfand, nahmen Kinder­ gruppen aus 26 Ländern teil. An dem Tref­ fen, dessen Programm Tanz-, Musik-, Lied-, Volksspiel und Zirkusstücke umfaßte, nah­ men 23 Schüler der Klasse 7a der Bicke­ berg chule Villingen und vier Schüler der Ju­ gendmusikschule St. Georgen-Furtwangen teil. Sie spielten verschiedene Musikstücke und führten teilweise Akrobatik vor. AufEinladung des Präsidenten der Haupt­ versammlung des Komitats, Dr. Laszl6 Ba­ logh, fuhr Landrat Karl Heim mit Mitglie­ dern der Kreistagsfraktion vom 16. bis 19. Juli nach Kecskemet. Die Gruppe besuchte auch das Europafest und die Gewerbeschu­ le (Gaspar-Andras-Stiftung). Cannen Pouharst Ein Wirken im Zeichen des Ausgleichs Alt-Landrat Dr. Josef Astfäller im 91. Lebensjahr verstorben Stets freundlich lächelnd und mit blitzen­ den Augen, die vom geerbten Bergbauern­ humor seiner Heimat zeugten, so sah man jenen Mann hin und wieder die letzten Jah­ re in der Öffentlichkeit, in dessen Händen mehr al zwanzig Jahre die Geschicke des Landkreises Villingen lagen. Die umfassen­ de und warmherzige Würdigung zu seinem 70.Geburtstag im Almanach 78 durch den Villinger Altbürgermeister und Kreisrat Se­ verin Kern behält bis heute ihre Gültigkeit. So sei nur noch einmal in aller Kürze an die wichtigsten Stationen seines Lebens erin­ nert.1907 in Südtirol als Sohn eines Volks­ schullehrers geboren, schloß Dr. Josef Ast­ fäller sein Jurastudium in Padua 1930 mit Promotion ab, bevor er eine Tätigkeit als Anwalt in Meran aufnahm. 1942 siedelte er mit seiner Frau Lui e Wenter nach Kon­ stanz, wo er eine Anstellung am Landrats­ amt gefunden hatte. Ab 1946 war er Regie- 28 Dr.Josef Asifäller rung rat und kommissarisd1er Landrat in Lahr und Konstanz, seit 1949 planmäßiger

Landrat in Villingen. Dieses Amt übte er bis zur Auflösung des Landkreises im Zuge der Kreisreform von 1972 aus. Im neugebildeten Landkreis Schwarzwald-Baar war er bis zur Wahl von Landrat Dr. Rainer Gutknecht im Jahr 1973 Amtsverweser. Der Beginn seiner Villinger Amtszeit war geprägt durch die Bewältigung der vielfälti­ gen schweren Aufgaben der Nachkriegszeit. Die Sicherung der Ernährungslage und der Umgang mit der französischen Besatzungs­ behörde erforderten viel Fingerspitzenge­ fühl und Umsicht. Aufbau und Unterhal­ tung der Häuser für das berufliche Schulwe­ sen waren Herausforderungen wie die Sorge um die Infrastruktur des Kreises. Besonders um die Integration der Heimatvertriebenen und die Förderung des Wohnungsbaus machte er sich verdient. Über viele Jahre war er Aufsichtsratsvorsitzender der regionalen Wohnungsbaugenossenschaft. Sein ganzes Wirken als Landrat stand unter dem Zei­ chen des Ausgleichs der Interessen. Das of­ fene Gespräch und die Vermeidung von Dr.Josef Astfüller Konfrontationen waren ihm stets ein Anlie­ gen. Für seine erfolgreiche Arbeit wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Der Verwaltungsfachmann und Politiker war aber ebenso ein Mann der Kunst. Er spielte selbst Gitarre und Q!ierflöte, sein großes Interesse am Theater führte zur Mit­ wirkung im Vorstand der Theatergemeinde. Besonders trat er auch als Maler seiner Süd­ tiroler Heimat hervor. Seine Ferien nutzte er stets, um seiner Heimatstadt Meran, den Dörfern und der Gebirgslandschaft Südti­ rols ein Denkmal in Öl oder Aquarell zu set­ zen. Zahlreiche Aquarelle im Kreishaus am Hoptbühl, die meisten von ihnen im Dr.­ Josef-Astfäller-Sitzungssaal zu bewundern, zeugen von einer intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit der Lebenswelt sei­ ner frühesten Jahre. Am 28. Oktober 1997 verstarb Dr. Josef Astfäller im 91. Lebensjahr. Dr. Helmut Rothenne! Alt-Landrat Dr. Josef Astfäller war auch ein Mann der Kunst, bevorzugtes Motiv war Südtirol. 29

2. Kapitel/ Almanach 99 Schwarzwald und Baar – Portrait eines Landkreises (2) Die Doppelstadt – Ein Zentrum mit Flair Unterwegs in der Region Villingen-Schwenningen Aus A11laß des 25jährigen Bestehens des Schwarzwald-Baar-Kreises begann im Ahna­ nach 1998 eine literarische Wanderung durch Schwarzwald und Baar, sie ist mit ,Portrait eines Landkreises“ überschrieben. Die Doppel­ stadt Vdlingen-Schwenningen, das Oberzen­ trum steht im zweiten Teil im Blickpunk!. Wer in Schwenningen über den Muslen­ platz schlendert oder in Villingen am Riet­ tor in die Fußgängerzone eintaucht, der tut sich schwer mit dem Gedanken, daß er sich in einer gemeinsamen Stadt bewegt, zu verschieden gewachsen ist das Bild der bei­ den Städte. Und so unterschiedlich wie das städtebauliche Gesicht der Zentren sind die Charaktere der Menschen – zumindest bei denen, die sich mit Stolz als badische Villin­ ger oder württembergische Schwenninger zu erkennen geben, die sich zu den Alteinge­ stammten zählen und eben nicht wie die jüngere Generation in einer gemeinsamen Stadt bereits aufgewachsen sind. Die gemeinsame Stadt, bei der Bürgeran­ hörung am 28. März 1971 mit deutlicher Mehrheit von den Villingern und Schwen­ ningern beschlossen, kann auf vieles ver­ weisen, was sie im Vergleich zu Städten ähn­ licher Größenordnung positiv heraushebt: Man ist Standort einer „sauberen“ Industrie, die sich gut in die Landschaft einfügt, und die dafür Sorge trägt, daß das Oberzentrum über die vergleichsweise sauberste Luft ver- Graf Berthold, eine Sandsteinfigur erinnert in Villingen an die bedeutungsvolle Zeil der Zähringer. 30

Villingen-Schwenningen Wo einst die Bärenbrauerei zu finden war, steht in VS-Schwenningen heute ein Wohnpark. fugt. Und doch: Wer seinen Pkw auf dem Parkplatz beim Villinger „Theater am Ring“ abstellt, der hat es sich neuerdings schon an­ gewöhnt, den Gang in die Innenstadt mit einem Blick auf jene Info-Tafel zu beginnen, die dort aktuell über die Luftreinheit infor­ miert: Und dort zeigt sich an heißen Som­ mertagen, daß die globale Ozonproblema­ tik auch das Oberzentrum nicht verschont. Villingen hat Flair und verdankt diese At­ mosphäre ganz wesentlich seiner überall be­ wunderten Altstadt. Villingen gilt als eine der schönsten Zähringerstädte im Südwe­ sten unseres Landes und bietet geschichtli­ che Schönheit und Kunst in Hülle und Fülle. Touristen stehen so gut wie täglich staunend vor den von Klaus Ringwald ge­ schaffenen Portalen des Münsters, jenen Werken, die bundesweit von sich reden machten, weil sie von außergewöhnlicher künstlerischer �alität sind und die Dar­ stellungen zugleich Tagesaktualität nicht aussparen. Und zu den in Villingen wohl am meisten fotografierten Objekten zählt auch ein anderes Kunstwerk des Schonacher Bild­ hauers: der Ringwald-Brunnen. Wer sich eingehender mit Villinger Ge­ schichte befassen will, der kann es machen wie die zahlreichen Touristen: teilnehmen an einer Stadtführung und bestaunen wie die Zähringer Bauherren eine Stadtkultur für die Zukunft zu gestalten wußten. Daß man immer wieder vor Gebäuden steht, die historisches Flair verbreiten, macht den Reiz Villingens aus. Im Museum „Altes Rathaus“ begegnet man den schönsten Arbeiten ein­ heimischer Künstler und Werkstätten, im Franziskaner-Museum ist die bedeutendste 31

Portrait eioes Laodkreises ,,S‘ isch Fasnet in der Stadt‘: die Villinger Narrogruppe beim Zug durch die historische Altstadt. volkskundliche Sammlung Südwestdeutsch­ lands ausgestellt. Nach einer Besichtigung des Museums im ehemaligen Franziskanerkloster kann man sich vom nahegelegenen Magdalenenberg aus den Geist der Kelten um die Nase wehen lassen und die herrliche Landschaft ge­ nießen. Etwas profaner geht es augenblick­ lich am Niederen-Tor-Platz zu: Hier entsteht mit der gerade im Bau befindlichen neuen Stadthalle ein weiterer kultureller Mittel­ punkt der Doppelstadt. In Villingen herrscht Leben: Die große Fußgängerzone ist Treffpunkt für jung und alt. In den vier großen Straßen, die das „Zähringerkreuz“ symbolisieren, reihen sich die Geschäfte wie Orgelpfeifen aneinander. Die Vielfalt der Einkaufsmöglichkeiten, ge­ rade auch in Schwenningen, hängt nicht un­ wesentlich mit der Kaufkraft des 81 000 Ein­ wohner zählenden Doppelstadt zusammen: sie liegt über dem Bundesdurchschnitt. Besucher können sich übrigens nicht nur an der guten Gastronomie erfreuen, son- 32 dem auch ein breites kulturelles Angebot wahrnehmen, vom Jazzfestival „VS-swingt“, dem Besuch in einem der traditionsreich­ sten Jazz-Clubs in Deutschland, über klassi­ sche Konzerte und Theateraufführungen (Theater am Ring und Theater am Turm), bis hin zum Folk-Club. Und wenn es um Ereignisse geht, darf vor allem eines nicht ausgespart sein: die Fasnet. Villingen gehört zu den traditionsreichen Narrenhochburgen im deutschen Südwe­ sten und ist auch Geburtsort der Vereini­ gung Schwäbisch-Alemannischer-Narren­ zünfte. Wenn Fasnet ist in der Stadt, dann erlebt nicht nur der Villinger besondere Fei­ ertage, dann strömt auch das Umland her­ bei, um Narro, Stachi, Surhebel, Morbili, Butzesel oder Wuescht zu erleben. Villingen ist die Metropole im Landkreis, viel beachtet überall -und das nicht nur zur fünften Jahreszeit. Der Gast wird zudem er­ fahren, daß in dem „Beamtenstädtle“ Na­ men wie „Saba“ und „Mannesmann -Kienz­ le“, einst in der ganzen Welt bekannt, leider

Portrait eines Landkreises Blick auf Schwenningen und die Fußgängerzone. Die Schwenninger Innenstadt mit ihren zahlreichen Ein­ kaefsmöglichkeiten ist das Ziel vieler Bürger im Landkreis. 34

Villingen-Schwenningen Der Muslenplatz mit seinen Cafes ist auch abends ein viel besuchter Treffpunkt mit Atmosphäre. nur noch Geschichte sind, denn ähnlich wie in Schwenningen schlug die wirtschaftliche Entwicklung auch hier herbe Wunden. Und man wird vielerorts in Villingen darauf hin­ gewiesen, daß man 1999 sein 1 OOOjähriges Marktrecht feiert (siehe Seite 166). Da Villingen seit 1937 staatlich anerkann­ ter Kneippkurort ist, hat auch die Umge­ bung einiges zu bieten, die sich auf beson­ dere Weise mit dem Fahrrad erleben läßt. Rad- und Wanderwege führen nicht nur an Villingen und Schwenningen vorüber, son­ dern sogar mitten durch, genau wie die ,,Deutsche Uhrenstraße“ mit ihrem Mittel­ und Ausgangspunkt im Stadtbezirk Schwen­ ningen. Und wer die Doppelstadt mit der gesamten Familie erleben will, der findet im Familienfreizeitpark viel Unterhaltung und Abwechslung. Schwenningen – Die Uhrenstadt Der Stadtbezirk Schwenningen hat sich von der einstmals größten Uhrenstadt der Welt zu einem Gemeinwesen entwickelt, das viele Überraschungen bietet. Am meisten verblüfft, daß die alten Fabriken, die früher das Stadtzentrum dominierten, bis auf we­ nige Ausnahmen von der Bildfläche ver­ schwunden sind. Die Krise der deutschen Uhrenindustrie hat Schwenningen schwer getroffen. Welch bedeutende Rolle Schwen­ ningen in der Uhrenindustrie einst spielte, ist nahezu Geschichte. Geschichte, die sich anschauen läßt, im Uhrenindustriemuseum nämlich. Es befindet sich in der Bürkstraße, in der einstigen „Württembergischen Uh­ renfabrik“. Gelungen ist den Stadtplanern die Gestal­ tung des neuen Innenstadtbereichs „Mus­ len“. Im oberen Teil kann man unter Bäu­ men Eis, Espresso oder Pizza genießen, ein wenig in fast südländische Atmosphäre ein­ tauchen. Auf den Fundamenten der ehe­ maligen Uhrenfabrik Mauthe wurde ein ori­ ginelles Einkaufszentrum mit einer Fülle von Geschäften erbaut. Der Muslenplatz ist auch zweimal die Woche der Schwenninger 35

Portrait eines Landkreises Marktplatz: Manche der einheimischen und aus­ wärtigen Händler sind dort schon seit Jahrzehn­ ten vertreten. Das Ambi­ ente wird geprägt von hi­ storischen Bauten wie dem Heimatmuseum und dem Pfarrhaus, aber auch die moderne Stadtbibliothek bildet einen Blickfang. Die Anziehungskraft des Treff­ punkts „Muslen“ strahlt auf die gesamte Region aus. Ein Blickpunkt im Bahnhofsbereich ist der Neubau der Staatlichen Im Eisstadion kann man beim SERC Eishockey-Bundesligaatmosphäre Berufsakademie auf dem erleben und auch selbst die Schlittschuhe anschnallen. ehemaligen Kienzle-Ge- lände, ebenso sehenswert ist die neue Poli­ zeifachhochschule am Ortsrand in Richtung Stadtbezirk Villingen mit ihrer eigenwilli­ gen Architektur. Und Schwenningen ist auch eine Hochschulstadt, denn dort befin­ det sich zudem eine Außenstelle der Fach­ hochschule Furtwangen. indes eher „Action“ auf dem Eis liebt, soll­ te im Eisstadion dabei sein, wenn der SERC Schwenningen Saison hat, der in der Bun­ desliga spielt und eine Fangemeinde im Rücken weiß, die weit über den Schwarz­ wald-Baar-Kreis hinausreicht. Und last not least: Wer sich für Luftfahrttechnik interes­ siert, ist im Museum beim Flugplatz am richtigen Ort. Schwenningen ist vielfältig, ein Besuch lohnt sich. Von besonderer Bedeutung ist die Süd­ westmesse, die 1998 zum 39. Mal stattfand und Schwenningen und sein Messegelände landesweit in den Blickpunkt rückt. Die Ausstellung für Industrie, Handwerk und Unterkimach – Luftkurort mit Prädikat Landwirtschaft mit Fertighaus-Ausstellung und Baufachschau zählt rund 150 000 Besu­ cher, 650 Aussteller wirken mit. Inmitten der Stadt liegt der Mauthepark, eine wunderbare grüne Oase für Freunde der Natur mit dem mächtigen Vogtshaus in der Mitte. In der Nähe dann das Heimatmu­ seum, ein „Muß“ für alle, die sich für die Geschichte der Stadt interessieren, ebenso das Bauernmuseum in Mühlhausen. Und es findet sich in Schwenningen die Städtische Galerie, die ein bemerkenswertes Angebot an aktueller Kunst bietet. Wer es ruhig will, kann das Naturschutz­ gebiet „Schwenninger Moos“ besuchen, wo sich die �elle des Neckars befindet. Wer 36 Die am Villinger Stadtwald entlangfüh­ rende Landstraße und die Waldwege nach Unterkirnach entsprechen genau den land­ läufigen Vorstellungen von Grün in jeder Variation. Grüner gehts nicht, und „schwär­ zer“ auch nicht, hier macht der „Black Fo­ rest“ seinem Namen alle Ehre. Unterkimach ist, um es auf einen Nenner zu bringen, als Ferien- und Wanderdorf ein Luftkurort „mit Prädikat“, versehen mit einer freizeitorien­ tierten Infrastruktur, um die man ihn weit und breit beneidet. Im Jahr werden so an die 135 000 bis 140 000 Übernachtungen gezählt und im Sommer hört man vorwiegend rheinische,

pfälzische, hessische und bayrische Dialekte erklingen. Aber ab und zu begegnet man auch einem der 3 000 Einheimischen, die eher im Stillen wirken. Zwischen 800 und 1 000 Meter -so hoch liegt die Gemeinde – gibt es da viele Möglichkeiten. Eine ist es, als Gastronom für gutes Essen und guten Schlaf zu sorgen. Seit dem Bau der Umgehungs­ straße läßt es sich ruhig schlafen, und mit dem kulinarischen Angebot kann man gleichfalls vollauf zufrieden sein, die Ga­ stronomie ist breit gefächert. Überhaupt ist Unterkirnach ein richtiges Schlemmerdorf Hier gibt es zünftiges Schwarzwaldvesper mit geräuchertem Speck von einem der um­ liegenden Bauernhöfe, nach dem man sich die Finger schlecken kann. Auch köstliche Forellen aus einem der nahen Zuchtbetrie­ be oder aus Wildwasser lassen das Wasser im Munde zusammenlaufen. Merke: Die Liebe zum Feriendorf Unterkirnach geht auch durch den Magen. In dieser Umgebung sind natürlich auch Tradition und Brauchtum lebendig geblie- Unterkirnach ben. Ob Musikverein, Akkordeon-Spielring oder Kieschtokzunfi: -bei Heimatabenden, Platzkonzerten oder Sommerfesten und be­ sonders beim Dorffest im September geht ,,die Post ab“. Als Feriendorf mit Tradition weiß man, was Urlauber mögen. Vor allem: Was Fami­ lien mit Kindern mögen. Zum Beispiel das Gartenhallenbad, das bei jedem Wetter Ba­ despaß für jung und alt im 29 Grad warmen Wasser garantiert. Und wer Schafe, Ziegen, Esel und Federvieh aus nächster Nähe erle­ ben will, für den ist ein Besuch im „Strei­ chelzoo“ angesagt. Wilde Tiere sind im Un­ terkirnacher Freizeitangebot zwar nicht ent­ halten, dafür kann man wilde Pflanzen im Park am Talsee bestaunen. Die dort er­ richtete Miniaturlandschaft zieht jährlich tausende von Besuchern an (siehe auch Ka­ pitel Erholung und Freizeit). Besonders sehenswert auch das Fleckchen Oberkirnach, das eigentlich ein Stadtteil von St. Georgen ist. Aber was für einer! We­ nige Kilometer von Unterkirnach entfernt Unterkirnach hat seinen Ortskern vorbildlich saniert, der Durchgangsverkehr fährt am Ort vorbei. 37

Portrait eines Landkreise und von dort per Fuß oder Bus gut zu errei­ chen, liegt das Örtchen in einer schönen Tallandschaft, geschmückt mit malerischen Bauernhäusern. Die Gäste genießen hier die Abgeschiedenheit bei einem Urlaub auf dem Bauernhof mitten im Schwarzwald. Spittelhof, Kerner-oder Pommelehof, Hag­ zinkenweg oder Kesselbergweg -diese Na­ men gehören zum Urlaubsparadies in und um Unterkirnach. Im letzen Jahrhundert waren die Riethei­ mer dem Villinger Klerus wegen der zusätz­ lichen Arbeit vor den Stadttoren ein Dorn im Auge, aber heute sind sie willkommene Mitbürger. Zufriedene zumal, da seit der Eingemeindung nach Villingen-Schwennin­ gen am l. März 1972 fast alle mit dem Zu- Victor von Scheffel und die Rietheimer Die Kirche von Rietheirn, bei der auch der Friedhef zu.finden ist. 38 sammengehen verbundenen Versprechun­ gen erfüllt worden sind. Und mitten im Ort, wo friedlich die Kühe grasen und wo die Straße „Im Höchsten“ am höchsten ist, kann man heute den Oberbürgermeister der Kreisstadt zum Fenster hinausschauen se­ hen. In der rund 1000 Einwohner zählenden Gemeinde findet man noch eine ganze Menge Zeugnisse aus deren 900jähriger Ver­ gangenheit; man steht staunend vor dem Rathaus, das 1930 sein Richtfest erlebte, aber nie offiziell eingeweiht wurde. Dabei gehörte es mit Wannen-und Brausebad, Saatreinigung, Mosterei, Bürgersaal, Arrest­ und Amtsstuben ausgestattet, zu den fort­ schrittlichsten Einrichtungen seiner Art im Brigachtal. Hier trifft man, ganz bürgernah, während seiner Sprechstunden Ernst Nei­ ninger, den Landwirt mit einem Prachtshof und dazu Ortsvorsteher, der ansonsten kei­ nen besonderen Wert darauflegt, bei der Ar­ beit auf dem Feld gestört zu werden. Rietheirn am Rande des Brigachtals ist kein Erholungsort, mehr eine bäuerlich geprägte Gemeinde, die mit Villingen schon seit 1326 eine Gemeinsamkeit hat: Von der Herr­ schaft Fürstenberg wurde sie damals Vor­ derösterreich zugeordnet. Doch das ist Ge­ schichte, ebenso wie der Bauernkrieg von 1525, in dem die Rietheimer recht aufmüp­ fig waren und der Anführer der „Brigach­ taler Erhebung“ aus dem Ort kam. Als ein paar hundert Jahre später die Gemeindere­ form kam, fügte man sich dem Schicksal und wurde „Stadtbezirk“. In der „aufstrebenden Gemeinde“ stößt man überall auf schöne Häuser, fahrt mit dem Rad durch idyllische Straßen, freut sich über den Gemeindepark -ein „Biotop“ mit mindestens einem Dutzend Goldfischen – und lernt so nette Etterbezeichnungen ken­ nen wie Entenstraße, Gluckwiese, Pflau­ menrain oder Nunnenwiesen. Vom Brig­ äcker hat man einen sehr schönen Blick nach Marbach und auf die Brigachta1-Auen, oben „Im Höchsten“ schweift der Blick über

Rietheim Das Rathaus von Rietheim beherbergte einst auch ein Wannen- und Brausebad. Felder und Weiden zum Magdalenenberg. Der Landschaftsgenuß wird eingeschränkt durch den Lärm von Baumaschinen und das Dröhnen der Motoren schwerer Lastwagen. Die Gemeinde vor den Toren Villingens ist ein begehrter Wohnort, an dem die Neu­ bauten wie Pilze aus der Erde schießen. Und Gedanken schießen dem Beobachter durch den Kopf: Feiert die Wirtschaftswunderzeit in Rietheim fröhliche Urständ? Für den Wirt vom traditionsreichen Landgasthof ,,Löwen“ jedenfalls war der Bauboom An­ laß, sein Lokal um eine Wirtschaft für junge Leute zu vergrößern. Wo einst die Scheuer stand, wird bald ein „Bistro“ eröffnet und es gibt Pläne, im ehemaligen Backhaus der Ge­ meinde hinter dem „Löwen“ wieder Brot zu backen. Ob die jungen Leute dann auch einmal ei­ nen Abstecher in die historische „Scheffel­ stube“ im alten Teil des Restaurants wagen? 1881 war der Heimatdichter Victor von Scheffel nicht nur Gast im „Löwen“, son- dem dichtete dort aus dem Stegreif. Und das liest sich so: Rietheim im „Löwen ‚: 21.juni 18 81, am längsten Tag Gott geb allen Menschen ein Streben nach Wahrheit. Dann bleibt auch dem Weine die Echtheit und Klarheit. Gott sende des Sonnenlichts sonnigsten Strahl den Reben im Glottertal. So sprachen im Löwen zu Rietheim die Gäste. Sie probten vom Alten Rest noch das Beste. So schmeichelnd der Alte auch ihnen macht frommen, notwendig wird’s – ein Neuer muß kommen. Im Namen der Anwesenden J Victor von Scheffel Dazu sollte man wissen, daß der damalige Wirt ein Original war und sein „Glotter­ täler“ und „Suggentäler“ viel Zuspruch bei 39

Poruait ein Landkreise Pfalfenweiler ist a1efgrund seiner Nähe zum Oberzentrum ein beliebtes Neubaugebiet im Landkreis. den Herren aus Villingen fand. Scheffel war damals Bibliothekar in Donaueschingen. Verbindungen zwischen Rietheim und Do­ naueschingen gibt es übrigens auch heute noch und wer mit dem Rad von Villingen in die Stadt mit dem berühmten Bier fährt, der kommt direkt am „Löwen“ vorbei. Aber auch im „Grünen Baum“ findet der hungri­ ge und durstige Radler alles, was sein Herz bzw. Magen begehrt. Pfaffenweiler – aber bitte ohne Gutedel Wer in Pfaffenweiler eine Winzergenos­ senschaft sucht und den Gutedel schon auf der Zunge schmeckt, der ist auf dem Holzweg: Der Namensvetter ist vom SchwarzwaJd-Baar-Kreis aus nur über Frei­ burg im Breisgau zu erreichen. Der Stadtbe­ zirk PfaffenweiJer der Doppelstadt zählt eher zu den stilleren Gemeinwesen im Ländle, rund 2000 Einwohner brachte man bei der Gemeindereform 1972 in die Ehe 40 mit Villingen-Schwenningen ein. Überra­ schend: Pfaffenweiler hat vor 1805 schon einmal zu Villingen gehört, wie dies zustan­ de kam, weiß in der Amtsstube von Orts­ vorsteher Roland Kayßer aber niemand zu sagen. Erstmals erwähnt wurde der Ort im Jahr 1200, gebildet wird er aus den Weilern Pfaffenweiler, Häringshöfe und Spitalhöfe. Obwohl sonst ein recht beschauliches Plätzchen, steht er manchmal, wie beim Volkswandertag 1997, unversehens im Mit­ telpunkt. Wanderer kommen sonst selten hierher, eher Radfahrer und (motorisierte?) Sonntagsausflügler, die ein Vesper oder ei­ nen guten Braten im „Rößle“ und in der „Waldrose“ zu schätzen wissen. Mit dem Es­ sen gibts also keine Probleme; die könnten eher auftreten, wenn der Gast die unge­ wohnte Höhenluft nicht verträgt, schließ­ lich liegt Pfaffenweiler beim Almendwald 880,2 Meter über dem Meeresspiegel! In der Mitte des Dorfes ist die Luft nicht ganz so dünn, dafür voll köstlicher Düfte von blüh-

enden Bäumen, Büschen und Blumen. In der Mittagszeit hier zu verweilen, das heißt auch einzutauchen in eine wohltuende Stil­ le, die Gelegenheit zum Schauen gibt. Die Dreifaltigkeitskirche grüßt herüber, die Fas­ sade des Pfarrhofs macht neugierig, und wer glaubt, daß „Tante Emma“ auch auf dem Dorf schon längst der Vergangenheit an­ gehört wird eines besseren belehrt: In „Pfaf­ fewiler“ gibts noch ein ordentliches Lebens­ mittelgeschäft mit Bäcker und sogar einen Metzger. Und es gibt, für den ganzen Landkreis ei­ ne tolle Sache, eine Naherholungszentrum in Richtung Herzogenweiler, das bei jedem Wetter von jung und alt eifrig genutzt wird. Der Gesundheitsbewußte kann außerdem am Waldesrand auf Kneippschen Spuren wandeln. Und weil wir gerade bei Freizeit­ vergnügungen sind: Pfaffenweiler hat ein re- PfalTenweiler ges Vereinsleben, Gesang-und Musik, Fuß­ ball und Tennis werden geboten. Es lohnt sich übrigens auch, in der fünften Jahreszeit den Narren seine Aufwartung zu machen, die „Wolfbach-Rollis“ sind weit und breit bekannt. Noch bekannter sind die Rasenmäher, Kehrmaschinen und Kommunalgeräte aus der Werkstatt „Trenkle“ und von „Kramer­ Tremo“. Beide Betriebe prägen zusammen mit einer Kunststoffteilefabrik und einem Raumgestaltungsunternehmen das industri­ elle Pfaffenweiler an der Umgehungsstraße nach Donaueschingen und Freiburg, wo der kleine Ort sich zur großen weiten Welt hin öffnet. Gerd Steinbach/Wi!fried Dold Wohnen mit Blick auf die endlosen Wälder … Unterwegs in Brigachtal, Tannheim und Hubertshofen Am östlichen Stadtrand von Villingen erhebt sich die Schichtstufe des oberen Muschelkalks, betont durch die Reihenhäu­ ser des Stadtteils „Wanne“ und das ringför­ mige Hochhaus des Rundlings am Kops­ bühl. Folgt man dem Höhenzug nach Sü­ den, hinweg über die vier Riesen-Zelte des Terra-Wohnparks in Marbach und einige un­ geschlachte Wohn-Kuben am nördlichen Ortseingang von Kirchdorf, so bildet er in Brigachtal den lang hingestreckten Hang, an dem sich von den alten Ortskernen Kirch­ dorfs und Klengens die zahllosen modernen Einfamilienhäuser hinaufziehen, sich in der Nachmittagssonne wärmen wie Eidechsen, Blick auf die endlosen, sanft ansteigenden Wälder des Schwarzwald-Ostrands jenseits des weiten Tals. Etwa fünftausend Men­ schen leben hier, die meisten pendeln zur Arbeit ins nahe Vtllingen, freuen sich am Feierabend in schmucken Gärten an Sonne und Wohlstand; sie sind Teil geworden einer großen Wohngemeinde, deren Ursprünge doch weit zurückreichen in die Geschichte: Der Fund einer römischen Münze, Gräber aus der Zeit der alemannischen und fränki­ schen Landnahme bezeugen, daß seit min­ destens zweitausend Jahren Menschen die­ sen von der Natur bevorzugten Ort bewoh­ nen. An der St. Martinskapelle in Kirchdorf lassen sich sieben Bauphasen nachweisen, angefangen mit einer fränkischen Kapelle aus dem 8. Jahrhundert; seit der 1991 abge­ schlossenen Restaurierung erkennt man im Innern wieder Fresken aus Romanik und Re­ naissance, und die Steine erzählen: Erweite­ rungen wurden notwendig, denn zur Ge­ meinde gehörten auch weiter entfernte Or­ te wie Marbach, Herzogenweiler, Tannheim und Grüningen. 41

Portrait ein Landkrei es Sehenswert ist die Kirche von Kirchdorf Sehr alt ist der Treppengiebel des Gasthaus „Löwen“ (unten). 42 Schätze im Innern: eine äußerst fein gear­ beitete Pieta aus der Werkstatt der Bildhau­ er-Familie Schupp im 18. Jahrhundert, wei­ tere Kunstwerke und kirchliche Aufzeich­ nungen, die teilweise zurückgehen bis ins 13.Jahrhundert. Südlich neben der Kirche der Turm; sein Treppengiebel zählt zwar nur wenig mehr als hundert Jahre, bildet aber doch einen markanten Schwerpunkt des Ortsbilds. Sehr alt auch die Treppengiebel des Gasthauses „Zum Löwen“; wahrschein­ lich steht das Gebäude auf Resten des ein­ sti.�en St. Gallener Fronhofes. Uber die Geschichte Brigachtals zu schrei­ ben ist unmöglich, ohne den Heimatfor­ scher Friedrich Itta zu erwähnen. In liebe­ voller Arbeit hat der Rentner viele Jahre lang eine Fülle von Wissen zusammengetragen, über die St. Martinskirche und ihre vielen Besonderheiten, die alten Häuser des Orts und ihre Bewohner, die zahlreichen Feld­ kreuze in der Gemarkung; seine Sammlun­ gen alter Fotographien halten die Vergan­ genheit lebendig. Mit viel Geduld hat er die teilweise schwer lesbaren mittelalterlichen Handschriften aufbereitet für Studien künf­ tiger Historiker. Mit seiner Arbeit trug er da­ zu bei, die St. Martinskirche zu erhalten – noch 1982 war sie in einer Ortsbeschreibung als „nichts Besonderes“ eingestuft und zum weitgehenden Abriß vorgesehen. Für die in den letzten Jahrzehnten stark an­ gewachsene Gemeinde wurde die alte Kirche zu klein; bei dem um 1988 geschaffenen modernen Gemeindezentrum am Rand der Talaue entstand eine neue. Die Gebäude gruppieren sich um einen Platz, der sich für Veranstaltungen im Freien eignet. Auf dem Höhenzug die Schulen von Kirchdorf und Klengen, Sportanlagen und ein Steinbruch, wo überwiegend Schotter gewonnen wird. Wer von dort zwischen den Ackerflächen ostwärts wandert, genießt einen weiten Rundblick über den Rand der Schwäbischen Alb, den Schwarzwald und, an klaren Tagen, in der Feme die Alpen. Hier verlief die Rö­ merstraße, die Hüfingen und Rottweil ver-

Brigachtal Bauernhaus mit Garten in Überauchen. band. Noch östlich von ihr, in der feuchten Senke des Gipskeupers, wurde im 19. Jahr­ hundert die „Arbeiterkolonie Ankenbuck“ angelegt, wo arbeitsfähige, nicht-seßhafte Männer untergebracht wurden, um resozia­ lisiert zu werden; ein Haupthaus mit ho­ hem, ausgebautem Walmdach und Dachrei­ ter sowie Nebengebäude um einen geräu­ migen Hof springen als auffälliger Akzent in diesem leeren Landstrich ins Auge. 1933/34 diente der Ankenbuck als Konzentrationsla­ ger, z. T. für politische Gefangene. Ende April 1945 kam es im Raum Klen­ gen-Aasen zu Kämpfen zwischen Deut­ schen und Franzosen, dabei befand sich im Ankenbuck ein Feldlazarett. Später waren die Gebäude Eigentum des Landkreises und Bundes, einige Jahre dienten sie der Bun­ deswehr. Heute nutzen private Besitzer das Hofgut für Ackerbau und Schweinemast. Zurück über die Höhen ins Brigachtal: ab­ seits, wo das Flüßchen zwischen Altwasser­ armen und feuchten Wiesen durchs Natur- schutzgebiet zieht, die wenigen uralten Häuser von Beckhofen – bis hoch hinauf Giebel aus Bruchstein, riesige Dächer, eine kleine, 199 5 renovierte Kapelle, deren Ge­ schichte bis 1667 zurückverfolgt werden kann, und in der sich ein schöner, aus Klen­ gen stammender Barock-Altar befindet. Der Ort wurde schon 745 in einer St. Gal­ lener Urkunde erwähnt. Klengen, mit Kirch­ dorf jahrhundertelang verbunden und doch getrennt, besaß schon 1388 eine eigene St.­ Blasius-Kapelle. Bei zwei großen Dorfbrän­ den 1843 und 1893 fiel sie den Flammen zum Opfer; 1897 wurde sie durch einen neugotischen kleinen Bau im Stil jener Zeit ersetzt, ein Dachreiter schmückte ihn. Seit der Renovierung 1988-91, die größtenteils mit Spenden und freiwilligen Leistungen durchgeführt wurde, erstrahlt die Kapelle wieder in neuem Glanz. In Überauchen, westlich der Brigach, drän­ gen sich wenige alte Höfe und einige neue­ re Häuser im engen Tal des Bondelbachs; 43

Portrait eines Landkreise• früher verursachte der gelegentlich heftige Überschwemmungen, jetzt ist er seit langem verdohlt. Mittelpunkt sind die traditionsrei­ chen Wirtshäuser „Zum Kranz“ und „Zum Hirschen“. Im Eggwald fand man Gräber aus keltischer und aus merowingischer Zeit. Tannheim, erstmalig erwähnt im Jahr 817, liegt auf dem oberen Buntsandstein. Es leb­ te in früheren Jahrhunderten weitgehend von der Nutzung seines großen Gemeinde­ walds und der Landwirtschaft, die aber we­ gen der Vernässung großer Flächen lange nur karge Erträge lieferte; das besserte sich erst nach 1968, als der Wasser-und Boden­ verband großzügige Entwässerungen durch­ führte. Wer vom Ortskern etwa eine Viertel­ stunde nach Südwesten wandert, findet am Waldrand ein einsames Forsthaus. Man sieht ihm noch an, daß es einmal als Scheu­ ne diente; es ist das letzte Überbleibsel eines Paulinerklosters, das von 1353 bis 1898 nicht weit davon stand, eine Bronzetafel an einer kleinen Kapelle erinnert daran. Weit reicht der Blick von dort nach Südosten über das Schichtstufenland. Nur mit Mühe erkennt man im Gelände am Verlauf einiger Wassergräben und gebüschüberwachsener Steine, wo sich das Kloster befand. Nach sei­ ner Säkularisierung 1802 noch von privaten Pächtern bewirtschaftet, brannte es 1896 aus; mit den Steinen des Abbruchs wurde die neugotische Kirche in Tannheim errich­ tet. Wo nachts tote Ritter umgehen Vielleicht trug die abseitige Lage am Wald dazu bei, die Bewohner Tannheims für Spukgeschichten empfänglich zu machen. Eine Sage erzählt, unweit des Wegs zur Burg Zindelstein töne der Boden hohl, vielleicht gab es einst einen unterirdischen Gang von der Burg zum Kloster. Nachts sollen dort Ritter mit Totenschädeln umgehen und Wanderer veranlassen, sich zu verirren. Abseits am Wald, in rund 800 Metern .‘ : � :· � ··�: ,., (,: !::-1, �-? — Einladend: die Fassade des „ Gasthaus zur Goldenen Sonne“ in Tannheim. 44

Tannheim 45 Die Burgruine Zindelstein ist ein oft besud,ter Aus­ flugsort und auch für das aus Funk und Fernsehen bekannte Zindelsteiner-Neininger-Quintett mit Sängerin Monja die ideale Fotokulisse (oben}. Meereshöhe und mit herrlicher Fernsicht, findet sich die 1997 eingeweihte Rehabilita­ tionsklinik für Krebs-, Herz-und Mukovis­ zidosekranke Kinder und Jugendliche (131 Betten). Folgt man dem Wolfbach abwärts, gelangt man, schon auf Gemarkung Wolterdingen, zum idyllisch gelegenen Oberen Weiher; im Feuchtgebiet der Röt-Tone ist der Wolfbach gestaut, alte Bäume säumen das Gewässer auf zwei Seiten. Still an den Ufern einige Angler. Im Naturschutzgebiet finden sich seltene Pflanzen und Tiere. Nähert man sich Wolterdingen von Nor­ den, sieht man schon von fern Gebäude und Schornstein der Ziegelei. Die schmucklosen Häuser des Orts entstanden großenteils erst

Portrait eines Landkreises In Hubertshofen dient seit 1958 ein ausgebauter Feuerlöschteich als Schwimmbad. nach dem Zweiten Weltkrieg; im Februar 1945 hatten Bomben Verwüstungen ange­ richtet, und 1923 hatte ein Großbrand viele alte Häuser zerstört. Sägewerke und etwas Kleinindustrie bieten den Bewohnern Ar­ beit, viele pendeln auch hinüber nach Donaueschingen, dem Wolterdingen seit 1972 als Teilort angehört. Die Straße nach Bräunlingen überquert zwischen Mauern auf einer engen Brücke die Breg. Eine halbe Stunde aufwärts im engen, be­ waldeten Tal der Breg liegt die Ruine Zin­ delstein; im Mittelalter beherrschte sie die­ sen Übergang über den Schwarzwald. 1225 wird sie in einer Urkunde erstmals erwähnt. Eine Sage berichtet, ein Burgherr habe von einem Kreuzzug ins Heilige Land einen großen Karfunkelstein mitgebracht und ihn auf der höchsten Zinne der Burg eingemau­ ert; Sonnenstrahlen, die sich in ihm bra­ chen, hätten geglänzt, als zündele ein Feuer auf dem Turm – daher der Name. Auch wenn die Geschichte wenig wahrscheinlich ist, klingt sie doch schön. Im Spätmittelalter 46 verlor die Burg ihre militärische Bedeutung. 1525 wurde sie von aufrührerischen Bauern zerstört. Heute zeugen ein Graben und ei­ nige Mauerreste mit gewaltigen Sandstein­ quadern von ihr, zwischen Fichtenstämmen blickt man hinunter auf die Straße im Tal. Die nahe Wiese am Waldrand lädt ein zum Verweilen. Südwestlich von Wolterdingen liegt das zu ihm gehörige Hubertshofen, eine Rodungs­ insel im Wald auf dem Buntsandstein, 818 Meter über dem Meer. Um 1680 zählte man dort fünf Höfe und zehn Tagelöhnerhäuser. Die Menschen lebten weitgehend vom Wald. Nach dem Zweiten Weltkrieg trafen Kahlhiebe für Reparationen die Gemeinde hart, doch wurden große Flächen in mühsa­ mer Arbeit wieder aufgeforstet. Seit 1958 dient ein ausgebauter Löschteich im Som­ mer als Freibad. Wolfgang Tribukaio

Städte und Gemeinden Mehr als 900 Jahre Neuhausen Eine Dorfgemeinschaft im Wandel der Zeiten – ,,Judenbühl“ stammt aus der Hallstattzeit 3. Kapitel I Almanach 99 Im „Jubiläumsjahr“ 1994 beging Neuhau­ sen, seit 1975 ein Ortsteil der Einheitsge­ meinde Königsfeld, wie mehrere andere Kreisgemeinden seine 900-Jahr-Feier. Geo­ logisch gehört das Dorfgebiet Neuhausen fast völlig zum Buntsandstein und dehnt sich über eine leicht nach Osten geneigte Hochfläche aus. Der Ortskern liegt um 730 Meter NN; vom höchsten Punkt der 877 Hektar großen Neuhauser Gemarkung (800 m im Roten Wald) bis zum niedrigsten (703 m) sind es knapp 100 Höhenmeter auf 5,5 km Entfernung. Bis in die jüngste Zeit war Neuhausen vor­ wiegend von der Landwirtschaft geprägt. Das „Lexikon über das Großherzogtum Ba­ den“ von 1814 vermerkt: ,,Die Bewohner nähren sich größtenteils durch den Feldbau und die Viehzucht.“ Damals hatte Neuhau­ sen 411 Einwohner. Im Jahre 1939, 125 Jah­ re später, zählte der Ort nicht sehr viel mehr, nämlich 473 Bewohner. Seitdem jedoch stieg die Bevölkerung auf 1046 Personen an (1. März 1996). Die Erwerbstätigen arbeiten vorwiegend in den nahen Industrie- und Verwaltungszentren wie Villingen-Schwen­ ningen und St. Georgen. Im Dorf selbst konnten sich infolge ungünstiger Verkehrs­ lage – weder Bahnanschluß noch Fern­ straßen, auch kein nennenswerter Wasser­ lauf – keine größeren Gewerbebetriebe an­ siedeln, trotz einiger Versuche schon im 19. Jahrhundert. Heute sind auch „Feldbau und Viehzucht“, früher die Lebensgrundlage der Bevölkerung, größtenteils aufgegeben. 1996 hatte Neuhausen noch rund ein Dutzend Blick vom Kird1turm auf Schul.e, Kindergarten und Tt1rnhall.e, im Hintergrund ist das 1994 erschlossene Neubaugebiet zu sehen. 47

tädte und Gtmeindco landwirtschaftlicher Betriebe. Das Bauern­ dorf hat sich zu einer attraktiven Wohnge­ meinde gewandelt und kann im Rahmen ansprechender ländlicher Umgebung durch­ aus Lebensqualität bieten. Den Mittelpunkt Neuhausens bildet die katholische Pfarrkirche St. Martin, eine Chorturmkirche; der Turm ist im unteren Teil noch spätgotisch, das Langhaus wurde – als eines der letzten Johanniterbauwerke – 1792 erstellt und 1907 verlängert. Stattliche Bauernhäuser mit Hocheinfahrt und Krüppelwalmdach sind Zeugnis für die jahrhundertelange bäuerliche Struktur Neu­ hausens. Die vielen modernisierten Wohn­ häuser aber sowie die Neubaugebiete be­ zeugen den „Häuslebauer-Fleiß“, nicht we­ niger jedoch auch die Heimatverbundenheit der Bevölkerung. Neuhausen war schon früh besiedelt Das früheste Zeugnis menschlicher Tätig­ keit im Neuhauser Gebiet ist der »Juden­ bühl“, ein südlich des Dorfes gelegener Hall­ statt-Grabhügel (1000-500 v. Chr.). Die Sip­ pe, die das Hügelgrab anlegte, könnte am Rand des Muschelkalkgebietes gelebt ha­ ben, in welchem die späteren alemanni­ schen „-ingen“-Siedlungen liegen. Als die zahlreicher werdenden Menschen auch in das Buntsandsteingebiet vordrangen, ent­ standen die „-hausen“-Orte. Neuhausen scheint von einem älteren -hausen aus ge­ gründet zu sein; die weit nach Westen rei­ chende Neuhauser Gemarkung sowie die nahe an der Gemarkungsgrenze im Harzer Wald (Obereschach) entdeckten Aleman­ nengräber (um 700 n. Chr.) lassen vermu­ ten, daß die ursprüngliche Ansiedlung im Gebiet von Ebenhausen lag, wo über dem Buntsandstein noch eine Muschelkalk­ scholle verblieben ist. Das mundartlich „Äbehuse“ genannte Gelände könnte die Ansiedlung eines Ortsgründers Äbo gewe­ sen sein. Was dann eine Neugründung des Dorfes, eben Neuhausens, nötig machte – 48 Die Kirche von Neuhausen, der Tumz ist im unte­ ren Teil noch spätgotisch. Brand, Kriegswirren oder die vielen Sumpf­ stellen im Rohrmoos und im Badloch -wird nicht geklärt werden können. Der neue Ort dürfte zwischen 800 und 1000 n. Chr. ent­ standen sein; einerseits ist noch ein „heid­ nischer Weiher“ bezeugt Getzt: Alter Wei­ her), andererseits deutet das Kirchenpatro­ nat St. Martin auf fränkischen Einfluß, und dieser endete in unserer Gegend um das Jahr 1000. Mit ziemlicher Sicherheit läßt sich al­ so sagen, daß Neuhausen über 1000 Jahre alt ist, auch wenn es erst vor 900 Jahren erst­ malig erwähnt wird. Zur Zeit dieser ersten Nennung wurde die Besiedlung wieder weiter nach Westen hin ausgedehnt. Im Jahre 1084 stifteten ober­ schwäbische Edelleute das Benediktiner-

kloster St. Georgen. Im Gründungsbericht von St. Georgen sind diese Schenkungen aufgelistet. Hier werden auch die Ritter Ben­ no und Gerunc von Aixheim genannt, die im April 1095 „Gott und dem heiligen Ge­ org“ einen Hof in (oder nahe bei) ,,villa Nu­ enhusen“ übertrugen. Damit ist Neuhausen zum erstenmal urkundlich bezeugt. Die nächsten Daten über Neuhausen er­ scheinen erst im 13. Jahrhundert. 1238 wird in „Nova domus iuxta Villingen“ ein Frau­ enkloster genannt; 1290 lebte der Neuhau­ ser Konvent nach der Regel der Klarissin­ nen. Feuersbrünste aber und „schwere krügs leuf und unsicherhaiten“ nötigten 1305 die frommen Frauen, in Villingen bei den Ter­ tiarinnen des Bickenklosters Zuflucht zu nehmen. Das Bickenkloster existiert be­ kanntlich als „Lehrinstitut Sankt Ursula“ noch heute; von den Klosterbauten in Neu­ hausen dagegen ist keine Spur mehr zu se­ hen. Als Gründer des wohl kleinen Neu­ hauser Klosters können die Herren von Burgberg angenommen werden, die zu jener Zeit mehrere Achtel der Niedergerichtsbar­ keit samt den zugehörigen Höfen innehat­ ten wie auch Anteile am Selhof und am Kir­ chensatz. Weitere Mitbesitzer des Dorfes waren die Herren von Falkenstein, von Sin­ kingen, von Wildenstein im Eschachtal und noch andere. Die acht ursprünglichen Höfe von Neu­ hausen gelangten durch Verkäufe und Schenkungen allmählich in den Besitz der 1227 entstandenen Johanniterkommende zu Villingen. Den ersten Verkauf nahm 1328 Conrad von Burgberg vor; er übergab „um 100 Mark löthigen Silbers Villinger Währung“ den Selhof und „den kilchen­ sacz, der in denselben hofhöret, und daz ge­ sässe, da daz closter waz“ sowie den Brühl an das Johanniterhaus, allerdings nicht das in Villingen, sondern zu Lenzkirch. Schon Kostbare Glasfenster von hoher künstlerischer Qualität schmücken die Kirche von Neuhausen. Neuhausen 49

Städte und Gemeinden Der Franziskusbrunnen beim Rathaus. 1356 aber war dieser Besitz vom Villinger Jo­ hanniterhaus übernommen. Andere Teile des Dorfes bekamen die Jo­ hanniter von den Rittern von Falkenstein 1329, von Elisabeth von Biesingen 1331, von den Burgbergern 1427 und 1435, und den letzten noch fehlenden Anteil kaufte die Kommende 1552 von Hans von Karp­ fen, dem Vormund der Amalie Münzer von Sinkingen, um 150 Gulden. Für über 250 Jahre war nun Neuhausen ganz der Johanniterkommende Villingen und damit dem Großpriorat Heitersheim zugehörig. Die acht Höfe waren als Le­ hengüter vergeben und zinsten dem Johan­ niterhaus Geld und Naturalien wie Hühner, Hafer, Dinkel und Heu. Beim Tod eines Le- 50 heninhabers mußte ein „Hauptfall“, näm­ lich das beste Stück Vieh, gegeben werden; die Lehen waren erblich. Mit Bewilligung der Kommende war aber auch ein Verkauf möglich. So verkaufte 1557 eine Beyda Hä­ sin ihr Lehen an Hans Heiny. Dagegen fiel 1506 das Lehen des Hans Schnider, welches dieser unberechtigt an Hans Stöffel verkauft hatte, zurück an die Komturei. Aufgrund der Herrschaft des Geistlichen Ritterordens ergaben sich für Neuhausen keine unmittelbaren Auswirkungen der Re­ formation, dagegen aber doch mittelbare. Die Pfarrei Neuhausen, bis dahin Mutter­ pfarrei für mehrere Orte, verlor die würt­ tembergischen Dörfer Erdmannsweiler, Martinsweiler und die Flecken Hutzelberg und Hörnle (heute Königsfeld), welche bis dahin „von undenkbaren Jahren Thodt und lebendig in die Pfarrkirche gehn New­ haußen pfarrig gewesen“. In den harten Zeiten des Dreißigjährigen Krieges blieb Neuhausen einigermaßen ver­ schont; erst die napoleonischen Kriege brachten Requirierungen und längere Ein­ quartierungen. Sie brachten das Ende der geistlichen Herrschaft. Bei der Säkularisati­ on wurde der Johanniterorden aufgehoben. Neuhausen wurde zunächst dem Herzog­ tum Modena (Italien) zugeteilt, dann Würt­ temberg, endgültig schließlich dem neuen Großherzogtum Baden. Allmend-Aufteilung von 1832 Damit begann ein neuer Abschnitt für Neuhausen. Die Lehengüter konnten ab­ gelöst und zu Eigen erworben werden. An die Stelle der von der Herrschaft eingesetz­ ten Vögte traten gewählte Bürgermeister. Die einschneidendste Veränderung war wohl die Allmend-Aufteilung von 1832. Bis dahin war sämtliches Vieh den Sommer über auf die Weide getrieben und durch von der Gemeinde bestellte Hirten gehütet wor­ den; das 103 Hektar große, in verschiedenen Gewannen gelegene Weideland war Ge-

meindeeigentum. Jetzt wurde Stallfütterung eingeführt und das Weideland in 72 Lose zu je acht Halbmorgenstücken (144 Ar) aufge­ teilt und zur Nutzung auf Lebenszeit an die Bürger abgegeben. Dieser Allmendgenuß wurde erst 1972 aufgehoben; die Grund­ stücke sind als Bauland ausgewiesen oder verpachtet. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts brachte das Aufblühen der Schwarzwälder Uhrenin­ dustrie auch für Neuhausen großen Auf­ schwung. Bald entstanden zahlreiche neue Häuser, vor allem im Ortsteil Hannenberg. Diese Blütezeit dauerte etwa 50 Jahre. Mit der aufkommenden Industrialisierung aber ging der Verdienst der „Rädlemacher“ zu­ rück, und es gab zahlreiche Konkurse. Gegen Ende des Jahrhunderts konnte je­ doch diese wirtschaftliche Flaute, die auch etliche Neuhauser zum Auswandern ge­ zwungen hatte, wieder überwunden werden. Nach einem Großbrand 1896, dem acht Wohnhäuser und acht Nebengebäude zum Neuhausen Opfer fielen, wurde 1900 eine Wasserleitung gelegt. Ein neuer Friedhof entstand 1901; für diesen stiftete 1908 der aus Neuhausen stammende Dekan Neugart eine neugoti­ sche Kapelle, in der er später beigesetzt wur­ de. 1914 erhielt Neuhausen elektrischen Strom. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde eine „Kinderschule“ sowie eine Schwestern­ station eingerichtet und das 1832 erstellte Schulhaus umgebaut. Der Zweite Weltkrieg, durch den in Neu­ hausen 40 Gefallene und Vermißte betrauert werden mußten, unterbrach die Aufwärts­ entwicklung. Doch dann ging es unter den Bürgermeistern Neugart und später Singer zügig weiter. Für die heimatvertriebenen Neubürger wurden Wohnungen erstellt. Die kriegsbedingten Kahlhiebe in den Waldun­ gen wurden wieder aufgeforstet. Der Öko­ nomieteil des Rathauses (früher johanniti­ sche Zehntscheuer) wurde zum Kindergar­ ten umgebaut und das zu klein gewordene Schulhaus durch eine großzügige Erweite- Mit Liebe gepflegte bäuerliche Gärten sd1mücken Neuhausen an vielen Orten. 51

Neuhausen Felder bei Neuhausen, die Landwirtschaft ist in der kleinen Gemeinde von großer Bedeutung. rung umgestaltet. Der neue Schultrakt konn­ te zwölf Jahre genutzt werden; als dann in­ folge der Schulreform das Schulhaus unbe­ nützt stand, kam der Kindergarten darin un­ ter. Zur Freude aller Neuhauser aber durfte 1987 wieder eine Grundsehulk.lasse Einzug halten, und seit 1989 besitzt Neuhausen, wo schon für 1652 ein Schulmeister bezeugt ist, wieder eine selbständige Grundschule. Der Kindergarten behält trotzdem genügend Raum. 1963 konnte die Wasserleitung durch An­ lage eines Tiefbrunnens im Ebenhauser Gelände erweitert werden, sodann wurden die Abwasser kanalisiert und dem Klärwerk Horgen zugeleitet. Neue Baugebiete ent­ standen. Die 1885 gegründete Feuerwehr er­ hielt ein neues Feuerwehrhaus und die fuß­ ballfreudige Jugend einen Sportplatz und ein Vereinsheim. Auf dem Friedhof wurde eine Aussegnungshalle errichtet. Weiterhin wurden Straßen und Feldwege saniert, eben­ so der Kirchplatz. Das Rathaus mußte noch­ mals umgebaut werden, seitdem der Kinder­ garten im Schulhaus untergebracht und die 52 Schwesternstation aufgelöst ist; auch der Dorfplatz am Rathaus wurde neu gestaltet und mit dem schönen Franziskusbrunnen geschmückt. Das kulturelle Leben Neuhausens wird durch mehrere Vereine gepflegt. Außer dem katholischen Kirchenchor und der Freiwilli­ gen Feuerwehr, die beide seit über 100 Jah­ ren bestehen, sind dies der Radfahrerverein „Frisch auf“ (1907) und der Musikverein Neuhausen (1920) mit Trachtentanzgruppe, die seit vielen Jahrzehnten Feste und Feiern mitgestalten. In neuerer Zeit kamen mit dem Fußballclub FCN (1972) und mit der Narrenzunft „Wolfsnarr und Geisterrecken“ (1981) zwei weitere Vereine hinzu, die das Gemeindeleben bereichern. Nicht weniger trägt auch die Frauenvereinigung sowie die Seniorengruppe bei, zu einer aktiven „Ge­ meinschaft im Wandel der Zeiten“. lrene Link

Städte und Gemeinden Das Wappen von Neuhausen In gespaltenem Schild vorne in Gold auf grü­ nem Dreiberg ein roter Turm mit drei Zinnen, hinten in Rot ein silbernes Johanniterkreuz mit nach unten verlängerten Balken. faßte sich der Gemeinderat 1952 erneut mit der Wappenfrage. Dieser äußerte 1953 den Wunsch, ein historisch begrün­ detes Wappen einzuführen. Es sollte sich aus den Wappen der Herren von Burg­ Neuhausen gehörte der Johanniter­ berg, die früher Besitz in Neuhausen hat­ ten, und des späteren ausschließlichen kommende Villingen. 1805 nahm Würt­ temberg von der Gemeinde Inhabers des Ortes, der Besitz, trat sie aber im Ver­ Johnniterkommende Villin­ gen, zusammensetzen. Aus trag vom 17. Oktober 1806 an das Großherzogtum Ba­ dem Wappen der Herren den ab. Die Verordnung von Burgberg wurde ein ro­ vom 15. November 1810 ter, bezinnterTurm gewählt. über die Bezirkseinteilung In der rechten Schildhälfte wies die Gemeinde dem erscheint das Johanniter­ kreuz, dessen Balken nach Amt Villingen zu. Das Hul­ unten verlängert ist. Mit Er­ digungsprotokoll vom 16. August 1811 ist mit einem laß Nr. N 31167 Neuhau- ovalen Prägesiegel verse­ sen/a vom 2. Dezember hen. Es zeigt das damals 1960 verlieh das Innenmi­ geltende badische Staatswappen: In nisterium Baden-Württtemberg der Ge­ schräglinks geteiltem Feld oben in Gold meinde das Recht zur Führung des ein­ ein roter Schrägbalken, unten ein Löwe. gangs beschriebenen Wappens und einer Die Umschrift lautet VOGTEI NEU­ Flagge in den Farben „Rot-Gelb“. Mit HAUSEN. Die von der Gemeinde im der Eingemeindung nach Königsfeld ist 19.Jahrhundert geführten Farbstempel das Wappen erloschen. zeigen ein Haus, von Lorbeerzweigen umgeben. y.I 711, Quellen und Literatur: GLA Karlsruhe, Im Juli 1902 schlug das Gene- � � : Y I) Siegelkartei und Wappenakten Villin- aus den alten Siegeln (siehe Ab- . :i, � ��:�::; bil_dung rechts, Siegel aus d�r – -. M1tte des 19.Jahrhunderts) m .-J:. das neu zu schaffende Gemein- � � S. 184 sowie Walther Merz und „IJ_Jj A-0 �� F�edrich Hegi, Die Wappenrol/e von dewappen aufzunehmen: _In Sil- ber auf grünem Boden em Haus. Damit hätte die Gemeinde ein „reden- des“, den Ortsnamen symbolisierendes Wappen erhalten. Der Gemeinderat ver- hielt sich diesem Vorschlag gegenüber je- S. 14-15 Neuhausen). doch ablehnend, so daß die Gemeinde noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die alten Siegel weiterführte. Auf Anregung des Landratsamtes be- rallandesarchiv vor, das Haus „i �� gen, ferner 236/1679 1811; 53 230/Neuhausen; J. Kindler v. Knobloch, Oberb�disches Ge- sch/echterbuch(l.He1delbergl898) Zünch {Zürich-Leipzig 1930) Nr. 226 (von Burgberg). Krieger II, 321-323. Kunsl- denkmäler II, 77-78. Ludwig Heizmann, Die Gemeinden des Amtsbezirks Villingen in hi- storischer Darstellung. Villingen 1932 (darin: Der Beitrag ist dem“ Wappenbuch des Land­ kreises Villingen“ entnommen (hrg. 1965).

Städte und Gemeinden Kommingen auf dem Randen Bis zum Jahre 1938 gehörte der heutige Blumberger Ortsteil zum Amtsbezirk Engen „Kommingen auf dem Randen“, so hat der große Heimatsohn Gottfried Sauter das Dorf seiner Chronik betitelt und vorgestellt. Es liegt auf der Meereshöhe von 758 Meter, gehört geologisch zum Jura und geogra­ phisch zum Randen. Im Jahr 1317 wird Kommingen erstmals als Herkunftsbezeich­ nung erwähnt, jedoch wird angenommen, daß es viel älter ist. Über eine Kirche oder Kapelle, die dem heiligen St. Cyriak geweiht ist, wird zwischen 1360 und 1370 berichtet. Im Neubaugebiet „Hochgärten“ stieß man bei Ausschachtungsarbeiten auf prähistori­ sche Spuren. Mehrere Gräberfunde lassen nach Ansicht von Experten darauf schließen, daß die heutige Komminger Ge- markung bereits im sechsten oder siebten Jahrhundert besiedelt war. In den Jahren 1873/74 kam es nach dem ersten Vatikanischen Konzil im Rahmen des Kulturkampfes zu einer bekenntnismäßigen Spaltung, die in der kleinen Gemeinde in der Folgezeit zu unliebsamen Auswirkun­ gen führte. Die Dorfkirche wurde der altka­ tholischen Gemeinschaft überlassen und die Katholiken erstellten 1875 eine Notkirche. Erst im Jahre 1958 erfolgte eine Einigung über die Rückgabe der alten Pfarrkirche an die katholische Gemeinde, nachdem das Erzbischöfliche Ordinariat den Altkatholi­ ken einen Zuschuß für den Neubau eines Gotteshauses zur Verfügung stellte. Ruhe und Frieden sind wieder eingekehrt und damit ein völlig normales Leben in der Be­ völkerung. Zum Kirchspiel Komrningen ge­ hörten auch die Gemeinden Nordhalden und Uttenhofen. Die Letztgenannte ist durch die Eingliederung in die Stadt Tengen ausgeschieden. Kommingen und Nordhal­ den benutzen den gemeinsamen Friedhof in Kommingen. Seit dem l. September 1972 hat die ka­ tholische Gemeinde keinen eigenen Pfarrer mehr, sie wird vom Geistlichen aus dem be­ nachbarten Riedöschingen betreut. Für die altkatholische Gemeinde war von jeher der Pfarrer von Blumberg zuständig. 1982 wur­ de Kommingen Sitz eines altkatholischen Geistlichen, der u. a. auch die Gemeinde­ mitglieder in Nordhalden und Uttenhofen betreut. Bis zum Jahre 1938 gehörte Kommingen zum Amtsbezirk Engen bzw. Kreis Kon­ stanz. Es bestehen heute noch enge Verbin­ dungen zu mehreren Hegaugemeinden. Der Besuch des alljährlichen Schätzele- Marktes in Tengen ist für viele Komminger Ehrensa­ che. Im Zuge der Gemeindereform wurde Brunnen in Kommingen. 54

Kommingen Blick auf Kommingen, wo schon um das sechste Jahrhundert herum Menschen gesiedelt haben. Kommingen nach vorheriger Anhörung der Bürger und mit Zustimmung des Gemein­ derats in die Stadt Blumberg eingegliedert. Seither besteht eine Ortschaftsverfassung. Viktor Giner, seit 1965 Kommunalpoliti­ ker, hat Kommingen im Gemeinderat ver­ treten und wurde nach dem Rücktritt von Altbürgermeister Alfred Sauter am 2. Sep­ tember 1980 zum Ortsvorsteher bestellt. Durch die Schulreform hat die Gemeinde die eigenständige Schule verloren. Die Schulpflichtigen besuchen die Grundschule Riedöschingen, beziehungsweise die Haupt­ schule in Blumberg. Für die Kinderschüler besteht die Aufnahme im Kindergarten Riedöschingen. Eine rein bäuerliche Gemeinde Kommingen war bis anfangs der 70er Jah­ re eine rein bäuerliche Gemeinde. Diese Struktur hat sich in den vergangenen Jahr­ zehnten ganz wesentlich verändert. Von den 457 Hektar Gemarkungsfläche sind rund 80 Hektar Wald, davon lediglich 32 in Gemein­ debesitz. Eine wesentliche Verbesserung der Felderbewirtschaftung brachte neben der Modernisierung vor allem die Flurbereini­ gung im Jahre 1958. Zwei Jahre später wur­ den zwei Betriebe ausgesiedelt. Heute zählt das Dorf noch drei hauptamtliche Landwir­ te und 16 Nebenerwerbsbetriebe. Das be­ deutet nahezu eine Halbierung gegenüber demJahr 1980. Zunehmend Sorge bereitet der immer stär­ ker werdende Verkehr, er wird in den Som­ mermonaten nahezu unerträglich. Die For­ derung einer Umgehungsstraße der Bun­ desstraße 314 wird seit Jahren erhoben. Ver­ besserungsmaßnahmen sind unmittelbar nach der Eingemeindung durch Entschär­ fung der Kurve (Abbruch Scheune Scheuch und Haus Müller) sowie durch Anlegung von Gehwegen erfolgt. Die Erschließung von zwei Neubaugebie­ ten (Hochgärten und Gansäcker) haben zur weiteren Verbesserung der Infrastruktur bei­ getragen. Noch sind genügend Bauplätze für 55

Kommingea Schmuck saniertes Haus in der Komminger Dorfmitte und die altkatholische Kirche. Bauwillige vorhanden. Die Dorfsanierung ist so gut wie abgeschlossen. Der Dorfbrun­ nen ist ein Gemeinschaftswerk und einige kleinere Anlagen tragen wesentlich zur Ver­ schönerung des Ortsbildes bei. Mit drei Gaststätten, gemessen an der Ein­ wohnerzahl, ist Kommingen diesbezüglich gut versorgt. Das einzige Lebensmittelge­ schäft am Platze hat seine Pforten in den 1970erJahren geschlossen. Größere Einkäu­ fe werden in den Supermärkten außerhalb getätigt. Ein fliegender Händler versucht wöchentlich einmal seine Ware an den Mann zu bringen. Die örtliche Poststelle ist wie in vielen klei­ nen Gemeinden vor einigen Jahren aus wirt­ schaftlichen Gründen aufgehoben worden. Die Bevölkerung wird durch einen Zusteller vom Postamt Blumberg bedient. Die im Jahre 1965 erstellte Schule mit Leh­ rerwohnung war nach der Schulreform un­ genutzt. Eine kurzfristige Vermietung an ei­ nen Kleinbetrieb brachte wenigstens eine kleine Einnahme für die Gemeindekasse. Immer wieder liebäugelte der Ortschaftsrat mit einer Umfunktionierung des Gebäudes in ein Gemeinschaftshaus, um die berech­ tigten Wünsche der einheimischen Vereine abzudecken. Verschiedene Gründe, vor al­ lem aber die Finanzierung, waren das Haupthindernis für dieses Vorhaben. Gemeinschaftshaus entsteht In einer Bürgerversammlung im März 1984 fielen schließlich die Würfel. Mit großer Mehrheit hatten sich die Bürger für die Umgestaltung der Schule zu einem Ge­ meinschaftshaus entschieden. Die Umbau­ arbeiten gingen im Rahmen einer Gemein­ schaftsaktion flott voran. Das neue Ge­ meinschafts-Domizil konnte der Einwoh­ nerschaft am 15. Mai 1986 übergeben wer­ den. Dadurch hat das ohnehin gut funktionierende Vereinsleben eine weitere Bereicherung erfahren. 56

Das Wappen von Kommingen Städte und Gemeinden Wappen: In blau eine goldene Fackel mit ro­ tem Feuer und silbernem Rauch, schrägge­ kreuzt von einem goldenen Schwert. hielt bereits im Novermber 1902 den Ge­ meindestempel mit dem neuen Wappen geliefert. Die endgültigen Farben wurden erst bei einer Neuzeichnung des Wap­ pens im Jahre 1960 so festgelegt. Durch die Eingemeindung in die Stadt Blum­ berg zum 1. Januar 1971 ist der amtliche Gebrauch dieses wirkungs­ vollen Wappens erloschen. Doch kann es auch weiter­ hin von Vereinen und ein­ zelnen Bürgern des Orts­ teils gezeigt werden. Prof Klaus Schnibbe Q]tellen und Literatur: Gene­ rallandesarchiv Karlsruhe, Wappenakten Amtsbezirk En­ gen, Amtsbez. u. Landkreis Donaueschingen u. Schwarzwald-Baar- rierte Zeichnung mit schrägge­ kreuzter Fackel und Schwert da­ zu. (Fackel und Schwert sind die Marterinstrumente, durch die der Heilige zu Tode gebracht worden sein soll.) Die Gemeinde stimmte im Ok­ tober 1902 diesem Vorschlag zu und er- Das kulturelle Geschehen des Dorfes wird maßgeblich vom örtlichen Musikverein bestimmt. Er wurde 1964 auf Betreiben des damaligen Bürgermeisters Alfred Sauter un­ ter großer Opferbereitschaft aller Interes­ senten gegründet. Einen festen Platz nimmt auch der katholische Kirchenchor ein, der jeweils auch weltliche Aufgaben übernimmt. Die Landfrauen haben sich bereits 1959 zu einer Einheit zusammengeschlossen. Fort- bildungsveranstaltungen werden geboten, Altennachmittage organisiert und sonstige Anlässe mitgestaltet. Die örtlichen Vereine tragen weitgehend zu einer intakten Dorf­ gemeinschaft bei. Nicht vergessen werden darf auch die ört­ liche Feuerwehr. Sie hat sich aus eigener In­ itiative ein Fahrzeug zugelegt und dadurch ihre Schlagkraft verstärkt. Die anfangs der 70er Jahre erstellte Fried- 57

Kommingen Eine Doifgemeinschafi mit eindeutig ländlicher Strukütr – Kommingen auf dem Randen. hofskapelle kann sich sehen lassen. Auf dem Worberg ist in letzter Zeit eine Mobilfunk­ stelle installiert worden. Bei klarer Sicht läßt sich von diesem Standort aus die großartige Alpenkette bewundern. Säntis und Churfir­ sten liegen förmlich vor der Haustür. Zur Infrastruktur von Kommingen mit sei­ nen heute 280 Einwohnern zählen neben den in der näheren und weiteren Umgebung bestens bekannten Baugeschäft Steuer und Rösch mehrere Gewerbebetriebe (Schmiede und Schlosserei, Fuhr- und Baggerbetrieb, Elektro- und Zimmergeschäft, Schlosserei­ und Maschinenbau. Hans Müller In Kommingen finden sich zahlreiche, mit Liebe gepflegte Gärten. 58

tädtt und Gemeinden Ein Ort zwischen Schwarzwald und Baar Weilersbach ist einer der ältesten Stadtteile des Oberzentrums Villingen-Schwenningen Weilersbach, einer der ältesten Stadtteile von Villingen-Schwenningen, wird im Jahr 764 zum erstenmal urkundlich erwähnt. Ip­ po von Weilersbach vererbte seinen Besitz in Nordstetten dem Kloster St. Gallen. Aber es ist anzunehmen, daß das Gebiet schon vorher besiedelt war, da man hier römische Münzen gefunden hat. Im 3. oder 4.Jahrhundert ließ sich die Ale­ mannensippe Wilhari am Ammelbach nie­ der. Aus dem Sippennamen entwickelte sich der heutige Ortsname, in der Urkunde 764 Wilarresbach, um 1488 Wylerspach und 1609 Weylersbach geschrieben. Die Kiiche von Weilersbach soll vom hei­ ligen Fridolin gegründet worden sein. Da dieser 538 starb, muß der Ort vor diesem Jahr besiedelt gewesen sein. Auch gab es eine BUig, die jedoch schon früh zerstört worden ist, geblieben ist der Flurname „Auf der Burg“. Die Besitzrechte wechselten über die Jahr­ hunderte: die Klöster St. Gallen und St. Ge- orgen, die Grafen von Fürstenberg, die Gotteshausbruderschaft in Rottweil (1509- 1803), das Kloster Salem 1493 besaßen die Franziskaner- und Johanniterkommende Villingen. Seit 1493 besaßen die Fürstenberger den Kirchensatz, das Widum, den Groß-und Kleinzehnt in Weilersbach. Dies führte zu Konflikten mit Rottweil, das u. a. die niede­ re Gerichtsbarkeit hatte. 1506 erwarb Jakob Freyburger von Villingen die Zehntrechte, die 200 Jahre später an die Gotteshausbru­ derschaft von Rottweil übergingen. Gegen­ über dieser waren die Weilersbacher auch zu Frondiensten verpflichtet, deren Umfang von der Anzahl des Zugviehes abhing. Der Vogt des Ortes überwachte zudem die Ein­ treibung von direkten und indirekten Steu­ ern und kontrollierte das sittliche und reli­ giöse Verhalten. Er verhängte auch die Stra­ fen z.B. bei Fluchen, Ehebruch und außer­ ehelichem Geschlechtsverkehr. Beim ersten Ehebruch sollte die Person mit schwarzen Weilersbach ist einer der ältesten Stadtteile von Villingen-Sclnoenningen, wurde 764 erstmals enoähnt. 59

Städte und Gemeinden Die Kirche aus dem fahre 1954. Sie ist der vermut­ lich dritte Kirchenbau an dieser Stelle. Kerzen eine Stunde vor und eine Stunde nach dem Sonntagsgottesdienst vor der Kir­ chentüre der Heimatgemeinde stehen mit einer Tafel, die das Vergehen verkündete. Außerdem war die Ausübung von Ehren­ ämtern auf Lebzeiten untersagt. Für die mei­ sten Vergehen zahlten die Ertappten eine Geldstrafe. Die Abschreckung muß nicht sehr hoch gewesen sein, da die Obrigkeit die Strafen öfters verschärfte. Die Herrschaft der 60 Rottweiler war vermutlich nicht sehr streng, denn die Bauern von Weilersbach beteilig­ ten sich nicht am Bauernkrieg. Im Dreißigjährigen Krieg wurde der Ort oft geplündert, Häuser in Brand gesteckt und Frauen vergewaltigt. In dieser Zeit ist auch die Pfarrei eingegangen, weil man ei­ nen Priester nicht mehr bezahlen konnte. Bis 1776 wurde die Pfarrei von Kappel, dann von Dauchingen aus mitbetreut. Auch beim Truppendurchmarsch und bei der Belagerung von Villingen im Spani­ schen Erbfolgekrieg (1701-1704) und in den Revolutionskriegen ab 1798 ist Weilersbach von Requirierungen, Einquartierungen und Seuchen nicht verschont geblieben. Die Ge­ meinderechnung gibt darüber beredt Zeug­ nis. Weilersbacher sind sogar mit den Trup­ pen Napoleons nach Rußland gezogen. Bis 1698 durften nur Handwerker von Rottweil beschäftigt werden, dann wurde den Bewohnern gestattet, einen Schneider im Ort zu haben und sich mit Dauchingen je einen Wagner, einen Schmied, einen Zim­ mermann und einen Maurer zu teilen. Im 18. Jahrhundert wanderten viele Wei­ lersbacher aus, eine sehr große Gruppe ging nach Ungarn. Die Bevölkerung hatte genug von Plünderungen, Brandschatzungen, Mißhandlungen und Steuereintreibungen der durchziehenden Truppen. Am Dienstag nach dem Weißen Sonntag wurde bis 1938 für die nach Ungarn ausgewanderten Wei­ lersbacher eine Messe gelesen. Auch nach Spanien, Polen und später Amerika zog es Weilersbacher. Von etwa 500 Einwohnern verließen 300 ihr Dorf 1810 kam Weilersbach zu Baden. Die Ab­ lösung der Lehnsrechte begann 1835, zu­ letzt wurde 1856 der Großzehnt abgelöst. Am 6. Mai 1834 gab es den größten Brand in der Geschichte des Ortes. 42 Häuser brannten bis auf die Grundmauern nieder, vier Personen und einiges Vieh kamen in den Flammen um. Da seit Wochen eine große Trockenheit herrschte, fingen die mit Ried gedeckten Dächer schnell Feuer. Die

Das Wappen von Weilersbach Weilersbach tationshauptschluß 1803 von Rottweil zu Württemberg und durch den Staats­ vertrag vom 2. November 1810 an das Großherzogtum Baden. Die Huldigungs­ liste von 1811 ist besiegelt mit einem Petschaft, daß das damalige großherzog­ liche badische Wappen zeigt mit der Umschrift *VOGTEI WEI­ LERSBACH. Spätere Siegel und Farbdruckstempel wei­ sen innerhalb der Umschrift immer nur ein großes „W“ auf Das Hilarius-Wappen wurde mit Erlaß vom 2. De­ zember 1960 durch das Innenministerium Baden­ Württemberg verliehen. Mit der Eingemeindung zum l. Januar 1975 in die Stadt Vil­ lingen-Schwenningen ist das Wappen von Weilersbach erloschen. Prof Klaus Schnibbe Wappen: In Gold ein rotes Buch mit golde­ nen Beschlägen, belegt mit einem gleichseitigen goldenen Dreieck; überhöht von einer schwe­ benden roten, silbern bordierten Mitra, bei­ derseits abwehende rote Bänder. Als die Gemeinde 1952 wegen eines Wappens in Karlsruhe beim Generallandesarchiv anfrag­ te, wünschte sie, wenn mög­ lich, bezug auf den Ortsna­ men und den Kirchenpa­ tron. Dieser, der heilige Hi­ larius, der im 4.Jahrhundert Bischof von Poitiers war (dafür steht die Mitra = Bi­ schofshut), hat sich als Kir­ chenlehrer im Kampf gegen die arianische Irrlehre her­ vorgetan. Dies vor allem mit der Veröffentlichung seines 6bändigen Werks „Über die Dreifaltigkeit“ (Trinität von Gott-Vater, Sohn und hl. Geist). Dafür steht das Buch mit dem aufgeleg- ten Dreieck im Wappen. Als Attribut des Q]tellen und Literatur: Generallandesarchiv Heiligen gelten Schlangen (Arianer), die Karlsruhe, Gemeindshulhuldigungen Amts- bezirk Villingen. – GLA Wappenakten er unter seine Füße tritt. Doch hätte sich das nicht gut für ein Wappen geeig- Schwarzwald-Baar-Kreis. – GLA Sie- gelkartei Schwarzwald-Baar-Kreis. – net. Fünfzig Jahre früher war � � E l 4r ,0 ligen, Ulm 1898. -A. Krieger, To- mit historischen Bezügen vor- geschlagen worden: Von silber- � W pogr. Wörterbuch d. Großherzog- blauem Wolkenfeh-Schildrand ‚ef‘) � tums Baden, 2. Bd., 2. Aufl., Hei- ‚-‚ delberg 1905 (Reprint 1972). – L. :/ umgeben, in Gold ein rotbe- � .ea S „:) � Heizmann, Die Gemeinden des wehrter schwarzer Adler. Der Adler ist der rottweilische, da Wei- Amtsbezirks Villingen in historischer Darstellung, Villingen 1932. – H. G. Zier, lersbach zum Gebiet der Reichsstadt Rottweil gehörte, und das „Wolkenfeh“ Wappenbuch des Landkreises Villingen, Stutt- stammt aus dem Wappen der Fürsten- gart 1965. berger, denen das Kirchenpatronat in Weilersbach zustand. Doch äußerte sich der Gemeinderat damals ablehnend. Weilersbach kam durch den Reichsdepu- vom GLA schon ein Wappen ‚-“ 8 � R. I:fleiderer, Die Attribute der Hei- Die Wappen-und Siegeldarstelltmgen sind dem „ Wappenbuch des Landkreises Villingen“ von Zier entnommen (hrg. 1965). 61

Städte und Gemeinden Blick azif das Rathaus und den sanierten Dorfkern Kirche und das Pfarrhaus blieben verschont. Abends am 6. Mai waren 350 Einwohner obdachlos. Aus den umliegenden Gemein­ den, vom Großherzog von Baden und dem Fürsten von Fürstenberg gingen Spenden ein. Pfarrer Sylvester Maier bildete eine Un­ terstützungskommission. Im sogenanntem Unterdorf wurden die neuen Häuser auf den alten Hofstellen wiedererrichtet. Im Oberdorf wurde eine Neugestaltung vorge­ nommen, so daß das Dorf von da an ein geschlossenes Ortsbild bot. Die Revolution von 1848/49 hinterließ auch in Weilersbach ihre Spuren. Einige Männer schlossen sich der Villinger Bürger­ wehr an. Ihr Führer war Mathias Baumann aus Dauchingen. Einquartierung zunächst von württembergischen, dann von preußi­ schen Truppen war die Folge. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bilde­ te die Landwirtschaft die Lebensgrundlage der Bevölkerung. In dieser Zeit gab es je­ doch Veränderungen, die Dreifelderwirt- 62 schaft wurde durch die Fruchtwechselwirt­ schaft abgelöst und die Stallfütterung einge­ führt. Heute kaum noch bekannte Getrei­ desorten wie der Dinkel wurden am häufig­ sten angebaut. Der Hafer verlor dagegen an Bedeutung. Aller Fortschritt konnte es nicht verhindern, daß es Hungerjahre (1816/17, 1846, 1852) gab, in denen viele ohne die Hilfe ihrer Nachbarn nicht überlebt hätten. Nach 1945 kam es zu einer großen Um­ strukturierung in der Landwirtschaft. Von 84 Klein-und Mittelbetrieben sind heute 9 Neben-und 5 Vollerwerbsbetriebe geblie­ ben. 1972 wurde die Flurbereinigung abge­ schlossen. Heute ist Weilersbach eine Wohngemein­ de mit Kleingewerbe. Die Gemarkung um­ faßt 716 ha, davon sind 141 ha Wald. Die Errichtung einer Wasserleitung 1903 und die Elektrifizierung 1914 machten das Leben weniger beschwerlich. Im Ersten Weltkrieg fielen 29 Weilersba­ cher und 4 wurden vermißt, im Zweiten

Weltkrieg waren es 31 Tote und 8 Vermißte. Die Zivilbevölkerung litt unter den Luft­ alarmen, und nach dem Kriegsende drück­ ten die Lebensmittelabgaben und der Holz­ einschlag im Gemeindewald (Franzosenhie­ be) die Bevölkerung. 1954 riß man die alte, mehrfach umgebau­ te Kirche ab und errichtete eine neue Kirche, die 1955 feierlich eingeweiht wurde. Ver­ mutlich der dritte Kirchbau an gleicher Stel­ le. Die erste, oben erwähnte Kirche des hl. Fridolin dürfte aus Holz gewesen sein. Am 1. Januar 1975 geschah die Eingliede­ rung nach Villingen-Schwenningen, obwohl 66 Prozent der Weilersbacher für die Beibe­ haltung der Selbständigkeit gestimmt hat­ ten. Der erste namentlich bekannte Lehrer war Christian Bartier (1787). Er war zugleich Nachtwächter und Gemeinderechner. Ab 1801 gab es einen geregelten Schulbetrieb, 1845 wurden 101 Kinder unterrichtet. Das erhobene Schulgeld diente zur Besoldung des Lehrers, da es nicht ausreichte, betrieb er nebenher eine Landwirtschaft. Heute ist die Grundschule eine Außenstelle der Grund­ und Hauptschule von Oberesd1ach. 1960 baute die Gemeinde einen neuen Kinder- garten. Auch ein neues Schulgebäude wurde errichtet. ‚ 1986 wurde Weilers- bach in das Modellpro­ jekt zur ökologisch ori­ entierten Dorfentwick­ lung aufgenommen. Ein sichtbares Zeichen ist die gelungene Neuge­ staltung des Dorfplat­ zes. Durch viele sportli­ che und kulturelle Ver­ anstaltungen prägen die örtlichen Vereine das Geschehen in Weilers­ bach. Neben dem ka­ tl10lischen Kirchenchor gibt es auch den Män­ nergesangverem Weiler bach derkranz“ und den Musikverein. Der älteste Verein, der 1874 gegründete Militärverein, ist jedoch 1945 aufgelöst worden. Die Freiwillige Feuerwehr wurde am 2. Au­ gust 1886 ins Leben gerufen. Hilfestellung beim Aufbau leistete der Feuerwehrhaupt­ mann aus Obereschach. In zahlreichen Einsätzen stellte die Feuerwehr bis heute ih­ re Schlagkraft unter Beweis. Der Fußball­ Club von 1919 bestand zunächst nur bis 1926, da es nicht genug Aktive gab. 1928 gründete sich der Verein „Deutsche Jugend­ kraft“. Er betrieb als Hauptsportart ebenfalls Fußball und schafte es, das Spielfeld in Dorfuähe „Auf der Burg“ zu verlegen. 1934 wurde der Verein zwangsaufgelöst. Nach 1946 wurde der Fußball-Club wiedergegrün­ det. Seit 1979 gibt es einen Tennisclub und seit 1981 einen Motorradclub im Ort. 1979 wurde eine Zweigstelle der Volks­ hochschule zusammen mit dem Stadtbezirk Obereschach und 1980 die Zweigstelle der Jugendmusikschule im Ort eingerichtet. Ingeborg Kottmann „Lie- Ein Wirtshausschild aus Sandstein aus dem Jahr 1834. 63

Weilersbach Hühner unterm Birnbaum, iiberallfinden sich dicht behangene Pflaumen-und Apfelbäume ingrqßen Gär­ ten, Weilersbach bietet seinen Besuchern ländliche Idylle. 64

Behörden, Organisationen und Institutionen 4. Kapitel/ Almanach 99 Arbeitsamt feiert 1 OOjähriges Bestehen Von der preußischen Arbeitsnachweis-Anstalt zum Arbeitsamt Villingen-Schwenningen „Der verehrliche Bürgerausschuß wolle mit der Errichtung eines städtischen Arbeits­ amtes sich einverstanden erklären“ – so hieß es 1914 in einer Beschlußvorlage an den Villinger Gemeinderat. Die erste „Arbeits­ nachweis-Anstalt“ war bereits im Jahre 1898 eingerichtet worden und hatte sich offen­ sichtlich bewährt. Ein bißchen zu proviso­ risch – und auch personell etwas schwach auf der Brust – war sie den Villingern aber wohl doch. Im Gebäude der Polizeiwache in der Kanzleigasse hatte das preußische Kriegsministerium diesen Vorläufer des Ar­ beitsamtes eingerichtet. Denn immerhin gab es zu dieser Zeit schon 75 Arbeitslose in der Zähringerstadt. In Juli 1998 feierte das Arbeitsamt in Vil­ lingen 100 Jahre staatliche Arbeitsvermitt­ lung in Villingen. Und noch einen Anlaß zum Jubeln gab es in diesem Jahr: Der prachtvolle Neubau des Arbeitsamtes in der Lantwattenstraße steht inzwischen seit zehn Jahren. Zur Jubiläumsfeier am 19.Juli sprach Ministerpräsident Erwin Teufel, der beton­ te: ,,Sie tun für unsere Gesellschaft einen wichtigen Dienst.“ Die Mitarbeiter des Amtes mußten im Laufe seiner Geschichte freilich schon eini­ ge Male umziehen. Und das nicht nur nach gewaltsamen Zugriffen auf ihren Arbeits­ platz wie im Zweiten Weltkrieg. Der erste Umzug fand 1914 statt, nachdem die Er­ richtung eines Arbeitsamtes in städtischer Regie beschlossen war. Die wenigen Beam­ ten zogen in das historische „Alte Kaufhaus“ in der Villinger Rietstraße. Ein weiterer Be­ amter wurde eingestellt, dem auch „die Ver­ sorgung des städtischen Verkehrsbüros und des damit verbundenen unentgeltlichen Wohnungsnachweises übertragen wurde, damit derselbe voll beschäftigt ist“, heißt es in alten Unterlagen der Stadtverwaltung. Wenig später, nämlich schon 1927, wurde für das Amt ein eigenes Gebäude erbaut, an der heutigen Ecke Justinus-Kerner-/Goethe­ Straße. Dieser Neubau spiegelt die immer Das Arbeitsamt Villingen-Schwenningen feierte 1998 sein lOOjähriges Bestehen. 65

Behörden, Organisationen Das Arbeitsamt befand sich auch 32Jahre lang in der Justim,s-Kemer-Straße. weiter ansteigenden Arbeitslosenzahlen in der Zeit zwischen den Kriegen wieder. Erst im Dritten Reich sanken die Arbeitslosen­ zahlen wieder. So waren im Jahre 1933 noch 2250 Menschen ohne Arbeit im Kreis Vil­ lingen, imJahr darauf nur noch 175. Im Lau­ fe des Zweiten Weltkriegs sollte schließlid1 sogar großer Mangel an Arbeitskräften herr­ schen, der das Schicksal zahlreicher Zwangs­ arbeiter auch in Villingen besiegelte. Die Kriegsgefangenen wurden unter anderem bei der SABA eingesetzt. Mitarbeiter des Ar­ beitsamtes koordinierten den Einsatz der Zwangsarbeiter. Einen entscheidenden Bedeutungszu­ wachs erhielten alle deutschen Arbeitsämter 1935 durch das Gesetz über Arbeitsvermitt­ lung, Berufsberatung und Lehrstellenver­ mittlung. Die Arbeitsämter erlangten da­ durch das Monopol im Bereich von Ar­ beitsvermittlung, Berufsberatung und Lehr­ stellenvermittlung. 1942 wurde wieder gebaut: Ein neues Arbeitsamt, die soge­ nannte „Verwaltungsbaracke“ entstand. Das Gebäude wurde gegen Ende des Krieges von französischen Besatzungsmächten beschlag­ nahmt und später für gutes Geld an die Stadt Villingen verkauft. Die Statistik weist aus, daß dort im Jahre 1952 exakt 613 Ar­ beitslose betreut wurden. Der nächste Um­ zug führte die Mitarbeiter des Amtes in die Villinger Innenstadt. Josefsgasse 7 lautete die neue Adresse und die Baracke, die auf dem Gelände des heutigen Arbeitsamtes stand, wurde abgerissen. Das Kisten packen und Möbel versd1icken sollte aber erst im nächsten Domizil, in der Justinus-Kemer­ Straße für immerhin 32 Jahre ein Ende ha­ ben. Im dortigen Gebäude durfte das Amt auch die erfreulichste Statistik in seiner Ge­ schichte schreiben: Arbeitslosenquote 0,0 Prozent hieß es 1959. Und wegen des kras­ sen Arbeitskräftemangels im Wirtschafts­ wunderland Deutschland wurden Gastar­ beiter aus Italien nach Villingen eingeladen. Die nächste Eckmarke in der Geschichte des Amtes erhitzte nicht nur die Gemüter der 66

Villinger: die Städtefusion von Schwennin­ gen und Villingen zum 1. Januar 1972. Der Arbeitsamtsbezirk Villingen wurde umbe­ nannt in Villingen-Schwenningen und das Amt hatte nun 20 eigenständige Städte und Gemeinden zu betreuen. Dienststellen des Arbeitsamtes befinden sich seitdem in Donaueschingen, Furtwangen, St. Georgen und im Stadtbezirk Schwenningen. Das Amt platzte bald aus allen Nähten, so daß 1979 die Planung eines Neubaus in Auf­ trag gegeben werden mußte. Bis zum ersten Spatenstich dauerte es dann allerdings noch sechs Jahre. Unter anderem deshalb, weil das mit Teer verseuchte Erdreich des Bau­ platzes zunächst unter hohem Kostenauf­ wand abgetragen werden mußte. Im No­ vember 1987 begannen die Mitarbeiter des Arbeitsamtes schließlich damit, 4 000 Ak­ tenkisten zu packen und ihre Möbel und Blumen sicher in den Umzugswagen zu ver­ stauen. Das neue Amtsgebäude in der Vil- 100 Jahre Arbeitsamt linger Lantwattenstraße 2 weckte sicher auch ohne daß die blühenden Außenanlagen fer­ tiggestellt waren Vorfreude. Großzügige Räume und Flure und lichte Fensterfronten sorgen auch bei den Besuchern des Amtes inzwischen für das willkommene Qyent­ chen Wohlgefühl. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verlief weniger positiv. Mit 9,8 Prozent Ar­ beitslosen hatte der Landkreis 1994 seit den 50er Jahren seinen Tiefstand erreicht. Nur langsam geht es in der Beschäftigungssta­ tistik aufwärts. 1998 lag der Landkreis mit 8,9 Prozent Arbeitslosen aber immerhin deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 11,8 Prozent. Genug zu tun also zumindest für die Mitarbeiter des Arbeitsamtes und Anlaß gespannt zu sein, was die Zukunft bringt in den nächsten 100 Jahren im Ar­ beitsamt Villingen-Schwenningen. Wiebke Dirks Amtsstube des Villinger Arbeitsamtes in den J 930er Jahren. 67

Behörden, Organi alionen ,,Ich möchte etwas bewegen und gestalten“ Horst Billing, Direktor des Arbeitsamtes, wechselt in den Ruhestand Vor 33 Jahren trat der jüngste Direktor ei­ nes baden-württembergischen Arbeitsamtes seinen Dienst an. Der gebürtige Mannhei­ mer Horst Billing war damals gerade mal 32 Jahre alt und sehr zufrieden damit, nicht in einer Rechtsanwaltskanzlei oder in einem Amtsgericht zu sitzen. Während seines Ju­ rastudiums hatte sich nämlich herausge­ stellt, daß die „reine Juristerei“ nicht sein Fall war. Staatsanwälte, die sich noch mit ,,Herr erster Staatsanwalt“ anreden ließen, starre Hierarchien und steife Umgangsfor­ men trieben den jungen Juristen fort aus Ju­ stizias heiligen Hallen und in ein anderes staatstragendes Amt: die Bundesanstalt für Arbeit. Heute kann der inzwischen dienst­ älteste Arbeitsamtsdirektor des Landes zu­ frieden feststellen, daß diese Entscheidung die richtige war: ,,Ich gehöre nicht zu denen, die so schnell wie möglich aus dem Beruf herauswollen“, sagt Horst Billing, der 1998 in den Ruhestand treten wird. ,,Weil ich ein neugieriger Mensch bin. Mich interessiert eigentlich alles Neue.“ Aus dieser Neugierde heraus traf er wohl auch seine jüngste Ent­ scheidung, sich – später einmal – im Ruhe­ stand in der Jugendarbeit zu engagieren. Eigentlich hatte er zuerst an die Senioren ge­ dacht, denen er sich als Ruheständler im eh­ renamtlichen Engagement zuwenden woll­ te. Aber, ein Thema, das ihn schon seit lan­ ger Zeit beschäftigt, brachte Horst Billing zu der Erkenntnis, die Arbeit mit den Jugend­ lichen sei doch viel sinnvoller: Es ist der Generationenkonflikt in unserer Gesell­ schaft. Von den Aussagen des Verhaltens­ forschers Konrad Lorenz schon seit langer Zeit beeindruckt, findet Horst Billing die Kluft, die er häufig zwischen jung und alt sieht, untragbar. Er versucht, auch in der Be­ ziehung zu seinen beiden erwachsenen Kin­ dern der „Absonderung von jung und alt“ 68 Horst Bi/fing entgegenzuwirken. Dabei hat Billing keine Angst vor Konflikten. ,,Man muß auch mal den Mut haben, sich so richtig zu streiten“, lautet die Devise. Dieser Mut zur Auseinandersetzung war es allerdings auch, der dem heute 65jährigen noch zu Beginn seiner Laufbahn gelegent­ lich den Unmut seiner Vorgesetzten be­ scherte. Gleich am ersten Arbeitstag bei der Hauptbehörde der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg trat er erst um 12 Uhr zum Dienst an, statt wie erwartet um acht Uhr. Er fand es einfach nicht angemessen, schon am Sonntag abend anzureisen, nur um am Montag bereits morgens dort zu sein. Ein böser Vortrag über Arbeitsmoral seitens des neuen Chefs war die Folge … Solche Zwischenfälle hinderten den jun­ gen Juristen aber nicht daran, ordentlich Karriere zu machen. Nach Ausbildungsauf­ enthalten bei Arbeitsämtern unter anderem

in Villingen, Offenburg und München, übernahm Billing am 1. Januar 1973 die Lei­ tung des Arbeitsamtes in Villingen-Schwen­ nmgen. Den Ausgleich zur verantwortungsvollen Aufgabe sicherte er sich mit Alpen-Hoch­ touren an den Wochenenden. Winters un­ ternahm der junge Arbeitsamtsleiter weite Langlauftouren im Schwarzwald. Freitags nach Dienstschluß pflegte er dann immer seinen Rucksack zu packen, damit der Auf­ stieg rechtzeitig am Samstag in der Frühe noch vor Sonnenaufgang beginnen konnte. Zehn Viertausender hat der sportliche Be­ amte inzwischen bestiegen und ist mit 65 Jahren immer noch aktiver Bergsportler. 25 Jahre lang engagierte er sich übrigens als stellvertretender Vorsitzender des Alpenver­ eins in Villingen-Schwenningen. Die Liste seiner Ehrenämter ist beein­ druckend: Zehn Jahre Vorsitzender einer Prüfungskommission in der Schwenninger Berufsakademie, Landesvorsitzender des Verbandes der Beamten der Bundesanstalt für Arbeit in Baden-Württemberg, Vorsit­ zender der Arbeitsgemeinschaft berufliche Fortbildung Schwarzwald-Baar, Vorstands­ tätigkeit im Villinger Kultur- und Bera­ tungszentrum für ausländische Mitbürger (KBZ) und weitere Mitgliedschaften im Bei­ rat von Wirtschaftsförderungsgesellschaft und Volkshochschule sowie des Ausländer­ beirats der Stadt Villingen-Schwenningen. Zusätzlich war Horst Billing als ehrenamtli­ cher Arbeitsrichter und rechtskundiger Bei­ sitzer beim Bundesdisziplinargericht tätig. Danach gefragt, welches Ehrenamt ihn am meisten Freude bereitet hat, muß der Wahl­ Villinger lange nachdenken und erklärt schließlich: ,,Es hat mir alles Spaß gemacht.“ Eine Tätigkeit jedoch fand er zeitweise ziem­ lich nervenaufreibend: sein Amt als Prüfer an der Schwenninger Berufsakademie. Und das weniger wegen der aufwendigen Korrek­ turarbeit in der Vorweihnachtszeit, sondern weil er während der Prüfungen immer so aufgeregt war. ,,Ich hatte den Wunsch, mög- Horstßilling liehst jeden durchzubringen und war des­ halb mindestens genauso nervös wie die Prüflinge“, gesteht er. Und er erinnert sich: ,,Manchmal habe ich richtig Blut geschwitzt, wenn jemand gar nichts sagen konnte“. Dann fällt Horst Billing aber noch eine hauptberufliche Tätigkeit ein, an die er sich besonders gerne zurückerinnert. Nach der Wende wurde er, wie einige andere seiner Kollegen auch, als sogenannter „Direktoren­ Konsulent“ in das neugegründete Arbeits­ amt der Lutherstadt Wittenberg entsandt. Die Direktoren der Arbeitsämter in den al­ ten Bundesländern berieten seinerzeit die Ost-Kollegen beim Aufbau der neuen Ein­ richtung Arbeitsamt. Wie er ausgerechnet nach Wittenberg kam, ist bezeichnend für die Experimentierfreude und Konfliktfähig­ keit Billings. Der Präsident der Bundesan­ stalt für Arbeit stellte ihm nämlich 1990 auch ein Berateramt in Dessau zur Wahl, mit dem Kommentar, der zu betreuende Kollege in Wittenberg sei „ein ziemlich schwieriger Mensch“. Für Billing war die Entscheidung damit klar: Er ging nach Wit­ tenberg. Der Kollege stellte sich, wie er sagt, als „äußerst lieber Mensch“ heraus, mit des­ sen Familie sich eine bis heute bestehende Freundschaft entwickelt hat. Und die Beratertätigkeit dort sollte für Horst Billing zu einer besonders kreativen Aufgabe werden, die ihm viel Gestaltungs­ spielraum ließ. Er hatte so viel Freiheiten, wie selten in seiner beruflichen Laufbahn. ,,Dort war alles noch so wenig bürokratisch, nicht alles so festgezurrt wie hier“, erinnert sich Billing. Einziger Wermutstropfen bei dieser Erfahrung: Die langen Trennungszei­ ten von seiner Familie. Und Familie hat für ihn einen besonderen Stellenwert. ,,Der Be­ griff der Heimat ist für mich nicht nur an Orte gebunden, sondern auch an Men­ schen“, sagt Billing, und daß seine Familie Heimat für ihn ist. Zusätzlich ist seine Ehe­ frau Elisabeth auch eine wichtige Inspirati­ onsquelle für den sportlichen Arbeitsamts­ direktor. Sie ist die musisch Gebildetere von 69

Behörden, Organisationen den beiden, spielt Klavier und Flöte. Aber auch Billing ist sehr interessiert an den schö­ nen Künsten. Auf den Donaueschinger Musiktagen war er über Jahrzehnte hinweg Stammgast. Wobei ihn an der zeitgenössi­ schen Musik „weniger die Ästhetik und der Ohrenschmaus“ interessieren als das Neue, die Kreativität der Musiker und Komponi­ sten. ,,Mich interessiert das Fluidum, die vie­ len Menschen aus aller Welt“, ist Billing fas­ ziniert. ,,Und wie man nach so vielen Jahr­ hunderten Musikgeschichte noch Neues in der Musik schaffen kann.“ Mit der gleichen Begeisterung wie für sei­ ne Ehrenämter und privaten Interessen spricht Billing auch über seine berufliche Tätigkeit. Auf die Frage, was er am liebsten täte, antwortete er einmal: ,,Ein Sinfonieor­ chester leiten.“ Für ihn ist das Bild vom Di­ rigenten und den begabten Musikern „ge­ nau das richtige für den Umgang mit Men- sehen“. Denn er möchte „etwas bewegen und gestalten“, Ideen geben. Dazu gab und gibt ihm sein Beruf die Gelegenheit. Und mehr noch, er kann in seiner Tätigkeit sein Lebensmotto leben. Es ist die Faszination an Menschen. ,,Das Interessanteste und Fas­ zinierendste ist für mich der Mensch“, ge­ steht Billing. Und diesen Umgang mit Men­ schen genießt er: ,,Es gibt keine Branche, mit der Sie als Arbeitsamtdirektor nicht in Be­ rührung kommen. Da habe ich unheimlich viele interessante Menschen kennenge­ lernt.“ Und die Freude an den Menschen spiegelt sich auch in seiner Führungsphilo­ sophie als Leiter des Villinger Arbeitsamtes. ,,Ich versuche dafür zu sorgen, daß den Mit­ arbeitern die Arbeit Spaß macht. Bei allem Streß und allen komplizierter werdenden Anforderungen.“ Wiebke Dirks Polizeidirektion in neuem Zentralgebäude Zum 25jährigen Bestehen konnte in funktionelle und moderne Räume umgezogen werden Das Jahr 1998 war für die Bediensteten der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen ein bedeutendes und erfolgreiches Jahr. Sie feierten nicht nur den 25. Geburtstag ihrer Dienststelle, sondern konnten auch ein neu­ es Dienstgebäude in der Waldstraße Nr. 10/1 in Villingen beziehen. Dies war der vorläufige Abschluß jahrelangen Bemühens um eine zeitgemäße und funktionelle Un­ terbringung der zentralen Dienste der Poli­ zeidirektion und des Polizeireviers Villin­ gen. Es wird nun chronologisch aufgezeigt, welch wechselvolle Geschichte die Polizei­ direktion Villingen-Schwenningen seit ihrer Geburt vor 25 Jahren erlebte. Insbesondere soll dabei auch die dezentrale und in weiten Bereichen unzulängliche Unterbringung an­ gesprochen werden. Als die Städte Villingen 70 und Schwenningen fusionierten, wurden bereits das Polizeikommissariat Villingen und das Polizeirevier Schwenningen – es zählte damals noch zum Polizeikommissa­ riat Rottweil – zu einem neuen Polizei­ kommissariat Villingen-Schwenningen ver­ einigt. Im Zuge der Verwaltungsreform – aus der auch der neue Schwarzwald-Baar-Kreis her­ vorging – wurde am 1. Januar 1973 die Polizeidirektion Villingen-Schwenningen aus der Taufe gehoben. Aus dem nur ein­ jährigen Polizeikommissariat Villingen­ Schwenningen, dem Polizeikommissariat Donaueschingen und der Kriminalaußen­ stelle Villingen, die zum Kriminalkommis­ sariat Konstanz zählte, entstand die neue Polizeidirektion. Die Dienstbereiche der Po­ I izeidirektion und des Schwarzwald-Baar-

Polizeidirektion in neuen Räumen Ein neues Verwaltungsgebäude konnte die Polizeidirektion Villingen-Schwenningen beziehen. Kreises waren nunmehr deckungsgleich; die Einräumigkeit der Verwaltung war gegeben. In der Polizeiorganisation waren nunmehr Schutzpolizei, Kriminalpolizei sowie Ver­ kehrspolizei unter einer Führung vereint. Erster Polizeihauptkommissar Otto Stärk war bis 1975 erster Leiter dieser neuen Or­ ganisationseinheit. Sein Nachfolger wurde Polizeidirektor Helmut Kahler. Seit dem 1. September 1992 leitet Polizeidirektor Ro­ bert Wölker die Polizeidirektion Villingen­ Schwenningen. Als erster Sitz diente der neuen Organisa­ tion das alte Dienstgebäude „Bahnhofstra­ ße 1 O“, dort, wo bislang das Polizeirevier un­ tergebracht war, und wo nach Renovierung im November 1998 der Wirtschaftskon­ trolldienst, das Sachgebiet Verkehrswesen, der Verkehrsdienst sowie die Diensthunde­ führerstaffel bis zur Verwirklichung des zweiten Bauabschnitts „Waldstraße“ einge­ zogen sind. Schon bei Gründung der neuen Polizeidi­ rektion reichten die Räumlichkeiten in der Bahnhofstraße 10 bei weitem nicht aus, so daß die Leitung der Polizeidirektion mit dem Stab und zentralen Diensten bereits am 2. Februar 1976 das frühere angemietete Dienstgebäude „In den Ziegelwiesen 2a“ be­ zog. Obwohl dies als Übergangslösung ge­ dacht war, dauerte das Provisorium immer­ hin 22 Jahre. Auch die Kriminalpolizei arbeitete seit An­ fang 1990 in der Goldenbühlstraße 23, ei­ nem angemieteten Dienstgebäude, in dem erstmals alle Dezernate vereint worden wa­ ren. Insgesamt arbeitete die Polizeidirektion also an drei Standorten in Villingen. Vielfältige Veränderungen in unserer Ge­ sellschaft veränderten auch Rollenverständ-71

Behörd n, Organi ationen nis und Anforderungsprofil der Polizei. Das Arbeitsvolumen nahm nicht nur quantitativ zu; die Dienstausübung wurde gleichzeitig komplexer, kompli­ zierter und schwieriger. Auch der Personalkörper vergrößerte sich. Damit wuchs auch die Er­ wartungshaltung an funktionel­ le, zeitgemäße und geeignete Diensträume, die es ermöglich­ ten, qualifizierte Arbeit zu lei­ sten; denn eine moderne Polizei kann ihren vielfältigen Aufga­ ben nur gerecht werden, wenn geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, die alle not­ wendigen Organisationsabläufe gewährleisten. Hierzu zählen vor allem gut eingerichtete Ar­ beitsplätze mit einer polizei­ technischen Ausstattung auf dem neuesten Stand. Unter diesen Einflüssen wurde bereits 1981 ein rund 1,3 ha großes Baugelände für den Neu­ bau einer Polizeidirektion im Weitlä1ifig,Jreundlich und hell, das neue Dienstgebäude der Po/i­ Stadtrandgebiet von Villingen zeidirektion Villingen-Schwenningen. erworben. Die Fortführung des mit 35 Millionen veranschlagten Neubau­ projekts scheiterte jedoch Jahr für Jahr an fehlenden Haushaltsmitteln. Deshalb be­ gann ab 1992 erneut eine intensive Suche nach alternativen aber auch preiswerteren Lösungsmöglichkeiten. jahr 1996 begannen die Planungen. Der Kaufvertrag konnte am 30. September 1996 unterzeichnet werden. Er verpflichtete die Firma DITEC zum Umbau des ehemaligen Entwicklungsgebäudes nach den Plänen des Staatlichen Vermögens- und Bauamtes für polizeiliche Zwecke. Die Firma DITEC be­ auftragte mit dem Umbau die Firma JEN­ OPTIK-BAU in Jena als Generalüberneh­ mer, die wiederum die Firma Wolff & Mül­ ler, Freiburg, als Generalunternehmer ein­ setzte. Die Baumaßnahmen begannen 1997. Am Ende der ersten Phase blieb nur noch die sich selbst tragende Fassade übrig. Das gesamte Innere wurde vollkommen neu ge­ staltet. Obwohl etwa 13 Millionen DM als Bauvolumen investiert worden waren, konnte das sechsgeschossige Gebäude mit Eine Reihe von Liegenschaften wurden be­ sichtigt und analysiert. Im Frühjahr 1994 zeichnete sich das Objekt „Waldstraße 10/1″ als beste Alternative für die Unterbringung der Polizeidirektion ab. Es handelte sich um das ehemalige Entwicklungsgebäude der Fir­ ma Kienzle, später „Mannesmann-K.ienzle“, danach „Digital-Kienzle“ und letztendlich ,,DITEC“. Die grundsätzliche Entscheidung, das „DI­ TEC-Gebäude“ als neuen Sitz der Polizei­ direktion umzubauen, fiel 1995. Ab Früh- 72

Polizeidirektion in neuen Räumen semer Netto-Grundriß-Fläche von 3 878 qm2 und 155 Räumen nebst weiteren 36 Ga­ ragen am 27. März 1998 zu einem „ge­ deckelten“ Gesamtpreis von insgesamt 20,7 Millionen übergeben werden. Die ehemali­ ge Industrie-Anlage war umgenutzt worden zu einem modernen Dienstleistungszen­ trum mit hohem technischen Standard fur die Polizei. Der Umzug fand im April 1998 statt. Arbeit der Polizei gewürdigt Am 2. Juli 1998 wurde das Gebäude von Ministerpräsident und Wahlkreisabgeord­ neten Erwin Teufel eingeweiht. Der Mini­ sterpräsident würdigte in seiner Rede die Ar­ beit der Polizei im Schwarzwald-Baar-Kreis und gratulierte zum neuen Dienstgebäude. „Auch wenn das Gebäude im ehemaligen Schwimmbecken des Villinger Freibades ste­ he“, so führte er u. a. aus, ,,sei er überzeugt, daß die Innere Sicherheit im Schwarzwald­ Baar-Kreis nicht baden gehe.“ Der Standort der neuen Polizeidirektion ist nicht nur polizeitaktisch als ideal zu be­ zeichnen. Er liegt verkehrsgünstig in der Nähe des Stadtzentrums. Die Größe des Ge­ ländes reicht auch aus, um im zweiten Bau­ abschnitt ein weiteres Verwaltungsgebäude fur den Wirtschaftskontrolldienst, den Ver­ kehrsdienst und die Diensthundefuhrerstaf­ fel sowie weitere Funktionsräume wie z.B. einen dringend benötigten Schießtrainings­ raum zu erstellen. Das Umbauvorhaben ist auch aus Sicht des polizeilichen Nutzers hervorragend ge­ lungen, selbst wenn man dies beim ersten Blick von außen nicht erkennen kann. Die Fassade ist die eines Zweckbaus geblieben. Anders sieht es innen aus. Hier herrscht kein Kasernencharakter mit langen Gängen vor, sondern man wird überrascht von einer ab­ wechslungsreichen interessanten Innenar- Ministerpräsident Erwin Teufel bei der Einweihung der Polizeidirektion. 73

Robert Wölker PD u. Leiter der Polizeidirektion Soziales Leid und wirtschaftliche Not abwehren Behörd n, Organisationen in Villingen arbeiten etwa 150 Mitarbeiter. Die restlichen -mehr als 300 Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter -sind auf Organisa­ tionseinheiten in weiteren 11 Dienstgebäu­ den und Liegenschaften im Schwarzwald­ Baar-Kreis verteilt. Seit Jahren arbeiten die Mitarbeiter der Polizeidirektion zielorientiert mit einem nachweisbar hohen Wirkungsgrad. Sie kön­ nen mit guten Ergebnissen in ihrer 25-jähri­ gen Geschichte aufwarten. Durch das neue funktionelle Dienstgebäude ist mit Sicher­ heit ein weiterer Qialitätszuwachs zu er­ warten. Davon profitiert in erster Linie die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Schwarzwald-Baar-Kreis. chitektur, kurz gesagt: Ein modernes Verwal­ tungszentrum mit den spezifischen Einrich­ tungen und modernster Technik der Polizei. Freundlich und ausgewogen stellen sich die Räume dar, so wie die Polizei vom Bürger gesehen werden möchte. Licht durchflutet die Räume, sie sind einsehbar, überschau­ bar, transparent: Sinnbild für das eigene Rollenverständnis der Polizei. Dank gebührt deshalb dem Staatlichen Vermögens-und Bauamt Rottweil für die vermögenswirksamen und planerischen Lei­ stungen, in die auch stets die Polizeidirek­ tion Villingen-Schwenningen durch das ,,Bauteam“ eingebunden war. Die Polizeidirektion Villingen-Schwennin­ gen verfügt derzeit über insgesamt 452,5 Mitarbeiter. Davon zählen 306 zur Schutz­ polizei, 58 zur Kriminalpolizei und 4,5 zur Verwaltung. Hinzu kommen 54 Angestellte und 30 Arbeiter. Im Hause Waldstraße 10/1 Prof. Dr. Dr. Michael Ungethüm als Präsident der lndustrie-und Handelskammer ausgeschieden Gleich allen demokratischen Institutionen Vielzahl seiner Talente und Begabungen, kennt auch die Industrie-und Handelskam­ durch seine hohe Arbeitsdisziplin wie durch mer als Selbstverwaltungskörperschaft mit seine herausragende Kompetenz als Wis­ ihrer von den Kammermitgliedern gewähl­ senschaftler und Unternehmer.“ ten Vollversammlung ein „Parlament“, dem Ungethüm, der nach einer Lehre als Ma­ alle fünf Jahre die Wahl des Präsidiums ob­ schinenschlosser über den zweiten Bil­ liegt. Geänderte Mehrheitsverhältnisse und dungsweg zum Studium kam, begann 1966 mit dem Studium der Betriebswirtschaft an neue Strömungen nach der Wahl vom De­ zember 1997 im Kammerbezirk bewogen der Universität München, wechselte dann an die Technische Hochschule München. den im Mai 1993 zum Präsidenten gewähl­ ten Vorstandsvorsitzenden der Tuttlinger 1976 promovierte er zum Dr. Ing. an der Aesculap AG, Prof. Dr. Dr. Michael Unge­ Technischen Hochschule Aachen, 1977 ha­ thüm, Ende April 1998 zum Rücktritt. bilitierte er sich an der Medizinischen Fa­ Der 1943 in Breitbrunn am Arnmersee kultät München und erhielt dort 1978 die Lehrbefugnis (Fachgebiet Orthopädie-Tech­ geborene, so Vizepräsident Jakob Mar­ nik). quardt in seiner Rede zum Abschied am 2. April 1998 vor der Vollversammlung, war Im Jahr 1984 wurde er zum Professor an ein „Glücksfall für die Kammer und ihre der Ludwig-Maximilians-Universität er­ vielfältigen Aufgaben gewesen, durch die nannt, wo er seitdem neben seinen anderen 74

Tätigkeiten regelmäßig Lehrveranstaltungen hielt. Beruflich war er von 1970 bis Mai 1977 Lei­ ter des Biomechanischen Labors an der Or­ thopädischen Klinik und Poliklinik der Uni­ versität München. Im Juni 1977 wurde er stellvertretendes Vorstandsmitglied der Aes­ culap AG, Tuttlingen, Bereich Forschung und Entwicklung. Im Mai 1997 avancierte er zum ordentlichen Vorstandsmitglied, im März 1983 wurde er Vorstandssprecher, im September 1990 Vorstandsvorsitzender. Seit Jahren ist Ungethüm auch Vorsitzender der Ulmer Gesellschaft für Biomedizinische Technologie. Im Juli 1988 erhielt Ungethüm die Wirt­ schaftsmedaille des Landes Baden-Württem­ berg. Im Februar 1991 wurde ihm die Wür­ de eines Ehrensenators der Universität Ulm verliehen. Seit 1986 hatte er sich an dem „Institut für Lasertechnologie in der Medi­ zin an der Universität Ulm“ besonders en­ gagiert. Dieses Institut, das in Form einer Stiftung von der Aesculap AG, der Firma Zeiss und dem Land Baden-Württemberg getragen wird, fungiert als Schnittstelle zwi­ schen der produktbezogenen Industriefor­ schung und universitärer Grundlagenfor­ schung. Ungethüm ist Verfasser zahlreicher wis­ senschaftlicher Arbeiten zu Technologie und Biomechanik im Bereich der Hüft- und Knieprothesen, zu Unfallchirurgie und me­ dizinischen Werkstoffen. Drei Monographi­ en, über 100 wissenschaftliche Artikel und eine beinahe gleich große Zahl nicht publi­ zierter Vorträge legen Zeugnis ab von einer allseits anerkannten Fachkompetenz. Im September 1992 erhielt er das Bundes­ verdienstkreuz am Bande. 1995 gesellte sich aus der Hand von Bismarcks Urenkel das Bismarck-Treuekreuz am Bande dazu, ein Medaillenlob für Wahrung des deutschen Geschichts- und Kulturbewußtseins, verge­ ben vom Bismarck-Bund, der sich der Wah­ rung des deutschen Geschichts- und Kultur­ bewußtseins verschrieben hat. Michad Ungethüm Prof Dr. Dr. Michael Ungethüm Leitlinien des Handelns waren für Un­ gethüm die Bringschuld des einzelnen für die Gemeinschaft, um Wertezerfall, soziales Leid und wirtschaftliche Not abzuwehren. Er forderte die Gemeinschaftsverträglichkeit der Investitionen der Wirtschaft ein, um ei­ ne unerträglich hohe Arbeitslosigkeit abzu­ wehren, eine Gesellschaft mit Solidarität und Einsatz für den Nächsten. Ausgleich für sein weiterhin hohes Ar­ beitspensum findet der Vater zweier Kinder nicht nur bei Lyrik und Segelsport. Über die Kunst und ihre Förderung als Mitglied der Kunststiftung Hohenkarpfen bleibt Prof. Dr. Dr. Michael Ungethüm dem Landkreis weiterhin erhalten. Joachim Sturm 75

5. Kapitel/ Almanach 99 Bildungseinrichtungen Bundesweites Medienecho für eine bislang einzigartige Aktion – Leitstelle ist in Furtwangen FHF startet erste unbemannte Weltumsegelung Die Fachhochschule Furtwangen baute in kung viele Hunderttausende daran teilha­ ben lassen? Die Hochseesegelerfahrung von den vergangenen 15 Monaten einen über 11 Meter langen und 9 Meter breiten Trimaran, zwei der Professoren brachte Prof. Dr. Rei­ der unbemannt, real und virtuell, die Welt ner Schmid auf die Idee: Um die Weltzuse­ umrunden soll, autonom gesteuert und geln, ist ein Traum -die meisten von uns überwacht von einer Leitstelle in Furtwan­ träumen ihn nur. Mit einem Renntrimaran gen. Der Bau des Trimaran-Bootskörpers -das ist ein Boot mit drei Rümpfen -um die Welt zu surfen, soll Realität für jeden wurde bis Anfang Januar 1998 abgeschlos­ sen. Per Lasthubschrauber der Bundeswehr werden -virtuelle Realität via Internet. Ein erfolgte am 7. Januar 1998 der Transport von unbemannter, ferngesteuerter Weltumseg­ den Schwarzwaldhöhen zum Stapellauf in ler, auf dem per Internet Hunderttausende mitsegeln -eine noch nie verwirklichte Vi­ Breisach am Rhein. Schwimmend ging es rheinabwärts zur „boot“-Messe nach Düs­ sion.Keiner ahnte damals am 11. Feburar 1997, seldorf. In Wilhelmshaven, dem späteren Gelände der EXPO AM MEER 2000, wur­ daß auf den Tag genau ein Jahr später Bun­ de die Hydraulik, visuelle Sensorik, Elektro­ desaußenminister Dr. Klaus K.inkel den Tri­ nik, Navigationsinstrumente und ein neu maran auf einer eigens dafür einberufenen konstruiertes Rigg eingebaut. Am 30. Juni Pressekonferenz bei seiner Ankunft auf der 1998 begann dann der bemannte Testtörn ,,Neuen Jade-Werft“ in Wilhelmshaven be­ grüßen würde. nach Lissabon zur EXPO ’98, von wo der Trimaran voraussichtlich im September sei­ Zunächst galt es Professoren, Mitarbeiter und Studierende und dann auch die breite ne unbemannte Weltumsegelung beginnen wird. Zu verfolgen ist das Projekt bereits Öffentlichkeit für diese Idee zu begeistern. jetzt über das Internet unter der Adresse Der erste Schritte dahin war, die Mitglieder http://www.relationship.fh-furtwangen.de. der „Marketing Task Force“ der FH Furt­ wangen zu überzeugen, deren Vorsitzender Prof. R. Katzsch ist. Das Ergebnis der Sit­ Motivation und Idee zung der „Marketing Task Force“ war nach Forschung, Abenteuer und Marketing für einer überzeugenden Präsentation von Prof. die Fachhochschule Furtwangen in einem R. Schmid einmalig: Das Projekt erhielt Projekt zu verbinden, darum kreisten die nicht nur begeisternde Zustimmung, son­ Gedanken, als am 11. Februar 1997 die Furt­ dern viele Mitglieder erwarben spontan ei­ wanger Professoren Martin Aichele, Rolf nen Anteilschein in Höhe von DM 100 an dem Projekt, das damals noch „Real Reality“ Katzsch und Reiner Schmid gemeinsam über Wege diskutierten, die Attraktivität der hieß. Es wurde beschlossen, es dem Senat der Hochschule vorzustellen, durch den es Furtwanger Hochschule fur Technik und in der Sitzung am 16. April 1997 mit ein­ Wirtschaft zu erhöhen. Wie kann man die stimmigem Votum zum offiziellen Hoch­ drei Aspekte miteinander bündeln und we­ schulprojekt wurde, das es ermöglichte, gen der angestrebten Öffentlichkeitswir- 76

Unbemannte Weltumsegelung -.L‘ dieses Projekt in Lehrveran­ staltungen und Workshops einzubringen. Bereits am 23. April wurde „Real Reality“ in der Aula den Studierenden und der Öffentlichkeit vorge­ stellt. Der erste Durchbruch bei den überregionalen Medi­ en gelang mit einer Veröffent­ lichung im Handelsblatt, der die führende Segelzeitschrift YACHT und die Welt am Sonn­ tag folgte. Seitdem sind weit über 120 Presseveröffentlich­ ungen im In- und Ausland er­ schienen und über 30 Fernseh­ und Hörfunksendungen über dieses Projekt ausgestrahlt wor­ den. Die Ziele des Projektes Die Fachbereiche der FHF, repräsentiert durch ihre Profes­ soren/-innen, ihre Mitarbei­ ter/-innen und die Studen­ ten/-innen wollen auf einer in­ terdisziplinären Plattform ge­ meinsam etwas Innovatives, Einmaliges schaffen, High­ tech-Produkt und Ereignis zu­ gleich, mit dem sich die ganze Auslaufen des Trimarans in Wilhelmshaven. Hochschule, die mitwirkenden Partner und die Region identifizieren und ein Wir-Gefühl entwickeln können. Das „Produkt“ sollte real und zugleich Symbol sein – Symbol für Unternehmertum, Ein­ satzfreude, fachübergreifende Zusammenar­ beit innerhalb und außerhalb der Hoch­ schule. ,,The RelationShip“ ist ein interdisziplinä­ res Projekt, dessen Ziele auf mehreren Ebe­ nen deutlich werden: 1) Integration unterschiedlicher Fachberei­ che und Studiengänge – Allgemeine Infor­ matik, Digitale Medien, Informationssyste­ me, Mechatronik und Mikrosysteme, Ma- schinenbau / Automatisierungstechnik, Pro­ duct Engineering, Wirtschaftsinformatik in einem Projekt der FH Furtwangen. 1) Als besonderer technischer Fokus gilt die Erforschung ganz neuer Wege der automa­ tischen Steuerung und Fernsteuerung auto­ nomer Systeme. 1) Errichten einer Plattform für die Zusam­ menarbeit vieler internationaler Partner – Einzelpersonen, Hochschulen, Industrie­ und Dienstleistungsunternehmen. 1) Gewinnen von Freunden als völkerver­ bindender Aspekt. Durch die Beachtung in den Medien soll das Projekt auch zum idea- 77

Bildungseinrichtungen Der Trimaran wird mit dem Hubschauber von Furtwangen aus an den Rhein transportiert, groß war die Zuschauerkulisse (unten). len Werbeträger für Sponsoren werden. Zwischenstops auf verschiedenen Kontinenten bieten zusätzlich zu Internet­ Auftritten Gelegenheit zu pu­ blikumswirksamen Events. Spezifikation und Routenplanung Die Konstruktionspläne stam­ men von Dick Newick, der nicht nur in den USA für seine seetüchtigen, schnellen und ästhetischen Trimarane hohes Ansehen genießt. In enger Zu­ sammenarbeit mit ihm wur­ den von einem Team um Prof Dr. Kubisch vom Fachbereich Maschinenbau und Automati­ sierungstechnik die technisch­ en Spezifikationen ausgearbei­ tet (siehe Tabelle rechte Seite – Spezifikation). 78

Unbemannte Weltumsegelung Spezifikation _________ _ Länge Breite Tiefgang (Ruder) Hauptsegel Flügelmast Verdrängung Bauweise Energieversorgung Hydraulik Satelliten· kommunikation Navigation Fernsteuerung Designer, Bootskörper Designer, Rigg Hersteller, Bootskörper Hersteller, Rigg, Segel 11,3 m / 37′ 9,2 m / 30′ 2″ 0,91 m / 3′ O“ 38,46 m2 / 414 ft2 0,38 X 0,19 X 12,2 m / 15″ X 7,5″ X 40′ 2.450 kg I 5.800 lbs Fiberglas I Kohlefaser I Epoxydharz mit 19 mm Zedemholzkem WEST SYSTEM, H u M von der LINDEN GmbH, Wesel 2 Dieselgeneratoren a 2,1 kW (FISCHER PANDA) Batteriekapazität 300 Ah Ruder Hauptsegel, Hauptsegelreffung Mastdrehung Baumverstellung 2 INMARSAT-C·Systeme, l INMARSAT-M-System N ERA GmbH, Hamburg SILVA Navigationsmeßinstrumente Zwei Leitstellen, rund um die Uhr besetzt Seekartensystem von 7Cs, Hamburg Wetterinformationen von WNI OCEAN ROUTES Dick Newick, Kittery Point, Maine/USA FH Furtwangen/Pritzner (DORNIER) Fachhochschule Furtwangen (Schwarzwald) Speedwave Rudi Magg GmbH, Kreßbronn Beilken Segel, Bremen Drei Rechner bilden auf hoher See die Crew. Sie werden beim An- und Auslaufen aus den Hä­ fen ergänzt um eine »reale“ Ver­ sorgungscrew. An Bord sind drei Kameras, im Rigg und in Steuer­ mannsposition, fest installiert: zwei 3-CCD-Farbkameras für hochaufgelöste, brillante Farb­ bilder und eine sehr lichtemp­ findliche s/w-Kamera. Die Ener­ gie für die Stromversorgung aller Steuerungs- und Kommunikati­ onssysteme an Bord wird von zwei Dieselgeneratoren erzeugt. Mit Sponsoren wie der Firma WNI Ocean Routes und mit Un­ terstützung der Seefahrtsschule Stettin/Polen wurde die vorläufi- ge Route mit einer Streckenlänge von über 30 000 Seemeilen defi­ niert. Die künftige Kommunikation zwischen dem Trimaran und der Leitstelle in Furtwangen findet über zwei Inmarsat-Satellitensy- steme unterschiedlicher Übertra­ gungskapazität statt. Dabei muß dem Energieverbrauch eine be­ sondere Bedeutung zugemessen werden. Die Positions- und Steu­ erdaten werden deshalb über In­ marsat-C übertragen, da dieses bezüglich des Energieverbrauchs eine optimale Lösung darstellt. Eine regelmäßige, weltumspan­ nende Verbindung zwischen Schiff und Leitzentrale ist auf diese Weise gewährleistet. Aufgrund der geringen Datenrate 600 Bit/s ist der Inmarsat-C-Kanal für eine regel­ mäßige Bildübertragung (Bewegtbildse­ quenzen in Offline-Technik) in die Internet­ Seiten des RelationShip völlig ungeeignet, so daß nur eine Inmarsat-M-Anlage mit ei­ ner Übertragungsrate von 2400 Bit/s in Fra­ ge kommt. Um den Energiebedarf bei der Bildübertragung in Grenzen zu halten, wird die M-Anlage nur bei Bedarf über den C-Ka­ nal aktiviert wird, bleibt ansonsten aber völ­ lig abgeschaltet. Die Bilderfassung an Bord erfolgt über drei Kameras, die wahlweise aktiviert werden können. Die abgetasteten Bilder werden im Rechner weiterverarbeitet, bevor sie über­ tragen werden. 79

Bildungseinrichtungen ., • Der Trimaran bei ersten Tesifahrten. Zu Begi.rm des Projektes befanden sich noch Mitarbeiter der Fach­ hochschule Furtwangen an Bord, es galt die komplexe Technik für die Weltumsegelung zu optimieren. Der Trimaran wird von einer Versorgungs­ crew aus der Zwölfmeilenzone gesegelt und dort von der Besatzung einer der beiden Leitstellen der Hochschule (in Furtwangen bzw. Schwenningen) übernommen. Von dort aus wird das Schiff rund um die Uhr kontrolliert und zur Zwölfmeilenzone des nächsten Zielhafens dirigiert. Alle Meßdaten vom Schiff, wie Position, Wind, Segelstellung stehen sowohl den Bordrechnern als auch Leitstellen zur Verfü­ gung und bilden zusammen mit Karten­ und neuesten Wetterinformationen die Grundlage für Entscheidungen, die zu Ein­ griffen in die Steuermechanismen auf dem Boot führen können. Kritische bzw. sicher­ heitsrelevante Vorgänge wie das Reffen der Segel oder Wendemanöver führen die auf dem Trimaran installierten Rechner selb­ ständig aus. 80 Ein GPS-Empfänger, der an die Selbst­ steuerungsanlage angeschlossen ist, liefert auf etwa 50 m genaue Positionsdaten, wel­ che auf dem Kartenmonitor im Leitstand eingeblendet werden. Ebenso wie die Positi­ on sind alle verfügbaren Sensorinformatio­ nen visualisiert. Die Wetterverhältnisse auf See sind ein entscheidendes Kriterium zur Wahl der Kur­ se und Segelstellungen. Globale Wetterin­ formationen stehen über ein Wetterdaten­ system von WNioceanroutes zur Verfü­ gung. Darauf basierend werden die aktuel­ len Routen festgelegt. Als Daten über das lokale Wetter werden die W indgeschwin­ digkeit und Windrichtung, die Seegangsver­ hältnisse aus den Ruderbewegungen und natürlich die übertragenen Videobilder her­ angezogen. Träger dieses Projektes ist die Fachhoch-

schule Furtwangen unter der Schirmherr­ schaft des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Erwin Teufel. Das Pro­ jektmanagement liegt in Händen von meh­ reren Professoren. An den zahlreichen Teil­ projekten wirken weitere Kollegen, Mitar­ beiter und Mitarbeiterinnen sowie über 100 Studenten und Studentinnen aller Fachbe­ reiche mit. Finanziert wird das Projekt ausschließlich aus Sponsorenmitteln und Spenden an die Fördergesellschaft der FH Furtwangen, zu denen spontan auch Professoren, Mitarbei­ ter und Studierende beitrugen. Ein elektronisches Kaufhaus, das Relati­ onShip-Artikel anbietet, befindet sich im Aufbau auf einem eigenen Internet Mer­ chant Server. Sämtliche Arbeiten werden ge­ meinsam von Professoren und Studieren­ den in fachbereichsübergreifenden Work­ shops der Hochschule durchgeführt. Bauphasen und Transport bis zum Start in Wilhelmshaven Sowohl der Bau eines 1:10-Modells als auch des ersten Auslegerrumpfes begann noch im April 1997. Im November 1997 wa­ ren bereits der Hauptrumpf, die beiden Aus- Unbemannte Weltumsegelung legerrümpfe und Q!Jerträger fertiggestellt. Im Dezember begann die Montage der ein­ zelnen Bootskörper. Industriepartner als Sponsoren stellten nicht nur wesentliche Bauteile, sondern auch die Rechner zur Ver­ fügung und arbeiten gemeinsam mit der Fachhochschule und Softwarehäusern an der Entwicklung der Programme. Am 8. Dezember 1997 wurde es in der Re­ lationShip-Bootswerft für die Endmontage zu eng. Mit Hilfe eines Autokrans wurden die drei einzelnen Rümpfe des Trimarans aus dem l. Stock eines ehemaligen Ferti­ gungsgebäudes in Furtwangen in ein neu aufgestelltes Montagezelt verlegt. Hier fand in den verbliebenen vier Wochen bis zum Abtransport die Endmontage der drei Rümpfe zum fertigen Bootskörper des Tri­ marans statt. In Anwesenheit mehrerer Fernsehstatio­ nen und der Frau des Schirmherrn, Edel­ traud Teufel als Taufpatin, fand am 7. Janu­ ar 1998 der spektakuläre Transport des Tri­ marans durch Lasthubschrauber der Bun­ deswehr von Furtwangen zum Rhein nach Breisach statt. Auf eigenem Rumpf wurde der Trimarans mittels Außenbordmotor nach Düsseldorf überführt, wo er vom 17. bis 25.Januar 1998 auf der internationalen Bootsausstellung in Düs­ seldorf zu einer der Hauptattraktionen des Publikums und zum Me­ dienereignis wurde. Zu diesem Zeitpunkt fehlte noch der gesamte technische Innenausbau sowie das Rigg. Da ein Rücktransport nach Furt­ wangen ausgeschlossen war, entschieden wir uns aufgrund von Kontakten zum Büro „EXPO AM MEER“ in Wilhelmsha­ ven, ein Untervorhaben der EXPO 2000 Hanno- 81 Mitglieder des Re/ationShip-Teams der Fachhochschule htrtwangen.

Unbemannte Wehumsegelung ver, zur Verlegung des Trimarans nach Wil­ helmshaven. Über Binnenkanäle wurde, wiederum auf eigenem Rumpf und mitten im Winter, der Trimaran von Düsseldorf nach Wilhelmsha­ ven verlegt. In den folgenden Wochen be­ gannen in einer von der Neuen Jade-Werft gesponserten Werfthalle die Arbeiten am Ausbau der Hydraulik, der visuellen Senso­ rik, der Elektronik, der Navigationsinstru­ mente und des neu entwickelten Riggs (sie­ he auch Schmid, Reiner: „The Relation­ Ship“, in: Forschungsbericht 1998 der Fach­ hochschule Furtwangen, S.11-13). Im Juni 1998 waren die technischen Ar­ beiten soweit abgeschlossen, daß mit Test­ fahrten auf dem Jadebusen begonnen wer­ den konnte. Am 13. Juni 1998 fand in Wilhelmshaven gemeinsam mit einem der Hauptsponsoren, der EXPO 2000 Hannover, eine Pressekon­ ferenz und ein Marketingevent aus Anlaß des Starts zum Testtörn nach Lissabon unter starker Publikumsbeteiligung statt. Dieser Testtörn mußte wegen auftretender Test­ mängel noch einmal unterbrochen werden, bevor dann am 30. Juni 1998 Wilhelmsha­ ven endgültig mit Kurs EXPO ’98 nach Lis­ sabon verlassen wurde. Umfangreiche Daten gesammelt Ein derartiges komplexes Forschungsvor­ haben, für das es ja keinen Vorgänger auf der Welt gibt, bedarf der Sammlung von um­ fangreichen Datenmaterial für die Program­ mierung der Bordrechner, das nur in langen Testfahrten unter unterschiedlichen Wind­ und Seebedingungen gewonnen werden kann (siehe hierzu auch von Krause, Erik; „Der Internet-Tri sticht in See“ in: Yacht, Die führende Segelzeitschrift Nr. 15, 15. 07. 98, S. 102-105). Der z. Zt. stattfinden­ de Testtörn mit einer 2-Mann-Crew an Bord und einer Begleitmannschaft an Land im Wohnmobil hat bereits eine Reihe von Er­ kenntnissen geliefert, die sich bereits in tech- 82 nischen Änderungsvorschlägen und einer Mängelliste niedergeschlagen haben. Der Trimaran wird deshalb den spanischen Hafen Bayona an der Atlantikküste nahe der portugiesischen Grenze anlaufen, damit dort Anpassungen und Änderungen an den technischen Systemen vorgenommen wer­ den können, die sich aufgrund der Tests während der Fahrt durch die Nordsee, den Kanal und die Biskaya als notwendi� her­ ausgestellt haben. Diese technischen Ande­ rungen wurden im August durchgeführt. Ende August nahm der Trimaran dann sei­ nen Liegeplatz auf dem EXPO-Gelände in Lissabon ein, um sich erneut dem Publikum zu präsentieren. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, ist für den 5. September 1998 der Start zur er­ sten unbemannten Etappe von Lissabon nach La Palma auf den Kanarischen Inseln geplant. Mit „Tue RelationShip“ sind wir zwar nur ein sehr kleines Detail unserer Gegenwart – aber wir verkörpern deutschen Pioniergeist. Das Bundesaußenministerium ließ dazu verlauten: ,,Bundesaußenminister Dr. Kin­ kel wird das Projekt als Musterbeispiel deut­ scher Innovations- und Wagniskultur unter­ stützen. In den Ländern, in denen der High­ Tech-Trimaran ein Zwischenstopp einlegt, sollen deshalb die deutschen Auslandsver­ tretungen „Tue RelationShip“ als einen Bot­ schafter des Zukunftsstandortes Deutsch­ land präsentieren und ihm jede mögliche Unterstützung gewähren. Bundesaußenmi­ nister Dr. Kinkel will sich auch dafür einset­ zen, daß das Boot auf seiner Weltumsege­ lung auf die Unterstützung der Regierungen in den Ländern zählen kann, die es auf sei­ ner Reise berührt.“ Unsere Vision beginnt Wirklichkeit zu werden! Pref. Rolf M. Katzsch

Bemfsakademie mit neuem Gebäude Bildungseinrichtungen Architektonisch gelungenes Bauwerk – Sozialwirtschaft als dritten Studiengang eingeführt Marketing hinaus Themen der internatio­ nalen Betriebswirtschaftslehre sowie des in­ ternationalen Managements. In Kooperati­ on mit verschiedenen ausländischen Lehr­ anstalten sind im Verbund mit anderen BA’s im Lande die gegenseitige Diplomverlei­ hung sowie die Möglichkeit zu Aufbaustu­ diengängen mit internationalen Abschlüs­ sen wie Bachelor und Master die nächsten Schritte, die man erreichen möchte. Die seit vielen Jahren erfolgreich arbeiten­ den Fachbereiche der Sozial-und Wirt­ schaftswissenschaften sind seit einigen Mo­ naten durch einen dritten, die Sozialwirt­ schaft, ergänzt worden. Das Studium zum/zur Diplom-Sozialwirt/in (BA) verbin­ det Lehrinhalte der beiden erstgenannten Studiengänge zu einer Synthese. Mit diesem neuen Studienangebot reagiert die Berufs­ akademie Villingen-Schwenningen auf Ver­ änderungen im Dienstleistungsbereich, ins­ besondere im Sozialwesen. Der Studien- Mit Stolz können die Mitarbeiter der Berufsakademie Villingen-Schwenningen auf eine aktionsreiche Zeit zurückblicken. Der Einzug in das 1997 fertiggestellte Aka­ demiegebäude, die Einführung neuer Studi­ engänge sowie die Veranstaltung „Zukunfts­ werkstatt“ wurden erfolgreich bewältigt. Als Höhepunkt im 22jährigen Bestehen der Be­ rufsakademie konnte im Juli 1997 die Ein­ weihung des Neubaus an der Friedrich­ Ebert-Straße feierlich begangen werden. „Ein Meilenstein in der Geschichte der Stadt“, lobte die Presse die Bebauung des ehemaligen Kienzle-Areals. Das architekto­ nisch gelungene Bauwerk beherbergt Hör­ säle sowie Dozenten-und Sekretariatsräum­ lichkeiten für den Ausbildungsbereich Wirt­ schaft. Mit rund 30 000 Bänden, zahlrei­ chen Computer- sowie Internetsplätzen bietet die geräumige Bibliothek modernste Arbeitsvoraussetzungen für die Studieren­ den aller Fachbereiche. Dem Prozeß einer ste­ tig wachsenden Interna­ tionalisierung trägt die Berufsakademie mit der Einführung neuer Studi­ engänge immer wieder Rechnung. Das Steuer­ und Prüfungswesen um­ faßt seit 1997 schwer­ punktmäßig auch das „Internationale Steuer­ recht“. Im Juli 1998 er­ fuhr die bestehende Fachrichtung „Interna­ tionales Marketing“ eine Erweiterung. Sie nennt sich künftig ,,Internatio­ nal Business Administra­ tion“ und widmet sich Bei der Einweihung des neuen Gebäudes: Links der Direktor der Berufs­ über das internationale akademie, Professor Gernot Riegraf, rechts Ministerpräsident Teufel. 83

Bildungseinrichhmgen 84 Der Neubau der Berufsakademie auf dem ehemaligen Kienzle -Areal in Schwenningen. grüßungsrede. Professor Gernot Riegraf, Di­ rektor der Berufsakademie, steht voll hinter dem Konzept, jungen Leuten die Vielfalt re­ gionaler Bildungsangebote zu präsentieren und ihnen auf diesem Wege die Entschei­ dung zu erleichtern. Daher soll die Veran­ staltung auch keine „Eintagsfliege“ sein, sondern jährlich wiederholt werden. gang ist neu in Baden-Württemberg und wird nur an der Berufsakademie Villingen­ Schwenningen angeboten. Unter dem Motto „Der Weg zum berufli­ chen Erfolg“ präsentierte sich die Berufs­ akademie am 11. Juli 1998 als Zukunftswerk­ statt. Gemeinsam mit beteiligten Institutio­ nen und Firmen der Region sollten vor al­ lem junge Menschen zwischen 15 und 25 die Möglichkeit haben sich zu informieren. Sabine Fritz Auf Initiative der Landesregie­ rung wurden insgesamt zehn Standorte im Land an diesem Tag zu Kontakt-und Infobörsen um­ funktioniert. Ministerpräsident Erwin Teufel ließ es sich nicht nehmen, die Zukunftswerkstatt in Villingen-Schwenningen persön­ lich zu eröffnen. Mit den Worten „Wissen und lebenslanges Lernen werden immer mehr zu entschei­ denden Faktoren für die Zu­ kunft“ stellte Erwin Teufel die Be­ deutung beruflicher Bildung in den Mittelpunkt seiner Be- Großzügig: die Glaifassade zum rückwärtig gelegenen Park.

6. Kapitel/ Almanach 99 Vom genialen Tüftler zum Firmenchef Johannes Rietschel und die Computerfirma ProNet – Nicht die Technik allein entscheidet Industrie, Handwerk und Gewerbe Johannes Rietschel hat aus sei­ nem abgebrochenen Studium die richtigen Schlüsse gezogen. Der heute 34jährige Chef der Schwenninger Firmen ProNet und ACola hat sich bereits als Student der Mathematik und Informatik im vierten Semester drei Prinzipien verinnerlicht, die entscheidend zu dem wirt­ schaftlichen Erfolg seines flo­ rierenden Unternehmens beige­ tragen haben. Die lauten: Team­ arbeit, Arbeitsteilung und die Johannes Rietschel geschickte Vermarktung „ver­ ständlicher Techniken“. Keine ganz neuen Erkenntnisse, die Rietschel jedoch konse­ quent praktiziert. Da er von Schnittstellen und Routern fast alles versteht, ist er in der Lage, sie für den Anwender auf das Wesentliche zu redu­ zieren. Seine Produkte sind „no brainer“. Will sagen: Er entwickelt und fertigt solche Produkte, die die Kunden intui­ tiv bedienen können. Johannes Rietschel haßt Erzeugnisse, die ,,over-featured“ sind. Ein Bei­ spiel: Er selbst hält es für lästig, seinen Videorekorder zu pro­ grammieren, weil die Technik viel zu aufwendig ausfiel. In seine Selbsteinschätzung fließt ein gerüttelt Maß an Understatement ein. Immerhin war Johannes Rietschel mit ei­ ner von ihm entwickelten Farb­ graphikkarte für einen PC im Jahre 1982 und im Alter von 19 Jahren Bundessieger im Wettbewerb „Ju­ gend forscht“. Im Jahre zuvor hatte er be­ reits den Sonderpreis erhalten für die Ent­ wicklung einer Schreibmaschine für Blinde, die Zeichen in Sprache umwandelt. Sein fast erblindeter Großvater gab den Anstoß für die sprechende Schreibmaschine, die noch heute auf dem Markt ist. Im Jahre 1980 be­ teiligte sich der rothaarige Hesse erstmals an diesem renommierten Wettbewerb. Damals präsentierte er ein Legotechnik-Kinderauto, das sich mit Hilfe eines Infrarotstrahlers in jedem Raum zurechtfindet. Die „Jugend­ forscht-Wettbewerbe“ bekräftigten ihn in seiner Auffassung, daß nicht die Technik al­ leine über den Erfolg entscheidet, sondern man mit einem Auge kräftig auf den Markt und das Marketing schielen muß. Bereits im dritten Semester als Mathe-und Informatikstudent wurde es dem heutigen geschäftsführenden Gesellschafter der Ent- Datenerfassungsterminal der A Cola GmbH. 85

Industrie, Handwerk und Gewerbe Papiergestiilzter Datenstrang, das „Wirehearl’s Scrapbook‘: zu deutsch „Sammlerbuch der Drahtköpfe‘: heißt die preisgekrönte /magebroschii.re von ProNet. Aktivitäten des Überfliegers. Riet­ schel dagegen hat nach dem ach­ ten Semester endgültig einen Schlußstrich unter das Kapitel Uni und folgendes Fazit gezogen: „Die Hochschule verliert vieles von ihrem schillernden Charak­ ter, wenn man andere Lebensbe­ reiche kennengelernt hat.“ Und das hat Johannes Rietschel mit Erfolg getan. Ende 1987 grün­ dete er gemeinsam mit Dr. Gerd Kluge die ProNet GmbH für spezielle Lösungen in der Netz­ werk-und Kommunikationstech­ nik (Schnittstellen und Router), die heute renommierten Firmen wie SAP oder Ciba Geigy zuar­ beitet. Bereits bei der Firmen­ gründung wurde auf Teamarbeit gesetzt. Die Arbeitsteilung be­ steht darin, daß ProNet zwar alle Produkte selbst entwickelt, die Herstellung der Hardware jedoch außer Haus erfolgt. Geprüft und eingebaut werden die Geräte je­ doch bei ProNet in der Schwen­ ninger Karlstraße. Dort residiert das Unternehmen in Räumen der Firma Friedrich Ernst Benzing. Um als geschäftsführender Ge­ sellschafter den Kurs seines Un­ ternehmens tatsächlich alleine be- stimmen zu können, lehnte Riet­ schel Existenzgründungsdarlehen ebenso ab wie die Mitsprache von Unternehmensbe­ ratern. Er hat selbst das Gesellschaftsrecht gebüffelt und die Satzungen für die drei Unternehmen (neben ProNet noch die Vertriebsfirma ACola und lcaro mit dem Schwerpunkt Zeiterfassung sowie Acura) ge­ schrieben und sich ins Steuerrecht eingear­ beitet. Dabei paßt das Bild dieses Jungunterneh­ mers so ganz und gar nicht in das gängige Klischee. Johannes Rietschel spricht doch tatsächlich -allen Unkenrufen zum Trotz – wicklungsfirmen ProNet und der Vermark­ tungsfirma ACola aus Schwenningen „lang­ weilig“, weshalb er nebenher noch eine Halbtagesstelle als Steuerungsexperte in ei­ ner Biotechnologie-Firma antrat. Nach be­ standenem Vordiplom und als Stipendiat der Deutschen Studienstiftung belegte das ,,Käpsele“ mal eben das Fach Japanologie. So kam es, daß Rietschel von sich behaup­ tet, in der damaligen Zeit jede geschäftliche Unterhaltung mit Japanern in deren Mut­ tersprache geführt zu haben. Die Professo­ ren freilich beargwöhnten die geschäftlichen 86

vom „Standortvorteil“ Deutschland, von dem sein Unternehmen lebt. Hier finde er hochqualifizierte, sehr leistungsbereite Mit­ arbeiter. Hinter Rietschels Satz („Ich vermute mal, mich würde heute kein Unternehmer oder Personalchef einstellen“) steckt eine Be­ gründung für sein Unternehmertum und ei­ ne geballte Kritik an Einstellungskriterien, die einzig auf formale Q!ialifikationen set­ zen. Er selbst versucht stets, die „besten Leu­ te zu kriegen“. Allerdings brauche das Land wesentlich mehr Leute seines Schlages, die mit Risikobereitschaft den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Auf eine weitere Auszeichnung ist der tüftelnde Unternehmer zu Recht stolz. Für eine aufwendig, in Buchform gestaltete Imagebroschüre über seine drei Unterneh­ men bekam er in Berlin vom Bundesver­ band Druck und dem Dachverband der Werbeschaffenden den ersten Preis ver­ liehen. Der „papiergestützte Datenstrang“ mit dem Titel „Wirehead‘ s Scrapbook“ (zu Der LoxxDaten­ sammler ro tuod oa Das lnnenkben der Coßox, dahinter verbirgt sich ein intelligenter Terminal Server. deutsch: Das „Sammlerbuch der Drahtköp­ fe“), von dem Stuttgarter Designer Urs Schwerzmann entworfen, ist eine Parallel­ montage von Zeit-und Firmengeschichte in Comicform. Das Vorwort schließt mit der Aufforderung: „Bevor Gutenbergs Galaxie wegen mangelnden Publikumsinteresses für immer geschlossen, hier noch ein Versuch, papiergestützte Informationen zu verarbei­ ten. Ignorieren Sie für ein paar Augenblicke Ihren Bildschirm; blättern Sie bitte um.“ Und obwohl Johannes Rietschel oft bis zwei Uhr nachts am Schreibtisch sitzt, ver­ sichert er glaubhaft, daß ihm die Arbeit großen Spaß bereite. „Das Unternehmen ist fast so etwas wie eine große Familie.“ Das macht: Verzicht auf die 35 Stunden -Woche unter Gewährleistung von Kreativität und Flexibilität am Arbeitsplatz. Im Pausenraum findet sich dafür ein Flipper und Getränke, die aus der Firmenkasse bezahlt werden. Joachim Siegel 87

lndu trie, Handwerk und G,w rbe Reinraum-Technik für höchste Ansprüche HMR hat in Aasen bislang 40 Arbeitsplätze geschaffen – Vorbildlichen Neubau erstellt die Firma expandierte und qualifizierte jun­ ge Kunststoffhandwerker, Techniker und In­ genieure fanden bei HMR in Aasen einen Arbeitsplatz. Es galt, sich rasch räumlich zu vergrößern. Die Erweiterungspläne von HMR liefen parallel zu den Bemühungen, im Donau­ eschinger Ortsteil ein dringend benötigtes Gewerbegebiet zu schaffen, denn ein halbes Dutzend junger Aasener Handwerker und Unternehmer suchte Mitte der 90er Jahre Gelände, um den eigenen Betrieb ausbauen zu können. Als sich der Ortschaftsrat für den Standort „Obere Wiesen“ entschieden hatte, ging das Planungsverfahren in Re­ kordzeit vonstatten: Bereits nach zwei Jah­ ren konnten die ersten Grundstücke ver­ äußert werden. Inzwischen steht bereits ei­ ne Erweiterung des Gewerbegebietes zur Entscheidung an. Die HMReinraum-Technik GmbH ist mit derzeit über vierzig Mitarbeitern nicht nur der größte Arbeitgeber in Aasen, im Ge­ werbegebiet „Obere Wiesen“ hat Architekt Dieter Merz mit der eigenwilligen Glas­ Stahl-Konstruktion zudem ein gelungenes Beispiel moderner Industriearchitektur ver­ wirklicht. Die Synthese aus Funktionalität und kostengünstigem Bauen hat weithin Beachtung gefunden, sie ist ein Beispiel dafür, daß moderne Industriearchitekturei­ ne Bereicherung des Landschaftsbildes sein kann – und nicht als Gegensatz sprich Fremdkörper zu sehen ist. Das Firmen­ gelände ist wie alle Grundstücke im Gewer­ begebiet eingegrünt. Ein acht Meter breiter, landschaftstypisch bepflanzter Grünstreifen entlang der Ostbaarstraße schirmt diesen Bereich gegen die Straße und das Dorf ab Test einer N aßprozeßanlage von H MR für die Waferreinigung. Und Silicon Valley gibt es auch bei uns – im Schwarzwald-Baar-Kreis, genauer auf der Baar, in Aasen: Innerhalb von nur drei Jah­ ren ist dort die HMReinraum-Technik GmbH zum größten Arbeitgeber aufgestie­ gen: Was Horst Hall und Joachim Mink mit ihrer Firmengründung 1995 auf den Weg brachten, markiert indes erst den Anfang ei­ ner zukunftsträchtigen Entwicklung: Die Anlagen, die in Aasen für Naßprozeß-und Reinraumtechnik gebaut werden, sind weg­ weisend für die Produktion in Industrie­ und Chemieunternehmen. Begonnen hat alles in einer kleinen Fer­ tigungshalle und zwei Bürocontainern am Burgring. Schon bald zeigte sich, daß die beiden Jungunternehmer mit ihrer „reinen Technik“ auf einen stark wachsenden Markt gesetzt hatten. Die Auslastung stieg rasant, 88

H M Reinraum· Technik GmbH Ein attraktiver Blickfang: Die eigenwillige Glas-Stahl-Konstruktion von Architekt Dieter Merz, die im Aasener Gewerbegebiet „ Obere Wiesen „für HMReinraum-Technik GmbH erstellt wurde. und stellt mit der Bürgerhalle eine freundli­ che Visitenkarte am Ortseingang von Aasen. Daß Ortsbild und Ökologie nicht zu kurz kamen, dafür hat sich Stadtbaumeister Karl­ Heinz Bunse erfolgreich eingesetzt. Die na­ turnahe Umgestaltung des Aasener Dorfba­ ches, der am Rande des Gewerbegebietes wieder mäandern darf und eine Flachwas­ serzone erhalten hat, dient, wie vom Ge­ setzgeber vorgeschrieben, als Ausgleichs­ maßnahme für den Flächenverbrauch. Für die Ortschaft Aasen dürfte das neue Gewerbegebiet „Obere Wiesen“ und insbe­ sondere die Entwicklung der Firma HMR GmbH mit ihrem Bedarf an Facharbeitern, Technikern und Ingenieuren eine Wende in der Entwicklung des Dorfes einleiten. Mit der sich abzeichnenden Entwicklung von Industrie und Handwerk wird es mittel-bis langfristig viele neue Arbeitsplätze im Ort geben. Und die Menschen, die hier Arbeit Die erfolgreichen Unternehmer Horst Hall und Joachim Mink. 89

Industrie, Handwerk und Gewerbe Eine Zukunftstechnologie finden, werden Wohnungen und bald auch Bauplätze nachfragen. Die Erfolgsgeschich­ te von HMR ist also eine Erfolgsgeschichte für ganz Aasen. Immer neue Anforderungen in der Mikro­ elektronik verlangen höchste Reinheitsgrade bei der Herstellung technisch hochwertiger, komplexer Produkte wie beispielsweise den Erzeugnissen der Halbleiterindustrie. Das rasante Wachstum der HMReinraum -Tech­ nik GmbH, immerhin hat die Firmenge­ schichte erst 1995 begonnen -und das mit zwei Mitarbeitern, ist ein Spiegelbild dieser Entwicklung: Gleich ob Personalcomputer, die Steuerungen komplexer Industrieanla­ gen, Haushaltsgeräte, Telekommunikation, Videotechnik oder die digitale Fotografie, überall kommen Halbleiter, sogenannte Mikrochips, zum Einsatz. Ein weites Betäti­ gungsfeld für die Reinraum-Spezialisten von HMR, deren Naßprozeß-Anlagen nicht nur zur Reinigung und zum Ätzen von Microchips mit Hilfe von Chemikalien be­ nötigt werden, sondern auch in der chemi­ schen Industrie, bei der Solarzellenfertigung oder in Entwicklungslabors zum Einsatz kommen. Weitere Geschäftsbereiche der HMRein­ raum -Technik GmbH sind die Entwicklung sowie die Herstellung von Chemi­ kalienversorgungssystemen und der Bau von Sondermaschinen, von umweltorientierten Anlagen, wie sie heute in vielen Firmen benötigt werden. Dabei, so Horst Hall, sei die Zusammenarbeit mit dem Institut für Mikro-und Infor­ mationstechnik in Villingen­ Schwenningen sehr hilfreich. Das europaweit aktive Unterneh­ men, SO Prozent der geschäftli­ chen Aktivitäten konzentrieren sich auf das Auslandsgeschäft, baut für jeden Anwendungsfall der Kunden optimal angepaßte Naßprozeß-Anlagen. Edelstahl und Kunststoffe werden in der zerspanenden Fertigung bearbeitet und nach speziellen Kundenwün­ schen montiert. Einen hohen Stel­ lenwert in den Unternehmensak­ tivitäten nehmen Forschung und Entwicklung ein. So beteiligt sich HMR unter anderem sowohl an der Entwicklung für die Solar­ zellenproduktion als auch an verschiedenen zukunftsweisenden Projekten namhafter Konzerne Ein Mitarbeiter von HM R beim Bedienen einer hochmodernen und des Fraunhofer-Instituts. Um Naßprozeßtechnik zu be- 90 CNC-Zerspanungsmaschine.

HMReinraum·Technik GmbH • Montage eines Chemikalienversorgungssystems bei HMR. herrschen, bedarf es hoher technischer Kompetenz und es braucht ein Team quali­ fizierter Mitarbeiter. Beides ist bei HMR ge­ geben, und die außerordentlich hohe Qya­ lität der Produkte rangiert in der Firmen­ strategie neben dem Kundenservice an höchster Stelle. Auf eine intensive Koopera­ tion mit den Kunden legt HMR größten Wert. Die Kundenberatung hört deshalb nicht beim Verkaufsabschluß auf, sondern geht über den Zeitpunkt der Fertigstellung und Auslieferung hinaus. Die Gründer und Geschäftsführer Horst Hall und Joachim Mink haben Hand in Hand mit der rasanten Entwicklung ihres Unternehmens und der Schaffung qualifi­ zierter Arbeitsplätze auch den Facharbeiter­ nachwuchs in den Blick genommen: In den Bereichen Verfahrenstechnik und Kunst­ stofftechnik werden auch bereits Lehrlinge ausgebildet. Die hohe Fertigungstiefe im Kunststoffbereich hat dazu geführt, daß bei HMR die überbetriebliche Ausbildung Kunststoffiechnik für Azubis aus der Region stattfindet. Für die Zukunft plant das Unternehmen neben der Entwicklung weiterer umweltori­ entierter Anlagen den Ausbau des europäi­ schen Vertriebskonzeptes sowie die Gewin­ nung von Repräsentanten für die HMRein­ raum -Technik GmbH weltweit. Auf einer Fertigungsfläche von rund 2000 Qyadrat­ metern läßt sich jedenfalls solide produzie­ ren – am jetzigen Standort ist für HMR auch zukünftiges Wachstum in jeder Hin­ sicht gesichert. Elisabeth H. Winkelmann-Klingspom / Wi!fried Dold 91

Industrie, Handwerk und Gewerbe Um die ,,halbe Welt“ für eine Schwarzwalduhr „Haus der 1000 Uhren“ in Gremmelsbach selbst in Amerika bekannt Was Unternehmergeist, Wagemut, Durch­ haltewille, und wenn man will: ,,Romantik“ der früheren Jahre bedeuten kann, das zeigt die Familien- und Firmengeschichte Weis­ ser, Gremmelsbach. Sie birgt zugleich einen Einblick in die Handwerks- und Wirt­ schaftsgeschichte des Schwarzwaldes über mehr als ein Jahrhundert. Das „Haus der 1000 Uhren“ in Gremmelsbach, mit Tho­ mas Weisser in der funften Generation, das sich heute in schmuckem Gewand präsen­ tiert, ist aus kleinen Anfängen hervorge­ gangen und hat alle Höhen und Tiefen des Industriezeitalters durchschritten. August Weisser aus Schönenbach, Schrei­ ner, fand zunächst im Haus Kränzler an der Gutach einen Raum fur eine Werkstatt, um Uhrenkästen herzustellen. Dieses brannte 1881 ab, wurde aber im gleichen Jahr wieder aufgebaut. Danach diente das Wohnhaus an der Gutach auch als Werkstatt. 1889 ergab sich die Gelegenheit, von Forellenwirt Frie­ dolin Dieterle das jetzige Geschäftsgelände fur 165 Mark zu kaufen und ein Gebäude darauf zu errichten, das das Stammhaus wer­ den sollte. Die Begrenzung der Arbeitszeit bestimm­ te allein die Natur, anders ausgedrückt: die Erschöpfung der physischen Kräfte. Wenn er nicht rund um die Uhr durcharbeitete, legte sich der Unternehmer nachts um 2 Uhr auf einen Haufen Hobelspäne, schlief eini­ ge Stunden und arbeitete am Morgen wieder weiter. Da August Weisser und später sein Sohn Wilhelm nur die leeren Kästen her­ stellte, das Uhrwerk in einer Fabrik in Furt­ wangen, einer Hochburg der Uhrmacherei, eingebaut wurde, mußten diese zunächst auf einem Handleiterwagen über die Esch­ eck gebracht werden, später zog eine Kuh vom Steinbishof die Fracht nach Furtwan­ gen – auf einem Heuwagen. Spezialisiert war 92 der Betrieb auf Uhrengehäuse fur „Regula­ toren“, d. h. Uhrwerke mit Federantrieb, auch der Perpendikel ist in geschlossenem Gehäuse im Unterschied zur Gewichtsuhr. Versehen waren sie mit allerlei Aufbauten wie Holzverzierungen und Türmchen. Die Gunst des Ortes an der Gutach ließ die Wasserkraft ausnützen und zur Existenz­ grundlage werden. Über einen Kanal wurde ein Schaufelrad bewegt, womit über Trans­ missionsriemen eine Kreissäge, eine Fräs­ maschine, eine Laubsäge und eine Hobel­ maschine angetrieben wurden. Außerdem war ein Dynamo angeschlossen, der Strom für die Beleuchtung von drei Häusern er­ zeugte. Schwierig wurde die Situation in harten Wintern, wenn Kanal und Schaufel­ rad vereisten, dieses, bevor es stillstand, eine Unwucht bekam und das Licht im Rhyth­ mus des Rades bald stärker bald schwächer leuchtete. Und erst die finanziellen Schwierigkeiten der frühen Jahre! Die Erinnerung daran wur­ de über die Generationen hinweg weiterge­ geben: Als mit dem Bau des Hauptgebäudes begonnen wurde, hatte der Bauherr gerade 56 Pfennig „Gründungskapital“ im Geld­ beutel, keine sonstigen Ersparnisse, die sie­ ben anrückenden Maurer zu bezahlen. Wie oft war man um sein Geld geprellt, wenn ein Wechsel platzte oder ein Ge­ schäftspartner zahlungsunfähig war! Es wa­ ren Jahre gnadenlosen Konkurrenzdruckes. Mehrmals klebte der Pfändungszettel auf Maschinen, August Weisser riß ihn (gesetz­ widrig) ab, sobald der Gerichtsvollzieher das Gebäude verlassen hatte, und machte weiter. Aber 1905 oder 1906 dachte er selbst im Ernst an den Konkurs und im August 1908 brannte das Fabrikgebäude ab. Doch immer wieder halfen Verwandte, gute Nachbarn und befreundete Geschäftspartner mit An-

.Haus der 1000 Uhren“ Das „Haus der 1000 Uhren“ in Gremmelsbach: ein geschichtsträchtiges Familienunternehmen und Aus­ flugsziel für uhrenbegeisterte Touristen aus aller Welt. leihen. Die Familiengeschichte weiß, daß die Jahre unmittelbar vor dem Ersten Welt­ krieg zu den erträglichsten gehörten. Die Ausfuhr der Uhren erstreckte sich nach Eng­ land und Amerika. Während des Krieges, wo von Uhrenexport keine Rede mehr sein konnte, stellte die Firma die Produktion um auf Zündbretter, Spatenstiele, Mehlsiebe, Tintenlöscher usw. Nur mit der größten An­ strengung kam das Uhrengeschäft über die Inflation, Weltwirtschaftskrise und das Drit­ te Reich hinweg. Und selbstverständlich mußten in der Kriegswirtschaft auch kriegs­ wichtige Artikel hergestellt werden. Noch nicht erwähnt ist, daß Wilhelm Weisser jahrzehntelang für die Gemeinde Gremmelsbach ein gewissenhafter Rat­ schreiber und Grundbuchbeamter war, mehreren Bürgermeistern eine unentbehrli­ che Stütze, und es waren schwierige, ja wir- re Jahre, die Hitlerjahre ohnehin, wo Wil­ helm Weisser die Übersicht nie verlieren durfte, wenn er oft tagelang für seine Fabrik nur sporadisch Zeit hatte. Als Ratschreiber hatte er Insiderwissen, das er jahrzehntelang den Lokalzeitungen zur Verfügung stellte, und er tat dies mit dem Eifer und der Ge­ wissenhaftigkeit wie alles, was er in die Hand nahm. Ausweg aus der Krise Einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg verpachtete Wilhelm Weisser, des Kämpfens müde, die Fabrikräume an Allgaier und Hirt, danach an Frau Lilly Schwarz, verkauft wurden Uhren und Reiseandenken. Lothar Weisser stellte von 1968 an mit zehn Mitar­ beitern Metallteile für Triberger Firmen her, doch sollte die Abhängigkeit von der Kon- 93

Industrie, Handwerk und Gewerbe Das laute Ticken vieler verschiedener Sd,warzwalduhren empfangen den Besucher im Verkazefsraum. Im ,,Haus der 1000 Uhren“ kann man hören, ,,wie die :ZCil vergeht“. junktur (einmal große, einmal kleine, ein­ mal keine Aufträge) nicht seine Sache blei­ ben. Als 1971 die Wirtschaft durch die Öl­ krise einen Knacks bekam, Aufträge nicht mehr zu bekommen waren, nahm er das Geschäft voll Energie und Selbstbewußtsein in eigene Regie, produzierte nicht mehr, sondern baute gemeinsam mit Ehefrau Hil­ degard den Verkauf aus. Er nannte es „Haus der 1000 Uhren“, erweiterte die Geschäfts­ räume, erwarb das ehemalige Gasthaus „Fo­ relle“ hinzu, ebenso drei Häuser in Tribergs Hauptstraße, das „Uhrendorf Schwarzwald­ laden“, wozu zwei Häuser miteinander ver­ bunden wurden, und den „Uhrenbazar“. Die größte massivste Erweiterung und Ver­ änderung geschah im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bundesstraße 33. Diese An­ strengung bleibt Lothar und Ehefrau Hilde­ gard in Erinnerung, denn der Verkauf durf­ te in dieser Zeit nicht stocken. Die Anstren- gung freilich hat sich gelohnt. Nicht nur, daß sie dauernd 25 Personen beschäftigen können, in Spitzenzeiten 36, wobei Fremd­ sprachenkenntnisse (Englisch und Franzö­ sisch) unabdingbar sind. Sie sind ständige Abnehmer für Produkte anderer Firmen, auch außerhalb der Saison, sichern also weit mehr Arbeitsplätze, als man auf den ersten Blick in ihrem Hause sieht. Die Familie Weisser beschäftigt jederzeit bis zu zehn Lehrlinge gleichzeitig, von denen ihr viele über Jahre die Treue halten. Gedankt wird ihnen dies durch Übertragung von Eigen­ verantwortlichkeit in ihrem Bereich. Der jetzige Besitzer, Thomas Weisser, führt den Betrieb seit 1996, und er stürzte sich mit Macht auf seine Erweiterung. Er begann sei­ ne Geschäftshäuser in Triberg zu erweitern, wohl wissend, was da auf ihn zukam. In schwierigem Gelände galt es, zwischen Häu­ sern einen Hang abzutragen, um Verkaufs- 94

raum zu gewinnen. Präzisionssprengungen waren durchzuführen, ein rund 150 Tonnen schwerer Betonmantel mit zwei Lagen Stahl­ matten mußte die senkrechte Wand sichern, in den Berg wurden 60 Löcher mit 9 bis 12 m Tiefe getrieben, Stangen mit Tonnenkraft hineingeschoben und verschraubt, dazu war ein riesiges Bohrgerät mehrfach zu installie­ ren, und das bei dieser Topographie! Inter­ essant auch, der Erdaushub, die Gesteins­ masse wurde am Haldenhof im Recycling­ verfahren zu Schotter zermahlen und – ein Teil davon – gleich wieder zur Hinterfütte­ rung der Wände verbraucht. So wurden in zwei Stockwerken annähernd 1000 qm neue Nutzfläche gewonnen. Und auf dem Flach­ dach konnten 15 Stellplätze für PKWs ein­ gerichtet werden. Ein Aufzug führt in alle Etagen. Während der Bauarbeiten mußte das gesamte Inventar ein paarmal seinen Platz räumen, ohne daß ein einziger Tag für den Verkauf verloren gehen durfte. Auch das war zu schaffen! Alles in allem ganz ge­ wiß eine große Leistung für den jungen Un­ ternehmer und in der Betriebsgeschichte bisher die aufwendigste Investition. Die of­ fizielle Eröffnungsfeier mit Behörden, Mit­ arbeitern und Lieferanten fand im Septem­ ber statt. Die Uhr als etwas Lebendes betrachten Natürlich will die Ausgestaltung der Ver­ kaufsräume auch der Werbung dienen, ist je­ doch in Wahrheit mehr als dies. Für die hei­ mische Wirtschaft sind florierende Betriebe unentbehrlich. Sie helfen Arbeitsplätze schaffen und sichern. Aber eine so mit der Tradition ihrer Heimat verbundene Familie möchte ihren Gästen und Kunden auch et­ was von der Atmosphäre, von Geist und Wesen des Schwarzwaldes, von seinen Men­ schen in Vergangenheit und Gegenwart empfinden lassen, und wie wäre dies treffli­ cher, „origineller“ möglich als durch den Einbau eines echten Kachelofens, wie er im Schwarzwald in jeder Stube stand, durch .Haus der 1000 Uhren“ Verwendung alter Holzverkleidung, die wie­ der frisch geschreinert wurde, und durch Aufstellung von Tannen. Großen Wert le­ gen Lothar und Thomas Weisser auf gewis­ senhafte Beratung ihrer Kunden im Ge­ schäft, schulen auch ihre Mitarbeiter darauf­ hin. Die Uhr betrachten sie als etwas Le­ bendes, ja den wichtigsten Gegenstand im Haushalt. Über die Zeit denken sie selbst in philosophischen Bereichen. Mit der Bewe­ gung eines Pendels ist eine Sekunde vergan­ gen … Doch dürfen Kunden auch praktische Hil­ fe erwarten. Mit einem firmeneigenen Wa­ gen werden größere Uhren zu ihrer Woh­ nung gefahren, aufgestellt, und wenn sich ir­ gendwelche Probleme einstellen, genügt ein Anruf. Ein Service ist eingerichtet, so konn­ te auch eine Stammkundschaft gewonnen werden, ein Verhältnis zur Familie Weisser entsteht, Empfehlungen werden weitergege­ ben, ein „Ruf“ entsteht, und selbst Touristen aus Amerika wissen zu Hause schon, wo sie ihre Uhr im Schwarzwald kaufen werden. Mehr noch: Mit den Schwarzwalduhren aller Art, Nachahmungen der Original-Uh­ ren, ebenso wie modernen mit aktuellem Design soll etwas vom Geist der künstlerisch veranlagten Menschen dieser Heimat, ihrer Traditionsgebundenheit wie ihrer Aufge­ schlossenheit, in die Welt hinausgetragen werden, und sei es „nur“ die Erinnerung an eine schöne Reise in den Schwarzwald und die angenehme, unvergeßliche Stunde im „Haus der 1000 Uhren“. Karl Volk 95

Industrie, Handwerk und Gewerbe Ständiger Wandel garantiert Erfolg am Markt Die Firma Johann Nepomuk Jerger liefert ihre Metallwaren an Kunden in der ganzen Welt Zu den gut florierenden Betrieben in Nie­ dereschach gehört die Firma Johann Nepo­ muk Jerger. Das Unternehmen, das im Ge­ werbegebiet „Auf dem Zimmermann“ ange­ siedelt ist, beschäftigt derzeit 28 Mitarbeiter. Diese Arbeitsplätze dürfen als sicher ange­ sehen werden, denn die Auftragslage ist sehr gut, ja man ist sogar an den Kapazitätsgren­ zen angekommen. Zum Glück hat der Fa­ brikant Günter Jerger bei der Aussiedlung des Betriebes ins Niedereschacher Gewerbe­ gebiet darauf geachtet, daß Erweiterungs­ möglichkeiten vorhanden sind. Diese Weit­ sicht und Flexibilität ist auch der Grund dafür, weshalb sich das Unternehmen, das von Johann Nepomuk Jerger 1920 gegündet wurde, stets am Markt behaupten konnte. Und ist es nicht verwunderlich, daß die Firma Jerger in ihrer 78jährigen Geschichte einem ständigen Wandel unterlegen ist. 1920 startete Johann Nepomuk Jerger, der Großvater von Günter Jerger, mit der Her­ stellung von Uhrenfedern, Drehteilen und ähnlichen Dingen für die damals boomen- de Uhrenindustrie. Nach dem Krieg mußte der Sohn von Johann Nepomuk Jerger, Al­ fons Jerger, praktisch wieder am Nullpunkt anfangen, denn die besten Maschinen wur­ den von den Siegermächten abgebaut und fortgeschafft. Für Alfons Jerger war es da ein schwieriges Unterfangen, den Betrieb wie­ der flott zu machen. Gut überstanden hat die Firma auch den Niedergang der Uhrenindustrie, eine Ent­ wicklung, der sich Alfons Jerger durch das rechtzeitige Ausweichen auf andere Bran­ chen entziehen konnte. Dabei erwies sich zwar die vorhandene Fertigungsstruktur als hinderlich, doch das Problem konnte gelöst werden. Als Günter Jerger vor über 20 Jah­ ren den Betrieb von seinem Vater über­ nahm, wurde noch mit herkömmlichen Einspindeldrehautomaten gefertigt. Günter Jerger erkannte, daß leistungsfähigere Ma­ schinen notwendig waren, um am Markt – bestehen zu können, und so wurden in den 70er Jahren hohe Summen in eine neue Fertigungsart, die vollautomatische Rund- taktmaschine investiert. Damit konnten auch schwierige Teile in ei­ nem Arbeitsgang bei hoher Qialität produziert werden, gleichzeitig blieb man aber auch flexibel was die pro­ duzierten Teile anbetraf. Doch diese Umstellung allein hätte vielleicht nicht ausgereicht, um sich am Markt behaupten zu können und deshalb suchte Günter Jerger neue Kunden in einer anderen Branche und fand diese in der Möbel- und Zweiradindustrie. Diese Weichen­ stellung war, wie man heute weiß, der Grundstein zum heutigen wirt­ schaftlichen Erfolg. Der Betrieb war ständig auf Expansionskurs, 1990 entschloß sich Günter Jerger, den al- Die Söhne Ralph und Heiko jerger mit Uiter Günter jerger: gemeinsam steuert die Familie ihr Niedereschacher Unterneh­ men mit Eifolg in die Zukunfl. 96

Johann Nepomuk Jerger Ein modernes und architektonisch gelungenes Fabrikgebäude erstellte die Firma }erger im Gewerbegebiet von Niedereschach. ten, nicht mehr ausbaufähigen Betriebs­ standort in der Rottweiler Straße aufzuge­ ben und sich im Niedereschacher Gewerbe­ gebiet anzusiedeln. Dort entstanden aus­ baufähige, optimale Geschäfts- und Produk­ tionsräume. Die Söhne treten die Nachfolge an Der Entschluß, sich im Gewerbegebiet Niedereschach anzusiedeln, ist Günter Jer­ ger sicher leichter gefallen, da auch seine beiden Söhne fest im Betrieb verankert sind. Sohn Ralph Jerger, ein gelernter Betriebs- wirt, ist heute für den kaufmännischen Be­ reich zuständig, Sohn Heiko Jerger, In­ dustriemeister, für den technischen Bereich. Sie entlasten den Vater bei der zeit- und ar­ beitsaufwendigen Führung des Betriebes und geben ihm auch den Schwung und Elan, an der weiteren Fortentwicklung des Unternehmens zu basteln, denn früher wie heute gilt: Stillstand ist Rückschritt und des­ halb darf man sich auf dem Erreichten nie ausruhen, sondern muß den Markt genau beobachten, um nötigenfalls flexibel auf sich abzeichnende Entwicklungen reagieren zu können. Heute liefert die Metallwarenfa- 97

Johann Nepomuk Jerger brikJerger ihre Produkte in die ganze Welt. Ihre Möbelverbindungselemente, die teil­ weise aufgrund eigener Weiterentwicklun­ gen gebrauchsmusterrechtlich geschützt sind, werden neben dem europäischen Aus­ land auch in steigendem Anteil in den USA, Kanada, Südafrika und im asiatischen Raum abgesetzt. Die internationalen Geschäftsbe­ ziehungen haben mitgeholfen, daß die Fir­ ma Jerger seit Jahren wachsende Umsatz­ zahlen schreibt und alle Rezessionen in der Vergangenheit bestens überstanden hat, ja, davon nahezu unberührt geblieben ist. Die über 40 Maschinen, die in der Pro­ duktionshalle im Einsatz sind, laufen im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr und verarbeiten pro Woche stattliche 120 Ton­ nen Stahl. Mit einer Produktionsfläche von über 3000 �adratmetern zählt die Firma Jerger zu den größten Betrieben in der Ge­ meinde und ist auch mit einer der größten Gewerbesteuerzahler. Trotz des ruinösen Verdrängungs- und Preiskampfes am Markt blicken Günter, Ralph und Heiko Jerger op­ timistisch in die Zukunft, wenn auch nicht sorglos. Es wird auch weiterhin nötig sein, wandlungsfähig und flexibel zu bleiben. Ein wichtiger Garant für den Erfolg der Fir­ ma ist die Belegschaft, die sich voll mit dem Unternehmen identifiziert. Und das hat sei­ nen Grund: auf ein gutes Betriebsklima und zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ ter legt die Firmenleitung größten Wert und tut auch viel dafür. Die Mitarbeiter werden in die Entscheidungen mit eingebunden, er­ fahren, was weshalb so laufen muß, und auch der kameradschaftliche und gesellige Teil kommt in der Firma nie zu kurz. Ein Aspekt, der in einem Betrieb nicht unter­ schätzt werden darf. Denn ernst genomme­ ne Mitarbeiter sind auch motiviert und en­ gagiert. Albert Bantle Die über 40 Maschinen in der Produktionshalle der Firma}erger lazefen im Dreischichtbetrieb rtmd um die Uhr. Pro Woche werden 120 Tonnen Stahl verarbeitet. 98

Dagmar Holzer „Konditorin des Jahres 1 997″ Phantasievolle und raffiniert schmeckende Konditoren-Kunstwerke geschaffen Industrie, Handwerk und Gewerbe Zwischen den Triberger Wasserfällen, dem Schwarzwaldmuseum, den vielen Kuckucks­ uhren- und den vielen Souvenirläden des weltbekannten Touristenstädtchens Triberg zieht sie heute ihre Verzierungen und Or­ namente auf Pralinen, Desserts und Kondi­ toreispezialitäten in höchster Vollendung. Die Rede ist von Dagmar Holzer, Konditor­ meisterin im elterlichen Triberger Confise­ rie-Cafe „Adler“. Sie verbindet Kunstfertigkeit und Können mit Kreativität: Dagmar Holzer, die frisch­ gebackene „Konditorin des Jahres 1997″. Die sympathische Jungkonditorin aus dem Schwarzwald schuf beim Heimbs-Ideen­ wettbewerb für junge Talente phantasievol­ le und raffiniert schmeckende Konditoren­ Kunstwerke. So lobte der Sprecher der Jury bei der Siegerehrung im Celler Schloß. Und Dagmar Holzer setzte sich letztlich in dem anspruchsvollen Teilnehmerfeld durch. Auf­ gabe war es, Konditoreiprodukte zum The­ ma EXPO 2000, der ersten Weltausstellung in Deutschland, die im Jahr 2000 in Han­ nover stattfindet, zu kreieren. Drei Tage lang stellten sich 9 Teilnehmer aus Deutschland, die einen aus bekannten Gastronomie-Tempeln, die anderen aus be­ kannten Konditorei-Betrieben unterschied­ licher Größe den Aufgaben, die einer hoch­ karätigen Jury, darunter auch Fernsehkoch Johann Lafer, zur Bewertung vorzulegen wa­ ren. Und so fing die ganze Sache an. Dagmar Holzer hatte im vergangenen Jahr während des Vorbereitungskurses an der Meister­ schule Köln den dortigen Schulleiter Kurt Schindler – sie nennt ihn einen Perfektioni­ sten – kennengelernt. Dieser wiederum ani­ mierte die Ausnahmekonditorin aus dem Schwarzwald – sie legte ihre Meisterprüfung mit der Note „sehr gut“ ab – am Wettbewerb Dagmar Holzer, die Konditorin des Jahres 199Z f‘ ……. 1. um die höchste Trophäe der Konditoren teilzunehmen. Dagmar Holzer stimmte zu und reichte ihre Vorschläge zur Vorauswahl an die Jury ein. Als sie dann erfuhr, daß sie für das Finale aus den zahlreichen Bewer­ bungen ausgewählt worden war und beim Wettbewerb der Besten in Wolfenbüttel da­ bei sein dürfe, machte sie erst einmal vier Wochen Urlaub im fernöstlichen Indien. Nach ihrer Rückkehr galt es, sich neben der täglichen Arbeit im elterlichen Betrieb auf den in sechs Wochen stattfindenden Wett­ bewerb vorzubereiten. Zum Wettkampf 99

Dagmar Holzer nach Wolfenbüttel fuhr die hochmotivierte Dagmar Hol­ zer nur mit einem Ziel: ,,Man will gewinnen, ganz klar.“ In der Bundesfachschule traf sie dann auf Mitbewerber, die mit ihren hergestellten Arbei­ ten Fachleute und Zuschauer gleichermaßen begeisterten, aber besser war keiner: ,,Der Konditor des Jahres 1997 ist Dagmar Holzer“, verkündete EXP0-2000 Generalkommis­ sarin Birgit Breuel bei der mit Spannung erwarteten Sieger­ ehrung. Durch die Teilnahme an diesem Finale gehört Dagmar Holzer nun dem „CondiCrea- Dagmar Holzer mit ihren Eltern, gemeinsam betreibt man das Con­ tiv Club“ an, der zwei- bis fiserie-Cafi „Adler“ in Triberg. dreimal im Jahr Weiterbil­ dungsveranstaltungen im Clubkreis anbie­ tet. ,,Dank unserer engagierten und hochmotivierten Mitglieder können wir ein äußerst Fortbildungs- angebot bieten“, so der Vorsitzende Andreas Heil, im Jahr 1994 selbst „Konditor des Jah- res“. Fachstudienreisen zu den besten Häu- sern im Ausland sind ebenfalls angesagt und daß die Erfolgreichen ihr W issen an die Kol- leginnen und Kollegen weitergeben. So war es Dagmar Holzer, die im Herbst als Refe- rentin bei einem solchen Treffen in Ham- burg eine ihrer Künste, den Siebdruck auf Lebensstil Kuvertüre, im Detail erläuterte. wann als Chefin im elterlichen Confiserie­ Cafe „Adler“ in Triberg von den Gästen aus nah und fern angetroffen wird. facettenreiches Peter Schaz Und schon wenige Tage später stand sie vor Konditoren-Fachlehrern des Oberschul­ amts Freiburg in der Gewerbeschule Do­ naueschingen, um dort mit ihrem Können gleichfalls einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Zwanzigjährig um Freiheits-ideale kämpfend, gegen Alles eingestellt… Noch ist die ehrgeizige Schwarzwälderin nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Weite- ren Herausforderungen wird sie sich stellen. Um die Weltmeisterschaft der Konditoren in einem guten Team zu kämpfen, das wür- de Dagmar Holzer reizen, bevor sie irgend- 100 Jetzt hint einem Schreibtisch an der eigenen Bürgerlichkeit e r s t i c k t … Bernhard Brommer

Persönlichkeiten V iele Verdienste um das Kreiskrankenhaus Chefarzt und Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Dieter Klemm im Ruhestand 7. Kapitel/ Almanach 99 Professor Dr. Dieter Klemm trat am 30. September 1997 in den Ruhestand, mit sei­ nem Ausscheiden geht eine Ära zu Ende, die er als Chefarzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses Donaueschingen und als Ärztlicher Direktor fast 25 Jahre geprägt hat. Professor Dr. Klemm war 1970, weit vor seinem Dienstantritt, zum Chefarzt der In­ neren Abteilung des geplanten neuen Kreis­ krankenhauses gewählt worden und hat die Planung als auch den Bau dieses Hauses aus medizinischer Sicht beratend betreut. Er ist somit ein Mann der ersten Stunde. Professor Dr. Dieter Klemm wurde als Sohn eines Zahnarztes im badischen Über­ lingen geboren, wo er auch aufwuchs und zur Schule ging. Nach dem Abitur im Jahr 1951 begann er ein Studium zum Bergbau­ ingenieur. Diese Ausbildung begann mit einer einjährigen praktischen Tätigkeit als Bergmann, während der er in verschiedenen Gruben die Härte schwerster körperlicher Arbeit erlebte. Sicherlich ein prägendes Ele­ ment, wenn man sich die hohe Selbstdiszi­ plin vor Augen führt, mit der er seinen spä­ teren Beruf als Arzt ausübte. Nach einem kurzen Studium der Geologie und Mineralogie war in ihm der Entschluß gereift, Arzt zu werden. Er setzte sein Stu­ dium zunächst in Freiburg fort, wo er nach Studienaufenthalten in Wien und Kiel im Jahre 1958 sein Staatsexamen ablegte und promovierte. Nach 2jähriger Medizinalas­ sistentenzeit in Saulgau, Frankfurt, Singen und im Kanton Zürich nahm er für ein Jahr eine Forschungsstelle der Deutschen For­ schungsgemeinschaft am Radiologischen Institut der Universität Freiburg an. An­ schließend begann er seine klinische Aus­ bildung an der Freiburger Medizinischen Klinik unter Professor Heilmeyer. Im Jahr Prof Dr. Dieter Klemm 1960 heiratete er seine Frau, die er während des Studiums in Kiel lieben gelernt hatte. Im Jahr 1966 folgte die Habilitation mit einer Arbeit über Erscheinungsbild, Klassi­ fizierung und Verlauf paraproteinämischer Erkrankungen. Im gleichen Jahr erhielt er seine Facharztanerkennung für das Fach „Innere Medizin“. Nach der Emeritierung seines Lehrers, Professor Heilmeyer, wech­ selte er zusammen mit dem kommissa­ rischen Leiter der Freiburger Klinik, Profes­ sor Schirrmeister, als leitender Oberarzt an die 1. Medizinische Klinik der Städtischen Krankenanstalten Karlsruhe. Bereits 1970 wurde er, wie eingangs erwähnt, vom Kreis­ tag des alten Kreises Donaueschingen zum künftigen Chefarzt der Inneren Abteilung 101

Prof. Dr. Dieter Klemm des neuen Kreiskrankenhauses gewählt. Am l. Oktober 1973 trat er, zunächst noch im al­ ten städtischen Krankenhaus Max-Egon, sei­ nen Dienst als Chefarzt der Inneren Abtei­ lung an. Im April 1974 erfolgte schließlich der Umzug in das neu erbaute Kreiskran­ kenhaus. In den ersten Jahren nach Eröffnung des Hauses versah Professor Klemm in Personal­ union etliche Ämter, so war er Ärztlicher Direktor, Chefarzt der Inneren Abteilung, Chef des Labors, Leiter der Apotheke, Ärzt­ licher Leiter der Krankenpflegeschule und der physikalischen Abteilung und nicht zu­ letzt Lehrbeauftragter der Universität Frei­ burg. Diese Aufgaben wurden im Verlauf der kommenden Jahre auf viele Schultern verteilt, so daß Professor Dr. Dieter Klemm sich auf seine Hauptaufgaben als Chefarzt der Inneren Abteilung, Leiter des Labors so­ wie Ärztlicher Direktor konzentrieren konn­ te. Neben seiner klinischen Tätigkeit, die er mit Freude und großem Engagement ver­ sah, lagen ihm besonders die studentische Ausbildung und über lange Jahre die medi­ zinische Fortbildung am Herzen. In dieser Funktion organisierte er zahlreiche Fortbil­ dungsveranstaltungen und klinikinterne Weiterbildungen. Professor Dr. Dieter Klemm hat noch während seines Studiums und seiner Aus­ bildung zum Facharzt die „einfache“ Medi­ zin erlebt, in der man ohne wesentliche ap­ parative Ausstattung zurechtkommen muß­ te, er war aufgrund dieser Gegebenheiten noch ein „Allround-Internist“, der die ge­ samte Breite seines Faches kompetent ver­ trat. Sein besonderes Interesse galt der en­ doskopischen Diagnostik, die er seit den An­ fängen dieser Technik anwandte und mit höchstem Standard weiterführte. Professor Dr. Dieter Klemm hat die Ent­ wicklung des Kreiskrankenhauses als Ärztli­ d1er Direktor über 2 Jahrzehnte zielstrebig und mit Weitblick vorangetrieben, so daß dieses Haus zu einer über die Grenzen des Kreises weit hinaus bekannten und angese- 102 henen Einrichtung geworden ist. Mit dem Kollegium der Chefärzte verband ihn ein weit über die fachliche Zusammenarbeit hinausgehendes, kollegial-freundliches Ver­ hältnis, das bis heute andauert. Über seine fachliche Q!ialifikation hinaus sind in erster Linie seine menschlich-cha­ rakterlichen Eigenschaften hervorzuheben. Professor Dr. Dieter Klemm ist ein durd1 und durch gerader und integrer Mann, der gerade für jüngere Kollegen eine große Vor­ bildfunktion besitzt. Er hält unbeirrbar an einmal getroffenen Entscheidungen fest, ei­ ne Eigenschaft, die ihm verständlicherweise nicht nur Freunde eintmg, ihn jedoch an­ dererseits in menschlichen und fachlichen Kontroversen stets berechenbar machte. Sei­ ne offene und oftmals humorvolle Art, die Dinge zu sehen, trug ihm die Bewunderung, Freundschaft und Hochachtung der Kolle­ gen und darüber hinaus zahlloser Patienten und Persönlichkeiten der Region ein. Das Bewußtsein über die Notwendigkeit, stets seine Pflicht zu erfüllen sowie die unver­ wüstliche Gesundheit führten dazu, daß er während seiner langen beruflichen Tätigkeit nahezu niemals krankheitshalber seiner Ar­ beitsstelle fernblieb. Die Kraft für seine tägliche Arbeit schöpf­ te er in erster Linie aus seinem familiären Umfeld und der Liebe zu seiner badischen Heimat, die er auf zahllosen Wanderungen immer auf der Suche nach kulturgeschicht­ lichen Denkmälern bis heute durchstreift. Professor Dr. Dieter Klemm hinterließ bei seinem Abschied in den Ruhestand ein hoch anerkanntes, gut funktionierendes und menschlich geprägtes Krankenhaus, ein Lebenswerk. Es bleibt zu wünschen, daß das Kreiskrankenhaus Donaueschingen in sei­ ner Bedeutung für die medizinische Versor­ gung der Region auch in Zukunft bestehen wird und nicht den wirtschaftlichen Proble­ men, denen das Gesundheitswesen zuneh­ mend unterworfen ist, zum Opfer fällt. Dr. med. M. Eber!

Friso Melzer und seine große Liebe zur Sprache Nachruf auf den Theologen, Philosophen, Sprachforscher und lndienkenner Persönlichkeiten In Reichelsheim/Odenwald verstarb am 4. Juni 1998 im 92. Lebensjahr Friso Melzer, der seit 1974 in Königsfeld-Burgberg lebte. Wie wertvoll und erkenntnisreich sein Wir­ ken war, zeigt sich an seinem literarischen Nachlaß: In über 80 Büchern und Schriften hat Friso Melzer, der Theologe und Philo­ soph, der Sprachforscher und Sprachdenker, der Missionar und Indienkenner seine Ge­ danken und Erkenntnisse dargelegt und sei­ ner geistigen Arbeit Ausdruck verliehen. Die wichtigsten Werke, nicht weniger als dreißig an der Zahl, sind sogar in dem großen Nach­ schlagwerk „Wer ist Wer?“, dem deutschen ,,Who is Who ?“,verzeichnet.Besonders auf­ schlußreich ist das zuletzt erschienene Buch ,,Jesus Christus, der Erlöser der Welt“, des­ sen Untertitel dem Leser „Erkenntnisse und Zeugnisse aus 60 Jahren missionarischer Dienste in Indien, Württemberg und an­ derswo“ verspricht. Eine Abhandlung also, die auch den roten Faden durch das Leben jenes imposanten Weltmannes spannt, der in Königsfeld-Burgberg vor über zwanzig Jahren seine Wahlheimat fand. Wer aber nun war dieser Friso Melzer, der sein eigenes Lebenswerk kurz und knapp mit drei Forschungsgebieten umriß, näm­ lich der missionarischen Begegnung mit der asiatischen Hochreligion, der Meditation und der deutschen Sprache im Dienst der Christusnachfolge? Die Antwort ist nicht so leicht in einen einzigen Artikel zu packen. Sie widerspiegelt das Portrait eines Mannes, der „mit der Freiheit eines Christenmen­ schen“ bewußt, aktiv und auf vielfältige Wei­ se die Herausforderungen der wiedererwa­ chenden Weltreligionen annahm und der stets darum bemüht war, die Schönheit und Bedeutung seiner Muttersprache in den Dienst der Verkündigung zu stellen. Friso Melzer ist am 27. Februar 1907 in Au- Friso Melzer rich geboren und vielleicht war ja bereits die Taufe auf den Namen Friso, der Freie, ein Fingerzeig auf das unabhängige Leben, das er eines Tages führen sollte. In Aurich je­ denfalls blieb der Sohn eines „wandernden Tiefbauingenieurs“ nicht lange; aufgewach­ sen ist er vielmehr in Breslau, der Haupt­ stadt Schlesiens, wo er mit 19 Jahren das Abitur ablegte. Eine ausgeprägte Sprachbe­ gabung war schon früh erkennbar. Bereits als Schüler parlierte er in fünf Sprachen, zu denen sich später fünf weitere gesellten, he­ bräisch und altgriechisch mit eingeschlos­ sen. Basel, Tübingen und Oxford waren die wichtigsten Stationen seiner Studienzeit, die 103

Friso Melzer von 1926 bis 1934 währte. Dabei hat Friso Melzer auch als Student der Theologie und der Philosophie die Sprache stets in den Mittelpunkt seiner Lerninhalte gestellt. Sie diente ihm keineswegs nur als Mittel der Verständigung, sondern darüber hinaus als ,,Hin-Führung und Weg-Weisung, Offenba­ rung und Enthüllen“. Sprache war für Friso Melzer ein faszinierendes Medium, um sei­ ner geistigen Arbeit, der „Kulturwissenschaft in der Christusnachfolge“ lebendigen Aus­ druck zu verleihen. Sprache war für ihn zu­ dem der wichtige Schlüssel für das unmit­ telbare Verstehen fremder Kulturen und Mentalitäten. Schon früh also hatte Friso Melzer den Weg einer evangelisch gerichteten Literatur­ wissenschaft gewiesen. Damit hatte er sich auch die Sporen für eine Assistenten teile bei dem berühmten Tübinger Theologen Professor Karl Heim verdient. Dennoch soll­ te das Leben des jungen und begabten Met­ zer eine ungeahnte Wende nehmen. Es war in Bad Ball, an einem Spätsommer­ abend des Jahres 1932, als Friso Melzer, zu­ tiefst bewegt durch Vorträge des Schweizer Romanisten Theophil Spoerri und de Chi­ namissionars Ernst Fischle, seine missiona­ rische Berufung im Herzen spürte und sich prompt zum Dienst in der Baseler Mission meldete. Schon damals bewahrheiteten sich für den angehenden Missionar jene Verse Paul Gerhards, die Friso Melzer noch oft in seinem Leben zitieren konnte: ,,Bist du doch nicht Regente, Der all.es führen soll; GOTT sitzt im Regimente Undfiihret alles wohl! Was ganz speziell das Wörtd1en „alles“ in der letzten Zeile in sich birgt, hat Melzer – wie er in seiner Biographie „Sonne und Re­ gen“ darlegt, ,,im Laufe des Lebens zu buch­ stabieren gelernt“. Man schrieb das Jahr 1935, als Friso Met­ zer, erst 28jährig, als doppelter Doktor und 104 frischgebackener Missionar nach Indien kam. Der dortigen Arbeit setzte nach fünf prägenden Jahren der Krieg ein jähes Ende. ,,Mit dem letzten Schiff“ gelang die dra­ matische Flud1t durd1 den Suezkanal und Melzer, mittlerweile Ehemann und Vater zweier Söhne, trat 1940 im württembergi­ schen Adelsberg den Pfarrdienst an. Seine charmante Frau Helene hat jene Jahre, in de­ nen sich die Familie um den dritten Sohn vergrößerte, in besonders chöner Erinne­ rung behalten. Doch Friso Melzer wurde schnell bewußt, daß das Pfarramt nicht sei­ nen Neigungen entsprach. Ein vierjähriger Arbeitsurlaub ermöglichte das Prorektorat am Internationalen Institut Sd1loß Mainau. Zudem unternahm Melzer zahlreiche Vor­ tragsreisen und gründete die erste evangeli­ sche Kulturzeitung namens „Neubau“. Intensiv auf die Jugend eingelassen 1951 erfolgte der Wechsel in den staatli­ chen Schuldienst, wo sich der einstige In­ dienmissionar und Adelsberger Pfarrer nun intensiv mit der Jugend einlassen konnte. Bis 1959 unterrichtete Melzer am Aufbau­ gymnasium in Künzelsau, dann am Gym­ nasium in Geislingen die Fächer evangeli­ sche Religionslehre und Deutsch. Die Ver­ setzung in den Ruhestand im Jahr 1969 setz­ te neue Energien frei, denn postwendend wurde der pensionierte Oberstudienrat zum leitenden ilieologischen Lehrer an der Evan­ gelischen Missionsschule der Bahnauer Bru­ derschaft bei Backnang ernannt. Seit 1974 lebte Friso Melzer mit seiner Gat­ tin im beschaulichen Königsfeld-Burgberg. Von hier aus startete er zu einer Forschungs­ reise nach Südindien, von hier aus kam er bis zu seinem 80. Lebensjahr einem Lehr­ auftrag an der Staatsfreien Theologischen Akademie in Riehen/Basel nach, hier fand er Zeit und Ruhe für Gartenarbeit und Hobbymalerei und hier hatte er seinen er­ sten Wohnsitz, obwohl ihn vor einigen Mo­ naten gesundheitliche Gründe dazu zwan-

gen, mitsamt seinen Büchern und Bildern nach Reichelsheim in den Odenwald um­ zusiedeln. Aber auch dort war Friso Melzer zu Hause, lebte er doch im Kreise seiner Freunde von der ökumenischen Kommu­ nität „Offensive junger Christen“. Im Leben des temperamentvollen Friso Melzer gab es schon viele ungeahnte Wen­ dungen und der überzeugte Christ empfand es dankbar als eine „besondere Gottesgabe“, daß er „immer das Gegenwärtige bejahen“ konnte. Auch sein letzter Lebensabschnitt war geprägt von der befreienden Erkenntnis, Persönlichkeiten daß man getrost und zuversichtlich alles „aus Gottes Hand“ nehmen darf- auch den Tod, denn er birgt „das Leben nach dem Tod als Geschenk“. ,,Ja Vater“, so lautete neben all seinen ge­ lehrten Büchern, Schriften und Abhandlun­ gen die klare und einfache Lebensaussage des Dr. Dr. Friso Melzer. Brigi.tte Schmalenberg Begabter Jurist mit künstlerischen Neigungen Zum Tode von Klaus Burk – Als Sozialdezernent kompetent und mit unabhängigem Urteil Klaus Burk, im Jahre 1924 in Darmstadt geboren, paßte in kein gängiges Schema. Er blieb sich sein Leben lang treu – mit Ecken und Kanten. Außergewöhnlich waren seine Fähigkei­ ten: er war ein begabter Jurist mit ausge­ prägten künstlerischen Neigungen. Im neuen Schwarzwald-Baar-Kreis betreu­ te er ab dem Jahre 1973 als Sozialdezernent das weite soziale Umfeld in der Kreisver­ waltung (Sozialamt,Jugendamt, Ausgleichs­ amt). Er hat sich dieser Aufgabe mit innerer Anteilnahme angenommen. Seine juristi­ sche Ausbildung und Praxis kamen ihm da­ bei sehr zugute. Infolge Wehrdienst und Kriegsgefangen­ schaft konnte er erst im Alter von 29 Jahren sein Jurastudium beginnen, das auch noch durch Krankheitszeiten unterbrochen wer­ den mußte. Nach den beiden juristischen Staatsexamen entschied er sich für die In­ nenverwaltung. Die ersten beruflichen Spo­ ren verdiente er sich beim Landratsamt Bruchsal. Im Jahre 1969 kam er zum Landratsamt Villingen, wo er ein umfangreiches Tätig­ keitsfeld hauptsächlich in der Ordnungsver- Klaus Burk waltung zu beackern hatte. Als Regierungs­ direktor trat er mit W irkung vom 1. Februar 1989 aus Altersgründen in den Ruhestand. Als juristischer Mitarbeiter zeichnete sich Klaus Burk durch klare Gedankenführung 105

Klaus Burk I Kuno Gaß und prägnante Darstellung aus. Er war als kompetenter Gesprächspartner mit unab­ hängigem Urteil geschätzt. Geschätzt wurde auch seine Liebe zur Ma­ lerei. V iele Bilder mit Motiven aus dem Schwarzwald und den Ferienorten hat er ge­ macht. Als Maler ist er im Almanach 87, Sei­ ten 185 bis 190, durch Uwe Conradt tref­ fend gewürdigt worden. Hinzufügen möch­ te ich, daß Kostproben seiner Malkunst im Kreishaus zu besichtigen sind. In Erinnerung an seine T ätigkeit im Land­ ratsamt ist das Besprechungszimmer im Jugendamtsbereich im Untergeschoß des Landratsamtes nach ihm benannt. Selbst­ verständlich hängen auch dort einige Burk­ Bilder. Weniger bekannt sind seine Musik-Jugend­ träume. Drei Jahre, von 1949 bis 1952, hat er sich zum Pianisten ausbilden lassen. Er merkte jedoch bald, daß ein Leben als Mu­ siker für ihn eine „brotlose Kunst“ bedeute­ te und er sattelte im Jahre 1953 auf die Juri­ sterei um. Was bleibt von Klaus Burk in Erinnerung? Er war ein wacher und kritischer Geist, der auch über den engeren Fachbereich hinaus gebildet war. Er hat hohe Ansprüche an sich gestellt. In der täglichen Arbeit hat er sich nie auf sein Kriegsleiden berufen. Die gesell­ schaftlichen und politischen Entwicklungen betrachtete er differenziert und konnte ge­ legentlich recht zornig und sarkastisch wer­ den, wenn er Verhältnisse geißelte, die sei­ nem strengen Verständnis von Recht und Ordnung widersprachen. Er konnte aber auch liebenswürdig und geistreich sein. Von seiner Person machte er kein Aufhebens, er war ein introvertierter und bescheidener Zeitgenosse, sich seines Wertes aber wohlbewußt. Im Alter von 73 Jahren ist er am 29. No­ vember 1997 gestorben. Alle, die ihn ge­ kannt haben, werden sich seiner stets gerne ennnern. Dr. Rainer Gutknecht Ein verdienter Tuninger Kommunalpolitiker Zum Tode von Kuno Gaß – Die Schaffung eines Heimatmuseums als Lebensaufgabe verstanden Im siebzigsten Lebensjahr verstarb Kuno Gaß, dienstältester Gemeinderat und erster stellvertretender Bürgermeister in Tuningen. Dem Gemeinderat gehörte der selbständige Zimmermeister und langjährige Fraktions­ vorsitzende der Unabhängigen Wählerver­ einigung von 1956 bis 1962 und von 1965 bis 1997 an, von 1965 bis 1968 und von 1984 bis 1997 als Stellvertreter des Bürger­ meisters. Für sein kommunal politisches Engagement und seine besonderen Leistungen um die Gemeinde Tuningen wurde Kuno Gaß 1985 mit der Verdienstmedaille des Gemeinde­ tags und 1988 mit dem Gemeindegeschenk ,,Lederwappen“ geehrt. Über die Grenzen der Gemeinde hinaus war Kuno Gaß als engagierter Förderer der Heimatgeschichte bekannt. Im Jahr 1985 wurde er zum ersten Vorsitzenden des neu gegründeten Heimatvereins gewählt, der sich die Erhaltung, Erforschung und Förde­ rung des heimatlichen Kulturguts und der heimatlichen Schönheiten und Besonder­ heiten zum Ziel setzt. Im Jahr 1992 gab Ku­ no Gaß den Vereinsvorsitz an Werner Ess­ linger ab und übernahm das Amt des zwei­ ten Vorsitzenden. Größter Erfolg seiner Vereinsarbeit und Er­ füllung einer Lebensaufgabe war die Eröff­ nung des Tuninger Heimatmuseums im Jahr 1997. An Konzeption und Bau des Mu­ seums hatte Kuno Gaß ganz wesentlichen Anteil. Auf seine Anregung hin fand 1987 106

eine Ausstellung statt, in welcher unter an­ derem eine Stube mit alten Möbeln, die Tu­ ninger Tracht, alte Bilder, Ortskarten und Pläne, alte Geräte und Werkzeuge gezeigt, alte Handwerke vorgeführt und Mundartge­ dichte vorgetragen wurden. Der große Er­ folg dieser Veranstaltung bekräftigte ihn in dem Wunsch, sich fortan mit ganzer Kraft für die Errichtung eines Museums einzuset­ zen. Die Einwilligung des Gemeinderats zum Kauf des Gebäudes „Im Hasenloch 2″ und seiner Nutzung als Heimatmuseum war der beharrlichen Überzeugungsarbeit von Kuno Gaß zu danken. Von ihm gefertigte Pläne sowie viele persönliche Gespräche mit Behörden und Handwerkern ermöglichten schließlich den Beginn des Um-und Ausbaus im Februar 1995 unter seiner Bauleitung. Mit der Eröff­ nung des Museums im März 1997 ist wohl sein größter Wunsch in Erfüllung gegangen. In persönlichen Gesprächen hat er bis zu­ letzt noch viele Tuninger Bürger und Bürge­ rinnen, aber auch auswärtige Freunde für die Sache des Heimatvereins begeistern kön­ nen, so daß die Mitgliederzahl sprunghaft anstieg. Mit großem Einsatz und Elan hat Bruno Gaß bei der Vorbereitung der 1200-Jahr-Fei­ erlichkeiten 1997 in Tuningen mitgewirkt. D’r Bold isch furt g’sii in d’r Fremdi, Z’Berlin un sunsch in große Städt. Jetzt baßt’s em nimrni in d’r Haimet. D’Kueh sin em z’mager, d’Ochse z’fett. ,,Nee“, gackst’r, „hier jebricht’s an allem! Jerechte Jötter, steht mir bai! Keen Opernhaus, keen Palmenjarten, nicht maJ ne simple Druckerai!“ D’r Bold Persönlichkeiten Kuno Gaß Den „historischen Markt“ als Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten hat er maßgeb­ lich mitinitiiert. Am 24. Oktober 1997 verstarb Kuno Gaß nach schwerer Krankheit. Dr. Helmut Rothenne! „E Oprehus, seil“ sait d’r Krüzwirt, ,,E Balmegadre hemm m‘ r nit. Doch, liawer Bold, glaub jo nit, daß es Kai Druckerei im Dörfli git! Gang, stand emol ufKirchestapfle, wenn d’Vesper us isch gege Drei; I wett bigoscht e Dopp’llider, de siihgsch e großi Druckerei!“ August Ganter, 1938gest. in Vöhrenbach 107

Persöulicbkeiten Mitgestalter von Dörfern und Städten Der Furtwanger Architekt Leopold Messmer setzte zahlreiche städtebauliche Akzente Architekten sind Mitgestalter des Antlitzes der Dörfer und Städte. Mit ihren Ideen set­ zen sie Akzente, auf denen das Auge wohl­ gefällig ruht oder die gleichgültig lassen, mit denen sie aber auch in W iderstreit der Mei­ nungen geraten können. Das sind die As­ pekte, die die breite Öffentlichkeit berüh­ ren. Ein anderer Aspekt ist die Funktiona­ lität dessen, was sie erdacht und erstellt ha­ ben. Dafür interessieren sich in erster Linie die Bauherren. Wenn beides in Einklang kommt, hat der Architekt vorzügliche Ar­ beit geleistet. Damit ist auch etwas von der Verantwortung aufgezeigt, die einem Archi­ tekten zufallt. Einer, der sich über vier Jahrzehnte dieser Verantwortung gestellt hat, ist Leopold Messmer aus Furtwangen. Und dies nicht nur in seiner Heimatstadt. In einer Vorstel­ lungsschrift aus dem Jahre 1960 finden sich außer Furtwangen als „Tat-Orte“ auch schon Gütenbach, Untersimonswald, Neukirch, Vöhrenbach, Schönwald und Schönenbach. Fabriken sind dort entstanden, Wohnhäu­ ser, Geschäftsgebäude, ganze Wohnsiedlun­ gen. Das oben Gesagte hatte Leopold Mess­ mer selber schon damals unter dem Stich­ wort „Bauen als öffentliche Angelegenheit“ so zum Ausdruck gebracht: ,,Ausdruck des­ sen ist das künstlerische Gewissen des Ar­ chitekten, nicht nur gegenüber dem Auf­ traggeber, sondern ebenso gegenüber der Allgemeinheit und der Landschaft wie dem Ortsbild, die sich mit jedem Bauwerk zum Guten oder Schlechten umformen lassen.“ Das Bauen, der Umgang mit Baustoffen, war dem ersten der fünf Kinder von Ernst und Lydia Messmer in die Wiege gelegt wor­ den, denn der Vater betrieb eine Zimmerei. Ernst Messmer war aus Donaueschingen nach Furtwangen gezogen und hatte die Furtwanger Bürgertochter Lydia Schlageter 108 Leopold Messmer geheiratet. Als für den Ältesten die Schul­ pflicht begann, hatte sich das Dritte Reich voll etabliert gehabt. Bürgerschule, Aus­ bruch des Krieges, Beginn einer Maurerleh­ re bei Mall in Donaueschingen, der der Volkssturm ein vorzeitiges Ende setzte. Schanzenbau 1944 in Frankreich, ab April 1945 noch Soldat, getürmt, von den Eltern bis zur Kapitulation im Keller versteckt ge­ halten, was nicht einmal die Geschwister wußten. Harte Nachkriegsjahre und eine Zimmermannslehre im elterlichen Geschäft – es war dies der beinahe typische Lebens­ lauf für einen Angehörigen des Ja11rganges 1928. Diese Lehrjahre wurden fortgesetzt mit einem Studium der Architektur im Winter­ semester 1947 /48 in Karlsruhe am damali­ gen Badisd1en Staatstechnikum. Die Reise

nach Karlsruhe war damals, im französisch besetzten Südbaden, nur mit Passagier­ schein möglich. Zwei Semester Bauinge­ nieutwesen bildeten die Grundlage für das eigentliche sechssemestrige Architekturstu­ dium, das im Juli 1952 zu Ende ging. Damit war die Zeit der Lehrjahre endgül­ tig abgeschlossen, aber für den 25 Jahre al­ ten Jungunternehmer Leopold Messmer be­ gann die Zeit der „Herrenjahre“ genau so hart. Arbeit, Aufträge gab es zwar, aber das Geld war knapp und das Honorar mußte oft auf Umwegen hereingeholt werden, die man heute als lustig bezeichnen würde, da­ mals aber ärgerlich waren. Kleine private Aufträge, Anbauten, Treppenhäuser, Gara­ gen, Klärgruben, Schaufenster – der Start war nicht übetwältigend. Der erste große Auftrag, ein Industriebau, signalisierte nicht nur das Ende einer „wilden Zeit“, er war auch richtungsweisend für einen besonderen Schwerpunkt, den sich das Architekturbüro Messmer später setzen sollte, nämlich im Industrie- und Gewerbe­ bereich, im Kommunal- und Öffentlich­ keitsbau. Er wuchs im Furtwanger Nachbar­ dorf Gütenbach im Auftrag der Gebrüder Falter in die Höhe. Dieser Bau stand auch für die rasante Entwicklung der Firma Faller, die sich anschickte, mit ihren feinen Mo­ dellspielwaren den Markt zu erobern. Eine besonders heikle statische Aufgabe war spä­ ter mit der Verbindung der beiden Faller-Fa­ brikbauten mittels einer vierzehn Tonnen schweren Brücke gestellt gewesen. Diese Stahlbrücke ist bis heute ein Wahrzeichen Gütenbachs geblieben. Ein weiterer Industriebau entstand 1960 als Zweigwerk der Furtwanger „Badischen Uhrenfabrik“ in Simonswald. Die Presse hatte dies begrüßt mit der Schlagzeile: ,,Jetzt beginnt die Industrialisierung des Simons­ wälder Tales.“ Und weiter hieß es: ,,Es wird ein stattlicher Bau von eindrucksvoller und klarer Gestaltung herauswad1Sen; das ist aus den Plänen des Architekten Messmer, Furt­ wangen, jetzt schon klar zu erkennen.“ Das Leopold Messmer fast siebzig Meter lange Bauwerk wurde in Stahlbeton-Skelettbauweise erstellt. Die Baustoffe Beton und Stahl sollten fortan die Architektonik in vielen Bereichen bestim­ men. Das zu Ende gehende Jahrzehnt brachte auch umfangreichen Wohnungsbau. Mit der Umsiedlung von Millionen Ostdeut­ scher, eine Folge des verlorenen Krieges, hatte das große Zusammenrücken begon­ nen. Ende der Fünfzigerjahre war die Wohn­ raumbewirtschaftung zwar gelockert wor­ den, aber der Bedarf war unverändert groß geblieben, weil man sich so langsam auch mehr Platz leisten wollte. Und wo es an Geld fehlte, wurde das Kapital Eigenleistung eingesetzt, eine Herausforderung auch für die Architekten. denn nicht nur die Finan­ zierung mußte darauf abgestellt werden, auch der Rahmen der möglichen Eigen­ leistungen war abzustecken, und schließlich etwarteten die Bauherren von ihrem Archi­ tekten auch Tips, an staatliche Finan­ zierungshilfen heranzukommen. Leopold Messmer baute solche Häuser gleich in Se­ rie, für den Badischen Heimstättenverband in Gütenbach und 21 Wohnungen für die Kinderreichen in Furtwangen. Die Zahl der Einzelaufträge, die sich über die ganze Raumschaft verteilen, weiß Leopold Mess­ mer selber wahrscheinlich nicht aus dem Stegreif zu nennen. In Furtwangen wird außerdem die Jahnsporthalle gebaut. Die er­ ste Renovierung der Festhalle steht an, die Renovierung des Kindergartens Linden­ straße ebenso. Auch in Vöhrenbach fängt die Arbeit von Leopold Messmer an, sich auf das Stadtbild auszuwirken. Genannt seien nur Möbelhaus Amann (Neubau), später auch Möbel-Hoh­ bach (Um- und Neubau), Sparkasse (Neu­ bau) oder Geschenkhaus Knöpfle (Neubau). Zwei besonders wichtige Projekte sind aber das neue Vöhrenbacher Altenheim, das das alte Pfründnerhaus ersetzte (1961-1963) und die Siedlung am Ochsenberg. Güten­ bach gibt sich ein neues Rathaus, die Gü- 109

Leopold Meßmcr Neubau der Firma Emilian Wehrle GmbH in Furtwangen. tenbacher „Fallers“ erstellen zwei Villen und in Schönenbach entsteht nach den Plänen von Leopold Messmer ein Gemeindezen­ trum, etabliert sich das Gipsergeschäft Kam­ merer. Wie das finanzielle Leistungsvermögen ei­ nes Auftraggebers den Ideen und der Phan­ tasie eines Architekten Grenzen setzt, läßt sich am Beispiel Furtwanger Festhalle exem­ plarisch aufzeigen. Die erste Renovierung stand im Jahre 1961 an. Dazu aus einem Zei­ tungsbericht: ,,Der Bürgermeister gab die Notwendigkeit eines Umbaues der Halle zu, die nicht mehr als Stiefkind behandelt wer­ den sollte, wies aber gleichzeitig auf die an­ deren großen Aufgaben der Gemeinde hin, die noch dringender sind, so auf den Aus­ bau des Krankenhauses, der am gleichen Abend besprochen wurde und auf die schon lange aufgeschobene Erstellung der Kläran­ lage, auf den Neubau eines Progymnasiums, auf die weitere Erschließung von Wohn- baugebieten. Besonders die ‚astronomische‘ Zahl von 230 000 DM, die Architekt Mess­ mer für eine vollständige Erneuerung der Festhalle errechnet habe, erschrecke ihn und die Stadträte.“ Die Renovierung wurde schließlich in zehn (!) Bauabschnitten vor­ genommen. Andere Voraussetzungen waren 1993 bei der zweiten Renovierung insofern gegeben, als der Gemeinderat gleich eine erkleckliche Summe, 2,3 Millionen Mark, bereitstellte. Durch eine geschickte Planung, vor allem im Eingangsbereich, gelang Leopold Messmer ein Umbau, der dem früheren Charakter an­ gemessen Rechnung trägt, den auftretenden Künstlern und Vereinen mehr Platz bietet und die Bewirtschaftung der Halle wesent­ lich erleichtert. Insgesamt wurde Leopold Messmer nach getaner Arbeit viel Lob ge­ zollt und ihm bestätigt, daß seine Planung der Stadt Furtwangen geholfen habe, ein Kulturdenkmal zu erhalten. Gleiches könn- 110

te man sagen vom Erhalt des denkmalge­ schü tzten Uhrmacher-Häusles der Heimat­ gilde „Frohsinn“ in Vöhrenbach. Einen breiten Raum im Schaffen von Leopold Messmer nahm, wie bereits ange­ deutet, der Industriebau ein. Auch dieser wurde in den Jahren des Aufbaues in der Bundesrepublik und danach, während des Aufbruches in das „neue Industriezeitalter“, zunehmend von neuen Materialien, neuen Bauweisen und neuen Bauformen be­ stimmt: Glas, Stahl, vorgespannte Stahlbe­ tonteile, Flachdächer, sehr große Spannwei­ ten; die funktionelle Konstruktion wurde sichtbar gemacht, die Skelettbauweise wurde geboren; die Tradition trat in den Hinter­ grund, Funktionalität war gefragt. Dies wur­ de später sehr aufwendig betrieben, vor al­ lem in den hinterlüfteten Fassaden. Alles mußte sehr leicht erscheinen. Solche Bauten entstanden außer in Gü­ tenbach (Faller und Schatz) auch in Brog­ gingen/Kenzingen (Zweigwerk von Faller), in Vöhrenbach (DZG und Voere), in Furt­ wangen (Fridolin Scherzinger und Emilian Wehrle) – um nur einige zu nennen. Diese Bauweise erwies sich aber auch als sehr aufwendig in der Unterhaltung und be- Per önlichkeiten sonders witterungsanfällig. Deswegen wer­ den heute andere Wege beschritten. Ein in neuerer Hinsicht besonders gut gelungenes Projekt kann Leopold Messmer in einem Neubau für die Firma E. Dold, Söhne, Furt­ wangen vorweisen, der 1987 auf dem ehe­ maligen Baduf-Gelände entstand und der auch in der Fachpresse als „vorbildlicher In­ dustriebau“ dargestellt worden war. Für die neuen Fabrikgebäude von Ganter, Siedle, Sauter, ebenfalls von Leopold Messmer ge­ plant und durchgeführt, stand die Vorstel­ lung vom in die Wohnlandschaft integrier­ ten Industriebau ebenfalls Pate. Hatte man in den Sechzigerjahren noch gebaut, als ob man mit der Energieform Heizöl den ewigen Frühling auch auf den hohen Schwarzwald holen könnte, so wur­ de Ende der Siebzigerjahre das energie­ sparende Bauen zu einer weiteren neuen Herausforderung für die Architekten. Eine solche Aufgabe war Leopold Mess­ mer beim letzten großen Umbau der Be­ zirkssparkasse Furtwangen, Hauptgeschäfts­ stelle Friedrichstraße, zugefallen. Dieses Gebäude „im Stil der 1950er Jahre“ war 1961 bezogen worden. 1986/87 stand nicht nur die völlige Neugestaltung der Fassade 1j,pisch für die Architektur der 1960er Jahre und bestimmend im Ortsbild: Die Firma Gebrüder Faller in Gütenbach. 111

Leopold Messmer das Wohn-und Geschäftsgebäude der „Badischen Zeitung“ in Furtwangen (1984) tragen bereits diesen neuen Er­ kenntnissen des Städtegestaltens Rechnung. Einern entsprechenden Wandel war der Privathausstil unterzogen. Aller­ dings hat Leopold Messmer schon bei den ersten Siedlungsbauten nie der damaligen Genügsamkeit gehuldigt: vier Wände und ein Dach drüber – fertig; Hauptsache, man hatte ein ei­ genes Zuhause. Schon bei den ersten Siedlungen, etwa für die Kinderrei­ chen in Furtwangen, sind das kom­ plett eingerichtete Bad, der große Ein­ bauschrank in der Küche, die Garage, die Zentralheizung, zumindest aber die Mehrraumheizung, Elemente, die diese Bauten deutlich abheben von dem, was noch in den Fünfzigerjah­ ren gebaut wurde. Ein großer Balkon in Form einer wettergeschützten Log­ gia strukturiert auch das Äußere ange­ nehm. In dem Maße, wie der Privathausbau aufwendiger wird, lassen sich auch die Architekten neue gestalterische Ele- mente einfallen. Die Hutkrempe kommt, das schwere Dach mit der Kasten­ rinne, der innen liegenden Dachentwässe­ rung. Heute ist aber auch im Privathausbau Energiesparen angesagt und der Bio-Bau. Dazu kommt -ein ganz neues Aufgabenge­ biet für den Architekten -daß man den Dachraum als Wohnraum entdeckt hat. Seit 1976 ist Leopold Messmer -und auch das gehört zu seiner Person -öffentlich vereidigter Bausachverständiger bei der In­ dustrie- und Handelskammer Villingen­ Schwenningen. Er ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. Die Leitung seines Büros in­ dessen hat er schon 1994 an den Sohn ab­ getreten. Am 10. August 1998 war er 70 Jah­ re alt geworden. Robert Scherer Auch S{lnierungen galt esfiir Architekt Leopold Messmeroft zu bewältigen, mustergültig ist die des katholischen Kinder­ gartens in der Furtwanger lindenstraße. an, es galt auch, gefällige architektonische Formen -,,Verbesserung des optischen Er­ scheinungsbildes“ hatte der Auftrag damals gelautet -mit entsprechenden Energiespar­ maßnahmen in Einklang zu bringen. Meh­ rere von Leopold Messmer geplante und durchgeführte Umbaumaßnahmen, die wei­ teren Geschäftsraum schufen, so 1985 auch den Mehrzweckraum, waren 1969/70 und 1976/77 vorausgegangen. Im stilistischen Gegensatz zum Sparkas­ sengebäude steht das 1983 bezogene Ge­ bäude der Volksbank in der Gerwigstraße in Furtwangen. Für die verspielte Gestaltung der Fassade -Klinker, Schindeln, Putz, Er­ ker, vertikales Holzwerk -hat die Nostalgie Pate gestanden. Der Verwaltungs-Neubau der AOK in Donaueschingen (1970) und 112

Um die Heimat Neukirch verdient gemacht Ortsvorsteher und Stadtrat Florian Rombach mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet Persönlichkeiten „Auf meinen Fahrten durch Baden-Würt­ temberg finde ich immer wieder Hand­ werksmeister, die sich für das öffentliche Wohl einsetzen und die das Land zu dem gemacht haben, was es ist.“ Diese Worte widmete die Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, Dr. Annette Schavan, dem Neukircher Ortsvorsteher Florian Rombach anläßlich der Verleihung des Bun­ desverdienstkreuzes am Band. Mit dieser hohen Auszeichnung, die vor dem Neukir­ cher Zimmermeister im heutigen Furtwan­ ger Stadtteil Neukirch nur der frühere Bür­ germeister, Albert Fehrenbach (1965), erhal­ ten hatte, fand ein Lebenswerk, das dem Beruf und der Gemeinde gleichermaßen ge­ widmet war, verdiente Anerkennung. Florian Rombach wurde als erstes der sechs Kinder von Wilhelm Rombach, auch „Brend-Wilhelm“ genannt, und dessen Ehe­ frau Elise 1926 geboren. Der „Brend-Wil­ helm“ betrieb die von Vater Lambert über­ nommene, 1890 gegründete Zimmerei. 193 9 starb er und hinterließ eine Witwe und sechs Kinder, von denen das jüngste gerade zwei Jahre alt war. So ruhte der Zimmerei­ betrieb eine Zeitlang. Mutter Elise brachte ihre Großfamilie mit Näharbeiten durch. Von ihren fünf Söhnen ergriffen drei den Zimmermannsberuf. Es war schließlich der Älteste, der das Geschäft des Vaters, nun­ mehr in der dritten Generation, fortsetzte. Florian Rombach zog später aber aus dem Elternhaus, Dörfle 2, aus und baute sich ein eigenes Heim nebst neuen Räumlichkeiten für den expandierenden Betrieb. Davor hatte das Schicksal aber noch Kriegsteilnahme und Gefangenschaft ge­ setzt. Kaum daß der 17jährige Florian Rom­ bach den Gesellenbrief in der Tasche hatte (1943), holte ihn die Wehrmacht zum Kriegsdienst. Er kam, wie er selber sagte, Florian Rombach „voll in den dicksten Schlamassel,“ geriet in Gefangenschaft und kehrte erst 19 50 als Spätheimkehrer wieder nach Hause zurück. Es folgten der Besuch der Fachschule in Tü­ bingen und die anschließende Zimmermei­ sterprüfung (1952), dann war Florian Rom­ bach befähigt, im Jahre 1954 die Zimmerei des verstorbenen Vaters auf eigenen Namen wieder zu eröffnen. Im gleichen Jahr band er sich auch ehelich an Klara Wehrle. Der Ver­ bindung entsprossen sechs Kinder, 5 Söhne und eine Tochter. Aus dem Geschäft machte er in der Folge einen modernen und leistungsfähigen Zim­ merei- und Holzbaubetrieb und erwarb in Neukirch und weiter Umgebung das Ver­ trauen eines beachtlichen Kundenstammes. Die Referenzliste weist aus, daß das Zim­ mergeschäft Rombach schon weit über die Bannmeile seiner Heimatgemeinde hinaus 113

Florian Rombad1 tätig war. Im Dreieck Freiburg – Pforzheim – Rottenburg finden sich seine Holzwerke, darunter so Gegensätzliches wie die Sprung­ schanze in Furtwangen und der Pavillon des Schwarzwald-Baar-Kreises auf der Landes­ gartenschau 1986 in Freiburg. Das schöne Holzhaus steht heute aber nicht mehr am Flückigersee, sondern im Münsterta1, privat genutzt. 1979 konnte eine geräumige Abbundhalle in Betrieb genommen werden und sukzessi­ ve wurde der Maschinenpark ausgebaut und modernisiert. Diese Entwicklung hat es aber auch mit sich gebracht, daß der Zimmer­ meister in Florian Rombach mit einiger Wehmut feststellen muß, daß in der Zim­ merei viel „Hand“-werkliches verloren ge­ gangen ist. Den Umgang mit Säge, Hobel und Stemmeisen, das Abbinden, wie der Fachmann sagt, hat heute die elektronisch gesteuerte Maschine voll übernommen und selbst das Aufschlagen, das Zusammenset­ zen des Balkenwerks also, könnte nach dem Baukastenprinzip von Ungelernten bewerk­ stelligt werden. Der Holzbaubetrieb Rom­ bach beschäftigt heute zehn Leute. Dazu gehören inzwischen auch, in der 4. Genera­ tion, die Söhne Johannes und Clemens. Die öffentliche Betätigung von Florian Rombach beginnt im Jahre 1965. Die Mit­ bürger schenken dem CDU-Mitglied ihr Vertrauen und wählen ihn in den Gemein­ derat, dem er bis 1971 angehört. Im Jahre 1971 wird durch die Eingemeindung nach Furtwangen der Neukircher Gemeinderat in ein neues Gremium, in den Ortschaftsrat, überführt, dessen Mitglied Florian Rom­ bach ebenfalls wird. Gleichzeitig wird er zum Stellvertreter des Neukircher Ortsvor­ stehers bestimmt, um 1972 selber dieses Amt zu übernehmen. Kraft Amtes ist Flori­ an Rombach von da an bis auf den heutigen Tag auch im Furtwanger Stadtparlament ver­ treten. Seit 1988 ist er dort Mitglied im Tech­ nischen- und Umweltausschuß und seit 1989 im Gemeinsamen Ausschuß der Ver­ waltungsgemeinschaft Furtwangen – Güten- 114 bach. Zwanzig Jahre lang, von 1971 bis 1991, arbeitete er im Fremdenverkehrsaus­ schuß mit und genau so lange im Erweiter­ ten Vorstand des Fremdenverkehrsvereines. Seit 1991 übt Florian Rombach in diesem Gremium die Tätigkeit eines Kassierers aus. Er betätigte sich im Technischen Ausschuß und im Bauausschuß und war zwischen 1989 und 1994 Referent für den Kindergar­ ten in Neukirch. Damit hat sich die ehrenamtliche Tätigkeit des Ortsvorstehers auf der Ebene der Ge­ meindeverwaltung aber noch nicht er­ schöpft. In mehreren Ausschüssen war er für die CDU-Fraktion noch stellvertretendes Mitglied, so im Ältestenrat, im Gemein­ samen Ausschuß der Verwaltungsgemein­ schaft Furtwangen-Gütenbach, im Bauaus­ schuß und im Technischen Ausschuß. Die Liebe zum Gesang hat es wohl mit sich gebracht, daß Florian Rombach eigentlich nur in einem Verein tätig war, in der Sän­ gerrunde. Während seiner jahrzehntelangen aktiven Mitgliedschaft stand er dem Verein auch als Schriftführer (1955 – 1968) und als 1. Vorsitzender (1968 – 1981) zur Verfügung. 1981 ernannten ihn die Sänger zu ihrem Eh­ renvorsitzenden. Seit Florian Rombach den verstorbenen Bürgermeister und Ortsvorsteher Alfred Dil­ ger im Amte beerbte, hat sich in Neukirch viel getan, durch ihn auf den Weg gebracht und vorangetrieben. Die Gunst der Stunde nützend, gelang es aud1, die Grundschule wieder in den Stadtteil zu holen, in letzter Minute sozusagen, denn der Verkauf des Schulhauses hatte kurz vor dem Abschluß gestanden. Tief in seiner Heimatgemeinde verwurzelt, habe dies reiche Früchte getra­ gen, sagte Dr. Schavan in ihrer Laudatio. Und Furtwangens Bürgermeister Richard Krieg bezeichnete Florian Rombach als Neukircher Markenzeichen: zielstrebig, ehr­ geizig, umtriebig und in der Zusammenar­ beit immer angenehm. Robert Scherer

,,Schönheit durch richtiges Atmen“ Heike Höfler ist eine bekannte Autorin zahlreicher Fachbücher – Aus der Praxis für die Praxis Persönlichkeiten ,,Schönheit kommt von innen -durch rich­ tiges Atmen“, sagt Heike Höfler Qahrgang 1956). Die in Bad Dürrheim im Schwarz­ wald wirkende Sport-und Gymnastiklehre­ rin ist eine durch Fernsehauftritte (u. a. bei Margarethe Schreinemakers) und zahlreiche Medienberichte bekannte Autorin von Fachbüchern und Kassetten u. a. über „Das Fitneßtraining fürs Gesicht“, ,,Atemtherapie und Atemgymnastik“ sowie „Rückbildungs­ gymnastik“. Heike Höfler weiß, daß gezielte Übungen mehr Gesundheit und Wohlbefinden brin­ gen: Gesichtsmuskelspiele, Massage und Tiefenentspannung gegen Verspannungen und Falten. Atemtherapie hilft bei Schmer­ zen, Streß und Abwehrschwäche. Als Fach­ therapeutin vermittelt Heike Höfler ihre be­ währten Tips in einer ganzheitlich ausge­ richteten Klinik für Gesundheit, Rehabilita­ tion und Prävention unter fachärztlicher Leitung im Sole-Heilbad und Heilklimati­ schen Kurort Bad Dürrheim/Schwarzwald. Bewegungsmangel, Streß, falsche Ernäh­ rung und schlechte Atemgewohnheiten pures „Gift“ für Schönheit und Gesundheit! Die Qtittung fürs Fehlverhalten erfolgt in Form von Unwohlsein, Müdigkeit, Kraft­ und Lustlosigkeit, Verspannungen, Kreis­ laufproblemen, Verstopfung, Stoffwechsel­ erkrankungen, herabgesetzter Immunab­ wehr und vorzeitigem Altern. ,,Gezielte Ver­ schnaufpausen im Alltag und Aktivität“ empfiehlt Atemtherapeutin Heike Höfler. „Atem ist Leben“ lautet die Erkenntnis ihrer jahrelangen Arbeit. Ehrensache, daß sie sich selbst mit Gymnastik-und Atemübungen gesund und fit hält. Gezielte Atemübungen bewirken laut Hei­ ke Höfler das Lösen von Verspannungen, Ängsten und Beklemmungen, unterstützen die Behandlung von psychosomatischen Er- Heike Höjler krankungen und Depressionen, versorgen den Organismus mit Energie und verbes­ sern so den Gesamt-Gesundheitszustand. Im intensiven Dialog mit Menschen, die aktiv etwas für ihre Gesundheit und Schön­ heit tun wollen, entstand Heike Höflers auch von der „Stiftung Warentest“ im Heft als „sehr gut“ empfohlener Ratgeber aus der Praxis für die Praxis. Daß insbesondere das Feld der Gesichtsgymnastik in der Bundes­ republik Deutschland brach liegt, merkte Heike Höfler bei der täglichen Arbeit und aufgrund des Fehlens entsprechender Lite­ ratur. ,,Dann schreib‘ ich eben die Bücher“, beschloß die in Trossingen lebende Gesund­ heits-und Schönheitsexpertin und Mutter 115

Dagmar Schneider-Damm Von den Verhältnissen der Heimat geformt Pcrsöoli hkeiten rung erfahren. Und noch einen Effekt be­ obachtete Heike Höfler. ,,Das Selbstvertrau­ en und die Zufriedenheit erfahren einen Zu­ wachs.“ ,,Super jetzt bin ich wieder lebendig. Früher wirkte mein Gesicht wie eine Maske aus Stein“, so ein begeisterter Geschäfts­ mann, der das Experiment wagte und statt des Bizeps seine Gesichtsmuskeln in Form brachte. Denn nicht nur an „Sie“, auch an „Ihn“ richtet Fachpublizistin Heike Höfler ihre Fitneß-Appelle. dreier schulpflichtiger Kinder. Mit Tochter Yvonne Oahrgang 1982) als begeisterter Te­ sterin tüftelte Heike Höfler ihr Erfolgspro­ gramm für Schönheit, Wohlbefinden und lange Jugendlichkeit durch Gesichtsgymna­ stik aus: ,,Denn das Gesicht ist ein Spiegel der Gesundheit.“ AugenroUen, Zunge zeigen und mit dem Kiefer klappern -diese Fitneß macht Spaß und erspart manchen Griff zum Make-up­ Topf. Neben dem kosmetischen Effekt, wie Faltenreduktion und Straffung der Haut, liegt der Hauptgewinn in einer Stärkung der Gesundheit. Sogar Spannungskopfschmer­ zen, verspannte Hals-und Nackenpartien sowie Augenprobleme können eine Linde- Prof. Dr. Johannes Benzing -ein Sprachwissenschaftler als Meister der Zusammenschau des Lebensraumes: Sprache -Mundart -Volkskunde -Geschichte -Territorium Konsul in Istanbul -klingt das nicht wie jockls“ hinein geboren, tat dies lebenslang aus einem Märchen aus Tausendundeiner und tut es, hochbejahrt, noch immer. Hier Nacht? Dabei handelt es sich nur um eine das Licht der Welt zu erblicken, hier aufzu­ Station aus dem Leben eines Mannes, der wachsen, prägte den Menschen, wurde für sich der Orientalistik verschrieb, an dem den wissenschaftlichen Werdegang Ben­ märchenhaft nur anmutet, welches Maß an zings bestimmend: Hier trieb er in jüngsten Jahren bereits Sprachgeschichte; hier stu­ seltener Sprachbegabung und ebenso selte­ dierte er die Mentalität der altwürttember­ ner Selbstdisziplin in einem Forscher zu­ gischen Alemannen evangelischer Konfessi­ sammenströmen, der eine große Leiden­ on, die sich von Altgläubigen in den Nach­ schaft nur kennt: die Philologie, die zur barstaaten umgeben wissen, dicht an der (Lebens)Philosophie sich weitet, zu umfas­ schwäbischen Mundartgrenze; hier verfaßte sender Kultur-, Geistes-und Mentalitätsge­ schichte. Da ist es beinahe Gnade nachgera­ er volkskundliche Arbeiten, die verraten, de zu nennen, wenn ein Talent von hohen daß er um den Zusammenhang von Brauch Graden in einer Gemeinde an der Grenze und Recht früh schon wußte; hier reifte mit ihm sein Interesse für die Geschichte (s)eines mit all ihren Gegensätzen geboren wird, an Lebensraums. einer Konfessions-Sprach-Landesgrenze Die „Zusammenschau von Sprache und nämlich, Spannungen erfährt und fruchtbar Mundart, Volkskunde und Territorialge­ zu machen weiß: Grenzgänger weiten ihren Horizont. schichte“ ist, um mit seinen eigenen Wor­ ten zu sprechen, für das umfangreiche, vor Prof. Dr.Johannes Benzing, am 13.Januar allem ungewöhnlich umfassende, viel­ 1913 in Schwenningen am Neckar in die alt­ eingesessene Familie der „Gmondroothans- schichtige und vielsagende Lebenswerk ei- 116

nes vielseitigen Vielsprachigen für immer Ziel und Richtschnur geblieben; ausschlag­ gebend waren die Anregungen, welche die Verhältnisse seiner Heimat ihm vermittel­ ten. Untrennbar scheinen ihm Untersu­ chungen zur Volkskunde in all ihren Facet­ ten von der vielgestaltigen Geschichtsfor­ schung, die beide zur Klärung sprachhisto­ rischer Fragen beitragen, wie umgekehrt die Sprachgeschichte den Schlüssel an die Hand gibt, viele Fragen der Kulturhistoriographie (nicht nur) sich zu erschließen. Untrennbar sind sie. Dabei ist Johannes Benzing behutsam nur mit dem geschriebenen Wort umgegangen: „Manches, vor allem einige seiner kühnsten und denkwürdigsten sprachgeschichtlichen Rekonstruktionsvorschläge, hat er nur sei­ nen Studenten und engsten Kollegen mündlich vorgetragen -immer mit der ihm eigenen ansteckenden Begeisterung und sei­ ner ganz ungewöhnlichen Offenheit für Gegenargumente“ (so Lars Johanson und Claus Schönig), nicht anders als manche be­ denkenswerte Überlegung zur Volkskultur­ forschung Freunden oder für förderungs­ würdig Befundenen nur anvertraut werden. Was aber die Benzingsche Methode im schöpferischen Wirken als Wissenschaftler charakterisiert, kennzeichnet auch sein Le­ ben: ,,durch viele kleine Schritte auf solidem Grund neuen Boden gewinnen“ -soweit die Füße tragen in nie erlahmendem Streben. Schon als Gymnasiast hatte Johannes Ben­ zing weniger Sinn für unnütze Streiche, als daß er Schritte in die (damals ungewisse) Zukunft tat, die so klein nicht einmal waren. Auf der Treppe des Hauptpostamtes vis-a-vis der ins Erhabene aufstrebenden Oberreal­ schule lernte der Autodidakt, der auf mehr oder minder qualifizierte Lehrer nicht ange­ wiesen sein mochte, türkische Vokabeln und Grammatik. Persisch folgte alsbald. Das In­ teresse für Sprachvergleiche in der Welt des weiten Ostens stellte sich ein. Bewahrheiten sollte an dem Manne sich, daß gut daran tut, als Hänschen zu erlernen, was ihn als Hans Prof. Dr. Johannes Benzing Prof Dr.Johannes Benzing auszeichnen soll. Der Sprachwissenschaftler war vor dem Abitur bereits geboren: unge­ prüft, doch tüchtig; das naheliegende und erstrebenswert scheinende Philologiestu­ dium wurde jedoch nach der Reifeprüfung nach reiflicher Überlegung nicht aufgenom­ men -der schlechten Berufsaussichten we­ gen. Statt dessen eine kaufmännische Lehre in der „Uhrenfirma von Weltruf“ Friedrich Mauthe GmbH angetreten. Das Sprachgenie studierte als „Stift'“ wei­ tere Sprachen, ein Steckenpferd vorerst ritt er von besonderer Rasse und Klasse. Den ro­ manischen Sprachen widmete er sich vorab, lernte zum Französischen Italienisch und Spanisch hinzu, erschloß sich so einen neu­ en Sprachraum neben dem germanischen – ermöglicht das Deutsche doch unschwer dem Begabten den Zugang zu den Sprachen Niederländisch, Dänisch, Schwedisch, Nor­ wegisch. Englisch dürfte ihm nie schwerge­ fallen sein. Folgerichtig nur, daß für den Strebenden Russisch die nächste Herausfor­ derung darstellte, die rechte Grundlage für die slawischen Sprachen, Tschechisch und 117

Prof. Dr. Johannes Benzing Polnisch vorweg. Da fehlte dem guten Eu­ ropäer nur das Griechische und das Fin­ nisch-Ugrische, das ihm erst einmal ver­ zichtbar erschien. Das Arabische war mehr nach seinem Sinn. Bibelübersetzungen be­ sorgte Benzing sich in den orientalischen Sprachen, um sie vergleichen zu können. Das Sprachverständnis wuchs, mit ihm die Erkenntnis, daß auch Sachkenntnisse unab­ dingbar für einen Übersetzer sind, will er das Richtige treffen. Als Student der Orientalistik Zum Sommersemester 1936 schrieb der Schwenninger sich dann doch in Berlin ein – als Student der Orientalistik. Islamische Philologie studierte er u. a. bei Richard Hart­ mann, Hans Heinrich Schaeder und Wal­ ther Björkmann; bei Annemarie von Ga­ bain Turkologie; Mongolistik bei Erich Hae­ nisch. Praktische Kenntnisse orientalischer Sprachen und Realien erwarb er sich am Ori­ entalischen Seminar, so bei Gotthard Jäsch­ ke und Seba tian Beck. ,,Hier entdeckte er die noch weithin brachliegenden, zum Teil ganz unbearbeiteten Felder des innerasiati­ schen Raume und wandte sich insbesonde­ re der Arbeit über Sprachen und Kulturen Turkestans und des Wolgagebiets zu. Aus diesen Studien sind owohl seine Dis­ sertation über die Verbformen im Türk­ menischen als auch seine Habilitations­ schrift über die Kasus im Tschuwaschischen entstanden“ (Lars Johanson und Claus Schönig). Alles aber ging in rasanter Schnel­ le vonstatten, die für einen Benzing nichts Besondere , für andere bisweilen beäng ti­ gend erscheint! Nach einem Semester be­ reits bestand er die Diplomprüfung in Tür­ kisch – wobei die für Hochbegabte kaum je ausgelegten deutschen Prüfungsordnungen (mit Mindeststudienzeiten) das weit größe­ re Problem darstellten als die Prüfung seiner Kenntnis e. Drei weitere Seme ter – und das Diplom in Persisch war erworben. Promo­ viert wurde Benzing 1939; 1942 habilitierte 118 er sich. Im gleichen Jahr folgte die Ernen­ nung zum Regierungsrat im Auswärtigen Amt, wo er zuvor schon als Übersetzer tätig war. ,,Daß ich orientalische Sprachen konn­ te, hat mich im Krieg vor vielem bewahrt.“ Er war ein im besten und günstigsten Sinne des Wortes „gesuchter Mann“ – als Orien­ talist, dessen Dienste bis 1945 im Auswärti­ gen Amt unentbehrlich waren. Daß er sein Schwenningerisch darüber nicht verlernte, lehrt eine amüsante Gesd1ichte: Als seine Cousine Marie ihn in Berlin besuchte, sein Heim zu finden aber Stunden benötigte, meinte er nur: ,,Sell hau-n-e mar glii‘ dai’kt, daß du i-ra räata Schtadt a Wiile bruuchscht, bis da me findescht !“ Weniger zu lachen hatte er hingegen bei Kriegsende. Mit einigen Kollegen nach Tü­ bingen ausgewichen, wurde er für kurze Zeit von den Amerikanern interniert. 1946 kehr­ te er zum ersten Male in seine Heimat Schwenningen zurück, wohin er seine Fami­ lie zusammen mit Möbeln und wichtigen, womöglich unersetzbaren Büchern bereits 1943 evakuiert hatte. Da das Auswärtige Amt (vorübergehend) geschlossen, an eine Lehrtätigkeit an der Universität aber nicht zu denken war, arbeitete Benzing für das Bi­ zonenwirtschaftsamt als Übersetzer, in der Neckarquellstadt als Hilfslehrer – und Hei­ matkundler, dem die Bürger schöne Beiträge zur Ortsgeschichte zu danken haben. Als ihm Ende 1949 eine Tätigkeit als Überset­ zungsredakteur in staatlicher Stelle in Frank­ reich angetragen wurde, nahm er das Ange­ bot wahr, übersiedelte mit seiner Familie als „Gastarbeiter“ ins Nachbarland, das vom „Erbfeind“ zum Erzfreund sich wandeln sollte in einem zu einigenden Europa. Selbstverständlich nutzte der Wissenschaft­ ler die gün tige Gelegenheit, die französi­ schen Orientalisten und ihre Arbeiten näher kennenzulernen. 1955 kehrte Johannes Benzing als Beamter ins Auswärtige Amt zurück, übersetzte eng­ lische und französische Texte. Von 1956 bis 1963 wechselte er von Bonn nach Istanbul

als für das Kulturreferat zuständiger Konsul am deutschen Generalkonsulat. Da bot sich die Gelegenheit, nicht nur aus Büchern zu lernen und Bibliotheken zu nutzen, son­ dern durch persönliche Kontakte die Kennt­ nisse der Sprachen, Literaturen, Geschich­ te(n) der Länder Innerasiens zu vertiefen. An der Universität aber lehrte er „Turkspra­ chen außerhalb der Türkei“. 1963 endlich konnte Johannes Benzing, der neben seiner Erwerbstätigkeit nicht nur in Istanbul, sondern auch in Tübingen und Mainz Meriten als Hochschullehrer sich er­ worben, als Nachfolger Helmut Scheels auf den Lehrstuhl für islamische Philologie und Islamkunde an der Johannes-Gutenberg­ Universität Mainz berufen werden; endlich konnte er sich ganz der W issenschaft wid­ men in Forschung und Lehre. 1966 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Lite­ ratur gewählt, der er bereits seit 1953 als außerakademisches Mitglied der Orientali­ schen Kommission angehörte. 1981 emeri­ tiert, kehrte Benzing bald darauf seiner Wir­ kungsstätte den Rücken, zog in die Nähe Schwenningens zurück. Die Heimat hat ihn nicht losgelassen, er sie nie wirklich verlas­ sen. Manch heimatgeschichtliche Studie entsteht nebst anderem – wie z.B. über aus Glaubensgründen ausgewanderte Bürger Erdmannsweilers, seiner neuen Wahlhei­ mat. Ein großes Werk an Studien So gehören zum Werk des Schwenninger Sprachwissenschaftlers aus Leidenschaft u. a. scharfsinnige Studien zur Geschichte und Gegenwart der Turksprachen und die kriti­ sche Beschäftigung mit brennenden Fragen der Altaistik – wie die „Tschuwaschischen Forschungen“, die „Lamutische Gramma­ tik“, ,,Die tungusischen Sprachen. Versuch einer vergleichenden Grammatik“, die ,,Classification of the Turkic Languages“, ,,Das Kumükische“, ,,Das Baschkirische“, Per önlichkeiten „Das Hunnische, Donaubolgarische und Wolgabolgarische“, ,,Die usbekische und neu-uigurische Literatur“, ,,Die türkmeni­ sche Literatur“, ,,Die tschuwaschische Lite­ ratur“, der „Chwaresmische Wortindex“, „Das chwaresmische Sprachmaterial einer Handschrift und der ‚Muquaddimat al­ Adab‘ von Zamaxsari“. Sie stehen neben geschichtlichen Aufsätzen wie „Das turke­ stanische Volk im Kampf um seine Selb­ ständigkeit“ oder solchen, wo Religion, Recht, Volkskunde sich verbinden wie „Ein islamischer Rechtsfall in einem usbekischen historischen Roman“ und „Islamische Rechtsgutachten als volkskundliche Qiel­ le“, wobei Johannes Benzing die rechtsge­ schichtliche Volkskunde auch am Fallbei­ spiel seiner Geburtsstadt erprobt, wenn er Kirchenkonvents- und Gemeinderatsproto­ kolle neben herrscherlichen Landsordnun­ gen als volkskundliche Qielle nützt. Es dürfen seine wissenschaftlichen Bei­ träge zur Heimatkunde nicht verschwiegen werden: ,,Schwenningen und die Fasnet“ gehört dazu, ,,Mittwinterzeit im alten Schwenningen“ nicht minder, ebenso ,,Abergläubisches aus dem alten Schwen­ ningen“ sowie, ohne Vollständigkeit anstre­ ben zu wollen, ,,Die angeblichen Sagen vom Schwenninger ‚Hölzlekönig'“. Das letzte Wort aber gebührt dem bei al­ lem Forscherfleiß menschlich Gebliebenen, der es auch nicht versäumte, seiner bald hundertjährigen Tante, seiner „Melle-Bas“, selbstgemachtes „Heidelbeergsälz“ als Le­ bens- und zur Gaumenfreude zum Geburts­ tag zu bringen; dem Jubilar, der auf 85 er­ füllte Lebensjahre am 13. Januar 1998 zu­ rückblicken durfte: ,,Ich versuchte, nach jeder Biegung in meinem Leben das Beste daraus zu machen und geradeaus weiterzu­ gehen.“ Das ist Professor Dr. Johannes Ben­ zing gelungen – in kleinen Schritten auf so­ lidem Grund stets neuen Boden gewinnend. Michael]. H. Zimmermann 119

Persönlichkeiten ,,Damit sie nicht einfach vergessen werden … “ Karl Benzing hat die Geschichte von 1221 Kriegstoten aus Schwenningen zusammengetragen ,,Lieber Willi! Dieses Tagebuch sollte im­ das teilweise mit Fotos die nüchternen Daten der Gefallenen aufzeigt, ist entstan­ mer ein Begleiter sein – in guten und schlechten Tagen.“ Dies schrieb Karl Ben­ den, nachdem der Heimatforscher seinen er­ zing im Dezember 1943 in ein kleines sten Band über die „Bombenangriffe auf Schwenningen“ verfaßt hat. Darin hat er die Notizbuch, das er seinem besten Freund schenkte. Ein halbes Jahrhundert später hält Namen der insgesamt 191 Menschen, die er das Büchlein wieder in Händen, jedoch durch Beschuß der amerikanischen achten Luftflotte den Tod fanden und weiterer teilweise zerfetzt von einem Einschuß, der Bombenopfer aufgeführt. Als Zeitzeuge al­ seinem damals 23jährigen Freund das Leben gekostet hat. Heute ist das Tagebuch eines ler damaligen Angriffe wollte Benzing die ungenauen Angaben richtigstellen, über das der vielen Dokumente, die er gesammelt damalige Geschehen ausführlicher berich­ hat. Dreieinhalb Jahre lang spürte Benzing Da­ ten und durch weitere Zeitzeugen die furcht­ ten von 1221 gefallenen Schwenningern auf baren Erlebnisse in Erinnerung rufen. Bei dieser Recherche ließ ihn bereits der Das Ergebnis stellte er im Dezember 1997 in Gedanke an die gefallenen Schwenninger einem 680 Seiten starken Buch vor. Das ,,Gedenkbuch für die Kriegstoten des 2. auf den vielen Schlachtfeldern dieser Welt nicht mehr los. Angesichts dessen, daß sein Weltkrieges der Stadt Schwenningen a. N.“ ist ein beeindruckendes Zeugnis der nerven­ Bruder Hans, viele Kameraden, Schulfreun­ de, Nachbarn, Freunde und Bekannte durch aufreibenden Arbeit, die der 75jährige Karl Benzing geleistet hat. Die Idee für das Werk, den Krieg ein schlimmes Schicksal traf, ha- Karl Benzing sammelte dreieinhalb Jahre lang Daten zu seinem Gedenkbuch für die über 1220 Kriegstoten aus Schwenningen. 120

Auch das Tagebuch des gefallenen Freun­ des Willi hat Karl Benzing im Rahmen seiner Nachforschun­ gen wieder entdeckt. Es trägt die Spuren des Einschusses, der dem Freund das Le- ben nahm. be er die christliche und moralische Verpflichtung empfunden, die vielen Kriegstoten in das Gedächt­ nis der Überlebenden zu ru­ fen, damit sie nicht einfach der Vergessenheit anheim fallen. Karl Benzing, ein echter „Necklemer“, kam 1922 als Jüngster einer kinderrei­ chen Arbeiterfamilie in der Werastraße zur Welt. Seine ersten zehn Lebensjahre wa- ren geprägt von der allge- meinen Armut, die unter der ganzen Arbeiterschaft herrschte. Ein Stipendium für die Realschu­ le konnte er nicht in Anspruch nehmen. Benzing erinnert sich noch an die Worte sei­ nes Vaters: „Ich habe vier Kinder zu versor­ gen und kann für eines nicht alles ausge­ ben.“ Nach der Schulentlassung kam Ben­ zing als Feinmechaniker-Lehrling zur Firma Friedrich Ernst Benzing. Durch einen Fahr­ radunfall in den Betriebsferien 1937 erlitt Karl Benzing eine Blutvergiftung im Knöchel. Zwei Jahre lang war er im Kran­ kenhaus und verschiedenen Heilstätten. Da­ mals gab es noch kein Penizillin, was zur Folge hatte, daß das linke Sprunggelenk steif blieb. Da der junge Mann jetzt nur noch eine sit­ zende Tätigkeit ausüben konnte, begann Benzing im April 1939 eine kaufmännische Lehre bei der Uhrenfabrik Hanhart. Als er 1943 einen Antrag auf Zulassung zu einem Studium stellte, wurde diese vom Ortsgrup­ penleiter des Neckarstadtteils abgelehnt, da weder der Vater noch Karl Benzing Partei­ mitglieder gewesen waren. Dafür habe er in einem Neckarbezirk dann die Beiträge zur Pflicht-NSV kassieren müssen. Bisher war in Schwenningen nicht be­ kannt, wieviele Opfer der Krieg gekostet hat. Eine Liste des Stadtarchivs verzeichnet nur rund 700 Gefallene. Karl Benzing erhöhte Karl Benzing ��.‘ J,’&J� � „‚� „“�· l��t,O� AaM,,(.,OJ. JJ,,,‘ _… diese Zahl durch intensive Recherche auf 1221. Sowohl das Nachschlagewerk als auch die vielen Dokumente überläßt der Autor dem städtischen Archiv zur Aufbewahrung. Mehr als drei Jahre hat Benzing sich bei städtischen Ämtern, beim Volksbund Deut­ scher Kriegsgräberfürsorge, beim U-Boot­ Archiv, der Wehrmachtsauskunftsstelle, dem Verteidigungsministerium, beim Mi­ litärgeschichtlichen Archiv und bei dem Suchdienst des Roten Kreuzes in München kundig gemacht. Über 800 Gefallene persönlich gekannt Zu den meisten Stellen hätte er zumindest selbst hinfahren und in den Archiven rum­ stöbern können, aber das ließ seine Ge­ sundheit nicht zu. So blieben manche der möglichen 09ellen ungenutzt. Dafür hat der ehemalige Buchhalter und Kaufmann viele Kontakte in Schwenningen und ist mit der Geschichte seiner Heimatstadt eng ver­ bunden. Von den mehr als tausend Kriegs­ toten kannte er mindestens 800 persönlich oder über deren Familie. Im „Heimatblätt­ le“ hat er eine Serie über Schwenninger Haus- und Sippennamen veröffentlicht, die 30 Monate lang lief; seine Volkssturmerleb­ nisse der letzten Kriegstage sind im Stadtar- 121

Per önlichkeiten chiv einsehbar; und zudem hat er beim Auf­ bau des Bauernmuseums in Mühlhausen ei­ nen wesentlichen Beitrag geleistet. Die schlimme Bilanz, die Benzing auf­ stellte, spricht allein von 54 Schwenningern, die in und bei Stalingrad fielen, die meisten sind vermißt. 19 Gefallene waren im Infan­ terie-Regiment 215 der 78. Sturmdivision und fielen im Mittelabschnitt der Ostfront. In den vier prall gefüllten Ordnern mit Un­ terlagen, Toterklärungen, Briefen und Ur­ kunden sind tragische Einzelschicksale auf nüchternem Papier nachzulesen. Die beiden jüngsten Gefallenen waren die 16 und 17 Jahre alten Heinz Schlenker, der bei un­ menschlicher Arbeit eines Minenräumkom­ mandos ums Leben kam und Edgar Goretl1. Dieser war bei den Mauser-Werken in Oberndorf auf einem Flakturm beschäftigt. Bei einem Bombenangriff wurde er von ei­ nem herabstürzenden Felsstück im Genick getroffen. Der älteste Kriegstote aus Schwen­ ningen war Gottfried Heim aus der Neckar- straße. Er mußte als 58jähriger noch zum Volkssturm, kam in französische Gefangen­ schaft und starb im Krankenrevier eines Ge­ fangenenlagers. Es fielen auch die Zwillings­ brüder Horst und Rolf Summ, Alfred und Erich Meder. Benzing wies nach, daß sechs Soldaten ohne Grabstätte sind. Sie flogen mit Munitionszügen in die Luft, verbrann­ ten im Panzer, traten auf Minen, und einer kam schwerverwundet in den Keller zu einer italienischen Familie. Nach einem Bomben­ treffer war nichts mehr übrig. Ausgrabungen auf russischen Kriegsgrä­ berfeldern bringen immer wieder neue Er­ kenntnisse, weshalb das Buch Benzings schon in der dritten Auflage erschienen ist. Eine Dokumentation, die für die nachfol­ gende Generation von unschätzbarem Wert ist. Die Resonanz bei Kindern und Enkeln der Gefallenen gibt Benzing Mut und Kraft, sein Werk fortzusetzen. Sabine Streck Mit vorbildlichem Einsatz und Engagement Der Triberger Franz Götcler ein großer Förderer der Vereine – Träger des Bundesverdienstkreuzes Sommerzeit ist Wanderzeit. Und immer dann, wenn sich eine Gruppe Wanderer auf den Weg von Triberg nach Hornberg, auf den Gutach-Wanderweg, machte, kam sie am Bahnhof Triberg als Ausgangspunkt an einem Hinweisschild vorbei. Ein holzge­ schnitzter Wandersmann wies in Richtung Hornberg und teilt nebenbei mit, daß der Weg Franz Göttler gewidmet sei. Das Schild wurde unlängst zur Erneuerung abmontiert, geblieben ist aber die Erinnerung an einen Mann, der sowohl ein alemannischer Dick­ schädel als auch einer der wenigen Idealisten war. 1995 ist er 88jährig gestorben, die Liste seiner Verdienste ist lang, doch wollte er kein öffentliches Echo darauf Trotzdem will die Ortsgruppe Triberg des Schwarzwald ver- eins ihm demnächst gerade diesen Weg of­ fiziell widmen, der bei Eingeweihten schon lange so heißt. Franz Göttler war ein selbstbewußter, stämmiger Mann, der sich gern den Heraus­ forderungen des Lebens stellte. Desgleichen erwartete er auch von seinen Mitmenschen und konnte da schon einmal grob werden, wenn das nicht so lief wie er es sah. Aber er konnte sich diese Haltung leisten, da er stets mit Einsatz und Engagement voranging. Sd,on in jungen Jahren übernahm der ge­ bürtige Triberger nach Sdrnl- und Ausbil­ dungszeit und nach einem Aufenthalt in der Fremde die Firma Dold an der Nußbacher Straße. Bis ins hohe Alter ging er zu Fuß von seinem Haus an der Hornberger Straße ins 122

Geschäft und zurück. Die Firma stellt noch heute Präzisionswerkzeuge her. Mit den Menschen für die Menschen wir­ ken, das war seine Lebensmaxime, der er strikt folgte. Von 1939 bis 1959 war Franz Göttler Vorsitzender des Deutschen Roten Kreuzes und wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt. 1980 erkannte man ihm für seinen Einsatz von über 50 Jahren im DRK die Goldene Ehrenspange zu. Aber ganz be­ sonders verbunden war er seiner Heimat. Als Mitglied im Schwarzwaldverein war er von 1951 an 25 Jahre lang zweiter Vorsit­ zender des Vereins und sein besonderes Steckenpferd darin war der Wegebau. Er ging schon 1948 ans Werk, durch den Krieg verwilderte Wanderwege um Triberg mit ei­ nigen Gleichgesinnten wieder begehbar zu machen. Diese Gruppe war dann auch die Keimzelle für den „Wegebautrupp“, der un­ ter seiner Führung bis zum Jahre 1982 wirk­ te. Größte Unternehmung war für den Mann, dem Herausforderungen geradezu Spaß machten, die Schaffung eines Wanderwegs von Triberg nach Hornberg. Die jetzige Bundesstraße 33, einzige Weg-Verbindung zur Nachbarstadt, war durch den Autover­ kehr für Wanderer nicht mehr gefahrlos be­ gehbar. Göttler begeisterte im Jahre 1963 ei­ ne Reihe von Männern für seine Idee, die oberhalb der Gutach mit relativ einfachem Werkzeug einen Wanderweg schufen. Felsen mußten dafür beseitigt werden, Bäume und Gestrüpp entfernt, ein Weg geebnet werden. Dafür konnte Göttler zwischen zehn und vierzig Personen zwei Jahre lang zu fast je­ dem Wochenende zusammentrommeln. Zwölf Kilometer lang ist der Weg, gebaut unter Göttlers Leitung und Mitarbeit. Mit­ glieder der Schwarzwald-Verein-Ortsgrup­ pen Schonach, Hornberg, Gremmelsbach und natürlich Triberg machten zeitweilig mit. Akribisch listete Göttler die geleisteten Stunden auf, 1963 waren es 4428 und 1964 gar 7417 Stunden. Daß er die Kosten für die notwendige professionelle Arbeit trug, blieb Franz Göttler Franz Göttkr ein weiterer Beitrag, den Göttler leistete. 1965 wurde der Weg eingeweiht und dem sie mit Rat und Tat unterstützenden Oberforst­ rat Otto Woche, Leiter des Triberger Forst­ amtes, wurde eine gußeiserne Tafel am Weg­ rand gewidmet. 1984 brachte Göttler ein Büchlein heraus, das diesen einmaligen We­ gebau beschrieb und das zahlreiche Fotos enthielt. Im Juli 1994 feierten die Ortsgruppen Tri­ berg, Schonach, Schönwald und Hornberg des Schwarzwaldvereins die Wegebauer von einst mit einem großen Fest, das auch Franz Göttler sichtlich genoß. Obgleich hochbe­ tagt, trug er wieder den Schalk in den Augen, genoß sein Viertele und entwickelte die Ge­ selligkeit, für die ihn seine Mitmenschen auch liebten. Nicht umsonst gehörte er der Narrenvereinigung „Stabhalterei Freiamt“ an, war er ein gefragtes Mitglied des Heimat­ und Gewerbevereins. Und wie immer woll­ te er keine öffentlichen Ehrungen. Dabei hatte er schon 1976 für sein Wirken das Bun­ desverdienstkreuz erhalten. Renate Bökenkamp 123

Persönlichkeiten Heimatchronist und Mundartdichter August Vetter -ein Leben lang eng verbunden mit Fürstenberg An Fersteberg E Borg, e Städtli, e hohi Muur, en tiife Grabe, we e Kron hond si di Kuppe ziert. D ]ohr sind kumme, d ]ohr sind gange, si hond Freid und Schmerz mit sech gfiehrt … (Unveröffentlichtes Gedicht von Augustvetter, ,,An Fersteberg‘: erster vers, um 1975.) Der in Kollnau im Elztal lebende und in Fürstenberg geborene Heimatforscher Au­ gust Vetter trat zu Jahresbeginn mit der Neufassung der Chronik seines Heimatortes Fürstenberg an die Öffentlichkeit. Bereits vor 50 Jahren hatte er die Arbeit an der Erst­ ausgabe aufgenommen. Der bescheidene und sympathische Ge­ schichtsforscher, Chronist, Mundartdichter und Lehrer macht nicht viel Aufhebens um seine Person, sondern ließ ausschließlich seine Bücher und Stücke für sich sprechen. Am 12. Dezember 1997 wurde er 70 Jahre alt, Grund genug, daß seine zahlreichen Le­ ser ihn näher kennenlernen. Allein in seiner Heimat verfaßte er zahlreiche Chroniken, so die von Fürstenberg (1959), Wolterdingen (1960), Geisingen (1964), Hüfingen (1983), Sumpfohren (1989) und Öfingen (1996). Auch die völlige Neubearbeitung der Chro­ nik Riedböhringen liegt im übrigen druck­ fertig vor. August Vetter ist ein echter Baaremer. Im durchsonnten Wintergarten in Kollnau hoch über dem Elztal erzählt er von seiner Kindheit und Jugend in einem Fürstenber- August Vtitter und der langjährige Ö.finger Bürgermeister und Ortsvorsteher Konrad Hengst/er im Gespräch. 124

ger Bauernhaus. Als Ältester von vier Kin­ dern mußte er als Schulerbub kräftig in der Landwirtschaft mithelfen. ,,Außer dengeln und melken beherrschte ich sämtliche bäu­ erliche Arbeiten“, sagt er im Gespräch. Jeder Tag begann und endete mit der Arbeit in der Landwirtschaft. In der Erntezeit kam er nie vor Mitternacht ins Bett. Als Erlebnis besonderer Art schildert er das Arbeiten auf dem Berg, wo die Familie im ehemaligen Stadtbereich noch ein Äckerle besaß. August Vetter erinnert sich: ,,Das Schaffen auf dem Fürstenberg war ein Er­ lebnis besonderer Art. Das vergesse ich nie. Im Herbst ernteten wir dort Kartoffeln. Der Vater hat gleich Mist mitgenommen. Ich bin den steilen, ungeteerten Fußweg gegangen. Bis der Vater da war, ist eine gute Stunde ver­ gangen gewesen. Unten in der Baarmulde war alles in dichten Nebel gehüllt. Je weiter ich nach oben kam, desto mehr lichtete er sich. Die Geräusche der lauten Welt drangen nur noch gedämpft nach oben, fast so, als kämen sie aus einer anderen Welt. Dann ha­ be ich über das Nebelmeer gesehen: Rich­ tung Westen den Feldberg und Hochfirst, nach Osten den Himmelberg und den Drei­ faltigkeitsberg. Nach Süden lag die ganze Alpenkette vor einem. Das Nebelmeer wan­ derte. Es zog sich gegen Mittag zurück und kam im Herbst gegen Abend wieder aus dem Wutachtal, von Blumberg oder von Hausen vor Wald.“ Seine Berufswahl beschreibt August Vetter als langen Prozeß. Da seine Eltern noch zu jung waren, um ihren Hof weiterzugeben, konnte er nicht Bauer werden, wollte es aber auch nicht. Zwei Winter lang lernte er beim Großvater versuchsweise das Schuhmacherhandwerk. Dieser schickte seinen Enkel ins Elternhaus mit den Worten zurück: ,,Des gieht kon Schumacher, der guckt zviel zum Feischter usi und dramt.“ Während des Dritten Rei­ ches wollte auch August Vetter wie viele Bu­ ben Jagdflieger werden. Der Vater hatte kein Verständnis für seine Pläne: ,,Merk dir Bub, August Veuer s Wassr und d Luft hond koni Balke!“ Auf den ihm bestimmten Weg führte ihn sein Lehrer Karl Maier. Er wies die Eltern darauf hin, daß es eine unentgeltliche Lehreraus­ bildung gäbe. Das Heimatgefühl hat August Vetter als Erbgut mitbekommen. Als der Lehrer den „Großen“ vom Stadtbrand erzählte, hatte der wißbegierige Bub mitgehört. ,,Das hat mich alles mordsmäßig interessiert, was da mit der alten Stadt auf dem Fürstenberg los war.“ Nach der Stunde wollte er vom Lehrer wissen: ,,Wo ka mer des lese?“ ,,Bub des ka mer no net lese, des verzelt mer so!“ Die Geschichte des Städtchen war damals noch kaum erforscht. Und Karl Maier beschloß das Gespräch mit der weitreichenden Pro­ gnose: ,,Vielleicht schreibst es du amol!“ Aber bis zur ersten Stadtchronik lag ein schwieriger, dornenreicher Weg vor dem lernbegierigen. Es galt die Aufnahmeprü­ fung für die Lehrerbildungsanstalt zu beste­ hen. Für die Fahrt nach Bad Peterstal saß er zum ersten Mal in seinem Leben allein im Zug. Viel Neues kam auf ihn zu, das er mu­ tig und unterstützt durch den Zuspruch ei­ nes Hüfingers meisterte; so daß er trotz sei­ ner Schulbildung in einer einklassigen Dorf­ schule bei der Aufnahmeprüfung als Zweit­ bester abschloß. August Vetter weiß von gewissen Rivalitä­ ten in der Lehrerbildungsanstalt zwischen den Mannheimer Städtern und den ruhigen Baaremer Buben zu berichten. Nachts hör­ te er manchen schluchzen, den das Heim­ weh plagte. Auch ihm machte es zu schaf­ fen, ,,aber wenn mer us de Baar kunnt, us eme Buurehuus, da hiilet mer net so schnell!“ Er fand bald Kameraden, mit de­ nen ein guter Zusammenhalt bestand, wur­ de selbständig und las sehr viel. Binnen kurzem kannte er alle Bücher der Biblio­ thek. Solcherlei „Zeitvertreib“ konnte nicht ohne Folgen bleiben, die Schulnoten ließen zu wünschen übrig. ,,Diese Lehre mußte ich noch öfters machen, wenn ich Dinge schlei­ fen ließ, daß ich schlecht wurde“, kommen- 125

Persönlichkeiten tiert er seine schlechten Zensuren in Eng­ lisch und Mathematik. Aber er lernte auch, mit Fleiß und Konzentration die Dinge zu wenden. Arbeitsdienst und anschließenden Militärdienst hat August Vetter dank guter Schutzengel – wie er betont – gesund über­ standen. Er gehört zu der ersten Generation Lehrer, die nach dem Krieg ausgebildet wur­ den. Anfänglich im privaten Lehrerseminar der Schulbrüder des hl. Johannes de Ja Salle und später im Pädagogium Meersburg. Dort war er von 1947 bis 1948 Schulsprecher. Da­ mals war das Pädagogium nach dem engli­ schen Prinzip der vollen Schülerselbstver­ waltung von Dr. Hahn organisiert. An der Pädagogischen Akademie in Lörrach been­ dete er eine Ausbildung. Liebe zur Heimatgeschichte Das Interesse an der Heimatgeschichte blieb auch in der Fremde bestehen und wur­ de von außen gefördert. Ein Direktor war als beschlagener Biologe mit dem Hüfinger Arzt und Naturfreund Dr. Edwin Sumser befreundet und kannte die Gebiete um Für­ stenberg und den sich anschließenden Berg­ zug, die Länge, recht gut. Die Aufgabe für die großen Ferien lautete: Jeder bestimmt 20 einheimische Pflanzen nach dem Bestim­ mungsbuch. August Vetter erinnert sich noch an drei heimische Pflanzen, die er auf diese Weise identifizierte: Die Silberdistel, die Kornblume und den Türkenbund. Der freundschaftliche Kontakt zu Dr. Sumser blieb noch lange erhalten. In einer anderen Hausarbeit sollte ein Ka­ pitel der Heimatgeschichte möglichst an­ hand von Originalquellen bearbeitet wer­ den. Zu diesem Zweck radelte der fleißige Schüler in den Ferien jeden Tag von Für­ stenberg nach Donaueschingen ins Archiv, um die Geschichte seiner Heimatstadt zu er­ forschen und legte damit den Grundstein für sein erstes Buch. An dieser Chronik ar­ beitete er zwölf Jahre. Was er bei Arbeitsbe­ ginn nicht wußte: Fürstenberg besitzt eine 126 der schwierigsten Ortsgeschichten. 1958 war die Chronik fertig. Ein Manuskriptdurch­ schlag wanderte ins Archiv der Stadt. Land­ rat Dr. Robert Lienhardt meinte bei einer Ortsbegehung: „Es wäre Zeit für eine Orts­ chronik!“ „Aber wir haben eine“, so der da­ malige Ratsschreiber Ferdinand Gut und zog das Manuskript von August Vetter aus der Schublade. Der Landrat veranlaßte dar­ aufüin, daß die Ortschronik gedruckt wur­ de. Die notwendigen zwei Gutachter waren Professor Dr. Karl Siegfried Bader und Kam­ merdirektor Dr. Eduard ]ohne. Letzterer unterstützte August Vetter auch auf dem schwierigen Weg vom getippten zum druck­ reifen Manuskript. Seite für Seite besprach er mit dem jungen Autor und dieser lernte so in zwei Wochen soviel „wie in mehreren Fachsemestern“. Das Manuskript wurde im Selbstverlag gedruckt. Die Auflage belief sich auf 500 Exemplare. Der Verfasser ging in Fürstenberg von Haus zu Haus, um Sub­ skriptionsbestellungen für 10,80 Mark ent­ gegenzunehmen, ein für damalige Zeiten hoher Preis. Seine erste Stelle als Lehrer führte ihn nach Neudingen. Hier kam eine weitere Bega­ bung zum Tragen. Überzeugt, daß Schüler unbefangener Theater spielen, wenn sie in ihrem Dialekt sprechen dürfen, schrieb er sein erstes Mundartspiel. Bald darauf folgte ein abendfüllendes Problemstück mit dem Titel „Heimgefunden“ (1952), wofür er eine Anerkennung beim Preisaussdueiben des Regierungspräsidiums Südbaden zur Ge­ winnung von Bühnenstücken in alemanni­ scher Sprache erhielt. Für „De Eckhofer“ (1956) wurde ihm bei der gleichen Aus­ schreibung vier Jahre später der zweite Preis verliehen. In den 50er und 60er Jahren er­ freuten sich seine Stücke großer Beliebtheit. Landauf, landab im Badischen erlebten sie viele Aufführungen, mit „S ischd jo nit emol d’Red wert“ etwa 120. Aus Bayern kamen Anfragen, ob er einwillige, seine Stücke ins Bayrische und Österreichisch-Salzburgische übertragen zu lassen.

August Vetter Der Mundartdichter August Vetter und die Schauspieler nach der Auffi“ilmmg seines Stückes »De Gmonds­ acker“ im Januar 1962 in Haslach im Kinzigtal. Die rege Nachfrage weckte das Interesse des Rundfunks. Auf diese Weise entstanden viele Rundfunksendungen, in denen August Vetter zudem als Mundartsprecher fungier­ te. So zum Beispiel „Fürstenberg, Deutsch­ lands drittkleinste Stadt“, ,,Der Schnaufer“ und „Der Heiland von Geisingen“, die aus der Sagenwelt unserer Heimat schöpfen. Selbstverständlich zog diese reiche Auto­ rentätigkeit weitere Verpflichtungen nach sich: Aufträge für Artikel in Periodikas, Kir­ chenführer für Hüfingen und Kollnau, Fest­ schriften zu verschiedenen Jubiläen und landeskundliche Zeitungsartikel. Kurzweilige Chroniken entstanden In den Rezensionen seiner Chroniken wird die immense Arbeitsbereitschaft von August Vetter hervorgehoben. Stets lieferte er seine Manuskripte pünktlich ab. Hier zeigt es sich, daß die Arbeit in der Land­ wirtschaft ihn zu einem Schaffer gemacht hatte. Es ist seine besondere Begabung, den Überblick über ein Thema bewahren zu können, und dennoch bis ins letzte Detail genau zu sein. Zudem werden seine ge­ schichtlichen Darstellungen zu einer kurz­ weiligen Lektüre, weil er in die Gesamtdar­ stellung immer wieder das Einzelschicksal einzuflechten weiß, an dem die Zeit, wie beim Aufleuchten eines grellen Blitzes, er­ hellt wird. Erwähnt sei aus der Hüfinger Chronik das traurige Schicksal des angese­ henen Hüfinger Bürgers Mathias Tinctorius, der dem Hexenwahn anheimfiel; oder die prägnante Schilderung des Fürstenberger Sackzeichners „Krisosti -Michel“, den sein Mutterwitz bis an die fürstliche Tafel führte. Diese überaus arbeitssame, schöpferische Arbeit war nicht etwa seine ausschließliche Tätigkeit, nein, sie geschah neben semer 127

August Vetter vollen Berufstätigkeit zuerst als außerplan­ mäßiger Lehrer in Neudingen; bald darauf leitete er bis 1958 die Schule in Kappel bei Villingen und danach bis 1966 diejenige in Waltershofen am Tuniberg. Der Pädagoge bildete sich ferner autodidaktisch zum Real­ schullehrer für Geschichte, Gemeinschafts­ kunde und Erdkunde weiter und war von 1966 bis 1969 als Rektor in Blumberg tätig. Anschließend übernahm er die Realschule in Kollnau und wirkte gleichzeitig als ge­ schäftsführender Schulleiter der Stadt Wald­ kirch, bis er 1990 in den Ruhestand trat. Der Geschichtsforscher wirkte außerdem im Schulamtsbezirk Freiburg als Schulbuchgut­ achter, Berater für Unterrichtsmaterialien und als Mitglied des Arbeitskreises Landes­ kunde/Landesgeschichte. August Vetter ge­ hörte 1985 zu den Gründungsmitgliedern des Vereins zur Förderung von Landeskun­ de in den Schulen. Diese Fülle von Arbeit wäre nicht zu bewältigen gewesen ohne das volle Verständnis und die tatkräftige Unter­ stützung seiner Frau Irmgard. In der Tugend des beharrlichen, beschei­ denen Arbeitens steht August Vetter in der Tradition seiner bäuerlichen Vorfahren. Jene gingen gläubig und zuversichtlich hinter dem Pflug, bis der Acker gepflügt war. Der Acker von August Vetter ist die von den Menschen gestaltete Geschichte seiner Hei­ mat, die er mit der selben Gesinnung bear­ beitet wie seine Ahnen die Felder. Und was der Chronist in den Anfangszeilen seines Gedichtes „S Vaters Händ“ sagt, läßt sich auch auf ihn übertragen: ’s Vtiters Händ sind groß und schwer, und nu am Sunntig sind si leer. A jedi Arbet sind si gwehnt, hond sech aber au scho noch em grueje gsehnt … Antonia Reichmann Die Heimat Fürstenberg, die Kinder- und Jugendzeit in der beschaulichen Gemeinde, haben das Schaffen von August �tter entscheidend mitgeprägt. Die colorierte Postkarte stammt aus den 1950er Jahren. 128

Archäologie 8. Kapitel I Almanach 99 Neue Erkenntnisse zur Entenburg Geophysikalische Untersuchungen ergeben Hinweise auf einen Schutzwall kommen: Gab es Nebengebäude in unmit­ telbarer Nachbarschaft der Burg? Wie war der Verlauf der Befestung mit Wall und Gra­ ben? Gab es Umfassungsmauern? Bestand zwischen der Entenburg und dem Hochpla­ teau im Süden eine Brückenverbindung? Gibt es sonstige Bodenbefunde im unmit­ telbaren Umfeld der Burg? Fragen, die sich mit heute nicht mehr sicht­ baren Teilen -abgesehen von der im Gelän­ de größtenteils erkennbaren leichten De­ pression des zugeschütteten Grabens -der Entenburg befaßten und die mit Hil­ fe geophysikalischer Untersuchungen beantwortet werden sollten. Die Aufgabe, die an die Geophysik des Landesdenkmalamtes Baden­ Württemberg gestellt wurde, kam so­ mit dem Vorhaben gleich, „Unsicht­ bares sichtbar zu machen“. Eine Auf­ gabe, die nur befriedigend gelöst wer­ den kann, wenn ‚tler Boden durch den Einfluß des Menschen in seiner von der Geologie vorgegebenen Struktur nachhaltig verändert oder beeinflußt wurde. Zerstörungsfreie Verfahren Die geophysikalischen Prospektions­ methoden werden entweder direkt an oder knapp oberhalb der Erdober­ fläche durchgeführt. Es sind zerstö­ rungsfreie Verfahren, bei denen der Boden weder verändert wird noch ein sichtbarer Eingriff in das Erdreich stattfindet. Jedes dieser Verfahren mißt oder bestimmt zumeist eine bestimmte physikalische Eigenschaft des Bodens. Diese kann auf verschie-129 Die Entenburg in Pfohren war in den ver­ gangenen Jahren Gegenstand bauhistori­ scher Untersuchungen, die im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 315 „Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke“ an der Universität Karlsruhe durchgeführt worden sind. Auch wenn sich diese wissenschaftli­ chen Arbeiten vornehmlich mit der Bau­ substanz der Entenburg befaßten, so war dennoch größtes Interesse vorhanden, wei­ tergehende, im Verlauf der Studien entstan­ dene Fragestellungen beantwortet zu be- Die Entenburg in Pjohren, 1997, Südseite.

Archäologie dene Weise durch den Menschen beeinflußt worden sein: Auffüllungen ehemaliger Gräben mit „Fremdmaterial“ oder in den Boden eingebrachte „Fremdkörper“ wie Mauern, Holz oder auch nur einzelne Stei­ ne können die Leitfähigkeit des elektrischen Stromes aufgrund ihrer vom Humus abwei­ chenden physikalischen Eigenschaft verän­ dern. Durch Feuer in Gang gesetzte chemi­ sche Reaktionen, die beispielsweise die im Boden vorhandenen schwach magnetischen Mineralien in wesentlich stärker magneti­ sche Mineralien umwandeln können sowie die durch Fermentationsprozesse in Abfall­ gruben bedingte chemische Umwandlung des Materials kann eine lokale Veränderung der magnetischen Eigenschaften des Bodens zur Folge haben. Diese Variationen bedingen mehr oder we­ niger große Kontraste in den physikalischen Eigenschaften des Bodens und des in ihm gleichermaßen eingebetteten archäologi­ schen Objektes. Diese können mit Hilfe un- terschiedlicher Verfahren erfaßt und durch geeignete Auswertungsmethoden sichtbar gemacht werden. Mit einer flächen­ deckenden Messung ist es schließlich mög­ lich, die Lage, Ausdehnung und den Verlauf ehemaliger Gräben zu bestimmen, Grund­ risse römischer Bauten oder einen Stadtplan einer längst versunkenen Stadt zu erstellen. Welches Verfahren wählen? Allerdings steht nicht immer von vome­ herein fest, ob das gewählte Meßverfahren vor Ort dann auch tatsächlich erfolgreich durchgeführt werden kann. Zwar wäre eine Abschätzung über dessen Erfolgsaussichten möglich, wenn vorab Bodenproben ent­ nommen und physikalisch untersucht wer­ den würden, doch ist der Zeitaufwand hier­ für hoch. So erachtet man es deshalb als ef­ fektiver, mit einem Verfahren zu beginnen, das je nach örtlicher Situation die größten Erfolgsaussichten verspricht, um dann gege- Geomagnetische Messungen haben die Geschichte der Entenburg weiter erhellt. 130

Neue Erkenntnisse zur Entenburg bei gemessene Magnetfeld setzt sich hauptsächlich aus den folgen­ den Anteilen zusammen: dem Erd­ magnetfeld, den durch die Technik verursachten magnetischen Störfel­ dern (Eisenarmierungen, Autos, Leitungen etc.), von der Geologie im Untergrund hervorgerufene Magnetfeldanomalien (vor allem bei vulkanischen Gesteinen, Erzla­ gerstätten) und – sofern vorhanden – durch Überreste längst vergange­ ner Siedlungen induzierte Stör­ felder. Die durch archäologische Strukturen verursachten Anomali­ en des Erdmagnetfeldes sind zu­ meist sehr schwach und betragen nur einen Bruchteil der anderen er­ wähnten Störfelder. Das erfordert eine hohe Präzision und Umsicht bei der Durchführung dieser Mes­ sungen. Dies beginnt bereits mit der Wahl der Kleidung: Sie muß in­ klusive des Schuhwerkes vollkom- men unmagnetisch sein, darf also Abbildung 1: Ergebnis der geomagnetischen Prospektion, digi­ tal kombiniert mit dem Luftbild. Mit [Jeilen ist eine mittel­ alterliche Deichelleitung markiert. benenfalls ein weiteres Meßverfahren ein­ zusetzen. Die Erfolgschancen einer Meß­ kampagne können dadurch erhöht werden. Denn viele unterschiedliche Verfahren er­ gänzen sich oft in nahezu idealer Weise: Rei­ chen die vorhandenen Kontraste beispiels­ weise für ein spezielles Verfahren nicht aus, können die Unterschiede in einer anderen physikalischen Eigenschaft hingegen für ei­ ne weitere Prospektionsmethode in ausrei­ chendem Maße vorhanden sein. Geomagnetik und Geoelektrik Aufgrund der vorgenannten Einschrän­ kungen wurden in Pfohren zwei Verfahren durchgeführt: Geomagnetik und Geoelek­ trik, zwei unterschiedliche Methoden, die – wie im folgenden gezeigt werden kann – sich auch hier gut ergänzten. Die geomagnetischen Messungen erfolgen knapp oberhalb der Erdoberfläche. Das da- keine Metallteile beinhalten. Der Bereich um die Entenburg wurde zunächst in einem regelmäßigen Raster mit Holzpflöcken abgesteckt. Der Abstand zwischen den Pflöcken betrug 20 Meter. Innerhalb eines jeden dieser 20 Meter auf20 Meter großen Meßquadranten konnten die geomagnetischen Messungen in einem Meßpunktabstand von 0,25 m auf 0,25 m durchgeführt werden. Innerhalb jeder dieser 400 qm großen Flächen wurden jeweils 6 400 Daten aufgezeichnet. Das Resultat dieser Messungen ist ein so­ genanntes Magnetogramm, das in der Ab­ bildung 1 wiedergegeben ist. Dieses Magne­ togramm ist gleichsam ein magnetisches Ab­ bild verschiedenster Störkörper, die sich ent­ weder auf oder unterhalb der Erdoberfläche befinden. Deren magnetische Anomalien sind oft derart charakteristisch, daß ohne große Schwierigkeiten auf die Art des Ob­ jektes geschlossen werden kann, das sie ver- 131

Archäologie Ln der unmittelbaren Umgebung der Burg finden sich mehrere Anhäufungen von kleinen Eisenteilen. Sie bilden im Magnet· feld der Erde Dipolfel- der aus. spektion zeigt nur eine Struktur auf, die ein- ursacht. Zudem ist eine Abschätzung der deutig auf die Archäologie zurückgeführt Tiefenlage der Störkörper möglich. Sie kann werden kann: Im Osten der Entenburg ist um so genauer durchgeführt werden, je ge- ringer die Abstände zwischen den einzelnen eine Reihe von hellen, mehr oder weniger Messungen gewählt werden. .————, kreisförmigen, räumlich eng Das Ergebnis der geomagne- begrenzten Anomalien zu er- tischen Untersuchungen in kennen, die entlang einer Kur- ve angeordnet sind. In der Pfohren mag zunächst verwir- ren. Eine große Zahl kleiner, Abbildung 2 sind vier dieser räumlich eng begrenzter Stö- Störfelder mit Pfeilen markiert. Dabei handelt es sich um eine rungen beherrscht das Bild. mittelalterliche Deichellei- Die Anomalien, die jeweils et- wa zur Hälfte aus einem hellen tung; zu erkennen ist zwar nicht die Leitung selbst, aber und einem dunklen Teil beste- deren Anschluß-Flansche. Die hen, werden von kleinen Ei- senteilen an oder nahe der Erd- Leitung selbst kann aus Holz oberfläche erzeugt. Sie bilden gewesen sein, das in der Zwi- schenzeit gänzlich verrottet sein mag. im Magnetfeld der Erde Dipolfelder aus, die Da die Geomagnetik in Pfohren nicht die in der gewählten Darstellung als dunkle (ne- erhofften Informationen über weitere Bau- gativer Anteil) und helle (positiver Anteil) Bereiche zu erkennen sind. Vor allem in der strukturen der Entenburg liefern konnte, unmittelbaren Umgebung der Burg finden wurde die geoelektrische Prospektion als ein wir mehrere Anhäufungen von Eisenteilen. weiteres Verfahren eingesetzt, das sich oft als Dem Magnetogramm zufolge befindet. eine ideale Alternative zur Geomagnetik er- weist. Die geoelektrische Prospektion ermit- sieh südlich des Zufahrtweges eine Versor- telt die spezifische elektrische Leitfähigkeit gungsleitung. Am Nordrand der gemesse- im Boden bis zu einer bestimmbaren Tiefe. nen Fläche fallen große Störungen auf, die entlang einer Linie angeordnet zu sein schei- Dabei wird dem Boden über zwei Elektro- nen, die in einer sehr starken Anomalie en- den ein schwacher Strom zugeführt, der zu- det. Dieses Anomaliemuster ist typisch für meist im Bereich zwischen 1 mA und 10 mA liegt. So baut sich im Boden ein künstliches einen Kanal, das große Störfeld am Ende dieses Kanales wird durch einen Schacht mit elektrisches Feld auf, das mit zwei weiteren gußeisernem Kanaldeckel verursacht. Sonden an der Erdoberfläche abgegriffen wird. Diese beiden Sonden haben während Nahe der Entenburg werden die Messun- gen derart stark gestört, daß eine effektive den Messungen einen vorgegebenen, kon- stanten Abstand voneinander. Dieser Ab- Messung bis an das Gebäude heran nicht stand definiert die Tiefe, bis zu der die elek- mehr möglich war. Diese Störungen wurden trische -feitfähigkeit des Bodens bestimmt sowohl von einem Drahtzaun, der die Burg teilweise umgibt, als auch von dem Gebäu- wird. de selbst mit seinen Eisenbewehrungen her­ vorgerufen. Schwache Anomalien wie die nebelhafte Struktur zwischen der Entenburg und dem eben beschriebenen Kanal haben ihre Ursa­ che in der Geologie und werden daher an dieser Stelle nicht weiter beschrieben. Das Ergebnis der geomagnetischen Pro- Die Messungen erfolgten in Pfohren in ei­ nem Punktabstand von 0,5 m und wurden für die Tiefen bis etwa 0,5 m und bis zu et­ wa 1,0 m durchgeführt. Im folgenden wer- Je dunkler der Boden, desto höher ist seine Leitfähigkeit 132

den die bis zur W irkungstiefe von 0,5 m reichenden Messungen be­ schrieben. Abbildung 2: Ergeb­ nis der geoel.ektri­ schen Prospektion im Umfeld der Enten­ burg. Beschreibung der erfaßten Struktu­ ren: siehe Hinweise im Text. Das Resistogramm (Ergebnis der geoelektrischen Messungen) der bis zu einer T iefe von 0,5 m durchgeführten Prospektion ist in der Abbildung 2 dargestellt. Je dunkler die Strukturen in dieser Abbildung erscheinen, um so höher ist die Leitfähigkeit des Bo­ dens an diesem Ort. Mauem bei­ spielsweise werden durch helle Li­ neamente repräsentiert: Die Leit­ fähigkeit des Bodens ist an dieser Stelle gering. In der Abbildung 3 ist mit (a) der bereits im Magne­ togramm erfaßte Kanal bezeich­ net, der offenbar nach einer meh­ rere Meter langen Unterbrechung im Osten seine Fortsetzung fin­ det. Ein Bereich mit hoher Bo­ denfeuchtigkeit wird westlich von einer gebogenen Struktur (c) ab- geschlossen. Diese Struktur ist wenige Meter vor dem ehemali- gen Gleithang der Donau abge- �——————-‚ rundet, biegt auf der Nordseite nach Westen Unklar ist auch die Bedeutung des außer­ ab und dünnt dabei stark aus. Die Struktur halb des Walles erfaßten Mäuerchens (zwi­ ist hier offensichtlich beim Bau des Kanals schen (a) und (c)). abgetragen worden. Diese Anomalie kann auf einen Wall zurückgeführt werden, der einst die Entenburg umgab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um den Schutzwall, der im Dreißigjährigen Krieg errichtet worden war und erfolgreich die Schweden daran hinderte, die Enten­ burg zu erstürmen. Recht schwach, aber dennoch eindeutig ist zwischen (d) und (b) eine breitere, Y-förmi­ ge Struktur zu erkennen, die über den Gra­ ben hinweg führt. Ob es sich hier um den vermuteten Zugang zur Burg handelt, kann jedoch nur durch eine Grabung eindeutig nachgewiesen werden. 100m O —- 20 40 60 80 Neue Erkenntnis e zur Entenburg So eindeutig diese Struktur interpretiert werden kann, um so unklarer ist derzeit die Bedeutung der Anomalie (d). Diese kann zwar auf ein L-förmiges Mäuerchen zurück­ geführt werden, ob jedoch hier ein kleines Gebäude zwischen dem Wall und dem Graben (dessen Ostkante teilweise recht schwach im Resistogramm erscheint) stand, kann nicht eindeutig beantwortet werden. In einem Abstand von etwa 10 m wurde die Entenburg von einer Mauer umgeben, die an den vier Ecken – analog zu den vier runden Ecktürmen – kreisförmig ausge­ buchtet war. Auch ist denkbar, daß es sich hierbei um die äußere Abgrenzung einer Terrasse handelt, die möglicherweise die Burg umgab. Auf halber Höhe der Breitsei­ te des Gebäudes sind im Süden zwei paral­ lele Mauem erfaßt worden, die die Burg mit 133

Neue Erkenntnisse zur Entenburg der eben beschriebenen Mauer ver­ binden. (e) markiert den Westrand des Grabens, (f) eine Struktur, de­ ren Bedeutung bislang nicht be­ stimmt werden konnte. Die Struk­ turen (g) im Grabenbereich lassen zwar auf einen Zugang zur Burg über den Graben schließen; doch macht ein Zugang an dieser Stelle wenig Sinn. Bei (h) wurden zwei zueinander parallele Strukturen erfaßt, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Mauerfundamente zurückgeführt werden können. Ob es sich hierbei um zwei Fundamente der gesuch­ ten Zugbrücke handelt, kann je­ doch nicht beantwortet werden. Auch hier würde nur eine Grabung Klarheit bringen. Mit (i) ist schließ­ lich eine moderne Versorgungslei­ tung zur Burg markiert, die auch Abbildung 3: Eine Kombination von Luftbild und Resisto­ mit der Geomagnetik erfaßt wer- gramm der Entenburg in Ifohren. den konnte (vergleiche Abbildung 1). Um die erfaßten Strukturen hinsichtlich ihrer Ausdehnung und Lage zur Burg besser darstellen zu können, wurden Resisto- gramm und Luftbild in der Abbildung 3 di- Harald von der Osten-Waldenburg gital miteinander kombiniert. Das so ge­ wonnene Bild kann nun als Unterlage für weitere Untersuchungen dienen. Trennung Fazit Mit dir glaubte ich lachen zu können unbeschwert wie ein Kind – als du gingst nahmst du das Lachen mit und ließest nicht einmal Erinnerung zurück 134 Freundlichkeit gab ich bekam Distanz Ehrlichkeit stand zur Diskussion überstrapaziert sanfte Geduld und seziert jedes Wort schweigend suche ich jetzt mein Lächeln Christiana Steger

Annbrustbolzen erzählen Villinger Geschichte Die Armbrustschützengilde im Spiegel archäologischer Funde im Umfeld der Schützenwiese Archäologie f f f 11XX>J,h1tMaik1m1Villingen Vnlingen-Sct,wtnningen fciert. Die vertiefte Beschäfii- I Q Q Q gung mit der Stadtge- schichte Villingens im Zu- rre der Feierlichkeiten zum o· Stadtjubiläum führt nicht nur bei den Ursprüngen der Stadt zu neuen Er­ kenntnissen. Wie auch scheinbar bekannte sprich unscheinbare Objekte aus den Sammlungen des Franziskanermuseums bei Neubewertung das Wissen um das .früh­ neuzeitliche Gemeinwesen erweitern, zeigt der fol­ gende Beitrag. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden bei der Brigach-Korrektur zahlreiche ar­ chäologische Funde geborgen. Dem En­ gagement der Mitglieder des Altertums­ vereins um den Verleger und Buch­ händler Ferdinand Förderer ist es zu verdanken, daß sie aufbewahrt wurden. Sie gingen, ordentlich inventarisiert, in die „Grundausstattung“ der 1876 gegründeten Altertümersammlung über. Durch verschie­ dene Umzüge und Umstrukturierungen der städtischen Sammlungen verschwanden die Funde zum Teil aus unserem Blickfeld. Die Neuordnung des Franziskanermuseums brachte eine vollständige Sichtung der nur zum geringen Teil aus­ gestellten Bestände mit sich. Dabei kam auch eine Gruppe von Armbrust­ bolzen, die liebevoll auf drei Bilderrahmen montiert sind (siehe Abbildungen), Am1bmst zum Vorschein. Der Fundkomplex setzt sich aus 31 verlo­ rengegangenen Geschoßspitzen und drei Pfeilschäften zusammen. Auf die Lagerung im Fluß ist der gute Erhaltungszustand der Metallfunde und insbeson- dere die überaus seltene Erhaltung der Pfeilschäfte zurückzuführen. Sämtliche Pfeileisen besitzen einen Tüllenschaft sowie eine rhombisch ausgeschmiede­ te Spitze. Lediglich hin­ sichtlich der Form, der Län­ ge und dementsprechend dem zu erschließenden Ge­ wicht sind fünf verschiede­ ne Typen erkennbar. Die Mehrzahl der Villinger Ge­ schoßspitzen ist schlank und um 9 cm lang, die Tül­ le hat einen Durchmesser von ca. 1,5 cm. Daneben treten die anderen Typen zahlenmäßig stark zurück. Drei Spitzen sind sehr Armbrustbolzen von der Villinger Schützenwiese, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Brigach -Korrektur gefunden wurden. 135

Villinger Annbruslschützengild ,,Schützenwiese“. zu erkennen. Diese kann, so über­ haupt vorhanden, ursprünglich angeklebt gewesen sein. Jeder der drei Villinger Armbrust­ pfeile war am Ende durch eine aufgesteckte bronzene Manschet­ te verstärkt. Die sechseckigen Bronzemanschetten sind um 4 cm lang und zur Mitte hin leicht ver­ jüngt. Sie waren auf das paßgenau abgearbeitete Ende der Pfeilschäf­ te gesteckt. Durch diese Verstär­ kung, die das Ausreißen des Pfei­ JJfeilschäfie von Armbrustbolzen, Fundort war die Villinger les beim Auftreffen der Nuß ver­ hindern sollte, wurde die mehr­ fache Verwendung eines Pfeiles er­ möglicht. Dies zeigt sich auch an den schlank und besitzen bei einer Länge um 8 Eindrücken der am Schaftende aufgetroffe­ cm eine relativ kleine Spitze. Drei weitere nen Nuß der Armbrust. Armbrustbolzen sind als schlank zu be­ Keiner der Pfeile ist mit dem ursprünglich zeichnen und nur ca. 5,5 cm lang. Mit nur darauf aufgesteckten Pfeileisen auf uns ge­ je einem Exemplar ist ein kurzer, gedrunge­ kommen. Die Länge kann jedoch annähe­ ner Bolzen mit einer breiten, flachen Spitze rungsweise bestimmt werden. Steckt man und eine 14 cm lange, gestreckte Geschoß­ den am häufigsten vertretenen 9 cm langen spitze vertreten. Eine solche grobe typolo­ Armbrustbolzentyp auf den Holzschaft, er­ gische Einordnung erlaubt jedoch keine ein­ gibt sich eine Länge von 20 bzw. 24 cm. deutige Datierung. Vor allem Funde von Burgen zeigen, daß zum einen große Un­ Von der „Schützenwiese“ terschiede zu beobachten sind, zum ande­ ren verschiedenartige Armbrustbolzentypen Der Lesefundkomplex wurde nahe des je nach Bedarf zeitgleich verwendet wurden. ehemaligen Schießplatzes der Villinger Man wird aber nicht fehl gehen, wenn man Armbrustschützen gefunden. Auf diese Ein­ die Funde in das 15./16. Jahrhundert da­ richtung des Spätmittelalters und der Früh­ tiert. Wie die Spitzen weisen auch die aus neuzeit weist noch der Flurname „Schüt­ zenwiese“ hin, der einem 1615 bis 1783 in Hartholz (vermutlich Eiche) gefertigten Schriftquellen begegnet. Das heute über­ Schäfte verschiedene Längen auf (Abb. 2). baute Gelände war im 17. Jahrhundert teil­ Der kleinste Schaft mißt lediglich 14,3 cm weise im Besitz der Vtllinger Herrenstube. und hat noch einen �erschnitt von etwa Die frühesten urkundlichen Belege des 1,2 cm. Zwei weitere sind 17,8 cm und 17,7 Armbrustschießens in der Stadt im cm lang und haben einen �erschnitt von Brigachbogen stammen aus dem 1,4 cm. Die Enden, auf 15. Jahrhundert. Am 18. März die ursprünglich die 1459 wurde eine Bruder­ Tüllen der Pfeileisen schaft der Schützen ge­ aufgesteckt waren, ver­ gründet, die Messen jüngen sich stark. Die auf den St. Sebastians­ Befestigung einer Be­ altar in der Villinger fiederung war nicht M it1elalterlid1e Armbrust mit Spannvorrichtung, der sogenannten Winde. 136

Franziskanerkirche stiftete. Die Armbrust­ schützen hatten noch lange nach dem Auf­ kommen der Feuerwaffen eine militärische Funktion im städtischen Aufgebot. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg verschwin­ den die Ausgaben für sie in den städtischen Pfennigpflegerrechnungen. Daneben hatte das Schützenwesen auch einen sportlichen Aspekt. Die erste Erwäh­ nung eines Schützenfestes in Villingen fällt in das Jahr 1540. Zu diesen Veranstaltungen wurden häufig die Gesellschaften von Nach­ barstädten eingeladen. Eine solche Einla­ dung der Vtllinger durch die „Schießgesellen zu Breisach“ ist für das Jahr 1570 überliefert. Es wurde auf eine Distanz von 240 Werk­ schuh (77m) geschossen. Sieger sollte der Schütze sein, der von 24 Pfeilen die meisten Treffer innerhalb eines großen (8,3 cm Durchmesser) und kleinen (4,5 cm Durch­ messer) Zirkels der Scheibenblätter landete. Durch ein in das Einladungsschreiben ein­ gestanztes Loch war die maximale Größe der erlaubten Bolzen festgelegt. Die Schützenordnung von 1795 Im Stadtarchiv liegt eine Schützenord­ nung von 1795 vor, die eine ältere Fassung von 1712 bestätigt. Diese soll wiederum auf einer älteren Fassung des 16. Jahrhunderts Archäologie beruhen. Dieser Ordnung ist zu entneh­ men, daß die Villinger Schützengilde ein Regelwerk besaß, das sich stark an den Zunftordnungen orientierte. An der Spitze der Gesellschaft stand ein „Schützenmei­ ster“, dem zwei Gehilfen zur Seite standen. Der „Rainmeister“ betreute die „Rainstatt“ (Schießplatz), der „Zeiger“ hatte offenbar die Funktion eines Punktrichters. Auf einer um 1680 entstandenen Feder­ zeichnung ist westlich von Villingen ein Schießplatz dargestellt. Der abgeschrankte Abschuß platz war von einer leichten Laube überdacht, in einiger Entfernung standen die Zielscheiben, hinter denen eine Schutz­ wand mit zwei seitlichen Wangen errichtet war. Neben den Zielen stand ferner eine klei­ ne Schutzhütte für den „Zeiger“. In ähnli­ cher Weise war sicherlich auch der ältere Schießplatz auf den „Schützenwiesen“ nahe unserer Fundstelle eingerichtet. Dr. Bertram jenisch Literatur: H. Maier, Die Flurnamen der Stadt Villingen (Villingen 1962) 107 f. • P. ReveUio, Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen (Villingen 1964) 349 ff.; 473 f. · B. Jenisch, Villingen-Schwenningen. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg 19/2, 1994, 179-183, Abb. 85-85, Taf. 127. Schon im mittelalter­ lichen Villingen trafen sich die Armbrustschüt­ zen auch zu sportlichen Wettkämpfen, so 1570. Die abgebildeten lfeil­ spitzen stammen gleich­ falls von der „Schützen- / .,, wiese“. 137

Geschichte 9. Kapitel/ Almanach 99 Vom steinigen Weg zur Freiheit und Gleichheit Die Revolution von 1848/49 im Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises Mitbürger, Brüder, Freunde! Zur Vorgeschichte: Zwar war 1818 eine ba­ dische Verfassung eingeführt worden, doch die hatte nur Kompromißcharakter. Ihr Zweikammer-System sollte sowohl die so­ zialen Vorrechte der (adligen) Führungs­ schicht bewahren wie in der zweiten Kam­ mer eine Volksvertretung etablieren. Am Vorabend der Revolution blieb die Bilanz niederschmetternd. Außer einer teilweisen Bauernbefreiung und Kürzungen des Mi­ litäretats war nichts erreicht worden. Insbe­ sondere die liberalen Grundforderungen nach Nationalparlament, Ministerverant­ wortlichkeit vor dem Parlament und Ge­ schworenengerichten blieben unerfüllt. Das Scheitern hatte eine Spaltung des Liberalis­ mus zur Folge: ,,gemäßigte“ oder „konstitu­ tionelle“ Abgeordnete wie Karl Mathy und Friedrich Bassermann setzten weiter auf den parlamentarischen Weg mit Beibehaltung des Monarchen. ,,Republikaner“ oder „Ra­ dikale“ wie Hecker und Struve hatten hin­ gegen die Abschaffung aller Privilegien, eine freie Republik zum Ziel. Erreichen wollten sie dies durch die Mobilisierung des Volkes. Vorzeichen der Revolution Es gärt im Land -schon lange -als am 24. Februar 1848 die französische Revolution weite Teile Europas erschüttert. Mißernten lassen das Volk in den Jahren 1846/47 hun­ gern: eine Kartoffelkrankheit verursacht ei­ nen Mangel beim wichtigsten Grundnah­ rungsmittel. Auch kommt es bei Handwerk und Gewerbe zu enormen Einbrüchen beim Geschäftsgang. Angesichts dieser Vorzeich­ en uchen viele Menschen ihr Heil in der Auswanderung nach Amerika. Teils werden die Reisekosten der Auswanderungswilligen Der Augenblick der Entscheidung ist gekom­ men! Worte können uns unser Recht und unsere Freiheit nicht erobern. Darum fordern wir Euch, alle waffenfähigen Männer, auf Freitag, den 14. April mittags zwölf Uhr in Donaueschingen auf dem Marktplatz mit Waffen und Munition in geordneten Ziigen und mit Lebensmitteln aiif 6 Tage versehen, zu erscheinen. Unsere Freunde Bruhn, Au, Willmann, Raus, Rasina und andere werden zu Euch treten und Euch sagen, was das Vaterland von Euch erwartet. Sie sind bereit, sich an Eure Spitze zu stellen. Struve ist bereits in Donaueschingen angekommen und wird in der Versammlung mit Rat und Tat bei Seite stehen. Aufruf von Friedrich Hecker und Gustav Struve vom 12. April 1848 an die Bevölkerung im Schwarzwald und auf der Baar, ihrem Freischarenzug beizutreten. Villingen, Donaueschingen und immer wieder Hüfingen -das sind die Haupt· schauplätze des Badischen Aufstandes im Schwarzwald-Baar-Kreis. Die nachfolgende Revolutionsgeschichte schildert die Ereig­ nisse im Landkreis -und nicht nur die, die sich in den Zentren abspielten. Daß es mög­ lich ist, ,,unsere Revolutionsgeschichte“ auch bildlich zu umreißen, ist dem Hüfin­ ger Revolutionstheater zu verdanken: Im Hüfinger Schloß park wurde im Juli 1998 bei einem von Laienspielern perfekt inszenier­ ten Freilichttheater lebendig, was sich zur Zeit des Badischen Aufstandes bei uns er­ eignet hat. Szenen aus diesem Theater tück und dem ihm vorausgehenden Revoluti­ onsmarkt begleiten deshalb diesen Text. 138

Keine Arbeitfiir den Vtiter, kein Essen für die Familie. Beim Hiifinger Revolutions­ markt versinnbildlichen Kin­ der die Armut der 1840er Jahre durch die Herstellung und den Verkauf selbstge­ machter Strohjlechtereien. sogar von den Heimat­ gemeinden übernom­ men, damit sie nicht län­ ger der Armenkasse zum Opfer fallen. Die Aufwendungen für Ar­ menhäuser und Suppenküchen steigen in dieser Zeit immens. Einer der führenden Köpfe des 1848er Aufstandes im Oberen Bregtal, der Vöhren­ bacher Lithograph Casirnir Stegerer, macht diese Revolutionsvorzeichen im Villinger Nachrichtenblatt „Der Schwarzwälder“ im Jahr 1847 faßbar, wenn er ausführt: ,,Mit Be­ trübnis wird das Herz eines jeden humanen Menschen erfüllt, wenn er sehen muß, daß in diesen drückenden Zeiten, wo Theuerung und Hunger ihre verderbensvolle Geißel über den größten Theil des Vaterlandes schwingen, eine unverzeihliche Gleichgül­ tigkeit auf Seiten der Patrizier und nament­ lich der Verwaltung gegenüber dem armen Proletariat stattfindet. Wohl wird den notorisch Armen, die größ­ tenteils aus ledigen Personen zweiten Ge­ schlechtes bestehen, wöchentlich eine be­ stimmte, nicht sonderlich große Pfundzahl Brod nebst 12 Kreuzer verabreicht, aber je­ ne größere Klasse von Hausarmen, die un­ ter diesen drückenden Verhältnissen nicht im Stande ist, ihre Familie zu ernähren, wird gänzlich ihrem Schicksal überlassen.“ Im unmittelbaren Gefolge der französi­ schen Revolution findet am 27. Februar Pressefreiheit und Volksversammlungen Die Revolutionsjahre 1848/49 1848 in Mannheim eine erste große Volks­ versammlung statt. Auflnitiative von Fried­ rich Hecker und Gustav Struve wird eine Pe­ tition mit zentralen liberalen Forderungen an den Landtag beschlossen, werden die Städte und Gemeinden im Land aufgefor­ dert, einen Petitionssturm an die Zweite Kammer des Landtages zu entfachen. Man verlangt die Volksbewaffnung, Schwurge­ richte, unbedingte Pressefreiheit und ein deutsches Parlament. Forderungen, denen – zumal unter dem Eindruck der Vorgänge in Frankreich -seitens der Regierung kampflos nachgegeben wird: Bereits vorn 3. März an gilt die Pressefreiheit, es herrscht Versamm­ lungsfreiheit und es sind freie Wahlen zu ei­ ner deutschen Nationalversamm- lung angekündigt. In einigen von Grundherr­ schaft betroffenen Gebieten brechen Agrarunruhen aus, vor allem im Odenwald. Die übrig- Mit dem Bauchladen zieht der Hüfinger Junge in der Stadt umher, angepriesen wird, was – nützlich scheint und meist Kinder hergestellt haben (Szene vom Hüfinger Revolutionsmarkt). 139

Oi R volution jahr 1848/49 Volksversammlung in Hüfingen, es geht um Frei­ heit, ttm eine bessere Zukunft; überall im Land wer­ den Petitionen verfaßt. keit reagiert erneut umgehend: am 10. März wird ein Gesetz zur völligen Abschaffung der sogenannten Feudallasten erlassen, be­ reits am 29. März hatte Fürst Karl Egon II. entschädigungslos auf wesentliche Feudal­ rechte verzichtet und reiste aus Donauesch­ ingen ab. Erst fünfJahre später kehrt er dort­ hin zurück. Da das Haus Fürstenberg als Grundherr vieler Bauern auf der Baar und im Schwarz­ wald beinahe alle Feudallasten bereits abge­ baut hat, bleibt die hiesige Landbevölke­ rung vordergründig ruhig. Die verbliebenen Abzugsgebühren für Bürger, die Drittels­ pflichtigkeiten beim Übergang des Hofes in eine andere Hand sowie das fürstliche Jagd­ privileg erregen zwar ihren Unmut, sind aber letztlich zu geringfügig, um einen offe­ nen Aufstand zu riskieren. Und dennoch 140 Die erste freie Tageszeitung sind die Fürstenberger Bauern im Landkreis Bürger zweiter Klasse, denn sie bleiben nach wie vor abhängig vom Fürstenhaus, ein für ,,liberale“ Politiker unhaltbarer Zustand. So­ gar die Leibeigenschaft hatte zumindest noch auf dem Papier überdauert, und die Art und Weise wie Fürstenberger Beamte die noch zu entrichtenden Abgaben einholten, erregte immer wieder massiven Unmut. Die Pressefreiheit beschert Villingen am 28.März 1848 die erste freie Zeitung, den ,,Schwarzwälder“. Herausgeber ist Ferdi­ nand Förderer, ein politisch aktiver Verleger, Redakteur und Drucker, der den Anliegen der Liberalen offen gegenübersteht. Förde­ rer hatte schon das der Zeitung vorausge­ hende gleichnamige amtliche Nachrichten­ blatt verlegt. Die neue Zeitung informiert jetzt ausführlich über Volksversammlungen und politische Vorkommnisse in der Region -man muß nicht mehr selbst zu Versamm-

G chicht Jungen gehen oder sich von Dritten durch Hörensagen unterrichten lassen, um über die aktuellen politischen Geschehnisse aus erster Hand unterrichtet zu sein. Informiert­ sein – die erste Frucht der Bürgerrebellion. Die Versammlungsfreiheit macht Volks­ versammlungen in größerer Zahl möglich. In Villingen kommt es erstmals am 5. März zu einer solchen Zusammenkunft. Die Volksversammlung wird von dem damals 34jährigen Arzt Karl Hoffmann einberufen und verabschiedet eine mit 500 Untem:hrif­ ten versehene Petition, welche die Mannhei­ mer Forderungen aufnimmt und um sechs Punkte ergänzt. Noch am anderen Tag über­ bringt eine vierköpfige Bürgerabordnung die Petition den Volksvertretern in Karlsru­ he. Die Villinger Forderungen lauten: 1. Volksbewaffnung mit Offizierswahl, 2. un­ bedingte Pressefreiheit, 3. Schwurgerichte, 4. ein deutsches Parlament, 5. Ministerver­ antwortlichkeit, 6. Verfassungseid von Volk und Militär, 7. Glaubensfreiheit, 8. Gesetzes­ initiative für beide Kammern des Landtages, 9. Abschaffung der indirekten Steuern, Öf­ fentlichkeit in der Verwaltung des Kirchen­ und Stiftungsvermögens, 10. Abschaffung besonderer Stände, Gleichheit vor dem Ge­ setz. Eine weitere Forderung kommt später in anderem Zusammenhang noch hinzu: Man verlangt im Schwarzwald und auf der Baar nach der Eisenbahn, der Schwarzwaldbahn, die Handel und Gewerbe den Anschluß an die Zentren des Landes ermöglichen und neue Impulse bringen soll. Einen noch größeren Zulauf hat am 9. März eine Versammlung in Donauesch­ ingen. Augenzeugenberichte sprechen von 4 000 Teilnehmern. Der Villinger Chronist Paul Revellio, der in den 1950er Jahren die Revolutionsereignisse im heutigen Land­ kreis umfassend aufgearbeitet hat, vermerkt dazu: „Schon früh gegen zehn Uhr kamen „Wir sind das Volk‘: das Volk begehrt auf (Hiifinger Revolutionslhealer). 141

Die Revolutionsjahre 1848/49 Revolutionslieder verbreiten sich in der Stadt, beim Wäschewaschen und Trocknen kennen die Frauen nur ein Thema, die nahe Revolution (Szene vom Hüfinger Revolutionsmarkt). die Besucher in der Stadt an. Die Mehrzahl kam auf Leiterwagen angefahren, welche zum Theil Fahnen in deutschen Farben mit sich führten. Im Gasthof zum Hirsch war das Programm über die Gegenstände der Be­ ratung aufgelegt. Es betraf die vier Punkte: Pressefreiheit, Volksbewaffnung, Schwurge­ richte und deutsches Parlament. Die vor­ handenen Räume waren zu eng, und man mußte die Versammlung unter Gottes frei­ em Himmel auf den sog. Rübäckem, dem heutigen Bahnhofsgelände, abhalten. In musterhafter Ordnung und unter Vortra­ gung von Fahnen bewegte sich der Zug durch die vier Straßen der Stadt. An der Spitze des Zuges marschierten mehrere Füh- Um Macht und Einfluß bangender Aristokrat (Szene aus dem Revoltttionstheater).

Fahrende Händler sind in der Stadt, bringen mit Sprüchen und Freiheitsliedern ihre �ren an den Mann (Hüfinger Revolutionsmarkt). rer der radikalen Partei. Auf dem Zuge durch die Stadt vernahm man öfters den Ruf: ,,Es lebe die Freiheit!“. Vor dieser Versammlung hatte man in der Stadt Ausschreitungen, vor allem einen Sturm auf das fürstenbergische Schloß be­ fürchtet. Eine Schutzwache wurde der fürst­ lichen Familie von der Donaueschinger Ge­ meindeverwaltung jedoch versagt. In Hü­ fingen stellte der Gemeinderat auf Bitten der Fürstenberger eine 20 Mann starke Schutzwache auf, doch nötig war sie nicht: es blieb überall ruhig. Einzig die auswärti­ gen Bauern erlaubten sich die „Respektlo­ sigkeit“, ihren Rückweg über den für den Verkehr gesperrten Schloßhof zu nehmen. Am 14. März tritt in Villingen erneut eine Versammlung zusammen, an der rund 3 000 Menschen aus dem ganzen Amtsbezirk, der Baar und den benachbarten württembergi­ schen Orten teilnehmen. Paul Revellio schil­ dert, die Stadt habe einem schwarz-rot-gol­ denen Fahnenmeer geglichen. Karl Hoff­ mann tadelt in der Rietstraße vor der Apotheke das )ahme Wirken des deutschen Bundes“ und klagt die rasche Verwirk­ lichung verfassungsmäßiger Rechte ein, wiederum wird eine Petition verabschiedet. Am Nachmittag dann erscheinen ‚ die gemäßigten Landtagsabge­ ordneten Mathy und Straub, um beruhigend zu wirken und das Entgegenkommen der Re- Der Sekretär verlangt im Namen der Obrigkeit von den Hiifingern die Rückkehr zur Ordnung. (Szene aus dem Revolutionstheater). Geschichte gierung zu signalisieren. Diese fürchtet of­ fenbar ein Übergreifen der radikaleren Stim­ mung am Bodensee auf den Schwarzwald und die Baar. Die Abgeordneten wurden 143

Die Revolutionsjahre 1848/49 Die Bürgerwehr formiert sich, eine Folge der zen­ tralen liberalen Forderung nach Volksbewaffnung. Die Hüfinger Bürgerwehr erhält 62 Gewehre (Sze­ ne aus dem Revolutionstheater). freundlich aufgenommen, ihre Ausführun­ gen begeistert begrüßt, man wähnte sich auf Seiten der Liberalen am Ziel. Daß die Befürchtungen, im Schwarzwald und auf der Baar könnten die Radikalen die Überhand bekommen, zunächst unbegrün­ det sind, zeigt sich am 17. März, als Joseph Fickler, Führer der Radikalen am Bodensee, in Villingen erscheint, um für die Errich­ tung einer Republik zu sprechen. Ohne sein Vorhaben ausführen zu können, muß er un­ ter Androhung von Steinwürfen die Stadt verlassen. Doch so ruhig wie in Vi!lingen bleibt es an­ dernorts nicht, denn im Umland löst sich die Ordnung zunehmend auf. Die Bauern von Wolterdingen und Donaueschingen beispielsweise gehen unerlaubt jagen und fi- 144 sehen und weigern sich, Steuern zu zahlen. Auch die Polizeistunde wird längst nicht mehr eingehalten. In Behla wird der Weiher abgelassen, um an alle Fische heranzukom­ men, in Blumberg in den Fruchtkasten ein­ gedrungen. Zu einer Bürgerversammlung im Sitzungs­ saal des Gemeinderates kommt es in Vöh­ renbach, wo am 20. März eine Petition an die Zweite Kammer des Landtages verab­ schiedet wird. In dieser wird die sofortige Entfernung des Oberamtmannes Martin Ritter aus Neustadt verlangt, der ein Will­ kür-Beamter sei und rücksichtslos gegen die Bürger vorgehe. Der Amtmann wird kurz darauf aus dem Dienst entfernt. Die Volksbewaffnung, eine der zentralen liberalen Forderungen, wird mit der Grün­ dung möglichst revolutionstreuer Bürger­ wehren zu verwirklichen versucht – auch wenn sich nicht alle im klaren darüber sind, gegen wen sich diese Volksbewaffnung ei­ gentlich richtet. Die Donaueschinger ma-

chen den Anfang, auf den 11. März wird die Bevölkerung auf den Marktplatz bestellt, die Bürgerwehr formiert. In Villingen findet man keine Freiwilligen, so hebt die Stadt am 19. März das Bürgermilitär auf, übernimmt dessen Schulden und die gesamte Ausrü­ stung, eine Bürgerwehr unter Befehl des Ge­ meinderates entsteht. In Hüfingen rüstet man die neue Bürgerwehr mit 62 Gewehren aus, die Bräunlinger reisen gar zum Waffen­ kauf für die Bürgerwehr in die Schweiz. In Vöhrenbach hingegen bestand eine Bürger­ wehr bereits seit 1819, sie hatte alles zur Ver­ fügung, was man für die Volksbewaffuung braucht. ,,Die Franzosen kommen … “ W ie ein Lauffeuer kursiert am 24. und 25. März das Gerücht, in Offenburg seien die Franzosen eingefallen. Die Stadt Villingen gibt die Nachricht durch Eilboten an alle Geschichte Bürgermeisterämter des Bezirks weiter. Eine weitere Nachricht, die um ein Uhr nachts von Furtwangen eintrifft, spricht bereits von 5 000 Blusenmännern. Es wird in allen Or­ ten des Landkreises zum Generalmarsch ge­ blasen und zusammengekauft, was man an Waffen und Pulver bekommen kann. Doch dieses Gerücht erweist sich als haltlos, nichts ist dran an den plündernden und morden­ den Franzosen. Daß ein bloßes Gerücht in der Lage war, das Land derart in Aufruhr zu versetzen, zeigt auf, wie instabil die allge­ meinen Verhältnisse bereits waren. Eine Rückkehr zur Normalität ist nicht mehr möglich: Als Hofrat Sulger zum in Geisingen festgehaltenen Herzog von Hohenlohe-Ratibor reisen will, läßt ihn in Pfohren die bewaffnete Bürgerwehr nicht weiterziehen. Die revolutionäre Situation in der Residenzstadt beschreibt er mit den Worten: „Das demokratisch-kommunisti­ sche System hat angefangen sich recht fühl­ bar zu entwickeln. Die vollziehende Staats­ gewalt ist so gut als unterdrückt.“ In Donau­ eschingen kommt es zu einer nächtlichen Radauszene gegen Pfarrer Krebs. Der Do­ naueschinger Stadtpfarrer und Gymnasial­ direktor Fickler werden als „Verräter“ an der revolutionären Sache bedroht. In Bräunlin­ gen flieht Pfarrer Steigmayer vor „notori­ schen Demonstranten und Drohungen“, für ihn soll Pfarrverweser Clar tätig werden, den eine Gruppe von Bürgern mit Stöcken ver­ jagt. Erst als mit der Verhängung des Kriegs­ zustandes gedroht wird, kann der Pfarrer sei­ ne Arbeit aufnehmen. Ende März beschließen die Bürgermeister von Donaueschingen und Hüfingen, keine örtlichen Rekruten mehr in die Armee ein­ rücken zu lassen und fordern die Bürger­ meister ihrer Amtsbezirke auf, ebenso zu verfahren. Die Soldaten sollen vielmehr die Im Lager der Hüfinger Bürgerwehr. Diese Impres­ sion vom Hü.finger Revolutionsmarkt könnte auch aus der Zeit des 48er Aufstandes stammen. 145

Die Revolutionsjahre 1848/49 Die Württemberger wollen mil 1 000 Mann lnfanlerie in Donaueschingen einrücken, das Volk hält mil Spießen, Sensen, Musketen und Äxten bewaffnet dagegen. 4 000 Freischärler stehen bereit, Donaueschingen gegen den Einzug der fremden Truppen zu verteidigen (Szene aus dem Revolutionstheater). eigenen Bürgerwehren verstärken. Der Do­ naueschinger Bürgermeister Raus geht noch einen Schritt weiter und appelliert an die Bürger der Stadt, ihre bereits beim Militär dienenden Söhne heimzurufen, um sie in die Bürgerwehr eingliedern zu können. Ei­ ne offene Aufforderung zur Fahnenflucht. Die Republik wird verlangt Auf einer großen Volksversammlung in Altdorf-Engen, einem Zentrum der Radika­ len, wird am 29. März die Einführung der Republik verlangt. 12 Abgeordnete, darun­ ter Kaufmann Rasina aus Donaueschingen, Xaver Götz aus Hüfingen und Pfarrer Renn aus Urach, werden zum Frankfurter Vorpar­ lament geschickt, um dort dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. Als Organe des re­ volutionären Volkes und in Konkurrenz zur staatlichen Verwaltung werden in Ausfüh­ rung der Beschlüsse der Versammlung in den folgenden Tagen örtliche „Volksaus­ schüsse“ gewählt. Die Wirksamkeit der Volksausschüsse zeigt sich bald: Am 4. April wird bekannt, daß in Donaueschingen württembergisches Militär einmarschieren soll. Paul Revellio berichtet dazu: ,,Ohne daß weder Bezirksamt noch Bürgermeisteramt vorher verständigt war, war ein württembergischer Offizier in der Stadt erschienen, um Q!iartier zu machen für 1 000 Mann Infanterie und 200 Kaval­ leristen. Es entstand eine ungeheure Erre­ gung, und man beschloß, dem Anrücken so­ fort Gewalt entgegenzusetzen …. Es wurden unverweilt in alle nahen und fernen Ort­ schaften Eilboten geschickt. Es war erstaun­ lich, wie der Aufforderung des Volksaus­ schusses augenblicklich Folge geleistet wur- 146

de. Große Züge, mit Musketen, Sensen, Spießen und Äxten bewaffnet, trafen wäh­ rend der Nacht und des folgenden Tages ein, so daß nach der Schätzung von Sulger bis abends 8 Uhr mehr als 4 000 größtenteils bewaffnete Männer sich in Donaueschingen zusammengefunden hatten.“ Eine Deputa­ tion erreicht, daß der Einmarsch zunächst ausbleibt, an den Verhandlungen beteiligen sich auch die Prinzen Emil und Max. Letz­ terem war es gelungen, den Vormarsch bay­ rischer Truppen durch eine Unterredung mit deren General Baligand bei Saulgau zu stoppen. Volkard Hug berichtet in seiner Chronik der Stadt Donaueschingen dazu weiter: ,,Der Erbitterung gegen die Standes­ herrschaft taten diese unabweisbaren Erfol­ ge kaum Abbruch. Ungeachtet ihrer Bewei­ se guten Willens wurden die Prinzen fortan als Gefangene des Donaueschinger Volks­ vereins behandelt.“ In Donaueschingen wird unterdessen am 6. April eine Versammlung einberufen und unter dem Eindruck der eigenen bewaffne­ ten Macht stellt man ultimative Forderun­ gen an die Regierung, die da lauten: Rück­ tritt von Mitgliedern des Herrscherhauses aus militärischen Führungspositionen. Kein fremdes Militär in Baden, sofortige Vereini­ gung von Bürgerwehren und Linientrup­ pen. Rücktritt aller Minister mit Ausnahme von Finanzminister Hoffmann. Bei Nicht­ erfüllung wird Gewalt angedroht. Unter Führung des V illinger Ausschußmitglieds Hoffmann werden die Forderungen dem Großherzog übermittelt. Der Heckerzug und die Wahlen zur Nationalversammlung Am 31. März war in Frankfurt das Vorpar­ lament zusammengetreten, um die Wahlen für eine verfassunggebende Nationalver­ sammlung vorzubereiten, die dann über die zukünftige Staatsform Deutschlands ent­ scheiden sollte. Friedrich Hecker, der diese Wahlen nicht abwarten will, scheitert mit Geschichte seinem Versuch, eine sofortige Proklamation der Republik zu erwirken. Enttäuscht vom parlamentarischen Weg reist er nach Kon­ stanz, um dort mit einer direkten revolutio­ nären Aktion loszuschlagen. Vom Bodensee aus startet er am 13. April einen bewaffne­ ten Zug zur Errichtung der deutschen Re­ publik. Er plant über Donaueschingen nach Karlsruhe zu ziehen und hofft auf massen­ haften Zuzug während des Marsches. Aber das Unternehmen scheitert: statt der erhofften 40 000 schließen sich seiner Schar auf dem Weg durch den Schwarzwald gera­ de 1 200 Mann an. Am 12. April hatte Hecker einen Aufruf an die Bewohner der Ämter Donaueschingen, Engen, Blumen­ feld, Villingen, Bonndorf, Neustadt und Hüfingen gesandt (siehe Kapitelanfang). In­ zwischen war auch Gustav Struve in Donau­ eschingen erschienen, um eine bewaffnete Versammlung vorzubereiten. Doch der Landtagsabgeordnete Welte und Rechtsan­ walt Grüninger sprechen sich gegen den Zug aus; fast alle Offiziere des ersten Aufgebots der Bürgerwehr legen ihre Ämter nieder, 60 junge Leute flüchten aus der Stadt, um nicht zur Teilnahme gezwungen zu werden. Schließlich erklären sich nur 27 Mann be­ reit, Hecker zu folgen. Auch in Villingen findet Heckers Aufruf keine Resonanz, der Volksausschußvorsit­ zende Hoffmann spricht sich gegen das Un­ ternehmen aus. Nach erneuten Bemühun­ gen Struves waren am 15. April schließlich doch noch mehrere Bürgerwehren aus den Bezirken Donaueschingen, Villingen und Hüfingen sowie aus Fützen und Grimmels­ hausen in Donaueschingen erschienen, zu­ sammen zwischen 300 und 600 Mann. Die­ se zogen nun in Haufen durch die Stadt und erzeugten bei vielen Bürgern Angst vor re­ volutionärem Terror. Die Tätigkeit der Ge­ meindebehörde war lahmgelegt, der Ober­ amtmann Leo flüchtete nach Wolterdingen. Der Posthalter Baur wird als ,,Verräter“ ver­ haftet und soll erschossen werden, kann sich aber retten. Am Abend wird bekannt, daß 147

Die Revolutionsjahre 1848/49 Am Heckdfrzug bdftdfiligtdfn sid, auch zahlrdfiche Frdfischärldfr aus dem Bdfreich ddfs hdfutigen Schwarzwald­ Baar-Kreisdfs. Zu ddfn Opfam der Kämpft bdfi Kandern gdfhörtdf untdfr anddfrdfm dfin Brätmlinger, der Mau­ rdfrgdfsdflle Josef Maidfr (Szdfndf aus ddfm Revolutionsthdfatdfr). württembergische Truppen unter dem Kom­ mando von General Miller im Anmarsch sind. Dieser verlangt die sofortige Räumung der Stadt, worauf die Freischärler Richtung Pfohren abziehen, um sich mit Hecker zu vereinigen. Um halb sieben rücken die Württemberger in Donaueschingen ein und berauben Hecker der für den anderen Tag in Aussicht gestellten weiteren Truppenzuzüge und seines Ausgangspunktes. Tatsächlich kommt Hecker in Donaueschingen „gerade noch einmal davon“, was er Struve zu ver­ danken hat. Dieser handelte für die Frei­ schärler bei den Württembergern nämlich freien Abzug aus, der binnen einer halben Stunde zu erfolgen hatte. Die Freischärler ziehen über Sumpfohren nach Riedböhringen, weiter nach Stühlin­ gen, schließlich ins Wiesental und nach Kandern, wo sie von hessischem Militär zer­ streut werden. Zu den Opfern der Kämpfe bei Kandern gehört auch ein Bräunlinger: Der Maurergeselle Josef Maier wird in Turn­ ringen gefangen und als Spion erschossen. Er liegt in Rötteln begraben. Ein unnützer Tod von vielen: Heckers Sache war verloren, da er das Volk auf diesem radikalen Weg nicht mehr auf seiner Seite hatte. Hecker zieht weiter nach Freiburg, um sich mit Aufständischen in der Stadt zu verbin­ den. Auf einen Freiburger Hilferuf hin er­ klären sich am 23. April 69 Villinger zur Un­ terstützung bereit, wenn sie von der Stadt­ kasse finanziell entschädigt werden. Sie er­ zwingen die Einberufung einer Volksver­ sammlung, die eine Aufforderung zur Hilfe für das revolutionäre Freiburg beschließt. 87 Männer, meist verdienstlose Familienväter, 148

machen sich auf den Weg, werden aber schon in Furtwangen zurückgeholt, da die Lage in Freiburg aussichtslos geworden ist. Nach der Niederschlagung des Heckerauf­ standes werden Villingen, Donaueschingen und alle Orte, die an der von den Radikalen einberufenen Offenburger Volksversamm­ lung vom 19. März teilgenommen hatten, mit der Einquartierung fremder Truppen be­ straft, die Ende Juli zurückgezogen werden. Die Volksausschüsse sind aufgelöst, die Bür­ gerwehr entwaffnet. In Donaueschingen ge­ ben aber weiterhin die Radikalen den Ton an. Erregung entsteht wegen der Verhaftung von Bürgermeister Raus, Kaufmann Rasina und anderen. Bei den nun folgenden Bür­ germeister- und Gemeinderatswahlen siegen die demokratischen Kandidaten. Auch in Villingen kommt es zu Denunziationen und Verhaftungen, gegen die Teilnehmer des Auszugs nach Freiburg werden Untersu­ chungen eingeleitet. In Behla wird am 2. Juli bei einer von Mundelfinger und Hüfinger Bürgern initi­ ierten Versammlung eine vollständige Am­ nestie für alle politischen Gefangenen und Bei den Wahlen zu der im Mai zusam­ mengetretenen deutschen Nationalver­ sammlung wurden in Baden fast nur radi­ kale Kandidaten gewählt. Bei einer Nach­ wahl in Villingen erhielt Hecker genauso viele Stimmen wie der gemäßigtere Seiden­ fabrikant Mez aus Freiburg. Das Los ent­ schied für Mez und Heckers Kandidatur wurde für unrechtmäßig erklärt. Ende 1848 verabschiedete die National­ versammlung die Grundrechte des deut­ schen Volkes, und damit war für die Repu­ blikaner die Möglichkeit zum Aufbau einer legalen politischen Organisation gegeben. Aus den gescheiterten Putschversuchen von Hecker und Struve zogen sie nun die Lehre. Unter der Führung von Amand Goegg ent­ steht im ganzen Land ein dichtes Netz von straff organisierten Volksvereinen, wobei die Ortsgruppen von einer starken Zentrale aus geführt wurden. Geschichte Flüchtlinge verlangt. Noch mehr Gewicht erhält diese Forderung bei einer Versamm­ lung am 21. August im Donaueschinger Schloßhof mit 3 000 Teilnehmern. Während der Struve-Putsch vom 22. bis 24. September in unserem heutigen Land­ kreis keine Reaktion auslöste, rüttelte die Menschen die Ermordung des radikalen Ab­ geordneten Blum am 9. November auf Es kam zu mehreren Trauerfeiern, 2 000 Men­ schen beteiligten sich an einer Trauerfeier in Villingen, eingeladen hatte der dortige Turn­ verein. Die Ereignisse des Jahres 1849 Es ist ruhiger geworden im Schwarzwald und auf der Baar, letztlich aber nur ober­ flächlich. Die Volksvereine haben mittler­ weile durch konservative „Vaterländische Vereine“ Konkurrenz bekommen. Zum Aus­ löser der revolutionären Machtergreifung der Republikaner in Baden wird die Ableh­ nung der von der Nationalversammlung an­ gebotenen Kaiserwürde durch den preußi­ schen König Friedrich Wilhelm N am 28. März. Dennoch wird die Reichsverfassung am folgenden Tag verkündet, Baden nimmt sie am 11. April an, während sie Österreich, Preußen und Sachsen ablehnen. In dieser gespannten Situation lädt die Führung der badischen Volksvereine zu ei­ nem Landeskongreß nach Offenburg am 12./13. Mai 1849, um von den Delegierten eine demokratisch legitimierte Führung wählen zu lassen. Die Versammlung fordert die Aufhebung der Kammern und Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung für Baden. Gleichzeitig meutern die badi­ schen Linientruppen und erklären sich mit dem Landeskongreß solidarisch. Der Groß­ herzog ergreift angesichts dieser Lage die Flucht, der Landesausschuß mit Lorenz Brentano an der Spitze übernimmt die Re­ gierungsgewalt und ernennt Zivilkommissa­ re für die Bezirke. Die Revolution hat in Ba­ den auf ganzer Linie gesiegt. 149

Die Revolutionsjahre 1848/49 Gespräche und Lieder über die Revolution erregen in der H üfinger Schloßwirtschafi das Gemüt zweier würt­ tembergischer Offiziere, die die Bürger schliefslich nach einem Wortgerangel mit Säbeln bedrohen. Als die Villinger Abordnung von der Of­ fenburger Versammlung heimkehrt, ruft sie gegen den Willen des Bürgermeisters eine Volksversammlung ein, um die Offenburger Beschlüsse zu verkünden und umzusetzen. Bürgermeister Stern wird abgesetzt und Ge­ werbelehrer Johann Schleicher zu seinem Nachfolger ernannt. In Villingen, wo Karl Hoffmann als Zivilkommissar wirkt, werden diejenigen Gemeinderäte, die den Eid auf die badische Verfassung verweigert hatten, wiedereingesetzt. In Bräunlingen werden Gemeinderat und Bürgermeister neu ge­ wählt. Der Vorfall mit dem Offizier von Palm Im Großraum Donaueschingen befinden sich noch immer württembergische Trup­ pen. Wie gereizt die Bevölkerung auf die 150 Anwesenheit der „fremden“ Soldaten rea­ giert, belegt ein Vorfall in Hüfingen, der ,,Palm‘ sehe Zwischenfall“. Dieser Zwischen­ fall war dem „Donaueschinger Wochen­ blatt“ eine Extra-Beilage wert. In der Schloß­ wirtschaft unterhält sich eine Gruppe von Hüfinger Bürgern über die Revolution, als sich zwei württembergische Reiteroffiziere einmischen. Es kommt zu einem Wortge­ fecht, in dessen Verlauf die Offiziere ihre Sä­ bel ziehen. Zwar sind die Hüfinger unbe­ waffnet, den Kampf scheuen sie aber nicht. Die Säbelhelden unterliegen, ein Hüfinger allerdings wird verletzt. Die Soldaten wer­ den aus dem Gasthaus geworfen und der Of­ fizier von Palm in Haft zurückbehalten. Der zweite Offizier, von Elrichshausen, läßt Alarm blasen und schickt Stafetten in die verschiedensten Richtungen, um Verstär­ kung herbeizurufen. Er selbst läßt seine Sol-

daten im Stich und entflieht durch Gärten und Felder in Richtung Bräunlingen, hin zur dort liegenden Reiterei, mit der er spä­ ter zurückkehrt. Alarm blasen aber auch die Hüfinger: es erschallt der Ruf „Bürger her­ aus!“ Inzwischen erscheint der Amtsvor­ stand, der von Palm vernimmt und die Bür­ ger von Hüfingen zur Besonnenheit aufruft. Der Amtsvorstand vermittelt erfolgreich zwischen den Hüfinger Bürgern und den heranreitenden Württembergern, und als sich der Offizier von Palm trotz eines Eh­ renwortes bei einer Unterredung für die Flucht entscheidet, zieht wieder Ruhe ein. Angesichts einer drohenden Konterrevolu­ tion -der geflohene Großherzog hatte mi­ litärische Hilfe der Bundestruppen angefor­ dert -war nun die Durchführung der Volks- Donaueschingen im Brennpunkt Geschichte bewaffuung wichtigste Aufgabe der Revolu­ tions-Regierung. Die Anschaffung von Waf­ fen erweist sich allerdings als so schwierig, daß Zivilkommissar Hoffmann mehrere Bürgermeister wegen zu großer Nachlässig­ keit in dieser Angelegenheit absetzt. Die Ge­ wehre für die Bürgerwehren werden meist in der Schweiz gekauft; die hierfür nötigen An­ leihen bürden den Gemeinden eine große Schuldenlast auf, an der sie nach der Revo­ lution oft noch Jahre zu tragen hatten. Am 26. Mai ergeht durch die provisorische Regierung die allgemeine Mobilmachung für alle ledigen Männer zwischen 18 und 30 Jahren. Auch Frauen werden aktiv: Im Do­ naueschinger „Schützen“ gründet sich der „Weibliche Verein zur Unterstützung der Wehrmannschaft“. Ein Verein für Verwun­ detenpflege entsteht in Villingen. In Hüfin­ gen näht der Frauen-und Jungfrauenverein Teile für die Uniform der Volkswehr. Für die Nach dem Vorfall mit dem Offizier von Palm im Schloßwirtshaus stellen sich die Hüfinger Bürger gegen die württembergischen Soldaten. Die Bürger siegen, die Würllemberger ziehen wieder ab. 151

Die Revolutionsjahre 1848/49 Belange der Revolution setzt sich weiter der Frauenverein von Vöhrenbach ein. Doch: daß die Revolutionstage nicht nur dramatisch waren, dokumentiert ein Vorfall in Villingen vom 6. Juni, wo reguläre, zur Revolution übergelaufene Truppen zusam­ men mit der Bürgerwehr auf dem Markt­ platz ein Verbrüderungsfest feiern. Am fol­ genden Tag beteiligen sich die Soldaten an der Fronleichnamsprozession, und bei der feierlichen Vereidigung der Wehrmänner am 8. Juni wird am Abend sogar getanzt. Ein Verbrüderungsfest zwischen badischen Truppen und der Bürgerwehr hatte es am 29. Mai auch in Hüfingen gegeben. Der Hüfin­ ger Carl Revellio hält dazu fest: „Tag des Heils für die Hüfinger Wehrmannschaft; Verbrüderung der Wehrmannschaft mit den Truppen. Bis zur errungenen Freiheit sollen die Ziele unseres Strebens gesteckt sein.“ Als in Baden die Beschlagnahmung aller Vorräte der Standes- und Grundherrschaft verfügt wird, zieht man am 29. Juni in Do­ naueschingen 6 500 fl. aus der Kasse des Für­ sten ein. Man hatte sich mehr erwartet, doch hatten fürstenbergische Beamte in weiser Voraussicht bereits vor der Versammlung in Offenburg die Hauptbestände in die Schweiz und ins württembergische Stuttgart in Sicherheit gebracht. Angesichts des Eingreifens von preußi­ schen- und Reichstruppen wird die Lage der revolutionären Regierung schnell aussichts­ los. Der Flucht nach Freiburg folgt am 3. Ju­ li der Beschluß, nach Donaueschingen aus­ zuweichen, die verbliebenen Truppen neu zu organisieren und mit den Volkswehren des Seekreises zu vereinigen. Nach den schweren Niederlagen der Re­ volutionstruppen hatte Bürgermeister Raus inzwischen die Bürgermeister der Bezirksge­ meinden in Donaueschingen zusammenge­ rufen und man beschloß, der Niederschla­ gung der Revolution keinen W iderstand zu leisten, um eine Ausbreitung des Krieges auf den Seekreis zu verhindern. Als jedoch am 5. Juli die Revolutionsregierung ins Donau- 152 eschinger Schloß einzieht, ändern sie ihre Haltung. Die Bürgermeister stoßen mit Aus­ nahme von Wolterdingen ihren Beschluß um und 600 bis 700 Bewaffnete versammeln sich in der Stadt. Sie vereinigen sich mit den ungefähr 1400 Mann der revolutionären Regierungstruppen. Bürgermeister Raus flieht aus Angst vor Bestrafung wegen seiner defätistischen Haltung. W ie es in Donau­ eschingen zugeht, beschreibt mit Liebe zum Detail der Villinger Paul Revellio in seiner Revolutionsgeschichte: „Im Schloß herrsch­ te den ganzen Tag über tolles Durcheinan­ der. In den Zimmern, in denen die fürstliche Familie sonst wohnt, wimmelt es von Sol­ daten. Aus den Fenstern hängen Hosen, Mäntel, Koppel zum Trocknen. Im Arbeits­ zimmer des Fürsten haust Diktator Gögg und empfängt dort die Boten und Besucher. Die Gewehrkammer des Fürsten wird ge­ plündert, 60 Gewehre und 200 Pistolen, dar­ unter kostbare Stücke, werden mitgenom­ men, die Schränke gewalttätig aufgebroch­ en, die Garderobe des Fürsten unter die Machthaber verteilt, ebenso die 6 500 Gul­ den, die einige Tage vorher bei den fürstli­ chen Kassen beschlagnahmt waren.“ Die letzten Stunden der Revolution Noch bis in den Juli hinein hatte die Re­ volutionsregierung offenbar die Absicht, ein 5 000 Mann starkes Bundesheer anzugrei­ fen, das auf Donaueschingen aus zwei Rich­ tungen heranrückte. Am 6. Juli marschiert die Armee jedoch Hals über Kopf in Rich­ tung Hüfingen aus der Stadt ab, kurze Zeit später hat sie sich aufgelöst, auch der zweite bewaffnete Volksaufstand der Jahre 184 8/49 war gescheitert. Viele Kämpfer sind in die Schweiz geflohen, ein kleiner Teil des Korps unter Befehlshaber Sigel nahm dorthin auch jene 17 000 fl. mit, die aus der Bad Dürrhei­ mer Salinenkasse entwendet worden waren. Dramatische Vorgänge spielten sich an die­ sem 6. Juli auch in Villingen ab: Am Nach­ mittag des 6. Juli marschiert das Neckar-

G chicht 153

Die Revolutionsjahre 1848/49 Die Revolution ist niedergeschlagen, ihren Teilnehmern wird jetzt vielerorts der Prozef?gemacht. korps der Reichsarmee aufVillingen zu. Da keine Anzeichen einer Kapitulation auszu­ machen sind, will die militärische Führung die Stadt mit Kanonen beschießen. Da ret­ tet der großherzogliche Zivilkommissar Ste­ phani die Stadt, indem er sich allein in ihre Mauern begibt und mit einer städtischen Unterwerfungsdeputation zurückkehrt. Als die Truppen am nächsten Tag Richtung Do­ naueschingen ziehen, kommen ihnen vor der Stadt der Posthalter Baur und ein Ge­ meinderat entgegen, um die Unterwerfung der Donaueschinger anzuzeigen. Nach der militärischen Besetzung müssen die Bürgerwehren ihre Waffen abgeben und die revolutionären Bürgermeister und Ge­ meinderäte werden abgesetzt. Die Führer der Republikaner sind meist in die Schweiz geflohen, wer hierbleibt wird, wie beispiels­ weise der Villinger Bürgermeister Schleicher, verhaftet. 55 politische Gefangene werden ins Korrektionshaus nach Hüfingen ge- bracht. Es folgt ein Strafgericht mit harten Urteilen. Der Donaueschinger Bürgermei­ ster Rau wird zu drei Jahren Zuchthaus ver­ urteilt, erst 1857 kann er aus seinem Schwei­ zer Exil heimkehren. In Donaueschingen wird am 19. August ein Sieges- und Dankfest in der Stadtkirche gefeiert, der Fürst kehrt aber erst 1853 in sei­ ne Residenz zurück. Auch in unserer Region war nun der Traum von der deutschen Einheit in Frei­ heit, möglicherweise gar in einer freien Re­ publik, zerschlagen. Es dauerte noch zwei Jahrzehnte, bis die Einheit, nun unter dem Zeichen von „Blut und Eisen“, Wirklichkeit wurde. Ereignisse im württembergischen Schwenningen während der Revolution Im landwirtschaftlich geprägten Schwen­ ningen hatte die Agrarkrise der vierziger Jah- 154

re schlimme Auswirkungen. Zur Minderung des Hungerproblems wurde im Sommer 1846 eine Suppenanstalt eingerichtet, wie im übrigen auch andernorts im Landkreis, die man zunächst durch Spenden, dann durch die Gemeindekasse finanzierte. Orts­ arme wurden von der Gemeinde fur Wald­ arbeiten und beim Torfstechen eingesetzt, und 1847 finanzierte sie die Auswanderung von 224 Bürgern nach Amerika. Trotz dieser drückenden Lage blieben li­ berale Aktivitäten im Jahr 1848 die Ausnah­ me, sicher auch wegen der Anwesenheit des württembergischen Militärs in der Stadt. Anläßlich der Villinger Volksversammlung vom 14. März beschloß der Schwenninger Gemeinderat gar, Sicherheitswachen aufzu­ stellen, um „Raubgesindel“ aus der Nach­ barstadt fernzuhalten. Dennoch nahmen auch Schwenninger Bürger an dieser Ver­ sammlung teil. Der Gemeinderat, gewählt auf Lebenszeit, war die Interessensvertretung der reichen Bauernschaft. Gegen ihn richteten sich die Aktivitäten der Liberalen. Am 27. März ver­ faßten 23 angesehene Bürger unter der Führung des Kaufmanns Johannes Bürk ei­ ne Aufforderung an Ortsvorsteher und Gemeinderat, zurückzutreten und den Weg fur Wahlen freizumachen. Dieses Ansinnen war solange erfolglos, wie das Militär in der Stadt verweilte. Diesem ließ der Gemeinde­ rat als Belohnung für seinen Schutz einen täglichen finanziellen Zuschuß zukommen. Nach Abzug der Truppen gelang den Libe­ ralen die Absetzung des Gemeinderats, al­ lerdings nur für kurze Zeit. Im Jahr 1849 bildete sich auch in Schwen­ ningen ein demokratischer Volksverein. Während des Maiaufstandes in Baden schloß er sich dem Beschluß der Reutlinger Volksversammlung vom 28. Mai an, der ein Bündnis Württembergs mit der pfälzischen und der badischen Revolution forderte. Wiederum stellte der Gemeinderat Wachen an der Villinger Grenze auf. AnfangJuli kam der württembergische Agitator Adolf Maier, Geschichte Apotheker aus Stettenfels, mit ungefähr 70 Bewaffneten aus Donaueschingen nach Schwenningen, drang in das Schultheißen­ amt ein und verlangte die Herausgabe von Gewehren. Die Schwenninger waren aller­ dings vorgewarnt worden und konnten sich des Angriffs erwehren. Im Gegensatz zu den badischen Nachbar­ orten blieb Schwenningen nach der Revolu­ tion von politischen Prozessen und Straf­ maßnahmen verschont. Ein Fortschritt im liberalen Sinne waren die Gesetze zur Ge­ meindeneuordnung vom Juni/Juli, mit de­ nen die lebenslangen Gemeinderäte abge­ schafft wurden. Wi!fried Dold / Dr. Helmut Rothermel illustriert mit Fotografien von Wi!fried Dold Zum Revolutionstheater: Die Bildtexte zu den Szenenbildern sind nicht in al­ len Fällen deckungsgleich mit dem Gesd1ehen im Theaterstück von Günter Koppenhöfar unter Regie von Paul Siemt. Es wurde versucht – wo möglich – das Geschehen auf der Bühne mit den tatsächlichen Ereignissen in Einklang zu bringen. Literaturangaben Revolution der deutschen Demokraten in Baden [Landes­ austeilung) Herausgegeben vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe; Baden-Baden 1998. Zur Badischtn Revolution in unserer Region: Paul Revellio: Die Revolution der Jahre 1848 und 1849; in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen. Gesammelte Arbeiten von Paul Revellio; Villingen, 1964, S.368-435. Ute Grau: Donaueschingen; lngeborg Kottrnann: Villingen­ Schwenningen; in: Revolution im Südwesten. Stätten der Demokratiebewegung 1848/49 in Baden-Württemberg, Karlsruhe 1998, S.128-133 und S.662-670. Beatrice Scherzer: Hüfingen und die Badische Revolution – Von Biedermännern und Heckerhüten. Kulturhistorische Reihe der Stadt Hüfingen – Band 3, 1998. Ingeborg Kottmann: Revolution – doch nicht in Schwen­ ningen? In: Das Heimatblättle. Eine Schwenninger Monats­ schrift für Heimat und Volksleben, Heft 3/4, 1998. 155

Geschichte ,,Drum frisch und froh ans Werk!“ Die Zivilkommissare der badischen Revolutionsregierung von 1849 aus Villingen und der Baar Im folgenden geht es um vier Männer aus Villingen und der Baar, die während der Re­ volution von 1848/49 das Amt eines Zivil­ kommissars der badischen Revolutionsre­ gierung ausübten: Karl Hoffmann, Jakob Häfelin,Joseph Au und Andreas Willmann. Ihre Amtstätigkeit fällt in die letzte Phase der Revolution, als im Frühjahr 1849 in Ba­ den die großherzogliche Monarchie kurz ins Wanken geriet. Stattdessen war von Mai bis Juli eine provisorische Regierung der De­ mokraten an der Macht. Der Regierungs­ übernahme ging ein Aufstand voraus. Als die von der Frankfurter Nationalver­ sammlung beschlossene Reichsverfassung am Verzicht des preußischen Königs Wil­ helm IV auf die Kaiserkrone zu scheitern drohte, bildete sich im Südwesten eine brei­ te Protestbewegung. Die Demokraten orga­ nisierten sich am 13. Mai in Offenburg im Landesausschuß der Volksvereine neu. An der Versammlung nahm u. a. auch der spä­ tere Seekreiskommissar Andreas Willmann teil. Bereits im Vorfeld meuterten in Rastatt und anderen badischen Garnisonsstädten die Soldaten. Sie schlossen sich später zu weiten Teilen den Demokraten an. Großher­ zog Leopold und seine Regierung flüchteten aus Karlsruhe. Unter dem Vorsitz Lorenz Brentanos regierte seit dem 14. Mai erst der Landesausschuß, ab Juni die provisorische Regierung das Land. Als Zivilkommissare waren Willmann, Hoffmann, Häfelin und Au Sonderbeauf­ tragte der neuen Karlsruher Revolutionsre­ gierung. Sie führten die Aufsicht über die Kreis- und Bezirksbehörden. Diese bildeten nach den Ministerien die mittlere und un­ tere Ebene der Staatsverwaltung. Jedem Be­ zirksamt stand ein Beamter im Rang eines Amtmanns oder Oberamtmanns vor. Die Ämter Villingen, Donaueschingen und Hü- 156 fingen gehörten zum Seekreis mit Sitz in Konstanz, dieser reichte vom westlichen Schwarzwald über Baar und Hegau bis an den nördlichen Bodensee. Villingen und Donaueschingen waren staatliche Bezirks­ ämter. Hüfingen war ein standesherrliches Amt der Fürsten von Fürstenberg. Mit Erlaß vom 18. Mai 1849 wurde jedem Amt ein Bezirkskommissar zugeteilt. In Villingen ernannte man Josef Fuchs, den bald Karl Hoffmann ablöste. In Donaueschingen agierte Josef Au. Als er im Juni Abgeordne­ ter der verfassungsgebenden Versammlung in Karlsruhe wurde, vertrat ihn Heinrich Ganther. In Hüfingen wirkte Jakob Häfelin. Den Bezirkskommissaren war auf Kreisebe­ ne der Oberkommissar vorgesetzt. Im See­ kreis übte in den ersten Tagen nach dem Maiaufstand Andreas Willmann aus Pfoh­ ren dieses Amt aus. Er wurde aber bald in den Oberrheinkreis abberufen, um auch hier die Zeitbewegung zu organisieren. Was erhoffte sich die neue Regierung vom Einsatz der Zivilkommissare? Die Einrich­ tung des neuen Amtes ergab sich hauptsäch­ lich aus der Frage, wie die Verwaltung des Landes künftig organisiert und die Staatsbe­ amten behandelt werden sollten. Im Gegen­ satz zu den basisdemokratisch orientierten Volksvereinen, die in Offenburg gefordert hatten, die alte Verwaltungsbürokratie müs­ se abgeschafft und an ihre Stelle die freie Verwaltung der Gemeinden und anderer Körperschaften treten (Art. 13), hielt die Re­ volutionsregierung unter ihrem gemäßigten Vorsitzenden und Innenminister Brentano am bestehenden Berufsbeamtentum fest. Je­ der Staatsdiener sollte lediglich einen Treu­ eid auf die Beschlüsse des Landesausschus­ ses und auf die Reichsverfassung leisten. Den Zivilkommissaren kam als erste Amts­ handlung zu, alle Beamten unterhalb der

Ministerialebene zu vereidigen, d.h. alle Kreis-, Bezirks-und Ge­ meindebeamten sowie auch die Gen­ darmerie, Richter und Lehrer. Ober­ kommissar Willmann z.B. erschien zu diesem Zweck am 19. Mai im Kon­ stanzer Seekreisdirektorium. Bezirks­ kommissar Hoffmann nahm am 21. Mai den Villinger Bezirksbeamten den Treueid ab. Nur die sogenannten volks­ feindlichen Beamten sollten verhaftet, die mindergefährlichen, darunter dieje­ nigen, die den Eid verweigerten, entlassen werden. Die Zivilkommissare besaßen außerordentliche Vollmachten und konn­ ten Beamte provisorisch absetzen. Beson­ ders in den Kommunalverwaltungen dräng­ ten sie auf personelle Veränderungen. Alle Bezirksämter wurden angewiesen, in ihren Amtsbezirken Bürgermeisterwahlen durch­ zuführen. So verlangte es etwa in Bräunlin­ gen Bezirkskommissar Häfelin am 23. Mai. Er griff auch in kirchliche Belange ein, in­ dem er Pfarrer Engesser in Mundelfingen und Kaplan Zeller in Neudingen entließ. Bisweilen stießen die Zivilkommissare in den Behörden auf Widerstand. Nicht alle Beamten, denen man sie vor die Nase ge­ setzt hatte, arbeiteten einfach weiter. Die Seekreisbeamten z.B. legten nach der Ver­ eidigung ihre Ämter nieder. Einige baten um ihre Entlassung, andere flüchteten. Ins­ gesamt aber leistete die Mehrheit der Beam­ ten den Eid auf die Revolution, darunter wohl auch der Donaueschinger Bezirk­ samtsvorstand Karl Leo. Jedenfalls blieb er im Amt. Erst nach der Revolution wurde er vom Dienst suspendiert. Auch der Villinger Oberamtmann Karl Blattmann blieb zu­ nächst Amtsvorstand, wurde aber am 25. Juni gefangengenommen, weil er eine ge­ druckte Ansprache des geflohenen Großher­ zogs verbreitet haben soll. Bezirkskommis­ sar Hoffmann geriet in der Affäre Blatt­ mann stark unter Druck. Der Meßkircher Pfarrer Ganther, der Willmann inzwischen als Kreiskommissar abgelöst hatte, und das Zivilkommi are der Revolution Die Fahne des Bundes begleitete auch die �r­ sammlungen und Züge der Revolutionsteil­ nehmer, auf den Bund hatten auch die Zivil­ lwmmissare ihren Treueeid zu leisten. Regierungsmitglied Peter sollen ihm unter den schauderhaftesten Ausdrük­ ken heftige Vorwürfe gemacht haben, weil er den Amtmann nicht eher verhaftet hatte. Dieser Vorfall verweist auf die zweite wichtige Aufgabe der Zivilkommissare. Sie sollten die Staatsdiener nach ihrer Vereidi­ gung auf ihre politische Zuverlässigkeit hin überwachen und dafür sorgen, daß sie die neuen Gesetze aus Karlsruhe in ihren Amts­ bezirken umsetzten. Vertrauensmänner der Revolution Die Zivilkommissare waren also Vertrau­ ensmänner der demokratischen Regierung. Indem sie die Bürokratie kontrollierten, soll­ ten sie dazu beitragen, die Macht der Regie­ rung abzusichern. Allerdings hatte ihr Amt eine etwas zwiespältige Funktion: Denn sie waren einerseits verantwortlich, daß die Politik der revolutionären Erneuerung über Karlsruhe hinaus überall im Land zur Um­ setzung kam. Gleichzeitig mußten sie weit­ gehend auf die Beamten aus großherzog­ licher Zeit zurückgreifen und dafür sorgen, daß die Verwaltung des Landes in Gang blieb. Die Staatsdiener ließen sich zwar 157

Zivilkommissare der Revolution mehrheitlich vereidigen, sie waren jedoch selten bekennende Demokraten oder gar Revolutionäre. In ihren Amtsbezirken kannten sich die Kommissare aus V illingen und der Baar be­ stens aus, denn sie waren hier zu Hause. Bezirkskommissar Häfelin war in Hüfingen Wirt im „Löwen“ und Bürgermeister. Sein Kollege Hoffmann war seit 1839 praktischer Arzt, zeitweise auch Spitalarzt in Villingen. Der Donaueschinger Kommissar Au stamm­ te aus Allmendshofen. Kreiskommissar Willmann kam aus Pfohren, wo seine Eltern das Gasthaus „Od1sen“ betrieben. Sie alle übten qualifizierte Berufe aus. Bürgermei­ ster Häfelin in Hüfingen und der Arzt Hoff­ mann in Villingen nahmen eine privilegierte gesellschaftlid1e Stellung ein. Au war als Steuereinnehmer im Staatsdienst. Auch Rechtspraktikant Willmann hatte die juristi­ sche Laufbahn begonnen, die ihn auch zum Staatsbeamten befähigt hätte. Für Grundrechte wie Meinungs-, Presse­ und Versammlungsfreiheit setzten sie somit sichere Existenzen aufs Spiel. Als überzeug­ te Demokraten gehörten sie den demokrati­ schen Volksvereinen ihrer Heimatorte an. Hoffmann war schon im Vormärz politisch tätig. Er saß 1843 im kleinen Ausschuß der Stadt Villingen. In Sachen Revolution war er in Villingen der führende Kopf, u. a. initi­ ierte er im März 1848 mehrere Volksver­ sammlungen und gehörte einer Deputation an, die nach der großen Donaueschinger Volksversammlung vom 6. April 1848 die hier gefaßten Beschlüsse dem Großherzog nach Karlsruhe überbrachte. Gegen eine Teilnahme des Villinger Volksausschusses am Hekkerzug, dessen Vorsitzender er war, sprach er sich jedoch entschieden aus. Seit dem 21. Mai 1849 war Hoffmann Bezirks­ kommissar. Im Juni 1849 wurde er außer­ dem Abgeordneter der verfassungsgeben­ den Versammlung in Karlsruhe. Ebenfalls gewählt wurden Josef Au und Andreas Will­ mann. Auch sie waren in der Revolution vielfach aktiv. Willmann nahm u. a. an den 158 Aufständen Heckers im April und Struves im September 1848 teil. Au wurde in der Versammlung von Engen-Altdorf vom 29. März 1849 zum Abgeordneten des See­ kreises für das Vorparlament in Frankfurt ge­ wählt. Dabei bekannte er sich offen zur Re­ publik als künftige Staatsform Badens. Mehrere Bürgermeister abgesetzt Die Aufgaben eines Zivilkommissars be­ schränkten sich nicht ausschließlich auf zi­ vile Fragen. Als im Mai die Aufstellung ei­ ner Volkswehr beschlossen worden war, leiteten die Bezirkskommissare in ihren Amtsorten die Aushebung der Wehrpflich­ tigen. Sie ließen alle verfügbaren Waffen sammeln und sie an die Bürgerwehren ver­ forderte alle teilen. Joseph Au z.B. Bürgermeisterämter seines Bezirkes Donau­ eschingen auf, die waffenfähigen Männer des 1. Aufgebotes täglid1 von 4 bis 6 Uhr morgens und von 7 bis 9 Uhr abends auf den Sammelplatz zu beordern. Auch in Vil­ lingen drängte Karl Hoffmann, das 1. und 2. Aufgebot (alle 18 bis 20 und 30 bis 40jähri­ gen Männer) so rasch als möglich mobil zu machen. Mehrere Bürgermeister setzte er ab, weil sie beim Aufbau der Bürgerwehren nachlässig gewesen sein sollen. Als im Juni der Kriegszustand über Baden verhängt wer­ den mußte, wurde diese Aufgabe um so dringlicher. An der Seite der Revolutionsarmee kämpf­ ten Volkswehrbataillone gegen die preußi­ schen Interventionstruppen des Deutschen Bundes, die der Großherzog um Hilfe gebe­ ten hatte. ,,Die Begeisterung des Volkes, ins­ besondere der Linientruppen und der Volks­ wehren ist groß … . Das kleine Baden spielt wirklich eine großartige und ruhmvolle Rol­ le, die mit Gottes Hilfe die endliche Befrei­ ung des deutschen Vaterlandes von Gottes Ungnaden zur Folge haben wird. Drum frisch und froh ans Werk!“ So schreibt Karl Hoffmann, der am 15. Juni Kämpfe zwi­ schen der badisd1en Revolutionsarmee und

preußischen Truppen bei Mannheim beo­ bachtete, unter dem Eindruck militärischer Erfolge der Badener begeistert in einem Brief an einen Freund. Daß sein Optimis­ mus verfrüht war, zeigte sich bald. Die Revolution wurde kurz darauf gewalt­ sam durch Preußen niedergeschlagen. Vil­ lingen wurde am 6. Juli (1849), die Baar und der übrige Seekreis in wenigen folgenden Tagen besetzt. Am Ende kapitulierte am 23. Juli die Festung Rastatt. Seit August regierte in Karlsruhe wieder der Großherzog. Hoff­ mann, Au, Häfelin und Willmann wurden nun wegen Hochverrats verurteilt. Die Hö­ he des Strafmaßes fiel je nach individuellem Engagement unterschiedlich aus. Gemein­ sam war der Anklagepunkt, der die Tätigkeit als Zivilkommissare betraf Häfelin bekam Geschichte 4, Hoffmann und Willmann erhielten 10, Au gar 15 Jahre Zuchthaus. Sie alle entzogen sich ihrer Strafe durch Flucht in die Schweiz. Hoffmann praktizierte ab 1851 in Islikon (Kanton Thurgau) wieder als praktischer Arzt und Militärarzt. 1857 starb er 48jährig in seiner neuen Heimat. Häfelin und Will­ mann wanderten in den 1850er Jahren nach Amerika aus. Letzterer soll Weinhändler und Gründer der ersten Stadtsparkasse in New York geworden sein. Das Land und ihre Heimatorte mußten al­ le ehemaligen Zivilkommissare aus der Re­ gion verlassen. Sie waren gezwungen, für sich und ihre Familien außerhalb Badens neue Existenzen aufzubauen. Eveline Darge! Ein junger H üfinger vor dem Standgericht Franz Josef Neukum: 10 Jahre Haft für eine unbedachte Äußerung zu preußischen Soldaten Als Lucian Reich, der Maler und Volks­ schriftsteller der Baar, 1855 vor der Frage stand, ob er die angebotene Zeichenlehrer­ stelle am Lyceum zu Rastatt annehmen sol­ le, erinnerte er sich daran, daß er in dieser Stadt fünf Jahre zuvor einer Standgerichts­ verhandlung im Gefolge der Badischen Re­ volution beigewohnt hatte. Namen oder an­ dere Details über den Prozeß teilt Reich nicht mit, auch nichts über dessen Ausgang. Nur dies ist seiner knappen Notiz zu ent­ nehmen, daß er selbst als Entlastungszeuge geladen war. Lucian Reich war weit entfernt von jeder revolutionären Sympathie und sein Zeugnis daher für einen Angeklagten durchaus von Vorteil. Über die Militärgerichtssitzungen gegen die Beteiligten der Revolution von 1849 sind vergleichsweise wenige Berichte und Akten erhalten. Daher ist es oft schwierig, Aufschluß über Personen und Hintergründe eines speziellen Prozesses zu erhalten. Doch erlauben in diesem von Reich erwähnten Fall einige aufgefundene Zeitungsberichte und Briefe, das Strafverfahren und die Iden­ tität des Hauptbeteiligten zu erhellen: Bei dem Angeklagten, für den Lucian Reich aus­ sagte, handelte es sich um Franz Josef Neu­ kum, einen Neffen des damaligen Bürger­ meisters Johann Baptist Neukum von Hü­ fingen. Ein folgenschwerer Disput Franz Josef Neukum, 1828 als Sohn des Landwirts Franz Karl Neukum und seiner Ehefrau Maria Anna (geb. Laaba) in Hüfin­ gen geboren, war 1849 kurz vor Ausbruch der Revolution als Rekrut zum badischen Militär gekommen. Im Gefecht um Neckar­ hausen bei Ladenburg gegen die Reichs­ truppen erlitt er am 21./22. Juni eine schwe- 159

Ein Hüfinger vor dem Standgericht re Schußverletzung. Dies war offenbar die einzige revolutionäre Aktion, an der Neu­ kum teilgenommen hat. An der Soldaten­ meuterei im Mai war er nicht beteiligt, ja er hatte sogar das Kasernentor gegen die Meu­ terer verteidigen helfen. Zur Heilung seiner Wunde hielt er sich seither zu Hause auf, wo er unbehelligt das Ende der Revolution er­ lebte. Franz Josef Neukum war als eher ju­ gendlicher Mitläufer den Untersuchungs­ behörden wohl nicht besonders aufgefallen. Im Haus seiner Eltern waren im Januar 1850 drei preußische Musketiere ein­ quartiert. Es blieb nicht aus, daß Neukum mit den Soldaten Unterhaltungen anknüpf­ te. Bei einem dieser Gespräche ließ sich Neu-kum am 11. Januar 1850 zu zwei un­ bedachten Aussagen hinreißen, die ihn bald teuer zu stehen kommen sollten. Zunächst erwähnte Neukum eine damals kursierende Weissagung einer Somnambulen, daß näm­ lich die Preußen binnen Jahresfrist mit Stöcken aus dem Land gejagt würden. Die preußischen Soldaten erwiderten, das werde so einfach nicht gehen, sie würden anders als die meineidigen Badener ihrem Eid treu bleiben und sich eher für ihren König in Stücke hauen lassen. Darauf entgegnete Neukum: Was ist so ein Soldateneid? Man streckt die Finger in die Höhe und schwört, der Eid ist „für die Katz“! Er selbst werde für niemanden das Leben lassen, auch für den Großherzog nicht, er habe an seinem einen Treffen schon genug! Im weiteren Verlauf des Disputs kam Neu­ kum auf die strenge Behandlung der preu­ ßischen Soldaten durch die Vorgesetzten zu sprechen und riet ihnen, sie sollten sich nicht alles gefallen lassen. Bei den Bade­ nern habe einmal ein Soldat gegen den miß­ handelnden Unteroffizier das Gewehr ge­ fällt; es sei ihm nichts geschehen, weil die Soldaten zusammengehalten hätten. Sie sollten es gegebenenfalls auch so machen. Der möglichen Folgen seiner leichtfertigen Worte war sich Neukum sicherlich nicht be­ wußt. Die preußischen Soldaten machten 160 jedoch bei ihren Vorgesetzten Meldung, die den Vorfall ihrerseits den badischen Behör­ den anzeigten. Die drei Soldaten wurden vor dem Bezirksamt Donaueschingen ver­ hört. Schwerwiegend war der Umstand, daß man Neukum die Absicht unterstellte, er ha­ be die preußischen Soldaten zum Aufruhr und Treuebruch verleiten wollen. Die Behörden griffen hart durch. Franz Jo­ sef Neukum kam nach Rastatt in Untersu­ chungshaft und wurde dort mehrfach ver­ hört, zuletzt am 19. April. Daraufhin wurde entschieden, daß er wegen seiner Äußerun­ gen vor das Standgericht gestellt werde. Der Prozeß, der zunächst auf den 4. Mai anbe­ raumt war, fand schließlich am 11. Mai 1850 statt. Professor Fickler als Verteidiger Die Eröffnung, daß er sich vor dem Stand­ gericht zu verantworten habe, muß für den jungen Franz Josef Neukum überraschend und bestürzend gekommen sein. Nach dem letzten Verhör schildert er den Eltern seine Lage in einem noch erhaltenen Brief vom 19. April 1850 aus Rastatt: Theuerste Eltern. Ich habe Euren Brief gerade bekommen, als ich zurück aus dem Verhör kam. Ich wurde gefragt ob ich bei meiner früher angegebenen Prodikolen wol­ le bleiben u. ob ich noch etwas anzugeben hätte, ich sagte ich bleibe bei meiner früheren angabe ste­ hen. Darauf sagte er mir das ich mir solle einen Vertheitiger wehlen ich komme vor das Standge­ richt worauf ich Hern Prof Fick/er vorschlug. Meine Hauptanklage ist das ich zu ihnen solle ge­ sagt haben sie sollen es machen wie die Badischen, wovon ihr düift glauben das ich dies Wort nie ge­ sprochen habe. Wer den Dischkurs angefangen hat waren die Soldaten, indem sie mir Erzählt ha­ ben die Prefizeiung mit der Sonambühl. Wo es sich in meiner Angabe gibt das ich dies Wort nicht hätte dazwischen bringen können was ich Herrn Prof Fick/er villeicht noch selbst sagen kan. Ich

wurde gefragt ob niemand im Zimmer gewesen wäre ich sagte es sei eine Magt da gewesen aber ich glaube nicht das ich die könne zum Zeugen auf refen, inden sie es nicht werde gehört haben. Ich könne mich auf nichts berufen als, das ich mich bei den früheren Aufständen im geringste nicht Be­ theiligt habe u. mich immer gut betragen habe. In der Hoffnung Euch bald Eifreilichere Nachrichten zu schreiben verbleibe ich Euer Sohn u. Bruder Josef Bei dem von Neukum vorgeschlagenen Verteidiger handelt es sich um den damali­ gen Rastatter Lyceumsprofessor Carl Bor­ romäus Alois Fickler, einen Bruder des be­ kannten Redakteurs der Konstanzer „See­ blätter“ und Mitglied der provisorischen Re­ volutionsregierung Joseph Fickler. C.B.A. Fickler, der ganz im Gegensatz zu seinem Bruder politisch einen eher konservativen Standpunkt einnahm, war von 1832 (seit 1834 als Direktor) bis 1849 am Gymnasium in Donaueschingen tätig. Sein Konflikt mit der demokratischen Bürgerbewegung hatte ihn 1849 bewogen, sich ans Lyceum nach Rastatt versetzen zu lassen. Ein ruhiges pä­ dagogisches und wissenschaftliches Arbei­ ten war dem Gelehrten freilich auch an der neuen Wirkungsstätte nicht vergönnt, er­ lebte er doch in der eingeschlossenen Stadt die Endphase der Revolution hautnah mit. Seine Erlebnisse hat er in einem auch heute noch als Qielle geschätzten Werk „In Ra­ statt 1849″ festgehalten. Von 1852 bis zu seinem Tod 1871 wirkte er am Lyceum in Mannheim. Fickler war durch seine weitgespannten wissenschaftlichen Interessen und seinen ge­ sellig-freundlichen Umgang nicht nur in Donaueschingen selbst, sondern auch in der Umgebung eine bekannte und geachtete Persönlichkeit. In Donaueschingen hatte Fickler u. a. den Verein für Geschichte und Naturgeschichte mitbegründet. Zu Hüfin- Geschichte Profissor Fick/er, Verteidiger des Hüfingers Franz ]osefNeukum beim Prozeß vor dem Standgericht in Rastatt. gen ergaben sich zahlreiche Beziehungen, insbesondere durch die dortigen archäologi­ schen Grabungen zur römischen Frühge­ schichte, an denen Fickler maßgeblich betei­ ligt war. Bei den in Rastatt abgehaltenen Kriegs­ und Standgerichten waren aus Mangel an rechtskundigen Verteidigern einige Profes­ soren des dortigen Lyceums – unter ihnen Fickler – als Beistand für die Angeklagten hinzugezogen worden. Fickler selbst hält in seiner Autobiographie, die im Fürstlich-Für­ stenbergischen Archiv in Donaueschingen als Handschrift vorhanden ist, fest, daß er nach der Einführung der Stand- und Kriegs­ gerichte „durch das Bezirksamt zum Ver­ theidiger vorgeschlagen und durch den Großherzoglichen Oberstudienrath zu die­ sem traurigen, weil meistens nuzlosen Wer­ ke ermächtigt“ wurde. Nach seinen eigenen Angaben hat Fickler rund 100 Soldaten ver- 161

Ein Hüfmger vor dem Standgericht teidigt. Es lag für Neukum also nahe, diesen im Umgang mit den Militärgerichten erfah­ renen und aus der Heimat bekannten Mann zum Verteidiger zu erbitten. Auf den BriefNeukums hin unternahmen der Vater Karl Neukum und der Onkel, Bür­ germeister Johann Neukum, alles, um die Lage des Angeklagten zu verbessern. Sie wa­ ren insbesondere bemüht, die belastende Aussage der Magd herunterzuspielen, Ent­ lastungszeugen aufzubieten und Fickler als Verteidiger zu gewinnen. Der Bürgermeister suchte in einem Schreiben vom 21. April 1850 um Ficklers Unterstützung nach: ,,Bey der lezten Anwesenheit bey Ihnen habe ich die Ehre mit meinem Bruder Karl Neukum wegen seinem Sohn Joseph Neukum, wel­ cher in Untersuchung steht, Rücksprache zu pflegen, und Sie die gütige Hoffnung ihme gegeben, daß Sie als Vertheitiger bey den Verhandlungen sowohl, als wenn er für das Standtgericht gestellt werden solle, solches zu übernehmen, was meinen Bruder sehr beruhiget, und alles Vertrauen auflhnen set- ze. “ Auch der Vater richtete Ende April 1850 aus Hüfingen einen Brief an Fickler, um ihn über die unternommenen Schritte und über die Anordnungen des Bezirks­ amts Donaueschingen an das Bürgermeisteramt zu unterrichten, nämlich: Vorladung von Lucian Reich, dessen Schwager Lithograph Johann Ne­ pomuk Heinemann so­ wie Josef Heinemann, Kunstmaler und Bruder des Vorgenannten, als Entlastungszeugen nach Rastatt; Vernehmung der Magd Felixe unter Eid, was genau sie von dem Wortwechsel zwischen Josef Neukum und den preußischen Sol­ daten gehört habe; Zeugnisse von geistlichen und weltlichen Vorgesetz- 162 ten über Alter, Vermögen, Familienverhält­ nisse und Leumund des Angeschuldigten, um sie an das Untersuchungsgericht in Ra­ statt weiterzuleiten. „Es sind nun“, schließt der Vater, ,,soweit mir möglich, die Schritte zur Entlastung meines Sohns geschehen, bitte daher Herrn Prefekt dringend mir nicht Übel zu nehmen wen ich die Vertheitigung meines Sohns gütigst anempfehle, ich werde, und die Mei­ nigen Zeit Lebens Ihnen danckbar sein.“ Für Fickler, der zu dieser Zeit seine Tätig­ keit als Verteidiger eigentlich schon beendet hatte, war es freilich eine Selbstverständlich­ keit, nochmals vor dem Standgericht aufzu­ treten und den jungen Neukum zu verteidi­ gen. Das Standgericht in Rastatt Am 11. Mai 1850, dem Jahrestag der Sol­ datenmeuterei in der Bundesfestung, stand Franz Josef Neukum vor dem Standgericht in Rastatt. Der anklagende Staatsanwalt hob diesen Umstand mit den Worten hervor, daß man „gerade heute einen Strafbaren sei­ nem Schicksal entgegenführe“. Die rechtli­ che Grundlage für die Verhandlung gegen Neukum bildete die erneute Verlängerung des Kriegszustands und des Standrechts, zuletzt am 3. Mai 1850. Die Standgerichte, zusammengesetzt aus sieben preußischen Militärs ver­ schiedener Dienstgrade, ur­ teilten hart. Es gab nur die Al­ ternativen Freispruch oder Tod bzw. 10 Jahre Zuchthaus, allenfalls Verweisung vor ein ordentliches Gericht. Todesur- Dieser Bronceadler – Verwendung und Standort bislang unbekannt – soll eine Hinterlassenschaft der preußi­ schen Truppen in Hiifingen sein (Stadtmuseum Hüfingen).

Geschichte Eine Verhandlung vor dem Standgericht 1849. Zeitgenössische Bleistifizeichnungvon}akob Götzenberger (Photo: Reiss-Museum Mannheim). teile wurden binnen 24 Stunden vollzogen. Eine Revision war nicht möglich, nur die Milderung des Urteils durch den Großher­ zog oder das Kriegsministerium. Das Verfahren gegen Neukum mutet ange­ sichts der konkreten Vmwürfe überzogen an: der Angeklagte war nicht wegen seiner Beteiligung an einem Gefecht oder wegen öffentlicher Aufwiegelung angeklagt, son­ dern nur wegen gesprächsweiser Äußerun­ gen, in die er sich verstrickt hatte. Aber die preußische Führung reagierte auf Beeinflus­ sungsversuche ihrer Soldaten rigide und ver­ langte ein kompromißloses Durchgreifen der badischen Behörden. Über den Verlauf der Standgerichtsver­ handlung gegen Neukum sind wir durch verschiedene Zeitungsberichte gut unter­ richtet. Die Situation war heikel: Staatsan­ walt Müller beschuldigte Neukum der Auf­ forderung zum Treuebruch und Aufruhr und forderte die Todesstrafe, weil das Verge­ hen klar auf der Hand liege und in die Zeit des Kriegszustandes falle. In brennenden Farben schilderte er das Elend, das durch die Lockerung der Zucht und Disziplin und die Verführung der Soldaten entstanden sei. Fickler wies diese Darstellung, die das Ge­ richt gegen den Angeklagten einnehmen sollte, zurück mit dem Zitat: ,,Wir brauchen die Beleuchtung nicht, Wir sehen’s Elend ohne Licht“. Seine Verteidigung scheint sehr eindrucks­ voll gewesen zu sein. ,,In einstündiger leb­ hafter Rede“, schreibt ein Berichterstatter, „welche an einigen Stellen an eine Bitterkeit streifte, die wir sonst an Herrn Fideler nicht gewohnt sind, bekämpfte die Vertheidigung die Ansichten der Anklage und stellte am fraglichen Verbrechen Absicht, Erfolg und Kompetenz des Standgerichts in Abrede.“ Neukum habe sich allenfalls eine Aufmun­ terung zur Insubordination zuschulden kommen lassen, keineswegs aber eine Ver­ führung zur Meuterei. Fickler beantragte Freispruch oder Verweisung vor ein ordent- 163

Ein Hüfinger vor dem Standgericht liebes Gericht. Die Verhandlung dauerte drei Stunden. Durch das entlastende Zeug­ nis von Lucian Reich und den Brüder Hei­ nemann sowie ergänzender schriftlicher Do­ kumente wurde nachgewiesen, daß Neu­ kum und seine ganze Familie in seiner Va­ terstadt zur regierungstreuen Partei gehör­ ten. Ein ärztliches Gutachten bescheinigte Neukum außerdem eine „durch seine Wun­ de verursachte Reizbarkeit und düstere Ge­ müthsstimmung“, denen seine provozie­ rend gemeinten Worte zuzuschreiben seien. Das Urteil, das der Vorsitzende Major Flies nach kurzer Beratung verkündete, lautete einstimmig auf 10 Jahre Zuchthausstrafe und erscheint, obwohl milder als der An­ trag des Staatsanwalts, als unangemessen hart: 10 Jahre Zuchthaus für zwei unbe­ dachte Äußerungen im kleinen Kreis, prak­ tisch im Privatgespräch. Hochrangige ba­ dische Militärs, so hörte man, hätten einige Monate Strafkompagnie für eine ausrei­ chende Sühne gehalten. Nicht wenige äußerten daher den Wunsch, das Standge­ richt „möchte von badischem Militär zu­ sammengesezt seyn, welches die Verhältnis­ se des Landes genauer kenne und so das größere oder geringere Maß der Strafbar­ keit genauer abzuwägen im Stande sei“. Reaktionen in Hüfingen Obwohl man in Hüfingen mit einer Ver­ urteilung Neukums rechnen mußte, war man über den Ausgang des Prozesses ent­ täuscht und betroffen, würdigte aber auch den – wenn auch nur zum Teil erfolgreichen – Einsatz Ficklers, der noch Schlimmeres abgewendet hatte. Namhafte Persönlichkei­ ten aus Donaueschingen i.:nd Hüfingen ver­ suchten, auf politischem Wege eine Milde­ rung des Urteils zu erreichen. Der mit Fick­ ler aus den gemeinsamen Donaueschinger Tagen befreundete einflußreiche Apotheker und Abgeordnete der 2. Badischen Kammer Ludwig Kirsner schrieb am Tag nach der Ver­ handlung folgende Zeilen an den Freund in 164 Rastatt: ,,Ich habe augenbliklich an den Kriegsminister geschrieben und Deinem Rathe gemäß um Verwandlung der Zucht­ hausstrafe des armen Burschen Neukumm in ‚Straf-Kompagnie‘ in meinem und seines Vaters Namen gebethen. Gott gebe, daß meine Bitte, die ich natürlich mit einigem Senf begleitete, etwas nüze. Du scheinst al­ lerdings wieder das Deinige mit gewohnter Meisterschaft gethan zu haben, indem Du die ‚marmorkalten‘ Standrichter zur Milde­ rung des von dem Staatsanwalt so hartnäkig geforderten Todesurtheiles zu stimmen wußtest. Neben dem Danke Deines Klien­ ten und seiner Verwandten möge Dich das Bewußtsein einer schönen That entschädi­ gen.“ Die Hoffnungen auf eine abmildernde Entscheidung des Kriegsministers von Rog­ genbach erfüllten sich indessen nicht. Im Auftrag des Bürgermeisters Neukum unter­ richtet Lucian Reich in einem Brief vom 14. Mai 1850 Fickler vom Fortgang der Bemü­ hungen, nicht ohne nochmals die wirkungs­ volle Verteidigungsstrategie Ficklers hervor­ zuheben, die er als Prozeßbeteiligter miter­ lebt hatte: ,,Euer Wohlgeboren! Herr Bürgermeister Neukum trug mir bei seiner Abreise von hier auf Ihnen den Eifolg seiner l–tr­ wendungfür seinen Neffen Franz Joseph zu be­ richten. ‚Der Kriegsminister sagte ihm daß die Be­ stätigung des Urtheils aiifgeschoben werde, bis zur Rückkehr des Großherzogs. Hoffnung zur Milde­ rung der Strafe wurde ihm wenig gemacht. Es scheint mir aus Allem daß das Ministerium sich eben nur deßwegen die Bestätigung vorbehielt 1oeil nach Lage der Ackten ein Todesurtheil mehr als wahrscheinlich war. Nur der trefflichen l–tr­ theidigung die wie es schien den Herr Staatsan­ walt zulezt dahin brachte das er völligfades Zeug vorbrachte, ist es zu verdancken daß ein solches nicht ausgesprochen wurde. Die bald eintreffende abschlägige Antwort

des Kriegsministeriums an Kirsner stellte klar, daß nach Lage der Dinge nur dem Großherzog eine Strafverwandlung zustehe, doch sei dies angesichts der zahlreichen Verführungsversuche an preußischen Solda­ ten aus politischer Rücksichtnahme derzeit nicht möglich. Das Gnadengesuch scheiter­ te also in erster Linie an der Forderung der preußischen Seite, das Gesetz in solchen Fäl­ len nach seiner ganzen Strenge anzuwen­ den. Alle Initiativen waren daher vergebens, Neukum mußte seine Strafe umgehend an­ treten. So bleibt dem Korrespondenten des Schwäbischen Merkur nur noch, seine Be­ richterstattung über das Standgericht gegen den Hüfinger Franz Josef Neukum unterm 17. Mai 1850 mit den wenigen, doch schick­ salsschweren Worten zu beschließen: ,,Das in der standrechtlichen Sitzung vom 11. Mai gegen den Soldaten Franz Neukum von Hüfingen gefällte Urtheil ist vom Großher­ zog!. Kriegsministerium bestätigt und der­ selbe gestern zur Erstehung einer zehnjähri­ gen Zuchthausstrafe von hier abgeführt wor­ den.“ Seine Strafe mußte Neukum nicht voll­ ständig absitzen. Er wurde später „aufWohl­ verhalten begnadigt“. Da er nicht in den Hüfinger Sippenbüchern verzeichnet ist, Geschichte scheint er nicht in seiner Heimatgemeinde gestorben zu sein. Peter Galli Q!,ellen· und Literaturangaben: Berichte in der (Augsburger) Allgemeinen Zeitung, Karls­ ruher Zeitung, Schwäbische Kronik/Schwäbischer Merkur. Autographensammlung des Fürstlich-Fürstenbergischen Archivs Donauesdiingen und des Reiss-Museums Mann­ heim. L. Reich: Blätter aus meinem Denkbud1. In: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturge chichte der Baar, H. 9, 1896, s. 34. Köberle, Albert: Sippenbuch der Stadt Hüfingen, Land­ kreis Donaueschingen in Baden, Grafenhausen bei Lahr 1962 (Deutsche Ortssippenbücher Bd. 30). 1l10rbecke, A.: Karl Alois Fickler. In: Badische Biogra­ phien, T. 1, Heidelberg 1875, S. 247-249. Weber, Max: C. B. A. Fickler, der Chronist der Jahre 1848/49. ln: Humanitas. 150 Jahre Ludwig-Wilhelm-Gym­ nasium Rastatt, (Rastatt 1958), S. 146-153. Wolfgang Hilpert: Carl Borromäus Fickler – konservativer Q,erkopf im Spannungsfeld von AmtspAicht und Neigung. ln: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschich­ te der Baar, Bd. 40, 1997, S.11-119 und Bd. 41, 1998, S. 84- 94. Das Schwarze Meer Wo hat denn nur das Schwarze Meer seine schwarze Farbe her. So fragt sich mancher, der dort war. Doch ist die Antwort sonnenklar. Zum x-ten Mal sei hier verkündet: Ins Schwarze Meer die Donau mündet. Und die Donau entspringt wo? Im Schwarzwald schon seit ultimo. Wo im Schwarzwald ist egal. Ob im Gebirge oder Tal. Ergo hat das Schwarze Meer vom Schwarzwald seinen Namen her. Farbloses Meer hieß sonst die Pfütze. Und wäre so zu nicht viel nütze. Dietrich Schnerring 165

Ge chichte 1000 Jahre Villinger Marktrecht Die Verleihungsurkunde von 999 ist einzigartig – Marktrecht macht Aufbau der Stadt erst möglich Die heutige Stellung des Oberzentrums Villingen-Schwenningen als „Hauptstadt“ des Landkreises ist eine der sichtbaren Fol­ gen jener Urkunde des Jahres 999, mit wel­ cher der Zähringerahn Graf Bert(h)old von Kaiser Otto III. das Recht zuerkannt hielt, einen Handelsplatz (Markt) zu errichten, verbunden mit den weiteren Rechten der Münze, des Zolles und der Gerichtsbarkeit. Ohne dieses bis heute im Generallandes­ archiv Karlsruhe erhaltene Pergament wäre Villingen nie zu jener Kreis-und Industrie­ stadt geworden, die in vielfältiger Weise in Richtung Bodensee, Schweizer Grenze und Bodensee ausstrahlt. Mehr noch, der Um­ fang der verliehenen Rechte war eine Wei­ tergabe königlicher Privilegien, wie sie an­ dernorts im späteren Mittelalter zur Ausbil­ dung von Landesherrschaften geführt ha­ ben. Wäre die Geschichte anders verlaufen, könnten wir heute vielleicht nicht nur von einem Kreis, sondern von einem Land Schwarzwald-Baar mit der Landeshaupt­ stadt Villingen sprechen. Dabei sah es zunächst nicht danach aus, daß das erstmals im Jahre 817 genannte DorfVillingen durch einen Markt auf dem Eigenbesitz des Gründers ergänzt wer- den würde, aus dem später die Stadt hervorging. Die in der Ludwigs Urkunde des Frommen ebenfalls ge­ nannten Nachbarorte wie beispielsweise Schwen­ ningen oder Pfohren wa­ ren in jener Zeit dem Dorfe Villingen in Größe und Bedeutung ähnlich und hätten daher bei günstigen Umständen gleichfalls den Weg zu einem 166 1000 Jahre Marktrecht Villingen Villingen-Schwenningen feiert. städtischen Ge­ meinwesen neh­ men können. Ja, manche als Sitze anscheinend be- deu tendere ala- mannische Adels- geschlechter (Schwenningen) waren dazu prädestiniert. Jedoch -das Blutbad von Cannstatt 746 hat den Lauf der Geschichte geändert, so wie auch ein weiterer Akt der Grausamkeit, welcher die Zeitgenossen tief erschütterte, bei der Entstehung des Mark­ tes, der späteren Stadt Villingen, Pate ge­ standen hat. Kaiser Otto III., dem die Erneuerung des Kaisertumes der Römer Anliegen war, ließ sich von seinem zu Papst Gregor V. erhobe­ nen Vetter Brun von Kärnten 996 in Rom zum Kaiser krönen. Der Hilferuf des durch den verräterischen Führer des römischen Stadtadels, Crescentius II., vertriebenen Vet­ ters und dessen Einsetzung des Gegenpap­ stes Johannes Philagatos, eines abtrünnigen Vertrauten des Kaiserhauses, zwang den in­ zwischen nach Sachsen geeilten Otto zur Rückkehr nach Italien. Im Winter 997 über- querte er die Alpen, im Februar 998 begann von Ravenna aus der Vormarsch auf Rom. Sehr schnell fiel der Gegenpapst einer Abteilung des deut­ schen Heeres unter Führung des Grafen Bertold in die Hände. Silberner Villinger Denar, die ersten Münzprägungen vermu­ tet man um 1030/40.

1000 Jahre Wlinger Marktrecht Ansicht der Stadt Villingen im Jahr 1643, Kupferstich von Matthäus Merian. Dieser ließ Johannes Philagatos blenden und grausam an Nase, Ohren und Zunge verstümmeln. Anschließend unterzog man den Gequälten noch der schimpflichen Pro­ zedur des W ürdenentzuges: Man zog ihm noch einmal die Papstgewänder an, riß sie ihm dann vom Leibe und trieb ihn durch die Straßen Roms, wobei er verkehrt herum auf einem Esel reiten mußte, dessen Schwanz er als Zügel in die Hand erhielt. Unumstritten ist, daß der in einem Papst­ katalog (Liber pontificalis) als „Birchtilo“ bezeichnete Anführer der Truppen in Rom mit den in anderen Urkunden „Bertold“ ge­ nannten Adligen (Grafen) gleichzusetzen ist, der in Villingen als Begründer der urba­ nen Tradition angesehen wird. Ob die drit­ te Namensform „Bezelin“ (von Villingen) in weiteren Dokumenten ebenfalls dieselbe Person bezeichnet, bleibt allerdings noch umstritten. Es könnte auch sein, daß Ber­ thold/Birchtilo der Vater Bezelins ist. Aufgrund seines militärischen Erfolges konnte Bertold es auch wagen, auf Vermitt­ lung Herzogs Hermanns II. von Schwaben in der kaiserlichen Burg auf dem Palatin an Otto die Bitte um ein Marktprivileg heran­ zutragen. Dies wurde dem treuen Vasallen gewährt und so kommt es, daß die „Grün­ dungsurkunde“ der Stadt Villingen vom 29. März 999 als Ausstellerort die Stadt Rom nennt und mit der Metallbulle Ottos besie­ gelt ist, welche die seit Frühjahr 998 nach­ gewiesene Umschrift „Renovatio imperii Romanorum“ trägt. Dieses „einsame Licht in weiter Finsternis“ (Paul Revellio) der Stadtgeschichte besitzt für die Geschichte der ottonischen Zeit eine besondere Bedeutung. Das Dokument von 999 ist in seiner Art einzigartig , denn eine weitere Marktverleihung der gleichen Zeit an einen weltlichen Adligen unter ähnlichen Bedingungen ist nur aus einer späteren Be­ stätigungsurkunde bekannt. Noch weitere Besonderheiten lassen sich aus der überkommenen Urkunde ableiten. Seit Mitte des 10. Jahrhunderts etwa ist eine Welle von Marktrechtsverleihungen ottoni­ scher Herrscher feststellbar, die jedoch zu­ nächst die großen Reichsklöster St. Gallen, Lorsch, Gandersheim, Bischofskirchen, Bre­ men und Verden begünstigt. So erhält das Kloster St.Gallen 947 ein Marktprivileg für Rorschach, Abt Alawich von der Reichenau empfangt nach 997 das Marktrecht für Al­ lensbach. 167

Geschichte Andere Märkte weltlicher Großer vollziehen sich auf Königsgut in Anlehnung an ein Kloster und sind zumeist Gründungen von nahen Ver­ wandten der ottonischen Herr­ scher. Im Jahre nach Christi Geburt 993 erhält das von Kaiserin Adelheid gegründete elsässi­ sche Kloster Seiz einen Markt, im Mai 999 schließlich geht ein Privileg an den Grafen Eberhard von Altdorf / Elsaß, wo das von der Grafenfamilie gegründete Cyriakkloster be­ heimatet ist. Die Ausnahme einer Markt­ ortgründung ohne Kloster ne­ ben Villingen bietet nur noch Donauwörth. Aus einer Be­ stätigungsurkunde Konrads II. von 1030 ist zu schließen , daß der Adlige Aribo nach 996 ein Marktprivileg erhielt, obwohl der Ort ebenfalls keine religiö­ se Sammlung beherbergte. Erst der Sohn Manegold grün­ dete später das Frauenkloster zu Ehren des Heiligen Kreu­ zes. Überhaupt gilt die Schaffung eines völlig neuen Marktrech­ tes fur jene Zeit als selten, wenn nicht gar singulär, denn im allgemei­ nen erhielten weltliche Große vom Kaiser bereits bestehende Rechte zugewiesen. Die Verleihung eines bisher nicht bestehenden Marktrechtes an eine hochstehende Person, die mit dem ottonischen Haus nicht bluts­ verwandt war und zudem am vorgeschla­ genen Standort kein Kloster vorweisen konnte, steht daher in der Geschichte der späten Ottonenzeit als einzigartiger Akt da. Die Gründung und Festigung des Marktes Villingen wie die Wandlung zur Stadt ist schließlich insofern bemerkenswert, als ein Wochenmarkt beim Miinste1; gesehen vom Alten Ralhaus aus. Zusammenspiel von glücklichen Umstän­ den manch Hindernis beiseite räumen konnte. Ein glücklicher Umstand war zunächst einmal der Erhalt eines Marktprivilegs selbst. Die gelungene militärische Expediti­ on wie die Nähe zum König schufen die Voraussetzung, daß sich die Dankbarkeit Ottos in einer so außergewöhnlichen Privi­ legierung ausdrücken konnte. Birchtilo/Ber­ told steht am Anfang einer Reihe privile­ gierter Adliger, die in der Forschung als Be­ ginn einer Begünstigung weltlicher Wür- 168

denträger durch das ottonische Kaiserhaus gesehen wird. Zudem erbat Graf Bertold/Birchtilo das Marktprivileg nicht etwa für einen Ort in seinem damaligen Amtsbezirk Thurgau, sondern für eine kleine, aber ihm eigene Grundherrschaft im klimatisch ungünstige­ ren Villingen, wo ein Hildebrand die Graf­ schaftsgewalt innehatte. Auch hätte Bertold den Markt in einem weiteren kleinen Grundbesitz an der oberen Donau ansie­ deln können oder den Markt in den wär­ meren Breisgau verlegen, wo er urkundlich 1004 amtierte. Die ihm in der Verleihungs­ urkunde von 999 zugestandenen Rechte zur beliebigen Verlegung und Veräußerung des Marktes wie der damit verbundenen Ge­ richts-, Münz-und Zollgewalt hätten dies ohne weiteres möglich gemacht. Der Glau­ ben an die Entwicklungs-und damit Er­ tragskraft des von ihm gewählten Standortes Villingen, verbunden wohl mit einer gewis­ sen Standhaftigkeit und einem Sinn für stra­ tegisch wichtige Positionen sind mitwirken­ de „weiche“ Faktoren für die Aufrechterhal­ tung des neuen Marktortes Villingen gewe­ sen, die zwar vermutet, durch die schrifi:li­ che Überlieferung jedoch kaum bewiesen werden können. Bertold muß mit großer Energie seinem Markt Leben eingehaucht haben. Denn selbst als die Zähringer, jene heute unbe­ strittenen Nachfahren Bertolds, ihren Herr­ schaftssitz in der zweiten Hälfte des 11. Jahr­ hunderts von der Baar in den Breisgau ver­ legten, tat dies dem jungen Markt keinen Abbruch, sondern der langsame Prozeß der Stadtwerdung setzte sich ohne tiefen Einschnitt fort. Region suchen, wo in nähe-1. Dabei mußte das neue Vil- « lingen seinen Platz in einer {/, rer oder weiterer Entfernung durchaus bereits große Märkte oder Gemeinwesen mit langer urbaner Tradition und damit einer starken An- Villingen und sein Umfeld 1000 Jahre Villinger Marktrecht ziehungskraft bestanden. Schon das Markt­ privileg verweist bei der Erwähnung des frei­ en Zuganges und Handels auf die Märkte Konstanz und Zürich, was eine Vorstellung Villingens als nördlichen Marktort in einem noch zu bestimmenden Raum vermuten läßt. Die historische Forschung hat sich bis­ her der Bestimmung dieses Verhältnisses zwischen den Marktorten noch nicht ange­ nommen. Wie aber stand es mit den Städten im näheren Umfeld? Eine Siedlung wie Rott­ weil mit ununterbrochenem Bestand und Zentralortsfunktion seit der römischen Zeit, dann mit Königshof und Fiskalbezirk hätte der Entwicklung Villingens doch hinderlich sein können. Auch die kirchliche Zentralfunktion (De­ kanat) lag zu jener Zeit nicht in der Nähe Villingens, sondern weiter südlich in Aasen nahe des Königsgutes Neudingen. Wenn aber dieses Fehlen sowohl eines über die dörfliche Stellung hinausreichen­ den Verwaltungskernes wie einer kirchlichen Zentralität für Gründung und Aufblühen des neuen Marktes keine Hinderungsgründe darstellten dann nur, weil andere, positive Faktoren am Ende überwogen. Der Zeitpunkt der Erteilung des Marktpri­ vileges fallt zusammen mit einer der Stadt­ entstehung allgemein günstigen Periode. Das europäische und damit auch das süd­ westdeutsche Städtewesen an der Wende zum 2. Jahrtausend n. Chr. erlebte eine neue Blüte. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts machte sich ein wirtschaftlicher Aufschwung bemerkbar, der durch Steige­ rung der landwirtschaftli- Villinger Siegel aus dem Jahr 1284. 169

Geschichte chen Produktion und Belebung des Handels wie des Handwerkes ge­ kennzeichnet war. Gleichzeitig erfolgte ein Anstieg der Bevöl­ kerungszahl. Diese Verbesserung der Le­ bensbedingungen war eine Folge der Seßhaftigkeit der in Europa eingedrungenen Völker der Araber, Wikinger und – vor allem in unserem Raum – der Un­ garn (letzter Einfall auf die Reichenau 925). Dazu kamen technische Neuerungen in der Landwirtschaft durch bessere Nut­ zung bei gleichzeitiger Schonung der Bö­ den: Dreifelderwirtschaft, neuartige Ge­ schirre zum Anspannen von Ochsen und Pferden, wassergetriebene Mühlräder. Die Intensivierung der internationalen Han­ delsbeziehungen, insbesondere im Mittel­ meerraum, wirkten auch auf die Binnenlän­ der und begünstigten bis in Kleinregionen hinein die Entstehung von Märkten, mithin Städten. Die Bevölkerungszunahme bei gleichzeiti­ ger Verknappung der Arbeit auf dem Land erhöhte die Zahl von Handwerkern und Händlern. Diese siedelten sich entweder am Rande bestehender Städte vor den Mauern an und bildeten Vorstädte oder nutzten die Gunst von Markt- oder Stadtgründungen, um sich auf dem Boden des entstehenden Gemeinwesens niederzulassen. Der Markt Villingen hat sicher von dieser Bewegung profitiert und Personen aus dem Umland angezogen. Vor allem die Verbindung des reinen Rech­ tes zur Einrichtung eines Marktes mit ande­ ren Rechten hat sich für Villingen vorteilhaft ausgewirkt. Das mitverliehene Münzregal war eine gute Voraussetzung zur Belebung eines Marktes, da die Bezahlung mit Silbermün­ zen einen Warenzustrom über reine Agrar­ güter hinaus begünstigte. Ein weiteres Di­ plom Ottos III. an Birchtilo/Bertold zur Kirche in Sulzburg läßt vermuten, daß das 170 Das Stadtsiegel von 1540. Silber für die Villinger Münzen aus jenem Gebiet kam, so daß am Rohstoff für die Münzherstellung kein Mangel bestand. Das scheinbar den Privile­ gierten bereichernde Zoll­ recht war jedoch auch für das Marktgeschehen förderlich. Nicht nur, daß der Zollherr es vorsichtig an­ wenden mußte, um den Warenaustausch nicht zu ersticken. Die aus dem Warenver­ kehr fließenden Einnahmen konnten zur Verbesserung der Infrastruktr des Marktes verwandt werden. Vergessen werden soll auch nicht, auf die für den Handel und Warenaustauch günsti­ ge Lage des Villinger Marktes am Schnitt­ punkt z�eier herausragender Handelswege zu verweisen. Der neue Markt lag an der seit römischer Zeit stark frequentierten sogenannten „Peu­ tingerstraße“ von Rottweil über Hüfingen nach Brugg (Schweiz), also an einem Ver­ kehrsweg, auf dem der Warentransport mit der erwähnten Intensivierung des Fernhan­ dels zugenommen haben muß. In Villingen bog auch die Straße in das Kinzigtal und weiter rheinaufwärts ab, der Ort lag also an einem verkehrstechnisch günstigen Straßen­ kreuz. Villingen bildete demnach eine wirtschaft­ liche Einheit, in der wesentliche, zur Dyna­ misierung der Wirtschaft sich gegenseitig be­ günstigende Rechte zusammen mit einem guten Standort einen Marktort so lebendig erhielten, daß er sich zu einer Stadt weiter­ entwickeln konnte. Die demographischen und ökonomischen Bedingungen müssen somit als diejenigen Bedingungen gesehen werden, die Entste­ hung eines Marktes, später einer Stadt Vil­ lingen in Konkurrenz zu bestehenden, und politisch ursprünglich bedeutenderen Orten

erlaubten. Die Gründung des Marktes Vil­ lingen neben dem bisherigen DorfVillingen brachte eine Entwicklung in Gang, die zur Entstehung der bedeutendsten Stadt auf der Baar geführt hat. Die Verlegung des Herr­ schaftszentrums der Zähringer, der Nach­ fahren Bertolds, Mitte des 11. Jh. von der Baar in den Breisgau hat der Stadtwerdung nicht geschadet. Bis gegen Ende des 13.Jh. kam es zu einer Erosion der dem Marktgründer ursprüng­ lich zugestandenen Rechte und zur Ausbil­ dung einer wehrhaften Stadt mit eigenem Stadtrecht und bürgerlicher Selbstverwal­ tung. Nach 1120 wurde die Stadtanlage in Angriff genommen, deren Grundzüge wir noch im heutigen Straßenverlauf erkennen. Nach 1200 schloß sich der Mauerring um das neue Stadtgebilde. Ein Stadtgericht ent- 1000 Jahre Villingcr Markrrecht stand aus dem Marktgericht. Ab 1225 ist die Selbstverwaltung in Form des Ratskollegi­ ums der Vierundzwanzig nachweisbar. Nach Übergang an das Haus Habsburg durfte die Stadt die Zollstellen auch selbst besetzen. So war am Ende die Villinger Bürgerschaft die eigentliche Nutznießerin jenes Schen­ kungsaktes, der Villingen ein tausendjähri­ ges Bestehen verschaffte, das allen Grund zum Feiern gibt. Joachim Sturm Eine ausführliche Darlegung des derzeitigen Forschungsstandes findet sich in: Vtllingen und Schwenningen. Geschichte und Kultur, Kuhn­ Verlag, V illingen-Schwenningen, 1998, ISBN 3- 87450-035-7. Impression vom Villinger Markt, Samstag für Samstag ein Treffpunkt nicht nur für die Bürger der Dop­ pelstadt, sondern für Menschen aus dem gesamten Landkreis. 171

1000 Jahre Villinger Marktrechl Marktszene in Villingen, Aquarell von Helmut Groß. De Villinger Märtplatz Duesch Du emol durchs Schtädtli gau, bliibsch gwiß am Märtplatz eweng schtau, gucksch d’Schtrooße nab noch älle Siite; froogsch Dich, wa soll der Platz bediite? De Märt isch dod1 am Münsd1terplatz; der Name isd1 direkt fer d’Katz. Ko Denkmal fer en große Maa, kann Brunne, wo mer lättere kaa! Doch wie mer d’Zähringer so kennt, hond die sid1 mit dem Platz ebs denkt. Es Lebe inre alte Schtadt war frühr nit äbel schän und glatt. Ob Handel, Wandel, Zunft und Schtand, mer hät regiert mit feschter Hand. Durch d’Marktordnung hond schtrengi Herre beschtimmt, wenn, wo, en Märt darf ghalte werre. Wo die vier Schtrooße zämmelaufe, nu dert isch Märt als gsii zum Kaufe. 172 ’s ganz Umland hät sich denoo grichtet; fer Rueh und Schutz war mer verpflichtet. Sehteil vor Dir i de Fantasii; Wa isd1 am Märt fer Lebe gsii und au im Kaufhuus glii denebe! Doch manchem Tropf ischs dert as Lebe. Vum Erker hät mers Urteil gsd1proche und au so manchen Sd1tab als brache! Vum Platz siehsch Hiiser, Türm und Tor; wem kunnt des nit romantisch vor. De Märtplatz hät zu älle Züte manchs derfe säeh, manchs miese liide. Drum dond en au weng äschtemiere und nit so bis ufs Bluet blamiere! Des Wort „Latschari“ bringt ihm Fruscht; wer’s sait, klopf a di oege Bruscht! Elisabeth Neugart

Von eichenen Schwellen, Kies und Bauhütten Ein „nebensächlicher Aspekt“ beim Bau der Schwarzwaldbahn Geschichte ‚8abif dJer edJUJer;:: UJalb::!1,dJnt,an. [268](1) m3ir bcabfidjtigcn bie �ctf!efümg ber bcfinitit,cn 6cf}1ucllcn aunb 6d]ienrnfogc, uom �nbe bcr 6tation 6t. @eorgen biß aum 6cfJacfJt III be� 6ommerau, Aus Anlaß des 125jährigen Bestehens der Schwarzwaldbahn beleuchtet der Almanach ein Stück „kleine Bahngeschichte“. Einmal nicht die in aller Welt bekannten Tunnelbauten Robert Gerwigs stehen im Mittelpunkt, sondern die Vt!r­ gabe zahlreicher Aefträge im Zusammenhang mit dem Bahnbau. Immerhin war der Bau der Schwarzwaldbahn das bis zu diesem Zeitpunkt größte öffentliche Bauprojekt im heutigen Land­ kreis, bot der Bahnbau vielen Menschen eine will­ kommene Erwerbsmöglichkeit. Ein bisher kaum beachteter Aspekt bei Untersuchungen über den Bau der Schwarz­ waldbahn (1867-73) ist die Auftragsvergabe für kleinere Objekte meist buchstäblich am Rand der Strecke – aber auch der Verkauf von Baumaterialien und der Ankauf von nicht mehr brauchbaren Geräten und aus­ gedienten Materialien. So finden wir in der Zeitung „Der Schwarzwälder“ (Erschei­ nungsort Villingen) neben Werbung für Runkelrübensetzlinge und Bettfedern, ne­ ben Reklame für den „Königtrank“ (ein Rheumamittel) und Hinweisen für Auswan­ derer, neben Lehrstellenangeboten für Schmiede und Steinhauer und Reklame für Versicherungen vereinzelt Annoncen von Akkordanten (Bauunternehmer, die die ein- XunneC�, mit annä[Jernb 3 700 (fb. Wleter@clei�liinge., im@an0en an einen Ucbernc�mer in 2lftorb 0u uergel>cn 11nb laben !Be1tm&er um bief e 2ltbeit ein, i[Jrc mngebote f d]riftli� unb ocrficgc(t, f oluic mit ber 2luff�rift: ,,@cfcif’fage“ Jerfc(Jen, &i�· !’a,mtafi, 17. t]r�r•11r, !Rornt•• 10 U�r, auf bcm @cf cf?äft�;immer ber unter� 1ciC9ncten (5telle ein0urci�en Ausschreibung von Arbeiten für die Gleisanlage der Schwarzwaldbahn im Jahr 1873. Eine Anzeige aus der Villinger Zeitung der ,,Schwarzwälder“. zeinen Arbeiten als Akkorde übernahmen), sehr häufig aber Anzeigen der Großherzog­ lichen Eisenbahn – Inspektion Triberg, oft versehen mit einem Züglein oder bei Klein­ anzeigen nur mit einem oder zwei Loko­ morivchen. Für manchen Handwerkerbe­ trieb wird es sich um willkommene Aufträ­ ge gehandelt haben, die Wirtschaft erfuhr vorübergehend eine spürbare Belebung, auf manchen Bauernhof kam durch den Ver- Hölzener Bremsschuh für Waggons und Loko­ motiven. 173

Bau der Schwarzwaldbahn kauf des Streifens Lands, das die neue Bahn beanspruchte, er­ wünschtes Bargeld, abgesehen von der Vermietung von Schlafstellen und der Verköstigung für Hunder­ te von Bahnarbeitern und ihre Ak­ kordanten. Einige Beispiele mögen einen Einblick in Angebot und Nachfra­ ge von Materialien geben, die voll­ zählige Wiedergabe aller Inserate kann nicht die Absicht dieser Dar­ stellung sein. Da wurden Bauhüt­ ten, sog. Schilderhäuser gebraucht, 1868 wurden gleich sieben ausge­ schrieben. Eine Ausschreibung vom 7. Oktober 1873 für 16 solcher (heizbarer) Bauten nennt als Ko­ sten für Maurer-, Zimmer-, Blech­ ner- und Tüncherarbeit, außerdem für „Verschiedenes“ 230 Gulden. Bei einem Bahnwartshaus kamen noch Grabarbeiten, Steinhauer-, Schreiner-, Glaser- und Schlosser­ arbeiten hinzu. Die Summe belief sich auf 3 876 Gulden 47 Kreuzer. Nicht genau eruierbar sind die Ko­ sten für das „Wohn- und Ökono­ miegebäude der Station Triberg“, da es gleichzeitig mit vier Bahn­ wartshäusern ausgeschrieben wurde. Für Gewölbsteine, die aus Granit oder Sandstein sein durften, wurden die genauen Anlieferungsstellen genannt, z.B. das unte­ re Tor des Gremmelbach-Tunnels „oberhalb dem Orte Gremmelsbach“: 250 cbm mit 48 cm, 500 cbm mit 36 cm Höhe. Um den Tunnelbau in Betrieb nehmen zu können, wurden für das Jahr 1869 „8 000 lfde. Fuß 6″ (Zoll) weite Röhren aus verblei­ tem Bleche“ ausgeschrieben. (Die Umstel­ lung von Fuß, Zoll und Ruthe auf„das neue französische Maß“ Meter erfolgte im Lauf der Baumaßnahme.) Im letzten Stadium des Bahnbaus wurden große Mengen Kies aufgeschüttet. Die Aus­ schreibung von Sektions-Ingenieur Seyb in 174 �sserwaage zur Nivellierung von Schienen und Messung der Kurveniiberhöhung – beim Eisenbahnbau waren zahlreiche Präzisionsmeßgeräte nötig. Hornberg nennt 15 000 cbm, von „Ueber­ nehmungslustigen zu gewinnen am oberen Ende der Station Hausach und auf der de­ finitiven Bahn zu verführen, wozu dem Uebernehmer Locomotive und Transport­ wagen zur Verfügung gestellt werden.“ Vier Monate vor Eröffnung der Bahn wurden kilometerweise das Schotterbett und die Schwellen ausgeschrieben. Bei den Schwel­ len wurde differenziert: 400 eichene Schwel­ len, 300 eichene Zwischenschwellen und 2 900 Nadelholz – Zwischenschwellen, 190 eichene und tannene Weichenschwellen, ei­ chene Brückenschwellen. Die Hölzer muß­ ten zuvor zum Imprägnieren zur Kyanisier­ anstalt nach Villingen gebracht werden. Zur Station Triberg konnten 764 eichene kanti-

Geschichte ‚ßabif dJcr edjwar�walbba�nb11u. �-:f!i:- – [405](1) �ic !lu!mauming nnd/O�nb u rr;riifinrlcr ltunnd! bn ila�nOrccsc .}orrilmg,61. l.!Sorgrn, umunbn mit Ucrjd/irb,nrn !IJlinmrar, btitm, 11r9rbtn wir n1it ��rcr �tdf/ligung, im !!Beg, fd/rifllif/tn !l!nge, bolri, unb !l11tT: a. � l!lt11111rran11 ,u,-rr111•ffer, 1) �11 !llkbtttuaficr llr�rlunn,I, 6igna! 1590, auf uor, 2) bn ltunm( btim 4. illaucr, 6igna( 1640, auf uor, 3) bcn ltu1111l im 909,11 !der, bei 6i911n( 1680, auf 4) brn l:ijrubtr9tun11c!, Sig11a( 1775, auf 180 !IJltltt ldufiR l 80 !IJlrtrr l!dng,, 0u !dn!iR 200 !Dltkr l!d119,, 1u 30 IJJlrlcr ß119,, 1u l!dnnc, 1u „· ;lu !}t11111rfun9 l!lrr111111tlihdJ, 1!d1tR, 111 !IJlrlrr l!dngt, JU l!dngr, 111 l!dngt, JU &) �'“ .}i�)lu!baifil1111nd, 6ignal 1870, auf 30 !IJldt r 6) bcn lt1111nc! im llut;rnb«o, Signa( 1960, auf 159 7) bc11 !1Jlü9l9albcnlu1111cl, Si911a( 1935, auf 54 !Dldtr 8) bn J!aifcrtu1111d, Signa[ 2010, auf 27 !IJlcltt 9) bn Stdr11tva!blu11111(, auf 70 !IJlrlet l!dngr, 0u 10) bn jorrOt11lu1111,!, 6i911al 1985 , a11f 54 !IJltltt ll) bc11 @wnmcl!baf/tunur!, Signal 2340, auf 300 l!d11gr, III !Dlclcr l!dng,, 1u c. Sn l!lt11111rfu.9 ed)onadJ 111111 :trl6er9, 12) �11 grofirn ltribrrgcr .R,�r t11n11d, Signal �085, auf uur!du�g 237 9Jlrtcr 2’1119,, 1u urranfifi!agt filr: SB, Ja7 f!.; 45,684 f!.; 6495 fl.; 38,137 f{. Utranfd/lagt für: 6790 f{.; 29,038 ll; 10,372 f!.; 6228 f{.; 9607 f!.; 7909 fl.; 37,831 fl. Ucranff/!agt für: �6,240 f{. ge Pfähle bis zu 1,8 m Länge geliefert werden, dazu 270 tannene Latten von 4,80 m Länge und 24 „Rahmhölzer“ von 1,20 m Länge. Flöcklinge hatten 2 cm dick zu sein, Rahmenschenkel sollten die Maße 9/9 cm aufweisen. Der Durchmesser von Rundhölzern sollte 30-42 und 18-30 cm betragen. Verständlicherweise wurden vor In­ betriebnahme der Schwarzwaldbahn größere Mengen verarbeitetes Holz angekauft: Barrierepfosten für Weg­ übergänge, Warnungs-, Radien- und Gefällstücke mit Tafeln, Hölzer für Patentzugbarrieren,Pfostenfür Draht­ züge, dies alles aus Eichenholz; ferner eichene Pfosten und tannene Latten für Stationseinfriedungen für Kreuz- und Fußlattenhag. Gebraucht wurden aus Forlenholz: das Holzwerk für zwei Drehbarrieren, 16 Schieblatten und 140 Baumpfähle. Schienengleiche Bahnübergänge mußten gesichert werden. Dafür wur­ den in Akkord gegeben: Pfosten und Steine aus Granit oder Sandstein für Drehbarrieren, für Wegübergänge und eiserne Schieblatten, Abweis­ und Distanzsteine. 2 220 Marksteine aus Granit, der Sandstein zur Einsteinung des Bahngeländes, wurden bestellt und soll­ ten an genau bezeichneten Stellen vom „Glasträger bis zur Station St. Georgen“ abgelegt werden. Zur Abdeckung der Wasserab­ zugskanäle in den Tunnels nahm die Eisenbahninspekti­ on etwa 5 500 qm Steinplatten aus Granit oder Sandstein von 50 – 70 cm Breite und 15-18 cm Dicke. Unabhängig von den Aus­ schreibungen für die Großbau­ maßnahme an Strecke und Tun­ nels an die A.kkordanten wur­ den auch kleinere Aufträge an ortsansässige Handwerksbe- Eine große Auftragsvergabe beim Bau der Schwarzwald­ bahn war die Ausmauerung der Tunnels ( Anzeige aus dem „Schwarzwälder“.). triebe und arbeitssuchende Einheimische vergeben. ,,Bei der Einkiesung u. dem Re- guliren etc. der Bahnstrecke zwischen Hornberg und St. Georgen, fin­ den geübte Arbeiter gegen sehr guten Taglohn auf einige Zeit Beschäftigung.“ (3. Oktober 1873). An der Haltestelle Sommerau waren für weitere Gleisanlagen noch Erd- und Sprengarbeiten vorzunehmen. „Lusttragende“ konnten ein Löschwassersack: auch er durfte bei Eisenbahnbauarbeiten nicht fahlen. 175

Bau der chwarzwaldbahn Angebot im Geschäftszimmer der Inspekti­ on in Triberg einreichen (13. Nov. 1873). Fuhrunternehmen fanden am l. Mai 1873 im „Schwarzwälder“ das Angebot, Weichen­ und Brückenschwellen und Flöcklinge von Station und Kyanisierunganstalt Villingen zum Bahnhof St. Georgen, zur Sommerau und zum Bahnhof Triberg zu transportie­ ren. Maurer- und Steinhauerarbeiten vergab Inspektor Seyb, Hornberg, für die Herstel­ lung von Wegdohlen auf dem Bahnhof in Hausach, für drei Entleerungsgruben und für die Fundamente der dortigen Dreh­ scheibe. Schon mitten im Baugeschäft (August 1871) wurden nicht mehr brauchbare Mate­ rialien und Geräte zur Versteigerung ausge­ schrieben. Ventilationsröhren aus Zink- und verbleitem Eisenblech (im ganzen 47 Zent­ ner) wurden angeboten. Gußeisen (86 Zent­ ner), größtenteils Rollwagenräder, altes Schmiedeisen (52 Zentner), Schienenabfäl­ le, Rollwagenachsen, schließlich 14 Hand­ karrenräder. Versteigerung von Baumaterialien Erst recht nach Abschluß der Bauarbeiten wurden Baumaterialien nicht mehr ge­ braucht und versteigert. Bis zum 12. De­ zember 1872 wurden auf dem Bahndamm bei Gremmelsbach 16 Klafter (60 Ster) abgängiges Tunneleinbauholz versteigert. Mehrfach wurde altes Eisen ausgeschrieben (August 1872). 1873 schrieb Ingenieur Gra­ bendörfer etwa 5 500 kg Schmied- und Walzeisen, größtenteils von „Dienstbahn­ maschinen“, aus. Ort der Versteigerung war das Materialmagazin an der Kreuzbrücke (beim Amtsgericht in Triberg). Auch das Eisenbahnlazarett hatte nach Vollendung der Bahnstrecke seinen Dienst getan und wurde vom „Verwaltungsratl1″ … ,,dem Verkaufe ausgesetzt“. ,,Kaufliebhaber“ konnten davon „gutes Holzwerk“, Fenster, Türen und Steinmaterial erstehen. Nach Vollendung des Werks wollte Akkor- 176 Handbohrmaschine zum Vorbohren der Befesti­ gung der Schienen auf den Holzschwellen. dant Konrad Gollrad (im Seelenwald be­ schäftigt) neun Rollwagen, 60 Zentner Schienen, Stahlbohrer, Hebeisen, Bohr­ schlegel, Steinschlegel, eine leichte Fußwin­ de, 27 Pickel, 10 Schubkarren, 4 kupferne Ladstöcke und ca. 15 Zentner altes Eisen ab­ stoßen und schrieb dies alles zum Verkauf aus.

Siegelmarke der badischen Staats­ eisenbahnen. Von großem Interesse für die Nachwelt ist die Über­ nahme der Gerätschaften des Akkordanten Benonet nach der dramatischen Auf­ gabe des Betriebs im Grem­ melsbacher Tunnel an den Akkordanten Giacomo Batista am 10. Februar 1871. Durch diese (einzige erhaltene) Zusammenstel­ lung von Geräten wissen wir, welchen Troß die Eisenbahnbauunternehmer mitzufüh­ ren hatten, wie stark sie in finanzielle Vorla­ ge treten mußten (wozu auch noch die Kau­ tion von 5 % der Bausumme kam), bevor sie den ersten Gulden sahen. Den Besitzer wechselten: 15 Rollwagen, ein Steinwagen, 1000 Schwellen, 115 Laschen, 47 Schienen, 2 Herzstücke (Halterungen für die Bohrer?), ein Bureau (Baracke), 3 Schmieden mit Ein­ richtung mit Wagnerei, 8 Ketten, 3 Mer­ schel, 3 Baumsägen, 5 Rollen, 2 Steinschle­ gel, 28 Handfeisel, 6 Steinpickel, 6 Pickel, 15 Rollwagenhölzer, ein Brük­ kenwagen mit 4 Zentner Tragkraft, Pulverkisten, Öl­ kannen, Kasten und Ver­ schiedenes, 85 kupferne Lad­ stöcke, 20 Zentner Stahlboh­ rer, 320 Pfd. eiserne Bohrer, 206 Pfd. Hebeisen, eine Pul­ verbaracke, Laternen und verschiedenes Geschirr. Wo so viel Materialien her­ umliegen, verschlossen oder unverschlossen, war auch da­ mit zu rechnen, daß einmal Der Bau der Schwarzwaldbahn erfolgte zu einem Großteil in Handarbeit. Den Gerätschaften der Arbeiter sieht man den Ver­ wendungszweck deutlich an. Geschichte etwas in unberufene Hände kam. Gefahndet wurde (wohl erfolg­ los) nach dem Einbrecher, der dem Akkordanten Karl Böpp­ le in Gremmelsbach in der Nacht vom 19. zum 20. De­ zember 1872 „aus seinem Dynamitkeller mittelst Erbre­ chen 100 Stück große Zünd­ kapseln … mit weißem Zünd­ stoff ausgefüllt, entwendet(e)“. Bis „Der Schwarzwälder“ diese An­ zeige am 20. Februar 1873 veröffent­ lichte, konnte der Delinquent mit seiner Beute längst über alle Berge sein. Karl Volk illustriert mit Ausstellungsstücken des Eisenbahn­ museums der Sauschwänzlebahn, Blumberg. Q!iellen: „Der Schwarzwälder“, Villinger Anzei­ gen- und Wochenblatt. Ausgaben von 1868 bis 1873. Generallandesarchiv Karlsruhe 421/386. 177

Die weltberühmte Schwarzwaldbahn hat sich schon lange zu einer modernen Eisenbahn gewandelt. Im Sep­ tember 1998 wurde in Triberg das 125jährige Bestehen der fiir den gesamten Landkreis so wichtigen Ei­ senbahn gefeiert. Die Fotografie von Armin Kienzler zeigt den Bahnhof Triberg, Einfahrt eines ICE.

Geschich1e Ein Rathaus im Spiegel seiner Geschichte Mit dem Bild des Rathauses wandelte sich in St. Georgen auch das der Innenstadt Ein Spiegelbild der baulichen Veränderun­ gen in St. Georgens Innenstadt in den ver­ gangenen 30 Jahren ist das Rathaus. Sein Neubau in den Jahren 1968 bis 1971 mar­ kierte den ersten Schritt der Stadtkernsanie­ rung. Gleichzeitig änderte sich damals das vertraute Bild der Stadt. Mit dem alten Rat­ haus verschwand eine ganze Reihe klein­ maßstäblicher älterer Gebäude. Die Geschichte des alten Rathauses, also des Vorgängerbaus der jetzigen Stadtverwal­ tung, begann um die Mitte des vorigen Jahr­ hunderts. Damals wurde wiederholt auf den Mißstand aufmerksam gemacht, ,,daß es in St. Georgen an Lokalen für öffentliche und Gemeindezwecke sowie an Wohnungen für öffentliche Diener fehlt.“ Wiederholt be­ faßte sich der Bürgerausschuß mit diesem Problem. Nach dem Kauf geeigneter Grund­ stücke wurde schließlich beschlossen, ein kombiniertes Schul- und Rathaus mit Leh­ rerwohnungen zu errichten. Die Pläne fer­ tigte der Emmendinger Bauführer Kessler, der auch für den Neubau des Kirchenschiffs der evangelischen Lorenzkirche (1865 bis 1867) verantwortlich zeichnete. Nach einigen Planänderungen erteilte das Bezirksamt Villingen am 18. Juni 1867 die Baugenehmigung und noch im gleichen Jahr wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Gegen Jahresende 1868 war der Neubau bereits bezugsfertig, der Ausbau von Keller Das alte Rathaus von St. Georgen, 1867 erbaut, mußte 1968 einem Neubau weichen. 179

Rathaus St. Georgen und Speicher zog sich noch bis 1869 hin. Für den Bau wurden vorwiegend Steine von der Ruine der ehemaligen Klosterkirche ver­ wendet. Im März 1874 wurde die von Grü­ ninger in Villingen gegossene 134 Pfund schwere Rathausglocke im Dachreitertürm­ chen aufgehängt, ein Jahr später wurde die Uhr im Giebel angebracht. Multifunktional war damals das Gebäude. Die Verwaltung benötigte bei weitem noch nicht so viel Raum wie heute. In dem Haus, dessen Grundfläche 411 �adratmeter be­ trug, waren damals untergebracht das Bür­ germeisteramt, die Polizeiwache mit Ortsar­ rest, die städtische Sparkasse, drei Schulsäle und zwei Lehrerwohnungen. Zudem diente das Gebäude auch als Magazin für dieJahr­ marktstände und den Leichenwagen und Die alte Rathausuhr von St. Georgen befi.ndet sich seit 19 94 wieder am angestammten Platz, ist jetzt ein Prunkstück der Heimatsammlung. 180 war gleichzeitig Spritzenhaus der Feuerwehr. Die Stadtverwaltung beanspruchte nicht viel Raum: Im ersten Stock war das Bürgermei­ ster- und Ratszimmer untergebracht. Dane­ ben hatte die städtische Sparkasse einen Raum. Rechts vom Gang befand sich die Po­ lizeiwache mit Ortsarrest, daneben ein stei­ nernes Gewölbe, das Gemeindearchiv. Zur Gemeindeverwaltung gehörten damals ne­ ben Bürgermeister und Ratschreiber nur noch der Gemeinderechner und der Stadt­ baumeister. Bescheiden war damals auch die Ausrü­ stung der Feuerwehr. Ihre Gerätschaften be­ standen aus zwei Handdruckspritzen und zwei Schlauchwagen. Sie waren genauso im Rathaus untergebracht wie die bis zu 18 Me­ ter langen, von Hand aufzurichtenden Feu­ erwehrleitern. In drei Stockwerken des Ge­ bäudes waren zudem übereinander, jeweils über die ganze Breite des Hauses, die drei Schulsäle untergebracht. Die ganze Schule bestand damals aus sechs Klassen, von de­ nen drei am Vormittag und drei am Nach­ mittag unterrichtet wurden. Zudem fanden noch zwei Lehrerwohnungen in dem Haus Platz. Damals hatte St. Georgen rund 2 000 Einwohner. Mehr Platz für die Gemeindeverwaltung gab es dann bald nach der Jahrhundertwen­ de. Nach dem Bau eines neuen Schulhauses, der heutigen Robert-Gerwig-Schule, wurden die Schulräume 1905 frei. Trotzdem nahm die wachsende Verwaltung immer mehr Platz in Anspruch. In den Jahren 1917 und 1955 kaufte die Stadt einige Nachbargebäu­ de hinzu, so daß das Rathaus schließlich zu einem regelrechten „Verwaltungskomplex“ wurde. An das eigentliche Rathaus schlossen sich die Stadtkasse mit Rechnungsamt und Hausmeisterwohnung sowie das Haus Hauptstraße 13, in dessen Erdgeschoß noch ein Radiogeschäft untergebracht war, un­ mittelbar an. In einem anderen Gebäude be­ fanden sich Verkehrs- und Bauamt. Die be­ engten und provisorischen Verhältnisse, mit denen die St. Georgener Stadtverwaltung

Ge chichte Das Rathaus von 1972, die damals moderne Betonarchitektur ist überaus fimktionell. damals vorlieb nehmen mußte, erschwerten den Arbeitsalltag enorm. Eine weitere Besonderheit hatte das Rat­ haus noch aufzuweisen: Gut zwei Dutzend Einzelöfen, die das Hausmeister-Ehepaar im Winterhalbjahr jeden Morgen rechtzeitig vor Dienstbeginn anheizen mußte. Holz und Kohle waren zum Nachlegen in jedem Büro vorhanden; vergaßen die Bediensteten dies aber im Eifer des Gefechts, so bekamen sie eben die sprichwörtlichen kalten Füße. Ausgerechnet der Kachelofen im Dienst­ zimmer des Bürgermeisters hatte es in sich: Er wurde erst gegen Mittag und dann aber anhaltend warm. Vielleicht ganz praktisch für einen Rathauschef mit seinem oft späten Feierabend? Natürlich unheizbar, dafür mit seinen dicken Mauern unbedingt feuersi­ cher, war das städtische Archiv, ein spärlich beleuchtetes Gewölbe. Ende der 1950er Jahre war die Einwohner- zahl St. Georgens auf mittlerweile über 10 000 angestiegen. Für die Aufgaben der gewachsenen Stadtverwaltung waren die Räume im alten Rathaus inzwischen völlig unzureichend geworden. Das von 16 auf20 Räte angewachsene Gemeinderatsgremium mußte in Provisorien außerhalb des Rat­ hauses tagen und die Amtsstuben waren auf­ grund des angewachsenen Personalbestan­ des überfüllt. Die Bürger warteten in dunk­ len und tristen Gängen. So wurde der Wunsch nach einem neuen, zeitgemäßen Haus mit der Zeit immer größer. Gleichzei­ tig reiften Pläne, das komplette Zentrum der Stadt zu sanieren und damit ihren Kern für zentrale Aufgaben zu verbessern. Am 2. Juni 1964 wurde vom Gemeinderat der Beschluß zur Aufstellung eines Bebau­ ungsplanes gefaßt. Bereits einige Zeit zuvor, am 30. September 1964, hatte der Gemein­ derat die Ausschreibung eines auf das Land 181

Rathaus St. Georgen Baden-Württemberg ausgedehn­ ten Bauwettbewerbs beschlos­ sen. Insgesamt gingen 51 gültige Wettbewerbsarbeiten ein, die vom Preisgericht im Juni 1965 geprüft wurden. In seiner Sit­ zung vom 16. Juni 1966 be­ schloß der Gemeinderat, ent­ sprechend den Empfehlungen des Preisgerichts die weiteren Pla­ nungen an den ersten Preisträger des Wettbewerbs, Diplom-Inge­ nieur Robert Ackermann aus Warmbronn, zu vergeben. Am 12. Januar 1968 wurde mit dem Abbruch de alten Rathauses begonnen, im Mai begannen die Aushubarbeiten und im Sep­ tember der Rohbau. Die Arbeiten verzögerten sich durch den langen und schneereichen Winter 1968/69. Richtfest war dann am 5. Dezember 1969. Kurz vor Weihnachten 1971 war es endlich soweit: Die Verwaltung konnte ihre neue Heimat in Besitz nehmen. Entstanden war ein zweckmäßiger, großzü­ giger Neubau mit einer Gesamtfläche von 4 353 Qiadratmetern, von denen 1 565 Qiadratrneter auf Büroflächen, 115 Qia­ dratrneter auf den großen Sitzungssaal und 1 590 Qiadratmeter auf die Tiefgarage ent­ fallen. Im Rathaus untergebracht sind heu­ te alle Bereiche der städtischen Verwaltung, das Verkehrsamt, Teile des Heimatmuseums und das Phonomuseum, eine bedeutende Sammlung, welche die Entwicklung von der Edison-Walze über die legendären Gram­ mophone bis hin zur modernen Stereoan­ lage anschaulich aufzeigt. Seit der offiziellen Einweihung des neuen Rathauses am 9. Juni 1972 sind mehr als zweieinhalb Jahrzehnte ins Land gezogen, längst hat sich die Funktionalität des Hauses bestens bewährt – auch wenn die moderne Betonarchitektur bei vielen St. Georgenern noch immer nicht auf große Gegenliebe ge­ stoßen ist. Was in den Jahren des Neubaus 182 Ein Phonomuseum befindet sich gleichfalls im St. Georgener Rat­ haus, sd,liifJlich wird damit ein bedeutendes Stiick Heimatge­ schichte präsentiert. zeitgemäß war, gilt heute bei vielen als see­ lenlos und kalt. So ändern sich die Zeiten! Ein klein wenig von der Zeit des alten Rat­ hauses haben die St. Georgener inzwischen jedoch wieder zurückbekommen – und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn die al­ te Rathausuhr ist wieder da. 1967 hatte das Werk seinen Geist aufgegeben. Repariert wurde es nicht mehr, weil sein „Tod“ mit dem Rathausneubau, der ein Jahr später be­ gann, sowieso beschlossene Sache war. Das Uhrwerk fand nach dem Bau des neuen Rat­ hauses seinen Platz im Heimatmuseum. Das große Emailzifferblatt hingegen war nach dem Rathausabbruch einige Zeit verschwun­ den, soll dann im Schaufenster eines Textil­ geschäftes aufgetaucht sein, ehe es wieder verschwand. Nach langen Recherchen wur­ de das gute Stück dann im Garten eines St. Georgeners aufgestöbert. Die alte Rat­ hausglocke fand im Feuerwehrgerätehaus ei­ ne Bleibe. Sie kehrte im Frühjahr 1994 ins Treppenhaus des Rathauses zurück, ebenso wie das Zifferblatt. Das frisch überholte Werk sorgt nun dafür, daß wieder ein Stück Alt-St. Georgen im Herzen der Stadt tickt. Jochen Schultheiß

Die Deutsche Mark und die Fahrradschlange 50 Jahre Währungsreform -Mit der „Kopfquote“ wurde im Landkreis sparsamst umgegangen war das Fahrrad von Jahr zu Jahr auf dem Im März 1998 wurden 50 Jahre Währungs­ Lande ein Objekt geworden, mit dem man reform gefeiert, die Geburtsstunde der Deut­ ebenso haushälterisch umging wie mit dem schen Mark. Am Beispiel zweier Zeitungs­ letzten Sonntagsanzug. Die Burschen und berichte soll an die Einführung der D-Mark jungen Mädchen fuhren ihre Fahrräder im Landkreis erinnert werden. Sie schildern meist nur noch an Sonntagen, wenn es zum den Tag des Geldumtausches und die teils Tanz in die Nachbardörfer ging, spazieren. katastrophale Ernährungslage. Die Kopfquote, jener Umstellungsmodus, An Werktagen, bei Gängen in die Stadt, be­ nutzten sie die Eisenbahn oder das über­ der den Geldumtausch regelte, beherrschte füllte Postauto. Und selbst einen längeren 1948 das Tagesgespräch Die Regelung war und kürzeren Anmarsch zu Fuß nahm man komplex, einige Beispiele: Privatpersonen in Kauf, um die kostbaren Fahrradreifen zu erhielten 40 Deutsche Mark, später kamen sparen. weitere 20 Mark hinzu. Für Unternehmen Es war so noch vor wenigen Tagen. Nach gab es 60 Mark pro Beschäftigtem. Am Bei­ spiel der Bezirkssparkasse Furtwangen kann dem Geldsturz aber steckten die Männer, Frauen und Burschen aus den Dörfern die aufgezeigt werden, was das in der Realität bedeutete: Ihr Giroguthaben war von einer Stunde auf die andere statt 5,230 Millionen Reichsmark noch 4 38 302 Deutsche Mark wert. Die Spareinlagen der Menschen in Furtwangen schrumpfen von 13,5 Millio­ nen Mark auf 705 977 Mark. Was der Tag der Währungsreform dem Landkreis brachte, schildert eindrucksvoll ein Bericht aus der „Badischen Zeitung“ vom 25. Juni 1948 über die Geldumstellung in Donaueschingen und Umgebung. Über­ schrieben ist das Zeitdokument mit „Die Fahrradschlange“. Verfasser ist Redakteur Lorenz Honold, den Almanach-Lesern als langjähriges Mitglied der Redaktion des Jahrbuches vertraut (siehe Almanach 1998, s.143): ,,Sie setzte sich in der Frühe aus den Dör­ fern in Richtung der Stadt in Bewegung. Es war am Morgen nach der Auszahlung der Kopfbeträge. Angesichts des Reifenmangels RM-„luthaben .t Koplberao ./. Gesch“ftobetrag RM Re�authab n freikor'“ ft …. k. ‚ J I ll� �mmer 316:3 I JUftl ij � Xog :Dlonof 3o�r llttrefl L .. : L.L fre1ho festkonlo ctlnao•lung RM. Ut6ntrog Die D-Mark ist da: Sparbucheinträge der Bezirks­ sparkasse Furtwangen aus den Jahren 1948/49. 2 M1i 1 4§ Geschichte 183

SO Jahre Währung reform Geldformulare zur Erfassung ihrer Sparkon­ ten und Bargeldbestände zu sich und scho­ ben mit dem Fahrrad in die Stadt. Man hat lange nicht so viele Fahrräder unterwegs ge­ sehen. Der Fahrpreis für die Bahn oder das Postauto ist für den einfachen Mann auf ei­ nen Schlag eine Ausgabe geworden, die er sich reiflich überlegt. Der Postomnibus auf der Strecke Donaueschingen – Blumberg hat seit Beginn dieser Woche plötzlich wieder Sitzplätze frei, und selbst mit dem so begehrten Früh- und Spätnachmittags-Kurs, für den in den vergangenen Mo­ naten Zulassungskarten hat­ ten eingeführt werden müs­ sen, konnte heute jeder, der das Fahrgeld riskierte, wieder mitfahren. Ein ähnliches Bild zeigte zu Beginn dieser Woche der Nahverkehr auf der Eisen- bahn. Auf der Strecke Neustadt – Donau­ eschingen stiegen am Montag, Dienstag und Mittwoch auf den dörflichen Stationen un­ terwegs fast nur noch Schüler, Arbeiter und einige Berufstätige zu und Reisende, die über die Kreisstadt hinausfuhren. Der Nach­ mittagszug in Richtung Neustadt fuhr mit drei fast leeren Wagen. Zumindest im Nah­ verkehr hat der Geldsturz einen radikalen Wandel geschaffen. Das Fahrrad machte wieder der Eisenbahn und dem Postomni­ bus Konkurrenz. Auf äußerste Zurückhaltung ist der Ge­ schäftsbetrieb in der Stadt gestimmt. Die Fahrradschlange aus den Dörfern macht keine Einkäufe. Die Männer und Frauen lie­ fern bei den Sparkassen und Geldinstituten ihre Formulare ab und sind eifrig darauf be­ dacht, die Kopfgeldquote am Nachmittag unversehrt wieder nach Hause zu bringen. Die Mädchen und Jungen inspizieren etwas neugieriger die neuen Auslagen der Geschäfte. Recht seltene Dinge, die bisher nicht oder nur schwer zu bekommen waren, vorwiegend Haushaltswaren und Küchenar- 184 .Auf äußerste Zurück­ haltung ist der Ge- schäftsbetrieb in der Stadt gestimmt. Die Fahrradschlange aus den Dörfern macht keine Einkäufe.“ tikel, wie elektrische Geräte und Waffelei­ sen, auch luxuriöse Erzeugnisse, wie Blu­ menvasen aus Glas und kostspielige Gläser­ garnituren. Aber das Interesse geht jetzt nicht nach diesen Gegenständen. Für einfa­ ches Porzellan, für Teller und Tassen, für Schuhe zweiter Garnitur (womöglich ohne Bezugschein), würde man schon einige Mark aus der Kopfprämie riskieren, vor al­ lem aber für Haushaltsgeräte, die von Bom- bengeschädigten, Evakuierten, Flüchtlingen und Jungverhei­ rateten gesucht werden. Aber so weit scheint es noch nicht zu sem. Leidenschaftlich diskutierten zwei Raucher vor einem ein­ schlägigen Fachgeschäft, ob die Rauchwaren demnächst freige­ geben würden. Allgemein ist man hier der Auffassung, daß die Ende Juni fällige Rauchwa­ renzuteilung von einem großen Teil der bis­ herigen „Verbraucher“ nicht mehr abgeholt wird, sofern die Zigarette wie bisher auf vier­ zehn Pfennig das Stück zu stehen kommt. Im Schwarzhandel wird das Paket ‚Bosco‘ zu 2,50 Deutsche Mark angeboten, aber nur selten erworben. In den Gaststätten haben sich die festen Kunden, die auf Gaststättenverpflegung angewiesen sind, nach wie vor zum übli­ chen Nachmittagstisch eingestellt. Aber der gesamte Nahverkehr, der in den letzten Jah­ ren auch weitgehend dem Gaststättenwesen wirtschaftlich zugute kam, fällt nunmehr fast vollständig aus. Die Fahrradschlange aus den Dörfern ver­ köstigt sich mehr noch als bisher wieder aus eigener Tasche und überlegt selbst noch die Ausgabe von 20 Pfennigen für einen Teller warme Suppe; denn zwei Eier, die der Landwirt abgibt, werden mit 18 Pfennigen vergütet. Für ein Pfund Butter erhält er ge­ rade soviel, um sich ein Mittagessen im Gasthaus leisten zu können. Kundendienst in den Geschäften und im Gasthaus ist mit

einem Schlage wieder eine höchst rentable Sache geworden. Im übrigen spielte sich der entscheidende Geschäftsverkehr in diesen Tagen auf den Sparkassen und bei den Geld­ instituten ab. Der Baaremer war seit je ein haushälterischer Kopf gewesen. Mit dem Geldsturz hat er sich nach dem ersten Schock verhältnismäßig rasch abgefunden. Freilich fehlte es auch hier nicht an Käuzen, die ihr Erspartes jahrelang zu Hause ver­ wahrt hatten, anstatt es einer Sparkasse an­ zuvertrauen. Von einem dieser Originale wird jetzt erzählt, daß er seine Banknoten in einem Sack zur Sparkasse brachte und trocken meinte: „Man möchte es schon ein­ mal nachzählen, er käme später noch einmal vorbei.“ Sollte die Episode nicht wahr sein, so wäre sie doch gut erfunden.“ 2,2 Millionen Mark „Kopfquote“ In einer weiteren Notiz geht die Badische Zeitung speziell auf den Geldumtausch im Landkreis Donaueschingen ein: ,,Für die Auszahlung der Kopfquote hatte die Stadt in der Volksschule und im Gymnasium ins­ gesamt vierzehn Umtauschstellen einge­ richtet. Der Hauptverkehr wickelte sich am Vormittag ab. Insgesamt sechzig Prozent der Bevölkerung hatten bis 12 Uhr ihr Altgeld gegen die Kopfquote bereits eingetauscht. Gegen 18 Uhr war der Umtausch nahezu völlig abgeschlossen. Die Umtauschstelle war mit einem Personal von acht Mann be­ setzt. Insgesamt standen 112 Beamte und Angestellte neben dem städtischen Perso­ nal, vor allem Angehörige des Finanzamtes und der einheimischen Banken und Kassen­ institute, im Dienste des Geldumtausches. Auf die 59 Gemeinden des Kreises entfielen ebensoviele Beutel mit insgesamt 2,2 Mil­ lionen Deutsche Mark Kopfquote bei einer Bevölkerung von etwa 55 000 Einwohnern.“ Das neue Geld war ein wesentlicher Schritt hin zum „Wirtschaftswunder“, es löste aber nicht auf einen Schlag die Probleme der Menschen, was aus einem Beitrag der „Badi- Geschichte sehen Zeitung“ vom 14. Juli deutlich wird, der die Ernährungs- und Wirtschaftslage im Landkreis Donaueschingen nach der Wäh­ rungsreform schildert: „Der Juni brachte es im Bezirk auf täglich 1 503 Kalorien für Normalverbraucher über 20 Jahre, ein unverkennbarer Fortschritt gegenüber dem Vormonat (1292 Kalorien). Andererseits bleibt die Zahl immer noch er­ heblich hinter den offiziellen Ankündi­ gungen zurück. An diesen amtlichen Vor­ ankündigungen, die oft erst nach Monaten eingelöst werden, übten auf der Juli-Sitzung des Kreisernährungsausschusses vor allem die Vertreter der Gewerkschaften und Par­ teien scharfe Kritik. Nach der Währungsre­ form, so wurde von einem Vertreter der Ge­ werkschaften betont, müsse man erwarten, daß die laufenden Zuteilungen Schritt hal­ ten mit den offiziellen Versprechen. Die Ar­ beiterschaft trage besonders schwer unter den Auswirkungen der Währungsreform. Die Lohnfrage sei immer noch ungeklärt, andererseits erwarte man vom Arbeiter ver­ stärkten Arbeitswillen. Die Ernährungslage zumindest müsse mit diesen Anforderun­ gen Schritt halten. Anlaß zur Kritik gab im einzelnen die noch ausstehende Zuteilung von Weißmehl für Juni (1200 Gramm pro Kopf). Gleich­ zeitig ist im Juli eine Beimischung zum Brot in Höhe von 30 Prozent Weißmehl ange­ ordnet. Sie kann aber nur stattfinden, wenn das Weißmehl in den Bäckereien tatsächlich vorhanden ist… Ähnlich leidenschaftlich ging die Debatte über den im April bereits offiziell angekün­ digten, im Bezirk Donaueschingen wie auch in einigen anderen Kreisen immer noch nicht ausgegebenen Gaststättenwein. Dar­ über ist demnächst bei voller Bereinigung der Angelegenheit noch einiges zu sagen. Die Zuteilungen im Juli sind in Zucker, Teig­ waren (die noch nicht in allen Geschäften vorrätig sind), Hülsenfrüchten, Kaffee-Er­ satz, Essig, Suppeneinlagen und Kinder­ nährmitteln etwa die gleichen wie im Vor- 185

50 Jahre Wahrungsreform monat. Fische sind von 750 auf 500 Gramm pro Kopf herabgesetzt. Heraufgesetzt sind Fleisch (400 Gramm für Erwachsene über 20 Jahre) und vor allem Fett. Die erste Zutei­ lung ist ausgegeben worden. Weitere 125 Gramm Butter stehen vor dem Aufruf. Hin­ zu kommen noch 100 Gramm Fett. Das er­ gibt insgesamt 350 Gramm, eine Zahl, die aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Ende Juli noch auf 600 Gramm erhöht wird. Die Aufrufe für die Juli-Zuteilungen (das Fett ausgenommen) liegen bis gegen Mitte des Monats vor. Die märchenhaften Gerüchte von einer weiteren Erhöhung der Zuckerzu­ teilung sind reine Wunschgebilde. Obst und Gemüse wurden im Bezirk nach der Währungsreform freigegeben. Bei Ein­ tritt etwaiger Notlagen sollen sie wieder in Bewirtschaftung kommen. Unseres Erach­ tens nimmt der Verbraucher eher eine vor­ übergehende Notlage als eine erneute Be- wirtschaftung in Kauf; das gleiche dürfte für die Rauchwaren gelten, die seit kurzem, oh­ ne daß eine offizielle Anordnung vorliegt, frei ausgegeben werden. Nur in einigen ab­ gelegenen Landgemeinden schneiden die Händler bieder und treuherzig nach wie vor ,,Rauchwarenpunkte gegen antiquierte Pa­ pierstumpen“ ab, während in der Stadt zu­ vorkommend und großzügig nach Wunsch und Wahl geliefert wird. Die Landwirte interessiert eine in Aussicht gestellte Mostzuteilung (2 bis 4 Liter pro Kopf). Die Fleischumlage im Juli beträgt 53 Tonnen (gegen 70 bis 80 im Vormonat). Die Versorgung des Kreises erfordert 26 Tonnen. Die Normalverbraucher wurden seit Beginn des Jahres mit 24 Eiern pro Kopf beliefert.“ Soweit die Zeitdokumente zum Jahr 1948, ein Stück „junges Geschichte“. Wi!fried Dold Winter in der Baar. Aquarell von German Hasenfratz. 186

Museen im Schwarzwald -Baar-Kreis Die „Graue Passion“ von Hans Holbein 10. Kapitel/ Almanach 99 Ein Besuch in den Fürstenberg-Sammlungen in Donaueschingen Im Geleitwort zum 1990 neu erschiene­ nen Katalog der Fürstlichen Sammlungen in Donaueschingen weist Joachim Fürst zu Fürstenberg darauf hin, daß die Besucher, die Donaueschinger Sammlungen nutzen, die reichhaltigen Bestände besser kennen­ lernen und sie in Erinnerung behalten mö­ gen. Als Anregung für einen Besuch mag die dort ausgestellte „Graue Passion“ von Hans Holbein d. Ä. dienen. Auf der Rückseite des vom städtischen Ver­ kehrsamt Donaueschingen 1988 herausge­ gebenen Prospektes fallt der Blick in einen der beiden Oberlichtsäle der Fürstlichen Sammlung. An den beiden Längswänden sieht man eines der Hauptwerke des Mu­ seums: die 12 Tafeln zur Passion Christi von Hans Holbein dem Älteren (Augsburg um 1464 bis 1524, wahrscheinlich Isenheim). Neben diesem Gemäldezyklus besitzt das Museum noch ein weiteres, allerdings recht kleines Bild dieses Meisters, eine Geburt Christi (33,3 x 25,4 cm) von 1514. Während das letztere Bild aus altem fürstlichem Besitz stammt, wurden die 12 Passionstafeln (etwa 89 x 87cm) 1853 von dem damaligen Gale­ riedirektor Baron von Pfaffenhofen für 800 Gulden im Münchner Kunsthandel erwor­ ben. Der Maler Hans Holbein d. Ä. neben Dü­ rer, Altdorfer und Cranach einer der Haupt­ meister der altdeutschen Malerei, ist zudem Vater eines berühmten Sohnes mit gleichem Namen: Hans Holbein dem Jüngeren (Augsburg 1497/98 bis London 1543), der unter König Heinrich V III. (1509 bis 1547) zum englischen Hofmaler aufstieg. Aber nicht nur der Bekanntheitsgrad sei­ nes Schöpfers macht diesen Bilderzyklus zu einer Hauptattraktivität der Sammlungen, es ist zudem die Art, wie er gemalt ist, ein Stil, der auch in die Namensgebung einge­ flossen ist. Vor grünem oder blauem Grund sind sämtliche Personen monochrom (ein- 1. Station: Christus am Ölberg 2. Station:judaskuß 187

Museen im Schwarzwald-Baar-Krei 3. Station: Christus vor Kaiphas 4. Station: Christi Geiselzmg farbig) entweder grau (sechs Tafeln) oder elfenbeinfarben (sechs Tafeln) ausgeführt. Man nennt deswegen den Zyklus „Graue Passion“. Eine hinreichende Erklärung für diese reduzierte Farbgebung steht bis heute aus. Sie ist jedoch im Zusammenhang mit den Bestrebungen in der deutschen Kunst nach 1500 zu sehen, sich verstärkt der Grau­ Malerei zuzuwenden. Man kennt nicht den ursprünglichen Zu- sammenhang und die Art der Aufstellung der Tafeln, zudem schwankt die angenom­ mene Entstehungszeit von 1495 bis 1508. Hans Holbein d. Ä. schuf Altartafeln, Por­ träts, entwarf Glasfenster und zeichnete. Die verbürgten Daten über sein Leben sind spär­ lich. Er arbeitete gemeinsam mit Bildschnit­ zern wie Michel und Georg Erhart. Außer­ dem war der familiäre Zusammenhalt in sei­ ner Malerwerkstatt beträchtlich. In Frank- 5. Station: Dornenkrönung und Verspottung 6. Station: Ecce Homo 188

furt war sein Bruder Sigismund mitbeteiligt, in der Schweiz arbeitete er nachweislich mit seinen beiden Söhnen Ambrosius und Hans. Bedeutende Klöster wie die Domini­ kaner in Frankfurt und die Zisterzienser in Kaisheim bei Donauwörth beauftragten ihn mit Hochaltären. Er lebte in der Zeit der Spätgotik an der Schwelle einer neuen Epoche, der Renais­ sance. Die Passion Christi war in jener Zeit bevorzugtes Bildthema, neben dem Mari­ enleben und der KindheitJesu. Wechselsei­ tig beeinflußt haben sich dabei die bildende Kunst und die zeitgleich entstandenen Pas­ sionsspiele. Jede Szene des Passionsdramas wurde auf einer besonderen Bühne gespielt, wobei auf diese Weise leicht eine einzelne Handlung auf eine Bildtafel übertragen wer­ den konnte. Außer dem kompositionellen Schema holte man sich von den Schauspie­ lern auch Anregungen für die Charakterisie­ rung der Personen. So sollte in einem Passi­ onsspiel aus der zweiten Hälfte des 15. Jahr­ hunderts Christus folgendermaßen auftre­ ten: ,,Wenig bewegt, Pein und Schmerz wie ein unabwendbares Schicksal mit unendli­ cher Ergebung tragend … “ Es wird vermutet, daß gewisse Passions­ spiele direkten Einfluß auf Holbeins Dar- Die .Graue Passion“ stellungsweise der „Grauen Passion“ aus­ geübt haben. Im Schaffen von Hans Holbein d. Ä. nimmt die Passion einen wichtigen Platz ein. Insgesamt hat er fünf Zyklen geschaffen (Vetterepitaph für ein Bogenfeld im Kreuz­ gang des Katharinenklosters in Augsburg, zwei für die Dominikaner in Frankfurt, für die Zisterzienser in Kaisheim und für die Kapelle in Lindau). Entgegen der üblichen Meinung datiert Bernd Konrad im Katalog der Fürstlichen Sammlungen von 1990 auf eine Entste­ hungszeit um 1508. Derselbe Autor ermit­ telt als Auftraggeber die Augustiner Chor­ herren vom Heiligen Kreuz in Augsburg, die nach einer Chronik von 1603 einen Al­ tar „coloribus oleatis illustratae“, d. h. ,,in den Farben glänzender Ölbäume“, also in Graumalerei besassen. Aber auch diese Zu­ weisung bleibt widersprüchlich. Neben der unsicheren Entstehungszeit und Auftragslage ist zudem die Gewichtung von Meister-und Gesellenarbeit unsicher und somit die Beurteilung der Qialität. Auf Tafel 12 „Die Auferstehung Christi aus dem Grab“ ist der Sarkophag mit den Initialen „HH“ gekennzeichnet, die als ei�enhändige Signatur von Hans Holbein d. A. zweifels- Z Station: Handwaschung des Pilatus 8. Station: Kreuztragung 189

Museen im Schwarzwald-Saar-Kreis 9. Station: Christus in der Ruhe 10. Station: Kreuzabnahme frei erkannt wurde. Je nach untersuchendem Wissenschaftler wird das Werk „als eine von Holbeins vielen Werkstatts-Arbeiten ange­ sehen“ (Stoedtner), von einem anderen da­ gegen als ein „hervorragendes Werk“ des älteren Holbein (Springer). Zu der schwan­ kenden Beurteilung der Qialität mag der schlechte Erhaltungszustand beitragen. Die Spalten der Tannenbretter wurden mit Käl­ berhaaren verstopft, die die Maischicht im­ mer wieder nach oben drücken und Kra­ kelüren verursachen. Die Gemälde wurden besonders im letzten Jahrhundert wenig sen­ sibel und sogar entstellend restauriert. Gegen einen Restaurator mußte das Für­ stenhaus wegen zu starker Eingriffe sogar prozessieren. Laut Auskunft der jetzt an dem Zyklus im­ mer wieder tätigen Münchner Restauratorin Angelika Bloch wurde die Untermalung in Tempera ausgeführt und anschließend mit Ölfarben weitergearbeitet. Rekonstruktion des Altares Allgemein wird davon ausgegangen, daß die Tafeln, je drei übereinander, die zwei Flügel eines Passionsaltares bildeten. Weil 190 die Mitteltafel bzw. der Schrein verloren ge­ gangen sind, kann man über dessen Dar­ stellungsinhalt nur spekulieren, wobei eine Kreuzigungsszene am naheliegendsten er­ scheint, weswegen auch manchmal in der Li­ teratur die „Graue Passion“ als Kreuzaltar bezeichnet wird. Teils wird als Mittelschrein ein steinernes Kreuz, teils eine geschnitzte Kreuzigungsgruppe angenommen. Vor ih­ rer Spaltung waren je eine graue und eine el­ fenbeinfarbene Tafel verleimt. Um die Bil­ der besser ausstellen zu können, hat man sie gespalten. Die ursprüngliche Abfolge wird unterschiedlich rekonstruiert. Als sicher gelten kann, daß der Altar im ge­ schlossenen Zustand die grauen Seiten außen zeigte, sie werden „Werktagsseiten“ genannt. Dies sind die Tafeln 1-6: l. Christus am Ölberg 2. Judaskuß 3. Christus vor Kaiphas 4. Christi Geiselung 5. Christi Dornenkrönung und Verspottung 6. Ecce Homo An Sonn- und Feiertagen wurden die Flü-

gel geöffnet. Man schaute dann auf die ver­ lorene Mittelgruppe und die elfenbeinfar­ benen Innenflügel (Tafeln 7 – 12), die „Sonn­ tagsseiten“. 7. Handwaschung des Pilatus 8. Kreuztragung 9. Christus in der Ruhe 10. Kreuzabnahme 11. Grablegung 12. Auferstehung Auf die farbliche Besonderheit der Tafeln wird unterschiedlich eingegangen. Stoedt­ ner schreibt: ,,Die ganze Folge zeigt blauen Hintergrund, auf den die Figuren gesetzt sind, als wären sie aus Stein gehauen. Ihre Gewänder sind mit grau-weißer und bläu­ lich-grauer Farbe behandelt, während die Schatten bräunlich gehalten sind.“ Bei Stan­ ge-Lieb heißt es: ,,Die Grau in Grau gemal­ ten Kompositionen haben auf den Außen­ seiten tiefblauen, auf den Innenseiten hell­ grünen Grund und sind demgemäß dort bläulich, hier gelblich getönt. Farbig belebt sind die Gesichter.“ Diese Graumalerei wird, abgeleitet vom französischen gris (grau), in Fachkreisen als Grisaillemalerei bezeichnet. Wenn man, wie verschiedentlich von For- Die .Graue Passion“ schem geschehen, annimmmt, der Altar sei deswegen weitgehend monochrom gehalten worden, um ihn dem steineren oder holz­ farbenen Mittelteil anzupassen, entbehrt dies der Logik, weil auch Stein oder Holz be­ malt (gefaßt) werden kann. Vielmehr muß es als bis heute nur ansatzweise erforschtes Phänomen betrachtet werden, daß gerade in der Zeit um 1500 vermehrt Ältäre in Gri­ saille-Technik ausgeführt wurden und somit einem besonderen Kunstwollen entsprun­ gen sind. Die „Graue Passion“ von Donau­ eschingen bleibt dennoch eine Besonder­ heit, weil nicht nur die Außen- sondern auch die Innenflügel des Altares mono­ chrom gehalten sind. Grau und kräftige Farben Auf den Gemälden sind aber nur Kleidung und Werkzeuge monochrom. Die sichtba­ ren Körperteile sind fleischfarben. Eine sol­ che Malerei, bei der alles bis auf den Körper grau gehalten ist, nennt man Semigrisaille. Bei der „Grauen Passion“ findet man aber daneben auch kräftige Farben wie das Grün des Bodens, das rote Blut, das Braun des Kreuzes und der Haare. Für eine solche spe­ zielle Handhabung der Semigrisaille hat 11. Station: Grablegung 12. Station: Aiiferstehung 191

Museen im Schwarzwald· Baar· Kreis sich bis heute noch keine besondere Be­ zeichnung herausgebildet, es ist eine modi­ fizierte Semigrisaille. In den Lexikas wird Grisaille definiert als: „In grauen Tonstufen gehaltene Malerei oder Clair-obscur Zeichung … “ In der Tafel­ malerei benutzte man die Grisaille, die auch „Totfarbe“ genannt wurde, als Symbolfarbe fur die Kennzeichung von Trauer und des Bösen. Motivisch und technisch bewegt sich Hol­ bein in einer im 15. Jahrhundert verbreite­ ten Tradition, wenn er die Passion Christi auf den Außenseiten eines Flügelaltares in Grisailletechnik ausfuhrt. Bei Hieronymus Bosch (1415-1516) sind die Außenseiten sei­ ner Triptychen immer Grisaillen und nicht selten hat er als Thema die Passion gewählt (vgl. Johannes auf Patmos, Berlin Gemälde­ galerie). So wie die Werktage auf den Sonn­ tag hinweisen, sollten die tonigen Außen­ flügel den Auftakt fur das farbliche und the­ matische Ereignis der Innenflügel darstel­ len. ,,Praktisch zum Schutz der kostbaren Innenseiten geschaffen, sollten sie liturgisch dem Gläubigen den Eindruck des gewöhn­ lichen Alltags vermitteln. Fast immer stehen sie in inhaltlichem Gegensatz zum Schrein­ innern. Die farbliche Komposition aber hat­ te in jedem Falle zurückhaltender und stiller zu sein als innen.“ (Dannenberg). Aber nicht nur in die Niederlande fuhrt die Spur der Grisaille-Malerei, auch in Itali­ en gibt es vor 1500 eine Graumalerei – Tradi­ tion. An erster Stelle soll die Arena-Kapelle in Padua von Giotto (1266-1337) genannt werden, wo die Sockelzone in Grisailletech­ nik ausgeführt wurde. Die unbunten Farben sollten „hungrig“ machen auf die bunten, oberen Bereiche. Zu Unrecht, so die Kunsthistorikerin Grams-Thieme, hält man die Grisaillen fur weniger wertvoll als die bunten Fresken oder Gemälde. Als Beweis dafür mögen die bei­ den Grisaille-Gemälde der Heiligen Elisa­ beth und Heiligen Lucia von Matthias Grü­ newald (1460/70- 1525) dienen, die sich 192 heute in Karlsruhe befinden und früher in die Donaueschinger Fürstliche Sammlung gehörten. Beschreibung der „Grauen Passion“ Holbein verzichtet fast vollständig auf Ar­ chitektur und Landschaft bei seiner Schilde­ rung des Leidensgeschehens. Requisiten wie ein Gartenzaun, die Geiselsäule, Fliesen und ein Thron kennzeichnen die einzelnen Sze­ nen und erinnern an Kulissen der Passions­ spiele. So konzentriert sich das Geschehen auf Christus und die um ihn gruppierten Personen. Auf den quadratischen Tafeln agieren sie wie auf einer schmalen Bühne. Die zentrale Gestalt jeder Tafel ist Christus. Seine besondere Stellung im Bildganzen ge­ paart mit der Ergebenheit und Ruhe, die er dem dramatischen Geschehen entgegen­ bringt, harmonisiert die Komposition. Die Akteure befinden sich dicht gedrängt in der vordersten Bildzone. Zwar kann durch die Geschlossenheit jede Tafel fur sich wirken, ein verbindendes Element sind aber die bis in die letzten Details von Kleidung, Rüstung, Haarfarbe und Mimik identischen Personen, die den Erzählfluß weitertragen. Das Besondere der „Grauen Passion“ sind nicht so sehr die Außenseiten, als daß Hol­ bein einen vollständigen Altar in Tonmale­ rei geschaffen hat. Und im Gegensatz zu herkömmlicheren, bei den die Außen- oder Werktagsseiten tonig gehalten sind, gibt es bei der „Grauen Passion“ eine Vielfalt von Beziehungen zwischen innen und außen: es ist dasselbe Thema, das auf den Innenflü­ geln nahtlos fortgesetzt wird, es sind diesel­ ben Akteure. Was sich ändert, ist die Tonig­ keit und Farbgewichtung. Dominierte auf den Außentafeln ein Blaugrau, so ist bei den Innentafeln ein Elfenbeingelb tonange­ bend. Die Farben grau und beige, sind unbunte Farben, wobei grau zum kalten, braun zum warmen Bereich tendiert. Im vorliegenden Fall ist es die besondere Kombination von

Die nGraue Passion“ Die „Graue Passion“ in den Fürstenberg-Sammlungen. neutralen und bunten Farben, die den Stil der Bilder bestimmt. Die Beziehung des Grau zu Passion und Trauer ist evident. Bei­ ge als wärmerer Ton kann das früher in der gotischen Malerei verwendete Gold erset­ zen. Nun ist die Tendenz zur Monochromie um 1500 nicht allein ein Phänomen der Ta­ felmalerei, es erscheint parallel in der Plastik. So schuf Riemenschneider um 1490 einen Schnitzaltar für Münnerstadt, das erste Lin­ denholzretabel, das ungefaßt blieb. Dieser Altar bedeutet aber nicht das Ende der far­ bigen Altartafeln, sondern von diesem Zeit­ punkt an bestehen beide Formen des gefaß­ ten und ungefaßten selbständig nebenein­ ander. Dabei wurde das Holz nicht unbear­ beitet gelassen, sondern mit braun getönten Lasuren überzogen. Der Breisacher Hochal­ tar des Meisters H. L. ist monochrom, wo­ bei die Gesichter, Sockel sowie die Attribu­ te mit Temperafarben bunt gefaßt wurden. Hier wird eine Parallele zum einen zur den beigen Innentafeln, zum anderen zur Semi- grisaille gesehen. Damit verdichten sich die Hinweise, daß der Mittelschrein ein viel­ leicht ähnliches Aussehen wie der Breisacher Hochaltar hatte. Grau und beige sind zudem die Farben der Bettelorden, bei denen Farbaskese vorge­ schrieben war. Möglich wäre somit auch ein Einfluß der Auftraggeber auf die Mono­ chromie. Antonia Reichmann Literatur: Claus Grimm, Bernd Konrad: Die Für­ stenberg- Sammlungen Donaueschingen. Altdeut­ sche und schweizerische Malerei des 15. und 16.Jahr­ hunderts, München 1990. Hans H. Hofstätter, Die Graue Passion von Hans Holbein d. Ä. in den Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen Donaueschingen, München 1981. 193

Museen im Schwarzwald-Baar-Krei Auch ein Denkmal ist vergänglich Der ViJiinger Restaurator Hans-Joachim Hall ist in der Fachwelt allseits anerkannt Die Denkmäler, die eine geistige Botschaft der Ver­ gangenheit übermitteln, stellen für die Gegenwart le­ bende Zeugen der jahrhundertealten Traditionen der Völker dar. Die Menschheit, die täglich die Einheit menschlicher Werte erkennt, sieht in ihnen ein ge­ meinsames Erbe und fühlt sich kommenden Gene­ rationen gegenüber gemeinsam für ihre Erhaltung verantwortlich. Sie bat die Verpflichtung, die Denk­ mäler in der reichen Fülle ihrer Authentizität an die­ se Generationen weiterzugeben. AUSZUG AUS DER: INTERNATIONALEN CARTA ÜBER DIE ERHALTUNG UND RESTAURIERUNG VON KUNSTDENKMÄLERN UNO DllNKMALGEBIETEN, VENEDIG 1964. Seit 1995 betreibt der Restaurator Hans­ Joachim Hall in der Niederen Straße in Vil­ lingen ein Atelier für biologische Gestaltung und Denkmalpflege. Die 1997 abgeschlos­ sene Restaurierung des Ölbergensembles an der Stadtkirche St. Johann in Donauesch­ ingen brachte ihm die Anerkennung der Fachwelt. Derzeit arbeitet er an zwei Stellen in Vil­ lingen. Er restauriert eine original erhaltene Gründerzeitstube (etwa 1909) im Stadtzen­ trum. Das Haus wurde damals von dem jü­ dischen Bürger Samuel Bloch erbaut. Türen und Decke werden von dem Restaurator mit natürlichen Öllacken behandelt. Er mischt die Farben nach sorgfältiger Analyse des alten Anstrichs selbst aus Pigmenten, Har­ zen und Pflanzenölen (Lein-, Mohn- und Nußöl). Seine zweite Arbeitsstelle ist die Villinger Benediktinerkirche. Steigt man die knarren­ de Treppe zur Empore hinauf, steht man vor dem Arbeitsplatz von Hans-Joad,im Hall. Der Instrumentenwagen mit der großen Lu- 194 pe erinnert an eine Zahnarztpraxis. Und der Fachmann bestätigt, daß seine Arbeitsgerä­ te vornehmlich aus dem Medizin- und Dentalbereich stammen. Dies sind: Watte­ bausch, Skalpell, Spezialmesser, Spritzen, Spatel und Spachteln, ferner Mikroskope und Lupen, zudem Pinsel aller Arten und Größen. Außerdem werden zum schonen­ den Abtragen der Farbschichten feine Sand­ strahlgeräte eingesetzt, wie sie zum Polieren der Zähne benutzt werden. Im Grunde ist dies nicht verwunderlich, gilt es doch einen ,,Patienten zu verarzten“, nämlich das Kul­ turdenkmal. Und tatsächlich wird bei der Restaurierung wie in der Arztpraxis streng systematisch vorgegangen. Über die Sduitte: Diagnose, Analyse, Anamne e (Schadensbild), wird ei­ ne Restaurierungskonzeption erarbeitet. Bei der Diagnose wird alles mit den Augen Wahrnehmbare festgehalten. Die Analyse dient der weitergehenden Un­ tersuchung. Zuerst werden diejenigen Ver­ fahren angewandt, die schadensfrei für das Kunstwerk vonstatten gehen. Das sind In­ frarot-Fotos, Ultraviolett-Fluoreszenz- und Röntgenaufnahmen. Auf diese Weise kön­ nen Unterzeichnungen, Retuschen und me­ chanische Belastungen wie z.B. rostende Nägel ermittelt werden. In der Regel findet während dieser Untersuchungsphase aber auch ein Eingriff mittels einer Sichtachse statt. An einer unauffälligen Stelle werden auf einer etwa 5 x 5 cm großen Fläche sämt­ liche Fassungsschichten freigelegt. Auf diese Weise können Pigment- und Bindemittel­ proben entnommen, die originale und spä­ tere Fassungen ermittelt werden. Die Anamnese (Schadensbild) faßt alle Er­ gebnisse zusammen, vor allem die ermittel­ ten Schäden wie z.B. Schmutzschicht, Was-

serschäden, Lichtschäden, Krakelüren oder Verlust von Gliedmaßen. Wichtig sind auch die Patinaspuren, die ein Kulturdenkmal im Laufe seines „Lebens“ erhalten hat. Bei den Sichtachsen der Empore wurden verschiedene Freilegungsschichten festge­ stellt, so auch eine frühere Marmorierung des Holzes. Das Restaurierungskonzept sieht vor, daß die Empore und Türen wie vor 250 Jahren in der ursprünglichen Fas­ sung in einem hellen Grau ausgeführt wer­ den. Die Wiederherstellung der ursprüngli­ chen Fassung ist aber nicht immer zwin­ gend. In der Benediktinerkirche arbeitet Hans­ Joachim Hall im Team mit zwei weiteren Restaurationswerkstätten aus Freiburg und Ulm unter der Aufsicht des Landesdenkmal­ amtes (LDA) zusammen. Der Villinger ist vornehmlich für die Raumschale (Wände, Emporen, Fenster) und bewegliches Kultur­ gut (Figuren, Kanzel usw.) zuständig. Die Kanzel und die Altäre wurden gereinigt und mit neuem Firnis überzogen. Bei allen Maß­ nahmen steht die Konsolidierung der Sub­ stanz, also meist des Holzkerns und der äl­ teren Überfassungen im Vordergrund. Ge­ faßt wird heute mit reversiblen Farbsyste­ men. Im Unterschied zu früher wird heute Wert darauf gelegt, daß die verwendeten Sy­ steme eines Tages einfach und schonend ab­ genommen werden können, eventuell sich sogar selbst abbauen. Außerdem muß die neue Fassung gut haften und Schutz bieten. So gut, wie das Wissen der Zeit Das ist eine im Vergleich zu den 70er Jah­ ren ganz andere Art zu restaurieren. Bis da­ hin war das Ziel eine Unvergänglichkeit des Baudenkmals gewesen. Heute hingegen hat man eingesehen, daß es eine „Endzeitkon­ servierung“ nicht gibt. Als Beispiel mag die frühere komplette Harzung des Sandsteins dienen, wobei später festgestellt wurde, daß er auf diese Weise noch schneller kaputt ging. Die bittere Wahrheit lautet: ,,Der Re- Restaurator Hans-Joachim HaU staurator ist nur so gut, wie das Wissen sei­ ner Zeit!“ So zeigt sich heute schon auf den in den 50ern und 60er Jahren mit dem In­ sektizid DDT konservierten Bildwerken ein weißer Film. Hans-Joachim Hall begreift sich als Weg­ begleiter des Denkmals, der es für viele Generationen nach uns erhalten möchte. Er muß schon in den Verfall hinein planen und sich fragen: W ie altert das? Welchen Ein­ flüssen ist es ausgesetzt? Er maßt sich auch nicht an, über die O!ialität eines bestimm­ ten Stiles zu urteilen, denn wie oft schon sind in der Vergangenheit mit dieser Ein­ stellung Kunstwerke zerstört worden. Des- Restaurator Hans-Joachim Hall 195

Restaurator Hans-Joachim Hall wegen ist seine oberste Richtschnur, so behutsam und schonend wie möglich vorzugehen. Was Restaurierung ver­ mag, kann man heute schon sehr gut in der wie­ dererstrahlenden Benedik­ tinerkirche erleben. Die weiß übertünchten Gurt­ bögen und Pilasterkapitel­ le sind rosa- bzw. grün-gol­ den gefaßt. Hier wurde re­ stauriert und rekonstruiert. Hans-Joachim Hall erklärt den Unterschied: Die re­ staurierten Kartuschen der Gurtbögen waren bei der Untersuchung noch ver­ handen, sie wurden retu­ schiert. Die rekonstruier­ ten wurden entsprechend den noch vorhandenen neu angelegt und mußten Der Restaurator bei der Arbeit in der Benediktinerkirche. gemäß den Vorschriften et- was heller ausgeführt werden, so daß das Neue sich vom schon Vorhandenen abhebt. Für Hans-Joachim Hall war es ein weiter Weg, bis er zu seinen heutigen Arbeitsauf- Eine glückliche Fügung bescherte ihm den trägen kam. Sein Vater, ein alteingesessener Auftrag, die Ortskirche in Aasen zu reno- Aasener, der später in Biesingen einen eige- nen Malerbetrieb gründete, lernte das Ma- lerhandwerk bei Engelbert Reichmann, dem Hofmaler des Fürstenhauses und hatte sich Kenntnisse von komplizierten Malertechni­ ken erworben. Sein Sohn Hans-Joachim hatte schon mit 9 Jahren seine Freude am Zeichnen und an Farben entdeckt. Es folgte eine Malerlehre bei seinem Vater. Erfahrungen profitieren und zudem seine Vorstellungen von Kreativität einbringen. Ende 1989 war seine Ausbildung beendet. Ferner erhielt er 1992 ein Stipendium am Europäischen Ausbildungszentrum in Ve­ nedig (Isola di San Servolo). Italienisch war für die Teilnehmer aus 53 Nationen aller Gewerke (Maler, T ischler, Steinmetze, Stuk­ kateure) Umgangssprache. ,,Ich merkte, wie wichtig die Sprache als Kommunikations­ mittel ist“, sagt der Restaurator. Hier hat er seine Ausbildung abgeschlossen und seine Vorstellungen vom Restaurieren erweitert. „Italien besitzt sehr viele Kulturgüter, man kann nicht alles retten“ erläutert Hall: „Wenn ich nichts mache, mache ich nichts v1eren. „Man kann nicht alles retten“ Nach der Bundeswehrzeit besuchte er die Bundesfachschule in Lahr, wurde Lackinge­ nieur; eine Weiterbildung, die er mit dem Staatsexamen abschloß. Danach reifte der Entschluß, Restaurator zu werden. Hans-Jo­ achim Hall qualifizierte sich für diese Rich­ tung am deutschen Zentrum für Denkmal­ pflege in Fulda. Dort konnte er von seinen 196

kaputt.“ Dies war dort oft die Devise. ,,Eine Zeitlang habe ich gedacht, man kann alles konservieren. In Italien habe ich umge­ dacht.“ Dem Endzeitrenovierungsgedanken wich der Vergänglichkeitsgedanke. ,,Wir müssen einem Denkmal auch eine Zeit ge­ ben, in dem es sterben darf“, so Hall. ,,Wie der Mensch, so ist auch ein Denkmal ver­ gänglich.“ Nach Venedig ging Hans-Joachim Museen im Schwarzwald· Baar • Kreis Hall zurück auf die Baar; bildete sich weiter in der Restaurierung von Ölgemälden, Skulpturen und Fresken, heiratete und grün­ dete 1995 sein Atelier für biologische Ge­ staltung und Denkmalpflege, Möbel und In­ nenraum. Antonia Reichmann Das „Gennania“-Modell vonJacob Philipps Großspurig klein – eine Rarität im Blumberger Eisenbahnmuseum Der Großherzog von Baden erkannte schon früh die wirtschaftliche Bedeutung der aufkommenden Eisenbahnen in der er­ sten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Des­ halb ließ er von Mannheim durch das Rheintal in Richtung Basel Gleise verlegen, um vom damals verstärkt einsetzenden lu­ krativen Handelsverkehr von Italien über die Schweiz im Transit durch Baden zu den aufstrebenden deutschen Industriezentren zu profitieren. Um sicher zu gehen, daß al­ le Waren mit badischen Zügen und nicht mit ausländischem Wagenmaterial befördert werden, ließ er die Strecke in der unüblichen Breitspur von 1600 mm anlegen. Als der Streckenbau im Frühjahr 1854 Efringen-Kirchen erreicht hatte, erkannte man den wirtschaftlichen und technischen Irrweg. Die bestehen­ de Breitspurstrecke wurde in ei­ nem gewaltigen technischen, fi­ nanziellen und materiellen Kraft­ akt bis zum April 1855 unter Bei­ behaltung des Bahnverkehrs auf die international eingeführte Nor- Abenteuerliche Bremsentechnik anno 1855: Holzklötze am Tender bremsen einen ganzen Zug. malspur (1435 mm) umgebaut und bis Ba­ sel weiter verlängert. Eigens für diesen Um­ bau wurden in kürzester Zeit in Karlsruhe Werkstätten errichtet, in denen das gesamte bestehende Rollmaterial umgerüstet wurde. Auf der Breitspurstrecke wurden in Eng­ land gebaute Lokomotiven eingesetzt, weil Baden noch keine eigenen Lokomotivfabri­ ken besaß. Eine diese Lokomotiven war als sogenannte 1-A-1 Breitspurlok von Robert Stephenson aus England (Fabrik-Nr. 372 ) geliefert worden (bad. Nr. 16; Gattung II) und lief, wie damals üblich, unter dem Na­ men „Germania“. Stolzer Lokführer dieses noch ohne geschlossenen Führerstand aus­ gerüsteten, qualmenden und fauchenden „Long-boiler“ – Ungetüms war zu der Zeit 197

Eine Eisenbahnrarität Funktionsmodell der „ Germania „, detailgetreu gebaut von Jacob Philipps im Maßstab 1: 10. ein gewisser Jacob Philipps, vermutlich aus Offenburg. (Es gehörte zur Dienstanwei­ sung, daß nur ein Lokführer einer Maschine zugeteilt war.) Als nun auch die „Germania“ zu ihrer Weiterverwendung in Karlsruhe in den Jahren 1854/55 umgebaut wurde, hat offenbar Jacob Philipps parallel zum Um­ bau ein funktionstüchtiges Modell „seiner“ Lok mit dazugehörigem Tender in einem Maßstab von etwa 1: 10 detailgetreu nach­ gebildet, hauptsächlich aus Messing und vorbildgerecht farbig gestaltet (Lokführer konnte damals wie heute nur sein, wer einen technischen Beruf erlernt hatte). Jacob Philipps hat sich selbst als „Erbauer“ auf einem Schildchen sowie handschriftlich bezeichnet. Das kulturhistorisch einmalige Modell läßt uns einige technische Entwick­ lungsstufen damaligen Eisenbahnbaus er­ kennen, was nach heutigem Stand der Tech­ nik kaum nachvollziehbar erscheint. Detail­ getreu hat]. Philipps etwa festgehalten, was damaliger Stand der Bremsentechnik war: für uns erscheint es fast abenteuerlich, daß weder die Lokomotive noch die angehäng­ ten Waggons über Bremsen verfügten, son­ dern gebremst wurde, indem der Lokführer eine Handkurbel am mitgeführten Tender bediente und dadurch ein Gestänge beweg­ te, wodurch Holzklötze auf die Räder des Tenders drückten (Prinzip der Pferdekut­ schen)! Inzwischen sind rund 150 Jahre nicht spur­ los an Lok und Tender vorübergegangen. Aus privater Gönnerhand konnte das Blum­ berger Eisenbahnmuseum dieses „großspu­ rige Kleinod“ entgegennehmen. Die Lok er­ strahlt inzwischen in einer eigenen Vitrine unter Verzicht auf die zerstörte Originalbe­ malung in neuem Glanz; der Tender soll vorerst in seinem „Gebraucht“-Zustand be­ lassen werden. Die „Original-Germania“ ist indes nach 1865 verschrottet worden. Dietrid1 Reimer 198

11. Kapitel I Almanach 99 Uhren und Uhrengeschichte Vom Uhrmacher zum Spieluhrmacher Zur Geschichte der Spieluhrenmacherei in Gütenbach im Schwarzwald Adolf Kistner berichtet 1927 in seinem Buch „Die Schwarzwalduhr“, daß die ersten Uhren mit Musikwerken zunächst mit ab­ gestimmten Glasglöckchen ausgestattet wa­ ren. Man kann sich vorstellen, was dabei an Musik herauskam, wenn man bedenkt, daß es geradezu unmöglich war, diese tonstu­ fenmäßig abzustimmen. Das größte Pro­ blem war aber die Herstellung der Stiften­ oder -Spielwalze, die die Erzeugung der Tö­ ne steuerte. Damit befaßte sich um 1768 der in Simonswald wohnende Johann Wehrle aus Neukirch. Neukirch liegt nahe bei Furt­ wangen und Gütenbach und zählt ebenfalls mit Gütenbach zu den Geburtsorten der Schwarzwälder Uhr. Man erzählte sich noch anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts wie Johann Wehrle jahrzehntelang grübelte, probierte und hungerte, bis ihn schließlich des Irrsinns tiefe Nacht umfing. Man erzählt sich auch, daß die Idee zum Spieluhrenbau von Uhrenhändlern aus Holland an die Uhrmacher herangebracht wurde, die von den dort beliebten Glockenspielen erzähl­ ten. Wehrle hat wohl von solchen Musikwer­ ken gehört, aber nie eines gesehen. Wußte er etwas von eingebauten Stiftenwalzen, oder kam er selbständig auf den Gedanken, die „Hebdaumenwalze“, den Schwarzwälder ,,Ölstampfen“, als Vorbild für seinen Bewe­ gungsmechanismus der Glockenhämmer­ chen zu nehmen? Der Sohn des Johann Wehrle, Christian, ersetzte die gläsernen Glöckchen durch me­ tallene, die leichter in der Tonhöhe herzu­ stellen und abzustimmen waren. Verwendet wurden auch waagrecht gelagerte Stahlstäbe und für den Schwarzwald besonders geeig­ net das hölzerne Klechter, wohl eine Art Xylophon, das man früher „hölzernes Ge­ lächter“ hieß. Wenn Christian Wehrle als erster auch Pfeifenwerke gebaut hat, wurde ihm dieser Ruhm von einem Salomon Scherzinger aus Furtwangen streitig gemacht (nach 1770). Ein nächstes Problem war es nun, die er­ forderlichen Blasebälge und die Spielwalze anzutreiben, doch davon später. Vor allem aber machte die Walze viel Mühe. Einzelne Stifte, wie sie bei Uhren mit Schlaginstru­ menten üblich waren, hätten bei Flöten nur kurze Pfiffe erzeugt. Wohl aber eigneten sie sich dazu, Vögel das Pfeifen von Liedchen und einfachen Melodien „zu lehren“ oder Spieluhr von Augustin Heim, Giüenbach 199

Uhren und Uhrengeschichte sie wenigstens zu lebhaftem Schlagen und Zwitschern anzuregen. So entstanden am Beginn die in keinerlei Verbindung zu ei­ nem Zeitmesser stehenden Vogelorgeln, mit denen die Schwarzwälder bis in die Mitte des 19. Jahrhundert hinein ihren Handel trieben. Andreas Dilger in Gütenbach (1743- 1818) scheint sie als erster um 17 80 gebaut zu haben. Er belegte wohl die dazu erfor­ derliche Spielwalze nicht nur mit Stiften, sondern auch mit unterschiedlich langen Bügeln oder Klammern in gleicher Höhe, die nach der gewünschten Melodie auch län­ gere Töne erzeugen konnten z.B. halbe oder ganze Notenwerte. So war der Weg wohl nicht mehr weit, die­ ses Verfahren auf Flötenuhren – so nannte man die mit Orgelpfeifen ausgestatteten Musikuhren – anzuwenden. Die Idee dazu geht auf den oben erwähnten Andreas Dilger aus Gütenbach zurück. Doch es gab noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Die Spielwerke klapperten unerträglich, der Takt schwankte und die Flöten waren nicht rein gestimmt. Hier überall abzuhelfen war nicht leicht. Manches Geheimnis, das die Orgelbauer hüteten, mußte entschleiert wer­ den, um den Pfeifen ihren harten schnei­ denden Ton zu nehmen, das mangelhafte Zusammenklingen zu beseitigen, eine gefäl­ lig schmeichelnde Musik und den lieblichen Schmelz der Töne zu erreichen. Was die Flötenuhren an Musikstücken „auf der Walze“ hatten, war musikalisch meist wenig wert, die Verfertiger mußten sich dem Geschmack der Käufer anpassen. Dabei wurden die Schwarzwälder Spieluh­ renmacher in musikalischen Dingen von den Chorherren au St. Märgen und St. Pe­ ter im Schwarzwald sehr gut beraten. So der Chorregent Philipp Jakob auf der technisch­ en Seite und der Chordirektor Petrus Daum auf der musikalischen Seite. Es war fur die Schwarzwälder Spieluhrenbauer eine lehr­ reiche und erbauliche Zusammenarbeit mit den „Gebildeten beider Klöster“, die übri­ gens auch bei Berechnungen normaler Uh- 200 ren den Uhrmacher sehr gut beraten konn­ ten. Da nun wie erwähnt u. a. Gütenbacher Uhrmacher sich in das Abenteuer Flöten­ uhrenbau stürzten, wollen wir auf diesen Ort eingehen, um auch ein wenig über die Verhältnisse dieser Zeit zu erzählen. Güten­ bach ist heute ein Dorf mit rund 1450 Ein­ wohnern. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeichnete sich dort schon ein starke Tendenz zur Uhrmacherei in größerem Umfange ab. Wie kam es aber, daß gerade der von der Welt meist abgeschlossene, nur für sich le­ bende Sd1warzwälder auf diesen Industrie­ zweig verfiel und darin geradezu Erstaunli­ ches leistete? Es war wohl auch die große Arnrnt der Be­ völkerung, die dazu zwang, sich selbst einen Arbeitsplatz zu schaffen, zumal oft fünf bis sechs Söhne der kinderreichen Gütenbacher Bauersfamilien keine Zukunft hatten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hatte der Ort ca. 800 Einwohner, davon etwa 96 Uhrma­ cher, 61 Händler und weitere 24 Personen, welche Nebenarbeiten für die Uhrmacher ausführten. So ist es nicht verwunderlich, daß gerade in „dieser Ecke“ der Erfinder­ geist und der Drang etwas Neues und Bes­ seres zu schaffen als nur Uhren für „das ge­ wöhnliche Volk“ beheimatet war. Viele Gü­ tenbacher Uhrmacher gingen auf Wander­ schaft in das nachbarliche Frankreich, um dort neue Techniken zu sehen und diese in der Heimat anzuwenden. V ieles wurde auf diesem Wege bei der Herstellung der einfa­ chen „Schwarzwälder Holzuhr“ verbessert und vereinfacht. Die Suche nach dem richtigen Antrieb Der Bau von Spiel- oder Flötenuhren war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Seele der Spieluhr sollte ja die Uhr als sol­ che sein, als Zeitmesser und zugleich als Auslöser des Spielwerkes. Mehr aber konn­ te das Uhrwerk nicht leisten. Also mußte das Spielwerk ein eigenständiges Antriebswerk

erhalten. Zwei Dinge mußte nun das An­ triebswerk des Spielwerkes bewerkstelligen: es hatte die Spielwalze zu bewegen und die erforderliche Kraft für den Blasebalg zu er­ zeugen. Das bedurfte eines Gewichtes von bis zu acht Kilo. Als Vorbild für die Flöten­ uhr fungierte sicher die Kirchenorgel, denn erst die Spieluhr war der Vorgänger späterer Drehorgeln bis zu immer größer werdenden Orchestrions. So mußte erst einmal der Mei­ ster gefunden werden, der gute Pfeifen her­ stellen konnte. Vermutlich waren es die Pfeifenmacher für Kuckucksuhren. Das Musikstück wurde derart auf Papier übertragen, daß an den Stellen, wo auf der Walze später Stifte angebracht werden muß­ ten, Zeichen angebracht wurden, die gleich­ zeitig auch die Stifthöhe angaben. Ein Mu­ sikstück konnte also nicht länger sein als es der Umfang der Spielwalze zuließ. Eine Spielwalze mit 8 cm Durchmesser hatte ge­ rademal eine Spielzeit von ca. zwanzig Se­ kunden. Um die Spielzeit zu verlängern, än­ derte man das Antriebswerk auf zwei Um­ läufe. Das hatte allerdings den Nachteil, daß das schwere Gewicht bei etwa drei Ab­ spielungen am Boden war. Die Holzwalze – es gab besondere Walzenschreiner – wurde dann mit dem Papier beklebt und zum Be­ nageln auf einen Schlitten gelegt. Durch Hammerschläge auf einen Stahlstempel, der ein zu starkes Eintreiben verhinderte, wurde die Stiften eingeschlagen, die man zuletzt noch richten und abrunden mußte. Bei Flötenwerken gehörte das Einschlagen von Klammern (für langgezogene Töne) zum Walzennageln, das meist durch Frauen besorgt wurde. Es hielt sich bis gegen 1890 als Heimarbeit und verschwand durch Auf­ kommen der Musikwerke, bei denen Saug­ luft durch geschlitzte Papierstreifen den Me­ chanismus auslöst. Der „Walzenschreiner“ mußte ein besonders geschickter Schreiner sein. Die ersten Walzen waren noch aus Vollholz gedreht, doch zeigte sich, daß sich diese durch Temperaturunterschiede verzie­ hen und dadurch Töne ausfallen. Der Wal- Gütenbacher Spiduhrcnmacher Das Werk einer Spieluhr, die Melodie wird durch die Stifte auf der großen i%lze erzeugt. zenschreiner fertigte deshalb hohle Walzen aus Pappel-, Erlen- oder Lindenholz mit vier Segmenten an. Es gab Walzen von 66 bis 210 mm Durchmesser. Es ließen sich bis acht Stücke auf der Walze unterbringen. Außer dem erwähnten Andreas Dilger aus Gütenbach als Patriarch der Spieluhrenent­ wicklung, waren es die Gebrüder Mathias (1771-1846) und Vinzenz Siedle (1767- 1835), die sich als die vorzüglichsten Spiel­ uhrenmacher des Schwarzwaldes auszeich­ neten. Sie brachten auch die Spielwerke auf den Höchststand an ruhigem Lauf und wei­ chen und schmeichelnden Tönen. Weitere Spieluhrenmacher in Gütenbach waren: Jo­ hann Kirner (1763-1816), Georg Schwer geb. 1769, Augustin Heim geb. 1792 und Aron Siedle 1817-1845. Das Dorfmuseum 201

Gütenbacher pieluhr nmacher SpieluhrvonAron Siedle, Giüenbach. in Gütenbach ist in der glücklichen Lage, Flöten­ spieluhren von Augustin Heim und Aron Siedle zu besitzen. Spieluhren zu erwer­ ben, war nur wohlbe­ tuchten Leuten vorbe­ halten, dies vor allem im reichen Frankreich. Keiner konnte also eine Spieluhr, an der er eini­ ge Monate gearbeitet hat, für sich selbst be­ halten. So dauerte es rund 100 Jahre, bis nicht nur Uhren gewöhnli­ cher Art, sondern auch Spiel- uhren, über den Antiquitätenhandel in ihre Heimat zurückkehrten. Das Dorfmuseum Gütenbach ist stolz auf die Spieluhr des „Aron Siedle“. A. Siedle war von dreizehn der siebte in der Familie des V inzenz. Er wurde Bauer auf dem „Vogtsgrundhof in Gütenbach“ und übte wohl in den langen Wintern den Beruf des Spieluhrenmachers aus. Von ihm schreibt Pfarrer Josef Fischer in der Gütenbacher Chronik: ,,Es sei nicht selten zu sehen, daß ein Wälder tagelang über eine Idee nach­ denke, ja selbst essen und schlafen vergesse, so haben wir dafür in unse­ rem Heimatort Güten­ bach ein Beispiel, an dem Aron Siedle, der eine ewig laufende Uhr erfinden wollte, sich aber davon hinter­ denkt, und dann alle Forsd1ungsergebnisse im Kohlerwald vergra­ ben haben soll.“ Als endlich die Voll­ kommenheit der Flö­ tenuhren erreicht war, gaben die Schwarzwäl­ der Tüftler nicht nach, diese Spielwerke noch mit allen möglichen technischen Dingen zu bereichern. Oben im Uhrenschild öffnete man eine Bühne, auf der bis zu sechs Figu­ ren tanzten oder Musikanten ihre Instru­ mente spielten und sich im Rhythmus der Musik bewegten. Bis zu vierundvierzig Flö­ ten hatte ein große Spieluhr mit zusätzli­ chen Registern für entsprechende Tonvari­ anten. Bei kleinen Exemplaren mit nur we­ nig kleinen hochtönigen Pfeifen, war in der Bühne ein großer Vogel angebracht, der die Musiktöne mit Schnabel- und Flügelbewe­ gungen synchron mitmachte. Oswald Sd1erzinger In d‘ r Schuel Sie henn grad Rechestund Dehinde in Hofsgrund. ,,S’sott“, fangt d’r Lährer a, ,,E Wirt e Wirtshus ha. Dreidausend kinnt ‚r gä; Doch’s Hus kosd1t viarmol meh. 202 Jetz sag m‘ r, liawer Bue, Was fehlt im noch d’rzue?“ D‘ r Chrischtli lacht so schlau Un sait: E richi Frau.“ August Ganter,ges/. 1938 in Vöhrenbach

Sagen der Heimat Vom Riesen Romeias In der alten Zähringerstadt Villingen, die an der Grenze zwischen dem Schwarzwald und der Baar liegt, lebte vor mehr als 500 Jahren der Riese Romeias. Obwohl seine Eltern klein von Wuchs wa­ ren, war doch ihr Sohn so groß geraten, daß er den Leuten im zweiten Stock in die Zim­ mer schauen und sich mit den Händen die Ziegel von den Dächern holen konnte, ja, daß er sogar seinen Durst aus der Dachtrau­ fe zu stillen vermochte. Wenn er durch das hohe Stadttor schritt, mußte er den Kopf tüchtig einziehen, sollten nicht die Fe­ dern, die an seinem Hute wippten, ab­ brechen. Groß wie seine Gestalt war auch sein Hunger. Die reifen Äpfel holte er sich von den höchsten Bäu­ men herunter, wie man sonst Stachel­ beeren pflückt, und da und dort setzte er sich ungebeten an einen Tisch und aß auf, was für eine zehnköpfige Fami­ lie aufgetragen war. Trotzdem aber war er beileibe noch nicht satt, sondern schob sich zum Nachtisch noch ein paar Laibe Brot in die Taschen, als sei­ en es kleine Wecken. Der gewaltige Es­ ser hatte auch eine ungeheure Kraft. Als er eines Tages einen Wagen mit schweren Baumstämmen beladen hat­ te und vier Ochsen das Gefährt nicht von der Stelle brachten, spannte er ein­ fach die Zugtiere aus, legte sie zu den Stämmen auf den Wagen und zog die­ sen, als sei’s ein leichter Handkarren, mitsamt seiner Last seelenruhig nach Hause. Kein Wunder, daß die Villinger diesen Mordskerl, der bald den Namen ,,Villinger Samson“ erhielt, zum An­ führer ihrer Bürgerwehr machten. Hier Der Romäus-Tunn in Villingen. 12. Kapitel/Almanach 99 war er am richtigen Platz. Bei den vielen Streitigkeiten, die seine Vaterstadt mit Horn­ berg und Rottweil auszutragen hatte, kam ihm seine Riesenstärke gut zustatten. Ein ganz besonderes Kraftstück vollbrach­ te er bei einer Auseinandersetzung mit den Rottweilern. Mit seinen hohen Stiefeln durchwatete er eines Nachts den tiefen Stadtgraben, als sei‘ s ein flaches Rinnsal, schwang sich über die Stadtmauer wie über einen niederen Gartenzaun und stand plötz­ lich mitten auf dem Rottweiler Marktplatz. 203

Der Riese Romeias Der Wächter blies in seiner Angst Alarm, und alsbald stürzten die verschlafenen Bür­ ger mit Spießen und Schwertern bewaffnet aus ihren Häusern. Nun würden sie endlich den verhaßten Romeias in ihre Gewalt be­ kommen. Der Riese aber bog ihre Lanzen zur Seite, als seien es harmlose Stecken, und schritt seelenruhig auf das sorgsam ver­ schlossene Stadttor zu, hob dessen beide Flügel mir nichts, dir nichts aus den Angeln, nahm den einen auf die Schulter, steckte den andern an den kleinen Finger und schritt gemächlich seiner Vaterstadt Villin­ gen zu. Dreiviertel Stunden hinter Rottweil schau­ te er nach seinen Feinden aus und zwar auf einem Hügel, der seit diesem Tage „Gug­ genbühl“ heißt. Aber niemand hatte es ge­ wagt, dem Riesen zu folgen. So brachte er unbehelligt die beiden Torflügel nach Vil­ lingen, wo sie als Siegesbeute an dem neu er­ bauten „Oberen Tor“ angebracht wurden. Diese Erfolge stiegen dem Riesen aber schließlich so zu Kopfe, daß er sich mit ei­ nem Achselzucken über die Anordnungen seiner Obrigkeit hinwegsetzte und diese so­ gar offen verhöhnte. Das konnten die Vil­ linger nicht dulden. Aber wie sollte man dem Riesen beikommen? Da verfiel der Rat der Stadt auf eine List. Romeias sollte eine mit Gold und Silber gefüllte Truhe gegen hohe Belohnung aus dem Verlies des Diebs­ turmes herausschaffen. „Nichts leichter als das“, meinte der Riese, der die Klugheit wahrlich nicht mit Löffeln gegessen hatte. Während er drunten im Verlies vergeblich nach der Schatztruhe suchte, zogen die Stadtknechte rasd1 die Leiter, auf der er hin­ abgestiegen war, zurück, so daß der Turm, der später Romeias-Turm genannt wurde, dem ungeschlachten Riesen zum Gefängnis ward. So sehr dieser auch tobte und wütend gegen die Mauern schlug, hielten sie doch stand. T äglich brachte man dem Gefange­ nen nun ein Kalb, ein Schwein oder ein Schaf, die er mit Haut und Haaren verzehr- 204 te. Nur die Knochen sammelte er vorsorg­ lich, steckte sie in die Mauerritzen und er­ baute sid1 so nach und nach im Turminnern eine Art Treppe. Als diese hoch genug ge­ worden war, stieg er eines Tages auf ihr em­ por, hob die Balkendecke unter dem Turm­ dach und flocht sid1 aus dem Stroh, das er auf dem Dachboden fand ein Seil. An die­ sem ließ er sich während der Nacht auf die Ringmauer hinab und entkam so aus der Stadt. Um sich bei den Villingern wieder beliebt zu machen, belagerte er ganz allein das feste Schloß Kusenberg und eroberte es auch. Als ruhmgekrönter Held ward er von den Vil­ lingern wieder aufgenommen und bekam sogar, als er alt geworden war, in ihrem Spi­ tal eine gute Pfründe. Sein Bild prangte lan­ ge Zeit noch in Leben größe als Wahrzei­ d1en der Stadt an der nun abgebrochenen Mauer am Oberen Tor. Hier stand auch fol­ gende Inschrift: ,,Als man zählt‘ 1498 Jahr, Hat hier gelebt, glaubt furwahr, Ein Wundermann, Romeyas genannt, Im ganzen Land gar wohl bekannt. Nachdem er ritterliche Taten vollbracht, eine Stärke ihn verfuhret hat, Fing an, sein Obrigkeit zu schelten, Dessen mußte er im Turm entgelten, Brach wunderlich mit List daraus, Und floh in St. Johanniser Haus. Allda noch ein Balken zu finden, Welchen Romeyas dahin tragen konnte. Wagt sich hernach über Mauern naus, Belagert Kusenberg, das veste Haus, Das er in wenig Zeit eingenommen; Daher wiederum Gnad‘ bekommen, Daß im Spital, bis in das Grab, Dem Herren Pfründ‘ gegeben ward, Endigt also in Ruh‘ sein Leben, Gott woll‘ uns allen den Frieden geben.“ MaxRieple

Sagen der Heimat Täglich brachte man dem Gefangenen ein Kalb, Schwein oder Schaf die er mit Haut und Haaren verzehrte. Nur die Knochen sammelle er vorsorglich… 7.eichnung: Helmut Groß 205

agen der Heimat Die Kette an der Hüfinger Friedhofskapelle Zu Hüfingen steht nahe der Bregbrücke in­ mitten des stillen Friedhofes eine Kapelle. Eine lange Kette, mit Hufeisen behangen, umschließt die Mauern des K.irchleins, und es scheint, als solle sie das altersgraue Ge­ mäuer zusammenhalten. Der Schein aber trügt, und niemand sieht der merkwürdigen Kette an, daß sie an ein längst verschollenes Ereignis erinnert. Einst war im oberen Tale der Breg, wo die Schwarzwaldtannen ganz nahe an die Ufer herantreten, ein schreckliches Unwetter nie­ dergegangen und ließ den sonst so stillen Fluß hoch anschwellen. Schäumend brauste er plötzlich daher und trug Holzstämme, Heuhaufen, ja sogar Hausrat und totes Ge­ tier zu Tal. Wütend stieß er gegen die Ufer, überspülte Äcker und Wiesen, rüttelte an den Grundmauern der Häuser und rannte auch mit aller Gewalt gegen die Hüfinger Brücke an, daß sie in den Fugen ächzte und stöhnte und einzustürzen drohte. Da kam gerade ein Müller mit seinem schwerbeladenen Fuhrwerk angefahren und wollte noch rasch ans andere Ufer. ,,Bleib zurück!“ riefen ihm warnend die Bauern zu, die gerade dabei waren, den Brückenbogen, so gut es eben ging, abzustützen. Der Mül­ ler aber schlug ihre Warnung in den Wind. Erst versuchte er mit lautem Hüst die Pfer­ de anzutreiben. Als sie aber vor den hoch­ gehenden Fluten scheuten und ihre Mäh­ nen schüttelten, daß die Kummetglocken hell aufklangen, hieb er wütend die Peitsche auf ie ein. Mit einem jähen Ruck zogen sie an, daß die Zugseile knirschten. Und hol­ pernd rollte der Wagen über die Brücke. Als er aber in der Mitte angekommen war, hol­ te der wütende Fluß zu einem neuen Stoße aus. Das war für die alte Brücke zuviel. Dem Anprall der Wasser und der Last des Ge­ fährtes war sie nicht mehr gewachsen. Kra­ chend brach sie in sich zusammen – und 206 Ros e und Wagen versanken in der tosenden Flut. Der Müller aber, der sich im Sturze müh­ sam an einen Balken klammerte, gelobte in seiner Not, er wolle der Kapelle drüben am Ufer einen Schmuck stiften, wenn er und sein Gefährt gerettet würden. Und alsbald tauchten die Pferde mitsamt dem Wagen wieder aus dem lehmfarbigen Wasser und gelangten unversehrt ans Ufer, so, als habe eine überirdische Kraft sie an starker Kette emporgezogen. Der Müller hielt sein Gelübde. Und so umschließt heute noch die hufeisenbehan­ gene Kette die alte Kapelle. MaxRieple Die welke Rose Gib mir die Rose, die welke, Bevor ich scheiden muß, Daß sie mir jetzt noch raune Von unserem ersten Kuß! Als im Sommer die Amsel Geflötet über mir, Brach id1 die rote Rose Und gab sie, Mädchen, dir. Gib mir die Rose, die welke, Eh‘ ich Vergrämter geh, Daß sie mir ewig raune Das Lied von der Liebesweh! Josef Albicker

Hüfinger Friedhofskapelle Das war für die alte Brücke zuviel. Dem Anprall der Wasser und der Last des Gefähr- Zeichnung: Helmut Groß tes war sie nicht mehr gewachsen… 207

Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild Pulverturm in Villingen Villingen aus der Luft Konzerthaus Franziskaner, Villingen fotografiert von German Hasenfratz, Hüfingen fotografiert von German Hasenfratz, Hüfingen fotografiert von Thomas Herzog-Singer, VS-Villingen fotografiert von German Hasenfratz, Hüfingen fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach fotografiert von German Hasenfratz, Hüfingen fotografiert von German Hasenfratz, Hüfingen fotografiert von Erwin Kienzler, Schonach Stadtfest in Hüfingen Am Kirnbergsee Winterabend im Weißenbachtal Schönwald „Taubenparade“ vor dem Ringwald-Porta/ am Vi//inger Münster, fotografiert von Wi!fi-ied Dold Max -Rieple -Platz, Donaueschingen Reitturnier in Donaueschingen

Kirchen, Kapellen und Glocken Der Kirchtunnbau von Dauchingen Die Kosten des 42 Meter hohen Bauwerkes hat die Gemeindekasse getragen 13. Kapitel/Almanach 99 Mit 42 Meter Höhe (bis zum Turmknauf) ist der Dauchinger Kirchturm das höchste Gebäude Dauchingens und zusammen mit dem Kirchenschiff ein markantes, weithin sichtbares Wahrzeichen der Gemeinde. Der turm befindet sich an der Nordseite der Kir­ che und wurde in den Jahren 1844 bis 1847 zeitgleich mit dem Neubau der Kirche er­ richtet. Ihr Hauptportal ist Bestandteil des Turms. Bautechnisch geschickt fügte der Architekt, Zentralbaudirektor Fischer aus Karlsruhe, den Turm zur Hälfte in die Stirn­ seite des Kirchenschiffes ein, eine Konstruk­ tion, die in ihrer Ausführung an den Bau­ meister Göttler aus Rottweil hohe Anfor­ derungen stellte. Erbaut wurde der Turm, wie das Schiff auch, mit guten Bruchsteinen aus dem Gewann Epfenhard. Die Kosten des Kirchenbaues betrugen samt Inneneinrichtung 38 598 fl, wovon 10 890 fl auf den Turm entfallen. Nach heu­ tigem Wert würden die Gesamtkosten für den Kirchenbau ca. 3 Mio. DM betragen, darin sind ca. 590 000 DM für den Turmbau enthalten. Die Kosten für die Errichtung des Langhauses, des Chores, der Sakristeien, der Zugangstreppen, der Kirchenumfassungs­ mauer, des „notwendigen Inbaues“, d. h. des Hauptaltars, Kanzel, Taufstein, Beicht- und Betstühle, trugen der Kirchenfond bzw. die Armenpflege Rottweil und die Pfarrei Dau­ chingen als Zehntherren. Die Kosten für Neubau und Unterhalt des Turmes und des »nichtnotwendigen Inbaues“, d.h. die bei­ den Nebenaltäre, Glocken und Orgel, trug die politische Gemeinde. Die Kosten für Anschaffung und Unter­ halt der Turmuhr waren Angelegenheit aus­ schließlich der politischen Gemeinde. Die­ ser Regelung, in der auch die Leistungen der Der Kirchturm von Dauchingen aus dem Jahr 18 44 ragt 42 Meter in die Höhe. Hand- und Fuhrdienste und die Bezahlung der Feuerversicherung aufgenommen wa­ ren, lag das Kirchenbauedikt für Baden vom 26. April 1808, berichtigt 1837, zugrunde, 209

Kirchen, Kapellen und Glo ken bekräftigt im speziellen Fall Dauchingens durch ein Urteil des Oberhofgerichts Mann­ heim. Doch bereits vor Erlaß dieses Bau­ edikts hat sich die politische Gemeinde 1779 und 1802 an den Reparaturkosten für den Kirchturm beteiligt. In der Folge des Kir­ chenbauediktes finden sich nun in den Ak- 210 ten der politischen Gemeinde Unterlagen und Rechnungen über Orgeln, Turmuhren, Glocken und über die Bezahlung des Orga­ nisten und des Meßmers. Letztgenannter wurde deswegen von der politischen Ge­ meinde bezahlt, weil der Unterhalt der Turmuhr in seinen Zuständigkeitsbereich fiel. Die Anschaffung der neuen Turmuhr 1845 gestaltete sich offensichtlich als ein politi­ sches Ereignis in Dauchingen: 127 der ins­ gesamt 146 stimmberechtigten Dauchinger Bürger versammelten sich auf dem damali­ gen Rat- und Schulhaus (heute altes Schul­ haus) und stimmten namentlich einstimmig dem Vorschlag des Bürgermeisters über die anzuschaffende Turmuhr mit einer Glocke zu. 1898 schafft wiederum die politische Gemeinde eine neue Turmuhr mit drei Glocken an. Zwischenzeitlich trat das Badi­ sche Ortskirchensteuergesetz 1888 in Kraft, welches die öffentlich-rechtlichen Aufga­ ben, die bisher nach dem Bauedikt den Kirchenspielgemeinden oblagen, den Kir­ chengemeinden auferlegt. Bestehende pri­ vatrechtliche Verpflichtungen blieben hin­ gegen unberührt. Die Einführung des reichseinheitlichen Grundbuches ab 1900 gab vielerorts Ge­ legenheit, in diesem Zusammenhang auch etwaige Verpflichtungen Dritter (z.B. politi­ scher Gemeinde) festzuhalten oder durch ei­ ne Vereinbarung zu regeln. Hierfür wurde im Fall Dauchingen hinsichtlich des Kirch­ turms offensichtlich keine Veranlassung ge­ sehen, zumal die Grundbucheintragung in Dauchingen bereits 1844 erfolgte. Dabei galt und gilt für die Turmuhr eine eigene Re­ gelung, nach welcher diese aufgrund ständi­ ger Rechtsprechung schon immer als Zu­ behör angesehen wurde und somit im Ei­ gentum eines Dritten, z.B. der politischen Gemeinde, stehen kann, was ja in Dauchin- Colorierle Architektenskizze zum Kirchenneubau in Dauchingen.

gen auch der Fall ist. Die Gründe der politi­ schen Gemeinde, sich am Unterhalt der Kir­ che, speziell des Kirchturms, finanziell zu beteiligen, waren vielfältig: so repräsentier­ te die Kirche als Gebäude auch die politi­ sche Gemeinde, die daher an einem guten baulichen Zustand des Gotteshauses inter­ essiert war, wobei die große Armut der Kir­ chengemeinde, zumindest vor Einführung des Ortskirchensteuergesetzes, die finanzi­ elle Unterstützung durch die politische Ge­ meinde geradezu als selbstverständlich er­ scheinen läßt. Ferner war die Kirchturmuhr als im Ort verbindlich geltender Zeitmesser von Bedeutung, beispielsweise für die Bäue­ rinnen, die auf den Feldern arbeitend durch das „Elfeläuten“ daran erinnert wurden, nach Hause zu eilen, um das Mittagessen für Familie und Gesinde vorzubereiten. Eilends verließen auch die im benachbar­ ten Schwenningen beschäftigten Frauen um 11.00 Uhr die Fabriken, um das schon oft am Morgen vorbereitete Essen auf den Tisch bringen zu können. Das trug der von Heil­ mut Kienzle 1953 der Stadt Schwenningen zum Gedenken an seinen Vater Jakob Kien­ zle gestifteten Steinplastik „Die Zeit“, die sich an der Nordseite des Schwenninger Rat­ hauses befindet, im Schwenninger Volks­ mund die Bezeichnung „Elfewiib“ ein. Auch Glocken gemeinsam finanziert Für die Bedeutung der Glocken im Leben der politischen Gemeinde Dauchingens sei­ en hier als Beispiele die Alarmierung durch die Kirchenglocken beim Brand 1961 und das Läuten der Kirchenglocken bei der deut­ schen Wiedervereinigung 1991 genannt. So ist es durchaus verständlich, daß sich die po­ litische Gemeinde über die Anschaffung bzw. den Unterhalt der Kirchturmuhr hin­ aus mit freiwilligen Leistungen am Unter­ halt des Kirchturms beteiligt, so 1922 bei der Anschaffung des neuen Geläutes, für wel­ ches die politische Gemeinde als freiwillige Leistung 4 000 Mark an die Glockengießerei Kirchturm Dauchingen überwies und dafür im Gegenzug der politi­ schen Gemeinde das kirchliche Geläut zu weltlichen Zwecken jederzeit zur Verfügung steht. Auch die Übernahme der Kosten für das Umdecken des Kirchturms 1923 in Hö­ he von ca. 4 625 000 Mark oder die Kosten in Höhe von 3 775 933 Mark für Flaschner­ arbeiten (Turmknauf) – die hohen Summen sind eine Folge der damaligen Inflationszeit – im gleichen Jahr waren freiwillige Leistun­ gen der politischen Gemeinde. Erst im Drit­ ten Reich zog sich die politische Gemeinde aus ihren freiwilligen Leistungen gegenüber der kirchlichen Gemeinde zurück, indem sie beispielsweise ihre Beteiligung an den Ko­ sten für die Neuerrichtung der baufällig ge­ wordenen Zugangstreppe zur Kirche ver­ weigerte. Heute bringt die politische Ge­ meinde jährlich durchschnittlich 2 000 DM für den Unterhalt der Kirchturmuhr auf. Bereits in der Vergangenheit flammte in einzelnen Gemeinden in Baden oder jüngst in Baden-Württemberg eine Diskussion über die Leistungen der politischen Ge­ meinde gegenüber der kirchlichen Gemein­ de auf. Auch im Gemeindetag Baden -Würt­ temberg wird dieses Thema seit seinem Be­ stehen besprochen, wobei im württember­ gischen Landesteil die Rechtsverhältnisse zwischen politischer und kirchlicher Ge­ meinde anderer Art sind als im badischen Landesteil. Zur Zeit bemüht sich der Ge­ meindetag, mit den Kirchenleitungen zu ei­ ner grundsätzlichen Absprache zu kommen. Wie auch immer das Ergebnis dieser Ab­ sprache ausfallen mag, an dem guten Ein­ vernehmen zwischen der politischen und kirchlichen Gemeinde Dauchingens, auch hinsichtlich des Unterhaltes der Kirchturm­ uhr, wird sich nichts ändern. Raimund Adamzryk 211

Kirchen, KapeUen und Glocken Paulus – Kapelle ein St. Georgener Kleinod Die künstlerische Ausgestaltung mit Mosaiken und Wandgemälden stammt von Nevzat Sahin der Welt herumkam und die Botschaft Chri­ sti verbreitete. „Gott ist für alle derselbe“, sagt der evangelische Franz Baumgärtl und liegt damit auf einer Wellenlänge mit Nev­ zat Sahin, der als Muslim keine Probleme mit der christlichen Lehre hat. Auch er zieht die Ökumene den einzelnen Religionsge­ meinschaften vor. Es war eine gute Zusammenarbeit, die den St. Georgener Franz Baumgärtl mit Adel- Unterhalb des Bildungszentrums, an der Landesstraße 175 in Richtung Hardt, führt von der Schramberger Straße rechts ab der Waldparkweg in den Gewann Vohenlohe. Die genaue Wegbeschreibung ist notwendig, um das jüngste St. Georgener Kleinod zu finden – die Paulus-Kapelle. Sie steht, wenn man die asphaltierte Straße in Fahrtrichtung verläßt, nach einer kurzen Wegstrecke auf dem Anwesen der Familie Franz Baumgärtl. Ein Zwiebelturm mit einer kleinen Glocke zeigen dann dem Besucher, daß er am Ziel ist. Zeit zur Rast und Einkehr, :, denn die Kapelle ist – so wol­ len es die Besitzer – tagsüber für jedermann geöffnet. Mehrere Besonderheiten sind der Kapelle eigen: sie ist nicht von altersher dem Hof in respektvoller Entfernung zugeordnet, sondern steht dort erst seit zwei Jahren und ist eng an das Haus ge­ schmiegt. Sie ist weder evan­ gelisch noch katholisch, und ein türkischer Künstler, der seit sechs Jahren in St. Geor­ gen lebt, hat sie mit Mosai­ ken, Wandgemälden und Skulpturen geschmückt: Nev­ zat Sahin (siehe auch Kapitel „Kunst“ in diesem „Alma­ nach“). Namensgeber ist der Apostel Paulus, der seinerzeit weit in Die Paulus-Kapelle in St. Georgen steht nicht seit altersher beim An­ wesen Baumgärtl, es handelt sich vielmehr um einen Neubatt. 212

Paulus-Kapelle Der türkische Künstler Nevzat Sah in gestaltete farbenfroh das Innere der Paulus-Kapelle. heid Stollbert und dem Keramikkünstler Sa­ hin zusammenführte. Baumgärtl wollte aus sehr persönlichen Gründen eine Kapelle bauen – für die Familie und Besucher, die verweilen und sich selbst besinnen wollen. 1994 wurde die Idee geboren, der Platz un­ mittelbar neben dem Haus gefunden, Ent­ würfe hergestellt. Die Ideen lieferte Adel­ heid Stollbert, die dem Keramikkünstler, der auch malt und bildhauert, die Richtung vor­ gab. Und Nevzat Sahin ging ans Werk: Nach Feierabend und an Wochenenden schuf er das Keramik-Relief der Missionsreisen des Apostel Paulus. In den Fußboden legte er ein Mosaik, das auf die ersten Christen hin­ weist – Brot und Fisch sind das zentrale Ele­ ment. Von der Decke schaut ein großes Au­ ge, der Innenraum ist geschmückt mit einem Bildnis des Erzengel Michael, der auf Chri­ stus weist. Und hinter dem Kruzifix im Al- tarraum zeigt ein Ensemble die Verkündi­ gung der Auferstehung Christi. An der Figur links auf dem Sockel, die auf einem Floh­ markt gefunden wurde, fehlten Hände und Arme. Nevzat Sahin modellierte beides nach – jetzt verleiht sie dem Raum weiterhin sakrale W ürde. Die Familie Baumgärtl ist glücklich mit ih­ rer Kapelle, der Künstler zufrieden mit sei­ nem Werk und die Besucher sind beein­ druckt. Mit dem rechten Herzen gesehen ist die Kapelle ein Sinnbild für das friedliche Miteinander aller Gläubigen, ja aller Men­ schen. Renate Bökenkamp 213

14. Kapitel/Almanach 99 Brauchtum Zur Geschichte der Sommersonnenwende Der Bund Badischer Landjugend pflegt alljährlich einen jahrhundertealten Brauch Alljährlich feiern die Landjugendgruppen des „Bundes Badischer Landjugend“ Kreis­ verband Schwarzwald-Baar am 21. Juni das Fest der „Sommersonnenwende“. Mit dieser Feier beziehen sie sich auf eine alte Traditi­ on, die bereits aus der germanischen Vorzeit und deren Mythologie abzuleiten ist. Zunächst Grundsätzliches zum Begriff der Sonnenwende: Unter Sonnenwenden (Sol­ stitium) versteht man, laut „Brockhaus“, die Umkehr in der Deklinationsbewegung der Sonne, die am 22.Juni (Sommeranfang) bei der größten nördlichen Deklination und am 22. Dezember (Winteranfang) bei der größ­ ten südlichen Deklination der Sonne ein­ tritt. Das heißt, zur Zeit der Sommerson­ nenwende sind die Tage auf der Nordhalb- kugel der Erde am längsten, zur Zeit der Wintersonnenwende am kürzesten. Auf der Südhalbkugel der Erde ist es umgekehrt. Zur Sommersonnenwende begingen die indoeuropäischen Völkergruppen Nord­ und Mitteleuropas ein großes Fest, das mit altüberlieferten Bräuchen des Volksglaubens gefeiert wurde. Bei der Sonnwendfeier spiel­ te das Feuer eine bedeutende Rolle. Man entzündete große Holzstöße. Da man glaubte, daß die Sonne bei der Sonnenwen­ de von feindlichen Dämonen angegriffen würde, versuchte man jene durch Abwehr­ zauber zu vertreiben (Lärmen, Feuer usw). Die vom Holzstoß aufsteigenden Flammen sollten das Böse erschrecken, der beißende Rauch es in die Flucht schlagen. Das Über- Mil einem Umzug und Musik eri!/fnel die Landjugend alljährlich ihre Feier zur Sommersonnenwende. 214

springen des Feuers sollte Gesundheit für das jeweilige Jahr bringen, zur Läuterung dienen und die Betroffenen vor Unfall und Krankheit schützen. Junge Paare übersprangen den brennenden Holzstoß und befragten dabei das Orakel: Wenn sich ihre Hände beim Sprung nicht lösten, blieben sie zusammen, verloren sie sich jedoch, traten daneben oder versengten sich die Kleidung, dann stand eine Tren­ nung oder Streit bevor. Nach dem bäuerlichen Glauben sollte das Feuer zu bedeutsamen Einschnitten im Jahr die Fruchtbarkeit der Felder fördern. Daher wurden zum Beispiel im südlichen Teil des Schwarzwaldes brennende Scheiben ins Feld geschleudert (,,Schiibe-Schlage“) oder anderwärts brennende Fackeln durch die Felder getragen. Ein alter Glaube brachte zum Ausdruck: ,,So weit der Feuerschein zu sehen ist, wird es im ganzen Jahr nicht ha­ geln.“ Von der Asche des Sonnwendfeuers nahm man ein wenig mit nach Hause und warf es in den heimischen Herd, das versprach Se­ gen oder man warf die Asche auf die Felder, das versprach Fruchtbarkeit. Angekohlte Holzreste steckte man als Abwehrmittel gegen Blitzschlag an den Dachfirst. Die Kirche und zuweilen auch die Obrig­ keit gaben sich jahrhundertelang Mühe, das in ihren Augen heidnische Brauchtum mit eigenen Aktivitäten und Riten zu verdrän­ gen. Um den heidnischen Brauch schließ­ lich zu überdecken, legten die Christen den Ehrentag für ,Johannes den Täufer“ auf den nachfolgenden 24. Juni Oohannistag), gleichzeitig übernahmen sie viele überlie­ ferte „heidnische Bräuche“, obwohl kein einziger sich eigentlich auf den „Täufer“ be­ zog. In beiden Fällen der Wintersonnenwende (21. Dezember) und Sommersonnenwende (21. Juni) haben die nachfolgenden christli­ chen Feste am Weihnachtstag (24. Dezem­ ber) und am Johannistag (24. Juni) die Sonn­ wendbräuche der Vorfahren integriert. So Sommersonnenwende sind eine Reihe von Bräuchen bis in die Neuzeit überliefert und praktiziert worden (Sonnwendfeuer,Johanniskraut sammeln in der Johannisnacht, Johanniswasser, Feuer­ springen usw.). Nach dem Volksglauben hat­ te sich dann die ganze Natur am Johannis­ tag segensvoll verändert. Zahlreiche Bräuche sind im Verlaufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten, da­ bei stand das Sonnwend-Johannisfest noch im Mittelalter in hohem Ansehen. In Re­ gensburg, so die Überlieferung, erschien im Jahre 1471 Kaiser Friedrich III. persönlich zum Festtanz, die Chronik von Frankfurt am Main berichtet, daß sogar das königliche Banner über dem Holzstoß aufgerichtet worden war. Zur Zeit der ,.Aufklärung“ verboten Zur Zeit der „Aufklärung“ waren diese Fei­ ern zeitweilig verboten, im 19.Jahrhundert bestand jedoch, im Zeichen der aufkom­ menden Lichterromantik, öffentliches In­ teresse an den Sonnwendbräuchen. Die deutsche Jugendbewegung des „Wandervo­ gel“ nahm diese Stimmung auf und überlie­ ferte die Bräuche bis ins 20. Jahrhundert. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden die Sonnwendfeiern als Zeugnisse germani­ scher Tradition gefördert und erhielten ei­ nen nationalen Ausdruck und Charakter. Von der Nachkriegszeit bis heute pflegen Vereine, Traditionsverbände und auch der ,,Bund Badischer Landjugend“ das überlie­ ferte Brauchtum, allerdings den veränder­ ten Verhältnissen angepaßt, in teilweise an­ derer Form. Um den alten Brauch wieder aufleben zu lassen veranstalteten die Land­ jugendgruppen des „Bundes Badischer Landjugend“ im ehemaligen Landkreis Vil­ lingen am 22. Juni 1963 in Weilersbach die erste Sonnwendfeier nach dem Kriege. Die Jugendlichen zogen mit einem Fackelzug durch das Dorf auf eine Anhöhe und ent­ zündeten dort einen Holzstoß. Bei Liedern, Wortvortrag, Volkstanz und Sprung durchs 215

Sommer onnenwende Feuer feierte man in der schönen Sommer­ nacht das Fest der Sommersonnenwende. Diese erste Sonnwendfeier fand in den nachfolgenden Jahren bis heute ihre Fort­ setzung im Jahresprogramm der Landju­ gendgruppen des „Schwarzwald-Baar-Krei- „ses . Allerdings hat sich aus der einstmals klei­ nen Feier in der Neuzeit teilweise ein länd­ liches Sommerfest entwickelt: Die Sommer ­ Sonnwendfeier des Jahres 1998 fand am 20. und 21. Juni in Brigachtal statt. 15 Landju­ gendgruppen nahmen an der Veranstaltung teil. Ein buntes Programm mit Schlepperge­ schicklichkeitsfahren, Kinderprogramm und Tanzabenden bereicherten die Veranstal­ tung des Sommerfestes. Höhepunkt der Veranstaltungsreihe bilde­ te der Fackelzug und das Abbrennen des Sonnwendfeuers. Unter Vorantritt der Mu­ sikkapelle Klengen zogen die Gruppenmit­ glieder in ihren bunten traditionellen Trach­ ten in einem Fackelzug durch das Dorf zum Festplatz. Nach einigen Musikstücken des Musikvereins Klengen entzündeten die Fackelträger den mächtigen, 10 Meter ho­ hen Holzstoß. Als das riesige Feuer zum abendlichen Himmel loderte, begab man sich anschließend zur Feier und zum Tanz in das große Festzeit. Bleibt zu wünschen, daß die Landjugend im „Schwarzwald­ Baar-Kreis“ den Brauch der Sommersonnenwende weiter pflegen möge. Bruno Weber Textquellen: Bernhard, Marianne: .Altes Brauchtum von Lichtmeß bis Dreikönig“ ( 1985) -Heut han wir Johannistag- (S. 141-150). Hiller, Helmut: .Lexikon des Aberglaubens“ (l 986) -Johannistag, Johanniskräuter, Jo­ hannisfeuer- (S. 113 ff). Küster Jürgen: .Wörterbuch der Feste und Bräuche im Jahresablauf“ (1985) -Johannis­ tag/Sonnenwende- (S. 89/90/176). Das Feuer zur Sommersonnenwende soll auch Gesundheit bringen und jun­ gen Paaren einen Beweis ihrer Liebe geben, so der Aberglaube. 216

15. Kapitel/Almanach 99 Musik Bernd Boie – Kirchenmusiker aus Leidenschaft Der Villinger Bezirkskantor führte auch das „War Requiem“ auf Der Zufall des Terminkalenders wollte es, daß neben Bernd Boie, dem ersten und langjährigen Bezirkskantor an der Villinger Johanneskirche, auch Dr. Walter Eichner Anfang des Jahres 1997 fast zeitgleich in den Ruhestand verabschiedet wurde. Der leiden­ schaftliche Kirchenmusiker und der erfahre­ ne Leiter des Kulturamtes erinnern sich ger­ ne an jene „kulturelle Hoch-Zeit im Villin­ gen der Jahre 1980 bis 1985″ zurück, die beide mitgeprägt haben. Boie spricht rück­ blickend von einem fast freundschaftlichen Verhältnis, welches die beiden zum kultu­ rellen Wohl der Doppelstadt gepflegt ha­ ben. Zufall oder nicht: Eichner nahm 1975, nur ein Jahr vor Boie also, seine Tätigkeit in Villingen auf Die öffentlichen Kassen wa­ ren voll, so daß in diesem kulturellen Früh­ ling das Franziskaner, die Johanneskirche und das Münster renoviert wurden. In die Amtszeit von Bernd Boie fiel auch die Anschaffung der Heintz-Orgel fur die Johanneskirche. Dank glücklicher Umstän­ de konnte in Sulzburg eine „kostbare Orgel billig erworben“ werden. Der renommierte Schiltacher Orgelbauer Georges Heintz überarbeitete das Instrument komplett. So kam es, daß das letzte Exemplar aus der Do­ naueschinger Werkstatt von Schildknecht und Bergmann mit zwei Manualen und 32 Registern erhalten blieb. Bernd Boie, der am 15. Januar 1932 im Ein Kirchenmusiker aus Leidenscheft, Bezirkskantor Bernd Boie aus Villingen. 217

Bernd Boie westpreußischen Deutsch-Eylau als Sohn ei­ ner musikalischen Offiziersfamilie geboren wurde, bekam schon im Kindesalter Kon­ takt zur Kirchenmusik. Bereit als dreijähri­ ger Bub nahm ihn sein Vater mit in die Leip­ ziger Thomaskirche, der Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach. Vielleicht entdeckte er hier bereits seine Liebe zur Kirchenmusik. Die formstrenge Musik des großen Thoma­ ners ließ ihn sein ganzes Musikleben lang nicht mehr los. Neben Bach zählt Boie Mo­ zart, Brahms, Mendelssohn und Heinrich Schütz zu seinen Lieblingskomponisten. Apropos Schütz: Durch seinen früheren Or­ gellehrer Heinrich Spitta gelangte der Kir­ chenmusiker in den Besitz eines Handex­ emplars der ersten Werkausgabe des Kom­ ponisten. Resultat: Die Vertonung des 150. P almes von Heinrich Schütz wurde ausge­ graben und aufgeführt. Dabei hatte sich Boie Neuerungen nie ver­ schlossen: In seinem mehr als 20jährigen Schaffen als Bezirkskantor in Villingen hat er vielen neueren Werken zur Aufführung verholfen. Unvergessen etwa Benjamin Brit­ tens „War Requiem“ op. 66. Die vollständi­ ge lateinische Liturgie der Totenmesse mit sechs großen Abschnitten Requiem, Dies irae, Offertorium, Sanctus, Agnus Dei und Libera me wurde 1962 bei der Einweihung der nach Kriegszerstörung wiedererbauten Kathedrale in Coventry uraufgeführt. 1989, zum 60. Jahrestag des Kriegsaus­ bruchs, erklang das Werk als „Versöhnungs­ stück“ in Villingen und wurde anschließend im Freiburger Münster aufgeführt. Es han­ delte sich um eine Gemeinschaftsauffüh­ rung mit dem Freiburger Oratorienchor un­ ter Christian Böhler. Schmunzelnd erzählt Boie noch heute gerne von den Reaktionen der Villinger Katholiken, die erstaunt zur Kenntnis nahmen, daß der Protestant Boie im Freiburger Münster dirigieren durfte. Da­ bei ist ein anderer Aspekt viel bezeichnen­ der für das, was der Musiker mit seinem Schaffen erreichen will. Gab es zum „War Requiem“ in Villingen eine Ausstellung 218 zum Gedenken an das Kriegsende, so wur­ den Mendelssohns Werke im wahrsten Sin­ ne des Wortes bebildert. In Boies eigenen Worten: ,,Ich suchte immer nach einem ak­ tuellen Anlaß für eine bestimmte Auffüh­ rung. Ich wollte nie Kirchenmusik um der bloßen Kirchenmusik willen.“ Das gilt bei­ spielhaft auch für das Mendelssohn-Projekt des Jahres 1991. Ein Kunsterzieher aus Sin­ gen zeigte in einer Ausstellung seine mo­ dernen Aquarelle, die direkten Bezug auf die drei Oratorien des Tonsetzers nehmen. Boie war nicht unbedingt an der Wiege ge­ sungen, daß er den Großteil seines Berufs­ lebens in Villingen verbringen werde. Nach Kriegsende ver chlug es ihn nach Lüneburg, wo sein Großvater Superintendant war. Hier liegen die Anfänge seines Orgelspiels be­ gründet. Nach dem Studium, das er 1953 in Berlin begann, waren Wolfsburg und Horn­ berg weitere Stationen seines Werdegangs. Nur ein Jahr nach dem Wechsel von Horn­ berg in die Zähringerstadt, also im Jahre 197 7, gründete er hier die Villinger Kantorei. Bereits sechs Monate später führten die 80 Mitglieder den „Messias“ auf. Es waren ne­ ben der Kantorei und dem Motettenchor auch das Kantatenorchester, das für die Qialität ungezählter Aufführungen bürgte. Einen Superlativ stellte im Juli 1985 der Landeskirchengesangstag dar, der 5 000 Sän­ gerinnen und Sänger nach Villingen lockte. Noch heute ist Bernd Boie stolz darauf, diese Veranstaltung gemeistert zu haben. Ein kleiner Beweis für die praktizierte Öku­ mene, für die sich Boie stets stark machte, ist der Umstand, daß der Münster-Dekan aus Anlaß des Abschlußsingens auf dem Mün­ sterplatz die Glocken läutete. Dekan Müller sei von der riesigen Sängerschar so begeistert gewesen, daß er sich spontan dazu ent­ schlossen habe. Eine solche Begeisterung und Freude an der Musik war in Boies Schaf­ fen – das mit seiner Pensionierung nicht be­ endet ist – stets spürbar. Joachim Siegel

„Egon & Co“= Alemannen-Rock im Dialekt Vom Proberaum in Klengen vor die Fernsehkameras des Süddeutschen Rundfunks Mu ik „Stell dir vor du wärsch ä Sau“, während die Alemannen-Rocker um Egon Kuss auf der Bühne des Bräunlinger „Bregtälers“ voll­ er Inbrunst diesen Titel schmettern, läuft es so manchem Zuhörer bei den Worten eiskalt den Rücken hinunter. Denn sie assoziieren mit dem Liedtext nicht wie die Mundart­ rocker Sorglosigkeit und Unbekümmertheit, sondern sehen sich schon zusammen mit Pommes und Salat auf dem Teller eines hie­ sigen Gasthauses liegen. Ihre musikalische Ausbildung erhielten Jürgen Brander (Schlagzeug), Udo Heindke (Baß), Gerhard Berthold (Gitarre und Ge­ sang) sowie Egon Kuss (Gesang, Piano und Mundharmonika) bereits als ABC-Schützen im örtlichen Musikverein und begannen schließlich 1974, mehr oder weniger gut, als Band die Baar zu verunsichern. Die Musikrichtungen wech­ selten im Laufe der Jahre, doch die Besetzung der Schulkameraden hatte Be­ stand. Vom Blues über Rock bis hin zu Popsongs probierten die Brig­ achtaler Rocker alles aus. Nachgespielte Titel waren im Reper­ toire der Band eher die Ausnahme und lediglich in den Anfangstagen inter­ essant, danach stieg der Anspruch an sich selbst und eigene Songs gewannen mehr und mehr an Bedeutung. Mit wechselnden Bandnamen wie „Dirty Spoon Band“ (Rock & Blu­ es), „TC-Company“ (Rock & Pop) oder „Air Craft“ (Rock) spielte das �artett in jedem kleinen Club im Umkreis von 100 Kilometern, doch der große Erfolg blieb weitgehend aus. Erst als die muntere Truppe vor rund drei Jahren „Egon & Co“ ins Leben rief, kam auch der große Durch­ bruch – zumindest auf regionaler Ebene. Das Rezept für diesen Erfolg ist denkbar einfach: Nicht jaulende Hardrocksongs oder verstaubte Volksmusikweisen locken die Leute zu den Egon-Konzerten, sondern ein­ fache Texte mit eigentlich recht belanglo­ sem Inhalt bringen das Publikum regel­ mäßig zum Rasen. Das besondere, der rotz­ frechen und – zugegebenermaßen – teils auch recht derben Texte ist die Sprache. Egon Kuss entdeckte nämlich das alemannisch als hervorra- gende und äußerst eingängige Songsprache. Gekonnt jongliert er mit dem Dialekt und schafft gnadenlos harmonische Songtexte voller Witz und Ironie. Er singt von seinen Nachbarn, Lottospielern – eben ganz normalen Menschen. Diese „badischen Moritaten“ gepaart mit einem soliden mu­ sikalischen Können machten aus „Egon & Co“ eine Gruppe, die es innerhalb von nicht ein- mal zwei Jahren vom Proberaum im heimischen Klengen vor die Fernsehkamera des Süddeutsch­ en Rundfunks brachte. Bei Hit- paradenmoderator Hübner waren die Ale-Mannen-Rocker im Fe­ bruar des vergangenen Jahres als musikalische Gäste geladen und die Resonanz auf diesen Auftritt blieb ebenfalls nicht aus: ,,Das Rah­ menprogramm war ja net unbe­ dingt unser Ding, aber der Abend als solcher war scho einmalig und Garant für beste Stimmung mit Texten im Dialekt, ,,Egon & Co“. 219

.Egon & Co ,,Egon & Co“ auf der Bühne, die Konzerte der „Alemannen-Band“ sind regelmäßig ausverkau.fi. wahnsinnig luschtig“ schwärmt Jürgen Bran­ der, noch heute. Und das, obwohl ihr großer Wunsch nicht erfüllt wurde: Egon und sei­ ne Mannen wollten vor der Kamera nämlich ihren größten Erfolg „D‘ Sau“ spielen. Doch dieser T itel wurde von den Fernsehmachern als „nicht bildschirmtauglich“ eingestuft – „zu derb“ hieß es in einem kurzen Schreiben aus Baden-Baden und deshalb spielten die Brigachtaler Mundartrocker halt den A-ca­ pella-Song „Dä Dackl und ich“. Dem Erfolg dieses Auftrittes tat dies kei­ nen Abbruch, die Debüt-CD „Einfach tie­ risch“ verkaufte sich bislang mehr als 3 000 Mal und die Band kann sich vor Angeboten für Auftritte nicht mehr retten. ,,Doch zu viel wollen wir in der Region auch nicht spielen, da es ansonsten leicht passieren kann, daß wir uns totspielen und uns keiner mehr sehen will“, verrät Mastermind Egon Kuss. Er meint weiter: ,,Außerdem brauchen wir etwas Ruhe zwischen den Auftritten, um neue Lieder zu schreiben und diese einzu­ studieren.“ Trotz Egons Befürchtungen wurden die ,,Egon & Co“-Konzerte dem hiesigen Publi­ kum bislang jedoch noch nicht langweilig, im Gegenteil: Konzerte in kleineren Clubs oder Gaststätten sind bereits Stunden vor Beginn komplett ausverkauft. Und sobald die vier lustigen Alemannen die Bühne be­ treten, bleibt kein Auge trocken. Gemäß dem Motto „Wir beziehen das Publikum in unsere Performance mit ein“, mischt sich Egon gleich zu Beginn des Auftritts unter das Publikum und begrüßt die meisten Gä­ ste gleich mal per Handschlag. Wenn „Chi­ ro“ alias Gerhard Berthold dann in die Sai­ ten greift, lauschen die Zuhörer gespannt, damit ihnen ja keine Textzeile entgeht. Doch nicht alle Zuhörer finden die Texte der munteren Truppe zum Lachen. Manch­ mal fühlten sich einzelne Personen, die sich in den ironischen Songs wiederentdeckt ha­ ben, regelrecht angegriffen. ,,Einmal kam ei­ ne Frau zu mir, die der Meinung war, daß die Textzeile ‚dicki Wieber trifsch du dert‘ des ‚Sauna Buggi Buggi‘ frauenfeindlich sei. ‚Also haben wir aus den Wieber eifach Mannä g’macht und seither gibt es mit dem Stück keine Probleme mehr“, erinnert sich Egon Kuss lachend. Giemens Benzing 220

Kunst und Künstler Erinnerungen an das alte Danzig Zum Tode von Hans-Georg Müller-Hanssen 16. Kapitel/ Almanach 99 Zweimal schon berichtete der Almanach (1984 und 1994) über den am 5. Mai 1908 in Schwen· ningen geborenen Künstler Hans-Georg Müller-Hanssen, der am 26. Juni entschlief, kaum zwei Monate nach seinem 90. Geburtstag. Mit einem Großteil seines Werkes, das eine liebevol­ le Empfindsamkeit für die Um­ gebung seiner Jugendjahre wi­ derspiegelt, hat er die heute na­ hezu vollständig verschwundene Arbeits- und Lebenswelt der Baar festgehalten. das Landratsamt, präsentiert über zwanzig seiner Kunstwerke. Ausgestellt sind diese sowohl auf der Galerie der Eingangshalle als auch in einem der kleinen Sit­ zungssäle, der den Namen des Malers trägt. Die Bilder, zumeist Radierungen, überliefern seine Sicht der Baar und des angren­ zenden Schwarzwaldes vom An­ fang des Jahrhunderts bis in die ersten beiden Jahrzehnte nach dem Kriege hinein. Müller­ Hanssen, der mit einem außer­ gewöhnlichen Gespür für das Typische der Landschaft begabt ist, schuf sie größtenteils wäh­ rend der regelmäßigen Ferienaufenthalte ab 1957 in der alten Heimat, denn ein berufs­ bedingter Umzug hatte ihn kurz vor Kriegs­ ausbruch 1939 in Bremen, endlich in Bre- Im Gespräch, Hans-Ge­ org Müller-Hanssen bei einer Ausslellungsertjff­ nung im Landratsamt. In zahlreichen Ämtern und Pri­ vatstuben der Region finden sich inzwischen seine Darstellungen, die dem Betrachter und Heimatverbundenen rasch ans Herz wachsen. Allein das Kreishaus auf dem Hoptbühl, Blick auf die Marienburg von der Stadtseite, November 1944. 221

Kunst und Künstler merhaven ansässig werden lassen. Seine unverwechselbaren Radierungen mit Motiven aus dem Landkreis wie seine Gemälde und Zeichnungen verbinden ho­ hen künstlerischen mit dokumentarischem Wert. Aus Anlaß dieses großen Schaffens ge­ staltete der Kunstverein Villingen-Schwen­ ningen daher im Mai 1998 zu Ehren des Ju­ bilars im Franziskaner-Museum eine umfas­ sende Retrospektive. Weniger bekannt und deshalb hier einmal vorzustellen ist jedoch Hans-Georg Müller­ Hanssen als zeichnender „Historiker“ und Bewahrer der alten Stadt Danzig, in die er als Werftmechaniker im letzten Kriegswinter 1944/45 an die Schichau-Werft von Bremen aus abgeordnet wurde. Seine zumeist auf grauem Tonpapier in den kalten Monaten November und Dezember fixierten Ein- drücke sind ergreifende letzte Momente der Anfang 1945 zu über 90% zerstörten Sied­ lung an der Weichsel und Mottlau. Als ob das Ende bereits gefühlt… Es ist zunächst das Athmosphärische, welches fasziniert. Wenige Menschen, schat­ tengleich, auf den Straßen; einzelne Kinder im Schutze von Brüstungen vorsichtig spä­ hend; ein menschlicher Umriß sich abzeich­ nend hinter den Holztüren eines Abgangs zu einer „Osteria“(!); Schornsteine ohne Rauch und damit unbeheizte Behausungen -dokumentierte Stimmung eines menschli­ chen Zusammenlebens, welches langsam innehielt als ob das Ende bereits mitgeteilt oder zumindest gefühlt. Dazu vielgeglieder­ te Sakralbauten in Wölbungen und Säulen, in den Himmel ragende Häuser, massige, hohe Gebäude aus dem feinen Winternebel drohend, fili­ grane Kirchtürme und Dome, Giebel aller Art, mit Fähnchen oder Figuren bekrönt. Und alle in einer „ehrfürchtigen“ Perspektive, die dem imposanten Ausdruck einstigen kaufmännischen Reich­ tums über den Tod der steinernen Zeugen hinaus Dauer und Gegen­ wart verleiht. Dann das Detail des Stadtbildes. Trotz zeichnerischer Individua­ lität und der bleiernen Farbe des Stiftes wären die Straßen-oder Häuserporträts durchaus Rekon­ struktionsunterlagen: Material, Form und Abnutzungsgrad der Zugänge, Gestaltung der Portale und Fenster, Gliederung der Bau­ körper und Fassaden, Plätze und Straßen. Planaufnahmen der Backsteingotik wie der legendären schmalen Häuser der im Ostsee­ raum beheimateten Hanseatik. In diesem wohl letzten Rund­ gang eines Künstlers durch das Die Heilig- Geist- Gasse mit Königlicher Kapelle in Danzig. 222

Erinnerungen an d alt Danzig kurz darauf verschwundene Danzig steckt keinesfalls nur das Werk eines Stadtchronisten. Die prall gefüllte Zeichenmappe ist sehr viel mehr denn eine Sammlung von Abbil­ dern der in Schall und Rauch fur immer vergangenen Gehäuse. In sei­ nen Zeichnungen hat Müller-Hans­ sen auch die gelebten letzten Senti­ ments geborgen. In dieser allumfas­ senden Vermittlung eines vergange­ nen Stadtlebens zusammen mit einer künstlerischen Subjektivität, die das Wesentliche zu bewahren weiß, liegt die hohe Leistung dieser zweimonatigen Schaffensperiode. Joachim Sturm Rechts: Der lange Markt mit Rathaus und Artushof in Danzig. Unten: Beischläge in Danzig. 224

Kunst und Künstler Im Schatten des großen Bruders Zum 85. Geburtstag des Kunstmalers Karl Müller Am 7. Juni 1913 erblickte Karl Müller in Schwenningen am Neckar das Licht der Welt, was weder ihm noch anderen der letz­ te Lichtblick war, denn lichtdurchflutete Bil­ der geben Kunde davon. In weiten Kreisen wird der Kunstmaler darob geschätzt: Öl­ gemälde, Farb- und Schwarzweißzeichnun­ gen zieren Bürgerstuben, Amtszimmer, Krankenhäuser oder Altersheime. Dazu zarte Bilder in Mischtechnik: Tem­ peramalerei, Aquarell, Farbstiftzeichnung. Düsterere Ölgemälde sind selten, das Spiel von Licht und Schatten ist bestimmend an sonnendurchglänzten Tagen wie der Künst­ ler sie erlebt. Allein, hier sieht mit dem Her­ zen gut der das Schöne liebt, das ihm und anderen zum Kraftquell wird. Mitzuemp- finden ist dies im elterlichen Hause des Künstlers in der Körnerstraße, in der guten Stube, die Atelier zugleich ist, steht doch ne­ ben einem mächtigen Bauernschrank die Staffelei. Daran der Maler, der im Skizzen­ buch, des Künstlers kostbarem Tagebuch, eingefangene Eindrücke zu bleibender Dau­ er verhilft. Der in sich gekehrte Künstler in seinem Gehäuse, an Spitzweg gemahnend, anheimelnd; doch nicht der Welt im Rück­ zug auf Verklärtes sich verschließend, offen. Die großen deutschen Tageszeitungen sta­ peln sich bei dem eifrigen Leser nicht nur des Feuilletons wegen. Daneben die Lokal­ zeitung der Geburtsstadt als Lebensbeglei­ ter; das Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg, die Brücke zur geistigen Hei- Im Hexenzipfel. Alt-Schwenningen zu Z,eiten, als die Muslen noch mitten durch die Stadtfloß. 225

Kunst und Künstler mat von Kindesbeinen an. Bilder an den Wänden laden den Besucher zur Betrach­ tung ein; Bildbände über die Welt der Kunst und Kultur wecken die Neugier; Bücher, wo­ hin das Auge blickt: Zum Kunstgeschichtler machte ihn die Neigung, zum Historiker das Leben. Neben dem Schönen steht das Gute: Die Möglichkeit des aufrechten Ganges in Zeiten, die viele beugen, auch die sich un­ gern biegen, beugen lassen, begeistert den Mann. Eine kleine Bibliothek der Theologie und Geschichte, des vorbildhaft gelebten christlichen Lebens auch im Widerstand, wo er geboten. ,,Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn ers gleich beim Kragen hät­ te!“: Faust, einmal anders. Vorsicht ist ange- raten. nem Kriegslager, als Soldaten „aus dem Fel­ de“ heimkehrten, das weniger Frucht trägt als der schäbigste Kartoffelacker. Zeit der Einquartierungen, auch im Hause Müller. Dann kommt der Amtsdiener mit einer schwarz umrandeten Schachtel, enthaltend die letzten Habseligkeiten des Vaters. Zu­ rück bleibt die Mutter mit ihren vier Söh­ nen: Hans-Georg, Hugo, Karl und Eiwin. Ein bitteres Los. Drei künstlerisch begabte Brüder Mit den dinglichen Glücksgütern des Le­ bens ist die Familie nicht überreich geseg­ net. Keine leichte Zeit. Hart arbeitet die Mutter in der „Hinteren Fabrik“, der die Nicht ohne Verständnis ist Karl Müller für jene, die unter Zwang einen ande­ ren Weg eingeschlagen haben; ein einfühlsamer Denker, nicht ein rigider Moralist ist der bescheide­ ne Mann, der es mit sei­ nem evangelischen Glau­ ben ernst nimmt. Nicht viele widersetzten sich im Dritten Reich, als heute einfach scheinende Ent­ scheidungen Bekenner­ mut verlangten. So, als un­ ter Reichsbischof Müller der Christliche Verein Junger Männer an die Na­ tionalsozialisten verraten wurde. Karl Müller und seine Brüder reihten sich nicht ein in die Reihe der nun unter anderer Fahne Marschierenden. Geboren im Kaiserreich, sind die ersten Erfahrun- gen des Kindes unerfreuli- ehe. Der Erste Weltkrieg ging zu Ende; der Schwen­ ninger Marktplatz glich ei- Das 1961 abgebrochene „Driischtockig Huus“ in Schwenningen. 226 ,1,1,/ t‘ 11//PI

Karl Müller Knaben manches Mal durch die Gitterfenster zusehen. Mit ganz­ em Herzen hängen die Kinder an ihr; bald wird der Älteste sie zeich­ nen. Wie bei Hans Georg erwacht auch bei Hugo und Karl früh das Talent. Nur bei Erwin nicht. Im Zeichenunterricht in der Schule zeigt sich das. Die drei künstlerisch begabten Müller-Buben finden im Schwenninger Kunstmaler Paul Goetze ihren Lehrer. Erste Studi­ en; Frühwerke entstehen. Die Schulzeit ist zu Ende. Karl geht zu Maler Krepp in die Lehre, schätzt das Können des „Meisters Johann ohnegleichen“, da er mehr vermag, als das Handwerk ver­ langt, lernt den dort beschäftigten Kunst- und Kirchenmaler August Hamm kennen, kann ihm bei der Restaurierung des alten CVJM­ Spieleschrankes über die Schulter sehen, lernt dazu. Der unver­ gleichlich schöne Bauernschrank wird auf der Gewerbeausstellung 1927 einen ersten Preis erhalten. „So an Khaschta muane ou hau‘!“ Kurz ist der Schritt vom Gedanken zur Tat, langwierig der Idee Ver­ wirklichung. Heute steht das Werk vielbewundert in Karl Müllers gut­ er Stube; Hugo und Hans Georg halfen „und miar hond oft in Ho­ blschpai‘ gschloofa“. Ja, auch der Jüngste in der Krepp­ schen Meisterwerkstatt kann etwas, das „Karlchen“, im Unterschied zu Karle und Karl, den anderen Lehrbuben, so geheißen. Dereinst wird er Malermeister Benzing bei diffizileren Arbeiten an die Hand gehen: Die Bemalung des berühmten Bärenschildes an der altehrwürdigen Brauereigaststätte bei­ spielsweise wird ihm aufgetragen. Später wird er durch Vermittlung Max Kaisers für die Weltfirma Friedrich Mauthe Uhren­ gehäuse bemalen, ,,geschaffen von erstklas- Karl Müller an der geliebten Staffelei. sigen Künstlern“ (Werbetext). Endlich die Laufbahn als Freischaffender finden. In jeder freien Minute ist er früh schon mit dem Zeichenblock unterwegs. Oft geht er in Begleitung seiner kunstbeflissenen Brüder mit dem Fahrrad auf Tour, immer mit su­ chendem Auge, mit wachem Blick für das Schöne. Von seiner Gabe, sich von einem Motiv gefangennehmen zu lassen, es ganz in sich aufzunehmen, es in eine kraftvolle, warme Bildersprache umzusetzen, zeugen 227

ten zeigt es sich mit seinen tief eingegrabe­ nen Lebensspuren, nicht verbergend, daß es dereinst vergeht. ,,Verweile noch, du bist so schön!“ Gestaltete Landschaften in und um Dorf und Stadt entstehen. Menschen erscheinen, figurenhaft oft, ohne Eigengebärde, nie be­ herrschend ins Bild gesetzt. Diese Kunst­ werke laden zur Heimkehr ins Vertraute. Vergewissern und vergegenwärtigen kann als Motto dieser Malerei gelten; Heimat im Hiesigen finden und bewahren, als ihr Be­ weggrund benannt werden. Gegen eine neue Welt aus Beton Die Bildnerei, die sich in Selbstbeschei­ dung mit dem Zeigen des Zuhandenen be­ gnügt, birgt in sich eine große V ision. Was Idylle scheint, wird Gegenentwurf gegen ei­ ne neue Welt, kalt und aus Beton; was von manchen als Fluchtwelt mißdeutet zu wer­ den in Gefahr steht, erscheint als Verteidi­ gung menschlichen Maßes. ,,Die traulichen Altstadtgassen läßt Gebor­ genheit erfahren, die stimmige Schichtung des überkommenen Stadtbildes lehrt ge­ bauten Gemeinsinn begreifen. Das einge­ hende Verweilen bei der behäbigen Physio­ gnomie der alten Einzelhöfe bezeugt den in- Kunst und Künstler bereits Gemälde, die vor nunmehr sechs Jahrzehnten entstanden sind: prächtige Hö­ fe, dort, wo die Landschaft selbst sich zau­ bert. Und „Schwarzwald, o Heimat, wie bist du so schön!“ kann singen, wer mit der Seele schaut ohne falschen Zungenschlag. Erlebte Heimat als menschliche Notwendigkeit, fern aller Ideologie. Daher durch keine zu vereinnahmen. Auch nicht durch den Kon­ servativismus der innig verehrten Schwarz­ waldmaler wie W ilhelm Gustav Hasemann, der gleich dem Volksschriftsteller Heinrich Hansjakob Vergangenes verklärte, um gute Untertanen in der Verbindung von Thron, Tracht und Altar zu (er)halten. Gleichwohl: Die geheimen Vorbilder sind Männer wie Gustav W. Hasemann und Curt Liebich. Vertrautes ist in den Sonnen- und Sonntagsbildern Karl Müllers wiederzufin­ den, in nicht selten ungewohnten Ansichten neu zu entdecken: Heimatliches, in der Natur gemalt, skizziert, selbst erinnert, ge­ legentlich nach anderer Angaben zitiert; Schwenningen, Rottweil, Villingen, die en­ gere und weitere Heimat des Schwarzwal­ des, der Baar, des Neckarlandes, der Alb, des Elsaß auch. Genauigkeit zeichnet Karl Müllers Bilder aus, die Phantasie scheint gezügelt. Und das Idyll? Erscheint als Ausschnitt der histori­ schen Realität, wie sie erlebt wer mit ihm die Mühle des Großvaters in Vöhringen besucht: das über Generatio­ nen gestaltete Gebäu­ de, eingebettet in sei­ ne Landschaft, heran­ gealtert, gereift, in ein Kunstwerk sich ver­ wandelnd. Nicht sei- Schwarzwaldhof bei Nußbach, Ölgemälde, 1933. 228

Karl Müller dividuellen Zuschnitt des Lebens, das Bestehen auf Eigenart und Son­ derform innerhalb einer gesetzten Ordnung.“ Stadt und Dorf wahren ihr Ge­ sicht, erfaßt vom tiefen Gespür des Künstlers. Mehr wird getan, als im Fluge Verwehendes festzuhalten. Die große Sehnsucht der Friedferti­ gen vermittelt sich: nach Harmonie, nach Beheimatung. Will man hier von einer Traum­ welt sprechen, so schafft sie einer sich, der die Wirklichkeit kennt, die Härte des Lebens und der ganz be­ wußt das Schöne sucht, das ästhe­ tisch Reizvolle, die Idylle als Le­ benswert, der gelebt werden kann: unschuldsvolle, selbstgenügsambe­ schauliche Geborgenheit, zu emp- fangen und zu geben. So ist Heimat, von Menschen mitgeschaffen, im Hier und Jetzt weiterzugestalten zum Garten des Mensch­ lichen im Vertrauen auf das geläuterte Über­ lieferte als Wegmarke und Orientierungshil­ fe; Kraftquell und Aufgabe zugleich; nicht Flucht in eine Vergangenheit, die so nie war: Goldene Zeit, verlorenes Paradies; nicht Ver­ tröstung auf eine Zukunft, die vielleicht nie so kommt wie erhofft. Heimat ist nicht eine Utopie, nicht etwas, das nirgends ist, son­ dern ein Topos: ein Ort, doch kein Ge­ meinplatz, der beliebig zu besetzen wäre, kein Schlagwort. Die Bewältigung der Gegenwart wird an­ gezeigt von einem, der nicht ohne Glauben daran ist, daß die Menschen doch zu bes­ sern seien, aufgerufen, die Welt sich zur Hei­ mat zu machen; nicht ohne leise zeitlose Hoffnung, daß nicht verloren, was man nie besessen. Und nicht ohne Wissen, daß der alte Adam so leicht nicht zu ersäufen ist. Statt Utopie der Freiheit selbstgewählte Bin­ dung: Heimat, die nicht zur Fessel wird. Da­ zu die „Freiheit eines Christenmenschen“, der vor niemandem und nichts den Diener Detail eines mit brüderlicher Hilfe geschaffenen Bauem- schrankes. macht, sich beugt nur vor Gott und für an­ dere. �eile der Kunst aber ist das Herz, die Sensibilität des tief Empfindenden, liebe­ volle Verbundenheit mit der Heimat, der ge­ lebte evangelische Glaube vor allem, der un­ eigennützige Hilfe in der kirchlichen Arbeit wie im Alltag hervorbringt. Materielles Denken ist Karl Müller nicht zu eigen, der am liebsten seine Bilder ver­ schenkte und wie oft hat er es getan! Ver­ marktung ist ihm zeitlebens ein Fremdwort geblieben. Werbung für sich hat er nie be­ trieben aus angeborener und erworbener Be­ scheidenheit. Und auch dies unvollständige Bild des Kunstmalers Karl Müller, Körner­ straße 20, ist ohne sein Wissen entstanden, ohne sein Zutun; in der Hoffnung, er möge es nachsehen, wird er für einmal aus dem Schatten heraus ans helle Licht der Sonne gestellt: neben seinen großen Bruder Hans Georg Müller- Hanssen. Michael]. H. Zimmennann 229

Kunst und Künstler Vom Leid als Ursprung der Kunst Erinnerung an den Holzschneider Hermann Simon Das umfangreiche Schaffen des 1996 verstorbe­ nen Künstlers, der weit über seine Heimat hinaus bekannt geworden ist, wurde erstmals im Al­ manach 87 vorgestellt. Hier soll noch einmal be­ sonders an die Holzschnitte erinnert werden, mit denen sich Hermann Simon einen Platz in der Kunstgeschichte des Landkreises erworben hat. Hermann Simon entstammt einer Bauern­ familie, wurde 1920 in Marbach, einem klei­ nen Dorf auf der Hochfläche des Schwen­ ninger Neckarmooses, geboren. Trotz vieler Eindrücke in der Fremde, vom Schicksal er­ zwungen oder selbst gesucht, ist das rauhe Land zwischen Hochschwarzwald und Heu­ berg mit den Qiellgebieten von Donau und Neckar, jene gleich einer gewaltigen Schüs­ sel ausgespannte Mulde der Baar mit dem weit aufgerissenen Himmel, lebenslang die bestimmende Bühne seines Wirkens, Rin­ gens und Leidens gewesen. Zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Krie­ ges zur Welt gekommen, in beschaulichen, bäuerlich geprägten Verhältnissen aufge­ wachsen, landesweit als Athlet erfolgreich, zählt Hermann Simon zu jener Generation unseres Jahrhunderts, die wir aus triftigem Grund die „verratene“ nennen. Zwanzig- ,,Die vemissage“, 1977, Holzschnitt, 35×46 cm. 230

H rmann Simon jährig wird er vom elterlichen Hof weg, den er übernehmen sollte, zur Wehrmacht eingezo­ gen, steht zunächst in Frank­ reich im Feld, nimmt dann am Rußlandfeldzug teil, wird zwei­ mal verwundet, erleidet Anfang März 1943 im Mittelabschnitt einen Brustdurchschuß, der ei­ ne lebenslange Q!ierschnittläh­ mung zur Folge hat. Für einen hoffnungsvollen jungen Menschen bricht eine ganze Welt zusammen. Die Zeugnisse jener düsteren Jahre sind spärlich. Das frühe zeich­ nerische Werk geht in den Wir- Der Holzschneider Hermann Simon beim Z,eichnen. ren der Lazarettaufenthalte und Transportwege verloren. Bis 1949 dauert die Pein des Krankenla­ gers. Mühsam gewöhnt er sich an den Roll­ stuhl, baut sich neue Ziele, Hoffnungen, Orientierungen auf, gewinnt 1949 eine tap­ fere, mutige Frau, die seine künstlerische Be­ gabung fördert und seine Existenz mitträgt. Es hört sich so leicht an: Einer trage des an­ deren Last! Doch dazu gehört ein großes tapferes Herz. Immanuel Kant, der große Denker der Aufklärung, ,,dem bürgerlichen Morgenrot“, wie mein Lehrer Ernst Bloch einmal formuliert hat, sprach davon, daß der Mensch selbst im tiefsten Leid die Pflicht zur Zuversicht habe. In der Tat ein schweres strenges Wort; denn wer vermöch­ te Zuversicht allein aus sich schöpfen und bräuchte keinen Gefährten, mit dem er die tägliche Last, Not und Elend tragen könnte. Hermann Simon zieht 1951 an die Stutt­ garter Akademie der Schönen Künste. Die Malklasse bei Manfred Henninger im Ober­ geschoß ist dem Rollstuhlfahrer verwehrt, so bleibt ihm nur der Weg in die Ateliers im Erdgeschoß. Er wird Schüler von Hans Meid, Gerhard Gollwitzer und im besonde­ ren von Karl Pössing, dem bedeutenden österreichischen Grafiker, der ihm den Holzschnitt erschließt; eine kräftezehrende Arbeit in der Fläche, eine Technik mit Mes­ ser, Geißfuß und Kehleisen, in der er es zur Meisterschaft bringen sollte – mit einer hoch ins zweite Tausend gehenden Zahl von Werken, an denen man Leid und Not der Entstehung nicht im geringsten mehr able­ sen sollte. Simon faßt, von der Fürsorge seiner Frau und durch deren Berufstätigkeit beschützt, als freier Künstler Fuß, zuerst in Ober­ marchtal, dann in Bräunlingen. 1966 zieht die Familie, zu der sich inzwischen eine Tochter und ein Sohn gesellt haben, ins ei­ gene Haus nach Marbach. Es folgen Stu­ dienreisen, zuerst nach Kalabrien, dann von 1989 bis 1991 in höherem Alter für drei Jah­ re ein Aufenthalt in Nordpakistan, schließ­ lich eine kurze Reise in die Neue Welt nach New York. Am 14. März 1996 erliegt er ei­ nem plötzlichen Herztod. Welch ein Leben! Welches Leid, welche Kraft und welcher Wille treten uns aus die­ ser Biographie entgegen! Nichts ist leicht, al­ les muß erkämpft werden. Wem fiele nicht die anrührende Gestalt des anderen Her­ mann ein, jenes Herimannus Contractus, dem sprachmächtigen Dichter des lateini­ schen Mittelalters, der -von Geburt ein Graf von Veringen -als Hermann der Lah-231

Kunst und Künstler Zigarrenraucher, 1975, Ho/zschnill, 50x 78 cm. me die beherrschende Mönchsgestalt der untergegangenen Hochkultur der Abtei Rei­ chenau darstellt. Hermann konnte nicht ge­ hen und mußte in einem Sessel getragen werden, in dem er zusammengekrümmt saß. Er konnte nur gebrochen sprechen und war fast nicht in der Lage zu schreiben. Trotzdem war er für seine Zeitgenossen „das Mirakel des Jahrhunderts“. Er war Theologe, Astronom, Mathematiker, Geschichtsschrei­ ber, Dichter und Musiker. Er fand die natür­ liche Erklärung für die Erleuchtung des Mondes. Für die Historiker ist seine Chro­ nik wahrscheinlich die wichtigste und zu­ verlässigste Qielle für die erste Hälfte des Jahrhunderts. Seit alter Zeit werden ihm auch die kirchlichen Gesänge Alma redemp­ toris mater und Salve regina zugeschrieben. Das Leben des einen Hermann, das des Reichenauer Mönchs, wirft ein Licht auf das Leben des anderen, des Holzschneiders, Malers und Plastikers Hermann Simon. Wer 232 möchte beurteilen, wessen Schicksal das schwerere war? Hermann Simon hat in verschiedenen Techniken gearbeitet, ist sicher ein achtens­ werter Aquarellist und Plastiker, er ist jedoch vor allem Holzschneider mit einem Werk, in dem die Meisterschaften eines Eduard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Conrad Felixmüller oder Erich Hecke! nachhallen. Und Hermann Simon bewältigt die große Form, das Ringen mit dem Widerstand der Schnittplatte, im tage- und wochenlangen Prozeß. Theodor Heuß hat einmal gesagt: ,,Holz ist ein einsilbiges Wort, aber dahinter ver­ birgt sich eii1e ganze Welt.“ Und diese ganze Welt ist auch eine versinkende Welt der Handwerker und Künstler, die auf der Baar und im Schwarzwald jahrhundertelange Tra­ dition hat: Die Welt der Schnefler, also der Schindel- oder Spanschad1telmacher, der Uhrenschildermaler, der Holzschuhherstel­ ler, der Stellmacher und natürlich der Holz­ bildhauer und Herrgottschnitzer, die zur Kulturgeschichte unserer Region dazuge­ hören. Die Grenzen zwischen Handwerk und Kunst waren in vorausliegenden Jahr­ hunderten fließend. Hans Thoma (1839- 1924) aus Bernau bei St. Blasien beispiels­ weise und sein Zeitgenosse Heinrich Frank waren gelernte Uhrenschildermaler. Jeder Schnitt muß sitzen Hermann Simon baut auf dem Goldgrund des handwerklichen Könnens auf. Das Holz verzeiht nichts, jeder Schnitt muß sitzen. Die Klarheit des Drucks bringt jede Nach­ lässigkeit, Unsauberkeit oder falsche Linien­ führung unweigerlich zutage. Hermann Simon, der noch zu Lebzeiten als Künstler An eben gewonnen und Be­ achtung und Würdigung erfahren hat, ist ein scharfsinniger Beobachter und kritischer Zeitzeuge. Wir kennen aus der Geistesge­ schichte jenes eigenartige Phänomen, daß die Marginalisierung der Existenz häufig

l, 1 1 ‚. .1 1 Hermann Simon mit Tränen, Geduld und einer schier über­ menschlichen, inneren Kraft neu aufbauen müssen. Seine Holzschnitte spiegeln die An­ gelpunkte seiner Existenz wider. Erstens ist es das unfaßbar Böse des Krieges, das den Unschuldigen und Unmündigen mit zer­ malmender Wucht trifft. So wie es die Men­ schen in seinen Bildern „Heimatgedanken“ und vom „großen Treck“ vor Augen haben, die bis heute unverminderte Aktualität be­ sitzen. Zum anderen ist es das schal gewordene, luxurierende Leben der Gesellschaft mit ih­ rer sinn-und geistlosen, ja tötenden Be­ triebsamkeit, so wie es sich exemplarisch auf 1 1/) 1 ‚l ) 1 1 1 , 1·1 1 ,, 1 1 1‘ • ‚ I, 111 1 nicht nur zu Abstand und Isolation, son­ dern zu größerem Erkenntnisgewinn, mehr Kreativität und Kulturleistung befähigt. Wir alle kennen die Spottgestalt des Bie­ dermanns, des Pfahlbürgers, des Banausen, der sich in einer behaglichen Welt von Selbstverständlichem eingerichtet hat, der auf alles im Leben einen Vers weiß und den Unbekannten, den Außenseiter wider Wil­ len oder aus freien Stücken bedauert oder gar verhöhnt, die eigene Blindheit nicht ach­ tend. Wie arm wäre jedoch unsere Kultur ohne den geistigen Beitrag der jüdischen Wissenschaftler oder Künstler, um nur ein Beispiel randständiger Existenz zu nennen. Was wäre die moderne Gesell­ schaftswissenschaft ohne einen ‚ , Karl Marx, Sigmund Freud, Karl Mannheim, Max Horkheimer, 1 Theodor W. Adorno, ohne Erich Fromm, Herbert Marcuse, Erik H. Erikson; allesamt sind sie, als Juden an den Rand der Gesellschaft ge- drängt, zu deren scharfsinnigen Analytikern und Kritikern gewor- den. Die These vom Ursprung des Schöpferischen durch die schmerz­ hafte Verbannung aus dem Selbst­ verständlichen, aus dem Paradies, markiert den Qyellpunkt von Iden­ tität und Erkenntnismöglichkeit. Die Theologen sprechen deswegen auch von der Felix culpa, von der glücklichen Schuld des aus dem Pa­ radies verstoßenen ersten Men­ schenpaares, die nicht nur vom Verlust des immerwährenden zeit­ losen Glücks betroffen sind, son­ dern gleichzeitig die Chance ge­ winnen, sich auf die eigenen Kräf- te besinnen zu können. Hermann Simon wurde durch ei­ nen gnadenlosen Krieg aus dem Pa­ radies der Jugend ausgestoßen und hat im Fegefeuer seiner Leiden und seines Leids die verlorene Existenz „Die Übeifahr1‘: 1978, Holzschniu, 58×40 cm. I 1 I …. 1 1 iJ I 233

Hermann Simon dem Bild „Die Vernissage“ darstellt und sich in seinen Holzschnitten „In der Ringer­ ecke“, ,,Das Reitturnier“, ,,Der Bahnsteig“ oder „Der Zigarrenraucher“zeigt. Drittens schließlich ist es aber auch das Glück der Gemeinsamkeit der tragenden Verbindungen mit den Nächsten, die Ge­ borgenheit in der Schöpfung, die Gefähr­ tenschaft mit dem Tier; Themen, wie sie in seinen Bildern „Mutter mit Kind“, ,,Paar im Winter“, ,,Die Überfahrt“ oder „Die Klein­ bauern“ aufscheinen. Hermann Simon, dessen Werk sein eben­ so schweres wie kreatives Leben überdauern wird, war einer der Stillen im Land. Seine Kunst ist keine leicht verderbliche Ware, sondern geistiges Marschgepäck für heutige und künftige Generationen. Er erinnert mit seinem Werk an Größe und Schmach der Menschen, aber auch an das, was über uns und unser Wollen und Begeh­ ren hinausweist, was einfach nur für sich steht, was schön ist als Teil der Schöpfung, die Hermann Simon in seinen weltfrommen Bildern zum Leuchten bringen will, eine Schöpfung, die wir im Pflanzlichen und T ie­ rischen wiederfinden und als Zauber des Le­ bens erfahren, den man weder ergründen noch begründen kann. Die Werke von Hermann Simon kann man hinnehmen wie ein anderes Naturer­ eignis. Bei Angelus Silesius (1624-1677), dem „schlesischen Wandersmann“ des Ba­ rockzeitalters, heißt es: Die Ros‘ ist ohn‘ ‚�rum; sie blühet, weil sie blühet sie acht nicht ihrer selbst, fragt man, ob man sie siebet. Die Kunst von Hermann Simon ist in die­ sem Sinn ohn‘ Warum. Si acht’nicht ihrer selbst, fragt man, ob man sie siebet. Sie braucht weder Propaganda noch umständli­ che Erklärung; sie steht für sich selbst und gefällt“ohne besonderen Begriff“; wie Immanuel Kant es für jede wahre Kunst ge­ fordert hat. Prof Dr. Phil. Friedemann Maurer Anm.: Der Text ist die leicht veränderte Fassung des Vortrages anläßlich der Retrospektive zum Werk von Hermann Simon in der Kreissparkasse Rottweil a.N. am 14. April 1997. 234 Hermann Simon in New lark.

Petra Kösters arbeitet in der Tradition der „visuellen Poesie“ Das Schaffen von Kunst beruht in der Re­ gel auf Inspiration. Das gilt gleichermaßen für gegenständliche Abbildungen wie für abstrakte, für konstruierte Darstellungen ebenso wie für spontangestische Malerei. Immer ist ein äußerer Faktor, der Stimmun­ gen und Empfindungen freisetzt, ausschlag­ gebend für die individuelle Kunsterzeu­ gung. So vielfältig wie das aktuelle Kunst­ schaffen in Erscheinung tritt, so vielfältig sind auch dessen lnspirationsquellen. Die Auseinandersetzung mit unserer Umwelt, der Landschaft, ist sicherlich eine wesentli­ che, häufige und leicht nachvollziehbare Ba­ sis für künstlerische Interpretation. Aber bildnerische Betätigung kann auch ihren meditativen, geistigen Ursprung in anderen Kunstformen, wie der Musik oder der Lite­ ratur haben. Für die Künstlerin Petra Kösters ist die Be­ schäftigung mit Literatur und Musik in ih­ rer momentanen Werkphase unabdingbare Voraussetzung zur Schaffung eines Bildes. Die 1943 in Mannheim geborene und seit Petra Kösters bei der Arbeit im Atelier. Literatur und Musik als Q!iellen für Kunst Kunst und Kün der Poem 98, 1 JOx 100cm, Acryl auf Aluminium. 20 Jahren in Villingen lebende Künstlerin hatte schon immer ein starkes Interesse für Literatur gehabt. Die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der Weltliteraten, von Samuel Beckett bis T. S. Eliot, beschränkte sich da­ bei lange auf ein zwar in­ tensives aber rein rezeptives Verhalten. Ihre erste künst­ lerische Ausbildung erhielt sie Ende der 60er Jahre in der Mannheimer Kunst­ schule Rödel. Zwei Jahr­ zehnte später, mittlerweile in der beschaulichen Pro­ vinz lebend, wagte Petra Kösters noch einmal den Sprung an eine Kunstaka­ demie. In der Klasse von Professor Günther Uecker an der Düsseldorfer Akade­ mie hat die Spätberufene 235

Pttra Kö tcr Der liebesbrief97 (C/audio Monlerud1), J 70x 180 cm, Mischtechnik a1if Pergament. wesentliche Impulse für ein eigenständiges Kunstschaffen erhalten. Sie hat sich endgül­ tig „freigeschwommen“. Seit 1994 nun ist Petra Kösters Kunst eine fruchtbare Allianz mit der alten Leiden­ schaft, der Beschäftigung mit Literatur ein­ gegangen. Das Wort in seiner nicht eindeu­ tigen Dimension als Mittler zwischen den Räumen, zwischen Geist und Materie, hat Einzug in die malerischen Bildwelten erhal­ ten. Die strenge Linearität der Schriftzei­ chen verbindet sich mit abstrakten maleri­ schen Komponenten. Eine unverzichtbare Vorarbeit für das Schaffen der intermedialen Schriftbilder ist das Lesen. Die Lektüre dient als lnspirationsquelle sowie als geistige Skiz­ ze. Petra Kösters macht Erkundungsgänge durch sämtliche Sparten der Schriftstellerei. Wenn sie von einer Textpassage überwäl­ tigt ist, wird dieses Fundstück verinnerlicht. Die durch die Musik und Literatur hervor­ gerufenen Sinneseindrücke werden als sub­ jektives Gefühlserleben sichtbar gemacht. Bei dem eigentlichen künstlerischen Vor­ gang, der individuellen Umsetzung des Ge­ lesenen auf den Bildträger, läßt sich die Künstlerin zusätzlich von Musik, vorzugs­ weise aus dem Jazz-Bereich inspirieren. Die 236

Kunst und Kün tler Auseinandersetzung mit der Lite­ ratur kann so weit gehen, daß sich Petra Kösters bei ihrem Kunst­ schaffen von den Schreibstilen der Autoren beeinflussen läßt und das jeweils Charakteristische hervorhebt. Beim Minimalisten Beckett sind das eben nur wenige, einzeln plazierte Wörter (siehe Abbildung auf Seite 238). Beim Jahrhundert-Genie Pablo Picasso, der auch als Poet tätig war, ist es die Hervorhebung der kubisti­ schen Struktur. Picasso betrieb analog zu seiner kubistischen Ma­ lerei in seinen poetischen Schrif­ ten eine Dislokation von Sprache. Eine verkürzte Syntax und die Wiederholung des Sprachmateri­ als, aus dem immer wieder neue Sätze formuliert werden können sowie der Verzicht auflnterpunk­ tion läßt eine Sprachstruktur ent­ stehen, die in ihrer Zersplitterung auf Vieldeutigkeit aber auch auf Labilität verweist. Dieses poeti- Hautstück, 1995, Mischtedmik auf Leinwand, 140x 110 cm. sehe Stilmittel wurde nun von Nach „Trozo de piel“ von Pablo Picasso. Malina, 1998, D-print, Acryl auf Aluminium (3 mal 170x 80 cm, insges. 170x 240 cm). 237

unten) gibt einen maschinengeschriebenen Textauszug aus dem gleichnamigen Roman der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann wie­ der. Unterlegt ist die Textpassage mit dem Foto einer Rose. Die Aufnahme und der Text wurden im Digitalverfahren direkt auf Aluminiumblech übertragen. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Bei Petra Kösters bekommt diese Redewendung eine ganz neue Dimension. In der Verbin­ dung von Literatur und bildender Kunst hat die Künstlerin eine intermediale Kunstform geschaffen, die in ihrer semantischen Dich­ te und ihrer Vieldeutigkeit eine ungewöhn­ lich große Ausdruckskraft bereithält. Stefan S imon. Malnu maldit , 1997, 150xl20cm, Mischtechnik a uf Canvas (S amuel Beckett). Petra Kösters O.T, 1997, 140x 110cm, Acryl auf Plastikfolie. Nach Beckett: worstward. Petra Kösters visuell ästhetisch thematisiert. In dem Werk „Trozo de piel“ ( siehe Abbil­ dung Seite 237 oben), schält sich ein Text­ fragment ähnlich einer verwitterten Wand­ inschrift hervor. Der Betrachter durchdringt das Bild Schicht für Schicht: von dem auf­ gerissenen Transparentpapier, über die ver­ schiedenen Übermalungen, bis er schließ­ lich zum Text gelangt. Ob er ihn nun entziffern kann ist zunächst einmal voll­ kommen unerheblich. Wichtiger als die Er­ kenntnis einer sofort erfaßbaren Botschaft ist das Erkunden, das Lesen der Bilder, die sich somit immer auch ein Restgeheimnis bewahren. Auch wenn Petra Kösters mit den Schrift­ bildern, die in der Tradition der „Visuellen Poesie“, von Bild und Text, stehen, ihre künstlerische Ausdrucksform gefunden hat, experimentierfreudig bleibt sie auf alle Fäl­ le, wie die neuesten Werke, die d-prints, be­ weisen. Die Arbeit „Malina“ (siehe Seite 237 238

Kunst und Künstler Mosaiken – so farbig wie das Leben Der Keramik-Künstler Nevzat Sahin lebt und arbeitet in St. Georgen „Ich bin Künstler und erst dann bin ich Ausländer“, mit dunklen Augen blickt Nev­ zat Sahin sein Gegenüber an. Seine Frau Lütfiye nickt da­ zu. „Wenn ich in St. Georgen lebe, dann ist diese Stadt meine Heimat.“ Auch das findet seine Frau richtig. Auf dem Tisch stehen Teegläser für den türkischen Tee und der Kuchen ist frisch ge­ backen – und schön süß. Daß Nevzat Sahin in der Bergstadt lebt und arbeitet, Nevzat Sahin das verdankt er schlicht sei- ner Liebe zu Lütfiye, die er in Istambul vor acht Jahren kennenlernte. Die gebürtige T ürkin war dort auf Urlaub. Seit 25 Jahren schaut lebt sie in St. Georgen. Und sie ihren Mann schmunzelnd an: „Er mußte mitkommen, ich habe ihm keine andere Wahl gelassen. „Diplom-, Kunst- und Kera­ mik-Ingenieur“ steht auf sei­ ner Visitenkarte. Das klingt sehr technisch, sehr sachlich, und doch sitzt dort ein Künstler, der in seiner ersten Heimat, der T ürkei, ein ge­ fragter Mann war. Mosaiken, so farbig und so voller Sym- bolik wie das Leben, die sind seine Spezialitäten. In St. Ge­ orgen schafften er und seine Frau sich ein Heim „Am Sommerrain“, eine Familie woll­ ten sie gründen, also besann sich Nevzat Sa- Farbenprächtige Keramiken sind die Spezialität von Nevzat Sahin aus St. Georgen. 239

Nevzat Sahin hin auf seine technischen Fähigkei­ ten, die er in Istambul an der Tech­ nischen Universität in der Keramik­ abteilung erlernt hatte, und ar­ beitete in einer St. Georgener Firma für Elektromaterial und Kachel­ öfen. Sehr bald stellte er Ofenka­ cheln her. ,,Ein Mann braucht eine Arbeit“ sagt Nevzat Sahin und streicht der vierjährigen lrem übers Haar. Sohn Kerem, 14 Monate alt, weint ein bißchen und wird von seiner Mut­ ter mit etwas Kuchen getröstet. Sie sind eine Familie, wie es Dutzende in Deutschland gibt, und doch ist in der behaglichen Wohnung der Sahins einiges anders. An der Wand hängen Fotos von Werken des Ke­ ramik-Künstlers, die er in den sechs Jahren in Deutschland geschaffen und Bilder, die er gemalt hat. ,,Ich muß das einfach machen“, sagt er, der gern sein Brot in fester Anstel­ lung verdient, aber seine künstleri­ schen Eingebungen nicht einfach beiseite schiebt. Im Keller gibt es eine kleine Werk­ statt und der katholische Pfarrer Storz in St. Georgen hat ihm im al­ ten Kindergarten einen Raum als Ein Gemälde von Istanbul neben der Keramik ist die Mal.erei Atelier überlassen. Ein Muslim in die zweite große Leidenschaft von Nevzat Sahin. der katholischen Kirche? ,,Wir ha- ben alle denselben Gott, nur mit anderem Namen“, räumt der Künstler ein. Er kennt die Bibel, die Heiligen. Und so war es für ihn nicht schwer, die kleine Paulus-Kapelle im Gewann Vohenlohe in St. Georgen künstlerisch auszuschmücken mit Mosai­ ken, Gemälden und Skulpturen. Nachdem Sahin durch Zufall den Auftrag bekam, in der Michael-Balint-Klinik in Königsfeld die Außenwand zu gestalten, lud ihn die Spar­ kasse Königsfeld zu einer Ausstellung seiner Skulpturen und Wanddekorationen ein. Pri­ vatbesitzer von Häusern baten ihn um De­ koratives für ihre Anwesen und die Besitzer Und noch jemand meldete sich bei ihm: Die Witwe von Willi Dorn, dem Bildhauer aus St. Georgen, der durch seine Brunnen­ gestaltungen berühmt wurde, sah in Nevzat Sahin einen in der Kunst ihres Mannes Ver­ wandten und betraute ihn mit der Restaura- tion des von ihrem Mann geschaffenen Mosaiks am St. Georgener Krankenhaus. Aus der Begegnung dieser beiden Menschen entwickelte sich eine Freundschaft, die der der Paulus-Kapelle hielten ihn für den rich­ tigen Mann, ihrer Kapelle das Ambiente re­ ligiöser Widmung zu verleihen (siehe Seite 212). 240

St. Georgener Keramikkünstler zu den höchsten Gütern seines Lebens zählt. In den sechs Jahren, die sich Sah in schon als St. Georgener fühlt, hat er in seiner Frei­ zeit 36 Bilder geschaffen. Denn auch das Malen ist ihm ein Bedürfnis, Michelangelo sein großes Vorbild. Nichts ist eckig in sei­ nen Darstellungen, alles Leben kommt – wie bei Willi Dorn -aus der Mitte, auch Hundertwasser bevorzugt so strahlende Far­ ben, die Schneckenform, die Spirale für die Kunst, die man Neuen Symbolismus nennt. Von dem muslimischen Gesetz, keine Lebe­ wesen abzubilden, ist Sahin abgerückt. Er porträtiert auch Menschen, findet schnell Zugang zu ihnen, auch wenn die deutsche Sprache ihm noch zusetzt. Bisher hat er eben durch die Menschen seine Privatauf­ träge bekommen. Viel zu wenige für einen Mann, der gewohnt ist, sich durch die Kunst auszudrücken. „Kunst lebt von der Verbrei­ tung, sie muß zu den Menschen kommen.“ Das findet auch Töchterchen Irem, die Kunst und Künstler schnell ihre gemalten Bilder zeigt und dafür sehr gelobt wird. Wovon träumt der Künstler, der für die Fa­ milie noch in einem „Brotberuf“ sorgt? ,,Ein Künstler muß sagen und zeigen, was er kann und das muß ehrlich sein.“ Als Lehrer der Volkshochschule hat er in Schonach und in St. Georgen schon Keramikkurse gegeben. In einer Schauwerkstatt möchte er gern an junge Leute seine Fähigkeiten und Fertig­ keiten weitergeben und nur seine Auslagen für das Material ersetzt bekommen. Dafür zeigt die Kulturgruppe im Projekt „St. Ge­ orgen 2000″ schon Interesse. Und eines Ta­ ges, so hofft Nevzat Sahin, möchte er nur noch von seiner Kunst leben können, auch wenn die Kunst für ihn mehr ist als Geld, und das möchte er möglichst in St. Geor­ gen, wo er mit Frau und Kindern eben seine Heimat hat. Renate Bökenkamp Keramik an der Michael-Balint-Klinik in Königifeld. 241

Kunst und Kün tl r Wolfgang Kleisers Skulptur „Die Zwei“ te seinen Partner vor dem Dritten warnen und ihm zureden: ,,Halte deinen gefüllten Beutel gut versteckt. Der dort drüben will dir Böses, er wartet nur darauf, daß er dir dein Gut entwenden kann. Sei mißtrauisch und vorsichtig.“ Es wäre aber auch möglich, daß der Spre­ chende den anderen auffordert, seine ver­ krampfte und verschlossene Haltung aufzu­ geben, die Hände, die den Beutel halten, zu zeigen. Dann hätte er die Möglichkeit, sei­ ne Güter und Werte, seien sie materieller oder geistiger Natur, mit denen des Dritten – zum Gewinn beider – auszutauschen. Im denkenden Schauen und Erfassen kann uns dieses Kunstwerk auffordern, unsere Hal­ tung gegenüber anderen, gegenüber Frem­ dem und Ungewohntem, zu reflektieren. Dr. Helmut Rothermel Zwei Personen stehen eng beieinander, in ein intensives Gespräch vertieft. Die vom Betrachter aus links stehende Figur spricht gerade auf die rechte ein, die schweigend zuhört. Der Blick des Sprechenden scheint sich auf einen imaginären Dritten �u rich­ ten, um den sich das Gespräch drehen könn­ te. Der Angesprochene scheint dem Gesag­ ten sehr skeptisch gegenüberzustehen. Die Haltung ist verkrampft, die Schultern sind hochgezogen. Der Blick richtet sich nach oben, als wolle damit ausgedrückt werden: „Was du sagst, geht mich nichts an.“ Unser Blick richtet sich von der Seite her auf das Paar, und so sehen wir, daß der An­ gesprochene die Arme nach hinten dreht und hinter seinem Rücken einen gefüllten Beutel festhält, der für unseren imaginären Dritten nicht sichtbar ist. Verbirgt er ihn etwa absichtlich, oder hat er nur lässig die Hände verschränkt? Seine ange­ spannte Haltung deutet auf ersteres hin. Den Inhalt des Beutels kennen wir nicht, wir dürfen aber annehmen, daß er – da verborgen – etwas von Wert enthält. Auch der Sprechende scheint ver­ krampft, ebenso wie sein Partner hat er die Schultern weit hochgezogen. Was er zu sagen hat, ist ihm wohl äußerst wichtig, um es zu unterstrei­ chen, umgreift er gerade mit seiner flachen Rechten den Rücken des Angesprochenen. Die linke Hand schiebt sich über den Bauch des Part­ ners. Dieser ist jetzt sowohl von vor­ ne als auch von hinten von der kör­ perlichen Präsenz des Sprechenden eingerahmt. Dessen linker Zeigefin­ ger deutet in Richtung des verborge­ nen Beutels. Welche wichtige Botschaft wird hier mitgeteilt ? Zwei Interpretationen bieten sich an. Der Sprechende könn- 242 Skulptur „Die Zwei“ von Wolfgang Kleiser, Bildhauer, aus Hammereisenbach. Geschenk des Sdnoarzwald -Baar- Krei­ ses an das Komitat Bdcs-Kiskun.

Gesundheit und Soziales ,Yiele Menschen haben dieses Haus gebaut“ 17. Kapitel/ Almanad1 99 Nachsorgeklinik Tannheim feierlich eröffnet – Ministerpräsident würdigt das große Engagement vieler privater Spender und von Geschäftsführer Roland Wehrle Es war für viele Menschen ein großer Tag: für Betroffene ebenso wie für Spender, für die Initiatoren des Projektes und für den Ort Tannheim, der jetzt eine der bekanntesten Nachsorgekliniken Deutschlands beher­ bergt: Die neue Rehabilitationsklinik für Familien mit krebs-, herz-und mukoviszi­ dosekranken Kindern,Jugendlichen und Er­ wachsenen, die Nachsorgeklinik Tannheim, die am 14. November 1997 feierlich ihrer Bestimmung übergeben wurde. An der Spit­ ze der mehrere hundert Köpfe zählenden Festgesellschaft stand Ministerpräsident Er­ win Teufel, der sich mehrfach persönlich für den Klinikneubau engagiert hatte. Erwin Teufel zeigte sich bei der Eröff­ nungsfeier überaus zufrieden mit dem ge­ meinsamen Werk. Der Ministerpräsident: „Hier wurde eine Rehabilitationseinrich­ tung geschaffen, die die kranken Kinder und Jugendlieben mit ihrem schweren persönli­ chen Schicksal ganz in den Mittelpunkt stellt. Hier werden neben den körperlichen auch ganz bewußt die seelischen Belastun­ gen, die für die jungen Menschen in ganz besonderem Maße mit der Krankheit verbunden sind, in das Therapiekon­ zept einbezogen. Und hier in Tannheim neh­ men die Familien der Erkrankten an der Der Tannheim-Grund­ stein, geschaffen von Bild­ hauer Hubert Rieber aus Furtwangen. Behandlung teil. Eltern lernen gemeinsam mit ihren Kindern mit der Krankheit umzu­ gehen und ihre Folgen für die gesamte Fa­ milie zu bewältigen.“ Der Ministerpräsident weiter: ,,Die heutige Eröffnung ist aber auch ein großartiges Zei­ chen der Solidarität unzähliger Menschen mit den schwerkranken Kindern und Ju­ gendlichen sowie ihren Familien. Auch in dieser Hinsicht ist die Nachsorgeklinik Tannheim einzigartig. Sie ist eine private Initiative, angestoßen von Roland Wehrle, der den dringenden Bedarf erkannte und es verstand, prominente und engagierte Mit­ streiter für sein Projekt zu gewinnen …. Die Nachsorgeklinik Tannheim ist entstanden durch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Land. Sie ist ein eindrucksvolles Zeichen dafür, was durch bürgerschaftliches Engagement ermöglicht werden kann. Der Grundstein dieser Klinik wird für immer daran erinnern. Seine Inschrift lautet: Yie­ le Menschen haben dieses Haus gebaut.“ Besonders würdigte Ministerpräsident Teufel die vier Gesellschafter der Einrichtung: Die Kinderkrebs­ nachsorge-Stiftung für das chronisch kranke Kind. Schirmherr und Ehren­ ist der vorsitzender Schauspieler Klaus­ jürgen Wussow. Wei­ ter die Arbeitsge­ meinschaft der baden- württembergischen För­ derkreise krebskranker Kinder e.V. Den Vorsitz hat Carl Herzog von Würt-243

Nachsorgeklinik Tannheim temberg inne. Zu den Tann­ heim-Gesellschaftern gehören zudem die ELKE, Elterninitia­ tive Herzkranker Kinder e.V (Vorsitzende: Anneliese And­ ler), und die Deutsche Gesell­ schaft zur Bekämpfung der Mukoviszidose e.V mit Horst Mehl an der Spitze. Neben Geschäftsführer Ro­ land Wehrle als Motor des Ganzen hob Ministerpräsident Teufel auch auf das besondere Engagement von Carl Herzog von Württemberg und Klaus­ jürgen Wussow ab, die sich über Jahre hinweg mit großem Einsatz für die familienorien­ tierte Nachsorge engagierten. Zwar war die Klinikeröffnung Das Interesse der Medien an der Nachsorgeklinik Tannheim ist rie­ sig. Aus Anlaß der Klinik-Eröffnung wurde „live“ am Tannheim gesendet, kamen Betroffene und Arzte zu Wort. in Tannheim ein Tag der Freude, aber nicht nur. Tief berührt zeigten sich die 350 Fest­ gäste von den Schilderungen, die Betroffe­ ne über ihre Krankheit gaben. Darunter der Jugendliche Ingo, der vor laufenden Fernsehkameras erzählte wie sehr er unter den Folgen der Krankheit leidet: „Ich bin hier, weil ich auch nach 14 Jahren mit dieser Krankheit noch nicht zu Ende bin!“ Eine Mukovis­ zidose-Pa- tientin, eine Mutter von zwei Kindern, schil­ derte wie wichtig die Nachsorgeklinik Tann­ heim für Mukoviszidosekranke sei, weil kein Patient die Folgen dieser nach wie vor un­ heilbaren Stoffwechselkrankheit allein be­ wältigen könne. Behandlung enorm belastend Krebs, angeborene Herzerkrankungen, Mukoviszidose – diese schweren Erkrankun­ gen hinterlassen Spuren. Nicht nur bei den betroffenen Kindern, Jugendlichen 244

Gesundheit und Soziales Einen »Erwin“ gab es für die Frau des Ministerpräsidenten, das Plüschtier war in großer Zahl als Bau­ stein zugunsten von Tannheim veräußert worden. Links Klausjiirgen Wussow. Bild rechts: Landrat Karl Heim, der sich ins Goldene Buch der Nachsorgeklinik einträgt, stehend Geschäfliführer Roland Wehrle. und Patienten im Erwachsenenalter, son­ dern auch bei deren Familien. Die Kranken­ hausaufenthalte dauern in der Regel Mo­ nate, die Behandlungen samt Folgewirkun­ gen sind enorm belastend. Danach gilt es, den Patienten und deren Angehörigen neu­ en Lebensmut und eine fachkundige Beglei­ tung beim Heilungsprozeß zu geben – die große Aufgabe von Nachsorgeeinrichtun­ gen wie der Klinik Tannheim. Die Nachsorgeklinik arbeitet mit dem 1984 von Roland Wehrle (damals Leiter der Reha-K.linik Katharinenhöhe) und Prof. Dr. Dietrich Niethammer (Universitätskinder­ klinik Tübingen) entwickelten „familien- Behandlungsan- satz“. Bereits im Früh­ jahr 1990 befaßte sich orientierten Roland Wehrle mit dem Gedanken eines Klinikneubaues, um die familienorientierte, ganzheitliche Therapie fortzuschreiben für andere schwerst chronisch kranke Kinder und deren Familien. Carl Herzog von Württemberg, der Vorsit­ zende der Arbeitsgemeinschaft der acht ba­ den-württembergischen Förderkreise krebs­ kranker Kinder, und der bekannte Schau­ spieler K.lausjürgen Wussow (Professor Brinkmann aus der ZDF-Serie „Schwarz­ waldklinik“) unterstützten Roland Wehrle tatkräftig bei der Realisierung des Projektes. Im Juli 1990 folgte die Erstellung eines Kon­ zeptes für eine familienorientierte Nachsor­ geeinrichtung, im September 1990 gelang die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Kin­ derkrebsnachsorge als Zusammenschluß der Arbeitsgemeinschaft der baden-württember­ gischen Förderkreise krebskranker Kinder e. V. und der im Dezember 245

Nachsorgeklinik Tannheim ……… !‘:: Zu den Freunden der NadJsorgeklinik Tannheim gehören auch die „Falters ‚: der Klinik hatten die Schau­ spieler aus der Siidwesifunk-Serie einen Hasen.für den im Aufbau befindlichen Streiche/zoo mitgebracht. Beifallfiir ein Kunstwerk, den Löwen von Otmar Alt (siehe Seile 248) von links: Carl Herzog von Würt­ temberg, Stifiimgsratsvorsitzend_er Fritz Funke, Finanzminister und VfB-Präsident Mayer-Vorfeldu und Siidwestfimk-lntendant Peter Voss. 246

Ge undheit und Soziales Die Auszubildenden der Hotelfachschule Villingen­ Schwenningen hallen bei der Klinik-Eröffnung den Service übernommen – mit viel Phantasie und großer Peifektion. Bild rechts: Chefarzt Dr. Dopfer und Geschäfts­ führer Roland Wehrle beim Z,erschneiden eines Tor­ netzes. Mit diesem symbolischen Akt wurde in Tannheim das VfB-Haus eingeweiht. 1990 gegründeten, bundesweit wirkenden Klausjürgen-Wussow-Stiftung Getzt Kinder­ krebsnachsorge – Stiftung für das chronisch kranke Kind). Diese Stiftung fördert den Ausbau und die Weiterentwicklung von An­ geboten der familienorientierten Nachsorge für krebs- und andere schwerst chronisch­ kranke Kinder, Jugendliche und junge Er­ wachsene und deren Familien. Das Ziel: die notwendigen Reha-Behandlungsplätze für diese Betroffenen zu schaffen. Die Baugeschichte von Tannheim Am 14. Dezember 1991 fiel die Entschei­ dung für das vom Oberzentrum Villingen­ Schwenningen in Tannheim angebotene Gelände, mit der Planung wurde das Archi­ tekturbüro Guido Rebholz (Bad Dürrheim) beauftragt. Mit Ministerpräsident Erwin Teufel als Ehrengast kam es am 5. Juli 1995 zum ersten Spatenstich. Im Herbst 1995 standen die Tiefbauarbeiten auf dem Bau­ plan, den Hochbau gingen die Handwerker mit Beginn des Frühjahres 1996 an. Die fei­ erliche Grundsteinlegung am 11. Juli 1996 bedeutete eine weitere wichtige Etappe, ge­ folgt vom nächsten Bauhöhepunkt, dem Richtfest am 25. Oktober 1996. In Riesen­ schritten vollzog sich ab Herbst 1996 der In­ nenausbau. Am Bau waren über 200 Hand­ werksfirmen – nahezu ausschließlich aus der Region – mit rund 70 Gewerken beteiligt. Nach der Gründung des Betriebsträgers, der Nachsorgeklinik Tannheim gemeinnüt­ zige GmbH am 26. April 1994, löste sich die Arbeitsgemeinschaft Kinderkrebsnachsorge im März 1995 auf Vorsitzender des heuti­ gen Stiftungsrates ist Fritz Funke (Furtwan­ gen). In Tannheim (790 m) findet sich mitten in der Erholungslandschaft des Schwarzwaldes ein vorbildliches Nachsorgemodell mit op­ timalen bioklimatischen Bedingungen. Die 131-Betten-Einrichtung verfügt über ein 60 000 �adratmeter großes Grundstück und beschäftigt rund 100 Mitarbeiter. Groß ist die Identifikation der Tannheimer Bür- 247

Nachsorgeklinik Tannheim gerinnen und Bürger mit „ihrer Klinik“, das zeigten zahlreiche Spenden und Hilfelei­ stungen, so bei der Eröffnungsfeier. Dies be­ tonte auch Ortsvorsteherin Helga Eilts. So nutzten 500 Tannheimer Bürger am Vor­ abend der offiziellen Eröffnung die Gele­ genheit, sich ein Bild von der neuen Nach­ sorgeeinrichtung zu ma­ chen. Die Nachsorgeklinik Tannheim verfügt über eine medizinisch-physio­ und sporttherapeutische Abteilung, über psycho­ sozial/pädagogische/the­ rapeutische Abteilungen mit Kinder-, Hort- und Jugendgruppen sowie Krabbelraum, Ergo- und Kunsttherapieräumen. Von besonderer Bedeu­ tung ist die private Kran­ kenhausschule Tannheim. Sie stellt sicher, daß die Kinder und Jugendlichen auch wäh­ rend ihres vierwöchigen Nachsorgeauf­ enthaltes den schulischen Anschluß halten können. Großzügig und gemütlich sind die Appar­ tements für die Patienten mit Familien, sie verfügen über ein Bad/WC, eine Teeküche mit Kühlschrank, Telefon sowie Sitzecke. Einladend sind die Cafeteria, die Biblio­ thek, die Kaminecke oder der Clubraum mit Billard. Für Sport, Freizeit und Begegnun­ gen stehen unter anderem ein Therapie­ /Hallenbad mit Sauna, Veranstaltungs- und Spielräumen, Sport- und Gymnastikhalle, Musikraum, Entspannungsraum und eine Dachterrasse zur Verfügung. In der Nachsorgeklinik Tann­ heim können 20 bis 25 Patienten mit bis zu 50 Familienangehöri­ gen in die Onkologie aufgenom­ men werden. Die kardiologische Ab­ teilung betreut in der Regel bis zu 15 Patienten mit bis zu 30 Familienan­ gehörigen. Die Mukoviszidose- 248 Mit viel Liebe Linderung verschaffen: der 14monatige Luiz, mukoviszidosekrank, bei einer therapeutischen Behandlung. Abteilung ist für zehn Patienten mit bis zu 20 Familienangehörigen ausgelegt. Chefarzt der Kinderonkologie ist Dr. med. Roland Dopfer, Chefarzt der Kinderkardiologie Prof Dr. med Werner Rosendahl. Beide wa­ ren langjährige Oberärzte der Universitäts­ kinderklink Tübingen. Psychosozialer Lei­ ter ist Diplom-Psycholo­ ge Henning Roß, der über besondere Erfah­ rungen bei der Behand­ lung von Mukoviszido­ sekranken verfügt. Die Gesamtkosten für den Bau der Nachsorge­ klinik Tannheim belau­ fen sich auf rund 51,5 Millionen Mark. Nahezu die Hälfte (24,5 Mil­ lionen Mark) konnten durch private Spenden, über Sponsoren und öf­ fentliche Zuschüsse aufgebracht werden. Das Land Baden-Württemberg beteiligte sich mit Zuschüssen in Höhe von drei Millionen Mark, der Schwarzwald-Baar­ Kreis mit 300 000 Mark. Die Stadt V illin­ gen-Schwenningen stellte das rund sechs Hektar große Grundstück im Stadtteil Tann­ heim zur Verfügung. Die Deutsche Krebs­ hilfe teilte im Sommer 1995 die Bewilligung eines Zuschusses von einer Million Mark und eines Darlehens ebenfalls in Höhe von einer Million Mark mit. Namhafte Spenden gingen durch verschie­ dene Aktionen ein. Zum großen Durch­ bruch verhalf dem Projekt Tannheim eine Weihnachtsaktion von Südwest 3 und S-4- Baden-Württemberg des Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks an Weihnachten 1994 mit einem Spendenaufkommen von mehr Das Wahrzeichen der Nachsorge­ klinik Tannheim, der Löwe von Otmar Alt.

Gesundheit und Sotial s über acht Millionen Mark für Tannheim. Auch die Tageszeitung „Südkurier“ startete im Sommer 1993 eine Leseraktion, die bis zum l. Spatenstich 1995 eine Million Mark und bis zur Eröffnung 1997 insgesamt ca. 2,5 Millionen Mark ergab. Ein weiterer Sponsor ist die Vereinigung Schwäbisch-Ale­ mannischer Narrenzünfte, deren Präsident Tannheim- Geschäftsführer Roland Wehrle ist. Gemeinsam mit weiteren Narrenzünften des deutschen Südwestens steuerte man ei­ ne halbe Million Mark bei. Ebenfalls über 500 000 Mark überreichte der Fußball-Bundesligist VfB -Stuttgart, der auch auf Initiative von VfB-Präsident Ger­ hard Mayer-Vorfelder und dem früheren VfB- Manager Dieter Hoeneß im Septem­ ber 1992 die Patenschaft für eines der Kli­ nikhäuser übernommen hat. Im Mai 1993 erklärte sich weiter Rotary Deutschland ebenfalls zu einer Patenschaft bereit. An Weihnachten 1993 folgte die Patenschafts- Der viereinhalbjährige Christoph kam mit einem angeborenen Herzfehler zur Wdt. als 4,5 Millionen Mark. Weiter erbrachten die von der Landesschau des SWF/SDR un­ ter dem Stichwort „Herzenssache“ initiierte Weihnachtsaktion 1996 und Initiativen der TV-Familie „Die Fallers“ insgesamt bis 1998 Die Nachsorgeklinik Tannheim veifügt über hochmoderne medizinische Geräte. Unser Bild zeigt Chefarzt Prof Dr. Werner Rosendahl bei einer Herzuntersuchung. 7i-.. 249

Nachsorgeklinik Tannheim te private Spende stammt im übrigen von einer Gönnerin, die über eine Million Mark stiftete. Auch Bad Dürrheimer Mine­ ralbrunnen unterstützt die Nachsorgeklinik Tannheim, 210 000 Mark kamen alleine bei der Aktion „Bad Dürrhei­ mer Kinderweihnacht 1996″ zusammen, die der Brunnen mit seinen Kunden realisiert hatte. Die Initiatoren von Tannheim, die Arbeitsgemein­ schaft der baden-württember­ gischen Förderkreise krebs­ kranker Kinder e. V und die Förderkreise stellten circa 1,5 Millionen Mark bereit. Die Kinderkrebsnachsorge -Stiftung für das chronisch kranke Kind (ehemals Kinder­ krebsnachsorge -Klausjürgen-Wussow-Stif­ tung) hat bislang über sechs Millionen Mark erbracht. Unzählige Einzelpersonen, Schu­ len, Kindergärten, Firmen, Banken, Vereine und Organisatoren trugen und tragen noch durch ihre Spende zur Verwirklichung der Klinik bei. Und dennoch war es ein steiniger Weg bis zur Realisierung des Projektes, wie Stiftungs­ ratsvorsitzender Fritz Funke, Sparkassendirektor aus Furt­ wangen, bei der feierlichen Er­ öffnung unterstrich. Jetzt die Klinik mit Leben zu erfüllen, in oft langwierigen Gesprächen mit den Kostenträgern, die Krankenkassen und Rentenver­ sicherungsträger, der familieno­ rien tierten Nachsorge weiter den Weg zu ebnen, ist eine große Aufgabe für die Zukunft. Denn noch immer ist die Be- Entspannung beim Billardspiel, eine beliebte Freizeitbeschäftigung bei Nachsorgebehandlungen mit jugendlichen. Zusage der „Aktion Sternstunden“ des Bayerischen Fernsehens. Die Sparda Bank Stuttgart steuerte über 500 000 Mark bei und stiftete auch den „Tannheimer Löwen“, eine Skulptur des Künstlers Otmar Alt. Unter dem Dach der Tour Ginkgo -Chri­ stiane-Eichenhafer-Stiftung und der Kin­ derkrebsnachsorge fuhren im Sommer des Jahres 1996 bei einer Prominenten-Radtour Sportler, Schauspieler und andere Stars wei­ tere Bausteine für Tannheim ein. Die größ- 250 Die vierjährige}ana, sie leidet an einem angeborenen Herzfehler.

Gesundheit und Soziales

Geschwistern und Eltern auf ein Leben nach der Krankheit freut: sie hat ihren Krebs be­ siegt. Doch auch Leukämie läßt sich nicht immer heilen: bei der vierjährigen Sophie ist die Krankheit ins vierte Stadium eingetre­ ten. Still sitzt sie an einem kleinen Tisch im Tannheim-Kindergarten und bastelt mit Pa­ pier, während die anderen gut 15 Kinder im Raum verteilt in Gruppen spielen. Immer wieder schaut eines der Kinder „bei ihr vor­ bei“. Ein Mädchen legt Sophie den Arm um die Schulter, ein Zeichen der Aufmunterung und Zuneigung. Die Kinder wissen um ihre Krankheit – und sie wissen auch, wie es um sie steht. Es macht betroffen, mit welcher Selbstver­ ständlichkeit drei-oder fünfjährige Jungen und Mädchen mit schwersten Krankheiten umgehen, wie informiert sie darüber spre­ chen. Eindrücke, die man mit nach Hause nimmt, so schnell nicht wieder vergißt. Wie so vieles in Tannheim, wo sich engagierte Mitarbeiter mit Wärme des Mitmenschen annehmen. Getreu der Losung des Hauses: Großzügig und gemütlich sind die Appartements ßir die Familien. Von besonderer Bedeutung ist in Tannheim die Familientherapie (unten). achsorgeklinik Tannheim willigung dieser Rehabilitationsmaßnahme kein gesetzlicher Anspruch für jedermann, sondern eine Kostenübernahme in der Re­ gel vom Verhalten der jeweiligen Kranken­ kasse und /oder Rentenversicherungsträger abhängig. Schicksale, die betroffen machen Wie wichtig die Nachsorgeklinik für die Betroffenen ist, zeigt die tägliche Praxis. In Tannheim kann man miterleben wie schwer­ kranke Kinder, Jugendliche und deren Fa­ milien nach und nach Zuversicht und Le­ bensfreude zurückgewinnen. So auch Xenia, die sich mit ihren drei Lebensjahren nach ei­ ner Krebserkrankung nur noch im Rollstuhl fortbewegen kann. Beim Ballspiel in der Sporthalle lacht sie und robbt auf dem Bo­ den mit einer Selbstverständlichkeit und Fertigkeit dem Ball hinterher, die einem un­ eingeschränkte Bewunderung abverlangt. Je­ der der kleinen Patienten hat seine eigene, schwere Lebensgeschichte -jeder seine eige­ ne Art, damit umzugehen. Auch der nahe Tod ist Begleiter der Arbeit in Tannheim. Nachdenklich spielt Jakob mit Legosteinen im Hort. Er ist unheilbar an ei­ nem Gehirntumor erkrankt -alle Mitarbei­ ter von Tannheim sorgen sich um ihn, tun ihr Bestes für Jakob, dem sie nicht mehr zur Gesundheit verhelfen können. Gehirntu­ more gehören noch immer zu den schwer­ wiegendsten Krebserkrankungen im Kindes­ alter, die Heilungschancen sind nach wie vor gering. Wenige Wochen später ist Jakob tot. An seiner Beerdigung im Heimatort neh­ men auch Mitarbeiter von Tannheim teil, die unter dem Verlust eines ihrer Patienten lange leiden. Sie hängen mit ihrem Herzen an jedem der Kinder. Wesentlich höhere Heilungschancen gibt es heute bei Leukämie: rund 70 Prozent der erkrankten Kinder werden wieder völlig ge­ sund. Eines davon ist Saskia, die eben von einem Arzt im Besprechungszimmer unter­ sucht wird und die sich zusammen mit ihren 252

Im Klinik-Kindergarten können die Kinder die Fol­ gen ihrer Krankheit beim Spiel vergessen lernen. Tägliche Entspannungsübungen helfen dabei, nach oft monatelangen Klinik-Aufenthalten das innere Gleichgewicht wieder zu finden. ,,Miteinander von Herzen geben.“ Die fa­ milienorientierte Nachsorge, das Sich-Küm­ mern um Kinder und Jugendliche samt Fa­ milie, ist unabdingbar – der Alltag in einer Nachsorgeeinrichtung wie der Klinik Tann­ heim beweist dies tagtäglich. Dürfen Eltern von krebs- und herzkranken Kindern in vielen Fällen auf eine Heilung hoffen, ist den Eltern von Kindern mit Mu­ koviszidose nach wie vor jede Hoffnung ver­ sagt. Zwar ist es heute dank neuester medi­ zinischer Methoden möglich, das Leben von Mukoviszidosekranken zu verlängern, vor allem die Lebensqualität zu verbessern – eine Heilung aber gibt es nach wie vor nicht. Eines dieser Kinder ist Luiz, ein 14 Monate altes Kleinkind, das von seinem Vater zur physiotherapeutischen Behand­ lung gebracht wird. Das Kind hat Schmer­ zen, es weint. Auch Luiz wird die vier­ wöchige Nachsorgebehandlung in Tann­ heim eine Linderung verschaffen, und seine Eltern werden hier lernen, besser mit der Krankheit umzugehen. Viele Menschen helfen auf vielfache Wei­ se bei der weiteren Umsetzung der familien­ orientierten Nachsorge. Das Interesse der Bevölkerung an der Klinik Tannheim wurde eindrucksvoll beim „Tag der offenen Tür“ dokumentiert, als am Wochenende der Ein­ weihung rund 25 000 Gäste die Nachsorge­ einrichtung besichtigten. Darunter viele Spender, die sich davon überzeugen konn­ ten, daß ihre Zuwendungen einer uneinge­ schränkt sinnvollen Verwendung zugeflos­ sen sind. Wi!fried Dold / Dagmar Schneider-Damm Fotografien: Wi!fried Dold Gesundheit und Soziales 253

Gesundheit und Sozial Behinderte ins Arbeitsleben vermittelt Donaueschinger Verein zur Förderung der Integration Behinderter feiert lOjähriges Bestehen Nach dem Motto „Tue Gutes und rede dar­ über“ will manch Initiative für hehre Ziele angekurbelt sein. Geht es um die Benach­ teiligten unserer Gesellschaft, scheint es an­ gesichts der derzeitigen Arbeitsmarktsituati­ on sowie unter verschärften Wettbewerbsbe­ dingungen immer schwerer zu fallen, Sinn­ volles für Menschen mit Handicap in die Wege zu leiten. Dem Verein zur Integration Behinderter ins Arbeitsleben ist es – ohne allzu vordergründig die Werbetrommel der Wohltätigkeit zu rühren – trotz all dieser Hindernisse gelungen, einer Erfolgsge­ schichte nachhaltig Wirkung zu verleihen. Zwischenzeitlich wurden von hier aus 112 Beschäftigungsverhältnisse für überwiegend junge Leute angekurbelt, die sonst schwer­ lich eine Stelle fänden. Insgesamt 138 Be­ nachteiligte werden unter Mitwirkung der beiden hauptamtlichen Mitarbeiter Zoran Jessulat und Astrid Mecklenburg derzeit betreut. Darin eingeschlossen sind beispiels­ weise auch eine Wohngemeinschaft in der Josefstraße und die aktive Freizeitgestaltung. Gerhard Weeber, Vorsitzender des Vereins: ,,Sonst sind die Leute nicht wirklich inte­ griert“. Jetzt feierte das Pilotprojekt sein zehnjähriges Bestehen. Es war der seinerzeitige Chef eines der größten Arbeitgeber in Donaueschingen, Max Stegmann, der 1988 mit der Verfügung, an seinem Grab sollten Spenden für Behin­ derte an die Stelle von Blumen treten, post­ hum einen Grundstein in Höhe von 15 000 Mark legte. Das Geld sollte ganz in seinem Sinne verwendet werden, da er noch zu Leb­ zeiten dafür gesorgt hatte, daß auch von der Natur benachteiligte Menschen in seinem Betrieb eine Beschäftigung finden. Wenig später folgte unter Mitwirkung seines Soh­ nes wie auch des Notars Bernd Lieser, des Leiters der Staatlichen Akademie für Lehrer­ fortbildung, Albert Pfaff, und weiterer namhafter Persönlich­ keiten die Gründung des „Ver­ eins zur Förderung der Integra­ tion Behinderter ins Arbeitsle­ ben“. Während viele Firmen lieber ei­ ne „Ausgleichsabgabe“ zahlen, um keine Leute einstellen zu müssen, die ihnen eher als Bal­ last, denn als notwendige Ergän­ zung der Produktionsbedingun­ gen erscheinen, gelang die Ver­ mittlung von Menschen mit Handicap unter den neuen Vor­ zeichen – aber auch in zäher Kleinarbeit des hochengagierten Zoran Jessulat – so gut, daß der Durchhaltewille bald von einem Silberstreif am Horizont belohnt wurde. Eine auf zwei Jahre ange- Zoran }essulat, hauptberuflicher Mitarbeiter „seit der ersten Stun­ de‘: im Gespräch mit Günther Stegmann, Griindungsmitglied des .freins und Chef der gleichnamigen Firma, die sich als einer der größten Arbeitgeber in Donaueschingen bei der Integration von Behinderten ins Arbeitsleben frühe Verdienste erwarb. 254

Integration Behinderter Zum Verein gehören mittlerweile die Eigenbetriebe. Auch in der Küche der Karl-Wacker-Schule (hier .frei­ willige Helfer bei den Vorbereitungen zum zehnjährigen Jubiläum des Vereins) haben Menschen mit Han­ dicap, die an normalen Tagen bis zu 80 Essen ausgeben müssen, einen Arbeitsplatz gefunden. legte Studie am soziologischen Seminar der Universität T übingen befaßte sich unter dem Titel „Lebenswelten behinderter Men­ schen“ mit dem beispielhaften Wirken der jungen Donaueschinger Vereinigung, wie auch mit den Erfahrungen einer ähnlichen Initiative in Pforzheim, und erkannte deren Pilotcharakter: Statt lediglich auf die Wohl­ tätigkeit staatlicher Fürsorge zu warten, hat­ ten hier beherzte Mitbürger die Chance gesehen, fernab bisweilen lähmend wirken­ der „Total-Obhut“ eine Organisationsstruk­ tur zu begründen, die modellhaft ein Vor­ bild für weitere Gründungen dieser Art sein könnte. Die Studie zeigte klar auf, daß es im „Be­ obachtungszeitraum“ gelungen war, 36 Pro­ zent der Benachteiligten, die in Donau­ eschingen beispielsweise die Karl-Wacker­ Schule besuchen, nach ihrem Abschluß ins Arbeitsleben einzugliedern – ,,eine Zahl“, so hieß es, ,,die von anderen Sonderschulen nicht annähernd erreicht wird“. Seither ist nicht nur Gerhard Weeber bis­ weilen auf Reisen: Elterninitiativen in Lör- rach, Rastatt, Heidelberg und Offenburg wollten mehr über die Pionierarbeit wissen, die in so vorbildlicher Weise geleistet wird. Und auch der Landeswohlfahrtsverband er­ kannte, daß hier nicht sinnlos Gelder im La­ byrinth komplizierter Verwaltungsvorgänge versickern. Die Mittel, zu denen Stuttgart mittlerweile Zuschüsse beisteuert, landen dort, wo sie benötigt werden. Denn jegliche Vorstandstätigkeiten, die bei zwischenzeit­ lich zwölf Mitarbeitern (davon sechs Behin­ derte, unter anderem in den „Eigenbetrie­ ben“, wie sie etwa für die Gebäudereinigung oder Zubereitung und Verteilung der Mahl­ zeiten in der Küche der Wackerschule zum Einsatz kommen), doch beträchtlich an Umfang zugenommen haben, erfolgen un­ entgeltlich. Bankmitarbeiter und Steuer­ fachleute, die Mitglieder des Vereins sind, haben jeweils ein Auge auf die korrekte Ab­ wicklung von Lohnabwicklung und Buch­ führung in den Bereichen Arbeitsvermitt­ lung, Betreuung und Zweckbetriebe. Was nicht heißen soll, daß jetzt der große Geld­ segen ausgebrochen wäre. ,,Die Finanzen 255

Integration Behinderter Betreuerin Astrid Mecklenburger und Mitarbeiterin Helga Radt­ ke beim Verkauf von Reha-Produklen auf dem Fesl zum zehn­ jährigen Bestehen des Vereins. halb, Behinderte einzustellen, weil diese hinterher so gut wie unkündbar sind. Wenn dann der Arbeitsplatz nicht stimmt oder beiderseits Unzufrieden­ heit ausbricht, ist guter Rat teu­ er. Weil in dieser Hinsicht solide Arbeit geleistet worden ist, wur­ de die fachgebundene Vermitt­ I ung behinderter Arbeitskräfte nun mit einer weiteren An­ sprechstelle auf die Schule für Körperbehinderte in Villingen­ Schwenningen ausgedehnt. Über einen guten Standort ver­ fügt heute der Werkstattladen des Vereins in der Donaueschin­ ger Karlstraße, wo ein stark er- weitertes Angebot an Holz-, Textil-und Keramikwaren auf Kundschaft wartet. Ein spezielles Kindermöbelpro­ gramm, wertvolles Holzspielzeug und zahl­ reiche, auch als Geschenkartikel geeignete Schmuckgegenstände machen das Angebot hier auch für die Laufkundschaft ungewöhn­ lich interessant. Bezeichnend, daß trotz des engen Kor­ setts, in dem sich der Verein mit seinen zahlreichen Aktivitäten bewegt, Raum für freundschaftliche Kontakte zu „Sevinc Ab­ la“, einer Behindertenschule in Adana, der viertgrößten Stadt in der Türkei, aber auch zum Behindertenzentrum im kenianischen Bombolulu bleibt. Harald Schwitkowski, Mitglied der Wirtschaftsjunioren in der Re­ gion Schwarzwald-Baar-Heuberg, aber auch im Verein zur Integration Behinderter ver­ treten, überbrachte dort schon eine Spende, die von dem Donaueschinger Verein aus oh­ nehin knappen Mitteln noch um einen drei­ stelligen Betrag aufgestockt wurde, um bei den Ärmsten der Armen den Bau einer Roll- stuhlwerkstatt zu unterstützen. Klaus Koch sind immer noch unsere Hauptsorge“, sagt Gerhard Weeber, bis vor kurzem auch noch als Stadtrat im Ratsgremium von Bad Dürr­ heim aktiv. ,,Selbst wenn wir Zuschüsse be­ kommen, müssen wir alles vorfinanzieren“. Der Tätigkeitsbereich der Fachvermittlung von behinderten Arbeitskräften ist indes kei­ neswegs auf Donaueschingen beschränkt, sondern greift mittlerweile auf die drei Landkreise Schwarzwald-Baar, Tuttlingen und Rottweil über. Zoran Jessulat weiß aus langjähriger Erfahrung, daß die Vermittlung ein langwieriger Prozeß ist, und oft auch er­ hebliche Fahrtstrecken oder einen Wohn­ ortwechsel für die Betreuten mit sich bringt. Um den ersten Arbeitsplatz nicht zum „Flop“ werden zu lassen, und sowohl dem ,,Klienten“, als auch dem Arbeitgeber Fru­ strationen zu ersparen, werden jeweils Prak­ tika vorgeschaltet, um festzustellen, ob eine Neigung zum vorgesehenen Tätigkeitsfeld besteht. Die Vorbereitungen gestalten sich umfangreich, in Zusammenarbeit mit den Betriebsleitern wird jeweils ein „Anforde­ rungsprofil“ erstellt, um Berührungsängste zu vermeiden. Auch hier wissen die Mitar­ beiter des Vereins zur Integrationsförde­ rung: Viele Firmen scheuen sich nur des- 256

,,Frauenpower“ zum Internationalen Frauentag 32 Organisationen und Initiativgruppen informierten über ihre Arbeit für die Rechte der Frauen Gesundheit und Soziales Der Ursprung des „Internationalen Frau­ entages“ geht auf das Jahr 1858 zurück, als Textilarbeiterinnen in New York öffentlich auf ihre unmenschlichen Arbeitsbedingun­ gen aufmerksam machten. Am 8. März 1911 demonstrierten dann weltweit über eine Million Menschen für Frauenrechte. W ährend des l. Weltkriegs und in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur waren Aktivitäten zum Internationalen Frauentag in Deutschland verboten oder nur unter er­ schwerten Bedingungen möglich. Erst mit dem Aufkommen der Frauenbewegung rückte der Tag wieder ins öffentliche Be­ wußtsein. Im Schwarzwald-Baar-Kreis wur­ den in den letzten drei Jahren von unter­ schiedlichen Frauengruppen wieder Akti­ vitäten rund um den 8. März gestartet. Die diesjährige Frauenwoche wurde von 32 gewerkschaftlichen, politischen, kirchli- chen und unabhängigen Frauengruppen und Organisationen getragen. So konnte ein vielfältiges und interessantes Programm angeboten werden. Auftakt zu den Veranstaltungen war der Weltgebetstag am 6. März. Im Anschluß an verschiedene Gottesdienste war im Cafe Häring in Schwenningen die Chanson-Sän­ gerin Karin Pittner zu hören, abends gab es in der dortigen Volkshochschule einen Vor­ trag zum Thema Fasten. Am 7. März trafen sich in Villingen etwa 50 Frauen zu einer De­ monstration, die vom Niederen Tor durch die Innenstadt führte. Teilnehmende Grup­ pen waren die Arbeitsgemeinschaft Sozial­ demokratischer Frauen, das Diakonische Werk, der Förderverein für Leukämiekranke, die Frauengruppe der Grünen, der Frauen­ verband Courage, die ÖTV-Frauen sowie „VS für Frauen“. Auf Transparenten und in 1 �•s��.-1, ·1 Aus Anlaß des „Internationalen Frauentages“fanden in Villingen-Schwenningen zahlreiche Veranstal­ tungen statt, 32 Gruppen beteiligten sich. 257

Internationaler Frauentag Sprechchören wurden unter anderem mut­ terfreundliche Arbeitszeiten, genügend Kin­ dergartenplätze, Frauenförderung, soziale Gesundheitspolitik, kostenlose Schülerbe­ förderung und gerechte Verteilung der Ar­ beit gefordert. Am folgenden Tag stand die „Informationsbörse“ im Mittelpunkt der Veranstaltungen. Im Muslenzentrum in Schwenningen stellten etwa 23 Frauenver­ bände, Organisationen und Initiativgrup­ pen sich und ihre Arbeit vor. Ein breites Spektrum war vertreten, ,,kreuz und quer, von rechts bis links“, wie sich Mitorganisa­ torin Traudel Zimmermann von der Frauen­ union freute. Über unterschiedlichste TI1e­ men, vom sinnvollen Einkaufen über Frau­ enpolitik, Probleme und Benachteiligungen im Arbeitsleben sowie deren Lösungsmög­ lichkeiten, kirchliche Frauenarbeit bis hin zur Schwangerschaftsberatung wurde infor­ miert. In der Woche vom 9. bis zum 13. März gab es täglich mehrere Veranstaltungen: Vorträ­ ge, Diskussionen, Workshops, Film, Kaba­ rett und Tanz. Als Abschluß der Woche wur­ de am 14. März ein Fest für Frauen im Jugendhaus Schwenningen gefeiert. Rück­ blickend bewerteten die Teilnehmerinnen die Frauenwoche als Erfolg. Als etwas ent­ täuschend empfanden sie das bei manchen Veranstaltungen fehlende Interesse emer breiten Öffentlichkeit. Aufgrund des großen Arbeits- und Orga­ nisationsaufwands soll eine Frauenwoche nur alle zwei Jahre stattfmden. Geplant ist auch der Aufbau einer festen Gruppe, die ähnlich wie der „politische Frauenstamm­ tisch“ in Schramberg frauenspezifische An­ liegen und Forderungen in der Öffentlich­ keit vertritt. Trotz der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Gruppierungen fanden die Teilnehmerinnen viele Gemeinsamkei­ ten. Durch gegenseitige Unterstützung und Motivierung wollen sie ihr politisches Ge­ wicht stärken, um konkrete Forderungen durchzusetzen. Die Koordinationsgruppe zur Frauenwoche hofft, daß noch möglichst viele Frauengruppen aus dem Landkreis sich den Aktivitäten anschließen. Sigrid Bechtle, Dagmar Heinrici, Petra Kürten Kontaktadresse: Koordinationsgruppe 8. März z. Hd. Dagmar Heinrici Breslauer Str. 28 78052 VS-Villingen Beim Frauentag: Demonstmtion in VS-Villingen mit Transparenten. 258

Umwelt und Natur Der Kiebitz – noch brütet er bei uns 18. Kapitel/ Almanach 99 Sturzflüge und Verfolgungsjagden bei der Partnersuche – Auf intakte Feuchtgebiete angewiesen Wenn im März 1996 auf den Wiesen der Riedbaar über 1200 Kiebitze beobachtet werden konnten, so darf man daraus nicht folgern, daß der Kiebitz ein noch zahlreich auf der Baar vorkommender Brutvogel sei. Ein sich lang hinziehender Winter mit einer geschlossenen Schneedecke noch bis An­ fang März über Mitteleuropa führte dazu, daß die von Südwesteuropa kommenden Kiebitze auf dem Heimzug in ihre nördliche Brutheimat hier zu einer „Verschnaufpause“ gezwungen wurden. Die Ornithologen spre­ chen in diesem Zusammenhang von einem witterungsbedingten Zugstau. Die Zahl der bei uns brütenden Kiebitze ist leider sehr viel kleiner. So brüteten z.B. im Bereich der Riedbaar um Donaueschingen 1996 nur noch 25 Paare. Dies entspricht weitgehend dem Brutbestand des gesamten Schwarz­ wald-Baar-Kreises. Vielleicht kann mit der Vorstellung des Kiebitzes hier, der 1996 Vo- gel des Jahres war, auch erreicht werden, daß die begonnenen Maßnahmen zur Erhaltung dieser liebenswerten, attraktiven und für die Baar so charakteristischen Vogelart fortge­ setzt und evtl. sogar noch verstärkt werden. Aussehen und Stimme Der Kiebitz ist eigentlich ein sehr leicht zu erkennender Vogel. Er ist etwa taubengroß und wirkt von weitem betrachtet schlicht schwarzweiß. Aus der Nähe betrachtet fällt das metallisch glänzende Grün des Rücken­ gefieders auf, das stellenweise in einen Pur­ purschimmer übergeht. Die geschlechtsrei­ fen Tiere zeichnen sich zudem durch rote Beine aus. Als auffallendstes Merkmal be­ sitzt der Kiebitz am Hinterkopf einen häu­ fig aufgerichteten Federschopf Männchen und Weibchen sind sehr ähnlich und im Gelände kaum zu unterscheiden. Beim Flie­ gen wird die sehr kontrastreiche Fär­ bung des Gefieders besonders deut­ lich. Hier erkennt man auch die breiten und stark abgerundeten Flü­ gel. Die Stimme des Kiebitzes ist durchaus vielfältig, allerdings ist sein Ruf „kie-wit-wit-wit“, der ihm auch seinen Namen gab, am häufig­ sten zu hören. Winterliche Reste im Brutrevier, in der Regel treffen die ersten Kiebitze Mitte Februar aiif der Baar ein. Ankunft im Frühjahr In der Regel treffen die ersten Kie­ bitze Mitte Februar auf der Baar ein. Sie gehören somit zu den am frühe­ sten zurückkehrenden Zugvögeln unserer Heimat und kündigen mit ihren auffallenden Flugspielen und Rufen das Ende des Winters an. 259

Der Kiebitz Wenn sich der Gesang der Feldlerchen und die Rufe des Kiebitzes zu einem Konzert vermischen, ist das Frühjahr nicht mehr weit. Im Laufe des Februars nimmt die Zahl der Kiebitze ständig zu, wobei gegen Ende des Monats die Höchstzahl erreicht wird. Es rasten dann bei uns neben unseren heimi­ schen Brutvögeln auch weiter nördlich brü­ tende Vögel, so daß mitunter Trupps von mehreren hundert Kiebitzen die Wiesen der Baar bevölkern. Nach dem weiten Weg aus den südwesteuropäischen Überwinterungs­ gebieten werden jetzt bevorzugt staunasse und überflutete Wiesen der Riedbaar zur Nahrungsaufnahme aufgesucht. Regenwür­ mer stellen zu dieser Zeit den wichtigsten Bestandteil der Nahrung dar. Nicht selten gesellen sich dann auch andere, zum Teil hoch nordische Zugvögel wie Kampfläufer, Bruchwasserläufer und Goldregenpfeifer unter die Kiebitzscharen. Der Lebensraum Gleich nach der Rückkehr aus den Über­ winterungsgebieten suchen die Kiebitze für sie geeignete Lebensräume auf, in denen sie 260 auch brüten können. Wie bereits geschil­ dert, sind dies in erster Linie durch Über­ schwemmung oder hoch anstehendes Grundwasser vernäßte Wiesen, die reich an Mulden und Senken sind. Solche Gebiete kommen bei uns noch vor allem in der Do­ nauniederung zwischen Donaueschingen und Gutmadingen, in den Tälern von Brig­ ach und Breg und in einigen Restmooren auf der Riedbaar vor. Der Boden ist hier feucht und reich an Kleinlebewesen wie Würmer, Insektenlarven und Insekten, die der Kiebitz leicht mit seinem Schnabel auf­ nehmen kann. Auch zur Brut sind diese Flächen geeignet, denn durch die lang an­ haltende Nässe setzt die Vegetationsperiode später ein und bleibt die Entwicklung der Vegetation eher niedrig und lückig. Dies sind günstige Bedingungen für einen Bo­ denbrüter wie den Kiebitz. Naturnahe Feuchtwiesen bieten auch einer Vielzahl von anderen Tieren und Pflanzen Lebensraum. Wiesenpieper, Braunkehlchen und Wachtel­ könig beispielsweise sind weitere Brutvögel der Feuchtwiesen. Grasfrosch und Erdkröte kommen hier vor und sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für den Weißstorch. Im Frühjahr prägen Sumpfdotterblumen und das Wiesenschaumkraut das Bild. Binsen, Seggen und Wollgras sind charakteristische Gräser und zeigen die vorherrschende Feuchtigkeit an. Auch selten gewordene Orchideen wie das Gefleckte und das Breit­ blättrige Knabenkraut sind manchmal hier zu finden. Leider sind intakte Feuchtwiesen in unserer weitgehend intensiv genutzten Landschaft selten geworden. Brut und Aufzucht Bald nachdem die Kiebitze in ihrem Brut­ gebiet eingetroffen sind, beginnen sie mit ihrer auffallenden Balz. Sturzflüge, Verfol­ gungsjagden in der Luft und der laut vorge­ tragene Ruf „kie-wit-wit-wit“ dienen der Partnerfindung und der Abgrenzung des Re­ viers gegenüber Artgenossen. Sind die Part-

Umwelt und Natur mein sich dann zu größeren Trupps und zie­ hen gemeinsam zur westeuropäischen At­ lantikküste, von wo aus sie sich auf ihre Überwinterungsgebiete verteilen. Ihre El­ tern sind ihnen schon etwas früher voraus­ geflogen. Bestandsentwicklung und Vorkommen Bei einer quantitativen Brutvogelerfassung 1987 wurden im gesamten Schwarzwald­ Baar-Kreis noch über 120 Brutpaare des Kie- ner verpaart, beginnt das Männchen damit, im Boden Mulden mit seiner Brust auszu­ drehen. Die dem Weibchen zusagende Mul­ de wird dann spärlich mit Grashalmen aus­ gelegt und dient als Nestmulde für die Brut. Innerhalb von vier Tagen legt das Weibchen meistens vier spitzovale Eier. Die dunkel­ braunen Flecken auf hellbraunem Grund verleihen den Eiern eine hervorragende Tar­ nung. Gemeinsam brüten Weibchen und Männchen das Gelege aus. Sie müssen dazu das Gelege etwa 28 Tage bebrüten. Die schlüpfenden Küken sind Nestflüchter, d. h. sie verlassen etwa 24 Stunden nach dem Schlüpfen das Bodennest und suchen selbständig nach Nah­ rung. Die Aufgabe der Eltern besteht während dieser Zeit darin, die Jungen in nahrungs­ reiche Gebiete zu führen und sie bei Gefahr zu warnen. Wenn alles klappt, sind die Jungkiebitze nach etwa fünf Wochen flügge. Sie versam- Deutlich zurückgegangen ist die Zahl der Kiebitzpaare zwischen 1987 und 1996. 261

bitzes festgestellt. Bis auf die dicht bewaldeten Gebiete im Nordosten war der Landkreis noch flächendeckend vom Kiebitz besiedelt. Als Schwer­ punkt der Verbreitung kann die zentrale Baarhochmulde angesehen werden (Karte l}. Die teilweise W iederholung der Bestandserfassung 1993 ergab einen deutlichen Rück­ gang bei der Anzahl der Kie­ bitzbrutpaare. Auch scheint das Brutareal kleiner gewor­ den zu sein (Karte 2). Der ak­ tuelle Brutbestand liegt wohl bei 20-30 Brutpaaren, wobei die meisten Paare im Bereich der Baarhochmulde brüten. Die Kiebitze besiedeln dort vor allem die Feuchtwiesen, feuchte Weiden und zur Vernässung nei­ gende Ackerflächen. Aber auch hier mußte ein Bestandsrückgang in den letzten 20 Jah­ ren festgestellt werden. Allerdings scheint sich hier der Brutbestand auf relativ niedri- gern Niveau stabilisiert zu haben. Gefährdung und Schutz Der Kiebitz ist ein Kulturfolger, der als ty­ pischer Bewohner des offenen Landes von der Kultivierung Mitteleuropas durch den Menschen profitierte. Mittlerweile hat sich das Gesicht unserer Landschaft so stark ge­ wandelt, daß sich die Lebensbedingungen für den Kiebitz im Vergleich zu früher deut­ lich verschlechtert haben. Bei uns hat die In­ tensivierung der Landwirtschaft vielfach da­ zu geführt, daß Feuchtwiesen zur Steigerung des Ertrags und der Futterqualität entwässert wurden. Nicht selten erfolgte nach der Trockenlegung auch eine Umwandlung der Wiesen in Äcker. Diese Maßnahmen führ­ ten zu einer Einengung des Lebensraumes für den Kiebitz. Auch fiel so mancher Kie­ bitzlebensraum in den letzten Jahren dem Umwelt und Natur Straßenbau und der Auswei­ tung menschlicher Siedlun­ gen zum Opfer. Daher besie­ delte so manches Kiebitzpaar in den letzten Jahren auch ein weniger geeignetes Brutrevier. Dies hat leider zur Folge, daß hier der Bruterfolg sehr ge­ ring ist und sich eine Brutpo­ pulation ohne Zuwanderung langfristig nicht halten kann. Ein möglicher negativer Ein­ fluß von Beutegreifern auf den dezimierten Kiebitzbe­ stand soll hier aber auch nicht ausgeschlossen werden. Es weist eine Reihe von Beob­ achtungen daraufhin, daß der Die Uferschnepfe ist gleichfalls Verlust von so manchem Kie­ bitzgelege auf den Fuchs zu- ein Gast auf der Kiebitzwiese. rückzuführen ist, der wohl aufgrund der Tollwutbekämpfung eine sehr hohe Vorkommensdichte erreicht hat. Wollen wir dem Kiebitz langfristig eine Überlebenschance bei uns geben, müssen wir vor allem die letzten noch vorhandenen Feuchtwiesen in ihrem Zustand erhalten und im Umfeld die Intensität der landwirt- schaftlichen Nutzung reduzieren. Dies ist nur in Zusammenarbeit mit den Landwirten zu erreichen. Es versteht sich von selbst, daß deren Leistungen und deren Verzicht aner­ kannt und angemessen vergütet werden müssen. Umfassende Extensivierungs- und­ Naturschutzprogramme sind im Schwarz­ wald-Baar-Kreis mit dem erwähnten Ziel eingeleitet worden. Die Fortsetzung oder sogar eine Erweiterung dieser Programme wären sicher geeignete Maßnahmen, der weiteren Verarmung unserer heimischen T ier- und Pflanzenwelt entgegenzuwirken. Von Fall zu Fall wird man sich aber auch über das Problem Fuchsbestand oder Ra­ benkrähen unterhalten müssen. Text und Fotografie: Dr. Helmut Gehring 265

Umwelt und Natur Eine Buchen-Insel auf der Baar Waldgeschichte und waldbaulicher W ertewandel im Spiegel der Forsteinrichtungsakten des Nieder­ eschacher AIJmendwaldes „Waldweide und Walrffeldbau usw. haben den natürlichen Anflug der Fichte gefördert und Bu­ che und Tanne gehemmt. Die Öffnung der Landschaft hat zudem die winterliche Ausstrah­ lung, die Intensität der Späifröste s01.oie die Bildung der Kaltluflseen verstärkt und damit die Lebenskraft der Buche gegenüber der Fichte weiter geschwächt.“ (Oberdorfer, E.: Zur Frage der natürlichen Wald­ gesellschaften auf der Ostabdachung des Schwarz­ walds. Allgem. Forst- und Jagdzeitung Nr. 121. 1949/50) Soweit die „Kornkammer Badens“ nicht in Mais- oder Rapsäcker, nicht in Verkehrs­ und Siedlungsflächen umgekrempelt wor­ den ist, trägt sie vorzugsweise Nadelwald. Der Wald der Gemeinde Niedereschach scheint sich da – zumindest bei flüchtiger Betrachtung- in nichts von den Waldungen anderer Baargemeinden zu unterscheiden. Es dominiert die Fichte, nach den jüngsten forstlichen Inventurergebnissen mit einem Flächenanteil von 580/o. Die Kiefer (Forle) bringt es auf 200/o und weist damit auf die Aufforstungsbeflissenheit des vorigen Jahr­ hunderts hin, als – zumeist mittels „breit­ würfiger“ Forlen- und Fichtensaat – deva­ stierte Weid- und Reutfelder allenthalben wieder in Wald zurückverwandelt wurden. Demgegenüber ist der Anteil der Weißtan­ ne, ursprünglich die Hauptbaumart im Wald der Baar (wie des Baarschwarzwaldes), auf 160/o abgesunken. So und nicht anders ist man hier das Waldbild gewohnt, wie es sich dem Be­ trachter draußen darbietet in dieser herben, unlängst noch waldärmeren Landschaft. 266 Aber auch, wie man es aus den Waldbe­ schreibungen kennt, etwa aus den Forstein­ richtungsakten, wie sie in den öffentlichen Waldungen unseres Landes seit Mitte des 19. Jahrhunderts von den Forsteinrichtern (,,Taxatoren“), den von der Karlsruher Zen­ trale, später von der Freiburger Forstdirekti­ on entsandten Betriebsprüfern, alle zehn Jahre gefertigt worden sind. Da wie dort, nach Aktenlage wie nach Augenschein, herrscht , nordisch -düsterer Nadelwald- �..:..,;��.r Charakter vor. Die forstliche Standortskunde hat deshalb noch in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die hier anzutreffenden Waldgesell­ schaften als „boreal-montan“ oder als „subboreal“ eingeord­ net, wohl wissend, daß die Baumart Weißtanne im nordi­ schen Nadelwaldgürtel eigent­ lich gar nicht zuhause ist. Die profitable Nadelholzwirtschaft der Baar, mag sie dem Betrach­ ter mitunter auch ein wenig phantasielos, ja eintönig er­ scheinen, mag sie auf den meist schwachgeneigten, daher vieler­ orts staunassen und sturmge­ fahrdeten Standorten noch so Auf der Baar mit Seltenheitswert: die Buche, ,,Mutter des Waldes‘: in der Allmend mit Buchen-Nach­ wuchs.

Buchen-Insel auf der Baar oft durcheinandergewirbelt worden sein, bei der Bevölkerung hat sie nie Anstoß erregt. „Die Weißtanne und die Fichte“, so heißt es im Ersteinrichtungswerk der Gemeinde Niedereschach aus dem Jahre 1845, ,,und untergeordnet die Forle sind die hier vor­ kommenden Holzarten.“ Niemand dürfte an dieser Waldbeschreibung je etwas ver­ mißt haben. Eine andere Baumartenmi­ schung hat das „rauhe und wintrige Klima“ nach landläufiger Meinung gar nicht zu­ gelassen. Auch die Niedereschacher „All­ mend“, ein 43 ha umfassender Gemeinde­ walddistrikt, scheint da zunächst keine Aus­ nahme machen zu wollen: Teils Plateaulage, teils winterseitiger Hang auf Oberem Mu­ schelkalk, war der Distrikt trotz seiner Orts­ nähe offenbar immer Wald geblieben, abzu­ lesen an einem respektablen Tannen-Anteil. Denn wo der Wald erst einmal kahlgehauen oder gerodet worden war, sorgten die Spät­ fröste dafür, daß mit der empfindlichen Weißtanne fortan kein Staat mehr zu ma­ chen war. Der Konkurrenzkraft der frost­ harten Fichte hat sie nun einmal auf Kahl­ flächen aller Art nicht viel entgegenzu­ setzen. Auch Rindern, Schafen und Ziegen schmeckten junge Tannen besser als Fich­ tennadeln, ehe die Waldweide 1833 per Forstgesetz verboten worden war. Die Weiß- 267

Umwelt und Natur tanne in der Allmend läßt daher darauf schließen, daß die Beweidung sich in erträg­ lichen Grenzen gehalten ha- ben muß. Im Jahr 1845 wird der ost­ wärtige Teil des Distrikts, die Abteilung 1, beschrieben als zu zwei Dritteln mit 10 bis 20jährigem Weißtannen- und Fichten-Jungwald bestockt: Offenbar war im Jahrzehnt zuvor das Altholz über dem Jungwald abgeräumt worden, ganz so, wie es die moderne, seit zwei Jahrzehnten gesetz­ lich vorgeschriebene schlag- weise Wirtschaft vorsah. Die alte Waldgene­ ration findet sich eben noch auf einem Drit­ tel der Abteilungsfläche, beschrieben als 80 bis 100 und mehrjährige Weißtannen, unter deren Schirm sich bereits Verjüngung einge­ funden hatte. Wo stammten die we· nigen alten Buchen her? Handelte es sich womöglich um letzte Zeugen einstmal buchenreicherer Zei· ten, wie sie auch auf der Baar geherrscht haben müssen? nämlich deshalb auch diese Holzarten in ei­ nem etwas jüngeren Alter zu finden“. Die der überkommenen Wirt­ schaftsweise, dem „Schlendrian des Femelns“ angelastete Unre­ gelmäßigkeit, die Überreste vormaliger Mehrschichtigkeit und Ungleichaltrigkeit der Waldbestände, waren dem auf gleichwüchsigen Altersklassen­ wald eingeschworenen Forst­ einrichter ersichtlich ein Greu­ el. Die Sicherung nachhaltigen Waldertrags ließe sich am ehe­ sten in möglichst gleichaltrigen, homogenen und also berechen­ baren Reinbeständen bewerkstelligen, pro­ pagierte damals die junge deutsche Forst­ wissenschaft. Und sie sollte damit alsbald weltweit Schule machen.Vor Einführung der ,,geordneten Schlagwirtschaft“ ist das Holz, so klagt der Forsteinrichter 1845, auch in den Wäldern um Niedereschach „scho­ nungslos aus dem Walde gebracht, oft auch geraume Zeit in demselben stehen gelassen worden“. Ohne alle wirtschaftliche Rück­ sicht habe der Bürger sich das Holz aus dem Wald geholt. Wenn es denn tatsächlich einmal so regellos zuge­ gangen sein sollte im Allmendwald, so muß eine weitere Beobachtung des Taxators desto mehr überraschen: ,,Wenige alte Buchen stehen umher“, hält er für die Ak- ten fest. Buchen auf der Baar? Weshalb waren die so raren Laubbäu­ me nicht schon längst junge Buchenpflanzen, entnommen Friedrich Oltmanns Pflanzen/eben des Schwarzwaldes (herausgegeben 1927): die Figuren 1 und 2 zeigen ei­ ne etwa zweijährige, die Figur 3 eine etwa dreijährige Buche. z „Einige Unregelmäßigkeit…“ Einen plastischeren Eindruck vom Wald­ bild des Jahres 1845 vermittelt der Blick in die Nachbarabteilung 2, die noch komplett von Altholz bestockt war: „80 bis 100 und mehrjährige Fichten sowie Weißtannen bil­ den in gutem Schluß den Be­ stand, das Holz ist gut und noch immer im Zuwachs be­ griffen; daß der Boden für Sa­ men empfänglich ist, zeigt sich al­ lerwärts, jedoch können die jun­ gen Pflänzchen bei diesem Stand der Bäume nicht aufkommen.“ Für erwähnenswert hält der Forsteinrichter hier überdies eine Besonderheit: Es kämen kleine- re Stellen vor, ,,wo einige Unre­ gelmäßigkeit erscheint, was von der früheren Fehmel­ wirtschaft herrührt; es sind 268 ku, .J

Buchen-Insel auf der Saar Frühlingserwachen in der Niedereschacher Allmend. dem Brennholzhunger der Bürger zum Op­ fer gefallen? Und überhaupt: Wo stammten die wenigen alten Buchen her, wo doch Weißtannen, Fichten, und Forlen die hier vorkommenden Holzarten waren? Handel­ te es sich womöglich um letzte Zeugen einst­ mals buchenreicherer Zeiten, wie sie aus­ weislich der Pollenprofile des Schwenninger Moors vor der Jahrtausendwende auch auf der Baar einmal geherrscht haben müssen? Ganze 490/o betrug der Buchenanteil, wie er sich aus dem damals von den Bäumen der Umgebung herabgewehten und unter Luft­ abschluß bis heute konservierten Blüten­ staub rekonstruieren läßt. Hinzu kommen, um die Überraschung perfekt zu machen, mit einem Anteil von 8 0/o weitere Laub- baumarten, vorwiegend Arten des Eichen­ mischwaldes, wogegen die Tanne es im „Na­ turwald von einst“ nur auf 37 %, die Fichte gar nur auf 6 0/o brachte. Bunt gemischt und beileibe nicht düster-boreal stellte sich der Wald um Schwenningen also einmal dar, und die Befunde aus anderen Mooren der Baar (etwa des Plattenmooses bei Tann­ heim) weichen nicht weit davon ab. Die Bu­ chen in der Niedereschacher Allmend geben Rätsel auf. Wenn es aber schon keine schriftlichen Quellen gibt, die die unter Forstleuten so ausdauernd diskutierten Fragen nach Zeit­ punkt und Ursache des Verschwindens der Buchen beantworten könnten, so lassen es die alten Buchen im Allmendwald doch als 269

Umwelt und Natur Der „ Waldgersten-Buchenwald‘: von der Biolop-Karlierung 19 98 als Biotopschutzwald ausgewiesen. reizvoll erscheinen, anhand der Forstein­ richtungsakten ihrem weiteren Schicksal bis in die Gegenwart ein wenig nachzuspüren. Auch im Jahr 1855 finden im einleitenden „allgemeinen Teil“ der Waldbeschreibung wieder nur Fichten, Weißtannen und Forlen Erwähnung. In der Beschreibung des All­ mendswalds hingegen taud1en die Buchen wieder auf: Als Jungwuchs nach soeben er­ folgter Räumung des alten Holzes in der Abteilung 1, in einem lüjährigen Jungwald aus Weißtannenverjüngung mit „einge­ sprengten Fichten“ und Buchen. In der Ab­ teilung 2 im noch immer vorhandenen Altholz, besd1rieben „als durchschnittlich 120jährige Weißtannen mit 1/4 Fid1ten und einzelnen Buchen“. Der Wuchs sei ausge­ zeichnet, bemerkt der Forsteinrichter, der Schluß vollkommen. Und er fugt mit Blick auf die anlaufende Verjüngung und mit dem obligaten Seitenhieb auf die Mißwirtschaft 270 der Altvorderen hinzu: ,,Allenthalben Auf­ wuchs, welcher auf den Lücken, die von dem früheren Femelhieb herrühren, rasch in die Höhe geht und theilweise schon ein Al­ ter von 15 bis 25 Jahren erreicht hat. Viel un­ terständiges Gehölz.“ Versteckt im „unterständigen Gehölz“, auf­ wachsend in den Bestandslücken bei ausrei­ chendem Licht – und Wärmegenuß, ge­ schützt gegen den Spätfrost: Die Bedingun­ gen fur das Überleben der Buche auch auf der rauhen Baar hätten vorteilhafter kaum sein können, so sehr diese Umstände die Ordnungsliebe des Taxators gestört haben mochten! Kein Wunder demnach, daß die Buchen zwei Jahrzehnte später anläßlich der Forst­ einrichtungserneuerung des Jahres 1873 er­ neut fur erwähnenswert gehalten werden. Nach zwischenzeitlich erfolgter Nutzung der Althölzer stellt sich der Allmendwald

dem prüfenden Auge des Einrichters wie folgt dar: ,,20 – 50 /3Sjährige Weißtannen mit Fichten, wenigen – besonders im oberen jüngeren T heile – Buchen.“ Lediglich „ein­ zelne ältere Hölzer“ stünden noch umher, doch werden uns diese nicht näher be­ schrieben. Noch spricht nichts dafür, daß die Laubbaumart Buche einmal Karriere machen könnte im Niedereschacher Wald. Allerdings findet sie jetzt erstmals Eingang in den allge­ meinen Teil des Einrichtungs­ operats: ,,Die Fichte ist die herrschende Holzart. Ihr beige­ mischt und häufig rein kom­ men Weißtannen und Forlen vor. Außerdem erscheinen ver- einzelt Buchen.“ Fichten und Weißtannen, heißt es zur Klarstellung weiter, entsprächen in Niedereschach vollkommen den Stand­ ortsverhältnissen (doch sei das Hauptge­ wicht der waldbaulichen Bemühungen auf die Tanne zu legen). Die Forle hingegen eig­ ne sich in dieser Gegend allenfalls „zu ver­ einzelter Einsprengung“ und sei in dieser Mischungsform zu erhalten. Wo aber bleibt die Buche, welche Rolle hatte man ihr zu­ gedacht? Buchen -Insel auf der Baar mit dem Bau der Eisenbahn und dem Auf­ kommen der Kohlefeuerung, auf ihrem T iefpunkt angelangt. Was zählte, war rasch­ wüchsiges, bauholz-taugliches Nadelholz. Auf der Baar allemal. Schon 1855 hatte der Leiter der Fürst!. Für- stenbergischen Forstverwal­ tung und Vorsitzende des ba­ dischen Forstvereins, Carl Gebhard, seine Kollegen nachdrücklichst darauf hin­ gewiesen, daß die Buche öst­ lich des Schwarzwaldkammes nicht nur keine Berücksich­ tigung verdiene, vielmehr sei ihre „Bekämpfung minde­ stens bis zu ihrem spärlichen Eingesprengtseyn in die Na- delholzbestände“ wirtschaft­ lich geboten. In den in Verjüngung stehen­ den Beständen seien vorzugsweise die alten Buchen herauszuhauen. Zugleich habe man ,,den etwa schon vorhandenen Buchenauf­ schlag zwischen dem Nadelholzanflug in gleicher Weise abräumen zu lassen, wie dies bezüglich anderer – es sei mir zu sagen er­ laubt – Forstunkräuter geschieht, denn die Buche ist auf unserem Wald diesem wirklich gleichzusetzen.“ Die Wertschätzung der Buche war mit dem Aufkommen der Eisenbahn und der Kohlefeuerung auf dem Tiefpunkt ange- langt, sie wurde nun sogar bekämpft. ,,Die übrigen Holzarten“, so die unum­ wundene Forderung des Taxators 1873, „sind nach und nach zu verdrängen“. Die Wertschätzung der Buche war, zeitgleich Nichts Neues vom „Forstunkraut“ Nichts Neues vom „Forstunkraut“, von den Niedereschacher Buchen anläß­ lich der Forsteinrichtung des Jahres 1883: Im Allmendwald sind es der Beschreibung zufolge „wenige insbe­ sondere im oberen jüngeren Teil auf­ tretende Buchen inmitten eines 30- 3 5 6 7 Entwicklung eines Buchenkeimlinges bis zum Erscheinen der Knospe zwischen den Samenlappen, aus der ein Sproß mit einem Blattpaar an der Spitze erwächst. Skizze: Oltmanns, Pflanzen/eben des Schwarzwal­ des. 271

Umwelt und Natur Am besten gedeiht die junge Buche uni er dem Altholzschirm. Wo der Rehwildbesland zu hoch ist, muß sie geschützt werden. 70/SSjährigen Weißtannenbestands mit bei­ gemischter Fichte.“ Im allgemeinen Teil heißt es wieder „vereinzelt Buchen“, dane­ ben werden noch Lärchen und Weichhölzer erwähnt. Längst nicht genug, um in der Sta­ tistik ihren Niederschlag zu finden. ,,In Pro­ zenten der bestockten Waldfläche“, schreibt der Taxator auch ein Jahrzehnt später im Einrichtungswerk des Jahres 1893, ,,betra­ gen ungefähr Fichten 60 0/o, Tannen 30 0/o, Forle 10 %“. In der Beschreibung des All­ mendwalds ist noch immer nur von „weni­ gen“, an anderer Stelle von „einzelnen“ Bu­ chen die Rede. Die Wende in der Einstellung der Forst­ leute zur Baumart Buche brachte erst das zu Ende gehende 19. Jahrhundert. Im fernen München hatte der Waldbaulehrer Karl Gayer sein Lehrbuch „Der gemischte Wald“ herausgebracht und damit erste Ansätze zu einer naturnäheren, ökologisch orientierten Waldwirtschaft in die Köpfe der Forststu­ dierenden eingepflanzt. In Villingen war 1893 ein aus dem Buchen-freundlicheren Unterland stammender Forstamtsleiter auf- gezogen: Oberförster Friedrich Roth, den Niedereschachern noch in Erinnerung als Entdecker und Erstausgräber des Römer­ bads im Staatswald-Distrikt Bubenholz. Roth scheint in Niedereschach auch die Bu­ chen neu entdeckt zu haben. Minderhei­ tenschutz scheint in seiner Amtszeit auch Dienstaufgabe der Gemeindewaldhüter ge­ worden zu sein. Nach dem Einrichtungswerk von 1903 fin­ det sich im Allmendwald zwar noch immer nur eine Beimischung „von wenigen, nach oben häufiger auftretenden Buchen“. Doch in der allgemeinen Beschreibung des Ge­ meindewalds lautet jetzt die Vorschrift: ,,Die wenigen vorhandenen Buchen, besonders im Distr. III., sind so zu behandeln, daß sie als Samenbäume dienen können. Auch in den Jungwüchsen vorhandene Buchen­ Kernstämmchen verdienen sorgfältige Be­ achtung.“ Geradezu revolutionär mutet die Anweisung zur Pflege des Jungwalds an: ,,Die Läuterungen in den Jungwüchsen ha­ ben vor allem auf eine Begünstigung der Weißtanne und der Buche hinzuwirken.“ 272

Es sollte nicht bei der Vorschrift bleiben: Im Forsteinrichtungsjahr 1913 haben die Bemühungen um die Buche bereits erste Früchte getragen. In der Abteilung 1 des All­ mendwalds waren es der Beschreibung zu­ folge zwar nach wie vor nur „wenige“ Bu­ chen, und auch die unter dem Schirm des inzwischen 60 -100/80jährigen Bestandes anlaufende Naturverjüngung enthielt nur „etwas“ Buche. Doch in der Abteilung 2 taucht sie im dortigen Altbestand auf einmal mit einem Anteil von 100/o auf, ,,meist un­ terwachsen mit 5 -30/20jährigen Tannen und wenigen Buchen“. Von der Buche wird Notiz genommen Wie war es -binnen weniger Jahre -zu der staunenswerten Buchen-Vermehrung ge­ kommen? Hatte man ihren Anteil zuvor mangels wirtschaftlichem Interesse schlicht unterschätzt oder entsprang ihr plötzliches Auftauchen in der Holzvorratsspalte der Be­ schreibung des Allmendwalds eher dem Wunschdenken einer neuen, ökologisch in­ teressierteren Taxatorengeneration? Jeden­ falls, nun hatte man sich endgültig dazu ent­ schlossen, von der Buche Notiz zu nehmen. Nach dem Willen der Forsteinrichtung des Jahres 1913 soll der Buchenanteil nun sogar nicht mehr nur in der Allmend, sondern im gesamten Gemeindewald auf 5 bis 100/o ge­ steigert werden. Doch bei dieser unter Baar­ Verhältnissen nachgerade tollkühnen For­ derung muß den Taxator dann doch Angst vor der eigenen Courage beschlichen haben; und so fügte er einschränkend hinzu: ,,Mit dem Anbau der Buche ist nur langsam fort­ zufahren, bis die Erfahrungen über ihre An­ baufähigkeit vollends abgeschlossen sind. Im Allmendwald soll ihr bisheriger Flächen­ anteil auf alle Fälle gehalten werden.“ Zehn Jahre später, der 1. Weltkrieg ist so­ eben überstanden, das Heizmaterial knapp, Buchen werden jetzt auch auf der Baar wieder gepflanzt. Buchen· Insel auf der Baar hat es die Buche auch in dem inzwischen zum Altholz herangereiften Tannen-Misch­ bestand der Allmend-Abteilung 1 zu einem Anteil von 100/o gebracht; in der Nachbar­ abteilung sind es mittlerweile sogar schon 200/o geworden! Darunter, in der anlaufen­ den Naturverjüngung, schätzte man ihren Anteil jetzt auf immerhin 100/o, ohne daß die Zunahme auf Anpflanzung zurückzu­ führen gewesen wäre! Die Anreicherung mit Buchen muß durch sie begünstigende, die Konkurrenz der Nadelbäume zurückdrän­ gende Hiebsmaßnahmen gelungen sein. Die Förderung der Buche wird dem Wirt­ schafter jetzt auch im Forsteinrichtungswerk ausdrücklich vorgeschrieben. Und zur bis­ her praktizierten Pflege der Jungbestände wird kritisch angemerkt, ,,es sei der Buchen­ freihieb unbeachtet geblieben“. Fast ein Jahrhundert lang hatte sich die Buche im Allmendwald -nahezu unbe­ merkt von der forstlichen Statistik -hin­ durchgemogelt. Wie würde ihr die neue Wertschätzung bekommen, jetzt, wo die Förster endlich ihr Augenmerk auf sie ge- 273

Umwelt und atur richtet hatten? Im Forsteinrichtungsjahr 1931 wird ihr Anteil in den Altbeständen der Allmend jeweils auf 10% geschätzt; mag sein, daß Buchenholz inzwischen genutzt worden war. Wiewohl als zwischen- und un­ terständig beschrieben und also nicht im Vollbesitz fruktifizierender Bucheckern tragender Kronen, hatte die Buche ich unter dem Altholzschirm dennoch teils „etwas“, teils „reichlich“, ver­ jüngt. Ein Vorgang, den der Forstwart Niedereschacher noch zu beschleunigen trad1- tete, indem er auf einem hal­ ben Hektar Buchen und Berg­ ahorn pflanzte. In Nieder­ eschach sei der Buchenbei- misd1Ung „schon immer einige Bedeutung zugemessen worden“, hält der Taxator für die Akten fest. Eine Legende, welche die Forsteinrichter fortan ungeprüft weiter überliefern sollten. Wiewohl die Bu­ che noch immer nur lokal auftrete, wie be­ dauernd festgestellt wird, bekommt sie im Gemeindewald jetzt erstmals einen Gesamt­ anteil von insgesamt einem Prozent, womit sie im Zahlenwerk aller künftigen Forstein­ richtungen zur nicht mehr zu übersehenden Fixgröße geworden ist. Die schönsten und besten Buchen … Eine neuerliche, kräftige Abkühlung im Verhältnis der Forstleute zur Baumart Buche schlägt sich im Forsteinrichtungswerk des Jahres 1951 nieder. Fortschritt, auch der waldbaulich-ökologische Fortschritt, pflegt in Pendelschwüngen zu erfolgen. Zwar hat­ te die Buche im Verlauf des 2. Weltkriegs ihren bescheidenen Gesamtanteil auf nun­ mehr 2 % verdoppelt. Auch wurde einge­ räumt, es handle sich bei den Allmend-Bu­ chen um „die schönsten und besten Buchen im Bezirk“, denen neben ihrer biologischen Bedeutung auch eine gewisse wirtschaftliche Geltung zukomme. Dennoch fällt der Forst- Für den Wiederaufbau waren auf der Baar, dem Mekka der Na- delli olzkä u f er,s tär ker denn je Fichten und Tannen gefragt – zu- mal die Stammholz- preise kletterten. einrichter ein vernichtendes Urteil: Ob­ schon in den letzten 30 Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen worden sei­ en, die Buche im Wege der Pflanzung an der Bestandszusammensetzung teilhaben zu lassen, sei von all diesen Aufwendungen nicht mehr viel zu sehen. ,,Nur örtlich siebt man unbrauchba­ re Überreste in Form sperriger Voranbaugruppen, die jedoch un eren heutigen Zielsetzun­ gen nicht entsprechen.“ Für den Wiederaufbau waren auf der Baar, dem Mekka der Nadelholzkäufer und Bau­ holzsäger, wieder stärker denn je Fichten und Tannen gefragt. Und das Wirtschaftswunder ließ die Stammholzpreise klet­ tern. So kam es, daß die Buche im allgemei­ nen Teil des Forsteinrid1tungswerks des Jah­ res 1960 erneut mit Verachtung gestraft und mit keinem einzigen Satz mehr gewürdigt wurde, obwohl sie doch immerhin mit 2 % am Gesamtvorrat des Gemeindewalds be­ teiligt blieb. In der Beschreibung der All­ mend, wo sie in den inzwischen 130jährigen Althölzern Anteile von 10 bzw. 20% zuge­ wiesen erhielt, zeige sie, wie bemängelt wird, „wenig gute Stammformen“ und sei dort überdies meist zwischen- und unterständig erwachsen. Wieder etwas freundlicher siebt es der Forsteinrichter im Jahr 1970: Ihm ist die Bu­ che „willkommen aus Gründen der Boden­ pflege, ihrer Wurzelintensität und aus äst11e­ tischen Gründen“. Soweit sie sich natürlich verjünge, solle sie als „dienende“ Baumart erhalten bleiben. In der Allmend dürfe sie sogar „im überstand“, also mit11errschend mit Tannen und Fichten geduldet werden. Anstrengungen zur künstlichen Ausbrei­ tung des Laubholzes seien in den Muschel­ kalk-Distrikten gerechtfertigt. Damit aller­ dings nur ja kein Mißverständnis entstehe, fügt der Einrichter rasch noch hinzu: ,,Die Hauptholzarten Fichte, Tanne und Forle 274

Buchen -Insel auf der Saar o der A/Jholz.­ irm fehlt, ist die Buche starlt tgejahrdet (Spätfrosts._, „““‚ 15. Mai 1995). werden jedoch in keinem Fall in Frage ge­ stellt.“ Im nachfolgenden Wirtschaftsjahrzehnt 1971/80 ist in den beiden jetzt erntereifen Althölzern der Allmend-Abteilungen kräftig Holz gehauen worden. Die Buchen jedoch scheinen davon offenbar weithin verschont geblieben zu sein: Bis zum Forsteinrich­ tungsjahr 1980 war ihr Anteil (auf ge­ schrumpfter Fläche) auf erstaunliche 35 bzw. 25 0/o angewachsen! Im allgemeinen Teil des Forsteinrichtungswerks glaubt der Taxator den höheren Buchenanteil rechtfertigen zu sollen mit der Randlage des Gemeindewalds im ansonsten buchenfeindlichen Wuchsge­ biet. Immerhin 13 0/o der Jungbestände seien im zurückliegenden Jahrzehnt dem Laub­ holz hinzugewonnen worden, wie anerken­ nend festgestellt wird. Nicht genug freilich, gemessen an der langfristigen waldbauli­ chen Zielvorstellung, die nun eine Laub­ baum-Beteiligung von insgesamt 10 0/o für erstrebenswert hält. 1991 fand im staatlichen Forstbezirk Villingen-Schwenningen die vorerst letzte Forsteinrichtungserneuerung statt. Im Ge­ meindewalddistrikt „Allmend“ erbrachte die Inventur eine Buchen-Fläche von 9 ,2 ha, deren Holzmasse unterdessen auf zwei­ einhalbtausend Festmeter angewachsen ist. Insgesamt betrug der Vorrat des Gemeinde­ walds an Buchenholz 3 473 Festmeter (d. s. 2 0/o des Gesamtvorrats). Was zeigt, daß auch an anderen Waldorten noch Buchen zum Vorschein gekommen sind. Ihr Flächenan­ teil insgesamt war jetzt auf 4 0/o geklettert, in der jüngsten Altersklasse der unter lOjähri­ gen Bestände gar auf 26 %! Als langfristig anzustrebendes Waldbauziel ist nunmehr, für die Forstwirtschaft auf der Baar ein beispielloser Vorgang, der Bu­ chenanteil auf 25 Prozent festgesetzt wor­ den! Sogar der Femelwald, 1833 als „Plün­ derwald“ forstgesetzlich verfemt und verbo­ ten, feierte plötzlich wieder fröhliche Ur­ ständ: auf einigen hundert Hektar wurde „Plenterüberführungswald“ ausgewiesen mit dem Ziel, die strukturreichen (und damit gegen Sturm, Schnee und Insekten wider­ standsfähigeren) Mischbestände der forst- 275

Buchen-Insel auf der Baar wirtschaftlichen Frühzeit wiederherzustel­ len. Hatte man auf der Baar bisher aus dem Fehlen der Buche zumeist den Schluß gezo­ gen, daß sie in dieser weiten Frostmulde von Natur aus gar nicht vorkommt, es somit auch nicht sinnvoll sein könne, sie künstlich wiedereinzubringen, so hat das im neuen Waldgesetz verankerte Konzept der natur­ nahen Waldwirtschaft ausgangs unseres Jahrhunderts vollends zum Umdenken ge­ führt: Weil vor der Einflußnahme des wirt­ schaftenden Menschen die Buche (ausweis­ lich der Pollenanalyse) mit nennenswerten Anteilen in den ursprünglichen Wäldern der Baar vertreten war, muß ihr konsequenter­ weise auch im Wald der Zukunft wieder ein Platz zugewiesen werden. Durch Wieder­ einbringung der Buche wie auch durch Förderung der sich in Buchengesellschaft be­ sonders wohlfuhlenden Hauptbaumart Weißtanne werden sich allfällige Risiken breiter streuen lassen. Denn sollte eintref­ fen, wovor die Klimaforscher warnen, droht dem Ökosystem Wald nächstens nicht nur die Gefahr zunehmender Treibhausschwüle. Die mit der Erderwärmung einhergehende Häufung extremer Sturmereignisse würde vor allem der aus höheren nördlichen Brei­ ten stammenden, flachwurzelnden Fichte zusetzen. Einen Vorgeschmack davon hin­ terließen die Orkane des Jahres 1990: Die historisch bisher einzigartigen Sturmholz­ berge haben nicht nur für Jahre den eu­ ropäischen Holzmarkt zusammenbrechen lassen. Nachhaltig erschüttert wurde – nicht nur auf der Baar – auch das Vertrauen in die traditionelle Fichtenwirtschaft. Buchenholz wird zwar auch künftig dem ,,Brotbaum“ Fichte nicht den Rang ablau­ fen. Die Buchenbeimischung fördert jedoch Ungleichaltrigkeit und Kleinstrukturen im Wald. Buchenlaub hält den Boden sauber, wo immer sich stickstoffliebende Boden­ flora breit gemacht hat, wo – Folge allge­ meiner immissionsbedingter Eutrophierung – das Keimbett der Baumsamen in Unord­ nung gebracht und die natürliche Verjün­ gung des Waldes gehemmt worden ist. Hel­ les Buchengrün im Mai, Farbtupfer im Ok­ tober werden schließlich auch dem Erho­ lungswert des Waldes zugute kommen. Gründe zuhauf, die Spätheimkehrerin will­ kommen zu heißen! Text und Fotografie: Wolf Hockenjos 276

Unauffälliges Leben der Wiesen und Brachen Ein Beitrag zu Vorkommen und Verbreitung bemerkenswerter Heuschreckenarten im Kreisgebiet Umwelt und Natur Über die Vegetation und die Fauna (nicht zuletzt die Insektenfauna) noch verbliebe­ ner naturnaher Landschaften des Schwarz­ wald-Baar-Kreises reihten sich in den letz­ ten drei Jahrzehnten zahlreiche Publikatio­ nen. Wer jedoch Untersuchungen über die Ordnung der Springschrecken (Saltatoria) in unserem Raum durchführen wollte, konnte bisher kaum auf stützende Literaturgrund­ lagen zurückgreifen. Der nachfolgende Kurzbeitrag ist aller­ dings nicht als detaillierte Datenquelle zu werten. Er dient eher als Anregung, sich die­ ser hochinteressanten Insektenordnung et­ was intensiver zu widmen. Die Heuschrecken sind biologisch der Gruppe der Hemimetabola zuzuordnen (In­ sekten mit unvollständiger Verwandlung), das bedeutet, sie entwickeln sich aus dem Ei über eine unterschiedliche Zahl von Lar­ venstadien zum Imago (dem ausgewachse­ nen Tier). Das generell bei der Metamor­ phose der Insekten bekannte Puppenstadi­ um bleibt also aus. Eng verwandt mit den Heuschrecken (Ordnung Saltatoria) sind die Schaben (Blat­ todea), die Ohrwürmer (Dermaptera) und die Fangheuschrecken (Mantodea). Alle vier Ordnungen zusammen bezeich­ net man als Geradflügler oder Orthopteren. Innerhalb der Saltatoria unterscheidet man zwei Unterordnungen: die Ensifera oder Langfühlerschrecken (Laubheuschrecken und Grillen) sowie die Caelifera oder Kurz­ fühlerschrecken (Domschrecken, Knarr­ schrecken und Feldheuschrecken). Das naturräumliche Grundmuster unseres Landkreises weist vom Brend- Rohrhards­ berg- Massiv über den Schönwälder Rücken, den Randplatten des Mittleren Schwarzwal­ des, der Baarhochmulde bis hin zur Baar­ Alb eine Vielfalt von Landschaftsindividuen auf, deren jeweilige Vegetations- und land­ wirtschaftliche Nutzungsformen von zum Teil markanten Kontrasten in geologischem Profil, Relieflage und Lokalklima geprägt sind und somit zahlreiche Lebensgemein­ schaften auf einer Fläche von ca. 1 025 qkm begünstigt. Durch fortschreitende Intensi­ vierung der Landwirtschaft (verstärkter Bo­ dendüngung, Einsatz von Herbiziden und Fungiziden, häufigere Bodenbearbeitung, rasche Fruchtfolgen) durch Siedlungsex­ pansion (Überbauung von Flächen), Ver­ kehrsentwicklung (Verinselung, Versiege­ lung), Tourismus (Erschließung, starke In­ anspruchnahme durch Freizeitbetrieb) so­ in den Wasserhaushalt wie Eingriffe (Entwässerungen, Bachbegradigungen, Uferbefestigungen) u. a. verschärfte sich das Bild einschneidender Veränderungen während der letzten drei Jahrzehnte mit der Folge erheblicher Bestandsrückgänge (ins­ besondere bei spezialisierten Arten) bis hin zur Isolation kleiner Populationen (fehlen­ der Austausch durch Zuwanderung) und Er­ löschen der Restbestände. Heuschrecken sind sehr empfindliche Sen­ soren für schleichende Veränderungen in der Landschaft und gelten daher als Bio­ indikatoren (Zeigerarten), aus deren Vor­ kommen, Fehlen oder Bestandsentwicklung der Grad der Schutzwürdigkeit von Land­ schaftsausschnitten abgelesen werden kann. So reagieren Populationen doch sehr prä­ zise z. B. auf Bodentemperaturen (Entwick­ lung der Eier), Feuchtegrad, Bedeckung, Struktur und Konsistenz des Oberbodens, schließlich auf das Nahrungsangebot. Der Verfasser unterscheidet nachstehend in grobem Raster vier ökologische An­ spruchstypen der Heuschrecken. Euryöke Arten und Ubiquisten (Arten mit sehr ho­ hem Anpassungsniveau bzw. mit ausge-277

Bemerkensw rte Heuschreckenarten prägter Toleranz unterschiedli­ cher Lebensräume). Mesophile Arten und Arten der Brachen, Säume (auch Waldsäume und Lichtungen) sowie extensiv ge­ nutzter Grünlandbiotope ohne Bindung an bestimmte Feuchte­ grade. Hygrophile Arten (Arten mit enger Bindung an feuchte, zum Teil nasse Standorte). Xero­ und/oder thermophile Arten (Ar­ ten mit enger Bindung an trocke­ ne, warme – zum Teil heiße Standorte mit oftmals lückiger Vegetation). Wanstschrecke (Polysarcus denticauda) Mit einer Körperlänge von ca. 24-44mm ist die Wanstschrecke unsere größte heimische Sichel­ schrecke. Die stummelförmigen Flügel des Männchens sind gelb, Die Wans/schrecke ist mil 24 bis 44 mm Körperlänge unsere meist grün gefleckt und ragen größte heimische Siehe/schrecke. deutlich unter dem Halsschild hervor. Beim Weibchen sind sie fast voll­ ständig darunter verborgen. Beide Ge­ schlechter dieser sehr untersetzt wirkenden Art sind somit völlig flugunfähig. Die Lege- röhre des Weibchens ist sehr lang und deut­ lich gezähnt. Die grüne Grundfärbung der Wanstschrecke erweist sich im frühsommer­ lichen Hochgrasaspekt als ausgezeichnete Lebensraum der Wanslschrecke: artenreiche Wald-Storchschnabel-Goldhafer-Wiese auf Muschelkalk. 278

Umwelt und Natur Zwischen grün, gelbbraun und schwarzbraun schwankt die Färbung des Warzenbeißers. Tarnung. Polysarcus ist schon ab AnfangJu­ ni ausgewachsen und verschwindet bereits Mitte Juli (normale Jahre). In niederschlags­ reichen, kühlen Mai-Juni -Wochen kann sich die Entwicklung um einen halben bis einen Monat verzögern. In der Bundesrepublik kommt die Wanst­ schrecke nur im äußersten Südwesten zwi­ schen der Schwäbischen Alb und dem Schwarzwald (Bereich Tübingen – Donau­ eschingen) vor. Hauptsiedlungsräume sind somit die mittleren und oberen Neckargäue zwischen Tübingen und der Baar, die Baar­ hochm ulde, die Baar-Alb sowie die Mu­ schelkalkstufe bis zur Wutach (fehlt südlich der Wutach). Im Schwarzwald dringt die Art in die waldfreien Abschnitte der Kimach – Brigach- Höhen (St. Georgen, Sommerau, Ober- und Unterkirnach) vor. Bevorzugte Lebensräume sind zumeist extensiv bewirtschaftete Mähwiesen (ohne Bindung an bestimmte Feuchtegrade). Nicht selten werden jedoch in guten Jahren (Massenvermehrung) aber auch nährstoff­ reiche, intensiv bewirtschaftete Glatthafer- wiesen und Getreidefelder besiedelt. Da die Wanstschrecke flugunfähig ist, sind großräu­ mige Migrationsbewegungen nur bei opti­ malem Lebensraumverbund möglich. Dich­ te und zusammenhängende Siedlungs- und Verkehrsnetze aber auch (natürliche) Gren­ zen wie Fluß/Bachsysteme oder geschlosse­ ne Waldgebiete führen unweigerlich zur Ver­ inselung, was wohl auch das isolierte Vor­ kommen dieser Art in Süddeutschland er­ klären mag. Rote Liste Baden – Württemberg 3 I (ge­ fährdete, wandernde Art). Warzenbeißer (Decticus verrucivorus) Der Warzenbeißer erreicht mit ca. 24-38 mm (Männchen) bzw. 26- 44 mm (Weib­ chen) etwa die Größe des Grünen Heupfer­ des und ist somit die größte Beißschrecke in unserem Raum. Die Färbung dieser Art ist recht variabel und kann zwischen grün, gelbbraun und schwarzbraun schwanken, meist ist der Warzenbeißer verschiedenfar­ big gescheckt. Die Flügel sind oft mit dun- 279

kelbraunen Würfelflecken gezeich­ net. Die sehr lange Legeröhre des Weibchens ist im Gegensatz zur Wanstschrecke nur schwach gebo­ gen. Decticus ist ein typischer Weid­ feldbesiedler mit deutlicher Bin­ dung an frische bis trockene, über­ wiegend magere, kurzrasige Berg­ wiesen (vorzugsweise Bergweiden). Die zumeist inselartig streunenden Vorkommen dieser Art im Osten des Schwarzwald-Baar-Kreises be­ schränken sich auf die Weidfelder des Keupergebietes (Mühlhauser Halde), Kalkmagerrasen -Fragmen­ te der Muschelkalkstufe zwischen Villingen-Bräunlingen. Im Bereich der Riedbaar werden magere Torfschwingei-Wiesen auf entwässerten Moorböden am Rand Die Miramella afpina, die alpine Gebirgsschrecke. Männchen von Torfabbauflächen (Mittelmeß- /Unterhölzer und Birkenried) an­ ätzen. Dieses Mittel soll gut geholfen haben. genommen. Weitgehend stabil sind die Rote Liste Baden -Württemberg 2 (stark ge­ Bestände im Schwarzwald (Raumschaften: fährdet). St. Georgen und Triberg sowie Oberes Bregtal). Neben Besenginster-und Wachol- der-Weidfeldern besiedelt der Warzenbeißer Alpine Gebirgsschrecke dort auch nährstoffreichere, frische Berg- (Miramella alpina) Kammgras-Weiden sowie Stufenraine und Die Körpergröße der Alpinen Gebirgs­ Straßenböschungen mit lückiger und mage­ schrecke schwankt zwischen 16-23 mm rer Vegetation, welche der Art derzeit noch (Männchen) bzw. 22-31 mm (Weibchen). als optimale Trittsteine und Passagen im Ha­ Beide Geschlechter sind bitat-Verbund dienen. glänzend grün gefärbt. Der Name Warzenbeißer Über die Halsschildseiten beruht auf einem Volksglau­ läuft jeweils ein schwarzer ben: Man ließ früher vom Längsstreifen, der (be­ Warzenbeißer Warzen ab­ sonders beim Männchen) beißen und durch den dabei nach unten ausgebuchtet abgegebenen Darmsaft ver- ist. Die Hinterschenkel sind unten rot. Die hell­ braunen Stummelflügel sind etwa so lang wie das Halsschild oder knapp län­ ger (Flugunfähigkeit). Die Männchen sind deutlich Ein Weic!fe/.d am Kostgfäll/Rohr­ hardsberg mit Borstgras, Rotem Straußgras, Besenheide und einer Griinerlenverbuschung. Ein Le­ bensraum, wie ihn der �rzen­ beißer bevorzugt. und Weibchen sind glänzend grün gefärbt. Bemerken werte Heu chreckenarten 280

kontrastreicher gezeichnet als die Weibchen. Die Tiere werden manchmal schon im Juni, meist jedoch ab Mitte Juli adult und leben bis September. Miramella alpina ist eine ausgesprochene Gebirgsheuschrecke und besiedelt in unse­ rem Raum nur den Schwarzwald mit Kon­ zentration im Feldberggebiet (häufig über 1000 m NN.). Somit beschränken sich die Vorkommen im Schwarzwald- Baar- Kreis auf die von Kaltluftstau beeinflußten Täler des Breg-Urach- Riegellandes (Bregtal von Furtwangen bis Wolterdingen sowie dessen zahlreiche Qierriegel) und berühren soeben noch den Südrand des Schönwälder Rülc­ kens (Raum: Gutenwald, Oberort, Basler Tal). Lebensraumschwerpunkte dieser Art fin­ den sich bei uns insbesondere im Bereich der montanen Qiellstaudenfluren (Qier­ riedel mit Firnmulden) sowie in Pest­ wurzfluren (Überschwemmungsgebiete der Haupttäler). Auf Pestwurzblättern findet man sie oft in großen Scharen. Die Blätter Die roifliigelige Schnarrschrecke (Psophus stridulus). Umwelt und Natur können dann sehr stark von den Heu­ schrecken zerfressen sein. Rote Liste Baden -Württemberg (nicht ge­ fährdet). Rotflügelige Schnarrschrecke (Psophus stridulus) Die Weibchen der Rotflügeligen Schnarr­ schrecke werden 26-40 mm lang, die Männ­ chen dagegen nur 23-25 mm. Die weibli­ chen Tiere sind meistens gelbbraun oder grau, die Männchen fast schwarz gefärbt. Während die großen plumpen Weibchen verkürzte Flügel haben (Flugunfähigkeit) sind die Männchen voll geflügelt. Die Hin­ terflügel sind bei beiden Geschlechtern leuchtend rot mit schwarzbrauner Spitze. Die Männchen von Psophus stridulus flie­ gen mit einem laut klappernden Schnarr­ ten, der mit den Hinterflügeln erzeugt wird (daher die Bezeichnung Schnarrschrecke). Zusammen mit den überraschend rot auf­ leuchtenden Flügeln könnte er der Ab­ schreckung möglicher Feinde die­ nen. Die Art besiedelt fast ausschließ­ lich vegetationsarme, trockene Skelettböden, zumeist auf Kalk (südlich- südwestlich exponierte Kalkschuttfluren, bzw. südlich­ südöstlich exponierte lückige Ma­ gerrasen auf steinschuttreicher Feinerde sowie noch beweidete Wacholderheiden der Albhoch­ fläche Im Schwarzwald-Baar- Kreis gibt es vereinzelte Vorkommen (kleine Populationen) nur im Wutach­ Alb-Gebiet (Rutschhalden von Eichberg und Buchberg, Buch­ berg-Südhang sowie Sissiberg bei Hondingen). Ferner Randvorkom­ men im Bereich der Baar-Alb (Geisingen, Hörnlekapf, Amten­ hauser Tal). Da die Weibchen sich nur terrestrisch fortbewegen (Flug- (Bodenverkarstung). 281

Bemerken wert Heu chreckenarten Wo es sehr feucht ist,fühlt sich die Sumpfschrecke wohl zu sehen ist ein Kleinseggen-Niedermoor. Die Sumpfschrecke ist im Landkreis sehr selten. unfähigkeit) gelten die we­ nigen Vorkommen der Schnarrschrecke als Relikte, welche bei Zerstörung der noch vorhandenen wenigen Lebensräume (Materialent­ nahme, Aufforstung, Bebauung u. a.) bei fehlendem Biotopverbund, zum Erlöschen verurteilt sind. Rote Liste Baden -Württemberg 3 (gefähr­ det). Sumpfschrecke (Mecostethus grossus) Der geschlechtsspezifische Größenunter­ schied ist bei der Sumpfschrecke sehr ausge­ prägt. Er liegt zwischen 12-25mm beim Männchen und zwischen 26-39mm beim Weibchen. Mecostethus ist in der Grund­ färbung olivgrün bis braun. Die Weibchen sind manchmal purpurrot gescheckt. Die Vorderflügel beider Geschlechter haben am Vorderrand einen gelben Streifen. Die Hin­ terschenkel sind unten rot (selten gelb). Die Sumpfschrecke ist eine ausgesprochen hygrophile Art, d. h. sie weist eine enge Bin­ dung an sehr feuchte, häufig nasse Standorte auf. Hierbei werden zumeist kurzrasige, dünnrasige Niedermoorflächen (Kleinseg­ genriede), gern auch in Gewässernähe (Qielltümpel), kleinseggenreiche Sicker­ quellen oder Schwingrasen bevorzugt, Torf­ moosbereiche der Hochmoore dagegen al­ lerdings gemieden. Populationen von Me­ costethus grossus verschwinden sehr rasch mit der Entwässerung ihres Lebensraumes (oftmals bereits schon bei geringfügiger Ver­ änderung des Wasserhaushaltes) und kön­ nen somit als vortreffliche Indikatoren für intakte Feuchtgebiete bezeichnet werden. 282 Im Schwarzwald -Baar-Kreis existieren derzeit nur wenige Fundorte dieser Art. Mehrere Feststellungen beziehen sich auf das Rohrhardsberggebiet und den angren­ zenden Schönwälder Rücken (kleinseggen­ reiche Niedermoore, besonders kalkfreie Herzblatt-Braunseggen-Sümpfe, gelegent­ lich auch Lagg-Bereiche (Niedermoorrän­ der von Übergangsmooren und Hochmoo­ ren). Weitere isolierte Populationen befin­ den sich im Schwenninger Moos (Bereich: Qiellsee) sowie im Unterhölzer Birkenried östlich von Pfohren (Grau -Braunseggen – Sümpfe im Bereich der Gemeinderieder). Rote Liste Baden-Württemberg 2 (stark ge­ fährdet). Westliche Beißschrecke (Platycleis albopunctata) Wie bei nahezu allen Beißschreckarten fehlen auch bei der westlichen Beißschrecke geschlechtsspezifische Größenunterschiede (Männchen und Weibchen ca. 18-22mm) oder sind nur geringfügig ausgeprägt. Die Art ist fast immer braun gefärbt, mit dun­ kelbraun und weißlich gefleckten Flügeln. Kopfoberseite und Pronotumrücken sind meist heller (Männchen) z.B. oft rotbraun. Die Legeröhre des Weibchens ist etwa lOmm lang und deutlich gebogen. Platycleis albopunctata ist sehr wärmelie­ bend und beschränkt sich meist auf trocken­ heiße, vegetationsarme Standorte (südlich

exponierte, steinige oder feinerdereiche Hal­ den, Steilböschungen mit lückigem Mager­ rasen, auch Steinschuttfluren). Dort ist sie häufig in der Gesellschaft der Blauflügeligen Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens) anzutreffen. Verbreitungsschwerpunkte dieser thermo­ philen Art liegen in der Oberrheinebene (einschließlich Kaiserstuhl) sowie im Ko­ cher/Jagst/Tauber- Gebiet. Im Schwarz­ wald- Baar- Kreis ist diese Art mit nur einem Fundort östlich des Stadtgebietes Villingen extrem selten. Das nächste bekannte Vor­ kommen befindet sich im Melilith- Basalt­ bruch Hewenegg bei Immendingen (Land­ kreis Tuttlingen). Die Westliche Beißschrecke ist tagaktiv und bei Wärme (insbesonders in der Mit­ tagszeit oder am frühen Nachmittag) sehr Bemerkenswerte Heuschreckenarten flugtüchtig. In Österreich und südlich der Alpen kommt die sehr ähnliche Platycleis grisea vor, die sich nur genitalmorpholo­ gisch von P. albopunctata trennen läßt. Früher wurden beide Arten als P. grisea oder als Metrioptera grisea zusammengefaßt. Rote Liste Baden -Württemberg V (Vor­ warnliste). Kleiner Heidegrashüpfer (Stenobothrus stigmaticus) Der kleine Heidegrashüpfer sieht aus wie eine Zwergausgabe des Heidegrashüpfers (Stenobothrus lineatus). Er wird nur 11-15 mm (Männchen) bzw. 15-20 mm (Weib­ chen) lang. Die Grundfärbung ist fast immer grün, die Abdomenspitze (Hinterspitze) beim Männchen rot. Die Flügel sind beim Weibchen verkürzt und etwas schmaler als die Hinterschenkel. Stenobothrus stigmati­ cus ist eine seltene Charakterart kurzrasiger, trockener Magerwiesen, ohne spezielle Bin­ dung an extrem warme Standorte (magere Bergwiesen, Weidfelder) – ähnlich auch Warzenbeißer. In Baden -Württemberg lie­ gen die Besiedlungsschwerpunkte im Hoch­ schwarzwald (Borstgras- Hochweiden des Feldberggebietes) und auf der Schwäbischen Alb (z.B. Holzwiesen bei Irndorf). Im Schwarzwald- Baar- Kreis wurde diese Art bisher nur auf der Riedbaar, im Mittelmeß östlich von Pfohren (magere Torfschwingel­ wiesen auf entwässerten Moorböden) nach­ gewiesen. Allerdings lassen die ökologischen Ansprüche des Kleinen Heidegrashüpfers auf weitere, noch nicht bekannte Vorkom­ men im Landkreis schließen. So können bei speziellen Nachforschun­ gen weitere Funde dieser Art (z.B. Rohr­ hardsberggebiet, Schönwälder Rücken oder auch Randzonen des Schwenninger Moo­ res) nicht ausgeschlossen werden. Rote Liste Baden -Württemberg 2 (stark ge­ fährdet). Text und Fotogrt.ifie: Felix Zinke 283

Umwelt und Natur Eine Million Kilowattstunden Strom imJahr Beim Bernreutehof hat sich Hubert Heini den Traum vom eigenen Wasserkraftwerk erfüllt Sanft schlängelt sieb die Breg durchs Tal, vom nahen Wald schallt Vogelgezwitscber. Idyllisch ist der Bernreutehof – für Gast­ lichkeit und gute Forellen bekannt – zwi­ schen Hammereisenbach und Vöhrenbach gelegen. Der Hof ist im traditionellen Bau­ stil des Schwarzwalds gehalten, von den Holzbalkonen hängen Geranien, Petunien, Pantoffelblumen und weiteres Ziergewächs in üppiger Pracht herab. Vor der Geräusch­ kulisse eines friedlich von den Hängen plät­ schernden Baches rasten Radfahrer und Wanderer nicht nur an den Wochenenden bei einem Bier oder Vesper. Auch Feriengä­ ste, von der Besitzerfamilie umsorgt, fühlen sich bestens aufgehoben. Urlauber aus dem Norden, aus Hamburg, München oder Stuttgart sind beeindruckt von der Nähe zur Natur. Wenn den Gästen – viele auch aus der Schweiz – zum Plausch in der nachmit­ täglichen Sonne Kaffee und Kuchen gebo­ ten werden, dann tuckert nicht selten Hu­ bert Heini, Hofbetreiber, Wirt und Eigentü­ mer, auf dem Traktor vorbei, um die zum Anwesen gehörende Land- und Forstwirt­ schaft zu versorgen. Und doch hält sieb hinter der beschauli­ chen Kulisse noch ein wenig mehr an Tech­ nik parat, wie der unvoreingenommene Zeitgenosse vermuten würde. Technik wie sie in dieser Form kaum auffällt und sich harmonisch ins Tal einfügt. Denn die Fami­ lie Heini hat ein eigenes Wasserkraftwerk er­ stellt, das dem Bernreutehof unmittelbar gegenüber liegt und die Wasserkraft der Breg zur Stromerzeugung nutzt. Eine Wasserkraftanlage hat Hubert Heini beim Bernreutehof in Vöhrenbach an der Breg erstellt. 284

Letztlich handelt es sich dabei um eine Art moderne Wassermühle – um eine Fortset­ zung jener Mühlentradition, wie sie hier lan­ ge Zeit vorherrschte. Die Zahl der Wasser­ mühlen, die einst an der Breg Getreide mahlten, war im Lauf der Jahrhunderte kei­ neswegs klein. Bereits ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand unweit vom Bernreutehof eine zum Anwesen gehörende Mühle, in der Getreide aus dem engeren und weiteren Einzugsgebiet zwischen Furt­ wangen und Wolterdingen verarbeitet wur­ de. Das Anwesen selbst ist seit Jahrhunder­ ten in Familienbesitz. Nachdem er 1967 den elterlichen Besitz übernommen hatte, machte Hubert Heini bereits in den 1980erJahren Pläne, wie er die brachliegende Wasserkraft wieder nutzen könnte. Hätte er geahnt, welche Mühen da­ mit verbunden sein würden, wer weiß, ob der heute 60jährige nicht doch noch von sei­ nem Vorhaben gelassen hätte. Die behördli­ chen Genehmigungen waren eine schwere Hürde, aber auch der Bau selbst brachte manche Komplikation mit sich. Doch Heini verfolgte – zumal nach einer 1984 schon einmal erfolglos angegangenen Projektierung – seine Idee um so konse­ quenter weiter. 1994 erging die Planfeststel­ lung für das Grundstück auf der Gemarkung Vöhrenbach. Grundlagen waren ein Wasser­ rechtsgesuch vom August 1991, ein ökolo­ gisches Gutachten, ebenfalls vom August 1991, sowie – um den steigenden Anforde­ rungen des Umweltgedankens gerecht zu werden – ein landschaftspflegerischer Be­ gleitplan aus dem Jahr 1994. Der „Plan zum Bau und Betrieb einer Was­ serkraftanlage durch Aufstauen der Breg“, umfaßt die Nutzung von funfKubikmetern pro Sekunde mittels einer 2,85 Meter hohen Wehrkrone, die sich – vom Meeresspiegel aus gesehen – in 766,85 Metern über „Nor­ malnull“ erhebt. Dazu gehören das Tos­ becken, ein offener Einlaufkanal und eine unterirdisch verlegte Triebwasserrohrleitung aus Holz, die über eine Strecke von 600 Me- Wasserkraftwerk Heini Blick atef die Wehrkrone des Kraflwerkes Heini, das iiber einen offenen Einlaufkanal und eine unterir­ disch verlegte Triebwasserrohrleiltmg ve,fiigt. tern hinweg vom Gewann „Lange Matte“ bis in die Nähe des ,,Winterhofes“ an der Schwertenbrücke führt. Aus den jeweils 2 500 Litern Schluckleistung der zwei Ka­ plan-Rohrturbinen werden auf dem Weg über die doppelregulierten Laufräder des Wasserkraftwerkes maximal 286 Kilowatt Strom produziert – das reicht immerhin für einhundert Haushalte. Zwar wird der soge­ nannte „Vollstau“ nur über etwas mehr als drei Monate hinweg im Jahr erreicht. Doch die hier erzeugten eine Million Kilowatt­ stunden an elektrischer Energie pro Jahr können sich sehen lassen. Modem ausgestattet ist das Turbinenhaus Heinis, das von auf der Landstraße in Rich- 285

Umwelt und Natur Die doppeltregulierten Laufräder der beiden Kaplcm-Rohrlllrbinen machen aus insgesamt 5 000 Litern „Schluckleistung“ pro Sekunde pro Jahr rund eine Million Kilowattstunden. tung Hammereisenbach vorbeifahrenden Autofahrern kaum wanrgenommen wird. Wenn Hubert Heini die Tür aufsperrt, führt der Weg zu den Aggregaten zunächst am Schaltschrank vorbei. Weiter hinten steigen wir über eine Treppe in kühle Regionen hin­ ab, in denen uns die Atmosphäre einer Ma­ schinenhalle eiwartet. Hier herrscht jener Wasserdruck, der durch die zwei Meter wei­ ten Holzrohre aus 7,5 Metern Fallhöhe die Turbinenräder auf Touren bringt. Hubert Heini kennt jede Schraube, jedes Meßgerät und jede Niete an den Aggregaten. Auf der Südseite der tief in den Boden hineinragen­ den Anlage kann er über Ketten auf einen Hebekran zurückgreifen, mit dessen Hilfe auch schwere Teile ausgewechselt werden können. In einem separaten Teil des Gebäudes ist die Übernahmestation des Kraftwerks Lau­ fenburg untergebracht. Der Elektrizitätsver­ sorger nimmt – widerwillig zwar, weil ei­ gentlich selbst mit enormen Kapazitäten aus dem Rheinkraftwerk an dem gleichnamigen deutsch-schweizerischen Grenzort ausge­ stattet – aber doch zu einem gesetzlich fest­ gelegten Preis den Strom derart kleiner Kraftwerke ab, der anschließend über Hoch­ spannungsleitungen, Umspannwerke und kilometerlange Kabel in jeden Haushalt ge­ langt. ,,Es gab Leute, die haben gemeint, ich ma­ che jetzt hier das große Geld“, sagt der 60jährige. Dabei waren die Investitionen, die Heini tätigen mußte, ohne dabei die Landwirtschaft und den Betrieb des Gast­ hofes zu gefährden, beträchtlich. Rund 1,8 Millionen Mark – einschließlich eines 286

20prozentigen Zuschusses seitens des Lan­ des Baden-Württemberg – hat Heini in das Projekt stecken und mit langfristigen Kredi­ ten absichern müssen. Mit den Pfennigbe­ trägen, die Heini von den Elektrizitätsver­ sorgern bekommt, die den Strom ihrerseits zum bis zum Vierfachen des Einkaufspreises an den Normalverbraucher weiterreichen, sind solche Summen nur über eine langfri­ stige Strategie wieder zu erlangen. Mit einer wasserrechtlichen Genehmigung über 30 Jahre hinweg wäre hier gerade mal mit Mühe die Amortisationsgrenze zu errei­ chen. Und so wurde Heini immerhin ein Zeitraum von 60 Jahren zugestanden. Innerhalb eines Jahres wurde das Kraft­ werk am Bernreutehof schließlich erstellt, 12 000 Kubikmeter an Erde bewegt und 850 Kubikmeter Beton verbaut. Nicht zu ver­ gessen der Aufwand für eine 250 Meter lan­ ge „Fischtreppe“, die auf Geheiß der Fische­ reibehörden als „naturnahes, wildbachähn­ liches Umlaufgerinne“ anzulegen war, und dieser Anforderung inzwischen mehr als ge- Wassetkraftwerk Heini recht wird. Heute gibt das Seitengewässer, das im Bogen um das Stauwehr herumführt, tatsächlich den Eindruck eines Bergbaches ab. 300 Liter müssen hier jederzeit fließen, um den Fischen ihre Wanderungen flußauf, flußab zu ermöglichen. Hubert Heini selbst freut sich über jedes Stück Natur, das er hier erhalten sieht. Nur 120 Meter vom Einlaufbauwerk stromauf­ wärts gelegen hat sich eine Bleßhuhn-Fami­ lie im Oberlauf ein ansehnliches Nest geba­ stelt. ,,Die lernen gerade das Schwimmen“, sagt Heini und deutet mit ausgestrecktem Finger auf das mitten in der Strömung ge­ legene Geflecht aus Zweigen und Ästen. Hier könnte Hubert Heini stundenlang ver­ harren und dem Treiben des gefiederten Nachwuchses zuschauen. Hubert Heini ist überzeugt, daß die Nutzung der Wasserkraft für die Natur keinen Schaden bringt. Klaus Koch Natur und Technik, beim Wasserkraftwerk Heini brüten Bleßhühner. Eingespeist wird der Strom über ei­ nen Zähler ins öffentliche Stromnetz des Elektrizitätsversorgers Kraftwerk Laufenburg (KWL). 287

Umwelt und Natur Holzhackschnitzel trocknen Klärschlamm Im Mai 1998 ging die Bräunlinger „Biowärme“ ans Netz -Richtungsweisendes Projekt Den Reisenden, die auf der lindenbaum- Holzhackschnitzelbasis wird im Industrie- gebiet „In Niederwiesen“ Klärschlamm ge- besäumten Verbindungsstraße zwischen trocknet. Das Endprodukt der Trocknung, Hüfingen und Bräunlingen unterwegs sind, das Granulat, hat einen Brennwert, der dem sticht sie schon von weitem ins Auge, die außen bunt angestrichene „Biowärme“-An- von Braunkohle entspricht. Von den Anla- genbetreibern ist deshalb vorgesehen, das lage der Zähringerstadt. Dort, wo 1996 ein- zigartige Gräberfunde aus früh-merowingi- Granulat in der Hauptsache als Brennstoff in der Industrie abzusetzen. Jährlich sollen scher Zeit (5. Jahrhundert n. Chr.) gemacht wurden, entstand in wenigen Monaten Bau- bis zu 24 000 Tonnen Klärschlamm aus dem Schwarzwaid-Baar-Kreis und angrenzender zeit ein richtungsweisendes Projekt, das in Deutschland seinesgleichen sucht. Klär- Gemeinden in benachbarten Landkreisen schlamm wird mittels des nachwachsenden getrocknet werden. Das Klärschlammauf- kommen des Landkreises Schwarzwald-Baar Rohstoffs Holz getrocknet und zu Granulat mit Heizwert weiterverarbeitet. in Höhe von zirka 20 000 Tonnen jährlich Im Mai 1998 ging die Bräuniinger „Bio- kann damit in der Anlage getrocknet und verarbeitet werden. wärme“ ans Netz. Auf kommunaler Ebene ist es damit gelungen, das am Holzmarkt Die Anlagentechnik ist beeindruckend: nur unter Schwierigkeiten und finanziell Das Werk teilt sich -vereinfacht dargestellt schlecht absetzbare Industrieholzsortiment -in zwei Kreisläufe auf, den Brenn-und dem Klärschlammtrocknungskreislauf. Bei aus dem Stadtwald einem Veredlungspro- zeß an Ort und Stelle zuzuführen. Auf der Anlieferung hat der vorentwässerte Klär- �.:� ·! �� z· „‚; ‚1‘-= T� .• ��V �…:&V.fis:,,,��:‘.)“l���a,i� Der nachwachsende Rohstqff Holz bildet die zentrale Energiequelle der „ Biowärme „-Anlage. Über Längs­ und Q]mforderer werden die Hackschnitzel aus dem Bunker in den Oftn befördert. Über Lichtschranken wird die Beschickung gesteuert, damit die Brennkammer nicht übe,füllt wird. 288

Bräunlinger Biowärme schlamm einen Trockengehalt von 30 bis 35 Prozent. Durch die Anlie­ ferung über einen mit Unterdruck betriebenen Tiefbunker wird sicher­ gestellt, daß die Umgebung durch den Geruch des Schlamms kaum be­ lastet wird. Dem Schlamm wird wei­ ter Gas entzogen und in einem Ab­ lufttank aufgefangen. Täglich liefern bis zu zehn Lastwagen den Rohstoff Schlamm an. Im dem Tiefbunker nachgeschalteten Doppelwellenmi­ scher wird das angelieferte Material mit bereits getrocknetem Gut ange­ reichert. Durch diese Maßnahme wird die Leimphase, die in einem Trockenbereich zwischen 45 und 55 Prozent auftritt, umgangen. Der Trockengehalt des Klärschlamms wird durch diese Beimischung auf zirka 65 Prozent erhöht. Täte man dies nicht, würde der Kärschlamm in der Leimphase verbacken. In einem kleinen Labor werden Schnellpro­ ben von jeder Lieferung Klär­ schlamm erhoben. Die Lagerkapa­ zität an Klärschlamm der „Biowär­ me“ beträgt insgesamt 210 Kubik­ meter (zweimal 90 Kubikmeter in Stahlbehältern und 30 Kubikmeter im Anlieferungsbunker). Damit kann die Anlage theoretisch drei Tage lang betrieben werden. Die Trocknungstrommel ist von den Anlagenplanern als Schnittstelle zwi­ schen der Trocknungs- und der Wärmeer­ zeugungsanlage vorgesehen. Die Brennkammer im Wärmekreislauf kann sowohl mit Holzhackschnitzeln als auch mit Heizöl beschickt werden. Das Heizöl ist zum Starten der Hackschnitzel­ heizung und für den Notfall vorgesehen. Holzhackschnitzel werden in einem Bunker gelagert und werden von dort in die Brenn­ kammer dosiert eingeleitet. Ein Wärmetau­ scher gibt die Energie an den Trocknungs­ luftkreislauf ab. Wenn die Luft den Bereich der Holzhackschnitzelfeuerung verläßt, hat Im Multi-Zyklon-Filter wird die Trocknungslu.fi von Staub befreit. Die Lu.fi, die mit dem Kärschlamm in keiner Phase in Berührung kommt, verliert in der Trommel durch den Trock­ mmgsvorgang an Energie. sie eine Temperatur von 850 Grad Celsius. Bevor sie in die Trocknungstrommel einge­ leitet wird, hat sie noch 450 Grad Celsius. Die Luft, die mit dem Kärschlamm in keiner Phase in Berührung kommt, verliert in der Trommel durch den Trocknungsvorgang an Energie. Die Abluft hat schießlich eine Tem­ peratur von 120 Grad Celsius und wird über einen Multi-Zyklon-Schlauchfilter wieder dem „Wärmetauscher Trocknungsluft“ zu­ geleitet. Am Multi-Zyklon-Schlauchfilter scheiden sich feine Staubpartikel ab. Bevor die Trocknung eingeleitet wird, wird der 02- Gehalt der Luft unter zehn Prozent ge­ drückt, um die Explosionsgefahr des später auftretenden Luft-Staub-Gemisches zu ver­ hindern. Dazu wird über ein Einspritz- 289

Um�·elt und atur modul der Wassergehalt der durchgeleiteten Luft erhöht. Das Kondensat aus der Klär­ schlammtrocknung wird in einem 150 Ku­ bikmeter fassenden Becken aufgefangen und der Verbandskläranlage zugeleitet. Da­ bei bleibt gewährleistet, daß am Wochen­ ende kein Kondensat in die Kläranlage ge­ langt, damit sich die dortigen Bakterienkul­ turen regenerieren können. Die Rauchgase aus der Hackschnitzelfeu­ erung werden über einen Elektro-Filter ge­ reinigt, der garantiert, daß die Abluft mit nicht mehr als 50 Milligramm Partikel je Ku­ bikmeter belastet ist. Die Feuerungsleistung der Anlage beträgt zwei Megawatt bei einem Holzhackschnitzeleinsatz von zirka 20 000 Schüttkubikmeter je Jahr. Rund zwei Drittel dieser Menge stammen dabei aus dem Be­ reich der Industrieresthölzer, der Rest aus Das Granulat wird auf einer Kühlschnecke, gut ab­ gesd1otlet durch eine Metallai!lfenhaut, in Richtung Vibrationssieb befordert. 290 dem Bräunlinger Stadtwald. Industriehack­ schnitzel liefern eine konstantere Brenn­ temperatur als Waldhackschnitzel. Beide Sorten werden deshalb miteinander ge­ mischt verbrannt. Durch den Einsatz von Holz können in der „Biowärme“-Anlage jährlich rund 1,6 Millionen Kubikmeter Erdgas eingespart werden. Der getrocknete Klärschlamm wird schließlich von der Trommel in den Trock­ nungsluftfi.lter eingeleitet, wo das Granulat und die Abluft verschiedene Wege gehen. Das Granulat fällt auf eine Kühlschnecke und kühlt dort auf 85 bis 90 °Celsius ab. Wenn das Korn später über den Förderer in das Vibrationssieb eingeleitet wird, hat es noch eine Temperatur von rund 60 °Celsius. Dort wird das Granulat klassifiziert: Das Überkorn und sehr feine Korngrößen wan­ dern in den Rückführsilo, wo es dem neu an­ geliefertem Klärschlamm beigemischt wird. Die Korngrößen zwischen zwei und vier Millimeter werden über eine Kühlschnecke ins Endlager transportiert. Dort weist das Endprodukt einen Trockensubstanzgeha.lt von mehr als 90 Prozent auf. 1998 setzten sich die Betreiber der Anlage zum Ziel, 1 600 Tonnen Granulat zu erzeugen. In den Folgejahren sollen bis zu 8 000 Tonnen Trockengranulat jährlich erzeugt werden. Der Grundgedanke der „Biowärme“ war ursprünglich in einen Versuch des Gemein­ deverwaltungsverbands Donaueschingen eingebettet: Hüfingen, Bräunlingen und Donaueschingen starteten 1993 in der Ver­ bandskläranlage einen Versuch, die anfal­ lenden Klärsch.lämme rationell zu trocknen. Der Gemeindeverwaltungsverband hatte da­ mals die „Technische Anleitung Siedlungs­ abfälle“ vor Augen, die vorschreibt, daß ab 1999 auf Deponien ausgebrachte Klär­ schlämme einen Trockengehalt von minde­ stens 85 Prozent aufzuweisen haben. Das angewendete Verfahren scheiterte jedoch. Die Suche nach alternativen Trocknungs­ methoden begann. Schließlich verfiel man auf die Idee, den quasi vor der Haustüre ste-

Bräunlinger Biowärme Holzhackschnitzel liefern die Energie für den Trock­ nungsvorgang. In der Brennkammer wird die Luft auf 850°C aufgeheizt. Der Ofen wird aeften über ei­ nen Wasserkreisla1if gekühlt, ein Metallmantel um­ hüllt die Brennkammer (Bild links). Über die An- henden Rohstoff Holz als Brennmaterial für die Klärschlammtrocknung zu nutzen. Die Suche nach kompetenten Partnern begann. Die Stadtverwaltung Bräunlingen übernahm die Initiative in dieser Sache, als Partner kristallisierten sich bald die beiden Firmen „Saarberg Fernwärme“ (SFW) und die „Saarberg Oecotec“ (Sotec) heraus. Die Bundesrepublik Deutschland ist an der SFW-Gesellschaft zu 74 Prozent beteiligt, das Saarland zu 26 Prozent. Die Sotec ist ei­ ne lOOpozentige Tochter der SFW Da zu diesem Zeitpunkt noch der Aufbau eines Fernwärmenetzes für das Industriegebiet „In Niederwiesen“ im Blick war, schloß sich die „Enersys“-Tochter des Kraftwerk Laufenburg den Bestrebungen an, stieg jedoch einige Lage auf dem Bild rechts wird die Nahwärme ins In­ dustriegebiet „Niederwiesen‘ verteilt. Bislang ist ein Unternehmen an die Versorgung angeschl.ossen. Sich neu ansiedelnde Betriebe unterliegen einem An­ schlußzwang. Monate später aus der Gesellschaft wieder aus. Die Stadt Bräunlingen hält nunmehr rund 56 Prozent der Gesellschaftsanteile in Händen, die SFW und Sotec teilen sich den Rest je hälftig. Die SFW, seit über 30 Jahren auf dem deut­ schen Energiemarkt tätig, zeigt sich für die Wärmeerzeugungsanlage verantwortlich, die kau&nännische Geschäftsordnung und die Akquisition wurden erledigt. Die Sotec, eine international tätige Ingenieurgesell­ schaft, brachte ihr Wissen in der kompletten Planung, der Finanzierung, den Bau, die Projektsteuerung sowie den Betrieb der ther­ mischen Abfallbehandlung ein. 291 Stefan Limberger-Andris

Umwelt und Natur 292 Am „Blauen Stein“ bei Blumberg, fotografiert von Germ an Hasenfratz, Hüfingen.

Garten- und Landschaftspflege 19. Kapitel/Ahnanach 99 Stauden statt „Cotoneasterwüste“ Grünflächenamt der Stadt Villingen-Schwenningen Vorreiter bei Stauden im öffentlichen Grün Duftend-weiße Wolken blühenden Wald­ meisters und zartgrüne Famwedel erfreuen das Auge der Spaziergänger vor den Villin­ ger Stadtmauern. Was aber nur der Garten­ architekt sieht: Die Staudenpflanzungen am Kaiserring, vor dem Riettor und in der Grünanlage am „Hubenloch“ repräsentie­ ren wie viele der Pflanzungen in Villingen­ Schwenningen modernste Trends bei der Anlage städtischer Grünanlagen. Und dabei ist das Konzept bereits 30 Jahre alt. Schon zu Beginn der 1960er Jahre, als andere bun­ desdeutsche Gemeinden im Rahmen einer Sparwelle eintönige Gehölzpflanzungen an- legten, setzte der damalige Leiter des Grün­ flächenamtes, Hans Meyer, auf Stauden. Während andere Gartenarchitekten auf den bodendeckenden Cotoneaster schworen, ließ Meyer Lavendel und Astilben, Japan­ Anemonen und Storchschnabel in die Vil­ linger Grünanlagen setzen. Nach der Städte­ fusion 1972 kamen auch die Schwenninger in den Genuß des farbenprächtigen Grüns. Was Meyer und sein Nachfolger Reinhard Hosemann schon damals pflanzten, wird heute in den Fachzeitschriften der Garten­ architekten hoch gelobt: die Staude im öf­ fentlichen Grün. Mediterrane Impressionen mit der blaublühenden Katzenminze vor Villinger Altstadtsilhouette. Die aus­ dauernde Nepeta verträgt viel Sonne und Trockenheit. 293

Stauden statt Cotonea terwü te Wie Reinhard Hosemann bei einem Spa­ ziergang durchs Villinger Hubenloch er­ klärt, haben Arrangements mit den ausdau­ ernden Gewächsen vielfältige Vorzüge. Stau­ den bieten Schutz und Lebensraum für zahlreiche Tierarten. Ihre Blüten sind wich­ tige Nahrungsquelle für viele Insektenarten und überraschen das Auge zu jeder Jahres­ zeit mit neuen Farben und Formen. Erst mit Stauden wird eine Gehölzpflanzung zum naturnahen Lebensraum. Gehölze dagegen altern und werden damit nicht unbedingt schöner. Schnell werden sie sehr hoch und breit. Der Platzbedarf von Staudenpflan­ zungen ist dagegen wesentlich besser kalku­ lierbar. ,,Wir pflanzen in drei Etagen“ In Villingen-Schwenningen stand die Na­ tur bei der Planung Pate. ,,Wir pflanzen in drei Etagen“, erklärt Hosemann. ,,Zuerst kommen die Laubgehölze als oberstes Stockwerk, dann werden Stauden und Blu- 294 Reinhard Hosemann pflanzt lieber Rosen, Zierobst und Stauden als pflegeleichten Cotoneaster. menzwiebeln als Unterbau eingebracht.“ Ganz so, wie es auch in den natürlichen Wäldern Mitteleuropas aussieht. Nur bei den Pflanzenarten wollten sich die Garten­ architekten der Doppelstadt nicht auf die heimische Flora festlegen lassen. ,,Für Gär­ ten in der Stadt brauchen wir andere Arten als im ländlichen Bereich“, weiß Hosemann. Die Grünanlage auf dem Hubenloch ist zum Beispiel auf einem alten Steinbruch an­ gelegt. Auf diese besonderen Bodenverhält­ nisse müssen die richtigen Arten und Sorten abgestimmt werden. Sein Tip für alle Gartenbesitzer in der Stadt: Nicht nur nordeuropäische, sondern auch nordamerikanische Arten und manche der Steppenpflanzen Asiens sind für das ex- Solche Zierapfelbäume empfiehlt Reinhard Hose­ mann auch für Privatgärten. Die Bäumchen (hier ein Hochstamm im Villinger Hubenloch) werden nicht zu groß und ihre attraktiven Früchte können im Herbst hängenbleiben.

treme Stadtklima geeignet. Bei der richtigen Auswahl müssen die Staudenbeete dann noch nicht einmal gegossen werden – eine große Arbeitsersparnis im Vergleich zu Sommerblumenrabatten. Wer die natürliche Ausstrahlung von Anlagen im Stil englischer Landschaftsgärten mag, den wird vielleicht interessieren, daß die üppigen Frauen­ mantelstauden am Villinger Riettor bereits seit 27 Jahren dort stehen. Unter dem Schirm blühender Magnolien ragen im Frühjahr ein Meter hohe Allium-Blüten auf. Die lila Blütenkugeln von Allium aphlatuen­ se reproduzieren sich sogar kostenlos, denn sie säen sich selbst wieder aus. Auch die ein­ gangs erwähnten Waldmeisterstauden ste­ hen unter den mächtigen alten Bäumen am Kaiserring schon seit 30 Jahren. Für Rein­ hard Hosemann die Bestätigung dafür, daß Garten· und Landschaftspflege damals aufs gärtnerisch „richtige Pferd“ ge­ setzt wurde. Dem Hobbygärtner empfiehlt der Gartenarchitekt, richtige kleine Land­ schaftsszenen zu pflanzen: eine Waldecke zum Beispiel. Dort können dann Waldgeiß­ bart und Maiglöckchen neben Hortensien­ sträuchern stehen. Auch Astilben-Arten, die Hainsimse (Luzula) und zahlreiche Früh­ lingsblüher eignen sich für so einen Wald vor der Haustür. Vorsicht bei Gehölzen Vorsicht ist allerdings bei der Wahl der Gehölze geboten. Immergrüne Nadelhölzer beschatten nämlich den Boden derart aus­ dauernd, daß Blumenzwiebeln wegen man­ gelnder Bodenwärme im Frühjahr nur küm­ mern würden. Außer man setzt sie an die Ein leichter Duft von Maibowle liegt am Kaiserring im Frühjahr in der Lufl, wenn sich vor den Villinger Stadtmauern zwischen Farn und Efeu ein Meer von Waldmeisterblüten entfaltet. 295

tauden tat! Cotoneasterwüste Südseite einer Konifere. Besser sind aber Laubgehölze, sagt Hosemann. Die lassen im Frühjahr noch viele Sonnenstrahlen durchs schüttere Blätterdach und spenden im Herbst ihre Blätter als Frostschutz für die Stauden. Unter den Gehölzen hat der ober­ ste Gärtner von Villingen-Schwenningen ei­ nen eindeutigen Favoriten: den Zierapfel. „Die haben mit ihren drei bis sechs Metern eine sehr gute Größe für Hausgärten“, sagt er. Aber auch am Hubenloch sehen die klei­ nen Bäumchen mit ihrer weiß-rosa Blüten- fülle im Frühjahr beeindruckend aus. ,,Und im Herbst“, ist Hosemann begeistert, ,,kön­ nen sie die kleinen Früchte für die Vögel hängen lassen.“ Man kriegt also wunder­ schöne Blüten und Früchte, aber der Ein­ koch-Zwang entfallt. Sein zweiter Liebling unter den Gehölzen ist im Hubenloch eben­ falls zahlreich zu finden. Rosen stehen dort in vielfältigen Variationen. Die Strauch- und Wildrosen haben mit ihren kleinen Blüten einen ganz eigenen Charme. Am Hubenloch läßt sich ein weiterer Effekt aus der grünen Trickkiste des Herrn Hosemann beobachten. Ver­ blühende Tulpen stehen dort inmit­ ten saftig sprossenden Frauenman­ tels. Der Grund: Wenn die später­ blühenden vor oder zwischen die frühblühenden Stauden gesetzt wer­ den, verschwinden braune Stengel und fahle Blütenreste einfach im fri­ schen, hochwachsenden Grün. Weni­ ger hoch gewachsen, dafür aber ein sehr guter Bodendecker ist Waldstei­ nia ternata. Wer die kompakten Pflan­ zen mit ihren goldgelben Blüten im Garten hat, braucht kein Laub mehr zu kehren – so gut halten die pflanz­ lichen Heinzelmännchen die Blätter fest. Außerdem sind sie auch noch anspruchslos. Sie können in praller Sonne und im Schatten stehen. Aus der Trickkiste von Mutter Natur stammen dagegen ansprechende Kombinationen von gepflanzten und wild eingewanderten, heimischen Stauden. Das Salomonssiegel vor der Stadtmauer am Kaiserring fand so den gelben Hahnenfuß als hübschen Begleiter. Für diese unbeabsichtigten Effekte sollte ruhig auch der Hobby­ gärtner einmal die Hacke ruhen las­ sen. Ein Tip von Reinhard Hosemann für die ganzjährige adret- te Staudenpjlanzung: Frühjahrsblüher wie diese Tulpen hier werden zwischen oder hinter sommerblühende Stauden ge- Wiebke Dirks setzt. So werden die einziehenden, vergilbenden Frühlings- pflanzen vom.frischen Grün der Stauden verdeckt. 296

Blütenparadies in 920 Meter Höhe Der Bauerngarten am Spittelhof in Oberkimach ist liebevoll gepflegt Garten- und Landschaft pflege Geranien, Fleißige Lieschen und Margeri­ ten lachen unter den schützenden Dächern „Benachteiligtes Gebiet“, so nennen die Landwirtschaftsexperten jene Lagen im Schwarzwald, die aufgrund ih­ rer Meereshöhe (über 900 M.) nur mit Mühe zu bewirtschaf­ ten sind. Doch angesichts des prächtigen Bauerngartens von Jäckles vom Spittelhofin Ober­ kirnach kommen dem Betrach­ ter jedoch Zweifel. Hier beginnt das Gartenjahr eben etwas spä­ ter und endet vielleicht auch wieder früher. Die Tomaten wollen nicht so recht reif wer­ den, sonst aber gedeihen hier bunte selbstgezogene Som­ merblumen zusammen mit Ge­ ranien und Petunien in Kästen und Schalen. In den Kübeln findet man neben Neuheiten wie Engelstrompeten auch eine große Fuchsiensammlung und andere altbekannte Pflanzen wie Blattkakteen, Zitronengera­ nien und Rosmarin. Alle Bal­ konpflanzen überwintern im Keller, zum Wegwerfen sind sie zu schade. Vielfach wetteifern die Bäue­ rinnen um den schönsten Bal­ konschmuck. Mit viel Mühe wird hier gepflanzt, gegossen und gedüngt -oft aber leider auf Kosten des bunten Bauern­ gartens, für den dann die Zeit nicht mehr ausreicht. Nicht so auf dem Spittelhof. An allen Seiten ranken Kletter­ pflanzen empor wie der Wilde Wein und nicht nur im Som­ mer sind Fensterbänke und Bai- Ein prächtiger Bauerngarten schmückt den Spittelhof der Familie kon mit Pflanzen geschmückt. Jäckle in Oberkirnach. 297

Blütenparadies in 920 Meter Höhe in die Sonne und blühen auf altem landwirtschaftli­ chem Gerät. Bauerngärten und Blu­ menschmuck wie auf dem Hof der Jäckles in Oberkir­ nach sind selten geworden. Argumente gegen die Nut­ zung und Neuanlage von _ Bauerngärten sind leicht zu finden. ,,Bauerngärten ma­ chen den ohnehin schon überlasteten Bäuerinnen zu viel Arbeit und Gemüse er­ zeugt der Gärtner billiger und besser – und Blumen, die sind ja schön, aber sonst … “ bekommen Verfechter­ (innen) des Bauerngartens zu hören. Dabei können solche Anlagen doch auch recht pflegeleicht sein. Eine Phloxpflanze beispielswei­ se steht jahrelang am selben Platz. Sie wird von Jahr zu Jahr schöner und muß da­ bei nicht einmal täglich gegossen oder wöchentlich gedüngt werden. Eine Mist­ oder Kornpostgabe im Frühling oder Herbst reicht aus – und die Pflanzen des Bauerngartens danken dies mit ihrer Pracht, von der Schneeglöckchenblüte im März bis in das Spätjahr hinein, wenn die letzten Chrysanthemen vom Frost zerstört werden. Christa Strobel Eine Pflanzenvie!falt, die das Auge Jreul: Welche Pracht ein Bauemgarlen traditioneller Arl dem Besilzer bescher/ zeigt sich am Beispiel des Spillelhofes in Oberkimach. 298

20. Kapitel / Almanach 99 Architektur, Bauen und Wohnen Ökologische Modellgemeinde des Landes In Dauchingen wird die Stadtplanung an ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet Seit nunmehr drei Jahren ist die 3 600 Ein­ wohner zählende Gemeide Dauchingen ,,ökologische Modellgemeinde“. Die Vor­ geschichte der Bewerbung als „Modellge­ meinde im Ökologischen Stadt- und Ge­ meindeentwicllungskonzept des Landes Ba­ den-Württemberg“ reicht ins Jahr 1992 zurück. Damals fand die Umwelt- und Ent­ wicllungskonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro statt, auf welcher von 179 Staaten ein Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, die „Agenda 21 „, beschlossen wurde. Der Deutsche Bundestag hat im Juli 1994 die Agenda bestätigt und mit seinem Beschluß den Kommunalverwaltungen vor­ gegeben, kommunale Agenden auszuarbei­ ten. Gerade die Kommunen, welche die wirtschaftliche, soziale und ökologische In­ frastruktur errichten und verwalten, besit- zen eine Schlüsselstellung in der konkreten Umsetzung allgemeiner Grundsatzbeschlüs­ se. Sie stellen die politische und verwal­ tungstechnische Ebene dar, die den Bürger­ innen und Bürgern am nächsten steht, kom­ munale Umweltpolitik gestaltet und ent­ scheidenden Einfluß für die Information und Mobilisierung der Bevölkerung gerade auch bei Umweltthemen besitzt. Im Dauchinger Gemeinderat setzte sich die Überzeugung durch, daß es Leitmotiv und Maßstab kommunalpolitischer Ent­ scheidungen sein müsse, die zukünftige Ent­ wicklung und Umgestaltung der Gemeinde nach ökologischen Gesichtspunkten auszu­ richten. Durch Berücksichtigung statt Be­ einträchtigung natürlicher Vorgänge gelte es, die künftigen Lebensbedingungen im posi­ tiven Sinne zu beeinflussen. Der Wille, ein- Modeme Architektur im Zeichen der Ökologie: Wohn- und Gescheftshaus in Dauchingen. 299

Architektur Baugebiet „Auf der Staig“ von Norden. gefahrene Wege zu verlassen fand seinen Ausdruck in folgendem Grundsatzbeschluß des Gemeinderats vom 18. Dezember 1995: ,,Die Gemeinde Dauchingen stellt die Er­ haltung der natürlichen Lebensgrundlagen bzw. den schonenden Umgang mit den Res­ sourcen – Wasser, Boden und Luft – in den Blickpunkt ihres langfristigen kommunalen Denkens und Handelns und erklärt darüber hinaus ihre Bereitschaft, die in der Projekt­ liste (für Ökologisd1e Modellgemeinden in Baden-Württemberg) aufgezeigten Einzel­ maßnahmen entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit sukzessive umzusetzen. 300 Daran knüpft nicht zuletzt die Erwartungs­ haltung, daß diese Denkweise in Dauchin­ gen nicht nur bei Alltagsentscheidungen in­ nerhalb der Verwaltung umfassend Einzug hält, sondern in besonderer Weise auch ei­ nen Lernprozeß in unserer Bevölkerung hierdurch in Gang setzt.“ Schon der erste Schritt zur Realisierung des Grundsatzbeschlusses, nämlid1 die Erarbei­ tung der Bewerbungsgrundlagen als Ökolo­ gische Modellgemeinde hat gezeigt, weld1e Ausmaße mental, finanziell und personell mit der Aufgabe einer ganzheitlichen öko­ logischen Gemeindeentwicklung verbunden sind. Drei Jahre harte Ar­ beit, welche die Gemeinde stets in enger Zusammen­ arbeit mit der Firma „Kom­ munal Plan“ in Tuttlingen durchgeführt hat, sind nun vergangen. Erste Maßnah- Planskizze zum Projekt „Far­ renstall‘: siehe auch Bilder auf der rechten Seite.

Modellgemeinde Dauchingen � Der »Farrenstall“ in einer historischen Ansicht und nach seiner Sanierung. Die Gemeinde Dauchingen ist ökologische Modellgemeinde. 301

Archilfktur Der „Farrenstall“ mit angegliedertem Feuerwehr­ gerätehaus, Ansicht von Wtsten. men waren die Förderung des umweltge­ rechten Bauens und der Gebäudesanierung, die Bereitstellung finanzieller Anreize für den Bürger (Umweltförderprogramm 1997 und 1998, Gesamtförderung: 50 000 DM) sowie die Öffentlichkeitsarbeit mit Öko­ Tips, Bürgerversammlungen, Vorträgen, Ausstellungen, Betreuung und Beratung sei­ tens der Gemeinde. 302 Im folgenden vier konkrete Beispiele der ökologisch fundierten Kommunalpolitik: Reduzierte Autoorientierung Die Bauleitplanung vollzog sich bisher in Dauchingen in „eingefahrenen“ Bahnen. Ökologische und landschaftsplanerische Aspekte waren selten Gegenstand von Dis­ kussionen. Eine entscheidende Weichen­ stellung hin zu einer umweltbewußten Ent­ wicklung wird nun mit dem neuen Bauge­ biet „Nord-West IV “ eingeleitet. Das Plan­ gebiet ist zirka 8 Hektar groß und wird abschnittsweise, abgestimmt auf einen vor­ handenen Bedarf, entwickelt. Der erste Bau­ abschnitt mit ca. 3 Hektar wurde im Früh­ jahr 1998 erschlossen. Neue Planungsideen wie ein modifiziertes Regenwasserkonzept, durd1grüntes öffentliches Wohnumfeld, re­ duzierte Autoorientierung, Solarenergienut­ zung und Stärkung der Mitsprache der Bür­ ger prägen die kontroverse und spannende öffentliche Diskussion. Die Erfahrungen aus dieser Planungsarbeit werden in weitere ört­ liche Projekte einfließen. Die Grund- und Hauptschule mit Werk­ realschule in Dauchingen hat als eine von Pflastersteine stau Asphalt: Dauchingen will die Lebensbedingungen am Ort auch durch reizvolle Details nachhaltig verbessern.

acht Schulen in ganz Baden-Württemberg und als zweite Schule im Schwarzwald-Baar­ Kreis einen Förderpreis des Landes als )li­ mafreundliche und energiesparende Schule“ erhalten. In der Schule fand eine Ausstel­ lung statt, die über ökologische Maßnah­ men in Unterricht und Praxis informiert. Diese Ausstellung ist auch Auftakt zur „Ak­ tion klimafreundliche und energiesparende Schule“, welche fur die kommende Zeit das Schulleben begleiten wird. Umweltfreundlicher Kindergarten Mit ihrem Kindergarten, bestehend aus sieben Gruppen mit ca. 180 Kindern, hat sich die Gemeinde beim Land um die Teil­ nahme am Projekt „Umwelt- und klima­ freundlicher Kindergarten“ erfolgreich be­ worben. Eltern und Kindergartenleitung diskutieren derzeit angeregt und ihre Ideen werden von der Gemeinde gesammelt. Die geplante Verkehrsberuhigung soll sich nicht allein in einer „verkehrsberuhigten Zone“ Modellgemeinde Dauchingen erschöpfen, sondern Wege aufzeigen, wie El­ tern ihre Kinder gemeinsam und ohne Au­ to in den Kindergarten bringen und damit ein Vorbild in ökologischem Verhalten ge­ ben können. Ökologische Gewerbeschau Um ihr ökologisches Konzept vorzustel­ len, führte die Gemeinde vom 24. Septem­ ber bis zum 12. Oktober 1997 „Energietage“ durch. In ihrem Rahmen fand am 11. und 12. Oktober eine „ökologische Gewerbe­ schau“ statt. Sie wurde in enger Zusamenar­ beit mit dem Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg durchgeführt und von Ministerialdirektor Otto Finken­ beiner eröffnet. Die Schau war außerordent­ lich gut besucht. 55 Aussteller, darunter ein Drittel aus dem Ort, hatten Gelegenheit in der Sporthalle und auf dem Freigelände ih­ re Produkte vorzustellen. Firmen aus dem Baugewerbe, der Metallverarbeitung, Kraft­ fahrzeugbetriebe, eine Druckerei, Firmen Alt und Neu, ein Kontrast der durchaus Harmonie ins Stadtbild bringt. 303

Modellgemeinde Dauchingen Abendrot über Dauchingen, wo man im Rahmen der konsequenten ökologi.schen Oriimtierung auch ver­ stärkt aief die Nutz1mg der Solarenergie setzen will. für Dämmstoffe, Hackschnitzel- und Solar­ anlagen sowie für Wasseraufbereitung wa­ ren vertreten. Es präsentierte sich auch die einheimische Landwirtschaft mitsamt den Maschinenringen Rottweil und Schwarz­ wald-Baar. Handels- und Vertriebsfirmen neben Banken und Bausparkassen stellten sich ebenfalls dem Thema. Behörden und Institutionen, Umweltberater des Landrats­ amtes standen mit Auskünften zur Verfü­ gung. Der Kindergarten beteiligte sich mit einem Spielzeug- und Kleidermarkt. Wäh­ rend den Energietagen und der Gewerbe­ schau waren auch etliche Fachvorträge zu hören. Die Gemeinde Dauchingen ist fest ent­ schlossen, den eingeschlagenen Weg konse­ quent weiterzugehen. Die Erfahrungen der „ökologischen Modellgemeinde“ in der Umsetzung ökologischer Maßnahmen mö- 304 ge anderen Gemeinden ähnlid1er Struktur und Größe eine Hilfe sein, insbesondere in Bezug auf Probleme der Personalkapazität, Öffentlichkeitsarbeit und Finanzierung. Der Erfolg hängt aber in entscheidendem Maße von jedem einzelnen Bürger ab, von seiner Bereitschaft, sich im persönlichen Bereich den Aufgaben der Zeit verantwortlich zu stellen. Wer mehr über die ökologische Modellge­ meinde Dauchingen erfahren will, kann sich in1 Internet umsehen. Unter „www.dauch­ ingen.de“ finden sich Grundsätze und wert­ volle Anregungen. Und natürlich findet sich im Rathaus Dauchingen ein Umweltbeauf­ tragter als ständiger Ansprechpartner der Bürger. Anton Bruder

Freizeit und Erholung Unterkimach ein beliebtes Naherholungsziel 21. Kapitel/ Almanach 99 Stadtmühle, Kräutergarten, Wildpflanzenpark, Kinderland: das Feriendorf bietet Vielfalt Unterkirnach hat seinen Ortskern saniert und ist damit zugleich zu einem beliebten Ausflugsort fur die gesamte Familie gewor­ den. Wo noch vor Jahren der gesamte Ver­ kehr durch das Dorf rollte, schlängelt sich vom Rößleplatz bis zur Kirnach ein plät­ scherndes Bächlein, das mit seinen je nach Jahreszeit grünen oder blühenden Pflanzen die Fahrbahn begrenzt. Die Umgehungs­ straße erlaubte es, die Fahrbahnbreite in der Ortsmitte zu verengen, eine verkehrsberu­ higte Zone zu schaffen. Ein Mittelpunkt im Dorf ist der Kieschtockbrunnen mit seinen originellen Fastnachtsfiguren. In der verkehrsberuhigten Zone liegt mit­ ten im Herzen von Unterkirnach die Kirn­ achmühle. In Erinnerung an alle Mühlen, die heute in der Umgebung von Unterkirn­ ach stillstehen, hat die Gemeinde in den Jahren 1995 bis 1997 die Kirnachmühle nach altem Muster, mit Wasserbetrieb, ge­ baut. Die Schwarzwaldmühlen waren über Jah­ re hinweg eine bemerkenswerte Einrich­ tung. Mit der Naturgewalt des Wassers wur­ de ein großes, aus Holz gebautes Mühlrad in Gang gesetzt. Die entsprechende Überset­ zung mit Holzrädern brachte den Mühl­ stein, der das Korn zu Mehl mahlte, in Be­ wegung. Bevor die Elektrizität bekannt war, wurde auf fast jedem Bauernhof eine Müh­ le betrieben. Diese Ho&nühlen dienten zur Selbstversorgung des Betriebes. Mit der Kirnachmühle wurde nun ein Blick auf die Wassertretstelle mit Teich bei der Dorfmühle in Unterkirnach. 305

Freizeit und Erholung Die nach alten Vorbildern neu erbaute Dorfmühle in Unterkirnach. Stück „heimelige Romantik“ wiedererrich­ tet. Im selben Gebäude wurde eine Backstu­ be geschaffen, in der zweimal wöchentlich auch Original-Holzofenbrot gebacken wird. Direkt hinter der Mühle hat der im Dien­ ste der Gemeinde Unterkirnach stehende Landschaftsgärtnermeister Manfred Riehle einen Kräutergarten angelegt. Die Kräuter­ gärtnerei ist mindestens ebenso alt wie die früheste Zivilisation. In jedem Zeitalter und in allen Teile der Welt wurden Kräuter zum Kochen, als Heilkräuter und zur Bereitung von Wohlgerüchen geschätzt. Gewürze und Kräuter, Zauberschlüssel zur Kochkunst, Beweise für Kreativität am Kochtopf führten jahrzehntelang ein Schattendasein. Nun schätzen immer mehr Menschen natürliche 306 Nahrungsmittel und Gewürze und orientie­ ren sich an den ästhetischen Werten vergan­ gener Zeit – und so finden auch die Kräuter immer mehr Freunde. Alle Küchenkräuter sind gleichzeitig auch Heilpflanzen. Ob man nun die schlichte Petersilie über damp­ fende Kartoffeln streut oder Kerbel als Früh­ lingssuppe zubereitet, immer versorgt man den Körper auch mit wertvollen Arzneistof­ fen. Gutes würziges Essen beugt so auf an­ genehme Weise mancher Krankheit vor. Die wichtigsten Voraussetzungen für einen Kräutergarten sind ein gut entwässerter Bo­ den, der neutral bis leicht sauer sein sollte, und wenigstens fünf Stunden Sonne am Tag. Einige wenige Kräuter bilden Ausnah­ men von dieser Regel. Am Eingang des Unterkirnacher Kräuter­ gartens befinden sich Schautafeln zu den angepflanzten Kräutern. Es sind nicht nur die einzelnen Namen der Pflanzen erklärt, sondern es wird zudem informiert, für wel­ che Zwecke die Schul- und die Volksmedizin jenes Kraut einsetzt. So können ganze Schulklassen oder Besucher sich schnell zu­ rechtfinden. Man erfahrt stichwortartig das W ichtigste über Wirkstoffe und Anwen­ dung. Auch der Wissensstand der modernen Medizin wird dargestellt. Die Beete hat Landschaftsgärtnermeister Manfred Riehle in einen alkalischen und sauren Bereich aufgeteilt. Um allen An­ sprüchen der Pflanzen gerecht zu werden, sind die Beete von trocken steinig bis hu­ mos. Die rechte Seite der Beete wurde mit Hu­ mus im alkalischen Bereich, also ziemlich kalkhaltig, angelegt. Auf diesem basischen Boden gedeihen Liebstöckel, Salbei, Seifen­ kraut Anis, Ringelblume, Waldmeister (die­ ser wächst im Schattenbereich) und das Maiglöckchen. Die beiden letzten Beete auf dem alkalischen Boden bestehen zu zwei Dritteln aus Mineralien und einem Drittel aus Humus. Darüber freuen sich besonders die Königskerze, der Alant und Wundklee. Auf der linken Seite des Gartens ist der sau-

re Bereich angelegt. Er besteht aus zwei Drit­ tel Mineralien und einem Drittel Humus. Hier stehen Johanniskraut, Schöllkraut, im Volksmund als Warzenkraut bekannt, Wer­ mut und die Mariendistel. Mit viel Liebe wird der Kräutergarten ge­ pflegt und immer wieder ergänzt durch Manfred Riehle. Unterstützt wird er durch die Unterkirnacherin Gerda Jäckle, die sich schon seit vielen Jahren mit Kräutern und Heilpflanzen befaßt. Von der Bevölkerung wird der Kräutergarten gerne angenommen, denn er gliedert sich wundervoll in das Orts­ bild ein. Einmaliger Wildpflanzenpark Spaziert der Besucher weiter durch die Schwarzwaldgemeinde kommt er zu einem in Baden-Württemberg einmaligen Wild­ pflanzenpark. Ein Stück Schwarzwald „en miniature“ wurde hier nach Unterkirnach gebracht. Man wollte nicht wie in den mei­ sten Fremdenverkehrsorten einen Kurpark Naherholung in Unterkirnach mit gepflegtem Rasen und Sommerbeeten errichten, sondern die Gemeinde hatte mit ihrem Bürgermeister Siegfried Baumann die Idee, einen naturnahen Wildpflanzenpark zu schaffen. An der Straße nach Oberkir­ nach befindet sich das knapp 3 Hektar große Gelände in den Gewannen „Wurstbauern­ hof“ und „Bachwiesen“. Am oberen Ende findet er seine natürliche Abgrenzung durch den Talsee und am unteren Ende durch Wohnbebauungen. Fertiggestellt wurde der Park 1987. Anfangs waren die Einheimischen geteilter Meinung über diesen Naturpark. Manchem Gartenfreund erschien dieser „Wildwuchs“ als reines Unkraut, das in einem Park nichts verloren hat. Daß sich diese Meinung in der Bevölkerung zunehmend geändert hat, ist wiederum Manfred Riehle zu verdanken, der die Ideen auf dem Papier in die Praxis umsetzte. Mit viel Einfühlungsvermögen und gestalterischer Phantasie ist es ihm ge­ lungen, mehrere für den Schwarzwald typi­ sche Landschaftsformen auf kleinsten Raum Der Kräutergarten an der Dorfmühle gibt wertvolle Anregungen für die eigene Gärtnerei. 307

Freizeit und Erholung Gleich ob lilienarte11 oder Wollgras, das U11terkim­ acher Wechse!feuchtgebiet zeigt b1mte Vielfalt. 308 zu verem1gen und mit entsprechenden Pflanzen zu besiedeln. ,,Dabei hat die Natur ihre eigenen Gesetze“, erzählt Fachmann Riehle, ,,viele von den heimischen Pflanzen die gesät wurden, haben ihren Standort ge­ wechselt oder sich gar verabschiedet und an­ dere sind einfach so gewachsen.“ Ein rustikaler Pavillon am Eingang des Naturpflanzenparks mit Schautafeln weist dem Besucher den Weg durch diese vielfäl­ tige Pflanzenwelt. Dem Besucher soll die Ei­ genheit und der Reiz der Schwarzwaldland­ schaft, von Fauna und Flora nahegebracht werden. Der Park gliedert sich in die Berei­ che Kalk-, Sandstein-, Granit-, Schotter- und Geröllflächen sowie dazugehörige Übergän­ ge mit Mooren, Auen und Fettwiesen. Der obere Teil besteht aus einem Mischwaldgür­ tel. Der untere Teil des recht steilen Abhan­ ges wurde als Schotterhalde hergerichtet. Hier wurde die Natur als Vorbild genom­ men. Die verschieden angelegten Biotope die­ nen als Unterschlupf für Insekten oder als Höhle für Kleintiere und so manche Frö­ sche quaken. Durchzogen wird der Wild­ pflanzenpark durch die K.irnach. Rechts der K.irnach entstand ein Wechselfeuchtgebiet mit saurem Boden, wie es in vielen feuchten Talauen im Schwarzwald anzutreffen ist. Auch die Pflanzen, die sich hier angesiedelt haben, sind typisch für unsere Region. Da wären das weißblühende Mädesüß oder der Felberich. Durchzogen wird dieser Bereich von einem hölzernen Knüppelsteg, so daß die Besucher trockenen Fußes durch die Pflanzenwelt schlendern können. Kleine Täfelchen weisen auch hier auf die Beson­ derheiten der Flora hin. Eindrucksvoll und von einem ganz beson­ deren Reiz ist das Moorgebiet, das sich un­ mittelbar am Ufer der K.irnach anschließt. Hierfür wurden Pflanzen und Moorboden aus Bad Waldsee angefahren und so ent­ stand das typische Bild des Moores mit sei­ nen klaren, dunklen Wassern und seiner spärlichen Vegetation, die hauptsächlich aus

Naberholung in Uoterkimach Überall können Kinder in Unterkirnach das „Erlebnis Wasser“genießen, a11d1 beim Überqueren der Kim­ ach, deren Flußbett mit Steinblöcken ausgelegt ist. Wollgras, Rohrkolben, Froschlöffel, Iris und Igelkolben besteht. Eine weitere typische Gesteinsart ist im Schwarzwald der Buntsandstein. Typische Pflanzen sind hier das Knabenkraut, Frau­ enfarn oder die Glockenblume, um nur ei­ mge zu nennen. Der gesamte saure Bereich des Wildpflan­ zenparks wird durch einen Hügelzug aus Granitsteinen vom alkalischen Bereich ge­ trennt. Hinter diesem Wall entstand eine Kalklandschaft, wie sie im Schwarzwald ver­ einzelt gleichfalls vorzufinden ist. Die Vege­ tation ist hier besonders reich. Es gedeihen Silberdisteln, das Maiglöckchen, das Wei­ deröschen, die Karthäusernelke, aber auch zahlreiche Büsche und Sträucher. An Ge­ hölzern wurde der Dorn und der Wacholder eingebracht. Selbst angesiedelt haben sich die Erle, Birke und Kiefer. Diese samen sich ständig aus. Hier wird allerdings eingegrif­ fen, denn sonst würde der Wildpflanzen- Mit Schlauchboot oder Floß auf dem Teich unter­ wegs, das Kinderland bietet viel Abwechslung. 309

Naherholung in Unterkirnach Ein viel besuchter Auiflugsorl im Landkreis ist der grqße Kinderspielplatz im Unterkimacher Freizeit- und Erholungsgebiet, wo sich auch ein Streiche/zoo befindet. zeichnung als Landes-und Bundessieger im Wettbewerb „Familienferien in Deutsch­ land“. In diesem familienfreundlichen Dorf finden kleine Abenteuerurlauber ganz be­ sondere Ferien-und Freizeitangebote für ei­ ne abwechslungsreiche und phantasievolle Urlaubsgestaltung. Zahlreiche Kleinkinder­ und Waldspielplätze sind vorhanden. Das ganze Jahr über gibt es auch organisierte Ver­ anstaltungen sowie das „Schlechtwetteran­ gebot“ für Eltern, Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Altersgruppen. So richtig auf ihre Kosten kommen die Kinder im Kinderland am Schloßberg. Hier werden für manch einen Sproß Kinderträume wahr: beim Klettern, Floßfahren, Seilbahnfahren, Spielen in Blockhäusern oder einer rasanten Fahrt auf der Rollenrutsche. Mit heimischen Tieren auf du und du im Streichelzoo ist gleichfalls ein Erlebnis. Renate Puchinger Paradies für Kinder park verwalden. Das ist die einzige Pflege­ maßnahme, die der Landschaftsgärtner vor­ nimmt. Mit viel Engagement und Phantasie wur­ den hier die Voraussetzungen geschaffen und was die Natur inzwischen aus dem Wildpflanzenpark gemacht hat, ist beinahe wie ein „letztes Stück Paradies“. Das Dorf am Schnittpunkt zweier Schwarzwaldtäler, dem Kirnach-und Schle­ geltal gelegen, bietet auch als Wanderdorf ideale Voraussetzungen, um sich in gesun­ der Umgebung von der Alltagshektik zu er­ holen. Ein vorbildliches, gut markiertes und begehbares Wanderwegnetz mit Rastplätzen und Brunnen erwarten den Naturfreund. Unterkirnach hat auch seine kleinen Gäste und deren Familien ganz besonders ins Herz geschlossen, das bestätigt die Aus- 310

Stätten der Gastlichkeit 22. Kapitel I Almanach 99 Beliebtes Ausflugsziel mit bester Küche In der Vohrenbacher „Friedrichshöhe“ war auch schon Kaiser Wilhelm II. zu Gast Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts entschloß man sich zum Bau der Landstraße von Unterkirnach durch den Schlegelwald und das Glasbachtal nach Vöhrenbach, denn für die Fuhrleute aus dem Raum Rott­ weil und Schwenningen genügte die alte Vil­ linger Straße, die über Villingen – Frieden­ grund -Stadtwald – Neuhäusle – Vöhren­ bach führte, nicht mehr. Gleich zu Beginn der zweijährigen Bauzeit wurde 1863 die Er­ stellung einer Gastwirtschaft auf der soge­ nannten Leimgrubenhöhe ausgeschrieben. Sie sollte den hungrigen und durstigen Fuhrleuten Gelegenheit bieten zum Um­ spannen der Pferde und auch sich selbst mit Speis und Trank zu versorgen. Daraus ent­ stand das traditionsreiche Gasthaus „Fried­ richshöhe“. Das Grundstück gehörte zum benachbar­ ten Tudisenhof, der seit 1775 bis heute von den Generationen Ruf bewirtschaftet wird. Verschiedene Interessenten bewarben sich mit einem Gesuch beim Großherzoglichen Bezirksamt in Villingen. Der damalige Bau­ er vom Tudisenhof, Paul Ruf, bekam den Vorzug und im Sommer 1864 war Baube­ ginn. Nach kurzer Krankheit verstarb der le­ dige Paul Ruf überraschend. Daraufhin kam sein Bruder Joseph, der in Neukirch Uhr­ macher gelernt hatte und seit einigen Jahren in London als Uhrenhändler tätig war, zu­ rück und vollendete das Bauwerk. Das Anwesen mit Wirtsstube, Küche, Ne­ benräumen und darunter liegendem großen Gewölbekeller wurde nach zweijähriger Bau­ zeit fertiggestellt. Im Obergeschoß befan- Die „Friedrichshöhe“ in Vöhrenbach, an der Landstraße nach Villingen gelegen. 311

Stätten der Gastlichkeit Das Gasthaus „Friedrichshöhe“ um die Jahrhundertwende nach einer colorierten Ansichtskarte. den sich die Zimmer für die Familie, Dienst­ boten und für Gäste sowie ein Tanzboden. Ebenso wurde das Haus mit Ökonomie Stallungen und einer Scheune ausgestattet. Auf dem Dachfirst ist heute noch ein schmuckes Glockentürmchen mit einer Bronzeglocke und der Umschrift: ,,Mich goß Benjamin Grüninger in Villingen 1780.“ Joseph Ruf hatte diese Glocke vom alten Vöhrenbacher Glockengeläute erwor­ ben. Joseph Ruf war es auch, der dem 963 Me­ ter über dem Meer liegenden Gasthof den Namen „Friedrichshöhe“ gab, zu Ehren des im Schlegelwald auf die Auerhahnjagd zie­ henden Großherzogs Friedrich von Baden. Bei Josef Ruf handelte es sich um den Ur­ großvater des jetzigen Besitzers Josef Ruf, der Gasthof befindet sich also seit über hun­ dertdreißig Jahren in Familienbesitz. Das 312 Gasthaus beherbergte prominente Gäste. Alljährlich im Mai zur „Auerhahnbalz“ ka­ men der Fürst zu Fürstenberg oder vom Für­ stenhaus geladene Gäste zur Auerhahnjagd und übernachteten im Hause. Es war dann der Großvater des Besitzers, dem seine Ma­ jestät Kaiser Wilhelm II. als Gast des Fürsten im Jahre 1908 anläßlich der Jagd auf Auer­ hähne die Ehre gab. Die wachsende Nachfrage von Gästen nach Fremdenzimmern und die Beliebtheit des Hauses ließen es ratsam erscheinen, die „Friedrichshöhe“ zu einem Gasthaus mit Beherbergung umzugestalten, was von Ar­ tur und Auguste Ruf durch bauliche Maß­ nahmen begonnen wurde. Im Jahre 1968 wurde die Landwirtschaft ganz aufgegeben. Im Oktober 1969 haben Josef und Ursula Ruf den elterlichen Betrieb übernommen. Ursula Ruf stammt vom Hotel „Neueck“ in

Die ,.Fricdrichshöhe“ in Vöhrenbach Gütenbach und hat das Hotelfach von der Pike auf erlernt. Auch die beiden Töchter der Familie haben seit ihrer frühesten Ju­ gend, später mit ihren Ehemännern, viel zum Aufbau des Betriebes beigetragen.Josef Ruf erlernte den Beruf des Kochs in Esslin­ gen. Für das gute Betriebsklima spricht, daß sich alle Mitarbeiter, die weit über 10 Jahre, teilweise schon mehr als 20 Jahre beschäftigt sind, mit voller Kraft zum Wohle des Be­ triebes einsetzen. Und auch für die Ausbil­ dung von Nachwuchskräften wird gesorgt. Ursula Ruf bildet Restaurantfachleute aus, Josef Ruf die Köche. Im Laufe der Jahre wurde das Haus den steigenden Ansprüchen der Gäste angepaßt. Die gemütliche Schwarzwaldstube mit Ka­ chelofen ziert eine große Burgunderwand­ uhr, mit dem Namen „Joseph Ruef, Fried­ richshöhe“. Unklar ist, ob der aus London zurückgekehrte Joseph Ruf die Uhr selbst gebaut oder erworben hatte. Dieses schöne und seltene Schmuckstück, eingebaut in ei­ nen Winkel der Gaststube, hängt und läuft seit 1864 ohne Reparatur. Im gesamten Haus wurde bei der Gestal­ tung der Räume viel mit Holz gearbeitet, alle Gasträume sind gemütlich eingerichtet und bieten das besondere Ambiente für sämtliche Festlichkeiten wie Familienfeiern, Hochzeiten oder sonstige Veranstaltungen. Den Gästen steht für Tagungen, Seminare, Arbeitsessen, Schulung und Ausstellung ein separater Konferenzraum mit technischer Einrichtung, sowie eine finnische Sauna mit Danarium und Fitneßraum zur Verfügung. Besonderen Wert legen die Wirtsleute auf einen familiären Aufenthalt in ihrem Hau­ se. Es stehen Fahrräder für die ganze Fami­ lie bereit und es gibt die Möglichkeit zum Tischtennisspielen. Ein großer Waldspiel- Ursula und Josef Ruf haben das Hote!f ach von der Pike auf erlernt und geben ihr Fachwissen im eigenen Be­ trieb an den Nachwuchs weiter. Bekannt ist die „Friedrichshöhe“ unter anderem für ihre Schwarzwälder Spezialitäten, so den Beinschinken im Brotteig. 313

Mit Leib und Seele Wirt der „Krone“ Matthias Haas und die Geschichte eines Wirtshauses, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht sonnigen Tagen die großen Bäume Schatten spenden. Viele Wanderwege führen zu dem belieb­ ten Ausflugziel. Ohne viel zu steigen hat man die Möglichkeit über die Höhen zu wandern. Obwohl die „Friedrichshöhe“ 963 m hoch liegt, ist sie gut mit dem Fahr­ rad zu erreichen. Ruhige Wege führen durch den Wald, sowohl von Villingen aus wie auch von Schönwald. Und wenn „Frau Hol­ le“ ein Einsehen hat, so können sich die Langläufer auf mehreren gespurten Loipen unterschiedlicher Länge, direkt beim Gast­ haus beginnend, sportlich betätigen. Falls die Einkehr und das Verweilen am warmen Kachelofen etwas zu lange ausge­ dehnt wird, so werden die müden Wanderer mit eigenem Kleinbus vom Wirt persönlich nach Hause gebracht. Renate Puchinger Diese unkomplizierte Geselligkeit hält den rüstigen Buchenberger geistig jung und kör­ perlich in Schwung. ,,Die Leut‘ ein bißle be­ diene, e weng‘ schwätze, daß man net so verstumme tut“, so lautet die Devise des freundlichen Kronewirts, und die hält nicht nur den Mattis persönlich, sondern auch ein Stückchen gewachsenen Dorflebens in den Gängen. Die urige Schwarzwälder Gemütlichkeit, die den Gast in der „Krone“ umfangt, ist sowohl innerlich spürbar, als auch äußerlich sichtbar. Denn der „Kronewirt“ hat stets Sorge getragen, daß sein Gasthaus, das heute unter Denkmalschutz steht, sein ursprüng­ liches Aussehen bewahrt. Geradewegs so, wie es anno 1907 nach einem großen Brand wieder aufgebaut wurde, ist die Gaststube bis zum heutigen Tag erhalten geblieben. Die Wände ringsrum sind aus Holz, die an- Stätten der Gastlichkeit platz ist für die kleinen Gäste eingerichtet, im Winter stehen Bob und Schlitten zur Verfügung. Immer wieder begegnet man der Kinderfreundlichkeit dieses Hauses, sei es beim Kindermenü oder den Maistiften. Die im Lokal gereichten Schwarzwälder Spezialitäten sind aus heimischer Produkti­ on, sie werden in der Räucherkammer nach altem Brauch geräuchert. Weit bekannt ist der Beinschinken im Brotteig, den die Fa­ milie Ruf im alten Gewölbeholzofen zube­ reitet. Speck und Schinken wird ebenfalls in der alten Räucherkammer kalt geräuchert – wie in früheren Zeiten. Neben gehobenen Gaumenfreuden aller Art bietet die Küche vor allem Wild aus hei­ mischer Jagd, Fischgerichte, vegetarische Kost, kalte und warme Buffets. Beinahe unnötig zu sagen ist, daß alle Kuchen und Torten selbstgebacken sind. Und: Im Som­ mer wird auf der Terrasse serviert, wo an ,�as, über mich wolle sie schreiwe? Ach, ich bin doch net so wichtig!“, meinte Matt­ hias Haas. Doch dieser kokett-spitzbübi­ schen Bemerkung ließ der Wirt der Buchen­ berger „Krone“ durchaus eine herzliche Gastfreundschaft folgen und bei einem Gläschen selbstgemachtem Schlehenlikör plauderte der allseits bekannte „Mattis“ lan­ ge und gerne über die alten und die neuen Zeiten, die er als Kronenwirt erlebte. Weil Matthias Haas schon stolze 86 Jahre zählt, sind viele seiner Erinnerungen durch­ aus reif für‘ s Geschichtsbuch. Seit mehr als einem halben Jahrhundert steht der „Mat­ tis“ mit Leib und Seele, Herz und Gemüt hinter dem Tresen, bewirtet treue Stamm­ gäste und Urlauber, müde Wanderer und rastende Radfahrer und es fällt ihm nicht schwer, mit jedem, der bei ihm herein­ schneit, ins Gespräch zu kommen. 314

Die .Krone“ in Buchenberg gentlich auch die Geschichte der Buchen­ berger „Krone“, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht und einst mit einer Familie ,Jäckle“ begann. ,,Ganz, ganz, ganz früher“ so erzählt der Mattis stirnrunzelnd, sei das Gasthaus noch nicht an seinem heutigen Platz an der Landstraße nach Königsfeld ge­ standen. Interessante Funde hätten viel­ mehr bestätigt, daß die Wirtschaft einst dort war, wo heute das Schulhaus steht. Ein Brand hatte das Gebäude wohl noch zu Jäckles Zeiten zerstört und das neue Wirts­ haus an der jetzigen Stelle entstehen lassen. Und erst seit dem 18. Jahrhundert, so weiß es der heutige Wirt, gehöre die Krone dem Geschlecht Haas, weil die beiden Söhne des letzten Jäckle -Wirtes „rechte Abenteurer waren“, und lieber nach Amerika auswan­ derten, anstatt die elterliche Wirtschaft zu übernehmen. Zum Glück hatte der geplagte Vater jedoch auch eine Tochter. Die heirate­ te „einen Haasen vom Jungbauernhof“ und wurde Wirtin in der „Krone“. Die Jäck­ le‘ sehe Familienehre war somit zwar geret­ tet, doch die Krone war fortan in „Haasen­ hand“. In deren Familienbesitz fungierte das Gasthaus zeitweise als Stabswirtshaus, zeit­ weise auch als Rathaus, denn der hintere Teil des Gebäudes wurde der Gemeinde Bu­ chenberg zur Verfügung gestellt. Als die „Krone“ 1907 dann zum zweitenmal nie­ derbrannte, da sind auch viele gewichtige Akten in Rauch aufgegangen. Der Neubau konnte schon ein Jahr später mit einer frohen Hochzeit eingeweiht wer­ den. Brautleute waren Johann Georg und Salomea Haas, geborene Lehmann, die El­ tern des heutigen Kronenwirtes, der am 16. Juli 1912 als drittes von vier Kindern gebo­ ren wurde. Matthias war erst drei Jahre alt, als sein Vater im Ersten Weltkrieg fiel und so standen der jungen Familie schwere Zeiten bevor. Von klein auf mußten alle Kinder kräftig mitanpacken, damit die Landwirtschaft ge­ halten und das Gasthaus bewirtet werden 315 Matthias Haas, der seit mehr als einem halben Jahr­ hundert Wirt der „Krone“ in Buchenberg ist. gebrachten Bilder dokumentieren Familien­ geschichte oder zeigen altromantische Mo­ tive, die schönen Schwarzwalduhren ticken gemütlich vor sich hin und geben in war­ mem Ton die vollen Stunden an, der Ka­ chelofen sorgt für wohlige Wärme, die auch zum Speckräuchern ausreicht. „Ich hab‘ die Wirtschaft halt immer gepflegt und nie ver­ lottere lasse“, meint Matthias Haas, und auf diese Art und Weise ist ihm wohl das Kunst­ stückchen gelungen, daß sich die sprich­ wörtlich „guten alten Zeiten“ so gemütlich bei ihm eingenistet haben. Da ist es nun wirklich kein Wunder, daß in der Buchenberger „Krone“ auch ein ganz besonderer Rentnerstammtisch Hof hält. So schön und interessant sind die Geschichten und Anekdoten, die hier in landestypischem Dialekt allwöchentlich zum Besten gegeben werden, daß die munteren Senioren vor ei­ nigen Jahren gar zu Leinwandhelden avan­ cierten und nun als Pfleger und Hüter alten Brauchtums und Dialektes in einem Doku­ mentarfilm verewigt sind. Filmreif ist ei-

Die ,Krone“ in Buchenberg Die „Krone“ in Buchenberg. konnte. Als Kriegshalbwaise wurde Matthias Haas zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zunächst freigestellt, mußte aber 1941 doch kurzzeitig zur Wehrausbildung nach Kon­ stanz und im August 1944 als Soldat in den Krieg ziehen. Er kämpfte an der elsäßischen Front, wurde dort schon im Oktober ver­ wundet und kam zunächst in ein Lazarett nach Donaueschingen, später zur Weiterbe­ handlung nach Königsfeld. Nach der Kapitulation war er bald wieder in seinem Heimatort Buchenberg, wo endlich schöne­ re Zeiten auf ihn warteten. Am 27. April 1947 läuteten für ihn die Hochzeitsglocken. Matthias Haas ehelichte Anna Lehmann aus Gutach und mit dem Datum der Hochzeit gingen der landwirtschaftliche Betrieb und die Gaststube in seine Hände über. Die Familie ist schnell gewachsen; Matt­ hias Haas ist heute stolzer „Stammvater“ von drei Töchtern, einem Sohn und sieben Enkelkindern. Während Sohn Hans-Georg 316 bereits seit über zehn Jahren die Landwirt­ schaft unter eigener Regie betreibt, ist der Vater nach wie vor alleiniger Kronenwirt. Die Wirtschaft liegt ihm eben besonders am Herzen, und so wollte er auch 1987, nach dem Tod seiner Frau, nicht die Flinte ins Korn werfen, denn als Wirt „wird einem au net so langweilig.“ Freilich ist es in der gut­ en Stube viel ruhiger geworden als früher, als man die Gäste zum Tanzen, ,,zur Blechmu­ sik“, auf die gegenüberliegende Straßenseite und hinauf zum ausgebauten „Speicher­ schuppen“ führte. Doch steht die Buchenberger „Krone“ auch heutzutage hoch im Kurs. Hier ißt man einfach und gut und nicht zu teuer. Werktags – der Montag ist Ruhetag – ,,ma­ nagt“ der Mattis seinen Wirtschaftsbetrieb ganz allein. ,,Ein Hausmacher Vesper – des wird ma‘ ja richte könne als alter Wirt. Wurschtscheibe abschneide, e weng garnie­ re, – des is ja kei‘ so großes Hexewerk“,

meint der 86jährige. ,,Wenn se des net esse kenne, solle se halt ins Hotel gehe“, überlegt er weiter, wohl wissend, daß seine herzhaf­ ten Vesperplatten aus guten hofeigenen Pro­ dukten, dazu ein frischer Most und zum Ab­ schluß ein Schnäpsle aus eigener Brennerei bei allen Gästen heiß begehrt sind. Sonntags wird sogar gekocht. Dann sind die Töchter zur Stelle und es duftet nach Schäufele und frischem Salat. Über Hilfe freut sich der Kronenwirt auch dann, wenn sich besonders viele Besucher angekündigt Stätten der Gastlichkeit haben. Immerhin bietet die Gaststube Platz für 80 Personen und bei schönem Wetter kann obendrein im Freien aufgedeckt wer­ den. Ein so reger Wirtschaftsbetrieb ist nun wiederum für Tochter Anita kein Hexen­ werk, hat sie doch das Hotelfachgewerbe von der Pike auf erlernt. Und vielleicht, so sinniert der Kronenwirt, könnte sie ja eines Tages … Brigi.tte Schmalenberg Den „Hömlishof“ mustergültig saniert Das Gasthaus gilt als Keimzelle von Königsfeld – Auch ein Biergarten wird geboten Mehr als 400 Jahre Geschichte ranken sich um den „Hörnlishof“, über dessen Ge­ schichte bereits im Almanach 1979 berichtet wurde. Das alte Gebäude gilt als Keimzelle jener Siedlung der Herrnhuter Brüderge­ meine, die sich heute als Luft- und Kneipp­ kurort Königsfeld präsentiert und selbst noch nicht einmal 200 Lenze zählt. Die meiste Zeit seiner interessanten Ver­ gangenheit war der „Hörnlishof“, der dem Schwäbischen entsprechend oft auch als ,,Hörnlehof“ bezeichnet wurde, landwirt­ schaftlich genutzt. Der Zahn der Zeit nagte jedoch kräftig an seinen Fundamenten, so daß der einst stattliche Hof immer weiter zerfiel. Vor einigen Jahren nun wurde das denk­ malgeschützte Gebäude aus seinem Dorn­ röschenschlaf geweckt. Die Rolle des retten­ den Prinzen übernahm Anita Frey, die mit ihrem Vater, dem Baumeister Nolte, selbst viele Jahre auf diesem Schwarzwaldhof am Hömlebach lebte. Mit viel Fingerspitzenge­ fühl und großem finanziellen Aufwand – der bestehende Denkmalschutz ging sehr zum Leidwesen der Bauherrin keineswegs mit einer Zuschußberechtigung einher – wurde das zerfallene Haus grundlegend re­ noviert, saniert und zu einem gastronomi- Der „Hörnlisho.f‘ in Königifeld. 317

Stätten der Gasclichkeit Der alte „Hörnlishof: die Gründungszelle von Königsfeld. sehen Highlight aufpoliert. Junge Wirtin im alten Gemäuer ist Yvonne Stamm, die Nich­ te der Hörnlishofbesitzerin. Sie ist ihrer Tan­ te für deren zukunftsweisende Meisterlei­ stung sehr dankbar und hat gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner und Schwager Sascha Zsrawkowski fest die Ärmel hochge­ krempelt, um dem geschichtsträchtigen An­ wesen als Restaurant, Cafe und Biergarten zu einer neuen Blütezeit zu verhelfen. Als gebürtiger König felderin liegt Yvonne Stamm das gesellige Leben am Ort und das Wohl ihrer Gäste sehr am Herzen. Junge und alte, große und kleine Besucher sollen sich in der gemütljchen Gaststube und un­ ter den mächtigen Kastanienbäumen im Biergarten so richtig wohl fühlen. Nicht nur die vielseitige Speisekarte, auch die unverwechselbare Atmosphäre des ,,Hörnlishofes“ garantieren einen angeneh­ men Aufenthalt. Wer es sich in der Gaststu­ be gemütlich macht, hat just dort Platz ge­ nommen, wo früher einmal der Stall war. Die historischen Bilddokumente an den Wirtshauswänden können das eindrucksvoll beweisen. Bei manchem Besucher haben sie schon das schlummernde Geschichtsinter­ esse wachgekitzelt. Wenn die Wirtin merkt, daß das Interesse an der Vergangenheit des „Hörnlishofs“, der Gemeinde Königsfeld und der Herrnhuter Brüdergemeine beson­ ders ausgeprägt ist, dann legt sie dem neu­ gierigen Gast prompt die gebundene Orts­ chronik vor. So lassen sich Hunger und Bildungshunger, Bierdurst und Wissens­ durst gleichermaßen stillen. Die erste amtliche Erwähnung des „Hörn­ lishof“ geht auf das Jahr 1553 zurück und ist im sogenannten „Kellerey-Lagerbuch“ der damaligen Oberamtsstadt Hornberg zu fin­ den. Dorthin nämlich mußte der sogenann­ te Zehnt, also die Steuer abgeliefert werden. Man weiß auch, daß der ehemalige Hörnle­ bauer bis zum Jahr 1603 Frondienste beim Edelmann des Schloßgutes in Burgberg lei­ sten mußte. Einen späteren Hofbesitzer plagten offenbar große Wassersorgen. War­ um sonst hätte er einen heute noch existie- 318

renden Vertrag mit einem Neuhauser Bau­ ern geschlossen, der ihm das Recht ein­ räumte auf dessen Grundstück eine Brun­ nenstube einzurichten? Seit 1746 durfte er fortan so viel Wasser entnehmen, wie er durch Rohre zu seinem Hof „treiben“ konn­ te. Geburtsstunde von Königsfeld Im Jahr 1804 geschah Bahnbrechendes, denn da trafen zwei gewichtige Herren auf dem wohl recht vernachlässigten „Hörnle­ hof“ ein. Das waren der Diasporapfleger Nagel und der Kaufmann Philipp Heinrich Veil. Und die beiden waren sich prompt dar­ über einig, daß der einsam gelegene Hof ein ideales Plätzchen für eine neue Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeine sei. Gemäß den Lehren des Grafen Zinzendorf war man nämlich auf der Suche nach einem im süd­ deutschen Raum gelegenen Flecken, der fernab städtischer Einflüsse als Bildungs­ stätte für Mädchen und Jungen taugte. Dafür war der „Hörnlehof“, ,,gerade zwan- Der ,Hörnlishof“ in König: feld zig Wegstunden von Basel und ebenso weit von Stuttgart entfernt“ – wie geschaffen. Über den Mönchweiler Vogt Lehmann kam 1804 der Kauf zustande. Und während das Leben auf dem „Hörnlehof“ im Großen und Ganzen doch seinen gewohnten Gang beibehielt, liefen auf dem angrenzenden Areal die Vorbereitungen für den Aufbau der christlichen Siedlung auf Hochtouren. 1817, als sich Königsfeld mit seinem Gast­ hof, dem Kirchensaal und weiteren großen Häusern bereits zu einem florierenden Ge­ meinwesen entwickelt hatte, begann auf dem „Hörnlishof“ die nahezu 70 Jahre wäh­ rende Pächter-Ära der mit der Brüderge­ meine eng verbundenen Familie Weiler aus Schwenningen. Drei Generationen lang – in denen auf dem „Hörnlishof“ nicht weniger als 22 Kinder geboren wurden, bewirtschaf­ tete sie das Anwesen, das 1886 von Enkel Johannes Weiler abgerissen und an gleicher Stelle, jedoch um 90 Grad versetzt, neu auf­ gebaut wurde. Über zwei weitere Käufer ge­ langte der Hof schließlich in den Besitz des Baumeisters Nolte, dessen Tochter nun die Zum gemütlichen Verweilen lädt im Sommer der Biergarten ein, wo Kastanienbäume Schatten spenden. 319

Der ,Hörnlishof“ in König feld Dasfrezmdliche Team des „Hörnlishof‘ in Königefeld. umfangreiche Renovierung bewerkstelligte. Das große Anwesen umfaßt heute fünf Wohnungen und den einladenden Gasthof. Nicht nur die historischen Mauern und die wechselvolle Geschichte, auch die idylli­ sche Lage am Geh- und Radweg zwischen Königsfeld und Burgberg sowie der freie Blick und der direkte Zugang zum Sägewei­ her, machen den „Hörnlishof“ zu einer attraktiven Adresse. Die kleinen Gäste lie­ ben vor allem die drei Pferde auf der an­ grenzenden Koppel und auch die munter schnatternde Gänseschar, die oft vom nahen Weiher herangewatschelt kommt. Erwachsene werden ihr Augenmerk wohl zuerst auf die Speisekarte richten, um nach den kulinarischen Genüssen vielleicht eine Gartenschachpartie zu wagen. Neben der ak­ tuellen Tageskarte gibt es eine monatlich wechselnde Empfehlungskarte und selbst­ verständlich hat Köchin Ilse Kieninger stets eine Auswahl an Vollwert- und vegetarisch­ en Gerichten zusammengestellt. Besonders beliebt sind die sogenannten 320 Probierportionen, mit denen man die lukul­ lischen Verlockungen auch bei nur kleinem Hunger testen kann. Gelobt werden außer­ dem die durchgehenden Öffnungszeiten. Von elf Uhr morgens bis in die Nacht hin­ ein läßt es sich trefflich tafeln. (Dienstags ist Ruhetag.) Für 80 Gäste kann das engagierte „Hörnlis­ hof“- Team aufdecken und wenn es das Wet­ ter erlaubt, dann haben im Biergarten – dem absoluten Joker dieses Gastronomiebetrie­ bes – noch mal so viele Besucher Platz. Auf individuelle Gästewünsche wird prompt und gerne reagiert, handelt es sich dabei nun um ein gewünschtes Candlelight-Dinner oder um eine besonders ausgefallene Tisch­ dekoration. Auch mit Sonderveranstaltun­ gen, wie etwa Kabarettabenden, Fasnetsbäl­ len, Tanz- oder Zitherabenden, werden Ak­ zente gesetzt. Brigitte Schmalenberg

Sport 23. Kapitel/ Almanach 99 Schwarzwald-Marathon große Herausforderung Die Geburtsstunde des einst größten Marathonlaufs der Welt schlug 1968 Wenn alljährlich im Oktober abends der Duft von Massageöl und Spaghetti mit To­ matensoße über der Bräunlinger Sporthalle liegt, wenn früh am nächsten Morgen Lokal­ matadoren und Läufer aus aller Herren Län­ der voller Unruhe ihre Vorbereitungen tref­ fen -dann steht der Startschuß zum all­ jährlichen Schwarzwald-Marathon kurz be­ vor. Nach dem Start ist jeder für sich allein. Ein zu herzhaftes Anfangstempo kann sich jetzt verheerend auswirken, denn bis km 15 sind 300 m Höhenunterschied zu überwin­ den. Also wird unentwegt mit Pulsmesser und Stoppuhr kontrolliert, um ja keinen Fehler in der Anfangsphase des Rennens zu machen. Nach 25 bis 35 km beginnt der Körper mit der Fettverbrennung, die Schrit­ te werden kürzer, die Atmung wird schnel­ ler und jeder weiß: Jetzt beginnt eine ent­ scheidende Phase des Rennens. Plötzlich werden die Schritte leicht, der Läufer gerät in euphorische Stimmung -aber nicht lan­ ge, denn bei km 38 beginnt erneut ein schwieriger Streckenabschnitt. Aber bald geht es bergab Richtung Bräunlingen. Mehr und mehr Zuschauer säumen den Weg, ihre Begeisterung und ihr aufmunterndes Zu­ rufen machen schwindende Kraft und Mus- Start zum Schwarzwald-Marathon in Bräunlingen, es geht aef den „Dr. -Stadel-Ring“ mit seiner klassi­ schen Distanz von 42, 195 km. 321

Sport Beim Bräunlinger Marathon stimmt auch die Verpflegung, dank bester Organisation. kelschmerz erträglich. Bald ist das Ziel er­ reicht, erschöpft, aber glücklich sinken die Läufer ins Gras. Bald schon sitzt man ge­ meinsam in der Sporthalle, der Stolz über die bestandene Herausforderung – an der Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit – wiegt manche Enttäuschung über eine schlechte Zeit auf. Die Geburtsstunde des als schönster euro­ päischer Naturmarathon bezeichneten Ren­ nens schlug im Jahr 1968. Der Marathon­ Pionier Roland Mall ließ sich damals vom Schweizer-Waffenlauf-Sieger Heinz Koch überzeugen, daß der örtliche Schwarzwald mit seinen sanft ansteigenden Waldwegen für ein solches Laufereignis bestens geeignet sei. Zusammen mit Mall machte sich Dr. Eduard Stadel auf die Suche nach einer ge­ eigneten Rundstrecke; bald einigte man sich mit dem SV Donaueschingen und dem TU S Bräunlingen auf einen Streckenverlauf, den ,,Dr.- Stadel-Ring“ mit seiner klassischen Di­ stanz von 42,195 km, der seither bis auf we­ nige Korrekturen fast unverändert besteht. Kontakte wurden mit dem Skiverband ge­ knüpft, um auch Skiläufer für die Veranstal­ tung zu gewinnen. Wie würde die Strecke bei den Läufern auf­ genommen werden? Bei der Premiere waren die Organisatoren freudig überrascht, auf Anhieb hatten sich 762 Männer und 51 Frauen gemeldet. Zu Beginn der siebziger Jahre war der Schwarzwald-Marathon noch vor Boston in den USA zur größten derarti­ gen Veranstaltung in der Welt geworden. Für Frauen war er überhaupt das weltweit erste Angebot eines solchen Laufes. Eine weitere Aufwertung erfuhr die Rundstrecke des Schwarzwald-Marathons, als hier 1975 die ersten Deutschen Meisterschaften für Frau­ en ausgetragen wurden, die damals Christa Valensieck für sich entschied. Schon 1974 322

Der .Schwarzwald-Marathon“ Der Schwarzwald-Marathon ist anspruchsvoll.fordert die Läufer mehr als ein Stadt-Marathon. war ein Länderkampf der deutschen Frauen gegen die Schweiz veranstaltet worden, den die Deutschen mit einer Sekunde Vorsprung gewinnen konnten. Aber die Zeiten im Ma­ rathonsport änderten sich. Immer mehr Läufe wurden auf schnelleren und leichteren Stadtkursen durchgeführt. Besonders die großen Städte mit ihren Möglichkeiten des Sponsorings sind zur Konkurrenz gewor­ den. Hier können Bestzeiten gelaufen wer­ den, für die sich die zwar schöne, aber schwierige Strecke im Schwarzwald weniger eignet. Aber nach wie vor hat der Schwarz­ wald – Marathon ein hohes Ansehen in der Aiif der Strecke: Im Teilnehme,feld des Bräunlinger Marathons befinden sich zahlreiche Weltklasseläufir. 323

port Läuferszene. Eine schöne Strecke mit vielen Überraschungen, die es ermöglicht, die ei­ genen Möglichkeiten auszuloten zieht die Sportler an. Insbesondere das unberechen­ bare Herbstwetter mit Sonne, Regengüssen oder Schneeregen ist eine große Herausfor­ derung, denn auf jede dieser äußeren Be­ dingungen muß man sich akribisch vorbe­ reiten, sonst bleibt man „auf der Strecke“. Im Läuferfeld finden sich Spitzensportler, die man auch in den Ergebnislisten der ganz großen Veranstaltungen findet neben Frei­ zeitläufern, die einfach ihre Freude haben wollen. Stark ist der Anteil der Altersklasse. Die Rekordzeit der Frauen wird mit 2.45.43 Stunden von Christa Valensieck gehalten, bei den Männern liegt Karl Heinz Scheder mit 2.24.24 Stunden vom. Nach der bisher so erfolgreichen Zeit kann man eigentlich si­ cher sein, daß die Geschichte des Schwarz­ wald-Marathons auch in Zukunft weiterge­ schrieben wird. Er zählt zu den besten zehn Marathons in Deutschland, regelmäßig nehmen über 1000 Läufer teil. Sicher hat er nicht den Volksfest-Charakter eines großen Stadtlaufes, aber gerade seine Ursprünglich­ keit in einer unverwechselbaren Landschaft machen den besonderen Reiz aus. Wer also eine echte persönliche Herausforderung sucht, sollte sich für das nächste Rennen ein­ schreiben. Für weniger geübte Begleitperso­ nen wird neuerdings auch ein Lauf über 10 km auf der Originalstrecke angeboten. Hans Klee Marco Meßmer – Schützentalent aus Aasen Bereits dreimal in Folge für die Deutschen Meisterschaften qualifiziert Mit demJedermannschießen bei der Aase­ ner Kilbig 1991 hat es angefangen. Damals nahm Marco Meßmer auf Anhieb den Pokal für den besten Schützen de Jahres mit nach Hause. Und seit dem hat den ge­ lernten Werkzeugmacher der Schießsport nicht mehr losgelassen. Ohne Einbrüche hat er sich zum Nachwuchstalent Nr. 1 bei den Aasener Schützen aufgebaut und bereits dreimal an den Deutschen Meisterschaften der Sportschützen teilgenommen. Die Men­ ge seiner glänzenden Siegerpokale ist beein­ druckend. Bereits 1997 erhielt er bei der Sportlerehrung der Stadt Donaueschingen die Sportmedaille in Bronce. Gelassen und freundlich steht der 24jähri­ ge Jugendtrainer auf dem Schießstand an der Aasener Steig und zeigt den interessier­ ten Buben und Mädchen, wie man mit Luft­ gewehr und Kleinkaliber umgeht. Ein Sport, der, wenn man Erfolg haben will, vi.:.l Ein­ satz braucht. Marco Meßmer bringt ihn mit 324 Selbstverständlichkeit. Er trainiert zweimal die Woche mit allem was dazugehört: Streß­ abbau, Entspannung und Konzentration wollen geübt sein, damit die Diabolokugel sicher ins Schwarze trifft. Bei Marco Meßmer tut sie das oft. Die er­ sten Schießversuche fanden zuhause im Flur statt und bald unter Anleitung des Vaters Anton Meßmer, der selbst seit Jahrzehnten begeisterter Sportschütze ist. Schon bei seinem ersten Turnier im Winter 1992/93 schoß sich der junge Marco in den Kader der ersten Jungschützen aus dem Gebiet Hoch­ schwarzwald-Baar. Im folgenden Trainings­ lager in Göschweiler erreichte er unter zehn Jugendlichen den 1. Platz. 1994 erkämpfte Meßmer den Titel eines Landesmeisters in der Disziplin „Luftge­ wehr stehend“ und damit auch die Fahrkar­ te zur Deutschen Meisterschaft nach Mün­ chen. Bei starker Konkurrenz konnte er mit einer guten Mittelfeldplazierung auf der

Olympiaanlage Hochbrück seine Leistungen aus den Vorjahren bestätigen. Nur ganz knapp um drei Ringe hatte er beim Q!ialifikati­ onsschießen in Hüfingen damals die Meßlatte für die Disziplin Kleinkaliber ver­ fehlt. Dennoch reichte es hier für den dritten Platz bei den Landesmeisterschaften. In Aasen ist man stolz auf den erfolgreichen jungen Sportschützen. Inzwischen hat er dreimal in Folge an den Deutschen Meister­ schaften teilgenommen. Be­ geistert erzählt er von dem riesigen Schießstand der Olympiaanlage, von der At­ mosphäre und den vielen Zuschauern, die die Deut­ sche Meisterschaft für ihn Marco Meßmer, e,folgreicher Jungschütze im Schützenverein Aasen, zu einem ganz besonderen Landesmeister in der Disziplin„Lufigewehr“von 1994. Erlebnis machten. Der ruhige Typ, der den erfolgreichen einander zu tun. Allem Engagement zum Sportschützen auszeichnet, ist dem jungen Trotz, Verbissenheit in den Schießsport Aasener in die Wiege gelegt. Schließlich darf kennt der ungewöhnlich erfolgreiche Schüt­ man sich auch als Werkzeugmacher nicht ze nicht. Als in den beiden letzten Jahren aus der Ruhe bringen lassen. Als Ausgleich das Schützenhaus an der Steig ausgebaut zu den vielen Trainingsstunden auf dem wurde, geriet das Training selbstverständlich Schießstand ist Konditionstrainig, Biken in den Hintergrund. Marco Meßmer stand und Schwimmen, angesagt. Und während wochenlang mit den Vereinskollegen auf der fünften Jahreszeit verbringt Marco Meß­ dem Baugerüst. Auch der Aasener Schüt­ mer noch einen kleinen Teil seiner Freizeit zenverein lebt von seinen Mitgliedern und im Aasener Narrenverein bei den „Weiher­ vor allem von dem, was sie ehrenamtlich lei­ liit“. sten. Aber schließlich macht auch das Sport­ Im heimischen Schützenverein hat er die schießen im Verein erst richtig Spaß, jeden­ Leitung des Jugendtrainings übernommen. falls für Marco Meßmer. Daß der erfolgreiche Sportschütze den Wehrdienst verweigerte und in einer Kurkli­ nik in Bad Dürrheim seinen Zivildienst ab­ leistete, mag für manchen ein Widerspruch sein, für Marco Meßmer jedoch nicht. „Wir schießen bloß auf Scheiben“, meint er freundlich lächelnd. Schießsport und Mili- tär haben für ihn nicht das Geringste mit- Elisabeth H. Winkelmann-Klingsporn Marco Meßmer 325

Sport Mit Boogie-Woogie auf Erfolgskurs Das große Ziel von Doreeo Weisser und Daniel Käbisch ist die Weltmeisterschafts-Teilnahme Weiter auf dem Sprung nach vorne befin­ det sich das Boogie-Woogie-Tanzpaar Do­ reen Weisser aus Niedereschach und Daniel Käbisch aus Mühlheim an der Donau. 1998 hat das tanzsportbegeisterte Paar nicht nur den Sprung ins Deutsche Nationalteam und die Aufnahme in den Landeskader ge­ schafft, sondern steht in der Deutschen Rangliste in der Hauptklasse auf Platz 13 und in der Jugendklasse auf Platz 1. Wer nun glaubt, Boogie-Woogie sei ein reines Vergnügen und kein Sport, der irrt gewaltig. Wer wie Daniel und Doreen Erfolg haben will, muß hart arbeiten, hart trainieren und einen eisernen Willen haben. Ständiges Training ist die Grundvorausset­ zung, wenn man sich eines Tages wie Daniel und Doreen einen Traum erfüllen und ein­ mal im Leben bei einer Weltmeisterschaft mittanzen möchte. Die Liste der Erfolge in den vergangenen Monaten ist lang. Unter anderem siegten die 16jährige Doreen und ihr 15jähriger Tanzpartner in der Jugend­ klasse bei den Bayerischen Meisterschaften, der Deutschen Meisterschaft, bei der „Länd­ le Trophy“, beim „Magie-Cup“ in Münch­ en, beim „Zwirbelnuß-Cup“, beim „Turtles­ Cup“ in Dingolfing, bei der Nord­ deutschen Meister chaft, bei der Süddeutschen Meister­ schaft, beim DABV-Cup und beim Deutschland­ Cup in Darmstadt. Bei der inoffiziellen Europa­ meisterschaft in Greno­ ble reichte es in der Ju­ gendklasse zu einem guten 6. Platz. Erstaunlich viele gute Plazierungen haben sich Doreen und Daniel bei zahlreichen Starts in der Hauptklasse in den zurück- 326 Das Boogie -Woogie-Tanzpaar Doreen Weisser und Daniel Käbisch. liegenden Monaten ertanzt. Höhepunkt war dabei imJuni 1998 der 4. Platz beim „Länd­ le-Cup“. Hier zeigte sich, daß Doreen und Daniel den Anschluß an die Spitze der Hauptklasse fast schon geschafft haben und wenn sie weiter so hart trainieren, dürfte auch hier der Durchbruch bald zu schaffen sein. Experten trauen dem be­ geisternden Boogie-Woogie­ Tanzpaar, das trotz der Trai­ ningsbelastung auch noch die Zeit findet, die „Boogie-Young­ sters“ innerhalb der Twirling­ Tanz-Gruppe Niedereschach zu trainieren, auch in Zukunft noch einiges zu. Albert Bantle

24. Kapitel /Almanach 99 Literatur und Film ,,Viehjud Levi“ – Kino im Schwarzwald Didi Danquart verfilmt Theaterstück des St. Georgener Autors Thomas Strittmatter – Momentauf­ nahmen von einem Drehtag Das Schaffen des am 29. August 1995 in Ber­ lin verstorbenen Autors Thomas Strillmatter (sie­ he „Almanach“ 1997), gebürtig in St. Georgen, wird einmal mehr ve,ji.lmt. Der Freiburger Re­ gisseur Didi Danquart drehte in diesem Sommer im Schwarzwald-Baar-Kreis die Szenen zum ,,Viehjud Levi‘: der Haupifi-gur eines Theater­ stückes von Strittmatter. Den Viehjuden hat es wirklich gegeben, er war in St. Georgen, aber auch im Raum Furtwangen/Vöhrenbach, zur ‚Zeit des Drillen Reiches als reisender Viehhändler tätig. Der nachstehende Beitrag erzählt die Geschichte eines Drehtages in Vöhrenbach. Das ist kein guter Morgen für den Jäger. Zunächst ist rings um den Hochsitz alles wie gewohnt still. Hier und da erstes, zaghaftes Vogelzwitschern. Ein Hase hoppelt unge­ schoren vorbei. Irgendwo knackt ein Zweig im Unterholz. Waldesruh wie sie im Buche steht. Aber kaum dämmert friedlich und verwunschen ein herrlicher Sommermorgen über den dunklen Tannen, kommt schlagar­ tig lästig-lautes Leben in den Vöhrenbacher ,,Sommerwald“: Lastwagen rangieren, Men­ schen wuseln geschäftig auf den Waldwegen und auf der nahegelegenen Lichtung. Mo­ torengebrumm, Rufe, Gerumpel und Ge­ renne. Das Wild im Wald hat heute Glück, es ist gewarnt: Der Jäger muß unverrichteter Dinge nach Hause gehen. Mit einem klapprigen Leiterwagen wird derweil ganz augenscheinlich das Zubehör für ein Sommerfest auf die weitläufige, tannengesäumte Wiese gekarrt. Krüge, Körbe, weiße Tischtücher, bunte Blu- 328 Das Symbol für Dreh- arbeiten, die Klappe. Drehtag im Vöhrenbacher Stadtwald: Beim Ge­ burtstagsfest von Ingenieur Kohler bestimmt die Hakenkreuefahne die Szenerie. mensträuße in Vasen. Eine Bretterbühne wurde schon in dem taufeuchten Gras auf­ gestellt und verspricht für das Fest allerlei Darbie­ tungen, Musik und Tanz. Auch die Tische und Bän-

.Viehjud Levi“ Ulrich Noethen (links) als Nazi-Ingenieur Kahler und Bruno Cathomas als Viehjud Levi. ke für eine üppige Festgesellschaft sind lan­ ge bevor die Sonne das geschäftige Treiben grell beleuchtet hat dort plaziert worden, wo es das Drehbuch vorsieht. Mitten in dem Gewimmel der seltsamen Festvorbereitun­ gen stehen etwas verloren Bürgermeister und Pfarrer. Die altmodisch gewandeten Herrschaften sind jedoch keineswegs „re­ spektgebietende Honoratioren“. Die beiden warten vor dem Masken-Container auf den letzten Schliff durch eine Maskenbildnerin: Hochwürden und der Bürgermeister sind Statisten in einem beachtlichen Kinofilm, der hier -inmitten des Schwarzwalds -ge­ dreht wird. “ … wie sich Gesellschaften verändern“ Mit „Viehjud Levi“ -so der Arbeitstitel der Produktion -gibt der Freiburger Dokumen­ tarfilmer Didi Danquart sein Debut als Ki­ noregisseur. Die Geschichte, die Didi Dan- quart filmisch nacherzählt, spielt genau hier. Im Schwarzwald. Sie berichtet davon, wie Mitte der dreißiger Jahre der allerorts gern­ gesehene, reisende Viehhändler Levi zum verachteten „Viehjud“ wird. ,,Ich will an diesem Beispiel zeigen“, sagt Didi Dan­ quart, ,, wie sich Gesellschaften verändern.“ Ein Heimatfilm soll, so der Regisseur, der „Viehjud Levi“ trotz lokaler Verortung seiner gut rechercruerten und großteils authenti­ schen Figuren nicht sein. Danquarts Kino­ film basiert auf dem gleichnamigen -aber sehr knappen -Theaterstück des St. Geor­ gener Schriftstellers Thomas Strittrnatter, der 1995 mit nur 34 Jahren an Herzversagen starb. Didi Danquart und Martina Döcker haben das Drehbuch geschrieben -und für die filmische Umsetzung um einige Perso­ nen, gar um eine komplette Liebesgeschich­ te und um verschiedene Szenen ergänzt. So auch um das sommerliche Fest des Ingeni­ eurs. Der hat zur Feier seines Geburtstages 329

den darfs dabei nicht. Während auf der Wiese bereits die Techniker arbeiten, trudeln nach und nach die schon im Hotel kostü­ mierten und geschminkten Stars ein. Die letzten Komparsen werden vor Ort noch „frisch gestutzt“. Und die Requisite meldet die erste Panne: Die Bluse zu Gerlinde Ep­ tings alter Langenschiltacher Tracht wurde in der Aufregung vergessen. Gatte Epting Literatur und Film auf die mittlerweile schon recht passabel de­ korierte „Festwiese“ eingeladen, so heißt – laut Ablaufplan – der heutige Drehort an der alten Vöhrenbacher Landstraße. Damit alles glatt läuft, werden die Kom­ parsen schon um halb sieben im Lastwagen der Requisite eingekleidet und dann ge­ genüber im Masken-Container geschminkt und frisiert. ,,Hochwürden“ Lothar Dotter ist also lange schon in Prie­ sterfrack und Priesterrolle geschlüpft, beides sitzt wie angegossen. Der Holzhauer im Ruhestand lächelt prie­ sterlich milde auf Bahnar­ beiter, Bauern und Musiker, alle sind ein bißchen aufge­ regt, das gehört dazu. Dabei ist Lothar Dotter aus Vöh­ renbach schon fast ein alter Hase in Sachen Dreharbei­ ten: Auch bei der „Schwarz­ waldklinik“ konnte er sich in die Statisterie einreihen. Und auch Peter Primuth ist zumindest bühnenerfahren. Er steht als langjähriger Fas­ neter „schon ewig“ mit Sket­ chen vor Publikum. Für die Dreharbeiten hat er seinen Jahresurlaub geopfert, aber, sagt er mit verschmitztem Lachen, ,,das war‘ s mir na­ türlich wert.“ Peter Primuths Filmerfahrung beschränkte sich bislang noch auf die Rolle eines Zaungastes bei den Dreharbeiten zur Vor­ abendserie „Die Fallers“. Von seinen eigenen acht Drehtagen beim „Viehjud“ weiß er nun zu berichten, daß „Dreharbeiten“ vor al­ lem eines heißt: warten. In der Zwischenzeit mag hin und wieder eine Partie Cego helfen, nur laut wer- 330 Im Film ist später „nur“ eine romantische Liebesszene am Weiher zu sehen, 1oährend den Dreharbeiten aber herrscht dort professionelle Be­ triebsamkeit – Film ist ein hartes Geschäft.

,Viehjud Levi“ Als Statisten und Akteure in Nebenrollen wirken beim „Viehjud Levi“ auch Einheimische mit. Im Vordergrund die Vöhrenbacher Peter Primuth und „Hochwürden „Lothar Dotter. 331

Literatur und Film 332 Kino braucht Requisiten, die werden teils mit dem Leiter­ wagen an den Drehort im Vöhrenbacher Stadtwald geschafft.

„Viehjud Levi“ und Simon Artmayer, die beiden Akkor­ deonspieler, lassen sich von Regieassistentin Katrin Hentschel erweichen und fahren los Richtung Rottweil, die Trachtenbluse da­ heim zu holen. Arthur und Elfriede Fleig aus Fischbach halten beim Frühstückskaffee aus Plastikbechern einen Schwatz mit El­ friedes Bruder Heinz Seemann aus Maria­ zell. Als das Akkordeon-Duo samt Bluse wieder herbeieilt, ist der Festplatz endlich in Sonne getaucht und hinter der Bühne weht rot und merkwürdig selbstverständlich die Hakenkreuzfahne am Fahnenmast. Katrin Hentschel „brieft“ die Komparsen, das heißt, sie gibt eine Kurzfassung der Film­ handlung dieses Drehtages: ,,Also heute ist das Geburtstagsfest vom Ingenieur. Der wird dort selbst zaubern, aber statt dem Kanin­ chen wird brauner Kot in seinem Hut sein. Da werden wir dann alle kollektiv schwei­ gen.“ Und da sich mittlerweile die Tische einladend biegen unter Saftkaraffen, Bier­ flaschen, Kaffeekannen und Kuchen, muß das Eßverhalten während der Dreharbeiten klar geregelt sein: ,,Nur vor dem Dreh wird einmal gegessen. Danach nicht mehr.“ Auch die Sitzordnung ist streng – und natürlich für den gesamten Drehtag verbindlich. ,,So, ich hab‘ meinen Mann gefunden“, strahlt Gerlinde Epting, die für den Dreh fremd verbandelt wird. ,,Und hier fehlt noch die Ehefrau“, bemängelt weiter vorne Katrin Hentschel. “ … mit einem Applaus für Uli“ Und endlich, drei Stunden nachdem der verhinderte Jäger dem Treiben den Rücken gekehrt hat, ruft Aufnahmeleiterin Meike Bodanowski zum ersten Mal „Ruhe bitte!“ Und der Regisseur wendet sich von der Büh­ ne herab an sein Filmvolk: ,,Wir fangen die Szene an mit einem Applaus für Uli.“ Uli, das ist Ulrich Noethen, als einer der „Co­ median Harmonists“ kürzlich erst mit viel Erfolg filmisch in Erscheinung getreten. Vor Drehbeginn mußjeder Akteur „in die Maske“. 333

Literatur und Film Es ist aufgetischt, die Geburtstagifeier von Ingenieur Kohl er mit Kajfee und Kuchen kann beginnen. Und heute ist er natürlich der Ingenieur, der Geburtstag feiert. Vor der ersten Probe dür­ fen Stars und Statisten an den langen Bän­ ken einmal „richtig reinhauen – und bitte Krümeln!“ Aber so, wie es dann aussieht, so wird‘ s den ganzen Tag bleiben. Danach die erste Probe: Applaus für Uli, Tusch von den Akkordeons, Zauberspruch, Trick, brauner Kot, kollektives Schweigen, kurze Pause. Re­ quisite und Maske hasten an die T ische und verteilen Haarspangen und Ohrringe an die Damen und Puder auf glänzende Gesichts­ teile. Wer sperrt den Waldweg ab, fragt‘ s aus dem Walkie-talkie: ,,Wir werden heute Pro­ bleme mit Mountainbikern haben.“ Sind al­ le Handys aus? Ist das Spezial-Objektiv end­ lich installiert? Alles fertig! Die Kamera steht auf den Schienen auf einer bewegli­ chen Kranvorrichtung – samt Kameramann ,,Frido“ Johann Feindt und seinem Assi­ stenten. Der Regisseur instruiert die Kom­ parsen: ,,Ihr beiden schwätzt leise weiter. Du lachst verlegen. Und Sie sagen zu Ihrem Mann – da stimmt doch was nicht.“ Näch­ ste Probe. Applaus, Tusch, Trick, Pause, Nachbessern von Kostümen, der Hut sitzt schief, Puder, kämmen. Und wieder warten. ,,Alle fertig?“ erkundigt sich Didi Danquart. Es ist fast schon Mittag und noch kein Me­ ter Film ist gedreht. Das wird auch in den nächsten Minuten nicht geschehen: Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne und be­ schattet völlig unpassend die sommerliche Szene. Warten auf den ersten „Take“ Bis die Sonne wieder ungehindert auf das Festvölkchen strahlt, taucht ein Flugzeug am blauen Himmel au( Das ist „Gift“ für den Ton, also: warten. Warten, bis endlich der er­ ste „Take“, die erste Aufnahme, dieses Dreh­ tages in präzisen Codes angesagt wird. Ruhe bitte – Ton ab – läuft – siebenundsechzig, vier, die Eins – und bitte. Applaus, Tusch – 334

und Schluß! Der Take wird, kaum begon­ nen, schon unterbrochen: Ein kleiner Flie­ ger knattert irgendwo. Pause, warten. Kaum ist der Flieger außer Hörweite, beschattet die nächste Wolke den Festplatz. Es ist wie vertrackt, Flieger und Wolken wechseln sich ab, Ton- und Lichttechniker kommen im­ mer wieder ins Schwitzen: ,,Können wir jetzt?“ Nach einer Stunde und nach haargenau neun Anläufen sind sechs Takes von der Sze­ ne 67 /4 im Kasten, wieder und wieder ist die Kamera auf dem Kran-Arm von sieben Me­ ter Höhe langsam herunter- und vorgefah­ ren. Neunmal Tusch, neunmal Applaus und Zaubertrick, neunmal präpariert die Requi­ site den wenig zauberhaften Zylinder mit dem Gemisch aus Schaschlik-Soße und Sä­ gespänen, in das der Ingenieur neunmal völ­ lig überrascht hineingreift. Und das ist nicht das letzte Mal, denn bei den folgenden Ein­ stellungen wird als Nahaufnahme aus ande­ rem Blickwinkel der Moment angewiderter .Viehjud Levi“ Überraschung in mehreren Takes aufge­ nommen. Die Bänke vor Ulrich Noethen stehen bei dieser Einstellung leer – seine Ge­ burtstagsgäste haben Pause. Und warten. „Man denkt, das ist ja kriminell“ Elfriede Fleig in dunkelblauem Tupfen­ kleid und beigefarbenem Kapotthütchen stellt sich in den kühlen Schatten am Wald­ rand: ,,Das ist wirklich was Einmaliges, zu sehen, wie das alles so funktioniert mit den Dreharbeiten, die vielen Leute und die vie­ le Technik.“ Und die Stars, findet Gatte Ar­ thur, sind lauter nette Leut‘. Arthur Fleig ist im „echten“ Leben Chauffeur, für die Dreh­ arbeiten hat er, wie viele andere auch, Ur­ laub nehmen müssen. Im Film darf er als Bahnarbeiter und LKW-Fahrer einen Opel­ Blitz Baujahr 35 fahren. Mit dem ollen LKW soll er auf den Viehjud samt dessen Karren zuhalten. Er ist einer von denen, die es auf den Levi abgesehen haben. Wie fühlt Didi Danquart, Regisseur des „Viehjud Levi“ und Freund von Thomas Strittmatter. 335

Schramberg waren die bei­ den Schwarz-Juden das, was hier der Levi war. Auch sie blieben eines Tages weg. So hat es meine Groß­ mutter erzählt.“ Daß der Strittmatter – quasi als ei­ ner der ihren – endlich ein­ mal aufgeschrieben hat, wie das hier war, der Über­ gang zur Nazizeit, darauf darf man ein bißchen stolz sein, finden die Komparsen. schon Sogar den Strittmatter selbst hat Heinz Seemann gekannt. Das war 1962, als der Zimmermann bei Va­ ter Erwin Strittmatter am Dachstuhl mitgeschafft hat: ,,Damals muß der Thomas gerade mal gebo­ ren sein.“ Heute sitzen Va­ ter und Mutter Strittmatter Literatur und Film man sich, als „einer von denen?“ ,,Man denkt, das ist ja kriminell. Und sowas haben Leute damals wirk­ lich gemacht!“ ,,Ja“, be­ stätigt sein Schwager See­ mann, ,,von meiner eige­ nen Einstellung her, dürfte ich so eine Rolle gar nicht spielen, aber es ist eben ein Film.“ Ein Film also, der aut­ hentische Geschichte auf­ rollt, die die „Alten“ hier noch kennen. ,,Im Gast­ haus Hohenzollern“, er­ zählt Seemann, ,,haben immer zweimal im Jahr zwei Juden übernachtet, Der individuell einsetzbare Kamera­ die Schwarz-Juden, jeweils kran erlaubt Kameramann Johann zehn Tage sind die geblie- Feindt interessante Perspektiven. ben, um Vieh in der Ge- Stimmen miefs der Ton (imten). Ein gend zu kaufen. Für den vorbeifliegendes Flugzeug ist das Großraum Rottweil und „Aus“fürjeden„Take“. 336

. l Carolme Ebner als Lisbeth Horger. auf Klappstühlen am Rande der Dreharbeiten -zur Freude vor allem auch des Regisseurs, den Freundschaft und künst­ lerisches Schaffen mit Thomas Strittmatter ver­ band.Einen Steinwurf weiter hinten, auf einem Baum­ stamm im Halbschatten, hockt Caroline Ebner, die „dazuerfundene“ Lis­ beth. Ein Star auch sie, noch nicht im Film, aber auf deutschen Bühnen. Im Film sind ihr der d · H ß gro artige aupt arste – ler Bruno Catomas, vor allem aber auch ih­ re Kolleginnen Eva Mattes und Martina Ge­ deck bislang um eine ansehnliche Filmo­ grafie voraus. Vermutlich kann die junge Bühnenschauspielerin nach ihrem „Erst­ ling“ jedoch schon bald kräftig aufholen. Eine Premiere ist der „Viehjud“ auch für den 87jährigen Paul Reuter aus Mariazell. „Schaden tut das auch im Alter nicht, wenn man was Neues lernt“, behauptet Paul Reu­ ter keß. Anstrengend ist für ihn nur das lan­ ge Warten, „und daß man alles zehnmal machen muß.“ Und was nun dieser ganze Film soll, das ist ihm auch nicht so recht klar: „Tut man mit dem Film nicht etwas uffziehe, das längst vergangen ist?“ Die Frage nach dem Sinn dieses Films hat Di­ di Danquart am Vortag bei der Pressekonferenz am nahegelegenen „Pfei­ felochweiher“ gleich zig­ mal beantworten müs­ sen. Und ob es nach ,,Schindlers Liste“ über- Bernd Michael Lade spielt im „Vieh­ haupt noch eine filmi- jud Levi“ Paul Braxmeier. .Vichjud Lcvi“ sehe Bearbeitung dieses Stof­ fes geben müsse. Ja, doch, es muß. Dieser Film will aus den Denkmustern von Gut und Böse ausbrechen, er will eine „Neuinterpretation des Ver­ gangenen in frischen Bildern“ bringen: Die Menschen im konfrontativen Strudel zwi­ schen Alt und Neu. Und am Ende ist die „neue“ Zeit die alte. Sagt Danquart. Paul Reuter nickt zu dieser Er­ klärung, aber er ist sich nicht sicher: „Ob das gut ist?“ „Ruhe bitte, es geht weiter“, verkündet Meike Bodanows­ ki per Megaphon. Nach der Umbaupause filmt Johann Feindt nun von oben, vom Dach eines froschgrünen Last­ wagens herab, zwei tanzende Paare in der Nachmittagssonne auf dem hellen Tanzbo­ den. Charleston weht aus irgendwelchen Boxen in die warme Luft und überall wip­ pen Füße mit, während Martina Gedeck im duftigen Sommerkleid mit ihrem wunder­ baren Tanzpartner Günther Knecht über die Waldbühne „schiebt“. Nach nur zwei Takes ist die Tanzszene im Kasten -und die Son­ ne wirft lange Tannenschatten auf die Fest­ wiese. Blitzschnell werden al- le Tische und Bänke um eini­ ge Meter in die schattenlose Sonne versetzt, denn nun wird die Anschlußszene an den Zaubertrick gefilmt. Es braucht noch ganze sieben Takes, bis die 67/8 und damit dieses ganze erste Bild „ge­ storben“ ist. Für das zweite Bild fahrt am späten Nachmittag der große Steiger vor, ein Lastwagen mit Kranvorrichtung nes1ger samt Plattform. Auf zehn Me­ ter Höhe läßt sich der Kame­ ramann mit seiner Kamera 337

Literatur und Film Alles hat im Stil der Zeit zu sein, audJ das Fahr­ rad, das von Statisten begutachtet wird. hieven. Gefilmt wird von dort aus die Tota­ le, der Blick auf den ganzen großen Fest­ platz. Der ist mittlerweile leergeräumt, nicht etwa, weil das Fest abgefeiert ist, sondern weil es überhaupt noch nicht angefangen hat. Das milde Licht der Abendsonne muß jetzt kurzerhand als Morgensonne herhal­ ten. Denn erst ganz zuletzt, im Anschluß an den Tages-Dreh vom Fest, wird nun auch der gedreht: Ulrich Noethen, wie er in der Früh‘ den Festplatz inspiziert. Festtagsrnorgen Fast ist auch das zweite Bild „gestorben“, da ertönt Motorengeräusch. Stopp, was ist los an der Sperre? ,,Ich kann nichts machen, hier ist ganz viel Polizei!“, tönt‘ s aus dem Walkie-talkie. Einsatzleiter Matthias Leh­ mann ist von der Polizeidirektion Villingen­ Schwenningen mit vielfacher Unterstützung zu einem großen Einsatz auf den Weg in den Sommerwald geschickt worden. Es sei­ en verschiedentlich Anrufe besorgter Bürger eingegangen, daß hier verbotene Symbole aushängen. Und tatsächlich: das verbotene Symbol hängt auf rotem Grund, schlaff und nicht ausnahmegenehmigt im Hintergrund. Ob es denn seitens der Polizei berechtigten Anlaß fur die Annahme gebe, daß hier eine verbotene Ver ammlung stattfinde, wollen die Leute vom Film wissen. ,Ja“, sagt ein Kollege, ,,Versammlungen dieser Art gibt es hier in der Gegend schon.“ Doch befindet Einsatzleiter Matthias Lehmann nach gründlicher Inaugenscheinnahme, daß die Dreharbeiten fortgesetzt werden können. Alles atmet auf, und das letzte spärlich-röt­ liche So1�nenlicht auf den Tannenwipfeln spielt noch einmal Morgendämmerung, da­ zu dudelt aus dem Grammophon im Schel­ lacksound: ,,Warum ist es am Rhein so schön?“ Das war’s dann, geschafft – nicht ganz nach Plan, aber im Limit. ,,Ein gutes Pferd“, grinst Didi Danquart, ,,nimmt die Hürde knapp!“ Text:}ulia Littmann Fotos: II.Ja Clemens Hendel 338

Lyrik der Heimat Ein Lokalberichterstatter plaudert 25. Kapitel I Almanach 99 Weiß Gott, ich habe mich nicht nach dem Schreiben gedrängt, ja als mich mein Vor­ gänger, ein langjähriger, erfahrener Lokalbe­ richterstatter aus Altersgründen aufforderte, an seine Stelle zu treten, lehnte ich mit den üblichen Begründungen ab. Das Schreiben sei meine Sache nicht, ich hielte es fur eine hohe Kunst, dazu hätte ich keine Zeit, es gä­ be gewiß andere, die sich besser aufs Schrei­ ben verstünden, es auch lieber täten, viel­ leicht darauf warteten. Der Redakteur – auch seinerseits auf der Suche – ging die Sache anders an: „Sie brauchen die Texte ja nicht exakt auszuformulieren, das nehme ich Ih­ nen ab, es dürfen einfache Sätze sein, nur einfache Sätze, das können Sie. Versuchen Sie es!“ Ich versuchte es, und dies, obwohl im Be­ ruf noch nicht sehr gefestigt, auf vielen Ge­ bieten noch ein Lernender und manchmal bis zum Hals mit Arbeit und Problemen eingedeckt, und obwohl mein Interesse vor­ dem weniger den Lokalseiten als dem poli­ tischen und kulturellen Teil der Zeitung galt. Zwar ahnte ich, daß meine neue Aufgabe das Leben entschieden verändern würde, doch waren meine Vorstellungen eher in ei­ nem nebulösen Bereich angesiedelt. Äußer­ ste Vorsicht bei Kritik an Personen, etwas mehr Großzügigkeit bei Mißständen und bedrohlichen Entwicklungen. Wie konnte man, wenn nur der späte Abend noch übrig blieb, der Kurzatmigkeit des Tagesjournalis­ mus entgehen, woher in kürzester Zeit Hintergrundwissen besorgen, geschichtliche und soziologische Bezüge herstellen, wie dem differenzierten Interesse der Leser­ schaft gerecht werden? Laßt mich doch we­ nigstens noch ein Buch über Soziologie und eines über Journalismus lesen! Gibt es ei­ gentlich keinen Kurs fur Anfänger in der Lo­ kalberichterstattung? Meine Befurchtungen gingen, nicht anders als bei einem Schüler, dahin, an kurzen Tex­ ten unverhältnismäßig lange herumfeilen zu müssen, bis Wort und Wirklichkeit über­ einstimmten und sie auch allen Ree;eln der Grammatik und den Gesetzen der Asthetik entsprachen. Und selbst dann würde gelten: Allen Leuten recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Immerhin beschloß ich, mich nur über eigene Fehler zu ärgern. Kürzungen und Druckfehler sollten mich nicht anfechten. Von jetzt ab würden fur mich die kleinen Dinge einer Landgemein­ de in den Mittelpunkt treten, eine Hofzu­ fahrt, der Anbau an ein Haus, eine Kläran­ lage, die Erstellung einer Garage, die Müll­ abfuhr undsoweiterundsofort. Dorfpolitik würde Weltpolitik werden. Gemeinderats­ sitzungen würden die Bedeutung von Bun­ destagsdebatten, Generalversammlungen von Vereinen mindestens die von Parteita­ gen erhalten. Ich würde lernen müssen, daß es viele Menschen freut, ihren Namen in der Zeitung zu finden, daß andere dies unter keinen Umständen wollen. Ich versuchte es. Mit den einfachen Sät­ zen, mit denen der Redakteur zufrieden ge­ wesen wäre, kam ich nicht zurecht. Also periodisierte ich, wie ich es gewohnt war. Auch so gab es einiges zu verbessern. Stel­ len, an denen ich lange gearbeitet hatte, bis sie mir auf ansprechende Weise die Wahr­ heit auszudrücken schienen, wurden korri­ giert oder gestrichen, Fremdwörter entfernt, Längen auf das erträgliche Maß gestutzt, Al­ bernheiten ins Seriöse gehoben oder besei­ tigt, Übertreibungen auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt. Schließlich galt es fur den Redakteur, den Charakter seiner Zeitung zu wahren und zu verhindern, daß sie ein Witzblatt oder ein Tummelplatz fur mehr oder weniger gelungene stilistische 339

Ein Lokalberichter taller plaudert Übungen und gewagte sprachliche Experi­ mente wurde. Der Anfang nahm seinen Lauf und bekam eine Eigenbewegung. Die Abstände von Be­ richt zu Bericht wurden kürzer, der Fächer der Themen wurde breiter. Zu den Berichten über die Gemeinderatssitzungen, für die ich zunächst nur engagiert war, kamen solche von Jahreshauptversammlungen von Verei­ nen und Feueiwehr mit langen Tagesord­ nungen, Rückblicken auf das vergangene, Ausblicken auf das begonnene Vereinsjahr, mit Gruß- und Dankesworten, mit Diskus­ sionen, Wünschen und Anträgen an die Orts- und Stadtverwaltung und Sonstiges. All das war in kurze Artikel zusammen­ zufassen, für den Anfang keine leichte Auf­ gabe. Zu schreiben war bald von Weih­ nachtsfeiern mit „Volks tücken“, eigentlich Schwänken, aufgeführt von Laienschauspie­ lern. Schauplatz der Stücke zum größten Teil: Oberbayern, wo der Bergbach rauscht, dickschädelige Bauern ihre Nachbarn um Hab und Gut bringen wollen, wo aber die höhere Gerechtigkeit persönlich den Ruch­ losen da Handwerk legt, von Kräuterweib­ lein, die Gottes Gedanken nachgehen und sie in ihrer schlichten Frömmigkeit ergrün­ den, von Liebenden, die nicht zusammen­ finden dürfen, es allen Widerständen zum Trotz am Ende doch schaffen, man würde ja sonst am Sinn des Lebens verzweifeln. Nichts Menschliches blieb mir fremd. Ist die Handlung einmal ausnahmsweise nicht nach Oberbayern verlegt, der Heimat aller Heimaten, so darf man sicher sein, daß an die Stelle des Erzbauern ein Haustyrann, ein rechtes Ekel als Maitre de plaisir tritt, der aber von Familie und Ge inde o hinters Licht geführt wird, daß es nicht zu sagen ist. Aber nur so kann er zu großer Form auflau­ fen. Ist das Stück gar eine Verwechslungsko­ mödie, treten Jugendsünden eines sich als Tugendbold gebenden alternden Mannes ans Licht der Öffentlichkeit, so kommt erst recht Freude auf Journali ten führen ein interessantes Le- 340 ben, gemeint sind natürlich die Hauptbe­ ruflichen, die die Regierungschefs im Flug­ zeug zu Staatsbesuchen begleiten dürfen und Zeugen historischer Ereignisse werden. Zu solchen Höhen kann sich ein Lokalre­ porter nicht aufschwingen. Dennoch verän­ derte die neue Tätigkeit das Leben. Selbst­ verständlich. Mit ungezählten Menschen kam ich ins Gespräch, suchte es, wurde auch selbst aufgesucht. ,,Oral history“, von der heute in der Geschichtswi senschaft so viel die Rede ist, bot sich mir wie von selbst an. Manches aus vergangenen Tagen wäre gewiß für immer verloren, wenn es nicht in der Zeitung festgehalten worden wäre und vom Zeitungsverlag und der Redaktion archiviert würde. Ich erfahre den ganzen Ernst, den ganzen Tiefgang des Lebens, der, wie mir manchmal scheinen will, früher tiefer und ernster war als heute: als man noch von der Urproduk­ tion abhängiger war, die Verdienstmöglich­ keiten schmaler waren, die Kinderzahl größer war, als man noch naturverbundener lebte, äußerste Kargheit und überströmende Fülle in Feld und Wald weit chmerzlicher oder dankbarer empfunden wurden, die Ar­ beit vom April bis zum Oktober eine einzi­ ge Plackerei war, die Abhängigkeit von Got­ tes Segen kraftvoller geglaubt wurde mit al­ len Konsequenzen wie Teilnahme an Wall­ fahrten, Prozessionen, Verrichtung (langer) gemeinsamer häu licher Gebete … Und es gab ja auch die Kriege. Bewegende Dinge geschahen zu allen Zei­ ten auch in den Landgemeinden, sie ma­ chen zwar weniger Schlagzeilen, aber ich ste­ he nicht an zu behaupten, daß Schicksale von Menschen, die ihr achtes Lebensjahr­ zehnt vollenden und die aus diesem Anlaß zum erstenmal in der Zeitung erwähnt wer­ den, so ergreifend sein können wie eine klas­ sische Tragödie. Die Tränen können einem in die Augen treten, wenn ein altes Mütter­ lein seinem Besuch den Ort und den Tag nennt, an dem einer seiner Söhne vor über 50 Jahren gefallen ist. Vergangenheit wird Je-

bendig, wenn ein Jubilar erzählt, wie er und seine Kameraden vor Freude „johlten“, als sie 1918 im Schützengraben vom Waffen­ stillstand bei Compiegne erfuhren. Am Glück anderer Menschen darf man teilneh­ men, wenn man vor der Goldenen Hochzeit das altgewordene Ehepaar aufsucht und die Ehefrau mit strahlenden Augen erklärt: ,,Wir haben glücklich miteinander gelebt.“ Das ,,freudig Stündli“ J. P. Hebels trat unerwar­ tet ein, als ein Jubilar in den Keller stieg und mit einer Flasche vom Besten wiederkehrte, die wir gemeinsam leerten, während er sei­ nen Humor versprühte -das Fernsehen hät­ te mich beneiden können. Andererseits will nicht jeder seine Lebensgeschichte ausbrei­ ten. Auch diese Einstellung ist zu tolerieren. Grundsätzlich stellt sich die Frage jeweils neu: Wie einen Menschen recht würdigen? Würde dafür eine ausführliche Biographie ausreichen? Reichen Worte? Aber etwas an­ deres haben wir nicht. Wenn es häufiger als erwartet vorkommt, daß ich aus purem Zufall jemandem begeg­ ne, der mich anspricht: ,,Du, deinen letzten Artikel mit dem Thema aus der Geschichte habe ich ausgeschnitten, den hebe ich auf“, so fühle ich, daß ich mit vielen über ein Me­ dium enger verbunden bin, als ich es je für möglich gehalten hätte, gerade mit älteren Menschen, die sich am öffentlichen Leben nicht mehr aktiv beteiligen, dafür aber von ihm noch Kenntnis nehmen wollen und Zeit haben, viel Zeit, um ihre Zeitung zu le­ sen. Viele besorgen dies, je älter sie werden, desto gründlicher, stundenlang, jeden Tag. Eine Tageszeitung ist jedoch keine histori­ sche Zeitschrift, sie ist der Aktualität ver­ pflichtet, und die Ereignisse haben die Ten­ denz, sich gelegentlich zu häufen, so daß man mit beiden Händen gleichzeitig schrei­ ben können oder eine Sekretärin anstellen müßte. Fast zu interessant wird das Leben, wenn sich dann noch im Hauptberuf Arbeit und Ärger gegenseitig hochschaukeln. Da hilft nur eines: Schreib schneller, Genosse! Und der Reiz, einmal wieder eine Heraus- Lyrik der Heimat forderung bestehen zu müssen, tut sein Be­ stes. Liegt die Wahrheit in den Dingen, so liegt auch die Problematik in den Dingen, in der Zeitgeschichte, die das Land erreicht, in der Kommunalpolitik, im Vereinsleben, allüber­ all. Anders als es geschieht, wäre jedenfalls nach der Meinung vieler superkritischer, hinterfragungswütiger Zeitgenossen zu schreiben, denen der Heimatteil viel zu brav, zu treu, zu bieder und langweilig ist, und die sich so viel Harmonie gar nicht vor­ stellen können. Doch Ehre, wem Ehre ge­ bührt! Warum sollte man das Unproblema­ tische problematisieren? Was ist daran zu kritisieren, wenn die Musikkapelle bei An­ lässen aller Art auftritt, junge Leute an sich bindet, sie ins gesellschaftliche Leben ein­ führt, ihre pädagogische Aufgabe wahr­ nimmt, unter ihren Mitgliedern eine freund­ schaftliche Atmosphäre herrscht, jedermann erkennbar, wenn sie nach Proben noch in kleinen Gruppen zu freundschaftlichem Ge­ spräch beieinanderstehen oder sich zu ei­ nem Bier zusammenfinden? Radfahrverein, Freiwillige Feuerwehr und Kirchenchor es auf ihre Weise tun? Soll ich Aggressivjournalismus betreiben und Bürgermeister und Ortsvorsteher, Ge­ meinde-und Ortschaftsrat heruntermachen, die einen Mißstand längst gern beseitigt sähen, es aber nicht schaffen, weil die Mit­ tel dafür nicht aufzubringen sind? Soll ich Stimmung gegen Landkreis, Land und Bund machen, für die Wunder auch etwas länger dauern? Oder mich im Enthüllungsjourna­ lismus üben, wenn in Versammlungen ein­ mal ein notwendiges oder unbedachtes Wort fällt und es dann heißt: ,,Das ist aber nichts für die Zeitung“! oder preußisch­ kurz: ,,Presse mal weghören“! Eine Verärgerung ist schnell ausgelöst, der Friede schnell gestört, eine Mißstimmung aus der Welt zu schaffen, kostet oft lange Anstrengungen, Richtigstellungen, Ent­ schuldigungen. Dabei stellen doch Soziolo­ gen mit aller Akribie fest, daß bei der heuti-341

Ein Lokalberichterstatter plaudert gen Mobilität und beängstigenden Auflö­ sung menschlicher Bindungen die Lokal­ presse einen überraschend wirksamen Inte­ grationsfaktor bildet. Wer als Zugezogener ein Verhältnis, eine Beziehung, kurz die Identifizierung mit seiner neuen Gemeinde, die ihm Heimat werden soll, sucht, findet sie über dieses Kommunikationsmittel am leichtesten. Karl Volk Bildnachweis zum Almanach 1999 Die Aufnahme auf der Titelseite stammt von Wilfried Dold, Vöhrenbach. Motiv Titelseite: Riedtor in VS-Villingen. Die Fotografie auf der Rückseite stammt von German Hasenfratz, Hüfingen. Motiv Rückseite: Winterabend, Tor zum Donaueschinger Schloßpark. Bildnachweis: Soweit die Bildautoren hier nicht namentlich aufgeführt werden, stam­ men die Fotos jeweils vom Verfasser des be­ treffenden Beitrages oder wurden von den vorgestellten Institutionen oder Firmen zur Verfügung gestellt. Mit Fotos sind ferner im Almanach vertre­ ten (die Zahlen nach der Autorenangabe be­ ziehen sid1 auf die jeweilige Textseite): Roland Sigwart, Hüfingen: 7 – Schwarz­ wald-Baar-Kreis: 9, 16, 26, 27, 28, 29 – Wil­ fried Dold, Vöhrenbach: 12, 14/15, 17, 18, 20, 21, 31, 37, 38, 39, 40, 42 unten, 43, 44, 45, von 48 bis 58, 62 bis 64, 84, 88, 89 oben, 90, 91, 111, 112, 129, 130, 135 Mitte, 136 unten, 138 bis 155, 167, 169, 170, 183, 203, 208, 243 bis 253, 305 bis 310, 319, 347 – German Hasenfratz, Hüfingen: 19, 168, 193, 292 – Thomas Herzog-Singer, VS-Vil- 342 lingen: 30, 32, 33, 171 -Wilfried Mayer, VS­ Villingen: 34, 35, 42oben, 46, 59, 60, 299, 303 – Nikolaus Reder, Niedereschach: 36, 209, 300 oben, 304 – E. Dey, Neuhausen: 47 – Wolfram Janzer, Stuttgart: 71, 72 – Cor­ nelia Heilweg: 73 – Raue-Marquardt, Tutt­ lingen: 75 – H+Z Bildagentur GmbH, Rai­ ner Scheithauer, Hannover: 77, 80 – Doris Dufner-Hall, Furtwangen: 78, 81 -Joachim Sturm, Kreisarchiv: 85 oben, 162, 239, 241, 242 -Hans-Günther Zimmer: 99, 100 -Fo­ to-Fischer, Donaueschingen: 101 -Gerhard Stromm: 107 – Foto-Maier, Furtwangen: 113 – Südkurier Triberg: 123 – Kleinert, Südkurier: 124 – GLA Karlsruhe H/B­ S.J.V:4: 135 bis 137 – Sandra Anna Söltl, Frechen: Illustrationen 156, 157 – Reiß-Mu­ seum der Stadt Mannheim, Kat. Nr. E 156: 163 – Franziskanermusem, Foto-Brotz: 166 – Eisenbahnmuseum der Sauschwänzle­ bahn Blumberg: 173 bis 17 7, 197 und 198- Armin Kienzler, Triberg: 178 -Fürstlich Für­ stenbergisches Archiv, Georg Goerlipp: 187 bis 191-Gemeindearchiv Dauchingen: 210 -Manfred Moosmann, Tennenbronn: 212 und 213 – Erwin Kienzler, Schonach: 240 – Traudel Zimmermann, Marbach: 257, 258 – Dieter Reinhardt, VS-Villingen: 321 bis 323, 327.

Verschiedenes Personen und Fakten Die freundschaftliche Verbindung zum eidgenössischen Kanton Schaffhausen führte auch im vergangenen Berichtsjahr zu einem der regelmäßigen Treffen. Am 29. Oktober 1997 empfing Regierungsrat Lehn­ herr Landrat Karl Heim und seine Delegati­ on im Pestalozzi-Heim in Schaffhausen. Clemens Stahl, Bürgermeister in Blum­ berg, wurde am 30. November 1997 mit 77,40/o der abgegebenen Stimmen in die zweite Amtsperiode gewählt. Georg Goerlipp, seit 1962 Leiter des Fürstlich-Fürstenbergischen Archivs und der Fürstenbergischen Sammlungen in Donau­ eschingen, trat am 31.12.1997 in den Ruhe­ stand. Nachfolger ist Dr. Andreas Wilts. Dieter Teufel, Steuerberater aus Tuttlin­ gen, wurde am 7. Mai 1998 zum neuen Prä­ sidenten der Industrie-und Handelskam­ mer Schwarzwald-Baar-Heuberg gewählt. Helmut Müller-Wiehl (75), Kunstmaler, starb am 28. Mai 1998 in Donaueschingen (zu Person und Werk siehe Almanach 1982). German Hasenfratz, Fotograf in Hüfin­ gen und langjähriger Mitarbeiter am Kreis­ jahrbuch, konnte am 29. Mai 1998 seinen 75.Geburtstag feiern. Joachim Fürst zu Fürstenberg konnte am 27. Juni 1998 in Donaueschingen seinen 75. Geburtstag feiern. Bernhard Blenkle (93), Kreisrat (FDP), stellvertr. Vorsitzender des Kreisrates (1965- 1972), Bürgermeister i. R. der Stadt Bräun­ lingen, Ehrenbürger und Träger des Bun­ desverdienstkreuzes a. B., starb am 3. Juli 1998 in Bräunlingen. Herbert Obergfell (75), Präsident des Ver­ bandes der Deutschen Uhrenindustrie in den Jahren 1980 bis 1986, Seniorchef des Uhrenproduzenten Kundo und der Ober­ gfell Unternehmungen, starb am 7.Juli 1998 in St. Georgen. Hans-Jürgen Beck (64), Leiter des Finanz­ amtes Villingen-Schwenningen, trat zum 1. Juli 1998 in den Ruhestand. Klaus Panther (64), Oberstudiendirektor und Leiter der Robert-Gerwig-Schule Furt­ wangen, Kreisrat (CDU) 1973-1989, wurde am 24. Juli 1998 in den Ruhestand verab­ schiedet. Sein Nachfolger ist Karl-Heinz Weißer, bisher Studiendirektor an der Kauf­ männischen Schule I in Villingen. Dr. Bernhard Everke, Oberbürgermeister der Stadt Donaueschingen, erhielt am 24. Juli 1998 die Ehrenbürgerschaft der ungari­ schen Partnerstadt Vac verliehen. Thomas Möll, Direktor des Gewerbeauf­ sichtsamtes Villingen-Schwenningen, wur­ de zum Leiter des Amtes fur Umweltschutz in Karlsruhe bestellt. Nachfolger ist Ulrich Willimski, bisher stellvertr. Leiter des Am­ tes. Georg Friedrich Weber-Benzing, Ehren­ vorsitzender des Schwenninger Heimatver­ eins, Förderer und Bewahrer des Schwen­ ninger Brauchtumes, konnte am 13. August 1998 seinen 80. Geburtstag feiern. Prof. Dr. Karl Siegfried Bader (93) Jurist, Historiker, Archivar, Ehrenbürger der Stadt Geisingen, Träger des furstlich-furstenbergi­ schen Hausordens, starb am 6. September 1998 in Zürich. 343

Orden, Medaillen Nachstehende Personen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis wurden im Zeitraum vom 1.8. 1997 bis 31. 7. 1998 öffentlich ausgezeichnet: Mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (Abkürz.: BVK 1. Kl. = Bun­ desverdienstkreuz 1. Klasse, BVK a. B. = Bundesverdienstkreuz am Bande, BVM = Bun­ desverdienstmedaille): Schönbühler, Markus Schmidt, Hans Härle, Eberhard Schell, Rüdiger Rath, Karl-Theo Streit, Rudi Dr. Kriesche-Karuth, Anna Maria Redling, Juli us Dönneweg, Peter Rombach, Florian Tonhausen, Norbert Härtge, Heinz Wunderlich, Arnulf 07. 11.1997 10.11.1997 11.11.1997 20.11.1997 02.12.1997 18.12.1997 22.01.1998 13.03.1998 24.03.1998 28.04.1998 19.06.1998 10.07.1998 24.07.1998 BVM BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVM BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. BVKa.B. Villingen-Schwenningen St. Georgen Villingen-Schwenningen Donaueschingen Bad Dürrheim Villingen-Schwenningen Villingen-Schwenningen Mönchweiler St. Georgen Furtwangen-Neukirch Donaueschingen Villingen-Schwenningen Villingen-Schwenningen Mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg: Greitmann, Rolf Rösch, Irmgard 03.04.1998 25.04.1998 Villingen-Schwenningen Villingen-Schwenningen Mit der Goldenen Ehrennadel des Gemeindetages Baden-Württemberg für 30jährige kommunalpolitische Tätigkeit: Siegfried Baumann 17.02.1998 Unterkirnach Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Land Bundesgebiet West Bundesgebiet Ost 30.6.1996 30.6. 1997 30.6.1998 7,9% 8,6% 7,0% 7,6% 4,8% 7,5% 9,7% 10,6% 10,00/o 16,0% 18,6% 18,4% Arbeitslosigkeit im gesamten Bundesgebiet zum 30. 6.1998: 11,7 % 344

Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Gemeinde Stand der Wohnbevölkerung 31.12.1996 31.12.1997 Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen Gütenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler Niedereschach St. Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen Unterkirnach Villingen-Schwenningen Vöhrenbach Kreisbevölkerung insgesamt 11 714 10 742 5 974 5 241 3 413 20 810 10 028 1 451 7 415 5 966 3 222 5 586 14 159 2 647 4 294 5 749 2 723 2996 80 679 4 222 209031 11770 10773 6020 5330 3445 20868 9953 1439 7493 5970 3268 5620 14107 2612 4265 5678 2720 2862 80756 4157 209106 Veränderungen in% in Zahlen + 56 + 0,48 0/o + 31 + 0,29 0/o +46 +0,78 0/o + 1,70 0/o +89 + 32 + 0,94 0/o + 58 + 0,28 0/o -0,75 0/o -75 -12 – 0,82 0/o +78 + 1,05 0/o +4 +0,07 0/o +46 + 1,43 0/o + 34 + 0,61 0/o -52 -0,37 0/o -1,32 0/o -35 -29 -0,68 0/o -1,23 0/o – 3 -0,11 0/o -4,47 0/o -134 +77 + 0,10 0/o -1,54 0/o -65 + 75 + 0,04 0/o -71 Ausländische Mitbürger in Zahlen Gemeinde Ausländer insges. Stichtag 31.12.1997 davon Türken ehemaliges Jugoslawien Italiener Sonstige Ausländeranteil in Prozent Bad Dürrheim Blumberg Bräunlingen Brigachtal Dauchingen Donaueschingen Furtwangen Gütenbach Hüfingen Königsfeld Mönchweiler Niedereschach St. Georgen Schönwald Schonach Triberg Tuningen Unterkirnach Villingen-Schwenningen Vöhrenbach Gesamt 685 1 542 657 257 306 2 064 1 190 68 832 298 267 280 1 777 104 327 635 257 277 11 867 633 24 323 77 826 385 81 23 530 255 5 340 29 29 81 283 2 27 228 58 69 2 415 237 5980 246 424 68 33 71 497 329 6 149 61 129 131 586 49 165 162 24 30 4252 198 7 610 116 25 16 37 65 337 345 40 146 19 34 17 600 14 89 88 114 41 2 163 138 4444 246 267 188 106 147 700 261 17 197 189 75 51 308 39 46 157 61 137 3037 60 6289 6,1 14,2 11,0 4,9 8,8 9,9 11,9 4,7 11,2 5,1 8,2 5,6 12,6 3,9 7,6 11,1 9,5 9,1 14,7 14,7 11,7 345

Die Autoren unserer Beiträge Adamzcyk, Raimund, Erbsenlachen 37, 78050 Villingen-Schwenningen Bantle, Albert, Sinkinger Straße 40a, 78078 Niedereschach Benzing, Clemens, Saverner Straße 17, 78166 Donaueschingen Brommer, Bernhard, Volkartstraße 31, 80634 München Bruder, Anton, Deißlinger Straße 1, 78083 Dauchingen Bökenkamp, Renate, Schwarzwaldstraße 4, 78112 St. Georgen Dargel, Eveline, Im Grund 23, 78267 Aach Dirks, Wiebke, Niedere Straße 72, 78048 Villingen-Schwenningen Dold, Wilfried, Waldstraße 13, 78147 Vöhrenbach Eber), Dr. med. Michael, Sonnhaldenstraße 2, 78166 Donaueschingen Fehrenbacher, Ansgar, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Fritz, Sabine, Erzbergerstraße 17, 78054 Villingen-Schwenningen Galli, Peter, Belvedere 7, 76646 Bruchsal Gehring, Dr. Helmut, Königsberger-Straße 30, 78052 Villingen-Schwenningen Gutknecht, Dr. Rainer, Alt-Landrat, Bahnhofstraße 1, 78073 Bad Dürrheim Gwinner,Joachim, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Heinrici, Dagmar, Breslauer Straße 28, 78052 Villingen-Schwenningen Hockenjos, Wolf, Kalkofenstraße 11, 78050 Villingen-Schwenningen Jandl, Ralf, Nordstetten, Horber Steige 32, 72160 Horb Jenisch, Dr. Bertram, Kirchzartener Straße 25, 79117 Freiburg Katzsch, Prof. RolfM., Gerwigstraße 11, 78120 Furtwangen Klee, Hans, Klosterstraße 19, 78166 Aasen Koch, Klaus, Danzinger Straße 12a, 78151 Donaueschingen Kottrnann, Ingeborg, Bruggerstraße 96, 78628 Rottweil Lirnberger-Andris, Stefan, Alte Poststraße 13, 79822 Titisee-Neustadt Link, Irene, Alte Krauchenwies 5, 72488 Sigmaringen Littmann, Julia, Uhlandstraße 16, 79102 Freiburg Mackwitz, Isolde, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Maurer, Prof. Dr. Phil. Friedemann, Hansmichel-Haus, 78595 Hausen ob Verena Müller, Hans, Martin-Reinemannstraße 3, 78176 Blumberg Neugart, Elisabeth, Langstraße 4, 78050 Villingen-Schwenningen Pottharst, Carmen, Am Sachsenwäldle 35, 78048 Villingen-Schwenningen Puchinger, Renate, Felsentalstraße Sa, 78147 Vöhrenbach Reichmann, Antonia, Auf der Staig 42, 78166 Donaueschingen Reimer, Dietrich, Kiefernweg 34, 78176 Blumberg Rothermel, Dr. Helmut, Weidenmattenstraße 2, 79312 Emmendingen Seefried, Gabriele, Am Hoptbühl 2, 78048 Villingen-Schwenningen Schaz, Peter, Talstraße 43, 78166 Donaueschingen Scherer, Robert, Am Bodenwald 24, 78120 Furtwangen Scherzinger, Oswald, Hintertal 1, 78148 Gütenbach Schmalenberg, Brigitte, Auf der Zinnet 9, 78126 Königsfeld Schneider-Damm, Dagmar, Bühlweg 3, 78078 Niedereschach 346

Schnerring, Dietrich, Baumannstraße 15, 78120 Furtwangen Schnibbe, Prof. Klaus, Ilbenstraße 50, 78120 Furtwangen Schultheiß,Jochen, Blauenweg 25, 78112 St. Georgen Siegel,Joachim, Beim Hochgericht 22, 78050 Villingen-Schwenningen Simon, Stefan, Haselweg 17, 78052 Marbach Steger, Christiana, Birkenweg 8, 78176 Blumberg Steinbach, Gerd, Weiherstraße 11/2, 78050 Villingen-Schwenningen Streck, Sabine, Am Affenberg 31, 78048 Villingen-Schwenningen Strobel, Christa, Ringstraße 9, 78086 Brigachtal Sturm, Dr. Joachim, Steigstraße 32, 78078 Niedereschach Tribukait, Wolfgang, Hochkopfweg 21, 78050 Villingen-Schwenningen Volk, Karl, Untertal 19, 78098 Triberg-Gremmelsbach Von der Osten-Woldenburg, Harald, Silberbergstraße 193, 70178 Stuttgart Weber, Bruno, Billingerstraße 2, 78078 Niedereschach-Schabenhausen Winkelmann-Klingsporn, Elisabeth H., Kreidenweg 28, 78166 Donaueschingen Wölker, Robert, Waldstraße 10/1, 78048 Villingen-Schwenningen Zimmermann,]. H. Michael, Karlstraße 119, 78054 Villingen-Schwenningen Zinke, Felix, Blauenweg 18, 78050 Villingen-Schwenningen Der Schwarzbauernhof im Katzensteig bei Furtwangen, Ölgemälde von Ernst Ganter, 1987. 347

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat in einer vernetzten Welt/ Landrat Karl Heim 1. K apitel / Aus dem Kreisgeschehen „Ein baden-württembergisches Modell“ – Festakt zum 25jährigen Bestehen des Landkreises/ RalfJandl Müllentsorgung bleibt ein aktuelles Thema – Trotz sinkender Müllmengen muß sich der Bürger auf weiter steigende Gebühren einstellen / Joachim Gwinner Öffentlicher Nahverkehr mit großen Zielen – Der RINGzug würde Bus und Bahn im attraktiven Stundentakt miteinander verknüpfen/ Gabriele Seefried Der Kulturpass – Kultursponsoring mit Pfiff/ lsolde Mackwitz/Dr. Helmut Rothermel Sozialausgaben steigen um 7,5 Millionen Mark – Fehlende Perspektiven bei jugendlichen Spätaussiedlern – ,,Arbeit statt Sozialhilfe“ / Ansgar Fehrenbacher Partnerschaft wurde weiter vertieft – Delegation aus dem Komitat Bacs-Kiskun drei Tage im Schwarzwald-Saar-Kreis zu Gast/ Carmen Pottharst Ein Wirken im Zeid1en des Ausgleichs -Alt-Landrat Dr.Josef Astfäller im 91 . Lebensjahr verstorben/ Dr. Helmut Rothermel 2. Kapitel / Schwarzwald und Baar – Portrait eines Landkreises (2) Die Doppelstadt – Ein Zentrum mit Flair – Unterwegs in der Region Villingen-Schwenningen / Gerd Steinbach/Wilfried Dold Wohnen mit Blick auf die endlosen Wälder … -Unterwegs in Brigachtal, Tannheim und Hubertshofen / Wolfgang Tribukait 3. Kapitel / Städte und Gemeinden Mehr als 900 Jahre Neuhausen – Eine Dorfgemeinschaft im Wandel der Zeiten – ,Judenbühl“ stammt aus der Hallstattzeit/ lrene Link Das Wappen von Neuhausen Kommingen auf dem Randen – Bis zum Jahre 1938 gehörte der heutige Blumberger Ortsteil zum Amtsbezirk Engen / Hans Müller Das Wappen von Kommingen / Prof. Klaus Schnibbe Ein Ort zwischen Schwarzwald und Baar – Weilersbach ist einer der ältesten Stadtteile des Oberzentrums Villingen-Schwenningen / Ingeborg Kottmann Das Wappen von Weilersbach /Prof.Klaus Sdmibbe 4. Kapitel/ Behörden, Organisationen und Institutionen Arbeitsamt feiert lOOjähriges Bestehen – Von der preußischen Arbeitsnachweis-Anstalt zum Arbeitsamt Villingen-Schwenningen/ Wiebke Dirks ,,Ich möchte etwas bewegen und gestalten“ – Horst Billing, Direktor des Arbeitsamtes, wechselt in den Ruhestand I Wiebke Dirks Polizeidirektion in neuem Zentralgebäude – Zum 25jährigen Bestehen konnte in funktionelle und moderne Räume umgezogen werden / Robert Wölker Soziales Leid und wirtschaftliche Not abwehren – Prof. Dr. Dr. Mid1ael Ungethüm als Präsident der Industrie- und Handelskammer ausgeschieden / Dr. Joad1im Sturm 348 2 3 5 6 10 16 19 20 25 28 30 41 47 53 54 57 59 61 65 68 70 74

5. Kapitel / Bildungseinrichtungen FHF startet erste unbemannte Weltumseglung – Bundesweites Medienecho für eine bislang einzigartige Aktion – Leitstelle ist in Furtwangen/ Prof. Rolf M. Katzsch Berufsakademie mit neuem Gebäude – Architektonisch gelungenes Bauwerk – Sozialwirtschaft als dritten Studiengang eingeführt/ Sabine Fritz 6. Kapitel / Industrie, Handwerk und Gewerbe Vom genialen Tüftler zum Firmenchef -Johannes Rietschel und die Computerfirma ProNet – Nicht die Technik allein entscheidet/ Joachim Siegel Reinraum-Technik für höchste Ansprüche – HMR hat in Aasen bislang 40 Arbeitsplätze geschaffen/ Elisabeth H. Winkelmann-Klingspom/Wilfried Dold Um die „halbe Welt“ für eine Schwarzwalduhr- ,,Haus der 1000 Uhren“ in Gremmelsbach selbst in Amerika bekannt/ Karl Volk Ständiger Wandel garantiert Erfolg am Markt – Die Firma Johann NepomukJerger liefert ihre Metallwaren an Kunden in der ganzen Welt/ Albert Bantle Dagmar Holzer „Konditorin des Jahres 1997″ – Phantasievolle und raffiniert schmeckende Konditoren-Kunstwerke geschaffen/ Peter Schaz 7. Kapitel / Persönlichkeiten V iele Verdienste um das Kreiskrankenhaus – Chefarzt und Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Dieter Klemm im Ruhestand/ Dr. med. Michael Eber! Friso Melzer und seine große Liebe zur Sprache – Nachruf auf den Theologen, Philosophen, Sprachforscher und Indienkenner / Brigitte Schmalenberg Begabter Jurist mit künstlerischen Neigungen – Zum Tode von Klaus Burk I Dr. Rainer Gutknecht Ein verdienter Tuninger Kommunalpolitiker – Zum Tode von Kuno Gaß / Dr. Helmut Rothermel Mitgestalter von Dörfern und Städten – Der Furtwanger Architekt Leopold Messmer setzte zahlreiche städtebauliche Akzente/ Robert Scherer Um die Heimat Neukirch verdient gemacht – Ortsvorsteher und Stadtrat Florian Rombach mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet/ Robert Scherer „Schönheit durch richtiges Atmen“ – Heike Höfler ist eine bekannte Autorin zahlreicher Fachbücher/ Dagmar Schneider-Damm Von den Verhältnissen der Heimat geformt – Prof. Dr. Johannes Benzing: ein Sprachwissenschaftler als Meister der Zusammenschau/ Michael]. H. Zimmermann „Damit sie nicht einfach vergessen werden … “ – Karl Benzing hat die Geschichte von 1221 Kriegstoten aus Schwenningen zusammengetragen/ Sabine Streck Mit vorbildlichem Einsatz und Engagement – Der Triberger Franz Göttler ein großer Förderer der Vereine – Träger des Bundesverdienstkreuzes/ Renate Bökenkamp Heimatchronist und Mundartdichter – August Vetter: Ein Leben lang eng verbunden mit Fürstenberg/ Antonia Reichmann 8. Kapitel / Archäologie Neue Erkenntnisse zur Entenburg – Geophysikalische Untersuchungen ergeben Hinweise auf einen Schutzwall/ Harald von der Osten-Waldenburg Armbrustbolzen erzählen Villinger Geschichte – Die Armbrustschützengilde im Spiegel archäologischer Funde/ Dr. Bertram Jenisch 76 83 85 88 92 96 99 101 103 105 106 108 113 115 116 120 122 124 129 135 349

9. Kapitel / Geschichte Vom steinigen Weg zur Freiheit und Gleichheit -Die Revolution von 1948/49 im Gebiet des Sd1warzwald-Baar-Kreises / Wilfried Dold /Dr. Helmut Rothermel „Drum frisch und froh ans Werk!“ -Die Zivilkommi sare der badischen Revolutionsregierung von 1849 aus Villingen und der Baar / Eveline Darge! Ein junger Hüfinger vor dem Standgerid1t- FranzJosefNeukum: 10 Jahre Haft für eine unbedachte Äußerung zu preußisd1en Soldaten/ Peter Galli 1000 Jahre Villinger Marktred1t -Die Verleihungsurkunde von 999 ist einzigartig – Marktred1t mad1t Aufbau der Stadt erst möglid1 /Dr.Joachim Sturm Von eichenen Schwellen, Kies und Bauhütten – Ein „nebensächlicher Aspekt“ beim Bau der Sd1warzwaldbahn / Karl Volk Ein Rathaus im Spiegel seiner Gesd1id1te – Mit dem Bild des Rathauses wandelte sid1 in St. Georgen aud1 das der Innenstadt/ Jochen Schultheiß Die Deutsche Mark und die Fahrradsd1lange – SO Jahre Währungsreform – Mit der „Kopfquote“ wurde im Landkreis sparsamst umgegangen/ Wilfried Dold 10. Kapitel / Museen im Schwarzwald-Baar-Kreis Die „Graue Passion“ von Hans Holbein – Ein Besuch in den Fürstenberg-Sammlungen in Donaueschingen/ Antonia Reichmann Auch ein Denkmal ist vergänglid1 -Der Villinger Restaurator Hans-Joarnim Hall ist in der Fachwelt allseits anerkannt/ Antonia Reirnmann Das „ Germania“-Modell von Jacob Philipps – Großspurig klein: eine Rarität im Blumberger Eisenbahnmuseum/ Dietrirn Reimer 11. Kapitel / Uhren und Uhrengeschichte Vom Uhrmacher zum Spieluhrmacher – Zur Geschirnte der Spieluhrenmarnerei in Gütenbarn im Srnwarzwald I Oswald Srnerzinger 12. Kapitel / Sagen der Heimat Vom Riesen Romeias / Max Rieple Die Kette an der Hüfinger Friedhofskapelle / Max Rieple Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild 13. Kapitel / Kirchen, Kapellen und Glocken Der Kirchturmbau von Daurningen -Die Kosten des 42 Meter hohen Bauwerke hat die Gemeindekasse getragen / Raimund Adamzcyk Paulus-Kapelle ein St. Georgener Kleinod -Die künstlerische Ausgestaltung mit Mosaiken und Wandgemälden stammt von Nevzat Sahin / Renate Bökenkamp 14. Kapitel/ Brauchtum Zur Gesd1ichte der Sommersonnenwende -Der Bund Badisd1er Landjugend pflegt alljährlid1 einen jahrhundertealten Braurn / Bruno Weber 15. Kapitel / Musik Bernd Boje – Kirchenmusiker aus Leidenschaft -Der Villinger Bezirkskantor führte aurn das „War Requiem“ auf I Joarnim Siegel 350 138 156 159 166 173 179 183 187 194 197 199 203 206 208 209 212 214 217

„Egon & Co“= Alemannen-Rock im Dialekt – Vom Proberaum in Klengen vor die Fernsehkameras des Süddeutschen Rundfunks/ Clemens Benzing 16. Kapitel / Kunst und Künstler Erinnerungen an das alte Danzig- Zum Tode von Hans-Georg Müller-Hanssen / Dr. Joachim Sturm Im Schatten des großen Bruders – Zum 85. Geburtstag des Kunstmalers Karl Müller/ Michael J. H. Zimmermann Vom Leid als Ursprung der Kunst – Erinnerung an den Holzschneider Hermann Simon / Pro( Dr. Phil. Friedemann Maurer Literatur und Musik als Q!Jellen für Kunst – Petra Kösters arbeitet in der Tradition der „visuellen Poesie“/ Stefan Simon Mosaiken so farbig wie das Leben – Der Keramik-Künstler Nevzat Sahin lebt und arbeitet in St. Georgen/ Renate Bökenkamp Wolfgang Kleisers Skulptur „Die Zwei“ / Dr. Helmut Rothermel 17. Kapitel / Gesundheit und Soziales „Viele Menschen haben dieses Haus gebaut“ – Nachsorgeklinik Tannheim feierlich eröffnet/ Wilfried Dold / Dagmar Schneider-Damm Behinderte ins Arbeitsleben vermittelt – Donaueschinger Verein zur Förderung der Integration Behinderter feiert lOjähriges Bestehen/ Klaus Koch „Frauenpower“ zum Internationalen Frauentag – 32 Organisationen und Initiativgruppen informierten / Sigrid Bechtle/ Dagmar Heinrici / Petra Kürten 18. Kapitel/ Umwelt und Natur Der Kiebitz – noch brütet er bei uns -Sturzflüge und Verfolgungsjagden bei der Partnersuche -Auf intakte Feuchtgebiete angewiesen / Dr. Helmut Gehring Eine Buchen-Insel auf der Baar – Waldgeschichte und waldbaulicher Wertewandel am Beispiel des Niedereschacher Allmendwaldes / WolfHockenjos Unauffälliges Leben der Wiesen und Brachen – Ein Beitrag zu Vorkommen und Verbreitung bemerkenswerter Heuschreckenarten im Kreisgebiet/ Felix Zinke Eine Million Kilowattstunden Strom im Jahr – Beim Bernreutehof hat sich Hubert Heini den Traum vom eigenen Wasserkraftwerk erfüllt/ Klaus Koch Holzhackschnitzel trocknen Klärschlamm – Im Mai 1998 ging die Bräunlinger „Biowärme“ ans Netz – Richtungsweisendes Projekt/ Stefan Limberger-Andris 19. Kapitel/ Garten- und Landschaftspflege Stauden statt „Cotoneasterwüste“ – Grünflächenamt der Stadt Villingen-Schwenningen – Vorreiter bei Stauden im öffentlichen Grün / Wiebke Dirks Blütenparadies in 920 Meter Höhe – Der Bauerngarten am Spittelhof in Oberkirnach ist liebevoll gepflegt/ Christa Strobel 20. Kapitel / Architektur, Bauen und Wohnen Ökologische Modellgemeinde des Landes -In Dauchingen wird die Stadtplanung an ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet/ Anton Bruder 219 221 225 230 235 239 242 243 254 257 259 266 277 284 288 293 297 299 351

21. Kapitel / Freizeit und Erholung Unterkirnach ein beliebtes Naherholungsziel – Stadtmühle, Kräutergarten, Wildpflanzenpark, Kinderland: das Feriendorf bietet Vielfalt/ Renate Puchinger 22. Kapitel / Stätten der Gastlichkeit Beliebtes Ausflugsziel mit bester Küche – In der Vöhrenbacher „Friedrichshöhe“ war auch schon Kaiser Wilhelm II. zu Gast/ Renate Puchinger Mit Leib und Seele Wirt der „Krone“ – Matthias Haas und die Geschichte eines Wirtshauses, die bis ins 14.Jahrhundert zurückreicht/ Brigitte Schmalenberg Den „Hörnlishof “ mustergültig saniert – Das Gasthaus gilt als Keimzelle von Königsfeld – Auch ein Biergarten wird geboten/ Brigitte Schmalenberg 23. Kapitel / Sport Schwarzwald-Marathon große Herausforderung – Die Geburts tunde des einst größten Marathonlaufs der Welt sd1lug 1968 / Hans Klee Marco Meßmer – Schützentalent aus Aasen – Bereits dreimal in Folge für die Deutschen Meisterschaften qualifiziert/ Elisabeth H. Winkelmann-Klingsporn Mit Boogie-Woogie auf Erfolg kurs – Das große Ziel von Doreen Weisser und Daniel Käbisch ist die Weltmeistersdrn.fts-Teilnahme / Albert Bande 24. Kapitel / Literatur und Film „Viehjud Levi“ – Kino im Schwarzwald – Didi Danquart verfilmt Theaterstück des St. Georgener Autors Thomas Strittmatter / Julia Littmann 25. Kapitel / Lyrik der Heimat Ein Lokalberid1terstatter plaudert/ Karl Volk Gedichte Lebensstil / Bernhard Brommer D’r Bold / August Ganter Trennung/ Christiana Steger Fazit/ Christiana Steger Das Schwarze Meer/ Dietrid1 Schnerring De Villinger Märtplatz / Elisabeth Neugart In d’r Schuel / August Ganter Die welke Rose / Josef Albicker Verschiedenes Personen und Fakten Orden, Medaillen Arbeitslosigkeit in Prozentzal1len Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Ausländische Mitbürger in Zahlen Bildnachweis Die Autoren unserer Beiträge 352 305 311 314 317 321 324 326 328 339 100 107 134 134 165 172 202 206 343 344 344 345 345 342 346