Almanach 2003

Almanach 2003 H e i m a t j a h r b u c h d e s S c h w a r z w a l d – B a a r – K r e i s e s 2 7 . F o l g e

Herausgeber: Landratsam t Schwarzwald-Baar-Kreis www.schwarzwald-baar-kreis.de E-Mail: landratsamt@schwarzwald-baar-kreis.de Redaktion: Karl Heim , Landrat Dr. Joachim Sturm , Kreisarchivar Wilfried Dold, Redakteur Karl Volk, Realschuloberlehrer Hans-Werner Fischer, Dipl.-Bibliothekar Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen A utoren verantwortlich. Nachdrucke u n d Vervielfäl­ tigungen jeder Art werden n u r m it Einwilligung der Redaktion u n d unter A ngabe der Fundstelle gestattet. Verlag und Gestaltung: doldverlag, Vöhrenbach www.doldverlag.de Druck und Vertrieb: Todt-Druck G m bH Villingen-Schwenningen ISBN: 3-927677-32-9

Ehrenliste der Freunde und Förderer des Almanach 2003 W illi Aker Transport G m b H & Co. KG, Schonach EnergieDienst G m bH , Rheinfelden ANUBA-Beschläge X. H eine & Sohn G m bH , V öhrenbach Energieversorgung Südbaar G m bH , Blumberg A uer + W eber Freie Architekten, 70188 Stuttgart Emil Frei G m bH & Co. – Lackfabrik, Bräunlingen-Döggingen Dr. H an n o Augstein, Hüfingen Dipl.-Ing. Marcus Greiner, D onaueschingen Bad D ürrheim er M ineralbrunnen G m b H & Co., H eilbrunnen, Bad D ürrheim H A K O S Präzisionswerkzeuge Hakenjos G m bH , Villingen-Schwenningen Baden-W ürttembergische Bank AG, Filiale Donaueschingen Dipl.-Ing. Karl Heine, Villingen-Schwenningen B IE D E R M A N N M O T E C H G m bH , Villingen-Schwenningen B auuntem ehm ung H erm ann G m bH , Furtwangen BU R G ER Industriewerk G m b H & Co. KG, Präzisionstechnik, Schonach Hinzsch Schaumstofftechnik G m b H & Co. KG, M önchweiler Ewald Eble – U hrenpark Triberg H einz u n d Gerhard Jordan O H G , Villingen-Schwenningen EG T Energie G m bH , Triberg Kendrion Binder M agnete G m bH , Villingen-Schwenningen EG T Gebäude- u. Inform ationstechnik G m bH , Triberg M A IC O Elektroapparate-Fabrik G m bH , Villingen-Schwenningen Eisenm ann Druckguss G m bH , Edgar u. Sibylle Friedrich, Villingen-Schwenningen Dipl.-Ing. Viktor M andolla, Vermessungsbüro, Villingen-Schwenningen ELVEDI G m bH , Lagertechnik, Blumberg Spedition Julius Mayer, Bräunlingen 3

M O D U S Gesellschaft für berufliche Bildung G m b H & Co. KG, Vöhrenbach Sparkasse D onaueschingen Sparkasse Villingen-Schweningen m it 43 Geschäftsstellen M O H R + F R IE D R IC H G m bH , M utternfabrik, Vöhrenbach Ingenieurbüro Reiner Oberle, Villingen-Schwenningen G ünter H. Papst, St. Georgen PAPST-M OTOREN G m b H & Co. KG, St. Georgen Reiner Präzision G m bH , Drehteile und Baugruppen, Donaueschingen Ernst Reinhardt G m bH , Villingen-Schwenningen RICO STA Schuhfabriken G m bH , Donaueschingen A nne Rieple-Offensperger, Bad D ürrheim Dipl.-Ing. Eckart Rothweiler, D onaueschingen S C H M ID T Feintechnik G m bH , St. Georgen A nton Schneider Söhne G m b H + Co. KG, Schonach G ünther Stegmann, D onaueschingen STEIN A utom ation G m bH , Villingen-Schwenningen STRAUB-VERPACKUNGEN G m bH , Bräunlingen Rainer Trippel, Karlsbad TRW D eutschland G m bH , Werk Blumberg Volksbank Triberg eG W eißer + G rießhaber G m bH Mönchweiler F.K. W iebelt G m b H & Co.KG, Villingen-Schwenningen W IG Industrieinstandhaltung G m bH , Villingen-Schwenningen Johann W interm antel Verwaltungs-GmbH & Co. KG, Kies- u. Transportbetonwerke, D onaueschingen S. Siedle & Söhne Stiftung & Co., Furtwangen 6 weitere Freunde und Förderer des A lm anach w ün­ schen nicht nam entlich genannt zu werden. 4

Heimat und Kultur D e m Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 2003 zum G eleit Laut Brockhaus ist Kultur die Gesamtheit der typi­ schen Lebensformen grö­ ßerer Gruppen einschließ­ lich der sie tragenden Geis­ tesverfassung. Kultur gilt im weiteren Sinne als Inbe­ griff für die im Unterschied zur Natur und durch deren Bearbeitung selbst geschaf­ fene Welt des Menschen. Im engeren, landläufigen Sinne versteht man darun­ ter vor allem das musische, künstlerische Handeln des Menschen; Dichtkunst, The­ ater, Musik, bildende Kunst. Bei diesem engen Begriff denkt man dann in der Re­ gel an die „Kulturmetropo­ len“, die großen Zentren. Dabei wird übersehen, dass Kunst und Kultur nicht nur in den Metro­ polen, sondern auch „auf dem Land“ zu Hause sind. Nicht immer so offensichtlich und spektakulär wie in den Zentren mit großen Opernhäusern und Konzertsälen, aber häufig nicht minder vielseitig und an­ spruchsvoll. Dies ist selbst den Menschen im ländlichen Raum häufig nicht bewusst, weil das kulturelle Angebot nicht wie in einer Großstadt auf einem engem Bereich kon­ zentriert ist. Betrachtet man aber das kulturelle Ange­ bot in einem größeren Raum, wie z. B. dem Schwarzwald-Baar-Kreis, ist man erstaunt, wie vielfältig das kulturelle Leben gerade auch in unserer engeren Heimat ist. Dabei wird dieses kulturelle Engagement ganz überwiegend von den Menschen in diesem Raum auf ehrenamtlicher Basis getragen. Der Almanach 2003 zeigt dies an vielen Bei­ Aufführung des Theaterstücks „Kath­ rin“ in Mundeifingen (siehe Kapitel Theater): Die Kultur im Schwarz- wald-Baar-Kreis wird vielfach auf ehrenamtlicher Basis getragen. spielen auf und macht da­ mit deutlich, dass auf kul­ turellem Gebiet Provinz keine geographische, son­ dern eine geistige Kategorie ist. Kunst und Kultur sind wesentliche Bestandteile der Lebensqualität einer Landschaft. Unser Schwarz­ wald-Baar-Kreis hat auch in dieser Hinsicht viel zu bie­ ten. Legt man den Kulturbe­ griff in weiterem Sinne zu­ grunde, könnte man den Almanach fast als Kultur­ jahrbuch bezeichnen. Ist es doch gerade sein Anliegen, die Vielfalt menschlicher Aktivitäten auf den ver­ schiedensten Gebieten, aber auch die für unsere Heimat typischen Lebensformen jedes Jahr neu auf­ zuzeigen. Ich denke, dies ist auch im Almanach 2003 gelungen. Dass dies möglich wurde, verdanken wir auch in diesem Jahr den treuen Freunden und Förderern des Almanach sowie den Au­ toren. Allen, die dazu beigetragen haben, dass wieder ein anspruchsvolles, informati­ ves und gleichwohl preiswertes Heimatjahr­ buch entstehen konnte, sage ich herzlichen Dank. Ihr Karl Heim, Landrat 5

1. Kapitel /A lm anach 2003 Aus dem Kreisgeschehen Schwächere Wirtschaft – weniger Einnahmen Im Krankenhauswesen zeichnen sich grundsätzliche Veränderungen ab Die Kreispolitik war auch 2002 eingebun­ den in die gesamtgesellschaftliche und ge­ samtwirtschaftliche Entwicklung. Leider hat sich die wirtschaftliche Situation nicht so entwickelt wie 2001 erwartet bzw. erhofft. Im Juli 2001 betrug die Arbeitslosenquote im Schwarzwald-Baar-Kreis noch 4,1 % und lag damit deutlich unter dem Landesdurch­ schnitt. Bis Juli 2002 war sie auf 5,4 °/o ange­ stiegen und entspricht nun dem Landes­ durchschnitt. Besonders bedenklich ist die Entwicklung auf dem Ausbildungssektor. Die Ausbil­ dungsstellen gingen deutlich zurück. Nicht jeder Jugendliche wird eine Ausbildungsstel­ le in seinem Traumberuf finden. Insgesamt sollte es aber möglich sein, dass jeder Aus­ bildungswillige auch einen Ausbildungs­ platz in einem Betrieb oder einer weiterfüh­ renden Schule erhält. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wirkt sich auch in mehrfacher Weise auf die Kreisfinanzen und damit auf die Kreispoli­ tik aus. Konnten wir in den letzten beiden Jahren aufgrund der guten Situation auf dem Arbeitsmarkt einen Rückgang der Sozi­ alhilfeaufwendungen verzeichnen, so ist die­ ser Trend nun gestoppt und es zeichnen sich wieder steigende Sozialhilfekosten ab. Eine schwächere Wirtschaft hat geringe Steuereinnahmen zur Folge. In den Städten und Gemeinden des Schwarzwald-Baar- Kreises ist die Steuerkraft im Vergleich zum Landesdurchschnitt sogar überdurchschnitt­ lich zurückgegangen. Die von den Städten und Gemeinden an den Landkreis zu bezah­ lende Umlage (Kreisumlage), mit denen der Kreis zu einem wesentlichen Teil seine Auf­ gaben finanziert, basiert aber auf deren Steuerkraft. Die geringere Kreisumlage bei gleichzeitig steigenden Sozialkosten wird vor allem im Haushaltsjahr 2003 zu einer deutlichen Verschlechterung der Kreisfinan­ zen führen. Viele Investitionen, insbesonde­ re bei den Kreisstraßen und im Schulbereich werden voraussichtlich nicht wie geplant realisiert werden können. „Innere Verwaltungsreform“ Unsere sich rasch verändernde Welt zwin­ gen auch den Landkreis und die Kreisver­ waltung ihre Strukturen den veränderten Anforderungen anzupassen. Seit längerem findet in der Kreisverwal­ tung eine „innere Verwaltungsreform“ statt. Schritt für Schritt werden neue, moderne Verwaltungsformen eingeführt. Um die echten Kosten der Leistungen, die die Kreisverwaltung für die Kreiseinwohner erbringt, transparent zu machen, wird eine Kosten- und Leistungsrechnung aufgebaut, die zu einem deutlich höheren Kostenbe­ wusstsein bei den einzelnen Fachämtern ge­ führt hat. Damit einher geht eine stärkere Fi­ nanzverantwortung der einzelnen Fachäm­ ter (Budgetierung) bei gleichzeitigem Con­ trolling der zu erreichenden Ziele. Im Zuge dieses Verwaltungsmodernisie­ rungsprozesses wurde ein Leitbild mit fol­ genden Kernsätzen erarbeitet: Das Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis Kompetent im Dienst für Mensch und Zu­ kunft: Wir sehen die Bürger im Mittelpunkt unseres Handelns Wir stehen für eine hohe Qualität unserer Arbeit

Wir erfüllen unsere Aufgaben wirtschaftlich Wir gestalten die Zukunft aktiv mit Wir erreichen unsere Ziele mit motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Auf der Grundlage dieses Leitbildes wur­ den bereits eine Vielzahl ganz konkreter Maßnahmen entwickelt, um diese Ziele zu erreichen. A us dem Kreisgeschehen drei Gebietsgemeinschaften des südlichen, mittleren und nördlichen Schwarzwaldes zur Schwarzwald Tourismus GmbH zusam­ men. Damit soll der Schwarzwald insgesamt besser vermarktet werden, z.B. durch ge­ meinsame Messeauftritte, Werbebroschüren, Internetpräsentation usw. Als erste Maßnah­ me wurde im Mai 2002 eine „Schwarzwald- Card“ eingeführt, mit der eine Vielzahl von touristischen Einrichtungen im gesamten Schwarzwald kostenlos besucht werden kön­ nen. Schwarzwald Tourismus GmbH Neuordnung der Strukturen Der rasche Veränderungsprozess im wirt­ schaftlichen und gesellschaftlichen Bereich führt aber vor allem dazu, dass der Land­ kreis generell die Formen seiner Aufgaben­ erfüllung überprüfen und ggf. seine Struktu­ ren ändern muss. Ein Beispiel dafür ist der Tourismus, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Schwarz- wald-Baar- Kreis. Seit vielen Jahren engagiert sich der Schwarzwald-Baar-Kreis auf diesem Gebiet. Gemeinsam mit dem Kreis Rottweil und dem Ortenaukreis bildet er die Gebiets­ gemeinschaft Mittlerer Schwarzwald. Vor drei Jahren organisierte sich die Gebietsge­ meinschaft Mittlerer Schwarzwald als GmbH mit den drei Landkreisen als Hauptgesellschaf­ ter und 14 weiteren privaten Gesellschaf­ tern. Zum 1. Januar 2002 schlossen sich nun die Die neu eingeführte Schwarzwald- Card ermöglicht den kostenlosen Besuch einer Vielzahl von touristi­ schen Einrichtungen. Die wichtigste Veränderung zeichnet sich aber im Krankenhauswesen ab. Bereits 1999 wurde das bislang in der Re­ gie der Kreisverwaltung geführte Kranken­ haus Donaueschingen in eine GmbH umge­ wandelt. Ein Jahr später kam die Stadt Furt- wangen mit ihrem städtischen Krankenhaus als weiterer Gesellschafter hinzu. Und nun steht eine weitere Neuordnung der Kran­ kenhausstrukturen im Schwarzwald-Baar- Kreis an. Ausgangspunkt der aktuellen Diskussion ist die atypische Krankenhausstruktur im Schwarzwald-Baar-Kreis, sowie die gravie­ rende Veränderung in der Krankenhausfi­ nanzierung. Die stationäre Krankenversorgung im Schwarzwald-Baar-Kreis wird sichergestellt durch das Klinikum der Stadt Villingen- Schwenningen mit rund 1000 Kranken­ hausbetten an den Krankenhausstandorten Schwenningen, Villingen (zwei Standorte) und St. Georgen, sowie dem Kreisklinikum Schwarzwald-Baar mit dem Kreiskranken­ haus Donaueschingen (260 Betten) und dem Krankenhaus Furtwangen (65 Betten). Die Patienten des städtischen Klinikums kommen zu rund 30 % aus dem Oberzent­ rum, 30% aus dem restlichen Rreisgebiet, im übrigen aus der Region und darüber hi­ naus. Das Krankenhaus Donaueschingen wird insbesondere von den Einwohnern des südlichen Kreisgebietes, das Krankenhaus 7

Aus dem K reisgeschehen Furtwangen von den Einwohnern des Be­ reichs Furtwangen in Anspruch genommen. Dies hat zur Folge, dass Investitionen für das städtische Klinikum – soweit sie nicht vom Klinikum selbst erwirtschaftet oder durch staatliche Zuschüsse gedeckt werden – von der Stadt Villingen-Schwenningen fi­ nanziert werden müssen, obwohl nur ein Teil der Patienten aus Villingen-Schwennin­ gen kommt. Investitionen für das Kreisklini- kum muss der Landkreis aufbringen. Der Landkreis finanziert seine Aufgaben aber zu einem großen Teil durch eine von den Kreis­ gemeinden aufzubringende Umlage, an der die Stadt Villingen-Schwenningen entspre­ chend ihrer Steuerkraft maßgeblich beteiligt ist. Öffentlicher oder privater Träger ? Nachdem sowohl im Kreiskrankenhaus Donaueschingen als auch in den städtischen Kliniken von Villingen-Schwenningen in den nächsten Jahren hohe Investitionen an­ stehen, stellt sich die Frage, wie diese un­ glückliche Situation geändert werden kann. Die Lösung könnte eine gemeinsame GmbH des Kreisklinikums und des städti­ schen Klinikums Villingen-Schwenningen sein. Dies hätte darüber hinaus den Vorteil, dass die medizinischen Leistungen in den einzelnen Klinikstandorten besser aufeinan­ der abgestimmt werden könnten. Das Entgelt für die Leistungen der Kran­ kenhäuser wird in den nächsten Jahren geän­ dert werden von einer Vergütung pro Kran­ kenhaustag in Pauschalentgelte für einzelne Leistungen. Krankenhäuser, die keine opti­ malen wirtschaftlichen Strukturen haben, werden dann in große Schwierigkeiten gera­ ten. Eine Hochrechnung alleine der notwendi­ gen Investitionen in den Krankenhäusern des städtischen Klinikums Villingen-Schwen­ ningen ergab einen Investitionsbedarf von weit über 50 Mio. Euro. Statt nun in die vier nicht optimalen Krankenhausgebäude zu in­ vestieren, soll zwischen Villingen und Schwen­ ningen ein neues Zentralklinikum für rund 150 bis 175 Mio. Euro gebaut werden. Der Wunsch, das neue Zentralklinikum möglichst rasch kostengünstig zu bauen, führte in Villingen-Schwenningen zu der Überlegung, das Krankenhauswesen auf ei­ nen privaten Krankenhausbetreiber zu über­ tragen, mit der Verpflichtung, auf seine Kos- Landkreis hilft der sächsischen Stadt Pirna – Bautrockner und andere technische Geräte ins Hochwassergebiet transportiert Die guten und seit Jahren bestehenden partnerschaftlichen Beziehungen zwischen der Kreisverkehrswacht „Sächsische Schweiz“ in Pirna und der hiesigen Kreisverkehrs­ wacht in Villingen-Schwenningen führten im August 2002 zu einer gemeinsamen Hilfsaktion der Kreisverkehrswacht und des Schwarzwald-Baar-Kreises. Die Vorsitzende der Kreisverkehrswacht in Pirna, Regina Walther, rief in den Tagen des Elbhochwassers den Geschäftsführer der Kreisverkehrswacht Villingen-Schwen­ ningen, Gerhard Altmann, an und bat um einen Aufruf in der Presse. Bautrockner und andere technische Geräte wie z. B. Not­ stromaggregate und Hochdruckreiniger waren in Sachsen Mangelware und wurden zu den Aufräumarbeiten dringend benö­ tigt. Gerhard Altmann trat daraufhin an den Landkreis mit der Bitte heran, ihn bei die­ ser Aktion zu unterstützen. Gerne war der Landkreis bereit, dafür Sorge zu tragen, dass die Geräte an ihren Bestimmungsort ka­ men. Die Unterstützung in der Bevölkerung war vorbildlich und solche Ereignisse zei­ gen eindrücklich, was „gelebte Solidarität“ bedeutet. Sven Hinterseh 8

A us d em Kreisgeschehen Das Klinikum in VS-Villingen, künftig in öffentlicher oder privater Trägerschaft ? ten das neue Zentralklinikum zu bauen und zu betreiben. Dies hätte allerdings zur Folge, dass die öf­ fentliche Hand (Kreis und Stadt Villingen- Schwenningen) die wichtige öffentliche Auf­ gabe der stationären Krankenversorgung aus der Hand geben würde. In den folgenden Wochen und Monaten sollen nun die Vor- und Nachteile einer „öffentlichen“ und ei­ ner „privaten“ Trägerschaft sorgfältig geprüft werden. Eine Vielzahl schwieriger Detailfra­ gen sind hierbei zu klären. Die Neuordnung des Krankenhauswesens im Landkreis wird deshalb sicherlich auch 2003 ein Schwer­ punkt der Kreispolitik sein. Sondersituation Furtwangen Eine Sondersituation ergibt sich für das Krankenhaus in Furtwangen. Mit der Auf­ nahme des Krankenhauses Furtwangen in das Kreisklinikum Schwarzwald-Baar sollte eine stationäre Rrankenversorgung im obe­ ren Bregtal bei wirtschaftlicher Betriebsfüh­ rung weiterhin ermöglicht werden. Die Grundversorgung wurde ausgebaut und ein medizinisch und pflegerisch gutes Angebot aufgebaut. Leider zeigte sich aber, dass trotz vieler kos­ tenreduzierender Maßnahmen diese Leis­ tung nur mit einem hohen jährlichen Defi­ zit erbracht werden kann. Diese Situation wird sich mit der Änderung der Kranken­ hausfinanzierung durch die Einführung von Fallpauschalen noch erheblich verschärfen. Gerade kleine Krankenhäuser mit ihren re­ lativ hohen Fixkosten sind dann kaum noch wirtschaftlich zu führen. Deshalb wird das medizinisch Wünschenswerte an das finan­ ziell Machbare angepasst werden müssen. Dagegen wehrt sich verständlicherweise die Bevölkerung in Furtwangen, die das vom Kreisklinikum aufgebaute gute Leistungsan­ gebot aufrecht erhalten sehen möchte. Ein zusätzliches Problem ergibt sich im Krankenhaus Furtwangen dadurch, dass es immer schwerer fällt, für dieses Haus auf dem ohnehin sehr engen Stellenmarkt ärzt­ liches Personal zu finden. Aktuell werden verschiedene Möglichkei­ ten diskutiert, ein medizinisch und wirt­ schaftlich vernünftiges Leistungsangebot in 9

Aus dem K reisgeschehen Furtwangen zu erhalten. Es wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen müssen, welche davon realisierbar sind. Daueraufgabe Berufliches Schulwesen Eine Daueraufgabe der Kreispolitik ist auch die Weiterentwicklung des beruflichen Schulwesens. Im Juli 2001 konnte auf der größten Bau­ stelle des Landkreises, dem Erweiterungsbau für das Internat unserer Landesberufsschule für das Hotel- und Gaststättengewerbe, Richtfest gefeiert werden. Wenn die Bauar­ beiten planmäßig verlaufen, wird der Erwei­ terungsbau im April 2003 bezugsfertig sein. Dann steht die Sanierung der bestehenden Gebäude an. Der Landkreis schafft damit nicht nur zeitgemäße moderne Wohnmög- lichkeiten für die Schülerinnen und Schüler unserer Hotelfachschule, sondern leistet in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit auch ei­ nen wichtigen Beitrag zur Unterstützung des heimischen Handwerks. Weitere wichtige Baumaßnahmen im Schulbereich stehen an. Beim Neubau der Robert-Gerwig-Schule in Furtwangen wurde aus Kostengründen auf den Bau der geplanten Turnhalle ver­ zichtet. Die Schülerinnen und Schüler müs­ sen die städtischen Sportstätten mitbenut­ zen. Hier gibt es aber zunehmend Kapazi­ tätsengpässe. Darüber hinaus hat sich ein dringender Bedarf an weiteren Schulräumen ergeben. Die Robert-Gerwig-Schule ging aus der vor rund 180 Jahren vom badischen Großherzog gründeten Uhrmacherschule hervor. Diese historischen Wurzeln führten dazu, dass die Schule heute zu 60% vom Land Baden- Württemberg und zu 40% vom Schwarz- wald-Baar-Kreis getragen wird. Land und Landkreis sind sich nun einig, ei­ ne zweiteilige Turnhalle und weitere Klas­ senräume an der Robert-Gerwig-Schule zu bauen. Eine entsprechende Planung wurde bereits in Auftrag geben. den Schulsport erforderlich. Sie steht aber auch den Vereinen der Stadt Furtwangen und einer weiteren sehr bedeutsamen Ein­ richtung in unmittelbarer Nähe zur Robert- Gerwig-Schule zur Verfügung, dem Skiin­ ternat. In dieser Eliteschule des Sports hat die Karriere so berühmter Skiflieger wie Martin Schmitt und Sven Hannawald be­ gonnen. Feintechnikschule braucht neue Räume Ein ähnliches Gemeinschaftsprojekt von Land und Landkreis zeichnet sich an der Feintechnikschule und dem Technischen Gymnasium in Schwenningen ab. Die Feintechnikschule ist aus der württem- bergischen Uhrmacherschule hervorgegan­ gen, die der württembergische König als Re­ aktion auf die badische Uhrmacherschule in Furtwangen gegründet hat. Der Feintechnik­ schule ist das Technische Gymnasium in Kreisträgerschaft angegliedert. Die Raumsituation an der Feintechnik­ schule und am Technischen Gymnasium ist seit längerer Zeit unzureichend. Einige Klas­ sen mussten bereits an eine andere Kreis­ schule ausgelagert werden. Der Kreistag hat deshalb beschlossen, mit dem Land Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel einer gemeinsamen baulichen Erweiterung. Erste Gespräche hierüber ver­ liefen sehr positiv. Im Almanach 2004 kön­ nen wir hoffentlich bereits über konkrete Erweiterungsplanungen berichten. Weitere Schwerpunkte der Kreispolitik wa­ ren auch im Jahr 2002 die Abfallwirtschaft, die soziale Sicherung und der öffentliche Personennahverkehr. Seit zwei Jahren beherrscht darüber hinaus ein weiteres Thema die kreispolitische Dis­ kussion: Die Belastung der Bevölkerung im Schwarzwald-Baar-Kreis durch Anflüge zum Flughafen Zürich. Darüber wird an anderer Stelle ausführlich berichtet (siehe Beitrag auf Seite 39). Die neue Turnhalle ist in erster Linie für Karl Heim 10

Neue Schwerpunkte fiir die Umweltpolitik D ie Flutkatastrophe vom August 2002 rückt den Hochwasserschutz in den Blickpunkt Aus dem Kreisgeschehen Dominierte in früheren Jahren noch die Abfallwirtschaftspolitik die Berichterstat­ tung über die Umweltpolitik im Landkreis, haben sich in den vergangenen Monaten andere Themen mehr und mehr in den Vor­ dergrund geschoben: An erster Stelle steht dabei die heftige Diskussion um Sinn- oder Unsinn – des Baus von Windkraftanlagen im Landkreis. Selten hat ein Thema die Be­ völkerung so gespalten wie dieses. Beim ge­ nauso leidenschaftlich diskutierten Thema des Ausbaus des Mobilfunknetzes stehen Aspekte des Gesundheitsschutzes im Vor­ dergrund. Einen neuen Schub erhielt die Naturschutzpolitik im Landkreis: Mit einer technisch perfekten Kartierung aller ge­ schützten Biotope im Landkreis, der groß­ flächigen Ausweisung von Naturdenkma­ len, einem neuen Landschaftsschutzgebiet bei Öfingen und der deutlichen Ausweitung des Vertragsnaturschutzes mit unseren Landwirten rückt dieses Thema – zu Recht – nach vielen Jahren eines vermeintlichen Schattendaseins wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. „Die Natur schlägt zurück“ Ganz aktuell zu Redaktionsschluss des diesjährigen Almanachs beherrscht jedoch ein Thema die öffentliche Diskussion in Land und Bund, das auch für den Schwarz- wald-Baar-Kreis von essentieller Bedeutung ist: Der Hochwasserschutz. Wenn wir die Bilder der Flutkatastrophe vom August 2002 an Moldau, Mulde oder Elbe sehen und hö­ ren, dass tausende von Menschen aus Dör­ fern und Städten evakuiert werden müssen und die Sachschäden bislang unvorstellbare Dimensionen erreichen, erinnern wir uns nur all zu schnell an „unsere“ Hochwasser­ katastrophe im Frühjahr 1990. Die Bilder Die Breg in Wolterdingen, Hochwasserschutz hat auch im Landkreis hohe Mriorität. 11

A us d em K reisgeschehen aus Dresden oder Prag sind vergleichbar mit den damaligen aus Bräunlingen oder Hüfin- gen, wenn auch die Ausmaße dort um ein Vielfaches über „unseren“ Schadensbildern liegen. Eine unglaubliche Welle der Hilfsbe­ reitschaft unserer Bevölkerung belegt aber – wie 1990 – die Solidarität der Menschen in unserem Land. Aber es melden sich auch kritische Stimmen zu Wort: „Die Natur schlägt zurück“ – so hört man vielerorts. Die durch den Menschen verursachte Erderwär­ mung, die immer weiter fortschreitende Be­ bauung und Versiegelung der Landschaft, die Begradigung der Flüsse werden von vie­ len als Ursachen genannt. Was wurde im Hochwasserschutz getan ? Es stellt sich die Frage: Wie sieht es im Schwarzwald-Baar-Kreis dazu aus, was wur­ de seit 1990 im Hochwasserschutz getan? Bei all diesen „neuen“ Themen im Um­ weltgeschehen des Landkreises fällt auf, dass sie in erster Linie staatliche oder gemeindli­ che Aufgabenbereiche betreffen, jedoch – abgesehen von der Abfallwirtschaft – so gut wie nicht der Verantwortung und Gestaltung des Kreistages unterfallen. Man könnte auch sagen: In seinem originären Bereich, insbe­ sondere der Abfallwirtschaft, hat der Land­ kreis seine „Hausaufgaben“ weitgehend er­ füllt und die Weichen für die Zukunft ge­ stellt. Bei anderen Umweltthemen der ge­ nannten Art sind nun der Staat oder die Ge­ meinden gefordert. Nur – das wäre zu kurz gegriffen: Auch bei seinen Entscheidungen als staatliche Behörde stehen für das Land­ ratsamt die Interessen der Kreiseinwohner, der Schutz „unserer“ Umwelt im Landkreis an erster Stelle. Den Menschen im Land­ kreis und unserer Umwelt ist es letztlich gleichgültig, ob für die jeweiligen Aufgaben der Staat, die Gemeinde oder der Landkreis zuständig ist. Wir haben nur „eine“ Um­ welt. Von daher setzt sich die Kreisverwal­ tung in allen Bereichen des Umweltschutzes mit demselben Engagement ein – auch wenn keine direkte Einflussmöglichkeit der gewählten Vertreter im Kreistag besteht. Moderne Abfallwirtschaft Doch der Reihe nach: In der Abfallwirt­ schaftspolitik, dem bedeutendsten Umwelt­ Aus der Mülldeponie Hüfingen austretende Sickerwässer müssen künftig vorbehandelt werden. 12

thema der unmittelbaren Kreispolitik, setz- te sich nach dem turbulenten Aufbau einer modernen Abfallwirtschaft in den 90er Jah­ ren auch im Berichtsjahr die Konsolidierung fort. Obwohl die noch bis zum Jahre 2005 zu deponierenden Müllmengen wieder ge­ sunken sind (2001 knapp 48 000 Jahreston­ nen, 2000 waren es knapp 50000Jahreston- nen; zum Vergleich: 1990 wurden noch über 98 000 Tonnen deponiert), blieb die Müllge­ bühr für den Restmüll im Jahre 2002 nahe­ zu konstant. Lediglich die Biomüllgebühr musste aufgrund gestiegener Verwertungs­ kosten und korrigierter Behälterzahlen um knapp 4 % nach oben gesetzt werden. Gleich­ wohl liegt damit der Schwarzwald-Baar- Kreis landesweit gesehen immer noch bei den kostengünstigsten Landkreisen. Mit der Komplexität einer modernen Ab­ fallwirtschaft, mit ihren Sortierungs- und Verwertungsgeboten, aber auch mit dem im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit überaus differenzierten Gebührensystem haben un­ sere Bürgerinnen und Bürger seit Jahren ih­ re liebe Mühe und Not. Wird ein Umzug durchgeführt, wechselt der Sohn an den Stu­ dienort oder heiratet die Tochter, kommt ein Baby zur Welt oder verstirbt ein Großel­ ternteil, hat dies sofort auch eine Änderung der Abfallgebühr zur Folge. Neben den knapp 95 000 Jahresgebührenbescheiden fielen so noch einmal rund 23 000 soge­ nannte Änderungsbescheide im letzten Jahr an. Diese Änderungen sind immer wieder Anlass für viele betroffene Bürger beim Ab­ fallwirtschaftsamt telefonisch zurückzufra­ gen. Die Folge war in den letzten Jahren off eine Überlastung unseres Bürgertelefons und darauf beruhende Proteste der Bürger. Der zuständige Ausschuss des Kreistages hat deshalb beschlossen, ab 2003 die Gebüh­ rensystematik zu ändern: Künftig werden neben dem Gefäßtarif (Gebühr für die be­ reitgestellte Mülltonne) für den Haushalts­ tarif (mülltonnenunabhängiger Grundtarif nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder) künftig sogenannte Personengruppen gebil­ det. Es wird einen Tarif für 1-Personenhaus­ A us d em Kreisgeschehen halte, einen für 2- und 3-Personenhaushalte sowie einen für Haushalte mit 4 und mehr Personen geben. Wechselt die Personenzahl nur innerhalb einer dieser Gruppen, ergeht kein Änderungsbescheid mehr. Positiver Ne­ beneffekt dieser neuen Systematik ist eine deutliche finanzielle Entlastung gerade gro­ ßer Haushalte. So wird ein 5-Personenhaus- halt künftig um über 6 % bei seiner Müllge­ bühr entlastet! Sperrmüllanmeldung via Internet Verwaltungsvereinfachung ist auch über das Internet angesagt. Ab Herbst wird hier eine Sperrmüllanmeldung mit sofortiger Terminmitteilung sowie die Behälteran- und Ummeldung möglich sein. Ab Frühjahr nächsten Jahres kann aus den Internetseiten des Abfallwirtschaftsamtes auch der indivi­ duelle Müllabfuhrkalender von jedem Bür­ ger abgerufen werden. Intern werden derzeit die Weichen für die Abfallwirtschaft ab Juni 2005 – dem Zeit­ punkt des Endes der Deponien und dem Be­ ginn der thermischen Behandlung des Mülls – gestellt. Eine weitere Vereinfachung des Gebühren­ systems wird genauso auf dem Prüfstand ste­ hen wie logistische und betriebswirtschaftli­ che Fragen etwa des Mülltransports zur Ver­ brennungsanlage in Göppingen oder der künftigen abfallwirtschaftlichen Infrastruk­ tur im Landkreis. Die Problematik des „Reaktors Deponie“ für den Umweltschutz wird exemplarisch an zwei Ereignissen im Berichtsjahr deutlich: Während die Sickerwässer des aktuell betrie­ benen Abschnitts der Deponie Hüfmgen bislang unvorbehandelt in die Verbandsklär­ anlage in Donaueschingen abgeleitet und dort gereinigt wurden, ist nunmehr der Kreis als Deponiebetreiber vom Regierangspräsi­ dium verpflichtet worden, diese Sickerwäs­ ser vor der Einleitung in die Kläranlage vor­ zubehandeln. Die maßgeblichen Abwasser­ grenzwerte sind überschritten und die Klär­ anlage kann nur beschränkt die Schadstoff­ 13

Aus dem Kreisgeschehen frachten des Sickerwassers abbauen. Im Rah­ men eines einjährigen Modellprojekts zu­ sammen mit der Universität Stuttgart soll nun mittels einer Reinigungsanlage auf der Basis von Aktivkohle eine kostengünstige Vorbehandlung erprobt werden. Einen ersten Schlusspunkt unter das Deponiezeit­ alter konnte der Landkreis jedoch auf der ehemals städtischen, zuletzt in Kreisregie betriebenen Deponie „Hirzwald“ auf der Gemarkung Triberg setzen. Nachdem das ursprüngliche Konzept, hier eine Ablager­ möglichkeit für Mineralfaserabfalle, insbe­ sondere Asbest, zu schaffen, aufgmnd kom­ munalpolitischer Widerstände gescheitert war, wurde der ehemalige Steinbruch kom­ plett mit unbelastetem Erdaushubmaterial aus der Region rekultiviert und wird ab Herbst diesen Jahres an die Natur zurückge­ geben. So wird diese frühere „Wunde“ wie­ der Teil der beeindruckenden Schwarzwald­ landschaft zwischen Brigach und Nußbach. Geschützte Biotope vorgestellt Dies leitet über zum Geschehen im Natur­ schutz im Landkreis. Wie bereits eingangs erwähnt, hat sich hier im letzten Jahr einiges bewegt: Nach jahrelangen intensiven Vorar­ beiten und in ihrem Detaillierungsgrad zu Flora und Fauna als vorbildlich anzusehen wurden im April 2002 zehn Kreisgemeinden und den betroffenen Grundstückseigentü­ mern die gesetzlich geschützten Biotope ih­ rer Gemarkung vorgestellt. Insgesamt sind im Kreis mittlerweile rund 2/3 der Fläche mit rund 3 400 Biotopen der verschiedens­ ten Arten von Mooren, Feldhecken, Feldge­ hölzen über Nasswiesen, Streuwiesen, Ma­ gerrasen und Trockenrasen bis hin zu natur­ nahen Schluchtwäldern, Waldgesellschaften und strukturreichen Waldrändern kartiert. Daneben wurden auch „grenzwertige“ Flä­ chen mit Potentialen zu einem Biotop er­ fasst. Letzteres ist gerade für unsere Land­ wirtschaft von großer Bedeutung, da diese für eine extensive Bewirtschaftung und Pfle­ ge auch dieser gesetzlich (noch) nicht ge­ 1 4 schützten Flächen Gelder aus dem Vertrags­ naturschutz oder speziellen Förderprogram­ men des Landes erhalten können. In diesem Bereich liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Naturschutzpolitik des Landkreises: Hatten wir bislang bereits 520 ha landwirt­ schaftliche Flächen im Vertragsnaturschutz, konnten wir diese Flächen im vergangenen Jahr um weitere 200 ha aufstocken und da­ mit die Leistungen der Landwirte für eine naturgerechte Bewirtschaftung honorieren. Insgesamt kommen so den Landwirten im Kreis jährlich mehr als 430000 € aus Mit­ teln des Landes, der EU und des Landkrei­ ses zugute. Erfreulich ist in diesem Zusam­ menhang auch, dass es gelungen ist, zumin­ dest Teile des Schwarzwald-Baar-Kreises, nämlich die sechs Schwarzwaldgemeinden Schonach, Schönwald, Furtwangen, Güten­ bach, Vöhrenbach und Unterkirnach, erst­ mals in die Strukturförderkulisse LEADER+ der EU aufzunehmen. Zusammen mit Ge­ meinden aus den Landkreisen Waldshut, Breisgau-Hochschwarzwald, Lörrach und Emmendingen kommt so ein Kerngebiet des „Naturparks Südschwarzwald“ mit rund 100000 Einwohnern in den Genuss von über 4 Mio. € Fördergeldern aus Kassen der EU und des Landes. Im Interesse der Weiter­ entwicklung benachteiligter und struktur­ schwacher ländlicher Gebiete geht es jetzt darum, innovative Projekte auf den Weg zu bringen und mit Ihnen beispielhaft aufzu­ zeigen, wie nicht nur unsere Landschaft er­ halten, sondern auch den hier lebenden Menschen wirtschaftliche Perspektiven ge­ boten werden können. Ausweisung von Naturdenkmalen Ein zweites Großprojekt in der Naturschutz­ politik im Landkreis ist die Ausweisung von Naturdenkmalen. Jeder kennt die alte Linde am Dorfplatz, die mächtige und vom Wind zerzauste Eiche auf dem Hügel oder die schöne Obstbaumallee entlang einer idylli­ schen Straße. Um diese für uns oft alltägli­ chen, jedoch unverzichtbaren Bestandteile

A us d em Kreisgeschehen Die Naturdenkmale im Schwarzwald-Baar-Kreis sind ein Stück Heimat und Identität. Zu ihnen gehört auch der „Balzer Herrgott“ au f Gemarkung Gütenbach. unserer Lebensqualität zu schützen, will das Landratsamt nach entsprechenden Beispie­ len in Königsfeld und Brigachtal in vorerst elf weiteren Gemeinden zusätzlich zu den vorhandenen 113 weitere 429 Naturdenk­ male ausweisen. Die restlichen sieben Ge­ meinden werden in den nächsten zwei Jah­ ren folgen. Technisch entsprechend aufbe­ reitet, nämlich digitalisiert, kann sich so vor­ ab jeder Grundstückseigentümer darüber in­ formieren, wo genau welches Naturdenkmal auf seinem Grundstück ausgewiesen werden soll. Obwohl mit einer Ausweisung natür­ lich Einschränkungen für den Eigentümer verbunden sind, ergibt sich bislang eine ganz überwiegende Zustimmung. Das be­ weist: Naturdenkmale sind ein Stück Hei­ mat, ein Stück eigener Identität. Unsere Bür­ gerinnen und Bürger wissen den Wert ihrer sie umgebenden und vertrauten Umwelt zu schützen, sie wollen sie erhalten und soweit wie möglich an die Nachwelt weitergeben. Massive Proteste gegen Windkraft Vielleicht ist auch gerade der zuletzt ge­ nannte Aspekt der Grund für die massiven Proteste aus der Bevölkerung, wenn es um den Bau von Windkraftanlagen im Kreis geht. Nachdem mit der gesetzlich verbürg­ ten 20-jährigen Förderung der Stromeinspei­ sung aus regenerativen Energien gerade hier im Schwarzwald-Baar-Kreis eine wahre „Goldgräberstimmung“ – nicht zuletzt bei unseren Landwirten im Schwarzwald – herrscht und mittlerweile im Kreis Geneh­ migungen und weitere Anträge für mehr als 60 Windkraftanlagen vorliegen, ist nahezu kein Projekt mehr in der Bevölkerung un­ umstritten. Besonderes Augenmerk haben 15

A us d em Kreisgeschehen die Investoren auf den windgünstigen Be­ reich um Furtwangen, Gütenbach und Vöh- renbach sowie Schonach gelegt, in dem sich rund 2/3 aller Projekte im Kreis konzentrie­ ren. Würden alle diese realisiert, wäre sicher­ lich die ursprüngliche Landschaft technisch überformt und nicht mehr wiederzuerken­ nen. Nachdem die rechtlichen Möglichkei­ ten der Genehmigungsbehörden in Bezug auf den Landschaftsschutz beschränkt sind – immerhin sagt das für uns zuständige Ver­ waltungsgericht in Freiburg, dass die vom Gesetzgeber privilegiert zugelassenen Wind­ kraftanlagen in einer typischen und nicht besonders schützenswerten Schwarzwald­ landschaft zulässig sind – sind hier die Ge­ meinden aufgerufen, über ihre Bauleitpla­ nung dem Wildwuchs Einhalt zu gebieten. Zwar wird dem jetzt, nachdem der Druck immer größer geworden ist, nachgekommen. Das Problem bereits gestellter Genehmi­ gungsanträge, über die das Landratsamt noch vor Inkrafttreten entsprechend geänderter Flächennutzungspläne zu entscheiden hat, ist damit aber nicht gelöst. Ein zu Unrecht versagtes Einvernehmen der Gemeinde kann erhebliche Schadensersatzansprüche auslösen, wenn vom Gericht später wegen des dann bestehenden steuernden Flächen­ nutzungsplans der Bauantrag an diesem Standort abgelehnt werden muss. Erste Ge­ richtsstreitigkeiten sind absehbar. Die Prob­ lematik der Windkraft, die viele Gemeinden in den vergangenen Jahren unterschätzt ha­ ben, wird uns daher auch in absehbarer Zeit erhalten bleiben. Mobilfunkanlagen: Standorte gesucht Ähnlich sieht es auch bei den genauso – wenn auch hier vermehrt unter gesundheit­ lichen Aspekten – umstrittenen Mobilfunk­ anlagen aus: Die Vielzahl der Netzbetreiber ist nach dem milliardenschweren Erwerb der sogenannten UMTS-Lizenzen gehalten, mit Nachdruck ihr Netz auszubauen. Standorte werden landauf, landab gesucht – und ge­ funden. Kommt es dann zur Errichtung der 16 Sendemasten, ist der Protest der Bevölke­ rung vorprogrammiert, gerade auch wenn es sich um Standorte in Wohngebieten han­ delt. Im Genehmigungsverfahren hat sich hier insofern etwas geändert, als künftig je­ der Mast auf einem bislang anders genutz­ ten Gebäude einer gesonderten Baugeneh­ migung bedarf. Gleichwohl ist vielen Bür­ gerinitiativen gegen Mobilfunk und Elekt­ rosmog ein Erfolg in der Sache versagt ge­ blieben: Zwar hat sogar das Bundesverfas­ sungsgericht insoweit konstatiert, dass we­ gen der noch nicht in allen Details bekann­ ten Gesundheitsgefahren elektromagneti­ scher Felder ein Forschungsbedarf bestehe. Jedoch seien bis zum Vorliegen gesicherter Erkenntnisse die bisherigen Schutzvorschrif- ten einer entsprechenden Rechtsverordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz ausrei­ chend. Und die Einhaltung dieser Werte wird durch die zuständige Fernmeldebehör­ de in der Praxis regelmäßig bestätigt. Von daher bleibt auch auf diesem sensiblen Ge­ biet zunächst die weitere – wissenschaftliche – Entwicklung abzuwarten. Endlager fiir Atommüll Nicht mehr länger zuwarten will aber un­ sere Bevölkerung im südlichen Kreisgebiet, und hier insbesondere in Blumberg, soweit es um die Absichten der Schweiz geht, in Benken, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schaffhausen und knapp 20 km Luftlinie von der Grenze zu Deutschland entfernt, ein Endlager für hochradioaktiven Atom­ müll zu bauen. Zwar hält man von Schwei­ zer Seite aus diesen Standort wegen seiner Lage im Wirtsgestein des Opalinustons und aufgrund seiner tektonisch relativ ruhigen Lage für durchaus geeignet. Auf deutscher Seite bestehen jedoch massive Vorbehalte auch aus dem Umstand heraus, dass sich na­ hezu alle Schweizer Kernkraftanlagen in un­ mittelbarer Nachbarschaft zu Deutschland drängen und das Auswahlverfahren für den Standort im Opalinuston wenig transparent war. Immerhin wurden dabei alle Standorte

A us d em Kreisgeschehen Immer mehr Windkraftanlagen – wie hier in Schonach – gehen im Schwarzwald-Baar-Kreis in Betrieb. Wegen der Auswirkungen au f das Landschaftsbild sind die Anlagen in der Bevölkerung umstritten. 17

A us dem Kreisgeschehen Im Hocbwasserfall sind natürliche Überschwemmungsflächen erforderlich. Ein Mositivbeispiel ist das Moor­ gebiet oberhalb der Stadt Vöhrenbach, das von der Breg durchschnitten wird. in der Innerschweiz ausgeschieden. Auf massives Drängen deutscher Gemeinden und Landkreise befasst sich jetzt eine deutsch-schweizerische Expertenkommissi­ on mit dem Auswahlverfahren und ver­ gleicht dieses mit Standards, wie sie hier in Deutschland für die Auswahl radioaktiver Endlagerstandorte zur Anwendung kom­ men. Auch wenn ein Endlager in der Schweiz erst in 40 Jahren gebraucht wird, gilt es hier jetzt wachsam zu sein, bevor die Weichen gestellt sind. Die Schweizer Seite hat dabei nachprüfbar offen zu legen, dass es tatsächlich keine anderen sicheren Stand­ orte in der Schweiz gibt und dass die höchst­ möglichen Sicherheitsstandards zugrunde gelegt werden. Immerhin stellt dieser hoch­ radioaktive Müll eine Gefahr für tausende von Jahren dar, wenn wir bedenken, dass z. B. Plutonium 239 eine Halbwertszeit von über 24 000 Jahren besitzt! Überschwemmungsgebiete ausgewiesen Dass Naturgewalten dem Menschen seine Grenzen aufzeigen, beweist das Jahrhundert­ hochwasser vom August 2002 in Tsche­ chien, Österreich, Bayern, Sachsen, Sach­ sen-Anhalt und Niedersachsen. Auch wenn der Schwarzwald-Baar-Kreis von solch gi­ gantischen Wassermassen bislang verschont wurde, weiß man hierzulande doch, was ei­ ne derartige Katastrophe bedeutet: Im Früh­ jahr 1990 wurde auch im Landkreis der Ka­ tastrophenfall wegen Hochwassers ausgeru­ fen. Seitdem hat sich hier einiges getan: Ört­ liche Hochwasserschutzmaßnahmen etwa in Bräunlingen, Hüfingen oder Pfohren wurden mit großem finanziellen Aufwand in die Tat umgesetzt – und haben sich be­ währt. Von Bebauung freizuhaltende Über­ schwemmungsgebiete wurden in großem Umfang im Landkreis an Flüssen und Bä­ chen ausgewiesen. Noch bleibt aber einiges zu tun, um für ein sogenanntes Jahrhundert­ hochwasser, welches angeblich nach statisti­ scher Wahrscheinlichkeit alle 100 Jahre ein­ mal vorkommt, gerüstet zu sein. Zentral ist dabei das geplante Hochwasserrückhaltebe­ cken in Wolterdingen, dessen Rückhalte­ funktion für das Donauhochwasser bis nach Riedlingen und Ulm spürbar sein soll. Die 18

Pläne für dieses 15 Mio. € Projekt mit sei­ nem 450 m breiten und rund 18 m hohen Damm liegen mittlerweile zur Planfeststel­ lung hier im Landratsamt. Mit ersten Bau­ maßnahmen will das Land im Jahr 2003 be­ ginnen. Fertiggestellt sein soll dieses Schlüs­ selprojekt für den Hochwasserschutz an der oberen Donau im Jahre 2007. Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen Am Ende dieser „Tour d’H orizon“ zur Umweltpolitik im Landkreis darf natürlich die Gesundheitspolitik für die Menschen im Landkreis nicht fehlen. Hier gibt es eine gu­ te und eine schlechte Nachricht: Die Gute zuerst. In einer Kraftanstrengung ist es dem Landratsamt gemeinsam mit den örtlichen Krankenkassen gelungen, für die über 80 Selbsthilfegruppen im Landkreis eine ge­ meinsam von Kassen und Landkreis finan­ zierte Kontaktstelle einzurichten. Bei ihr werden ab Herbst 2002 alle Fäden zusam­ menlaufen, Kontakte hergestellt und ver­ mittelt und Fördermittel zugewiesen. Ein im Land in dieser Form einmaliges Projekt. Neue Trinkwasserverordnung Weniger erfreulich – und das ist die schlechte Nachricht – ist die ab Januar 2003 uns allen ins Haus stehende Verschärfung der Trinkwasserverordnung. So notwendig die Kontrolle eines sauberen Trinkwassers ist, wird hier doch in guter deutscher Manier die Überwachung überperfektioniert und bürokratisiert: Das Gesundheitsamt soll die Hausinstallationen überall dort, wo Wasser an die „Öffentlichkeit“ abgegeben wird, al­ so in Kindergärten, Schulen, Krankenhäu­ sern, Altenheimen, Sportheimen, Gaststät­ ten und anderen Gemeinschaftseinrichtun­ gen, einmal jährlich durch Probenahme un­ tersuchen. Allein das dürften im Landkreis mehr als 2 000 Fälle sein. Hinzu kommt ei­ ne Überwachung der ebenfalls über 1 000 Eigenwasserversorgungsanlagen, insbeson­ dere bei unseren Schwarzwaldhöfen. Hier Aus dem Kreisgeschehen fragt man sich: Sind denn in den vergange­ nen Jahrzehnten die Menschen reihenweise an schlechtem Trinkwasser erkrankt, so dass dieser Aufwand, der mindestens zwei zu­ sätzliche Gesundheitsaufseher erfordert, ge­ rechtfertigt ist? Abgesehen davon kommen durch nochmals verschärfte Anforderungen an das Rohwasser erhöhte Aufwendungen auf die gemeindliche Wasserversorgung und damit letztlich auf den Gebührenzahler zu. Auch wenn das alles von der EU vorgegeben sein mag, ist dies doch ein „schönes“ Bei­ spiel dafür, wie praxisferne Gesetzgeber in der Meinung, alles bis ins Detail regeln zu müssen, übers Ziel hinausschießen. Und – was noch betrüblicher stimmt – Besserung ist nicht in Sicht! Neuland betreten hat das Gesundheitsamt im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten. Auch wenn sich die in der Folgezeit berichteten Milz­ brandverdachtsfälle – Gott sei Dank – alle­ samt im Kreis wie auch andernorts als harm­ los erwiesen haben, mussten wir uns doch verstärkt mit der Problematik biologischer und chemischer Kampfstoffe und möglicher Folgen terroristischer Anschläge auseinan­ dersetzen und Gefahrenvorsorge in Form von Alarmplänen erarbeiten. Hoffentlich können diese künftig in der Schublade blei­ ben! Mit diesem etwas düsteren Ausblick schließt die Berichterstattung zur Umwelt­ politik im Landkreis. Über vieles Unerfreu­ liches, aber auch über Erfolge im Umwelt- und Naturschutz wurde berichtet. Man spürt, dass bei unseren Bürgerinnen und Bürgern die Umwelt wieder an Stellenwert gewonnen hat, auch wenn noch vieles in ei­ nem etwas diffusen Licht erscheint. Dazu fällt mir ein Zitat aus Goethes Faust, Prolog im Himmel, ein, mit dem ich als Ausdruck der Hoffnung schließen möchte: „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl be­ wusst.“ Joachim Gwinner 19

Aus dem K reisgeschehen Soziales im Schwarzwald-Baar-Kreis Pflege und Betreuung älterer Mitbürger eine große gesellschaftliche Herausforderung Sozialhilfenetto- aufwand in M io.€ Der Sozialhaushalt ist ein Spie­ gelbild der Gesellschaft. Mit stei­ gender Konjunktur fallen die Ausgaben in Sozial- und Jugend­ hilfe, mit fallender Konjunktur und steigenden Arbeitslosen­ zahlen steigen die Ausgaben. In den vergangenen Jahren sank die Zahl derer, die auf Sozialhil­ fe angewiesen waren, kontinuier­ lich. Damit verbunden sanken auch die Nettoausgaben. fitieren mit durchschnittlichen Verbesserungen von 61 € noch deutlicher. Außerdem erhalten zahlreiche einkommensschwa­ che Haushalte, die bisher keinen Wohngeldanspruch hatten, nun erstmals oder wieder Wohngeld. Auch mit der Reform des Bun­ desausbildungsförderungsgeset­ zes (BaföG) wurden deutliche g Leistungsverbesserungen bewirkt. ^ Das Bafög gewährt Schülern und Studierenden individuelle Ausbildungsförderung, wenn ih­ nen die für ihren Lebensunterhalt und ihre Ausbildung erforderlichen finanziellen Mit­ teln anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Die Förderung erfolgt für Schüler vollstän­ dig durch Zuschuss, Studierende erhalten die Förderung grundsätzlich je zur Hälfte als Zuschuss und unverzinsliches Staatsdarle­ hen. Die Höhe der Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Nach der grundlegenden Änderung des Gesetzes zum 1. April 2001, mit der unter anderem die El­ ternfreibeträge erheblich angehoben wur­ den, ist die Zahl derer, die Unterstützung nach dem Bafög erhalten, stark gestiegen. Im Jahr 2002, dem ersten Jahr der vollen Wirksamkeit der Neuregelungen, sind des­ halb die Antragszahlen um über 40 % gestiegen. Meister-BaföG verbessert Aber auch Handwerker und an­ dere Fachkräfte, die sich auf den Fortbildungsabschluss zu Meis­ tern, Technikern, Fachkaufleu­ ten und Betriebswirten vorberei­ ten, haben unabhängig von ih­ ren wirtschaftlichen Verhältnis- Der Sozialhilfenettoaufwand lag im Haushaltsjahr 2001 deut­ lich unter dem veranschlagten Betrag. Für das Haushaltsjahr 2002 wurde deshalb nicht von Fallzahlensteigerungen ausgegangen. Der veranschlagte Nettoaufwand geht von 9,37 Mio. € im Jahr 2001 auf 8 Mio. € im Haushaltsentwurf 2002 zurück. Der Ansatz für die Hilfe zur Pflege wurde erhöht um 350000 € auf 4,65 Mio. €. Bei den Bürger­ kriegsflüchtlingen, Asylbewerbern und sons­ tigen Personenkreisen waren weiterhin rück­ läufige Fallzahlen zu verzeichnen, entspre­ chend ging der Nettoaufwand gegenüber dem Vorjahr um 260000 € auf 1,8 Mio. € zurück. Im Berichtsjahr kehrte sich der langjährige Trend jedoch um. Allein durch zahlreiche Leistungsverbesserungen stiegen die Ausgaben. So wurden mit der zum 1. Januar 2001 in Kraft getretenen gesamtdeutschen Wohngeldreform die Wohn­ geldleistungen spürbar verbes­ sert und familiengerechter ge­ staltet. Wohngeldempfanger im früheren Bundesgebiet erhalten im Durchschnitt monatlich 42 € – und damit über 50% – mehr Wohngeld. Große Familien pro­ 2 0 Ansatz der Hilfe zur Pflege in M io.€

Soziales Das Meister-BaföG ist auf pflegerische Berufe, also Kranken- und Altenpflegeberufe, ausgeweitet worden. Vor dem Hintergrund des großen Bedarfs in diesem Bereich ist das eine begrüßenswerte Entwicklung. sen einen Anspruch auf Förderung der Fort­ bildungsmaßnahme. Mit diesem sogenann­ ten „Meister-BaföG“ sind Aufstiegsfortbil­ dungen förderfähig, die eine abgeschlossene Erstausbildung in einem Ausbildungsberuf voraussetzen und die zu einem anerkannten Fortbildungsabschluss fuhren. Zum 1. Janu­ ar 2002 wurden auch die Leistungen des Meister-BaföGs verbessert, unter anderem durch die Umwandlung eines Teils des Dar­ lehens in einen Zuschuss. Von ganz beson­ derer Bedeutung ist die Erweiterung des Meister-BaföGs auf pflegerische Berufe, also Kranken- und Altenpflegeberufe. Dies ist vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und des Bedarfs an Pflegeper­ sonals ein besonders unterstützendes Förder­ element. Seit April 2001 können Studierende sowie Schüler, die einen berufsqualifizierenden Abschluss anstreben und sich in einer fort­ geschrittenen Phase ihrer Ausbildung befin­ den, auch einen zinsgünstigen Bildungskre­ dit in Anspruch nehmen. Dieses zusätzliche Angebot richtet sich an Auszubildende in besonderen Lagen und ersetzt nicht die Ba- fögförderung. Es kann sogar neben dem Ba- fög in Anspruch genommen werden. Grundsicherung eingefiihrt Sorgen bereitet in diesem Zusammenhang auch die Einführung der Grundsicherung, eine neue Aufgabe, die auf die Landratsäm­ ter voraussichtlich mit Wirkung vom 1. Ja­ nuar 2003 übertragen wird. Das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung soll älteren und erwerbsunfähigen Menschen zu einem gesicherten Lebensunterhalt ohne Sozialhilfe verhelfen, es zielt aber auch auf die Bekämpfung der sogenannten verschäm­ ten Armut. Es sollen Personen erreicht wer­ den, die trotz bestehender Sozialhilfean­ sprüche diese aus Unkenntnis oder (falscher) Scham nicht realisieren. Das Gesetz schafft für den Personenkreis der über 65-jährigen sowie für dauerhaft voll Erwerbsgeminderte ab dem 18. Lebensjahr eine neue, gegenüber 2 1

Wesentlicher Unterschied ge­ genüber der Sozialhilfe ist der weitgehende Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff gegenüber unterhaltspflichtigen Angehö­ rigen. Das heißt, dass im Ge­ gensatz zum Sozialhilferecht Kinder und Eltern erst ab ei­ nem Einkommen über 100 000 € zu Unterhaltsleis­ tungen herangezogen werden. Aus dem K reisgeschehen der Sozialhilfe vorrangige Sozialleistung. Die Grundsicherung ist eine beitragsunab­ hängige „gehobene Sozialhilfeleistung“, die bei Bedürftigkeit gewährt wird. Anspruchsberechtigt sind Personen ab 65 Jahren und Personen, die Eingliederungshil­ fe oder Hilfe zur Pflege in Einrichtungen er­ halten, beispielsweise Behinderte in der Le­ benshilfe. Das eigene Einkommen und Ver­ mögen der Leistungsberechtigten und das der Ehegatten wird leistungsreduzierend be­ rücksichtigt. Wesentlicher Unterschied ge­ genüber der Sozialhilfe ist der weitgehende Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff gegenüber unterhaltspflichtigen Angehö­ rigen, das heißt, dass im Ge­ gensatz zum Sozialhilferecht Kinder und Eltern nicht zu Unterhaltsleistungen herange­ zogen werden. Deren Ein­ kommen wird erst dann be­ rücksichtigt, wenn ihr jährli­ ches Gesamteinkommen 100000 € übersteigt. Es gibt keinen einheitlich festgelegten Grundsicherungsbetrag. Die Leistung ent­ spricht grundsätzlich dem Sozialhilfesatz, wo­ bei eine Pauschale in Höhe von 15 % für ein­ malige Leistungen wie für Kleidung und Ge­ brauchsgüter hinzukommt. Danach beträgt der Grundsicherungsbetrag circa 650 €, in Heimfällen reduziert er sich auf rund 590 €. Das Grundsicherungsgesetz bestimmt die Land- und Stadtkreise als zuständige Träger der Grundsicherung. Die Durchführung des Grundsicherungsgesetzes soll möglichst ge­ trennt von der Sozialhilfe erfolgen. Das So­ zialamt wird deshalb ein eigenes Sachgebiet einrichten, da andernfalls der Gesetzes­ zweck, verschämte Altersarmut zu vermei­ den, dadurch unterlaufen würde, dass die Grundsicherung mit der Sozialhilfe bearbei­ tet wird. Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtun­ gen bekommen und entweder über 65 Jah­ re oder unter 65 Jahre, aber erwerbsunfähig sind, werden voraussichtlich alle grundsi­ 2 2 cherungsberechtigt sein. Der Personenkreis, der bisher keine Sozialhilfe bezieht (evtl. wegen bestehender Unterhaltsansprüche an Kinder, aus Unkenntnis oder aus Scham) künftig jedoch grundsicherungsleistungsbe­ rechtigt ist, wird bei den Überlegungen für die zusätzliche Aufgabe als sogenannte „Dunkelziffer“ berücksichtigt. Der Landkreis geht von 1 340 Grundsiche­ rungsberechtigten und einem finanziellen Aufwand von 3,85 Mio. € aus. Grundsätz­ lich ist davon auszugehen, dass es zu Einspa­ rungen in der Sozialhilfe kommen kann. Die Fälle, die aus der Sozialhilfe vollständig oder mit einem Teilbedarf ausscheiden, sind künftig nicht mehr über Kreismittel, sondern im Rahmen der Grundsicherung über Bundes­ mittel zu finanzieren. Glei­ ches trifft auch für die Heim­ fälle im Bereich der Hilfe zur Pflege zu. Diese Kostenentlas­ tung des Landkreises kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn die Mit­ tel des Bundes ausreichend sind, um die Aufwendungen der Grundsicherung, ein­ schließlich der Personal-, Sach- und Raum­ kosten sowie die Aufwendungen für die so­ genannte Dunkelziffer auch wirklich abzu­ decken. Der Landkreis geht davon aus, dass er sechs zusätzliche Stellen für die Bearbei­ tung der Grundsicherung einrichten muss. Die vom Bund zugesagten Mittel in Höhe von insgesamt 409 Mio. €, von denen 33 Mio. € auf Baden-Württemberg entfallen, werden aber sicherlich nicht ausreichen, die Mehrleistungen auszugleichen. Wir rechnen mit einer Einsparung in der Sozialhilfe von rund 2,4 Mio.€ und einer Kostenerstattung des Bundes von 620000 €. Damit bleibt ein kalkulierter Fehlbetrag von über 850 000 € zuzüglich der Kosten für Personal und Sach- mittel. Der Landkreis ist selbstverständlich bereit, Mitverantwortung für die Bewältigung die­ ser Aufgabe zu übernehmen. Wir sind zu-

versichtlich, dass es uns gelingen wird (hof­ fentlich bei vollem Kostenausgleich durch den Bund), die Grundsicherung so gut wie möglich umzusetzen. Mehr Pflegequalität Das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Pflegequalitätssicherungsgesetz verfolgt das Ziel, die Pflegequalität zu sichern und wei­ ter zu entwickeln. Auf seiner Grundlage ha­ ben sich Mitte des Jahres 2002 Kostenträger und Leistungsanbieter unter Moderation des Sozialministeriums auf die Festlegung von Personalrichtwerten geeinigt. Ab dem 1. Januar 2003 kann jede Einrich­ tung, die die entsprechenden strukturellen Voraussetzungen erfüllt, diese pflegestufen­ bezogenen Personalschlüssel realisieren. Für schwerst demenziell Pflegebedürftige wer­ den eigene Personalschlüssel gebildet. Die Vereinbarung zu Personalrichtwerten ist der erste bundesweit formal zustande ge­ kommene Rahmenvertrag nach dem Pflege­ qualitätsicherungsgesetz. Zusätzlich zur Rahmenvereinbarung wurde für die Zeit ab 1. August 2002 eine allgemeine pauschale Pflegesatzerhöhung um 3,4% bei einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2003 be­ schlossen. Die Kosten allein hierfür bezif­ fern die Landeswohlfahrtsverbände auf ins­ gesamt rund 66 Mio. €. Stadt- und Landkreise sind für die Hilfe zur Pflege für pflegebedürftige alte Men­ schen verantwortlich. Die Ausgaben für pflegebedürftige Menschen steigen nicht nur wegen der demographischen Entwick­ lung. Auch die dargestellten personellen Verbesserungen in den Pflegeheimen, die bundesweit für eine bessere Betreuung und Pflege gefordert und umgesetzt werden, füh­ ren zu höheren Aufwendungen. Erfolg mit „Hilfe zur Arbeit“ Neben den dargestellten Leistungsverbes­ serungen wirken aber auch andere Faktoren in das Jahr 2003 hinein. In den vergangenen Soziales Jahren ist in Zusammenhang mit der verbes­ serten Konjunktur und auf der Basis einer guten mittelständischen Wirtschaftsstruktur die Arbeitslosigkeit von einem überdurch­ schnittlichen Niveau auf ein unterdurch­ schnittliches Niveau zurückgegangen. Hier­ zu beigetragen hat auch die Einrichtung des Sachgebietes Hilfe zur Arbeit, das trotz der Tatsache, dass die Bekämpfung der Arbeits­ losigkeit und hier insbesondere der Lang­ zeitarbeitslosigkeit originär die Aufgabe der Arbeitsverwaltung ist, seit Jahren ein eigenes Förderprogramm zur Beschäftigung arbeits­ loser Sozialhilfeempfänger umsetzt. Mit diesen Maßnahmen setzt der Kreis die Prio­ rität klar in der Eingliedemng der Betroffe­ nen in den ersten Arbeitsmarkt. Angesichts der in 2002 gestiegenen und für 2003 prog­ nostizierten weiter zunehmenden Arbeitslo­ sigkeit wird diese Priorität konsequent wei­ ter verfolgt. Im Bereich „Hilfe zur Arbeit“ gibt es inzwi­ schen zahlreiche unterschiedliche Modelle der Landkreise. Um den Erfahrungsaus­ tausch zu intensivieren und auch bisher in diesem Bereich weniger engagierten Kom­ munen das nötige Know-how zu vermitteln, wird auf der Homepage des Bundesministe­ riums für Arbeit und Sozialordnung (www.bma.bund.de) seit Oktober 2001 eine Website geführt, auf der die bundesweite „Praxis der Hilfe zur Arbeit – kommunale Beschäftigungsförderung“ dokumentiert wird. Hier werden unter anderem rechtliche Grundlagen und mittlerweile ca. 50 Erfah­ rungsberichte von Kommunen präsentiert, die sich im Bereich der „Hilfe zur Arbeit“ besonders engagieren und zum Teil innova­ tive Wege gehen. Der Schwarzwald-Baar- Kreis hat sich für eine Teilnahme an dieser Website beworben und ist stolz darauf, dass er als eine der Kommunen ausgewählt wur­ de, die ihr Programm als ein Praxisbeispiel bundesweit vorstellen kann. Im Rahmen des Sachgebietes „Hilfe zur Arbeit“ bedient sich der Landkreis der Hilfe Dritter und gewährt in jeder geeigneten Wei­ se Hilfe. Dies sind – unter Berücksichtigung 23

Aus dem Kreisgeschehen der persönlichen Fähigkeiten der Betroffe­ nen – die soziale Betreuung, Hilfe bei der Qualifizierung und Ausbildung, die Akqui­ sition von Beschäftigungsmöglichkeiten, das Schaffen besonderer Anreize für die Hil­ feempfänger sowie – durch die Gewährung von Zuschüssen – auch für Arbeitgeber. Angesichts der stark steigenden Jugendar­ beitslosigkeit, ist die Jugendberufshilfe ein besonders wertvolles Unterstützungsange­ bot. In Abgrenzung zur Jugendsozialarbeit im Berufsvorbereitungjahr verfolgt die Jugend­ berufshilfe das Ziel, den Übergang in die Ar­ beitswelt vorzubereiten und zu vollziehen. Die Jugendsozialarbeit verfolgt in erster Li­ nie das Ziel, möglichst viele Schüler dem Hauptschulabschluss zuzuführen, damit diese die erforderliche Grundlage für das Ar­ beitsleben haben. Der maßnahmeübergrei- fende Ansatz der Jugendberufshilfe ermög­ licht, die Begleitung über den Schulab­ schluss hinaus weiterzuführen. Die Jugendberufshelferin profitiert von der Anbindung an das Sachgebiet „Hilfe zur Arbeit“. Bleibt die Einladung von Jugendli­ chen und jungen Erwachsenen, die keine berufliche Perspektive haben, ohne Reso­ nanz, werden Kürzungen der Sozialhilfe bzw. die Ablehnung des Sozialhilfeantrags angekündigt. Damit hat die Jugendberufs­ helferin die Möglichkeit, pädagogisch sinn­ voll sanften Druck auszuüben, wenn Ju­ gendliche Perspektiven und Förderangebote nicht annehmen wollen. Ein Anliegen der Jugendberufshilfe im Jahr 2002 ist die Ent­ wicklung eines Konzeptes, mit dem benach­ teiligte Jugendliche testen können, wo ihre Stärken und Fähigkeiten liegen und ihre Be­ rufswahlentscheidung damit in Einklang bringen können. Auf diesem Weg können die Selbsthilfepotentiale der Jugendlichen gestärkt werden, wenn sie erst einmal einen Weg sehen, den sie auch erfolgreich gehen können. Der Landkreis hofft, dass dem im Berichts­ jahr sich abzeichnenden Trend der steigen­ den Arbeitslosigkeit und der steigenden So­ 24 zialhilfeanträge mit den Maßnahmen der Jugendsozialarbeit, der Jugendberufshilfe und der „Hilfe zur Arbeit“ begegnet werden kann. Jugendhilfeausgaben gestiegen Doch nicht nur im Bereich der Sozialhilfe, ganz besonders spiegeln sich im Bereich der Jugendhilfe die veränderten Eckdaten der Gesellschaft. Die Jugendhilfe hat nicht zu­ letzt auch wegen der dramatischen Auf­ wandssteigerungen in den letzten Jahren be­ sondere Aufmerksamkeit erhalten. Im Schwarzwald-Baar-Kreis war im Bereich des Jugendhilfeaufwandes in den Jahren 1995 bis 2000 eine Steigerung von 16,5 % zu ver­ zeichnen. Die Nettojugendhilfeausgaben (ohne Erziehungsberatungsstelle, Soziale Betreuungsstelle und Förderung der Jugend­ hilfe) betragen für das Jahr 2002 9,25 Mio. €. Im Jahr 1995 betrug der Nettoaufwand umgerechnet 7,1 Mio €. Dieser enorme Kostenanstieg veranlasste die Verwaltung zu einer Untersuchung über die Ursachen des Anstiegs, um auf diesem Wege Möglichkeiten der Gegensteuerung zu entwickeln. Die Entwicklung in der Jugendhilfe wird von unterschiedlichen Faktoren und Indika­ toren beeinflusst. Dies sind beispielsweise demographische Faktoren (die Gruppe der Jugendlichen hat einen größeren Anteil an der Bevölkerung), die allgemeine gesell­ schaftliche Entwicklung (z. B. Berufstätigkeit beider Eltemteile, Anzahl der Alleinerzie­ henden), strukturelle Gegebenheiten (z.B. Arbeitslosenquote) und die Entwicklung des Leistungsangebotes. Der bundesweite Anstieg der Jugendhilfe­ ausgaben geht zurück auf den Anstieg der Einwohner bis 21 Jahre in der Gesamtpopu­ lation. Bei einer größeren Anzahl der Risi­ kogruppe erhöht sich allein deshalb die An­ zahl der Hilfen, ohne dass sich sonstige Fak­ toren ändern. Auch im Landkreis hatte der Anstieg der Risikopopulation steigende Fall­ zahlen und Kosten zur Folge. Auch wurden

Der stärkste Fallzahlenanstieg ist in der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder zu verzeichnen. Allein von 1999 auf 2001 stiegen die Fall­ zahlen um annähernd 50 %. Den überwiegenden Anteil an diesen Maßnahmen im ambu­ lanten Bereich stellen die – Lese- und Rechtschreib­ schwächen dar. in Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit ver­ mehrt junge Menschen auf Grund ihrer ge­ scheiterten Schul- und Berufskarriere unter­ gebracht. Sie begannen in der Heimerzie­ hung Ausbildungen und verbleiben bis zum Abschluss der Ausbildung in der Maßnah­ me. Der stärkste Fallzahlenanstieg ist in der Eingliedemngshilfe für seelisch behinderte Kinder zu verzeichnen. Allein von 1999 auf 2001 stiegen die Fallzahlen um annähernd 50 %. Den überwiegenden Anteil an diesen Maßnahmen im ambulanten Bereich stellen die Lese- und Rechtschreibschwächen dar. Insoweit wirkt sich die verfeinerte Diagnos­ tik und die zunehmende Angebotsvielfalt aus. Weitere Ursache ist der starke Rückgang der Lehrer­ stunden für den Ergänzungs­ bereich, der unter anderem Kurse für Lese-Rechtschreib- Schwäche (LRS) und Rechen­ schwäche abdecken soll. Auch der Anstieg der Leis­ tungsentgelte für Einrichtun­ gen in Höhe von rund 25 % hat die Kostenentwicklung stark beeinflusst. Dies geht un­ ter anderem auf eine Verände­ rung des Angebotsspektrums, einen Wech­ sel im Fachpersonal und darauf zurück, dass die letzten Pflegesatzverhandlungen teilwei­ se bis in die 80er Jahre zurückgehen. Bis zum Jahr 2010 wird sich nach den Be­ völkerungsvorausrechnungen des statisti­ schen Landesamtes Baden-Württemberg die Anzahl der unter 21-jährigen insgesamt ver­ ringern. Die Altergruppe ab 12 Jahre auf­ wärts wird sich bis zum Jahr 2010 jedoch noch um nahezu 5 % erhöhen. Allein des­ halb ist auch künftig mit einer erhöhten In­ anspruchnahme der Maßnahmen der Erzie­ hungshilfe und entsprechenden Kostenstei­ gerungen zu rechnen. Dies betrifft vor allem die kostenintensiven erzieherischen statio­ nären und teilstationären Hilfen, die zum weitaus größten Teil von den über 12-jähri- gen in Anspruch genommen werden. Vor diesem Hintergrund hat der Landkreis Soziales alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um einem weiteren Kostenanstieg zu begegnen. Es wurde das Berichtswesen verfeinert, um künftig Zusammenhänge zwischen Kosten­ steigerung und Fallzahlensteigerung herstei­ len zu können. Für die Größe der Bezirke der Sozialarbeiter wurden neue Indikatoren wie beispielsweise die Anzahl der Kontakte zu Schulen, die Arbeitslosenzahlen, die Be­ völkerung unter 18 Jahren, die Anzahl der Sozialhilfeempfänger und die Anzahl der Empfänger von Hilfe zur Erziehung zugrun­ degelegt. Damit wird besonderen Problem­ feldern eine andere Priorität eingeräumt und die Möglichkeit eines frühzeitigen Gegen­ wirkens geschaffen. Das Kon­ zept der Vollzeitpflege wird weiter entwickelt, um mit qualifizierten Pflegeeltern Heimunterbringungen zu ver­ meiden. Der Ausbau im Be­ reich des Betreuten Wohnens soll ebenfalls Heimunterbrin­ gungen ersetzen. Um das ambulante Angebot weiter auszubauen, wurde in der Raumschaft Furtwangen Anfang 2002 eine Tagesgrup­ pe mit vier Plätzen eingerichtet. Die Tages­ gruppe ist ein teilstationäres Angebot, das im Vorfeld zur vollstationären Heimerzie­ hung im Rahmen von Hilfen zur Erziehung genutzt wird. In Blumberg wurde das dort schon beste­ hende Tagesgruppenangebot um zwei Plät­ ze erweitert. Darüber hinaus wird seit 2002 für Kinder von Alleinerziehenden ein Zu­ schuss für Ferienfreizeiten gewährt, wenn ei­ ne Betreuung der Kinder für die Ferienzei­ ten wegen der Beschäftigung nicht sicherge­ stellt werden kann. Auch die Mittel des Landkreises für den Kreisjugendring und den Kreisjugendsport­ ring, die damit die Jugendarbeit in den Ver­ einen fördern, wurden im Haushalt 2002 angepasst. Diese Mittel werden zur Finan­ zierung oder Bezuschussung von Schulun­ gen, der Ausbildung von Jugendleitern und 2 5

A us dem K reisgeschehen Jugendsporttreffen, für eigene Projekte von und für Kinder und Jugendliche verwendet. Eingliederungshilfe für Behinderte In allen Bereichen des Sozialdezernates ha­ ben durch Gesetz eingeführte Leistungsver­ besserungen dazu geführt, dass die Ausga­ ben und Fallzahlen erheblich gestiegen sind und weiter steigen werden. Aber nicht nur der Kreishaushalt selbst, sondern auch der Haushalt des Landeswohlfahrtsverbandes als überörtlichen Träger ist durch Leistungs­ verbesserungen in der sogenannten Einglie­ derungshilfe stark belastet. Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Einrichtungen ist durch Lan­ desrecht auf die Landeswohlfahrtsverbände übertragen worden. Behinderte und von Be­ hinderung bedrohte Menschen erhalten me­ dizinische, schulische, berufliche und sozia­ le Hilfen zur Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft. In einem neunten Sozial­ gesetzbuch (SBG IX), das zum 1. Juli 2001 in Kraft getreten ist, wurde das geltende Re- habilitations- und Schwerbehindertenrecht zusammengefasst und fortentwickelt. Das Gesetz beendet die Unübersichtlichkeit des bestehenden Rechts zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen und ge­ währleistet bürgernahen und behinderten­ gerechten Zugang zu den erforderlichen So­ zialleistungen. Besondere Berücksichtigung finden die Bedürfnisse behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder. Es wurden landesweit gemeinsame Service­ stellen der Sozialleistungsträger für den Be­ reich der Rehabilitation eingerichtet, die für behinderte Bürger die zentrale Stelle für Fra­ gen und Anträge sind. Die Fallzahlen in der Eingliederungshilfe sind stetig angestiegen und werden weiter um 400 bis 500 neu hinzukommende Fälle Jahr für Jahr steigen. Die kostengünstigeren offenen Hilfen im ambulant betreuten Wohnen wurden zwar auch vermehrt von geistig behinderten Menschen in Anspruch genommen, führten aber noch nicht zu ei­ 26 nem Rückgang beim Anstieg der Fallzahlen in der vollstationären Eingliederungshilfe. Die steigenden Fallzahlen in der Behinder­ tenhilfe führten dazu, dass sich der Netto­ aufwand des Landeswohlfahrtsverbandes Baden für die Eingliederungshilfe in den letzten zehnJahren mehr als verdoppelt hat. Der Landeswohlfahrtsverband Baden hat nach vorläufigem Abschluss des Haushalts­ jahres 2001 einen Fehlbetrag von 38,6 Mio. DM Zur Situation der Altersdemenz Die steigenden Ausgaben im Sozial- und Jugendhilfebereich und der Umlage an den Landeswohlfahrtsverband werden die sozia­ le Entwicklung des Kreises im kommenden Jahr prägen. Sie zwingen den Landkreis zu äußerster Sparsamkeit auch im Feld sozialer Unterstützungsleistungen. Die finanzielle Situation darf aber nicht zu einer Konkur­ renzsituation mit der Finanzierung allge­ meiner Aufgaben der Daseinsvorsorge und erst recht nicht zur Konkurrenz mit anderen sozialen Aufgaben führen. Vordringlich geht es in der heutigen Zeit darum, das in den vergangenen Jahren Erreichte zu si­ chern. Darüberhinaus sind aber auch im Feld sozialer Unterstützungsleistungen Prio­ ritäten zu setzen für die Aufgaben, denen wir uns mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung unseres Landkreises widmen müssen. Eine dieser Prioritäten ist die Umsetzung des Berichtes zur Situation Demenzerkrank­ ter und ihrer Angehörigen: Dieser Bericht wurde im Rahmen der Kreispflegeplanung gemeinsam mit dem Arbeitskreis Demenz erstellt. Der Arbeitskreis Demenz im Schwarzwald-Baar-Kreis, in dem Betroffe­ ne, professionell Pflegende und andere Ex­ perten Zusammenarbeiten, hat sich dem Thema Altersdemenz schon seit 1997 inten­ siv angenommen. Die prognostizierte demographische Ent­ wicklung zeigt, wie wichtig es ist, sich dieser Thematik zu widmen. Der Anteil der über

Die Stadt Blumberg bekommt ein Pflegeheim Soziales rer Nachbarschaft zur Sozi­ alstation und zur Anlage für Betreutes Wohnen. Die Planung selbst wird von Fachleuten als sehr gelun­ gen bezeichnet. Insgesamt werden 50 Pflegeplätze, da­ von zwei Kurzzeitpflege­ plätze und vier integrierte Tagespflegeplätze, entste­ hen. Das neue Heim ver­ fügt über 42 Einzelzimmer, vier Doppelzimmer, sowie großzügige helle Aufent­ halts- und Gemeinschafts­ räume. Die Baukosten belaufen sich auf rund 4,6 Mio. €. Hiervon werden 40 °/o durch einen Landeszuschuss ab­ gedeckt. Der Landkreis steu­ ert einen Finanzierungsan­ teil in Höhe von 20% als Kreiszuschuss bei. Die rest­ lichen Kosten in Höhe von knapp 2 Mio. € wird der Zweckverband finanzieren. Das neue Pflegeheim soll im Frühjahr 2004 seiner Bestimmung übergeben werden. R olf Schmid Nach der Kreispflegepla­ nung ist Blumberg die ein­ zige Raumschaft im Land­ kreis, die noch kein eigenes Pflegeheim hat. Diese Ver­ sorgungslücke für die pfle­ gebedürftigen Menschen in der Stadt wird nun ge­ schlossen. Der „Zweckver­ band Pflegeheim Haus Wartenberg“, der haupt­ sächlich vom Landkreis ge­ tragen wird, baut in Blum­ berg ein neues Pflegeheim. Die Grundsatzentschei­ dungen im Gemeinderat und in der Verbandsver­ sammlung lagen bereits zu Beginn des Jahres 2001 vor. Am 3. Juli 2002 konnte nun der lang ersehnte Spa­ tenstich stattfinden. Die Lage des neuen Pflegehei­ mes ist ideal in unmittelba­ Spatenstich zum Mflegeheim Blumberg, mit dabei auch Landrat Heim (dritter v. links) als Vorsitzender des Zweckver- bandes. 65-jährigen im Schwarzwald-Baar-Kreis lag im Jahr 2000 bei 17,5 %, er wird bis zum Jahr 2010 auf 20,5% der Bevölkerung steigen. Von den über 65-jährigen werden 65 % am­ bulant und 3,6% stationär pflegebedürftig. Der weitaus größte Teil der pflegebedürfti­ gen über 65-jährigen (über 70 %) findet der­ zeit in der eigenen Familie (und im nahen sozialen Umfeld) Hilfe und Unterstützung. Der Bericht zeigt die Lebenslage Betroffe­ ner und Angehöriger sowie die Entwicklun­ gen im Pflegebereich zum Thema Demenz auf, er beschreibt die Datensituation sowie den Bestand und den Bedarf an Hilfen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Eingeflossen sind die Erkenntnisse neuer wissenschaftlicher Studien zur häuslichen und stationären Pfle­ ge und der sich verändernden Bedarfe und Konzepte. Insgesamt wird eine quantitative und qualitative Steigerung der Bedarfe im Bereich der Unterstützung häuslicher Pflege von Demenzerkrankten, aber auch in der stationären Pflege Demenzerkrankter gese­ hen. Einige stationäre Einrichtungen, auch einige teilstationäre und ambulante Dienste reagieren bereits auf die veränderten Bedar- 2 7

Aus dem K reisgeschehen fe mit konzeptionellen Weiterentwicklungen ihrer Angebote sowie der Schulung und Fortbildung des Pflegepersonals. H and­ lungsbedarf wird vor allem im Bereich der Diagnostik und Therapieplanung, der Un­ terstützung der häuslichen Pflege und der veränderten konzeptionellen Bedingungen gesehen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Pflegebereitschaft von Angehörigen künftig aufgrund sich verändernder gesell­ schaftlicher Strukturen und der steigenden Berufstätigkeit von Frauen zurückgehen wird. Häusliche Pflege, ehrenamtliche Un­ terstützung, teilstationäre, ambulante und stationäre Pflege sollen in einem Pflegemix die Herausforderungen der zunehmenden Pflegebedürftigkeit finanzierbar gestalten. Der Bericht kommt zu der Schlussfolge­ rung, dass die häusliche Pflege systematisch zu stärken ist, indem Angehörige und Be­ troffene frühere und bessere Diagnostik­ möglichkeiten und Beratungsangebote er­ halten. Gleichzeitig sollen Unterstützungs­ möglichkeiten auf professioneller und eh­ renamtlicher Basis im Landkreis aufgebaut werden, um pflegende Angehörige in der Betreuung zu entlasten (z.B. Tagespflege, Besuchsdienste). Es sollen sich neue Model­ le der Pflege und Betreuung von Demenz­ kranken entwickeln, die den besonderen Be­ dürfnissen an Betreuung, Förderung und dem Erhalt von Alltagskompetenzen Rech­ nung tragen. Im Bereich der stationären Pflege werden bereits spezielle Demenz­ wohngruppen eingerichtet. Diese Wohn­ gruppen sind speziell auf die Bedürfnisse der an Demenz Erkrankten abgestimmt und bieten sowohl konzeptionell als auch archi­ tektonisch und hinsichtlich des Pflegekon­ zeptes eine qualitativ spezifischere Betreu­ ung. Von besonderer Bedeutung ist der Aufbau von ehrenamtlichen Hilfen wie Gruppenan­ geboten, Gesprächsgruppen, Betreuungs­ gruppen und Helferkreisen, die Vernetzung vorhandener Dienste und die Fortbildung von Ärzten, Pflegekräften, Beratungsdiens­ ten, Angehörigen und Ehrenamtlichen. In 28 der Umsetzung des Berichts ist deshalb zu­ nächst zu prüfen, wie die Aufgabe der Ver­ netzung und Koordination durchgeführt und finanziert werden kann. Ergänzend werden durch das Pflegeleistungsergän­ zungsgesetz die Kassen aufgefordert, ihre Beratungspflicht auch hinsichtlich der an Demenz Erkrankten qualitativ auszuweiten und Modellprojekte, insbesondere den Auf­ bau von niedrigschwelligen Betreuungs- und

Soziales Angehörigengruppen zu unterstützen. Der Arbeitskreis Demenz wird sich weiterhin an der Organisation von Fortbildungsangebo­ ten und der Initiierung von niedrigschwelli­ gen Hilfen beteiligen und die Bemühungen im Bereich Demenz unterstützen. Für die Hilfe zur Pflege der über 65-jähri- gen in und außerhalb stationärer Einrich­ tungen stellt der Schwarzwald-Baar-Kreis im Haushaltsjahr 2002 ca. 5 Mio. € zur Verfü­ gung, zur Förderung von Pflegeheimen eine weitere Million. Für ambulante Dienste und Beratungsangebote sind für diesen Bereich 101 800 € im Haushalt eingestellt. Psychiatriewegweiser herausgegeben Sozialplanung beschränkt sich aber nicht auf die Planung als solche, sondern trägt auch für die Umsetzung Verantwortung. Als 2 9

Soziales „kleinen“ Beitrag der Umsetzung des Psychi­ atrieberichtes wurde der erste Psychiatrie­ wegweiser im Landkreis herausgegeben. Laut Weltgesundheitsorganisation erkrankt jeder dritte Erwachsene im Laufe seines Le­ bens einmal so schwer an einer psychischen Erkrankung, dass er professionelle Hilfe in Anspruch nehmen muss. Der Wegweiser ist dafür gedacht, dass Betroffene aus der Fülle von professionellen Angeboten das richtige Hilfsangebot herausfinden und dadurch die Wege zur Hilfe verkürzt werden. Die Idee, über die Angebote im Landkreis zu informieren, ist aus der Psychiatriepla­ nung entstanden und im Arbeitskreis Psy­ chiatrie diskutiert worden. Mitarbeiter des Caritasverbandes für den Schwarzwald- Baar-Kreis e.V. und des Diakonischen Wer­ kes, die im Sozialpsychiatrischen Dienst und im Integrationsdienst tätig sind, haben sich der Aufgabe angenommen, die Daten zusammenzutragen. Wir hoffen, dass dieser Wegweiser eine Hilfe für Menschen ist, die in einer psychischen Krise oder bei einer psychischen Erkrankung auf Unterstützung angewiesen sind. Der Psychiatriewegweiser wird auch in die Homepage des Landratsam­ tes eingestellt werden, um eine anonyme und leicht zugängliche Informationsmög­ lichkeit für alle Betroffenen und deren An­ gehörige zu gewährleisten. Wir hoffen, dass wir mit diesem Wegweiser dazu beizutragen, daß psychische Erkrankung nicht ein Tabu­ thema bleibt, das zu Befangenheit, Distan­ zierung und Entfremdung führt. Mit dem ersten Psychiatriewegweiser im Schwarz- wald-Baar-Kreis ist der Landkreis einen Schritt weiter auf seinem Weg in der Pla­ nung und Realisierung von Angeboten für psychisch kranke Mitbürger. Integrationskurs für Ausländer Ein weiteres bedeutendes Thema für unse­ re Gesellschaft ist die Integration von Aus­ ländern und Aussiedlern. Der Schwarzwald- Baar-Kreis hat sich deshalb mit den Koope­ rationsgemeinden Villingen-Schwenningen, 30 Donaueschingen, Hüfmgen und Königsfeld an einem Projekt des Landes beworben und einen Integrationskurs für bleibeberechtigte Ausländer durchgeführt. Das Land Baden- Württemberg unterstützte im Berichtsjahr die Eingliederung von bleibeberechtigten Ausländern mit der hälftigen Finanzierung eines befristeten Integrationskurses. Dieser beinhaltet neben dem Sprachkurs in Deutsch zum Erlernen der Alltagssprache und der Verständigung das Erlernen typi­ scher Alltagssituationen. Die Kooperations­ gemeinden übernahmen die Kofinanzie­ rung, der Landkreis die Fahrkosten für die Nutzung von Bus und Bahn, wodurch be­ reits eine Alltagssituation in der Praxis ange­ wandt wurde. Gewaltige Sprachfortschritte Der Integrationskurs wurde von der Volks­ hochschule durchgeführt. Durch die sehr kompakte Form des Unterrichtes, der täglich vormittags stattfand, konnten die Teilneh­ mer auf das am Vortag Gelernte aufbauen und bewältigten andererseits in absehbarer Zeit ein großes Lernpensum. Die Heteroge­ nität des Kurses wirkte sich äußerst positiv aus, da zwingend deutsch gesprochen wer­ den musste. Die Teilnehmer lernten enga­ giert und machten gewaltige Fortschritte in der Sprache. Der Landkreis hofft, dass das zum 1. Janu­ ar 2003 in Kraft tretende Zuwanderungsge­ setz auf dieser Basis aufbauen wird, um Aus­ ländern die Integration zu erleichtern. Das Beherrschen der Sprache ist zwingende Vo­ raussetzung und Garant für eine erfolgreiche Integration in Deutschland. Nicht nur für den Erhalt eines Arbeitsplatzes, auch für die Kommunikation, für das Erlernen und Erle­ ben einer anderen Kultur, für das tägliche Miteinander sind Sprachkenntnisse die Grundlage. Und ein spannungsfreies und offenes Umgehen miteinander sind Basis ei­ ner gesunden sozialen Gesellschaft. Gabriele Seefried

Öffentlicher Nahverkehr im Landkreis Feriengäste könn en nun das VSB-Tourist-Ticket erwerben A us dem Kreisgeschehen Seit September 2000 existiert im Gebiet des Schwarzwald-Baar-Kreises der aus 16 Verkehrsunternehmen bestehende Verkehrs­ verbund Schwarzwald-Baar (VSB), durch den für die Kreisbevölkerung ein einheitli­ ches und überschaubares Tarifsystem ge­ schaffen wurde. In der Anfangsphase des Verbunds wurde bewusst nur das übliche Fahrausweisgrundsortiment als Verbundta­ rif angeboten, bestehend aus Einzelfahr­ scheinen für Erwachsene und Kinder, Wo­ chenkarten und Monatskarten (für Erwach­ sene und Auszubildende) sowie dem VSB- Jahresabo für Erwachsene, das die bereits sehr günstigen Preise der Monatskarten nochmals auf einen Jahrespreis von zehn Monatskarten ermäßigt. Zum 1. Juni 2001 wurde das Fahrausweis­ sortiment um Gruppentarife für Erwachsene und Kinder ergänzt: Reisegruppen ab zehn Personen erhalten bei Voranmeldung – die wegen der Bereitstellung der notwendigen Platzkapazitäten unbedingt erforderlich ist – eine Ermäßigung von 50 % auf den jeweili­ gen Einzelfahrpreis. Durch die Einführung von Gruppentarifen wurde vor allem den Forderungen von Schulen (für Exkursionen, Ausflüge usw.) und Wandervereinen Rech­ nung getragen. lientageskarte zum Preis von 10 € zu lösen. Sie berechtigt zur Fahrt von zwei Erwachse­ nen mit Kindern bis zum vollendeten 11. Lebensjahr. Monatskartengültigkeit erweitert Um den nach wie vor starken Schwankun­ gen beim Erwerb der Monatskarten durch die Schüler (z.B. starke Rückgänge in den Sommermonaten und den Monaten mit Fe­ rientagen) etwas entgegenzuwirken, wurde zum 1. April 2002 die Gültigkeit der Mo­ natskarte für Auszubildende und Schüler er­ weitert. Die Auszubildenden und Schüler können nunmehr – unabhängig von der An­ zahl der gelösten Tarifzonen – das gesamte VSB-Liniennetz, und zwar montags bis frei­ tags ab 14 Uhr und ganztägig an Samstagen, Sonn- und Feiertagen sowie in den landes­ einheitlichen Schulferien in Baden-Würt­ temberg, nutzen. Auf diese Weise können die Schüler in der Freizeit ohne zusätzliche Kosten den gesamten Landkreis kreuz und quer befahren und Freunde oder öffentliche Einrichtungen wie z.B. Schwimmbäder, Ju­ gendmusikschulen usw. besuchen, auch wenn diese Ziele außerhalb der gelösten Tarifzo­ nen liegen. Bereits bei der Einführung des Tarifver­ bundes war mit den Verkehrsunternehmen des VSB vereinbart worden, das Fahraus­ weissortiment nach einer gewissen Anfangs­ phase und Erfahrungssammlung weiter aus­ zubauen und um attraktive Angebote für verschiedene Zielgruppen zu ergänzen. So konnte zum 1. April 2002 die schon lange geforderte Tageskarte für 6 € eingeführt wer­ den. Für Familien gibt es die Möglichkeit, ei­ ne sogenannte Fami­ Durch diese Maßnahme erhoffen sich die Verkehrsunternehmen und der Landkreis im Jahresverlauf geringere Schwankungen beim Verkauf der Schülermonatskarten. Dies soll zum einen eine bessere Planung bei den Buskapazitäten ermöglichen und zum ande­ ren wird erwartet, dass durch eine Stabilisie­ rung der Zahl der verkauften Schülermo­ natskarten die Ver­ bundeinnahm en et­ was ansteigen und der Verbundtarif hierdurch einen geringeren De­ V E R K E H R S V E R B U N D S C H W A R Z W A L D – B A A R 31

Aus dem Kreisgeschehen fizitausgleich durch die öffentliche Hand er­ fordert. Für Feriengäste des Schwarzwald-Baar- Kreises besteht seit dem 1. Juni 2002 die Mög­ lichkeit, ein sogenanntes VSB-Tourist-Ticket zu kaufen. Das Ticket ist nur in Verbindung mit einer gültigen Kur- bzw. Gästekarte er­ hältlich und kann ab dem Erwerb an sieben aufeinanderfolgenden Tagen (jeweils ab 9 Uhr, an Samstagen, Sonn- und Feiertagen ganztägig) für beliebig viele Fahrten im Kreisgebiet genutzt werden. Der normaler­ weise geltende Preis von 17,90 € konnte auf­ grund des Engagements des Verkehrsver­ bundes, des Landkreises und der beteiligten Kommunen auf 8 € gesenkt werden. Sehr erfreulich ist ferner, dass zum 1. Mai 2002 Übergangsregelungen zu den Nach­ barverbünden geschaffen werden konnten, um im Nahbereich der Verbundgrenzen ta­ rifliche Härten zu vermeiden. „Fahrkarte statt Führerschein“ Bereits zum 1. März 2002 konnte der Landkreis gemeinsam mit dem VSB als Bei­ trag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit die Aktion „Fahrkarte statt Führerschein“ starten. Personen über 65 Jahre, die freiwil­ lig auf ihren Führerschein verzichten, ha­ ben die Möglichkeit, kostenlos eine kreis­ weit gültige Jahreskarte des VSB im Wert von derzeit 534 € zu erhalten. Mit dieser Ak­ tion soll einerseits ein Teil der durch die Ab­ gabe des Führerscheins verlorengegangene Mobilität wiedergewonnen und andererseits der Einstieg in das vorhandene OPNV-An- gebot erleichtert werden. Nach sechs Mona­ ten haben bereits 154 Kreisbürgerinnen und 66 Kreisbürger ihren Führerschein abgege­ benen und die Zahlen belegen, dass die Ak­ tion ein großer Erfolg ist. Insgesamt nehmen die Kreisbürger den Ta­ rifverbund sehr gut an und die Verkaufszah­ len aus dem Jahr 2001 belegen dies ein­ drücklich: Die Wochenkarten für Erwachse­ ne haben im Vergleich zu 1998 um 103,3 % und die Monatskarten für Erwachsene um 3 2 123,8 % zugenommen. Der Verkauf der Schü­ lerwochenkarten stieg um 39,2% und die Zahl der verkauften Schülermonatskarten stieg um 16,5%. Der Verkauf von Einzel­ fahrscheinen ist im Vergleich zum Basisjahr 1998 um 25,2 % zurückgegangen. Diese Ver­ schiebung von den Einzelfahrscheinen zu den Zeitkarten war gewollt und die Ausge­ staltung des Verbundtarifes darauf ausge­ richtet. Ein wesentlicher Grund für die sehr erfolgreichen Verkaufszahlen ist, neben der Verbesserung des OPNV-Angebotes, die deutliche Absenkung der Tarife: Im Durch­ schnitt wurden die Preise für die Einzelfahr­ scheine im Vergleich zu 1998 um 7,03 %, für die Erwachsenenwochenkarten um 14,9%, für die Erwachsenenmonatskarten um 25,75%, für die Schülerwochenkarten um 16,03% und für die Schülermonatskarten um 31,63% ermäßigt. Im Herbst 2002 wa­ ren die Fahrpreise des VSB nunmehr zwei Jahre stabil. Aufgrund der allgemeinen Kos­ tensteigerungen müssen zum 1. November 2002 erstmals die Fahrpreise um durch­ schnittlich 4% angehoben werden, da an­ sonsten das Betriebsdefizit des Tarifver­ bunds zu groß werden würde. Der VSB und der Landkreis hoffen, dass die Kunden die­ se maßvollen Preissteigerungen mittragen werden und weiterhin rege vom Bahn- und Busangebot im Kreis Gebrauch machen. Ringzug soll ab September 2003 fahren Beim sogenannten Ringzugsystem, dem kreisübergreifenden Nahverkehrsprojekt der drei Landkreise Rottweil, Tuttlingen und des Schwarzwald-Baar-Kreises in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, konnten wich­ tige Hürden genommen werden und nach gegenwärtigem Planungsstand kann davon ausgegangen werden, dass der Ringzug im September 2003 in einer ersten Ausbaustu­ fe in Betrieb genommen werden kann. Ur­ sprünglich sollte der Ringzug zum Fahrplan­ wechsel am 15. Dezember 2002 in Betrieb gehen. Ursache dafür, dass dieser Zeitplan nicht eingehalten werden konnte, sind ei-

Im September 2003 ist es so weit: „Der Ringzug kommt“, das kreisübergreifende Nah­ verkehrsprojekt steht in der ersten Ausbaustufe zur Verfü­ gung. fehlende Pla­ nerseits nungskapazitäten bei der Deutschen Bahn AG so­ wie die bevorstehende Modernisierung der Stell­ werke auf der Schwarz­ waldbahn zwischen Haus­ ach und Konstanz. In der jetzigen Umsetzungspha­ se muss noch einiges getan werden: So müs­ sen allein im Schwarzwald-Baar-Kreis 15 neue Haltepunkte gebaut werden. Bis zur In­ betriebnahme des Ringzugs wollen die drei Landkreise eine tarifliche Kooperation in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg bil­ den. Voraussetzung hierfür sind bestehende Tarifverbünde in allen drei Landkreisen. Während im Bereich des Schwarzwald-Baar- Kreises bereits seit 1. September 2000 ein Ta­ rifverbund besteht, sind in den Nachbar­ landkreisen Rottweil und Tuttlingen derzeit noch keine Tarifverbünde vorhanden. Die­ se werden voraussichtlich im Laufe des Frühjahrs 2003 gegründet werden. Die drei Verbünde sollen sodann durch die tarifliche Kooperation sicherstellen, dass von jeder Haltestelle zu jeder anderen Haltestelle in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg alle öffentlichen Verkehrsmittel (Zug und Bus) mit nur einer Fahrkarte benutzt werden können. Stärkung der Schwarzwaldbahn Nachdem der Bundesrat in seiner Sitzung am 31. Mai 2002 mehrheitlich einer Ände­ rung des Regionalisierungsgesetzes zustimm­ te, ist das Land entschlossen, so schnell wie möglich die Verkehrsleistungen auf der ca. 180 km langen Schwarzwaldbahn zwischen Ö ffentlicher N ahverkehr Konstanz und Offenburg auszuschreiben. Frühestens Mitte 2003 soll dann die Verga­ be erfolgen. Da auf der Strecke zukünftig neues Wagenmaterial eingesetzt werden soll, kann laut Auskunft des Landes frühestens ab Ende 2004 das neue Konzept umgesetzt werden. In den zurückliegenden Jahren wur­ de das Angebot auf der InterRegio-Linie 19 von Konstanz über Frankfurt bis Hamburg in zwei Phasen drastisch reduziert. Verblie­ ben sind anstelle des ehemaligen 2-Stun- den-Takts derzeit nur noch zwei InterRegio- Zugpaare von Konstanz nach Kassel bzw. Stralsund und zurück aus Hamburg bzw. Hannover. Als Folge dieser Entwicklung be­ steht das Grundangebot auf der Schwarz­ waldbahn weitgehend aus Nahverkehrsan­ geboten. Ab dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember 2002 verabschiedet sich die Deutsche Bahn AG insgesamt vom Produkt „InterRegio“. Aus diesem G mnd sollen an­ stelle der zwei verbliebenen InterRegio-Zug- paare zwei – zuschlagspflichtige – InterCity- Zugpaare verkehren. Ferner verschieben sich aufgrund zahlreicher zusätzlicher Halte zwi­ schen Karlsruhe und Hausach die Fahrlagen im Bereich des Schwarzwald-Baar-Kreises um etwa zehn Minuten. Dies führt im Kreis zu großen Problemen bei der Anbindung von Stadt- und Regionalbussen, insbesonde­ re in den Bahnhöfen Triberg, Villingen und 3 3

Aus dem K reisgeschehen Donaueschingen. Außerdem gehen durch dieses Konzept die bislang guten Anschluss­ verbindungen in Offenburg auf die IC und ICE-Züge verloren. Der Zugang zum Fern­ verkehr aus dem Einzugsgebiet der Schwarz­ waldbahn soll zukünftig grundsätzlich in Karlsruhe erfolgen. Dies bedingt durch die zusätzlichen Zwischenhalte im Rheintal auf dem Abschnitt Offenburg – Karlsruhe län­ gere Fahrzeiten. Der Landkreis wird sich zu­ sammen mit der 1998 gegründeten Interes­ sengemeinschaft Schwarzwaldbahn bemü­ hen, auf das zukünftige Betriebskonzept, das der Ausschreibung zugmnde gelegt wird, dergestalt Einfluss zu nehmen, dass die Re­ gion bestmöglich Anschluss zum Fernver­ kehr findet. Insgesamt sind die Aktivitäten des Landes und die Ausschreibung positiv zu beurteilen, da insbesondere das auf der Schwarzwaldbahn eingesetzte Wagenmate­ rial heutigen Anforderungen nicht gerecht wird und absolut inakzeptabel ist. Sven Hinterseh Zwei Nationen – eine Buslinie: Der RandenBus M it einem Fahrschein von Schaffhausen bis nach Schwenningen Auf Initiative des Schwarzwald-Baar-Krei­ ses wurde im Frühjahr 1998 auf der 60 km langen Strecke von Schwenningen über Bad Dürrheim – Donaueschingen – Hüfmgen – Blumberg – Grenzübergang Neuhaus/Bar­ gen – Merishausen nach Schaffhausen eine grenzüberschreitende Buslinie mit dem Pro­ duktnamen „RandenBus“ entwickelt und schließlich am 24. Mai 1998 in Betrieb ge­ nommen. Der „RandenBus“ ist ein gemein­ sames Projekt des Kantons Schaffhausen und des Schwarzwald-Baar-Kreises. Bereits in den sechziger und siebziger Jah­ ren des vorigen Jahrhunderts verkehrte eine Postbuslinie aus dem Bereich von Blumberg nach Schaffhausen. Nachdem jedoch diese durchgehende Busverbindung wieder einge­ stellt wurde, griff man Ende der achtziger Jahre erneut die Idee mit der damaligen „Bahnbus Südbaden“ auf, um einen grenz­ überschreitenden Verkehr realisieren zu können. Bei dem damaligen Linienangebot ließ sich eine neue Linie nicht integrieren und hätte erhebliche Kosten verursacht. Auch musste das Angebot im öffentlichen Personennahverkehr (OPNV) im Schwarz- wald-Baar-Kreis verbessert und ausgebaut werden, sodass die Einführung eines grenz­ überschreitenden Verkehrs nicht Priorität hatte. Der Kanton Schaffhausen und der Schwarzwald-Baar-Kreis pflegen seit vielen Jahren gutnachbarschaftliche Beziehungen und Mitte der neunziger Jahre wurde das erste konkrete Projekt in Auftrag gegeben: Die Entwicklungsstudie Blumberg-Schaff- hausen. Hieraus resultierten zahlreiche Vor­ schläge, wie die beiden Regionen in allen Bereichen des täglichen Lebens miteinander verknüpft und die grenzüberschreitenden Kontakte intensiviert werden können. Im Rahmen dieser Entwicklungsstudie wurde die Empfehlung ausgesprochen, ein integriertes Verkehrskonzept zu entwickeln. Die Angebote aus Bildung, Kultur, Touris­ mus und deren Standorte sollten dabei be­ rücksichtigtwerden. Der Schwarzwald-Baar- Kreis hat als Aufgabenträger des ÖPNV die­ se Empfehlung aufgegriffen und mit dem Kanton Schaffhausen Kontakt aufgenom­ men. Auf schweizer Seite wurde die Idee ei­ nes grenzüberschreitenden Verkehrs offen und positiv aufgenommen und sofort Un­ terstützung und Mithilfe zugesichert. Der Nahverkehrsberater des Schwarzwald-Baar- Kreises Ulrich Grosse hat Vorschläge erar­ beitet, wie unter Verwendung der bestehen­ den Buslinien, die von schweizer wie von deutscher Seite bis nahe an die Grenze füh­ 34

ren, eine durchgehende Verbindung geschaf­ fen werden kann. Heute verkehren täglich je drei Busverbindungen zwischen Schaffhau­ sen und dem Schwarzwald-Baar-Kreis. Die notwendigen Verkehrsleistungen werden ge­ meinsam von der SüdbadenBus GmbH (SBG) und der Fa. Postauto Thurgau-Schaff- hausen erbracht. Grenzüberschreitender Tarif Gemeinsam mit dem Zollamt und dem Bundesgrenzschutz konnten die Fragen der Zollabfertigung unkompliziert geklärt wer­ den. Zur Einführung einer grenzüberschrei­ tenden Buslinie gehört selbstverständlich auch eine Kooperation im Tarifbereich. Des­ halb wurde für den Einzelfahrschein ein Ta­ rifsystem entwickelt, das unter Berücksichti­ gung der jeweiligen nationalen Tarife einen einheitlichen grenzüberschreitenden Tarif schafft. Der Fahrgast kann damit mit nur ei­ nem Fahrschein von Schaffhausen bis Schwenningen und umgekehrt fahren. Ab Mitte Dezember 2002 wird überdies die Möglichkeit geschaffen, mit dem VSB-Tou- rist-Ticket nach Schaffhausen und umge­ kehrt von Schaffhausen mit dem dortigen FlexTax-Abo und der FlexTax-Tageskarte nach Blumberg zu fahren. Diese Erweite­ rung hat zur Folge, dass man mit der „Tages­ D er R andenB us karte Euregio Bodensee“ von/bis Blumberg fahren kann und den Nutzern somit der ge­ samte Bodenseeraum (inkl. der Bodensee­ schifffahrtsbetriebe) geöffnet wird. Die Nachfrage auf den einzelnen Kursen fällt unterschiedlich aus. Insbesondere die schweizerische Kundschaft, die in Blumberg eine Dampfzugfahrt mit der „Sauschwänzle- bahn“ nach Weizen oder umgekehrt unter­ nehmen möchte, nutzt den „RandenBus“. Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2002 wird eine neue Ausflugsbroschüre für den „RandenBus“ vorgestellt, um so das Be­ wusstsein der Bevölkerung für den „Randen­ Bus“ zu stärken. Es sollen vermehrt Ausflugs­ gäste angesprochen werden. In der Broschüre werden zwölf attraktive Ausflugstipps – für jeden Monat einen – vorgestellt. Mit speziellen Vergünstigungen und Angeboten, die in Verbindung mit ei­ nem grenzüberschreitenden Fahrausweis gültig sind, sollen die Ausflugsgäste animiert werden, das öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Weitere Informationen finden sich im In­ ternet unter: www.randenbus.de. Der Kan­ ton Schaffhausen und der Landkreis hoffen, dass diese M aßnahmen dazu führen, die Auslastung der Buslinie zu erhöhen. Sven Hinterseh Grenzüberschreitenden Nahverkehr bietet der „ RandenB us 3 5

Aus dem K reisgeschehen Rettungskräfte üben im Dögginger Tunnel D er Tunnel ist technisch gut ausgestattet – 180 Helfer und 20 Fahrzeuge im Einsatz Kurz vor der offiziellen Eröffnung der Dögginger B 31-Umfahrung wurden rund 180 Einsatzkräfte mit 20 Spezialfahrzeugen bei einer Großübung in den beiden Tunnel­ röhren mit einem hoffentlich nie eintreten­ den Szenario, das allerdings von der Reali­ tät nicht sehr weit entfernt liegt, konfron­ tiert. Feuerwehren, Rettungsdienste, Rotes Kreuz und Polizei übten in Zusammenar­ beit mit der Kreisverwaltung einen bisher noch nie im Landkreis dargestellten komple­ xen Verkehrsunfall in einer Tunnelröhre. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Einsatzkräften und die Erprobung der angewandten Kommunikati­ onsmittel standen im Vordergrund der Übung. Außerdem die Verständigung zwi­ schen den Führungsebenen und das Ken­ nenlernen der sicherheitstechnischen Anla­ gen im Tunnel. Simuliert wurde ein Auffahrunfall mit drei PKWs, in den zusätzlich ein Lastwagen mit Gefahrgut und ein Schulbus mit Kindern verwickelt waren. Das Szenario sah vor, dass Insassen eingeklemmt wurden, Fahrzeuge in Flammen aufgingen und die Unfallstelle nur mit Atemschutzgeräten zu erreichen war. Von der ostwärts gelegenen sicherheits­ technischen Zentrale konnte u.a. Landrat Heim die Übung dank verschiedener instal­ lierter Kameras verfolgen. Mitarbeiter des Straßenbauamtes Donau- eschingen erläuterten in der Zentrale die ver­ schiedenen Schutzvorrichtungen, wie Brand­ meldeanlagen, Lüftungssystem, Rotlicht­ schaltungen an Ost- und Westportalen, Not­ beleuchtung und Fluchtwegschilder in bei­ den Tunnelröhren. Bei Benutzung eines der sechs Notruftelefone wird die zentrale Not­ rufstelle bei der Polizei in Villingen-Schwen­ ningen aktiv, die sich zunächst – dank der installierten Kameras – per Bildschirm über das Ausmaß des Schadens kundig machen kann. Je nach Art und Umfang des Zwisch- Der Dögginger Tunnel, die lang ersehnte Ortsumgehung istfür die Dögginger Wirklichkeit geworden. 36

enfalls werden von dort Streifenwagen, Feu­ erwehr und Rotes Kreuz oder im Bedarfsfäl­ le die technischen Einheiten und die ver­ schiedenen Sondereinheiten alarmiert. Pa­ rallel dazu kann mit Hilfe des Computers auf die Wechselverkehrszeichen Einfluss genommen und die Reduzierung der Ge­ schwindigkeit veranlasst werden. Die Tun­ nelschranken können ebenfalls ferngesteu­ ert aktiviert werden. Experten stellen dem Dögginger Tunnel mit seinen zwei Röhren ein gutes Zeugnis aus und freuen sich über den hohen Sicherheitsstandard. Katastrophenschutz Nach den schrecklichen Ereignissen am 11. September 2001 in den USA haben sich Bund und Länder intensiv mit Fragen der Reorganisation der inneren und äußeren Si­ cherheit beschäftigt, um künftig auf ver­ gleichbare Ereignisse besser als das bisher der Fall war reagieren zu können. Das betrifft auch die Organisation und die Mittel des Katastrophenschutzes. Bund und Länder versuchen derzeit, gemeinsam Konzepte zu entwickeln, wie der Zivil- und der Katastro­ phenschutz besser miteinander verzahnt werden können. Maßnahmen auf den Ge­ bieten der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern, der Warnung und Information der Bevölkemng, des Selbstschutzes und der Aus­ bildung durch den Bund auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes wurden eingelei­ tet oder beschlossen. Die Entscheidung, in den nächsten Jahren das Beschaffungspro­ gramm für den Katastrophenschutz noch­ mals zu drosseln, wurde rückgängig gemacht. Im Schwarzwald-Baar-Kreis hat man sich auch in den zurückliegenden Jahren be­ müht, die Belange des Katastrophenschut­ zes angemessen zu berücksichtigen und ent­ sprechend der jeweiligen Haushaltslage auch die Organisationen und Einheiten sowie Einrichtungen des Katastrophenschutzes mit Neuanschaffungen von Material, Gerä­ ten und Fahrzeugen zu fördern. Dadurch ist es gelungen, eine stabile Einsatzfähigkeit der K atastrophenschuta Rettungsmaßnahmen im Dögginger Tunnel wur­ den kurz vor der Inbetriebnahme von 180 Einsatz­ kräften geübt. Vor Ort informierte sich auch Land­ rat Karl Heim (Bild unten) über die besonderen Anforderungen bei derart komplexen Einsätzen. 3 7

K atastrophenschutz Kräfte im Katastrophenschutz zu erhalten. Ungeachtet dessen sind – ebenso wie in vie­ len anderen Stadt- und Landkreisen – Fach­ kenntnisse insbesondere im Bereich der ABC-Gefahrenabwehr verloren gegangen, weil dieses Bedrohungspotenzial vermeint­ lich zurückgegangen ist. Die im Kreis seit Jahren praktizierten Übungen der Führungs­ einrichtungen mit den Kräften des Katastro­ phenschutzes haben jedoch für eine stabile Führungsebene gesorgt. Dies zeigte sich bei verschiedenen Ereignissen der letzten Jahre. Erinnert sei etwa an das schreckliche Busun­ glück von 1992, Hochwasserlagen, Bedro­ hung durch Maul- und Klauenseuche und schließlich bei den zahlreichen Milzbrand- Verdachtsfällen. Als Folge der Ereignisse vom 11. Septem­ ber 2001 hat sich auf Initiative von Landrat Heim am 26. Oktober 2001 ein sogenannter Sicherheitskoordinierungsausschuss konsti­ tuiert, in dem für die innere Sicherheit im Schwarzwald-Baar-Kreis alle wichtigen Füh­ rungspersönlichkeiten des Landkreises inte­ griert wurden. Der Sicherheitskoordinierungs­ ausschuss hat zwei Arbeitsgruppen gebildet, die sich zum einen mit der gesamten ABC- Waffenproblematik und zum anderen mit der Bewältigung einer Vielzahl von Verletz­ ten beschäftigen sollten. Erste Ergebnisse lie­ gen vor und die Kreisverwaltung ist bestrebt, die gewonnenen Erkenntnisse zeitnah um­ zusetzen. ABC – Erkundungskraftwagen übergeben Am 7. Mai 2002 konnte Landrat Heim ei­ nen sogenannten ABC-Erkundungskraft- wagen an die Feuerwehr Villingen-Schwen­ ningen übergeben. Der Bund hat im Rah­ men seiner Beschaffungsplanung vorgese­ hen, dass jeder Stadt- und Landkreis für den ABC-Dienst ein solches Fahrzeug erhält. Der ABC-Erkundungskraftwagen dient dem Messen, Spüren, Melden und Dokumentie­ ren radioaktiver wie chemischer Stoffe sowie dem Erkennen und Melden biologischer Kontamination. Ebenso dient das Fahrzeug 38 dem Aufsuchen von verstreuten radioakti­ ven Materialien, der Kennzeichnung und der messtechnischen Überwachung konta­ minierter Bereiche auch abseits befestigter Wege, der Entnahme von Boden-, Wasser- und Luftproben sowie dem Erfassen und Melden von Wetterdaten. Durch Flexibilisierung der Einsatzmög­ lichkeiten und der Nutzung leistungsfähiger Messgeräte ist eine zeitsparende umfassende Erkundung kontaminierter Gebiete bei gleichzeitiger Entlastung der Helfer erreicht worden. In dem Fahrzeug, das dem Bund gehört und der die Unterhaltung mit einer Jahres­ pauschale von 460 € unterstützt, befinden sich neben dem Messcontainer, der die ra­ diologischen und chemischen Messsysteme aufnimmt, u.a. sogenannte BOS-Funkgerä- te sowie ein Ausstattungssatz zur Entnahme von festen, flüssigen oder gasförmigen Pro­ ben. Ausstattungen zur Wettermessung, Orientierung und Markierung, umgebungs­ luftabhängige und – unabhängige Atem­ schutzgeräte sowie gasdichte und semiper­ meable ABC-Schutzbekleidung ergänzen die mitgeführte Technik. Der in dem Fahr­ zeug enthaltende Messcontainer ist so kon­ zipiert, dass er auf einfache Weise in das Fahrzeug ein- bzw. ausgebaut werden kann. Ebenso ist eine Nutzung in geringfügig mo­ difizierten Ersatzfahrzeugen möglich, falls das zugehörige Einsatzfahrzeug ausfallt. Die auf dem Fahrzeug mitgeführte Technik setzt eine umfassende Schulung voraus. Im Sinne einer sogenannten Multiplikatoren­ schulung absolvierten zunächst die Ausbil­ der an den jeweiligen Landesfeuerwehrschu­ len einen einwöchigen Lehrgang an der Aka­ demie für Notfallplanung und Zivilschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die weitere Ausbildung der Fahrzeugbesatzungen und somit der hiesigen Feuerwehrleute obliegt der baden-württembergischen Feuerwehr­ schule in Bruchsal und soll möglichst bald stattfinden. Sven Hinterseh

Etappensieg fiir die Fluglärmgegner V G H gibt RILAD-Gegnern Recht: Inform ation wurde unterlassen A us dem Kreisgeschehen Im Zuge einer Neuordnung der Flugstre­ cken auf europäischer Ebene erließ das deut­ sche Luftfahrtbundesamt im Mai 2000 eine Rechtsverordnung, die den Navigationspunkt RILAX für den Anflug aus Norden auf den ungefähr acht Kilometer nördlich von Zü­ rich gelegenen Flughafen Zürich-Kloten, bei dem es sich um einen der größten Flughäfen Europas mit derzeit über 300 000 Flugbewe­ gungen im Jahr (zukünftig wird mit 420 000 Flugbewegungen gerechnet) handelt, fest­ setzt. RILAX liegt über dem östlichen Stadt­ rand von Donaueschingen ungefähr im Schnittpunkt der Bundesstraße B 27 mit der Schwarzwaldbahnlinie Villingen – Donau­ eschingen – Geisingen. Nach Erreichen die­ ses Punktes werden die Flugzeuge in der Re­ gel durch die schweizer Flugsicherung Sky- guide zum Endanflug auf den Flughafen eingewiesen. Flugzeuge, die nicht sofort wei­ tergeleitet werden, fliegen über RILAX ein­ zelne Warterunden und belasten somit die unter der Warteschleife gelegenen Orte. Der am 18. Oktober 2001 in Bern Unter­ zeichnete Staatsvertrag mit der Schweiz brachte für den Schwarzwald-Baar-Kreis lei­ der keine spürbare Entlastung. Dem Ab­ kommen waren kontroverse Verhandlungen vorausgegangen. Seit 1998 wurde in fünf Verhandlungsrunden über eine Neurege­ lung der Vereinbarung von 1984 gerungen. Im Mai 2000 kündigte die deutsche Regie­ rung den Staatsvertrag für Ende 2001. Um ihre Vorstellungen durchzusetzen, drohte sie im Dezember 2000 mit dem Erlass einer, Verordnung. Erst dies führte dann zu einem Verhandlungsdurchbruch. Für den Schwarz- wald-Baar-Kreis ist enttäuschend, dass der Text des Staatsvertrages keine Regelung über die Aufhebung von RILAX oder seine Ver­ legung in die Schweiz enthält. Ebenso wenig ist festgeschrieben, wo und wann die südli­ chen Nachbarn die eigenen Warteräume zu nutzen haben, die laut Vertrag spätestens bis 2005 eingerichtet werden sollen. Unbefrie­ digend ist ferner, dass die Warteräume, die bereits im Süden des Flughafens existieren, nicht genutzt werden. Hauptkritikpunkt der Region ist jedoch, dass die einzelnen Flugbewegungen zum und im Warteraum RILAX nicht auf das ausgehandelte Kontingent von 100000 Flü­ gen pro Jahr angerechnet werden, da eine solche Anrechnung nur bei Flügen unter­ halb von 10000 ff. (aufgrund des hochgele­ genen Schwarzwald-Baar-Kreises entspricht das einer Höhe von etwa 2 200 m) erfolgt. Im Warteraum RILAX befinden sich die Flugzeuge aber in einer Flughöhe von 11000 bis 13 000 ft. und somit außerhalb des Anwendungsbereiches des Staatsvertra­ ges. Dies führt dazu, dass bei Einhaltung der vorgeschriebenen Flughöhe RILAX ohne je­ de Einschränkung an 365 Tagen im Jahr ge­ nutzt werden kann. Beide Seiten lehnen Staatsvertrag ab In der Ratifizierungsphase zeigte sich, dass der ausgehandelte Staatsvertrag sowohl auf deutscher wie auch auf schweizer Seite viele Kritiker hat. Sowohl der deutsche Bundesrat wie auch der schweizerische Nationalrat lehnten den ausgehandelten Staatsvertrag ab. Ob sich der deutsche Bundestag mit der sogenannten Kanzlermehrheit über das Vo­ tum des Bundesrates hinwegsetzt, ist frag­ lich und nicht vorhersehbar. In der Schweiz hat der Ständerat die Möglichkeit, sich über das Votum des Nationalrates hinwegzusetzen. Unabhängig von den Staatsvertragsver­ handlungen haben elf Städte und Gemein­ den sowie zwei Privatpersonen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis beim Verwaltungs­ 3 9

Fluglärm gerichtshof (VGH) in Mannheim – dem höchsten Verwaltungsgericht in Baden- Württemberg – Klage gegen die Rechtsver­ ordnung des Luftfahrtbundesamtes erho­ ben und die Feststellung beantragt, dass die Verordnung sie in ihren Rechten verletzt und RILAX deswegen aufzuheben sei. Die Kläger konnten die drei Juristen des zustän­ digen 8. Senats bei ihrem Termin am 21. März 2002 in Bad Dürrheim überzeugen. Bereits am Tag darauf verkündeten die Rich­ ter ihr Urteil und stellten fest, dass die betei­ ligten Städte und Gemeinden sowie die pri­ vaten Kläger als Eigentümer von Grundstü­ cken in ihren Rechten verletzt sind. Die angegriffene Rechtsverordnung sei deshalb rechtswidrig, weil das Luftfahrtbun­ desamt es unterlassen hat, vor deren Erlass die von den beabsichtigten Regelungen be­ troffenen Städte und Gemeinden zu infor­ mieren und ihnen Gelegenheit zu geben, hierzu unter dem Aspekt ihrer örtlichen Be­ lange Stellung zu nehmen. Durch die ange­ griffene Verordnung werden die Rechte der Kläger ferner dadurch verletzt, dass das Luft­ fahrtbundesamt nicht geprüft hat, ob sich für RILAX ein anderer Standort finden lässt, der im Hinblick auf die erwartenden Flug­ lärmbeeinträchtigungen vorzugswürdig ist. Die Richter sind der Ansicht, dass unter den gegebenen Umständen die konkrete Mög­ lichkeit besteht, dass die Standortentschei­ dung ohne diesen Mangel anders ausgefal­ len wäre. Das Bundesverkehrsministerium gab sich mit dem Urteil nicht zufrieden und legte beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin Beschwerde ein. Wie das Bundesver­ waltungsgericht entscheiden wird, ist abzu­ warten, da der Verwaltungsgerichtshof einen Präzedenzfall zu entscheiden hatte. Ungeachtet der Tatsache, ob die Beschwer­ de abgelehnt wird und damit das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs rechtskräftig wird, oder ob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil aufhebt, ist für die betroffenen Kom­ munen von Interesse, ob es denkbare Alter­ nativen für die Anflugwege, den Anflug­ punkt und die Warteschleifen gibt. Dies ist 40 nicht nur im Klageverfahren von Interesse, sondern auch wegen der in Frage gestellten Ratifizierung des Staatsvertrages und einer von der Schweiz angedachten Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel im Falle einer einseitigen Regelung des Luftraums durch Rechtsverordnung der Bundesrepub­ lik Deutschland. Ein vom Landkreis und den betroffenen Kommunen beauftragter Gutachter soll deswegen die Frage klären, ob es technisch möglich ist, RILAX aufzuhe­ ben bzw. in die Schweiz zu verlegen. Es wird erwartet, dass das Ergebnis des Gutachtens Anfang 2003 vorliegt. Traurige Aktualität Durch das schreckliche Flugzeugunglück bei Überlingen am Bodensee in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2002 bekam ein Brief von Landrat Heim und dem Donaueschin- ger Oberbürgermeister Dr. Everke an Ver­ kehrsminister Bodewig traurige Aktualität. Die beiden Kommunalpolitiker hatten da­ rin auf die „Überfrachtung“ des Warterau­ mes RILAX hingewiesen und sich auf einen Beinahe-Zusammenstoß, der sich am 1. De­ zember 2000 über dem Schwarzwald-Baar- Kreis ereignet hatte, berufen. Als Ursache der gefährlichen Annäherung zweier Flug­ zeuge hatte der schweizer Prüfer im Herbst 2001 festgestellt, dass im fraglichen Luft­ raum „sehr dichter Verkehr“ herrschte. Das Flugzeugunglück vom Bodensee steht zwar in keinem Zusammenhang mit der Diskus­ sion um den Warteraum RILAX und die Anflugverfahren auf den Flughafen Zürich. Es macht aber deutlich, dass mit der ver­ stärkten Nutzung des Luftraumes nicht zu unterschätzende Gefahren verbunden sind. Die Politiker geben die Hoffnung nicht auf, dass eine gerechte Lastenverteilung im Zusammenhang mit den Anflügen auf den Flughafen Zürich gefunden wird und somit das gutnachbarschaftliche Verhältnis zur schweizer Seite nicht belastet wird. Sven Hinterseh

2. Kapitel /A lm anach 2003 Städte und Gemeinden 30 Jahre gemeinsame Stadt „Mit vereinten Kräften die D oppelstadt auch in Zukunft voranbringen“ Villingen-Schwenningen feiert 2002 zu­ sammen mit dem Land Baden-Württem­ berg einen runden Geburtstag: Entstand Baden-Württemberg vor genau 50 Jahren, kann die Stadt Villingen-Schwenningen im Jahr 2002 auf eine dreißigjährige Geschich­ te zurückblicken. Das Ereignis „50 Jahre Ba­ den-Württemberg – 30 Jahre Villingen- Schwenningen“ wurde bereits im März des Jahres mit einem wissenschaftlichen Sym­ posium diskutiert und mit einer Ausstellung im Franziskaner-Museum unter dem Motto „Zwischen Festung und Paradiesgarten, Ar­ chitekturen in Grenzbereichen“ thematisiert. sitiven Aspekte des Zusammenwachsens von Villingen und Schwenningen ohne Ver­ lust der Identität der einzelnen Stadtbezirke und ihrer Einwohner. Das Landes- und das Stadtoberhaupt kamen einstimmig zu dem Schluss, dass die Gründung des Landes Ba­ den-Württemberg und die der Stadt Villin­ gen-Schwenningen in engem Bezug stehen. „Ohne die Schaffung des Landes Baden- Württemberg hätte Villingen-Schwennin­ gen an der einstigen Grenze zwischen Baden und Württemberg nicht entstehen können“, so Oberbürgermeister Dr. Manfred Matusza. Am 14. Juli 2002 war es dann soweit: Das gemeinsame Jubi­ läumsfest mit dem Land Baden- Württemberg im Familienpark, auf der einstigen Nahtstelle zwi­ schen Villingen und Schwen­ ningen, zog rund 15 000 Men­ schen aus nah und fern an. „Villingen-Schwenningen ist die typischste Stadt unseres Lan­ des, Baden-Württemberg im kleinen“, resümierte Oberbür­ germeister Dr. Manfred Matus- za die Entwicklung der Stadt an­ lässlich des Bürgerfestes der Stadt Villingen-Schwenningen. Minis­ terpräsident Erwin Teufel, der an diesem Tag zusammen mit der Stadt Villingen-Schwennin­ gen die beiden runden Geburts­ tage des Landes und der Stadt feierte, betonte ebenfalls die po­ Tausende kamen zum Bürgerfest auf dem Villinger Münsterplatz. 4 1

Städte und G em einden Beide Zusammenschlüs- se seien zudem auf der Grundlage von Volksab­ stimmungen mit sehr großer Zustimmung der Bürger erfolgt. Und auch das Ergebnis der Entwicklungen nach dem Zusammenschluss sei ähnlich. ,30Jahre Villingen-Schwenningen“. „Aus den Städten Vil- lingen im Schwarzwald und Schwenningen am Neckar wird die Stadt Villingen-Schwennin- Ministerpräsident Erwin Teufel und Oberbürgermeister Dr. Matusza beim gen gebildet“, verkün- Bürgerfest aus Anlass dete der Landtag von Baden-Württemberg am 26. Juli 1971. Da­ mit fiel am 1. Januar 1972 der Startschuss für eine bislang einmalige Stadtgründung: Das badische Villingen und das württembergi- sche Schwenningen verschmolzen zu einer Stadt, ein Ereignis, das für den gesamten südwestdeutschen Raum von großer Bedeu­ tung war. Ziel der Städte Villingen und Schwenningen war, die gemeinsame Stadt in Übereinstim­ mung mit dem Landesentwicklungsplan für Baden-Württemberg zu einem leistungsfähi­ gen Oberzentrum auszubauen. Durch den Zusammenschluss der beiden Städte Schwen­ ningen mit Mühlhausen und Villingen mit Obereschach entstand am 1. Januar 1972 die Stadt Villingen-Schwenningen, die Sitz des neu gebildeten Landkreises Schwarzwald- Baar wurde. Die Gemeinden Herzogenwei- ler, Pfaffenweiler, Rietheim, Tannheim, Mar­ bach, Weigheim und Weilersbach kamen hinzu. Die Stadtgründung, die vom ehemaligen Oberbürgermeister Schwenningens und ers­ tem Oberbürgermeister von Villingen- Schwenningen, Dr. Gerhard Gebauer und seinem Villinger Kollegen Severin Kern, ein­ geleitet und realisiert wurde, gilt heute lan­ desweit als Modell, an dem nachgewiesen werden konnte, dass über Jahrhunderte wäh­ rende unterschiedliche Traditionen auch har­ monisch in einer Stadt weiterleben und ih­ re gemeinsame Entwicklung dennoch voran­ bringen können. Schwaben und Aleman­ nen, Württemberger und Badener, Katholi­ ken und Protestanten taten sich über ihre einstigen politischen, kulturellen und geo­ grafischen Grenzen per Bürgerentscheid zu­ sammen. Die im Jahre 1967 im Landesentwicklungs­ plan als auszubauendes Oberzentrum vor­ gesehene Stadt Villingen-Schwenningen soll­ te ab diesem Zeitpunkt eine echte Zentral­ funktion für den südlichen Landesteil Baden- Württemberg neben Freiburg übernehmen. 42 Echte Zentralfunktion Neben dem Ausbau, der Sanierung und Weiterentwicklung der beiden Innenstädte und der Ortschaften sei die städtebauliche Integration im Zentralbereich stets ein wich­ tiges Ziel, erklärte Dr. Manfred Matusza am 14. Juli im Familienpark. Hier sei das Insti­ tut für Mikro- und Informationstechnik, die Geriatrische Klinik und die Wohnbebauung Schilterhäusle, ein Fachmarktzentrum mit oberzentralen Dimensionen und auch der Familienpark gebaut worden, so einige Bei­ spiele. Oberbürgermeister Dr. Manfred Ma­ tusza wies auch auf die Erfolge des Stadtqua­ litätsprogramms und anderer Programme

des Landes hin, durch die in den vergange­ nen Jahren zahlreiche Projekte realisiert wor­ den seien. Er führte als Beispiele das erwei­ terte und modernisierte Theater am Ring, das Franziskaner-Kulturzentrum mit dem neu konzipierten Franziskanermuseum und die Neue Tonhalle an. Etliche neue Unternehmen Auch im Planungs- und Baubereich habe sich viel getan. Darüber hinaus seien im Lau­ fe der Zeit zahlreiche städtebauliche Sanie­ rungsmaßnahmen umgesetzt und auch neue Wohngebiete erschlossen worden, etwa die Sanierungsgebiete „Niederes Tor“ und „Riet- straße/Obere Straße“, das Baugebiet „Obe­ rer Steppach/Vorderer Eckweg“, die Reakti­ vierung des ehemaligen „Kienzle-Areals“, die Baugebiete „Kleines Eschle“ und „Stein- kirch II“ (als erstes privat entwickeltes Bau­ gebiet) sowie die Entwicklung des Wohnge­ biets „Schilterhäusle“. Darüber hinaus seien in der Stadt zusätzliche, attraktive Industrie- und Gewerbeflächen entwickelt worden, die VS – 30 Jah re gem einsam e Stadt etwa im Zentralbereich mit dem Schwarz- wald-Baar-Center und dem Industriegebiet Herdenen, sowie in Schwenningen den bei­ den Zentren „’s Rössle“ oder „LeProm“ etli­ che neue Unternehmen angezogen haben. Ebenso wie das Land Baden-Württemberg setze auch Villingen-Schwenningen gezielt auf den Mittelstand, so Oberbürgermeister Dr. Manfred Matusza. Auch dadurch sei der Standort Villingen-Schwenningen krisensi­ cherer geworden und könne besser auf Kon­ junkturschwankungen reagieren. Die breite Branchenvielfalt und die vielen neu gegrün­ deten Betriebe im Hochtechnologiebereich ließen eine weitere Aufwärtsentwicklung er­ warten, so seine Prognose. Prinzip der Wirtschaftlichkeit Und auch innerhalb der Verwaltung setze man auf das Prinzip der Wirtschaftlichkeit: „Die verwaltungsinternen Abläufe sind re­ formiert, optimiert und auf den neuesten Stand gebracht worden“, fasste Dr. Manfred Matusza zusammen. Ein erster Schritt hierzu .Dr. Quincy “ beim Bürgerfest aufdem Villinger Münsterplatz Ende Juli 2002. 43

VS – 30 Jahre gem einsam e Stadt Das neue Wappen der Stadt Villingen-Schwenningen (Beschreibung vom Standpunkt des gedachten Schildträgers und nicht vom Betrachter ausgehend sowie Erläuterung) In von Silber (Weiß) und Blau gespalte­ nem Schild ein Wellenbalken in verwech­ selten Farben, im rechten oberen Feld ein linksge­ wendeter, golden (gelb) bewehrter roter Adler, im linken oberen Feld ein schwimmender, silberner (weißer) Schwan mit gol­ denem (gelbem) Schnabel und Zunge. Adler und Schwan sind die Wappentiere der Stadt Villingen bzw. Schwennin­ gen, die sich im Jahre 1972 zu einer gemeinsamen Stadt zu­ sammenschlossen. Beide Städte hatten in ihren Wappen die Farben Silber (Weiß) und Blau: Villingen (gespalten von Silber und Blau), Schwen­ ningen (geteilt von Blau und Silber). Die­ se Traditionen sind in das Wappen von Vil­ lingen-Schwenningen eingegangen, das der Stadt am 11. Dezember 2001 vom Regierungsprä­ sidenten verliehen wurde. Der Wellenbalken ist ei­ ne Weiterentwicklung des Halbbalkens im mittelal­ terlichen Villinger Wap­ pen (vor 1530). Dieser zweifarbige Wellenbalken symbolisiert in Villingen die Brigach als Quellfluss der Donau und in Schwen­ ningen den Neckarursprung. So stellt dieses Wappen die Lage der Stadt auf der europäischen Was­ serscheide dar. Es ist klar und eindrucks­ voll. Dr. Heinrich Maulbardt sei die Zusammenlegung der ursprünglich 28 Ämter auf nun 14 Ämter gewesen. Den Kern der Verwaltungsreform stelle jedoch das so genannte „Neue Steuerungsmodell“ dar, das in den 1990er Jahren eingeführt worden ist. Nach dieser Vorgabe werden die Leistungen der Verwaltung unter betriebs­ wirtschaftlichen Gesichtspunkten ermittelt. „Vielfalt der Traditionen“ „In den Köpfen der Bevölkerung ist ein Entwicklungs- und Umdenkprozess einge­ treten. Es hat sich tatsächlich im Laufe der Zeit gezeigt, dass dieser Prozess, der niemals Gleichheit anstrebte, sondern auf die Viel­ falt der Traditionen setzt, gefruchtet hat“, so das Fazit des Oberbürgermeisters am 14. Ju­ li 2002 zum 30. Geburtstag der Stadt. Vil­ lingen-Schwenningen setzt hinsichtlich des Wir-Gefuhls klare Zeichen: Man begann das Jubiläumsjahr mit einem gemeinsamen Wap­ pen. Der Villinger Adler und der Schwen- ninger Schwan wenden sich einander zu „um mit vereinten Kräften die Stadt auch in Zukunft voranzubringen“, lautet die Er­ klärung von Oberbürgermeister Dr. Man­ fred Matusza. Das Bürgerfest am 14. Juli 2002 stand ganz unter diesem gemeinschaftlichen Zeichen: 36 Vereine und Institutionen aus allen Stadt­ bezirken zeigten im weitläufigen Gelände des Familienparks Programmpunkte aus den unterschiedlichsten Bereichen, ein Fest auf dem Villinger Münsterplatz folgte Ende Ju­ li. Stefanie Saur 4 4

Über 150 Jahre Kurwesen In Bad Dürrheim kom m t die G esundheit aus der Natur S tädte u nd G em einden Bad Dürrheims Gold trägt die Farbe weiß: Denn der Schatz der Kur- und Bäderstadt ist Salz – Sole aus 200 Meter Tiefe. 1997 jährte sich ein interessantes Datum: 175 Jahre Grün­ dung der Saline Bad Dürrheim. Im Jahr 2001 feierte die Kurstadt ein weiteres wich­ tiges Jubiläum: „Bad Dürrheim: 150 Jahre Kur und Gesundheit“. 1822 nahm die Sali­ ne auf der Baar ihre Tätigkeit auf und leite­ te die Entwicklung des einstigen Bauern­ dorfes „Durroheim“ zu einem der führen­ den bundesdeutschen Heilbäder ein. Die Besonderheit der Bad Dürrheimer Kur ist eine Kombination aus Reiztherapie, kli­ matischen und mineralischen Heilfaktoren. Die Sole, das Heilklima, die Sonne, die Landschaft – diese natürlichen Schätze sind die Stärken des einzigen Sole-Heilbades des Schwarzwaldes und höchsten Sole-Heilba­ des Europas, das außerdem das zweite Prä­ dikat Heilklimatischer Kurort trägt. Bad Dürrheims traditionsreiche Bäderkultur ori­ entiert sich an den Worten des bekannten römischen Geschichtsschreibers Plinius des Alteren: „In sale et sole salus“ (In Salz und Sonne ist Heilung). Dieses Motto prägt nach wie vor den Ganzjahres-Kurort Bad Dürr­ heim mit der Spezialisierung auf Erkran­ kungen der Atemwege, des rheumatischen Formenkreises, Wirbelsäulen- und Gelenk­ leiden sowie Herz-Kreislaufbeschwerden. Die Kur- und Feriengäste finden fachkun­ dige Betreuung in m nd einem Dutzend Kur­ kliniken. Insgesamt verfügt die Kurstadt über 4000 Gästebetten und rund 670000 Übernachtungen. Als Gesundheitszentrum 1z0 Jahre Kur und Gesundheit“feiert Bad Dürrheim, hier die Kurklinik Sonnenhühl. 4 5

Städte und G em einden Das Solemar – weitbin bekanntes Bade- und Therapiezentrum in Bad Dürrheim. für die Region steht Bad Dürrheim mit sei­ nem Solemar ambulanten Patienten und ge­ sundheitsbewußten Menschen zur Verfügung. Im Jahr 1805 nahm die Solegeschichte ihren Ausgangspunkt mit dem Villinger For­ scher und Erfinder Conrad Heby, der auf­ grund einer Braunsteingrube und eines Gipsflözes in Dürrheim (damals noch ohne das Prädikat „Bad“) ein Salzvorkommen mut­ maßte. Heby unterbreitete dem für das Bau­ erndorf Dürrheim zuständigen Amtmann, Johann Baptist Willmann, seine Überlegun­ gen. Zunächst ohne Resonanz. Salzfunde bei Kochendorf und Jagstfeld bei Heilbronn gaben dann jedoch, gefördert von dem Experten, Hofrat Carl Christian von Langsdorff, den Anstoß für Probeboh­ rungen in Dürrheim – mit Erfolg. Am 25. Februar 1822 gelang in der Scheune des Bau­ ern Johann Schrenk die Förderung des er­ sten Dürrheimer Salzes aus 139 Meter Tie­ fe. Ein großer Schatz, galt doch Salz zur da­ maligen Zeit als enorme Kostbarkeit, die bis dato aus dem Ausland per Pferdefuhrwerk mühsam transportiert wurde. Heute erin­ nert ein Gedenkstein im Hindenburgpark an dieses Ereignis. 1823 die Salinen AG gegründet Die offizielle Gründung der Salinen AG folgte 1823. 1831 lieferte die Saline „Lud­ wigshall“ – benannt nach Großherzog Lud­ wig von Baden – Salz aus fünf Förderlöch­ ern. Stetig vollzog sich der Aufschwung des Ortes, Salinenbeamte, Arbeiter und Hand­ werker fanden ihr Auskommen. Im Zuge der Entwicklung entstanden zwischen 1823 und 1826 auch zahlreiche Neubauten im Sali­ nenbereich, errichtet von Friedrich Arnold, Schüler des berühmten Architekten Wein­ brenner („Karlsruher Fächer“). Das Grundwasser löste das in der Erde aus Urzeitmeeren ruhende Steinsalz. In Bohr­ löchern erfolgte die Förderung des gelösten Salzes, der Sole. Deren Erhitzung in Siede­ pfannen bewirkte die Verdampfung des Was­ sers und die Gewinnung des Salzes. Viehsalz, 46

Kochsalz, Salz für die Industrie, für Gerbe­ reien, Seifenhersteller, Streusalz – mannig­ faltig zeigte sich die Nutzung des Bad Dürr- heimer Salzes, das zunächst per Pferdefuhr­ werk, ab 1904 dann mit der neuen Bahn sei­ ne Abnehmer in Baden, Württemberg, Bay­ ern und in der Schweiz fand. Salz aus Bad Dürrheim war – im wahrsten Sinn des Wor­ tes – jahrzehntelang in aller Munde. Das unter dem Markennamen „Safri“ vertriebe­ ne Produkt befand sich sogar in Afrika im Handel. Sole nur noch für Kurzwecke Am 31. März 1972 stellte die Saline Bad Dürrheim im 150. Jahr ihres Bestehens den Betrieb ein, nachdem sie am Schluß nur noch Verluste eingefahren hatte. Seitdem die letzte Schicht für die noch verbliebenen 49 Mitarbeiter beendet war, wird in Bad Dürrheim nur noch Sole für Kurzwecke ge­ fördert. Heute erinnern die historischen Ge­ bäude in der Ortsmitte an die Ära der Sali­ ne. Die von Friedrich Arnold errichteten Sa- linen-Verwaltungsgebäude beherbergen heute das Rathaus, das ehemalige Salzlager bzw. die Siedepfanne dienen als Haus des Gastes und Haus des Bürgers als beliebte Veranstal- tungs- und Begegnungsstätten. Zwei mar­ kante Sole-Bohrturmpaare belegen Bad Dürr­ heims reiche, über 1100 Jahre Geschichte. Nach wie vor aktiv ist der Sole-Bohrturm am Ende der Luisenstraße. Aus 200 Meter Tiefe erfolgt dort die Emporförderung der heilkräftigen Natur-Sole. Spezielle Sole-Lei­ tungen führen dann „online“ das natürliche Kurmittel zum Bade- und Therapiezentrum Solemar und zu den Kurkliniken. Badekabinen im Bohrhaus Bereits seit 1830 genossen die Salinenar­ beiter die wohltuende Wirkung der (kosten­ losen) Solebäder. In diesen Vorzug kamen Menschen aus der Region ab 1851 mit Er­ richtung der ersten Badekabinen im Bohr­ haus IV. Das offizielle Badewesen nahm da­ Über 150 Jahre Kur- und B äderwesen mit ab dem Jahr 1851 seinen Anfang in Dürrheim. Im ersten Jahr betrug die Anzahl der abgegebenen Bäder 384. Sie stieg auf 6178 Bäder im Jahr 1864 und dann auf 10 958 Bäder anno 1884 und lag bis zurjahr- hundertwende zwischen 10000 und 14 000 Bäder. Nach dem Jahr 1900 verzeichnete man ein sprunghaftes Ansteigen – für 1911 betrug die Angabe 69 542 Bäder mit Steige­ rungen bis auf 90000 in den Folgejahren. Die Funktion als Badearzt versah der jewei­ lige Salinenarzt mit. Bereits 1851 gab es schon Arztvorträge und Gesundheitsbildung in Dürrheim. Dampfbäder und Inhalationen konnten Badegäste ab 1857 nehmen. Nach der Eröff­ nung des Kindersolbades 1883 und durch die Übernahme der Patronage durch die Landesmutter, Großherzogin Luise von Ba­ den, erfolgte der kontinuierliche Aufschwung des Ortes. Das offizielle „Bad“ datiert aus dem Jahr 1921,1976 folgte das Prädikat „Heil­ klimatischer Kurort“ und 1985 „Sole-Heil­ bad“, sowie 1991 „Staatlich anerkannter Er­ holungsort“ für den Ortsteil Öfingen. Neben Großherzogin Luise von Baden, die die Solekur für die Gesundheit ihrer Kinder Die Besonderheit der Bad Dürrheimer Kur ist eine Kombination aus Reiztherapie, klimatischen und mineralischen Heilfaktoren. 4 7

Über 150 Jahre Kur- und Bäderwesen sehr schätzte, kurte viel Prominenz in Bad Dürrheim: Bert Brecht weilte ebenso dort wie Victor von Scheffel. Diplomaten, Künst­ ler und Leistungssportler lieben Bad Dürr­ heim. So kommt die bundesdeutsche Rad- Elite regelmäßig zum Trainingslager. Auch Tour-de-France-Star Jan Ullrich hat schon viele Trainingsrunden in Bad Dürrheim ge­ dreht. Bad Dürrheim zögerte nie mit Investitio­ nen in die kurörtliche Infrastruktur. Die Neuzeit leitete Bad Dürrheims damaliger Bürgermeister und Kurdirektor Otto Weis- senberger (1911-1999) ein. Der als „Löwe der Baar“ bekannte Kommunal- und Bäder­ politiker lenkte unter dem Leitmotto „Vor­ wärts Bad Dürrheim“ von 1954 bis 1979 die Geschicke des Kurortes. In diese Zeit fielen die Gründung der Kur- und Bäder GmbH, der Bau des Hallen-Freibades Minara, der Realschule, wichtiger Kureinrichtungen so­ wie die Stadterhebung. Diese erfolgte 1974 nach der Eingemeindung der sechs Ost- baargemeinden Biesingen, Hochemmingen, Öfingen, Oberbaidingen, Unterbaidingen und Sunthausen. Der Schritt zur Ganzjahreskur Bad Dürrheim vollzog 1958 mit der Ein­ weihung des neuen Kurmittelhauses den Schritt von der bisherigen Saisonkur zur Ganzjahreskur. Es löste das alte Badhaus II ab und trug damit entscheidend zum Auf­ schwung des Ortes und den Erfordernissen des stetig steigenden Kurgastaufkommens bei. Verzeichnete Bad Dürrheim 1951 noch 10499 Kurgäste, so waren es 1954 bereits 13 061 Kurgäste und 1957 dann 16412 Kur­ gäste. Als besonderes Herzstück des Kur­ mittelhauses luden ein Sole-Schwimm­ becken als Bewegungsbad und eine moder­ ne Therapieabteilung ein. Eine weitere Be­ reicherung erfuhr das Kurgeschehen als 1968 das Mineral-Sole-Hallenbad im Kur­ park eröffnete. Unter Bürgermeister und Kurdirektor Ger­ hard Hagmann, seit 1979 an der Spitze Bad 48 Bürgermeuter und Kur­ direktor Otto Weissen- berger (1911-1999). Dürrheims, wurde 1987 an dieser Stelle der Neubau des Ba­ de- und Gesundheits­ zentrums Solemar eröffnet. Mit über 30 Millionen Mark bedeutete dies die größte Einzelinvesti­ tion in der Geschich­ te Bad Dürrheims. Zuvor hatte die Stadt 1984 im sogenannten „Jahrhundertvertrag“ alle Kureinrichtungen vom Land Baden-Württemberg übernom­ men. Dazu gab es vom Land einen großen Betrag zur Errichtung des Solemars. Das in­ ternational mit Preisen bedachte Bad bietet unter einem kühn geschwungenen Holz­ dach (im Stil des Münchner Olympiastadi­ ons) eine Fülle an gesunden und sprudeln­ den Attraktionen sowie die im landschafts- typischen Stil gehaltene und mit großem Aufwand im Jahr 2001 erweiterte Schwarz­ wald-Sauna. Neben dem Solemar investierte Bad Dürr­ heim auch in seine städtische und kurörtli­ che Infrastruktur. Dazu zählten die neue Sa- linen-Sporthalle, die Neugestaltung des his­ torischen Kurparks zur 13. baden-württem­ bergischen Landesgartenschau 1994 und im selben Jahr die Modernisierung des Kur­ hauses für zehn Millionen Mark. Bürgermeister Gerhard Hagmann zur Sei­ te steht seit 2000 Kurdirektor Michael Stein­ bach. Gemeinsam stellen sie die Weichen für die Weiterentwicklung Bad Dürrheims als moderne Sport- und Aktiv-Kurstadt im 21. Jahrhundert. Dagmar Schneider-Damm

Das erste Mediendorf im „Ländle“ M önchw eiler bietet seinen Bürgern auch eine kostenlose E-Mail-Adresse S tädte und G em einden D a s N e u e cntstd Die neuen Informations­ und Kommunikationstech­ nologien haben die Gesell­ schaft in vielen Lebensberei­ chen verändert. Ob zu Hau­ se, im Büro oder in der Frei­ zeit: E-Government, Lernen im Internet, elektronischer Handel oder O n­ line-Banking gehören für viele Menschen schon zum täglichen Brot. Medien Bürgermeister Scheerer hat das Thema „neue Medien“ in Mönchweiler zur Chef­ sache erklärt. Als bundesweit einmaliger Ser­ vice erhielten im April 2001 Bürger, Vereine und Organisationen auf Antrag zu ihrer postalischen Adresse auch noch eine eigene kommunale E-Mail-Adresse. Inzwischen nutzen diesen kostenlosen Service 260 Bür­ ger. Die Kommunikation im Dorf wird da­ durch erleichtert und gefördert, da alle Teil­ nehmer in einem E-Mail-Adressbuch aufge­ listet sind. Auch Offliner können an diesem Service partizipieren. Im Rathaus stand ein „Bürger­ PC“, der kostenlos zum Surfen im Internet oder zum Abholen und Empfangen von E- Mails genutzt werden konnte. Dieser PC steht inzwischen in der Bücherei und ist während der Öffnungszeiten für alle zu­ gänglich. Die Verwaltung hat mit einem „Newsletter“ die Möglichkeit, aktuelle Infos schnell weiterzugeben. Selbstverständlich werden jene Bürger nicht ausgeschlossen, die daran nicht teil­ nehmen können. Alle Informationen wer­ den auch in der wöchentlichen Ausgabe des Mitteilungsblattes veröffentlicht, somit wird Mreisverleihung: Bürgermeister Scheerer nimmt die Urkunde fü r den ersten Mreis beim Landeswettbe­ werb „Internet für alle “ entgegen. eine breite Basis angespro­ chen. Seit Dezember 2000 trifft sich regelmäßig ein enga­ giertes Team um Bürger­ meister Friedrich Scheerer: Mit dabei sind Rainer Kaufmann (Direktor des Regionalverban­ des), Jörg Westermann (Konrektor der Grund- und Hautschule) und die drei Ge­ meinderäte Günter Kayan, Peter Kaiser so­ wie Bruno Feiertag. Das Projekt wird ge­ meinsam von Armin Frank, einem Unter­ nehmensberater aus der Privatwirtschaft und Markus Esterle (Mitarbeiter im Rathaus) or­ ganisiert. Die unterschiedlichen Erfahrungs­ bereiche der Mitglieder geben dem Team ein breites Wissen und viel Kreativität. Ziel des Mediendorf-Teams ist es vor allem, die Me­ dienkompetenz im D orf zu steigern, die di­ gitale Spaltung zu verhindern und mög­ lichst vielen Bürgern eine Hilfestellung zu geben, damit Verwaltung und Bürger mit den elektronischen Medien gemeinsam in die Zukunft gehen. Stationen des Erfolges Mönchweiler wurde im Februar 2001 das erste Mediendorf in Baden-Württemberg, 4 9

S tädte und G em einden dann wurde man Preisträger beim Landes­ wettbewerb „Internet für alle“. Dann konn­ te sich Mönchweiler im Landeswettbewerb „Internetdorf2001“ unter die „Top Ten“ der kommunalen Internetauftritte in Baden- Württemberg einreihen. Schließlich ist man auch bei dem begehrten Landeswettbewerb „Internet für alle“ als Gewinner ausgewählt worden. Dann durfte Mönchweiler das Land Baden-Württemberg auf der internationalen Konferenz in Spanien über das „Neue Dorf“ vertreten. Zur Zeit leitet Mönchweiler den Arbeitskreis Me­ diendörfer (Ster- nenfels, Schiltach und Wannweil und weitere Me­ diendörfer kom­ men hinzu) in Baden-Württem­ berg. Die Gemeinde Mönchweiler hat Preisgelder und Förderungen in Höhe von insgesamt 42 500 Euro erhalten. Ein großer Teil davon wurde in die Ausstattung eines kommunalen PC- Schulungsraumes investiert, der allen Bür­ gern, Vereinen, Organisationen und der Schule zur Verfügung steht. Das „Forum für Jugend Bildung und Kultur“ bietet gemein­ sam mit der Volkshochschule zahlreiche PC- und Internet Kurse an, die nun auf­ grund des eigenen Schulungsraumes bedarfs­ orientiert und ohne großen zeitlichen Vor­ lauf angeboten werden können. Die Flexi­ bilität konnte durch diese Investition ge­ steigert werden. Was bedeutet es ein Mediendorf zu sein? Inspiriert wurde man durch den ersten in­ ternationalen Kongress „Das neue Dorf“ im September 2000 in Konstanz. Die damalige Definition deckt sich mit dem ersten Kon­ zept des Mediendorfes Mönchweiler. Im Vordergrund stehen Maßnahmen zur Schaf­ fung einer breiten Medienkompetenz und 5 0 -akzeptanz in der Bürgerschaft. Der Me­ dieneinsatz führt nicht zur Verarmung der Kommunikationsstruktur im Dorf, er berei­ chert und ergänzt sie. Das Mediendorf sichert seinen Standort mit dem Einsatz neuer Medien. Ein Ab­ bröckeln der Dienstleistungen, das im länd­ lichen Raum bereits begonnen hat, soll ver­ hindert werden. Im Logo erkennt man die wichtigsten Bau­ steine des weitreichenden Konzeptes. Bil­ dungszentrum, Servicemarkt und virtuelles Der Internetauftritt der Gemeinde Mönch­ weiler beschäftigt sich auch mit der Thema­ tik „Frauen und Fa­ milie“. Rathaus. Das Bildungszentrum für neue Medien wird mit dem Aus- und Neubau der Schule errichtet. Die Online-Berater können allerdings schon heute bei Bedarf kostenlos im Rathaus angefordert werden und helfen zum Beispiel bei der Einrichtung eines PC’s. Vortragsprogramme zu relevanten Themen werden angeboten. Der Servicemarkt wird in der noch zu bebauenden Ortsmitte entste­ hen. Dort sollen alte und neue Dienstleistun- gen zusammen mit einem Einkaufsmarkt unter einem Dach verbunden werden. Seit Monaten wird intensiv an der Realisierung eines virtuellen Dorfladens gearbeitet. Das Projekt dauert inzwischen länger als geplant, weil die Kostenverteilung bisher noch nicht zufriedenstellend geregelt werden konnte. Uber allem steht die Homepage mit der Adresse www.moenchweiler.de. Für die un­ terschiedlichen Bereiche gibt es unterschied­ liche Zielgruppen. Es gibt das Online-Mit­ teilungsblatt, den persönlichen Abfallkalen­ der, die öffentlichen Gemeinderatsproto­ kolle, den Haushaltsplan und vieles mehr.

Das Mediendorf Mönchweiler als Info- Grafik. Die Homepage wird ständig erweitert und ausgebaut. Die Programmierung der Seiten wird durch die in Mönchweiler gegründete Firma ESIS durchgeführt. Das Content Management System gibt im Prinzip ei­ ner unbegrenzten Anzahl an Beteiligten und Interes­ sierten die Möglichkeit, Bei­ träge einzustellen und die Internetseiten selbsttätig zu pflegen. Viele Vereine, Kir­ chen und auch Organisatio­ nen stellen die Veranstaltun­ gen bereits seit längerem selbst ins Internet und viele haben auch eigene Seiten auf der Mönchweiler Homepage eingestellt. Die Beiträge für das Mitteilungsblatt kön­ nen zukünftig online eingegeben werden. Die Dorfgemeinschaft bekommt so mehr Informationen und vor allem auch mehr Service. In der Pipeline sind noch viele Dinge wie z.B.: die Entwicklung eines Expertennetzes. Durch kommunales Wissensmanagement soll Bürgerwissen für die Öffentlichkeit er­ schlossen werden. Noch mehr zielgruppen­ orientierte Angebote wie z.B. für Senioren werden geschaffen. Die Homepage soll für Behinderte lesbar sein und deshalb auch möglichst bald „barrierefrei“ angeboten wer­ den. Förderung der Dorfgemeinschaft Die bisherigen Erfahrungen zeigen in Mönchweiler, dass die neuen Medien die Bürger nicht vereinsamen lassen, sondern, dass, ganz im Gegenteil, der gegenseitige und persönliche Austausch, nicht zuletzt M ediendorf M önchw eiler //7ternatott^ durch die Motivation aufgrund des Content Management-Systems, stark gefördert wird. So wird eigenverantwortlich und motiviert gemeinsam an einem sinnvollen, zukunfts­ orientierten Konzept gearbeitet. Dies för­ dert die Dorfgemeinschaft erheblich. An Ideen mangelt es nicht, zahlreiche Köpfe setzen sich für die ständige Weiter­ entwicklung der neuen Medien auf ganz­ heitlicher Basis und im Rahmen der Bevöl­ kerungsstruktur in Mönchweiler ein, um ei­ ne digitale Spaltung zu verhindern. Dass das Interesse an den neuen Medien und die An­ zahl der Onlinebürger somit stetig wachsen, ergibt sich daraus wie von selbst. Mönchweiler hat die Zeichen der Zeit er­ kannt, ja die kleine Schwarzwaldgemeinde eilt der Zeit sogar einen Bmchteil voraus. Nach knapp zwei Jahren „Onlinezeit“ sind die bisherigen Erfolge durchweg als positiv zu verbuchen und motivieren weiterhin da­ zu, in die Zukunft zu investieren. Markus Esterle 51

3. Kapitel /A lmanach 2003 S c h w a r z w a l d und B aa r – P o r t r a i t eines La nd kr ei s es Im Zeichen der Salinentürme – „Wo täglich neue Kräfte w achsen“: Bad Dürrheim „Wo täglich neue Kräfte wachsen“ lautet der Werbeslogan, den auch Besucher aus der näheren Umgebung nachvollziehen können, die einfach nur aus nachbarschaftlicher Neugier einen Streifzug in und um Bad Dürr­ heim herum unternehmen. Kein Wunder, dass unsere radelnden Helden Jan Ullrich und Co so gern nach Bad Dürrheim kommen, kein Wunder auch, dass das Soleheilbad mit Zusatzprädikat als Heilklimatischer Kurort nicht nur bei Spitzen-, sondern auch bei Freizeitsportlern einen hervorragenden Ruf genießt, bei gestressten Großstädtern, bei Kranken und Erholungsbedürftigen allgemein. Die Mischung aus freier und gebändigter Natur, architektonische Kontraste, die Kombination von bodenständigem Brauchtum und Traditionsbewusstsein mit visionären Zukunftsperspektiven – all das macht den Reiz der 13 000 Einwohnerstadt Bad Dürrheim am Rande der Ostbaar aus. Fazit eines gemüt- ien Ausflugs mit vager Zielsetzung: Bad Dürrheim ist mehr als nur eine Reise wert. Blick ins Minara. Rechte Seite: Der Kurpark – ein viel besuchter Erholungsort.

Im Z eichen der Salinentürm e 5 3

Portrait eines Landkreises Autofahrer merken gleich bei der Einfahrt in die Kernstadt, dass „die“ es hier ernst meinen mit Verkehrsbemhigung. Nicht nur diverse Huppel mah­ nen zum Blick auf den Tacho, die Straßen sind insgesamt so angelegt und geführt, dass man ständig das Gefühl hat, zu Unrecht in einer Fußgänger­ zone zu fahren. Allüberall Verengungen, Blumenkübel und sonstige er­ freuliche Hindernisse, die Aufmerksamkeit fordern und den Entschluss, zu parken, beschleunigen. Zentrale Parkplätze gibt es genug, zum Beispiel hin­ ter dem Häus des Gastes. Hier können sich Neuankömmlinge gleich mit jeder Menge Informati­ onsmaterial eindecken oder einfach den Wegweisern folgen. Auch das ist typisch für Bad Dürrheim: eine genaue Beschilderung erleichtert Gästen (und derer weilen ja stets erfreulich viele in der Stadt) die Orientierung. Und wer dennoch nicht klar kommt, der fragt sich halt durch. Die Chan­ ce, dass er auf Einheimische trifft, sind fifty-fifty, die Chancen auf Freund­ lichkeit ungleich höher. Wohlbefinden und Wohlgefühl sind angesagt, un­ abhängig von der Motivation für den Aufenthalt hier: Eine Stadt, die gute Laune macht und das ist spürbar am Umgang miteinander. Unterwegs im Kurpark Allen Besuchern sei ein ausgiebiger Spaziergang durch den Kurpark un­ bedingt empfohlen, vor allem bei schönem Wetter, das es hier (angeblich) häufiger gibt als in den Nachbarkommunen. Tatsächlich scheint Bad Dürr­ heim zum Wettergott besondere Beziehungen zu unterhalten, doch davon später mehr. 1994 wurde der historische Kurpark mit Blick auf die Wahr­ zeichen der Stadt, die beiden wuchtigen, altersgrauen Bohrtürme der Sali­ ne, für die damalige Landesgartenschau umgestaltet. Viele Elemente sind geblieben, wurden weiterentwickelt und haben die 1 600 Quadratmeter große Anlage nachhaltig aufgewertet. Vielleicht werden die Besucher von einem stolzen, prachtvollen Pfau empfangen, auf jeden Fall aber von gewaltigen Baumriesen, uralte Ahorne, Buchen und Kastanien, die dem Park einen besonderen Charakter verlei­ hen. Die neuen Alleen wurden mit jungen, freundlichen Linden bepflanzt, die Wege sind sehr gut gepflegt, eben und so breit, dass sie ideal für Geh­ behinderte und Rollstuhlfahrer sind. Gerade diese Zielgruppe wird sich überall in und um Bad Dürrheim besonders wohl fühlen, Wegeplanung und -gestaltung verraten die nötige Sensibilität. Dies auch bei Details wie dem Duftgarten, der auf Hochbeeten angelegt ist. Man muss sich nicht bücken, um die Gerüche von Lavendel, Rosmarin und Salbei zu kosten, eine Erlebnisebene, die wiederum speziell von Blin- 5 4 Die Luisen­ straße, Bad Diinheim ver­ fügt über eine großzügig ange­ legte verkehrsbe­ ruhigte Zone. Idylle im Kur­ garten, der mit zahlreichen Kunstwerken ausgestaltet ist.

Portrait eines Landkreises den und Sehbehinderten geschätzt wird. Ein paar Meter weiter weg weht Spaziergänger ein ganz anderer Duft an, der unverkennbare Salzgeschmack des Solewassers vom Außenbecken des benachbarten Solemar. Die Bade­ gäste verschwinden fast im warmen Dampf, der aus dem Wasser aufsteigt – vor dem Hintergrund der gläsernen Pilzköpfe des Solemar eine futuri­ stisch anmutende Kulisse. Das „überdachte Meer“ ist das mehrfach ausge­ zeichnete Therapiezentrum der Stadt (siehe auch Beitrag auf Seite 45) und braucht den Leserinnen und Lesern des Almanach kaum näher vorgestellt werden. Die meisten werden die großzügige Badelandschaft und das herr­ liche Gefühl schwereloser Leichtigkeit im stets angenehm warmen Wasser kennen und schätzen, ebenso wie die Schwarzwald-Sauna, die von Kennern als die beste weit und breit gerühmt wird. Erholung in harmonischer Natur Wellness, Freizeit, Sport, Gesundheit, Erholung in einer harmonischen Natur – das sind Bad Dürrheims wichtigste Attribute, und was damit kon­ kret gemeint ist, erfahren Besucher buchstäblich auf Schritt und Tritt. Am Ende des Kurparks ist eine weitläufige Bogenschießanlage, hier gibt es ei­ ne Übungs-Golfanlage, gleich nebenan sind die Tennisplätze. Die Kids vergnügen sich auf der Skateboard-Anlage beim Jugendhaus, wo auch ein Platz für Beach-Volleyball eingerichtet wurde und Wasserratten werden die weitläufige Badelandschaft im Minara zu schätzen wissen, ein kombinier­ tes Hallen-Freibad, dessen Attraktion für Kinder natürlich die 54 Meter lan­ ge Riesenrutsche ist. Typisch für Bad Dürrheim ist, dass alle Einrichtungen ohne Clubmit­ gliedschaft genutzt werden können, es werden überall Schnupperstunden angeboten, attraktiv vor allem für Kurzurlauber und unschlüssige Besucher aus Stadt und Umland. Auffallend beim weiteren Spaziergang durch das gerade in den Sommer­ monaten wunderschön herausgeputzte Städtchen ist dessen Architektur. Haus des Gastes, Haus des Bürgers, die beiden Rathäuser im Zentrum bil­ den ein zusammengehöriges Ensemble. Hochherrschaftlich wirken die in elegantem Altrosa gestrichenen Gebäude, die so gar nichts von urwüchsi­ ger Ländlichkeit haben, sondern die Atmosphäre von kultivierter Urbanität verbreiten. Vielleicht fühlen sich darum gestresste Städter so wohl hier und insbe­ sondere Besucher aus dem Großraum Karlsruhe beschleicht beim Spazier­ gang durch das Zentrum das merkwürdige Gefühl eines Deja-vu, das Ge­ fühl, alles zu kennen. Das kommt nicht von ungefähr – in der Tat ist das 5 6 Auch in der Bad Diirrhei- mer Innenstadt finden sich viele Brunnen und Ruhezonen. „Das Salztor“, Kunstwerk im Kurpark und Turm der evan­ gelischen Johan­ neskirche.

Portrait eines Landkreises sogenannte Salinenensemble eine Miniaturausgabe der Karlsruher Innen­ stadt, dem sogenannten Karlsruher Fächer nachempfunden. Der Badische Haus- und Hofarchitekt Friedrich Weinbrenner, der die In­ nenstadt von Karlsruhe in der Form eines Fächers gestaltet hatte, war Vor­ bild für seinen Neffen Friedrich Arnold Weinbrenner, der nach einem Auf­ trag von Großherzogin Luise die Innenstadt Bad Dürrheims als Kopie des badischen Regierungssitzes planen durfte. Überhaupt Luise: Sie hatte einen regelrechten Narren an Bad Dürrheim gefressen, das 889 erstmals in einer Urkunde des Klosters St. Gallen als „Durroheim“ erwähnt wird und erst 1822 aus seiner geruhsamem Dörflichkeit erwachte. Damals nämlich wur­ de in der „Tiefe von 345 Fuß ein Salzstock von exzellenter Qualität ent­ deckt“, was die entscheidende Zäsur in der Stadtgeschichte bedeuten und Bad Dürrheim zu ungeheurem wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen soll­ te. Jahrmillionen alte Salzstöcke Für die Salztransporte auf schweren Pferdefuhrwerken mussten solide Straßen gebaut werden, ab 1901 ist Bad Dürrheim mit der Eisenbahn er­ reichbar und somit infrastrukturell stets auf der Höhe der Zeit. Was Bad Dürrheim heute ist, hat es der Sole zu verdanken, sie ist bis heute – auch wenn die Salzgewinnung mit der Stilllegung der Saline 1972 eingestellt wurde – das eigentliche Kapital der Stadt. 1883 wurde Bad Dürrheim auf Betreiben von Großherzogin Luise Kindersolbad und bis heute basiert der touristische und heilklimatische Ruf des Städtchens auf der heilenden Wir­ kung seiner Jahrmillionen alten Salzstöcke. Der Bundespreis für Tourismus und Verkehr, den Bad Dürrheim 1997 verliehen bekam, ist nur eine von vielen Auszeichnungen, mit denen die Kur- und Bäderstadt überregional auf sich aufmerksam machte. Zu den lohnenden Zielen in der Kernstadt gehört auch der idyllische Sa­ linensee, der per Tretboot erkundet werden oder auch auf einem breiten, ebenen Weg umrundet werden kann. Das gleichnamige Hotel lädt mit ei­ nerwunderschönen Seeterrasse zum Verweilen ein, wie überhaupt gepflegte Gastlichkeit bei der Gastronomie groß geschrieben wird. Gutes Essen ist ei­ ner der wichtigsten Genüsse im Leben – und eine ausgewogene Ernährung ist bekanntlich die conditio sine qua non für körperliches Wohlbefinden. Den Tag genießen, das Leben in der Gegenwart und gleichzeitig den Be­ zug zu den eigenen Wurzeln nicht zu verlieren – diese Balance ist in Bad Dürrheim beispielhaft geglückt. Im Heimatmuseum beim Busbahnhof er­ zählen ausgewählte Exponate die lange Geschichte der Stadt mit ihrer Ent- 58 Ein viel fotografiertes Wahrzeichen Bad Dürrheims sind die Bohrtürme der einstigen Saline.

Im Zeichen der Salinentürm e 59

Portrait eines Landkreises wicklung vom Bauerndorf zur Kurstadt. Geöffnet ist allerdings nur sonn­ tags von 15 bis 17 Uhr, der Eintritt ist frei. Es gibt ein Tier- und Jagdmu­ seum im Haus des Gastes, in dem sich auch das Prof.-Fritz-Behn Museum befindet, einem der bedeutendsten Tiermaler und Tierbildner des 20. Jahr­ hunderts gewidmet. Und dann natürlich der Narrenschopf beim Kurpark, Deutschlands größ­ tes Maskenmuseum, das in kuppelförmigen, ausrangierten Solebehältern eingerichtet wurde. Acht Fasnachtslandschaften machen die schwäbisch­ alemannische Fasnet hier zum Ganzjahreserlebnis, jährlich 25 000 Besucher bewundern die 400 Originalmasken, die vor jeweils authentischer Kulisse dargestellt werden. Die seltsam stummen Figuren verraten trotz ihrer Schweigsamkeit viel von Umfeld und Geschichte ihrer Träger, die wohlha­ bend waren wie etwa die Meßkircher Narren, in deren Krägen 20 Meter ge­ stärkter Stoff verarbeitet wurden, oder auch der Bad Dürrheimer Salzhan­ sel, dessen Kleid 900 (!) Salzsäcke zieren, die zur Reinigung abgenommen und wieder angenäht werden müssen. Natürlich wollten auch die ärmeren Schichten Fasnet feiern – ein ausgesprochenes „Billigmodell“ ist die Fle­ dermausmaske, zu der ein altes weißes Handtuch mit abgebundenen O h­ ren verwendet wurde, oder die Hemdglonker in ihren weißen Nachthem­ den, die unweigerlich an ein Totenhemd erinnern. Deutschlands größtes Narren­ museum steht in Bad Dürr­ heim. Der Nar­ renschopf(Bil­ der oben) beher­ bergt die Tradi­ tionsfiguren der schwäbisch-ale­ mannischen Fastnacht, da­ runter auch die von Triberg wie Roter Fuchs, Feder­ schnabel und Teufel. Die Ortsteile mit dem Rad erkunden Doch zurück ins echte Leben, das in und um Bad Dürrheim nicht laut­ stark tobt, sondern eher fröhlich bis geruhsam plätschert. Dazu passen auch die hier besonders gern kultivierten Sportarten – allen voran natürlich der Radsport, der mit den Mega-Events Riderman und Deutschlandtour seine medienwirksamen Höhepunkte, intern aber das ganze Jahr Konjunktur hat. Profis wie Amateure und Freizeitradler schätzen das ausgedehnte Radwe­ genetz, das durch die lieblich weitläufige Baarlandschaft führt. Wer fit genug ist, sollte die Ortsteile einmal per Rad erkunden – ein ex­ zellentes Radwegenetz verbindet die kleineren Ortschaften miteinander (ei­ ne Radwanderkarte mit ausführlichen Erläuterungen ist im Haus des Gastes erhältlich, gleich nebenan werden Räder verliehen). Natürlich steht auch das Wandern hier hoch im Kurs – mehr als 100 Kilometer gepflegte Wan­ derwege laden zu Streifzügen durch die Natur ein, deren ökologische Zu­ sammenhänge den Gästen auf eigenen Routen vermittelt werden, dies et­ wa auf dem Kräuterlehrpfad oder dem landwirtschaftlichen Lehrpfad. Sehenswert sind alle der um 1972 eingemeindeten ehemals selbständigen Bauerndörfer – auch hier ist übrigens überall Tempo 30 Vorschrift, eine 60 A u f dem Spielplatz im Kurpark, der Attraktionen fü r die gesamte Familie zu bieten hat.

Portrait eines Landkreises wohltuende Langsamkeit, die Besucher als überaus angenehm empfinden werden. Ob Hochemmingen als größter Stadtteil (der nicht nur Archäologen we­ gen seiner uralten Siedlungsfimden aus der Hallstattzeit besonders inter­ essiert) oder Biesingen als kleinster, ein Besuch lohnt sich überall. Überall laden gemütliche Dorfgasthäuser zur Rast ein, überall sind insbesondere die ganz unterschiedlichen, eigenwilligen Kirchen sehenswert. In Sunt­ hausen wurde 1987 ein Campingplatz mit 300 Stellplätzen gebaut, die locker um den Sunterhauser See mit herrlichem Blick auf den Himmels­ berg gruppiert wurden. Der See ist eigentlich ein Regenrückhaltebecken für die Kötlach, das merkt aber niemand, weil er sich harmonisch in die Land­ schaft einfügt. Sehenswert in Unterbaidingen ist unter anderem der uralte Eichen- und Buchenbestand, der noch aus der Zeit herrührt, da die Herren von Fürstenberg hier ihren Wildpark hatten und zur Jagd zu gehen pfleg­ ten. Und dann natürlich Öfingen und der Himmelsberg, mit fast 900 Metern die höchste Erhebung Bad Dürrheims. Der liebe Gott muss es besonders gut gemeint haben, als er dieses Fleckchen Erde schuf. Das alte Bauerndorf, von dessen langer Geschichte unter anderem die mittelalterliche Wehrkir­ che erzählt, schmiegt sich vertrauensvoll an den Bergrücken, die Bauern­ häuser schmücken sich mit großzügigen Vorgärten – hier musste nicht mit Platz gespart werden. Ein wenig außerhalb liegt das 1984 erbaute Feriendorf mit kleinen, hüb­ schen, rustikalen Häuschen. Die eigentliche Sensation hier oben ist der traumhafte Panoramablick in die Weite der Baar. Und die Ruhe. Eine Ru­ he, die man hören kann – kein Verkehrslärm lenkt ab, die Ohren konzen­ trieren sich auf Vogelgezwitscher und zirpende Grillen im Sommer. Die Welt dort unten scheint weit weg zu sein, ein idealer Ort für den komfor­ tablen Rückzug aus Alltag und Stress. Das fand auch Jörg Kachelmann, der Wetterfrosch der Nation, der sich wohl nicht nur des Blickes wegen entschloss, sein Wetterstudio Süd ins Fe­ riendorf zu verlegen. Das subalpine Klima, vergleichsweise wenig Regen, aber um so mehr Sonne machen den Standort so attraktiv. 1850 Stunden im Jahr scheint hier die Sonne – das ist mehr als in Meran. Und wenn vor der Tagesschau im Ersten die Sonne hinter dem bewaldeten Horizont ver­ schwindet, blickt sogar die ganze Nation nach Öfingen-Bad Dürrheim. Wie gesagt, Bad Dürrheim ist mehr als nur eine Reise wert. Christina Nack 6 2 Die Baar bei Unter- und Oberbaidingen. Die unmittel­ bar aneinan­ dergrenzenden Ortschaften zählen zusam­ men ca. 1600 Einwohner. Blick auf Sunt­ hausen, das 89z erstmals urkundlich er­ wähnt ist.

4. Kapitel /Almanach 2003 Behörden und Institutionen Gewerbeaufsichtsamt Villingen-Schwenningen Anerkannter und geschätzter Partner für Betriebe, Beschäftigte, Bürger und Behörden Auf Beschluss der Landesregierung ist am 1. Januar 1992 im Regierungsbezirk Freiburg ein zweites Staatliches Gewerbeaufsichtsamt – Amt für Arbeits- und Umweltschutz – am Standort Villingen-Schwenningen eingerich­ tet worden. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es im Regierungsbezirk nur ein einziges solch­ es Amt mit Sitz in Freiburg. Damit ist die Villinger Behörde das neun­ te Gewerbeaufsichtsamt in Baden-Württem­ berg. Eine Unternehmensberatung hatte im Vorfeld dem Land diese Maßnahme emp­ fohlen, weil die Fahrzeiten vom Amt Frei­ burg nach Konstanz, Tuttlingen oder Rott­ weil unwirtschaftlich lang waren und der Kontakt vor Ort unerlässlich ist. Das Amt hat eine doppelte Aufgabe: Als Dienstleister steht es seinen Partnern mit Rat und Tat zur Seite. Wenn es sein muss, werden aber auch Entscheidungen getrof­ fen, die Gebote oder Verbote beinhalten. Den notwendigen hohen technischen und naturwissenschaftlichen Sachverstand ga­ rantieren Diplomingenieure, Naturwissen­ schaftler, Techniker und Meister fast aller 6 4 Fachrichtungen. Die in vier Fachabteilun­ gen beschäftigten 50 technischen Mitarbei­ terinnen und Mitarbeiter sind zu mehr als der Hälfte Fachhochschulingenieure und zu jeweils rund einem Viertel Meister bzw. Techniker und Akademiker. Breit gefächerter Zuständigkeitsbereich Das Amt ist überall dort gefordert, wo Vor­ schriften des Arbeits- und Umweltschutzes gelten; in gewerblichen Betrieben von In­ dustrieunternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten bis zum kleinen Handwerks­ betrieb. Die Spannweite erstreckt sich vom Chemiewerk bis zum Einzelhandelsge­ schäft, von der Klinik bis zur Arztpraxis, von der Universität bis zum Kiosk gegen­ über. Die Außendienstbehörde ist zuständig für die Landkreise Konstanz, Rottweil, Schwarz- wald-Baar-Kreis und Tuttlingen. Hier betreut sie ca. 30000 Betriebe. Der Schwerpunkt im Aufsichtsbezirk liegt in den Branchen der Metallverarbeitung und Elektrotechnik, im Kreis Tuttlingen auch in der Me­ dizintechnik. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Prävention, die schon im Planungsstadium anfangt. Das Regierungspräsidium Freiburg, vier Landratsämter, drei Verwal­ tungsgemeinschaften und 13 Bau­ rechtsämter von Städten greifen Das Gewerbeaufsichtsamt Villingen- Schwenningen besteht seit zehn Jahren und betreut zirka 30 000 Betriebe in vier Landkreisen.

Im Gewerbeaufsichtsamt steht man den Unternehmen der Region mit Rat und Tat zur Seite. dabei auf den Sachverstand des Amtes zurück. Rund ein Drittel seiner Kapazität fließt in die Beratung der Antragsteller von immissionsschutz- oder wasser­ rechtlich genehmigungsbedürf­ tigen Vorhaben sowie gewerblichen Bauvor­ haben. Das Ziel ist dabei, den Unterneh­ mern bei der Verwirklichung ihrer Vorhaben im Einklang mit den Arbeits- und Umwelt­ schutzregeln zu helfen. Dabei wird beson­ ders auf ein verträgliches Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten geachtet. Unter­ nehmen, die mit ihren Wohnnachbarn we­ gen Lärm oder Gerüchen Schwierigkeiten haben, sind oftmals am Standort in ihrer weiteren Entwicklung gehemmt. Die Arbeit für den Umweltschutz hilft, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und die Lebensqualität zu erhöhen; sie sorgt für reine Luft, weniger Lärm, sichere Indus­ trieanlagen, sauberes Wasser und weniger Gew erbeaufsichtsam t / Eicham t Abfall. Durch den Arbeitsschutz werden die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz gewährleistet und wird für menschengerechte Arbeitsbe­ dingungen gesorgt. Das Engagement im technischen Verbraucherschutz leistet einen wichtigen Beitrag dafür, dass nur sichere Pro­ dukte am Markt angeboten werden. Nach inzwischen zehn Jahren am Standort Villingen-Schwenningen ist das Amt zu ei­ nem anerkannten und geschätzten Partner für Betriebe, Beschäftigte, Bürger und Be­ hörden geworden. Helmut Rothermel Eichamt Donaueschingen – Hüter des Maßes Verbraucher-, Arbeits-, Umwelt- und G esundheitsschutz und Verkehrswesen Gewichte wiegen, Längen messen, Volumi­ na erfassen, dies beschäftigte die Menschen seit jeher. Egal ob es heutzutage um Ver­ braucherschutz, Arbeits- und Umweltschutz, ob es um die Gesundheit oder das Verkehrs­ oder Beschußwesen geht – das Eichamt Donaueschingen ist beinahe allgegenwärtig. Wer ahnt denn schon, daß, wenn wir mit dem Taxi unterwegs sind, Mitarbeiter des Eichamts den Fahrpreisanzeiger des Fahr­ zeugs im Vorfeld genau geprüft haben? Altehrwürdig wirkt das Gebäude in der Hermann-Fischer-Allee 28, in dem das Eich­ amt Donaueschingen untergebracht ist, spartanisch erscheinen dem Besucher die Amtsräume. Im Eingangsbereich zieht eine alte Balkenwaage den Blick an, die bis vor zwei Jahrzehnten noch der Überprüfung von Gewichten diente und die auf 50 Kilo­ gramm eine Genauigkeit von 325 Milli­ gramm aufweist. „95 Prozent der Arbeitszeit sind wir auf Außendienst.“ Max Knüpfer, der die Geschäfte des Amtes führt, betreut mit seinen vier Kollegen die Landkreise Schwarzwald-Baar, Tuttlingen und Rottweil. Lediglich ein stationärer Taxenmeßstand so- 6 5

B ehörden und Institutionen wie ein Gewichtelager, aus dem sich Monteure die sogenannten Normalgewichte ausleihen kön­ nen, sind in dem Gebäudekom­ plex in Donaueschingen unterge­ bracht. Der heutige Landesbetrieb ist eine Außenstelle des Eichamts Albstadt, eines von neun Eichäm­ tern in Baden-Württemberg, denen insgesamt vier Außenstellen unterste­ hen. Die Eichämter sind dem Landes­ gewerbeamt in Stuttgart unterstellt. Ins­ gesamt wachen 240 Angestellte über die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, wenn es um das Messen und Eichen geht. Bis zur Gemeindeverwaltungsreform 1972 war das Eichamt Donaueschingen noch ein selbständiges Amt und tauschte den damals betreuten Hochschwarzwald gegen den Landkreis Rottweil ein. Die Aufgabengebiete des Eichamts sind seitenfüllend. Zunehmende Bedeutung er­ hielt in den vergangenen Jahren der Ver­ braucherschutz. Fertigpackungen und Schank­ gefäße stehen ebenso unter dem wachsamen Blick des Landesbetriebs wie Meßgeräte für Gas, thermische Energie, Warm- und Heiß­ wasserzähler sowie Elektrizität. Auch die Überprüfung von Waagen und Gewichts­ stücke gehören dazu. Abgase, Schall und Strahlen können Menschen in ihrer Umwelt und am Arbeitsplatz gefährden, geeichte Meßgeräte sorgen für die Einhaltung ge­ setzlicher Vorgaben. Auch der Gesundheits­ schutz steht als Aufgabe des Eichamts fest: Ob die Angaben von Medizinprodukten mit Meßfunktion sowie Meßgeräte medizi­ nischer Laboratorien korrekt sind, wird von 6 6 Diese Apothe­ ker-Feinge­ wichte dür­ fen nach der Eichung nur noch mit ei­ ner Minzette berührt werden. Fingerschweiß würde die Eichung zunichte machen und Meßfehler nach sich ziehen. dem Betrieb überprüft. Das Eichamt tangiert auch das Verkehrswesen: Geschwindigkeits­ meßgeräte (Radargeräte und Rotlichtüber­ wachungsanlagen) werden geeicht, ebenso Fahrpreisanzeiger in Taxen und Reifendruck­ meßgeräte. Verbraucherschutz als Aufgabe In den vergangenen Jahrzehnten erlebten die baden-württembergischen Eichämter ei­ nen beinahe revolutionären Wandel der Meßtechnik von der Mechanik hin zur Elek­ tronik. Damit die Mitarbeiter immer auf dem neuesten Wissensstand und mit den besten Eichgeräten ausgestattet sind, gibt es interne Schulungen in Stuttgart, sowie externe Un­ terweisungen in verschiedenen Fachbetrie­ ben. Die Entwicklung des Aufgabengebiets der Landesbetriebe werde sich zunehmend dem Verbraucherschutz zuwenden, m ut­ maßt Max Knüpfer, „das Eichen als unser ureigenes Aufgabenfeld wird kleiner wer­ den“. Dieses wird voraussichtlich mehr und Ein Flolzkasten mit Bleibolzen und winzigen Blei­ kügelchen: Gewichte von Markthändlern werden geeicht, notfalls die innen hohlen Metallstücke geöff­ net, mit Kügelchen gefüllt oder diese entnommen und wieder mit den Bolzen verschlossen.

mehr von Fachbetrieben übernommen, die von den Eichämtern dann über Stichproben überprüft werden. In den kommenden Jah­ ren wird das Land Baden-Württemberg rund 750 000 Euro in die Außenstelle des Eich­ amts Donaueschingen investieren, um die Arbeit des Landesbetriebes noch effektiver zu gestalten. Eichamt hat eine lange Geschichte Seit wann das Eichwesen in Donaueschin­ gen zu Hause ist, läßt sich zeitlich nicht ge­ nau terminieren, darf jedoch zum Ende des 17. Jahrhunderts angenommen werden. Ver­ mutlich wurden jedoch bereits mit der Ein­ richtung eines Wochenmarktes durch Hein­ rich VIII. Landgraf von Fürstenberg (1536- 1596) im Jahre 1580 Maße und Gewichte am Donauursprung definiert. Heinrich VIII. hatte seine Hofhaltung nach Donaueschin­ gen verlegt und war bestrebt, den Ort inner­ halb der Landgrafschaff Baar auch wirtschaft­ lich zur Geltung zu bringen. Anordnungen zum Feilbieten der landwirtschaftlichen Er­ Eicham t D onaueschingen zeugnisse waren im „Jahrgerichtsbüchlein“ der Herrschaft niedergeschrieben. Der Markt­ flecken Donaueschingen kam allerdings im 17. Jahrhundert, vermutlich als Folge des 30jährigen Krieges, wieder abhanden. Zirka 100 Jahre nach der ersten Markt­ gründung rief das Haus Fürstenberg neuer­ lich einen Markt ins Leben. Eine herrschaft­ liche Verordnung regelte die Stand-, Meß- und Zollangelegenheiten. Doch auch dieser zweite Markt ging ein, vermutlich waren kriegerische Auseinandersetzungen zur Wen­ de des 18./19. Jahrhunderts daran schuld. Die Bedeutung des Residenzortes Donau­ eschingen wurde 1806 schließlich herabge­ setzt, da die einstigen Stellen der Fürsten- bergischen Zentralregierung durch die Me­ diatisierung 1806 aufgehoben und die fürst­ lichen Behörden reduziert wurden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die fürstliche Behördenstruktur durch neue staatliche Komponenten des Großherzog­ tums Baden erweitert. Donaueschingen wur­ de Sitz eines badischen Bezirksamtes mit Amtsgericht, Finanzamt, Bezirksbauinspek­ tion, Wasser- und Straßenbauinspek­ tion, Kulturinspek­ tion, Forst- und Postamt, sowie ei­ nem Eichamt. Stefan Limberger- Andris A u f exakt 32z Milli­ gramm genau wiegt diese Balkenwaage ein z0 Kilogramm-Ge­ wichtsstück. Die Waa­ ge dient heutzutage le­ diglich noch als Schau­ stück im Eichamt Do­ naueschingen, vor 20 fahren tat sie noch ihren Dienst. 6 7

5. Kapitel /A lmanach 2003 Bildungseinrichtungen Die Jugendkunstschule Donaueschingen Ein spielerischer A usgleich zum leistungsbezogenen Lernen Die Jugendkunstschule der Stadt Donaue­ schingen existiert seit April 1989. Zunächst war sie als Fachbereich der Städtischen Ju­ gendmusikschule angegliedert. Seit 1992 ist sie eine eigenständige städtische Einrich­ tung, mit neuem Konzept und der Erweite­ rung zur Städtischen Jugendkunstschule und Kulturwerkstatt Donaueschingen hat sie sich seither stetig weiterentwickelt. Im Oktober 1994 wurde in Hüfmgen eine Dé­ pendance eingerichtet, das Kinderatelier, von 1998 an in der Lucian-Reich-Schule un­ tergebracht. Als Städtische Jugendkunstschule und Mit­ glied im Landesverband der Jugendkunst­ schulen Baden-Württembergs (LAG), liegt der JKS an einer inhaltlichen Auseinander­ setzung und kontinuierlich aufbauenden künstlerischen Arbeit. Es geht darum, spie­ lerisch und freiwillig etwas zu erlernen, im Experimentieren eigene Erfahrungen zu ma­ chen und somit einen Ausgleich zum leis­ 6 8 tungsbezogenen Lernen herzustellen. Das geschieht in unkonventioneller und indivi­ dueller Art. Neben der Vermittlung von künstlerischen und handwerklichen Techni­ ken sieht die JKS ihre Aufgabe darin, jedes Kind in seiner Suche nach der eigenen Aus­ drucksweise zu unterstützen, seine Kreativi­ tät zu fördern und zu entwickeln. Ganzheitliche Erziehung Ästhetische Erziehung ist ganzheitliche Er­ ziehung, denn in der Kunst steckt Wissen­ schaft und Technik, Praxis und Anwendung zu gleichen Teilen. In einer ganzheitlichen Erziehung sind Denken, Fühlen und Han­ deln gefordert. Künstlerisches Arbeiten för­ dert die Wahrnehmungsfähigkeit. Mehr Se­ hen bedeutet auch mehr und intensiver er­ leben. Das Malen und Bildhauern, die sinn­ liche Erfahrung mit Materialien also, ist ein wichtiges Ereignis im Entwicklungsprozess des Kindes. Aber die Ausbil­ dung der Sinnesorgane ge­ schieht nicht automatisch. Alle Sinnesorgane werden nur voll ausgebildet, wenn sie auch in den jeweiligen Zeiten ihrer Ent­ wicklung gebraucht und akti­ viert werden. Ästhetisches Ler­ nen bedeutet also auch die Aus­ bildung der Eindrücke, die auf die Sinnesorgane des Kindes wirken und dies hängt von den Möglichkeiten ab, die dem Kind geboten werden. Kreativi­ tät, Sensibilität, die ganze Viel- ZV« Städtische Jugendkunstschule Donaueschingen, gegründet 1989.

Die Jugendkunstschule Donaueschingen bietet Kin­ dern, Jugendlichen und Erwachsenen ein breit an­ gelegtes kreatives Tätigkeitsfeld. Die Ergebnisse beim Kennenlernen der verschiedenen Techniken sind mehr als beachtlich, wie die rechts abgebildeten Ar­ beiten aus allen Altersgruppen zeigen. Unten: Ju­ gendliche beim Töpfern. falt und Schönheit der Welt erleben zu kön­ nen, hängt davon ab. In der Umsetzung eines Themas in Bilder, Skulpturen oder in ein Theaterspiel müssen Lösungsmöglichkeiten gesucht, gefunden und vor allem gewagt werden. Hier sind pla­ nerische, organisatorische und handwerkli­ che Aufgaben zu lösen. Künstlerisches Ar­ beiten hilft Neigungen zu entdecken, und das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkei­ ten kann wachsen. Künstlerisches Arbeiten ist das Medium zur Entwicklung einer Per­ sönlichkeit, die sich in ihrer Umgebung zu- rechtfmdet. Phantasie, Kreativität, Flexibili­ tät werden später bei der Umsetzung von Ideen notwendig sein, um den Aufgaben im Alltag gerecht zu werden. Kinder und Jugendliche, aber auch Er­ wachsene, finden an der JKS einen Ort, wo sie ihre Ideen entwickeln und umsetzen können, einen Ort der Ruhe, Konzentration und Entspannung, ein Platz für Phantasie und kreatives Schaffen, sowie Unterstüt­ zung bei der Entscheidung für eine berufli­ che Zukunft. In den Räumen der JKS ge­ schieht Freizeit und Bildung in einem. Es ist ein Ort der Begegnung, des Austausches, des Träumens und vor allem des Mächens. Anregungen zur kreativen Entfaltung Das Kursangebot nimmt mit seinen fort­ laufenden Kursen den größten Anteil ein. Kurse finden ein Mal pro Woche statt und sind in der Regel von 90 minütiger Dauer. Kurse ermöglichen kontinuierliches Arbei­ ten, sind langfristig angelegt und fachspezi­ fisch. Jugendkunstschule D onaueschingen Der Austausch innerhalb einer Gruppe gibt Anregung zur eigenen kreativen Entfal­ tung, erfordert Durchsetzung der eigenen Ideen und fördert soziales Verhalten. Die Gruppengröße wird dabei klein gehalten, so daß eine intensive Betreuung einzelner und individuelle Unterstützung durch die Kurs­ leiterinnen gewährleistet ist. Im Programm der JKS sind die Ästhetische Frühbildung für Kinder ab vier Jahre, die 6 9

Bildungseinrichtungen 70 Arbeiten mit Ton und Holz, oder die Herstellung von Strohtieren: Bereits die Kinderwerkstatt der Ju­ gendkunstschule bietet kreative Vielfalt. Mräsentiert werden derlei Arbeiten im Rahmen von Ausstel­ lungen. Kinderwerkstatt bis acht Jahre, die Mal-, Zei­ chen- und Druckateliers in verschiedenen Altersgruppen, die Bauwerkstätten, Holzfo- rum und Holzbildhauerei, Theater/Figu­ rentheater, Bildhauerei für Jugendliche und Angebote für Erwachsene. Dazu kommen Akademie- und Mappenkurse, die speziell auf den Einstieg in ein Studium oder einen Beruf ausgelegt sind. In Ausstellungen werden immer mal wie­ der Arbeiten der Kinder und Jugendlichen der Öffentlichkeit gezeigt. So gab es im Jahr 2001 eine Ausstellung zum Thema „Schrift und Bild“ im Turm der Stadtbibliothek, für 2002 ist dort eine weitere geplant, Arbeitsti­ tel „Tiere und andere Bestien“. Kooperation mit Künstlern Bei Projekten kommt es oft zu Kooperatio­ nen. Ein Beispiel dafür ist das bunte Sofa auf dem Max-Rieple-Platz, das im Frühjahr 1999 nach der Idee und unter der Leitung des Bildhauers Frieder Preis und des Malers Alexander Grams entstand, in Zusammen­ arbeit von Städtischer Jugendkunstschule, Verein für jugendliche im Berufspraktischen Jahr und Stadtjugendpflege Donaueschingen. Ein anderes Projekt läuft zur Zeit in Ko­ operation mit dem Autohaus Südstern. Hier wird eine werkseigene Unterführung zu ei­ ner Tunnelgalerie mit Bildern, Schriften und Graffiti gestaltet. Eine bislang einmalige Ak­ tion, die Jugendlichen legale Flächen und die Möglichkeit bietet, sich im öffentlichen Raum künstlerisch-kreativ zu betätigen. Weitere Kooperationspartner sind und wa­ ren u. a. die Stadt Donaueschingen, der Ge­ werbe- und Handelsverein Donaueschingen, die Stadt Hüfmgen, Schulen, Kindergärten, Stadtbibliothek und Jugendmusikschule,

Jugendkunstschule D onaueschingen M it Begeisterung beim Mflastermalen – auch das gehört zum Angebot der Jugendkunstschule. mittag in der Sternenlager-Werkstatt gebaut werden, Theateraufführung, Glühwein und Kinderpunsch, mit Grillwürsten, selbstgeba­ ckener Pizza und Pizzabroten aus dem Brennofen. Andreas Bordel-Vodde die VHS Baar, Sparkassen und Banken, die FF-Sammlungen und viele mehr Erlebniswochen und Kunstfahrten In Zukunft sollen auch wieder Erlebniswo­ chenenden und Kunstfahrten angeboten werden. Beispiele vergangener Fahrten sind ein Höhlenwochenende mit Übernachtung auf dem Bauernhof, Bergwochenenden auf einer Hütte, ein Zigeunerlager bei der Gug- genmühle. Das letzte Highlight im Jahr der Jugend­ kunstschule ist das traditionelle Sternenla- ger, ein vorweihnachdiches Fest der JKS für Kinder und Eltern auf dem Max-Rieple- Platz, mit großem Feuer, Dekoratio­ nen, die von den Kindern am Nach­ Links:Fingermännchen, rechts A uf­ führung des Theaterstücks „Die Do- 7 1

B ildungseinrichtungen Fems tudienzentrum Villingen- Schwenningen Von V S-Schw enningen aus werden ca. 880 Fernstudierende betreut Das legt die Vermutung nahe, daß diese Einrichtung doch noch recht jung ist. Kon­ kret reichen aber die Vorüberlegungen und Vorarbeiten, hier ein Fernstudienzentrum in Betrieb zu nehmen, deutlich weiter zurück. 1972 haben sich die bis dahin selbständi­ gen Städte Villingen und Schwenningen zur Großen Kreisstadt Villingen-Schwenningen zusammengeschlossen. VS war in der Lan­ desplanung nun als „Oberzentrum“ ausge­ wiesen. Und mit einem Oberzentrum ver­ band man die Erwartung, Sitz einer Univer­ sität zu werden bzw. zu sein. Von 1974 datiert auch ein Gutachten mit dem Titel „Neuentwicklung einer Gesamt­ hochschule in Villingen-Schwenningen“, das im Auftrag der Stadt Villingen-Schwen­ ningen und der Neuen Heimat Baden-Würt­ temberg erstellt wurde. In diesem Gutachten wurde die eindeutige Empfehlung ausgesprochen, „… im Hinblick auf die zu erwartenden Studierendenzahlen im Hochschulwesen Baden-Württemberg, sowie auf die regionale Unterversorgung von Stadt und Region mit Bildungsangebo­ ten der sekundären und tertiären Stufe und die Entlastungsbedürfnisse benachbarter Hochschulen in naher Zukunft die positive Entscheidung für die Entwicklung einer Gesamthochschule am Standort Villingen- Schwenningen zu treffen …“ .9 Femstudienzentruni statt Universität Die Landesregierung hatte aber dann sig­ nalisiert, daß es mit den Universitätsneu­ gründungen Ulm und Konstanz sein Be­ wenden habe und keine weiteren neuen Universitäten in Baden-Württemberg ent­ stehen werden. Ziel war nun, andere Hochschuleinrich- tung nach VS zu bekommen und dies ge­ 7 2 lang im Laufe der Jahre: 1975 wurde hier ei­ ne der ersten Berufsakademien des Landes eingerichtet. 1979 folgte die Fachhochschu­ le für Polizei, vorerst untergebracht in Ma­ ria Tann bei Unterkirnach, die dann im Ok­ tober 1985 die neuen Gebäude im Stadtbe­ zirk Schwenningen beziehen konnte, und schließlich wurde 1988 die Außenstelle Vil­ lingen-Schwenningen der Fachhochschule Furtwangen eingerichtet.2> Wenn nun schon keine Universität nach VS kommen sollte, so gingen nun die Über­ legungen in Richtung „Fernstudienzent­ rum“. Man hatte dabei die neu gegründete Fern-Universität Hagen im Blick. Der erste Schriftwechsel mit der Fern-Universität Ha­ gen erfolgte bereits im Frühjahr 1976. VHS- Leiterin Dr. Pache brachte in einer Anfrage vom 27. April 1976 das Interesse an der Ein­ richtung eines Femstudienzentrums in VS zum Ausdruck. Der damalige Kanzler der Fern-Universi­ tät, Ralf Bartz, teilte in seinem Antwort­ schreiben vom Juni 1976 mit, daß ein grund­ sätzliches Interesse bestehe, Studienzentren auch in anderen Bundesländern und auch in Kooperation mit anderen Bildungsträgern einzurichten. 1979 den ersten Antrag gestellt Auch die baden-württembergische Landes­ regierung beschäftigte sich in dieser Zeit mit dem Thema „Fernstudienzentren“. In ihrem Auftrag wurde im November 1976 eine „Pla­ nungsstudie zur Einrichtung von Studien­ zentren für Fernstudium und Fernunterricht in Baden-Württemberg“ fertiggestellt. Es werden mögliche Standorte wie Stutt­ gart, Heilbronn, Karlsruhe und auch Villin­ gen-Schwenningen untersucht. Die Studie kommt zum Schluß, daß auch „Villingen-

Schwenningen als Standort für ein Studien­ zentrum geeignet ist“ 3). Ausschlaggebend war hier auch die Entfernung zu den Prä­ senzuniversitäten Freiburg, Tübingen und Konstanz. Nach mehreren Vorgesprächen mit Minis­ ter Prof. Dr. Engler reichte der damalige OB Dr. Gebauer am 8. Januar 1979 den Antrag auf Einrichtung eines Fernstudienzentrums in Villingen-Schwenningen beim Wissen­ schaftsministerium in Stuttgart ein. Am 21. Februar 1979 behandelte der Kul­ turpolitische Ausschuß des Landtags, Un­ terausschuß Hochschulen, das Thema „Studi­ enzentren“ 4). Grundlage war ein FDP/DVP- Antrag, der die Einrichtung von Studien­ zentren in den Standorten Stuttgart, Karls­ ruhe und Villingen-Schwenningen und gegebenenfalls auch in Heilbronn und Wein­ garten vorschlug. Am 21. August 1979 ging hier das Absage­ schreiben des Wissenschaftsministeriums, in VS ein Studienzentrum zu errichten, ein. Vermutlich hatten die Bedenken der Landes­ regierung überwogen, in der förderal gepräg­ ten Bildungslandschaft der Universität ei­ nes anderen Bundeslandes hier in Baden- Württemberg die Einrichtung von Außen­ stellen zu ermöglichen. Hinderlich war wohl zu diesem Zeitpunkt auch das Beharren der Fern-Universität Ha­ gen auf einer vertraglichen Regelung mit der Landesregierung. Dann trat das Thema „Fernstudienzentren in Baden-Württemberg und speziell in VS“ lange in den Hintergrund. Erst der Ab­ schluß des Kooperationsvertrags zwischen der Fern-Universität Hagen und der Firma BMW in München im November 1988 brachte wieder Bewegung in die „Studien­ zentrumslandschaft“. Ein privater Träger wollte das Angebot der Fern-Universität vorrangig als Weiterbildungsmöglichkeit für seine Belegschaft nutzen. Damit war ein Ausweg aus der förderalen Begrenzung auf­ gezeigt. Nach diesem Modell entstand 1990 auch in Schwäbisch-Gmünd das erste Femstudien- Z ehn Jahre F ernstudienzentrum zentrum auf baden-württembergischem Bo­ den. Dort schloß sich die Stadt Schwäbisch- Gmünd mit der Zahnradfabrik Friedrichsha­ fen, konkret deren technischer Akademie zu­ sammen, um einen Träger zu bilden. 1991 wurde das Fernstudienzentrum Karls­ ruhe gegründet als eine Einrichtung der Universität Karlsruhe. Trägergesellschaft wird gegründet Auch in VS machte man sich nun wieder daran, einen geeigneten Träger zu finden. Nach immenser Vorarbeit von Frau Dr. Pache und nach vielen Gesprächen schlossen sich die große Kreisstadt Villingen-Schwennin­ gen, der Schwarzwald-Baar-Kreis und die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg zu einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts zusam­ men und gründeten so die Trägergesellschaft „Fernstudienzentrum Villingen-Schwennin­ gen“. Die Vertragspartner waren sich dahin­ gehend einig, daß in Villingen-Schwennin­ gen ein Studienzentrum einzurichten ist. Der Gesellschaftsvertrag zwischen den Trä­ germitgliedern wurde am 11. Februar 1992 unterzeichnet5). Der Kooperationsvertrag mit der Fern-Universität Hagen wurde am 10. März 1992 unterzeichnet und die Eröff­ nungsveranstaltung im Kreishaus fand am 12. Mai 1992 statt. Das Fernstudienzentrum VS nahm im Mai 1992, also noch im Laufe des Sommerse­ mesters, seinen Betrieb auf. Räumlich unter­ gebracht wurde es im Berufsakademiegebäu­ de „Friedrich-Ebert-Str. 32“ (gegenüber dem Schwenninger Bahnhof). Auch der Landkreis ist Vertragspartner Der damalige Direktor der Berufsakade­ mie VS, Prof. Mann, förderte die Einrich­ tung des Studienzentrums von Anfang an nach Kräften. Und auch die weiteren Direktoren der BA- VS, die Professoren Riegraf und Dr. Sommer, unterstützten die Einrichtung „Fernstudien­ zentrum“. Inzwischen ist das Studienzent- 7 3

B ildungseinrichtungen rum VS im BA-Gebäude „Frühlingshalde 85“ untergebracht. Aufgabe des Fernstudienzentrums VS war und ist – so geht es aus §1 des Gesellschafts­ vertrags hervor – Fernstudenten die Mög­ lichkeit einer direkten, allgemeinen und fachwissenschaftlichen Betreuung (zu) schaf­ fen, sowie Studieninteressenten (zu) beraten und (zu) informieren.“ Zu diesem Zweck leisteten die Vertragspar­ teien ab 1992 jährliche Beiträge: Die Stadt VS und der Schwarzwald Baar-Kreis brach­ ten jeweils 50 000 DM ein und die IHK jähr­ lich bis zu 25 000 DM. Die Vertragspartner betrachteten ihre finanziellen Leistungen als Anschubfinanzierung und gingen davon aus, daß das Land Baden-Württemberg letzt­ lich die ganze Finanzierung übernehmen werde. Diese Annahme stützte sich auf die Überlegung, daß Bildungseinrichtungen im tertiären Bereich Landesangelegenheit sind. Das Land Baden-Württemberg begann 1995 mit der Förderung der drei Fernstudi­ enzentren. Ab 1996 setzte das Land dafür 600000 DM in den Haushaltsplan ein und diese Summe blieb „gedeckelt“ bis zum Jahr 2001 unverändert. Das Fernstudienzentrum VS erhielt aus „diesem Topf“ 2001 156 000 DM und die Trägergesellschaft steuerte im gleichen Zeit­ raum immer noch 121 000 DM bei. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusam­ menhang, daß der ASTA der Fern-Universi- tät die Durchführung von Mentorenveran­ staltungen hier am Studienzentrum im Jahr 2001 mit weiteren 10000 DM unterstützte. Im Mai 1992 nahm stundenweise Wil- traud Natschinski, Diplomkauffrau und Fern-Uni-Absolventin die Studienberatung im Studienzentrum auf. Frau Maud Ilg als Verwaltungsangestellte begann im August 1992 und ist seither halbtags im Studien­ zentrum tätig. Frau Dr. Christel Pache wur­ de mit der Geschäftsführung betraut. Im Oktober 1992 wurde Werner Leuthner als Leiter eingestellt – vorerst noch halbtags. 1995 wurde Leuthner neben der fachlichen Leitung auch die Geschäftsführung der 74 BGB-Gesellschaft „Femstudienzentrum VS“ übertragen. Ab 1996, also dem Zeitpunkt der regulären Landesförderung, war Werner Leuthner dann ganztags im Fernstudien­ zentrum tätig. Bis zu 880 Studenten betreut Zum Sommersemester 1992 wurden hier 140 Fernstudierende betreut. Bereits zum Wintersemester 98/99 wurde die Zahl von ca. 880 erreicht und blieb die nächsten vier Jahre in etwa konstant auf diesem Niveau. Da man hier keinen Ballungsraum versorgt, sondern vorrangig in der „Provinz“ agiert, wird sich diese Zahl wohl nur noch unwe­ sentlich verändern. Aus Villingen-Schwenningen selbst stam­ men ca. 80 Fernstudierende und aus der Re­ gion Schwarzwald-Baar-Heuberg ca. 160. Das stärkste Studentenaufkommen ist im PLZ-Bereich „78“ mit Zentrum Konstanz zu verzeichnen: Von dort kommen 281. Aus dem PLZ-Bereich „79“ mit Zentrum Frei­ burg sind es 164 und aus dem PLZ-Bereich „72“ mit Zentrum Tübingen kommen 142. Der Einzugsbereich des Studienzentrums Villingen-Schwenningen reicht von Stutt­ gart bis Konstanz und von Sigmaringen bis Hausach im Kinzigtal. Im Großraum Stutt­ gart teilen sich die drei baden-württembergi­ schen Studienzentren die Femstudierenden. Den Raum Freiburg teilt sich bezüglich der Fernstudierenden VS mit Karlsruhe und den östlichen Bodenseeraum VS mit Bregenz. Schwerpunkt Wirtschaftswissenschaften Das Angebot an mentoriellen Begleitveran­ staltungen deckt praktisch alle an der Fem- Universität Hagen angebotenen Studienrich­ tungen ab – allerdings in unterschiedlicher Intensität. Der eindeutige Schwerpunkt liegt im Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge. Dies resultiert daher, daß et­ wa 54% aller „in Hagen“ eingeschriebenen Fernstudierenden Wirtschaftswissenschaf­ ten belegt haben und diese Relation trifft

auch für uns hier zu. Das zweitstärkste Kon­ tingent betrifft die Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften und das drittstärkste die Informatik und der „Rest“ verteilt sich auf Elektrotechnik, Mathematik und spezi­ elle Weiterbildungsprogramme. Im Wintersemester 2001/2 hat man über 60 studienbegleitende Veranstaltungen an- geboten – einige im Umfang mit bis zu sie­ ben Samstagen. Diese Angebote wurden mit 27 Mentorinnen und Mentoren, sowie mit drei Tutoren realisiert. Aufgabe dieser Begleit­ veranstaltungen ist, den Fernstudierenden, die ja meist „single learners“ sind, bei der Be­ wältigung des Studiums zu unterstützen und auf Klausuren vorzubereiten. Im November 2001 wurden 19 Absolven- tinnen und Absolventen verabschiedet, die im laufenden Jahr ihr Studium abgeschlos­ sen hatten. 17 davon hatten einen wirtschafts­ wissenschaftlichen Abschluß wie Diplom­ kaufmann bzw. Diplomwirtschaftsingenieur erreicht. Viele nutzen aber das Angebot der Fern-Universität bzw. des Studienzentrums zur individuellen Weiterbildung, – ohne einen besonderen Abschluß anzustreben. Das Studienzentrum hat sich also in den zurückliegenden zehn Jahren bemerkens­ wert entwickelt. Für die Region bedeutet Z ehn Jahre F ernstudienzentrum dieses Studienzentrum eine notwendige Er­ gänzung der vorhandenen Hochschulland- schaft und darüber hinaus ist es ein wichti­ ger Standortfaktor in einer Region, die zuneh­ mend durch Dienstleistungen geprägt ist. Zum 1. August diesesjahres hat Dr. Bernd Sommer die Leitung übernommen. Werner Leutbner F ußnoten 1 Peter M üller (unter M itarbeit von W olfgang Kar- cher), Kurzfassung des G utachtens „Neuentwicklung einer G esam thochschule in Villingen-Schw ennin­ gen“, Stuttgart, 1974, S. 3 2 M it dem Ausbau dieser Dienstleistungseinrichtun­ gen verfolgte m an auch strukturpolitische Ziele, – wa­ ren doch in diesem Raum die traditionellen Indust­ rien (U hren, Feinwerktechnik, Phono) fast ganz ver­ schwunden. 3 Uwe Brandes, M anfred H ildenbrand, Ernst Raters: „Planungsstudie zur Einrichtung von Studienzentren für Fernstudium u n d Fernunterricht in Baden-W ürt­ tem berg“, Hrsg.: Institut für Regionale Bildungspla­ nung, – Arbeitsgruppe Standortforschung – G m bH , Hannover, Nov. 1976, S. 329 4 Landtag von Baden-W ürttem berg – 7. W ahlperio­ de, Drucksache 7/5345, S. 10ff 5 Am 9. Juli 1996 wurde dieser Vertrag dann überar­ beitet u n d den geänderten Gegebenheiten angepaßt. Dr. Bernd Sommer, Maud Ilg und Werner Leuthner. Dr. Bernd Sommer hat die Leitung des Fernstudien­ zentrums zum 1. August 2002 von Werner Leuthner übernommen. 75

6. Kapitel /Almanach 2003 Aus dem Wirtschaftsleben „Ein bisschen Fürst muss sein“ D ie Fürstenberg-Brauerei in Donaueschingen: hochm odern und regional verwurzelt „Es genügt heute nicht mehr, ein gutes Bier zu brauen – man muss es auch verkaufen“, weiß man in der traditionsreichen Donau- eschinger Brauerei. Seit Jahren geht der Bier­ verbrauch in Deutschland zurück. Dabei steigt der Werbeaufwand der großen „Fern­ sehbiere“. Regional verwurzelte Anbieter haben es deshalb immer schwerer, ihre her­ vorragenden Produkte zu vermarkten. Diesem Trend der 1990er Jahre hat sich die Fürstenberg Brauerei erfolgreich entgegen­ gestemmt: Mit vielen neuen Produkten, einer humorvollen Werbung, moderner Pro­ duktausstattung und dem Erwerb der Rie- geler Brauerei konnte sich die fürstliche Pri­ vatbrauerei im harten Wettbewerb der Brau­ ereien gut behaupten. Das ehemalige „Ta­ felgetränk Seiner Majestät des Kaisers“, dem Kaiser Wilhelm II. vor über 100 Jahren die­ sen Ehrentitel verliehen hat, kommt heute aus einer hochmodernen Brauerei. Baden-Württembergs größtes Biersortiment Die Fürstlich Fürstenbergische Brauerei KG gehört nicht nur zu den größten Brauereien Baden-Württembergs, sondern verfügt auch über das breiteste Sortiment: Rund zwanzig verschiedene Biersorten werden in Donau­ eschingen gebraut oder abgefüllt: Von den begehrten Saison-Spezialitäten Fest­ bier, Fasnetbier über Starkbiere / “ und drei Weizensorten (Hefe hell und dunkel, Kristallweizen), bis hin zur Hauptmarke Fürstenberg Pilsener. Ein modernes Fürsten- | berg Premium Lager und ein fürstliches „Radler“ runden das Sortiment ab, das zu den größten in der deutschen Brauereiland­ schaft gehört. 7 6 Die Produktion ist einem hohen Quali­ tätsstandard verpflichtet. Fürstenberg war die erste deutsche Brauerei, die mit dem Zer­ tifikat nach DIN ISO 9001 und der Um­ weltzertifizierung nach der Öko-Audit-Ver- ordnung ausgezeichnet wurde. Heute be­ schäftigt das Unternehmen knapp dreihun­ dert Mitarbeiter. Der Umsatz lag 2001 bei über 61,5 Mio Euro. Rund 8 000 Gastrono­ miepartner von Sylt bis Konstanz führen die Produkte aus der fürstlichen Privatbrau- Klosterbräu aus „Esginga“ Die Geschichte der fürstlichen Brauerei be­ gann vor über 700 Jahren: Kaiser Rudolf von Habsburg verlieh im Jahr 1283 Hein­ rich von Fürstenberg mit der Grafschaft Baar auch das Brauprivileg. Ob die Fürstenberger zu dieser Zeit allerdings schon eigene Brauer­ eien betrieben, ist nicht bekannt. Man kann aber davon ausgehen, dass in Donaueschin­ gen schon viel früher, nämlich bereits im 10. Jahrhundert, gebraut wurde: Denn um 900 gab es in „Esginga“, wie Donaueschingen damals hieß, einen Kelnhof, der dem Klos­ ter Reichenau gehörte. Solange Klöster bestehen, gehörte zu den vielseitigen Tätig­ keiten der „Patres“ auch das Bierbrauen – in Donaueschingen wird das nicht an­ ders gewesen sein als anderswo. Da es auf der Baar keinen Weinbau gab, ist es so gut wie sicher, dass im klösterlichen Kelnhof in „Es­ ginga“ bereits um 900 Bier ge­ braut wurde. Das fürstliche Bräuhäusel Rund 600 Jahre später treten die

Fürstenberg-B rauerei D onaueschingen Das Stammhaus der Fürstenberg-Brauerei beim Diana-Brunnen in Donaueschingen. Fürstenberg Mobil – eine Higb-Tecb-Tbeke fü r den Einsatz bei Events und Festen, hier in Bräunlingen. 7 7

A us dem W irtschaftsleben Die Geschichte der Fürstenberg-Brauerei war schon Gegenstand vieler Abhandlungen, prächtig ge­ schmückt ist diese Schrift aus dem Jahr 190z. Fürstenberger auf den Plan: Donaueschin- gen geht aus dem Besitz des Klosters Reich­ enau an das Haus Fürstenberg über. Auch der Kelnhof kommt damit in fürstlichen Be­ sitz. Leider existieren heute keine Burgvog­ teiakten aus derZeit vor 1700 mehr. Da das Brauereiwesen von den Burgvögten betreut wurde, wären diese Akten zur Rekonstrukti­ on der frühen Geschichte der Fürstenberg­ brauerei nämlich die aussagekräftigste schrift­ liche Quelle. Es gibt aber andere Hinweise, die uns bei der Spurensuche helfen: Wir wis­ sen zum Beispiel, dass Graf Heinrich zu Fürs­ tenberg im Jahr 1570 seine Residenz von Wartenberg nach Donaueschingen verlegte. Er gilt als der eigentliche Gründer des fürst- lich-furstenbergischen Brauwesens. Heinrich von Fürstenberg ließ im alten Schlosshof neben dem Lustgarten das „Bräuhäusel“ er­ richten (siehe Abb. rechte Seite oben). Das Brauwasser kam aus der Eisenwinkelquelle in Aufen und wurde mit einer Deichellei- tung in den Donaueschinger Schlossgarten geführt. Ein weiterer interessanter Fakt aus der Frühzeit des fürstlichen Brauwesens ist 78 der erste namentlich bekannte Braumeister: Er stammte aus Arnsperg in Westfalen und hieß Antonius Stofermann. 1590 schickte der Graf seinen Braumeister mit einem Empfehlungsschreiben nach Prag, damit er dort das berühmte böhmische Bier brauen lernte. Runde 400 Jahre später wid­ mete die Fürstenbergbrauerei ihrem ersten Braumeister ein eigenes Bier: Das zweite Produkt im damaligen „Sortiment“, das aus einem hellen und einem dunklen Bier be­ stand, bekam den Namen „Antonius-Bräu“. Das Brauwesen im 17. Jahrhundert Während des Dreißigjährigen Krieges kam das Brauwesen vollständig zum Erliegen und nahm nach Kriegsende einen um so lebhafteren Aufschwung. Wie das gräfliche Brauhaus im 17. Jahrhundert ausgesehen hat, zeigt ein Stich des Nürnberger Kupfer­ stechersjakob Sandrart. Er entstand nach ei­ nem Abriss des Hüfinger Malers Martin Menrad, der in den 1660er Jahren Ansichten aller fürstenbergischen Ortschaften anfertig­ te. In dieser Zeit wurde im gräflichen Brau­ haus in Donaueschingen hauptsächlich für den Eigenbedarf, also für den H of und sei­ ne Verwaltung, gebraut. Es gab nach dem Dreißigjährigen Krieg in der Baar unzählige bürgerliche Brauereien und – wie es in der heutigen Wirtschaftssprache heißen würde – der Markt war gesättigt. Außerdem war das Hauptgetränk der Baaremer damals nicht Bier, sondern Wein. Der Wein kam vom Bo­ densee, aus dem Breisgau und der nahen Schweiz und wurde auf den Getreidemärk­ ten in Donaueschingen und Löffmgen ein­ getauscht. Brauerei an der Haldenstraße wird gebaut Der wirtschaftliche Aufschwung für das fürstenbergische Brauereiwesen begann un­ ter der Regierung des Fürsten Anton Egon (1676-1716). In Donaueschingen gab es da­ mals bereits einen herrschaftlichen Hanf­ garten an der Haldenstraße und Hopfen-

Fürstenberg-B rauerei D onaueschingen Teilansicht von Donaueschingen nach einem Kupferstich von Jacob Gandrart aus dem Jahr 1664. Der Buchstabe „ B “ bezeichnet das B rauhaus, die Nummer 4 das neue, die „ 8 “ das alte Schloss. Blick in den •westlichen Brauereihof, fotografiert 190z. 79

A us dem W irtschaftsleben Fürst Anton Egon (1676-1716) führte den wirt­ schaftlichen Aufschwung der Brauerei herbei. gärten hinter dem Schloss. 1739 entstand auf dem Gelände des Hanfgartens die neue fürstliche Brauerei. Der Bau lag gegenüber des ebenfalls neu erbauten Regierungsge­ bäudes an der Haldenstraße, der heutigen Hofbibliothek. Von nun an betrieben die Fürstenberger ein wirtschaftliches Unter­ nehmen: Sie schränkten die bisher großzü­ gig gehandhabte Vergabe von Braukonzes- sionen an bürgerliche Brauereien immer mehr ein. Gleichzeitig erhöhte die Fürsten­ bergbrauerei ihre Brauleistung. Durch diese Geschäftspolitik machte sich die Brauerei allmählich selbst zum „Marktfuhrer“. D er,»Marktfuhrer“ erweitert Gegen Ende des Jahrhunderts war der Bier­ absatz bereits derart angestiegen, dass die Brauerei erweitert werden musste. Ein wei­ terer Anbau erfolgte im Jahr 1838 und zwan­ zig Jahre später kamen neue Kelleranlagen hinzu. In dieser Zeit entstanden auch die Um­ fassungsmauern um den Brauereihof. In der Mitte des 19. Jahrhunderts erstreck­ te sich das Absatzgebiet der Fürstenberg­ 80 brauerei nur über die Baar und den Schwarz­ wald. Potentielle auswärtige Kunden gab es zwar genug, aber dem Betrieb mangelte es an Unternehmungsgeist. Die schwerfällige Bürokratie und die fehlenden Verkehrsmit­ tel taten das ihrige, um eine Expansion des Brauereibetriebes zu verhindern. Im letzten Viertel desjahrhunderts entschloss man sich immerhin zu einer deutlichen Verbesserung der Betriebseinrichtung, baute neue Keller­ anlagen und installierte eine moderne Pe­ troleum-Beleuchtungsanlage. 1886 brachte der damalige Verwalter der fürstlichen Brau­ erei ein nach Wiener Art hergestelltes helles Bier in den Handel, das sich bald großer Be­ liebtheit erfreute. Das „Danubia-Exportbier“ wurde bis nach Brasilien vertrieben und auch Reichskanzler Fürst Bismarck gehörte zu den Abnehmern des Donaueschinger „Göt­ tertranks“. Kaiser Wilhelm II. besucht die Brauerei Der Durchbruch zur modernen Großbrau­ erei beginnt im 20. Jahrhundert. Der Initia­ tive des Fürsten Max Egon ist es zu verdan­ ken, dass der Donaueschinger Braubetrieb nach der Jahrhundertwende vollständig mo­ dernisiert und mit einer neuzeitlichen Ma­ schinenanlage ausgestattet wurde. Auch die fürstliche Verwaltung stellte sich auf neue Zeiten ein und passte ihre Verkaufssituation den Erforderungen eines Großbetriebes an. Die Folge war eine rapide Steigerung des Bierabsatzes. Vertretungen in ganz Deutsch­ land wurden eingerichtet und man trank das Fürstenbergbräu auch schon in Italien, in der Schweiz, in Belgien, Frankreich und England. Eine wesentliche Rolle beim Ex­ port spielte der Eisenbahnbau, der die Ver­ triebssituation natürlich deutlich verbesser­ te. Nun konnte das Bier mit der Eisenbahn von Donaueschingen in die ganze Welt ver­ schickt werden. Als Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1900 zum ersten Mal den Fürsten Max Egon besuchte, war er vom Donaueschinger Pilsener offen­ bar sehr angetan: Jedenfalls bezog der Kai-

Fürstenberg-B rauerei D onaueschingen Oben: Die Küferwerkstatt. Bilder unten, von oben links: Die Abfüllanlage, Michanlage mit Theurer-Ap­ parat, Besuch von Kaiser Wilhelm II. und die neue Kühlanlage der Brauerei. Alle Fotografien um 1900. 81

Aus dem W irtschaftsleben ser in Berlin von nun an Bier aus Donaue­ schingen und gab der Brauerei die allergnä­ digste Erlaubnis, das Fürstenberg-Bräu „Ta­ felgetränk Seiner Majestät des Kaisers“ zu nennen. Die Fürstenberg-Brauerei heute Heute gehört die Fürstlich Fürstenbergi- sche Brauerei KG zu den größten Brauerei­ en Baden-Württembergs und verfugt mit rund 20 Biersorten über das breiteste Sorti­ ment. Gebraut wird an zwei Standorten: Im Donaueschinger Stammhaus mit dem his­ torischen Diana-Brunnen, einem Geschenk Kaiser Wilhelms. Außerdem in Riegel, dem Sitz der F i’1- geler Brauerei, die se 2000 zur Fürstenberg Gruppe gehört. Rie- geler ergänzt mit sei­ nem Schwerpunkt im südwestlichen Baden-Württem­ berg und den begehrten Spezialitäten Reichweite und Ange­ bot der D o­ naueschin­ ger Brauerei. 82 Blick ins Sudhaus der Fürsten­ berg-Brauerei. „Die Übernahme von Rie- geler kann schon nach ei­ nem Jahr als guter Erfolg gewertet werden. Das ist in der Brauereilandschaft nicht an der Tagesordnung“, so Dr. Hans-Rüdiger Schewe, Vorsitzender der Geschäfts­ führung von Fürstenberg. Abgefüllt werden alle Biere in Donaueschingen. Aus­ lieferungs-Stützpunkte befinden sich in Do­ naueschingen, Riegel und Remseck. Sponsor vieler Sportereignisse Die Fans der SERC Wild Wings im legen­ dären Bauchenberg-Stadion gelten als die treuesten in der DEE. Das gleiche gilt auch für die Brauerei. Wenn der Bauchenberg „brennt“ und das große Wild Wings Banner entrollt wird, ist der Hauptsponsor Fürsten­ berg immer dabei. Und das seit 1985. Die Brauerei hat einen hohen Anteil daran, dass der eishockeyverrückte Südwesten Deutsch­ lands überhaupt in der DEL vertreten ist. Begonnen hat das sportliche Engagement von Fürstenberg mit dem Reitturnier vor der eigenen Haustür, dem internationalen CHI, das seit Jahrzehnten zu den wichtigsten deutschen Freiluft-Turnieren zählt. Heute 13 Das „Fasnet-Bier“ aus dem Haus Fürstenberg wird Jahr für Jahr mit anderen Fastnachtsge­ stalten geschmückt, hier aus Furtwangen und Stockack (rechts).

profitieren eine Vielzahl weiterer Sportver­ anstaltungen und -vereine vom Engagement der Donaueschinger Brauer. Darunter der Donaueschinger Fußballverein, die Football Cracks von den Danube Hammers, Radfah­ rer, Leichtathleten, Gewichtheber u.v.a. Nicht zu vergessenen die „hauseigenen“ Teams der fürstenbergischen Fallschirmspringer und Ballonfahrer. Musik und Parties mit Fürstenberg Nicht nur Sport-Events – auch Musikver­ anstaltungen und Parties sind ohne Fürs­ tenberg nicht mehr denkbar. Zumindest im Süden Baden-Württembergs. Dazu gehören musikalische Großveranstaltungen wie das Zeltmusik-Festival Freiburg oder Rock am See in Konstanz. Aber auch viele kleinere Events und Parties werden durch Fürstenberg zu ei­ ner runden Sache. Mit dem SWR3 ist Für­ stenberg bei der „Dance Night“ in Diskothe­ ken, bei Vereinen und Gastronomiepartnem on Tour. „Ein bisschen Fürst muss sein“ heißt es hier nach dem Motto der Fürstenberg Werbung. Auch in Stuttgart tritt die badische Braue­ rei unübersehbar auf: Mit dem populären Festwirt Walter Weitmann wurde 2000 eine Fürstenberg-B rauerei D onaueschingen langfristige Kooperation für den Fürsten­ berg Ausschank beim Volksfest in Stuttgart, dem „Wasen“ vereinbart. Heute gibt es Fürstenberg Biere in Mehr- und Einweg-Flaschen, in verschiedenen Do­ sengebinden und die beliebtesten Produkte auch als KEG-Fass für die Gastronomiepart­ ner. Fürstenberg Premium Pilsener im ele­ ganten Galeria Glas steht in der Top-Gast­ ronomie – in Bars oder Diskotheken sieht man auch den Griff zur modernen Long- neck-Flasche. Hier trinkt man Fürstenberg Premium Lager – ohne Glas, versteht sich. So ändern sich die Zeiten, Getränke und Trink­ gewohnheiten mit ihnen. Beatrice Scherzer / Susanne Rothweiler L iteratur Georg Tumbült: Die Fürstlich Fürstenbergische Brau­ erei zu D onaueschingen 1705-1905. Stuttgart o. J. Internationale Industriebibliothek Verlag Max Schrö­ der: Die Fürstlich Fürstenbergische Brauerei AG zu Donaueschingen 1705-1935. Berlin o. J. Gustav Schnetzer: Zur älteren Geschichte der Fürst­ lich Fürstenbergischen Brauerei in Donaueschingen. Sonderdruck aus H eft X XIII/1954 der Schriften des Vereins für Geschichte u n d Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen Das CHI, Mrinz Kari zu Fürstenberg Turnier, wird von der Fürstenberg-Brauerei wie andere Sportereig­ nisse im Landkreis tatkräftig gesponsert.

Aus dem W irtschaftsleben Hommelwerke nehmen es besser als haargenau Die GmbH aus VS-Mühlhausen darf sich zu den drei Großen der Messtechnik zählen Im Osten von Villingen-Schwenningen gibt es fast nichts Neues: Auch nach Übernahme der Hommelwerke GmbH durch die Jenop- tik AG im Jahr 2000 gab es vor Ort „eigent­ lich keine Veränderungen“, so der damalige Hommelwerke-Geschäftsführer Werner Lenz. Anfang 2001 wurde der Bereich optische Messtechnik ins Mühlhausener Unterneh­ men eingegliedert. Und seit zwei Jahren steht ein neues Führungsduo an der Spitze des Unternehmens, das im selben Jahr sein 125-jähriges Bestehen feierte. Während nun Volkmar Hauser für den kaufmännischen Bereich zuständig zeichnet, führt Christian Sommermeyer bei der Technik die Geschäf­ te. Auch Volkmar Hauser sieht die Tatsache, dass das Unternehmen in Mühlhausen zu einem Konzern gehört, positiv: „Es ist sicher kein Nachteil, zu Jenoptik zu gehören.“ Ein Beweis, dass auch die Konzernmutter so denkt, war sicherlich der Besuch von Dr. Lo­ thar Späth im Herbst 2001 im Rahmen der Festlichkeiten zum 125-jährigen Jubiläum. Späth ist der Vorstandsvorsitzende der Jen­ optik AG. Die Hommelwerke GmbH findet sich un­ ter dem Dach der Jenoptik-Gruppe im Ge­ schäftsbereich Photonics Technologies wie­ der und hier in der Jenoptik Laser, Optik, Systeme GmbH. Während die Hommelwer­ ke traditionell industrielle und berührende Messtechnik in ihrem Produktspektrum hat, bildet der neue Bereich der optischen Mess­ geräte eine ideale Ergänzung. Dieser Bereich war bis zum 1. Januar 2001 unter dem Namen Steinheil am Markt. Optische Messgeräte bieten die Vorteile, um ein Vielfaches schnel­ ler zu sein aber nicht „so genau“ wie die be­ rührenden – im Fachjargon taktierenden – Messgeräte, dem klassischen Hommelwer- ke-Produkt. Unterhalb von Toleranzen eines Tausendstel Millimeters werde berührend gemessen, oberhalb optisch: „Wir messen besser als haargenau.“ Trotz der wechselvollen Geschichte des Unternehmens gab es eine Konstante: die Spezialisierung auf Präzisionsmesstechnik. Der geheime Kommerzienrat Hermann Hommel gründete 1876 in Mainz das Un­ ternehmen „Technisches Werkzeuggeschäft H. Hommel“ und expandierte rasch. Schnell Messungen mit Lichtgeschwin­ digkeit ermög­ lichen die be­ rührungslosen Messsysteme der „Hommel Opticline“.

erkannte der Firmengründer, dass großer Bedarf nach hochpräzisen Messinstrumenten bestand und eröffnete 1893 ein Werk für Präzisionsmesswerkzeuge in Idar-Oberstein mit dem Ziel, hochgenaue Messwerkzeuge für die metallverarbeitende In­ dustrie herzustellen. Damit leg­ te er den Grundstein der Spezia­ lisierung des Unternehmens auf Messtechnologien. 1910 wurde die Produktion nach Mannheim-Käfertal verlegt, um der schnel­ len Expansion Rechnung zu tragen. Vier­ zehn Jahre später schlossen sich die Hom­ melwerke an die Otto-Wolff-Gruppe an. Mit der Übernahme der Gerhardt Messmaschi­ nenbau KG in Villingen-Schwenningen im Jahre 1973 wuchs die Firma weiter. Schon zwei Jahre danach erfolgte der Umzug nach Schwenningen in gemietete Räume und 1980 der Einzug in die Erweiterungsgebäu­ de der ehemaligen Gerhardt Messmaschi­ nenbau – dem heutigen Standort von Hom­ melwerke. 1990 in den Thyssen-Konzern eingegliedert, verblieb Hommelwerke dort bis 1997. Über ein „Management-Buy-Out“ wurde die Hommelwerke GmbH gegründet und arbeitete selbstständig bis ins Jahr 2000. Nach Übernahme des traditionsreichen U n­ ternehmens durch die Jenoptik AG ist die H om m elw erke Gm bH Der Firmengründer Hermann Hommel. Hommelwerke GmbH zu einem der führenden Anbieter, so­ wohl beim berührenden als auch dem berührungslosen Messen aufgestiegen. Export soll verstärkt werden „Wir gehören inzwischen zu den drei Großen in der Messtechnik“, bestätigt denn auch Geschäftsführer Hauser. Zwei hauptsächliche Zielsetzungen gibt es für die Zukunft: Die Verstärkung der Aktivitäten im Ausland, sowie die Entwicklung neuer Ma­ schinen, die die Messtechnik in die Produk­ tion integrieren. Solche Messmaschinen müssen robust und durch die Mitarbeiter in der Produkti­ on einfachst zu bedienen sein. Bevor Mess­ maschinen in die Fertigung integriert waren, mussten die produzierten Teile bislang zeit­ aufwändig in speziellen Prüf- und Messla­ bors vermessen werden. Gemessen werden mit den Maschinen nicht nur die eigentlichen Maße des zu prüfenden Werkstückes, sondern auch die Beschaffen­ heit dessen Oberfläche: Die Rauhtiefe. Beim berührenden Messen können die Hommel­ werke hunderte unterschiedlicher Taster in Die Belegschaft im Jahr 1898 mit Firmengründer Hermann Hommel. 85

Aus dem W irtschaftsleben Die Hommelwerke beim Schleifseminar 2002 in Villingen-Schwenningen. die Messsysteme einbauen, je nach Messauf­ gabe und Zugang zur Messstelle. Das Tastsys­ tem wird in einer speziellen Anlage kali­ briert. Bei der Rauheitsmessung besteht der Kopf des Tasters zum Beispiel aus einem Diamanten, kaum sichtbar für das bloße Au­ ge. Auch hier ist er je nach Messaufgabe spe­ ziell bearbeitet, damit seine Form das Werk­ stück optimal erfassen kann. Es können ein­ zelne oder mehrere Messstellen gleichzeitig angetastet werden. Berührungsloses Messen Beim berührungslosen Messen übernimmt Licht die Aufgabe des Tasters und bietet den Vorteil der Verschleißfreiheit. Berührungslos kann auch die Oberfläche von Materialien wie Kunststoffoberflächen, Leder, Textilien oder Papier vermessen werden. Hochgenaue telezentrische Kamera-Messsysteme und spe­ ziell angepasste Kalibrierverfahren ermögli­ chen die Messung auch sehr komplexer Werk­ stückgeometrien. Die früher nur für typische Rundwellen erreichbaren Messgenauigkei­ ten können heute auch für exzentrische Wel­ lengeometrien, wie z. B. Kurbelwellen, spe­ zifiziert werden. Die Hommelwerke fertigen in der Reihe „Gearline“ spezielle Zahnrad­ messgeräte, mit „Formline“ können Rund­ heit, Zylinderform oder Ebenheit erfasst werden. Die Messgeräte, die die Beschaffen­ heit der Oberflächen erfassen, sind in der „Waveline“ zusammengefasst, die optischen Geräte in der „Opticline“. Die Mehrstellen­ messvorrichtungen, Messcomputer sowie Messmaschinen, die zur Vermessung von Motor-, Getriebe- und Fahrwerkskompo­ nenten eingesetzt werden, tragen den Na­ men „Gaugeline“. Wie groß die Bandbreite des Mühlhause- ner Unternehmens ist, zeigen allein die Abmessungen der Produkte: Vom kleinen handlichen Gerät in der Größe etwa eines klobigen Handys bis zur über mannshohen Anlage dreht sich bei Hommelwerke alles um das Erfassen von Rautiefen, Rundlau­ feigenschaften oder exakten Maßen. Mess- 8 6

H om m elw erke G m bH Hommel Tester T I000 – ein mobiles Rauheitsmessgerät mit höchstmögli­ cher Messgenauigkeit. geräte werden in Mühlhausen aber auch nach speziellen Kun­ denanforderungen gefertigt. Auch ältere Messmaschinen können bei Hommelwerke wie­ der auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Mehr als 260 Mitarbeiter an über zehn Standorten im In- und Ausland sind derzeit bei Hommelwerke tätig. Die Firma verfügt über Tochtergesellschaf­ ten in den USA, Frankreich, China und Südkorea. Zu den Kunden zählen führende Auto­ mobilhersteller sowie Zulieferer der Automobilindustrie. Von ex­ trem kurzen Produktzyklen – ständig werden beispielsweise neue Motorengenerationen entwickelt – wirtschafteten die Hommelwerke GmbH ei- und technischem Fortschritt im Automobil- nen Umsatz von mehr als 70 Millionen bau profitieren auch die Mühlhausener Mark. Spezialisten in Sachen Messtechnik. Im letz­ ten Geschäftsjahr, das Ende 2001 endete, er- Sabine Krümmer Die Hommelwerke GmbH in VS-Mühlhausen. 87

A us dem W irtschaftsleben Bad Dürrheimer fiir die Zukunft gerüstet N eue PET-Abfullanlage stellt die Weichen für die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte Mit der Einweihung der neuen PET-Abfullanlage am 12. Janu­ ar 2002 setzt das Unterneh­ men seine erfolgreiche Fir­ mengeschichte fort: Die leich­ te Flasche erweitert die Palette im Verpackungsbereich und dient der Weichenstellung für eine weitere positive Entwicklung. Mit einem Anteil von 12,4 Prozent gilt die Bad Dürrheimer Mineral­ brunnen GmbH & Co. heute als Marktführer der baden-württembergischen Einzelbrun­ nen und zählt bundesweit zu den „Top 20.“ Die Erfolgsgeschichte des mehrfach ausge­ zeichneten Unternehmens begann mit ei­ nem kleinen Betrieb auf der grünen Wiese, sieben motivierten Mitarbeitern, einem hoch­ wertigen Naturprodukt – aber einem kom­ plett neuen Markt. Damals, am 20. Mai 1959, als die erste Flasche mit dem Slogan „Dürrheimer Mineralwasser – immer ge­ sund“ vom Band lief, gab es nur einen Kun­ den. Vier Jahrzehnte später hat die Bad Dürr­ heimer Mineralbrunnen GmbH & Co. Heil­ brunnen 170 Mitarbeiter und zählt zur Spit­ ze der Branche. Er gilt als eines der Vorzei- geuntemehmen im Schwarzwald-Baar-Kreis und engagiert sich auch vielfältig für sportliche, kulturelle und wohltätige Projekte. Denn Bad Dürrheimer zeich net sich durch große Heimatverbun­ denheit aus. f t Bad Dürrheims damaliger Bürger­ meister und Kurdirektor Otto Weis- senberger entdeckte 1956 die qualita­ tiv hervorragenden Mineralquellen und fand in dem Freiburger Diplom- Volkswirt Adelbert Vogt den geeigne­ ten Investor. Als Dürrheimer Johan­ nisquelle Vogt KG wurde das Unter­ nehmen ins Handelsregister Villin- gen eingetragen – der Name ist Refe­ renz an Bad Dürrheims St. Johann. Im Rahmen BAD DÜRRHEIMER Die Kraft der Frische Kirchenpatron der staatlichen Anerkennung als Heilbrun­ nen, firmier­ te das Brun­ nenunternehmen 1982 in Bad Dürrheimer Mineralbmnnen GmbH & Co. Heilbmnnen um. Das Heilwasser Bertoldsquelle ist wie das Bad Dürrheimer Mineralwasser koch- salz- und nitratarm. Ein Heilwasser, das be­ sonders zur Anregung des Verdauungstrak­ tes und zur Spülung der Harnwege geeignet ist. Der Name Bertoldsquelle rührt vom Ba­ dischen Markgrafengeschlecht Bertold zu Baden her (Gründer der Zähringerstädte Freiburg und Villingen). Rund 160 Millionen Füllungen im Jahr Seit Jahrzehnten schreibt Bad Dürrheimer Erfolgsgeschichte, sichtbar zum einen an der Steigerung der Jahresleistung. Lag diese 1959 bei 765 000 Füllungen, so erreichte man 1965 zehn Millionen Füllungen, 1975 folg­ te die Verdoppelung auf 22,6 Millionen Füllungen, 1985 dann 127,9 Millionen Füllungen und 2002 rund 160 Millionen Füllungen. Die Betriebsfläche wuchs entsprechend der steigenden Nachfra­ ge und der Ausweitung der Produkti­ on. Umfaßte die Keimzelle von Bad Dürrheimer 6000 Quadratmeter, so ist die Betriebsfläche im Bad Dürrhei­ mer Gewerbegebiet heute über 35 000 Quadratmeter groß. Die positive Geschäftsentwicklung spiegelt sich auch im Vergleich wider: Belegte Bad Dürrheimer 1959 noch die 192. Stelle unter den 245 Brun­ nenbetrieben der Bundesrepublik, so rangiert das Unternehmen heute un-

Bad D ürrheim er M ineralbrunnen Die M ob ilq uelle Die superieichte PET-Fiasche .von Bad Dürrheimer. M raktisch. Einfach. Tragbar. Werbung mit der neuen, superleichten MET-Flasche, unten: Luftaufnahme der Mroduktionsstätten. BAD DÜRRHEIMER Die Kraft d er Frische 8 9

Aus dem W irtschaftsleben Die neue, superleichte MET-Flasche und eine tradi­ tionelle Glasßasche im Vergleich. ter den 20 größten Brunnen Deutschlands. Bad Dürrheimer führte 1965 als erster Brun­ nen Süddeutschlands Stilles Mineralwasser ein. Heute ist Bad Dürrheimer in diesem Sektor Marktführer in Baden-Württemberg. In den ersten Jahren knüpfte der junge Brun­ nen zunächst ein dichtes Verbreitungsnetz in der Region Südbaden, Süd-Württemberg. Dann folgten die Großräume Stuttgart, Bo­ densee, Allgäu. Der Absatz erfolgt über den Fachhandel und über Einkaufsmärkte. 170 Mitarbeiter werden beschäftigt Die Anfangs-Crew von sieben Mitarbei­ tern wuchs bis 1970 auf 25 Mitarbeiter, 1980 auf 42 Mitarbeiter und bis jetzt auf rund 170 Mitarbeiter an. Die Geschäftsleitung liegt in den Händen von Hans Jürgen Vollmer, Vor­ sitzender der Geschäftsleitung. Technischer Geschäftsführer ist Ulrich Lössl. Die kauf­ männische Geschäftsführung obliegt Gerald Körner. Bad Dürrheimer Mineralbrunnen ist eng mit der Stadt Bad Dürrheim und mit der Kur- und Bäder GmbH verbunden, zum ei­ nen durch den Quellpachtvertrag, zum an­ deren durch die Bedeutung als größter Ar­ 9 0 beitgeber und Gewerbesteuerzahler. Als wichtige Werbeträger fahren täglich über 40 Lastzüge mit dem Schriftzug „Bad Dürrhei­ mer“ durchs Land. Die Transportkapazität beträgt über eine Million Flaschen pro Tag. Qualität mit Brief und Siegel: Bad Dürr­ heimer ist der erste Mineral- und Heilbrun­ nenbetrieb Deutschlands mit dem staatlich anerkannten Qualitätssicherungs-Zertifikat nach der Europanorm DIN-ISO 9001. Am 10. Dezember 1993 wurde dieses neutrale und laufend von der DEKRA (Stuttgart) überwachte Gütesiegel verliehen für höchste Qualität in allen Unternehmensbereichen. Zum Selbstverständnis des Mineralbrun­ nens zählt auch die ökologische Ausrich­ tung – das Unternehmen lebt schließlich von der Natur. Die vielfältigen ökologischen Maßnahmen wurden 1997 in ein Umwelt­ managementsystem zusammengefasst. Re­ gelmäßige Umweltbetriebsprüfungen – die persönliche Verpflichtung zur Einhaltung der konsequenten Umweltpolitik geben al­ le Mitarbeiter des Unternehmens. Die Indu­ strie- und Handelskammer Schwarzwald- Baar-Heuberg erkennt Bad Dürrheimer hier als richtungsweisend an. Im Jahr 2001 erhielt Bad Dürrheimer von der DLG den „Preis der Besten“ für konti­ nuierlich beste Qualität der Marken Bad Dürrheimer und Wittmannsthaler. Die Na­ turprodukte werden aus acht Mineralquel­ len gewonnen. Diese sind bis zu 160 Meter tief. Bad Dürrheimer Mineral- und Heil­ wässer der Marken Bad Dürrheimer, Witt­ mannsthaler und Bertoldsquelle sind von ausgewogener Mineralisation. Zu den wich­ tigen neuen Produktlinien gehören die Ap­ felsaft-Schorlen. Ausschließlich regionales Bodensee-Obst wird für diese Premiumpro- dukte verwandt. „Der Verbraucher weiß Qua­ lität zu schätzen“, so die Geschäftsleitung und verweist darauf, dass Bad Dürrheimer Apfel­ schorlen die meistverkauften im Südwesten sind. Wichtigste Weichenstellung für die Zu­ kunft ist die neue leichte Flasche (PET). Für den Bereich der modernen PET-Flasche be­

nötigte Bad Dürrheimer Mineralbrunnen mehr Platz. Auf dem Betriebsgelände ent­ standen entlang der Rudolf-Diesel-Straße ein neues Lager und die Produktionsfläche für die PET-Abfüllanlage. Modernste Abfiilltechnologie Die neue Halle ist eine Stahlkonstruktion mit Flachdach, Metall- und Glasfassaden. Bad Dürrheimer zeigt sich dabei als trans­ parentes Unternehmen. Die gläserne Front lädt Passanten zum Zuschauen ein. In die neue PET-Anlage mit modernster Abfüll- technologie und in die dadurch bedingten baulichen Maßnahmen investierte der Be­ trieb zehn Millionen Euro. Baubeginn der neuen Halle war im März 2001. Im Oktober 2001 folgten die Montage der Abfüllanlage und im Dezember 2001 die ersten Probe­ füllungen. Die Kapazität liegt bei 16 000 Fla­ schen pro Stunde. Damit ist eine Jahrespro­ duktion von ca. 60 Millionen Füllungen möglich. Mit 1 100 geladenen Gästen (Mit­ arbeitern, Kunden, Lieferanten, Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft so­ wie Freunden des Hauses) erfolgte die Ein­ weihung am 12. Januar 2002. PET-Markt- Bad D ü rrheim er M ineralbrunnen einführung war Anfang 2002. Bad Dürrhei­ mer bietet damit ein ergänzendes Verbrau­ cherangebot zur traditionellen Glas-Pfand- flasche. Nach Auskunft von Hans Jürgen Vollmer, Vorsitzender der Geschäftsführung von Bad Dürrheimer, bleibt Glas jedoch weiterhin eine der wichtigsten Verpackun­ gen. Denn der Verbraucher bevorzuge je nach Anlass die Glas- oder die leichte PET- Flasche. Bei PET läuft alles auch künftig wie ge­ wohnt im Pfand-Kreislaufsystem. Dabei werden Hygiene, Qualität und Ästhetik durch Einmalfüllung gewahrt. Die leeren Flaschen werden im Mehrwegkasten gegen Erstattung des Pfandes vom Handel zurückgenommen. In der zweiten Stufe folgt dann die Aufbe­ reitung zu einer neuen PET-Flasche. Nach dem Shreddern kommt die Aufarbeitung zu einem hochwertigen PET-Granulat, aus dem dann der neue PET-Flaschen-Rohling entsteht. Dieser Rohling wird dann in der neuen Ab­ füllanlage zur Flasche aufgeblasen und be- füllt. Nach der Etikettierung und Verpack­ ung ist die neue leichte PET-Flasche trink­ fertig für den Verbraucher. Dagmar Schneider-Damm Die Abfüllanlage fü r die MET-Flaschen im 10 Millionen Euro teuren Neubau. 9 1

Aus dem W irtschaftsleben „Schwarzwälder Qualität, die man schmeckt“ D ie „Tannenhof-Schwarzwälder-Fleischwaren G m b H “ in N iedereschach gehört Nicht nur für den ge­ borenen Schwarzwälder, auch für viele überzeug­ te Liebhaber des Mittel­ gebirges der Schwarzwälder Schin­ ken zu den „Grundnah­ rungsmitteln“. Der Her­ stellung des Schinkens und feiner Fleischwaren von beson­ ders hoher Qualität hat sich die Firma Tan­ nenhof verschrieben. In Niedereschach, in­ mitten grüner Tannenwälder und der sanf­ ten Hügel des Eschachtals, ist der mittel­ ständische Familienbetrieb beheimatet. anderer Die Firma ist 1975 von Metzgermeister Hans Schnekenburger gegründet worden. Zunächst in Villingen-Schwenningen ansässig, wurde 1982 in Niedereschach ein neues Produkti­ onsgebäude erstellt. Dieses wurde 1993 auf 8 800 qm erweitert, wodurch die strengen Hygienevorschriften der EG erfüllt wurden. Mit den damals schon etwa siebzig Mitar­ beitern konnte nun auch verstärkt für den Export, hauptsächlich nach Frankreich und in die Benelux-Länder, produziert werden. Eigene Fachgeschäfte wurden im City Ron­ dell in Schwenningen und im Seerhein-Cen- ter in Konstanz eröffnet. Mit Markus Schne­ 92 kenburger und Claudia Schnekenburger-Erban trägt bereits die zweite Generation Verantwor­ tung im Unternehmen, das inzwischen 110 Mit­ arbeiter auf 14 000 qm Firmengelände beschäf­ tigt. Der Betrieb – schon jetzt einer der größten Gewerbesteuerzahler in Niedereschach – hat seine stetige, rasante Entwicklung noch nicht abgeschlossen und befindet sich nach wie vor auf Expansions­ kurs. Daß dies nicht auf Kosten der Qualität ge­ schieht, beweisen das hohe Maß an Kunden­ bindung, sowie die regelmäßigen Auszeich­ nungen. Jährlich werden die Wurst- und Schinkenspezialitäten des Tannenhofs von der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesell­ schaft) und der CMA prämiert. Im letzten Jahr bekamen 16 Tannenhof-Produkte den „goldenen Preis“ der DLG. Der „Preis der Besten“ in Gold wurde für langjährige Spit­ zenleistungen bei den DLG-Qualitätswett­ bewerben verliehen. Mit Erhalt des „EFSIS“-Zertifikats (Euro­ pean Food Safety Inspection Service) wurde der Firma ein besonders hoher Hygienestan­ dard bescheinigt, der über das Maß der EU- Richtlinien hinausgeht. Besonders stolz ist Bürgermeister Otto Sie­ ber, eine solche „Perle“ unter den Betrieben seiner Gemeinde zu haben. Sieber, der stets engen Kontakt zur heimischen Wirtschaft pflegt, war mit großem Engagement maß­ geblich daran beteiligt, dass sich der Tannen- „Tannenhof-Schwarzwälder Fleischwaren GmbH in Niedereschach.

h o f in Niedereschach ansiedelte. Tief beein­ druckt war bei einem kürzlichen Besuch auch der baden-württembergische Landwirt­ schaftsminister Stachele, der sich vor Ort ein Bild von der international tätigen Schwarz­ wälder Firma machte. Herstellung und Räucherung des Schinkens Das reichhaltige Sortiment des Tannenhofs reicht von verschiedenen Speck- und Schin­ kenarten über Landjäger, Salami und Sülze bis zu Fleischkäse und Bratwurst. Das Haupt­ produkt, der Schwarzwälder Tannenhof-Schin­ ken, macht ca. 60 % des Gesamtumsatzes aus. Seine Herstellung unterliegt den Bestim­ mungen der RAL (Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V., Bonn). Er wird ausschließlich aus Hinter­ schinken von Schweinen aus Zuchtbetrieben gewonnen, die hinsichtlich Haltung, Fütte­ rung und Typ kontrolliert sind. Verwendet werden nur Tiere der qualitativ hochstehen­ den Handelsklasse E. Die Schinken werden in mehrere Gewichtsklassen aufgeteilt, so daß für jede Schinkenvariante ein bestimm­ ter Gewichtsbereich zur Verfügung steht. Dies hat den Vorteil, daß jeder Tannenhof- Schinken annähernd gewichtsgleich ist. In der Zerlegung werden die Schinken ent- beint, zugeschnitten, paniert und für das Ein­ salzen vorbereitet. Zur Trockenpökelung nach überlieferter Rezeptur wird eine Salz- Gewürzmischung verwendet, die vielerlei Naturgewürze wie Wacholderbeeren, Pfef­ ferkörner, Knoblauch und Koriander ent­ hält. Nachdem jeder einzelne Schinken von Hand eingerieben worden ist, beginnt die Trockenpökelphase: Das Salz zieht ein und drückt die restliche Feuchtigkeit im Schin­ ken nach außen. Die Höhenlage des Produk­ tionsstandorts Niedereschach mit über 800 m ü.M. wirkt sich besonders positiv auf die Schinkenreifung aus. Nach dem Pressen und Formen in eine kurante Form mit wenig Aufschnittsverlust kann die Räucherung be­ ginnen. Der Tannenhof-Schinken wird durch „T annenhof‘ – Schwarzw älder Q ualität die Methode des „Kalträucherns“ haltbar ge­ macht. Im Boden des Räucherkamins wer­ den frisches, grünes Tannenreisig, Tannen­ holz und Tannenmehl geschichtet und zum Glimmen gebracht. Nach zwei bis drei Wo­ chen hat der Rauch mit dem würzigen Tan­ nenaroma dem Schinken Geschmack gege­ ben und ihn haltbar gemacht. Nochmals zwei bis drei Wochen dauert die Nachreifung in speziellen Klimaräumen, dann hat sich das feine Aroma voll entfaltet. Der Schinken hat nun ca. 28 % seines Frisch­ gewichts verloren und wird in einem letzten Arbeitsschritt fachgerecht verpackt. Außer den „Rennern“, dem aufschnittsfreundlich geformten 2kg-Stück und der 200g-Packung mit geschnittenem Schinken, kann der Kun­ de noch zwischen vielen verschiedenen Ver­ packungsgrößen wählen. Egal für welche er sich entscheidet, höchs­ ter Genuss ist stets garantiert. Albert Bantle / Helmut Rothermel M it Markus Schnekenburger und Claudia Schne- kenburger-Erban trägt bereits die zweite Generation Verantwortung im Unternehmen. 93

Aus dem W irtschaftsleben Erstes Essbesteck zur Einhandbedienung Thilo Schauer ist Träger des Arthur-Fischer-Erfinderpreises Baden-Württemberg 2001 Es funktioniert, das ist jedenfalls sicher. Wenn Thilo Schauer, der Stuckateurmeister aus Niedereschach, etwas anpackt, dann macht er’s nämlich richtig. Mit seinem Sohn Titus auf dem Schoß isst er vor uns in aller Seelenruhe ein kleines Schnitzel, danach ein Stück Pizza und noch ein Eck Hefekuchen – und alles mit einer Hand, ohne fremde Hilfe, ohne Mühe, und er erzählt, dass so etwas bisher noch nicht möglich war. Allein in Deutschland sind Tausende von Schlaganfall-Patienten, Un­ fallopfern und Gelähmten bei der selbstver­ ständlichsten täglichen Verrichtung, dem Es­ sen, auf die Hilfe anderer angewiesen. Diese Hilflosigkeit spürt ein körperlich derart beeinträchtigter Mensch also mehr­ mals täglich, und zu der persönlichen Ab­ hängigkeit von anderen kommt in einer Welt, deren Kultur auf dem Vorhandensein von zwei funktionsfähigen Händen basiert, die Gefahr der Isolation: Es ist schon schwer genug, die Angst zu überwinden, dass man den ästhetischen Ansprüchen der Außen­ welt nicht mehr genügen könnte. Aber wer geht noch gerne in ein Gasthaus oder auf ein Fest, wenn einem der Partner oder gar ein Fremder auch noch das Essen mundgerecht zerkleinern muss? Thilo Schauer hat als Zivildienstleistender mit beeinträchtigten Menschen zusammen­ gelebt. Bei seiner Arbeit in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung hat er ihnen zugehört und es hat ihn nicht mehr losgelassen, dass es in dieser hochtechnisier­ ten Welt noch kei­ ne brauchba­ ren Ess­ hilfen zur Einhandbedie­ nung gibt und dass es doch eine Lösung geben muss. „Do mueß es doch ebbis gäe …“. Ein ein­ facher Gedanke, aber einer, der die Mensch­ heit immer vorangebracht hat. Schauer macht sich auf die Suche nach ei­ ner Lösung. Abends nach der Arbeit denkt er sich dieses und jenes aus, überlegt hin und her, tüftelt vor sich hin, gibt nicht auf. „Do mueß es doch ebbis gäe!“ Irgendwann ist die Idee da, Ergebnis von Beobachten, Grübeln, Probieren und Studieren, der Sieg über das Problem, Lohn der Beharrlichkeit. Schauer zieht seine Freunde Thomas und Michael Maier hinzu, die beide in der Medizintechnik arbeiten und letzte Gewissheit geben, dass die Idee funktions- und realisationsfähig ist. Es handelt sich um ein löffelähnliches In­ strument, um dessen vordere Rundung sich eine Schneide schmiegt, die nach dem Prin­ zip einer Federzange geöffnet oder geschlos­ sen werden kann. Der „Lumie“: Messer und Löflel Der „Lumie“ so der liebevolle Name der Esshilfe („Löffel und Messer in Einem“), be­ sticht durch seine Unauffälligkeit und durch sein einfaches Prinzip: Der Löffel wird mit ge­ öffneter Schneide unter das Schneidgut ge­ schoben, dann werden die beiden Griffhälften zusammengedrückt, und schon ist ein Stück abgeschnitten. Bei jedem Schnitt rastet eine geräuschlose Sperrklinke ein und die Schnei­ dekante ist von der Löffelkante so abgedeckt, dass der Löffel absolut gefahrlos benutzt werden kann. Kein Umgreifen, kein Zeitverlust, kein „Spektakel“ für die Tischnachbarn, kein Nachschleifen: Das kleine Meisterstück, in das Thilo Schauer und seine Cousins bis zur Realisierung des serienreifen Prototyps 40 000 DM investiert haben, ist ein Volltref­ fer. Zuallererst muss die Er- Der „Lumie “ – erstes Einhandessbesteck.

flndung geschützt werden, deshalb wird, kostspielig, aber notwendig, das Patent in Europa und Amerika angemeldet. Nächster Schritt: Das Produkt braucht einen Produ­ zenten, der muss gefunden werden. Ausstellungen werden besucht, die führen­ den Unternehmen der Besteckindustrie wer­ den informiert. Viele tausend potentielle Kunden sind vorhanden, die Marktrisiken scheinen beherrschbar. Parallel hierzu wird der Lumie im Juli des Jahres für den Artur-Fischer-Erfmderpreis 2001 angemeldet, zusammen mit 177 ande­ ren Erfindungen aus dem „Ländle“. Der Lu­ mie überzeugt die Jury auf Anhieb und be­ legt den fantastischen zweiten Platz. Dieser Erfolg bringt den Lumie in die Me­ dien; Thilo Schauer findet sich auf der Ti­ telseite der regionalen Zeitungen wieder, der SWR kommt nach Niedereschach. Als der Lumie seinen Fernsehauftritt hinter sich hat, kann sich Schauer vor den vielen Anrufen von Betroffenen kaum mehr retten. A uf der Suche nach einem Hersteller So scheint eine typische Erfolgsgeschichte aus Baden-Württemberg ihren Anfang zu nehmen, der Sieg einer Idee. Was Thilo Schauer jedoch bei der Suche nach dem richtigen Hersteller erleben muss, bringt ihn schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Dieses Kapitel ist ernüchternd und lehrreich zugleich und könnte (im schlimms­ ten Fall) eine inzwischen ebenfalls „typische Geschichte aus Deutschland“ sein. Die Besteckindustrie gibt sich höflich, aber zugeknöpft. Man lobt und wiegelt gleich­ zeitig ab, fast scheint es so, als ob ein Lizenz­ vertrag aus prinzipiellen Erwägungen heraus auf Ablehnung stoßen muss …. Allerdings fällt auf, dass man Schauer ständig anbietet, das Schutzrecht (gegen eine bessere „Kos­ tenerstattung“) zu übernehmen, wohl wis­ send, dass dieser den größten Teil seines er­ sparten Privatvermögens in die Sache inves­ tiert hat und dringend auf erste Einnahmen angewiesen ist. Erstes E inhandessbesteck Schauer hat die Kraft, diese Angebote abzu­ lehnen, weil er (jeder Zoll ein Baden-Würt­ temberger!) an „sein“ Produkt glaubt. Es funktioniert, das ist je­ denfalls sicher, und wenn er etwas macht, dann richtig! Für eine Ausstellung, eine Fach­ messe, reicht sein Geld noch, und auch diesen letzten Kraftakt geht er an, unverdrossen, vielleicht auch unverfroren. Er beharrt dar­ auf, dass es irgendjemanden in der Branche geben muss, der den „Lumie“ sieht und des­ sen Bedeutung erfasst, der sich begeistern lässt von etwas Neuem, das man noch brau­ chen kann auf dieser Welt, einem Produkt, das vielen Menschen zu einer neuen Facet­ te des Lebens verhelfen wird, die bisher nicht erreichbar war. Thilo Schauer So trifft er mit seinen beiden Freunden und dem Musterköfferchen mit dem Proto­ typen auf der „Rehacare“ in Düsseldorf ein. Er öffnet sein Köfferchen immer wieder, und immer wieder bedeutet man ihm nach einiger Zeit höflich, aber bestimmt, er solle es doch noch irgendwo anders versuchen …. Und tatsächlich, am letzten Messestand den er für „passend“ hält, dem einer Firma „Me- dec“ aus Ubersee, geschieht es: Ein gut ge­ kleideter Mann, so um die 90 Jahre alt (wie sich herausstellen wird, ist es ein deutsch­ stämmiger Amerikaner namens Kurt Lands­ berger, der Seniorchef der Firma), wirft ei­ nen Blick auf den Lumie, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Einige erklärende Sätze in gebrochenem Englisch, und der C hef dröhnt in die Runde: „This is absolutely great! I want to have this!“ Es sind die Sätze, die sich Thilo Schauer monatelang so sehr zu hören gewünscht hat; er hätte nie damit gerechnet, dass er sie in amerikanischem Englisch hören würde … Elisabeth Beck-Nielsen 9 5

7. Kapitel /Almanach 2003 Persönlichkeiten Zum Tode von Joachim Fürst zu Fürstenberg Eng verbunden m it der Bevölkerung der Baar und ein stiller Wohltäter Joachim Fürst zu Fürstenberg hat für immer den Landkreis ver­ lassen. Wenige Tage nach seinem 79. Geburtstag verschied er am späten Mittwochabend des 10. Ju­ li in Donaueschingen. Der am 28.Juni 1923 auf Schloß Grund in Böhmen Geborene und m it den Vornamen Joachim Egon Maximilian Friedrich Leo Joseph Maria Flubertus Versehene, war das Zweitälteste Kind und ältester Sohn des Prinzen Max und seiner Ehefrau W ilhelmine geborene Gräfin von Schönburg-Glauchau. Im böhmischen Schloß verbrach­ te er die frühe Jugend und im für- stenbergischen Palais zu Prag, be­ vor der Vater als neuer Leiter der fürstlich-fürstenbergischen Ge­ samtverwaltung den W ohnsitz 1933 nach Donaueschingen ver­ legte. Der junge Adelssproß ging in Salem, dem Gymnasium in Donaueschingen und bei den Jesuiten in St. Blasien zur Schule. 1941 im Juli legte er an der Frei­ burger Wirtschaftsoberschule sein Abitur ab. Den Krieg durcherlebte er, nach­ dem er am 1. August zur Wehr­ macht einberufen worden war, ab 1942 bei den Panzerverbänden zunächst in Rußland, dann an der Invasi­ onsfront, wurde dreimal verwundet und im Dezember 1942 zum Leutnant beför­ dert. Von den letzten Kriegstagen bis Au­ gust 1945 befand er sich in französischer Kriegsgefangenschaft. 1959 trat er als Leut­ nant der Reserve in die drei Jahre zuvor ge­ schaffene Bundeswehr ein und nahm bis 9 6 Joachim Fürst zu Fürstenberg (1923 -2002). 1977 an zahlreichen Übungen der aktiven Fallschirmjägertruppe und der Territorial­ verteidigung teil, zuletzt im Range eines Oberstleutnants der Reserve. Verabschie­ det wurde er mit der Ehrennadel des Wehr­ bereichskommandos. U nd noch einen m i­ litärischen Dienstgrad trug der Fürst: den des Ehrenkorporals des in Donaueschin-

gen stationierten 110. französischen In­ fanterie-Regiments. Als sein Vater, C h ef des „Schwäbischen Hausgutes“, 1959 im Alter von 63 Jahren einem Schlaganfall erlag, rückte er an des­ sen Stelle. Doch erst 1973, nach dem Tode des in W ien residierenden kinderlosen Fürsten Karl Egon, wurde er zum Fürsten und H aupt des Gesamthauses. 1947 heiratete er die um drei Jahre jün­ gere Paula Gräfin zu Königsegg-Aulen- dorf. Sechs Kinder kamen zur Welt: Prin­ zessin Amelie (1948), Prinzessin Marie A ntoinette (1949), Erbprinz Heinrich (1950), Prinz Karl-Friedrich (1953), Prinz Johannes (1958) und Prinzessin Anna Lu­ cia (1965). Viel Kontakt zu den Menschen der Baar Die Menschen der Baar und Donauesch- ingens sahen in ihrem „Joki“, so nannten ihn viele, einen Nahestehenden, dem sie mit Vergnügen begegneten und der ihnen mit Freude und Warmherzigkeit gegen­ übertrat. Familie bedeutete ihm viel, er hing an seinen sechs Kindern wie er seiner Ehefrau, Fürstin Paula, innig zugeneigt war. Fürst Joachim vertrat den Konservativen im besten Sinne, der im Wissen und der Verpflichtung um die Tradition der Fami­ lie ein umsichtiger Haushälter und M ana­ ger war. Den Besitz des Hauses mehrte er m it sachter Hand und hielt ihn pfleglich in Stand. Ein Werbeslogan seiner Brauerei „Ver­ trauen verpflichtet“, könnte als Richtschnur seines ganzen H andelns stehen. U nter­ stützt in den letzten Jahren wurde er dabei von seinem ältesten Sohn Heinrich, den er nach und nach in die Geschäfte und so­ zialen wie kulturellen Engagements einge­ bunden und dem er 1996 die U nterneh­ mensführung übertragen hatte. Manch global agierendem Industriellen hätte es gut angestanden, bei dem Fürsten in die Lehre zu gehen, um zu erkennen, wie Humanität, Sorge um den Menschen Joachim Fürst zu Fürstenberg und Arbeitsplatz auch in Zeiten wirtschaft­ licher Krisen Früchte tragen. Neben der weltweit agierenden, hochmo­ dernen Brauerei mit ihrem Braurecht seit 1283 ranken sich die im Besitz des Für­ stenhauses befindlichen wirtschaftlichen U nternehmungen, Beteiligungen oder Im­ mobilien m it Ausnahme des Freiburger Autohauses samt und sonders um Boden, Wald und Holz. 3 000 Hektar erwarb er noch als Inhaber des Schwäbischen Haus­ gutes 1961 in Kanada, bevor er als Fürst durch Verschlankung die Forstverwaltung durchgreifend modernisierte. Doch war dem Waldbesitzer (18 000 Hektar) die endlose Kette der Wälder nicht nur Produktionsfaktor. Waidwerk und Jä­ gerleben waren für ihn Vergnügen, wo er in engem Kontakt zu seinen Förstern und deren Gehilfen, zu Freunden, Bekannten und Jagdgenossen weithin gerühmte Ge­ selligkeit pflegte. Ein stiller Wohltäter Fürst Joachim war zugleich ein stiller Wohltäter, ein Förderer von Geschichte, Kunst, Kultur und Sport in aller Beschei­ denheit. Viele Vereine, manch regionale Institution hat er unterstützt und so ein kulturelles Leben auf der Baar wach gehal­ ten. Internationalen R uf erlangt hat als Pfer­ desportereignis im Schlosspark das jährli­ che Prinz-Kari-zu-Fürstenberg-Gedächtnis- turnier, welches sich zu einem der größten deutschen Freiluftturniere entwickelt hat. Ergänzt wird es von dem großen Reit- und Fahrturnier, das auch auf weniger Pferde- sportbegeiserte große Anziehungskraft ausübt und Donaueschingen als O rt tou­ ristischer Attraktionen stärkt. Das inzwi­ schen zu internationalem Ruhm gelangte Reitturnier erwuchs nicht zuletzt aus der Freundschaft zum Schwenninger Reit­ verein und dessen Vorstandschaft. Die Donaueschinger Musiktage, als Tage für Zeitgenössische Tonkunst vom Groß­ 9 7

Joachim Fürst zu Fürstenberg vater 1923 ins Leben gerufen und 1949 vom Vater neu m it belebt, verdanken ihre weltweite Geltung zum guten Teil der För­ derung des Fürsten. Zur Landespolitik hatte er gute Verbin­ dungen, die Staatslenker Baden-Württem­ bergs waren stets gerne gesehene Gäste im Schloß. Ungebrochen war das Engagement auf den Gebieten Wissenschaft und Kunst. Schon lange hatte Joachim Fürst zu Für­ stenberg der Universität Konstanz mit dem alljährlich stattfm denden Wissen­ schaftsforum im Schloß ein glanzvolles Podium geboten, wo sich die Elfenbein­ türme der Wissenschaft öffneten und den Gästen neueste Erkenntnisse von Geistes, Natur- und Wirtschaftswissenschaften in einer Atmosphäre nahe brachten, die mit den Tafelrunden von Sans-Souci einiges gemein hatten. Enge Verbindung zu Kardinal Bea Das karitative Wirken wie die enge Ver­ bindung zur katholischen Kirche zählen zu den weniger sichtbar gewordenen, aber nicht minder bedeutenden Teilen seines tätigen Lebens. Mit dem aus Riedböhrin­ gen stammenden Kardinal der Kurie Au­ gustin Bea, dem Präsident des Sekretariats zur Förderung der Einheit der Christen, war er innig befreundet. Sie trafen sich zu­ letzt im Sommer 1968 kurz vor Beas Tod in Donaueschingen. 1964 schon hatte der Fürst aus Dankbarkeit für diese Verbin­ dung eine kleine, dem Namenspatron des Kardinals, dem Heiligen Augustinus, ge­ widmete und von Bea geweihte Kapelle auf dem Fürstenberg errichtet, von der man auf dessen Geburtsort Riedböhrin­ gen blickt. Wenngleich von den über 100 Kirchen­ patronaten des Fürstenhauses aufgrund der Zeitläufe am Ende nur wenige über­ dauerten, so blieben doch jene darunter, die dem Fürsten ob ihrer engen Verbin­ dung mit der Hausgeschichte, von der 9 8 Wertschätzung des jeweiligen Geistlichen einmal abgesehen, besonders am Herzen lagen: Donaueschingen, Frickingen, Für­ stenberg, Heiligenberg, Im m endingen und Neudingen. Als Patronatsherr erfüllte sich denn auch im Dezember 2000 einer seiner größten Wünsche, als er mit seiner Familie im Vatikan von Papst Johannes Paul II. empfangen wurde. Sein kirchliches und gesellschaftliches Engagement schlug sich in den zahlreichen O rden und Ehrungen nieder: Lateran­ kreuz I. Klasse in Gold, Träger des Bun­ desverdienstkreuzes (1. Klasse), des Ver­ dienstordens des Landes Baden-Württem­ berg, Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies des Malteserordens, Träger des Groß­ kreuzes und Ehrenbailli des Souveränen Malteser Ritter Ordens, Ritter des Schwarzen Adler-Ordens, Träger des Komturkreuzes des Päpstlichen St. Grego- rius Ordens, G roßkom tur des Bayerischen St. Georg Ordens, Ehrenbürger von D o­ naueschingen, Friedenweiler, Fürstenberg, Heiligenberg und Weitra (Niederöster­ reich), Ehrensenator der Universität Kon­ stanz, Ehrenmitgliedschaften in zahl­ reichen Vereinen. Die Liste ist nicht ab­ schliessend. Trotz einer angeschlagenen Gesundheit, erschien er stets als liebenswerter Gesell­ schafter und Mitbürger, der am Leben al­ ler, die er kannte, fühlend Anteil nahm. Trost und Ruhe suchte er in letzter Zeit in Südfrankreich. Den letzten öffentlichen Auftritt hatte er am Fronleichnamstag. Beim Gottesdienst vor dem Schloß empfing er noch einmal als Patronatsherr die Geistlichen seiner Kirchen. Die letzte Ruhestätte fand Joachim Fürst zu Fürstenberg nach einem Requiem in St. Johann zu Donaueschingen am 15. Ju­ li auf der Begräbnisstätte des Fürstenhau­ ses Maria H o f in N eudingen nahe der Gruftkirche im Park. Joachim Sturm

Ein Leben fiir die Arbeitnehmerschaft Zum Tode des Villinger Gewerkschafters und Sozialdem okraten Adam Berberich Persönlichkeiten Im Kriegsjahr 1914 wurde Adam Berbe­ rich in der Pfalz geboren, doch bald schon zog die Familie an die Saar, wo er aufwuchs und den Beruf des Mechanikers erlernte. Für seinen weiteren Lebensweg wurde er durch das Elternhaus stark geprägt – war sein Vater doch Vorsitzender des Christlichen Bergar­ beiterverbandes im Saarland. So wurde für den jungen Berberich die Notwendigkeit ge­ werkschaftlichen, solidarischen Denkens und Flandelns als Voraussetzung einer Ver­ besserung der Lage der Arbeiterschaft zur Selbstverständlichkeit, die er fast schon mit der Muttermilch einsog. Diese Grundhaltung war es auch, die den Neunzehnjährigen im Jahr 1933, als die dunkelste Epoche der deutschen Geschich­ te begann, ganz gegen den Un-Geist der Adam Berberich (1914-2001) Zeit bewog, in die Gewerkschaft einzutre­ ten. Doch zunächst forderte die nationalso­ zialistische Kriegsmaschinerie ihren Tribut auch von Adam Berberich. Nach zweijähri­ gem Militärdienst und anschließender Be­ rufstätigkeit bei der Waffenfabrik Mauser in Oberndorf wurde Berberich bei Kriegsbe­ ginn eingezogen. Dem Einsatz in Norwegen folgte die englische Gefangenschaft. Nach Kriegsende kam er nach Villingen, wo er be­ reits früher als Soldat stationiert gewesen war und wo er seine Frau Elisabeth Zaiser kennen gelernt und 1942 geheiratet hatte. Hier, in seiner neuen Heimat, begann der Lebensabschnitt, in welchem Berberich als Gewerkschafter und sozialdemokratischer Politiker seine Berufung fand und Großarti­ ges leistete. Im Jahr 1947 wurde er zunächst Betriebsrat bei der Firma Reinhardt, dann bei Kienzle-Apparate. Seine hauptamtliche Gewerkschaftskarriere begann 1956. Als Funktionär der IG Metall wurde er Zweiter, dann Erster Bevollmächtigter der IGM-Ver- waltungsstelle Villingen; nach deren Fusion mit der Verwaltungsstelle Schwenningen wirkte er als Vize-Vorsitzender. Seinem er­ folgreichen Einsatz für die Belange der Me­ tallarbeiterschaft folgte die Tätigkeit für den DGB, dessen Kreisvorsitzender er von 1973 bis 1977 war. Mit Gewerkschaftsarbeit begonnen In der Gewerkschaftsarbeit hatte Berberich seine Wurzeln, doch sein Streben für die ge­ sellschaftliche Anerkennung und Gleichbe­ rechtigung der Arbeitnehmer führte ihn fast zwangsläufig in die Politik. Seine Heimat fand er bei der SPD, welcher er 1957 beitrat und wo er, nach eigenen Worten, alle Ämter „vom Plakatkleber bis zum Vorsitzenden“ innehatte. Zweiundvierzig Jahre war er Par- 9 9

Adam ßerberich teimitglied, stets ein überzeugender und auch bei den Intellektuellen anerkannter Vertreter des „Arbeitnehmerflügels“. Landtagsabgeordneter der SPD Zahlreich und vielfältig waren seine politi­ schen Ämter. Von 1963 bis 1989 war er Mit­ glied des Kreistags, von 1968 bis 1972 des Gemeinderats von Villingen. Höhepunkt seiner politischen Karriere war die Zeit als Landtagsabgeordneter von 1972 bis 1980. Im Landtag engagierte er sich insbesondere im Bereich der Sozialpolitik. Zu nennen ist hier sein Einsatz für eine Optimierung der Krankenhausbedarfsplanung und für die Gleichbehandlung der Bürger bei einem Krankenhausaufenthalt sowie für die Ver­ besserung des Personalvertretungsrechts. Auch die Förderung der Höhenlandwirt­ schaft im Schwarzwald lag ihm am Herzen. In mehreren Landtagsausschüssen war sein kompetenter Rat gefragt, so war er Mitglied bzw. Stellvertreter in den Ausschüssen für Soziales und Petitionen, für Kulturpolitik, für Raumordnung, Wirtschaft und Verkehr, für Umweltfragen sowie für Landwirtschaft und Ernährung. Ein ganz besonderes Anliegen war ihm die Förderung der Integration von ausländi­ schen Arbeitnehmern. Er war im Auslän­ derbeirat Villingen aktiv und der Aufbau des dortigen Kultur- und Beratungszentrums für ausländische Mitbürger (KBZ) war maßgeb­ lich mit sein Werk. Für seine Verdienste wur­ de er 1973 mit dem italienischen Ehrentitel eines „Commendatore“ ausgezeichnet. Auch Bund und Land würdigten sein Le­ benswerk, 1977 mit dem Bundesverdienst­ kreuz am Bande, 1978 mit der Verdienstme­ daille des Landes. Seit 1988 Pensionär, war Berberich alles andere als ein „Ruheständler“. Viele Jahre lang stellte er dem Seniorenrat des Land­ kreises seine große Erfahrung zur Verfü­ gung. Als dessen Vorsitzender engagierte er sich für einen Umbau des alten Villinger Landratsamtes in ein Altersheim und for­ 1 0 0 derte immer wieder eine Verbesserung der Möglichkeiten für betreutes Wohnen im Al­ ter. Als Vertreter des Kreisseniorenrates or­ ganisierte er auch zuletzt zusammen mit dem Kreisarchiv die Wanderausstellung des Landesseniorenrates „Das Alter“, bei der u.a. hochrangige Werke von Otto Dix zu se­ hen waren und die ein großes Echo in der Bevölkerung fand. Im März des Jahres 2001 starb Adam Ber­ berich im Alter von 86 Jahren. Mit ihm ha­ ben Gewerkschaftsbewegung und Sozialde­ mokratie im Landkreis einen ihrer besten Köpfe und profiliertesten Repräsentanten verloren. Helmut Rothermel Fahrplan-Verbindungen Fahrpläne, Bahnsteig, Geleise: Nebeneinanderstehend in der Kälte, bei unserem Abschied für immer. Fahrpläne, genaue Ab- und Ankunftszeiten Ratlos – ich finde keine Verbindung mehr in dein Herz. Bernhard Brommer

Ganzes Engagement dem Nachwuchs gewidmet Peter D önneweg gibt Leitung des Jugendsinfonieorchesters St. Georgen-Furtwangen ab Persönlichkeiten Viele seiner Weggefährten kamen zum großen Abschlusskonzert. Nach 35 Jahren gab Peter Dönneweg die Leitung des von ihm gegründeten Jugendsinfonieorchesters St. Georgen-Furtwangen in jüngere Hände. Und mit dem Abschlusskonzert, der Oper „Porgy and Bess“ von George Gershwin, machte sich Dönneweg selbst ein schönes Abschiedsgeschenk, an dem er das Publi­ kum – eben mit den vielen Weggefährten darunter – im ausverkauftem Saal der Stadt­ halle in St. Georgen teilhaben ließ. Doch auch auf der Bühne waren viele, die Dönneweg schon seit Jahren begleiteten. Al­ len voran der Esterelenco-Chor aus der süd­ französischen Partnerstadt St. Raphael mit seinem Chef Daniel Artus. Seit 1969 ver­ bindet Dönneweg und den Chorleiter von der Cöte d’Azur eine enge Freundschaft. In jedem Jahr stand ein Konzert in Südfrank­ reich auf dem Programm des Jugendsinfo­ nieorchesters und auch ein Besuch der Fran­ zosen in St. Georgen durfte nie fehlen. Doch nicht genug der Weggefährten. Peter Lohmann, Dirigent des Liederkranzes Hau- sach war mit seinen Sängern ebenfalls beim Abschlusskonzert vertreten. Und auch zahl­ reiche ehemalige Chor- und Orchestermit­ glieder kamen zum Teil vom mehrere hun­ dert Kilometer entfernten Wohnort zurück in ihre Heimatstadt, um an diesem Konzert­ ereignis mitzuwirken. Der Schulchor des Gymnasiums und der Chor des College de l’Esterel – ebenfalls aus St. Raphael – kom­ plettierten die große Schar der Mitwirken­ den. Ingesamt 300 Frauen und Männer, Mädchen und Jungen standen auf der Bühne. Einjährige Vorbereitungen Um dieses große Projekt auf die Beine zu stellen, war eine Menge Vorarbeit notwen­ dig. Die Proben begannen bereits ein Jahr vor der Aufführung, die „heiße Phase“ star­ tete dann rund drei Monate vor dem Kon­ zert. Zuerst studierten die verschiedenen Chöre und das Orchester das Werk in sepa­ raten Proben ein. Eine Woche vor der Auf­ führung stand dann eine gemeinsame Proben­ woche im Bildungszentrum auf dem St. Ge­ orgener Roßberg an, bei der dem Ganzen der letzte Schliff gegeben wurde. Der Chor der Ehemaligen hatte zuvor keine Gelegenheit, die Oper einzustu­ dieren, und musste das komplette Werk in dieser Woche lernen. Fast unmöglich – aber durch intensive Probenarbeit wurde es doch geschafft. „Mit der Oper Porgy and Bess schlug Pe­ ter Dönneweg den letzten Pflock einer enormen Dirigentenkarriere ein“, be­ richtete der Schwarzwälder Bote in sei­ ner Konzertkritik. Die verschiedenen Chöre und das Orchester auf ein har­ monisches Ganzes zu trimmen, sei nicht einfach gewesen. „Peter Dönne­ weg schaffte dies mit seinem immensen Engagement, seiner sprühenden Ener- St. Georgens Bürgermeister Schergel verabschiedet Meter Dönneweg (’■echts) als Leiter des Jugendsinfonieorchesters. 1 01

Persönlichkeiten gie und mit seiner leidenschaftlichen Diri­ gierkunst“, heißt es weiter in dem Bericht. Rückblende: Man schrieb dasjahr 1967 als die Grundsteine für Schulchor des Gymna­ siums und Jugendsinfonieorchester gelegt wurden. Peter Dönneweg, damals 29 Jahre alt, hatte gerade sein Studium in den Fächern Germanistik, Schulmusik und Musikwissen­ schaft beendet und kam als Studienassessor ans Gymnasium nach St. Georgen. Er woll­ te eigentlich nicht lange im Süden der Re­ publik bleiben. „Die ganzen Jahre zog es mich zurück nach Ostfriesland“, erzählt der in Leer geborene Pädagoge. In St. Georgen war keine Institution vor­ handen, in der junge Leute Instrumentalun­ terricht bekommen konnten. Es gab nur ei­ nige Lehrer, die privat unterrichteten. Ge­ meinsam mit Kantor Heinrich Trötschel fass­ te Dönneweg den Plan, eine Musikschule zu gründen. „Wir haben in den Schulen Erhe­ bungen gemacht, die ergaben, dass 250 In­ teressenten gerne ein Instrument lernen wollten, aber keine Möglichkeit dazu hatten“, erinnert sich Dönneweg. Gitarre, Quer- und Blockflöte sowie Klavier standen am häu­ figsten auf der Wunschliste. Mit Spendengeldern kaufte der engagierte Junglehrer sechs Querflöten – und schon konnte es losgehen. In Freiburg bat er eini­ ge Studienfreunde, einen Tag pro Woche in der Bergstadt zu unterrichten – und der Vor­ läufer der Jugendmusikschule war geboren. Alles war noch recht provisorisch, obwohl bereits 140 Schüler in den Kursen musizier- 1 0 2 Meter Dönneweg – mit großer Freude am Dirigen­ tenpult des Jugendsinfonieorchesters. ten. „Ich habe das Geld in bar von den El­ tern zu den Lehrern getragen“, kramt Dön­ neweg in seinen Erinnerungen. Manchmal musste er die Lehrer abends sogar noch nach Freiburg fahren, weil es keine Zugverbindung mehr gab. Oder der Hausmeister brachte sie für eine Nacht auf dem Dachboden des Gymnasiums unter. 1968 wurde Günter Lauffer zum Bürger­ meister gewählt. Das neue Stadtoberhaupt nahm die Idee, eine Musikschule zu grün­ den, gleich begeistert auf. Bei verschiedenen anderen solchen Einrichtungen wurden Er­ fahrungen gesammelt und die Gründung vorbereitet, die dann am 17. Dezember 1968 im Dr. Wintermantelsaal des Roten Kreuzes erfolgte. Zusätzlich Schulchor und Schulorchester Die Versammlung wählte Bürgermeister Lauffer zum Vorsitzenden, Dönneweg wur­ de Schulleiter. Doch der beliebte Ostfriese sorgte nicht nur für eine Musikschule, auch den Schulchor und das Schulorchester hob er aus der Taufe. Schon wenige Monate nach den ersten Proben präsentierten die Instru- mentalisten den „Schulmeister“ von Georg Philipp Telemann. Der Chor startete an Pfingsten 1969 zur ersten Konzertreise nach St. Raphael und führte Johann Sebastian Bachs „Jesu meine Freude“ auf. „Das Stück hatten wir wochenlang jeden Nachmittag geprobt – die Schüler konnten es vorwärts und rückwärts auswendig“, blickt Dönne­ weg zurück. Die erste richtig große Aufführung war Carmina Burana von Carl Orff im Jahr 1970 im evangelischen Gemeindehaus. Wichtig war Dönneweg immer die Kooperation mit den anderen musikalischen Gruppierungen der Bergstadt. So gab es beispielsweise meh­ rere Konzerte gemeinsam mit der evangeli­ schen Kantorei – unter anderem 1971 Georg

P eter D önnew eg Das Jugendsinfonieorchester St. Georgen-Furtwangen unter Leitung von Meter Dönneweg. Friedrich Händels „Messias“. Auch mit dem Sängerbund arbeitete der inzwischen pen­ sionierte Studiendirektor mehrfach zusam­ men. An ein Konzert erinnert sich Dönne­ weg noch ganz genau. Als er 1971 Haydns „Apotheker“ aufführte, war am selben Tag Gemeinderatswahl. Er wurde für die „junge Aktion“ in das Gremium gewählt. In dieser Zeit plante und baute die Stadtverwaltung das Bildungszentrum auf dem Rossberg. „Ich hatte als Ratsmitglied die Möglichkeit, mit für die günstigen Voraussetzungen für Musikschule und Orchester zu sorgen.“ Bei­ spielsweise wurde der Aufzug so geplant, dass ein Steinway-Flügel genau hineinpasst. Musiker kommen aus der ganzen Region Sowohl durch Dönnewegs Doppelfunkti­ on als Lehrer am Gymnasium und Schullei­ ter der Jugendmusikschule als auch durch die enge räumliche Verzahnung im Bil­ dungszentrum, wurde das Orchester von beiden Seiten nach Kräften unterstützt. Es wurde kontinuierlich ausgebaut und hat sich eine zentrale Funktion in der Region erar­ beitet. Die Hälfte der Musiker kommt aus St. Georgen, ein weiterer Schwerpunkt liegt im Raum Furtwangen. Aber auch aus fast al­ len anderen Städten und Gemeinden des Schwarzwald-Baar-Kreises kommen die jun­ gen Musiker zum Teil mehrmals pro Woche zu Proben in die Bergstadt. Ein fester Be­ standteil des Ensembles sind Konzertreisen. Mit einem jährlichen Besuch ist St. Rapha­ el das beliebteste Ziel. Doch auch mit San­ tander in Spanien und der Insel Korsika wurde eine enge Verbindung geknüpft. Kon­ zerte in Griechenland, Italien, Ungarn, Eng­ land und der Türkei beweisen die Reisefreu­ digkeit des Orchesters. Ein Höhepunkt war sicher die Konzertreise nach New York und Chicago im Jahr 1993. Ebenfalls zu den be­ sonderen Auftritten zählte ein Konzert im Rahmen der Weltausstellung Expo 1998 in Lissabon. Im Januar 2000 gab Dönneweg die Lei­ tung der Jugendmusikschule ab, im Sep­ tember 2000 schied der Deutsch- und Musik­ lehrer aus dem Schuldienst aus. Nach 35 Jahren als Pultchef gab „Dönne“, wie der rührige Pädagoge von vielen Schülen liebe­ voll genannt wird, dann die Leitung des Ju­ gendsinfonieorchesters St. Georgen-Furtwan­ gen in jüngere Hände. Sein Abschiedskon­ zert „Porgy and Bess“ wird vielen Zuschau­ ern und sicherlich allen Mitwirkenden noch lange in Erinnerung bleiben. Marcel Dorer 1 0 3

Persönlichkeiten Unter Deutschlands Spitzenköchen ganz weit vom August Guter – ein Jahr der Jubiläen für den Küchenmeister der Landesberufsschule Hätte er die runden Daten seines Berufsle­ bens im jetzt zu Ende gehenden Jahr ge­ bührend begangen, August Guter wäre aus dem Feiern kaum herausgekommen. Vor vierzig Jahren ging sein Kindheitstraum vom Mann mit der Koch­ mütze in eine erste ernst­ hafte Phase. Er begann seine Ausbildung in Sig­ maringen, bekam danach eine erste Anstellung in Bad Dürrheim und blieb der Schwarzwald-Baar-Re- gion bis heute erhalten. Ein Vierteljahrhundert darf er sich nun schon Küchenmeister mit Brief und Siegel nennen, und ebenso lange gehört er zum Lehrkörper der Lan­ desberufsschule für das Hotel- und Gaststätten­ gewerbe. Soviel zum The­ ma Jubiläen. Im alteinge­ sessenen Villinger „Café August Guter Raben“ ließ sich August Guter zusätzlich zum Konditor ausbilden und machte die Patisserie zum ergänzenden zweiten Standbein seines beruflichen Wer­ degangs. Lehrer der Hotelfachschule Küchenchef im Restaurant, im Hotel oder Krankenhausbereich, Ausbilder an Fach­ schulen oder selbständiger Gastronom, die­ se Frage treibt jeden gelernten Koch irgend­ wann einmal um. „Fast hätte ich mal die al­ te Tonhalle gepachtet,“ war kurzfristig der einzige gedankliche „Seitensprung“ August Guters zu diesem Thema. Was sicher gut ist für die Hotelfachschule, in deren Diensten 104 er die jungen Menschen aller dort vorkom­ menden Ausbildungsberufe und Jahrgänge unterrichtet. Dabei behandelt der Küchen­ meister den im Lehrplan vorgegebenen Un­ terrichtsstoff wie ein gutes Menü. Er gar­ niert die „Grundzutaten Lehrplan“ mit aktuellen Beigaben. Im Klartext: „Ich versuche, den Unter­ richt zeitgemäß zu gestal­ ten. Die abgeklungene Vollwert-Phase ist abge­ löst von der asiatischen Welle, also reden wir über Sprossen statt über Kör­ ner,“ bringt Guter seine Unterrichts-Philosophie auf den Punkt. Und ließ sich der guten Ordnung halber bei einem Sushi- Meister über die aktuel­ len Trends aus Fernost in­ formieren. A propos Fernost. In Ja­ pan unterrichtete er in ei­ ner Brotfabrik zwei Wo­ chen lang im Fachbereich Patisserie. „Ku­ chen und Gebäck in Japan sind für europäi­ sche Gaumen unbeschreiblich süß und zudem unbeschreiblich bunt,“ erzählt der Weitgereiste, der im Land der aufgehenden Sonne behutsame Spuren europäischer Konditorenkunst hinterließ. In Asien war es auch, wo er mit der deut­ schen Nationalmannschaft den „Löwen von Singapur“ gewann, die höchste Auszeich­ nung für Köche in ganz Asien. Die Liste hochkarätiger Auszeichnungen kann sich ohnehin sehen lassen. Während der sieben­ jährigen Mitgliedschaft im Nationalteam er­ kochten sich Guter & Co. die deutsche Vi­ ze-Meisterschaft, und 1988 wurde August

Guter innerhalb des Verbands der Köche Deutschlands zum Koch des Jahres gekürt. Sterne, wie sie Michelin oder Gault Millot verteilen, fehlen allerdings in der Sammlung der Auszeichnungen, denn die bekommen ausschließlich selbständige Gastronomen. Als Gastkoch auf der „MS Europa“ Um an der Hotelfachschule unterrichten zu können, holte August Guter den Ab­ schluß der Abendrealschule nach, „und als ich das Zertifikat noch druckfrisch in der Ta­ sche hatte, änderten sich die Vorschriften dahingehend, daß auch der Titel des Küch­ enmeisters zur Lehrbefähigung ausreichend war,“ blickt Deutschlands Spitzenkoch zu­ rück auf den zusätzlichen Bildungsschub. Zwischendurch ließ er sich 1993 für drei Wochen als Gastkoch auf der MS Europa anheuern, damals die Nummer zwei unter den Luxuslinern auf den Weltmeeren. 600 Personen speisten dort täglich ä la carte, ei­ ne Herausforderung für die Männer unter den hohen weißen Mützen. Die hohe Kompetenz August Guters ist gefragt. Bei Meisterprüfungen und insge­ samt vier Industrie- und Handelskammern arbeitet er in den entsprechenden Prüfungs­ gremien sowie als Ausbilder in der Meister­ kommission. Auch Köche und Küchenmeis­ ter bleiben von sich wandelnden Trends nicht verschont. „Einerseits sind die An­ sprüche an das gastronomische Angebot höher geworden, andererseits geben sich die Menschen mit immer mehr „fast food“ zu­ frieden,“ bilanziert August Guter und liefert zugleich die Erklärung für den Widerspruch: „Die Ansprüche zielen nicht nur auf das, was auf den Teller kommt, sondern auch auf das Drumherum, was aktuell unter dem Sammelbegriff Erlebnisgastronomie fir­ miert. Da steht dann schon mal die Qualität eines Essens erst an zweiter Stelle.“ Wobei, so der Küchenmeister, Erlebnisgastronomie eine Frage der Interpretation sei. Statt eine Spielzeug-Eisenbahn durch ein kaltes Buffet fahren zu lassen, entscheidet sich August A ugust G uter Guter eher für kreative Kreationen wie die­ se: Eine rote Paprika- und eine gelbe Kür­ biskern-Suppe zugleich behutsam in eine Suppentasse fließen lassen – denn das Auge ißt mit! Erlebnisgastronomie ist für ihn auch Kleinkunst, Lesung oder Musikvorträ­ ge zwischen den einzelnen Gängen eines meisterlich zusammengestellten Menüs. Gar zu gerne würde er sich einmal vor lau­ fenden Fernsehkameras in jenem Köche- Duell messen, bei dem Geschwindigkeit, Kreativität und die Gabe, aus einem Uber- raschungspaket von Zutaten bis zum Ende der Sendezeit ein Gericht zu bereiten, ge­ fragt sind. Vielleicht will es ja auch der Zu­ fall, daß Alfred Biolek den Almanach 2003 zu lesen bekom m t… . Ein Freund regionaler Küche Trotz meisterlicher Kochkunst ist August Guter ein Freund bodenständiger, regiona­ ler Küche. Für Kollegen, die Insekten, Mehl­ würmer oder Heuschrecken auf die Speise­ karte heben, findet er nur ein knappes „Grausig!“, und für das Fleisch von Strauß oder Känguru ein „Ich frage Sie, muß das sein: Daß hingegen der gute alte Schwartenma­ gen in seiner zeitgemäßen Variante zum „Preßsack von Edelfischen“ mutiert, damit kann August Guter durchaus umgehen. Ko­ chen für anspruchsvolle Gäste in Hunderter- Zahlen, vor einer Wettbewerb-Jury, zur Er­ öffnung der Internationalen Auto-Ausstel­ lung oder zum runden Geburtstag des Ba­ den-Württembergischen Landesvaters, da kommt selbst bei einem Küchenmeister mit vierzigjähriger Berufspraxis noch Unruhe auf: „Bei jeder größeren Veranstaltung hat der Koch Ängste und Zweifel. Sorgen, ob alles zur Zufriedenheit der Auftraggeber und Gäste ausfällt und ob die Mengen ausrei­ chend kalkuliert sind; frühestens, wenn das Dessert serviert ist, läßt der Druck da drin­ nen ganz langsam nach.“ Anne Bethge 1 0 5

Persönlichkeiten Hubert Münzer, ein Hondinger Urgestein In Ortschaftsrat und Gem einderat zum W ohle der Mitbürger aktiv Ganz sicher gehört der Hondinger Hubert Münzer zu denjenigen, die sich auf Blum­ berger Gemarkung für das Gemeinwohl und hier ganz speziell für den Teilort Hondingen in jeder nur möglichen Form verdient ge­ macht hat. Im Jahre 1936 kam er in Hondingen zur Welt, als einziger Sohn der Eheleute Martin und Maria Münzer, geborene Willauer. Nach dem frühen Tod des Vaters 1938 wuchs er in einer kleinen Landwirtschaft in der Obhut von Mutter und Großvater auf. „Da hieß es dann frühmorgens, also noch vor Schulbeginn, als Zwölfjähriger zu mähen und nachmittags mit den Kühen fuhrwerken, das war in den Jahren eben nicht anders“, erinnert er sich. Nach dem Regelschulabschluß in Hondingen begann Hubert Münzer eine Lehrausbildung als Maurer, bildete sich nebenberuflich schu­ lisch immer weiter fort, auch während der Gesellenjahre, und legte 1965 die Meister- Hubert Münzer 1 0 6 prüfung im Maurerhandwerk ab. „Alle nur möglichen Fortbildungskurse im Fachge­ biet, Seminare, Vorträge und Kurzlehrgänge habe ich besucht, ich wollte immer mehr wissen und lernen“, war seine Maxime die­ ser frühen Jahre. Lange jahre arbeitete er als Polier und Meister in ortsansässigen Baufir­ men, bis er 1971 als technischer Angestellter ins Landratsamt wechselte und dort bis zur Pensionierung 1999 für Bauüberwachung, Bauabnahmen und später auch für bau­ rechtliche Gutachten für Gaststättenkonzes­ sionen und Statikgenehmigungen zuständig war. Kommunalpolitisch war Hubert Münzer achtundzwanzigjahre lang aktiv tätig und in seine Arbeitszeit als Ortschaftsrat fallen so gewichtige Dinge wie 1975 die Einrichtung des städtischen Ortsteilkindergartens im ehemaligen alten Schulhaus, Gründung des Sportvereins und Bau des Sportplatzes mit viel Eigenarbeit der Sportler und ebenso ließ sich nur mit immensem eigenen Einsatz der Vereinsmitglieder das jetzige Domizil des Hondinger Musikvereins bewerkstelli­ gen. Nach dem unerwartet plötzlichen Tod seines Amtsvorgängers übernahm Hubert Münzer kommissarisch das Amt des Orts­ vorstehers und wurde 1981 durch Wahl von der Bürgerschaft bestätigt. Zeitgleich war er auch im Gemeinderat der Stadt Blumberg als Stadtrat vertreten. Voll in die kommunale Pflicht genommen, engagierte sich Hubert Münzer für die Be­ lange seiner kleinen Ortsteilgemeinde, sorg­ te mit vielem anderen für Ortskanalisation, Straßenbeleuchtung, für die Planung und Ausweisung der Neubaugebiete, setzte ge­ duldig den Bau des Gemeinschaftshauses durch, das 1992 eingeweiht werden konnte und gestaltete zudem die Ortspolitik der Eichbergstadt als Stadtrat mit.

H ubert M ünzer Und immer noch blieb ihm Zeit für Ver­ einstätigkeit. 1954 trat er in den Musikver­ ein ein, ist seit 1982 Ehrenvorstand, was natürlich ganz viele aktive und arbeitsreiche Jahre in der Vorstandschaft vorausetzt. Seit vierzig Jahren ist Hubert Münzer bei der Freiwilligen Feuerwehr im Ort mit dabei und seit 1972 außerdem aktives Mitglied in der CDU. Hier war er in vielen unterschiedlichen Po­ sitionen aktiv und engagiert tätig und schaut mittlerweile aufinsgesamt über 34 Jahre mit­ gestaltete Kommunalpolitik zurück. „Und all das war nur mit der Hilfe und dem Ver­ ständnis meiner Familie möglich“, merkt er nachdenklich an. Seniorentreff gegründet Mittlerweile läßt es der Senior nun doch etwas langsamer angehen. „1991 habe ich mit meiner Frau Ursula den „Seniorentreff Sankt Marin Hondingen“ ins Leben geru­ fen, und mittlerweile gab es für die Senioren im Ort schon insgesamt fast hundertfünfzig ganz unterschiedliche Veranstaltungen. Das sind lockere Treffen, Dia-Vorträge, themen­ gebundene Vorträge, Vorführungen der Trach­ ten-Kindertanzgruppe und natürlich auch Ausfahrten zu Zielen in der näheren Umge­ bung, Ausflüge und einmal im Jahr ist im­ mer ein größerer Ausflug im Plan. Dieses Jahr geht es für fünf Tage nach Berlin mit fünfundsechzig Teilnehmern aus dem Ort. Das Interesse der Senioren an dieser Fahrt ist sehr groß“, Hubert Münzer sagt es nicht ohne Stolz. Und stolz sein kann auch der kleine Ort Hondingen auf diesen uneigennützigen, en­ gagierten Macher: Am 20. Juni 2000 wurde Hubert Münzer für sein Engagement im kommunalpolitischen wie auch vereinsakti­ ven Bereich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Christiana Steger Am Unterhölzer Weiher, Aquarell von German Hasenfratz. 1 0 7

Persönlichkeiten Polizeidirektor Robert Wölker im Ruhestand Innenm inister Schäuble: „Bei der Kom munalprävention einen N am en gem acht“ Wunschgemäß nicht mit Pauken und Trompeten, sondern mit Kammermusik wurde Robert Wölker am 27. September 2001 in seinen wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Der Innenminister des Lan­ des Baden-Württemberg, Dr. Thomas Schäu­ ble, ließ es sich als dessen oberster Dienst­ herr nicht nehmen, die Laudatio im vollbe­ setzten Sitzungssaal des Landratsamtes selbst zu halten. Zahlreiche Vertreter von Polizei, Justiz, Politik, Wirtschaft und öffentlichem Leben waren hierzu erschienen. Bei der Fei­ erstunde schlug dem scheidenden Leiter der Polizeidirektion noch einmal eine große Wel­ le der Wertschätzung entgegen. Gleichzeitig wurde sein Nachfolger, Polizeidirektor Ro­ land Wössner, in sein Amt eingeführt. Robert Wölker hatte für neun Jahre die Geschicke der Polizeidirektion geleitet. Als er sein Amt im Jahre 1992 antrat, war der Schwarzwald-Baar-Kreis jedoch nicht fremd für den gebürtigen Nordbadener. Nach sei­ nem Eintritt in den Polizeidienst im Jahre 1961 und mehreren Stationen im Bereich Karlsruhe war er bereits ab 1979 für rund zehn Jahre Dozent an der Fachhochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen. Der Landkreis muss so einen tiefen Ein­ druck hinterlassen haben, dass er auch nach dieser Zeit dem Schwarzwald-Baar-Kreis treu blieb und die Leitung der hiesigen Schutz­ polizei übernahm. Nach einem zweijährigen Zwischenaufent­ halt als Dozent an der Führungsakademie der Polizei in Münster-Hiltrup kehrte er schließlich als Leiter der Polizeidirektion zurück. „Viel von der Polizeidirektion gelernt“ „Es ist keine einfache Zeit, in der dieser Stabswechsel stattfmdet“ begann der Innen­ minister seine Rede unter dem Eindruck des Anschlages vom 11. September auf das World Trade Center in den USA. An Robert Wölker gewandt, sagte Schäu­ ble, dass er auf seine Karriere bei der Polizei stolz sein könne. Während seiner fast 40 Jahre bei der Polizei habe sich der scheiden­ de PD-Leiter besonders für die innere und die Verkehrssicherheit sowie auf dem Gebiet der Kommunalen Kriminalprävention ei­ nen Namen gemacht. Schäuble weiter: „Im Land haben wir viel von der Polizeidirekti­ on Villingen-Schwenningen lernen können.“ Der Innenminister erinnerte an das schwe­ re Busunglück im Jahre 1992 auf der Auto- Verabschiedung in den Ruhestand: Molizeidirektor Robert Wölker (links) nimmt die guten Wünsche von Innenminister Schäuble entgegen.

bahn A 864 zwischen Bad Dürrheim und Donaueschingen. „Es war in dem Monat, als Robert Wölker seinen Dienst an der Spitze der Polizeidirektion angetreten hat. 20 Men­ schen verloren damals ihr Leben, 34 wurden teilweise schwer verletzt.“ Ein Netzwerk zwischen Kommunen und der Polizei gebildet Robert Wölker habe sich mit seinem uner­ müdlichen Einsatz für die Kommunale Rri- minalprävention bleibende Verdienste er­ worben. Bereits im Dezember 1993 sei bei der Polizeidirektion Villingen-Schwenningen der Arbeitskreis „Jugend und Gewalt“ ein­ gerichtet worden, um neben den notwendi­ gen polizeilichen M aßnahmen besonders die Jugendsozialarbeit gezielt zu verbessern. Daraus habe sich im Schwarzwald-Baar- Kreis ein aktives Netzwerk zwischen den Kommunen und der Polizei gebildet, in dem alle gesellschaftlichen Kräfte mitarbei- ten. „Und dieses Musterbeispiel zeigt Erfol­ ge“, sagte Schäuble anerkennend. So sei bei­ spielsweise im Vergleich die Zahl der Tat­ verdächtigen unter 21 Jahren der Jahre 2000 und 1999 um zwölf Prozent zurückgegan­ gen. Auch seien deutliche Rückgänge bei Diebstahls- und Einbruchsdelikten zu ver­ zeichnen. Robert Wölker könne nun auf eine erfolg­ reiche Arbeit für die Sicherheit der über 200 000 Bürgerinnen und Bürger im Land­ kreis zurückblicken. „Und“, so der Minister wörtlich „eine Ihrer Leistungen wird auf lan­ ge Zeit sichtbar bleiben ’Ihre’ Polizeidirekti­ on“. Damit meinte der Innenminister den Neu­ bau der Polizeidirektion in der Villinger Waldstraße, den Robert Wölker durchge­ setzt hatte. Mit den besten Wünschen für seine Fami­ lie und für die Zukunft entließ nun der In­ nenminister Robert Wölker in dessen wohl­ verdienten Ruhestand. Eine zahlreiche Schar weiterer Rednerin- nen und Redner ließen es sich nicht neh­ R obert W ölker men, weitere Grußworte zu entbieten. Haus­ herr und Landrat Karl Heim dankte, auch im Namen der Bürgermeister des Landkrei­ ses, Wölker für seinen „sensiblen Umgang mit den Menschen im Kreis“. Lob gab es auch von Villingen-Schwenningens Oberbür­ germeister Prof. Dr. Manfred Matusza, der Wölker als „Mensch mit Charakter im posi­ tivsten Sinn“ beschrieb. Die Leitende Ober­ staatsanwältin Dr. Christine Hügel meinte gar: „Die Ara Wölker wird uns unvergessen bleiben“. Aus dem polizeilichen Innenleben blickte der Personalratsvorsitzende der Poli­ zeidirektion Jürgen Vogler, auf die Jahre zurück: „Es waren neun Jahre des Miteinan­ ders, nie des Gegeneinanders“. Auch der Po­ lizeipräsident der Landespolizeidirektion Freiburg, Dr. Wolfram Haug, Polizeipfarre­ rin Nicole Enke-Kupffer und der Komman­ deur der französischen Gendarmerie Donau­ eschingen reihten sich mit Dankesworten an Wölker in die Schar der Gratulanten ein. Dank an 450 Mitarbeiter Sichtlich bewegt reagierte Wölker auf die­ se entgegengebrachte Sympathie-Welle mit der Bemerkung, dass er eigentlich sicher ge­ wesen sei, diesen Tag mit Routine bewälti­ gen zu können. Jedoch, räumte der Viel-Gelobte ein: „Nun spüre ich nach 40 Jahren die Endgültigkeit meines beruflichen Abschiedes“. Vor dem Dank an die Redner wies Robert Wölker ab­ schließend auf ein Zitat Dietrich Bonhoef- fers hin, wonach man leicht das eigene Wir­ ken und Tun in seiner Wichtigkeit gegen­ über dem, was man durch andere geworden ist, überschätzt und dankte so den rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „seiner“ Polizeidirektion. Wolfgang Schyle 1 0 9

8. Kapitel/Almanach 2003 A rc h ä o lo g ie : Ein Haus von 1255 – g e n u tz t im 21. J a h r h u n d e r t G e s c h i c h t e u n d R e t t u n g EINE S V l L L I N G E R A L T S T A D T H A U SE S D as Haus Zinsergasse 12 (Abb. 1) gehört zu den ältesten Häusern in der Villinger Altstadt, entstanden in einer Blütezeit der Stadt, als auch am Münster und an den Stadttoren gebaut wurde. Trotzdem drohte dem Haus nach jahrelangem Leerstand der Abbruch. Nach mehreren Besitzerwechseln fand sich schließlich ein Bauherr, der nicht abriss, sondern sanierte. So konnte das mit­ telalterliche Haus als Dokument der Villinger Baugeschichte weitgehend erhal­ ten werden. Vor dem Umbau fanden Untersuchungen statt, die überraschende Einblicke in die Geschichte des alten Hauses ermöglichten: Hinter der Fassade des 19. Jahrhunderts verbarg sich ein gotisches Haus von 1255, das um 1476 um- gebaut wurde. I Das Grundstück des Wohnhauses Zinser­ gasse 12 befindet sich im Südwesten der Vil­ linger Altstadt, im sogenannten Rietviertel. Am regelmäßigen Stadtgrundriss mit den beiden sich kreuzenden Hauptstraßen und den rechtwinklig angeordneten Neben­ straßen in unterschiedlichen Breiten lässt sich die funktionale und soziale Differen­ zierung der mittelalterlichen Stadt noch deutlich ablesen (Abb. 2). Die Zinsergasse erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung parallel zur Niederen Straße als langgezogene ehe­ malige Wirtschaftsgasse. Das Rietviertel war lange Zeit durch lockere Bebauung mit zahl­ reichen Gärten und Grundstücksmauern entlang den Straßen gekennzeichnet. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Abb. 1: Ansicht des Anwesens von der Straßen­ kreuzung aus. 110

G r v n d r is s – V u l in g e .m. Ein A ltstadthaus – Zinsergasse 12 St CL lirrl.1 iX?;.r9,A «•• a*/ ■C“ g > – ~ ¿ A – St. Jdui U,Hl_ jo Ji IddofUm „ » liffcW j * ûtev a »A—’W ^ na/ow . l~~ ~~y .L d J .d « j – y – -.-7 .» jL ^ ‘ Juki. „&* „Jrß— / . / —.■ ■> lA e -J6 jU fr . ¿ n JC rffi^U , 6cf -¿ — t- G « , – – d — jLÜbf» L .J I m 3 d’**- 4 J W L t Jep+fa yH m **’* ~+J J iM n É M i~ iJUgmitUU J Atmiâàttiimrtÿtÿt )« §> S. MlmrAmfÿ 6 t e m e U f f ^ > S-Agdfa/’ 9- > w :o> jfciVÜt. $ÇÿT » .fylfot* 36 KUfUM 17 . . . L – l —« (5 SisjmzMÓmd* , S d ttê ji* r, e d i Con.m*b*, mJismn tfe jJ iik t ( ¿ ¿ i m d * immfmr ~m dItLm M m rJjJlJt— âHm* imSlmmJm —njmmjmm ~—d~ ■ ¿C i’d im dmr immrwmidmfm 7 i* t * “ Umur Ammä- j l l mnJ ImdmmUmJ^mj Z J tl /. cÂmji*r R iótiu¿LicttM*r C FmruiAcantC D CapuCMU* E .S* J*/uin. Fi/,‘ Cia**‘, G. S Cdhari+o. . H J~ÍoJ*jUoL. I J¡a)llOUÿ K JÙuf flOMG. L JYuJ+r* Stra J* -d fJko rt (%err .N ^¿t{ . O S líb n .M ftc u e js/ tà ru sî (3 SiacU-lA*a.Ur. R Sie^Lu 6# V “X’acktd ■ —‘ W’Stidtnikurm -X CUu^ertr S icuU ^Î*» Z, Ch***r $ampo*i- $ JfcrruitM . .T“ vitó. 2: Stadtplan von Villingen (Martin Blessing 1806). Links unten das Rietviertel. Nr. 22/23: Zinsergasse, Nr. 26: Bogengasse, Nr. 17: Färbergasse (Mfeil: Zinsergasse 12). 1 11 ■

Archäologie bauliche Verdichtung dieses Stadtquartiers. Das Eckgrundstück Zinsergasse/Bogengasse ist eines der wenigen, unbebaut überliefer­ ten Gartengrundstücke mit Bruchsteinein­ friedung und besitzt auch dadurch hohe stadtbaugeschichtliche Bedeutung. Das Wohngebäude steht als zwei- bezie­ hungsweise dreigeschossiger Steinbau mit seiner Schmalseite an der Zinsergasse. Die Hausbreite beträgt 7,5 m, die Gebäudetiefe l i m . Die regelmäßig angeordneten Fenster zur Straße und in der Giebelseite mit ihren einfachen Steingewänden (Abb. 1, 3, 4) be­ legen eine Umgestaltung der Fassaden im 19. Jahrhundert. Dass das Gebäude selbst wesentlich älter ist, bezeugt ein gotisches Fenster in der Hoffassade. Ein steinernes Haus aus dem 13.Jahrhundert Im Kern verbirgt sich im heutigen Haus ein zweigeschossiges Steinhaus von 1255 (Abb. 5). Diese genaue Datierung des Hauses konnte mit Hilfe der Dendrochronologie ermittelt werden. Diese Methode nutzt das unter­ schiedliche starke Wachstum der Baumstäm­ me in regenreichen und regenarmen Jahren, das zu verschieden dicken Jahrringen führt. Fünfzig und mehr Ringe ergeben eine cha­ rakteristische Abfolge (Jahrringkurve), die für Südwestdeutschland mittlerweile Jahr­ tausende zurückreicht. Ist auch noch Baumrin­ de vorhanden, kann die Fällung des Baumes jahrgenau datiert werden. Verbaut wurden die Hölzer dann meist im Jahr nach der Fäl­ lung. Im Haus Zinsergasse 12 konnten die Deckenbalken über dem Erdgeschoss in den Winter 1254/55 datiert werden. Die Wahl von Stein als Baumaterial ist im 13. Jahrhundert ein Hinweis auf einen ge­ wissen Wohlstand des Bauherrn: Ein Fach­ werkbau wäre günstiger gewesen. Da hölzer­ ne Bauten aber anfälliger für Brände und Witterung waren, entschlossen sich viele finanzkräftige Bauherren im damaligen „Boomtown“ Villingen, ihre Häuser in Stein zu errichten. Auf diese Weise wurde Villin­ gen im 13. und vor allem in der ersten Hälf­ te des 14. Jahrhunderts (vor der Pest 1348) zur „Steinstadt“. Abb. 3 und 4: Hofansicht des Hauses Zinsergasse 12 vor Beginn der Sanierung (Aufnahme M ai 1999) und nach der Sanierung (Aufnahme April2002). 112

A b b . 5 : Das Haus Zinsergasse 12 (Isometrie): Kernbau 12zz (blau), Aufstockung 1476 (grün) und Vorgesetzte Straßenfassade des 19. Jahrhun­ derts. Die Straßenfassade unseres mittelalter­ lichen Hauses wurde zwar später erneuert, doch blieb das schon erwähnte gotische Fens­ ter (in Zweitverwendung) erhalten: Bis ins 20. Jahrhundert war man immer bestrebt, teures Baumaterial durch Wiederverwen­ dung von Altmaterial einzusparen – Recyc­ ling ist keine Erfindung unserer Zeit! So hat man auch bei der späteren Modernisierung der Straßenfassade das noch intakte, aber unmoderne Fenster an die Hoffront versetzt (Abb. 9). Das Fenster war ehemals durch einen Mittelpfosten unterteilt, so dass nur zwei schmale Öffnungen blieben – groß ge­ nug, um Licht einzulassen und eng genug, um sie leicht gegen Kälte abzudichten. Die qualitätsvolle Gestaltung des Doppelfens­ ters mit abgeschrägten Sandsteingewänden und einem vorspringenden Gesims als Fens­ terbank lässt vermuten, dass es ehemals im ersten Obergeschoss saß: Da in diesem Stock die wichtigeren Wohnräume lagen, war er üblicherweise auch außen aufwändiger ge­ staltet als die anderen Etagen. Die Seiten- und Hoffront des Hauses sind – mit einigen Veränderungen – erhalten. Vom Dach des 13. Jahrhunderts haben sich keine Spuren erhalten. Die Außenmauern enden in sechs Meter Höhe mit einem waa­ gerechten Abschluss (Abb. 5). Möglicher­ weise bestanden die Dachgiebel aus Holz oder es folgte noch ein zweites Oberge­ schoss aus Fachwerk. Original aus dem 13. Jahrhundert stammt noch eine ehemals rundbogige Tür in der Seitenwand (Abb. 5). Neben ihr saß eine kleine Nische in der Außenwand, die wohl zum Einstellen einer Lampe diente („Licht- A b b . 6: Rekonstruktion der Bebauung an Zinser­ und Bogengasse im 13. Jahrhundert. Ein A ltstadthaus – Z insergasse 12 nische“). Die Nische gibt einen Hinweis auf die ehemalige Bebauung des Grundstücks: Lichtnischen wurden üblicherweise im In­ nern der Häuser eingebaut, vor allem in den Erdgeschossen, die wegen der kleinen Fens­ ter nur unzureichend erhellt waren. Dass hier eine Beleuchtung im Freien notwendig war, spricht für einen dunklen, aber häufig begangenen Bereich. Dunkel, weil vermut- 113

Archäologie lieh ein zweites Haus auf dem Grundstück in geringem Abstand neben unserem Stein­ haus stand (Abb. 6). Es ist, wenn überhaupt, nur noch durch eine archäologische Ausgra­ bung nachweisbar. Häufig begangen war der Bereich, weil hier wohl ein Gang von der Zinsergasse zum H of führte. Ein solcher Gang ist auf dem Nach­ bargrundstück Bogengasse 2 noch heute vor­ handen. An diesem Gang liegt eine heute zugemauerte Tür mit Lichtnische (Abb. 10). Die Grundstücksaufteilung mit rechtecki­ gen Bauten und Mittelgang ist im 12. und 13. Jahrhundert weit verbreitet und konnte in den letzten Jahren vielfach beobachtet werden, so zum Beispiel in Freiburg oder im elsässischen Obernai (Abb. 7). Das Innere des Hauses Das 66 m2 große und 2,30 m hohe Erdge­ schoss des Hauses Zinsergasse 12 war mög­ licherweise von Anfang an geteilt durch eine Längsmauer, die einen schmalen Flur ab­ trennte (Abb. 11 und 12). Er konnte von der Straße und vom H of aus betreten werden. Hofseitig war der Flur breiter, weil hier auch die Treppe zum Obergeschoss lag. Im Erdgeschoss scheint ein Handwerker gearbeitet zu haben. Er leitete sein Abwasser durch einen kleinen Mauerkanal auf die Straße. In Villinger Häusern diente das Erd­ geschoss auch als Kellerersatz, da wegen des hohen Grundwasserspiegels keine Keller ge­ baut werden konnten. 114 Abb. 7: Haus in der Rue de Selestat in Obernai: Zwei mit der Schmalseite an der Straße stehenden Häuser a u f einem Grundstück. Dazwischen die Hofzufahrt. Im ersten Obergeschoss lag die heizbare Stube mit Fenstern zur Straße. In der Ge­ schossmitte war vermutlich die Küche unter­ gebracht, von der aus der Stubenofen be­ heizt wurde. Diese Raumaufteilung kann für unser Haus nur vermutet werden, ist aber für mittelalterliche Häuser in Villingen und anderswo üblich. Der spätmittelalterliche Umbau von 1476 Zwei Jahrhunderte lang wurden nur klei­ nere Veränderungen im Haus vorgenom­ men, bis man 1476, am Ausgang des Mittel­ alters, das Haus weitgehend umgestaltete. Die Straßenfassade wurde im Zeitgeschmack umgebaut: Vermutlich brach man mehr und größere Fenster ein. Das nun altmodische, gotische Doppelfenster versetzte man an die Hinterfront, in die auch eine neue Hoftür eingebrochen wurde. Außerdem baute man das Haus zu seiner heutigen Gestalt um: Man erhöhte die Hoffassade um ein volles Geschoss, während straßenseitig die alte Traufhöhe beibehalten wurde. Die seitli­ chen Giebel wurden nun in Stein aufge­ mauert, mit Lichtöffnungen nahe dem First. Das Satteldach zieht entsprechend den un­ terschiedlichen Traufhöhen zur Straße tiefer hinab als zum H of (Abb. 4). – Höhere Hof­ fassaden sind bei den mittelalterlichen Häu­ sern Villingens nicht ungewöhnlich und noch heute zu beobachten. Auch das Innere gestaltete man um. Das erste Obergeschoss wurde komplett moder­ nisiert und besaß nun eine Decke mit ver­ zierten Balken, zwischen die dicke Bretter geschoben wurden (profilierte Bohlen-Bal- ken-Decke, Abb. 8). Große Wandnischen saßen zwischen den Fenstern, das sparte Baumaterial und schaffte Platz für Wand­ schränke.

Ein A ltstadthaus – Z insergasse 12 Abb. 8: Blick ins Wohnzimmer im renovierten ersten Obergeschoss (Aufnahme M ai 2002). 1 1 5

Archäologie A b b . 9: Ehemaliges Doppelfenster des 13. Jahr­ hunderts (gestrichelt: Der ehemalige Fensterpfosten). Das neue zweite Obergeschoss erreichte nur hofseitig die volle Höhe, während das Dach zur Straße bis auf die Mauerkrone knapp oberhalb Fußbodenniveaus herun­ tergeführt wurde (Abb. 1). Hier waren wohl Schlafkammem oder Lagerräume unterge­ bracht. Die tragenden Balken des zweistöckigen Dachwerkes sind in die Giebel eingelassen (Pfetten) und werden durch senkrechte Holz­ pfosten verstärkt (stehender Dachstuhl). Dendrochronologisch lässt sich das Dach in das Jahr 1476 datieren. Wirtschaftsflaute und Aufschwung Die verminderte Wirtschaftskraft der Stadt und ihrer Bewohner im 17. und 18. Jahr­ hundert führt in unserem Haus dazu, dass nur noch kleinere Veränderungen vorge­ nommen wurden: Man baute das Haus ent­ sprechend der jeweiligen Nutzung nur im Inneren um. Den Flur im Erdgeschoss be­ hielt man bei. Den übrigen Bereich unter­ teilte man in immer kleinere Zimmer, zum Teil mit merkwürdig schrägen Wänden (Abb. 11). Zu dieser Zeit dürfte das vermu­ tete zweite Haus auf der Grundstücksecke abgerissen worden sein. 1 1 6 Bankgesims Erst die Gründerzeit im 19. Jahrhundert brachte wieder einen wirtschaftlichen Auf­ schwung. In dieser Zeit ließ der Hauseigen­ tümer neue Fenster und Tür einbrechen und die Straßenfassade erneuern (Abb. 1 und 4). Im Erdgeschoss blieb die Raumaufteilung mit Flur, Arbeits- und Lagerräumen weitge­ hend gleich. Allerdings wurde die Raum­ höhe durch Anhebung der Deckenbalken vergrößert. Völlig verändert hat man das ers­ te Obergeschoss. Hier wurde die Stube aus­ gebaut und ihre Decke zersägt. Im H of wur­ den damals einstöckige Wirtschaftsbauten errichtet. Die vorläufig letzte Baumaßnahme gehört bereits dem 21. Jahrhundert an: Es ist die 2002 abgeschlossene Sanierung des Hauses. Die Sanierung des Wohnhauses Seit 1996 hatten mehrfach die Eigentümer des damals leerstehenden Hauses und ihre Architekten gewechselt. Es wurden unter­ schiedliche Nutzungs- und Sanierungsvor­ schläge gemacht, am Ende jedoch der Ab­ bruchantrag eingereicht mit der Begrün­ dung, dass ein Erhalt des Gebäudes wirt- A b b . 10: Ehemalige Seitentür und Außennische des Nachbarhauses Bogengasse 7.

Ein A ltstadthaus – Z insergasse 12 Phase IV{17./18. Jh.) Phase V (19. Jh.) Nord iF e n ste rl lb ‚e h e m a lig e Wandnische Abb. 11: Grundriss des Erdgeschosses im Haus Zinsergasse 12 mit Eintrag der verschiedenen Bauphasen. schaftlich nicht zumutbar sei. Die Untere Denkmalschutzbehörde musste diese Aus­ sage nach Prüfung bestätigen. Damit schien das Haus Zinsergasse 12 dem Abbruch preis­ gegeben. Dass das Gebäude dennoch erhal­ ten blieb, ist dem heutigen Eigentümer zu verdanken. In Zusammenarbeit mit einem Dortmunder Architekturbüro wurde Ende 2000 ein Sanierungskonzept erarbeitet, das den Erhalt des überlieferten, geschützten Baubestandes vorsah und dem Gebäude ei­ ne zeitgemäße Wohnnutzung zuführen soll­ te. Es war beabsichtigt, die bereits abgebro­ chenen Nebengebäude durch einen flachen Neubau zu ersetzen, der Garage, Haustech­ nik-, Abstell- und Freizeiträume aufnehmen und mit dem Wohngebäude verbunden sein sollte. Dieses Vorhaben fand seitens der Denkmalpflege Zustimmung, weil das Kul­ turdenkmal dadurch vor massiven Substanz­ eingriffen oder einer Übernutzung bewahrt blieb, zugleich aber den Nutzungsvorstel­ lungen des Bauherrn entsprochen werden konnte. Voraussetzung war jedoch, dass sich der Anbau als architektonisch und gestalte­ risch schlichter Baukörper in den Altbestand einfügte. Die hohe stadtbaugeschichtlichen Bedeutung der Freifläche schloss eine zu­ sätzliche Bebauung von vornherein aus. Die Bruchsteinmauer an der Bogen- und Zinser­ gasse sollte erhalten und repariert werden. Das Sanierungskonzept musste im Hin­ blick auf die bereits vorliegenden Ergebnis­ se der Bauuntersuchungen überarbeitet und durch baubegleitende Untersuchungen regel­ mäßig mit dem Landesdenkmalamt abge­ stimmt werden. Dies erforderte sowohl zeit­ liche als auch gestalterische Flexibilität bei der planerischen Umsetzung. Mit Sicherung und Instandsetzung der Umfassungsmauern stellte sich auch die Fra­ ge der künftigen Belichtung, vor allem des Erdgeschosses. Da die Außenmauern zum H of nachweislich aus dem 13. Jahrhundert stammen und Reste der rundbogigen Sei­ tentür von 1255 zutage kamen, wurden die in diesen Bereich geplanten Öffnungen neu konzipiert. Das historische Türgewände blieb erhalten und die Terrassentüren wurden – schmaler als ursprünglich vorgesehen – da- 1 1 7

Archäologie neben gesetzt (Abb. 3). Die neuen Fenster- bzw. Türöffnungen sitzen in einer Flucht mit der Fassade und sind ohne Teilung ver­ glast. Damit heben sie sich deutlich von den historischen Öffnungen ab. Die übrigen Fenster wurden dem Bestand entsprechend durch zweiflüglige Holzfenster ersetzt. His­ torische Sprossenfenster waren nicht mehr vorhanden. Wegen der archäologischen Befunde im Untergrund verzichtete der Bauherr auf eine Absenkung des Fußbodenniveaus im Erd­ geschoss. Im übrigen ließ die Innenstruktur jedoch einige Veränderungen zu, da sie in der Neuzeit unter Wiederverwendung älte­ rer Holzteile ja bereits mehrfach umgebaut worden war. Denkmalpflegerisches Ziel war, im Erd- und Obergeschoss die überlieferte Grundrissgliederung mit Flur und Treppe sowie angrenzenden Wohnräumen zu er­ halten, ebenso wie die noch vorhandene feste Ausstattung mit Holzbalkendecken und Fachwerkwänden. Auf den langen Leer- 118 Abb. 12: Der Flur mit Blick zur Haustür: Rechts die vorspringende Längsmauer, links die heutige Treppe und davor ein altes Treppenfundament, in der Mitte ein jüngerer Leitungsgraben. stand, aber auch auf das unberechtigte Han­ deln vormaliger Eigentümer ist es zurück­ zuführen, dass zu Beginn der eigentlichen Sanierungsarbeiten bereits die Gefache der Fachwerkinnenwände, sowie ein Großteil der in die Deckenbalken eingeschobenen Bohlen fehlten. Die Bohlen wurden im Ober­ geschoss durch Altholz, im Erdgeschoss durch neue Bretter ergänzt. Die „entleerten“ Fachwerkinnenwände lassen als transparen­ te Raumteiler die historischen Innenstruk­ turen noch erkennen (Abb. 8). Kritisch bewertet wird seitens der Denk­ malpflege der zweigeschossige Dachausbau mit doppelter Gaubenreihe auf der Straßen­ seite (Abb. 1). Das denkmalpflegerische Be­ mühen, zumindest die oberen Dachöffnun­ gen wesentlich kleiner als die unteren aus­ zuführen, ließ sich weder mit dem Nut­ zungskonzept des Bauherrn noch mit den Brandschutzverordnungen in Einklang brin­ gen. Die Gauben wurden jedoch so gesetzt, dass die Dachkonstruktion des 15. Jahrhun­ derts in seinen wesentlichen Teilen erhalten blieb (Abb. 13). Mit der kontrastreichen farblichen Neu­ fassung des Gebäudes – historische Farbbe- funde fanden sich nicht mehr – sowie mit der Reparatur der Umfassungsmauer und dem wiederangelegten Garten fand die Außeninstandsetzung ihren wirkungsvollen Abschluss (Abb. 1). Der eingeschossige An­ bau mit Flachdachterrasse fügt sich harmo­ nisch in das architektonische Gesamtbild ein. Erfolgreiches Gemeinschaftsprojekt Das Wohnhaus Zinsergasse 12 zeigt, wie ein augenscheinlich einfaches Kulturdenk­ mal durch bauarchäologische Untersuchun-

gen an stadtbaugeschichtlicher Aussagekraft und historischem Zeugniswert hinzugewin­ nen kann. Es zeigt aber auch, wie ein ver­ meintlich durchschnittliches Sanierungsvor­ haben dadurch zu einer großen Herausfor­ derung für alle Beteiligten werden kann, die von allen Kompromissbereitschaft erfor­ dert. Durch verantwortliche, konstruktive und auf das Denkmal abgestimmte Zusam­ menarbeit von Architekten, Bauherrschaft, Bauforschung und Denkmalpflege wurde ein Sanierungsergebnis erzielt, das auch unter Berücksichtigung gehobener Wohnan- sprüche den geschichtlichen Zeugniswert dieses mittelalterlichen Wohnhauses weiter tradiert. Die Beteiligten Die Untersuchungen wurden initiiert und begleitet durch Peter Schmidt-Thome und Ulrike Schubart vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg. Beteiligt wa­ ren Hans-Jürgen Bleyer und Burghard Lohrum (Dendrochro­ nologie), Martin Strotz und Christine Dumke (Ausgrabung) sowie Frank Löbbecke (Bauun­ tersuchung). Der vorsichtige Um­ gang mit der historischen Bau­ substanz und die Zeitnot ließen nur punktuelle Untersuchungen zu. Auch eine Auswertung der Schriftquellen war wegen der schwierigen Quellenlage in Vil- lingen nicht möglich. Freundli­ che Auskünfte erhielten wir aber von Altarchivar Josef Fuchs. Die gute Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft Hess und dem zu­ ständigen Architekten M. Sche­ pers (Büro Winkels und Runge, Dortmund) war Voraussetzung Abb 13: Blick in das renovierte Dach­ geschoss (Aufnahme M ai 2002). Ein A ltstadthaus – Z insergasse 12 für den glücklichen Abschluss dieser Sanie­ rung. Frank Löbbecke Ulrike Schubart M . A . Literaturnachw eis Burghard Lohrum : D er mittelalterliche Baubestand als Quelle der städtebaulichen Entwicklung Villin- gens. In: Bertram Jenisch, Die Entstehung der Stadt Villingen. Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters Baden-W ürttem berg 22 (Stuttgart 1999) 361-363; Frank Löbbecke/M artin Strotz: Bau­ archäologische U ntersuchungen in einem H aus des 13. Ja hrhunderts in Villingen, Schwarzwald-Baar- Kreis. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden- W ürttem berg 2001 (Stuttgart 2002) 222-224. Ortskernatlas Baden-W ürttem berg, Hrsg. Landes­ denkm alam t u n d Landesverm essungsam t Baden- W ürttem berg, Bd. 3.2 Stadt Villingen-Schwennin­ gen, Schwarzwald-Baar-Kreis, bearbeitet von Peter Findeisen, Stuttgart 1991. 1 1 9

9. Kapitel/Almanach 2003 Geschichte Das Ende einer jahrhundertealten Kultur Vor 200 Jahren besiegelte die Säkularisation das Ende der Klöster im Landkreis Um das Jahr 1 8 0 0 gab es a u f dem Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises sieben Klöster, deren Geschichte teilweise bis ins 13. Jh. zurückreicht. Schon wenig später, um das Jahr 18z0, waren alle diese Konvente – m it Ausnahm e des Ursulinenklosters in Villingen – von der Bildfläche verschwunden. Der nachfolgende A rtikel schildert die dramatische Ge­ schichte ihres Untergangs. Als Franz II. im Jahr 1806 die deutsche Kaiserkrone niederlegte, endete die beinahe 1000 Jahre alte Geschichte des in seinem Bestand schon lange bröckelnden „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Ei­ nen entscheidenden Schritt hin zu diesem Ende markierte der vor genau 200 Jahren, nämlich 1803 verabschiedete „Reichsdeputa­ tionshauptschluß“. Einem Bonmot zufolge gliederte sich das Reich im Jahr 1789 in genau 1789 selbstän­ dige Territorien, Länder, Ländchen und Herr­ schaften (in Wahrheit waren es rund 1900). Seine Verfassung war ein äußerst komplexes Konglomerat von Rechten und Privilegien, welche das friedliche Zusammenleben der machtpolitisch ganz unterschiedlichen Ge­ bilde ermöglichte. An dieser Ordnung zerrte die Rivalität der beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich, die sich auf Kosten kleine­ rer Territorien bereichern wollten und durch ihre Machtpolitik die Gefahr einer Zweitei­ lung des Reiches heraufbeschworen. Letzteres erhielt nochmals eine Galgenfrist durch den Ausbruch der französischen Revolution, in deren Folge sich Preußen, Österreich und an­ dere europäische Staaten zusammenschlos­ sen, um die angeblich gottgewollte Vorherr­ schaft des Adels gegen die bürgerliche An­ maßung zu verteidigen. Aber der zweite Ko­ 120 alitionskrieg endete 1801 mit dem Sieg Na­ poleons. Der neue Herr Europas drang nun, um das geschlagene Österreich in Schach zu halten, auf eine Neuordnung der deutschen Verhältnisse, die ihren Ausdruck im Reichs­ deputationshauptschluß fand. Dieses Wort­ ungeheuer bezeichnet die Beschlüsse der durch den Regensburger Reichstag einge­ setzten Reichsfriedensdeputation, welche die politische Landkarte sowie die innere Verfas­ sung der deutschen Staaten radikal verän­ derten. Vernichtet wurde der Wirrwarr der Kleinstaaterei, geschaffen wurde (neben Preußen und Österreich) ein „Drittes Deutsch­ land“ als loser Bund von Frankreich abhän­ giger Mittelstaaten. Da alle ihre linksrheinischen Gebiete an Frankreich abgegeben werden mußten, er­ hielten die betroffenen deutschen Fürsten „Entschädigungen“ in Form bisher selbstän­ diger rechtsrheinischer geistlicher und reichs­ städtischer Gebiete. Mit diesem legalen Raub kleinerer Herrschaften konnten sie ih­ re Staaten um ein vielfaches vergrößern. Ei­ ner der großen Gewinner war dabei das spä­ tere (seit 1806) Großherzogtum Baden: Wäh­ rend die alte Markgrafschaft sich bis 1802 auf einige zerrissene oberrheinische Gebiete beschränkte, konnte Neubaden einen Ge­ bietszuwachs von fast 60 Quadratmeilen mit über 200 000 Einwohnern verbuchen.

Säkularisarion D i e V i l l i n g e r K l ö s t e r u m 1800 Villinger Stadtplan von 1806 mit den fünfKlöstern (Rot markierte Flächen). Von oben links: Benediktiner-, Ursulinen-, Franziskaner-, Johanniter- und Kapuzinerkloster. 1 2 1

Geschichte Der Untergang der geistlichen Territorien und Klöster Vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein (und teilweise bis heute) war die Silhouette der Städte bestimmt von den großen Sa­ kralbauten, den Pfarr- und Klosterkirchen. Nicht nur architektonisch dominierend, hat­ ten die Klöster auch als Institutionen inner­ halb des städtischen Sozialgefiiges unent­ behrliche Funktionen inner Als Orte der Seelsorge, Bildung und Totenfürbitte, als Begräbnisstätten und als öffentlicher Ver­ sammlungsraum der Bürgerschaft. Zeitweise hatten die Orden auch politischen Einfluß. Mächtige Fürstbistümer (z. B. die geistlichen Kurfürstentümer Mainz, Köln und Trier) und Reichsabteien bildeten eigene Territorial­ herrschaften. Auf dem Lande waren die Klöster oft große Grundbesitzer, für die eine Vielzahl abhängiger Bauern arbeitete und die mit Sonderrechten wie eigener Jurisdiktion aus­ gestattet waren. Mit dem Untergang des al­ ten Reiches ging auch die über 1000Jahre al­ te Klosterkultur, die ganz entscheidend zur Entstehung und Ausformung des christli­ chen Europas beigetragen hatte, zugrunde. Ihrer Rechte und ihres Vermögens beraubt überstanden zwar einige wenige Konvente den Umbruch, aus einer das alltägliche Le­ ben mitprägenden Einrichtung aber waren sie zu einer geradezu exotischen Erscheinung geworden. Gewaltsam abgebrochen war ei­ ne in ihrer Vielgestaltigkeit einmalige künst­ lerische, wissenschaftliche und geistige Tradi­ tion, ein Opfer von landesherrlicher Gier und aufklärerischem Geist, der im Mönch­ tum einen seiner Lieblingsfeinde sah, nichts weiter als eine nutzlose und abergläubische Lebensweise, der die ansonsten vielbeschwo­ rene Toleranz versagt wurde. Der Reichsdeputationshauptschluß hatte neben der Säkularisierung (d. h. Aufhebung und Verstaatlichung) geistlicher Territorien auch die Güter der einfachen Klöster der freien und vollen Disposition der Landes­ herrn unterstellt. Beseitigt wurden im Reich 1 2 2 112 Territorien, darunter 22 Reichsbistümer, 42 Reichsabteien und 41 Reichsstädte. Al­ lein in Süddeutschland wurden in den fol­ genden Jahren ca. 450 landsässige Klöster auf­ gehoben und in Staatseigentum überführt bzw. vom Staat verkauft. Die Anfang des 19. Jahrhunderts vorge­ nommenen Klosteraufhebungen hatten seit 1781 ein Vorspiel in den habsburgischen Lan­ den, deren „vorderösterreichischen“ Teile ab 1801 an Bayern, Württemberg und Baden übergingen. Die ehemalige Markgrafschaft Baden war 1771 aus der Vereinigung des ka­ tholischen Baden-Baden mit dem evangeli­ schen Baden-Durlach entstanden. Unter dem protestantischen Landesherrn konnten die badischen Klöster bis 1803 in ihrer bisheri­ gen Form fortbestehen, aber ihr Ende rück­ te näher, als Baden, das zunächst in die an­ tifranzösische Allianz integriert war, 1796 einen Separatfrieden mit Napoleon schloß. Ziel seiner Politik war es nun, mit Hilfe Frank­ reichs ein vergrößertes und abgerundetes Staatsgebiet zu erwerben, was letztendlich nur über Säkularisationen möglich war. Die ehemaligen Klöster auf dem Gebiet des heutigen Schwarzwald-Baar-Kreises Betrachtet man das Gebiet des heutigen Schwarz- wald-Baar-Kreises, so waren von den Säkulari­ sierungen zunächst die hier an vielen Orten beste­ henden Güter, Mfleghöfe (Stapel- und Umschlag­ plätzefür Handelsgüter) und Kirchen der Klöster St. Gallen und Reichenau betroffen. Ferner die Klöster der von 1326 bis 180zzu Vorderösterreich, dann kurz zu Württemberg und schließlich zu Baden gehörenden Stadt Villingen. Sodann die im Fürstenbergischen liegenden Klöster Neudin­ gen und Tannheim. Das Schicksal der Villinger Klöster Der Stadtplan von Villingen aus dem Jahr 1806 verzeichnet „5 Klöster, eine Comen- da“ (als „Kommende“ werden die Nieder­ lassungen des Johanniterordens bezeich­ net).

Das Franziskanerkloster Zwei dieser Konvente waren als Bettelklö­ ster gegründet worden. Die Bettelorden ver­ dankten ihre Entstehung einer immer stär­ ker werdenden Kritik an kirchlicher Verwelt­ lichung um die Wende zum 13. Jahrhundert. Sie wirkten vorzugsweise in den Städten durch Predigt und Seelsorge. Schnell bekamen sie großen Zulauf bei den ärmeren Schichten, waren aber auch im Bürgertum und bis in die Oberschicht hinein verankert. Auch der landsässige Adel förderte sie finanziell und zog sie in die Städte hinein, wo er die Or­ denskirchen als Grablegen und für Jahrtags­ feiern seiner Toten nutzte. Typisch sind ihre turm- und schmucklosen Predigerkirchen in den städtischen Randbereichen. Das naiv-radikale Armutsideal des Franz von Assisi wurde zur Grundlage der Fran­ ziskaner, die 1220 ihre erste Regel erhielten. In der Baar fand der Orden einen Förderer in Graf Heinrich von Fürstenberg, der als Stadtherr den inneren Ausbau von Villingen mächtig vorantrieb. 1268 rief er die Franzis­ kaner in die Stadt und schenkte ihnen Grand und Boden beim Riettor am westlichen Stadtrand. Zur Finanzierung der Klosterkir­ che verlieh ihnen der gerade in Villingen weilende Kirchenlehrer Albertus Magnus, be­ rühmter Gelehrter und Mitglied des Domi­ nikanerordens, einen Ablaß. Der Bau, der 1292 seine letzte Weihe erhielt, entsprach ganz dem Geist des Ordens: Eine Saalkirche mit ungegliedertem einheitlichem Raum, bestens geeignet für die Predigt, schlicht und schmucklos. Sein hochragender Chor war das erste gotische Gebäude der Stadt. Ende des 15. Jahrhunderts hatte der Kon­ vent mit durchschnittlich 26 Patres sowie ei­ nigen Klerikern, Laienbrüdern und Novizen seine meisten Mitglieder. Dann rafften 1493 und 1519 zwei Epidemien fast alle Insassen hinweg, zur Reformationszeit gab es nur noch drei Patres. Damals blieb der Konvent dem alten Glauben treu, Villingen wurde gar zu einem der bedeutendsten Häuser der gan­ zen oberdeutschen Ordensprovinz. Säkularisation Nach schweren Zerstörungen während ei­ ner französischen Belagerung 1704 wurde die Klosterkirche von zwei Mitgliedern der berühmten Vorarlberger Baumeisterfamilie Beer barockisiert: Laienbruder Udalricus Beer und Jodocus Beer, der Bürger von Vil­ lingen und Schwertwirt geworden war. 500 Jahre lang spielte das Kloster eine he­ rausragende Rolle im öffentlichen Leben der Stadt. So hatte es in der Pflege des Toten­ kultes eine zentrale Stellung inne: Wer hier begraben war, hatte schon durch die räum­ liche Nähe Teilhabe an Gnade und Segen Deckengemälde im Franziskanerkloster. der Brüder. Während im 14. und 15. Jahr­ hundert vor allem Landadel und Patriziat ei­ nen Begräbnisplatz in der Kirche oder auf dem angeschlossenen Friedhof fanden, wur­ den seit dem 16. Jahrhundert bürgerliche Fa­ milien immer zahlreicher. Zu einer mittelalterlichen Stadt gehörten die Bruderschaften als oftmals nach Berufs­ gruppen gegliederte religiöse Laienvereini­ gungen, die karitative Aufgaben für ihre Mit­ glieder mit der Totenfürsorge durch Gebete und Messen verbanden. In der Franziskaner­ 1 2 3

Geschichte Kreuzgang des Franziskanerklosters, heute Museum und Konzerthaus. kirche hatten zahlreiche dieser Bruderschaf­ ten ihren Sitz und ihre Altäre. Die enge Verknüpfung der Bettelorden mit dem Bürgertum drückte sich im Mittelalter in einer immer wieder zu beobachtenden profanen Nutzung ihrer Kirchen aus. Dies war auch in Villingen der Fall, jährlich wur­ de in der Franziskanerkirche vor der Bürger­ schaft das Stadtrecht verlesen, wurden Bür­ germeister, Rat und Behörden gewählt und vereidigt. 1455 fanden im Konvent die Verhandlun­ gen über die Gründung der Universität Freiburg zwischen Herzog Albrecht VI. und Matthäus Hummel, dem aus Villingen stam­ menden ersten Rektor der Hochschule statt. Die Universität fand im 16. Jahrhundert nach Ausbruch von Seuchen mehrmals eine vor­ übergehende Heimat bei den Franziskanern. Seit 1650 befand sich im Kloster die erste höhere Schule der Stadt. In der Renaissancezeit beherbergte das Klo­ ster Kaiser Maximilian, vielleicht auch Kai­ ser Karl V. und später wurden prunkvolle Feierlichkeiten zu Ehren des Herrscherhau­ ses abgehalten, darunter die Feier der Erbhul­ digung für Maria Theresia. Der aufgeklärte Absolutismus Kaiser Jo­ seph II. leitete dann das Ende ein. Als der klösterliche Nachwuchs ausblieb, wurde das Kloster 1797 aufgehoben. Der Konvent wur­ de noch im selben Jahr zu einer Kaserne, die bis 1816 bestand. Schließlich kaufte die Stadt den ganzen Komplex und gab ihn im Tausch an das Heilig-Geist-Spital, das den Kirchen­ raum als Ökonomie nutzte. Heute dient das 1 2 4

restaurierte Ensemble als städtisches Muse­ um und Kulturzentrum. Das Kapuzinerkloster Der Kapuzinerkonvent war die späteste Klosterniederlassung in Villingen. Der Bet­ telorden war 1528 aus einem innerfranzis­ kanischem Richtungsstreit als besonders re­ gelstreng hervorgegangen: er befolgte das Armutsgelübde rigoros, lebte kontemplativ und ahmte den heiligen Franz selbst in Klei­ dung (Kapuze) und Bart nach. Seit 1574 hat­ ten die aus Italien kommenden Kapuziner auch in Deutschland rasche Verbreitung ge­ funden. Mit ihren Volkspredigten waren sie bei den einfachen Leuten beliebt, sie förder­ ten die religiöse Erneuemng der Gegenrefor­ mation und predigten die Türkenabwehr. 1655 kamen vier ihrer Brüder nach Villin­ gen, wo sie 1662/63 ein Kloster beim Nie­ deren Tor am südlichen Stadtrand bauten. Geför­ dert wurden sie von Landgraf Franz Karl von Fürstenberg, der 1698 in der Kapuzinerkirche be­ graben wurde und heute im Kreuzgang des Fran­ ziskanerklosters seine letzte Ruhestätte gefun­ den hat. S äkularisation Großteil der Bibliothek verschleudert. Das Klostergebäude kam an ein Konsortium Vil- linger Bürger, in der Kirche richtete der Lammwirt Schilling ein Brauhaus ein, aus dem angebauten Felixkirchle machte er eine Branntweinbrennerei. Heute befindet sich in der 1988 renovierten ehemaligen Kirche ein Wohn- und Geschäftshaus. Die Johanniterkommende Bereits 1253 hatte Graf Heinrich von Für­ stenberg, selbst Ordensritter, die Johanniter in die Stadt gemfen. Der Orden, heute be­ kannter unter seinem späteren Namen Mal­ teser, war während des Ersten Kreuzzugs (1096-1099) als ältester geistlicher Ritteror­ den aus einem Pilgerspital in Jerusalem her­ vorgegangen. Er gliederte sich in Ritter, Prie­ ster und dienende Brüder und während zunächst die Krankenpflege im Vordergrund seines Wirkens stand, wurde bald der Glau­ vorherr­ benskampf schend. In Villingen ließen sich die Johanniter am Bickentor nieder. Hier bauten sie um die Jahrhundertwende ihre einschiffige Kirche mit dem südlich angebauten gotischen Turm. 1711 wurde das Gotteshaus barockisiert. Nach 1803 zunächst un­ behelligt geblieben, dien­ te das Kloster 1813/14 als Soldatenhospital, was für den Konvent verheeren­ de Folgen hatte: Alle Mönche bis auf einen starben an einer Infekti­ onskrankheit. In der Fol­ gezeit wurde das vernach­ lässigte Areal verpachtet und das Kloster 1821 for­ mell aufgelöst. Einen Teil des Inventars erhielten die Ursulinen, der Rest wurde versteigert, der Schon im 17. Jahrhun­ dert hatte kein Kloster mehr bestanden, die Kommende war inzwi­ schen eine reine Verwal­ tungsstelle für Güter und Nutzungsrechte. Ausge­ hend von ihrem ehemals fürstenbergischen Besitz war sie durch Zukäufe und Stiftungen zu einer der reichsten Johanniter­ niederlassungen im deut­ schen Südwesten gewor- 1 2 5 Der wiederaufgebaute „Kapuzinerhof

Geschichte den, sie besaß die Territorialhoheit über mehrere umliegende Dörfer, inkorporiert waren die Pfarreien Grüningen und Dürr­ heim. 1805 nahm Württemberg die Ordens­ güter in Neuhausen, Obereschach und Vil- lingen in Besitz, 1806 kam die Kommende an Baden. Die Kirche, seit 1814 für Besucher geschlossen, diente als Magazin für das aus dem Krieg heimgekehrte 2. Landwehrbatail­ lon. 1822 wurde sie in ein Amtsgefängnis um­ gewandelt und das Inventar versteigert: 14 große Gemälde, meist Komture darstellend, ein großer Altar und zwei Seitenaltäre, ein Triumphkreuz und das Chorgestühl. Der Schlößlewirt und spätere Bürgermeister Vet­ ter ersteigerte den Hochaltar. Eine Seite des barocken Chorgestühls wurde von Vogt Be- ha aus Unterkirnach erworben und in der dortigen Kirche aufgestellt. 1904 kaufte es die Stadt Villingen zurück, nun steht es in der Benediktinerkirche. Heute kann im Fran­ ziskanermuseum eine von Hans Kraut 1574 geschaffene Reliefplatte mit der Seeschlacht von Rhodos bewundert werden, die Teil des Grabmals von Komtur Wolfgang von Maß­ münster war. Die heute evangelische Kirche wurde im Jahr 1859 von der evangelischen Kirchengemeinde zusammen mit dem Mes­ nerhaus gekauft. Zu dem einst umfangreich­ en Areal gehörte das 1811 abgerissene Rit­ terhaus an der Stadtmauer; ein Neubau an gleicher Stelle beherbergte bis 1991 Teile des Landratsamtes, heute ist dort ein Altersheim untergebracht. Antonitcrhaus und Antoniterkapelle Zwischen 1336 und 1360 ließen sich in der heutigen Rietstraße 24 die Antoniter nieder. Der im 11. Jahrhundert gegründete Orden spezialisierte sich auf die Behandlung des „Antoniusfeuers“. Die Krankheit entstand durch Verbacken von Getreide, das vom Mut­ terkornpilz befallen war und führte zum Ab­ sterben der Gliedmaßen. Bei dem Wall­ fahrtsort St. Antoine in der Dauphine, wo sich die Reliquien des Heiligen Antonius Die Mostkarte aus dem Jakr 1906 zeigt den seit etwa 1870 unveränderten Zustand der ehemaligen Johan­ niterkommende nach ihrem Umbau zum Bezirksamt. 1 2 6

Rest eines alten Türsturzes aus dem Villinger Antoniterkloster, heute in der Rietstr. 14. In der Mitte ein „ Tau “ als Ordenszeichen. befinden, suchten die Betroffenen Hilfe. Hier war der Ursprung der sich rasch ausbreitenden Gemein­ schaft, die durch Schenkungen von Patienten zu Reichtum kam. 1777 wurden die Antoniter mit den Malte­ sern vereinigt und gingen mit diesen in der Säkularisation unter. Dem Kunstfreund sind sie vor allem durch den Isenheimer Altar in Colmar bekannt, der den Ordenspatron sowie einen offen­ sichtlich am Antoniusfeuer erkrankten Ge­ kreuzigten zeigt. Von Isenheim aus gründe­ te der Orden eine Niederlassung in Freiburg, welche wiederum das Villinger Haus be­ gründete. In dem dreigeschossigen Gebäu­ de, das als Krankenhaus und Pilgerherberge diente, befand sich eine Kapelle, vor deren Hochaltar die Kranken geistige Heilung fin­ den sollten. 1542 wurden die Ordenshäuser der Antoniter im Bistum Konstanz, zu dem Villingen gehörte, aufgelöst. Das Villinger Haus und seine Kapelle wur­ den aber weiterhin von der 1458 gegründe­ ten Antonius-Bruderschaft genutzt. Die Ge­ betsgemeinschaft durfte das Ordensabzei­ chen der Antoniter, ein Tau, tragen und an allen Gnaden, Freiheiten und Ablässen des Ordens teilnehmen. Um 1725 war Bürger­ meister Cyprian Winterhalter Oberpfleger der Bruderschaft. Die im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Kapelle wurde 1723 wieder aufgebaut und der Hochaltar mit einem prächtigen Anto­ niusbildnis von Joseph Anton Hops ge­ schmückt. Heute lagert das barocke Kunst­ werk im Depot des Franziskanermuseums. 1783 wurden durch Joseph II. sämtliche Bruderschaften aufgehoben; in Villingen waren 12 Bruderschaften betroffen, wobei diejenige des hl. Antonius zu den reichsten gehörte. Das Eigentum mußte verkauft wer­ den, der Erlös wurde dem staatlichen Reli- Säkularisation gionsfonds zugeführt. Das Haus wurde als Wohnhaus weiterbenutzt und be­ herbergt heute ein Antiquariat, die Kapelle wurde 1964 abgebrochen. Das Benediktinerkloster Die Benediktiner sind der älteste noch heute bestehende Orden des Abendlandes. Das klösterliche Leben richtet sich nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia (um 480-547/53) und umfaßt die Pflege von litur­ gischem Gottesdienst, Wissenschaft, Kunst, Handwerk, Seelsorge, Mission sowie karita­ tiven und kulturellen Aufgaben. Vom Re­ formkloster Hirsau aus gründeten Benedik­ tinermönche 1084 das Kloster St. Georgen zur Erschließung und Kultivierung des mitt­ leren Schwarzwaldes. Es spielte eine bedeu­ tende Rolle für die Besiedlung und Siche­ rung des dortigen zähringischen Machtbe­ reiches und hatte schon nach kurzer Zeit unter dem Abt Theoger (1088-1118) großes Ansehen errungen. Seine Blüte dauerte bis zum Ende des Mittelalters, auf protestan- tisch-württembergischem Gebiet liegend wur­ de das Kloster ein Opfer der Reformation. Nach seiner Aufhebung fand der Konvent aber eine neue Heimat im vorderöster­ reichischen Villingen, wo er am Nordwest­ rand der Stadt, zwischen Riettor und Obe­ rem Tor, bereits einen Pfleghof und eine Ka­ pelle besessen hatte. 1598 begann der Neu­ bau der „Alten Prälatur“, 1666 wurde das viergeschossige Konventshaus fertiggestellt; von 1688 bis 1756 dauerte der Bau der reich ausgestatteten Klosterkirche nach Plänen des aus Vorarlberg stammenden Baumei­ 1 2 7

G eschichte Die Benediktinerkircbe, seit 1902 dient sie wieder ihrem kirchlichen Zweck, im danebenliegenden Kloster­ gebäude befindet sich heute eine Schule. sters Michael Thumb, heute einer der be­ deutendsten Barockbauten im Landkreis. Aber bereits 50 Jahre nach Abschluß der Bauarbeiten wurde das Benediktinerkloster Schauplatz „eines der spektakulärsten Säku­ larisationsakte im ganzen Südwesten“ (so der Historiker Hermann Schmid). Nachdem Österreich im Frieden von Preßburg (1805) seine südwestdeutschen Besitzungen an Ba­ den und Württemberg abtreten mußte und Villingen zunächst zu Württemberg kam, wurde der Benediktinerkonvent nach 1536 ein zweites Mal zu dessen Opfer: Eine kö­ nigliche Kommission nahm das Kloster in Besitz, das damals 18 Mönche und acht Lai­ enbrüder beherbergte. Als bekannt wurde, dass Villingen Baden zugeschlagen werden sollte, zögerte die württembergische Kommis­ sion nicht, das Kloster für aufgelöst zu er­ klären und unverzüglich auszuplündern. Das Großherzogtum Baden übernahm die beinahe leergeräumten Konventsgebäude, nur die Bibliothek und das Archiv waren noch vorhanden. Nun folgte die Einleitung der endgültigen Klosterauflösung, der ur­ sprüngliche Plan zur Fortführung des seit 1650 bestehenden Kloster-Gymnasiums schei­ terte an fehlenden Mitteln. Die wertvollsten Teile der Bibliothek und das Archiv kamen nach Karlsruhe in die dortige Hofbiblio­ thek. Die restlichen Bücher wurden der Uni­ versitätsbibliothek Freiburg zugeschlagen: 11 000 bis 12 000 Bände in 66 Kisten wur­ den in drei Fuhren dorthin geschafft. Hier signierte der zuständige Universitätsbeauf­ tragte über 800 Bände als „vorzüglichste 1 2 8

Werke aus der Benediktiner-Bibliothek in St. Georgen zu Villingen“. Die Klosterkirche besaß sieben Glocken des Villinger Glockengießers Josef Benjamin Grüninger, ferner ein Uhrwerk mit Glocken­ spiel des Meisters Franz Xaver Liebherr aus Immenstadt sowie eine Silbermann-Orgel (siehe Beitrag im Kapitel „Musik“). Glocken, Uhrwerk und Orgel wurden 1812 in die neu­ errichtete evangelische Stadtkirche der Resi­ denzstadt Karlsruhe verbracht. Das Klostergebäude diente noch eine Zeit­ lang als Wohnung einiger Geistlicher, lan­ desherrliche Dienststellen und Schulräume fanden eine vorübergehende Heimat. Im Herbst 1813 wurde ein Spital für österreichi­ sche Truppen eingerichtet, eine ausbrechen­ de Seuche griff auf die Bürgerschaft über und forderte 230 Menschenleben. Schließ­ lich wurde das verwahrloste Gebäude 1826 von der Stadt zu einem Schleuderpreis ge­ kauft und als Schulhaus genutzt. In der Al­ ten Prälatur wurde eine Sodafabrik einge­ richtet. Die Klosterkirche wurde 1823 entweiht und als Salzlager verwendet, Eisengitter und Bodenplatten versteigert, die restliche Ein­ richtung an andere Kirchen abgegeben. In der Klosterkirche blieben der Hochaltar und die Rokoko-Kanzel vonJoseph Anton Hops zurück. 1858 und 1875 wurden Kloster und Kirche als Räume für Industrieausstellungen genutzt. Seit 1902 dient die Kirche wieder ihrem geistlichen Zweck, im Klostergebäude ist heute eine Schule untergebracht. Ursulinenkloster Villingen In Villingen waren auch drei Frauenklöster – Germanskloster, Vettersammlung und Bickenkloster – beheimatet. Größtes und bedeutendstes ist das Bickenkloster, welches sich an das im Osten gelegene Bickentor an­ schließt. In seiner Geschichte gab es vier ver­ schiedenen Orden eine Heimat und hat als einziger städtischer Konvent die Säkularisa­ tion überstanden. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde es von den Terzian- Säkularisation ninen des heiligen Franziskus gegründet. 1305 vereinigten sich diese mit den Kla­ rissen von Neuhausen, deren Kloster einem Brand zum Opfer gefallen war und die in der unsicheren Zeit lieber innerhalb der Stadtmauern leben wollten. Im 15. Jahrhundert war der Konvent auf 31 Mitglieder angewachsen, diese stammten meist aus angesehenen Patrizier- und Hand­ werkerfamilien, auch aus dem niederen Adel und wurden oft schon mit zehn bis 12 Jah­ ren aufgenommen. Wirtschaftliche Basis wa­ ren der Besitz von sieben Höfen im Gu- tachtal und Nutzungsrechte wie das Recht auf den Zehnten in Sumpfohren und Aasen, ferner einige Zinsbriefe. Die Insassinnen be­ schäftigten sich mit der feierlichen Ausge­ staltung des Gottesdienstes, mit dem Un­ terricht für die Kinder im Kloster, schrieben Texte auch für andere Konvente ab, stellten Paramente und Stickereien in Gold und Sil­ ber her, auch Agnus dei-Täfelchen, Wachsfi­ guren, Lebkuchen und Kräuterheilmittel. Im Dreißigjährigen Krieg nahmen die Kla­ rissen die Schwestern des zerstörten Ger­ mansklosters auf, aber die Blütezeit ging nun zu Ende. 1633 wurde das Kloster bei einer Belagerung durch Schweden und Württem- berger schwer zerstört, die Bewohnerinnen flüchteten in den Franziskanerkonvent ans andere Ende der Stadt. Ihr Landbesitz war verwüstet, seit 1640 bezogen sie daraus kei­ ne Abgaben mehr und einige Schwestern muß­ ten wegen Lebensmittelmangel zeitweise ins Exil gehen. 1782 schien dann mit einem Aufhebungs­ dekret das Ende des Klosters besiegelt zu sein. Das Inventar wurde aufgenommen, Sil­ ber, Bestecke und Becher in die vorderös­ terreichische Hauptstadt Freiburg gebracht. Geradezu barbarisch verführ man mit der Bibliothek: Nur die größten und bestgebun­ denen der teilweise wertvollen alten Hand­ schriften und Bücher wurden ausgewählt und ein Teil davon in die Hofbibliothek nach Wien verschleppt. Der Rest wurde un­ ter der persönlichen Aufsicht des Kommis­ sars verbrannt. 1 2 9

Barockes Eingangstor zum Ursulinenkloster. Aber schließlich fand sich doch ein Aus­ weg, um das drohende Ende zu verhindern. In der Nähe waren die 12 Dominikanerin­ nen der Vettersammlung heimisch, welche in ihrem kleinen Kloster die Mädchen der Stadt unterrichteten. Um der räumlichen Enge zu entgehen, zogen sie nun in das Klarissen­ kloster um. Beide Klöster vereinigten sich und nahmen die Regel der Ursulinen von Freiburg an, die seit 1695 als Lehrerinnen wirkten. 1782 kam deren Oberin nach Vil- lingen, um das neue Ursulinenkloster in die pädagogische Arbeit und die Ordensregel einzuführen. Seitdem sind die Schwestern als Lehrfrauen in der traditionsreichen Schu­ le tätig. Das Kloster besitzt schöne Kunstwerke, darunter ein Kruzifix aus dem 14. Jahrhun­ dert, eine Ecce Homo-Statue aus dem 15. Jahrhundert und einen heiligen Antonius aus dem 18. Jahrhundert sowie ein Gemäl­ de von Anton Berin, die Anbetung der Hir­ 1 3 0

ten darstellend. Die herrlichen mittelalterli­ chen Bildteppiche sind heute im Franziska­ nermuseum zu sehen. Die Säkularisation auf Fürstenbergischem Gebiet und das Schicksal der Klöster Tann­ heim und Neudingen Auf dem Gebiet des ehemaligen Fürsten­ tums Fürstenberg bestanden acht weibliche und zehn männliche Ordenshäuser, die 1802 zunächst alle dem Deutschen Orden zugesprochen wurden. Aber der Widerstand des Fürstenhauses, das die Klöster als Staats­ eigentum reklamierte, war erfolgreich. Als Fürstenberg 1806 unter badische Herrschaft kam, bemühte sich vor allem das großher­ zogliche Finanzministerium vergeblich, den Fürstenbergern die Klöster zu entreißen. Zum Streit kam es nochmals 1817/18, da die Fürstenberger ihr Versprechen, das Vermö­ gen aufgehobener Klöster zum Ausbau des Schul- und Krankenwesens zu verwenden, nicht eingelöst hatten. Durch das Verbot von Neuaufnahmen starben die Konvente bis 1852 allmählich aus. Auf dem Gebiet des heutigen Landkreises lagen zwei der ehemals fürstenbergischen Klöster: Neudingen und Tannheim. Paulinerkloster Tannheim In Tannheim soll der Sage nach ein Ein­ siedler namens Cuno der Schweiger Mitte des 14. Jahrhunderts in einem Klösterchen gehaust haben. Hier, an der Verbindungs­ straße der Zähringerstädte Freiburg und Vil- lingen, im Schutz der Burgen Zindelstein und Neu-Fürstenberg gründete Graf Hugo von Fürstenberg 1353 am Ochsenberg öst­ lich der Gemeinde ein Paulinerkloster. Die­ ser Orden war im 13./14. Jahrhundert als Zusammenschluß selbständiger Eremiten­ gemeinschaften entstanden, sein General­ prior residierte in Buda. Von Ungarn breite­ te sich der Orden in Europa aus, er lebte nach der Augustinerregel (Seelsorge, Mission, Pfle­ Säkularisation ge der Wissenschaften) und nach eigenen Konstitutionen. Das Tannheimer Kloster wurde im Dreißigjährigen Krieg verlassen, 1662 kehrten die Mönche zurück. Der für- stenbergische Baudirektor Franz Joseph Salz­ mann schuf im 18. Jahrhundert eine drei­ flügelige Anlage mit frühklassizistischer Kir­ che. Diese war mit einer Wallfahrt verbunden. 1802 hob die Fürstlich Fürstenbergische Regierung das Kloster mit der Begründung auf, daß die jährlichen Ausgaben die Ein­ nahmen übersteigen würden. Das Kloster­ vermögen kam an einen Spitalfonds, der da­ mit Schulden abbezahlte und den drei Pa­ tres eine jährliche Pension zukommen ließ. Die klösterliche Ökonomie wurde von der Stiftung weiterbetrieben und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden Kirche und Klo­ ster als Pfarrkirche und Pfarrhaus genutzt. Nach dem Neubau der neogotischen Kirche 1903 wurden die Gebäude abgerissen. Zisterzienserinnen Neudingen Bei dem ehemaligen fränkischen Königs­ hof und der zähringischen Grafschaft Neu­ dingen lag das Zisterzienserinnenkloster Ma­ riahof. Der benediktinische Reformorden der Zisterzienser entstand 1098 in Frank­ reich, seinen Aufstieg begründete Bernhard von Clairvaux (1090-1153). Im 12. und 13. Jahrhundert erlebte der Orden eine erste Blüte durch Mission, Bodenkultivierung, Kreuzzugspredigt und Baukunst, groß war sein politischer und religiöser Einfluß auf die Kirche. Seit 1132 bestand ein weiblicher Zweig. Wahrscheinlich wurde das Kloster bei Neudingen im 13. Jahrhundert von den Für­ stenbergern gegründet und später nach Ma­ riahof verlegt. Hier plante das Fürstenbergi­ sche Haus seine Grablege, 1341 wurde Graf Heinrich im Kloster beigesetzt. Der Konvent mit seinen 18 Schwestern kam 1802 in Fürstenbergischen Besitz. Die Ordensmitglieder blieben im Kloster woh­ nen und fügten sich der Pensionierung. In der Abtei war 1813/14 ein Militärspital un­ tergebracht, von 1825 bis 1827 ein Blinden- 1 3 1

S äkularisation Ölgemälde des Klosters Neudingen, das im Jabr 1274 von Dominikanerinnen begründet wurde. institut. Als 1840 die Abtissin starb, war nur noch eine Chorfrau übrig geblieben. Zusam­ men mit einer ehemaligen Nonne aus Ber­ nau und der KJosterköchin lebte sie hier bis zu ihrem Tod anno 1852. Im selben Jahr wur­ den Kloster und Klosterkirche bei einem Brand zerstört. Große kulturelle Verluste Als Auswirkung der Säkularisationen kam es in Baden ein Jahrhundert lang immer wie­ der zu Konflikten zwischen Kirche und Staat, bis der Abschluß eines Konkordats zwischen Heiligem Stuhl und dem Freistaat Baden 1932 die Auseinandersetzungen end­ gültig beendete. Rückblickend lassen sich als weitreichende Ergebnisse der Säkularisation festhalten: Die Aufhebung der Klöster und geistlichen Territorien brachte der katholischen Kirche große materielle Einbußen sowie politi­ schen und sozialen Machtverlust. Langfri­ stig aber ermöglichte der Wegfall der Privi­ legien einer erneuerten Kirche die Rückbe­ sinnung und Konzentration auf ihre geistli­ chen Aufgaben, sie war die Voraussetzung 1 3 2 des modernen Verhältnisses zwischen Kir­ che und Staat. Schließlich konnten auch ei­ nige der Orden sich, in bescheidenerem Maße, regenerieren. Vor allem im deutschen Süden gehen die heutigen politischen Grenz­ ziehungen im wesentlichen auf die im Zuge der Säkularisation sich ausbildenden Terri­ torialstaaten zurück. Einen bleibenden ma­ teriellen Gewinn konnte in unserem Gebiet vor allem das Haus Fürstenberg verbuchen, welches durch die Aneignung von Ordens­ eigentum bedeutende Liegenschaften und Renten erhielt: Etwa 2100 Hektar Wälder und Felder, ungefähr zehn Prozent der fürst­ lichen Privatliegenschaften. Auf kulturellem Gebiet hatten die Enteig­ nungen die Zerstörung wertvoller Bauten, besonders auf dem Lande, zur Folge, wie das beschriebene Schicksal von Neudingen und Tannheim zeigt. Dagegen besitzt die Stadt Villingen trotz aller Verluste noch heute sehr eindrucksvolle Klosterkirchen. Die wertvoll­ sten Teile der Klosterbibliotheken entgin­ gen in Villingen – wie allgemein in Baden – der Vernichtung und bereichern heute die Staats- und Universitätsbibliotheken. Der Stadt Villingen-Schwenningen ist es vor ei­ nigen Jahren sogar gelungen, wertvolle Büch­ er der Franziskanerbibliothek, die seit der Säkularisation an das Haus Fürstenberg ge­ kommen waren, zurückzukaufen. Helmut Rothermel L iteratur Huber, Erna: Vom Schwarzwald zur Baar. Kunst- und Geschichtsstätten im Schwarzwald-Baar-Kreis; Sig­ maringen 1978 Jenisch, Bertram und Weber, Karl: Kirchen und Klö­ ster im mittelalterlichen Villingen und Schwennin­ gen, in: Villingen u n d Schwenningen, Geschichte und Kultur, Hgb.: Stadt VS, 1998 Meckseper, Cord: Kleine Kunstgeschichte der deut­ schen Stadt im Mittelalter; D arm stadt 1982 Revellio, Paul: Beiträge zur Geschichte der Stadt Vil­ lingen; Villingen 1964 Schmid, H erm ann: Die Säkularisation der Klöster in Baden 1802-1811; Überlingen 1980

Grabanlage fiir NS – Opfer geschaffen W ider das Vergessen: 118 namenlosen Toten ihre Würde, den N am en wiedergegeben G eschichte Sie haben etwas bewegt: Der Theologe Dr. Heinz Lörcher, der Künstler Prof. Felix Schlenker und der Historiker Michael J.H. Zimmermann. Ihr Ziel war es, die Zeit des Nationalsozialismus mit ihren unmenschli­ chen Zügen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie betrachten dies als Pflicht der Pietät, aber auch als Beitrag zur kritischen Aufarbeitung eines düsteren Kapitels der (Heimat-) Geschichte. Sie haben dabei viel­ leicht an die Ansicht von Dr. Michel Fried­ man, dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, gedacht, der in unserer Gesellschaft immer noch einen Bo­ densatz von bis zu 25 Prozent Menschen sieht, die menschen- und demokratiefeind­ lich sind. Dies beweist, dass wir uns einerseits in der Vermittlung der Geschichte, andererseits in der Übersetzung, was diese Geschichte für Handlungskonsequenzen für die Gegenwart hat, nicht genügend angestrengt haben. Denn die Rückbesinnung auf Geschichte hat nur dann Sinn, wenn man informiert ist und die Informationen einordnen kann. An der Ein­ ordnung in der jeweiligen Zeit sieht man letzt­ endlich den aktuellen Zustand einer Gesell­ schaft. Wichtig ist es, dass den Jugendlichen eine Ethik (Werte, Pflichten und Ideale) ver­ mittelt wird. Es ist notwendig aufzuzeigen, was Menschen Menschen unter Vorspiege­ lung falscher Tatsachen antun konnten und antun können; deutlich machen, wie aus Nachbarn Feinde werden. Einen Schluss­ strich unter die Vergangenheit zu ziehen, wie es Politiker auf Stimmenfang off fordern, hält Friedman für einen für die junge Gene­ ration kontraproduktiven Rat, denn die Kraft der Bundesrepublik liege darin, dass sie sich als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, und damit in der Verantwortung der Aufar­ beitung und eben einer anderen Ethik und HIER RüitEN > .¿WJEi JUDEN EIN JUGOSbÄWE V t c l l s j N O R W E G E R U l “ i . E h * s , J t f W j s P – u W * ‘ j ¿ § jj| « Der Grabstein vor der Neugestaltung des Gräber­ feldes. Wertegemeinschaft, definiert hat. Nur durch aufrichtiges Erinnern ist es möglich, den O p­ fern und Verwundeten, die Hand zur Versöh­ nung zu reichen. 118 Menschen eingeäschert 1944/45 wurden im Schwenninger Krema­ torium 118 Opfer aus den Konzentrations­ lagern des „Unternehmens Wüste“ des Ar­ beitserziehungslagers Oberndorf Aistaig und den Euthanasie-Tötungsanstalten des Drit­ ten Reiches verbrannt. Aus dem Schiefer sollte Treibstoff gewonnen werden, deshalb wurden entlang der Bahnstrecke Rottweil- Tübingen sieben Konzentrationslager er­ richtet, um dies durchzuführen. Die Namen dieser Opfer sind bekannt, aber auf ihren Gräbern sind sie nicht ver­ merkt. Auf den Grabplatten stehen nur die Nationalitätsangaben. „Hier ruhen zwei Ju­ den, ein lugoslawe, ein Norweger, ein Tsche- choslowake“. Dieses sollte geändert werden, den Opfern 1 3 3

Geschichte sollte ihre Würde, ihr Name wiedergegeben werden. Die Toten waren 1947 – ihre Gräber waren über den gesamten Friedhof verteilt – an die jetzige Stelle umgebettet worden. Unterstützung fand man bei der Stadt Vil­ lingen-Schwenningen. Joachim Ebinger ist seit 1991 für die Friedhöfe der Stadt zustän­ dig und erklärte 1999: „Das Grünflächenamt unterstützt das Anliegen der Bürgerschaft, die in der Sammelgrabstätte Abt. C 1 auf dem Waldfriedhof bestatteten Kriegstoten namentlich unter Angabe der in verschiede­ nen Unterlagen vorhandenen biographisch­ en Daten.“ Es wurden Entwürfe in Zusammenarbeit mit Prof. Felix Schlenker erarbeitet, auch der Spendenaufruf für die Neugestaltung des namenlosen Gräberfeldes auf dem Wald- friedhof Schwenningen wurde befürwortet, indem die Spendengelder direkt auf das Konto der Stadt – für diesen Zweck zur Ver­ fügung gestellt – fließen konnten und kön­ nen. Denn auch wenn die Gedenkstätte schlicht gehalten werden sollte, kostete sie doch Geld. Bernd Cronemeyer hatte die Idee der Namenspatenschaft. Um die Kos­ ten für den Guss aufzubringen, sollten Per­ sonen oder Institutionen die Summe für ei­ nen Namen bezahlen. Seinem Vorbild folg­ ten einige. Auch die Sparkasse, die Volksbank und die Rotarier spendeten für dieses Pro­ jekt. „Die Ode des Lagers andeuten“ Der Blick auf die Gedenkstätte ist nun frei als ein Zeichen einer neuen Offenheit im Umgang mit der Geschichte, deshalb muss­ ten einige wenige nicht sehr wertvolle Bäu­ me gefällt werden. Wie Felix Schlenker be­ tont, ein offener Platz, „an dem keiner acht­ los vorübergehen kann, auf dem nichts ge­ deiht; der die Ode des Lagers andeutet, das weder Blumen sah noch Hoffnung keimen.“ Im Winkel von 120 Grad zur Reihe der Ge­ denksteine und im Anschluss an den Ge­ denkstein für die Opfer der nationalsozialis­ tischen Gewalt steht eine etwa 1,60 Meter hohe, 20 Zentimeter mächtige und zehn Meter lange graue Betonmauer. Darauf be­ festigt sind sieben Bronzetafeln mit den al­ phabetisch geordneten Namen der 118 hier Zustand des Gräberfeldes nach der Umgestaltung 134

bestatteten NS-Opfer. Davor erstreckt sich eine öde Splittfläche, über die kein Gras je wachsen soll. Ein Gedenkbuch erschließt darüber hinaus dem Besucher alle ermittel­ baren Daten der Mordopfer. Die Gestaltung dient der Sache und ist keine Überlagerung des Anliegens durch aufwändige künstleri­ sche Gestaltung. Eine neue Informationsta­ fel wird aufgestellt werden. „Tafeln, die, aus­ gehend vom neugestalteten Ehrenfeld, das doch weniger ein Denkmal ist denn ein Denkplatz, die verschiedenen Stationen zu­ sammenbinden zu einem Denkweg, den der Besucher sinnend begehen mag, ist alles Denken doch Prozess.“ (Michael Zimmer­ mann) Für das Ziel suchten sich die Initiatoren Mitstreiter. Es wurde viel erreicht, eine über sechs Semester gehende Veranstaltungsreihe mit Vorträgen, Stadtrundgängen, Exkursio­ nen zu den „Stätten des Grauens“ und Zeit­ zeugenbefragungen wurden durchgeführt. Hier beteiligten sich alle an politischer Er­ wachsenenbildung interessierten Organisa­ tionen – Volkshochschule Villingen-Schwen­ ningen, Evangelische Erwachsenenbildung, Katholisches Bildungswerk der Erzdiözese Freiburg, sowie der Schwäbische Albverein. Eröffnet wurde die Veranstaltungsreihe mit den Vorträgen am 9. November 1999 von Heinz Lörcher und Michael Zimmermann über das jüdische Leben in Villingen und Schwenningen. Das verfolgte Ziel, die Zeit des Nationalsozialismus als ein Kapitel der Heimatkunde zu thematisieren, wurde er­ reicht. Regen Zuspruch fanden auch die Stadtführungen von Dr. Annemarie Con- radt-Mach zu den Orten, wo Fremdarbeiter arbeiteten und untergebracht waren, und die Exkursion zu den „Stätten der Vernich­ tung durch Arbeit“ [Bisingen, Schörzingen, Eckerwald] von Michael J. H. Zimmermann. Die Zeitungen der Region griffen ebenfalls das Thema auf und brachten z. T. ausführli­ che Berichte über die Themen: Fremd- und Zwangsarbeiter, Unternehmen Wüste, Eut­ hanasie und Ausgrenzung der jüdischen Be­ völkerung. Es wurden die Gräuel (Misshand­ W ider das Vergessen lungen von Zwangsarbeitern und Zwangsar­ beiterinnen, Unterernährung und Arbeiten bis zur totalen Erschöpfung, Ermordung von Behinderten), aber auch die der Unter­ stützung für die Opfer aufgegriffen. Hier zeigte sich, dass es auch in schlimmer Zeit noch Mitmenschlichkeit gab, man denke an das heimliche Zustecken von Nahrungsmit­ teln für die Zwangsarbeiter oder das Verstecken jüdischer Flüchtlinge. Verantwortung in Ent­ scheidungssituationen ist dabei immer per­ sönlich. Michael Zimmermann erreichte es auch, dass die Schlenker-Zwillinge aus Schwen­ ningen (siehe nachfolgenden Beitrag), die 1938 mit ihrer jüdischen Mutter nach Holland immigrierten, im Mai 2000 auf Einladung des Oberbürgermeisters ihre Hei­ matstadt, der sie sich noch immer verbun­ den fühlen, mit ihren Frauen besuchen konnten. Weitere Einladungen sind ausge­ sprochen. Geschichte jüdischer Familien erforscht Dass sich Schüler der Tageshauptschule Schwenningen am Projekttag aufmachten, die Geschichte der Schwenninger jüdischen Fa­ milien zu erforschen und die Stätten, wo diese lebten und arbeiteten, aufsuchten, wä­ re sicher ohne das Engagement von Micha­ el Zimmermann und der Aktion „Wider das Vergessen“ und die Unterstützung durch die verschiedenen Bildungsinstitutionen nicht möglich gewesen. Jedoch gab es nicht nur positive Stellung­ nahmen, mancher fühlte sich bemfen, die Beteiligten wegen ihres Engagements zu be­ drohen. Die Reihe behandelte auch unter dem Mot­ to: „Wo Liebe wohnt, ist Leben wert.“ (Mich­ ael Zimmermann) den Umgang mit Alten und Behinderten früher und in unserer Ge­ sellschaft. In diesem Rahmen wurden auch die Krieger- und Friedensdenkmäler von Dr. Michael Hütt kritisch beleuchtet. Über ihre Erfahrungen im Umgang mit der Geschich­ te der NS-Zeit und der Reaktion der Mit­ 1 3 5

W ider das Vergessen Zitnmcrmann Michael führt eine Schulklasse auf den Spuren der Juden in Schwenningen. menschen darauf be­ richteten Initiatoren von verschiedenen Bür­ gerinitiativen, die sich mit dem Thema „Wü­ ste“ u. a. beschäftigt ha­ ben. Es war schon de­ primierend, was nach fast 30, 40 und 50 Jah­ ren nach Kriegsende noch an Hass oder Ver­ wünschung über die Historiker ausgegossen wurde, weil sie ein dunkles Kapitel der deut­ schen Geschichte in ihrer Heimat aufarbei­ teten. Am 18. November 2001 um 14.00 Uhr wurde das neue Ehrenfeld auf dem Wald­ friedhof eingeweiht. Die Feier wurde um­ rahmt von der Stadtmusik Schwenningen und der Chorgemeinschaft. Es sprachen De­ kan Rudolf Junginger von der Franziskus­ kirche und Pfarrer Frank Banse von der Evangelischen Kirchengemeinde. Junginger betonte, wie wichtig es sei, die Erinnerung wachzuhalten. Pfarrer Banse verwies darauf, „wer den Menschen mordet, der mordet das Ebenbild Gottes“. Vor dem Ehrenfeld richtete der Kantor der neu gegründeten jüdischen Gemeinde in Villingen, Mark Szrunsky, einige Worte in hebräischer und russischer Sprache an die Trauergäste, danach sang er den ‘Kaddisch’, die jüdische Totenklage. Oberbürgermeister Dr. Manfred Matusza erinnerte an die Toten und ihre Leiden. Die Euthanasie-Opfer stammten fast alle aus Schwenningen, Villingen und aus den Hei­ men der Umgebung. Michael Zimmermann von der Bürger­ initiative betonte, dass den Opfern nun ih­ re Tndividualität’zurückgeben werde: „Es gibt Wunden, die heilsam sich zu schließen scheuen. Wunden, die gar nicht heilen dür­ 1 3 6 fen, wo allein der Schmerz doch wachhält; Wunden die ‘notwendig’, Not wendend, of­ fenbleiben.“ Als Abschluss trug er das Ge­ dicht des Schwenninger Lyrikers Werner Dürr- son „Grafeneck“ vor. „Werner Dürrson, der … keine Klage um die Opfer kennt ohne An­ klage der Täter, keine Bitte um Ruhe für die Toten ohne Bitte um innere Unmhe der Le­ benden, die dafür Sorge zu tragen haben, dass nichts, wirklich nichts vertuscht, ver­ brämt, verschwiegen wird, wo doch Schlimm­ stes auszublenden blind macht für abermals Schlimmes.“ (Michael Zimmermann) Am Vorabend der Denkmalseinweihung führte der Schwenninger Bach-Chor in der Johanneskirche das „Requiem für einen pol­ nischen Jungen“ von Dietrich Lohff auf. Lohff komponierte dieses Werk nach Texten von Opfern des Faschismus. Auf dem Friedhof sollen noch weitere er­ läuternde Tafeln angebracht werden. Darauf werden die systembedingten Zusammen­ hänge des Grauens und der Gräuel in leicht verständlichen Kurztexten und Karten auf­ gezeigt werden. Es ist zu hoffen, dass die Besucher der ver­ schiedenen Veranstaltungen dem Erinnern eine Chance geben, „damit Minderheiten in unserer Gesellschaft genug Luft haben, um wie Mehrheiten zu leben.“ (Michel Fried­ man) Ingeborg Kottmann

Verdrängung verhindert Versöhnung W ider das Vergessen: Ernst und W illi Schlenker – W illkom m en in der alten Heimat Geschichte „Heimat: Was ist das? Und wo?“ Fragen werfen sich auf. Eine Antwort zu finden fällt schwer. Auch den in Rotterdam lebenden Zwil­ lingen Emst und Willi Schlenker, die vor über einem Dreivierteljahrhundert in Schwen­ ningen am Neckar zur Welt kamen. In der Neckarstraße 41 steht das Haus des Vaters. Hier ist ihr Heim. Ihre Heimat: Was in wachs­ enden Kreisen die Knaben auf ersten Streif­ zügen erforschen, im Spiel sich aneignen, sich „erobern“. Unbekümmerte Jahre der Kindheit erle­ ben die Jungen, ehe früh schwer lastende Schatten sich auf ihr Leben legen: Todesschat­ ten derer, die ihrer Mutter als einer Jüdin Heimat verweigern, verwehren; zerstören – indem sie sie ihr nehmen. Rettung liegt nur in der Flucht. Heil, Heim und Heimat heißt es zu verlassen – um des Lebens willen. Zerrissen wird die Familie durch den Ras­ senwahn der Nationalsozialisten; in die Nie­ derlande emigriert die Mutter mit ihren Kin­ dern, die das deutsche „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Eh­ re“ 1935 zu „Halbjuden“ macht – wiewohl „wir nach dem jüdischen Gesetz Volljuden sind: als Söhne einer jüdischen Mutter“. Der Vater darf, da „Arier“, das Land nicht verlas­ sen. Die nach der „Reichskristallnacht“ ge­ hen, dürfen, heimatvertrieben und staaten­ los, am 19. Dezember 1938 gerade noch zehn Mark pro Person und einen Koffer voll Wä­ sche mit sich nehmen: Eine Reise ins Unge­ wisse, nach Rotterdam. Holland! Ein Paradies der Freiheit, wo auch außerhalb der eigenen vier Wände über al­ les gesprochen werden kann, unbespitzelt – anders als in der Diktatur, die sie verlassen und in der „man für den Vater, einen Men­ schenfreund und scharfen Gegner des Na­ tionalsozialismus, stets das Schlimmste be­ fürchten mußte“. Das „Gesetz des Schwei­ gens“ gilt nicht in Rotterdam, auch nicht an seinen Schulen. Die neuen Klassenkamera­ den sind denen behilflich, die zunächst kein Wort „Nederlands“ verstehen. „Sie fanden es interessant, zwei deutsche Jungens in der Klasse zu haben, und der Lehrer hat uns manchmal gebeten, in der einen oder anderen Klasse deutsche Lieder zu singen. So wie vom ‘Röslein auf der Heiden’ oder Wander­ lieder.“ Wächst den deut­ schen „Halbjuden“ neue Heimat in Holland zu, in ihrer Mutter Vaterstaat? Nur ein Kapitel der Geschichte: „Juden unter dem Hakenkreuz“. Die Zwillinge Ernst und Willi Schlenker links und rechts des Unheilszeichens der „Martei der nationalen Erhebung“. Die Zuflucht geht Flammen auf in Die Katastrophe kommt. Holland wird in eine Höl­ le verwandelt. Am 10. Mai 1940 fallen frühmorgens deutsche Truppen ein. 1 3 7

Geschichte Das Haus der Verwandten in der Nähe der Maasbrücke gerät in die Kampflinie. Alle fliehen zu einer Tante in die Innenstadt, dürfen von niederländischem Militär, das die Einfallstraßen sperrt, nicht an der Spra­ che als Deutsche erkannt, nicht als m ut­ maßliche Feinde eingesperrt werden. Am 14. Mai geht auch die letzte Zuflucht in Flammen auf; „ein riesiger Feuersee ver­ schlingt Rotterdam.“ – „Da hatten wir nur noch die Kleider, die wir am Leib trugen. Für uns war das halt schon das zweite Mal, daß wir ohne etwas anderes in der Welt stan­ den.“ Schlimmeres steht bevor. Verfolgung. Am 26. Juli müssen Schlenkers ohne lange Vor­ warnung für eine Reise mit unbekanntem Ziel am Bahnhof bereitstehen – mit nur et­ was Handgepäck: Teil eines Transportes aus­ ländischer Juden, meistenteils deutscher Flüchtlinge, die auf ein rettendes Schiff nach Amerika warten. „Zu gefährlich“ scheint den Besatzern ihr Verbleib im Küstengebiet; die mögliche Kontaktaufnahme mit den Eng­ ländern wird geargwöhnt: Signale, Flam­ menzeichen für jene, die den Feinden feind. Getrennt werden die drei Schwenninger von der übrigen Familie. Von vielen wird es ein Abschied für immer …. Maastricht ist während einer Woche für 1 3 8 Eine Freundschafi, die kein Wahn zerstörte: Ernst und Willi Schlenker mit ihrem Jugendfreund Her­ bert Fleim (in der Mitte). Sie hielten zusammen; sie hielten Kontakt – über alle Brüche der Welt. die drei die erste Station, die unter strenger Bewachung stehende Synagoge wird zum Gefängnis. Dann geht es nach Limburg; Ju­ den nehmen die Deportierten auf, andere Willi als Ernst und die Mutter. Zusammen kommen sie nach einem Jahr in Heerlen erst wieder, wohnen beim Rabbiner der jüdi­ schen Gemeinde in einem Zimmer; die Knaben arbeiten in der Stadt, bei einem Ka­ rosseriebetrieb und einer Flaschnerei haben sie sich einzufinden. Froh sind sie, sich zu haben – und Freunde. Bis „eines Tages der Rabbi mit seiner ganzen Familie nach Polen verschleppt wird und mit ihm noch sämtli­ che unserer neuen Bekannten“. Deportiert werden 1943 auch Onkel, Tanten, Vetter, Basen; die Großmutter und ihre Geschwi­ ster. In Viehwaggons. Nach Auschwitz, The­ resienstadt, Neuengamme …. Was ihnen wi­ derfuhr, steht auf einem Briefchen, das aus Theresienstadt herausgeschmuggelt wird. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ Kaum eine, kaum einer kehrt wieder. Und die Mutter muß den Judenstern tragen. Lebt in ständiger Angst, auch in die Gaskammer geschickt zu werden – erst recht, als aus Schwenningen keine Nachricht mehr ein­ trifft. Überlebt. Die „Mischehe“ schützt die Bedrohte vorerst; die Treue eines Mannes rettet Menschenleben; sich scheiden zu las­ sen kommt ihm auch auf Druck der Nazis hin nicht in den Sinn. Dann ergibt eine von den Nationalsozialisten befohlene Zwangs­ untersuchung in Amsterdam, daß Josina Schlenker keine Kinder mehr bekommen könne. Ein (zunächst) lebenswichtiger Be­ fund! Zeit der Verfolgung Zeit der Verfolgung. Nach untergetauchten Juden fahndet die grüne Polizei. Und nach jungen Holländern, potentiellen Zwangsar-

beitern für den Krieg der Deutschen mit der Welt. „Sich rasch zu verstecken in den Fel­ dern, unter Kohlen: Das war Alltag. Immer, wenn eine Razzia bevorstand. Manchmal waren wir gewarnt. Manchmal ahnten wir et­ was, sahen Gefahrenzeichen rechtzeitig.“ Glück braucht man auch zum Überleben. Die Zwillinge werden wie „Volksdeutsche“ gemustert, geben aber an, „nichtarisch“ zu sein. Der weißhaarige Hauptmann hat ein Herz; vermerkt statt dessen drei Buchstaben nur: „n.z.v.“ – „nicht zu verwenden“. Da heißt es: „Sie können gehen!“ Fürchterlich ist die Zeit bis zur ersehnten Befreiung, „lauter Spannung, ob wir das En­ de dieses wahnsinnigen Krieges noch erle­ ben“ dürfen. Als am 17. September 1944 amerikanische Panzer anrollen, kann die Mut­ ter es kaum glauben – nach Jahren, in denen der Rucksack stets gepackt war, da keiner wußte, „wann sie uns doch noch holen“, und jeder vorbeifahrende Wagen das Ende be­ deuten konnte, so daß „die gute Frau am ganzen Leibe zitterte. Allmählich nur weicht die Angst, ein wenig. Der Hunger bleibt; ein harter Winter steht bevor, wird überstan­ den. „Erst im Dezember 1945 konnten wir wie­ der nach Rotterdam ziehen – und uns ver­ einen mit denen, die überlebt hatten.“ Fa­ milienglück? „Noch immer gab es keinen Briefwechsel mit Schwenningen.“ Da bringt Nico Pronk, ein aus Deutschland heimge­ kehrter holländischer Zwangsarbeiter, erste Nachricht vom Vater. Bei Irion & Vosseier hat er Reinhard Schlenker kennengelernt – als aufrechten Mann, der Bedrängten bei­ steht; der ihn und Leidensgefährten Radio hören läßt: ‘Feindsender’ für die Ohren der braunen Machthaber; der „anderen hilft, um nach der Schweiz zu verschwinden“. Ni­ co Pronk legt Zeugnis ab, richtet mit ande­ ren eine Petition an den Justizminister der Niederlande, er solle diesen (einen) Deut­ schen zuwandern lassen „wegen seiner de- mokratisch-antinationalsozialistischen Ein­ stellung wie der Hilfe für ausländische Ar­ beiter“. W ider das Vergessen Allein blieb er zurück: Rein­ hard Schlenker durfte 1938 nicht mit seiner Familie Deutschland verlassen: Die Ausreise wurde dem „Arier“ verweigert, der ein überzeug­ ter Feind der Nazis war. Das niederländische Königshaus verwen­ det sich für den einfachen Mann aus der Neckarstraße. Eine Ausnahme wird gemacht: 1949 kann der Vater seine Familie wieder in die Arme schließen, ausgemergelt und ge­ sundheitlich angeschlagen, im Dritten Reich der Deutschen „aus politischen Gründen“ doch noch als KZ-„Schutzhäftling“ beinahe ums Leben gebracht, als Arbeitssklave unter unerträglichen Bedingungen in einem Queck­ silberbergwerk geschunden – unerachtet der Kriegsversehrung, die ihm der Deutschen Vaterland im Ersten Weltkrieg eingetragen und nun so vergilt. Wer aber ermißt Kum­ mer und Sorgen in elf endlos langen Jahren der erzwungenen Trennung? „Überhaupt hat Vater es sehr schwer ge­ habt. Als er von der Zerstörung Rotterdams hörte, brach er – ein unter schwerer Strafe stehendes Delikt der ‘unerlaubten Entfer­ nung in besetztes Gebiet’ – auf, seine Fami­ lie zu suchen.“ Bevor er sie erreichte, wurde er nach Grenzübertritt in Venlo von hollän­ dischen Nationalsozialisten (NSB) denun­ ziert, verhaftet, vor den Ortskommandan­ ten gebracht, der im Paß „Beruf: Uhrmach­ er“ las, ihm eine Chance gab: Eine uralte Uhr binnen zwei Stunden zu reparieren. Es gelang. Eine Empfehlung: „Gehen Sie zu­ rück in Ihre Uhrenstadt und lassen Sie sich nie wieder blicken!“ Nun also doch. Rein­ hard Schlenker wird wieder eine Heimat fin­ den – in Holland. Ein Happyend? Beinahe. Die alte mußte seine Familie lassen Heimat, so oft zum Himmel verklärt, wird nicht selten zur Hölle gemacht – jenen, die ‘entheimatet’ werden: In der Geschichte, von Menschen gemacht, von Tätern ver­ schuldet, von Opfern erduldet. „Die Fami­ lie des Schwenninger Uhrmachers Reinhard 1 3 9

Geschichte Josina Schlenker mit ihren Söhnen Willi (l.) und Ernst (r.) allein in Holland und: Endlich wieder vereint! Nach elf Jahren der Trennung in Treue zu­ einander! Reinhard, Josina, Ernst und Willi Schlenker 1949 in der neuen Heimat fü r alle: im holländischen Rotterdam (Bild unten). … / | £ U l “ M w * H l Schlenker: Ein jüdisches ‘Schicksal’“ – im Dritten Reich der Deutschen, in der Stadt am Neckarursprung, in unser aller Heimat. Es ist ein Lehrstück der Ausgrenzung – und zeigt, wohin sie führt. Gesehen wird das Ge­ schehen mit Augen von Kindern, die zu Er­ wachsenen rasch reifen (müssen). Zehn Jahre alt, bekommen „wir in der Schu­ le den Auftrag, einen Stammbaum unserer Familie anzufertigen. Da hören wir zum er­ sten Mal, daß die Familie unserer Mutter und dadurch wir von jüdischer Abstam­ mung sind.“ Von dem Zeitpunkt sehen sich Ernst und Willi Schlenker, Söhne des Rein­ hard und der Josina Schlenker, geb. Olmann, die in der Familie des Vaters willkommen und, eine tüchtige Kraft bei Kienzle-Uhren, „eine Schwenningerin geworden“ war, als ei­ ne Art zweitklassige Bürger, denen vieles verwehrt wird. 140 Zu Außenseitern werden sie gemacht, die zur „Volksgemeinschaft“ 1935 nicht mehr gehören – ausgeschlossen aus dem „Jung­ volk“, dessen Uniform zu tragen die beiden sich allerdings aus Gründen ihrer wie des Vaters Gesinnung nicht wünschen. Eine schmerzliche Erfahrung gleichwohl. Und die Frage quält sie: „Was wird im Dienst den ändern eingetrichtert gegen uns?“ Und in der Schule? Die angeordnete Anfertigung des Stammbaums mit zwei israelitischen Großeltern bringt die Brüder in Bedrängnis. Im Zeichenunterricht müssen die Schüler Juden malen; „wer die längste Nase aufs Pa­ pier brachte, bekam die beste Note“. Anfang 1938 dürfen Ernst und Willi Schlenker nach einem letzten Boxschau­ kampf im Saal der Neckarquelle nicht mehr für die „Germania“ boxen und ringen; der „Jugendsportführer“ verbietet es ihrem Trai­ ner. Als die Sporthosen sich im Dezember im Fluchtkoffer wiederfinden, wird kontrol­ lierende SS beim Grenzübertritt den Reichs­ adler abreißen. Auf ihn können die Zwillin­ ge verzichten. Die Erinnerung an öffentlich geübte Ge­ walt werden sie mit über die Grenze neh­ men. An die Knüppel der Braunhemden, die auf dem Marktplatz ihre Gegner nieder­ hauen: „Wa sim-miar grännt!“ An die Neck­ arstraße, „vor dem ‘Anker’, rot von Blut“. An politische Verfolgung: „Onkel Wilhelm war bei den Roten. Er kam ins KZ Dachau. Auf freien Fuß gesetzt, wurde er immer über­ wacht.“ An falsches Vertrauen: „Am Haus des Skatbruders’ hing auf einmal die Ha­ kenkreuzfahne“; den Duzfreund denunziert der Verräter … . An eine Atmosphäre des Mißtrauens und der Angst, die sich auch über die Stadt am Neckarursprung legt. Nach den Judenpogromen gibt es für die Mutter kein Halten mehr. Verständlicher­ weise ist sie in Sorge um sich – und die Söhne. Die werden, obwohl einige ihrer Kamera­ den sich nicht an der neuen Hetze gegen sie stören, schon einmal als „Judensetzlinge“ beschimpft. Eine Episode: Eines Tages wird Ernst nach dem Sport auf dem Heimweg

D as gibt’s n u r einm al O ft denk ich an die schönen Stunden, Aus m einer jüngsten Jugendzeit, Spaziergänge durch Feld u n d Wälder, Waren für mich reine Herrlichkeit. Im Neckar haben wir K aulquappen gefangen, Sind am Hasenbuckel a u f ‘Mustangjagd’ ‘g a n g e n ,… W ie wir im W inter vom grünen Tannenbaum sangen, Ja, nach dieser Zeit geht m ein Verlangen. Gerade in dieser Winterszeit, Auch w enn es hier nicht hat geschneit, Seh ich wieder in Gedanken, Die m it Schnee bedeckten Tannen sich ranken, Zwar bin ich vondannen, weit, D och denk ich m einer schönen Jugendzeit. „Heimat“ – ein Gedichtfür den Freund, von Willi Schlenker. vom Turnerheim von einigen Mitschülern im wahren Wortsinn ‘tödlich’ beleidigt; er kann sich der Übermacht wegen nicht weh­ ren. „Aber am nächsten Morgen forderte er in der Schule den Schimpfer auf, er solle das noch einmal sagen – und da schlug er ihm eine ins Gesicht… Da ist der Junge zum Leh­ rer Schmid gegangen. Aber der hat Ernst recht gegeben anstatt ihn zu strafen. Das hat einen tiefen Eindruck bei uns hinterlassen: Die menschliche Einstellung eines Lehrers in der für uns so schlimmen Zeit“. Eine Freundschaft wird über die Jahrzehn­ te sich bewähren: Diejenige Herbert Heims, des Nächsten und Nachbarn. Heimat ist, woran das Herz hängt. An guten Menschen hängt es zuerst. An den vertrauten Stellen der Vaterstadt. An der Mundart. „Fast Heim­ weh“ verspüren die Brüder bisweilen, zumal sie, die sich „immer mehr als Schwenninger denn als Deutsche gefühlt“, an ihrer Vater­ stadt noch froh sein konnten – und es sind, 62 Jahre nach der Emigration „noch nicht vergessen“, wo sie daheim waren, nach Ver- W ider das Vergessen Schwenningen war (und ist) den Zwillingen „mit dem schönen Nachnamen Schlenker“Heimat. Ihren Frauen Wilhelmina Elisabeth und Betsy zeigen sie gerne das Haus ihrer Geburt, das „Bürgerheim“. mittlung eines heimischen Historikers vom Oberbürgermeister der Stadt Villingen- Schwenningen eingeladen in die (alte) Hei­ mat: Gäste ihrer Vaterstadt im Jahre ihres 75. Geburtstages. „Antisemitische Anwürfe? Die gab es fast nie. Wir glauben, die Schwen­ ninger sind nicht das rechte Völkchen dafür.“ Gewesen. Sind es hoffentlich noch. Doch zurück nach „Duitsland“? – „Ha nai!“ So schnell wie möglich Holländer werden wollten die Schlenker-Zwillinge: Mensch­ enfreunde, die ihre Lehre aus der Geschich­ te ziehen – und Lehrer, die „zugewanderten Kindern“ die holländische Sprache rasch beibringen, auf daß sie nicht länger Fremde seien in einem (zunächst) fremden Land. Eine Grenze haben sie überschritten – da­ hin, von wo man nicht wiederkehrt. „Und daß wir nach dem Krieg eine Wut hatten auf alles Deutsche, werden Sie verstehen, wenn Sie erfahren, daß von der Familie nur eine Tante überlebte, und zwar im Übergangsla­ ger Westerbork in Drenthe, wo sie die eige­ ne Mutter mit 82 Jahren einsteigen sah in ei­ nen Viehwaggon nach Theresienstadt; ver­ laden die Geschwister… “. Michael J. H. Zimmermann 1 4 1

Geschichte Die Funkenpuster haben sich rar gemacht Helmut Löttker aus Obereschach ist einer der letzten Dorfschmiede im Landkreis Im Landschaftsbild hat sich wohl nirgends ein größerer Wandel vollzogen als in den Dörfern. Neubaugebiete bilden einen Gür­ tel zwischen altem Ortskern und den Fel­ dern, und selbst der früher mit der Kirche untrennbar verbundene Gottesacker wurde ausgesiedelt. Das Tuckern des Traktors ist sel­ ten, und vollends verschwunden ist der Lärm, der aus der Dorfschmiede drang. Kein Huf- und Grobschmied dengelt mehr die Sense oder schlägt den Amboß, daß es durch das halbe Dorf klingt. Vollernter und PS-starke Landmaschinen haben den Schmied fast brotlos gemacht. arbeitet. Barfüßig in derben Pantoffeln, fühlt er sich hinter seinem Lederschurz erst so richtig wohl, wenn Funken stieben und er nach Altväter-Sitte ein Holzrad „bereift“. Wie man’s macht, erklärt der Mitt-Siebziger im Schnellverfahren: „Zu den Radmaßen noch ein paar Zentimeter Zugabe am Rei­ fenband für das Schweißen, den Bolzen reinhauen, und ab ins Feuer, bis das Eisen verlaufen ist. Ein paar Hände trockenen Sand darüber, dann greift die Feuerzange zu, und das Werk­ stück liegt glühend auf dem Amboß. Der Schmied klopft die Kanten und kühlt den Noch echte Handarbeit Rösser und Erntewagen, da­ zu das Schärfen von Pflug- und Hackscharen, Egge und Kultivator, damit hatte ein Huf- und Wagenschmied frü­ her sein Auskommen. Helmut Löttker aus Obereschach ist ei­ ner der wenigen aus der Zunft der Schmiedegesellen, der noch die alte Handwerkskunst be­ herrscht, aus einem rohen Vier­ kant-Eisen ein Hufeisen formt, der mit einer Handvoll Stroh und frisch ausgebrannter Koh­ le das Feuer zündet und mit Muskelkraft den Blasebalg be- So, wie der Vater die Schmiede vor Jahrzehnten einrichtete, hat sie Fritz Flaig in Obereschach bis heute be­ lassen, auch wenn die Esse schon lange nicht mehr regelmäßig begeu- ert wrude. Flier genießt Helmut Löttker Gastrecht, wann immer er mag. 1 4 2

Reifen im Löschtrog.“ Was so einfach klingt, war (und ist) in der Realität harte Knochen­ arbeit. Drei gestände Mannsleute – „zweie ziehen, einer klopft“ – waren nötig, um den geschmiedeten Reifen auf das Holzrad auf­ zuziehen, den Nabenkeil auszuschlagen und schließlich mit handgearbeiteten Schmie­ de-Nägeln Holz und Eisen „für die Ewig­ keit“ zusammenzufügen. „Jeder lebt auf einem anderen Fuß“ Bei den Rössern sei das nicht anders als bei den Menschen, sagt Helmut Löttker, der sich in dem halben Jahrhundert seiner Dorf­ zugehörigkeit zu einem echten Oberescha- cher Original gemausert hat: „Jeder lebt auf einem anderen Fuß.“ Hufgrößen zwischen Null und Sechs nennt der Grobschmied als gängige Norm, „aber ein kräftiges Stangerpferd vor dem Bierwa­ gen brachte es auch schon mal auf Größe sieben.“ Die Verwirrung für einen Stadt­ menschen ist perfekt, wenn Löttker von „Huf­ stab mit Falzung, Nagellöchern und Aufzug zum Befestigen am H uf“ spricht oder vom „Hufeisen mit Aufzug, Stollen und Griff, das bei Hufspalten den Homschuh des Pfer­ des zusammenhält.“ Trotz Hightech-Land­ maschinen und technisch aufgerüsteter Bau­ ernhöfe, aussterben werde der „Funkenpu­ ster“ nicht, ist sich der eingebürgerte Ober- eschacher sicher, wenn auch das Ausbildungs- profil stark modifiziert wurde. Angesiedelt ist der Schmied-Azubi heutiger Zeit nach der reformierten Handwerksordnung im Me­ tallbereich und erhält in Form einer Co-Aus- bildung das Rüstzeug zum Grobschmied. Auch zuständig fiir „Pediküre“ Wenn Helmut Löttker nicht gerade Gast­ recht in der alten Schmiede von Fritz Flaig genießt, ist die Chance groß, ihn im Stall der Landwirte anzutreffen. Als letzter Klauenschneider weit und breit, der noch nach alter Sitte mit Hauklingen, Klöppel und Messer statt mit einer Flexma- Geschichte schine schafft, kümmert er sich dort um die Pediküre der Viecher. Was den Tierärzten des nörlichen Schwarzwald-Baar-Kreises be­ kannt und willkommen ist, Löttkers Ruf­ nummer kursiert mit dessen ausdrücklicher Zustimmung zwischen Tierärzten und Land­ leuten. Daß der wackere Obereschacher da­ bei gelegentlich auch mal einen herzhaften Tritt seiner „Patienten“ abbekommt, gehört für ihn in die Sparte Berufsrisiko. Was ihn aber nicht davon abhält, bei einem tierischen Notfall auch mal einen Weihnachtsabend statt unter dem Christbaum im Stall zu ver­ bringen. Vielfach ausgezeichnet Helmut Löttker ist in dem guten halben Jahrhundert seit Zuzug nach Obereschach zum mehrfach dekorierten Mitbürger avan­ ciert. Bei der örtlichen Musik- und Trachtenka­ pelle steht er seit 45 Jahren am Schlagzeug und der großen Trommel, nur fünf Jahre jünger ist die Zugehörigkeit zum Spiel­ mannszug der Feuerwehr, und daß es in Obereschach noch eine Trachtentanzgruppe gibt, ist ebenfalls ein Verdienst des Mannes, der mit seiner Hildegard im Wonnemonat des vergangenen Jahres die Goldhochzeit feierte. Ehrungen in Form von Urkunden und Medaillen und Goldener Ehrennadel für das vielseitige Engagement kamen im Laufe der zurückliegenden Jahre von der Bundesvereinigung Deutscher Blas- und Volksmusikverbände e. V., vom Bund Deut­ scher Blasmusikverbände e. V. und natürlich von den Vereinen Obereschachs. Ein besonderes Klangerlebnis und den handfesten Beweis, daß die Funkenpuster zwar rar, aber noch nicht ganz ausgestorben sind, erleben die Menschen im Ort, wenn Helmut Löttker ihnen mit gekonnten Schlä­ gen auf den vier Zentner schweren Amboß als Individualkonzert die Amboß-Polka spielt. Anne Bethge 1 4 3

10. Kapitel /A lmanach 2003 Museen im Schwarzwald-Baar-Kreis Rechnen – eine unendliche Geschichte? D ie Rechnersam m lung an der Fachhochschule Furtwangen (H T W ) Schon seit jeher haben die Menschen ver­ sucht, sich die Arbeit des Rechnens zu er­ leichtern. Man muß dabei nicht einmal auf die alten Kulturen des Vorderen Orient ver­ weisen, um be­ kannte Beispiele ins Gedächtnis zu rufen. Man denke nur an die Rechenta­ feln der Römer, auf denen Kügel­ chen (= calculi) bewegt wurden. In der Rechenepoche da­ vor wurden Zahlen und geometrische Fi­ guren in Sand ge­ schrieben, wovon je­ nes berühmte Wort des Pythagoras „Zer­ störe meine Kreise nicht“ herrührt. Der seit spätestens 1050 v. Chr. nachge­ wiesene chinesische Abakus (Rechenbrett) war schon das ganze Mittelalter hindurch und auch im Römischen Reich bekannt. Noch heute rechnen Marktfrauen in Asien damit und gewinnen stets gegen Leute mit Taschenrechnern. Im Mittelalter gab es Rechentische, auf de­ nen Striche Sektoren abgrenzten: Man konnte zum Beispiel zählen und addieren: Schreib recht / leg recht / greiff recht / sprich recht / So kommt allzeit dein Facit recht. Einen Entwicklungsschub kam ohne Zwei­ fel mit der Erfindung des Buchdrucks um 1450 durch Gutenberg. Die Rechenbücher konnten nun in vielen Auflagen vertrieben werden. Damit wurden auch die Autoren, 1 4 4 Vier-Spezies-Rechenmaschine von Wilhelm Schickard, 1623 – Nachbau. das heißt, die „Rechenmeister“ bekannter. Ab dem 14. Jahrhundert etwa und stärker in der Zeit des Humanismus, begann die Abkehr von den Zah­ lenbuchstaben, die ara­ bischen Ziffern wurden in die Texte über­ nommen und parallel hierzu verlor das Re­ chenbrett seine Bedeutung ge­ genüber dem Rechnen auf dem Blatt. Das Rechnen auf Linien nahm seinen Anfang, aber es war anfangs keineswegs eine Selbstverständ­ lichkeit! Als Rechenmeister betätigte sich oft der Schulmeister, ein städtischer Beamter, der Küster, der „Visierer“, der den Faßinhalt be­ stimmte, oder die „Rechenhilfe“ für den Bürger, nach heutigem Verständnis so etwas wie ein Steuerberater. Die Rechenmeister lehrten zumeist an ihrer eigenen Rechen­ schule. Der bis heute Bekannteste unter ih­ nen war Adam Riesen, auch Riese oder Ries genannt, der 1550 als 58jähriger seinen „Bestseller“ veröffentlichte: Rechnung nach der lenge / auff den Linihen und Feder. Uhrentechnik und Feinmechanik Die Veränderung des Weltbilds vom ptole- mäischen (geozentrischen) hin zum helio­ zentrischen förderte die astronomischen Be­ rechnungen. Gleichzeitig damit kam die

Rechnen – eine unendliche Geschichte? Elektromechanische Buchungsmaschine, ca. 1962, im verschliessbaren Holzgestell. Uhrentechnik und die Feinmechanik zu Be­ ginn des 16. Jahrhunderts auf. Es entstanden in ihrem Gefolge die ersten Rechenmaschi­ nen. Blaise Pascal konstruierte 1642 seine er­ ste Rechenmaschine, welche nur addieren konnte, Leibniz 1671 seine dritte, in der sei­ ne Erfindung der Staffelwalze zum Tragen kam. Jedoch schon 1623 hatte der Tübinger Professor Wilhelm Schickard (biblische Sprachen, Astronomie, Mathematik, Geo­ däsie) seine Vier-Spezies-Rechenmaschine mit automatischer Zehnerübertragung über Zahnräder, wie die Korrespondenz mit Kep­ ler ausweist, gebaut. Erst 1957 gelang es dem Tübinger Philosophieprofessor Freytag- Löringhoff ihre genaue Funktionsweise zu beschreiben. Eine in mehreren Exemplaren fertiggestellte Rekonstruktion aus der Lehr­ lingswerkstatt der Firma Kienzle in Villin- gen wurde 1960 der Öffentlichkeit vorge­ stellt. In der Rechnersammlung der Fach­ hochschule ist ein Exemplar dieser Reihe Mechanische Tischrechen­ maschine der Firma Koepfer, Furtwangen/Baden – um 1914. 145

M useen Tastatur einer elektrome­ chanischen Buchungsma­ schine auf Stahlgestell (NCR, ca. 1962). Diese Konstruktionen hatte im Wesentlichen Lady Ada Lovelace fi­ nanziert, die man des­ halb auch als die erste Programmiererin be­ zeichnet. Sie hielt zu dem als Narren ver­ schrienen Babbage, den sie liebte. Ihr zu Ehren wurde die Program­ vorhanden. Da Veröffentlichungen und Kenntnisse über die Division mit dieser Ma­ schine selten sind, beschäftigten sich Stu­ denten der FHF in einer Projektarbeit mit der Problematik. Zwei gute Lösungen wur­ den gefunden. Pioniere der Rechentechnik Weitere Pioniere der Rechentechnik als gei­ stige Väter der im Museum ausgestellten Re­ chenmaschinen sind zu erwähnen. Das Dualsystem, auch Binärsystem, wel­ ches bis heute die Grundlage für die Ar­ beitsweise der Computer abgibt, wurde von Leibniz definiert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwarf Charles Babbage seine „Analytical Machine“, die jedoch nie gebaut wurde. Sie besaß schon, wie moderne Rechner, eine Trennung von Speicher und Prozessor. Be­ dingte Verzweigungen sollten realisiert wer­ den können. Es folgte der Entwurf der „Dif- ference Engine“, die auch nie gebaut wurde. miersprache „ADA“ benannt. Es folgten schließlich die Lochkartenma­ schinen, die jetzt nicht nur zählen, sondern auch rechnen konnten; die Programmierung erfolgte meist über auswechselbare Schaltta­ feln von Hollerith. Dessen Firma begann ihren Siegeszug Ende des 19. Jahrhunderts in den USA. Die deutsche Zweigfirma nann­ te sich Dehomag (Deutsche Hollerith-Ma- schinen Gesellschaft mbH) und war in Vil- lingen ansässig. Diese erste deutsche Filiale der Hollerith befand sich von 1918 bis 1929 in einem schnell als „Hollerith-Haus“ bekannt ge­ wordenen Gebäude an der Vöhrenbacher Straße im ehemaligen Gasthaus Engel. Aus der Dehomag wurde schließlich 1949 IBM- Deutschland mit Sitz in Sindelfingen. Hier kann die Sammlung einige ältere Modelle aufweisen. Doch die Geschichte der Rechenmaschi­ nen fand ihren Fortgang. Mitte bis Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts folgte Elektronenröhren – vorgestern und gestern.

der Erfinder des modernen Computers mit seiner VI (1935-1938) und V3 (1941) später ZI und Z3 in Relais­ technik Konrad Zuse. Weite­ re erste Computer mit Röh­ rentechnik bauten die Amerikaner Aiken, Mauchly und Eckert. Der Mathematiker und Princeton-Pro- fessor Johann von Neumann hatte die Idee, des in­ tern gespeicher­ ten Programms, die jedoch schon bei Zuse realisiert worden Jj MET von Commodore (ca. dore mit Bildschirm. Der Personalcomputer entsteht Mitte der siebziger Jahre gab es in den USA den ersten PC in wenigen Exemplaren, der nicht als Bausatz verkauft wurde. Ende der siebziger Jahre begann die kommerziel­ le Produktion. Der erste IBM-PC wurde am 12. August 1981 vorgestellt: Seither verän­ derte sich die Computerwelt und nicht nur diese enorm: Hatte der Arbeitsspeicher ei­ nes Mainframes 1971 noch 512 KB, besitzt ein moderner PC heute ca. 512 MB, das ist das 1024-fache. Der Preis ist mit einem noch größeren Faktor gefallen. Aus dieser Ent­ wicklungsphase kann die Sammlung mit ei­ nigen geschichtsträchtigen Stücken aufwei­ sen, insbesondere im Bereich der tragbaren Personal-Computer (z. B. den ersten Porta­ ble der Erde), die heute Laptop heißen. Die Sammlung des Rechnermuseums be­ schränkt sich nicht allein auf Rechenma­ schinen und Computer im engeren Sinne. Da sich die ursprünglich parallel hierzu be­ stehenden Buchungs- und Schreibmaschi­ nen durch ihre Funktionen immer stärker mit den Computern verschmolzen, werden auch aus diesem Bereich Objekte gezeigt. Meilensteine sind beispielsweise eine Oli­ ver-Schreibmaschine (1895 Kanada) und ei­ R echnen – eine unendliche Geschichte? ne Hermes-Baby-Schreib- maschine (Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhun­ derts). Die Sammlung ist durch den Betreuer und Leiter, Prof. Dr. Rainer Bi- schoff, seit 1982 im Aufbau, also seit 20 Jahren. Sie ist in ei­ nem Labor für – auch moderne – A R ech n ertech ­ nologie unter­ 1980) – der erste Commo gebracht. Nach Vereinba­ rung kann sie und ca. 15 Vitrinen im Bereich der Hochschule mit Führung besichtigt werden. Sie soll dem Studierenden und interessierten Laien hel­ fen, Entwicklungen kennenzulernen und beurteilen zu können. Nur so können Vi­ sionen in realistische Strategien umgesetzt werden. Kulturkritik wird so auf Grundlagen gestellt und Entwicklungen durch Betrach­ tung reflektiert. Wie bei allen Museen, so sind auch in Furtwangen nur ein Bruchteil der gesammelten Objekte, etwa 5%, öffent­ lich ausgestellt. Mrof. Dr. Rainer Bischoff Ansprechadresse: Tel. 07723/920-(0)184 Fax 07723/920-610 E-mail: bischoff@fh-furtwangen.de http://www.wi.fh-furtwangen.de » Rechnermuseum 1 4 7

M useen Albert Schweitzer in Königsfeld Haus der Familie Schweitzer – Begegnungsstätte mit m odernster M edientechnik „Die Zeit in Königsfeld war die schönste meines Lebens: In Königsfeld konnte ich ruhig arbeiten, hatte eine Orgel, konnte im Wald gehen, hatte viele Freunde. Tief be­ wegt mich, dass meine Weltanschauung der Ehrfurcht vor allem Leben ihren Weg in der Welt macht. Mit dieser Philosophie habe ich mich schon in Königsfeld beschäftigt, im Walde von Kö­ D A S A L B E R T nigsfeld.“ Als Albert Schweit- S C H W E IT ZE R zer im Jahr 1965 ei- ner Bekannten diese Zeilen r 1 ’ R • ‚ iV! schrieb, war es schon sechs Jahre -Ü R IN – O R M A T IO N her, dass er letztmals in dem heilklimatischen Kurort und & K O M M U N IK A TIO N Kneippkurort am Übergang des Schwarzwaldes zur Baar nahe Villingen- Schwenningen war. Seit Albert Schweitzer nach dem Ersten Weltkrieg den Entschluss fasste, nach Lambarene in Afrika zurückzu­ kehren, war Königsfeld im Schwarzwald für seine Frau Helene sowie ihre einzige Toch­ ter Rhena zum selbstgewählten Wohnort in Deutschland geworden. H A U S der Naziherrschaft von 1933 bis 1945, lebte Helene in Königsfeld. Tochter Rhena wuchs hier auf, besuchte bis 1933 die Zinzendorf- schulen und lebte im Mäd­ cheninternat im Schwes­ ternhaus, während die Mut­ ter beim Vater in Afrika weilte. Albert Schweitzer selbst pendelte bei 13 Europa­ besuchen zwischen sei­ nen Wohnsitzen in Kö­ nigsfeld und Günsbach, sofern er nicht auf Kon­ zert- oder Vortragsreisen war. In Königsfeld hatte die Familie einige Freun­ de, besonders die Arzte Dr. August Heisler, Dr. Hermann Schall und die Organistin Hil­ de Martin. Viele ältere Königsfelder haben noch heute lebendige persönliche Erinne­ rungen an die Familie Schweitzer. Helene Schweitzer konnte ihn wegen eines Lungenleidens nicht mehr begleiten und ih­ re Arzte empfahlen einen Wohnsitz in ei­ nem Höhen-Luftkurort. Sie entschied sich für das Heilklima Königsfelds, das sie von einem früheren Aufenthalt her kann­ te. 1923 ließ Albert Schweitzer das Haus in Königsfeld erbau­ en. In den Folgejäh­ ren bis 1957, unter­ brochen nur durch die Monate, die sie bei ihrem Mann in Lambarene verbrach­ te, sowie die Jahre 148 Albert Schweitzer liebte den 1806 von der Herrnhuter Brüdergemeine gegründeten Kurort nicht zuletzt wegen der ökumeni­ schen Offenheit der Brüdergemeine, die noch heute prägend ist. Dies war einer der Beweggründe, sich mit seiner Familie in Kö­ nigsfeld niederzulassen. Er schrieb 1963: „Ich wollte, dass mei­ ne Tochter in der At­ mosphäre der Brüder­ gemeine aufwachse.“ Zudem war Königs­ feld für ihn stets ein Refugium der Erho­ lung und schriftstelle­ rischen Arbeit – hier vollendete er 1929 die „Mystik des Apostels Paulus“, eines seiner theologischen Haupt­ werke. In den Nach- Das Königsfelder Wohnhaus von Urwalddoktor Albert Schweitzer fungiert heute als Museum.

lass-Bänden kann man nachvollziehen, was er in Königsfeld geschrieben hat, denn er hat es oft notiert. Nach dem Sonntagsgottes­ dienst, an dem er gern auf der Orgelbank sit­ zend teilnahm, gab er zur Freude der Kö­ nigsfelder gelegentlich noch ein kleines Konzert. Aufgrund der besonderen Verbundenheit mit seinem einzigen Ehrenbürger hat der Kurort Königsfeld nunmehr mit maßgebli­ cher Unterstützung des Landes Baden- Württemberg in Albert Schweitzers Haus ein „Forum für Information und Kommu­ nikation“ eingerichtet. Am 13. Mai 2001 konnte Ministerpräsident Erwin Teufel, der sich persönlich für das Vorhaben engagierte, nach über zweijähriger Konzeptions- und Ausbauphase das Haus unter Anwesenheit zahlreicher Gäste seiner Bestimmung über­ geben. Im Rahmen eines identitätsstiftenden Bür­ gerprojektes, in das sich neben der Kom­ mune die Herrnhuter Brüdergemeine, der Historische Verein, die Zinzendorfschulen und die Gewerbetreibenden eingebracht ha­ ben, wurden zunächst zahlreiche Spenden für das Fomm gesammelt. Dank dieser Un­ terstützung konnte sodann in Zusammen­ arbeit mit Monique Egli, Schweitzers En­ keltochter, dem Deutschen Albert Schweit- Die Orgelkünste von Schweitzer sind auch auf Schallplatte erhalten, Exponat aus dem Museum. Albert Schweitzer in Königsfeld zer-Zentrum in Frankfurt, sowie dem Kom­ munikationsdesigner Tomaso Carnetto eine Dauerausstellung im Erdgeschoss des Hau­ ses geschaffen werden. Sie steht unter dem von Schweitzer selbst vorgegebenen Pro­ grammsatz: „Lambarene ist meine Improvisation, ein Spital in Afrika. Aber das bleibende Haus, so hoffe ich, wird mein Denken sein.“ „Ehrfurcht vor dem Leben“ Wichtigste Aufgabe des Forums ist es da­ her, die aktuelle Bedeutung des Lebens, des philosophischen und theologischen Werkes Albert Schweitzers und seiner Weltanschau­ ung der „Ehrfurcht vor dem Leben“ für die Menschen heute herauszuarbeiten. Ein be­ sonderes Augenmerk Helene Schweitzer, einer der ersten deut­ schen Studentinnen und weit mehr als nur Helferin eines berühmten Mannes. Als emanzipierte Partnerin hat sie seine schrift­ lichen Werke als kritische Lektorin begleitet und mitgestaltet. Sie trug seine Entschei­ dung mit, auf eine erfolgreiche wissen­ schaftliche Karriere zu verzichten und nach Afrika zu gehen. liegt hierbei auf Neben den baulich in unverändertem Zu­ stand erhaltenen Räumen und der Ge­ schichte des Hauses zeigt die Ausstellung den Friedensnobelpreisträger und seine Frau als facettenreiche Persönlichkeiten. Eine zeitgemäße Gestaltung mit modernen Me­ dien erläutert entlang der Biographie des Paares Grundlegendes über Leben und Werk, die gemeinsame Arbeit im Hospital in Lambarene, die Familie in Königsfeld und das Wirken Schweitzers als Musiker, Philo­ soph und Theologe. Als „Forum für Information und Kommu­ nikation“ versteht sich die Begegnungsstät­ te in Königsfeld zudem als Ort des Dialoges und Anlaufpunkt für alle Albert Schweitzer- Freunde und ethisch orientierten Menschen im südwestdeutschen Raum. Durch Ge­ sprächskreise, Vorträge, Tagungen und Sym­ posien sollen aktuelle Zeitfragen auf der 149

Albert Schweitzer in Königsfeld Gerade so, als hätte Albert Schweitzer eben rasch das Haus verlassen. Das Wägele war der Begleiter Schweit­ zers a uf dem Weg zum Königsfelder Bahnhof. Grundlage der Ethik Schweitzers diskutiert werden. Eine Podiumsdiskussion über „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ bereits am Eröffnungstag gab hier die Ziel­ setzung vor. Das Forum wird während der Öffnungs­ zeiten am Wochenende und auf Anfrage überwiegend durch etwa 50 ehrenamtlich tätige Schweitzer-Freunde betreut, ein Stu­ dienkreis mit etwa zehn Personen hat die Einrichtung des Hauses mitgestaltet und be­ gleitet die Veranstaltungen. Er stellt auch die Mitarbeiter/innen, die sachkundige Führun­ gen anbieten und Vorträge halten. Mit den Albert Schweitzer-Zentren in Günsbach, Weimar und Frankfurt soll ein Netzwerk en­ ger Zusammenarbeit entstehen, um das Denken und Handeln Schweitzers zu be­ wahren und fortzusetzen. Walter Günther / Fritz Link 1 5 0 Öffnungszeiten: Freitag und Samstag: 14 Uhr bis 17 Uhr Sonn- und Feiertag: 11 Uhr bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung Eintritt: Erwachsene: 2,50 Gruppen ab 10 Personen: 1,50 Das Albert Schweitzer Haus Forum für Information & Kommunikation Schramberger Straße 5 78126 Königsfeld Tel. 07725/91 6942 Fax 07725/800944 tourist-info@koenigsfeld.de www.koenigsfeld.de

25 Jahre Sauschwänzlebahn Stadt Blumberg kann die „interessanteste M useum sbahn des K ontinents“ vorweisen M useen Über die wechselvolle Geschichte der „Sauschwänzlebahn“, deren Name erstmals durch den Eisenbahn-Ingenieur Krebs ge­ prägt wurde, der in den 1920er Jahren an der Strecke Vermessungsarbeiten durchführ­ te und von der „schweineschwänzchenähn­ lichen“ Linienführung, besonders im Be­ reich des Stockhalde-Kreiskehrtunnels, stark beeindruckt war, kann seit ihrer Entstehung in den Jahren 1887 bis 1890 in zahlreichen Publikationen fast jedes Detail nachgelesen werden. Das Jubiläum „25 Jahre Museums­ bahnbetrieb“ gibt deshalb Anlaß das Gesche­ hen im Zeitraum 1977 bis 2002 zusammen­ zufassen. Nachdem die Bemühungen um das Zustan­ dekommen eines Museumsbahnbetriebes je­ doch schon viel früher begannen und der spätere Präsident der Eurovapor, Ferdinand Mollet, bereits im Jahre 1955, also weit vor der Gründung dieser Vereinigung, den Vor­ schlag eingebracht hatte, die Wutachtalbahn einem Museumsbahnbetrieb zugänglich zu machen, wurde seine Weitsicht über zwei Jahrzehnte nach seinen ersten Anfragen be­ lohnt. Der damalige Bürgermeister der Stadt Blumberg, Werber Gerber, nahm nachdem zum 1. Januar 1976 die endgültige Stillegung des Mittelteils, eben jener heutigen Museums­ strecke, verfugt wurde, nach Absprache mit maßgeblichen Personen der regionalen Po­ litik, darunter Rainer Kaufmann (späterer stellvertretender Direktor des Regionalver­ bandes Schwarzwald-Baar-Heuberg), Hans Volle (späterer Landrat des Kreises Tuttlin­ gen) sowie Bundesbahn-Direktor Karl-Hans Zimmermann (späterer Museumsbahn-Ober- betriebsleiter) mit beispielhaftem Wagemut und Zielstrebigkeit den Museumsbahnbe­ trieb auf einer Strecke auf, die sonst für alle Zeiten verloren gewesen wäre und heute als die „interessanteste Museumsbahn des Kon­ tinents“ bezeichnet wird. Ferdinand Mollet war auch sofort bereit, mit Die „ Sauschwänzlebahn “ auf dem Viadukt bei Epfenhofen. 1 5 1

Museen der im Jahre 1962 gegründeten Eurovapor als Partner der Stadt Blumberg das rollende Material und das Lokpersonal für den Betrieb zu stellen. Bereits kurz nach der Eröffnung des Mu­ seumsbahnbetriebes erfolgten erste Bestre­ bungen, die Museumsbahn Wutachtal unter Denkmalschutz zu stellen, die relativ schnell zum Erfolg führten. Im Jahre 1988 wurde die gesamte Anlage zum „Nationalen Denk­ mal“ erklärt. Im gleichen Jahr ging auch die Strecke endgültig in den Besitz der Stadt Blumberg über, nach dem sie ab Betriebs­ aufnahme am 19. Mai 1977 von der Deut­ schen Bundesbahn in deren Obhut überge­ ben war und das Land Baden-Württemberg die erforderliche Konzession erteilt hatte. Am 24. Oktober 1981 wurde als dritte 1 5 2 wichtige Institution neben der Stadt Blum­ berg und der Eurovapor die „Interessenge­ meinschaft zur Erhaltung der Wutachtal­ bahn“ (IG WTB e.V.) ins Leben gerufen, der im Zuge der Regionalisierung der Eurova­ por am 26. Juli 1997 der Verein „Wutachtal­ bahn e.V. (WTB e.V.) folgte und nun deren Aufgaben übernahm. Selbstverständlich bleibt die Zugehörigkeit zur Eurovapor auch nach der erlangten Eigenständigkeit bestehen. Stadt Blumberg als Eigentümerin Aus dieser Konstellation heraus hat sich die seit Jahren erfolgreiche Vorgehensweise eingespielt, daß die Stadt Blumberg als Ei­ gentümerin die Strecke unterhält und für die überaus großen Investitionen zur Reno­ vierung von Brücken, Tun­ nels und Gebäuden zu­ ständig ist, die trotz Fahr­ kartenerlösen ein beachtli­ ches Ausmaß erreicht ha­ ben. In den Jahren 1988 bis 1997 wurden die Brückenbauwerke auf dem Streckenabschnitt Blum- berg-Weizen einer umfas­ senden Instandsetzung un­ terzogen. Die über einhun­ dert Jahre alten stählernen Überbauten wurden mit ei­ nem neuen Korrosions­ schutz überzogen, Wider­ lager und Pfeiler wurden denkmalgerecht instandge­ setzt und der Oberbau der Bauwerke saniert. Die Ge­ samtkosten dieser Maß­ nahmen an insgesamt 20 Bauwerken betrugen nahe­ Der Unterhalt der Museums­ hahn ist eine große Aufgabe, viel Anteil daran haben die Mitglieder des Vereins „WTB“.

25 Jahre Sauschw änzlebahn Blick aufden Bahnhof Zollhaus vom Reiterstellwerk aus. zu 14 Mill. DM, die nur durch die Förde­ rung des Bundes und des Landes Baden- Württemberg, der IG WTB e.V. sowie priva­ ter Zuschußgeber aufgebracht werden konn­ ten. Dennoch ist die Stadt bemüht, die Strecke als einzigartigen Publikumsmagneten zu er­ halten, weil gerade hier die nahezu unver­ änderte Technik seit 100 Jahren erhalten blieb. So wird der einzige Kreiskehrtunnel einer normalspurigen Bahn im Verlauf einer Mittelgebirgsstrecke durchfahren und die großen Viadukte, die teilweise aus Schweiß­ eisen hergestellt und vor Ort aus Einzeltei­ len zusammengenietet wurden, können heu­ te noch unverändert als museale Schätze be­ wundert werden. Die vom Verein WTB e.V. zu erbringenden notwendigen Fahrleistun­ gen sind in einem Vertrag mit der Stadt Blumberg geregelt. Die Mitglieder von WTB e.V. und IG WTB e.V. stellen darüber hin­ aus das Lok- und Fahrpersonal der Züge. Arbeitseinsätze entlang der Strecke erfolgen ebenfalls durch Vereinsmitglieder der IG WTB e.V. mehrmals pro Jahr. Im Vergleich zu Bildern aus dem ersten Jahr des Museumsbahnbetriebes stellt man heute fest, daß sich das Erscheinungsbild des Mu­ seumszuges stark verändert hat. Durch den stetigen Anstieg des Fahrgastaufkommens von rund 20 000 Fahrgästen im Eröffnungs­ jahr auf nun etwa 130 000 Fahrgäste pro Sai­ son, reichten die aus historischer Sicht in­ teressanten und oft auch „spontanen“ Kom­ binationen einfach nicht mehr aus. Mit Hil­ fe der Eurovapor wurden die ursprünglich eingesetzten Lokomotiven T 3 („Chander- li“) und E 3/3 („Tigerli“), letztere aus dem Privatbesitz eines Vereinsmitglieds, durch die größeren und leistungsfähigeren Ma­ schinen der österreichischen Baureihe 93 so­ wie später durch die deutschen Einheits­ baureihen 50 und 86 ersetzt. Die Wagen, an­ fangs mehrheitlich Zweiachser, wichen 4-ach- sigen Wagen der schweizer Leichtstahlbau­ art, die fast ausschließlich in den 1940er Jahren gebaut wurden und seit kurzem nach und nach durch sogenannte „Umbauwa­ gen“ aus ehemaligen DB-Beständen ersetzt werden. Hierbei wird das Zugbild eines Ne­ benbahn-Personenzuges aus den 1950er und 1960erjahren angestrebt. Da heute an regu­ lären Fahrtagen von den Dampfloks meist neun, oft sogar zehn oder noch mehr Wagen 1 5 3

25 Jahre Sauschw änzlebahn gezogen werden, wird die Notwendigkeit die­ ser stetigen Anpassung deutlich. Trotz des großen Publikumsandrangs an den Fahrtagen ist die Fahrsaison auf die Mo­ nate Mai bis Oktober beschränkt. Einerseits ist die darin begründet, daß die Wagen nicht geheizt werden können, andererseits muß das gesamte Rohmaterial regelmäßigen War­ tungen unterzogen werden. Diese Arbeiten werden größtenteils ehrenamtlich durch das Personal in den eigenen Betriebswerkstätten im ehemaligen und erweiterten Lokschup- pen in Fützen ausgeführt. Zahlreiche Sonderzüge unterwegs Die Strecke der Museumsbahn hat heute nicht nur lokale Bedeutung. Zahlreiche Son­ derzüge benutzen die Gleise im Transit oder als Endpunkt. Stellvertretend sei hier der le­ gendäre „Orient-Express“ aus der Schweiz erwähnt, der in den vergangenen Jahren wie­ derholt im Wutachtal zu Gast war. An Fest­ veranstaltungen herrscht Dampfeisenbahn- Hochbetrieb, wie er nostalgischer wohl kaum zu überbieten ist und zur Freude vieler Ei­ senbahnfreunde zum Beispiel an Ostern 1987 aus Anlaß „10 Jahre Museumsbahn Wutach­ tal, 25 Jahre Eurovapor und 100 Jahre Bau­ beginn der Wutachtalbahn“, das in Fach­ kreisen als das „Größte Dampfspektakel in Deutschland“ bezeichnet wird, und an Ostern 1990 zum Jubliäum „lOOJahre Wut­ achtalbahn“ anschaulich demonstriert wur­ de. Auch das nun gefeierte Jubiläum „25 Jahre Sauschwänzlebahn“ reiht sich nahtlos in die- 1 5 4 Rund 30 000 Fakrgäste genießen jahrfür Jahr die beschauliche Fahrt mit der Museumsbahn, die im­ merhin rund drei Stunden dauert. se Tradition ein und überzeugte wiederum nahezu 30000 Besucher, denen wie schon bei den anderen Großveranstaltungen zu­ dem Lokomotiven befreundeter Eisenbahn­ vereine unter Dam pf präsentiert wurden. Das Umfeld der Museumsbahn wurde je­ weils zur Saisoneröffnung in den Jahren 1992 durch das Eisenbahnmuseum, welches im ehemaligen Güterschuppen des Bahn­ hofes Zollhaus-Blumberg untergebracht ist, und zahlreiche Original-Exponate zur Ge­ schichte der Bahn enthält, 1997 durch eine Eisenbahn-Bibliothek, die ständig erweitert wird, 1999 durch das Reiterstellwerk, das ehemals in Konstanz stand, 2000 durch ei­ nen Eisenbahnlehrpfad, der auch Wander­ ern die grandiose Technik sowie die land­ schaftlichen Schönheiten entlang der Strecke näherbringt, und 2001 durch ein Zugrestau­ rant, bestehend aus drei ehemaligen Mitro­ pa-Speisewagen, die bereits 1998 ins Wut­ achtal geholt wurden und nun beim Bahn­ h o f Zollhaus-Blumberg aufgestellt sind, er­ gänzt. Die Museumsbahn Wutachtal ist auf diese Weise immer wieder aufs neue ein einzigar­ tiges Erlebnis und doch mehr als ein „Er­ lebnispark“, denn alle Objekte die hier an­ getroffen werden, haben irgendwann einmal in unserer technischen und wirtschaftlichen Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt und waren vor noch nicht all zu langer Zeit aus dem Alltag unserer Großeltern nicht wegzudenken. Armin Kienzier Weitere Informationen auch im Inter­ net unter: http://www.wutachtalbahn.de http://www.ig-wtb.de http://www.sauschwaenzlebahn.de

11. K apitel/A lm anach 2003 Uhren und Uhrengeschichte__________________________________ Die Badische Uhrenfabrik Furtwangen Einst bedeutend, fast vergessen – Eine Jahresproduktion von 700000 Uhren Experten schätzten um 1875 die Gesamt­ produktion des uhrenmachenden Schwarz­ waldes auf jährlich 1,5 Millionen, davon entstanden etwa 80 % im badischen Teil und 20% im Württembergischen. Mengenmä­ ßig dominierte die durch Gewichte an Ket­ ten angetriebene Schottenuhr, ein mittel­ großes, messinggespindeltes Metallräder­ werk in hölzernen Platinen, Gestellhöhe ca. 11 cm. Gefertigt wurde in größeren Werk­ stätten, aber auch, wie schon seit über einem Jahrhundert, in zahlreichen Wohnstuben. Ein Zahnrad in 30 Sekunden Bestandteilfabriken haben allerdings be­ wirkt, daß die Arbeitsproduktivität steigen konnte. Ein Beamter der badischen Gewer­ beverwaltung berichtete 1874: „So läßt der Gießer jetzt die Räder abdrehen und durch selbst­ tätige Maschinen, deren sechs von einem Mann bedient werden, (einzeln) zahnen. An Wasserkräften hat es keinen Mangel.“ 30 bis 40 Sekunden dauerte auf diese Weise das Verzah­ nen eines Rohlings, der noch herkömmlich mit seinem Zahnstuhl arbei­ tende Uhrmacher hat für den gleichen Arbeitsgang 10 bis 12 Minuten be­ nötigt, zu diesem Schluß kam jedenfalls der Ber­ liner Technikprofessor Franz Reuleaux in sei­ nem Gutachten von 1875. Um 1900 hatte sich jedoch die Situation grundlegend verändert. Die Massenferti­ gung wurde jetzt bestimmt von württember­ gischen Fabriken, von Junghans und Landen- berger in Schramberg, von Schlenker-Kienz- le, Mauthe und Haller in Schwenningen. Hauptprodukte waren Weckeruhren, und, in entsprechendem Abstand, Regulatoren mit Federantrieb, beide gefertigt nach ame­ rikanischer Technologie mit durchbroche­ nen Messingplatinen („Amerikanerwerke“). Die Jahresproduktion des gesamten Schwarz­ waldes dürfte bei 5 bis 6 Millionen Uhren gelegen haben. Ehedem selbständige – oder auch nur vermeintlich selbständige – Klein­ meister waren zu Fabrikarbeitern geworden. Das alte Hausgewerbe lebte nur noch in öko­ nomischen Nischen, etwa im Bereich der Jockeleuhren oder als Zulieferer bei der Produktion von Kuckucks­ uhren. Ein Merkmal indu­ strieller Fertigung zwischen 1885 und 1905 waren stark sinkende Uhrenpreise bei steigender Qualität. Nur eine badische U h­ renfabrik konnte im aus­ gehenden 19. Jahrhun­ dert noch mit der Dyna­ mik württembergischer Unternehmer mithalten, die Badische Uhrenfa­ brik AG mit Geschäfts- Tischuhr für den Export nach den USA mit Weckeinrich­ tung. Die Orientierung er­ folgte am amerikanischen Vorbild bei Werk und Gehäuse, um 1890. 155

U hren und Uhrengeschichte Die Reichs-Colonial-Uhr von 1904. In des deutschen Kaisers Reich ging tatsächlich die Sonne nicht unter. Wenn in der damali­ gen Kolonie Kamerun (oder in Berlin) M it­ tag war, hatte die Süd­ seeinsel Samoa Mitter­ nacht. (Deutsches Uhren­ museum Furtwangen). sitz in Furtwangen und Produktionsstätten in Gütenbach, Furtwangen und Hongkong. Nach ei­ genen Angaben betrug 1902 die Tagesproduk­ tion 2300 Uhren, das waren umge­ rechnet jährlich zwi­ schen 600000 und 700000 Stück. Beschäf­ tigt wurden weltweit 760 Mitarbeiter. Im Vergleich dazu, bei Schlenker-Kienzle fer­ tigten im Jahre 1900 gegen 500 Personen 500000 Uhren, während Junghans bereits 1895 mit einer Jahresproduktion von rund 1 Million und 1000 Beschäftigten eindeutig vorne lag. Doch die geradezu explosive Entwicklung der württembergischen Firmen im Jahrzehnt vor 1914 konnte die Badische Uhrenfabrik nicht mehr mitvollziehen, sie stagnierte beim Stand von 1900. Deshalb zählte sie auch 1910 nicht mehr zu den „Big Five“ der deut­ schen Uhrenwirtschaft: Junghans (Schram­ berg) – Kienzle (Schwenningen) – Vereinig­ te Freiburger Uhrenfabriken/vorm. Gustav Becker (Freiburg in Schlesien) – Hamburg Amerikanische Uhrenfabrik/Landenberger (Schramberg) – Mauthe (Schwenningen), al­ le mit mehr als 1000 Beschäftigten. Zwei Aspekte treten bei der Badischen Uh­ renfabrik deutlicher in Erscheinung als bei anderen Unternehmen der Branche, ein früh einsetzender Zusammenschluß von ver­ 1 5 6 schiedenen selbständigen Betrieben und eine Orien­ tierung an den Weltmärk­ ten, die fast das Prädikat Globali­ sierung verdient. Dies führte aller­ dings auch dazu, daß diese Firma nach dem verlorenen Er­ sten Weltkrieg im In­ land nicht mehr recht Fuß fassen konnte, nach­ dem Auslandsinvestiti­ onen und Exportmärk­ te verloren waren. Die Entwicklung be­ gann mit einem Uhr­ macher namens Adam Fehrenbach, der 1844 in Gütenbach ei­ ne kleine Werk­ stätte gründete und dann 1858 in das benachbarte Furt­ wangen übersiedelte. Fehrenbach stellte Ket­ ten und Kettenräder her, später wurde das Programm erweitert auf Uhrenfournituren aller Art. Auch Salomon Siedle, ursprüng­ lich Gießer in Neukirch, zog es 1869 in den Nachbarort Furtwangen. Im gleichen Jahr assoziierten Fehrenbach und Siedle. Ein Adreßbuch von 1874 erwähnt Adam Fehrenbach als Fabrikanten von Kettenrä­ dern und Uhrketten, Salomon Siedle als In­ haber einer Gießerei und Dreherei. Gemein­ sam nutzten sie ein neu erbautes Fabrikge­ bäude, Siedle im unteren Stockwerk, Feh­ renbach oben. Doch offenbar harmonierten die Partner nicht miteinander. Als Fehren­ bach 1876 gar eine eigene Gießerei einge­ richtet hat, kam es endgültig zum Bruch. Siedle übernahm 1882 die Anteile von Fehrenbach für 78 000 Mark. Bis zum heu­ tigen Tag blieb die Firma Siedle in Famili­ enbesitz, das Fertigungsprogramm wandelte sich. Die erste gedruckte Preisliste von 1885 enthielt neben Uhrenbestandteilen auch Produkte der Haustelegrafentechnik. Die

Festschrift vom Jahre 2000 spannt den Bo­ gen von der Glocke zur Gebäudekommuni­ kation. SSS Siedle zählt in diesem Bereich zu den führenden Unternehmen. 1877 die Uhrenfertigung begonnen Adam Fehrenbach war zwar schon 1878 gestorben, doch seine beiden Schwiegersöh­ ne suchten offenbar Anlagemöglichkeiten für die ihnen zugeflossenen liquiden Mittel. Hier beginnt nun die Finanzierungsgeschich­ te der späteren Badischen Uhrenfabrik. Zwei Vettern, Johann Baptist und Carl Rombach, begannen 1877 in einem der größten Gebäu­ de Furtwangens eine Uhrenfertigung. An­ fangs bauten sie „Ein-Tages-Pendeluhren“, wohl nach Schwarzwälder Art. Nicht geklärt werden konnte, wann sie mit der Produkti­ on von Amerikanerwerken begonnen haben, deren Bauteile vermutlich anfangs noch ge­ gossen und nicht gestanzt waren. Beide Fir­ mengründer betrachteten sich als „modern Die B adische U hrenfabrik F urtw angen ausgebildete Kaufleute“, ihr Kapital stamm­ te aus dem Uhrenhandel, besonders in Groß­ britannien. Gefördert wurde der Zusammenschluß mit der Firma Adam Fehrenbach Nachf. durch verwandtschaftliche Beziehungen, denn der Bruder von Carl Rombach, Au­ gust, hatte in das Fehrenbach’sche Unter­ nehmen eingeheiratet und von Lehrer auf Kaufmann „umgeschult“. So entstand 1883 die Uhrenfabrik Furtwangen AG, Gesell­ schafter waren die genannten Carl und Jo­ hann Baptist Rombach, den anderen Part vertraten die Schwiegersöhne des Adam Feh­ renbach, August Rombach und Felix Kette- rer. Ein Blick auf den Lebenslauf dieses Felix Ketterer (1847-1911) dokumentiert, wie sich Industrialisierung im Schwarzwald real voll­ ziehen konnte. Er hatte im Alter von 24 Jah­ ren den väterlichen Betrieb übernommen, in dem an zwei Standorten in Furtwangen Gas- und Wasseruhren produziert wurden. ‘g Ot e n b a c h “ T o n mn T S/IGlnnhun V»rWtng«h BRESLAU HONGKONG BADISCHE UHREN-ABRIK f G -URTWANGEN i.bod.Schw. A G Eigenwillige Dar Stellung eines Fabrikkomplexes. Im Vordergrund die Gütenbacher Gebäude, hinter der quer durch die Bildmitte ziehenden Straße die Furtwanger. Zeichnung von K. Lederle, Architekt in Furtwan­ gen. Anzeige aus dem Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst vom Jahre 1911. 1 5 7

U hren und Uhrengeschichte Als Nachfolger seines Schwiegervaters Adam Fehrenbach leitete er gleichzeitig dessen Re- gulatoren-Werkstätte, zudem die Bestand­ teilproduktion und die Gießerei, das waren fünf räumlich getrennte Betriebe. Als krea­ tiver Mensch fand er eine Lösung, bereits 1877 wurde Telefonverbindung eingerichtet. Felix Ketterer war technischer Direktor der späteren Badischen Uhrenfabrik bis 1898, ehe er sich verstärkt seinem eigenen Unter­ nehmen widmete. Er ließ 1898 einen soliden Fabrikbau aus Backstein errichten mit im­ posantem Eingangstrakt, der heute noch die Firma B(enedikt) Ketterer Söhne, Getriebe­ bau, beherbergt. Jahren 1885 und 1887 entstanden in Güten­ bach Fabrikgebäude, neueste Maschinen wurden angeschafft. Wasserkraft stand reich­ lich zur Verfügung. Doch entscheidend war, das Fertigungsprogramm ähnelte weitge­ hend dem der Furtwanger Uhrenfabrik. Wirtschaftliche Vernunft legte also einen Zusammenschluß nahe, so entstand 1889 die Badische Uhrenfabrik AG in Furtwan- gen. Friedrich Faller wurde fünftes Mitglied im Leitungs- und Finanzierungsgremium der neuen Firma. Im gleichen Zeitraum – um 1890 – baute man in Furtwangen ein großes Fabrikgebäude mit einer Dampf­ kraftanlage von 36 PS. Auf einem Briefkopf der Uhrenfabrik Furt- wangen aus dem Jahre 1884 ist das Ferti­ gungsprogramm aufgelistet: Abteilung I Fein-Uhrmacherei Specialitäten Kalenderuhren D.R.M. Nr. 9zz4 Federzug-Regulateure m it Stahltrieben und po­ lierten Mlatinen – Tableaux-Uhrwerke, Mariser System Abteilung I I Uhren nach amerik. System Mendeluhren. Geh- und Schlagwerke jeden Genres Reiseuhren mit Schiffuhren-Echappements und polierten Mlatinen in runden und faconnierten Nickel-Gehäusen (Anmerkung des Verfassers: Wohl sog. Nickelwecker im runden Blechgehäuse m it Glocke obenauf. Solche Uhren ticken in jeder Lage, also auch a u f Schiffen, im Gegensatz zu Mendeluhren.) Abteilung I I I Uhrenbestandteile fü r Schwarzwälder Uhren. Specialitäten: Ketten und Kettenräder Abteilung IV Messing- und Zink-Gießerei Doch wieder zurück zur weiteren Entwick­ lung der Firma, es folgt der dritte Grün­ dungsabschnitt. Im nahen Gütenbach war 1857 ein Unternehmen entstanden, das spä­ ter als Leo Faller am Bach firmierte. Im Jah­ re 1882 trat der Sohn Friedrich in den Be­ trieb ein und realisierte Ausbaupläne. In den Eine Niederlassung in Bombay Während etwa die Uhrenfabrik Lenzkirch bei der Gründung 1851 auf Schwarzwälder Handelskapital zurückgreifen konnte, Jung- hans mit Gewinnen aus der Strohgeflecht- Produktion anfing und bald durch ein großes Darlehen aus der Schweiz gestützt wurde, vollzog sich die Finanzierung der Ba­ dischen Uhrenfabrik in Etappen. Erwähnt werden sollte außerdem, daß der wirtschaft­ liche und finanzielle Zusammenschluß be­ reits 1889 erfolgte, also ein Jahrzehnt vor der ersten allgemeinen Fusionswelle der deut­ schen Uhrenwirtschaft 1899/1900. Aus Gus­ tav Becker und fünf weiteren Fabriken ent­ standen damals die Vereinigten Freiburger Uhrenfabriken, drei mittelgroße Uhrenher­ steller im Villinger Raum bildeten die Uh­ renfabrik Villingen AG, Junghans über­ nahm Thomas Haller in Schwenningen. Noch vor der Vereinigung mit Faller war es 1886 zu einer Verkaufsniederlassung in Lon­ don gekommen, also im Hauptabsatzland. 1892/93 folgten Niederlassungen in Zürich, Bombay und Mailand, wobei diese Filiale zeitweilig gegen 50 Mitarbeiter beschäftigt hat. Ergänzt wurde das Netz 1900 durch die Prä­ senz der Firma in Breslau, um den osteuro­ päischen Märkten nahe zu sein. Doch auf- 158

Die Badische U hrenfabrik Furtwangen B A D I S C H E U H R E N F A B R I K A. F U R T W A N G E N Stand der Badischen Uhrenfabrik in der Gewerbehalle Furtwangen im Rahmen einer Dauerausstellung. fälliger war der Entschluß, 1893 in Hong­ kong eine Uhrenfabrik zu gründen, in der um 1900 gegen 150 Chinesen gearbeitet ha­ ben. Eine Uhr aus dortiger Produktion wur­ de 1993 in der Zeitschrift „Clocks“ abgebil­ det. Ein sachkundiger Beobachter urteilt rück­ blickend 1924, daß die Londoner Niederlas­ sung und die Fabrik in Hongkong für die Ba­ dische Uhrenfabrik besonders wichtig waren. Finanziell gesundes Unternehmen Entscheidenden Einfluß auf die Ge­ schäftspolitik hatte bis zu seinem Tod 1910 Carl Rombach, ihm folgte der Leiter der Hongkonger Fabrik, Johann Albert Rom­ bach. Der 25. Jahresbericht der Aktienge­ sellschaft vom 3. Juni 1913 zeigt ein finan­ ziell gesundes Unternehmen, das 3 °/o Divi­ dende ausschütten konnte und das ausrei­ chend Abschreibungen erwirtschaftet hat. Das Aktienkapital in Höhe von 1 Million Mark deckt das Anlagevermögen, also Im­ mobilien, Maschinen und die beachtlichen Investitionen in den Filialen. Beim Wert der Immobilien überwiegt der Anteil von Gü­ tenbach (ehemals Faller), beim Maschinen­ konto ist dies noch deutlicher. Eine andere Quelle nennt im gleichen Zeitraum für Furt­ wangen 237 Arbeits- und Kraftmaschinen, für Gütenbach 710. Der Produktionsschwer­ punkt lag also eindeutig in Gütenbach, die Verwaltung hingegen war in Furtwangen. Im Laufe der Jahre haben die „Amerika­ nerwerke“ entscheidend an Bedeutung ge­ wonnen, sie wurden meist eingebaut in Wecker und Regulatoren mit Federantrieb. Regulatoren nannte man langkastenförmige Wanduhren, die bis 1930 zur Standardaus­ stattung deutscher Wohnstuben zählten. Wie andere Uhrenfabriken hat sich auch die Badische eine eigene Gehäusefabrikation angegliedert, zumal an den Holzgehäusen oft mehr verdient werden konnte als an den Uhrwerken. Im Jahre 1904 hat die Badische Uhrenfabrik die Fachwelt mit dem Modell „Akribie“ überrascht, eine große Wanduhr mit Drehgang und einer Laufdauer von über einem Jahr. Im gleichen Jahr 1904 kam die „Reichs- Colonial-Uhr“ auf den Markt (siehe Abb. Seite 154), die dokumentierte, daß die Ba­ dische Uhrenfabrik versucht hat, die damals verbreitete Begeisterung für Kolonien und 1 5 9

Uhren und Uhrengeschichte Grabmal von Fabrikant Carl Rombach (18z2-1910) aufdem Furtwanger Fried­ hof. Er prägte die Geschäftspolitik der Badischen Uhrenfabrik in ihrer „großen Zeit“. Kriegsflotte ökonomisch zu ver­ werten. Jugendstilformen wurden eingesetzt, um ein politisches Pro­ gramm zu verkünden. Die Sonne ging damals wirklich nicht unter in des deutschen Kaisers Reich, denn wenn in Berlin Mitternacht war, stand in Deutsch- Samoa die Sonne im Zenit. Eher verborgen trifft man auch noch auf eine didaktische Botschaft. Die Einteilung der Welt in 24 Zeitzonen wird einem breiteren Publikum bewußt gemacht. Schließlich war es erst ein gutes Jahrzehnt her, seit sich Deutschland für die Einführung der mitteleuropäischen Zeit entschieden hat. Produktion von Rüstungsgut Im Ersten Weltkrieg 1914/18 wurde das Unternehmen in die Kriegswirtschaft einbe­ zogen. In Gütenbach entstand 1917 ein La­ bor, um Geschoßzünder vor Ort überprüfen und verbessern zu können. „Diese Produk­ tion von Rüstungsgut wurde nach dem Krieg 1918 dem Betrieb zum Verhängnis.“ (Troll) Es kam zur Demontage. Schwieri­ ge Monate der Umstellung folg­ ten, doch die sich immer stärker auswirkende Inflation brachte eine Scheinblüte. Im Januar 1923 wur­ den in Furtwangen und Güten­ bach insgesamt 810 Personen be­ schäftigt, die Tagesproduktion be­ zifferte die Firma 1922 in einer An­ zeige mit 3200, das entsprach ei- nerjahresproduktion von knapp 1 Million Uhren. Doch bereits im Spätherbst des Jahres 1923 brach als Folge der Währungsumstel­ lung von der Mark über die Rentenmark zur Reichsmark die Beschäftigung drastisch ein. Auch Kurzarbeit konnte nicht viel helfen. In der Uhrenfertigung entstanden mehrere Jah­ re hindurch hohe Verluste, erfolgreicher ver­ liefen seit 1925 Versuche, Lautsprecher zu fertigen. Dadurch ermutigt wollte Johann Al­ bert Rombach stärker in die Rundfunktech­ nik einsteigen, doch die Gesellschafter wa­ ren nicht bereit, Kapital nachzuschießen. Rombach verließ freiwillig das Unterneh­ men, die Gläubigerbanken setzten einen Mann ihres Vertrauens als Leiter ein. Im Jah­ re 1932 mußte die Firma dennoch Konkurs anmelden. Von den Großen der Branche konnten nurjunghans, Kienzle und Mauthe die Weltwirtschaftskrise überstehen. Bereits 1933 gab es in Furtwan­ gen eine Nachfolgefirma in Form einer Gesellschaft mit beschränk­ ter Haftung. Als Bezeichnung setz­ te sich jetzt die Abkürzung Baduf (Badische Uhrenfabrik) immer stärker durch. Kapitalgeber war der Villinger Unternehmer Josef Kaiser, Eigentümer der gleichna­ migen Uhrenfabrik. In der ersten Phase wurden in Furtwangen ge­ gen 35 Mitarbeiter beschäftigt, doch in Zusammenarbeit mit dem größeren Partner konnte bald un­ ter dem Namen Baduf ein geglie­ dertes Sortiment den Kunden prä­ sentiert werden. BADISCHE UHRENFABRIK G M B H. UHREN FURTWANGEN SCHWARZWAID Katalogvon 1934, aufgelegt kurz nach der Neugründung. Er ent­ hält auf 26 Seiten ein volles Uhrensortiment, wahrscheinlich in Kooperation mit der Villinger Firma Kaiser-Uhren. 1 6 0

T a b r il^ 1 N ÎR a rl^ e Badische Uhrenfabrik A.-G. Furtwangen . Fabriken ¡n Furtwangen Gütenbach -ilialen mit eigener Verwaltung: L o ndo n 5 9 G las sh o u se Y ard , A ld e r s g a te E C . B re sla u , S c h u h b rü c k e 74. Z ü ric h , K re u z s tra s s e 3 9. M a ilan d , 12 V ia C e s a r e da S es to . B o m b a y P. O. Box 2 3 . H o n g k o n g (O s ta sie n ). T a g e s -P r o d u k tio n : 3200 S tü c k G ro ssu h re n u nd T asch e n u h re n . Dann kam es nach 1939 abermals zur Pro­ duktion von Rüstungsgütern, gefertigt wur­ den Granaten- und Bombenzünder. Beschäf­ tigt waren in den letzten Kriegsjahren etwa 250 Personen, meist Frauen, darunter be­ fanden sich seit 1942 auch deportierte Rus­ sinnen. Die Uhrenfertigung konnte nur noch in sehr kleinem Rahmen und unter Verwen­ dung von Ersatzstoffen weitergeführt wer­ den. Wiederum gab es nach 1945 Demontagen, denen etwa ein Drittel des Maschinenparks zum Opfer fiel, dann begann recht zaghaft der letzte Abschnitt dieser Firmengeschich­ te. Der Personalstand konnte zwischen 1947 und 1955 in Furtwangen von 40 auf 183 auf­ gestockt werden. Neue Uhrwerke wurden ent­ wickelt, besondere Beachtung in der Fachwelt fand das Kuckucksuhrenwerk 100 mit Rech­ enschlag, Musikspielwerk und Vogelruf. Große Hoffnungen verband man mit einem neu errichteten Zweigwerk in Simonswald. Positiv wirkte sich auch aus, daß die Baduf D ie Badische U hrenfabrik Furtw angen Anzeige der Badischen Uhrenfabrik in einem Furt- wanger Führer der 1920er Jahre. schon frühzeitig auf die batteriegetriebene Uhr gesetzt hatte. Doch als die Kaiser-Uh- ren-Werke in Villingen 1974 Konkurs ange­ meldet haben, mußte die Baduf für eine große Bürgschaft einstehen. Was folgte, bis zum endgültigen Aus imjahre 1983, war ein Sterben auf Raten. Schon beim ersten Konkurs 1932 trennten sich die Entwicklungslinien von Furtwan­ gen und Gütenbach. Die Gemeinde Güten­ bach hat die Gebäude der Badischen U h­ renfabrik übernommen und weiter vermit­ telt. In Furtwangen blieb das Verwaltungs­ gebäude erhalten. Auf dem Gelände, wo früher Uhrwerke und Uhrgehäuse gefertigt wurden, findet man heute einen modernen Fabrikbau für elektrotechnische Fertigung und einen Supermarkt. Geblieben sind die Produkte, deren Untersuchung dem Fach­ mann wie dem Uhrenfreund noch manche Überraschung bringen dürfte. Helmut Kahlert Dr. oec. Mrofessor L iteraturhinw eise Badische Uhrenfabrik Aktiengesellschaft Furtwangen (Badischer Schwarzwald) in: Industrielle Vertreter der Industrie und des H andels, Berlin o.J. (1902), nicht paginiert Badische U hrenfabrik A.-G. Furtwangen. Geschäfts- Bericht für das fünfundzwanzigste Geschäftsjahr, ab­ schließend a u f 30. Juni 1913, Stadtarchiv Furtwangen I, B 216 (1914-21) Scherzinger, Oswald, Auf- und Abstieg der U hrenin­ dustrie von 1887 bis 1930. Die Badische Uhrenfabrik, B aduf genannt in: Heimatblättle. Heimat- und Geschichtsverein G ütenbach (1991) 1, S. 11-28 Siedle, Robert, Fünfzig Jahre Furtwanger, Furtwan­ gen 1924 (Nachdruck 1975) Troll, Robert, Südkurier-Serie über Auf- u n d Abstieg der „Baduf“ 12 Beiträge (6. 8. bis 5.11.1988). Südkurier, Konstanz 1 6 1

U hren und Uhrengeschichte Die Flötenspieluhr von Mathias Siedle D er G ütenbacher war einer der bedeutendsten Schwarzwälder Spieluhrenmacher Zu den Geburtsorten der Schwarzwälder Uhrmacherei zählt die Gemeinde Gütenbach, die in ihrem Dorfmuseum seit kurzem ein weiteres ausgezeichnetes Exponat der örtli­ chen Uhrmacherkunst präsentieren kann: Ei­ ne etwa 170 Jahre alte Flötenspieluhr von Mathias Siedle. Mitte des 17. Jahrhunderts sollen Glasträ- ger aus Böhmen erste Uhren in den Schwarz­ wald gebracht haben; dies war der Aus­ gangspunkt für ständige technische Weiter­ entwicklungen und die Schaffung immer neuer Spielarten. Der Bau von Spieluhren seit dem späten 18. Jahrhundert wurde wohl von holländischen Uhrenhändlern ange­ regt. Die Spieluhren, deren Herstellung mehrere Monate dauerte, waren ein Lu­ xusprodukt, das sich nur die Reich­ en leisten konnten, sie wur­ den vor allem in das wohlhabende Frank­ reich exportiert. Einige schöne Exemplare sind in den letzten hundert Jahren als Antiquitäten in ihre Heimat zurück­ gekehrt. Einer der bedeu­ tendsten Schwarzwäl­ der Spieluhrenma­ cher war der in Gü­ tenbach wirkende Mathias Siedle (1770- 1846). seinem In Die Flötenspieluhr von Mathias Siedle, ausge­ stellt im Dorfmuseum Gü­ tenbach. 1 6 2 Buch „Die Schwarzwälder Uhr“ beschreibt Andreas Kistner poetisch die Anfänge des Flötenuhrenbaues: Der „feine musikalische Geschmack wäre aber für diese Spielwerke unerreichbar ge­ blieben, hätte nicht die Kunst, die Noten auf die Walzen zu stechen, und die Pfeifen so rein zu stimmen, an den Uhrmachern Mathias Siedle in Gütenbach und Martin Blessing in Furtwangen zwei Männer gefun­ den, welche den Vorteil erlauschten, das sanft schleichende der spielenden Finger in die Stifte, und das melodische Hauchende der Flöte in die Pfeifen zu legen. Auch die me­ chanische Einrichtung ihrer Spielwerke wußten sie so zu vervollkommnen, daß das Geklapper der Tasten und das Unsichere des Taktes in ihren Arbeiten ver­ schwand.“ Siedle Mathias Siedle wurde als sechstes Kind des Mathä in Neukirch geboren. Sein Lehrherr war kein Ge­ ringerer als Andreas Dilger, einer der ersten Spieluhrenmacher im Schwarzwald, durch welchen Siedle nach Gütenbach kam, wo er eine neue Heimat fand. 1804 baute er auf dem „Ameisen­ bühl“, dem schönsten Berghang der Ge­ meinde, sein Haus, in welchem er bis zu sei­ nem Tode lebte. Die von ihm geschaf­ fene und im Dorfmuseum zu be­ wundernde Flöten­ spieluhr besitzt vier jetzt

Die F lötenspieluhr in G ütenbach Uhrwerk und Acht-Tage-Gehwerk. 1 6 3

Die Flötenspieluhr in Gütenbach Die kostbare Flötenspieluhr des Gütenbacher Dorfmu- seums besitzt vier bewegliche Figu­ ren, 48 Mfeifen und zwei Register sowie ein Acht-Tagewerk. Es wird angenom­ men, daß die Uhr einst nach Amerika geliefert wurde. bewegliche Figuren, 48 Pfeifen und zwei Re­ gister sowie ein acht Tage gehendes Uhr­ werk. Üblicherweise schrieben die Spieluh­ renhersteller die Titel der Melodien, welche die Stiftenwalzen erzeugten, auf ein Seiten- türchen. Auf der Uhr von Siedle ist als erstes zu lesen: „Andante: ‚Kennst du das Land, worin Washington lebte’“. Mathias Siedle lieferte auch nach Amerika, und man darf annehmen, dass die Uhr von dort zurück­ gekommen ist. Die Inschrift über dem Zif­ ferblatt lautet: „Pulanski bewilligt die Hand der Lodoiska an Loviniski“. Die Zeile erin­ nert an das beliebte, in Venedig 1796 erst­ mals aufgeführte Musikdrama „Lodoika“ des bayernstämmigen, italienischen Kom­ ponistenjohann Simon Mayr (1763-1845). Mathias Siedle war nicht der einzige „Uh­ renkünstler“ seiner Familie. Das Gütenbach­ er Museum besitzt auch eine sehr schöne Spieluhr seines Cousins Aron Siedle (siehe Almanach 1999). Geschicklichkeit und Ta­ lent übertrug Mathias auf zwei seiner Söh­ ne, Nikolaus, geboren 1818, und Mathias, geboren 1821. Beide wanderten 1848 als Spiel­ uhrenmacher nach Nordamerika aus und hielten sich 1881 in Pittsburgh in Pennsyl­ vania auf, wo sich Mathias wahrscheinlich als Uhrenhändler betätigte. Der Staat Penn­ 1 6 4 sylvania im Nordosten der USA wurde da­ mals auch „Klein Deutschland“ genannt, hier – wie auch in anderen Teilen der USA – fin­ den sich noch heute jede Menge Spieluhren. Die Familie Siedle ist uns im Wandel der Zeit verloren gegangen, aber ein wunder­ schöner Teil ihres handwerklichen und künstlerischen Erbes ist in Form der beschrie­ benen Flötenuhr in die Heimat zurückge­ kehrt. Daß die herrliche Spieluhr von Ma­ thias Siedle ins Dorfmuseum Gütenbach kommen konnte, ist der großzügigen finan­ ziellen Unterstützung durch Bürgerschaft, Behörden und Mitglieder des örtlichen Hei­ mat- und Geschichtsvereins zu danken. Als der Vereinsvorsitzende Oswald Scherzinger die Uhr entdeckt hatte, wurde der Kauf durch einen Freund des Vereins vorfinan­ ziert und in einer Spendenaktion dann sen­ sationelle 14 000 DM gesammelt. Oswald Scherzinger Dorfmuseum Gütenbach Im alten Schulhaus, Kirchstraße 41 Öffnungszeiten Juni bis Ende September: 10.00 bis 12.00 Uhr Sonntags Mittwochs 14.00 bis 17.00 Uhr www.dorfmuseum-guetenbach.de

Zarte Apfelrosen und mannshohe Uhrenträger Autodidaktin C o n n y Haas eine der letzten der Schildermaler-Zunft U hren und Uhrengeschichte Die verbliebene Zahl alter Schwarzwälder Handwerksberafe schrumpft kontinuierlich. Die Zeit, als die Menschen in den abgelege­ nen Tälern des Schwarzwaldes sich während der langen Wintermonate als Uhrenmacher, Schnitzer, Pfeifenmacher oder Schilderma­ ler, die Frauen als Haubenmacherinnen oder Goldstickerinnen ein bitter nötiges Zubrot verdienten, läßt sich heute vornehmlich in Heimatmuseen oder Heimatkundebüchern nachvollziehen. Geblieben sind die, wie es der Furtwanger Autor Gerd Bender in seinen Büchern beschreibt, „Uhrenmacher des ho­ hen Schwarzwaldes“, ein kleiner Kreis hoch- qualifizierter Schnitzer und einige wenige Schil­ dermaler. riet Schwiegervater Herbert Haas der jungen Kurs-Absolventin. Sicher nicht ganz ohne eigennützigen Hintergedanken, denn der damalige Inhaber der Schonacher Uhrenfa­ brikation Rombach & Haas, ein Betrieb mit über hundertjähriger Tradition, liebäugelte längst mit einer firmeneigenen Schilderma­ lerei. Hobby und Beruf unter einem Hut Conny Haas heute, zwanzig Jahre später: Im Verkaufsraum des Unternehmens, zwi­ schenzeitlich im Besitz von Ehemann In- Unter den Letztge­ nannten ist die gebürti­ ge Tribergerin Conny Haas eine Vertreterin der jungen Generation, die zwischenzeitlich ih­ re künstlerische Visiten­ karte bei Uhrenhänd­ lern und -Sammlern rund um den Globus abgegeben hat. Ein Kurs in Bauernmalerei, den die damalige Post­ sekretärin belegte, soll­ te das vorhandene Ta­ lent fördern und – aus reiner Freude am Ma­ len und Gestalten – Grundlage sein zum Re­ staurieren und Bema­ len alter Schränke. „Be­ mal doch versuchsweise mal ein Uhrenschild,“ Conny Haas 1 6 5

U hren und Uhrengeschichte Traditionelles Uhrenschild mit Apfelrose. golf, kann man der Künstlerin bei der Arbeit über die Schul­ ter schauen, wenn sie mit feinem Pinsel­ strich die vorgrun­ dierten Uhrenschil­ der aus heimischem Tannenholz mit tra­ ditionellen Motiven wie eine Apfelrose, ein Schwarzwaldhaus, ein Uhrenträger oder Landschaft, seit eini­ gen Jahren aber auch mit Enten, Rotkehl­ chen oder gar einer schwungvollen Gol­ ferin, bemalt. Sonderwünsche der problem­ losen Art sind Dinge wie das Haus des Auf­ traggebers, eine bestimmte Landschaft oder ein Portrait auf das Uhrenschild zu malen. In die Kategorie der großen Herausforde­ rungen gehörte dagegen der Auftrag eines ja­ panischen Kunden für dessen Standuhr. Auf das Messing von Zifferblatt und Uhrpendel wollte er das Gemälde, auf dem der Erzen­ gel Michael den Teufel ersticht, verewigt ha­ ben. „Das schaffe ich nie, da stoße ich an meine Grenzen,“ reagierte eine höchst irri­ tierte Uhrenschildermalerin spontan. An­ nehmen oder zum erstenmal einen Auftrag ablehnen – wer Conny Haas kennt, kennt auch das Ende der Geschichte. Fachliteratur in respektablen Ausmaßen gehörte zum ersten Schritt, dann Hinein­ denken in das ungewöhnliche Motiv, be­ hutsame Skizzen, die Vorbereitung des Werk­ stoffs mit stoßfestem Lack und schließlich das Bemalen selbst. Wochen später reiste ein zufriedener Kunde mit einem rüstungsbe­ wehrten Erzengel und einem sich am Boden windenden Teufel im Reisegepäck zurück 166 ins Land der aufgehenden Son­ ne. Hinter der Leichtigkeit, mit der Conny Haas die unterschiedlichen Moti­ ve auf die Zifferblät­ ter malt, steckt harte Arbeit. Die Autodi­ daktin in Sachen Ma­ lerei hat nichts dem Zufall überlassen. Schwierig damals wie heute sei das Ko­ pieren alter Schilder­ maler. Allein um die Licht- und Schatten- Effekte so hinzube­ kommen wie ihre großen Vorbilder aus den Zentren Schwarz­ wälder Uhrenfabri­ kation, war Umden- * ken angesagt: „Um Licht und Schatten herauszuarbeiten, füllt man in der Bauernmalerei die Flächen voll aus und setzt mit Hilfe hellerer oder dunk­ lerer Farben die Effekte. Die Schildermaler erreichen das, indem sie den Untergrund unbemalt lassen und quasi um das ‘Licht’ herum arbeiten,“ erläutert sie die unter­ schiedlichen Techniken anhand einer Apfel­ rose, dem Symbol traditioneller Schwarz­ wälder Schilderuhren. Bis zu sieben Stunden Handarbeit Bis an einem Uhrenschild der letzte Pin­ selstrich, der mehr oder minder filigrane Zif­ fernkranz inbegriffen, gesetzt ist, vergehen zwischen drei bis sieben Stunden intensiver künstlerischer Handarbeit. Talent, Hobby und Beruf unter einen Hut gebracht, verlas­ sen im Verlauf eines Jahres einige hundert Uhrenschilder den Arbeitsplatz von Conny Haas. Die in firmeneigener Werkstatt gefertigten Zeitmesser finden sich später in Wohnstu­ ben, Büros oder Läden in den Ländern Eu­

ropas, in Mexiko, Taiwan, Hongkong, Süd­ afrika oder Amerika. Krätze-Maa am „Hickory Dickory Dock“ Es ist exakt fünfjahre her, als Conny Haas, die Kreative, eine neue Herausforderung suchte und ihrem Mann eröffnete, sie wer­ de demnächst die bis dato unifarbene Au­ ßenfassade des Geschäftshauses ansprech­ ender gestalten. Und wieder stand vor dem Aufbau des Gerüstes und dem ersten Pin­ selstrich das Studium einschlägiger Litera­ tur. Conny Haas, die Sensible mit ausge­ prägtem Faible für den Jugendstil, schaffte die harmonische Symbiose zwischen der heiteren „Art Nouveau“ der Jahrhundert­ wende und den bodenständigen Motiven Schwarzwälder Handwerkskunst. Eine fili­ grane Jugendstil-Schöne, Blumenornamen­ te und das überdimensional große Ziffer­ blatt einer Schwarzwälder Uhr vertra­ gen sich auf wunderbare Weise und zeigen seither Besuchern aus aller Welt den Weg zu Rombach & Haas. Das Haus an Schonachs Durchgangsstraße sollte nicht die einzige Arbeit der Conny Haas blei­ ben. Ein örtliches Ho­ tel beauftragte sie, die groß dimensio­ nierten Fenster des Hallenbades blick­ dicht zu gestalten – wieder mal ein An­ liegen der besonde­ ren Art. Nie zuvor hatte Conny Haas auf Glasflächen ge­ malt, auf senkrech­ ten allemal nicht. Mit der Anlehnung an Tiffany erzielte sie schließlich einen doppelt-optischen Effekt: Der Betrach­ Z arte A pfelrosen ter von draußen sieht das Bild, nicht aber die Badegäste; die von drinnen erleben je nach Tageszeit und Lichteinfall besonders schöne Farbeindrücke. Und wieder, wie schon bei ihrem Erstlingswerk, die bange Frage „wie verklickere ich das den Schonachern?“ Die zeigten sich entgegen allen Befürch­ tungen von der dargestellten nackten Ba­ denden, einer Landschaft mit griechischem Tempel und einem bunten Vogel über Ber­ gen und See außerordentlich angetan. Mit einer Hausmalerei in Nyack, einem Vorort New Yorks, setzte Conny Haas einen Schlußpunkt unter den Ausflug in die Welt der groben Pinsel und Großmotive. Für ei­ nen Geschäftsfreund stieg sie ein letztes Mal als Hausmalerin auf ein Gerüst und brachte mit der Figur des Uhrenträgers ein Stück Schwarzwald in die Weltstadt-Hektik. Was eine örtliche Lehrerin nutzte, um mit ihrer Schulklasse anzurücken und unter dem Gerüst praktischen Zeichenunterricht zu praktizieren. Das Sahnhehäubchen aller Kommentare allerdings lie­ ferte eine kleine New Yorke­ rin mit einem entzückten „Look Mummy, Abraham Lincoln!“ Nicht Mister President sondern ein gut und gerne doppelt mannshoher Krätze- Maa wirbt seither an dem Haus namens „Hickory Dickory Dock“ für die in den USA nach wie vor populären Cockoo- clocks aus Good Old Germany. Anne Bethge Lackschilduhr mit Ka- 1 6 7

U hren und Uhrengeschichte Ein Taxameter „made in Villingen“ Das U nternehm en K ienzle fertigte „das kleinste derartige Gerät der W elt“ Jeder, der schon einmal die Dienste eines Ta­ xifahrers in Anspruch nahm, kennt ihn: Den Taxameter, das kleine Kästchen, das un­ bestechlich den zu entrichtenden Obulus anzeigt und offiziell eigentlich „Fahrpreis­ anzeiger“ heißt. Für die Fahrgäste viel zu schnell, für den Fahrer allerdings viel zu lang­ sam, ermittelt der Taxameter während der Fahrt den mit längerer Wegstrecke unerbitt­ lich wachsenden Fahrtpreis. Dass das Gerät eng mit der Industriegeschichte in Villingen- Schwenningen zusammenhängt, ist dennoch nur wenigen bewusst. „Weil die Kutscher geschwindelt haben, wurde schon in der Antike die zurückgeleg­ te Wegstrecke trickreich ermittelt“, weiß ein langjähriger Mitarbeiter der Villinger Firma Kienzle Apparate zu berichten. 1905 wurde der erste Taxameter in Villingen bei der U h­ renfabrik C. Werner gefertigt – ein Novum zu dieser Zeit, weil bis dahin nur in Berlin Taxameter von Hand gefertigt wurden. Wie wichtig dieses Produkt für die 1928 gegrün­ dete Kienzle Taxameter und Apparate AG war, zeigt sich, dass es im Firmennamen er­ schien. Neben der Uhrenfabrik C. Werner war die Schwenninger Uhrenfabrik Kienzle eine weitere Quelle der neuen AG. Der enge Bezug des Endprodukts Taxame­ ter zur Uhrenindustrie ist logisch, weil in diesem Gerät neben dem Weg auch die Zeit exakt erfasst werden muss. Etwa unterhalb Schrittgeschwindigkeit – die Geschwindig­ keit des Fahrzeuges wird über die Tachowel­ le erfasst – wird die Zeit nach dem relativ günstigen „Wartezeittarif“ ermittelt; fährt der Wagen schneller, steigt der ermittelte Fahrt­ preis nicht stetig, sondern in festgelegten Schritten nach einer gewissen Wegstrecke. Darüber hinaus lassen sich mit dem Gerät verschiedene Taxen, also Fahrtpreise je nach Anzahl der Fahrgäste, und auch Zuschläge für Gepäck sowie Nacht- und Tagfahrten einstellen. Da der Taxameter ein eichpflich­ tiges Gerät ist, der bei eisigen Temperaturen im tiefsten Winter ebenso funktionieren muss wie im Hochsommer, werden und wurden an die Technik hohe Anforderungen gestellt. Kompakt und zuverlässig sollte ein Taxameter darüber hinaus sein. Der Kienzle Taxa­ meter ArgoT12, ein Nachfolger des bis Anfang der 1960er Jahre hinein produ­ zierten T8 Modells, dessen Grundzüge schon vor dem Krieg entwickelt und ge­ Der Taxameter„T12“ in der arabischen Aus­ führung. 1 6 8

fertigt wurden, erfüllte diese Anforderungen in hohem Maße: „… bei sehr übersichtlicher und präziser Anzeige das kleinste derartige Gerät der Welt“. So stand es im Kienzle-Pro- spekt. Auch einige Ausgaben der firmenin­ ternen „Kienzle-Blätter“ befassten sich mit dem damals wichtigsten Produkt neben dem Fahrtschreiber und den Buchungsmaschi­ nen – der T I2 – ein Taxameter „im H and­ schuhkastenformat“ steht dort unter ande­ rem zu lesen. Bis Ende 1960 wurden vom T8 50000 Geräte in Villingen produziert, und selbst von den ersten Gerätegeneratio­ nen wie dem T3 und dem T4, wurden je­ weils 30000 Stück gefertigt, und dies, ob­ wohl vor dem Kriege die feinmechanischen Geräte von Hand montiert wurden. Taxameter gingen in alle Welt Die Kienzle Taxameter gingen in alle Welt, Hauptabnehmer waren London und New York, aber auch in Afrika und Indien waren die Geräte in großer Zahl vertreten. In Ber­ lin sind traditionell überdurchnittlich viele Droschken unterwegs, da die dortigen Sack­ bahnhöfe weit auseinander lagen. Charakteristisch am „modernen“ mechani­ schen Kienzle-TaxameterT12 aus den 1960er Jahren ist die gelbe Front, wie sie bis in die 1980er Jahre hinein an allen mechani­ schen Nachfolgemo­ dellen zu finden war. Änderten sich die Fahrtpreise, al­ lein in den 1960er Jahren gab es bun­ desweit rund 300 Blick ins Innenleben des „TI 2 “, des kleinsten Ta­ xameters der Welt. Taxam eter „m ade in V illingen“ verschiedene Tarife, so mussten die feinen Zahnrädchen ausgewechselt werden. Nur autorisiertes Personal darf den Taxa­ meter öffnen, die Taxifahrer fanden dennoch immer wieder Möglichkeiten, den Fahrpreis ein wenig zu ihrem Gunsten hin zu manipu­ lieren. So ist eine gewisse Reifengröße vor­ geschrieben, mit denen die Droschkenbesit­ zer sehr wohl zum TUV und Eichamt vor­ fuhren, danach aber andere Räder montier­ ten, weil der Taxameter auf diese Weise be­ einflußt werden konnte. „Aber wer kontrolliert dies dann?“, weiß auch Konstrukteur Wilhelm Haupt um die kleinen Nischen, die die Taxibesitzer aus­ nutzten. Die vorgeschriebene Reifengröße wird auf dem Eichschild, außen auf dem Ta­ xameter gut sichtbar angebracht, eingestem­ pelt. Die Tarife für das Taxigewerbe werden vom Land oder der Stadt festgelegt – weltweit werde dies so gehandhabt. Genauso ist es überall üblich, dass die Belegung des Fahr­ zeuges von außen sichtbar angezeigt sein muss, nicht zuletzt, um Schwarzfahrten zu verhindern. Die Freifahne übernahm früher diese Aufgabe, heute tut dies das beleuchte­ te Dachzeichen. Sabine Krümmer 1 6 9

12. K apitel/A lm anach 2003 Kirchen, Kapellen und Glocken Die Bücher der Benediktiner von Villingen Kostbarste Bücher durch das G roßherzogtum verschleudert und verstreut A m Ende meiner geduldigen Rekonstruktions­ bemühungen zeichnete sich vor meinen Augen so etwas wie eine kleine Bibliothek als Zeichen jener verschwundenen großen a b … Umberto Eco, Der Name der Rose Schließlich kam es so, wie es wohl kommen musste, in Villingen nicht anders als anders­ wo: Das Kloster St. Georgen (das 720 Jahre lang bestanden hatte) wurde aufgehoben; der Konvent vertrieben, das Klostergut verschleu­ dert und verstreut. Anderthalb Jahrzehnte zu­ vor hatten die Franzosen ihre Klöster aufge­ hoben, und die deutschen Fürsten hatten sich darüber nicht genug entrüsten und em­ pören können – dieselben, die jetzt dasselbe taten, aber aus weit weniger guten Gründen. Verschleudert und verstreut wurden schließ­ lich auch die Bücher, die das Kloster beses­ sen hatte, und auf deren Besitz es stolz gewe­ sen war. Zwar war es immer wieder von Bränden heimgesucht worden, die auch die Bibliothek in Mitleidenschaft zogen; und in dem großen Brand von 1637 ging sie ganz unter. Aber immer wieder versuchten die Äbte, die Lücken zu schließen. Vor allem Ge­ org II. Gaisser (1627-1655), Georg III. Gais- ser (1685-1690) und Cölestin Wahl (1757- 1778) kauften, was sie kaufen konnten, und brachten allerhand zusammen. Dass Cölestin, der „Apoll von Villingen (…), die Hilfsmittel der Wissenschaften auf jede Weise vermehrt“ ‚* hatte, trug ihm sogar ein Lob von Martin Gerbert ein, dem gelehrten Abt von St. Blasien, der St. Georgen in Vil­ lingen auf einer seiner Bibliotheksreisen be­ suchte. Und schon vor Cölestin war, um 1730, der Klosterbau errichtet worden, der einen eigenen Büchersaal enthielt. An der Decke hatte Gaspare Mola, ein italienischer 1 7 0 Künstler, schöne Stukkaturen angebracht; in den vier Ecken Embleme der Theologie, Mathematik, Geometrie und Geographie, darüber in ovalen Medaillons vier Kirchen­ väter, und noch manches mehr.2* Und diese Tradition brach jetzt ab, nein; wurde gewaltsam abgebrochen. Anselm Scha- baberle, der letzte Abt, der die Büchersamm­ lung selber noch vergrößert hatte, sah 1807 zähneknirschend zu, wie 111 Handschriften und 1340 Druckschriften „in Kisten ver­ schlagen“ 3) und nach Karlsruhe, in die Großherzogliche Bibliothek, verbracht wur­ den.4* (Dort sind, am 2. und 3. September 1944, die Druckschriften dann verbrannt.) Den beträchtlichen Rest trat der Großher­ zog großzügig an die Universität in Freiburg ab. Das Zerstörungswerk wird vollendet Aber weil die Villinger sich wehrten und die Bücher lieber ihren Schulen zuwenden wollten, dauerte es noch ein paar Jahre, näm­ lich bis 1818, bis Josef Baggati, der Leiter der Freiburger Universitätsbibliothek, nach Vil­ lingen reisen und das Zerstörungswerk voll­ enden konnte.5* Von dem ursprünglichen Buchbestand, den er auf20 000 Werke schätz­ te, waren inzwischen weitere 500 oder 600 Stück gestohlen worden. Aus dem, was er noch vorfand, wählte er 800 Bände6* aus, musste aber dann doch alles Vorgefundene nach Freiburg schicken, weil die Auswahl erst dort vorgenommen werden sollte. Also gin­ gen 66 Kisten mit 11 000 oder 12 000 Bän­ den auf die Reise. Von vielen von ihnen hätte sich Baggati lieber gleich getrennt; er bezeichnete sie als „Papier-Quark“ 7* und meinte, sie sollten „in den Käsladen wandern“.8* (Dort mögen auch

Die B ücher der Benediktiner 0 ^ m m g t *}$ tfrütr öanrt m fa n r Im rttrtue aiistjmltjFnimttrrö *1)0* ittcttt fttatfrütc {rrlmtinnß amt ftrt* uatifoMiatfalirmm uaftmt jifartt iUmammffm 0tar$rnatm ra, uaö rrfiUlf tv ftrofftttKItrij te ia 4a itat wtfrrftamrihüami irifÄriimfnt0rt;m fanty* 000 frttt 4tt {mmrhfn Inft.iamt 0tHaa: im {matt irr uajrrijntfmm^ftir toraat nt M _ wtrt tarnt rrit {rrffntr tarr ftr tlh irrfe auurgr, tutl fatmmnmrmlwnanä nttirUnjittmmr . prfm tijttm dbfat umarm Katitjritui mlto ff>0 ayat au mf allrr ftotrkrftru narnfra irr flTljntfftan, 0Du0 uoa atlrr itfttwfcumttertjtat nnit afrrimfittijm toatrjpTtntttoamliYfmf liaftyitftm{rdtt i^u fi täte ufdmntttnirrir* ^mt rrunöutffmr {ntmirttt ym inJfrf {fttfijtfr rraarij ttyatcrfni Htmirr frmHitftifat^ait traSanfmt Immt turrmm Irfrliwrttmfrt^t, tyttir itlfn frilttt mtr 00 ftnm {mtm nt allf utra rfriiotfiffta m frausuttalteammaratrmt ttr 0^0l00tau0irt|tf0atiriittr jnrnntnifrir ao uttfmt Ijafm rurrrtmt, ateairfcafm frl}drh t|0fnjtfitmma^trfrimtrhttlt4uirrrt0t|tf0m 0a immtn} utr ntaltfaalUoatclifti aatflf ntirr Hs. St. Georgen XXXIV: Benediktinerregel für ein Frauenkloster.

Kirchen, K apellen und G locken manche gelandet sein; sie lagen dann unter dem Ladentisch, und der Krämer riss Blatt um Blatt aus ihnen heraus, wenn er etwas einwickeln wollte.) Aber auch in Freiburg ereilte sie das ihnen zugedachte Schicksal, oder doch ein ähnliches. Anders als die von Baggati vorab selektierten und katalogisier­ ten Bände, die freilich auch nicht als Bestand erhalten blieben, sondern im großen, immer größer werdenden Ganzen aufgingen9) – an­ ders als diese litten sie unter der Aufbewah­ rung in ungeeigneten Räumen und landeten schließlich, zumindest zum Teil, in der Pa­ piermühle. Einige unvollständige Werke kehr­ ten nach Villingen zurück, wo die Realschu­ le sie vielleicht brauchen konnte, einige an­ dere wurden verschenkt. Die nach Karlsruhe verbrachten H and­ schriften blieben erhalten, ja sogar als ge­ schlossener, deutlich umrissener Bestand, was nicht genug geschätzt werden kann … obwohl, oder gerade weil sie keinen Bestand darstellen, der, wie anderswo, in Jahrhun­ derten gewachsen und zusammengewach­ sen wäre, sondern vielmehr einen, der zusam­ mengekauft wurde, um Ersatz zu schaffen für das, was verbrannt oder sonstwie verlo­ rengegangen war. Und da nahm man, was gerade angeboten wurde; nämlich vor allem Bücher aus Frauenklöstern, die ein- oder in anderen aufgegangen waren. Entstanden waren sie zumeist im 13. oder 14. Jahrhundert, und zwar zunächst aus frei­ en Frauengruppen, die sich auf fromme Art zusammentaten, weil sie ihr Leben so noch am besten fristen konnten.10) (Allein in Vil­ lingen gab es mehrere Gemeinschaften sol­ cher Art, von denen die am Bickentor die bedeutendste war; in Konstanz gab es 16, in Straßburg 60, in Köln 140; nur zum Beispiel.) Und es versteht sich von selbst, dass die Frauen, die in diesen Gemeinschaften leb­ ten, ihren eigenen Zugang zum Glauben suchten: Nämlich den mystischen. Der Mys­ tiker ist einer, der sich versenkt; der sich in die Heilsgeschichte, die Heilsgeheimnisse hineinversetzt, der sie mitlebt und mitlei­ det; der eins mit ihnen wird, in ihnen auf­ 172 geht. Und so wie die mystische Frömmigkeit eine eigene Kunst11) hervorbrachte, um von ihr dann immer wieder neu hervorgebracht zu werden – so brachte sie auch eine eigene, eigenartige Literatur12) hervor. Literatur auch für Laien geschrieben Nicht für Theologen, sondern für Laien wur­ de diese Literatur geschrieben; und somit nicht auf lateinisch, sondern auf deutsch. Deutsch ist die Sprache von insgesamt 56 Handschriften, die von Villingen nach Karls­ ruhe gelangten, und jede von ihnen enthält eine manchmal lange Reihe von einzelnen Legenden, Predigten, Traktaten und vor al­ lem von Gebeten; meist mystischer Art, und meist für Nonnen gedacht. In ihnen ist im­ mer wieder von der „minnenden Seele“ die Rede, also von der Seele, die dem Herrn, dem Heiland begegnet wie dem Bräutigam die Braut; es ist das Hohelied, das hier, wie schlicht auch immer, nachgesungen wird. „Nvn habin w ir/w ol gehoert daz got wil gmahel sin. ist daz wir nun gmahel wellen sin“ (LXXV).13) Die Nonne sieht sich als Braut, oder anders als Mutter; und sie ist es in ei­ nem übertragenen, übernatürlichen Sinn, da sie es in einem natürlichen nicht sein kann. Maria steht daher im Mittelpunkt der mei­ sten Schriften; oder Maria Magdalena, oder andere weibliche Heilige wie Elisabeth, Katharina, Brigitta, Helena, Cordula, Ursu­ la, Anna, Clara. Und daher gibt es dann auch dreiundzwanzig nummerierte Segens­ sprüche auf die Körperteile Mariä (XCVI); oder Schriften darüber, dass man im Advent „dem adelichen kindle ain hypschs wiegli machen“ (XCIV) solle, oder dass „unser herr in eines schonnen nackotten puben weis“ (LXXVIII) dem Meister Eckhart erschienen sei. Das dominikanische Dreigestirn der oberrheinischen Mystik – Eckhart, Tauler und Seuse – steht ohnehin, sichtbar oder nicht, über allen diesen Werken. Auch ande­ re Namen werden, oft wiederholt, genannt: Elisabeth von Schönau, Marquard von Lin­ dau, Walther von Rheinau, Otto von Pas-

i – t * ? ! iliff1 ‚ CO – :— ~ ‚r1__________ s 1‘ . 4 * u * £ c 0 » Die B ücher der B enediktiner . e l e e S n e d n e n n i m r e d d n u s u t s i r h C n o v t h c i d e G : C I X n e g r o e G . t S . s H

Kirchen, K apellen und Glocken sau, Berthold von Regensburg, Hermann von Linz, Ludolf von Sachsen, Bernhard von Clairvaux, Jean Gerson; und natürlich Tho­ mas von Aquin. Ein Überblick wie der, der hier versucht wird, sieht leicht darüber hinweg, dass jedes dieser Bücher so etwas wie ein Individuum, ein unverwechselbares Unikum ist. So zum Beispiel – und es gäbe viele andere – der schmale Pergamentband (LXVIII), der, auf 146 Blättern, die Passion Jesu und die Him­ melfahrt Mariä erst darstellt, dann auch aus­ führlich auslegt; also Heilsgeschichte, wie sie den Mystikern am Herzen lag. Geschrieben wurde dieser Text, wie es auf Blatt 147 heißt, „per me Soror agnes bützlin ordinis Sancte Cläre in vilingen“, und zwar im Jahre 1497. Dasselbe sagt der Eintrag auf dem vorderen Deckel: „Diss Buech ist von dem h. Passion gar gnadreich zue lessen/ist geschrieben von der Andächtigen Schwester Agness Bütz­ lin / eine von den ersten 8 Frawen von Val- duna.“ Sie war eine der acht Schwestern, die 1480 aus dem klausurierten Klarissenkloster Valdona in Vorarlberg ins Villinger Bicken­ kloster berufen wurden, um dort dieselben strengen Regeln durchzusetzen; auf diese Weise wurden in dieser Zeit die einst freien Frauengruppen kirchlich diszipliniert und domestiziert. Illustriert mit Federzeichnungen Zurück zu dem Buch, das mit dem Vermerk von Agnes Bützlin noch nicht endet, son­ dern erst mit 15 frommen Lehren und einer „verdamniss des gaistlichen wuochers der closterfrawen“ auf weiteren neun Blättern. Damit noch nicht genug; denn wie einige andere aus dem Villinger Bestand enthält auch dieses Buch Bilder, von der die mysti­ sche Betrachtung ausgehen konnte. Holz­ schnitte sind es oft, hier aber Federzeichnun­ gen, die die Symbole der Evangelisten zeigen, die Kreuztragung, die Aufrichtung des Kreu­ zes, die Auferstehung; schließlich Maria, in deren Schoß der tote Jesus liegt – also die Pieta als das Bild, in das sich der Mystiker, oder 1 7 4 eher die Mystikerin, am ehesten hineinverset­ zen und hineinversenken konnte.14′ Von diesem einen, beispielhaften Buch füh­ ren viele Wege zurück zu dem Bestand, zu dem es gehört. Nicht nur, dass es, in Wort und Bild, anderen gleicht, sie zu wiederho­ len scheint; auch Agnes Bützlin kommt noch einmal vor. Denn ein anderes Buch (LXV) ist, wie sie selber handschriftlich vermerkte, über eine Schwester namens Dorothea Satt­ lerin aus Ravensburg „in dis vnser gotzhuss Sant Clären jn vilingen“ gekommen und von Schwester Ursula Heiderin – die auch aus Valdona kam und die erste Abtissin des neugeordneten Klosters wurde – dem „siech- hus“ zugeteilt worden. „Und wer darab lisst sol es suberlich halten Und gott triuulich für sy baid bitten Orate pro eam.“ Otto von Pas- sau schrieb „diss buch genannt von den vier und czwainzig alten oder aber von dem gul- dinen tron der minnenden sei“, das nicht nur in dieser Handschrift aus dem Jahre 1478, sondern auch in einer älteren (LXIV) aus dem Jahre 1383 vorliegt, die wiederum einige schöne Bilder enthält, deren schöns­ tes das der Maria mit dem Kinde ist: das Ge­ genbild der Pieta. Aus den schon genannten Gründen haben diese Bücher mit den Benediktinern, die sie sammelten, nicht viel zu tun; viel mehr mit den Dominikanern und Franziskanern, die in den mystischen Bewegungen den Ton an- gaben und sich der freien Schwesternschaf­ ten annahmen, sie ihren Orden anglieder­ ten. Eine einzige Benediktinerregel, aller­ dings für ein Frauenkloster, hat sich hierher verirrt (XXXIV)15); dann auch die Chronik des Konzils von Konstanz, die Ulrich von Richenthal schrieb (LXIII); die Sammel­ handschriften des Johannes von Bodman (LXXI), des Werner von Zimmern (C) und des Heinrich Bullinger (CXXII); zwei vor­ wiegend medizinische Sammelhandschrif­ ten, die Wasser-, Blut-, Wurm- und Pferde­ segen enthalten sowie von Kräutern, Bädern und vom Aderlass handeln (LXI bzw. LX- XIII); und eine weitere, die außer solchen Segen auch Arzneien, Koch- und Backrezep-

Hs. St. Georgen XIC: Gedicht von Christus und der minnenden Seele. D i e B ü c h e r d e r B e n e d i k t i n e r

Die B ücher der B enediktiner te, Jagdregeln sowie geographische und his­ torische Aufzeichnungen, dazu noch ein paar Rechenexempel enthält (LXXXVII); und ein geistliches Krankenbuch, das vor al­ lem beschreibt, „wie sich der mensch berai- ten soll zuo dem sterben“ (XCVII). Aber diese Bücher bilden nur die unschar­ fen, ungenauen Ränder eines sonst scharf und genau umrissenen Bestands – zusam­ men mit den lateinischen Handschriften, bei denen es sich hauptsächlich um die üb­ lichen monastischen Breviarien, Antipho­ narien, Psalterien etc. und um medizinische Traktate handelt. Von ihnen kamen manche aus anderen benediktinischen Klöstern nach Villingen; etwa aus St. Blasien, Gengenbach und Amtenhausen, aus Blaubeuren, Ur- springen und Ettal und aus dem zisterzien- sischen Salem.16) Dennoch sind diese Bücher, wie gesagt, nur ein kleiner Teil eines einst viel größeren Bestands, dessen andere Teile verschleudert und vernichtet wurden. Hätte man, wenn schon nicht das Kloster, so doch seine Büch­ er nicht lassen können, wie und wo sie wa­ ren? Dann wären sie noch das, was in den Deckenbildern der Bibliothek einer ande­ ren bedeutenden Abtei, nämlich in St. Peter im Schwarzwald, emblematisch angedeutet ist. Auf einem von ihnen ist ein großer Ameisenhaufen zu sehen; und zahllose Amei­ sen, die Vorräte einbringen. Sie sammeln, wie die zugehörige Inschrift (,Sibi pro futu- ra recondunf) sagt, für die Zukunft.171 Eine solche Zukunft hatten die Bibliotheken der Klöster nicht mehr; weder in St. Peter, noch in St. Georgen zu Villingen, noch anderswo. Dr. Johannes Werner Fußnoten 1 Martin Gerbert, Iter alemannicum; zit.n. Emil Ettlin- ger, Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe. Beil.III (= Die ursprüngliche Herkunft der Handschriften, die aus Kloster-, bischöflichen und Rit­ terschaftsbibliotheken nach Karlsruhe gelangt sind). Neudruck Wiesbaden 1974, S. 43-56; hier S. 48; Übers, v. Verf. – Vgl. auch: Theodor Längin, Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe. Beil.II, 2. Neudruck Wiesbaden 1974, S. III-XII, 1-73. 1 7 6 2 Vgl. Paul Revellio, Beiträge zur Geschichte der Stadt Villingen. Gesammelte Arbeiten. Villingen 1964, S. 163- 165. 3 Zit.n. Ettlinger, a.a.O. – Zur Gesamtgeschichte der Bibliothek vgl. ebd., S. 43-49; ebenso Franz Quarthai (Hrsg.), Die Benediktinerklöster in Baden-Württemberg (= Germania Benedictina Bd. 5). Augsburg 1975, S. 248. 4 Von den Handschriften hatte der Bibliothekar, P. Cölestin Spegele, wohl auf höhere Weisung ein Ver­ zeichnis angefertigt, das als Hs. 1357 in Karlsruhe auf­ bewahrt wird und von Ettlinger (a.a.O. S. 49-55) abge­ druckt wurde. 5 Vgl. Elmar Mittler, Die Universitätsbibliothek Frei­ burg i.Br. 1795-1823. Personal, Verwaltung, Übernahme der säkularisierten Bibliotheken (= Beiträge zur Freibur­ ger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte H .35). Freiburg/München 1971, bes. S. 94-97 u. 156-158. 6 Vgl. den von ihm erstellten, in der Universitätsbibli­ othek Freiburg erhaltenen Katalog, und dazu den der Doubletten. Schon 1809 hatte P. Franz Sales W ocheler- oder Wercheler? – ein Verzeichnis vorgelegt, das sich eben­ falls erhalten hat (UB Freiburg Einreichungsprot. Nr. 468), ebenso wie ein älteres von 1784 (UB Freiburg Hs. 312). 7 Zit.n. ebd., S. 157. 8 Zit.n. ebd. 9 In den gedruckten Handschriften-Katalogen der UB Freiburg tauchen einige von ihnen wieder auf. 10 Vgl. auch: Andreas Wilts, Beginen im Bodenseeraum (= Bodensee-Bibliothek Bd. 37). Sigmaringen 1994. 11 Vgl.: Mystik am Oberrhein und in benachbarten Ge­ bieten (= Ausstellungskatalog). Freiburg 1978; Johannes Werner, Die Passion des armen Mannes. Soziale Motive in der spätmittelalterlichen Kunst am Oberrhein. Frei­ burg 1980, S. 79-88; ders., Frauenfrömmigkeit. Zur Ent­ stehung der mittelalterlichen Andachtsbilder. In: Das Münster 1/1982, S. 21-26. 12 Vgl. Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelor­ den und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik. 4. Aufl. Darmstadt 1977, bes. S. 452-475. 13 Zählung im Anschluss an Ettlinger, a.a.O. 14 Vgl. Johannes Werner, Pieta. Zur Nachgeschichte ei­ nes mittelalterlichen Andachtsbildes. In: Erbe und Auf­ trag 4/1998, S. 306-312. 15 Auf der dem Textbeginn gegenüberliegenden Seite klebt eine runde, münzgroße Marke mit dem Wappen des Klosters und seines Abtes und den Buchstaben CASG (Coelestinus Abbas Sancti Georgii) und der, handschriftlich hinzugefugten, Jahreszahl 1759. 16 Und aus dem Zisterzienserinnenkloster Wonnenthal kam ein Antiphonar mit Bildern aus dem Leben der hl. Agnes, die wiederum ein gutes Beispiel für die Christus­ minne sind (vgl. Mystik am Oberrhein, a.a.O. S. 138). 17 Vgl. Heinfried Wischermann, Die Embleme der Klosterbibliothek von St. Peter. In: Hans-Otto Mühlei­ sen (Hrsg.), St. Peter im Schwarzwald. Kulturgeschichtli­ che und historische Beiträge anlässlich der 250-Jahrfeier der Einweihung der Klosterkirche. M ünchen/Zürich 1977, S. 113-123.

Erinnerung an Reichsprälat und Abt Anton Luz Ein bedeutender Kirchenmann von der Baar zur Zeit der N ap oleon isch en Kriege Kirchen, K apellen und G locken Zum Begriff des Reichsprälaten: Innerhalb der Klosterstrukturen im alten Reich bilde­ ten die Reichsprälaturen eine eigene Grup­ pe. Als Glieder der Reichskirche waren sie – im Gegensatz zu den landsässigen Klöstern – keinem Landesherrn untertan, sondern „reichsunmittelbar“. Ihre Abte waren nicht nur Leiter einer geistlichen Gemeinschaft, sondern auch Landes- und Gerichtsherren. Trotz ihrer geringen realpolitischen Macht achteten sie strikt auf die Einhaltung und Bewahrung ihrer Privilegien, durch welche sie sich aus der Masse der Stifte und Abtei­ en hervorhoben. So waren sie durch einen eigenen stän­ digen Gesandten auf dem Reichstag vertreten, nahmen an den Visitationen des Reichskammergerichts teil und waren bei der Kaiser­ wahl präsent. Im territorial besonders zersplitterten deut­ schen Südwesten waren sie ein unübersehbares Element der Reichsgesinnung. Der folgende Artikel schil­ dert Leben und Schicksal des aus Hüftngen stammen­ den Reichsprälaten Anton Luz, der als Abt dem Augus­ tinerstift Kreuzlingen wäh­ rend der revolutionären Um­ brüche an der Wende zum 19. Jh. mit ihrer für die Klöster so schwierigen Zeit Vorstand. Sein Kloster be­ fand sich im Thurgau, also auf Schweizer Gebiet (hierin Reichsprälat und Abt Anton Luz, Gemälde im Konstanzer Rosgartenmuseum. zeigt sich der „übernationale“ Charakter des alten Reiches). Kirchliche Rechte besaß es im Fürstenbergischen (Propstei Riedern), im Thurgau und in den österreichischen Lan­ den. Herrschaftsrechte übte es im österrei­ chischen Flecken Hirschlatt aus. Seit dem 14. Jh. hatte sich die Schweiz de facto aus dem Reichsverband gelöst und war ihre ei­ genen Wege gegangen. 1460 wurde der Habs­ burgische Thurgau von den Eidgenossen er­ obert, von 1798 bis 1803 war er Kanton der Helvetischen Republik, die sich nach dem Vorbild des revolutionären Frankreichs als 1 7 7

quam v iv e n fi denegabaf (tiTOjA.MDCCXCVHl Hetvet ia. Rcligionem cafhotkam, iKMiirxkrr-^up oamem msoloDeo Kduciam kalamo.ore, exemplo docuif. j jd m ig ra v if a d v e ra in p a fria tn J K in ’n W r: MDCCC1. A H^Acfoi. LV. jflRi Kirchen, K apellen und Glocken demokratischer Einheitsstaat bildete. Für das Kloster Kreuzlingen hatte dies einschneidende Auswirkungen: Die . Verwaltung des Stiftes ging an den Staat über, die Kapitu- lare wurden vorüberge­ hend ausgewiesen, fran­ zösische Truppen plün­ derten die Abtei aus. Die Herrschaft des Liberalis­ «; 1 mus in der Schweiz seit 1848 besiegelte das Ende gj‘ L des Klosters: Es wurde in ein Lehrerseminar umgewandelt. In dem Flecken Hirschlatt nahe Friedrichshafen stößt der Besucher auf eine „Prä- lat-Luz-Straße“. Wer das klei­ ne verschlossene Kirchlein in der Ortsmitte besichti­ gen möchte, kann sich bei der Messnerin den Schlüs- sei borgen und wird dann CSB im Chorraum wiederum auf diesen Namen stoßen. Ein Epitaph erinnert dort in lateinischer Sprache an den Abt Anton Luz. Eine weitere Spur führt in das Archiv des Konstanzer Rosgartenmuseums, wo ein kleines, vom Al­ ter dunkel gefärbtes Ölbild einen stattlichen geistlichen Herrn darstellt. Auf der Rücksei­ te des Gemäldes ist zu lesen: „Abt Anton Luz, geb. 1737 in Hüfmgen, gestorben 1801 in Hirschlatt“. ■ Religiöse Prägung durch die Eltern Wer war dieser Abt aus Hüfmgen, an den in seiner Geburtsstadt nur einige Zeilen in der Stadtchronik erinnern ? Als Sohn des aus Löffingen zugezogenen „Hirschenwirtes“ Johann Michael Luz (1700- 1765) und der aus Hüfmgen stammenden Maria Anna Franklin (1715-1767) war der spätere Abt, Reichsprälat und sehr bedeu­ tende Kirchenmann in der Hüfmger Pfarr­ kirche am 7. Mai 1737 auf den Namen Jo­ 1 7 8 Ein Epitaph erinnert in Hirschlatt an den aus Hüfmgen stammenden Abt Anton Luz. hann Baptist getauft wor­ den. Eine seiner Schwes­ tern wählte ebenfalls den Weg ins Kloster. Sei­ ne Mutter kam aus der Familie des „Löwenwir­ tes“, die sehr stark religiös geprägt war. Ihr entstamm­ ten fünf Priester und zwei Ordensfrauen. Der Hüfmger Wirtssohn besuchte die Schulen in Rottweil, Villingen und Kon­ stanz. Anschließend studier­ te er an der Universität Dil- lingen, wo er am 20. Au­ gust 1754 den Bakkalau­ reus-Grad erwarb. In das Augustinerkloster im Thurgauischen Kreuz­ lingen eingetreten, legte er am 13. Juni 1756 das Or­ densgelübde ab und nahm den Ordensnamen „Anton“ an. Als Untertan des Fürsten von Fürstenberg musste er sich nun für 50 Gulden von seinem Herrn freikaufen. Am 16. Mai 1761 erhielt er die Priesterweihe, Sta­ tionen seines seelsorgerischen Wirkens waren die Pfarreien Riedern, Wilhelmskirch und Wurmlingen. Ihm wurden eine außerordent­ liche Begabung und großer Eifer nachgesagt. Sein ausgezeichnetes Rednertalent stellte er beispielsweise als Prediger der Kreuzlinger „Todesangst-Christi-Bmderschaft“ unter Be­ weis. Aufgrund seiner Fähigkeiten wurde er schließlich am 12. Juli 1779 im ersten Wahl­ gang zum Abt des Klosters Kreuzlingen ge­ wählt und gewann damit den Status eines Reichsprälaten. Als solcher war er nicht nur geistlicher Vater seiner Kapitulare und Pfarr- herr der betreuten Gemeinden, sondern auch Standesherr einer „Herrschaft“, hierin – wenn

auch im kleinen – vergleichbar dem Fürstbischof von Konstanz oder dem geistlichen Kurfürsten von Köln. Das Bestreben des Ab­ tes Anton war es, die Stellung von Kreuzlingen als Reichsprälatur be­ sonders hervorzuheben. Den Ge­ pflogenheiten der Zeit entspre­ chend hielt er eine Hoftafel, zu der er gerne bedeutende Gäste einlud. Innerhalb der Ordensgemein­ schaft stieß diese Art weltlicher Repräsentation nicht auf ungeteil­ te Zustimmung, zumal der Abt von seinen Mitgliedern strengste Befolgung der Klosterregeln for­ derte. Aber gegenüber dem Wider­ stand einiger seiner Brüder konnte sich Abt Anton schließlich – nicht zuletzt dank seiner rhetorischen Fähigkeiten – mit dem Argument durchsetzen, dass diese Art der weltlichen Öffnung für das Kloster von großem Nutzen sei. Unter­ stützt wurde er dabei vom gewähl­ ten Sprecher der Mönche, dem Stiftsdekan Jakob Ruf R eichsprälat und Abt A nton Luz Hüfinger Stadtkirche nach einem Aquarell von M. Niederstadt. Während seiner Amtszeit legte Abt Anton besonderen Wert auf die feierliche Gestal­ tung des Gottesdienstes und die geistliche Führung der ihm Anvertrauten. Er förderte die Pflege von Literatur und Wissenschaft unter seinen Konventualen und verfasste selbst mehrere Schriften. Fünf seiner Werke zur geistlichen, religiösen und sittlichen Er­ ziehung sind uns noch heute bekannt. Nicht allzu lange konnte sich Abt Luz der ihm übertragenen Aufgabe widmen. Die dunklen Wolken der Revolution zogen sich auch über der Schweiz zusammen und brachten dem Kloster Kreuzlingen turbu­ lente Zeiten. Französische Truppenaufzüge, Einquartierungen, Requisitionen von Geld und Naturalien sowie die Volksbewegungen in der Schweiz zwangen Anton Luz, 1798 in der Reichsabtei Petershausen Zuflucht zu su­ chen. Als es auch dort für ihn keine Sicher­ heit mehr gab, zog er sich auf die klösterli­ che Herrschaft Hirschlatt zurück. In der Ab­ sicht, die Werte des Klosters zu retten nahm er Teile der Einrichtung, das Archiv, das Sil­ ber und anderes wertvolles Gut mit ins Exil. Zur Untätigkeit gezwungen, lag die Sorge um das Weiterbestehen seines Stiftes, in dem sich neben dem Dekan noch sechs wei­ tere Kapitulare aufhielten, schwer auf seinen Schultern. Am 11. Dezember 1801 starb er und wurde feierlich am 13. Dezember in der kleinen Kirche von Hirschlatt beigesetzt. 22 Jahre lang hatte Abt Anton das Stift re­ giert. Verewigt hat er sich nicht durch präch­ tige Bauten, sein Verdienst war es, das Klos­ ter Kreuzlingen in schweren Zeiten – zumin­ dest vorläufig – in seiner Existenz gesichert zu haben. Die Abtei bestand noch bis 1848, wurde dann säkularisiert und beherbergt seit­ her ein Lehrerseminar. Kuno Fritschi / Helmut Rothermel 1 7 9

Kirchen, K apellen und Glocken Anna Weber Pfarrhaushälterin in G rem melsbach Geschichtliche Entwicklungen sind unauf­ haltsam und erreichen alle Bereiche des Le­ bens, auch scheinbar abgelegene. Ihnen zu entfliehen ist unmöglich. Ein bisher von Historikern kaum wahrgenommenes The­ ma sind die Veränderungen im katholischen Pfarrhaus während der vergangenen Jahr­ zehnte. Gravierend ist der Schwund der Pfarr- haushälterinnen (1980 fehlten sie in 30% der Haushalte, heute in weit mehr)1), in vie­ len Fällen hat sich ihre Rolle fundamental verändert. In der ersten Hälfte des 20. fahrhunderts war es keine Seltenheit, dass ein Geistlicher zwei Haushälterinnen hatte, Mutter und Schwester oder zwei fremde Personen, zum Geistlichen gehörte normalerweise eine Haus­ hälterin (wobei auf das „kanonische Alter“, 40 Jahre, geachtet wurde). Der Pfarrer konn­ te einer Frau, worauf dieser alles ankam, ei­ ne Existenz bieten, so kümmerlich sie auch gelegentlich sein mochte. („Un-Existenz“ 2* wurde als Ausdruck dafür gefunden). Ihre Welt beschränkte sich auf den Haushalt des Pfarrers, ohne Ansprüche auf Vergütung3*, eigene Interessen in freien Stunden, Kon­ takte; Freundschaften in die Gemeinde hin­ ein waren nicht erwünscht, so dass innere Vereinsamung nicht selten die Folge war. Zwei Welten. Häuslichkeit, Zurückgezogen­ heit, Diskretion gehörten zu einer idealen Haushälterin, eine beratende, planende Funk­ tion für den „Herrn“ kam ihr nicht zu. Den­ noch wird das gemeinsame Gespräch The­ men der Pastoration nicht grundsätzlich aus­ geklammert haben. Die veränderte Rolle der Frau in der Ge­ sellschaft, ihr Wirken in Schulen, Betrieben und Organisationen4* betrifft auch die neue Rolle der Haushälterin, deren wirtschaftli­ che und soziale Stellung eine ganz andere und vom Dienstbotendasein weit entfernt 180 ist. Das Pfarrhaus ist heute zum „Kristallisa­ tionspunkt“ 5* geworden, es ist ein „Haus der offenen Tür“ 6*, nicht Privathaus wie jedes andere, die Haushälterin ist neben der Pfarr- sekretärin erste Ansprechperson, die Ge­ spräche mit dem Pfarrer vereinbaren kann. Ihre Aufgaben haben sich enorm geweitet. Sie ist eine „entscheidungsfahige und ver­ antwortliche Mitarbeiterin“ 7*, weiß um die Probleme der Pfarrei. Wie von modernen Haushälterinnen ihre Aufgabe gesehen wird, dafür eine Stimme: „Ich frage mich gele­ gentlich, warum so viele Menschen Rat und Hilfe im Pfarrhaus auch von der Pfarrhaus­ hälterin erwarten. Ob sie denken, dass man im Pfarrhaus schon ein Stück näher beim lie­ ben Gott ist? Warum wird die Schar, die sich an mich hängt und die ich manchmal ab­ schütteln möchte, immer größer? Oft be­ steht die Tätigkeit nur im Zuhören, im Ver­ stehen und Dabeisein. Wieviel kann davon abhängen, wie ich im Pfarrhaus die Tür auf- Anna Weber bei der Gartenarbeit.

A nna W eber – P farrhaushälterin wählt, im Pfarrhaus eine schlichte, aber wür­ dige, angenehme, gastliche Atmosphäre zu schaffen, um das Amt des Priesters zu er­ leichtern und den Bedürfnissen der Laien, die dort mitarbeiten, entgegenzukommen“11* (Paul VI.). Anna Weber, die Haushälterin von Pfarrer Hermann Schneider, in Gremmelsbach von 1939-1958, die hiervorgestellt werden soll, war weder von den großen soziologischen Veränderungen der Welt noch denen der kleinen Welt des Pfarrhauses auf dem Land, gar von der emanzipatorischen Bewegung berührt, konnte es in jenen Jahrzehnten noch gar nicht sein. Und doch gehörte sie zur Dorfgeschichte wie die „Größen“ der Gemeinde, wie Bürgermeister, Pfarrer, Leh­ rer, Unternehmer, obwohl sie im Hinter­ grund stand und arbeitete. Will man ihr Leben nachzeichnen, kann man auf kaum mehr als auf eigene und die Erinnerungen von Zeitgenossen zurückgrei­ fen, denn Personalakten wurden nicht ange­ legt und Aufzeichnungen hat sie nicht hin­ terlassen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhun­ derts war es für Geistliche noch nicht so schwierig wie heute, zu einer Haushälterin zu kommen. Schneider fand sie, nachdem seine jüngste Schwester Elisabeth, die ihm bis dahin den Haushalt führte, geheiratet hatte, in seiner Pfarrstelle in der Filiale Ober- wihl bei Waldshut. Sie, am 16. Juli 1887 in der Familie eines Kleinbauern geboren, mit sieben Geschwistern aufgewachsen, hatte den Haushalt gelernt, war in einem Offi­ zierskasino tätig und nach Ausweis der Per­ sonalakten „ihres“ Pfarrers eine charakterfes­ te Person, für die alles sprach, eine solche Stelle einzunehmen und auszufüllen. So nahm sie 1932 ihren Dienst im Pfarrhaus auf, begleitete ihn im Spätjahr 1939 nach Gremmelsbach und führte ihm den Haus­ halt, wozu auch noch der große Garten kam. Die Reinigung, Schmuck der Kirche und die Pflege der liturgischen Gewänder gehörte nicht zu ihrem Aufgabengebiet. Sie war, was man im Rückblick so bezeich­ nen kann, die „geborene“ Pfarrhaushälterin; 1 8 1 Das Mfarrhaus in Gremmelsbach, Wirkungsort von Mfarrhaushälterin Anna Weber. mache und wie ich sie wieder zumache, was ich am Telefon sage! Daneben gibt es aber auch den mühsamen Alltag, der Konzentra­ tion und Planung erfordert. Und das Bügeln von Altardecken und Ministrantenhemden, das Putzen der Kirche sind für mich eine ganz ordentliche Anstrengung“.8* Tätigkeit erst heute richtig anerkannt Die Aufgabe der Haushälterin wird heute (vielleicht) erstmalig als eminent kirchlicher, pastoraler Beruf gesehen, der durchaus eine Vielfalt von Fähigkeiten erfordert, Ratgebe­ rin für ihren Pfarrer (aber bei weitem nicht nur für ihn allein) muss sie sein können, Ge­ sprächspartnerin für Besucher und Anrufer von sehr unterschiedlichem Niveau, auch un­ angenehme, sie soll sich sicher in den Verei­ nigungen der Pfarrei bewegen und dennoch im Verborgenen wirken können. Am aller­ wichtigsten wird sein9*, dass sie in der Lage ist, eine wohltuende Atmosphäre, dem zöli- batären Geistlichen ein Zuhause zu schaf­ fen, ein Refugium, wo er „Mensch sein darf“. Nicht ohne Grund stellte Papst Paul VI. 1977 fest: „Ihr gestaltet seine (des Priesters) Lebensbedingungen menschlicher, und Ihr ermöglicht ihm eine größere Verfügbarkeit für seinen eigentlichen D ienst“.10* Und ein Jahr später: haben Sie die Aufgabe ge­

Kirchen, Kapellen und Glocken den in Gremmelsbach gebräuchlichen Aus­ druck „Pfarrköchin“ vermied man in ihrer Gegenwart am besten, wollte man ihr heite­ res Wesen nicht trüben, indessen hatte sie nichts gegen die Bezeichnung „Pfarrhuuse- ri“, so sagte man in ihrer Heimat. In Grem­ melsbach war sie „die Fräulein Weber“. Ihren Hotzenwälder Dialekt legte sie nie ganz ab. Sie gehörte zu den Menschen, die in der Stil­ le wirken, das Notwendige, ohne viel Auf­ hebens davon zu machen, vollbringen, die Treue im Kleinen üben – und dafür bald nach ihrem Tod vergessen sind. Also der Haushalt. Auf peinliche Sauber­ keit in Küche und Zimmern zu achten war für sie eine Selbstverständlich­ keit, über die man sich nicht lan­ ge aufzuhalten braucht. Sparsam­ keit war eines der obersten Ge­ bote, in den Kriegs- und Nach­ kriegsjahren durch die Umstände wie von selbst geboten. Zu üppi­ ges Kochen war nie ihre Sache. Kritik am Essen brauchte sie bei der Bescheidenheit des Pfarrers ohnehin nicht zu fürchten. Hat­ te er das Notwendigste, um sei­ nen Dienst zu versehen, so war er zufrieden, hierin dem Pfarrer von Ars durchaus vergleichbar. Dies konnte für sie gelegentlich auch eine ärger­ liche Seite haben, da er auch sonst auf Äußer­ lichkeiten wenig gab, so dass sie ihn einmal ultimativ auffordern musste, sich eine neue Hose zu kaufen. Ihre Ratschläge tat er off auch ironisch ab. Liebevoll wie das Haus pflegte sie auch ihren Garten, auf die Be­ achtung der Tierkreiszeichen beim Säen und Pflanzen legte sie keinen Wert und hatte doch immer gute Erträge. Bewegte Klage führ­ te sie in trockenen heißen Sommern über den Wassermangel, da ihr, im höchstgelege­ nen Haus in der Dorfmitte, das Wasser, vom Seelenwald kommend, zuerst ausblieb. Doch helfen konnte ihr in dieser N ot niemand. Wollte, konnte sie ihren Pfarrer auch in der Seelsorge unterstützen? In theologischen, pastoralen Fragen sicherlich nicht, und sie 1 8 2 Mfarrer Schneider. machte auch gar nicht den Versuch dazu. Ob sie je eines der vielen Bücher, die er für die Borromäusbibliothek anschaffte, in die Hand nahm, ist ungewiss. Im Gegenteil bewunder­ te sie seine Fähigkeit, „Predigten schreiben“ zu können. Hilfe gewährte sie auf andere Weise, indem sie auf eine Verbesserung sei­ ner Rhetorik drang, tadelloses Tragen der li­ turgischen Gewänder verlangte. An den Ta­ gen vor Fronleichnam nahm sie von den Kindern die Blumen zum Bestreuen des Prozessionsweges in Empfang, schenkte ih­ nen dafür als Belohnung ein Andachts- oder Heiligenbildchen, stellte für die Mädchen Lilien zum Tragen während der Prozession aus. Am Weißen Sonntag hatte sie nach dem Gottesdienst den Kaf­ feetisch für die Erstkommuni­ kanten gedeckt, auf dem auch der Hefekuchen nicht fehlte. Sie war eine der regelmäßigsten Gottes­ dienstbesucherinnen, war jeden Tag in der Messe – keine Frage, an Sonn- und Feiertagen ge­ wöhnlich in der Frühmesse, da sie den Vormittag für das frühe Mittagessen brauchte, es galt ja bis in ihre letzten Jahre noch das Nüchternheitsgebot, so dass nach den Anstrengungen zweier Gottesdienste (und der Christenlehre) Frühstück und Mit­ tagessen nicht weit auseinanderlagen. Keine Nachmittags- und Abendandacht ohne sie. Zurückhaltung in Maßen Das Verhältnis zur Einwohnerschaft war von Sympathie und Distanz zugleich ge­ kennzeichnet. Das „Du“ bot sie längst kei­ nem Dutzend Menschen an, auch Herrn Pfarrer gegenüber blieb es beim „Sie“. Dies galt insbesondere für ihre nächste Nachbar­ schaft. Sie machte in ihrer Diskretion ihm auch keine „G’schwätzer“, Feindschaft oder nur ein gespanntes Verhältnis zu irgendwem war mithin ausgeschlossen. Das konnte sie nicht davon abhalten, auch einmal ihrem

Temperament die Zügel schießen zu lassen. Ein Geistlicher, an einem Sonntag zu Gast, „verirrte“ sich ins Rathaus und plauderte und plauderte mit Bürgermeister Johann Dold über die Zeit hinaus, während sie mit dem Essen wartete und wartete, bis sie mit ihrer Geduld am Ende war. Sie fuhr im Amtszimmer vor und hielt eine Standpau­ ke, in der auch das Wort „Anstand“ fiel. Wie diesem Gast danach das Essen noch schmeck­ te, ist nicht bekannt geworden. Jedenfalls sagte der Bürgermeister nach diesem Vorfall: „Das hab’ ich auch nicht gewusst, wie die sein kann“. Am Ende des Krieges war eine Flücht­ lingsfamilie im Pfarrhaus einquartiert, si­ cherlich keine sehr einfache Situation, doch sie meisterte auch diese. Sie konnte durchaus auch schlagfertig sein. Als bei der Volksmission 1948 Kapuziner­ pater Karl beim Schmücken des Marienal­ tars half, trat auch sie herzu, und er flachste unvermittelt ihr gegenüber: „Ursprünglich wollten wir Sie da hinaufstellen, sind aber wieder davon abgekommen“. Sie darauf: „Da sieht man, wie Unsereins immer wieder zu­ rückgesetzt wird“. An Selbstbewusstsein fehlte es ihr nicht. Wie sie anderen gegenüber korrekt und ehr­ erbietig begegnete, wünschte sie es auch für sich, da war sie empfindlich, und dass man (auch in harmloser Weise) über sie lachte, verzieh sie so schnell nicht. Dagegen war sie hilfsbereit, in der Heuernte fragte sie auf ei­ nem Bauernhof einmal nach einem Rechen. Der Eindruck bleibt, dass sie lieber auf einer Wiese half als zu großen Festlichkeiten ging, zu weltlichen ohnehin nicht. Gremmelsbach gefiel ihr. In Erinnerung ist noch, wie sie sich anerkennend über das D orf äußerte, dass Kirche, Friedhof, Pfarr­ haus, Rathaus und Schulhaus eine harmo­ nische Einheit auf kleiner Fläche bildeten. Auch der Aufenthalt der Schüler während der großen Pause auf dem Platz unmittelbar zwischen Pfarrhaus und Kirche störte sie wenig. Einmal erkundigte sie sich, was das denn für ein Spiel sei, bei dem die Schüler A n n a W eber – P farrhaushälterin immer aufeinander zu und wieder vonein­ ander weg laufen. Wir erklärten ihr die Re­ geln des Barlaufs. Ob sie allerdings je nach Althornberg oder bis ins Brunnholz ge­ kommen ist, ist fraglich. Kleine Spaziergän­ ge, kaum über die Dorfmitte hinaus, Ein­ käufen im nächsten Laden, kaum mehr. Ei­ ne Reise außer zu ihren Familienangehöri­ gen hat sie nie unternommen. Nur einmal gönnte sie sich in vorgerücktem Alter einen Kuraufenthalt. Geduldig und fromm bis in das hohe Alter Pfarrer und Haushälterin wurden gemein­ sam alt. Die weitläufige Pfarrei war nach ei­ ner schweren Krankheit Hermann Schnei­ ders nicht mehr zu bewältigen, er wurde aus diesem Grund 1958 „Wallfahrtspfarrer“ in Triberg. Anna Weber zog treu mit. Die Lei­ den, außer einer chronischen Schlaflosig­ keit, über die sie häufig klagte, waren bis ins Alter gestundet, erreichten sie aber dann mit unverminderter Wucht. Sie ertrug sie im Krankenhaus in Triberg mit vorbildlicher Geduld und Frömmigkeit, bis sie am 16. Ju­ li 1962 davon erlöst wurde. Ihre letzte Ru­ hestätte fand sie in Oberwihl, ihrer Heimat. Das Grab bestand bis zum Jahr 2000. Für Gremmelsbach war sie ein Segen. Karl Volk A n m erk u n g en Die Frau im Pfarrhaus Beiträge zu einem kirchlichen D ienst für die Ge­ m einde, H erausgeber: Ernst G utting, Anneliese Knippenkötter, D üsseldorf 1980 F u ß n o ten 1 Gutting, Knippenkötter: Beiträge, S. 5 2 Aussage der Rosmarie G oethe, in: ebd., S. 52 3 Ebd., S. 52 4 Knippenkötter, S. 76 5 wie 2, in ebd., S. 62 6 Knippenkötter, S. 77 7 wie 2, in ebd., S. 55 8 lt. Hedwig B., Heidelberg, in: ebd., S. 65 9 lt. Paula H., Wanfercee-Baulet/Belgien, in: ebd., S. 69 10 Gutting, K nippenkötter: Beiträge, S. 34 11 ebd., S. 35 1 8 3

13. K a p it e l/ A l m a n a c h 2 0 0 3 M u s i k und M u s i k g e s c h i c h t e D i e V i l l i n g e r S i l b e r m a n n – O r g e l IST W I E D E R E R S T A N D E N Im Jahre 1751 hat der Benediktinerkonvent St. Georg in Villingen bei Johann Andreas Silbermann in Straßburg den Bau einer Orgel in Auftrag gegeben. Für den Vertragsabschluss am 14. Januar 1751 kam Johann Andreas Silbermann zusammen mit seinem Bruder Daniel von Straßburg nach Villingen geritten. Bei der vertrag­ lichen Vereinbarung wurde der Villinger Schreiner Martin Hermann für den Bau des Orgel­ gehäuses vorgesehen. Am 14. April kam, wie sich Silbermann in sein Werkbuch notierte, der Schreiner Martin Hermann nach Straßburg, „dem ich den Kasten angegeben“. Für das Zustandekommen der später weithin bekannten Orgel wurden drei Persönlichkeiten maß­ gebend: Der damalige Prior des Klosters, Pater Coelestin Wahl, der bereits berühmte Orgel­ bauer Silbermann und der vorzügliche Villinger Schreiner Martin Hermann. Coelestin Wahl war 1717 in Ochsenhausen in Oberschwaben geboren, am 23. Oktober auf den Namen Antonius Maximus Wahl getauft worden. Uber seine frühe Entwick­ lung gaben die Archivalien noch keine Aus­ kunft. Es darf aber mit gutem Recht ange­ nommen werden, dass er seine erste funda­ mentale Bildung im Benediktiner-Konvent Ochsenhausen erhielt. Es dürfte kein Zufall sein, dass er den Klosternamen Coelestin an­ nahm, wahrscheinlich in Ver­ ehrung des Ochsenhausener Orgelbauer Johann Andreas Silbermann. Abtes Coelestin Frener, dessen glückliche Regierungszeit von 1725 bis 1737 währte. Abt Frener war ein Freund und Förderer der Kunst- und Musikpflege, des Bibliothekwe­ sens sowie der Wissenschaften und war be­ strebt, seine jungen Kleriker zu den theolo­ gischen Studien an die Universität Salzburg zu senden. Der spätgotischen Stiftskirche Ochsenhausen verlieh er barocke Gestalt durch eine neue Fassade, durch Ausstattung mit Stuck und Gemälden im Inneren. Zu seinen großen Taten gehört der Bau der O r­ gel von Joseph Gabler 1728-34 mit 52 klin­ genden Registern auf vier Manualen und Pedal, der ersten Groß-Orgel im oberschwä­ bischen Raum. Coelestin Wahl, in Villingen 1757 zum Abt gewählt, eiferte seinem Vor-

Villinger Silberm ann-O rgel In neuem Glanz: die restaurierte Silbermann-Orgel. 1 8 5

M usik und M usikgeschichte Bei der Restaurierung der Silbermann-Orgel. bild in Ochsenhausen nach, wie der einstige Konventuale P. Johann Baptist Schönstein 1824 in seiner „Kurzen Geschichte des ehe­ maligen Benediktiner-Stifts Villingen“ rück­ blickend vermerkt: „Ein strenger Beobachter und ein Muster der klösterlichen Ordnung, großer Liebhaber der Wissenschaften; ein ganz besonderer Eiferer für die Zierde des Tempels Gottes. Er schaffte in der Kirche ei­ ne silbermännische Orgel an, in dem Thur- me ein von zehn Glocken harmonisches Ge­ läute, das bei jeder Viertelstund annehmlich spielte.“ Noch als Schüler dürfte er den Bau der Gabler-Orgel in Ochsenhausen beein­ druckt miterlebt haben. Er wurde später zum gefragten Orgelbauexperten, beriet Fürstabt Martin Gerbert beim Bau der großen Silber­ mann-Orgel 1772-75 in St. Blasien und wur­ de selbst vom Abt der Zisterzienserabtei Sa­ lem am Bodensee brieflich um Rat gefragt. Mit Johann Andreas Silbermann verblieb er auch nach dem Bau der Villinger Orgel in re­ gem Gedankenaustausch und suchte immer wieder ein Zusammentreffen. Er war offensichtlich ein fähiger Organist, denn Silbermann bemerkt in seinem Arbeits­ 186 buch über die Fertigstellung der Orgel in der Frauen-Abtei Amtenhausen am 6. Juli 1758: „Gleich nach Verfertigung hat Ihro Hoch­ würden und Genaden Herr Coelestinus Wahl, Abt zu St. Georgen in Villingen, die Orgel gespielt und alles Vergnügen darüber bezeuget.“ Detaillierter Bericht über Aulbau der Orgel Martin Hermann (1688-1782) war als ge­ nialer Kunstschreiner weit begehrt. Er arbei­ tete in der Benediktinerabtei Zwiefalten und schuf dort die Gehäuse für die Chororgel von Joseph Gabler. Von seiner Kunstfertigkeit zeugen heute noch das Chorgestühl der Be­ nediktinerabtei Ottobeuren und die Gehäu­ se der berühmten Orgeln 1757-66 von Karl Joseph Riepp. Silbermanns Arbeitsbücher berichten 1752 vom Transport der Orgel von Straßburg nach Villingen, in allen Details vom Einbau des in Straßburg gefertigten Werks in das Ge­ häuse von Martin Hermann, von Intonation und Stimmung der Orgel im Zeitraum vom 6. April bis zur Fertigstellung am 25. Mai:

„Am 6. April kamen 5 „sehr große weite Wa­ gen, jeder mit fünf Pferdten bespannet,“ von Villingen nach Straßburg … „Herr Pater Pri­ or kam mit Herrn Hermann oder dem Schreiner Martin auch mit … den 7. April, nachdeme 3/4 Tag zu laden war, sind wir um 2 Uhr von Straßburg weggefahren … bis Of­ fenburg … den 8. zu Hausach übernachtet. Den 9. abends kamen wir in Villingen an. Die Fuhren aber erst am ändern Tag um 10 Uhr. Wir ladeten noch alles ab, und schaff- ten’s mit Hülff der Knechte im Closter an gehörige Orte. Den 11. April fingen wir an zu arbeiten … Nach 5 Uhr fiengen wir an zu arbeiten, biß Abends 3/4 auf 7 Uhr … In der letzten Woche hatten wir große Versaum- nus, da Heinrich und ich fast niemahlen vor halb 8 Uhr anfangen konnten, weilen auf dem OrgelChor von denen Herren das Amt und anderes gehalten wurde.“ Johann And­ reas Silbermann zählt in seinem Werkbuch die Arbeitsstunden zusammen als Grundla­ ge für eine Nachkalkulation des ausgeführ­ ten Orgelbaus und als Basis für die Preisge­ staltung künftiger Aufträge. Gleichzeitig trifft er auf ein Wesen des benediktinischen Or­ Villinger Silberm ann-O rgel denslebens, das Ora et labora, das „Bet und arbeit“, den ständigen Wechsel zwischen Ar­ beit und Chorgebet, das wesentlich als Ge­ sang ausgeführt wurde. Musikausübung geistige Freude Die benediktinische Lebensführung war geregelt im Caeremoniale der deutschen Be­ nediktiner, gedruckt 1641 zu Dillingen, von dem sich ein Exemplar aus der Klosterbib­ liothek von St. Georg zu Villingen auf dem Schwarzwald mit Besitzvermerk in der Uni­ versitätsbibliothek Freiburg erhalten hat. Mönchische Kleidung und Chorgebet sind bis ins Detail Umrissen, auch die Verwen­ dung der Orgel in Gottesdiensten und Tag- zeiten-Liturgie. Silbermann trifft mit seinen nüchternen Bemerkungen über verhinderte Arbeitszeit hinein in die wesentliche Funk­ tion der Orgel, nämlich ihr Erklingen im Gottesdienst. Gottesdienst und Musik wa­ ren essentieller Teil der Lebensqualität der Benediktiner im 18. Jahrhundert. Angesichts vieler Entbehrungen war die Musikausübung Sublimation, geistige Freude im täglichen Le- Arbeit an den Mfeifen. 1 8 7

M usik und M usikgeschichte ben. Darum wurde bereits bei der Aufnah­ me ins Kloster vom Abt darauf gesehen, wie musikalisch veranlagt und wie geübt und befähigt ein Kandidat in Gesang und Ins­ trumentalspiel war. In Villingen war ein gu­ ter Teil des Konvents an der „Music“, der vo­ kal-instrumental besetzten Ensemblemusik, beteiligt. Dies bestätigt ein nicht hoch genug zu schätzendes Dokument aus der Hand von Abt Coelestin Wahl über die „Aufstel­ lung der Musicanten“ auf dem Orgelchor zu Villingen. Aus St. Blasien war als Wunsch die Idee gekommen, beim Bau der dortigen großen Silbermann-Orgel einen freistehen­ den Spieltisch einrichten zu lassen wie im Reichsgotteshaus Ochsenhausen in der Zweitfassung 1750/54 der Gabler-Orgel, „damit der Organist auf den Tact sehen kön­ ne“. Abt Coelestin Wahl von Villingen rät ganz im Sinne Silbermanns davon ab und erläutert die Vorteile der angebauten Spiel­ anlage mit kurzen Trakturwegen und ange­ 1 8 8 nehm leichter Spielart der Klaviaturen an­ hand der Situation in Villingen, wo die „Music“ von der Orgel aus geleitet wird, die Augen aller Musizierenden auf den Organis­ ten hin gerichtet sind und die Ausführenden zu beiden Seiten der Orgel stehen. Es waren laut Beschriftung der Grundrisszeichnung mindestens elf Ensemblemitglieder bei der Musik auf der Empore beschäftigt: vier Sän­ ger (Sopran, Alt, Tenor, Bass), zwei Violinen, ein Violon, zwei Klarinetten, zwei Hörner. Manche Stimmen könnten auch mindes­ tens doppelt besetzt gewesen sein. Coelestin Wahl spricht von „ohneracht oft über 20 Musicanten da stehen“. Die Orgel bildet den zentralen Klanggrund im Sinne des Ge­ neralbasses und der darin gefassten Harmo­ nievorgänge. Darüber hinaus hatte die Or­ gel die Aufgabe, den Ein- und Auszug des Zelebranten mit dem Plenumspiel akustisch zu begleiten, mit hell strahlendem Orgel­ klang die Würde zu erhöhen. Bei Hymnen, Psalmen und Magnificat-Gesängen konnte die Orgel einzelne Verse in der sogenannten Alternatim-Praxis übernehmen anstelle ge­ sungener Verse und damit Raum geben zu Meditation. Damit war die Möglichkeit ge­ geben, viel klangliche Abwechslung und musikalische Reize in die Gottesdienstge­ staltung einzubringen und Raum zu geben für die Entfaltung des Klangfarbenreich­ tums der Orgel. Musikkultur von Villingen Der Genuss des Klangs der Silbermann- Orgel war nicht beschränkt auf die Kloster­ insassen. Jedermann hatte Zugang zu den Gottesdiensten der Benediktinerkirche St. Georg und konnte Choralgesang, Orgelspiel und Ensemblemusik der Mönche hören zu seiner Freude. Die Klostermusik von St. Ge­ org dürfte im 18. Jahrhundert die Musik­ kultur der Freien Reichsstadt Villingen schlechthin gewesen sein, so wie im fernen Beim ersten Aufbau der Orgel in der Werkstatt.

D e r Schnitzer bei seiner A rbeit. Leipzig vor der durch die Kaufmannschaft geförderten Einrichtung des „Grossen Kon­ zerts“ 1743 die „Hauptmusic“ in den Got­ tesdiensten der Thomas- bzw. Nicolai-Kir­ che das wichtigste Musikereignis in der Öf­ fentlichkeit war. Diese zu besorgen war Auf­ gabe des Director musices, des Musikdirek­ tors der Stadt, Johann Sebastian Bach, die jeweils rund eine halbe Stunde dauernde Kantate vor der Predigt. Große finanzielle Anstrengung Für den Benediktinerkonvent Villingen, der nicht zu den besonders wohlhabenden zählte, war der Bau der Silbermann-Orgel eine große finanzielle Anstrengung. 1752 wurde die Trompette 8’ im Hauptwerk noch ausgespart, im Juni 1753 nachgeliefert und eingebaut. Im Zusammenhang mit dem O r­ gelbau in Amtenhausen 1758 wurde der Dis­ kant des Echo-Werks hinzugefügt, zu An­ fang Oktober 1759 der Bassteil des Echo- Werks mitsamt dem Fagottbass 8’ eingebaut. Silbermanns Prinzip von der Solidität und Dauerhaftigkeit seiner Arbeiten bewährte sich auch in Villingen. Mit berechtigtem Stolz verweist er noch 1776 in einem Brief an den Abt von St. Märgen auf die Äuße­ rung des Abtes von Weingarten, der daheim seine große Gabler-Orgel hatte, während des Visitationsbesuches in Villingen 1753; „… zum Beyspiel kann hier anmerken, daß als Ihro Hochwürden und Gnaden der Herr Prälat von Weingarten die Orgel bey den H. Benedictinern in Villingen hörten, sich ver­ nehmen ließen: ohngeacht in meiner Orgel zu Weingarten 66 Register befindlich sind, und diese in Villingen nur aus 24 Registern bestehet, so tauschte ich doch meine gegen dieser was den Effect anlangt. Ohngeachtet ich niemalen auf eine Stärcke, sondern auf eine reine Intonation bedacht bin, so kann es nicht fehlen, daß meine Orgeln mit we­ nigen Registern sich distinct und reine hören Villinger S ilberm ann-O rgel lassen.“ Die Villinger Orgel klang in einem Gebiet von Musikausübung und Orgelspiel süddeutscher Prägung französisch. Vater Andreas (1678-1734) hatte die Jahre 1704- 1706 in Paris verbracht, „um sich im franzö­ sischen Orgel-Gousto noch mehr zu perfec- tioniren“. Dies wurde auch zum Prinzip des Sohnes Johann Andreas: „da die Orgeln mehrenteils nach französischem Gousto be­ liebt sind, und gemacht werden.“ Mit der Villinger Orgel kommt französi­ scher Orgelklang über den Rhein, eine frühe Art von Begegnung von gewachsenen Kul­ turen beiderseits des Rheins, ein Vorläufer des Europa-Gedankens. Gleichzeitig gelang Silbermann die Verbindung ins Beziehungs­ geflecht der rechtsrheinischen Benediktiner- Abteien untereinander, was sich für ihn güns­ tig auswirkte für künftige Nachfolgeaufträge: 1758 Amtenhausen „ohnweit Don Eschin- gen“ Benediktinerinnen-Abtei, 1769 Etten- heimmünster (und damit zusammenhän- 1 8 9

M usik und M usikgeschichte Orgelbaumeister Gaston Kern bei der Montage des Spieltisches. gend Riegel 1770), 1772-75 St. Blasien, 1777 St. Märgen (Augustiner-Chorherrenstift). Kampf um die Silbermann-Orgel Nachdem im Preßburger Frieden 1805 Villingen an das Haus Württemberg kam, nahm am 4. Januar 1806 eine königlich württembergische Kommission unter mi­ litärischer Bedeckung das Benediktinerklos­ ter samt allen zugehörigen Orten in Besitz. Das Archiv wurde versiegelt, ein Inventar­ verzeichnis über das Stiftsvermögen musste aufgestellt werden. Am 25. Juli erklärte die württembergische Kommission, obwohl zu­ vor Villingen am 12. Juli an Baden gekom­ men war, das Kloster für aufgelöst und ließ sogleich unter unwürdigsten Umständen das Kirchensilber zusammenraffen und mit den wertvollsten Fahrnissen samt dem Vieh und den Vorräten fortschaffen. Das Stift wurde regelrecht ausgeplündert. Das Klos­ terleben erlischt. Gesang, Musik und Orgel­ spiel verstummen. Nach detaillierter Klär­ ung der Besitzverhältnisse im Eigentum des Großherzogtums Baden, wird festgestellt, dass die schöne Stiftskirche überflüssig wer­ de. Disponibel werden die elf Glocken auf dem Turm samt Turmuhr und Spielwerk so­ wie die Orgel, welche in einem Verzeichnis von 1808 im Generallandesarchiv Karlsruhe unter „Stift Villingen“ sich eingetragen fin­ det mit dem Zusatz: „Von dem alten Silber­ mann verfertigte Orgel, die der St. Blasisch- en noch vorgezogen wird.“ Das Bauamt erhält den Auftrag zu prüfen, ob und wie die Orgel und die Glocken für die neue evangelisch-lutherische Kirche in Karlsruhe zu benutzen sei. Bauinspektor Fischer erhält die Anweisung, die große Glocke in St. Blasien in ihrem Ton zu prüfen „und auf der Rückreise den Weg über Vil­ lingen zu nehmen, um zu ermessen, ob sie mit den hierher bestimmten Glocken der St. Georgen Stiftskirche daselbst harmonie­ ren werde und mit denselben in dem Thurm der neu erbaut werdenden dahießigen Stadt­ kirche werde aufgehängt werden können“, 1 9 0

wobei empfohlen wurde, „diese Beaugen­ scheinigung besonders in Villingen, ohne dadurch Aufsehen zu erregen, vorzuneh­ men.“ Am 25. Februar 1812 wird der Orgel­ macher Johann Ludwig Bürgy vom Groß­ herzoglichen Geheim-Cabinet angewiesen, die Orgel in Villingen abzubrechen. Da mel­ det sich mit Datum vom 23. März 1812 der „Magistrat und die gesamte Bürgerschaft der Großherzoglichen Badischen Donau Kreis Stadt Villingen mit der Bitte um „gnädigste Belassung der 7 Glocken der Kirche des auf­ gelösten St. Georg Stifts dahier samt der da­ zu gehörigen Uhr und Silbermännischen Orgel“. Die Bitte wird abgewiesen mit dem Hinweis auf die Großherzogliche Schen­ kung 1808. Die Villinger Bürger schicken am 18. April 1812 zwei Deputierte, den Stadtrat Handt- mann und den Kirchenpfleger Brotz, zum Ministerium des Inneren in Karlsruhe, um die Bitte mündlich vorzutragen. Das Minis­ terium schickt daraufhin Baumeister Fischer und Orgelmacher Bürgy nach St. Peter, Vil- Villinger Silberm ann-O rgel lingen und Tennenbach zwecks nochmaliger Feststellung, welche der drei Orgeln die ge­ eignetste sei für den Einbau in die neue evangelisch-lutherische Kirche in Karlsruhe. Der Untersuchungsbericht vom 23. April 1812 stellt die überragende Qualität der Vil- linger Silbermann-Orgel erneut heraus, sie „gebe den besten Effect sowohl in der Rein­ heit des Tons als der Stärcke, der Mechanis­ mus sei durchgängig mit möglichster Ge­ nauigkeit bearbeitet … Ohngeachtet dieses Werk nunmehr seit Jahren nicht gebraucht wurde, hat es dennoch seine Stimmung größtenteils erhalten … Die sämtlichen Windladen sind im bessern Zustand, als man es in solchen Reihen von Jahren erwar­ ten kann. Sämtliches Pfeifenwerk ist so stark(wandig) und solcher Güte, als es nur gemacht werden kann. So ist die Wellatur, Abstraktur und Registratur in bestem Zu­ stand. Gedenkt dieses Werk schon drei Jahr verschlossen und nicht gebraucht worden, so hat die Orgel dennoch harmoniert, dass man glauben sollte, als wäre das Werk erst 1098 Ffeifen waren zu restaurieren und einzusetzen. 1 9 1

M usik und M usikgeschichte vor einigen Monat gestimmt worden; be­ sonders zeichnet sich die Vox humana und das Krummhorn sehr gut aus.“ Damit war das Schicksal der Orgel besiegelt und ihr Transport nach Karlsruhe, der am 23. Juni 1812 begann, ausgeführt von Fuhrleuten aus Schwenningen und Tuttlingen. In Karls­ ruhe gefiel der Orgelkasten, ein Werk von Martin Hermann und Hops, nicht, weil er mit den Verzierungen der klassizistischen neuen Kirche nicht übereinstimme. Nach Zeichnungen des Oberbaudirektors Wein­ brenner wurde eine neue Orgelfassade ge­ fertigt. Bürgy fügte bei der Wiederaufstel­ lung einige Register hinzu. Die ganze Orgel wurde durch Abschneiden des Pfeifenwerks höhergestimmt. Damit begannen die Ver­ änderungen des Silbermannschen Werks durch Anpassung an immer neue Moden, die Zug um Zug die ursprüngliche Konzep­ tion des Instruments entstellten. Den Rest besorgten die Bomben 1944. Mit der voranschreitenden Restaurierung des Innenraums der Benediktinerkirche St. Georg konkretisierte sich der Gedanke, diesen Raum mit dem einstigen Klang der Silbermann-Orgel wieder zu füllen, das Ins­ trument zu rekonstruieren. Die Vorausset­ zungen dazu erwiesen sich als günstig. Der Aufstellungsraum in seinen akustischen Ver­ hältnissen ist erhalten samt dem Ausschnitt 1 9 2 in der Emporenbrüstung für das Rückposi­ tiv der Orgel. Im Generallandesarchiv in Karlsruhe sind aus dem einstigen Klosterbe­ stand die Bauakten der Orgel erhalten samt einem handschriftlichen Blatt Silbermanns mit dem endgültigen Registerbestand ab 1759. In den Arbeitsbüchern Silbermanns sind über viele Seiten die Arbeitsschritte vom 6. April bis 25. Mai 1752 genau ver­ zeichnet, ebenso die Erweiterungen: 1753 (Trompette 8’ ), 1758 (Echowerk) und 1759 (Hinzufügung des Fagottbasses 8’). Im Eisass sind – zwar nicht unverändert – doch noch so viele Orgeln von Johann Andreas Silber­ mann erhalten, dass alle Teile für die Re­ konstruktion des Villinger Instruments als Kopien angefertigt werden konnten. Hinzu kommt die Erfahrung des auftrag­ nehmenden Orgelbauers Gaston Kern mit den vorausgegangenen Restaurierungen der Silbermann-Orgeln in Wasselonne und Ebersmünster. Unschätzbar ist die einge- brachte detaillierte Kenntnis der Bauweise Silbermanns von Prof. Dr. Dr. Marc Schae- fer aus Straßburg, der neben seiner Tätigkeit als Orgellehrer am Conservatoire de Musi- que seine Lebensarbeit dem Schaffen der Orgelbauer Silbermann gewidmet hat, von der Dissertation bis zur vorbildlichen Editi­ on der Werkbücher, des sogenannten Sil­ bermann-Archivs, überdies bis zum Vorha­ ben, alle noch er­ haltenen Doku­ mente und Akten­ stücke ebenfalls gebündelt zu ver­ öffentlichen. Das Unterneh­ men Rekonstruk­ tion der Villinger Silberm ann-O r- Organist Christian Schmitt voller Freude an der Silbermann- Orgel.

Villinger Silberm ann-O rgel Orgelbauer Gaston Kern vor seiner weltweit einzigartigen Rekonstruktion einer Silbermann- Orgel. gel hat sich zu einer wissenschaftlichen Auf­ gabe entfaltet. In der Phase der Planung und des Baus der Teile in der Werkstatt mussten immer wieder neue Entscheidungen getrof­ fen werden unter der Fragestellung: „Wie hat’s nun Meister Silbermann wirklich selbst gemacht?“ Das erforderte viel Beobachtung, immer wieder erneutes Nachsehen beim Original. Kopieren hieß dabei: Verlorenes Wissen zurückgewinnen und dies auch do­ kumentieren. Nach dem Projekt in Villingen weiß die Orgelwelt wesentlich mehr über Jo­ hann Andreas Silbermanns Bauweise bis in die kleinsten Details. Großherzige Spenden Beim Bau der Silbermann-Orgel 1767 in der Predigerkirche Basel wurde über den do­ minierenden Mittelturm des Hauptcorpus ein Medaillon gesetzt mit der Inschrift: „ Ex liberalitate civium“ – verwirklicht durch die großherzigen Spenden der Bürger. Dies trifft in besonderem Maße auch für das Villinger Projekt zu, getragen vom Stiftungsrat der Münsterpfarrei und klug gelenkt von Eh­ rendomherr Dekan Kurt Müller sowie dem Finanz-Organisator Ulrich Kolberg. Es ist erstaunlich, wie die Bürger- und Ein­ wohnerschaft nicht nur der Stadt sondern der gesamten Region, ja ganz Deutschlands und angrenzender europäischer Länder, die Erkenntnis aufnahm, dass durch staatlich gelenktes Raubuntemehmen 1812 die Men­ schen in Villingen eines wertvollen Klang­ körpers und Musikinstruments verlustig gin­ gen und dass dankenswerterweise die Spen­ denbeiträge als ein willkommenes Opfer für die Wiedergewinnung eines klanglichen Meisterwerks das Leben der gegenwärtigen und künftigen Generationen dieser Stadt zu bereichern vermögen. Nun erstrahlt das großartige Orgel-Werk wieder in „alter“ Pracht und Klangschön­ heit. Mrof. Dr. Hans Musch 1 9 3

M usik und M usikgeschichte 90 Jahre Dur und Moll Das Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen e.V. – A m 1. Oktober 1912 gegründet „Angespannte Stille, 35 Musikerstarren ge­ bannt auf ihren Dirigenten – die Finger von Kapellmeister, Lehrer, Brauereibesitzer und Stadtpfarrer liegen auf Violine, Oboe und Horn. Direktor Fritz hebt langsam seinen Taktstock. In den folgenden 120 Minuten hört das Villinger Publikum in der Tonhalle klassischen Klängen zu – auf weißen Stühlen zu 80 Pfennig und farbig markierten zu 50 Pfennigen. Sie klatschen ungeteilten Beifall.“ Es hat sich einiges verändert, seit Richard Muschal diese Zeilen nach der Premieren­ vorstellung des Villinger Orchestervereins am 13. Oktober 1912 geschrieben hat. Die Zahl der Musiker ist auf mindestens 60 pro Konzert angewachsen, es musiziert kein Stadtpfarrer und kein Brauereibesitzer mehr beim Sinfonieorchester, gespielt wird nicht mehr in der Alten Tonhalle, sondern im Franziskaner-Konzerthaus und auch die Eintrittskarten sind 90 Jahre nach der Pre­ miere etwas teurer geworden. Das Sinfonieorchester Villingen-Schwen­ ningen e.V. blickt auf eine mittlerweile 90- jährige Geschichte zurück, eine Geschichte in Dur und in Moll. Es gab viele Hochs und Tiefs – einige Male schien das Orchester in seiner Exis­ tenz gefährdet, aber im­ mer wieder haben es die engagierten Musiker ge­ schafft, ihr Orchester am Leben zu erhalten – ja mehr noch, es als unver­ zichtbaren Bestandteil des Villinger-Schwennin- ger Kulturlebens zu etab­ lieren. Nach dem Städte- Dirigent Norbert Kaiser 194 Zusammenschluss, war das Sinfonieorches­ ter unter seinem langjährigen Dirigenten Claus Oberle der erste Verein, der den Zu­ satz Villingen-Schwenningen führte. Das Orchester sieht seine Rolle auch heu­ te noch ganz klar als doppelstädtischer Ver­ ein, der mittlerweile gute Kontakte in die ganze Region hat. Zwölf Dirigenten haben in den 90 Jahren den Taktstock in den Hän­ den gehabt, zwei haben das Sinfonieorches­ ter maßgeblich geprägt: Claus Oberle, der leider im Jubiläumsjahr, am 10. Februar 2002 verstorben ist, und Jörg Iwer. Martin Oberle als Gründer Es war der Vater von Claus Oberle, Martin Oberle, der um die Jahrhundertwende von einem Villinger Orchesterverein träumte. Die Träumereien wurden am 1. Oktober 1912 Wirklichkeit. 35 Aktive – eine „reine Männersache“ – entrichteten den einmaligen Obolus von einer Reichsmark, mit vier M ün­ zen jährlich waren in der Gründerzeit die 65 passiven Mitglieder dabei. Die goldenen Zwanziger hinterließen auch in Villingen ihren Glanz: Die Fabrikanten­ familie Brunner-Schwer wurde eine großzügige Gönnerin des Orchester­ vereins, der einen unge­ ahnten Boom als Kuror­ chester erlebte. Die nun 40 Musiker er­ weiterten ihr klassisches Repertoire um Opernpot­ pourris und Dauerbren­ ner aus Operette und Mu­ sical. Die dreißiger Jahre waren eine unruhige Zeit. Bei Massenarbeitslosigkeit

Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen 90 Jahre nach seiner Gründung präsentiert sich das Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen frisch und dynamisch. und allgemeiner Misere hatten die öffentli­ chen Geldgeber weder Verständnis noch Mittel für die Kultur übrig. Erst das Nazire­ gime brachte für das Kurorchester einen kur­ zen, wenn auch zweifelhaften Aufschwung. Zwar floss mehr Geld in die Kassen, dafür verschwanden die Partituren sämtlicher jü­ discher Komponisten in der Schublade. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs wurde der Geldhahn wieder zuge­ dreht, in Folge wechselten sich sechs Diri­ genten in kurzer Zeit ab. Es waren auch schwierige Umstände: Der Krieg hatte die Gruppe der Aktiven auf zehn Musiker schrumpfen lassen. 1952 tauchte wieder der Name eines Ober- le auf, dieses Mal der des Sohnes, damals freischaffender Künstler. Claus Oberle hat in Freiburg und Trossingen Musik studiert. Chorleiter, Lehrer und Musikdirektor – langweilig war das Arbeitsleben Claus Ober­ les sicherlich nie. Voller Elan nahm er sich des „kümmerli­ chen, kaum spielfähigen Häufchens“ an und steuerte das Orchester – trotz vieler Rück­ schläge – zielsicher auf Erfolgskurs. Die ver­ schiedenen Jugendmusikschulen brachten ebenfalls Bewegung in die Reihen der Musi­ ker, die sich jetzt Kammerorchester nannten. Mit sicherem Gespür schaffte es Claus Oberle, den hervorragenden Ruf des Or­ chesters zu begründen, den es noch heute genießt und den Jörg Iwer kontinuierlich ausgebaut hat. Konzerte finden großen Anldang Mit den Kreuzgangkonzerten im alten Franziskaner und den Kienzle-Werkskon- zerten schuf Claus Oberle zwei echte „Ren­ ner“. Finanziell unterstützt von der Kienz- le-Geschäftsleitung konzertierte das Orches­ ter in der Kantine. Die Konzerte fanden ei­ nen solchen Anklang, dass sie schnell in die Tonhalle verlegt werden mussten. Ziel der Konzertreihe war es, die Musik zu den Men­ schen zu bringen, da gerade viele Fabrikar­ beiter Angst hatten, in einen Konzertsaal zu gehen. Unvergessen auch die Kreuzgangkonzerte, bei denen die Musiker im Klostergarten saßen, das Publikum auf Bierbänken in den 1 9 5

M usik u nd M usikgeschichte vier Seiten des Kreuzganges um von dort der Musik zuzuhören. Oft versanken die Stühle im Schlamm, mit Zeltplanen ver­ suchten die Musiker sich vor Regengüssen zu schützen – aber trotz aller Widrigkeiten waren die Konzerte enorm beliebt. Claus Oberle kann mit Fug und Recht als der geistige Vater des Sinfonieorchesters be­ zeichnet werden und so war es für den Vor­ stand des Vereins und alle Musiker eine trau­ rige Nachricht, als sie erfuhren, dass ihr langjähriger Dirigent am 10. Februar 2002 gestorben ist. Immer wieder hatte Claus Oberle die weitere Entwicklung des Orches­ ters neu konzipiert. Eine absolute Markt­ lücke konnte durch die Einführung der Neu­ jahrskonzerte gedeckt werden. Seine Idee, einmal Tschaikowskijs „Solonelle 1812“ mit Kirchengeläut und echten Kanonenschüs­ sen aufzuführen, verwirklichte er in einem Konzert im Franziskaner, gemeinsam mit den Grenadier Villingen und der Original­ aufnahme der Münsterglocken. Oberle war in den 38 Jahren, die er für das Sinfonieor­ chester und dessen Vorgängerinstitution tätig war, nicht nur Dirigent. Als „Mädchen für alles“ kümmerte er sich um das Seelen­ heil der Musiker, beschaffte Noten, spielte den Chauffeur wenn ein Musiker keine Möglichkeit hatte, zu einer Probe zu kom­ men und schaute nach den Finanzen. Jörg Iwer wird Dirigent Erst als 1979 der damalige Kulturamtsleiter Dr. Walter Eichner Geschäftsführer des Or­ chesters wurde, kümmerte sich zum ersten Mal ein Profi um die Verwaltungsgeschäfte und entlastete Claus Oberle gewaltig, der sich wieder mehr der künstlerischen Seite widmen konnte. Die beiden wurden ein ein­ gespieltes Team und bis zum Abgang von Claus Oberle im Jahr 1989 lief der Betrieb reibungslos. 1990 fand dann etwas statt, das sich jetzt im Jubiläumsjahr 2002 wiederholt: Verschiedene Gastdirigenten bewarben sich um die Nachfolge Oberles und leiteten je­ weils ein Konzert mit dem Sinfonieorches­ 1 9 6 ter. Gewählt wurde Ende des Jahres 1990 Jörg Iwer, der den Taktstock bis zur Saison 2001 in der Hand hielt. Mit großem Können und seiner durchaus eigenwilligen Art baute Iwer den guten Ruf des Orchesters weiter aus, festigte ihn und schaffte es sogar, durch seine Programmge­ staltung eine Art Markenzeichen zu schaf­ fen. Neben Werken der Klassik und Ro­ mantik spielte Jörg Iwer konsequent Stücke zeitgenössischer Komponisten und bot dem Publikum so immer wieder überraschende Hörerlebnisse. Welche Akzeptanz er sich in den elf Jahren als Dirigent in Villingen- Schwenningen erarbeitet hat, zeigte sein großes Abschiedskonzert am 3. Oktober 2001: Mit einer grandiosen Aufführung von Mahlers 9. Sinfonie riss Jörg Iwer das Publi­ kum zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Es war auch Jörg Iwer, der die heute immer beliebter werdende Abonnements-Reihe des Sinfonieorchesters einführte. Er hatte es während seiner Zeit als musi­ kalischer Leiter des Sinfonieorchesters oft recht schwer, denn nach dem Amtswechsel von Dr. Walter Eichner zu Dorothee Stür­ mer und später Herbert Müller lief in der Organisation nicht alles reibungslos. Der Orchesterbetrieb war stetig gewachsen, die Geschäftsführung hatte immer mehr zu tun und konnte ihre Aufgaben – eingebettet in das umfangreiche Arbeitsumfeld eines Kul­ turamtsleiters – nicht mehr zufriedenstel­ lend wahrnehmen. Als rettender Engel in dieser Zeit erwies sich Heike Heuser, Cellis­ tin des Orchesters. Als kommissarische Ge­ schäftsführerin von Januar 1995 bis Januar 1997 und von Oktober 2000 bis März 2001 hielt sie den Betrieb am Laufen. Ende des Jahres 2000 erkannten auch Verwaltungs­ spitze und Gemeinderat den Handlungsbe­ darf, stockten die Zuschüsse auf und lösten die Geschäftsführung aus dem Kulturamt heraus. So befindet sich das Sinfonieorchester Vil­ lingen-Schwenningen e.V. 90 Jahre nach seiner Gründung in einer Phase des Auf­ schwungs und Umbruchs: Mit Christoph

Hess als ersten Vorsitzenden, er löste im Jahr 2000 Theo Kühn ab und Claudia Hoffmann als Geschäftsführerin, sie trat ihr Amt im März 2001 an, arbeiteten die Musikerinnen und Musiker hart daran, auch weiterhin ein ansprechendes, abwechslungsreiches Pro­ gramm auf die Beine zu stellen und dem Publikum ein Orchester in Höchstform zu präsentieren. Besonderer Reiz im Jubiläums­ jahr – auch für das Publikum – ist die Diri­ gentensuche. Fünf Kandidaten wurden aus einer ganzen Reihe von Bewerbungen aus­ gewählt. Sie geben jeweils ein Konzert und Ende des Jahres 2002 wählen Musiker und Vorstand aus diesen Kandidaten einen fes­ ten musikalischen Leiter. Der Aufschwung Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen in dem sich das Orchester befindet und der sicherlich durch eine ganze Reihe hoch­ karätiger, von den Kritikern geradezu über­ schwänglich gelobter Konzerte ausgelöst wurde, dokumentiert sich auch in den Abonnementszahlen: Für die Saison 2002 ist es dem Verein gelungen, die Zahl der Abonnenten um mehr als 30 Prozent zu steigern! So ist aus dem „kümmerlichen, kaum spielfähigen Haufen“ ein stattliches Orches­ ter geworden und die Konzerte sind mitt­ lerweile ein gesellschaftliches Ereignis in der Doppelstadt und dem Landkreis! Claudia Hoffmann Mittlerweile ist das Sinfonieorchester ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens der Stadt Villingen-Schwen­ ningen und der ganzen Region geworden. 1 9 7

14. Kapitel/Almanach 2003 K u n s t u n d K ü n s t l e r V e r a v o n B u c h „ I c h s e h e j e t z t m i t m e i n e n i n n e r e n A u g e n , u n d d i e s e B i l d e r s i n d v i e l k l a r e r . . « Eine Retrospektive zu Lebzeiten? Zuerst wollte sie nicht. „Wa­ rum warten Sie nicht, bis ich gestorben bin, wie das üblich ist?“ hatte sie geantwortet, als die Vöhrenbacher Heimatgilde e.V. (Abteilung Stadtgeschichte) im Jahr 2001 eine Ausstellung mit Werken von Vera von Buch initiieren wollte. Dann ließ sich die alte Dame doch überreden, hat zusammen mit Tochter Lucie Minie am Ufer, 1970, Aquarell, z2 x 42 cm Wiebelt 50 Arbeiten ausgesucht, die dann hunderte Besucherin­ nen und Besucher aus der näheren und weite­ ren Umgebung in die Schwarzwaldgemeinde locken sollten und nachhaltig beeindruckt haben, wie die vielen herzlichen Grußworte im Gästebuch eindrück­ lich dokumentieren. 1 9 8 Vera von Buch

K unst und K ünstler 50 Arbeiten von wie vielen? „Ich weiß es nicht“, antwortet Vera von Buch, die am 9. Juli 2002 ihren 99. Geburtstag gefeiert hat. Dies bei bester geisti­ ger Gesundheit und (angesichts ihres biblischen Alters) körperlich er­ staunlicher Vitalität. Erinnerungen an Moskau, 2000, Gouasche, 4z x 36 cm ■ in L i e b e v e r b u n d e n “ Das Haus in Vöhrenbach, wo die 1903 im lettischen Riga geborene Künst­ lerin mit Tochter Lucie und deren Sohn Roman lebt, gleicht einer Galerie. Kaum ein Winkel, den keine Skulptur schmückt, keine Wand, die nicht voller Bilder hängt. „Und dann noch die ganzen Schubladen! Alles ist voll­ er Bilder und Skizzen, es müssen Tausende sein,“ versucht Lucie Wiebelt vergeblich, das Oeuvre ihrer Mutter zu quantifizieren. Auch davon, wie viele Bilder wohin verkauft wurden, haben beide nur vage Vorstellungen. Sie wissen nur, dass sie in der ganzen Welt verstreut sind, vie­ le in Deutschland natürlich, in Vöhrenbach und in Villingen-Schwennin­ gen vor allem, wo Vera von Buch viele Jahre gelebt und als Gründungsmit­ glied des 1953 ins Le­ ben gemfenen Kunst­ vereins der Stadt die regionale Kunstsze­ ne nachhaltig geprägt und bereichert hat. Ihre Bilder machten sich aber auch auf lange Reisen, nach Spanien, Kanada, in die Vereinigten Staa­ ten, nach Russland und Ägypten. Auch ihr 1996 erschienenes autobiografisches Buch hat dem eigenen Titel nachgeeifert. „Unterwegs“ – veröffentlicht in deutscher und russischer Sprache – wurde von vielen Menschen verschiedener Nationa­ litäten innerhalb und außerhalb Europas gekauft. „Ich bin sehr froh darü­ ber, dass so viele Menschen etwas von mir haben, ein Bild oder das Buch. So habe ich das Gefühl, dass ein Teil von mir immer bei ihnen bleiben wird und wir in Liebe verbunden sind.“ Vera von Buch ist eine Frau, die Spuren hinterlässt. Sichtbare Spuren in ihren Arbeiten und unsichtbare, die in den Seelen der Menschen haften, die das Glück hatten, dieser außergewöhnli­ chen Frau begegnen zu dürfen. 2 0 0 Granatäpfel, 1979, Aquarell, z4 x 38 cm Florenz, 19z7, Öl auf Leinwand, 70 x 60 cm

Vera von Buch 2 0 1

K unst und Künstler Wer uneingeweiht durch das Haus in Vöhrenbach geführt werden würde, käme niemals auf die Idee, dass alle diese Kunstwerke von denselben Hän- den geschaffen, mit demselben Herzen und von demselben Verstand durchdacht wurden. Ölbilder und Aquarelle, Stilleben und Porträts, Land- schaftsmalerei und abstrakte Kunst. „Sie war nie in einer Sparte eingesperrt“, formuliert Lucie Wiebelt, „hat nie einer Mode gehorcht und ist sich trotz aller Kontraste immer selbst treu geblieben.“ Tatsächlich ist die Unter­ schiedlichkeit von Motiv, Material und Ausdrucksform verblüffend, eben­ so die eigenartig elementare Kraft, Lebendigkeit und Ausstrahlung, die an diesen Bildern so faszinieren. Ikone St. Michael, 19z0, Öltempera auf Holz, 12,z x 1z,2 cm „Ich s e h e j e t z t m i t m e i n e n i n n e r e n A u g e n ‚ Die alte Dame hat es sich an diesem kühlen Sommernachmittag im Lehn­ stuhl gemütlich gemacht. Ihr Blick durchs Fenster in den Vorgarten ist ziel­ los. Sie, für die die Augen einst das wichtigste Sinnesorgan waren im Erle­ ben dieser Welt, sie sieht nur noch sehr schlecht, ist darum oft gestürzt in letzter Zeit, hat sich mit der ihr eigenen Zähigkeit und dank der liebevol­ len Fürsorge ihrer Tochter immer wieder erholt. Die Augen, die Beine, die Hände vor allem, sie wollen nicht mehr so recht, nach 99 Jahren kein Wun­ der. „Ich sehe jetzt mit meinen inneren Augen“, stellt sie zufrieden fest, „und diese Bilder sind viel klarer.“ Sie weiß, dass draußen gerade die Rosen blühen, erfreut sich oft an deren Duft und dem von Lavendel und Sommer überhaupt, sie weiß, wo die große Skulptur ihres Enkels Bruno steht, wie sie sich anfühlt. Sie genießt jeden Tag, ist „dankbar für das, was ich erleben darf.“ Doch die intensivsten und schönsten Er­ lebnisse, die hat sie inzwischen in der Erinne­ rung – die meisten haben irgendwie mit Kunst zu tun. Am 9. Juli 1903 wurde Vera von Buch geboren – im Pass allerdings, der während zweier Welt­ kriege, vieler Grenzübertritte und ständiger Flucht durch viele, oft unkundige Hände wan- derte, steht nicht nur ein falscher Geburtstag, sondern auch ein falsches Geschlecht. Das hat die humorvolle alte Dame aber erst recht spät gemerkt und sich köstlich darüber amüsiert, dass sie behördlich als Mann registriert war. 2 0 2 Selbstbildnis, 1966, Öl auf Mresspappe, 100 x zz cm

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K unst und Künstler Bereits mit 27 Jahren wurde sie Witwe – ihr Mann starb nach der Zwangs­ deportation unter Stalin in Sibirien. Die junge Frau musste sich allein mit ihrem Kind durch die Wirren des Krieges schlagen. Als Tochter eines Gymnasialdirektors gehörte Vera von Buch nicht zur proletarischen Klasse – die Chancen, den ersehnten Studienplatz an der Kunstakademie in Moskau zu erhalten, standen schlecht. Doch da sie zu­ vor in einer russischen Behörde gearbeitet und dort nebenbei – aus ihren stets sprudelnden kreativen Impulsen heraus – eine Art Wandzeitung ge­ staltet hatte, war die Obrigkeit gnädig gestimmt und befürwortete ihre Be­ werbung. „Das war einer der glücklichsten Momente meines Lebens.“ Die Kriegsjahre, die Jahre der Flucht, stehen im Mittelpunkt der autobio­ grafischen Reflektionen in „Unterwegs“. Während des Zweiten Weltkrieges absolvierte Vera von Buch die Hochschule der Künste in Moskau, über­ stand den Bombenangriff im Sommer 1941, erkrankte nach dem harten Winter an Lungentuberkulose. Im Sanatorium erfuhr sie die bis dahin un­ geahnte Nähe Gottes. Vera von Buch ist ein tief religiöser Mensch, der in der Gewissheit lebt: „Mich leiten gute Kräfte.“ Auf ihrem Weg zwischen den Fronten verlor sie Eltern und Tochter aus den Augen, floh von Moskau in die deutsch besetzte Ukraine, von Kiew nach Oberschlesien, von dort nach Bayern. Die ganze Zeit malte sie, improvisierte oft, benutzte aus Ma­ terialmangel die Farben der Erde, dies etwa in einem deutschen Offi­ zierskasino, das sie mit verwunsche­ nen Landschaften und hübschen Seejungfrauen schmückte. „Allein die Stimmung des Moments dik­ tierte meinem Pinsel, was, worauf und womit er malen sollte,“ wird sie viele Jahre später sagen. Lucie von Buch hatte wegen ihrer Sprachkenntnisse während des Krie­ ges immer Arbeit gefunden, als Sekretärin, Zimmermädchen oder Kran­ kenschwester in einem Lazarett in Kiew, wo ihr späterer Ehemann Lothar Wiebelt auf sie aufmerksam wurde. Wiedergesehen haben sich die beiden aber erst, als Mutter und Tochter – inzwischen wieder vereint – Ende der 1940er Jahre im Schwarzwald landeten. Hier war der jungen Witwe („Ich hatte schließlich Ikonen-Malerei ge­ lernt.“) ein Job als Uhrengehäuse-Bemalerin angeboten worden, sie bewähr- 2 0 4 hfmgstrosen, 1983, Aquarell, z2 x 38 cm Sonnenblume mit Vase, 1997, Gouasche, 43 x 37 cm Seerosen, 1997, Mischtechnik, z3 x 210 cm

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Kunst und Künstler te sich, wurde heimisch bei uns. Bald war sie in der Lage, von ihrer Kunst zu leben und fand auf unzähligen Ausstellungen in Süddeutschland und in Mallorca, wohin sie krankheitsbedingt für 22 Jahre ihren Lebensschwer­ punkt verlegt hatte, öffentliche Beachtung. 80-jährig kehrte sie von der Mittelmeerinsel nach Villingen-Schwennigen zurück, wo sie bis zu ihrem 89. Lebensjahr allein lebte und dann zu ihrer Tochter nach Vöhrenbach zog, die sich seither liebevoll um sie kümmert: „Meine Tochter ist ein Ge­ schenk des Himmels.“ 2001 hat sie ihr letztes Bild gemalt, war mit dem Er­ gebnis aber nicht zufrie­ den und beschloss dann: „Es reicht.“ Im gleichen Jahr starb ihr letzter Schü­ ler, hochbetagt ebenfalls. „Ganz ehrlich“, sagt Vera von Buch leise, „ich habe ihn beneidet.“ Nie habe sie geahnt, dass „Gott mich so lange auf diesem Planeten halten will. Ich soll hier wohl so lange bleiben, um all die Sünden meiner Jugend abzubü­ ßen…“ Angst vor dem Sterben hat diese mutige, kompromisslose und humorvolle Frau ebenso wenig wie sie keine Angst vor dem Leben hatte. Neugierig sei sie auf das, was nach dem irdischen Sein komme, manchmal ahne sie es, in ihren lebendigen Träumen. Vertraut sei ihr der Schlaf als sanfter Verwandter des Todes. „Ich gehe ins Bett wie ins Kino, nach dem Motto: Welcher Film läuft heute nacht?“ Sie fühle sich wie ein Baum, bei dem nach und nach Äste morsch werden und abfallen, bis der ganze Baum stirbt. „Das ist alles ein ganz natürlicher, ununterbrochener Kreislauf. Keimen, wachsen, blühen, Früch­ te tragen, reifen, welken, eingehen. Und dann beginnt alles wieder von vorn.“ Christina Nack 2 0 6 Catalunien Landschaft mit Esel, 19z4, Ol a uf Karton, 40 x 30 cm Lesende, 1980, Tempera, 70 x z0 cm Mein Städtchen, 1988, Gouasche, z0x 70 cm

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Kunst und Künstler F r a n z S p ä t h B i l d h a u e r u n d M a l e r a u s B r ä u n l i n g e n Die Kunst ist so vielfältig wi selbst: Trotz aller vermeintlid mäßigkeiten und chenbar und immer für eine Überraschung gut. Rückblick: 1986 formierte sich in Bräunlingen eine Aktion gegen eine Umgehungsstraße. Organisator der Ak­ tion „Künstler für die Umwelt“ war der in Bräunlingen geborene und nun in Pa­ ris lebende Künstler Franz Späth. 15 Jahre später, die Umgehungsstraße ist mitt­ lerweile realisiert, wird an der Ortseinfahrt aus Richtung Hüfingen eine sechs Meter hohe Skulptur enthüllt. Die Arbeit mit dem Titel „Dionysos“ ist mo­ dern, abstrakt, groß, mit Fernwirkung, zumindest für Bräunlinger Verhältnisse. Aber das wirklich Überraschende an dem neuesten Dokument von Kunst im öffentli­ chen Raum im Landkreis ist die Tatsache, dass die gelungene Großskulptur aus Stahl ein Projekt des Künstlers Franz Späth ist. Das mutet vorerst konträr an, aber ist zu­ gleich Sinnbild für die Entwicklung und das Kunstschaffen von Franz Späth. Wahrlich: das Leben ist bei Späth kein ruhiger langer Fluss, es ist ein unbändiges Wildwasser, dass sich immer wieder neue Wege sucht, wieder zusammenfließt, neue Ufer erreicht, eine Pause einlegt, um vielleicht doch einmal das große Meer zu er­ reichen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Zeit, die der Aktionist Späth uner­ müdlich mit neuen Projekten ausfüllt. Dabei liest sich der erste Teil der Bio­ grafie des 1951 geborenen Künstlers recht geradlinig und gewöhnlich. Nach dem Abitur am Donaueschinger Fürstenberggymnasium folgt die Bun- „Santudrio Stahl lackiert, 2,4z x 2,z x 6 m, Casa do Mico, Azoia, Mortugal, realisiert 2000.

Franz S päth deswehrausbildung in München. Eine nützliche Schreinerlehre überbrückt die Zeit bis zum Beginn des Medizinstudiums. Nach dem Studium ist Späth als Assistenzarzt in seiner Hei­ matstadt tätig. 1984 kommt die Zäsur, der angehende Arzt bricht mit den bürgerlichen Kon­ ventionen und wendet sich als „Spätberufener“ den Schönen Künsten zu. Wenn schon Aus­ stieg, dann gleich im passenden Umfeld: Seit 1984 nun lebt Franz Späth in der Kunstme­ tropole Paris, sein Atelier befindet sich im Vorort Creteil. Uber einen Zeitraum von elf Jahren war er Assistent bei dem venezuelanischen Künstler Carlos Cruz-Diez, einem bedeutenden Vertreter der farbkinetischen Kunst. Parallel dazu widmet sich Späth seinen eigenen Arbeiten. Die Schreinerausbildung, die Kurse in den ver­ schiedensten künstlerischen Techniken, die Späth schon während seines Medizinstudiums belegte und in seiner Wahlhei­ mat perfektionierte, die wichti­ gen Impulse bei Cruz-Diez, bil­ den das praktische Fundament. Die Formensprache, die Farbge­ bung seiner Arbeiten jedoch sind an keiner Akademie, in keinem anderen Atelier, so gut das Leh­ rer-Schüler-Verhältnis bei Cruz- Diez auch war, lernbar. Sie sind vielmehr Ausdruck einer tief ver­ innerlichten Lebenserfahrung, die, wie könnte es anders sein, von Gegensätzlichkeiten geprägt ist. Dualismen bestimmen von Beginn an das Werk des Künst­ lers, sie bringen somit eine feste, berechenbare Konstante in die wechselvolle Biografie. Die Farbpalette ist äußerst reduziert auf Blau und Rot: Kalt und warm, weiblich und männ­ lich, emotional und rational werden beispielsweise mit diesem Gegensatzpaar symbolisiert. In seiner Malerei muss Franz Späth anders als bei seinen weltweit realisierten Skulpturen voll und ganz auf die subtile Wirkung der gegensätzlichen Farben vertrauen. Trotz der Ein­ schränkung, die zweidimensionalen Arbeiten besitzen eine überaus starke Ausstrahlung. „Schleifzeichnung“ Farbpigmente als Schleifspuren auf Schleifpapier. Dabei geht der „Maler“ recht unorthodox ans Werk. Schicht für Schicht wird mit dem Schleifpapier zuvor aufgebrachte Farbe von den Holztafeln abgetragen bis sich das ge­ wünschte Resultat einstellt. Der Künstler betätigt sich in seinen Schleifbildern als Spuren­ sucher auf unbekanntem Terrain. Er legt frei, um im Verborgenen neues zu entdecken oder 2 0 9

Kunst und K ünstler alte Wurzeln wieder zu finden. Es stellen sich schmerzliche wie erfreuliche Assoziationen ein, das liegt in der Natur der Sache. Die so angewandte Malerei liefert quasi als Neben­ produkt ein weiteres Gegensatzpaar. Die Schleifpapiere werden gleichsam als Negativformen zu amorphen vielseitig deutbaren Bildern. Bei den Skulpturen jedoch wird der Zufälligkeit keine Chance eingeräumt. Perfekt geplant werden die Stahlelemente in wochenlanger Ar­ beit geformt, zusammengeschweißt und anschließend im bekannten Kolorit lackiert. In Costa Rica, in Mexico, in Kanada, in Luxemburg, in Frankreich, in Portugal und in den Vereinigten Arabischen Emiraten stehen die blau-roten Gebilde. Bräunlingen ist der Pre- mieren-Standort auf deutschem Boden. Die Großskulptur an der Umgehungsstraße ist mit ihren stattlichen sechs Metern Höhe zudem ei­ ne der größten Skulpturen, die Späth verwirk­ licht hat. Wie alle Arbeiten von Franz Späth will auch diese Skulptur sinnlich aufzeigen, wie Ge­ gensätze sich harmonisch miteinander verbin­ den können: Nicht in gegenseitiger Auflösung oder Vermischung sondern in friedlicher Sym­ biose. Kontraste wie eckig und rund, außen und innen wachsen so zu einem kreativen Mitein­ ander. Die Skulptur ist statisch stabil, verändert aber auf Grund ihrer drehbaren Lagerung ihre Position. Die strengen geometrischen Formen orientieren sich somit nach der Natur, den Jah­ reszeiten und Himmelsrichtungen. ■ Dionysos wäre ohne Sponsoring nicht möglich gewesen Dass sich eine 6 000 Einwohner zählende Ge­ meinde eine Arbeit in diesen aufwändigen Di­ mensionen leisten kann, verblüfft. Ohne das heutzutage übliche Sponsoring wäre das nicht möglich gewesen. Die finanziellen und sachli­ chen Leistungen verschiedenster Firmen und Institutionen der Region sind aber nur eine Sei­ te der Medaille. Die andere Seite verblüfft noch mehr: Das Werk Dionysos ist ein Geschenk des Franz Späth und „Dionysos“, ohne Sponsoring wäre die Bräunlinger Großskulptur nicht möglich gewesen.

Franz S päth Künstlers an seine Heimatstadt, verwirklicht jedoch wurde sie getreu dem künstlerischen Plan in ehrenamtlicher Arbeit von Norbert Ahrens, Bernhard Hauser, Erich Winkelmann und Uli Zandona. Soviel kulturelles Engagement und Solidarität hat auch den weitgereisten Künstler und Kunstheoretiker Franz Späth, der derzeit als Doktorand an der Universität Pa­ ris in Kunst und Ästhetik beschäftigt ist, überzeugt. Trotz seiner vielen Verpflichtungen plant er schon 2002 ein internationales Bildhauer­ symposium mit Teilnehmern aus allen Erdteilen in Bräunlingen zu veranstalten. Die posi­ tiven Erfahrungen aus dem Dionysos-Projekt könnten aus der Vision eine dauerhafte kultu­ relle Einrichtung für die Bregstadt werden las­ sen. Späth will freilich nicht selbst als Teilneh­ mer auftreten. Eigentlich schade: Aber als Or­ ganisationstalent und Geldbeschaffer hat er auch so genügend zu tun. Als Repräsentant für Europa der Bewegung „Skulpturensymposi­ um “ hat er schon in verschiedenen Ländern mitgewirkt und bringt seine besten Verbin­ dungen in das Vorhaben mit ein. Verträgt eine Kleinstadt wie Bräunlingen überhaupt soviel zeitgenössische Kunst? Ein zuviel kann es ei­ gentlich nie geben, vorausgesetzt das Werk wird überhaupt wahrgenommen. Dazu schreibt Franz Späth 1988 anlässlich der Reali­ sation seiner Skulptur in Costa Rica: „Wenn meine Arbeit – ohne jegliche Vorerklärung – eine innere Bewegung auslösen kann, sei es ein Staunen, eine Zuneigung oder auch eine Be­ unruhigung oder gar eine intensive Ableh­ nung, dann kann ich mit dem Werk zufrieden sein. Denn diese Emotionen können der An­ fang eines Austausches, von Kommunikation sein“. Der Anfang ist mit dem Dionysos ge­ macht, auf weitere fruchtbare, künstlerische Kommunikationsauslöser darf man nun in Bräunlingen gespannt sein. Stefan Simon Stahlskulptur, acht Meter hoch, in Ecatepec, Mexiko, 1988.

Kunst und K ünstler „Schleift ild 19“ Diptychon, Acrylfarben auf Holz, 17z x 17z x 7 cm, 1990 2 1 2

Franz Späth „Dessin Abrasifà 30 éléments “ Farbpigmente als Schleifspuren auf Schleifpapier, 63 x 93 x 6 cm, 1992 2 1 3

K unst und K ünstler G a l e r i e „ Z u r A l t e n l i n d e “ H e r b e r t S c h e u e r m a n n u n d S t e f a n S i m o n V E R M I T T E L N Z E I T G E N Ö S S I S C H E K U N S T „Ein Lichtblick in der Kulturszene“ (Gästebuch) ist die seit fünfjahren existie­ rende Galerie „Zur Alten Linde“ in Obereschach. In der Dorfmitte unterhalb der Kirche steht das stattliche Haus, umgeben von einem Blumen- und Gemüse­ garten. Vor dem Haus die namengebende Linde, früher befand sich hier eine weit bekannte Bäckerei, zu der eine Gastwirtschaft gehörte: „s’Lindewirts“ wohn­ ten hier. In der alten, noch original erhaltenen Gaststube, dem ehemaligen Verkaufsraum und der Backstube hängt heute zeitgenössische Kunst. Herbert Scheuermann, der Sohn des letzten Lindewirts, hat das Handwerk, aber nicht den Ort gewechselt. Er ist Kunsthistoriker geworden. Während des Studiums in Freiburg traf er seinen Jugendfreund Stefan Simon aus Marbach, der in der Region als Kunstkritiker bekannt ist. Nach und nach reifte bei den beiden die Idee, in dem Elternhaus von Herbert Scheuermann eine Galerie einzurichten. Heute vermitteln sie auf hohem Niveau Kunst in unserer Region. Die beiden engagierten Männer verstehen sich als ergänzendes Team. Sie ar­ beiten effektiv, vertrauensvoll und recht entspannt zusammen. Mit jeder Ausstellung beziehen sie Position, auch wenn dies Risiken birgt. Dennoch sind sie auf den finanziellen Erfolg angewiesen, weil nur dadurch die Zukunft des Projektes garantiert ist. Manchmal ist dies ein Drahtseilakt. Trotz der erfreulichen bisherigen Bilanz wollen sich die beiden nicht auf ihrem Erfolg ausruhen, sondern weiter an ihren Zielen arbeiten. Angestrebt wird die Erweiterung des Interessentenkreises und die Kooperation mit Sammlern. Ein zweites wirtschaftliches Standbein der Galeristentätigkeit soll die Zusammenarbeit mit regionalen Firmen werden. Am Aufgang der Galerie „Zur Alten Linde“. 214

G alerie „Zur A lten L inde“ SSgkn’Bäefo Vor der Galerie: Feuer-Merformance des Dauchinger Künstlers Axel Heil, 1999. Finissage-Merformance von Rupert Schuhmacher, Sommer 2000. 2 1 5

K unst u nd K ünstler Sie sind bei der Auswahl der Künstlerinnen sowohl in stilistischer als auch in formaler Hin­ sicht offen. Einig sind sie sich aber darin, dass sie keine Hobbykünstlerinnen ausstellen wol­ len. Zum Zuge kommen an den Kunstakademien ausgebildete Kunstschaffende. Diese kön­ nen aus unserer Gegend stammen oder in großen Metropolen wohnen, können am Anfang ihrer Karriere sein oder schon einen Namen haben. Für die Auswahl maßgebend ist die Qua­ lität der Arbeiten und der persönliche Bezug. Manchmal gibt es Vernetzungen von unserem ländlichen Raum mit Großstädten wie im Fall des aus Villingen stammenden Paul Revel- lio, der heute in Berlin lebt und arbeitet. Mit ihm starteten die beiden Freunde ihr mutiges Experiment. Am Eröffnungstag waren über 200 Gäste anwesend. So wurde die Galerie „Zur Alte Linde“ nicht nur bekannt, sondern erwarb sich einen gut­ en Namen als Kunstadresse. Den Einstieg erleichterten der Erfahrungsschatz und die guten Kontakte beider. Stefan Simon zum Beispiel konnte bereits bei der kunstvermittelnden Tätigkeit für seinen inzwischen verstorbenen Vater, den bekannten Holzschneider Hermann Simon, Erfahrungen in Pressearbeit und Verkaufstätigkeit sammeln. Die Eintragung „welch sinnlicher Genuss“ im Gästebuch bezieht sich vielleicht nicht nur auf die Kunst, sondern auch auf den Wein, der bei jeder Vernissage ausgeschenkt wird. Der ausstellende Künstler entwirft das Etikett. Außerdem gibt es gelegentlich auch eine kleine Edition von Etikettunikaten. So hat der im Herbst 2000 ausgestellte Königsfelder Künstler Jochen Winckler eine sehr originelle Reihe von Weinplastiken aus Fundstücken, Knochen und schmiedeeisernen Teilen geschaffen. ■ A u c h K u n s t u n e r f a h r e n e s o l l e n a n g e s p r o c h e n w e r d e n Die Galerie „Zur Alten Linde“ möchte auch Kunstunerfahrene ansprechen. Allerdings ist der Austausch mit Kunstprofis ein wichtiger Impulse für die Galerietätigkeit. Den Besucher erwarten Werke in den klassischen Techniken wie Malerei, Zeichnung und Skulptur. Neben den jetzigen Galerieräumen besteht auch die Möglichkeit, in der angrenzenden Scheune Kunstobjekte auszustellen oder sie für Kunstevents zu nutzen. Zwei solcher Ereignisse gab es bereits in den vergangenen fünfjahren: Eine witzig-hintergründige Golf-Performance von Rupert Schumacher und eine Feuerperformance von Axel Heil. Für die Galeristen ist es kein Problem Künstlerinnen zu finden, die bei ihnen ausstellen wollen, da sie in den entsprechenden Kreisen einen seriösen Ruf besitzen. Meist haben sie ohnehin einen persönlichen Draht zu den Künstlern wie z.B. bei Gotthard Glitsch, Petra Kösters, Martin Wernet, um nur drei Namen zu nennen. Von Gabrielle Stellino sahen sie eine Ausstellung in Freiburg und stellten erste Kontakte her. Ähnlich lief es bei dem schon arrivierten Maler Dirk Sommer. 2 1 6

Galerie „Zur A lten Linde“ Ausstellung Jochen Winckler in der Galerie, September bis November 1999. Den Bildhauer Peter Hauck lernte Stefan Simon über seine Journalistentätigkeit kennen. Sie wollen auch Plattform für junge, unbekannte Künstlerinnen sein. Deswegen wird im­ mer wieder nach bekannten Namen ein unbekannter ins Programm aufgenommen, wie z. B. die Kölnerin Anne Cichos. Das zahlt sich für beide Seiten aus; die jungen Künstlerinnen erhalten ein Forum, aber auch für die Galerie ist das vorteilhaft. Denn sobald ein Katalog entsteht, wird die „Galerie zur Alten Linde“ erwähnt. So arbeiten die beiden Galeristen ziel­ strebig daran, sich auf dem überregionalen Kunstmarkt zu etablieren. Ein Meilenstein auf diesem Weg war die Ausstellung des international renommierten Freiburger Künstlers Peter Vogel im Jahr 2001. Viele Kunstliebhaber brachten dessen interaktive Objekte, die auf Licht, Schatten und Geräusche rea­ gieren, in Obereschach zum Klingen. Peter Vogel ist durch seine Installationen bei den Donaueschinger Musiktagen und das Klangtriptychon im Landrats­ amt Villingen auch hier bekannt. Antonia Reichmann Galerie Zur Alten Linde Herbert Scheuermann & Stefan Simon Niedereschacherstraße 1 78052 VS-Obereschach Telefon 07721/71333 Fax 71334 Offnungsszeiten: D o. und Fr. 14 – 19 Uhr Sa. 1 1 – 1 5 Uhr u. n. V. 2 1 7

15. Kapitel /Almanach 2003 Gesellschaft und Soziales Von Suomi in den Schwarzwald Finnische Frauen im Schwarzwald-Baar-Kreis Sie haben in unserer Region ein Zuhause gefunden und sind in ihre Wohngemeinden fest integriert – eine Gruppe finnischer Frau­ en, die vor einer Reihe von Jahren für eine begrenzte Zeit hierher kommen wollten – und blieben. Ihre Lebensgeschichte ist eng verknüpft mit einem Stück Zeit- und Industriege­ schichte unserer Region. Die ersten Finninnen kamen in den Jahren 1961 und 1962 nach Schwenningen. Es war dies die Zeit des großen Wirtschaftswachs­ tums, in der viele ausländische Arbeitskräf­ te ins Land gerufen wurden, um die seit lan­ gem klaffenden Lücken auf dem Arbeits­ markt zu schließen. So berichtet im Jahre 1963 die Neckar­ quelle1), daß damals in Baden-Württemberg 209 500 ausländische Arbeitnehmer be­ schäftigt waren, das bedeutet, daß aß 6,5 % aller Arbeitnehmer oder fünfzehnte ein jeder fast 2 1 8 Ausländer war. Der Prozentsatz im Bezirk Villingen-Schwenningen lag mit 5,6 % etwas unter dem Landesdurchschnitt. Schwenningen wiederum hatte den höch­ sten Anteil an ausländischen Arbeitskräften im Arbeitsamtsbezirk zu verzeichnen. Die „Gastarbeiter“ kamen aus vielen Ländern, hauptsächlich aus Italien, Spanien, Jugosla­ wien, Griechenland und der Türkei. Erste Kontakte in den 1960er Jahren Aber es gab auch eine Reihe ausländischer Besucher in der Stadt und darauf war man besonders stolz. So überschreibt der Schwarzwälder Bote im Sommer 1961 einen Artikel mit dem Ti­ tel: „International – nicht nur durch Arbei­ ter.“ 2) Es wird hier von Urlaubsaufenthalten und Austauschbesuchen junger ausländischer Gäste, besonders von Franzosen, berichtet. Erwähnt wird aber auch eine andere Grup­ pe ausländischer Besucher, die „Urlaub und Arbeit miteinander verbinden“. Es handelt sich bei ihnen hauptsächlich um Studen­ ten aus Skandinavien, die in den Ferien nicht nur Geld verdienen, sondern auch möglichst viel sehen und kennenler­ nen wollten. Diese Beschreibung trifft vielfach auch auf unsere Finninnen zu. Nicht nur in den Ferienwochen, sondern für längere Zeit hielten sich finnische Jugendliche Anfang der 1960er Jahre in der Bundesre­ publik auf, weil sie sich für die Fünf junge Finninnen, Mirjo und Freundinnen im Wohnheim.

Von Suomi in den Schwarzwald Das Gebäude der Uhrenfabrik Mauthe in VS-Schwenningen, 1968. deutsche Sprache und Kultur interessierten. Teils arbeiteten sie als Praktikanten, teils wa­ ren sie als Arbeitnehmerinnen tätig oder aber sie absolvierten ein reguläres Studium. Unter der Überschrift „30 finnische Mäd­ chen gefilmt“ 3) berichtet 1965 die Neckar­ quelle vom Besuch einer Studiengruppe des finnischen „Ministeriums für Kommunika­ tion und allgemeine Arbeiten“ bei der Schwenninger Uhrenfabrik Mauthe, wo zu dieser Zeit rund 30 finnische Mädchen be­ schäftigt waren. Die Kommission filmte sie am Arbeitsplatz, unterhielt sich aber auch mit den Mädchen und fragte sie nach ihrem Ergehen und ihren Verdienstmöglichkeiten, um davon in der Heimat berichten zu kön­ nen. Jedenfalls war der Verdienst in Deutsch­ land wesentlich höher als in Finnland, wo starke Rezession herrschte. Alle Finnen in der Bundesrepublik wurden damals auf fin­ nischer Seite vom „Ministerium für Kom­ munikation und allgemeine Arbeiten“ be­ treut, auf deutscher Seite von der Carl-Duis- berg-Gesellschaft. Als günstig für die bei Mauthe beschäftigten Finninnen erwies sich, daß die Firma für sie Zimmer in einem Wohnheim zur Verfügung stellen konnte. Der Mietpreis war mäßig und die Bewohne­ rinnen fühlten sich in den sauberen Räu­ men sehr wohl. Trotz der strengen Haus­ ordnung – Besuche waren verboten – ent­ standen viele Kontakte und zum Teil auch Ehen. Dies beweisen die Biographien einiger fin­ nischer Frauen, die wir hier beispielhaft für die ganze Gruppe anführen wollen. Die finnischen Praktikantinnen und Ar­ beitnehmerinnen kamen zu verschiedenen Zeiten in unsere Region. Eila Naumann Die Ankunft der ersten, Eila Naumann, fiel in das Jahr 1961. Eila war damals 18 Jahre alt, 2 1 9

Gesellschaft und Soziales besaß die Mittlere Reife und war in Helsin­ ki in einer Niederlassung für Import und Groß­ handel der Firmen Mauthe und Zenith tätig gewesen. Bei einem Geschäftsbesuch hatten zwei Direktoren von Mauthe ein Angebot für jun­ ge Interessentinnen unterbreitet, die ein ein­ jähriges Praktikum machen wollten, um ih­ re Deutschkenntnisse zu verbessern. Das hatte Eila angesprochen. Sie schloß ei­ nen Vertrag ab und kam mit ihren beiden Freundinnen für ein Jahr zu Mauthe nach Schwenningen. Im September 1962 hieß es für die drei Mädchen dann wieder Abschied nehmen und in die Heimat zurückkehren. Dort hielt es sie aber nicht allzu lange. Eine von Eilas Freundinnen zog es nach Österreich, die an­ dere nach England, wo sie noch heute mit ihren Familien leben. Auch Eila kehrte im Januar 1963 nach Schwenningen zurück und heiratete ihren Mann, den sie bereits im ersten Praktikums­ jahr kennengelernt hatte. Sie suchte und fand eine Stelle im Verwaltungsbereich bei Kienzle-Uhren in Schwenningen. Zwanzig Jahre, von 1963 bis 1983 blieb sie in der Fir­ ma tätig. Auf Grund der schlechten wirt­ schaftlichen Lage des Betriebes erhielt sie dann ein Abfmdungsangebot und schied aus der Firma aus. Unverdrossen wagte sie nochmals einen Neuanfang, zusammen mit ihrer jüngsten Die Abteilung „Kontrolle“ in der Firma Mauthe, 1962, mitfinnischen Mädchen. 2 2 0 Tochter machte sie sich im März 1994 selb­ ständig und eröffnete ein Damenmodenge­ schäft in Donaueschingen, in dem sie noch heute tätig ist. Daneben widmet sich die zweifache Großmutter gern ihrer Familie. Die Verbindung zu Finnland hat Eila nie abbrechen lassen. Da sie dort ein Sommer­ haus besitzt, fährt sie zwei bis dreimal im Jahr mit dem Auto dorthin. Obwohl sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, be­ trachtet sie Finnland noch immer als ihre Heimat. Ihre Kinder dagegen fühlen sich als Deutsche. Wenn Eila einmal nicht mehr berufstätig ist, möchte sie die Hälfte des Jahres in Finn­ land und die andere Hälfte in Deutschland verbringen. Pirjo Rumpelt Ebenfalls auf Einladung von Mauthe- Uhren kam 1962 Pirjo Rumpelt mit einer Gruppe von 20 finnischen Mädchen nach Deutschland, sie selbst nach Schwenningen. Das Unternehmen hatte sich der Vermitt­ lung des finnischen Arbeitsamtes bedient und mit seiner Hilfe Prospekte an die wei­ terführenden Schulen des Landes versandt, um Praktikanten zu gewinnen. Die Bewer­ berinnen kamen aus ganz Finnland, waren zwischen 18 und 20 Jahren alt und konnten zumeist einen Handelsschulabschluß nach- weisen. Auch beherrschten sie Fremdspra­ chen: Schwedisch, Deutsch oder Englisch. Ihre Anwerbung war erfolgreich wegen der engen Geschäftsbeziehungen zu Finnland und der guten Bedingungen, die geboten wurden: Die Firma bezahlte die Fahrkosten und stellte im Schwenninger Adlerring eine Unterkunft in Doppel- und Einzelzimmern zur Verfügung. Eine Monatsmiete kostete zwischen 30 und 40 DM, die monatliche Vergütung be­ trug 320 DM. Trotz der vorhandenen Vörkenntnisse be­ reitete das weitere Erlernen der deutschen Sprache große Schwierigkeiten. Die Prakti­ kantinnen besuchten Deutschkurse in der

Das Wohnheim im „Adlerweg 7“ in Schwenningen. Volkshochschule, hatten aber Verständnis­ probleme, da die Lehrer nicht Finnisch spra­ chen. Im Betrieb war Pirjo in der Kontrollabtei- lung für Küchenuhren beschäftigt. Auch sie lernte während ihres Praktikums­ jahres ihren zukünftigen M ann kennen. Wolfgang Rumpelt war 1961 aus der dama­ ligen DDR nach Westdeutschland gekom­ men. Sein Versuch, nach Pirjos Rückkehr nach Finnland dort eine Arbeit zu finden und eine Aufenthaltsgenehmigung zu be­ kommen, scheiterte. So kehrten erst er, dann Pirjo nach Schwenningen zurück. 1965 erfolgte die Heirat, und Pirjo konnte ihre Arbeit bei Mauthe wieder aufnehmen. Nach der Geburt des Sohnes verließ Pirjo die Firma und widmet sich seither ihrer Fa­ milie. Da die Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder noch in Finnland leben, fährt Pirjo mit ihrem Mann öfters dorthin zu Besuch. Am Wohnort in Schwenningen haben die beiden ihren Freundeskreis in der Deutsch- Finnischen Gesellschaft gefunden, für die sie sich mit ganzer Kraft engagieren. Riitta Bennetz Riitta Bennetz fuhr als Studentin im Som­ mer 1969 auf den Kontinent, um Sprachen zu studieren, in diesem Fall Französisch. Auf der Durchreise nach Neuchâtel besuch­ te sie in Freiburg eine Studienkollegin und wie es das Schicksal so wollte – lernte sie ih­ ren späteren Mann kennen, der dort stu­ dierte. Gegenseitige Besuche folgten, bei de­ nen man Französisch sprach; denn trotz sechs Jahren Schuldeutsch beherrschte Riit­ ta die deutsche Sprache nicht. Sie lernte sie erst richtig beim Briefeschreiben. Nachdem beide Partner ihre Ausbildung abgeschlos­ sen hatten fand 1972 in Finnland die Hoch­ zeit statt. Waldshut wurde zum ersten Wohn­ Von Suomi in den Schwarzwald sitz für das Paar. Riitta bekam sofort eine Stelle an der Realschule und unterrichtete Englisch, Französisch und fachfremd auch Erdkunde und Biologie. Nach dem Umzug nach Schwenningen arbeitete Riitta bis zur Geburt des ersten Kindes an der Realschule am Deutenberg. Nach ihrer Beurlaubung wurde sie nicht wieder eingestellt. Nach der Gründung einer Arztpraxis im Brigachtal nahm die Familie dort ihren Wohnsitz. Riitta hilft in der Praxis, unterrichtet aber auch seit zwanzig Jahren an den Volkshoch­ schulen Donaueschingen und Villingen- Schwenningen und an der Abendrealschule. Leene Pikkanen-Müller Aus Karelien stammt Leena Pikkanen- Müller. Sie kam 1967 ebenfalls zur Erweite­ rung ihrer Sprachkenntnisse in den deutsch­ französischen Raum und beschloß dann, dort beruflich Fuß zu fassen. Über Tätigkei­ ten für eine französische Firma in Düssel­ dorf und München führte sie die Begegnung mit ihrem späteren Mann nach Villingen- Schwenningen, wo sie eine Banklehre be­ gann. 1974 fand die Hochzeit statt, nach der Geburt der ersten Tochter 1978 sorgte sie 14 Jahre lang nur für ihre Familie, die um vier Kinder angewachsen war. In dieser Zeit bildete sie sich jedoch weiter fort, so daß sie wieder berufstätig werden konnte und eine Stelle bei der Volksbank er­ hielt, wo sie auch heute noch tätig ist. Raija Schlenker lernte ihren Mann, der aus 2 2 1

Gesellschaft und Soziales Vier Finninnen: Riitta, Leena, Raija, Mirjo. Triberg-Gremmelsbach stammt, 1972 in Finnland kennen. Dort waren beide in der Gastronomie beschäftigt. Sie beschlossen 1975 zu heiraten und nach Deutschland zu gehen. Den ersten Arbeitsplatz fanden sie in Ber­ lin, dann zog das Ehepaar nach Bad Dürr­ heim, wo es mehrere Jahre wiederum in der Gastronomie arbeitete. Nach dem Umzug nach Schwenningen ist der Ehemann jetzt im Bürgerheim tätig. Annikki Vierling Annikki Vierling traf ihren Mann 1978 auf einer Sizilienreise und heiratete ihn ein Jahr später. Der erste Wohnort war Ludwigsburg. Dann zog die Arztfamilie mit mehreren Kindern 1994 nach Schwenningen, wo der Vater am Klinikum tätig ist. Die Kinder wachsen zwei­ sprachig auf. Das gelingt, da jeder Partner zu Hause seine eigene Sprache spricht. Fin­ nisch wird außerdem bei Besuchen in Finnland prak­ tiziert. Nicht so reibungslos ge­ braucht man Zweisprachig­ keit in den übrigen Famili­ en. Eines der Kinder von Riit­ ta Bennetz, Maike, lernte als Kind Finnisch. Sie kann heute noch viel von der Sprache verstehen, aber sie nicht mehr sprechen. Sie erklärt sich das Problem aus der Schwierig­ 2 2 2 keit des Umschaltens von einer Sprache in die andere beim Umgang mit Gleichaltrigen oder in schulischer Umgebung. Ähnlich steht es bei der Familie Müller. Das erste Kind sprach anfänglich Finnisch, die ande­ ren Kinder lernten es nie. Vielleicht liegt es hier auch daran, daß man nur noch wenige Kontakte zu Finnland pflegt. Leena stammt aus Karelien, das nach dem Krieg an Rußland abgetreten werden mußte. Leenas Eltern verloren ihren Hof, und die Familie wurde vertrieben. Daher sieht Leena ihre Heimat heute in Deutschland. Fragt man die übrigen Frauen nach ihrer Heimat, dann sehen sie diese sowohl in Finnland, wo sie verwurzelt sind, als auch in Deutschland, wo sie heute leben. Heimweh empfinden die Frauen wohl noch manchmal nach Besuchen in Finn­ land. Das Gefühl nicht so stark beim allmäh­ lichen Sich-Entfernen mit dem Schiff, wie beim abrupten Abschied mit dem Flugzeug. Die Kinder aus den deutsch-finnischen Fa­ milien sind hier voll integriert. Sie fühlen sich als Deutsche, haben aber ihre finni­ schen Wurzeln nicht vergessen. Die finnischen Frauen erinnern sich, daß sie trotz deutschen Sprachunterrichts in der Schule bei ihrer Ankunft in Deutschland große Kommunikationsschwierigkeiten hat­ ten. Sie bildeten sich hier wei­ ter in Kursen bei der Volks­ hochschule oder der Ber- litzschule, auch besuchten einige Deutschkurse an der Universität. Heute beherr­ schen sie aber die deutsche Sprache fließend. Alle Finninnen betonten auch die gute Akzeptanz, die sie von vornherein fan­ den, sieht man ab von Fra­ gen wie: „Gibt es in Finnland Eisbären?“ Oder „herrscht da große Armut?“. Bei der Ausbildung und besonders beim Studium an der Universität konnten sie eher Annikki und Wolfgang Rumpelt in der Bibliothek.

Vorteile als Nachteile verzeichnen. Gehol­ fen hat den finnischen Frauen ihr Selbstbe­ wußtsein und ihr für die damalige Zeit be­ sonders emanzipiertes Auftreten. Ihren Le­ bensweg sind sie mit Mut, Selbständigkeit, Ausdauer und Durchsetzungsvermögen ge­ gangen. Wenn hier von der Integration der finni­ schen Frauen in die Region Schwarzwald- Baar berichtet wird, dann sollte auch er­ wähnt werden, daß auch einige hier lebende Ehemänner aus Skandinavien und speziell aus Finnland stammen, und daß Frauen aus der Doppelstadt in Finnland verheiratet sind und starke Bindeglieder zwischen den beiden Kulturen darstellen. Liisa Keller-Nicola Der Zusammenhalt unter den deutsch-fin­ nischen Familien der Region ist stark. Dies ist besonders ihrer starken Zugehörigkeit zur Deutsch-Finnischen Gesellschaft zu verdan­ ken, die 1974 von Helmar Keller und seiner finnischen Frau Liisa Keller-Nicola gegrün­ det wurde. Helmar hatte Finnland erstmals 1960 mit dem Motorroller erkundet, war 1961 wie­ dergekommen und hatte in Lappland seine spätere Frau kennengelernt. Nach Abschluß der Ausbildung beider Partner wurde 1965 geheiratet. Zum Wohnort wählte man Hel­ sinki, wo Liisa den Beruf einer Mode- und Textildesignerin ausübte, und Helmar in ei­ nem graphischen Betrieb tätig war. 1971 bedingte eine Geschäftsübernahme die Übersiedlung nach Villingen. Bald lernte das Ehepaar dort eine Reihe skandinavischer und besonders finnischer Familien kennen, die sich aus beruflichen Gründen im Schwarzwald angesiedelt hatten. Das beflügelte die Idee der Gründung ei­ nes Skandinavier-Clubs im Jahre 1973, aus dem im Folgejahr die Deutsch-Finnische Gesellschaft hervorging. Dank ihrer Mit­ glieder, meist junger Familien, entwickelte sich eine sehr aktive Bezirksgruppe, die jedes Jahr ein abwechslungsreiches Programm orga- Von Suomi in den Schwarzwald Ausstellung in der Schwenninger Stadtbibliothek. nisierte. Neben dem traditionellen Mitt- Sommemachtsfest auf dem Brend wurden Bustouren,Ski- und Wanderfreizeiten ge­ staltet, die besonders für Familien mit Kin­ dern geeignet waren. Finnische Kultur vermittelten Dichterle­ sungen und Kantele-Konzerte, und den Ab­ schluß des Jahres krönte die finnische Weih­ nachtsfeier mit dem Jule Pukki und dem Lu­ cia Einzug. Zwar sind die Kinder inzwischen herange­ wachsen, doch die lebendige Gemeinschaft ist geblieben. Gern trifft man sich alle vier Wochen zu Programm und Gespräch und freut sich über den reichhaltigen kulturellen Veranstaltungskalender. Nach den Ferien werden besonders gern die Erfahrungen vom Besuch in der finnischen Heimat aus­ getauscht. Man fühlt sich miteinander wohl und ist auch froh, im Schwarzwald zu Hau­ se zu sein. Der Brückenschlag zwischen fin­ nischer und süddeutscher Kultur und Le­ bensweise ist hier voll gelungen. Marianne Kriesche F u ß n o ten 1 Neckarquelle, 10. D ezem ber 1963 2 Schwarzwälder Bote, 11. August 1961 3 Neckarquelle, 8. Mai 1965 2 2 3

Gesellschaft und Soziales Koronarsport: Gezielte Bewegungsbehandlung Arbeitsgemeinschaft Ambulante Herzgruppe Schwarzwald-Baar-Kreis-Heuberg e. V. Als sich 1981 einige engagierte Ärzte aus Villingen und Umgebung zusammenfan­ den, um eine Arbeitsgemeinschaft zu grün­ den, welche den sich damals bundesweit entwickelnden „Koronarsport“ auch für die Raumschaft erschließen sollte, konnten sie nicht ahnen, dass diese Initiative sich bis heute zu einer flächendeckenden Nachsorge für Herzpatienten entwickeln würde. Worum geht es bei dem sogenannten Ko­ ronarsport? Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der bayerische Arzt Dr. Ortei damit begonnen, Herzinfarktpati­ enten einer Bewegungsbehandlung zuzu­ führen. Ihn leitete die richtige Vorstellung, dass ein kranker Muskel durch Bewegung ge- kräftigt werden könnte. Obgleich die Thera­ pie des Dr. Örtel im einzelnen erfolgreich war, kam es bei damals unzulänglichen diag­ nostischen Möglichkeiten gleichfalls zu be­ dauerlichen Todesfällen, so dass dieser the­ rapeutische Ansatz wieder verlassen wurde und in Vergessenheit geriet. Erst runde 100 Jahre später griff, wiederum im Bayrischen, Dr. Peter Beckmann in Ohl- stadt bei Murnau den Gedanken wieder auf. Inzwischen hatte man ungleich bessere diag­ nostische und überwachende Möglichkei­ ten, z.B. mit dem Elektrokardiogramm (EKG) und konnte präzise Indikationen sowie not- 2 2 4 wendige Ausschlusskriterien erstellen. Es war dann in den 60ern fast eine Revo­ lution in der Behandlung der Herzinfarkt­ patienten, diese nun nicht mehr streng für wenigstens sechs Wochen an das Bett zu fes­ seln, sondern so früh wie möglich einer ge­ zielten und ärztlich überwachten Bewe­ gungsbehandlung zuzuführen. Eine Behandlung, welche die Funktion des Herzmuskels durch Bewegung verbessert, sollte langfristig angelegt sein und über die an­ fängliche klinische Versorgung hinausgehen. Ehemals „Koronarsport“ Folgerichtig wurde im Rahmen des Behin­ dertensports die Möglichkeit ambulanter Nachsorge eingerichtet. Inzwischen werden nicht nur Infarktpati­ enten, also solche mit krankhaften Veren­ gungen der Koronar-, der Herzkranzgefaße, sondern auch andere, bewegungstherapeu­ tisch zugängliche Herz- und Kreislaufkran­ ke betreut. Weil es dabei nicht um Sport in dessen eigentlichem Sinne, also um Hoch­ leistungstraining oder Wettkampf gehen kann, entstand aus dem „Koronarsport“ die Ambulante Herzgruppe. Ambulante Herzgruppen bieten ein bewe- gungs- und entspannungstherapeutisches Programm mit Gesundheitsbildung und -auf- klärung sowie psychologische Begleitung. Es handelt sich – nach Akutbehandlung im Krankenhaus und Anschlussheilbehand­ lung in einer Rehabilitationsklinik – um die sogenannte 3. Stufe der Rehabilitation, wel­ che in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt verhindern soll, dass die chronisch Kranken Ambulante Herzgruppen bieten ein bewegungs- und entspannungstherapeutisches Mrogramm.

Eine Trennung in Übungsgruppen trägt der unter­ schiedlichen Belastbarkeit der Matienten Rechnung. nach der stationären Behandlung ohne fach­ liche Betreuung allein gelassen bleiben. Der unterschiedlichen Belastbarkeit des Herz-Kreislaufsystems der Teilnehmer ent­ spricht eine Trennung in Übungsgruppen für Patienten mit geringem und Trainings­ gruppen für solche mit bereits verbessertem Leitungsvermögen. Die in der Regel einmal wöchentlich ange­ botenen Übungsstunden der Gmppen wer­ den von speziell ausgebildeten Übungslei­ tern geführt und von einem ständig anwe­ senden Arzt mit Notfallausrüstung begleitet. Die finanzielle Grundlage basiert auf der „Gesamtvereinbarung über den Rehabilita­ tionssport und das Funktionstraining“ von 1981 und 1994, worin die Kostenträger mit den Behindertenverbänden als Vertragspart­ ner die Zuschüsse festgelegt haben. Entsprechend der „Gesamtvereinbarung“ wird die Teilnahme an den Übungsstunden der Herzgmppen als „Rehabilitationssport“ ärztlich verordnet und von den Rentenver­ sicherungen bzw. Krankenkassen finanziell gefördert. Von diesen Einkünften werden Hallen­ mieten, Gerätschaften, Übungsleiterhonora­ re und Fortbildungskosten bezahlt. Einige Krankenkassen zahlen auch einen Arztzu­ schlag, allerdings nur in Baden-Württem­ berg, so dass den beteiligten Ärzten dort ihr Aufwand teilweise vergütet werden kann, ansonsten ist die Mitarbeit der Ärzte eine ehrenamtliche. Die Gründung unserer Arbeitsgemein­ schaft vor 20 Jahren ist ganz wesentlich auf die Initiative des damals frisch in der Raum­ schaft ansässig gewordenen kardiologischen Chefarztes der Albert-Schweitzer-Klinik in Königsfeld, Dr. Otto Brusis zurückzufüh­ ren. Er sammelte interessierte Ärzte zu die­ sem Zweck, gründete eine der ersten Herz­ gruppen dort und führte bereits andernorts bestehende zusammen. Man besorgte eine A m bulante H erzgruppe passende Satzung, den Eintrag in das Vereins­ register und organisierte eine 1. Hauptver­ sammlung am 4. Dezember 1981 im Vor­ tragsaal des Villinger Krankenhauses. Dr. Axel Borchers übernahm die Leitung, die er bis Herbst 1999, kurz vor seinem Tode vor­ bildlich besorgte. Weil aus Rottweil der Wunsch um Teilnahme kam, wollte man überregional offen bleiben und so erhielt die Arbeitsgemeinschaft ihren heutigen Na­ men. Stetig wachsende Mitgliederzahl Derzeit zählt unsere Arbeitsgemeinschaft rund 170 Mitglieder, meist Ärzte sowie Übungsleiter, vereinzelt Körperschaften und Patienten. Die Mitgliedschaft ist beitragsfrei. Angeschlossen sind 19 örtlich eingerichtete Sektionen in Donaueschingen, Dornhan, Dunningen, Furtwangen, Königsfeld, M öh­ ringen, Oberndorf, Rottweil, St. Georgen, Schönwald, Schramberg, Schwenningen, Bad Dürrheim, Spaichingen, Sulz, Titisee-Neu­ stadt, Trossingen, Tuttlingen (zwei eigen­ ständige Sektionen) und Villingen. Eine 20. Gruppe ist in Blumberg im Entstehen. Schließlich gehört eine Therapiegruppe für Atemwegserkrankungen in Königsfeld mit zur Arbeitsgemeinschaft. Insgesamt wird ei­ ne um 800 bis 900 wechselnde Anzahl teil­ nehmender Patienten betreut. Die einzelnen Sektionen sind in der Regel den örtlichen Turnvereinen als Unterabtei­ lungen angeschlossen, eine Sektion in Tutt­ 2 2 5

A m bulante H erzgruppe lingen sowie die in Trossingen sind ein eige­ ner Verein und die in O berndorf ist in der dortigen Volkshochschule beheimatet. Im Verbund mit der Arbeitsgemeinschaft sind die örtlichen Sektionen autark. Die Aufgaben der Gemeinschaft Die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft sind die Förderung des Gedanken- und Er- fahrungsaustauschs der Mitglieder, sie ver­ mittelt Anregungen und Beratung und über­ wacht entsprechend der „Rahmenvereinba­ rung“ den Qualitätsstandard des Übungsbe­ triebes. Neu zu gründenden Gruppen gibt sie finanzielle Hilfe. Ein- bis zweimal jähr­ lich werden Patientenseminare und Vor­ tragsveranstaltungen im Einzugsbereich an- geboten. Schließlich besorgt die Arbeitsgemein­ schaft die Abrechnung mit den Kostenträ­ gern sowie die satzungsgemäße Verteilung an die Sektionen, welche ihrerseits rechen­ schaftspflichtig selbständig sind. Die Arbeitsgemeinschaft richtet sich bei der Durchführung ihrer Arbeit nach den Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz- Kreislauferkrankungen e.V.“ und ist M it­ glied des „Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Er­ krankungen Baden Württemberg e.V.“. Repräsentiert wird die Arbeitsgemeinschaft durch eine Geschäftsstelle in Villingen be­ ziehungsweise in Schönwald und ist erreich­ bar unter Telefon 07721-90 34 60, Fax 90 34 61 oder Telefon 07722-919997, Fax 919022. Es gibt auch eine e-Mail-Adresse unter AHGSBH.Markfeld@t-online.de sowie un­ ter AHGSBH.Schubert@t-online.de. Darü­ ber hinaus gibt es eine Webseite im Internet: w ww.herzgruppen-schwarzwald-baar.de. Hier finden Interessenten, vornehmlich z.B. Krankenkassen, Arztpraxen oder auch aus den Rehakliniken neu zugewiesene Patien­ ten die notwendigen Informationen. Dr. Wolfgang Schubert S’isch Mess Kumm, gommer au widder emol uff d’Mess. S’letscht Johr wäre mer au dert. Wo mer widder hoäm kummä sin, hommer is gfroget, wiso mer eingentlich dert wäret? Dohoäm hommer no denkt: „Wiä schee’s doch dohoäm isch.“ Un, wa hätt’s gää? Ninnt Neis, s’gleich wiä äll Johr, än Haufä Leit un ninnt umäsuscht. Jetzt wissä mer widder, dass es dohoäm am schönschtä isch. Mir hond doch älläs wa mer brauchet. Mit gherät halt itt zu sellänä, wo wissä wellet, wa si no älls brauchä kenntet. Des Johr hommer gsait: „Mer sott au widder emol uff d’Mess, damit mer siäht wa’s Neis geit.“ Deshalb gommer s’näscht Johr widder uff d’Mess, damit mer widder wisset, dammer älls hond wa mer brauchet. Lisa Beck-Nielsen 2 2 6

16. K apitel/A lm anach 2003 Landwirtschaft „Baar-Gold“ – Rapsanbau als Chance Für Landwirte eine echte Alternative zu Landbau und Grünlandwirtschaft Donaueschingen ist unter die Ö lprodu­ zenten gegangen. Seit Januar 2002 sprudelt im Donaueschinger Gewerbegebiet sozusa­ gen eine Ölquelle. Aber dieses Öl kommt nicht etwa aus Bohrlöchern wie in Kuwait oder in Saudi-Arabien. Es wächst vielmehr auf den Äckern der Baar, in Form von Raps. Er taucht die Landschaft zwischen Schwarz­ wald und Schwäbischer Alb alljährlich im Frühsommer in ein sonnendurchflutetes gelbes Meer. Wenn die Felder im Hochsom­ mer dann abgeerntet werden, liefern sie ton­ nenweise Rapssaat, die von den Maschinen­ ringen aus Südbaden zu wertvollem Rapsöl gepresst wird: Fünf Millionen Liter Öl flie­ ßen jährlich aus der Ölpresse, die rund um die Uhr arbeitet. Das Öl hat den treffenden Namen „Baar-Gold“ bekommen: Wegen seiner wunderbaren goldgelben Farbe und der Landschaft der Baar, in der es erzeugt wird. Der Anbau von Raps und die Erzeugung von hochwertigem Rapsöl bietet den Land­ wirten in Südbaden, der Baar und den H ö­ hengebieten zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb eine echte Alternative zu herkömmlichem Landbau und Grünland­ wirtschaft. „Genau genommen haben wir Bauern auf der Baar gar keine andere Mög­ lichkeit, als den Rapsanbau“, sagt Klaus Hall, der Geschäftsführer des Maschinenrings Schwarzwald-Baar (MR). Seit Jahren ist er „Baar-Gold“, von links: Antje Bantor, vom Maschinenring Donaueschingen, Amtsleiter Walter Maier vom Landwirtschaflsamt Donaueschingen, Ingrid Hasenfratz, Landfrauen SBK, und Klaus Hall (rechts), Leiter des Maschinenrings, präsentieren ihr Rapsöl aus heimischem Anbau. 2 2 7

Landwirtschaft überzeugt von dieser Idee, die inzwischen reichlich Früchte trägt: „Wir haben aus kli­ matischen Gründen nicht die Möglichkeit, Mais, Soja oder Sonnenblumen anzubauen wie am Oberrhein, wo der Ackerbau ein Hauptgeschäft ist.“ Hall gelang es, acht Maschinenringe in Südbaden an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. Sie schlossen sich zu einer „Ma­ schinenring-Energie G m bH “ zusammen und schulterten das Projekt: Von der Orten- au bis ins Markgräflerland, von Waldshut über Schwarzwald-Baar, Tuttlingen, Stockach und Rottweil brachten sie als Gesellschafter das nötige Startkapital für die Ölpresse und die Verarbeitungsanlage zusammen. Sie brach­ ten außerdem das entsprechende Engage­ ment für eine neue Art des landwirtschaftli­ chen Handelns mit: Im Vordergrund steht bei ihnen nicht mehr nur die einfache Er­ zeugung von Grundnahrungsmitteln, son­ dern die Weiterverarbeitung zu einem Han­ delsprodukt mit größerer Wertschöpfung. Baar-Gold für die Küche Nach jahrelanger engagierter Arbeit konn­ te Klaus Hall sich nun einen lang gehegten Wunsch erfüllen und an der Donaueschin- ger Raiffeisenstraße eine Ölpresse in Dienst stellen. Das Rapsöl mit dem Namen „Baar-Gold“ kann als wertvolles kaltgepresstes Speiseöl in der Küche Verwendung finden. Ge­ schäftsführer Hall hat sich mittelfristig ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Rund eine Million Liter Rapsöl sollen im Le­ bensmittelhandel verkauft werden und für gesunde Ernährung sorgen. „Raps- Speiseöl das ernährungsphysiologisch beste Fettsäuremuster al­ ler Ölpflanzen, vor al- hat Baar-Gold – wertvolles Speiseöl aus Rapssaat. lern durch seinen hohen Anteil an essenzi­ ellen ungesättigten Fettsäuren“, so ist es in den Produktinformationen des Maschinen­ rings formuliert. „Rapsöl für bewusste Genießer“, so wirbt der Maschinenring denn auch für seine Mar­ ke „Baar-Gold“, ein gutes bekömmliches Produkt aus unserer heimischen Landwirt­ schaft und damit ein Baustein für eine ge­ sunde und ausgewogene Ernährung: „Posi­ tive Energie durch Rapssaat“. Auch die „Cen­ trale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“ (CMA) hat eine Empfeh­ lung herausgegeben. Demnach enthält Raps­ öl rund 65 Prozent einfach ungesättigte Fettsäuren, 20 Prozent mehrfach ungesät­ tigte Linolsäure und etwa 10 Prozent Lin­ olensäure. Es sei damit das Speiseöl mit dem höchsten Anteil ungesättigter Fettsäuren. Rapsöl enthält reichlich Vitamin E und A. Biodiesel für den Schlepper Der Großteil des an der Donaueschinger Raiffeisenstraße erzeugten Öls wird derzeit allerdings in Tankfahrzeugen zur „Campa“ ins fränkische Ochsenfurt gefahren, einer Partnerfirma, mit der der Maschinenring schon seit längerem zusammen arbeitet. Dort wird das Rapsöl umgeestert und zu RME-Biodiesel verarbeitet. RME steht für den etwas hölzernen Fachbegriff „Rapsöl- fettsäure-Methyl-Ester“. Bei diesem Verfah­ ren wird dem Rapsöl durch eine einfache chemische Reaktion das enthaltene Glyzerin entzogen und durch Methanol ersetzt. Da­ durch wird aus dem Rapsöl dann energie­ reicher Kraftstoff, „Biodiesel vom Acker“. Mit ihm lassen sich problemlos Dieselmo­ toren, Fahrzeuge oder Schlepper und Aggregate antreiben. Biodiesel hat viele Vor­ teile. Er gibt weitgehend nur soviel Kohlendioxid (CÖ2) an die Luft ab, wie ihrem die Pflanze bei

Biodiesel-Tankstelle in Donau- eschingen – Energie vom heimi­ schen Feld. Wachstum aufgenommen hat. Biodiesel enthält kei­ nen Schwefel, trägt also nicht zum „sauren Regen“ bei, der für Waldsterben und Schäden an Baudenk­ mälern verantwortlich ge­ macht wird. Außerdem las­ se sich Biodiesel biologisch schnell abbauen, wodurch die Gefahren für Böden und Grundwasser reduziert werden. Vor allem aber ist Biodiesel derzeit auch im Preis um einiges günstiger als herkömmlicher Diesel-Kraft­ stoff. Dies merkt der Maschinenring bereits deutlich: Die vor gut zwei Jahren eingerich­ tete Biodiesel-Tankstelle wird zunehmend in Anspruch genommen. Der Absatz ge­ genüber dem Vorjahr stieg um 20 Prozent, freut sich Hall. Reines Rapsöl wird zunehmend auch in Heizungen eingesetzt. Es kann in ganz nor­ malen Olzentralheizungen verbrannt wer­ den. Bei weiter steigenden Heizölpreisen se­ hen die Macher der „Maschinenring Energie G m bH “ eine gute Chance für das nach­ wachsende Ol vom Acker. Um mit Rapsöl heizen zu können, muss lediglich ein neuer Brenner mit Katalysator an den Heizkessel angeschlossen werden. Nachteil: Die Spezi­ albrenner sind derzeit noch sehr teuer, da noch zu wenige Häuslebauer auf die Rapsöl­ heizung umsteigen. Ein langer Weg liegt hinter uns „Etwas anpacken, was nicht jeder macht“: Dies ist seit Jahren die Devise von Klaus Hall, der seit bald 30 Jahren an der Spitze des Maschinenrings Schwarzwald-Baar steht, nachdem er bereits 1974 die Geschäftsfüh­ ,Baar-Gold“ rung übernommen hatte. „Wenn wir das ma­ chen, was jeder macht, haben wir keine Zu­ kunft“, ist der Landwirt vom Aasener Wald­ hof bis heute überzeugt. Dieses Motto be­ gleitete stets den rührigen Geschäftsführer, der schon zu Beginn der 90er Jahre über die Nutzung von Rapsöl und die Umwandlung in Biodiesel nachdachte. Er warb bei seinen Berufskollegen dafür, dass sie auf der Baar verstärkt Raps anbauen: Die Zahlen sprechen für sich und weisen ei­ ne kontinuierliche Steigerung beim Raps aus, während der Getreideanbau in der eins­ tigen „Kornkammer Badens“ zurückging. Nach Informationen des Landwirtschafts­ amtes Donaueschingen betrug 1979 die Rapsanbaufläche im Schwarzwald-Baar-Kreis gerade mal 107 Hektar. 1995 waren es bereits 1480 Hektar und 1999 rund 2 170 Hektar. Die vergleichbaren Flächen für Getreidean­ bau gingen von 11 650 Hektar (1979) auf 10 570 Hektar im Jahr 1995 und 9 840 Hek­ tar im Jahr 1999 zurück. Ein erstes Ziel schien bereits 1994 erreicht: Auf dem Donaueschinger Weiherhof wurde eine Rapsölpresse in Dienst gestellt. Die Universität Hohenheim hatte in Zusam­ menarbeit mit Fachfirmen eine Schnecken­ presse und ein entsprechendes Filterverfah­ ren entwickelt. Ministerialdirektor Rainer 2 2 9

Landwirtschaft Arnold vom Landwirtschaftministerium Ba­ den-Württemberg setzte sie am 2. Dezember 1994 per Knopfdruck in Gang: Mit einer Ka­ pazität von 1 000 Litern Rapsöl am Tag. „Die große Zukunft der Bio-Ö le“ Der Maschinenring schien ein Problem gelöst zu haben. Raps von 190 Hektar Still­ legungsflächen auf der Baar sollte in diesem Pilotprojekt verarbeitet werden. Als länger­ fristiges Ziel war von insgesamt 1 000 Hek­ tar Anbaufläche die Rede, deren Rapssaat in Donaueschingen zu Öl verarbeitet werden sollte. Die Menge wurde auf 900000 Liter 2 3 0 Rapspresse mit zwei Modu­ len, rechts GF Klaus Hall, links Betriebsleiter Joachim Heizmann. Unten: Rohmate­ rial Rapssaat wird angelie­ fert. Rapsöl hochgerechnet. Rainer Arnold sah schon damals „die große Zu­ kunft der Bio-Öle“ an­ brechen, denn aus Raps können Hydrauliköle, Schmierstoffe und eben Diesel zum Tanken her­ gestellt werden. „Der Zug Biodiesel auch schon bei der Autoindus­ trie“, zeigte sich der Mi- nisterialbeamte optimi­ stisch. fahrt Aber die Zeit war noch nicht reif: Herkömmli­ cher Mineraldiesel war 1994 unschlagbar „billig“ auf dem Markt zu be­ kommen, der nachwach­ sende Rohstoff „Öl vom Acker“ war vor knapp zehn Jahren noch zu teu­ er, um eine ernsthafte Marktchance zu besitzen. Die Verknappung der Erdölreserven und die auch bei den Bauern ungeliebte Ökosteuer haben nun doch eine neue Perspektive für die nachwachsenden energiereichen Roh­ stoffe eröffnet. Klaus Hall war davon schon immer über­ zeugt. Er hat seine Idee stets im Hinterkopf behalten und weiter an ihrer Realisierung ge­ arbeitet. „Raps ist eine Frucht, die sich her­ vorragend mit der Baaremer Kornkammer verträgt“, sieht er einen Zusammenhang mit der „Dreifelderwirtschaft und der Fruchtfol­ ge“, die sich über Generationen entwickelt hat. Bis Mitte der 70er Jahre wechselten Hack-

früchte wie Kartoffeln oder Futterrüben mit dem Anbau von Dinkel und Weizen ab. Die Futterrüben verschwanden nach und nach von den Äckern und wurden zunehmend durch Raps ersetzt. „Raps stellt eine gute Vorfrucht für den Weizen dar und löste bald in der Fruchtfolge alle seine Vorgänger ab“, erläutert Hall. Er räumt gleichzeitig mit dem Vorwurf auf, die Baar entwickle sich durch den Raps zu einer Landschaft der Mono­ kultur: „Das wird es nicht geben“, sagt er, „Raps ist nicht selbstverträglich, das heißt, die dreijährige Fruchtfolge muss eingehalten werden, weil sonst die Erträge zurückge­ hen.“ Raps: Viele Vorteile fiir die Ökologie Rapsanbau habe aber viele Vorteile, weiß der Landwirt aus langjähriger Erfahrung. Raps sei für die Böden eine „Gesundungs­ kur“. Denn die Rapsfelder bedecken den Bo­ den elf Monate lang. Der Tiefwurzler Raps habe außerdem die positive Eigenschaft, dass er Nitrat bis in Tiefen von 80 Zentime­ tern aus dem Boden aufnehmen kann. Raps sei daher vor allem auch als Anbaufrucht in Wasserschutzgebieten von Bedeutung. Außerdem mag er die kühle Witterung der Baar: „Hier gedeiht er richtig gut und braucht, klimatisch bedingt, weit weniger Pflanzenschutz als etwa ein Rapsfeld am Oberrhein, wo die feuchtwarme Wittemng häufig für Probleme sorgt.“ Diese Vorteile ließen Hall nicht ruhen. Er verfolgte seine Idee mit großem Ehrgeiz und gegen viele Widerstände. Nach dem Probe­ lauf des Jahres 1994 kämpfte der Geschäfts­ führer des Maschinenrings Schwarzwald- Baar auf vielen Ebenen, bis endlich Baden- Württembergs Landwirtschaftsminister Wil­ li Stächele die Ölpresse am 21. Januar 2002 unter den Blicken von gut 150 Gästen per Knopfdruck in Gang setzte. Seither läuft die Anlage planmäßig. Seit im Sommer 2001 der erste Spatenstich gefeiert wurde, wurden rund 1,5 Millionen Euro in die Anlage in­ vestiert. Die Ölpresse, drei je 100000 Liter ,Baar-Gold“ Rapsöl fassende Tanks und eine Verladean­ lage auf neuestem Stand wurden aufgebaut. 12000 Tonnen Rapssaat werden künftig pro Jahr beim M R zu Öl gepresst. Das Roh­ material von rund 5 000 Hektar Anbaufläch­ en in Südbaden wird in Donaueschingen angeliefert. Die Fahrzeuge kippen ihre La­ dung in eine Grube, im Fachbegriff „Kör­ nersumpf“ genannt. Förderschnecken trans­ portieren den Raps in die Ölpresse, passie­ ren dabei eine auf maximal 35 Grad Celsius vorgewärmte Rohranlage: Dadurch wird die Ausbeute größer. Höher indessen darf die Temperatur nicht sein, sonst darf das „Baar- Gold“ nicht als „kaltgepresst“ verkauft wer­ den. Das Öl wird in einer großen Zentrifuge ge­ filtert und von Feststoffen getrennt. Zurück bleibt reinstes Rapsöl. Für den Lebensmit­ telbereich stehen zwei jeweils 5 500 Liter fas­ sende Tanks bereit. Von einem speziellen Le­ bensmittelbetrieb wird das Speiseöl in Fla­ schen abgefüllt. Die Vermarktung danach übernimmt der MR selbst. Rapsexpeller als Kraftfutter Die 8200 Tonnen Rapsexpeller, die pro Jahr als Nebenprodukt der Ölpresse entste­ hen, werden als Kraftfutter in der Region verwertet: „Die anfallende Menge kann in den Ställen auf der Baar verfüttert werden, wir fürchten da keine Überkapazitäten, der Absatz läuft zufriedenstellend“, sagt Hall. Die jüngsten Skandale, die mit Stichwor­ ten wie BSE, Maul- und Klauenseuche oder Nitrofen verknüpft sind, bestärken Klaus Hall in seiner Ansicht: „Die Bauern müssen auf eigene regionale Produkte setzen“, sagt er, „sie sind für die Erhaltung der Landschaft und der Menschen, die darin wohnen, von besonderer Bedeutung“. Der Geschäftsfüh­ rer setzt darauf, dass Verbraucher und Land­ wirte dies erkennen und die Produkte aus der heimischen Region zunehmend auch verwenden. Manfred Beathalter 2 3 1

17. Kapitel/A lm anach 2003 B a g g e r i m E i n s a t z f ür d i e N a t u r K ü n s t l i c h e T e i c h b i o t o p e a u f d e r B a a r

eit v ielen Jahren arbeiten die privaten N aturschutzverbände und die U ntere N aturschutzbehörde des Schwarzwald-Baar-Kreises erfolgreich zusam m en, um die L ebensbedingungen fiir d ie h ei­ m ische Tier- und Pflanzenw elt zu verbessern. Ein w ichtiges Z iel in die­ sem Z usam m enhang ist es, „U m w eltsünden“ der Vergangenheit aus­ zugleichen, w ie z.B . die Zerstörung der vielen , früher vorhandenen Feuchtbiotope. Beim „Um weltwettbewerb 200 1 “ des Landkreises wur­ de die künstliche A nlage vo n T eichbiotopen a u f der Riedbaar durch die Kreisgruppe des N aturschutzbundes D eutschland (N A B U ) prämiert. D er ök ologische Wert dieser k lein en „Paradiese aus M enschenhand“ war für die Juroren der H auptgrund fiir d iese A uszeichnung. •7w*fphsw8ses!

Umwelt und N atur Die erste Anla­ ge eines Teich- biotopes auf der Riedbaar bei Neudingen. Die ökologische Beratung hatte Felix Zinke. Überall gab es früher kleine Gewässer in der Landschaft, die Heimat für Libellen waren, Fröschen und Kröten als Laichplatz dienten und Wasser­ vögeln reichlich Nahrung boten. Ursprünglich waren diese Kleingewässer natürlichen Ursprungs. Sie blieben nach dem Zurückweichen des Hochwas- sers in den Auen der Bäche und Flüsse noch für längere Zeit mit Wasser ge- füllt. Mit der einsetzenden Intensivierung der Landwirtschaft in den 1950er Jahren verschwanden diese Tümpel nach und nach. Bis zu 80% der früher vorhandenen Kleingewässer sind durch Trockenlegung und Verfüllung in den letzten Jahrzehnten zerstört worden. Mit ihnen verschwand der Le- bensraum einer hochspezialisierten Tier- und Pflanzenwelt. Für die Baar hatte dies zur Folge, dass der Weißstorch und eine ganze Reihe weiterer Vo­ gelarten in ihrem Bestand stark zurück gingen. Entwicklungs- Stadien: Ein Biotop bei Neudingen im Frühjahr und ,m Spätsom- mer desselben Jahres. Im Kessel bei Neudingen, im Januar 2000 entsteht ein weiteres Bio­ top. 2 3 4

ilt i – as» Als eine zunehmend wichtige Aufgabe des Naturschutzes hat man daher in den letzten Jahren erkannt, dass der Schutz der Kleingewässer von ganz besonderer Bedeutung ist. Die Erhaltung der noch bestehenden Kleinge­ wässer reicht dafür jedoch nicht aus. Hinzukommen muss eine konsequen­ te Neuschaffung von Teichbiotopen und Tümpeln an geeigneten Stellen. Planung und Umsetzung Die erste und wohl schwierigste Frage bei der Anlage eines neu zu schaf- Ienden Kleingewässcrs ist die Frage nach dem Standort. Hoch anstehendes Grundwasser oderwasserundurchlüssige Böden sind die Voraussetzung, so- dass eine ganzjährige Wasserversorgung gewährleistet ist. Aber noch viel wichtiger ist die Zustimmung des Grundstückbesitzers, denn Maßnahmen für den Naturschutz bedeuten nahezu immer Einschränkungen bei der wirtschaftlichen Nutzung. Hier ist es sehr hilfreich, dass. Naturschutzpro­ jekte durch Geldmittel aus dem „Programm zur Landschaftsptlege“ des Landes Baden-Württemberg gefördert werden. ; vor und Hnanzie- ¡■L- >’/■ äM lgi rung des Projekts gesichert, können Uferverlauf und Unterw künftigen Teichbiotops geplant werden. Die Planung vom Amt für Wasser- und Bodenschutz genehmigt Nach der Genehmigung können Bagger und La: rücken, um die Planung zu verwirklichen. Im meist sumpfigen Gelände ist hierfür der frostreiche Januar die ideale Jahreszeit, denn in der Regel können Jjä Arbeiten nur bei gefrorenem Boden durchgeführt werden. Bei der Aus: rung der Baggerarbeiten ist eine fachkundige Beratung und Aufsicht ders wichtig, denn es soll durch eine abwechslungsreiche Ufergesta Ergebnis ‚ : M ¡ M JLJHH « Es ist erstaunlich, wie s — tt i ebewesen einen raum für sich erschlii in den vege nach Würmer und Insektenlarven, di für sie leicht erreichbar sind. Flugfähige Insekti ten Jahr in stattlichen Zahlen ein: Rückenschwi: ■m m 236 4 1 v iß

Umwelt und N atur Libellen sind die Pioniere bei der Erstbesiedlung. Üppig wachsende Algen und andere Mikroorganismen bilden den Anfang eines sich neu entwi­ ckelnden Nahrungsgefüges. Samen typischer Uferpflanzen finden ideale Wachstumsbedingungen vor: Viel Licht und noch wenig Konkurrenz um die mineralischen Nährstoffe im Boden. Seggen, Binsen und Rohrkolben bilden in kurzer Zeit eine geschlossene Ufervegetation und betten den künstlichen Teich harmonisch in das landschaftliche Umfeld ein. Schon in der zweiten Vegetationsperiode sind die Spuren von Bagger und Lastkraft­ wagen nicht mehr zu entdecken. Erstaunlich ist die schnelle Besiedlung durch Amphibien. Den Vertretern dieser Wirbeltierklasse sagt man nach, dass sie bevorzugt die Gewässer für ihre Fortpflanzung aufsuchen, in denen sie selbst herangewachsen sind. Of­ fensichtlich gibt es aber auch „Gründerindividuen“, die neue Feuchtgebie­ te finden und diese besiedeln. Grasfrosch, Wasserfrosch und Erdkröte bil­ den in relativ kurzer Zeit stabile Populationen. Es dauert auch nicht lange, bis Graureiher und Weißstorch die neue Bereicherung ihres Lebensraumes entdecken. Das Llauptziel der Biotopgestaltung ist damit erreicht. Der Brutbestand des Weißstorchs auf der Baar hat sich in den letzten Jah­ ren sehr positiv entwickelt. Allerdings ist der Bruterfolg der derzeitigen vier bis fünf Brutpaare sehr gering. Ein Grund hierfür ist Nahrungsmangel bei der Jungenaufzucht. Das vielfältige und reichliche Leben in den neu ge­ schaffenen Teichbiotopen kann hier helfen und die Chancen für das Über­ leben des Weißstorchs in unserer Heimat erhöhen. Ausblick Das Schicksal nahezu aller Stehgewässer ist ihre Verlandung. Ablagerun­ gen durch absterbende Pflanzenreste führen früher oder später dazu, dass die offene Wasserfläche immer kleiner wird und letztlich ganz verschwin­ det. Aus einem Teich wird ein Sumpf. Durch die Tiefe eines Teiches und entsprechende Pflegemaßnahmen im Uferbereich kann dieser Prozess deut­ lich verzögert werden. Ob es in 30 Jahren einen künstlich angelegten Teich­ biotop noch geben wird, ist fraglich. Aber bis dahin ist er einer unvorstell­ baren Anzahl von Lebewesen Lebensraum und Lebensgrundlage gewesen. Es ist also sehr erfreulich, wenn durch die Zusammenarbeit von privaten Naturschutzverbänden und den zuständigen Behörden diese kleinen „Pa­ radiese aus Menschenhand“ entstehen und hoffentlich auch künftig noch entstehen werden. Neben den Tieren und Pflanzen profitiert nämlich auch der Mensch von einer vielfältigen und erlebnisreichen Landschaft. Text und Fotografie: Helmut Gehring 2 3 8 Farbtupfer in der Ufervegeta­ tion: Sibirische Schwertlilie (Ried Strängen) Sumpfdotter­ blume (Ried Uppen)

Bilder links: Ufervegetation im Ge­ biet Strängen im Sommer, Weiher- Ried im Herbst und Uppen imWinter. Kleine Abbildung oben rechts: Li­ bellenmännchen au f der Lauer nach Weibchen; oben Vietfleck-Libelle, un­ ten Blattbauch-Libelle. Großes Bild: Weibchen der blau- griinen Mosaikjungfer bei der Eiablase.

Umwelt und N atur H i H K 2 4 2

Künstliche Teichbiotope 243

Umwelt und N atur Urwald aus zweiter Hand Im Tuninger H aldenw ald entsteht ein W aldschutzgebiet Donaueschingen. In demfürstlichen Walde Bruggerhalde, schreibt das hiesige „Wochenblatt“, 7z0 Meter über der Meeresfläche, a u f kräftigem Muschelkalke, befindet sich noch der Rest weiß-tannenen Urwaldes mit solchen Baumriesen, daß es gerechtfertigt erscheint, Naturfreunde darauf aufmerksam zu machen. (Schwarzwälder Bote vom 8. Januar 1874) Urwald auf der Baar – barer Unsinn? Eine frühe Zeitungsente? Wie, bitteschön, sollen die Überreste eines „weißtannenen Urwaldes“ hier eigentlich überdauert haben? Aus­ gerechnet auf der Baar, im Altsiedelland zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, wo schon den Siedlern der Jungsteinzeit Ackerbau und Viehzucht einträglicher erscheinen wollten als Beerensammeln und Jagen. Wb schon die Kelten geackert und den Wald dafür gerodet haben. Von Römern und Alemannen ganz zu schweigen, erst recht von den Wald­ verwüstern der Neuzeit, den Glasmachern etwa oder den Viehherden der Städte. Nein, „des deutschen Urwalds keusche Pracht“ oder was immer von den „Trümmern germanischer Waldfreiheit“ (Wilhelm Heinrich Riehl, 1823-1897) übrig geblieben sein mochte, Urwald­ reste würden wir heute nicht einmal mehr in den entlegensten Steilhängen des St. Wilhel- mer oder des Simonwäldertals vermuten. Schon gar nicht in der „Kornkammer Badens“, auf der waldarmen Baar. Soviel ist jedoch sicher: Was der Schwarz­ wälder Bote vom 8. Januar 1874 seinen Le­ sern aufgetischt hat, war nicht frei erfunden. Denn das „Wochenblatt“, aus dem er zitiert, hatte seinerseits aus der Fachpresse ge­ schöpft: In der „Allgemeinen Forst- und Jagd­ zeitung“ nämlich, in welcher schon zwei Jah­ re zuvor, im Aprilheft des Jahrgangs 1872, der Leiter der FF-Forstverwaltung, Ferdi­ nand Roth (1812-1882), der Fachwelt eine Überraschung serviert hatte: „Augenschein­ lich ist der geschilderte alte Weißtannenbe­ stand“, so schließt sein kurzer, unter der Ru­ brik „Mancherlei“ erschienener Beitrag über den links der Breg zwischen Wolterdingen und Bräunlingen gelegenen Bruggener Wald, 2 4 4 „der Rest eines Urwaldes, dessen Lebensen­ de ziemlich nahe bevorsteht.“ Roths Entdeckung war kein Einzelfall. Ur­ wald-Vermutungen hatten auch schon die Forstkollegen im benachbarten Villingen angestellt. So erfahren wir etwa aus den dor­ tigen Forsteinrichtungsakten des Jahres 1859, daß ein geplanter Holzhieb im Staatswald­ distrikt „Weißwald“ zwischen Tannheim und Überauchen deswegen unterlassen worden sei, weil man „diese kolossalen Stämme als prachtvolle Überreste eines Urwaldes mög- Sich selbst überlassen: Der Bannwald im Tuninger Waldschutzgebiet Haldenwald.

BANNWALD

Umwelt und N atur liehst lange im Walde zu erhalten wünschte.“ Waren die Baar-Förster plötzlich zu Natur­ schwärmern geworden? Die Forderung nach Erhaltung der letzten Urwaldwildnisse muß in jenen Jahren weltweit in der Luft gelegen haben: 1872 wurde in den USA der Yellow­ stone Nationalpark, der erste seiner Art, ein­ gerichtet, eine naturschützerische Großtat, die auch im alten Europa nicht ohne Wider­ hall geblieben ist. Längs der russisch-polni­ schen Grenze, im Böhmerwald, in den Kar­ paten und auf dem Balkan wurden damals die letzten Urwaldreste von weitblickenden Forstleuten und Waldeigentümern zu Reser­ vaten erklärt. Alle hatten sie damals wohl ge­ spürt, daß im Zuge der Intensivierung der Waldwirtschaft etwas unwiderruflich verlo­ ren zu gehen drohte. Der aufkeimende Na­ turschutz widmete sich zunehmend auch dem Wald, wenngleich er sich in Mitteleu­ ropa schwerer tat mit der Forderung nach Erhalt von Nischen sich selbst überlassener 2 4 6 Natur. Im Jahr 1900 erschien im Verbands­ organ des Schwäbischen Albvereins ein Auf­ satz von Robert Gradmann „Zur Erhaltung der vaterländischen Naturdenkmäler“, in welchem nicht zuletzt die Schaffung staatli­ cher Bannwälder angeregt wurde. National­ parks im Westentaschenformat schwebten den frühen Naturschützern vor; mehr war nicht zu wollen in einem Land, in welchem sich die Naturerziehung bestenfalls bis zum Dorfteich vorwagte. Doch sollte es noch bis zum Jahr 1911 dauern, bis im Schwarzwald ein erstes Reservat eingerichtet wurde: Im Hornisgrindegebiet, am Wilden See, ent­ stand der erste Bannwald des Landes. „… sonst stirbt die Natur vor lauter Kultur“ Natürlich war zu diesem Zeitpunkt längst klar, daß wirkliche Urwaldreste im Ländle nicht mehr zu haben waren. Was freilich dem klammheimlichen Faible vieler Forst­ leute für urwaldähnliche Winkel im ansons­ ten wohlgepflegten, doch eher monotonen Wirtschaftswald keinen Abbruch tat. Man darf vermuten, daß sich in dieser Vorliebe auch ein gewisses Unbehagen widerspiegelte. Bayerns bedeutendster Waldbaureferent, Karl Rebel, hat 1925 anläßlich des ersten deutschen Naturschutztages in München den Selbstzweiflern unter den Forstleuten aus der Seele gesprochen, als er mahnte: „et­ was von Wildnis muß der Wirtschaftswald haben, sonst stirbt seine Natur vor lauter Kultur.“ „Urwaldwildnis in deutschen Landen“, so lautete ein Buchtitel noch im Jahr 1934, des­ sen Autor, W. Schoenichen, von Reichsforst­ meister Hermann Göring hernach zum Lei­ ter der Reichsstelle für Naturschutz (Origi­ nalzitat Schoenichen: „Bei keinem Volke der Welt finden der Mythos des grünen Do­ mes und seine geheimnisvollen Schauer den gleichen seelischen Widerhall wie bei der germanischen Rasse:“) ernannt worden ist. Wo Bäume sterben dürfen: Tuninger Bannwald.

Was zeigt, daß die Nazis es – trotz aller kriegs­ bedingten Übernutzungen in den deut­ schen Wäldern – geschickt verstanden ha­ ben, die Urwald-Sehnsüchte im Zeichen der Blut-und-Boden-Ideologie für ihre eigenen Zwecke zu mißbrauchen. Bannwaldidee lebt wieder auf Der Traum von der Urwaldwildnis war des­ halb nicht ein für alle Mal ausgeträumt, der Ruf nach Reservaten nicht verstummt. Schon bald nach Kriegsende lebte die Bannwald­ frage wieder auf, ausgelöst diesmal durch ei­ nen Vorstoß des Schwarzwaldvereins im Jahr 1951. Ihm verdankt eine ganze Reihe weite­ rer Schwarzwälder Bannwälder ihre Entste­ hung. Selbst kühle Rechner unter den Forst­ leuten ließen sich nun anstecken von der Bannwaldidee. Bevorzugt wurden die Wald­ reservate in den unzugänglichsten Schluch­ ten und Karen ausgewiesen, deren Bewirt­ schaftung (und Erschließung mit Holzab­ fuhrwegen) rational ohnehin nicht mehr be­ gründbar war. Was nicht heißen soll, daß es nicht auch in den intensivst genutzten Wäldern der Baar und des Baarschwarzwaldes für Förster bis­ weilen noch Grund zum Schwärmen gab, wie wir am Beispiel des ansonsten durchaus dem Holzertrag verpflichteten Chefs der FF- Forstverwaltung, K. Kwasnitschka, anmer­ ken wollen: Nochl965 pries er den in Fürst­ lichem Eigentum befindlichen Unterhölzer Wald als „Zauberreich wie aus Grimms Mär­ chen mit uralten knorrigen Eichen und Bu­ chen, ein Urwaldbild, wie wir es von den Gemälden deutscher Meister her kennen.“ Und etwas prosaischer fortfahrend: „Die Be­ stände vermitteln ein Bild, wie die Wälder unserer engeren Heimat, in der Baar und auf dem Ostschwarzwald, zur Bronzezeit, etwa um das Jahr 1000 vor Christus ausgesehen haben mögen.“ Zur Ausweisung des seit 1939 unter Naturschutz gestellten Laub­ waldgebietes um den Wartenberg als Bann­ wald mochte sich das Fürstenhaus dennoch nicht durchringen. Urwald aus zw eiter H and Wir haben uns damit abzufinden: Ein Ur­ waldrelikt ist der Unterhölzer Wald nicht mehr, so urwüchsig uns seine knorrigen, ur­ alten Eichen und Buchen erscheinen mö­ gen. Allenfalls taugt er als lebendiger Zeuge der Jagd- und Forstgeschichte, der seine Ent­ stehung der hier seit unvordenklichen Zei­ ten praktizierten sog. „Mittelwaldwirtschaft“ verdankt, bei welcher „Kernwüchse“ das Bauholz, Stockausschläge das Brennholz zu liefern hatten. Und der „Urwald“ an der Brug- gerhalde war eher Liquiditätsreserve, denn Reservat, diente er dem Fürsten doch Jahr­ hunderte lang als Privatschatulle für finanzi­ elle Notzeiten, weshalb er von der regulären Waldbewirtschaftung ausgenommen geblie­ ben war. Die „prachtvollen Überreste eines Urwaldes“ im Villinger Staatswald schließ­ lich entpuppten sich bei genauerem Hinse­ hen als alter Klosterwald, den die St. Geor­ gischen Mönche aus unerfindlichen Grün­ den über einen längeren Zeitraum links lie­ gen gelassen hatten. Holzkohlereste bewei­ sen indes, daß auch er einst bewirtschaftet worden ist. Und doch lehren uns die hier aufgeführten Beispiele, daß der jeweilige Wald noch über ein erstaunlich hohes Maß an Naturnähe verfugt haben muß; nach we­ nigen Jahrzehnten forstwirtschaftlicher Ab­ stinenz hatte er sich in täuschend echt er­ scheinende „Urwaldreste“ zurückverwan­ delt. Bannwald als „Arche Noah“ Unbestritten ist indessen, daß der allent­ halben die ordnende und pflegende Hand des Försters verratende, „besenreine“ Wirt­ schaftswald in seiner Homogenität und mit seinen allzu kurzen Produktionszeiträumen zumeist nur ein schwacher Abklatsch dessen sein kann, was der Naturwald, das unver­ kürzte Ökosystem, an Vielfalt, auch an Er­ lebnisvielfalt zu bieten hat. Vor allem seine Reifephase, die sich auszeichnet durch stau­ nenswerte Baumriesen, aber auch durch Tot­ holz und Zerfall sowie durch neu einsetzen­ de Verjüngungsdynamik, ist an Biodiversität 2 4 7

Umwelt und N a tu r nicht zu übertreffen. Wo solche Reste über­ dauert haben, sind sie zur Zuflucht gewor­ den für ungezählte Rote-Liste-Arten, zur Ar­ che Noah. Den Durchbruch schaffte der Reservatsge­ danke in Baden-Württemberg 1970 im „Jahr des Europäischen Naturschutzes“, als durch einen Erlaß der Landesforstverwaltung im Staatswald aller vier Landesteile eine beacht­ liche Zahl von Bannwäldern ausgewiesen wurde. Diesmal nicht mehr nur auf unwirt­ schaftlichen Extremstandorten, sondern durchaus auch in profitableren Wirtschafts­ wäldern. Der freiwillige Verzicht auf Holzer­ trag und der Mut zu neu entstehender Wald­ wildnis verdienen es, in unseren materialis­ tischen Zeiten besonders hervorgehoben zu werden. Die Bannwald-Ausweisungen dür­ fen gefeiert werden als in die Zukunft wei­ sende Beispiele fiskalischer Selbstbeschrän­ kung, als Selbstverpflichtung zu wald-ökolo­ gischer Verantwortung. Konsequenterweise 2 4 8 fanden die Waldschutzgebiete 1976 auch Eingang in das neue Landeswaldgesetz (§ 32). Mittlerweile existieren in Baden-Württem­ berg, vorzugsweise in dessen Staatswald, 80 Bannwälder mit einer Fläche von ca. 4000 ha, das sind 1,3% der Waldfläche des Lan­ des. Ein staatliches „Bannwaldprogramm“ strebt die Vergrößerung des Flächenanteils der „Totalreservate“ auf zwei Prozent an mit dem Ziel, diese möglichst repräsentativ zu streuen über alle wesentlichen Waldstandor­ te des Landes hinweg. Denn Bannwälder dienen in erster Linie der wissenschaftlichen Erforschung von Waldökosystemen, die un­ mittelbarer menschlicher Einwirkung entzo­ gen sind. Als „Freilandlaboratorien“, so will es das Waldgesetz, sollen sie neben waldöko­ logischen Erkenntnissen auch Hinweise lie­ fern für die Praxis naturnaher Waldbewirt­ schaftung. Neben der Staatsforstverwaltung haben sich auch etliche Kommunen verpflichtet, Waldreservate einzurichten: Im Schwarz- wald-Baar-Kreis sind es die beiden vom Na­ turschutzbund Deutschland (NABU) prädi- katisierten „Naturwaldgemeinden“ Bad Dürr­ heim und Königsfeld. Zwar entstanden hier keine Bannwälder, doch per freiwilliger Selbstverpflichtung haben sie sich bereit er­ klärt, auf fünf Prozent ihrer Gemeindewald­ fläche Axt und Säge auf Dauer ruhen zu las­ sen. Neu ist die Idee, Gemeinden für den Bann­ wald zu begeistern, keineswegs. Schon der amerikanische „Wilderness-Philosoph“ Hen­ ry David Thoreau (1817-1862), für den Wildnis nicht ein abstrakter Freiheitstraum war, sondern ein realer Ort der Inspiration und der mentalen Erholung, hatte sich mit seiner Forderung vorab an die Kommunen gewandt: Jede Stadt solle sich rund 200 Hek­ tar Wald für immer wild erhalten. Bei Gemeinderäten im alten Kontinent würden solche Wünsche wohl eher Befrem- Der Bannwald fungiert Dank seiner Artenvielfalt als „Arche Noah “ unserer Zeit.

den ausgelöst haben. Und doch ist Thoreaus Saat unterdessen auch in Mitteleuropa da und dort aufgegangen. „Natur Natur sein zu lassen“, den allgegenwärtigen Einfluß des Menschen zumindest auf bescheidenen Teil­ flächen wieder zurück zu nehmen, ein sol­ ches Vorhaben ist nur scheinbar anachronis­ tisch in unserer überstrapazierten Verbrau­ cherwelt. Nicht ganz ohne Gmnd hat etwa die ge­ schäftige Großstadt Zürich sich dazu ent­ schlossen, rund eintausend Hektar Stadt­ wald als „Naturlandschaft Sihlwald“ aus der forstlichen Bewirtschaftung zu entlassen, ihn künftig sich selbst zu überlassen. Eine Stadt wie Zürich müsse sich, so die Leiterin des für den Stadtwald zuständigen Bauam­ tes K. Martelli (1995), „ein Minimum an Wildnis leisten“ können. Der Sihlwald als Gegenpol in einer hektischen und nutzungs­ orientierten Umgebung stehe für das „Sein­ lassen“. Mit dem Sihlwaldprojekt werde der Versuch unternommen, der Seele der Natur auch im städtischen Raum wieder etwas nä­ her zu kommen. Umwelterziehung findet in Zürich künftig vorwiegend in den Wald­ schulen des Naturzentrums Sihlwald statt. Die Rückkehr von Wildnis fordern derzeit die Mitteleuropäischen Naturschutzverbän­ de immer resoluter. „Wildnis statt M onoto­ nie“ fordert Greenpeace, „Mut zur Wildnis“ wünscht sich der WWF, BUND und NABU blasen in’s nämliche Horn. Und da an leid­ lich unverwüsteten großflächigen Ökosyste­ men meist nur noch der Wald übrig geblie­ ben ist, richtet sich der naturschützerische Fordemngskatalog mehr denn je an die Adres­ se der Forstwirtschaft. Wald ist gefragt, aber eben nicht nur in seiner verkürzten (in Tho­ reaus Wortwahl: „kastrierten“) Form des Wirtschaftswaldes, nicht als „Försterwald“, sondern – bei aller Sympathie für den kon­ kurrenzlos umweltfreundlichen Rohstoff Holz – als Bannwald, als „Urwald von mor­ gen“, als „Wildnis aus zweiter H and“. Und bei aller Liebe zur gepflegten südschwarz- wälder Kulturlandschaft: Ein bißchen wilder möchte man sich auch den Naturpark da U rw ald aus zweiter H and und dort schon vorstellen dürfen. Wen wun- dert’s, wenn sich jährlich bis zu 100000 Be­ sucher auf ihrer Wildnis-Suche durch die Wutachschlucht drängeln. Findige Touristik­ unternehmen veranstalten Wildnis- und Survival-Kurse, nicht in exotischen Regen­ wäldern, sondern gleich hinter der Schwarz­ waldklinik. Das Naturerlebnis erwächst eben auch hierzulande noch immer am vortreff­ lichsten aus dem Spannungsverhältnis zwi­ schen (Rest-) Wildnis und Kultur. 200jähriges Tannenaltholz Mit ihrem Auftrag, Bannwälder auszuwei­ sen und wissenschaftlich zu betreuen, tut sich die Freiburger Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt nicht immer leicht, zu­ mal auf der waldarmen Baar. Noch immer war sie in diesem Wuchsgebiet nicht fündig geworden. Schließlich kam Hoffnung auf: Auf Tuninger Gemarkung, im Bereich der bewaldeten Schichtstufe des Braunen Juras, bot sich eine Fläche an. Doch ein Reservat im dortigen „Haldenwald“, umrauscht vom Lärm der A 81 und der B 523, in Sichtweite der Abbauhalde des Blähtonwerks, in Riech­ weite (bei Ostwind) zweier Hausmülldepo­ nien, unlängst erst knapp verfehlt von der Planung einer Sondermülldeponie, umla­ gert von aus den Nähten platzenden Gewer­ begebieten und Auslieferungslagern mit Au­ tobahnanschluß – machte das Sinn? Ausgerechnet hier war 1989 schon die Idee gereift, ein prachtvolles, knapp sechs Hektar umfassendes, bis zweihundertjähriges Tan­ nenaltholz nicht zu ernten, sondern als Bann­ wald den Tuninger Bürgern zu erhalten: Für das Wüchsgebiet war der Wald zweifellos eine Rarität, für Forstleute ein waldbauliches Kleinod, dessen Entstehung noch in die Zei­ ten der Plenternutzung zurückreicht, jener ebenso archaischen wie tannenfreundlichen Waldnutzungsform, bei welcher jeweils star­ ke „Holländerstämme“ einzelstammweise entnommen wurden. Fast alles andere regel­ te dort die Natur: In die durch die Starkholz­ ernte entstandenen Lücken im Bestandes­ 2 4 9

Urwald aus zweiter H and dach drängten aus dem Zwischen- und Un­ terstand jüngere Bäume nach, und im Un­ tergeschoß samte sich selbsttätig neuer Tan­ nenjungwuchs an. Noch immer bekommen die Förster glänzende Augen angesichts sol­ cher ungleichaltriger und kleinstrukturier­ ter Tannen-Mischwaldgesellschaften, denn deren Wuchs- und Wertleistung, Vitalität und Widerstandskraft gegen Sturm und Schnee gilt ihnen nachgerade als sprichwört­ lich. Im Konzept der naturnahen Waldwirt­ schaft, wie es für die Zeit nach „Wiebke“ und „Lothar“ ersonnen wurde, ist die Plen­ ternutzung deshalb auch zum unverzichtba­ ren Bestandteil aller waldbaulichen Lang­ zeitstrategien aufgerückt. Flächentausch ermöglicht Bannwald Da sich der Haldenwald im Eigentum der Gemeinde befindet, mußte zunächst der Gemeinderat für das Bannwaldprojekt ge­ wonnen werden. 1990 wurde der Wald von den Räten eingehend inspiziert, in mehre­ ren Sitzungen wurde das Für und Wider er­ wogen und die von der Forstdirektion aus­ gearbeitete öffentlich-rechtliche Bannwald­ erklärung beraten. Anfänglich lief es nicht schlecht für den „Urwald“. Doch dann kippte die Stimmung. Der Or­ kan „Wiebke“ hatte dem Gemeindewald all­ zu schmerzhafte Wunden geschlagen, und unter Hinweis auf die verschlechterte Er­ tragslage, aber auch auf die für ein Wald­ schutzgebiet allzu geringe Flächenausstat­ tung wurde das Vorhaben einstweilen auf Eis gelegt. Nutzungen sind im folgenden Jahrzehnt unterblieben im zentralen Teil des Tannen­ waldes. Nachdem ihn auch der Orkan „Lo­ thar“ am 26. Dezember 1999 nicht nennens­ wert beschädigt hat, wurde der Bannwald- Plan im Jahr 2000 wieder aus der forstamtli­ chen Schublade hervorgeholt. Denn noch immer war es der Forstlichen Versuchsan­ stalt nicht gelungen, in der Region eine ge­ eignetere Fläche zu finden, und die zumin­ dest halbwegs naturnahen Altbestände wa­ 2 5 0 ren unterdessen infolge der Orkankatastro­ phe noch seltener geworden. Jetzt war das Land sogar bereit, seinen auf Tuninger Ge­ markung gelegenen Staatswald gegen die Bannwaldfläche einzutauschen. Der Gemeindewaldwirtschaft werde da­ mit, so das Argument des Forstamtes, jegli­ cher Ertragsausfall erspart und die Reservats­ fläche ließe sich – bei wertgleichem Tausch – aufstocken bis zu der für Waldschutzgebie­ te geforderten Mindestgröße von 30 Hektar. In das Reservat könnte so nicht nur das Tan­ nenaltholz einbezogen werden, sondern auch der angrenzende Jungwald einer „Wiebke“-Orkanfläche, des weiteren einige von „Lothar“ zerzauste und gelichtete, mit­ telalte Tannenbestände sowie das „Schänzle“, eine keltische Viereckschanze, Beweis für das Jahrtausende alte Wechselspiel zwischen Wald und Feldflur in dieser Region. Erneut wurde der Wald von den Gemeinde­ räten in Augenschein genommen, wieder wurden Vor- und Nachteile der Bannlegung auf das Gründlichste abgewogen. Keine Fra­ ge: Nicht jedem gefiel die Aussicht, das ur­ waldartige Tannen-Altholz, Stolz und Herz­ stück des Tuninger Gemeindewaldes, an den Staatsforst abzutreten. Dennoch, am 15. März 2001 stimmte der Gemeinderat mehr­ heitlich dem Flächentausch zu. Die Ge­ meinde Tuningen hat mit diesem Beschluß die Chance wahrgenommen, inmitten einer weithin denaturierten Landschaft ein für Natur und Umwelt positives Signal zu set­ zen. Mit der Bannwaldausweisung wird eine ökologische Ausgleichsmaßnahme vollzo­ gen, auch ein Stück Wiedergutmachung für all die erfolgten Eingriffe in den Wald, vom Tonabbau über die Hausmülldeponie, den Autobahnbau bis zu seiner Inanspruchnah­ me als Gewerbefläche. Den Tuningern be­ schert der „Urwald“ vor der Haustüre künftig ein Walderlebnis der besonderen Art; eines, das zu neuer Wertschätzung des Waldes, aber auch zu einem neuen Naturverständnis führen wird. WolfHockenjos

Umwelt und N atur Vielen Pilzsammlern das Leben gerettet Wolfgang Kühnl: 30 Jahre lang die Pilzberatungsstelle des Schwarzwald-Baar-Kreises geleitet Wolfgang Kühnl‘, einer der bedeutendsten M y­ ko logen des Südwestens, ist am 30. September 2002 im Alter von 63 Jahren plötzlich verstor­ ben. 30 Jahre lang hatte er die Milzberatungsstelle des Schwarzwald-Baar-Kreises in Hüfingen ge­ leitet, ein Mekka fü r Milzfreunde und -Sammler aus der gesamten Region, ln dieser Zeit gab Wolf­ gang Kühnl seine Kenntnisse und seine Ratschläge an über 16 000Milzsammler weiter. Der nachstehen­ de Beitrag erinnert an eine Mersönlichkeit, die sich un­ eigennützig in den Dienst der Gesundheit und Na­ turstellte und beleuchtet seine ehrenamtliche Tätigkeit auch aus Anlaß des 30jährigen Bestehens der Milz­ beratungsstelle des Landkreises. Seine ersten Pilzkenntnisse erwarb sich Wolfgang Kühnl bereits von seinen Eltern, als er sie als kleiner Junge in die Wälder sei­ ner sudetendeutschen Heimat um Graslitz zum Pilz- und Beerensammeln begleitete. Den Pilzen galt neben der Natur auch künf­ tig sein großes Interesse. So gehörte er von der ersten Stunde an zu den ständigen Ex­ kursionsteilnehmern, als 1969 vom ehema­ ligen Landkreis Donaueschingen Leopold Kleil den Auftrag erhielt, nach besonderer Schulung und Prüfung als Pilzberater tätig zu werden. Da sich seit den 1960er Jahren die Zahlen der Pilzvergiftungen vor allem in Ba­ den-Württemberg häuften, war es für den „Landesausschuss für Gesundheitsförderung“ ein wichtiges Anliegen, dass in jedem Land­ kreis ein Pilzfachmann zur Verfügung steht. Bei speziellen Pilzführungen ab 1970 und Beratungen lernten Pilzliebhaber essbare und besonders gefährliche Giftpilze kennen und zu unterscheiden. Dies zu erreichen und somit mögliche Vergiftungen zu ver­ meiden und auszuschließen, hatten sich die Pilzkenner primär als Ziel gesetzt. Nach einer nur zweijährigen „Praktikums­ zeit“ bei Leopold Kleil traute es sich Wolf- gang Kühnl 1972 selbst als einziger Teilneh­ 2 5 2 mer ohne jegliche weitere zusätzliche Schu­ lung zu, die m ehrstündige Prüfung zum Pilzberater zu wagen. Der Oberlehrer mit Schwerpunktfach Biologie und ehemaliger Schulleiter der bis dahin selbstständigen Dorfschule in Waldhausen hatte die von der D eutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) geforderte dreiteilige schriftliche, mündliche und praktische Prüfung zum Pilzberater in Hornberg mit Bravour bestan­ den. Der dadurch erworbene Ausweis be­ rechtigt einen Pilzkenner erst zur Ausübung der verantwortungsvollen und vielseitigen Pilzberatertätigkeit, die neben der Verhü­ tung von Pilzvergiftungen auch Erste-Hilfe- Maßnahmen nach dem Genuss giftiger bzw. verdorbener Pilze oder z.B. die Marktkon­ trolle bei Pilzen einschließt. A uf ehrenamtlicher Basis Damit auch der Pilzsachverständige stets mit den neuesten Erkenntnissen der Pilzwis­ senschaft vertraut ist, verlangt die DGfM von dem Ausweisinhaber alle fünfjahre auf eigene Kosten den Besuch einer Fortbil­ dungsveranstaltung. Wohl den wenigsten Ratsuchenden dürfte es jedoch bekannt sein, dass die umfangreiche und verantwor­ tungsvolle Arbeit eines Pilzberaters im Dienste der Gesundheit ehrenamtlich und unentgeltlich geleistet wird. Eine zentral gelegene Pilzberatungsstelle, wie sie bereits nach bestandener Prüfung 1972 im Waldhausener Schulhaus von dem Pilzexperten Wolfgang Kühnl eingerichtet wurde, fand bei ratsuchenden einheimisch­ en Pilzsammlern sowie auch bei Feriengäs­ ten dankbaren Zuspruch und wurde häufig aufgesucht. Die unentgeltlichen Dienste ei­ nes Pilzberaters werden stets gerne in An­ spruch genommen, lernt man doch neben den (korrekten) Namen für die Pilze viel

Wissenswertes zum eigenen Sammelgut und zu dessen richtiger Verarbeitung oder Halt­ barmachung. Schließlich kann sich der Sammler nach Überprüfung sein Pilzgericht garantiert ohne Reue munden lassen. Nach 5-jähriger Leitung und gleichzeitiger Schließung der Beratungsstelle zog Wolf­ gang Kühnl 1976 mit der Familie vom Bräunlinger Stadtteil Waldhausen in sein El­ ternhaus in der Hüfmger Schellenbergstra­ ße. Er richtete auch hier im Kellergeschoss auf Wunsch und zur großen Freude des da­ maligen Bürgermeisters Max Gilly wieder ei­ ne Pilzberatungsstelle ein, die er in der Fol­ gezeit immer mehr zu einem kleinen Pilz­ museum ausgestaltete. Gerne nahmen die Gäste eine „Wartezeit“ in Kauf, um sich an Schautafeln zu informieren, Pilzmodelle zu studieren oder sonstige Ausstellungsstücke zu bestaunen. Bis zu 1000 Ratsuchende jährlich Die „Pilzberatungsstelle des Schwarzwald- Baar-Kreises“, wie sich die Einrichtung in Hüfmgen seit 1999 laut Entscheidung der Unteren Naturschutzbehörde des Landrats­ amtes offiziell bezeichnen durfte, wurde jährlich – je nach Pilzvorkommen – von rund 400 bis 700 Personen aufgesucht. In sehr guten Pilzjahren geht die Zahl der Rat­ suchenden bis gegen 1000. Insgesamt hat der Pilzsachverständige Wolfgang Kühnl in seiner 30-jährigen Tätigkeit als Pilzberater über 16 000 Sammler aus nahezu allen Städ­ ten und Gemeinden des gesamten Schwarz- wald-Baar-Kreises und seiner näheren und weiteren Umgebung betreut, dabei über 5 200 Mal Giftpilze, darunter manchen schwer giftigen, im Sammelgut entdeckt und somit eine größere Anzahl von Bür­ gern vor dem sicheren Tod bewahrt. Des Öfteren war, meist spät in der Nacht, bei erfolgten Vergiftungen der Rat des Hü- finger Pilzexperten von Ärzten des Kreis­ krankenhauses in Donaueschingen, von den Krankenhäusern in St. Georgen und Neu­ stadt sowie von Hausärzten gefragt, um Umwelt und N atur nach richtiger Pilzbestimmung eine gezielte Behandlung durchzuführen. Erfreulicher­ weise verliefen infolge der korrekten Diag­ nose des Pilzexperten alle angewandten Maßnahmen erfolgreich, und es gab keine Todesfälle zu beklagen. Zum Glück brauchte der Pilzfachmann in den letzten Jahren zu keiner Vergiftung mehr ins Krankenhaus gerufen werden. Aus seiner langjährigen Tätigkeit als Pilz­ berater konnte Wolfgang Kühnl auch man­ chen kuriosen Vorfall berichten, der zeigt, wie leichtsinnig und gedankenlos Pilzsamm­ ler sein können. Ein Italiener – seiner Mei­ nung nach ein angeblich guter Pilzkenner – fand im Wald bei Hubertshofen mehrere Exemplare einer Pilzart, die er zwar nicht kannte, die aber schön aussahen. Folglich muss dieser Fund auch essbar sein, dachte der gute Mann und bereitete sich daraus ei­ ne „wohlschmeckende“ Mahlzeit zu. Da er sich jedoch seiner Pilzkenntnisse nicht ganz sicher zu sein schien, schnitt er vorsichtshal­ ber zuvor aus einem der Pilzhüte wie aus ei­ ner Torte ein Stückchen heraus und legte es beiseite. Falls ihm wirklich etwas passiere, so überlegte er schlüssig, könne ihm vielleicht gezielt geholfen werden. Wie sich bald zeigen sollte, hatten die verspeisten Pilze ei­ ne verheerende Wirkung. Mit gefährlichen Vergiftungser­ scheinungen, begleitet von Schweißausbrüchen, hef­ tigstem Erbrechen und unstillbaren Durchfäl­ len, wurde der „Pilz­ kenner“ ins Do- naueschinger Rreiskranken- haus einge­ liefert. Milzberater Wolfgang Kühnl

Umwelt und N a tu r E rke n n e d ie P ilze ! * . * -> & E r k e n n e d i e Pilze! P Blick ins von Wolfgang Kühnl aufgebaute Hüfinger Milzmuseum. Nachdem auch die Ärzte diesen Sympto­ men machtlos gegenüberstanden, war die rasche Hilfe des Pilzberaters dringend erfor­ derlich, um die Pilzart und die darin enthal­ tenen Gifte zu bestimmen. In einem versie­ gelten Joghurtbecher brachte eine Ärztin das „jetzt so wichtig gewordene Beweisstück“ in die Beratungsstelle. Ein Blick des Pilzexper­ ten genügte, um den Pilz als den hochge­ fährlichen „Tigerritterling“ zu identifizieren. Am Nachmittag desselben Tages war dieser im Schwarzwald-Baar-Kreis recht seltene Pilz Wolfgang Kühnl und seiner Frau in un­ verhältnismäßig großer Zahl an der bekann­ ten Kartierungsstelle bei Hubertshofen schon aufgefallen, was in der Feststellung gipfelte: „Da könnte man sich eine rechte Vergiftung holen!“ Gegen 18.30 Uhr kam dann prompt der Anruf des Krankenhauses. Die Inhaltsstoffe dieses schönen, aber ge­ fährlichen Waldbewohners sind in ihrer Zu­ sammensetzung bis heute unbekannt. Die­ se Tatsache bleibt bei der ärztlichen Behand­ lung ohne Bedeutung. Infolge des schnellen Flüssigkeitsverlustes kann häufig der Tod des Patienten eintreten. Daher muss der Arzt primär versuchen, durch geeignete Maßnah­ men eine Austrocknung des Körpers zu ver­ hindern. Erst nach mehreren Tagen Kran­ kenhausaufenthalt hatten sich die Blutwer­ te wieder normalisiert, und der Pilzsammler konnte – um eine Erfahrung reicher – ent­ lassen werden. Ein vorheriger Gang zum Pilz­ berater hätte ihm alle Ängste und Schmer­ zen erspart. Wenn Steinpilze „bitter sind“ Eine Frau aus Schwenningen meldete sich telefonisch beim Pilzberater, sie und ihr Mann holten immer Steinpilze von dersel­ ben Stelle. „Wir nehmen auch nur Steinpil­ ze! Vor etwa einer Stunde haben wir die Pil­ ze gegessen, die waren noch nie so bitter wie in diesem Jahr. Wie ist das möglich?“ „Die Erklärung ist ganz einfach“, musste sie sich belehren lassen, „das waren keine Steinpilze, sondern der Doppelgänger, der bittere und ungenießbare Gallenröhrling.“ Ungläubig fügte sie hinzu: „Und was passiert jetzt?“ 2 5 4

„Da können Sie noch froh sein, dass Sie kei­ nen wirklichen Giftpilz gegessen haben. Dennoch ist der Genuss nicht für jeden Menschen harmlos, es sei denn er hat einen ‘Saumagen’. Das Schlimmste war Erstens das bittere Essen, dem manchmal nach kur­ zer Zeit Erbrechen folgt. Das dürfte nach dieser Zeit kaum mehr zu erwarten sein. Rechnen Sie aber mit dem dritten Fall: Der Bitterstoff wirkt abführend!“ Glücklich da­ rüber, dass sonst keine Vergiftung zu be­ fürchten sei, bedankte sich die Frau. Umfassend und arbeitsintensiv Wie umfassend und arbeitsintensiv die Tä­ tigkeit einer Pilzberatungsstelle ist, belegt ein Bericht aus der Feder von Wolfgang Kühnl für das Pilzjahr 2001: „Das Jahr 2001 begann für die Sammler zunächst recht ver­ heißungsvoll. Es war ein durchschnittliches Morchel- und Maipilzwachstum zu ver­ zeichnen. Pfifferlinge wuchsen reichlich und blieben meist auch nicht nur den Kennern der geheimen Plätze Vorbehalten. Dann aber zeigten sich die Wälder auf der Baar und im Schwarzwald lange Zeit von Pilzen wie leergefegt. Infolge der langanhaltenden Hitze- und Trockenperiode in den August­ wochen ließ das Pilzwachstum unverhältnis­ mäßig lange auf sich warten. Auch die anschließend einsetzenden ergie­ bigen Regenfälle Anfang September, ver­ bunden mit einer für diese Jahreszeit unge­ wöhnlichen Kälteperiode, wirkten sich zu­ nächst nicht günstig auf einen sofortigen „Pilzschub“ aus. Als danach die Temperatu­ ren wieder anstiegen, löste dies in der letz­ ten Septemberwoche eine regelrechte „Pilz­ schwemme“ aus. Mit dem Ausbleiben der Pilze des Som­ mer- und Frühherbstaspektes wurde jedoch die sonst übliche Artenvielfalt vermisst. Die sich erst spät einstellende Pilzhauptsaison hatte zur Folge, dass der Sammler je nach Gegend zwar sehr viele Pilze, jedoch relativ wenig Arten zu Gesicht bekam und deshalb meist auch nur eine oder zwei Pilzarten zur Um welt u nd N atur Kontrolle vorlegte, von denen er sich eine eventuelle Speisetauglichkeit erhoffte. Im Sammelgut wurde nicht ein einziger Knollenblätterpilz entdeckt. Essbare Pilze aus der Familie der Wulstlinge wie der sonst häufige Perlpilz oder der Graue Wulstling machten sich wie viele Täublingsarten äu­ ßerst rar. Nur zweimal wurden Wiesencham­ pignons von einem Sammler in der Bera­ tungsstelle zur Begutachtung gebracht. Da­ für war der giftige Karbol-Champignon recht häufig in den Körben zu finden, wel­ cher seinem Doppelgänger, dem essbaren Anis-Champignon, zum Verwechseln ähn­ lich sieht. Wie die lebensgefährlichen Riss­ pilze durfte er neben anderen Giftpilzen dem geschulten Auge des Pilzfachmannes nicht entgehen. Trotz der geringen Artenvielfalt konnte man einige Neu- oder Wiederentdeckungen zur Kartierung der Pilze Baden-Württem­ bergs verzeichnen, nach denen auch ein Kenner in anderen Jahren meist vergeblich sucht. Sie waren dem Pilzberater in 30 Jah­ ren sowohl in Waldhausen wie in Hüfmgen bisher nie oder erst in ganz wenigen Exemp­ laren zur Identifizierung und gleichzeitigen Erfassung vorgelegt worden. So sind aus die­ sem Jahr als besondere Seltenheiten der Gelbfüßige oder Büschelige Egerlingsschirm­ pilz Leucoagaricus bresadolae aus der Um­ gebung von Hausen vor Wald, eine kaum in der Pilzliteratur dokumentierte Rarität, als Erstfund für den Schwarzwald-Baar-Kreis festgehalten sowie ein Riesenexemplar einer Bischofsmütze Gyromitra infüla mit 26 cm Höhe auf Wolterdinger Gemarkung ver­ merkt. Mit dem verspäteten Einsetzen der Pilzsai­ son ab der zweiten Septemberhälfte hatte man jetzt in der Beratungsstelle mehrere Wochen lang bis in den November hinein alle Hände voll zu tun, um den sehr zahlrei­ chen Pilzsammlern mit Rat und Tat behilf­ lich zu sein. Flockenstielige Hexenröhrlinge, Steinpilze und die verschiedenen Halli­ masch-Arten sprossen in großer Menge wie kaum in anderen Jahren. 2 5 5

Umwelt und N atur Wer Milze sammelt, ohne sie wirklich zu kennen, ist a u f eine Begutachtung durch die Milzberatungs­ stelle dringend angewiesen. Das reiche Pilzvor­ kommen verursachte einen Massenansturm auf die pilzkundliche und museal ausgestal­ tete Einrichtung in der Hüfinger Schellen­ bergstraße. Nicht we­ niger als 606 Personen aus 32 Städten und Ge­ meinden des Schwarzwald-Baar-Kreises und seiner Nachbarschaft legten bei 470 Bera­ tungen ihr Sammelgut zur kostenlosen Prü­ fung vor. Die meisten Ratsuchenden kamen dabei aus Hüfingen (154), gefolgt von Bräun­ lingen mit 146 und Donaueschingen mit 138 Sammlern. In weiteren 36 Fällen konn­ te die Beratungsstelle telefonisch Auskunft geben, wenn der Anrufer selbst die gesam­ melte Pilzart ganz sicher kannte und nur et­ was über die optimale Zubereitung oder Haltbarmachung erfahren wollte. Insgesamt wurden zuletzt 945 (1621) mal (in Klammem zum Vergleich die Zahlen aus dem guten Pilzjahr 1994) Pilze aus 112 (134) essbaren bzw. einigen wenig schmackhaften Arten sowie 162 (513) mal giftige oder zu­ mindest ungenießbare Pilzsorten aus 39 (135) Arten vorgelegt.“ Rund 614 Arten begutachtet Die Liste aller Pilzarten, die Sammler in den 30 Jahren des Bestehens der Pilzbera­ tungsstelle gebracht haben, erreicht die statt­ liche Zahl von 614 Arten, jedoch erst rund die Hälfte der über 1100 Arten, deren Vor­ kommen Pilzsachverständiger Wolfgang Kühnl für den Schwarzwald-Baar-Kreis selbst dokumentiert und als Mitarbeiter für die Kartierung in dem mehrbändigen Werk 2 5 6 „Die Großpilze Baden-Württembergs“ fest­ gehalten hat. Große Aufgabe: Schutz der Pilze Die Steinpilze wuchsen wieder reichlich und lockten üblicherweise eine Vielzahl un­ erwünschter „Pilzräuber“ aus der Schweiz und sogar aus Italien in die Wälder des Schwarzwaldes und auf der Baar, wobei die­ se Sammler teilweise aus Unkenntnis der Rechtslage eine möglichst große Menge, hauptsächlich eben Steinpilze, „zusammen­ raffen“ wollen. Gegen diese Naturfrevler vorzugehen war eine weitere Aufgabe, die sich Pilzberater Kühnl in seiner Eigenschaft als Naturschutzwart in Zusammenarbeit mit Kommunen, Forstverwaltung, Polizei und Zoll im Auftrag der Unteren Naturschutzbe­ hörde gestellt hatte. Seine Befugnis galt da­ bei für die Kreise Schwarzwald-Baar, Breis- gau-Hochschwarzwald und Waldshut. Da nach der „Bundes-Artenschutz-Verord- nung“ das Sammeln von insgesamt 1 Kilo­ gramm Pilze pro Person und pro Tag und nur für den eigenen Verzehr erlaubt ist, also das gewerbliche Sammeln mit der Absicht, die Pilze zu verkaufen grundsätzlich verbo­ ten ist, führte Kühnl in seiner Eigenschaft als Naturschutzwart 34 längere Kontroll- fahrten (über 1400 km) in die Wälder zwi-

sehen Bräunlingen und Neustadt durch. Da­ bei informierte er eine große Zahl von Sammlern mit einem von ihm in Zusam­ menarbeit mit der Unteren Naturschutzbe­ hörde des Schwarzwald-Baar-Kreises ver­ fassten Merkblatt, das in höflichem Ton – zweisprachig in Deutsch und Italienisch – auf alle wichtigen Paragrafen und Vorschrif­ ten für den Pilzsammler und Waldbesucher in Deutschland aufmerksam macht. Die meisten der angesprochenen Sammler be­ grüßten diese Aufklärung und zeigten für die Hinweise volles Verständnis. Mehrere uneinsichtige und unbelehrbare Pilzräuber jedoch, die das erlaubte Kilo­ gramm bei weitem überschritten hatten, wurden unverzüglich an den Zoll gemeldet, wo sie mit empfindlichen Geldbußen emp­ fangen wurden und man außerdem zusätz­ lich die Pilze beschlagnahmte. In weltweitem Kontakt mit Mykologen Die Beschäftigung mit den Pilzen in jegli­ cher Art brachte es mit sich, dass der Hüfin- ger Pilzberater mit zahlreichen Mykologen und Gleichgesinnten in ganz Europa, in Ja­ pan und in Amerika in wissenschaftlichem Kontakt stand. Aus dem gemeinsamen Hob­ by und Gedankenaustausch ist als Krönung eine umfangreiche Bibliothek mit rund 2500 mykologischen Büchern, Zeitschriften und Broschüren mit Pilzliteratur aus 89 Län­ dern der ganzen Welt entstanden, die so gut wie kaum eine Frage über die Pilzwelt unbe­ antwortet lässt. Bei der „9. Internationalen Mykologischen Drei-Länder-Tagung“ 1975 mit Teilnehmern aus neun Staaten in Emmendingen präsen­ tierte Wolfgang Kühnl erstmals 120 Blatt „Pilze auf Briefmarken“ einem staunenden Publikum. 25 Jahre lang stellte er seitdem auf Wunsch des 1. Vorsitzenden der „Stutt­ garter Pilzfreunde“ in der „Südwestdeutsch­ en Pilzrundschau“ die Pilze im Markenbild in Wort und Bild vor. 1981 hatte Prof. Dr. Molitoris von der Universität in Regensburg 180 Blatt der umfassenden Pilzbriefmarken­ Umwelt und N atur sammlung beim „XI. Internationalen Wis­ senschaftlichen Mykologischen Kongress zur Züchtung essbarer Pilze“ nach Sydney in Australien mitgenommen und dort ausge­ stellt. Diese Schau stieß auf so große Auf­ merksamkeit, dass selbst der australische Post­ minister Kaufinteresse bekundete. Als einzigartige Rarität findet man in der Sammlung einen geprüften (nicht strahlen­ den!) R-Briefumschlag samt Begleitschrei­ ben. Unterzeichnet vom C hef des Atom­ kraftwerks von Tschernobyl, dessen Reak­ torunfall am 26. April 1986 besonders für Pilze katastrophale Folgen hinterließ. Im Kraftwerk wurde nach der Evakuierung des Ortes ein eigenes Postamt eingerichtet. Als international anerkannter „Mykophila- telist“ wurde Wolfgang Kühnl als kompeten­ ter Experte von dem Liechtensteiner Pilz­ fachmann und Initiatoren der ersten Pilz­ briefmarkenserie des Fürstentums, Rudolf Wiederin, sowie vom Leiter des Amts für Briefmarkengestaltung um eine Rezension der Markenausgabe von 1997 mit der Dar­ stellung dreier ganz selten zu findenden Pil­ ze gebeten. Aufgrund der sehr positiven Be­ urteilung der Postwertzeichen durch den Hüfinger Pilzsachverständigen und infolge des großen Anklangs bei den Sammlern wurde die Serie mit der Wiedergabe weiterer Pilzraritäten im Jahre 2000 fortgesetzt. Zum einmaligen Erlebnis wurde für Wolf­ gang Kühnl ein Besuch des „Mährischen Landesmuseums“ in Brno (Brünn) im Jahre 1977, als er auf Einladung von Ing. Karel Kriz, dem Leiter der Pilzabteilung dieser Bil­ dungsstätte, sowie Ing. Jan Kuthan, einem der bedeutendsten tschechischen Mykolo­ gen, über 3 000 großartige Exponate aus der geheimnisvollen Welt der Pilze präsentiert bekam. Aus dieser Begegnung erwuchsen jahrzehntelange Kontakte im Dienste der Mykologie, die zu einem ständigen, inter­ nationalen Austausch von Wissen führten. redaktionell ergänzt und bearbeitet nach einem Manuskript von Wolfgang Kühnl 2 5 7

18. Kapitel /A lmanach 2003 Bauen und Wohnen Das Hüfinger Hallenbad „Aquari“ Vom tristen Badehaus zum m odernen Spaß- und Freizeitbad Dass römische Legionäre der Siedlung Bri- gobannis am Donaulimes bei Hüfmgen an der Kreuzung der damaligen Verkehrsach­ sen von Donau und Hochrhein bis 260 nach Christus noch ihren Spaß im Badegebäude am Fuß des Galgenberges gehabt haben sol­ len, ist nicht zweifelsfrei überliefert. Wohl aber, dass die Bregstadt seit der offiziellen Wiedereröffnung ihres Hallenbades im De­ zember 2001 einen überaus regen Besucher­ strom im so genannten „Aquari“ verzeich­ nen kann. Nicht ohne Grund, denn das Frei­ zeit- und Familienbad stellt doch eine im Schwarzwald-Baar-Kreis einmalige Kombi­ nation von Wellness- und Sportbad mit 52- Meter-Rutsche, Strömungskanal, Sauna, So­ larien, Außenbecken und Ruhezonen dar. Die Badelandschaft mit Saunagarten, per­ manenten Strudeln und Fontänen trägt da­ mit den gestiegenen Ansprüchen der Ba­ degäste an Gesundheits- und Immunstabili­ sierung Rechnung. Das Foyer mit Bikini-Bar und Cafeteria sowie das dezente Ambiente mit Palmen bietet auch eingefleischten Nicht­ schwimmern Gelegenheit, dort zu verwei­ len. Renovierung und Ausbau statt Neubau Rund 4,4 Millionen Euro hat sich die Stadt Hüfmgen ihr neues Alt-Hallenbad kosten lassen. Ein Kostenaufwand, dem der Hüfin- ger Bürgermeister Anton Knapp gern den Vergleich mit einem Neubau gegenüber stellt. Und schon gar nicht Größenwahn ha­ be schließlich zu der Überlegung einer Sa­ nierung der nunmehr 30 Jahre alten Ein­ richtung geführt, sondern die nüchterne Überlegung, dass ein neues Hallenbad rund 18 Millionen Euro gekostet hätte und ein Handlungsbedarf durch die veraltete Haus- 2 5 8 Der beleuchtete Rutschenturm als Markenzeichen des neuen Freizeitbades in Hiifingen ist vor allem nachts nicht zu übersehen. technik mit nicht erfüllbaren Standards an­ gezeigt war. „Wir standen seinerzeit vor der Entschei­ dung, das Hallenbad wegen technischer und baulicher Mängel zu schließen, eine Sanie­ rung vorzunehmen oder einer Rundumsa­ nierung auch noch eine Attraktivitätssteige­ rung hinzuzufugen“, erinnert sich Bürger­ meister Anton Knapp an die Diskussion im Gemeinderat. Zudem waren in den vergan- genenjahren die Besucherzahlen rückläufig. Die kostengünstigere „kleine Sanierung“ wäre unterm Strich betriebswirtschaftlich je­ doch eine wesentlich schlechtere Lösung ge­ wesen, da der Gast für sich keine erlebbaren Verbesserungen hätte feststellen können. Darüber war man sich in den Entscheidungs­ gremien einig. Als Auswirkung hätten sich die Besucherzahlen bei einem dann not­

wendigerweise altem Preisgefüge im güns­ tigsten Fall lediglich stabilisieren lassen. An­ gemessene Preisstrukturen jedoch wären nicht durchsetzbar gewesen. Die 1997 von der Stadtverwaltung an das Büro IST EnergiePlan GmbH in Auftrag ge­ gebene Projektstudie erbrachte erste Vor­ schläge zur Verbrauchsminderung und Be­ triebskostenreduzierung. Die Bestandsauf­ nahme ließ allerdings auch keine Zweifel daran, dass die Technik veraltet, große Teile der Wasseraufbereitungs-, Lüftungs- und Sa­ nitärtechnik sanierungsbedürftig, vorhan­ dene Rohrleitungen und Armaturen stark korrodiert waren. Auch Beckenrinne und Beckenumgang schienen an vielen Stellen undicht zu sein. Allein 45 Prozent an Wär­ meverbrauch ließe sich durch die Erneue­ rung der Lüftungsanlagen senken, zeigte die Studie auf. Investitionen jedoch, mit denen allein aber keine Erhöhung der Besucher­ zahlen erzielt worden wäre. Zwei Jahre spä­ ter beauftragte die Stadt Hüfingen deshalb drei im Bäderbau erfahrene Architektur- und Ingenieurbüros mit der Erarbeitung von weiteren Projektstudien, die verschiede­ ne Möglichkeiten einer Modernisierung des Hallenbades beleuchten sollten. Die vorge­ schlagenen Maßnahmen, die durch den von der Stadtverwaltung vorgegebenen Investi­ tionsrahmen begrenzt waren, stellten eine strukturelle Verbesserung und qualitative Weiter­ entwicklung des beste­ henden Angebotes dar. In der Hüfinger Einrichtung fehlte bislang ein Ange­ bot für Mütter mit Klein­ kindern, da das Plansch­ becken im Außenbereich Über einen Außenschwimm- kanalgelangen die Badegäste in das Wellnessbecken aus Edelstahl, das zum Erholen und Relaxen unter freiem Himmel einlädt. H allenbad „A quari1 wegen Mängel, seit Jahren nicht mehr in Be­ trieb war. Auch gab es kein Betätigungsfeld, das vor allem Jugendliche anspricht, ebenso fehlten Ruhebereiche, die für einen ent­ spannten Aufenthalt im Hallenbad notwen­ dig sind. Die Bestandsaufnahme zeigte zu­ gleich auf, dass im Eingangsbereich eine doch sehr beengte Situation herrscht. Der Gemeinderat sprach sich deshalb nach lan­ gen Diskussionen für eine Gesamtsanierung mit einem zukunftsweisenden M aßnah­ menpaket für das als Betriebszweig der Stadtwerke geführte Hallenbad aus. Erfahrener Partner für die Reali§ierung Die Sanierung und Modernisierung des 1972 in Betrieb genommenen Bades war für den planenden Architekten Jörn Thamm vom Büro bmt in Konstanz, das von den insgesamt drei Bewerbern den Zuschlag er­ hielt, zugleich eine besondere Herausforde­ rung. 1993 den Wettbewerb für ein Freibad in Je­ stetten gewonnen, sowie für die im Sommer 2002 eröffneten Gastronomiegebäude auf der Bodenseeinsel Mainau verantwortlich, überzeugte Thamm durch eine gelungene Synthese von Erneuerung technischer Anla­ gen und Ergänzung des vorhanden Raum­ angebots durch kleinere Anbauten. In Zu- 2 5 9

B auen und W ohnen Bislang einzigartig ist die Großwasserrutsche, die in einem separaten Anbau des Hallenbades Hüfmgen realisiert wurde. sammenarbeit mit dem Büro IST entstand so der Entwurf für ein vollkommen neues Freizeit- und Familienbad auf den alten Grundmauern. Grundgedanke dabei war, mit möglichst einfachen Mitteln eine quali­ tative Verbesserung in Anbetracht der fi­ nanziellen Rahmenbedingungen zu erzie­ len. Nach Schließung des Bades im Juli 2000 wurde mit der Demontage der alten Rohre und technischen Anlagen begonnen. Da die bestehende Bausubstanz keine räumliche Erweiterung zuließ, wurde für die geplante Sauna eine zusätzliche Geschossebene auf­ gestockt. So konnten auch die Räume für ei­ ne physiotherapeutische Praxis geschaffen werden, die über einen Aufzug behinder­ tengerecht zu erreichen ist. Im Umkleide- und Duschbereich wurde der Bestand neu geordnet und ein attraktiver Gastronomie­ bereich für Badbesucher wie auch externer Gäste geschaffen, den eine Ganzglaswand vom eigentlichen Schwimmbecken ab­ trennt. Diese ermöglicht einen Blickkontakt der ankommenden Gäste in das Bad hinein. Bei Bedarf lässt sich die Wand jedoch für 2 6 0 Veranstaltungen zur Seite falten. Zum Lie­ gebereich des Bades wurde parallel zur be­ stehenden Längsfront der Schwimmhalle ein linear unterkellerter Anbau für den Eltem- Kind-Bereich sowie für die Liegehalle er­ stellt. Um nicht in die bestehende Tragkon­ struktion eingreifen zu müssen, wurde der Anbau bei Übernahme des bestehenden Ge­ bäuderasters konstruktiv vollständig vom Altbau getrennt. Über einen Windfang ist der Außenbereich zugänglich, der auch im Sommer gerade für Familien eine Alternati­ ve zu den Freibädern und Badeseen sein soll. Die Fassade wurde vollständig mit be­ schichteten Sonnenschutzgläsern versehen. Einzigartige Großwasserrut§che Besondere Attraktionen sind die in Euro­ pa einzigartige Großwasserrutsche sowie das angrenzende Strömungsbecken, die in ei­ nem eigens erstellten Anbau zwischen be­ stehender Schwimmhalle und Parkplatz rea­ lisiert wurden. Für einen besseren Schall­ schutz ist der Gebäudekomplex so konstru­ iert, dass ein Großteil der Rutsche in den In­ nenbereich verlegt ist. Das tragende Element des Rutschenturms ist eine Sichtbetonwand, die verbunden mit einer weit spannenden Stahlkonstruktion, ebenfalls von Brettsta­ pelelementen nach oben hin abgeschlossen ist. An zwei Stellen durchbricht die Rutsche in halbkreisförmigen Bögen, die aus trans­ luzentem Glasfieberkunststoff gefertigt sind, die Sichtbetonwand. Eine Konstruktion, die vor allem abends durch die Innenbeleuch­ tung weithin sichtbar als neues Markenzei­ chen des Hüfinger Hallenbades zu sehen ist. Ein weiterer attraktiver Bereich ist der Aus­ schwimmkanal, der in ein 50 Quadratmeter großes Wellnessbecken aus Edelstahl im Außenbereich mündet. Dort befinden sich Sprudelliegen, Massagedüsen, Nackendu­ sche oder Luftsprudler. Um den Energiever­ lust durch Wärmeabstrahlung in Grenzen zu halten, wird das Becken bei geschlosse­ nem Bad durch einen im Boden integrierten Rolladen abgedeckt. Die Sanierung des ei-

H allenbad „Aquari1 hellen Anbau in Niedrigenergiebauweise spiegelt sich auch die Geschichte der römi­ schen Badeanstalt in den modern interpre­ tierten Stahlbetonsäulen und Kapitellen wi­ der. Im Obergeschoss ist eine physiotherapeu­ tische Praxis integriert. Um eine schnelle Bauweise realisieren zu können, wurde das Gebäude als reiner Holzbau auf einer Bo­ denplatte mit Perlmeterdämmung kon­ zipiert. Die geschosshohen, großformatigen Fassadenelemente wurden in einer Zimmerei vorgefertigt und konnten innerhalb weniger Tage aufgerichtet werden. Um eine zeitver­ zögerte Einleitung von Regenwasser in die öffentliche Kanalisation zu gewährleisten, wurden alle neuen wie auch die sanierten Dachflächen extensiv begrünt. Zusätzlich wird ein Großteil des anfallenden Regen­ wassers über ein Rigolensystem zurückge­ halten und kann versickern. Durch den Umbau konnte das Rauman­ gebot von den vorhandenen 5 590 Kubik­ meter um weitere 5 070 Kubikmeter umbau­ ter Raum erweitert werden. Nicht nur die jüngsten Besucherzahlen bestätigen offen­ sichtlich die Richtigkeit des Konzeptes, statt eines Neubaus „nur“ zu sanieren. Franz Filipp gentlichen Beckens erwies sich als aufwän­ diger als zunächst angenommen. Sollten ur­ sprünglich nur Beckenkopf und Beckenum­ gänge erneuert werden, so stellte sich bei den Abbrucharbeiten heraus, dass sich durch Fehler beim Betonieren vor drei Jahrzehn­ ten die bis zu zehn Zentimeter dicke Mör­ telschicht mitsamt den Fliesen an einigen Stellen ablöste. Kurzfristig wurde entschie­ den, das Becken neu zu fliesen. Die Abmes­ sungen von 15 auf 25 Meter wurden jedoch nicht verändert. Im Zuge der Erneuerungs­ arbeiten wurden an den Längsseiten des Beckens neue Einströmdüsen eingebaut, die durch die Strahlenturbulenz eine gleich­ mäßige Beckendurchströmung ermöglichen. Das Umwälzvolumen wird dabei vollstän­ dig über die so genannte finnische Rinne ab­ geleitet. Unterwasserscheinwerfer erhellen das Bad in den Abendstunden. Zwischen Hallenbad und der angrenzen­ den Sporthalle wurde die Saunalandschaft in einem eigenständigen, nach außen weit­ gehend geschlossenen Anbau angeordnet, der sich über eine umlaufende Glasfassade zum integrierten Innenhof öffnet. Die Sau­ na mit Biosauna, Dampfbad, Rundduschen, Schwalldusche, Kneippbecken sowie Außen­ sauna wird von der Stadt Hüfingen in Ei­ genregie betrieben, kann aber ebenso auch an einen Be­ treiber ver­ pachtet wer­ den. In dem Badevergnü­ gen pur: Nach dem Umbau wartet die neu gestaltete Was­ serlandschaft mit vielen A t­ traktionen, et­ wa dem Strö­ mungsbecken, auf. 261

Bauen und W ohnen Zum ehemaligen Deckerhisle Eines der ältesten H äuser in G ütenbach Insbesondere während etwa der letzten hundert Jahre haben viele Städte, Dörfer und Gebäude ihr Gesicht wesentlich verän­ dert. Im Schwarzwald wurden – primär durch die wirtschaftlich schwierige Situation in der Landwirtschaft bedingt – viele altehrwürdi­ ge und stattliche Bauernhöfe aufgegeben und abgebrochen. Noch vorhandene alte Bauernhäuser wurden vielmals Opfer einer entstellenden „Modernisierung“. Von den typischen alten Schwarzwaldhäusern mit Holzschindel- oder Strohdächern gibt es nur noch sehr wenige. Heute erinnern oftmals nur noch alte Bild- Postkarten an die Zeit, als das Leben der Menschen noch nicht durch die inzwischen üblichen technischen Einrichtungen geprägt war. Das gilt sinngemäß auch für das auf der Ansichtskarte aus der Zeit um 1900 (Bild 1) abgebildete und bereits 1966 abgebrochene Deckerhisle in Gütenbach. Es gehörte zu den ältesten Häusern Gütenbachs und war um die vorletzte Jahrhundertwende ein sehr beliebtes Motiv für Fotografen und Maler. Auch der bekannte, über lange Zeit in Frei­ burg lebende Maler Emil Lugo („‚1840 in Stockach, + 1902 in München) sah im Decker­ hisle ein lohnenswertes Motiv, was ein Aquatinta-Blatt aus dem Jahre 1886 – heute im Freiburger Augustiner-Museum – belegt. Erbaut wurde das „Hisle“ mit Stall und Scheuer um 1552/1554 von Jakob Ganter. GUtenbach. (Schwarzwald.) Bild 1: Das um 1zz2/1zz4 erbaute und imJahre 1966 abgebrochen e, malerische Deckerhisle au f einer A n­ sichtskarte aus der Zeit um 1900. 2 6 2

Das D eckerhisle Bild 2: Die Ansichtskarte zeigt Gütenbach um die vorletzte Jahrhundertwende. Inmitten der Häusergrup­ pe ist das ehemalige Deckerhisle (Bild 1) zu erkennen (Original: Verfasser). Er verkaufte um diese Zeit den Gutenhof – den er um 1550 erbte – und gab sich mit dem kleineren Haus im D orf (Bild 2; das Deckerhisle inmitten der Häusergruppe) und einer Kuh zufrieden. Das Baugrund­ stück erhielt Ganter von seinem Onkel Cas­ par Ganter, dem Breiteckbauern am Bach. Über mehr als hundert Jahre blieb das His- le im Besitz der Nachfahren der Familie Ja­ kob Ganter und seiner Ehefrau Dorothea, geborene Neydinger. Ab 1691 bis 1808 wohnten verschiedene Schneider im „Hisle“. Zur damaligen Zeit arbeiteten die Schneider üblicherweise in den Häusern ihrer Auftraggeber – „sie gin­ gen auf die Stör“. Durch die aus der speziellen Arbeitsweise resultierenden vielen mensch­ lichen Kontakte kannten sie alle Neuigkei­ ten, die sich im D orf und auf den umlie­ genden Höfen ereigneten. Insofern waren sie sehr beliebte Gesprächspartner. Nach 1808 bis 1880 war das „Hisle“ abwechselnd von Holzschuhmachem, Krämern, Uhrma­ chern, Uhrenhändlern und Schuhmachern bewohnt. Der Schindle-Decker-Karli Im Jahre 1880 erwarb der Schindeldecker Karl Ruf („Schindle-Decker-Karli“) das „His­ le“. Er erweiterte es durch einen Querbau und einen Anbau an der Westseite. Durch den „Schindle-Decker-Karli“ kam das „His­ le“ zu seinem Namen „Deckerhisle“. Es wird überliefert, Karl Ruf habe die Eindeckung des 1884 auf dem Kandel errichteten neuen Rasthauses übernommen. Hierzu habe er die gesamten Schindeln, die er durch drei Gesellen herstellen ließ, in seiner Kräze von Gütenbach durch das Deich hinab und den Zweribach wieder hinauf zum Kandel getra­ gen. Jeder, der diesen romantischen, ande­ rerseits aber auch recht beschwerlichen Weg schon einmal durchwandert hat, kann über eine solche Leistung nur ungläubig den Kopf schütteln. 2 6 3

D as D eckerhisle Da die Schulden von Karl Ruf auf3 350 M anwuchsen, wurde das Deckerhisle am 14. August 1899 zwangsversteigert. Nach münd­ lichen Überlieferungen soll der Verlust sei­ nes Deckerhisles Karl Ruf seelich derart be­ lastet haben, daß er nicht mehr weiterleben wollte und sich offenbar aus Kummer und Gram über diesen Verlust im Jahre 1902 in Schönwald das Leben nahm. Durch die Zwangsversteigerung kam der ehemalige Obergrundbauer Cölestin Dold und seine Ehefrau Klara in den Besitz des Deckerhisles. Nachdem Dold den Ober­ grundhof am 8. April 1895 für 35 000 M an seinen Sohn Edelbert verkauft hatte, ging er zunächst aufs Altenteil. Vermutlich am 1. Oktober 1899 zog er mit seiner Frau ins Deckerhisle. Für Cölestin Dold gab es pri­ mär zwei Gründe, das Deckerhisle zu erstei­ gern: Einerseits hatte er bei Karl Ruf ein Guthaben von 1 700 M und zum anderen ließ es sich im Alter wesentlich angenehmer im Dorfzentrum leben, als im Altenteil des Obergrundhofes. Sehr wahrscheinlich ist die im Bild 1 vor dem Deckerhisle stehende Frau die Altbäuerin Klara Dold, geborene Fehrenbach (*31.01.1838, +31.03.1922), die sich zu dem besonderen Anlaß in ihrer Tracht mit dem hohen, gelben Flut vor ihrem Deckerhisle präsentierte. Die letzte private Eigentümerin des Decker­ hisles war Frau Berta Wehrle. Sie verkaufte das gesamte Anwesen am 31. Oktober 1958 an die Spielwarenfabrik Gebrüder Faller, die es noch über acht Jahre an verschiedene Be­ wohner vermietete und 1966 endgültig ab­ brechen ließ. Inzwischen ist das Deckerhisle ein regio­ nalgeschichtliches Relikt der Vergangenheit. Bei älteren Mitbürgern werden die alten An­ sichtskarten sicherlich inzwischen verblaßte Erinnemngen wecken; den jüngeren unter uns vermitteln sie einen interessanten Ein­ blick in die damaligen Wohn- und zum Teil auch Lebensverhältnisse. Damit werden die Bilder zu wertvollen Dokumenten der Gü­ tenbacher Heimatgeschichte. Heinz Nienhaus L iteratur H erm ann, M anfred: Das D EC K E R -H isle in der Kreuzstraße, in: Heimatblättle, Herausgeber: Heim at u n d Geschichtsverein G ütenbach, Heft 1 /1992 Werber, Klara: Die Bauern von G ütenbach und ihre H ofgüter von 1504 bis heute, Band 27 der Schriften­ reihe des Kreises Donaueschingen, 1966 Beringer, Jos. Aug.: Badische Malerei 1770 – 1920, 2. Auflage, Karlsruhe 1922, unveränderter Nachdruck, Karlsruhe 1979 Juniliebe es gab eine Zeit, da gehörte alles Lachen uns – Bäume – Berge Sonne – Mond Blume – Frucht Vogelruf und Streichelfell 2 6 4 Häusler bist du jetzt im Spinngewebe und verstehst den Vogelmf nicht mehr Christiana Sieger

Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild Winter auf dem Brend bei Furtwangen fotografiert von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler Frühjahr in Mistelbrunn Pferdekoppel im Schatten der Stadtkirche S t Johann, Donaueschingen fotografiert von Roland Sigwart, Hüfingen „Das vierte Stadttor“, Lichttor in VS-Villingen fotografiert von Gerhard Krieger, VS-Pfaffenweiler fotografiert von Dieter Reinhardt, VS-Villingen A uf dem Karusell – Impression vom Dorffest in Langenschiltach fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach An der jungen Donau bei Neudingen Reinertonishof in Schönwald fotografiert von Dieter Reinhardt, VS-Villingen Weihnachten beim Rathaus in Bad Dürrheim fotografiert von Wilfried Dold, Vöhrenbach fotografiert von Wilfried Mayer, Villingen-Schwenningen Der Tonishofbei Königsfeld (Foto: Nikolaus Reder). 265

19. Kapitel /A lm anach 2003 Stätten der Gastlichkeit Landkreis setzt auf Gastfreundschaft 1. Wettbewerb „Schönes Gasthaus“ spiegelt Attraktivität der Gastronomie im Landkreis Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschafts­ faktor im Schwarzwald-Baar-Kreis. Im ver­ gangenen Jahr besuchten rund 450 000 Gäs­ te die Region zwischen Blumberg und Scho- nach, die eine gesamte Übernachtungsleis­ tung von 2,5 Millionen Übernachtungen er­ brachten. Die gesamte Branche erwirtschaftete dabei einen Tourismusumsatz von 200 Mil­ lionen Euro. Mit rund 3 100 Vollzeitbeschäf­ tigten ist die Tourismusbranche außerdem ein nicht unerheblicher Arbeitgeber. Fest mit dem Tourismus verwurzelt ist natürlich die Gastronomie. Um die Qualität der zahlreichen Hotels, Gasthäuser, Cafés, Bistros, Weinstuben und den verschiedenen Beherbergungsbetrieben zu beurteilen, rief der Landkreis im Jahr 2002 erstmals zu ei­ nem Wettbewerb auf. Mit der Auszeichnung „Schönes Gasthaus“ können sich nun 74 Gastronomiebetriebe im ganzen Landkreis schmücken. Landrat Karl Heim vergab im August die Urkunden an die ausgezeichneten Hotels und Gasthäuser. Er wertete einerseits die attrak­ tiven Ausflugsziele wie die Triberger Was­ serfälle, Sauschwänzlebahn in Blumberg, Familienpark in Villingen und den Schloss­ park in Donaueschingen als wichtige An­ laufziele auch für Tagestouristen. Aber auch der Veranstaltungskalender war prall gefüllt. Heim erinnerte unter anderem an die Schwarz­ wälder Springertoumee in Schönwald, Villin- Fünf Häuser wurden von der Jury als Top-Häuser der Region ausgezeichnet, weil sie den Wettbewerbskri­ terien in besonderem Maße entsprachen. Landrat Karl Heim freute sich über die hohe Qualität der Gastronomiebetriebe im Landkreis. 2 7 4

W ettbewerb „Schönes G asthaus 2002“ Gastronomiebetriebe wurden beim ersten Wettbe­ werb „Schönes Gasthaus“ausgezeichnet. Im Foyer des Landratsamtes überreichte Landrat Karl Heim die Urkunden an die Gastwirte und Hoteliers. eingestuft wurden, können die Betreiber se­ hen, wo eventuell Verbesserungsmöglichkei­ ten bestehen. Das Ergebnis des Wettbewerbs zeigt Land­ rat Karl Heim die große Bandbreite an qua­ litativ hochwertigen Urlaubsangeboten in der Ferienregion Schwarzwald-Baar-Kreis. „Sie sind der Inbegriff für Schwarzwälder Kirschtorte, Schwarzwälder Kirschwasser und Schwarzwälder Schinken“, drückte Heim sei­ ne Anerkennung an die Hoteliers aus. Das Wettbewerbsergebnis bestätige die Gastro­ nomie und ihren Stellenwert als wichtigen Wirtschaftsfaktor, sagte er. Als „Top-Haus der Region“ wurden das Ho­ tel „Öschberghof“ in Donaueschingen, das Ferien- und Sporthotel „Zum Ochsen“ in Schönwald, das Parkhotel „Wehrle“ in Tri- berg, das Hotel-Restaurant „Rindenmühle“ in Villingen und der Gasthof „Zum Engel“ in Vöhrenbach gekürt. Alle Häuser zeichne­ ten sich durch besonderen Stil, Atmosphä­ re, Gemütlichkeit und Spezialangebote in hervorragendem Maße aus. Abschließend sagte Karl Heim, dass er sich wünsche, dass das „Schöne Gasthaus“ zu einem echten Gütesiegel für die gastrono­ mischen Betriebe im Landkreis wird. Ein weiteres Ziel solle sein, diesen Wettbewerb künftig flächendeckend in den drei zur Tou­ rismus GmbH Mittlerer Schwarzwald zu­ sammen geschlossenen Landkreisen Schwarz- wald-Baar, Rottweil und dem Ortenaukreis auszuschreiben. Die Sonderpreisträger Mit einem Sonderpreis wurden beim Wett­ bewerb „Schönes Gasthaus 2002“ ausgezeich­ net: Hotel-Gasthof Hirschen (Blumberg), Hotel-Gasthof Kranz (Riedböhringen), Res­ taurant-Weinstuben Wehinger (Bräunlingen), 2 7 5 ger Jazztage, das Reitturnier in Donauesch- ingen und die Deutschland Tour der Rad­ fahrer, die durch den ganzen Kreis führte. Bei der Vergabe der Urkunden wurden gleich fünf Gastronomiebetriebe zum „Top- Haus der Region“ erklärt, 38 Betriebe beka­ men einen Sonderpreis für herausragende Leistungen im Sinne des Wettbewerbs. Der Geschäftsführer der Tourismus GmbH Mittlerer Schwarzwald,Jürgen Moser, erläu­ terte bei der Preisverleihung zunächst die Kriterien, nach denen die einzelnen Häuser bewertet wurden. Demnach wurden neben dem äußeren Eindruck der Gasträume vor allem die Küche, der Keller und die Vorrats­ räume kritisch geprüft sowie die Speisen- und Getränkekarte unter die Lupe genom­ men. Auch die sanitären Einrichtungen und sofern vorhanden, die Gästezimmer wurden inspiziert. Abgerundet wurde die Bewertung mit der Begutachtung von Sporteinrichtun­ gen, Spielplätzen und Hallenbädern. Zu­ satzpunkte wurden für eine umweltfreund­ liche Betriebsführung und besonders kinder- und behindertengerechte Häuser vergeben. Die fachkundige Jury setzte sich zusam­ men aus Kreistagsmitgliedern, Vertretern des Hotel- und Gaststättenverbandes und der Touristikbranche. Sie inspizierten jedes am Wettbewerb teilnehmende Haus vom Keller bis zum Dachboden. Anhand der Kategorie, in die die Häuser für „Schönes Gasthaus“

W ettbewerb „Schönes G asthaus 2002“ Betreiber von 74 Hotel- und Restaurantbetriebe konnten beim ersten Wettbewerb die Auszeichnung „Schö­ nes Gasthaus 2002 “ aus den Händen von Landrat Karl Heim eine Urkunde entgegennehmen. Hotel Restaurant Lindenhof (Bräunlingen), Waldcafe Hensler (Mistelbrunn), Gasthaus- Hotel Sternen (Brigachtal), Gasthaus Löwen (Brigachtal), Hotel Ochsen (Donaueschin- gen), Flair-Hotel Grüner Baum (Donaue- schingen), Hotel-Restaurant Waldblick (Auf- en), Höhengasthaus Kolmenhof (Furtwan- gen), Gasthaus-Pension-Cafe zum Kreuz – Escheck (Furtwangen), Berggasthof Brend (Furtwangen), Hotel Landgasthaus Frank (Hüfingen), Landgasthof-Hotel Kranz (Behla), Hotel-Gasthaus Rössle (Fürstenberg), Mar- tin’s Restaurant im Herrnhuter Haus (Kö­ nigsfeld), Cafe Rapp (Buchenberg), Landho­ tel Rebstock (Schonach), Hotel Landgasthof Falken (Schönwald), Hotel-Restaurant Ad­ lerschanze (Schönwald), Hotel Kaltenbach (Schönwald), Hotel Dorer (Schönwald), Ho­ tel-Restaurant Tannenhof (St. Georgen), Gasthof-Pension Hirzwald (Triberg), Land­ gasthaus Rössle (Gremmelsbach), Apparte­ ment Landhaus Valentin (Nussbach), Gast­ hof Kreuz (Tuningen), Hapimag Unterkir- nach mit Restaurant Fohrenhof (Unterkir- nach), Restaurant Tafelhaus (Villingen- Schwenningen), Kapuzinerhof (VS), Hotel Garland (VS), Hotel Bosse (VS), Gasthof Schweizerhof (Obereschach), Hotel-Cafe Alte Ölmühle (Obereschach), Cafe-Restau­ rant Hildebrand (Zollhaus), Landgasthof Friedrichshöhe (Vöhrenbach), Gasthaus-Res­ taurant Felsen (Hammereisenbach). Mit der Note „gut“ wurden folgende Häu­ ser bewertet: Gasthaus Krone (Bad Dürr­ heim), Gasthaus Lehre-Post (Sunthausen), Zur frohen Einkehr (Epfenhofen), Gasthof Adler (Döggingen), Cafe im Dorf (Brigachtal), Ristorante Pizzeria Dal Ghiottone (Dau­ chingen), Hotel-Landgasthof Ritter (Dau­ chingen), Gasthaus Germania (Dauchin­ gen), Gasthof-Pension Burg (Aasen), Gast­ h o f Linde (Neudingen), Gasthaus Krone (Weiler), Restaurant-Cafe Bantle (Nieder- eschach), Restaurant Klosterstüble (Schön­ wald), Hotel-Pension Schönwald (Schön­ wald), Hotel Garni Berggasthof (St. Geor­ gen), Mösle-Schmiede (Oberkirnach), Land­ gasthof Schwanen (Stockwald), Landgasthof Engel (Brigach), Hotel-Restaurant zum Pflug (Gremmelsbach), Gaststätte-Pension Klos­ terstube (Nussbach), Gasthaus Römer (Nuss­ bach), Ackerloch (Unterkirnach), Cafe-Kon­ ditorei Acerbi (Villingen-Schwenningen), Die 2 Post & Pöstle (VS), Restaurant Wild­ park (VS), X-Touch (VS), C ’est la vie (VS), Hotel Neckarquelle (VS), Gasthaus Ott (VS), Gasthof zum Ochsen (Vöhrenbach), Cafe- Pension Bernreutehof (Hammereisenbach). Roland Sprich 2 7 6

„Alte Ölmühle“ – beliebtes Ausflugsziel W o einst S peiseöl hergestellt wurde, ist ein gem ütliches Gasthaus entstanden Stätten d er Gastlichkeit Jahr. Den landwirtschaftlichen Betrieb hatte die Familie bereits 1963 aufgegeben. Nur dreieinhalb Hektar landwirtschaftliche Nutz­ fläche hatten zu dem kleinen Bauernhof gehört. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, und Engelberts Eltern und Großel­ tern hatten während der langen Wintermo­ nate denn auch mit Wald- und Forstarbeit das bescheidene Einkommen aufbessem müs­ sen. Nach 30 Jahren wettbewerbsunfähig Das Anwesen, die alte Ölmühle also, hat­ te Ignaz Schütz, der Vater des heutigen Se­ niorchefs, 1896 gekauft. Bereits ein Jahr zu­ vor war die Ölerzeugung in der mit Wasser­ kraft angetriebenen Mühle mit Ökonomie­ gebäude eingestellt worden – der Grund da­ mals war wohl derselbe, der auch heute viele unserer Schwarzwald-Bauern zur Kapitula- Wo früher aus Raps und Mohn Speiseöl gepresst wurde, werden heute Ausflugs- und Feriengäste verwöhnt: Die „Alte Ölmühle“ ist nicht nur wegen ihrer idyllischen Lage außerhalb VS-Obereschachs bei Einheimi­ schen und Touristen beliebt, sondern eben­ so wegen ihrer bodenständigen und doch originellen Küche. Schöner als auf der lie­ bevoll gestalteten Terrasse mitten im Grü­ nen läßt sich’s außerdem kaum sitzen, und frischer können insbesondere Forellen kaum serviert werden, die hier über den Umweg zur Küche direkt vom Teich auf dem Teller landen. Dabei beginnt die gastronomische Geschichte des einstigen Bauernhauses ei­ gentlich mit einer Krise. Engelbert Schütz, der Seniorchef, hatte 1985 seine Anstellung bei der Firma Saba verloren, wo er 42 Jahre gearbeitet hatte. 56 Jahre alt war er damals – zu alt für den Arbeitsmarkt, zu jung, um die Hände in den Schoß zu legen. „Du gehörst noch nicht zum alten Eisen,“ ha­ be er damals zu sich selbst gesagt – ein fraglos richtiger Ent­ schluß, und der ge­ lernte Werkzeugma­ cher wurde Wirt. Eine Pension hatten Engelbert und Ehe­ frau Monika Schütz bereits 1972 eröffnet. Auch dies war eine Entscheidung, die mit einem persönlichen Schicksalsschlag zu­ sammenhing, denn 1968 starben die El­ tern von Engelbert Schütz, beide in einem Die „Alte Ölmühle “ in VS- Oberesch ach. 2 7 7

S tätten der Gastlichkeit tion zwingt: Es lohnte halt nicht mehr. Nach 30 Jahren war die 1865 von Jakob Zimmermann erbaute Ölmühle durch die industrialisierten Produktionsmethoden wett­ bewerbsunfähig geworden. Die Familie Schütz hatte das Anwesen dann um die Jahrhundertwende zu einem Wirtschafts- und Wohngebäude umgebaut. Alles war unter einem Dach: Mensch und Tier lebten hier quasi Wand an Wand, hier wurden Winterfutter gelagert und Lebens­ mittelvorräte für die Familie. Als Engelbert nach dem Tod der Eltern entscheiden mußte, was aus dem Anwesen werden sollte, war er in der Zwickmühle. Der ganze Komplex war für die Familie viel zu groß, „und wenn diese alten Häuser nicht bewohnt werden, verfallen sie sehr schnell“, weiß der Senior. Eine Sanierung erwies sich als zu aufwen­ dig und vor allem absolut unbezahlbar. Die Alte Ölmühle war als reines Fabrikationsge­ bäude buchstäblich auf Sand gebaut wor- 2 7 8 Claudia und Norbert Schütz, die zusammen mit Monika und Engelbert Schütz die „Alte Ölmühle“ betreiben. Bild unten: Blick in das Nebenzimmer des Gasthauses. den. Es fehlte ein solides Fundament, die Einhaltung der strengen Denkmalschutz­ auflagen wäre nicht finanzierbar gewesen. Engelbert Schütz findet es noch heute „sehr schade“, daß eine Restaurierung damals „einfach nicht möglich“ gewesen war. Bei der Familie Schütz wurde also wieder einmal gebaut. In vielen Etappen entstand das neue Wohnhaus mit einer kleinen Pen­ sion, die 1972 eingeweiht wurde. Als Engel­ bert Schütz dann 1985 – inzwischen Ober­ meister der Grundfertigung bei Saba – wie hunderte „Sabanesen“ damals Job und so­ mit die Lebensgrundlage verlor, entschloß er sich zum letzten baulichen Kraftakt, dem Bau des Cafés. Es war ein Glücksfall, daß just um die Zeit Sohn Norbert wieder heimkam, der Koch ge­ lernt hatte und sich in verschiedenen Häu­ sern in der Schweiz, am Bodensee und in Darmstadt qualifiziert hatte. Außer umfang­ reichen beruflichen Erfahrungen brachte Norbert Schwiegertochter Claudia ins Haus, gelernte Hotel- und Gaststättengehilfin. Alles ist in Familienhand Die Familienmitglieder ergänzen sich bei der Aufgabenverteilung ideal. Seniorchefin Monika Schütz kümmert sich nach wie vor vorwiegend um die Feriengäste, Sohn Nor­ bert kocht und backt – genauso berühmt wie für ihre frischen Forellen ist die „Alte Öl­ mühle“ für die köstlichen Kuchen. 15 ver­ schiedene zaubert Norbert mit Ehefrau Clau­ dia jeden Tag, die ansonsten vor allem für Ausschank und Service in der Gaststube zu­ ständig ist. Wenn’s klemmt, packt auch Tochter Regina Fehrenbach mit an – die „Al­ te Ölmühle“ ist ein klassischer Familienbe­ trieb. Engelbert Schütz selbst kümmert sich um die Fische, er pflegt die liebevoll bepflanz-

ten Außenlagen, deren geschützte Terrasse den Blick frei läßt auf einen großzügigen Spielplatz. So können die lieben Kleinen ungestört toben und sind doch unter Auf­ sicht. Besonders behebt sind die sommerli­ chen Grillabende, und im Herbst freuen sich die Gäste auf den hauseigenen Most. Äpfel, Zwetschgen und Birnen werden natürlich auch in der Küche verwendet, und die Ernte ist immer so reichhaltig, daß Schütz auch noch Obst zum Brennen edler Schnäpse wegbringen kann. Natur als Grundlage der Vermarktung An der Getränkekarte fällt nicht zuletzt die fachkundige und mit Bedacht zusammen­ gestellte Auswahl an Qualitätsweinen auf. „Guter Wein ist halt ein Hobby von mir“, sagt Schütz lächelnd, der weiß, daß Qualität im Weinkeller wie in der Küche viel mit der Qualität der „Rohstoffe“ zu hat. So werden die eigenen Obstbäume nicht gespritzt und auch beim Einkauf von Fleisch und Gemü­ se achtet die Familie auf heimische Ware und eine ökologisch verträgliche Produktion. Die Natur – sie ist überhaupt der wichtigste „Alte Ö lm ühle“ in Obereschach Vermarktungsfaktor für die „Alte Ölmühle“, deren 18 Betten (inklusive dreier Ferien­ wohnungen) im Jahresschnitt zu immerhin 50 Prozent ausgelastet sind. Die Gäste schät­ zen das gute Wander- und Radwegenetz, die „Alte Ölmühle“ ist eine der möglichen Sta­ tionen beim touristischen Gemeinschafts­ angebot „Randwandern ohne Gepäck auf dem Neckartal-Radweg“. Schütz besucht re­ gelmäßig Fachmessen, um Kontakte zu neu­ en Zielgruppen zu erhalten und neue touris­ tische Impulse aufzugreifen. Er weiß darum auch, „daß diese Region viel zu wenig bekannt ist“. Schwenningen, schon, aber nur wegen des Eishockeys. „Vil­ lingen-Schwenningen, wo ist das?“ wurde Schütz hingegen zum Beispiel in Nürnberg häufig gefragt, wo er im vergangenen Jahr eine Touristik-Messe besuchte. „Unsere Ge­ gend muß als Reiseziel bekannter werden.“ Er engagiert sich unter anderem als stellver­ tretender Vorsitzender in der Wirte-und Ho­ teliervereinigung „ProGast“, denn nach sei­ ner Überzeugung „schaffen wir ein besseres Marketing nur gemeinsam“. Christina Nack Luftaufnahme der „Alten Ölmühle “. 2 7 9

Stätten der Gastlichkeit Das Gasthaus „Sonne“ Ein traditionsreiches H aus im Blum berger O rtsteil R iedböhringen In der Ortsmitte, direkt ge­ genüber der uralten, trutzi- gen Sankt Genesius-Kirche im Blumberger Ortsteil Ried­ böhringen liegt das Gasthaus „Sonne“, ein Betrieb, der mit zu den ältesten Wirt­ schaften auf Blumberger Ge­ markung zählt, läßt sich doch die erste urkundliche Erwähnung einer Schenke an dieser Stelle auf 1734 da­ tieren. nem Elternhaus seit unvor­ denklichen Zeiten immer ein Bier- und Branntwein­ ausschank bestanden“. Zu­ gleich erläuterte er, daß er das nach einem Brand zer­ störte Haus neu auf das Be­ treiben einer Wirtschaft ge­ richtet habe. Wieder lehnte die Seekreisregierung das Gesuch ab, mit der Begrün­ dung, die Konzession sei an­ derweitig vergeben worden. Am 13. Oktober 1865 er­ hielt Josef Martin dann doch endlich die ersehnte Kon­ zession, war sein Antrag doch auch von der Gemeinde befürwortet wor­ den. „Denn Riedböhringen hegt an der Straße von Donaueschingen in die Schweiz, wird stark frequentiert und keiner der ande­ ren Gastwirte hatte Einwände“, so die Be­ gründung. Lebenslange Konzession wurde dann für das Haus Nummer 131 in Ried­ böhringen 1870 erteilt und der Wirt mit der bemerkenswerten Ausdauer und dem lan­ gen Atem in der Auseinandersetzung mit der Verwaltung starb 1871. Zusammen mit ihrer Mutter führt Tanja Haberstroh das Traditions­ gasthaus „ Sonne Die Bäcker schenkten in diesen Jahren gleichzeitig Bier und Wein aus und Bäk- ker und Schankwirt Martin Martin hatte das Handwerk von seinem Va­ ter Joseph Martin übernommen. Der hatte schon 1728 versucht, seine Schenke zu einer Taverne auszuweiten, war aber mit seinem Vorhaben abgelehnt worden. Johann Georg Martin hatte 1790 mit seinen Klagen Erfolg, auf ihn kam das Zapfrecht verstorbener Bier­ wirte. Bier und Branntwein wollte Josef Martin ausschenken, 1856 reichte er das Ge­ such ein und ließ sich durch abschlägige Be­ scheide nicht entmutigen. Akribisch führte er Familientradition an, hatte doch „in sei­ Viele Eigentümer bis zum heutigen Tag 1871 beantragte Franz Hugertshofer, Bräu­ tigam der Wirtstochter Pauline Martin die Konzession für sich, er bekam sie problem­ los und nach seinem Tod im Kriegsjahr 1915 übernahm seine Tochter Amalie Hugertsho­ fer die Wirtschaft bis 1935. D ann folgte Karl Fricker, der die Wirtschaft 1962 zur Modernisiert aber traditionsbewußtpräsentiert sich das Gasthaus „Sonne “gegenüber der Kirche. 2 8 0

Gastwirtschaft erweiterte. Von ihm ging sie 1971 an Bernhard Haberstroh und seine Frau Hannelore, geborene Fricker, über. Schon 1936, nach einer baulichen Ver­ größerung, war die gastliche Stätte in Gast­ haus „Sonne“ umbenannt worden. 1949 er­ folgte ein weiterer Umbau um einen Saal für Gesellschaften zu bekommen und danach kamen die Einbauten von Fremdenzim­ mern. „Das Schicksal der „Sonne“ über die Jahrhunderte hinweg liest sich wie ein Ge­ schichtsbuch und uns ist es wichtig, Traditi­ on aufrecht zu erhalten und, im entspre­ chenden Ambiente den Gästen auch zu ver­ mitteln,“ da ist sich Tanja Haberstroh, die nach dem frühen Tod des Vaters Bernhard Haberstroh seit 2001 nun zusammen mit Mutter Hannelore den Gasthof betreibt si­ cher. „Bis heute hat sich viel geändert,“ so Hannelore Haberstroh, die nach der Über­ nahme der Gastwirtschaft mit ihrem Mann verschiedene bauliche Veränderungen vor­ nahm. So wurde 1978 die Gaststube völlig neu ge­ staltet im rustikalen, bäuerlichen Stil, 1985 kamen im Dach über dem Saal neue, mo­ derne Fremdenzimmer dazu und 1988 er­ hielt der Saal sein jetziges gemütliches Ge­ sicht. So verfügt die „Sonne“ über achtzig Sitzplätze, einen abtrennbaren Nebenraum für kleine, private Feiern und acht Doppel­ zimmer und einem Einzelzimmer mit allem gewünschten Komfort. „Wir verstehen uns als Familienbetrieb und Beratung wird bei uns groß ge­ schrieben,“ erläutert Tanja Haberstroh, die als gelernte Köchin für das Kulinari­ sche verantwortlich ist.“ Wir stellen ganz persönliche Menues für jeden An­ laß nach den Wünschen unserer Gäste zusammen, führen eine gepflegte Aus­ wahl heimischer badischer und würt- tembergischer Weine und natürlich auch Bier und großen Wert legen wir auf Gemütlich mit kleinen Winkeln und Holz­ schnitzereien zeigt sich die Gaststube. G asthaus „Sonne’ unsere Vesperkarte, denn die „Sonne“ ist bei Wanderern immer noch ein beliebtes Ziel und die mögen es kräftig und deftig.“ Und so stehen neben den diversen Schnitzeln auch Fischvarianten auf der Karte und je nach Saison wird Spargel, mal klassisch mit Schinken oder auch raffiniert, angeboten. Auch Kardinal Bea zählte zu den Gästen „Wir gehen auf die Wünsche unserer Gäste ein, das war schon immer so, „da sind sich Mutter und Tochter einig.“ Und das hat auch Kardinal Bea zu schätzen gewußt. Er ist ja hier im Ort geboren und immer, wenn er mal zum Urlaub nach Riedböhringen kam, dann hat er hier bei uns in der „Son­ ne“ seinen sogenannten Familienabend ge­ halten. Ausführlich und freundlich hat er dann von seiner Arbeit in der Kurie erzählt und geduldig Fragen beantwortet. Sein Grab ist hier gegenüber in der Kirche und viele Gäste interessieren sich für das kleine, feine Museum, was in seinem Elternhaus einge­ richtet worden ist.“ Hannelore Haberstroh kennt noch viele Anekdoten vom so volks­ nahen und freundlichen Kardinal „und im­ mer wieder wollen Gäste etwas über ihn hören.“ So schließt sich ein interessanter ge­ schichtlicher Kreis um ein altes Gasthaus, die Riedböhringer „Sonne“. Christiana Steger 2 8 1

20. Kapitel/A lm anach 2003 Silber bei Olympia vorläufiger Höhepunkt Der Schonacher Georg Hettich wurde in Salt Lake City für alle M ühen belohnt Eine Einzelmedaille bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City, davon hatte der Kombinierer Georg Hettich vor der Saison 2001/2002 geträumt. Mit einer solchen wur­ de es zwar nichts, doch die Silbermedaille mit der deutschen Mannschaft im Teamwett­ bewerb hinter den dominierenden Finnen – aber noch vor Österreich – war dennoch die Krönung einer tollen Saison. Die war so nicht unbedingt vorhersehbar. Zu unbeständig gestalteten sich die Leistun­ gen des 23-jährigen in den Jahren zuvor. Bei den Weltmeisterschaften 2001 in Lahti hat­ te Hettich nach einem gänzlich missratenen Auftritt im Einzelwettbewerb sogar die Qua­ lifikation für den Mannschaftswettkampf verpasst – der Fmst saß bei dem Schonacher entsprechend tief. Schon im jahr 1991 machte das damals 13- jährige Talent vom SV Rohrhardsberg als Deutscher Junioren-Vizemeister auf sich auf­ merksam. Auch bei den nationalen Titel­ kämpfen in den Folgejahren räumte Hettich ab. Bei den Junioren-Weltmeisterschaften 1996 in Asiago tauchte der Schüler dann erstmals an exponierter Stelle der interna­ tionalen Ergebnislisten auf: Mit der deut­ schen Mannschaft belegte er den sechsten Platz. Bei der WM 1997 in Trondheim mischte das Talent bereits bei den Aktiven mit und durfte sich erneut über einen sechsten Rang Georg Hettich durfte mit Team-Silber in Salt Lake City den verdienten Lohn fü r alle Mühen einstreichen. 282

freuen. Im jahr darauf gelang dann der erste Sprung auf ein WM-Treppchen. Bei den Ju- nioren-Titelkämpfen in Calgaray gab es Sil­ ber für die deutsche Mannschaft – und Het­ tich war ebenso mit dabei wie beim vierten Platz 1998 mit dem Juniorenteam in St. Mo­ ritz. Der Übergang in den Seniorenbereich ging dann zäh vonstatten – in einem so komple­ xen Wettkampf wie der Nordischen Kombi­ nation kein Wunder. Besagter Lahti-Auftritt stellte einen vorläufigen Tiefpunkt der Kar­ riere dar. Platz 48 im Einzelrennen und ein 13. Rang im abschließenden Sprint, das spie­ gelte sein echtes Leistungsvermögen wahr­ lich nicht wider. Für den Olympiawinter 2002 hatte sich Hettich, inzwischen Student des Medical Engeneering, besonders viel vorgenommen. Zwei neunte Plätze in Oslo, Rang drei in Trondheim, Platz sechs in Lahti, Position zwei in Liberec und ein neunter Platz beim Weltcup-Heimspiel in Schonach waren der klare Beweis, dass die Marschrichtung bei Georg Hettich stimmte. Bei Olympia in Salt Lake City dann der Schock im Einzelwettbewerb: Wieder nur Rang 34. Doch diesmal ließ sich der Schwarz­ wälder nicht beeindrucken. Bundestrainer Georg Hettich Georg Hettich Herrmann Weinbuch hielt an dem 23-jäh­ rigen fest, der im Mannschaftswettbewerb schließlich den verdienten Lohn einfahren durfte. Die Tatsache, dass im Sprint zum Abschluss der Olympischen Kombinations­ wettkämpfe Jens Gaiser vom SV Mitteltal- Obertal statt Hettich an den Start ging, trug der Schonacher mit großer Fassung. Meter Hettich Einen großartigen Empfangbereitete Schonach dem Mannschafts-Olympiazweiten Georg Hettich, hiermit Bürgermeister Jörg Frey (links). 2 8 3

Sport Michaela Schmidt: Skispringerin aus Leidenschaft D ie Schönw älderin zählt seit Jahren zur Skisprungelite der D am en ihrem Leben ansah und sich auch bis heute dieser Leidenschaft nicht entziehen konnte. In den folgenden Jahren belegte sie auf den verschiedensten Wettkampfebenen, wie z. B. dem Georg-Thoma-Pokal, den Schwarz­ waldschülermeisterschaften oder den Ba­ den-Württembergischen Meisterschaften, im­ mer vordere Plätze. Das Damenskispringen wird salonfähig Durch ihre Erfolge ermunterte sie viele Mädchen es ihr gleichzutun und sich mit Leib und Seele dem Skispringen zu verschrei­ ben. Dies dürfte auch der Auslöser dafür gewesen sein, das „Damenskispringen“ in Deutschland salonfähig zu machen und die Verantwortlichen dazu zu zwingen, sich mit dem Phänomen „Damenskispringen“ aus- Die Michi, wie sie von Ihren Eltern, Ge­ schwistern und Freunden liebevoll genannt wird, wurde am 27. 10. 1983 in Villingen ge­ boren und wuchs mit ihrem Bruder Florian und ihrer Schwester Anja in Schönwald auf. Dort besuchte Michaela Schmidt die Grund­ schule und wechselte dann ins Otto-Hahn- Gymnasium nach Furtwangen. Durch ihren Bruder Florian, dem sie im zarten Alter von gerade mal sechs Jahren zu den Schülerwettläufen an die Schönwälder Schanzen gefolgt war und so ihre ersten „Hüpfer“ machte, entdeckte sie die Faszina­ tion „Skispringen“, die sie bis heute nicht mehr losgelassen hat. Große Unterstützung in ihrem sportlichen Treiben bekam Michaela von ihren Eltern Sigrid und Hans-Georg. Die Mutter war sehr oft bei Veranstaltungen dabei, sah aber aus Angst um ihre Tochter bei den meisten Sprüngen nicht hin. Als Bürgermeister von Schönwald und Skiclubvorsitzender sah der Vater hingegen gerne zu, wenn seine Michi sich von den Schanzen stürzte und dabei große Erfolge für den Ski-Club Schönwald erzielte. Sehr bald setzte sich Michaela unter der Betreuung ihres damaligen Skisprungtrai­ ners Wolfgang Lang in einer damals noch reinen Männerdomäne mit sehr guten Er­ gebnissen gegenüber ihren gleichaltrigen männlichen Konkurrenten durch – und sprang ihnen des öfteren auf und davon. Mit 10 Jahren wagte Michaela ihren ersten Sprung von der großen 83-Meter-Adler- schanze in Schönwald und erntete damals für ihren Mut die Anerkennung der Fach­ welt. Dieses Erlebnis motivierte Michaela so sehr, dass sie das Skispringen neben ihrer schulischen Laufbahn als das Wichtigste in Skispringerin Michaela Schmidt. 2 8 4

M ichaela Schmidt Michaela Schmidt zählt seit Jahren mit großartigen Leistungen zur Spitze des Damenskispringens. einanderzusetzen. In Ländern, wie Öster­ reich, Finnland oder Schweden war das Damenskispringen schon längst so populär, dass es für Deutschland, um den internatio­ nalen Anschluss nicht zu verpassen, höchste Zeit war, etwas zu unternehmen. Ein Auf­ schrei ging durch die Reihen der Funktionä­ re und Verantwortlichen des Deutschen Ski­ verbandes, als sie mit dieser Tatsache kon­ frontiert wurden. Einige der Funktionäre maßen dieser Entwicklung so gut wie keine Bedeutung bei, sondern belächelten sie eher. Ein dritter Platz bei der Junioren-WM A uf drängen der Väter einiger Springerin­ nen, allen voran Michaelas Vater, Hans-Ge­ org und des Österreichers Dr. Edgar Gans- ter, fand im Rahmenprogramm der Junio- ren-Weltmeisterschaft 1998 in St. Moritz erstmals ein internationaler Wettbewerb für Damen statt. Bei dieser, wie es damals for­ muliert wurde, inoffiziellen Junioren-Welt- meisterschaff für Damen, belegte Michaela als einzige Starterin für den Deutschen Ski­ verband einen hervorragenden 3. Platz. Der Initiative dieser beiden Väter ist es zu ver­ danken, dass seit 1999 jedes Jahr eine Inter­ nationale Ladys Fis-Tournee, mit inzwischen auch sehr großer deutscher Beteiligung, stattfmdet. Bei der Premiere 1999 gewann Michaela das 1. Springen in Braunlage und musste ihre Ambitionen auf den Gesamt­ sieg leider begraben, da sie sich im Training zum 2. Springen in Baiersbronn bei einem Sturz das Handgelenk brach. In den darauffolgenden Tourneen konnte sie mit guten Platzierungen aufwarten und hat einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass das Damenskispringen heute so beliebt ist wie nie zuvor. Es bleibt zu hoffen, dass der Internationa­ le Skiverband sich bald dazu entschließt, das Damenskispringen als Olympische Diszi­ plin anzuerkennen. Dann könnte der große Traum von Michaela Schmidt, an Olympisch­ en Spielen teilzunehmen, doch noch wahr werden. R olf Schilli 2 8 5

Sport Rennfahren ist Bianca Knöpfles Leidenschaft D ie 18jährige aus H ubertshofen lehrt die Konkurrenz seit Jahren das Fürchten Seit ihrem vierten Lebensjahr sitzt sie im Fahrradsattel, errang bereits mit 14 Jahren ihren ersten Doppelerfolg als Deutsche Mei­ sterin auf dem Rennrad und dem Moun­ tainbike. Für Bianca Knöpfle aus Huberts­ hofen bedeutet Rennradfahren Leidenschaft. Dies spiegelt sich in den sportlichen Erfol­ gen der 18jährigen wieder. In den vergange­ nen Jahren schaffte Bianca Knöpfle, wovon viele träumen, die sich dem Fahrradsport ver­ schrieben haben. Die sechsfache Deutsche Rennrad- und Mountainbike-Meisterin war auch in der Rangliste des Bundes Deutscher Radfahrer in den Konkurrenzen nicht zu schlagen: 1999 wurde sie Erste der Schülerkonkur­ renz; 2000 und 2001 jeweils Erste der Ju­ gendkonkurrenz. Der Erfolg hielt auch als Juniorin im vergangenen Jahr an, Bianca Knöpfle lehrte die Konkurrenz das Fürch­ ten: 2002 fuhr Knöpfle bereits im dritten Jahr in der Deutschen Nationalmannschaft. Im gleichen Jahr wurde sie Mitglied des Deutschen Straßen/Bahn-Nationalkaders der Junioren. Doch vor dem Erfolg steht wie immer ein hartes Training, im Grunde genommen das ganze Jahr über. 2001 absolvierte Knöpfle, die bereits mit 13 Jahren ihre erste Rennrad- Lizenz erhielt, 13 000 Kilometer auf der Straße und im Gelände, 2002 sollten es 15000 Kilometer werden. „Im November ist zwar eine dreiwöchige Pause eingeplant, doch auch in dieser Zeit trainiere ich wenig­ stens zwei Drittel davon andere Sportarten“, erzählt die 18jährige. Den Winter über hält sie sich mit Skating, Skilanglauf und Fitness­ training auf Trab. Eigentlich sei es nicht zwingend gewesen, daß sie sich mit Blick auf ihre sportliche Karriere fürs Radfahren ent­ scheiden würde. Auch eine gute Skilangläu­ ferin hätte aus ihr werden können, bewertet Biancas Mutter Angelika erfolgreiche Wett­ kämpfe. Auch die schulische Laufbahn wurde mittlerweile auf Bianca Knöpfles sportliches Leben ausge­ richtet. Bis zur zehnten Klasse be­ suchte sie das Fürstenberg Gym­ nasium in Donaueschingen, wech­ selte anschließend nach Freiburg. Dort wohnt sie zusammen mit an­ deren in einem Sportinternat und besucht in der Zähringerstadt ein Gymnasium, eine Partnerschule Seit Jahren ist Bianca Knöpfle erfolg­ reich: Die 18jährige aus Hubertshofen gewann auf dem Rennrad und Moun­ tainbike als Schülerin und in der Jugend- Konkurrenz drei Titel einer Deutschen Meisterin. Mittlerweile konzentriert sich die Juniorin aufdas Rennrad. 2 8 6

Bianca Knöpfle Schulzeit ist anders als ich es bislang gewohnt war“, wird im Frühjahr unterbrochen von mehrwöchigen Trai­ ningsphasen im Ausland. Das Radfahren steht weiter im Lebensmittelpunkt der jungen Frau. Nicht nur, daß Biancas Eltern Karl-Heinz und Angelika Knöpfle sowie zwei der drei Brüder begei­ sterte Fahrer sind. Wer die Familie zu Hause in H u­ bertshofen besucht, darf sich nicht über die dort abgestell­ ten 25 Fahrräder wundern. Die Eltern unterstützen die 18ährige in den sportlichen Ambitionen, wo es geht. Auch, wenn das große Ziel „Teilnahme an olympischen Spielen“ vor Augen ist. Trotzdem heißt es „normal bleiben, warten was die lau­ fende Saison so bringt“, zeigt sich Knöpfle bescheiden. 2002 stand die Qualifikati­ on für die Weltmeisterschaft in Melbourne (Australien) sowie in Zoldern (Belgien) oben an. Die drei besten Ju- niorinnen, welche die insge­ samt sechs Bundesligaren­ nen bestreiten, schafften den Sprung. Ihre Vereinskarriere begann Bianca Knöpfle beim RC Villingen, zuvor führ sie für das Bräunlinger Renz-Team. Von Villingen wechselte Knöpfle für eine Saison lang zum RSC Donaueschingen. Bislang führ sie drei Saisons im Team Rothaus des RC Olympia Emmendingen. Ein Ende der Leidenschaft Radfahren ist nicht abzusehen: Bianca Knöpfle möchte im Sattel bleiben solange es geht. Stefan Limberger-Andris 2 8 7 Freude über den Sieg – Bianca Knöpfle ist im Ziel. des Olympiastützpunktes. Die Schule läßt sich nun mit ihrem Sport problemloser unter einen H ut bringen. Beispielsweise begleiten Pädagogen die Mitglieder der Na­ tionalmannschaft, wenn diese im Trainings­ lager sind. „Gepaukt wird oft im Bett“, schmunzelt Knöpfle mit Blick auf das tägliche Training. Auch werden während dieser Einheiten schon mal Schularbeiten geschrieben: „Die

Nach toller Junioren-WM viel Lob von allen Seiten Schonach war für deutschen Nachwuchs ein gutes Pflaster Sie kämpften Schulter an Schulter. Doch als in der N acht zum Schlusstag der große O rkan kam u nd alles mitriss, was nicht niet- und nagelfest war, mussten auch die Scho- nacher Verantwortlichen passen und die letzten beiden Wettkämpfe der Nordischen Junioren-Weltmeisterschaften absagen. In den Tagen davor, vom 21. bis 26. Janu­ ar 2002, hatte die Truppe um Organisati­ onschef Manfred Kuner und den Skiclub- Vorsitzenden G unter Schuster m ehr geleis­ tet, als eigentlich menschenmöglich war. Ei­ gentlich gab es gar keinen Schnee mehr, doch die an Extremsituationen gewöhnten Schonacher Organisatoren hatten es fertig gebracht, der Nachwuchs-Wehelite au f der Langenwaldschanze und den Loipen im W ittenbachtal perfekte W ettkam pfbedin­ gungen zu bieten. N icht nur während der sportlich großartigen Tage, die fast nahtlos an den gelungenen ersten Versuch 1981 an­ knüpften, waren die Schwarzwälder gefor­ dert. Schon im Vorfeld konnte sich das O r­ ganisationskomitee über Mangel an Arbeit nicht beklagen. Eine WM der kurzen Wege O ptim ierung der vorhandenen Anlagen u nd eine W M der kurzen Wege, so hatte von Beginn an das M otto der Verantwortli­ chen gelautet. U nter selbiges fielen die H o­ mologierung weiterer Langlaufschleifen im Wittenbachtal, die Errichtung eines Funkti­ onsgebäudes bei Start und Ziel sowie die In­ stallation einer Flutlichtanlage an der Lan- Langlauf-M assenstart: Auch bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Schonach ein beeindruckendes Bild. 288

Junioren-W M in Schonach mals ständig präsente Sonne ließ sich nicht sehr oft blicken, doch die Leistungen konn­ ten sich sehen lassen – vor allem die der A th­ leten des Deutschen Skiverbandes (DSV). Die heim sten zur Freude der täglich zahl­ reich an die W ettkampfstätten pilgernden Skisportfans drei Gold- und eine Silberme­ daille ein und belegten dam it auch Platz eins in der Medaillenwertung. Ein würdiger Doppelsieger Doppelsieger im Schwarzwald wurde ei­ ner, der knapp einen M onat später auch bei den O lym pischen Spielen nachhaltig auf sich aufmerksam machen sollte: Björn Kirch- eisen aus Johanngeorgenstadt. D er 18-Jähri­ ge Kombinierer trumpfte in Schonach in be­ eindruckender M anier auf, sicherte sich überlegen den Einzelwettbewerb und führ­ te auch das deutsche Team zum M ann- schaftstitel. An selbigem war auch ein Ba­ den-W ürttemberger beteiligt. Florian Schil- linger aus Baiersbronn durfte zusam m en mit Kircheisen, Tino Edelm ann (Oberhof) und Christian Beetz (Zella-Mehlis) nach ei­ nem tollen Auftritt die begehrte G oldtro­ phäe in Empfang nehm en. Für den dritten deutschen Sieg sorgte im W ittenbachtal Johannes Bredl aus Zwiesel im Bayrischen Wald. Der sicherte sich im at­ traktiven Langlauf-Sprint geradezu spiele­ risch leicht den Sieg und deklassierte die Konkurrenz. Im gleichen Wettbewerb bei den D am en sorgte Nicole Fessel aus O berst­ d o rf m it der Silbermedaille für das vierte deutsche Edelmetall der hochklassigen Wett­ bewerbe. H auchdünn an Bronze vorbei schramm­ ten überdies die blutjungen deutschen Ski­ springer, die in einem denkwürdigen Flut­ lichtwettbewerb den Slowenen Bronze über­ lassen mussten. Ganze 0,5 Punkte trennten beim Sieg der starken Finnen Mario Kür­ schner (Ober-Unterschönau). Julian Musiol (Zella-Mehlis), Maximilian Mechler (Isny) und den erst 13-jährigen O berhofer Andreas Wank vom Siegertreppchen. 2 8 9 Für Stefanie Wunderle aus B ubenbach war die Teil­ nahme an der W M im Schwarzwald ein beein­ druckendes Erlebnis. genwaldschanze, die eine flexiblere Termin­ gestaltung erlaubte, die angesichts der schwie­ rigen W itterungsbedingungen auch schließ­ lich bitter nötig war. Die Umgestaltung des Anlaufbereichs, dessen maschinelle Präpa- rierung m it Hilfe eines neuen Spurgerätes sowie Uberholungsarbeiten an der Lifttras­ se waren weitere gravierende M aßnahm en, die finanziert sein wollten. Im m erhin belie­ fen sich die Investitionskosten unter dem Strich auf 1,48 M illionen Euro – Geld, das erst einmal einzutreiben war. D ank großzü­ giger U nterstützung von Bund un d Land sowie diverser Sponsoren konnte das Paket geschnürt werden. So stand großartigem Sport nichts entge­ gen: Zwar fehlten die Schneeberge der ersen Welttitelkämpfe vor 21 Jahren, auch die da­

Junioren-W M in Schonach Trotz widriger W itterungsbedin­ gungen sorgten die Fans fü r glän­ zende Stim m ung an den Scho- nacher W ettkam pf Stätten. Diese hatte am Ende der W M das größte Lob für die Veranstalter parat. „Was hier im Schwarzwald von den Schonachern geleistet wurde, ist unglaublich“, ließ die 18- jährige wissen. Bundestrainer Jürgen Wolf (Beerfelden) und DSV-Jugend- referent H erm ann Wehrle aus Hinterzarten, die zusam m en die deutsche Teamleitung in- ne hatten, bekräftigten die Anmerkungen ihrer Athletin. Besonders Wehrle zeigte sich angetan: „Hier wurde hervorragend und m it viel Sachverstand organisiert. Schonach h at sich für weitere Aufgaben em pfohlen.“ Meter H ettich Die restlichen Titel beim Gastspiel der Nachwuchs-Weltelite im Schwarzwald gin­ gen an Eugenia Krawtsowa (Russland/15- km-Langlauf), Aivar Rehemaa (Estland/30- km-Langlauf), Elodie Bourgeois Pin (Frank- reich/5-km-Langlauf), Kristian H ontvedt (Norwegen/10-km-Langlauf), Janne Happo- nen (Finnland/Skispringen, Einzel) sowie dessen Teamkollegin Mona-Lisa Malva- lehto, die Nicole Fessel im Sprint den Griff nach Gold verwehrte. Hoch über den Dächern von Schonach, Sprung von der Langenwaldschanze. 290

Deutschlandtour ist im Schwarzwald etabliert Spannender Z w eikam pf um G esam tsieg zieh t Zuschauerm assen an Sport W enn es nach Jörg Frey, dem Bürgermeis­ ter der Schwarzwaldgemeinde Schonach, und Michael Steinbach, dem Bad Dürrhei- mer Kurdirektor, geht, dann hat die Deutsch­ landtour im Schwarzwald endgültig den D urchbruch geschafft. „Was wir an Spekta­ kel und Zuschauermengen in Schonach und Bad Dürrheim gesehen haben, ist wohl kaum m ehr zu überbieten“, waren sich die beiden Amterträger einig. In der Tat: D enn wer die Gelegenheit hatte, in den ersten Tagen des M onats Juni die durchziehende Werbekarawane und anschlie­ ßend das schweißtriefende Peloton m it sei­ nen Stars Erik Zabel (Team Telekom), dem späteren Sieger Igor Gonzalez des Galdeano (Once), seinem härtesten Widersacher Aitor Garmendia (Coast) oder die beiden deut­ schen Topfahrer in ausländischen Rennstäl­ len, JörgJaksche (Once) und Jens Voigt (Cre­ dit Agricole), live zu erleben, war allerorten voll des Lobes. N icht selten kam en aus den M ündern der Zuschauer Worte wie: „Hier au f den Kandel hoch müssen die Jungs ge­ nauso strampeln, als wenn sie bei der Tour de France nach Alpe d ’H uez hochkraxeln.“ „Diese Etappe war richtig hart“ Was einige Radler nach der Zielankunft, al­ len voran der Gewinner der Königsetappe, Aitor Garmendia, nach der Zielankunft in Schonach bestätigte: „Diese Etappe war rich­ tig hart. W ir haben alles geben müssen. D och die gute Stim m ung und die vielen Zu­ schauer am Straßenrand haben uns für die Quälerei entschädigt.“ U nd es machte dem spanischen Floh auf dem Rad auch über­ haupt nichts aus, dass die Siegerehmng nach der schweren Etappe au f einer m it frischen und alten Kuhfladen übersäten Wiese statt­ fand. Der Slalom rund um die Ablagerun- Aufstieg an der Escheck, an der Gemarkungsgrenze von Furtwangen und Schönwald gelegen. 2 9 1

Sport gen der vierbeinigen Haustiere wurde aber vor allem für die Fotografen und die Fern­ sehcrews zu einer echten Aufgabe, der bei­ leibe nicht alle gewachsen waren. Ü berhaupt wurden die Schonacher ihrem guten Ruf, derartige Events perfekt zu ge­ stalten, wieder einmal gerecht, denn laut Bürgermeister Frey „sind wir schon lange bestrebt, neben unseren W intersportveran­ staltungen, bei denen wir einen guten R uf genießen, auch im Som m er Zeichen zu set­ zen“. U m in den Genuss eines Etappenziels zu gelangen, nutzte der Schonacher seine guten Kontakte zum Bad D ürrheim er Stein­ bach. „Zwei glückliche U m stände haben schließlich dazu geführt, dass wir Etappen­ ort wurden: U nser an der Austragung be­ kundetes Interesse und die Suche der Tour G m bH nach einer geeigneten Strecke.“ U nd in dieser Hinsicht ist der Schwarz­ wald n un einmal prädestiniert wie kaum ein anderer Landstrich in der Bundesrepublik, 2 9 2 D ie Stim m ung an der Strecke w ar großartig, so auch beim Erreichen der Tour von Schonach. was auch Kai Rapp, der Tour-Direktor, u n u m ­ w unden zugibt: „Bei der Streckenplanung können wir kaum u m ­ hin, den Schwarzwald m it einzubeziehen“. Al­ lerdings könnte es sein, dass die D eutschland­ tour im nächsten Jahr einmal nicht in m ehre­ ren Etappen durch den Schwarzwald führt, denn, so Rapp weiter, „wir müssen auch ein­ mal den anderen Bun­ desländern unsere Auf­ wartung machen.“ D en­ noch hofft Bürgermei­ ster Frey, dass die Veranstalter „eines Tages vielleicht Schonach zum regelmäßigen Ziel­ ort der Königsetappe werden lassen“. Ähnlich zufrieden wie Jörg Frey äußerte sich auch Kurdirektor Michael Steinbach. Schließlich gilt Bad D ürrheim ja nicht erst seit gestern als Radsportmetropole. Die Aus­ tragung des „RiderM an“, eines großen Events für Hobbyradler, u n d die D urch­ führung der letztjährigen Deutschen Meis­ terschaft, haben m it dafür gesorgt, „dass wir das Zeitfahren zusam m en m it Villingen- Schwenningen ausrichten durften“. „Ein Riesenerfolg“ „Die D eutschlandtour war ein Riesener­ folg für Bad D ürrheim und hat das Image als radsportfreundliche Stadt weiter gestärkt“, wischte der Kurdirektor später auch die eine oder andere Beschwerde aus der Bevölke­ rung zur Seite, die sich massiv über die Be-

hinderungen durch die Werbekarawane und das Feld der Radler ausgelassen hatte. „Doch da darf m an meiner M einung nach nicht kleinlich sein, schließlich bekom m en wir ein solches Spektakel nicht alle Tage geboten“. „Bindung an Schwarzwald erreicht“ Zumal auch bedacht werden muss, dass die Deutschlandtour ja nicht für umsonst Station in den verschiedenen O rten macht. So muss­ ten die beiden Städte Villingen-Schwennin­ gen zusam m en 50 000 Euro hinblättern. M it 40 000 Euro wurde Schonach zur Kasse gebeten, und die Bad D ürrheim er mussten 60 000 Euro aus ihrer Schatulle entnehm en. H inzu kam en für alle drei O rte zusam m en Lizenzgebühren in H öhe von nochm als 200000 Euro, die jedoch zum Teil von Sponsoren abgedeckt wurden. „Es ist schon eine Stange G eld“, m einte Landrat Karl Heim im Vorfeld, doch der M am m on war am Ende gut angelegt. „Ich denke, wir haben unser gemeinsames Ziel, die Bindung der Tour an den Schwarzwald, erreicht.“ D och was sind eine perfekte Organisation, eine anspruchsvolle Strecke und begeisterte Zuschauer, w enn die eigentlichen H aupt­ darsteller, die Radprofis, nicht mitspielen. D och von diesem Phänom en blieb die vier­ te Auflage der Deutschlandtour vom ersten Tag an verschont. N icht zuletzt deshalb, weil bereits im Vorfeld „der sportliche A n­ spruch und die Dramaturgie im Vergleich zur D eutschlandtour 2001 entsprechend er­ h ö h t worden sind“, erklärte Tour-Direktor Kai Rapp. Auch das Fehlen des einst wohl größten Aushängeschilds des deutschen Radsports, Jan Ullrich vom Team Telekom, wirkte sich Oben: Auch Alexander Herr w ar bei der Deutsch­ land-Tour dabei. M itte: Beim Start in B ad Dürr­ heim. Unten: Ein Autogram m von Erik Zabel gab es vor dem Start in B ad Dürrheim. D eutschlandtour im Schwarzwald 2 9 3

D eutschlandtour im Schwarzwald Das Team Telekom – auch in B ad Diirrheim im M ittelpunkt des Interesses. insgesamt nicht nachteilig aus. D enn dazu waren die M annschaften einfach viel zu gut besetzt. So brachte der spanische Rennstall O nce eine „bärenstarke Truppe an den Start“, wie Marcel Wüst, der Teammanager von Coast, der bei der ersten Auflage 1999 selber noch gegen Telekoms Supersprinter Zabel angetreten war, bemerkte. Auch die Franzosen von Credit Agricole nutzten mit Jens Voigt die Möglichkeit, sich gezielt auf die Tour de France aufzubereiten. Die Wertigkeit dieses Radrennens erkannt Sicher spielten bei der starken Performan­ ce der einzelnen Rennställe auch die Ge­ schehnisse beim Giro d ’Italia (Doping-Skan­ dal) eine Rolle, „doch darauf darf man die Topbesetzung nicht alleine zurückführen“, glaubt Marcel W üst die D eutschlandtour au f einem guten Weg, „sich langfristig im in­ ternationalen Rennkalender zu etablieren. Die einzelnen Teams haben die Wertigkeit dieses noch jungen Radrennens erkannt.“ Dazu bei trug sicherlich der spannende Zweikampf zwischen den beiden Spaniern Igor Gonzalez de Galdeano (Once), der sich am Zielort der letzten Etappe in der Lan­ deshauptstadt Stuttgart vor rund 100000 Zuschauern als verdienter Sieger feiern ließ, und dem letztjährigen Zweiten Aitor Gar- mendia. Nicht ganz so gut wie die Jahre zuvor, als die Telekomer m it Rolf Aldag und Alexan­ der W inokurow den Gesamtsieger gestellt hatten, lief es diesmal für die Bonner. Zwar stellten sie m it Erik Zabel viermal den Etap­ pensieger, doch im K am pf um den Gesamt­ sieg waren die M agenta-Farbenen spätestens nach der Königsetappe außen vor. „Da ha­ ben die anderen den Telekoms mal so rich­ tig den H intern versohlt“, m einte da ein Z u­ schauer in Bad D ürrheim m it ein wenig Schadenfreude. Holger Schroeder 2 9 4

21. Kapitel /A lm anach 2003 -reizeit und Erholung Die Tierhaltung als liebenswertes Hobby Schafe, Esel und Ziegen: D rei Tierzüchter aus N iedereschach Die Tatsache, dass es Menschen gibt, die auch in heutiger Zeit Tierhaltung betreiben, kann nicht m it wirtschaftlichen Erträgen Z u ­ sam m enhängen. D enn unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit ist die Tierhaltung ein Zuschussbetrieb, ein H obby somit, bei dem hin und wieder für den Eigenbedarf etwas herausspringt, das m an als „nutzbringend“ definieren könnte, doch dam it kann allen­ falls ein Teil der Kosten abgedeckt werden. Somit müssen die H obbyzüchter andere M otivationen haben, die sie zu dieser auf­ wändigen und zeitintensiven Freizeitgestal­ tung bewegen. Der enorme Arbeitsaufwand ohne Aussicht auf Profit steht im Gegensatz zu einer konsumorientierten Spaßgesellschaff, deren Mitglieder die Hobbyzüchter eher ver­ ständnislos belächeln. Ä ußerungen aus dem Volksmund wie z.B.: „Wa bringt denn des? Des bringt doch n innt ii, do schaffsch doch für n inn t und für widder ninnt …“, bestäti­ gen die in der Bevölkerung nicht selten vor­ handene renditeorientierte Denkweise. U m zu erfahren, welchen Wert die H o b­ bytierhalter selbst ihrem Tun beimessen, wenden wir uns direkt an drei H obbytier­ züchter aus Niedereschach und lassen uns von ihnen hautnah vor O rt einen Einblick in ihren Lebensalltag m it den Tieren geben. Es berichten Familie Senn (Schafzucht), Gerhard Peral-Mueller (Eselzucht) und Jo ­ hann Dörflinger (Ziegenzucht). Trotz aller Verschiedenheit verbindet alle drei Tierhal­ ter die Freude, m it Tieren zu leben und zu arbeiten; allen dreien gemeinsam ist die be­ sondere Verbundenheit mit der Natur. Schafzucht im Fischbachtal Der Bubenholz-Hof Ist m an auf dem Weg von Niedereschach nach Königsfeld, fährt m an durch das idyl- Orpa Klumpp-Senn a u f ihrer Schafweide im Fischbachtal. 2 9 5

Freizeit und Erholung D er B ubenholz-H of der Familie Senn, wo sich auch Streuobstwiesen finden, die nach ökologischen Grundsätzen rekultiviert wurden. lische Fischbachtal. D ort folgt der Fischbach noch seinem natürlichen Lauf und bietet Raum für zahlreiche Feuchtbiotope u nd de­ ren Bewohner. Inmitten dieser noch unberührten Land­ schaft fanden der Kunstschmied Michael Senn und seine Familie Gefallen an einem damals abbruchreifen, im vorletzten Jahr­ hundert erbauten Bauernhof, dem Buben­ holz-Hof. Zusam m en m it dem Bruder er­ warb m an das verwahrloste Anwesen samt Ackerland und W äldchen im Jahr 1988. Mit großem Idealismus gestartet Nach drei Jahren m ühsamster Kleinarbeit konnte die Familie in das Hofgebäude ein­ ziehen. M it dem gleichen Idealismus wur­ den die 3/4 ha großen Streuobstwiesen nach ökologischen G rundsätzen rekultiviert und 50 O bstbäum e angepflanzt. Zeitgleich be­ gann Michael Senn m it fü n f Läm mern und einem Schafbock die Zucht von Milchscha­ fen, die jedoch in den ersten Jahren auf­ grund der Krankheitsanfälligkeit der Tiere nicht erfolgreich war. Weil Schwarzkopf­ schafe sich in unseren klimatischen Bedin­ gungen als widerstandsfähiger erwiesen ha­ ben, stieg Senn 1998 a u f die englische Ras­ se m it dem N am en Suffolk um. Von der Zucht am Fürstenberg wurden 15 Lämmer und drei Schafböcke gekauft; von diesen sind zur Zeit noch acht Mutterschafe auf dem Hof. Ein M utterschaf bringt pro Jahr zwischen ein und drei Lämmchen zur Welt, der Bestand schwankt zwischen acht und 25 Schafen Michael Senn ist als Vorsitzender des Ver­ eins für Naturschutz e.V. nicht nur für seine eigenen Ländereien verantwortlich, sondern zusätzlich auch noch für die am Bubenholz angrenzenden gemeindeeigenen Naturschutz­ grundstücke; weshalb er inzwischen auch als „Bürgermoaschter vum Buebeholz“ gilt. Sei­ ne Frau O rpa Klumpp-Senn u nd die Söhne Stefan u nd Christian unterstützen ihn bei allen anfallenden Arbeiten tatkräftig. Stephan Senn und seine Söhne a u f dem Weg m it dem Traktor aufs Feld. 296

Den Traum von der Schäferin erfüllt Familie Senn kann ihren Fleischbedarf durch die Schafzucht zum größten Teil ab­ decken. Bei rechtzeitiger A nm eldung kön­ nen auch Bekannte bisweilen ein Schaffell oder ein Stück Fleisch erstehen. Dennoch be­ tont O rpa Klumpp-Senn, dass bei der Schaf­ zucht die Fleischproduktion nicht im Vor­ dergrund steht; schon als Kind hat sie im ­ mer davon geträumt, einmal Schäferin zu wer­ den, und dieser Traum konnte au f dem Bu- benholz-H of Wirklichkeit werden. Zwischen ihr und den Schafen hat sich m it den Jahren eine besondere Form der Kommunikation entwickelt. Geht spät abends das Licht in der Küche an, m elden sich die Schafe mit lautem Blöken. Auch w enn O rpa Klum pp-Senn weiß, dass weder Wasser noch H eu fehlen, geht sie dann in den Stall, streichelt die Schafe und redet ihnen liebevoll zu; auch Schafe brauchen ihre Gutenachtgeschichte! Ein besonders schönes Erlebnis stellt für die ganze Familie im m er wieder die Geburt eines Lämmchens dar. W ird eines vom M ut­ terschaf nicht angenom m en, wird es in der Küche großgezogen. Auch die Kindergärten u nd Grundschulen in u nd um Niedereschach freuen sich au f ei­ ne Exkursion ins Bubenholz, denn m an kann dort nicht nur den Läm mern beim H erum tollen zuschauen, sondern nebenbei auch noch erfahren, wie m an aus Äpfeln M ost macht. Die Senns können inzwischen dank dem treuen Leittier ihre Schafherde auch unein- gezäunt weiden lassen. Die energiestrotzen­ den Suffolkschafböcke müssen allerdings re­ gelmäßig ausgewechselt (d.h. geschlachtet) werden, sonst ist es m it der friedlichen Her­ denidylle vorbei. Die kleine Herde kann im Som m er vom eigenen G rünland un d im W inter von selbst geerntetem H eu ernährt werden. Die Heuernte im Sommer dauert drei bis vier Wochen, im W inter n im m t die tägliche Versorgung der Tiere m ehr Zeit in Anspruch, da Fütterung u nd Ausmisten des Stalls hinzukom m en. A ußerdem müssen Tierzucht als Hobby den Schafen regelmäßig die Klauen ge­ schnitten werden. Alle drei M onate steht die Entwurm ung an; einmal jährlich werden die Schafe geschoren. Eine ganzheitliche Lebensweise war schon im m er ein Anliegen der Familie Senn; die Schafzucht hat hierbei einen festen Platz ein­ genommen. Eselszucht – ein außergewöhnliches Hobby Fragt m an Gerhard Peral-Müller nach sei­ nem Eselhobby, bekom m t m an zur A nt­ wort, dass herkömmliche und vernünftige Beweggründe für eine derartige Freizeitbe­ schäftigung nicht zu finden sind. Es gibt heutzutage keinen „vernünftigen“ Grund, Esel zu besitzen, denn sie schme­ cken nicht besonders, legen keine Eier und geben weder Milch noch Wolle. Bezeich­ nenderweise führte die Beantragung des Stallbaus bei einem Gemeinderatsmitglied zu der Frage, ob solche Tiere noch in einen Ortskern passen, der sich bem üht, „städti­ scher“ zu werden. Zu dieser Lebenswirklich­ keit ist die Erkenntnis hinzugekom m en, wieviel Arbeit und Aufwand (auch bürokra­ tischer!) au f jenen warten, der Esel halten will. Die Sache mit dem Stall… Ganz so einfach ist es in diesem Land nicht, zu einem Stall m it Eseln zu kom m en: Ger­ hard Peral-Müller erzählt schmunzelnd, dass er „wegen ein paar Eseln“ m it Bauamt und Kreisbaumeister (Vor-Ort-Termin), Veteri­ närsamt und Veterinärsärztin (Vor-Ort-Ter­ min), Wasserwirtschaftsamt (Eselmist), Land­ wirtschaftsamt (Landwirtschaftliches Anwe­ sen?), Vermessungsamt (Lagepläne), Gemein­ deverwaltung (Stellung des Baugesuchs) und Gemeinderat (Befürwortung) zu tun hatte. D abei hatte er geglaubt, die wichtigsten H ürden seien übersprungen, als die N ach­ barschaft und der Familienrat einverstanden waren und die Finanzierung stand! 2 9 7

Gerhard Meral-Müller m it Zucht­ nachwuchs. Esel lieben die M en­ schen, vor allem die Kinder (un­ ten): sie sind bedächtig, hellwach und sensibel. Was ist n u n an Eseln so schön? Warum muss m an Esel einfach gern haben? Spä­ testens nach einer kurzen, unvoreingenom m enen Kon- takaufnahm e an der Eselwei­ de spüren wir, was die Grau­ schimmel so sympathisch und liebenswert macht: Esel lie­ ben die Menschen, vor allem die Kinder. Sie sind bedäch­ tig, hellwach u nd sensibel, im m er neugierig und inter­ essiert, manchmal richtig „na­ seweis“. Auch menschenähn­ liche Eigenschaften entdeckt man bei ihnen; Wohl sind sie Freizeit und Erholung 2 9 8

nicht scheu, aber schreckhaft und manchmal panisch. Peral-Müller erläutert, dass Esel nur des­ halb als stur gelten, weil sie in unklaren Situationen nicht weglaufen, sondern u n ­ verrückbar stehen bleiben und die Lage überprüfen, bis diese wieder unter K ontrol­ le scheint. Was sie allerdings wirklich fürch­ ten, ist das fließende Wasser. Esel sind vom Naturell her sehr ruhige Tie­ re, aber wenn sie einmal ihr „iijaah jaah aah“ anstimmen, ist das weithin hörbar. Beschwer­ den über Eselgeschrei sind Gerhard Peral- M üller jedoch bisher noch nicht zu O hren gekommen. Ein Esel, zwei Esel, drei E sel… Dass aus dem ersten Esel ein richtiges Zücht­ erhobby geworden ist, hat sich aus zweierlei G ründen ergeben: Z um einen tendiert ein einsamer Esel zu depressivem Verhalten, und zum anderen können Esel über 40 Jahre alt werden. So fiel schnell die Entscheidung, einen zweiten Esel anzuschaffen. Ein Besuch beim Hengst führte schnell zu einem dritten Tier, der ersten Nachzucht, und seitdem wieder­ holt sich das Heranwachsen eines Eselsfoh­ lens zur Freude der Anwohner und Bekann­ ten in schöner Regelmäßigkeit. Inzwischen sind schon drei Esel zu ande­ ren Eselfreunden „ausgewandert“; der Be­ stand schwankt zwischen drei und vier Tie­ ren. Die Nachbarschaft kom m t ebenso gerne mal vorbei wie die Kinder vom Kindergar­ ten; die Esel sind inzwischen aus dem „Schlanz“ nicht mehr wegzudenken. Ab und zu nim m t m an sie an die Zügel, setzt Kin­ der darauf u nd unternim m t W anderungen in der näheren Umgebung. Das Fernweh hat die Esel allerdings auch schon ohne Zügel überkom m en; die nächt­ lichen Ausflüge Richtung Fischbach oder O rtsm itte halten sich jedoch in Grenzen und haben schon manche Spalte der Regio­ nalpresse gefüllt. Tierzucht als H obby Johann Dörflinger und Uwe Hauser betreiben in Niedereschach seit 1991 eine Ziegenzucht. Ü ber Besuch freuen sich Gerhard Peral- M üller und seine Esel übrigens immer. Ziegenhaltung – aus Freude am Tier Johann Dörflinger, genannt Johnny, betreibt zusam m en m it seinem Stiefsohn Uwe H au­ ser seit 1991 in Niedereschach eine Ziegen­ zucht, die sich im Laufe der Jahre von fünf auf 22 Ziegen erweitert hat. Der leidenschaft­ liche H obbyfarm er träum te früher davon, nach Kanada auszusiedeln, um seine Ver­ bundenheit mit der indianischen Kultur und der Liebe zu Tieren existenziell verwirklich­ en zu können; das Schicksal hat ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht: Im Alter von 25 Jahren hatte er einen schlim­ men Verkehrsunfall; 21 O perationen später musste Johnny Dörflinger sein Leben als Be­ hinderter neu ordnen. Zusam m en mit seinem Vater, seinem Bru­ der und seinem Stiefsohn renovierte u nd re­ staurierte er das großelterliche Haus im ur­ sprünglichen Stil und bezog es im Jahr 1994. Johnnys kleine Farm M it dem Einzug in das Bauernhaus seiner Vorfahren begann die kleine Farm zu wach­ sen (zwei H unde, drei Katzen, fü n f Ziegen 2 9 9

Freizeit und E rholung Die Ziegenherde in ihrer Anlage, mittlerweile umfasst die Herde 22 Tiere. und 20 Hasen); alte Träume konnten wieder aufblühen und Gestalt annehm en, nur be­ fand er sich nicht in Kanada, sondern im Lin­ denweg 9 in Niedereschach. Allerdings wuchs nicht nur die kleine Farm, sondern auch das Neubaugebiet um die Farm herum. Interessenskonflikte mit Angrenzern zwangen Dörflinger, seine Ziegenzucht in ein nahe gelegenes Gebiet am Waldrand um ­ zusiedeln. Die Ziegenherde gewöhnte sich aber rasch an die neue Anlage m it ihren improvisierten Behausungen, was sich nicht zuletzt in Ver­ mehrungsfreudigkeit äußerte und zu dem derzeitigen Bestand von 22 Ziegen geführt hat. Ein persönliches Verhältnis John ny Dörflinger hat im täglichen U m ­ gang m it den Tieren ein persönliches Ver­ hältnis zu jeder Ziege entwickelt. „M ax“ zum Beispiel ist ihm besonders ans Herz ge­ wachsen,weil das Ziegenböckchen nach der Geburt von seiner M utter nicht angenom ­ m en wurde u nd im W ohnhaus m it dem Fläschchen großgezogen werden musste. Auch „Vanessa“ ist eine besonders zutrauli­ che Ziege, weil ihr nach zwei Unfällen be­ sondere Pflege zukam: Einmal bekam sie nach einem Fußbruch ein Gipsbein, ein an­ deres Mal rettete ihr der Veterinär nach einer Euterverletzung mit einer N otoperation im Gehege das Leben. Ziegenhaltung ist zeit- und kostenintensiv U m dem Futterbedarf gerecht werden zu können, bewirtschaftet Dörflinger zwei N a­ turschutzgrundstücke in Niedereschach, die wegen ihrer Lage und der gesetzlichen Auf­ lagen für professionelle Landwirte nicht loh­ nend sind. Die zur Bewirtschaftung notwendigen Ge­ rätschaften hat er sich m it zunehm endem Ziegenbestand nach und nach selbst ange­ schafft, so dass er den H eubedarf seiner Zie­ genherde n u n m e h r vollständig abdecken kann und nur der Z ukauf von Rüben und Kraftfutter erforderlich ist. Die tägliche Fütterung nim m t morgens und abends jeweils eine halbe Stunde in An- 3 0 0

Ziegenhaltung ist arbeitsintensiv, zw eim al täglich brauchen die Tiere unter anderem frisches Wasser. spruch. Im W inter fressen die Ziegen vor­ wiegend getrocknetes Heu; das notwendige Wasser (100 1) muss zwei Mal täglich mit Ka­ nistern angefahren werden. Im Frühling, Som m er und H erbst steht zusätzlich ein halber Anhänger voll frisch gemähtem Gras a u f dem Speiseplan; ein altes Güllefass dient als Wasserbehältnis und wird wöchentlich aufgefüllt. Die Heuernte im Som m er (etwa 12 volle Arbeitstage) und das ständige M ähen von frischem Gras ist gerade für Johnn y Dörf- linger trotz der vorhandenen Gerätschaften eine m ühsam e Arbeit, die er ohne seinen unerm üdlichen Stiefsohn Uwe nicht bewäl­ tigen könnte. Alle drei M onate schneiden die beiden den Ziegen die Hufe und verab­ reichen eine Wurmkur. Überhaupt muss Dörf- linger etwa einen Wochenarbeitslohn im M o­ nat allein für den Tierarzt einplanen. O hne Idealismus ist die H obby-Züchterei eben nicht denkbar! Die Zukunft ist offen John ny Dörflinger und Uwe Hauser halten ihre Ziegen nur für den Eigenbedarf; eine wirtschaftliche N utzung ist nicht beabsich­ tigt. Es ist die Freude, diesen Tieren einen Lebensraum zu geben, die beide M änner dazu bewegt, die dam it verbundenen M ü­ hen und Beschwerlichkeiten a u f sich zu neh­ men. Jedoch sieht Dörflinger die Zukunft realistisch; der Tod seiner Frau im Herbst 2001 und sein gesundheitlicher Zustand wer­ den in seinem Leben weitere Veränderungen notw endig machen. N ichtsdestotrotz ist Joh n n y ein Mensch m it Visionen, der seine Träume in die Tat umsetzt. Lassen wir uns überraschen, wie seine Z ukunft aussehen wird. Seiner eigentümlichen, so m anchem Nie- dereschacher schwer verständlichen Lebens­ führung liegt eine ganz besondere Lebensein- Tierzucht als Hobby Stellung zu Grunde, die in einem ihm und sei­ ner Frau gewidmeten Mundartgedicht tref­ fend zum Ausdruck komm t: Läbbä un läbbä lau Do simmer un dogfallts iis, do hommer äbs un do machä mer äbbs draus. Do isches schee weil mers schee hond, un wenns iis nimmi gfallt, no machä mer widder äbbis anders. Solang mer do sin läbbä mer au. Solang mer do sin, läbbä mer, wiä mer läbbä wend. Solang mer no do sin, honder no äbbs zum guggä. Solang mer no do sin, geits fir eich älläweil no än Grund zum sage: „S’wär scheener, wenn diä nitt do wäret. “ Solang mer no do sin, glaubet’erz’wisset, wieso eierLähbä itt schee isch. Solang mir läbbet, w iä mir läbbä wellet, kinnet er eich sage, mir sin dä Grund, wiso ihr itt läbbä kinnet, wiä ihr läbbä wellet. Wäret mir nimmi do, no miäßtet ihr euch selber frogä, wa fir eich Läbbä hoast. (E. Beck-Nielsen) Elisabeth Beck-Nielsen 301

22. Kapitel /A lm anach 2003 -ilm und -ernsehen D i e „Fallers 66 – die w o h l b e k a n n te s te S ch w a rzw a ld fa m ilie Seit 1994 ist der „Fallerhof“ Drehort für eine erfolgreiche Serie im Süd- west-Fernsehen: „Die Fallers“. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei die Rea­ litätsnähe. Thematisiert werden immer wieder regionale Ereignisse, Feste und die Tradition im Schwarzwald-Baar-Kreis. Karl Faller feiert jedes Jahr die Fasnet, Jo­ hanna ist Mitglied bei den Landfrauen und in Hermanns Bürgermeisteramt tau­ chen die kommunalen Probleme auf, wie sie – zumindest so ähnlich – auch in anderen Gemeinden im Kreis zu finden sein könnten. Diese Geschichten sind eingebettet in die herrliche Landschaft rund um den „Fallerhof“, der sich im Raum Furtwangen befindet. Mehrmals im Jahr dient dieser Hof als Kulisse bei den Außendreharbeiten, und dann wird das Leben der Bauern gehörig auf den Kopf gestellt. Ein Drehtag auf dem „Fallerhof“ Die Sonne geht aufhinter den dunklen Fich­ ten, die den „Fallerhof“ umsäumen. Noch ist alles ruhig, idyllisch und friedlich. Der H ahn kräht sich langsam ein und die Kühe m uhen müde. Doch plötzlich verändert sich das friedliche Bild: Die Allee entlang komm t eine Kolonne von Lastwagen, Kleinbussen und Autos. Eine Horde Menschen springt heraus und der Drehtag beginnt. Die Ka­ meraleute laden ihre Gerätschaften aus und die Beleuchter sorgen für die richtigen Lichtverhältnisse (trotz vorhandenem Ta­ geslicht), der Ton-Inge­ nieur richtet seinen Ar­ beitswagen ein und der Regisseur bespricht mit dem Kameramann die Kamerafahrten. Dazwischen versucht der Bauer seinem norm alen Tagwerk au f dem H o f nachzugehen: Die Kühe müssen gemolken werden un d der Gemüsegarten verlangt dringend der Pflege. Dadurch, dass die erfolgreiche SWR-Produktion au f einem H o f gedreht wird, der norm al bewirtschaftet wird, ist einerseits die Realitätsnähe gewähr­ leistet. Andererseits bringen die D reh­ arbeiten den Alltag ganz schön durcheinander. Aus diesem G rund wird auch die Adresse des Hofs geheimgehalten, denn sonst w ürden die Fans der Serie in Massen au f den H o f strömen. U nd dies würde den Hofbetrieb erschweren. Die ftffes Eine S c h w a r z w a l d f a m i l i e 3 0 2

D er F allerb o f im Raum Furtwangen. „Bitte – es wird gefilmt W ährendessen werden in einem Raum im Leibgedinghaus die Schauspieler kam era­ fein gemacht. H eute steht ein A ußendreh m it Ursula Cantieni, Wolfgang H epp und Peter Schell au f dem Programm. D er Mas­ kenbildner hat dafür zu sorgen, dass die Schauspieler die gleiche Gesichtsfarbe ha­ ben wie später im Studio. W ährend der schon drehfertige W olfgang H epp einen kleinen Spaziergang über den H o f macht und Ursula Cantieni in der Maske noch­ mals über ihren Text geht, unterhält sich Pe­ ter Schell m it dem Bauern übers Wetter. Endlich geht es los. Zuerst eine Probe. Die Position von Kamera 2 wird noch einmal verändert, dann wird es ernst. Der Regisseur lässt ein lautes „Bitte“ vernehmen, das Zei­ chen dafür, dass n u n gedreht wird. Alle sind mucksmäuschenstill. N ur die Kühe im Stall sorgen für die ländliche Geräuschkulisse. H erm ann Faller kom m t aus der Eingangs­ tür und trifft auf Johanna und Karl, die ge­ rade vom Stall kom m en. Karl hätte Hilfe nötig, doch H erm ann ist mal wieder unter­ wegs in sein Rathaus. U nd so kom m t es zu einem Streit, den Johanna zu schlichten ver­ sucht. Die Schauspieler haben ihre Hausauf­ gaben gemacht, der Text sitzt un d die Szene ist schnell im Kasten. Das Team freut sich, denn au f der Tagesdispo stehen noch jede M engen weitere Szenen. D och A ußendrehs stecken voller Überraschungen. Plötzlich zie­ hen Wolken au f und es beginnt zu regnen. Da keine „Regenszenen“ an diesem Tag ge­ plant sind, steht der Dreh still. Die em pfind­ liche Technik wird m it großen Planen und Schirmen vor Feuchtigkeit geschützt, und das Team zieht sich in den Aufenthaltsraum Drehtag a u f dem Fallerhof – Johanna Faller alias Ursula Cantieni. Die „Fallers‘ zurück. Die meisten nutzen die U nterbrech­ ung für ein zweites oder gar erstes Frühstück. Der Aufnahmeleiter kom m t hereingestürmt – gerade ist die Sonne wieder durch die Wol­ ken gebrochen. Schnell lassen alle ihr halb­ gegessenes Brötchen liegen und schon geht es weiter. Als nächstes sind An- und Abfahrtszenen dran. Eine ziemlich unspektakuläre, doch notwendige Sache. Die einzelnen Folgen werden aus Kostengründen nicht chronolo­ gisch, sondern in Szenen aufgeteilt gedreht. Anderenfalls müsste m an nach jeder Szene m it dem kompletten Team um ziehen – vom Stall au f den Hof, dann vielleicht vors Feib- 3 0 3

Film und Fernsehen gedinghaus und für die Szenen im Haus noch nach Baden-Baden ins Studio! Also fährt H erm ann, von der Arbeit kom m end, im Anzug vor. In der nächsten Szene, die ge­ dreht wird, kom m t er gemeinsam mit Johan­ na von einer Ausfahrt – das bedeutet, er muss sich zwischenzeitlich umziehen. U nd so geht es erst mal weiter: Erneuter Kleider­ wechsel, dann erneute Ankunft. Zwischen den Szenen wird neu ausgeleuchtet, der Ton u nd die Kameraeinstellungen überprüft – das bedeutet jede Menge Wartezeit für die Schauspieler. Doch eines erleichtert die Arbeit im Ge­ gensatz zu früher. H eute wird m it einjähri­ gem Vorlauf gedreht, das bedeutet, die Fol- 3 0 4 „ K ati“alias Christiane Bachschmidt und Christo­ pher Krieg („Meter Riemer “) bei einem Drehtag a u f dem B r end bei Furtwangen. gen, die aktuell gedreht werden, laufen in ei­ nem Jahr. Zu den Anfangszeiten der Serie wurde ein halbes Jahr im Voraus gedreht – und so spielte m an im Sommer W inter und umgekehrt. So mussten die Schauspieler bei eisigen Temperaturen in Sommerkleidung agieren und sich über das schöne Wetter freuen. Im Sommer hingegen wurden weiße M atten au f dem Dach ausgerollt, die den fehlenden Schnee ersetzten, und die Schau­ spieler spielten bei 30 Grad m it Mütze, Schal und Handschuhen. Ein Drehtag geht zu Ende Endlich – es ist kurz vor 20 U hr und die letzte Klappe für heute fällt. Trotz der u n ­ freiwilligen Regenpause konnte das D reh­ pensum eingehalten werden. Die Techniker packen ihre Gerätschaften wieder ein, Jo ­ hanna, H erm ann und Karl werden wieder zu Ursula Cantieni, Wolfgang H epp und Pe­ ter Schell. Letzterer geht nach oben, denn während der Dreharbeiten hat er ein eigenes Zim m er au f dem Hof. Die anderen beiden und das Team fahren zurück ins Hotel. W ährend für die meisten der Arbeitstag n u n zu En­ de ist, schaut sich der Re­ gisseur einzelne Szenen noch einm al an und m acht sich N otizen für den nächsten Tag. Einige nehm en noch ein letztes gemeinsames Getränk an der Hotelbar. Alle gehen früh ins Bett, denn am B ei Drehaufnahmen am Fal­ lerhof: Wolfgang Hepp im Ge­ spräch m it Blumberger Feuer­ wehrleuten.

Beim Aussendreh am „Fallerhof ‘ m it Blick aufs Leibgeding. Team und Technik vor dem „Fallerhof *. Die „Fallers“ 3 0 5

Film und F ernsehen Im Stall des „Fallerhofes “ von links: Ursula Cantieni, Tony M arshall als Seriengast und Meter Schell. nächsten Morgen geht es weiter – m it den Dreharbeiten au f dem Fallerhof. ,,Eine zweite Heimat geworden“ Die regelmäßigen Aufenthalte zu Drehar­ beiten bieten den Schauspielern im m er wie­ der Gelegenheit, Land und Leute in der Re­ gion kennen zu lernen. Viele haben inzwi­ schen eine besondere Beziehung zu ihrer „Filmheimat“. Für den Schauspieler Peter Schell, der den Bauern Karl Faller spielt, ist der Schwarzwald-Baar-Kreis inzwischen auch in der Realität zu einer zweiten H eim at ge­ worden: Er hat hier einen Zweitwohnsitz. Nicht zuletzt war der Grund für die E nt­ scheidung für den Schwarzwald-Baar-Kreis die Landschaft. Einer seiner Lieblingsorte? Der Balzer Herrgott. Hier genießt Peter Schell besonders die Ruhe. W enn ihm der Sinn m ehr nach Action steht, geht er seinen Hobbys nach. Beson­ ders für Tennis, Wandern, Schießen, Golfen, Radfahren sowie Schwimmen findet er in der Region optimale Voraussetzungen. Ken­ nengelernt hat er auch Skisprung-Weltmeis­ ter M artin Schmitt. A uf die Frage, was Mar­ tin Schmitt besonders auszeichne, findet Pe­ 3 0 6 ter Schell schnell eine Antw ort – es ist die Persönlichkeit des Ausnahmesportlers. Kaum ein anderer Sportler gebe während Inter­ views so interessante A ntworten wie M artin Schmitt. Zur schwäbisch-alemannischen Fasnet hat Peter Schell eher ein berufliches Verhältnis, privat ist er da zurückhaltender. Doch in sei­ ner Rolle als Karl Faller fahrt er jedes Jahr in der Fastnachtsfolge der Fallers „da Bach na“. Donaueschingen und Furtwangen streiten sich darum, au f welcher Gemarkung denn nun die eigentliche Donauquelle entspringt. Die Frage nach der „echten“ D onauquelle ist für Peter Schell ein persönliches Dilem­ ma. Sein Zweitwohnsitz ist nahe bei Furt­ wangen, doch seine Familienwurzeln liegen in Donaueschingen („Schellen-Bäck“). So gibt er sich diplomatisch: D a die D onau nicht an zwei Stellen entspringen kann, muss sich eben jeder für eine der Quellen ent­ scheiden. Wolfgang H epp spielt den Bürgermeister Rechte Seite: Fastnacht bei den Fallers und Meter Schell heiratet seine Christina (Carmen-Dorothe M oll).

Film und F ernsehen „Frau H eilert“ Adelheid Theil „Franz“ Edgar-M . M arcus „H einz“ Thomas M einhardt „M onique“ A nne von Linstow „Albert“ Alessio Hirschkorn „Bernhard“ Karsten Dörr „Wilhelm “ Lukas A m m ann „Maula“ Ruth Köppler 3 0 8 H erm ann Faller. Er bedauert, dass er im mer nur zum Arbeiten in die schöne Gegend kom m t und findet, dass es höchste Zeit ist, die Region umfassend kennenzulernen. Doch hat er drehfreie Zeit schon dazu benutzt, sich im Kreis umzusehen. Dabei hat es ihm besonders die Fürstlich-Fürstenbergische H ofbibliothek und G em äldesam m lung in Donaueschingen angetan. Deshalb findet er es sehr bedauerlich, dass diese einzigartige Sammlung von Werken aufgelöst wird. Zum Glück gibt es auch Traditionen m it Bestand: Die Fronleichnahmsprozession in Hüfingen m it den prachtvollen Blumenteppichen. Sein Filmbruder Franz Faller, im bürger­ lichen Leben Edgar-M. Marcus, gerät eben­ falls ins Schwärmen, wenn er von der Schönheit der N atur an den D rehorten für „Die Fallers“ spricht. Doch hat er eine weit zurückreichende Verbindung zur Region: Als Kind hat er in Bad D ürrheim im mer wunderbare Som m er verbracht. H eute ge­ fällt ihm auch die Gegend Neukirch/Kalte Herberge sehr gut. U nd wenn m an mal le­ cker Essen gehen möchte, so em pfiehlt er Vöhrenbach – hier sei gastronomisch einiges geboten! „Die Region schon als Kind erlebt“ Thomas M einhardt spielt den dritten Bru­ der, den Pfarrer H einz Faller. Auch er hat in der Region als Kind einiges erlebt. Sein Va­ ter mietete dort über den Sommer das obers­ te Stockwerk eines Bauernhofes. Für T ho­ mas M einhardt u nd seine Brüder war es der wahrgewordene Kindertraum – hinter jeder Ecke lauerte das nächste Abenteuer. Diese Kindheitserlebnisse haben bei ihm einen solchen Eindruck hinterlassen, dass er diese Region des Schwarzwaldes heute im m er noch für eine der schönsten Stellen hält. Auch die M entalität der Menschen, die dort leben, sagt ihm zu, denn es sind offe­ ne, lebenslustige Menschen. Seine Verbun­ denheit mit Land und Leuten ist sogar so groß, dass er sich in der Region nach einem Alterswohnsitz umschaut.

„Die Fallers‘ Lioba (Lisbetb Felder) in ihrer Kräuterküche. Bea, die Freundin von Karl, wird gespielt von Christiane Brammer. Sie schwärmt vom Schwarzwald-Baar-Kreis im Winter. W enn die Schneedecke geschlossen ist und die Sonne so darauf scheint, dass die Kristalle funkeln, dazu der blaue H im m el und die schwarzen Fichten … Sie schätzt besonders die Ursprünglichkeit des Lebens hier und dass sich diese auch in den M enschen wider­ spiegelt. Das Theater in Villingen-Schwenningen mag sie besonders, denn hier gibt es für die gelernte Musicaldarstellerin nicht nur Au­ gen-, sondern auch Ohrenschm aus, wenn mal wieder O perette au f dem Spielplan steht. Bad D ürrheim kann sie aus einem sehr nahe liegenden G rund empfehlen – we­ gen des Wassers. „Wandern um den FallerhoP‘ Ursula Cantieni spielt die Johanna Faller, die gute Seele des Fallerhofs. Sie kann sich noch an ihre erste Erkundungstour rund um den „Fallerhof“ erinnern. Damals, noch vor Beginn der Dreharbeiten, kam sie zu dem Schluss, dass es ein wunderschönes Fleck­ chen Erde sei, das sie und ihre Kollegen künftig „beackern“ dürfen. U n d dieser Ein­ druck hat sich über die Jahre noch verstärkt. Die idyllischsten Plätze lernte sie kennen, als sie sich gemeinsam m it ihrer Kollegin Anne von Linstow für den Film „Wandern um den Fallerhof“ au f den Weg machte. Besondere Erinnerungen hat sie dabei an die N ußhurt- kapelle bei Schönwald, die Brüderlekapelle bei Furtwangen und den „Blindensee“. Übrigens – Drehorte der Serie im Schwarz- wald-Baar-Kreis waren unter anderem schon: Triberger Wasserfälle, der Mittelalterliche Markt in Villingen, Balzer Herrgott bei G ü­ tenbach un d die Kirche in Urach. Am 17. N ovem ber 2002 wird vom SWR die 333. Folge der „Fallers“ ausgestrahlt. Ein Ende der beliebten Serie ist noch lange nicht abzusehen. D aniela Kress 3 0 9

23. Kapitel /Almanach 2003 Theater Das Theaterstück Kathrin In M undelfingen Fam ilien-Saga vom Dreißigjährigen Krieg aufgefiihrt Glücklich der Baaremer Ort, der sich in sei­ ner Erstnennung au f ein Pergament der Ab­ tei St. Gallen berufen kann. M it Ausnahme der Stadt Villingen werden durchweg alle über tausendjährigen O rte im Schwarzwald- Baar-Kreis in einer der wenigen St. Galler- Urkunden erwähnt, welche die Zeiten über­ dauert haben. Auch das m it einem Festakt am 9. März 2002 begonnene Jubiläumsjahr in M undelfm gen stützt sich au f eine beur­ kundete Güterschenkung vom 22.O ktober 802, in der G raf Berthold unter anderem die M undeifinger G üter seiner M utter dem Kloster St. Gallen überträgt. Ein kurzer Ab­ riss der Geschichte dieser liebenswerten Ge­ meinde an den Aubach-Wasserfällen, wel­ che am 4. Mai 1974 ein Ortsteil Hüfingens wurde, war bereits im Almanach 92 zu lesen. M undelfm gen erinnerte an seine zw ölf Jahrhunderte und die im Verlauf der Ge­ schichte hervorstechenden Ereignisse durch ein Historienspiel, das im folgenden Artikel näher vorgestellt wird. Historienspiele wie das M undelfm ger sind Teile von Ortsfesten, die im Südwesten Deutschlands und darüber hinaus eine län­ gere Tradition besitzen. Allein zwischen 1800 und 1954 w urden beispielsweise in Villingen vier historische Schauspiele zur Stadtgeschichte geschrieben und aufgefuhrt. Historische Festspiele oder die Darstellung historischer Szenen aus dem Ortsleben als historische Umzüge sind weitere Varianten dieser Geschichtskultur und -pflege. Sie sind mit der literarischen Gattung des Geschichts­ dramas verbunden, welches ihnen Vorbild ist. Das Geschichtsdrama ist die dramatisch­ dichterische „Neugestaltung“ unter Tatsach­ enabänderung von u.a. historischen Ereig­ nissen, um den im geschichtlichen Stoff ver­ 3 1 0 borgenen Wahrheitsgehalt sichtbar zu m a­ chen oder einen vermeintlichen Sinn der Geschichte herauszuarbeiten. Dies geschieht durch die Darstellung von tragischen Personen (Schiller: Wallenstein; G oethe: Egmont) im Gegensatz von Person und Welt oder als Darstellung allgemein menschlicher Konflikte und geschichtlicher Entwicklung in den Zeiten. Historienspiele sind dabei nicht an eine bestimmte politi­ sche Richtung, wohl aber in unserer Heim at vor allem an die Entwicklung der bürgerli­ chen Gesellschaft gebunden. Erinnert sei deshalb an die in den W ohn- und Spielzim­ m ern des Kaiserreichs bei K naben beliebten Aufführungen „Schlacht von Sedan“ oder die zahlreichen Freilichttheater rund um das Thema „Revolution 1848“. Das Besondere am M undeifinger Schau­ spiel darüberhinaus ist, dass es in einer in­ tensiven örtlichen Theaterpflege steht und diese als einmaligen und som m erlichen H öhepunkt ergänzt und fördert. W iederbe­ lebung des „N aturtheaters“ der Ja h rh u n ­ dertwende (siehe Almanach 82) un d Ergän­ zung des seit Jahren begeisternden „Am- Vieh-Theaters“ (Almanach 2002), schuf das Historienspiel „Kathrin“ von Gebhard Merz zur 1200-Jahr-Feier die Brücke zwischen Ortsgeschichte u nd Kultur, die dem D orf und seiner Vergangenheit zur weiteren Be­ kanntheit verhilft. W enn M undelfmgen daher die Entschei­ dung traf, an die über 1200-jährige Ge­ schichte in ihren besonders hervorstechen­ den Ereignissen, welche sich in das kollekti­ ve Gedächtnis eingegraben haben, zu erin­ nern, so war diese Wahl richtig. Wie der folgende Bericht verdeutlicht, ist die Erinne­ rung an die Geschichte nicht nur für die Mundeifinger zu einem künstlerischen Ge­

Theaterstück „K athrin“ D ie beeindruckende Naturbühne des M undeifinger Theaters. nuss geworden, dessen historischer Kern weit über den Tag hinaus getragen wird. Joachim Sturm Die schweren Zeiten des Dreißigjährigen Krieges wurden im Sommer für ein paar A- bendstunden wieder lebendig. Glücklicher­ weise nur auf der Bühne des Naturtheaters am M undeifinger Aubach: Das D o rf M un- delfmgen, größter Hüfinger Teilort, feierte seine 1200-jährige Geschichte m it einem vo­ lum inösen Theaterstück aus der Feder von Gebhard Merz in Baaremer M undart. G ut 100 Mitwirkende und zahlreiche Helfer auf und hinter der Bühne gaben ihr Bestes. Die N aturbühne am Aubach wurde zur weitläu­ figen Kulisse m it allem „Drum und D ran“. D a thronte zum Beispiel das nachgebaute Tor der Burg Hohentwiel mächtig auf dem Berg, Symbol für die Zwingburg, von der aus die feindlich gesinnten Nachfahren der Herzöge von Schwaben un d Ulrichs von W ürttem berg während des Dreißigjährigen Krieges die gesamte Region unterdrückten. Eine Dorfkirche samt G ottesanger war nachgebaut, das Gasthaus „Hirschen“ au f der linken Seite der Bühne, der „Storchen­ h o f“ au f der rechten und alles in fast natur­ getreuer Größe, eine Schmiede, eine H olz­ brücke über den Aubach: Die Stadt Hüfin- gen hatte zehn Festmeter H olz vom Sturm „Lothar“ zur Verfügung gestellt, aus dem die bis zu zehn M eter breiten und fü n f Meter hohen Kulissen und Fassaden geschreinert wurden. Mit Können und Liebe zum Detail U nd m ittendrin meckernde Ziegen, Kühe, H ahn und gackernde H ühner samt echtem M isthaufen: „Wenn schon, denn schon“, sagten sich die in dörflichen Großereignis­ sen bestens erprobten M undeifinger und machten sich ans riesenhafte Werk. H an d ­ werkliches K önnen und viel Liebe zum D e­ tail wurde in das bunte und bisweilen trä­ nenreiche Spiel gesteckt. Das Schauspiel m it dem Titel „Kathrin“ taucht hinein ins frühe 17. Jahrhundert, als Söldnerheere aus aller Herren Länder quer 3 1 1

Theater durch Europa zogen, hauend u nd stechend, plündernd und m ordend, brandschatzend und vergewaltigend. Wer nicht parierte, der wurde m it dem „Schwedentrunk“ gefoltert, das heißt, ihm w urden U nm engen Gülle eingeflößt, bis der Gequälte regelrecht platz­ te und sein Leben aushauchte. In den drei Jahrzehnten, zwischen 1618 und 1648, brannte Europa nach den Bau­ ernkriegen ein weiteres Mal. Im N am en re­ ligiöser und weltlicher Fürsten und Kaiser tauchten ihre entfesselten H andlanger gan­ ze Landstriche von der Ostsee bis in die Al­ pen und von Antwerpen bis nach Krakau in ein Meer von Blut. Auch a u f der Baar h in ­ terließen sie ihre rauchenden Trüm mer und H underte von Toten. Viele Theatertalente in Mundellingen Kein herzerfrischender Stoff also zum Mundeifinger Jubiläum, sondern harte Kost. H obby-A utor G ebhard Merz hat die Ro­ manfolge des gebürtigen Mundelfingers Willibald Strohmeyer in acht szenische Bil­ der umgeschrieben und au f der Bühne um ­ gesetzt: 30 Sprecherrollen gibt es in dem Stück und nochm als 50 Statisten wurden aufgeboten, um die Zeiten Wallensteins und seiner kriegerischen Heerscharen a u f die Bühne am Aubach zu stellen. Von der M u­ sikkapelle über den Kirchenchor, vom Ge­ sangsverein bis zum Sportverein und der Feuerwehr: In M undeifingen war das ganze D orf auf den Beinen, um die zw ölfjahrhun- derte alte Geschichte des Dorfes gebührend zu feiern. „Theaterspielen hat Tradition in M undelfm gen und eine Menge Theaterta­ lente haben wir auch“, freute sich Gebhard Merz. N achdem nu n der Theatertext in vier M o­ naten geduldiger Arbeit seine schriftliche Vollendung gefunden hatte, setzte das Re­ gieteam m it Werner Föhrenbacher, Artur Merz u nd G ebhard Merz das Stück in inten­ siver Probenarbeit ins Spielerische um. Nicht nur die Schauspielerei forderte die Mundel- finger. Auch die szenische Gestaltung, die 3 1 2 Kulissen m it gewaltigen Bühnenbildern, die Kostüme und die Requisiten aus weit zu­ rückliegender Zeit. Das Stück „Kathrin“ ver­ langte den Akteuren alles ab. Ihr Engage­ m ent verdient höchstes Lob und es kam richtig gute Theaterstimmung auf. Die 450 Zuschauer am A bend der Uraufführung be­ dankten sich m it langem Beifall bei O rgani­ satoren und Schauspielern, die das Stück in monatelanger Arbeit auf die Beine gestellt hatten. H intergrund des Theaterstücks „Kathrin“ sind historisch bedeutsame Ereignisse am 15. O ktober 1632, dem Gallustag. Damals mussten bei einem Überfall französischer u nd württembergischer Söldner au f Hüfin- gen 500 Menschen ihr Leben lassen. Auch 27 junge M änner aus M undeifingen waren unter den Toten. Sie waren m it einem ins­ gesamt 40 M ann starken Trupp nach Hüfin- gen geeilt, um dem belagerten O rt gegen Franzosen und W ürttemberger zu helfen. M utm aßlich gehörte auch Michael Rülle zu den Toten, wie es Cyprian Häberlein, der damals Dorfpfarrer in M undelfm gen war, ins Totenbuch eingetragen hat. Die Legende indessen will wissen, dass Michael Rülle, der Sohn des w ohlhabenden Bachbauern aus M undelfm gen, bei den Kämpfen in H üfingen nicht ums Leben kam, sondern au f die Burg am Hohentwiel verschleppt wurde. Er soll dort 18 Jahre in Gefangenschaft zugebracht haben und dann wieder zu seiner Familie nach Mundelfmgen zurückgekehrt sein. So zum indest hat man sich die Geschichte im D o rf bis ins 20. Jahr­ hundert hinein erzählt. U nd so hat es im Jahr 1906 Willibald Strohmeyer als Student aufgeschrieben und als Romanfolge im D o­ nauboten veröffentlicht. Der spätere Dekan stützte sich dabei auf die Erzählungen seines alten Freundes, des W aldhüters Johann-G e- H intergrund von „Kathrin “ sind bedeutsame his­ torische Ereignisse, die in original nachempfunde­ nen Kostümen und m it einem aufwändigem K ulis­ senbau inszeniert wurden. Oben: Burg Hohentwiel.

T heater org Walz. Dieser wiederum war der Urgroß­ vater von Gebhard Merz, der sich nun, be­ flügelt von der 1200-Jahrfeier an den Schreib­ tisch setzte und seinen begeisterten Laien­ schauspielern eine Mundeifinger Familien­ saga aus dem Dreißigjährigen Krieg für die Bühne verfasste. Der Kampf gegen feindliche Truppen Michael Rülle also, der Sohn des Bachbau­ ern und Kathrin, die Tochter des ebenfalls gut betuchten Storchenbauern, stehen im M ittelpunkt dieses Theaterstücks. Die bei­ den heiraten, feiern eine große Hochzeit auf dem Land un d das ganze D o rf feiert im „Hirschen“ mit. U nter den Gästen ist auch Tagelöhner Jörg Genner, der ebenfalls um Kathrins H and angehalten hatte, aber zu sei­ nem Verdruss nicht zum Zuge kam. Im zweiten Bild brechen die 40 jungen M än­ ner nach H üfm gen auf, um gegen die feind­ lichen Truppen zu kämpfen. Doch am Gal­ lustag 1632 steht Hüfm gen in Flammen, nur zw ölf Männer, unter ihnen auch Jörg G en­ ner, kehren nach Mundelfmgen zurück. Vom Verbleib Michael Rülles ist nichts bekannt, in M undeifingen herrscht Trauer über die 27 Toten, die m it einem Pferdegespann zurück ins D orf gebracht werden. Ein halbes Jahr später wird auch M undei­ fingen von W ürttembergern und Schweden Überfällen. Dabei rettet Jörg G enner seine angebetete Kathrin vor Vergewaltigung und Tod, muss aber danach selbst sein Leben las­ sen, als einer der W ürttem berger ihn er­ kennt: Jörg G enner hatte nämlich nach dem Überfall au f H üfm gen seine Freilassung aus der Gefangenschaft mit dem Versprechen er­ kauft, ihnen 50 Gulden zu bezahlen. Da er diese nun aber nicht beibringen kann, wird er auf grausame Weise mit dem „Schweden­ trunk“ umgebracht. Schließlich wird in den drei letzten Bil­ dern das Schicksal von Michael Rülle auf dem H ohentw iel geschildert und seine glückliche Heim kehr am Ende des Krieges im Jahre 1649, als langmähniger Bettler. Ka­ thrin, die 18 Jahre um ihn gebangt hat, fällt ihm überglücklich in die Arme. So endet die Familiensaga im achten Bild m it einem großen Schluss-Choral, der wie das gesamte Stück in mehreren A ufführun­ gen begeisterte. M anfred Beathalter Schluss- Choral bei der Mremierenaufführung der M undeifinger Laienspieler. 3 1 4

Theater Reges Theaterleben in der Doppelstadt Amt für Kultur ist eine wichtige Säule des kulturellen Lebens in Villingen-Schwenningen Misst m an die Aktivitäten verschiedener Initiativen u nd dem A m t für Kultur anhand der Einwohnerzahl, könnte m an Villingen- Schwenningen geradezu als Theaterstadt bezeichnen. Neben dem dominanten städti­ schen Spielplan im Theater am Ring stehen fü n f weitere Einrichtungen m it festen Spiel­ stätten zur Auswahl. N icht berücksichtigt sind hier die Thea­ teraktivitäten zahlreicher Vereine oder G rup­ pen ohne feste Spielstätte und Spielplan. Gastspielbetrieb in Villingen-Schwenningen Bereits im Jahre 1938 ließ die Stadtverwal­ tung Villingen das Theater am Ring errich­ ten, das dann 1973 nach der Fusion der Städ­ te Villingen und Schwenningen grundle­ gend renoviert wurde. Lange Zeit wurde au f der Bühne des Theaters nicht nu r ein reich­ haltiges Kulturprogramm geboten, das Haus diente gleichzeitig als Lichtspieltheater und war damals der einzige kommerzielle Film­ betrieb im Stadtbezirk Villingen. Der muss­ te weichen, als sich die Stadt in den 1990er Jahren entschloss, das gesamte Bühnenhaus abzureißen und neu zu errichten: Eine größe­ re Bühne samt darüberliegendem Schnürbo­ den und m it einer Seitenbühne. Seit der Wiedereröffnung im Jahre 1997 gibt es so­ m it erweiterte technische Möglichkeiten und noch m ehr Flexibilität. Das ist vor al- Gut eingeführt ist inzwischen die Studiobühne des Carl-Theaters, das „ Uhrwerk “ im Stadtbezirk Schwen­ ningen, in dem auch der interaktive K rim i „Scherenschnitt“ Erfolgefeierte. 3 1 6

Theaterleben in der D oppelstadt „Friedensfrau“, Sommeraufführung Theater am Ring. tet er stets die Arbeit bestim m ter Stadtthea­ ter und auch sogenannter freier G m ppen oder Theater, die häufig besonders bemerkens­ werte und ungewöhnliche Aufführungen im Repertoire haben. W enn es inhaltlich ins Spe­ zialkonzept passt und sich technisch-orga­ nisatorisch u nd natürlich auch finanziell realisieren lässt, lädt er diese Partner, die auch aus der internationalen Szene kommen, gern ein. Dadurch erhält der Spielplan ein ganz eigenes, unverwechselbares Profil. A uf eine ganz bestimm te stilistische oder ästhetische Richtung m öchte sich Schmidt- Scherer bei seiner Auswahl nicht festlegen; er legt Wert darauf, eine große Bandbreite anzubieten. „Es muss für jeden etwas dabei sein“. Ein entsprechendes künstlerisches N i­ veau muss dabei stets vorhanden sein, und das Programm darf nicht abgehoben oder au f falsche Weise elitär sein. „Man kann aus dem Vollen schöpfen“ Das Gesamtangebot an Theatern und Kon­ zerten, das alljährlich auf seinen Schreibtisch kommt, ist sehr umfangreich. „Man kann aus dem Vollen schöpfen“. Schmidt-Scherer, der unter anderem ^ J a h ­ re lang als Dramaturg tätig war, geht bei der Sichtung des Angebots zunächst einmal nach dem ersten Eindruck. „Wie ist die Qualität des Stückes, wer führt Regie, wie ist das Stück besetzt?“ sind für ihn wichtige Fragen bei der Spielplangestaltung. Ebenso kom m t es au f die richtige Zusam menstellung von Dra­ ma, Komödie, M usiktheater und andere Gattungen an. Vier verschiedene A bonne­ m ents stehen Theaterbesuchern zur Aus­ wahl, für jede Vorstellung kann m an selbst­ verständlich auch Einzelkarten erwerben. Etwa 30 Prozent des Kartenpotentials wer­ den von A bonnenten genutzt. N eben den Abonnementsvorstellungen gibt es auch Son­ dervorstellungen im Theater am Ring sowie Gastspiele in der Reihe „Theater extra“, die 3 1 7 lern bei großen Musiktheateraufführungen von N utzen. „Der verbesserte technische Standart bedeutet aber auch eine stärkere Verpflichtung, den Bühnenraum m it Leben au f hoh em Niveau zu füllen“, so Axel Schmidt-Scherer, der seit zwei Jahren das A m t für Kultur u nd das Theater leitet. Sein Spielplan ruht au f vier Säulen: A uf Gast­ spielen von Tourneetheatern, Landesbüh­ nen, Festen H äusern (Stadttheatern) und Freien Theatern. D en größten Anteil haben zumeist die Tourneetheater, die, ohne über eigene Spielstätten zu verfügen, ihre Produk­ tionen, nicht selten mit bekannten „Gesich­ tern“ aus Film und Fernsehen, speziell für den „Reisebetrieb“ erstellen. Gasttheater werden gerne eingeladen Die L andesbühnen haben den Auftrag, m it ihren vom Land subventionierten Pro­ duktionen zu günstigen Preisen in den thea­ terlosen Städten und G em einden zu gastie­ ren. In Baden-Würrtemberg gibt es drei Lan­ destheater, m it Sitz in Bruchsal, Esslingen und Tübingen. N eben deren Angeboten, die Schmidt-Scherer gern übernim mt, beobach-

Theater hauptsächlich im „M usienzentrum “, dem Gemeindehaus der Evangelischen Stadtkir­ che in Schwenningen, stattfinden. Rund 80 Gastspiele werden jährlich vom Am t für Kul­ tur „bewältigt“, dazu kom m en noch die Ver­ m ietungen an andere Veranstalter sowie die Konzerte im „Franziskaner Konzerthaus“. „Der Stadt Villingen-Schwenningen ist ein an­ sprachsvolles, hochwertiges Theater- u nd Konzertprogramm viel wert“, betont Schmidt- Scherer, „ohne Subventionierung wären die Eintrittspreise, jedenfalls für die M ehrheit des Publikums, kaum bezahlbar“. Axel Schmidt-Scherer wagt auch das eine oder andere Experiment, indem er ungewöhn­ liche Theaterstrakturen präsentiert und Auf­ führungen an sonst nicht gerade üblichen O rten anbietet, zum Beispiel in Kirchen, in einer Gaststätte oder sogar auf einem LKW. Das Carl-Theater H erbert Müller übernahm im Jahre 1996 nicht nur die Leitung des Amtes für Kultur, er verpflichtete auch Schauspielerinnen und Schauspieler, um neben seinen neuen Amts­ aufgaben einem Theater vorzustehen. Ge­ spielt und geprobt wurde in erster Linie im Theater am Ring, meist im Auftrag des Kul­ turamts. Das „Geschenk“, jetzt ein eigenes Theater in der D oppelstadt zu haben, stieß beim Gemeinderat, vor allem aus finanziel­ len G ründen, nicht a u f einhellige Zustim­ mung. Im Gegenteil, verschiedene Querelen m it den Stadtvätern veranlassten Müller im Jahre 1999 sein A m t „an den Nagel zu hän­ gen“, um sich fortan nur noch dem eigenen Theaterbetrieb zu widmen. Das Carl-Thea­ ter war geboren. Allerdings machte dies die Sache nicht einfacher. Jetzt war m an auf sich allein gestellt. Gehälter und Produktionskosten mussten „aus eigener Tasche“ bezahlt werden. Ein kleines M aß an Sicherheit bot dann der Ko­ operationsvertrag m it der Stadt für den Be­ reich Kinder- und Jugendtheater. Trotzdem reichte der Etat nicht aus, um die zehnköp­ fige Theatermannschaft „am Leben zu erhal­ 3 1 8 ten“. M it viel Elan und kreativem Einfalls­ reichtum machten sich Müller und Kollegen ans Werk. Sie boten sich als Tournee-Thea­ ter in ganz Deutschland an und praktizieren inzwischen eine enge Zusam m enarbeit mit den umliegenden Städten. N eun neue Produktionen, darunter fünf Kinder- und Jugendstücke, kom m en jähr­ lich au f den Spielplan, die dann insgesamt rund 200 Mal pro Jahr gespielt werden. Ne­ ben Gastspielen im Theater am Ring wird in der Doppelstadt hauptsächlich in der eige­ nen Stätte, dem Schwenninger „Uhrwerk“ gespielt. „Und die wird inzwischen von der Bevölkerung, vor allem den Schwenningern, sehr gut angenom m en“, versichert Müller. Fast alle Vorstellungen, in der rund 50 Plät­ ze fassenden Stelle sind ausverkauft oder zu­ mindest meist gut besucht. Auch die Tourneeveranstaltungen stießen m it der Zeit au f gute Resonanzen, obwohl der Kostendruck im m er noch massiv auf dem Theater lastete. Der hat sich inzwischen etwas gelöst, nicht zuletzt durch die Ü ber­ nahm e der N euen W erkbühne in M ünchen und der K om ödiantenburg in Enzersdorf bei W ien Anfang des Jahres. Beide Theater erhalten vom Land Bayern, respektive aus Österreich, Subventionen, die jetzt dem Carl-Theater zugute kommen. Allerdings muss dafür auch einiges getan werden. Vor allem im Kinder- und Jugend­ bereich müssen Stücke in beiden Ländern an Schulen und Theatern aufgeführt wer­ den. Neu produzieren muss m an hierfür nicht, m an schöpft aus dem eigenen „Stücke- Fundus“. Spätestens nach der bayerisch­ österreichischen Kooperation sieht es so aus, als ob das Carl-Theater sich jetzt in erster Li­ nie seinen künstlerischen Aufgaben widmen kann, ohne perm anenten Finanzdruck. Theater am Turm Sie leben zwar nicht von der Schauspiele­ rei, haben aber dennoch einen professionel­ len Anspruch, was die Q ualität ihrer Pro­ duktionen betrifft: Die Ensemblemitglieder

T heaterleben in d er D oppelstadt „Die Mhysiker“, Theater am Turm. des Villinger Theaters am Turm. Seit elfjah- ren finden Auftritte in der eigenen Spielstät­ te statt. Finanzielle U nterstützung erhält der Verein auch von theaterbegeisterten örtlich­ en U nternehm en. Rund 10000 Besucher sehen pro Jahr, neben den Gastspielen, die vier Eigenproduktionen, die ein recht viel­ fältiges Spektrum beinhalten. Da stehen Klas­ siker und moderne Stücke ebenso au f dem Programm, wie Ausgefallenes, wie zum Bei­ spiel die schräge Sing-Kommödie „Die Gei­ erwally“. Kaum zu glauben, dass der Ursprung des Theaters in der Villinger Fasnet liegt. Die Gründer lernten sich bereits vor 30 Jahren beim Ball der „Katzenmusik“ kennen, den sie dann viele Jahre mitgestalteten. Allen voran Eberhard Z im m erm ann, der seine Theaterfreude auch beim Rottweiler Zim ­ mertheater auslebte. Bevor es zur eigenen Spielstätte kam, wurde bereits regelmäßig einmal pro Jahr als „Sommertheater“ an ver­ schiedenen Stellen in Villingen agiert, und dieser Tradition ist m an bis heute treu ge­ blieben. Allerdings gab es in 2002 kein Som­ mertheater. Interne Q uerelen ließen den Theaterverein Anfang des Jahres kurz vor dem „Aus“ stehen. D och inzwischen hat man sich geeinigt und ein neuer Vorstand „Die Geierwally “ Theater am Turm. 3 1 9

T heater vertritt die Interessen. Vorsitzender ist A nd­ reas Erdel, der bereits einer der Aktiven in der Fasnet war und von Anfang an m it da­ bei ist. „Da sich das Personal, zum indest an der Vereinsspitze, kom plett geändert hat, müssen wir uns zuerst neu orientieren, u n ­ ter anderem zu Lasten des Villinger Som­ mertheaters“, so Erdel. Er verspricht aber, dass an der Anzahl der Produktionen und deren qualitativen Inhalte alles beim alten bleibt. U nd nächstes Jahr gibt es auch wie­ der ein Sommertheater. Werkstatttheater Schwenningen Ein Kreis aus Ärzten, Künstlern und Leh­ rern hat sich vor fü n f Jahren im Stadtbezirk Schwenningen zusamm engefunden, um als gem einnütziger Verein eine Anlaufstelle für verschiedene kulturelle Veranstaltungen zu bieten. U n d die fand m an in der ehemaligen väterlichen Lagerhalle von Theaterpädago­ gin Ingeborg Spreng, die auch wesentlich als Vorstandsmitglied u nd Schauspielerin im Verein tätig ist. Meist in Eigenarbeit ist aus der einstigen Lagerhalle in der Karl-Marx- Straße ein fürwahr schmuckes kleines Thea­ ter entstanden. D om inierten anfangs musi­ kalische Gastspiele, Vorträge, Workshops, Le­ sungen und Malkurse, ist der Verein inzwi­ schen zu einem regelrechten Theaterbetrieb avanciert, m it drei bis vier Produktionen pro Jahr. Dabei agieren die Vereinsmitglieder als Re­ gisseure, Schauspieler, Requisiteure und al- 3 2 0 N ichtganz ohne Stolz zeigen sich Ingeborg Spreng und H eidi M ager (links) a u f der Bühne des schmucken Werkstatttheaters im Stadtbezirk Schwen­ ningen. les weitere, was zum Theater gehört. Künst­ lerischer Leiter ist in erster Linie der Rumä­ ne Nelson Dimitriu, der hauptberuflich als Puppenspieler tätig ist. Er inszenierte auch einen „Rosa Ausländer A bend“, der im März Premiere hatte. Eng m it dem Verein verbun­ den, ist auch die Regisseurin und Schau­ spielerin Heidi Mager, die ihre selbst ge­ schriebene Komödie „…Glaubersalz zum Nachtisch“ für das Werkstatttheater im April au f dessen Bühne brachte. Auch hier, wie praktisch bei allen Veranstaltungen, ein be­ geistertes Publikum. Erfolgreich auch Ma- gers Inszenierungen von „Hoimwärts nach Amerika“ u nd „Loriot und m ehr“. Letzteres war das Resultat eines gemeinsamen Work­ shops. Nach wie vor steht für die Vereins­ mitglieder auch gesellige K om m unikation im Vordergrund. So findet sich, neben der Theaterarbeit, im m er noch genügend Zeit für gemeinsame Ausflüge. CABA Kulturverein Die Vielfalt des „Theaterschaffens“ in Vil­ lingen-Schwenningen wird durch den türki­ schen „Kulturverein CABA“ noch m ehr be­ reichert. Bereits seit 1983 besteht die Ein­ richtung um den Vereinsvorsitzenden und das Gründungsmitglied Mustafa Karakolcu. In der Villinger Gerberstraße fand m an eine feste Spielstätte, die allerdings nur für klei­ ne Produktionen ausreichte. Deshalb wich man im m er wieder in das Theater am Turm oder das Theater am Ring aus. Seit 2002 stellt die Stadt Villingen-Schwenningen die „Scheuer“ für Proben u n d Aufführungen zur Verfügung. Im Laufe der Zeit gesellten sich zu den türkisch-sprachigen auch deut­ sche Produktionen. Einer der größten Erfol­ ge war bisher sicherlich Karakolcus Kinder­ stück „Die Tauben vom Villinger M ünster“

Theaterleben in der D oppelstadt Engagiert werden die neuen Stücke des Brennpunkt Theaters unter der Leitung von Karin Mittnergeprobt. m it 25 Aufführungen. Inzwischen bedient m an sich wieder ausschließlich der türki­ schen Sprache. Trotzdem soll, so Karakolcu, die deutsch-türkische Freundschaft nach wie vor gepflegt werden. Das tut der Verein vor allem durch verschiedene Rahm enveran­ staltungen, bei dem er meist auch bewirtet. Wie auch beim jährlichen Innenhof-Festi- val, bei dem CABA Mitveranstalter ist. Zur Zeit zählt der Verein 48 Mitglieder, darunter zehn Deutsche. Brennpunkt Theater Sozialkritische Them en theatralisch zu ver­ arbeiten, um dam it möglichst eine breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren, ist das in­ haltliche Kriterium des Brennpunkt Thea­ ters um die Schauspielerin und Regisseurin Karin Pittner. Bei Workshops, die Pittner für die Stadt im Theater am Ring veranstaltete, entschloss m an sich, Stücke aufzuführen, die Them en wie zum Beispiel Missbrauch in der Familie, Gewalt, oder Alkoholismus be­ inhalten. Inzwischen wurde ein Verein ge­ gründet, der zusam m en mit sozialen Initia­ tiven sowie dem Kreisjugendamt Schwarz- wald-Baar-Kreis und dem A m t für Familie, Jugend und Soziales Villingen-Schwennin­ gen kooperiert. Seit 1998 wird jährlich ein Stück, meist in Musical-Form, im Theater am Ring aufgeführt. Dieses Jah r war es „Mensch, was bist Du blöd“ zum Thema Ausländerfeindlichkeit, das Pittner selbst verfasste und der Villinger Nicolas Rebscher schrieb dazu die Musik. N icht n u r in Villingen-Schwenningen möchte das agile Ensemble auftreten. In­ zwischen ist m an m it verschiedenen Orga­ nisationen in Deutschland zwecks Gastspiel­ auftritten im Gespräch. So wird das Brenn­ punkt Theater sicher bald auch anderswo ähnliche Erfolge wie in der D oppelstadt fei­ ern können. Rüdiger K lotz 321

24. Kapitel /Almanach 2003 Mundart Johannes Kaiser, die Melodie des Dialekts D er V illinger Autor übersetzte auch „Asterix“ ins A lem annische Heiter bis besinnlich, hum orvoll bis kaba­ rettistisch – solche oder ähnliche Adjektive werden gem einhin zum Them a „M undart­ dichtung“ assoziiert, und die meisten A uto­ ren werden diesen Erwartungen auch ge­ recht. N icht so Johannes Kaiser, „M undart­ dichter“ aus Villingen-Schwenningen, sprach­ lich allerdings im Wiesental (bei Basel) be­ heimatet. Kaisers Texte sind durchaus auch komisch, auch unterhaltsam , aber diese Aspekte stehen nicht im Vordergrund. Er schreibt Gedichte und Geschichten, „die auf den Punkt kom m en und eine Melodie ha­ ben“, so die Formulierung des vielfach aus­ gezeichneten Autors, zuletzt m it dem zwei­ ten Preis beim Literaturwettbewerb im Rah­ m en der Triberger Hemingway-Tage. Die Melodie des Dialekts – in Kaisers Fall 3 2 2 ein mit schweizerischem „ch“ gefärbtes Ale­ m annisch – macht die besondere Ästhetik der Gedichte aus, ihre sprachliche Schön­ heit, die sich nicht übersetzen lässt, die sich im Hochdeutschen verliert. So findet es der 1958 geborene A utor „ausgesprochen scha­ de“, dass Dialekte m ehr und m ehr verwäs­ sert werden und gänzlich verschwinden, weil die Menschen – ein Merkmal unserer Zeit – m obil sind und nicht unbedingt dort bleiben, wo sie geboren sind. Mundart spricht er nur daheim Das erging Kaiser selbst nicht anders, als er nach dem Studium in Freiburg Lehrer wur­ de und nach Villingen zog. Er unterrichtet Deutsch und Religion am St. Ursula-Gym­ nasium in Villingen, Religion auß­ erdem an den Königsfelder Zin- zendorf-Schulen. M it den Schüle­ rinnen und Schülern spricht er hochdeutsch, meistens jedenfalls, nur daheim wird M undart ge­ schwätzt. Ehefrau Renate ist eine gebürtige Schopfheimerin, auch sie spricht reines W iesentäler Aleman­ nisch, bei den Töchtern mischt sich Villingerisches darunter. Der Dialekt als ein Stück Heimat, ein Stück Identität – Kaiser konsta­ tiert dies ohne Sentimentalität und ohne Wertung und sieht zugleich auch die Kehrseite. Das Ausgren­ zen von Fremden, von Hinzugezo­ genen, die sich im unbekannten Sprachraum nicht zurecht finden, denen Misstrauen und gar A bleh­ Johannes Kaiser

nung begegnen. Dennoch: Bei aller Liebe zur M undart u nd aller Ü berzeugtheit von der Notwendigkeit seines Erhalts ist es kein sprachpflegerischer Impuls, der Kaiser „dia­ lektisch“ dichten lässt. Ihm geht es um N uancen und Pointiertheit, um diesen ganz speziellen Ton, den das Hochdeutsche nun mal nicht hergibt. Inspiriert wurde der Sohn eines Schulmeis­ ters, der schon als Pennäler erste u nd viel be­ achtete literarische Gehversuche unter­ nahm , denn auch keineswegs von den Au­ toren unserer Zeit. Zu trocken, zu akade­ misch, zu blutleer sind dem Deutschlehrer bis heute die meisten schreibenden Zeitge­ nossen, „zu weit weg vom Leben“, wie er sagt. Ihm hatten es die Singer-Songwriter der Folk- und Popszene angetan, denen es m ehr um Gefühle als um Intellektualität ging, ebenso wie den großen Dichtern der deut­ schen Romantik, Eichendorff und H ölder­ lin vor allem, und ihren expressionistischen Erben wie Ernst Stadler aus dem Eisass. M it seiner Begeisterung für die Melodie von Sprache u nd für die Sprache von Musik steckte Johannes Kaiser bald seinen jünge­ ren Bruder Magnus an. Als „Kaiser & Kai­ ser“ tourten die beiden in den 80er Jahren durch’s Ländle, wurden für ihre alemanni­ sche Kleinkunst ausgezeichnet, traten im Fernsehen auf, veröffentlichten 1990 die Audiokassette „Im graue M orge“ m it 14 M undartliedern. Seit Magnus aus berufli­ chen G ründen in Ettlingen landete, ist es m it der Liederphase (vorläufig?) vorbei. Auch in der M undartdichtung gab es eine lange Pause, fast zehn Jahre schrieb Johan­ nes nichts im Dialekt, bis er vor zwei Jahren die Idee zu einem Zyklus zusam m enhän­ gender Gedichte hatte, der noch nicht voll­ endet ist. Eine „längere Geschichte“ auf hochdeutsch „Ich hatte keinen Im puls“, begründet er die lange Enthaltsamkeit und glaubt über­ haupt, dass in seinem künftigen W irken der Dialekt nicht m ehr die zentrale Rolle spielen Jo hannes Kaiser wird. Kaiser hat sich in den vergangenen Jahren m ehr der Prosa zugewandt, und die schreibt er au f Hochdeutsch. Zur Zeit arbei­ tet er an einer „längeren Geschichte“ – ver­ m eidet das W ort „R om an“, doch darauf wird es wohl hinauslaufen. Ü ber den Inhalt will er nichts verraten, den kennt er selbst noch nicht genau, nur das Ende, das steht schon fest. „Es muss sprudeln und ich muss wissen, wohin ich will“, so erklärt er seinen literarischen Impetus – un d zur Zeit spru- delt’s eben au f hochdeutsch. Asterix a u f alemannisch Anregungen für seine fiktiven Geschichten findet der A utor im eigenen und im erzähl­ ten Leben anderer. In „Kuhmilch und Kau­ gum m i“ etwa geht es um die eigene Kind­ heit – freilich m it fingierter Biographie und falschem Namen. Den – mit Blick au f die Breitenwirkung – größten C oup hat der Wahl-Villinger zwei­ fellos mit der Übersetzung der berühm ten Asterix-Comicbände gelandet. M it seinen Co-A utoren einigte sich Kaiser au f ein gleichsam internationales Alemannisch, das auch im Schwäbischen verstanden wird und hier wie dort viele tausend Mal verkauft wurde. Kaiser hat zwei Hörspiele für das Landesstudio Freiburg geschrieben, ein Theaterstück verfasst, etliche Gedicht- und Prosabände veröffentlicht, er ist bei M und­ artabenden und Lesungen gefragt, wobei er häufig die Jugend vermisst, das Publikum besteht meist aus Älteren. Johannes Kaiser ist zudem ein engagierter Pädagoge, der seit Jahren an Fachbüchern für katholische Religion mitarbeitet, er hat ein ausgefülltes Familienleben – und wegen seiner vielen Interessen zu wenig Zeit und Muse zum kreativen Schreiben. „Der Ideen­ berg wächst schneller, als ich ihn abtragen kann“ sagt er. D och seine Fangemeinde braucht sich keine Sorgen zu machen, über kurz oder lang wird von Johannes Kaiser wieder Neues zu lesen sein, ob in M undart oder in Hochdeutsch. 3 2 3

M undart Aus den Aufzeichnungen der Marina L. Umcherig in de Wirtschaft Bloß de Zungeschlag trennt e Bisse vom Wort Mit beide Hand stopfe sie sich d’Müüler voll un schwiiege sich a Was in mir brielt wo use wot isch zum Speue Noochruef de Mueter nooch (1) Mit Widerwille hesch mi trait, Mueter Fleisch wordeni Frucht vom e Hunger wo nit gstillt isch Di Bruschtwarze hesch glöst us miim Suugmuul, Mueter de Teller wegzoge unter em Löffel grad dass es no glängt het für e Schöpfer Suppe Mit em Finger bisch useglitte us miinere Hand un wortlos hesch mi stoh glo mit de Muetersprooch won i d’Widerwörter am meiste bruucht hätt zum Halt Mit Widerwille hesch du mi trait Aber ich trag in mir di Hunger Noochruef im Vatter nooch Vom Spilplatz hesch mi gholt mit packtem Kuffer, Mueter sellemols in Riga un hesch versproche dass i allene nomol winke chönnt vom Schiff Mit Cola hesch mer d’Froge glöscht wo ane und wurum un wo de Vatter gstürzt isch er vo mim Traumsteg biim Ablege un vom Meer verschluckt Johannes Kaiser, 1999/2000 Veröffentlichungen (Auszug): 1980: Singe vo dir und Abraxas. Gedichte in alemannischer M undart. Moritz Schauen­ burg Verlag, Lahr/Schwarzwald 1981: Chaschber si Chind. M undartstück für junge Leute um sechzehn. Verlag Bund H eim at u n d Volksleben, Denzlingen/Breis­ gau 1982: Wasserspiele. Hörspiel um das Kaver­ nenkraftwerk in H ornberg/H otzenw ald. Südwestfunk Landesstudio Freiburg 1986: A utobahn A 98. Historische Balladen um den Berg am Röttler Schloss bei Lörrach. Zusam m en m it Uli Führe (Musik). Südwest­ funk Landesstudio Freiburg 1989: Heimweh deheim. Alemannische Ge­ dichte. Edition Klaus Isele, Eggingen 1993: Dote Danz. Alemanischer Gedicht­ zyklus m it der Erzählung „Ein Nachmittag beim Künstler“, Selbstverlag 1998: Kuhmilch und Kaugummi. Geschich­ ten einer Schwarzwälder Kindheit. Waldkir- cher Verlag, Waldkirch 2000: Tour durchs Ländli. Asterix a u f ale­ mannisch, 1. Übersetzung m it H einz Ehret und Klaus Poppen. Ehapa Verlag, Berlin 2001: De Hüslibau. Asterix auf alemannisch, 2. Übersetzung zusammen mit Heinz Ehret und Klaus Poppen. Ehapa Verlag, Berlin. C hristina N ack 3 2 4

Lyrik der Heimat Vom Reiz und Wert der Heimatgeschichte 25. Kapitel /A lm anach 2003 Ist es nicht etwas Paradoxes, macht es heu­ te noch Sinn, lohnt sich die Anstrengung, im Zeitalter weltweiter struktureller Verän­ derungen, der Globalisierung, der „Weltein­ heit” (Jaspers) m it allen unabsehbaren Konsequenzen, die Geschichte einer „Hei­ m at“, eines Dorfes, einer Stadt möglichst in strenger wissenschaftlicher Akribie zu erfor­ schen und darzustellen? Alles, die kleinste Entscheidung und Begebenheit soll des his­ torischen Interesses wert sein2)? Eine Per­ son, ein Haus, ein Hof, eine Statue, Eigen­ heiten eines noch überschaubaren, in jedem Fall kleinräumigen Bereichs? Bei aller Be­ deutung der großen Linien und Tendenzen für den allgemeinen Überblick – die konkre­ ten Besonderheiten einer G em einde, das Verhalten und Schicksal eines Bauern, eines Handwerkmeisters, sie führen an die Reali­ tät im Einzelfall, ohne die die Geschichts­ schreibung unvollkom m en bleiben muss, sie können ein lang anerkanntes Bild einer Epoche durch Beispiele im Kleinen bestäti­ gen, widerlegen oder modifizieren. Im Zeitalter des A bsolutismus war der Druck der Obrigkeit au f die U ntertanen m anchm al schwächer als umgekehrt, beleg­ bar mit ungezählten Beispielen von „Grava- m ina“, deren sich die Obrigkeit zu erwehren hatte3). Zugegeben: N icht jeder Historiker kann sich mit solchen Kleinigkeiten beschäf­ tigen, die meisten werden sich gar nicht nach ihnen um schauen (können). W ahr bleibt dennoch, dass sich erst ein vollständiges Ge­ schichtsbild ergibt, w enn es aus der N ähe ge­ sehen bis in die äußersten Verästelungen ge­ zeichnet worden ist; un d ebenso, dass kein prinzipieller U nterschied festzustellen ist zwischen Menschen, die (bei aller Problema­ tik dieses Ausdrucks) „Geschichte m achen“ und den vielen „N am enlosen“, die sie erlei­ den. Diese Erkenntnis führte in der G e­ schichtswissenschaft der vergangenen Jahr­ zehnte nachgerade zu einem „Q uan ten­ sprung“, von der Makrogeschichte zur Mik­ rogeschichte – m it der Folge, dass der Hei­ matforscher der Zukunft, will er zur Kennt­ nis genom m en werden, nicht einfach m ehr sein H obby betreiben kann, auch nicht nur die Tradition pflegen darf, sondern den gan­ zen Kosmos der Geschichtswissenschaft be­ herrschen muss, angefangen bei der kriti­ schen Sichtung und Interpretation der Quel­ len über die M ethode des Verstehens und Erklärens bis zur wissenschaftlichen Darstel­ lung 4). D a sich die Menschen nu r in der Gemein­ schaft verwirklichen können, wird er die Er­ gebnisse der Soziologie einbeziehen u nd al­ le Teildisziplinen wie Technikgeschichte, Ag­ rargeschichte, Kirchengeschichte, Volkskun­ de, die Geistesgeschichte ohnehin. Seine Fragen brauchen sich von denen des Univer­ salhistorikers nicht wesentlich zu unterschei­ den. Kaskaden von Zusammenhängen wird er sich stellen, unzählbare Einzelheiten ihnen zuordnen müssen, um ein Bild der Geschich­ te konstruieren zu k ö n n e n 5). Notwendigkeiten der Epochen H at jeder Lokalhistoriker Fragen dieser Art gestellt und zu beantworten versucht? Wie reagierte die Dorf- oder Stadtbevölke­ rung auf die Notwendigkeiten verschiedener Epochen? (Eine Frage Toynbees an die Welt­ geschichte kann auch hier gestellt werden). Welche Unterschiede zeigen Nachbardörfer m it verschiedenen Konfessionen, verschie­ dener Landeszugehörigkeit ?6) In welcher Wei­ se ging die „Organisierbarkeit der Arbeit“ 7) vor sich, wo lässt sich die „Zivilisierbarkeit 3 2 5

Lyrik der H eim at des Menschen“ 81 erkennen? Erreichten (wann und auf welchem Wege) die großen geschicht­ lichen Entwicklungen, Kriege in weiter Fer­ ne, ein Gebirgstal? Wie stand es jeweils um die „Identität“, das Verhältnis der Einwoh­ ner zu ihrem D o rf? 9) Wie weit reichte bei zwangsläufigen Prozessen die Freiheit von Verantwortlichen? I0) M artin Heideggers Ge­ danke über das Dasein als Sorge um das Glü­ cken des Lebens, um das Seinkönnen wirft viele Fragen a u f1 ü. Je nach Charakter und Einstellung des Ver­ fassers wird dieses Bild bunt und plastisch sein – notwendigerweise. D enn wo wäre mehr Subjektivität, die den Irrtum im Gefolge hat, zu erwarten als hier? Vom persönlichen N a­ turell und von den eigenen Fähigkeiten und Interessen abgesehen, werden die Darstel­ lungen je verschieden sein von einem, der in langer Fam ilientradition m it seinem O rt em otional verbunden ist oder noch m it der Erinnerung an die Plackerei au f den Bauern­ höfen die Konsequenzen von Bevölkerungs­ druck und schrum pfender Bevölkerungs­ zahl erfuhr und erfährt oder einem, der aus eigenem Erleben davon nichts weiß, auch dem Brauchtum distanziert gegenübersteht. Ein Intellektueller wird die Akzente anders setzen als ein Romantiker, ein Gläubiger an­ ders als ein Atheist. Die Diskussion wird die Gewichte zurechtrücken. Für sie alle hat Leopold von Ranke gespro­ chen: „Wie so gar süß, so verführerisch“ es ist, „zu schwelgen in dem Reichtum der Jahr­ hunderte, all die H elden zu sehen von Aug zu Aug … .“ 121 Reinhard W ittram bringt sei­ ne Erfahrung in folgende Worte: „Wo gäbe es einen echten Historiker, der diese Süßig­ keit nicht geschmeckt hätte – der nicht etwas vom sanften Rausch der Entzückung wüßte, jener Verzauberung durch einen alten Brief, eine U rkunde oder auch unedierte Zollintra- den” 13). Im Ü berm aß vergolten wird also dem Er­ forscher der Lokalgeschichte das Los aller Menschen, die sich einer einzigen Sache ver­ schrieben haben, wonach die Hingabe an sie den Ausschluss aller anderen bedeutet. „Om- 3 2 6 nis destinatio est determ inatio“. Schwer ent­ zifferbare Handschriften rauben ihm Zeit und Kraft für andere Dinge, andere Wissen­ schaften, die ihm auch am Herzen liegen könnten, die Literatur, Philologie, Theolo­ gie … . Dieses Schicksal teilt er m it Goethe und Bismarck. Der Forscher muss das Wissen suchen, wo es ist. In der Sekundärliteratur findet er es meist nur zum geringeren Teil. Die Primär­ quellen lagern in Archiven, in Landes- und Staatsarchiven, Gemeinde- und Stadtarchi­ ven, Diözesan- und Pfarrarchiven. H ier wird er einen großen Teil seiner Zeit verbringen, wo ihm hilfsbereite Archivare die Akten aus­ heben. Kinderleicht sind nach einiger Übung manche Archivalien zu lesen, andere wieder unendlich m ühsam , besonders private N o­ tizen und Konzepte, so dass beim Entziffern von Bergen von Akten die Augen m üde wer­ den und die K onzentration strapaziert wird. Schriften begegnet m an von Menschen, die sich im Ausdruck schwertaten u nd deren un­ gelenke Züge beweisen, dass sie Axt und Pflug besser zu führen wussten als die Feder. A ber irgendein Interesse, irgendeine N ot ließ ihnen keine andere Wahl, und es ent­ stand eine hinreißende Beschreibung einer Situation. Ü berhaupt m acht die Bildhaftig­ keit ihrer Sprache den größten Reiz heim at­ geschichtlicher Q uellen aus, natürlich auch die Ausdrucksweise früherer Zeiten (der Gruß an Ostern: „Ein freudenreiches Allelu­ ja!“) Im Kontakt zu Zeitgenossen Die jüngst gefundene Form geschichtlicher Forschung, die „oral history“, lässt den For­ scher in Kontakt treten zu Zeitgenossen mit ihrem speziellen Wissen. Was die M enschen da ein Leben lang in ihrer Erinnerung be­ wahrt haben, das können sie, in w under­ barer Weise sprachlich geformt – geradezu druckreif – wiedergeben. Persönliche Ge­ spräche der angeregtesten und nicht enden­ wollender Art ergeben sich, auch ausführli­ che Korrespondenzen, selbst Gelegenheiten

für Familienausflüge sind nicht selten. Doch hat m an Glück, w enn sich das Wissen dieser Menschen au f die letzten hundert Jahre er­ streckt. Gelegentlich wird m an auch von Leuten aufgesucht, die irgendwelche Akten, Protokolle, Rechnungen, Überreste im wei­ testen Sinn vorlegen können, von deren Existenz außer ihnen niem and etwas wuss­ te: Hochwillkommene Quellen. Durchaus möglich, dass ein einziger Name in einem erhaltenen Geschäftskalender eine Frage ab­ schließend klären hilft. Was könnte uns heu­ te ein unbefangen geschriebenes Tagebuch eines 1945 in einem Schwarzwalddorf ein­ quartierten Flüchtlings sagen! Zurück in der Heimat Ab und an widerfuhr es mir, dass Nach­ kom m en von Auswanderern die weite Reise über den Ozean au f sich nahm en, um sich im Taufbuch nach ihrem Vorfahr umzuse­ hen (injahren, da allein die Kirche die Stan­ desbücher führte). Was muss es doch für Menschen in einem Land ohne die Tiefe der Geschichte bedeuten, die ursprüngliche Hei­ mat zu finden, die ihren Kindern keine Zu­ kunftsperspektive zeigen konnte! Heute ein Land, wo sich die Migrationsverhältnisse umgekehrt haben. Alles oder nahezu alles ist anders geworden. Vorbei die Zeit, da der K am pf zwischen Brüdern um den väterli­ chen Hof, der Neid der Geschwister au f den Erben die Familien entzweite und einzelne ihrer M itglieder in die Ferne trieb. Es bedarf wohl einer jahrelangen Beschäf­ tigung mit der Heimatgeschichte, um mit Nietzsche sagen zu können: „er (der antiqua­ rische Mensch) versteht die Mauer, das ge­ türmte Tor, die Ratsversammlung, das Volks­ fest wie ein ausgemaltes Tagebuch seiner Ju­ gend und findet sich selbst in diesem allen, seine Kraft, seine Lust, sein Urteil, seine Tor­ heit und U nart w ieder…. M itunter grüßt er selbst über weite verdunkelnde und verwir­ rende Jahrhunderte hinweg die Seelen sei­ nes Volkes als seine eigene Seele … .“ I4) „Die Seelen seines Volkes“. Nahe, verwand­ Reiz u nd W ert der H eim atgeschichte te Seelen, gute Menschen, treten ins Blick­ feld, die Vögte, die Bürgermeister, die „Rich­ ter“, die Ortsarmen, Geistliche, Idealisten, Wohltäter, herausragende Persönlichkeiten, auch Originale, ganze Dynastien stolzer Fa­ milien, Vorbilder und welche Vorbilder! Wahre Größen! In unseren M aßen. U nd al­ le haben einen N am en, Weinagger, Haber­ stroh, Schantelmayer …. Alle gaben sie ih­ rem Gemeinwesen einen unverwechselba­ ren Charakter, wollten etwas, unternahm en etwas, beschwerten sich über etwas, verwei­ gerten sich, verstrickten sich in Schuld. Auch dies gehört zur Vollständigkeit des Bildes. Nicht im m er bot die H eim at allen Menschen Frieden und Geborgenheit. Es lauerte auch Missgunst und Hass zwischen Nachbarn, und nicht nur zwischen ihnen; die Schuld erhob ihr H aupt, auch die Bau- ernschläue. D em Leser bleibt die Absicht ei­ nes Untertans, die merkantilistische Begrün­ dung für eine Bierbrauerei leichter in Erin­ nerung als die abstrakte Feststellung eines historischen Zustandes. Heimatforschung im Kleinen Gelegentlich gerät die H eim atforschung auch ins Allzu-Kleine, geradezu Pittoreske. O hne eigentlich nach ihnen zu suchen, stößt m an au f seine Vorfahren, au f einen Eintrag im Taufbuch, im Standesbuch, im G rundbuch. Einer kaufte einm al einen Acker hinzu, ein anderer ließ irgendwann ein Recht löschen. Einer der Urgroßväter war einige Jahre Mitglied des Gemeinderats, ein anderer zog in der Kirche den Blasebalg, ein Großvater war für kurze Zeit Ratschrei­ ber, der andere betreute die Kirchenuhr. War denn keiner unter ihnen, der nicht wenigs­ tens einmal wie viele andere eine Strafe zah­ len musste wegen „Übersitzens“ im Dorf­ wirtshaus und anschließender „Nachtschwär­ merei“? Keiner! D och albern sollen diese Ausführungen nicht enden. Wir alle stehen au f den Leis­ tungen der Vorfahren, schulden ihnen vie­ les. Für das Zimmer, in dem dies geschrie­ 3 2 7

bleibt der Trost, dass er in verworrenen Zei­ ten in Abgründe Gestürzte erblickt, die kei­ nen Ausweg m ehr sahen, dennoch ausharr­ ten und in allen Widrigkeiten der Welt der Frage nach dem Sinn trotzten. K arl Volk Fußnoten 1 Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschich­ te, Frankfurt, H am burg, 1957, S. 252 2 Jacques LeGoff, Geschichte und Gedächtnis, Ber­ lin 1999, S. 264 und H ans Medick,Veröffentlichun­ gen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 126, W eben und Überleben in Laichingen 1650-1900, Lo­ kalgeschichte als Allgemeine Geschichte, 2. Auflage, G öttingen 1997, S. 15,30 3 Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe, z.B. 122/33-34 und 380 4 Vgl. Hans-Jürgen Goetz (Hg.) Geschichte. Ein Grund­ kurs, H am burg 1998, S. 99, 188 5 Vgl. Theodor Schieder, Geschichte als Wissenschaft, Eine Einführung, M ünchen-W ien 1968, S. 35 6 Vgl. Der Bürger im Staat, 33. Jahrgang, Heft 4, N o­ vember 1983, Rainer Jooß, Heimat Geschichte, S. 227f 7 H ans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 31 ff 8 Ders. S. 46ff 9 H erm ann Bausinger, H eim at in einer offenen Ge­ sellschaft in : J. Kelter (Hrsg.). Die O h n m ach t der Ge­ fühle. H eim at zwischen W unsch und Wirklichkeit, Weingarten 1986 10 FAZ, 12. D ezem ber 2001, Susanne Klingenstein, Die Zwangsläufigen, S. 5 11 M artin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1993, S. 191; Vgl. auch Max Müller, Erfahrung und Ge­ schichte, Freiburg/M ünchen, 1971, S. 221 12 Reinhard W ittram, Das Interesse an der Geschich­ te, G öttingen, 2. Auflage 1963, S. 11 13 Ebda. 14 Friedrich Nietzsche, Vom N utzen und Nachteil der Historie, in: Werke I., Frankfurt, Berlin, W ien, 6. Auflage 1969, S. 225f 15 Gottfried Keller, Der grüne Heinrich, H am burg o .J. S. 33 16 Nikolaus Berdjajew, Der Sinn der Geschichte, Ver­ such einer Philosophie des Menschengeschickes, D arm stadt 1925, S. 285 Reiz und W ert der Heim atgeschichte ben wird, hat ein U nbekannter vermutlich vor dem 30-jährigen Krieg die Balken be­ schlagen und eingezogen. Ü ber Wege und Brücken, die die Alten angelegt haben, ge­ hen wir heute noch, ihre Häuser bieten uns W ohnrecht, in „historischen“ Gasthöfen fei­ ern wir, die Glocken rufen in eine kultivier­ te Landschaft, die unsere Lebensgrundlage und Freude zugleich ist. „ D e r… Gottesacker (mit G. Keller zu re d e n )… besteht in seiner Erde buchstäblich aus den aufgelösten Ge­ beinen der vorübergegangenen Geschlech­ ter“ 15). O hne dass sie es hätten steuern kön­ nen oder wollen, beeinflussten sie die Zu­ kunft, also auch uns in einem in innerste Tiefen hinabreichenden Sinne. Vor dem Vergessen bewahren D eD D er Heim atforscher bewahrt die Menschen und ihre Leistungen vor dem Ver­ gessen (freilich im m er nur, soweit es die Quellenlage zulässt, wo Quellen fehlen ist auch für ihn die Vergangenheit verloren), er vergegenwärtigt sie, er „erschafft“ so in ge­ wisser H insicht erst die Geschichte der H ei­ mat, nicht nur ihre Geschichte, sondern die Heim at selbst in ihrer geschichtlichen Di­ mension, gibt ihr W ürde und Bedeutung, zeigt Glanz und Elend, W ohlstand und Ver­ armung, Streit und Frieden, Herrschaft u nd U nterordnung, K ontinuität und Abstürze, Erfolg und Versagen. In unsere Verfügung ist es gegeben, den Reichtum des geistigen und des materiellen Erbes anzunehm en – oder auszuschlagen, in Oberflächlichkeit dahin­ zuleben und der N atur ihren Willen zu las­ sen. N icht das erste Mal würde W üstung (auch geistige) entstehen, wo Kultur blühte und Zukunft verhieß. Was wir – ein Dorf, ein Land, ein K ontinent – zu verlieren dro­ hen oder schon verloren haben, sahen „Au­ ßenstehende“ oft genauer, die sich zu hym ­ nischen H ö h en aufschwangen, indem sie Europa, „jenem Lande ‘heiliger W under’, seinen heiligen Denkmälern, seinen alten Steinen“ 16> wahre Größe bestätigten. Doch gerade dem in der H eim at Verwurzelten 3 2 8

Max Rieples „Kinderbücher“ A m 12. Februar 2002 wäre der D onaueschinger D ichter 100 Jahre alt geworden Lyrik d er H eim at A m 12. Februar 2002jä h rte Ach der 100. Geburtstag des Donaueschinger Schrifistellers u n d Über­ setzers M a x Rieple, der w ie kein Zw eiter nach dem Kriege u n d bis zu seinem Tode am 16. Januar 1981 die B aar u n d die junge D onau w eit über den Landkreis hinaus bekannt gemacht hat. D er feinfühlige, em pfindsam e Beschreiber seiner H eim at u n d D ichter w ar zugleich ein glänzender Übersetzer französi­ scher Lyrik. D abei lag ihm auch das gesamte kulturelle Leben seiner H eim atstadt am H erzen. Seinem Engagement in der Gesellschafi der M usikfreunde ist es m it zu verdanken, w enn die moderne, zeitge­ nössische M usik noch vor der Entstehung des Südweststaates wieder heimisch wurde u n d die D onau­ eschinger M usiktage zu ihrem internationalen R u f zurückfanden. Über a ll dies ist bereits im A lm anach mehrfach geschrieben worden. Z u r Erinnerung an das Gesamtwerk von M a x Rieple soll deshalb im Folgenden ein Teil seines Schaffens gew ürdigt werden, der in den letzten Jahren ein wenig in den H in ­ tergrundgerückt war. Joachim Sturm „Ich sitze bei m einem Vater a u f der O fen­ bank. Er erzählt m ir Geschichten. ‘Noch einmal die von den Räubern’, bitte ich, denn ich weiß, daß mein Vater dann mit geheim­ nisvoller Flüsterstimme spricht und ich eine Gänsehaut bekomme. Des Nachts kom m en dann die Räuber zu m ir ans Bett. Einer hat einen langen Dolch. D am it will er mich er­ stechen. Aber ich brauche nur zu schreien. D ann wird es gleich hell im Zimmer, und die M utter steht an m einem Bett. D och bald kom m t ein Geist zu mir mit langem weißem Gewand. Er schaut mich unverwandt an. Ich rühre mich nicht. Die Bettdecke ist schwer wie ein Stein und heiß wie die Herdplatte. Ich kann nicht m ehr atmen. Ich schreie; das Gespenst ist verschwunden. W ieder schlafe ich ein.“ Erlebniswelt des Kindes Die ersten Zeilen aus Max Rieples Erzäh­ lung „Frühestes Erinnern“ führen den Leser in die ureigene Erlebniswelt des Kindes ein. Vater und Mutter, Schuld und Erlösung, Angst und Geborgenheit, Phantasie und Wirklich­ keit und G ut und Böse bilden Motive und auch Gegensatzpaare, die die W ahrnehm un­ gen des Kindes bestim m en und auch noch 50 Jahre später die Erinnerungen prägen. Max Rieple, bekannt als Lyriker, Übersetzer und Reiseschriftsteller, hat 1954 ein liebe- M a x Rieple 3 2 9

M A D R I E P L E Damals als Riub t n i Lyrik der H eim at voll gestaltetes Büchlein „Damals als Kind“ veröffentlicht. H ier erinnert er sich in 42 Er­ zählungen und Gedichten seiner Kinderjah­ re. O bw ohl diese Texte aus der Distanz ent­ standen sind und Rieple sich hier vor allem als Erwachse­ ner seiner eigenen Vergangen­ heit angenom m en hat und sie bewahrt, erinnert er sich auch gleichzeitig seiner kind­ lichen Wahrnehmung, indem er aus der Perspektive des Kindes erzählt und sprach­ lich einfach, nie künstlich oder psychologisierend, der Ausdrucksfähigkeit und dem Verständnis von Kindern ge­ recht wird. In diesem Büch­ lein erzählt er einschneiden­ de u nd prägende Erlebnisse, z. B. den Tod der Mutter, den Umzug ins neue Haus, den großen Stadtbrand, den Ver­ lust seiner geliebten Hundefreundin. K l Kind u nd Sprache, Kindheit und ihre Ver­ arbeitung in der Literatur spielen eine zent­ rale Rolle im Werk Rieples. O ft scheint es so, als wolle er zu seinen eigenen Wurzeln zu­ rück, sich seiner selbst vergewissern, das Ge­ heimnis des Lebens in seiner Kindheit erfor­ schen. Eine kleine Geschichte „Das erste Gedicht“ erzählt von der ersten Gedichtveröffentli­ chung im Alter von neun Jahren im Donau- eschinger Tagblatt. Der Verfasser berichtet über die Wirkung, die die Veröffentlichung nach sich zog: „Der Lehrer verlachte mich – meine Mitschüler lauerten m ir nach dem Unterricht au f und verprügelten mich. ‘So ein Schwindler’, rie­ fen sie, ‘der will ein Gedicht gemacht ha­ b en ’“. In diesem Gedicht „Der Sommer“ wird das Bedürfnis nach Harmonie, der Wunsch nach einer allumfassenden Einheit von Mensch (Kind) und N atur deutlich. Vorstellungen, die auch später das Werk des erwachsenen Max Rieple prägen, w enn auch nicht m ehr so kindlich naiv formuliert. 3 3 0 Insgesamt scheint die Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Kleinstadt m it knapp 4 000 Einwohnern fern von A utom o­ bil, HighTech und m odernen Bildmedien näher einer rom antischen Welt der M ärchen und Sa­ gen als unserer heutigen. Si­ cher auch weil damals das ge­ schriebene und das gespro­ chene Wort die wesentlichen Vermittler bei der Welterfah­ rung waren un d nicht die Bilder. U n d die Welt der Zwerge und Riesen, der Ritter und Feen lernt der kleine Max schon früh kennen ebenso wie die Sagen der weiteren und näheren Heim at. Sein Vater, ein begeisterter Samm­ ler von Sagen, erzählt oder liest sie dem Jun­ gen vor, und in der „Geschichte des alten W aldhüters“ wird eine weitere Quelle für Rieples Interesse an Sagen deutlich. Mink, ein W aldhüter hat dem jungen Max im mer wieder in seiner H ütte, einer düsteren und von Geheimnis um w obenen „Höhle eines Zauberers“ Sagen und Geschichten recht grausigen Inhalts erzählt, von G ehenkten und Gekreuzigten, von Pest und Revolution. In den 50er Jahren, als Max Rieple aufge­ fordert wird, für die Lesebücher, die dem neuen, vereinigten Südweststaat Rechnung tragen sollen, Gedichte und Erzählungen zu schreiben, entstehen auch die Pläne, Sagen der Regionen Baden-Württembergs heraus­ zugeben. m „Die vergessene Rose“ Schließlich wird 1957 nach intensiver Z u­ sammenarbeit mit dem Verlag Stähle und Friedei und dem Kultusministerium das Sa­ genbuch „Die vergessene Rose“ veröffent­ licht. Karl Hirtler, verantwortlich im Minis­ terium, schreibt enthusiastisch im Text für die Werbung: „Max Rieple (…) hat für sein Sagenbuch

M ax Rieple als Kind. ‘Die vergessene Rose’ die schönsten Volkssa­ gen der südwestdeutschen Landschaft ausge­ wählt und m it Wissen um die in den Kunst­ gesetzen waltende Magie neu gestaltet. M it diesem Buch sind die Sagen unserer Heim at erstmals in die Literatur em por­ gehoben worden. ‘Die vergessene Rose’ ist dam it ein Buch voller abenteuerlicher, dramatischer Spannung geworden, in der sich Geschehnisse tiefen, tragischen Ernstes, voll verschlagener Schalk­ haftigkeit und heiterer Selbstver­ spottung vollziehen. H un d ert­ siebzehn Sagen umfasst das Buch. Jeder Landstrich des schwäbisch­ alem annischen und des fränki­ schen Gebietes von Baden-Würt­ temberg konnte so (…) zu Wort kom m en.“ Die Nachfrage nach dem Sagenbuch ist so hoch, dass bereits 1961 der Band in einer we­ sentlich erweiterten Auflage auf den Markt kommt. Sagen und Überlieferungen Trotz seiner Erfolge als Reiseschriftsteller in den 60er und 70er Jahren bleibt Max Rie- ple seinem Steckenpferd, den Sagen und Überlieferungen, treu. Es erscheinen im Süd­ verlag die „Sagen und Schwänke vom O ber­ rhein“ und die „Sagen und Schwänke vom Schwarzwald“. Die teils mündlich, teils schriftlich überlie­ ferten Geschichten, werden von Rieple nicht nur gesammelt und nacherzählt, um sie, wie der Herausgeber in einem Vorwort hervor­ hebt, „der Nachwelt zu erhalten“, sondern neu bearbeitet und gestaltet. Der Verfasser dramatisiert den Handlungsverlauf, indem er den Spannungsbogen literarisch heraus- und Dialoge hineinarbeitet. Der oft überra­ schende Schluss ist pointiert, aber nicht überladen, so bleibt dem Leser Raum für den eigenen Zugang, was durch eine klare und geradlinige Sprache noch unterstützt wird, un d dam it dem Verständnis junger Leser M ax R ieples „K inderbücher“ entgegenkommt. Vor allem auch, weil meist die Gerechtigkeit ihren Lauf nim m t un d das Gute über das Böse siegt. Eine besondere Form der Nachdichtung findet Rieple, indem er volkstümliche Sagen in „Sagenhafte Balladen“ umge­ staltet, dam it „die Form der Bal­ lade un d ihr Inhalt nicht verlo­ ren gehen“, wie er im Vorwort schreibt. Zusätzlich m öchte er „jungen Menschen ein Bild von der Vielfalt der Lyrik“ geben, ei­ ne Art „Kontrastprogramm“ zur m odernen Lyrik. Die alte Hegausage, der „Burg­ geist Poppele vom H ohenkrä- hen“, ist unter Max Rieples Wer­ ken das, welches am ehesten dem heutigen Verständnis vom Kin­ derbuch entspricht. Sieben Ge­ schichten über das sühnehafte Geistern des Poppele, der dabei den Menschen den rich­ tigen Weg weist oder ihnen zur Gerechtig­ keit verhilft, in kindgerechter Sprache, die nie naiv wirkt, sind mit Aquarellen des Ra- dolfzeller Malers Lothar Rohrer illustriert, die die Vorstellungskraft der Leser anregen und erweitern. Dass nicht nur die eigenen Kindheitserleb­ nisse den Schrifsteller bewegen, sondern auch die eigenen Kinder, zeigt Rieple in sei­ nem hum orvollen Erzählband „1:0 für Ba­ by“. Diese Liebeserklärung erzählt anekdo­ tenhaft von den Erlebnissen eines Vaters während des ersten Lebensjahres seiner Toch­ ter Angela. U nd wie der Titel schon sagt, ob­ siegt der Säugling im mer wieder über die Welt der Erwachsenen, was auch den Vater m it einigem Stolz erfüllt. Dieses Buch wendet sich nicht an Kinder, sondern, wie der Untertitel verschmitzt an­ kündigt, an „alle werdenden Väter“. Es ist ein Kinderbuch für Erwachsene im Sinne von Max Rieples Aphorismus: „Beobachte dein Kind, u nd du wirst dich bessern.“ Georg Egender 3 3 1

Lyrik der Heimat Das Schelmenbrünneli zu Fützen keine Schläge. M an holte aus dem D o rf noch drei Rösser. Aber allesamt konnten den Kopf nicht hervor und das Brett nicht von der Stelle bringen. Da m ußte man den K opf ausgraben. Von dieser Zeit an hat m an kein Roß m ehr vor das Brett gespannt, sondern die Verur­ teilten das letzte Stück zum Galgen hinauf­ getragen. Text u n d Illustration H elm ut G roß nach der Er­ zählung aus der Sam m lung K arl Wacker In alter Zeit gab es in Fützen ein Femege­ richt. Dieses bestand aus vier Bürgern und dem Pfarrer, wobei erstere stets verm um m t waren. W enn nun jemand etwas verbrochen hatte, wurde er vor das Femegericht gestellt. Wurde er verurteilt, lud m an ihn au f einen Karren, wie das andernwärts auch der Fall war, spannte ein Roß davor und führte ihn zum O rt hinaus gegen Grimmeishofen zu. Beim „Giggelikreuz“ (Kreuz mit einem Flahn darauf) fuhr m an den Seeweg hinauf zum Brünneli. D ort hat m an ihn noch einmal trin­ ken lassen. Darum heißt man das Brünnele heute noch „Schelmenbrünne­ li“. Bei dem Brunnen hat man den Verurteilten vom Wagen genom m en, hat ihn auf ein Brett gebun­ den, hat ein Roß daran ge­ spannt und hat ihn so den Fußweg zum Galgenbuck hinaufziehen lassen. D ort hat m an den Verbrecher dann gehenkt. D a geschah es, daß m an wieder einmal einen zum Tode Verurteilten, nach­ dem er am Brünnele ge­ trunken hatte, a u f das Brett gebunden zur Richt­ stätte hinaufschleifen woll­ te. Als nun das Roß an­ zog, kam der K opf des D elinquenten unter den großen Stein zu liegen, der au f dem Brünnele lag. M an brachte ihn nicht m ehr darunter hervor. Da spannte m an das Roß rückwärts an das Brett. D och das Tier zog jetzt nicht m ehr an. Da halfen keine guten Worte und 3 3 2

Kreistages 1994-1999, ist am 28. N ovem ber 2001 verstorben. G e rh a rd H a g m a n n , Bürger­ m eister v o n Bad D ürrheim seit 1979, erhielt am 1. Februar 2002 anläßlich seines 60. Geburtstages v o n M inisterpräsident Teufel die Staufer-M edaille des Landes Ba­ den-W ürttem berg verliehen. G e ro ld Löffler, 44, w urde am 3. M ärz 2002 m it 68,7% Stim ­ m en an teil als N achfolger v o n Siegfried Baum ann zu m Bürger­ meister von Unterkirnach gewählt. O tto Sieber, seit 1970 Bürger­ m eister in Niedereschach, wurde am 10. M ärz 2002 m it 98,8% S tim m en an teil z u m vierten (!) M al als Bürgerm eister wiederge­ wählt. H u g o S te rn , N iedereschach- Fischbach, erhielt am 6. M ai 2002 für seinen jahrelangen in ­ tensiven Einsatz für das H eim at­ m useum in Fischbach die Bür­ germedaille der G em einde N ie­ dereschach. Im Blickpunkt ■ Ehrungen und Personalien S iegfried B a u m a n n , Bürger­ m eister v o n U nterkirnach 1968- 2002, w urde am 7. Ju n i 2002 von M in isterp räsid en t Teufel das B undesverdienstkreuz für seine Verdienste für 50 Jahre Tätigkeit im öffentlichen D ien st verlie­ hen. Zugleich w urde er zu m E h­ renbürger Unterkimachs ernannt. M e in rad Belle, 59, Mitglied des Bundestages von 1990 bis 2002, Bürgermeister v o n Brigachtal 1975-1990, M itglied des Kreista­ ges 1979-1990, w urde am 4. Juli 2002 v o n B undestagspräsident Thierse das Bundesverdienstkreuz verliehen. Kurz zuvor erhielt er die E hrenm edaille des Städte- u n d G em eindebundes. M a tth ia s B a u m a n n , 46, wurde am 30. S ep tem b er 2001 m it 86,68 % Stimmanteil zu m Bürger­ m eister in Blum berg gewählt. R ich a rd K rieg, Bürgermeister v o n Furtwangen seit 1993, wurde am 7. O k to b er 2001 m it 64,9% S tim m en wiedergewählt. Jü rg e n G use, Bürgermeister von Bräunlingen seit 1985, w urde am 28. O k to b e r 2001 m it 96,6% S tim m en zu m zw eiten M al wie­ dergewählt. D r. G allus S trobel, 47, wurde am 11. N o v em b er 2001 m it 78,2 % S tim m anteil zu m Bürger­ m eister in Triberg gewählt. Er w urde N achfolger v o n Klaus M artin, der nach 16 Ja h ren A m tszeit nicht wieder kandidier­ te. T h o m a s K lü d tk e, 33, Bürger­ meister von G ütenbach seit 1993, w urde am 2. D ezem ber 2001 m it 99,2 % Stim m en wiedergewählt. W e rn e r H a p p , M itglied des ■ O rd en u n d M ed a ille n D as B u n d e s v e rd ie n s tk re u z h a b e n 2002 erhalten: A lfons G rim m , V illingen-Schw enningen, W ilh elm Läufer, St. G eorgen, Siegfried B a u m a n n , U n terk irn ac h , M e in ra d Belle, Brigachtal, A d alb ert O ehler, Schönw ald, W ern er Ludw ig, St. G eorgen. Im Ja h r 2000: E lisabeth K ro n sch n ab el, D o n au esch in g en . M it d er L a n d e s e h r e n n a d e l d e s L a n d e s B a d e n -W ü rtte m b e rg w u rd en 2002 ausgezeichnet: H ein z H er­ zog, D o n au esch in g en , D o ro th e e Retzlaff, V illingen-Schw enningen, Karl K äm m erer, N iedereschach, Erika N itsche, M önchw eiler, E b erh ard G latz, N iedereschach. Im J a h r 2001: E m m a Scholze, Bad D ü rr­ h e im , A rtu r Schneider, F urtw angen, G erh ard H onegger, H ü fin g e n , Jo s e f H irt, D o n au esch in g en . Im Ja h r 2000: Peter Frere, O tto H u b er, In g rid L u m m e rz h e im , R e in h o ld Reich u n d T h o m a s G an tert, alle D o ­ naueschingen. D ie S ta a tsm e d a ille d u rch L andw irtschaftsm inister Stächele h a b e n 2001 erh alten : A u g u stin H aas, S ch o n ach , Ingrid H asenfratz, Bad D ü rrh eim , K arl-H einz B lum , B lum berg, Jo s e f Stockburger, St. G e o r­ gen, B e rn h ard D orer, Furtw angen, u n d T h e o d o r K ern, V öhrenbach. 3 3 3

Almanach-Magazin ■ Notizen aus dem Landkreis H an s Lang g esto rb en Hans Lang, Donaueschin- gens populärer Maler und Grafiker, im Almanach 87 zu seinem 70. Geburtstag portrai- tiert, ist am 28. August 2002 verstorben. Der in Bruchsal geborene Künstler hinterlässt in der Re­ gion eine Vielzahl von aus­ drucksstarken Werken jeglicher Stilrichtung, von der sponta­ nen Skizze auf der Serviette bis zu monumentalen Lein­ wandwerken. Hans Lang hat sich in allen denkbaren Techni­ ken bewährt und malte überall und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Von Hans Lang stammen viele Portraits sowie Ansich­ ten von Donaueschingen. H erm a n n Papst wird gew ürdigt ■ Am 13. August 1902 wur­ de Hermann Papst geboren, der bis zu seinem Tod 1981 nahezu 100 deutsche und 400 ausländische Patente erteilt bekam. Hermann Papst darf zu den bedeutendsten deut­ schen Erfindern und Unter­ nehmern im 20. Jahrhundert gezählt werden. In St. Georgen hat er für die Firma Gebrüder Steidinger einen „dual“ angetriebenen 3 3 4 Gold für Martin Schmitt ■ Einen großartigen Emp­ fang bereiteten viele Fans dem Mannschafts-Olympiasieger im Skispringen Martin Schmitt und seiner Familie in der Nach­ sorgeklinik Tannheim. Glück­ wünsche übermittelte Landrat Karl Heim im Namen des Land­ kreises. Für die Fans gab es vie­ le Autogramme und die Mög­ lichkeit zum Gespräch mit Martin und Thorsten Schmitt. in Königsfeld bis hin zu den zahlreichen großen Uhren­ museen wie in Furtwangen, Schwenningen oder St. Geor­ gen. Der reich bebilderte Führer im Taschenbuchformat ist zum Preis von Euro 4,50 in Buch­ handlungen, Fremdenverkehrs­ ämtern sowie über die Rat­ häuser im Landkreis und beim Landratsamt in VS-Villingen erhältlich. S ep tem b er-S ch n ee ■ Es ist ein sehr seltenes Er­ eignis, dass große Teile des Schwarzwald-Baar-Kreises be­ reits im September mit Schnee bedeckt sind: Am 24. und 25. September 2002 kam es zu teils ergiebigen Schneefallen, die es in der Nachkriegszeit so noch nie gegeben hatte. Vielerorts mussten Streu- und Räumdienste ausrücken. Selbst auf der Baar, so bei Mundeifingen, waren ca. 10 cm Schnee gefallen, die auf Streu­ obstwiesen und im Wald er­ hebliche Schneebruchschäden verursachten. Wegen Schnee­ bruchgefahr mussten sogar Straßen gesperrt werden. Plattenspieler entwickelt und damit gleichzeitig den Grund­ stein der Firma „DUAL“ ge­ legt. Hermann Papst ist auch der Begründer der St. George­ ner Papst-Motorenwerke. Aus Anlass des 100. Geburts­ tages ist eine Biografie über Hermann Papst erschienen. N e u e r M u seu m sfü h rer für drei Landkreise Als gemeinsames Projekt der drei Landkreise Schwarz- wald-Baar-Kreis, Rottweil und Tuttlingen sowie des Regional­ verbandes Schwarzwald-Baar- Heuberg wurde im Uhrenin­ dustriemuseum in Schwennin­ gen ein neuer Museumsführer vorgestellt. Landrat Heim, der gleichzeitig für die Landräte Hans Volle, Tuttlingen, und Manfred Autenrieth, Rottweil, sprach, hob die Bedeutung der Museen in der Region her­ vor. Auf 158 Seiten bietet der Führer für mehr als 90 Ein­ richtungen eine Beschreibung: Sie reicht vom kleinen Dorf­ museum, z.B. in Gütenbach, über die ebenso kleinen Schul- und Spielzeugmuseen wie z.B.

S on d erb riefm ark en zu m 150-jährigen B e steh en j m R(jckspiegel ■ Auf den Tag ge­ nau zum 150-jähri­ gen Bestehen am 29. August 2002 hat das Deutsche Uhrenmu­ seum in Furtwangen eine Jubiläumsmarke sowie einen Block Sondermarken mit ei­ ner Auflage von 1000 Exemplaren ohne Frankierwert heraus­ gegeben. Eine Lack­ schilduhr als Haupt­ motiv auf der Einzelmarke verweist auf die Gründung des Mu­ seums als Sammlung historischer Schwarzwalduhren. Wer es ausführlicher mag, kann sich auch für den Block mit zehn Schmuckmarken entscheiden. Diese zeigen einen Querschnitt durch die aktuelle Sammlung des wichtigsten Uhrenmuseums in Deutschland mit über 8 000 Exponaten. Auf dem Rand­ streifen des Blocks findet man eine Kurzchronik der Ge­ schichte des Hauses. Die Marken sind zum Preis von 1 Euro für das Motiv Lack­ schilduhr bzw. 5 Euro für den Bogen mit zehn Marken an der Kasse des Uhrenmuseums erhältlich oder können über www.deutsches-uhrenmuseum.de bestellt werden. P isces-K ollek tion in d en F ürstenberg-Sam m lungen ■ Zeitgenössische Kunst ist seit dem 10. Juni 2002 in der Fürs­ tenberg-Sammlung in Donaueschingen zu sehen. Die alten Meister mussten der Pisces-Kollektion weichen, die einen Überblick über moderne Kunst gibt und prominente Namen vereint. Die Schwerpunkte liegen bei Plastik, Malerei und Fo­ tografie der 1980er und 1990er Jahre. Unter anderem sind Arbeiten von John M. Armleder, Ross Bleckner, George Condo Wim Delvoye, Sylvie Fleury, Andreas Gursky, Damien Hirst, Jeff Koons, Paul McCarthy, Cindy Sherman, Rosemarie Trockel, Franz West und Christopher Wool zu sehen. Für diese Neu-Ausrichtung der Fürstenberg-Sammlung wurden die Räume umfassend und kunst­ gerecht saniert. ■ Silber fiir Urban Hettich Aus Anlass seiner Rückkehr in die Heimat­ gemeinde Scho- nach und der O lym pischen W interspiele 2002 in Salt La­ ke City rückte Urban Hettich ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Der Schon- acher hatte sich am 9. Februar 1976 bei den Olympischen Winterspielen in Seefeld beim 15 Kilometer-Langlauf in der Nordischen Kombination über­ raschend die Silbermedaille er­ kämpft. Der Almanach stellte den sympathischen Sportler daraufhin in seiner Erstausga­ be von 1977 vor. Lange Zeit lebte Urban Het­ tich in Kanada, nun ist er nach Schonach zurückgekehrt. Mit großer Freude, wie er beim Eintrag ins „Goldene Buch“ der Gemeinde betonte, schließ­ lich ist Urban Hettich ein ge­ bürtiger Schonacher, stammt von der „Vorderen Vogte“, di­ rekt beim Blindensee gelegen. Als Hettich 1976 in Seefeld drei Wochen vor seinem 23. Geburtstag die Silbermedaille gewonnen hatte, riss es eine ganze Nation von den Stüh­ len, damit hatte niemand ge­ rechnet: Im Skidorf Schonach herrschte tagelang „Ausnah­ mezustand“. 3 3 5

Statistik ■ Landkreis im Spiegel der Statistik Im L andkreis b e sitz e n 75 % d en Führerschein Die Statistik bringt es an den Tag: Von den rund 211000 Einwohnern im Landkreis besitzen rund 160000 einen Führerschein. Das sind, die etwa 35 000 Einwohner unter 16 Jahren herausgerechnet, 75 Prozent. Und jährlich kommen Führerscheine hinzu. rund 9 000 Noch etwas höher als die Zahl der Führerscheininha­ ber ist der Fahr­ zeugbestand, der zirka 172 000 be­ trägt – bei etwa 11768 Neuzulassun­ gen im Jahr. Somit kommen auf rund 1000 Einwohner ca. 814,3 Fahrzeuge. W ahlergebnisse der Bundestagswahl vom 22. September 2002 E rgebnisse d e r B undestagsw ahl v om 22. S e p te m b e r 2002 im W ahlkreis 287 – Schw arzw ald-Baar (A m tliches E n d e rg eb n is, 26. S e p te m b e r 2002) W ahlberechtigte 165 776 W ähler 132 493 79,92% E rststim m e n (D irek tm an d at: Siegfried K auder) Z w eitstim m en a b so lu t in P ro zen t a b so lu t in P ro z e n t U ngültige Erststim m en G ültige Erststim m en 2 836 129 657 2,1 4 % 97,86 % U ngültige Zw eitstim m en G ültige Zw eitstim m en 2 107 130 386 1,59% 98,41% D avon für Siegfried K auder C D U Beate Schm idt-K em pe SPD Eva Huenges B 90/G rüne Michael K lotzbücher F D P /D V P W ilfried Klinger PBC D avon für 64 461 49,72% C D U 60 682 46,80% 44 130 34,04% SPD 41 847 32,28% 9 784 9 777 1 505 7,55% B 90/G rüne 11 410 8,80% 7,54% F D P /D V P 10 599 8,17% 1,16% Sonstige 5 398 4,16% Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen Stichtag Schwarzwald-Baar-Kreis Land 30.6.2000 30.6.2001 30.6.2002 4,5 % 3,9% 5,1 % 5,0% 4,6% 5,1% Bundesgebiet West 7,4% 7,1% 7,6% Bundesgebiet Ost 16,5% 16,8% 17,8% Arbeitslosigkeit im gesamten Bundesgebiet zum 30.6.2002: 9,5% 3 3 6

Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Gemeinde Veränderungen Stand der Wohnbevölkerung 31.12.2000 31.12.2001 Bad D ü rrh e im B lu m b e rg B rä u n lin g e n B rigachtal D a u c h in g e n D o n a u e sc h in g e n F u rtw a n g en G ü te n b a c h H ü fin g e n K önigsfeld M ö n c h w e ile r N ied eresch ach St. G e o rg e n S ch ö n w ald S c h o n a c h T riberg T u n in g e n U n te rk irn a c h V illin g en -S c h w en n in g en V ö h re n b a c h Kreisbevölkerung insgesamt 12172 1 0 6 4 0 6 1 1 8 5 324 3 573 2 1 2 6 5 9 875 1 395 7 6 8 9 5 982 3 1 7 4 5 865 13 925 2471 4 3 5 6 5 4 5 7 2 778 2 940 8 1 2 1 4 4 1 3 4 210347 12 320 10 667 6 1 9 6 5 354 3 632 2 1 2 6 9 9778 1413 7 6 8 8 5 984 3 1 7 6 5 922 13 895 2 529 4 3 9 7 5 498 2 803 2 964 8 1 6 9 1 4 1 4 5 211321 Ausländische Mitbürger in Zahlen Gemeinde Jugoslawen Italiener A usländer insges. Stand 31.12.2001 davon Türken in Z a h le n in P ro z e n t 148 27 78 30 59 4 -97 18 -1 2 2 57 -30 58 41 41 25 24 477 11 974 1,22 0,25 1,27 0,56 1,65 0,02 -0,98 1,29 -0,01 0,03 0,06 0,97 -0,22 2,35 0,94 0,75 0,90 0,82 0,59 0,27 0,46 Griechen Sonstige Ausländeranteil in Prozent B ad D ü rrh e im B lu m b erg B rä u n lin g e n B rigachtal D a u c h in g e n D o n a u e sc h in g e n F u rtw a n g en G ü te n b a c h H ü fin g e n K önigsfeld M ö n c h w e ile r N ied eresch ach St. G e o rg e n S ch ö n w ald S ch o n a c h Triberg T u n in g e n U n te rk irn a c h VS V ö h re n b a c h Gesamt 677 1 3 1 4 612 2 17 171 2 0 5 1 1 148 53 782 305 209 245 1679 61 320 605 245 232 11671 579 23176 39 673 351 59 14 572 224 2 315 19 10 29 226 5 22 202 50 44 2 1 2 1 212 5189 221 365 55 35 52 1 7 8 1 252 9 1 123 5 6 1 93 78 516 12 141 140 6 21 1511 171 4035 128 27 35 35 40 349 365 25 146 20 35 32 622 13 102 105 114 27 2 1 4 9 143 4512 19 6 0 1 2 8 2 0 14 3 0 3 15 0 0 5 0 5 821 4 908 270 243 171 87 63 944 305 17 184 207 71 103 300 31 55 153 75 135 5 069 49 8532 5,50 12,32 9,88 4,05 4,71 9,64 11,74 3,75 10,17 5,10 6,58 4,14 12,08 2,41 7,28 11,00 ■8 , 7 4 7,83 14,29 13.97 10,97 Für die Städte B räunlingen, Furtw angen, Schönw ald, Schonach, Triberg u n d U nterkirnach ist der Stand vom 30.6.2001. D ie A ngaben zu den jugoslawischen Staatsangehörigen beinhalten auch die A ngehörigen der selbständigen N achfolge­ staaten K roatien, M azedonien, Bosnien u n d Slow enien. ‚B undesrepublikJugoslaw ien 337 ■

Bildnachweis Almanach 2003 Motiv Titelseite: Die A u fn a h m e n a u f d e r T itelseite sta m m e n v o n W ilfrie d D o ld , V ö h re n b a c h : F allerh o f. K leine B ilder v o n links: S au sc h w än zleb ah n , A rm in K i­ enzier, Triberg. E in g a n g sto r U rsu lin e n k lo ste r VS- V illingen: W ilfried D o ld , V ö h re n b a c h u n d Szene aus S W R -F ern seh serie „D ie F allers“ : S ü d w est­ ru n d fu n k B a d en-B aden. Motiv Rückseite: D ie F otografie a u f d e r Rückseite b e im Kesselberg in O b eresc h ach sta m m t v o n G erh ard Krieger, VS- Paffenweiler. B ild n a c h w e is fü r d e n In h a lt: Sow eit die B ildau­ to re n h ier n ic h t n a m e n tlic h an g e fü h rt w erden, sta m m e n die F otos jeweils v o m Verfasser des b e ­ tre ffe n d e n Beitrages. M it F otos sin d ferner im A lm a n a c h v ertrete n (die Z a h le n n ach d e r A u to re n a n g a b e b e z ie h e n sich a u f die jeweilige Textseite): R o la n d Sigwart, FFüfingen: 5, 2 5 8 -261, 288-290, 3 1 3 /3 1 4 ,3 1 5 o . – W ilfried D o ld , V ö h ren b ach : 9, 17/18, 2 8 /2 9 , 36, 61 o .li., 61 u., 6 3 o., 77, 83, 123/124, 130, 150, 255, 334 – G erh ard Krieger, V S-Pfaffenw eiler: 11, 15, 128 – C h ristia n v o n N ell, M u n d e lfin g e n : 12 – H a n n e G össl, D o n a u – e sc h in g e n :2 1 – S chw arzw älder B ote, B lum berg: 2, – K reisarchiv SBK, VS-Villingen: 33, 121, 126 – S ü d b a d e n B u s G m b H , Freiburg: 35 – T h o m a s H og, VS-Villingen: 37 – D irevi F otopress, VS-Vil­ lingen: 41, 43, 55, 61o.r., 1 9 2/193, 282, 2 8 3 o „ 284-287, 291-294, 317, 31 9 ,335o.r. – Pressestel­ le VS-Villingen: 42 – Kur- u n d B äder G m b H , Bad D ü rrh e im : 45-48 – S ta d t B ad D ü rrh e im : 52 – K atrin D o ld , B am berg: 53, 57 – W ilfried M a y ­ er, V S-V illingen: 59 – N ik o la u s R eder, N ie- dereschach: 63 u., 265 – U lrich W eyers, VS-Vil­ lingen: 64 – E rika Behr, VS-V illingen: 65 – J u ­ g en d k u n stsch u le, D o n a u e sc h in g e n : 68-71 – FF- Archiv, D onaueschingen: 78-82 – H om m elw erke, V S -M ü h lh a u s e n : 8 4 -8 7 – Bad D ü rrh e im e r – T a n n e n h o f- M in e ra lb ru n n e n G m b H : 88-91 3 3 8 – S chw arzw älder-F leischw aren G m b H , N ied er- eschach: 92 – H a u s F ürstenberg, D o n a u e s c h in ­ gen: 96 – C h ro n ik S P D , O rtsv e re in V illingen: In sp ira tio n R a lf G an ter, N iedereschach: 99 110, 115, 119, 194/195, 197 – Paul Revellio, B eiträge z u r G eschichte d e r S tad t V illingen (Vil­ lin g en 1964/68): 111 – Z e ic h n u n g K. G ries­ b a u m (Vorlage A u to r): 113 – Z e ic h n u n g T. K n o rr (Vorlage M a rtin S to rz u n d A u to r): 117 – d oldverlag (Archiv), V ö h ren b ach : 132, 161,179 — M ic h ael Z im m e rm a n n , V S -S c h w en n in g en : 1 3 3 /1 3 4 ,1 3 6 – M ichael Z im m e rm a n n , (Archiv) V S -S chw enningen: 137-141 – F H -R ech n erm u – seum , Furtw angen: 144-147 – Tourist-Info, (A rno Weisser) K önigsfeld: 148/149 – D eutsches U h r ­ e n m u se u m , F urtw angen: 155-157, 160 – O d in Jäger, (Archiv) F urtw angen: 159 – B adische L an­ d e sb ib lio th e k K arlsruhe: 171, 173, 175 – E gon Schneider, G rem m elsb ac h : 181 – T h o m a s H e r­ zog-S inger, V S-V illingen: 184-191 – M a rtin S tark m a n n , VS-Villingen: 198 – B e rn h a rd H a u ­ ser, B räu n lin g en : 208 – Stefan S im o n , M a rbach: 2 1 4 /2 1 5 , 217 Jo a c h im K ü h n i, H ü fin g e n : – N o rb e rt S ch ü tz, O beresc h ach : 277, 2 5 3 /2 5 4 278 u., 279 – H a n s W ern er Fischer, 278o. – W olfgang W ö h rle, W olfach-K irnberg: 283u. – O rp a K lu m p p -S e n n , N ied eresch ach : 2 9 5 /2 9 6 – S ü d w e stru n d fu n k B a d en -B ad en : 302-309 – A r­ n o M ü n z e r, Bad D ü rrh e im : 311, 315u. – W il­ fried S tro h m eie r, D o n a u e sc h in g e n : 335u.l. – Errata A lm anach 2002 S. 137: In d e r S palte „T uningen“ e n tsp re c h e n 412 S tim m e n 9 4 ,5 % (nicht 0 ,34% ) u n d 22 S tim m e n 5 ,0 5 % (n ich t 50,05% ). S. 337: In d e r Tabelle „A usländische M itb ü rg e r in Z a h le n “ b eträgt die G e sa m tz a h l d e r A u slä n d er im SB K 2 2 9 0 8 (G ü te n b a c h : 57, T u ningen: 262). D e r A u slä n d era n te il in P ro z e n t w ar n a c h n ic h t ak tu ellen W erten b e re c h n e t u n d d a h e r n ic h t k o r­ rekt. D ie aktuelle Tabelle im A lm a n a c h 2003 h a t diese F eh lerq u ellen berücksichtigt.

Die Autoren unserer Beiträge B an tie, A lbert, Sinkinger Straße 40a, 78078 N iedereschach B eathalter, M a n fred , W iesen straß e 29, 78166 D o n au esch in g en -P fo h ren Beck-N ielsen, E lisabeth, R ottw eilerstraße 23, 78078 N iedereschach Bethge, A n n e , W ö sch h ald e 72, 78052 V illingen-Schw enningen Bischoff, Prof. D r. Rainer, G erw igstraße 11, 78120 F urtw angen Bordel-V odde, A ndreas, K arlstraße, 58, 78166 D o n au esch in g en B rom m er, B e rnhard, V olkartstraße 31, 80634 M ü n c h e n D orer, M arcel, A ckerstraße 1, 78122 St. G eorgen E gender, G eorg, M a x-E gon-S traße 2, 78166 D o n au esch in g en G ehring, D r. H e lm u t, K önigsberger-Straße 30, 78052 V illingen-Schw enningen Esterle, M arkus, H in d e n b u rg stra ß e 42, 78087 M ö n c h w eiler G ro ß , H e lm u t, A m S chw aibenhaag 1, 78048 V illingen-Schw enningen G ü n th e r, W alter, F riedrichstraße 2, 78126 K önigsfeld G w inner, Jo a ch im , A m H o p tb ü h l 2, 78048 V illingen-Schw enningen Filipp, Franz, Postfach 101321, 88662 Ü b erlin g en Fritschi, K u n o , K arl-B rom bergerstraße 5, 78183 H ü fin g e n H ettich , Peter, L in d e n straß e 11, 78050 V illingen-Schw enningen H in te rse h , Sven, A m H o p tb ü h l 2, 78048 V illingen-Schw enningen H ockenjos, W olf, K alkofenstraße 11, 78050 V illingen-Schw enningen H o ffm a n n , C lau d ia, H e in estraß e 17, 78056 V illingen-Schw enningen K ahlert, Prof. Dr. H e lm u t, A m B o d e n w ald 4, 78120 Furtw angen K ienzier, A rm in , M o z artstraß e 17, 78098 Triberg K lotz, Rüdiger, A m S chw aibenhaag 2, 78048 V illingen-Schw enningen K o ttm a n n , In g eborg, B ruggerstraße 96, 78628 Rottw eil Kress, D an iela, S ü d w estru n d fu n k -F ern se h en , 75522 B aden-B aden Kriesche, M a rian n e, Bürgerw ehrstraße 14, 78050 V illingen-Schw enningen K rüm m er, S abine, F riedrichstraße 21, 78050 V illingen-Schw enningen L eu th n er, W erner, F rü hlingshalde 85, 78056 V illingen-Schw enningen L im berger-A ndris, Stefan, M ü h le n stra ß e 7, 79877 F riedenw eiler-R öthenbach Link, Fritz, W eitbrechtw eg 1, 78126 K önigsfeld L öbbecke, Frank, Flaunserstraße 7, 79102 F reiburg i. Br. M a u lh a rd t, D r. H ein rich , P fo rzh eim erstraß e 29, 78048 V illingen-Schw enningen M u sch , Prof. D r. H a n s, H u rstb ru n n e n stra ß e 8, 79117 Freiburg i. Br. N ack, C h ristin a, O bereschacher-S traße 7, 78126 K önigsfeld N ie n h a u s, H e in z , Ledderkesw eg 4, 46242 B o ttro p R e ic h m an n , A n to n ia , A u f d er Staig 42, 78166 D o n au esch in g en R o th erm el, D r. H e lm u t, W eid en m atten w eg 2, 79312 E m m e n d in g e n R othw eiler, S usanne, A u f d e r Staig 15, 78166 D o n au esch in g en Scherzer, Beatrice, Im D o tte rb in d 5, 78166 D o n au esch in g en Scherzinger, O sw ald, H in te rta l 1, 78148 G ü te n b a c h Schilli, Rolf, R o b e rt-S ch u m an n -S traß e 30, 78141 S chönw ald S ch n eid er-D am m , D agm ar, L uisenstraße 4, 78073 Bad D ü rrh e im Schroeder, H olger, W iesentalstraße 52, 78727 O b em d o rf-A ista ig S chubart, U lrike, Sternw aldstraße 14, 79102 F reiburg i. Br. S chubert, Dr. W olfgang, H a u p tstra ß e 1, 78141 Schönw ald Schyle, W olfgang, Pressesprecher, Polizeidirektion V illingen-Schw enningen Saur, Stefanie, F ürstenbergstraße 13b, 78166 D o n au esch in g en Seefried, G abriele, A m H o p tb ü h l 2, 78048 V illingen-Schw enningen S im o n , Stefan, H aselw eg 17, 78052 M arbach Sprich, R o lan d , B ü h lstraß e 57, 78112 St. G eorgen Steger, C hristian a , Birkenw eg 8, 78176 B lum berg S tu rm , Dr. Jo a ch im , Steigstraße 32, 78078 N iedereschach Volk, Karl, U n te rta l 19, 78098 T riberg-G rem m elsbach W erner, D r. Jo h a n n e s, S teinstraße 21, 76477 E lchesheim Z im m e rm a n n , M ichael, K arlstraße 119, 78054 V illingen-Schw enningen

Inhaltsverzeichnis Impressum Ehrenliste der Freunde und Förderer Heimat und Kultur/ Vorwort von Landrat Karl Heim 1. Kapitel / Aus dem Kreisgeschehen Schwächere Wirtschaft – weniger Einnahmen – Im Krankenhauswesen zeichnen sich grundsätzliche Veränderungen ab / Karl Heim Neue Schwerpunkte für die Umweltpolitik – Die Flutkatastrophe vom August 2002 rückt den Hochwasserschutz in den Blickpunkt / Joachim Gwinner Soziales im Schwarzwald-Baar-Kreis – Pflege und Betreuung älterer Mitbürger eine große gesellschaftliche Herausforderung / Gabriele Seefried Öffentlicher Nahverkehr im Landkreis – Feriengäste können nun das VSB-Touristik-Ticket erwerben / Sven Hinterseh Zwei Nationen – eine Buslinie: Der RandenBus – Mit einem Fahrschein von Schaffhausen bis nach Schwenningen / Sven Hinterseh Rettungskräfte üben im Dögginger Tunnel – Der Tunnel ist technisch gut ausgestattet – 180 Helfer und 20 Fahrzeuge im Einsatz / Sven Hinterseh Etappensieg für die Fluglärmgegner – VGH gibt RILAX-Gegnern recht: Informationen wurden unterlassen / Sven Hinterseh 2. Kapitel / Städte und Gemeinden 30 Jahre gemeinsame Stadt – „Mit vereinten Kräften die Doppelstadt auch in Zukunft voranbringen / Stefanie Saur Das neue Wappen der Stadt Villingen-Schwenningen / Dr. Heinrich Maulhardt Uber 150 Jahre Kurwesen – In Bad Dürrheim kommt die Gesundheit aus der Natur / Dagmar Schneider-Damm Das erste Mediendorf im „Ländle“ – Mönchweiler bietet seinen Bürgern auch eine kostenlose E-Mail-Adresse / Markus Esterle 3. Kapitel / Schwarzwald und Baar – Portrait eines Landkreises Im Zeichen der Salinentürme – „Wo täglich neue Kräfte wachsen“: Bad Dürrheim / Christina Nack 4. Kapitel / Behörden und Institutionen Gewerbeaufsichtsamt Villingen-Schwenningen – Anerkannter und geschätzter Partner für Betriebe, Beschäftigte, Bürger und Behörden / Dr. Helmut Rothermel Eichamt Donaueschingen – Hüter des Maßes – Verbraucher-, Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutz und Verkehrswesen / Stefan Limberger Andris 5. Kapitel / Bildungseinrichtungen Die Jugendkunstschule Donaueschingen – Ein spielerischer Ausgleich zum 3 4 0 2 3 5 7 11 20 31 34 36 39 41 44 45 49 52 64 65

leistungsbezogenen Lernen / Andreas Bordel-Vodde Fernstudienzentrum Villingen-Schwenningen – Von VS-Schwenningen aus werden ca. 880 Fernstudierende betreut / Werner Leuthner Eine Schulgründung mit Folgen – Die Großherzoglich Badische Uhrmacherschule zu Furtwangen 150 Jahre alt / Prof. Dr. Helmut Kahlert 6. Kapitel /Aus dem Wirtschaftsleben „Ein bisschen Fürst muss sein“ – Die Fürstenberg-Brauerei in Donaueschingen: hochmodern und regional verwurzelt / Beatrice Scherzer/Susanne Rothweiler Hommelwerke nehmen es besser als haargenau – Die G mbH aus VS-Mühlhausen darf sich zu den drei Großen der Messtechnik zählen / Sabine Krümmer Bad Dürrheimer für die Zukunft gerüstet – Neue PET-Abfüllanlage stellt die Weichen für die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte / Dagmar Schneider-Damm „Schwarzwälder Qualität, die man schmeckt“ – Die „Tannenhof-Schwarzwälder- Fleischwaren G m bH “ in Niedereschach / Albert Bantle/Dr. Helmut Rothermel Erstes Essbesteck zur Einhandbedienung – Thilo Schauer ist Träger des Arthur-Fischer-Erfmderpreises Baden-Württemberg 2001 / Elisabeth Beck-Nielsen 7. Kapitel / Persönlichkeiten Zum Tode von Joachim Fürst zu Fürstenberg – Eng verbunden mit der Bevölkerung der Baar und ein stiller Wohltäter / Dr. Joachim Sturm Ein Leben für die Arbeitnehmerschaff – Zum Tode des Villinger Gewerkschafters und Sozialdemokraten Adam Berberich / Dr. Helmut Rothermel Ganzes Engagement dem Nachwuchs gewidmet – Peter Dönneweg gibt Leitung des Jugendsinfonieorchesters St. Georgen-Furtwangen ab / Marcel Dorer Unter Deutschlands Spitzenköchen ganz weit vorn – August Guter – ein Jahr der Jubiläen für den Küchenmeister der Landesberufsschule / Anne Bethge Hubert Münzer, ein Hondinger Urgestein – In Ortschaftsrat und Gemeinderat zum Wohle der Mitbürger aktiv / Christiana Steger Polizeidirektor Robert Wölker im Ruhestand – Innenminister Schäuble: „Bei der Kommunalprävension einen Namen gemacht“ / Wolfgang Schyle 8. Kapitel / Archäologie Ein Haus von 1255 – genutzt im 21. Jahrhundert – Geschichte und Rettung eines Villinger Altstadthauses / Frank Löbbecke/Ulrike Schubart 9. Kapitel / Geschichte Das Ende einer jahrhundertealten Kultur – Vor 200 Jahren besiegelte die Säkularisation das Ende der Klöster im Landkreis / Dr. Helmut Rothermel Grabanlage für NS-Opfer geschaffen – Wider das Vergessen: 118 namenlosen Toten ihre Würde, den Namen wiedergegeben / Ingeborg Kottmann Verdrängung verhindert Versöhnung – Wider das Vergessen: Ernst und Willi Schlenker – Willkommen in der alten Heimat / Michal J. H. Zimmermann Die Funkenpuster haben sich rar gemacht – Helmut Löttker aus Obereschach ist einer der letzten Dorfschmiede im Landkreis / Anne Bethge 68 72 91 76 84 88 92 94 96 99 101 104 106 108 110 120 133 137 142 3 4 1

10. Kapitel / Museen im Schwarzwald-Baar-Kreis Rechnen – eine unendliche Geschichte? – Die Rechnersammlung an der Fachhochschule Furtwangen (HTW) / Prof. Dr. Rainer Bischoff Albert Schweitzer in Königsfeld – Haus der Familie Schweitzer – Begegnungs­ stätte mit modernster Medientechnik / Walter Günther/Fritz Link 25 Jahre Sauschwänzlebahn – Stadt Blumberg kann die „interessanteste Museumsbahn des Kontinents“ vorweisen / Armin Kienzier 11. Kapitel / Uhren und Uhrengeschichte Die Badische Uhrenfabrik Furtwangen – Einst bedeutend -fast vergessen- Eine Jahresproduktion von 7 0 0 0 0 0 Uhren / Prof Dr. Helmut Kahlert Die Flötenspieluhr von Mathias Siedle – Der Gütenbacher war einer der bedeutendsten Schwarzwälder Spieluhrenmacher / Oswald Scherzinger Zarte Apfelrosen und mannshohe Uhrenträger – Autodidaktin Conny Haas eine der letzten der Schildermaler-Zunft / Anne Bethge Ein Taxameter „made in Villingen“ – Das Unternehmen Kienzle fertigte „das kleinste derartige Gerät der Welt“ / Sabine Krümmer 12. Kapitel / Kirchen, Kapellen und Glocken Die Bücher der Benediktiner von Villingen – Kostbarste Bücher durch das Großherzogtum verschleudert und verstreut / Dr. Johannes Werner Erinnerung an Reichsprälat und Abt Anton Luz – Ein bedeutender Kirchenmann von der Baar zur Zeit der Napoleonischen Kriege / Kuno Fritschi/Dr. Helmut Rothermel Anna Weber – Pfarrhaushälterin in Gremmelsbach / Karl Volk 13. Kapitel / Musik und Musikgeschichte Die Villinger Silbermann-Orgel ist wiedererstanden / Prof Dr. Hans Musch 9 0 Jahre Dur und Moll – Das Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen e.V. – Am 1. Oktober 1 912 gegründet / Claudia Hoffmann 14. Kapitel / Kunst und Künstler Vera von Buch – „Ich sehe jetzt mit meinen inneren Augen, und diese Bilder sind viel klarer …“ / Christina Nack Franz Späth – Bildhauer und Maler aus Bräunlingen / Stefan Simon Galerie „Zur Alten Linde“ – Herbert Scheuermann und Stefan Simon vermitteln zeitgenössische Kunst / Antonia Reichmann 15. Kapitel / Gesellschaft u n d Soziales Von Suomi in den Schwarzwald – Finnische Frauen im Schwarzwald-Baar-Kreis / Marianne Kriesche Koronarsport: Gezielte Bewegungsbehandlung – Arbeitsgemeinschaft Ambulante Herzgruppe Schwarzwald-Baar-Kreis-Heuberg e.V. / Dr. Wolfgang Schubert 3 4 2 1 4 4 148 151 155 162 165 168 170 177 180 184 194 198 2 0 8 2 1 4 2 1 8 2 2 4

16. Kapitel / Landwirtschaft „Baar-Gold“ – Rapsanbau als Chance – Für Landwirte eine echte Alternative zu Landbau und Grünlandwirtschaft / Manfred Beathalter 17. Kapitel / Umwelt und Natur Bagger im Einsatz für die Natur – Künstliche Teichbiotope auf der Baar / Dr. Helmut Gehring Urwald aus zweiter H and – Im Tuninger Haldenwald entsteht ein Waldschutzgebiet / W olf Hockenjos Vielen Pilzsammlern das Leben gerettet – Wolfgang Kühnl: 30 Jahre lang die Pilzberatungsstelle des Schwarzwald-Baar-Kreises geleitet 18. Kapitel / Bauen und Wohnen Das Hüfmger Hallenbad „Aquari“ – Vom tristen Badehaus zum modernen Spaß- und Freizeitbad / Franz Filipp Zum ehemaligen Deckerhisle – Eines der ältesten Häuser in Gütenbach / Heinz Nienhaus Der Schwarzwald-Baar-Kreis im Farbbild 19. Kapitel / Stätten der Gastlichkeit Landkreis setzt auf Gastfreundschaft – 1. Wettbewerb „Schönes Gasthaus“ spiegelt Attraktivität der Gastronomie im Landkreis / Roland Sprich „Alte Ölmühle“ – beliebtes Ausflugsziel – Wo einst Speiseöl hergestellt wurde, ist ein gemütliches Gasthaus entstanden / Christina Nack Das Gasthaus „Sonne“ – Ein traditionsreiches Haus im Blumberger Ortsteil Riedböhringen / Christiana Steger 20. Kapitel / Sport Silber bei Olympia vorläufiger Höhepunkt – Der Schonacher Georg Hettich wurde in Salt Lake City für alle Mühen belohnt / Peter Hettich Michaela Schmidt: Skispringerin aus Leidenschaft – Die Schönwälderin zählt seit Jahren zur Skisprungelite der Damen / Rolf Schilli Rennfahren ist Bianca Knöpfles Leidenschaft – Die 18jährige aus Hubertshofen lehrt die Konkurrenz seit Jahren das Fürchten / Stefan Limberger-Andris Nach toller Junioren-WM viel Lob von allen Seiten – Schonach war für deutschen Nachwuchs ein gutes Pflaster / Peter Hettich Deutschlandtour ist im Schwarzwald etabliert – Spannender Zweikampf um Gesamtsieg zieht Zuschauermassen an / Holger Schroeder 21. Kapitel / Freizeit und Erholung Die Tierhaltung als liebenswertes Hobby – Schafe, Esel und Ziegen: Drei Tierzüchter aus Niedereschach / Elisabeth Beck-Nielsen 2 2 7 2 3 2 2 4 4 2 5 2 2 5 8 2 6 2 2 6 5 274 277 2 8 0 2 8 2 2 8 4 2 8 6 2 8 8 291 2 9 5 3 4 3

22. Kapitel / Film und Fernsehen Die „Fallers“ – die wohl bekannteste Schwarzwaldfamilie / Daniela Kress 23. Kapitel / Theater Das Theaterstück Kathrin – In Mundelfingen Familien-Saga vom Dreißigjährigen Krieg aufgeführt / Manfred Beathalter Reges Theaterleben in der Doppelstadt – Amt für Kultur ist eine wichtige Säule des kulturellen Lebens in Villingen-Schwenningen / Rüdiger Klotz 24. Kapitel / Mundart Johannes Kaiser, die Melodie des Dialekts – Der Villinger Autor übersetzte auch „Asterix“ ins Alemannische / Christina Nack 25. Kapitel / Lyrik der Heimat Vom Reiz und Wert der Heimatgeschichte / Karl Volk Max Rieples „Kinderbücher“ – Am 12. Februar 2002 wäre der Donaueschinger Dichter 100 Jahre alt geworden / Georg Egender Das Schelmenbrünneli zu Fützen / Helmut Groß Gedichte Fahrbahn Verbindungen / Bernhard Brommer S’isch Mess / Lisa Beck-Nielsen Juniliebe / Christiana Steger Almanach Magazin Ehrungen und Personalien Orden und Medaillen Notizen aus dem Landkreis Landkreis im Spiegel der Statistik Wahlergebnisse der Bundestagswahl vom 22. September 2002 Arbeitslosigkeit in Prozentzahlen Bevölkerungsentwicklung im Schwarzwald-Baar-Kreis Ausländische Mitbürger in Zahlen Bildnachweis Errata Die Autoren unserer Beiträge Inhaltsverzeichnis 3 4 4 302 310 316 322 325 329 332 100 226 264 333 333 334 336 336 336 337 337 338 338 339 340